Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 11/23/2010

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Die Sitzung ist eröffnet. Nehmen Sie bitte Platz. Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Bevor wir mit der Beratung des Bundeshaushalts beginnen, möchte ich einige Sätze zu den Auswirkungen der aktuellen Sicherheitslage auf unsere Arbeit hier äußern. Die Sicherheitsbehörden haben aus gegebenem Anlass die Schutzmaßnahmen im öffentlichen Raum verschärft. Betroffen sind insbesondere Flughäfen, Bahnhöfe und öffentliche Gebäude, natürlich gerade auch Gebäude des Deutschen Bundestages und anderer Verfassungsorgane. Unsere parlamentarische Arbeit findet in diesen Tagen und, wenn es eben nötig ist, länger unter erschwerten äußeren Bedingungen statt. Ich bin sicher, dass Sie und Ihre Mitarbeiter, aber auch die Besucher und Gäste des Bundestages im eigenen Interesse Verständnis dafür haben und die Arbeit unserer Verwaltung sowie der Bundes- und der Landespolizei unterstützen. Ich möchte allen danken, die in diesen Tagen für unsere Sicherheit arbeiten. Ich versichere zugleich, dass sich der Deutsche Bundestag von niemandem und nichts an der Wahrnehmung seiner Aufgaben und Verpflichtungen hindern lassen wird. ({0}) Die Kollegen Heinz-Joachim Barchmann, Siegfried Kauder und Alois Karl haben in den vergangenen Tagen ihren 60. Geburtstag gefeiert. Im Namen des ganzen Hauses gratuliere ich dazu auch auf diesem Wege herzlich und wünsche alles Gute. ({1}) Nun rufe ich die Tagesordnungspunkte I a und b auf: a) Zweite Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 2011 ({2}) - Drucksachen 17/2500, 17/2502 - b) Beratung der Beschlussempfehlung des Haushaltsausschusses ({3}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Finanzplan des Bundes 2010 bis 2014 - Drucksachen 17/2501, 17/2502, 17/3526 Berichterstattung: Abgeordnete Norbert Barthle Carsten Schneider ({4}) Roland Claus Wir kommen zur Beratung der Einzelpläne, und zwar zunächst der drei Einzelpläne, zu denen keine Aussprache vorgesehen ist. Ich rufe den Tagesordnungspunkt I.1 auf: Einzelplan 01 Bundespräsident und Bundespräsidialamt - Drucksachen 17/3501, 17/3523 Berichterstattung: Abgeordnete Herbert Frankenhauser Carsten Schneider ({5}) Dr. h. c. Jürgen Koppelin Omid Nouripour Wir kommen zur Abstimmung über den Einzelplan 01 in der Ausschussfassung. Wer stimmt dafür? Wer stimmt dagegen? - Möchte sich jemand der Stimme enthalten? - Dann ist der Einzelplan 01 einstimmig angenommen. - Es fängt gut an. Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt I.2 auf: Einzelplan 02 Deutscher Bundestag - Drucksachen 17/3502, 17/3523 Berichterstattung: Abgeordnete Bernhard Schulte-Drüggelte Dr. h. c. Jürgen Koppelin Alexander Bonde Redetext Präsident Dr. Norbert Lammert Auch diesen Einzelplan stelle ich in der Ausschussfassung zur Abstimmung. Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Auch dieser Einzelplan ist einstimmig angenommen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt I.3 auf: Einzelplan 03 Bundesrat - Drucksachen 17/3523, 17/3524 Berichterstattung: Abgeordnete Norbert Barthle Carsten Schneider ({6}) Roland Claus Wer für den Einzelplan 03 in der Ausschussfassung stimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich der Stimme? - Auch dieser Einzelplan ist einstimmig angenommen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt I.4 auf: a) Einzelplan 08 Bundesministerium der Finanzen - Drucksachen 17/3508, 17/3523 Berichterstattung: Abgeordnete Norbert Brackmann Carsten Schneider ({7}) Dr. Gesine Lötzsch Stephan Kühn b) Einzelplan 20 Bundesrechnungshof - Drucksachen 17/3523, 17/3524 Berichterstattung: Abgeordnete Norbert Barthle Carsten Schneider ({8}) Roland Claus Zum Einzelplan 08 liegt ein Änderungsantrag der Fraktion Die Linke vor. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache zu diesen beiden Einzelplänen 90 Minuten vorgesehen. - Darüber besteht offenkundig Einvernehmen. Dann können wir nach dieser Vorgabe verfahren. Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort zunächst dem Kollegen Carsten Schneider für die SPDFraktion. ({9})

Carsten Schneider (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003218, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir debattieren in dieser Woche über den ersten wirklichen Haushalt von Schwarz-Gelb in dieser Legislaturperiode. ({0}) Daran kann man die Handschrift Ihrer Fraktionen, Ihrer Parteien erkennen. ({1}) Ihre Haushaltspolitik geht vollkommen fehl, weil Sie die Vorgaben der Schuldenbremse nicht einhalten. Nein, Sie manipulieren sie sogar. ({2}) Ohne diejenigen zur Verantwortung zu ziehen, die für diese Finanzkrise und die Löcher im Haushalt verantwortlich sind, nehmen Sie im Sozialbereich radikale Veränderungen vor. Dort kürzen Sie in einem Maße, das man sich kaum hat vorstellen können. ({3}) Was Sie nach einem Jahr Verantwortung in der Haushalts- und Finanzpolitik vorgelegt haben, ist nicht nur unglaubwürdig, sondern hat auch keine klare Linie. In der Finanzpolitik braucht man aber eine klare Linie, Glaubwürdigkeit und Vertrauen. ({4}) Wir sehen das an der aktuellen Lage in Irland. Ich glaube, es wäre besser gewesen, wenn die dortige Regierung frühzeitig mit offenen Karten gespielt hätte, anstatt das Problem zu verschleiern. Glaubwürdigkeit bedeutet auf Deutschland bezogen: Man muss vor der Wahl sagen, was man nach der Wahl macht. ({5}) Das Gegenteil haben Sie getan. ({6}) - Da ist sogar die FDP munter geworden. Herzlich willkommen! Das gilt natürlich zuerst Ihnen. Was haben Sie vor der Bundestagswahl alles versprochen? Umkrempeln wollten Sie dieses Land. Die Schuldenproblematik gab es, zumindest nach Ihrer Kenntnis, damals wohl noch nicht. ({7}) Schließlich haben Sie Steuersenkungen versprochen, die Sie ganz simpel gegenfinanzieren wollten. Jetzt schaue ich mir an, welche Steuersenkungen Sie hier vorlegen - da sind Sie ganz still -: ({8}) Es gibt keine. ({9}) Sie sind in der Realität angekommen. ({10}) Carsten Schneider ({11}) Für diesen Aufprall in der Realität haben Sie ein Jahr gebraucht. Das hat uns in einer finanzpolitisch schwierigen Zeit ein Jahr gekostet. ({12}) Sie haben kein Vertrauen aufgebaut, sondern für Verunsicherung gesorgt. Der Koalitionsvertrag, den Sie verhandelt und verabschiedet haben, enthielt ganz am Anfang eine Sondermülldeponie. Dort sollten die 200 Milliarden Euro Schulden abgeladen werden, die Sie in dieser Legislaturperiode aufnehmen wollten. Das ist Ihnen vor allen Dingen durch den berechtigten Aufschrei der Öffentlichkeit aus der Hand genommen worden. Das war aber Ihre Absicht: die Einrichtung einer Sondermüllkippe, mit der Sie letztendlich Ihre Politik verschleiern wollten. - Das war schon einmal stilbildend. ({13}) Dann kam die Mär: Wir müssen warten, bis die Steuerschätzung im Mai kommt. - Die Steuerschätzung im Mai kam; die Lage war ein bisschen besser. An dem Donnerstag der Steuerschätzung stand hier noch der Generalsekretär der FDP - ich glaube, der war es - und hat gezeigt, wie viel Mehreinnahmen da sind: Es ist doch etwas zu verteilen. - Das alles war natürlich nur auf die Wahl in Nordrhein-Westfalen ausgerichtet. Es hat Ihnen nichts genutzt, ({14}) weil die Glaubwürdigkeit verloren gegangen ist. Was Ihnen aber nicht genutzt hat, hat dem Land geschadet, denn wir haben ein Jahr verloren. ({15}) Meine Damen und Herren, vielleicht haben Sie vorher keine Erkenntnis gehabt. Wir hatten in der letzten mittelfristigen Finanzplanung allerdings ausgewiesen, wie hoch die Defizite sind. Sie hätten es wissen können. Sie haben im Wahlkampf aber bewusst wider besseres Wissen geredet. Von daher haben Sie entweder ein Erkenntnisproblem gehabt - das will ich Ihnen intellektuell aber gar nicht unterstellen -, oder Sie haben bei der Bundestagswahl 2009 hier im Bundestag und darüber hinaus Betrug am Volk geübt. Und das alles ist kumuliert, als Sie im Juni die Haushaltsaufstellung machten - großes Sparpaket, 80 Milliarden Euro. 80 Milliarden Euro! Was ist nun davon übrig geblieben? - De facto sind 40 Milliarden Euro bis 2014 durch Kürzungen im Sozialbereich unterlegt. Da waren Sie sich einig. Wenn es darum geht, den Arbeitslosen das Geld zu nehmen, sind Sie alle dick dabei, und dann wird das durchgezogen. Da geht es im Zweifel sogar noch ein Stückchen härter, und dann wird auch noch das Wohngeld im Haushalt von Herrn Ramsauer gesenkt. Danach wird dieser Schätzansatz wieder gesteigert und gesagt, es gebe ja eine Erhöhung, meine Damen und Herren. Das ist Fabulierwesen, aber keine solide Haushaltspolitik, und es zementiert die soziale Spaltung in Deutschland. ({16}) Ich will aber ganz grundsätzlich zu der Frage kommen: Wie gehen wir eigentlich mit den extrem hohen Defiziten um, und ist das, was Sie hier vorlegen, eigentlich im Sinne des Grundgesetzes? - Dazu muss man wissen, dass wir uns 2009 hier mit großer Mehrheit eine Schuldenbremse, ein neues Regelwerk, gegeben haben, weil das alte nicht getaugt hat. Wir waren mehrheitlich der Auffassung, dass wir in den vergangenen Jahrzehnten immer wieder über unsere finanziellen Verhältnisse gelebt haben. Diese Schuldenbremse im Grundgesetz wird in diesem Jahr das erste Mal angewendet. Für die nächsten Jahre und Jahrzehnte wird das stilbildend sein. Gerade deshalb ist es wichtig, dass sie im ersten Jahr gegenüber dem Bundestag, aber auch gegenüber der Bevölkerung glaubwürdig und transparent umgesetzt wird. Meine Damen und Herren, da versagen Sie bewusst. ({17}) Woran liegt das? - Ausgangspunkt für den Abbaupfad bis 2016, um dann nahezu die Nullverschuldung, die Grenze nach der Verfassung, einzuhalten, ist das Defizit, das strukturelle Minus 2010, bereinigt um die konjunkturelle Situation. Sie haben in dieser Legislaturperiode damit begonnen und gesagt: Ausgangspunkt ist das Haushaltssoll 2010. Das waren, Herr Minister Schäuble, über 80 Milliarden Euro. Dann haben Sie gemerkt: Oh, das ist ganz schön viel, die Konjunktur läuft viel besser. - Ich sage Ihnen: Wir Sozialdemokraten sind froh, dass es in Deutschland wieder aufwärts geht, ({18}) weil wir, mit Verlaub, auch den größten Anteil daran haben - sowohl durch die Konjunkturprogramme als auch durch die Reformprogramme, die wir durchgezogen haben. ({19}) - Ihr Anteil ist nicht bezifferbar, der ist eher negativ gewesen. Das bedeutet: Dieses Land ist gut trotz dieser Regierung, aber nicht wegen dieser Regierung. ({20}) Ich komme zurück zum Ausgangspunkt der Schuldenbremse. Dann haben Herr Minister Schäuble und die Regierung festgestellt: Es läuft sehr gut. Wir müssen das voraussichtliche Jahresist nehmen; das waren im Juni etwa 65 Milliarden Euro. - Es ist entscheidend, welchen Punkt Sie nehmen, weil Sie damit höhere Konsolidierungsbemühungen in den nächsten Jahren zu vollziehen haben, weil dann die Kreditobergrenze - das, was Sie als Maximum an Krediten zulässigerweise aufnehmen können - sinkt. Was Sie jetzt tun, ist Folgendes: Sie nutzen die bessere konjunkturelle Situation, die höheren Steuer7942 Carsten Schneider ({21}) einnahmen, die geringeren Arbeitsmarktausgaben nicht dafür, die Verschuldung abzubauen, nein, Sie nutzen sie, um hier und heute Klientelgeschenke an die Hoteliers und an die Atomindustrie zu verteilen, ({22}) und Sie schaffen sich eine Kriegskasse für den Wahlkampf 2013, meine Damen und Herren. Das ist die Faktenlage. ({23}) Damit Sie das genau verstehen, zeige ich das in einer Grafik auf. So können Sie es bildlich vor sich sehen. ({24}) - Das ist ein Hilfsmittel für Sie, Kollege Kalb, damit Sie es auch wirklich begreifen. - Das ist die Schuldenbremse, und das ist das Defizit, das das Bundesministerium der Finanzen zugrunde legt: 53 Milliarden Euro. - Wir haben den Bundesrechnungshof und die Bundesbank - die geballte ökonomische Kompetenz in Deutschland - in einer Anhörung gebeten, dazu Stellung zu nehmen, ob das Zahlenwerk, das uns die Regierung vorlegt, richtig ist. Auch der Sachverständigenrat hat dies in seinem Jahresgutachten so bewertet. Alle drei kommen einhellig zu der Feststellung: Nein, hier wird getrickst, es ist weniger. - Sie nehmen dieses Weniger aber nicht in Ihre Haushaltsplanung auf. ({25}) Dieser schwarz-gelbe Balken in der Grafik, diese 42 Milliarden Euro Schulden - das ist Ihr Erbe aus dieser Legislaturperiode, das Sie uns allen aufbürden. ({26}) Ich gebe Ihnen die Grafik nachher gerne mit, falls Sie sie haben wollen. Dann können Sie bis Freitag noch einmal darüber nachdenken. Das ist ein entscheidender Punkt; denn es geht ja auch darum, dass wir solide mit den Finanzen des Staates umgehen wollen. Zu dieser Solidität gehört, dass Sie, wenn es gut läuft, stärker konsolidieren. Konsolidieren heißt nicht zwangsläufig, bei den Ärmsten zu sparen. Vielmehr heißt es, diejenigen, die ein bisschen mehr verdienen, einzubeziehen, damit sie einen kleinen Beitrag dazu leisten, dass es in diesem Land gerechter zugeht. ({27}) Das tun Sie aber nicht. Im Gegenteil: Bei Ihnen zahlen die Arbeitslosen die Zeche. Das ist das Ergebnis Ihrer Politik, das Sie hier vorlegen. Man muss sich fragen: Haben die Arbeitslosen die Rechnung bestellt? Haben sie in Irland eine Außenstelle gegründet? Haben sie in den USA Häuser gekauft? Das geht schon allein aufgrund des Schonvermögens nicht; sie haben gar nicht das Geld dazu. Nein, es sind diejenigen, die über höhere Vermögen verfügen. Ich finde, es ist eine Frage der Gerechtigkeit, der Akzeptanz und des Zusammenhalts einer Bevölkerung, dass diejenigen, die ein bisschen mehr verdienen, auch ihren Beitrag leisten. Wir haben Anträge dazu vorgelegt; zu diesen komme ich jetzt. Wir bilden die neue Schuldengrenze ab. Wir haben Vorschläge vorgelegt, durch die die Nettokreditaufnahme in Höhe von 42 Milliarden Euro in 2011, wie das Sachverständigenrat, Rechnungshof und Bundesbank empfehlen, umgesetzt wird. Das beinhaltet vier konkrete Maßnahmen. ({28}) - Das sind vier Maßnahmen, ganz konkret, Herr Kauder. ({29}) - Das gebe ich Ihnen auch mit, Herr Fricke. Erster Punkt. Wir wollen das Hotelierssteuergeschenkegesetz rückgängig machen. Das greift sofort, Herr Fricke. ({30}) - Nein, auch die Geschenke an Erben und Unternehmen nehmen wir zurück, die Kindergelderhöhung nicht. ({31}) - Das bringt 2,3 Milliarden Euro, sehr geehrter Herr Fricke. ({32}) - Sie können nachher gerne noch darauf eingehen, Herr Fricke. ({33}) Der zweite Punkt betrifft die Frage: Gibt es in Deutschland eigentlich Steuergerechtigkeit in dem Sinne, dass jeder so viel Steuern zahlt, wie er müsste? Vorige Woche haben wir vom Bundesrechnungshof in seinem Jahresbericht wieder einmal vorgehalten bekommen: Wir brauchen in der Steuerverwaltung mehr Prüfer, damit das Recht auch durchgesetzt wird, damit Recht und Gerechtigkeit herrschen, damit die Gesetze, die Sie hier teilweise mit beschlossen haben, auch umgesetzt werden. Das passiert aber in der Realität nicht, weil zu wenig Personal unterwegs ist, um in den Unternehmen zu prüfen und letztendlich dafür zu sorgen, dass die Steuern hereinkommen. Was bedeutet das in der Summe? Der Rechnungshof sagt: 12 Milliarden Euro bei gesamter Umstellung. Das haben wir gar nicht in unsere Rechnung eingestellt. Es gibt eine Verabredung aus der Föderalismuskommission, in der die Länder zugesagt haben: Wir bemühen uns, ein optimiertes Modell zu finden. - Ich erwarte vom Bundesfinanzminister, dass er diesen Ball aufnimmt und das einfordert. ({34}) Der Rechnungshof sagt: 6 Milliarden Euro. Diese haben wir gar nicht eingestellt. Wir gehen von 3,5 Milliarden Carsten Schneider ({35}) Euro aus, weil es ein paar Anlaufschwierigkeiten geben wird. Auch das kann man machen. Der dritte Punkt betrifft den Spitzensteuersatz. Ja, wir Sozialdemokraten sind der Auffassung, dass wir den Spitzensteuersatz erhöhen sollten, allerdings erst ab einem Einkommen von 100 000 Euro. Dann sollte der Spitzensteuersatz bei 49 Prozent liegen. Daran geht niemand zugrunde. Das ist ein Beitrag derjenigen in diesem Land, denen es gut geht. Dadurch tragen sie ein Stückchen weit dazu bei, dass die Staatsfinanzen in Deutschland solide sind. Das sind, glaube ich, Vorschläge, die sehr gut durchsetzbar sind und dazu führen, dass es in diesem Land erstens gerechter zugeht und zweitens ausreichende Einnahmen erzielt werden, sodass wir solide Staatsfinanzen haben. Wir wollen keinen Nachtwächterstaat - diesen wollen Sie zum Teil -, sondern einen Staat, der innere Sicherheit gewährleistet und nicht bei der Bundespolizei blind kürzt, ({36}) der sozialen Ausgleich sicherstellt, der die Zusagen im internationalen Bereich bezüglich der ODA-Quote einhält und dafür sorgt, dass Recht und Sicherheit auch im Arbeitsbereich gelten. Der letzte Punkt, den ich ansprechen möchte - er wird wahrscheinlich nicht Ihre Zustimmung finden, ist aber belegt -, betrifft das Thema Mindestlohn. Es ist nicht nur eine Frage von Recht und Ordnung, sondern auch eine Frage der Gerechtigkeit, dass man von dem Geld, das man verdient, leben kann. Dies ist vielfach aber nicht der Fall. Ich komme aus Erfurt und weiß: Dort wird teilweise ein Bruttolohn von 800 Euro pro Monat gezahlt, sodass zum Beispiel eine Alleinerziehende mit einem Kind ergänzendes Arbeitslosengeld II beziehen muss. Dies kostet den Staat nach einer Berechnung des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung in Nürnberg über 5 Milliarden Euro pro Jahr. Führen Sie einen Mindestlohn in Höhe von 8,50 Euro pro Stunde ein! Das ist auch eine Frage des Stolzes der Arbeitnehmer; denn dann müssten sie nicht mehr aufs Amt gehen und zusätzlich Stütze beziehen. Außerdem würde das zu einer Entlastung der Sozialversicherung in Höhe von 5 Milliarden Euro jährlich führen - sie würde mehr Einnahmen erzielen - und letztlich auch zu mehr Steuereinnahmen. Meine Damen und Herren, mit diesem geschlossenen Konzept, das die SPD vorlegt, können wir die Schuldenbremse einhalten, die Solidität der Staatsfinanzen im Blick behalten und in Deutschland für sozialen Ausgleich sorgen. Stimmen Sie ihm am Freitag zu! Ich glaube, dann wird es Ihnen allen, auch was Ihre Umfragewerte angeht, ein bisschen besser gehen. Vielen Dank. ({37})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das Wort erhält nun der Kollege Norbert Barthle für die CDU/CSU. ({0})

Norbert Barthle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003033, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr verehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Ich glaube, der Kollege Schneider hat entweder nicht über den Haushalt 2011 oder nicht über dieses Land gesprochen; ({0}) beides ist nicht in Einklang zu bringen. Er scheint in einer anderen Welt zu leben. ({1}) Beim Eintritt in die Schlussberatung des Haushalts möchte ich drei Bemerkungen machen: Erstens. Der Haushalt 2011 ist nach wie vor von der größten Finanz- und Wirtschaftskrise, die wir je erlebt haben, geprägt. Sie wird uns noch einige Jahre verfolgen. Gerade die gegenwärtigen Ereignisse rund um Irland zeigen, dass dies so ist. ({2}) Ich gehe davon aus, dass uns der Bundesfinanzminister immer ganz aktuell über die Geschehnisse unterrichtet, wie er dies informell bereits getan hat. Sie wissen: Seit Mai dieses Jahres steht im Gesetzblatt, dass der Haushaltsausschuss in solchen Fällen aktuell unterrichtet werden muss. Zweitens. Mit dem Haushalt 2011 schlagen wir ein neues Kapitel in der Finanzpolitik dieses Landes auf. Wir legen einen Haushalt vor, in dem wir die Ausgaben deutlich kürzen. Eine Rückführung der Ausgaben in diesem Umfang haben wir in diesem Lande schon lange nicht mehr erlebt. ({3}) Dies muss man insbesondere der Opposition immer wieder ins Stammbuch schreiben. Drittens. Mit dem Haushalt 2011 machen wir den ersten sehr erfolgreichen Schritt hin zur Einhaltung der neuen Schuldenregel, die uns bis zum Jahre 2016 klare Abbauschritte vorschreibt. Dies möchte ich Ihnen gerne anhand einiger Zahlen verdeutlichen. Die Regierung hat ein Zukunftspaket mit einem Einsparvolumen von 80 Milliarden Euro bis 2014 vorgelegt. Wir als CDU/CSU und FDP tragen dieses Zukunftspaket nicht nur mit. Nein, meine Damen und Herren, wir setzen im Rahmen der Haushaltsberatungen sogar zusätzliche Impulse. So haben wir es geschafft, die Gesamtausgaben gegenüber dem Regierungsentwurf um 1,6 Milliarden Euro, also auf insgesamt rund 305 Milliarden Euro, zu senken. Dies ist eine große politische Leistung, die man nicht hoch genug einschätzen kann. ({4}) Wenn man den Haushalt 2011 mit dem Haushalt 2010 vergleicht, dann darf man feststellen: Die Ausgaben gehen um 13,7 Milliarden Euro bzw. 4,3 Prozent zurück; auch dies ist eine großartige Leistung, die ihresgleichen sucht. Damit einher geht die Senkung der Nettokreditaufnahme um 9,1 Milliarden Euro auf nunmehr 48,4 Milliarden Euro statt, wie ursprünglich vorgesehen, 57,5 Milliarden Euro. Dies ist ein klarer Beweis dafür, dass diese Koalition nicht nur den Willen hat, zu konsolidieren, sondern auch die Kraft, dies in politisches Handeln umzusetzen. Das zeichnet uns aus. ({5}) Herr Kollege Schneider, eines muss man schon einmal feststellen: Mit der Nettokreditaufnahme von 48,4 Milliarden Euro liegen wir um 4,7 Milliarden Euro unter der zulässigen Höchstgrenze, die die Schuldenregel vorgibt. ({6}) - Wir liegen 4,7 Milliarden Euro darunter, selbst unter Einrechnung der Konjunkturkomponente und der finanziellen Transaktionen. ({7}) Das können Sie nachvollziehen. Wenn Sie nur wollen, dann schaffen Sie das, aber Sie wollen offensichtlich nicht. ({8}) Ich sage klar und deutlich: Die maximale Verschuldungsgrenze laut Schuldenregel ist für uns in dieser Koalition eine Obergrenze. Das ist kein Sollwert, sondern eine Obergrenze, die wir unterschreiten. Das ist auch ein Ausweis dafür, dass wir konsequent konsolidieren und die erfolgreiche Politik aus dem Jahr 2010 in das Jahr 2011 hinein fortsetzen. ({9}) Jetzt zu dem immer wieder wie eine Leier vorgetragenen Vorwurf, das sei unsozial. Das wird nicht wahrer, indem man es immer wieder erzählt und immer wieder predigt. Das Gegenteil ist der Fall: Wir machen das sozial sehr ausgewogen. Wir haben innerhalb der parlamentarischen Beratungen noch einige Korrekturen vorgenommen. So haben wir zum Beispiel Vorsorge für das Bildungs- und Teilhabepaket der Hartz-IV-Kinder in Höhe von 586 Millionen Euro getroffen; das ist abgebildet. Wir haben das Wohngeld wieder erhöht. ({10}) Wir haben den Städtebau besser ausgestattet, um damit unsere Handwerker wieder zu stärken. ({11}) Wir haben die Minijobber und Aufstocker wieder in den Bezug des Elterngeldes einbezogen, dafür aber diejenigen, die unter die Regel der Reichensteuer fallen, ausgenommen. All das ist Ausweis dafür, dass wir das sozial ausgewogen anpacken. Letztendlich bleibt es dabei: Wir haben dort, wo in der Vergangenheit Fehlanreize gesetzt worden sind, korrigiert, und setzen jetzt Anreize für Leistung, Eigenverantwortung und Selbstvorsorge. Das ist das richtige und wichtige Signal, das von dieser Haushaltsberatung ausgeht. ({12}) Lassen Sie mich vor allem noch feststellen: Alle Veränderungen, die wir im parlamentarischen Beratungsverfahren vorgenommen haben, sind gegenfinanziert. Wir haben entsprechend an anderer Stelle wieder eingespart, sodass die Steuermehreinnahmen und die Verbesserungen auf dem Arbeitsmarkt eins zu eins zu einer Absenkung der Nettokreditaufnahme geführt haben. ({13}) Das können Sie dem Zahlenwerk ohne Weiteres entnehmen. Deshalb ist das, was hier von der SPD vorgetragen wird, ganz einfach sachlich falsch. Dann muss ich an die Kritik der Opposition in diesem Frühjahr erinnern, als es um den Haushalt 2010 ging. Damals wurde uns vorgeworfen, das Wachstumsbeschleunigungsgesetz trage nicht zu Wachstum bei, sondern werde allenfalls die Neuverschuldung erhöhen. ({14}) Eingetreten ist das genaue Gegenteil: Wir leben in einem Land, in dem der Wachstumsmotor mit Turboantrieb läuft. ({15}) Die Nettokreditaufnahme wird weiter abgesenkt als jemals vorgesehen war. Genau das Gegenteil dessen, was uns die Opposition vorgeworfen hat, ist also eingetreten. Genauso wird es mit der haltlosen Kritik der Opposition an diesem Haushalt sein. Schauen wir einmal, was da kommt: Die DagegenPartei, die sich Grüne nennt, ist ohnehin gegen alles. Von der SPD kommen Vorschläge, mit denen unsere Sparbemühungen konterkariert und die mit fragwürdigen Maßnahmen gegenfinanziert werden. ({16}) Bei allem Respekt: Bei 3,5 Milliarden Euro Mehreinnahmen durch die Einführung eines Mindestlohns, da muss man die gesamtwirtschaftliche Gegenrechnung aufmachen; es fallen nämlich viele Jobs weg. Dann sieht die Rechnung ganz anders aus.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Lieber Kollege Barthle.

Norbert Barthle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003033, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich komme zu meinem Schlusssatz: Diese Koalition schafft ein Klima des Vertrauens, der Verlässlichkeit und der Zuverlässigkeit; ({0}) das wird sich auch in den kommenden Jahren so fortsetzen. Danke. ({1})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Der Kollege Dietmar Bartsch erhält nun für die Fraktion Die Linke das Wort. ({0})

Dr. Dietmar Bartsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003034, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Barthle hat von einem neuen Kapitel in der Haushaltspolitik gesprochen. Ich kann nur sagen: Ihre Haushaltspolitik, Herr Barthle, verspielt die Zukunftschancen des Landes. Das ist das Markenzeichen Ihrer Politik. ({0}) Es gibt keinen Wendepunkt in der Haushalts- und Finanzpolitik des Bundes. Es gibt auch nicht die Einleitung der Konsolidierung der öffentlichen Haushalte. Sie sprechen hier von einem Sparpaket. Schon der Titel ist irreführend. Was Sie machen, sind Kürzungsarien, und es sind in der Regel wirklich falsche Kürzungen, die Sie in diesem Haushalt vornehmen. ({1}) Ich will die Zahl noch einmal wiederholen, die Sie hier immer stolz verkünden: 48,4 Milliarden Euro neue Schulden im Jahre 2011 sind weder Ausdruck struktureller Sparmaßnahmen noch etwa Anlass, wie Sie das hier darstellen, neue Helden zu feiern. Das ist überhaupt nicht der Fall. 48,4 Milliarden Euro neue Schulden: Das ist die zweithöchste Neuverschuldung in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland ({2}) von Schuldenabbau ganz zu schweigen. ({3}) Sie wollen in dieser Legislatur 160 Milliarden Euro neue Schulden machen. Das ist Ihre Haushaltspolitik. Dazu kommen dann noch die Schattenhaushalte - oder meinetwegen auch Sondervermögen -, die die Bundesregierung geschaffen hat. Das ist ein zusätzliches Haushaltsrisiko. Niemand hier im Saale weiß, wie sich die Zinsen entwickeln werden. Das alles hat nichts mit Haushaltsklarheit und nichts mit Haushaltswahrheit zu tun. ({4}) Sie haben hier von der geringeren Neuverschuldung geredet. Fakt ist: Diese geringere Neuverschuldung gegenüber dem Regierungsentwurf ist im Kern doch durch Steuermehreinnahmen aufgrund der konjunkturellen Entwicklung und durch das Streichen von Investitionen zustande gekommen. Ich will an dieser Stelle darauf verzichten, zu sagen, wer denn nun diesen Konjunktureffekt herbeigeführt hat. Carsten Schneider nimmt ihn für sich in Anspruch und Sie natürlich für sich. Das ist für mich relativ egal. Eines ist aber doch auch Fakt: Am Ende dieses Jahres wird das Wirtschaftsniveau unter dem des Jahres 2008 liegen, also unter dem des Vorkrisenjahres. Das ist doch die Realität. Von wegen Turbo: Es liegt unter dem des Vorkrisenjahres. Das müssen Sie zur Kenntnis nehmen. ({5}) Fakt ist und bleibt: Wolfgang Schäuble wird auch im Jahre 2011 die Krone des Schuldenministers aus Theo Waigels Schrank in Bayern abholen können. Das ist die Realität. ({6}) Zugleich muss man feststellen, dass man ja dankbar sein muss, dass Schäuble im Amt bleibt; denn ginge es nach der FDP und einigen Leuten aus der CDU, dann würde es nach der Mövenpick-Steuer noch weitere Steuersenkungen geben. Das ist in dieser Situation natürlich völlig absurd. Meine Damen und Herren von der FDP, verabschieden Sie sich von dem Gedanken, in dieser Lage über Steuersenkungen nachzudenken. Das ist völlig falsch; das lehnen wir grundsätzlich ab. ({7}) Sie stärken damit nicht die Grundpfeiler unserer Demokratie, wie Sie behaupten, sondern Sie verletzen die Demokratie und zerstören die Grundlagen unserer Gesellschaft. Es gibt immer mehr Arme und immer Reichere in der Gesellschaft. So bringen Sie Unfrieden über das Land, wie man in Gorleben und in Stuttgart sehen kann. Frau Bundeskanzlerin - wollte ich gerade sagen ({8}) - da hinten sitzt sie; das ist völlig in Ordnung -, deswegen ist es eben nicht so, wie Sie auf dem CDU-Parteitag gesagt haben, dass sich nämlich die Bilanz von SchwarzGelb nach einem Jahr sehen lassen kann und dass nur der Stil schlecht ist. Das ist nicht der Fall. Ihre ganze Politik ist ungerecht, unsolide und unsozial. Sie gefährden den sozialen Zusammenhalt des Landes. ({9}) Deshalb ist eine andere Politik nötig, und diese andere Politik, die Gerechtigkeit heute und Zukunftsgestaltung miteinander verbindet, ist möglich. Das ist letztlich nur eine Frage des politischen Willens. Was machen Sie denn real? Sie kürzen das Elterngeld für die Hartz-IV-Empfänger, Sie streichen die Beiträge zur Rentenversicherung für die Bezieher von Arbeitslosengeld, Sie streichen das Übergangsgeld beim Übergang von Arbeitslosengeld I zu Arbeitslosengeld II, und Sie streichen die Heizkostenzuschüsse. Das alles betrifft diejenigen, die mit der Verursachung der Krise nun wirklich gar nichts zu tun haben. ({10}) - Das kommt noch. Bei alledem will ich eines hervorheben: Das, was Sie tun, trifft in besonderer Weise die Menschen aus den neuen Bundesländern. Schauen Sie sich die Kürzung der Sozialleistungen von durchschnittlich 44,56 Euro pro Kopf an. Die Spannbreite reicht von 21,88 Euro bei denjenigen, die in Bayern wohnen, bis zu 95,68 Euro bei denjenigen, die in Berlin leben. Frau Bundeskanzlerin, wir aus Mecklenburg-Vorpommern sind mit 82,28 Euro pro Kopf am zweitmeisten betroffen. Sie vertiefen damit die Spaltung zwischen Ost und West. Das ist nicht verantwortlich. ({11}) Mit den 5 Euro, die die Hartz-IV-Empfänger jetzt mehr bekommen, versuchen Sie, diejenigen, die arm sind, gegen die Allerärmsten auszuspielen. Führen Sie doch einen gesetzlichen Mindestlohn ein! Dann können wir auch die Regelsätze erhöhen. ({12}) Das wäre die richtige Maßnahme. Sie spielen die Armen gegen die Ärmsten in der Gesellschaft aus, und das ist inakzeptabel. Das zentrale Problem Ihrer Politik ist aber - das wurde hier heute schon erwähnt -: Sie verzichten auf strukturelle Mehreinnahmen, auf Einnahmeerhöhungen. So wird letztlich Ihre im Sparpaket manifestierte ungerechte und unsoziale Politik zum eigentlichen Koalitionsvertrag dieser Regierung. Schwarz-Gelb ist eine Lobbyregierung. Sie sind die willfährige Regierung der Atomlobby. Das hat sich in der Nacht herausgestellt. Sie sind die Lobbyregierung der Pharmaindustrie. Das hat der schwarze Freitag für die Gesundheitspolitik in der letzten Sitzungswoche gezeigt. ({13}) Sie sind auch die Regierung der Bankenlobby. Was machen Sie denn jetzt in Irland? Es sind wieder die Banken, die nicht zur Kasse gebeten werden, und das ist inakzeptabel. ({14}) Frau Bundeskanzlerin, Sie werden sich erinnern, dass es einmal eine nicht erfolgreiche Politik der Einheit von Wirtschafts- und Sozialpolitik gab. Jetzt gibt es die Einheit von Wirtschafts- und Lobbypolitik. Auch diese Einheit wird nicht erfolgreich sein. ({15}) Sie haben einen Leserbrief geschaltet, der insgesamt 2,8 Millionen Euro gekostet hat. Zum Inhalt will ich gar nichts sagen, ({16}) weil es wenig Inhalt gab; da stimme ich ausdrücklich zu. Es ist aber zumindest aus unserer Sicht verfassungsrechtlich bedenklich, so kurz vor Wahlen Werbung zu machen. Im Jahre 1987 hat das Bundesverfassungsgericht dazu eine klare Aussage getroffen. Wir von der Linken wollen wirksame Zukunftsinvestitionen und Maßnahmen zur Stärkung der Kaufkraft, vor allen Dingen bei den Menschen mit geringem Einkommen. Warum kürzen Sie das Programm zur energetischen Gebäudesanierung? Das ist völlig inakzeptabel. Warum kürzen Sie das Programm zum Stadtumbau? Selbst Ihre Experten von Union und FDP halten das für falsch. Bei Zukunftsinvestitionen zu kürzen, ist eine völlig falsche Maßnahme. ({17}) Warum werden die Mittel für die „Soziale Stadt“ letztlich völlig weggenommen? Das alles ist falsche Politik. Eine Zukunftsinvestition wäre zum Beispiel eine kommunale Investitionspauschale. ({18}) Das wäre eine richtige Maßnahme, um den Kommunen zu helfen. Eine andere Zukunftsinvestition ist die Gemeinschaftsaufgabe zur Verbesserung der regionalen Infrastruktur in Ost und West. Und wollen wir nicht endlich den Investitionsstau bei Krankenhäusern abbauen und dort etwas tun? Das alles sind Zukunftsmaßnahmen. Sie aber reduzieren bei diesen Investitionen. Darum ist Ihre Politik keine Zukunftspolitik. Lassen Sie mich einen Punkt noch einmal hervorheben. Sie haben in Ihrem Koalitionsvertrag festgehalten, dass Sie die ODA-Quote einhalten wollen. Warum tun Sie dann in der Entwicklungspolitik nicht etwas mehr? Wir pochen einfach nur auf die Einhaltung des Koalitionsvertrages. Sie müssen endlich etwas tun, damit wir nicht permanent nach Ihren Beschlüssen Soldaten überall in der Welt stationieren müssen. Besser wäre es, bei der ODA-Quote mehr zu tun und etwas gegen Hunger und Armut in den Entwicklungsländern zu unternehmen. Das wären richtige Maßnahmen. ({19}) Natürlich gehört auch die Kaufkrafterhöhung dazu. Darum müssen die Regelsätze erhöht werden. Darum wollen wir Rentengerechtigkeit herstellen, zum Beispiel durch die Angleichung der Ostrenten. In unserem Entschließungsantrag haben wir diverse Maßnahmen vorgeschlagen. Schließlich komme ich noch zur Einnahmeerhöhung. Im Krisenjahr 2009 hatten wir bei den privaten Geldvermögen in Deutschland eine Erhöhung um 200 Milliarden Euro zu verzeichnen. Die privaten Geldvermögen sind auf 4,64 Billionen Euro gestiegen. Die Zahl der Vermögensmillionäre ist im Krisenjahr auf 861 500 gestiegen. Hier soll mir einmal jemand erklären, warum wir nicht darüber nachdenken können, die Vermögenden an der Finanzierung der Krise entsprechend zu beteiligen. Der Kernvorschlag der Linken ist und bleibt eine Millionärsteuer. Bis zu 1 Million Euro bleibt alles frei. Es geht um privates Geld- und Immobilienvermögen. Niemand will Unternehmen belasten. Aber 5 Prozent sind doch bei Vermögen, die über dieser Grenze liegen, keine Zumutung. Wer 2 Millionen Euro Geldvermögen besitzt, muss demnach 50 000 Euro an Steuern bezahlen. Das führt doch nicht zur Verarmung! ({20}) Warum sollte ein solcher Vorschlag nicht realisierbar sein, meine Damen und Herren von der Union und der FDP? ({21}) Warum denken wir in dieser Situation nicht über eine Steigerung des Spitzensteuersatzes in Richtung 50 Prozent nach? Meinetwegen könnte er auch etwas später einsetzen. Das wäre aber enorm wichtig für den Zusammenhalt der Gesellschaft. Warum gibt es nicht eine Sonderabgabe auf Boni in der Finanzbranche? Auch das wäre notwendig, besonders angesichts dessen, dass jetzt, nach der Krise oder in der Krise, schon wieder neue Boni gezahlt werden. Warum kann man eine solche Sonderabgabe nicht einführen? Sie haben unsere Unterstützung bei der Einführung einer Finanztransaktionsteuer. Wir erwarten allerdings mehr Enthusiasmus und mehr Druck, damit die Einführung auf europäischer Ebene wirklich erreicht wird. Das wäre sehr wichtig. Wir sind in jedem Fall dafür. ({22}) - Das ist sehr falsch, wenn Sie nicht auf uns hören. Das würde auch Ihnen guttun. Vor allen Dingen wäre es gut für das Land. ({23}) Carsten Schneider hat auf den Bericht des Bundesrechnungshofs verwiesen. Warum tun wir nicht mehr beim Ausbau der Steuerfahndung? Wenn wir das tun würden, würden Milliarden Euro in den Haushalt fließen. Auch das schlagen wir vor. Das wäre sehr notwendig. Lassen Sie mich noch einen Hinweis geben. Wir wollen, was den Umzug der Regierung betrifft, eine Änderung des Bonn/Berlin-Gesetzes. Herr Weise, der nun wirklich nicht im Verdacht steht, ein großer Sympathisant der Linken zu sein, hat die Situation zutreffend beschrieben. Es ist nicht akzeptabel, wenn nach 20 Jahren deutsche Einheit immer noch 9 von 16 Bundesministerien mehr Personal in Bonn als in Berlin haben. ({24}) Lassen Sie uns deshalb dahin kommen, dass die Regierung in Berlin zusammengeführt wird. Schwarz-Gelb kürzt und streicht bei den sozial Schwachen, spielt auf der einen Seite die Armen gegen die noch Ärmeren aus und schont auf der anderen Seite die Vermögenden und diejenigen, die von der Krise profitiert haben und jetzt schon wieder profitieren. Das ist nicht akzeptabel. Das Land und die Menschen brauchen eine andere, eine gerechte und zukunftsorientierte Politik. Danke schön. ({25})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Für die FDP-Fraktion erhält nun der Kollege Otto Fricke das Wort. ({0})

Otto Fricke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003530, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Geschätzter Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Wenn man das alles hört, was von der vereinten linken Seite kommt, dann hat man nicht das Gefühl, dass es in diesem Land einen Aufschwung gibt und dass sich die niedrige Arbeitslosigkeit auf einem Rekordniveau befindet, sondern dass wir uns quasi noch in den 40 Jahren bewegen, in denen Sie in einem Teil Deutschlands Verantwortung übernommen hatten. Dieses verzerrte Bild kann man doch keinem Bürger draußen mehr vermitteln. ({0}) Zu dem, was die einstmals so stolze Sozialdemokratie abliefert, die immer wieder darauf hinweist, wie schlimm die Verschuldung sei, will ich Ihnen eines sagen: ({1}) Diese Koalition muss die Verschuldung abbauen, die SPD-Finanzminister elf Jahre lang aufgehäuft haben. Das ist ein riesiges Stück Arbeit, das wir angehen. ({2}) Der nächste Punkt ist Ihre Bigotterie, zu sagen, dass diese Koalition nicht spart. Vor zwei Wochen haben Ihre Redner in der Debatte über das Zukunftspaket gefragt: Wie könnt ihr nur sparen? Wieso spart ihr überhaupt? Warum macht ihr das? - Diese Bigotterie nach dem Motto „Heute so, morgen so“ werden wir auch in dieser Woche erleben. Das merkt man schon jetzt. Es wird gesagt: Das ist alles falsch. Ihr spart eigentlich nicht. Wir sparen richtig. Was werden die SPD, die Dagegen-Grünen und die Linken den Rest der Woche machen? Sie werden Reden halten und Mehrausgaben in allen möglichen Bereichen fordern. ({3}) Bei all dem, was auch der Schuldenbremse entgegenläuft, ist es die Krönung, dass Herr Schneider uns sagt, wir hielten die Schuldenbremse nicht ein. ({4}) Herr Schneider, ich will nur auf zwei Punkte eingehen. Ihre Behauptung, die Rücknahme der von uns beschlossenen Mehrwertsteuersenkung würde dem Bund 2,3 Milliarden Euro bringen, ist schlichtweg falsch. Sie wissen, dass der Bund nur einen Teil der Mehrwertsteuereinnahmen bekommt. ({5}) Sie können an der Stelle nicht einmal die richtigen Zahlen verwenden. ({6}) Der zweite Punkt ist Ihr berühmter Sparvorschlag, den ich jedem zur Lektüre empfehlen kann, weil er dokumentiert ist. Die SPD ist - darüber kann man nachdenken - für eine Bundessteuerverwaltung. ({7}) Dadurch will sie bei der Körperschaftsteuer 3,5 Milliarden Euro mehr einnehmen. Herr Schneider, Sie wissen doch genau, dass das im Jahr 2011 nicht möglich ist. ({8}) Das ist eine reine Luftbuchungsnummer und ein Ziel in der Ferne, gegen das sich Ihre SPD-Finanzminister auf Landesebene zudem ständig wehren. Das ist eine Milchmädchenrechnung. ({9}) Die Schuldenbremse stellen Sie immer auf Ihre Weise dar. Sie sollten einmal Ihre Darstellung um 90 Grad drehen: Das, was Sie bei der Koalition als Abbau anerkannt haben, würde unter Ihrer Regierung als Aufbau erfolgen. ({10}) Ein letztes Argument, warum Rot-Grün dieser Koalition keinen einzigen Vorwurf machen kann, sie würde nicht sparen, ist das Land Nordrhein-Westfalen. Sie könnten sagen, dass wir nicht genug sparen. Wir sind immer gerne bereit, weiter zu sparen. Das zeigen alle Vorschläge, die wir in die Beratungen einbringen. Was haben Sie aber in NRW gemacht? Sie haben die Verschuldung in diesem Jahr hochgefahren. Sie werden sie auch im nächsten Jahr hochfahren. ({11}) Nichts anderes machen Sie. Da, wo SPD und Grüne regieren, wird die Verschuldung hochgefahren. Da, wo CDU, CSU und FDP regieren, wird die Verschuldung heruntergefahren. ({12}) Wir wollen noch eines klären. Wie sah denn die Planung des lieben Herrn Steinbrück in der alten SPD-Regierung für das Jahr 2011 aus? ({13}) Er hat gesagt, 2011 werde die Neuverschuldung ungefähr 75 Milliarden Euro betragen. Das war die Vorgabe. Das ist die Last, die uns die Große Koalition über Herrn Steinbrück hinterlassen hat. Was erreichen CDU/CSU und FDP? Wir liegen 30 Milliarden unter dem, was Herr Steinbrück vorausgesagt hat. ({14}) Das ist die Leistung, die Sie nicht wahrhaben wollen und die Ihnen wehtut. ({15}) Dabei setzen wir auch noch Schwerpunkte. Wir gehen im Bildungsbereich weiter voran. Wir kümmern uns um die Zukunft. Wir wissen alle, dass dieses Land im Gegensatz zu China keine großen Rohstoffvorkommen hat. Aber die Rohstoffe, die dieses Land hat und die wir fördern müssen, befinden sich in den Köpfen der Menschen. Deswegen legen wir gerade auf den Bereich Forschung und Bildung so viel Wert; denn nur hier können wir in die Zukunft investieren und nicht mit irgendwelchen abstrakten Investitionsquoten, wie sie die Linken vorschlagen. Das ist nun wirklich der falsche Ansatz. ({16}) - Herr Bartsch, nur ein kleiner Hinweis: Eine Investitionsquote hat vielleicht zur Zeit der DDR gepasst, als es schon eine Investition war, wenn ein Stein auf den anderen gesetzt wurde. In Köpfe zu investieren, ({17}) in Ausbildung zu investieren, in Professoren zu investieren, in Lehrer zu investieren, in Kindergärten zu investieren, ({18}) das ist Zukunft. Genau das machen wir im Bundeshaushalt, insbesondere im Bildungs- und Forschungshaushalt sowie im Wirtschaftshaushalt. ({19}) Ich will noch auf eine Sache kommen, die mich wirklich ärgert. Das sind Vorwürfe im Bereich Soziales. Ich bleibe dabei: Der Bürger muss sehen, wie viel Prozent dessen, was er dem Staat von seinem Geld gibt, für Soziales ausgegeben wird. Da Sie gesagt haben, dass das unsozial sei, Kollege Schneider und Kollege Bartsch, können Sie mir sicherlich sagen, wie hoch die Sozialquote ist, also wie viel der Bund für Soziales ausgibt. Wissen Sie das? Kennen Sie die Zahl? - Es sind 51,7 Prozent, mehr als jemals unter Rot-Grün. Bei Ihnen geht es nur darum, wem man was wegnehmen kann. ({20}) Aus unserer Sicht ist aber auch die Frage wichtig, wer wem was gibt. Das heißt, von jedem Euro, den ein deutscher Steuerzahler - sei er Lohnsteuerzahler, Einkommensteuerzahler, Mehrwertsteuerzahler etc. - zahlt, gibt er 51,7 Cent für Soziales. Es ist wichtig - ich finde, das darf man sagen -, dass wir dafür sorgen; das ist verantwortungsvoll. ({21}) Wir danken jedem Bürger, der seine Steuern zahlt, für die Verantwortung, die er für die Schwachen in unserer Gesellschaft übernimmt; das muss er auch tun. ({22}) - Wir können darüber gerne an anderer Stelle ausführlich diskutieren. ({23}) Nur so viel: Wissen Sie, auf welchen Betrag man kommen muss, um 1 Euro Mehrwertsteuer zu erzeugen? Wenn jemand etwas für 5,26 Euro kauft, lieber Herr Schneider, dann zahlt er 1 Euro Mehrwertsteuer und übernimmt damit zu einem großen Teil soziale Verantwortung in diesem Land. Das ist das, was wir wollen. Das hat nichts mit dem von Ihnen behaupteten Schröpfen und Abzocken derjenigen zu tun, die täglich hart arbeiten. Wohin geht die Reise? Wir müssen drei Stufen einhalten. Die erste Stufe ist die Einhaltung der Vorgaben der Schuldenbremse. Das machen wir. Man kann sicher lange abstrakte, juristische Diskussionen darüber führen. ({24}) Das Entscheidende ist aber der schrittweise Abbau der Schulden. Wir haben Sie dieses Jahr damit überrascht, dass wir 30 Milliarden Euro unter dem ursprünglichen Etatansatz liegen. ({25}) Wenn wir weiterhin so vorsichtig agieren wie bisher, dann werden Sie am Ende des Jahres 2011 wieder in die Tischkante beißen und feststellen müssen, dass diese Koalition mehr gespart hat, als sie vorsichtig im Etat angesetzt hat. Das ist vernünftige Haushaltspolitik und nicht die alte Eichel-Politik, die durch ständiges Nachsteuern immer Neues hinzugenommen hat. ({26}) Der zweite Schritt ist wichtig - hier haben Sie in der Vergangenheit immer wieder versagt -: keine neuen, wesentlichen Mehrausgaben. Die Verantwortung der Koalition in den nächsten Jahren wird darin bestehen, auf dem Niveau zu bleiben und die Ausgaben dort, wo es möglich ist, weiter herunterzufahren. ({27}) Schließlich müssen diese beiden Schritte dafür sorgen - das sage ich ausdrücklich im Namen meiner Partei -, dass am Ende Raum dafür da ist, die Vorgaben der Schuldenbremse einzuhalten, keine neuen Ausgaben zu tätigen und dann eine vernünftige und gerechte Steuerreform hinzubekommen. Darauf freuen Sie sich bestimmt genauso wie viele Bürger, die täglich Steuern zahlen. Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. ({28})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das Wort erhält der Kollege Alexander Bonde, Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Alexander Bonde (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003509, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, aber mir hat es bei der Lageanalyse des Kollegen Fricke ein bisschen die Stimme verschlagen. Herr Kollege Fricke, wenn Sie die Frage nach der Infrastruktur modern definieren und sagen würden, dabei gehe es nicht immer nur um Beton, sondern auch um Investitionen in Bildung und die Zukunftschan7950 cen unserer Kinder, dann hätten Sie völlig recht. Aber das hat mit Ihrem Haushalt nichts zu tun. ({0}) Sie wissen genau, dass Sie im Rahmen Ihres Haushalts die Länder nicht um einen Cent entlasten. Die Länder sind in unserem föderalen System genau diejenigen, die Sie stärken müssen, wenn Sie den Bildungsbereich voranbringen und Kinder fördern wollen. Auch die Kommunen entlasten Sie nicht um einen Cent, obwohl diese ebenfalls wichtige Akteure im Bildungsbereich und bei der Kinderbetreuung sind. ({1}) Insofern haben Sie mit Ihrem eigenen Beispiel schon eine der ersten großen Schwächen Ihres Haushalts offengelegt. Dann haben Sie dargelegt - das ist eine vermeintlich große Leistung dieser Koalition -, um wie viele Milliarden Euro Sie die Verschuldung am Schluss reduziert haben. Das muss man den Menschen erklären. Kurz vor Ende der Haushaltsberatungen hat die Koalition die aktuelle Steuerschätzung und die aktuelle Wachstumsprognose in den Haushalt eingearbeitet. Das ist nicht falsch. Sie hat aber Folgendes gemacht: Sie hat 8,1 Milliarden Euro Steuermehreinnahmen verbucht. Das leitet sich korrekt aus dieser Prognose ab. Weiterhin hat sie zusätzliche Minderausgaben in Höhe von 1,15 Milliarden Euro verbucht. Diese resultieren aus geringeren Zuschüssen an die Bundesagentur für Arbeit. Schließlich hat sie beim Arbeitslosengeld II wegen niedrigerer Fallzahlen 500 Millionen Euro weniger eingerechnet. Das alleine bedeutet, dass der Haushalt aufgrund der Konjunktur eine um 9,75 Milliarden Euro geringere Verschuldung aufweisen müsste. Das ist aber nicht der Fall. Vielmehr weist der Haushalt eine um nur 9,1 Milliarden Euro geringere Verschuldung auf. Was bedeutet das? Diese Koalition hat noch nicht einmal das Konsolidierungspotenzial, das der Konjunkturaufschwung bietet, in diesen Haushalt eingeplant. Im Gegenteil: Es versickert richtig viel Geld. ({2}) Wohin versickert es? Es werden Ausnahmen vom Sparpaket für Lobbyisten gemacht. Mächtige Lobbygruppen in diesem Land haben während der Haushaltsberatungen von morgens früh bis abends spät im Kanzleramt gesessen. Diese Lobbygruppen haben Sie mit der guten Konjunktur aus dem Sparpaket herausgekauft. Sie werden ungeschoren bleiben. Das hat weder mit sozialer Gerechtigkeit noch mit Haushaltskonsolidierung etwas zu tun. ({3}) Mit diesem Haushalt kommt als Erstes der soziale Frieden in diesem Land unter die Räder, weil Sie das Instrument der Schuldenbremse - ein wichtiges Projekt einseitig handhaben. Sie bemühen sich überhaupt nicht, weite Teile der Gesellschaft mitzunehmen. Der Lobbyist kommt morgens um 5 Uhr ins Kanzleramt, aber dem Arbeitslosengeld-II-Empfänger zeigen Sie nur die kalte Schulter. Das ist die harte Realität der schwarz-gelben Koalition. ({4}) Das Zweite, was unter die Räder kommt, ist die Ökologie. In Sonntagsreden haben Sie das Thema scheinbar erkannt. Aber immer wenn es mit dem ökologischen Wandel und dem Klimaschutz ernst wird, Herr Kollege Fricke, dann hat die Dagegen-Partei eine andere Farbe, als Sie behaupten. Dagegen ist immer die FDP - das ist die Wahrheit sowohl beim Klimaschutz als auch bei der sozialen Gerechtigkeit in diesem Land. ({5}) Das Marktanreizprogramm ist für das Handwerk und im Hinblick auf die Frage wichtig, wie man neue Technologien marktfähig macht. Die Kürzung in diesem Bereich beträgt aber fast 70 Millionen Euro. Das CO2Gebäudesanierungsprogramm ist ein wichtiges Projekt für die kommunale Wirtschaft und für ein klimafreundlicheres, ressourcenschonenderes Wirtschaften. Hier beträgt die Kürzung 864 Millionen Euro gegenüber dem letzten Jahr. Kommen wir zum internationalen Klimaschutz. Frau Merkel, Ihr Versprechen von Kopenhagen haben Sie heimlich einkassiert. 35 Millionen Euro wurden gestrichen. Beim Bundesprogramm Ökologischer Landbau haben Sie sich diesmal nicht getraut, Kürzungen vorzunehmen. Dafür ändern Sie die Zweckbestimmung und zweckentfremden die Mittel. Das ist die umweltschädliche Bilanz dieser Koalition. Das hat nichts mit dem zu tun, was Sie hier gerade skizziert haben. ({6}) Eine Reihe von Einsparungen nehmen Sie in diesem Etat bewusst nicht vor. Die Koalition führt eine Bundeswehrreform durch, wodurch sich ab Mitte nächsten Jahres die Bundeswehr komplett verändern wird. Gleichzeitig lassen Sie den Bundeswehretat einfach laufen und verzichten nicht auf die massiven Beschaffungen. Das heißt, Sie finanzieren munter weiter in die alte Struktur, wissend, dass die Gefahr besteht, dass die Hälfte der mit Milliardensummen finanzierten Beschaffungen zur geplanten Struktur der Bundeswehr überhaupt nicht mehr passt. ({7}) In vielen anderen Bereichen haben wir das gleiche Phänomen. Beim Abbau ökologisch schädlicher Subventionen kneifen Sie. Sie sind nicht bereit, irgendeine Maßnahme an dieser Stelle zu ergreifen, die haushaltspolitisch entlasten würde, umweltpolitisch positive Effekte hätte, eine wirtschaftspolitische Lenkungswirkung in Richtung Modernisierung unserer Volkswirtschaft entfalten oder eine offensive Herangehensweise an das Thema Klimaschutz für uns als Exportland bedeuten würde. Das alles verschlafen Sie. Die wahre Dagegen-Partei ist wiederum gelb, lieber Kollege Fricke. ({8}) Die Menschen sind längst weiter, als Sie es mit Ihrer sehr lobbygetriebenen, engen Politik sind. Wenn man landauf, landab unterwegs ist und mit Unternehmern spricht, dann spürt man: Ihnen ist ein ordentlich finanziertes Bildungssystem wichtiger als die Höhe des Spitzensteuersatzes. Außerdem ist verantwortungsvollen Unternehmern heute der soziale Frieden wichtiger als das Subventionsgewirr an Exportförderungen, die der Außenwirtschaftsminister Brüderle in seinem Haushalt aufgelegt hat. Ich wiederhole: Die Menschen sind da weiter. Geben Sie sich einen Stoß, machen Sie Schluss mit diesem Ausrichten am lobbypolitischen Klein-Klein, ({9}) und gehen Sie an die wirklich großen Aufgaben heran, die wir zu bewältigen haben. Wenn es darum geht, die Schuldenbremse einzuhalten, dann bekennen wir uns zu unserer Verantwortung und machen mit. Aber wir wollen sozial und ökologisch sinnvoll vorgehen, und genau das tun Sie nicht. Wir sind also gegen diesen Haushalt. Ich sage Ihnen eines: Wenn Sie auf dem Weg zur Vernunft nicht viel Unsinn ablehnen, dann kommen Sie nie zum Ziel, Herr Fricke. Herzlichen Dank. ({10})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Für die Bundesregierung erhält nun der Bundesfinanzminister Dr. Wolfgang Schäuble das Wort. ({0})

Dr. Wolfgang Schäuble (Minister:in)

Politiker ID: 11001938

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Opposition muss sich bei dieser Haushaltsdebatte natürlich überlegen, was sie nun kritisiert. ({0}) Uns in einem Atemzug vorzuwerfen, wir würden zu viel sparen und zu viel Schulden machen, ist von der Logik her irgendwo nicht zusammenzubringen. ({1}) Es ist schon wichtig, dass wir uns über die Grundlinien der Finanzpolitik verständigen. Herr Kollege Schneider, um vorweg noch folgende Bemerkung zu machen: Es war bis Anfang des Jahres offizielle Meinung auch des Bundesfinanzministeriums, von Ihnen damals tatkräftig unterstützt, dass die im Haushalt 2010 durch das Parlament beschlossene Neuverschuldung, das strukturelle Defizit, der maßgebende Wert für die Schuldenbremse sein solle. Ich bin derjenige, der das geändert hat. Das hat dann Ihre Zustimmung gefunden; das ist wahr. Aber jetzt können Sie sich vor lauter Zustimmung gar nicht mehr retten. Jetzt sagen Sie, man müsse das nun nicht mehr nur auf den Zeitpunkt, zu dem wir, das Kabinett, den Haushalt aufgestellt und die mittelfristige Finanzplanung vorgelegt haben, beziehen, sondern fortschreiben. ({2}) Ich sage Ihnen: Die mittelfristige Finanzplanung kann gar nicht fortgeschrieben werden. ({3}) Deswegen ist es richtig, dass wir den Wert, der bei der Aufstellung des Haushalts zum Zeitpunkt der Kabinettsentscheidung im Juli absehbar war, für den Haushalt 2011 und für die mittelfristige Finanzplanung als Ausgangswert für die Schuldenbremse zugrunde gelegt haben. Dabei bleibt es. Damit werden wir den Anforderungen gerecht werden. ({4}) Dass es in den Beratungen des Haushaltsausschusses gelungen ist, die Neuverschuldung im Haushalt 2011 auf unter 50 Milliarden Euro zu drücken, ist eine große Leistung, für die ich dankbar bin. Veranschlagt sind aber immer noch 48,4 Milliarden Euro neue Schulden. Deswegen habe ich in einem anderen Zusammenhang gesagt: Manche glauben, wir schwimmen im Geld. Wir schwimmen aber nicht im Geld; wir ertrinken allenfalls in Schulden ({5}) und versuchen, uns dagegen zu wehren. Wir kommen aus der schwersten Finanz- und Wirtschaftskrise der Nachkriegszeit. Wir hatten im vergangenen Jahr einen Rückgang des Bruttoinlandsprodukts von fast 5 Prozent, mit entsprechenden Einbrüchen bei den Steuereinnahmen der öffentlichen Haushalte, also der Haushalte von Bund, Ländern und Gemeinden. Es ist uns glücklicherweise gelungen, die Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt in höherem Maße zu begrenzen, als wir es damals zu hoffen gewagt hatten. Das ist eine große soziale Leistung, für die man gar nicht dankbar genug sein kann. ({6}) Das ist auch ein eindeutiger Beweis für den Erfolg des Modells der sozialen Marktwirtschaft und der sozialen Partnerschaft in der Bundesrepublik Deutschland. Sie werden in Europa und in der Welt heute viel positiver gesehen als noch vor einigen Jahren. Auch dies muss man dankbar und mit Respekt erwähnen. ({7}) Wir sind eingebunden in ein schwieriges internationales, auch europäisches Umfeld. Liebe Kolleginnen und Kollegen, die aktuellen Debatten und Diskussionen darüber, was in Irland vor sich geht, und der Antrag Irlands, sich unter den europäischen Rettungsschirm zu begeben und um Beistand durch die Euro-Gruppe bzw. die Europäische Union und den Internationalen Währungsfonds zu ersuchen, zeigen ja, dass diese Finanzund Wirtschaftkrise nach wie vor nachwirkt und dass wir nach wie vor alles daransetzen müssen, um sie zu beherrschen. Wir werden in den nächsten Tagen noch intensiv mit dem Haushaltsausschuss darüber reden. Die Bundesregierung ist fest entschlossen, so eng wie möglich zu informieren und in gegenseitigen Abstimmungen die notwendigen Entscheidungen, die wir zu treffen haben, vorzubereiten. ({8}) Aber ich will in diesem Zusammenhang ganz klar sagen: Unsere gemeinsame Währung steht auf dem Spiel. Dafür müssen wir Verantwortung übernehmen. Wenn wir diese gemeinsame Währung nicht als eine stabile Währung nachhaltig verteidigen können, wären die wirtschaftlichen und sozialen Folgen für unser Land bzw. für die Menschen in unserem Land unabsehbar. Das ist unsere Verantwortung, der wir uns auch in dieser schwierigen Situation zu stellen haben. ({9}) Vor diesem Hintergrund ist es außergewöhnlich wichtig, dass es uns in der Bundesrepublik Deutschland gelingt, zu zeigen, dass das, worüber international so viel gesprochen wird, tatsächlich möglich ist, dass man nämlich die Hauptursachen dieser Krise, die zu hohen Defizite in den öffentlichen Haushalten und die Blasen mit zu viel Liquidität auf den Finanzmärkten, maßvoll beseitigen und bekämpfen kann und damit nicht Wachstum zerstört, sondern fördert. Das ist Anfang dieses Jahres noch sehr bestritten worden. Inzwischen ist Deutschland geradezu die Wachstumslokomotive in Europa und darüber hinaus sowie ein Modell für andere. Deswegen tragen wir Verantwortung. Wir zeigen, dass wir mit dieser soliden Finanzpolitik auf dem richtigen Weg sind, Defizite zu reduzieren und zugleich die Grundlagen für nachhaltiges Wachstum, Beschäftigung und soziale Gerechtigkeit in unserem Lande sicherzustellen. ({10}) Deswegen werden wir diesen Weg konsequent, mit Augenmaß, aber auch mit großer Entschiedenheit weiter fortsetzen. Dadurch schaffen wir auch die Spielräume für neue Gestaltungsaufgaben in der Zukunft. Aber wir müssen es Schritt für Schritt tun, und wir dürfen nicht beim ersten Erfolg innehalten, nur weil die Steuereinnahmen ein bisschen besser sind, die Defizite ein bisschen geringer sind, als wir befürchten mussten, und die Wirtschaftslage sich besser entwickelt. Die gesamtwirtschaftliche Leistungskraft ist übrigens immer noch unter dem Niveau von vor der Finanzund Wirtschaftkrise. Wenn wir es schaffen, Ende 2011 oder 2012 wieder das Vorkrisenniveau zu erreichen, dann wären wir besser, als wir zu Anfang der Legislaturperiode zu hoffen gewagt haben. Wir werden mit den Steuereinnahmen 2012 gerade wieder mal knapp das Niveau von 2008 erreichen. Das heißt, wir haben allen Grund, diesen Weg konsequent und mit Augenmaß fortzusetzen. Die Erfolge auf diesem Weg zeichnen sich für die Wirtschaft, die Menschen in unserem Lande und auch für die soziale Sicherheit Schritt für Schritt ab. Deswegen gehen wir ihn weiter. Dabei nutzen wir die Spielräume in dem Maße, wie wir sie uns erarbeiten. ({11}) - Herr Kollege Schneider, wir reden von 48,4 Milliarden Euro Neuverschuldung im kommenden Jahr. Wir haben keine Kriegskasse, wir haben keine Reserven, sondern wir sind - ({12}) - Wenn Sie die Verantwortung trügen, hätten wir jedenfalls sehr viel mehr Neuverschuldung. Dann hätten wir weniger Stabilität und mehr Arbeitslosigkeit. ({13})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Herr Minister, möchten Sie Zwischenfragen beantworten? ({0})

Dr. Wolfgang Schäuble (Minister:in)

Politiker ID: 11001938

Bitte, ja.

