Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Die Sitzung ist eröffnet. Nehmen Sie bitte Platz.
Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Bevor wir mit der Beratung des Bundeshaushalts beginnen,
möchte ich einige Sätze zu den Auswirkungen der aktuellen Sicherheitslage auf unsere Arbeit hier äußern.
Die Sicherheitsbehörden haben aus gegebenem Anlass
die Schutzmaßnahmen im öffentlichen Raum verschärft.
Betroffen sind insbesondere Flughäfen, Bahnhöfe und
öffentliche Gebäude, natürlich gerade auch Gebäude des
Deutschen Bundestages und anderer Verfassungsorgane.
Unsere parlamentarische Arbeit findet in diesen Tagen und, wenn es eben nötig ist, länger unter erschwerten äußeren Bedingungen statt. Ich bin sicher, dass Sie
und Ihre Mitarbeiter, aber auch die Besucher und Gäste
des Bundestages im eigenen Interesse Verständnis dafür
haben und die Arbeit unserer Verwaltung sowie der Bundes- und der Landespolizei unterstützen. Ich möchte allen danken, die in diesen Tagen für unsere Sicherheit arbeiten. Ich versichere zugleich, dass sich der Deutsche
Bundestag von niemandem und nichts an der Wahrnehmung seiner Aufgaben und Verpflichtungen hindern lassen wird.
({0})
Die Kollegen Heinz-Joachim Barchmann, Siegfried
Kauder und Alois Karl haben in den vergangenen Tagen ihren 60. Geburtstag gefeiert. Im Namen des ganzen
Hauses gratuliere ich dazu auch auf diesem Wege herzlich und wünsche alles Gute.
({1})
Nun rufe ich die Tagesordnungspunkte I a und b auf:
a) Zweite Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die
Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das
Haushaltsjahr 2011 ({2})
- Drucksachen 17/2500, 17/2502 -
b) Beratung der Beschlussempfehlung des Haushaltsausschusses ({3}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Finanzplan des Bundes 2010 bis 2014
- Drucksachen 17/2501, 17/2502, 17/3526 Berichterstattung:
Abgeordnete Norbert Barthle
Carsten Schneider ({4})
Roland Claus
Wir kommen zur Beratung der Einzelpläne, und zwar
zunächst der drei Einzelpläne, zu denen keine Aussprache vorgesehen ist.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt I.1 auf:
Einzelplan 01
Bundespräsident und Bundespräsidialamt
- Drucksachen 17/3501, 17/3523 Berichterstattung:
Abgeordnete Herbert Frankenhauser
Carsten Schneider ({5})
Dr. h. c. Jürgen Koppelin
Omid Nouripour
Wir kommen zur Abstimmung über den Einzelplan 01 in der Ausschussfassung. Wer stimmt dafür? Wer stimmt dagegen? - Möchte sich jemand der Stimme
enthalten? - Dann ist der Einzelplan 01 einstimmig angenommen. - Es fängt gut an.
Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt I.2 auf:
Einzelplan 02
Deutscher Bundestag
- Drucksachen 17/3502, 17/3523 Berichterstattung:
Abgeordnete Bernhard Schulte-Drüggelte
Dr. h. c. Jürgen Koppelin
Alexander Bonde
Redetext
Präsident Dr. Norbert Lammert
Auch diesen Einzelplan stelle ich in der Ausschussfassung zur Abstimmung. Wer stimmt dafür? - Wer
stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Auch dieser Einzelplan ist einstimmig angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt I.3 auf:
Einzelplan 03
Bundesrat
- Drucksachen 17/3523, 17/3524 Berichterstattung:
Abgeordnete Norbert Barthle
Carsten Schneider ({6})
Roland Claus
Wer für den Einzelplan 03 in der Ausschussfassung
stimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. -
Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich der Stimme? -
Auch dieser Einzelplan ist einstimmig angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt I.4 auf:
a) Einzelplan 08
Bundesministerium der Finanzen
- Drucksachen 17/3508, 17/3523 Berichterstattung:
Abgeordnete Norbert Brackmann
Carsten Schneider ({7})
Dr. Gesine Lötzsch
Stephan Kühn
b) Einzelplan 20
Bundesrechnungshof
- Drucksachen 17/3523, 17/3524 Berichterstattung:
Abgeordnete Norbert Barthle
Carsten Schneider ({8})
Roland Claus
Zum Einzelplan 08 liegt ein Änderungsantrag der
Fraktion Die Linke vor.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache zu diesen beiden Einzelplänen 90 Minuten vorgesehen. - Darüber besteht offenkundig Einvernehmen. Dann können wir nach dieser Vorgabe verfahren.
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort zunächst dem Kollegen Carsten Schneider für die SPDFraktion.
({9})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir
debattieren in dieser Woche über den ersten wirklichen
Haushalt von Schwarz-Gelb in dieser Legislaturperiode.
({0})
Daran kann man die Handschrift Ihrer Fraktionen, Ihrer
Parteien erkennen.
({1})
Ihre Haushaltspolitik geht vollkommen fehl, weil Sie
die Vorgaben der Schuldenbremse nicht einhalten. Nein,
Sie manipulieren sie sogar.
({2})
Ohne diejenigen zur Verantwortung zu ziehen, die für
diese Finanzkrise und die Löcher im Haushalt verantwortlich sind, nehmen Sie im Sozialbereich radikale
Veränderungen vor. Dort kürzen Sie in einem Maße, das
man sich kaum hat vorstellen können.
({3})
Was Sie nach einem Jahr Verantwortung in der Haushalts- und Finanzpolitik vorgelegt haben, ist nicht nur
unglaubwürdig, sondern hat auch keine klare Linie. In
der Finanzpolitik braucht man aber eine klare Linie,
Glaubwürdigkeit und Vertrauen.
({4})
Wir sehen das an der aktuellen Lage in Irland. Ich
glaube, es wäre besser gewesen, wenn die dortige Regierung frühzeitig mit offenen Karten gespielt hätte, anstatt
das Problem zu verschleiern. Glaubwürdigkeit bedeutet
auf Deutschland bezogen: Man muss vor der Wahl sagen, was man nach der Wahl macht.
({5})
Das Gegenteil haben Sie getan.
({6})
- Da ist sogar die FDP munter geworden. Herzlich willkommen! Das gilt natürlich zuerst Ihnen. Was haben Sie
vor der Bundestagswahl alles versprochen? Umkrempeln wollten Sie dieses Land. Die Schuldenproblematik
gab es, zumindest nach Ihrer Kenntnis, damals wohl
noch nicht.
({7})
Schließlich haben Sie Steuersenkungen versprochen, die
Sie ganz simpel gegenfinanzieren wollten. Jetzt schaue
ich mir an, welche Steuersenkungen Sie hier vorlegen
- da sind Sie ganz still -:
({8})
Es gibt keine.
({9})
Sie sind in der Realität angekommen.
({10})
Carsten Schneider ({11})
Für diesen Aufprall in der Realität haben Sie ein Jahr gebraucht. Das hat uns in einer finanzpolitisch schwierigen
Zeit ein Jahr gekostet.
({12})
Sie haben kein Vertrauen aufgebaut, sondern für Verunsicherung gesorgt. Der Koalitionsvertrag, den Sie verhandelt und verabschiedet haben, enthielt ganz am Anfang
eine Sondermülldeponie. Dort sollten die 200 Milliarden Euro Schulden abgeladen werden, die Sie in dieser
Legislaturperiode aufnehmen wollten. Das ist Ihnen vor
allen Dingen durch den berechtigten Aufschrei der Öffentlichkeit aus der Hand genommen worden. Das war
aber Ihre Absicht: die Einrichtung einer Sondermüllkippe, mit der Sie letztendlich Ihre Politik verschleiern
wollten. - Das war schon einmal stilbildend.
({13})
Dann kam die Mär: Wir müssen warten, bis die Steuerschätzung im Mai kommt. - Die Steuerschätzung im
Mai kam; die Lage war ein bisschen besser. An dem
Donnerstag der Steuerschätzung stand hier noch der Generalsekretär der FDP - ich glaube, der war es - und hat
gezeigt, wie viel Mehreinnahmen da sind: Es ist doch etwas zu verteilen. - Das alles war natürlich nur auf die
Wahl in Nordrhein-Westfalen ausgerichtet. Es hat Ihnen
nichts genutzt,
({14})
weil die Glaubwürdigkeit verloren gegangen ist. Was Ihnen aber nicht genutzt hat, hat dem Land geschadet,
denn wir haben ein Jahr verloren.
({15})
Meine Damen und Herren, vielleicht haben Sie vorher
keine Erkenntnis gehabt. Wir hatten in der letzten mittelfristigen Finanzplanung allerdings ausgewiesen, wie
hoch die Defizite sind. Sie hätten es wissen können. Sie
haben im Wahlkampf aber bewusst wider besseres Wissen geredet. Von daher haben Sie entweder ein Erkenntnisproblem gehabt - das will ich Ihnen intellektuell aber
gar nicht unterstellen -, oder Sie haben bei der Bundestagswahl 2009 hier im Bundestag und darüber hinaus
Betrug am Volk geübt.
Und das alles ist kumuliert, als Sie im Juni die Haushaltsaufstellung machten - großes Sparpaket, 80 Milliarden Euro. 80 Milliarden Euro! Was ist nun davon übrig
geblieben? - De facto sind 40 Milliarden Euro bis 2014
durch Kürzungen im Sozialbereich unterlegt. Da waren Sie sich einig. Wenn es darum geht, den Arbeitslosen
das Geld zu nehmen, sind Sie alle dick dabei, und dann
wird das durchgezogen. Da geht es im Zweifel sogar
noch ein Stückchen härter, und dann wird auch noch das
Wohngeld im Haushalt von Herrn Ramsauer gesenkt.
Danach wird dieser Schätzansatz wieder gesteigert und
gesagt, es gebe ja eine Erhöhung, meine Damen und
Herren. Das ist Fabulierwesen, aber keine solide Haushaltspolitik, und es zementiert die soziale Spaltung in
Deutschland.
({16})
Ich will aber ganz grundsätzlich zu der Frage kommen: Wie gehen wir eigentlich mit den extrem hohen
Defiziten um, und ist das, was Sie hier vorlegen, eigentlich im Sinne des Grundgesetzes? - Dazu muss man wissen, dass wir uns 2009 hier mit großer Mehrheit eine
Schuldenbremse, ein neues Regelwerk, gegeben haben,
weil das alte nicht getaugt hat. Wir waren mehrheitlich
der Auffassung, dass wir in den vergangenen Jahrzehnten immer wieder über unsere finanziellen Verhältnisse
gelebt haben.
Diese Schuldenbremse im Grundgesetz wird in diesem Jahr das erste Mal angewendet. Für die nächsten
Jahre und Jahrzehnte wird das stilbildend sein. Gerade
deshalb ist es wichtig, dass sie im ersten Jahr gegenüber
dem Bundestag, aber auch gegenüber der Bevölkerung
glaubwürdig und transparent umgesetzt wird. Meine Damen und Herren, da versagen Sie bewusst.
({17})
Woran liegt das? - Ausgangspunkt für den Abbaupfad
bis 2016, um dann nahezu die Nullverschuldung, die
Grenze nach der Verfassung, einzuhalten, ist das Defizit,
das strukturelle Minus 2010, bereinigt um die konjunkturelle Situation.
Sie haben in dieser Legislaturperiode damit begonnen
und gesagt: Ausgangspunkt ist das Haushaltssoll 2010.
Das waren, Herr Minister Schäuble, über 80 Milliarden
Euro. Dann haben Sie gemerkt: Oh, das ist ganz schön
viel, die Konjunktur läuft viel besser. - Ich sage Ihnen:
Wir Sozialdemokraten sind froh, dass es in Deutschland
wieder aufwärts geht,
({18})
weil wir, mit Verlaub, auch den größten Anteil daran haben - sowohl durch die Konjunkturprogramme als auch
durch die Reformprogramme, die wir durchgezogen haben.
({19})
- Ihr Anteil ist nicht bezifferbar, der ist eher negativ gewesen. Das bedeutet: Dieses Land ist gut trotz dieser Regierung, aber nicht wegen dieser Regierung.
({20})
Ich komme zurück zum Ausgangspunkt der Schuldenbremse. Dann haben Herr Minister Schäuble und die
Regierung festgestellt: Es läuft sehr gut. Wir müssen das
voraussichtliche Jahresist nehmen; das waren im Juni
etwa 65 Milliarden Euro. - Es ist entscheidend, welchen
Punkt Sie nehmen, weil Sie damit höhere Konsolidierungsbemühungen in den nächsten Jahren zu vollziehen
haben, weil dann die Kreditobergrenze - das, was Sie als
Maximum an Krediten zulässigerweise aufnehmen können - sinkt. Was Sie jetzt tun, ist Folgendes: Sie nutzen
die bessere konjunkturelle Situation, die höheren Steuer7942
Carsten Schneider ({21})
einnahmen, die geringeren Arbeitsmarktausgaben nicht
dafür, die Verschuldung abzubauen, nein, Sie nutzen sie,
um hier und heute Klientelgeschenke an die Hoteliers
und an die Atomindustrie zu verteilen,
({22})
und Sie schaffen sich eine Kriegskasse für den Wahlkampf 2013, meine Damen und Herren. Das ist die Faktenlage.
({23})
Damit Sie das genau verstehen, zeige ich das in einer
Grafik auf. So können Sie es bildlich vor sich sehen.
({24})
- Das ist ein Hilfsmittel für Sie, Kollege Kalb, damit Sie
es auch wirklich begreifen. - Das ist die Schuldenbremse,
und das ist das Defizit, das das Bundesministerium der
Finanzen zugrunde legt: 53 Milliarden Euro. - Wir haben
den Bundesrechnungshof und die Bundesbank - die geballte ökonomische Kompetenz in Deutschland - in einer Anhörung gebeten, dazu Stellung zu nehmen, ob das
Zahlenwerk, das uns die Regierung vorlegt, richtig ist.
Auch der Sachverständigenrat hat dies in seinem Jahresgutachten so bewertet. Alle drei kommen einhellig zu
der Feststellung: Nein, hier wird getrickst, es ist weniger.
- Sie nehmen dieses Weniger aber nicht in Ihre Haushaltsplanung auf.
({25})
Dieser schwarz-gelbe Balken in der Grafik, diese
42 Milliarden Euro Schulden - das ist Ihr Erbe aus dieser Legislaturperiode, das Sie uns allen aufbürden.
({26})
Ich gebe Ihnen die Grafik nachher gerne mit, falls Sie sie
haben wollen. Dann können Sie bis Freitag noch einmal
darüber nachdenken.
Das ist ein entscheidender Punkt; denn es geht ja auch
darum, dass wir solide mit den Finanzen des Staates umgehen wollen. Zu dieser Solidität gehört, dass Sie, wenn
es gut läuft, stärker konsolidieren. Konsolidieren heißt
nicht zwangsläufig, bei den Ärmsten zu sparen. Vielmehr heißt es, diejenigen, die ein bisschen mehr verdienen, einzubeziehen, damit sie einen kleinen Beitrag dazu
leisten, dass es in diesem Land gerechter zugeht.
({27})
Das tun Sie aber nicht. Im Gegenteil: Bei Ihnen zahlen die Arbeitslosen die Zeche. Das ist das Ergebnis Ihrer Politik, das Sie hier vorlegen. Man muss sich fragen:
Haben die Arbeitslosen die Rechnung bestellt? Haben
sie in Irland eine Außenstelle gegründet? Haben sie in
den USA Häuser gekauft? Das geht schon allein aufgrund des Schonvermögens nicht; sie haben gar nicht
das Geld dazu. Nein, es sind diejenigen, die über höhere
Vermögen verfügen. Ich finde, es ist eine Frage der Gerechtigkeit, der Akzeptanz und des Zusammenhalts einer
Bevölkerung, dass diejenigen, die ein bisschen mehr verdienen, auch ihren Beitrag leisten.
Wir haben Anträge dazu vorgelegt; zu diesen komme
ich jetzt. Wir bilden die neue Schuldengrenze ab. Wir
haben Vorschläge vorgelegt, durch die die Nettokreditaufnahme in Höhe von 42 Milliarden Euro in 2011, wie
das Sachverständigenrat, Rechnungshof und Bundesbank empfehlen, umgesetzt wird. Das beinhaltet vier
konkrete Maßnahmen.
({28})
- Das sind vier Maßnahmen, ganz konkret, Herr Kauder.
({29})
- Das gebe ich Ihnen auch mit, Herr Fricke.
Erster Punkt. Wir wollen das Hotelierssteuergeschenkegesetz rückgängig machen. Das greift sofort, Herr
Fricke.
({30})
- Nein, auch die Geschenke an Erben und Unternehmen
nehmen wir zurück, die Kindergelderhöhung nicht.
({31})
- Das bringt 2,3 Milliarden Euro, sehr geehrter Herr
Fricke.
({32})
- Sie können nachher gerne noch darauf eingehen, Herr
Fricke.
({33})
Der zweite Punkt betrifft die Frage: Gibt es in Deutschland eigentlich Steuergerechtigkeit in dem Sinne, dass jeder so viel Steuern zahlt, wie er müsste? Vorige Woche
haben wir vom Bundesrechnungshof in seinem Jahresbericht wieder einmal vorgehalten bekommen: Wir brauchen in der Steuerverwaltung mehr Prüfer, damit das
Recht auch durchgesetzt wird, damit Recht und Gerechtigkeit herrschen, damit die Gesetze, die Sie hier teilweise mit beschlossen haben, auch umgesetzt werden.
Das passiert aber in der Realität nicht, weil zu wenig
Personal unterwegs ist, um in den Unternehmen zu prüfen und letztendlich dafür zu sorgen, dass die Steuern
hereinkommen. Was bedeutet das in der Summe? Der
Rechnungshof sagt: 12 Milliarden Euro bei gesamter
Umstellung. Das haben wir gar nicht in unsere Rechnung eingestellt.
Es gibt eine Verabredung aus der Föderalismuskommission, in der die Länder zugesagt haben: Wir bemühen
uns, ein optimiertes Modell zu finden. - Ich erwarte vom
Bundesfinanzminister, dass er diesen Ball aufnimmt und
das einfordert.
({34})
Der Rechnungshof sagt: 6 Milliarden Euro. Diese haben
wir gar nicht eingestellt. Wir gehen von 3,5 Milliarden
Carsten Schneider ({35})
Euro aus, weil es ein paar Anlaufschwierigkeiten geben
wird. Auch das kann man machen.
Der dritte Punkt betrifft den Spitzensteuersatz. Ja,
wir Sozialdemokraten sind der Auffassung, dass wir den
Spitzensteuersatz erhöhen sollten, allerdings erst ab einem Einkommen von 100 000 Euro. Dann sollte der
Spitzensteuersatz bei 49 Prozent liegen. Daran geht niemand zugrunde. Das ist ein Beitrag derjenigen in diesem
Land, denen es gut geht. Dadurch tragen sie ein Stückchen weit dazu bei, dass die Staatsfinanzen in Deutschland solide sind.
Das sind, glaube ich, Vorschläge, die sehr gut durchsetzbar sind und dazu führen, dass es in diesem Land
erstens gerechter zugeht und zweitens ausreichende Einnahmen erzielt werden, sodass wir solide Staatsfinanzen
haben. Wir wollen keinen Nachtwächterstaat - diesen
wollen Sie zum Teil -, sondern einen Staat, der innere
Sicherheit gewährleistet und nicht bei der Bundespolizei
blind kürzt,
({36})
der sozialen Ausgleich sicherstellt, der die Zusagen im
internationalen Bereich bezüglich der ODA-Quote einhält und dafür sorgt, dass Recht und Sicherheit auch im
Arbeitsbereich gelten.
Der letzte Punkt, den ich ansprechen möchte - er wird
wahrscheinlich nicht Ihre Zustimmung finden, ist aber
belegt -, betrifft das Thema Mindestlohn. Es ist nicht
nur eine Frage von Recht und Ordnung, sondern auch
eine Frage der Gerechtigkeit, dass man von dem Geld,
das man verdient, leben kann. Dies ist vielfach aber nicht
der Fall.
Ich komme aus Erfurt und weiß: Dort wird teilweise
ein Bruttolohn von 800 Euro pro Monat gezahlt, sodass
zum Beispiel eine Alleinerziehende mit einem Kind ergänzendes Arbeitslosengeld II beziehen muss. Dies kostet den Staat nach einer Berechnung des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung in Nürnberg über
5 Milliarden Euro pro Jahr.
Führen Sie einen Mindestlohn in Höhe von 8,50 Euro
pro Stunde ein! Das ist auch eine Frage des Stolzes der
Arbeitnehmer; denn dann müssten sie nicht mehr aufs
Amt gehen und zusätzlich Stütze beziehen. Außerdem
würde das zu einer Entlastung der Sozialversicherung in
Höhe von 5 Milliarden Euro jährlich führen - sie würde
mehr Einnahmen erzielen - und letztlich auch zu mehr
Steuereinnahmen.
Meine Damen und Herren, mit diesem geschlossenen
Konzept, das die SPD vorlegt, können wir die Schuldenbremse einhalten, die Solidität der Staatsfinanzen im
Blick behalten und in Deutschland für sozialen Ausgleich sorgen. Stimmen Sie ihm am Freitag zu! Ich
glaube, dann wird es Ihnen allen, auch was Ihre Umfragewerte angeht, ein bisschen besser gehen.
Vielen Dank.
({37})
Das Wort erhält nun der Kollege Norbert Barthle für
die CDU/CSU.
({0})
Sehr verehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Meine Damen und Herren! Ich glaube, der
Kollege Schneider hat entweder nicht über den Haushalt 2011 oder nicht über dieses Land gesprochen;
({0})
beides ist nicht in Einklang zu bringen. Er scheint in einer anderen Welt zu leben.
({1})
Beim Eintritt in die Schlussberatung des Haushalts
möchte ich drei Bemerkungen machen:
Erstens. Der Haushalt 2011 ist nach wie vor von der
größten Finanz- und Wirtschaftskrise, die wir je erlebt
haben, geprägt. Sie wird uns noch einige Jahre verfolgen. Gerade die gegenwärtigen Ereignisse rund um Irland zeigen, dass dies so ist.
({2})
Ich gehe davon aus, dass uns der Bundesfinanzminister
immer ganz aktuell über die Geschehnisse unterrichtet,
wie er dies informell bereits getan hat. Sie wissen: Seit
Mai dieses Jahres steht im Gesetzblatt, dass der Haushaltsausschuss in solchen Fällen aktuell unterrichtet werden muss.
Zweitens. Mit dem Haushalt 2011 schlagen wir ein
neues Kapitel in der Finanzpolitik dieses Landes auf.
Wir legen einen Haushalt vor, in dem wir die Ausgaben
deutlich kürzen. Eine Rückführung der Ausgaben in
diesem Umfang haben wir in diesem Lande schon lange
nicht mehr erlebt.
({3})
Dies muss man insbesondere der Opposition immer wieder ins Stammbuch schreiben.
Drittens. Mit dem Haushalt 2011 machen wir den ersten sehr erfolgreichen Schritt hin zur Einhaltung der
neuen Schuldenregel, die uns bis zum Jahre 2016 klare
Abbauschritte vorschreibt. Dies möchte ich Ihnen gerne
anhand einiger Zahlen verdeutlichen.
Die Regierung hat ein Zukunftspaket mit einem Einsparvolumen von 80 Milliarden Euro bis 2014 vorgelegt.
Wir als CDU/CSU und FDP tragen dieses Zukunftspaket
nicht nur mit. Nein, meine Damen und Herren, wir setzen
im Rahmen der Haushaltsberatungen sogar zusätzliche
Impulse. So haben wir es geschafft, die Gesamtausgaben
gegenüber dem Regierungsentwurf um 1,6 Milliarden
Euro, also auf insgesamt rund 305 Milliarden Euro, zu
senken. Dies ist eine große politische Leistung, die man
nicht hoch genug einschätzen kann.
({4})
Wenn man den Haushalt 2011 mit dem Haushalt 2010
vergleicht, dann darf man feststellen: Die Ausgaben gehen um 13,7 Milliarden Euro bzw. 4,3 Prozent zurück;
auch dies ist eine großartige Leistung, die ihresgleichen
sucht. Damit einher geht die Senkung der Nettokreditaufnahme um 9,1 Milliarden Euro auf nunmehr
48,4 Milliarden Euro statt, wie ursprünglich vorgesehen,
57,5 Milliarden Euro. Dies ist ein klarer Beweis dafür,
dass diese Koalition nicht nur den Willen hat, zu konsolidieren, sondern auch die Kraft, dies in politisches Handeln umzusetzen. Das zeichnet uns aus.
({5})
Herr Kollege Schneider, eines muss man schon einmal feststellen: Mit der Nettokreditaufnahme von
48,4 Milliarden Euro liegen wir um 4,7 Milliarden Euro
unter der zulässigen Höchstgrenze, die die Schuldenregel vorgibt.
({6})
- Wir liegen 4,7 Milliarden Euro darunter, selbst unter
Einrechnung der Konjunkturkomponente und der finanziellen Transaktionen.
({7})
Das können Sie nachvollziehen. Wenn Sie nur wollen,
dann schaffen Sie das, aber Sie wollen offensichtlich
nicht.
({8})
Ich sage klar und deutlich: Die maximale Verschuldungsgrenze laut Schuldenregel ist für uns in dieser Koalition eine Obergrenze. Das ist kein Sollwert, sondern
eine Obergrenze, die wir unterschreiten. Das ist auch ein
Ausweis dafür, dass wir konsequent konsolidieren und
die erfolgreiche Politik aus dem Jahr 2010 in das Jahr
2011 hinein fortsetzen.
({9})
Jetzt zu dem immer wieder wie eine Leier vorgetragenen Vorwurf, das sei unsozial. Das wird nicht wahrer, indem man es immer wieder erzählt und immer wieder
predigt. Das Gegenteil ist der Fall: Wir machen das sozial sehr ausgewogen. Wir haben innerhalb der parlamentarischen Beratungen noch einige Korrekturen vorgenommen. So haben wir zum Beispiel Vorsorge für das
Bildungs- und Teilhabepaket der Hartz-IV-Kinder in
Höhe von 586 Millionen Euro getroffen; das ist abgebildet. Wir haben das Wohngeld wieder erhöht.
({10})
Wir haben den Städtebau besser ausgestattet, um damit
unsere Handwerker wieder zu stärken.
({11})
Wir haben die Minijobber und Aufstocker wieder in den
Bezug des Elterngeldes einbezogen, dafür aber diejenigen, die unter die Regel der Reichensteuer fallen, ausgenommen. All das ist Ausweis dafür, dass wir das sozial
ausgewogen anpacken.
Letztendlich bleibt es dabei: Wir haben dort, wo in
der Vergangenheit Fehlanreize gesetzt worden sind, korrigiert, und setzen jetzt Anreize für Leistung, Eigenverantwortung und Selbstvorsorge. Das ist das richtige und
wichtige Signal, das von dieser Haushaltsberatung ausgeht.
({12})
Lassen Sie mich vor allem noch feststellen: Alle Veränderungen, die wir im parlamentarischen Beratungsverfahren vorgenommen haben, sind gegenfinanziert. Wir
haben entsprechend an anderer Stelle wieder eingespart,
sodass die Steuermehreinnahmen und die Verbesserungen auf dem Arbeitsmarkt eins zu eins zu einer Absenkung der Nettokreditaufnahme geführt haben.
({13})
Das können Sie dem Zahlenwerk ohne Weiteres entnehmen. Deshalb ist das, was hier von der SPD vorgetragen
wird, ganz einfach sachlich falsch.
Dann muss ich an die Kritik der Opposition in diesem
Frühjahr erinnern, als es um den Haushalt 2010 ging.
Damals wurde uns vorgeworfen, das Wachstumsbeschleunigungsgesetz trage nicht zu Wachstum bei, sondern werde allenfalls die Neuverschuldung erhöhen.
({14})
Eingetreten ist das genaue Gegenteil: Wir leben in einem
Land, in dem der Wachstumsmotor mit Turboantrieb
läuft.
({15})
Die Nettokreditaufnahme wird weiter abgesenkt als jemals vorgesehen war. Genau das Gegenteil dessen, was
uns die Opposition vorgeworfen hat, ist also eingetreten.
Genauso wird es mit der haltlosen Kritik der Opposition
an diesem Haushalt sein.
Schauen wir einmal, was da kommt: Die DagegenPartei, die sich Grüne nennt, ist ohnehin gegen alles. Von
der SPD kommen Vorschläge, mit denen unsere Sparbemühungen konterkariert und die mit fragwürdigen Maßnahmen gegenfinanziert werden.
({16})
Bei allem Respekt: Bei 3,5 Milliarden Euro Mehreinnahmen durch die Einführung eines Mindestlohns, da muss
man die gesamtwirtschaftliche Gegenrechnung aufmachen; es fallen nämlich viele Jobs weg. Dann sieht die
Rechnung ganz anders aus.
Lieber Kollege Barthle.
Ich komme zu meinem Schlusssatz: Diese Koalition
schafft ein Klima des Vertrauens, der Verlässlichkeit und
der Zuverlässigkeit;
({0})
das wird sich auch in den kommenden Jahren so fortsetzen.
Danke.
({1})
Der Kollege Dietmar Bartsch erhält nun für die Fraktion Die Linke das Wort.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Herr Barthle hat von einem neuen Kapitel in der Haushaltspolitik gesprochen. Ich kann nur sagen: Ihre Haushaltspolitik, Herr Barthle, verspielt die Zukunftschancen
des Landes. Das ist das Markenzeichen Ihrer Politik.
({0})
Es gibt keinen Wendepunkt in der Haushalts- und
Finanzpolitik des Bundes. Es gibt auch nicht die Einleitung der Konsolidierung der öffentlichen Haushalte. Sie
sprechen hier von einem Sparpaket. Schon der Titel ist
irreführend. Was Sie machen, sind Kürzungsarien, und
es sind in der Regel wirklich falsche Kürzungen, die
Sie in diesem Haushalt vornehmen.
({1})
Ich will die Zahl noch einmal wiederholen, die Sie
hier immer stolz verkünden: 48,4 Milliarden Euro neue
Schulden im Jahre 2011 sind weder Ausdruck struktureller Sparmaßnahmen noch etwa Anlass, wie Sie das hier
darstellen, neue Helden zu feiern. Das ist überhaupt
nicht der Fall. 48,4 Milliarden Euro neue Schulden: Das
ist die zweithöchste Neuverschuldung in der Geschichte
der Bundesrepublik Deutschland ({2})
von Schuldenabbau ganz zu schweigen.
({3})
Sie wollen in dieser Legislatur 160 Milliarden Euro
neue Schulden machen. Das ist Ihre Haushaltspolitik.
Dazu kommen dann noch die Schattenhaushalte - oder
meinetwegen auch Sondervermögen -, die die Bundesregierung geschaffen hat. Das ist ein zusätzliches Haushaltsrisiko. Niemand hier im Saale weiß, wie sich die
Zinsen entwickeln werden. Das alles hat nichts mit
Haushaltsklarheit und nichts mit Haushaltswahrheit zu
tun.
({4})
Sie haben hier von der geringeren Neuverschuldung
geredet. Fakt ist: Diese geringere Neuverschuldung gegenüber dem Regierungsentwurf ist im Kern doch durch
Steuermehreinnahmen aufgrund der konjunkturellen
Entwicklung und durch das Streichen von Investitionen
zustande gekommen. Ich will an dieser Stelle darauf verzichten, zu sagen, wer denn nun diesen Konjunktureffekt
herbeigeführt hat. Carsten Schneider nimmt ihn für sich
in Anspruch und Sie natürlich für sich. Das ist für mich
relativ egal. Eines ist aber doch auch Fakt: Am Ende dieses Jahres wird das Wirtschaftsniveau unter dem des
Jahres 2008 liegen, also unter dem des Vorkrisenjahres.
Das ist doch die Realität. Von wegen Turbo: Es liegt unter dem des Vorkrisenjahres. Das müssen Sie zur Kenntnis nehmen.
({5})
Fakt ist und bleibt: Wolfgang Schäuble wird auch im
Jahre 2011 die Krone des Schuldenministers aus Theo
Waigels Schrank in Bayern abholen können. Das ist die
Realität.
({6})
Zugleich muss man feststellen, dass man ja dankbar
sein muss, dass Schäuble im Amt bleibt; denn ginge es
nach der FDP und einigen Leuten aus der CDU, dann
würde es nach der Mövenpick-Steuer noch weitere Steuersenkungen geben. Das ist in dieser Situation natürlich
völlig absurd.
Meine Damen und Herren von der FDP, verabschieden Sie sich von dem Gedanken, in dieser Lage über
Steuersenkungen nachzudenken. Das ist völlig falsch;
das lehnen wir grundsätzlich ab.
({7})
Sie stärken damit nicht die Grundpfeiler unserer Demokratie, wie Sie behaupten, sondern Sie verletzen die
Demokratie und zerstören die Grundlagen unserer Gesellschaft. Es gibt immer mehr Arme und immer Reichere in der Gesellschaft. So bringen Sie Unfrieden über
das Land, wie man in Gorleben und in Stuttgart sehen
kann.
Frau Bundeskanzlerin - wollte ich gerade sagen ({8})
- da hinten sitzt sie; das ist völlig in Ordnung -, deswegen ist es eben nicht so, wie Sie auf dem CDU-Parteitag
gesagt haben, dass sich nämlich die Bilanz von SchwarzGelb nach einem Jahr sehen lassen kann und dass nur der
Stil schlecht ist. Das ist nicht der Fall. Ihre ganze Politik
ist ungerecht, unsolide und unsozial. Sie gefährden den
sozialen Zusammenhalt des Landes.
({9})
Deshalb ist eine andere Politik nötig, und diese andere
Politik, die Gerechtigkeit heute und Zukunftsgestaltung
miteinander verbindet, ist möglich. Das ist letztlich nur
eine Frage des politischen Willens.
Was machen Sie denn real? Sie kürzen das Elterngeld
für die Hartz-IV-Empfänger, Sie streichen die Beiträge
zur Rentenversicherung für die Bezieher von Arbeitslosengeld, Sie streichen das Übergangsgeld beim Übergang von Arbeitslosengeld I zu Arbeitslosengeld II, und
Sie streichen die Heizkostenzuschüsse. Das alles betrifft
diejenigen, die mit der Verursachung der Krise nun wirklich gar nichts zu tun haben.
({10})
- Das kommt noch.
Bei alledem will ich eines hervorheben: Das, was Sie
tun, trifft in besonderer Weise die Menschen aus den
neuen Bundesländern. Schauen Sie sich die Kürzung der
Sozialleistungen von durchschnittlich 44,56 Euro pro
Kopf an. Die Spannbreite reicht von 21,88 Euro bei denjenigen, die in Bayern wohnen, bis zu 95,68 Euro bei
denjenigen, die in Berlin leben. Frau Bundeskanzlerin,
wir aus Mecklenburg-Vorpommern sind mit 82,28 Euro
pro Kopf am zweitmeisten betroffen. Sie vertiefen damit
die Spaltung zwischen Ost und West. Das ist nicht verantwortlich.
({11})
Mit den 5 Euro, die die Hartz-IV-Empfänger jetzt
mehr bekommen, versuchen Sie, diejenigen, die arm
sind, gegen die Allerärmsten auszuspielen. Führen Sie
doch einen gesetzlichen Mindestlohn ein! Dann können
wir auch die Regelsätze erhöhen.
({12})
Das wäre die richtige Maßnahme. Sie spielen die Armen
gegen die Ärmsten in der Gesellschaft aus, und das ist
inakzeptabel.
Das zentrale Problem Ihrer Politik ist aber - das
wurde hier heute schon erwähnt -: Sie verzichten auf
strukturelle Mehreinnahmen, auf Einnahmeerhöhungen.
So wird letztlich Ihre im Sparpaket manifestierte ungerechte und unsoziale Politik zum eigentlichen Koalitionsvertrag dieser Regierung.
Schwarz-Gelb ist eine Lobbyregierung. Sie sind die
willfährige Regierung der Atomlobby. Das hat sich in
der Nacht herausgestellt. Sie sind die Lobbyregierung
der Pharmaindustrie. Das hat der schwarze Freitag für
die Gesundheitspolitik in der letzten Sitzungswoche gezeigt.
({13})
Sie sind auch die Regierung der Bankenlobby. Was machen Sie denn jetzt in Irland? Es sind wieder die Banken,
die nicht zur Kasse gebeten werden, und das ist inakzeptabel.
({14})
Frau Bundeskanzlerin, Sie werden sich erinnern, dass
es einmal eine nicht erfolgreiche Politik der Einheit von
Wirtschafts- und Sozialpolitik gab. Jetzt gibt es die Einheit von Wirtschafts- und Lobbypolitik. Auch diese Einheit wird nicht erfolgreich sein.
({15})
Sie haben einen Leserbrief geschaltet, der insgesamt
2,8 Millionen Euro gekostet hat. Zum Inhalt will ich gar
nichts sagen,
({16})
weil es wenig Inhalt gab; da stimme ich ausdrücklich zu.
Es ist aber zumindest aus unserer Sicht verfassungsrechtlich bedenklich, so kurz vor Wahlen Werbung zu
machen. Im Jahre 1987 hat das Bundesverfassungsgericht dazu eine klare Aussage getroffen. Wir von der
Linken wollen wirksame Zukunftsinvestitionen und
Maßnahmen zur Stärkung der Kaufkraft, vor allen Dingen bei den Menschen mit geringem Einkommen.
Warum kürzen Sie das Programm zur energetischen
Gebäudesanierung? Das ist völlig inakzeptabel. Warum
kürzen Sie das Programm zum Stadtumbau? Selbst Ihre
Experten von Union und FDP halten das für falsch. Bei
Zukunftsinvestitionen zu kürzen, ist eine völlig falsche
Maßnahme.
({17})
Warum werden die Mittel für die „Soziale Stadt“ letztlich völlig weggenommen? Das alles ist falsche Politik.
Eine Zukunftsinvestition wäre zum Beispiel eine
kommunale Investitionspauschale.
({18})
Das wäre eine richtige Maßnahme, um den Kommunen
zu helfen. Eine andere Zukunftsinvestition ist die Gemeinschaftsaufgabe zur Verbesserung der regionalen Infrastruktur in Ost und West. Und wollen wir nicht endlich den Investitionsstau bei Krankenhäusern abbauen
und dort etwas tun? Das alles sind Zukunftsmaßnahmen.
Sie aber reduzieren bei diesen Investitionen. Darum ist
Ihre Politik keine Zukunftspolitik.
Lassen Sie mich einen Punkt noch einmal hervorheben. Sie haben in Ihrem Koalitionsvertrag festgehalten,
dass Sie die ODA-Quote einhalten wollen. Warum tun
Sie dann in der Entwicklungspolitik nicht etwas mehr?
Wir pochen einfach nur auf die Einhaltung des Koalitionsvertrages. Sie müssen endlich etwas tun, damit wir
nicht permanent nach Ihren Beschlüssen Soldaten überall in der Welt stationieren müssen. Besser wäre es, bei
der ODA-Quote mehr zu tun und etwas gegen Hunger
und Armut in den Entwicklungsländern zu unternehmen.
Das wären richtige Maßnahmen.
({19})
Natürlich gehört auch die Kaufkrafterhöhung dazu.
Darum müssen die Regelsätze erhöht werden. Darum
wollen wir Rentengerechtigkeit herstellen, zum Beispiel
durch die Angleichung der Ostrenten. In unserem Entschließungsantrag haben wir diverse Maßnahmen vorgeschlagen.
Schließlich komme ich noch zur Einnahmeerhöhung. Im Krisenjahr 2009 hatten wir bei den privaten
Geldvermögen in Deutschland eine Erhöhung um
200 Milliarden Euro zu verzeichnen. Die privaten Geldvermögen sind auf 4,64 Billionen Euro gestiegen. Die
Zahl der Vermögensmillionäre ist im Krisenjahr auf
861 500 gestiegen. Hier soll mir einmal jemand erklären,
warum wir nicht darüber nachdenken können, die Vermögenden an der Finanzierung der Krise entsprechend
zu beteiligen. Der Kernvorschlag der Linken ist und
bleibt eine Millionärsteuer. Bis zu 1 Million Euro bleibt
alles frei. Es geht um privates Geld- und Immobilienvermögen. Niemand will Unternehmen belasten. Aber
5 Prozent sind doch bei Vermögen, die über dieser
Grenze liegen, keine Zumutung. Wer 2 Millionen Euro
Geldvermögen besitzt, muss demnach 50 000 Euro an
Steuern bezahlen. Das führt doch nicht zur Verarmung!
({20})
Warum sollte ein solcher Vorschlag nicht realisierbar
sein, meine Damen und Herren von der Union und der
FDP?
({21})
Warum denken wir in dieser Situation nicht über eine
Steigerung des Spitzensteuersatzes in Richtung
50 Prozent nach? Meinetwegen könnte er auch etwas
später einsetzen. Das wäre aber enorm wichtig für den
Zusammenhalt der Gesellschaft. Warum gibt es nicht
eine Sonderabgabe auf Boni in der Finanzbranche?
Auch das wäre notwendig, besonders angesichts dessen,
dass jetzt, nach der Krise oder in der Krise, schon wieder
neue Boni gezahlt werden. Warum kann man eine solche
Sonderabgabe nicht einführen?
Sie haben unsere Unterstützung bei der Einführung
einer Finanztransaktionsteuer. Wir erwarten allerdings
mehr Enthusiasmus und mehr Druck, damit die Einführung auf europäischer Ebene wirklich erreicht wird. Das
wäre sehr wichtig. Wir sind in jedem Fall dafür.
({22})
- Das ist sehr falsch, wenn Sie nicht auf uns hören. Das
würde auch Ihnen guttun. Vor allen Dingen wäre es gut
für das Land.
({23})
Carsten Schneider hat auf den Bericht des Bundesrechnungshofs verwiesen. Warum tun wir nicht mehr beim
Ausbau der Steuerfahndung? Wenn wir das tun würden,
würden Milliarden Euro in den Haushalt fließen. Auch
das schlagen wir vor. Das wäre sehr notwendig.
Lassen Sie mich noch einen Hinweis geben. Wir wollen, was den Umzug der Regierung betrifft, eine Änderung des Bonn/Berlin-Gesetzes. Herr Weise, der nun
wirklich nicht im Verdacht steht, ein großer Sympathisant der Linken zu sein, hat die Situation zutreffend
beschrieben. Es ist nicht akzeptabel, wenn nach
20 Jahren deutsche Einheit immer noch 9 von 16 Bundesministerien mehr Personal in Bonn als in Berlin haben.
({24})
Lassen Sie uns deshalb dahin kommen, dass die Regierung in Berlin zusammengeführt wird.
Schwarz-Gelb kürzt und streicht bei den sozial
Schwachen, spielt auf der einen Seite die Armen gegen
die noch Ärmeren aus und schont auf der anderen Seite
die Vermögenden und diejenigen, die von der Krise profitiert haben und jetzt schon wieder profitieren. Das ist
nicht akzeptabel.
Das Land und die Menschen brauchen eine andere,
eine gerechte und zukunftsorientierte Politik.
Danke schön.
({25})
Für die FDP-Fraktion erhält nun der Kollege Otto
Fricke das Wort.
({0})
Geschätzter Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Wenn man das alles hört, was von der
vereinten linken Seite kommt, dann hat man nicht das
Gefühl, dass es in diesem Land einen Aufschwung gibt
und dass sich die niedrige Arbeitslosigkeit auf einem Rekordniveau befindet, sondern dass wir uns quasi noch in
den 40 Jahren bewegen, in denen Sie in einem Teil
Deutschlands Verantwortung übernommen hatten. Dieses verzerrte Bild kann man doch keinem Bürger draußen mehr vermitteln.
({0})
Zu dem, was die einstmals so stolze Sozialdemokratie
abliefert, die immer wieder darauf hinweist, wie
schlimm die Verschuldung sei, will ich Ihnen eines sagen:
({1})
Diese Koalition muss die Verschuldung abbauen, die
SPD-Finanzminister elf Jahre lang aufgehäuft haben.
Das ist ein riesiges Stück Arbeit, das wir angehen.
({2})
Der nächste Punkt ist Ihre Bigotterie, zu sagen, dass
diese Koalition nicht spart. Vor zwei Wochen haben Ihre
Redner in der Debatte über das Zukunftspaket gefragt:
Wie könnt ihr nur sparen? Wieso spart ihr überhaupt?
Warum macht ihr das? - Diese Bigotterie nach dem
Motto „Heute so, morgen so“ werden wir auch in dieser
Woche erleben. Das merkt man schon jetzt. Es wird gesagt: Das ist alles falsch. Ihr spart eigentlich nicht. Wir
sparen richtig.
Was werden die SPD, die Dagegen-Grünen und die
Linken den Rest der Woche machen? Sie werden Reden
halten und Mehrausgaben in allen möglichen Bereichen
fordern.
({3})
Bei all dem, was auch der Schuldenbremse entgegenläuft, ist es die Krönung, dass Herr Schneider uns sagt,
wir hielten die Schuldenbremse nicht ein.
({4})
Herr Schneider, ich will nur auf zwei Punkte eingehen. Ihre Behauptung, die Rücknahme der von uns beschlossenen Mehrwertsteuersenkung würde dem Bund
2,3 Milliarden Euro bringen, ist schlichtweg falsch. Sie
wissen, dass der Bund nur einen Teil der Mehrwertsteuereinnahmen bekommt.
({5})
Sie können an der Stelle nicht einmal die richtigen Zahlen verwenden.
({6})
Der zweite Punkt ist Ihr berühmter Sparvorschlag,
den ich jedem zur Lektüre empfehlen kann, weil er dokumentiert ist. Die SPD ist - darüber kann man nachdenken - für eine Bundessteuerverwaltung.
({7})
Dadurch will sie bei der Körperschaftsteuer 3,5 Milliarden Euro mehr einnehmen. Herr Schneider, Sie wissen
doch genau, dass das im Jahr 2011 nicht möglich ist.
({8})
Das ist eine reine Luftbuchungsnummer und ein Ziel in
der Ferne, gegen das sich Ihre SPD-Finanzminister auf
Landesebene zudem ständig wehren. Das ist eine Milchmädchenrechnung.
({9})
Die Schuldenbremse stellen Sie immer auf Ihre Weise
dar. Sie sollten einmal Ihre Darstellung um 90 Grad drehen: Das, was Sie bei der Koalition als Abbau anerkannt
haben, würde unter Ihrer Regierung als Aufbau erfolgen.
({10})
Ein letztes Argument, warum Rot-Grün dieser Koalition keinen einzigen Vorwurf machen kann, sie würde
nicht sparen, ist das Land Nordrhein-Westfalen. Sie
könnten sagen, dass wir nicht genug sparen. Wir sind
immer gerne bereit, weiter zu sparen. Das zeigen alle
Vorschläge, die wir in die Beratungen einbringen. Was
haben Sie aber in NRW gemacht? Sie haben die Verschuldung in diesem Jahr hochgefahren. Sie werden sie
auch im nächsten Jahr hochfahren.
({11})
Nichts anderes machen Sie. Da, wo SPD und Grüne regieren, wird die Verschuldung hochgefahren. Da, wo
CDU, CSU und FDP regieren, wird die Verschuldung
heruntergefahren.
({12})
Wir wollen noch eines klären. Wie sah denn die Planung des lieben Herrn Steinbrück in der alten SPD-Regierung für das Jahr 2011 aus?
({13})
Er hat gesagt, 2011 werde die Neuverschuldung ungefähr 75 Milliarden Euro betragen. Das war die Vorgabe.
Das ist die Last, die uns die Große Koalition über Herrn
Steinbrück hinterlassen hat.
Was erreichen CDU/CSU und FDP? Wir liegen
30 Milliarden unter dem, was Herr Steinbrück vorausgesagt hat.
({14})
Das ist die Leistung, die Sie nicht wahrhaben wollen und
die Ihnen wehtut.
({15})
Dabei setzen wir auch noch Schwerpunkte. Wir gehen
im Bildungsbereich weiter voran. Wir kümmern uns um
die Zukunft. Wir wissen alle, dass dieses Land im Gegensatz zu China keine großen Rohstoffvorkommen hat.
Aber die Rohstoffe, die dieses Land hat und die wir fördern müssen, befinden sich in den Köpfen der Menschen. Deswegen legen wir gerade auf den Bereich Forschung und Bildung so viel Wert; denn nur hier können
wir in die Zukunft investieren und nicht mit irgendwelchen abstrakten Investitionsquoten, wie sie die Linken
vorschlagen. Das ist nun wirklich der falsche Ansatz.
({16})
- Herr Bartsch, nur ein kleiner Hinweis: Eine Investitionsquote hat vielleicht zur Zeit der DDR gepasst, als es
schon eine Investition war, wenn ein Stein auf den anderen gesetzt wurde. In Köpfe zu investieren,
({17})
in Ausbildung zu investieren, in Professoren zu investieren, in Lehrer zu investieren, in Kindergärten zu investieren,
({18})
das ist Zukunft. Genau das machen wir im Bundeshaushalt, insbesondere im Bildungs- und Forschungshaushalt
sowie im Wirtschaftshaushalt.
({19})
Ich will noch auf eine Sache kommen, die mich wirklich ärgert. Das sind Vorwürfe im Bereich Soziales. Ich
bleibe dabei: Der Bürger muss sehen, wie viel Prozent
dessen, was er dem Staat von seinem Geld gibt, für Soziales ausgegeben wird. Da Sie gesagt haben, dass das
unsozial sei, Kollege Schneider und Kollege Bartsch,
können Sie mir sicherlich sagen, wie hoch die Sozialquote ist, also wie viel der Bund für Soziales ausgibt.
Wissen Sie das? Kennen Sie die Zahl? - Es sind
51,7 Prozent, mehr als jemals unter Rot-Grün. Bei Ihnen
geht es nur darum, wem man was wegnehmen kann.
({20})
Aus unserer Sicht ist aber auch die Frage wichtig, wer
wem was gibt. Das heißt, von jedem Euro, den ein deutscher Steuerzahler - sei er Lohnsteuerzahler, Einkommensteuerzahler, Mehrwertsteuerzahler etc. - zahlt, gibt
er 51,7 Cent für Soziales. Es ist wichtig - ich finde, das
darf man sagen -, dass wir dafür sorgen; das ist verantwortungsvoll.
({21})
Wir danken jedem Bürger, der seine Steuern zahlt, für
die Verantwortung, die er für die Schwachen in unserer
Gesellschaft übernimmt; das muss er auch tun.
({22})
- Wir können darüber gerne an anderer Stelle ausführlich diskutieren.
({23})
Nur so viel: Wissen Sie, auf welchen Betrag man kommen muss, um 1 Euro Mehrwertsteuer zu erzeugen?
Wenn jemand etwas für 5,26 Euro kauft, lieber Herr
Schneider, dann zahlt er 1 Euro Mehrwertsteuer und
übernimmt damit zu einem großen Teil soziale Verantwortung in diesem Land. Das ist das, was wir wollen.
Das hat nichts mit dem von Ihnen behaupteten Schröpfen und Abzocken derjenigen zu tun, die täglich hart arbeiten.
Wohin geht die Reise? Wir müssen drei Stufen einhalten. Die erste Stufe ist die Einhaltung der Vorgaben der
Schuldenbremse. Das machen wir. Man kann sicher
lange abstrakte, juristische Diskussionen darüber führen.
({24})
Das Entscheidende ist aber der schrittweise Abbau der
Schulden. Wir haben Sie dieses Jahr damit überrascht,
dass wir 30 Milliarden Euro unter dem ursprünglichen
Etatansatz liegen.
({25})
Wenn wir weiterhin so vorsichtig agieren wie bisher,
dann werden Sie am Ende des Jahres 2011 wieder in die
Tischkante beißen und feststellen müssen, dass diese
Koalition mehr gespart hat, als sie vorsichtig im Etat angesetzt hat. Das ist vernünftige Haushaltspolitik und
nicht die alte Eichel-Politik, die durch ständiges Nachsteuern immer Neues hinzugenommen hat.
({26})
Der zweite Schritt ist wichtig - hier haben Sie in der
Vergangenheit immer wieder versagt -: keine neuen, wesentlichen Mehrausgaben. Die Verantwortung der Koalition in den nächsten Jahren wird darin bestehen, auf dem
Niveau zu bleiben und die Ausgaben dort, wo es möglich ist, weiter herunterzufahren.
({27})
Schließlich müssen diese beiden Schritte dafür sorgen
- das sage ich ausdrücklich im Namen meiner Partei -,
dass am Ende Raum dafür da ist, die Vorgaben der
Schuldenbremse einzuhalten, keine neuen Ausgaben zu
tätigen und dann eine vernünftige und gerechte Steuerreform hinzubekommen. Darauf freuen Sie sich bestimmt genauso wie viele Bürger, die täglich Steuern
zahlen.
Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
({28})
Das Wort erhält der Kollege Alexander Bonde, Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich
weiß nicht, wie es Ihnen geht, aber mir hat es bei der Lageanalyse des Kollegen Fricke ein bisschen die Stimme
verschlagen. Herr Kollege Fricke, wenn Sie die Frage
nach der Infrastruktur modern definieren und sagen würden, dabei gehe es nicht immer nur um Beton, sondern
auch um Investitionen in Bildung und die Zukunftschan7950
cen unserer Kinder, dann hätten Sie völlig recht. Aber
das hat mit Ihrem Haushalt nichts zu tun.
({0})
Sie wissen genau, dass Sie im Rahmen Ihres Haushalts
die Länder nicht um einen Cent entlasten. Die Länder
sind in unserem föderalen System genau diejenigen, die
Sie stärken müssen, wenn Sie den Bildungsbereich voranbringen und Kinder fördern wollen. Auch die Kommunen entlasten Sie nicht um einen Cent, obwohl diese
ebenfalls wichtige Akteure im Bildungsbereich und bei
der Kinderbetreuung sind.
({1})
Insofern haben Sie mit Ihrem eigenen Beispiel schon
eine der ersten großen Schwächen Ihres Haushalts offengelegt.
Dann haben Sie dargelegt - das ist eine vermeintlich
große Leistung dieser Koalition -, um wie viele Milliarden Euro Sie die Verschuldung am Schluss reduziert haben. Das muss man den Menschen erklären. Kurz vor
Ende der Haushaltsberatungen hat die Koalition die aktuelle Steuerschätzung und die aktuelle Wachstumsprognose in den Haushalt eingearbeitet. Das ist nicht falsch.
Sie hat aber Folgendes gemacht: Sie hat 8,1 Milliarden
Euro Steuermehreinnahmen verbucht. Das leitet sich
korrekt aus dieser Prognose ab. Weiterhin hat sie zusätzliche Minderausgaben in Höhe von 1,15 Milliarden Euro
verbucht. Diese resultieren aus geringeren Zuschüssen
an die Bundesagentur für Arbeit. Schließlich hat sie
beim Arbeitslosengeld II wegen niedrigerer Fallzahlen
500 Millionen Euro weniger eingerechnet. Das alleine
bedeutet, dass der Haushalt aufgrund der Konjunktur
eine um 9,75 Milliarden Euro geringere Verschuldung
aufweisen müsste. Das ist aber nicht der Fall. Vielmehr
weist der Haushalt eine um nur 9,1 Milliarden Euro geringere Verschuldung auf. Was bedeutet das? Diese Koalition hat noch nicht einmal das Konsolidierungspotenzial, das der Konjunkturaufschwung bietet, in diesen
Haushalt eingeplant. Im Gegenteil: Es versickert richtig
viel Geld.
({2})
Wohin versickert es? Es werden Ausnahmen vom Sparpaket für Lobbyisten gemacht. Mächtige Lobbygruppen
in diesem Land haben während der Haushaltsberatungen
von morgens früh bis abends spät im Kanzleramt gesessen. Diese Lobbygruppen haben Sie mit der guten Konjunktur aus dem Sparpaket herausgekauft. Sie werden
ungeschoren bleiben. Das hat weder mit sozialer Gerechtigkeit noch mit Haushaltskonsolidierung etwas zu
tun.
({3})
Mit diesem Haushalt kommt als Erstes der soziale
Frieden in diesem Land unter die Räder, weil Sie das Instrument der Schuldenbremse - ein wichtiges Projekt einseitig handhaben. Sie bemühen sich überhaupt nicht,
weite Teile der Gesellschaft mitzunehmen. Der Lobbyist
kommt morgens um 5 Uhr ins Kanzleramt, aber dem Arbeitslosengeld-II-Empfänger zeigen Sie nur die kalte
Schulter. Das ist die harte Realität der schwarz-gelben
Koalition.
({4})
Das Zweite, was unter die Räder kommt, ist die Ökologie. In Sonntagsreden haben Sie das Thema scheinbar
erkannt. Aber immer wenn es mit dem ökologischen
Wandel und dem Klimaschutz ernst wird, Herr Kollege
Fricke, dann hat die Dagegen-Partei eine andere Farbe,
als Sie behaupten. Dagegen ist immer die FDP - das ist
die Wahrheit sowohl beim Klimaschutz als auch bei der
sozialen Gerechtigkeit in diesem Land.
({5})
Das Marktanreizprogramm ist für das Handwerk
und im Hinblick auf die Frage wichtig, wie man neue
Technologien marktfähig macht. Die Kürzung in diesem
Bereich beträgt aber fast 70 Millionen Euro. Das CO2Gebäudesanierungsprogramm ist ein wichtiges Projekt
für die kommunale Wirtschaft und für ein klimafreundlicheres, ressourcenschonenderes Wirtschaften. Hier beträgt die Kürzung 864 Millionen Euro gegenüber dem
letzten Jahr. Kommen wir zum internationalen Klimaschutz. Frau Merkel, Ihr Versprechen von Kopenhagen
haben Sie heimlich einkassiert. 35 Millionen Euro wurden gestrichen. Beim Bundesprogramm Ökologischer
Landbau haben Sie sich diesmal nicht getraut, Kürzungen vorzunehmen. Dafür ändern Sie die Zweckbestimmung und zweckentfremden die Mittel.
Das ist die umweltschädliche Bilanz dieser Koalition.
Das hat nichts mit dem zu tun, was Sie hier gerade skizziert haben.
({6})
Eine Reihe von Einsparungen nehmen Sie in diesem
Etat bewusst nicht vor. Die Koalition führt eine Bundeswehrreform durch, wodurch sich ab Mitte nächsten Jahres die Bundeswehr komplett verändern wird. Gleichzeitig lassen Sie den Bundeswehretat einfach laufen und
verzichten nicht auf die massiven Beschaffungen. Das
heißt, Sie finanzieren munter weiter in die alte Struktur,
wissend, dass die Gefahr besteht, dass die Hälfte der mit
Milliardensummen finanzierten Beschaffungen zur geplanten Struktur der Bundeswehr überhaupt nicht mehr
passt.
({7})
In vielen anderen Bereichen haben wir das gleiche Phänomen.
Beim Abbau ökologisch schädlicher Subventionen
kneifen Sie. Sie sind nicht bereit, irgendeine Maßnahme
an dieser Stelle zu ergreifen, die haushaltspolitisch entlasten würde, umweltpolitisch positive Effekte hätte,
eine wirtschaftspolitische Lenkungswirkung in Richtung
Modernisierung unserer Volkswirtschaft entfalten oder
eine offensive Herangehensweise an das Thema Klimaschutz für uns als Exportland bedeuten würde. Das alles
verschlafen Sie. Die wahre Dagegen-Partei ist wiederum
gelb, lieber Kollege Fricke.
({8})
Die Menschen sind längst weiter, als Sie es mit Ihrer
sehr lobbygetriebenen, engen Politik sind. Wenn man
landauf, landab unterwegs ist und mit Unternehmern
spricht, dann spürt man: Ihnen ist ein ordentlich finanziertes Bildungssystem wichtiger als die Höhe des Spitzensteuersatzes. Außerdem ist verantwortungsvollen
Unternehmern heute der soziale Frieden wichtiger als
das Subventionsgewirr an Exportförderungen, die der
Außenwirtschaftsminister Brüderle in seinem Haushalt
aufgelegt hat. Ich wiederhole: Die Menschen sind da
weiter. Geben Sie sich einen Stoß, machen Sie Schluss
mit diesem Ausrichten am lobbypolitischen Klein-Klein,
({9})
und gehen Sie an die wirklich großen Aufgaben heran,
die wir zu bewältigen haben. Wenn es darum geht, die
Schuldenbremse einzuhalten, dann bekennen wir uns zu
unserer Verantwortung und machen mit. Aber wir wollen sozial und ökologisch sinnvoll vorgehen, und genau
das tun Sie nicht.
Wir sind also gegen diesen Haushalt. Ich sage Ihnen
eines: Wenn Sie auf dem Weg zur Vernunft nicht viel
Unsinn ablehnen, dann kommen Sie nie zum Ziel, Herr
Fricke.
Herzlichen Dank.
({10})
Für die Bundesregierung erhält nun der Bundesfinanzminister Dr. Wolfgang Schäuble das Wort.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Opposition muss sich bei dieser Haushaltsdebatte natürlich
überlegen, was sie nun kritisiert.
({0})
Uns in einem Atemzug vorzuwerfen, wir würden zu viel
sparen und zu viel Schulden machen, ist von der Logik
her irgendwo nicht zusammenzubringen.
({1})
Es ist schon wichtig, dass wir uns über die Grundlinien
der Finanzpolitik verständigen.
Herr Kollege Schneider, um vorweg noch folgende
Bemerkung zu machen: Es war bis Anfang des Jahres offizielle Meinung auch des Bundesfinanzministeriums,
von Ihnen damals tatkräftig unterstützt, dass die im
Haushalt 2010 durch das Parlament beschlossene Neuverschuldung, das strukturelle Defizit, der maßgebende
Wert für die Schuldenbremse sein solle. Ich bin derjenige, der das geändert hat. Das hat dann Ihre Zustimmung gefunden; das ist wahr. Aber jetzt können Sie sich
vor lauter Zustimmung gar nicht mehr retten. Jetzt sagen
Sie, man müsse das nun nicht mehr nur auf den Zeitpunkt, zu dem wir, das Kabinett, den Haushalt aufgestellt und die mittelfristige Finanzplanung vorgelegt haben, beziehen, sondern fortschreiben.
({2})
Ich sage Ihnen: Die mittelfristige Finanzplanung kann
gar nicht fortgeschrieben werden.
({3})
Deswegen ist es richtig, dass wir den Wert, der bei der
Aufstellung des Haushalts zum Zeitpunkt der Kabinettsentscheidung im Juli absehbar war, für den Haushalt
2011 und für die mittelfristige Finanzplanung als Ausgangswert für die Schuldenbremse zugrunde gelegt haben. Dabei bleibt es. Damit werden wir den Anforderungen gerecht werden.
({4})
Dass es in den Beratungen des Haushaltsausschusses
gelungen ist, die Neuverschuldung im Haushalt 2011 auf
unter 50 Milliarden Euro zu drücken, ist eine große Leistung, für die ich dankbar bin. Veranschlagt sind aber immer noch 48,4 Milliarden Euro neue Schulden. Deswegen habe ich in einem anderen Zusammenhang gesagt:
Manche glauben, wir schwimmen im Geld. Wir schwimmen aber nicht im Geld; wir ertrinken allenfalls in
Schulden
({5})
und versuchen, uns dagegen zu wehren.
Wir kommen aus der schwersten Finanz- und Wirtschaftskrise der Nachkriegszeit. Wir hatten im vergangenen Jahr einen Rückgang des Bruttoinlandsprodukts von
fast 5 Prozent, mit entsprechenden Einbrüchen bei den
Steuereinnahmen der öffentlichen Haushalte, also der
Haushalte von Bund, Ländern und Gemeinden. Es ist
uns glücklicherweise gelungen, die Auswirkungen auf
den Arbeitsmarkt in höherem Maße zu begrenzen, als
wir es damals zu hoffen gewagt hatten. Das ist eine
große soziale Leistung, für die man gar nicht dankbar
genug sein kann.
({6})
Das ist auch ein eindeutiger Beweis für den Erfolg des
Modells der sozialen Marktwirtschaft und der sozialen
Partnerschaft in der Bundesrepublik Deutschland. Sie
werden in Europa und in der Welt heute viel positiver
gesehen als noch vor einigen Jahren. Auch dies muss
man dankbar und mit Respekt erwähnen.
({7})
Wir sind eingebunden in ein schwieriges internationales, auch europäisches Umfeld. Liebe Kolleginnen und
Kollegen, die aktuellen Debatten und Diskussionen darüber, was in Irland vor sich geht, und der Antrag Irlands, sich unter den europäischen Rettungsschirm zu
begeben und um Beistand durch die Euro-Gruppe bzw.
die Europäische Union und den Internationalen Währungsfonds zu ersuchen, zeigen ja, dass diese Finanzund Wirtschaftkrise nach wie vor nachwirkt und dass wir
nach wie vor alles daransetzen müssen, um sie zu beherrschen.
Wir werden in den nächsten Tagen noch intensiv mit
dem Haushaltsausschuss darüber reden. Die Bundesregierung ist fest entschlossen, so eng wie möglich zu informieren und in gegenseitigen Abstimmungen die notwendigen Entscheidungen, die wir zu treffen haben,
vorzubereiten.
({8})
Aber ich will in diesem Zusammenhang ganz klar sagen:
Unsere gemeinsame Währung steht auf dem Spiel. Dafür müssen wir Verantwortung übernehmen. Wenn wir
diese gemeinsame Währung nicht als eine stabile Währung nachhaltig verteidigen können, wären die wirtschaftlichen und sozialen Folgen für unser Land bzw. für
die Menschen in unserem Land unabsehbar. Das ist unsere Verantwortung, der wir uns auch in dieser schwierigen Situation zu stellen haben.
({9})
Vor diesem Hintergrund ist es außergewöhnlich wichtig, dass es uns in der Bundesrepublik Deutschland gelingt, zu zeigen, dass das, worüber international so viel
gesprochen wird, tatsächlich möglich ist, dass man nämlich die Hauptursachen dieser Krise, die zu hohen Defizite in den öffentlichen Haushalten und die Blasen mit
zu viel Liquidität auf den Finanzmärkten, maßvoll beseitigen und bekämpfen kann und damit nicht Wachstum
zerstört, sondern fördert. Das ist Anfang dieses Jahres
noch sehr bestritten worden.
Inzwischen ist Deutschland geradezu die Wachstumslokomotive in Europa und darüber hinaus sowie ein Modell für andere. Deswegen tragen wir Verantwortung.
Wir zeigen, dass wir mit dieser soliden Finanzpolitik auf
dem richtigen Weg sind, Defizite zu reduzieren und zugleich die Grundlagen für nachhaltiges Wachstum, Beschäftigung und soziale Gerechtigkeit in unserem Lande
sicherzustellen.
({10})
Deswegen werden wir diesen Weg konsequent, mit Augenmaß, aber auch mit großer Entschiedenheit weiter
fortsetzen. Dadurch schaffen wir auch die Spielräume
für neue Gestaltungsaufgaben in der Zukunft. Aber wir
müssen es Schritt für Schritt tun, und wir dürfen nicht
beim ersten Erfolg innehalten, nur weil die Steuereinnahmen ein bisschen besser sind, die Defizite ein bisschen geringer sind, als wir befürchten mussten, und die
Wirtschaftslage sich besser entwickelt.
Die gesamtwirtschaftliche Leistungskraft ist übrigens immer noch unter dem Niveau von vor der Finanzund Wirtschaftkrise. Wenn wir es schaffen, Ende 2011
oder 2012 wieder das Vorkrisenniveau zu erreichen,
dann wären wir besser, als wir zu Anfang der Legislaturperiode zu hoffen gewagt haben. Wir werden mit den
Steuereinnahmen 2012 gerade wieder mal knapp das Niveau von 2008 erreichen. Das heißt, wir haben allen
Grund, diesen Weg konsequent und mit Augenmaß fortzusetzen. Die Erfolge auf diesem Weg zeichnen sich für
die Wirtschaft, die Menschen in unserem Lande und
auch für die soziale Sicherheit Schritt für Schritt ab.
Deswegen gehen wir ihn weiter. Dabei nutzen wir die
Spielräume in dem Maße, wie wir sie uns erarbeiten.
({11})
- Herr Kollege Schneider, wir reden von 48,4 Milliarden
Euro Neuverschuldung im kommenden Jahr. Wir haben
keine Kriegskasse, wir haben keine Reserven, sondern
wir sind - ({12})
- Wenn Sie die Verantwortung trügen, hätten wir jedenfalls sehr viel mehr Neuverschuldung. Dann hätten wir
weniger Stabilität und mehr Arbeitslosigkeit.
