Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Die Sitzung ist eröffnet. Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich begrüße Sie alle herzlich.
({0})
- Aber das ist doch auch der, der jetzt gebraucht wird.
({1})
- Na ja, aber die ganze Weide hier ist ja auch noch ein
bisschen übersichtlich.
Ich möchte darauf hinweisen, dass der Ältestenrat
gestern in seiner Sitzung vereinbart hat, während der
Haushaltsberatungen in unserer nächsten Sitzungswo-
che ab dem 22. November, wie auch sonst üblich, keine
Befragung der Bundesregierung, keine Fragestunde und
auch keine Aktuellen Stunden durchzuführen. Darf ich
dazu allgemeines Einvernehmen feststellen? - Das ist
offensichtlich der Fall.
Ich rufe nun die Tagesordnungspunkte 32 a und 32 b
auf:
a) - Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und der FDP eingebrachten
Entwurfs eines Gesetzes zur nachhaltigen und
sozial ausgewogenen Finanzierung der Gesetzlichen Krankenversicherung ({2})
- Drucksache 17/3040 - Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur nachhaltigen und sozial ausgewogenen
Finanzierung der Gesetzlichen Krankenversicherung ({3})
- Drucksachen 17/3360, 17/3441 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Gesundheit ({4})
- Drucksache 17/3696 Berichterstattung:
Abgeordnete Jens Spahn
Ulrike Flach
Birgitt Bender
- Bericht des Haushaltsausschusses ({5})
gemäß § 96 der Geschäftsordnung
- Drucksache 17/3697 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Alois Karl
Ewald Schurer
Michael Leutert
Sven-Christian Kindler
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Gesundheit ({6})
- zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Edgar
Franke, Bärbel Bas, Petra Ernstberger, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Patientenschutz statt Lobbyismus - Keine
Vorkasse in der gesetzlichen Krankenversicherung
- zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Martina
Bunge, Kathrin Senger-Schäfer, Harald
Weinberg, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE
Solidarische Bürgerinnen- und Bürgerversicherung in Gesundheit und Pflege einführen
- zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Bericht des GKV-Spitzenverbandes über die
Erfahrungen mit den durch das GKV-WSG
bewirkten Rechtsänderungen in § 13 Absatz 2 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch
- Drucksachen 17/3427, 17/1238, 16/12639,
17/3696 Redetext
Abgeordnete Jens Spahn
Ulrike Flach
Birgitt Bender
Zu dem Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU
und FDP liegt je ein Entschließungsantrag der Fraktionen der SPD, Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen
vor.
Über den Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/
CSU und FDP sowie über den Entschließungsantrag der
Fraktion Die Linke werden wir später namentlich abstimmen.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 90 Minuten vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann können wir so verfahren.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort erhält zunächst
die Kollegin Ulrike Flach für die FDP-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das GKVFinanzierungsgesetz, das wir heute hier beraten, bedeutet eine deutliche Zäsur in der deutschen Gesundheitspolitik.
({0})
Wir schaffen heute den Einstieg - das ist etwas, was hier
in diesem Hause oft genug bezweifelt worden ist - in die
strukturelle Umstellung auf eine einkommensunabhängige und damit natürlich konjunkturunabhängige Finanzierung des Gesundheitssystems.
({1})
Wir sehen doch seit vielen Jahren, dass die Ausgaben
der gesetzlichen Krankenversicherung schneller wachsen als die beitragspflichtigen Einnahmen. Wir müssen
uns deshalb - das muss jeder in diesem Lande wissen,
der auf die Oppositionspolemik der vergangenen Wochen hereinfällt - vom Lohnbezug der Beiträge lösen;
denn steigende Beiträge führen zu steigenden Lohnnebenkosten und sie gefährden damit Arbeitsplätze. Unser Ziel ist, genau dies zu verhindern.
({2})
Die Sicherung von Arbeitsplätzen ist eines der großen
Ziele dieser Koalition und damit auch ein entscheidendes Element der liberal-christlich-demokratischen Sozialpolitik.
({3})
Das Einfrieren des Arbeitgeberanteils sichert Beschäftigung, weil sich die Lohnzusatzkosten eben nicht
mehr erhöhen. Schwankungen der Konjunktur und höhere Arbeitslosigkeit schlagen damit nicht mehr so stark
auf die Gesundheitsfinanzierung durch. Die Weiterentwicklung der Zusatzbeiträge mit Sozialausgleich
({4})
stellt sicher, dass Geringverdiener nicht überfordert werden und einen sozialen Ausgleich erhalten. Auch das
muss man an dieser Stelle sagen. Das ist neu, meine Damen und Herren.
({5})
Das haben eine sozialdemokratische und auch eine rotgrüne Regierung nie geschafft. Wir schaffen einen sozialen Ausgleich im deutschen Gesundheitssystem.
({6})
Außerdem haben wir auf das Milliardendefizit bei
den gesetzlichen Krankenversicherungen reagiert und
dies durch harte Einsparungen bei den Leistungsträgern
sowie mit Anpassungen der Beiträge und Rückführungen auf den Vorkrisenstand bei Arbeitnehmern und Arbeitgebern ausgeglichen. Was wir aber nicht getan haben, liebe Kolleginnen und Kollegen: Wir belasten nicht
die Patienten in diesem Lande.
({7})
Die Patienten können darauf setzen, dass dieses Gesundheitssystem auch in Zukunft funktioniert. Sie können
sich auf uns verlassen. Nicht die Patienten werden getroffen, sondern die Leistungsträger, die bei diesen Einsparungen dabei sein müssen.
({8})
Wir sichern die Einnahmeseite, und wir stabilisieren
die Ausgabenseite. Das ist erheblich mehr, als alle anderen in diesem Hause vor uns geschafft haben. In einer
Gesellschaft des längeren Lebens mit weniger Kindern
und erheblichem medizinischem Fortschritt wird Gesundheit in der Tendenz teurer. Jeder, der etwas anderes
behauptet, macht den Leuten doch etwas vor, meine Damen und Herren.
({9})
Die Alternative zu dem heutigen Gesetz wäre, dass
wir Leistungen streichen müssten. Genau dies werden
wir nicht tun, genau dies wollen wir nicht. Dafür ist das
heute zu beratende Gesetz da.
({10})
Unsere Maßnahmen werden die Ausgaben stabilisieren. Das hat der Schätzerkreis vor wenigen Tagen erneut
bestätigt. Die Ausgaben der GKV werden im nächsten
Jahr voll gedeckt werden können, und der durchschnittliche Zusatzbeitrag wird 2011 bei null Euro liegen. Das ist
eine gute Botschaft für die Versicherten. Hätten wir
nämlich Ihr System weiterlaufen lassen, liebe Damen
und Herren von der Sozialdemokratie, dann wären zahlreiche Kassen in diesem Lande in den Ruin gelaufen.
({11})
Viele Menschen hätten Zusatzbeiträge zahlen müssen.
Das haben wir verhindert; das ist auch das Ziel unserer
Reform gewesen.
({12})
Lassen Sie mich ganz zum Schluss noch zwei Worte
zu dem sagen, was man, abgelesen von kleinen Zetteln,
in diesen Tagen so von Ihnen hört. Der Arbeitskreis der
SPD hat wohl getagt und ein Mäuschen geboren, das er
Bürgerversicherung nennt. Sie haben nichts durchgerechnet, überhaupt nichts durchgerechnet. Sie haben sich
mit keinerlei technischen Problemen befasst. Technische
Probleme, wie Sie sie bei uns immer anprangern, können
bei Ihnen gar nicht vorkommen, weil Sie sich überhaupt
nicht damit befassen.
({13})
Sie sagen den Leuten übrigens auch nicht, ob zum Beispiel die Ehefrauen in Zukunft noch mitversichert sein
werden. Es würde mich einmal interessieren, ob Sie das
tun.
({14})
Von den Grünen haben wir darauf eine klare Antwort,
dass es nicht so sein wird.
({15})
Sie haben natürlich auch kein Modell für die Wirklichkeit vorgelegt. Das, was Sie den Menschen in diesem
Hause und draußen vor den Fernsehern erzählen, ist nebulös und hat mit einer Lösung für dieses Gesundheitssystem nichts zu tun. Wir hingegen haben etwas vorgelegt. Wir sorgen dafür, dass das Ganze laufen kann, und
wir freuen uns auf die Reformen der nächsten Monate.
Herzlichen Dank, meine Damen und Herren.
({16})
Das Wort erhält nun die Kollegin Andrea Nahles für
die SPD-Fraktion.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Eine Zäsur ist es wohl, Frau Flach. Nach meiner Auffassung erleben wir hier heute den ersten Schritt
in die Privatisierung der gesetzlichen Krankenversicherung. Hier wird aus meiner Sicht versucht, die Prinzipien der privaten Krankenversicherung einer im Kern
intakten Solidargemeinschaft überzustülpen. Meiner
Meinung nach ist das vor allem schlecht für 70 Millionen gesetzlich Versicherte, für alle Patientinnen und Patienten. Es geht Ihnen doch in Wirklichkeit nicht um die
Reform des Systems. Sie wollen den Wechsel des Systems, Herr Rösler. Das ist der entscheidende Punkt.
({0})
Wir haben hier im Grunde genommen einen groß angelegten Feldversuch, in dem die Menschen an die Prinzipien der privaten Krankenversicherung herangeführt
werden sollen, und das wollen die Menschen in Deutschland nicht.
({1})
Was wollen denn die Menschen eigentlich? Sie wollen
zweierlei: Erstens wollen sie, wenn sie krank werden, Sicherheit haben, dass sie die bestmögliche medizinische
Versorgung bekommen. Das Zweite, was Menschen
wollen, ist, dass es dabei gerecht zugeht, und zwar sowohl im Wartezimmer als auch auf dem Lohnzettel oder
im Rentenbescheid.
({2})
Was legen Sie demgegenüber heute hier vor? Den Patienten wird es nicht besser gehen. Die Versorgung wird
nicht verbessert, in keinem Punkt. Aber es wird an vielen
Punkten für die Mehrheit der Versicherten in Deutschland ungerechter werden.
({3})
Deswegen, lieber Herr Rösler, muss man auch einmal
klar benennen, welche Interessen Sie heute hier vertreten. Sie vertreten nämlich nicht die Interessen der Versicherten, Sie verdienen den Namen Gesundheitsminister
nicht. Sie sind der Cheflobbyist der 4 Prozent Spitzenverdiener, die in den Umfragen als Letzte treu zur FDP
stehen. Das kann man hier doch einmal schlicht zusammenfassen.
({4})
Die Aussage hinsichtlich des Cheflobbyismus will ich
auch begründen: Sie haben allen Ernstes die Chuzpe, die
Arbeitgeberbeiträge einzufrieren. Dies geschieht in einer Zeit, in der die gesundheitlichen Belastungen für
Arbeitnehmer nachweislich durch Überstunden und
Leistungsverdichtung stetig steigen. Insbesondere psychische Erkrankungen sind mittlerweile zu einer der großen Volkskrankheiten geworden. In dieser Situation entlassen Sie die Arbeitgeber aus der Verantwortung für die
Gesundheit der Arbeitnehmer. Das ist mies. Ihre Politik
bedeutet eines: mehr Netto - allerdings nur für die Ar7850
beitgeber in Deutschland. Etwas anderes wird durch Ihre
Maßnahmen nicht erreicht.
({5})
Wir erleben hier die Einführung einer Kopfpauschale.
Je weniger man verdient, desto höher ist die Belastung.
Das kehrt das Solidarprinzip um. Ich kann Ihnen nur sagen: Die Menschen werden dies merken. Bei 1 000 Euro
Rente entspricht eine Kopfpauschale in Höhe von
40 Euro einer 4-prozentigen Rentenkürzung. Das werden die 20 Millionen Rentnerinnen und Rentner in
Deutschland sehr bald in ihrem Rentenbescheid erkennen können.
Herr Rösler, Sie sprechen von Sozialausgleich. Sie
bekommen noch nicht einmal in Ihren eigenen Reihen
ein Gerechtigkeitsattest. Herr Spahn, Herr Straubinger
und Frau Flach haben es Ihnen doch am 4. November
schriftlich gegeben - ich zitiere -:
So kann es passieren, dass jemand einen Steuerzuschuss erhält, obwohl der Versicherte etwa über
hohe Zins- und Mieteinnahmen verfügt. Das ist
nicht gerecht.
({6})
Herr Spahn, Herr Straubinger und Frau Flach, wenn
Sie diese Reform nicht für gerecht halten, dann haben
Sie doch das Kreuz und verhindern Sie diese Reform.
Der zweite Streich des Ministers ist die Vorkasse. Ich
kann Ihnen nur sagen: Wir haben bisher überhaupt kein
Problem mit dem Sachleistungsprinzip in der gesetzlichen Krankenversicherung gehabt.
({7})
Bei der Vorkasse gibt es aber das Problem, dass die
Leute allein auf den Risiken sitzen bleiben, wenn der
Arzt mehr abrechnet, als die Kasse ihnen erstattet.
({8})
Das wird massenhaft passieren. Das ist Scheckbuchmedizin. Das können wir den Menschen nicht zumuten.