Bettina Hagedorn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003545, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Minister, da Sie gesagt haben, die Nettokreditaufnahme könnte wohl kaum niedriger sein als diese 48,4 Milliarden Euro, würde ich Sie gerne fragen, ob Sie mir nicht zustimmen, dass sie dann um 1,1 Milliarden Euro niedriger läge, wenn die 1,1 Milliarden Euro, die bei der Bundesagentur für Arbeit für Insolvenzgelder eingezahlt worden sind, von Ihnen nicht im Rahmen der Jahresrechnung 2010 vereinnahmt werden würden? Es gibt natürlich verschiedene Auffassungen darüber, ob es überhaupt legitim ist, 1,1 Milliarden Euro, die nicht paritätisch erbracht worden sind, wie es ansonsten üblich ist, zur Haushaltsverbesserung zu vereinnahmen.

Dr. Wolfgang Schäuble (Minister:in)

Politiker ID: 11001938

Frau Kollegin Hagedorn, ich vermute, dass Sie so gut wie ich wissen, dass das, was Sie jetzt gerade anspreBundesminister Dr. Wolfgang Schäuble chen, der geltenden Rechtslage entspricht. Wenn sich der Bundesfinanzminister und der Bundestag an die geltende Gesetzeslage halten, dann ist das nicht Manipulation, sondern dann ist das Gesetzesvollzug. Wir unterliegen ja alle der Verpflichtung, uns an Recht und Gesetz zu halten. ({0}) Ich vermute übrigens, dass Ihre Partei in Regierungsverantwortung war, als wir diese Rechtslage geschaffen haben. ({1}) Darüber hinaus sind wir uns einig, dass wir das für die Zukunft ändern wollen. Wir diskutieren jetzt über die Frage, ob wir das rückwirkend ändern wollen. Ich gehöre zu denjenigen, die sagen: Rückwirkende Änderungen der Rechtslage lassen immer die Vermutung der Manipulation aufkommen. Deswegen bin ich in diesem Punkt zurückhaltend. ({2}) Zurück zum eigentlichen Thema: Die Kunst von Finanz- und Wirtschaftspolitik ist doch, den richtigen Weg zu finden, öffentliche Haushalte so zu gestalten, dass sie Impulse für wirtschaftliches Wachstum nicht verhindern, sondern verstärken. Genau das ist die Kunst. Wenn Sie nun über alle möglichen Steuererhöhungen reden, müssen Sie immer bedenken, welche Wirkungen diese auf die gesamtwirtschaftliche Entwicklung haben. Wenn die gesamtwirtschaftliche Entwicklung schlechter wäre, dann hätten wir mehr Arbeitslosigkeit, wieder höhere Ausgaben im Bundeshaushalt, damit höhere Defizite und weniger soziale Gerechtigkeit. Ein Erfolgsnachweis für die Finanz-, Wirtschafts- und Sozialpolitik dieser Bundesregierung ist daher, dass wir neben einer vernünftigen Reduzierung der öffentlichen Defizite zugleich nachhaltiges Wirtschaftswachstum und eine bessere Entwicklung am Arbeitsmarkt erreicht haben. Wir sind entschlossen, genau diesen Weg fortzusetzen. ({3}) In dem Maße, wie wir auf diesem Pfad bleiben, erschließen wir uns Spielräume. Jetzt werden wir uns darauf konzentrieren müssen, trotz begrenztem Haushaltsspielraum steuervereinfachende Maßnahmen zu beschließen. Das können wir nur im Einvernehmen mit den Ländern machen; denn diese sind für die Steuerverwaltung zuständig. Auf Ihren Vorschlag, man könne die Steuerverwaltung beim Bund vereinheitlichen, kann ich Ihnen nur entgegnen: Wir müssen uns schon an das Grundgesetz halten. Wir sind ein Föderalstaat, in dem die Aufgabenverteilung zwischen Bund und Ländern schon durch das Grundgesetz festgelegt ist, und dieses ist verpflichtend für uns alle. Deswegen können wir solche steuervereinfachenden Maßnahmen nur im Einvernehmen mit den dafür zuständigen Ländern machen. ({4}) Der Spielraum hierfür ist ein begrenzter, und man sollte gleich hinzufügen: Die Erwartungen an Steuervereinfachungen dürfen in der Öffentlichkeit nicht zu sehr geschürt werden. Wenn man nämlich nur einen begrenzten Entlastungsspielraum hat, werden die Auswirkungen auf die Steuerzahler auch nur begrenzt wahrnehmbar sein. Ich warne davor, überzogene Versprechungen zu machen und zu hohe Erwartungen zu schüren, die sich am Ende in der Realität nicht bestätigen werden. ({5}) - Bleiben Sie ganz ruhig! Ich sage Ihnen gerne, wie unser weiterer Weg ist. Die große Frage, die sich an die Finanzpolitik dieser Regierung und dieses Parlaments richtet, ist ja: Wird sie den richtigen Kurs fortsetzen? Niemand in der internationalen Fachwelt bestreitet ja, dass wir auf dem richtigen Weg sind. Das sagen die Forschungsinstitute; das sagt der Sachverständigenrat; ({6}) das sagen die OECD und die EU-Kommission und auch die Bundesbank. Zweifel bestehen, ob wir angesichts der Erfolge die Kraft haben, diesen Weg fortzusetzen. ({7}) Es wird wieder und wieder darauf hingewiesen, dass in der Vergangenheit oft genug der Fehler gemacht worden ist, konjunkturelle Spielräume strukturell zu verschenken. ({8}) Genau das, verehrte Kolleginnen und Kollegen, werden wir nicht tun. ({9}) Wir werden, weil wir durch die Ergebnisse in der Wirtschaft und auf dem Arbeitsmarkt unsere Finanzpolitik bestätigt sehen, noch mehr Kraft darauf verwenden, genau diesen Weg konsequent fortzusetzen. Das dient am besten unserem Land. Das dient am besten unserer Verantwortung in Europa. Das dient am besten unserer Verantwortung für kommende Generationen. Herzlichen Dank. ({10})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das Wort erhält die Kollegin Nicolette Kressl für die SPD-Fraktion. ({0})

Nicolette Kressl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002706, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Traditionell ist die allgemeine Finanzdebatte am Dienstag einer Haushaltswoche Anlass, Bilanz über die Finanz- und Steuerpolitik der Bundesregierung und der Koalitionsfraktionen zu ziehen. Dazu gehört aus meiner Sicht auch vonseiten der Koalitionsfraktionen ein Mindestmaß an Ehrlichkeit. ({0}) Zu diesem Mindestmaß an Ehrlichkeit will ich zwei Anmerkungen machen. Erste Anmerkung. Herr Barthle, hier zu behaupten, die Mittel für die Städtebauförderung seien nicht gekürzt worden, ist wirklich blanker Hohn und entspricht diesem Mindestmaß nicht. ({1}) Sie wissen ganz genau, dass die Tatsache, dass man hinterher etwas weniger kürzt, als man am Anfang wollte, nicht bedeutet, dass man nicht kürzt. Dies bedeutet nur, dass man den Schein wahren will. ({2}) Zweite Anmerkung. Zu einem Mindestmaß an Ehrlichkeit gehört auch, nicht in allen Reden den Eindruck zu erwecken, man habe vor allem gespart und keine Steuererhöhungen durchgeführt. Die Wahrheit ist doch: Sie haben eine Reihe von Steuererhöhungen in diesen Haushalt hineingepackt. ({3}) Die nächste Steuererhöhung, nämlich die Tabaksteuererhöhung, ist schon geplant. Die Luftverkehrsabgabe ist eine Steuererhöhung. Herr Minister Schäuble, die Brennelementesteuer ist die flexibelste Steuer, die ich je kennengelernt habe. Man senkt den Tarif, erzielt aber die gleichen Einnahmen - wie auch immer das funktionieren soll -, die man am Anfang angesetzt hatte. ({4}) Zur Ehrlichkeit in dieser Debatte hätte gehört, dass Sie sagen: Ja, wir haben mehrere Steuererhöhungen auf den Weg gebracht. ({5}) Zur Bilanz gehört auch, dass man die Ausgangssituation mit der jetzigen Situation vergleicht. Ausgangspunkt ist Ihr Koalitionsvertrag. Darin sind ambitionierte Pläne enthalten, die wir Sozialdemokraten für falsch gehalten haben. Wir haben immer gesagt: Angesichts der Aufgaben, die die Kommunen und die Länder erfüllen müssen, ist jetzt nicht die Zeit für Steuersenkungen. Aber Sie haben entsprechende Maßnahmen in den Koalitionsvertrag aufgenommen. Eine Reihe von anderen Punkten will ich gleich noch anführen. Was nach einem Jahr aus Ihren Plänen geworden ist, ist eine Kombination aus einem Scherbenhaufen und einem zerplatzten Luftballon. ({6}) Weil Sie sich aufgrund des anfänglichen Chaos auf nichts einigen konnten, haben Sie mit jedem Steuergesetz eine fatale Mischung aus Klientelpolitik, die Einzelinteressen bedient, und unprofessioneller Arbeit an den Tag gelegt. Diese Mischung ist fatal für die Entwicklung in diesem Land. ({7}) Sie beginnen mit einem Gesetz, das inzwischen berüchtigt ist, dem sogenannten Wachstumsbeschleunigungsgesetz. ({8}) Darin enthalten sind Steuerprivilegien in Höhe von jährlich 1 Milliarde Euro für Hotels. Außerdem werden Schlupflöcher für Konzerne geöffnet, die dadurch Freiräume für Gestaltungen bekommen. Ferner gab es Steuererleichterungen für Erben. Das war Ihr erster Schritt. ({9}) Der zweite Schritt war, dass Sie in einem weiteren Gesetz, eingepackt in Mehrwertsteuerregelungen für die Post, den Interessen von Einzelnen gefolgt sind. Sie beginnen bereits mit diesem Gesetz, die Gewerbesteuer auszuhöhlen. ({10}) Das ist der rote Faden, den wir erkennen: Sie kombinieren Gestaltungsmöglichkeiten für große Konzerne, die grenzüberschreitend tätig sind, mit der Aushöhlung der Gewerbesteuer und behaupten dann, Sie wollten die Kommunen unterstützen. Was für ein Hohn, kann ich da nur sagen. ({11}) Dann verbinden Sie die Klientelpolitik noch mit Konfusion - Beispiel Mehrwertsteuer. Das ist wirklich grandios, fast schon kabarettreif: Im Koalitionsvertrag vereinbaren Sie, eine Kommission zur Reform der Mehrwertsteuer einzusetzen. Dann beginnen Sie dieses Vorhaben mit dem denkbar schlechtesten Schritt, indem Sie eine Ausnahme im Bereich der Mehrwertsteuer machen. Dann passiert ein halbes Jahr nichts. Danach tagt der Koalitionsausschuss stundenlang und kommt zu einem grandiosen Ergebnis: Sie einigen sich darauf, das, was im Koalitionsvertrag steht, umzusetzen, nämlich eine Kommission zur Reform der Mehrwertsteuer einzusetzen. Ich bitte Sie! Soll das ein politisches Signal sein? Soll dadurch das Vertrauen der Menschen, von dem Sie vorhin geredet haben, wiederhergestellt werden? Außer Konfusion und Unsicherheit wird dadurch nichts bewirkt. ({12}) Genau diese Linie setzt sich im Bereich der Steuerpolitik weiter fort. Man könnte über manches, was man so berichten und erleben kann, amüsiert lächeln. Uns allen vergeht das amüsierte Lächeln aber bei dem SchauNicolette Kressl spiel, das Sie beim Thema Kommunalfinanzen aufführen. Ich sage Ihnen auch, warum: Tausende Menschen arbeiten ehrenamtlich in Gemeinderäten, weil sie sich um das Wohl ihrer Kommune kümmern und sich engagieren wollen. Sie jedoch vereinbaren im Koalitionsvertrag, dass die Gewerbesteuer wegfallen soll. Dann haben Sie bemerkt, dass Sie bei den Kommunen keinen Erfolg haben, weil diese wissen, dass die Behauptung, die Gewerbesteuer sei die einzige, die ständig schwanken würde, nicht zutrifft.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Frau Kollegin Kressl, darf der Kollege Meierhofer eine Zwischenfrage stellen?

Nicolette Kressl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002706, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Gern.

Horst Meierhofer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003806, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Vielen Dank, Frau Kollegin Kressl. - Meine Frage ist: Wurde nicht in der letzten Legislaturperiode für den Betrieb von Seilbahnen und darüber hinaus auch für Flusskreuzfahrten auf besonderen Wunsch der SPD ein ermäßigter Mehrwertsteuersatz eingeführt? ({0})

Nicolette Kressl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002706, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Nein. Das ist ausdrücklich nicht auf besonderen Wunsch der SPD eingeführt worden. ({0}) - Das waren Ihre Koalitionspartner von der CSU; das ist auch nachlesbar. ({1}) Allerdings will ich auch sagen: Es war ein Fehler. ({2}) - Ja, ja. Das finde ich ja spannend. Wissen Sie, was da gerade passiert? Wenn wir als politische Partei und Fraktion sagen: „Da haben wir uns geirrt, das war ein Fehler“, dann sind wir hundertmal weiter als Sie, weil Sie nicht in der Lage sind, Ihre komische Milliarde für die Hotels zurückzunehmen. ({3}) Ich finde, zu politischer Arbeit gehört, dass man sagt: Das war ein Fehler, das werden wir reparieren. - Wir sind mehr als neugierig, ob Ihre Reformkommission zur Mehrwertsteuer in der Lage sein wird, den Fehler, den Sie bei den Hotels gemacht haben, zu erkennen und zu korrigieren. Denn ansonsten brauchen Sie mit Ihrem tollen Projekt gar nicht anzufangen. ({4}) Bleiben wir bei den Kommunalfinanzen. Nachdem Sie, wie beschrieben, in mehreren Gesetzen die Gewerbesteuer ausgehöhlt haben, gab es das Signal: Abschaffung. Dann hat Minister Schäuble den Kommunen das Signal gegeben: Die Gewerbesteuer bleibt erhalten. Wir haben hier in der Debatte kurz danach gesagt: Darin unterstützen wir Sie. - Anschließend fand der, wie ich finde, fast einmalige Vorgang statt, dass die FDP-Fraktion einen formalen Beschluss gegen die Position des eigenen Finanzministers fasste. Das muss man sich einmal auf der Zunge zergehen lassen. ({5}) Was haben wir jetzt? Die Kommunen erhalten keinerlei Information, wie es weitergehen soll; denn Sie erzeugen Planungsunsicherheit. Sie verschieben alles in die Zukunft, in eine weitere Kommission. Ich sage Ihnen: Bewegen Sie sich wenigstens in diesem Bereich außerhalb Ihrer sonstigen Kabarettstückchen - Kabinettstückchen könnte man auch sagen -, und geben Sie den Kommunen so schnell wie möglich das klare Signal: Die Gewerbesteuer bleibt erhalten, sie wird stabilisiert, die Kommunen werden entlastet. Dann hätten Sie in einem Thema der Steuerpolitik endlich eine klare, erkennbare Linie, und dabei würden wir Sie auch unterstützen. ({6})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Nächster Redner ist der Kollege Dr. Volker Wissing für die FDP-Fraktion. ({0})

Dr. Volker Wissing (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003702, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es geht ja einiges in dieser Debatte durcheinander. Ich will einmal daran erinnern, welche Fraktion in diesem Haus sich in der Vergangenheit zum Thema „Schuldenbremse in der Verfassung“ wie verhalten hat. Die Linken haben damals in der Föderalismuskommission gesagt, sie stimmen der Schuldenbremse nicht zu, ({0}) weil man Schulden machen müsse, um politisch gestalten zu können. ({1}) Das ist eine Position, die nicht meine ist; aber wenn man sie vertritt, dann sollte man so ehrlich sein und die anderen hier nicht dafür kritisieren, dass sie nicht noch mehr einsparen. Sie wollten nie sparen. Sie haben der Schuldenbremse nicht zugestimmt. Stehen Sie bitte auch dazu! ({2}) Lieber Herr Kollege Bonde von den Grünen, Sie sind gegen alles. Deswegen nennt man Sie auch „die Dagegen-Partei“. ({3}) Sie machen damit Werbung und sagen den Leuten: Wir sind gegen Bahnhöfe und neuerdings auch gegen die Olympischen Spiele. ({4}) Es wäre anständig gewesen, wenn Sie gesagt hätten: Wir waren auch gegen die Schuldenbremse; denn Sie hatten Sorge, dass Sie dann Ihre Schuldenpolitik nicht mehr durchsetzen können. ({5}) Das wäre ehrlich gewesen. Auch Sie waren gegen die Schuldenbremse in der Verfassung. ({6}) Stellen Sie sich also nicht als Obersparer hin! Sie waren Teil der rot-grünen Regierung; das waren die Oberschuldenmacher, nicht die Obersparer. ({7}) - Regen Sie sich doch nicht so auf. Sie waren diejenigen, die gemeinsam mit der SPD die Maastricht-Kriterien verletzt haben. Sie waren auch gegen die Maastricht-Kriterien. Sie waren der Meinung, man brauche Wachstum, wenn man Stabilität habe. Sie waren - anders als wir - der Meinung, dass man Wachstum nicht durch eine vernünftige Steuer- und Finanzpolitik erreicht; ({8}) Sie wollten Wachstum durch Schulden schaffen. Dann haben Sie die Maastricht-Kriterien, das 3-Prozent-Kriterium, verletzt. Damit haben Sie den Weg Europas in ein Schulden-Europa geebnet. Das waren die Grünen und die Sozialdemokraten. ({9})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Herr Kollege Wissing, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Liebich?

Dr. Volker Wissing (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003702, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ja, bitte.

Stefan Liebich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004093, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Kollege, Sie haben auf die Position unserer Fraktion und unserer Partei zur Schuldenbremse Bezug genommen. Sie haben sicherlich recht damit, dass wir klar gesagt haben und sagen: Wir sind gegen die Schuldenbremse. Sie haben aber mit dem Grund, den Sie dafür genannt haben, nicht recht: Wir sind nicht gegen die Schuldenbremse, weil wir dafür sind, Schulden zu machen. Vielmehr sind wir der Auffassung, dass man politisch entscheiden muss, ob und wann man Schulden macht. ({0}) Falls Sie jetzt mit dem Argument kommen wollen, die Linke sage das nur, um dann Schulden aufzunehmen, will ich darauf verweisen, dass die Schulden in den Ländern, in denen unsere Partei regiert hat und regiert, durch einen intensiven Sparkurs reduziert wurden, ({1}) und das ohne jede Verfassungsregel. Hingegen hat Ihr Koalitionspartner, die Union, vorher das Land Berlin an die Wand gefahren. ({2})

Dr. Volker Wissing (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003702, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Lieber Herr Kollege, ich habe selten einen solchen Unsinn gehört. Das Land Berlin, in dem Sie mitregieren, ist doch wohl alles andere als ein Land mit weniger Schulden. Ich erinnere mich noch genau an die Positionen und Äußerungen der Vertreter Ihrer Fraktion in der Föderalismuskommission. Es ging Ihnen immer darum, die Flexibilität für Ihre unsolide Politik zu erhalten. Sie waren gegen die Schuldenbremse, weil Sie sich für den Fall, dass Sie jemals regieren, die Option offenhalten wollten, dieses Land mit einer Neuverschuldung zu überziehen, um Ihre abstrusen Forderungen umsetzen zu können. Das haben wir mit der Schuldenbremse verhindert; das ist gut so. Wir werden dafür sorgen, dass Sie in diesem Land keine Regierungsverantwortung erhalten. ({0})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Darf auch der Kollege Norbert Barthle eine Zwischenfrage stellen?

Dr. Volker Wissing (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003702, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ja, er stellt bestimmt eine kluge Frage.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das wollen wir einmal abwarten.

Norbert Barthle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003033, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Wissing, darf ich Sie fragen, ob Ihnen bekannt ist, dass das Land Brandenburg, in dem Rot-Rot - SPD und Linke - regiert, ({0}) einen Antrag der CDU, der FDP und der Grünen abgelehnt hat, die Schuldenbremse in die Landesverfassung aufzunehmen? ({1})

Dr. Volker Wissing (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003702, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ja, Herr Kollege Barthle, das ist mir bekannt. Das zeigt, dass die Linke ihre Vorstellungen von einer Schuldenpolitik nicht nur auf Bundesebene ausbreitet, sondern auch noch versucht, sie in die Länder hineinzutragen. Das ist sehr bedauerlich. Man kann nur hoffen, dass die Linke dort nicht auf Dauer die Verantwortung trägt. ({0}) Nun kommen wir noch einmal zu den Sozialdemokraten. Sie erzählen uns hier immer wieder, die Finanzmärkte müssten endlich einmal reguliert werden. Dazu will ich feststellen, dass Sie uns nach elf Jahren sozialdemokratischer Regierungsverantwortung deregulierte Finanzmärkte hinterlassen haben. Sie haben gemeinsam mit den Grünen mit der Deregulierung begonnen und uns viele Versäumnisse hinterlassen, die wir Stück für Stück aufgearbeitet haben. ({1}) Wir haben die Finanzmärkte besser reguliert. Wir haben den Anlegerschutz gestärkt. Wir haben für transparentere Finanzmärkte gesorgt. Wir haben die Grundlagen dafür gelegt, dass Banken künftig geordnet abgewickelt werden können, und zwar nicht auf Kosten der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler, ({2}) sondern durch einen Restrukturierungsfonds, also auf Kosten der Branche, die eine gefahrgeneigte Tätigkeit ausübt. ({3}) All das, was Sie in der Regierungsverantwortung nicht hinbekommen haben, hat diese christlich-liberale Koalition in Angriff genommen. Hören Sie endlich auf, so zu tun, als hätten Sie, als Sie Regierungsverantwortung trugen, die Dinge getan, die Sie heute von der Regierung erwarten. Sie haben sie nicht einmal ansatzweise aufgegriffen. Wir haben die Finanzmärkte in Deutschland sicherer gemacht. Sie haben all das versäumt. ({4}) Sie werden auch die Verantwortung nicht los, die Ihr Finanzminister übernommen hat, als er 2004 die Entscheidung getroffen hat, die Maastricht-Kriterien zu verletzen. ({5}) Sie müssen sich auch anhören, dass Europa heute besser dastehen könnte, wenn Rot-Grün damals nicht regiert hätte. ({6}) Mit diesem Haushaltsentwurf verfolgen wir einen anderen Ansatz. Wir zeigen, dass wir die Staatsverschuldung ernst nehmen und sie in den Griff bekommen wollen. Wir wollen nicht bloß verhindern, dass wir infolge der Aufweichung der Stabilitätskriterien blaue Briefe aus Brüssel erhalten, ({7}) sondern wir wollen eine solide Haushaltspolitik betreiben und die Stabilitätskriterien einhalten. Wenn sich die größte Volkswirtschaft einen schlanken Fuß macht, dann ist es nicht gut bestellt um die Stabilität unserer gemeinsamen Währung. Die christlich-liberale Koalition will, dass der Euro ein Erfolgsmodell bleibt. Dazu trägt dieser Bundeshaushalt bei. Es ist ein gutes Zeichen, dass die Bundesregierung nicht nur aktives Krisenmanagement betreibt, sondern auch nach vorne schaut und die Gläubigerbeteiligung ganz klar thematisiert. Wir wollen, dass die Prinzipien der Marktwirtschaft in der Euro-Zone erhalten bleiben. Höhere Risiken bedingen höhere Refinanzierungskosten bei Staatsanleihen. Diese marktgerechten Risiken müssen wieder Wirkung zeigen. ({8}) Das, was wir gegenwärtig erleben, ist eine Ausnahmesituation. Es ist richtig und es ist wichtig, dass die Bundesregierung die Partner und Freunde in Europa ganz klar daran erinnert, dass das Prinzip der Schuldenselbstverantwortung und nicht das des Schuldentransfers gilt und dass in einer marktwirtschaftlichen Ordnung die Gläubigerbeteiligung der richtige Weg ist. ({9}) Die christlich-liberale Koalition drängt darauf, dass diese Dinge thematisiert und umgesetzt werden. Deutschland ist in dieser schwierigen Situation in guten Händen. Wir haben einen soliden Bundeshaushalt. Wir haben die notwendigen Finanzmarktregulierungen in Angriff genommen, und wir sorgen dafür, dass die Euro-Zone im marktwirtschaftlich besten Sinne stabilisiert wird. ({10}) Wir stehen gegenwärtig vor einer schweren Aufgabe, aber wir werden sie meistern. Da die Grünen gerne laut etwas dazu sagen: Wissen Sie, Sie sind nicht, wie Sie der Öffentlichkeit immer weismachen wollen, die Lösung für alle Zukunftsprobleme. Im Gegenteil: Wir arbeiten heute noch an der Beseitigung der Fehler, die Sie gemacht haben. Vielen Dank. ({11})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das Wort erhält der Kollege Bartholomäus Kalb für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Bartholomäus Kalb (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001055, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Der Entwurf des Bundeshaushalts 2011, den wir heute hier beraten, ist nach meiner festen Überzeugung ein sehr ehrgeiziges und sehr anspruchsvolles Programm zur Haushaltskonsolidierung. Bei allen Beratungen haben wir großen Wert darauf gelegt, dass wir die Wachstumskräfte, die jetzt ihre Wirkung entfalten, nicht beschädigen. Es zeigt sich, dass die Maßnahmen, die wir in der Vergangenheit zur Überwindung der Krise ergriffen haben, Wirkung entfalten. Die Entwicklung in der Wirtschaft, auf dem Arbeitsmarkt und bei den Steuereinnahmen ist erfreulich. Es wird deutlich, dass die ergriffenen Maßnahmen - Bankenrettung, Kurzarbeitergeld, Konjunkturpakete und Euro-Stabilitätsmechanismus - richtig und notwendig waren. Jetzt entfalten sie ihre Wirkung. Gott sei Dank können wir jetzt auch in Sachen Irland auf diese Mechanismen zurückgreifen. Natürlich ist es schwierig, den Menschen draußen immer wieder zu erklären, warum diese Maßnahmen durchgeführt werden müssen, warum es beispielsweise in unserem Interesse ist, Irland jetzt unter die Arme zu greifen. Wir müssen deutlich machen - das hat unser Finanzminister vorhin zum Ausdruck gebracht -, dass ein stabiler Euro zuallererst im Interesse der Menschen und der Wirtschaft in unserem Land ist, ({0}) da er zur Wohlstandssicherung, zur sozialen Absicherung und zum Erhalt der Arbeitsplätze in unserem Land beiträgt. Wir erkennen an, dass die Wirtschaft und vor allen Dingen die fleißigen Menschen in diesem Land einen Beitrag dazu leisten, dass es in Deutschland viel schneller wieder aufwärts geht, als wir es zu hoffen gewagt haben. Aber es ist auch nicht verboten, zu sagen, dass die Politik dafür gesorgt hat, dass die Menschen und die Wirtschaft die Chance erhalten, die sie jetzt nutzen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir müssen alle diese Maßnahmen, insbesondere die der Haushaltskonsolidierung, auch vor dem Hintergrund sehen, dass wir durch die demografischen Veränderungen in unserem Land vor einer unglaublich großen Herausforderung stehen. In 30 Jahren wird nach Angaben des Statistischen Bundesamtes mehr als ein Drittel unserer Bevölkerung älter als 65 Jahre sein. Gleichzeitig werden wir über 11,4 Millionen Menschen im erwerbsfähigen Alter weniger haben. Das heißt, die Zahl derjenigen, die die Lasten zu tragen haben, wird deutlich niedriger werden, und wir müssen für den Ausgleich sorgen, damit die einen die Lasten tragen können, die anderen aber auch ihrer Lebensleistung entsprechend behandelt werden können. Die Schuldenbremse, die wir eingeführt haben - dagegen haben sich ja manche gewehrt -, ist auch eine Antwort auf diese Herausforderungen. Das ist ja nicht nur eine finanztechnokratische Regelung im Grundgesetz; sie stellt vielmehr genau darauf ab, dass wir Lasten nicht in die Zukunft verschieben, dass wir ausgeglichene Haushalte erreichen, damit wir den laufenden Betrieb mit laufenden Einnahmen finanzieren können und nicht immer noch mehr Schulden aufnehmen müssen. Das ist ein Problem, das alle westlichen Industriestaaten haben. Deswegen müssen wir unsere Potenziale in den Bereichen Bildung, Forschung usw. nutzen, aber auch auf allen anderen Feldern die Zukunftsfähigkeit unseres Landes sichern. Das ist mühsam, das ist anstrengend, das ist unbequem. Aber mit einer Rolle rückwärts, wie die SPD dies jetzt versucht, geht das mit Sicherheit nicht. ({1}) Ich bin felsenfest davon überzeugt, dass der frühere Parteivorsitzende und Sozialminister Müntefering aus guten Gründen und in Wahrnehmung seiner Verantwortung hier Gesetzentwürfe vorgelegt hat, die wir gemeinsam verabschiedet haben, von denen Sie sich jetzt aber wieder verabschieden wollen. Aus der Verantwortung flüchten, ist keine Antwort auf die Zukunftsfragen. Vor allen Dingen mit einer Politik der Totalverweigerung, wie sie am Wochenende die Grünen so schön vorgeführt haben, ({2}) sichert man nicht die Grundlagen, die Zukunftsfähigkeit unseres Landes. Sie sind ja mittlerweile gegen alles - gegen Straßen, gegen Schienenwege, gegen Wasserstraßen, gegen Startbahnen, ({3}) gegen Speicherkraftwerke, wie ich neuerdings erfahren habe. ({4}) Sie haben ja auf Ihrem Parteitag nichts mehr gefunden, was Sie noch schützen könnten. Sie haben keine Frösche mehr, keine Gelbbauchunken und auch keinen Juchtenkäfer; jetzt sind Sie auf das bayerische Edelweiß gekommen, ({5}) das wir schützen müssen. Obendrein sind Sie auch noch gegen die Olympiade. Das ist Verhinderungspolitik, Verweigerungspolitik und zeigt nur, dass Sie nicht in der Lage sind, die Zukunftsfähigkeit unseres Landes zu sichern. ({6}) Der Finanzminister hat vorhin sehr zu Recht darauf hingewiesen, dass wir noch vor großen Herausforderungen stehen. Auch wenn sich jetzt die Steuereinnahmen erfreulicherweise besser darstellen, als wir zu Beginn des Jahres annehmen konnten, muss immer wieder deutlich gemacht werden: Wir brauchen mindestens bis 2012, bis wir bei den Steuereinnahmen des Bundes wieder auf dem Niveau sind, das wir vor der Krise gehabt haben. Das heißt aber auch, dass die Bürgerinnen und Bürger nach wie vor zu Recht von uns erwarten, dass wir solide wirtschaften, dass wir die Zukunft sichern, dass wir die Stabilität der Währung sichern. Dafür wollen wir eintreten; dafür wollen wir arbeiten. ({7})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Nächster Redner ist der Kollege Sven Kindler, Bündnis 90/Die Grünen.

Sven Christian Kindler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004070, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir diskutieren in dieser Haushaltswoche über die Ergebnisse der Haushaltsberatungen. Mit diesem Haushaltsentwurf vergrößern Sie die ökologische, aber auch die soziale Verschuldung in diesem Land. Deswegen lassen Sie uns leider keine andere Wahl: Auch hier und heute ist unsere Fraktion gegen Ihren Haushaltsentwurf. ({0}) - Ja, kommen wir dazu, wogegen wir sind. - Wir sind gegen Ihre Politik der sozialen Spaltung. Wir sind dagegen, dass Sie internationale Versprechen beim Klimaschutz und bei der Entwicklungszusammenarbeit brechen. Wir sind natürlich gegen Ihren Lobbyismus für die Atomindustrie. ({1}) Wir sind nicht aus Prinzip dagegen. Wir sind eine werteorientierte Partei. Wir haben andere Überzeugungen, ein anderes Menschenbild, ein anderes Politikverständnis. Wir sind natürlich auch für etwas: Wir sind für soziale Teilhabe, wir sind für 100 Prozent erneuerbare Energien, wir sind für radikalen Klimaschutz, und wir sind für globale Gerechtigkeit. Deswegen müssen wir diesen Haushaltsentwurf ablehnen. ({2}) Wir sind für eine gerechte Konsolidierungspolitik. Wir plädieren für einen Mix aus Subventionsabbau, Sparmaßnahmen und gerechten Steuermehreinnahmen. Wir haben ein gutes Konzept vorgelegt, das zeigt, wie wir die Schuldenbremse sozial und ökologisch einhalten können. Das beinhaltet, dass die Lasten gerecht verteilt werden müssen. Deswegen sind wir auch für mehr Verteilungsgerechtigkeit. ({3}) Mit Ihrem sogenannten Sparpaket kürzen Sie vor allen Dingen bei Arbeitslosen und bei armen Familien. Sie vergrößern die soziale Spaltung in diesem Land. Das ist nicht nur unsozial, sondern es ist meiner Ansicht nach auch ordnungspolitisch falsch, dass Sie Besserverdienende und Vermögende nicht belasten. Wir müssen uns ansehen, was vor der Finanzkrise passiert ist. Die Vermögenden haben von den hohen Renditen auf den Finanzmärkten profitiert und müssen jetzt auch die Konsequenzen tragen. Wir brauchen eine Vermögensabgabe, damit wir die krisenbedingte Verschuldung zurückführen können, und wir müssen den Spitzensteuersatz erhöhen. ({4}) Liebe FDP, liebe Union, nach diesen Haushaltsverhandlungen möchte ich von Ihnen nie wieder das Wort „Subventionsabbau“ hören. ({5}) In Ihrem Haushaltsentwurf sind 48 Milliarden Euro für umweltschädliche Subventionen vorgesehen. Sie wollten einen sehr kleinen Teil davon abbauen, immerhin. Dann hat aber der BDI aufgeheult, und das war es dann mit Subventionsabbau. Das ist erbärmlich. Damit befeuern Sie weiterhin den Klimawandel und behindern den sozial-ökologischen Umbau in dieser Gesellschaft. ({6}) Ich finde ebenfalls schlimm, dass wir in den letzten Wochen eine diskriminierende Debatte über Einwanderung und Migranten erlebt haben, die unter anderem von Politikerinnen und Politikern der Union betrieben wurde. Ich finde es bitter, dass Schwarz-Gelb das Programm „Soziale Stadt“ abwickeln will. ({7}) Das Programm hat einen sehr wichtigen integrativen Ansatz für arme Familien und für Menschen mit Migrationsgeschichte. Das Programm fördert gelebtes Miteinander in Problemvierteln einer Stadt. Dieses Programm wird jetzt von Schwarz-Gelb plattgemacht. Das ist nicht nur unsozial, sondern zeigt auch wieder einmal, wie kommunalfeindlich Ihre Politik ist. ({8}) Als Grüne sind wir für radikalen Umwelt- und Klimaschutz. Der Klimawandel wartet nicht, bis wir die Haushalte saniert haben. Wir müssen die Zusagen, die Frau Merkel in Kopenhagen gegeben hat, einhalten, damit wir auf dem internationalen Klimaparkett unsere Glaubwürdigkeit bewahren. Wir müssen dort „straight“ vorangehen. Gerade Deutschland als nördliches Industrieland muss seiner Verantwortung für den Klimawandel, aber auch seiner Verantwortung für den globalen Süden gerecht werden. ({9}) Ich finde, bei diesen Haushaltsverhandlungen haben wir gesehen: Schwarz-Gelb ist gegen sozialen Ausgleich, gegen Generationengerechtigkeit und gegen Klimaschutz. Hier zeigt sich leider ganz klar, wer gegen die Zukunft agiert. Vielen Dank. ({10})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das Wort erhält nun der Kollege Norbert Brackmann für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Norbert Brackmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004017, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frühere Generationen haben Vermögen geerbt oder erarbeitet, sie haben es gemehrt und dann an nachfolgende Generationen vererbt. Seit vielen Jahren betreiben wir aber das Gegenteil. Mit welchem Recht mindern wir das uns anvertraute Vermögen? Mit welchem Recht verkonsumieren wir die Zukunft unserer Kinder? Mit welchem Recht nennen wir es sozial, wenn wir nicht selbst für die Schwachen in dieser Gesellschaft einstehen, sondern die nachfolgenden Generationen den Preis unserer Geschenke zahlen lassen? ({0}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, mit dem Haushalt 2011 hören wir auf, unsere Ausgaben mehr und mehr per Kreditkarte zu finanzieren. Wir, die christlich-liberale Koalition, handeln in Verantwortung, für Gerechtigkeit, Solidarität mit den Schwachen und Chancengleichheit für alle Generationen. Dafür stehen wir. ({1}) Unsere Haushaltspolitik ist sozial gerecht. Wie Sie wissen, geben wir im Jahr 2011 jeden zweiten Euro, den der Staat einnimmt, für Sozialausgaben aus. Das heißt, jeder zweite Euro unseres gesamten Budgets geht an Rentnerinnen und Rentner, an Arbeitslose oder an Familien. Die beste soziale Leistung ist jedoch die, die man nicht erhält, weil man sie nicht benötigt. Deshalb geht es uns darum, möglichst allen Menschen einen Arbeitsplatz zu geben. Arbeit fordert Einsatz, ist Leistung und stiftet Sinn. So viele erwerbstätige Menschen wie möglich am Arbeitsleben teilhaben zu lassen, ist der Schlüssel zum Erfolg. Der Erfolg gibt uns recht. Die Zahl der Arbeitslosen ist auf unter 3 Millionen gesunken - sowohl im Moment als auch im Durchschnitt des gesamten Jahres -, und die Zahl sozialversicherungspflichtig beschäftigter Personen beträgt 41 Millionen. Das ist ein Riesenerfolg. ({2}) Das ist ein Erfolg von Arbeitgebern und Arbeitnehmern, aber auch ein Erfolg dieser Regierung. Diesen Erfolg lassen wir uns von niemandem miesmachen. ({3}) Wir haben es satt, jeden vierten Euro aus Krediten finanzieren zu müssen. Wir sind froh, dass wir mit dem Haushalt 2011 dafür sorgen, nur noch jeden sechsten Euro aus Krediten finanzieren zu müssen. ({4}) Dass die Nettokreditaufnahme um 30 Milliarden Euro geringer ausgefallen ist, als Anfang dieses Jahres erwartet wurde, bedeutet nicht, dass wir mehr Geld in der Kasse haben, sondern nur, dass wir weniger Schulden haben. Vor diesem Hintergrund haben die Grünen auf ihrem Parteitag zusätzliche Leistungen beschlossen: ({5}) in der Sozialpolitik eine kräftige Anhebung der Hartz-IVSätze, im Gesundheitswesen die Abschaffung von Praxisgebühr und Zuzahlungen und vieles mehr. ({6}) Es wären jeweils Milliardenbeträge erforderlich, um diese Vorhaben zu finanzieren. ({7}) Das ist nicht nur unsolide, sondern Sie schlagen auch den völlig falschen Weg ein. ({8}) Herr Bonde, Ihr Verhalten kommt dem eines Schiffbrüchigen gleich, der das erste Drittel des Weges zum Festland bereits hinter sich hat, das Festland vor sich sieht und dann beschließt: Ich kehre um. ({9}) Unsere christlich-liberale Politik besteht aber nicht darin, den Weg zurück auf die hohe See zu suchen. Wir wollen das Festland erreichen. Wir wollen festen Boden unter den Füßen. Mit dem Haushalt 2011 stellen wir uns auch auf neue Risiken ein. Die jüngsten Terrorwarnungen und Anschlagsversuche geben uns neue Aufgaben auf. Deshalb müssen wir unsere Sicherheit nicht nur am Hindukusch, sondern auch hier verteidigen. Wir brauchen eine wirksame Personalausstattung bei der Luftfrachtkontrolle. Den Grundstein dafür haben wir gelegt, indem wir die Möglichkeit geschaffen haben, 450 zusätzliche Mitarbeiter für die Erledigung dieser Aufgabe einzustellen. So wie wir an anderer Stelle durch intelligentes Sparen Wachstum generiert haben, wollen wir in diesem Bereich intelligente Personalpolitik betreiben. Wir denken dabei nicht nur an Mitarbeiter des Zolls, die bei der Paketkontrolle über einschlägige Erfahrungen verfügen, oder an Mitarbeiter des Verkehrsministeriums, die sich auf Flughäfen bestens auskennen, sondern auch an Soldaten, die wir in ihrer bisherigen Verwendung künftig nicht mehr benötigen. Auch ihnen gegenüber haben wir nämlich eine soziale Verpflichtung. Wir dürfen ihnen im Rahmen der Umstrukturierung der Bundeswehr nicht nur sagen: „Danke für euren Dienst für unser Land“, sondern der Staat muss auch seine Fürsorgepflicht wahrnehmen und ihnen neue Perspektiven bieten. Wenn hochqualifizierte Soldaten eine neue Verwendung finden, um Deutschland im Inneren sicherer zu machen, dann wäre dies eine große Hilfe. Insofern bin ich dankbar, dass die Koalition mit dem Haushalt 2011 in eine neue Richtung investiert und Gutes für Deutschland tut. Danke schön. ({10})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Letzter Redner zu diesem Geschäftsbereich ist der Kollege Peter Altmaier für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Peter Altmaier (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002617, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist schon ganz und gar erstaunlich: Seit Tagen diskutiert die deutsche Öffentlichkeit, diskutiert die Europäische Union über die Frage, ob Irland zum EuroRettungsschirm beitritt, und über die Frage, welche Auswirkungen das auf unsere Volkswirtschaften, auf unseren Haushalt und auf die Finanzbeziehungen in Europa hat. Nun haben wir fast zwei Stunden diskutiert, und von der vereinigten Opposition kam zu dieser Frage kein Wort. Ich kann Ihnen sagen, warum Sie geschwiegen haben: weil Sie das personifizierte schlechte Gewissen sind und weil Ihnen klar geworden ist, ({0}) dass Sie einen schweren Fehler gemacht haben, als Sie sich im Frühjahr bei der Abstimmung über den EuroRettungsschirm, der notwendig und richtig war, mit fadenscheinigen Argumenten in die Büsche geschlagen haben. ({1}) Lieber Herr Bonde, lieber Herr Kindler, der Kollege Trittin, der den Schlamassel bei Ihnen mit angerichtet und zu verantworten hat, hat sich schon gar nicht mehr hierher getraut. ({2}) Dann hätte ich ihm nämlich heute Morgen die Frage gestellt, was denn aus seinen fadenscheinigen Begründungen geworden ist. Damals hat er gesagt: Wir enthalten uns beim Euro-Rettungsschirm, weil der Text des Vertrages der Zweckgesellschaft nicht in schriftlicher Form vorliegt. - Wir haben den Text dann nachgereicht. Sie hatten keine große Kritik am Inhalt, weil er in Ordnung war. Was aber bis heute fehlt, ist eine klare Aussage von Ihnen, dass Sie es für richtig und notwendig halten, den Euro zu stabilisieren, und dass das, was die Bundesregierung in Brüssel verhandelt hat, im deutschen und im europäischen Interesse richtig war. ({3}) - Lieber Herr Bonde, mit Schreien wird es nicht besser. Beim Euro geht es nicht nur darum, dass wir die Stabilität der Währung erhalten und dass wir damit etwas für die wirtschaftliche Entwicklung in Europa tun. Der Euro ist in den zehn Jahren seines Bestehens auch zu einem Symbol des europäischen Modells der sozialen Marktwirtschaft geworden. Er ist ein weltweites Symbol unserer Wirtschaftsordnung, die sich von vielen anderen Wirtschaftssystemen, die es in der Welt gibt, abhebt. Deshalb ist es so wichtig, den Euro gegen Angriffe zu verteidigen und ihn stabil zu halten. ({4}) Ihn stabil zu halten, werden wir auf Dauer auch mit noch so vielen Rettungsschirmen nicht schaffen, sondern nur dann, wenn wir in Europa und auch in Deutschland zu einer nachhaltigen Haushalts- und Finanzpolitik kommen, die dazu führt, dass die Menschen Vertrauen in das Ausgabengebaren der öffentlichen Hand haben und dass die Währung dauerhaft stabil wird. ({5}) Die eigentliche Leistung der Bundesregierung unter der Führung von Angela Merkel und Wolfgang Schäuble ist, dass es zum ersten Mal seit Bestehen des Euro überhaupt gelungen ist, in den Verhandlungen in Brüssel und in den Gesprächen im Rahmen von G 20 zu erreichen, dass das Ziel einer nachhaltigen, stabilen Haushaltspolitik nicht als deutsche Besonderheit mit einem Lächeln abgetan wird, sondern inzwischen von unseren wichtigen Partnerstaaten - nicht nur den Niederlanden, Luxemburg, Dänemark und Österreich, sondern auch von unseren französischen Freunden und von den Vereinigten Staaten von Amerika - anerkannt worden ist, und dass wir zum ersten Mal dabei sind, die weltweiten Finanzbeziehungen so zu ordnen, dass eine Chance darauf besteht, dass wir in den nächsten Jahren den Weg aus dem Schuldenmachen und aus der Inflationsmentalität gemeinsam finden können. ({6}) Das ist auch das große Verdienst bei diesem Bundeshaushalt, den wir in dieser Woche verabschieden. Der Kollege Schneider hat versucht, sechs oder sieben verschiedene Punkte der Kritik anzubringen. Man hat Ihnen bei Ihrer Suche nach dem roten Faden gerne zugehört. Sie haben ihn aber nicht gefunden, und zwar deshalb nicht, weil wir mit diesem Haushalt genau die Stabilitätsphilosophie umsetzen, die Sie als junger Wilder in der SPD vor 10, 12 oder 13 Jahren eingefordert haben, die aber nie umgesetzt worden ist. Ich kann mich daran erinnern, wie es war, als Gerhard Schröder einen Aufschwung von der Vorgängerregierung geerbt hatte, durch den unerwartete Mehreinnahmen in die Kassen gespült wurden, und als Oskar Lafontaine und Hans Eichel das ganze Geld dann für Strohfeuer ausgegeben haben, für Maßnahmen, die nicht nachhaltig waren. Als 2002 die Wirtschaftskrise kam, haben Sie die Euro-Kriterien in einer Art und Weise verletzt, wie das noch nicht einmal in der jetzigen Wirtschaftskrise geschehen ist. Deshalb sage ich Ihnen: Mit diesem Haushalt, zu dem Ihnen der Präsident der Deutschen Bundesbank gestern bestätigt hat, dass wir in diesem Jahr sogar die Chance haben, ganz nahe an die Einhaltung der Maastricht-Kriterien heranzukommen, ({7}) haben wir nach 40 Jahren, in denen die Haushalte nie ausgeglichen werden konnten und in denen sich die Versprechungen allen Parteien im Nachhinein als nicht haltbar erwiesen haben, zum ersten Mal so etwas wie einen Paradigmenwechsel erreicht und zum ersten Mal eine Entwicklung eingeleitet, die dazu führt, ({8}) dass das Einhalten der Schuldenbremse im Jahre 2016 wahrscheinlich wird. Dass dies gelungen ist, ist das Verdienst der Politik des Bundesfinanzministers Wolfgang Schäuble und das Verdienst dieser Koalition. Das wird überall im Land anerkannt, nur nicht von Ihnen hier in den ersten Reihen der Opposition. Es wird Ihnen aber nichts nützen, weil die Zahlen klar und deutlich sind und weil durch die Zahlen belegt wird, dass wir mit der Politik der Haushaltskonsolidierung und mit einer neuen, nachhaltigen Finanz- und Wirtschaftspolitik Ernst machen. ({9}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, der Kollege Brackmann hat es eben in sehr klarer und deutlicher Weise gesagt: Wir alle haben mit Interesse auf den Parteitag der Grünen geschaut. Es gab einmal eine Zeit, in der sich die Grünen in der öffentlichen Debatte viel Respekt erworben hatten, weil sie den Mut hatten, sich bei bestimmten Fragen von alten ideologischen Positionen zu verabschieden und an das anzunähern, was aufgrund der Realitäten notwendig und geboten war. Im Augenblick verläuft die Entwicklung bei Ihnen allerdings genau umgekehrt. Egal ob es um die Haushaltspolitik, die Sozialpolitik oder die Umweltpolitik geht, egal, welche Detailfrage man nimmt: Die Grünen sind im Augenblick durch den Rausch der Umfragen dabei, jede Bodenhaftung zu verlieren. ({10}) Genau das werden Sie bei den anstehenden Wahlen zu spüren bekommen. Der Kollege Kuhn selbst hat darauf hingewiesen, wie problematisch es ist, wenn eine Partei, die den Anspruch erhebt, die SPD als zweite Volkspartei abzulösen, eine Politik macht, die mit den Realitäten nichts mehr zu tun hat, den Menschen immer nur nach dem Mund redet und niemals den Mut hat, auch einmal gegen Stimmungen und momentane Befindlichkeiten Positionen zu vertreten, die im Interesse des Gemeinwesens richtig sind. ({11}) Diese Auseinandersetzung werden wir mit Ihnen führen - nicht nur über Stuttgart 21 und nicht nur über moderne Elektrizitätsinfrastruktur, sondern in allen Politikbereichen. ({12}) Wir sind überzeugt, dass wir von den Wählern ein klares Mandat ({13}) für eine Politik im Interesse der Zukunftsfähigkeit unseres Landes bekommen werden. Vielen Dank. ({14})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zu den Abstimmungen, und zwar zunächst zu der Abstimmung über den Einzelplan 08 - Bundesministerium der Finanzen - in der Ausschussfassung. Hierzu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion Die Linke vor, über den wir zunächst abstimmen. Wer stimmt für den Änderungsantrag auf der Drucksache 17/3818? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich der Stimme? - Damit ist der Änderungsantrag abgelehnt. Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Einzelplan 08 in der Ausschussfassung. Wer stimmt für diese Fassung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? Damit ist der Einzelplan 08 mit der Mehrheit der Koalition angenommen. Wir stimmen nun über den Einzelplan 20 - Bundesrechnungshof - in der Ausschussfassung ab. Auch hier darf ich diejenigen, die dieser Fassung zustimmen wollen, um das Handzeichen bitten. - Wer möchte sich enthalten oder dagegen stimmen? - Das ist beides nicht der Fall. Damit ist der Einzelplan 20 einstimmig angenommen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt I.5 auf: Einzelplan 11 Bundesministerium für Arbeit und Soziales - Drucksachen 17/3511, 17/3523 Berichterstattung: Abgeordnete Axel E. Fischer ({0}) Dr. Claudia Winterstein Dr. Gesine Lötzsch Zum Einzelplan 11 liegen zwei Änderungsanträge der SPD-Fraktion, zwei Änderungsanträge der Fraktion Die Linke sowie vier Änderungsanträge der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor. Über einen Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen werden wir später namentlich abstimmen. Weiter gibt es einen Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, über den wir am Freitag im Anschluss an die Schlussabstimmung abstimmen werden. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll auch diese Aussprache 90 Minuten dauern. - Ich höre dazu keinen Widerspruch. Dann können wir so verfahren. Ich eröffne die Aussprache und erteile zunächst der Kollegin Bettina Hagedorn für die SPD-Fraktion das Wort. ({1})

Bettina Hagedorn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003545, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Als Hauptberichterstatterin für den Einzelplan des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales, der auch 2011 mit gut 131 Milliarden Euro knapp 43 Prozent der Gesamtausgaben umfasst, möchte ich mich zu Beginn dieser Debatte, stellvertretend für alle, bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern Ihres Ministeriums, Frau von der Leyen, für die Zusammenarbeit in den vergangenen harten Verhandlungswochen bedanken. Sie haben unsere Anfragen zügig und umfassend sowohl in den Berichterstattergesprächen wie auch schriftlich beantwortet und uns damit die Arbeit in dieser komplexen Materie von Arbeitsmarkt und Rente sehr erleichtert. Mein Dank gilt ebenso ausdrücklich den Mitarbeitern des Bundesrechnungshofs, der Bundesagentur für Arbeit, des Finanzministeriums und natürlich des Haushaltsausschusssekretariats. Das sage ich hier sicherlich in Übereinstimmung mit den vier Kollegen bzw. Kolleginnen aus allen Fraktionen im Haushaltsausschuss. Dieser Einzelplan des Bundeshaushalts wird wie kein anderer Etatbereich geprägt einerseits von den unsozialen, milliardenschweren Kürzungen zulasten von Langzeitarbeitslosen und von dem Abschied aus einer verlässlichen aktiven Arbeitsmarktpolitik unter Streichung des Übergangsgeldes ({0}) im Umfang von insgesamt über 2,2 Milliarden Euro, zulasten von jungen Eltern im Arbeitslosengeld-II-Bezug mit ihren Neugeborenen durch die Streichung des Elterngeldes von 300 Millionen Euro und zulasten einer stabilen Rentenrücklage, in die Sie nun Jahr für Jahr ein Loch von über 2 Milliarden Euro reißen und so künftig Beitragserhöhungen auf dem Rücken von Arbeitnehmern und Arbeitgebern provozieren werden. ({1}) Andererseits bildet dieser Etat wie kein anderer die sich in diesem Jahr rasant verbessernde konjunkturelle Entwicklung gegenüber dem Regierungsentwurf aus dem Frühsommer mit milliardenschweren Einsparungen ab. Es kommen hier also zwei Dinge zusammen, die nichts miteinander zu tun haben und darum in der Analyse und der Bewertung dieses Etats sauber voneinander getrennt werden müssen. Sie von Schwarz-Gelb hingegen vermischen bewusst diese beiden Aspekte, um Ihren unsozialen Kahlschlag im Bereich aktiver Arbeitsmarktpolitik zulasten von Langzeitarbeitslosen und ihren Familien mit konjunkturellen Einsparungen zu kaschieren. Wir haben es mit erfreulichen konjunkturellen Einsparungen zu tun, die Sie bei den Haushaltsberatungen nur teilweise eingearbeitet haben - die Schuldenbremse lässt grüßen - und die Ihnen in diesem Etat noch einen milliardenschweren Puffer für 2011 bescheren werden. Die 1,1 Milliarden Euro habe ich hier schon angesprochen, Herr Finanzminister. Ich will etwas zu der Begründung sagen, die Sie hier vorgebracht haben. Am 22. November titelte das Handelsblatt: Schäuble holt sich Insolvenzgeld. Der Minister drückt sein Etatdefizit und greift dazu in einen heiklen Beitragstopf. - Dazu haben Sie vorhin unzureichend Stellung bezogen. Denn Sie haben gesagt, dass man ein bestehendes Gesetz - Sie meinten das Sozialversicherungs-Stabilisierungsgesetz nicht rückwirkend ändern sollte. Es ist zwar richtig, dass wir parteiübergreifend Gesetze immer dann nicht rückwirkend ändern, wenn wir Betroffene, die davon belastet würden, schützen wollen. In diesem Fall verhält es sich aber anders. Indem Sie das Sozialversicherungs-Stabilisierungsgesetz, das Sie übrigens mit Schwarz-Gelb alleine gegen die Stimmen der Opposition beschlossen haben, nicht anpassen, schützen Sie nur eines, nämlich eine um 1,1 Milliarden Euro verbesserte Jahresrechnung 2010. Frau von der Leyen, ich weiß nicht, wie Sie das mit sich selbst ausmachen; denn im Haushaltsauschuss haben Sie gesagt, zwischen Sie und das BMF passe in dieser Frage kein Blatt Papier. Ich frage mich, wie Sie diese 1,1 Milliarden Euro, die nicht paritätisch finanziert sind und jetzt sozusagen eingesackt werden, um die Jahresrechnung zu verbessern, begründen werden. Denn richtig ist: Das Geld wird letzten Endes von der BA 2011 mit einem Darlehen - und damit von den Beitragszahlern finanziert - bereitgestellt werden müssen. Außer mit den konjunkturellen Einsparungen haben wir es auch mit massiven strukturellen Kürzungen in Höhe von mehreren Milliarden Euro zu tun, die Sie sehr gezielt nicht nur zulasten der betroffenen Menschen, sondern auch zulasten der ohnehin finanziell gebeutelten Kommunen insbesondere in strukturschwachen Regionen unseres Landes vornehmen. Dieser soziale Kahlschlag trifft regional vor allem Berlin selbst und alle östlichen Bundesländer. Er trifft die Städte im Norden und strukturschwache Flächenkreise auch im Westen und verschont lediglich Bayern und Baden-Württemberg. Ich habe Ihnen eine Karte mitgebracht, die ich Ihnen schon früher einmal gezeigt habe. Man kann sie sich nicht oft genug anschauen. Sie zeigt farblich eindeutig, wo Sie mit Ihren sozialen Kürzungen zuschlagen und wer im unteren Bereich mit einem blauen Auge davonkommt. ({2}) - Diese Landkarte der Paritätischen Forschungsstelle ist kein Schmarrn. Sie war auch Gegenstand der Anhörung im Haushaltsausschuss zum Haushaltsbegleitgesetz. Ich denke, das wissen Sie. ({3}) Diese Landkarte macht die regionale soziale Schieflage deutlich und zeigt, dass Ihr vermeintliches Sparpaket starke Regionen mit positiver wirtschaftlicher Entwicklung, Betrieben auf Erfolgskurs und einer Arbeitslosenquote nahe der Vollbeschäftigung mit einem blauen Auge davonkommen lässt, aber strukturschwache Regionen mit Betrieben in kränkelnden Branchen, einer extrem hohen Arbeitslosenquote bei in der Regel leeren kommunalen Kassen mit voller Wucht trifft, und zwar viermal so stark wie die Boomregionen. ({4}) Sie von Schwarz-Gelb benachteiligen damit die strukturschwachen Regionen noch weiter in ihrer Entwicklung. ({5}) Sie vertiefen bestehende Gräben und verletzen das Ziel des Bundes, über das wir parteiübergreifend Konsens hatten, nämlich dass wir in Deutschland vergleichbare Lebensbedingungen durch gezielte Strukturhilfe des Staates anstreben. Das ist nicht nur eine katastrophale Arbeitsund Sozialpolitik, ({6}) sondern vor allem auch eine katastrophale Bildungs- und Regionalpolitik. ({7}) Die Interessen der Kommunen und damit die Lebensqualität der Menschen in der Fläche kommen bei Ihnen nur in Sonntagsreden vor. Montags bis freitags machen Sie still und klammheimlich das genaue Gegenteil. Sie offenbaren damit endgültig: Schwarz-Gelb hat auch in der Kommunal- und Regionalpolitik jeden Kompass für Gerechtigkeit und Solidarität verloren. ({8}) Im Gegensatz zu Ihnen von Schwarz-Gelb haben wir Sozialdemokraten im Rahmen der Haushaltsberatungen gezielt Anträge eingebracht, die alle solide gegenfinanziert sind. Mein Kollege Carsten Schneider hat das schon vorgetragen. Wir treten den Beweis an, dass beides möglich ist: seriöse Haushaltskonsolidierung in der Verantwortung für künftige Generationen bei gleichzeitiger Erhöhung der Investitionen gerade im Bereich der aktiven Arbeitsmarktpolitik, Qualifizierung gegen den Fachkräftemangel und Umschulung und Weiterbildung zur erfolgreichen Rückkehr in den ersten Arbeitsmarkt für Jüngere wie Ältere, die wieder eigenständig von ihrer Arbeit leben wollen und sollen. Dabei ist ein Mindestlohn von 8,50 Euro entscheidend. Es kommt nicht nur darauf an, Arbeit zu haben. Entscheidend ist auch, dass jemand, der in Vollzeit arbeitet, davon auch menschenwürdig leben kann. ({9}) Es stellte eine gewaltige Verbesserung in diesem Etatbereich dar, wenn wir nicht mehr so viele Aufstocker in Deutschland hätten, weil sie von ihrem Lohn ohne Transfers leben könnten. Stichwort Bildungspaket im Rahmen des Bundesverfassungsgerichtsurteils. Obwohl wir uns noch in den Verhandlungen befinden, möchte ich für die SPD eines deutlich sagen: Frau Ministerin von der Leyen, wie wir wissen, werden im Schnitt nur 20 Prozent der Kinder in Deutschland von den von Ihnen geplanten Gutscheinen - Sie haben nur noch sechs Wochen, um das alles umzusetzen - profitieren, zum Beispiel bei der Finanzierung des Mittagessens oder des Nachhilfeunterrichts; denn die Infrastrukturen in den Ländern - das hat auch etwas mit der Grundausstattung der Kommunen zu tun - sind sehr unterschiedlich. Wir wollen als Sozialdemokraten zusammen mit den Ländern und Kommunen deutlich mehr für die frühkindliche Bildung, für eine verbesserte Infrastruktur - von der Krippe über den Kindergarten bis zum Schulabschluss - überall in unserem Land tun. Ganztags und flächendeckend, das ist das Ziel. Das, was Sie in diesem Haushalt dafür bereitstellen, ist in Wahrheit eindeutig zu wenig. Hinzu kommt: In den ländlichen Regionen unseres Landes - ich komme aus einer solchen in Schleswig-Holstein - wird noch viel weniger ankommen als in den städtischen Regionen, wo die Infrastruktur nicht gut, aber besser ist als auf dem flachen Land und wo man über einen funktionierenden ÖPNV verfügt. Frau Ministerin von der Leyen, in den ländlichen Regionen, wo die Eltern der Kinder, über die wir hier sprechen, Arbeitslosengeld II beziehen und in der Regel über kein Fahrzeug verfügen, weil sie sich die hohen Spritkosten, die nicht erstattungsfähig sein sollen, nicht leisten können, und wo es keinen funktionierenden ÖPNV gibt, schaffen wir so ganz gewiss keine Teilhabe im Bildungsbereich. ({10}) Über 10 Prozent jedes Jahrganges in Deutschland gehen ohne Schulabschluss und ohne Ausbildung in den Arbeitsmarkt. Mehr als die Hälfte aller Langzeitarbeitslosen hat weder einen Schulabschluss noch eine Ausbildung. Das ist die Herausforderung, vor der wir gemeinsam stehen. Darauf gibt dieser Haushalt keine erkennbare Antwort. Wer sich erfolgreich diesen Schwerpunktaufgaben des Bundes stellen will, der darf vor allem die Finanzsituation der Städte und Gemeinden wie der Kreise nicht aus den Augen verlieren; denn dort finden Bildung und Integration von Kindern und Jugendlichen - auch mit erhöhtem Förderbedarf - statt. Dort findet die Stabilisierung der Persönlichkeit junger Menschen statt. Die Förderung findet eben nicht statt, wenn dort die Kassen leer sind. Wir Sozialdemokraten haben deshalb beantragt, alle Kürzungen in Ihrem Sparpaket - unter anderem die Kürzungen in Höhe von 1,3 Milliarden Euro im Eingliederungstitel - rückgängig zu machen. Wie gesagt, alle unsere Anträge sind solide gegenfinanziert. Aber leider haben Sie alles abgelehnt. Wir haben auch beantragt, den Kommunen zusätzlich 400 Millionen Euro zur Deckung der Kosten der Unterkunft bereitzustellen. Das haben wir leider vergeblich beantragt, genauso wie die Aufstockung der Beteiligung des Bundes an der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung um 300 Millionen Euro. Auch das haben Sie leider abgelehnt. Ganz besonders schlimm, Frau Ministerin von der Leyen, ist die Streichung des Elterngeldes für Hartz-IVEmpfänger. ({11}) Auch wenn Sie sich rühmen, hier nachgebessert zu haben, bleibt das für mich ein Skandal. Gemeinsam mit Ihnen, Frau von der Leyen, haben wir in der Großen Koalition das Elterngeld ausdrücklich auch für Familien im Arbeitslosengeld-II-Bezug eingeführt. Es ist eine Schande, dass ausgerechnet Sie diesen Familien mit Neugeborenen nun 3 600 Euro im Jahr wegnehmen und gleichzeitig in Sonntagsreden die Kinderarmut in Deutschland fadenscheinig beklagen. ({12})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Frau Kollegin, Sie kommen zum Schluss?

Bettina Hagedorn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003545, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Jawohl, ich komme zum Schluss. Es ist ein Trauerspiel, wie bei Ihnen Anspruch und Wirklichkeit auseinanderklaffen. Bis 2014 summieren sich die Kürzungen der Koalition bei Arbeit und Soziales auf über 30 Milliarden Euro. Sie treffen ganz überwiegend Arbeitsuchende, Alleinerziehende und behinderte Menschen. Das zeugt nicht nur von einer sozialen Schieflage. Vielmehr schwächen Sie damit auch die Binnenkaufkraft und den Konsum.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Frau Kollegin!