({13})
Herr Minister, möchten Sie Zwischenfragen beantworten?
({0})
Bitte, ja.
Herr Minister, da Sie gesagt haben, die Nettokreditaufnahme könnte wohl kaum niedriger sein als diese
48,4 Milliarden Euro, würde ich Sie gerne fragen, ob Sie
mir nicht zustimmen, dass sie dann um 1,1 Milliarden
Euro niedriger läge, wenn die 1,1 Milliarden Euro, die
bei der Bundesagentur für Arbeit für Insolvenzgelder
eingezahlt worden sind, von Ihnen nicht im Rahmen der
Jahresrechnung 2010 vereinnahmt werden würden? Es
gibt natürlich verschiedene Auffassungen darüber, ob es
überhaupt legitim ist, 1,1 Milliarden Euro, die nicht paritätisch erbracht worden sind, wie es ansonsten üblich ist,
zur Haushaltsverbesserung zu vereinnahmen.
Frau Kollegin Hagedorn, ich vermute, dass Sie so gut
wie ich wissen, dass das, was Sie jetzt gerade anspreBundesminister Dr. Wolfgang Schäuble
chen, der geltenden Rechtslage entspricht. Wenn sich
der Bundesfinanzminister und der Bundestag an die geltende Gesetzeslage halten, dann ist das nicht Manipulation, sondern dann ist das Gesetzesvollzug. Wir unterliegen ja alle der Verpflichtung, uns an Recht und Gesetz
zu halten.
({0})
Ich vermute übrigens, dass Ihre Partei in Regierungsverantwortung war, als wir diese Rechtslage geschaffen haben.
({1})
Darüber hinaus sind wir uns einig, dass wir das für die
Zukunft ändern wollen. Wir diskutieren jetzt über die
Frage, ob wir das rückwirkend ändern wollen. Ich gehöre zu denjenigen, die sagen: Rückwirkende Änderungen der Rechtslage lassen immer die Vermutung der Manipulation aufkommen. Deswegen bin ich in diesem
Punkt zurückhaltend.
({2})
Zurück zum eigentlichen Thema: Die Kunst von Finanz- und Wirtschaftspolitik ist doch, den richtigen Weg
zu finden, öffentliche Haushalte so zu gestalten, dass sie
Impulse für wirtschaftliches Wachstum nicht verhindern,
sondern verstärken. Genau das ist die Kunst. Wenn Sie
nun über alle möglichen Steuererhöhungen reden, müssen Sie immer bedenken, welche Wirkungen diese auf
die gesamtwirtschaftliche Entwicklung haben. Wenn
die gesamtwirtschaftliche Entwicklung schlechter wäre,
dann hätten wir mehr Arbeitslosigkeit, wieder höhere
Ausgaben im Bundeshaushalt, damit höhere Defizite
und weniger soziale Gerechtigkeit. Ein Erfolgsnachweis
für die Finanz-, Wirtschafts- und Sozialpolitik dieser
Bundesregierung ist daher, dass wir neben einer vernünftigen Reduzierung der öffentlichen Defizite zugleich
nachhaltiges Wirtschaftswachstum und eine bessere Entwicklung am Arbeitsmarkt erreicht haben. Wir sind entschlossen, genau diesen Weg fortzusetzen.
({3})
In dem Maße, wie wir auf diesem Pfad bleiben, erschließen wir uns Spielräume. Jetzt werden wir uns darauf konzentrieren müssen, trotz begrenztem Haushaltsspielraum steuervereinfachende Maßnahmen zu
beschließen. Das können wir nur im Einvernehmen mit
den Ländern machen; denn diese sind für die Steuerverwaltung zuständig. Auf Ihren Vorschlag, man könne die
Steuerverwaltung beim Bund vereinheitlichen, kann ich
Ihnen nur entgegnen: Wir müssen uns schon an das
Grundgesetz halten. Wir sind ein Föderalstaat, in dem
die Aufgabenverteilung zwischen Bund und Ländern
schon durch das Grundgesetz festgelegt ist, und dieses
ist verpflichtend für uns alle. Deswegen können wir solche steuervereinfachenden Maßnahmen nur im Einvernehmen mit den dafür zuständigen Ländern machen.
({4})
Der Spielraum hierfür ist ein begrenzter, und man sollte
gleich hinzufügen: Die Erwartungen an Steuervereinfachungen dürfen in der Öffentlichkeit nicht zu sehr geschürt werden. Wenn man nämlich nur einen begrenzten
Entlastungsspielraum hat, werden die Auswirkungen auf
die Steuerzahler auch nur begrenzt wahrnehmbar sein.
Ich warne davor, überzogene Versprechungen zu machen
und zu hohe Erwartungen zu schüren, die sich am Ende
in der Realität nicht bestätigen werden.
({5})
- Bleiben Sie ganz ruhig! Ich sage Ihnen gerne, wie unser weiterer Weg ist.
Die große Frage, die sich an die Finanzpolitik dieser
Regierung und dieses Parlaments richtet, ist ja: Wird sie
den richtigen Kurs fortsetzen? Niemand in der internationalen Fachwelt bestreitet ja, dass wir auf dem richtigen Weg sind. Das sagen die Forschungsinstitute; das
sagt der Sachverständigenrat;
({6})
das sagen die OECD und die EU-Kommission und auch
die Bundesbank. Zweifel bestehen, ob wir angesichts der
Erfolge die Kraft haben, diesen Weg fortzusetzen.
({7})
Es wird wieder und wieder darauf hingewiesen, dass
in der Vergangenheit oft genug der Fehler gemacht worden ist, konjunkturelle Spielräume strukturell zu verschenken.
({8})
Genau das, verehrte Kolleginnen und Kollegen, werden
wir nicht tun.
({9})
Wir werden, weil wir durch die Ergebnisse in der Wirtschaft und auf dem Arbeitsmarkt unsere Finanzpolitik
bestätigt sehen, noch mehr Kraft darauf verwenden, genau diesen Weg konsequent fortzusetzen. Das dient am
besten unserem Land. Das dient am besten unserer Verantwortung in Europa. Das dient am besten unserer Verantwortung für kommende Generationen.
Herzlichen Dank.
({10})
Das Wort erhält die Kollegin Nicolette Kressl für die
SPD-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Traditionell ist die allgemeine Finanzdebatte am Dienstag einer Haushaltswoche Anlass, Bilanz über die Finanz- und Steuerpolitik der Bundesregierung und der
Koalitionsfraktionen zu ziehen. Dazu gehört aus meiner
Sicht auch vonseiten der Koalitionsfraktionen ein Mindestmaß an Ehrlichkeit.
({0})
Zu diesem Mindestmaß an Ehrlichkeit will ich zwei Anmerkungen machen.
Erste Anmerkung. Herr Barthle, hier zu behaupten,
die Mittel für die Städtebauförderung seien nicht gekürzt
worden, ist wirklich blanker Hohn und entspricht diesem
Mindestmaß nicht.
({1})
Sie wissen ganz genau, dass die Tatsache, dass man hinterher etwas weniger kürzt, als man am Anfang wollte,
nicht bedeutet, dass man nicht kürzt. Dies bedeutet nur,
dass man den Schein wahren will.
({2})
Zweite Anmerkung. Zu einem Mindestmaß an Ehrlichkeit gehört auch, nicht in allen Reden den Eindruck
zu erwecken, man habe vor allem gespart und keine
Steuererhöhungen durchgeführt. Die Wahrheit ist doch:
Sie haben eine Reihe von Steuererhöhungen in diesen
Haushalt hineingepackt.
({3})
Die nächste Steuererhöhung, nämlich die Tabaksteuererhöhung, ist schon geplant. Die Luftverkehrsabgabe ist
eine Steuererhöhung. Herr Minister Schäuble, die
Brennelementesteuer ist die flexibelste Steuer, die ich je
kennengelernt habe. Man senkt den Tarif, erzielt aber die
gleichen Einnahmen - wie auch immer das funktionieren
soll -, die man am Anfang angesetzt hatte.
({4})
Zur Ehrlichkeit in dieser Debatte hätte gehört, dass Sie
sagen: Ja, wir haben mehrere Steuererhöhungen auf den
Weg gebracht.
({5})
Zur Bilanz gehört auch, dass man die Ausgangssituation mit der jetzigen Situation vergleicht. Ausgangspunkt ist Ihr Koalitionsvertrag. Darin sind ambitionierte Pläne enthalten, die wir Sozialdemokraten für
falsch gehalten haben. Wir haben immer gesagt: Angesichts der Aufgaben, die die Kommunen und die Länder
erfüllen müssen, ist jetzt nicht die Zeit für Steuersenkungen. Aber Sie haben entsprechende Maßnahmen in den
Koalitionsvertrag aufgenommen. Eine Reihe von anderen Punkten will ich gleich noch anführen.
Was nach einem Jahr aus Ihren Plänen geworden ist,
ist eine Kombination aus einem Scherbenhaufen und einem zerplatzten Luftballon.
({6})
Weil Sie sich aufgrund des anfänglichen Chaos auf
nichts einigen konnten, haben Sie mit jedem Steuergesetz eine fatale Mischung aus Klientelpolitik, die Einzelinteressen bedient, und unprofessioneller Arbeit an
den Tag gelegt. Diese Mischung ist fatal für die Entwicklung in diesem Land.
({7})
Sie beginnen mit einem Gesetz, das inzwischen berüchtigt ist, dem sogenannten Wachstumsbeschleunigungsgesetz.
({8})
Darin enthalten sind Steuerprivilegien in Höhe von jährlich 1 Milliarde Euro für Hotels. Außerdem werden
Schlupflöcher für Konzerne geöffnet, die dadurch Freiräume für Gestaltungen bekommen. Ferner gab es Steuererleichterungen für Erben. Das war Ihr erster Schritt.
({9})
Der zweite Schritt war, dass Sie in einem weiteren
Gesetz, eingepackt in Mehrwertsteuerregelungen für die
Post, den Interessen von Einzelnen gefolgt sind. Sie beginnen bereits mit diesem Gesetz, die Gewerbesteuer
auszuhöhlen.
({10})
Das ist der rote Faden, den wir erkennen: Sie kombinieren Gestaltungsmöglichkeiten für große Konzerne, die
grenzüberschreitend tätig sind, mit der Aushöhlung der
Gewerbesteuer und behaupten dann, Sie wollten die
Kommunen unterstützen. Was für ein Hohn, kann ich da
nur sagen.
({11})
Dann verbinden Sie die Klientelpolitik noch mit Konfusion - Beispiel Mehrwertsteuer. Das ist wirklich
grandios, fast schon kabarettreif: Im Koalitionsvertrag
vereinbaren Sie, eine Kommission zur Reform der
Mehrwertsteuer einzusetzen. Dann beginnen Sie dieses
Vorhaben mit dem denkbar schlechtesten Schritt, indem
Sie eine Ausnahme im Bereich der Mehrwertsteuer machen. Dann passiert ein halbes Jahr nichts. Danach tagt
der Koalitionsausschuss stundenlang und kommt zu einem grandiosen Ergebnis: Sie einigen sich darauf, das,
was im Koalitionsvertrag steht, umzusetzen, nämlich
eine Kommission zur Reform der Mehrwertsteuer einzusetzen. Ich bitte Sie! Soll das ein politisches Signal sein?
Soll dadurch das Vertrauen der Menschen, von dem Sie
vorhin geredet haben, wiederhergestellt werden? Außer
Konfusion und Unsicherheit wird dadurch nichts bewirkt.
({12})
Genau diese Linie setzt sich im Bereich der Steuerpolitik weiter fort. Man könnte über manches, was man
so berichten und erleben kann, amüsiert lächeln. Uns allen vergeht das amüsierte Lächeln aber bei dem SchauNicolette Kressl
spiel, das Sie beim Thema Kommunalfinanzen aufführen. Ich sage Ihnen auch, warum: Tausende Menschen
arbeiten ehrenamtlich in Gemeinderäten, weil sie sich
um das Wohl ihrer Kommune kümmern und sich engagieren wollen. Sie jedoch vereinbaren im Koalitionsvertrag, dass die Gewerbesteuer wegfallen soll. Dann haben
Sie bemerkt, dass Sie bei den Kommunen keinen Erfolg
haben, weil diese wissen, dass die Behauptung, die Gewerbesteuer sei die einzige, die ständig schwanken
würde, nicht zutrifft.
Frau Kollegin Kressl, darf der Kollege Meierhofer
eine Zwischenfrage stellen?
Gern.
Vielen Dank, Frau Kollegin Kressl. - Meine Frage ist:
Wurde nicht in der letzten Legislaturperiode für den Betrieb von Seilbahnen und darüber hinaus auch für Flusskreuzfahrten auf besonderen Wunsch der SPD ein ermäßigter Mehrwertsteuersatz eingeführt?
({0})
Nein. Das ist ausdrücklich nicht auf besonderen
Wunsch der SPD eingeführt worden.
({0})
- Das waren Ihre Koalitionspartner von der CSU; das ist
auch nachlesbar.
({1})
Allerdings will ich auch sagen: Es war ein Fehler.
({2})
- Ja, ja. Das finde ich ja spannend. Wissen Sie, was da
gerade passiert? Wenn wir als politische Partei und Fraktion sagen: „Da haben wir uns geirrt, das war ein Fehler“, dann sind wir hundertmal weiter als Sie, weil Sie
nicht in der Lage sind, Ihre komische Milliarde für die
Hotels zurückzunehmen.
({3})
Ich finde, zu politischer Arbeit gehört, dass man sagt:
Das war ein Fehler, das werden wir reparieren. - Wir
sind mehr als neugierig, ob Ihre Reformkommission zur
Mehrwertsteuer in der Lage sein wird, den Fehler, den
Sie bei den Hotels gemacht haben, zu erkennen und zu
korrigieren. Denn ansonsten brauchen Sie mit Ihrem tollen Projekt gar nicht anzufangen.
({4})
Bleiben wir bei den Kommunalfinanzen. Nachdem
Sie, wie beschrieben, in mehreren Gesetzen die Gewerbesteuer ausgehöhlt haben, gab es das Signal: Abschaffung. Dann hat Minister Schäuble den Kommunen das
Signal gegeben: Die Gewerbesteuer bleibt erhalten. Wir
haben hier in der Debatte kurz danach gesagt: Darin unterstützen wir Sie. - Anschließend fand der, wie ich
finde, fast einmalige Vorgang statt, dass die FDP-Fraktion einen formalen Beschluss gegen die Position des eigenen Finanzministers fasste. Das muss man sich einmal
auf der Zunge zergehen lassen.
({5})
Was haben wir jetzt? Die Kommunen erhalten keinerlei Information, wie es weitergehen soll; denn Sie erzeugen Planungsunsicherheit. Sie verschieben alles in die
Zukunft, in eine weitere Kommission. Ich sage Ihnen:
Bewegen Sie sich wenigstens in diesem Bereich außerhalb Ihrer sonstigen Kabarettstückchen - Kabinettstückchen könnte man auch sagen -, und geben Sie den Kommunen so schnell wie möglich das klare Signal: Die
Gewerbesteuer bleibt erhalten, sie wird stabilisiert, die
Kommunen werden entlastet. Dann hätten Sie in einem
Thema der Steuerpolitik endlich eine klare, erkennbare
Linie, und dabei würden wir Sie auch unterstützen.
({6})
Nächster Redner ist der Kollege Dr. Volker Wissing
für die FDP-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es
geht ja einiges in dieser Debatte durcheinander. Ich will
einmal daran erinnern, welche Fraktion in diesem Haus
sich in der Vergangenheit zum Thema „Schuldenbremse
in der Verfassung“ wie verhalten hat. Die Linken haben
damals in der Föderalismuskommission gesagt, sie stimmen der Schuldenbremse nicht zu,
({0})
weil man Schulden machen müsse, um politisch gestalten zu können.
({1})
Das ist eine Position, die nicht meine ist; aber wenn man
sie vertritt, dann sollte man so ehrlich sein und die anderen hier nicht dafür kritisieren, dass sie nicht noch mehr
einsparen. Sie wollten nie sparen. Sie haben der Schuldenbremse nicht zugestimmt. Stehen Sie bitte auch
dazu!
({2})
Lieber Herr Kollege Bonde von den Grünen, Sie sind
gegen alles. Deswegen nennt man Sie auch „die Dagegen-Partei“.
({3})
Sie machen damit Werbung und sagen den Leuten: Wir
sind gegen Bahnhöfe und neuerdings auch gegen die
Olympischen Spiele.
({4})
Es wäre anständig gewesen, wenn Sie gesagt hätten: Wir
waren auch gegen die Schuldenbremse; denn Sie hatten
Sorge, dass Sie dann Ihre Schuldenpolitik nicht mehr
durchsetzen können.
({5})
Das wäre ehrlich gewesen. Auch Sie waren gegen die
Schuldenbremse in der Verfassung.
({6})
Stellen Sie sich also nicht als Obersparer hin! Sie waren
Teil der rot-grünen Regierung; das waren die Oberschuldenmacher, nicht die Obersparer.
({7})
- Regen Sie sich doch nicht so auf.
Sie waren diejenigen, die gemeinsam mit der SPD die
Maastricht-Kriterien verletzt haben. Sie waren auch
gegen die Maastricht-Kriterien. Sie waren der Meinung,
man brauche Wachstum, wenn man Stabilität habe. Sie
waren - anders als wir - der Meinung, dass man Wachstum nicht durch eine vernünftige Steuer- und Finanzpolitik erreicht;
({8})
Sie wollten Wachstum durch Schulden schaffen. Dann
haben Sie die Maastricht-Kriterien, das 3-Prozent-Kriterium, verletzt. Damit haben Sie den Weg Europas in ein
Schulden-Europa geebnet. Das waren die Grünen und
die Sozialdemokraten.
({9})
Herr Kollege Wissing, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Liebich?
Ja, bitte.
Herr Kollege, Sie haben auf die Position unserer
Fraktion und unserer Partei zur Schuldenbremse Bezug
genommen. Sie haben sicherlich recht damit, dass wir
klar gesagt haben und sagen: Wir sind gegen die Schuldenbremse. Sie haben aber mit dem Grund, den Sie dafür
genannt haben, nicht recht: Wir sind nicht gegen die
Schuldenbremse, weil wir dafür sind, Schulden zu machen. Vielmehr sind wir der Auffassung, dass man politisch entscheiden muss, ob und wann man Schulden
macht.
({0})
Falls Sie jetzt mit dem Argument kommen wollen, die
Linke sage das nur, um dann Schulden aufzunehmen,
will ich darauf verweisen, dass die Schulden in den Ländern, in denen unsere Partei regiert hat und regiert, durch
einen intensiven Sparkurs reduziert wurden,
({1})
und das ohne jede Verfassungsregel. Hingegen hat Ihr
Koalitionspartner, die Union, vorher das Land Berlin an
die Wand gefahren.
({2})
Lieber Herr Kollege, ich habe selten einen solchen
Unsinn gehört. Das Land Berlin, in dem Sie mitregieren,
ist doch wohl alles andere als ein Land mit weniger
Schulden. Ich erinnere mich noch genau an die Positionen und Äußerungen der Vertreter Ihrer Fraktion in der
Föderalismuskommission. Es ging Ihnen immer darum,
die Flexibilität für Ihre unsolide Politik zu erhalten. Sie
waren gegen die Schuldenbremse, weil Sie sich für den
Fall, dass Sie jemals regieren, die Option offenhalten
wollten, dieses Land mit einer Neuverschuldung zu
überziehen, um Ihre abstrusen Forderungen umsetzen zu
können. Das haben wir mit der Schuldenbremse verhindert; das ist gut so. Wir werden dafür sorgen, dass Sie in
diesem Land keine Regierungsverantwortung erhalten.
({0})
Darf auch der Kollege Norbert Barthle eine Zwischenfrage stellen?
Ja, er stellt bestimmt eine kluge Frage.
Das wollen wir einmal abwarten.
Herr Kollege Wissing, darf ich Sie fragen, ob Ihnen
bekannt ist, dass das Land Brandenburg, in dem Rot-Rot
- SPD und Linke - regiert,
({0})
einen Antrag der CDU, der FDP und der Grünen abgelehnt hat, die Schuldenbremse in die Landesverfassung
aufzunehmen?
({1})
Ja, Herr Kollege Barthle, das ist mir bekannt. Das
zeigt, dass die Linke ihre Vorstellungen von einer Schuldenpolitik nicht nur auf Bundesebene ausbreitet, sondern
auch noch versucht, sie in die Länder hineinzutragen.
Das ist sehr bedauerlich. Man kann nur hoffen, dass die
Linke dort nicht auf Dauer die Verantwortung trägt.
({0})
Nun kommen wir noch einmal zu den Sozialdemokraten. Sie erzählen uns hier immer wieder, die Finanzmärkte müssten endlich einmal reguliert werden. Dazu
will ich feststellen, dass Sie uns nach elf Jahren sozialdemokratischer Regierungsverantwortung deregulierte
Finanzmärkte hinterlassen haben. Sie haben gemeinsam mit den Grünen mit der Deregulierung begonnen
und uns viele Versäumnisse hinterlassen, die wir Stück
für Stück aufgearbeitet haben.
({1})
Wir haben die Finanzmärkte besser reguliert. Wir haben
den Anlegerschutz gestärkt. Wir haben für transparentere Finanzmärkte gesorgt. Wir haben die Grundlagen
dafür gelegt, dass Banken künftig geordnet abgewickelt
werden können, und zwar nicht auf Kosten der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler,
({2})
sondern durch einen Restrukturierungsfonds, also auf
Kosten der Branche, die eine gefahrgeneigte Tätigkeit
ausübt.
({3})
All das, was Sie in der Regierungsverantwortung nicht
hinbekommen haben, hat diese christlich-liberale Koalition in Angriff genommen.
Hören Sie endlich auf, so zu tun, als hätten Sie, als
Sie Regierungsverantwortung trugen, die Dinge getan,
die Sie heute von der Regierung erwarten. Sie haben sie
nicht einmal ansatzweise aufgegriffen. Wir haben die Finanzmärkte in Deutschland sicherer gemacht. Sie haben
all das versäumt.
({4})
Sie werden auch die Verantwortung nicht los, die Ihr
Finanzminister übernommen hat, als er 2004 die Entscheidung getroffen hat, die Maastricht-Kriterien zu verletzen.
({5})
Sie müssen sich auch anhören, dass Europa heute besser
dastehen könnte, wenn Rot-Grün damals nicht regiert
hätte.
({6})
Mit diesem Haushaltsentwurf verfolgen wir einen anderen Ansatz. Wir zeigen, dass wir die Staatsverschuldung ernst nehmen und sie in den Griff bekommen wollen. Wir wollen nicht bloß verhindern, dass wir infolge
der Aufweichung der Stabilitätskriterien blaue Briefe
aus Brüssel erhalten,
({7})
sondern wir wollen eine solide Haushaltspolitik betreiben und die Stabilitätskriterien einhalten. Wenn sich die
größte Volkswirtschaft einen schlanken Fuß macht, dann
ist es nicht gut bestellt um die Stabilität unserer gemeinsamen Währung. Die christlich-liberale Koalition will,
dass der Euro ein Erfolgsmodell bleibt. Dazu trägt dieser
Bundeshaushalt bei.
Es ist ein gutes Zeichen, dass die Bundesregierung
nicht nur aktives Krisenmanagement betreibt, sondern
auch nach vorne schaut und die Gläubigerbeteiligung
ganz klar thematisiert. Wir wollen, dass die Prinzipien
der Marktwirtschaft in der Euro-Zone erhalten bleiben. Höhere Risiken bedingen höhere Refinanzierungskosten bei Staatsanleihen. Diese marktgerechten Risiken
müssen wieder Wirkung zeigen.
({8})
Das, was wir gegenwärtig erleben, ist eine Ausnahmesituation. Es ist richtig und es ist wichtig, dass die Bundesregierung die Partner und Freunde in Europa ganz
klar daran erinnert, dass das Prinzip der Schuldenselbstverantwortung und nicht das des Schuldentransfers gilt
und dass in einer marktwirtschaftlichen Ordnung die
Gläubigerbeteiligung der richtige Weg ist.
({9})
Die christlich-liberale Koalition drängt darauf, dass
diese Dinge thematisiert und umgesetzt werden.
Deutschland ist in dieser schwierigen Situation in guten Händen. Wir haben einen soliden Bundeshaushalt.
Wir haben die notwendigen Finanzmarktregulierungen
in Angriff genommen, und wir sorgen dafür, dass die
Euro-Zone im marktwirtschaftlich besten Sinne stabilisiert wird.
({10})
Wir stehen gegenwärtig vor einer schweren Aufgabe,
aber wir werden sie meistern.
Da die Grünen gerne laut etwas dazu sagen: Wissen
Sie, Sie sind nicht, wie Sie der Öffentlichkeit immer
weismachen wollen, die Lösung für alle Zukunftsprobleme. Im Gegenteil: Wir arbeiten heute noch an der Beseitigung der Fehler, die Sie gemacht haben.
Vielen Dank.
({11})
Das Wort erhält der Kollege Bartholomäus Kalb für
die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen
und Kollegen! Der Entwurf des Bundeshaushalts 2011,
den wir heute hier beraten, ist nach meiner festen Überzeugung ein sehr ehrgeiziges und sehr anspruchsvolles
Programm zur Haushaltskonsolidierung.
Bei allen Beratungen haben wir großen Wert darauf
gelegt, dass wir die Wachstumskräfte, die jetzt ihre Wirkung entfalten, nicht beschädigen. Es zeigt sich, dass die
Maßnahmen, die wir in der Vergangenheit zur Überwindung der Krise ergriffen haben, Wirkung entfalten. Die
Entwicklung in der Wirtschaft, auf dem Arbeitsmarkt
und bei den Steuereinnahmen ist erfreulich. Es wird
deutlich, dass die ergriffenen Maßnahmen - Bankenrettung, Kurzarbeitergeld, Konjunkturpakete und Euro-Stabilitätsmechanismus - richtig und notwendig waren.
Jetzt entfalten sie ihre Wirkung. Gott sei Dank können
wir jetzt auch in Sachen Irland auf diese Mechanismen
zurückgreifen.
Natürlich ist es schwierig, den Menschen draußen immer wieder zu erklären, warum diese Maßnahmen
durchgeführt werden müssen, warum es beispielsweise
in unserem Interesse ist, Irland jetzt unter die Arme zu
greifen. Wir müssen deutlich machen - das hat unser Finanzminister vorhin zum Ausdruck gebracht -, dass ein
stabiler Euro zuallererst im Interesse der Menschen und
der Wirtschaft in unserem Land ist,
({0})
da er zur Wohlstandssicherung, zur sozialen Absicherung und zum Erhalt der Arbeitsplätze in unserem Land
beiträgt.
Wir erkennen an, dass die Wirtschaft und vor allen
Dingen die fleißigen Menschen in diesem Land einen
Beitrag dazu leisten, dass es in Deutschland viel schneller wieder aufwärts geht, als wir es zu hoffen gewagt haben. Aber es ist auch nicht verboten, zu sagen, dass die
Politik dafür gesorgt hat, dass die Menschen und die
Wirtschaft die Chance erhalten, die sie jetzt nutzen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir müssen
alle diese Maßnahmen, insbesondere die der Haushaltskonsolidierung, auch vor dem Hintergrund sehen, dass
wir durch die demografischen Veränderungen in unserem Land vor einer unglaublich großen Herausforderung
stehen. In 30 Jahren wird nach Angaben des Statistischen Bundesamtes mehr als ein Drittel unserer Bevölkerung älter als 65 Jahre sein. Gleichzeitig werden wir
über 11,4 Millionen Menschen im erwerbsfähigen Alter
weniger haben. Das heißt, die Zahl derjenigen, die die
Lasten zu tragen haben, wird deutlich niedriger werden,
und wir müssen für den Ausgleich sorgen, damit die einen die Lasten tragen können, die anderen aber auch ihrer Lebensleistung entsprechend behandelt werden können.
Die Schuldenbremse, die wir eingeführt haben - dagegen haben sich ja manche gewehrt -, ist auch eine
Antwort auf diese Herausforderungen. Das ist ja nicht
nur eine finanztechnokratische Regelung im Grundgesetz; sie stellt vielmehr genau darauf ab, dass wir Lasten
nicht in die Zukunft verschieben, dass wir ausgeglichene
Haushalte erreichen, damit wir den laufenden Betrieb
mit laufenden Einnahmen finanzieren können und nicht
immer noch mehr Schulden aufnehmen müssen. Das ist
ein Problem, das alle westlichen Industriestaaten haben.
Deswegen müssen wir unsere Potenziale in den Bereichen Bildung, Forschung usw. nutzen, aber auch auf
allen anderen Feldern die Zukunftsfähigkeit unseres
Landes sichern. Das ist mühsam, das ist anstrengend, das
ist unbequem. Aber mit einer Rolle rückwärts, wie die
SPD dies jetzt versucht, geht das mit Sicherheit nicht.
({1})
Ich bin felsenfest davon überzeugt, dass der frühere
Parteivorsitzende und Sozialminister Müntefering aus
guten Gründen und in Wahrnehmung seiner Verantwortung hier Gesetzentwürfe vorgelegt hat, die wir gemeinsam verabschiedet haben, von denen Sie sich jetzt aber
wieder verabschieden wollen. Aus der Verantwortung
flüchten, ist keine Antwort auf die Zukunftsfragen.
Vor allen Dingen mit einer Politik der Totalverweigerung, wie sie am Wochenende die Grünen so schön vorgeführt haben,
({2})
sichert man nicht die Grundlagen, die Zukunftsfähigkeit
unseres Landes. Sie sind ja mittlerweile gegen alles - gegen Straßen, gegen Schienenwege, gegen Wasserstraßen,
gegen Startbahnen,
({3})
gegen Speicherkraftwerke, wie ich neuerdings erfahren
habe.
({4})
Sie haben ja auf Ihrem Parteitag nichts mehr gefunden,
was Sie noch schützen könnten. Sie haben keine Frösche
mehr, keine Gelbbauchunken und auch keinen Juchtenkäfer; jetzt sind Sie auf das bayerische Edelweiß gekommen,
({5})
das wir schützen müssen. Obendrein sind Sie auch noch
gegen die Olympiade. Das ist Verhinderungspolitik, Verweigerungspolitik und zeigt nur, dass Sie nicht in der
Lage sind, die Zukunftsfähigkeit unseres Landes zu sichern.
({6})
Der Finanzminister hat vorhin sehr zu Recht darauf
hingewiesen, dass wir noch vor großen Herausforderungen stehen. Auch wenn sich jetzt die Steuereinnahmen
erfreulicherweise besser darstellen, als wir zu Beginn
des Jahres annehmen konnten, muss immer wieder deutlich gemacht werden: Wir brauchen mindestens bis
2012, bis wir bei den Steuereinnahmen des Bundes wieder auf dem Niveau sind, das wir vor der Krise gehabt
haben. Das heißt aber auch, dass die Bürgerinnen und
Bürger nach wie vor zu Recht von uns erwarten, dass wir
solide wirtschaften, dass wir die Zukunft sichern, dass
wir die Stabilität der Währung sichern. Dafür wollen wir
eintreten; dafür wollen wir arbeiten.
({7})
Nächster Redner ist der Kollege Sven Kindler, Bündnis 90/Die Grünen.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Wir diskutieren in dieser Haushaltswoche
über die Ergebnisse der Haushaltsberatungen. Mit diesem Haushaltsentwurf vergrößern Sie die ökologische,
aber auch die soziale Verschuldung in diesem Land.
Deswegen lassen Sie uns leider keine andere Wahl:
Auch hier und heute ist unsere Fraktion gegen Ihren
Haushaltsentwurf.
({0})
- Ja, kommen wir dazu, wogegen wir sind. - Wir sind
gegen Ihre Politik der sozialen Spaltung. Wir sind dagegen, dass Sie internationale Versprechen beim Klimaschutz und bei der Entwicklungszusammenarbeit brechen. Wir sind natürlich gegen Ihren Lobbyismus für die
Atomindustrie.
({1})
Wir sind nicht aus Prinzip dagegen. Wir sind eine
werteorientierte Partei. Wir haben andere Überzeugungen, ein anderes Menschenbild, ein anderes Politikverständnis. Wir sind natürlich auch für etwas: Wir sind für
soziale Teilhabe, wir sind für 100 Prozent erneuerbare
Energien, wir sind für radikalen Klimaschutz, und wir
sind für globale Gerechtigkeit. Deswegen müssen wir
diesen Haushaltsentwurf ablehnen.
({2})
Wir sind für eine gerechte Konsolidierungspolitik. Wir
plädieren für einen Mix aus Subventionsabbau, Sparmaßnahmen und gerechten Steuermehreinnahmen. Wir
haben ein gutes Konzept vorgelegt, das zeigt, wie wir die
Schuldenbremse sozial und ökologisch einhalten können. Das beinhaltet, dass die Lasten gerecht verteilt werden müssen. Deswegen sind wir auch für mehr Verteilungsgerechtigkeit.
({3})
Mit Ihrem sogenannten Sparpaket kürzen Sie vor allen Dingen bei Arbeitslosen und bei armen Familien. Sie
vergrößern die soziale Spaltung in diesem Land. Das ist
nicht nur unsozial, sondern es ist meiner Ansicht nach
auch ordnungspolitisch falsch, dass Sie Besserverdienende und Vermögende nicht belasten. Wir müssen uns
ansehen, was vor der Finanzkrise passiert ist. Die Vermögenden haben von den hohen Renditen auf den
Finanzmärkten profitiert und müssen jetzt auch die Konsequenzen tragen. Wir brauchen eine Vermögensabgabe, damit wir die krisenbedingte Verschuldung
zurückführen können, und wir müssen den Spitzensteuersatz erhöhen.
({4})
Liebe FDP, liebe Union, nach diesen Haushaltsverhandlungen möchte ich von Ihnen nie wieder das Wort
„Subventionsabbau“ hören.
({5})
In Ihrem Haushaltsentwurf sind 48 Milliarden Euro für
umweltschädliche Subventionen vorgesehen. Sie wollten
einen sehr kleinen Teil davon abbauen, immerhin. Dann
hat aber der BDI aufgeheult, und das war es dann mit
Subventionsabbau. Das ist erbärmlich. Damit befeuern
Sie weiterhin den Klimawandel und behindern den sozial-ökologischen Umbau in dieser Gesellschaft.
({6})
Ich finde ebenfalls schlimm, dass wir in den letzten
Wochen eine diskriminierende Debatte über Einwanderung und Migranten erlebt haben, die unter anderem von
Politikerinnen und Politikern der Union betrieben
wurde. Ich finde es bitter, dass Schwarz-Gelb das Programm „Soziale Stadt“ abwickeln will.
({7})
Das Programm hat einen sehr wichtigen integrativen Ansatz für arme Familien und für Menschen mit Migrationsgeschichte. Das Programm fördert gelebtes Miteinander in Problemvierteln einer Stadt. Dieses Programm
wird jetzt von Schwarz-Gelb plattgemacht. Das ist nicht
nur unsozial, sondern zeigt auch wieder einmal, wie
kommunalfeindlich Ihre Politik ist.
({8})
Als Grüne sind wir für radikalen Umwelt- und Klimaschutz. Der Klimawandel wartet nicht, bis wir die
Haushalte saniert haben. Wir müssen die Zusagen, die
Frau Merkel in Kopenhagen gegeben hat, einhalten, damit wir auf dem internationalen Klimaparkett unsere
Glaubwürdigkeit bewahren. Wir müssen dort „straight“
vorangehen. Gerade Deutschland als nördliches Industrieland muss seiner Verantwortung für den Klimawandel,
aber auch seiner Verantwortung für den globalen Süden
gerecht werden.
({9})
Ich finde, bei diesen Haushaltsverhandlungen haben
wir gesehen: Schwarz-Gelb ist gegen sozialen Ausgleich, gegen Generationengerechtigkeit und gegen Klimaschutz. Hier zeigt sich leider ganz klar, wer gegen die
Zukunft agiert.
Vielen Dank.
({10})
Das Wort erhält nun der Kollege Norbert Brackmann
für die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Frühere Generationen haben Vermögen geerbt
oder erarbeitet, sie haben es gemehrt und dann an nachfolgende Generationen vererbt. Seit vielen Jahren betreiben wir aber das Gegenteil. Mit welchem Recht mindern
wir das uns anvertraute Vermögen? Mit welchem Recht
verkonsumieren wir die Zukunft unserer Kinder? Mit
welchem Recht nennen wir es sozial, wenn wir nicht
selbst für die Schwachen in dieser Gesellschaft einstehen, sondern die nachfolgenden Generationen den Preis
unserer Geschenke zahlen lassen?
({0})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, mit dem Haushalt
2011 hören wir auf, unsere Ausgaben mehr und mehr per
Kreditkarte zu finanzieren. Wir, die christlich-liberale
Koalition, handeln in Verantwortung, für Gerechtigkeit,
Solidarität mit den Schwachen und Chancengleichheit
für alle Generationen. Dafür stehen wir.
({1})
Unsere Haushaltspolitik ist sozial gerecht. Wie Sie
wissen, geben wir im Jahr 2011 jeden zweiten Euro, den
der Staat einnimmt, für Sozialausgaben aus. Das heißt,
jeder zweite Euro unseres gesamten Budgets geht an
Rentnerinnen und Rentner, an Arbeitslose oder an Familien. Die beste soziale Leistung ist jedoch die, die man
nicht erhält, weil man sie nicht benötigt. Deshalb geht es
uns darum, möglichst allen Menschen einen Arbeitsplatz
zu geben. Arbeit fordert Einsatz, ist Leistung und stiftet
Sinn. So viele erwerbstätige Menschen wie möglich am
Arbeitsleben teilhaben zu lassen, ist der Schlüssel zum
Erfolg.
Der Erfolg gibt uns recht. Die Zahl der Arbeitslosen
ist auf unter 3 Millionen gesunken - sowohl im Moment
als auch im Durchschnitt des gesamten Jahres -, und die
Zahl sozialversicherungspflichtig beschäftigter Personen
beträgt 41 Millionen. Das ist ein Riesenerfolg.
({2})
Das ist ein Erfolg von Arbeitgebern und Arbeitnehmern,
aber auch ein Erfolg dieser Regierung. Diesen Erfolg
lassen wir uns von niemandem miesmachen.
({3})
Wir haben es satt, jeden vierten Euro aus Krediten
finanzieren zu müssen. Wir sind froh, dass wir mit dem
Haushalt 2011 dafür sorgen, nur noch jeden sechsten
Euro aus Krediten finanzieren zu müssen.
({4})
Dass die Nettokreditaufnahme um 30 Milliarden Euro
geringer ausgefallen ist, als Anfang dieses Jahres erwartet wurde, bedeutet nicht, dass wir mehr Geld in der
Kasse haben, sondern nur, dass wir weniger Schulden
haben.
Vor diesem Hintergrund haben die Grünen auf ihrem
Parteitag zusätzliche Leistungen beschlossen:
({5})
in der Sozialpolitik eine kräftige Anhebung der Hartz-IVSätze, im Gesundheitswesen die Abschaffung von Praxisgebühr und Zuzahlungen und vieles mehr.
({6})
Es wären jeweils Milliardenbeträge erforderlich, um
diese Vorhaben zu finanzieren.
({7})
Das ist nicht nur unsolide, sondern Sie schlagen auch
den völlig falschen Weg ein.
({8})
Herr Bonde, Ihr Verhalten kommt dem eines Schiffbrüchigen gleich, der das erste Drittel des Weges zum
Festland bereits hinter sich hat, das Festland vor sich
sieht und dann beschließt: Ich kehre um.
({9})
Unsere christlich-liberale Politik besteht aber nicht darin, den Weg zurück auf die hohe See zu suchen. Wir
wollen das Festland erreichen. Wir wollen festen Boden
unter den Füßen.
Mit dem Haushalt 2011 stellen wir uns auch auf neue
Risiken ein. Die jüngsten Terrorwarnungen und Anschlagsversuche geben uns neue Aufgaben auf. Deshalb
müssen wir unsere Sicherheit nicht nur am Hindukusch,
sondern auch hier verteidigen. Wir brauchen eine wirksame Personalausstattung bei der Luftfrachtkontrolle. Den Grundstein dafür haben wir gelegt, indem
wir die Möglichkeit geschaffen haben, 450 zusätzliche
Mitarbeiter für die Erledigung dieser Aufgabe einzustellen.
So wie wir an anderer Stelle durch intelligentes Sparen Wachstum generiert haben, wollen wir in diesem Bereich intelligente Personalpolitik betreiben. Wir denken
dabei nicht nur an Mitarbeiter des Zolls, die bei der Paketkontrolle über einschlägige Erfahrungen verfügen,
oder an Mitarbeiter des Verkehrsministeriums, die sich
auf Flughäfen bestens auskennen, sondern auch an Soldaten, die wir in ihrer bisherigen Verwendung künftig
nicht mehr benötigen. Auch ihnen gegenüber haben wir
nämlich eine soziale Verpflichtung. Wir dürfen ihnen im
Rahmen der Umstrukturierung der Bundeswehr nicht
nur sagen: „Danke für euren Dienst für unser Land“,
sondern der Staat muss auch seine Fürsorgepflicht wahrnehmen und ihnen neue Perspektiven bieten. Wenn
hochqualifizierte Soldaten eine neue Verwendung finden, um Deutschland im Inneren sicherer zu machen,
dann wäre dies eine große Hilfe. Insofern bin ich dankbar, dass die Koalition mit dem Haushalt 2011 in eine
neue Richtung investiert und Gutes für Deutschland tut.
Danke schön.
({10})
Letzter Redner zu diesem Geschäftsbereich ist der
Kollege Peter Altmaier für die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Es ist schon ganz und gar erstaunlich: Seit Tagen diskutiert die deutsche Öffentlichkeit, diskutiert die
Europäische Union über die Frage, ob Irland zum EuroRettungsschirm beitritt, und über die Frage, welche Auswirkungen das auf unsere Volkswirtschaften, auf unseren
Haushalt und auf die Finanzbeziehungen in Europa hat.
Nun haben wir fast zwei Stunden diskutiert, und von der
vereinigten Opposition kam zu dieser Frage kein Wort.
Ich kann Ihnen sagen, warum Sie geschwiegen haben:
weil Sie das personifizierte schlechte Gewissen sind und
weil Ihnen klar geworden ist,
({0})
dass Sie einen schweren Fehler gemacht haben, als Sie
sich im Frühjahr bei der Abstimmung über den EuroRettungsschirm, der notwendig und richtig war, mit fadenscheinigen Argumenten in die Büsche geschlagen
haben.
({1})
Lieber Herr Bonde, lieber Herr Kindler, der Kollege
Trittin, der den Schlamassel bei Ihnen mit angerichtet
und zu verantworten hat, hat sich schon gar nicht mehr
hierher getraut.
({2})
Dann hätte ich ihm nämlich heute Morgen die Frage gestellt, was denn aus seinen fadenscheinigen Begründungen geworden ist. Damals hat er gesagt: Wir enthalten
uns beim Euro-Rettungsschirm, weil der Text des Vertrages der Zweckgesellschaft nicht in schriftlicher Form
vorliegt. - Wir haben den Text dann nachgereicht. Sie
hatten keine große Kritik am Inhalt, weil er in Ordnung
war. Was aber bis heute fehlt, ist eine klare Aussage von
Ihnen, dass Sie es für richtig und notwendig halten, den
Euro zu stabilisieren, und dass das, was die Bundesregierung in Brüssel verhandelt hat, im deutschen und im europäischen Interesse richtig war.
({3})
- Lieber Herr Bonde, mit Schreien wird es nicht besser.
Beim Euro geht es nicht nur darum, dass wir die Stabilität der Währung erhalten und dass wir damit etwas
für die wirtschaftliche Entwicklung in Europa tun. Der
Euro ist in den zehn Jahren seines Bestehens auch zu einem Symbol des europäischen Modells der sozialen
Marktwirtschaft geworden. Er ist ein weltweites Symbol
unserer Wirtschaftsordnung, die sich von vielen anderen
Wirtschaftssystemen, die es in der Welt gibt, abhebt.
Deshalb ist es so wichtig, den Euro gegen Angriffe zu
verteidigen und ihn stabil zu halten.
({4})
Ihn stabil zu halten, werden wir auf Dauer auch mit noch
so vielen Rettungsschirmen nicht schaffen, sondern nur
dann, wenn wir in Europa und auch in Deutschland zu
einer nachhaltigen Haushalts- und Finanzpolitik kommen, die dazu führt, dass die Menschen Vertrauen in das
Ausgabengebaren der öffentlichen Hand haben und dass
die Währung dauerhaft stabil wird.
({5})
Die eigentliche Leistung der Bundesregierung unter
der Führung von Angela Merkel und Wolfgang Schäuble
ist, dass es zum ersten Mal seit Bestehen des Euro überhaupt gelungen ist, in den Verhandlungen in Brüssel und
in den Gesprächen im Rahmen von G 20 zu erreichen,
dass das Ziel einer nachhaltigen, stabilen Haushaltspolitik nicht als deutsche Besonderheit mit einem Lächeln abgetan wird, sondern inzwischen von unseren
wichtigen Partnerstaaten - nicht nur den Niederlanden,
Luxemburg, Dänemark und Österreich, sondern auch
von unseren französischen Freunden und von den Vereinigten Staaten von Amerika - anerkannt worden ist, und
dass wir zum ersten Mal dabei sind, die weltweiten Finanzbeziehungen so zu ordnen, dass eine Chance darauf
besteht, dass wir in den nächsten Jahren den Weg aus
dem Schuldenmachen und aus der Inflationsmentalität
gemeinsam finden können.
({6})
Das ist auch das große Verdienst bei diesem Bundeshaushalt, den wir in dieser Woche verabschieden.
Der Kollege Schneider hat versucht, sechs oder sieben verschiedene Punkte der Kritik anzubringen. Man
hat Ihnen bei Ihrer Suche nach dem roten Faden gerne
zugehört. Sie haben ihn aber nicht gefunden, und zwar
deshalb nicht, weil wir mit diesem Haushalt genau die
Stabilitätsphilosophie umsetzen, die Sie als junger Wilder in der SPD vor 10, 12 oder 13 Jahren eingefordert
haben, die aber nie umgesetzt worden ist.
Ich kann mich daran erinnern, wie es war, als Gerhard
Schröder einen Aufschwung von der Vorgängerregierung geerbt hatte, durch den unerwartete Mehreinnahmen in die Kassen gespült wurden, und als Oskar
Lafontaine und Hans Eichel das ganze Geld dann für
Strohfeuer ausgegeben haben, für Maßnahmen, die nicht
nachhaltig waren. Als 2002 die Wirtschaftskrise kam,
haben Sie die Euro-Kriterien in einer Art und Weise verletzt, wie das noch nicht einmal in der jetzigen Wirtschaftskrise geschehen ist.
Deshalb sage ich Ihnen: Mit diesem Haushalt, zu dem
Ihnen der Präsident der Deutschen Bundesbank gestern
bestätigt hat, dass wir in diesem Jahr sogar die Chance
haben, ganz nahe an die Einhaltung der Maastricht-Kriterien heranzukommen,
({7})
haben wir nach 40 Jahren, in denen die Haushalte nie
ausgeglichen werden konnten und in denen sich die Versprechungen allen Parteien im Nachhinein als nicht haltbar erwiesen haben, zum ersten Mal so etwas wie einen
Paradigmenwechsel erreicht und zum ersten Mal eine
Entwicklung eingeleitet, die dazu führt,
({8})
dass das Einhalten der Schuldenbremse im Jahre 2016
wahrscheinlich wird.
Dass dies gelungen ist, ist das Verdienst der Politik
des Bundesfinanzministers Wolfgang Schäuble und das
Verdienst dieser Koalition. Das wird überall im Land anerkannt, nur nicht von Ihnen hier in den ersten Reihen
der Opposition. Es wird Ihnen aber nichts nützen, weil
die Zahlen klar und deutlich sind und weil durch die
Zahlen belegt wird, dass wir mit der Politik der Haushaltskonsolidierung und mit einer neuen, nachhaltigen
Finanz- und Wirtschaftspolitik Ernst machen.
({9})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, der Kollege
Brackmann hat es eben in sehr klarer und deutlicher
Weise gesagt: Wir alle haben mit Interesse auf den Parteitag der Grünen geschaut. Es gab einmal eine Zeit, in
der sich die Grünen in der öffentlichen Debatte viel Respekt erworben hatten, weil sie den Mut hatten, sich bei
bestimmten Fragen von alten ideologischen Positionen
zu verabschieden und an das anzunähern, was aufgrund
der Realitäten notwendig und geboten war.
Im Augenblick verläuft die Entwicklung bei Ihnen allerdings genau umgekehrt. Egal ob es um die Haushaltspolitik, die Sozialpolitik oder die Umweltpolitik geht,
egal, welche Detailfrage man nimmt: Die Grünen sind
im Augenblick durch den Rausch der Umfragen dabei,
jede Bodenhaftung zu verlieren.
({10})
Genau das werden Sie bei den anstehenden Wahlen zu
spüren bekommen.
Der Kollege Kuhn selbst hat darauf hingewiesen, wie
problematisch es ist, wenn eine Partei, die den Anspruch
erhebt, die SPD als zweite Volkspartei abzulösen, eine
Politik macht, die mit den Realitäten nichts mehr zu tun
hat, den Menschen immer nur nach dem Mund redet und
niemals den Mut hat, auch einmal gegen Stimmungen
und momentane Befindlichkeiten Positionen zu vertreten, die im Interesse des Gemeinwesens richtig sind.
({11})
Diese Auseinandersetzung werden wir mit Ihnen führen - nicht nur über Stuttgart 21 und nicht nur über moderne Elektrizitätsinfrastruktur, sondern in allen Politikbereichen.
({12})
Wir sind überzeugt, dass wir von den Wählern ein
klares Mandat
({13})
für eine Politik im Interesse der Zukunftsfähigkeit unseres Landes bekommen werden.
Vielen Dank.
({14})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zu den Abstimmungen, und zwar zunächst zu der Abstimmung über den Einzelplan 08
- Bundesministerium der Finanzen - in der Ausschussfassung.
Hierzu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion Die
Linke vor, über den wir zunächst abstimmen. Wer
stimmt für den Änderungsantrag auf der Drucksache
17/3818? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich der
Stimme? - Damit ist der Änderungsantrag abgelehnt.
Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Einzelplan 08 in der Ausschussfassung. Wer stimmt für diese
Fassung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? Damit ist der Einzelplan 08 mit der Mehrheit der Koalition angenommen.
Wir stimmen nun über den Einzelplan 20 - Bundesrechnungshof - in der Ausschussfassung ab. Auch hier
darf ich diejenigen, die dieser Fassung zustimmen wollen, um das Handzeichen bitten. - Wer möchte sich enthalten oder dagegen stimmen? - Das ist beides nicht der
Fall. Damit ist der Einzelplan 20 einstimmig angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt I.5 auf:
Einzelplan 11
Bundesministerium für Arbeit und Soziales
- Drucksachen 17/3511, 17/3523 Berichterstattung:
Abgeordnete Axel E. Fischer ({0})
Dr. Claudia Winterstein
Dr. Gesine Lötzsch
Zum Einzelplan 11 liegen zwei Änderungsanträge der
SPD-Fraktion, zwei Änderungsanträge der Fraktion Die
Linke sowie vier Änderungsanträge der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor. Über einen Änderungsantrag der
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen werden wir später namentlich abstimmen. Weiter gibt es einen Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, über
den wir am Freitag im Anschluss an die Schlussabstimmung abstimmen werden.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll auch
diese Aussprache 90 Minuten dauern. - Ich höre dazu
keinen Widerspruch. Dann können wir so verfahren.
Ich eröffne die Aussprache und erteile zunächst der
Kollegin Bettina Hagedorn für die SPD-Fraktion das
Wort.
({1})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen!
Als Hauptberichterstatterin für den Einzelplan des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales, der auch 2011
mit gut 131 Milliarden Euro knapp 43 Prozent der Gesamtausgaben umfasst, möchte ich mich zu Beginn dieser
Debatte, stellvertretend für alle, bei den Mitarbeiterinnen
und Mitarbeitern Ihres Ministeriums, Frau von der Leyen,
für die Zusammenarbeit in den vergangenen harten Verhandlungswochen bedanken. Sie haben unsere Anfragen
zügig und umfassend sowohl in den Berichterstattergesprächen wie auch schriftlich beantwortet und uns damit
die Arbeit in dieser komplexen Materie von Arbeitsmarkt
und Rente sehr erleichtert. Mein Dank gilt ebenso ausdrücklich den Mitarbeitern des Bundesrechnungshofs,
der Bundesagentur für Arbeit, des Finanzministeriums
und natürlich des Haushaltsausschusssekretariats. Das
sage ich hier sicherlich in Übereinstimmung mit den vier
Kollegen bzw. Kolleginnen aus allen Fraktionen im
Haushaltsausschuss.
Dieser Einzelplan des Bundeshaushalts wird wie kein
anderer Etatbereich geprägt einerseits von den unsozialen, milliardenschweren Kürzungen zulasten von Langzeitarbeitslosen und von dem Abschied aus einer verlässlichen aktiven Arbeitsmarktpolitik unter Streichung des
Übergangsgeldes
({0})
im Umfang von insgesamt über 2,2 Milliarden Euro, zulasten von jungen Eltern im Arbeitslosengeld-II-Bezug
mit ihren Neugeborenen durch die Streichung des Elterngeldes von 300 Millionen Euro und zulasten einer
stabilen Rentenrücklage, in die Sie nun Jahr für Jahr ein
Loch von über 2 Milliarden Euro reißen und so künftig
Beitragserhöhungen auf dem Rücken von Arbeitnehmern und Arbeitgebern provozieren werden.
({1})
Andererseits bildet dieser Etat wie kein anderer die
sich in diesem Jahr rasant verbessernde konjunkturelle
Entwicklung gegenüber dem Regierungsentwurf aus
dem Frühsommer mit milliardenschweren Einsparungen
ab.
Es kommen hier also zwei Dinge zusammen, die
nichts miteinander zu tun haben und darum in der Analyse und der Bewertung dieses Etats sauber voneinander
getrennt werden müssen. Sie von Schwarz-Gelb hingegen vermischen bewusst diese beiden Aspekte, um Ihren
unsozialen Kahlschlag im Bereich aktiver Arbeitsmarktpolitik zulasten von Langzeitarbeitslosen und ihren Familien mit konjunkturellen Einsparungen zu kaschieren.
Wir haben es mit erfreulichen konjunkturellen Einsparungen zu tun, die Sie bei den Haushaltsberatungen
nur teilweise eingearbeitet haben - die Schuldenbremse
lässt grüßen - und die Ihnen in diesem Etat noch einen
milliardenschweren Puffer für 2011 bescheren werden.
Die 1,1 Milliarden Euro habe ich hier schon angesprochen, Herr Finanzminister. Ich will etwas zu der Begründung sagen, die Sie hier vorgebracht haben. Am
22. November titelte das Handelsblatt: Schäuble holt
sich Insolvenzgeld. Der Minister drückt sein Etatdefizit
und greift dazu in einen heiklen Beitragstopf. - Dazu haben Sie vorhin unzureichend Stellung bezogen. Denn Sie
haben gesagt, dass man ein bestehendes Gesetz - Sie
meinten das Sozialversicherungs-Stabilisierungsgesetz nicht rückwirkend ändern sollte. Es ist zwar richtig, dass
wir parteiübergreifend Gesetze immer dann nicht rückwirkend ändern, wenn wir Betroffene, die davon belastet
würden, schützen wollen. In diesem Fall verhält es sich
aber anders. Indem Sie das Sozialversicherungs-Stabilisierungsgesetz, das Sie übrigens mit Schwarz-Gelb alleine gegen die Stimmen der Opposition beschlossen haben, nicht anpassen, schützen Sie nur eines, nämlich eine
um 1,1 Milliarden Euro verbesserte Jahresrechnung
2010.
Frau von der Leyen, ich weiß nicht, wie Sie das mit
sich selbst ausmachen; denn im Haushaltsauschuss haben Sie gesagt, zwischen Sie und das BMF passe in dieser Frage kein Blatt Papier. Ich frage mich, wie Sie diese
1,1 Milliarden Euro, die nicht paritätisch finanziert sind
und jetzt sozusagen eingesackt werden, um die Jahresrechnung zu verbessern, begründen werden. Denn richtig ist: Das Geld wird letzten Endes von der BA 2011 mit
einem Darlehen - und damit von den Beitragszahlern finanziert - bereitgestellt werden müssen.
Außer mit den konjunkturellen Einsparungen haben
wir es auch mit massiven strukturellen Kürzungen in
Höhe von mehreren Milliarden Euro zu tun, die Sie sehr
gezielt nicht nur zulasten der betroffenen Menschen,
sondern auch zulasten der ohnehin finanziell gebeutelten
Kommunen insbesondere in strukturschwachen Regionen unseres Landes vornehmen. Dieser soziale Kahlschlag trifft regional vor allem Berlin selbst und alle östlichen Bundesländer. Er trifft die Städte im Norden und
strukturschwache Flächenkreise auch im Westen und
verschont lediglich Bayern und Baden-Württemberg.
Ich habe Ihnen eine Karte mitgebracht, die ich Ihnen
schon früher einmal gezeigt habe. Man kann sie sich
nicht oft genug anschauen. Sie zeigt farblich eindeutig,
wo Sie mit Ihren sozialen Kürzungen zuschlagen und
wer im unteren Bereich mit einem blauen Auge davonkommt.
({2})
- Diese Landkarte der Paritätischen Forschungsstelle ist
kein Schmarrn. Sie war auch Gegenstand der Anhörung
im Haushaltsausschuss zum Haushaltsbegleitgesetz. Ich
denke, das wissen Sie.
({3})
Diese Landkarte macht die regionale soziale Schieflage deutlich und zeigt, dass Ihr vermeintliches Sparpaket
starke Regionen mit positiver wirtschaftlicher Entwicklung, Betrieben auf Erfolgskurs und einer Arbeitslosenquote nahe der Vollbeschäftigung mit einem blauen Auge
davonkommen lässt, aber strukturschwache Regionen
mit Betrieben in kränkelnden Branchen, einer extrem hohen Arbeitslosenquote bei in der Regel leeren kommunalen Kassen mit voller Wucht trifft, und zwar viermal so
stark wie die Boomregionen.
({4})
Sie von Schwarz-Gelb benachteiligen damit die strukturschwachen Regionen noch weiter in ihrer Entwicklung.
({5})
Sie vertiefen bestehende Gräben und verletzen das Ziel
des Bundes, über das wir parteiübergreifend Konsens hatten, nämlich dass wir in Deutschland vergleichbare Lebensbedingungen durch gezielte Strukturhilfe des Staates
anstreben. Das ist nicht nur eine katastrophale Arbeitsund Sozialpolitik,
({6})
sondern vor allem auch eine katastrophale Bildungs- und
Regionalpolitik.
({7})
Die Interessen der Kommunen und damit die Lebensqualität der Menschen in der Fläche kommen bei Ihnen
nur in Sonntagsreden vor. Montags bis freitags machen
Sie still und klammheimlich das genaue Gegenteil. Sie
offenbaren damit endgültig: Schwarz-Gelb hat auch in
der Kommunal- und Regionalpolitik jeden Kompass für
Gerechtigkeit und Solidarität verloren.
({8})
Im Gegensatz zu Ihnen von Schwarz-Gelb haben wir
Sozialdemokraten im Rahmen der Haushaltsberatungen
gezielt Anträge eingebracht, die alle solide gegenfinanziert sind. Mein Kollege Carsten Schneider hat das
schon vorgetragen. Wir treten den Beweis an, dass beides möglich ist: seriöse Haushaltskonsolidierung in der
Verantwortung für künftige Generationen bei gleichzeitiger Erhöhung der Investitionen gerade im Bereich der
aktiven Arbeitsmarktpolitik, Qualifizierung gegen den
Fachkräftemangel und Umschulung und Weiterbildung
zur erfolgreichen Rückkehr in den ersten Arbeitsmarkt
für Jüngere wie Ältere, die wieder eigenständig von ihrer
Arbeit leben wollen und sollen. Dabei ist ein Mindestlohn von 8,50 Euro entscheidend. Es kommt nicht nur
darauf an, Arbeit zu haben. Entscheidend ist auch, dass
jemand, der in Vollzeit arbeitet, davon auch menschenwürdig leben kann.
({9})
Es stellte eine gewaltige Verbesserung in diesem Etatbereich dar, wenn wir nicht mehr so viele Aufstocker in
Deutschland hätten, weil sie von ihrem Lohn ohne
Transfers leben könnten.
Stichwort Bildungspaket im Rahmen des Bundesverfassungsgerichtsurteils. Obwohl wir uns noch in den
Verhandlungen befinden, möchte ich für die SPD eines
deutlich sagen: Frau Ministerin von der Leyen, wie wir
wissen, werden im Schnitt nur 20 Prozent der Kinder in
Deutschland von den von Ihnen geplanten Gutscheinen
- Sie haben nur noch sechs Wochen, um das alles umzusetzen - profitieren, zum Beispiel bei der Finanzierung
des Mittagessens oder des Nachhilfeunterrichts; denn die
Infrastrukturen in den Ländern - das hat auch etwas mit
der Grundausstattung der Kommunen zu tun - sind sehr
unterschiedlich. Wir wollen als Sozialdemokraten zusammen mit den Ländern und Kommunen deutlich mehr
für die frühkindliche Bildung, für eine verbesserte Infrastruktur - von der Krippe über den Kindergarten bis zum
Schulabschluss - überall in unserem Land tun. Ganztags
und flächendeckend, das ist das Ziel.
Das, was Sie in diesem Haushalt dafür bereitstellen,
ist in Wahrheit eindeutig zu wenig. Hinzu kommt: In den
ländlichen Regionen unseres Landes - ich komme aus
einer solchen in Schleswig-Holstein - wird noch viel
weniger ankommen als in den städtischen Regionen, wo
die Infrastruktur nicht gut, aber besser ist als auf dem
flachen Land und wo man über einen funktionierenden
ÖPNV verfügt. Frau Ministerin von der Leyen, in den
ländlichen Regionen, wo die Eltern der Kinder, über die
wir hier sprechen, Arbeitslosengeld II beziehen und in
der Regel über kein Fahrzeug verfügen, weil sie sich die
hohen Spritkosten, die nicht erstattungsfähig sein sollen,
nicht leisten können, und wo es keinen funktionierenden
ÖPNV gibt, schaffen wir so ganz gewiss keine Teilhabe
im Bildungsbereich.
({10})
Über 10 Prozent jedes Jahrganges in Deutschland gehen ohne Schulabschluss und ohne Ausbildung in den Arbeitsmarkt. Mehr als die Hälfte aller Langzeitarbeitslosen
hat weder einen Schulabschluss noch eine Ausbildung.
Das ist die Herausforderung, vor der wir gemeinsam stehen. Darauf gibt dieser Haushalt keine erkennbare Antwort. Wer sich erfolgreich diesen Schwerpunktaufgaben
des Bundes stellen will, der darf vor allem die Finanzsituation der Städte und Gemeinden wie der Kreise nicht
aus den Augen verlieren; denn dort finden Bildung und
Integration von Kindern und Jugendlichen - auch mit erhöhtem Förderbedarf - statt. Dort findet die Stabilisierung der Persönlichkeit junger Menschen statt. Die Förderung findet eben nicht statt, wenn dort die Kassen leer
sind.
Wir Sozialdemokraten haben deshalb beantragt, alle
Kürzungen in Ihrem Sparpaket - unter anderem die Kürzungen in Höhe von 1,3 Milliarden Euro im Eingliederungstitel - rückgängig zu machen. Wie gesagt, alle unsere Anträge sind solide gegenfinanziert. Aber leider
haben Sie alles abgelehnt. Wir haben auch beantragt, den
Kommunen zusätzlich 400 Millionen Euro zur Deckung
der Kosten der Unterkunft bereitzustellen. Das haben
wir leider vergeblich beantragt, genauso wie die Aufstockung der Beteiligung des Bundes an der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung um 300 Millionen Euro. Auch das haben Sie leider abgelehnt.
Ganz besonders schlimm, Frau Ministerin von der
Leyen, ist die Streichung des Elterngeldes für Hartz-IVEmpfänger.
({11})
Auch wenn Sie sich rühmen, hier nachgebessert zu haben,
bleibt das für mich ein Skandal. Gemeinsam mit Ihnen,
Frau von der Leyen, haben wir in der Großen Koalition
das Elterngeld ausdrücklich auch für Familien im Arbeitslosengeld-II-Bezug eingeführt. Es ist eine Schande,
dass ausgerechnet Sie diesen Familien mit Neugeborenen
nun 3 600 Euro im Jahr wegnehmen und gleichzeitig in
Sonntagsreden die Kinderarmut in Deutschland fadenscheinig beklagen.
({12})
Frau Kollegin, Sie kommen zum Schluss?
Jawohl, ich komme zum Schluss.
Es ist ein Trauerspiel, wie bei Ihnen Anspruch und
Wirklichkeit auseinanderklaffen. Bis 2014 summieren
sich die Kürzungen der Koalition bei Arbeit und Soziales auf über 30 Milliarden Euro. Sie treffen ganz überwiegend Arbeitsuchende, Alleinerziehende und behinderte Menschen. Das zeugt nicht nur von einer sozialen
Schieflage. Vielmehr schwächen Sie damit auch die Binnenkaufkraft und den Konsum.
Frau Kollegin!
Sie haben das große Ganze aus dem Blick verloren,
sowohl bei der sozialen Gerechtigkeit als auch bei der
Konsolidierung des Haushaltes. Es gibt viele Gründe,
warum die SPD diesem Arbeits- und Sozialhaushalt
nicht zustimmen kann, es gibt keine dafür.
({0})
Der Kollege Axel Fischer hat jetzt das Wort für die
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Frau Kol7966
Axel E. Fischer ({0})
legin Hagedorn, Sie haben einiges dargelegt, wovon ich
eines aufgreifen möchte; der Kollege Barthle hat dazu zu
Recht einen Zwischenruf gemacht. Ihnen scheint entgangen zu sein, dass in diesem Haushalt 10 Millionen Euro
mehr für regionale Strukturförderung vorgesehen sind.
Ich würde sagen, da Sie die Kommunen ansprechen: Das
haben wir gut hinbekommen; das ist ein wichtiger
Punkt. - Dafür hätte ich Ihre Unterstützung erwartet.
Mit dem Haushalt, den wir nun in zweiter und dritter
Lesung beraten, legt die christlich-liberale Koalition ein
Meisterstück vor.
({1})
Er ist ein Meisterstück, weil erstens gezeigt wird, dass
die Wirtschafts- und Finanzkrise gemeistert wurde.
Die Grundlage dafür wurde in der Großen Koalition gelegt. Es war die Koalition der SPD und der Union, die
richtungsweisende Entscheidungen getroffen und die
Grundlagen gelegt hat, die jetzt von der christlich-liberalen Koalition weiterentwickelt werden. Es ist nur schade,
liebe Frau Kollegin Hagedorn, liebe Kolleginnen und
Kollegen der SPD-Fraktion, dass Sie sich Stück für
Stück von diesen richtigen Entscheidungen verabschieden. Ihre sozialpolitischen Vorstellungen haben mit dem,
was Sie in der Großen Koalition mitgemacht haben,
nicht besonders viel zu tun.
({2})
Wir sind gut aus der Krise herausgekommen. Es gibt
weniger als 1 Million Arbeitslose, die in den Bereich des
Sozialgesetzbuches III fallen. Das heißt, wir sind quasi
auf dem Weg zur Vollbeschäftigung. Diese Erfolge lassen wir uns von Ihnen nicht kaputtreden.
({3})
Dazu ein Beispiel: Die Politik hat mit dem Kurzarbeitergeld eine wichtige Maßnahme auf den Weg gebracht.
Unternehmer und Arbeitnehmer, Gewerkschaften und
Arbeitgeber haben dieses Instrument vertrauensvoll und
verantwortlich genutzt. Das ist einer der Gründe dafür,
dass wir jetzt gut aus der Krise herausgekommen sind.