({9})
Die Vorkasse ist für mich die Einführung eines Dreiklassensystems. Jeder von uns kennt doch die Situation
- ich bin AOK-Versicherte -, dass man als gesetzlich
Versicherter schon jetzt immer länger warten muss
({10})
und dass man einen schlechteren Zugang zu Spezialisten
hat. Dies ist so, weil es Privatpatienten gibt. Jetzt wird
eine weitere Klasse von Versicherten eingeführt. Sie sagen, die Vorkasse sei freiwillig. Wissen Sie, wie es nachher in den Praxen läuft? Wer schnell behandelt werden
will, bekommt einen kurzfristigen Termin nur dann,
wenn er Geld auf die Anmeldetheke der Arztpraxis legt.
Das wird die Realität in Deutschland werden. Das bringt
nichts außer Verdruss.
({11})
Sie führen hier ein Großexperiment durch. Ich sage
Ihnen: Mit der Gesundheit von 70 Millionen Versicherten macht man keine Experimente, meine Damen und
Herren von der Bundesregierung.
({12})
Frau Flach, es gibt sehr wohl eine Alternative, die
eine hochwertige Gesundheitsversorgung mit gleichem
Zugang zu medizinischen Leistungen für alle Bürgerinnen und Bürger sicherstellt. Dieser Weg setzt auf mehr
Solidarität und nicht auf die weitere Spaltung dieses
Landes. Was mir besonders wichtig ist: Nur die Bürgerversicherung kann verhindern, dass die Patienten den
Lobbyisten in diesem Land ausgeliefert werden.
({13})
Deswegen setzen wir uns dafür ein.
({14})
Ich bin davon überzeugt - das ist auch die Überzeugung meiner Partei, die dieses System entwickelt hat -,
({15})
dass die Mehrheit der Menschen in unserem Land die
Bürgerversicherung unterstützen wird.
({16})
Indem wir die Bürgerversicherung einführen, werden
wir die Solidarität stärken. Sie werden bei der nächsten
Wahl für Ihre Politik die Quittung bekommen.
Vielen Dank.
({17})
Nächster Redner ist der Kollege Dr. Rolf Koschorrek
für die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe
Kollegin Nahles, ich habe heute mit großer Erwartung
hier gesessen, um zu hören, was Sie konkret zu den
Maßnahmen der Regierung sagen. Es hat mich auch interessiert, ob Ihre Ausführungen zu der Frage, was die
Bürgerversicherung auszeichnet, über die blumigen und
eher nebulösen Ankündigungen auf Ihrer Pressekonferenz Anfang dieser Woche hinausgehen. Das, was wir
hier eben erlebt haben, war ein großes schwarzes Loch:
wieder einmal schlicht gar nichts.
Das, was wir in der Regierungskoalition gestern und
heute im Gesetzgebungsverfahren dem Parlament vorlegen, ist gelebte Solidarität. Wir sorgen dafür, die finanzielle Basis der gesetzlichen Krankenversicherung zu
stabilisieren.
({0})
Wir stellen das anerkannt gute deutsche Gesundheitssystem auf eine solide finanzielle Basis und schaffen uns
dafür Raum, in den kommenden Monaten und im nächsten Jahr die restlichen Vorhaben der Koalition, die wir
im Koalitionsvertrag festgelegt haben, in Angriff zu nehmen. Dann wollen wir genau die Punkte umsetzen, die
Sie kritisieren - das ist recht so -: Wir gehen an die
Strukturen heran; wir werden die Effizienz des Systems
steigern.
Das funktioniert nur, wenn wir vorher dafür gesorgt
haben, dass die finanzielle Basis, auf der wir die ganze
gesetzliche Krankenversicherung in Deutschland organisieren, solide ist. Nichts anderes tun wir, und zwar nachhaltig und deutlich über das Maß der in den letzten Legislaturperioden verabschiedeten großen Reformgesetze
hinaus.
({1})
Wir erhalten die bewährten Grundprinzipien unseres
solidarischen Gesundheitswesens:
({2})
Breite Schultern tragen nach wie vor deutlich mehr als
schmale.
({3})
Die hochwertige medizinische Versorgung wird weiterhin jedem unabhängig von Alter und sozialem Status zur
Verfügung stehen. Wir passen die überholten Regelungen an die Anforderungen einer deutlich älter werdenden
Gesellschaft und einer völlig veränderten gesellschaftlichen Basis an. Frau Ferner, da hilft es nichts, dass Sie
jetzt Schlagworte einwerfen. Ich bin gerne bereit, sachlich mit Ihnen zu debattieren; aber es entbehrt doch jeder
Grundlage, dass Sie uns immer wieder unsolidarisches
Verhalten vorhalten.
({4})
Wir stabilisieren das System in einer Weise, die deutlich über diese Legislaturperiode hinaus und weit in die
Zukunft hinein dafür sorgen wird, dass es zu einer verlässlichen Finanzierung unserer wirklich guten Krankenversorgung kommt. Wir werden den Beitragssatz, wie
vor zwei Jahren angekündigt, auf das vor der Finanzkrise verabredete Maß von 15,5 Prozent anheben. Wir
wollen eben nicht - Frau Nahles, das haben Sie gerade
behauptet - den Arbeitgeberanteil abschaffen, sondern
ihn stabil halten,
({5})
sodass wir die Arbeitgeber weiterhin an der Finanzierung
des Gesundheitswesens beteiligen, aber der Wirtschaft
auch genügend Luft zum Atmen geben. Wir sorgen so für
Verlässlichkeit, damit der Wirtschaftsstandort Deutschland Vorteile aus unserem gesetzlichen Tun zieht.
Selbstverständlich bleibt es bei dem Prinzip der kostenlosen Mitversicherung von Kindern und von Ehegatten, die kein eigenes Einkommen haben. Es bleibt bei
dem bekannten und bewährten Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenkasse; es gibt keinerlei Leistungskürzungen für Kassenpatienten, keine neuen oder höheren
Zuzahlungen, weder bei Medikamenten noch bei Krankenhausaufhalten.
Es bleibt beim Sachleistungsprinzip.
({6})
Jeder Krankenversicherte, der seine Versicherungskarte
beim Arzt vorlegt, hat wie eh und je Anspruch auf alle
Leistungen der medizinischen Versorgung in der gesetzlichen Krankenversicherung.
({7})
Wir alle reden über Eigenverantwortung, über Transparenz und die Beteiligung der Bürger. Wir ermöglichen
jetzt ein System der Kostenerstattung. Es geht nicht darum, vom Sachleistungsprinzip zum Kostenerstattungsprinzip überzugehen; das steht in keinem Satz dieses Gesetzes.
({8})
Ein großer Teil der Versicherten in der gesetzlichen
Krankenversicherung will aber Kostentransparenz; sie
wollen Kenntnis über die Kosten haben, die ihre Behandlung verursacht.
({9})
Das werden wir ermöglichen; nichts anderes setzen wir
um. Es geht überhaupt nicht darum, jemanden abzuzocken oder zur Vorkasse oder zu anderen Drolligkeiten zu
zwingen.
({10})
Es geht einfach darum, die für das Gesundheitssystem gewünschte Transparenz mit gesetzlichen Maßnahmen zu
flankieren, damit der Patientenkreis, der freiwillig das
Kostenerstattungsprinzip nutzen möchte, dies auch tun
kann. Wir haben in der letzten Legislaturperiode in der
Großen Koalition schon einiges auf den richtigen Weg
gebracht. Allerdings war die Nutzung des Kostenerstattungsprinzips strafbewehrt. Wir heben die Strafbewehrung - die Patienten mussten für den Zugewinn an Transparenz zahlen - nun auf. Das ist wohl wahr.
({11})
Wir wollen eindeutig dafür sorgen, die Nutzung des
Kostenerstattungsprinzips zu ermöglichen.
Sie haben jetzt geäußert, dass wir stattdessen Patientenquittungen einführen sollten. Das führt doch völlig
am Ziel vorbei. Was bringt denn eine Patientenquittung?
Sie können es nachlesen - dafür hat der amerikanische
Wissenschaftler Pauli schon in den 20er-Jahren des letzten Jahrhunderts einen Nobelpreis bekommen -: Eine
reine Erkenntnislage bei den Leistungen einer Versicherung, die keine Konsequenzen hat, führt genau zum gegenteiligen System; das würde zu einer Leistungsoptimierung zulasten der Krankenkassen führen. Das wollen
wir eben nicht. Wir wollen Transparenz.
Dafür bieten wir denjenigen, die das für den Bereich
Kostenerstattung wünschen, ein System, das fair und
verlässlich ist und niemanden überfordert. Denn es geht,
wie gesagt, um eine freiwillige Beteiligung. Es geht
überhaupt nicht um Vorkasse, sondern um ein gut formuliertes und sauber austariertes System, in dem niemand
hinten runterfällt und wir in Zukunft die Transparenzgewinne, die wir uns davon versprechen, zusammen mit
den Kassen und den Patienten auch erreichen werden.
Wir werden natürlich nicht um den Bereich der Kostendynamik im Gesundheitswesen herumkommen. Fakt
ist, dass wir, bedingt durch die demografische Entwicklung, durch Entwicklungen auf dem Arbeitsmarkt und
viele andere Komponenten - Sie alle wissen das genauso
gut wie ich -, zu einer höheren Eigenbeteiligung kommen werden.
({12})
Wir machen das über die weitere Ausgestaltung der Zusatzbeiträge, die wir ja schon in der letzten Legislaturperiode festgelegt haben, und jetzt durch die Erhöhung der
prozentualen Beteiligung von 1 auf 2 Prozent.
({13})
Denn Sie wissen selbst, dass die Beteiligung von
1 Prozent damals ein nicht zu umgehender Kompromiss
war, der aber das ganze System nicht praktikabel gemacht hat. Insofern passen wir uns den Gegebenheiten
an. Dieses System wird über viele Jahre tragen, sodass
wir an dem System der Finanzierung der gesetzlichen
Krankenversicherung nicht wieder durch gesetzgeberische Maßnahmen arbeiten müssen.
Wie ich schon eben sagte, ist der Arbeitgeberanteil
nach wie vor Bestandteil der Finanzierung der Krankenversicherung. Um es Ihnen noch einmal zu sagen: Es
bleibt dabei, dass die wirtschaftlich Kräftigeren in unserem Lande auch mehr zahlen müssen, und zwar deutlich
mehr, als wenn sie es nur über das Beitragssystem täten.
Das geschieht nämlich über die Zunahme der steuerlichen Finanzierung der Gesundheitskosten.
({14})
- Frau Ferner, nun hören Sie doch erst einmal zu. Sie haben doch nachher, wenn ich die Rednerliste richtig lese,
noch ausreichend Möglichkeiten, Ihre Ideen hier ins Plenum zu senden.
({15})
Wir sind der Meinung, dass die steuerliche Basis der
Erfassung eine deutlich gerechtere ist als das, was wir
heute im Beitragssystem erreichen können.
({16})
Deswegen werden wir genau diese Änderungen vornehmen.
Beide Gesetzespakete - sowohl das AMNOG, gestern
hier beschlossen, als auch das GKV-Finanzierungsgesetz, das wir heute beschließen - sorgen dafür, dass wir
die finanzielle Basis der gesetzlichen Krankenversicherung solide gestalten.
({17})
- Es geht gar nicht darum, dass hier irgendetwas stinkt
oder nicht, sondern es geht darum, dass wir hier aufgefordert sind, die gesetzlichen Maßnahmen der Regierungskoalition zu erläutern.
({18})
Nichts anderes tue ich. - Gestatten Sie mir, zu sagen,
dass ich, der ich an diesen Verhandlungen beteiligt war,
mit dem Ergebnis durchaus zufrieden bin; denn wir setzen genau das um, was wir uns vorgenommen haben.
({19})
Lassen Sie mich zum Schluss einige Sätze auch dafür
verwenden: Wir schaffen die Basis für das, was in Zukunft zu regeln ist. Als nächstes gesetzliches Vorhaben
({20})
werden wir die Sicherstellung der flächendeckenden
Versorgung mit guter Medizin in Deutschland auf eine
neue Basis stellen. Wir werden dort die bisherigen Reglungsmechanismen überprüfen und, wo nötig, durch
neue ersetzen. Die Strukturen der Selbstverwaltung innerhalb der gesetzlichen Krankenversicherung werden
wir darauf überprüfen, ob sie wirklich die Grundsätze
der demokratischen Legitimation und Transparenz, die
erforderlich sind, heute noch in jedem Punkt erfüllen
und ob die Rechtssicherheit für alle Beteiligten im System ausreichend gewährt ist. Wir werden uns im nächsten Jahr auch der Zukunftsfestigung der Pflegeversicherung ausführlich widmen.
Ich freue mich auf weitere, hoffentlich konstruktivere
Debatten. Ich wünsche Ihnen noch ein schönes Wochenende.
Danke schön.
({21})
Das Wort erhält nun der Kollege Dr. Gregor Gysi für
die Fraktion Die Linke.