Bettina Hagedorn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003545, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sie haben das große Ganze aus dem Blick verloren, sowohl bei der sozialen Gerechtigkeit als auch bei der Konsolidierung des Haushaltes. Es gibt viele Gründe, warum die SPD diesem Arbeits- und Sozialhaushalt nicht zustimmen kann, es gibt keine dafür. ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Der Kollege Axel Fischer hat jetzt das Wort für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Axel E. Fischer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003118, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Frau Kol7966 Axel E. Fischer ({0}) legin Hagedorn, Sie haben einiges dargelegt, wovon ich eines aufgreifen möchte; der Kollege Barthle hat dazu zu Recht einen Zwischenruf gemacht. Ihnen scheint entgangen zu sein, dass in diesem Haushalt 10 Millionen Euro mehr für regionale Strukturförderung vorgesehen sind. Ich würde sagen, da Sie die Kommunen ansprechen: Das haben wir gut hinbekommen; das ist ein wichtiger Punkt. - Dafür hätte ich Ihre Unterstützung erwartet. Mit dem Haushalt, den wir nun in zweiter und dritter Lesung beraten, legt die christlich-liberale Koalition ein Meisterstück vor. ({1}) Er ist ein Meisterstück, weil erstens gezeigt wird, dass die Wirtschafts- und Finanzkrise gemeistert wurde. Die Grundlage dafür wurde in der Großen Koalition gelegt. Es war die Koalition der SPD und der Union, die richtungsweisende Entscheidungen getroffen und die Grundlagen gelegt hat, die jetzt von der christlich-liberalen Koalition weiterentwickelt werden. Es ist nur schade, liebe Frau Kollegin Hagedorn, liebe Kolleginnen und Kollegen der SPD-Fraktion, dass Sie sich Stück für Stück von diesen richtigen Entscheidungen verabschieden. Ihre sozialpolitischen Vorstellungen haben mit dem, was Sie in der Großen Koalition mitgemacht haben, nicht besonders viel zu tun. ({2}) Wir sind gut aus der Krise herausgekommen. Es gibt weniger als 1 Million Arbeitslose, die in den Bereich des Sozialgesetzbuches III fallen. Das heißt, wir sind quasi auf dem Weg zur Vollbeschäftigung. Diese Erfolge lassen wir uns von Ihnen nicht kaputtreden. ({3}) Dazu ein Beispiel: Die Politik hat mit dem Kurzarbeitergeld eine wichtige Maßnahme auf den Weg gebracht. Unternehmer und Arbeitnehmer, Gewerkschaften und Arbeitgeber haben dieses Instrument vertrauensvoll und verantwortlich genutzt. Das ist einer der Gründe dafür, dass wir jetzt gut aus der Krise herausgekommen sind. ({4}) Der Haushalt ist auch ein Meisterstück, weil wir die Schuldenbremse eingehalten haben. Die Ausgaben im Haushalt für Arbeit und Soziales sind von 143 Milliarden Euro im Jahr 2010 auf unter 132 Milliarden Euro zurückgegangen, und zwar dank der positiven wirtschaftlichen Entwicklung. Die Schulden von heute müssen zukünftige Generationen bezahlen. Ich kann nur den Kollegen Brackmann zitieren, der vorhin zu Recht gesagt hat: Mit welchem Recht verkonsumieren wir die Zukunft unserer Kinder? - Die Bundesregierung ist auf dem richtigen Weg. Die Schuldenbremse ist für uns entscheidend, und diese muss eingehalten werden. Der Haushalt ist auch deshalb ein Meisterstück, weil wir damit die Zukunft meistern. In erster Linie beziehe ich mich dabei auf das Thema „Kinder und Ausbildung“. Diese Koalition hat es geschafft, 12 Milliarden Euro in einem zusätzlichen Paket für den Bereich Bildung in den nächsten Jahren vorzusehen. Im Bereich Arbeit und Soziales haben wir ein Bildungspaket für Kinder, deren Eltern Hartz IV beziehen, auf den Weg gebracht, das 600 Millionen Euro mehr für Lernförderung, Schulbedarf und vieles mehr umfasst. Damit setzen wir an dem entscheidenden Punkt an, nämlich bei den Kindern aus den erwähnten Familien. Es ist wichtig, dass wir dafür sorgen, dass auch die Arbeitskräfte von morgen entsprechend ausgebildet werden. Wir brauchen darüber hinaus eine Bewusstseinsstärkung: Wer arbeitet, muss mehr haben als der, der nicht arbeitet; ({5}) das muss unsere Devise sein. ({6}) Wenn wir unseren Wohlstand erhalten wollen, darf Leistungsgerechtigkeit nicht zum Fremdwort verkommen. Weil Sie dazu einiges gesagt haben, möchte ich aus einer E-Mail zitieren, die mir vor einigen Tagen aus meinem Wahlkreis zuging. Mit Erlaubnis der Präsidentin zitiere ich: Die Diskussion über Hartz IV geht mir echt auf den Keks. Wofür und warum sollen meine Frau und ich überhaupt arbeiten gehen? Um die Demos der Leute zu bezahlen, die sich weder an Verträge noch an Gesetze halten, sinnlos demonstrieren gehen und keine Lust haben, zu arbeiten? ({7}) Bleiben wir zu Hause, haben wir nahezu das Gleiche. Wofür sechs Tage in der Woche arbeiten? Die Leute, die länger arbeitslos sind, sollten Lebensmittelmarken bekommen, nicht Geld für Fernseher, Telefon, Wohnung, Internet …

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Fischer.

Axel E. Fischer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003118, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Das bezahle ich alles selber. Irgendwann ist mal gut mit Sozialstaat! Ganz zu schweigen von Kippen und Alkohol. Noch nebenher schwarzgearbeitet, und die Welt ist in Ordnung. Ich spreche dies deshalb an, weil es entsprechende Überlegungen und Stimmungen im Land gibt.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Kollege Fischer?

Axel E. Fischer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003118, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Wir müssen dafür sorgen, dass es eine Akzeptanz für das, was wir im Sozialbereich tun, gibt. Gerade vor diesem Hintergrund sind die Entscheidungen, die Sie auf Axel E. Fischer ({0}) dem Grünenparteitag getroffen haben, absolut unverantwortlich. ({1})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Fischer, würden Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Heil zulassen?

Axel E. Fischer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003118, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Nein, ich möchte im Zusammenhang vortragen. Wir müssen dafür sorgen, dass die Akzeptanz staatlicher Hilfen auch in der Bevölkerung vorhanden ist, dass die, die das Geld für diese Hilfen erwirtschaften - die Menschen, die täglich arbeiten gehen: der Facharbeiter, die Krankenschwester, der kleine Selbstständige, der Landwirt, der Handwerker -, akzeptieren, dass man auch für die Empfänger staatlicher Hilfe etwas tun muss. Außerdem sagen wir: Staatliche Hilfe ist in erster Linie Hilfe zur Selbsthilfe. ({0}) Deshalb nehmen wir die Eingliederung ins Berufsleben so ernst. Wir haben die Eingliederungstitel in den letzten Jahren sukzessiv erhöht. Wir hatten im Jahr 2006 im Bereich des SGB II 2,8 Millionen Arbeitslose, und 4,5 Milliarden Euro standen für konkrete Projekte zur Verfügung. Im Jahr 2010 werden im Bereich des SGB II bei 2 Millionen Arbeitslosen etwa 6,1 Milliarden Euro ausgegeben. Sie sehen daran, dass wir hier bei sinkender Arbeitslosenzahl massiv Geld investiert haben, weil es uns wichtig ist, Arbeitslosen die Möglichkeit zu geben, ins Berufsleben zurückzukehren. Wir werden nächstes Jahr eine Instrumentendebatte zu diesem Thema führen. Ich glaube, es ist richtig und vernünftig, dass wir hier einiges auf den Weg bringen und uns im Frühjahr mit diesem Thema beschäftigen. Weniger als 1 Million Arbeitslose, die Arbeitslosengeld I beziehen - das zeigt den Weg Richtung Vollbeschäftigung. Folglich stellen sich dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales neue Aufgaben. Wir haben in der Bereinigungssitzung bewusst Geld in die Hand genommen, um Ausgaben für Maßnahmen zur Sicherung des Arbeitskräftebedarfs im Haushalt dieses Ministeriums festzuschreiben. 1,6 Millionen Euro ist uns diese Aufgabe wert. Ich glaube, die damit verbundene Entscheidung unserer Koalition war richtungsweisend. ({1}) Der vorgelegte Haushalt der christlich-liberalen Koalition ({2}) zeigt in die richtige Richtung. Er zeigt, dass wir sowohl die Schuldenbremse einhalten als auch auf die Zukunft bauen, und das ohne Kürzungen bei der Rente. Wir haben den Beitrag, den wir für die Rente vorgesehen haben, sogar noch einmal erhöht. Selbst die Hartz-IV-Sätze werden steigen und nicht sinken. Sie sehen also: Der Haushalt ist sozial ausgewogen. Er ist zukunftsorientiert. 600 Millionen Euro mehr für die Bildung der Kinder ist ein guter Betrag. Ich möchte abschließend meinen herzlichen Dank vor allem der Hauptberichterstatterin Bettina Hagedorn sagen. Sie hat in der Debatte sehr richtungsweisend mit vielen Fragen dafür gesorgt, dass man viele Hintergründe erfahren hat. Danken möchte ich aber auch allen anderen Berichterstatterinnen und Berichterstattern und natürlich der Bundesregierung, insbesondere der Ministerin von der Leyen und Herrn Staatssekretär Fuchtel, die mit Rat und Tat immer zur Seite standen und Fragen beantwortet haben, und sämtlichen Mitarbeitern im Ministerium. Außerdem danke ich Finanzminister Wolfgang Schäuble und Staatssekretär Kampeter, die uns immer zur Verfügung standen und uns bestens beraten haben. Herzlichen Dank. ({3})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Zu einer Kurzintervention gebe ich das Wort dem Kollegen Hubertus Heil.

Hubertus Heil (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003142, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr Kollege, ich habe mich zu Wort gemeldet, weil ich das, was Sie vorhin mit dem Zitat aus der E-Mail aus Ihrem Wahlkreis zu suggerieren versucht haben, für am Rande des Erträglichen halte. Ich will Ihnen auch sagen, warum. Wir alle als Abgeordnete des Deutschen Bundestags bekommen Briefe, die unterschiedliche Stimmungen beinhalten, die man aufnehmen muss. Ich interessiere mich aber auch dafür, Herr Kollege Fischer, was Sie den Menschen antworten. ({0}) Es kann doch nicht sein, dass Sie sich hier hinstellen und langzeitarbeitslose Menschen gegen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer - an dieser Stelle gegen Geringverdiener - ausspielen. Das nenne ich schäbig. ({1}) Ich will Ihnen auch sagen, warum. In dem von Ihnen zitierten Brief wird Menschen, die langzeitarbeitslos sind, das Recht auf Demonstrationsfreiheit abgesprochen. In dem Brief, den Sie angesprochen haben, wird dafür plädiert, Menschen, die langzeitarbeitslos sind, nur Lebensmittelmarken zu geben. Können Sie vielleicht den geringverdienenden Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern in Deutschland erzählen, dass das Bundesverfassungsgericht gerade entschieden hat, dass vom Staat ein menschenwürdiges Existenzminimum sichergestellt werden muss und dass Lohnabstand - das ist die Konsequenz daraus - nur über die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohnes in Deutschland möglich ist, den Sie den Menschen verweigern? Sie machen das gleiche Spiel wie Hubertus Heil ({2}) Guido Westerwelle: Arme gegen Arbeitnehmer ausspielen. Das nenne ich schäbig. Sie können das - durch Unterlassung in Sachen Mindestlohn - in diesem Land noch jahrelang weiter treiben; aber Sie werden nur die Menschen gegeneinander aufhetzen und kein Problem für arbeitende Menschen in diesem Land lösen. Deshalb finde ich es schäbig, was Sie hier gemacht haben. Das sollten Sie zurücknehmen, Herr Fischer. ({3})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Zur Beantwortung der Kollege Fischer.

Axel E. Fischer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003118, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Heil, zum Ersten ist die Art und Weise, wie Sie sich hier hinstellen, meiner Ansicht nach nicht in Ordnung. ({0}) Zum Zweiten geht es darum, dass wir Akzeptanz für das schaffen müssen, was in dem Bereich bezahlt wird. Wir brauchen einen breiten gesellschaftlichen Konsens. Es darf eben nicht passieren, dass Gruppen gegeneinander ausgespielt werden. ({1}) Das ist der entscheidende Punkt. Das geht nur, wenn es in der breiten Mehrheit der Bevölkerung eine Akzeptanz dafür gibt, dass den Menschen auch entsprechend geholfen wird. Darum geht es in diesem Punkt. Darin, glaube ich, sollten wir uns einig sein. ({2})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Das Wort hat Klaus Ernst für die Fraktion Die Linke. ({0})

Klaus Ernst (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003753, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Fischer, das, was Sie gerade gemacht haben, ist wirklich der Gipfel der Demokratie. Sie tun ja so, als hätten Sie tatsächlich ein Interesse daran, dass die Menschen in diesem Lande Ihre Politik gut finden. Beim Thema Mindestlohn ist deutlich sichtbar, dass die Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger einen Mindestlohn will. Sie führen ihn trotzdem nicht ein. Bei der Rente, Frau von der Leyen, haben wir genau das Gleiche. Die Mehrheit der Bürger will bei der Rente mit 65 bleiben und nicht bis 67 arbeiten müssen. ({0}) Das interessiert Sie doch überhaupt nicht. Sie setzen eine Politik gegen die Bürgerinnen und Bürger des Landes durch. Das ist die Wahrheit, und zu der sollten Sie dann auch stehen. ({1}) Zum Haushalt. Sie könnten die Einnahmen in unserem Lande deutlich verbessern; auch das gehört zum Thema Mindestlohn. Frau von der Leyen, seit 2005 haben wir 50 Milliarden Euro dafür ausgegeben, Löhne in diesem Lande aufzustocken. Warum? Weil offensichtlich Ihre Partei und Sie in dieser Regierung nicht bereit sind, einen Mindestlohn einzuführen, sodass wieder eintritt, was wir gerade diskutiert haben, nämlich dass die Menschen, die arbeiten, mehr haben als die, die nicht arbeiten. ({2}) Sie machen es genau andersherum. Sie versuchen, die Sozialleistungen so weit nach unten zu drücken - das ist auch Ergebnis dessen, was Sie als Haushalt vorlegen -, dass die Löhne weiter sinken können, dass es immer weiter sozusagen nach unten geht. Das ist das Ergebnis Ihrer Politik und Ihres Haushaltes. Ich will es noch einmal deutlich sagen: Jeder Lohn unter 7,21 Euro, den Sie zulassen, Frau von der Leyen, weil Sie keinen gesetzlichen Mindestlohn einführen, führt dazu, dass derjenige, der in Vollzeit arbeitet, seinen Lohn aufstocken muss. Das heißt, Sie akzeptieren Löhne zulasten Dritter, nämlich zulasten des Steuerzahlers. Das halte ich für verwerflich. Es kann nicht sein, dass diese Regierung Löhne zulasten Dritter akzeptiert. Das, was Sie hier machen, ist aus meiner Sicht sittenwidrig. ({3}) Stattdessen machen Sie alles, um die Lohnbremsen, die wir in unserer Gesetzgebung haben, weiter zu schützen. Lohnbremsen sind haushaltspolitisch relevant; denn hätten wir sie nicht, hätten wir aufgrund höherer Löhne Mehreinnahmen bei den Sozialkassen und selbstverständlich auch höhere Steuereinnahmen. Von welchen Lohnbremsen rede ich? Ich rede zum Beispiel darüber, dass wir inzwischen fast 900 000 Leiharbeitnehmerinnen und Leiharbeitnehmer haben. Es wäre ein Leichtes für Sie - das würde nichts kosten, Frau von der Leyen -, endlich ein Gesetz in diesem Land durchzusetzen, sodass „gleicher Lohn für gleiche Arbeit“ gilt. Davon sind wir in unserem Land aber himmelweit entfernt. ({4}) Sie reden hier immer gern von einem Klebeeffekt. Wir wissen aber, dass nur etwa 7 Prozent der Leiharbeitnehmer im Anschluss tatsächlich eine vernünftige Arbeit in dem Betrieb, in dem sie beschäftigt waren, bekommen. Insofern können Sie das doch nicht als Beispiel nehmen, um Leiharbeit zu legitimieren. Ich bleibe dabei: Leiharbeit führt dazu, dass die Löhne in unserem Land sinken, weil Menschen mit gleicher Arbeit bis zu 40 oder gar 50 Prozent weniger verdienen. Das müssen Sie abstellen, Frau von der Leyen. Das ist unsere Auffassung. ({5}) Ein weiterer Punkt, der damit in Zusammenhang steht, ist die Frage der Befristung. Frau von der Leyen, können Sie wirklich akzeptieren, dass inzwischen 40 Prozent der unter 25-Jährigen nur noch befristete Arbeitsplätze haben? ({6}) Ist es nicht sinnvoll und richtig, möglichst rasch die Befristungsmöglichkeiten so zu regeln, dass die Menschen auch wieder eine Zukunft haben, wenn sie ausgelernt haben? Ich kann übrigens das Gerede vom Facharbeiterund Fachkräftemangel in diesem Lande wirklich nicht mehr hören. Wenn es diesen gäbe, dürften die Menschen doch nicht überwiegend nur befristete Arbeitsverhältnisse bekommen. Da ist doch ein Argument faul; ansonsten müsste es ja zu Daueranstellungen kommen. ({7}) Die neueste Zahl von heute vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung besagt: 49 Prozent der in 2009 Neueingestellten haben nur noch eine befristete Stelle bekommen. Ändern Sie das! Wenn sich wieder mehr Menschen bereit erklären sollen - Ihre Politik war ja auch darauf gerichtet -, eine Familie zu gründen, dann darf es nicht nur um das Elterngeld, das ja schön und gut ist, gehen. Dann muss es auch darum gehen, insbesondere jungen Menschen Aussicht auf Zukunft zu geben. Damit haben sie die Möglichkeit, Familien zu gründen. Dafür reicht das Elterngeld allein nicht aus, Frau von der Leyen. ({8}) Der nächste Punkt, den ich ansprechen möchte, betrifft das Drücken der Löhne nach unten. Diese Politik verfolgen Sie, Frau von der Leyen, zum Beispiel im Bereich des Arbeitslosengeldes II. Es ist angesichts der eindeutigen Aussagen des Bundesverfassungsgerichts nicht akzeptabel, dass Sie glauben, mit 5 Euro mehr das soziokulturelle Existenzminimum der Menschen in diesem Bereich sichern zu können. Das ist wirklich der Hohn, meine sehr verehrten Damen und Herren. Zu was führt das nämlich letztendlich? Es führt im Ergebnis einmal dazu, dass diese Menschen gequält und gedemütigt werden und aus ihrer Situation so gut wie nicht herauskommen. Der eigentliche Punkt, der damit verbunden ist, ist aber ein anderer: Mit den Hartz-Gesetzen und erst recht mit der Verschärfung dieser Gesetze, die Sie mit dem vorliegenden Haushalt durchsetzen, indem insbesondere in diesem Bereich weiter gestrichen wird, zum Beispiel beim Elterngeld, bei den Rentenbeiträgen usw., machen Sie den Menschen so viel Angst vor Arbeitslosigkeit, dass immer mehr bereit sein werden, aus Angst alles an Arbeit zu akzeptieren, auch wenn es eigentlich unzumutbar ist. Frau von der Leyen, das ist ein Problem. Ich könnte Ihnen sehr viele Beispiele dafür nennen, dass Menschen inzwischen aus Angst vor Arbeitslosigkeit bereit sind, fünf Stunden in der Woche umsonst zu arbeiten, dass Menschen aus Angst vor Arbeitslosigkeit bereit sind, Lohnsenkungen hinzunehmen, obwohl es den Unternehmen gut geht, dass Menschen aus Angst vor Arbeitslosigkeit bereit sind, Demütigungen auch von Vorgesetzten am Arbeitsplatz zu akzeptieren. Sie sagen sich nämlich: Wenn ich rausfliege, bin ich in einem Jahr im Arbeitslosengeld-II-Bezug. - Ihre Politik wirkt in diesem Land als Lohndrückerin. Das müssen Sie ändern, Frau von der Leyen. ({9}) - Dass Sie da von Quatsch reden, verstehe ich sehr wohl, weil Sie davon in dem Betrieb, den Sie haben, profitieren. ({10}) - Selbstverständlich profitieren Sie von dieser Politik. Das Ergebnis dessen, was Sie machen, lässt sich deutlich an der Statistik ablesen. Selbst im Aufschwung sind die Reallöhne gesunken. Eine Tatsache ist, dass die Lohnquote, der Anteil der Löhne und Gehälter am Volkseinkommen, von 72,2 Prozent auf unter 65 Prozent gefallen ist. Wir haben die Situation, dass in der Zeit von 2000 bis 2010 die Unternehmens- und Vermögenseinkommen um 30,3 Prozent zugenommen haben, während die Arbeitnehmerentgelte im gleichen Zeitraum ein Minus von 2,2 Prozent aufweisen. Wenn das gerecht sein soll, dann weiß ich wirklich nicht mehr, was Gerechtigkeit in unserem Land eigentlich ist. Sie haben eine Politik der Untätigkeit bei Mindestlöhnen, Leiharbeit und Befristung an den Tag gelegt. Sie haben mit dem vorliegenden Haushalt Arbeitslosengeld-II-Bestimmungen verschärft und sind deshalb mitverantwortlich für das Sinken der Löhne in unserem Land. Ich komme zum Schluss, möchte aber noch auf eines hinweisen: Auch bei der Rente haben Sie, Frau von der Leyen, mit Zahlen argumentiert, die nicht akzeptabel sind. Sie haben gesagt: Weil der Beschäftigungsgrad bei den 55-Jährigen bis 64-Jährigen - Sie haben nur diese Altersgruppe genommen - zunimmt, sei die Einführung einer Rente mit 67 akzeptabel. Frau von der Leyen, wenn jemand mit 60 Jahren einen Job hat, dann heißt es noch lange nicht, dass er ihn auch mit 64 Jahren hat. ({11}) Aber mit 64 Jahren müsste er einen Job haben, um mit 65 bzw. 66 Jahren noch arbeiten zu können. ({12}) Sie wissen ganz genau, dass in der Altersgruppe der 64Jährigen 90 Prozent keinen Job haben. Sie haben Nebelkerzen geworfen. Sie verlagern die Lasten auf die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und auf die Rentnerinnen und Rentner, statt bei denen das Geld zu holen, bei denen das Geld vorhanden ist. Das zieht sich durch Ihren Haushalt. Sie schonen die Reichen, und holen es bei den Armen. Frau von der Leyen, Sie sollten Ihr Ministerium eigentlich in Ministerium für schlechte Arbeit, Armutslöhne und Unsoziales umbenennen. Ich danke für das Zuhören. ({13})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Das Wort zu einer Kurzintervention geht an den Kollegen Kolb.

Dr. Heinrich L. Kolb (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001171, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Herr Kollege Ernst, es ist zwar gut, wenn man ein bisschen Pfeffer in die Debatte bringt. Aber ich finde, dass Sie ein bisschen tief in die verbale Trickkiste gegriffen haben. Was Sie hier vorgetragen haben, hat sehr deutlich gemacht, dass Sie von der Realität in diesem Land unendlich weit entfernt sind. Herr Ernst, Sie haben insbesondere mir vorgeworfen - mir ganz persönlich; deswegen habe ich mich zu dieser Kurzintervention gemeldet -, ich hätte mich in meinem Unternehmen durch Lohndrückerei bereichert, ich hätte von der Krise profitiert. Das haben Sie wortwörtlich gesagt. ({0}) Herr Ernst, ich will Ihnen einmal sagen, wie es in unserem Lande wirklich aussieht. Wir hatten in unserem Unternehmen, einem Unternehmen im Metallbereich, ab Mitte 2009 bis ungefähr Mitte 2010 einen Umsatzeinbruch von etwa 30 Prozent. Wir haben wie nahezu alle mittelständischen Unternehmen in unserem Lande unsere Mitarbeiter in dieser Situation nicht entlassen, sondern wir haben uns mit ihnen zusammengesetzt und dafür gesorgt, dass wir diese schwere Krise gemeinsam abwehren können. Das ist uns auch gelungen. ({1}) Mittlerweile - das sehe ich ein Stück weit als Verdienst dieser Regierung - haben wir uns in geradezu atemberaubender Geschwindigkeit von diesem Einbruch erholt. Die Umsätze sind wieder auf dem vorherigen Niveau. Das zeigt: Das gemeinsame Handeln in den Unternehmen hat funktioniert. Im letzten Jahr ist es darum gegangen, eine schwere Zeit gemeinsam zu überstehen. Aber es ging nicht darum, dass jemand zulasten eines anderen einen Gewinn oder einen Profit, wie immer Sie es nennen wollen, gemacht hat. Deswegen weise ich Ihren Vorwurf an dieser Stelle entschieden zurück. Es wäre gut, wenn Sie sich mit Blick auf die Realität in den Betrieben hier entschuldigen würden. Vielen Dank. ({2})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Zur Antwort, Herr Ernst.

Klaus Ernst (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003753, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Es tut mir leid, aber ich denke, eine Entschuldigung ist alles andere als angebracht. Ich habe gesagt, Sie profitieren. ({0}) - Ich habe gesagt, dass Sie von dieser Politik als Arbeitgeber in diesem Lande, der Sie ja sind, profitieren. Ich kann Ihnen auch sagen, warum Sie profitieren. Durch die Nichteinführung eines Mindestlohns, die Sie als 4-Prozent-Partei mit zu verantworten haben, behindern Sie im Prinzip einen sozialen Fortschritt im ganzen Land. ({1}) Dadurch dass Sie die Einführung des Mindestlohns behindern, profitieren Sie insgesamt, weil das Lohnniveau in diesem Land nicht so steigen kann, wie es der Fall wäre, wenn der Lohn nach unten begrenzt wäre. Ich denke, dass Sie, weil Sie ein rechtschaffender Mensch sind, in Ihrem Unternehmen die Tarifverträge einhalten. Ihre Beschäftigten erhalten offensichtlich einen vernünftigen Lohn. ({2}) Ich sage Ihnen aber auch, dass das Tarifniveau in diesem Lande inzwischen davon abhängt, ob man die Löhne nach unten absichert oder nicht. Sichern wir sie nämlich nicht nach unten ab, kommen die Tarife ins Rutschen. ({3}) Sie sind doch derjenige, der dem DGB immer vorwirft, dass er über seine Einzelgewerkschaften, zum Beispiel Verdi, niedrige Tarife abschließt. Das wäre ausgeschlossen, wenn wir einen gesetzlichen Mindestlohn hätten. ({4}) Deshalb sage ich, dass die Arbeitgeber, zu denen auch Sie gehören, von diesem nicht vorhandenen Mindestlohn profitieren. Dabei bleibe ich mit aller Klarheit. ({5}) Ein weiterer Punkt. Sie sagen, wir seien von der Realität weit entfernt. Ich kann Ihnen sagen, wer von der weit Realität entfernt ist: Wenn Sie und Ihre Partei auf der einen Seite fordern, dass sich Leistung lohnen muss, und auf der anderen Seite als Teil der Koalition nichts unternehmen oder sogar verhindern, dass Menschen von ihrer Leistung tatsächlich leben können, indem sie einen Mindestlohn bekommen, dann sind Sie für die soziale Schieflage in diesem Lande verantwortlich. Das möchte ich Ihnen mit aller Klarheit sagen. ({6})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Für die FDP-Fraktion hat Frau Dr. Claudia Winterstein das Wort.

Dr. Claudia Winterstein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003661, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich will es noch einmal deutlich sagen: Auf den heute abschließend zu beratenden Haushalt für Arbeit und Soziales können wir stolz sein. ({0}) Ihre Schwarzmalerei, Frau Hagedorn, ist unverständlich; von sozialem Kahlschlag kann überhaupt keine Rede sein, und, Herr Ernst, Ihr intellektuell ziemlich anspruchsloser Populismus hilft uns hier in der Tat nicht weiter. ({1}) Dieser Etat zeigt die soziale Leistungsfähigkeit dieses Landes, weil 131,3 Milliarden Euro für soziale Sicherung bereitgestellt werden. Das sind 43 Prozent des gesamten Haushalts; ich denke, das ist beachtlich. Er zeugt weiterhin vom Glück des Tüchtigen, weil die gute Konjunktur auch zu geringeren Ausgaben führt, und der Etat beweist, dass sich diese Regierung eben nicht nur auf eine gute Konjunktur verlässt, sondern die notwendigen und strukturell wichtigen Einsparungen auch vornimmt. In der Summe liegen wir mit diesem Etat im Jahr 2011 um 11,9 Milliarden Euro unter dem Haushaltsplan 2010. Das, was wir im Sommer gehofft haben, ist tatsächlich wahr geworden: Die Zahl der Arbeitslosen hat die 3-Millionen-Marke unterschritten. Mit einem Wachstum von 3,4 Prozent ist Deutschland auf einem sehr guten Weg und hat die Krise besser gemeistert als viele andere Länder. Im Haushalt Arbeit und Soziales spiegelt sich die Besserung der Wirtschaft deutlich wider. Wegen der besseren Wirtschaftslage und der sinkenden Arbeitslosigkeit werden die Ausgaben für das Arbeitslosengeld II deutlich niedriger ausfallen. Andererseits aber müssen der erhöhte Hartz-IV-Regelsatz sowie der höhere Krankenkassenbeitrag für Hartz-IV-Empfänger finanziert werden; das ist auch klar. Im Saldo dieser Minder- und Mehrbelastung konnten wir dennoch den Haushaltsansatz für das Arbeitslosengeld II gegenüber dem Entwurf um 500 Millionen Euro auf 20,4 Milliarden Euro senken. Die gesunkenen Arbeitslosenzahlen sorgen auch bei der Bundesagentur für Arbeit für bessere Zahlen Wir konnten deshalb das vorgesehene Darlehen um 1,15 Milliarden Euro auf 5,4 Milliarden Euro absenken. Das sind die positiven Auswirkungen der guten Konjunktur. Die strukturellen Einsparungen finden sich im Bereich Arbeitsmarkt. Hier leistet der Etat einen angemessenen Beitrag zur Einhaltung der Schuldenbremse. ({2}) Ich will hier nur kurz auf zwei Elemente eingehen: Wir haben einerseits das Eingliederungsbudget für 2011 auf 9,5 Milliarden Euro abgesenkt; damit fällt es um 1,5 Milliarden Euro geringer aus als im Jahre 2010. ({3}) Angesichts der Tatsache, dass 2011 mit deutlich weniger Arbeitslosen zu rechnen ist, halte ich diesen Schritt für richtig. Es ist auch ein Signal, dass wir den an uns selbst gestellten Anspruch eines effizienten Mitteleinsatzes in diesem Bereich wirklich ernst nehmen. Wir haben andererseits die Rentenbeitragszahlung für die Bezugszeiten von Arbeitslosengeld gestrichen. Das spart beim Bund 1,8 Milliarden Euro im Jahr, wirkt sich aber bei den Betroffenen so gut wie gar nicht aus. Konkret: Für jedes Jahr der Arbeitslosigkeit steigt die Rente um lediglich 2 Euro. Hier meine ich: Auch dieser Teil des Sparpakets ist durchaus vertretbar. Die SPD meint nun, man könne für konjunkturelle Einsparungen viel mehr ansetzen. Zum Ausgleich fordert sie dann, sämtliche Elemente des Sparpakets, die den Haushalt Arbeit und Soziales betreffen, einfach mal so zurückzunehmen. ({4}) Sie wollen sich also auf der guten Konjunktur ausruhen und alle echten Sparanstrengungen wieder aufgeben. Das ist ein Musterbeispiel dafür, wie Politik in diesen Zeiten eben nicht sein darf, Frau Hagedorn. ({5}) In diesem Haushalt setzen wir auch den neuen Hartz-IV-Regelsatz und das Bildungspaket um. Das Verfassungsgericht hat verlangt, die Regelsätze neu und transparent zu gestalten. Das ist nun geschehen, mit einer bis ins Detail transparenten Berechnungsgrundlage. Der zweite Auftrag des Verfassungsgerichtes war es, das Recht bedürftiger Kinder auf Bildung und gesellschaftliche Teilhabe zu sichern. Hierfür haben wir im Bundeshaushalt 2011 Mittel in Höhe von 586 Millionen Euro vorgesehen, weitere 90 Millionen Euro für die verwaltungstechnische Umsetzung. Das Herausragende an diesem Bildungs- und Teilhabepaket ist, dass wir nicht einfach nur mehr Geld verteilen, sondern dafür sorgen, dass die Angebote unmittelbar die Kinder erreichen. ({6}) Wichtig ist: Es wird kein Geld mit der Gießkanne verteilt, sondern es wird gezielt unterstützt und das Mitmachen ermöglicht. Es ist sehr bedauerlich, dass die SPD hier den Blockierer spielt und dabei sachfremde Argumente anführt. So fordern Sie unter anderem Fortschritte beim Mindest7972 lohn, angeblich um dem Problem der Aufstocker zu begegnen. Das möchte ich einmal aufgreifen. ({7}) Sie versuchen immer wieder, die Notwendigkeit eines allgemeinen Mindestlohnes mithilfe einer Debatte um die Aufstocker zu belegen; das haben wir gerade erlebt. Um die Darstellung vom Kopf auf die Füße zu stellen, müsste man ganz anders argumentieren. Man müssten nämlich darüber reden, wie viel mehr es den Staat kosten würde, wenn die sogenannten Aufstocker überhaupt nicht arbeiten würden. Denn die meisten Aufstocker arbeiten nur wenige Stunden. ({8}) Singles, die Vollzeit arbeiten und trotzdem Aufstocker sind, machen genau 0,3 Prozent aller Beschäftigten aus. Ihre Aufstocker- und Mindestlohndebatte ist also völlig unsinnig. ({9}) Die Opposition macht aus ihrer Strategie kein Geheimnis - ihre Änderungsanträge belegen das -: Sie setzt auf eine Erhöhung der Ausgaben, auf die Erhöhung des ALG II, des Eingliederungsbudgets und der Ausgaben für die Kosten der Unterkunft. ({10}) Zugleich setzt die Opposition auf eine Erhöhung der Einnahmen durch eine Erhöhung des Spitzensteuersatzes und eine globale Mehreinnahme. ({11}) Das soll angeblich etwas ganz Solides sein. Ich sage Ihnen eines: Die Koalition will die Ausgaben senken; das ist der einzig richtige und seriöse Weg. Der Haushalt 2011 ist nach dem Übergangshaushalt, den wir 2010 hatten, der erste Haushalt, der deutlich die Handschrift der neuen Regierung trägt. ({12}) In den Jahren zuvor sind die Ausgaben mit jedem Haushalt gestiegen. Jetzt wurde erstmals ein Sparhaushalt erarbeitet. ({13}) Der Etat für Arbeit und Soziales hat einen angemessenen und sozial vertretbaren Anteil daran. Vielen Dank. ({14})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Das Wort hat Brigitte Pothmer für Bündnis 90/Die Grünen.

Brigitte Pothmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003823, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Frau Ministerin, Sie haben vergangene Woche auf dem CDUParteitag gesagt, dass Sie einen Beitrag dazu leisten wollen, dass die Menschen Ihnen - damit war gemeint: der Bundesregierung und der Union - wieder mehr vertrauen. Ich habe keine Ahnung, an wen Sie gedacht haben, als Sie von den Menschen geredet haben. Eines ist jedenfalls klar: Hartz-IV-Bezieher, Arbeitslose und Geringverdiener haben Sie dabei mit Sicherheit nicht im Blick gehabt; ({0}) denn dieser Haushalt ist in diesem Sinne wirklich keine vertrauensbildende Maßnahme. Der Haushalt ist ein Beitrag zur weiteren sozialen Ausgrenzung und Spaltung. Er ist in der Tat eine Kapitulation vor dem Problem der Langzeitarbeitslosigkeit. ({1}) Frau von der Leyen, ich bin mir sicher, dass es nicht wenige waren, die mit Ihrem Amtsantritt im vergangenen Jahr Hoffnungen verbunden haben. Sie galten als engagiert in der Sache, freundlich im Umgang und durchsetzungsstark im Hinblick auf Ihre Ziele. ({2}) Die Frage ist aber: Was ist davon übrig geblieben? Übrig geblieben ist das, was man gemeinhin als ausgebufft bezeichnet. Die gänzlich unzureichende Anhebung der Regelsätze um beschämende 5 Euro im Monat haben Sie damit gerechtfertigt, dass es in erster Linie darum gehe, die Menschen aus der Hilfebedürftigkeit herauszuholen, Hilfebedürftigkeit solle ein vorübergehender Zustand sein. Dazu sage ich: Richtig. Nur, Frau von der Leyen, wissen Sie eigentlich, dass in keinem anderen OECDLand der Zustand der Langzeitarbeitslosigkeit so lange anhält wie in Deutschland? ({3}) Trotzdem kürzen Sie die Mittel für den Eingliederungstitel im SGB-II-Bereich um 1,3 Milliarden Euro. Das sind 20 Prozent des Titels. Bei der Langzeitarbeitslosigkeit beträgt der Rückgang aber nur 2 Prozent. Mit dieser Politik sorgen Sie dafür, dass die Menschen länger langzeitarbeitslos sind. Gleichzeitig verweigern Sie diesen Menschen ein menschenwürdiges Existenzminimum. ({4}) Ihre Regelsatzberechnung hat mit einer realitätsnahen Ermittlung eines menschenwürdigen Existenzminimums nichts, aber auch gar nichts zu tun. ({5}) Das hat die gestrige Ausschussanhörung noch einmal in aller Deutlichkeit klargemacht. In Wirklichkeit haben Sie die Langzeitarbeitslosen abgeschrieben. Wie sonst ließe sich erklären, dass auf Ihre Anweisung hin die verbleibenden Mittel auf sogenannte einfache Fälle verteilt werden, also nur auf diejenigen, die so oder so einen Job finden, auch ohne Ihre Hilfe? Die Mittel sollen nun konzentriert für diese Personen eingesetzt werden. Folgerichtig kursieren in den Jobcentern Weisungen, die besagen: Nur noch kurzfristige Maßnahmen sind möglich. Kurzfristige Maßnahmen führen aber nur zu einer kurzfristigen Integration in den Arbeitsmarkt. Sie fördern damit den berühmten Drehtüreffekt. ({6}) In dem Jobcenter in meiner Heimatstadt Hildesheim werden im nächsten Jahr nur noch diese sogenannten einfachen Fälle gefördert. Knapp 5 000 Hildesheimer Arbeitslose ohne Berufsausbildung werden einfach aufgegeben. Sie richten Ihre Arbeitsmarktpolitik an statistischen Erfolgen und nicht an den Bedürfnissen der arbeitslosen Menschen aus. ({7}) In der letzten Woche habe ich im Spiegel gelesen: Hinter dem immerwährenden Lächeln steckt „das eiserne Röschen“. „Niemand in der CDU verfolgt seine Ziele mit einer solchen Härte wie Ursula von der Leyen.“ Gut so, würde ich dazu sagen, wenn es Ihr Ziel wäre, die Situation der Langzeitarbeitslosen zu verbessern. ({8}) Ihr Ehrgeiz scheint sich aber in erster Linie an Ihrem eigenen Fortkommen auszurichten. Das zeigte sich im Übrigen auch bei der Präsentation der Arbeitsmarktzahlen im letzten Monat. Sie konnten es doch gar nicht abwarten, die sogenannte frohe Botschaft zu verkünden. Das Problem ist nur: Die Botschaft ist falsch. Die Zahl der Arbeitslosen liegt nicht unter 3 Millionen, sondern über 4 Millionen. Und da redet Herr Fischer von Vollbeschäftigung. Was ist das für eine Definition von Vollbeschäftigung? ({9}) Wenigstens 1 Million Menschen mehr sind arbeitslos. Sie werden nur nicht mitgezählt, weil sie am Stichtag an einem Bewerbungstraining oder irgendeiner anderen Maßnahme teilgenommen haben. ({10}) Oder sie werden vollkommen aus der Statistik herausgeschmissen. ({11}) - Das ist nicht unsere Statistik. Sie haben die Statistik dahin gehend verändert, dass Arbeitslose, die bei privaten Vermittlern untergebracht sind, überhaupt nicht mehr mitgezählt werden. ({12}) 58-Jährige, die ein Jahr lang kein Angebot bekommen haben, erscheinen in der Statistik überhaupt nicht mehr. Frau von der Leyen, aber auch diese Menschen sind arbeitslos. Es ist ein Unding, dass die Arbeitsministerin mehr als eine Dreiviertelmillion Euro für eine höchst fragwürdige Botschaft ausgibt und gleichzeitig drastisch bei der Integration von Arbeitslosen spart. ({13}) Kosten und Botschaft stehen wirklich in keinem Verhältnis. Lassen Sie mich abschließend noch etwas zum Fachkräftemangel sagen. Frau von der Leyen, Sie haben immer vor dem Horrorszenario eines exorbitant hohen Fachkräftemangels bei gleichzeitig hoher Arbeitslosigkeit gewarnt. Sie sind gerade dabei, Ihre eigene Prophezeiung zu erfüllen. Durch die Kürzung im Eingliederungstitel verhindern Sie genau, dass die Arbeitslosen für den Fachkräftemarkt fitgemacht werden. ({14})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Frau Kollegin, Sie müssen bitte zum Ende kommen.

Brigitte Pothmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003823, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich komme zum Schluss. - In dieser Bundesregierung sind vier Ministerien damit beschäftigt, dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken. Vier Minister, vier Meinungen, null Bewegung. Man könnte den Eindruck gewinnen, dass der Fachkräftemangel bei der Bundesregierung anfängt. Ich danke Ihnen. ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Das Wort hat die Bundesministerin Ursula von der Leyen. ({0})

Dr. Ursula Leyen (Minister:in)

Politiker ID: 11004092

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir beschließen heute einen Haushalt, der drei Schritte umfasst: Wir sparen da, wo es vertretbar ist, wir setzen Schwerpunkte da, wo es klug ist, und wir behalten die Zukunftschancen der Menschen im Blick. ({0}) Wir haben sowohl die Belastbarkeit, die Berechenbarkeit und die neuen Chancen für die Menschen im Blick behalten als auch die Notwendigkeiten der Haushaltskonsolidierung und der Schuldenbremse, die im Grundgesetz verankert ist, natürlich berücksichtigt. Der Einzelplan 11 ist ein Spiegelbild dessen. Unser Haushalt trägt ein Drittel zum Sparpaket bei. Angesichts des Volumens unseres Haushalts - er umfasst immerhin die Hälfte des Bundeshaushalts - ist dieser Sparbeitrag angemessen. Ich glaube, gerade vor dem Hintergrund der besseren Arbeitsmarktlage ist dies auch gerechtfertigt. Wir haben jahrelang ins Ausland geschaut, weil wir uns gefragt haben: Was machen die besser als wir? Inzwischen ist es so, dass das Ausland hierher schaut und sich fragt: Was machen wir hier besser, dass wir einen so robusten Arbeitsmarkt haben? ({1}) Herr Ernst, wenn Sie hier wieder Ihre Legenden verbreiten, dann müssen Sie natürlich damit rechnen, dass wir konsequent gegenhalten und Ihnen die Wahrheit und schlicht und einfach die Fakten und Tatsachen sagen. Von wegen massenhaft Aufstocker wegen eines nicht vorhandenen Mindestlohnes: 75 Prozent der Aufstocker arbeiten nicht Vollzeit, sondern Teilzeit oder haben 400Euro-Jobs. ({2}) Davon kann man den Lebensunterhalt nicht verdienen. Es ist nicht ein Problem der Lohnhöhe, es ist ein Problem der Zeit, die nicht gearbeitet wird. ({3}) Zweiter Punkt: Befristung. Herr Ernst, Sie haben natürlich unterschlagen: 91 Prozent der Arbeitsverträge in unserem Land sind unbefristet. 91 Prozent! Ja, es ist richtig, wie Sie sagten, dass die jungen Menschen beim ersten Arbeitsvertrag, den sie bekommen, in 40 Prozent der Fälle einen befristeten Arbeitsvertrag haben. Aber jeder Zweite davon hat dann im Anschlussarbeitsvertrag schon eine unbefristete Anstellung. Das sind Zustände, die sich die Menschen in anderen Ländern wünschen würden. Dritter Punkt: Leiharbeit. Herr Ernst, Abweichen von Equal Pay in der Leiharbeit ist nicht möglich, wenn es einen von den Gewerkschaften mit verabredeten Tarifvertrag gibt. ({4}) Sie sind doch einer der obersten Gewerkschafter. Dann sorgen Sie als Gewerkschafter dafür, dass diese Praxis ein Ende hat. ({5}) Wenn man Ihnen zuhört, Herr Ernst ({6}) - ich bringe das jetzt erst zu Ende -, dann hat man den Eindruck, dass wir kurz vor dem Zusammenbruch des Arbeitsmarktes sind. Das Gegenteil ist der Fall. ({7}) Wie gesagt, das Ausland beneidet uns um diesen robusten Arbeitsmarkt nach der Krise. ({8}) Wir haben jetzt so viele Erwerbstätige wie nie zuvor in einem dritten Quartal seit der Wiedervereinigung in Deutschland. ({9}) Wir haben unter 3 Millionen Arbeitslose, und, ja, Frau Pothmer, die Statistik, die Sie mit beschlossen haben, erfasst auch den Anteil der Unterbeschäftigung, also die Zahl der Menschen, die in Maßnahmen sind. Auch dort ist die Zahl der Unterbeschäftigung drastisch zurückgegangen. Ganz egal, wohin Sie gucken - in den Osten oder in den Westen, auf Männer oder Frauen, Arbeitslosigkeit oder Unterbeschäftigung -: Überall sind die Zahlen heruntergegangen. ({10}) Das ist gut so. Wir haben am Arbeitsmarkt einen Aufschwung, der sich sehen lassen kann. ({11})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Frau Ministerin, möchten Sie denn jetzt eine Frage des Kollegen Ernst zulassen?

Dr. Ursula Leyen (Minister:in)

Politiker ID: 11004092

Ich möchte meine Ausführungen erst zu Ende bringen. - Wir haben zum Beispiel bei den arbeitslosen Jugendlichen den niedrigsten Oktoberwert seit 1991, wir haben bei den erwerbsfähigen Hilfebedürftigen - das ist die Gruppe, die Sie eben auch angesprochen haben - den niedrigsten Oktoberwert seit 2005, also knapp nach der Einführung der Hartz-Reform. Mit anderen Worten, meine Damen und Herren: Die Schwerpunkte, die wir gesetzt haben, waren richtig, und das macht dieser Haushalt auch deutlich. ({0}) Wenn man auf die Arbeitsmarktmittel schaut, dann sieht man - na klar: weniger Ausgaben bei den passiven Leistungen, weil wir weniger Arbeitslose haben, weil wir weniger Bedarfsgemeinschaften haben. Aber auf der anderen Seite sehen wir auch, dass wir die richtigen Schwerpunkte bei der aktiven Arbeitsmarktpolitik setzen. Darüber streiten wir die ganze Zeit. 9,5 Milliarden Euro stehen 2011 zur Verfügung. Ja, das sind 1,5 Milliarden Euro weniger als im laufenden Jahr. Wir alle wissen, dass der Haushalt für dieses laufende Jahr eine Krisenkalkulation aus 2009 war. Wir hätten uns Anfang des Jahres niemals träumen lassen, dass es am Arbeitsmarkt so gut läuft. Die 9,5 Milliarden Euro, die für 2011 zur Verfügung stehen, sind immer noch mehr als das, was in 2008, also in dem Jahr vor der Krise, zur Verfügung gestanden hat. Aber schon heute haben wir weniger Arbeitslose, weniger Bedarfsgemeinschaften. Das heißt, wir haben in der Arbeitsmarktpolitik für jeden einzelnen Arbeitslosen mehr Geld zur Verfügung, als es bisher der Fall gewesen ist. ({1}) Frau Pothmer, Sie haben die Situation in den OECDLändern angeführt und gesagt, in keinem anderen OECD-Land usw., usf.; ({2}) ich kann Ihre Worte nicht wiederholen, denn Sie haben da wieder ein schreckliches Szenario dargestellt. ({3}) In keinem OECD-Land gab es in der Krise einen so geringen Anstieg der Arbeitslosigkeit wie bei uns. Sie sinkt auf allen Ebenen. Ich glaube, wir können stolz darauf sein, dass der Arbeitsmarkt im Augenblick so robust ist und sich als so krisenfest erwiesen hat. ({4}) Bei den Mitteln für die aktive Arbeitsmarktpolitik muss man immer schauen, ob sie zielgerichtet eingesetzt sind. ({5}) Das ist ein kontinuierlicher Evaluationsprozess. Wir werden die Instrumentenreform im nächsten Jahr nahtlos anschließen. Zweiter Teil unseres Haushaltes: Rente. 20 Millionen Rentnerinnen und Rentner in unserem Land vertrauen zu Recht auf den Sozialstaat. Die gesetzliche Rentenversicherung ist eine der zentralen Säulen, in die 80 Milliarden Euro aus dem Bundeshaushalt fließen. ({6}) Diese Säule trägt. Frau Hagedorn, da Sie das gerade sagen: Wir haben auch hier die richtigen Schwerpunkte gesetzt. Dank der Rentenreformen der Vergangenheit ist sie demografiefest. Dank einer erfolgreichen Krisenpolitik der Merkel-Regierung hat sich die Rücklage in der Rentenversicherung deutlich besser entwickelt als erwartet. Man sollte nicht vergessen, woher wir kommen. 2005 - an dieses Jahr werden Sie sich noch erinnern; da waren Sie kräftig mit an der Regierung - war die Reserve der Rentenkasse auf knappe drei Tage geschmolzen. ({7}) Das haben Sie damals toleriert. Wir liegen bei der Schwankungsreserve Ende 2010 jetzt wieder bei 1,1 Monatsausgaben. ({8}) Das heißt, die Rücklage wird in den nächsten Jahren - trotz des Wegfalls der Beitragszahlung für Arbeitsuchende in der Grundsicherung - solide anwachsen. Damit wird voraussichtlich 2014 eine Senkung der Rentenversicherungsbeiträge möglich sein. Solche Zahlen schaffen Vertrauen in die Verlässlichkeit unserer Rentenversicherung. ({9}) Zugleich wissen wir, wo wir etwas ändern müssen, nämlich beim Teufelskreis der vererbten Armut. Ich habe von der Opposition gehört, dass wir beim Bildungspaket für die Kinder mehr machen müssen. Manchmal frage ich mich: Wo sind Sie eigentlich bei der Gesetzgebung der Agenda 2010, bei der Einführung der Hartz-IVGesetze gewesen? ({10}) Da gab es das alles nicht. Wir haben das Schulbedarfspaket in der Großen Koalition zusammen auf den Weg gebracht, aber alles andere gab es bisher nicht. Zum ersten Mal seit der Einführung von Hartz IV - ausgelöst durch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts - unternimmt der Gesetzgeber konkret und gezielt etwas für die Bildungschancen, für die Teilhabechancen der bedürftigen Kinder, deren Eltern in Hartz IV sind oder von Sozialhilfe leben. Ich glaube, das sollten wir mit großem Konsens zusammen umsetzen. ({11}) Ab 2011 haben die Kinder ein Anrecht auf dieses Bildungspaket. Wir haben im Haushalt 833 Millionen Euro dafür vorgesehen, allein 722 Millionen im Haushalt des Arbeitsministeriums. Die Strecke, die wir vor uns haben, ist noch gewaltig; da müssen wir viel tun. Es ist nicht trivial, ein solches Bildungspaket auf den Weg zu bringen. Es wäre einfacher gewesen, das Geld im Rahmen von Hartz IV auszuzahlen. Ob das den Kindern geholfen hätte, ob das dazu geführt hätte, dass sie tatsächlich an den Leistungen teilhaben, wage ich zu bezweifeln. Da Kinder aufgrund des Urteils des Bundesverfassungsgerichts ab Januar 2011 ein Recht auf Leistungen wie Teilhabe und Bildung haben, kann ich der Opposition nur zurufen: Arbeiten Sie konstruktiv mit, und verweigern Sie sich nicht der Umsetzung! Die Zeit ist knapp. Ich persönlich kann nicht verstehen, dass man sich aus formalen Gründen gar nicht erst an den Verhandlungstisch gesetzt hat. Ich muss Ihnen an dieser Stelle leider in Erinnerung rufen, was Ihr Altvorderer Herbert Wehner gesagt hat: Wer rausgeht, muss irgendwann auch wieder reinkommen. - Wer gar nicht erst reinkommt, wird sich irgendwann trotzdem an den Verhandlungstisch setzen müssen, und dann werden wir konkret verhandeln müssen. Ich danke all jenen, die schon jetzt ganz konkret mit uns gemeinsam überlegen, was getan werden kann, damit den Kindern ab 2011 ein warmes Schulmittagessen, die Mitgliedschaft in einem Sportverein, der Besuch einer Musikschule und die Teilnahme an Schulausflügen ermöglicht werden kann. Ich danke den Lehrerinnen und Lehrern sowie den Vereinen und Verbänden, die sich schon jetzt beteiligen, den Kommunen, die tatkräftig mitmachen, und auch der Bundesagentur für Arbeit und den Jobcentern vor Ort. Ich danke allen Menschen, die sagen: Für diese Kinder im Land muss sich etwas ändern, und wir arbeiten daran konkret mit. ({12})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Möchten Sie noch eine Zwischenfrage der Kollegin Pothmer zulassen?

Dr. Ursula Leyen (Minister:in)

Politiker ID: 11004092

Ja.

Brigitte Pothmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003823, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau von der Leyen, im Rahmen der gestrigen Anhörung hat uns die Bundesagentur für Arbeit mitgeteilt, dass für die administrative Umsetzung des Bildungspaketes nicht genug Geld zur Verfügung steht und nicht auszuschließen ist, dass dafür Mittel aus dem Eingliederungstitel umgewidmet werden müssen. Können Sie uns hier und heute zusagen, dass die Umsetzung des Bildungspaketes nicht zulasten von Eingliederungsmaßnahmen für Langzeitarbeitslose geht? ({0})

Dr. Ursula Leyen (Minister:in)

Politiker ID: 11004092

Frau Pothmer, es steht genug Geld zur Verfügung. Im Rahmen der Verwaltungskosten wurden dafür 135 Millionen Euro angesetzt. Manchmal höre ich das Geschrei: Was? So viel für Bürokratie? - Nein, das ist keine Bürokratie. Wenn wir tatsächlich dafür sorgen wollen, dass Kinder von diesen Angeboten Gebrauch machen können, dass sie teilhaben können und sich beteiligen können, dann brauchen wir vor Ort Menschen, die sich darum kümmern. Ich bin stolz darauf - ich glaube, ich bin das erste Mitglied einer Bundesregierung, das stolz auf so etwas ist -, dass wir im Hinblick auf die Verwaltungskosten für die Umsetzung des Bildungspaketes 135 Millionen Euro in den Haushalt einstellen. Dieses Geld wird meines Erachtens an der richtigen Stelle eingesetzt, nämlich für die Kinder. ({0}) In den letzten 30 Sekunden meiner Rede möchte ich mich trotz der Auseinandersetzungen in der Sache, die es immer geben wird, bei den Berichterstatterinnen und Berichterstattern bedanken. Auch wenn wir im Einzelfall unterschiedlicher Meinung waren, waren die Beratungen ausgesprochen gut und konstruktiv. Dafür danke ich. ({1})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Zu einer Kurzintervention gebe ich das Wort dem Kollegen Klaus Ernst.

Klaus Ernst (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003753, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau von der Leyen, erst einmal muss ich Ihnen ein Kompliment machen. Wenn man Ihnen zugehört hat, hatte man den Eindruck, es ist schon Weihnachten. ({0}) Weihnachten steht uns allerdings noch bevor. In diesem Punkt unterscheiden Sie sich deutlich von der Kanzlerin. Bei ihr hat man nämlich immer den Eindruck, es ist Karfreitag. Es war wirklich klasse, wie Sie das gemacht haben. Nur, inhaltlich war es leider daneben. ({1}) Erstens. Ich möchte Sie darauf hinweisen, dass 6,5 Millionen Menschen in diesem Land einen Niedriglohn erhalten. Ich wiederhole: 6,5 Millionen Menschen in diesem Land. In Ihrem Haushalt habe ich leider nicht den geringsten Ansatz gesehen, wie Sie diese Situation konkret verändern wollen. Zweitens. Sie haben gesagt, dass die meisten Aufstocker Teilzeit, also nicht Vollzeit arbeiten. Da haben Sie recht. Es gibt in diesem Lande aber 325 000 Menschen, die trotz Vollzeitarbeit einen Lohn beziehen, der zulasten des Steuerzahlers aufgestockt werden muss, ({2}) weil Sie verhindern, dass die Arbeitgeber verpflichtet werden, vernünftige Löhne zu zahlen. Hier sind Sie in der Verantwortung, Frau von der Leyen. Aus dieser Verantwortung kommen Sie nicht heraus. ({3}) - Ich weiß nicht, was daran Quatsch ist. Sie können das gerne nachlesen, wenn Sie es nicht wissen. Aber Unwissenheit schützt nicht davor, hier Unfug zu verbreiten, Herr Kauder. Drittens zu der Rolle der Gewerkschaften und zu den Tariflöhnen im Bereich der Leiharbeit. Sie haben recht: Manche Löhne, die unter gewerkschaftlicher Beteiligung vereinbart wurden - in der Regel unter Beteiligung gelber und christlicher Gewerkschaften -, sind sehr niedrig. Dies ist der Fall, weil die jeweilige Gewerkschaft den Arbeitgebern angeboten hat, solch niedrige Löhne zu vereinbaren. Wenn auch Sie diese Situation kritisieren, vermisse ich bei Ihnen als Arbeitsministerin eine Initiative, dies künftig zu verhindern. ({4}) Ich sage Ihnen, wie dieses Problem ganz einfach zu lösen wäre. Wenn Sie wirklich der Auffassung sind, dass sich Leistung lohnen muss, dann müssten Sie einen Mindestlohn einführen und gleichzeitig den Equal-PayGrundsatz im Bereich der Leiharbeit so ausgestalten, dass dieses Niveau nicht unterschritten werden darf, auch dann nicht, wenn Gewerkschaften geringere Lohnforderungen stellen. Schon wäre das Problem gelöst, Frau von der Leyen. So einfach würde das gehen. ({5})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Frau von der Leyen, möchten Sie antworten? - Bitte schön.

Dr. Ursula Leyen (Minister:in)

Politiker ID: 11004092

Herr Ernst, wir haben 40 Millionen Beschäftigte. 324 000 Aufstocker haben in der Tat einen Lohn, der zu gering ist. Wenn Sie daran etwas ändern wollen, dann arbeiten Sie mit uns zusammen an dem richtigen Weg, den wir in Deutschland eingeschlagen haben, nämlich branchenspezifische Mindestlöhne einzuführen. Arbeitgeber und Gewerkschaften setzen sich als Experten in der eigenen Sache zusammen und finden den richtigen Mindestlohn. Wenn der richtige Mindestlohn gefunden ist, dann ist er hilfreich. Wenn man hingegen einen Mindestlohn ansetzen würde, wie Sie ihn sich vorstellen, dann würde das Arbeitsplätze zerstören, und es gäbe noch viel mehr Menschen, die in Hartz IV landeten. Das ist etwas, was wir nicht wollen. ({0}) Zweiter Punkt - ich habe meinen Ohren nicht getraut -: Sie meinten, ich solle eine Initiative ergreifen, um zu verhindern, dass die Tarifverträge abgeschlossen werden, die Sie gerade geschildert haben. Ich sage Ihnen ganz deutlich: Ich verhindere nicht die Tarifautonomie in diesem Land; sie ist mir wichtig. Danke. ({1})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Hubertus Heil hat das Wort für die SPD-Fraktion. ({0})

Hubertus Heil (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003142, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Sehr geehrte Frau Ministerin, auch von mir herzlichen Glückwunsch zu dem großen Theaterdonner. Aber nach Ihrer Rede und Ihrer Antwort auf die Kurzintervention kann ich nur feststellen, dass Ihre warmen Worte nicht zu Ihren kalten Taten passen. Denn das, worüber wir heute reden, ist die Realität. ({0}) Frau von der Leyen, Sie hätten vorhin, als es um Sparnotwendigkeiten ging - der Bundesfinanzminister weiß das -, einmal darauf hinweisen können, dass wir im Jahr 2008, also vor der Finanzkrise, unter Bundesminister Peer Steinbrück die Situation und Entwicklung hatten, dass, gesamtstaatlich gesprochen, Bund, Länder und Kommunen und im Übrigen auch die Sozialversicherungen das erste Mal seit 40 Jahren in der Balance waren und dass wir ohne die Finanzkrise im Jahr 2010 in Deutschland einen ausgeglichenen Bundeshaushalt gehabt hätten. Ergo - das muss man deutlich sagen - ist die Staatsfinanzierungskrise, die wir jetzt zu bewältigen haben, Herr Finanzminister Schäuble und Frau von der Leyen, das Ergebnis einer furchtbaren Finanzkrise, für die allerdings die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sowie die arbeitslosen Menschen in diesem Land die Zeche zahlen sollen, wenn es nach Ihren Plänen geht. Das ist ungerecht, meine Damen und Herren. ({1}) Frau von der Leyen, da nützen auch keine Tricksereien mit dem Hinweis auf die Größe Ihres Haushalts; denn Sie haben gleichzeitig verschwiegen, dass der größte Posten in Ihrem Haushalt der Bundeszuschuss zur Rentenkasse ist. Den wollen Sie ja wohl nicht antasten. Sie tun das aber mittelbar, indem Sie der Rentenkasse Beiträge entziehen, die der Rentenkasse für arbeitslose Menschen zustehen. Sie schmälern damit die Rücklagen, die nicht Sie, sondern Ihre Amtsvorgänger aufgebaut haben - aber anyway. Sie holen das Geld vor allen Dingen - das ist unser Hauptvorwurf - bei den langzeitarbeitslosen Menschen und bei den Maßnahmen, die helfen würden, langzeitarbeitslose Menschen, ihre Familien und die Kinder aus der Armut herauszuführen. Das ist nicht nur kurzsichtig, es ist ungerecht. ({2}) Ich muss sagen: Man kann sich auch dummsparen. Hubertus Heil ({3}) Ich will Ihnen an dieser Stelle Folgendes sagen: Sie verweisen auf eine gute Entwicklung am Arbeitsmarkt. Das bestreitet niemand, was die kurzzeitige Arbeitslosigkeit betrifft. Sie ist tatsächlich zurückgegangen. Der Arbeitsmarkt ist in der Krise durch die Maßnahmen, die die Große Koalition durchgesetzt hat, und durch die Reformen der rot-grünen Vorgängerregierung relativ stabil geblieben. Durch das, was Olaf Scholz und Peer Steinbrück gemacht haben, ist Deutschlands Arbeitsmarkt robust durch die Krise gekommen. Aber was Ihnen fehlt, Frau von der Leyen, ist neben der PR-Aktion, sich neben die guten Zahlen zu stellen, ein Konzept, wie wir in Zukunft einen gespaltenen Arbeitsmarkt verhindern. Ich will Ihnen sagen, was ich damit meine: Wir haben möglicherweise im nächsten Jahrzehnt in vielen Branchen und Regionen die Situation, dass sich auf der einen Seite Unternehmen tatsächlich über Fachkräftemangel zu beklagen haben. Auf der anderen Seite haben wir einen Sockel von verfestigter Langzeitarbeitslosigkeit, den Sie so belassen, wenn Sie die Menschen durch aktive Arbeitsmarktpolitik und die entsprechenden Maßnahmen nicht aus dieser Arbeitslosigkeit herausholen. ({4}) Sie können nicht pauschal von Arbeitslosenzahlen und Statistiken sprechen, wenn Sie nicht die Unterscheidung zwischen denjenigen haben, die kurzzeitig arbeitslos sind und gottlob möglichst schnell wieder aus der Arbeitslosigkeit herauskommen, und denjenigen Menschen, die dauerhaft langzeitarbeitslos sind. Da passen die warmen Worte von Frau von der Leyen nicht mit ihren kalten Taten zusammen. Wer war es denn, der im Frühjahr dieses Jahres - das waren Sie, Frau von der Leyen - vollmundig und großspurig von einer Vermittlungsoffensive zugunsten von Jugendlichen mit schlechter Qualifikation, von Alleinerziehenden und von älteren Langzeitarbeitslosen gesprochen hat? Es ist richtig, dass wir in Bezug auf diese verfestigte Langzeitarbeitslosigkeit etwas tun. Wer die Mittel für diese Maßnahmen aber um 20 Prozent zulasten der langzeitarbeitslosen Menschen kürzt, obwohl sie notwendig sind, damit sie nicht mit 5 Euro mehr abgespeist werden, sondern aus der Arbeitslosigkeit herauskommen, der handelt zulasten dieser Menschen, der spart kurzfristig für den Bundeshaushalt 2011 und der sorgt langfristig dafür, dass dieser Staat und diese Gesellschaft dauerhafte Arbeitslosigkeit und nicht Arbeit finanzieren. Das ist der Fehler in Ihrer Rechnung, Frau Kollegin. ({5}) Gleichen wir deshalb doch einmal Ihre Ankündigungen und Ihre Statistik mit der Realität in Deutschland ab. Frau Pothmer hat das netterweise für Hildesheim getan, ich tue das für den Nachbarbereich, nämlich für den Landkreis Peine in Niedersachsen. Das ist eine Optionskommune, die Sie möglicherweise aus Ihrer früheren Zeit als Ministerin in Niedersachsen kennen, und meine Heimat. Mein Landrat, der diese Optionskommune, wie gesagt, in Eigenregie leitet und für die Betreuung von Langzeitarbeitslosen und für eine aktive Arbeitsmarktpolitik Verantwortung trägt - er tut das übrigens sehr verantwortungsvoll und gut -, schreibt mir, dass die Mittelkürzungen im nächsten Jahr ein Minus von 25 Prozent zulasten von behinderten Menschen, von Jugendlichen mit schlechter Qualifikation, von Langzeitarbeitslosen, von alleinerziehenden Frauen, von Kindern und von Älteren im Landkreis Peine bedeuten werden. ({6}) Deshalb, Frau von der Leyen, passen bei Ihnen Reden und Handeln einfach nicht zusammen. Sie können Ihren PR-Apparat noch so stark vergrößern: Das werden Sie nicht überbrücken. ({7}) Wir reden hier ja über den Haushalt und nehmen zur Kenntnis, dass Sie auf der einen Seite 20 Prozent der Mittel für die aktive Arbeitsmarktpolitik streichen, während Sie die Mittel für die Öffentlichkeitsarbeit von Ursula von der Leyen auf der anderen Seite um sage und schreibe 29 Prozent aufstocken, um das Gap zwischen Anspruch und Wirklichkeit zu überbrücken. ({8}) Ich sage Ihnen: PR ersetzt nicht gute Politik. Das werden die Menschen in diesem Land erleben, und Sie werden es auch erleben, Frau von der Leyen. ({9}) Der gespaltene Arbeitsmarkt ist eine reale Gefahr, und zwar nicht nur für die wirtschaftliche und die soziale Entwicklung in diesem Land, sondern auch für die gesellschaftliche Entwicklung in unserer Demokratie. Wenn Menschen keine Perspektiven und keine Chancen mehr haben und wenn sie sich in diesem Land nicht gebraucht fühlen, dann ist das Zündstoff und Sprengstoff für die demokratische Entwicklung in diesem Land. ({10}) Sie legen hier tatsächlich die Lunte, wenn Sie dafür sorgen, dass Menschen dauerhaft abgehängt sind. Wenn dann auch noch das passiert, was wir vorhin bei dem Haushälterkollegen der CDU, Herrn Fischer, erlebt haben, dass nämlich die Mehrzahl der langzeitarbeitslosen Menschen - wir reden jetzt nicht von denen, die nicht arbeiten wollen und für die Fördern und Fordern genauso gilt; das ist gar keine Frage -, die beispielsweise als Alleinerziehende, weil sie Beruf und Familie nicht gut vereinbaren können, als ältere Langzeitarbeitslose oder als Jugendliche, die nie einen Einstieg gefunden haben, keine Chance auf dauerhafte Beschäftigung haben, gegen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mit schlechHubertus Heil ({11}) tem Einkommen ausgespielt werden, dann kann ich nur sagen: Pfui Teufel! ({12}) Wer Menschen gegeneinander ausspielt und dieses Land spaltet, der taugt nicht dazu, Verantwortung in diesem Land zu tragen, Herr Fischer. Das müssen Sie sich sagen lassen. ({13}) Das ist der Trick, den Guido Westerwelle unter stillschweigender Billigung von Frau von der Leyen die ganze Zeit spielt und den Sie als Sozialministerin übrigens nie kommentiert haben: Diese Bundesregierung kürzt bei Langzeitarbeitslosen und verringert ihre Chancen in der aktiven Arbeitsmarktpolitik. Sie kürzt das Elterngeld bei den Familien von Langzeitarbeitslosen zulasten der Kinder auf der einen Seite, ({14}) um den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern auf der anderen Seite dann zu erzählen: Schaut einmal hin! Sie sollen nicht so viel bekommen, ihr verdient ja auch wenig; sie sollen nicht mehr bekommen als ihr. - Frau von der Leyen, nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts gibt es nur eine Konsequenz: Wer will, dass sich Leistung in diesem Land lohnt, wer den Lohnabstand wirklich ernst nimmt, damit die, die arbeiten, mehr in der Tasche haben als die, die nicht arbeiten, ({15}) der kommt um Mindestlöhne - ich füge hinzu: einen gesetzlichen Mindestlohn - in Deutschland nicht herum. ({16}) Ich will Ihnen das sagen, weil das auch eine Möglichkeit ist, einmal darüber zu reden, wie Sie mit dem Geld in Ihrem Haushalt umgehen. Sie haben recht: Bei den 11 Milliarden Euro, die Sie für Aufstockung, das heißt für ergänzendes Arbeitslosengeld II, zugunsten von Menschen, die arbeiten, davon aber nicht leben können, zu zahlen haben, geht es nicht nur um den Bereich der Vollzeitbeschäftigung, sondern zu großen Teilen auch um Teilzeitarbeitnehmerinnen und -arbeitnehmer. Warum Sie denen aber einen Stundenlohn von 4 Euro oder 5 Euro zubilligen wollen und nicht auch 7,50 Euro oder 8,50 Euro gönnen, verstehe ich nicht. Auf der anderen Seite haben wir nach wie vor diejenigen, die Vollzeit arbeiten und von ihrer Arbeit nicht leben können. Sie haben vorhin großherzig davon gesprochen, dass Sie für branchenbezogene Mindestlöhne zu haben seien. Dann fangen Sie doch einmal an, an diesem Punkt ein bisschen weiterzumachen, zum Beispiel bei der Weiterbildung. Das hat auch etwas mit Qualität der Arbeitsmarktpolitik zu tun. ({17}) Selbst wenn Sie das alles tun - wir sind für den Vorrang tarifvertraglich vereinbarter Mindestlöhne, die wir über das Arbeitnehmer-Entsendegesetz erstrecken -, werden Sie um einen gesetzlichen Mindestlohn in Deutschland nicht herumkommen, weil wir Bereiche haben, in denen leider Gottes die Tarifautonomie einfach nicht mehr funktioniert, weil Unternehmen nicht Mitglied in Arbeitgeberverbänden sind, weil der Organisationsgrad der Gewerkschaften in einigen Branchen leider unglaublich niedrig ist. Das lassen Sie sich zum Schluss sagen, Frau von der Leyen: Ich finde, dass Sie Ihren Aufgaben bei der Bekämpfung von Langzeitarbeitslosigkeit nicht gewachsen sind. ({18}) Ich finde, dass Sie für Kinder vor allen Dingen warme Worte übrig haben, aber kein Bildungspaket, das den Kindern wirklich hilft. Die Anhörung des Bundestages zu Ihrem Gesetz in Sachen Hartz IV und Bildungspaket war doch ein Waterloo. Die Kommunen, der Bundesrechnungshof, der Deutsche Gewerkschaftsbund, die Caritas, der Paritätische Wohlfahrtsverband, ({19}) alle, die sich auskennen, sagen: Was Sie da machen, ist ein bürokratisches Monstrum. Aber es hilft nicht wirklich den Familien mit Kindern. Machen Sie ein Bildungsinfrastrukturpaket. Das würde wirklich helfen. ({20}) Zum Schluss: Sie sind auch die Ministerin, die eigentlich für Recht und Ordnung auf dem Arbeitsmarkt zuständig ist, Frau von der Leyen. Das betrifft die Frage der Tarifeinheit in diesem Land, ein wichtiges Thema, zu dem Sie heute geschwiegen haben, obwohl Arbeitgeber und Gewerkschaften einen Vorschlag dazu gemacht haben. Das betrifft die Einführung von Mindestlöhnen in diesem Land, die möglich wäre. Das betrifft auch die Zeit- und Leiharbeitsbranche. Wir sind nicht für das Verbot von Zeit- und Leiharbeit.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Heil.