({4})
Der Haushalt ist auch ein Meisterstück, weil wir die
Schuldenbremse eingehalten haben. Die Ausgaben im
Haushalt für Arbeit und Soziales sind von 143 Milliarden Euro im Jahr 2010 auf unter 132 Milliarden Euro
zurückgegangen, und zwar dank der positiven wirtschaftlichen Entwicklung. Die Schulden von heute müssen zukünftige Generationen bezahlen. Ich kann nur den
Kollegen Brackmann zitieren, der vorhin zu Recht gesagt hat: Mit welchem Recht verkonsumieren wir die
Zukunft unserer Kinder? - Die Bundesregierung ist auf
dem richtigen Weg. Die Schuldenbremse ist für uns entscheidend, und diese muss eingehalten werden.
Der Haushalt ist auch deshalb ein Meisterstück, weil
wir damit die Zukunft meistern. In erster Linie beziehe
ich mich dabei auf das Thema „Kinder und Ausbildung“.
Diese Koalition hat es geschafft, 12 Milliarden Euro in
einem zusätzlichen Paket für den Bereich Bildung in
den nächsten Jahren vorzusehen. Im Bereich Arbeit und
Soziales haben wir ein Bildungspaket für Kinder, deren
Eltern Hartz IV beziehen, auf den Weg gebracht, das
600 Millionen Euro mehr für Lernförderung, Schulbedarf und vieles mehr umfasst. Damit setzen wir an dem
entscheidenden Punkt an, nämlich bei den Kindern aus
den erwähnten Familien. Es ist wichtig, dass wir dafür
sorgen, dass auch die Arbeitskräfte von morgen entsprechend ausgebildet werden.
Wir brauchen darüber hinaus eine Bewusstseinsstärkung: Wer arbeitet, muss mehr haben als der, der nicht
arbeitet;
({5})
das muss unsere Devise sein.
({6})
Wenn wir unseren Wohlstand erhalten wollen, darf Leistungsgerechtigkeit nicht zum Fremdwort verkommen.
Weil Sie dazu einiges gesagt haben, möchte ich aus einer
E-Mail zitieren, die mir vor einigen Tagen aus meinem
Wahlkreis zuging. Mit Erlaubnis der Präsidentin zitiere
ich:
Die Diskussion über Hartz IV geht mir echt auf den
Keks. Wofür und warum sollen meine Frau und ich
überhaupt arbeiten gehen? Um die Demos der
Leute zu bezahlen, die sich weder an Verträge noch
an Gesetze halten, sinnlos demonstrieren gehen und
keine Lust haben, zu arbeiten?
({7})
Bleiben wir zu Hause, haben wir nahezu das Gleiche. Wofür sechs Tage in der Woche arbeiten? Die
Leute, die länger arbeitslos sind, sollten Lebensmittelmarken bekommen, nicht Geld für Fernseher, Telefon, Wohnung, Internet …
Herr Fischer.
Das bezahle ich alles selber. Irgendwann ist mal gut
mit Sozialstaat! Ganz zu schweigen von Kippen
und Alkohol. Noch nebenher schwarzgearbeitet,
und die Welt ist in Ordnung.
Ich spreche dies deshalb an, weil es entsprechende Überlegungen und Stimmungen im Land gibt.
Herr Kollege Fischer?
Wir müssen dafür sorgen, dass es eine Akzeptanz für
das, was wir im Sozialbereich tun, gibt. Gerade vor diesem Hintergrund sind die Entscheidungen, die Sie auf
Axel E. Fischer ({0})
dem Grünenparteitag getroffen haben, absolut unverantwortlich.
({1})
Herr Fischer, würden Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Heil zulassen?
Nein, ich möchte im Zusammenhang vortragen.
Wir müssen dafür sorgen, dass die Akzeptanz staatlicher Hilfen auch in der Bevölkerung vorhanden ist, dass
die, die das Geld für diese Hilfen erwirtschaften - die
Menschen, die täglich arbeiten gehen: der Facharbeiter,
die Krankenschwester, der kleine Selbstständige, der
Landwirt, der Handwerker -, akzeptieren, dass man auch
für die Empfänger staatlicher Hilfe etwas tun muss.
Außerdem sagen wir: Staatliche Hilfe ist in erster Linie Hilfe zur Selbsthilfe.
({0})
Deshalb nehmen wir die Eingliederung ins Berufsleben
so ernst. Wir haben die Eingliederungstitel in den letzten
Jahren sukzessiv erhöht. Wir hatten im Jahr 2006 im Bereich des SGB II 2,8 Millionen Arbeitslose, und 4,5 Milliarden Euro standen für konkrete Projekte zur Verfügung. Im Jahr 2010 werden im Bereich des SGB II bei
2 Millionen Arbeitslosen etwa 6,1 Milliarden Euro ausgegeben. Sie sehen daran, dass wir hier bei sinkender
Arbeitslosenzahl massiv Geld investiert haben, weil es
uns wichtig ist, Arbeitslosen die Möglichkeit zu geben,
ins Berufsleben zurückzukehren. Wir werden nächstes
Jahr eine Instrumentendebatte zu diesem Thema führen.
Ich glaube, es ist richtig und vernünftig, dass wir hier einiges auf den Weg bringen und uns im Frühjahr mit diesem Thema beschäftigen.
Weniger als 1 Million Arbeitslose, die Arbeitslosengeld I beziehen - das zeigt den Weg Richtung Vollbeschäftigung. Folglich stellen sich dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales neue Aufgaben. Wir haben
in der Bereinigungssitzung bewusst Geld in die Hand genommen, um Ausgaben für Maßnahmen zur Sicherung
des Arbeitskräftebedarfs im Haushalt dieses Ministeriums festzuschreiben. 1,6 Millionen Euro ist uns diese
Aufgabe wert. Ich glaube, die damit verbundene Entscheidung unserer Koalition war richtungsweisend.
({1})
Der vorgelegte Haushalt der christlich-liberalen Koalition
({2})
zeigt in die richtige Richtung. Er zeigt, dass wir sowohl
die Schuldenbremse einhalten als auch auf die Zukunft
bauen, und das ohne Kürzungen bei der Rente. Wir haben den Beitrag, den wir für die Rente vorgesehen haben, sogar noch einmal erhöht. Selbst die Hartz-IV-Sätze
werden steigen und nicht sinken. Sie sehen also: Der
Haushalt ist sozial ausgewogen. Er ist zukunftsorientiert.
600 Millionen Euro mehr für die Bildung der Kinder ist
ein guter Betrag.
Ich möchte abschließend meinen herzlichen Dank vor
allem der Hauptberichterstatterin Bettina Hagedorn sagen. Sie hat in der Debatte sehr richtungsweisend mit vielen Fragen dafür gesorgt, dass man viele Hintergründe erfahren hat. Danken möchte ich aber auch allen anderen
Berichterstatterinnen und Berichterstattern und natürlich
der Bundesregierung, insbesondere der Ministerin von
der Leyen und Herrn Staatssekretär Fuchtel, die mit Rat
und Tat immer zur Seite standen und Fragen beantwortet
haben, und sämtlichen Mitarbeitern im Ministerium. Außerdem danke ich Finanzminister Wolfgang Schäuble
und Staatssekretär Kampeter, die uns immer zur Verfügung standen und uns bestens beraten haben.
Herzlichen Dank.
({3})
Zu einer Kurzintervention gebe ich das Wort dem
Kollegen Hubertus Heil.
Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr Kollege, ich
habe mich zu Wort gemeldet, weil ich das, was Sie vorhin mit dem Zitat aus der E-Mail aus Ihrem Wahlkreis zu
suggerieren versucht haben, für am Rande des Erträglichen halte. Ich will Ihnen auch sagen, warum. Wir alle
als Abgeordnete des Deutschen Bundestags bekommen
Briefe, die unterschiedliche Stimmungen beinhalten, die
man aufnehmen muss. Ich interessiere mich aber auch
dafür, Herr Kollege Fischer, was Sie den Menschen antworten.
({0})
Es kann doch nicht sein, dass Sie sich hier hinstellen
und langzeitarbeitslose Menschen gegen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer - an dieser Stelle gegen Geringverdiener - ausspielen. Das nenne ich schäbig.
({1})
Ich will Ihnen auch sagen, warum. In dem von Ihnen zitierten Brief wird Menschen, die langzeitarbeitslos sind,
das Recht auf Demonstrationsfreiheit abgesprochen. In
dem Brief, den Sie angesprochen haben, wird dafür plädiert, Menschen, die langzeitarbeitslos sind, nur Lebensmittelmarken zu geben. Können Sie vielleicht den geringverdienenden Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern in
Deutschland erzählen, dass das Bundesverfassungsgericht gerade entschieden hat, dass vom Staat ein menschenwürdiges Existenzminimum sichergestellt werden
muss und dass Lohnabstand - das ist die Konsequenz daraus - nur über die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohnes in Deutschland möglich ist, den Sie den Menschen verweigern? Sie machen das gleiche Spiel wie
Hubertus Heil ({2})
Guido Westerwelle: Arme gegen Arbeitnehmer ausspielen. Das nenne ich schäbig. Sie können das - durch Unterlassung in Sachen Mindestlohn - in diesem Land noch
jahrelang weiter treiben; aber Sie werden nur die Menschen gegeneinander aufhetzen und kein Problem für arbeitende Menschen in diesem Land lösen. Deshalb finde
ich es schäbig, was Sie hier gemacht haben. Das sollten
Sie zurücknehmen, Herr Fischer.
({3})
Zur Beantwortung der Kollege Fischer.
Herr Kollege Heil, zum Ersten ist die Art und Weise,
wie Sie sich hier hinstellen, meiner Ansicht nach nicht in
Ordnung.
({0})
Zum Zweiten geht es darum, dass wir Akzeptanz für das
schaffen müssen, was in dem Bereich bezahlt wird. Wir
brauchen einen breiten gesellschaftlichen Konsens. Es
darf eben nicht passieren, dass Gruppen gegeneinander
ausgespielt werden.
({1})
Das ist der entscheidende Punkt. Das geht nur, wenn es
in der breiten Mehrheit der Bevölkerung eine Akzeptanz
dafür gibt, dass den Menschen auch entsprechend geholfen wird. Darum geht es in diesem Punkt. Darin, glaube
ich, sollten wir uns einig sein.
({2})
Das Wort hat Klaus Ernst für die Fraktion Die Linke.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Herr Fischer, das, was Sie gerade gemacht haben, ist wirklich der Gipfel der Demokratie. Sie tun ja
so, als hätten Sie tatsächlich ein Interesse daran, dass die
Menschen in diesem Lande Ihre Politik gut finden. Beim
Thema Mindestlohn ist deutlich sichtbar, dass die Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger einen Mindestlohn will.
Sie führen ihn trotzdem nicht ein. Bei der Rente, Frau
von der Leyen, haben wir genau das Gleiche. Die Mehrheit der Bürger will bei der Rente mit 65 bleiben und
nicht bis 67 arbeiten müssen.
({0})
Das interessiert Sie doch überhaupt nicht. Sie setzen eine
Politik gegen die Bürgerinnen und Bürger des Landes
durch. Das ist die Wahrheit, und zu der sollten Sie dann
auch stehen.
({1})
Zum Haushalt. Sie könnten die Einnahmen in unserem Lande deutlich verbessern; auch das gehört zum
Thema Mindestlohn. Frau von der Leyen, seit 2005 haben wir 50 Milliarden Euro dafür ausgegeben, Löhne in
diesem Lande aufzustocken. Warum? Weil offensichtlich Ihre Partei und Sie in dieser Regierung nicht bereit
sind, einen Mindestlohn einzuführen, sodass wieder eintritt, was wir gerade diskutiert haben, nämlich dass die
Menschen, die arbeiten, mehr haben als die, die nicht arbeiten.
({2})
Sie machen es genau andersherum. Sie versuchen, die
Sozialleistungen so weit nach unten zu drücken - das ist
auch Ergebnis dessen, was Sie als Haushalt vorlegen -,
dass die Löhne weiter sinken können, dass es immer
weiter sozusagen nach unten geht. Das ist das Ergebnis
Ihrer Politik und Ihres Haushaltes.
Ich will es noch einmal deutlich sagen: Jeder Lohn
unter 7,21 Euro, den Sie zulassen, Frau von der Leyen,
weil Sie keinen gesetzlichen Mindestlohn einführen,
führt dazu, dass derjenige, der in Vollzeit arbeitet, seinen
Lohn aufstocken muss. Das heißt, Sie akzeptieren Löhne
zulasten Dritter, nämlich zulasten des Steuerzahlers. Das
halte ich für verwerflich. Es kann nicht sein, dass diese
Regierung Löhne zulasten Dritter akzeptiert. Das, was
Sie hier machen, ist aus meiner Sicht sittenwidrig.
({3})
Stattdessen machen Sie alles, um die Lohnbremsen,
die wir in unserer Gesetzgebung haben, weiter zu schützen. Lohnbremsen sind haushaltspolitisch relevant;
denn hätten wir sie nicht, hätten wir aufgrund höherer
Löhne Mehreinnahmen bei den Sozialkassen und selbstverständlich auch höhere Steuereinnahmen. Von welchen
Lohnbremsen rede ich? Ich rede zum Beispiel darüber,
dass wir inzwischen fast 900 000 Leiharbeitnehmerinnen
und Leiharbeitnehmer haben. Es wäre ein Leichtes für Sie
- das würde nichts kosten, Frau von der Leyen -, endlich
ein Gesetz in diesem Land durchzusetzen, sodass „gleicher Lohn für gleiche Arbeit“ gilt. Davon sind wir in unserem Land aber himmelweit entfernt.
({4})
Sie reden hier immer gern von einem Klebeeffekt.
Wir wissen aber, dass nur etwa 7 Prozent der Leiharbeitnehmer im Anschluss tatsächlich eine vernünftige Arbeit
in dem Betrieb, in dem sie beschäftigt waren, bekommen. Insofern können Sie das doch nicht als Beispiel
nehmen, um Leiharbeit zu legitimieren. Ich bleibe dabei: Leiharbeit führt dazu, dass die Löhne in unserem
Land sinken, weil Menschen mit gleicher Arbeit bis zu
40 oder gar 50 Prozent weniger verdienen. Das müssen
Sie abstellen, Frau von der Leyen. Das ist unsere Auffassung.
({5})
Ein weiterer Punkt, der damit in Zusammenhang steht,
ist die Frage der Befristung. Frau von der Leyen, können
Sie wirklich akzeptieren, dass inzwischen 40 Prozent der
unter 25-Jährigen nur noch befristete Arbeitsplätze haben?
({6})
Ist es nicht sinnvoll und richtig, möglichst rasch die Befristungsmöglichkeiten so zu regeln, dass die Menschen
auch wieder eine Zukunft haben, wenn sie ausgelernt haben? Ich kann übrigens das Gerede vom Facharbeiterund Fachkräftemangel in diesem Lande wirklich nicht
mehr hören. Wenn es diesen gäbe, dürften die Menschen
doch nicht überwiegend nur befristete Arbeitsverhältnisse bekommen. Da ist doch ein Argument faul; ansonsten müsste es ja zu Daueranstellungen kommen.
({7})
Die neueste Zahl von heute vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung besagt: 49 Prozent der in
2009 Neueingestellten haben nur noch eine befristete
Stelle bekommen. Ändern Sie das!
Wenn sich wieder mehr Menschen bereit erklären sollen - Ihre Politik war ja auch darauf gerichtet -, eine Familie zu gründen, dann darf es nicht nur um das Elterngeld, das ja schön und gut ist, gehen. Dann muss es auch
darum gehen, insbesondere jungen Menschen Aussicht
auf Zukunft zu geben. Damit haben sie die Möglichkeit,
Familien zu gründen. Dafür reicht das Elterngeld allein
nicht aus, Frau von der Leyen.
({8})
Der nächste Punkt, den ich ansprechen möchte, betrifft das Drücken der Löhne nach unten. Diese Politik
verfolgen Sie, Frau von der Leyen, zum Beispiel im Bereich des Arbeitslosengeldes II. Es ist angesichts der
eindeutigen Aussagen des Bundesverfassungsgerichts
nicht akzeptabel, dass Sie glauben, mit 5 Euro mehr das
soziokulturelle Existenzminimum der Menschen in diesem Bereich sichern zu können. Das ist wirklich der
Hohn, meine sehr verehrten Damen und Herren. Zu was
führt das nämlich letztendlich? Es führt im Ergebnis einmal dazu, dass diese Menschen gequält und gedemütigt
werden und aus ihrer Situation so gut wie nicht herauskommen. Der eigentliche Punkt, der damit verbunden
ist, ist aber ein anderer: Mit den Hartz-Gesetzen und erst
recht mit der Verschärfung dieser Gesetze, die Sie mit
dem vorliegenden Haushalt durchsetzen, indem insbesondere in diesem Bereich weiter gestrichen wird, zum
Beispiel beim Elterngeld, bei den Rentenbeiträgen usw.,
machen Sie den Menschen so viel Angst vor Arbeitslosigkeit, dass immer mehr bereit sein werden, aus Angst
alles an Arbeit zu akzeptieren, auch wenn es eigentlich
unzumutbar ist. Frau von der Leyen, das ist ein Problem.
Ich könnte Ihnen sehr viele Beispiele dafür nennen, dass
Menschen inzwischen aus Angst vor Arbeitslosigkeit bereit sind, fünf Stunden in der Woche umsonst zu arbeiten, dass Menschen aus Angst vor Arbeitslosigkeit bereit
sind, Lohnsenkungen hinzunehmen, obwohl es den Unternehmen gut geht, dass Menschen aus Angst vor Arbeitslosigkeit bereit sind, Demütigungen auch von Vorgesetzten am Arbeitsplatz zu akzeptieren. Sie sagen sich
nämlich: Wenn ich rausfliege, bin ich in einem Jahr im
Arbeitslosengeld-II-Bezug. - Ihre Politik wirkt in diesem Land als Lohndrückerin. Das müssen Sie ändern,
Frau von der Leyen.
({9})
- Dass Sie da von Quatsch reden, verstehe ich sehr wohl,
weil Sie davon in dem Betrieb, den Sie haben, profitieren.
({10})
- Selbstverständlich profitieren Sie von dieser Politik.
Das Ergebnis dessen, was Sie machen, lässt sich deutlich an der Statistik ablesen. Selbst im Aufschwung sind
die Reallöhne gesunken. Eine Tatsache ist, dass die
Lohnquote, der Anteil der Löhne und Gehälter am
Volkseinkommen, von 72,2 Prozent auf unter 65 Prozent
gefallen ist. Wir haben die Situation, dass in der Zeit von
2000 bis 2010 die Unternehmens- und Vermögenseinkommen um 30,3 Prozent zugenommen haben, während
die Arbeitnehmerentgelte im gleichen Zeitraum ein Minus von 2,2 Prozent aufweisen. Wenn das gerecht sein
soll, dann weiß ich wirklich nicht mehr, was Gerechtigkeit in unserem Land eigentlich ist.
Sie haben eine Politik der Untätigkeit bei Mindestlöhnen, Leiharbeit und Befristung an den Tag gelegt. Sie haben
mit dem vorliegenden Haushalt Arbeitslosengeld-II-Bestimmungen verschärft und sind deshalb mitverantwortlich für das Sinken der Löhne in unserem Land.
Ich komme zum Schluss, möchte aber noch auf eines
hinweisen: Auch bei der Rente haben Sie, Frau von der
Leyen, mit Zahlen argumentiert, die nicht akzeptabel
sind. Sie haben gesagt: Weil der Beschäftigungsgrad bei
den 55-Jährigen bis 64-Jährigen - Sie haben nur diese
Altersgruppe genommen - zunimmt, sei die Einführung
einer Rente mit 67 akzeptabel. Frau von der Leyen,
wenn jemand mit 60 Jahren einen Job hat, dann heißt es
noch lange nicht, dass er ihn auch mit 64 Jahren hat.
({11})
Aber mit 64 Jahren müsste er einen Job haben, um mit
65 bzw. 66 Jahren noch arbeiten zu können.
({12})
Sie wissen ganz genau, dass in der Altersgruppe der 64Jährigen 90 Prozent keinen Job haben. Sie haben Nebelkerzen geworfen.
Sie verlagern die Lasten auf die Arbeitnehmerinnen
und Arbeitnehmer und auf die Rentnerinnen und Rentner, statt bei denen das Geld zu holen, bei denen das
Geld vorhanden ist. Das zieht sich durch Ihren Haushalt.
Sie schonen die Reichen, und holen es bei den Armen.
Frau von der Leyen, Sie sollten Ihr Ministerium eigentlich in Ministerium für schlechte Arbeit, Armutslöhne
und Unsoziales umbenennen.
Ich danke für das Zuhören.
({13})
Das Wort zu einer Kurzintervention geht an den Kollegen Kolb.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Herr Kollege Ernst,
es ist zwar gut, wenn man ein bisschen Pfeffer in die Debatte bringt. Aber ich finde, dass Sie ein bisschen tief in
die verbale Trickkiste gegriffen haben. Was Sie hier vorgetragen haben, hat sehr deutlich gemacht, dass Sie von
der Realität in diesem Land unendlich weit entfernt sind.
Herr Ernst, Sie haben insbesondere mir vorgeworfen
- mir ganz persönlich; deswegen habe ich mich zu dieser
Kurzintervention gemeldet -, ich hätte mich in meinem
Unternehmen durch Lohndrückerei bereichert, ich hätte
von der Krise profitiert. Das haben Sie wortwörtlich gesagt.
({0})
Herr Ernst, ich will Ihnen einmal sagen, wie es in unserem Lande wirklich aussieht. Wir hatten in unserem
Unternehmen, einem Unternehmen im Metallbereich, ab
Mitte 2009 bis ungefähr Mitte 2010 einen Umsatzeinbruch von etwa 30 Prozent. Wir haben wie nahezu alle
mittelständischen Unternehmen in unserem Lande unsere Mitarbeiter in dieser Situation nicht entlassen, sondern wir haben uns mit ihnen zusammengesetzt und dafür gesorgt, dass wir diese schwere Krise gemeinsam
abwehren können. Das ist uns auch gelungen.
({1})
Mittlerweile - das sehe ich ein Stück weit als Verdienst dieser Regierung - haben wir uns in geradezu
atemberaubender Geschwindigkeit von diesem Einbruch
erholt. Die Umsätze sind wieder auf dem vorherigen Niveau. Das zeigt: Das gemeinsame Handeln in den Unternehmen hat funktioniert. Im letzten Jahr ist es darum gegangen, eine schwere Zeit gemeinsam zu überstehen.
Aber es ging nicht darum, dass jemand zulasten eines
anderen einen Gewinn oder einen Profit, wie immer Sie
es nennen wollen, gemacht hat.
Deswegen weise ich Ihren Vorwurf an dieser Stelle
entschieden zurück. Es wäre gut, wenn Sie sich mit
Blick auf die Realität in den Betrieben hier entschuldigen würden.
Vielen Dank.
({2})
Zur Antwort, Herr Ernst.
Es tut mir leid, aber ich denke, eine Entschuldigung
ist alles andere als angebracht. Ich habe gesagt, Sie profitieren.
({0})
- Ich habe gesagt, dass Sie von dieser Politik als Arbeitgeber in diesem Lande, der Sie ja sind, profitieren.
Ich kann Ihnen auch sagen, warum Sie profitieren.
Durch die Nichteinführung eines Mindestlohns, die Sie
als 4-Prozent-Partei mit zu verantworten haben, behindern Sie im Prinzip einen sozialen Fortschritt im ganzen
Land.
({1})
Dadurch dass Sie die Einführung des Mindestlohns behindern, profitieren Sie insgesamt, weil das Lohnniveau
in diesem Land nicht so steigen kann, wie es der Fall
wäre, wenn der Lohn nach unten begrenzt wäre.
Ich denke, dass Sie, weil Sie ein rechtschaffender
Mensch sind, in Ihrem Unternehmen die Tarifverträge
einhalten. Ihre Beschäftigten erhalten offensichtlich einen vernünftigen Lohn.
({2})
Ich sage Ihnen aber auch, dass das Tarifniveau in diesem
Lande inzwischen davon abhängt, ob man die Löhne
nach unten absichert oder nicht. Sichern wir sie nämlich
nicht nach unten ab, kommen die Tarife ins Rutschen.
({3})
Sie sind doch derjenige, der dem DGB immer vorwirft, dass er über seine Einzelgewerkschaften, zum Beispiel Verdi, niedrige Tarife abschließt. Das wäre ausgeschlossen, wenn wir einen gesetzlichen Mindestlohn
hätten.
({4})
Deshalb sage ich, dass die Arbeitgeber, zu denen auch
Sie gehören, von diesem nicht vorhandenen Mindestlohn
profitieren. Dabei bleibe ich mit aller Klarheit.
({5})
Ein weiterer Punkt. Sie sagen, wir seien von der Realität weit entfernt. Ich kann Ihnen sagen, wer von der
weit Realität entfernt ist: Wenn Sie und Ihre Partei auf
der einen Seite fordern, dass sich Leistung lohnen muss,
und auf der anderen Seite als Teil der Koalition nichts
unternehmen oder sogar verhindern, dass Menschen von
ihrer Leistung tatsächlich leben können, indem sie einen
Mindestlohn bekommen, dann sind Sie für die soziale
Schieflage in diesem Lande verantwortlich. Das möchte
ich Ihnen mit aller Klarheit sagen.
({6})
Für die FDP-Fraktion hat Frau Dr. Claudia
Winterstein das Wort.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Ich will es noch einmal deutlich sagen: Auf den
heute abschließend zu beratenden Haushalt für Arbeit
und Soziales können wir stolz sein.
({0})
Ihre Schwarzmalerei, Frau Hagedorn, ist unverständlich;
von sozialem Kahlschlag kann überhaupt keine Rede
sein, und, Herr Ernst, Ihr intellektuell ziemlich anspruchsloser Populismus hilft uns hier in der Tat nicht
weiter.
({1})
Dieser Etat zeigt die soziale Leistungsfähigkeit dieses Landes, weil 131,3 Milliarden Euro für soziale Sicherung bereitgestellt werden. Das sind 43 Prozent des
gesamten Haushalts; ich denke, das ist beachtlich. Er
zeugt weiterhin vom Glück des Tüchtigen, weil die gute
Konjunktur auch zu geringeren Ausgaben führt, und der
Etat beweist, dass sich diese Regierung eben nicht nur
auf eine gute Konjunktur verlässt, sondern die notwendigen und strukturell wichtigen Einsparungen auch vornimmt. In der Summe liegen wir mit diesem Etat im Jahr
2011 um 11,9 Milliarden Euro unter dem Haushaltsplan
2010.
Das, was wir im Sommer gehofft haben, ist tatsächlich wahr geworden: Die Zahl der Arbeitslosen hat die
3-Millionen-Marke unterschritten. Mit einem Wachstum
von 3,4 Prozent ist Deutschland auf einem sehr guten
Weg und hat die Krise besser gemeistert als viele andere
Länder. Im Haushalt Arbeit und Soziales spiegelt sich
die Besserung der Wirtschaft deutlich wider. Wegen der
besseren Wirtschaftslage und der sinkenden Arbeitslosigkeit werden die Ausgaben für das Arbeitslosengeld II
deutlich niedriger ausfallen. Andererseits aber müssen
der erhöhte Hartz-IV-Regelsatz sowie der höhere Krankenkassenbeitrag für Hartz-IV-Empfänger finanziert
werden; das ist auch klar. Im Saldo dieser Minder- und
Mehrbelastung konnten wir dennoch den Haushaltsansatz für das Arbeitslosengeld II gegenüber dem Entwurf
um 500 Millionen Euro auf 20,4 Milliarden Euro senken. Die gesunkenen Arbeitslosenzahlen sorgen auch bei
der Bundesagentur für Arbeit für bessere Zahlen Wir
konnten deshalb das vorgesehene Darlehen um 1,15 Milliarden Euro auf 5,4 Milliarden Euro absenken. Das sind
die positiven Auswirkungen der guten Konjunktur.
Die strukturellen Einsparungen finden sich im Bereich Arbeitsmarkt. Hier leistet der Etat einen angemessenen Beitrag zur Einhaltung der Schuldenbremse.
({2})
Ich will hier nur kurz auf zwei Elemente eingehen:
Wir haben einerseits das Eingliederungsbudget für 2011
auf 9,5 Milliarden Euro abgesenkt; damit fällt es um
1,5 Milliarden Euro geringer aus als im Jahre 2010.
({3})
Angesichts der Tatsache, dass 2011 mit deutlich weniger
Arbeitslosen zu rechnen ist, halte ich diesen Schritt für
richtig. Es ist auch ein Signal, dass wir den an uns selbst
gestellten Anspruch eines effizienten Mitteleinsatzes in
diesem Bereich wirklich ernst nehmen.
Wir haben andererseits die Rentenbeitragszahlung für
die Bezugszeiten von Arbeitslosengeld gestrichen. Das
spart beim Bund 1,8 Milliarden Euro im Jahr, wirkt sich
aber bei den Betroffenen so gut wie gar nicht aus. Konkret: Für jedes Jahr der Arbeitslosigkeit steigt die Rente
um lediglich 2 Euro. Hier meine ich: Auch dieser Teil
des Sparpakets ist durchaus vertretbar.
Die SPD meint nun, man könne für konjunkturelle
Einsparungen viel mehr ansetzen. Zum Ausgleich fordert sie dann, sämtliche Elemente des Sparpakets, die
den Haushalt Arbeit und Soziales betreffen, einfach mal
so zurückzunehmen.
({4})
Sie wollen sich also auf der guten Konjunktur ausruhen
und alle echten Sparanstrengungen wieder aufgeben.
Das ist ein Musterbeispiel dafür, wie Politik in diesen
Zeiten eben nicht sein darf, Frau Hagedorn.
({5})
In diesem Haushalt setzen wir auch den neuen
Hartz-IV-Regelsatz und das Bildungspaket um. Das
Verfassungsgericht hat verlangt, die Regelsätze neu und
transparent zu gestalten. Das ist nun geschehen, mit einer bis ins Detail transparenten Berechnungsgrundlage.
Der zweite Auftrag des Verfassungsgerichtes war es, das
Recht bedürftiger Kinder auf Bildung und gesellschaftliche Teilhabe zu sichern. Hierfür haben wir im
Bundeshaushalt 2011 Mittel in Höhe von 586 Millionen
Euro vorgesehen, weitere 90 Millionen Euro für die verwaltungstechnische Umsetzung. Das Herausragende an
diesem Bildungs- und Teilhabepaket ist, dass wir nicht
einfach nur mehr Geld verteilen, sondern dafür sorgen,
dass die Angebote unmittelbar die Kinder erreichen.
({6})
Wichtig ist: Es wird kein Geld mit der Gießkanne verteilt, sondern es wird gezielt unterstützt und das Mitmachen ermöglicht.
Es ist sehr bedauerlich, dass die SPD hier den Blockierer spielt und dabei sachfremde Argumente anführt.
So fordern Sie unter anderem Fortschritte beim Mindest7972
lohn, angeblich um dem Problem der Aufstocker zu begegnen. Das möchte ich einmal aufgreifen.
({7})
Sie versuchen immer wieder, die Notwendigkeit eines
allgemeinen Mindestlohnes mithilfe einer Debatte um
die Aufstocker zu belegen; das haben wir gerade erlebt.
Um die Darstellung vom Kopf auf die Füße zu stellen,
müsste man ganz anders argumentieren. Man müssten
nämlich darüber reden, wie viel mehr es den Staat kosten
würde, wenn die sogenannten Aufstocker überhaupt
nicht arbeiten würden. Denn die meisten Aufstocker arbeiten nur wenige Stunden.
({8})
Singles, die Vollzeit arbeiten und trotzdem Aufstocker
sind, machen genau 0,3 Prozent aller Beschäftigten aus.
Ihre Aufstocker- und Mindestlohndebatte ist also völlig
unsinnig.
({9})
Die Opposition macht aus ihrer Strategie kein Geheimnis - ihre Änderungsanträge belegen das -: Sie setzt
auf eine Erhöhung der Ausgaben, auf die Erhöhung des
ALG II, des Eingliederungsbudgets und der Ausgaben
für die Kosten der Unterkunft.
({10})
Zugleich setzt die Opposition auf eine Erhöhung der
Einnahmen durch eine Erhöhung des Spitzensteuersatzes
und eine globale Mehreinnahme.
({11})
Das soll angeblich etwas ganz Solides sein. Ich sage Ihnen eines: Die Koalition will die Ausgaben senken; das
ist der einzig richtige und seriöse Weg.
Der Haushalt 2011 ist nach dem Übergangshaushalt,
den wir 2010 hatten, der erste Haushalt, der deutlich die
Handschrift der neuen Regierung trägt.
({12})
In den Jahren zuvor sind die Ausgaben mit jedem Haushalt gestiegen. Jetzt wurde erstmals ein Sparhaushalt erarbeitet.
({13})
Der Etat für Arbeit und Soziales hat einen angemessenen
und sozial vertretbaren Anteil daran.
Vielen Dank.
({14})
Das Wort hat Brigitte Pothmer für Bündnis 90/Die
Grünen.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Frau
Ministerin, Sie haben vergangene Woche auf dem CDUParteitag gesagt, dass Sie einen Beitrag dazu leisten wollen, dass die Menschen Ihnen - damit war gemeint: der
Bundesregierung und der Union - wieder mehr vertrauen. Ich habe keine Ahnung, an wen Sie gedacht haben, als Sie von den Menschen geredet haben. Eines ist
jedenfalls klar: Hartz-IV-Bezieher, Arbeitslose und Geringverdiener haben Sie dabei mit Sicherheit nicht im
Blick gehabt;
({0})
denn dieser Haushalt ist in diesem Sinne wirklich keine
vertrauensbildende Maßnahme. Der Haushalt ist ein Beitrag zur weiteren sozialen Ausgrenzung und Spaltung.
Er ist in der Tat eine Kapitulation vor dem Problem der
Langzeitarbeitslosigkeit.
({1})
Frau von der Leyen, ich bin mir sicher, dass es nicht
wenige waren, die mit Ihrem Amtsantritt im vergangenen
Jahr Hoffnungen verbunden haben. Sie galten als engagiert in der Sache, freundlich im Umgang und durchsetzungsstark im Hinblick auf Ihre Ziele.
({2})
Die Frage ist aber: Was ist davon übrig geblieben? Übrig
geblieben ist das, was man gemeinhin als ausgebufft bezeichnet. Die gänzlich unzureichende Anhebung der Regelsätze um beschämende 5 Euro im Monat haben Sie
damit gerechtfertigt, dass es in erster Linie darum gehe,
die Menschen aus der Hilfebedürftigkeit herauszuholen,
Hilfebedürftigkeit solle ein vorübergehender Zustand
sein. Dazu sage ich: Richtig. Nur, Frau von der Leyen,
wissen Sie eigentlich, dass in keinem anderen OECDLand der Zustand der Langzeitarbeitslosigkeit so lange
anhält wie in Deutschland?
({3})
Trotzdem kürzen Sie die Mittel für den Eingliederungstitel im SGB-II-Bereich um 1,3 Milliarden Euro. Das sind
20 Prozent des Titels. Bei der Langzeitarbeitslosigkeit
beträgt der Rückgang aber nur 2 Prozent. Mit dieser
Politik sorgen Sie dafür, dass die Menschen länger langzeitarbeitslos sind. Gleichzeitig verweigern Sie diesen
Menschen ein menschenwürdiges Existenzminimum.
({4})
Ihre Regelsatzberechnung hat mit einer realitätsnahen
Ermittlung eines menschenwürdigen Existenzminimums
nichts, aber auch gar nichts zu tun.
({5})
Das hat die gestrige Ausschussanhörung noch einmal in
aller Deutlichkeit klargemacht.
In Wirklichkeit haben Sie die Langzeitarbeitslosen
abgeschrieben. Wie sonst ließe sich erklären, dass auf
Ihre Anweisung hin die verbleibenden Mittel auf sogenannte einfache Fälle verteilt werden, also nur auf diejenigen, die so oder so einen Job finden, auch ohne Ihre
Hilfe? Die Mittel sollen nun konzentriert für diese Personen eingesetzt werden. Folgerichtig kursieren in den
Jobcentern Weisungen, die besagen: Nur noch kurzfristige Maßnahmen sind möglich. Kurzfristige Maßnahmen
führen aber nur zu einer kurzfristigen Integration in den
Arbeitsmarkt. Sie fördern damit den berühmten Drehtüreffekt.
({6})
In dem Jobcenter in meiner Heimatstadt Hildesheim
werden im nächsten Jahr nur noch diese sogenannten
einfachen Fälle gefördert. Knapp 5 000 Hildesheimer
Arbeitslose ohne Berufsausbildung werden einfach aufgegeben. Sie richten Ihre Arbeitsmarktpolitik an statistischen Erfolgen und nicht an den Bedürfnissen der arbeitslosen Menschen aus.
({7})
In der letzten Woche habe ich im Spiegel gelesen:
Hinter dem immerwährenden Lächeln steckt „das eiserne Röschen“. „Niemand in der CDU verfolgt seine
Ziele mit einer solchen Härte wie Ursula von der
Leyen.“ Gut so, würde ich dazu sagen, wenn es Ihr Ziel
wäre, die Situation der Langzeitarbeitslosen zu verbessern.
({8})
Ihr Ehrgeiz scheint sich aber in erster Linie an Ihrem eigenen Fortkommen auszurichten.
Das zeigte sich im Übrigen auch bei der Präsentation
der Arbeitsmarktzahlen im letzten Monat. Sie konnten es
doch gar nicht abwarten, die sogenannte frohe Botschaft
zu verkünden. Das Problem ist nur: Die Botschaft ist
falsch. Die Zahl der Arbeitslosen liegt nicht unter
3 Millionen, sondern über 4 Millionen. Und da redet
Herr Fischer von Vollbeschäftigung. Was ist das für eine
Definition von Vollbeschäftigung?
({9})
Wenigstens 1 Million Menschen mehr sind arbeitslos.
Sie werden nur nicht mitgezählt, weil sie am Stichtag an
einem Bewerbungstraining oder irgendeiner anderen
Maßnahme teilgenommen haben.
({10})
Oder sie werden vollkommen aus der Statistik herausgeschmissen.
({11})
- Das ist nicht unsere Statistik. Sie haben die Statistik
dahin gehend verändert, dass Arbeitslose, die bei privaten Vermittlern untergebracht sind, überhaupt nicht mehr
mitgezählt werden.
({12})
58-Jährige, die ein Jahr lang kein Angebot bekommen
haben, erscheinen in der Statistik überhaupt nicht mehr.
Frau von der Leyen, aber auch diese Menschen sind
arbeitslos. Es ist ein Unding, dass die Arbeitsministerin
mehr als eine Dreiviertelmillion Euro für eine höchst
fragwürdige Botschaft ausgibt und gleichzeitig drastisch
bei der Integration von Arbeitslosen spart.
({13})
Kosten und Botschaft stehen wirklich in keinem Verhältnis.
Lassen Sie mich abschließend noch etwas zum Fachkräftemangel sagen. Frau von der Leyen, Sie haben immer vor dem Horrorszenario eines exorbitant hohen
Fachkräftemangels bei gleichzeitig hoher Arbeitslosigkeit gewarnt. Sie sind gerade dabei, Ihre eigene Prophezeiung zu erfüllen. Durch die Kürzung im Eingliederungstitel verhindern Sie genau, dass die Arbeitslosen
für den Fachkräftemarkt fitgemacht werden.
({14})
Frau Kollegin, Sie müssen bitte zum Ende kommen.
Ich komme zum Schluss. - In dieser Bundesregierung
sind vier Ministerien damit beschäftigt, dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken. Vier Minister, vier Meinungen, null Bewegung. Man könnte den Eindruck gewinnen, dass der Fachkräftemangel bei der Bundesregierung
anfängt.
Ich danke Ihnen.
({0})
Das Wort hat die Bundesministerin Ursula von der
Leyen.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir beschließen heute einen Haushalt, der drei Schritte umfasst: Wir sparen da, wo es vertretbar ist, wir setzen
Schwerpunkte da, wo es klug ist, und wir behalten die
Zukunftschancen der Menschen im Blick.
({0})
Wir haben sowohl die Belastbarkeit, die Berechenbarkeit
und die neuen Chancen für die Menschen im Blick behalten als auch die Notwendigkeiten der Haushaltskonsolidierung und der Schuldenbremse, die im Grundgesetz
verankert ist, natürlich berücksichtigt. Der Einzelplan 11
ist ein Spiegelbild dessen. Unser Haushalt trägt ein Drittel
zum Sparpaket bei. Angesichts des Volumens unseres
Haushalts - er umfasst immerhin die Hälfte des Bundeshaushalts - ist dieser Sparbeitrag angemessen. Ich glaube,
gerade vor dem Hintergrund der besseren Arbeitsmarktlage ist dies auch gerechtfertigt.
Wir haben jahrelang ins Ausland geschaut, weil wir
uns gefragt haben: Was machen die besser als wir? Inzwischen ist es so, dass das Ausland hierher schaut und
sich fragt: Was machen wir hier besser, dass wir einen so
robusten Arbeitsmarkt haben?
({1})
Herr Ernst, wenn Sie hier wieder Ihre Legenden verbreiten, dann müssen Sie natürlich damit rechnen, dass
wir konsequent gegenhalten und Ihnen die Wahrheit und
schlicht und einfach die Fakten und Tatsachen sagen.
Von wegen massenhaft Aufstocker wegen eines nicht
vorhandenen Mindestlohnes: 75 Prozent der Aufstocker
arbeiten nicht Vollzeit, sondern Teilzeit oder haben 400Euro-Jobs.
({2})
Davon kann man den Lebensunterhalt nicht verdienen.
Es ist nicht ein Problem der Lohnhöhe, es ist ein Problem der Zeit, die nicht gearbeitet wird.
({3})
Zweiter Punkt: Befristung. Herr Ernst, Sie haben natürlich unterschlagen: 91 Prozent der Arbeitsverträge in
unserem Land sind unbefristet. 91 Prozent! Ja, es ist
richtig, wie Sie sagten, dass die jungen Menschen beim
ersten Arbeitsvertrag, den sie bekommen, in 40 Prozent
der Fälle einen befristeten Arbeitsvertrag haben. Aber
jeder Zweite davon hat dann im Anschlussarbeitsvertrag
schon eine unbefristete Anstellung. Das sind Zustände,
die sich die Menschen in anderen Ländern wünschen
würden.
Dritter Punkt: Leiharbeit. Herr Ernst, Abweichen
von Equal Pay in der Leiharbeit ist nicht möglich, wenn
es einen von den Gewerkschaften mit verabredeten Tarifvertrag gibt.
({4})
Sie sind doch einer der obersten Gewerkschafter. Dann
sorgen Sie als Gewerkschafter dafür, dass diese Praxis
ein Ende hat.
({5})
Wenn man Ihnen zuhört, Herr Ernst
({6})
- ich bringe das jetzt erst zu Ende -, dann hat man den
Eindruck, dass wir kurz vor dem Zusammenbruch des
Arbeitsmarktes sind. Das Gegenteil ist der Fall.
({7})
Wie gesagt, das Ausland beneidet uns um diesen
robusten Arbeitsmarkt nach der Krise.
({8})
Wir haben jetzt so viele Erwerbstätige wie nie zuvor in
einem dritten Quartal seit der Wiedervereinigung in
Deutschland.
({9})
Wir haben unter 3 Millionen Arbeitslose, und, ja, Frau
Pothmer, die Statistik, die Sie mit beschlossen haben, erfasst auch den Anteil der Unterbeschäftigung, also die
Zahl der Menschen, die in Maßnahmen sind. Auch dort
ist die Zahl der Unterbeschäftigung drastisch zurückgegangen. Ganz egal, wohin Sie gucken - in den Osten
oder in den Westen, auf Männer oder Frauen, Arbeitslosigkeit oder Unterbeschäftigung -: Überall sind die Zahlen heruntergegangen.
({10})
Das ist gut so. Wir haben am Arbeitsmarkt einen Aufschwung, der sich sehen lassen kann.
({11})
Frau Ministerin, möchten Sie denn jetzt eine Frage
des Kollegen Ernst zulassen?
Ich möchte meine Ausführungen erst zu Ende bringen. - Wir haben zum Beispiel bei den arbeitslosen Jugendlichen den niedrigsten Oktoberwert seit 1991, wir
haben bei den erwerbsfähigen Hilfebedürftigen - das ist
die Gruppe, die Sie eben auch angesprochen haben - den
niedrigsten Oktoberwert seit 2005, also knapp nach der
Einführung der Hartz-Reform.
Mit anderen Worten, meine Damen und Herren: Die
Schwerpunkte, die wir gesetzt haben, waren richtig, und
das macht dieser Haushalt auch deutlich.
({0})
Wenn man auf die Arbeitsmarktmittel schaut, dann
sieht man - na klar: weniger Ausgaben bei den passiven
Leistungen, weil wir weniger Arbeitslose haben, weil
wir weniger Bedarfsgemeinschaften haben. Aber auf der
anderen Seite sehen wir auch, dass wir die richtigen
Schwerpunkte bei der aktiven Arbeitsmarktpolitik setzen. Darüber streiten wir die ganze Zeit. 9,5 Milliarden
Euro stehen 2011 zur Verfügung. Ja, das sind 1,5 Milliarden Euro weniger als im laufenden Jahr. Wir alle wissen,
dass der Haushalt für dieses laufende Jahr eine Krisenkalkulation aus 2009 war. Wir hätten uns Anfang des
Jahres niemals träumen lassen, dass es am Arbeitsmarkt
so gut läuft. Die 9,5 Milliarden Euro, die für 2011 zur
Verfügung stehen, sind immer noch mehr als das, was in
2008, also in dem Jahr vor der Krise, zur Verfügung gestanden hat. Aber schon heute haben wir weniger Arbeitslose, weniger Bedarfsgemeinschaften. Das heißt,
wir haben in der Arbeitsmarktpolitik für jeden einzelnen
Arbeitslosen mehr Geld zur Verfügung, als es bisher der
Fall gewesen ist.
({1})
Frau Pothmer, Sie haben die Situation in den OECDLändern angeführt und gesagt, in keinem anderen
OECD-Land usw., usf.;
({2})
ich kann Ihre Worte nicht wiederholen, denn Sie haben
da wieder ein schreckliches Szenario dargestellt.
({3})
In keinem OECD-Land gab es in der Krise einen so geringen Anstieg der Arbeitslosigkeit wie bei uns. Sie sinkt
auf allen Ebenen. Ich glaube, wir können stolz darauf
sein, dass der Arbeitsmarkt im Augenblick so robust ist
und sich als so krisenfest erwiesen hat.
({4})
Bei den Mitteln für die aktive Arbeitsmarktpolitik
muss man immer schauen, ob sie zielgerichtet eingesetzt
sind.
({5})
Das ist ein kontinuierlicher Evaluationsprozess. Wir
werden die Instrumentenreform im nächsten Jahr nahtlos
anschließen.
Zweiter Teil unseres Haushaltes: Rente. 20 Millionen
Rentnerinnen und Rentner in unserem Land vertrauen zu
Recht auf den Sozialstaat. Die gesetzliche Rentenversicherung ist eine der zentralen Säulen, in die 80 Milliarden Euro aus dem Bundeshaushalt fließen.
({6})
Diese Säule trägt. Frau Hagedorn, da Sie das gerade sagen: Wir haben auch hier die richtigen Schwerpunkte gesetzt. Dank der Rentenreformen der Vergangenheit ist
sie demografiefest. Dank einer erfolgreichen Krisenpolitik der Merkel-Regierung hat sich die Rücklage in der
Rentenversicherung deutlich besser entwickelt als erwartet. Man sollte nicht vergessen, woher wir kommen.
2005 - an dieses Jahr werden Sie sich noch erinnern; da
waren Sie kräftig mit an der Regierung - war die Reserve der Rentenkasse auf knappe drei Tage geschmolzen.
({7})
Das haben Sie damals toleriert. Wir liegen bei der
Schwankungsreserve Ende 2010 jetzt wieder bei
1,1 Monatsausgaben.
({8})
Das heißt, die Rücklage wird in den nächsten Jahren
- trotz des Wegfalls der Beitragszahlung für Arbeitsuchende in der Grundsicherung - solide anwachsen. Damit
wird voraussichtlich 2014 eine Senkung der Rentenversicherungsbeiträge möglich sein. Solche Zahlen schaffen
Vertrauen in die Verlässlichkeit unserer Rentenversicherung.
({9})
Zugleich wissen wir, wo wir etwas ändern müssen,
nämlich beim Teufelskreis der vererbten Armut. Ich
habe von der Opposition gehört, dass wir beim Bildungspaket für die Kinder mehr machen müssen. Manchmal
frage ich mich: Wo sind Sie eigentlich bei der Gesetzgebung der Agenda 2010, bei der Einführung der Hartz-IVGesetze gewesen?
({10})
Da gab es das alles nicht. Wir haben das Schulbedarfspaket in der Großen Koalition zusammen auf den Weg gebracht, aber alles andere gab es bisher nicht. Zum ersten
Mal seit der Einführung von Hartz IV - ausgelöst durch
das Urteil des Bundesverfassungsgerichts - unternimmt
der Gesetzgeber konkret und gezielt etwas für die Bildungschancen, für die Teilhabechancen der bedürftigen
Kinder, deren Eltern in Hartz IV sind oder von Sozialhilfe leben. Ich glaube, das sollten wir mit großem Konsens zusammen umsetzen.
({11})
Ab 2011 haben die Kinder ein Anrecht auf dieses Bildungspaket. Wir haben im Haushalt 833 Millionen
Euro dafür vorgesehen, allein 722 Millionen im Haushalt des Arbeitsministeriums. Die Strecke, die wir vor
uns haben, ist noch gewaltig; da müssen wir viel tun. Es
ist nicht trivial, ein solches Bildungspaket auf den Weg
zu bringen. Es wäre einfacher gewesen, das Geld im
Rahmen von Hartz IV auszuzahlen. Ob das den Kindern
geholfen hätte, ob das dazu geführt hätte, dass sie tatsächlich an den Leistungen teilhaben, wage ich zu bezweifeln.
Da Kinder aufgrund des Urteils des Bundesverfassungsgerichts ab Januar 2011 ein Recht auf Leistungen
wie Teilhabe und Bildung haben, kann ich der Opposition nur zurufen: Arbeiten Sie konstruktiv mit, und verweigern Sie sich nicht der Umsetzung! Die Zeit ist
knapp. Ich persönlich kann nicht verstehen, dass man
sich aus formalen Gründen gar nicht erst an den Verhandlungstisch gesetzt hat. Ich muss Ihnen an dieser
Stelle leider in Erinnerung rufen, was Ihr Altvorderer
Herbert Wehner gesagt hat: Wer rausgeht, muss irgendwann auch wieder reinkommen. - Wer gar nicht erst
reinkommt, wird sich irgendwann trotzdem an den Verhandlungstisch setzen müssen, und dann werden wir
konkret verhandeln müssen.
Ich danke all jenen, die schon jetzt ganz konkret mit
uns gemeinsam überlegen, was getan werden kann, damit den Kindern ab 2011 ein warmes Schulmittagessen,
die Mitgliedschaft in einem Sportverein, der Besuch einer Musikschule und die Teilnahme an Schulausflügen
ermöglicht werden kann. Ich danke den Lehrerinnen und
Lehrern sowie den Vereinen und Verbänden, die sich
schon jetzt beteiligen, den Kommunen, die tatkräftig
mitmachen, und auch der Bundesagentur für Arbeit und
den Jobcentern vor Ort. Ich danke allen Menschen, die
sagen: Für diese Kinder im Land muss sich etwas ändern, und wir arbeiten daran konkret mit.
({12})
Möchten Sie noch eine Zwischenfrage der Kollegin
Pothmer zulassen?
Ja.
Frau von der Leyen, im Rahmen der gestrigen Anhörung hat uns die Bundesagentur für Arbeit mitgeteilt,
dass für die administrative Umsetzung des Bildungspaketes nicht genug Geld zur Verfügung steht und nicht
auszuschließen ist, dass dafür Mittel aus dem Eingliederungstitel umgewidmet werden müssen. Können Sie uns
hier und heute zusagen, dass die Umsetzung des Bildungspaketes nicht zulasten von Eingliederungsmaßnahmen für Langzeitarbeitslose geht?
({0})
Frau Pothmer, es steht genug Geld zur Verfügung. Im
Rahmen der Verwaltungskosten wurden dafür 135 Millionen Euro angesetzt. Manchmal höre ich das Geschrei:
Was? So viel für Bürokratie? - Nein, das ist keine Bürokratie. Wenn wir tatsächlich dafür sorgen wollen, dass
Kinder von diesen Angeboten Gebrauch machen können, dass sie teilhaben können und sich beteiligen können, dann brauchen wir vor Ort Menschen, die sich darum kümmern. Ich bin stolz darauf - ich glaube, ich bin
das erste Mitglied einer Bundesregierung, das stolz auf
so etwas ist -, dass wir im Hinblick auf die Verwaltungskosten für die Umsetzung des Bildungspaketes
135 Millionen Euro in den Haushalt einstellen. Dieses
Geld wird meines Erachtens an der richtigen Stelle eingesetzt, nämlich für die Kinder.
({0})
In den letzten 30 Sekunden meiner Rede möchte ich
mich trotz der Auseinandersetzungen in der Sache, die
es immer geben wird, bei den Berichterstatterinnen und
Berichterstattern bedanken. Auch wenn wir im Einzelfall unterschiedlicher Meinung waren, waren die Beratungen ausgesprochen gut und konstruktiv. Dafür danke
ich.
({1})
Zu einer Kurzintervention gebe ich das Wort dem
Kollegen Klaus Ernst.
Frau von der Leyen, erst einmal muss ich Ihnen ein
Kompliment machen. Wenn man Ihnen zugehört hat,
hatte man den Eindruck, es ist schon Weihnachten.
({0})
Weihnachten steht uns allerdings noch bevor. In diesem
Punkt unterscheiden Sie sich deutlich von der Kanzlerin.
Bei ihr hat man nämlich immer den Eindruck, es ist Karfreitag. Es war wirklich klasse, wie Sie das gemacht haben. Nur, inhaltlich war es leider daneben.
({1})
Erstens. Ich möchte Sie darauf hinweisen, dass
6,5 Millionen Menschen in diesem Land einen Niedriglohn erhalten. Ich wiederhole: 6,5 Millionen Menschen
in diesem Land. In Ihrem Haushalt habe ich leider nicht
den geringsten Ansatz gesehen, wie Sie diese Situation
konkret verändern wollen.
Zweitens. Sie haben gesagt, dass die meisten Aufstocker Teilzeit, also nicht Vollzeit arbeiten. Da haben Sie
recht. Es gibt in diesem Lande aber 325 000 Menschen,
die trotz Vollzeitarbeit einen Lohn beziehen, der zulasten
des Steuerzahlers aufgestockt werden muss,
({2})
weil Sie verhindern, dass die Arbeitgeber verpflichtet
werden, vernünftige Löhne zu zahlen. Hier sind Sie in
der Verantwortung, Frau von der Leyen. Aus dieser Verantwortung kommen Sie nicht heraus.
({3})
- Ich weiß nicht, was daran Quatsch ist. Sie können das
gerne nachlesen, wenn Sie es nicht wissen. Aber Unwissenheit schützt nicht davor, hier Unfug zu verbreiten,
Herr Kauder.
Drittens zu der Rolle der Gewerkschaften und zu den
Tariflöhnen im Bereich der Leiharbeit. Sie haben recht:
Manche Löhne, die unter gewerkschaftlicher Beteiligung vereinbart wurden - in der Regel unter Beteiligung
gelber und christlicher Gewerkschaften -, sind sehr
niedrig. Dies ist der Fall, weil die jeweilige Gewerkschaft den Arbeitgebern angeboten hat, solch niedrige
Löhne zu vereinbaren. Wenn auch Sie diese Situation
kritisieren, vermisse ich bei Ihnen als Arbeitsministerin
eine Initiative, dies künftig zu verhindern.
({4})
Ich sage Ihnen, wie dieses Problem ganz einfach zu
lösen wäre. Wenn Sie wirklich der Auffassung sind, dass
sich Leistung lohnen muss, dann müssten Sie einen Mindestlohn einführen und gleichzeitig den Equal-PayGrundsatz im Bereich der Leiharbeit so ausgestalten,
dass dieses Niveau nicht unterschritten werden darf,
auch dann nicht, wenn Gewerkschaften geringere Lohnforderungen stellen. Schon wäre das Problem gelöst,
Frau von der Leyen. So einfach würde das gehen.
({5})
Frau von der Leyen, möchten Sie antworten? - Bitte
schön.
Herr Ernst, wir haben 40 Millionen Beschäftigte.
324 000 Aufstocker haben in der Tat einen Lohn, der zu
gering ist. Wenn Sie daran etwas ändern wollen, dann arbeiten Sie mit uns zusammen an dem richtigen Weg, den
wir in Deutschland eingeschlagen haben, nämlich branchenspezifische Mindestlöhne einzuführen. Arbeitgeber
und Gewerkschaften setzen sich als Experten in der eigenen Sache zusammen und finden den richtigen Mindestlohn. Wenn der richtige Mindestlohn gefunden ist, dann
ist er hilfreich. Wenn man hingegen einen Mindestlohn
ansetzen würde, wie Sie ihn sich vorstellen, dann würde
das Arbeitsplätze zerstören, und es gäbe noch viel mehr
Menschen, die in Hartz IV landeten. Das ist etwas, was
wir nicht wollen.
({0})
Zweiter Punkt - ich habe meinen Ohren nicht getraut -:
Sie meinten, ich solle eine Initiative ergreifen, um zu
verhindern, dass die Tarifverträge abgeschlossen werden, die Sie gerade geschildert haben. Ich sage Ihnen
ganz deutlich: Ich verhindere nicht die Tarifautonomie in
diesem Land; sie ist mir wichtig.
Danke.
({1})
Hubertus Heil hat das Wort für die SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Sehr geehrte Frau Ministerin, auch von mir
herzlichen Glückwunsch zu dem großen Theaterdonner.
Aber nach Ihrer Rede und Ihrer Antwort auf die Kurzintervention kann ich nur feststellen, dass Ihre warmen
Worte nicht zu Ihren kalten Taten passen. Denn das, worüber wir heute reden, ist die Realität.
({0})
Frau von der Leyen, Sie hätten vorhin, als es um
Sparnotwendigkeiten ging - der Bundesfinanzminister
weiß das -, einmal darauf hinweisen können, dass wir im
Jahr 2008, also vor der Finanzkrise, unter Bundesminister Peer Steinbrück die Situation und Entwicklung hatten, dass, gesamtstaatlich gesprochen, Bund, Länder und
Kommunen und im Übrigen auch die Sozialversicherungen das erste Mal seit 40 Jahren in der Balance waren
und dass wir ohne die Finanzkrise im Jahr 2010 in
Deutschland einen ausgeglichenen Bundeshaushalt gehabt hätten. Ergo - das muss man deutlich sagen - ist die
Staatsfinanzierungskrise, die wir jetzt zu bewältigen haben, Herr Finanzminister Schäuble und Frau von der
Leyen, das Ergebnis einer furchtbaren Finanzkrise, für
die allerdings die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer
sowie die arbeitslosen Menschen in diesem Land die Zeche zahlen sollen, wenn es nach Ihren Plänen geht. Das
ist ungerecht, meine Damen und Herren.
({1})
Frau von der Leyen, da nützen auch keine Tricksereien mit dem Hinweis auf die Größe Ihres Haushalts;
denn Sie haben gleichzeitig verschwiegen, dass der
größte Posten in Ihrem Haushalt der Bundeszuschuss zur
Rentenkasse ist. Den wollen Sie ja wohl nicht antasten.
Sie tun das aber mittelbar, indem Sie der Rentenkasse
Beiträge entziehen, die der Rentenkasse für arbeitslose
Menschen zustehen. Sie schmälern damit die Rücklagen,
die nicht Sie, sondern Ihre Amtsvorgänger aufgebaut haben - aber anyway. Sie holen das Geld vor allen Dingen
- das ist unser Hauptvorwurf - bei den langzeitarbeitslosen Menschen und bei den Maßnahmen, die helfen würden, langzeitarbeitslose Menschen, ihre Familien und die
Kinder aus der Armut herauszuführen. Das ist nicht nur
kurzsichtig, es ist ungerecht.
({2})
Ich muss sagen: Man kann sich auch dummsparen.
Hubertus Heil ({3})
Ich will Ihnen an dieser Stelle Folgendes sagen: Sie
verweisen auf eine gute Entwicklung am Arbeitsmarkt. Das bestreitet niemand, was die kurzzeitige Arbeitslosigkeit betrifft. Sie ist tatsächlich zurückgegangen. Der Arbeitsmarkt ist in der Krise durch die
Maßnahmen, die die Große Koalition durchgesetzt hat,
und durch die Reformen der rot-grünen Vorgängerregierung relativ stabil geblieben. Durch das, was Olaf Scholz
und Peer Steinbrück gemacht haben, ist Deutschlands
Arbeitsmarkt robust durch die Krise gekommen.
Aber was Ihnen fehlt, Frau von der Leyen, ist neben
der PR-Aktion, sich neben die guten Zahlen zu stellen,
ein Konzept, wie wir in Zukunft einen gespaltenen Arbeitsmarkt verhindern. Ich will Ihnen sagen, was ich damit meine: Wir haben möglicherweise im nächsten Jahrzehnt in vielen Branchen und Regionen die Situation,
dass sich auf der einen Seite Unternehmen tatsächlich
über Fachkräftemangel zu beklagen haben. Auf der anderen Seite haben wir einen Sockel von verfestigter
Langzeitarbeitslosigkeit, den Sie so belassen, wenn Sie
die Menschen durch aktive Arbeitsmarktpolitik und die
entsprechenden Maßnahmen nicht aus dieser Arbeitslosigkeit herausholen.
({4})
Sie können nicht pauschal von Arbeitslosenzahlen
und Statistiken sprechen, wenn Sie nicht die Unterscheidung zwischen denjenigen haben, die kurzzeitig arbeitslos sind und gottlob möglichst schnell wieder aus der
Arbeitslosigkeit herauskommen, und denjenigen Menschen, die dauerhaft langzeitarbeitslos sind. Da passen
die warmen Worte von Frau von der Leyen nicht mit ihren kalten Taten zusammen.
Wer war es denn, der im Frühjahr dieses Jahres - das
waren Sie, Frau von der Leyen - vollmundig und großspurig von einer Vermittlungsoffensive zugunsten von
Jugendlichen mit schlechter Qualifikation, von Alleinerziehenden und von älteren Langzeitarbeitslosen gesprochen hat? Es ist richtig, dass wir in Bezug auf diese
verfestigte Langzeitarbeitslosigkeit etwas tun. Wer die
Mittel für diese Maßnahmen aber um 20 Prozent zulasten der langzeitarbeitslosen Menschen kürzt, obwohl sie
notwendig sind, damit sie nicht mit 5 Euro mehr abgespeist werden, sondern aus der Arbeitslosigkeit herauskommen, der handelt zulasten dieser Menschen, der
spart kurzfristig für den Bundeshaushalt 2011 und der
sorgt langfristig dafür, dass dieser Staat und diese Gesellschaft dauerhafte Arbeitslosigkeit und nicht Arbeit
finanzieren. Das ist der Fehler in Ihrer Rechnung, Frau
Kollegin.
({5})
Gleichen wir deshalb doch einmal Ihre Ankündigungen und Ihre Statistik mit der Realität in Deutschland ab.
Frau Pothmer hat das netterweise für Hildesheim getan,
ich tue das für den Nachbarbereich, nämlich für den
Landkreis Peine in Niedersachsen. Das ist eine Optionskommune, die Sie möglicherweise aus Ihrer früheren Zeit als Ministerin in Niedersachsen kennen, und
meine Heimat.
Mein Landrat, der diese Optionskommune, wie gesagt, in Eigenregie leitet und für die Betreuung von
Langzeitarbeitslosen und für eine aktive Arbeitsmarktpolitik Verantwortung trägt - er tut das übrigens sehr
verantwortungsvoll und gut -, schreibt mir, dass die Mittelkürzungen im nächsten Jahr ein Minus von 25 Prozent
zulasten von behinderten Menschen, von Jugendlichen
mit schlechter Qualifikation, von Langzeitarbeitslosen,
von alleinerziehenden Frauen, von Kindern und von Älteren im Landkreis Peine bedeuten werden.
({6})
Deshalb, Frau von der Leyen, passen bei Ihnen Reden
und Handeln einfach nicht zusammen. Sie können Ihren
PR-Apparat noch so stark vergrößern: Das werden Sie
nicht überbrücken.
({7})
Wir reden hier ja über den Haushalt und nehmen zur
Kenntnis, dass Sie auf der einen Seite 20 Prozent der
Mittel für die aktive Arbeitsmarktpolitik streichen, während Sie die Mittel für die Öffentlichkeitsarbeit von
Ursula von der Leyen auf der anderen Seite um sage und
schreibe 29 Prozent aufstocken, um das Gap zwischen
Anspruch und Wirklichkeit zu überbrücken.
({8})
Ich sage Ihnen: PR ersetzt nicht gute Politik. Das werden
die Menschen in diesem Land erleben, und Sie werden
es auch erleben, Frau von der Leyen.
({9})
Der gespaltene Arbeitsmarkt ist eine reale Gefahr,
und zwar nicht nur für die wirtschaftliche und die soziale
Entwicklung in diesem Land, sondern auch für die gesellschaftliche Entwicklung in unserer Demokratie.
Wenn Menschen keine Perspektiven und keine Chancen
mehr haben und wenn sie sich in diesem Land nicht gebraucht fühlen, dann ist das Zündstoff und Sprengstoff
für die demokratische Entwicklung in diesem Land.
({10})
Sie legen hier tatsächlich die Lunte, wenn Sie dafür sorgen, dass Menschen dauerhaft abgehängt sind.
Wenn dann auch noch das passiert, was wir vorhin bei
dem Haushälterkollegen der CDU, Herrn Fischer, erlebt
haben, dass nämlich die Mehrzahl der langzeitarbeitslosen Menschen - wir reden jetzt nicht von denen, die
nicht arbeiten wollen und für die Fördern und Fordern
genauso gilt; das ist gar keine Frage -, die beispielsweise
als Alleinerziehende, weil sie Beruf und Familie nicht
gut vereinbaren können, als ältere Langzeitarbeitslose
oder als Jugendliche, die nie einen Einstieg gefunden haben, keine Chance auf dauerhafte Beschäftigung haben,
gegen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mit schlechHubertus Heil ({11})
tem Einkommen ausgespielt werden, dann kann ich nur
sagen: Pfui Teufel!
({12})
Wer Menschen gegeneinander ausspielt und dieses Land
spaltet, der taugt nicht dazu, Verantwortung in diesem
Land zu tragen, Herr Fischer. Das müssen Sie sich sagen
lassen.
({13})
Das ist der Trick, den Guido Westerwelle unter stillschweigender Billigung von Frau von der Leyen die
ganze Zeit spielt und den Sie als Sozialministerin übrigens nie kommentiert haben: Diese Bundesregierung
kürzt bei Langzeitarbeitslosen und verringert ihre Chancen in der aktiven Arbeitsmarktpolitik. Sie kürzt das Elterngeld bei den Familien von Langzeitarbeitslosen zulasten der Kinder auf der einen Seite,
({14})
um den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern auf der
anderen Seite dann zu erzählen: Schaut einmal hin! Sie
sollen nicht so viel bekommen, ihr verdient ja auch wenig; sie sollen nicht mehr bekommen als ihr. - Frau von
der Leyen, nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts gibt es nur eine Konsequenz: Wer will, dass sich
Leistung in diesem Land lohnt, wer den Lohnabstand
wirklich ernst nimmt, damit die, die arbeiten, mehr in
der Tasche haben als die, die nicht arbeiten,
({15})
der kommt um Mindestlöhne - ich füge hinzu: einen gesetzlichen Mindestlohn - in Deutschland nicht herum.