({0})
Guten Morgen, Herr Präsident! Meine Damen und
Herren! Heute sind wir dabei, eine Dreiklassenmedizin
einzuführen. Darauf sind Sie komischerweise auch noch
stolz, anstatt sich wenigstens zu schämen. Sie führen
nämlich drei verschiedene Sorten von Kranken in
Deutschland ein: Die eine Gruppe sind die Privatversicherten, die stark bevorzugt werden. Die zweite Gruppe
sind die gesetzlich Krankenversicherten, die aber Vorschuss leisten, das heißt, die die Rechnungen selbst bezahlen, um das Ganze dann mit ihrer gesetzlichen Krankenkasse abzurechnen, wobei sie einen Teil nicht
erstattet bekommen. Dann gibt es noch die dritte
Gruppe. Das sind diejenigen, die sich das alles nicht leisten können und - in Anführungsstrichen - „nur“ gesetzlich krankenversichert sind.
Das Problem ist ganz klar: An der ersten und zweiten
Gruppe verdienen die Ärzte mehr. Deshalb genießen
diese Gruppen Vorzüge bei den Ärzten. Bestimmte Leistungen und Medikamente bekommen die gesetzlich
Krankenversicherten nicht mehr erstattet. Außerdem
müssen sie immer längere Wartezeiten hinnehmen. Das
alles widerspricht dem Grundgesetz unserer Bundesrepublik Deutschland.
({0})
- Das werde ich Ihnen beweisen.
({1})
Sie haben das Ende der Solidarität eingeleitet. Ich
werde Ihnen sagen, wodurch. Die Beiträge zur gesetzlichen Krankenversicherung steigen im nächsten Jahr um
0,6 Prozentpunkte. Dann liegen die Beitragssätze bei
15,5 Prozent. Die Unternehmen müssen 7,3 Prozent und
die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer 8,2 Prozent
zahlen.
({2})
Das ist das Ende der paritätischen Finanzierung.
({3})
Zwar ist das von SPD und Grünen schon im Jahr 2005
eingeläutet worden - das stimmt -;
({4})
das Neue, das Sie eingeführt haben, ist aber - das dürfen
Sie nicht vergessen -, dass Sie den Arbeitgeberbeitrag
bei 7,3 Prozent einfrieren.
({5})
Sie sagen: Alle weiteren Steigerungen haben allein die
Versicherten zu zahlen.
({6})
Das ist dermaßen sozial ungerecht, dass man darüber gar
nicht zu diskutieren braucht.
({7})
Jetzt machen Sie auch noch Folgendes: Sie führen
Zusatzbeiträge als Kopfpauschale ein.
({8})
Ich werde Ihnen sagen, warum Sie das machen: Der Versicherte, der 1 000 Euro verdient, und der Versicherte,
der 10 000 Euro verdient, haben exakt denselben Zusatzbeitrag zu zahlen; das gab es noch nie in Deutschland.
Das führen Sie jetzt ein, weil Sie die Anbindung an das
Einkommen aufgeben wollen.
({9})
Bisher gab es einen Konsens. Ich will Ihnen sagen,
warum dieser Konsens wichtig war. Die paritätische Finanzierung
({10})
durch Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer auf der einen Seite und Unternehmen auf der anderen Seite führte
dazu, dass beide Gruppen daran interessiert waren, die
Kosten für das Gesundheitswesen in Grenzen zu halten.
({11})
Dadurch, dass Sie den Beitrag der Unternehmen einfrieren und diese nie mehr als 7,3 Prozent zu zahlen brauchen, sorgen Sie dafür, dass es den Unternehmen völlig
gleichgültig sein kann, wie stark die Kosten für das Gesundheitswesen steigen.
({12})
Die Mehrkosten haben allein die Versicherten zu bezahlen und nicht die Unternehmen.
({13})
Nun muss ich allerdings sagen, dass die SPD auch bei
der Kopfpauschale Türöffner war, und zwar zur Zeit der
Großen Koalition.
({14})
- Natürlich! - Sie haben einen Zusatzbeitrag von 8 Euro
pro Monat eingeführt und das Ganze auf 1 Prozent des
beitragspflichtigen Jahreseinkommens begrenzt.
({15})
Jetzt kommen Union und FDP und sagen: Die Begrenzung pro Monat wird aufgegeben, und bezogen auf das
Jahr begrenzen wir das Ganze auf 2 Prozent. Sie verdoppeln den Zusatzbeitrag also erst einmal.
({16})
Das bezahlen die Versicherten ganz allein, egal wie viel
sie verdienen.
Nehmen wir ein Beispiel. Rechnen wir es den Leuten
doch einmal vor: Sagen wir, eine Arbeitnehmerin hat
jetzt alleine 7,3 Prozent zu zahlen.
({17})
0,9 Prozentpunkte kommen hinzu. Jetzt sagen Sie: noch
einmal maximal 2 Prozent des Jahreseinkommens. Im
nächsten Jahr könnte die Arbeitnehmerin also bei
10,2 Prozent landen. Was Sie nicht sagen, ist Folgendes:
Ein Jahr später dürfen wieder 2 Prozent hinzukommen.
Falls es keine Lohnsteigerung gibt, ist sie dann schon bei
12,2 Prozent. Ein weiteres Jahr später dürfen wieder
2 Prozent hinzukommen. Dann ist sie, falls es keine
Lohnsteigerung gibt, schon bei 14,2 Prozent.
({18})
Nirgendwo haben Sie eine Grenze gezogen. Sie haben
nie gesagt: Der Prozentsatz XY darf nicht überschritten
werden. Auch das ist sozial ungerecht.
({19})
Ich werde jetzt noch ein anderes Beispiel anführen,
eine andere Berechnung durchführen, die Sie nicht widerlegen können. Nehmen wir einmal an, dass der Zusatzbeitrag, Ihre Kopfpauschale, 16 Euro beträgt.
({20})
Für einen Versicherten, der 800 Euro verdient, sind das
10,2 Prozent seines Einkommens. Wenn der Versicherte
2 000 Euro verdient, sind das nur 9 Prozent des Einkommens. Wenn er 3 750 Euro verdient, sind das nur
8,6 Prozent des Einkommens. Wenn er 6 000 Euro verdient, sind das nur 5,4 Prozent des Einkommens.
({21})
Das ist Ihr Gerechtigkeitsverständnis. Das hat mit unserem Gerechtigkeitsverständnis und dem des Grundgesetzes nichts zu tun.
({22})
Nun ist selbst der Union und der FDP aufgefallen,
dass das in einem zu hohen Maße sozial ungerecht ist.
Dann haben Sie sich gesagt, dass Sie einen Sozialausgleich einführen müssen,
({23})
der dann greift, wenn der Zusatzbeitrag mehr als
2 Prozent des Jahreseinkommens ausmacht. Auch das ist
interessant.
Sie ziehen für die Ermittlung aber die durchschnittliche Beitragssteigerung heran. Ich nenne ein Beispiel:
Eine Arbeitnehmerin verdient im Monat 1 000 Euro, und
ihre Krankenkasse möchte pro Monat 40 Euro mehr haben. Sie berechnen den Durchschnittswert aller Kassen
und kommen zu dem Ergebnis, dass dieser bei 30 Euro
liegt. Daher sagen Sie, dass diese Versicherte 20 Euro
selbst zahlen muss: 10 Euro wegen des Durchschnitts,
bis zu 30 Euro werden übernommen, und weitere
10 Euro muss sie selbst zahlen.
({24})
Man habe ja die Möglichkeit, die Kasse zu wechseln.
Das wird ein munteres Kassenwechseln. Das, was Sie
hier organisieren, ist völlig absurd.
({25})
Bei den Hartz-IV-Beziehenden machen Sie Folgendes: Sie erstatten ihnen den durchschnittlichen Zusatzbeitrag. Wenn die Kasse aber einen höheren Zusatzbeitrag fordert, darf sie selber entscheiden, ob sie das bei
den Hartz-IV-Empfängerinnen und Hartz-IV-Empfängern abrechnet oder nicht. Das ist blanke Willkür. Geben
Sie doch den Menschen diesbezüglich Rechtssicherheit
und nicht das Gefühl, dass sie bei ihrer Krankenkasse
betteln gehen müssen.
({26})
Der Gesundheitsökonom Professor Wasem hat übrigens ausgerechnet, dass der Zusatzbeitrag 2020 schon
bei 80 Euro liegen wird. Andere gehen sogar von
100 Euro aus. Das belastet dann übrigens nicht nur die
Versicherten, sondern aufgrund Ihres komischen Sozialausgleichs auch beachtlich den Bundeshaushalt.
({27})
Sie haben noch gar nicht gesagt, wie das Ganze finanziert werden soll. Ich sage Ihnen: Schon jetzt müssen die
Versicherten pro Jahr 35 Milliarden Euro zahlen; das hat
das Statistische Bundesamt errechnet. Das kalkulieren
Sie ein, und das erweitern Sie auch noch.
Nun schaffen Sie die Möglichkeit, dass Patienten
beim Arzt sagen: Ich bin nur gesetzlich krankenversichert, aber Sie können mir die Rechnung schicken, ich
begleiche sie selbst und rechne das dann gegenüber meiner Krankenkasse ab. In so einem Fall dürfen die Ärztinnen und Ärzte natürlich höhere Honorare berechnen. Dadurch bleibt am Ende eine Differenz übrig, für die der
Patient selber aufkommen muss. Im Kern sagen Sie doch
nichts anderes als: Du bist Besserverdiener; zahle etwas
dazu, dann wirst du besser behandelt. Das ist Ihre Logik,
und diese Logik ist unmoralisch. Das muss ich Ihnen
ganz klar sagen.
({28})
Sie sagen: Die Patienten können mit den Ärzten Honorare vereinbaren. Sagen Sie einmal, da sitzt man dann
mit Schmerzen und vereinbart ein Honorar? Dabei wird
ja etwas Tolles herauskommen. Zu diesem albernen Vorhaben muss man wohl nichts weiter sagen.
({29})
Jetzt werde ich Ihnen zeigen, wie Sie die privaten
Krankenversicherungen fördern. Wir hatten bisher die
Regelung, dass man drei Jahre gesetzlich krankenversichert sein musste, bevor man in die private Krankenversicherung wechseln durfte. Sie sagen jetzt, dass das nicht
mehr infrage kommt, man dürfe schon nach einem Jahr
wechseln.
({30})
Sie führen diese neue Regelung so ein, dass das Wechseln schon im nächsten Jahr möglich ist. Sachverständige haben ausgerechnet, dass circa 40 000 Junge, Gesunde, Singles von der gesetzlichen in die private
Krankenversicherung wechseln werden. Die Folge ist
eine Mindereinnahme für die gesetzlichen Krankenversicherungen in Höhe von circa 200 Millionen Euro.
({31})
Die gesetzlichen Krankenkassen dürfen mit der Pharmaindustrie Rabattverträge abschließen. Dafür zahlen
sie Geld. Sie müssen Gutachten in Auftrag geben. Sie
müssen alles Mögliche tun, um zu einem Rabattvertrag
zu kommen. Das soll jetzt auch für die privaten Krankenversicherungen gelten. Diese haben zwar nichts dafür gezahlt - dafür zahlen allein die gesetzlichen Krankenversicherungen -, aber den Nutzen haben auch sie.
({32})
Sie argumentieren in diesem Kontext auch mit dem
Kartellrecht. Ich bitte Sie! Früher durften die gesetzlichen Krankenkassen zusammen verhandeln. Dadurch
waren sie starke Verhandlungspartner gegenüber der
Pharmaindustrie. Jetzt sagen Sie, dass das dem Kartellrecht widerspricht und dass jede kleine Krankenkasse
ganz allein mit der Pharmaindustrie verhandeln muss.
Sie wollen die gesetzlichen Krankenkassen schwächen.
Das ist alles, was Sie diesbezüglich anstreben.
({33})
- Es kann schon sein, dass Sie im Unterschied zu mir
mehr Ahnung haben.
({34})
Aber hier geht es um Kenntnisse. Diese fehlen Ihnen;
das ist das Problem.
({35})
Jetzt sage ich Ihnen noch etwas: Die alten EU-Mitgliedsländer - außer Deutschland - kennen das Struktursystem, das in Deutschland gilt, nicht. Dort gibt es nur
die gesetzlichen Krankenversicherungen, und für zusätzliche Leistungen kann man eine private Krankenversicherung abschließen. Dass man die Möglichkeit der
Wahl zwischen einer gesetzlichen und einer privaten
Krankenkasse hat, gibt es in den alten 15 EU-Mitgliedsländern nur in Deutschland. Denken Sie einmal darüber
nach, warum die 14 anderen Länder das anders organisiert haben.
({36})
- Ich denke zurzeit darüber nach, warum der Bundesgesundheitsminister einen Vertreter des Verbandes der privaten Krankenversicherung in seine Grundsatzabteilung
geholt hat. Seitdem läuft dort alles im Interesse der privaten Krankenversicherungen.
({37})
- Entschuldigen Sie, aber das Gesamtkonzept des Arzneimittelneuordnungsgesetzes ähnelt dem Konzept des
Verbandes Forschender Arzneimittelhersteller vom
16. Februar 2002 derart,
({38})
dass das vielen, nicht etwa nur mir, aufgefallen ist. Das
sagt alles darüber aus, welche Art von Klientelpolitik
hier betrieben wird.
Ich muss sagen: Die SPD betätigt sich immer als Türöffner - natürlich mit Beschränkungen. Ich sage ganz
klar
({39})
- nein; das müssen Sie sich anhören -: Sie haben die
Praxisgebühr, die man bei Ärzten, Zahnärzten, Psychotherapeuten und für ambulante Behandlungen zahlen
muss, eingeführt.