Hubertus Heil (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003142, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Aber wir sind dafür, dass es auf das konzentriert wird, was notwendig ist, nämlich auf Auftragsspitzen von Un7980 Hubertus Heil ({0}) ternehmen. Da können Sie hier nicht mit Scheintarifverträgen argumentieren und sich als Hüterin der Tarifautonomie darstellen.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Heil.

Hubertus Heil (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003142, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Gleicher Lohn für gleiche Arbeit und Zeitarbeitsmindestlohn heißen Recht und Ordnung auf dem Arbeitsmarkt. Dafür sind Sie zuständig. ({0}) Frau von der Leyen, warme Worte sind das eine, kalte Taten sind das andere. Anspruch und Wirklichkeit passen bei Ihnen nicht zusammen. Die Menschen spüren es leider Gottes. Kehren Sie um. ({1})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Das Wort hat der Kollege Dr. Heinrich Kolb für die FDP-Fraktion. ({0})

Dr. Heinrich L. Kolb (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001171, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich werde nicht alles verarbeiten können, was ich mir zurechtgelegt habe, und will mit ein paar grundsätzlichen Bemerkungen beginnen, bevor ich auf Äußerungen einzelner Kollegen eingehe; denn im Rahmen einer Haushaltsdebatte sollte auch Raum für Grundsätzliches sein. Wenn wir über den Sozialetat reden, Herr Kollege Ernst, sollten wir uns zunächst einmal klarmachen: Sozialpolitik will und soll den Menschen helfen, die unverschuldet in Not geraten sind. Sie soll die Schwächsten in unserer Gesellschaft schützen, ihnen wirksame Hilfe zuteilwerden lassen. Worum es nicht geht, ist, grundsätzlich ein irgendwie wohliges Gefühl zu erzeugen, wenn irgendwie an irgendwen möglichst flächendeckend Geld verteilt wird. ({0}) Uns unterscheidet, dass wir zielgerichtet helfen wollen und Sie immer mit der Gießkanne im Land unterwegs sind. ({1}) Wir müssen die Balance finden - darauf hat der Kollege Fischer schon hingewiesen - zwischen Leistungsgerechtigkeit und Bedarfsgerechtigkeit. Die Menschen müssen ihren Bedarf decken können. Aber es muss sich auch für diejenigen, die nicht von Transfers leben, sondern arbeiten, lohnen, erwerbstätig zu sein. Das ist eine ganz entscheidende Sache. ({2}) - Auf den Mindestlohn komme ich noch. - Das ist das kurze Ende. Auf lange Sicht geht es darum, in der Sozialpolitik Chancengerechtigkeit zu schaffen, auch Chancengerechtigkeit am Anfang. Da ist das Stichwort Bildungsteilhabe, das wir uns erstmals auf die Fahnen geschrieben haben, nachdem Rot-Grün damals bei der Schaffung der Hartz-Gesetze das Thema Bildungsteilhabe von Kindern vollständig ausgeblendet hat. Das ist doch die Wahrheit. ({3}) Es geht auch um Generationengerechtigkeit. Da will ich Ihnen einmal sehr deutlich sagen: Auf Schuldenbergen kann man nicht spielen, auf Schuldenbergen kann man auch nicht lernen und nicht studieren. ({4}) Ich sage das deswegen, weil die Änderungsanträge der Linken, die uns heute vorgelegt wurden, wenn ich das richtig gerechnet habe, Mehrkosten von 35,66 Milliarden Euro verursachen werden. ({5}) - Sie brauchen gar nicht zu lachen, Herr Kollege Kuhn. Die Änderungsanträge der Grünen führen - in Anführungszeichen - „nur“ zu Mehrkosten von 8,75 Milliarden Euro. Aber das zeigt: Sowohl die Forderungen der Linken als auch die der Grünen gehen völlig am Gebot der Stunde vorbei. Wir müssen unsere Haushalte konsolidieren, damit wir Chancen für künftige Generationen schaffen. ({6}) Im Haushalt 2011 sind 38 Milliarden Euro für den Schuldendienst eingeplant. Das sind 38 Milliarden Euro, die nicht für den Bau von Schulen, die Einstellung von Lehrern und anderes zur Verfügung stehen. ({7}) Wer es ernst meint mit Chancengerechtigkeit, ist gut beraten und aufgerufen, in die Haushaltskonsolidierung einzusteigen. Wir tun das. ({8}) Jetzt will ich etwas zur Kollegin Pothmer sagen. Am Arbeitsmarkt haben wir unzweifelhaft Erfolge zu verzeichnen. Unsere Arbeitslosenzahl liegt unter 3 Millionen. Das finde ich toll. Ich hätte mir im März nicht vorstellen können, dass ich im November eine derart gute Performance auf dem Arbeitsmarkt erleben kann. Was fällt Ihnen dazu ein? Sie fangen wieder an, zu mäkeln und in den Krümeln zu suchen und sagen, in der Statistik seien es in Wirklichkeit mehr als 3 Millionen. ({9}) Ich möchte auf die Antwort von Staatssekretär Hoofe aus dem BMAS auf eine Anfrage der Kollegin Sabine Zimmermann hinweisen, wann wer die Statistik wie verändert hat. Da fängt es doch bei Ihnen im Januar 2004 an, Frau Pothmer. Hören Sie gut zu! Rot-Grün hat doch damals die Maßnahmen der aktiven Arbeitsmarktpolitik aus der Statistik herausgenommen. Das war der Ursündenfall der Statistikänderung. ({10}) Ich spreche nicht von Fälschung, sondern von Änderung. Wenn wir heute mehr als 3 Millionen Arbeitslose hätten, Frau Kollegin Pothmer, dann hätten Sie damals 7 Millionen Menschen in Ihrer Arbeitslosenstatistik ausweisen müssen, wenn Sie ehrlich gewesen wären. Der Erfolg ist aber unzweifelhaft da. Die Veränderung hat stattgefunden. Es sind mehr Menschen aktiv. Das zeigt die Zahl der Erwerbstätigen in unserem Lande, die sich auf Rekordniveau befindet. An dieser Stelle liegen Sie also völlig verkehrt. Jetzt geht es weiter mit dem Thema Langzeitarbeitslose. Hier ist die Entwicklung zugegebenermaßen leider nicht ganz so gut wie im SGB-III-Bereich. Aber sie ist ganz ordentlich. Immerhin haben 110 000 Menschen, die langzeitarbeitslos waren, seit Oktober letzten Jahres eine neue Beschäftigung gefunden. Das ist ein Rückgang um 5,5 Prozent. Bei den Jugendlichen unter 25 ist dieser Rückgang sogar doppelt so hoch. ({11}) 11 Prozent der Jugendlichen haben eine neue Chance erhalten und einen Job bekommen. Das ist der wirksamste Beitrag. Die beste Sozialpolitik ist - wir haben das immer gesagt, und im letzten Jahr haben wir es auch bewiesen -, wenn man Menschen in Arbeit zurückbringt. ({12}) Sie konnten nicht davon ablassen, zu behaupten, unser Parteivorsitzender betreibe eine Hetze und spiele Langzeitarbeitslose gegen Arbeitnehmer aus. ({13}) - Das hat auch der Kollege Ernst gesagt. - Wenn ich am Anfang von Leistungsgerechtigkeit versus Bedarfsgerechtigkeit gesprochen habe, dann betraf das genau dieses Thema. Ich will nur darauf hinweisen, was nicht geht, nämlich dass Sie, als die Tinte unter dem Urteil vom 9. Februar dieses Jahres noch nicht trocken war, in dem kritisiert wurde, dass Regelsätze ins Blaue hinein festgesetzt wurden, schon wussten, wie der Regelsatz aussehen müsste. Die Grünen und die Linken haben es heute in ihren Anträgen noch einmal demonstriert: ({14}) Die Linke will einen Regelsatz von 500 Euro für Hartz-IV-Empfänger, die Grünen wollen 420 Euro. Beides ist weit entfernt von dem, was sich bei einer nüchternen Auswertung der statistischen Daten ergibt. Man muss aber ehrlicherweise auch dazusagen - die SPD kümmert sich mit ihren Anträgen eher um die Kommunen -: 10 Euro mehr Hartz IV bedeuten 115 Millionen Euro Mehrbelastung für die Kommunen. Man muss deshalb auch ausrechnen, welchen Tort auch die Linke mit ihren Anträgen den Kommunen in diesem Lande antun würde. ({15}) Mindestlöhne sind im Übrigen aus unserer Sicht nicht geeignet. Ich will zum Schluss meiner Rede darauf hinweisen, dass von den 325 000 Vollzeit arbeitenden Aufstockern gerade einmal 35 000 ledig sind. Der Rest muss aufgrund seiner individuellen bzw. familiären Verhältnisse aufstocken.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Kollege.

Dr. Heinrich L. Kolb (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001171, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Das war doch nicht unsere Idee, sondern die Idee der SPD, die genau dies damals bei den Hartz-Reformen zur Maxime erhoben hat. Die Menschen sollen so weit arbeiten und ihren eigenen Bedarf decken, wie sie können. Darüber hinaus steht der Staat zur Verfügung. Daran halten wir auch heute fest, während Sie sich mittlerweile deutlich von der Agenda 2010 absetzen. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Karl Schiewerling hat jetzt das Wort für die CDU/ CSU-Fraktion. ({0})

Karl Schiewerling (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003839, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Kollegin Pothmer und Herr Kollege Heil, ich verstehe sehr gut, dass Sie mit voller Breitseite Frau von der Leyen angreifen; denn Sie müssen vor Neid platzen, dass Sie nicht eine so hoch qualifizierte Politikerin in Ihren Reihen haben. ({0}) Frau von der Leyen leistet hervorragende politische Arbeit. Sie ist ein Aushängeschild dieser Bundesregierung und bewegt mehr für die Menschen als viele andere, die zuvor laut krakeelt haben. ({1}) Es bleibt richtig, was im entsprechenden Kapitel des Koalitionsvertrages über den Arbeitsmarkt steht. Wir wollen Arbeitschancen für alle. Arbeitsplätze entstehen in der Regel aber nicht durch Beschlüsse des Bundestages und der Bundesregierung, sondern in der Wirtschaft. Sie entstehen dann, wenn die Rahmenbedingungen dort stimmen und wenn der wirtschaftliche Aufschwung dies zulässt. Genau das erleben wir zurzeit. Arbeitsmarktpolitik hat dann die Aufgabe, die richtigen Rahmenbedingungen zu setzen. Das tun wir auch, indem wir ganz konsequent der Tarifautonomie und damit der Eigenverantwortung von Arbeitgebern und Arbeitnehmern Vorrang einräumen. Das gilt in der Lohnfindung, und zwar branchenspezifisch und regional. Betriebe brauchen, um wirtschaftlich arbeiten zu können, klare, politisch gute Rahmenbedingungen. Ohne diese können sie ihre Zukunft nicht gestalten. Aber das brauchen auch Arbeitnehmer. Auch sie brauchen Sicherheit und klare Planungsmöglichkeiten. Deswegen sage ich Ihnen sehr deutlich: Wirtschaftlicher Aufschwung, gute Bedingungen am Arbeitsplatz und eine vernünftige Arbeitsmarktpolitik sind das beste Programm für die Sicherheit der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Allerdings sage ich auch in aller Klarheit: Wenn man gerade junge Frauen von einem befristeten Arbeitsverhältnis zum anderen schickt, dann braucht man sich nicht zu wundern, wenn diese jungen Frauen nicht mehr Ja zu Kindern sagen. ({2}) Ich sage auch den Betrieben in aller Klarheit: Keine Kinder - keine Zukunft für unser Land und für die Betriebe! ({3}) Wir schützen die Tarifautonomie. Da, wo es starke Gewerkschaften und starke, verantwortungsbewusste Arbeitgeber gibt, gibt es gute politische und wirtschaftliche Rahmenbedingungen und Entwicklungen. Die Koalitionsfreiheit ist in der Verfassung gesichert. Der Betriebsfrieden ist ein hohes kulturelles Gut, das uns in der wirtschaftlichen Entwicklung starkgemacht hat. Das ist der Maßstab für die notwendige Entscheidung zum Themenbereich Tarifeinheit. Wir werden den Gestaltungsmissbrauch im Bereich der Leiharbeit begrenzen. Der Zeitarbeitsbranche ist dringend zu raten, mitzuhelfen, das Image der Branche positiv zu gestalten. Deswegen begrüßen wir ausdrücklich, dass die dort vorhandenen Tarifverträge zu immer mehr annähernd gleichen Mindestlöhnen bzw. Lohngrenzen führen. Das ist eine gute Entwicklung. Ich gehe davon aus, dass ein tariflicher Mindestlohn in der Zeitarbeit geboten ist und von allen Beteiligten gewünscht ist. Ich bin sicher, dass manche Entwicklungen, die zuletzt ihren Niederschlag im Tarifvertrag für die Stahlindustrie gefunden haben, ihre Signalwirkung nicht verfehlen werden. ({4}) Wir wollen, dass alle eine Chance haben. Wir werden jeden brauchen. Angesichts der demografischen Entwicklung und der prognostizierten anhaltenden positiven wirtschaftlichen Entwicklung sind Qualifikation und eine gut ausgebildete Arbeitnehmerschaft erforderlich. Das geht nicht ohne Anstrengungen der Betriebe und der Politik, aber auch nicht ohne Anstrengungen der Arbeitnehmer. Die Chancen, wieder auf dem Arbeitsmarkt Fuß zu fassen, sind so günstig wie nie. Wir haben die niedrigste Arbeitslosigkeit seit 1992. Wir haben - das ist viel wichtiger - einen Aufwuchs an sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnissen zu verzeichnen. Es gibt mehr als vor der Krise. Alles das sind positive Zeichen. Ich sage sehr deutlich: Das sind gute Voraussetzungen, um Menschen wieder in Arbeit zu bringen bzw. um ihre Chancen auf dem Arbeitsmarkt deutlich zu verbessern. ({5}) Das gilt auch für die älteren Arbeitnehmer. Wir haben einen deutlichen Aufwuchs an älteren Arbeitnehmern, also der über 55-Jährigen und über 60-Jährigen. Das ist eine sehr gute Entwicklung. Ich rate der SPD dringend, an der von Franz Müntefering initiierten Rente mit 67 nicht zu rütteln. ({6}) Die Rente mit 67 ist zwingend notwendig. Warum verschweigen Sie eigentlich, dass wir miteinander vereinbart haben, dass jemand, der 45 Jahre versicherungspflichtig gearbeitet hat, auch in Zukunft mit 65 Jahren in Rente gehen kann? ({7}) Warum verschweigen Sie eigentlich, dass jemand, der mit 17 Jahren seine Ausbildung als Handwerker beginnt oder mit 20 Jahren in einem Betrieb anfängt, auch weiterhin mit 65 Jahren in Rente gehen kann? Das gilt für den Dachdecker wie für den Schreiner und alle anderen Berufe. Rütteln Sie nicht an diesem Prinzip! ({8}) Wenn wir die älteren Arbeitnehmer in Beschäftigung halten wollen, dann müssen wir auch über den Arbeitsschutz, die Arbeitsabläufe und die Gesundheitsprävention reden. Jetzt geht es darum, die Zukunft unseres Landes durch stabile und vernünftige Haushalte zu sichern. Ja, es ist richtig: Wir müssen strukturell einsparen. Es ist kein Wunder, dass auch im größten Haushalt des Bundes Einsparungen notwendig sind. Aber diese Einsparungen erfolgen - das sage ich sehr deutlich - mit AugenKarl Schiewerling maß. Wenn wir die Mittel für die arbeitsmarktpolitischen Instrumente reduzieren, dann heißt das nicht, dass wir einfach blind sparen. Wir werden vielmehr schneller, als Sie glauben, die arbeitsmarktpolitischen Instrumente reformieren, damit die Hilfe unmittelbar vor Ort bei den Menschen ankommt, um effizient gerade diejenigen, die der Hilfe bedürfen, wieder in Beschäftigung zu bringen. Sie werden feststellen, dass wir sehr verantwortungsbewusst alles tun, damit die, die kaum Chancen haben, wieder neue Chancen erhalten. ({9}) Auch wenn draußen im Augenblick Protestaktionen gegen angebliches Sozialdumping und Sozialmissbrauch organisiert werden, so sage ich Ihnen in aller Klarheit: Das lassen wir uns nicht in die Schuhe schieben. Mit den Beschlüssen über den Haushalt haben die Arbeitnehmer nicht weniger Geld und nicht weniger Rechte. Rentnern wird nichts genommen. ({10}) Bei Behinderten werden keine Mittel eingespart, Arbeitslosengeld-II-Empfänger erhalten nicht weniger Geld. Erworbene Rentenansprüche bleiben auch in Zukunft bestehen. ({11}) Ja, wir nutzen das Urteil des Bundesverfassungsgerichts, insbesondere Kindern und Jugendlichen bessere Chancen auf Teilhabe zu eröffnen. Man kann darüber klagen, dass das nicht genug ist. Aber zwischen gar nichts, was bisher war, und 700 Millionen Euro, die wir heute einsetzen, ist ein großer Unterschied. Selbst wenn wir die 120 Millionen Euro für das Schulstarterpaket zurücknehmen, haben wir einen wichtigen Beitrag geleistet, um einen Paradigmenwechsel einzuleiten. ({12}) Wir fangen nämlich an, Arbeitsmarktpolitik, Sozialpolitik, Familienpolitik und Bildungspolitik unter Einbeziehung von Bund, Ländern und Kommunen und durch Beteiligung von freien Trägern und Stiftungen zu einem Anliegen der Gesellschaft zu machen. Dieser Haushalt unter Inspiration und Mithilfe aller Beteiligten und nicht zuletzt von Frau von der Leyen auf den Weg gebracht zu haben, ist das große Verdienst, das uns gebührt. Deswegen gibt es keinen Grund, an diesem Haushalt herumzumäkeln. ({13}) Wir setzen ein starkes Zeichen für die Kinder und stellen uns der Herausforderung. Die Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik dieser Regierung und der Koalitionsfraktionen wird sich auch in Zukunft an Freiheit und Verantwortung, an Solidarität und Subsidiarität messen lassen. Wir werden dies zum Maßstab unseres eigenen Handelns machen. ({14}) Wir werden diejenigen fordern und fördern, die der Hilfe bedürfen. Darauf ist Verlass. ({15})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Katrin Kunert hat das Wort für die Fraktion Die Linke. ({0})

Katrin Kunert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003795, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Schade, Herr Fischer hat den Raum verlassen. Ich habe nämlich ebenfalls ein Schreiben aus dem Wahlkreis bekommen. Der Absender schreibt: Ich selbst bin Hartz-IV-Aufstocker, bekomme aufgrund einer chronischen Krankheit 293 Euro Erwerbsunfähigkeitsrente, und vom jetzigen Regelsatz kann ich nicht täglich warm und gut essen. Es reicht einfach nicht, außer man isst Nudeln und Kartoffeln im Wechsel. Aber das hält niemand durch. Die Frage ist, wie man auf ein solches Schreiben im Gegensatz zu Ihnen, Herr Fischer, reagiert. ({0}) Frau Ministerin, Ihr Haushalt spart bei den Ärmsten - die Ministerin ist nicht mehr bis zum Ende der Debatte anwesend; das ist sehr bedauerlich -, und er spart bei denen, die nicht selber für sich sorgen können. Wir sagen: Das ist unsozial. Deshalb lehnen wir den Haushalt ab. ({1}) Die Erfüllung unserer Forderungen kostet vielleicht 36 Milliarden Euro. Aber wenn wir die Millionärsteuer in Deutschland erheben würden, hätten wir per anno 80 Milliarden Euro zur Verfügung. Das würde im Übrigen auch reichen, um die Nettokreditaufnahme zu verringern. ({2}) Wir lehnen den Etat in dieser Form ab, und ich will Ihnen auch sagen, warum. Die Regelsätze sind nicht anhand des Bedarfs ermittelt worden; sie sind anhand von vorhandenen Ausgaben ermittelt worden. Das heißt, bei der Ermittlung des Bedarfs einer Familie, die von Arbeitslosengeld II leben muss, wird nur das zugrunde gelegt, wofür Geld da ist: für das Kino, vielleicht für den Sportverein, vielleicht für einen Besuch der Schwimmhalle einmal im halben Jahr, nicht für Musikschulunterricht, nicht für Nachhilfe. Mittlerweile haben Sie ein Bildungspaket für mehr Bildung und Teilhabe aufgelegt. Sie wollen mit Gutscheinen Nachhilfe ermöglichen. Obwohl Sie die Kompetenz für die Schulbildung an die Länder abgegeben haben, wollen Sie im Nachhinein Fehler im Schulsystem korrigieren. Das wird so nicht funktionieren. ({3}) Außerdem wollen Sie Gutscheine für die Mitgliedschaft in einem Sportverein ausgeben. Was ist aber, wenn ein Kind talentiert ist und es zu Wettkämpfen fahren kann? Was ist mit dem Mehrbedarf an guter, vernünftiger Ernährung und Bekleidung? Was ist, wenn ein Kind zu einer Sportschule gehen kann? Ein Internatsplatz, Herr Kauder, kostet im Monat in Sachsen-Anhalt 230 Euro. Wie wollen wir Teilhabe bis zum Ende für Kinder und Jugendliche im Sportbereich sichern? Das ist etwas, das wir auf jeden Fall im Auge behalten müssen; schließlich sagen wir: Sportpolitik ist auch Sozialpolitik. Die Linke wird unter anderem einen Antrag zur Eingliederungsleistung einbringen. Darin wird gefordert, dass 100 Millionen Euro zur Schaffung eines öffentlich geförderten Beschäftigungssektors im Bereich des Breitensports bereitgestellt werden. Hiervon sollen Übungsleiterinnen und Übungsleiter, Trainerinnen und Trainer bezahlt werden, damit man die Attraktivität von Sportvereinen verbessert und damit Kinder und Jugendliche in den Sportvereinen gut aufgehoben sind - immer vor dem Hintergrund: Sportpolitik ist auch Sozialpolitik. ({4}) Um das alles auf den richtigen Weg zu bringen, werden wir in den nächsten Tagen an einem Antrag zur besseren Sportförderung arbeiten; denn Sie scheinen nicht in der Lage zu sein, das breite Aufgabenspektrum in diesem Haushalt wirklich für die Entwicklung von Kindern und Jugendlichen zu nutzen. Schönen Dank. ({5})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Paul Lehrieder hat das Wort für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Paul Lehrieder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003799, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Noch 2008 haben uns ernst zu nehmende Experten Arbeitslosenzahlen von ungefähr 5 Millionen prophezeit. Wer hätte damals geahnt, dass wir heuer, genauer gesagt: im Herbst des Jahres 2010, die 3-Millionen-Marke bereits unterschritten haben? Das hätte uns niemand zugetraut. Die Eckwerte des Arbeitsmarktes weisen für Oktober 2010 2,9 Millionen Arbeitslose aus. Das ist natürlich immer noch zu viel. Nichts zeigt aber deutlicher: Nach der schweren Wirtschafts- und Finanzkrise geht es langsam aufwärts. ({0}) Dass wir von dieser Krise aber schnell wieder eingeholt werden können, zeigt in den letzten Tagen auch der Fall Irland. Wir müssen aufpassen, dass wir die Krise nicht zu leichtfertig als überwunden betrachten; vielmehr müssen wir Bemühungen, vor allem Einsparbemühungen, an den Tag legen, um anders als Griechenland oder Irland nicht in diesen gefährlichen Sog zu geraten, Herr Kollege Heil. ({1}) Den Auswirkungen neuer Erschütterungen müssen wir rechtzeitig, also bereits heute, entgegenwirken. Das haben wir im Grunde genommen schon vor Beginn der Krise durch die Reformen am Arbeitsmarkt getan, die wir jetzt konsequent weiterführen. Wir untermauern unsere Reformen nun durch einen Spar- und Konsolidierungskurs, der bereits eindrucksvolle Erfolge zeigt. Nehmen wir das Beispiel Kurzarbeitergeld. Dieses hat lange ein Schattendasein geführt. Herr Kollege Binding hat vorhin zu Recht auf die Verdienste des früheren Arbeitsministers Scholz bei der Verlängerung des Kurzarbeitergeldes hingewiesen. ({2}) - Hier dürfen Sie alle klatschen, die ganze SPD. ({3}) Der beherzte Einsatz und der Ausbau dieses Instruments in der Krise hat gerade hier in Deutschland Hunderttausende von Arbeitsplätzen gerettet. Das Ausland blickt neidisch auf Deutschland. Das Wort „Kurzarbeitergeld“ ist in andere Sprachen mittlerweile übertragen worden. Die Entstehung von Langzeitarbeitslosigkeit konnte verhindert werden. Kaufkraft und Zuversicht wurden erhalten. Hierauf hat unser Finanzminister heute Morgen bereits hingewiesen. Das jedoch kostet Geld; es ist aber besser, frühzeitig in die Vermeidung von Arbeitslosigkeit zu investieren, als nachträglich die Arbeitslosigkeit - mit allen langwierigen materiellen und psychologischen Folgen - zu finanzieren. Jetzt ernten wir die Früchte. Schon im Bundeshaushalt 2010 machte der Etat des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales 143 Milliarden Euro aus, 3,6 Milliarden weniger als ursprünglich veranschlagt. Immerhin: Der Einzelplan 11 umfasst 51,7 Prozent des Gesamthaushalts. Der Einzelplan 11 für das kommende Jahr, für 2011, liegt, wie bereits gehört, mit nunmehr 131,3 Milliarden Euro noch einmal deutlich unter dem alten Finanzplan. Wie sagt bereits der Volksmund? Spare in der Zeit, dann hast du in der Not. Diesem Diktum bleiben wir treu. Dieser Haushalt ist nicht nur die Bilanz der guten Krisenbewältigung, sondern auch Vorbote für die nächsten Herausforderungen. Wir müssen den positiven Schub durch die Erholung der Wirtschaft ausnutzen. Die Langzeitarbeitslosen haben angesichts der boomenden Nachfrage jetzt gute Chancen, wieder auf dem ersten Arbeitsmarkt Fuß zu fassen. Lieber Herr Ernst, Sie haben hier eben abermals Ihr Patentrezept des Mindestlohnes angepriesen. Ich muss Ihnen abermals widersprechen: Mit einem Mindestlohn in der von Ihnen geforderten Höhe sind wir nicht in der Lage, eine vierköpfige Familie aus dem Hartz-IV-Bezug herauszuholen. ({4}) Da brauchen wir nicht über 8,50 Euro und nicht über 10 Euro zu reden. Die Sozialleistungen, die wir auch heuer wieder in den Bundeshaushalt hineingeschrieben haben, entsprechen bei einer vierköpfigen Familie immerhin Transferleistungen in einer Größenordnung, die einem Mindestlohn von 11,80 Euro aufwärts entsprechen. Auch das muss man fairerweise dazusagen. ({5}) Frau Kollegin Kunert, weil Sie gerade so schön hergeschaut haben: Ich komme nachher noch mal im Einzelnen zum Bildungspaket. Es ist aber bereits jetzt schon so. Wenn Sie das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 9. Februar genau durchlesen, werden Sie feststellen, dass darin steht: Das Recht auf Teilhabe beinhaltet die Möglichkeit, an bestehenden Einrichtungen teilzunehmen. Ich kenne bei mir im Wahlkreis sehr viele Sportvereine und Musikvereine, die bereits jetzt entsprechende Bildungsangebote für Jugendliche vorsehen. In meiner letzten Rede im Bundestag habe ich auf die Sing- und Musikschule Würzburg hingewiesen, die bereits jetzt Sozialtarife für eine Mitgliedschaft bietet. Für beispielsweise 10 Euro im Monat für ein Kind besteht die Möglichkeit, Angebote auch von Sport- und Musikvereinen in Anspruch zu nehmen. Malen Sie um Gottes willen den Teufel nicht an die Wand. Wir werden das beobachten und schauen, wie wir damit zurechtkommen. Und wir werden schauen, dass wir das im Interesse der Kinder bzw. der Betroffenen entsprechend weiterentwickeln. Der bisher befristete Zuschlag beim Wechsel von ALG-I- zu ALG-II-Leistungen wird in Zukunft - im Hinblick auf die Verlängerung der Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes bei älteren Arbeitnehmern und auch die verstärkte Anreizsetzung zur Arbeitsaufnahme - entfallen. Die Rentenversicherungspflicht für ALG-II-Empfänger - auch darauf hat der Kollege Ernst wieder mit großem Lamento hingewiesen - entfällt. Dadurch ergibt sich - das ist richtig - eine Minderung der monatlichen Rentenzahlung von bis zu 2,09 Euro pro Jahr des Bezugs von ALG II. Die Gewährung von ALG II soll nur aktuelle Hilfsbedürftigkeit beseitigen. Sie kann kein geeignetes Mittel für den altersgerechten Aufbau entsprechender Rentenleistungen in der Zukunft sein. Das heißt, Sie hätten, wenn Sie 40 Jahre lang Langzeitarbeitslosengeld bekommen hätten, eine Rente von maximal 80 Euro. Das ist weder nach heutigem noch nach zukünftigem Recht auskömmlich. Das heißt, da würden Sie auch in Zukunft unter Leistungen nach dem SGB XII fallen. Das muss man den Leuten auch mal sagen. Die Welt geht in Bezug auf die 2,09 Euro beim besten Willen weder für kurz in Langzeitarbeitslosigkeit Befindliche noch für dauerhaft in Langzeitarbeitslosigkeit Befindliche unter. Gleichzeitig haben wir aber deutliche Erhöhungen im sozialen Bereich vorgenommen. So sind 200 Millionen Euro zusätzlich als Vorsorge zur Unterstützung der Kommunen bei den Kosten der Unterkunft ermöglicht worden. Da gab es immerhin eine Erhöhung von 3,4 Milliarden Euro auf 3,6 Milliarden Euro. Hier ist eine Beteiligungssatzerhöhung um 1,5 Prozent - von 23,6 Prozent auf 25,1 Prozent - im Haushalt berücksichtigt worden. Die im Haushaltsbegleitgesetz beschlossene Beibehaltung des Elterngeldes für Aufstocker und Minijobber führt zu weiteren zusätzlichen Ausgaben von 70 Millionen Euro. Ich würde hier ganz gerne noch die anderen Maßnahmen ansprechen; aber es gibt sicher noch die eine oder andere Gelegenheit dazu. Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit und bitte Sie, diesem richtungsweisenden Haushalt, der von unserer Ministerin aufgestellt wurde, zuzustimmen. An dieser Stelle bedanke ich mich als Fachpolitiker auch beim Ministerium und bei den Haushältern für die konstruktive, gute und kooperative Arbeit bei der Erstellung dieses Haushalts. Herzlichen Dank. ({6})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Das Wort hat der Kollege Dr. Wolfgang StrengmannKuhn für Bündnis 90/Die Grünen.

Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003888, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Bundesregierung verschärft mit dem vorliegenden Haushalt die soziale Verschuldung in diesem Land. ({0}) Deswegen sprechen wir auch ungern davon, dass gespart wird. Sparen sieht nämlich eigentlich anders aus. Es handelt sich bei dem, was da vorgenommen wird, bestenfalls um Kürzungen. ({1}) Wir sind nicht die Einzigen, die das so sehen. Ein Zitat lautet, dass der Bundeshaushalt auf Kosten der Beitragszahler der gesetzlichen Rentenversicherung entlastet wird. Bei der Streichung der Beiträge für Arbeitslosengeld-II-Empfänger handelt es sich, wie auch bei dem Wegfall der Erstattungen des Bundes für die Ostrentenaufstockung, die beide als versicherungsfremde Leistungen anzusehen und somit vom Bund zu finanzieren sind, um reine „Verschiebebahnhöfe“. Das Zitat stammt nicht aus einem der vielen tollen Beschlüsse unseres Parteitages am Wochenende, sondern es stammt aus dem gerade vorgelegten Gutachten des Sachverständigenrates für Wirtschaft. Auf diesen sollten Sie vielleicht einmal achten und hören. ({2}) Die Streichung der Rentenversicherungsbeiträge führt nämlich gar nicht zu geringeren Ausgaben, sondern nur zu geringeren Einnahmen in Höhe von 2 Milliarden Euro jährlich bei der Rentenversicherung, die nun von den Beitragszahlerinnen und Beitragszahlern gezahlt werden müssen. Letzten Mittwoch hat die Bundesregierung den Rentenversicherungsbericht beschlossen. Seitdem wissen wir, dass die Beiträge ab 2014 um 0,6 Prozentpunkte höher als bisher geplant liegen werden. Die Bundesministerin findet diesen Anstieg akzeptabel; wir finden das nicht. ({3}) Vor kurzem hat der DGB-Vorsitzende Michael Sommer ebenfalls höhere Beiträge in ungefähr dieser Größenordnung akzeptabel gefunden. Da haben Sie das noch kritisiert. Er tat dies mit der Begründung, dass man dann auf die Rente mit 67 verzichten könnte. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir machen diesen Wettlauf um höhere Rentenversicherungsbeiträge nicht mit und sind deswegen sowohl nach wie vor für die Rente mit 67 als auch für die Rücknahme der Streichung der Beiträge für die Langzeitarbeitslosen. ({4}) Aber die Lage der Rentenversicherung ist nicht der einzige Grund, warum wir gegen die Streichung der Beiträge sind. Von diesem Verschiebebahnhof betroffen ist nämlich nicht nur die Rentenversicherung. Durch die Streichung wird auch das Risiko von Altersarmut erhöht, und viele Arbeitslose in ALG-II-Bezug werden ihren Anspruch auf Erwerbsminderungsrente verlieren. Dadurch steigen die Kosten der Grundsicherung und damit die Ausgaben der Kommunen. Die Kommunen sind aber ohnehin schon belastet, weil der Anteil des Bundes an den Kosten der Unterkunft immer noch zu niedrig liegt. Dabei sind es doch die Kommunen, die vor allem für die öffentliche Infrastruktur zuständig sind, die soziale Teilhabe schafft. Wir wollen deswegen den Anteil des Bundes an diesen Kosten erhöhen, um die Kommunen zu entlasten. ({5}) Die Leidtragenden der Politik der Bundesregierung sind die Ärmsten in unserem Land, wie sich gestern auch bei der Anhörung zu den Regelsätzen von Hartz IV und der Grundsicherung im Alter zeigte. Dabei machten die Expertinnen und Experten deutlich, dass die Berechnung der Bundesregierung in großen Teilen nicht den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts entspricht, Frau Ministerin. Sie verstoßen in Teilen gegen die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts. Wir beantragen - das wurde ja eben schon gesagt -, dass der Regelsatz auf 420 Euro erhöht wird. Das ist der Betrag, der vom Paritätischen Wohlfahrtsverband damals noch auf Basis der Daten von 2003 errechnet wurde. Erste aktuelle Schätzungen des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes kommen auf 416 Euro. Heute Morgen hat auch die Diakonie eine Studie vorgelegt. In dieser wurde erstmals wissenschaftlich berechnet, wie hoch der Regelsatz sein müsste, wenn man die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts tatsächlich einhalten wollte. Diese Studie kommt zu dem Ergebnis: nicht 364 Euro, wie Sie behaupten, sondern, korrekt berechnet, mindestens 433 Euro. Das sind 69 Euro mehr, als die Bundesregierung hat berechnen lassen. Das zeigt, mit welchen Tricks da gearbeitet worden ist. ({6})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Kollege, Sie müssen bitte zum Ende kommen.

Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003888, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich bin gleich fertig. - Würden die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts im vollen Umfang umgesetzt, müssten es sogar noch mehr sein. Das heißt, die 420 Euro, die wir beantragt haben, sind das absolute Minimum. Der Haushalt der Bundesregierung ist also im wahrsten Sinne des Wortes ein Armutszeugnis. Er geht zulasten der Ärmsten, zulasten der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und zulasten der Kommunen. Wir werden das nicht mitmachen und werden deswegen dagegen stimmen. Danke schön. ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Einzel- plan 11, Bundesministerium für Arbeit und Soziales, in der Ausschussfassung. Hierzu liegen acht Änderungsan- träge vor, über die wir zunächst abstimmen. Wir beginnen mit dem Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/3821, zu dem namentliche Abstimmung verlangt wurde. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehe- nen Plätze einzunehmen. - Sind alle Urnen besetzt? - Das ist der Fall. Dann eröffne ich die Abstimmung. Sind noch Kolleginnen und Kollegen anwesend, die ihre Stimmkarte nicht abgeben konnten? - Das ist nicht der Fall. Dann schließe ich die Abstimmung und bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Aus- zählung zu beginnen.1) Wir setzen jetzt die Abstimmungen fort und kommen zu den zwei Änderungsanträgen der Fraktion der SPD. Wir stimmen zunächst über den Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 17/3830 ab. Wer stimmt für diesen Änderungsantrag? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist abgelehnt worden. Zugestimmt haben die Oppositionsfraktionen. Die Regierungsfraktionen haben dagegen gestimmt. 1) Ergebnis Seite 7987 D Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt Wir kommen zur Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 17/3831. Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Dieser Änderungsantrag ist ebenfalls abgelehnt mit dem gleichen Stimmenverhältnis wie zuvor. Wir kommen jetzt zu den beiden Änderungsanträgen der Fraktion Die Linke, zunächst zur Abstimmung über den Änderungsantrag auf Drucksache 17/3819. Wer stimmt für den Änderungsantrag? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Änderungsantrag ist abgelehnt bei Zustimmung durch die einbringende Fraktion; alle anderen haben dagegen gestimmt. Wir kommen zur Abstimmung über den Änderungsantrag auf Drucksache 17/3820. Wer stimmt für den Änderungsantrag? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? Der Änderungsantrag ist abgelehnt. Dafür hat gestimmt die Fraktion Die Linke, dagegen haben CDU/CSU und FDP gestimmt. SPD und Bündnis 90/Die Grünen haben sich enthalten. Wir kommen schließlich zu drei Änderungsanträgen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Abstimmung über den Änderungsantrag auf Drucksache 17/3822. Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist abgelehnt. Dafür hat die einbringende Fraktion gestimmt, dagegen haben die Fraktionen der CDU/CSU, der FDP und der SPD gestimmt. Die Linke hat sich enthalten. Wir kommen zur Abstimmung über den Änderungsantrag auf Drucksache 17/3823. Wer stimmt dafür? Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist abgelehnt bei Zustimmung durch Bündnis 90/Die Grünen und die Linke; die übrigen Fraktionen haben dagegen gestimmt. Wir kommen zur Abstimmung über den Änderungsantrag auf Drucksache 17/3824. Wer stimmt für diesen Änderungsantrag? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist abgelehnt bei Zustimmung durch die Oppositionsfraktionen. Die Regierungsfraktionen haben dagegen gestimmt. Bis zum Vorliegen des Ergebnisses der namentlichen Abstimmung unterbreche ich die Sitzung. Die Sitzung ist unterbrochen. ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Die Sitzung ist wieder eröffnet. Ich gebe Ihnen das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/3821 bekannt: abgegebene Stimmen 571. Mit Ja haben gestimmt 132, mit Nein haben gestimmt 439. Damit ist der Änderungsantrag abgelehnt. Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen: 571; davon ja: 132 nein: 439 Ja DIE LINKE Jan van Aken Agnes Alpers Herbert Behrens Karin Binder Matthias W. Birkwald Steffen Bockhahn Christine Buchholz Eva Bulling-Schröter Roland Claus Sevim Dağdelen Dr. Diether Dehm Heidrun Dittrich Werner Dreibus Dr. Dagmar Enkelmann Wolfgang Gehrcke Nicole Gohlke Annette Groth Dr. Gregor Gysi Heike Hänsel Dr. Rosemarie Hein Inge Höger Andrej Hunko Ulla Jelpke Dr. Lukrezia Jochimsen Katja Kipping Harald Koch Jan Korte Jutta Krellmann Caren Lay Michael Leutert Ulla Lötzer Dr. Gesine Lötzsch Thomas Lutze Ulrich Maurer Cornelia Möhring Kornelia Möller Niema Movassat Wolfgang Nešković Thomas Nord Jens Petermann Richard Pitterle Yvonne Ploetz Ingrid Remmers Paul Schäfer ({0}) Michael Schlecht Dr. Ilja Seifert Kathrin Senger-Schäfer Raju Sharma Dr. Petra Sitte Kersten Steinke Sabine Stüber Alexander Süßmair Dr. Kirsten Tackmann Frank Tempel Dr. Axel Troost Alexander Ulrich Kathrin Vogler Johanna Voß Halina Wawzyniak Harald Weinberg Katrin Werner Jörn Wunderlich Sabine Zimmermann BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Kerstin Andreae Marieluise Beck ({1}) Volker Beck ({2}) Cornelia Behm Alexander Bonde Viola von Cramon-Taubadel Ekin Deligöz Katja Dörner Dr. Thomas Gambke Kai Gehring Britta Haßelmann Winfried Hermann Priska Hinz ({3}) Ulrike Höfken Bärbel Höhn Ingrid Hönlinger Thilo Hoppe Uwe Kekeritz Katja Keul Memet Kilic Maria Klein-Schmeink Ute Koczy Tom Koenigs Sylvia Kotting-Uhl Oliver Krischer Agnes Krumwiede Fritz Kuhn Stephan Kühn Renate Künast Markus Kurth Undine Kurth ({4}) Monika Lazar Agnes Malczak Jerzy Montag Kerstin Müller ({5}) Beate Müller-Gemmeke Ingrid Nestle Dr. Konstantin von Notz Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt Omid Nouripour Friedrich Ostendorff Dr. Hermann Ott Lisa Paus Tabea Rößner Claudia Roth ({6}) Krista Sager Manuel Sarrazin Dr. Gerhard Schick Dorothea Steiner Dr. Wolfgang StrengmannKuhn Hans-Christian Ströbele Dr. Harald Terpe Markus Tressel Jürgen Trittin Wolfgang Wieland Dr. Valerie Wilms Nein CDU/CSU Ilse Aigner Peter Aumer Dorothee Bär Thomas Bareiß Günter Baumann Ernst-Reinhard Beck ({7}) Manfred Behrens ({8}) Dr. Christoph Bergner Peter Beyer Steffen Bilger Clemens Binninger Peter Bleser Dr. Maria Böhmer Wolfgang Börnsen ({9}) Wolfgang Bosbach Klaus Brähmig Michael Brand Dr. Reinhard Brandl Helmut Brandt Dr. Ralf Brauksiepe Dr. Helge Braun Heike Brehmer Ralph Brinkhaus Gitta Connemann Leo Dautzenberg Alexander Dobrindt Thomas Dörflinger Marie-Luise Dött Dr. Thomas Feist Enak Ferlemann Ingrid Fischbach Hartwig Fischer ({10}) Dirk Fischer ({11}) Axel E. Fischer ({12}) Dr. Maria Flachsbarth Klaus-Peter Flosbach Dr. Hans-Peter Friedrich ({13}) Erich G. Fritz Dr. Michael Fuchs Hans-Joachim Fuchtel Alexander Funk Ingo Gädechens Dr. Thomas Gebhart Norbert Geis Alois Gerig Eberhard Gienger Josef Göppel Peter Götz Dr. Wolfgang Götzer Ute Granold Reinhard Grindel Hermann Gröhe Michael Grosse-Brömer Markus Grübel Manfred Grund Monika Grütters Olav Gutting Florian Hahn Holger Haibach Dr. Stephan Harbarth Jürgen Hardt Dr. Matthias Heider Mechthild Heil Ursula Heinen-Esser Frank Heinrich Rudolf Henke Michael Hennrich Jürgen Herrmann Ansgar Heveling Ernst Hinsken Peter Hintze Christian Hirte Robert Hochbaum Karl Holmeier Franz-Josef Holzenkamp Joachim Hörster Anette Hübinger Thomas Jarzombek Dieter Jasper Dr. Franz Josef Jung Andreas Jung ({14}) Dr. Egon Jüttner Hans-Werner Kammer Steffen Kampeter Bernhard Kaster Siegfried Kauder ({15}) Volker Kauder Dr. Stefan Kaufmann Roderich Kiesewetter Eckart von Klaeden Ewa Klamt Volkmar Klein Jürgen Klimke Julia Klöckner Axel Knoerig Jens Koeppen Dr. Kristina Schröder Manfred Kolbe Dr. Rolf Koschorrek Hartmut Koschyk Gunther Krichbaum Dr. Günter Krings Rüdiger Kruse Bettina Kudla Dr. Hermann Kues Günter Lach Dr. Karl A. Lamers ({16}) Andreas G. Lämmel Katharina Landgraf Ulrich Lange Dr. Max Lehmer Dr. Ursula von der Leyen Matthias Lietz Dr. Carsten Linnemann Patricia Lips Dr. Jan-Marco Luczak Dr. Michael Luther Dr. Thomas de Maizière Hans-Georg von der Marwitz Andreas Mattfeldt Stephan Mayer ({17}) Dr. Michael Meister Maria Michalk Dr. h. c. Hans Michelbach Dr. Mathias Middelberg Philipp Mißfelder Dietrich Monstadt Stefan Müller ({18}) Nadine Schön ({19}) Dr. Philipp Murmann Bernd Neumann ({20}) Michaela Noll Dr. Georg Nüßlein Franz Obermeier Henning Otte Dr. Michael Paul Rita Pawelski Ulrich Petzold Dr. Joachim Pfeiffer Sibylle Pfeiffer Beatrix Philipp Ronald Pofalla Christoph Poland Ruprecht Polenz Eckhard Pols Daniela Raab Thomas Rachel Eckhardt Rehberg Katherina Reiche ({21}) Josef Rief Klaus Riegert Dr. Heinz Riesenhuber Johannes Röring Dr. Christian Ruck Erwin Rüddel Albert Rupprecht ({22}) Anita Schäfer ({23}) Dr. Annette Schavan Dr. Andreas Scheuer Norbert Schindler Tankred Schipanski Christian Schmidt ({24}) Dr. Andreas Schockenhoff Dr. Ole Schröder Bernhard Schulte-Drüggelte Uwe Schummer Armin Schuster ({25}) Detlef Seif Johannes Selle Reinhold Sendker Dr. Patrick Sensburg Bernd Siebert Thomas Silberhorn Jens Spahn Carola Stauche Dr. Frank Steffel Erika Steinbach Christian Freiherr von Stetten Dieter Stier Gero Storjohann Stephan Stracke Karin Strenz Lena Strothmann Michael Stübgen Dr. Peter Tauber Antje Tillmann Dr. Hans-Peter Uhl Arnold Vaatz Volkmar Vogel ({26}) Andrea Astrid Voßhoff Dr. Johann Wadephul Marco Wanderwitz Kai Wegner Marcus Weinberg ({27}) Peter Weiß ({28}) Sabine Weiss ({29}) Ingo Wellenreuther Karl-Georg Wellmann Peter Wichtel Annette Widmann-Mauz Klaus-Peter Willsch Elisabeth WinkelmeierBecker Dagmar Wöhrl Dr. Matthias Zimmer Wolfgang Zöller SPD Ingrid Arndt-Brauer Rainer Arnold Heinz-Joachim Barchmann Doris Barnett Dr. Hans-Peter Bartels Klaus Barthel Bärbel Bas Dirk Becker Uwe Beckmeyer Lothar Binding ({30}) Gerd Bollmann Klaus Brandner Bernhard Brinkmann ({31}) Ulla Burchardt Martin Burkert Petra Crone Dr. Peter Danckert Martin Dörmann Elvira Drobinski-Weiß Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt Garrelt Duin Sebastian Edathy Siegmund Ehrmann Petra Ernstberger Karin Evers-Meyer Gabriele Fograscher Dr. Edgar Franke Dagmar Freitag Peter Friedrich Michael Gerdes Martin Gerster Iris Gleicke Günter Gloser Ulrike Gottschalck Angelika Graf ({32}) Kerstin Griese Michael Groß Hans-Joachim Hacker Klaus Hagemann Michael Hartmann ({33}) Hubertus Heil ({34}) Rolf Hempelmann Dr. Barbara Hendricks Gustav Herzog Gabriele Hiller-Ohm Petra Hinz ({35}) Frank Hofmann ({36}) Dr. Eva Högl Christel Humme Josip Juratovic Oliver Kaczmarek Dr. h. c. Susanne Kastner Ulrich Kelber Lars Klingbeil Hans-Ulrich Klose Dr. Bärbel Kofler Daniela Kolbe ({37}) Anette Kramme Angelika Krüger-Leißner Ute Kumpf Christine Lambrecht Christian Lange ({38}) Steffen-Claudio Lemme Burkhard Lischka Kirsten Lühmann Caren Marks Katja Mast Hilde Mattheis Petra Merkel ({39}) Ullrich Meßmer Dr. Matthias Miersch Franz Müntefering Dr. Rolf Mützenich Andrea Nahles Dietmar Nietan Manfred Nink Thomas Oppermann Holger Ortel Heinz Paula Johannes Pflug Joachim Poß Dr. Wilhelm Priesmeier Dr. Sascha Raabe Mechthild Rawert Gerold Reichenbach Dr. Carola Reimann Sönke Rix Dr. Ernst Dieter Rossmann Karin Roth ({40}) Marlene Rupprecht ({41}) Anton Schaaf Axel Schäfer ({42}) Bernd Scheelen Marianne Schieder ({43}) Werner Schieder ({44}) Ulla Schmidt ({45}) Silvia Schmidt ({46}) Carsten Schneider ({47}) Olaf Scholz Swen Schulz ({48}) Frank Schwabe Dr. Martin Schwanholz Rolf Schwanitz Stefan Schwartze Rita Schwarzelühr-Sutter Dr. Carsten Sieling Sonja Steffen Christoph Strässer Kerstin Tack Dr. h. c. Wolfgang Thierse Franz Thönnes Wolfgang Tiefensee Rüdiger Veit Ute Vogt Dr. Marlies Volkmer Andrea Wicklein Heidemarie Wieczorek-Zeul Waltraud Wolff ({49}) Uta Zapf Dagmar Ziegler Manfred Zöllmer Brigitte Zypries FDP Jens Ackermann Christian Ahrendt Christine AschenbergDugnus Daniel Bahr ({50}) Florian Bernschneider Sebastian Blumenthal Claudia Bögel Nicole Bracht-Bendt Klaus Breil Rainer Brüderle Angelika Brunkhorst Ernst Burgbacher Marco Buschmann Sylvia Canel Helga Daub Reiner Deutschmann Dr. Bijan Djir-Sarai Patrick Döring Mechthild Dyckmans Rainer Erdel Jörg van Essen Otto Fricke Dr. Edmund Peter Geisen Dr. Wolfgang Gerhardt Hans-Michael Goldmann Heinz Golombeck Miriam Gruß Joachim Günther ({51}) Dr. Christel Happach-Kasan Heinz-Peter Haustein Manuel Höferlin Elke Hoff Birgit Homburger Dr. Werner Hoyer Heiner Kamp Michael Kauch Pascal Kober Gudrun Kopp Dr. h. c. Jürgen Koppelin Holger Krestel Patrick Kurth ({52}) Harald Leibrecht Sabine LeutheusserSchnarrenberger Lars Lindemann Christian Lindner Dr. Martin Lindner ({53}) Michael Link ({54}) Dr. Erwin Lotter Oliver Luksic Gabriele Molitor Jan Mücke Petra Müller ({55}) Burkhardt Müller-Sönksen Dr. Martin Neumann ({56}) Dirk Niebel Hans-Joachim Otto ({57}) Cornelia Pieper Gisela Piltz Dr. Christiane RatjenDamerau Dr. Birgit Reinemund Dr. Peter Röhlinger Dr. Stefan Ruppert Björn Sänger Frank Schäffler Jimmy Schulz Marina Schuster Dr. Erik Schweickert Werner Simmling Judith Skudelny Joachim Spatz Dr. Max Stadler Dr. Rainer Stinner Stephan Thomae Florian Toncar Serkan Tören Johannes Vogel ({58}) Dr. Daniel Volk Dr. Guido Westerwelle Dr. Volker Wissing Hartfrid Wolff ({59}) Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Einzelplan 11 in der Ausschussfassung. Wer stimmt für den Einzelplan? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Damit ist der Einzelplan 11 bei Zustimmung durch CDU/CSU und FDP angenommen; SPD, Bündnis 90/Die Grünen und Die Linke haben dagegen gestimmt. Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt I.6 auf: Einzelplan 12 Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung - Drucksachen 17/3512, 17/3523 Berichterstattung: Abgeordnete Bartholomäus Kalb Dr. Claudia Winterstein Stephan Kühn Zum Einzelplan 12 liegen zwei Änderungsanträge der Fraktion der SPD sowie zwei Änderungsanträge der Fraktion Die Linke vor. Über einen Änderungsantrag der SPD werden wir später namentlich abstimmen. Außerdem liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor, über den wir am Freitag nach der Schlussabstimmung abstimmen werden. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt Zwischen den Fraktionen ist es verabredet, zu diesem Einzelplan eineinhalb Stunden zu debattieren. - Dazu sehe und höre ich keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und gebe das Wort dem Kollegen Johannes Kahrs für die SPD-Fraktion. ({60})

Johannes Kahrs (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003157, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Werter Herr Minister, wir treffen uns jetzt wieder, nachdem wir schon im September über diesen Etat diskutiert haben. Es hat sich nichts Entscheidendes verändert. Lassen Sie mich trotzdem einige Punkte ansprechen. Wenn Sie alle den Blick auf die Tafel lenken, dann sehen Sie, dass dort steht: EPl 12 „Verkehr“. ({0}) Das trifft genau den Zustand dieses Etats: Der Minister hat sich nur um den Bereich Verkehr gekümmert, aber nicht um den Bereich Bau; darüber können wir gleich diskutieren. Ich bin der Bundestagsverwaltung dankbar, dass sie damit einmal verdeutlicht hat, wie die Lage bei diesem Etat ist. Herr Minister, wenn wir uns den Etat genau anschauen, stellen wir fest, dass der Finanzminister gegen Sie gewonnen hat. In Ihnen selber hat der Verkehrsminister über den Bauminister gewonnen. Wenn man in die Tiefe geht, stellt man fest, dass es im Bereich CO2-Gebäudesanierung eher tragisch gelaufen ist. Wir hatten einmal ein erfolgreiches Programm, das den Zielen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland entsprach. Dann kamen Sie, Herr Minister, und Ihre Staatssekretärstruppe, die hinter Ihnen sitzt. Feine Jungs, in der Sache haben sie aber nicht viel gebracht. ({1}) Wenn wir uns den Etat genau anschauen, stellen wir fest, dass nicht mehr 1,5 Milliarden Euro vorgesehen sind - die sind für dieses Programm einmal ausgegeben worden -, sondern nur noch etwa 435 Millionen Euro. Sie haben auf den Haushaltsausschuss gehofft. Die Kollegen waren auch alle ganz tapfer. Jetzt ist vorgesehen, dass über den Energie- und Klimafonds vielleicht noch 500 Millionen Euro hinzukommen. Warten wir einmal ab, wie das mit dem Energie- und Klimafonds laufen wird. Wir alle sind sehr gespannt, ob das Geld kommt oder nicht. Selbst wenn Sie das schaffen sollten - es sind noch nicht alle Messen gelesen -, landen Sie bei deutlich weniger als 1 Milliarde Euro. In der Debatte zur ersten Lesung im September hatten wir relativ viel Spaß bei der Diskussion über die Frage, was das Kabinett will. Minister Röttgen hat in der BildZeitung verkündet, dass mindestens 2 Milliarden Euro dafür zur Verfügung gestellt werden sollen. Staatssekretär Mücke war mit 3 Milliarden Euro dabei. Sie sind immer noch bei etwa 435 Millionen Euro plus - vielleicht, wenn es irgendwann einmal klappt - 500 Millionen Euro. Das zeigt, was all die Ankündigungen aus Ihrem Haus letztendlich wert sind: in der Sache nichts. ({2}) Das CO2-Gebäudesanierungsprogramm ist nicht irgendein Programm. Man kann darüber streiten, ob alle Programme zielführend sind. Das CO2-Gebäudesanierungsprogramm war zielführend. Es hat nicht nur dazu gedient, die Klimaschutzziele der damaligen Bundesregierung zu erfüllen - das sind übrigens auch die Ziele der jetzigen Bundesregierung, die sie aber nicht erreichen wird -, sondern es hat auch dazu geführt, dass viele Menschen in Deutschland mit finanzieller Unterstützung das umsetzen konnten, was sie bei sich für richtig hielten. Mit diesem Programm wurden die Wirtschaft, der Mittelstand und das Handwerk unterstützt. Wenn man in Wahlkreisen, in Städten und Kommunen, unterwegs ist, sieht man die Trümmer und Schleifspuren, die Sie mit dieser Etatkürzung verursacht haben. Ich glaube nicht, dass das viel Spaß machen wird. Es ist in der Sache falsch. Alle Ankündigungen haben nichts gebracht. Das ist tragisch. Schauen wir uns den Bereich der Städtebauförderung an! Es gibt viele Punkte, über die wir ausgiebig reden könnten. Ich bin sicher, dass einer meiner Kollegen das später tun wird. Schließlich ist die Debatte noch lang genug. Ich möchte jetzt auf einen speziellen Punkt eingehen. In den letzten Wochen und Monaten erhielten wir alle Zuschriften von Betroffenen, denen jetzt klar geworden ist, was es bedeutet, wenn man in diesem Land CDU, CSU oder FDP wählt. Wir haben uns die geplanten Kürzungen im Bereich der Städtebauförderung angeschaut. Die Mitarbeiter des Projekts „Stadtteilmütter in Neukölln“ sagen ganz klar, was sie von der Kürzung halten, was diese Kürzung für ihre Arbeit bedeutet. Der Quartiersrat Falkenhagener Feld - Ost - hat genau aufgeführt, was er im Bereich Quartiersmanagement tut. ({3}) - Das muss man sich aber einmal im Detail anschauen, Norbert. Hier steht vieles drin, was wahr ist. Wenn man sich die gute Arbeit der Quartiersräte aus Reinickendorf, Spandau, Wedding oder Neukölln anschaut, stellt man fest, dass sie die Integrationsarbeit gemacht haben - ich nenne nur das preisgekrönte Projekt „Stadtteilmütter in Neukölln“ -, über die wir immer gesprochen haben. Worüber reden wir hier immer, und zwar nicht erst seit Sarrazin? Über Integrationsarbeit, darüber, wie es in den Stadtteilen läuft, und darüber, wie wir vermeiden können, dass wir in bestimmten Vororten von Großstädten Zustände wie in Frankreich oder anderswo bekommen! Über solche Programme macht man vor Ort eine vernünftige Integrations-, Sozial- und Stadtteilarbeit. ({4}) Stadtteile bestehen nicht nur aus Steinen und Mauern. Sie bestehen auch aus Menschen, die dort leben und arbeiten. ({5}) Wir müssen die Menschen mitnehmen. „Fördern und Fordern“ heißt, dass man die Menschen fördert, wenn man etwas von ihnen fordert. Auf diese Mischung muss man achten. Dieses Programm hat das geleistet. Der Gesamtverband deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmen - kein sozialdemokratischer Kampfverband, wenn man das mal feststellen darf ({6}) hat gesagt: Das Programm hat in den vergangenen zehn Jahren wesentlich dazu beigetragen, die Wohnquartiere und Nachbarschaften in den Städten sozial zu stabilisieren und nachhaltig positiv zu entwickeln. Mittel für das Projekt „Näh- & Werkstudios“ im Quartiersmanagement Richardplatz Süd - auch in Berlin werden jetzt nach und nach gestrichen. Diesen Etat haben Sie ja sowieso zusammengestrichen und halbiert. Hier haben die Kollegen im Haushaltsausschuss jedoch dankenswerterweise ein Einsehen gehabt, weil natürlich bundesweiter Protest kam, weil die Opposition ordentlich Randale gemacht hat, weil wir natürlich klar gesagt haben, dass das so nicht geht. Das hat dann doch wirklich Wirkung gezeigt - ab und an passiert das ja auch mal bei Ihnen -, hat also auch zu Ergebnissen geführt. Die Ergebnisse sind teilweise erfreulich, weil Sie ja am Ende Geld draufgelegt haben, auch wenn Sie immer noch 150 Millionen Euro unter dem bleiben, was es in den Vorjahren gegeben hat. ({7}) - Das ist nicht falsch, es ist richtig. Sie müssen einfach die Zahlen lesen. Lesen bildet, Denken hilft, Frau Dr. Winterstein - auch bei Ihnen. ({8}) Wenn wir uns das hier angucken, dann stellen fest, dass hier für die soziale Stadt noch 28,520 Millionen Euro übrig bleiben. Sie haben als Koalition - Sie, Frau Dr. Winterstein, sind da maßgeblich - im Haushaltsausschuss einen Antrag gestellt. Darin steht: Der Haushaltsausschuss fordert die Bundesregierung auf sicherzustellen, dass die Fördermittel für den Programmteil „Soziale Stadt“ … weit überwiegend für investive Maßnahmen eingesetzt werden. Sie werden also nicht für das eingesetzt, was ich hier eben vorgetragen habe, ({9}) sondern für das Gegenteil davon. Das ist doch der Punkt. ({10}) - Ganz ruhig bleiben in der FDP! Erstens haben Sie noch genug Redezeit, zweitens ist das, was Sie hier dazwischenpöbeln, in der Sache falsch, und drittens sollten Sie Ihre eigenen Vorlagen lesen. Bei den Haushaltstiteln zum Einzelplan 12 steht: Die Bundesmittel können zwischen den Programmen nach Maßgabe der Verwaltungsvereinbarung umverteilt werden, jedoch nicht zu Gunsten der Erläuterungsziffer 7. - „Soziale Stadt“. Minderausgaben bei einem Programm können zur Verstärkung in einem anderen Programm verwendet werden; jedoch nicht zu Gunsten der Erläuterungsziffer 7. Das ist wieder: „Soziale Stadt“. Sie sehen also, die haben Sie ganz bewusst ausgenommen. Das ist schäbig, und das ist in der Sache falsch. ({11}) Abschließend, Herr Minister, kann ich Ihnen einen Punkt nicht ersparen, weil ich ja von der Küste komme. Die Kieler Nachrichten schreiben: Kein Geld mehr für Lotsenboote. Für das Lotsenwesen und das, was wir dafür auch entsprechend brauchen, hatten wir mal einen Etat von 31 Millionen Euro. Das haben Sie für 2010 auf 19 Millionen Euro gekürzt. Das haben wir immer kritisiert. Jetzt stellen wir gerade fest: Dem Lotsenbetriebsverein sind die Haushaltsmittel ausgegangen. Sie haben kein Geld mehr. Sie werden eine überplanmäßige Ausgabe beantragen müssen. Sie werden wieder in den Haushaltsausschuss gehen müssen. Wir hoffen, dass wir für die nächsten ein oder zwei Wochen noch Geld für die Lotsen haben. - Das ist nicht mehr lustig, Herr Minister, auch wenn Sie gerade lächeln. Als Hamburger kann ich Ihnen nur sagen: An Elbe und Weser funktioniert nicht viel ohne Lotsen. Deswegen ist das eine Katastrophe, falsch, wie übrigens auch der Rest der Politik dieser Bundesregierung. Vielen Dank. ({12})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Kalb für die Unionsfraktion. ({0})