({16})
Ich will Ihnen das sagen, weil das auch eine Möglichkeit ist, einmal darüber zu reden, wie Sie mit dem Geld
in Ihrem Haushalt umgehen. Sie haben recht: Bei den
11 Milliarden Euro, die Sie für Aufstockung, das heißt
für ergänzendes Arbeitslosengeld II, zugunsten von
Menschen, die arbeiten, davon aber nicht leben können,
zu zahlen haben, geht es nicht nur um den Bereich der
Vollzeitbeschäftigung, sondern zu großen Teilen auch
um Teilzeitarbeitnehmerinnen und -arbeitnehmer. Warum Sie denen aber einen Stundenlohn von 4 Euro oder
5 Euro zubilligen wollen und nicht auch 7,50 Euro oder
8,50 Euro gönnen, verstehe ich nicht. Auf der anderen
Seite haben wir nach wie vor diejenigen, die Vollzeit arbeiten und von ihrer Arbeit nicht leben können. Sie haben vorhin großherzig davon gesprochen, dass Sie für
branchenbezogene Mindestlöhne zu haben seien. Dann
fangen Sie doch einmal an, an diesem Punkt ein bisschen
weiterzumachen, zum Beispiel bei der Weiterbildung.
Das hat auch etwas mit Qualität der Arbeitsmarktpolitik
zu tun.
({17})
Selbst wenn Sie das alles tun - wir sind für den Vorrang tarifvertraglich vereinbarter Mindestlöhne, die wir
über das Arbeitnehmer-Entsendegesetz erstrecken -, werden Sie um einen gesetzlichen Mindestlohn in Deutschland nicht herumkommen, weil wir Bereiche haben, in
denen leider Gottes die Tarifautonomie einfach nicht
mehr funktioniert, weil Unternehmen nicht Mitglied in
Arbeitgeberverbänden sind, weil der Organisationsgrad
der Gewerkschaften in einigen Branchen leider unglaublich niedrig ist.
Das lassen Sie sich zum Schluss sagen, Frau von der
Leyen: Ich finde, dass Sie Ihren Aufgaben bei der Bekämpfung von Langzeitarbeitslosigkeit nicht gewachsen
sind.
({18})
Ich finde, dass Sie für Kinder vor allen Dingen warme
Worte übrig haben, aber kein Bildungspaket, das den
Kindern wirklich hilft. Die Anhörung des Bundestages
zu Ihrem Gesetz in Sachen Hartz IV und Bildungspaket
war doch ein Waterloo. Die Kommunen, der Bundesrechnungshof, der Deutsche Gewerkschaftsbund, die Caritas, der Paritätische Wohlfahrtsverband,
({19})
alle, die sich auskennen, sagen: Was Sie da machen, ist
ein bürokratisches Monstrum. Aber es hilft nicht wirklich den Familien mit Kindern. Machen Sie ein Bildungsinfrastrukturpaket. Das würde wirklich helfen.
({20})
Zum Schluss: Sie sind auch die Ministerin, die eigentlich für Recht und Ordnung auf dem Arbeitsmarkt
zuständig ist, Frau von der Leyen. Das betrifft die Frage
der Tarifeinheit in diesem Land, ein wichtiges Thema, zu
dem Sie heute geschwiegen haben, obwohl Arbeitgeber
und Gewerkschaften einen Vorschlag dazu gemacht haben. Das betrifft die Einführung von Mindestlöhnen in
diesem Land, die möglich wäre. Das betrifft auch die
Zeit- und Leiharbeitsbranche. Wir sind nicht für das Verbot von Zeit- und Leiharbeit.
Herr Heil.
Aber wir sind dafür, dass es auf das konzentriert wird,
was notwendig ist, nämlich auf Auftragsspitzen von Un7980
Hubertus Heil ({0})
ternehmen. Da können Sie hier nicht mit Scheintarifverträgen argumentieren und sich als Hüterin der Tarifautonomie darstellen.
Herr Heil.
Gleicher Lohn für gleiche Arbeit und Zeitarbeitsmindestlohn heißen Recht und Ordnung auf dem Arbeitsmarkt. Dafür sind Sie zuständig.
({0})
Frau von der Leyen, warme Worte sind das eine, kalte
Taten sind das andere. Anspruch und Wirklichkeit passen bei Ihnen nicht zusammen. Die Menschen spüren es
leider Gottes. Kehren Sie um.
({1})
Das Wort hat der Kollege Dr. Heinrich Kolb für die
FDP-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ich werde nicht alles verarbeiten können, was ich mir
zurechtgelegt habe, und will mit ein paar grundsätzlichen Bemerkungen beginnen, bevor ich auf Äußerungen
einzelner Kollegen eingehe; denn im Rahmen einer
Haushaltsdebatte sollte auch Raum für Grundsätzliches
sein.
Wenn wir über den Sozialetat reden, Herr Kollege
Ernst, sollten wir uns zunächst einmal klarmachen: Sozialpolitik will und soll den Menschen helfen, die unverschuldet in Not geraten sind. Sie soll die Schwächsten in
unserer Gesellschaft schützen, ihnen wirksame Hilfe zuteilwerden lassen. Worum es nicht geht, ist, grundsätzlich ein irgendwie wohliges Gefühl zu erzeugen, wenn
irgendwie an irgendwen möglichst flächendeckend Geld
verteilt wird.
({0})
Uns unterscheidet, dass wir zielgerichtet helfen wollen
und Sie immer mit der Gießkanne im Land unterwegs
sind.
({1})
Wir müssen die Balance finden - darauf hat der Kollege Fischer schon hingewiesen - zwischen Leistungsgerechtigkeit und Bedarfsgerechtigkeit. Die Menschen
müssen ihren Bedarf decken können. Aber es muss sich
auch für diejenigen, die nicht von Transfers leben, sondern arbeiten, lohnen, erwerbstätig zu sein. Das ist eine
ganz entscheidende Sache.
({2})
- Auf den Mindestlohn komme ich noch. - Das ist das
kurze Ende.
Auf lange Sicht geht es darum, in der Sozialpolitik
Chancengerechtigkeit zu schaffen, auch Chancengerechtigkeit am Anfang. Da ist das Stichwort Bildungsteilhabe, das wir uns erstmals auf die Fahnen geschrieben haben, nachdem Rot-Grün damals bei der Schaffung der
Hartz-Gesetze das Thema Bildungsteilhabe von Kindern
vollständig ausgeblendet hat. Das ist doch die Wahrheit.
({3})
Es geht auch um Generationengerechtigkeit. Da
will ich Ihnen einmal sehr deutlich sagen: Auf Schuldenbergen kann man nicht spielen, auf Schuldenbergen kann
man auch nicht lernen und nicht studieren.
({4})
Ich sage das deswegen, weil die Änderungsanträge der
Linken, die uns heute vorgelegt wurden, wenn ich das
richtig gerechnet habe, Mehrkosten von 35,66 Milliarden Euro verursachen werden.
({5})
- Sie brauchen gar nicht zu lachen, Herr Kollege Kuhn.
Die Änderungsanträge der Grünen führen - in Anführungszeichen - „nur“ zu Mehrkosten von 8,75 Milliarden Euro. Aber das zeigt: Sowohl die Forderungen der
Linken als auch die der Grünen gehen völlig am Gebot
der Stunde vorbei. Wir müssen unsere Haushalte konsolidieren, damit wir Chancen für künftige Generationen
schaffen.
({6})
Im Haushalt 2011 sind 38 Milliarden Euro für den
Schuldendienst eingeplant. Das sind 38 Milliarden Euro,
die nicht für den Bau von Schulen, die Einstellung von
Lehrern und anderes zur Verfügung stehen.
({7})
Wer es ernst meint mit Chancengerechtigkeit, ist gut beraten und aufgerufen, in die Haushaltskonsolidierung
einzusteigen. Wir tun das.
({8})
Jetzt will ich etwas zur Kollegin Pothmer sagen. Am
Arbeitsmarkt haben wir unzweifelhaft Erfolge zu verzeichnen. Unsere Arbeitslosenzahl liegt unter 3 Millionen. Das finde ich toll. Ich hätte mir im März nicht vorstellen können, dass ich im November eine derart gute
Performance auf dem Arbeitsmarkt erleben kann. Was
fällt Ihnen dazu ein? Sie fangen wieder an, zu mäkeln
und in den Krümeln zu suchen und sagen, in der Statistik
seien es in Wirklichkeit mehr als 3 Millionen.
({9})
Ich möchte auf die Antwort von Staatssekretär Hoofe
aus dem BMAS auf eine Anfrage der Kollegin Sabine
Zimmermann hinweisen, wann wer die Statistik wie verändert hat. Da fängt es doch bei Ihnen im Januar 2004
an, Frau Pothmer. Hören Sie gut zu! Rot-Grün hat doch
damals die Maßnahmen der aktiven Arbeitsmarktpolitik
aus der Statistik herausgenommen. Das war der Ursündenfall der Statistikänderung.
({10})
Ich spreche nicht von Fälschung, sondern von Änderung. Wenn wir heute mehr als 3 Millionen Arbeitslose
hätten, Frau Kollegin Pothmer, dann hätten Sie damals
7 Millionen Menschen in Ihrer Arbeitslosenstatistik ausweisen müssen, wenn Sie ehrlich gewesen wären. Der
Erfolg ist aber unzweifelhaft da. Die Veränderung hat
stattgefunden. Es sind mehr Menschen aktiv. Das zeigt
die Zahl der Erwerbstätigen in unserem Lande, die sich
auf Rekordniveau befindet. An dieser Stelle liegen Sie
also völlig verkehrt.
Jetzt geht es weiter mit dem Thema Langzeitarbeitslose. Hier ist die Entwicklung zugegebenermaßen leider
nicht ganz so gut wie im SGB-III-Bereich. Aber sie ist
ganz ordentlich. Immerhin haben 110 000 Menschen,
die langzeitarbeitslos waren, seit Oktober letzten Jahres
eine neue Beschäftigung gefunden. Das ist ein Rückgang
um 5,5 Prozent. Bei den Jugendlichen unter 25 ist dieser
Rückgang sogar doppelt so hoch.
({11})
11 Prozent der Jugendlichen haben eine neue Chance erhalten und einen Job bekommen. Das ist der wirksamste
Beitrag. Die beste Sozialpolitik ist - wir haben das immer gesagt, und im letzten Jahr haben wir es auch bewiesen -, wenn man Menschen in Arbeit zurückbringt.
({12})
Sie konnten nicht davon ablassen, zu behaupten, unser Parteivorsitzender betreibe eine Hetze und spiele
Langzeitarbeitslose gegen Arbeitnehmer aus.
({13})
- Das hat auch der Kollege Ernst gesagt. - Wenn ich am
Anfang von Leistungsgerechtigkeit versus Bedarfsgerechtigkeit gesprochen habe, dann betraf das genau dieses Thema. Ich will nur darauf hinweisen, was nicht
geht, nämlich dass Sie, als die Tinte unter dem Urteil
vom 9. Februar dieses Jahres noch nicht trocken war, in
dem kritisiert wurde, dass Regelsätze ins Blaue hinein
festgesetzt wurden, schon wussten, wie der Regelsatz
aussehen müsste. Die Grünen und die Linken haben es
heute in ihren Anträgen noch einmal demonstriert:
({14})
Die Linke will einen Regelsatz von 500 Euro für
Hartz-IV-Empfänger, die Grünen wollen 420 Euro.
Beides ist weit entfernt von dem, was sich bei einer
nüchternen Auswertung der statistischen Daten ergibt.
Man muss aber ehrlicherweise auch dazusagen - die SPD
kümmert sich mit ihren Anträgen eher um die Kommunen -: 10 Euro mehr Hartz IV bedeuten 115 Millionen
Euro Mehrbelastung für die Kommunen. Man muss deshalb auch ausrechnen, welchen Tort auch die Linke mit
ihren Anträgen den Kommunen in diesem Lande antun
würde.
({15})
Mindestlöhne sind im Übrigen aus unserer Sicht nicht
geeignet.
Ich will zum Schluss meiner Rede darauf hinweisen,
dass von den 325 000 Vollzeit arbeitenden Aufstockern
gerade einmal 35 000 ledig sind. Der Rest muss aufgrund seiner individuellen bzw. familiären Verhältnisse
aufstocken.
Herr Kollege.
Das war doch nicht unsere Idee, sondern die Idee der
SPD, die genau dies damals bei den Hartz-Reformen zur
Maxime erhoben hat. Die Menschen sollen so weit arbeiten und ihren eigenen Bedarf decken, wie sie können.
Darüber hinaus steht der Staat zur Verfügung. Daran halten wir auch heute fest, während Sie sich mittlerweile
deutlich von der Agenda 2010 absetzen.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({0})
Karl Schiewerling hat jetzt das Wort für die CDU/
CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Frau Kollegin Pothmer und
Herr Kollege Heil, ich verstehe sehr gut, dass Sie mit
voller Breitseite Frau von der Leyen angreifen; denn Sie
müssen vor Neid platzen, dass Sie nicht eine so hoch
qualifizierte Politikerin in Ihren Reihen haben.
({0})
Frau von der Leyen leistet hervorragende politische Arbeit. Sie ist ein Aushängeschild dieser Bundesregierung
und bewegt mehr für die Menschen als viele andere, die
zuvor laut krakeelt haben.
({1})
Es bleibt richtig, was im entsprechenden Kapitel des
Koalitionsvertrages über den Arbeitsmarkt steht. Wir
wollen Arbeitschancen für alle. Arbeitsplätze entstehen
in der Regel aber nicht durch Beschlüsse des Bundestages und der Bundesregierung, sondern in der Wirtschaft.
Sie entstehen dann, wenn die Rahmenbedingungen dort
stimmen und wenn der wirtschaftliche Aufschwung dies
zulässt. Genau das erleben wir zurzeit. Arbeitsmarktpolitik hat dann die Aufgabe, die richtigen Rahmenbedingungen zu setzen. Das tun wir auch, indem wir ganz
konsequent der Tarifautonomie und damit der Eigenverantwortung von Arbeitgebern und Arbeitnehmern Vorrang einräumen. Das gilt in der Lohnfindung, und zwar
branchenspezifisch und regional.
Betriebe brauchen, um wirtschaftlich arbeiten zu können, klare, politisch gute Rahmenbedingungen. Ohne
diese können sie ihre Zukunft nicht gestalten. Aber das
brauchen auch Arbeitnehmer. Auch sie brauchen Sicherheit und klare Planungsmöglichkeiten. Deswegen sage
ich Ihnen sehr deutlich: Wirtschaftlicher Aufschwung,
gute Bedingungen am Arbeitsplatz und eine vernünftige
Arbeitsmarktpolitik sind das beste Programm für die Sicherheit der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Allerdings sage ich auch in aller Klarheit: Wenn man gerade
junge Frauen von einem befristeten Arbeitsverhältnis
zum anderen schickt, dann braucht man sich nicht zu
wundern, wenn diese jungen Frauen nicht mehr Ja zu
Kindern sagen.
({2})
Ich sage auch den Betrieben in aller Klarheit: Keine Kinder - keine Zukunft für unser Land und für die Betriebe!
({3})
Wir schützen die Tarifautonomie. Da, wo es starke
Gewerkschaften und starke, verantwortungsbewusste
Arbeitgeber gibt, gibt es gute politische und wirtschaftliche Rahmenbedingungen und Entwicklungen. Die Koalitionsfreiheit ist in der Verfassung gesichert. Der Betriebsfrieden ist ein hohes kulturelles Gut, das uns in der
wirtschaftlichen Entwicklung starkgemacht hat. Das ist
der Maßstab für die notwendige Entscheidung zum Themenbereich Tarifeinheit.
Wir werden den Gestaltungsmissbrauch im Bereich
der Leiharbeit begrenzen. Der Zeitarbeitsbranche ist
dringend zu raten, mitzuhelfen, das Image der Branche
positiv zu gestalten. Deswegen begrüßen wir ausdrücklich, dass die dort vorhandenen Tarifverträge zu immer
mehr annähernd gleichen Mindestlöhnen bzw. Lohngrenzen führen. Das ist eine gute Entwicklung. Ich gehe
davon aus, dass ein tariflicher Mindestlohn in der Zeitarbeit geboten ist und von allen Beteiligten gewünscht ist.
Ich bin sicher, dass manche Entwicklungen, die zuletzt
ihren Niederschlag im Tarifvertrag für die Stahlindustrie
gefunden haben, ihre Signalwirkung nicht verfehlen
werden.
({4})
Wir wollen, dass alle eine Chance haben. Wir werden
jeden brauchen. Angesichts der demografischen Entwicklung und der prognostizierten anhaltenden positiven
wirtschaftlichen Entwicklung sind Qualifikation und eine
gut ausgebildete Arbeitnehmerschaft erforderlich. Das
geht nicht ohne Anstrengungen der Betriebe und der Politik, aber auch nicht ohne Anstrengungen der Arbeitnehmer. Die Chancen, wieder auf dem Arbeitsmarkt Fuß zu
fassen, sind so günstig wie nie. Wir haben die niedrigste
Arbeitslosigkeit seit 1992. Wir haben - das ist viel wichtiger - einen Aufwuchs an sozialversicherungspflichtigen
Beschäftigungsverhältnissen zu verzeichnen. Es gibt mehr
als vor der Krise. Alles das sind positive Zeichen. Ich
sage sehr deutlich: Das sind gute Voraussetzungen, um
Menschen wieder in Arbeit zu bringen bzw. um ihre
Chancen auf dem Arbeitsmarkt deutlich zu verbessern.
({5})
Das gilt auch für die älteren Arbeitnehmer. Wir haben einen deutlichen Aufwuchs an älteren Arbeitnehmern, also der über 55-Jährigen und über 60-Jährigen.
Das ist eine sehr gute Entwicklung. Ich rate der SPD
dringend, an der von Franz Müntefering initiierten Rente
mit 67 nicht zu rütteln.
({6})
Die Rente mit 67 ist zwingend notwendig. Warum verschweigen Sie eigentlich, dass wir miteinander vereinbart haben, dass jemand, der 45 Jahre versicherungspflichtig gearbeitet hat, auch in Zukunft mit 65 Jahren in
Rente gehen kann?
({7})
Warum verschweigen Sie eigentlich, dass jemand, der
mit 17 Jahren seine Ausbildung als Handwerker beginnt
oder mit 20 Jahren in einem Betrieb anfängt, auch weiterhin mit 65 Jahren in Rente gehen kann? Das gilt für
den Dachdecker wie für den Schreiner und alle anderen
Berufe. Rütteln Sie nicht an diesem Prinzip!
({8})
Wenn wir die älteren Arbeitnehmer in Beschäftigung
halten wollen, dann müssen wir auch über den Arbeitsschutz, die Arbeitsabläufe und die Gesundheitsprävention reden. Jetzt geht es darum, die Zukunft unseres Landes durch stabile und vernünftige Haushalte zu sichern.
Ja, es ist richtig: Wir müssen strukturell einsparen. Es ist
kein Wunder, dass auch im größten Haushalt des Bundes
Einsparungen notwendig sind. Aber diese Einsparungen erfolgen - das sage ich sehr deutlich - mit AugenKarl Schiewerling
maß. Wenn wir die Mittel für die arbeitsmarktpolitischen Instrumente reduzieren, dann heißt das nicht,
dass wir einfach blind sparen. Wir werden vielmehr
schneller, als Sie glauben, die arbeitsmarktpolitischen
Instrumente reformieren, damit die Hilfe unmittelbar vor
Ort bei den Menschen ankommt, um effizient gerade
diejenigen, die der Hilfe bedürfen, wieder in Beschäftigung zu bringen. Sie werden feststellen, dass wir sehr
verantwortungsbewusst alles tun, damit die, die kaum
Chancen haben, wieder neue Chancen erhalten.
({9})
Auch wenn draußen im Augenblick Protestaktionen
gegen angebliches Sozialdumping und Sozialmissbrauch organisiert werden, so sage ich Ihnen in aller
Klarheit: Das lassen wir uns nicht in die Schuhe schieben. Mit den Beschlüssen über den Haushalt haben die
Arbeitnehmer nicht weniger Geld und nicht weniger
Rechte. Rentnern wird nichts genommen.
({10})
Bei Behinderten werden keine Mittel eingespart, Arbeitslosengeld-II-Empfänger erhalten nicht weniger
Geld. Erworbene Rentenansprüche bleiben auch in Zukunft bestehen.
({11})
Ja, wir nutzen das Urteil des Bundesverfassungsgerichts, insbesondere Kindern und Jugendlichen bessere Chancen auf Teilhabe zu eröffnen. Man kann darüber klagen, dass das nicht genug ist. Aber zwischen
gar nichts, was bisher war, und 700 Millionen Euro, die
wir heute einsetzen, ist ein großer Unterschied. Selbst
wenn wir die 120 Millionen Euro für das Schulstarterpaket zurücknehmen, haben wir einen wichtigen Beitrag
geleistet, um einen Paradigmenwechsel einzuleiten.
({12})
Wir fangen nämlich an, Arbeitsmarktpolitik, Sozialpolitik, Familienpolitik und Bildungspolitik unter Einbeziehung von Bund, Ländern und Kommunen und durch Beteiligung von freien Trägern und Stiftungen zu einem
Anliegen der Gesellschaft zu machen. Dieser Haushalt
unter Inspiration und Mithilfe aller Beteiligten und nicht
zuletzt von Frau von der Leyen auf den Weg gebracht zu
haben, ist das große Verdienst, das uns gebührt. Deswegen gibt es keinen Grund, an diesem Haushalt herumzumäkeln.
({13})
Wir setzen ein starkes Zeichen für die Kinder und
stellen uns der Herausforderung. Die Arbeitsmarkt- und
Sozialpolitik dieser Regierung und der Koalitionsfraktionen wird sich auch in Zukunft an Freiheit und Verantwortung, an Solidarität und Subsidiarität messen lassen.
Wir werden dies zum Maßstab unseres eigenen Handelns machen.
({14})
Wir werden diejenigen fordern und fördern, die der Hilfe
bedürfen. Darauf ist Verlass.
({15})
Katrin Kunert hat das Wort für die Fraktion Die
Linke.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Schade, Herr Fischer hat den Raum verlassen. Ich habe
nämlich ebenfalls ein Schreiben aus dem Wahlkreis bekommen. Der Absender schreibt:
Ich selbst bin Hartz-IV-Aufstocker, bekomme aufgrund einer chronischen Krankheit 293 Euro Erwerbsunfähigkeitsrente, und vom jetzigen Regelsatz kann ich nicht täglich warm und gut essen. Es
reicht einfach nicht, außer man isst Nudeln und
Kartoffeln im Wechsel. Aber das hält niemand
durch.
Die Frage ist, wie man auf ein solches Schreiben im
Gegensatz zu Ihnen, Herr Fischer, reagiert.
({0})
Frau Ministerin, Ihr Haushalt spart bei den Ärmsten
- die Ministerin ist nicht mehr bis zum Ende der Debatte
anwesend; das ist sehr bedauerlich -, und er spart bei denen, die nicht selber für sich sorgen können. Wir sagen:
Das ist unsozial. Deshalb lehnen wir den Haushalt ab.
({1})
Die Erfüllung unserer Forderungen kostet vielleicht
36 Milliarden Euro. Aber wenn wir die Millionärsteuer
in Deutschland erheben würden, hätten wir per anno
80 Milliarden Euro zur Verfügung. Das würde im Übrigen auch reichen, um die Nettokreditaufnahme zu verringern.
({2})
Wir lehnen den Etat in dieser Form ab, und ich will
Ihnen auch sagen, warum. Die Regelsätze sind nicht anhand des Bedarfs ermittelt worden; sie sind anhand von
vorhandenen Ausgaben ermittelt worden. Das heißt, bei
der Ermittlung des Bedarfs einer Familie, die von Arbeitslosengeld II leben muss, wird nur das zugrunde gelegt, wofür Geld da ist: für das Kino, vielleicht für den
Sportverein, vielleicht für einen Besuch der Schwimmhalle einmal im halben Jahr, nicht für Musikschulunterricht, nicht für Nachhilfe.
Mittlerweile haben Sie ein Bildungspaket für mehr
Bildung und Teilhabe aufgelegt. Sie wollen mit Gutscheinen Nachhilfe ermöglichen. Obwohl Sie die Kompetenz für die Schulbildung an die Länder abgegeben haben, wollen Sie im Nachhinein Fehler im Schulsystem
korrigieren. Das wird so nicht funktionieren.
({3})
Außerdem wollen Sie Gutscheine für die Mitgliedschaft in einem Sportverein ausgeben. Was ist aber,
wenn ein Kind talentiert ist und es zu Wettkämpfen fahren kann? Was ist mit dem Mehrbedarf an guter, vernünftiger Ernährung und Bekleidung? Was ist, wenn ein
Kind zu einer Sportschule gehen kann? Ein Internatsplatz, Herr Kauder, kostet im Monat in Sachsen-Anhalt
230 Euro. Wie wollen wir Teilhabe bis zum Ende für
Kinder und Jugendliche im Sportbereich sichern? Das ist
etwas, das wir auf jeden Fall im Auge behalten müssen;
schließlich sagen wir: Sportpolitik ist auch Sozialpolitik.
Die Linke wird unter anderem einen Antrag zur Eingliederungsleistung einbringen. Darin wird gefordert,
dass 100 Millionen Euro zur Schaffung eines öffentlich
geförderten Beschäftigungssektors im Bereich des Breitensports bereitgestellt werden. Hiervon sollen Übungsleiterinnen und Übungsleiter, Trainerinnen und Trainer
bezahlt werden, damit man die Attraktivität von Sportvereinen verbessert und damit Kinder und Jugendliche in
den Sportvereinen gut aufgehoben sind - immer vor dem
Hintergrund: Sportpolitik ist auch Sozialpolitik.
({4})
Um das alles auf den richtigen Weg zu bringen, werden wir in den nächsten Tagen an einem Antrag zur besseren Sportförderung arbeiten; denn Sie scheinen nicht
in der Lage zu sein, das breite Aufgabenspektrum in diesem Haushalt wirklich für die Entwicklung von Kindern
und Jugendlichen zu nutzen.
Schönen Dank.
({5})
Paul Lehrieder hat das Wort für die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen!
Liebe Kollegen! Noch 2008 haben uns ernst zu nehmende
Experten Arbeitslosenzahlen von ungefähr 5 Millionen
prophezeit. Wer hätte damals geahnt, dass wir heuer, genauer gesagt: im Herbst des Jahres 2010, die 3-Millionen-Marke bereits unterschritten haben? Das hätte uns
niemand zugetraut.
Die Eckwerte des Arbeitsmarktes weisen für
Oktober 2010 2,9 Millionen Arbeitslose aus. Das ist natürlich immer noch zu viel. Nichts zeigt aber deutlicher:
Nach der schweren Wirtschafts- und Finanzkrise geht es
langsam aufwärts.
({0})
Dass wir von dieser Krise aber schnell wieder eingeholt werden können, zeigt in den letzten Tagen auch der
Fall Irland. Wir müssen aufpassen, dass wir die Krise
nicht zu leichtfertig als überwunden betrachten; vielmehr müssen wir Bemühungen, vor allem Einsparbemühungen, an den Tag legen, um anders als Griechenland
oder Irland nicht in diesen gefährlichen Sog zu geraten,
Herr Kollege Heil.
({1})
Den Auswirkungen neuer Erschütterungen müssen
wir rechtzeitig, also bereits heute, entgegenwirken. Das
haben wir im Grunde genommen schon vor Beginn der
Krise durch die Reformen am Arbeitsmarkt getan, die
wir jetzt konsequent weiterführen. Wir untermauern unsere Reformen nun durch einen Spar- und Konsolidierungskurs, der bereits eindrucksvolle Erfolge zeigt. Nehmen wir das Beispiel Kurzarbeitergeld. Dieses hat
lange ein Schattendasein geführt. Herr Kollege Binding
hat vorhin zu Recht auf die Verdienste des früheren Arbeitsministers Scholz bei der Verlängerung des Kurzarbeitergeldes hingewiesen.
({2})
- Hier dürfen Sie alle klatschen, die ganze SPD.
({3})
Der beherzte Einsatz und der Ausbau dieses Instruments
in der Krise hat gerade hier in Deutschland Hunderttausende von Arbeitsplätzen gerettet. Das Ausland blickt
neidisch auf Deutschland. Das Wort „Kurzarbeitergeld“
ist in andere Sprachen mittlerweile übertragen worden.
Die Entstehung von Langzeitarbeitslosigkeit konnte verhindert werden. Kaufkraft und Zuversicht wurden erhalten. Hierauf hat unser Finanzminister heute Morgen bereits hingewiesen. Das jedoch kostet Geld; es ist aber
besser, frühzeitig in die Vermeidung von Arbeitslosigkeit zu investieren, als nachträglich die Arbeitslosigkeit
- mit allen langwierigen materiellen und psychologischen Folgen - zu finanzieren.
Jetzt ernten wir die Früchte. Schon im Bundeshaushalt 2010 machte der Etat des Bundesministeriums für
Arbeit und Soziales 143 Milliarden Euro aus, 3,6 Milliarden weniger als ursprünglich veranschlagt. Immerhin: Der Einzelplan 11 umfasst 51,7 Prozent des Gesamthaushalts.
Der Einzelplan 11 für das kommende Jahr, für 2011,
liegt, wie bereits gehört, mit nunmehr 131,3 Milliarden
Euro noch einmal deutlich unter dem alten Finanzplan.
Wie sagt bereits der Volksmund? Spare in der Zeit, dann
hast du in der Not. Diesem Diktum bleiben wir treu. Dieser Haushalt ist nicht nur die Bilanz der guten Krisenbewältigung, sondern auch Vorbote für die nächsten Herausforderungen. Wir müssen den positiven Schub durch
die Erholung der Wirtschaft ausnutzen. Die Langzeitarbeitslosen haben angesichts der boomenden Nachfrage
jetzt gute Chancen, wieder auf dem ersten Arbeitsmarkt
Fuß zu fassen.
Lieber Herr Ernst, Sie haben hier eben abermals Ihr
Patentrezept des Mindestlohnes angepriesen. Ich muss
Ihnen abermals widersprechen: Mit einem Mindestlohn
in der von Ihnen geforderten Höhe sind wir nicht in der
Lage, eine vierköpfige Familie aus dem Hartz-IV-Bezug
herauszuholen.
({4})
Da brauchen wir nicht über 8,50 Euro und nicht über
10 Euro zu reden. Die Sozialleistungen, die wir auch
heuer wieder in den Bundeshaushalt hineingeschrieben
haben, entsprechen bei einer vierköpfigen Familie immerhin Transferleistungen in einer Größenordnung, die
einem Mindestlohn von 11,80 Euro aufwärts entsprechen. Auch das muss man fairerweise dazusagen.
({5})
Frau Kollegin Kunert, weil Sie gerade so schön hergeschaut haben: Ich komme nachher noch mal im Einzelnen zum Bildungspaket. Es ist aber bereits jetzt
schon so. Wenn Sie das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 9. Februar genau durchlesen, werden Sie feststellen, dass darin steht: Das Recht auf Teilhabe beinhaltet die Möglichkeit, an bestehenden Einrichtungen
teilzunehmen.
Ich kenne bei mir im Wahlkreis sehr viele Sportvereine und Musikvereine, die bereits jetzt entsprechende
Bildungsangebote für Jugendliche vorsehen. In meiner
letzten Rede im Bundestag habe ich auf die Sing- und
Musikschule Würzburg hingewiesen, die bereits jetzt
Sozialtarife für eine Mitgliedschaft bietet. Für beispielsweise 10 Euro im Monat für ein Kind besteht die Möglichkeit, Angebote auch von Sport- und Musikvereinen
in Anspruch zu nehmen. Malen Sie um Gottes willen
den Teufel nicht an die Wand. Wir werden das beobachten und schauen, wie wir damit zurechtkommen. Und
wir werden schauen, dass wir das im Interesse der Kinder bzw. der Betroffenen entsprechend weiterentwickeln.
Der bisher befristete Zuschlag beim Wechsel von
ALG-I- zu ALG-II-Leistungen wird in Zukunft - im
Hinblick auf die Verlängerung der Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes bei älteren Arbeitnehmern und auch die
verstärkte Anreizsetzung zur Arbeitsaufnahme - entfallen.
Die Rentenversicherungspflicht für ALG-II-Empfänger - auch darauf hat der Kollege Ernst wieder mit
großem Lamento hingewiesen - entfällt. Dadurch ergibt
sich - das ist richtig - eine Minderung der monatlichen
Rentenzahlung von bis zu 2,09 Euro pro Jahr des Bezugs
von ALG II. Die Gewährung von ALG II soll nur aktuelle Hilfsbedürftigkeit beseitigen. Sie kann kein geeignetes Mittel für den altersgerechten Aufbau entsprechender Rentenleistungen in der Zukunft sein. Das heißt, Sie
hätten, wenn Sie 40 Jahre lang Langzeitarbeitslosengeld
bekommen hätten, eine Rente von maximal 80 Euro.
Das ist weder nach heutigem noch nach zukünftigem
Recht auskömmlich. Das heißt, da würden Sie auch in
Zukunft unter Leistungen nach dem SGB XII fallen. Das
muss man den Leuten auch mal sagen. Die Welt geht in
Bezug auf die 2,09 Euro beim besten Willen weder für
kurz in Langzeitarbeitslosigkeit Befindliche noch für
dauerhaft in Langzeitarbeitslosigkeit Befindliche unter.
Gleichzeitig haben wir aber deutliche Erhöhungen im
sozialen Bereich vorgenommen. So sind 200 Millionen
Euro zusätzlich als Vorsorge zur Unterstützung der Kommunen bei den Kosten der Unterkunft ermöglicht worden.
Da gab es immerhin eine Erhöhung von 3,4 Milliarden
Euro auf 3,6 Milliarden Euro. Hier ist eine Beteiligungssatzerhöhung um 1,5 Prozent - von 23,6 Prozent auf
25,1 Prozent - im Haushalt berücksichtigt worden. Die im
Haushaltsbegleitgesetz beschlossene Beibehaltung des Elterngeldes für Aufstocker und Minijobber führt zu weiteren zusätzlichen Ausgaben von 70 Millionen Euro.
Ich würde hier ganz gerne noch die anderen Maßnahmen ansprechen; aber es gibt sicher noch die eine oder
andere Gelegenheit dazu.
Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit und bitte
Sie, diesem richtungsweisenden Haushalt, der von unserer Ministerin aufgestellt wurde, zuzustimmen. An dieser Stelle bedanke ich mich als Fachpolitiker auch beim
Ministerium und bei den Haushältern für die konstruktive, gute und kooperative Arbeit bei der Erstellung dieses Haushalts.
Herzlichen Dank.
({6})
Das Wort hat der Kollege Dr. Wolfgang StrengmannKuhn für Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Die Bundesregierung verschärft mit dem vorliegenden
Haushalt die soziale Verschuldung in diesem Land.
({0})
Deswegen sprechen wir auch ungern davon, dass gespart
wird. Sparen sieht nämlich eigentlich anders aus. Es handelt sich bei dem, was da vorgenommen wird, bestenfalls um Kürzungen.
({1})
Wir sind nicht die Einzigen, die das so sehen. Ein Zitat lautet,
dass der Bundeshaushalt auf Kosten der Beitragszahler der gesetzlichen Rentenversicherung entlastet
wird. Bei der Streichung der Beiträge für Arbeitslosengeld-II-Empfänger handelt es sich, wie auch bei
dem Wegfall der Erstattungen des Bundes für die
Ostrentenaufstockung, die beide als versicherungsfremde Leistungen anzusehen und somit vom Bund
zu finanzieren sind, um reine „Verschiebebahnhöfe“.
Das Zitat stammt nicht aus einem der vielen tollen Beschlüsse unseres Parteitages am Wochenende, sondern es
stammt aus dem gerade vorgelegten Gutachten des Sachverständigenrates für Wirtschaft. Auf diesen sollten Sie
vielleicht einmal achten und hören.
({2})
Die Streichung der Rentenversicherungsbeiträge
führt nämlich gar nicht zu geringeren Ausgaben, sondern
nur zu geringeren Einnahmen in Höhe von 2 Milliarden
Euro jährlich bei der Rentenversicherung, die nun von
den Beitragszahlerinnen und Beitragszahlern gezahlt
werden müssen.
Letzten Mittwoch hat die Bundesregierung den Rentenversicherungsbericht beschlossen. Seitdem wissen
wir, dass die Beiträge ab 2014 um 0,6 Prozentpunkte höher als bisher geplant liegen werden. Die Bundesministerin findet diesen Anstieg akzeptabel; wir finden das
nicht.
({3})
Vor kurzem hat der DGB-Vorsitzende Michael Sommer
ebenfalls höhere Beiträge in ungefähr dieser Größenordnung akzeptabel gefunden. Da haben Sie das noch kritisiert. Er tat dies mit der Begründung, dass man dann auf
die Rente mit 67 verzichten könnte.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir machen diesen
Wettlauf um höhere Rentenversicherungsbeiträge nicht
mit und sind deswegen sowohl nach wie vor für die
Rente mit 67 als auch für die Rücknahme der Streichung
der Beiträge für die Langzeitarbeitslosen.
({4})
Aber die Lage der Rentenversicherung ist nicht der
einzige Grund, warum wir gegen die Streichung der Beiträge sind. Von diesem Verschiebebahnhof betroffen ist
nämlich nicht nur die Rentenversicherung. Durch die
Streichung wird auch das Risiko von Altersarmut erhöht,
und viele Arbeitslose in ALG-II-Bezug werden ihren
Anspruch auf Erwerbsminderungsrente verlieren. Dadurch steigen die Kosten der Grundsicherung und damit
die Ausgaben der Kommunen. Die Kommunen sind aber
ohnehin schon belastet, weil der Anteil des Bundes an
den Kosten der Unterkunft immer noch zu niedrig
liegt. Dabei sind es doch die Kommunen, die vor allem
für die öffentliche Infrastruktur zuständig sind, die soziale Teilhabe schafft. Wir wollen deswegen den Anteil
des Bundes an diesen Kosten erhöhen, um die Kommunen zu entlasten.
({5})
Die Leidtragenden der Politik der Bundesregierung
sind die Ärmsten in unserem Land, wie sich gestern auch
bei der Anhörung zu den Regelsätzen von Hartz IV und
der Grundsicherung im Alter zeigte. Dabei machten die
Expertinnen und Experten deutlich, dass die Berechnung
der Bundesregierung in großen Teilen nicht den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts entspricht, Frau
Ministerin. Sie verstoßen in Teilen gegen die Vorgaben
des Bundesverfassungsgerichts. Wir beantragen - das
wurde ja eben schon gesagt -, dass der Regelsatz auf
420 Euro erhöht wird. Das ist der Betrag, der vom Paritätischen Wohlfahrtsverband damals noch auf Basis der
Daten von 2003 errechnet wurde. Erste aktuelle Schätzungen des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes kommen
auf 416 Euro. Heute Morgen hat auch die Diakonie eine
Studie vorgelegt. In dieser wurde erstmals wissenschaftlich berechnet, wie hoch der Regelsatz sein müsste,
wenn man die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts
tatsächlich einhalten wollte. Diese Studie kommt zu dem
Ergebnis: nicht 364 Euro, wie Sie behaupten, sondern,
korrekt berechnet, mindestens 433 Euro. Das sind
69 Euro mehr, als die Bundesregierung hat berechnen
lassen. Das zeigt, mit welchen Tricks da gearbeitet worden ist.
({6})
Herr Kollege, Sie müssen bitte zum Ende kommen.
Ich bin gleich fertig. - Würden die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts im vollen Umfang umgesetzt,
müssten es sogar noch mehr sein. Das heißt, die
420 Euro, die wir beantragt haben, sind das absolute Minimum.
Der Haushalt der Bundesregierung ist also im wahrsten Sinne des Wortes ein Armutszeugnis. Er geht zulasten der Ärmsten, zulasten der Arbeitnehmerinnen und
Arbeitnehmer und zulasten der Kommunen. Wir werden
das nicht mitmachen und werden deswegen dagegen
stimmen.
Danke schön.
({0})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Einzel-
plan 11, Bundesministerium für Arbeit und Soziales, in
der Ausschussfassung. Hierzu liegen acht Änderungsan-
träge vor, über die wir zunächst abstimmen.
Wir beginnen mit dem Änderungsantrag der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/3821, zu
dem namentliche Abstimmung verlangt wurde. Ich bitte
die Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehe-
nen Plätze einzunehmen. - Sind alle Urnen besetzt? -
Das ist der Fall. Dann eröffne ich die Abstimmung.
Sind noch Kolleginnen und Kollegen anwesend, die
ihre Stimmkarte nicht abgeben konnten? - Das ist nicht
der Fall. Dann schließe ich die Abstimmung und bitte
die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Aus-
zählung zu beginnen.1)
Wir setzen jetzt die Abstimmungen fort und kommen
zu den zwei Änderungsanträgen der Fraktion der SPD.
Wir stimmen zunächst über den Änderungsantrag der
Fraktion der SPD auf Drucksache 17/3830 ab. Wer
stimmt für diesen Änderungsantrag? - Gegenstimmen? -
Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist abgelehnt
worden. Zugestimmt haben die Oppositionsfraktionen.
Die Regierungsfraktionen haben dagegen gestimmt.
1) Ergebnis Seite 7987 D
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt
Wir kommen zur Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 17/3831.
Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Dieser Änderungsantrag ist ebenfalls abgelehnt mit dem gleichen
Stimmenverhältnis wie zuvor.
Wir kommen jetzt zu den beiden Änderungsanträgen
der Fraktion Die Linke, zunächst zur Abstimmung über
den Änderungsantrag auf Drucksache 17/3819. Wer
stimmt für den Änderungsantrag? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Änderungsantrag ist abgelehnt bei Zustimmung durch die einbringende Fraktion; alle anderen haben dagegen gestimmt.
Wir kommen zur Abstimmung über den Änderungsantrag auf Drucksache 17/3820. Wer stimmt für den Änderungsantrag? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? Der Änderungsantrag ist abgelehnt. Dafür hat gestimmt
die Fraktion Die Linke, dagegen haben CDU/CSU und
FDP gestimmt. SPD und Bündnis 90/Die Grünen haben
sich enthalten.
Wir kommen schließlich zu drei Änderungsanträgen
der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Abstimmung über den Änderungsantrag auf
Drucksache 17/3822. Wer stimmt dafür? - Wer stimmt
dagegen? - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist
abgelehnt. Dafür hat die einbringende Fraktion gestimmt, dagegen haben die Fraktionen der CDU/CSU,
der FDP und der SPD gestimmt. Die Linke hat sich enthalten.
Wir kommen zur Abstimmung über den Änderungsantrag auf Drucksache 17/3823. Wer stimmt dafür? Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist abgelehnt bei Zustimmung durch
Bündnis 90/Die Grünen und die Linke; die übrigen Fraktionen haben dagegen gestimmt.
Wir kommen zur Abstimmung über den Änderungsantrag auf Drucksache 17/3824. Wer stimmt für diesen
Änderungsantrag? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist abgelehnt bei Zustimmung durch die Oppositionsfraktionen. Die Regierungsfraktionen haben dagegen gestimmt.
Bis zum Vorliegen des Ergebnisses der namentlichen
Abstimmung unterbreche ich die Sitzung.
Die Sitzung ist unterbrochen.
({0})
Die Sitzung ist wieder eröffnet.
Ich gebe Ihnen das von den Schriftführerinnen und
Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen
Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/3821 bekannt: abgegebene Stimmen 571. Mit Ja haben gestimmt
132, mit Nein haben gestimmt 439. Damit ist der Änderungsantrag abgelehnt.
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 571;
davon
ja: 132
nein: 439
Ja
DIE LINKE
Jan van Aken
Agnes Alpers
Herbert Behrens
Karin Binder
Matthias W. Birkwald
Steffen Bockhahn
Christine Buchholz
Eva Bulling-Schröter
Roland Claus
Sevim Dağdelen
Dr. Diether Dehm
Heidrun Dittrich
Werner Dreibus
Dr. Dagmar Enkelmann
Wolfgang Gehrcke
Nicole Gohlke
Annette Groth
Dr. Gregor Gysi
Heike Hänsel
Dr. Rosemarie Hein
Inge Höger
Andrej Hunko
Ulla Jelpke
Dr. Lukrezia Jochimsen
Katja Kipping
Harald Koch
Jan Korte
Jutta Krellmann
Caren Lay
Michael Leutert
Ulla Lötzer
Dr. Gesine Lötzsch
Thomas Lutze
Ulrich Maurer
Cornelia Möhring
Kornelia Möller
Niema Movassat
Wolfgang Nešković
Thomas Nord
Jens Petermann
Richard Pitterle
Yvonne Ploetz
Ingrid Remmers
Paul Schäfer ({0})
Michael Schlecht
Dr. Ilja Seifert
Kathrin Senger-Schäfer
Raju Sharma
Dr. Petra Sitte
Kersten Steinke
Sabine Stüber
Alexander Süßmair
Dr. Kirsten Tackmann
Frank Tempel
Dr. Axel Troost
Alexander Ulrich
Kathrin Vogler
Johanna Voß
Halina Wawzyniak
Harald Weinberg
Katrin Werner
Jörn Wunderlich
Sabine Zimmermann
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Kerstin Andreae
Marieluise Beck ({1})
Volker Beck ({2})
Cornelia Behm
Alexander Bonde
Viola von Cramon-Taubadel
Ekin Deligöz
Katja Dörner
Dr. Thomas Gambke
Kai Gehring
Britta Haßelmann
Winfried Hermann
Priska Hinz ({3})
Ulrike Höfken
Bärbel Höhn
Ingrid Hönlinger
Thilo Hoppe
Uwe Kekeritz
Katja Keul
Memet Kilic
Maria Klein-Schmeink
Ute Koczy
Tom Koenigs
Sylvia Kotting-Uhl
Oliver Krischer
Agnes Krumwiede
Fritz Kuhn
Stephan Kühn
Renate Künast
Markus Kurth
Undine Kurth ({4})
Monika Lazar
Agnes Malczak
Jerzy Montag
Kerstin Müller ({5})
Beate Müller-Gemmeke
Ingrid Nestle
Dr. Konstantin von Notz
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt
Omid Nouripour
Friedrich Ostendorff
Dr. Hermann Ott
Lisa Paus
Tabea Rößner
Claudia Roth ({6})
Krista Sager
Manuel Sarrazin
Dr. Gerhard Schick
Dorothea Steiner
Dr. Wolfgang StrengmannKuhn
Hans-Christian Ströbele
Dr. Harald Terpe
Markus Tressel
Jürgen Trittin
Wolfgang Wieland
Dr. Valerie Wilms
Nein
CDU/CSU
Ilse Aigner
Peter Aumer
Dorothee Bär
Thomas Bareiß
Günter Baumann
Ernst-Reinhard Beck
({7})
Manfred Behrens ({8})
Dr. Christoph Bergner
Peter Beyer
Steffen Bilger
Clemens Binninger
Peter Bleser
Dr. Maria Böhmer
Wolfgang Börnsen
({9})
Wolfgang Bosbach
Klaus Brähmig
Michael Brand
Dr. Reinhard Brandl
Helmut Brandt
Dr. Ralf Brauksiepe
Dr. Helge Braun
Heike Brehmer
Ralph Brinkhaus
Gitta Connemann
Leo Dautzenberg
Alexander Dobrindt
Thomas Dörflinger
Marie-Luise Dött
Dr. Thomas Feist
Enak Ferlemann
Ingrid Fischbach
Hartwig Fischer ({10})
Dirk Fischer ({11})
Axel E. Fischer ({12})
Dr. Maria Flachsbarth
Klaus-Peter Flosbach
Dr. Hans-Peter Friedrich
({13})
Erich G. Fritz
Dr. Michael Fuchs
Hans-Joachim Fuchtel
Alexander Funk
Ingo Gädechens
Dr. Thomas Gebhart
Norbert Geis
Alois Gerig
Eberhard Gienger
Josef Göppel
Peter Götz
Dr. Wolfgang Götzer
Ute Granold
Reinhard Grindel
Hermann Gröhe
Michael Grosse-Brömer
Markus Grübel
Manfred Grund
Monika Grütters
Olav Gutting
Florian Hahn
Holger Haibach
Dr. Stephan Harbarth
Jürgen Hardt
Dr. Matthias Heider
Mechthild Heil
Ursula Heinen-Esser
Frank Heinrich
Rudolf Henke
Michael Hennrich
Jürgen Herrmann
Ansgar Heveling
Ernst Hinsken
Peter Hintze
Christian Hirte
Robert Hochbaum
Karl Holmeier
Franz-Josef Holzenkamp
Joachim Hörster
Anette Hübinger
Thomas Jarzombek
Dieter Jasper
Dr. Franz Josef Jung
Andreas Jung ({14})
Dr. Egon Jüttner
Hans-Werner Kammer
Steffen Kampeter
Bernhard Kaster
Siegfried Kauder ({15})
Volker Kauder
Dr. Stefan Kaufmann
Roderich Kiesewetter
Eckart von Klaeden
Ewa Klamt
Volkmar Klein
Jürgen Klimke
Julia Klöckner
Axel Knoerig
Jens Koeppen
Dr. Kristina Schröder
Manfred Kolbe
Dr. Rolf Koschorrek
Hartmut Koschyk
Gunther Krichbaum
Dr. Günter Krings
Rüdiger Kruse
Bettina Kudla
Dr. Hermann Kues
Günter Lach
Dr. Karl A. Lamers
({16})
Andreas G. Lämmel
Katharina Landgraf
Ulrich Lange
Dr. Max Lehmer
Dr. Ursula von der Leyen
Matthias Lietz
Dr. Carsten Linnemann
Patricia Lips
Dr. Jan-Marco Luczak
Dr. Michael Luther
Dr. Thomas de Maizière
Hans-Georg von der Marwitz
Andreas Mattfeldt
Stephan Mayer ({17})
Dr. Michael Meister
Maria Michalk
Dr. h. c. Hans Michelbach
Dr. Mathias Middelberg
Philipp Mißfelder
Dietrich Monstadt
Stefan Müller ({18})
Nadine Schön ({19})
Dr. Philipp Murmann
Bernd Neumann ({20})
Michaela Noll
Dr. Georg Nüßlein
Franz Obermeier
Henning Otte
Dr. Michael Paul
Rita Pawelski
Ulrich Petzold
Dr. Joachim Pfeiffer
Sibylle Pfeiffer
Beatrix Philipp
Ronald Pofalla
Christoph Poland
Ruprecht Polenz
Eckhard Pols
Daniela Raab
Thomas Rachel
Eckhardt Rehberg
Katherina Reiche ({21})
Josef Rief
Klaus Riegert
Dr. Heinz Riesenhuber
Johannes Röring
Dr. Christian Ruck
Erwin Rüddel
Albert Rupprecht ({22})
Anita Schäfer ({23})
Dr. Annette Schavan
Dr. Andreas Scheuer
Norbert Schindler
Tankred Schipanski
Christian Schmidt ({24})
Dr. Andreas Schockenhoff
Dr. Ole Schröder
Bernhard Schulte-Drüggelte
Uwe Schummer
Armin Schuster ({25})
Detlef Seif
Johannes Selle
Reinhold Sendker
Dr. Patrick Sensburg
Bernd Siebert
Thomas Silberhorn
Jens Spahn
Carola Stauche
Dr. Frank Steffel
Erika Steinbach
Christian Freiherr von Stetten
Dieter Stier
Gero Storjohann
Stephan Stracke
Karin Strenz
Lena Strothmann
Michael Stübgen
Dr. Peter Tauber
Antje Tillmann
Dr. Hans-Peter Uhl
Arnold Vaatz
Volkmar Vogel ({26})
Andrea Astrid Voßhoff
Dr. Johann Wadephul
Marco Wanderwitz
Kai Wegner
Marcus Weinberg ({27})
Peter Weiß ({28})
Sabine Weiss ({29})
Ingo Wellenreuther
Karl-Georg Wellmann
Peter Wichtel
Annette Widmann-Mauz
Klaus-Peter Willsch
Elisabeth WinkelmeierBecker
Dagmar Wöhrl
Dr. Matthias Zimmer
Wolfgang Zöller
SPD
Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Heinz-Joachim Barchmann
Doris Barnett
Dr. Hans-Peter Bartels
Klaus Barthel
Bärbel Bas
Dirk Becker
Uwe Beckmeyer
Lothar Binding ({30})
Gerd Bollmann
Klaus Brandner
Bernhard Brinkmann
({31})
Ulla Burchardt
Martin Burkert
Petra Crone
Dr. Peter Danckert
Martin Dörmann
Elvira Drobinski-Weiß
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt
Garrelt Duin
Sebastian Edathy
Siegmund Ehrmann
Petra Ernstberger
Karin Evers-Meyer
Gabriele Fograscher
Dr. Edgar Franke
Dagmar Freitag
Peter Friedrich
Michael Gerdes
Martin Gerster
Iris Gleicke
Günter Gloser
Ulrike Gottschalck
Angelika Graf ({32})
Kerstin Griese
Michael Groß
Hans-Joachim Hacker
Klaus Hagemann
Michael Hartmann
({33})
Hubertus Heil ({34})
Rolf Hempelmann
Dr. Barbara Hendricks
Gustav Herzog
Gabriele Hiller-Ohm
Petra Hinz ({35})
Frank Hofmann ({36})
Dr. Eva Högl
Christel Humme
Josip Juratovic
Oliver Kaczmarek
Dr. h. c. Susanne Kastner
Ulrich Kelber
Lars Klingbeil
Hans-Ulrich Klose
Dr. Bärbel Kofler
Daniela Kolbe ({37})
Anette Kramme
Angelika Krüger-Leißner
Ute Kumpf
Christine Lambrecht
Christian Lange ({38})
Steffen-Claudio Lemme
Burkhard Lischka
Kirsten Lühmann
Caren Marks
Katja Mast
Hilde Mattheis
Petra Merkel ({39})
Ullrich Meßmer
Dr. Matthias Miersch
Franz Müntefering
Dr. Rolf Mützenich
Andrea Nahles
Dietmar Nietan
Manfred Nink
Thomas Oppermann
Holger Ortel
Heinz Paula
Johannes Pflug
Joachim Poß
Dr. Wilhelm Priesmeier
Dr. Sascha Raabe
Mechthild Rawert
Gerold Reichenbach
Dr. Carola Reimann
Sönke Rix
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Karin Roth ({40})
Marlene Rupprecht
({41})
Anton Schaaf
Axel Schäfer ({42})
Bernd Scheelen
Marianne Schieder
({43})
Werner Schieder ({44})
Ulla Schmidt ({45})
Silvia Schmidt ({46})
Carsten Schneider ({47})
Olaf Scholz
Swen Schulz ({48})
Frank Schwabe
Dr. Martin Schwanholz
Rolf Schwanitz
Stefan Schwartze
Rita Schwarzelühr-Sutter
Dr. Carsten Sieling
Sonja Steffen
Christoph Strässer
Kerstin Tack
Dr. h. c. Wolfgang Thierse
Franz Thönnes
Wolfgang Tiefensee
Rüdiger Veit
Ute Vogt
Dr. Marlies Volkmer
Andrea Wicklein
Heidemarie Wieczorek-Zeul
Waltraud Wolff
({49})
Uta Zapf
Dagmar Ziegler
Manfred Zöllmer
Brigitte Zypries
FDP
Jens Ackermann
Christian Ahrendt
Christine AschenbergDugnus
Daniel Bahr ({50})
Florian Bernschneider
Sebastian Blumenthal
Claudia Bögel
Nicole Bracht-Bendt
Klaus Breil
Rainer Brüderle
Angelika Brunkhorst
Ernst Burgbacher
Marco Buschmann
Sylvia Canel
Helga Daub
Reiner Deutschmann
Dr. Bijan Djir-Sarai
Patrick Döring
Mechthild Dyckmans
Rainer Erdel
Jörg van Essen
Otto Fricke
Dr. Edmund Peter Geisen
Dr. Wolfgang Gerhardt
Hans-Michael Goldmann
Heinz Golombeck
Miriam Gruß
Joachim Günther ({51})
Dr. Christel Happach-Kasan
Heinz-Peter Haustein
Manuel Höferlin
Elke Hoff
Birgit Homburger
Dr. Werner Hoyer
Heiner Kamp
Michael Kauch
Pascal Kober
Gudrun Kopp
Dr. h. c. Jürgen Koppelin
Holger Krestel
Patrick Kurth ({52})
Harald Leibrecht
Sabine LeutheusserSchnarrenberger
Lars Lindemann
Christian Lindner
Dr. Martin Lindner ({53})
Michael Link ({54})
Dr. Erwin Lotter
Oliver Luksic
Gabriele Molitor
Jan Mücke
Petra Müller ({55})
Burkhardt Müller-Sönksen
Dr. Martin Neumann
({56})
Dirk Niebel
Hans-Joachim Otto
({57})
Cornelia Pieper
Gisela Piltz
Dr. Christiane RatjenDamerau
Dr. Birgit Reinemund
Dr. Peter Röhlinger
Dr. Stefan Ruppert
Björn Sänger
Frank Schäffler
Jimmy Schulz
Marina Schuster
Dr. Erik Schweickert
Werner Simmling
Judith Skudelny
Joachim Spatz
Dr. Max Stadler
Dr. Rainer Stinner
Stephan Thomae
Florian Toncar
Serkan Tören
Johannes Vogel
({58})
Dr. Daniel Volk
Dr. Guido Westerwelle
Dr. Volker Wissing
Hartfrid Wolff ({59})
Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Einzelplan 11 in der Ausschussfassung. Wer stimmt für den
Einzelplan? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Damit
ist der Einzelplan 11 bei Zustimmung durch CDU/CSU
und FDP angenommen; SPD, Bündnis 90/Die Grünen
und Die Linke haben dagegen gestimmt.
Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt I.6 auf:
Einzelplan 12
Bundesministerium für Verkehr, Bau
und Stadtentwicklung
- Drucksachen 17/3512, 17/3523 Berichterstattung:
Abgeordnete Bartholomäus Kalb
Dr. Claudia Winterstein
Stephan Kühn
Zum Einzelplan 12 liegen zwei Änderungsanträge der
Fraktion der SPD sowie zwei Änderungsanträge der
Fraktion Die Linke vor. Über einen Änderungsantrag der
SPD werden wir später namentlich abstimmen. Außerdem liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor, über den wir am Freitag nach der
Schlussabstimmung abstimmen werden.
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt
Zwischen den Fraktionen ist es verabredet, zu diesem
Einzelplan eineinhalb Stunden zu debattieren. - Dazu
sehe und höre ich keinen Widerspruch. Dann ist das so
beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und gebe das Wort dem
Kollegen Johannes Kahrs für die SPD-Fraktion.
({60})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Werter Herr Minister, wir treffen uns jetzt
wieder, nachdem wir schon im September über diesen
Etat diskutiert haben. Es hat sich nichts Entscheidendes
verändert. Lassen Sie mich trotzdem einige Punkte ansprechen.
Wenn Sie alle den Blick auf die Tafel lenken, dann sehen Sie, dass dort steht: EPl 12 „Verkehr“.
({0})
Das trifft genau den Zustand dieses Etats: Der Minister
hat sich nur um den Bereich Verkehr gekümmert, aber
nicht um den Bereich Bau; darüber können wir gleich
diskutieren. Ich bin der Bundestagsverwaltung dankbar,
dass sie damit einmal verdeutlicht hat, wie die Lage bei
diesem Etat ist.
Herr Minister, wenn wir uns den Etat genau anschauen, stellen wir fest, dass der Finanzminister gegen
Sie gewonnen hat. In Ihnen selber hat der Verkehrsminister über den Bauminister gewonnen.
Wenn man in die Tiefe geht, stellt man fest, dass es im
Bereich CO2-Gebäudesanierung eher tragisch gelaufen
ist. Wir hatten einmal ein erfolgreiches Programm, das
den Zielen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland entsprach. Dann kamen Sie, Herr Minister, und Ihre
Staatssekretärstruppe, die hinter Ihnen sitzt. Feine Jungs,
in der Sache haben sie aber nicht viel gebracht.
({1})
Wenn wir uns den Etat genau anschauen, stellen wir fest,
dass nicht mehr 1,5 Milliarden Euro vorgesehen sind
- die sind für dieses Programm einmal ausgegeben worden -, sondern nur noch etwa 435 Millionen Euro. Sie
haben auf den Haushaltsausschuss gehofft. Die Kollegen
waren auch alle ganz tapfer. Jetzt ist vorgesehen, dass über
den Energie- und Klimafonds vielleicht noch 500 Millionen Euro hinzukommen. Warten wir einmal ab, wie
das mit dem Energie- und Klimafonds laufen wird. Wir
alle sind sehr gespannt, ob das Geld kommt oder nicht.
Selbst wenn Sie das schaffen sollten - es sind noch nicht
alle Messen gelesen -, landen Sie bei deutlich weniger
als 1 Milliarde Euro.
In der Debatte zur ersten Lesung im September hatten
wir relativ viel Spaß bei der Diskussion über die Frage,
was das Kabinett will. Minister Röttgen hat in der BildZeitung verkündet, dass mindestens 2 Milliarden Euro
dafür zur Verfügung gestellt werden sollen. Staatssekretär
Mücke war mit 3 Milliarden Euro dabei. Sie sind immer
noch bei etwa 435 Millionen Euro plus - vielleicht, wenn
es irgendwann einmal klappt - 500 Millionen Euro. Das
zeigt, was all die Ankündigungen aus Ihrem Haus letztendlich wert sind: in der Sache nichts.
({2})
Das CO2-Gebäudesanierungsprogramm ist nicht irgendein Programm. Man kann darüber streiten, ob alle
Programme zielführend sind. Das CO2-Gebäudesanierungsprogramm war zielführend. Es hat nicht nur dazu
gedient, die Klimaschutzziele der damaligen Bundesregierung zu erfüllen - das sind übrigens auch die Ziele
der jetzigen Bundesregierung, die sie aber nicht erreichen wird -, sondern es hat auch dazu geführt, dass viele
Menschen in Deutschland mit finanzieller Unterstützung
das umsetzen konnten, was sie bei sich für richtig hielten. Mit diesem Programm wurden die Wirtschaft, der
Mittelstand und das Handwerk unterstützt. Wenn man in
Wahlkreisen, in Städten und Kommunen, unterwegs ist,
sieht man die Trümmer und Schleifspuren, die Sie mit
dieser Etatkürzung verursacht haben. Ich glaube nicht,
dass das viel Spaß machen wird. Es ist in der Sache
falsch. Alle Ankündigungen haben nichts gebracht. Das
ist tragisch.
Schauen wir uns den Bereich der Städtebauförderung an! Es gibt viele Punkte, über die wir ausgiebig reden könnten. Ich bin sicher, dass einer meiner Kollegen
das später tun wird. Schließlich ist die Debatte noch lang
genug. Ich möchte jetzt auf einen speziellen Punkt eingehen. In den letzten Wochen und Monaten erhielten wir
alle Zuschriften von Betroffenen, denen jetzt klar geworden ist, was es bedeutet, wenn man in diesem Land
CDU, CSU oder FDP wählt. Wir haben uns die geplanten Kürzungen im Bereich der Städtebauförderung angeschaut. Die Mitarbeiter des Projekts „Stadtteilmütter in
Neukölln“ sagen ganz klar, was sie von der Kürzung halten, was diese Kürzung für ihre Arbeit bedeutet. Der
Quartiersrat Falkenhagener Feld - Ost - hat genau aufgeführt, was er im Bereich Quartiersmanagement tut.
({3})
- Das muss man sich aber einmal im Detail anschauen,
Norbert. Hier steht vieles drin, was wahr ist.
Wenn man sich die gute Arbeit der Quartiersräte aus
Reinickendorf, Spandau, Wedding oder Neukölln anschaut, stellt man fest, dass sie die Integrationsarbeit gemacht haben - ich nenne nur das preisgekrönte Projekt
„Stadtteilmütter in Neukölln“ -, über die wir immer gesprochen haben. Worüber reden wir hier immer, und
zwar nicht erst seit Sarrazin? Über Integrationsarbeit,
darüber, wie es in den Stadtteilen läuft, und darüber, wie
wir vermeiden können, dass wir in bestimmten Vororten
von Großstädten Zustände wie in Frankreich oder anderswo bekommen! Über solche Programme macht man
vor Ort eine vernünftige Integrations-, Sozial- und Stadtteilarbeit.
({4})
Stadtteile bestehen nicht nur aus Steinen und Mauern.
Sie bestehen auch aus Menschen, die dort leben und arbeiten.
({5})
Wir müssen die Menschen mitnehmen. „Fördern und
Fordern“ heißt, dass man die Menschen fördert, wenn
man etwas von ihnen fordert. Auf diese Mischung muss
man achten. Dieses Programm hat das geleistet.
Der Gesamtverband deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmen - kein sozialdemokratischer Kampfverband, wenn man das mal feststellen darf ({6})
hat gesagt: Das Programm hat in den vergangenen zehn
Jahren wesentlich dazu beigetragen, die Wohnquartiere
und Nachbarschaften in den Städten sozial zu stabilisieren und nachhaltig positiv zu entwickeln.
Mittel für das Projekt „Näh- & Werkstudios“ im Quartiersmanagement Richardplatz Süd - auch in Berlin werden jetzt nach und nach gestrichen. Diesen Etat haben
Sie ja sowieso zusammengestrichen und halbiert. Hier
haben die Kollegen im Haushaltsausschuss jedoch dankenswerterweise ein Einsehen gehabt, weil natürlich bundesweiter Protest kam, weil die Opposition ordentlich
Randale gemacht hat, weil wir natürlich klar gesagt haben, dass das so nicht geht. Das hat dann doch wirklich
Wirkung gezeigt - ab und an passiert das ja auch mal bei
Ihnen -, hat also auch zu Ergebnissen geführt.
Die Ergebnisse sind teilweise erfreulich, weil Sie ja
am Ende Geld draufgelegt haben, auch wenn Sie immer
noch 150 Millionen Euro unter dem bleiben, was es in
den Vorjahren gegeben hat.
({7})
- Das ist nicht falsch, es ist richtig. Sie müssen einfach
die Zahlen lesen. Lesen bildet, Denken hilft, Frau
Dr. Winterstein - auch bei Ihnen.
({8})
Wenn wir uns das hier angucken, dann stellen fest,
dass hier für die soziale Stadt noch 28,520 Millionen
Euro übrig bleiben.
Sie haben als Koalition - Sie, Frau Dr. Winterstein,
sind da maßgeblich - im Haushaltsausschuss einen Antrag gestellt. Darin steht:
Der Haushaltsausschuss fordert die Bundesregierung auf sicherzustellen, dass die Fördermittel für
den Programmteil „Soziale Stadt“ … weit überwiegend für investive Maßnahmen eingesetzt werden.
Sie werden also nicht für das eingesetzt, was ich hier
eben vorgetragen habe,
({9})
sondern für das Gegenteil davon. Das ist doch der Punkt.
({10})
- Ganz ruhig bleiben in der FDP! Erstens haben Sie
noch genug Redezeit, zweitens ist das, was Sie hier dazwischenpöbeln, in der Sache falsch, und drittens sollten
Sie Ihre eigenen Vorlagen lesen.
Bei den Haushaltstiteln zum Einzelplan 12 steht:
Die Bundesmittel können zwischen den Programmen nach Maßgabe der Verwaltungsvereinbarung
umverteilt werden, jedoch nicht zu Gunsten der
Erläuterungsziffer 7.
- „Soziale Stadt“.
Minderausgaben bei einem Programm können zur
Verstärkung in einem anderen Programm verwendet werden; jedoch nicht zu Gunsten der Erläuterungsziffer 7.
Das ist wieder: „Soziale Stadt“.
Sie sehen also, die haben Sie ganz bewusst ausgenommen. Das ist schäbig, und das ist in der Sache falsch.
({11})
Abschließend, Herr Minister, kann ich Ihnen einen
Punkt nicht ersparen, weil ich ja von der Küste komme.
Die Kieler Nachrichten schreiben: Kein Geld mehr für
Lotsenboote.
Für das Lotsenwesen und das, was wir dafür auch entsprechend brauchen, hatten wir mal einen Etat von
31 Millionen Euro. Das haben Sie für 2010 auf 19 Millionen Euro gekürzt. Das haben wir immer kritisiert.
Jetzt stellen wir gerade fest: Dem Lotsenbetriebsverein
sind die Haushaltsmittel ausgegangen. Sie haben kein
Geld mehr. Sie werden eine überplanmäßige Ausgabe
beantragen müssen. Sie werden wieder in den Haushaltsausschuss gehen müssen. Wir hoffen, dass wir für die
nächsten ein oder zwei Wochen noch Geld für die Lotsen
haben. - Das ist nicht mehr lustig, Herr Minister, auch
wenn Sie gerade lächeln. Als Hamburger kann ich Ihnen
nur sagen: An Elbe und Weser funktioniert nicht viel
ohne Lotsen. Deswegen ist das eine Katastrophe, falsch,
wie übrigens auch der Rest der Politik dieser Bundesregierung.