({40})
Sie haben eine Erhöhung der Arzneimittelzuzahlung
vorgenommen. Sie haben das Sterbegeld aus dem Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung gestrichen. Frau Nahles, Sie haben übrigens auch das Entbindungsgeld gestrichen.
({41})
Sie haben die nicht verschreibungspflichtigen Arzneimittel aus dem Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung herausgenommen. Sie haben den Sonderbeitrag für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in
Höhe von 0,9 Prozent eingeführt.
({42})
In gewisser Hinsicht - ich habe es schon gesagt - sind
Sie auch für Kopfpauschale und Vorkasse mitverantwortlich.
({43})
- Das stimmt trotzdem.
Ich will Ihnen Folgendes sagen: Union und FDP
trauen sich nicht, bestimmte Türen zu öffnen. Dafür
brauchen sie immer die SPD.
({44})
Die SPD nimmt Beschränkungen vor, und Union und
FDP heben diese Beschränkungen später auf. So funktioniert das System. Das darf so nicht weiter funktionieren. Sie müssen sich diesbezüglich endlich korrigieren.
({45})
Kollege Gysi, achten Sie bitte auf die Zeit.
Gut. Dann nenne ich Ihnen nur noch die Lösung.
({0})
- Frau Präsidentin, der Kollege würde gerne einen Satz
zur Lösung hören.
({1})
Einen Schlusssatz, bitte.
Wir müssen alle Einkunftsarten einbeziehen. Wir
müssen die Beitragsbemessungsgrenze aufheben.
({0})
Wir müssen alle Zuzahlungen abschaffen. Wenn wir
klare Regelungen zur gesetzlichen Krankenversicherung
hätten, könnten wir uns auch eine zusätzliche private
Krankenversicherung leisten.
({1})
Eine zusätzliche private Krankenversicherung würde übrigens auch ich abschließen,
({2})
und zwar, um im Krankenhaus einen Anspruch auf ein
Einzelzimmer zu haben. Wenn Herr Kauder und ich gesetzlich krankenversichert wären, bekämen wir die gleiche Behandlung.
({3})
Wenn ich mit ihm zusammen in einem Zimmer liegen
würde, würde ich aber nie gesund werden. Deshalb
würde ich eine private Zusatzversicherung abschließen.
({4})
Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat nun die
Kollegin Birgitt Bender das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! In diesen Tagen werden wir Augenzeugen einer grotesken Situation. Das Gesetzgebungsverfahren ist beinahe abgeschlossen, da schreiben die gesundheitspolitischen
Sprecher der Koalitionsfraktionen einen offenen Brief:
Sie haben entdeckt, die Reform sei ungerecht,
({0})
weil im Hinblick auf den Sozialausgleich für Geringverdienende nur Löhne, Gehälter und Renten einbezogen
werden.
({1})
So könne es kommen - so schreiben Sie -, dass ein
Rentner mit einer kleinen Rente, aber hohen Zinseinkünften Anspruch auf Sozialausgleich habe. Wohl wahr,
Frau Flach, das ist ungerecht. Aber sagen Sie einmal:
Wo waren Sie eigentlich während des Gesetzgebungsverfahrens?
({2})
Am Verhandlungstisch saßen Sie offensichtlich nicht.
({3})
Da inzwischen selbst Sie, Frau Flach, herausgefunden
haben, was eine Ungerechtigkeit ist, frage ich Sie: Wieso
erkennen Sie eigentlich nicht die Ungerechtigkeit, die
darin besteht, dass Beiträge - im nächsten Jahr liegt der
Beitragssatz bei 15,5 Prozent - nur auf Löhne, Gehälter
und Renten und nicht auf andere Einkunftsarten erhoben
werden?
({4})
Das müsste man ändern.
({5})
Das wäre ein Schritt in Richtung einer Bürgerversicherung. Aber genau davor wollen Sie sich drücken.
({6})
Es ist doch so: Unser System hat Gerechtigkeitslücken; das wissen auch Sie. Es ist nun einmal nicht gerecht, wenn Einkünfte, die keine Löhne, Gehälter oder
Renten sind, beitragsfrei bleiben. Es ist nicht gerecht,
dass sich Besserverdienende vom Solidarausgleich verabschieden können.
({7})
Es ist nicht gerecht, dass es eine Trennung zwischen gesetzlicher und privater Krankenversicherung gibt, dass
die Behandlung mithin nicht von der Schwere der Erkrankung, sondern von der Art des Versicherungsschutzes abhängig ist. Das wollen wir ändern.
({8})
Was tun Sie? Sie tun alles, um diese Ungerechtigkeiten zu zementieren. Sie erleichtern gesetzlich Versicherten, in die PKV zu wechseln; dies wird für das Solidarsystem zu einem Aderlass in Millionenhöhe führen. Sie
erleichtern die Kostenerstattung. So sorgen Sie dafür,
dass die Zweiklassenmedizin, die es ohnehin schon gibt,
auch im Solidarsystem Einzug hält, weil Patienten mit
und Patienten ohne Kostenerstattung künftig unterschiedlich behandelt werden.
({9})
Tun Sie etwas zur Erweiterung der Finanzierungsbasis?
Nein! Sie sagen lediglich, Sie wollten Steuereinnahmen;
das sei angeblich gerechter.
Schauen wir einmal näher hin. Bei Ihrer Konstruktion
einer kleinen Kopfpauschale und eines Sozialausgleichs werden in 15 Jahren, wenn es so bliebe, fast alle
Versicherten Anspruch auf einen Sozialausgleich haben,
weil alle Kostensteigerungen die Kopfpauschale in die
Höhe treiben. Was bedeutet das? Das bedeutet, dass Sie
eine hohe zweistellige Milliardensumme aus dem Bundeshaushalt benötigen werden. Wie soll das möglich
sein? Angesichts einer Rekordverschuldung und einer in
der Verfassung verankerten Schuldenbremse ist das
schlicht undenkbar. Zusätzlich redet die FDP auch noch
von Steuersenkungen, Frau Flach.
({10})
Das ist doch ein Wolkenkuckucksheim.
({11})
Frau Kollegin Flach, Sie erzählen uns, Sie belasteten
die Patienten nicht.
({12})
Ich kann Ihnen sagen - ich habe gerade geschildert, dass
Ihre Finanzierung überhaupt nicht aufgeht, ganz abgesehen von der Ungerechtigkeit -: Aus diesem Dilemma
führen verschiedene Wege hinaus. Es gibt einige
Schlupflöcher.
Erster Weg: die Änderung der Belastungsobergrenze.
In den nächsten Jahren werden Sie darüber reden wollen,
ob man statt einer Belastungsobergrenze von 2 Prozent
der jährlichen Bruttoeinnahmen nicht besser 3, 4, 5 oder
6 Prozent wählt.
({13})
Zweiter Weg. Man könnte auch sagen: Der Leistungskatalog ist zu groß, er muss verringert werden, weil das
über den Bundeshaushalt nicht finanziert werden kann.
Das wäre dann Gesundheitspolitik nach Kassenlage.
({14})
Dritter Weg. Sie werden den Sozialausgleich aus Beitragsmitteln finanzieren. Diesen Weg beschreiten Sie
schon jetzt. Was passiert denn? Der Sozialausgleich, soweit er jetzt fällig wird, wird direkt aus dem Gesundheitsfonds finanziert,
({15})
und die Mittel des Gesundheitsfonds sind zu 90 Prozent
Beitragsmittel.
Es gibt einen Sozialausgleich im derzeitigen System
des Gesundheitsfonds.
({16})
Das ändert sich bei Ihnen überhaupt nicht. Ändern wird
sich, dass die Empfänger unterer Einkommen verhältnismäßig mehr bezahlen werden und dass es einen Verwaltungsaufwand geben wird, für dessen Beschreibung Sie
im Gesetzentwurf drei Seiten benötigen. Dazu kann ich
nur sagen: Das ist eine Reform, die den Namen nicht
verdient.
({17})
Schauen wir uns einmal die von Ihnen geplante Struktur an, nämlich die zunächst kleine und dann immer größer werdende Kopfpauschale. Dieser Weg führt heraus
aus dem Solidarsystem hin zu einem reinen Versicherungssystem. Es wird, wie in der privaten Krankenversicherung, einfach nur ein Risiko abgedeckt. Das ist also
der Weg in Richtung Privatisierung. Deshalb ist es kein
Zufall, dass vor kurzem ein führender Lobbyist der privaten Krankenversicherung als Kommentar zu Ihrer Reform sagte: Besser hätten wir es auch nicht gemacht.
({18})
Herr Minister, ich kann dazu nur sagen: Wer sich als
Verantwortlicher für ein Solidarsystem ein solches Kompliment einhandelt, der ist seiner Verantwortung für dieses Solidarsystem nicht gerecht geworden.
({19})
Das Wort hat der Bundesminister für Gesundheit,
Dr. Philipp Rösler.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren Abgeordnete! Ich bin ein bisschen enttäuscht,
weil ich dachte, von den drei linken Fraktionen, die extra
vor mir geredet haben, würden mir konkrete Lösungsvorschläge oder eine detaillierte Ausgestaltung der Bürgerversicherung vorgelegt.
({0})
Das Wenige, was wir von Ihnen gehört haben, kann man
mit einem Satz zusammenfassen: Die Umsetzung Ihrer
Vorschläge würde für die Menschen eindeutig mehr Belastungen bei weniger Leistungen bedeuten. Das ist das
Ergebnis der sogenannten solidarischen Bürgerversicherung.
({1})
Das Problem ist nämlich, Frau Ferner, dass Sie weiter
in die planwirtschaftlichen Strukturen einsteigen wollen.
Wir sagen Ihnen aber: Es gibt in Deutschland kein System, das regulierter als das deutsche Gesundheitssystem
ist.
({2})
Selbst das Steuersystem kann nur mäßig mithalten. Alles
ist vorgegeben: wer wann welche Leistung bei wem an
welchem Ort erbringen darf oder eben nicht. Wenn man
planwirtschaftliche Strukturen hat,
({3})
dann darf man sich nicht über all die Probleme wundern,
die Planwirtschaften mit sich bringen - die Kollegen von
der Linkspartei erinnern sich noch -: viel Bürokratie,
({4})
ein hohes Maß an Unzufriedenheit und fehlende Effizienz - auch von Zwischenrufen, Frau Ferner; die hört
nämlich keiner.
({5})
Das führt dazu, dass das eingesetzte Geld am Ende nicht
bei den Menschen ankommt. Ihre Vorschläge zeigen,
dass Sie noch stärker in den Sumpf der Planwirtschaft
hineinwollen.
({6})
Diese Regierungskoalition hingegen will aus dem Sumpf
der Planwirtschaft im Gesundheitssystem endlich heraus.
({7})
Wahrscheinlich könnte sich jeder von uns ein ideales
Gesundheitssystem auf einem weißen Blatt Papier aufmalen. Aber wir können in der deutschen Gesundheitspolitik eben nicht bei null anfangen. Die Kunst besteht
darin, einen Weg zu finden, der uns vom heutigen Zustand, der nicht optimal ist, zu einem besseren Zustand
in der Zukunft führt. Dabei fangen wir allerdings nicht
bei null an, sondern, Herr Kollege Dr. Lauterbach, bei
minus 9 Milliarden Euro.
({8})
Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Lauterbach?
Nein, vielen Dank. - Frau Ferner, da Sie Ulla Schmidt
erwähnt haben: Die 9 Milliarden Euro Defizit, die wir
aktuell im Gesundheitswesen vorfinden, sind ein Ergebnis gerade der Politik Ihrer Kollegin Schmidt.
({0})
- Machen Sie sich keine Sorgen. Wir sind für dieses Defizit nicht verantwortlich; aber wir wären dafür verantwortlich, wenn es dabei bliebe, Frau Ferner. Deswegen
gleichen wir es aus mit den Maßnahmen, die wir uns
vorgenommen haben.
Arbeitgeber und Arbeitnehmer werden durch die
Rückführung des Krankenversicherungsbeitrages auf die
15,5 Prozent, die die Sozialdemokraten damals eingeführt haben - das sollten wir nicht vergessen -, gleichermaßen in die Verantwortung genommen. Gleichzeitig
werden die Leistungserbringer, die Teilnehmer am System - wir sprechen auch gerne von Heilberufen -, in die
Verantwortung genommen. Die einzige Gruppe, die wir
nicht belasten - das hat Frau Flach vollkommen zu
Recht gesagt -, sind die Kranken,
({1})
die am 1. Januar 2011 wieder zu ihrem Arzt gehen können und sicher sein können, dass sie überhaupt ein Gesundheitssystem vorfinden. Sie werden nicht durch eine
höhere Praxisgebühr oder andere Formen der Zuzahlung
belastet. Ihre Alternative zum Ausgleich der 9 Milliarden Euro wären schlichtweg Leistungskürzungen für die
Menschen gewesen. Wir sind nicht bereit, diesen Weg
mit Ihnen zu gehen.