Bartholomäus Kalb (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001055, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Verkehrsetat oder der Etat für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung - lieber Kollege Kahrs, um es ordentlich zu sagen - ist mit rund 25,25 Milliarden Euro einer der größten Einzelpläne überhaupt, und er ist schlechthin der Investitionsetat. Eine moderne Gesellschaft, eine arbeitsteilige Wirtschaft sind darauf angewiesen, dass Mobilität möglich ist, und fordern von den Menschen immer mehr Mobilität. Das ist Voraussetzung für die Sicherung von Wohlstand, ist sicherlich auch Ausdruck von Freiheit und der Möglichkeit, das Leben individuell zu gestalten. Das müssen wir bei unseren Entscheidungen berücksichtigen. Die Bundesverkehrswege sind aus meiner Sicht die Hauptschlagadern für Wirtschaft und Gesellschaft. Eine gute Infrastruktur ist auch ein wesentlicher Standortfaktor. Wir konnten, Gott sei Dank, bisher immer feststellen, dass die gute Infrastruktur in Deutschland insgesamt als positiver Standortfaktor angesehen wird. Im Hinblick auf die demografische Entwicklung müssen wir erkennen, dass wir vor völlig neuen und zusätzlichen Herausforderungen stehen. Wir sehen vielleicht nicht auf den ersten, aber auf den zweiten Blick, dass wir unsere Infrastruktur an diese Herausforderungen anpassen müssen. Wir brauchen eine leistungsfähige Infrastruktur, um diesen Herausforderungen gerecht zu werden. Ich habe vorhin schon in einem anderen Beitrag gesagt: Wenn die Zahl der erwerbsfähigen Personen, also der Personen zwischen 20 und 64 Jahren, in den nächsten Jahrzehnten um 11,5 Millionen zurückgehen wird, wird das enorme Auswirkungen haben. Denn dann wird es immer weniger Personen geben, die unser Bruttoinlandsprodukt, unser Bruttonationaleinkommen erwirtschaften. Deswegen müssen wir volkswirtschaftlich insgesamt effizienter werden. Wir werden die Probleme nicht nur durch Zuwanderung lösen, wir werden die Probleme auch nicht nur durch mehr Bildung und Forschung lösen. Das alles muss sein, aber es wird nicht reichen. Wir werden als Volkswirtschaft insgesamt effizienter werden müssen. Dazu brauchen wir eine leistungsfähige Infrastruktur. Es ist falsch - das möchte ich hier ganz bewusst ansprechen -, einen Gegensatz herzustellen, wie es gelegentlich gemacht wird, und zu sagen, dass wir nicht in Beton, sondern in Köpfe investieren müssen. Wir werden beides brauchen. Wir werden im Bereich Bildung, Forschung und Entwicklung auf der einen Seite und im Bereich Infrastruktur und Verkehrswege auf der anderen Seite enorme Anstrengungen unternehmen müssen. ({0}) Deswegen haben wir uns im Haushaltsberatungsverfahren bemüht, ({1}) dafür zu sorgen, dass die verfügbaren Mittel effizienter eingesetzt werden. Die Mittel sind begrenzt. Wir wollen gar nicht darum herumreden, dass wir für die Verkehrsinfrastruktur eigentlich mehr Geld brauchen und dass wir unter den Zielvorgaben, die wir beachten mussten, keine Möglichkeiten hatten, jetzt zusätzliches Geld zur Verfügung zu stellen. Nun wollen wir zumindest dafür sorgen, dass die begrenzten Mittel effizienter eingesetzt werden, beispielsweise beim Finanzierungskreislauf Straße. Wir wollen die Verkehrsinfrastrukturfinanzierungsgesellschaft, die VIFG, noch schlagkräftiger machen. Sie soll ihre Aufgaben noch besser wahrnehmen können und eine klare Aufgabenzuweisung bekommen. Dies alles gehört dazu. Dazu gehört auch, dass wir die Verkehrsträger miteinander verknüpfen. Wir sind im Frühjahr dieses Jahres bezüglich des Haushalts 2010 massiv kritisiert worden, ({2}) weil wir die Ansätze für den kombinierten Verkehr nach unten gefahren hatten. ({3}) Dies geschah aus guten Gründen; denn die Mittel wurden seinerzeit, in der Krise, nicht gebraucht. ({4}) Jetzt haben wir, wie zugesagt, die Mittel wieder auf über 80 Millionen Euro erhöht. Diese werden nachfragegerecht eingesetzt, sodass die Verknüpfung der Verkehrsträger, also der kombinierte Verkehr, verbessert werden kann. Wir haben im Haushaltsberatungsverfahren ein wichtiges Zukunftsthema bearbeitet. Wir haben viele Anstrengungen unternommen, Frau Kollegin Dr. Winterstein, um im Einzelplan 12 Mittel für die Elektromobilität einzustellen. Dadurch werden die Modellprojekte, die angelaufen sind, in der Durchführung nicht gefährdet, und die weitere Forschung und Entwicklung werden gewährleistet. Ich möchte noch ein anderes Thema ansprechen, das viele in den norddeutschen Regionen bewegt; Kollege Kahrs hat gerade darauf hingewiesen, dass er von der Küste kommt. Das Thema Transrapid beschäftigt uns seit vielen Jahren auch haushaltspolitisch intensiv. ({5}) Ich denke, Kollegin Winterstein, wir können sagen: Wir haben nach langen und schwierigen Verhandlungen und Gesprächen auch mit den örtlichen Gebietskörperschaften einen Weg aufzeigen können, wie in dieser Region ein Übergang geleistet werden kann. Künftig können an diesem Standort moderne Forschungs- und Entwicklungsvorhaben durchgeführt und Akzente gesetzt werden. Die Bedeutung dessen für einen zugegebenermaßen strukturschwachen Bereich ist nicht zu unterschätzen. Der Kollege Kahrs hat vorhin das CO2-Gebäudesanierungsprogramm angesprochen. Ich rede jetzt nicht von den Tausenden von E-Mails, die wir zu diesem Thema bekommen haben. ({6}) - Das gehört zum Haushalt. Im Rahmen der Beratungen des Einzelplans 12 war es ein wichtiges Thema, ({7}) dass das CO2-Gebäudesanierungsprogramm künftig auf andere Art und Weise finanziert wird, ({8}) nämlich aus dem Energie- und Klimafonds. Uns war sehr wichtig, sicherzustellen, dass über den Zeitraum hinweg eine Glättung vorgenommen wird, sodass es nicht zuerst zu einem Absturz und dann zu einem Hochfahren kommt, sondern dass die Investitionen und die Möglichkeiten im Rahmen der KfW verstetigt werden. Es besteht kein Zweifel daran, dass dieses Programm sowohl im Sinne der Energieeinsparung als auch im Interesse des Bau- und Baunebengewerbes in der Vergangenheit von entscheidender Bedeutung war und dies sicherlich auch in Zukunft sein wird. ({9}) Ein besonderes Anliegen war uns das Thema Städtebauförderung; es wurde von vielen Kommunen angesprochen. Hier mussten wir uns angesichts der Begrenztheit der zur Verfügung stehenden Mittel - die SPD hat heute Vormittag massiv gefordert, die Schuldenbremse genau einzuhalten - natürlich nach der Decke strecken. Wir haben all unsere Energie darauf verwendet, gegenüber dem ursprünglichen Haushaltsansatz deutliche Verbesserungen zu erzielen. Es ist uns gelungen, den Programmrahmen - davon reden die Bauleute ja immer für das Jahr 2011 von 305 Millionen Euro auf 455 Millionen Euro aufzustocken. ({10}) Ich denke, damit werden wir der Sache gerecht. Wie Sie wissen, tun sich manche Bundesländer und manche Kommunen gar nicht leicht, die Komplementärmittel zur Verfügung zu stellen. Wir jedenfalls haben dafür gesorgt, dass die Investitionen nicht etwa wegbrechen, sondern sogar verstetigt werden können. Wie ich höre, ist man damit im Lande sehr zufrieden. ({11}) Da der Kollege Kahrs das Programm „Die soziale Stadt“ angesprochen hat, will ich sagen: Im Rahmen der Haushaltsberatungen war immer der Grundsatz zu berücksichtigen, dass die im Verkehrsetat bereitgestellten Mittel zuallererst Investitionsmittel sind. ({12}) Das Programm „Die soziale Stadt“ war von Anfang an so angelegt, dass es einen Rahmen bilden soll, der andere Aktivitäten ermöglicht. Genau dafür sorgen wir wieder. Wir führen dieses Programm auf seinen Kernansatz zurück. ({13}) Im Wesentlichen geht es darum, einen geeigneten investiven Rahmen zu setzen, damit wir sowohl auf europäische Mittel als auch auf Mittel der Kommunen, der Länder und des Bundes aus dem Sozialbereich zurückgreifen können, um für die jeweiligen Stadtteile ein komplettes Angebot gewährleisten zu können. ({14}) Es bestand nie die Absicht, aus diesem Programm ein Sozialprogramm zu stricken. Meine sehr verehrten Damen und Herren, Frau Kollegin Dr. Winterstein, die Koalition hat in den Haushaltsberatungen sehr große Anstrengungen unternommen. Ich denke, am Ende haben wir ein gutes Beratungsergebnis erzielen können. Deswegen empfehle ich die uneingeschränkte Zustimmung zu diesem Etat. ({15})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Der Kollege Claus hat für die Fraktion Die Linke das Wort. ({0})

Roland Claus (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003065, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Mein geschätzter Vorredner hat soeben den Vorschlag unterbreitet, zugleich in Köpfe und Beton zu investieren. Ich muss ihn auf die Gefahr hinweisen, dass bei dieser Verbindung zuweilen Betonköpfe herauskommen; ({0}) ich habe das nicht vergessen, Herr Kollege. Wir reden und entscheiden hier über den Infrastrukturetat des Bundes, einfacher gesagt: über die Frage, wie wir in Städten und Gemeinden zusammen leben, wohnen und uns bewegen wollen, und zwar zu Wasser, zu Lande und in der Luft. Die Linke steht für eine Verkehrs-, Bau- und Stadtentwicklungspolitik, die stets von sozialer Verantwortung und demokratischer Teilhabe aller an den öffentlichen Gütern ausgeht. Was alle brauchen, muss öffentlich zugänglich und bezahlbar sein. Wenn die Linke sagt, unser Zusammenleben müsse ökologischer werden, dann meint sie - um auch das einmal klargestellt zu haben -: ökologischer für alle und nicht ökologischer für Reiche. ({1}) Die Bundesregierung und Minister Ramsauer hatten mit diesem Etat eine, wie ich finde, wunderbare Chance, Zukunft zu gestalten. Die Koalition und die Bundesregierung haben sich aber anders entschieden. Sie beschließen rückwärtsgewandten Murks, zum großen Teil ohne Not, aber eben Murks. Ich möchte das mit drei Fakten belegen: Erstens. Es gibt zwei besonders gut laufende Förderprogramme des Bundes, nämlich das zur CO2-Gebäudesanierung und das zur Städtebauförderung. In meiner Kreisstadt, in Naumburg, sind täglich Hunderte, wenn nicht Tausende Touristen, die sich das Ergebnis ansehen können. Ich als Ostdeutscher bin froh darüber und dankbar dafür, dass wir ein solches Ergebnis haben. Was schlagen Sie mit dem Haushaltsentwurf vor? Bei den am besten laufenden Programmen, bei denen alles stimmt, nämlich Handwerksleistungen, Gewerke, Finanzierung und Bedarfe, bei denen alles funktioniert, sehen Sie eine Halbierung, eine Absenkung um 50 Prozent vor. Nun haben wir zwar ein Ergebnis von 50 Prozent plus, aber es ist noch immer wahr: Eine Regierung, die ihre besten Förderinstrumente aus der Hand gibt, macht eine Opposition fast sprachlos. Das ist Politik ohne jede Logik. Ich darf Ihnen sagen: Das hat schon einen Hauch von Spätberliner Dekadenz. Sie haben Widerspruch aus allen gesellschaftlichen Bereichen erfahren. Es muss Ihnen doch zu denken geben, wenn Ortsvereine von Christlich-Sozialer Union, Sozialdemokratischer Partei und Linken Sie mit nahezu gleichen Texten bombardieren und sagen: So wollen wir das nicht hinnehmen. - Da muss doch bei Ihnen endlich einmal das Denken einsetzen. ({2}) Für besonders bemerkenswert hielten wir, dass die Kritik, die uns erreichte, eine gesellschaftspolitische Kritik war. Hier ist nicht betriebswirtschaftlich, wie sonst oft, argumentiert worden nach dem Motto: Hier gehen Arbeitsplätze flöten. - Auch das ist genannt worden. Aber die gesellschaftspolitische Kritik, die uns erreicht hat, hatte die klare Botschaft: Sie machen hier das Gemeinwesen kaputt. - Dann dürfen Sie sich nicht wundern, wenn es auch in diesem Parlament Kräfte gibt, die sich dem ausdrücklich widersetzen. ({3}) Ein zweiter Fakt. Wir reden in der Tat über den größten Investitionsetat. Ja, Sie investieren viel, aber in der Regel falsch. Sie investieren viel und gerne in überteuerte Prestigeprojekte statt in die Ertüchtigung einer flächendeckenden Infrastruktur. Sie hängen einer inzwischen überlebten Metropolendominanz nach. Ihre Metropolenpolitik passt in keiner Weise mit einer Politik für ländliche Räume, sofern Sie sie überhaupt haben, zusammen. Ihre Ideen von vorgestern werden heute in Beton gegossen. Sie sind - entgegen eigenen besseren Erkenntnissen nicht in der Lage, in der Bau- und Verkehrspolitik Lernund Korrekturfähigkeit an den Tag zu legen. Schließlich tragen Sie mit Ihrer verfehlten Steuer- und Finanzpolitik dazu bei, dass die Kommunen immer investitionsunfähiger werden. Das alles beweist eines: Sie können nicht mit Geld umgehen, und schon gar nicht mit viel Geld. ({4}) Mein dritter Punkt. Der Erfahrungsvorsprung im Osten liegt leider brach und wird auch in diesem Etat nicht aufgenommen. Ich hätte mir von einem Bauminister einmal eine richtige Idee gewünscht, nämlich dass Herr Minister Ramsauer sagt: Wir haben eine miserable Situation in der Kinderbetreuung im Westen, im Osten ist sie viel besser. Ich trage von der Bau- und Infrastrukturseite dazu bei, dass wir die Kinderbetreuung im Westen wenigstens auf Ostniveau bringen. - Das wäre einmal eine Idee gewesen, Herr Ramsauer! ({5}) Es ist schon gesagt worden, dass das sogenannte Sparpaket Bürgerinnen und Bürger im Osten doppelt so hoch belastet. Es gibt viele andere Beispiele: Statt die Vorzüge fließender Flüsse als Nutzen zu begreifen, wollen Sie für fast 100 Millionen Euro in den nächsten Jahren auch die Saale ausbauen und betonieren. Ein letzter Punkt: Zu Ihrem Etat gehören auch alle Bundesbauten in Berlin. Nun hätte ich mir gewünscht, dass Sie für den Umzug der noch in Bonn ansässigen Teile der Bundesregierung etatmäßig Vorsorge treffen. Ich denke, zu einem geeinten Deutschland gehört auch eine geeinte Bundesregierung. ({6}) Ich erinnere daran: Fast die Hälfte der Beamten sitzt noch in Bonn. Deswegen sind wir für einen Komplettumzug. Eines können wir Ihnen sagen: Keinem Bonner wird es danach schlechter gehen. ({7})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat die Kollegin Dr. Winterstein für die FDP-Fraktion. ({0})

Dr. Claudia Winterstein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003661, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Haushalt 2011 ist der erste Sparhaushalt, mit dem die Koalition einen wichtigen Schritt in Richtung Einhaltung der Schuldenbremse bis zum Jahr 2016 geht. ({0}) Der Einzelplan 12 spielt bei der Konsolidierung der Staatsfinanzen eine wichtige Rolle. Zum einen muss dieser Etat wie alle anderen einen Beitrag zu den Sparmaßnahmen leisten; zum anderen leistet der Einzelplan 12 als größter Investitionshaushalt auch einen wichtigen Beitrag zum Wirtschaftsaufschwung. Der Koalition ist es gelungen, diese beiden Aspekte miteinander in EinDr. Claudia Winterstein klang zu bringen; denn auf der einen Seite werden die Ausgaben im Einzelplan 12 um 1 Milliarde Euro gesenkt, und auf der anderen Seite werden wir trotz allem in der Lage sein, weiter in unsere Verkehrswege zu investieren und sie auf dem gleichen Niveau zu halten. ({1}) Fast 10 Milliarden Euro wird der Bund im nächsten Jahr in Autobahnen, Bundesstraßen, Schienenwege und Wasserstraßen investieren. Das ist die gleiche Summe wie vor der Krise. Man muss aber sagen: Angesichts wachsender Verkehrszahlen brauchen wir mehr Mittel für Investitionen, zum Beispiel eben auch für die Autobahnen. Im Bundesverkehrswegeplan ist allein unter dem Vordringlichen Bedarf der Ausbau von 2 200 Kilometern Autobahn von 2001 bis 2015 vorgesehen. Ende 2009 waren davon gerade einmal 570 Kilometer umgesetzt. So geht das ganz sicher nicht weiter. ({2}) Jeder Autofahrer ärgert sich, wenn er während der Arbeit oder auf dem Weg nach Hause wieder einmal im Stau steht. Allein 2009 wurden insgesamt 140 000 Staus auf den Autobahnen gemeldet. Das bedeutet nicht nur wirtschaftliche Verluste, sondern das schadet auch Mensch und Umwelt. An denen liegt ja auch Ihnen viel. Die Koalition will deswegen bei der Finanzierung der Fernstraßen neue Wege gehen. Es geht um die zielgerichtete Verwendung der Lkw-Maut und die künftige Rolle der Verkehrsinfrastrukturfinanzierungsgesellschaft, kurz VIFG genannt. In einem ersten Schritt beenden wir mit diesem Haushalt die undurchsichtige Verteilung der Mittel aus der Lkw-Maut. Das sind insgesamt 4,6 Milliarden Euro. Wir weisen alle Mauteinnahmen der Straße zu, nach dem Motto: Straße finanziert Straße. Durch diese Maßnahmen wird die Akzeptanz der Maut bei denjenigen erhöht, die sie bezahlen müssen; denn sie nehmen besser wahr, wofür die Mittel überhaupt verwendet werden. ({3}) Die Mautgelder, die bisher in die Bereiche Schiene und Wasserstraße geflossen sind, werden durch Steuermittel ersetzt, sodass alle Verkehrsträger auf dem gleichen Niveau weiter finanziert werden können. In einem zweiten Schritt wollen wir dann die direkte Zuweisung der Mautmittel an die VIFG erreichen, die darüber hinaus in begrenztem Maße Kredite aufnehmen soll, um mehr Mittel für den Aus- und Neubau der Fernstraßen zur Verfügung stellen zu können. Hinsichtlich der konkreten Ausgestaltung eines solchen Modells gibt es noch offene Fragen, etwa das Risiko der schwankenden Mauthöhe oder die Kontrollmöglichkeiten durch das Parlament. Hier laufen noch Gespräche zwischen dem Parlament und der VIFG. Darüber hinaus bietet die Neuordnung der Infrastrukturfinanzierung natürlich auch die Chance, die vorhandenen Mittel effektiver einzusetzen, zum Beispiel um Prioritäten bei der Erneuerung festzulegen. Wir wollen, dass die Arbeit auf den Baustellen schneller abgeschlossen wird, der Verkehr besser fließt und alle weniger im Stau stehen. Ich glaube, das ist in unser aller Sinne. ({4}) Ich möchte nun noch auf zwei wichtige Punkte eingehen, und zwar zunächst auf das Thema Städtebauförderung. Dieses Thema war eben schon angesprochen worden. Im aktuellen Haushaltsjahr 2010 stellt der Bund laut der Verwaltungsvereinbarung mit den Ländern 534 Millionen Euro zur Verfügung. Hinzu kommt einmalig die Summe von 80 Millionen Euro aus dem Konjunkturpaket in diesem Jahr. Der Entwurf der Regierung für 2011 sah im Bereich Städtebau vor, 305 Millionen Euro zur Verfügung zu stellen. In den parlamentarischen Beratungen haben wir dann entschieden, diesen Beitrag auf 455 Millionen Euro aufzustocken. Das sind im Prinzip 121 Millionen Euro weniger, als bisher zur Verfügung standen. Von einer radikalen Halbierung kann also überhaupt nicht die Rede sein. Man kann auch in keiner Weise behaupten, dass Programme gestrichen würden. Die Programme, die begonnen worden sind, sind durchfinanziert und werden auch ganz ordnungsgemäß beendet. Nur neue Programme können nicht in der vollen Höhe, sondern mit 121 Millionen Euro weniger begonnen werden. Da ich speziell auf das Thema „Soziale Stadt“ angesprochen worden bin, will ich dazu sagen: Städtebauförderung bedeutet Investitionen. Man muss schon darauf achtgeben, dass diese Mittel für den richtigen Zweck verwendet werden. ({5}) Insofern haben wir den Schwerpunkt gerade in diesem Jahr auf Investitionen gesetzt. Die Projekte „Soziale Stadt“ werden wir weiterhin finanzieren. ({6}) Wir haben in den Titel auch dafür Gelder eingestellt. Wir haben keinen Titel gestrichen; ({7}) wir haben ihn nur nicht so hoch angesetzt wie bisher. Aber mein Kollege Sebastian Körber wird zum Thema Städtebau nachher noch zu Ihnen sprechen und, wie ich denke, darauf noch näher eingehen. ({8})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Frau Kollegin Winterstein, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Dr. Claudia Winterstein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003661, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Nein. Ich möchte jetzt noch ganz schnell etwas zum Transrapid sagen, weil mir das sehr am Herzen liegt. ({0}) Immer wieder wurde als Argument für den Weiterbetrieb der Strecke im Emsland die Wahrung der Vermarktungschancen des Transrapid in der ganzen Welt genannt. Brasilien, USA, Türkei, neuerdings auch Teneriffa ({1}) die Liste ist lang. 40 Jahre lang haben wir den Versuch unternommen, den Transrapid zu verkaufen. Man muss sagen, dass dies bisher nicht gelungen ist. Insofern liegt uns an einer abschließenden Lösung. Ich bin daher froh, dass wir nun einen realistischen Plan für die Nachnutzung der Anlage entwickeln. Die Verantwortung für die Anlage soll im Jahr 2011 auf den Landkreis Emsland übergehen. Gemeinsam mit interessierten Unternehmern soll dort dann Forschung zur Elektromobilität durchgeführt werden. So stützen wir weiterhin innovative Technik in einer strukturschwachen Region. Mit der Übertragung der Verantwortung geht auch die Verpflichtung zum Rückbau der Anlage auf den Kreis Emsland über. Der Bund stellt im Haushalt 2011 die erste Rate von 6 Millionen Euro zur Verfügung. Insgesamt werden es 40 Millionen Euro sein. Meine Damen und Herren, wir haben es uns mit unseren Entscheidungen im Einzelplan 12 nicht leicht gemacht

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollegin Winterstein, achten Sie bitte auf die Zeit.

Dr. Claudia Winterstein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003661, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

- ja, ich komme zum Schluss -; denn wir mussten unter dem Zwang der Haushaltskonsolidierung unbequeme und sicher auch unpopuläre, aber eben auch notwendige Entscheidungen treffen. Wir haben nicht - wie alle Vorgängerregierungen - einfach die Ausgaben erhöht. Wir haben uns entschieden, einen ganz soliden Haushalt vorzulegen ({0}) und trotzdem Sorge dafür zu tragen, dass es weiterhin Wachstum in Deutschland gibt. ({1})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Zu einer Kurzintervention hat der Kollege Kahrs das Wort.

Johannes Kahrs (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003157, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Dr. Winterstein, Sie haben eben, als Sie über die „Soziale Stadt“ gesprochen haben, gesagt, dass es dafür noch einen Titel gibt ({0}) und Sie dafür entsprechend Geld reserviert haben. ({1}) Wenn man sich das anguckt, stellt man fest, dass der Gesamtetat in diesem Bereich generell abgesenkt ist. Bei der „Sozialen Stadt“ sind noch 28 520 000 Euro übrig geblieben. Wir hatten einmal deutlich mehr. Ich erinnere an die Anträge im Haushaltsausschuss. Die gingen von 100 Millionen Euro für diesen Bereich aus. Obwohl Sie das schon deutlich abgesenkt haben, haben Sie noch einen eigenen Antrag beschlossen. ({2}) An den möchte ich Sie erinnern. In diesem Antrag von CDU/CSU und FDP steht: Der Haushaltsausschuss fordert die Bundesregierung auf sicherzustellen, dass die Fördermittel für den Programmteil „Soziale Stadt“ … weit überwiegend für investive Maßnahmen eingesetzt werden. ({3}) Das heißt: Erst kürzen Sie, dann streichen Sie das, was für den Zweck vorgesehen ist, und dann verhindern Sie auch noch mit den entsprechenden Vermerken, dass Gelder, die innerhalb der Titel verschoben werden oder als Minderausgaben ausgewiesen sind, für das Programm „Soziale Stadt“ ausgegeben werden. Das heißt, Sie haben diesen Etat zuerst deutlich abgesenkt. Dann haben Sie verhindert, dass anderes Geld hineinfließen kann, und dann haben Sie dafür gesorgt, dass ein Großteil des Geldes für Steine ausgegeben wird statt für die soziale Arbeit, die eigentlich gewollt ist. Das ist infam. ({4})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sie haben das Wort.

Dr. Claudia Winterstein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003661, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege Kahrs, ich habe vorhin schon versucht, das kurz zu erklären. ({0}) Zum einen ist es völlig richtig: Es gibt auch weiterhin Mittel für die „Soziale Stadt“ - Sie haben es eben selber gesagt -, nämlich 28 Millionen Euro. Insofern sind die Mittel nicht gestrichen worden. Zum anderen haben Sie bemängelt, dass die Deckungsfähigkeit gestrichen worden ist. Das lässt vielleicht den Schluss zu, dass, wie Sie auch gesagt haben, relativ häufig Mittel aus anderen Bereichen in das Programm „Soziale Stadt“ geflossen sind. Ich habe vorhin gesagt: Unser Schwerpunkt liegt ganz klar darin, investive Maßnahmen zu finanzieren. Von daher möchten wir ganz bewusst, dass mit den in dem Titel vorgesehenen 28 Millionen Euro weiterhin Projekte im Programm „Soziale Stadt“ durchgeführt werden können, dass aber die anderen Mittel ganz klar für investive Maßnahmen verwendet werden. ({1}) Wir haben noch andere wichtige Bereiche, nämlich die Städtebauförderung West und Ost. Das ist Ihnen bekannt; Sie kennen die entsprechenden Titel. Ich glaube, das sind gerade aufgrund der demografischen Entwicklung wichtige Aufgaben, für die im Städteumbau viel Geld benötigt wird. Im Stadtumbau ist aber auch etwas von der sozialen Stadt enthalten. Denn wenn man eine Stadt umbaut, dann spielt dabei selbstverständlich auch das Thema „Soziale Stadt“ eine Rolle. ({2})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Der Kollege Hofreiter hat für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort.

Dr. Anton Hofreiter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003772, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr Kollege Kalb, wir sind uns grundsätzlich einig, dass in einem modernen Industrieland mit arbeitsteiliger Beschäftigung und einem hohen Exportanteil die Verkehrsinfrastruktur von entscheidender und grundsätzlicher Bedeutung für den Wohlstand dieses Landes ist. Umso unverständlicher ist das, was Sie machen. Was machen Sie, wenn sogar die Grünen 600 Millionen Euro mehr für den Straßenunterhalt ausgeben wollen, weil die Straßen, wie wir alle wissen, in einem schlechten Zustand sind und Brückenbauwerke zum Teil schon längst hätten saniert werden müssen? Sie lehnen es ab. Sie lehnen es einfach ab und sagen: Dafür brauchen wir nichts; wir bauen lieber neu. Was machen Sie stattdessen mit dem Geld? Stattdessen setzen Sie das Geld ein, um eine ganze Reihe von Neubaumaßnahmen durchzuführen. Diese Neubaumaßnahmen haben aber nicht die richtige Wirkung; denn Sie bauen vor allem Umgehungsstraßen in Bereichen ohne volkswirtschaftliche Wirkung aus. Sie beseitigen nicht die Engpässe und lassen das vorhandene Straßennetz weiter verfallen. Das ist dem Wirtschaftsstandort gegenüber skandalös. ({0}) Was die Straßeninfrastruktur und die Gleisinfrastruktur bei den Neubauten angeht, haben Sie zugebenermaßen nicht das Geld bekommen, das Sie sich gewünscht haben. Insofern will ich Sie nicht kritisieren. Noch keine Regierung hat das erforderliche Geld zur Verfügung gestellt. Zwar gab es unter Rot-Grün mehr Geld für Investitionen; aber angesichts von Haushaltsnöten ist es eben anders. Wenn ich aber so wenig Geld zur Verfügung habe, dann muss ich mich doch fragen, ob ich dieses Geld wirklich effizient einsetze. Setze ich das Geld mit Rücksicht auf die Trends ein, die weltweit zu erwarten sind? Berücksichtigen Sie in Ihren Ausbaumaßnahmen, dass Rohöl endlich ist und teurer wird? Nein, das berücksichtigen Sie nicht. Wovon gehen die jüngsten Gutachten, auf die Sie Ihre Investitionsplanung und damit die Ausgabe der Mittel beziehen, aus? Sie gehen von etwas ganz Ungewöhnlichem aus, nämlich davon, dass der Rohölpreis bis zum Jahre 2030 konstant sinkt und wir dann einen Rohölpreis von 60 Dollar haben. Halten Sie es auf der Basis solcher Daten für glaubwürdig, dass dabei eine vernünftige Investitionsstrategie herauskommt? ({1}) Gibt es irgendjemanden hier im Haus, der seriös ist und glaubt, dass der Rohölpreis in den nächsten 20 Jahren regelmäßig sinken wird? Aufgrund einer solchen Planung wollen Sie das Geld der Steuerzahler ausgeben. Ist das seriös? Ist das sinnvoll? Schauen wir uns an, was bei der Schiene passiert. Wir haben schon festgestellt: Beim Haushalt gibt es große Probleme. Die Bahn ist das zukunftsträchtigste Verkehrsmittel. Sie kommt problemlos ohne Rohöl voran, nämlich mit Elektrizität, und ist CO2-arm. Was machen Sie mit der Schiene? Die Schiene überlassen Sie komplett der Haushaltsfinanzierung. Es gibt das schöne Schlagwort „Straße finanziert Straße“. Aber dabei ist überhaupt nicht verstanden worden, dass die Lkw-Maut keine reine Straßenbenutzungsgebühr ist, sondern dass es sich dabei um eine Logistikabgabe handelt. Moderne Logistik besteht nicht nur aus Straße, sondern aus einer sinnvollen und ideologiefreien Kombination aus Schiene, Straße, Wasserstraße und Seeschifffahrt, wo es nötig ist. Das muss man zusammendenken. Auf den ersten Blick sieht es so aus, als ob die Mittel gleich blieben. Aber es gibt ein Problem: Die Mautmittel fließen zuverlässig, während die Haushaltsmittel den Launen des Finanzministers unterworfen sind. Das heißt, das zukunftsträchtigste Verkehrsmittel der Bundesrepublik unterwerfen Sie den Launen des Finanzministers, ({2}) während Sie für eine zuverlässige Finanzierung des Verkehrsmittels sorgen, das den höchsten Modal-Split-Anteil hat. Das ist überhaupt nicht zukunftsträchtig. ({3}) - Herr Kalb, Sie dürfen fragen. ({4}) Frau Präsidentin, Entschuldigung.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sie gestatten also die Zwischenfrage. - Bitte schön.

Bartholomäus Kalb (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001055, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege, darf ich Sie daran erinnern, dass bei der Einführung der Lkw-Maut die fachpolitischen Sprecher Ihrer Fraktion genauso wie die der SPD-Fraktion nach7998 haltig und immer wieder versprochen haben, dass die Einnahmen aus der Lkw-Maut zusätzlich zur Finanzierung der Straßenverkehrsinfrastruktur verwendet werden sollen? ({0}) - Aber erst in der Schlussrunde - Entschuldigung, wenn ich gleich auf diese Zwischenrufe antworte - der Verhandlungen im Vermittlungsausschuss hat man sich dann entsprechend § 11 Mautgesetz geeinigt. ({1}) Können Sie bestätigen, dass sich Ihre damaligen Sprecher so geäußert haben?

Dr. Anton Hofreiter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003772, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich kann Ihnen bestätigen, dass damals die rot-grüne Bundesregierung und die Mehrheit im Parlament nach längerer Diskussion zu der klugen Entscheidung gekommen sind, dass es sich um eine Logistikabgabe handelt, und eine sehr intelligente Aufteilung - rund 50 Prozent für die Straße, 38 Prozent für die Schiene und 12 Prozent für die Wasserstraße - gefunden haben. Ich kann Ihnen bestätigen, dass es darüber eine längere Debatte gegeben hat und dass sich dann - weil damals sehr kluge Leute am Werk waren - die Vernunft durchgesetzt hat. Diese Vernunft schaffen Sie nun mit diesem Haushalt leider ab. ({0}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, kehren Sie zu einer vernünftigen Verkehrspolitik zurück! Sagen Sie Ja zu unseren Haushaltsgesetzgebungsvorschlägen! Sagen Sie Ja zur Beseitigung der Engpässe sowohl bei der Straße als auch bei der Schiene! Sagen Sie Ja zu einer zukunftsträchtigen Verkehrspolitik! Dann hat Deutschland wunderbare Chancen in diesem Bereich. Sagen Sie einfach Ja zu den Grünen-Anträgen, und hören Sie auf, sich einer zukunftsträchtigen Verkehrspolitik zu verweigern! Danke. ({1})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Bundesminister Peter Ramsauer. ({0})

Dr. Peter Ramsauer (Minister:in)

Politiker ID: 11001772

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zunächst Anerkennung, Respekt und Dank an die Bundestagsverwaltung, dass sie sich in der Lage sah, den korrekten Titel des Einzelplans 12 an die elektronische Tafel zu schreiben. Lieber Herr Kahrs, Sie sehen: Ein Machtwort von sozialdemokratischer Seite, unterstützt durch den Bundesminister, hat im Parlament sofort Wirkung gezeigt. ({0}) Ich möchte aus gegebenem Anlass eine kurze Vorbemerkung zum Thema Sicherheit im Luftfrachtverkehr machen. Ich glaube, dass wir es hier mit einem ausgesprochen sensiblen Bereich zu tun haben. Wir alle sind auf einen funktionierenden und sicheren Luftfrachtbetrieb angewiesen. Deswegen sorgen wir für eine sichere Lieferkette, für transparente und sichere Abläufe der einzelnen Verkehrsschritte, beginnend beim Versender über die Zwischenschritte bis zur Destination. Ich bedanke mich, dass es in den Endberatungen zum Haushalt 2011 gelungen ist, 450 neue Sicherheitsstellen bereitzustellen, um diese sichere Kette zu gewährleisten. Ich möchte Ihnen auch mitteilen, dass unser Ministerium unmittelbar nach Bekanntwerden dieser Bedrohungen gehandelt hat. Wir haben eine intensive Suche nach möglichen Schwachstellen begonnen und eine ganze Reihe von konkreten, nicht angekündigten Kontrollen bei den entsprechenden Firmen durchgeführt. Diese Kontrollen werden selbstverständlich fortgesetzt. Wir spüren alle möglichen Lücken auf und werden sie selbstverständlich schließen. Alle Unternehmen, die davon betroffen sind, müssen sich darüber im Klaren sein, dass bei Sicherheitsverstößen strikte und unverzügliche Sanktionen verhängt werden. Das führt bis zum Ausschluss vom Luftfrachtgeschäft. Wir haben in einer Reihe von Fällen harte Konsequenzen gezogen. Wir haben einer Reihe von Firmen den Status, den sie gehabt haben, beispielsweise den des bekannten Versenders oder des reglementierten Beauftragten, entzogen. Wir werden genauso hart weiterhin verfahren. Ich sage das hier unmissverständlich und in aller Deutlichkeit. Nun zum Haushalt. Klar war, dass die Haushaltsverhandlungen vor dem Hintergrund der Schuldenbremse alles andere als leicht würden. Umso wichtiger ist mir die Botschaft dieses Haushalts für das kommende Jahr, dass wir weiterhin die richtigen Weichen für Zukunftsinvestitionen gestellt haben, vor allen Dingen im Bereich des Baus und der Verkehrsinfrastruktur, der ganz zentralen Lebensadern unserer Volkswirtschaft. Ich möchte mich bei allen bedanken, die konstruktiv an den Verhandlungen mitgewirkt haben: bei Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble, seinem Ministerium und ausdrücklich bei den Berichterstattern aller Fraktionen. Ich muss positiv hervorheben, dass über die Fraktionsgrenzen hinweg gleiche Ziele verfolgt werden. ({1}) Dass die Opposition nicht immer genug bekommt und dass es ihr nicht immer schnell genug gehen kann, ist ganz klar. Ich bin aber froh, dass Sie in wichtigen Zielrichtungen mit uns übereinstimmen. Einige Stichpunkte, die teilweise schon genannt worden sind, möchte ich hervorheben. Ich glaube, wir haben bei der Städtebauförderung insgesamt ein gutes Ergebnis erzielt. Der Begriff der Städtebauförderung ist insofern etwas irreführend, als die Förderung nicht nur die großen Städte und Metropolen betrifft; vielmehr bekommen Zigtausende kleiner Gemeinden durch die Förderung ihre Strukturprobleme in den Griff. Sie können sich darauf verlassen, dass sich der Bund und die Länder ihrer Verantwortung absolut bewusst sind. Einer der Vorredner sprach von einem Aufwuchs von 50 plus; richtig ist, dass wir drei Viertel der gesamten Förderung erhalten haben. 305 Millionen Euro im ursprünglichen Entwurf plus 150 Millionen Euro ergeben insgesamt 455 Millionen Euro. Damit kann gut und vernünftig gearbeitet werden. ({2}) Gleiches gilt für die CO2-Gebäudesanierung. Wir haben es im Haushaltsentwurf nicht bei der Quasihalbierung belassen. Nächstes Jahr sind aus Energie- und Klimafonds wieder 500 Millionen Euro mehr für dieses Programm verfügbar. Auch hier gibt es genau die Verstetigung, die wir brauchen. Nachdem der Transrapid angesprochen worden ist, soll auch von meiner Seite noch etwas dazu gesagt werden. Bei der Regierungsübernahme vor 13 Monaten haben wir das Projekt Transrapid in einem Zustand der Kapitulation übernommen. Wir haben sofort die weiße Fahne eingeholt und sind zu einer Marktoffensive übergegangen. Das Ganze sieht jetzt Gott sei Dank einigermaßen erfolgversprechend aus. Wir werfen die Flinte nicht ins Korn. Ich bin auch dankbar dafür, dass für die Versuchsanlage im Emsland jetzt eine klare Perspektive besteht, wie sie die Kollegin Dr. Winterstein dargelegt hat. Alle wissen jetzt, woran sie sind. Noch ein Wort zu den Investitionen in die Verkehrsinfrastruktur. Ich mache keinen Hehl daraus, dass wir hier Probleme haben. Wir müssen Investitionen in den Neubau genauso wie in die Instandhaltung gewährleisten; denn wir können es uns nicht leisten, dass wir unsere Verkehrsinfrastruktur - das gilt für alle Infrastrukturarten; Straße genauso wie Schiene, ich sage dies ausdrücklich, und Wasserstraße - auf Verschleiß fahren. Ich nenne Ihnen einmal einige Zahlen, damit man weiß, womit man es quantitativ zu tun hat: knapp 12 500 Kilometer Bundesautobahn, gut 40 000 Kilometer Bundesstraßen, über 38 000 Brücken an Bundesfernstraßen. Das sind gewaltige Zahlen, die deutlich machen, wie umfangreich der Instandhaltungsbedarf ist, ganz zu schweigen von dem Zubau in dem Maße, wie wir ihn trotz aller Intensivierungsmaßnahmen als wirtschafts-, wachstums- und exportorientierte Nation brauchen. Es ist eine gute Basis, dass wir für die kommenden vier Jahre konstant Mittel in Höhe von 9,7 Milliarden Euro für Verkehrsinfrastrukturinvestitionen festgeschrieben haben. Das ist immerhin mehr als in den Jahren 2001 bis 2008. In diesen Jahren waren entsprechende Mittel in Höhe von durchschnittlich 9,4 Milliarden Euro angesetzt. Die Konjunkturpaketmittel kamen immer hinzu. Das Ganze kann sich also durchaus sehen lassen. Unabhängig davon kommen wir nicht umhin, grundsätzlich festzustellen: Wir befinden uns in einem erheblichen Finanzierungsdilemma. Ich sage dies in aller Klarheit und Offenheit. In der vergangenen Woche habe ich die Ergebnisse der Überprüfung der Bedarfspläne für Straße und Schiene vorgestellt. Dabei ist dieses Finanzierungsdilemma zutage getreten. Ich mache daraus auch deshalb keinen Hehl, weil ich dies schlicht und einfach als Anlass nehme, in aller Offenheit darüber zu sprechen und hier nichts zu verdecken. Ich stelle klipp und klar fest: Seit Jahren ist absehbar, dass wir schlicht nicht in der Lage sind, das Ideal-Soll - ich bezeichne das bewusst so - all derjenigen Verkehrsprojekte umzusetzen, die im geltenden Bundesverkehrswegeplan als volkswirtschaftlich sinnvoll eingestuft sind. Diese Problematik ist allerdings nicht neu; sie ist nur über viele Jahre nicht in der Klarheit herausgestellt worden, wie ich es jetzt tue. Bereits 1999 hat uns die unabhängige Pällmann-Kommission auf dieses Dilemma hingewiesen. Im September dieses Jahres haben alle führenden Wirtschafts- und Verkehrsverbände in einem gemeinsamen - ich betone: gemeinsamen - Appell neue und dauerhaft verlässliche Finanzierungswege angemahnt. Ich sehe mich als verantwortlicher Bundesminister in der Pflicht, dies einmal in aller Deutlichkeit anzusprechen. ({3}) Das heißt: Wir müssen auch ganz offene Gespräche über mögliche Wege führen, auch über Wege, die über die herkömmliche Haushaltsfinanzierung hinausgehen. ({4}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, natürlich wäre noch eine ganze Reihe weiterer Themen anzusprechen, für die während der kurzen Redezeit eines Bundesministers keine Zeit bleibt. ({5}) - Sie können gerne einen Antrag auf Verlängerung stellen. Es gibt auch viele Dinge, die nicht viel Geld kosten. Ich freue mich beispielsweise, dass die Opposition unserem Gesetzentwurf zum begleiteten Fahren ab 17 Jahre zugestimmt hat. Dies zeigt, dass vernünftige Politik auch die Zustimmung der Opposition finden kann. ({6}) Wir begreifen jedenfalls Verkehrspolitik in einem umfassendem Sinne gemäß dem Motto, das ich meiner Zeit als Minister gegeben habe: Mobilität ermöglichen, statt zu verhindern. Vielen herzlichen Dank. ({7})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Nächster Redner ist der Kollege Florian Pronold. Nein, zunächst hat Frau Hagedorn das Wort zu einer Kurzintervention.

Bettina Hagedorn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003545, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Minister, ich möchte Ihnen gerne eine Frage stellen - nicht nur um Ihre Redezeit zu verlängern, sondern vor allen Dingen deshalb, weil Sie es in Ihren Ausführungen leider versäumt haben, auf die sehr konkrete Ansprache meines Kollegen Johannes Kahrs einzugehen. Dabei geht es um die Lotsenboote. Die Kieler Nachrichten haben vor vier Tagen getitelt: „Zu viel gespart: Kein Geld mehr für Lotsenboote“. Nun könnte ja jemand glauben, da sollten Boote angeschafft werden. Das ist allerdings nicht das Problem. Ich rede vom NordOstsee-Kanal. Das ist die meistbefahrene Wasserstraße der Welt. Sie ist von enormer wirtschaftlicher Bedeutung für uns, nicht nur für Norddeutschland. Dort arbeiten beim Lotsenbetriebsverein 220 Mitarbeiter. Die haben nur noch über das letzte Wochenende Geld zur Verfügung gehabt, weil in Ihrem Etat für 2010 statt 31 Millionen Euro nur noch 19 Millionen Euro zur Verfügung gestanden haben und weil ganz offensichtlich niemand in Ihrem Haus und auch nicht in der Koalition rechtzeitig auf den Gedanken gekommen ist, dass sie ihre wichtige Arbeit nicht mehr tun können, wenn der Topf leer ist. Wenn noch nicht einmal mehr der Sprit da ist, damit die Schiffe überhaupt ablegen können, dann ist Gefahr im Verzug. Es ist eigentlich bedauerlich, dass Sie dazu bisher noch nichts gesagt haben; aber ich finde es doch wichtig, dass Sie jetzt noch mal Gelegenheit dazu haben. ({0})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Herr Minister, wollen Sie antworten? - Ja.

Dr. Peter Ramsauer (Minister:in)

Politiker ID: 11001772

Frau Präsidentin, die Antwort fällt kürzer aus als die Frage. ({0}) Frau Kollegin Hagedorn, der angesprochene Titel für den Betrieb und die Unterhaltung von Lotseneinrichtungen ist weder im Jahr 2010 noch für den Haushalt 2011 gekürzt worden. Deshalb sind die in dem besagten Artikel genannten Zahlen auch für mein Haus nicht nachvollziehbar. Unstreitig ist allerdings, dass die Mittel für Ausgaben in diesem Jahr möglicherweise nicht ausreichen werden. Die kritische Situation ist entstanden, weil gegenseitige Deckungsmöglichkeiten nicht mehr gewährt werden konnten. Ich lade alle Mitglieder des Haushaltsausschusses - und mithin auch Sie - dazu ein, diese Flexibilitäten gegebenenfalls neu zu schaffen.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000825, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Nun hat der Kollege Florian Pronold für die SPDFraktion das Wort.

Florian Pronold (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003612, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Sehr geehrter Minister Ramsauer! Dem letzten Satz Ihrer Rede kann ich zustimmen. Wenn hier vonseiten der Regierung vernünftige Politik gemacht wird, stimmt auch die Opposition zu - aber nur, wenn vernünftige Politik gemacht wird. ({0}) Das, was Sie im Bereich Städtebauförderung und „Soziale Stadt“ machen, ist unvernünftig. Das haben Ihnen alle Länderbauminister in einem einstimmigen Beschluss der Länderbauministerkonferenz dokumentiert. Sie haben gefordert, dass die Städtebauförderung auf demselben Niveau fortgeführt wird. ({1}) Jetzt lassen Sie uns in der Haushaltsdebatte einmal nicht so sehr über Zahlen reden, sondern vielmehr über Menschen. Ich habe mir im Sommer dieses Jahres, Frau Kollegin Winterstein, einmal die Mühe gemacht, eine ganze Reihe von Projekten aus dem Programm „Soziale Stadt“ vor Ort zu besuchen und zu schauen, wofür das Geld dort ausgegeben wird und was dort für die Menschen gemacht wird. Ich war zum Beispiel in Weiden. Dort gibt es ein Projekt, durch das ein Glasscherbenviertel, wie man bei uns sagt, in die Stadtgesellschaft zurückgeholt worden ist. Dort wurde nicht nur die wohnliche Situation verbessert, sondern man ist auch auf den Gedanken gekommen, dass Leute, die sich mit einer Adresse aus diesem Viertel bei Firmen bewerben, nicht eingeladen werden, weil das Viertel so verrufen war, dass die Firmen die Bewerbungen sofort zurückgeschickt haben. Eine Maßnahme war also, auch mit den Firmen zu sprechen. Das führte dazu, dass die Jugendarbeitslosigkeit in diesem Viertel ganz massiv zurückgegangen ist. In Dingolfing, in meinem Wahlkreis, hat das Programm „Soziale Stadt“ bewirkt, dass nicht mehr 60 Prozent der Schüler aus der Projektgegend einen Hauptschulabschluss machen, sondern mittlerweile 60 Prozent einen Realschulabschluss. All das gelang, weil man sich konkret um die Menschen kümmerte, weil man mit diesem Programm nicht nur in Beton, sondern auch in das soziale Zusammenleben investiert hat. ({2}) Das ist das Entscheidende beim Programm „Soziale Stadt“. Genau hier setzen Sie aus ideologischen Gründen den Rotstift an. ({3}) Herr Minister, ich hätte mir gewünscht, dass Sie heute ein paar Ausführungen zu den Ankündigungen gemacht hätten, die Sie in den letzten Monaten hier in diesem Hohen Hause immer wieder getätigt haben, die sich allerdings in Ihrem Haushalt nicht widerspiegeln oder sogar in eine ganz andere Richtung gehen, als Sie hier angekündigt hatten. Ich erinnere mich noch an den Streit darüber, was man noch alles für den ländlichen Raum tun könne. Sie haben mit Frau Aigner darüber gestritten, wer das beste Programm auflegt. Was stellen wir nun fest? Erstens. Das Programm ist viel kleiner ausgefallen. Zweitens. Durch die Kürzung der Mittel für die Städtebauförderung, die zu 40 Prozent in den ländlichen Raum fließen, gibt es jetzt weniger Geld für die ländlichen Räume als vorher. Warum haben Sie dazu nichts gesagt? Sie haben etwas angekündigt; das Gegenteil ist passiert. ({4}) In einer Ihrer ersten Reden als Minister sagten Sie hier, der gesamte zusätzliche Güterverkehr solle auf die Schiene. Es steht infrage, ob das überhaupt ginge. Nachher sollten noch 50 Prozent des zusätzlichen Güterverkehrs auf die Schiene. Was machen Sie jetzt? Sie weichen vom Masterplan Güterverkehr und Logistik der rot-grünen Bundesregierung ab und machen einen Aktionsplan, der im Ergebnis nichts anderes als einen Kniefall vor der Lkw-Lobby darstellt. ({5}) Gigaliner sind Ihre Antwort auf die Herausforderungen der Verkehrspolitik der Zukunft. Also Ankündigungen, aber nichts dahinter. Verkehrsträgereigene Finanzierungskreisläufe lautet das neue tolle Schlagwort, das hier immer wieder herangezogen wird. Was passiert tatsächlich? Die ökologisch sinnvolle Binnenschifffahrt wird gefährdet. Es ist unklar, was zukünftig im Bereich Bahn passiert. Besonders spannend wird es aus meiner Sicht, nachdem nun klar ist - das haben Sie ja zu Recht beklagt -, dass der Bundesverkehrswegeplan unterfinanziert ist. Schauen wir uns einmal an, welche Gegenfinanzierungen für den Gesamthaushalt vorgenommen werden: Die Deutsche Bahn soll jedes Jahr 500 Millionen Euro abführen. Über die Luftverkehrsabgabe sollen weitere Hunderte von Millionen Euro für den Gesamthaushalt herangezogen werden, die aus dem Bereich Verkehr kommen. Fließen die nun in zusätzliche Infrastrukturprojekte? Nein, Sie verwenden sie dafür, um Haushaltslöcher zu stopfen. Die Bahnabgabe in Höhe von 500 Millionen Euro entspricht übrigens der Hälfte des Betrages, den Sie den Hoteliers geschenkt haben. ({6}) 1 Milliarde Euro schenken Sie den Hoteliers, 500 Millionen Euro entziehen der Bahn. Das bedeutet weniger Investitionen in die Schiene. Das bedeutet zum Beispiel, dass kaum noch Bahnhöfe barrierefrei ausgebaut werden, obwohl dies für die Menschen ganz dringend nötig wäre. ({7}) - Es wäre schön, wenn wir diese Milliarde einmal für sinnvolle Projekte ausgeben würden, anstatt sie zu verschwenden, liebe Kolleginnen und Kollegen von der FDP.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Herr Kollege Pronold, der Kollege Meierhofer würde gerne eine Zwischenfrage stellen.

Florian Pronold (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003612, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Gerne. Ich war eh schon in Sorge wegen meiner Redezeit.

Horst Meierhofer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003806, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ihre Redezeit verlängere ich an dieser Stelle gerne, weil ich jetzt zum hundertsten Mal das Thema Hoteliers gehört habe. Sie haben vorhin selbst gesagt, wie wichtig die Binnenschifffahrt ist. Wir haben zufälligerweise entdeckt, dass die schwarz-rote Koalition nicht nur für die Seilbahnen, sondern auch für die Flusskreuzfahrtschiffe einen ermäßigten Mehrwertsteuersatz in Höhe von 7 Prozent eingeführt hat. Ist Ihnen das bekannt? Glauben Sie, dass die Nutzer von Campingplätzen und die Gäste beispielsweise von Pensionen viel wohlhabender sind als die Passagiere von Flusskreuzfahrtschiffen? Aus welchem Grund haben Sie also in der Großen Koalition für diesen Bereich den Mehrwertsteuersatz von 19 auf 7 Prozent gesenkt? ({0})

Florian Pronold (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003612, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Wir hatten das Beispiel der Bergbahnen schon angesprochen. Wenn ich mich richtig erinnere, war das ein Abschiedsgeschenk an Herrn Stoiber. ({0}) Ich bin sehr froh, dass Sie dieses Beispiel anführen, weil ich als Finanzpolitiker damals sehr klar die Position vertreten habe, dass die Absenkung der Mehrwertsteuer bei den Verbrauchern im Regelfall nicht ankommt. Das gilt auch für die Hotelübernachtungen. Schauen Sie doch einmal genau hin! Sind die Übernachtungen günstiger geworden? Die Ermäßigung ist bei den Leuten nicht angekommen, sondern das Geld ist in die Taschen der Hoteliers gewandert. Es ist nicht einmal sicher, ob sich daraus mehr Investitionen ergeben. ({1}) Letzter Punkt. Ich erinnere mich an die großen Ankündigungen für den Bereich Elektromobilität. Aber sie beinhalteten nichts Neues im Vergleich zu dem, was unter einem sozialdemokratischen Verkehrsminister aufgeschrieben worden ist. Sie streiten sich nur darum, wer für diesen Bereich zuständig ist. Es ist nicht der Verkehrsminister, der die Federführung hat. Die Kanzlerin traut ihm das offensichtlich nicht zu. Das Elektroauto, das die weiteste Distanz von allen zurückgelegt hat, ist sozusagen nicht auf den Hof des Verkehrsministeriums, sondern des Wirtschaftsministeriums gefahren. Es ist ein Armutszeugnis für den Verkehrsminister, dass bei diesem Zukunftsthema offensichtlich niemand auf ihn vertraut. Wenn man die heiße Luft, die hinter den Ankündigungen des Herrn Ramsauer steckt, in Energie umwandeln könnte, dann hätten wir den Ausstieg aus der Atomenergie sofort möglich machen können. Herzlichen Dank. ({2})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Nächster Redner ist der Kollege Sebastian Körber für die FDP. ({0})

Sebastian Körber (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004078, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Heiße Luft haben wir vom Kollegen Pronold genug gehört. Deshalb werde ich mich zum Haushalt äußern. Die Koalition stellt heute die Weichen für eine innovative und erfolgreiche Bau-, Verkehrs- und Stadtentwicklungspolitik 2011, was insbesondere den Menschen, lieber Herr Kollege Pronold, zugutekommt. ({0}) Der Einzelplan 12 ist eine gute Grundlage für Zukunftsinvestitionen in unserem Land. Zuerst zu Ihnen von der Opposition und zu dem, was Ihre Redner heute im Rahmen einer Märchenstunde und Wunschzettelpolitik schon alles geboten haben. Eines ist klar: Wären Sie heute an unserer Stelle, dann würden Sie angesichts der wirtschaftlichen Rahmendaten, mit denen wir es zu tun haben, Lobgesänge anstimmen. ({1}) - Dazu werde ich Ihnen gleich noch etwas sagen, Herr Kollege Pronold. Dann können Sie vielleicht noch etwas lernen. Es mag manchen überrascht oder geärgert haben, je nachdem, auf welcher Seite er steht. Man hätte vielleicht auch denken können, es waren die Grünen, aber nein: Es war die schwarz-gelbe Koalition, die mit einem Energiekonzept zum ersten Mal eine Vision ({2}) für eine zuverlässige, wirtschaftliche und umweltverträgliche Energieversorgung vorgelegt hat. ({3}) Damit verbindet sich übrigens zum ersten Mal eine Gesamtstrategie, die ein hohes Maß an Versorgungssicherheit an einen wirksamen Klima- und Umweltschutz koppelt. ({4}) Dieses Konzept misst dem Gebäudebestand zu Recht eine große Bedeutung zu. Hier liegt ein beachtliches CO2-Einsparpotenzial. Die Modernisierungsoffensive für Gebäude ist Dreh- und Angelpunkt des Energiekonzepts, Herr Kollege Hofreiter; an dieser Tatsache kommen Sie nicht vorbei. Für Neubauten einerseits haben wir uns vorgenommen, dass mit der Novelle zur Energieeinsparverordnung 2012 das Niveau klimaneutraler Gebäude ab 2020 eingeführt wird. ({5}) Für den Gebäudebestand andererseits ist ein langfristiger, stufenweiser Sanierungsplan bis 2050 vorgesehen, der auf Freiwilligkeit angelegt ist. ({6}) Unsere zentrale Botschaft ist: Wir wollen Anreize setzen, aber keine Zwangssanierungen anordnen, wie es Ihnen lieber gewesen wäre. Sie bevormunden halt ganz gerne. Das ist aber nicht in unserem Sinne. ({7}) Genau deshalb wird das erfolgreiche CO2-Gebäudesanierungsprogramm für die Menschen fortgeführt, Herr Kollege Pronold. 2011 stehen nämlich nicht nur die Haushaltsmittel in Höhe von 436 Millionen Euro, sondern auch zusätzliche 500 Millionen Euro aus einem neuen, extra aufgelegten Fonds, aus dem Sondervermögen für Energie und Klima zur Verfügung. ({8}) - Ich würde kommen, Herr Pronold. Dann können wir uns in einigen Jahren gemeinsam darüber freuen. - Ziel ist es, die Förderung von Energieeffizienzmaßnahmen im Wohngebäudebereich auch nach 2011 zu verstetigen. Es war Ihr sozialdemokratischer Minister Herr Tiefensee, der dieses Programm aufgelegt hat. ({9}) - Da stimme ich Ihnen zu, Herr Kahrs. - Jetzt geht es aber darum, dass die Förderung verstetigt wird. Wenn Sie es anschauen, stellen Sie fest: 4,5 Milliarden Euro hatte Ihr SPD-Minister hineingegeben. Wir haben jetzt für dieses Haushaltsjahr noch einmal 500 Millionen Euro draufgelegt. Das wird jetzt verstetigt, und das ist auch gut so. ({10}) Zur Städtebauförderung wurde schon einiges gesagt. Ich finde Ihre despektierlichen Äußerungen zum Thema Glasscherbenviertel sehr bedenklich. Wir haben es gehört: Es stehen gegenüber dem Regierungsentwurf 150 Millionen Euro mehr zur Verfügung. Genau das ist für Ihre Oberbürgermeister und Bürgermeister gut. Das ist auch für die Städte und Kommunen sehr gut, weil sie ein Stück weit entlastet werden. Übrigens werden alle Programme, die bereits aufgelegt worden sind, weiterlaufen. Diesbezüglich müssen Sie, denke ich, auch keine Panik erzeugen. Ich will Ihnen noch etwas zum Thema „Soziale Stadt“ mit auf den Weg geben. Wir werden weiterhin Investitionen in Plätze, in neue Ortsteilzentren und in viele andere Bereiche tätigen.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Herr Kollege Körber, die Kollegin Herlitzius möchte gern eine Zwischenfrage stellen.

Sebastian Körber (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004078, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ich würde gern fortfahren, Frau Präsidentin. - Es ist ganz besonders wichtig, dass diese Programme weiterlaufen. Wir werden aus Haushaltskonsolidierungsgründen jedoch keine Maßnahmen, die eher bei der Kommune anzusiedeln sind, die irgendwelche Zusatzaktivitäten vor Ort betreffen, weiter unterstützen, und zwar auch aus der festen Überzeugung, dass das viel besser bei der Kommune angelegt ist, weil es dort viel besser evaluiert und überprüft werden kann. ({0}) Ich will noch eines sagen, was vielleicht auch dieser Bundesregierung zu verdanken ist: Aufgrund der guten Wirtschaftsentwicklung, die wir zu verzeichnen haben, können wir die Menschen wieder in Arbeit versetzen, und das ist insgesamt die beste soziale Stadt, die ich mir vorstellen kann. ({1}) Auch Mobilität und Infrastruktur gehören zu den wichtigen Standortfaktoren in Deutschland. Mindestens seit Stuttgart 21 und seit diesem Wochenende, seit Ihrem Parteitag, liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, sind Sie ja die offizielle Dagegen-Partei. Sie sind gegen Bahnhöfe, Sie sind gegen Schienen- und Straßenprojekte, gegen Flughäfen. Sie sind auch gegen die Autofahrer. ({2}) Ich habe auch zur Kenntnis genommen, dass Sie in Städten City-Maut und das Tempolimit 30 einführen wollen, und jetzt sind Sie auch noch bei uns in Bayern, Herr Hofreiter - was ich, was Sie betrifft, besonders bedauerlich finde -, gegen die Olympischen Winterspiele. ({3}) Sie fordern mehr Geld für das Gebäudesanierungsprogramm, sagen aber gleichzeitig Nein dazu, dass die Kosten der Sanierung auf die Mieten umgelegt werden können. Überlegen Sie einmal, wo man die Kosten überhaupt noch umlegen kann. Das regelt der Mietmarkt doch bereits von selbst. Die Zukunft unseres Landes beginnt gerade bei der Infrastruktur, und die kann eben nicht, Herr Hofreiter, mit „dagegen!“ beantwortet werden. Die von Ihrem Parteitag verabschiedeten Anträge sind wirklich eine Liste der Grausamkeiten. Schauen wir uns das Ganze einmal an: Sie wollen eine verpflichtende Zwischennutzung von leerstehendem Wohnraum. Das kommt faktisch einer Enteignung gleich. ({4}) - Ich bin beim Haushalt, Herr Pronold. - Besonders dreist ist, dass Sie behaupten, die Stromnetze für erneuerbare Energien ausbauen zu wollen. Sie sind doch die Ersten, die mit Ihren Ortsvereinen gegen den Strommast vor Ort demonstrieren werden. ({5}) Ich komme zum Schluss, Frau Präsidentin. Union und FDP wollen hier Zukunft schaffen. Sie von den Grünen jedoch möchten alles, was wir für die Zukunft aufzeigen, „schottern“, und das ist der elementare Unterschied zwischen uns. Deshalb stimmen die FDP-Fraktion und ich für diesen sehr guten Haushalt. Vielen Dank. ({6})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Zu einer Kurzintervention hat die Kollegin Herlitzius das Wort.

Bettina Herlitzius (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003887, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Körber, Sie sind vom Fach. Deswegen möchte ich Ihnen eine Frage stellen. Es gibt eine Reihe von Evaluationen des Ministeriums von Herrn Ramsauer, die sich mit dem Programm „Die soziale Stadt“ beschäftigen. In all diesen Berichten steht, dass dieses Programm nur funktioniert, weil nichtinvestive Mittel dabei sind: ({0}) Gerade die Kombination aus nichtinvestiven Mitteln und investiven Mitteln führt zu dem enormen Erfolg. Das ist nicht falsch; das ist sehr richtig. Hinzu kommt: Auch bei den EU-Initiativen - Urban und weitere - kommt es auf genau diese Kombination an. Das heißt, Sie gefährden mit der Kürzung der nichtinvestiven Mittel des Programms „Die soziale Stadt“ sogar die Kofinanzierung mit den vorhandenen, bisher genehmigten Mitteln aus Gemeinschaftsinitiativen der EU, mit denen der Eigenanteil der Kommunen quasi gedeckt wird. Das heißt, Sie ignorieren nicht nur völlig, wie wichtig die nichtinvestiven Mittel sind, sondern Sie machen damit auch zukunftsweisende Maßnahmen kaputt. Warum ignorieren Sie an dieser Stelle das Fachwissen des Ministeriums?