Vielen Dank.
({12})
Das Wort hat der Kollege Kalb für die Unionsfraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Der Verkehrsetat oder der Etat für Verkehr,
Bau und Stadtentwicklung - lieber Kollege Kahrs, um es
ordentlich zu sagen - ist mit rund 25,25 Milliarden Euro
einer der größten Einzelpläne überhaupt, und er ist
schlechthin der Investitionsetat. Eine moderne Gesellschaft, eine arbeitsteilige Wirtschaft sind darauf angewiesen, dass Mobilität möglich ist, und fordern von den
Menschen immer mehr Mobilität. Das ist Voraussetzung
für die Sicherung von Wohlstand, ist sicherlich auch
Ausdruck von Freiheit und der Möglichkeit, das Leben
individuell zu gestalten. Das müssen wir bei unseren
Entscheidungen berücksichtigen.
Die Bundesverkehrswege sind aus meiner Sicht die
Hauptschlagadern für Wirtschaft und Gesellschaft. Eine
gute Infrastruktur ist auch ein wesentlicher Standortfaktor. Wir konnten, Gott sei Dank, bisher immer feststellen, dass die gute Infrastruktur in Deutschland insgesamt als positiver Standortfaktor angesehen wird.
Im Hinblick auf die demografische Entwicklung müssen wir erkennen, dass wir vor völlig neuen und zusätzlichen Herausforderungen stehen. Wir sehen vielleicht
nicht auf den ersten, aber auf den zweiten Blick, dass wir
unsere Infrastruktur an diese Herausforderungen anpassen müssen. Wir brauchen eine leistungsfähige Infrastruktur, um diesen Herausforderungen gerecht zu werden. Ich habe vorhin schon in einem anderen Beitrag
gesagt: Wenn die Zahl der erwerbsfähigen Personen,
also der Personen zwischen 20 und 64 Jahren, in den
nächsten Jahrzehnten um 11,5 Millionen zurückgehen
wird, wird das enorme Auswirkungen haben. Denn dann
wird es immer weniger Personen geben, die unser Bruttoinlandsprodukt, unser Bruttonationaleinkommen erwirtschaften. Deswegen müssen wir volkswirtschaftlich
insgesamt effizienter werden.
Wir werden die Probleme nicht nur durch Zuwanderung lösen, wir werden die Probleme auch nicht nur durch
mehr Bildung und Forschung lösen. Das alles muss sein,
aber es wird nicht reichen. Wir werden als Volkswirtschaft insgesamt effizienter werden müssen. Dazu brauchen wir eine leistungsfähige Infrastruktur. Es ist falsch
- das möchte ich hier ganz bewusst ansprechen -, einen
Gegensatz herzustellen, wie es gelegentlich gemacht
wird, und zu sagen, dass wir nicht in Beton, sondern in
Köpfe investieren müssen. Wir werden beides brauchen.
Wir werden im Bereich Bildung, Forschung und Entwicklung auf der einen Seite und im Bereich Infrastruktur
und Verkehrswege auf der anderen Seite enorme Anstrengungen unternehmen müssen.
({0})
Deswegen haben wir uns im Haushaltsberatungsverfahren bemüht,
({1})
dafür zu sorgen, dass die verfügbaren Mittel effizienter
eingesetzt werden. Die Mittel sind begrenzt. Wir wollen
gar nicht darum herumreden, dass wir für die Verkehrsinfrastruktur eigentlich mehr Geld brauchen und dass
wir unter den Zielvorgaben, die wir beachten mussten,
keine Möglichkeiten hatten, jetzt zusätzliches Geld zur
Verfügung zu stellen. Nun wollen wir zumindest dafür
sorgen, dass die begrenzten Mittel effizienter eingesetzt
werden, beispielsweise beim Finanzierungskreislauf
Straße. Wir wollen die Verkehrsinfrastrukturfinanzierungsgesellschaft, die VIFG, noch schlagkräftiger machen. Sie soll ihre Aufgaben noch besser wahrnehmen
können und eine klare Aufgabenzuweisung bekommen.
Dies alles gehört dazu.
Dazu gehört auch, dass wir die Verkehrsträger miteinander verknüpfen. Wir sind im Frühjahr dieses Jahres
bezüglich des Haushalts 2010 massiv kritisiert worden,
({2})
weil wir die Ansätze für den kombinierten Verkehr nach
unten gefahren hatten.
({3})
Dies geschah aus guten Gründen; denn die Mittel wurden seinerzeit, in der Krise, nicht gebraucht.
({4})
Jetzt haben wir, wie zugesagt, die Mittel wieder auf über
80 Millionen Euro erhöht. Diese werden nachfragegerecht eingesetzt, sodass die Verknüpfung der Verkehrsträger, also der kombinierte Verkehr, verbessert werden
kann.
Wir haben im Haushaltsberatungsverfahren ein wichtiges Zukunftsthema bearbeitet. Wir haben viele Anstrengungen unternommen, Frau Kollegin Dr. Winterstein, um
im Einzelplan 12 Mittel für die Elektromobilität einzustellen. Dadurch werden die Modellprojekte, die angelaufen sind, in der Durchführung nicht gefährdet, und die
weitere Forschung und Entwicklung werden gewährleistet.
Ich möchte noch ein anderes Thema ansprechen, das
viele in den norddeutschen Regionen bewegt; Kollege
Kahrs hat gerade darauf hingewiesen, dass er von der
Küste kommt. Das Thema Transrapid beschäftigt uns
seit vielen Jahren auch haushaltspolitisch intensiv.
({5})
Ich denke, Kollegin Winterstein, wir können sagen: Wir
haben nach langen und schwierigen Verhandlungen und
Gesprächen auch mit den örtlichen Gebietskörperschaften einen Weg aufzeigen können, wie in dieser Region
ein Übergang geleistet werden kann. Künftig können an
diesem Standort moderne Forschungs- und Entwicklungsvorhaben durchgeführt und Akzente gesetzt werden. Die Bedeutung dessen für einen zugegebenermaßen
strukturschwachen Bereich ist nicht zu unterschätzen.
Der Kollege Kahrs hat vorhin das CO2-Gebäudesanierungsprogramm angesprochen. Ich rede jetzt nicht
von den Tausenden von E-Mails, die wir zu diesem
Thema bekommen haben.
({6})
- Das gehört zum Haushalt. Im Rahmen der Beratungen
des Einzelplans 12 war es ein wichtiges Thema,
({7})
dass das CO2-Gebäudesanierungsprogramm künftig auf
andere Art und Weise finanziert wird,
({8})
nämlich aus dem Energie- und Klimafonds.
Uns war sehr wichtig, sicherzustellen, dass über den
Zeitraum hinweg eine Glättung vorgenommen wird, sodass es nicht zuerst zu einem Absturz und dann zu einem
Hochfahren kommt, sondern dass die Investitionen und
die Möglichkeiten im Rahmen der KfW verstetigt werden. Es besteht kein Zweifel daran, dass dieses Programm sowohl im Sinne der Energieeinsparung als auch
im Interesse des Bau- und Baunebengewerbes in der
Vergangenheit von entscheidender Bedeutung war und
dies sicherlich auch in Zukunft sein wird.
({9})
Ein besonderes Anliegen war uns das Thema Städtebauförderung; es wurde von vielen Kommunen angesprochen. Hier mussten wir uns angesichts der Begrenztheit der zur Verfügung stehenden Mittel - die SPD hat
heute Vormittag massiv gefordert, die Schuldenbremse
genau einzuhalten - natürlich nach der Decke strecken.
Wir haben all unsere Energie darauf verwendet, gegenüber dem ursprünglichen Haushaltsansatz deutliche Verbesserungen zu erzielen. Es ist uns gelungen, den Programmrahmen - davon reden die Bauleute ja immer für das Jahr 2011 von 305 Millionen Euro auf 455 Millionen Euro aufzustocken.
({10})
Ich denke, damit werden wir der Sache gerecht. Wie Sie
wissen, tun sich manche Bundesländer und manche
Kommunen gar nicht leicht, die Komplementärmittel zur
Verfügung zu stellen. Wir jedenfalls haben dafür gesorgt,
dass die Investitionen nicht etwa wegbrechen, sondern
sogar verstetigt werden können. Wie ich höre, ist man
damit im Lande sehr zufrieden.
({11})
Da der Kollege Kahrs das Programm „Die soziale
Stadt“ angesprochen hat, will ich sagen: Im Rahmen der
Haushaltsberatungen war immer der Grundsatz zu berücksichtigen, dass die im Verkehrsetat bereitgestellten
Mittel zuallererst Investitionsmittel sind.
({12})
Das Programm „Die soziale Stadt“ war von Anfang an
so angelegt, dass es einen Rahmen bilden soll, der andere Aktivitäten ermöglicht. Genau dafür sorgen wir
wieder. Wir führen dieses Programm auf seinen Kernansatz zurück.
({13})
Im Wesentlichen geht es darum, einen geeigneten investiven Rahmen zu setzen, damit wir sowohl auf europäische Mittel als auch auf Mittel der Kommunen, der
Länder und des Bundes aus dem Sozialbereich zurückgreifen können, um für die jeweiligen Stadtteile ein
komplettes Angebot gewährleisten zu können.
({14})
Es bestand nie die Absicht, aus diesem Programm ein
Sozialprogramm zu stricken.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, Frau Kollegin Dr. Winterstein, die Koalition hat in den Haushaltsberatungen sehr große Anstrengungen unternommen.
Ich denke, am Ende haben wir ein gutes Beratungsergebnis erzielen können. Deswegen empfehle ich die uneingeschränkte Zustimmung zu diesem Etat.
({15})
Der Kollege Claus hat für die Fraktion Die Linke das
Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Mein
geschätzter Vorredner hat soeben den Vorschlag unterbreitet, zugleich in Köpfe und Beton zu investieren. Ich
muss ihn auf die Gefahr hinweisen, dass bei dieser Verbindung zuweilen Betonköpfe herauskommen;
({0})
ich habe das nicht vergessen, Herr Kollege.
Wir reden und entscheiden hier über den Infrastrukturetat des Bundes, einfacher gesagt: über die Frage, wie
wir in Städten und Gemeinden zusammen leben, wohnen
und uns bewegen wollen, und zwar zu Wasser, zu Lande
und in der Luft.
Die Linke steht für eine Verkehrs-, Bau- und Stadtentwicklungspolitik, die stets von sozialer Verantwortung
und demokratischer Teilhabe aller an den öffentlichen
Gütern ausgeht. Was alle brauchen, muss öffentlich zugänglich und bezahlbar sein. Wenn die Linke sagt, unser
Zusammenleben müsse ökologischer werden, dann meint
sie - um auch das einmal klargestellt zu haben -: ökologischer für alle und nicht ökologischer für Reiche.
({1})
Die Bundesregierung und Minister Ramsauer hatten
mit diesem Etat eine, wie ich finde, wunderbare Chance,
Zukunft zu gestalten. Die Koalition und die Bundesregierung haben sich aber anders entschieden. Sie beschließen rückwärtsgewandten Murks, zum großen Teil
ohne Not, aber eben Murks. Ich möchte das mit drei
Fakten belegen:
Erstens. Es gibt zwei besonders gut laufende Förderprogramme des Bundes, nämlich das zur CO2-Gebäudesanierung und das zur Städtebauförderung. In meiner Kreisstadt, in Naumburg, sind täglich Hunderte,
wenn nicht Tausende Touristen, die sich das Ergebnis
ansehen können. Ich als Ostdeutscher bin froh darüber
und dankbar dafür, dass wir ein solches Ergebnis haben.
Was schlagen Sie mit dem Haushaltsentwurf vor? Bei
den am besten laufenden Programmen, bei denen alles
stimmt, nämlich Handwerksleistungen, Gewerke, Finanzierung und Bedarfe, bei denen alles funktioniert, sehen
Sie eine Halbierung, eine Absenkung um 50 Prozent vor.
Nun haben wir zwar ein Ergebnis von 50 Prozent plus,
aber es ist noch immer wahr: Eine Regierung, die ihre
besten Förderinstrumente aus der Hand gibt, macht eine
Opposition fast sprachlos. Das ist Politik ohne jede Logik. Ich darf Ihnen sagen: Das hat schon einen Hauch
von Spätberliner Dekadenz.
Sie haben Widerspruch aus allen gesellschaftlichen
Bereichen erfahren. Es muss Ihnen doch zu denken geben, wenn Ortsvereine von Christlich-Sozialer Union,
Sozialdemokratischer Partei und Linken Sie mit nahezu
gleichen Texten bombardieren und sagen: So wollen wir
das nicht hinnehmen. - Da muss doch bei Ihnen endlich
einmal das Denken einsetzen.
({2})
Für besonders bemerkenswert hielten wir, dass die
Kritik, die uns erreichte, eine gesellschaftspolitische Kritik war. Hier ist nicht betriebswirtschaftlich, wie sonst
oft, argumentiert worden nach dem Motto: Hier gehen
Arbeitsplätze flöten. - Auch das ist genannt worden.
Aber die gesellschaftspolitische Kritik, die uns erreicht
hat, hatte die klare Botschaft: Sie machen hier das Gemeinwesen kaputt. - Dann dürfen Sie sich nicht wundern, wenn es auch in diesem Parlament Kräfte gibt, die
sich dem ausdrücklich widersetzen.
({3})
Ein zweiter Fakt. Wir reden in der Tat über den größten
Investitionsetat. Ja, Sie investieren viel, aber in der Regel falsch. Sie investieren viel und gerne in überteuerte
Prestigeprojekte statt in die Ertüchtigung einer flächendeckenden Infrastruktur. Sie hängen einer inzwischen überlebten Metropolendominanz nach. Ihre Metropolenpolitik passt in keiner Weise mit einer Politik für ländliche
Räume, sofern Sie sie überhaupt haben, zusammen. Ihre
Ideen von vorgestern werden heute in Beton gegossen.
Sie sind - entgegen eigenen besseren Erkenntnissen nicht in der Lage, in der Bau- und Verkehrspolitik Lernund Korrekturfähigkeit an den Tag zu legen. Schließlich
tragen Sie mit Ihrer verfehlten Steuer- und Finanzpolitik
dazu bei, dass die Kommunen immer investitionsunfähiger werden. Das alles beweist eines: Sie können nicht mit
Geld umgehen, und schon gar nicht mit viel Geld.
({4})
Mein dritter Punkt. Der Erfahrungsvorsprung im
Osten liegt leider brach und wird auch in diesem Etat
nicht aufgenommen. Ich hätte mir von einem Bauminister einmal eine richtige Idee gewünscht, nämlich dass
Herr Minister Ramsauer sagt: Wir haben eine miserable
Situation in der Kinderbetreuung im Westen, im Osten
ist sie viel besser. Ich trage von der Bau- und Infrastrukturseite dazu bei, dass wir die Kinderbetreuung im Westen wenigstens auf Ostniveau bringen. - Das wäre einmal eine Idee gewesen, Herr Ramsauer!
({5})
Es ist schon gesagt worden, dass das sogenannte
Sparpaket Bürgerinnen und Bürger im Osten doppelt so
hoch belastet. Es gibt viele andere Beispiele: Statt die
Vorzüge fließender Flüsse als Nutzen zu begreifen, wollen Sie für fast 100 Millionen Euro in den nächsten Jahren auch die Saale ausbauen und betonieren.
Ein letzter Punkt: Zu Ihrem Etat gehören auch alle
Bundesbauten in Berlin. Nun hätte ich mir gewünscht,
dass Sie für den Umzug der noch in Bonn ansässigen
Teile der Bundesregierung etatmäßig Vorsorge treffen.
Ich denke, zu einem geeinten Deutschland gehört auch
eine geeinte Bundesregierung.
({6})
Ich erinnere daran: Fast die Hälfte der Beamten sitzt
noch in Bonn. Deswegen sind wir für einen Komplettumzug. Eines können wir Ihnen sagen: Keinem Bonner
wird es danach schlechter gehen.
({7})
Das Wort hat die Kollegin Dr. Winterstein für die
FDP-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Der Haushalt 2011 ist der erste Sparhaushalt,
mit dem die Koalition einen wichtigen Schritt in Richtung Einhaltung der Schuldenbremse bis zum Jahr 2016
geht.
({0})
Der Einzelplan 12 spielt bei der Konsolidierung der
Staatsfinanzen eine wichtige Rolle. Zum einen muss dieser Etat wie alle anderen einen Beitrag zu den Sparmaßnahmen leisten; zum anderen leistet der Einzelplan 12
als größter Investitionshaushalt auch einen wichtigen
Beitrag zum Wirtschaftsaufschwung. Der Koalition ist
es gelungen, diese beiden Aspekte miteinander in EinDr. Claudia Winterstein
klang zu bringen; denn auf der einen Seite werden die
Ausgaben im Einzelplan 12 um 1 Milliarde Euro gesenkt, und auf der anderen Seite werden wir trotz allem
in der Lage sein, weiter in unsere Verkehrswege zu investieren und sie auf dem gleichen Niveau zu halten.
({1})
Fast 10 Milliarden Euro wird der Bund im nächsten
Jahr in Autobahnen, Bundesstraßen, Schienenwege und
Wasserstraßen investieren. Das ist die gleiche Summe
wie vor der Krise. Man muss aber sagen: Angesichts
wachsender Verkehrszahlen brauchen wir mehr Mittel
für Investitionen, zum Beispiel eben auch für die Autobahnen. Im Bundesverkehrswegeplan ist allein unter
dem Vordringlichen Bedarf der Ausbau von 2 200 Kilometern Autobahn von 2001 bis 2015 vorgesehen. Ende
2009 waren davon gerade einmal 570 Kilometer umgesetzt. So geht das ganz sicher nicht weiter.
({2})
Jeder Autofahrer ärgert sich, wenn er während der Arbeit oder auf dem Weg nach Hause wieder einmal im
Stau steht. Allein 2009 wurden insgesamt 140 000 Staus
auf den Autobahnen gemeldet. Das bedeutet nicht nur
wirtschaftliche Verluste, sondern das schadet auch
Mensch und Umwelt. An denen liegt ja auch Ihnen viel.
Die Koalition will deswegen bei der Finanzierung der
Fernstraßen neue Wege gehen. Es geht um die zielgerichtete Verwendung der Lkw-Maut und die künftige
Rolle der Verkehrsinfrastrukturfinanzierungsgesellschaft,
kurz VIFG genannt.
In einem ersten Schritt beenden wir mit diesem Haushalt die undurchsichtige Verteilung der Mittel aus der
Lkw-Maut. Das sind insgesamt 4,6 Milliarden Euro. Wir
weisen alle Mauteinnahmen der Straße zu, nach dem
Motto: Straße finanziert Straße. Durch diese Maßnahmen wird die Akzeptanz der Maut bei denjenigen erhöht,
die sie bezahlen müssen; denn sie nehmen besser wahr,
wofür die Mittel überhaupt verwendet werden.
({3})
Die Mautgelder, die bisher in die Bereiche Schiene und
Wasserstraße geflossen sind, werden durch Steuermittel
ersetzt, sodass alle Verkehrsträger auf dem gleichen Niveau weiter finanziert werden können.
In einem zweiten Schritt wollen wir dann die direkte
Zuweisung der Mautmittel an die VIFG erreichen, die
darüber hinaus in begrenztem Maße Kredite aufnehmen
soll, um mehr Mittel für den Aus- und Neubau der Fernstraßen zur Verfügung stellen zu können.
Hinsichtlich der konkreten Ausgestaltung eines solchen Modells gibt es noch offene Fragen, etwa das
Risiko der schwankenden Mauthöhe oder die Kontrollmöglichkeiten durch das Parlament. Hier laufen noch
Gespräche zwischen dem Parlament und der VIFG.
Darüber hinaus bietet die Neuordnung der Infrastrukturfinanzierung natürlich auch die Chance, die vorhandenen Mittel effektiver einzusetzen, zum Beispiel um
Prioritäten bei der Erneuerung festzulegen. Wir wollen,
dass die Arbeit auf den Baustellen schneller abgeschlossen wird, der Verkehr besser fließt und alle weniger im
Stau stehen. Ich glaube, das ist in unser aller Sinne.
({4})
Ich möchte nun noch auf zwei wichtige Punkte eingehen, und zwar zunächst auf das Thema Städtebauförderung. Dieses Thema war eben schon angesprochen worden. Im aktuellen Haushaltsjahr 2010 stellt der Bund laut
der Verwaltungsvereinbarung mit den Ländern 534 Millionen Euro zur Verfügung. Hinzu kommt einmalig die
Summe von 80 Millionen Euro aus dem Konjunkturpaket in diesem Jahr. Der Entwurf der Regierung für 2011
sah im Bereich Städtebau vor, 305 Millionen Euro zur
Verfügung zu stellen. In den parlamentarischen Beratungen haben wir dann entschieden, diesen Beitrag auf
455 Millionen Euro aufzustocken. Das sind im Prinzip
121 Millionen Euro weniger, als bisher zur Verfügung
standen. Von einer radikalen Halbierung kann also überhaupt nicht die Rede sein. Man kann auch in keiner
Weise behaupten, dass Programme gestrichen würden.
Die Programme, die begonnen worden sind, sind durchfinanziert und werden auch ganz ordnungsgemäß beendet. Nur neue Programme können nicht in der vollen
Höhe, sondern mit 121 Millionen Euro weniger begonnen werden.
Da ich speziell auf das Thema „Soziale Stadt“ angesprochen worden bin, will ich dazu sagen: Städtebauförderung bedeutet Investitionen. Man muss schon darauf
achtgeben, dass diese Mittel für den richtigen Zweck
verwendet werden.
({5})
Insofern haben wir den Schwerpunkt gerade in diesem
Jahr auf Investitionen gesetzt. Die Projekte „Soziale
Stadt“ werden wir weiterhin finanzieren.
({6})
Wir haben in den Titel auch dafür Gelder eingestellt. Wir
haben keinen Titel gestrichen;
({7})
wir haben ihn nur nicht so hoch angesetzt wie bisher.
Aber mein Kollege Sebastian Körber wird zum Thema
Städtebau nachher noch zu Ihnen sprechen und, wie ich
denke, darauf noch näher eingehen.
({8})
Frau Kollegin Winterstein, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Nein. Ich möchte jetzt noch ganz schnell etwas zum
Transrapid sagen, weil mir das sehr am Herzen liegt.
({0})
Immer wieder wurde als Argument für den Weiterbetrieb der Strecke im Emsland die Wahrung der Vermarktungschancen des Transrapid in der ganzen Welt
genannt. Brasilien, USA, Türkei, neuerdings auch Teneriffa ({1})
die Liste ist lang. 40 Jahre lang haben wir den Versuch
unternommen, den Transrapid zu verkaufen. Man muss
sagen, dass dies bisher nicht gelungen ist. Insofern liegt
uns an einer abschließenden Lösung. Ich bin daher froh,
dass wir nun einen realistischen Plan für die Nachnutzung der Anlage entwickeln. Die Verantwortung für die
Anlage soll im Jahr 2011 auf den Landkreis Emsland
übergehen. Gemeinsam mit interessierten Unternehmern
soll dort dann Forschung zur Elektromobilität durchgeführt werden. So stützen wir weiterhin innovative Technik in einer strukturschwachen Region.
Mit der Übertragung der Verantwortung geht auch die
Verpflichtung zum Rückbau der Anlage auf den Kreis
Emsland über. Der Bund stellt im Haushalt 2011 die
erste Rate von 6 Millionen Euro zur Verfügung. Insgesamt werden es 40 Millionen Euro sein.
Meine Damen und Herren, wir haben es uns mit unseren Entscheidungen im Einzelplan 12 nicht leicht gemacht
Kollegin Winterstein, achten Sie bitte auf die Zeit.
- ja, ich komme zum Schluss -; denn wir mussten unter dem Zwang der Haushaltskonsolidierung unbequeme
und sicher auch unpopuläre, aber eben auch notwendige
Entscheidungen treffen. Wir haben nicht - wie alle Vorgängerregierungen - einfach die Ausgaben erhöht. Wir
haben uns entschieden, einen ganz soliden Haushalt vorzulegen
({0})
und trotzdem Sorge dafür zu tragen, dass es weiterhin
Wachstum in Deutschland gibt.
({1})
Zu einer Kurzintervention hat der Kollege Kahrs das
Wort.
Frau Dr. Winterstein, Sie haben eben, als Sie über die
„Soziale Stadt“ gesprochen haben, gesagt, dass es dafür
noch einen Titel gibt
({0})
und Sie dafür entsprechend Geld reserviert haben.
({1})
Wenn man sich das anguckt, stellt man fest, dass der Gesamtetat in diesem Bereich generell abgesenkt ist. Bei
der „Sozialen Stadt“ sind noch 28 520 000 Euro übrig
geblieben. Wir hatten einmal deutlich mehr. Ich erinnere
an die Anträge im Haushaltsausschuss. Die gingen von
100 Millionen Euro für diesen Bereich aus.
Obwohl Sie das schon deutlich abgesenkt haben, haben Sie noch einen eigenen Antrag beschlossen.
({2})
An den möchte ich Sie erinnern. In diesem Antrag von
CDU/CSU und FDP steht:
Der Haushaltsausschuss fordert die Bundesregierung auf sicherzustellen, dass die Fördermittel für
den Programmteil „Soziale Stadt“ … weit überwiegend für investive Maßnahmen eingesetzt werden.
({3})
Das heißt: Erst kürzen Sie, dann streichen Sie das,
was für den Zweck vorgesehen ist, und dann verhindern
Sie auch noch mit den entsprechenden Vermerken, dass
Gelder, die innerhalb der Titel verschoben werden oder
als Minderausgaben ausgewiesen sind, für das Programm „Soziale Stadt“ ausgegeben werden. Das heißt,
Sie haben diesen Etat zuerst deutlich abgesenkt. Dann
haben Sie verhindert, dass anderes Geld hineinfließen
kann, und dann haben Sie dafür gesorgt, dass ein Großteil des Geldes für Steine ausgegeben wird statt für die
soziale Arbeit, die eigentlich gewollt ist. Das ist infam.
({4})
Sie haben das Wort.
Herr Kollege Kahrs, ich habe vorhin schon versucht,
das kurz zu erklären.
({0})
Zum einen ist es völlig richtig: Es gibt auch weiterhin
Mittel für die „Soziale Stadt“ - Sie haben es eben selber
gesagt -, nämlich 28 Millionen Euro. Insofern sind die
Mittel nicht gestrichen worden.
Zum anderen haben Sie bemängelt, dass die Deckungsfähigkeit gestrichen worden ist. Das lässt vielleicht den Schluss zu, dass, wie Sie auch gesagt haben,
relativ häufig Mittel aus anderen Bereichen in das Programm „Soziale Stadt“ geflossen sind.
Ich habe vorhin gesagt: Unser Schwerpunkt liegt ganz
klar darin, investive Maßnahmen zu finanzieren. Von daher möchten wir ganz bewusst, dass mit den in dem Titel
vorgesehenen 28 Millionen Euro weiterhin Projekte im
Programm „Soziale Stadt“ durchgeführt werden können,
dass aber die anderen Mittel ganz klar für investive Maßnahmen verwendet werden.
({1})
Wir haben noch andere wichtige Bereiche, nämlich
die Städtebauförderung West und Ost. Das ist Ihnen bekannt; Sie kennen die entsprechenden Titel. Ich glaube,
das sind gerade aufgrund der demografischen Entwicklung wichtige Aufgaben, für die im Städteumbau viel
Geld benötigt wird. Im Stadtumbau ist aber auch etwas
von der sozialen Stadt enthalten. Denn wenn man eine
Stadt umbaut, dann spielt dabei selbstverständlich auch
das Thema „Soziale Stadt“ eine Rolle.
({2})
Der Kollege Hofreiter hat für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Sehr geehrter Herr Kollege Kalb, wir sind uns
grundsätzlich einig, dass in einem modernen Industrieland mit arbeitsteiliger Beschäftigung und einem hohen
Exportanteil die Verkehrsinfrastruktur von entscheidender und grundsätzlicher Bedeutung für den Wohlstand
dieses Landes ist. Umso unverständlicher ist das, was
Sie machen.
Was machen Sie, wenn sogar die Grünen 600 Millionen Euro mehr für den Straßenunterhalt ausgeben wollen, weil die Straßen, wie wir alle wissen, in einem
schlechten Zustand sind und Brückenbauwerke zum Teil
schon längst hätten saniert werden müssen? Sie lehnen
es ab. Sie lehnen es einfach ab und sagen: Dafür brauchen wir nichts; wir bauen lieber neu.
Was machen Sie stattdessen mit dem Geld? Stattdessen setzen Sie das Geld ein, um eine ganze Reihe von
Neubaumaßnahmen durchzuführen. Diese Neubaumaßnahmen haben aber nicht die richtige Wirkung; denn Sie
bauen vor allem Umgehungsstraßen in Bereichen ohne
volkswirtschaftliche Wirkung aus. Sie beseitigen nicht
die Engpässe und lassen das vorhandene Straßennetz
weiter verfallen. Das ist dem Wirtschaftsstandort gegenüber skandalös.
({0})
Was die Straßeninfrastruktur und die Gleisinfrastruktur bei den Neubauten angeht, haben Sie zugebenermaßen nicht das Geld bekommen, das Sie sich gewünscht
haben. Insofern will ich Sie nicht kritisieren. Noch keine
Regierung hat das erforderliche Geld zur Verfügung gestellt. Zwar gab es unter Rot-Grün mehr Geld für Investitionen; aber angesichts von Haushaltsnöten ist es eben
anders. Wenn ich aber so wenig Geld zur Verfügung
habe, dann muss ich mich doch fragen, ob ich dieses
Geld wirklich effizient einsetze. Setze ich das Geld mit
Rücksicht auf die Trends ein, die weltweit zu erwarten
sind? Berücksichtigen Sie in Ihren Ausbaumaßnahmen,
dass Rohöl endlich ist und teurer wird? Nein, das berücksichtigen Sie nicht. Wovon gehen die jüngsten Gutachten, auf die Sie Ihre Investitionsplanung und damit
die Ausgabe der Mittel beziehen, aus? Sie gehen von etwas ganz Ungewöhnlichem aus, nämlich davon, dass der
Rohölpreis bis zum Jahre 2030 konstant sinkt und wir
dann einen Rohölpreis von 60 Dollar haben.
Halten Sie es auf der Basis solcher Daten für glaubwürdig, dass dabei eine vernünftige Investitionsstrategie
herauskommt?
({1})
Gibt es irgendjemanden hier im Haus, der seriös ist und
glaubt, dass der Rohölpreis in den nächsten 20 Jahren regelmäßig sinken wird? Aufgrund einer solchen Planung
wollen Sie das Geld der Steuerzahler ausgeben. Ist das
seriös? Ist das sinnvoll?
Schauen wir uns an, was bei der Schiene passiert. Wir
haben schon festgestellt: Beim Haushalt gibt es große
Probleme. Die Bahn ist das zukunftsträchtigste Verkehrsmittel. Sie kommt problemlos ohne Rohöl voran,
nämlich mit Elektrizität, und ist CO2-arm. Was machen
Sie mit der Schiene? Die Schiene überlassen Sie komplett der Haushaltsfinanzierung. Es gibt das schöne
Schlagwort „Straße finanziert Straße“. Aber dabei ist
überhaupt nicht verstanden worden, dass die Lkw-Maut
keine reine Straßenbenutzungsgebühr ist, sondern dass
es sich dabei um eine Logistikabgabe handelt. Moderne
Logistik besteht nicht nur aus Straße, sondern aus einer
sinnvollen und ideologiefreien Kombination aus
Schiene, Straße, Wasserstraße und Seeschifffahrt, wo es
nötig ist. Das muss man zusammendenken. Auf den ersten Blick sieht es so aus, als ob die Mittel gleich blieben.
Aber es gibt ein Problem: Die Mautmittel fließen zuverlässig, während die Haushaltsmittel den Launen des
Finanzministers unterworfen sind. Das heißt, das zukunftsträchtigste Verkehrsmittel der Bundesrepublik unterwerfen Sie den Launen des Finanzministers,
({2})
während Sie für eine zuverlässige Finanzierung des Verkehrsmittels sorgen, das den höchsten Modal-Split-Anteil hat. Das ist überhaupt nicht zukunftsträchtig.
({3})
- Herr Kalb, Sie dürfen fragen.
({4})
Frau Präsidentin, Entschuldigung.
Sie gestatten also die Zwischenfrage. - Bitte schön.
Herr Kollege, darf ich Sie daran erinnern, dass bei der
Einführung der Lkw-Maut die fachpolitischen Sprecher
Ihrer Fraktion genauso wie die der SPD-Fraktion nach7998
haltig und immer wieder versprochen haben, dass die
Einnahmen aus der Lkw-Maut zusätzlich zur Finanzierung der Straßenverkehrsinfrastruktur verwendet werden
sollen?
({0})
- Aber erst in der Schlussrunde - Entschuldigung, wenn
ich gleich auf diese Zwischenrufe antworte - der Verhandlungen im Vermittlungsausschuss hat man sich dann
entsprechend § 11 Mautgesetz geeinigt. ({1})
Können Sie bestätigen, dass sich Ihre damaligen Sprecher so geäußert haben?
Ich kann Ihnen bestätigen, dass damals die rot-grüne
Bundesregierung und die Mehrheit im Parlament nach
längerer Diskussion zu der klugen Entscheidung gekommen sind, dass es sich um eine Logistikabgabe handelt,
und eine sehr intelligente Aufteilung - rund 50 Prozent
für die Straße, 38 Prozent für die Schiene und 12 Prozent
für die Wasserstraße - gefunden haben. Ich kann Ihnen
bestätigen, dass es darüber eine längere Debatte gegeben
hat und dass sich dann - weil damals sehr kluge Leute
am Werk waren - die Vernunft durchgesetzt hat. Diese
Vernunft schaffen Sie nun mit diesem Haushalt leider ab.
({0})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, kehren Sie zu einer
vernünftigen Verkehrspolitik zurück! Sagen Sie Ja zu
unseren Haushaltsgesetzgebungsvorschlägen! Sagen Sie
Ja zur Beseitigung der Engpässe sowohl bei der Straße
als auch bei der Schiene! Sagen Sie Ja zu einer zukunftsträchtigen Verkehrspolitik! Dann hat Deutschland wunderbare Chancen in diesem Bereich. Sagen Sie einfach
Ja zu den Grünen-Anträgen, und hören Sie auf, sich einer zukunftsträchtigen Verkehrspolitik zu verweigern!
Danke.
({1})
Das Wort hat der Bundesminister Peter Ramsauer.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Zunächst Anerkennung, Respekt und Dank an die Bundestagsverwaltung, dass sie sich in der Lage sah, den
korrekten Titel des Einzelplans 12 an die elektronische
Tafel zu schreiben. Lieber Herr Kahrs, Sie sehen: Ein
Machtwort von sozialdemokratischer Seite, unterstützt
durch den Bundesminister, hat im Parlament sofort Wirkung gezeigt.
({0})
Ich möchte aus gegebenem Anlass eine kurze Vorbemerkung zum Thema Sicherheit im Luftfrachtverkehr
machen. Ich glaube, dass wir es hier mit einem ausgesprochen sensiblen Bereich zu tun haben. Wir alle sind
auf einen funktionierenden und sicheren Luftfrachtbetrieb angewiesen. Deswegen sorgen wir für eine sichere
Lieferkette, für transparente und sichere Abläufe der
einzelnen Verkehrsschritte, beginnend beim Versender
über die Zwischenschritte bis zur Destination. Ich bedanke mich, dass es in den Endberatungen zum Haushalt
2011 gelungen ist, 450 neue Sicherheitsstellen bereitzustellen, um diese sichere Kette zu gewährleisten.
Ich möchte Ihnen auch mitteilen, dass unser Ministerium unmittelbar nach Bekanntwerden dieser Bedrohungen gehandelt hat. Wir haben eine intensive Suche nach
möglichen Schwachstellen begonnen und eine ganze
Reihe von konkreten, nicht angekündigten Kontrollen
bei den entsprechenden Firmen durchgeführt. Diese
Kontrollen werden selbstverständlich fortgesetzt. Wir
spüren alle möglichen Lücken auf und werden sie selbstverständlich schließen. Alle Unternehmen, die davon betroffen sind, müssen sich darüber im Klaren sein, dass
bei Sicherheitsverstößen strikte und unverzügliche Sanktionen verhängt werden. Das führt bis zum Ausschluss
vom Luftfrachtgeschäft. Wir haben in einer Reihe von
Fällen harte Konsequenzen gezogen. Wir haben einer
Reihe von Firmen den Status, den sie gehabt haben, beispielsweise den des bekannten Versenders oder des reglementierten Beauftragten, entzogen. Wir werden genauso hart weiterhin verfahren. Ich sage das hier
unmissverständlich und in aller Deutlichkeit.
Nun zum Haushalt. Klar war, dass die Haushaltsverhandlungen vor dem Hintergrund der Schuldenbremse
alles andere als leicht würden. Umso wichtiger ist mir
die Botschaft dieses Haushalts für das kommende Jahr,
dass wir weiterhin die richtigen Weichen für Zukunftsinvestitionen gestellt haben, vor allen Dingen im Bereich
des Baus und der Verkehrsinfrastruktur, der ganz zentralen Lebensadern unserer Volkswirtschaft. Ich möchte
mich bei allen bedanken, die konstruktiv an den Verhandlungen mitgewirkt haben: bei Bundesfinanzminister
Wolfgang Schäuble, seinem Ministerium und ausdrücklich bei den Berichterstattern aller Fraktionen. Ich muss
positiv hervorheben, dass über die Fraktionsgrenzen hinweg gleiche Ziele verfolgt werden.
({1})
Dass die Opposition nicht immer genug bekommt und
dass es ihr nicht immer schnell genug gehen kann, ist
ganz klar. Ich bin aber froh, dass Sie in wichtigen Zielrichtungen mit uns übereinstimmen.
Einige Stichpunkte, die teilweise schon genannt worden sind, möchte ich hervorheben. Ich glaube, wir haben
bei der Städtebauförderung insgesamt ein gutes Ergebnis
erzielt. Der Begriff der Städtebauförderung ist insofern
etwas irreführend, als die Förderung nicht nur die großen
Städte und Metropolen betrifft; vielmehr bekommen
Zigtausende kleiner Gemeinden durch die Förderung
ihre Strukturprobleme in den Griff. Sie können sich darauf verlassen, dass sich der Bund und die Länder ihrer
Verantwortung absolut bewusst sind. Einer der Vorredner sprach von einem Aufwuchs von 50 plus; richtig ist,
dass wir drei Viertel der gesamten Förderung erhalten
haben. 305 Millionen Euro im ursprünglichen Entwurf
plus 150 Millionen Euro ergeben insgesamt 455 Millionen Euro. Damit kann gut und vernünftig gearbeitet werden.
({2})
Gleiches gilt für die CO2-Gebäudesanierung. Wir
haben es im Haushaltsentwurf nicht bei der Quasihalbierung belassen. Nächstes Jahr sind aus Energie- und Klimafonds wieder 500 Millionen Euro mehr für dieses
Programm verfügbar. Auch hier gibt es genau die Verstetigung, die wir brauchen.
Nachdem der Transrapid angesprochen worden ist,
soll auch von meiner Seite noch etwas dazu gesagt werden. Bei der Regierungsübernahme vor 13 Monaten haben wir das Projekt Transrapid in einem Zustand der Kapitulation übernommen. Wir haben sofort die weiße
Fahne eingeholt und sind zu einer Marktoffensive übergegangen. Das Ganze sieht jetzt Gott sei Dank einigermaßen erfolgversprechend aus. Wir werfen die Flinte
nicht ins Korn. Ich bin auch dankbar dafür, dass für die
Versuchsanlage im Emsland jetzt eine klare Perspektive
besteht, wie sie die Kollegin Dr. Winterstein dargelegt
hat. Alle wissen jetzt, woran sie sind.
Noch ein Wort zu den Investitionen in die Verkehrsinfrastruktur. Ich mache keinen Hehl daraus, dass wir
hier Probleme haben. Wir müssen Investitionen in den
Neubau genauso wie in die Instandhaltung gewährleisten; denn wir können es uns nicht leisten, dass wir unsere Verkehrsinfrastruktur - das gilt für alle Infrastrukturarten; Straße genauso wie Schiene, ich sage dies
ausdrücklich, und Wasserstraße - auf Verschleiß fahren.
Ich nenne Ihnen einmal einige Zahlen, damit man
weiß, womit man es quantitativ zu tun hat: knapp 12 500
Kilometer Bundesautobahn, gut 40 000 Kilometer Bundesstraßen, über 38 000 Brücken an Bundesfernstraßen.
Das sind gewaltige Zahlen, die deutlich machen, wie
umfangreich der Instandhaltungsbedarf ist, ganz zu
schweigen von dem Zubau in dem Maße, wie wir ihn
trotz aller Intensivierungsmaßnahmen als wirtschafts-,
wachstums- und exportorientierte Nation brauchen. Es
ist eine gute Basis, dass wir für die kommenden vier
Jahre konstant Mittel in Höhe von 9,7 Milliarden Euro
für Verkehrsinfrastrukturinvestitionen festgeschrieben
haben. Das ist immerhin mehr als in den Jahren 2001 bis
2008. In diesen Jahren waren entsprechende Mittel in
Höhe von durchschnittlich 9,4 Milliarden Euro angesetzt. Die Konjunkturpaketmittel kamen immer hinzu.
Das Ganze kann sich also durchaus sehen lassen.
Unabhängig davon kommen wir nicht umhin, grundsätzlich festzustellen: Wir befinden uns in einem erheblichen Finanzierungsdilemma. Ich sage dies in aller
Klarheit und Offenheit. In der vergangenen Woche habe
ich die Ergebnisse der Überprüfung der Bedarfspläne für
Straße und Schiene vorgestellt. Dabei ist dieses Finanzierungsdilemma zutage getreten. Ich mache daraus
auch deshalb keinen Hehl, weil ich dies schlicht und einfach als Anlass nehme, in aller Offenheit darüber zu
sprechen und hier nichts zu verdecken. Ich stelle klipp
und klar fest: Seit Jahren ist absehbar, dass wir schlicht
nicht in der Lage sind, das Ideal-Soll - ich bezeichne
das bewusst so - all derjenigen Verkehrsprojekte umzusetzen, die im geltenden Bundesverkehrswegeplan als
volkswirtschaftlich sinnvoll eingestuft sind.
Diese Problematik ist allerdings nicht neu; sie ist nur
über viele Jahre nicht in der Klarheit herausgestellt worden, wie ich es jetzt tue. Bereits 1999 hat uns die unabhängige Pällmann-Kommission auf dieses Dilemma hingewiesen. Im September dieses Jahres haben alle
führenden Wirtschafts- und Verkehrsverbände in einem
gemeinsamen - ich betone: gemeinsamen - Appell neue
und dauerhaft verlässliche Finanzierungswege angemahnt. Ich sehe mich als verantwortlicher Bundesminister in der Pflicht, dies einmal in aller Deutlichkeit anzusprechen.
({3})
Das heißt: Wir müssen auch ganz offene Gespräche über
mögliche Wege führen, auch über Wege, die über die
herkömmliche Haushaltsfinanzierung hinausgehen.
({4})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, natürlich wäre noch
eine ganze Reihe weiterer Themen anzusprechen, für die
während der kurzen Redezeit eines Bundesministers
keine Zeit bleibt.
({5})
- Sie können gerne einen Antrag auf Verlängerung stellen.
Es gibt auch viele Dinge, die nicht viel Geld kosten.
Ich freue mich beispielsweise, dass die Opposition unserem Gesetzentwurf zum begleiteten Fahren ab 17 Jahre
zugestimmt hat. Dies zeigt, dass vernünftige Politik auch
die Zustimmung der Opposition finden kann.
({6})
Wir begreifen jedenfalls Verkehrspolitik in einem umfassendem Sinne gemäß dem Motto, das ich meiner Zeit
als Minister gegeben habe: Mobilität ermöglichen, statt
zu verhindern.
Vielen herzlichen Dank.
({7})
Nächster Redner ist der Kollege Florian Pronold. Nein, zunächst hat Frau Hagedorn das Wort zu einer
Kurzintervention.
Herr Minister, ich möchte Ihnen gerne eine Frage
stellen - nicht nur um Ihre Redezeit zu verlängern, sondern vor allen Dingen deshalb, weil Sie es in Ihren Ausführungen leider versäumt haben, auf die sehr konkrete
Ansprache meines Kollegen Johannes Kahrs einzugehen. Dabei geht es um die Lotsenboote. Die Kieler
Nachrichten haben vor vier Tagen getitelt: „Zu viel gespart: Kein Geld mehr für Lotsenboote“. Nun könnte ja
jemand glauben, da sollten Boote angeschafft werden.
Das ist allerdings nicht das Problem. Ich rede vom NordOstsee-Kanal. Das ist die meistbefahrene Wasserstraße
der Welt. Sie ist von enormer wirtschaftlicher Bedeutung
für uns, nicht nur für Norddeutschland. Dort arbeiten
beim Lotsenbetriebsverein 220 Mitarbeiter. Die haben
nur noch über das letzte Wochenende Geld zur Verfügung gehabt, weil in Ihrem Etat für 2010 statt
31 Millionen Euro nur noch 19 Millionen Euro zur Verfügung gestanden haben und weil ganz offensichtlich
niemand in Ihrem Haus und auch nicht in der Koalition
rechtzeitig auf den Gedanken gekommen ist, dass sie
ihre wichtige Arbeit nicht mehr tun können, wenn der
Topf leer ist.
Wenn noch nicht einmal mehr der Sprit da ist, damit
die Schiffe überhaupt ablegen können, dann ist Gefahr
im Verzug. Es ist eigentlich bedauerlich, dass Sie dazu
bisher noch nichts gesagt haben; aber ich finde es doch
wichtig, dass Sie jetzt noch mal Gelegenheit dazu haben.
({0})
Herr Minister, wollen Sie antworten? - Ja.
Frau Präsidentin, die Antwort fällt kürzer aus als die
Frage.
({0})
Frau Kollegin Hagedorn, der angesprochene Titel für
den Betrieb und die Unterhaltung von Lotseneinrichtungen ist weder im Jahr 2010 noch für den Haushalt 2011
gekürzt worden. Deshalb sind die in dem besagten Artikel genannten Zahlen auch für mein Haus nicht nachvollziehbar. Unstreitig ist allerdings, dass die Mittel für
Ausgaben in diesem Jahr möglicherweise nicht ausreichen werden. Die kritische Situation ist entstanden, weil
gegenseitige Deckungsmöglichkeiten nicht mehr gewährt werden konnten. Ich lade alle Mitglieder des
Haushaltsausschusses - und mithin auch Sie - dazu ein,
diese Flexibilitäten gegebenenfalls neu zu schaffen.
Nun hat der Kollege Florian Pronold für die SPDFraktion das Wort.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen!
Liebe Kollegen! Sehr geehrter Minister Ramsauer! Dem
letzten Satz Ihrer Rede kann ich zustimmen. Wenn hier
vonseiten der Regierung vernünftige Politik gemacht
wird, stimmt auch die Opposition zu - aber nur, wenn
vernünftige Politik gemacht wird.
({0})
Das, was Sie im Bereich Städtebauförderung und „Soziale Stadt“ machen, ist unvernünftig. Das haben Ihnen
alle Länderbauminister in einem einstimmigen Beschluss der Länderbauministerkonferenz dokumentiert.
Sie haben gefordert, dass die Städtebauförderung auf
demselben Niveau fortgeführt wird.
({1})
Jetzt lassen Sie uns in der Haushaltsdebatte einmal
nicht so sehr über Zahlen reden, sondern vielmehr über
Menschen. Ich habe mir im Sommer dieses Jahres, Frau
Kollegin Winterstein, einmal die Mühe gemacht, eine
ganze Reihe von Projekten aus dem Programm
„Soziale Stadt“ vor Ort zu besuchen und zu schauen,
wofür das Geld dort ausgegeben wird und was dort für
die Menschen gemacht wird.
Ich war zum Beispiel in Weiden. Dort gibt es ein Projekt, durch das ein Glasscherbenviertel, wie man bei uns
sagt, in die Stadtgesellschaft zurückgeholt worden ist.
Dort wurde nicht nur die wohnliche Situation verbessert,
sondern man ist auch auf den Gedanken gekommen,
dass Leute, die sich mit einer Adresse aus diesem Viertel
bei Firmen bewerben, nicht eingeladen werden, weil das
Viertel so verrufen war, dass die Firmen die Bewerbungen sofort zurückgeschickt haben. Eine Maßnahme war
also, auch mit den Firmen zu sprechen. Das führte dazu,
dass die Jugendarbeitslosigkeit in diesem Viertel ganz
massiv zurückgegangen ist.
In Dingolfing, in meinem Wahlkreis, hat das Programm „Soziale Stadt“ bewirkt, dass nicht mehr 60 Prozent der Schüler aus der Projektgegend einen Hauptschulabschluss machen, sondern mittlerweile 60 Prozent
einen Realschulabschluss. All das gelang, weil man sich
konkret um die Menschen kümmerte, weil man mit diesem Programm nicht nur in Beton, sondern auch in das
soziale Zusammenleben investiert hat.
({2})
Das ist das Entscheidende beim Programm „Soziale
Stadt“. Genau hier setzen Sie aus ideologischen Gründen
den Rotstift an.
({3})
Herr Minister, ich hätte mir gewünscht, dass Sie heute
ein paar Ausführungen zu den Ankündigungen gemacht
hätten, die Sie in den letzten Monaten hier in diesem Hohen Hause immer wieder getätigt haben, die sich allerdings in Ihrem Haushalt nicht widerspiegeln oder sogar
in eine ganz andere Richtung gehen, als Sie hier angekündigt hatten.
Ich erinnere mich noch an den Streit darüber, was
man noch alles für den ländlichen Raum tun könne. Sie
haben mit Frau Aigner darüber gestritten, wer das beste
Programm auflegt. Was stellen wir nun fest? Erstens.
Das Programm ist viel kleiner ausgefallen. Zweitens.
Durch die Kürzung der Mittel für die Städtebauförderung, die zu 40 Prozent in den ländlichen Raum fließen,
gibt es jetzt weniger Geld für die ländlichen Räume als
vorher. Warum haben Sie dazu nichts gesagt? Sie haben
etwas angekündigt; das Gegenteil ist passiert.
({4})
In einer Ihrer ersten Reden als Minister sagten Sie
hier, der gesamte zusätzliche Güterverkehr solle auf die
Schiene. Es steht infrage, ob das überhaupt ginge. Nachher sollten noch 50 Prozent des zusätzlichen Güterverkehrs auf die Schiene. Was machen Sie jetzt? Sie weichen vom Masterplan Güterverkehr und Logistik der
rot-grünen Bundesregierung ab und machen einen Aktionsplan, der im Ergebnis nichts anderes als einen Kniefall vor der Lkw-Lobby darstellt.
({5})
Gigaliner sind Ihre Antwort auf die Herausforderungen
der Verkehrspolitik der Zukunft. Also Ankündigungen,
aber nichts dahinter.
Verkehrsträgereigene Finanzierungskreisläufe lautet das neue tolle Schlagwort, das hier immer wieder herangezogen wird. Was passiert tatsächlich? Die ökologisch sinnvolle Binnenschifffahrt wird gefährdet. Es ist
unklar, was zukünftig im Bereich Bahn passiert. Besonders spannend wird es aus meiner Sicht, nachdem nun
klar ist - das haben Sie ja zu Recht beklagt -, dass der
Bundesverkehrswegeplan unterfinanziert ist. Schauen
wir uns einmal an, welche Gegenfinanzierungen für den
Gesamthaushalt vorgenommen werden: Die Deutsche
Bahn soll jedes Jahr 500 Millionen Euro abführen. Über
die Luftverkehrsabgabe sollen weitere Hunderte von
Millionen Euro für den Gesamthaushalt herangezogen
werden, die aus dem Bereich Verkehr kommen. Fließen
die nun in zusätzliche Infrastrukturprojekte? Nein, Sie
verwenden sie dafür, um Haushaltslöcher zu stopfen.
Die Bahnabgabe in Höhe von 500 Millionen Euro
entspricht übrigens der Hälfte des Betrages, den Sie den
Hoteliers geschenkt haben.
({6})
1 Milliarde Euro schenken Sie den Hoteliers, 500 Millionen Euro entziehen der Bahn. Das bedeutet weniger Investitionen in die Schiene. Das bedeutet zum Beispiel,
dass kaum noch Bahnhöfe barrierefrei ausgebaut werden, obwohl dies für die Menschen ganz dringend nötig
wäre.
({7})
- Es wäre schön, wenn wir diese Milliarde einmal für
sinnvolle Projekte ausgeben würden, anstatt sie zu verschwenden, liebe Kolleginnen und Kollegen von der
FDP.
Herr Kollege Pronold, der Kollege Meierhofer würde
gerne eine Zwischenfrage stellen.
Gerne. Ich war eh schon in Sorge wegen meiner Redezeit.
Ihre Redezeit verlängere ich an dieser Stelle gerne,
weil ich jetzt zum hundertsten Mal das Thema Hoteliers
gehört habe. Sie haben vorhin selbst gesagt, wie wichtig
die Binnenschifffahrt ist. Wir haben zufälligerweise entdeckt, dass die schwarz-rote Koalition nicht nur für die
Seilbahnen, sondern auch für die Flusskreuzfahrtschiffe
einen ermäßigten Mehrwertsteuersatz in Höhe von
7 Prozent eingeführt hat. Ist Ihnen das bekannt? Glauben
Sie, dass die Nutzer von Campingplätzen und die Gäste
beispielsweise von Pensionen viel wohlhabender sind als
die Passagiere von Flusskreuzfahrtschiffen? Aus welchem Grund haben Sie also in der Großen Koalition für
diesen Bereich den Mehrwertsteuersatz von 19 auf
7 Prozent gesenkt?
({0})
Wir hatten das Beispiel der Bergbahnen schon angesprochen. Wenn ich mich richtig erinnere, war das ein
Abschiedsgeschenk an Herrn Stoiber.
({0})
Ich bin sehr froh, dass Sie dieses Beispiel anführen,
weil ich als Finanzpolitiker damals sehr klar die Position
vertreten habe, dass die Absenkung der Mehrwertsteuer
bei den Verbrauchern im Regelfall nicht ankommt. Das
gilt auch für die Hotelübernachtungen. Schauen Sie doch
einmal genau hin! Sind die Übernachtungen günstiger
geworden? Die Ermäßigung ist bei den Leuten nicht angekommen, sondern das Geld ist in die Taschen der Hoteliers gewandert. Es ist nicht einmal sicher, ob sich daraus mehr Investitionen ergeben.
({1})
Letzter Punkt. Ich erinnere mich an die großen Ankündigungen für den Bereich Elektromobilität. Aber
sie beinhalteten nichts Neues im Vergleich zu dem, was
unter einem sozialdemokratischen Verkehrsminister aufgeschrieben worden ist. Sie streiten sich nur darum, wer
für diesen Bereich zuständig ist. Es ist nicht der Verkehrsminister, der die Federführung hat. Die Kanzlerin
traut ihm das offensichtlich nicht zu. Das Elektroauto,
das die weiteste Distanz von allen zurückgelegt hat, ist
sozusagen nicht auf den Hof des Verkehrsministeriums,
sondern des Wirtschaftsministeriums gefahren. Es ist ein
Armutszeugnis für den Verkehrsminister, dass bei diesem Zukunftsthema offensichtlich niemand auf ihn vertraut.
Wenn man die heiße Luft, die hinter den Ankündigungen des Herrn Ramsauer steckt, in Energie umwandeln
könnte, dann hätten wir den Ausstieg aus der Atomenergie sofort möglich machen können.
Herzlichen Dank.
({2})
Nächster Redner ist der Kollege Sebastian Körber für
die FDP.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Heiße Luft haben wir vom Kollegen Pronold genug gehört. Deshalb werde ich mich zum Haushalt äußern.
Die Koalition stellt heute die Weichen für eine innovative und erfolgreiche Bau-, Verkehrs- und Stadtentwicklungspolitik 2011, was insbesondere den Menschen,
lieber Herr Kollege Pronold, zugutekommt.
({0})
Der Einzelplan 12 ist eine gute Grundlage für Zukunftsinvestitionen in unserem Land.
Zuerst zu Ihnen von der Opposition und zu dem, was
Ihre Redner heute im Rahmen einer Märchenstunde und
Wunschzettelpolitik schon alles geboten haben. Eines ist
klar: Wären Sie heute an unserer Stelle, dann würden Sie
angesichts der wirtschaftlichen Rahmendaten, mit denen
wir es zu tun haben, Lobgesänge anstimmen.
({1})
- Dazu werde ich Ihnen gleich noch etwas sagen, Herr
Kollege Pronold. Dann können Sie vielleicht noch etwas
lernen.
Es mag manchen überrascht oder geärgert haben, je
nachdem, auf welcher Seite er steht. Man hätte vielleicht
auch denken können, es waren die Grünen, aber nein: Es
war die schwarz-gelbe Koalition, die mit einem Energiekonzept zum ersten Mal eine Vision
({2})
für eine zuverlässige, wirtschaftliche und umweltverträgliche Energieversorgung vorgelegt hat.
({3})
Damit verbindet sich übrigens zum ersten Mal eine Gesamtstrategie, die ein hohes Maß an Versorgungssicherheit an einen wirksamen Klima- und Umweltschutz koppelt.
({4})
Dieses Konzept misst dem Gebäudebestand zu Recht
eine große Bedeutung zu. Hier liegt ein beachtliches
CO2-Einsparpotenzial.
Die Modernisierungsoffensive für Gebäude ist
Dreh- und Angelpunkt des Energiekonzepts, Herr Kollege Hofreiter; an dieser Tatsache kommen Sie nicht vorbei. Für Neubauten einerseits haben wir uns vorgenommen, dass mit der Novelle zur Energieeinsparverordnung
2012 das Niveau klimaneutraler Gebäude ab 2020 eingeführt wird.
({5})
Für den Gebäudebestand andererseits ist ein langfristiger, stufenweiser Sanierungsplan bis 2050 vorgesehen,
der auf Freiwilligkeit angelegt ist.
({6})
Unsere zentrale Botschaft ist: Wir wollen Anreize setzen, aber keine Zwangssanierungen anordnen, wie es Ihnen lieber gewesen wäre. Sie bevormunden halt ganz
gerne. Das ist aber nicht in unserem Sinne.
({7})
Genau deshalb wird das erfolgreiche CO2-Gebäudesanierungsprogramm für die Menschen fortgeführt,
Herr Kollege Pronold. 2011 stehen nämlich nicht nur die
Haushaltsmittel in Höhe von 436 Millionen Euro, sondern auch zusätzliche 500 Millionen Euro aus einem
neuen, extra aufgelegten Fonds, aus dem Sondervermögen für Energie und Klima zur Verfügung.
({8})
- Ich würde kommen, Herr Pronold. Dann können wir
uns in einigen Jahren gemeinsam darüber freuen. - Ziel
ist es, die Förderung von Energieeffizienzmaßnahmen
im Wohngebäudebereich auch nach 2011 zu verstetigen.
Es war Ihr sozialdemokratischer Minister Herr
Tiefensee, der dieses Programm aufgelegt hat.
({9})
- Da stimme ich Ihnen zu, Herr Kahrs. - Jetzt geht es
aber darum, dass die Förderung verstetigt wird. Wenn
Sie es anschauen, stellen Sie fest: 4,5 Milliarden Euro
hatte Ihr SPD-Minister hineingegeben. Wir haben jetzt
für dieses Haushaltsjahr noch einmal 500 Millionen
Euro draufgelegt. Das wird jetzt verstetigt, und das ist
auch gut so.
({10})
Zur Städtebauförderung wurde schon einiges gesagt.
Ich finde Ihre despektierlichen Äußerungen zum Thema
Glasscherbenviertel sehr bedenklich. Wir haben es gehört: Es stehen gegenüber dem Regierungsentwurf
150 Millionen Euro mehr zur Verfügung. Genau das ist
für Ihre Oberbürgermeister und Bürgermeister gut. Das
ist auch für die Städte und Kommunen sehr gut, weil sie
ein Stück weit entlastet werden. Übrigens werden alle
Programme, die bereits aufgelegt worden sind, weiterlaufen. Diesbezüglich müssen Sie, denke ich, auch keine
Panik erzeugen.
Ich will Ihnen noch etwas zum Thema „Soziale Stadt“
mit auf den Weg geben. Wir werden weiterhin Investitionen in Plätze, in neue Ortsteilzentren und in viele andere
Bereiche tätigen.
Herr Kollege Körber, die Kollegin Herlitzius möchte
gern eine Zwischenfrage stellen.
Ich würde gern fortfahren, Frau Präsidentin. - Es ist
ganz besonders wichtig, dass diese Programme weiterlaufen. Wir werden aus Haushaltskonsolidierungsgründen jedoch keine Maßnahmen, die eher bei der
Kommune anzusiedeln sind, die irgendwelche Zusatzaktivitäten vor Ort betreffen, weiter unterstützen, und
zwar auch aus der festen Überzeugung, dass das viel
besser bei der Kommune angelegt ist, weil es dort viel
besser evaluiert und überprüft werden kann.
({0})
Ich will noch eines sagen, was vielleicht auch dieser
Bundesregierung zu verdanken ist: Aufgrund der guten
Wirtschaftsentwicklung, die wir zu verzeichnen haben,
können wir die Menschen wieder in Arbeit versetzen,
und das ist insgesamt die beste soziale Stadt, die ich mir
vorstellen kann.
({1})
Auch Mobilität und Infrastruktur gehören zu den
wichtigen Standortfaktoren in Deutschland. Mindestens
seit Stuttgart 21 und seit diesem Wochenende, seit Ihrem
Parteitag, liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, sind Sie ja die offizielle Dagegen-Partei. Sie sind
gegen Bahnhöfe, Sie sind gegen Schienen- und Straßenprojekte, gegen Flughäfen. Sie sind auch gegen die Autofahrer.
({2})
Ich habe auch zur Kenntnis genommen, dass Sie in Städten City-Maut und das Tempolimit 30 einführen wollen,
und jetzt sind Sie auch noch bei uns in Bayern, Herr
Hofreiter - was ich, was Sie betrifft, besonders bedauerlich finde -, gegen die Olympischen Winterspiele.
({3})
Sie fordern mehr Geld für das Gebäudesanierungsprogramm, sagen aber gleichzeitig Nein dazu, dass die
Kosten der Sanierung auf die Mieten umgelegt werden
können. Überlegen Sie einmal, wo man die Kosten überhaupt noch umlegen kann. Das regelt der Mietmarkt
doch bereits von selbst.
Die Zukunft unseres Landes beginnt gerade bei der
Infrastruktur, und die kann eben nicht, Herr Hofreiter,
mit „dagegen!“ beantwortet werden. Die von Ihrem Parteitag verabschiedeten Anträge sind wirklich eine Liste
der Grausamkeiten. Schauen wir uns das Ganze einmal
an: Sie wollen eine verpflichtende Zwischennutzung von
leerstehendem Wohnraum. Das kommt faktisch einer
Enteignung gleich.
({4})
- Ich bin beim Haushalt, Herr Pronold. - Besonders
dreist ist, dass Sie behaupten, die Stromnetze für erneuerbare Energien ausbauen zu wollen. Sie sind doch die
Ersten, die mit Ihren Ortsvereinen gegen den Strommast
vor Ort demonstrieren werden.
({5})
Ich komme zum Schluss, Frau Präsidentin. Union und
FDP wollen hier Zukunft schaffen. Sie von den Grünen
jedoch möchten alles, was wir für die Zukunft aufzeigen,
„schottern“, und das ist der elementare Unterschied zwischen uns. Deshalb stimmen die FDP-Fraktion und ich
für diesen sehr guten Haushalt.
Vielen Dank.
({6})
Zu einer Kurzintervention hat die Kollegin Herlitzius
das Wort.
Herr Körber, Sie sind vom Fach. Deswegen möchte
ich Ihnen eine Frage stellen. Es gibt eine Reihe von Evaluationen des Ministeriums von Herrn Ramsauer, die
sich mit dem Programm „Die soziale Stadt“ beschäftigen. In all diesen Berichten steht, dass dieses Programm
nur funktioniert, weil nichtinvestive Mittel dabei sind:
({0})
Gerade die Kombination aus nichtinvestiven Mitteln und
investiven Mitteln führt zu dem enormen Erfolg. Das ist
nicht falsch; das ist sehr richtig.
Hinzu kommt: Auch bei den EU-Initiativen - Urban
und weitere - kommt es auf genau diese Kombination
an. Das heißt, Sie gefährden mit der Kürzung der
nichtinvestiven Mittel des Programms „Die soziale
Stadt“ sogar die Kofinanzierung mit den vorhandenen,
bisher genehmigten Mitteln aus Gemeinschaftsinitiativen der EU, mit denen der Eigenanteil der Kommunen
quasi gedeckt wird.
Das heißt, Sie ignorieren nicht nur völlig, wie wichtig
die nichtinvestiven Mittel sind, sondern Sie machen damit auch zukunftsweisende Maßnahmen kaputt. Warum
ignorieren Sie an dieser Stelle das Fachwissen des
Ministeriums?
Herr Kollege Körber, bitte.
({0})
Sie gehören zur Dagegen-Partei; das haben wir breit
genug erörtert. - Frau Herlitzius, ich kann Ihnen gerne
noch etwas zum Programm „Die soziale Stadt“ mit auf
den Weg geben. Ich kann mich an dieser Stelle nur wiederholen; denn alles Fachliche und Richtige wurde
schon ausgetauscht.
({0})
Das Programm „Die soziale Stadt“ wird weiterhin fortgesetzt. Wenn ich mir den Haushalt anschaue, dann sehe
ich, dass dafür noch Mittel eingestellt sind. Jede Kommune, jedes Land - das hat übrigens gar nichts mit EUMitteln zu tun - kann weiterhin die nichtinvestiven Maßnahmen kofinanzieren und sogar noch mehr Geld dafür
bereitstellen.
({1})
Ich bin fest davon überzeugt - das traue ich den Kommunen zu -, dass sie sehr gut selber entscheiden können,
welche Maßnahmen vor Ort sie brauchen.
Die Bundesregierung gibt den Kommunen mit diesem
Haushalt nach wie vor die Möglichkeit, die investiven
Maßnahmen, die sie brauchen, in Angriff zu nehmen;
({2})
sie machen die Masse des benötigten Geldes aus. Ich
denke, als Architektin wissen Sie, wie die Kosten bei einer Stadtteilsanierung, bei der Neugestaltung eines Platzes verteilt sind. Wir können doch nicht die laufenden
Kosten mit den Mitteln des Haushalts für Verkehr, Bau
und Stadtentwicklung decken. Ich denke, das ist nicht
möglich.
({3})
Das Wort hat nun die Kollegin Sabine Leidig für die
Fraktion Die Linke.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen
und Kollegen! Ein Verkehrshaushalt besteht zum allergrößten Teil aus Investitionen in die Zukunft. In diesem Jahr und auch in den nächsten Jahren werden fast
10 Milliarden Euro für Straßen, Schienen und Wasserwege investiert. Damit könnte die Infrastruktur in unserer Gesellschaft gestaltet, vor allen Dingen umgestaltet
werden. Das wäre dringend nötig; denn wahrscheinlich
haben wir den Peak Oil, also die größtmögliche Fördermenge von Erdöl - Toni Hofreiter hat vorhin darüber gesprochen -, bereits überschritten. Das bedeutet, dass das
Öl in den nächsten 10 bis 20 Jahren langsam zur Neige
geht und dass Benzin wesentlich teurer wird.
({0})
Die Abteilung Zukunftsanalyse des Zentrums für
Transformation der Bundeswehr hat sich in einer Studie
sehr intensiv mit den daraus resultierenden Gefahren für
die Industrienationen und ihren Handlungsmöglichkeiten beschäftigt. Sie lässt keinen Zweifel daran, dass vor
allem eine frühzeitige Umstellung der Wirtschaft und
des Transportwesens nötig ist, um einen krisenhaften
Zusammenbruch zu verhindern.
Die Verkehrspolitik dieser Bundesregierung trägt aber
wahrlich überhaupt nicht zu einem solchen Umbau bei.
Im Gegenteil: Sie betonen immer wieder, dass der Verkehr in allen Bereichen wachsen wird und - das haben
wir heute wieder gehört - Sie dieses Wachstum wollen.