({2})
Auch die unangenehmen Maßnahmen, zum Beispiel
die Rückführung des Beitrags und Sparmaßnahmen im
System, kann man verantworten, weil wir unter anderem
strukturelle Veränderungen auf den Weg bringen. In der
Tat, wir schreiben den Arbeitgeberbeitrag künftig fest,
und zwar aus einem ganz einfachen Grund: Wir wollen
nicht zulassen, dass bei steigenden Gesundheitsausgaben
aufgrund der demografischen Entwicklung und des technischen Fortschritts ständig Gesundheit gegen Arbeit
ausgespielt wird. Deswegen sorgen wir für Stabilität der
Lohnzusatzkosten. Das ist unser Beitrag zu mehr Wachstum und Beschäftigung.
({3})
Künftige Kostensteigerungen werden sich in der Tat in
Zusatzbeiträgen niederschlagen, die sozial ausgeglichen
werden. Wir geben dem System damit das zurück, was
Sie ihm mit der Einführung Ihres gesundheitspolitischen
Einheitspreises, Ihres Gesundheitsfonds, genommen haben: den fairen Wettbewerb der Krankenversicherungen
untereinander. Künftig können die Versicherungen wieder entscheiden, ob und, wenn ja, in welcher Höhe sie Zusatzbeiträge erheben. Damit erreichen wir einen Wettbewerb, den Sie verhindern wollten. Anders als Sie sind wir
davon überzeugt, dass die Menschen den besten Beitrag
zur Kontrolle ihrer Kosten leisten können, indem sie
selbst ihre Krankenversicherung auswählen. Das ist besser, als wenn eine Gesundheitsverwaltung vorgibt, wie
hoch der Krankenversicherungsbeitrag sein darf.
({4})
Jetzt zur Frage des Sozialausgleichs. Wir wollen einmal festhalten, dass wir jetzt einen echten Sozialausgleich einführen.
({5})
Das, was Sie bisher geschaffen haben, war ein sozialer
Deckel, der mit einem echten Ausgleich nichts, aber
auch gar nichts zu tun hat.
({6})
Es ist fast schon zynisch, dass man als Versicherter
bisher selber den Antrag stellen muss. Bisher muss man
nämlich selber prüfen, ob man an der Ausgleichsgrenze
ist. Wenn man an der Grenze ist, muss man einen Antrag
bei seiner Krankenversicherung stellen. Sie machen die
Menschen zu Bittstellern. In unserem System funktioniert der Sozialausgleich künftig automatisch. Das ist
nicht nur eine Frage der Technik, sondern auch des Umgangs mit den Menschen.
({7})
Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage der
Kollegin Bunge?
Nein, vielen Dank. Die Zwischenfragen zu den vorherigen Reden waren nicht bereichernd für die gesamte
Debatte.
Finanziert wird der Sozialausgleich mit 2 Milliarden
Euro aus Steuermitteln. Diese 2 Milliarden Euro sind
keine Beitragsgelder, sondern Steuergelder. Der Ausgleich zwischen Arm und Reich in der gesetzlichen
Krankenversicherung erfolgt bisher nämlich nur zwischen den gesetzlich Versicherten. Er erfolgt eben nicht
bezogen auf alle Einkunftsarten, sondern nur in Bezug
auf das Lohneinkommen, Frau Ferner.
({0})
Deswegen halte ich es für richtig, die Solidarität auf eine
breitere Basis zu stellen.
({1})
Künftig erfolgt der Sozialausgleich aus Steuermitteln;
im Steuersystem wird jeder nach seiner Leistungsfähigkeit besteuert. Damit trägt jeder zum Sozialausgleich
bei, auch die Bezieher höherer Einkommen und Privatversicherte. Das bedeutet künftig nicht weniger, sondern
mehr Solidarität in unserem Gesundheitssystem.
({2})
2 Milliarden Euro sind deutlich mehr als nichts, Frau
Ferner.
({3})
Jetzt komme ich noch kurz zu Ihrem System. Sie haben wiederum keine Zahlen zu Ihrer sogenannten Bürgerversicherung vorgelegt. Warum nicht?
({4})
Weil Sie genau wissen, dass Sie den Menschen damit sagen würden, dass Sie bereit wären, alle Formen der Renten und Altersvorsorge mit zu besteuern. Wenn eine
Großmutter ein kleines Sparguthaben angespart hat,
dann wollen Sie ihre Zinsen künftig ebenfalls mit dem
Beitragssatz von 15,5 Prozent belegen.
({5})
Ich frage Sie: Ist es darüber hinaus gerecht, wenn Sie die
10 Prozent unserer Gesellschaft enteignen wollen, die
durch Ansparung eines Kapitalstockes wenigstens schon
Altersvorsorge betrieben haben?
({6})
Ihre Bürgerversicherung ist das Gegenteil von Gerechtigkeit. Es ist der Versuch, eine Einheitsversicherung
auf den Weg zu bringen. Dabei sollten Sie wissen, dass
20 Jahre nach der Wiedervereinigung bewiesen ist, dass
Sie bei dem Versuch, alle Menschen gleich zu behandeln, sie niemals gleich gut behandeln, sondern im Ergebnis immer gleich schlecht.
({7})
Das ist Ihr Weg in der Bürgerversicherung. Sie reden
von Gerechtigkeit und sorgen für Ungerechtigkeit. Das
ist das Unfaire an Ihrem Gesundheitssystem.
({8})
Was wir auf den Weg bringen, ist der Einstieg in ein
System mit mehr Wettbewerb, mehr Eigenverantwortung und gleichzeitiger Stärkung der Solidarität. Wir hätten uns auch größere Schritte gewünscht; aber Veränderungen sind in diesem großen System mit mehr als
80 Millionen Menschen nur in kleinen Schritten möglich. Wir wollen allerdings lieber kleine Schritte in die
richtige Richtung als einen großen Schritt zurück.
Wir sind davon überzeugt, dass wir nicht nur die Probleme für das Jahr 2011 gelöst, sondern auch den Einstieg in ein faires und besseres System der Finanzierung
der gesetzlichen Krankenversicherung im Sinne einer
langfristigen Bewältigung der Zukunft gewagt haben.
({9})
Ich bin froh, dass Sie ein bisschen über Ihre alternative
Bürgerversicherung gesprochen haben. Das zeigt den
Unterschied zwischen Können und Nichtkönnen in der
gesetzlichen Krankenversicherung.
({10})
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({11})
Für die SPD-Fraktion spricht nun die Kollegin Elke
Ferner.
Frau Präsidentin! Liebe Kollegen und Kolleginnen!
Herr Rösler, wissen Sie, was der Unterschied zwischen
Können und Nichtkönnen ist? Der Unterschied zwischen
Können und Nichtkönnen zeigt sich daran, dass 2009 die
Krankenversicherungen mit einem Überschuss von
1 Milliarde Euro abgeschlossen haben - das war die Abschlussbilanz von Ulla Schmidt -, dass aber für das
nächste Jahr, für 2011, ein Defizit von 9 Milliarden Euro
prognostiziert wird. Sie legen jetzt einen solchen Murks
als Gesetzentwurf vor; wir werden ihn ablehnen. Das ist
der Unterschied zwischen Können und Nichtkönnen.
({0})
Sie, meine lieben Kollegen und Kolleginnen von
Schwarz-Gelb, wollen nichts anderes, als die gesetzliche
Krankenversicherung zu Grabe zu tragen. Das Grab haben Sie zwar schon ausgehoben, aber die drei Jahre, die
Sie noch regieren werden, werden nicht reichen, um die
gesetzliche Krankenversicherung ins Grab zu bringen.
Das werden wir verhindern. Wir werden diesen Murks
nach der Bundestagswahl 2013 komplett rückgängig machen.
({1})
Sie hebeln die tragenden Fundamente der gesetzlichen Krankenversicherung aus. Sie hebeln das Sachleistungsprinzip aus. Sie hebeln die gerechte und paritätische Finanzierung aus, und Sie hebeln vor allen Dingen
die einkommensabhängige Beitragszahlung aus. Das ist
alles andere als gerecht, Herr Rösler. Das ist ungerecht.
Es war bisher gesellschaftlicher Konsens, dass die starken Schultern mehr tragen als die schwachen und im
Krankheitsfall alle die gleiche gute medizinische Leistung bekommen. Damit machen Sie jetzt Schluss. Sie
wollen die Privatisierung der gesetzlichen Krankenversicherung. Das wollen wir nicht.
({2})
Was haben die Versicherten jetzt zu erwarten? Zum
1. Januar 2011 haben sie erst einmal eine Rentenkürzung
und eine Gehaltskürzung zu erwarten. Das ist aber noch
die gute Nachricht. Es kommt nämlich viel schlimmer:
Mit der Vorkasse, die Sie als transparent und toll bezeichnen, wollen Sie den Einstieg in die Abschaffung
des Sachleistungsprinzips.
Man muss sich einmal vor Augen halten, was Vorkasse bedeutet: Die Versicherten haben die Sachleistung
mit ihrem Beitrag schon bezahlt. Wenn sie zum Arzt gehen, sollen sie zusätzlich bezahlen. Die Erstattungsquoten derjenigen, die heute Vorkasse wählen, betragen im
Durchschnitt nur rund 50 Prozent.
({3})
Nur 50 Prozent bekommen die Menschen von ihrer
Kasse erstattet; es können aber auch nur 30 Prozent sein.
({4})
Was bringt das für einen Vorteil für den Patienten?
Der Einzige, der einen Vorteil hat, ist der Arzt, weil er
mehr bekommt, als er von der Kasse bekommen würde.
({5})
Ich will Ihnen einmal deutlich machen, wie das in
Facharztkreisen - etwa in Internetforen des Facharztverbandes - diskutiert wird.
({6})
Da heißt es - hören Sie gut zu -: Wenn wir den Einstieg
in die Kostenerstattung respektive in die Direktabrechnung mit dem Patienten auf dem Silbertablett serviert
bekommen, dann müssen wir jetzt in die Vollen gehen.
Werbung! Werbung! Werbung! Endlich auch Privatpatienten. Nie wieder Zweiklassenmedizin. Erstklassige
Medizin zu vernünftigen Preisen.
Weiter heißt es da: Wir müssen immer wieder darauf
hinweisen, dass an der Schlechterstellung der Nichtkostenerstattungspatienten die kranken Kassen schuld sind,
die für Verwaltung inzwischen fast so viel ausgeben wie
für die ambulante Versorgung.
Letzteres ist absoluter Nonsens. An diesen Aussagen
wird aber deutlich, wie ein Teil der Ärzteschaft tickt.
Glauben Sie denn, sie werden den Versuch unterlassen,
die Patienten nach Strich und Faden abzuzocken? Was
soll denn eine Mutter mit einem kleinen Kind machen,
wenn sie vor der Entscheidung zwischen einer sofortigen
Behandlung gegen Vorkasse und einem Arzttermin drei
Wochen später steht?
({7})
- Das ist nicht unglaublich. Das ist die Realität. Das hören wir doch alle in unseren Sprechstunden, Herr Spahn.
Aber damit nicht genug. Sie machen noch eine Frischzellenkur für die PKV, indem Sie den Gut- und Besserverdienenden einen Turbowechsel in die PKV - möglichst
schnell aus der Solidarität heraus - ermöglichen. Junge
und Gesunde sollen möglichst schnell in die private Krankenversicherung.
({8})
Neugierige kann ich aber nur warnen: Die privaten Krankenversicherungen erhöhen ihre Beiträge deutlich schneller als die gesetzlichen, und die älteren Privatversicherten
haben heutzutage häufig Mühe, die hohen Beiträge zu bezahlen. Das PKV-System ist trotz der Alterungsrückstellungen nicht zukunftsfest. Das ist das Schlimme.
({9})
Außerdem sollen die privaten Krankenversicherungen noch von den Rabattverhandlungen der gesetzlichen
Krankenversicherungen profitieren. Wozu? Damit die
Beiträge der PKV noch niedriger werden, und die PKV
durch die guten Verhandlungsergebnisse der GKV noch
attraktiver wird. Das ist absurd.
({10})
Ich kann jedem nur raten, nicht in die private Krankenversicherung zu wechseln.
Die Krönung ist die Kopfpauschale, von der Sie sagen, es sei keine Kopfpauschale.
({11})
Was ist es anderes, wenn jedes GKV-Mitglied unabhängig vom Einkommen gleich viel bezahlen muss? Das ist
eine Kopfpauschale, auch wenn Sie es tausendmal bestreiten.
({12})
Wir haben einen Sozialausgleich, der eigentlich gar
keiner ist, weil selbst diejenigen einen Ausgleich bekommen, die gar keine Kopfpauschale zahlen. Selbst diejenigen, die noch etwas herausbekommen würden, erhalten
nach Ihrem Gesetz einen Sozialausgleich. Das finden
auch Herr Spahn, Frau Flach und Herr Singhammer
falsch. Das haben Sie selbst aufgeschrieben. Dann frage
ich mich aber, warum Sie es nicht machen.
({13})
Das, was Sie hinsichtlich des Sozialausgleichs wollen, ist das, was wir für den gesamten Beitrag wollen.
Das wäre gerechter, und das wäre dann die Bürgerversicherung. Aber in Teilen bewegen Sie sich schon auf uns
zu.
({14})
- Herr Lanfermann, Sie können mir gerne eine Zwischenfrage stellen, wenn Sie die Antwort aushalten.