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Herr Kollege Körber, bitte. ({0})

Sebastian Körber (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004078, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sie gehören zur Dagegen-Partei; das haben wir breit genug erörtert. - Frau Herlitzius, ich kann Ihnen gerne noch etwas zum Programm „Die soziale Stadt“ mit auf den Weg geben. Ich kann mich an dieser Stelle nur wiederholen; denn alles Fachliche und Richtige wurde schon ausgetauscht. ({0}) Das Programm „Die soziale Stadt“ wird weiterhin fortgesetzt. Wenn ich mir den Haushalt anschaue, dann sehe ich, dass dafür noch Mittel eingestellt sind. Jede Kommune, jedes Land - das hat übrigens gar nichts mit EUMitteln zu tun - kann weiterhin die nichtinvestiven Maßnahmen kofinanzieren und sogar noch mehr Geld dafür bereitstellen. ({1}) Ich bin fest davon überzeugt - das traue ich den Kommunen zu -, dass sie sehr gut selber entscheiden können, welche Maßnahmen vor Ort sie brauchen. Die Bundesregierung gibt den Kommunen mit diesem Haushalt nach wie vor die Möglichkeit, die investiven Maßnahmen, die sie brauchen, in Angriff zu nehmen; ({2}) sie machen die Masse des benötigten Geldes aus. Ich denke, als Architektin wissen Sie, wie die Kosten bei einer Stadtteilsanierung, bei der Neugestaltung eines Platzes verteilt sind. Wir können doch nicht die laufenden Kosten mit den Mitteln des Haushalts für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung decken. Ich denke, das ist nicht möglich. ({3})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Das Wort hat nun die Kollegin Sabine Leidig für die Fraktion Die Linke. ({0})

Sabine Leidig (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004089, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Ein Verkehrshaushalt besteht zum allergrößten Teil aus Investitionen in die Zukunft. In diesem Jahr und auch in den nächsten Jahren werden fast 10 Milliarden Euro für Straßen, Schienen und Wasserwege investiert. Damit könnte die Infrastruktur in unserer Gesellschaft gestaltet, vor allen Dingen umgestaltet werden. Das wäre dringend nötig; denn wahrscheinlich haben wir den Peak Oil, also die größtmögliche Fördermenge von Erdöl - Toni Hofreiter hat vorhin darüber gesprochen -, bereits überschritten. Das bedeutet, dass das Öl in den nächsten 10 bis 20 Jahren langsam zur Neige geht und dass Benzin wesentlich teurer wird. ({0}) Die Abteilung Zukunftsanalyse des Zentrums für Transformation der Bundeswehr hat sich in einer Studie sehr intensiv mit den daraus resultierenden Gefahren für die Industrienationen und ihren Handlungsmöglichkeiten beschäftigt. Sie lässt keinen Zweifel daran, dass vor allem eine frühzeitige Umstellung der Wirtschaft und des Transportwesens nötig ist, um einen krisenhaften Zusammenbruch zu verhindern. Die Verkehrspolitik dieser Bundesregierung trägt aber wahrlich überhaupt nicht zu einem solchen Umbau bei. Im Gegenteil: Sie betonen immer wieder, dass der Verkehr in allen Bereichen wachsen wird und - das haben wir heute wieder gehört - Sie dieses Wachstum wollen. ({1}) Herr Döring hat sogar behauptet, dass die Vermeidung von Verkehr eine Verelendungsstrategie sei. ({2}) Dabei ist das Gegenteil der Fall: Je mehr unsere Wirtschaft und unser Leben am Öltropf hängen, desto schlimmer wird die Krise sein, wenn dieser Saft knapp und teuer wird. Je mehr Milliarden in den Bau von Straßen gesteckt werden, desto weniger Geld steht zur Verfügung, um Alternativen zu finanzieren. Man müsste sofort aufhören, noch mehr sechs- und achtspurige Autobahnen zu bauen, und stattdessen einen Ausbauplan für Schienenwege umsetzen. ({3}) Dabei darf es nicht nur um den Weg von den Seehäfen ins Hinterland gehen, sondern es muss auch um den Weg von den Fabriken zu den Verbrauchern gehen. Man muss nicht noch mehr Lebensmittel und Industrieprodukte durch die halbe Welt transportieren, sondern man muss kluge Konzepte für regionale Produktionsnetzwerke entwickeln, damit die Wirtschaft auch dann noch funktioniert, wenn der Transport kaum noch bezahlbar ist. ({4}) Man muss auch das Zufußgehen und das Fahrradfahren fördern. Das kommt bei Ihnen überhaupt nicht vor. ({5}) Man muss öffentliche Bahnen und Elektrobussysteme weiterentwickeln, damit die Leute auch dann zum Arbeitsplatz, zur Uni oder ins Kino kommen, wenn sie sich kein Auto mehr leisten können. Wir brauchen eine wirklich neue Orientierung, weg vom Öl, damit das große Elend verhindert wird. Ich möchte noch einen Punkt ansprechen, bei dem eine Menge Geld viel sinnvoller investiert werden muss. Das ist Stuttgart 21, also der geplante Tunnelbahnhof und die dazugehörige Neubaustrecke Wendlingen-Ulm. Völlig klar ist, dass viele Bahnhöfe in dieser Republik dringend eine Erneuerungskur brauchen, auch der Kopfbahnhof in Stuttgart. Völlig klar ist auch, dass das Schienennetz der Deutschen Bahn weiterentwickelt werden muss. Dazu hat das Umweltbundesamt eine Menge konkrete Maßnahmen vorgeschlagen. Stuttgart 21 ist nicht dabei. Der Eisenbahninfrastrukturbeirat und die Deutsche Bahn AG selbst haben ein Wachstumsprogramm mit den dringendsten Maßnahmen der nächsten Jahre vorgestellt. Stuttgart 21 gehört nicht dazu. Das ganze Projekt nützt nicht der Eisenbahn, sondern schadet ihr eher, weil die Mittel für wirklich wichtige Maßnahmen fehlen. Der Nutzen der Neubaustrecke liegt nach neuesten Berechnungen nur knapp über den Kosten. Er liegt nur deshalb knapp über den Kosten, weil mit völlig unrealistischen Preisen gerechnet worden ist. Der Bundesrechnungshof hat der Finanzierungsvereinbarung nicht zugestimmt. Das Eisenbahn-Bundesamt hat in finanzieller Hinsicht keine Baufreigabe erteilt. Wir fordern Sie also auf: Verzichten Sie auf dieses Projekt. Streichen Sie es aus dem Haushalt. Stoppen Sie diese Verschwendung von Steuergeldern. ({6}) Folgen Sie der volkswirtschaftlichen Vernunft und dem Willen der Bevölkerung. Fangen Sie endlich an, eine nachhaltige und zukunftsfähige Verkehrspolitik auf den Weg zu bringen. ({7})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Nächste Rednerin ist die Kollegin Daniela Wagner für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Daniela Wagner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004184, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Verehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Haushaltsentwurf beinhaltet eine Zurücknahme der Mittel für die Städtebauförderung um insgesamt immerhin etwa 25 Prozent. Seit den Haushaltsberatungen ist klar, dass die Bundesregierung bei der Städtebauförderung im Bereich des Programms „Soziale Stadt“ nur noch auf investive Maßnahmen setzt. Außerdem wurde das Programm im Vergleich zu anderen Programmen der Städtebauförderung gezielt benachteiligt. Ich habe langsam das Gefühl, dass Ihnen dieses Programm wirklich ein Dorn im Auge ist. ({0}) Dafür kann es nur zwei Gründe geben: Entweder haben Sie es wirklich nicht verstanden, oder es liegt daran, dass es aus der Ära von Rot-Grün stammt, vielleicht auch beides. Jetzt kann man nicht einmal mehr die Mittel zugunsten des Programms „Soziale Stadt“ umverteilen. Sie haben mit den Kürzungen dafür gesorgt, dass dieses Programm im Rahmen der Städtebauförderung das kleinste Programm ist. Das eigentliche Drama ist aber, dass der innovative Ansatz dieses Programms, die demokratische Partizipation der Bürger an der Gestaltung ihres Quartiers, fast vollständig verschwunden ist. ({1})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Kalb?

Daniela Wagner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004184, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ja, klar.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Bitte.

Bartholomäus Kalb (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001055, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Kollegin, weil Sie hier noch einmal die mangelhafte Deckungsfähigkeit kritisieren, darf ich den Versuch unternehmen, ({0}) den wir schon einmal einige Male unternommen haben - schon im Blick auf den Kollegen Kahrs -, Ihnen zu erklären, dass die nicht vorhandene Deckungsfähigkeit innerhalb des Titels in den Erläuterungen zum Haushalt nicht bedeutet, dass die Mittel für das Programm „Soziale Stadt“ nicht mit anderen Mitteln aus dem ESF, aus anderen Sozialtöpfen usw. kombiniert werden können. ({1}) - Doch. Wir legen Wert darauf, dass es so ist. Deswegen stellen wir diesen Rahmen zur Verfügung, damit diese Mittel über das Programm „Soziale Stadt“ fließen können. ({2})

Daniela Wagner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004184, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Okay. - Sie haben jedenfalls erfolgreich dafür gesorgt, dass alle nicht verausgabten Mittel für Programmlinien nicht dort verwendet werden können, und das, obwohl Sie die Mittel abgesenkt haben. Dabei ist doch unverkennbar, dass es heute mehr denn je darauf ankommt, Menschen mitzunehmen, dass es darauf ankommt, nicht nur das Quartiersmanagement zu erhalten, sondern auch die Maßnahmen, die das Quartiersmanagement initiiert. Dazu seien ein paar Beispiele genannt: Verbesserung von Bildungsabschlüssen bei Menschen mit Migrationshintergrund, Erwerb der deutschen Sprache, Betreuung von Jugendlichen aus problematischen Familien. Sie sagen doch immer, dass es Integrationsverweigerer gibt, und Sie beklagen den mangelnden Integrationswillen. Hier hatten wir ein Programm, das die Menschen abgeholt hat, das ihnen eine Brücke zur Integration gebaut hat. Genau diese Mittel streichen Sie nun. ({0}) Wenn im nächsten Jahr keine Maßnahmen mehr stattfinden, werden Sie sagen: „Was brauchen wir noch Quartiersmanager?“, und dann werden die auch noch abgeschafft. Dann ist es ein reines Dorferneuerungsprogramm, mit dem Plätze neu gepflastert werden. Aber das war ausdrücklich nicht die Zielsetzung dieses Programms. Das heißt, es müssen jetzt die Länder oder die Kommunen einspringen. ({1}) Die Kommunen und die Länder werden diesen Anteil an dem Programm nicht übernehmen können. ({2}) Denn die Situation der Kommunen ist ja so, wie sie ist. ({3}) - Sie werden sehen, was passieren wird. Das werden diejenigen Kommunen tun, die es aufgrund ihrer Bevölkerungsstruktur überhaupt nicht nötig haben, so etwas zu machen. Andere, bei denen es besonders nötig ist, werden die Mittel nicht aufbringen, und wenn es sich um eine freiwillige Leistung handelt, wird kein Regierungspräsident ihnen eine Mittelaufnahme dafür gestatten. ({4}) Ich empfinde das, was Sie da machen, als absoluten Zynismus, als Zynismus in Reinkultur. Sie können auch nirgendwo in dieser Haushaltsdebatte erklären, wie Sie die sozialräumliche Integration in Problemquartieren künftig gewährleisten wollen. Oder wollen Sie in den betreffenden Stadtteilen französische Verhältnisse? ({5}) Lassen Sie mich noch ein Wort zur CO2-Gebäudesanierung sagen. Sie haben uns bis heute nicht erklärt, wie Sie mit einer Halbierung der Fördermittel die Verdoppelung der Geschwindigkeit bei der energetischen Gebäudesanierung bewirken wollen. ({6}) Das wird das ewige Geheimnis des Dr. Peter Ramsauer bleiben. Dabei steht die energetische Gebäudesanierung in unmittelbarem Zusammenhang mit der Streichung der Heizkostenkomponente beim Wohngeld. Denn je langsamer die Gebäude saniert werden, desto mehr werden die steigenden Energiepreise die Haushalte treffen, die sich das nicht leisten können. Sie werden - das prophezeie ich Ihnen heute schon von dieser Stelle aus - entweder die Heizkostenkomponente beim Wohngeld wieder einführen müssen, oder das Ganze fällt den Kommunen auf die Füße, die dann noch mehr Kosten der Unterkunft buckeln müssen. Das kann es nicht sein. Das ist eine unfaire Sanierung des Bundeshaushalts zulasten derjenigen, die sich am allerwenigsten wehren können, nämlich der Menschen, denen es in unserem Land nicht gut geht, und vor allen Dingen auch unserer Kommunen, denen es schon dreimal nicht mehr gut geht. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. ({7})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Der Kollege Dirk Fischer ist nun der nächste Redner für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Dirk Fischer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000549, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Das, was wir heute debattieren, ist das Ergebnis eines gewaltigen parlamentarischen Kraftaktes. ({0}) Die prekäre Haushaltslage und die im Grundgesetz neu verankerte Schuldenbremse verpflichten uns dazu. Zur Bewältigung der Bankenkrise waren das Gegensteuern einerseits und deutliche Impulse für Wachstum und Beschäftigung andererseits notwendig. Das ist, wie wir wissen, Keynes Teil A. ({1}) Die Erfolge können sich sehen lassen: Bankensystem gerettet, Firmen vor Insolvenz bewahrt, Arbeitsplätze gesichert und geschaffen, Sozialversicherung stabilisiert und internationale Verantwortung überzeugend wahrgenommen. ({2}) Das ist das Ergebnis unseres Vorgehens bei der Bewältigung der Krise. ({3}) Für Land und Leute geht es, Gott sei Dank, wieder aufwärts. Das bedeutet aber auch, dass es jetzt ans Sparen gehen muss. Das ist Keynes Teil B. Wer nur Keynes Teil A macht, ist dafür verantwortlich, dass die Gesamtstaatsverschuldung nach jeder Krise höher ausfällt. Wir nehmen die Verantwortung sehr ernst. Ohne solide Staatsfinanzen fehlen uns auf Dauer die HandlungsspielDirk Fischer ({4}) räume, die wir brauchen, um Politik aktiv gestalten zu können. Mit dem vorliegenden Haushaltsentwurf hat es die Koalition geschafft, ein ausgewogenes und solides Sparpaket zu schnüren. Der Verkehrs- und Baubereich konnte dabei natürlich nicht verschont bleiben, da alle Ressorts ihren Sparbeitrag leisten müssen. Dennoch ist der Einzelplan 12 nach wie vor der mit Abstand größte Investitionshaushalt des Bundes; er beinhaltet über 51 Prozent aller Investitionen. Der Investitionsanteil des Einzelplans 12 liegt oberhalb 55 Prozent. Trotz der Sparzwänge ist es also gelungen, die Investitionslinie im Verkehrsetat zunächst auf hohem Niveau zu sichern. Für Investitionen in Straßen, Schienenwege und Bundeswasserstraßen stehen im kommenden Jahr fast 10 Milliarden Euro zur Verfügung. Ich will an dieser Stelle ausdrücklich sagen: Bundesminister Ramsauer und seine Mitarbeiter haben erfolgreich verhandelt. Es würde der Opposition kein Zacken aus der Krone fallen, wenn sie das einmal loben würde. Ich glaube, es besteht aller Anlass, ihn zu loben. ({5}) Ich sage deutlich: Das Ziel für die nächsten Jahre sollte sein, diesen Betrag zumindest beizubehalten. Wenn wir die Investitionslinie nicht halten - wir haben aufgrund der Konjunkturprogramme viele neue Projekte begonnen; die Spatenstiche sind gemacht -, dann würden Baustellen zeitlich gestreckt oder gar stillgelegt werden müssen. Das wäre in der Sache völlig inakzeptabel und würde die Projekte noch teurer machen. Das gilt umso mehr, als die Koalition im Koalitionsvertrag 2009 versprochen hat, die Infrastruktur zu erhalten und auszubauen. Ein weiteres Versprechen aus dem Koalitionsvertrag wird ebenfalls eingelöst, nämlich dass die Einnahmen aus der Lkw-Maut ab 2011 ausschließlich in den Bau und Unterhalt von Autobahnen und Bundesstraßen fließen. Damit machen wir einen großen Schritt hin zu einem geschlossenen Finanzierungskreislauf Straße und schaffen mehr Transparenz in Bezug auf die Deckung der Infrastrukturkosten durch die jeweiligen Verkehrsträger. Das ist unser Ziel. ({6}) Im Übrigen wird dadurch auch die Akzeptanz des Instruments Maut erhöht und gefördert, für das einst geworben wurde mit dem Argument: Ihr müsst für die Straßennutzung zahlen, damit ihr mehr und bessere Infrastruktur bekommt. - Das heißt, diese Koalition beseitigt einen Wortbruch. Herr Kollege Dr. Hofreiter, ich war im Vermittlungsausschuss 2003 dabei. Ich kann nur sagen: Je weniger man dabei war, desto größer wird offenbar die Fantasie, und desto mehr Märchen werden erzählt. Deswegen kann ich nur sagen: Es ist richtig, dass wir das tun. Im Übrigen muss man nicht befürchten, dass die Infrastrukturbereiche Schiene und Wasserstraße durch den Finanzierungskreislauf Straße finanzielle Verluste erleiden werden; denn wir gleichen das aus. Die bisher dem Straßenbauetat aus dem allgemeinen Bundeshaushalt zufließenden Mittel werden umgeleitet und den Schienen- und Wasserstraßen eins zu eins als Ausgleich für wegfallende Mautmittel zur Verfügung gestellt. Hören Sie also auf, Märchen zu erzählen, sie würden weniger bekommen. ({7}) Sie bekommen weiterhin den gleichen Betrag, aber in einer transparenten Weise, die zeigt, welcher Verkehrsträger sich in welchem Maße refinanziert. Dies wollen wir. ({8}) Die Mittel für die wichtige Arbeit im Bereich Verkehrssicherheit werden nicht zusammengestrichen. Wenn es um den Schutz von Leib und Leben, von Menschen geht, darf nicht gespart werden. Das ist uns eine wichtige Aufgabe. Ein anderes Programm, für das sich Union und FDP erfolgreich eingesetzt haben, ist das schon oft angesprochene CO2-Gebäudesanierungsprogramm. Seit 2006 konnten dank der Förderung über 2,3 Millionen Wohnungen energieeffizient saniert oder errichtet werden. Neben dem positiven Effekt auf den Umwelt- und Klimaschutz wurden durch dieses Programm private Investitionen in Höhe von mehr als 70 Milliarden Euro angestoßen. Gleichzeitig konnten jährlich rund 290 000 Arbeitsplätze in Mittelstand und Handwerk geschaffen bzw. gesichert werden. Trotz des Sparzwanges - ich sage dies an die Kolleginnen und Kollegen von der SPD gerichtet; Uwe Beckmeyer, ich würde jetzt in Deckung gehen ({9}) und entgegen dem, was die Große Koalition ursprünglich geplant hat, wird dieses Programm 2011 fortgeführt und sogar aufgestockt. Kollege Beckmeyer, eigentlich war unser gemeinsamer Plan, dieses Programm 2011 zu beenden. ({10}) Man sollte die eigene Vergangenheit nicht völlig ausblenden. Ich bin glücklich, dass es möglich ist, dieses Programm fortzuführen. Wenn die Winde im Hinblick auf den Haushalt besser wehen, müssen diese Mittel aufgestockt werden. ({11}) Das ist unsere Strategie. Wir dürfen aber nicht den Programmansatz verlieren. Ohne dieses Programm könnten wir unsere Klimaschutzziele nämlich niemals erreichen. Deswegen bin ich in dieser Frage sehr engagiert. ({12}) Ich will an dieser Stelle deutlich machen: Als ein Sparbeitrag sollten die Programmmittel für die Städtebauförderung um die Hälfte reduziert werden. Damit Dirk Fischer ({13}) hätte im Jahr 2011 ein Programmvolumen - die Kassenmittel sind viel niedriger - von nur noch 305 Millionen Euro zur Verfügung gestanden. Diese drastische Reduzierung wäre dem Erfolgsmodell der Städtebauförderung nicht gerecht geworden. Seit Beginn der Städtebauförderung vor bald 40 Jahren konnten mit Bundesmitteln von rund 13,5 Milliarden Euro weit über 6 000 Maßnahmen gefördert werden - ein Segen für das Erscheinungsbild unserer Dörfer, unserer kleinen und mittelgroßen Städte und unserer Großstädte. Nicht zu vergessen sind auch die positiven Effekte auf die kommunalen Investitionen und den lokalen Arbeitsmarkt. Angesichts des Programmvolumens von 455 Millionen Euro müssen wir uns immer den Faktor acht vor Augen halten: Jeder Euro Fördermittel löst nämlich öffentliche und private Investitionen von bis zu 8 Euro aus. Die Erhöhung um 150 Millionen Euro kann somit zu Investitionen von 1,2 Milliarden Euro führen. Das ist ein großer Effekt. Außerdem bleibt für die ostdeutschen Städte die Planungs- und Finanzierungssicherheit durch die Fortführung des Schwerpunktprogramms „Stadtumbau Ost“ im Hinblick auf die strukturell notwendigen Veränderungen gegeben. Für diejenigen, die Wohnungseigentum erwerben wollen, gibt es ebenfalls eine gute Nachricht: Die Wohnungsbauprämie bleibt in voller Höhe erhalten. Das ist ein entscheidendes gesellschaftspolitisches Signal und zusätzlich zur Eigenheimrente ein wichtiger Beitrag zur Alterssicherung der Menschen in unserem Lande. ({14}) Die Heizkostenpauschale beim Wohngeld wird es allerdings nicht mehr geben. Mit dieser Sparmaßnahme kehren wir zur alten Struktur der Wohngeldberechnung zurück. Das ist vertretbar, da die Heizkosten 2009 um durchschnittlich 14 Prozent gesunken sind. ({15}) Die allgemeine Wohngelderhöhung von 2009 bleibt jedoch unangetastet. Liebe Kolleginnen und Kollegen, zum Schluss sage ich: Wer sparen will, kommt an schmerzlichen Maßnahmen nicht vorbei. Von nun an muss der Haushalt im jedem Jahr so ausgerichtet werden, dass die neu im Grundgesetz verankerte Schuldenbremse im Jahr 2016 eingehalten wird. Daran herumzuwerkeln, wäre gegenüber künftigen Generationen verantwortungslos und ist mit uns nicht zu machen. Diese Regierungskoalition jedenfalls stellt sich dieser Verpflichtung und Verantwortung. Offenbar fällt es der Opposition leicht, alles Mögliche zu versprechen, sich zu wünschen und zu erklären, als fiele das Geld vom Himmel. Wir wissen, dass wir unter anderen Rahmenbedingungen verantwortlich zu handeln haben. Der Verkehrs- und Bauetat, als Kombination aus wichtigen Investitionsausgaben und notwendigen Sparmaßnahmen, ist alles in allem das Ergebnis eines erfolgreichen haushaltspolitischen Kraftaktes der Bundesregierung und der sie tragenden Fraktionen. Insbesondere danke ich unseren Haushältern für die geleistete Arbeit. Sie haben in den letzten drei Monaten wirklich hart gearbeitet. Ich bitte um Zustimmung zum Einzelplan 12. Herzlichen Dank. ({16})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Nächster Redner ist der Kollege Sören Bartol für die SPD-Fraktion. ({0})

Sören Bartol (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003496, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das einzig Richtige, was Sie von der Koalition heute gesagt haben, ist, dass Sie die Städtebauförderung weniger kürzen, als Sie es vorgehabt haben. Aber das als Ihren Erfolg zu verkaufen, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist eine Unverschämtheit; denn Ihr Minister Ramsauer war es doch, der die Städtebauförderung zur Disposition gestellt hat, als er die Halbierung der Mittel angekündigt hat. Dass die Kürzungen nun geringer ausfallen - es ist und bleibt eine Kürzung -, ist ein Erfolg der Verbände, der Länder und der Projektbeteiligten, die über die Sommermonate hinweg protestiert haben. Damit haben Sie wohl überhaupt nicht gerechnet. ({0}) Herr Minister, Ihre eigenen Parteifreunde aus Bayern haben Ihnen erklären müssen, was eine Kürzung bei der Städtebauförderung bedeutet. Die Bau- und Wohnungswirtschaft sowie der Einzelhandel haben Ihnen vorgerechnet, wie kurzsichtig das ist. Jeder Euro, der in die Städtebauförderung investiert wird, zieht 8 Euro private Investitionen nach sich. Die 155 Millionen Euro, die Sie nun bei den Programmen „Stadtumbau“ und „Städtebaulicher Denkmalschutz“, bei Sanierungs- und Entwicklungsmaßnahmen und bei dem Programm „Soziale Stadt“ sparen, sind teuer zulasten der Zukunftsfähigkeit der Städte und Gemeinden erkauft. ({1}) Was Sie heute beschließen, ist der Tod auf Raten für die „Soziale Stadt“. Statt 95 gibt es nur noch 28,5 Millionen Euro. Schlimmer noch: Sie berauben die „Soziale Stadt“ ihres sozialintegrativen Ansatzes. Die wenigen verbleibenden Programmmittel sollten nur noch investiv eingesetzt werden. ({2}) Die Modellversuche, mit denen seit 2006 in „Soziale Stadt“-Gebieten Spracherwerb, Freizeit- und Bildungsangebote oder auch die lokale Ökonomie gefördert werden, sind gestrichen. ({3}) Aber Städte sind mehr als Steine, Kollege Döring. Sie sollten wissen, meine Damen und Herren von den Koalitionsfraktionen: Investitionen in Wohnungen und Wohnumfeld sind in den Sand gesetzt, wenn der soziale Kitt im Stadtteil nicht hält; denn diejenigen, die sich aktiv an der Gestaltung eines Platzes oder Parks samt Skatebahn beteiligt haben, werden das nicht gleich wieder zerstören. Investitionen in das nachbarschaftliche Miteinander sind eben kein Sozialklimbim, sondern wesentliche Voraussetzung für eine Aufwertung von sozialen Brennpunkten und für Lebensperspektiven für die Bewohner. ({4}) „Soziale Stadt“ ist erfolgreich. Das schreiben Sie selbst noch im Juni in Ihrer Antwort auf unsere Kleine Anfrage. Ich zitiere: Die Unterschiede zwischen bevorzugten und benachteiligten Stadtteilen vergrößern sich. … Grundsätzlich ist in schrumpfenden Städten mit abnehmender Einwohner- und Arbeitsplatzzahl die sozialräumliche Polarisierung deutlich ausgeprägter als in Städten mit einer anhaltend hohen und zahlungskräftigeren Nachfrage. … Bei gleichzeitiger Aufwertungstendenz der innerstädtischen Gebiete ist eine zunehmende Konzentration von einkommensschwachen Haushalten in wenigen, oft auch peripheren Stadtteilen zu beobachten. Und jetzt kommt es - gut zuhören! -: Im Ergebnis auch der unabhängigen Zwischenevaluierung hat sich der integrierte Ansatz des Programms Soziale Stadt bewährt. Das haben Sie uns auf die Kleine Anfrage geantwortet. ({5}) Warum, Herr Ramsauer, führen Sie das dann nicht fort? Denn wenn die „Soziale Stadt“ als Klammer zur Bündelung von Maßnahmen wegfällt, wenn das Quartiersmanagement als zentrale Anlaufstelle und Steuerungsinstanz vor Ort fehlt, wird dieser erfolgreiche sozialraumorientierte Ansatz zunichtegemacht. Ja, das ist die originäre Verantwortung eines Bundesministers für Stadtentwicklung. Das faktische Aus von „Sozialer Stadt“ ist ein Schlag ins Gesicht für alle, die in ihren Stadtteilen und Gemeinden Projekte initiiert und in Quartiersräten und Nachbarschaftsinitiativen mitgearbeitet haben. Sie nehmen in Kauf, dass diese Menschen ihr Engagement wegen mangelnder Unterstützung frustriert aufgeben, und zwar zum Schaden unserer gesamten Demokratie, auch der lokalen Demokratie. „Soziale Stadt“ ist ein wesentlicher Bestandteil und ein wesentlicher Baustein im Themenfeld „Integration vor Ort“ des nationalen Integrationsplans. Gerade das unmittelbare Lebensumfeld ist ein geeigneter Ort für niedrigschwellige Beteiligungsangebote, zum Beispiel an den Schulen. Mit dem Aus für die „Soziale Stadt“ wird auch dieser Teil des nationalen Integrationsplans obsolet. Was sagt eigentlich Ihre Integrationsbeauftragte, Ministerin Böhmer, dazu? ({6}) Offenbar hat sich die FDP mit ihrer ideologisch begründeten Ablehnung einer modernen, integrierten und integrativen Stadtentwicklungspolitik in der Regierung durchgesetzt. Diese durch Ignoranz und soziale Kälte gekennzeichnete Haltung der FDP und Ihr offensichtliches Desinteresse an Stadtentwicklungspolitik, Herr Minister Ramsauer, führen zum Ende der bundespolitischen Verantwortung für den sozialen Zusammenhalt in den Städten und Gemeinden. ({7}) Es ist nur eine Frage der Zeit, bis die zunehmende soziale Ungleichheit in und zwischen den Städten zu verschärften sozialen und politischen Konflikten führen wird. Nicht nur der sozialen Stadtentwicklungspolitik, sondern auch der sozialen Wohnungsbaupolitik wollen Sie sich kurzerhand entledigen. Herr Ramsauer, Ihr letztlich gescheiterter Versuch, das Wohngeld in den Haushalt des Arbeits- und Sozialministeriums zu verschieben, spricht doch Bände. Den Heizkostenzuschuss zum Wohngeld streichen Sie wieder, auch das wider besseres Wissen, Kollege Fischer. Ihre Begründung der sinkenden Energiekosten glaubt Ihnen doch niemand. Der Ölpreis ist seit dem 1. Januar 2009 um 34 Prozent gestiegen. Der Heizkostenzuschuss ist und bleibt sinnvoll; denn wenn wieder mehr Menschen die Warmmiete nicht aufbringen können, müssen sie Arbeitslosengeld II beantragen. Gleichzeitig streichen Sie auch noch die Mittel für die energetische Gebäudesanierung zusammen. Für die bisher sowohl ökologisch als auch wirtschaftlich so erfolgreichen KfW-Programme stellen Sie im Haushalt gerade einmal 435 Millionen Euro zur Verfügung. Der Kollege Kahrs hat es ja schon gesagt: Ob die weiteren 500 Millionen Euro aus dem sogenannten Energie- und Klimafonds dazukommen, steht in den Sternen. Ich erinnere nur an den Austausch der Brennelemente im Kraftwerk Biblis. Daran sieht man ja, wie die ganze Sache funktioniert. ({8})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Vogelsang?

Sören Bartol (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003496, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Frau Kollegin, bitte sehr.

Stefanie Vogelsang (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004180, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege, ich habe die Frage, ob Sie es für sozialen Kitt halten, dass die rot-rote Landesregierung hier in Berlin immer wieder ganze 5 000 Wohneinheiten en bloc an Hedgefonds verkauft, und ob das Ihrer Meinung nach die richtige soziale Städtebaupolitik ist. ({0})

Sören Bartol (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003496, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Liebe Kollegin, hier wurde gerade zu Recht „So ein Unsinn“ hineingerufen. Ich glaube, dass gerade die rotrote Landesregierung in Berlin vorbildlich zeigt, wie eine vernünftige Stadtentwicklungspolitik aussieht. ({0}) - Ich kann Ihnen allen, die hier jetzt lachen, nur empfehlen: Gehen Sie doch einmal in die Quartiere hinein und schauen Sie sich „Soziale Stadt“-Projekte an. Schauen Sie sich an, was die großen Wohnungsbaugesellschaften hier in Berlin leisten, und schauen Sie, was gerade die Kollegin Senatorin Junge-Reyer geleistet hat, die es geschafft hat, im Bundesrat ein einstimmiges Votum gegen Ihre Politik zustande zu bringen, was für Ihren Minister eine schallende Ohrfeige war. ({1}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, bei den entscheidenden Zukunftsaufgaben lassen Sie die Städte und Gemeinden alleine. Sie verabschieden sich von einer sozial und ökologisch verantwortungsbewussten Wohnungs-, Bau- und Stadtentwicklungspolitik.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Herr Kollege, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage, diesmal vom Kollegen Liebich?

Sören Bartol (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003496, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Das ist wunderbar; ich habe noch 50 Sekunden. Bitte.

Stefan Liebich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004093, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Lieber Kollege Bartol, können Sie mir zustimmen, dass es ein gar nicht so schlechtes Zeichen für die soziale Stadtentwicklung ist, dass es in Berlin genau zwei Parteien gibt, die im Gegensatz zu allen anderen Parteien bereit sind und auch klar erklärt haben, 250 000 Wohnungen in öffentlichem Besitz zu halten? ({0})

Sören Bartol (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003496, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Das ist wunderbar, Herr Kollege. Ich bedanke mich für diese Zwischenfrage. ({0}) Das ist ein sehr ernstes Thema. Liebe Kolleginnen und Kollegen, schauen Sie sich unsere Anträge an. Wir fordern Sie jetzt noch einmal auf - das gilt gerade für die Kolleginnen und Kollegen der CDU/CSU; bei Ihnen habe ich noch ein bisschen Hoffnung, dass Sie sich besinnen; bei der FDP ist an dieser Stelle alles verloren, glaube ich -: ({1}) Erhalten Sie den Heizkostenzuschuss beim Wohngeld, damit es ein wirksames Instrument der sozialen Wohnraumpolitik bleibt, und erhalten Sie die Programme der Städtebauförderung auf bisherigem Niveau, wie es übrigens in Ihrem Koalitionsvertrag steht. Stärken Sie die „Soziale Stadt“ besonders für Aufgaben der Integration. Es geht hier letztlich um den sozialen Frieden in unseren Städten und Gemeinden. Dazu können Sie sich bei der namentlichen Abstimmung gleich gerne richtig verhalten. ({2})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Letzter Redner in dieser Debatte ist nun der Kollege Patrick Schnieder für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Patrick Schnieder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004146, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Der Bundeshaushalt 2011 ist ein Wendepunkt in der Haushalts- und Finanzpolitik. ({0}) Wir nehmen die Pflicht zur nachhaltigen Konsolidierung nach der schwersten Finanz- und Wirtschaftskrise in der Bundesrepublik Deutschland ernst. In diesem Haushalt findet die verfassungsrechtliche Schuldenregel zum ersten Mal Anwendung. ({1}) Unsere Antwort auf diese Herausforderung ist eine doppelte: Wir sparen, und wir investieren. ({2}) Insbesondere im Einzelplan 12, der von besonderer konjunktur- und wachstumspolitischer Bedeutung ist - der große Anteil der Investitionen von über 40 Prozent ist genannt worden -, wird beides berücksichtigt. Auf der einen Seite werden der Konsolidierungsbeitrag und Einsparungen berücksichtigt; auf der anderen Seite behalten wir Investitionen sowohl in leistungsfähige Verkehrsinfrastruktur wie auch im Baubereich in hohem Maß bei. Es ist bezeichnend, dass Sie von der Opposition die gesamtstaatliche Sicht, die Haushaltswirklichkeit nicht im Ansatz thematisieren, ({3}) sondern - ganz im Gegenteil - komplett ausblenden, dass wir nach wie vor eine Neuverschuldung von über 48 Milliarden Euro aufzunehmen haben. ({4}) Sie schenken ihr nicht nur keine Beachtung, Sie tun auch noch so, als könnten Sie aus einem prall gefüllten Füllhorn Wohltaten über das Land verteilen. Das ist keine verantwortliche Politik. ({5}) Wir sehen den überragenden Stellenwert einer gut ausgestatteten Verkehrsinfrastruktur sowohl für Wohlstand wie für Wachstum und damit insgesamt für die Chancen unseres Landes. Wir reagieren auf die Mobilitätserfordernisse der Menschen und der Wirtschaft in diesem Lande. Wir wollen Mobilität auch in Zukunft ermöglichen; wir wollen Mobilität nicht verhindern. Deshalb ist es ein großer Erfolg, dass die hohe Investitionslinie von 9,7 Milliarden Euro in diesem Bereich nicht nur für 2011, sondern perspektivisch bis 2014 fortgeschrieben werden kann. Dabei unterlassen wir es auch, die Verkehrsträger gegeneinander auszuspielen. Straße genauso wie Schiene und Wasserwege sind uns wichtig. Die Vernetzung der Verkehrsträger wird durch uns berücksichtigt. Eines muss man in dem Zusammenhang ehrlicherweise auch sagen - auch dazu haben wir kein Wort von Ihnen gehört, sehr geehrte Damen und Herren von der Opposition -: Wer nicht bereit ist, im Verkehrsbereich Einsparungen hinzunehmen, der muss wenigstens sagen, wie er das Einsparziel erreichen will, das vorgegeben ist. Wer das im Verkehrsbereich - zu Recht - nicht macht, weil Wachstum auch Mobilität erfordert, muss die schmerzlichen Einschnitte im Baubereich vornehmen. Wir in der Koalition haben uns dieser Verantwortung gestellt. Das fällt in der Tat nicht leicht; wir haben für die verschiedenen Positionen nachdrücklich gekämpft. Das ist schmerzlich für Kommunen. Das ist schmerzlich im Bereich der Investitionen. Wir müssen dabei aber auch zweierlei berücksichtigen: Im Rahmen des Konjunkturpaketes II haben wir enorme Mittel in die Bereiche gesteckt, die jetzt von Kürzungen betroffen sind, nämlich in die Städtebauförderung und die energetische Gebäudesanierung. Dort sind in den letzten Jahren Milliardenbeträge investiert worden. Es ist erreicht worden, dass die Kürzungen im parlamentarischen Verfahren zur Aufstellung dieses Haushalts abgemildert werden konnten. Deshalb ist es schon ein Erfolg, dass wir nicht nur die Höhe des Titels bei der Städtebauförderung haben halten können - er stand ursprünglich einmal ganz auf der Kippe -, sondern dass wir die 305 Millionen Euro im Entwurf auch noch um 150 Millionen Euro erhöhen konnten. Bei dem Faktor eins zu acht - 1 Euro Förderung löst 8 Euro Investitionen aus - bedeutet das ein Mehr an Investitionen von insgesamt über 1 Milliarde Euro. Auch das ist ein Beitrag zur Stärkung des Wachstums und unserer Wirtschaftsentwicklung. ({6}) Meine sehr geehrten Damen und Herren, lieber Herr Pronold, das ist natürlich auch eine Chance, die Vielzahl von Programmen, die wir im Bereich der Städtebauförderung haben, neu zu justieren und uns auf das Kerngeschäft zu konzentrieren. ({7}) Sie haben sich heute vielfach auf das Programm „Soziale Stadt“ kapriziert. Dazu sage ich Ihnen Folgendes: ({8}) - Herr Kahrs, wir sehen die Bedeutung dieses Programms. ({9}) Deshalb sollten Sie einfach einmal richtig lesen. Zum einen ist es kein auslaufendes Programm, wie der Kollege Bartol gesagt hat. Es stehen dafür immerhin annähernd 30 Millionen Euro im Haushalt. Zum anderen sollten Sie unsere Gesetzentwürfe genau lesen. Hier heißt es „überwiegend für Investitionen“, nicht ausschließlich für Investitionen. ({10}) Sie müssen schon eine gewisse Differenzierungsleistung erbringen, und zwar nicht nur beim Lesen unserer Gesetzentwürfe, sondern auch beim Stricken der Programme. ({11}) Vieles von dem, was dort vorgesehen ist und auch weiter fortgeführt wird, ist sinnvoll. Es ist aber die Frage zulässig, wer welchen Anteil bezahlt. Ist das in unserem Ressort in der Fülle richtig angesiedelt? ({12}) Sind nicht auch Länder beteiligt? Sie haben doch geschrien, dass sie diese Mittel haben wollen. Sie können das doch entsprechend kofinanzieren. Auch die Kommunen haben ein großes Interesse daran, diese Ausgestaltung auf den Weg zu bringen. Finanziers sind also vorhanden. Mit gutem Willen wird es möglich sein, das Programm entsprechend fortzusetzen. ({13}) Wir haben es geschafft - auch das blenden Sie gerne aus, aber es ist die Wahrheit -, beim CO2-Gebäudesanierungsprogramm den hohen Stand von knapp 1 Milliarde Euro festzuschreiben. ({14}) - Es gefällt Ihnen nicht, dass wir das Sondervermögen „Energie- und Klimafonds“ haben. ({15}) Dann müssen Sie sagen, woher Sie die Mittel nehmen würden. Wir haben die Schuldenbremse einzuhalten. Sie haben sich der gesamtstaatlichen Verantwortung für einen generationengerechten Haushalt zu stellen. ({16}) Ich darf zusammenfassend feststellen: Wir setzen mit diesem Haushalt, auch mit dem Einzelplan 12, die richtigen Akzente. Wir sagen Ja zur Mobilität und zum Klimaschutz, und wir sagen Ja zu lebendigen Städten und Gemeinden. Wir fördern Investitionen und Wachstum und sichern Arbeitsplätze, und dies alles - hören Sie gut zu! - unter Beachtung der Schuldenbremse und des Erfordernisses, den Haushalt zu konsolidieren. ({17}) Deshalb kann die Koalition zu Recht auf diesen Haushalt stolz sein. ({18})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen nun zur Abstimmung über den Einzelplan 12, Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung, in der Ausschussfassung. Dazu liegen vier Änderungsanträge vor, über die wir zuerst abstimmen. Wir beginnen mit dem Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 17/3833, über den wir auf Verlangen der Fraktion der SPD namentlich abstimmen. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze an den Urnen einzunehmen. - Sind alle Plätze an den Urnen besetzt? - Das ist der Fall. Ich eröffne dann die Abstimmung. Sind Kolleginnen und Kollegen im Saal, die ihre Stimmkarte noch nicht abgegeben haben? - Das ist nicht der Fall. Dann schließe ich die Abstimmung und bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis der namentlichen Abstimmung wird Ihnen später bekannt gegeben. Wir setzen nun die Abstimmungen mit dem Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 17/3832 fort. Wer stimmt für diesen Änderungsantrag? - Wer ist dagegen? - Enthaltungen? - Dann ist der Änderungsantrag abgelehnt. Zugestimmt haben die Fraktion der SPD und die Fraktion Die Linke. Enthalten hat sich die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Abgelehnt wurde er durch die Koalitionsfraktionen. Wir kommen nun zur Abstimmung über zwei Änderungsanträge der Fraktion Die Linke. Wir beginnen mit dem Änderungsantrag auf Drucksache 17/3825. Wer stimmt dafür? - Wer ist dagegen? - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist abgelehnt mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen. Dafür haben gestimmt die Fraktion Die Linke und die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Enthalten hat sich die Fraktion der SPD. Wir kommen zur Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 17/3826. Wer stimmt dafür? - Wer ist dagegen? - Enthaltungen? Der Änderungsantrag ist abgelehnt mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der SPD-Fraktion. Dafür haben gestimmt die Fraktion Die Linke und die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Bis zum Vorliegen des Ergebnisses der namentlichen Abstimmung müssen wir die Sitzung kurz unterbrechen. Ich gehe aber davon aus, dass die Schriftführerinnen und Schriftführer ihre Arbeit so zügig wie gewohnt erledigen und dass das nur einige wenige Minuten dauern wird. Ich unterbreche die Sitzung. ({0})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Liebe Kolleginnen und Kollegen, die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet. Ich gebe Ihnen das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung zu dem Änderungsantrag der Fraktion der SPD zum Einzelplan 12 bekannt: abgegebene Stimmen 570. Mit Ja haben gestimmt 265, mit Nein haben gestimmt 304, es gab eine Enthaltung. Damit ist der Änderungsantrag abgelehnt. Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen: 568; davon ja: 263 nein: 304 enthalten: 1 Ja SPD Ingrid Arndt-Brauer Rainer Arnold Heinz-Joachim Barchmann Doris Barnett Dr. Hans-Peter Bartels Klaus Barthel Bärbel Bas Dirk Becker Uwe Beckmeyer Lothar Binding ({0}) Gerd Bollmann Klaus Brandner Bernhard Brinkmann ({1}) Ulla Burchardt Martin Burkert Petra Crone Dr. Peter Danckert Martin Dörmann Elvira Drobinski-Weiß Sebastian Edathy Siegmund Ehrmann Petra Ernstberger Karin Evers-Meyer Gabriele Fograscher Dr. Edgar Franke Dagmar Freitag Peter Friedrich Michael Gerdes Martin Gerster Iris Gleicke Günter Gloser Ulrike Gottschalck Angelika Graf ({2}) Kerstin Griese Michael Groschek Michael Groß Hans-Joachim Hacker Klaus Hagemann Michael Hartmann ({3}) Hubertus Heil ({4}) Rolf Hempelmann Dr. Barbara Hendricks Gustav Herzog Gabriele Hiller-Ohm Petra Hinz ({5}) Frank Hofmann ({6}) Dr. Eva Högl Christel Humme Josip Juratovic Oliver Kaczmarek Dr. h. c. Susanne Kastner Ulrich Kelber Lars Klingbeil Hans-Ulrich Klose Dr. Bärbel Kofler Daniela Kolbe ({7}) Fritz Rudolf Körper Anette Kramme Angelika Krüger-Leißner Ute Kumpf Christine Lambrecht Christian Lange ({8}) Steffen-Claudio Lemme Burkhard Lischka Kirsten Lühmann Caren Marks Katja Mast Hilde Mattheis Petra Merkel ({9}) Ullrich Meßmer Dr. Matthias Miersch Franz Müntefering Dr. Rolf Mützenich Andrea Nahles Dietmar Nietan Manfred Nink Thomas Oppermann Holger Ortel Heinz Paula Johannes Pflug Joachim Poß Dr. Wilhelm Priesmeier Dr. Sascha Raabe Mechthild Rawert Gerold Reichenbach Dr. Carola Reimann Sönke Rix Dr. Ernst Dieter Rossmann Karin Roth ({10}) Michael Roth ({11}) Marlene Rupprecht ({12}) Anton Schaaf Axel Schäfer ({13}) Marianne Schieder ({14}) Werner Schieder ({15}) Ulla Schmidt ({16}) Silvia Schmidt ({17}) Carsten Schneider ({18}) Olaf Scholz Swen Schulz ({19}) Frank Schwabe Dr. Martin Schwanholz Rolf Schwanitz Stefan Schwartze Rita Schwarzelühr-Sutter Dr. Carsten Sieling Sonja Steffen Peer Steinbrück Dr. Frank-Walter Steinmeier Christoph Strässer Kerstin Tack Dr. h. c. Wolfgang Thierse Franz Thönnes Wolfgang Tiefensee Rüdiger Veit Ute Vogt Dr. Marlies Volkmer Andrea Wicklein Heidemarie Wieczorek-Zeul Waltraud Wolff ({20}) Uta Zapf Dagmar Ziegler Manfred Zöllmer Brigitte Zypries DIE LINKE Jan van Aken Agnes Alpers Herbert Behrens Karin Binder Matthias W. Birkwald Steffen Bockhahn Christine Buchholz Eva Bulling-Schröter Roland Claus Sevim Dağdelen Dr. Diether Dehm Heidrun Dittrich Werner Dreibus Dr. Dagmar Enkelmann Wolfgang Gehrcke Nicole Gohlke Annette Groth Dr. Gregor Gysi Heike Hänsel Dr. Rosemarie Hein Inge Höger Andrej Hunko Ulla Jelpke Dr. Lukrezia Jochimsen Katja Kipping Jan Korte Jutta Krellmann Caren Lay Michael Leutert Ulla Lötzer Dr. Gesine Lötzsch Thomas Lutze Ulrich Maurer Cornelia Möhring Kornelia Möller Niema Movassat Wolfgang Nešković Thomas Nord Jens Petermann Richard Pitterle Yvonne Ploetz Ingrid Remmers Paul Schäfer ({21}) Michael Schlecht Dr. Ilja Seifert Kathrin Senger-Schäfer Raju Sharma Dr. Petra Sitte Kersten Steinke Sabine Stüber Alexander Süßmair Dr. Kirsten Tackmann Frank Tempel Dr. Axel Troost Alexander Ulrich Kathrin Vogler Johanna Voß Halina Wawzyniak Harald Weinberg Katrin Werner Jörn Wunderlich Sabine Zimmermann BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Kerstin Andreae Marieluise Beck ({22}) Volker Beck ({23}) Cornelia Behm Alexander Bonde Viola von Cramon-Taubadel Ekin Deligöz Katja Dörner Dr. Thomas Gambke Kai Gehring Britta Haßelmann Winfried Hermann Priska Hinz ({24}) Ulrike Höfken Bärbel Höhn Ingrid Hönlinger Thilo Hoppe Uwe Kekeritz Katja Keul Memet Kilic Maria Klein-Schmeink Ute Koczy Tom Koenigs Sylvia Kotting-Uhl Oliver Krischer Agnes Krumwiede Fritz Kuhn Stephan Kühn Renate Künast Markus Kurth Undine Kurth ({25}) Monika Lazar Agnes Malczak Jerzy Montag Kerstin Müller ({26}) Beate Müller-Gemmeke Ingrid Nestle Dr. Konstantin von Notz Omid Nouripour Friedrich Ostendorff Dr. Hermann Ott Lisa Paus Tabea Rößner Claudia Roth ({27}) Krista Sager Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt Manuel Sarrazin Dr. Gerhard Schick Dorothea Steiner Dr. Wolfgang StrengmannKuhn Hans-Christian Ströbele Dr. Harald Terpe Markus Tressel Jürgen Trittin Wolfgang Wieland Dr. Valerie Wilms Josef Philip Winkler Nein CDU/CSU Ilse Aigner Peter Aumer Dorothee Bär Thomas Bareiß Günter Baumann Ernst-Reinhard Beck ({28}) Manfred Behrens ({29}) Dr. Christoph Bergner Peter Beyer Steffen Bilger Clemens Binninger Dr. Maria Böhmer Wolfgang Börnsen ({30}) Wolfgang Bosbach Klaus Brähmig Michael Brand Dr. Reinhard Brandl Helmut Brandt Dr. Ralf Brauksiepe Dr. Helge Braun Heike Brehmer Ralph Brinkhaus Gitta Connemann Leo Dautzenberg Alexander Dobrindt Thomas Dörflinger Marie-Luise Dött Dr. Thomas Feist Enak Ferlemann Ingrid Fischbach Hartwig Fischer ({31}) Dirk Fischer ({32}) Axel E. Fischer ({33}) Dr. Maria Flachsbarth Klaus-Peter Flosbach Dr. Hans-Peter Friedrich ({34}) Erich G. Fritz Dr. Michael Fuchs Hans-Joachim Fuchtel Alexander Funk Ingo Gädechens Dr. Thomas Gebhart Norbert Geis Alois Gerig Eberhard Gienger Josef Göppel Peter Götz Dr. Wolfgang Götzer Ute Granold Reinhard Grindel Hermann Gröhe Michael Grosse-Brömer Markus Grübel Manfred Grund Monika Grütters Olav Gutting Florian Hahn Holger Haibach Dr. Stephan Harbarth Jürgen Hardt Dr. Matthias Heider Mechthild Heil Ursula Heinen-Esser Rudolf Henke Michael Hennrich Jürgen Herrmann Ansgar Heveling Ernst Hinsken Peter Hintze Christian Hirte Robert Hochbaum Karl Holmeier Franz-Josef Holzenkamp Joachim Hörster Anette Hübinger Thomas Jarzombek Dr. Dieter Jasper Dr. Franz Josef Jung Andreas Jung ({35}) Dr. Egon Jüttner Hans-Werner Kammer Steffen Kampeter Bernhard Kaster Volker Kauder Siegfried Kauder ({36}) Dr. Stefan Kaufmann Roderich Kiesewetter Ewa Klamt Eckart von Klaeden Volkmar Klein Jürgen Klimke Julia Klöckner Axel Knoerig Jens Koeppen Manfred Kolbe Dr. Rolf Koschorrek Hartmut Koschyk Gunther Krichbaum Dr. Günter Krings Rüdiger Kruse Bettina Kudla Dr. Hermann Kues Günter Lach Dr. Karl A. Lamers ({37}) Andreas G. Lämmel Katharina Landgraf Ulrich Lange Dr. Max Lehmer Dr. Ursula von der Leyen Matthias Lietz Dr. Carsten Linnemann Patricia Lips Dr. Jan-Marco Luczak Dr. Michael Luther Dr. Thomas de Maizière Hans-Georg von der Marwitz Andreas Mattfeldt Stephan Mayer ({38}) Dr. Michael Meister Dr. Angela Merkel Maria Michalk Dr. Mathias Middelberg Philipp Mißfelder Dietrich Monstadt Stefan Müller ({39}) Dr. Philipp Murmann Bernd Neumann ({40}) Michaela Noll Dr. Georg Nüßlein Franz Obermeier Henning Otte Dr. Michael Paul Rita Pawelski Ulrich Petzold Dr. Joachim Pfeiffer Beatrix Philipp Ronald Pofalla Christoph Poland Ruprecht Polenz Eckhard Pols Daniela Raab Thomas Rachel Eckhardt Rehberg Katherina Reiche ({41}) Josef Rief Klaus Riegert Dr. Heinz Riesenhuber Johannes Röring Dr. Christian Ruck Erwin Rüddel Albert Rupprecht ({42}) Anita Schäfer ({43}) Dr. Annette Schavan Dr. Andreas Scheuer Norbert Schindler Tankred Schipanski Christian Schmidt ({44}) Dr. Andreas Schockenhoff Nadine Schön ({45}) Dr. Ole Schröder Dr. Kristina Schröder ({46}) Bernhard Schulte-Drüggelte Uwe Schummer Armin Schuster ({47}) Detlef Seif Johannes Selle Reinhold Sendker Dr. Patrick Sensburg Bernd Siebert Thomas Silberhorn Jens Spahn Carola Stauche Dr. Frank Steffel Erika Steinbach Christian Freiherr von Stetten Dieter Stier Gero Storjohann Stephan Stracke Karin Strenz Lena Strothmann Michael Stübgen Dr. Peter Tauber Antje Tillmann Dr. Hans-Peter Uhl Arnold Vaatz Volkmar Vogel ({48}) Andrea Astrid Voßhoff Dr. Johann Wadephul Marco Wanderwitz Kai Wegner Marcus Weinberg ({49}) Peter Weiß ({50}) Sabine Weiss ({51}) Ingo Wellenreuther Karl-Georg Wellmann Peter Wichtel Annette Widmann-Mauz Klaus-Peter Willsch Elisabeth WinkelmeierBecker Dagmar Wöhrl Dr. Matthias Zimmer Wolfgang Zöller FDP Jens Ackermann Christian Ahrendt Christine AschenbergDugnus Daniel Bahr ({52}) Florian Bernschneider Sebastian Blumenthal Claudia Bögel Nicole Bracht-Bendt Klaus Breil Rainer Brüderle Angelika Brunkhorst Ernst Burgbacher Sylvia Canel Helga Daub Reiner Deutschmann Dr. Bijan Djir-Sarai Patrick Döring Mechthild Dyckmans Rainer Erdel Jörg van Essen Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt Dr. Edmund Peter Geisen Dr. Wolfgang Gerhardt Hans-Michael Goldmann Heinz Golombeck Miriam Gruß Joachim Günther ({53}) Dr. Christel Happach-Kasan Heinz-Peter Haustein Manuel Höferlin Elke Hoff Birgit Homburger Dr. Werner Hoyer Heiner Kamp Michael Kauch Pascal Kober Gudrun Kopp Dr. h. c. Jürgen Koppelin Holger Krestel Patrick Kurth ({54}) Harald Leibrecht Sabine LeutheusserSchnarrenberger Lars Lindemann Christian Lindner Dr. Martin Lindner ({55}) Michael Link ({56}) Dr. Erwin Lotter Oliver Luksic Gabriele Molitor Jan Mücke Petra Müller ({57}) Burkhardt Müller-Sönksen Dr. Martin Neumann ({58}) Dirk Niebel Hans-Joachim Otto ({59}) Cornelia Pieper Gisela Piltz Dr. Christiane RatjenDamerau Dr. Birgit Reinemund Dr. Peter Röhlinger Dr. Stefan Ruppert Björn Sänger Frank Schäffler Jimmy Schulz Marina Schuster Dr. Erik Schweickert Werner Simmling Judith Skudelny Joachim Spatz Dr. Max Stadler Dr. Rainer Stinner Stephan Thomae Florian Toncar Johannes Vogel ({60}) Dr. Daniel Volk Dr. Guido Westerwelle Dr. Volker Wissing Hartfrid Wolff ({61}) Enthalten CDU/CSU Frank Heinrich Wir kommen nun zur Abstimmung über den Einzelplan 12 in der Ausschussfassung. Dazu liegt eine Erklärung des Kollegen Kai Wegner nach § 31 unserer Geschäftsordnung vor.1) Wer stimmt für den Einzelplan 12 in der Ausschussfassung? - Wer ist dagegen? - Gibt es Enthaltungen? - Der Einzelplan 12 ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen bei Gegenstimmen der Oppositionsfraktionen angenommen. Ich rufe Tagesordnungspunkt I.7 auf: Einzelplan 15 Bundesministerium für Gesundheit - Drucksachen 17/3514, 17/3523 Berichterstattung: Abgeordneter Alois Karl Ulrike Flach Sven-Christian Kindler Zum Einzelplan 15 liegen drei Änderungsanträge der Fraktion Die Linke vor. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache zwei Stunden vorgesehen. - Ich sehe, damit sind Sie einverstanden. Dann werden wir so verfahren. Ich eröffne die Aussprache. Als erster Redner hat der Kollege Ewald Schurer von der SPD-Fraktion das Wort. ({62})

Ewald Schurer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003234, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Zunächst einmal Dank an das Ministerium für Gesund- heit. Sie, Herr Minister, und Ihre Mitarbeiter haben uns die Unterlagen umfassend, rechtzeitig und so zugestellt, 1) Anlage 3 dass man damit arbeiten konnte. Herzlichen Dank dafür, dass wir diese Arbeitsgrundlagen hatten. ({0}) Der Einzelplan 15 - Gesundheit - hat ein Volumen von exakt 15 Milliarden 777 Millionen plus eine Viertelmillion Euro. Die Struktur des Haushaltes ist geprägt von einem großen durchlaufenden Posten. Es handelt sich um die Zuschüsse an den Gesundheitsfonds in Höhe von 15,3 Milliarden Euro, zusammengesetzt aus 13,3 Milliarden Euro regulärer Zuschuss plus 2 Milliarden Euro zusätzlicher Bundeszuschuss, wie es offiziell heißt, zur Stabilisierung der GKV-Beiträge. Das heißt, 97 Prozent des Einzelplanvolumens sind Zuschüsse an den Fonds. Ergo bleiben nur 3 Prozent des gesamten Volumens - das sind die verbleibenden 477 Millionen Euro - für den materiellen Kern dieses Haushaltes, nämlich für Personal, Logistik, Programme usw. Herr Minister, ich habe Sie schon in der Haushaltsausschusssitzung aus gutem Grunde zu Ihrer Projektion des 2-Milliarden-Euro-Zuschusses, also des sogenannten Bundeszuschusses, gefragt. Meiner Meinung nach instrumentalisieren Sie ihn zur Einleitung eines Paradigmenwechsels im Gesundheitswesen. Es ist eindeutig: Ihr Weg zur Kopfpauschale führt über Zusatzbeiträge. Die Kopfpauschale in Form von frei floatenden Zusatzbeiträgen wird künftig - das ist schon jetzt absehbar - die Versicherten sowie die Patientinnen und Patienten einseitig belasten. ({1}) Ich möchte in diesem Zusammenhang aus der Financial Times Deutschland vom 26. Oktober 2010 zitieren: Tatsächlich dürfte das Problem der Zusatzbeiträge erst 2012 akut werden … Für 2012 rechnet Röslers Ressort aber mit einem durchschnittlichen Zusatzbeitrag von 4 Euro im Monat … und 2014 bereits 15 Euro. Die Hans-Böckler-Stiftung schrieb in ihrer Bewertung Ende Oktober: Das System von pauschalen Zusatzbeiträgen zur Krankenversicherung droht den Staatshaushalt schwer zu belasten. Bis 2025 könnte jedes Kassenmitglied zum Fall für den Sozialausgleich werden. Recht haben sie. Ich stelle als Haushälter fest: Ihre politisch gefährlichen Weichenstellungen bedeuten, dass der Anstieg der Gesundheitskosten künftig nicht allein durch die Versicherten zu zahlen ist, sondern dass es eine Zuspitzung gibt, die folgende Alternativen offenlässt: Wir bekommen entweder eine gigantische Querfinanzierung aus Haushalts- und damit Steuermitteln oder eine diskriminierende Leistungsausgrenzung bei den derzeit 50 Millionen Versicherten in der GKV. Ökonomisch gibt es nur zwei Möglichkeiten. Verlieren werden bei Ihrem Modell, Herr Minister Rösler, in jedem Falle die Versicherten, die ja in der Regel auch die Steuerzahler im Lande sind. Ich will wieder auf den Programmhaushalt zu sprechen kommen. Wie ich gesagt habe, verbleiben für den materiellen Kern des Gesundheitshaushaltes nur 477 Millionen Euro. Auch da machen Sie mir insofern Sorgen, als Sie gerade bei den inhaltlich wertvollen Themen - ich habe schon in der ersten Lesung darauf hingewiesen -, nämlich bei den Themen Prävention, Kampf gegen Aids und Kampf gegen Drogen- und Suchtmittelmissbrauch, die Mittel erheblich kürzen. Das finde ich inhaltlich, mit Verlaub gesagt, grundfalsch. ({2}) Sie haben im Gegenzug - da ist Schwarz-Gelb in der Verantwortung, nicht nur Herr Rösler - eine neue Präventionsstrategie angekündigt. Mir und dem Hohen Hause ist von dieser Präventionsstrategie aber bislang nichts bekannt. ({3}) Ich las mit großer Aufmerksamkeit, weil man das als Haushälter tut - da lässt man sich fachlich, und nur fachlich, leiten -, was auf der Homepage des BMG am 1. November in einem Interview stand. Danach wollen Sie den Bewusstseinswandel hin zu mehr Prävention über die Arztgespräche induzieren. Das ist zunächst einmal nicht falsch; aber ich frage Sie an der Stelle, meine Damen und Herren: Wie soll Prävention tatkräftig umgesetzt werden, wenn dazu keine Mittel und keine definierten Leistungen vorhanden sein werden? Darum stellt sich die Frage: Wo, wann und von wem sollen konkrete Leistungen - außer über Arztgespräche - dann auch Leistungsansprüche generieren, die für die Menschen, die der Prävention bedürfen, von größter Bedeutung sind? ({4}) Ich kann diese trockene Debatte hier vielleicht mit einem Schuss Humor bereichern, indem ich sage: Wenn Sie - das ist jetzt natürlich an die FDP gerichtet - neben den signifikant spürbaren Geschenken an die Hoteliers die zweite Grundforderung aus Ihrem Bundestagswahlkampf umsetzen würden, dann könnten Sie doch - höflich vorgetragen, Ihnen aber doch als nachdenkenswerte Figur angetragen - das gelbe Sparbuch zur Hand nehmen und sagen, dass Sie künftig einen Parlamentarischen Staatssekretär sparen wollen. Dies wäre auch ein Beitrag zur Konsolidierung im Gesundheitswesen. Ich trage das höflich, aber als Chance für Sie, wenigstens Ihre zweite Grundforderung politisch umzusetzen, vor. Loben muss ich die CSU. Sie haben ja schon gespart. Sie, Herr Singhammer und Co., haben bei der Umsetzung Ihrer Ankündigung gespart, in jedem Fall Zusatzbeiträge - respektive Kopfpauschalen - zu verhindern. Sie sind umgefallen. Es hat „bum“ gemacht, es hat Krach gegeben, und alle - vor allen Dingen in diesem Hause - haben über Söder kräftig gelacht. Söder ist das ganze Jahr über durch Bayern bzw. durch das Bundesgebiet gefahren und hat gesagt: Mit uns wird es eine Zusatzpauschale, die Vorstufe einer Kopfpauschale, nicht geben. ({5}) Als es so weit war, gab es vonseiten der CSU keine Position mehr, und man ist in Richtung FDP übergelaufen. Das ist schon ein Trauerspiel. Sie haben am Schluss seehoferisch-berechnend Ihren großen mannhaften Widerstand sozusagen eingebremst und sind auf die Linie der FDP eingeschwenkt. Ich komme zum Schluss. Bei Redebeiträgen als Haushälter ist es mir immer ein Anliegen, die ökonomische Bedeutung des Gesundheitswesens zu skizzieren. Sie wissen, dass mittlerweile fast ein Neuntel der Wertschöpfung unserer Volkswirtschaft aus Leistungen im Bereich der Gesundheit resultiert. Es gibt hier einen eminenten Zusammenhang, Herr Rösler, sodass man sagen muss: Das Drama Ihrer Politik ist, dass Schwarz-Gelb hier ein im Kern bewährtes solidarisches Finanzierungssystem aufgeben will, das in Bezug auf die medizinische Versorgung - sowohl ambulant wie stationär - weltweit anerkannt ist. Wenn man ein solches System ohne Not aufgibt, gefährdet man die Wertschöpfungskette im Gesundheitsbereich und damit die gesamte Volkswirtschaft. Weil - das ist meine letzte Aussage - Leistungsausgrenzungen allen schaden, nämlich den Patienten, den Versicherten, den niedergelassenen Ärzten, den Kliniken und den weiteren Leistungserbringern, gefährden Sie mit diesem Paradigmenwechsel nicht nur die ökonomische Entwicklung des Gesundheitswesens mit der Chance auf viele Hunderttausend neue Arbeitsplätze im Lande, sondern auch die Qualität der Versorgung. ({6}) Deswegen werden wir 2013 gezwungen sein, Ihre Politik zu korrigieren, und zwar mit den Stimmen derer, die Sie aufgrund dieser Verwerfungen nicht mehr wählen können und werden. Herzlichen Dank. ({7})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Das Wort hat die Kollegin Ulrike Flach für die FDPFraktion. ({0})

Ulrike Flach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003119, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Auch ich möchte mich als Hauptberichterstatter für diesen Haushalt natürlich beim Haus und beim Minister bedanken. Sie waren schnell, Sie waren zügig und haben all die Wünsche erfüllt, die wir als Haushälter immer unbequemerweise an ein Haus haben. Herzlichen Dank! Übrigens auch herzlichen Dank meinen Kollegen als Mitberichterstatter. Ich finde, wir sind ein gutes Team und sollten unsere Arbeit auch in den nächsten drei Jahren friedlich fortsetzen. Liebe Kollegen, der Haushalt des Bundesgesundheitsministers liegt nach den Beratungen des Haushaltsausschusses nun bei 15,7 Milliarden Euro. Wir haben damit den ohnehin schon im Entwurf um 3 Prozent gekürzten Ansatz noch einmal um netto 8 Millionen Euro abgesenkt. Das heißt - ich betone das an dieser Stelle noch einmal ausdrücklich -: Auch in diesem Ministerium konsolidieren wir. Übrigens schonen wir den Apparat, lieber Herr Schurer, überhaupt nicht. Selbstverständlich sparen wir bei Dienstreisen und bei der Öffentlichkeitsarbeit, wie es sich gehört; denn auch dieses Ministerium, so klein es auch ist, muss dazu beitragen, den Haushalt zu konsolidieren. Das eigentlich Prägende dieses Haushaltes ist aber der Steuerzuschuss für versicherungsfremde Leistungen zur gesetzlichen Krankenversicherung, der allein in diesem Jahr 13,3 Milliarden Euro umfasst. Dazu kommen 2 Milliarden Euro aus Steuermitteln, die in die Liquiditätsreserve des Fonds fließen, aus der der soziale Ausgleich bei den Zusatzbeiträgen finanziert werden soll, sodass für die Programmtitel die von Herrn Schurer angeführten rund 500 Millionen Euro bleiben. Ich will an dieser Stelle ausdrücklich sagen: Diesen sozialen Ausgleich hat es vorher nicht gegeben, Herr Schurer. ({0}) Den sozialen Ausgleich hat diese Regierung eingeführt, ({1}) und sie sorgt damit dafür, dass die Zusatzbeiträge im nächsten Jahr nicht steigen werden. ({2}) Warum sind wir denn überhaupt in den letzten Monaten in solche Diskussionen hineingeraten? Weil Sie uns ein Defizit von 11 Milliarden Euro hinterlassen haben, ({3}) aufgrund eines Systems, das im Gegensatz zu dem, was Herr Schurer uns gerade versucht hat weiszumachen, nicht nachhaltig war. Bei diesem System krankte es vielmehr hinten und vorne. ({4}) Diese 2 Milliarden Euro sind ein deutliches Merkmal des vor wenigen Tagen erfolgreich verabschiedeten GKV-Finanzierungsgesetzes. Damit erfolgt zum ersten Mal diese soziale Absicherung. Die Koalition macht sich mit dieser Reform auf den Weg zu einer grundlegenden Reform der sozialen Sicherungssysteme. ({5}) Das ist gut so, und es war dringend an der Zeit. ({6}) Die GKV wird damit einkommens- und konjunkturunabhängiger. Die Abkehr vom Lohnbezug senkt die Lohnnebenkosten und sichert - ich betone das an dieser Stelle immer wieder - Arbeitsplätze in diesem Lande. ({7}) Dafür sind wir angetreten. ({8}) Man sieht an der wirtschaftlichen Entwicklung, dass es auch klappt. ({9}) Die Reform wird von Beitragsanpassungen und Ausgabenbegrenzungen begleitet. Die Ausgaben der GKV werden damit für die nächsten Jahre stabilisiert. Schauen wir uns einmal die Alternativen der Opposition an. Von dem Phantommodell der SPD-Bürgerversicherung, das weder durchgerechnet, wie uns Herr Lauterbach vor einem Jahr versprochen hat, ({10}) noch verfassungsfest ist, haben wir gerade einmal ein Jahr nach der Bundestagswahl und nach vielen fruchtlosen Ankündigungen des Kollegen Lauterbach einen einzigen Rohentwurf vorliegen. Niemand weiß Genaues; aber Karl Lauterbach verkündet uns schon einmal, dass seine Bürgerversicherung in ihrer Dimension mit der Agenda 2010 vergleichbar wäre. Das lässt uns nur freudig erwarten, was dann kommt; denn die Ergebnisse der Agenda 2010 haben wir ja gesehen. ({11}) Das heißt, wir werden uns mit irgendwelchen Gesetzen von Ihnen, lieber Herr Schurer, nicht befassen müssen; denn die Wähler werden Ihnen genau wie bei der Agenda 2010 und den Hartz-Gesetzen die Quittung dafür geben. Die Grünen werden da mit ihrem Konzept der Bürgerversicherung schon etwas klarer. ({12}) Sie wagen mit der Zwangseinbeziehung der 9 Millionen Privatversicherten nicht nur einen vorhersehbaren verfassungsrechtlichen Amoklauf, liebe Frau Bender, Sie belasten durch die Anhebung der Beitragsbemessungsgrenze massiv die Mittelschicht. ({13}) Der Bund der Steuerzahler hat Ihnen das schon einmal vorgerechnet: Rund 1 000 Euro per annum wird die Verschiebung der Beitragsbemessungsgrenze die Betroffenen kosten. Das war selbst Ihnen und Herrn Kuhn auf dem Parteitag zu viel. Sie haben sich dagegen empört, und Sie haben verloren. Ihre Partei ist offensichtlich auf dem besten Weg, die Mittelschicht dieses Landes massiv zu belasten. ({14}) Ihre Forderung, die nicht berufstätigen Ehefrauen nur noch dann kostenlos mitzuversichern, wenn Kinder unterhaltspflichtig oder Angehörige pflegebedürftig sind, wird Ihnen sicherlich viel Begeisterung in diesem Volke eintragen. Es passt auch nahtlos zur Abschaffung des Ehegattensplittings, wodurch Sie Familien in Deutschland mit bis zu 20 Milliarden Euro belasten. ({15}) Das ist grüne Politik. So gehen Sie offensichtlich mit den Geldern der Wähler um. Die Wähler werden es Ihnen entsprechend honorieren. ({16}) Die FDP weiß, dass sie es mit einer Opposition zu tun hat, deren Hauptziel vordringlich der alte Trott der Bürgerzwangsversicherungseinheitskasse ({17}) und die Belastungen der vermeintlich Besserverdienenden in diesem Lande ist. ({18}) Da kann ich nur jedem Facharbeiter, jedem kleinen Beamten und jedem kleinen Angestellten des öffentlichen Dienstes raten: Überlegen Sie sich, was Sie sich mit dieser Partei einfangen. ({19}) Die christlich-liberale Bundesregierung konsolidiert diesen Haushalt. Wir sanieren die korrespondierenden Sozialsysteme, ({20}) und wir stellen die Gesundheitsversorgung auf eine nachhaltige Grundlage. ({21})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Nächster Redner ist der Kollege Michael Leutert für die Fraktion Die Linke. ({0})