({1})
Herr Döring hat sogar behauptet, dass die Vermeidung
von Verkehr eine Verelendungsstrategie sei.
({2})
Dabei ist das Gegenteil der Fall: Je mehr unsere Wirtschaft und unser Leben am Öltropf hängen, desto
schlimmer wird die Krise sein, wenn dieser Saft knapp
und teuer wird. Je mehr Milliarden in den Bau von Straßen gesteckt werden, desto weniger Geld steht zur Verfügung, um Alternativen zu finanzieren. Man müsste
sofort aufhören, noch mehr sechs- und achtspurige Autobahnen zu bauen, und stattdessen einen Ausbauplan für
Schienenwege umsetzen.
({3})
Dabei darf es nicht nur um den Weg von den Seehäfen
ins Hinterland gehen, sondern es muss auch um den Weg
von den Fabriken zu den Verbrauchern gehen. Man muss
nicht noch mehr Lebensmittel und Industrieprodukte
durch die halbe Welt transportieren, sondern man muss
kluge Konzepte für regionale Produktionsnetzwerke entwickeln, damit die Wirtschaft auch dann noch funktioniert, wenn der Transport kaum noch bezahlbar ist.
({4})
Man muss auch das Zufußgehen und das Fahrradfahren fördern. Das kommt bei Ihnen überhaupt nicht vor.
({5})
Man muss öffentliche Bahnen und Elektrobussysteme
weiterentwickeln, damit die Leute auch dann zum Arbeitsplatz, zur Uni oder ins Kino kommen, wenn sie sich
kein Auto mehr leisten können. Wir brauchen eine wirklich neue Orientierung, weg vom Öl, damit das große
Elend verhindert wird.
Ich möchte noch einen Punkt ansprechen, bei dem
eine Menge Geld viel sinnvoller investiert werden muss.
Das ist Stuttgart 21, also der geplante Tunnelbahnhof
und die dazugehörige Neubaustrecke Wendlingen-Ulm.
Völlig klar ist, dass viele Bahnhöfe in dieser Republik
dringend eine Erneuerungskur brauchen, auch der Kopfbahnhof in Stuttgart. Völlig klar ist auch, dass das Schienennetz der Deutschen Bahn weiterentwickelt werden
muss. Dazu hat das Umweltbundesamt eine Menge konkrete Maßnahmen vorgeschlagen. Stuttgart 21 ist nicht
dabei. Der Eisenbahninfrastrukturbeirat und die Deutsche Bahn AG selbst haben ein Wachstumsprogramm
mit den dringendsten Maßnahmen der nächsten Jahre
vorgestellt. Stuttgart 21 gehört nicht dazu.
Das ganze Projekt nützt nicht der Eisenbahn, sondern
schadet ihr eher, weil die Mittel für wirklich wichtige
Maßnahmen fehlen. Der Nutzen der Neubaustrecke liegt
nach neuesten Berechnungen nur knapp über den Kosten. Er liegt nur deshalb knapp über den Kosten, weil mit
völlig unrealistischen Preisen gerechnet worden ist. Der
Bundesrechnungshof hat der Finanzierungsvereinbarung
nicht zugestimmt. Das Eisenbahn-Bundesamt hat in
finanzieller Hinsicht keine Baufreigabe erteilt.
Wir fordern Sie also auf: Verzichten Sie auf dieses
Projekt. Streichen Sie es aus dem Haushalt. Stoppen Sie
diese Verschwendung von Steuergeldern.
({6})
Folgen Sie der volkswirtschaftlichen Vernunft und dem
Willen der Bevölkerung. Fangen Sie endlich an, eine
nachhaltige und zukunftsfähige Verkehrspolitik auf den
Weg zu bringen.
({7})
Nächste Rednerin ist die Kollegin Daniela Wagner für
die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Verehrte Damen und Herren! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Der Haushaltsentwurf beinhaltet eine Zurücknahme der Mittel für die Städtebauförderung um insgesamt immerhin etwa 25 Prozent.
Seit den Haushaltsberatungen ist klar, dass die Bundesregierung bei der Städtebauförderung im Bereich des
Programms „Soziale Stadt“ nur noch auf investive Maßnahmen setzt. Außerdem wurde das Programm im Vergleich zu anderen Programmen der Städtebauförderung
gezielt benachteiligt. Ich habe langsam das Gefühl, dass
Ihnen dieses Programm wirklich ein Dorn im Auge ist.
({0})
Dafür kann es nur zwei Gründe geben: Entweder haben Sie es wirklich nicht verstanden, oder es liegt daran,
dass es aus der Ära von Rot-Grün stammt, vielleicht
auch beides. Jetzt kann man nicht einmal mehr die Mittel
zugunsten des Programms „Soziale Stadt“ umverteilen.
Sie haben mit den Kürzungen dafür gesorgt, dass dieses
Programm im Rahmen der Städtebauförderung das
kleinste Programm ist. Das eigentliche Drama ist aber,
dass der innovative Ansatz dieses Programms, die demokratische Partizipation der Bürger an der Gestaltung ihres Quartiers, fast vollständig verschwunden ist.
({1})
Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Kalb?
Ja, klar.
Bitte.
Frau Kollegin, weil Sie hier noch einmal die mangelhafte Deckungsfähigkeit kritisieren, darf ich den Versuch unternehmen,
({0})
den wir schon einmal einige Male unternommen haben
- schon im Blick auf den Kollegen Kahrs -, Ihnen zu erklären, dass die nicht vorhandene Deckungsfähigkeit innerhalb des Titels in den Erläuterungen zum Haushalt
nicht bedeutet, dass die Mittel für das Programm „Soziale Stadt“ nicht mit anderen Mitteln aus dem ESF, aus
anderen Sozialtöpfen usw. kombiniert werden können.
({1})
- Doch. Wir legen Wert darauf, dass es so ist. Deswegen
stellen wir diesen Rahmen zur Verfügung, damit diese
Mittel über das Programm „Soziale Stadt“ fließen können.
({2})
Okay. - Sie haben jedenfalls erfolgreich dafür gesorgt,
dass alle nicht verausgabten Mittel für Programmlinien
nicht dort verwendet werden können, und das, obwohl Sie
die Mittel abgesenkt haben. Dabei ist doch unverkennbar,
dass es heute mehr denn je darauf ankommt, Menschen
mitzunehmen, dass es darauf ankommt, nicht nur das
Quartiersmanagement zu erhalten, sondern auch die
Maßnahmen, die das Quartiersmanagement initiiert.
Dazu seien ein paar Beispiele genannt: Verbesserung von
Bildungsabschlüssen bei Menschen mit Migrationshintergrund, Erwerb der deutschen Sprache, Betreuung von
Jugendlichen aus problematischen Familien. Sie sagen
doch immer, dass es Integrationsverweigerer gibt, und Sie
beklagen den mangelnden Integrationswillen. Hier hatten
wir ein Programm, das die Menschen abgeholt hat, das ihnen eine Brücke zur Integration gebaut hat. Genau diese
Mittel streichen Sie nun.
({0})
Wenn im nächsten Jahr keine Maßnahmen mehr stattfinden, werden Sie sagen: „Was brauchen wir noch
Quartiersmanager?“, und dann werden die auch noch abgeschafft. Dann ist es ein reines Dorferneuerungsprogramm, mit dem Plätze neu gepflastert werden. Aber das
war ausdrücklich nicht die Zielsetzung dieses Programms. Das heißt, es müssen jetzt die Länder oder die
Kommunen einspringen.
({1})
Die Kommunen und die Länder werden diesen Anteil an
dem Programm nicht übernehmen können.
({2})
Denn die Situation der Kommunen ist ja so, wie sie ist.
({3})
- Sie werden sehen, was passieren wird. Das werden diejenigen Kommunen tun, die es aufgrund ihrer Bevölkerungsstruktur überhaupt nicht nötig haben, so etwas zu
machen. Andere, bei denen es besonders nötig ist, werden die Mittel nicht aufbringen, und wenn es sich um
eine freiwillige Leistung handelt, wird kein Regierungspräsident ihnen eine Mittelaufnahme dafür gestatten.
({4})
Ich empfinde das, was Sie da machen, als absoluten Zynismus, als Zynismus in Reinkultur. Sie können auch
nirgendwo in dieser Haushaltsdebatte erklären, wie Sie
die sozialräumliche Integration in Problemquartieren
künftig gewährleisten wollen. Oder wollen Sie in den
betreffenden Stadtteilen französische Verhältnisse?
({5})
Lassen Sie mich noch ein Wort zur CO2-Gebäudesanierung sagen. Sie haben uns bis heute nicht erklärt, wie
Sie mit einer Halbierung der Fördermittel die Verdoppelung der Geschwindigkeit bei der energetischen Gebäudesanierung bewirken wollen.
({6})
Das wird das ewige Geheimnis des Dr. Peter Ramsauer
bleiben. Dabei steht die energetische Gebäudesanierung
in unmittelbarem Zusammenhang mit der Streichung der
Heizkostenkomponente beim Wohngeld. Denn je langsamer die Gebäude saniert werden, desto mehr werden die
steigenden Energiepreise die Haushalte treffen, die sich
das nicht leisten können. Sie werden - das prophezeie
ich Ihnen heute schon von dieser Stelle aus - entweder
die Heizkostenkomponente beim Wohngeld wieder einführen müssen, oder das Ganze fällt den Kommunen auf
die Füße, die dann noch mehr Kosten der Unterkunft buckeln müssen. Das kann es nicht sein. Das ist eine unfaire Sanierung des Bundeshaushalts zulasten derjenigen, die sich am allerwenigsten wehren können, nämlich
der Menschen, denen es in unserem Land nicht gut geht,
und vor allen Dingen auch unserer Kommunen, denen es
schon dreimal nicht mehr gut geht.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
({7})
Der Kollege Dirk Fischer ist nun der nächste Redner
für die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Das, was wir heute debattieren, ist das Ergebnis eines gewaltigen parlamentarischen Kraftaktes.
({0})
Die prekäre Haushaltslage und die im Grundgesetz neu
verankerte Schuldenbremse verpflichten uns dazu.
Zur Bewältigung der Bankenkrise waren das Gegensteuern einerseits und deutliche Impulse für Wachstum
und Beschäftigung andererseits notwendig. Das ist, wie
wir wissen, Keynes Teil A.
({1})
Die Erfolge können sich sehen lassen: Bankensystem gerettet, Firmen vor Insolvenz bewahrt, Arbeitsplätze gesichert und geschaffen, Sozialversicherung stabilisiert und
internationale Verantwortung überzeugend wahrgenommen.
({2})
Das ist das Ergebnis unseres Vorgehens bei der Bewältigung der Krise.
({3})
Für Land und Leute geht es, Gott sei Dank, wieder
aufwärts. Das bedeutet aber auch, dass es jetzt ans Sparen gehen muss. Das ist Keynes Teil B. Wer nur Keynes
Teil A macht, ist dafür verantwortlich, dass die Gesamtstaatsverschuldung nach jeder Krise höher ausfällt. Wir
nehmen die Verantwortung sehr ernst. Ohne solide
Staatsfinanzen fehlen uns auf Dauer die HandlungsspielDirk Fischer ({4})
räume, die wir brauchen, um Politik aktiv gestalten zu
können.
Mit dem vorliegenden Haushaltsentwurf hat es die Koalition geschafft, ein ausgewogenes und solides Sparpaket zu schnüren. Der Verkehrs- und Baubereich konnte
dabei natürlich nicht verschont bleiben, da alle Ressorts
ihren Sparbeitrag leisten müssen. Dennoch ist der Einzelplan 12 nach wie vor der mit Abstand größte Investitionshaushalt des Bundes; er beinhaltet über 51 Prozent aller
Investitionen. Der Investitionsanteil des Einzelplans 12
liegt oberhalb 55 Prozent.
Trotz der Sparzwänge ist es also gelungen, die Investitionslinie im Verkehrsetat zunächst auf hohem Niveau zu sichern. Für Investitionen in Straßen, Schienenwege und Bundeswasserstraßen stehen im kommenden
Jahr fast 10 Milliarden Euro zur Verfügung. Ich will an dieser Stelle ausdrücklich sagen: Bundesminister Ramsauer
und seine Mitarbeiter haben erfolgreich verhandelt. Es
würde der Opposition kein Zacken aus der Krone fallen,
wenn sie das einmal loben würde. Ich glaube, es besteht
aller Anlass, ihn zu loben.
({5})
Ich sage deutlich: Das Ziel für die nächsten Jahre sollte
sein, diesen Betrag zumindest beizubehalten. Wenn wir
die Investitionslinie nicht halten - wir haben aufgrund der
Konjunkturprogramme viele neue Projekte begonnen; die
Spatenstiche sind gemacht -, dann würden Baustellen
zeitlich gestreckt oder gar stillgelegt werden müssen. Das
wäre in der Sache völlig inakzeptabel und würde die Projekte noch teurer machen. Das gilt umso mehr, als die Koalition im Koalitionsvertrag 2009 versprochen hat, die Infrastruktur zu erhalten und auszubauen.
Ein weiteres Versprechen aus dem Koalitionsvertrag
wird ebenfalls eingelöst, nämlich dass die Einnahmen
aus der Lkw-Maut ab 2011 ausschließlich in den Bau
und Unterhalt von Autobahnen und Bundesstraßen fließen. Damit machen wir einen großen Schritt hin zu einem geschlossenen Finanzierungskreislauf Straße und
schaffen mehr Transparenz in Bezug auf die Deckung
der Infrastrukturkosten durch die jeweiligen Verkehrsträger. Das ist unser Ziel.
({6})
Im Übrigen wird dadurch auch die Akzeptanz des Instruments Maut erhöht und gefördert, für das einst geworben wurde mit dem Argument: Ihr müsst für die
Straßennutzung zahlen, damit ihr mehr und bessere Infrastruktur bekommt. - Das heißt, diese Koalition beseitigt einen Wortbruch. Herr Kollege Dr. Hofreiter, ich war
im Vermittlungsausschuss 2003 dabei. Ich kann nur sagen: Je weniger man dabei war, desto größer wird offenbar die Fantasie, und desto mehr Märchen werden erzählt. Deswegen kann ich nur sagen: Es ist richtig, dass
wir das tun.
Im Übrigen muss man nicht befürchten, dass die Infrastrukturbereiche Schiene und Wasserstraße durch
den Finanzierungskreislauf Straße finanzielle Verluste
erleiden werden; denn wir gleichen das aus. Die bisher
dem Straßenbauetat aus dem allgemeinen Bundeshaushalt zufließenden Mittel werden umgeleitet und den
Schienen- und Wasserstraßen eins zu eins als Ausgleich
für wegfallende Mautmittel zur Verfügung gestellt. Hören Sie also auf, Märchen zu erzählen, sie würden weniger bekommen.
({7})
Sie bekommen weiterhin den gleichen Betrag, aber in einer transparenten Weise, die zeigt, welcher Verkehrsträger sich in welchem Maße refinanziert. Dies wollen wir.
({8})
Die Mittel für die wichtige Arbeit im Bereich Verkehrssicherheit werden nicht zusammengestrichen. Wenn
es um den Schutz von Leib und Leben, von Menschen
geht, darf nicht gespart werden. Das ist uns eine wichtige
Aufgabe.
Ein anderes Programm, für das sich Union und FDP
erfolgreich eingesetzt haben, ist das schon oft angesprochene CO2-Gebäudesanierungsprogramm. Seit 2006
konnten dank der Förderung über 2,3 Millionen Wohnungen energieeffizient saniert oder errichtet werden.
Neben dem positiven Effekt auf den Umwelt- und
Klimaschutz wurden durch dieses Programm private Investitionen in Höhe von mehr als 70 Milliarden Euro angestoßen. Gleichzeitig konnten jährlich rund 290 000
Arbeitsplätze in Mittelstand und Handwerk geschaffen
bzw. gesichert werden.
Trotz des Sparzwanges - ich sage dies an die Kolleginnen und Kollegen von der SPD gerichtet; Uwe
Beckmeyer, ich würde jetzt in Deckung gehen ({9})
und entgegen dem, was die Große Koalition ursprünglich geplant hat, wird dieses Programm 2011 fortgeführt
und sogar aufgestockt. Kollege Beckmeyer, eigentlich
war unser gemeinsamer Plan, dieses Programm 2011 zu
beenden.
({10})
Man sollte die eigene Vergangenheit nicht völlig ausblenden. Ich bin glücklich, dass es möglich ist, dieses
Programm fortzuführen. Wenn die Winde im Hinblick
auf den Haushalt besser wehen, müssen diese Mittel aufgestockt werden.
({11})
Das ist unsere Strategie. Wir dürfen aber nicht den Programmansatz verlieren. Ohne dieses Programm könnten
wir unsere Klimaschutzziele nämlich niemals erreichen.
Deswegen bin ich in dieser Frage sehr engagiert.
({12})
Ich will an dieser Stelle deutlich machen: Als ein
Sparbeitrag sollten die Programmmittel für die Städtebauförderung um die Hälfte reduziert werden. Damit
Dirk Fischer ({13})
hätte im Jahr 2011 ein Programmvolumen - die Kassenmittel sind viel niedriger - von nur noch 305 Millionen
Euro zur Verfügung gestanden. Diese drastische Reduzierung wäre dem Erfolgsmodell der Städtebauförderung
nicht gerecht geworden. Seit Beginn der Städtebauförderung vor bald 40 Jahren konnten mit Bundesmitteln von
rund 13,5 Milliarden Euro weit über 6 000 Maßnahmen
gefördert werden - ein Segen für das Erscheinungsbild
unserer Dörfer, unserer kleinen und mittelgroßen Städte
und unserer Großstädte. Nicht zu vergessen sind auch
die positiven Effekte auf die kommunalen Investitionen
und den lokalen Arbeitsmarkt.
Angesichts des Programmvolumens von 455 Millionen Euro müssen wir uns immer den Faktor acht vor Augen halten: Jeder Euro Fördermittel löst nämlich öffentliche und private Investitionen von bis zu 8 Euro aus.
Die Erhöhung um 150 Millionen Euro kann somit zu Investitionen von 1,2 Milliarden Euro führen. Das ist ein
großer Effekt.
Außerdem bleibt für die ostdeutschen Städte die Planungs- und Finanzierungssicherheit durch die Fortführung des Schwerpunktprogramms „Stadtumbau Ost“ im
Hinblick auf die strukturell notwendigen Veränderungen
gegeben.
Für diejenigen, die Wohnungseigentum erwerben
wollen, gibt es ebenfalls eine gute Nachricht: Die Wohnungsbauprämie bleibt in voller Höhe erhalten. Das ist
ein entscheidendes gesellschaftspolitisches Signal und
zusätzlich zur Eigenheimrente ein wichtiger Beitrag zur
Alterssicherung der Menschen in unserem Lande.
({14})
Die Heizkostenpauschale beim Wohngeld wird es allerdings nicht mehr geben. Mit dieser Sparmaßnahme
kehren wir zur alten Struktur der Wohngeldberechnung
zurück. Das ist vertretbar, da die Heizkosten 2009 um
durchschnittlich 14 Prozent gesunken sind.
({15})
Die allgemeine Wohngelderhöhung von 2009 bleibt jedoch unangetastet.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, zum Schluss sage
ich: Wer sparen will, kommt an schmerzlichen Maßnahmen nicht vorbei. Von nun an muss der Haushalt im jedem
Jahr so ausgerichtet werden, dass die neu im Grundgesetz
verankerte Schuldenbremse im Jahr 2016 eingehalten
wird. Daran herumzuwerkeln, wäre gegenüber künftigen
Generationen verantwortungslos und ist mit uns nicht zu
machen. Diese Regierungskoalition jedenfalls stellt sich
dieser Verpflichtung und Verantwortung. Offenbar fällt es
der Opposition leicht, alles Mögliche zu versprechen,
sich zu wünschen und zu erklären, als fiele das Geld vom
Himmel. Wir wissen, dass wir unter anderen Rahmenbedingungen verantwortlich zu handeln haben.
Der Verkehrs- und Bauetat, als Kombination aus
wichtigen Investitionsausgaben und notwendigen Sparmaßnahmen, ist alles in allem das Ergebnis eines erfolgreichen haushaltspolitischen Kraftaktes der Bundesregierung und der sie tragenden Fraktionen. Insbesondere
danke ich unseren Haushältern für die geleistete Arbeit.
Sie haben in den letzten drei Monaten wirklich hart gearbeitet. Ich bitte um Zustimmung zum Einzelplan 12.
Herzlichen Dank.
({16})
Nächster Redner ist der Kollege Sören Bartol für die
SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Das einzig Richtige, was Sie von der Koalition heute gesagt haben, ist, dass Sie die Städtebauförderung weniger kürzen, als Sie es vorgehabt haben. Aber das als Ihren Erfolg zu verkaufen, liebe Kolleginnen und
Kollegen, ist eine Unverschämtheit; denn Ihr Minister
Ramsauer war es doch, der die Städtebauförderung zur
Disposition gestellt hat, als er die Halbierung der Mittel
angekündigt hat. Dass die Kürzungen nun geringer ausfallen - es ist und bleibt eine Kürzung -, ist ein Erfolg
der Verbände, der Länder und der Projektbeteiligten, die
über die Sommermonate hinweg protestiert haben. Damit haben Sie wohl überhaupt nicht gerechnet.
({0})
Herr Minister, Ihre eigenen Parteifreunde aus Bayern
haben Ihnen erklären müssen, was eine Kürzung bei der
Städtebauförderung bedeutet. Die Bau- und Wohnungswirtschaft sowie der Einzelhandel haben Ihnen vorgerechnet, wie kurzsichtig das ist. Jeder Euro, der in die
Städtebauförderung investiert wird, zieht 8 Euro private
Investitionen nach sich. Die 155 Millionen Euro, die Sie
nun bei den Programmen „Stadtumbau“ und „Städtebaulicher Denkmalschutz“, bei Sanierungs- und Entwicklungsmaßnahmen und bei dem Programm „Soziale
Stadt“ sparen, sind teuer zulasten der Zukunftsfähigkeit
der Städte und Gemeinden erkauft.
({1})
Was Sie heute beschließen, ist der Tod auf Raten für
die „Soziale Stadt“. Statt 95 gibt es nur noch 28,5 Millionen Euro. Schlimmer noch: Sie berauben die „Soziale
Stadt“ ihres sozialintegrativen Ansatzes. Die wenigen
verbleibenden Programmmittel sollten nur noch investiv
eingesetzt werden.
({2})
Die Modellversuche, mit denen seit 2006 in „Soziale
Stadt“-Gebieten Spracherwerb, Freizeit- und Bildungsangebote oder auch die lokale Ökonomie gefördert werden, sind gestrichen.
({3})
Aber Städte sind mehr als Steine, Kollege Döring.
Sie sollten wissen, meine Damen und Herren von den
Koalitionsfraktionen: Investitionen in Wohnungen und
Wohnumfeld sind in den Sand gesetzt, wenn der soziale
Kitt im Stadtteil nicht hält; denn diejenigen, die sich aktiv an der Gestaltung eines Platzes oder Parks samt
Skatebahn beteiligt haben, werden das nicht gleich wieder zerstören. Investitionen in das nachbarschaftliche
Miteinander sind eben kein Sozialklimbim, sondern wesentliche Voraussetzung für eine Aufwertung von sozialen Brennpunkten und für Lebensperspektiven für die
Bewohner.
({4})
„Soziale Stadt“ ist erfolgreich. Das schreiben Sie
selbst noch im Juni in Ihrer Antwort auf unsere Kleine
Anfrage. Ich zitiere:
Die Unterschiede zwischen bevorzugten und benachteiligten Stadtteilen vergrößern sich. … Grundsätzlich ist in schrumpfenden Städten mit abnehmender Einwohner- und Arbeitsplatzzahl die
sozialräumliche Polarisierung deutlich ausgeprägter
als in Städten mit einer anhaltend hohen und zahlungskräftigeren Nachfrage. … Bei gleichzeitiger
Aufwertungstendenz der innerstädtischen Gebiete
ist eine zunehmende Konzentration von einkommensschwachen Haushalten in wenigen, oft auch
peripheren Stadtteilen zu beobachten.
Und jetzt kommt es - gut zuhören! -:
Im Ergebnis auch der unabhängigen Zwischenevaluierung hat sich der integrierte Ansatz des Programms Soziale Stadt bewährt.
Das haben Sie uns auf die Kleine Anfrage geantwortet.
({5})
Warum, Herr Ramsauer, führen Sie das dann nicht fort?
Denn wenn die „Soziale Stadt“ als Klammer zur Bündelung von Maßnahmen wegfällt, wenn das Quartiersmanagement als zentrale Anlaufstelle und Steuerungsinstanz
vor Ort fehlt, wird dieser erfolgreiche sozialraumorientierte Ansatz zunichtegemacht. Ja, das ist die originäre
Verantwortung eines Bundesministers für Stadtentwicklung.
Das faktische Aus von „Sozialer Stadt“ ist ein Schlag
ins Gesicht für alle, die in ihren Stadtteilen und Gemeinden Projekte initiiert und in Quartiersräten und Nachbarschaftsinitiativen mitgearbeitet haben. Sie nehmen in
Kauf, dass diese Menschen ihr Engagement wegen mangelnder Unterstützung frustriert aufgeben, und zwar zum
Schaden unserer gesamten Demokratie, auch der lokalen
Demokratie.
„Soziale Stadt“ ist ein wesentlicher Bestandteil und
ein wesentlicher Baustein im Themenfeld „Integration
vor Ort“ des nationalen Integrationsplans. Gerade das
unmittelbare Lebensumfeld ist ein geeigneter Ort für
niedrigschwellige Beteiligungsangebote, zum Beispiel
an den Schulen. Mit dem Aus für die „Soziale Stadt“
wird auch dieser Teil des nationalen Integrationsplans
obsolet. Was sagt eigentlich Ihre Integrationsbeauftragte,
Ministerin Böhmer, dazu?
({6})
Offenbar hat sich die FDP mit ihrer ideologisch begründeten Ablehnung einer modernen, integrierten und
integrativen Stadtentwicklungspolitik in der Regierung
durchgesetzt. Diese durch Ignoranz und soziale Kälte
gekennzeichnete Haltung der FDP und Ihr offensichtliches Desinteresse an Stadtentwicklungspolitik, Herr
Minister Ramsauer, führen zum Ende der bundespolitischen Verantwortung für den sozialen Zusammenhalt
in den Städten und Gemeinden.
({7})
Es ist nur eine Frage der Zeit, bis die zunehmende soziale Ungleichheit in und zwischen den Städten zu verschärften sozialen und politischen Konflikten führen
wird.
Nicht nur der sozialen Stadtentwicklungspolitik, sondern auch der sozialen Wohnungsbaupolitik wollen Sie
sich kurzerhand entledigen. Herr Ramsauer, Ihr letztlich
gescheiterter Versuch, das Wohngeld in den Haushalt des
Arbeits- und Sozialministeriums zu verschieben, spricht
doch Bände.
Den Heizkostenzuschuss zum Wohngeld streichen Sie
wieder, auch das wider besseres Wissen, Kollege
Fischer. Ihre Begründung der sinkenden Energiekosten
glaubt Ihnen doch niemand. Der Ölpreis ist seit dem
1. Januar 2009 um 34 Prozent gestiegen.
Der Heizkostenzuschuss ist und bleibt sinnvoll; denn
wenn wieder mehr Menschen die Warmmiete nicht aufbringen können, müssen sie Arbeitslosengeld II beantragen.
Gleichzeitig streichen Sie auch noch die Mittel für die
energetische Gebäudesanierung zusammen. Für die
bisher sowohl ökologisch als auch wirtschaftlich so erfolgreichen KfW-Programme stellen Sie im Haushalt gerade einmal 435 Millionen Euro zur Verfügung. Der
Kollege Kahrs hat es ja schon gesagt: Ob die weiteren
500 Millionen Euro aus dem sogenannten Energie- und
Klimafonds dazukommen, steht in den Sternen. Ich erinnere nur an den Austausch der Brennelemente im Kraftwerk Biblis. Daran sieht man ja, wie die ganze Sache
funktioniert.
({8})
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage der
Kollegin Vogelsang?
Ja.
Frau Kollegin, bitte sehr.
Herr Kollege, ich habe die Frage, ob Sie es für sozialen Kitt halten, dass die rot-rote Landesregierung hier in
Berlin immer wieder ganze 5 000 Wohneinheiten en bloc
an Hedgefonds verkauft, und ob das Ihrer Meinung nach
die richtige soziale Städtebaupolitik ist.
({0})
Liebe Kollegin, hier wurde gerade zu Recht „So ein
Unsinn“ hineingerufen. Ich glaube, dass gerade die rotrote Landesregierung in Berlin vorbildlich zeigt, wie
eine vernünftige Stadtentwicklungspolitik aussieht.
({0})
- Ich kann Ihnen allen, die hier jetzt lachen, nur empfehlen: Gehen Sie doch einmal in die Quartiere hinein und
schauen Sie sich „Soziale Stadt“-Projekte an. Schauen
Sie sich an, was die großen Wohnungsbaugesellschaften
hier in Berlin leisten, und schauen Sie, was gerade die
Kollegin Senatorin Junge-Reyer geleistet hat, die es geschafft hat, im Bundesrat ein einstimmiges Votum gegen
Ihre Politik zustande zu bringen, was für Ihren Minister
eine schallende Ohrfeige war.
({1})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, bei den entscheidenden Zukunftsaufgaben lassen Sie die Städte und Gemeinden alleine. Sie verabschieden sich von einer sozial
und ökologisch verantwortungsbewussten Wohnungs-,
Bau- und Stadtentwicklungspolitik.
Herr Kollege, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage, diesmal vom Kollegen Liebich?
Das ist wunderbar; ich habe noch 50 Sekunden. Bitte.
Lieber Kollege Bartol, können Sie mir zustimmen,
dass es ein gar nicht so schlechtes Zeichen für die soziale
Stadtentwicklung ist, dass es in Berlin genau zwei Parteien gibt, die im Gegensatz zu allen anderen Parteien
bereit sind und auch klar erklärt haben, 250 000 Wohnungen in öffentlichem Besitz zu halten?
({0})
Das ist wunderbar, Herr Kollege. Ich bedanke mich
für diese Zwischenfrage.
({0})
Das ist ein sehr ernstes Thema. Liebe Kolleginnen
und Kollegen, schauen Sie sich unsere Anträge an. Wir
fordern Sie jetzt noch einmal auf - das gilt gerade für die
Kolleginnen und Kollegen der CDU/CSU; bei Ihnen
habe ich noch ein bisschen Hoffnung, dass Sie sich besinnen; bei der FDP ist an dieser Stelle alles verloren,
glaube ich -:
({1})
Erhalten Sie den Heizkostenzuschuss beim Wohngeld,
damit es ein wirksames Instrument der sozialen Wohnraumpolitik bleibt, und erhalten Sie die Programme der
Städtebauförderung auf bisherigem Niveau, wie es übrigens in Ihrem Koalitionsvertrag steht. Stärken Sie die
„Soziale Stadt“ besonders für Aufgaben der Integration.
Es geht hier letztlich um den sozialen Frieden in unseren
Städten und Gemeinden. Dazu können Sie sich bei der
namentlichen Abstimmung gleich gerne richtig verhalten.
({2})
Letzter Redner in dieser Debatte ist nun der Kollege
Patrick Schnieder für die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Sehr geehrte Damen und Herren! Der Bundeshaushalt
2011 ist ein Wendepunkt in der Haushalts- und Finanzpolitik.
({0})
Wir nehmen die Pflicht zur nachhaltigen Konsolidierung
nach der schwersten Finanz- und Wirtschaftskrise in der
Bundesrepublik Deutschland ernst. In diesem Haushalt
findet die verfassungsrechtliche Schuldenregel zum ersten Mal Anwendung.
({1})
Unsere Antwort auf diese Herausforderung ist eine
doppelte: Wir sparen, und wir investieren.
({2})
Insbesondere im Einzelplan 12, der von besonderer konjunktur- und wachstumspolitischer Bedeutung ist - der
große Anteil der Investitionen von über 40 Prozent ist
genannt worden -, wird beides berücksichtigt. Auf der
einen Seite werden der Konsolidierungsbeitrag und Einsparungen berücksichtigt; auf der anderen Seite behalten
wir Investitionen sowohl in leistungsfähige Verkehrsinfrastruktur wie auch im Baubereich in hohem Maß bei.
Es ist bezeichnend, dass Sie von der Opposition die
gesamtstaatliche Sicht, die Haushaltswirklichkeit nicht
im Ansatz thematisieren,
({3})
sondern - ganz im Gegenteil - komplett ausblenden,
dass wir nach wie vor eine Neuverschuldung von über
48 Milliarden Euro aufzunehmen haben.
({4})
Sie schenken ihr nicht nur keine Beachtung, Sie tun auch
noch so, als könnten Sie aus einem prall gefüllten Füllhorn Wohltaten über das Land verteilen. Das ist keine
verantwortliche Politik.
({5})
Wir sehen den überragenden Stellenwert einer gut
ausgestatteten Verkehrsinfrastruktur sowohl für Wohlstand wie für Wachstum und damit insgesamt für die
Chancen unseres Landes. Wir reagieren auf die Mobilitätserfordernisse der Menschen und der Wirtschaft in
diesem Lande. Wir wollen Mobilität auch in Zukunft ermöglichen; wir wollen Mobilität nicht verhindern. Deshalb ist es ein großer Erfolg, dass die hohe Investitionslinie von 9,7 Milliarden Euro in diesem Bereich nicht nur
für 2011, sondern perspektivisch bis 2014 fortgeschrieben werden kann. Dabei unterlassen wir es auch, die
Verkehrsträger gegeneinander auszuspielen. Straße genauso wie Schiene und Wasserwege sind uns wichtig.
Die Vernetzung der Verkehrsträger wird durch uns berücksichtigt.
Eines muss man in dem Zusammenhang ehrlicherweise auch sagen - auch dazu haben wir kein Wort von
Ihnen gehört, sehr geehrte Damen und Herren von der
Opposition -: Wer nicht bereit ist, im Verkehrsbereich
Einsparungen hinzunehmen, der muss wenigstens sagen,
wie er das Einsparziel erreichen will, das vorgegeben ist.
Wer das im Verkehrsbereich - zu Recht - nicht macht,
weil Wachstum auch Mobilität erfordert, muss die
schmerzlichen Einschnitte im Baubereich vornehmen.
Wir in der Koalition haben uns dieser Verantwortung
gestellt. Das fällt in der Tat nicht leicht; wir haben für
die verschiedenen Positionen nachdrücklich gekämpft.
Das ist schmerzlich für Kommunen. Das ist schmerzlich
im Bereich der Investitionen. Wir müssen dabei aber
auch zweierlei berücksichtigen: Im Rahmen des
Konjunkturpaketes II haben wir enorme Mittel in die
Bereiche gesteckt, die jetzt von Kürzungen betroffen
sind, nämlich in die Städtebauförderung und die energetische Gebäudesanierung. Dort sind in den letzten Jahren
Milliardenbeträge investiert worden. Es ist erreicht worden, dass die Kürzungen im parlamentarischen Verfahren zur Aufstellung dieses Haushalts abgemildert werden konnten. Deshalb ist es schon ein Erfolg, dass wir
nicht nur die Höhe des Titels bei der Städtebauförderung
haben halten können - er stand ursprünglich einmal ganz
auf der Kippe -, sondern dass wir die 305 Millionen
Euro im Entwurf auch noch um 150 Millionen Euro erhöhen konnten. Bei dem Faktor eins zu acht - 1 Euro
Förderung löst 8 Euro Investitionen aus - bedeutet das
ein Mehr an Investitionen von insgesamt über 1 Milliarde Euro. Auch das ist ein Beitrag zur Stärkung des
Wachstums und unserer Wirtschaftsentwicklung.
({6})
Meine sehr geehrten Damen und Herren, lieber Herr
Pronold, das ist natürlich auch eine Chance, die Vielzahl
von Programmen, die wir im Bereich der Städtebauförderung haben, neu zu justieren und uns auf das Kerngeschäft zu konzentrieren.
({7})
Sie haben sich heute vielfach auf das Programm „Soziale Stadt“ kapriziert. Dazu sage ich Ihnen Folgendes:
({8})
- Herr Kahrs, wir sehen die Bedeutung dieses Programms.
({9})
Deshalb sollten Sie einfach einmal richtig lesen. Zum einen ist es kein auslaufendes Programm, wie der Kollege
Bartol gesagt hat. Es stehen dafür immerhin annähernd
30 Millionen Euro im Haushalt. Zum anderen sollten Sie
unsere Gesetzentwürfe genau lesen. Hier heißt es „überwiegend für Investitionen“, nicht ausschließlich für Investitionen.
({10})
Sie müssen schon eine gewisse Differenzierungsleistung
erbringen, und zwar nicht nur beim Lesen unserer Gesetzentwürfe, sondern auch beim Stricken der Programme.
({11})
Vieles von dem, was dort vorgesehen ist und auch
weiter fortgeführt wird, ist sinnvoll. Es ist aber die Frage
zulässig, wer welchen Anteil bezahlt. Ist das in unserem
Ressort in der Fülle richtig angesiedelt?
({12})
Sind nicht auch Länder beteiligt? Sie haben doch geschrien, dass sie diese Mittel haben wollen. Sie können
das doch entsprechend kofinanzieren. Auch die Kommunen haben ein großes Interesse daran, diese Ausgestaltung auf den Weg zu bringen.
Finanziers sind also vorhanden. Mit gutem Willen
wird es möglich sein, das Programm entsprechend fortzusetzen.
({13})
Wir haben es geschafft - auch das blenden Sie gerne
aus, aber es ist die Wahrheit -, beim CO2-Gebäudesanierungsprogramm den hohen Stand von knapp
1 Milliarde Euro festzuschreiben.
({14})
- Es gefällt Ihnen nicht, dass wir das Sondervermögen
„Energie- und Klimafonds“ haben.
({15})
Dann müssen Sie sagen, woher Sie die Mittel nehmen
würden. Wir haben die Schuldenbremse einzuhalten. Sie
haben sich der gesamtstaatlichen Verantwortung für einen generationengerechten Haushalt zu stellen.
({16})
Ich darf zusammenfassend feststellen: Wir setzen mit
diesem Haushalt, auch mit dem Einzelplan 12, die richtigen Akzente. Wir sagen Ja zur Mobilität und zum Klimaschutz, und wir sagen Ja zu lebendigen Städten und
Gemeinden. Wir fördern Investitionen und Wachstum
und sichern Arbeitsplätze, und dies alles - hören Sie gut
zu! - unter Beachtung der Schuldenbremse und des Erfordernisses, den Haushalt zu konsolidieren.
({17})
Deshalb kann die Koalition zu Recht auf diesen Haushalt
stolz sein.
({18})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen nun zur Abstimmung über den Einzelplan 12, Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung, in der Ausschussfassung. Dazu liegen vier
Änderungsanträge vor, über die wir zuerst abstimmen.
Wir beginnen mit dem Änderungsantrag der Fraktion
der SPD auf Drucksache 17/3833, über den wir auf Verlangen der Fraktion der SPD namentlich abstimmen. Ich
bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze an den Urnen einzunehmen. - Sind alle
Plätze an den Urnen besetzt? - Das ist der Fall. Ich eröffne dann die Abstimmung.
Sind Kolleginnen und Kollegen im Saal, die ihre
Stimmkarte noch nicht abgegeben haben? - Das ist nicht
der Fall. Dann schließe ich die Abstimmung und bitte
die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis der namentlichen
Abstimmung wird Ihnen später bekannt gegeben.
Wir setzen nun die Abstimmungen mit dem Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 17/3832 fort.
Wer stimmt für diesen Änderungsantrag? - Wer ist dagegen? - Enthaltungen? - Dann ist der Änderungsantrag
abgelehnt. Zugestimmt haben die Fraktion der SPD und
die Fraktion Die Linke. Enthalten hat sich die Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen. Abgelehnt wurde er durch die
Koalitionsfraktionen.
Wir kommen nun zur Abstimmung über zwei Änderungsanträge der Fraktion Die Linke. Wir beginnen mit
dem Änderungsantrag auf Drucksache 17/3825. Wer
stimmt dafür? - Wer ist dagegen? - Enthaltungen? - Der
Änderungsantrag ist abgelehnt mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen. Dafür haben gestimmt die Fraktion
Die Linke und die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Enthalten hat sich die Fraktion der SPD.
Wir kommen zur Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 17/3826.
Wer stimmt dafür? - Wer ist dagegen? - Enthaltungen? Der Änderungsantrag ist abgelehnt mit den Stimmen der
Koalitionsfraktionen und der SPD-Fraktion. Dafür haben gestimmt die Fraktion Die Linke und die Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen.
Bis zum Vorliegen des Ergebnisses der namentlichen
Abstimmung müssen wir die Sitzung kurz unterbrechen.
Ich gehe aber davon aus, dass die Schriftführerinnen und
Schriftführer ihre Arbeit so zügig wie gewohnt erledigen
und dass das nur einige wenige Minuten dauern wird.
Ich unterbreche die Sitzung.
({0})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die unterbrochene
Sitzung ist wieder eröffnet.
Ich gebe Ihnen das von den Schriftführerinnen und
Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen
Abstimmung zu dem Änderungsantrag der Fraktion
der SPD zum Einzelplan 12 bekannt: abgegebene
Stimmen 570. Mit Ja haben gestimmt 265, mit Nein haben gestimmt 304, es gab eine Enthaltung. Damit ist der
Änderungsantrag abgelehnt.
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 568;
davon
ja: 263
nein: 304
enthalten: 1
Ja
SPD
Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Heinz-Joachim Barchmann
Doris Barnett
Dr. Hans-Peter Bartels
Klaus Barthel
Bärbel Bas
Dirk Becker
Uwe Beckmeyer
Lothar Binding ({0})
Gerd Bollmann
Klaus Brandner
Bernhard Brinkmann
({1})
Ulla Burchardt
Martin Burkert
Petra Crone
Dr. Peter Danckert
Martin Dörmann
Elvira Drobinski-Weiß
Sebastian Edathy
Siegmund Ehrmann
Petra Ernstberger
Karin Evers-Meyer
Gabriele Fograscher
Dr. Edgar Franke
Dagmar Freitag
Peter Friedrich
Michael Gerdes
Martin Gerster
Iris Gleicke
Günter Gloser
Ulrike Gottschalck
Angelika Graf ({2})
Kerstin Griese
Michael Groschek
Michael Groß
Hans-Joachim Hacker
Klaus Hagemann
Michael Hartmann
({3})
Hubertus Heil ({4})
Rolf Hempelmann
Dr. Barbara Hendricks
Gustav Herzog
Gabriele Hiller-Ohm
Petra Hinz ({5})
Frank Hofmann ({6})
Dr. Eva Högl
Christel Humme
Josip Juratovic
Oliver Kaczmarek
Dr. h. c. Susanne Kastner
Ulrich Kelber
Lars Klingbeil
Hans-Ulrich Klose
Dr. Bärbel Kofler
Daniela Kolbe ({7})
Fritz Rudolf Körper
Anette Kramme
Angelika Krüger-Leißner
Ute Kumpf
Christine Lambrecht
Christian Lange ({8})
Steffen-Claudio Lemme
Burkhard Lischka
Kirsten Lühmann
Caren Marks
Katja Mast
Hilde Mattheis
Petra Merkel ({9})
Ullrich Meßmer
Dr. Matthias Miersch
Franz Müntefering
Dr. Rolf Mützenich
Andrea Nahles
Dietmar Nietan
Manfred Nink
Thomas Oppermann
Holger Ortel
Heinz Paula
Johannes Pflug
Joachim Poß
Dr. Wilhelm Priesmeier
Dr. Sascha Raabe
Mechthild Rawert
Gerold Reichenbach
Dr. Carola Reimann
Sönke Rix
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Karin Roth ({10})
Michael Roth ({11})
Marlene Rupprecht
({12})
Anton Schaaf
Axel Schäfer ({13})
Marianne Schieder
({14})
Werner Schieder ({15})
Ulla Schmidt ({16})
Silvia Schmidt ({17})
Carsten Schneider ({18})
Olaf Scholz
Swen Schulz ({19})
Frank Schwabe
Dr. Martin Schwanholz
Rolf Schwanitz
Stefan Schwartze
Rita Schwarzelühr-Sutter
Dr. Carsten Sieling
Sonja Steffen
Peer Steinbrück
Dr. Frank-Walter Steinmeier
Christoph Strässer
Kerstin Tack
Dr. h. c. Wolfgang Thierse
Franz Thönnes
Wolfgang Tiefensee
Rüdiger Veit
Ute Vogt
Dr. Marlies Volkmer
Andrea Wicklein
Heidemarie Wieczorek-Zeul
Waltraud Wolff
({20})
Uta Zapf
Dagmar Ziegler
Manfred Zöllmer
Brigitte Zypries
DIE LINKE
Jan van Aken
Agnes Alpers
Herbert Behrens
Karin Binder
Matthias W. Birkwald
Steffen Bockhahn
Christine Buchholz
Eva Bulling-Schröter
Roland Claus
Sevim Dağdelen
Dr. Diether Dehm
Heidrun Dittrich
Werner Dreibus
Dr. Dagmar Enkelmann
Wolfgang Gehrcke
Nicole Gohlke
Annette Groth
Dr. Gregor Gysi
Heike Hänsel
Dr. Rosemarie Hein
Inge Höger
Andrej Hunko
Ulla Jelpke
Dr. Lukrezia Jochimsen
Katja Kipping
Jan Korte
Jutta Krellmann
Caren Lay
Michael Leutert
Ulla Lötzer
Dr. Gesine Lötzsch
Thomas Lutze
Ulrich Maurer
Cornelia Möhring
Kornelia Möller
Niema Movassat
Wolfgang Nešković
Thomas Nord
Jens Petermann
Richard Pitterle
Yvonne Ploetz
Ingrid Remmers
Paul Schäfer ({21})
Michael Schlecht
Dr. Ilja Seifert
Kathrin Senger-Schäfer
Raju Sharma
Dr. Petra Sitte
Kersten Steinke
Sabine Stüber
Alexander Süßmair
Dr. Kirsten Tackmann
Frank Tempel
Dr. Axel Troost
Alexander Ulrich
Kathrin Vogler
Johanna Voß
Halina Wawzyniak
Harald Weinberg
Katrin Werner
Jörn Wunderlich
Sabine Zimmermann
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Kerstin Andreae
Marieluise Beck ({22})
Volker Beck ({23})
Cornelia Behm
Alexander Bonde
Viola von Cramon-Taubadel
Ekin Deligöz
Katja Dörner
Dr. Thomas Gambke
Kai Gehring
Britta Haßelmann
Winfried Hermann
Priska Hinz ({24})
Ulrike Höfken
Bärbel Höhn
Ingrid Hönlinger
Thilo Hoppe
Uwe Kekeritz
Katja Keul
Memet Kilic
Maria Klein-Schmeink
Ute Koczy
Tom Koenigs
Sylvia Kotting-Uhl
Oliver Krischer
Agnes Krumwiede
Fritz Kuhn
Stephan Kühn
Renate Künast
Markus Kurth
Undine Kurth ({25})
Monika Lazar
Agnes Malczak
Jerzy Montag
Kerstin Müller ({26})
Beate Müller-Gemmeke
Ingrid Nestle
Dr. Konstantin von Notz
Omid Nouripour
Friedrich Ostendorff
Dr. Hermann Ott
Lisa Paus
Tabea Rößner
Claudia Roth ({27})
Krista Sager
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt
Manuel Sarrazin
Dr. Gerhard Schick
Dorothea Steiner
Dr. Wolfgang StrengmannKuhn
Hans-Christian Ströbele
Dr. Harald Terpe
Markus Tressel
Jürgen Trittin
Wolfgang Wieland
Dr. Valerie Wilms
Josef Philip Winkler
Nein
CDU/CSU
Ilse Aigner
Peter Aumer
Dorothee Bär
Thomas Bareiß
Günter Baumann
Ernst-Reinhard Beck
({28})
Manfred Behrens ({29})
Dr. Christoph Bergner
Peter Beyer
Steffen Bilger
Clemens Binninger
Dr. Maria Böhmer
Wolfgang Börnsen
({30})
Wolfgang Bosbach
Klaus Brähmig
Michael Brand
Dr. Reinhard Brandl
Helmut Brandt
Dr. Ralf Brauksiepe
Dr. Helge Braun
Heike Brehmer
Ralph Brinkhaus
Gitta Connemann
Leo Dautzenberg
Alexander Dobrindt
Thomas Dörflinger
Marie-Luise Dött
Dr. Thomas Feist
Enak Ferlemann
Ingrid Fischbach
Hartwig Fischer ({31})
Dirk Fischer ({32})
Axel E. Fischer ({33})
Dr. Maria Flachsbarth
Klaus-Peter Flosbach
Dr. Hans-Peter Friedrich
({34})
Erich G. Fritz
Dr. Michael Fuchs
Hans-Joachim Fuchtel
Alexander Funk
Ingo Gädechens
Dr. Thomas Gebhart
Norbert Geis
Alois Gerig
Eberhard Gienger
Josef Göppel
Peter Götz
Dr. Wolfgang Götzer
Ute Granold
Reinhard Grindel
Hermann Gröhe
Michael Grosse-Brömer
Markus Grübel
Manfred Grund
Monika Grütters
Olav Gutting
Florian Hahn
Holger Haibach
Dr. Stephan Harbarth
Jürgen Hardt
Dr. Matthias Heider
Mechthild Heil
Ursula Heinen-Esser
Rudolf Henke
Michael Hennrich
Jürgen Herrmann
Ansgar Heveling
Ernst Hinsken
Peter Hintze
Christian Hirte
Robert Hochbaum
Karl Holmeier
Franz-Josef Holzenkamp
Joachim Hörster
Anette Hübinger
Thomas Jarzombek
Dr. Dieter Jasper
Dr. Franz Josef Jung
Andreas Jung ({35})
Dr. Egon Jüttner
Hans-Werner Kammer
Steffen Kampeter
Bernhard Kaster
Volker Kauder
Siegfried Kauder ({36})
Dr. Stefan Kaufmann
Roderich Kiesewetter
Ewa Klamt
Eckart von Klaeden
Volkmar Klein
Jürgen Klimke
Julia Klöckner
Axel Knoerig
Jens Koeppen
Manfred Kolbe
Dr. Rolf Koschorrek
Hartmut Koschyk
Gunther Krichbaum
Dr. Günter Krings
Rüdiger Kruse
Bettina Kudla
Dr. Hermann Kues
Günter Lach
Dr. Karl A. Lamers
({37})
Andreas G. Lämmel
Katharina Landgraf
Ulrich Lange
Dr. Max Lehmer
Dr. Ursula von der Leyen
Matthias Lietz
Dr. Carsten Linnemann
Patricia Lips
Dr. Jan-Marco Luczak
Dr. Michael Luther
Dr. Thomas de Maizière
Hans-Georg von der Marwitz
Andreas Mattfeldt
Stephan Mayer ({38})
Dr. Michael Meister
Dr. Angela Merkel
Maria Michalk
Dr. Mathias Middelberg
Philipp Mißfelder
Dietrich Monstadt
Stefan Müller ({39})
Dr. Philipp Murmann
Bernd Neumann ({40})
Michaela Noll
Dr. Georg Nüßlein
Franz Obermeier
Henning Otte
Dr. Michael Paul
Rita Pawelski
Ulrich Petzold
Dr. Joachim Pfeiffer
Beatrix Philipp
Ronald Pofalla
Christoph Poland
Ruprecht Polenz
Eckhard Pols
Daniela Raab
Thomas Rachel
Eckhardt Rehberg
Katherina Reiche ({41})
Josef Rief
Klaus Riegert
Dr. Heinz Riesenhuber
Johannes Röring
Dr. Christian Ruck
Erwin Rüddel
Albert Rupprecht ({42})
Anita Schäfer ({43})
Dr. Annette Schavan
Dr. Andreas Scheuer
Norbert Schindler
Tankred Schipanski
Christian Schmidt ({44})
Dr. Andreas Schockenhoff
Nadine Schön ({45})
Dr. Ole Schröder
Dr. Kristina Schröder
({46})
Bernhard Schulte-Drüggelte
Uwe Schummer
Armin Schuster ({47})
Detlef Seif
Johannes Selle
Reinhold Sendker
Dr. Patrick Sensburg
Bernd Siebert
Thomas Silberhorn
Jens Spahn
Carola Stauche
Dr. Frank Steffel
Erika Steinbach
Christian Freiherr von Stetten
Dieter Stier
Gero Storjohann
Stephan Stracke
Karin Strenz
Lena Strothmann
Michael Stübgen
Dr. Peter Tauber
Antje Tillmann
Dr. Hans-Peter Uhl
Arnold Vaatz
Volkmar Vogel ({48})
Andrea Astrid Voßhoff
Dr. Johann Wadephul
Marco Wanderwitz
Kai Wegner
Marcus Weinberg ({49})
Peter Weiß ({50})
Sabine Weiss ({51})
Ingo Wellenreuther
Karl-Georg Wellmann
Peter Wichtel
Annette Widmann-Mauz
Klaus-Peter Willsch
Elisabeth WinkelmeierBecker
Dagmar Wöhrl
Dr. Matthias Zimmer
Wolfgang Zöller
FDP
Jens Ackermann
Christian Ahrendt
Christine AschenbergDugnus
Daniel Bahr ({52})
Florian Bernschneider
Sebastian Blumenthal
Claudia Bögel
Nicole Bracht-Bendt
Klaus Breil
Rainer Brüderle
Angelika Brunkhorst
Ernst Burgbacher
Sylvia Canel
Helga Daub
Reiner Deutschmann
Dr. Bijan Djir-Sarai
Patrick Döring
Mechthild Dyckmans
Rainer Erdel
Jörg van Essen
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt
Dr. Edmund Peter Geisen
Dr. Wolfgang Gerhardt
Hans-Michael Goldmann
Heinz Golombeck
Miriam Gruß
Joachim Günther ({53})
Dr. Christel Happach-Kasan
Heinz-Peter Haustein
Manuel Höferlin
Elke Hoff
Birgit Homburger
Dr. Werner Hoyer
Heiner Kamp
Michael Kauch
Pascal Kober
Gudrun Kopp
Dr. h. c. Jürgen Koppelin
Holger Krestel
Patrick Kurth ({54})
Harald Leibrecht
Sabine LeutheusserSchnarrenberger
Lars Lindemann
Christian Lindner
Dr. Martin Lindner ({55})
Michael Link ({56})
Dr. Erwin Lotter
Oliver Luksic
Gabriele Molitor
Jan Mücke
Petra Müller ({57})
Burkhardt Müller-Sönksen
Dr. Martin Neumann
({58})
Dirk Niebel
Hans-Joachim Otto
({59})
Cornelia Pieper
Gisela Piltz
Dr. Christiane RatjenDamerau
Dr. Birgit Reinemund
Dr. Peter Röhlinger
Dr. Stefan Ruppert
Björn Sänger
Frank Schäffler
Jimmy Schulz
Marina Schuster
Dr. Erik Schweickert
Werner Simmling
Judith Skudelny
Joachim Spatz
Dr. Max Stadler
Dr. Rainer Stinner
Stephan Thomae
Florian Toncar
Johannes Vogel
({60})
Dr. Daniel Volk
Dr. Guido Westerwelle
Dr. Volker Wissing
Hartfrid Wolff ({61})
Enthalten
CDU/CSU
Frank Heinrich
Wir kommen nun zur Abstimmung über den
Einzelplan 12 in der Ausschussfassung. Dazu liegt eine
Erklärung des Kollegen Kai Wegner nach § 31 unserer
Geschäftsordnung vor.1) Wer stimmt für den Einzelplan 12
in der Ausschussfassung? - Wer ist dagegen? - Gibt es
Enthaltungen? - Der Einzelplan 12 ist mit den Stimmen
der Koalitionsfraktionen bei Gegenstimmen der Oppositionsfraktionen angenommen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt I.7 auf:
Einzelplan 15
Bundesministerium für Gesundheit
- Drucksachen 17/3514, 17/3523 Berichterstattung:
Abgeordneter Alois Karl
Ulrike Flach
Sven-Christian Kindler
Zum Einzelplan 15 liegen drei Änderungsanträge der
Fraktion Die Linke vor.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache zwei Stunden vorgesehen. - Ich sehe,
damit sind Sie einverstanden. Dann werden wir so verfahren.
Ich eröffne die Aussprache. Als erster Redner hat der
Kollege Ewald Schurer von der SPD-Fraktion das Wort.
({62})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen
und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren!
Zunächst einmal Dank an das Ministerium für Gesund-
heit. Sie, Herr Minister, und Ihre Mitarbeiter haben uns
die Unterlagen umfassend, rechtzeitig und so zugestellt,
1) Anlage 3
dass man damit arbeiten konnte. Herzlichen Dank dafür,
dass wir diese Arbeitsgrundlagen hatten.
({0})
Der Einzelplan 15 - Gesundheit - hat ein Volumen von
exakt 15 Milliarden 777 Millionen plus eine Viertelmillion Euro. Die Struktur des Haushaltes ist geprägt von einem großen durchlaufenden Posten. Es handelt sich um
die Zuschüsse an den Gesundheitsfonds in Höhe von
15,3 Milliarden Euro, zusammengesetzt aus 13,3 Milliarden Euro regulärer Zuschuss plus 2 Milliarden Euro
zusätzlicher Bundeszuschuss, wie es offiziell heißt, zur
Stabilisierung der GKV-Beiträge. Das heißt, 97 Prozent
des Einzelplanvolumens sind Zuschüsse an den Fonds.
Ergo bleiben nur 3 Prozent des gesamten Volumens - das
sind die verbleibenden 477 Millionen Euro - für den materiellen Kern dieses Haushaltes, nämlich für Personal,
Logistik, Programme usw.
Herr Minister, ich habe Sie schon in der Haushaltsausschusssitzung aus gutem Grunde zu Ihrer Projektion
des 2-Milliarden-Euro-Zuschusses, also des sogenannten
Bundeszuschusses, gefragt. Meiner Meinung nach instrumentalisieren Sie ihn zur Einleitung eines Paradigmenwechsels im Gesundheitswesen. Es ist eindeutig: Ihr
Weg zur Kopfpauschale führt über Zusatzbeiträge. Die
Kopfpauschale in Form von frei floatenden Zusatzbeiträgen wird künftig - das ist schon jetzt absehbar - die Versicherten sowie die Patientinnen und Patienten einseitig
belasten.
({1})
Ich möchte in diesem Zusammenhang aus der Financial Times Deutschland vom 26. Oktober 2010 zitieren:
Tatsächlich dürfte das Problem der Zusatzbeiträge
erst 2012 akut werden … Für 2012 rechnet Röslers
Ressort aber mit einem durchschnittlichen Zusatzbeitrag von 4 Euro im Monat … und 2014 bereits
15 Euro.
Die Hans-Böckler-Stiftung schrieb in ihrer Bewertung
Ende Oktober:
Das System von pauschalen Zusatzbeiträgen zur
Krankenversicherung droht den Staatshaushalt schwer
zu belasten. Bis 2025 könnte jedes Kassenmitglied
zum Fall für den Sozialausgleich werden.
Recht haben sie. Ich stelle als Haushälter fest: Ihre politisch gefährlichen Weichenstellungen bedeuten, dass der
Anstieg der Gesundheitskosten künftig nicht allein durch
die Versicherten zu zahlen ist, sondern dass es eine Zuspitzung gibt, die folgende Alternativen offenlässt: Wir
bekommen entweder eine gigantische Querfinanzierung
aus Haushalts- und damit Steuermitteln oder eine diskriminierende Leistungsausgrenzung bei den derzeit 50 Millionen Versicherten in der GKV. Ökonomisch gibt es nur
zwei Möglichkeiten. Verlieren werden bei Ihrem Modell,
Herr Minister Rösler, in jedem Falle die Versicherten, die
ja in der Regel auch die Steuerzahler im Lande sind.
Ich will wieder auf den Programmhaushalt zu sprechen
kommen. Wie ich gesagt habe, verbleiben für den materiellen Kern des Gesundheitshaushaltes nur 477 Millionen Euro. Auch da machen Sie mir insofern Sorgen, als
Sie gerade bei den inhaltlich wertvollen Themen - ich
habe schon in der ersten Lesung darauf hingewiesen -,
nämlich bei den Themen Prävention, Kampf gegen Aids
und Kampf gegen Drogen- und Suchtmittelmissbrauch,
die Mittel erheblich kürzen. Das finde ich inhaltlich, mit
Verlaub gesagt, grundfalsch.
({2})
Sie haben im Gegenzug - da ist Schwarz-Gelb in der
Verantwortung, nicht nur Herr Rösler - eine neue Präventionsstrategie angekündigt. Mir und dem Hohen
Hause ist von dieser Präventionsstrategie aber bislang
nichts bekannt.
({3})
Ich las mit großer Aufmerksamkeit, weil man das als
Haushälter tut - da lässt man sich fachlich, und nur fachlich, leiten -, was auf der Homepage des BMG am
1. November in einem Interview stand. Danach wollen
Sie den Bewusstseinswandel hin zu mehr Prävention
über die Arztgespräche induzieren. Das ist zunächst einmal nicht falsch; aber ich frage Sie an der Stelle, meine
Damen und Herren: Wie soll Prävention tatkräftig umgesetzt werden, wenn dazu keine Mittel und keine definierten Leistungen vorhanden sein werden? Darum stellt
sich die Frage: Wo, wann und von wem sollen konkrete
Leistungen - außer über Arztgespräche - dann auch
Leistungsansprüche generieren, die für die Menschen,
die der Prävention bedürfen, von größter Bedeutung
sind?
({4})
Ich kann diese trockene Debatte hier vielleicht mit einem Schuss Humor bereichern, indem ich sage: Wenn
Sie - das ist jetzt natürlich an die FDP gerichtet - neben
den signifikant spürbaren Geschenken an die Hoteliers
die zweite Grundforderung aus Ihrem Bundestagswahlkampf umsetzen würden, dann könnten Sie doch - höflich vorgetragen, Ihnen aber doch als nachdenkenswerte
Figur angetragen - das gelbe Sparbuch zur Hand nehmen und sagen, dass Sie künftig einen Parlamentarischen Staatssekretär sparen wollen. Dies wäre auch ein
Beitrag zur Konsolidierung im Gesundheitswesen. Ich
trage das höflich, aber als Chance für Sie, wenigstens
Ihre zweite Grundforderung politisch umzusetzen, vor.
Loben muss ich die CSU. Sie haben ja schon gespart.
Sie, Herr Singhammer und Co., haben bei der Umsetzung
Ihrer Ankündigung gespart, in jedem Fall Zusatzbeiträge
- respektive Kopfpauschalen - zu verhindern. Sie sind
umgefallen. Es hat „bum“ gemacht, es hat Krach gegeben, und alle - vor allen Dingen in diesem Hause - haben
über Söder kräftig gelacht. Söder ist das ganze Jahr über
durch Bayern bzw. durch das Bundesgebiet gefahren und
hat gesagt: Mit uns wird es eine Zusatzpauschale, die
Vorstufe einer Kopfpauschale, nicht geben.
({5})
Als es so weit war, gab es vonseiten der CSU keine Position mehr, und man ist in Richtung FDP übergelaufen.
Das ist schon ein Trauerspiel. Sie haben am Schluss
seehoferisch-berechnend Ihren großen mannhaften Widerstand sozusagen eingebremst und sind auf die Linie
der FDP eingeschwenkt.
Ich komme zum Schluss. Bei Redebeiträgen als Haushälter ist es mir immer ein Anliegen, die ökonomische
Bedeutung des Gesundheitswesens zu skizzieren. Sie
wissen, dass mittlerweile fast ein Neuntel der Wertschöpfung unserer Volkswirtschaft aus Leistungen im
Bereich der Gesundheit resultiert. Es gibt hier einen eminenten Zusammenhang, Herr Rösler, sodass man sagen
muss: Das Drama Ihrer Politik ist, dass Schwarz-Gelb
hier ein im Kern bewährtes solidarisches Finanzierungssystem aufgeben will, das in Bezug auf die medizinische
Versorgung - sowohl ambulant wie stationär - weltweit
anerkannt ist. Wenn man ein solches System ohne Not
aufgibt, gefährdet man die Wertschöpfungskette im Gesundheitsbereich und damit die gesamte Volkswirtschaft.
Weil - das ist meine letzte Aussage - Leistungsausgrenzungen allen schaden, nämlich den Patienten, den
Versicherten, den niedergelassenen Ärzten, den Kliniken
und den weiteren Leistungserbringern, gefährden Sie mit
diesem Paradigmenwechsel nicht nur die ökonomische
Entwicklung des Gesundheitswesens mit der Chance auf
viele Hunderttausend neue Arbeitsplätze im Lande, sondern auch die Qualität der Versorgung.
({6})
Deswegen werden wir 2013 gezwungen sein, Ihre Politik zu korrigieren, und zwar mit den Stimmen derer, die
Sie aufgrund dieser Verwerfungen nicht mehr wählen
können und werden.
Herzlichen Dank.
({7})
Das Wort hat die Kollegin Ulrike Flach für die FDPFraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Auch ich möchte mich als Hauptberichterstatter für diesen Haushalt natürlich beim Haus und beim Minister bedanken. Sie waren schnell, Sie waren zügig und haben
all die Wünsche erfüllt, die wir als Haushälter immer unbequemerweise an ein Haus haben. Herzlichen Dank!
Übrigens auch herzlichen Dank meinen Kollegen als
Mitberichterstatter. Ich finde, wir sind ein gutes Team
und sollten unsere Arbeit auch in den nächsten drei Jahren friedlich fortsetzen.
Liebe Kollegen, der Haushalt des Bundesgesundheitsministers liegt nach den Beratungen des Haushaltsausschusses nun bei 15,7 Milliarden Euro. Wir haben damit
den ohnehin schon im Entwurf um 3 Prozent gekürzten
Ansatz noch einmal um netto 8 Millionen Euro abgesenkt. Das heißt - ich betone das an dieser Stelle noch
einmal ausdrücklich -: Auch in diesem Ministerium konsolidieren wir. Übrigens schonen wir den Apparat, lieber
Herr Schurer, überhaupt nicht. Selbstverständlich sparen
wir bei Dienstreisen und bei der Öffentlichkeitsarbeit,
wie es sich gehört; denn auch dieses Ministerium, so
klein es auch ist, muss dazu beitragen, den Haushalt zu
konsolidieren.
Das eigentlich Prägende dieses Haushaltes ist aber
der Steuerzuschuss für versicherungsfremde Leistungen
zur gesetzlichen Krankenversicherung, der allein in diesem Jahr 13,3 Milliarden Euro umfasst. Dazu kommen
2 Milliarden Euro aus Steuermitteln, die in die Liquiditätsreserve des Fonds fließen, aus der der soziale Ausgleich bei den Zusatzbeiträgen finanziert werden soll,
sodass für die Programmtitel die von Herrn Schurer angeführten rund 500 Millionen Euro bleiben. Ich will an
dieser Stelle ausdrücklich sagen: Diesen sozialen Ausgleich hat es vorher nicht gegeben, Herr Schurer.
({0})
Den sozialen Ausgleich hat diese Regierung eingeführt,
({1})
und sie sorgt damit dafür, dass die Zusatzbeiträge im
nächsten Jahr nicht steigen werden.
({2})
Warum sind wir denn überhaupt in den letzten Monaten in solche Diskussionen hineingeraten? Weil Sie uns
ein Defizit von 11 Milliarden Euro hinterlassen haben,
({3})
aufgrund eines Systems, das im Gegensatz zu dem, was
Herr Schurer uns gerade versucht hat weiszumachen,
nicht nachhaltig war. Bei diesem System krankte es vielmehr hinten und vorne.
({4})
Diese 2 Milliarden Euro sind ein deutliches Merkmal
des vor wenigen Tagen erfolgreich verabschiedeten
GKV-Finanzierungsgesetzes. Damit erfolgt zum ersten
Mal diese soziale Absicherung. Die Koalition macht sich
mit dieser Reform auf den Weg zu einer grundlegenden
Reform der sozialen Sicherungssysteme.
({5})
Das ist gut so, und es war dringend an der Zeit.
({6})
Die GKV wird damit einkommens- und konjunkturunabhängiger. Die Abkehr vom Lohnbezug senkt die Lohnnebenkosten und sichert - ich betone das an dieser Stelle
immer wieder - Arbeitsplätze in diesem Lande.