({15})
Sie suggerieren, es gebe beim Modell der Kopfpauschale einen Sozialausgleich. Das ist aber falsch. Sie sagen, im nächsten Jahr werde es keine durchschnittliche
Kopfpauschale geben. Die Überraschung für die Versicherten ist aber, dass es dann auch keinen Sozialausgleich geben wird, und zwar auch nicht für diejenigen,
die einen Zusatzbeitrag bezahlen.
({16})
- Das stimmt doch nicht, Herr Lanfermann.
Zum anderen muss man Folgendes sehen: Wenn die
Kopfpauschale 30 Euro beträgt, sind drei Viertel aller
Rentnerinnen und Rentner auf Almosen angewiesen.
Weiterhin sind mehr als die Hälfte aller GKV-Versicherten auf den sogenannten Sozialausgleich angewiesen.
Das ist absurd.
({17})
Das ist weder gerecht noch zukunftsfest. Unbürokratisch
ist es schon gar nicht, weil Sie, Herr Rösler, mit Ihrem
komischen Sozialausgleich
({18})
mindestens 600 Millionen einzelne Meldungen der Arbeitgeber, der Rentenversicherungsträger und der Arbeitslosenversicherung produzieren, die die Krankenkassen erst einmal zusammenführen müssen, um überhaupt
entscheiden zu können, ob jemandem ein Sozialausgleich zusteht oder nicht. Also: mehr Bürokratie, weniger Gerechtigkeit, Einstieg in die Privatisierung der
gesetzlichen Krankenversicherung. Das ist Ihre Gesundheitspolitik.
Herr Koschorrek hat die Katze aus dem Sack gelassen. Das Nächste, was kommt, ist die Abschaffung der
Chronikerregelung. Sie haben eben gesagt, dass die
Zuzahlung statt 1 Prozent künftig 2 Prozent des Einkommens betragen soll; es sei denn, ich hätte mich verhört.
Das alles ist aber nicht neu; denn Sie haben sowohl bei
der Gesundheitsreform 2003 als auch bei der letzten Gesundheitsreform immer wieder versucht, die Zuzahlung
der Patientinnen und Patienten zu erhöhen.
Kollegin Ferner, achten Sie bitte auf die Zeit.
Sie wollten damals beispielsweise 10 Prozent Eigenbeteiligung an den Behandlungskosten, und zwar aller
Behandlungskosten. Das werden wir nicht mitmachen.
Wir werden diesen Murks spätestens 2013 zurücknehmen. Dann können Sie sich wieder auf den Oppositionsbänken einrichten.
Vielen Dank.
({0})
Für die Unionsfraktion spricht nun der Kollege Jens
Spahn.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Lieber Herr Kollege Gysi,
({0})
natürlich zahlen auch die privaten Krankenversicherungen dafür, dass sie bei den Arzneimittelkosten von
der Systematik im Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung profitieren. Sie müssen sich an den Kosten für
den Gemeinsamen Bundesausschuss und für das Institut
beteiligen.
({1})
Natürlich gibt es zentrale Verhandlungen des GKV-Spitzenverbandes mit den pharmazeutischen Unternehmern.
Natürlich werden in einem ersten Schritt alle Krankenkassen gemeinsam verhandeln und eine kostengünstige
Lösung für die Versicherten finden. Diese Verhandlungen hat der vfa, der Verband Forschender Arzneimittelhersteller, heftigst bekämpft. Natürlich haben wir eine
zentrale Veröffentlichung von klinischen Studien eingeführt. Auch dagegen hat sich die Pharmaindustrie gewehrt, wie sie sich auch dagegen gewehrt hat, dass es
eine Zusatznutzenbewertung geben soll.
({2})
Eines kann man schon verlangen, auch wenn Sie sich
als Fraktionsvorsitzender zu Wort melden. Wir haben
hier elf Minuten faktenfreies Gerede mit Unwahrheiten
und Falschheiten gehört. Man kann von einem Fraktionsvorsitzenden verlangen, dass er zumindest das Gesetz gelesen hat, bevor er hier an das Podium tritt.
({3})
Zum Zweiten lasse ich mir nicht von jemandem, der zur
Nomenklatura der SED gehört hat, hier Zweiklassenmedizin vorwerfen.
({4})
In der ehemaligen DDR wurden aus dem Westen Arzneimittel für diejenigen importiert, die zur Nomenklatura
gehört haben. Die Zustände für diejenigen, die an die
Dialyse mussten, waren eine Katastrophe. Von so jemandem lasse ich mir keine Zweiklassenmedizin vorwerfen,
an keiner Stelle.
({5})
Zur Wahrheit gehört - diese Wahrheit muss man ehrlich aussprechen -, dass Gesundheit in einer älter werdenden Gesellschaft, die medizinischen Fortschritt will,
teurer wird. Eigentlich ist das etwas Positives. Wir alle
wollen doch möglichst gesund möglichst alt werden.
({6})
- Wer schreit denn da überhaupt? Ach, Frau Kollegin
Hendricks. Ich musste mich erst einmal orientieren, wer
dazwischenruft. - Die Menschheitsgeschichte ist voll
von Erzählungen, dass Menschen danach streben, ein
möglichst hohes Alter zu erreichen. Es ist etwas Positives, dass wir das können. Zur Wahrheit gehört aber auch,
dass Gesundheit teurer wird, wenn man eine gute medizinische Versorgung will, wenn man Zugang zu Innovationen und neuen Arzneimitteln will. Diese Wahrheit
sprechen wir ehrlich aus.
({7})
Weil die steigenden Gesundheitskosten in dem heutigen System die Lohnnebenkosten erhöhen,
({8})
somit die Arbeitskosten in Deutschland verteuern und
Arbeitsplätze gefährden, stellen wir die Finanzierung
um. Das ist die richtige Antwort auf die Herausforderung, vor der wir stehen. Darum geht es heute im Kern,
liebe Kolleginnen und Kollegen.
({9})
Herr Kollege Spahn, gestatten Sie eine Zwischenfrage
des Kollegen Lauterbach?
Auch wenn er gleich noch Redezeit hat, gerne.
Die gleiche Frage hätte ich auch dem Minister gestellt, wenn er sie zugelassen hätte.
Mich interessiert, weshalb wir hier nichts Konkretes
zu Ihrem Gesetz hören. Sie erklären uns, dass die Menschen älter werden wollen. Sie erzählen uns etwas über
die DDR, was niemanden interessiert und auch noch
falsch ist, aber wir hören nichts über Ihr erbärmliches
Gesetz.
({0})
Wieso reden Sie nicht zum Gesetz, Herr Spahn?
Lieber Herr Kollege Lauterbach, von meinen zwölf
Minuten Redezeit habe ich erst einige wenige genutzt.
({0})
Ich wollte dies jetzt gerade, hätten Sie mich nicht durch
eine Zwischenfrage unterbrochen, herleiten.
({1})
Denn man muss das, was man konkret mit dem Gesetz
tut und was ich gleich erklären werde, schon vernünftig
begründen. Das ist eben der Unterschied zwischen Ihnen
und uns. Bei uns steckt eine größere Idee hinter dem,
was wir tun. Deswegen muss man die Dinge schon herleiten.
({2})
Herr Kollege, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage, diesmal der Kollegin Bunge?
Bevor mir wieder vorgeworfen wird, ich sagte nichts
zum Gesetz, möchte ich zunächst sagen, warum wir was
tun. Dann können wir gerne mit Zwischenfragen weitermachen.
Dass steigende Gesundheitskosten die Lohnnebenkosten in Deutschland belasten, haben wir in der Großen
Koalition schon erkannt. Auch Rot-Grün hat das erkannt; deswegen haben Sie ja etwas an der Parität verändert. Damals fanden Sie das noch gut. Wenn das aber so
ist, dann muss man sich doch Gedanken darüber machen, wie man die gesetzliche Krankenversicherung in
der Zukunft anders finanzieren kann, damit sie die
Wachstumsdynamik, die wir wollen, entfalten kann,
ohne dass wir uns immer in einer Debatte über Lohnnebenkosten befinden. - Die Gesundheitsbranche ist übrigens mit über 4 Millionen Beschäftigten die größte
Branche, die wir in Deutschland haben. - Das ist der
Kerngedanke unseres Gesetzes.
Deshalb haben wir gesagt: Wir schreiben den Arbeitgeberbeitrag in der Fortsetzung dessen, was wir in der
Großen Koalition gemacht haben, fest, und wir entwickeln den Zusatzbeitrag als lohnunabhängige Komponente weiter, um aus der reinen lohnabhängigen
Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung herauszukommen. Denn nur wenn das gelingt, können Sie
tatsächlich dauerhaft und flächendeckend eine gute medizinische Versorgung für alle sicherstellen.
Das ist der Kerngedanke dessen, was wir tun, und ich
glaube, dieser Kerngedanke wird am Ende auch viel Unterstützung in der Bevölkerung finden, liebe Kolleginnen und Kollegen.
({0})
Das Entscheidende bei diesem Zusatzbeitrag ist, dass
wir sagen: Wir finden eine breitere Grundlage auch für
den Sozialausgleich.
({1})
Heute werden die Kosten für den Sozialausgleich nahezu
ausschließlich von den abhängig Beschäftigten und von
den Rentnerinnen und Rentnern in diesem Land getragen. Diese alleine finanzieren das Gesamtsystem. Alle
anderen Einkünfte, übrigens auch die Einkünfte über der
Beitragsbemessungsgrenze von gut 3 700 Euro, spielen
keine Rolle.
({2})
Es ist übrigens im heutigen System schon so. Sie haben
dies ja kritisiert.
({3})
Genau da setzen wir an. Wir sagen, dass der Sozialausgleich für diesen Zusatzbeitrag aus Steuern finanziert
wird. Steuern werden in Deutschland nach der tatsächlichen Leistungsfähigkeit des Einzelnen erhoben.
({4})
Miete, Kapitaleinkünfte, Zinseinkünfte, Unternehmensgewinne - all diese Dinge werden mit berücksichtigt.
Deswegen ist das, was wir einführen wollen, gerechter
als das System, das wir heute haben. Dies ist ein erster
wichtiger Schritt in die richtige Richtung. Aus diesem
ersten Schritt ergibt sich eine Perspektive für die weiteren Schritte, Frau Kollegin Bender. Das ist das, was die
Kollegin Flach, der Kollege Straubinger und ich aufgezeigt haben: zunächst der erste und dann der zweite
Schritt. Die Reihenfolge ist wichtig. Aber die entscheidende Botschaft am heutigen Morgen lautet: Es ist besser und gerechter als das, was wir heute haben.
({5})
Herr Kollege Spahn, es gibt mehrere Wünsche nach
Zwischenfragen. Ich habe unter anderem die Kollegin
Bender und die Kollegin Bunge auf der Liste.
({0})
Gerne.
Zunächst erhält die Kollegin Bender das Wort.
Herr Kollege Spahn, wenn Sie darauf hinweisen, dass
im Steuersystem jeder nach seiner Leistungsfähigkeit
besteuert werde und dass es deswegen besonders gerecht
sei, Steuermittel ins System zu holen, dann schließen
sich daran zwei Fragen an.
Erstens. Warum holen Sie die Steuermittel nicht ins
System? Denn es gibt ja in Wirklichkeit keinen steuerfinanzierten Sozialausgleich.
({0})
Zweitens. Ist Ihnen bekannt, dass zum Steueraufkommen die Einkommensteuer, bei der tatsächlich die Einkommenshöhe über die Steuerhöhe bestimmt, während
alle anderen Steuerarten nicht progressiv sind, nur zu
35 Prozent beiträgt?
Frau Kollegin Bender, zum Ersten. Die Steuerfinanzierung des Sozialausgleichs ist natürlich sichergestellt
- das wissen Sie doch eigentlich -, weil wir im nächsten
Jahr 2 Milliarden Euro aus dem Bundeshaushalt - das
sind unstrittig Steuermittel ({0})
in die Liquiditätsreserve des Gesundheitsfonds, also der
gesetzlichen Krankenversicherung, geben. Daraus werden wir in den nächsten Jahren den Steuerausgleich
finanzieren.
({1})
Es sind nachweislich Steuermittel. Ab 2014 muss im
Bundeshaushalt dann spitz abgerechnet das nötige Geld
zur Verfügung gestellt werden.
Zum Zweiten. Natürlich ist die Verteilung nach dem
Steuersystem so, wie sie ist, aber zur Wahrheit gehört
doch auch, dass der Ausgleich über das Steuersystem
wesentlich gerechter ist
({2})
als das, was wir heute in den Sozialversicherungssystemen als Ausgleichsmechanismen haben,
({3})
weil Mieten, Dividenden, Zinseinkünfte berücksichtigt
werden, weil auch Unternehmensgewinne berücksichtigt
werden,
({4})
weil auch die Einkommen von privat Krankenversicherten und die Einkommen über der Beitragsbemessungsgrenze berücksichtigt werden.
({5})
Es ist gerechter als das, was wir heute haben, und das
wissen Sie doch eigentlich auch, Frau Kollegin Bender.
({6})
Geschäftsleitend Folgendes: Es gibt eine ganze Reihe
von Fragen. Nun wollen wir den Beitrag ja nicht um das
Dreifache verlängern. Ich würde noch zwei Fragen zulassen, die der Kollegin Bunge und die der Kollegin
Vogler. Aber natürlich müssen Sie entscheiden, Herr
Kollege, auf was Sie noch antworten wollen.
Kollegin Bunge.