Michael Leutert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003800, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Minister Rösler, für den Haushalt kann ich mich zwar nicht bedanken, aber immerhin für die Zuarbeit. Sie haben Anfang des Jahres prophezeit - ich zitiere jetzt aus der FAZ vom 2. Februar -: Wenn es mir nicht gelingt, ein vernünftiges Gesundheitssystem auf den Weg zu bringen, dann will mich keiner mehr als Gesundheitsminister haben. Nun, Herr Minister, ich denke, es ist so weit. ({0}) Sie sind in der Beliebtheit abgestürzt, weil Sie eben kein vernünftiges Gesundheitssystem auf den Weg gebracht haben. Ganz im Gegenteil: Was Sie hier machen, ist die Zerschlagung der letzten Reste des einstmals solidarischen Gesundheitswesens. ({1}) Als Haushälter interessiert mich in erster Linie der sparsame und gerechte Umgang mit unseren Steuergeldern. Im Etat - Herr Kollege Schurer hat es schon beschrieben - sind 15,8 Milliarden Euro enthalten. Davon werden 15,3 Milliarden Euro an die Krankenkassen durchgereicht. Diese Zuschüsse brauchen Sie natürlich, weil Sie Ihren Job nicht gut gemacht haben und weil Sie keine solide Finanzierungsbasis auf die Beine gestellt haben. Zu Ihrer Ehrenrettung muss man natürlich - leider - Folgendes sagen: Sie haben ein Gesundheitssystem vorgefunden, dem man schon den Strick um den Hals gelegt hatte. Diesen Job hat damals die Große Koalition unter einer SPD-Gesundheitsministerin vollbracht. Damals wurden die Minikopfpauschale und der Gesundheitsfonds eingeführt. Aber Sie, Herr Rösler, haben die Schlinge letztendlich zugezogen, indem Sie die vollen Kopfpauschalen, die nach oben hin offen sind, einführen. ({2}) Frau Flach, Sie erklären beruhigend, es gebe einen Solidarausgleich, wenn die Kopfpauschale die Grenze von 2 Prozent des Bruttoeinkommens übersteigt. Dazu muss man natürlich Folgendes sagen - diesen Punkt verschweigen Sie letztendlich -: Es wird nicht in jedem Fall der gesamte Betrag, der über der 2-Prozent-Grenze liegt, erstattet. Nach den Berechnungsvorschriften gibt es nur einen Zuschuss. Das bedeutet aber, dass die Kopfpauschale sehr wohl auch über der Grenze von 2 Prozent des Bruttoeinkommens liegen kann. ({3}) - Dazu komme ich noch. ({4}) Das Ergebnis, welches wir jetzt vorfinden, ist das Folgende: Die Arbeitgeberbeiträge werden eingefroren, und die Arbeitgeber zahlen nur noch einmal. Der einfache Arbeitnehmer bezahlt dafür in Zukunft viermal. Er bezahlt seinen Anteil am Beitrag für die Krankenkassen, er bezahlt die Kopfpauschale, er bezahlt die Zuzahlungen und die Praxisgebühr, und er bezahlt über seine Steuergelder, die er zu entrichten hat, auch den Steuerzuschuss. Das heißt letztendlich: Millionen von Menschen haben nächstes Jahr eben nicht mehr Netto vom Brutto, wie es Ihre Partei immer propagiert, sondern wesentlich weniger Geld in der Tasche. Das können Sie dann 2013 Ihren Wählerinnen und Wählern erklären. ({5}) Das alles machen Sie, weil es eine Finanzierungslücke von ungefähr 10 Milliarden Euro im Gesundheitssystem gibt. Es stimmt, dass diese Lücke vorhanden ist. Was aber nicht stimmt, ist, dass Sie das Geld, welches Sie aufgrund der Kopfpauschale mehr einnehmen, ({6}) zum Stopfen dieses Loches benutzen wollen. Ganz im Gegenteil: Wahr ist vielmehr, dass Sie auch im Gesundheitswesen die Umverteilung von unten nach oben kräftig betreiben. Das sieht man daran - vielleicht haben Sie dafür eine andere Erklärung -, dass erstmalig seit 1949 die Beitragsbemessungsgrenze, also die Höhe des Einkommens, ab der der Versicherte nicht mehr den prozentual vollen Beitrag zahlen muss, gesenkt wird. Warum senken Sie erstmalig seit 1949 die Versicherungspflichtgrenze, das heißt die Höhe des Einkommens, ab der man sich dann nicht mehr pflichtversichern muss, sondern in eine private Krankenkasse wechseln kann? Warum wird das gesenkt? ({7}) - Gesetze sind zum Ändern da, wie wir hier sehen. ({8}) Diese Grenzen sind eh unsolidarisch - das erzählen wir Ihnen schon lange -, weil sie nämlich die Finanzstärksten aus dem Solidarprinzip entlassen. Sie verzichten hier, indem Sie diese Grenzen senken, noch auf Extraeinnahmen. Ich dachte aber, es gibt hier eine Finanzierungslücke, und aus diesem Grund werde die Kopfpauschale erhoben. ({9}) Sie können mir gern erklären, warum Sie auf die 30 Milliarden Euro Einnahmen der privaten Krankenversicherungen verzichten. Ich habe während der Haushaltsverhandlungen darum gebeten, einen Bericht mit Zahlen, Überlegungen, die im Ministerium angestellt worden sind, zu bekommen, welche Alternativen - mit Rechenbeispielen untersetzt - es zur Kopfpauschale gäbe. Ich habe lediglich eine DIN-A4-Seite bekommen, keine Zahl darin, aber zwei sehr bemerkenswerte Sätze. Der erste Satz lautet: Die Bundesregierung hält eine Verbeitragung aller Einkünfte im Sinne einer Bürgerversicherung zur nachhaltigen Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung nicht für zielführend. Da würde mich natürlich interessieren, was Ihr eigentliches Ziel ist, denn der Öffentlichkeit erzählen Sie ja immer, das Ziel dieser Reform sei das Schließen der Finanzierungslücke. ({10}) Wahrscheinlich haben Sie aber ein anderes Ziel. Der zweite bemerkenswerte Satz lautet: Die Bundesregierung ist … der Auffassung, dass sich das Nebeneinander - das Nebeneinander! von gesetzlicher und privater Krankenversicherung im Sinne eines freiheitlichen Gesundheitswesens bewährt hat. Ich frage mich, welches freiheitliche Gesundheitswesen Sie meinen. ({11}) Ich befürchte, Sie meinen das freiheitliche Gesundheitswesen auf der Ausgabenseite, nämlich dort die Freiheit der Pharmaindustrie, uns ihre Preise zu diktieren. ({12}) Arzneimittel sind der zweitgrößte Ausgabenposten im Gesundheitswesen, und zwar auch, weil sie in Deutschland zum Teil doppelt so teuer sind wie in anderen europäischen Ländern. ({13}) Doch genau an diesem Punkt greifen Sie eben nicht ein, ({14}) sondern machen - genau wie bei der Atomenergie - natürlich wieder Lobbypolitik, und zwar für die Pharmaindustrie, Stichwort Arzneimittelgesetz. ({15}) Unter dem Strich bleibt - ob Ihnen das gefällt oder nicht -: Sie zerschlagen das Solidarprinzip weiter. Zweitens. Otto Normalverbraucher zahlt kräftig drauf. Drittens. Der Haushalt, also der Steuerzahler, wird dadurch weiterhin belastet. Das lehnen wir Linken ab. Deshalb werden wir auch Ihren Haushalt ablehnen. ({16})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Als nächster Redner spricht Kollege Alois Karl für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Alois Karl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003784, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Sehr geehrter Bundesgesundheitsminister! „Gut gemacht, Rösler“, ({0}) das war die Überschrift eines Kommentars in einer deutschen Tageszeitung vor etwa zehn Tagen, als wir hier im Deutschen Bundestag zwei große Gesetzeswerke verabschiedeten: das eine zur Neuordnung des Arzneimittelmarktes und das andere zur Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung. ({1}) - Über Sie sind solche Kommentare noch nicht gefallen, Frau Ferner, das stimmt. Herr Rösler, Sie haben gerade bei dem Neuordnungsgesetz viel Lob erhalten, weil Sie sich mit besonderer Dynamik eingesetzt und damit in der Tat ein freiheitliches Gesundheitssystem unterstützt haben, anders als Sie, Herr Leutert, es vorhin ausgeführt haben. ({2}) Unser Verständnis eines freiheitlichen Gesundheitssystems ist eben ein anderes als jenes, das Sie seinerzeit möglicherweise den 17 Millionen aufoktroyiert haben. Da unterscheiden wir uns vom Fundament her ganz enorm. ({3}) Wir haben mit diesen Gesetzen vor zwei Wochen in der Tat schwierige Aufgaben gemeistert, aber wir müssen zugeben, dass wir auch in den nächsten Monaten und Jahren vor schwierigen Aufgaben stehen. Der heute zu verabschiedende Haushalt des Bundesgesundheitsministers wird einen Beitrag dazu leisten, dass unser System das bleibt, was es ist, nämlich eines der weltbesten Gesundheitssysteme, dass wir neue Technologien finanzieren und allen Menschen in unserem Lande hochwertigste Medizin zur Verfügung stellen können, ohne zu selektieren oder auszugrenzen, sodass unser System in der Tat sozial bleibt. Der Gesundheitsminister hat recht, wenn er in der Vergangenheit eine banale Weisheit deutlich angesprochen hat: Die Gesundheit in unserem Lande kann nicht billiger werden. Das hängt, wie Sie wissen, mit vielem zusammen, etwa mit dem steigenden Alter der Menschen. Wir sollten uns eingestehen, dass wir eigentlich in einer glücklichen Zeit leben: Viele Menschen erreichen ein Alter, das vor Generationen noch völlig unerreichbar gewesen wäre. Wir müssten deshalb glücklicher sein. Aber wir behandeln das Thema Gesundheit fast nur aus finanzieller Sicht; das ist meines Erachtens viel zu wenig. ({4}) Das zunehmende Alter und der technische Fortschritt haben in der Tat einen Einfluss auf die Finanzen. Heute können Krankheiten geheilt werden, die noch vor einer Generation unweigerlich zum Tod geführt hätten. Insofern kann die Medizin nicht billiger werden; wir können uns aber auch keine billige Medizin leisten. ({5}) Die Menschen in unserem Lande werden von so vielen Ärzten wie noch nie begleitet; es gab bei uns noch nie so viele Ärzte. Auch diese Entwicklung ist zu bezahlen. Sie führt zu einer Qualität unseres Gesundheitssystems, auf die wir stolz sind. ({6}) Bisher konnte noch keiner ein Patentrezept dafür entwickeln, wie man auf die sich hochschaukelnden Kosten reagieren sollte. Wir müssen mutige Schritte machen. Das haben wir getan; ich habe es hier vor knapp zwei Wochen erwähnt. Dies ist nur der Anfang; ({7}) ich denke, dass wir auf diesem Weg weiterhin gut vorankommen werden. Wir ziehen die Pharmaindustrie bei der Senkung der Kosten viel stärker heran, als das früher der Fall war; ({8}) wir erhöhen die Herstellerrabatte deutlich. Liebe Frau Ferner, das war früher nicht einmal bei Ihnen möglich. Wir haben hier schon manches erreicht: Wir haben die Monopole geradezu eingeebnet. Wir müssen heute den Mehrwert feststellen - das ist für mich in der Tat ein bedeutsamer Schritt -, bevor es tatsächlich Aussicht auf Bares gibt. Ein neuer Name allein ist nicht mehr für einen höheren Preis ausschlaggebend. ({9}) Der Unterschied zu früher ist, dass wir heute nicht mehr für Plagiate bezahlen. Auch wenn ein Medikament neu ist, kann nicht einfach der Preis festgesetzt werden; künftig muss darüber verhandelt werden. ({10}) Frühere Gesundheitsminister hatten nicht den Mut, dieses Thema anzugehen, aber Sie schon. Dazu gratuliere ich Ihnen und uns. ({11}) Herr Rösler, das haben Sie gut gemacht. Vielleicht sollte diese Botschaft auch in die Fächer Ihrer Mitarbeiter gelegt werden. ({12}) Um unser Gesundheitssystem zu erhalten, müssen wir heute an den Stellschrauben drehen. Es ist völlig undenkbar, dass wir jedes Jahr 9, 10 oder 11 Milliarden Euro zusätzlich in das System pumpen können, ohne die Schuldenbremse aufzugeben, die wir uns selber auferlegt haben. Wir stehen in den nächsten Jahren vor schwierigen Themen. Der steuerfinanzierte Sozialausgleich - er ist angesprochen worden - muss in die mittelfristige Finanzplanung einbezogen werden. Wichtig ist doch eines: Hierfür werden Steuermittel ausgegeben, nicht Beitragsmittel. Nicht der Beitragszahler, sondern der Steuerzahler trägt den Sozialausgleich. Damit sind die breiteren Schultern, die häufig von Ihnen angesprochen werden, in der Tat gefordert. Ich glaube, das ist richtig. ({13}) Ich möchte einen anderen Punkt ansprechen. Wir leben in einem Paradoxon: Es gab in Deutschland noch nie so viele Ärzte wie im Augenblick; dennoch leiden viele Gegenden in unserem Lande an einer ärztlichen Unterversorgung. Der Vorstandsvorsitzende der Kassenärztlichen Bundesvereinigung geht davon aus, dass wir in zehn Jahren gut 10 Prozent weniger Ärzte im Lande haben werden und deshalb Praxen nicht neu besetzt werden können. Die Kommunalpolitiker weisen zu Recht darauf hin, dass dadurch eine schwierige Situation hervorgerufen wird: Die Lebensqualität in unserem Land wird dadurch sinken; die Lebensqualität auf dem flachen Land wird nicht mehr mit der Lebensqualität in den Ballungsräumen vergleichbar sein. ({14}) Der Versorgungsauftrag der Kassenärztlichen Bundesvereinigung wirkt nicht überall. Herr Bundesminister, darum sollten Sie dem Anspruch der kommunalen Spitzenverbände, die Kommunen an der Bedarfsplanung zu beteiligen, entsprechen. Den Sachverstand vieler tüchtiger Bürgermeister und Landräte dürfen wir nicht hintanstellen. Ich meine, dass man ihn einbeziehen sollte. Die Vergütungsanreize für Ärzte, die sich auf dem Land niederlassen, werden eine positive Honorargestaltung mit sich bringen. Die Hausarztverträge, die wir aus Bayern kennen, können als gutes Vorbild dienen. ({15}) Die Ärzte werden sich als Hausärzte niederlassen, wenn die Vergütung besser geregelt wird und sie in der Gesellschaft eine größere Wertschätzung erfahren. Ein weiterer Punkt, auf den die mir nachfolgenden Redner noch eingehen werden, ist die Reform der Pflegeversicherung. Wir werden das Thema des Kapitalstocks in den nächsten Monaten angehen. Auch hier werden wir die Weichen für viele Generationen stellen. Ich komme auf einen anderen Punkt zu sprechen, auf den Pflegedienst. Manchmal wird er als Pflegenotstand denunziert. Den haben wir nicht. Wir haben viele Zehntausende hervorragende Pflegerinnen und Pfleger in unserem Land. Das Problem liegt doch darin, dass die Pflegerinnen und Pfleger ein Drittel ihrer Arbeitszeit für Verwaltungsaufgaben und die Dokumentation aufbringen müssen. Das sagen sie mir in Gesprächen immer wieder. Wir müssen diese tüchtigen Leute von dem Dschungel der destruktiven Verwaltungs- und Dokumentationsarbeit entlasten. Pfleger braucht das Land und nicht Archivare und Buchhalter. Die sind in diesem Sektor meines Erachtens völlig fehl am Platze. ({16}) Hinzu kommt, dass wir den Pflegenden einen größeren Respekt in unserem Land entgegenbringen müssen. Sie setzen sich oft bis zur Grenze der körperlichen Belastbarkeit ein. Sie haben es verdient, dass ihre Arbeit in unserer Gesellschaft deutlich aufgewertet wird. Auf die Haushaltszahlen sind meine Vorredner schon eingegangen. Wir haben eine ganz besondere Haushaltskonstellation. Aufgrund des Bundeszuschusses haben wir kaum Möglichkeiten, unseren Haushalt zu disponieren. Aber es ist beachtlich, dass der Haushalt des Gesundheitsministeriums ein Haushalt ist, bei dem die Ausgaben sinken und die Einnahmen steigen. Das hängt auch damit zusammen, dass wir das Geld im letzten Jahr, sehr geehrte Frau Flach, intelligent ausgegeben haben. ({17}) Ich meine, dass die steigenden Einnahmen auch damit zusammenhängen, dass wir beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte jetzt deutlich mehr Personal haben. Neue Arzneimittel können dadurch schneller und besser geprüft werden. Sie kommen schneller auf den Markt, was den Patienten nutzt. Die Pharmaindustrie muss schneller bezahlen. So kommt mehr Geld in die Kassen. Das ist eine bedeutsame Situation in diesem Jahr. Auch im nächsten Jahr wird uns das guttun. Das Robert-Koch-Institut, um auch auf diesen Aspekt des Haushalts kurz einzugehen, wird nach einer zehnjährigen Zeit des Planens, Konzipierens und Bauens in nächster Zeit zu einem der leistungsfähigsten Labors der Welt werden. Wir werden den Personalbestand in den nächsten beiden Jahren plangemäß erhöhen. Im letzten Jahr habe ich bereits angekündigt, dass wir, was die Aidsbekämpfung angeht, unsere Aktivitäten in den mittel- und osteuropäischen Staaten einschränken werden. ({18}) Bis dato haben wir viel Geld in der Ukraine ausgegeben, um dort Aidsbekämpfung zu betreiben. Ich glaube, dass wir dieses Geld heute deutlich besser bei uns einsetzen können. Die Ausgaben sinken. Die Einnahmen steigen. Der Haushalt enthält keine Risiken. Aus diesem Grund empfehle ich Ihnen die Annahme des Einzelplans ohne Wenn und Aber. Risiken und Nebenwirkungen sind nicht zu erkennen. ({19})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat nun das Wort der Kollege Sven Kindler. ({0})

Sven Christian Kindler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004070, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Lieber Herr Minister! Ich glaube, diese Haushaltsberatungen sollten wir uns einprägen; denn es werden die letzten sein, bei denen die Verhandlungen über den Gesundheitsetat zwischen den Berichterstatterinnen und Berichterstattern vergleichsweise harmonisch und eher unaufgeregt verlaufen sind. Das wird sich in den kommenden Jahren stark ändern. Mit Ihrer sogenannten Gesundheitsreform haben Sie den Ausstieg aus dem Versicherungssystem und den Einstieg in eine Dreiklassenmedizin beschlossen. ({0}) Herzlichen Glückwunsch! Sie verabschieden sich damit von einer Gesundheitspolitik, die gerade nicht nach Kassenlage gemacht wird und die unabhängig von Konjunktur und Steuereinnahmen ist. ({1}) FDP und Union haben die Beiträge jetzt erst einmal erhöht, wollen sie dann einfrieren, und in Zukunft sollen alle Kostensteigerungen von den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern im Rahmen der Kopfpauschalen bezahlt werden. Aber das wird nicht funktionieren. Nach Ihrer sogenannten Reform ist die Gesundheitspolitik mehr mit dem Bundeshaushalt verquickt als jemals zuvor. Aus dem regulären Bundeshaushalt sollen als Zuschuss jetzt schon 13,3 Milliarden Euro fließen. Dann soll es 2 Milliarden Euro für den sogenannten steuerfinanzierten Sozialausgleich geben. Und das alles nur, um die unsozialen Minikopfpauschalen einzuführen, womit Sie den vollständigen Ausstieg aus dem Solidarsystem beginnen. ({2}) Das Gesundheitssystem entwickelt sich auch weiter. Wir wissen ja, neue Medikamente und Behandlungsmethoden werden eingeführt, die Leute werden älter. Beides ist auch gut so, und beides kostet Geld. Jetzt muss man sich einmal anschauen: Wie haben sich die Kosten in den letzten Jahren entwickelt? Es ist richtig, dass die Gesundheitskosten stärker als die Löhne und Gehälter gestiegen sind, aber im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt. Das heißt in der Konsequenz, alle Kostensteigerungen des Gesundheitssystems werden aus Steuern finanziert. Wenn man einmal eine Steigerung der Gesundheitskosten um 2 Prozent über den Löhnen annimmt, dann wird in den nächsten 10 bis 15 Jahren jede gesetzlich Versicherte und jeder gesetzlich Versicherte einen Anspruch auf Sozialausgleich haben. Das bedeutet Ihre Reform in der Konsequenz. Damit betreiben Sie einen Ausstieg aus der Beitragsfinanzierung. ({3}) Das ist Bürokratie hoch zehn, und das ist eine krasse Entmündigung der gesetzlich Versicherten, die bisher eben keinen Sozialtransfer brauchten. ({4}) 2011 wird es für die Versicherten auch schon teurer, 0,3 Prozent Beitragsbelastung mehr. Für 2013 rechnet das Bundesversicherungsamt mit einem durchschnittlichen Zusatzbeitrag von 16 Euro pro Versicherten. Lieber Herr Rösler, wir wohnen ja beide im wunderschönen Hannover. Ich freue mich auch schon auf den nächsten Bundestagswahlkampf in Hannover, wenn Sie dann erklären müssen, dass die Spitzenverdiener im Zooviertel nicht belastet werden und geschont werden, dass aber gleichzeitig der Großteil unserer Nachbarinnen und Nachbarn in Linden, in der Nordstadt oder in Hainholz eben deutlich weniger Netto vom Brutto hat. Viel Spaß bei dieser Aufgabe. Für diese unsoziale Politik werden Sie nicht nur in Hannover die Quittung bekommen. ({5}) Ich sehe vor meinem inneren Auge auch schon die Haushaltsanträge von der FDP. Das Liberale Sparbuch haben Sie jetzt verschämt irgendwo im Regal in die Ecke gestellt. Das wird dann ganz schnell wieder herausgeholt, und dann wird wieder ganz oben der Antrag liegen, entweder den Sozialbeitrag zu kürzen oder zu streichen oder eben den Leistungskatalog bei der GKV einzuschränken. Ich erhoffe mir nur, dass es dazu nicht kommt und dass die FDP nach der nächsten Wahl nicht nur in der Opposition, sondern in der außerparlamentarischen Opposition, in der APO, landen wird. ({6}) - Bei 4 Prozent ist das durchaus im Bereich des Möglichen, liebe FDP. Sie haben Glück. Ich komme jetzt zu unseren Vorschlägen. Wir steuern rechtzeitig um, bevor die Krankenkassen vollständig am Tropf der Politik hängen. ({7}) Wir werden nämlich nach der nächsten Wahl, wenn wir wieder regieren, die Bürgerversicherung einführen. ({8}) - Genau. Jetzt kommen wir zur Bürgerversicherung. ({9}) Da wollen wir die Schwächen des jetzigen Systems beseitigen, ohne die Stärken des Systems preiszugeben. Wir machen aus der Zwei-Klassen-Medizin eine Medizin für alle, und wir finanzieren das System gerecht und zukunftsfest. ({10}) - Anstatt rumzukrakeelen, sollten Sie mir lieber zuhören. Dann wissen Sie auch, wie es funktioniert. ({11}) - Ich erkläre es Ihnen ja. Dann müssen Sie aber auch zuhören. Das läuft im Parlament nun einmal so. Der wichtigste Grundpfeiler in der Bürgerversicherung ist, dass wir alle Bürgerinnen und Bürger in einen einheitlichen Rechtsrahmen einbeziehen. Denn die heutige Situation ist geradezu paradox. Die wirtschaftlich Leistungsstärksten und Gesündesten können sich dem Solidarausgleich entziehen, indem sie in die PKV wechseln. Diese Privilegierung wollen wir aufgeben, weil wir nämlich einheitlichen, fairen Wettbewerb schaffen. Wir wollen keine Einheitsversicherung, wir wollen keine Zwangseinbeziehung, wir wollen aber einen einheitlichen, fairen Wettbewerb, liebe FDP. Hier geht es um Wettbewerbspolitik. ({12}) Das heißt aber, für einen fairen Wettbewerb muss man auch die Privilegien und die Subventionierung bei der privaten Krankenversicherung abschaffen. Darum geht es. Der zweite Grundpfeiler der Bürgerversicherung ist die Verbreiterung der Finanzierungsbasis. Wenn die Gesundheitskosten stärker als die Löhne steigen, dann darf die Konsequenz nicht eine Kopfpauschale sein, sondern dann müssen wir andere Einkommensquellen einbeziehen. Die Beiträge sollen abhängig vom Einkommen sein. Aber wir wollen andere Einkommensquellen, Kapitalerträge und Mieterträge, einbeziehen, um die Finanzierung der GKV gerechter zu gestalten. ({13}) Der dritte Grundpfeiler wird die Stärkung der Solidarität der Versicherten untereinander sein. Deswegen werden wir die Beitragsbemessungsgrenze maßvoll auf das Niveau der Rentenversicherung anheben. ({14}) - Ja, das haben wir auf dem Parteitag beschlossen. Das wissen Sie alle. - Die Erhöhung der Beitragsbemessungsgrenze ist nicht nur wichtig, weil es um mehr Solidarität und mehr Gerechtigkeit geht, sondern sie ist auch wichtig - liebe Koalition, Sie werden die Beiträge erhöhen -, damit wir die Beiträge für alle senken können. Wir werden geringere und auch mittlere Einkommen entlasten, indem wir die Beitragsbemessungsgrenze erhöhen. Der letzte Grundpfeiler - dies ist für mich als Ökonom besonders wichtig - ist, dass wir die Parität zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern wiederherstellen, damit die Unternehmen Interesse daran haben, dass es im Gesundheitssystem Wirtschaftlichkeit und Qualität gibt. Diesen ökonomischen Anreiz schaffen Sie gerade ab. Das finde ich besonders fatal. Das sind die Grundpfeiler unseres Konzepts einer Bürgerversicherung. Wir wollen fairen Wettbewerb, wir wollen eine Verbreiterung der Finanzierungsbasis und mehr Solidarität der Versicherten untereinander, und das mit geringen Beiträgen für alle Versicherten. Wir wollen keine unsoziale Kopfpauschale, sondern eine Bürgerversicherung für alle. Vielen Dank. ({15})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Herr Kollege, Sie sind zwar am Ende Ihrer Redezeit, Herr Singhammer würde Ihnen aber noch gerne eine Frage stellen. Geben Sie ihm die Gelegenheit?

Sven Christian Kindler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004070, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Klar, er kann meine Redezeit gerne verlängern.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Herr Kollege Singhammer, bitte.

Johannes Singhammer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002800, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Es ist mir eine Freude, Ihre Redezeit zu verlängern. Ich habe eine kurze Frage. Sie haben im Rahmen Ihres Konzepts beschlossen, dass es bei der Bürgerversicherung ein Beitragssplitting bei Paaren geben soll. Ich nenne jetzt einen konkreten Fall als Beispiel: Jemand verdient 5 400 Euro, nehmen wir einmal an, der Mann, und eine Frau 1 500 Euro. ({0})

Sven Christian Kindler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004070, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich verstehe schon, dass ist Ihre Vorstellung, Ihr Familienmodell.

Johannes Singhammer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002800, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja, das ist ein Beispiel. In dem Moment, in dem diese beiden Menschen heiraten, steigt die monatliche Belastung in der gesetzlichen Krankenversicherung um 300 Euro. Jetzt frage ich Sie: Was haben Sie eigentlich gegen die Ehe? Warum wird das teurer?

Sven Christian Kindler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004070, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Kollege Singhammer, ich habe überhaupt nichts gegen die Ehe. ({0}) Ich finde vielmehr, dass alle Partnerschaften, egal ob Mann und Mann, Frau und Frau, Mann und Frau, also egal, in welchen Formen, gleichberechtigt behandelt werden sollten. Das finde ich richtig. Deswegen wollen wir das Beitragssplitting. Dadurch können wir eine gerechte Beteiligung aller Partnerschaften erreichen. Das ist der Hintergrund. Danke. ({1})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Das Wort hat nun der Bundesminister für Gesundheit, Dr. Philipp Rösler. ({0})

Philipp Rösler (Minister:in)

Politiker ID: 11005311

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Einzelplan 15 umfasst 15,8 Milliarden Euro; das wurde schon gesagt. Davon gehen allein 15,3 Milliarden Euro als steuerlicher Bundeszuschuss in den Gesundheitsfonds und stehen der gesetzlichen Krankenversicherung zur Verfügung. Das bedeutet: Leider stehen nur 477 Millionen Euro für den Geschäftsbereich selber zur Verfügung. Die tatsächlich freien Mittel belaufen sich auf 65 Millionen Euro. Angesichts dieser Zahl ist klar, dass jede Ausgabe, auch gerade die Ausgaben, die meine Vorgängerin gepflegt hat, selbstverständlich genauer unter die Lupe genommen werden muss, um gegebenenfalls zu sparen oder - besser formuliert - zu kürzen. ({0}) An dieser Stelle möchte ich mich zunächst einmal bei allen Berichterstattern des Haushaltsausschusses für die harten, aber im Ergebnis fairen Diskussionen bedanken; ich bedanke mich nicht in allen Fällen für das Ergebnis, aber trotzdem für die gute Zusammenarbeit. Ich tue das ausdrücklich auch im Namen des gesamten Bundesministeriums für Gesundheit. ({1}) Bei den Maßnahmen, die wir getroffen haben, handelt es sich vor allem seitens des Haushaltsausschusses dankenswerterweise nur um technische Änderungen. Das zeigt auch die Ausgewogenheit des Regierungsentwurfes. Angesichts der Maßnahmen sieht man auch, dass sich gerade Ihre Kritik, Herr Schurer, eigentlich in Luft auflösen muss. Sie hatten ja bemerkt, dass bei den Maßnahmen zur Prävention, gerade bei den Maßnahmen gegen HIV und Aids, angeblich zu viel gespart wird. Führen wir uns die Zahlen noch einmal vor Augen: Der Titel wurde von 13,2 Millionen Euro um 200 000 Euro auf 13 Millionen Euro reduziert, also um gerade einmal 1,5 Prozent. Angesichts solcher Zahlen von einem Kaputtsparen der Prävention und der Maßnahmen gegen HIV zu sprechen, entbehrt wirklich jeglicher Grundlage. ({2}) Man muss wissen, dass manche Ansätze sogar steigen. So werden 25,2 Millionen Euro - das ist einer der größten Ausgabenblöcke im Einzelplan 15 - für die Stiftung „Humanitäre Hilfe“, eine Stiftung für Menschen, die durch Blutprodukte, die mit dem HI-Virus verseucht waren, infiziert wurden, zur Verfügung gestellt. Das ist nicht nur eine Hilfe für die tatsächlich betroffenen Menschen, sondern auch ein Signal an alle beteiligten Partner, in Zukunft zu ihrer Verantwortung zu stehen und ihren Finanzierungsbeitrag zu leisten. ({3}) Im Ergebnis zeigt sich, dass der Regierungsentwurf ausgewogen ist. Wir kürzen dort, wo es machbar und notwendig ist, auch im Interesse des Haushalts. Die Menschen, die betroffen sind, vergessen wir aber nicht. Für sie stellen wir auch in Zukunft die notwendigen Mittel zur Verfügung. ({4}) Gestern war WHO-Generaldirektorin Frau Chan vor Ort; ich glaube, sie hat im Ausschuss auch mit Ihnen diskutiert. Im Weltgesundheitsbericht 2010, den sie der Weltöffentlichkeit gestern vorgestellt hat, ging es unter anderem um die Finanzierung von Krankenversicherungssystemen. So unterschiedlich diese Systeme auch sind, drei wesentliche Merkmale spielen immer wieder eine Rolle. Erstens besteht die Notwendigkeit einer stabilen Finanzierung, nicht nur mit Blick auf das nächste Jahr, sondern dauerhaft, gerade angesichts demografischer Veränderungen. ({5}) Zweitens ist die Ausgewogenheit der Finanzierung, der Lastenausgleich, von Bedeutung, ({6}) nicht nur der Ausgleich zwischen Gesunden und Kranken, sondern auch zwischen Arm und Reich. Drittens braucht man eine möglichst effiziente Mittelverwendung. ({7}) Frau Ferner, wenn man das System, das wir auf den Weg gebracht haben, daraufhin überprüft, kann man feststellen, dass alle drei Ziele erreicht wurden. ({8}) Erstens haben wir eine stabile Finanzierung sichergestellt, nicht nur für das Jahr 2011, sondern auch für die weitere Zukunft, indem wir erstmalig der demografischen Entwicklung Rechnung tragen, ({9}) und zwar durch eine stärkere Entkopplung der Krankenversicherungskosten von den Lohnzusatzkosten. ({10}) Damit ist das erste Ziel, das die WHO formuliert hat, eindrucksvoll und nachhaltig erfüllt. ({11}) Zweitens: zum fairen Lastenausgleich. Erstmalig werden im System Steuermittel zur Verfügung gestellt, um einen Ausgleich zwischen Arm und Reich zu gewährleisten. ({12}) Bisher, Frau Ferner, gibt es einen solchen Ausgleich nur innerhalb der gesetzlichen Krankenversicherung, ({13}) aber nicht im Hinblick auf das gesamte Steueraufkommen. Damit verteilen wir die Solidarität auf breitere Schultern. ({14}) Im Ergebnis bedeutet dies nicht weniger, sondern natürlich mehr Solidarität in unserem Krankenversicherungssystem. ({15}) Drittens: zur effizienten Mittelverwendung. Sie wollten eine Einheitsversicherung einführen; das war und ist Ihr erklärtes Ziel. Wir hingegen wollen einen fairen Wettbewerb der Krankenversicherungen, ({16}) weil wir davon überzeugt sind, dass der Wettbewerb für eine effiziente Mittelverwendung sorgen kann. ({17}) Wenn man sich Ihre Alternative ansieht, kann man nur sagen: Floskeln kamen bisher nur vonseiten der Sozialdemokraten. Bis heute sind Sie uns Ihr Modell der Bürgerversicherung schuldig geblieben. ({18}) Die ehemals große Volkspartei SPD hat es bis jetzt nicht geschafft, ein Modell zu entwickeln, und wurde einmal mehr von den Grünen überholt. ({19}) Das ist allerdings das einzig Positive. Denn wir können festhalten, Frau Bender, dass Sie, zum Beispiel durch den Vorschlag, die Beitragsbemessungsgrenze anzuheben, klargemacht haben, dass Sie den Menschen Geld abnehmen wollen. Künftig wird der in der gesetzlichen Krankenversicherung monatlich zu zahlende Beitrag bis zu 800 Euro betragen. Hinzu kommt, dass Sie die Möglichkeiten der Familienmitversicherung einschränken wollen. Vor diesem Hintergrund hat Ihr Modell mit Nachhaltigkeit, fairem Lastenausgleich und Wettbewerb bei der Mittelverwendung nichts, aber auch gar nichts zu tun. ({20}) Insofern, Herr Kindler, mag es sein, dass wir uns, was den Einzelplan 15 anbelangt, einig sind. Ich glaube aber, es wird deutlich werden, dass genau das, was die WHO gefordert hat, ({21}) von dieser Regierungskoalition umgesetzt wurde und dies im Ergebnis zu genau dem führen wird, was die Menschen wollen: zu einem nachhaltigen und gut finanzierten Krankenversicherungssystem. ({22}) Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({23})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat die Kollegin Elke Ferner von der SPDFraktion. ({0})

Elke Ferner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000535, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich kann nur sagen: Wenn derjenige, der die Sozialversicherungssysteme vor weit mehr als 100 Jahren auf den Weg gebracht hat, nämlich Bismarck, erleben würde, ({0}) was Schwarz-Gelb daraus macht, ({1}) würde er sich im Grabe umdrehen, Herr Spahn. ({2}) Denn Schwarz-Gelb ist offenkundig nur von einem einzigen Wunsch beseelt, nämlich die sozialen Sicherungssysteme, die die ganzen Jahre über so etwas wie der Kitt unserer Gesellschaft gewesen sind, zu individualisieren und zu privatisieren. Das wollen Sie, Sie sagen es nur nicht. Aber die Menschen werden es sehen. Sie sind nämlich nicht so dumm, wie Sie glauben. ({3}) Ich möchte Ihnen einmal etwas sagen, Frau Flach, auch wenn Sie etwas anderes wiederholen - Sie sollten die Zahlen bitte so zuordnen, dass sie stimmen -: Ulla Schmidts Abschlussbilanz war 1 Milliarde Euro Überschuss bei den gesetzlichen Krankenversicherungen. ({4}) Im Jahr 2010 regiert Schwarz-Gelb und nicht die SPD. Für das Jahr 2011 - auch dann wollen Sie noch regieren war ein Defizit von 9 bis 11 Milliarden Euro prognostiziert, das Sie zunächst einmal unter anderem mit Beitragssatzanhebungen bekämpfen wollten, die auch Sie nicht wollten, Herr Rösler, und die Sie zu Beginn Ihrer Amtszeit sogar ausgeschlossen hatten. Sie haben es in der letzten Woche geschafft, dass die Grundsäulen der gesetzlichen Krankenversicherung zerstört werden. ({5}) Aber sie werden Gott sei Dank nicht so zerstört, dass wir sie 2013 nicht wieder rückgängig machen könnten. Wir werden das machen. Wer 2013 mit uns regieren will, wird diesen Murks rückstandslos rückgängig machen müssen. ({6}) Ich sage Ihnen einmal etwas zu dem Thema gerechte Finanzierung und Sozialausgleich. Sie behaupten erstens, der sogenannte Sozialausgleich würde aus Steuermitteln finanziert. Die starken Einkommen würden viel mehr dazu beitragen als die schwachen Einkommen. ({7}) - Nein, es geht nicht um Prozentrechnung, Herr Kollege. Da sind Sie leider im Irrtum. - Schauen Sie sich das einmal an: Sie wollen keine Steuererhöhungen, sondern Steuersenkungen, und zwar für die Menschen oben mehr Steuersenkungen als für die Menschen unten. Das bedeutet aber eben nicht, dass die breiten Schultern mehr tragen als die schwachen Schultern. Der zweite Punkt ist: Da nicht mehr Steuern generiert werden, Sie aber den Steuerzuschuss in die gesetzliche Krankenversicherung erhöhen, muss das Geld irgendwoher kommen. Und wo nehmen Sie es her? Sie kürzen den Zuschuss an die Rentenversicherung für die Langzeitarbeitslosen. Das sind dann die stärkeren Schultern, wenn es nach Ihnen geht. Sie streichen den SGB-II-Empfängern das Elterngeld. Das sind dann die stärkeren Schultern, wenn es nach Ihnen geht. Was ist das denn für eine Politik? Sie organisieren weniger Netto vom Brutto für die unteren Einkommen, und die oberen Einkommen werden unterproportional an den Kostensteigerungen im Gesundheitswesen beteiligt. Das ist Politik à la SchwarzGelb. Das ist keine gerechte Politik. Das ist ungerecht, und das ist zynisch, liebe Kollegen und Kolleginnen. ({8}) Von der PKV haben Sie ordentlich Wahlkampfspenden erhalten. Dafür bedanken Sie sich jetzt mit der Möglichkeit zu schnellerem Wechseln. Es gibt jetzt einen Turbowechsel für diejenigen Versicherten, die gut verdienen. Die Zusatzversicherungen sind ein exklusives Geschäft für die PKV. Das ist wirklich sehr sozial, muss man einmal sagen. Aber damit nicht genug: Sie wollen die gesetzlichen Krankenversicherungen dem Kartellrecht unterwerfen. Ich frage mich, welche Denke dahintersteht. Die gesetzlichen Krankenversicherungen sind Sozialversicherungen und keine Wirtschaftsunternehmen. Der Sinn und Zweck der Sozialversicherung ist, mit den Beitragsmitteln möglichst sparsam umzugehen. Das heißt, wenn die gesetzlichen Krankenversicherungen gut verhandeln, dann tun sie das nicht zum Zweck der Gewinnmaximierung, sondern sie tun das dafür, damit die Versicherten ihre Beiträge nicht noch mehr erhöht bekommen. ({9}) - Herr Präsident, Herr Straubinger möchte mir eine Zwischenfrage stellen. ({10})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Indem Sie mich darauf aufmerksam machen, wollen Sie zum Ausdruck bringen, dass Sie die Frage gerne gestellt bekommen wollen.

Elke Ferner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000535, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Gerne, ja. Wenn Sie die Uhr anhalten, ja.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Straubinger, bitte schön.

Max Straubinger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002812, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Kollegin, weil Sie in Ihren Ausführungen wieder einen Zusammenhang zwischen Wahlkampfspenden und damit verbundenen politischen Entscheidungen herstellen wollen, frage ich Sie: Gehe ich recht in der Annahme, dass auch die SPD als Partei von der Versicherungswirtschaft eine Spende bekommen hat?

Elke Ferner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000535, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Straubinger, ich danke Ihnen sehr für diese wunderbare Frage. Bei der Antwort darauf kann man nämlich den Unterschied zwischen Ihnen und uns ganz klar und deutlich machen. Wir haben uns immer dazu bekannt, dass wir die Unterschiede und vor allem die Trennung zwischen privater und gesetzlicher Krankenversicherung für falsch halten und eine Bürgerversicherung wollen. ({0}) Daran ändern auch Spenden der privaten Versicherungswirtschaft nichts. ({1}) Sie, Herr Straubinger, sorgen aber durch die Möglichkeit des Turbowechsels dafür, dass den gesetzlichen Krankenversicherungen im Jahr ein Betrag in dreistelliger Millionenhöhe verloren geht. Sie schustern der privaten Krankenversicherung das Zusatzgeschäft exklusiv zu. Das ist Ihre Politik, Herr Straubinger, und deshalb bedanke ich mich ganz herzlich für diese Frage. ({2}) Herr Rösler hat ja eben die WHO angesprochen. Ich habe im Übrigen eine völlig andere Einschätzung als Sie: Sie erreichen mit Ihrer Reform die drei von Ihnen genannten Punkte nicht. Herr Rösler, Sie sind an allen drei Punkten auf der ganzen Linie gescheitert. Deshalb werden Sie 2013 auch die Quittung dafür bekommen. Da Sie sich schon auf die WHO berufen, wundert es mich ein bisschen, dass Sie nicht auch darauf hinweisen, dass die WHO beispielsweise gesagt hat, dass beim Modell der Vorkasse die Kostensteuerung durch die Krankenkassen fehlt. Die WHO sagt auch: Die Organisation plädiert stattdessen für Systeme, bei denen es möglichst keine direkten Finanzbeziehungen zwischen Ärzten und Patienten gibt. Das finden Sie nicht so gut, weil Sie in der letzten Woche das Gegenteil beschlossen haben. Ich kann alle Neugierigen unter den Versicherten nur warnen, diese Vorkasse zu leisten. ({3}) Ich kann ihnen nur empfehlen, dass sie, wenn ihnen ein Arzt nur dann einen Termin geben will, wenn sie bereit sind, in Vorkasse zu treten, sofort ihre Krankenkasse informieren, weil das nicht erlaubt ist. Es wird aber so kommen. ({4}) - Frau Flach, die Einzigen, die einen Vorteil von der Vorkasse haben, sind die Ärzte, die höhere Honorare bekommen, aber nicht die Versicherten, die auch ohne Vorkasse genau die gleiche Sachleistung und medizinische Versorgung erhalten würden, während die Ärzte nicht so viel Honorar bekämen. ({5}) Der letzte Punkt, den ich noch kurz ansprechen möchte, ist die Pflegeversicherung. Sie wollen die Kopfpauschale jetzt auch noch in der Pflegeversicherung einführen, weil in Ihrer Koalitionsvereinbarung Unsinn steht. Haben Sie sich eigentlich einmal ausgerechnet, wie viel Geld man mit 10 Euro im Monat bei einer Verzinsung von 3 Prozent nach zehn Jahren zusätzlich auf der hohen Kante hat? Das soll ja individuell sein, wenn ich das richtig gelesen habe. Herr Spahn, Sie können ja vielleicht einmal erklären, wie Sie das alles machen wollen und inwiefern individuelle Rückstellungen besser funktionieren sollen als eine kollektive Absicherung der Risiken. ({6}) Man hat dann ungefähr 1 300 Euro. Wer weiß, was die Hilfestellung im Falle der Pflegebedürftigkeit kostet, der weiß auch, dass das nur ein Tropfen auf den heißen Stein ist und dass das Problem hinsichtlich der Demografie dadurch überhaupt nicht gelöst wird. Das Einzige, was damit erreicht wird, ist, dass die privaten Versicherungsunternehmen - insofern liefern Sie ihnen an dieser Stelle wohl auch wieder etwas - höhere Renditeerwartungen haben werden. Sonst passiert an dieser Stelle nichts. ({7}) Ich kann nur sagen: Ihre Gesundheitspolitik und Ihre Politik für die Pflegebedürftigen sind gescheitert. Sie werden das auch in den nächsten drei Jahren nicht besser machen können, weil Sie ideologisch völlig verblendet sind und unseren Sozialstaat kurz und klein hauen wollen. ({8}) Den Schaden, der bis 2013 eingetreten ist, werden wir rückstandslos wieder rückgängig machen. Schönen Dank. ({9})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat der Kollege Jens Spahn von der CDU/ CSU-Fraktion. ({0})

Jens Spahn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003638, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Frau Kollegin Ferner, dass die Sozialdemokratie Bismarck einmal lobend erwähnen würde, hat er sicherlich nicht erwartet. Unabhängig davon entlarven Sie sich mit dem, was Sie hier gesagt haben, ein Stück weit als Strukturkonservative. Natürlich hat das, was im Sozialversicherungsrecht geschaffen worden ist, nämlich eine Finanzierung ausschließlich über Beiträge, über sehr viele Jahrzehnte gut funktioniert. Man muss aber doch anerkennen, dass wir insbesondere im Gesundheitswesen, wo die Kosten aufgrund der älter werdenden Gesellschaft und des medizinischen Fortschritts steigen - hier gibt es anders als bei der Rente und bei der Arbeitslosenversicherung keine direkte Verbindung zwischen den Beiträgen und den anschließend ausgezahlten Leistungen -, keine Finanzierung dauerhaft durchhalten, die ausschließlich beitragsfixiert ist. ({0}) Deswegen machen wir die Veränderung. Sie können nicht mit Lösungen von gestern die Antwort auf die Fragen von morgen geben. ({1}) Deswegen sieht diese Koalition eine zusätzliche Finanzierungsquelle aus einer anderen Richtung vor. ({2}) Wenn wir bei der Frage der künftigen Finanzierung sind, muss man - es ist gerade schon gesagt worden den Grünen insofern ein Kompliment machen, als sie im Vergleich zu SPD konkreter - zwar noch nicht richtig konkret, aber doch konkreter - geworden sind. ({3}) Wir warten ja schon seit Jahren, mittlerweile seit Jahrzehnten darauf, dass Sie uns endlich vorlegen, wie Ihr Bürgerversicherungskonzept tatsächlich aussehen soll, wie es durchgerechnet ist. Da kommt nichts, nichts und wieder nichts. Man wundert sich manchmal, dass es Ihnen selbst nicht peinlich ist, nachdem Sie im Dezember angekündigt hatten, dass wir kurzfristig - das war, glaube ich, das Wort - ein durchgerechnetes Konzept vorgelegt bekommen, und wir bis heute nichts gesehen haben. Die Grünen werden da konkreter: die Beitragsbemessungsgrenze hoch von gut 3 700 Euro. Sie hat sich übrigens, Herr Kollege Leutert - nur, damit Sie da die richtige Faktenbasis haben -, nicht aufgrund von politischen Entscheidungen nach unten verändert. Sie hat sich nach unten verändert, weil die Löhne in den letzten Jahren gesunken sind. Wenn Sie meinen, dass die Menschen, wenn die Löhne sinken, mehr für die Sozialversicherung zahlen sollen, dann sagen Sie es den Menschen. Wir meinen, es ist richtig: Wenn die Löhne sinken, müssen auch automatisch die entsprechenden Beitragsbemessungsgrenzen sinken. ({4}) - Die mangelnde Faktenbasis machen Sie auch nicht mit Schreien wett. Das nützt an dieser Stelle nicht viel. Die Grünen sagen: Beitragsbemessungsgrenze rauf auf 5 500 Euro, Kapital, Miete, Zinsen sollen auch verbeitragt werden. Die private Krankenversicherung soll abgeschafft werden. ({5}) Sie werden konkreter. Aber Sie bleiben doch an vielen Stellen unkonkret, und Sie sind an vielen Stellen auch unehrlich. Das ist gerade eben wieder deutlich geworden. Das Erste. Die größte Entlastung, die Sie für die angebliche Senkung des Beitragssatzes, die der Kollege Kindler gerade erwähnt hat, eingerechnet haben, ergibt sich daraus, dass Sie die private Krankenversicherung abschaffen wollen und die Beiträge der Privatversicherten einrechnen. ({6}) Wenn Sie das Interview des Fraktionsvorsitzenden Trittin von heute in der taz lesen, stellen Sie fest, wie er sich dreht und wendet, weil er nicht erklären kann, wie Sie denn die private Krankenversicherung von einem Tag auf den anderen abschaffen können. Sie wissen nämlich genau - so steht es ja in Ihrem eigenen Antrag -, dass es Eigentumsrechte der Privatversicherten gibt. Das ist nichts als Augenwischerei, weil Sie genau wissen, dass Sie das, was den Beitrag am meisten senken soll, am Ende gar nicht um- und durchsetzen können. ({7}) Das Zweite - das ist wie Jahrmarkt im Himmel -: Zuzahlung weg, Praxisgebühr weg. Bei all dem, was wir zum Teil einmal gemeinsam eingeführt haben, übrigens aus der Erkenntnis heraus, ({8}) dass es richtig ist, in begrenztem und vernünftigem Maß - es gibt für die jeweilige Belastung des Einzelnen ja Höchstgrenzen - auch im Sinne von Steuerungswirkung Zuzahlungen zu haben, sagen Sie in ein, zwei saloppen Sätzen: Das soll alles weg. Dass damit insgesamt 5 Milliarden Euro an Einnahmen wegfallen, bei denen Sie nicht viele Worte darauf verwenden, wie Sie das denn finanzieren wollen, macht einmal mehr deutlich: Das sind schöne Worte, aber - auch ein zweites Mal nicht mehr als Augenwischerei. ({9}) Das Dritte - das ist das Interessanteste, wenn man das in ein Gesamtbild setzt -: die Gewerbesteuer für Freiberufler, der Abbau des Ehegattensplittings, die Anhebung des Spitzensteuersatzes, den entgegen der allgemeinen Annahme in diesem Land nicht die Superreichen zahlen müssen, sondern den schon relativ bald die Mittelschicht erreicht. Die beitragsfreie Mitversicherung für Ehepartner soll weg. Die Beitragsbemessungsgrenze soll auf 5 500 Euro hoch. Das trifft entgegen all dem, was Sie hier sagen und was Sie wahrscheinlich gleich auch wieder sagen werden, nicht die Reichen und Superreichen im Land. Das trifft die Mittelschicht, die Leistungsträger, die Freiberufler, die Facharbeiter, diejenigen, die Überstunden ausgezahlt bekommen. Diejenigen, die sowieso das ganze Land tragen und finanzieren, werden durch Sie zusätzlich belastet. Das sollten Sie ihnen auch ehrlich sagen, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({10}) Sie sind im Grunde - das wird in diesen Tagen vielfach diskutiert - überall dagegen: neue Bahnhöfe, neue Trassen für Leitungen, Kernenergie, Olympia - dagegen. ({11}) Jetzt sind Sie einmal für etwas und werden an dieser Stelle konkret. Sie sind nun nicht nur nicht die Wohlfühlpartei, wie Ihr Fraktionsvorsitzender sagt, sondern im Grunde genommen die Partei der Enteignung der Mittelschicht, weil Sie sie an vielen, vielen Stellen entscheidend treffen. Sie behaupten immer, Ihre Klientel würde es gerne hinnehmen; sie würde gerne belastet werden. Wir könnten gerne den Praxistest machen, aber wir sollten das besser nicht in die Praxis umsetzen. Ich glaube das nicht, was Sie da sagen. Diese Klientel - die Leistungsträger der Gesellschaft, die Mittelschicht, die Facharbeiter, die Freiberufler, diejenigen, die Überstunden machen - will, dass das, was sie leistet, wertgeschätzt wird und dass sie nicht abgezockt wird. Deswegen ist das, was Sie tun, falsch. ({12}) - Es ist schön, dass Sie wissen, Herr Kurth, wie wenig durchgerechnet Ihr Konzept ist. Wenn mich nicht alles täuscht, haben Sie sogar eine Kommission eingesetzt, um sich ehrlich zu machen, wie die unterschiedlichen Konzepte, die Sie haben - Steuerkonzept, Sozialversicherung -, zusammenpassen. Wenn Sie das meinen, wenn Sie sagen: „Wir sagen jetzt mal deutlich und konkret, was wir wollen; wir müssen uns erst noch ehrlich machen“, dann stelle ich mir darunter etwas anderes vor. ({13}) Ich komme zum GKV-Finanzierungsgesetz. Wir haben als Koalition deutlich und ehrlich gesagt, wie unsere Antwort auf diese Herausforderung lautet, nämlich indem wir neben der Beitragssatzerhöhung und der Rückkehr zum alten Beitragssatz, neben der Belastung für diejenigen, die im Krankenversicherungsbereich Leistungen erbringen, die Zuwächse begrenzen, ({14}) indem wir dort konkret sparen, indem wir eine Perspektive für eine nicht nur beitragsbezogene Finanzierung bieten, indem wir die Zusatzbeiträge weiterentwickeln und - jetzt kommt der entscheidende Teil - die Steuerfinanzierung für den Sozialausgleich machen. Dadurch wird kein zweites Finanzamt nötig. Ihr Konzept macht es nötig, dass Krankenkassen zu zweiten Finanzämtern werden, weil jede Einkommensart einzeln bei den Krankenkassen geprüft werden muss. Das bringt zusätzliche Bürokratie. ({15}) Im Übrigen wird Ihr Konzept, mit dem Sie Kapitaleinkünfte, Zinsen und Mieten verbeitragen, dazu führen, dass es massive Geldabflüsse aus Deutschland geben wird. Sie belasten damit nicht nur die Pensionsfonds und die großen Banken, sondern auch die Kleinanleger, die Mittelschicht und die kleinen Sparer, weil sie zusätzliche Beiträge auf ihre Zinsen zahlen müssen. Sie sagen schließlich nicht, wo dieser ominöse Freibetrag erhoben werden soll. Sie machen also aus den Krankenkassen zweite Finanzämter, und Sie scheuchen das Geld aus dem Land. ({16}) Das sind zwei falsche Ansätze. Wir sagen: Es ist richtig, das über das Steuersystem zu machen. Damit haben wir die notwendigen Instrumente bereits in der Hand und müssen nichts zusätzlich ausbauen. Das ist per se und in sich gerecht, weil wir eine progressive Steuer haben. Die Reichen zahlen also mehr. ({17}) Deswegen ist der Weg, den wir in dieser christlich-liberalen Koalition gehen, die bessere Antwort auf die Herausforderungen, die sich uns stellen. ({18}) Das wird sich auch in der Pflege zeigen. Auch hier verfolgen wir als Koalition den Kurs der Ehrlichkeit, indem wir den Menschen ehrlich sagen, wie die Situation aussieht. ({19}) Die steigende Zahl der über 80-Jährigen ist an sich etwas Schönes. Wir alle wünschen uns, ein hohes Alter zu erreichen. Die Menschheit strebt seit ihrem Bestehen danach, möglichst alt zu werden und dabei idealerweise möglichst gesund zu bleiben. Die Zahl der über 80-Jährigen steigt zum Glück. Damit steigt aber auch der Bedarf an Unterstützung im Alltag, an Pflege und Betreuung für viele im höheren Alter. Wenn Sie gleichzeitig eine Debatte darüber führen, den Pflegebegriff neu zu definieren, ({20}) und sagen, dass es nicht ausreichen kann, nur auf körperliche Einschränkungen zu achten, sondern dass es auch mögliche demenzielle Erkrankungen mit in den Blick zu nehmen gilt, wenn man darüber reden will, dass es zwischen dem ambulanten und stationären Bereich weitere Angebote geben muss, und wenn man über die Attraktivität der Pflegeberufe reden will, ({21}) was mit Geld zu tun hat, aber auch mit dem Ansehen in der Gesellschaft, und über die medizinische Versorgung in den Pflegeeinrichtungen, dann ist auch hier die ehrliche Botschaft - wir sagen das den Menschen; Sie drücken sich ja vor diesen Botschaften -, dass es teurer werden wird. ({22}) Diese Ehrlichkeit gehört dazu. Aber - das ist sehr wichtig, Frau Kollegin Ferner zur Ehrlichkeit gegenüber nachfolgenden Generationen gehört auch, dass man ihnen nicht sagt: Seht zu, wie ihr in 10, 20 oder 30 Jahren damit fertig werden wollt. Weil die Menschen der nachfolgenden Generationen schon geboren sind, wissen wir, dass wir zwischen 2025 und 2035 vor einer besonders großen Herausforderung in der Finanzierung stehen werden, weil dann der Anteil der über 80-Jährigen an der Bevölkerung besonders hoch sein wird. ({23}) Wenn man das weiß, dann gehört es auch zur Ehrlichkeit, ({24}) dass man für diese Zeiten Geld zurücklegt, wenn es zusätzliche Bedarfe gibt. Dafür muss man eben heute sparen. Heute zu sparen, bedeutet auch ein Stück weit Konsumverzicht. Wir glauben, dass es im Interesse nachfolgender Generationen und auch im Interesse des Gesamtsystems, dessen Leistungen dauerhaft finanziert werden müssen, damit allen Pflegebedürftigen auf einem entsprechenden Niveau das Notwendige zur Verfügung steht, verantwortungsvoll und die richtige Antwort ist, eine Kapitalrücklage zu schaffen, die im Übrigen individualisiert sein soll. Frau Kollegin Ferner, wir wählen die ehrliche Variante und schlagen uns nicht in die Büsche. Wir machen nicht nur Überschriften, die gut klingen. Vielmehr sagen wir den Menschen, dass wir heute und in Zukunft einen fairen Ausgleich im Gesundheitswesen und in der Pflege brauchen. Wir freuen uns über jeden konstruktiven Vorschlag, den Sie zur Abwechslung machen. ({25})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat die Kollegin Dr. Martina Bunge von der Fraktion Die Linke. ({0})

Dr. Martina Bunge (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003743, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Einen guten Haushalt zieren Haushaltsklarheit und Haushaltswahrheit. Schauen wir uns einmal den Einzelplan 15 an. Sie stellen 2 Milliarden Euro als zusätzlichen Bundeszuschuss an die gesetzliche Krankenversicherung ein. Das wäre nicht nötig, wenn Sie zwischen den Ressorts für Ordnung sorgten und endlich die Entlastung des einen Haushalts auf Kosten des anderen beenden würden. So wurden vor Jahren ganz bewusst für eine Kostenminderung im Haushalt des Ministeriums für Arbeit und Soziales die Beiträge für die Arbeitslosengeld-II-Bezieher willkürlich gesenkt, und zwar zuungunsten der gesetzlichen Krankenversicherung. Das ist eine nicht unwesentliche Ursache, wie ich meine, für das Milliardenloch im Gesundheitsfonds. Der Einzelplan 11 - Arbeit und Soziales - ist verabschiedet. Sie haben nicht endlich reinen Tisch gemacht. Sie haben unserem Antrag, der für Ordnung und für angemessene Beiträge für ALG-II-Bezieher sorgen und damit der gesetzlichen Krankenversicherung 5 Milliarden Euro bringen sollte, nicht zugestimmt. Sie wollen das Gesundheitssystem vollends kaputtmachen. ({0}) Ein Gesundheitssystem machen Sie kaputt, das, wie die vorgestern hier in Berlin vorgestellte Studie der Weltgesundheitsorganisation zeigt, vielen Ländern mit bisher solidarischer Ausrichtung Vorbild ist. ({1}) Herr Minister, ich habe mir die Studie ebenfalls genau angeschaut, interpretiere sie aber anders. Dort sind drei Tendenzen genannt. Zum einen soll ein besserer Zugang zum Gesundheitswesen geschaffen werden, möglichst für alle. Zum anderen soll ein immer größerer Leistungsumfang gewährt werden, möglichst ein voller für alle. Des Weiteren sollen die direkten individuellen Kosten verringert werden. Das Ziel ist, möglichst keine zu haben. Die anderen Länder gehen in diese Richtung und schauen dabei noch auf Deutschland. Merken Sie nicht, dass Sie mit der Reform am Freitag der letzten Sitzungswoche alles umdrehen, dass es in eine andere Richtung geht? Sie schicken Deutschland als Geisterfahrer auf die Autobahn. Das ist die Wahrheit über Ihre Politik. ({2}) Insofern ist der Bericht der WHO eine schallende Ohrfeige für die Politik der Bundesregierung, insbesondere für die Gesundheitspolitik. Kollegin Ferner, ich stimme Ihnen voll zu: Die Kopfpauschale, aber auch alle anderen Zuzahlungen und die Praxisgebühr müssen weg. ({3}) Als Begründung für die Politik der Regierung müssen immer wieder - wir haben das gerade vom Kollegen Spahn wieder gehört - steigende Kosten wegen der demografischen Entwicklung und des medizinischen Fortschritts herhalten, als seien diese Kosten nicht durch gute Politik beeinflussbar. Aber Schwarz-Gelb will keine gute Politik machen, sondern Politik für ihre Klientel. Daher leugnet sie Handlungsmöglichkeiten. Ich möchte dazu aus der Antwort der Bundesregierung auf unsere Kleine Anfrage zitieren, in der wir sie unter anderem fragen: Welche Maßnahmen ergreift die Bundesregierung, damit ein steigender Anteil älterer Menschen an der Gesamtbevölkerung nicht zu steigenden Gesundheitsausgaben führt? Die Antwort lautet: Die Bundesregierung sieht steigende Gesundheitsausgaben nicht als Fehlentwicklung an, wenn diese Resultat einer in der Folge der Bevölkerungsalterung ansteigenden Multimorbidität … sind. Also, die kränker werdende Bevölkerung ist eine ganz normale Entwicklung für diese Regierung, und diese Entwicklung wird hingenommen. Die Bundesregierung interessiert sich nicht dafür, was man tun müsste, um die Kosten für die älter werdende Gesellschaft nicht als unumstößliches Schicksal - Herr Spahn, das haben Sie eben wieder getan - hinzunehmen. Das ist eine Herausforderung, der man mit vernünftiger Politik begegnen kann und muss. ({4}) Viele Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler und viele Gesundheitsfachleute widmen sich diesem Problem und stoßen dabei auf Lösungen. Eine der wichtigsten Lösungen ist eine umfassende, vernünftige Gesundheitsförderung und Prävention. Die Gesundheitsförderung muss aber die Menschen wirklich erreichen, besonders Benachteiligte stärken und Menschen länger gesund leben lassen. Das ist eine Antwort auf die Kosten durch die Alterung der Gesellschaft und nicht das bloße Umwälzen der Kosten. Statt hierfür im Haushalt immer nur einige Tausend Euro oder einmal ein Milliönchen bereitzustellen, könnten die anfangs erwähnten 2 Milliarden Euro eingesetzt werden, um einen wirklichen Paradigmenwechsel in Richtung präventives Gesundheitssystem einzuleiten. ({5}) Das wäre eine Win-win-Situation, das wäre ein Fortschritt für die Gesundheit der Menschen und ein Schritt gegen die Kostensteigerung im Gesundheitssystem. Sie aber sagen - vergleichbar einem Pawlow’schen Reflex immer: Wir tun doch viel für die Prävention. - Diese Wortverdrehungen lasse ich Ihnen - jetzt benutze ich einmal Ihre oberlehrerhaften Worte, Herr Spahn - nicht mehr durchgehen. ({6}) Sie verkaufen Bürgerinnen und Bürgern sinnverdrehend asozial als sozial, unbedacht als nachhaltig, und Sie verkaufen nun die sogenannte Eigenverantwortung als Gesundheitsförderung und Prävention. So beschränkt sind die Menschen im Lande nicht, dass sie diese Wortverdrehungen nicht bemerken. ({7}) Daran ändert auch nichts, dass Sie, Herr Minister, heute ein Bekenntnis zur Prävention als Mittelpunkt der Gesundheitsförderung abgelegt haben. Das war anlässlich des 10-jährigen Bestehens des Qualitätssiegels „Sport pro Gesundheit“. Ihr Haushalt und Ihre Politik sprechen eine andere Sprache; das ist klar festzustellen. Gesundheitsförderung bedeutet, die Lebensbedingungen der Menschen gesundheitsförderlich zu gestalten. Gesundheitsförderung heißt auch, Menschen nicht permanent zu überfordern, sondern sie vor angemessene Herausforderungen zu stellen. Gesundheitsförderung beginnt da, wo Arbeit bis zur Unerträglichkeit intensiviert wird und wo die Luft durch den Verkehr in dicht besiedelten Wohngebieten, der diejenigen, die dort wohnen, nicht entfliehen können, verpestet wird. ({8}) Gesundheitsförderung hat auch damit zu tun, Menschen mit niedrigen Löhnen oder viel zu niedrigen Hartz-IVRegelsätzen den Zutritt zur Kultur am Abend zu ermöglichen. Auf ein Wort des Gesundheitsministers zu den teils gesundheitsfeindlichen Lebensbedingungen von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern und Langzeitarbeitslosen kann man hier im Parlament lange warten. Lieber redet der vormalige Wirtschaftsminister Rösler über Geld für Unternehmen, Wirtschaftsförderung durch eingefrorene Arbeitgeberbeiträge, über Markt und Wettbewerb zwischen den Unternehmen im Gesundheitsbereich und generell. Von einem Arzt, der den Eid des Hippokrates geleistet hat, habe ich etwas anderes erwartet - und sicher nicht nur ich. ({9}) Auch Pflegebedürftigkeit könnte mit zielgerichteter, flächendeckender Gesundheitsförderung und Prävention in hohem Maße vermieden werden. Aber Sie, Herr Minister, haben hier Pläne für eine Kopfpauschale zur zwangsweisen Bildung eines Kapitalstocks - sicher individuell - und tun damit der Versicherungswirtschaft einen Riesengefallen. Sie machen ihr ein schönes „Weihnachtsgeschenk“. Das zeigt, welchen Lobbygruppen Sie gehorchen. Auch hier wäre eine solidarische Bürgerinnen- und Bürgerversicherung für uns, Herr Spahn, eine ehrliche Lösung. ({10}) Wir befinden uns - daran möchte ich Sie zum Abschluss erinnern - im Europäischen Jahr zur Bekämpfung von Armut und sozialer Ausgrenzung. Gesundheitsförderung könnte einen Beitrag zur Schaffung sozialer Chancengleichheit leisten. Aber diese Regierung, dieser Haushalt geben das nicht her. Deshalb lehnen wir ihn ab. ({11})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat die Kollegin Birgitt Bender von Bündnis 90/Die Grünen.