({7})
Dafür sind wir angetreten.
({8})
Man sieht an der wirtschaftlichen Entwicklung, dass es
auch klappt.
({9})
Die Reform wird von Beitragsanpassungen und Ausgabenbegrenzungen begleitet. Die Ausgaben der GKV
werden damit für die nächsten Jahre stabilisiert.
Schauen wir uns einmal die Alternativen der Opposition an. Von dem Phantommodell der SPD-Bürgerversicherung, das weder durchgerechnet, wie uns Herr
Lauterbach vor einem Jahr versprochen hat,
({10})
noch verfassungsfest ist, haben wir gerade einmal ein
Jahr nach der Bundestagswahl und nach vielen fruchtlosen Ankündigungen des Kollegen Lauterbach einen einzigen Rohentwurf vorliegen. Niemand weiß Genaues;
aber Karl Lauterbach verkündet uns schon einmal, dass
seine Bürgerversicherung in ihrer Dimension mit der
Agenda 2010 vergleichbar wäre. Das lässt uns nur freudig erwarten, was dann kommt; denn die Ergebnisse der
Agenda 2010 haben wir ja gesehen.
({11})
Das heißt, wir werden uns mit irgendwelchen Gesetzen
von Ihnen, lieber Herr Schurer, nicht befassen müssen;
denn die Wähler werden Ihnen genau wie bei der
Agenda 2010 und den Hartz-Gesetzen die Quittung dafür geben.
Die Grünen werden da mit ihrem Konzept der Bürgerversicherung schon etwas klarer.
({12})
Sie wagen mit der Zwangseinbeziehung der 9 Millionen
Privatversicherten nicht nur einen vorhersehbaren verfassungsrechtlichen Amoklauf, liebe Frau Bender, Sie
belasten durch die Anhebung der Beitragsbemessungsgrenze massiv die Mittelschicht.
({13})
Der Bund der Steuerzahler hat Ihnen das schon einmal
vorgerechnet: Rund 1 000 Euro per annum wird die Verschiebung der Beitragsbemessungsgrenze die Betroffenen kosten. Das war selbst Ihnen und Herrn Kuhn auf
dem Parteitag zu viel. Sie haben sich dagegen empört,
und Sie haben verloren. Ihre Partei ist offensichtlich auf
dem besten Weg, die Mittelschicht dieses Landes massiv
zu belasten.
({14})
Ihre Forderung, die nicht berufstätigen Ehefrauen nur
noch dann kostenlos mitzuversichern, wenn Kinder unterhaltspflichtig oder Angehörige pflegebedürftig sind,
wird Ihnen sicherlich viel Begeisterung in diesem Volke
eintragen.
Es passt auch nahtlos zur Abschaffung des Ehegattensplittings, wodurch Sie Familien in Deutschland mit bis
zu 20 Milliarden Euro belasten.
({15})
Das ist grüne Politik. So gehen Sie offensichtlich mit
den Geldern der Wähler um. Die Wähler werden es Ihnen entsprechend honorieren.
({16})
Die FDP weiß, dass sie es mit einer Opposition zu tun
hat, deren Hauptziel vordringlich der alte Trott der
Bürgerzwangsversicherungseinheitskasse
({17})
und die Belastungen der vermeintlich Besserverdienenden in diesem Lande ist.
({18})
Da kann ich nur jedem Facharbeiter, jedem kleinen Beamten und jedem kleinen Angestellten des öffentlichen
Dienstes raten: Überlegen Sie sich, was Sie sich mit dieser Partei einfangen.
({19})
Die christlich-liberale Bundesregierung konsolidiert
diesen Haushalt. Wir sanieren die korrespondierenden
Sozialsysteme,
({20})
und wir stellen die Gesundheitsversorgung auf eine
nachhaltige Grundlage.
({21})
Nächster Redner ist der Kollege Michael Leutert für
die Fraktion Die Linke.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Herr Minister Rösler, für den Haushalt kann ich mich
zwar nicht bedanken, aber immerhin für die Zuarbeit.
Sie haben Anfang des Jahres prophezeit - ich zitiere
jetzt aus der FAZ vom 2. Februar -:
Wenn es mir nicht gelingt, ein vernünftiges Gesundheitssystem auf den Weg zu bringen, dann will
mich keiner mehr als Gesundheitsminister haben.
Nun, Herr Minister, ich denke, es ist so weit.
({0})
Sie sind in der Beliebtheit abgestürzt, weil Sie eben kein
vernünftiges Gesundheitssystem auf den Weg gebracht
haben. Ganz im Gegenteil: Was Sie hier machen, ist die
Zerschlagung der letzten Reste des einstmals solidarischen Gesundheitswesens.
({1})
Als Haushälter interessiert mich in erster Linie der
sparsame und gerechte Umgang mit unseren Steuergeldern. Im Etat - Herr Kollege Schurer hat es schon beschrieben - sind 15,8 Milliarden Euro enthalten. Davon
werden 15,3 Milliarden Euro an die Krankenkassen
durchgereicht. Diese Zuschüsse brauchen Sie natürlich,
weil Sie Ihren Job nicht gut gemacht haben und weil Sie
keine solide Finanzierungsbasis auf die Beine gestellt
haben. Zu Ihrer Ehrenrettung muss man natürlich - leider - Folgendes sagen: Sie haben ein Gesundheitssystem
vorgefunden, dem man schon den Strick um den Hals
gelegt hatte. Diesen Job hat damals die Große Koalition
unter einer SPD-Gesundheitsministerin vollbracht. Damals wurden die Minikopfpauschale und der Gesundheitsfonds eingeführt. Aber Sie, Herr Rösler, haben die
Schlinge letztendlich zugezogen, indem Sie die vollen
Kopfpauschalen, die nach oben hin offen sind, einführen.
({2})
Frau Flach, Sie erklären beruhigend, es gebe einen
Solidarausgleich, wenn die Kopfpauschale die Grenze
von 2 Prozent des Bruttoeinkommens übersteigt. Dazu
muss man natürlich Folgendes sagen - diesen Punkt verschweigen Sie letztendlich -: Es wird nicht in jedem Fall
der gesamte Betrag, der über der 2-Prozent-Grenze liegt,
erstattet. Nach den Berechnungsvorschriften gibt es nur
einen Zuschuss. Das bedeutet aber, dass die Kopfpauschale sehr wohl auch über der Grenze von 2 Prozent des
Bruttoeinkommens liegen kann.
({3})
- Dazu komme ich noch.
({4})
Das Ergebnis, welches wir jetzt vorfinden, ist das Folgende: Die Arbeitgeberbeiträge werden eingefroren, und
die Arbeitgeber zahlen nur noch einmal. Der einfache
Arbeitnehmer bezahlt dafür in Zukunft viermal. Er bezahlt seinen Anteil am Beitrag für die Krankenkassen, er
bezahlt die Kopfpauschale, er bezahlt die Zuzahlungen
und die Praxisgebühr, und er bezahlt über seine Steuergelder, die er zu entrichten hat, auch den Steuerzuschuss.
Das heißt letztendlich: Millionen von Menschen haben
nächstes Jahr eben nicht mehr Netto vom Brutto, wie es
Ihre Partei immer propagiert, sondern wesentlich weniger Geld in der Tasche. Das können Sie dann 2013 Ihren
Wählerinnen und Wählern erklären.
({5})
Das alles machen Sie, weil es eine Finanzierungslücke von ungefähr 10 Milliarden Euro im Gesundheitssystem gibt. Es stimmt, dass diese Lücke vorhanden ist.
Was aber nicht stimmt, ist, dass Sie das Geld, welches
Sie aufgrund der Kopfpauschale mehr einnehmen,
({6})
zum Stopfen dieses Loches benutzen wollen. Ganz im
Gegenteil: Wahr ist vielmehr, dass Sie auch im Gesundheitswesen die Umverteilung von unten nach oben kräftig betreiben. Das sieht man daran - vielleicht haben Sie
dafür eine andere Erklärung -, dass erstmalig seit 1949
die Beitragsbemessungsgrenze, also die Höhe des Einkommens, ab der der Versicherte nicht mehr den prozentual vollen Beitrag zahlen muss, gesenkt wird. Warum
senken Sie erstmalig seit 1949 die Versicherungspflichtgrenze, das heißt die Höhe des Einkommens, ab der man
sich dann nicht mehr pflichtversichern muss, sondern in
eine private Krankenkasse wechseln kann? Warum wird
das gesenkt?
({7})
- Gesetze sind zum Ändern da, wie wir hier sehen.
({8})
Diese Grenzen sind eh unsolidarisch - das erzählen wir
Ihnen schon lange -, weil sie nämlich die Finanzstärksten aus dem Solidarprinzip entlassen. Sie verzichten
hier, indem Sie diese Grenzen senken, noch auf Extraeinnahmen. Ich dachte aber, es gibt hier eine Finanzierungslücke, und aus diesem Grund werde die Kopfpauschale erhoben.
({9})
Sie können mir gern erklären, warum Sie auf die
30 Milliarden Euro Einnahmen der privaten Krankenversicherungen verzichten. Ich habe während der Haushaltsverhandlungen darum gebeten, einen Bericht mit
Zahlen, Überlegungen, die im Ministerium angestellt
worden sind, zu bekommen, welche Alternativen - mit
Rechenbeispielen untersetzt - es zur Kopfpauschale
gäbe. Ich habe lediglich eine DIN-A4-Seite bekommen,
keine Zahl darin, aber zwei sehr bemerkenswerte Sätze.
Der erste Satz lautet:
Die Bundesregierung hält eine Verbeitragung aller
Einkünfte im Sinne einer Bürgerversicherung zur
nachhaltigen Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung nicht für zielführend.
Da würde mich natürlich interessieren, was Ihr eigentliches Ziel ist, denn der Öffentlichkeit erzählen Sie ja immer, das Ziel dieser Reform sei das Schließen der Finanzierungslücke.
({10})
Wahrscheinlich haben Sie aber ein anderes Ziel.
Der zweite bemerkenswerte Satz lautet:
Die Bundesregierung ist … der Auffassung, dass
sich das Nebeneinander
- das Nebeneinander! von gesetzlicher und privater Krankenversicherung
im Sinne eines freiheitlichen Gesundheitswesens
bewährt hat.
Ich frage mich, welches freiheitliche Gesundheitswesen
Sie meinen.
({11})
Ich befürchte, Sie meinen das freiheitliche Gesundheitswesen auf der Ausgabenseite, nämlich dort die Freiheit
der Pharmaindustrie, uns ihre Preise zu diktieren.
({12})
Arzneimittel sind der zweitgrößte Ausgabenposten im
Gesundheitswesen, und zwar auch, weil sie in Deutschland zum Teil doppelt so teuer sind wie in anderen europäischen Ländern.
({13})
Doch genau an diesem Punkt greifen Sie eben nicht ein,
({14})
sondern machen - genau wie bei der Atomenergie - natürlich wieder Lobbypolitik, und zwar für die Pharmaindustrie, Stichwort Arzneimittelgesetz.
({15})
Unter dem Strich bleibt - ob Ihnen das gefällt oder
nicht -: Sie zerschlagen das Solidarprinzip weiter. Zweitens. Otto Normalverbraucher zahlt kräftig drauf. Drittens. Der Haushalt, also der Steuerzahler, wird dadurch
weiterhin belastet. Das lehnen wir Linken ab. Deshalb
werden wir auch Ihren Haushalt ablehnen.
({16})
Als nächster Redner spricht Kollege Alois Karl für
die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Sehr geehrter Bundesgesundheitsminister! „Gut
gemacht, Rösler“,
({0})
das war die Überschrift eines Kommentars in einer deutschen Tageszeitung vor etwa zehn Tagen, als wir hier im
Deutschen Bundestag zwei große Gesetzeswerke verabschiedeten: das eine zur Neuordnung des Arzneimittelmarktes und das andere zur Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung.
({1})
- Über Sie sind solche Kommentare noch nicht gefallen,
Frau Ferner, das stimmt.
Herr Rösler, Sie haben gerade bei dem Neuordnungsgesetz viel Lob erhalten, weil Sie sich mit besonderer
Dynamik eingesetzt und damit in der Tat ein freiheitliches Gesundheitssystem unterstützt haben, anders als
Sie, Herr Leutert, es vorhin ausgeführt haben.
({2})
Unser Verständnis eines freiheitlichen Gesundheitssystems ist eben ein anderes als jenes, das Sie seinerzeit
möglicherweise den 17 Millionen aufoktroyiert haben.
Da unterscheiden wir uns vom Fundament her ganz
enorm.
({3})
Wir haben mit diesen Gesetzen vor zwei Wochen in
der Tat schwierige Aufgaben gemeistert, aber wir müssen zugeben, dass wir auch in den nächsten Monaten und
Jahren vor schwierigen Aufgaben stehen.
Der heute zu verabschiedende Haushalt des Bundesgesundheitsministers wird einen Beitrag dazu leisten,
dass unser System das bleibt, was es ist, nämlich eines
der weltbesten Gesundheitssysteme, dass wir neue Technologien finanzieren und allen Menschen in unserem
Lande hochwertigste Medizin zur Verfügung stellen
können, ohne zu selektieren oder auszugrenzen, sodass
unser System in der Tat sozial bleibt.
Der Gesundheitsminister hat recht, wenn er in der
Vergangenheit eine banale Weisheit deutlich angesprochen hat: Die Gesundheit in unserem Lande kann nicht
billiger werden. Das hängt, wie Sie wissen, mit vielem
zusammen, etwa mit dem steigenden Alter der Menschen. Wir sollten uns eingestehen, dass wir eigentlich in
einer glücklichen Zeit leben: Viele Menschen erreichen
ein Alter, das vor Generationen noch völlig unerreichbar
gewesen wäre. Wir müssten deshalb glücklicher sein.
Aber wir behandeln das Thema Gesundheit fast nur aus
finanzieller Sicht; das ist meines Erachtens viel zu wenig.
({4})
Das zunehmende Alter und der technische Fortschritt
haben in der Tat einen Einfluss auf die Finanzen. Heute
können Krankheiten geheilt werden, die noch vor einer
Generation unweigerlich zum Tod geführt hätten. Insofern kann die Medizin nicht billiger werden; wir können
uns aber auch keine billige Medizin leisten.
({5})
Die Menschen in unserem Lande werden von so vielen
Ärzten wie noch nie begleitet; es gab bei uns noch nie so
viele Ärzte. Auch diese Entwicklung ist zu bezahlen. Sie
führt zu einer Qualität unseres Gesundheitssystems, auf
die wir stolz sind.
({6})
Bisher konnte noch keiner ein Patentrezept dafür entwickeln, wie man auf die sich hochschaukelnden Kosten
reagieren sollte. Wir müssen mutige Schritte machen.
Das haben wir getan; ich habe es hier vor knapp zwei
Wochen erwähnt. Dies ist nur der Anfang;
({7})
ich denke, dass wir auf diesem Weg weiterhin gut vorankommen werden.
Wir ziehen die Pharmaindustrie bei der Senkung der
Kosten viel stärker heran, als das früher der Fall war;
({8})
wir erhöhen die Herstellerrabatte deutlich. Liebe Frau
Ferner, das war früher nicht einmal bei Ihnen möglich.
Wir haben hier schon manches erreicht: Wir haben die
Monopole geradezu eingeebnet. Wir müssen heute den
Mehrwert feststellen - das ist für mich in der Tat ein bedeutsamer Schritt -, bevor es tatsächlich Aussicht auf
Bares gibt. Ein neuer Name allein ist nicht mehr für einen höheren Preis ausschlaggebend.
({9})
Der Unterschied zu früher ist, dass wir heute nicht mehr
für Plagiate bezahlen. Auch wenn ein Medikament neu
ist, kann nicht einfach der Preis festgesetzt werden;
künftig muss darüber verhandelt werden.
({10})
Frühere Gesundheitsminister hatten nicht den Mut, dieses Thema anzugehen, aber Sie schon. Dazu gratuliere
ich Ihnen und uns.
({11})
Herr Rösler, das haben Sie gut gemacht. Vielleicht sollte
diese Botschaft auch in die Fächer Ihrer Mitarbeiter gelegt werden.
({12})
Um unser Gesundheitssystem zu erhalten, müssen wir
heute an den Stellschrauben drehen. Es ist völlig undenkbar, dass wir jedes Jahr 9, 10 oder 11 Milliarden
Euro zusätzlich in das System pumpen können, ohne die
Schuldenbremse aufzugeben, die wir uns selber auferlegt haben.
Wir stehen in den nächsten Jahren vor schwierigen
Themen. Der steuerfinanzierte Sozialausgleich - er ist
angesprochen worden - muss in die mittelfristige Finanzplanung einbezogen werden. Wichtig ist doch eines:
Hierfür werden Steuermittel ausgegeben, nicht Beitragsmittel. Nicht der Beitragszahler, sondern der Steuerzahler trägt den Sozialausgleich. Damit sind die breiteren
Schultern, die häufig von Ihnen angesprochen werden, in
der Tat gefordert. Ich glaube, das ist richtig.
({13})
Ich möchte einen anderen Punkt ansprechen. Wir leben in einem Paradoxon: Es gab in Deutschland noch nie
so viele Ärzte wie im Augenblick; dennoch leiden viele
Gegenden in unserem Lande an einer ärztlichen Unterversorgung. Der Vorstandsvorsitzende der Kassenärztlichen Bundesvereinigung geht davon aus, dass wir in
zehn Jahren gut 10 Prozent weniger Ärzte im Lande haben werden und deshalb Praxen nicht neu besetzt werden
können. Die Kommunalpolitiker weisen zu Recht darauf
hin, dass dadurch eine schwierige Situation hervorgerufen wird: Die Lebensqualität in unserem Land wird dadurch sinken; die Lebensqualität auf dem flachen Land
wird nicht mehr mit der Lebensqualität in den Ballungsräumen vergleichbar sein.
({14})
Der Versorgungsauftrag der Kassenärztlichen Bundesvereinigung wirkt nicht überall.
Herr Bundesminister, darum sollten Sie dem Anspruch der kommunalen Spitzenverbände, die Kommunen an der Bedarfsplanung zu beteiligen, entsprechen.
Den Sachverstand vieler tüchtiger Bürgermeister und
Landräte dürfen wir nicht hintanstellen. Ich meine, dass
man ihn einbeziehen sollte.
Die Vergütungsanreize für Ärzte, die sich auf dem
Land niederlassen, werden eine positive Honorargestaltung mit sich bringen. Die Hausarztverträge, die wir aus
Bayern kennen, können als gutes Vorbild dienen.
({15})
Die Ärzte werden sich als Hausärzte niederlassen, wenn
die Vergütung besser geregelt wird und sie in der Gesellschaft eine größere Wertschätzung erfahren.
Ein weiterer Punkt, auf den die mir nachfolgenden
Redner noch eingehen werden, ist die Reform der Pflegeversicherung. Wir werden das Thema des Kapitalstocks in den nächsten Monaten angehen. Auch hier
werden wir die Weichen für viele Generationen stellen.
Ich komme auf einen anderen Punkt zu sprechen, auf
den Pflegedienst. Manchmal wird er als Pflegenotstand
denunziert. Den haben wir nicht. Wir haben viele Zehntausende hervorragende Pflegerinnen und Pfleger in unserem Land. Das Problem liegt doch darin, dass die Pflegerinnen und Pfleger ein Drittel ihrer Arbeitszeit für
Verwaltungsaufgaben und die Dokumentation aufbringen müssen. Das sagen sie mir in Gesprächen immer
wieder. Wir müssen diese tüchtigen Leute von dem
Dschungel der destruktiven Verwaltungs- und Dokumentationsarbeit entlasten. Pfleger braucht das Land und
nicht Archivare und Buchhalter. Die sind in diesem Sektor meines Erachtens völlig fehl am Platze.
({16})
Hinzu kommt, dass wir den Pflegenden einen größeren
Respekt in unserem Land entgegenbringen müssen. Sie
setzen sich oft bis zur Grenze der körperlichen Belastbarkeit ein. Sie haben es verdient, dass ihre Arbeit in unserer Gesellschaft deutlich aufgewertet wird.
Auf die Haushaltszahlen sind meine Vorredner schon
eingegangen. Wir haben eine ganz besondere Haushaltskonstellation. Aufgrund des Bundeszuschusses haben
wir kaum Möglichkeiten, unseren Haushalt zu disponieren. Aber es ist beachtlich, dass der Haushalt des Gesundheitsministeriums ein Haushalt ist, bei dem die Ausgaben sinken und die Einnahmen steigen. Das hängt
auch damit zusammen, dass wir das Geld im letzten Jahr,
sehr geehrte Frau Flach, intelligent ausgegeben haben.
({17})
Ich meine, dass die steigenden Einnahmen auch damit
zusammenhängen, dass wir beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte jetzt deutlich mehr Personal haben. Neue Arzneimittel können dadurch schneller und besser geprüft werden. Sie kommen schneller auf
den Markt, was den Patienten nutzt. Die Pharmaindustrie
muss schneller bezahlen. So kommt mehr Geld in die
Kassen. Das ist eine bedeutsame Situation in diesem
Jahr. Auch im nächsten Jahr wird uns das guttun.
Das Robert-Koch-Institut, um auch auf diesen Aspekt
des Haushalts kurz einzugehen, wird nach einer zehnjährigen Zeit des Planens, Konzipierens und Bauens in
nächster Zeit zu einem der leistungsfähigsten Labors der
Welt werden. Wir werden den Personalbestand in den
nächsten beiden Jahren plangemäß erhöhen.
Im letzten Jahr habe ich bereits angekündigt, dass wir,
was die Aidsbekämpfung angeht, unsere Aktivitäten in
den mittel- und osteuropäischen Staaten einschränken
werden.
({18})
Bis dato haben wir viel Geld in der Ukraine ausgegeben, um dort Aidsbekämpfung zu betreiben. Ich glaube,
dass wir dieses Geld heute deutlich besser bei uns einsetzen können.
Die Ausgaben sinken. Die Einnahmen steigen. Der
Haushalt enthält keine Risiken. Aus diesem Grund empfehle ich Ihnen die Annahme des Einzelplans ohne Wenn
und Aber. Risiken und Nebenwirkungen sind nicht zu erkennen.
({19})
Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat nun das
Wort der Kollege Sven Kindler.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten
Kolleginnen und Kollegen! Lieber Herr Minister! Ich
glaube, diese Haushaltsberatungen sollten wir uns einprägen; denn es werden die letzten sein, bei denen die
Verhandlungen über den Gesundheitsetat zwischen den
Berichterstatterinnen und Berichterstattern vergleichsweise harmonisch und eher unaufgeregt verlaufen sind.
Das wird sich in den kommenden Jahren stark ändern.
Mit Ihrer sogenannten Gesundheitsreform haben Sie den
Ausstieg aus dem Versicherungssystem und den Einstieg
in eine Dreiklassenmedizin beschlossen.
({0})
Herzlichen Glückwunsch! Sie verabschieden sich damit von einer Gesundheitspolitik, die gerade nicht nach
Kassenlage gemacht wird und die unabhängig von Konjunktur und Steuereinnahmen ist.
({1})
FDP und Union haben die Beiträge jetzt erst einmal
erhöht, wollen sie dann einfrieren, und in Zukunft sollen
alle Kostensteigerungen von den Arbeitnehmerinnen
und Arbeitnehmern im Rahmen der Kopfpauschalen bezahlt werden. Aber das wird nicht funktionieren. Nach
Ihrer sogenannten Reform ist die Gesundheitspolitik
mehr mit dem Bundeshaushalt verquickt als jemals zuvor.
Aus dem regulären Bundeshaushalt sollen als Zuschuss jetzt schon 13,3 Milliarden Euro fließen. Dann
soll es 2 Milliarden Euro für den sogenannten steuerfinanzierten Sozialausgleich geben. Und das alles nur,
um die unsozialen Minikopfpauschalen einzuführen,
womit Sie den vollständigen Ausstieg aus dem Solidarsystem beginnen.
({2})
Das Gesundheitssystem entwickelt sich auch weiter. Wir
wissen ja, neue Medikamente und Behandlungsmethoden werden eingeführt, die Leute werden älter. Beides ist
auch gut so, und beides kostet Geld.
Jetzt muss man sich einmal anschauen: Wie haben sich
die Kosten in den letzten Jahren entwickelt? Es ist richtig,
dass die Gesundheitskosten stärker als die Löhne und
Gehälter gestiegen sind, aber im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt. Das heißt in der Konsequenz, alle Kostensteigerungen des Gesundheitssystems werden aus
Steuern finanziert. Wenn man einmal eine Steigerung der
Gesundheitskosten um 2 Prozent über den Löhnen annimmt, dann wird in den nächsten 10 bis 15 Jahren jede
gesetzlich Versicherte und jeder gesetzlich Versicherte einen Anspruch auf Sozialausgleich haben. Das bedeutet
Ihre Reform in der Konsequenz. Damit betreiben Sie einen Ausstieg aus der Beitragsfinanzierung.
({3})
Das ist Bürokratie hoch zehn, und das ist eine krasse
Entmündigung der gesetzlich Versicherten, die bisher
eben keinen Sozialtransfer brauchten.
({4})
2011 wird es für die Versicherten auch schon teurer,
0,3 Prozent Beitragsbelastung mehr. Für 2013 rechnet
das Bundesversicherungsamt mit einem durchschnittlichen Zusatzbeitrag von 16 Euro pro Versicherten. Lieber
Herr Rösler, wir wohnen ja beide im wunderschönen
Hannover. Ich freue mich auch schon auf den nächsten
Bundestagswahlkampf in Hannover, wenn Sie dann erklären müssen, dass die Spitzenverdiener im Zooviertel
nicht belastet werden und geschont werden, dass aber
gleichzeitig der Großteil unserer Nachbarinnen und
Nachbarn in Linden, in der Nordstadt oder in Hainholz
eben deutlich weniger Netto vom Brutto hat. Viel Spaß
bei dieser Aufgabe. Für diese unsoziale Politik werden
Sie nicht nur in Hannover die Quittung bekommen.
({5})
Ich sehe vor meinem inneren Auge auch schon die
Haushaltsanträge von der FDP. Das Liberale Sparbuch
haben Sie jetzt verschämt irgendwo im Regal in die Ecke
gestellt. Das wird dann ganz schnell wieder herausgeholt, und dann wird wieder ganz oben der Antrag liegen,
entweder den Sozialbeitrag zu kürzen oder zu streichen
oder eben den Leistungskatalog bei der GKV einzuschränken. Ich erhoffe mir nur, dass es dazu nicht kommt
und dass die FDP nach der nächsten Wahl nicht nur in
der Opposition, sondern in der außerparlamentarischen
Opposition, in der APO, landen wird.
({6})
- Bei 4 Prozent ist das durchaus im Bereich des Möglichen, liebe FDP.
Sie haben Glück. Ich komme jetzt zu unseren Vorschlägen. Wir steuern rechtzeitig um, bevor die Krankenkassen vollständig am Tropf der Politik hängen.
({7})
Wir werden nämlich nach der nächsten Wahl, wenn wir
wieder regieren, die Bürgerversicherung einführen.
({8})
- Genau. Jetzt kommen wir zur Bürgerversicherung.
({9})
Da wollen wir die Schwächen des jetzigen Systems
beseitigen, ohne die Stärken des Systems preiszugeben.
Wir machen aus der Zwei-Klassen-Medizin eine Medizin für alle, und wir finanzieren das System gerecht und
zukunftsfest.
({10})
- Anstatt rumzukrakeelen, sollten Sie mir lieber zuhören. Dann wissen Sie auch, wie es funktioniert.
({11})
- Ich erkläre es Ihnen ja. Dann müssen Sie aber auch zuhören. Das läuft im Parlament nun einmal so.
Der wichtigste Grundpfeiler in der Bürgerversicherung ist, dass wir alle Bürgerinnen und Bürger in einen
einheitlichen Rechtsrahmen einbeziehen. Denn die heutige Situation ist geradezu paradox. Die wirtschaftlich
Leistungsstärksten und Gesündesten können sich dem
Solidarausgleich entziehen, indem sie in die PKV wechseln. Diese Privilegierung wollen wir aufgeben, weil wir
nämlich einheitlichen, fairen Wettbewerb schaffen. Wir
wollen keine Einheitsversicherung, wir wollen keine
Zwangseinbeziehung, wir wollen aber einen einheitlichen, fairen Wettbewerb, liebe FDP. Hier geht es um
Wettbewerbspolitik.
({12})
Das heißt aber, für einen fairen Wettbewerb muss man
auch die Privilegien und die Subventionierung bei der
privaten Krankenversicherung abschaffen. Darum geht
es.
Der zweite Grundpfeiler der Bürgerversicherung ist
die Verbreiterung der Finanzierungsbasis. Wenn die
Gesundheitskosten stärker als die Löhne steigen, dann
darf die Konsequenz nicht eine Kopfpauschale sein, sondern dann müssen wir andere Einkommensquellen einbeziehen. Die Beiträge sollen abhängig vom Einkommen sein. Aber wir wollen andere Einkommensquellen,
Kapitalerträge und Mieterträge, einbeziehen, um die Finanzierung der GKV gerechter zu gestalten.
({13})
Der dritte Grundpfeiler wird die Stärkung der Solidarität der Versicherten untereinander sein. Deswegen werden wir die Beitragsbemessungsgrenze maßvoll auf das
Niveau der Rentenversicherung anheben.
({14})
- Ja, das haben wir auf dem Parteitag beschlossen. Das
wissen Sie alle. - Die Erhöhung der Beitragsbemessungsgrenze ist nicht nur wichtig, weil es um mehr Solidarität und mehr Gerechtigkeit geht, sondern sie ist auch
wichtig - liebe Koalition, Sie werden die Beiträge erhöhen -, damit wir die Beiträge für alle senken können.
Wir werden geringere und auch mittlere Einkommen
entlasten, indem wir die Beitragsbemessungsgrenze erhöhen.
Der letzte Grundpfeiler - dies ist für mich als Ökonom besonders wichtig - ist, dass wir die Parität zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern wiederherstellen, damit die Unternehmen Interesse daran haben, dass
es im Gesundheitssystem Wirtschaftlichkeit und Qualität
gibt. Diesen ökonomischen Anreiz schaffen Sie gerade
ab. Das finde ich besonders fatal.
Das sind die Grundpfeiler unseres Konzepts einer
Bürgerversicherung. Wir wollen fairen Wettbewerb, wir
wollen eine Verbreiterung der Finanzierungsbasis und
mehr Solidarität der Versicherten untereinander, und das
mit geringen Beiträgen für alle Versicherten. Wir wollen
keine unsoziale Kopfpauschale, sondern eine Bürgerversicherung für alle.
Vielen Dank.
({15})
Herr Kollege, Sie sind zwar am Ende Ihrer Redezeit,
Herr Singhammer würde Ihnen aber noch gerne eine
Frage stellen. Geben Sie ihm die Gelegenheit?
Klar, er kann meine Redezeit gerne verlängern.
Herr Kollege Singhammer, bitte.
Es ist mir eine Freude, Ihre Redezeit zu verlängern.
Ich habe eine kurze Frage. Sie haben im Rahmen Ihres
Konzepts beschlossen, dass es bei der Bürgerversicherung ein Beitragssplitting bei Paaren geben soll. Ich
nenne jetzt einen konkreten Fall als Beispiel: Jemand
verdient 5 400 Euro, nehmen wir einmal an, der Mann,
und eine Frau 1 500 Euro.
({0})
Ich verstehe schon, dass ist Ihre Vorstellung, Ihr Familienmodell.
Ja, das ist ein Beispiel. In dem Moment, in dem diese
beiden Menschen heiraten, steigt die monatliche Belastung in der gesetzlichen Krankenversicherung um
300 Euro. Jetzt frage ich Sie: Was haben Sie eigentlich
gegen die Ehe? Warum wird das teurer?
Kollege Singhammer, ich habe überhaupt nichts gegen die Ehe.
({0})
Ich finde vielmehr, dass alle Partnerschaften, egal ob
Mann und Mann, Frau und Frau, Mann und Frau, also
egal, in welchen Formen, gleichberechtigt behandelt
werden sollten. Das finde ich richtig. Deswegen wollen
wir das Beitragssplitting. Dadurch können wir eine gerechte Beteiligung aller Partnerschaften erreichen. Das
ist der Hintergrund.
Danke.
({1})
Das Wort hat nun der Bundesminister für Gesundheit,
Dr. Philipp Rösler.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Der Einzelplan 15 umfasst 15,8 Milliarden Euro;
das wurde schon gesagt. Davon gehen allein 15,3 Milliarden Euro als steuerlicher Bundeszuschuss in den Gesundheitsfonds und stehen der gesetzlichen Krankenversicherung zur Verfügung. Das bedeutet: Leider stehen nur
477 Millionen Euro für den Geschäftsbereich selber zur
Verfügung. Die tatsächlich freien Mittel belaufen sich auf
65 Millionen Euro. Angesichts dieser Zahl ist klar, dass
jede Ausgabe, auch gerade die Ausgaben, die meine Vorgängerin gepflegt hat, selbstverständlich genauer unter
die Lupe genommen werden muss, um gegebenenfalls zu
sparen oder - besser formuliert - zu kürzen.
({0})
An dieser Stelle möchte ich mich zunächst einmal bei
allen Berichterstattern des Haushaltsausschusses für die
harten, aber im Ergebnis fairen Diskussionen bedanken;
ich bedanke mich nicht in allen Fällen für das Ergebnis,
aber trotzdem für die gute Zusammenarbeit. Ich tue das
ausdrücklich auch im Namen des gesamten Bundesministeriums für Gesundheit.
({1})
Bei den Maßnahmen, die wir getroffen haben, handelt
es sich vor allem seitens des Haushaltsausschusses dankenswerterweise nur um technische Änderungen. Das
zeigt auch die Ausgewogenheit des Regierungsentwurfes. Angesichts der Maßnahmen sieht man auch, dass
sich gerade Ihre Kritik, Herr Schurer, eigentlich in Luft
auflösen muss. Sie hatten ja bemerkt, dass bei den Maßnahmen zur Prävention, gerade bei den Maßnahmen gegen HIV und Aids, angeblich zu viel gespart wird. Führen wir uns die Zahlen noch einmal vor Augen: Der Titel
wurde von 13,2 Millionen Euro um 200 000 Euro auf
13 Millionen Euro reduziert, also um gerade einmal
1,5 Prozent. Angesichts solcher Zahlen von einem Kaputtsparen der Prävention und der Maßnahmen gegen
HIV zu sprechen, entbehrt wirklich jeglicher Grundlage.
({2})
Man muss wissen, dass manche Ansätze sogar steigen. So werden 25,2 Millionen Euro - das ist einer der
größten Ausgabenblöcke im Einzelplan 15 - für die Stiftung „Humanitäre Hilfe“, eine Stiftung für Menschen,
die durch Blutprodukte, die mit dem HI-Virus verseucht
waren, infiziert wurden, zur Verfügung gestellt. Das ist
nicht nur eine Hilfe für die tatsächlich betroffenen Menschen, sondern auch ein Signal an alle beteiligten Partner, in Zukunft zu ihrer Verantwortung zu stehen und ihren Finanzierungsbeitrag zu leisten.
({3})
Im Ergebnis zeigt sich, dass der Regierungsentwurf
ausgewogen ist. Wir kürzen dort, wo es machbar und
notwendig ist, auch im Interesse des Haushalts. Die
Menschen, die betroffen sind, vergessen wir aber nicht.
Für sie stellen wir auch in Zukunft die notwendigen Mittel zur Verfügung.
({4})
Gestern war WHO-Generaldirektorin Frau Chan vor
Ort; ich glaube, sie hat im Ausschuss auch mit Ihnen diskutiert. Im Weltgesundheitsbericht 2010, den sie der
Weltöffentlichkeit gestern vorgestellt hat, ging es unter
anderem um die Finanzierung von Krankenversicherungssystemen. So unterschiedlich diese Systeme auch
sind, drei wesentliche Merkmale spielen immer wieder
eine Rolle.
Erstens besteht die Notwendigkeit einer stabilen Finanzierung, nicht nur mit Blick auf das nächste Jahr,
sondern dauerhaft, gerade angesichts demografischer
Veränderungen.
({5})
Zweitens ist die Ausgewogenheit der Finanzierung,
der Lastenausgleich, von Bedeutung,
({6})
nicht nur der Ausgleich zwischen Gesunden und Kranken, sondern auch zwischen Arm und Reich.
Drittens braucht man eine möglichst effiziente Mittelverwendung.
({7})
Frau Ferner, wenn man das System, das wir auf den
Weg gebracht haben, daraufhin überprüft, kann man
feststellen, dass alle drei Ziele erreicht wurden.
({8})
Erstens haben wir eine stabile Finanzierung sichergestellt, nicht nur für das Jahr 2011, sondern auch für die
weitere Zukunft, indem wir erstmalig der demografischen Entwicklung Rechnung tragen,
({9})
und zwar durch eine stärkere Entkopplung der Krankenversicherungskosten von den Lohnzusatzkosten.
({10})
Damit ist das erste Ziel, das die WHO formuliert hat,
eindrucksvoll und nachhaltig erfüllt.
({11})
Zweitens: zum fairen Lastenausgleich. Erstmalig werden im System Steuermittel zur Verfügung gestellt, um
einen Ausgleich zwischen Arm und Reich zu gewährleisten.
({12})
Bisher, Frau Ferner, gibt es einen solchen Ausgleich nur
innerhalb der gesetzlichen Krankenversicherung,
({13})
aber nicht im Hinblick auf das gesamte Steueraufkommen. Damit verteilen wir die Solidarität auf breitere
Schultern.
({14})
Im Ergebnis bedeutet dies nicht weniger, sondern natürlich mehr Solidarität in unserem Krankenversicherungssystem.
({15})
Drittens: zur effizienten Mittelverwendung. Sie wollten eine Einheitsversicherung einführen; das war und ist
Ihr erklärtes Ziel. Wir hingegen wollen einen fairen
Wettbewerb der Krankenversicherungen,
({16})
weil wir davon überzeugt sind, dass der Wettbewerb für
eine effiziente Mittelverwendung sorgen kann.
({17})
Wenn man sich Ihre Alternative ansieht, kann man
nur sagen: Floskeln kamen bisher nur vonseiten der Sozialdemokraten. Bis heute sind Sie uns Ihr Modell der
Bürgerversicherung schuldig geblieben.
({18})
Die ehemals große Volkspartei SPD hat es bis jetzt nicht
geschafft, ein Modell zu entwickeln, und wurde einmal
mehr von den Grünen überholt.
({19})
Das ist allerdings das einzig Positive. Denn wir können festhalten, Frau Bender, dass Sie, zum Beispiel
durch den Vorschlag, die Beitragsbemessungsgrenze anzuheben, klargemacht haben, dass Sie den Menschen
Geld abnehmen wollen. Künftig wird der in der gesetzlichen Krankenversicherung monatlich zu zahlende Beitrag bis zu 800 Euro betragen. Hinzu kommt, dass Sie
die Möglichkeiten der Familienmitversicherung einschränken wollen. Vor diesem Hintergrund hat Ihr Modell mit Nachhaltigkeit, fairem Lastenausgleich und
Wettbewerb bei der Mittelverwendung nichts, aber auch
gar nichts zu tun.
({20})
Insofern, Herr Kindler, mag es sein, dass wir uns, was
den Einzelplan 15 anbelangt, einig sind. Ich glaube aber,
es wird deutlich werden, dass genau das, was die WHO
gefordert hat,
({21})
von dieser Regierungskoalition umgesetzt wurde und
dies im Ergebnis zu genau dem führen wird, was die
Menschen wollen: zu einem nachhaltigen und gut finanzierten Krankenversicherungssystem.
({22})
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({23})
Das Wort hat die Kollegin Elke Ferner von der SPDFraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich
kann nur sagen: Wenn derjenige, der die Sozialversicherungssysteme vor weit mehr als 100 Jahren auf den Weg
gebracht hat, nämlich Bismarck, erleben würde,
({0})
was Schwarz-Gelb daraus macht,
({1})
würde er sich im Grabe umdrehen, Herr Spahn.
({2})
Denn Schwarz-Gelb ist offenkundig nur von einem einzigen Wunsch beseelt, nämlich die sozialen Sicherungssysteme, die die ganzen Jahre über so etwas wie der Kitt
unserer Gesellschaft gewesen sind, zu individualisieren
und zu privatisieren. Das wollen Sie, Sie sagen es nur
nicht. Aber die Menschen werden es sehen. Sie sind
nämlich nicht so dumm, wie Sie glauben.
({3})
Ich möchte Ihnen einmal etwas sagen, Frau Flach,
auch wenn Sie etwas anderes wiederholen - Sie sollten
die Zahlen bitte so zuordnen, dass sie stimmen -: Ulla
Schmidts Abschlussbilanz war 1 Milliarde Euro Überschuss bei den gesetzlichen Krankenversicherungen.
({4})
Im Jahr 2010 regiert Schwarz-Gelb und nicht die SPD.
Für das Jahr 2011 - auch dann wollen Sie noch regieren war ein Defizit von 9 bis 11 Milliarden Euro prognostiziert, das Sie zunächst einmal unter anderem mit Beitragssatzanhebungen bekämpfen wollten, die auch Sie
nicht wollten, Herr Rösler, und die Sie zu Beginn Ihrer
Amtszeit sogar ausgeschlossen hatten.
Sie haben es in der letzten Woche geschafft, dass die
Grundsäulen der gesetzlichen Krankenversicherung zerstört werden.
({5})
Aber sie werden Gott sei Dank nicht so zerstört, dass wir
sie 2013 nicht wieder rückgängig machen könnten. Wir
werden das machen. Wer 2013 mit uns regieren will,
wird diesen Murks rückstandslos rückgängig machen
müssen.
({6})
Ich sage Ihnen einmal etwas zu dem Thema gerechte
Finanzierung und Sozialausgleich. Sie behaupten erstens, der sogenannte Sozialausgleich würde aus Steuermitteln finanziert. Die starken Einkommen würden viel
mehr dazu beitragen als die schwachen Einkommen.
({7})
- Nein, es geht nicht um Prozentrechnung, Herr Kollege.
Da sind Sie leider im Irrtum. - Schauen Sie sich das einmal an: Sie wollen keine Steuererhöhungen, sondern
Steuersenkungen, und zwar für die Menschen oben mehr
Steuersenkungen als für die Menschen unten. Das bedeutet aber eben nicht, dass die breiten Schultern mehr
tragen als die schwachen Schultern.
Der zweite Punkt ist: Da nicht mehr Steuern generiert
werden, Sie aber den Steuerzuschuss in die gesetzliche
Krankenversicherung erhöhen, muss das Geld irgendwoher kommen. Und wo nehmen Sie es her? Sie kürzen den
Zuschuss an die Rentenversicherung für die Langzeitarbeitslosen. Das sind dann die stärkeren Schultern, wenn
es nach Ihnen geht. Sie streichen den SGB-II-Empfängern das Elterngeld. Das sind dann die stärkeren Schultern, wenn es nach Ihnen geht. Was ist das denn für eine
Politik? Sie organisieren weniger Netto vom Brutto für
die unteren Einkommen, und die oberen Einkommen
werden unterproportional an den Kostensteigerungen im
Gesundheitswesen beteiligt. Das ist Politik à la SchwarzGelb. Das ist keine gerechte Politik. Das ist ungerecht,
und das ist zynisch, liebe Kollegen und Kolleginnen.
({8})
Von der PKV haben Sie ordentlich Wahlkampfspenden erhalten. Dafür bedanken Sie sich jetzt mit der Möglichkeit zu schnellerem Wechseln. Es gibt jetzt einen
Turbowechsel für diejenigen Versicherten, die gut verdienen. Die Zusatzversicherungen sind ein exklusives
Geschäft für die PKV. Das ist wirklich sehr sozial, muss
man einmal sagen.
Aber damit nicht genug: Sie wollen die gesetzlichen
Krankenversicherungen dem Kartellrecht unterwerfen.
Ich frage mich, welche Denke dahintersteht. Die gesetzlichen Krankenversicherungen sind Sozialversicherungen und keine Wirtschaftsunternehmen. Der Sinn und
Zweck der Sozialversicherung ist, mit den Beitragsmitteln möglichst sparsam umzugehen. Das heißt, wenn die
gesetzlichen Krankenversicherungen gut verhandeln,
dann tun sie das nicht zum Zweck der Gewinnmaximierung, sondern sie tun das dafür, damit die Versicherten
ihre Beiträge nicht noch mehr erhöht bekommen.
({9})
- Herr Präsident, Herr Straubinger möchte mir eine Zwischenfrage stellen.
({10})
Indem Sie mich darauf aufmerksam machen, wollen
Sie zum Ausdruck bringen, dass Sie die Frage gerne gestellt bekommen wollen.
Gerne, ja. Wenn Sie die Uhr anhalten, ja.
Herr Straubinger, bitte schön.
Frau Kollegin, weil Sie in Ihren Ausführungen wieder
einen Zusammenhang zwischen Wahlkampfspenden und
damit verbundenen politischen Entscheidungen herstellen wollen, frage ich Sie: Gehe ich recht in der Annahme, dass auch die SPD als Partei von der Versicherungswirtschaft eine Spende bekommen hat?
Herr Straubinger, ich danke Ihnen sehr für diese wunderbare Frage. Bei der Antwort darauf kann man nämlich den Unterschied zwischen Ihnen und uns ganz klar
und deutlich machen.
Wir haben uns immer dazu bekannt, dass wir die Unterschiede und vor allem die Trennung zwischen privater
und gesetzlicher Krankenversicherung für falsch halten
und eine Bürgerversicherung wollen.
({0})
Daran ändern auch Spenden der privaten Versicherungswirtschaft nichts.
({1})
Sie, Herr Straubinger, sorgen aber durch die Möglichkeit des Turbowechsels dafür, dass den gesetzlichen
Krankenversicherungen im Jahr ein Betrag in dreistelliger Millionenhöhe verloren geht. Sie schustern der privaten Krankenversicherung das Zusatzgeschäft exklusiv
zu. Das ist Ihre Politik, Herr Straubinger, und deshalb
bedanke ich mich ganz herzlich für diese Frage.
({2})
Herr Rösler hat ja eben die WHO angesprochen. Ich
habe im Übrigen eine völlig andere Einschätzung als
Sie: Sie erreichen mit Ihrer Reform die drei von Ihnen
genannten Punkte nicht. Herr Rösler, Sie sind an allen
drei Punkten auf der ganzen Linie gescheitert. Deshalb
werden Sie 2013 auch die Quittung dafür bekommen.
Da Sie sich schon auf die WHO berufen, wundert es
mich ein bisschen, dass Sie nicht auch darauf hinweisen,
dass die WHO beispielsweise gesagt hat, dass beim Modell der Vorkasse die Kostensteuerung durch die Krankenkassen fehlt. Die WHO sagt auch:
Die Organisation plädiert stattdessen für Systeme,
bei denen es möglichst keine direkten Finanzbeziehungen zwischen Ärzten und Patienten gibt.
Das finden Sie nicht so gut, weil Sie in der letzten
Woche das Gegenteil beschlossen haben.
Ich kann alle Neugierigen unter den Versicherten nur
warnen, diese Vorkasse zu leisten.
({3})
Ich kann ihnen nur empfehlen, dass sie, wenn ihnen ein
Arzt nur dann einen Termin geben will, wenn sie bereit
sind, in Vorkasse zu treten, sofort ihre Krankenkasse informieren, weil das nicht erlaubt ist. Es wird aber so
kommen.
({4})
- Frau Flach, die Einzigen, die einen Vorteil von der
Vorkasse haben, sind die Ärzte, die höhere Honorare bekommen, aber nicht die Versicherten, die auch ohne Vorkasse genau die gleiche Sachleistung und medizinische
Versorgung erhalten würden, während die Ärzte nicht so
viel Honorar bekämen.
({5})
Der letzte Punkt, den ich noch kurz ansprechen
möchte, ist die Pflegeversicherung. Sie wollen die
Kopfpauschale jetzt auch noch in der Pflegeversicherung
einführen, weil in Ihrer Koalitionsvereinbarung Unsinn
steht. Haben Sie sich eigentlich einmal ausgerechnet,
wie viel Geld man mit 10 Euro im Monat bei einer Verzinsung von 3 Prozent nach zehn Jahren zusätzlich auf
der hohen Kante hat? Das soll ja individuell sein, wenn
ich das richtig gelesen habe. Herr Spahn, Sie können ja
vielleicht einmal erklären, wie Sie das alles machen wollen und inwiefern individuelle Rückstellungen besser
funktionieren sollen als eine kollektive Absicherung der
Risiken.
({6})
Man hat dann ungefähr 1 300 Euro. Wer weiß, was die
Hilfestellung im Falle der Pflegebedürftigkeit kostet, der
weiß auch, dass das nur ein Tropfen auf den heißen Stein
ist und dass das Problem hinsichtlich der Demografie dadurch überhaupt nicht gelöst wird.
Das Einzige, was damit erreicht wird, ist, dass die privaten Versicherungsunternehmen - insofern liefern Sie
ihnen an dieser Stelle wohl auch wieder etwas - höhere
Renditeerwartungen haben werden. Sonst passiert an
dieser Stelle nichts.
({7})
Ich kann nur sagen: Ihre Gesundheitspolitik und Ihre
Politik für die Pflegebedürftigen sind gescheitert. Sie
werden das auch in den nächsten drei Jahren nicht besser
machen können, weil Sie ideologisch völlig verblendet
sind und unseren Sozialstaat kurz und klein hauen wollen.
({8})
Den Schaden, der bis 2013 eingetreten ist, werden wir
rückstandslos wieder rückgängig machen.
Schönen Dank.
({9})
Das Wort hat der Kollege Jens Spahn von der CDU/
CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Liebe Frau Kollegin Ferner, dass die Sozialdemokratie
Bismarck einmal lobend erwähnen würde, hat er sicherlich nicht erwartet. Unabhängig davon entlarven Sie sich
mit dem, was Sie hier gesagt haben, ein Stück weit als
Strukturkonservative. Natürlich hat das, was im Sozialversicherungsrecht geschaffen worden ist, nämlich eine
Finanzierung ausschließlich über Beiträge, über sehr
viele Jahrzehnte gut funktioniert. Man muss aber doch
anerkennen, dass wir insbesondere im Gesundheitswesen, wo die Kosten aufgrund der älter werdenden Gesellschaft und des medizinischen Fortschritts steigen - hier
gibt es anders als bei der Rente und bei der Arbeitslosenversicherung keine direkte Verbindung zwischen den
Beiträgen und den anschließend ausgezahlten Leistungen -, keine Finanzierung dauerhaft durchhalten, die
ausschließlich beitragsfixiert ist.
({0})
Deswegen machen wir die Veränderung. Sie können
nicht mit Lösungen von gestern die Antwort auf die Fragen von morgen geben.
({1})
Deswegen sieht diese Koalition eine zusätzliche Finanzierungsquelle aus einer anderen Richtung vor.
({2})
Wenn wir bei der Frage der künftigen Finanzierung
sind, muss man - es ist gerade schon gesagt worden den Grünen insofern ein Kompliment machen, als sie im
Vergleich zu SPD konkreter - zwar noch nicht richtig
konkret, aber doch konkreter - geworden sind.
({3})
Wir warten ja schon seit Jahren, mittlerweile seit Jahrzehnten darauf, dass Sie uns endlich vorlegen, wie Ihr
Bürgerversicherungskonzept tatsächlich aussehen soll,
wie es durchgerechnet ist. Da kommt nichts, nichts und
wieder nichts. Man wundert sich manchmal, dass es Ihnen selbst nicht peinlich ist, nachdem Sie im Dezember
angekündigt hatten, dass wir kurzfristig - das war,
glaube ich, das Wort - ein durchgerechnetes Konzept
vorgelegt bekommen, und wir bis heute nichts gesehen
haben.
Die Grünen werden da konkreter: die Beitragsbemessungsgrenze hoch von gut 3 700 Euro. Sie hat sich übrigens, Herr Kollege Leutert - nur, damit Sie da die richtige Faktenbasis haben -, nicht aufgrund von politischen
Entscheidungen nach unten verändert. Sie hat sich nach
unten verändert, weil die Löhne in den letzten Jahren gesunken sind. Wenn Sie meinen, dass die Menschen,
wenn die Löhne sinken, mehr für die Sozialversicherung
zahlen sollen, dann sagen Sie es den Menschen. Wir
meinen, es ist richtig: Wenn die Löhne sinken, müssen
auch automatisch die entsprechenden Beitragsbemessungsgrenzen sinken.
({4})
- Die mangelnde Faktenbasis machen Sie auch nicht mit
Schreien wett. Das nützt an dieser Stelle nicht viel.
Die Grünen sagen: Beitragsbemessungsgrenze rauf
auf 5 500 Euro, Kapital, Miete, Zinsen sollen auch verbeitragt werden. Die private Krankenversicherung soll
abgeschafft werden.
({5})
Sie werden konkreter. Aber Sie bleiben doch an vielen
Stellen unkonkret, und Sie sind an vielen Stellen auch
unehrlich. Das ist gerade eben wieder deutlich geworden.
Das Erste. Die größte Entlastung, die Sie für die angebliche Senkung des Beitragssatzes, die der Kollege
Kindler gerade erwähnt hat, eingerechnet haben, ergibt
sich daraus, dass Sie die private Krankenversicherung
abschaffen wollen und die Beiträge der Privatversicherten einrechnen.
({6})
Wenn Sie das Interview des Fraktionsvorsitzenden
Trittin von heute in der taz lesen, stellen Sie fest, wie er
sich dreht und wendet, weil er nicht erklären kann, wie
Sie denn die private Krankenversicherung von einem
Tag auf den anderen abschaffen können. Sie wissen nämlich genau - so steht es ja in Ihrem eigenen Antrag -, dass
es Eigentumsrechte der Privatversicherten gibt. Das ist
nichts als Augenwischerei, weil Sie genau wissen, dass
Sie das, was den Beitrag am meisten senken soll, am
Ende gar nicht um- und durchsetzen können.
({7})
Das Zweite - das ist wie Jahrmarkt im Himmel -: Zuzahlung weg, Praxisgebühr weg. Bei all dem, was wir
zum Teil einmal gemeinsam eingeführt haben, übrigens
aus der Erkenntnis heraus,
({8})
dass es richtig ist, in begrenztem und vernünftigem Maß
- es gibt für die jeweilige Belastung des Einzelnen ja
Höchstgrenzen - auch im Sinne von Steuerungswirkung
Zuzahlungen zu haben, sagen Sie in ein, zwei saloppen
Sätzen: Das soll alles weg. Dass damit insgesamt
5 Milliarden Euro an Einnahmen wegfallen, bei denen
Sie nicht viele Worte darauf verwenden, wie Sie das
denn finanzieren wollen, macht einmal mehr deutlich:
Das sind schöne Worte, aber - auch ein zweites Mal nicht mehr als Augenwischerei.
({9})
Das Dritte - das ist das Interessanteste, wenn man das
in ein Gesamtbild setzt -: die Gewerbesteuer für Freiberufler, der Abbau des Ehegattensplittings, die Anhebung
des Spitzensteuersatzes, den entgegen der allgemeinen
Annahme in diesem Land nicht die Superreichen zahlen
müssen, sondern den schon relativ bald die Mittelschicht
erreicht. Die beitragsfreie Mitversicherung für Ehepartner soll weg. Die Beitragsbemessungsgrenze soll auf
5 500 Euro hoch. Das trifft entgegen all dem, was Sie
hier sagen und was Sie wahrscheinlich gleich auch wieder sagen werden, nicht die Reichen und Superreichen
im Land. Das trifft die Mittelschicht, die Leistungsträger, die Freiberufler, die Facharbeiter, diejenigen, die
Überstunden ausgezahlt bekommen. Diejenigen, die sowieso das ganze Land tragen und finanzieren, werden
durch Sie zusätzlich belastet. Das sollten Sie ihnen auch
ehrlich sagen, liebe Kolleginnen und Kollegen.
({10})
Sie sind im Grunde - das wird in diesen Tagen vielfach diskutiert - überall dagegen: neue Bahnhöfe, neue
Trassen für Leitungen, Kernenergie, Olympia - dagegen.
({11})
Jetzt sind Sie einmal für etwas und werden an dieser
Stelle konkret. Sie sind nun nicht nur nicht die Wohlfühlpartei, wie Ihr Fraktionsvorsitzender sagt, sondern im
Grunde genommen die Partei der Enteignung der Mittelschicht, weil Sie sie an vielen, vielen Stellen entscheidend treffen.
Sie behaupten immer, Ihre Klientel würde es gerne
hinnehmen; sie würde gerne belastet werden. Wir könnten gerne den Praxistest machen, aber wir sollten das
besser nicht in die Praxis umsetzen. Ich glaube das nicht,
was Sie da sagen. Diese Klientel - die Leistungsträger
der Gesellschaft, die Mittelschicht, die Facharbeiter, die
Freiberufler, diejenigen, die Überstunden machen - will,
dass das, was sie leistet, wertgeschätzt wird und dass sie
nicht abgezockt wird. Deswegen ist das, was Sie tun,
falsch.
({12})
- Es ist schön, dass Sie wissen, Herr Kurth, wie wenig
durchgerechnet Ihr Konzept ist. Wenn mich nicht alles
täuscht, haben Sie sogar eine Kommission eingesetzt,
um sich ehrlich zu machen, wie die unterschiedlichen
Konzepte, die Sie haben - Steuerkonzept, Sozialversicherung -, zusammenpassen. Wenn Sie das meinen,
wenn Sie sagen: „Wir sagen jetzt mal deutlich und konkret, was wir wollen; wir müssen uns erst noch ehrlich
machen“, dann stelle ich mir darunter etwas anderes vor.
({13})
Ich komme zum GKV-Finanzierungsgesetz. Wir haben als Koalition deutlich und ehrlich gesagt, wie unsere
Antwort auf diese Herausforderung lautet, nämlich indem wir neben der Beitragssatzerhöhung und der Rückkehr zum alten Beitragssatz, neben der Belastung für
diejenigen, die im Krankenversicherungsbereich Leistungen erbringen, die Zuwächse begrenzen,
({14})
indem wir dort konkret sparen, indem wir eine Perspektive für eine nicht nur beitragsbezogene Finanzierung
bieten, indem wir die Zusatzbeiträge weiterentwickeln
und - jetzt kommt der entscheidende Teil - die Steuerfinanzierung für den Sozialausgleich machen. Dadurch
wird kein zweites Finanzamt nötig.
Ihr Konzept macht es nötig, dass Krankenkassen zu
zweiten Finanzämtern werden, weil jede Einkommensart
einzeln bei den Krankenkassen geprüft werden muss.
Das bringt zusätzliche Bürokratie.
({15})
Im Übrigen wird Ihr Konzept, mit dem Sie Kapitaleinkünfte, Zinsen und Mieten verbeitragen, dazu führen, dass es massive Geldabflüsse aus Deutschland geben wird. Sie belasten damit nicht nur die Pensionsfonds
und die großen Banken, sondern auch die Kleinanleger,
die Mittelschicht und die kleinen Sparer, weil sie zusätzliche Beiträge auf ihre Zinsen zahlen müssen. Sie sagen
schließlich nicht, wo dieser ominöse Freibetrag erhoben
werden soll.
Sie machen also aus den Krankenkassen zweite
Finanzämter, und Sie scheuchen das Geld aus dem Land.
({16})
Das sind zwei falsche Ansätze.
Wir sagen: Es ist richtig, das über das Steuersystem
zu machen. Damit haben wir die notwendigen Instrumente bereits in der Hand und müssen nichts zusätzlich
ausbauen. Das ist per se und in sich gerecht, weil wir
eine progressive Steuer haben. Die Reichen zahlen also
mehr.
({17})
Deswegen ist der Weg, den wir in dieser christlich-liberalen Koalition gehen, die bessere Antwort auf die Herausforderungen, die sich uns stellen.
({18})
Das wird sich auch in der Pflege zeigen. Auch hier
verfolgen wir als Koalition den Kurs der Ehrlichkeit, indem wir den Menschen ehrlich sagen, wie die Situation
aussieht.
({19})
Die steigende Zahl der über 80-Jährigen ist an sich etwas
Schönes. Wir alle wünschen uns, ein hohes Alter zu erreichen. Die Menschheit strebt seit ihrem Bestehen danach, möglichst alt zu werden und dabei idealerweise
möglichst gesund zu bleiben. Die Zahl der über 80-Jährigen steigt zum Glück. Damit steigt aber auch der Bedarf
an Unterstützung im Alltag, an Pflege und Betreuung für
viele im höheren Alter.
Wenn Sie gleichzeitig eine Debatte darüber führen,
den Pflegebegriff neu zu definieren,
({20})
und sagen, dass es nicht ausreichen kann, nur auf körperliche Einschränkungen zu achten, sondern dass es auch
mögliche demenzielle Erkrankungen mit in den Blick zu
nehmen gilt, wenn man darüber reden will, dass es zwischen dem ambulanten und stationären Bereich weitere
Angebote geben muss, und wenn man über die Attraktivität der Pflegeberufe reden will,
({21})
was mit Geld zu tun hat, aber auch mit dem Ansehen in
der Gesellschaft, und über die medizinische Versorgung
in den Pflegeeinrichtungen, dann ist auch hier die ehrliche Botschaft - wir sagen das den Menschen; Sie drücken sich ja vor diesen Botschaften -, dass es teurer werden wird.
({22})
Diese Ehrlichkeit gehört dazu.
Aber - das ist sehr wichtig, Frau Kollegin Ferner zur Ehrlichkeit gegenüber nachfolgenden Generationen
gehört auch, dass man ihnen nicht sagt: Seht zu, wie ihr
in 10, 20 oder 30 Jahren damit fertig werden wollt. Weil
die Menschen der nachfolgenden Generationen schon
geboren sind, wissen wir, dass wir zwischen 2025 und
2035 vor einer besonders großen Herausforderung in der
Finanzierung stehen werden, weil dann der Anteil der
über 80-Jährigen an der Bevölkerung besonders hoch
sein wird.
({23})
Wenn man das weiß, dann gehört es auch zur Ehrlichkeit,
({24})
dass man für diese Zeiten Geld zurücklegt, wenn es
zusätzliche Bedarfe gibt. Dafür muss man eben heute
sparen. Heute zu sparen, bedeutet auch ein Stück weit
Konsumverzicht. Wir glauben, dass es im Interesse
nachfolgender Generationen und auch im Interesse des
Gesamtsystems, dessen Leistungen dauerhaft finanziert
werden müssen, damit allen Pflegebedürftigen auf einem
entsprechenden Niveau das Notwendige zur Verfügung
steht, verantwortungsvoll und die richtige Antwort ist,
eine Kapitalrücklage zu schaffen, die im Übrigen individualisiert sein soll. Frau Kollegin Ferner, wir wählen die
ehrliche Variante und schlagen uns nicht in die Büsche.
Wir machen nicht nur Überschriften, die gut klingen.
Vielmehr sagen wir den Menschen, dass wir heute und in
Zukunft einen fairen Ausgleich im Gesundheitswesen
und in der Pflege brauchen. Wir freuen uns über jeden
konstruktiven Vorschlag, den Sie zur Abwechslung machen.
({25})
Das Wort hat die Kollegin Dr. Martina Bunge von der
Fraktion Die Linke.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Einen guten Haushalt zieren Haushaltsklarheit und Haushaltswahrheit. Schauen wir uns einmal den Einzelplan 15 an. Sie stellen 2 Milliarden Euro als zusätzlichen
Bundeszuschuss an die gesetzliche Krankenversicherung
ein. Das wäre nicht nötig, wenn Sie zwischen den Ressorts für Ordnung sorgten und endlich die Entlastung des
einen Haushalts auf Kosten des anderen beenden würden. So wurden vor Jahren ganz bewusst für eine
Kostenminderung im Haushalt des Ministeriums für Arbeit und Soziales die Beiträge für die Arbeitslosengeld-II-Bezieher willkürlich gesenkt, und zwar zuungunsten der gesetzlichen Krankenversicherung. Das ist
eine nicht unwesentliche Ursache, wie ich meine, für das
Milliardenloch im Gesundheitsfonds.
Der Einzelplan 11 - Arbeit und Soziales - ist verabschiedet. Sie haben nicht endlich reinen Tisch gemacht.
Sie haben unserem Antrag, der für Ordnung und für angemessene Beiträge für ALG-II-Bezieher sorgen und damit der gesetzlichen Krankenversicherung 5 Milliarden
Euro bringen sollte, nicht zugestimmt. Sie wollen das
Gesundheitssystem vollends kaputtmachen.
({0})
Ein Gesundheitssystem machen Sie kaputt, das, wie die
vorgestern hier in Berlin vorgestellte Studie der Weltgesundheitsorganisation zeigt, vielen Ländern mit bisher
solidarischer Ausrichtung Vorbild ist.
({1})
Herr Minister, ich habe mir die Studie ebenfalls genau
angeschaut, interpretiere sie aber anders. Dort sind drei
Tendenzen genannt. Zum einen soll ein besserer Zugang
zum Gesundheitswesen geschaffen werden, möglichst
für alle. Zum anderen soll ein immer größerer Leistungsumfang gewährt werden, möglichst ein voller für alle.
Des Weiteren sollen die direkten individuellen Kosten
verringert werden. Das Ziel ist, möglichst keine zu haben. Die anderen Länder gehen in diese Richtung und
schauen dabei noch auf Deutschland. Merken Sie nicht,
dass Sie mit der Reform am Freitag der letzten Sitzungswoche alles umdrehen, dass es in eine andere Richtung
geht? Sie schicken Deutschland als Geisterfahrer auf die
Autobahn. Das ist die Wahrheit über Ihre Politik.
({2})
Insofern ist der Bericht der WHO eine schallende Ohrfeige für die Politik der Bundesregierung, insbesondere
für die Gesundheitspolitik. Kollegin Ferner, ich stimme
Ihnen voll zu: Die Kopfpauschale, aber auch alle anderen Zuzahlungen und die Praxisgebühr müssen weg.
({3})
Als Begründung für die Politik der Regierung müssen
immer wieder - wir haben das gerade vom Kollegen
Spahn wieder gehört - steigende Kosten wegen der demografischen Entwicklung und des medizinischen Fortschritts herhalten, als seien diese Kosten nicht durch
gute Politik beeinflussbar. Aber Schwarz-Gelb will
keine gute Politik machen, sondern Politik für ihre
Klientel. Daher leugnet sie Handlungsmöglichkeiten.
Ich möchte dazu aus der Antwort der Bundesregierung auf unsere Kleine Anfrage zitieren, in der wir sie
unter anderem fragen:
Welche Maßnahmen ergreift die Bundesregierung,
damit ein steigender Anteil älterer Menschen an der
Gesamtbevölkerung nicht zu steigenden Gesundheitsausgaben führt?
Die Antwort lautet:
Die Bundesregierung sieht steigende Gesundheitsausgaben nicht als Fehlentwicklung an, wenn diese
Resultat einer in der Folge der Bevölkerungsalterung ansteigenden Multimorbidität … sind.
Also, die kränker werdende Bevölkerung ist eine ganz
normale Entwicklung für diese Regierung, und diese
Entwicklung wird hingenommen. Die Bundesregierung
interessiert sich nicht dafür, was man tun müsste, um die
Kosten für die älter werdende Gesellschaft nicht als
unumstößliches Schicksal - Herr Spahn, das haben Sie
eben wieder getan - hinzunehmen. Das ist eine Herausforderung, der man mit vernünftiger Politik begegnen
kann und muss.
({4})
Viele Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler und
viele Gesundheitsfachleute widmen sich diesem
Problem und stoßen dabei auf Lösungen. Eine der wichtigsten Lösungen ist eine umfassende, vernünftige Gesundheitsförderung und Prävention. Die Gesundheitsförderung muss aber die Menschen wirklich erreichen,
besonders Benachteiligte stärken und Menschen länger
gesund leben lassen. Das ist eine Antwort auf die Kosten
durch die Alterung der Gesellschaft und nicht das bloße
Umwälzen der Kosten. Statt hierfür im Haushalt immer
nur einige Tausend Euro oder einmal ein Milliönchen
bereitzustellen, könnten die anfangs erwähnten 2 Milliarden Euro eingesetzt werden, um einen wirklichen Paradigmenwechsel in Richtung präventives Gesundheitssystem einzuleiten.