Kollege Spahn, Sie haben behauptet, dass die Zusatzbeiträge, die wir ablehnen, durch den Sozialausgleich sozialer würden. Mich würde einfach einmal Ihre Mathematik interessieren.
({0})
Wenn jemand 1 000 Euro bekommt - „verdient“ will
ich nicht sagen; denn wir wissen: viele sind unterbezahlt;
die meisten verdienen eigentlich, im wahrsten Wortsinn,
mehr -, bezahlt er nach der jetzigen Regelung einen Zusatzbeitrag von maximal 10 Euro, nach der 2-ProzentRegelung 20 Euro. Da wirkt der Sozialausgleich gar
nicht. Was ist daran sozial?
Was machen Sie mit dem Sozialausgleich? Das Gesetz soll doch in die Zukunft wirken. Wenn wir wieder
vor einer Krisensituation, etwa einem Börsencrash, stehen, die Zusatzbeiträge im Jahr 2020 eh schon bei 60
oder 100 Euro liegen, viele im Sozialausgleich sind, ein
Haufen Steuermittel notwendig ist, die Steuern durch
den Börsencrash aber wegbrechen, wer bezahlt dann
bitte schön?
({1})
Das Problem, Frau Kollegin Bunge, ist Folgendes
- das ist das, was ich eingangs dargestellt habe; deswegen ist es schon wichtig, Herr Kollege Lauterbach, die
Dinge auch ein bisschen herzuleiten -: Sie stellen eine
statische Betrachtung an. Aber eine Wahrheit müssen
auch die linken Parteien in diesem Parlament endlich
einmal anerkennen - diese ehrliche Botschaft muss man
verkünden, auch wenn sie vielleicht nicht populär ist -:
Die Gesundheitsversorgung, insbesondere dann, wenn
sie flächendeckend aufrechterhalten werden soll - ich
komme aus dem Münsterland, also einer ländlichen Region - und wenn wir den Zugang zu Innovationen möglich machen wollen - die Kosten steigen ja nicht beim
Hustensaft, sondern sie steigen zum Beispiel bei Krebsmedikamenten -, wird teurer. Das ist die erste ehrliche
Botschaft, die in Ihrer Frage leider völlig ausgeblendet
wird.
Zum Zweiten muss man in der Perspektive sehen,
dass die Kosten steigen - sie werden steigen -, egal wie
wir die Ausgaben finanzieren, ob wir sie über Beiträge,
über Steuern oder über einen Zusatzbeitrag finanzieren.
({0})
Das vorausgeschickt, sage ich: Es ist dann natürlich
wichtig, zu erklären: Niemand muss mehr als 2 Prozent
seines Einkommens für den Zusatzbeitrag ausgeben.
Das stellen wir sicher. Im Unterschied zu dem, was die
Frau Kollegin Schmidt als Gesundheitsministerin eingeführt hat, stellen wir sicher, dass das Geld, das in der gesetzlichen Krankenversicherung nicht ankommt, weil es
einen Deckel gibt, doch im System verfügbar ist, dann
eben aus Steuermitteln finanziert. Das ist dann am Ende
gerechter als das, was wir heute haben. Ein Sozialausgleich aus Steuermitteln findet heute nicht statt. Genau
das ändern wir, und das ist gerechter als das, was wir
heute haben.
({1})
Gestatten Sie noch die Frage der Kollegin Vogler?
Ich würde jetzt gern fortfahren,
({0})
und dann können wir nachher noch einmal schauen.
Gut.
Zu der Frage, was die Alternative sein soll, muss
man hier zwei, drei Sätze sagen dürfen. Es ist eine Projektgruppe der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands eingesetzt worden, die sich mit der gesetzlichen
Krankenversicherung beschäftigt. Man ist sich unsicher,
ob es im Kern darum ging, ein neues Konzept für die gesetzliche Krankenversicherung zu schaffen, oder darum,
der Generalsekretärin ein Aufgabenfeld zu geben, in
dem sie wahrgenommen werden kann.
({0})
Unabhängig davon: Was steht am Ende in diesem
Konzept? Der Kollege Lauterbach hat uns im Dezember
hier im Deutschen Bundestag angekündigt, er werde ein
durchgerechnetes Konzept zur Bürgerversicherung auf
den Tisch legen. Das kündigt er seit Jahren an. Wenn ich
mir anschaue, was Sie vorgelegt haben, dann sehe ich,
dass in diesem durchgerechneten Konzept nicht eine einzige Zahl steht. Sie sagen nicht, wie hoch der Beitragssatz sein soll. Sie sagen nicht, was alles mit verbeitragt
werden soll. Sie sagen nicht, wie hoch die Beitragsbemessungsgrenze sein soll. Sie sagen nicht, wie viele
Steuermittel in das System fließen sollen. Sie sagen mit
keinem Wort und vor allem mit keiner Zahl - und rechnen tut man meistens mit Zahlen, Herr Kollege
Lauterbach -, was Ihr Konzept eigentlich bedeutet.
({1})
Das lassen wir Ihnen so pauschal und billig nicht durchgehen, liebe Kolleginnen und Kollegen.
({2})
Sie wissen genau, warum Sie das nicht sagen; denn
auch Sie kämen nicht um die Botschaft herum, die Sie
vermeiden, die wir aber ehrlich aussprechen, nämlich
dass es teurer wird. Sie würden vor allem die Facharbeiter - die Mittelschicht - zusätzlich belasten, diejenigen,
die zusätzlich ein wenig zur Seite gelegt oder eine Mietwohnung geerbt haben.
({3})
Diejenigen würden Sie zusätzlich belasten, weil die Beitragsbemessungsgrenze natürlich auch in Ihrem Konzept
weiter gelten würde. Genau deswegen ist es übrigens gerechter, das über Steuern zu machen.
({4})
Im Steuerrecht gibt es keine Beitragsbemessungsgrenze.
Im Sozialrecht muss es sie nach dem Verfassungsrecht
geben. Deswegen ist es richtiger, diesen Ausgleich über
Steuermittel zu machen, liebe Kolleginnen und Kollegen.
({5})
- Ich weiß, es tut weh, weil es Sie an Ihre eigenen Entscheidungen erinnert.
({6})
Ich wundere mich darüber, wie Sie sich da überall in
die Büsche schlagen. Sie haben mit uns in der Großen
Koalition den Zusatzbeitrag eingeführt,
({7})
sodass heute von einigen Kassen 8 Euro erhoben werden. Übrigens gibt es wunderschöne Reden von Ulla
Schmidt darüber, warum es richtig ist, einen Zusatzbeitrag einzuführen, nämlich um die Loslösung von den
Lohnkosten zu erreichen. Sie haben mit uns gemeinsam
die Wahltarife in der gesetzlichen Krankenversicherung
eingeführt und fortentwickelt.
({8})
Sie haben mit uns gemeinsam die Kostenerstattung eingeführt.
({9})
- Sie haben mit uns gemeinsam die Regelungen zur Kostenerstattung eingeführt, weil Sie damals noch der Überzeugung waren, es wäre gut, wenn auch gesetzlich Versicherte die Möglichkeit hätten, für sich einen Wahltarif
nach ihren eigenen Wünschen ein Stück weit gestalten
zu können.
({10})
Heute wollen Sie von all dem nichts mehr wissen. Sie
schlagen sich in die Büsche. Sie versuchen, im Wettbewerb um Gleichmacherei die Linkspartei zu überholen,
aber das wird Ihnen nicht gelingen, das ist ein billiger
Abklatsch. Es wäre besser, Sie würden sich zu dem bekennen, was wir einmal gemeinsam verabschiedet haben, liebe Kolleginnen und Kollegen.
({11})
Wenn es um die Frage geht, was im nächsten Jahr ist,
dann ist von Ihnen auch nichts zu hören. Wir haben im
nächsten Jahr in der gesetzlichen Krankenversicherung ein Defizit von 9 Milliarden Euro.
({12})
Das ist das größte Defizit in der Geschichte der gesetzlichen Krankenversicherung. Wenn wir nichts tun würden,
dann würden im nächsten Jahr viele Krankenkassen
- auch große Krankenkassen - aufgrund der Systematik,
wie sie heute ist, in die Insolvenz gehen müssen. Es
würde eine wahnsinnig große Verunsicherung in der Bevölkerung geben. Deswegen stellen wir uns nicht nur der
Entscheidung darüber, wie wir bei steigenden Gesundheitskosten die gesetzliche Krankenversicherung langfristig finanzieren wollen, sondern auch der Herausforderung im Rahmen der Frage, wie wir mit dem Defizit
im nächsten Jahr umgehen werden.
Hier holen wir alle ins Boot: Arbeitgeber und Arbeitnehmer, indem wir zum alten Beitragssatz von 15,5 Prozent zurückkehren, den wir übrigens vor der Krise in der
Großen Koalition eingeführt haben. Wir holen die Krankenhäuser mit ins Boot und die Krankenkassen, die
Ärzte, die Zahnärzte, die Pharmaindustrie, die Apotheker und den Großhandel,
({13})
bei denen wir Zuwächse begrenzen und zum Teil effektiv Geld einsparen, um am Ende dieses Defizit von
9 Milliarden Euro unter Beteiligung aller im Gesundheitswesen in den Griff zu bekommen. Die Prognose ist
so, dass es uns tatsächlich gelingen wird, in der gesetzlichen Krankenversicherung zu einer ausgeglichenen Bilanz zu kommen.
Man kann von der Opposition erwarten, dass sie zumindest zwei oder drei Sätze über die Herausforderung
im nächsten Jahr verliert. Man kann erwarten, dass Sie
eine Alternative aufzeigen, wenn Sie nicht damit einverstanden sind. Sie wissen wie ich, dass Nichtstun in dieser Situation keine Option ist, dass Krankenkassen dann
in die Insolvenz müssen.
({14})
Da kann man sogar von einer Opposition verlangen, dass
von ihr zwei oder drei Sätze darauf verwendet werden,
was mit dem Defizit im nächsten Jahr zu tun wäre, wenn
Sie nicht das tun wollen, was wir tun. Unsere Antwort ist
ein gerechter Ausgleich, liebe Kolleginnen und Kollegen.
({15})
Die christlich-liberale Koalition stellt sich nämlich
dieser Verantwortung. Wir stellen uns dieser Verantwortung, auch wenn es unschöne Botschaften sind,
({16})
unschöne Botschaften für Arbeitnehmer, Arbeitgeber,
auch für viele, die im Gesundheitswesen tätig sind. Niemand hat ja gerne, dass bei ihm gespart wird.
({17})
Aber wir stellen uns dieser Verantwortung. Wir stellen
uns übrigens auch der Verantwortung, den Menschen
ehrlich zu sagen, dass in einer älter werdenden Gesellschaft die Gesundheitskosten steigen werden.
({18})
Um diese Aussage drücken Sie sich ja leider bis heute
herum. Aber es ist nun einmal so: Wenn wir medizinischen Fortschritt für alle flächendeckend wollen, muss
das auch entsprechend finanziert werden.
Wir nennen nicht nur ehrlich die Herausforderungen,
sondern wir liefern auch noch die Lösungen,
({19})
indem wir sagen, dass es eine weitere ergänzende Finanzierung braucht, die lohnunabhängig ist und durch die
künftige Kostensteigerungen abgefedert werden können,
ohne tatsächlich automatisch immer die Lohnnebenkosten zu erhöhen, wodurch ja Arbeitsplätze in Deutschland
gefährdet werden.
({20})
Es ist am Ende übrigens die beste Sozialpolitik, Arbeitsplätze in Deutschland zu sichern und die Schaffung von
neuen möglich zu machen.
({21})
Damit stellt sich die christlich-liberale Koalition ihrer
Verantwortung. Darauf kommt es an.
({22})
Man kann von einer Opposition ein bisschen mehr erwarten als nur Worthülsen und Überschriften.
({23})
Wenigstens ein bisschen Konzept wäre ganz hilfreich,
zumindest, wenn Sie für sich in Anspruch nehmen wollen, hier noch ernsthaft mitzureden.
({24})
Zu einer Kurzintervention hat nun die Kollegin
Ferner das Wort.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Herr Spahn hat ja
eben wieder versucht, Geschichtsklitterung zu betreiben.
Deshalb möchte ich hier wirklich noch einmal ein paar
Dinge klarstellen.
Die letzte Gesundheitsreform, die von Ihnen und
von uns mitgetragen worden ist, bestand aus einem
Kompromiss.
Zu diesem Kompromiss hat erstens dazugehört, dass
wir, obwohl wir das wollten, darauf verzichtet haben, die
Zusatzbeiträge paritätisch und einkommensabhängig
finanzieren zu lassen, weil Sie das nicht zugelassen haben. Insbesondere Frau Merkel hat darauf bestanden,
dass es auch die Option geben muss, feste Beiträge nehmen zu können. Wir haben damals vereinbart, dass die
Kassen selbst entscheiden können, ob sie prozentuale
oder feste Zusatzbeiträge erheben. Dieses Entscheidungsrecht nehmen Sie den Kassen jetzt.