Birgitt Bender (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003502, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die heutige Debatte ist recht interessant. Da hören wir die Abgeordneten der Koalition, die sagen: Die SPD hat kein Konzept. - Wohl wahr. Dann sagen sie: Die Grünen haben ein Konzept. ({0}) Das gefällt ihnen nicht. Das ist ihr gutes Recht. Aber Sie sollten gute Gründe dafür vorzubringen wissen. Was werfen Sie uns vor? Wir belasten angeblich die Mittelschicht. ({1}) Schauen wir einmal genauer auf das, was wir vorhaben: Beiträge auf alle Einkommensarten, Einbeziehung aller Versicherten, auch der jetzigen Privatversicherten, und in diesem Zusammenhang auch eine Erhöhung der Obergrenze für die Beiträge. Wir wollen das, was dadurch an Geld zusätzlich hereinkommt, nicht aus dem nächsten Fenster herauswerfen, sondern wir wollen es nutzen, um den Beitragssatz insgesamt zu reduzieren. Wenn Sie das einmal zusammenrechnen, dann werden Sie feststellen, dass alle Menschen mit einem Einkommen bis 4 500 Euro eine Entlastung erfahren. ({2}) Erst danach setzt eine Zusatzbelastung ein. ({3}) Sie liegt rechnerisch bei etwa 100 Euro. Davon muss man die steuerliche Absetzbarkeit der Krankenversicherungsbeiträge abziehen. Das heißt, das reduziert sich noch weiter. Jetzt müssen wir einmal darüber reden, was so absolut unvertretbar daran ist, dass im Interesse einer Entlastung von gering und mittelmäßig Verdienenden die Bezieher von Einkommen ab 4 500 Euro etwas stärker belastet werden. Sie werden sich schwertun, das zu begründen. ({4})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Frau Kollegin Bender, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Spahn?

Birgitt Bender (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003502, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Im Moment nicht. Da Sie schon dabei sind, mit Zetteln herumzuwerfen, auf denen man Ihnen Zahlen aufgeschrieben hat, die verdeutlichen, was man den Grünen jetzt vorhalten soll, müssen Sie, Herr Singhammer, Ihren Leuten einmal sagen, sie sollten richtig rechnen. ({0}) Vielleicht gibt es da ein PISA-Problem. Sie haben eben in einem Beispiel behauptet, dass, wenn unsere Reform umgesetzt würde, Verheiratete, die vor der Eheschließung 5 400 Euro verdient haben, höhere Beiträge zahlen müssten. Dies ist nicht der Fall. Vor der Ehe zahlt man genauso viel wie während der Ehe. ({1}) Aber weil Sie es nicht verstanden haben, will ich es Ihnen, Herr Singhammer, gerne weiter erklären. In unserem Konzept ist auch der Abgeordnete Singhammer mit seiner Einkommensklasse Teil des Solidarsystems, zahlt also einen einkommensabhängigen Beitrag, und zwar bis zur Beitragsbemessungsgrenze. Jemand mit einem VerBirgitt Bender dienst, der etwa doppelt so hoch wie ein normales Einkommen ist, und einer nichterwerbstätigen Ehefrau - auf eine Hälfte des Einkommens wird kein Beitrag gezahlt; vielleicht trifft dies auf den Abgeordneten Singhammer zu - zahlt bisher einen Beitrag bis zur Beitragsbemessungsgrenze, die zur Zeit bei 3 750 Euro liegt. ({2}) Wenn hingegen ein Paar ein solches Einkommen durch partnerschaftliche Arbeitsteilung erwirtschaftet, dann zahlt es exakt den doppelten Beitrag. Das ist nichts anderes als eine Diskriminierung der partnerschaftlichen Ehe. ({3}) Diese halten wir nur dann für sachlich gerechtfertigt, wenn kleine Kinder erzogen werden. Auf diesen Sachverhalt wollen wir es beschränken. Sie hingegen müssen uns einmal erklären, was an unserem Modell falsch sein soll, Herr Singhammer. ({4}) In Wirklichkeit ist es so: Bei allen Angriffen auf das grüne Bürgerversicherungskonzept merkt man doch, dass es Ihnen eigentlich darum geht, nicht über Ihre eigene Reform zu sprechen, weil sie Ihnen peinlich ist. ({5}) Denn bei Ihnen ist es so, dass aufgrund der einseitigen Belastung der Versicherten mit der Abwälzung aller Kostensteigerungen auf die Versicherten in Zukunft alle - die Friseurin wie der Facharbeiter - mehr bezahlen. Es geht gerade nicht darum, gering und mittelmäßig Verdienende zu entlasten, sondern sie werden bei Ihnen belastet. ({6})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Frau Kollegin, erlauben Sie jetzt eine Zwischenfrage?

Birgitt Bender (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003502, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Nein, jetzt auch nicht. - Ich will mal etwas Grundsätzliches dazu sagen, was man ja auch in den Zeitungen liest, nämlich zu dem Erstaunen darüber, dass die Grünen bereit sind, Menschen, die zu ihrer eigenen Klientel gehören, zu belasten. ({0}) Dazu kann ich nur sagen: So weit sind wir schon gekommen, dass von der Politik geradezu erwartet wird, dass sie jedenfalls ihre eigene Klientel nicht belastet. Da hat man - das muss man sagen - offenbar von der FDP gelernt. Die Klientelpflege soll jetzt neuerdings Politik sein. Unsere ist es nicht. ({1}) Im Gesundheitswesen sind mächtige Interessen unterwegs, und manch einer biegt sich da wie der Bambus im Wind. Diejenigen, die da nicht so kräftig pusten können - das sind gerade Menschen mit geringem Einkommen -, geraten dabei unter die Räder. Das ist bei uns eben nicht der Fall, weil wir ans Ganze denken. ({2}) Jetzt noch ein Wort zum Thema Wettbewerb. Herr Kollege Spahn, Sie waren auf unserem Parteitag, und Sie waren uns dort willkommen; aber richtig zugehört haben Sie doch nicht, wenn Sie jetzt sagen, wir wollten die PKV abschaffen. Ich habe nämlich ebendort erklärt, dass wir Wettbewerb im Gesundheitswesen wollen. Wie ist es denn jetzt? Die PKV verdient ihr Geld nicht im Wettbewerb, sondern dadurch, dass sie nur die guten Risiken versichert, also die gesunden Menschen aufnimmt. Dieses Geschäftsmodell heißt „Rosinentheorie“. Dieses Geschäftsmodell werden wir verändern. Die PKV wird die Chance haben, im Wettbewerb mit den bisherigen gesetzlichen Krankenkassen zu bestehen, wenn sie auch Kranke aufnimmt, wenn sie niemanden diskriminiert, wenn sie einkommensabhängige Prämien erhebt und sich am Finanzausgleich beteiligt. Dann wollen wir mal gucken, ob so jemand im Wettbewerb bestehen kann. Bei der FDP heißt Wettbewerb doch immer nur: Wir schützen unsere eigene Klientel, nämlich die PKV und andere, vor den Zumutungen des Wettbewerbs. Wir setzen sie dem Wettbewerb aus, einem fairen Wettbewerb um Qualität im Gesundheitswesen im Interesse der Patientinnen und Patienten. ({3})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Zu einer Kurzintervention erteile ich dem Kollegen Jens Spahn das Wort.

Jens Spahn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003638, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Zum Ersten, Frau Kollegin Bender, habe ich auf Ihrem Parteitag tatsächlich gelernt, dass die private Krankenversicherung einen Stand bei den Grünen hat - um sozusagen ihre eigene Abschaffung zu finanzieren; aber das ist ein eigenes Thema. ({0}) Ich finde es schon wichtig, die Mitbewerber und ihre Diskussionen - dabei geht es auch um die Frage, wie die Dinge diskutiert werden - in Bezug auf die Konzepte zu kennen. Das kann nicht schaden. Man lernt ja auch etwas dabei, wenn man den Diskussionen folgt. ({1}) Es ist ja so - ich sage es noch mal, Ihr Fraktionsvorsitzender hat es heute ja auch in einem Interview gesagt, und auch Sie haben gerade in Ihrer Argumentation darauf hingewiesen -, dass die angebliche Beitragssatzsenkung, die Sie den Menschen im Gegenzug dafür versprechen, dass Sie sozusagen alles verbeitragen und die Beitragsbemessungsgrenze heraufsetzen, zum allergrößten Teil - zu mehr als der Hälfte - aus der rechnerischen Hereinnahme der Privatversicherten finanziert wird. Sie wissen aber genauso gut wie ich und wie wir alle hier Sie wissen es nicht nur, Sie haben es sogar in Ihren Antrag geschrieben; da steht nämlich ausdrücklich drin, dass das nicht von heute auf morgen geht; Ihr Fraktionsvorsitzender hat das heute in einem Interview auch noch mal bestätigt -, dass das nicht geht. Das heißt, Ihr Versprechen, die Beiträge dramatisch zu senken und dafür dann die Beitragsbemessungsgrenze nur ein bisschen anzuheben, lässt sich von vorne bis hinten nicht durchhalten. Sie versprechen nämlich etwas, das sie aus verfassungsrechtlichen Gründen - zu Recht - gar nicht umsetzen können, nämlich die sofortige Abschaffung der privaten Krankenversicherung. Jetzt kokettieren Sie hier damit, dass Sie keine Wohlfühlpartei wären. Sie wären die Partei, die bereit sei, Ihre eigene Klientel - Sie sind ja die Partei mit den im Schnitt bestverdienenden Wählern - zu belasten. Wenn das so ist, dann frage ich mich, warum etwa der Kollege Kuhn auf ebenjenem Parteitag - das habe ich da ja mit verfolgen können - alles dafür getan hat, dass dieser Beschluss, auf 5 500 Euro zu gehen, nicht gefasst wird, sondern lieber bei einer Versicherungspflichtgrenze von knapp über 4 000 Euro zu bleiben. Man hatte nämlich die Sorge, dass es da zusätzliche Belastungen gibt. Ich frage mich zum Zweiten, warum es dann noch eine Kommission braucht, um sich der Konzepte zu vergewissern, die Sie sich für die Einkommensteuer, die Gewerbesteuer für Freiberufler, die Beitragsbemessungsgrenze, die Abschaffung des Ehegattensplittings ausgedacht haben. All diese schönen Dinge belasten ja gerade die Mittelschicht. Ich sage es noch einmal: Es geht nicht um die Reichen, es geht nicht um die Superreichen. Es geht um die Freiberufler, die Facharbeiter, all die, die viele Überstunden machen ({2}) und vieles in unserem Land tragen, was uns wichtig ist und was wir schätzen. Diese belasten Sie damit zusätzlich, und zwar massiv und ohne irgendeine Gegenleistung; denn eine Beitragssatzsenkung ist nichts anderes als Augenwischerei. Sie können sie schon aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht umsetzen. ({3})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Zur Erwiderung Frau Kollegin Bender.

Birgitt Bender (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003502, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Lieber Herr Kollege Spahn, zunächst einmal gilt: Geht nicht, gibt’s nicht. ({0}) Die Grünen sind vielmehr ehrgeizig und schauen, was geht. Selbstverständlich ist es möglich, auch die Privatversicherten einzubeziehen. Deutschland ist das einzige Land, das sich eine Vollkostenversicherung im Solidarsystem für 90 Prozent der Bevölkerung leistet, zugleich aber 10 Prozent der Bevölkerung, nämlich ausgerechnet den Gesündesten und im Allgemeinen auch Gutverdienenden, ermöglicht, in der PKV nur ihr eigenes Risiko abzusichern. ({1}) Das wollen wir ändern. Wenn man sich das Verfassungsrecht hinsichtlich der Stellung der Beamten anschaut, Herr Kollege Singhammer, wird man feststellen, dass der Bezug von Beihilfe nicht zum verfassungsrechtlich geschützten Alimentationsprinzip für Beamte gehört. Vielmehr ist das entscheidbar. ({2}) Genauso gut könnte der Dienstherr den Arbeitgeberbeitrag in einem Solidarsystem tragen. Wir wissen nun, dass es bei den Ländern die meisten Beamtinnen und Beamten gibt. Wenn wir dann im Bundesrat darüber reden werden, werden wir den Finanzministern mitteilen, dass die sofortige Einbeziehung aller Beamtinnen und Beamten in ein Solidarsystem für die Dienstherren einen unschätzbaren Vorteil hat: Durch den Wechsel vom Beihilfesystem zum Arbeitgeberbeitrag kann die öffentliche Hand nämlich 3,5 Milliarden Euro sparen. ({3}) Sie sehen, das ist gerade für die Länder, aber auch für den Bund und die Kommunen, insoweit sie Beamte beschäftigen, ausgesprochen attraktiv. ({4}) Für alle anderen würde die Beitragsbemessungsgrenze angehoben; wir sprachen schon darüber. Für die gut verdienenden Angestellten stellt das kein Problem dar, wenn man sich an den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit hält. Auch ein Teil der Selbstständigen ist ohnehin sehr daran interessiert, ins Solidarsystem zu kommen. Hier haben sich ja auch neue Schutzbedürfnisse entwickelt. Denken Sie etwa an die Soloselbstständigen mit relativ geringen Einkommen. Auch bezüglich der Selbstständigen, die gut verdienen, gibt es hier kein verfassungsrechtliches Problem. Das heißt, die Frage lautet: Will man den einheitlichen Versichertenmarkt? Will man ein Solidarsystem, das es allen Menschen in diesem Land ermöglicht, sich nach den gleichen Spielregeln zu versichern? Will man, dass sich die Gesundheitsversorgung im Krankheitsfalle nach dem Bedarf richtet und nicht nach der Art des Versicherungsschutzes?

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Kommen Sie bitte zum Schluss.

Birgitt Bender (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003502, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Das ist unser Ziel. Sie müssen begründen, warum Sie sich diesem Ziel nicht stellen wollen. Das müssen Sie den derzeit gesetzlich Versicherten erklären; denn diese haben geringere Einkommen und höhere Krankheitsstände und würden durch die Bürgerversicherung entlastet. ({0})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat der Kollege Willi Zylajew von der CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Willi Zylajew (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003664, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Herr Minister! Meine Damen und Herren! Schwerpunkt im Haushaltsjahr 2011 wird der Bereich der Weiterentwicklung der Pflegeversicherung sein. Wir alle wissen: Die Blüm’sche Pflegeversicherung hat sich bewährt, ({0}) steht aber ganz eindeutig, Frau Kollegin Ferner, vor neuen Herausforderungen. ({1}) Vieles ist auch gut geregelt. Ich denke dabei an die Dynamisierung der Leistungen. Dies bedarf der Fortsetzung. Ich denke auch an den neuen Pflegebegriff. Die Maßnahmen, die daraus resultieren, bedürfen eindeutig der Umsetzung. Was Herr Dr. Gohde, die Kommission und die Experten im Pflegebereich erarbeitet haben, wird die Koalition umsetzen. Die solidarische Pflegeversicherung bedarf aber auch deswegen einer Weiterentwicklung, weil wir im stärkeren Maße Hilfen für demente Frauen und Männer anbieten müssen. Das ist eine Entwicklung, der wir uns schon während der Zeit der vorherigen Koalition in ersten Schritten gestellt haben. Wir müssen dabei abschöpfen, was die Wissenschaft und die Praxis an Leistungserwartungen formulieren. Wir setzen hier sehr stark auf Professor Nicotera, der das Demenzzentrum in Bonn leitet. Dies ist für uns eine weitere Säule, auf die wir uns in Zukunft stützen können. Ich danke an dieser Stelle ausdrücklich der Ministerin Annette Schavan, die zur Förderung der Versorgungsforschung im Demenzbereich Forschungsmittel bereitgestellt hat. Das ist nach unserer Auffassung hilfreich und wichtig. Die Leistungsseite haben wir im Rahmen der letzten Pflegereform ein Stück weit entwickelt. Gemeinsam mit den Kolleginnen und Kollegen der SPD haben wir eine finanzielle Hilfe im Bereich der ambulanten Versorgung für Demenzkranke erreicht. Leider gegen Ihren Widerstand, Frau Mattheis, mussten wir die stationäre Versorgung in diesem Bereich durchsetzen. Diese Leistung wird im ganzen Land als unendlich hilfreich angesehen. An dieser Handlungslinie werden wir uns auch weiterhin orientieren. Auf der Tagesordnung steht natürlich auch die Ausbildung. Die Pflegeberufe verlangen eine hohe fachliche Kompetenz, fundiertes Wissen, solide Fähigkeiten, extreme Belastbarkeit und Liebe zum Mitmenschen. Wir müssen sehen, dass wir hier Anforderungen haben, die Herz und Verstand in gleicher Weise belasten. Das Image der Pflegeberufe ist sehr verbesserungsbedürftig. Auch diesbezüglich, Herr Minister, werden wir im nächsten Jahr zu konkreten Handlungsmaßnahmen kommen. Ich will Ihnen, Herr Rösler, ausdrücklich dafür danken, dass Sie am 7. Dezember die Verbände zu diesem Thema eingeladen haben. Eine Bund-Länder-Arbeitsgemeinschaft besteht bereits. Es wäre schön, wenn die Ländervertreter aller Parteien konkret mitarbeiten würden. Der Mindestlohn für Pflegehilfskräfte ist eine Initiative der Arbeitnehmergruppe der CDU/CSU-Fraktion. ({2}) - Frau Kollegin Mattheis, ich kann Ihnen gerne das Schreiben zeigen, das wir in dieser Sache an die Bischöfe gesandt haben. Wenn Sie ein ähnliches Schreiben parat haben, wäre ich begeistert. - Aus unserer Sicht haben wir mit diesem Mindestlohn für Pflegehilfskräfte denjenigen Pflegekassen einen Riegel vorgeschoben, die in vielen Pflegesatzverhandlungen Preis- und Lohndumping betreiben. Es ist schon interessant, dass sich die Damen und Herren der AOK in den Pflegesatzverhandlungen immer dann in die erste Reihe stellen, wenn es darum geht, die Preise zu drücken. ({3}) Das ist schlichtweg unanständig. ({4}) Beim Pflege-TÜV müssen wir zu Verbesserungen kommen, und zwar zeitnah. Der Kollege Zöller hat hier richtigerweise gesagt: Wenn die Leistungserbringer und die Pflegekassen nicht handeln, dann wird die Politik handeln. - Die Verbraucher, die Betroffenen und ihre Angehörigen sind auf ehrliche Informationen angewiesen. Was wir an Gezeter zurzeit zwischen MDS und den Trägereinrichtungen erleben, ist nicht in Ordnung. Ehrliche Hilfe brauchen wir auch eindeutig bei der Familienpflegezeit. Ministerin Schröder hat hier ein Konzept entwickelt, das wir zu beraten haben. Die Familienpflegezeit ist geradezu ideal, um Beruf und Pflege miteinander zu verbinden. Viele Menschen wollen dies. Ich bin sicher, sie werden dieses Angebot auch nutzen. ({5}) Dies ist aus unserer Sicht ein weiteres Element zur Stärkung der ambulanten Versorgungsstrukturen. Hier brauchen wir Ideenreichtum. Wir müssen in den kommenden Jahren weitere, neue, ergänzende und akzeptierte Angebote - Jens Spahn hat es eben formuliert - für den Bereich zwischen der ambulanten Versorgung, die wir heute haben, und der stationären Versorgung finden. Hierbei sind die Kommunen gefordert. Gute Lösungen wie betreutes Wohnen und komplementäre Dienste sind Angebote, die nur in den Dörfern und Ortschaften, in den Stadtteilen und Wohnquartieren entstehen können. Dies verlangt jedoch neues Denken, mit Sicherheit auch neues Geld. ({6}) - Richtig, das Thema Kommunalfinanzen, Frau Kollegin. - Der Kämmerer meines Heimatkreises, Walter Weitfeld, würde jetzt fragen: Und wo kommt das Geld her? - Dafür haben wir ein Stück weit Verantwortung zu tragen. Wir sind der Auffassung, dass wir gerade aus diesem Grund, weil wir neues Denken und neues Geld brauchen, nicht sagen können: „Kommunen, das müsst ihr irgendwie schultern, da müsst ihr irgendwie zurechtkommen!“, sondern wir müssen akzeptieren, dass wir mehr Geld in der Pflege brauchen, insbesondere wenn die Jahrgänge 1949 bis 1969 Leistungen in Anspruch nehmen. Diese Mitbürgerinnen und Mitbürger erwarten Leistungen für 50 Jahre. Das ist mit der jetzigen Finanzierungsstruktur nicht hinzubringen. Von daher ist der Aufbau einer Demografiereserve notwendig, den wir ja im Übrigen mit der SPD in der Großen Koalition vereinbart hatten. Letztendlich ist dieser Aufbau an zweit- und drittrangigen politischen Zänkereien gescheitert. Ihre Bereitschaft, diesen Weg mit uns zu gehen, war da. ({7}) - Frau Ferner! Dass wir das jetzt mit dem neuen Koalitionspartner angehen, ist nur selbstverständlich. Wir brauchen diese Demografiereserve deshalb, damit wir auch den jungen Menschen sagen können, dass auch sie eine Chance haben, dann, wenn sie Leistungen aus der Pflegeversicherung beziehen müssen, diese Leistungen zu bekommen. Dass wir auch ein Stück private Vorsorge verlangen, ist doch nicht mehr als logisch. Eines verstehe ich bei den Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten nicht: dass eine private Vorsorge im Bereich der Rente, noch dazu, wenn man sie mit dem Namen Riester verbindet, in Ordnung ist, jedoch eine Vorsorge im Bereich der Pflege - eine wichtige Herausforderung - dann böse sein soll. ({8}) Ich sage Ihnen, meine Damen und Herren: Die Menschen im Land können sich darauf verlassen, dass wir mit dem Koalitionspartner FDP, mit dem wir die Pflegeversicherung eingeführt haben, diese auch ordentlich fortentwickeln wollen. Wenn Sie das Zeug dazu haben, dann leisten Sie Ihren Beitrag. Sehen wir, dass wir zu guten Entwicklungen kommen. ({9})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat Kollege Dr. Karl Lauterbach von der SPD-Fraktion.

Prof. Dr. Karl Lauterbach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003797, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Zunächst möchte ich den Grünen ein Kompliment und auch Glückwünsche aussprechen. Wir können gönnen. Wir sind froh, dass Sie auf dem Parteitag das Konzept der Bürgerversicherung beschlossen haben. ({0}) Über Details kann man streiten. Ich glaube, das Konzept ist noch nicht ganz rund, aber klar ist: Das Ziel ist, eine qualitativ hochwertige Versorgung für alle in einem wettbewerblichen Rahmen darzustellen. Das ist ein nobles Ziel, welches SPD und Grüne vereint. Von daher kein Neid, sondern Glückwunsch auch an dieser Stelle von uns im Namen meiner Partei. ({1}) - Wir haben überhaupt keine Not. - Damit dürfte auch klar sein, um mit den Worten von Bundeskanzlerin Merkel zu sprechen, dass schwarz-grüne Koalitionsideen nichts anderes als Hirngespinste sind, Herr Spahn. Da können Sie zum Parteitag der Grünen anreisen, so oft Sie wollen: So wird es sich nicht entwickeln. Sie werden an den untergehenden Koalitionspartner FDP gebunden bleiben. Das wird Ihren Untergang bei der nächsten Bundestagswahl besiegeln. ({2}) - Es wird bei der nächsten Bundestagswahl zusammen mit der FDP nicht mehr reichen; das wissen Sie genau. Daher dienen Sie sich jetzt den Grünen an, allerdings erfolglos, denn es steht einfach zu viel dazwischen. Bevor ich noch einmal etwas zum Konzept der Grünen sage, will ich eine Bilanz ziehen und auf jemanden zu sprechen kommen, der in Debatten dieser Art immer wieder allzu schnell in Vergessenheit gerät: auf den Minister Rösler selbst. ({3}) Wir dürfen nicht vergessen: Es geht hier heute um seinen Haushalt. Es ist heute wie so oft der Fall, dass am wenigsten über ihn gesprochen wird. Ich will ihm aber diese Ehre antun. ({4}) Daher werde ich, bevor ich auf die Grünen zu sprechen komme, versuchen, einen Kassensturz zu machen, eine Bilanz zu ziehen: Was ist dem Minister in seinem ersten Amtsjahr gelungen? Er hat, ausgehend von einem Überschuss in der gesetzlichen Krankenversicherung, ein Defizit - fast 10 Milliarden Euro wird es im nächsten Jahr betragen - produziert, und das, obwohl der Arbeitsmarkt brummt. ({5}) Das war eine Leistung, die wir in dieser Form noch nie gesehen haben: trotz besserer Arbeitsmarktlage ein Defizit von 10 Milliarden Euro in der gesetzlichen Krankenversicherung. Der Minister rühmt sich auch noch mit diesem Defizit, indem er damit seine nächsten Reformen begründet. Diesen Mut muss man erst einmal haben. Herr Minister, mein Respekt! ({6}) Wieso ist es dazu gekommen? Frau Flach, wir haben in diesem Jahr keine einzige Maßnahme zur Kostendämpfung gesehen. ({7}) Welche Strukturreformen haben wir gesehen? Haben wir etwas im Bereich der Vorbeugung gesehen? Nichts. Haben wir irgendeine Maßnahme zur Qualitätsverbesserung gesehen? Wir haben nichts gesehen. Gab es Maßnahmen, mit denen die Krankenhaushygiene verbessert worden wäre? Wir haben nichts gesehen. ({8}) Ist etwas zum Thema Patientensicherheit gekommen? Wir haben vom Minister nichts gesehen. ({9}) Könnte man irgendwelche Maßnahmen zur Beseitigung des Ärztemangels nennen? Wir haben auch dort nichts gesehen. Gibt es Maßnahmen zur Bekämpfung der Krankenhausinfektionen? Nirgendwo hat es einen einzigen Versuch gegeben. Wir haben von dieser Koalition und von diesem Minister innerhalb von einem Jahr schlicht und ergreifend überhaupt keine Qualitäts- und Strukturreformen gesehen, nicht einmal einen einzigen Vorschlag. ({10}) Das ist ein Totalversagen auf der ganzen Linie. ({11}) Was haben wir im Bereich der Ausbildung der Mediziner gesehen? Auch nichts. ({12}) Es wurde weder für die Klinik noch sonst für die Medizinerausbildung etwas getan. Der einzige konkrete Vorschlag war, die Abiturvoraussetzungen für die zukünftigen Hausärzte herabzusetzen. Das war, ehrlich gesagt, ein lächerlicher Vorschlag, der dann auch eingesargt wurde. Ansonsten ist auch bei diesem Belang nichts gekommen. Wir haben keinen Vorschlag zum Abbau der Zweiklassenmedizin gesehen. Daraus ist Ihnen kein Vorwurf zu machen - hierzu hätte niemand etwas vom Minister erwartet -; denn die FDP hält es für richtig, dass es eine Zweiklassenmedizin gibt, dass die Menschen so behandelt werden, wie sie es bezahlen können. Hier trifft man auf die ideologische Festigkeit der FDP. Insofern ist Ihnen hier kein Vorwurf zu machen. Wir haben eine Finanzreform gesehen, bei der die Priorität auf der Arbeitgeberentlastung lag, auf Kosten der Rentner und der Geringverdiener. Das Motto der Reform war: Die Arbeitgeber sollen leben, die Arbeitnehmer und Rentner sollen geben. Aber eine solche Reform brauchen wir nicht. Das Land hat eine bessere Reform verdient. ({13}) Das Gesamtgesetzeswerk passt zur Regierungspolitik von Angela Merkel. Es ist eine Regierungspolitik, die das Land spaltet, eine Spaltungspolitik. Sie hetzt die Arbeitgeber gegen die Arbeitnehmer auf, die Rentner gegen die Beschäftigten. Die Gesellschaft wird dadurch im Prinzip in Einkommensstarke und Einkommensschwache aufgespalten. Das hat zur sozialen Kälte in diesem Land beigetragen. ({14}) Insofern ist der Minister aus der Perspektive der schwarz-gelben Regierung eine ideale Besetzung: Er setzt die durch die schwarz-gelbe Regierungspolitik vorangetriebene Spaltung der Gesellschaft, die wir derzeit beobachten, in perfekter Art und Weise um. Dazu passen auch die neuen Vorschläge: Vorkasse, Mehrzahlung bei Generika, Stärkung der PKV, Kopfpauschale mit einem Minisozialausgleich. All das sind Spaltungsvorschläge. Wir haben es hier mit einer Regierung zu tun, die selbst im Bereich der Gesundheit eine Spaltungspolitik betreibt. ({15}) Die Bereiche Bildung und Gesundheit waren bisher eigentlich immer davon ausgenommen; das gab es nur im Bereich der Steuerpolitik. Für eine solche Spaltungspolitik ist sich der Minister auch als Arzt nicht zu schade. ({16}) Zum Abschluss noch etwas zu dem Pflegekonzept. Herr Zylajew hat neun Minuten darüber gesprochen, ohne ein einziges konkretes Wort zu sagen. Ich kann Ih8038 nen aber sagen, worauf das hinauslaufen wird: Es wird einen weiteren Bonus für die Arbeitgeberbank geben. Ich rechne damit, dass die Arbeitgeberbeteiligung nicht ausgedehnt wird. ({17}) Es wird zu einer zusätzlichen Pauschale kommen. Am Schluss wird es einen Kapitalstock für die PKV geben. Das wird ein weiteres Geschenk der Klientelpolitik der FDP sein. Dann können Sie von der Union in persönlichen Erklärungen mitteilen, dass wir das alles missverstehen. Der Wähler wird sich aber an meine Worte erinnern. Er wird das besser verstehen, als Sie sich das wünschen. Der Wähler wird Ihnen dafür am Schluss die Praxisquittung geben. Vielen Dank. ({18})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat der Kollege Heinz Lanfermann von der FDP-Fraktion. ({0})

Heinz Lanfermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002717, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! In der Tat haben die letzten Wochen gezeigt, dass dieses Land in der Gesundheitspolitik vor entscheidenden Weichenstellungen steht. Wir sehen zwei Seiten: Auf der einen Seite sehen wir eine Regierung und eine Koalition, die in den letzten Wochen entscheidende neue Gesetze durch den Bundestag gebracht haben. ({0}) Wir haben sowohl etwas für die Sicherung der Arbeitsplätze als auch für die Krankenkassen getan, die einen Teil ihrer Finanzautonomie zurückbekommen. Wir eröffnen den Wettbewerb, und zwar nicht nur auf dem Gebiet der Versorgung, sondern auch bezogen auf den Preis und die Frage, wie Versorgung organisiert wird. Wir haben einen großen Durchbruch erzielt, der jahrzehntelang nicht erreicht wurde, insbesondere nicht von denen, die hier am lautesten herummäkeln: Wir haben keine einseitig festgesetzten Preise für Pharmaprodukte mehr. Da wir ein Riesendefizit vorgefunden haben, gibt es eine Regelung für die Übergangszeit. Das ist Folge der Bilanz von Frau Schmidt. Die Bilanz ist der Istzustand. Zum Istzustand gehört, dass festgelegt wird, wie viel Geld die Krankenkassen aus dem Gesundheitsfonds bekommen. Zum Istzustand gehört aber auch, dass man feststellt, dass ihre Ausgaben im folgenden Jahr um 11 Milliarden Euro über dem liegen, was ihnen vom Gesundheitsfonds, noch von der vorigen Regierung beschlossen, zur Verfügung steht. So einfach ist das zu rechnen. ({1}) Auch an den Stellen, bei denen es um freiwillige Entscheidungen geht, an denen es darum geht, den Menschen mehr Rechte einzuräumen, sind wir aktiv geworden. Das gilt zum Beispiel, wenn sie ein Arzneimittel weiterhin nutzen und sich nicht sozusagen ihrer Krankenkasse unterwerfen wollen, die aus guten wirtschaftlichen Gründen - vielleicht infolge von Rabattverträgen ein anderes Mittel empfiehlt. Sie können und dürfen dieses Medikament gegen eine kleine Zuzahlung weiter nutzen, wenn sie es denn wollen. Sie gehören zu denen, die den Menschen sogar das verbieten wollen. Das ist der Unterschied zwischen uns in der Behandlung der Bürger und der Versicherten. Schlimm ist, dass die Opposition versucht, mit Wortverdrehungen und reinen Spekulationen Stimmung zu machen. Kaufen Sie sich doch einmal einen Duden - vielleicht genügt Ihnen auch Wikipedia -; da wird klar und deutlich erklärt, was Vorkasse bedeutet: dass man eine Leistung bezahlt, bevor sie erbracht wird. Das gibt es hier nicht, und das wird es nicht geben. Nur Sie behaupten das. Damit wollen Sie die Menschen hinters Licht führen. ({2}) Genauso ist das mit dem Begriff der Kopfpauschale, der von dem Begriff der Kopfsteuer, der aus der Zeit von Maggie Thatcher stammt, abgeleitet wird. Das bedeutet doch, dass für jeden Bürger genau derselbe Betrag veranschlagt wird. ({3}) Wenn jede Krankenkasse das Recht hat, zu entscheiden, ob sie gar keinen Zusatzbeitrag erheben will, ob sie sogar etwas auszahlen will, weil sie gut gewirtschaftet hat, oder ob sie einen Betrag erheben will - die Höhe kann ganz unterschiedlich sein -, dann können Sie den Bürgern doch nicht erzählen, dass das eine Kopfpauschale ist. Was ist das für ein intellektuelles Niveau? Das ist so ein Unsinn! Damit werden Sie natürlich scheitern. ({4}) Die Grünen haben auf ihrem Parteitag versucht, ein Konzept zu entwickeln. Ich muss Ihnen dazu ganz ehrlich Folgendes sagen: Wenn man sich diese 15 Seiten hier anschaut, stellt man fest, dass 12 Seiten grüne Lyrik sind. ({5}) - Ich werfe es ja nicht weg; keine Angst. - Dann kommen einige Aussagen, die in der Tat sehr verwirrend sind. Hier ist dazu ja schon einiges gesagt worden. Erklären Sie doch einmal das mit den Mieteinnahmen! Das finde ich ganz spannend. Sie sagen: Mieteinnahmen und Gewinne auf anderen Gebieten. Mieten also brutto? ({6}) - Nein? Dann schreiben Sie es doch hinein! Hier steht „Mieteinnahmen“. ({7}) Das ist Schlampigkeit. So fassen Sie Ihre Beschlüsse. Meine Damen und Herren von den Grünen, der Herr Lauterbach hat Ihnen hier ein kleines Kompliment gebracht. Das hat mich richtig gewundert. Denn noch gestern hat er in der taz einen Artikel geschrieben, in dem genau steht, was bei Ihnen alles falsch ist. ({8}) Er hat geschrieben, dass die Zwangseinbeziehung der PKV-Versicherten rechtlich so gar nicht geht. Da hat er natürlich recht. Die Nivellierung der Honorare nach unten ist politisch falsch und nicht durchzusetzen, sagt er. ({9}) Sie wollen ja allein bei den Ärzten 3,6 Milliarden Euro einsparen. Viel Vergnügen bei der ärztlichen Versorgung im ländlichen Bereich, Frau Bender! Dann haben Sie überhaupt Einsparungen vor. Es ist doch eine reine Verdummteufelung, wenn Sie sagen, Sie könnten den Beitragssatz senken, ({10}) weil Sie die Beiträge auf eine breitere Basis stellen. Sie wollen alle Zuzahlungen wegfallen lassen. Das sind fast 5 Milliarden Euro. Das soll beim Zahnersatz ja wohl auch der Fall sein. Das wären noch einmal anderthalb Milliarden Euro. Sie wollen den mitgliederbezogenen Anteil abschaffen. Also, entweder schaffen Sie ihn ganz ab - dann brauchen Sie 9,5 Milliarden Euro -, oder Sie teilen ihn wieder zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern auf; dann sind es mindestens 4,75 Milliarden Euro, und der Herr Hundt freut sich, dass bei der Wirtschaft noch einmal 4,75 Milliarden Euro ankommen, bei den Beiträgen, die ja nach wie vor vom Lohn abgezogen werden. ({11}) Sie glauben doch nicht im Ernst, dass Sie in der Lage wären, den Beitragssatz zu senken, wenn Sie solche Defizite ausgleichen müssten! Dass Sie falsch gerechnet haben, gerade wegen der PKV-Versicherten, hat Ihnen der Kollege Spahn schon erzählt. ({12}) Ein letztes Wort! Herr Zylajew hat ja schon viele Einzelheiten aufgeführt. 2011 wird das Jahr der Pflege. Der Minister hat es angekündigt. Eines will ich gleich sagen: Schon wieder arbeitet die Opposition mit falschen Behauptungen. Sie sprechen vom Arbeitgeberanteil. Sie wissen ganz genau: Den Arbeitgeberanteil gibt es nur deswegen, weil ein Feiertag abgeschafft worden ist. Das heißt, der Arbeitgeberanteil ist durch Leistungen der Arbeitnehmer bereits ausgeglichen. Die Pflegeversicherung ist eine höchstpersönliche Angelegenheit, eine Menschen-, eine Bürger- und in dem Sinne auch eine Arbeitnehmerversicherung. ({13}) - Jetzt bauen Sie hier keinen Popanz auf! - Es ist auch richtig, dass diejenigen, die für sich selbst, für ihre Generation für die Zukunft vorsorgen müssen, etwas zurücklegen. Wir sagen den Bürgern auch, dass man mal Konsumverzicht üben muss. ({14}) Wir sind da ehrlich und versprechen nicht das Blaue vom Himmel. ({15}) Man muss auch mal sparen und zurücklegen. Dafür ist die Kapitalrückstellung das richtige Instrument. So werden wir es im nächsten Jahr auf den Weg bringen. Sie werden es erleben. Die Reformen gehen weiter, und ich freue mich auf neue Diskussionen. Danke schön. ({16})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat die Kollegin Bärbel Bas von der SPDFraktion. ({0})

Bärbel Bas (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004006, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Da weiß man ja gar nicht, wo man ansetzen soll, wenn man immer diese großen Ankündigungen hört, auch hier im Arzneimittelbereich, und letztlich nur minimale Ergebnisse herauskommen. ({0}) - Ja, eben. - Ich erinnere Sie, Frau Flach, einmal daran: Sie haben vor ein paar Monaten hier noch gesagt - das können Sie im Protokoll nachlesen -, dass die Pharmaindustrie mit 4 Milliarden Euro herangezogen wird. ({1}) - Aber Sie haben das für 2011 gesagt. ({2}) Nicht einmal hier halten Sie Ihre Versprechungen. Nicht einmal hier minimale Ergebnisse! Ob in 2012 Ihre Sparideen so umgesetzt werden, werden wir noch erleben. ({3}) - Ja, das glaube ich, dass Sie sich darauf freuen. - Letztlich sind das Luftbuchungen, von denen Sie wirklich hoffen, dass sie 2012 zu einem Ergebnis führen. ({4}) Dass Ihre Politik verfehlt ist, das kann man auch beim Thema „Prävention und Aufklärung“ sehen. Der Kollege Karl ist, glaube ich, schon weg. ({5}) - Der macht jetzt schon Prävention, ja. - Er hat im September gesagt - an dem Beispiel kann man das auch gut sehen -, was er von Aufklärung über Gefahren von HIV und Aids hält. Er hat das nämlich als „Aktionismus“ bezeichnet, den man unterbinden muss. An Ihren Kürzungen kann man sehen, dass das Ihre politische Auffassung ist. Wir müssen über HIV und Aids aufklären und insbesondere die osteuropäischen Länder dabei unterstützen. Sie sagen dazu jedoch deutlich: Das ist Aktionismus, der zu unterbinden ist. - Ich nenne das Prävention. Diese Länder können das nicht alleine leisten, ({6}) und HIV/Aids - das sollten Sie wissen - macht nicht an Landesgrenzen halt. Ihre politische Auffassung wird an dieser Stelle deutlich. Bei Ihrer Politik machen Sie uns immer vollmundige Ankündigungen. Ich nehme jetzt einmal Herrn Singhammer - er ist, Gott sei Dank, noch da - als Beispiel. ({7}) Sie haben bei Ihrer Vorstellung des Haushalts im September dieses Jahres angeführt, dass insbesondere die Hausarztverträge eines besonderen Vertrauensschutzes bedürfen. ({8}) Da gebe ich Ihnen vollkommen recht. Es gibt sie erst seit zwei Jahren, dennoch brauchen sie nach Ihrer Ansicht Vertrauensschutz. Die Hausärzte brauchen in der Tat Schutz, aber vor Ihnen und Ihren Sparideen. ({9}) Schauen wir uns § 73 b SGB V einmal an! Diesen haben wir, wenn ich das richtig gesehen habe, gemeinsam eingeführt. Dies geschah mit dem festen Willen, die hausarztzentrierte Versorgung zu stützen. Denn wenn wir wollen, dass es auch in der Fläche oder in sozial schwachen Stadtteilen demnächst noch eine medizinische Versorgung gibt, dann sind die Hausarztverträge in der Tat ein wichtiges Mittel. Das Problem ist: Sie reden nur davon, sie zu stützen; im Übrigen legen Sie die Hände in den Schoß. Wie kann es sonst sein, dass Ihr Minister, Herr Rösler, letztendlich sagt, dass die Hausarztverträge auf kaltem Wege eingestampft werden? ({10}) Das Einzige, was Sie erreicht haben, ist ein Bestandsschutz für Ihre Verträge in Bayern und Baden-Württemberg. ({11}) Man kann Ihnen wirklich dazu gratulieren. Ob es in den übrigen Teilen der Republik noch Hausarztverträge gibt, ist Ihnen völlig egal. Das ist Ihre Politik. Das nenne ich Klientelpolitik. ({12}) - Das musste genannt werden; das sieht man auch bei meinem nächsten Punkt. Sie haben einen Steuerzuschuss von 2 Milliarden Euro in den Gesundheitsfonds gegeben. Dazu sagt Herr Rösler: Das ist zum Ausgleich des Defizites, aber auch für den steuerfinanzierten Sozialausgleich. Dieser findet 2011 nicht statt, weil das Bundesversicherungsamt ausgerechnet hat, dass wir ihn bundesweit nicht brauchen; trotzdem werden wir eine Menge Geld für Bürokratie verschwenden, weil die Kassen jetzt alles vorbereiten müssen, zum Beispiel müssen Meldungen erstellt werden. Hier wird viel verschwendet, obwohl Sie als FDP immer für Bürokratieabbau sind. Auch da läuft etwas falsch. ({13}) Irgendwann 2012 wird es dann einen Sozialausgleich geben. Dafür haben Sie noch gar keine finanziellen Mittel. Ich bin auf die Diskussion mit Ihrem Finanzminister gespannt. Wenn das nicht kommt, ist der Sozialausgleich überhaupt nicht mehr gerecht. Denn dann wird er aus dem Gesundheitsfonds finanziert werden. ({14}) Dann werden Beitragsgelder für Ihren Sozialausgleich verwandt. Wir werden auch die zusätzlichen Bürokratiekosten für die Kopfpauschale, die ausgeweitet werden muss, weil sonst die Mittel fehlen, tragen müssen. Das werden wir Ihnen, wenn es sein muss, noch ausrechnen. Sie waren in der Anhörung hoffentlich anwesend, als die Arbeitgeberverbände deutlich gesagt haben, wie hoch der Bürokratieaufwand dafür ist. ({15}) Wir fragen in der Tat: Wie wollen Sie eine Entlastung der Beitragszahler erreichen? Wir haben festgestellt, dass Sie über die Beitragssatzerhöhung jetzt 6 Milliarden Euro einfordern. Damit stopfen Sie dann den größten Teil des Defizits in Höhe von 9 Milliarden Euro. Von den Leistungserbringern wollten Sie ursprünglich 5 Milliarden Euro einfordern. ({16}) Nach Ihren Zahlen sind jetzt 3 Milliarden Euro übrig geblieben. Statt darüber nachzudenken, die Beitragserhöhung für alle etwas zu reduzieren - auf diese Idee sind Sie wahrscheinlich überhaupt nicht gekommen -, haben Sie jetzt schnell die 2 Milliarden Euro Beitragseinnahmen über die Leistungserbringer ausgeschüttet. Die Beitragszahler dürfen das jetzt mittragen. Das Schlimme ist: Wenn Ihre Sparziele von 3 Milliarden Euro im nächsten Jahr nicht umgesetzt werden, werden wir erleben, dass die Beitragszahler wieder geschröpft werden. Dann dürfen sie das auffangen, was Sie an Sparideen verfehlt haben, und müssen ab 2012 eine höhere Kopfpauschale völlig alleine, ohne die Arbeitgeber, finanzieren. Das, meine Damen und Herren von der Koalition, nenne ich nicht gerecht. Sie sollten das Wort „gerecht“ für Ihre Reform nicht in den Mund nehmen. Schönen Dank. ({17})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat der Kollege Lothar Riebsamen von der CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Lothar Riebsamen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004135, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Der Gesundheitshaushalt des Bundes für das Jahr 2011 ist Ausdruck und Ergebnis der intensiven und erfolgreichen Arbeit der christlich-liberalen Koalition im Jahr 2010. Wir haben die Weichen gestellt: für eine zukunftsorientierte Versorgung auf hohem Niveau in einer älter werdenden Gesellschaft. Wir tun, was wichtig ist, um unser Land fit zu halten und fit zu machen. Darauf können wir auch ein Stück weit stolz sein. Was haben Bündnis 90/Die Grünen auf ihrem Bundesparteitag am vergangenen Wochenende gemacht? ({0}) - Ja, nächstes Mal komme ich vielleicht. - Sie setzen auf eine rückwärtsgewandte Politik ({1}) und wollen die Mittelschicht, die in unserem Staat, in unserer Gesellschaft den Karren zieht und schon jetzt die meisten Steuern zahlt, weiter schröpfen. ({2}) Das wird es mit CDU/CSU und FDP im kommenden Jahr, im Haushaltsjahr 2011, nicht geben. ({3}) Gott sei Dank tragen wir auch im nächsten Jahr und in den folgenden Jahren die Verantwortung für die Gesundheitspolitik in diesem Land. ({4}) Wir haben die richtigen Weichen gestellt, auf der Ausgabenseite wie auf der Einnahmeseite, im kurzfristigen Bereich, weil es notwendig war, einen Abmangel von 9 Milliarden Euro ausgeglichen, ebenso wie im langfristigen Bereich, wo es um die Strukturen ging. Erstmals haben wir das Preismonopol der Pharmaindustrie gebrochen - zukünftig gibt es Verhandlungen zwischen dem Anbieter und dem Abnehmer -, wir haben den Zwangsrabatt auf 16 Prozent festgesetzt, und wir haben für mehr Transparenz und mehr Wettbewerb im System gesorgt. Auf der Einnahmeseite haben wir die Beitragssätze auf das Niveau von vor der Krise angehoben. Auf der Arbeitgeberseite haben wir sie festgeschrieben, um in diesem Land auch zukünftig Arbeitsplätze zu sichern und weitere Arbeitsplätze zu schaffen. ({5}) Darüber hinaus haben wir die Zusatzbeiträge durch einen sozialen Ausgleich, den es in der Vergangenheit nicht gab, gerechter gestaltet. Solidarität gab bzw. gibt es im bisherigen System nur zwischen Klein- und Mittelverdienern. Wir sorgen über den Sozialausgleich bei den Zusatzbeiträgen dafür, dass auch die großen Einkommen und die Kapitalgesellschaften ihren Beitrag leisten, um dieses System sozialer zu machen. ({6}) Demgegenüber setzten die Grünen auf ihrem Bundesparteitag auf eine Erhöhung von Steuern und Abgaben, gerade für mittlere Einkommen. Das ist eine Katastrophe und würde gleich in mehrerlei Hinsicht zu einer Verschlechterung führen. Sie wollen die Beitragsbemessungsgrenze auf 5 500 Euro anheben. Auf die Leistungsträger, also auf diejenigen, die in diesem Land sprichwörtlich den Karren ziehen, wird weiter eingeschlagen. Es ist ein Skandal, dass Sie, was die Qualität anbelangt, eine Nivellierung nach unten anstreben und den Wettbewerb einschränken wollen. Sollten diese Vorschläge je umgesetzt werden, würde unser Gesundheitssystem schlechter und teurer. Das wird allerdings mit Sicherheit nicht geschehen. Ihre Beschlüsse werden Gott sei Dank graue Theorie bleiben. Außerdem wollen Sie die beitragsfreie Mitversicherung und das Ehegattensplitting abschaffen. Auch dies ist ein Angriff auf den Mittelstand. ({7}) Gleichzeitig ist das aber auch ein Angriff auf die Familien in unserem Land. ({8}) Sie wollen die Krankenkassen zu einem zweiten Finanzamt ausbauen. Denn Sie wollen, dass auf alle Einkunftsarten Beiträge gezahlt werden, auch auf Miet-, Pacht- und Zinseneinnahmen. Dazu kann ich nur sagen: Das wäre Bürokratie pur. ({9}) Darüber hinaus wollen Sie den Spitzensteuersatz erhöhen; auch dies müsste letztlich der Mittelstand finanzieren. ({10}) Wir lassen uns nicht beirren. ({11}) Wir werden unser Gesundheitssystem auch im Jahr 2011 im positiven Sinne fortentwickeln. Ein sehr wichtiges Projekt im Jahr 2011 wird die Weiterentwicklung der Pflegeversicherung sein. Die Einführung der Pflegeversicherung 1995 war ein Segen für die Menschen in unserem Land. Wenn man in ein Pflegeheim gekommen ist, wurde man quasi von heute auf morgen zum Taschengeldempfänger, weil die Rente nicht ausgereicht hat, um circa 3 000 Mark im Monat zu bezahlen. Dies war außerdem ein Segen für die Sozialhilfeträger, für die Kreise und für die Kommunen in unserem Land, ({12}) weil dies schlicht und ergreifend mehrere Punkte an der Kreisumlage ausgemacht hat. Mit der Einführung der Pflegeversicherung haben wir auch etwas für unsere Kommunen und für die Landkreise getan. ({13}) Sie haben wenige Jahre später die Grundsicherung mit dem Versprechen eingeführt, dass dies für die Städte und Gemeinden kostenneutral sei. Genau diese Grundsicherung ist heute eines der größten Probleme auf der Ausgabenseite der Landkreise. ({14}) Wir werden dafür sorgen müssen, dass dieser Ausgleich herbeigeführt wird. Sie haben das versprochen und haben dieses Versprechen nicht gehalten. ({15}) Weiterhin wird es notwendig sein, die Pflegeversicherung auf ein zweites, ein kapitalgestütztes Standbein zu stellen. Wir haben durch die Riester-Rente eine Blaupause in der Rentenversicherung. In gleicher Weise werden wir Lösungen für die Pflegeversicherung finden, um auch sie zukunftsfest zu machen. Dazu, dieses System zukunftsfest zu machen, gehört auch der Krankenhaussektor. Wir haben heute in der Presse gelesen, dass das Statistische Bundesamt davon ausgeht, dass die Zahl der über 60-Jährigen bis zum Jahr 2050 um 40 Prozent zunehmen wird. Bei den über 80-Jährigen ist es noch deutlich mehr. Das Statistische Bundesamt rechnet hoch, dass dadurch die Fallzahlen in den Krankenhäusern von 17,9 Millionen auf 19,3 Millionen im Jahr 2030 ansteigen werden. Das ist vermutlich richtig gerechnet. Wir werden aber dafür sorgen, dass diese horrende Steigerung der Fallzahlen durch medizinischen Fortschritt, den wir unterstützen werden, und durch Prävention, die wir unterstützen werden, so nicht eintritt. Trotzdem wird es eine Steigerung der Fallzahlen geben. Deswegen werden wir dafür sorgen, dass Krankenhausstandorte im ländlichen Raum erhalten bleiben, wo dies notwendig ist, um eine wohnortnahe Versorgung in unserem Land auch in Zukunft sicherzustellen. Notwendig wird weiter sein, eine bessere Verzahnung zwischen ambulantem und stationärem Bereich herbeizuführen. Dabei ist es zielführend, dies in Abstimmung zwischen den Krankenhäusern und den niedergelassenen Ärzten zu tun, wie dies in der Vergangenheit im Einvernehmen bereits vielfach in unserem Land durch die Einrichtung von MVZs gemacht wurde. Wir werden dadurch auch die Qualität verbessern, Überversorgung abbauen und Unterversorgung beseitigen. Eine enge Zusammenarbeit ist auch deshalb wichtig, um dem Ärztemangel insbesondere im ländlichen Raum zu begegnen. In meinem Wahlkreis haben wir zu wenig Notärzte und müssen Dienstleister für die Notarztversorgung in Anspruch nehmen. Das bedeutet in Zahlen, dass wir pro Notarzteinsatz 7 000 Euro aufwenden müssen. Das kann so für die Zukunft nicht weitergehen. Auch hier müssen und werden wir Lösungen finden. Ein weiterer Punkt wird im kommenden Jahr, im Haushaltsjahr 2011, das Thema „Krankenhaushygiene, Krankenhauskeime“ sein. Ich möchte allerdings klarstellen, dass unser Land im europäischen Vergleich durchaus nicht schlecht dasteht. Allerdings gibt es Länder, die, was Krankenhausinfektionen anbelangt, besser sind als wir. Wir haben den Anspruch, uns an den Ländern zu orientieren, die hier bessere Werte aufweisen. Es ist ein Umdenken bei allen Beteiligten erforderlich, um Leid zu verhindern, aber auch um Kosten zu senken. Wir werden nicht länger zusehen, wie der Schwarze Peter zwischen Krankenhäusern und Kassen hin und her geschoben wird. Die Krankheit und die Infektion, die verhindert werden können, ist die beste Kostendämpfung. Davon haben sowohl Krankenhäuser als auch Krankenkassen einen klaren Vorteil. ({16})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Kommen Sie bitte zum Schluss.

Lothar Riebsamen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004135, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Meine Damen und Herren, Ziel der Politik auch im Jahr 2011 unserer Koalition wird es sein, faire Regeln und faire Rahmenbedingungen für die Leistungserbringer, aber auch für die Selbstverwaltung zu erhalten und zu verbessern, um unser System demografiefest zu machen und weiterzuentwickeln. Dieser Haushalt 2011 bietet hierzu eine hervorragende Grundlage. ({0})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Als letzte Rednerin zu diesem Einzelplan hat die Kollegin Karin Maag von der CDU/CSU-Fraktion das Wort. ({0})

Karin Maag (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004104, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Herr Minister Rösler! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Eines zeichnet sich am Ende der Debatte wirklich ab - ich hoffe, ich bekomme noch Ihre Aufmerksamkeit -: ({0}) Wir als christlich-liberale Koalition haben 2010 genutzt und damit begonnen, die gesetzliche Krankenversicherung zukunftsfest zu machen, wie wir es zu Beginn des Jahres bei den Haushaltsberatungen 2010 versprochen haben. ({1}) Wir haben in der Krise mit den Steuerzuschüssen dafür gesorgt, dass die Beiträge der gesetzlich Versicherten nicht gestiegen sind. Mit dem jetzigen Aufschwung wird der Beitrag wieder auf die Höhe von vor der Krise zurückgeführt, und die Steuerzuschüsse werden gesenkt. Das ist folgerichtig und ehrlich, und dadurch werden vor allem die nachfolgenden Generationen vor ausufernden Schulden geschützt. ({2}) Zum Stichwort „nachfolgende Generationen“. Mit dem Haushalt tragen wir vor allem die dringend notwendige Reform der gesetzlichen Krankenversicherung; das haben wir schon gehört. Wir haben den Einstieg in ein System geschafft, das die Arbeitskosten weniger belastet und die Wettbewerbsfähigkeit als Exportnation sichert, statt sie durch Erhöhungen des Beitragssatzes zu gefährden. Jetzt konkret zu Herrn Lauterbach und Frau Bender; Herr Lauterbach ist schon nicht mehr da. ({3}) Sie haben zwar viel polemisiert, können aber am Ende des Jahres leider nichts vorweisen. ({4}) - Ich komme noch dazu. - Das Programm der SPD ist zwar an üblicher Umverteilungslyrik nicht zu übertreffen, kommt aber ohne jeglichen konkreten Vorschlag aus. ({5}) Jetzt hätte ich den Herrn Lauterbach gerne gelobt; er ist ja nicht Mitglied des Präsidiums, soweit ich weiß. Wir hoffen darauf, dass das Programm noch in irgendeiner Form konkret wird. ({6}) - Aufs Stichwort erscheint Herr Lauterbach. ({7}) - Klasse. - Lieber Herr Lauterbach, Sie haben Glück, dass Sie nicht im Präsidium sind. Ich glaube zumindest, dass Sie es nicht sind. Frau Bender, jetzt komme ich zu den Grünen. ({8}) - Jetzt kommt fast ein Lob. - Sie waren ja wenigstens konkret und haben sich bisher nicht davor gedrückt, dem Mittelstand zu sagen, dass Ihre linke Mehrheit - das betone ich jetzt - ihn enteignen will. ({9}) - Ja. - Sie wollen die kostenlose Mitversicherung weitgehend abschaffen, also die Familien noch zusätzlich belasten. ({10}) Ihr Beispiel von vorhin hinkt etwas. Ihre Erklärung zur Ehe, wonach sie nicht belastet wird, ist so nicht richtig. Ich denke an den Mann oder die Frau, der oder die nach der Erziehung der Kinder eben nicht weiter arbeitet. Ich glaube, in Bezug auf dieses Beispiel können Sie mir nicht vermitteln, dass die Ehe nicht belastet wird. ({11}) Sie wollten, wie Sie es nannten, die „großen Vermögen“ in die GKV holen. Mit der Erhöhung der Beitragsbemessungsgrenze auf 5 500 Euro treffen Sie - vielleicht nicht Sie persönlich, aber die linke Mehrheit Ihrer Partei - ausschließlich den Mittelstand: die Ingenieure, die Facharbeiter, die Beamten, also diejenigen, die sowieso die Hauptlast der Steuern und Abgaben tragen, in Ihrer Partei aber nicht zu Hause sind. Genau diejenigen sollen noch mehr bluten. Es geht konkret um 1 404 Euro Mehrausgaben pro Jahr. Ich kann nur eines sagen: Reden Sie bitte nie mehr von Klientelpolitik! ({12}) Jetzt komme ich zurück zum eher atypischen Haushalt des Gesundheitsministeriums. Politischer und finanzieller Aufgabenschwerpunkt im disponiblen Teil des Haushalts ist die Prävention, für die rund 34,6 Millionen Euro eingesetzt werden. Prävention heißt nach meiner Lesart: Wir reagieren auf die Probleme der Zukunft. Ziel dieser Prävention ist es, den gesundheitsschädlichen Konsum von Suchtmitteln zu verhindern. Hiermit bin ich bei meinen Themen als Berichterstatterin. Für die Aidsaufklärung stehen weiterhin 13 Millionen Euro zur Verfügung, für die Drogenaufklärung sind es rund 7,7 Millionen Euro. Am 1. Dezember ist der Welt-Aids-Tag. In diesem Zusammenhang muss man darauf hinweisen: Ende 2009 waren rund 67 000 Menschen in Deutschland mit HIV infiziert. Deutschland hat die niedrigste Neuansteckungsrate. 3 000 HIV-positiv getestete Menschen waren es in Deutschland in 2009. Gott sei Dank haben sich die Infektionsraten stabilisiert. ({13}) - Jetzt bitte ich noch einmal um Ihre Aufmerksamkeit. Herr Terpe, auch um Ihre bitte! Aufmerksamkeit! Aids ist auch Ihr Thema. ({14}) Danke. ({15}) - Wenn das erstmals der Fall ist, wunderbar! ({16}) - Er passt ja nicht auf. Da gestatte ich mir die Uncharmantheit. Besonders die Jüngeren halten Aids für behandelbar. Genau deshalb werden wir weiterhin die notwendigen Mittel zur Verfügung stellen: um aufzuklären, um gegen diese Krankheit zu kämpfen. Eines ist mir dabei wichtig. Ich habe mit der Kollegin Aschenberg-Dugnus kürzlich eine Veranstaltung der Aids-Hilfe zum Welt-Aids-Tag besucht. Jetzt ganz konkret: Herr Lauterbach, Frau Bender, Sie ahnen nicht, welche Angst, welche Verunsicherung und welchen Schaden Sie bei den Betroffenen, die wirklich teure Medikamente benötigen, mit dem grob falschen Begriff der Vorauskasse anrichten, ({17}) und dies nur um eines kurzfristigen vermeintlichen politischen Vorteils willen. ({18}) Ich will an dieser Stelle noch einmal betonen: Wir haben keine Vorauskasse eingeführt und werden auch keine einführen. Wir haben das, was einzelne gesetzliche Kassen bereits tun, nämlich auf freiwilliger Basis Wahlleistungstarife anzubieten, um die freiwillig Versicherten zu halten, auf saubere Füße gestellt. Wir unterbinden die Quersubventionierung mit Mitteln, die allen Versicherten der gesetzlichen Versicherung für ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche Versorgung zur Verfügung stehen müssen, nicht mehr und nicht weniger. Jetzt wieder zurück zum Haushalt. Für Maßnahmen zur Verhinderung des Drogen- und Suchtmittelmissbrauchs haben wir weitere 13,9 Millionen Euro veranschlagt. Auch hier müssen wir achtsam sein, denn die Gesamtzahl der erstauffälligen Konsumenten harter Drogen steigt seit 2008 erstmals wieder an. 7,7 Millionen Euro gehen daher vorrangig in die Aufklärung, in Maßnahmen zur Förderung des Nichtrauchens sowie in die Bekämpfung des Alkoholmissbrauchs bei Jugendlichen und Erwachsenen. Besonders wichtig in diesem Zusammenhang ist mir das Thema Alkoholmissbrauch bei Kindern und Jugendlichen. 4 500 Kinder landeten 2009 mit schwerer Alkoholvergiftung stationär im Krankenhaus. Ich rede von einem Einstiegsalter von 11 bis 13 Jahren und - nur am Rande - von Kosten für die gesetzliche Krankenversicherung von 1 000 Euro pro Nacht. Es gibt viele gute Projekte, die das sogenannte Binge Drinking oder Komasaufen bekämpfen. Aber wir müssen es schaffen - deswegen sind die Mittel besonders gut angelegt -, dass darüber gesprochen wird, dass diese Art des Konsums gesellschaftlich bei den Jugendlichen keine Akzeptanz findet. Ich habe dazu übrigens in Stuttgart einen runden Tisch „Alkoholmissbrauch“ eingerichtet. Meine Damen und Herren, zum Schluss fasse ich kurz zusammen. Mit diesem Haushalt haben wir die Zukunft unserer Kinder im Fokus. Wir sparen auf der einen Seite und geben auf der anderen Seite die Mittel passgenau für die Zukunft aus. Ich finde, das ist uns gelungen. Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit. ({19})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den Einzelplan 15, Bundesministerium für Gesundheit, in der Ausschussfassung. Hierzu liegen drei Änderungsanträge der Fraktion Die Linke vor, über die wir zuerst abstimmen. Wir beginnen mit dem Änderungsantrag auf Drucksache 17/3827. Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Keine Enthaltungen. Der Änderungsantrag ist bei Zustimmung der Fraktion Die Linke abgelehnt mit den Stimmen aller übrigen Fraktionen. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms Änderungsantrag auf Drucksache 17/3828. Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? Der Änderungsantrag ist mit dem gleichen Stimmenverhältnis abgelehnt. Änderungsantrag auf Drucksache 17/3829. Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? Auch dieser Antrag ist mit dem gleichen Stimmenverhältnis abgelehnt. Wir kommen nun zu der Abstimmung über den Einzelplan 15 in der Ausschussfassung. Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Einzelplan 15 ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Oppositionsfraktionen angenommen. Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Mittwoch, den 24. November 2010, 9 Uhr, ein. Die Sitzung ist geschlossen.