({5})
Das wäre eine Win-win-Situation, das wäre ein Fortschritt für die Gesundheit der Menschen und ein Schritt
gegen die Kostensteigerung im Gesundheitssystem. Sie
aber sagen - vergleichbar einem Pawlow’schen Reflex immer: Wir tun doch viel für die Prävention. - Diese
Wortverdrehungen lasse ich Ihnen - jetzt benutze ich
einmal Ihre oberlehrerhaften Worte, Herr Spahn - nicht
mehr durchgehen.
({6})
Sie verkaufen Bürgerinnen und Bürgern sinnverdrehend
asozial als sozial, unbedacht als nachhaltig, und Sie verkaufen nun die sogenannte Eigenverantwortung als Gesundheitsförderung und Prävention. So beschränkt sind
die Menschen im Lande nicht, dass sie diese Wortverdrehungen nicht bemerken.
({7})
Daran ändert auch nichts, dass Sie, Herr Minister,
heute ein Bekenntnis zur Prävention als Mittelpunkt der
Gesundheitsförderung abgelegt haben. Das war anlässlich des 10-jährigen Bestehens des Qualitätssiegels
„Sport pro Gesundheit“. Ihr Haushalt und Ihre Politik
sprechen eine andere Sprache; das ist klar festzustellen.
Gesundheitsförderung bedeutet, die Lebensbedingungen der Menschen gesundheitsförderlich zu gestalten.
Gesundheitsförderung heißt auch, Menschen nicht permanent zu überfordern, sondern sie vor angemessene
Herausforderungen zu stellen. Gesundheitsförderung beginnt da, wo Arbeit bis zur Unerträglichkeit intensiviert
wird und wo die Luft durch den Verkehr in dicht besiedelten Wohngebieten, der diejenigen, die dort wohnen,
nicht entfliehen können, verpestet wird.
({8})
Gesundheitsförderung hat auch damit zu tun, Menschen
mit niedrigen Löhnen oder viel zu niedrigen Hartz-IVRegelsätzen den Zutritt zur Kultur am Abend zu ermöglichen.
Auf ein Wort des Gesundheitsministers zu den teils
gesundheitsfeindlichen Lebensbedingungen von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern und Langzeitarbeitslosen kann man hier im Parlament lange warten. Lieber redet der vormalige Wirtschaftsminister Rösler über Geld
für Unternehmen, Wirtschaftsförderung durch eingefrorene Arbeitgeberbeiträge, über Markt und Wettbewerb
zwischen den Unternehmen im Gesundheitsbereich und
generell. Von einem Arzt, der den Eid des Hippokrates
geleistet hat, habe ich etwas anderes erwartet - und sicher nicht nur ich.
({9})
Auch Pflegebedürftigkeit könnte mit zielgerichteter,
flächendeckender Gesundheitsförderung und Prävention
in hohem Maße vermieden werden. Aber Sie, Herr
Minister, haben hier Pläne für eine Kopfpauschale zur
zwangsweisen Bildung eines Kapitalstocks - sicher individuell - und tun damit der Versicherungswirtschaft einen Riesengefallen. Sie machen ihr ein schönes „Weihnachtsgeschenk“. Das zeigt, welchen Lobbygruppen Sie
gehorchen. Auch hier wäre eine solidarische Bürgerinnen- und Bürgerversicherung für uns, Herr Spahn, eine
ehrliche Lösung.
({10})
Wir befinden uns - daran möchte ich Sie zum Abschluss erinnern - im Europäischen Jahr zur Bekämpfung von Armut und sozialer Ausgrenzung. Gesundheitsförderung könnte einen Beitrag zur Schaffung
sozialer Chancengleichheit leisten. Aber diese Regierung, dieser Haushalt geben das nicht her. Deshalb lehnen wir ihn ab.
({11})
Das Wort hat die Kollegin Birgitt Bender von
Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die heutige Debatte ist recht interessant. Da hören wir die Abgeordneten der Koalition, die sagen: Die SPD hat kein
Konzept. - Wohl wahr. Dann sagen sie: Die Grünen haben ein Konzept.
({0})
Das gefällt ihnen nicht. Das ist ihr gutes Recht. Aber Sie
sollten gute Gründe dafür vorzubringen wissen. Was
werfen Sie uns vor? Wir belasten angeblich die Mittelschicht.
({1})
Schauen wir einmal genauer auf das, was wir vorhaben: Beiträge auf alle Einkommensarten, Einbeziehung
aller Versicherten, auch der jetzigen Privatversicherten,
und in diesem Zusammenhang auch eine Erhöhung der
Obergrenze für die Beiträge. Wir wollen das, was dadurch an Geld zusätzlich hereinkommt, nicht aus dem
nächsten Fenster herauswerfen, sondern wir wollen es
nutzen, um den Beitragssatz insgesamt zu reduzieren.
Wenn Sie das einmal zusammenrechnen, dann werden
Sie feststellen, dass alle Menschen mit einem Einkommen bis 4 500 Euro eine Entlastung erfahren.
({2})
Erst danach setzt eine Zusatzbelastung ein.
({3})
Sie liegt rechnerisch bei etwa 100 Euro. Davon muss
man die steuerliche Absetzbarkeit der Krankenversicherungsbeiträge abziehen. Das heißt, das reduziert sich
noch weiter.
Jetzt müssen wir einmal darüber reden, was so absolut
unvertretbar daran ist, dass im Interesse einer Entlastung
von gering und mittelmäßig Verdienenden die Bezieher
von Einkommen ab 4 500 Euro etwas stärker belastet
werden. Sie werden sich schwertun, das zu begründen.
({4})
Frau Kollegin Bender, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Spahn?
Im Moment nicht.
Da Sie schon dabei sind, mit Zetteln herumzuwerfen,
auf denen man Ihnen Zahlen aufgeschrieben hat, die verdeutlichen, was man den Grünen jetzt vorhalten soll,
müssen Sie, Herr Singhammer, Ihren Leuten einmal sagen, sie sollten richtig rechnen.
({0})
Vielleicht gibt es da ein PISA-Problem. Sie haben eben
in einem Beispiel behauptet, dass, wenn unsere Reform
umgesetzt würde, Verheiratete, die vor der Eheschließung 5 400 Euro verdient haben, höhere Beiträge zahlen
müssten. Dies ist nicht der Fall. Vor der Ehe zahlt man
genauso viel wie während der Ehe.
({1})
Aber weil Sie es nicht verstanden haben, will ich es
Ihnen, Herr Singhammer, gerne weiter erklären. In unserem Konzept ist auch der Abgeordnete Singhammer mit
seiner Einkommensklasse Teil des Solidarsystems, zahlt
also einen einkommensabhängigen Beitrag, und zwar bis
zur Beitragsbemessungsgrenze. Jemand mit einem VerBirgitt Bender
dienst, der etwa doppelt so hoch wie ein normales Einkommen ist, und einer nichterwerbstätigen Ehefrau - auf
eine Hälfte des Einkommens wird kein Beitrag gezahlt;
vielleicht trifft dies auf den Abgeordneten Singhammer
zu - zahlt bisher einen Beitrag bis zur Beitragsbemessungsgrenze, die zur Zeit bei 3 750 Euro liegt.
({2})
Wenn hingegen ein Paar ein solches Einkommen durch
partnerschaftliche Arbeitsteilung erwirtschaftet, dann
zahlt es exakt den doppelten Beitrag. Das ist nichts anderes als eine Diskriminierung der partnerschaftlichen Ehe.
({3})
Diese halten wir nur dann für sachlich gerechtfertigt,
wenn kleine Kinder erzogen werden. Auf diesen Sachverhalt wollen wir es beschränken.
Sie hingegen müssen uns einmal erklären, was an unserem Modell falsch sein soll, Herr Singhammer.
({4})
In Wirklichkeit ist es so: Bei allen Angriffen auf das
grüne Bürgerversicherungskonzept merkt man doch,
dass es Ihnen eigentlich darum geht, nicht über Ihre eigene Reform zu sprechen, weil sie Ihnen peinlich ist.
({5})
Denn bei Ihnen ist es so, dass aufgrund der einseitigen
Belastung der Versicherten mit der Abwälzung aller
Kostensteigerungen auf die Versicherten in Zukunft alle
- die Friseurin wie der Facharbeiter - mehr bezahlen. Es
geht gerade nicht darum, gering und mittelmäßig Verdienende zu entlasten, sondern sie werden bei Ihnen belastet.
({6})
Frau Kollegin, erlauben Sie jetzt eine Zwischenfrage?
Nein, jetzt auch nicht. - Ich will mal etwas Grundsätzliches dazu sagen, was man ja auch in den Zeitungen
liest, nämlich zu dem Erstaunen darüber, dass die Grünen bereit sind, Menschen, die zu ihrer eigenen Klientel
gehören, zu belasten.
({0})
Dazu kann ich nur sagen: So weit sind wir schon gekommen, dass von der Politik geradezu erwartet wird, dass
sie jedenfalls ihre eigene Klientel nicht belastet. Da hat
man - das muss man sagen - offenbar von der FDP gelernt. Die Klientelpflege soll jetzt neuerdings Politik
sein. Unsere ist es nicht.
({1})
Im Gesundheitswesen sind mächtige Interessen unterwegs, und manch einer biegt sich da wie der Bambus im
Wind. Diejenigen, die da nicht so kräftig pusten können
- das sind gerade Menschen mit geringem Einkommen -, geraten dabei unter die Räder. Das ist bei uns
eben nicht der Fall, weil wir ans Ganze denken.
({2})
Jetzt noch ein Wort zum Thema Wettbewerb. Herr
Kollege Spahn, Sie waren auf unserem Parteitag, und Sie
waren uns dort willkommen; aber richtig zugehört haben
Sie doch nicht, wenn Sie jetzt sagen, wir wollten die
PKV abschaffen. Ich habe nämlich ebendort erklärt, dass
wir Wettbewerb im Gesundheitswesen wollen. Wie ist es
denn jetzt? Die PKV verdient ihr Geld nicht im Wettbewerb, sondern dadurch, dass sie nur die guten Risiken
versichert, also die gesunden Menschen aufnimmt. Dieses Geschäftsmodell heißt „Rosinentheorie“. Dieses Geschäftsmodell werden wir verändern.
Die PKV wird die Chance haben, im Wettbewerb mit
den bisherigen gesetzlichen Krankenkassen zu bestehen,
wenn sie auch Kranke aufnimmt, wenn sie niemanden
diskriminiert, wenn sie einkommensabhängige Prämien
erhebt und sich am Finanzausgleich beteiligt. Dann wollen wir mal gucken, ob so jemand im Wettbewerb bestehen kann. Bei der FDP heißt Wettbewerb doch immer
nur: Wir schützen unsere eigene Klientel, nämlich die
PKV und andere, vor den Zumutungen des Wettbewerbs.
Wir setzen sie dem Wettbewerb aus, einem fairen Wettbewerb um Qualität im Gesundheitswesen im Interesse
der Patientinnen und Patienten.
({3})
Zu einer Kurzintervention erteile ich dem Kollegen
Jens Spahn das Wort.
Zum Ersten, Frau Kollegin Bender, habe ich auf Ihrem Parteitag tatsächlich gelernt, dass die private Krankenversicherung einen Stand bei den Grünen hat - um
sozusagen ihre eigene Abschaffung zu finanzieren; aber
das ist ein eigenes Thema.
({0})
Ich finde es schon wichtig, die Mitbewerber und ihre
Diskussionen - dabei geht es auch um die Frage, wie die
Dinge diskutiert werden - in Bezug auf die Konzepte zu
kennen. Das kann nicht schaden. Man lernt ja auch etwas
dabei, wenn man den Diskussionen folgt.
({1})
Es ist ja so - ich sage es noch mal, Ihr Fraktionsvorsitzender hat es heute ja auch in einem Interview gesagt,
und auch Sie haben gerade in Ihrer Argumentation darauf hingewiesen -, dass die angebliche Beitragssatzsenkung, die Sie den Menschen im Gegenzug dafür versprechen, dass Sie sozusagen alles verbeitragen und die
Beitragsbemessungsgrenze heraufsetzen, zum allergrößten Teil - zu mehr als der Hälfte - aus der rechnerischen
Hereinnahme der Privatversicherten finanziert wird. Sie
wissen aber genauso gut wie ich und wie wir alle hier Sie wissen es nicht nur, Sie haben es sogar in Ihren Antrag geschrieben; da steht nämlich ausdrücklich drin,
dass das nicht von heute auf morgen geht; Ihr Fraktionsvorsitzender hat das heute in einem Interview auch noch
mal bestätigt -, dass das nicht geht. Das heißt, Ihr Versprechen, die Beiträge dramatisch zu senken und dafür dann
die Beitragsbemessungsgrenze nur ein bisschen anzuheben, lässt sich von vorne bis hinten nicht durchhalten. Sie
versprechen nämlich etwas, das sie aus verfassungsrechtlichen Gründen - zu Recht - gar nicht umsetzen
können, nämlich die sofortige Abschaffung der privaten Krankenversicherung.
Jetzt kokettieren Sie hier damit, dass Sie keine Wohlfühlpartei wären. Sie wären die Partei, die bereit sei, Ihre
eigene Klientel - Sie sind ja die Partei mit den im
Schnitt bestverdienenden Wählern - zu belasten. Wenn
das so ist, dann frage ich mich, warum etwa der Kollege
Kuhn auf ebenjenem Parteitag - das habe ich da ja mit
verfolgen können - alles dafür getan hat, dass dieser Beschluss, auf 5 500 Euro zu gehen, nicht gefasst wird,
sondern lieber bei einer Versicherungspflichtgrenze von
knapp über 4 000 Euro zu bleiben. Man hatte nämlich
die Sorge, dass es da zusätzliche Belastungen gibt.
Ich frage mich zum Zweiten, warum es dann noch
eine Kommission braucht, um sich der Konzepte zu vergewissern, die Sie sich für die Einkommensteuer, die
Gewerbesteuer für Freiberufler, die Beitragsbemessungsgrenze, die Abschaffung des Ehegattensplittings
ausgedacht haben. All diese schönen Dinge belasten ja
gerade die Mittelschicht. Ich sage es noch einmal: Es
geht nicht um die Reichen, es geht nicht um die Superreichen. Es geht um die Freiberufler, die Facharbeiter, all
die, die viele Überstunden machen
({2})
und vieles in unserem Land tragen, was uns wichtig ist
und was wir schätzen. Diese belasten Sie damit zusätzlich, und zwar massiv und ohne irgendeine Gegenleistung; denn eine Beitragssatzsenkung ist nichts anderes
als Augenwischerei. Sie können sie schon aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht umsetzen.
({3})
Zur Erwiderung Frau Kollegin Bender.
Lieber Herr Kollege Spahn, zunächst einmal gilt:
Geht nicht, gibt’s nicht.
({0})
Die Grünen sind vielmehr ehrgeizig und schauen, was
geht. Selbstverständlich ist es möglich, auch die Privatversicherten einzubeziehen. Deutschland ist das einzige
Land, das sich eine Vollkostenversicherung im Solidarsystem für 90 Prozent der Bevölkerung leistet, zugleich
aber 10 Prozent der Bevölkerung, nämlich ausgerechnet
den Gesündesten und im Allgemeinen auch Gutverdienenden, ermöglicht, in der PKV nur ihr eigenes Risiko
abzusichern.
({1})
Das wollen wir ändern.
Wenn man sich das Verfassungsrecht hinsichtlich der
Stellung der Beamten anschaut, Herr Kollege Singhammer,
wird man feststellen, dass der Bezug von Beihilfe nicht
zum verfassungsrechtlich geschützten Alimentationsprinzip für Beamte gehört. Vielmehr ist das entscheidbar.
({2})
Genauso gut könnte der Dienstherr den Arbeitgeberbeitrag in einem Solidarsystem tragen.
Wir wissen nun, dass es bei den Ländern die meisten
Beamtinnen und Beamten gibt. Wenn wir dann im Bundesrat darüber reden werden, werden wir den Finanzministern mitteilen, dass die sofortige Einbeziehung aller
Beamtinnen und Beamten in ein Solidarsystem für die
Dienstherren einen unschätzbaren Vorteil hat: Durch den
Wechsel vom Beihilfesystem zum Arbeitgeberbeitrag
kann die öffentliche Hand nämlich 3,5 Milliarden Euro
sparen.
({3})
Sie sehen, das ist gerade für die Länder, aber auch für
den Bund und die Kommunen, insoweit sie Beamte beschäftigen, ausgesprochen attraktiv.
({4})
Für alle anderen würde die Beitragsbemessungsgrenze angehoben; wir sprachen schon darüber. Für die
gut verdienenden Angestellten stellt das kein Problem
dar, wenn man sich an den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit hält. Auch ein Teil der Selbstständigen ist ohnehin sehr daran interessiert, ins Solidarsystem zu kommen. Hier haben sich ja auch neue Schutzbedürfnisse
entwickelt. Denken Sie etwa an die Soloselbstständigen
mit relativ geringen Einkommen. Auch bezüglich der
Selbstständigen, die gut verdienen, gibt es hier kein verfassungsrechtliches Problem.
Das heißt, die Frage lautet: Will man den einheitlichen Versichertenmarkt? Will man ein Solidarsystem,
das es allen Menschen in diesem Land ermöglicht, sich
nach den gleichen Spielregeln zu versichern? Will man,
dass sich die Gesundheitsversorgung im Krankheitsfalle
nach dem Bedarf richtet und nicht nach der Art des Versicherungsschutzes?
Kommen Sie bitte zum Schluss.
Das ist unser Ziel. Sie müssen begründen, warum Sie
sich diesem Ziel nicht stellen wollen. Das müssen Sie
den derzeit gesetzlich Versicherten erklären; denn diese
haben geringere Einkommen und höhere Krankheitsstände und würden durch die Bürgerversicherung entlastet.
({0})
Das Wort hat der Kollege Willi Zylajew von der
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Herr Minister! Meine Damen und
Herren! Schwerpunkt im Haushaltsjahr 2011 wird der
Bereich der Weiterentwicklung der Pflegeversicherung
sein. Wir alle wissen: Die Blüm’sche Pflegeversicherung
hat sich bewährt,
({0})
steht aber ganz eindeutig, Frau Kollegin Ferner, vor
neuen Herausforderungen.
({1})
Vieles ist auch gut geregelt. Ich denke dabei an die
Dynamisierung der Leistungen. Dies bedarf der Fortsetzung. Ich denke auch an den neuen Pflegebegriff. Die
Maßnahmen, die daraus resultieren, bedürfen eindeutig
der Umsetzung. Was Herr Dr. Gohde, die Kommission
und die Experten im Pflegebereich erarbeitet haben,
wird die Koalition umsetzen.
Die solidarische Pflegeversicherung bedarf aber auch
deswegen einer Weiterentwicklung, weil wir im stärkeren Maße Hilfen für demente Frauen und Männer anbieten müssen. Das ist eine Entwicklung, der wir uns
schon während der Zeit der vorherigen Koalition in ersten Schritten gestellt haben. Wir müssen dabei abschöpfen, was die Wissenschaft und die Praxis an Leistungserwartungen formulieren. Wir setzen hier sehr stark auf
Professor Nicotera, der das Demenzzentrum in Bonn leitet. Dies ist für uns eine weitere Säule, auf die wir uns in
Zukunft stützen können.
Ich danke an dieser Stelle ausdrücklich der Ministerin
Annette Schavan, die zur Förderung der Versorgungsforschung im Demenzbereich Forschungsmittel bereitgestellt hat. Das ist nach unserer Auffassung hilfreich und
wichtig.
Die Leistungsseite haben wir im Rahmen der letzten
Pflegereform ein Stück weit entwickelt. Gemeinsam mit
den Kolleginnen und Kollegen der SPD haben wir eine
finanzielle Hilfe im Bereich der ambulanten Versorgung für Demenzkranke erreicht. Leider gegen Ihren
Widerstand, Frau Mattheis, mussten wir die stationäre
Versorgung in diesem Bereich durchsetzen. Diese Leistung wird im ganzen Land als unendlich hilfreich angesehen. An dieser Handlungslinie werden wir uns auch
weiterhin orientieren.
Auf der Tagesordnung steht natürlich auch die Ausbildung. Die Pflegeberufe verlangen eine hohe fachliche
Kompetenz, fundiertes Wissen, solide Fähigkeiten, extreme Belastbarkeit und Liebe zum Mitmenschen. Wir
müssen sehen, dass wir hier Anforderungen haben, die
Herz und Verstand in gleicher Weise belasten. Das Image
der Pflegeberufe ist sehr verbesserungsbedürftig. Auch
diesbezüglich, Herr Minister, werden wir im nächsten
Jahr zu konkreten Handlungsmaßnahmen kommen. Ich
will Ihnen, Herr Rösler, ausdrücklich dafür danken, dass
Sie am 7. Dezember die Verbände zu diesem Thema eingeladen haben. Eine Bund-Länder-Arbeitsgemeinschaft
besteht bereits. Es wäre schön, wenn die Ländervertreter
aller Parteien konkret mitarbeiten würden.
Der Mindestlohn für Pflegehilfskräfte ist eine Initiative der Arbeitnehmergruppe der CDU/CSU-Fraktion.
({2})
- Frau Kollegin Mattheis, ich kann Ihnen gerne das
Schreiben zeigen, das wir in dieser Sache an die Bischöfe
gesandt haben. Wenn Sie ein ähnliches Schreiben parat
haben, wäre ich begeistert. - Aus unserer Sicht haben wir
mit diesem Mindestlohn für Pflegehilfskräfte denjenigen
Pflegekassen einen Riegel vorgeschoben, die in vielen
Pflegesatzverhandlungen Preis- und Lohndumping betreiben. Es ist schon interessant, dass sich die Damen und
Herren der AOK in den Pflegesatzverhandlungen immer
dann in die erste Reihe stellen, wenn es darum geht, die
Preise zu drücken.
({3})
Das ist schlichtweg unanständig.
({4})
Beim Pflege-TÜV müssen wir zu Verbesserungen
kommen, und zwar zeitnah. Der Kollege Zöller hat hier
richtigerweise gesagt: Wenn die Leistungserbringer und
die Pflegekassen nicht handeln, dann wird die Politik
handeln. - Die Verbraucher, die Betroffenen und ihre
Angehörigen sind auf ehrliche Informationen angewiesen. Was wir an Gezeter zurzeit zwischen MDS und den
Trägereinrichtungen erleben, ist nicht in Ordnung.
Ehrliche Hilfe brauchen wir auch eindeutig bei der
Familienpflegezeit. Ministerin Schröder hat hier ein
Konzept entwickelt, das wir zu beraten haben. Die Familienpflegezeit ist geradezu ideal, um Beruf und Pflege
miteinander zu verbinden. Viele Menschen wollen dies.
Ich bin sicher, sie werden dieses Angebot auch nutzen.
({5})
Dies ist aus unserer Sicht ein weiteres Element zur
Stärkung der ambulanten Versorgungsstrukturen. Hier
brauchen wir Ideenreichtum. Wir müssen in den kommenden Jahren weitere, neue, ergänzende und akzeptierte Angebote - Jens Spahn hat es eben formuliert - für
den Bereich zwischen der ambulanten Versorgung, die
wir heute haben, und der stationären Versorgung finden.
Hierbei sind die Kommunen gefordert. Gute Lösungen
wie betreutes Wohnen und komplementäre Dienste sind
Angebote, die nur in den Dörfern und Ortschaften, in
den Stadtteilen und Wohnquartieren entstehen können.
Dies verlangt jedoch neues Denken, mit Sicherheit auch
neues Geld.
({6})
- Richtig, das Thema Kommunalfinanzen, Frau Kollegin. - Der Kämmerer meines Heimatkreises, Walter
Weitfeld, würde jetzt fragen: Und wo kommt das Geld
her? - Dafür haben wir ein Stück weit Verantwortung zu
tragen.
Wir sind der Auffassung, dass wir gerade aus diesem
Grund, weil wir neues Denken und neues Geld brauchen,
nicht sagen können: „Kommunen, das müsst ihr irgendwie schultern, da müsst ihr irgendwie zurechtkommen!“,
sondern wir müssen akzeptieren, dass wir mehr Geld in
der Pflege brauchen, insbesondere wenn die Jahrgänge
1949 bis 1969 Leistungen in Anspruch nehmen. Diese
Mitbürgerinnen und Mitbürger erwarten Leistungen für
50 Jahre. Das ist mit der jetzigen Finanzierungsstruktur
nicht hinzubringen. Von daher ist der Aufbau einer
Demografiereserve notwendig, den wir ja im Übrigen
mit der SPD in der Großen Koalition vereinbart hatten.
Letztendlich ist dieser Aufbau an zweit- und drittrangigen politischen Zänkereien gescheitert. Ihre Bereitschaft, diesen Weg mit uns zu gehen, war da.
({7})
- Frau Ferner! Dass wir das jetzt mit dem neuen Koalitionspartner angehen, ist nur selbstverständlich. Wir
brauchen diese Demografiereserve deshalb, damit wir
auch den jungen Menschen sagen können, dass auch sie
eine Chance haben, dann, wenn sie Leistungen aus der
Pflegeversicherung beziehen müssen, diese Leistungen
zu bekommen.
Dass wir auch ein Stück private Vorsorge verlangen,
ist doch nicht mehr als logisch. Eines verstehe ich bei
den Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten nicht:
dass eine private Vorsorge im Bereich der Rente, noch
dazu, wenn man sie mit dem Namen Riester verbindet,
in Ordnung ist, jedoch eine Vorsorge im Bereich der
Pflege - eine wichtige Herausforderung - dann böse sein
soll.
({8})
Ich sage Ihnen, meine Damen und Herren: Die Menschen im Land können sich darauf verlassen, dass wir
mit dem Koalitionspartner FDP, mit dem wir die Pflegeversicherung eingeführt haben, diese auch ordentlich
fortentwickeln wollen. Wenn Sie das Zeug dazu haben,
dann leisten Sie Ihren Beitrag. Sehen wir, dass wir zu
guten Entwicklungen kommen.
({9})
Das Wort hat Kollege Dr. Karl Lauterbach von der
SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Zunächst möchte ich den Grünen ein
Kompliment und auch Glückwünsche aussprechen. Wir
können gönnen. Wir sind froh, dass Sie auf dem Parteitag das Konzept der Bürgerversicherung beschlossen haben.
({0})
Über Details kann man streiten. Ich glaube, das Konzept
ist noch nicht ganz rund, aber klar ist: Das Ziel ist, eine
qualitativ hochwertige Versorgung für alle in einem
wettbewerblichen Rahmen darzustellen. Das ist ein nobles Ziel, welches SPD und Grüne vereint. Von daher
kein Neid, sondern Glückwunsch auch an dieser Stelle
von uns im Namen meiner Partei.
({1})
- Wir haben überhaupt keine Not. - Damit dürfte auch
klar sein, um mit den Worten von Bundeskanzlerin
Merkel zu sprechen, dass schwarz-grüne Koalitionsideen nichts anderes als Hirngespinste sind, Herr Spahn.
Da können Sie zum Parteitag der Grünen anreisen, so
oft Sie wollen: So wird es sich nicht entwickeln. Sie
werden an den untergehenden Koalitionspartner FDP gebunden bleiben. Das wird Ihren Untergang bei der
nächsten Bundestagswahl besiegeln.
({2})
- Es wird bei der nächsten Bundestagswahl zusammen
mit der FDP nicht mehr reichen; das wissen Sie genau.
Daher dienen Sie sich jetzt den Grünen an, allerdings erfolglos, denn es steht einfach zu viel dazwischen.
Bevor ich noch einmal etwas zum Konzept der Grünen sage, will ich eine Bilanz ziehen und auf jemanden
zu sprechen kommen, der in Debatten dieser Art immer
wieder allzu schnell in Vergessenheit gerät: auf den
Minister Rösler selbst.
({3})
Wir dürfen nicht vergessen: Es geht hier heute um seinen
Haushalt. Es ist heute wie so oft der Fall, dass am wenigsten über ihn gesprochen wird. Ich will ihm aber
diese Ehre antun.
({4})
Daher werde ich, bevor ich auf die Grünen zu sprechen komme, versuchen, einen Kassensturz zu machen,
eine Bilanz zu ziehen: Was ist dem Minister in seinem
ersten Amtsjahr gelungen? Er hat, ausgehend von einem
Überschuss in der gesetzlichen Krankenversicherung,
ein Defizit - fast 10 Milliarden Euro wird es im nächsten
Jahr betragen - produziert, und das, obwohl der Arbeitsmarkt brummt.
({5})
Das war eine Leistung, die wir in dieser Form noch nie
gesehen haben: trotz besserer Arbeitsmarktlage ein Defizit von 10 Milliarden Euro in der gesetzlichen Krankenversicherung. Der Minister rühmt sich auch noch
mit diesem Defizit, indem er damit seine nächsten Reformen begründet. Diesen Mut muss man erst einmal haben. Herr Minister, mein Respekt!
({6})
Wieso ist es dazu gekommen? Frau Flach, wir haben
in diesem Jahr keine einzige Maßnahme zur Kostendämpfung gesehen.
({7})
Welche Strukturreformen haben wir gesehen? Haben wir
etwas im Bereich der Vorbeugung gesehen? Nichts. Haben wir irgendeine Maßnahme zur Qualitätsverbesserung gesehen? Wir haben nichts gesehen. Gab es Maßnahmen, mit denen die Krankenhaushygiene verbessert
worden wäre? Wir haben nichts gesehen.
({8})
Ist etwas zum Thema Patientensicherheit gekommen?
Wir haben vom Minister nichts gesehen.
({9})
Könnte man irgendwelche Maßnahmen zur Beseitigung
des Ärztemangels nennen? Wir haben auch dort nichts
gesehen. Gibt es Maßnahmen zur Bekämpfung der
Krankenhausinfektionen? Nirgendwo hat es einen einzigen Versuch gegeben.
Wir haben von dieser Koalition und von diesem
Minister innerhalb von einem Jahr schlicht und ergreifend überhaupt keine Qualitäts- und Strukturreformen
gesehen, nicht einmal einen einzigen Vorschlag.
({10})
Das ist ein Totalversagen auf der ganzen Linie.
({11})
Was haben wir im Bereich der Ausbildung der
Mediziner gesehen? Auch nichts.
({12})
Es wurde weder für die Klinik noch sonst für die Medizinerausbildung etwas getan. Der einzige konkrete Vorschlag war, die Abiturvoraussetzungen für die zukünftigen Hausärzte herabzusetzen. Das war, ehrlich gesagt,
ein lächerlicher Vorschlag, der dann auch eingesargt
wurde. Ansonsten ist auch bei diesem Belang nichts gekommen.
Wir haben keinen Vorschlag zum Abbau der Zweiklassenmedizin gesehen. Daraus ist Ihnen kein Vorwurf
zu machen - hierzu hätte niemand etwas vom Minister
erwartet -; denn die FDP hält es für richtig, dass es eine
Zweiklassenmedizin gibt, dass die Menschen so behandelt werden, wie sie es bezahlen können. Hier trifft man
auf die ideologische Festigkeit der FDP. Insofern ist Ihnen hier kein Vorwurf zu machen.
Wir haben eine Finanzreform gesehen, bei der die
Priorität auf der Arbeitgeberentlastung lag, auf Kosten
der Rentner und der Geringverdiener. Das Motto der Reform war: Die Arbeitgeber sollen leben, die Arbeitnehmer und Rentner sollen geben. Aber eine solche Reform
brauchen wir nicht. Das Land hat eine bessere Reform
verdient.
({13})
Das Gesamtgesetzeswerk passt zur Regierungspolitik
von Angela Merkel. Es ist eine Regierungspolitik, die
das Land spaltet, eine Spaltungspolitik. Sie hetzt die
Arbeitgeber gegen die Arbeitnehmer auf, die Rentner
gegen die Beschäftigten. Die Gesellschaft wird dadurch
im Prinzip in Einkommensstarke und Einkommensschwache aufgespalten. Das hat zur sozialen Kälte in
diesem Land beigetragen.
({14})
Insofern ist der Minister aus der Perspektive der
schwarz-gelben Regierung eine ideale Besetzung: Er
setzt die durch die schwarz-gelbe Regierungspolitik vorangetriebene Spaltung der Gesellschaft, die wir derzeit
beobachten, in perfekter Art und Weise um. Dazu passen
auch die neuen Vorschläge: Vorkasse, Mehrzahlung bei
Generika, Stärkung der PKV, Kopfpauschale mit einem
Minisozialausgleich. All das sind Spaltungsvorschläge.
Wir haben es hier mit einer Regierung zu tun, die
selbst im Bereich der Gesundheit eine Spaltungspolitik
betreibt.
({15})
Die Bereiche Bildung und Gesundheit waren bisher
eigentlich immer davon ausgenommen; das gab es nur
im Bereich der Steuerpolitik. Für eine solche Spaltungspolitik ist sich der Minister auch als Arzt nicht zu
schade.
({16})
Zum Abschluss noch etwas zu dem Pflegekonzept.
Herr Zylajew hat neun Minuten darüber gesprochen,
ohne ein einziges konkretes Wort zu sagen. Ich kann Ih8038
nen aber sagen, worauf das hinauslaufen wird: Es wird
einen weiteren Bonus für die Arbeitgeberbank geben.
Ich rechne damit, dass die Arbeitgeberbeteiligung nicht
ausgedehnt wird.
({17})
Es wird zu einer zusätzlichen Pauschale kommen. Am
Schluss wird es einen Kapitalstock für die PKV geben.
Das wird ein weiteres Geschenk der Klientelpolitik der
FDP sein. Dann können Sie von der Union in persönlichen Erklärungen mitteilen, dass wir das alles missverstehen. Der Wähler wird sich aber an meine Worte erinnern. Er wird das besser verstehen, als Sie sich das
wünschen. Der Wähler wird Ihnen dafür am Schluss die
Praxisquittung geben.
Vielen Dank.
({18})
Das Wort hat der Kollege Heinz Lanfermann von der
FDP-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! In der Tat haben die letzten Wochen gezeigt,
dass dieses Land in der Gesundheitspolitik vor entscheidenden Weichenstellungen steht.
Wir sehen zwei Seiten: Auf der einen Seite sehen wir
eine Regierung und eine Koalition, die in den letzten
Wochen entscheidende neue Gesetze durch den Bundestag gebracht haben.
({0})
Wir haben sowohl etwas für die Sicherung der Arbeitsplätze als auch für die Krankenkassen getan, die einen
Teil ihrer Finanzautonomie zurückbekommen. Wir eröffnen den Wettbewerb, und zwar nicht nur auf dem Gebiet
der Versorgung, sondern auch bezogen auf den Preis und
die Frage, wie Versorgung organisiert wird. Wir haben
einen großen Durchbruch erzielt, der jahrzehntelang
nicht erreicht wurde, insbesondere nicht von denen, die
hier am lautesten herummäkeln: Wir haben keine einseitig festgesetzten Preise für Pharmaprodukte mehr.
Da wir ein Riesendefizit vorgefunden haben, gibt es
eine Regelung für die Übergangszeit. Das ist Folge der
Bilanz von Frau Schmidt. Die Bilanz ist der Istzustand.
Zum Istzustand gehört, dass festgelegt wird, wie viel
Geld die Krankenkassen aus dem Gesundheitsfonds bekommen. Zum Istzustand gehört aber auch, dass man
feststellt, dass ihre Ausgaben im folgenden Jahr um
11 Milliarden Euro über dem liegen, was ihnen vom Gesundheitsfonds, noch von der vorigen Regierung beschlossen, zur Verfügung steht. So einfach ist das zu
rechnen.
({1})
Auch an den Stellen, bei denen es um freiwillige Entscheidungen geht, an denen es darum geht, den Menschen mehr Rechte einzuräumen, sind wir aktiv geworden. Das gilt zum Beispiel, wenn sie ein Arzneimittel
weiterhin nutzen und sich nicht sozusagen ihrer Krankenkasse unterwerfen wollen, die aus guten wirtschaftlichen Gründen - vielleicht infolge von Rabattverträgen ein anderes Mittel empfiehlt. Sie können und dürfen dieses Medikament gegen eine kleine Zuzahlung weiter
nutzen, wenn sie es denn wollen. Sie gehören zu denen,
die den Menschen sogar das verbieten wollen. Das ist
der Unterschied zwischen uns in der Behandlung der
Bürger und der Versicherten.
Schlimm ist, dass die Opposition versucht, mit Wortverdrehungen und reinen Spekulationen Stimmung zu
machen. Kaufen Sie sich doch einmal einen Duden
- vielleicht genügt Ihnen auch Wikipedia -; da wird klar
und deutlich erklärt, was Vorkasse bedeutet: dass man
eine Leistung bezahlt, bevor sie erbracht wird. Das gibt
es hier nicht, und das wird es nicht geben. Nur Sie behaupten das. Damit wollen Sie die Menschen hinters
Licht führen.
({2})
Genauso ist das mit dem Begriff der Kopfpauschale,
der von dem Begriff der Kopfsteuer, der aus der Zeit von
Maggie Thatcher stammt, abgeleitet wird. Das bedeutet
doch, dass für jeden Bürger genau derselbe Betrag veranschlagt wird.
({3})
Wenn jede Krankenkasse das Recht hat, zu entscheiden,
ob sie gar keinen Zusatzbeitrag erheben will, ob sie sogar etwas auszahlen will, weil sie gut gewirtschaftet hat,
oder ob sie einen Betrag erheben will - die Höhe kann
ganz unterschiedlich sein -, dann können Sie den Bürgern doch nicht erzählen, dass das eine Kopfpauschale
ist. Was ist das für ein intellektuelles Niveau? Das ist so
ein Unsinn! Damit werden Sie natürlich scheitern.
({4})
Die Grünen haben auf ihrem Parteitag versucht, ein
Konzept zu entwickeln. Ich muss Ihnen dazu ganz ehrlich Folgendes sagen: Wenn man sich diese 15 Seiten
hier anschaut, stellt man fest, dass 12 Seiten grüne Lyrik
sind.
({5})
- Ich werfe es ja nicht weg; keine Angst. - Dann kommen einige Aussagen, die in der Tat sehr verwirrend
sind. Hier ist dazu ja schon einiges gesagt worden.
Erklären Sie doch einmal das mit den Mieteinnahmen! Das finde ich ganz spannend. Sie sagen: Mieteinnahmen und Gewinne auf anderen Gebieten. Mieten also
brutto?
({6})
- Nein? Dann schreiben Sie es doch hinein! Hier steht
„Mieteinnahmen“.
({7})
Das ist Schlampigkeit. So fassen Sie Ihre Beschlüsse.
Meine Damen und Herren von den Grünen, der Herr
Lauterbach hat Ihnen hier ein kleines Kompliment gebracht. Das hat mich richtig gewundert. Denn noch gestern hat er in der taz einen Artikel geschrieben, in dem
genau steht, was bei Ihnen alles falsch ist.
({8})
Er hat geschrieben, dass die Zwangseinbeziehung der
PKV-Versicherten rechtlich so gar nicht geht. Da hat er
natürlich recht. Die Nivellierung der Honorare nach unten ist politisch falsch und nicht durchzusetzen, sagt er.
({9})
Sie wollen ja allein bei den Ärzten 3,6 Milliarden Euro
einsparen. Viel Vergnügen bei der ärztlichen Versorgung
im ländlichen Bereich, Frau Bender!
Dann haben Sie überhaupt Einsparungen vor. Es ist
doch eine reine Verdummteufelung, wenn Sie sagen, Sie
könnten den Beitragssatz senken,
({10})
weil Sie die Beiträge auf eine breitere Basis stellen. Sie
wollen alle Zuzahlungen wegfallen lassen. Das sind fast
5 Milliarden Euro. Das soll beim Zahnersatz ja wohl
auch der Fall sein. Das wären noch einmal anderthalb
Milliarden Euro. Sie wollen den mitgliederbezogenen
Anteil abschaffen. Also, entweder schaffen Sie ihn ganz
ab - dann brauchen Sie 9,5 Milliarden Euro -, oder Sie
teilen ihn wieder zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern auf; dann sind es mindestens 4,75 Milliarden Euro,
und der Herr Hundt freut sich, dass bei der Wirtschaft
noch einmal 4,75 Milliarden Euro ankommen, bei den
Beiträgen, die ja nach wie vor vom Lohn abgezogen
werden.
({11})
Sie glauben doch nicht im Ernst, dass Sie in der Lage
wären, den Beitragssatz zu senken, wenn Sie solche Defizite ausgleichen müssten! Dass Sie falsch gerechnet
haben, gerade wegen der PKV-Versicherten, hat Ihnen
der Kollege Spahn schon erzählt.
({12})
Ein letztes Wort! Herr Zylajew hat ja schon viele Einzelheiten aufgeführt. 2011 wird das Jahr der Pflege. Der
Minister hat es angekündigt. Eines will ich gleich sagen:
Schon wieder arbeitet die Opposition mit falschen Behauptungen. Sie sprechen vom Arbeitgeberanteil. Sie
wissen ganz genau: Den Arbeitgeberanteil gibt es nur
deswegen, weil ein Feiertag abgeschafft worden ist. Das
heißt, der Arbeitgeberanteil ist durch Leistungen der Arbeitnehmer bereits ausgeglichen. Die Pflegeversicherung
ist eine höchstpersönliche Angelegenheit, eine Menschen-, eine Bürger- und in dem Sinne auch eine Arbeitnehmerversicherung.
({13})
- Jetzt bauen Sie hier keinen Popanz auf! - Es ist auch
richtig, dass diejenigen, die für sich selbst, für ihre Generation für die Zukunft vorsorgen müssen, etwas zurücklegen. Wir sagen den Bürgern auch, dass man mal
Konsumverzicht üben muss.
({14})
Wir sind da ehrlich und versprechen nicht das Blaue
vom Himmel.
({15})
Man muss auch mal sparen und zurücklegen. Dafür ist
die Kapitalrückstellung das richtige Instrument. So werden wir es im nächsten Jahr auf den Weg bringen. Sie
werden es erleben. Die Reformen gehen weiter, und ich
freue mich auf neue Diskussionen.
Danke schön.
({16})
Das Wort hat die Kollegin Bärbel Bas von der SPDFraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Da
weiß man ja gar nicht, wo man ansetzen soll, wenn man
immer diese großen Ankündigungen hört, auch hier im
Arzneimittelbereich, und letztlich nur minimale Ergebnisse herauskommen.
({0})
- Ja, eben. - Ich erinnere Sie, Frau Flach, einmal daran:
Sie haben vor ein paar Monaten hier noch gesagt - das
können Sie im Protokoll nachlesen -, dass die Pharmaindustrie mit 4 Milliarden Euro herangezogen wird.
({1})
- Aber Sie haben das für 2011 gesagt.
({2})
Nicht einmal hier halten Sie Ihre Versprechungen. Nicht
einmal hier minimale Ergebnisse! Ob in 2012 Ihre Sparideen so umgesetzt werden, werden wir noch erleben.
({3})
- Ja, das glaube ich, dass Sie sich darauf freuen. - Letztlich sind das Luftbuchungen, von denen Sie wirklich
hoffen, dass sie 2012 zu einem Ergebnis führen.
({4})
Dass Ihre Politik verfehlt ist, das kann man auch beim
Thema „Prävention und Aufklärung“ sehen. Der Kollege Karl ist, glaube ich, schon weg.
({5})
- Der macht jetzt schon Prävention, ja. - Er hat im September gesagt - an dem Beispiel kann man das auch gut
sehen -, was er von Aufklärung über Gefahren von HIV
und Aids hält. Er hat das nämlich als „Aktionismus“ bezeichnet, den man unterbinden muss.
An Ihren Kürzungen kann man sehen, dass das Ihre
politische Auffassung ist. Wir müssen über HIV und
Aids aufklären und insbesondere die osteuropäischen
Länder dabei unterstützen. Sie sagen dazu jedoch deutlich: Das ist Aktionismus, der zu unterbinden ist. - Ich
nenne das Prävention. Diese Länder können das nicht alleine leisten,
({6})
und HIV/Aids - das sollten Sie wissen - macht nicht an
Landesgrenzen halt. Ihre politische Auffassung wird an
dieser Stelle deutlich.
Bei Ihrer Politik machen Sie uns immer vollmundige
Ankündigungen. Ich nehme jetzt einmal Herrn
Singhammer - er ist, Gott sei Dank, noch da - als Beispiel.
({7})
Sie haben bei Ihrer Vorstellung des Haushalts im September dieses Jahres angeführt, dass insbesondere die
Hausarztverträge eines besonderen Vertrauensschutzes bedürfen.
({8})
Da gebe ich Ihnen vollkommen recht. Es gibt sie erst seit
zwei Jahren, dennoch brauchen sie nach Ihrer Ansicht
Vertrauensschutz. Die Hausärzte brauchen in der Tat
Schutz, aber vor Ihnen und Ihren Sparideen.
({9})
Schauen wir uns § 73 b SGB V einmal an! Diesen haben wir, wenn ich das richtig gesehen habe, gemeinsam
eingeführt. Dies geschah mit dem festen Willen, die
hausarztzentrierte Versorgung zu stützen. Denn wenn
wir wollen, dass es auch in der Fläche oder in sozial
schwachen Stadtteilen demnächst noch eine medizinische Versorgung gibt, dann sind die Hausarztverträge in
der Tat ein wichtiges Mittel. Das Problem ist: Sie reden
nur davon, sie zu stützen; im Übrigen legen Sie die
Hände in den Schoß. Wie kann es sonst sein, dass Ihr
Minister, Herr Rösler, letztendlich sagt, dass die Hausarztverträge auf kaltem Wege eingestampft werden?
({10})
Das Einzige, was Sie erreicht haben, ist ein Bestandsschutz für Ihre Verträge in Bayern und Baden-Württemberg.
({11})
Man kann Ihnen wirklich dazu gratulieren. Ob es in den
übrigen Teilen der Republik noch Hausarztverträge gibt,
ist Ihnen völlig egal. Das ist Ihre Politik. Das nenne ich
Klientelpolitik.
({12})
- Das musste genannt werden; das sieht man auch bei
meinem nächsten Punkt.
Sie haben einen Steuerzuschuss von 2 Milliarden
Euro in den Gesundheitsfonds gegeben. Dazu sagt Herr
Rösler: Das ist zum Ausgleich des Defizites, aber auch
für den steuerfinanzierten Sozialausgleich. Dieser findet
2011 nicht statt, weil das Bundesversicherungsamt ausgerechnet hat, dass wir ihn bundesweit nicht brauchen;
trotzdem werden wir eine Menge Geld für Bürokratie
verschwenden, weil die Kassen jetzt alles vorbereiten
müssen, zum Beispiel müssen Meldungen erstellt werden. Hier wird viel verschwendet, obwohl Sie als FDP
immer für Bürokratieabbau sind. Auch da läuft etwas
falsch.
({13})
Irgendwann 2012 wird es dann einen Sozialausgleich
geben. Dafür haben Sie noch gar keine finanziellen Mittel. Ich bin auf die Diskussion mit Ihrem Finanzminister
gespannt. Wenn das nicht kommt, ist der Sozialausgleich
überhaupt nicht mehr gerecht. Denn dann wird er aus
dem Gesundheitsfonds finanziert werden.
({14})
Dann werden Beitragsgelder für Ihren Sozialausgleich
verwandt. Wir werden auch die zusätzlichen Bürokratiekosten für die Kopfpauschale, die ausgeweitet werden
muss, weil sonst die Mittel fehlen, tragen müssen. Das
werden wir Ihnen, wenn es sein muss, noch ausrechnen.
Sie waren in der Anhörung hoffentlich anwesend, als die
Arbeitgeberverbände deutlich gesagt haben, wie hoch
der Bürokratieaufwand dafür ist.
({15})
Wir fragen in der Tat: Wie wollen Sie eine Entlastung der Beitragszahler erreichen? Wir haben festgestellt, dass Sie über die Beitragssatzerhöhung jetzt
6 Milliarden Euro einfordern. Damit stopfen Sie dann
den größten Teil des Defizits in Höhe von 9 Milliarden
Euro. Von den Leistungserbringern wollten Sie ursprünglich 5 Milliarden Euro einfordern.
({16})
Nach Ihren Zahlen sind jetzt 3 Milliarden Euro übrig geblieben. Statt darüber nachzudenken, die Beitragserhöhung für alle etwas zu reduzieren - auf diese Idee sind
Sie wahrscheinlich überhaupt nicht gekommen -, haben
Sie jetzt schnell die 2 Milliarden Euro Beitragseinnahmen über die Leistungserbringer ausgeschüttet. Die Beitragszahler dürfen das jetzt mittragen.
Das Schlimme ist: Wenn Ihre Sparziele von
3 Milliarden Euro im nächsten Jahr nicht umgesetzt werden, werden wir erleben, dass die Beitragszahler wieder
geschröpft werden. Dann dürfen sie das auffangen, was
Sie an Sparideen verfehlt haben, und müssen ab 2012
eine höhere Kopfpauschale völlig alleine, ohne die Arbeitgeber, finanzieren. Das, meine Damen und Herren
von der Koalition, nenne ich nicht gerecht. Sie sollten
das Wort „gerecht“ für Ihre Reform nicht in den Mund
nehmen.
Schönen Dank.
({17})
Das Wort hat der Kollege Lothar Riebsamen von der
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!
Der Gesundheitshaushalt des Bundes für das Jahr 2011
ist Ausdruck und Ergebnis der intensiven und erfolgreichen Arbeit der christlich-liberalen Koalition im
Jahr 2010. Wir haben die Weichen gestellt: für eine zukunftsorientierte Versorgung auf hohem Niveau in einer
älter werdenden Gesellschaft. Wir tun, was wichtig ist,
um unser Land fit zu halten und fit zu machen. Darauf
können wir auch ein Stück weit stolz sein.
Was haben Bündnis 90/Die Grünen auf ihrem Bundesparteitag am vergangenen Wochenende gemacht?
({0})
- Ja, nächstes Mal komme ich vielleicht. - Sie setzen auf
eine rückwärtsgewandte Politik
({1})
und wollen die Mittelschicht, die in unserem Staat, in
unserer Gesellschaft den Karren zieht und schon jetzt die
meisten Steuern zahlt, weiter schröpfen.
({2})
Das wird es mit CDU/CSU und FDP im kommenden
Jahr, im Haushaltsjahr 2011, nicht geben.
({3})
Gott sei Dank tragen wir auch im nächsten Jahr und in
den folgenden Jahren die Verantwortung für die Gesundheitspolitik in diesem Land.
({4})
Wir haben die richtigen Weichen gestellt, auf der
Ausgabenseite wie auf der Einnahmeseite, im kurzfristigen Bereich, weil es notwendig war, einen Abmangel
von 9 Milliarden Euro ausgeglichen, ebenso wie im
langfristigen Bereich, wo es um die Strukturen ging.
Erstmals haben wir das Preismonopol der Pharmaindustrie gebrochen - zukünftig gibt es Verhandlungen
zwischen dem Anbieter und dem Abnehmer -, wir haben
den Zwangsrabatt auf 16 Prozent festgesetzt, und wir haben für mehr Transparenz und mehr Wettbewerb im System gesorgt.
Auf der Einnahmeseite haben wir die Beitragssätze
auf das Niveau von vor der Krise angehoben. Auf der
Arbeitgeberseite haben wir sie festgeschrieben, um in
diesem Land auch zukünftig Arbeitsplätze zu sichern
und weitere Arbeitsplätze zu schaffen.
({5})
Darüber hinaus haben wir die Zusatzbeiträge durch einen sozialen Ausgleich, den es in der Vergangenheit
nicht gab, gerechter gestaltet. Solidarität gab bzw. gibt es
im bisherigen System nur zwischen Klein- und Mittelverdienern. Wir sorgen über den Sozialausgleich bei den
Zusatzbeiträgen dafür, dass auch die großen Einkommen
und die Kapitalgesellschaften ihren Beitrag leisten, um
dieses System sozialer zu machen.
({6})
Demgegenüber setzten die Grünen auf ihrem Bundesparteitag auf eine Erhöhung von Steuern und Abgaben, gerade für mittlere Einkommen. Das ist eine Katastrophe und würde gleich in mehrerlei Hinsicht zu
einer Verschlechterung führen.
Sie wollen die Beitragsbemessungsgrenze auf
5 500 Euro anheben. Auf die Leistungsträger, also auf
diejenigen, die in diesem Land sprichwörtlich den Karren ziehen, wird weiter eingeschlagen. Es ist ein Skandal, dass Sie, was die Qualität anbelangt, eine Nivellierung nach unten anstreben und den Wettbewerb
einschränken wollen. Sollten diese Vorschläge je umgesetzt werden, würde unser Gesundheitssystem schlechter
und teurer. Das wird allerdings mit Sicherheit nicht geschehen. Ihre Beschlüsse werden Gott sei Dank graue
Theorie bleiben.
Außerdem wollen Sie die beitragsfreie Mitversicherung und das Ehegattensplitting abschaffen. Auch dies
ist ein Angriff auf den Mittelstand.
({7})
Gleichzeitig ist das aber auch ein Angriff auf die Familien in unserem Land.
({8})
Sie wollen die Krankenkassen zu einem zweiten Finanzamt ausbauen. Denn Sie wollen, dass auf alle Einkunftsarten Beiträge gezahlt werden, auch auf Miet-,
Pacht- und Zinseneinnahmen. Dazu kann ich nur sagen:
Das wäre Bürokratie pur.
({9})
Darüber hinaus wollen Sie den Spitzensteuersatz erhöhen; auch dies müsste letztlich der Mittelstand finanzieren.
({10})
Wir lassen uns nicht beirren.
({11})
Wir werden unser Gesundheitssystem auch im Jahr 2011
im positiven Sinne fortentwickeln. Ein sehr wichtiges
Projekt im Jahr 2011 wird die Weiterentwicklung der
Pflegeversicherung sein.
Die Einführung der Pflegeversicherung 1995 war ein
Segen für die Menschen in unserem Land. Wenn man in
ein Pflegeheim gekommen ist, wurde man quasi von
heute auf morgen zum Taschengeldempfänger, weil die
Rente nicht ausgereicht hat, um circa 3 000 Mark im
Monat zu bezahlen. Dies war außerdem ein Segen für
die Sozialhilfeträger, für die Kreise und für die Kommunen in unserem Land,
({12})
weil dies schlicht und ergreifend mehrere Punkte an der
Kreisumlage ausgemacht hat. Mit der Einführung der
Pflegeversicherung haben wir auch etwas für unsere
Kommunen und für die Landkreise getan.
({13})
Sie haben wenige Jahre später die Grundsicherung
mit dem Versprechen eingeführt, dass dies für die Städte
und Gemeinden kostenneutral sei. Genau diese Grundsicherung ist heute eines der größten Probleme auf der
Ausgabenseite der Landkreise.
({14})
Wir werden dafür sorgen müssen, dass dieser Ausgleich
herbeigeführt wird. Sie haben das versprochen und haben dieses Versprechen nicht gehalten.
({15})
Weiterhin wird es notwendig sein, die Pflegeversicherung auf ein zweites, ein kapitalgestütztes Standbein zu
stellen. Wir haben durch die Riester-Rente eine Blaupause in der Rentenversicherung. In gleicher Weise werden wir Lösungen für die Pflegeversicherung finden, um
auch sie zukunftsfest zu machen.
Dazu, dieses System zukunftsfest zu machen, gehört
auch der Krankenhaussektor. Wir haben heute in der
Presse gelesen, dass das Statistische Bundesamt davon
ausgeht, dass die Zahl der über 60-Jährigen bis zum Jahr
2050 um 40 Prozent zunehmen wird. Bei den über
80-Jährigen ist es noch deutlich mehr. Das Statistische
Bundesamt rechnet hoch, dass dadurch die Fallzahlen in
den Krankenhäusern von 17,9 Millionen auf 19,3 Millionen im Jahr 2030 ansteigen werden. Das ist vermutlich
richtig gerechnet. Wir werden aber dafür sorgen, dass
diese horrende Steigerung der Fallzahlen durch medizinischen Fortschritt, den wir unterstützen werden, und
durch Prävention, die wir unterstützen werden, so nicht
eintritt. Trotzdem wird es eine Steigerung der Fallzahlen
geben. Deswegen werden wir dafür sorgen, dass Krankenhausstandorte im ländlichen Raum erhalten bleiben,
wo dies notwendig ist, um eine wohnortnahe Versorgung
in unserem Land auch in Zukunft sicherzustellen.
Notwendig wird weiter sein, eine bessere Verzahnung zwischen ambulantem und stationärem Bereich
herbeizuführen. Dabei ist es zielführend, dies in Abstimmung zwischen den Krankenhäusern und den niedergelassenen Ärzten zu tun, wie dies in der Vergangenheit im
Einvernehmen bereits vielfach in unserem Land durch
die Einrichtung von MVZs gemacht wurde. Wir werden
dadurch auch die Qualität verbessern, Überversorgung
abbauen und Unterversorgung beseitigen.
Eine enge Zusammenarbeit ist auch deshalb wichtig,
um dem Ärztemangel insbesondere im ländlichen Raum
zu begegnen. In meinem Wahlkreis haben wir zu wenig
Notärzte und müssen Dienstleister für die Notarztversorgung in Anspruch nehmen. Das bedeutet in Zahlen, dass
wir pro Notarzteinsatz 7 000 Euro aufwenden müssen.
Das kann so für die Zukunft nicht weitergehen. Auch
hier müssen und werden wir Lösungen finden.
Ein weiterer Punkt wird im kommenden Jahr, im
Haushaltsjahr 2011, das Thema „Krankenhaushygiene,
Krankenhauskeime“ sein. Ich möchte allerdings klarstellen, dass unser Land im europäischen Vergleich
durchaus nicht schlecht dasteht. Allerdings gibt es Länder, die, was Krankenhausinfektionen anbelangt, besser
sind als wir. Wir haben den Anspruch, uns an den Ländern zu orientieren, die hier bessere Werte aufweisen. Es
ist ein Umdenken bei allen Beteiligten erforderlich, um
Leid zu verhindern, aber auch um Kosten zu senken. Wir
werden nicht länger zusehen, wie der Schwarze Peter
zwischen Krankenhäusern und Kassen hin und her geschoben wird. Die Krankheit und die Infektion, die verhindert werden können, ist die beste Kostendämpfung.
Davon haben sowohl Krankenhäuser als auch Krankenkassen einen klaren Vorteil.
({16})
Kommen Sie bitte zum Schluss.
Meine Damen und Herren, Ziel der Politik auch im
Jahr 2011 unserer Koalition wird es sein, faire Regeln
und faire Rahmenbedingungen für die Leistungserbringer, aber auch für die Selbstverwaltung zu erhalten und
zu verbessern, um unser System demografiefest zu machen und weiterzuentwickeln. Dieser Haushalt 2011 bietet hierzu eine hervorragende Grundlage.
({0})
Als letzte Rednerin zu diesem Einzelplan hat die Kollegin Karin Maag von der CDU/CSU-Fraktion das Wort.
({0})
Herr Präsident! Herr Minister Rösler! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Eines zeichnet sich am Ende der
Debatte wirklich ab - ich hoffe, ich bekomme noch Ihre
Aufmerksamkeit -:
({0})
Wir als christlich-liberale Koalition haben 2010 genutzt
und damit begonnen, die gesetzliche Krankenversicherung zukunftsfest zu machen, wie wir es zu Beginn des
Jahres bei den Haushaltsberatungen 2010 versprochen
haben.
({1})
Wir haben in der Krise mit den Steuerzuschüssen dafür gesorgt, dass die Beiträge der gesetzlich Versicherten
nicht gestiegen sind. Mit dem jetzigen Aufschwung wird
der Beitrag wieder auf die Höhe von vor der Krise zurückgeführt, und die Steuerzuschüsse werden gesenkt.
Das ist folgerichtig und ehrlich, und dadurch werden vor
allem die nachfolgenden Generationen vor ausufernden
Schulden geschützt.
({2})
Zum Stichwort „nachfolgende Generationen“. Mit
dem Haushalt tragen wir vor allem die dringend notwendige Reform der gesetzlichen Krankenversicherung; das
haben wir schon gehört. Wir haben den Einstieg in ein
System geschafft, das die Arbeitskosten weniger belastet
und die Wettbewerbsfähigkeit als Exportnation sichert,
statt sie durch Erhöhungen des Beitragssatzes zu gefährden.
Jetzt konkret zu Herrn Lauterbach und Frau Bender;
Herr Lauterbach ist schon nicht mehr da.
({3})
Sie haben zwar viel polemisiert, können aber am Ende
des Jahres leider nichts vorweisen.
({4})
- Ich komme noch dazu. - Das Programm der SPD ist
zwar an üblicher Umverteilungslyrik nicht zu übertreffen, kommt aber ohne jeglichen konkreten Vorschlag
aus.
({5})
Jetzt hätte ich den Herrn Lauterbach gerne gelobt; er
ist ja nicht Mitglied des Präsidiums, soweit ich weiß.
Wir hoffen darauf, dass das Programm noch in irgendeiner Form konkret wird.
({6})
- Aufs Stichwort erscheint Herr Lauterbach.
({7})
- Klasse. - Lieber Herr Lauterbach, Sie haben Glück,
dass Sie nicht im Präsidium sind. Ich glaube zumindest,
dass Sie es nicht sind.
Frau Bender, jetzt komme ich zu den Grünen.
({8})
- Jetzt kommt fast ein Lob. - Sie waren ja wenigstens
konkret und haben sich bisher nicht davor gedrückt, dem
Mittelstand zu sagen, dass Ihre linke Mehrheit - das betone ich jetzt - ihn enteignen will.
({9})
- Ja. - Sie wollen die kostenlose Mitversicherung weitgehend abschaffen, also die Familien noch zusätzlich belasten.
({10})
Ihr Beispiel von vorhin hinkt etwas. Ihre Erklärung
zur Ehe, wonach sie nicht belastet wird, ist so nicht richtig. Ich denke an den Mann oder die Frau, der oder die
nach der Erziehung der Kinder eben nicht weiter arbeitet. Ich glaube, in Bezug auf dieses Beispiel können Sie
mir nicht vermitteln, dass die Ehe nicht belastet wird.
({11})
Sie wollten, wie Sie es nannten, die „großen Vermögen“ in die GKV holen. Mit der Erhöhung der Beitragsbemessungsgrenze auf 5 500 Euro treffen Sie - vielleicht nicht Sie persönlich, aber die linke Mehrheit Ihrer
Partei - ausschließlich den Mittelstand: die Ingenieure,
die Facharbeiter, die Beamten, also diejenigen, die sowieso die Hauptlast der Steuern und Abgaben tragen, in
Ihrer Partei aber nicht zu Hause sind. Genau diejenigen
sollen noch mehr bluten. Es geht konkret um 1 404 Euro
Mehrausgaben pro Jahr. Ich kann nur eines sagen: Reden
Sie bitte nie mehr von Klientelpolitik!
({12})
Jetzt komme ich zurück zum eher atypischen Haushalt des Gesundheitsministeriums. Politischer und finanzieller Aufgabenschwerpunkt im disponiblen Teil des
Haushalts ist die Prävention, für die rund 34,6 Millionen
Euro eingesetzt werden. Prävention heißt nach meiner
Lesart: Wir reagieren auf die Probleme der Zukunft. Ziel
dieser Prävention ist es, den gesundheitsschädlichen
Konsum von Suchtmitteln zu verhindern. Hiermit bin
ich bei meinen Themen als Berichterstatterin.
Für die Aidsaufklärung stehen weiterhin 13 Millionen
Euro zur Verfügung, für die Drogenaufklärung sind es
rund 7,7 Millionen Euro.
Am 1. Dezember ist der Welt-Aids-Tag. In diesem
Zusammenhang muss man darauf hinweisen: Ende 2009
waren rund 67 000 Menschen in Deutschland mit HIV
infiziert. Deutschland hat die niedrigste Neuansteckungsrate. 3 000 HIV-positiv getestete Menschen waren es in Deutschland in 2009. Gott sei Dank haben sich
die Infektionsraten stabilisiert.
({13})
- Jetzt bitte ich noch einmal um Ihre Aufmerksamkeit.
Herr Terpe, auch um Ihre bitte! Aufmerksamkeit! Aids
ist auch Ihr Thema.
({14})
Danke.
({15})
- Wenn das erstmals der Fall ist, wunderbar!
({16})
- Er passt ja nicht auf. Da gestatte ich mir die Uncharmantheit.
Besonders die Jüngeren halten Aids für behandelbar.
Genau deshalb werden wir weiterhin die notwendigen
Mittel zur Verfügung stellen: um aufzuklären, um gegen
diese Krankheit zu kämpfen.
Eines ist mir dabei wichtig. Ich habe mit der Kollegin
Aschenberg-Dugnus kürzlich eine Veranstaltung der
Aids-Hilfe zum Welt-Aids-Tag besucht. Jetzt ganz konkret: Herr Lauterbach, Frau Bender, Sie ahnen nicht,
welche Angst, welche Verunsicherung und welchen
Schaden Sie bei den Betroffenen, die wirklich teure Medikamente benötigen, mit dem grob falschen Begriff der
Vorauskasse anrichten,
({17})
und dies nur um eines kurzfristigen vermeintlichen politischen Vorteils willen.
({18})
Ich will an dieser Stelle noch einmal betonen: Wir haben keine Vorauskasse eingeführt und werden auch
keine einführen. Wir haben das, was einzelne gesetzliche
Kassen bereits tun, nämlich auf freiwilliger Basis Wahlleistungstarife anzubieten, um die freiwillig Versicherten
zu halten, auf saubere Füße gestellt. Wir unterbinden die
Quersubventionierung mit Mitteln, die allen Versicherten der gesetzlichen Versicherung für ausreichende,
zweckmäßige und wirtschaftliche Versorgung zur Verfügung stehen müssen, nicht mehr und nicht weniger.
Jetzt wieder zurück zum Haushalt. Für Maßnahmen
zur Verhinderung des Drogen- und Suchtmittelmissbrauchs haben wir weitere 13,9 Millionen Euro veranschlagt. Auch hier müssen wir achtsam sein, denn die
Gesamtzahl der erstauffälligen Konsumenten harter Drogen steigt seit 2008 erstmals wieder an. 7,7 Millionen
Euro gehen daher vorrangig in die Aufklärung, in Maßnahmen zur Förderung des Nichtrauchens sowie in die
Bekämpfung des Alkoholmissbrauchs bei Jugendlichen
und Erwachsenen.
Besonders wichtig in diesem Zusammenhang ist mir
das Thema Alkoholmissbrauch bei Kindern und Jugendlichen. 4 500 Kinder landeten 2009 mit schwerer Alkoholvergiftung stationär im Krankenhaus. Ich rede von einem Einstiegsalter von 11 bis 13 Jahren und - nur am
Rande - von Kosten für die gesetzliche Krankenversicherung von 1 000 Euro pro Nacht. Es gibt viele gute
Projekte, die das sogenannte Binge Drinking oder
Komasaufen bekämpfen. Aber wir müssen es schaffen
- deswegen sind die Mittel besonders gut angelegt -,
dass darüber gesprochen wird, dass diese Art des Konsums gesellschaftlich bei den Jugendlichen keine Akzeptanz findet. Ich habe dazu übrigens in Stuttgart einen
runden Tisch „Alkoholmissbrauch“ eingerichtet.
Meine Damen und Herren, zum Schluss fasse ich kurz
zusammen. Mit diesem Haushalt haben wir die Zukunft
unserer Kinder im Fokus. Wir sparen auf der einen Seite
und geben auf der anderen Seite die Mittel passgenau für
die Zukunft aus. Ich finde, das ist uns gelungen.
Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.
({19})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den Einzelplan 15,
Bundesministerium für Gesundheit, in der Ausschussfassung. Hierzu liegen drei Änderungsanträge der Fraktion Die Linke vor, über die wir zuerst abstimmen.
Wir beginnen mit dem Änderungsantrag auf Drucksache 17/3827. Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Keine Enthaltungen. Der Änderungsantrag ist bei Zustimmung der Fraktion Die Linke
abgelehnt mit den Stimmen aller übrigen Fraktionen.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
Änderungsantrag auf Drucksache 17/3828. Wer
stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? Der Änderungsantrag ist mit dem gleichen Stimmenverhältnis abgelehnt.
Änderungsantrag auf Drucksache 17/3829. Wer
stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? Auch dieser Antrag ist mit dem gleichen Stimmenverhältnis abgelehnt.
Wir kommen nun zu der Abstimmung über den
Einzelplan 15 in der Ausschussfassung. Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der
Einzelplan 15 ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Oppositionsfraktionen angenommen.
Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Mittwoch, den 24. November
2010, 9 Uhr, ein.
Die Sitzung ist geschlossen.