Der zweite Punkt ist, dass wir folgende Forderungen
Ihrer Fraktion, Herr Spahn, die Sie während der Verhandlungen zur Gesundheitsreform erhoben haben, abgelehnt haben: Sie wollten Leistungsausgliederungen,
beispielsweise sollte die Kostenerstattung von privaten
Unfällen durch die Krankenversicherung aus dem
Leistungskatalog herausgenommen werden. Das hätte
0,7 Beitragssatzpunkte gebracht. Das haben wir abgelehnt, weil wir das für unverantwortlich halten. Außerdem wollten Sie, dass bei jedem Arztbesuch eine Praxisgebühr fällig wird. Auch das haben wir abgelehnt, weil
es die Kranken zu sehr belastet.
Nun zur Kostenerstattung, werter Herr Spahn. Hier
richte ich mich auch an Herrn Bahr, der ja in der letzten
Woche im Fernsehen ähnlichen Unsinn wie Sie behauptet hat. Es mag Ihrem jugendlichen Alter geschuldet
sein, dass Sie sich vielleicht nicht mehr so sehr daran erinnern können. Die Möglichkeit zur Kostenerstattung
wurde 1996 von Bundesgesundheitsminister Seehofer
eingeführt. Ich kann mich noch daran erinnern - ich
weiß nicht, wie es bei Ihnen ist -: Damals haben CDU/
CSU und FDP regiert. Diese Möglichkeit wurde 1998
von Rot-Grün wieder abgeschafft. Wiedereingeführt
wurde sie 2003 auf Druck der Union im Rahmen eines
Vermittlungsausschussverfahrens. Damals wurde festgelegt, dass die Bindungsfrist mindestens ein Jahr beträgt
und dass sie, vor allen Dingen, entweder alle Leistungen
oder keine Leistungen umfassen muss. Bei der Gesundheitsreform von 2007 war eines Ihrer großen Themen,
die Möglichkeiten zur Kostenerstattung auszuweiten.
Wir haben uns dann im Rahmen eines Kompromisses
dazu bereit erklärt - wir wollten es nicht, es war aber Ihr
Anliegen -, einen Wahltarif mit einer Drei-Jahres-Bindung einzuführen. Wir konnten dann nur noch sicherstellen, dass dieser möglichst selten in Anspruch genommen
wird. Dem haben Sie damals zugestimmt. Jetzt kippen
Sie dies wieder wie auch einige andere Punkte, denen
Sie damals zugestimmt haben, wie beispielsweise die
Deckelung der Zusatzbeiträge und damit die Sozialverträglichkeit der Zusatzbeiträge.
Ich meine, Herr Spahn, zur Redlichkeit gehört, nicht
nur zu sagen: „Ja, wir waren dabei“, sondern auch zu sagen: „Aber wir waren es nicht allein.“
({0})
Die SPD hat leider noch nie mit absoluter Mehrheit in
diesem Land regiert - Herr Gysi, dies auch zu Ihnen.
Man sollte schon so ehrlich sein und so viel Rückgrat
haben, Herr Spahn, deutlich zu machen, was Sie eigentlich wollten.
({1})
Kollegin Ferner, Sie müssen bitte zum Schluss kommen.
Sie wollten - das setzen Sie jetzt mit der FDP um eine zusätzliche Belastung der Patientinnen und Patienten und der unteren Einkommen zugunsten der Entlastung der oberen Einkommen. Das ist Ihre Klientelpolitik,
die Sie nach wie vor betreiben.
({0})
Sie haben das Wort, Herr Spahn.
({0})
Liebe Frau Kollegin Ferner! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Zuerst zu den Wahltarifen und zu den Änderungen, die wir hierbei jetzt vornehmen.
Ich glaube nicht, dass es der gesetzlich Versicherte,
wenn Sie ihn auf der Straße danach fragten, für richtig
hielte, dass Chefarztbehandlung oder die Inanspruchnahme eines Einbettzimmers von dem normalen Beitragszahler quersubventioniert werden,
({0})
sondern vielmehr, dass es durch diejenigen bezahlt wird,
die sich dafür entscheiden. Deswegen sorgen wir dafür,
dass es diese Quersubventionierung nicht gibt, mit der
einige Krankenkassen versuchen, sich eine bestimmte
Klientel heranzuziehen. Wir stellen klar: Diese Tarife
müssen sich selber tragen, weil Chefarztbehandlung etwas ist, was man für sich selbst finanzieren und bezahlen
muss. Das war bisher in Form der Quersubventionierung
ungerecht geregelt, und deswegen ändern wir das.
({1})
Zweitens komme ich zur Kostenerstattung. Sie bemühen dabei immer gern das Wort „Vorkasse“. Vielleicht sollten Sie den Menschen einmal erklären, was
denn Vorkasse ist: Vorkasse heißt, dass ich vor Inanspruchnahme der Leistung zahlen muss. Das wollte nie
jemand, das will nie jemand, und das wird es in der deutschen Krankenversicherung auch nie geben.
({2})
Sie jedoch suchen bei dem, was wir hier tun, verzweifelt nach Angriffspunkten, denken sich selber ein Wort
aus, das ganz furchtbar klingt, und unterstellen dann mit
großem Getöse, dass hier irgendjemand so etwas einführen wolle. Das ist unredlich. So macht man eigentlich
nicht gemeinsam Politik, liebe Kolleginnen und Kollegen.
({3})
Was die Frage des Kompromisses angeht, so wollten
Sie zum einen Verkehrsunfälle aus der gesetzlichen
Krankenversicherung herausnehmen.
({4})
- Wissen Sie, das ist doch alles müßig.
({5})
- Es muss ja irgendwie wehtun.
({6})
Überwiegend hat der Kollege Spahn das Wort.
({0})
Vielen Dank. - Erst einmal gute Besserung, Frau Präsidentin.
Danke.
Unabhängig davon gehört es doch in solchen Beratungen dazu - Frau Kollegin Ferner, ich antworte Ihnen ({0})
- Multitasking, okay -, dass man natürlich verschiedene
Optionen miteinander durchspielt. Wir haben uns am
Ende entschieden, nicht Leistungen auszugrenzen, sondern stattdessen zu einer zusätzlichen Belastung etwa in
Form der Praxisgebühr oder anderem zu kommen. Das
Gleiche tun wir jetzt übrigens wieder. Wir haben gesagt,
wir wollen bei dieser Gesundheitsreform bewusst nicht
Leistungen ausgliedern. Wir muten dann aber - das gehört dann zur Wahrheit dazu; vor dieser Wahrheit ducken
Sie sich dann immer weg - den Menschen zu, dass die
Beiträge zur gesetzlichen Krankenversicherung steigen,
damit der bisherige Leistungsumfang erhalten bleibt.
Aber eines lasse ich Ihnen nicht durchgehen; das ist
irgendwann eine Frage der politischen Kultur. Wenn
man gemeinsam in der Großen Koalition einen Kompromiss gefunden hat, bei dem beide Seiten selbstverständlich Abstriche machen müssen, dann gehört es meines
Erachtens dazu - übrigens auch in der Wahrnehmung der
Bürgerinnen und Bürger -, dass man zu dem, was man
gemeinsam vereinbart und gemeinsam hier beschlossen
hat, auch steht und sich nicht in die Büsche schlägt. Es
hat Sie ja keiner gezwungen, zuzustimmen, sondern Sie
haben am Ende ebenso wie wir gesagt: Das ist ein Kompromiss, der in die richtige Richtung geht. Anderenfalls
würden Sie doch nicht zugestimmt haben. Dies wäre
politische Kultur, Frau Kollegin Ferner.
({1})
Nun hat der Kollege Dr. Harald Terpe für die Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen das Wort.
Frau Präsidentin, erst einmal wünsche ich gute Besserung! - Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Zunächst muss ich Folgendes anmerken: Herr Bundesminister Rösler und auch Herr Spahn beklagen sich
immer darüber, die Opposition trage nichts zu der Diskussion bei. Einmal ganz davon abgesehen, dass ich für
alle Oppositionsparteien hier sagen muss, dass der
Grundwert sozialer Gerechtigkeit beigetragen wird, legen wir mit der grünen Bürgerversicherung konkrete
Zahlen auf den Tisch. Sie setzen sich aber mit keinem
Wort damit auseinander.
({0})
Wir hingegen setzen uns mit Ihnen deutlich auseinander.
Das werden Sie ja gemerkt haben.
Nun zu dem Gesetz. Als der Gesetzentwurf aus dem
Kabinett kam, sprach die Regierung davon, ein faires
und stabiles Gesundheitssystem auch für zukünftige Generationen sichern zu wollen. Dass wir Bündnisgrüne
eine andere Auffassung von fair und gerecht haben,
dürfte hinreichend klar geworden sein. Aber ich dachte,
ein Gesundheitssystem für künftige Generationen hat
doch etwas mit Zukunft, Vorausschau und Nachhaltigkeit sowie mit der Frage zu tun, wie man sich auf die
sich dramatisch verändernden Versorgungsbedingungen
einer immer älter werdenden Bevölkerung mit Zunahme
von chronischen und Mehrfacherkrankungen vorbereitet.
Zukunft gestalten heißt doch, die Strukturen zu verändern hin zu einer besseren Versorgung mit mehr Qualität, mit Vernetzung und Integration, mit einer besseren
Gesunderhaltung und mehr gemeinsamer und gegenseitiger Verantwortung für alle Beteiligten. Davon ist im
Gesetzentwurf nichts zu finden.
({1})
Es ist eine Ankündigung ohne Inhalt.
Kollege Spahn hat vorgestern im Ausschuss argumentiert, das Finanzierungsgesetz bewusst von dem Strukturgesetz getrennt zu haben, um 1 000 Seiten zu sparen.
({2})
Das ist Sparen zur falschen Zeit und an der falschen
Stelle.
({3})
Es verzögert doch nur eine bessere Versorgung mit mehr
Qualität und Wirtschaftlichkeit.
Trotzdem habe ich mich auf die Suche nach Hinweisen im Gesetzentwurf darauf gemacht, wohin die Reise
der Koalition bei Strukturveränderungen gehen könnte.
Ich bin fündig geworden: zunächst beim Notopfer der
Krankenhäuser. Mit dem Mehrleistungsabschlag bestrafen Sie die Krankenhäuser, die im Qualitätswettbewerb
um Patienten erfolgreicher sind als andere Häuser und
die so mit den Krankenkassen mehr Leistungen vereinbaren können. Das ist wettbewerbs- und leistungsfeindlich. Wie sagt die FDP doch so schön? Leistung muss
sich lohnen.
({4})
Mit Leistung und Wettbewerb haben Sie ohnehin
Ihre Probleme, jedenfalls immer dann, wenn es um die
Begünstigung der PKV oder wenn es um die hausärztliche Versorgung geht. Wahlfreiheit und Wettbewerb werden verschoben. Wegen des Grollens aus den bayerischen Bergen belassen Sie es bei den unsinnigen
Monopolverträgen und schleifen zudem mit der Fallwertorientierung die Leistungsanreize für eine verbesserte
hausärztliche Versorgung.
({5})
Sie setzen mit der Grundlohnratenanbindung für die
Krankenhäuser eine Regelung fort, bei der wir uns alle
einig waren, dass sie abgeschafft werden müsste, weil
sie sich immer weiter von der Realpreisentwicklung entfernt. Das gilt erst recht für den Fall, dass die Rate auch
noch reduziert wird.
({6})
Zu dem Füllhorn über einem Teil der niedergelassenen
Ärzteschaft gesellen Sie die Axt im Krankenhaus und
riskieren Personalabbau und schlechtere Arbeitsbedingungen besonders beim Pflegepersonal. Das wird zulasten der Patienten gehen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Koalition,
Ihr Gesetzentwurf mit den geplanten Entlastungen für
Besserverdienende und der von mir aufgezeigten Zielrichtung der Strukturveränderungen ist wahrlich christlich-liberal. Nehmt den Ärmeren und gebt den Besserverdienenden! Wer mehr leistet, soll weniger
bekommen.
({7})
Das Wort hat der Kollege Stephan Stracke für die
Unionsfraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten
Kolleginnen und Kollegen! Die christlich-liberale Koalition ist angetreten, das Gesundheitssystem solide und
nachhaltig weiterzuentwickeln und damit auch künftigen
Generationen eine Versorgung auf hohem Niveau zu
gewährleisten. Genau das machen wir, meine sehr verehrten Damen und Herren von der Opposition. Was wir
heute gemeinsam auf den Weg bringen, ist gut, weil wir
angesichts des hohen Defizits von rund 9 Milliarden
Euro, welches für das Jahr 2011 erwartet wird, die Ausgaben in der gesetzlichen Krankenversicherung mit Augenmaß und der richtigen Balance begrenzen. Es ist
auch deswegen gut, weil wir die Finanzierungsgrundlagen für die Zukunft stärken und dabei die soziale Ausgewogenheit wahren.
({0})
Dabei stellen wir sicher, dass auch in Zukunft jeder
den direkten Zugang zu unserem hervorragenden Gesundheitssystem hat und niemand von der Exzellenz unseres Gesundheitswesens ausgegrenzt wird. Die Alternative dazu wären Abstriche vom Leistungskatalog,
Leistungsausgrenzung oder gar, wie manche fordern,
Priorisierungen von medizinischen Maßnahmen. Das ist
nicht unsere Politik; das ist nicht unser Weg. Deshalb
machen wir das nicht.
({1})
Die christlich-liberale Koalition stand vor einer großen Herausforderung: Wie gehen wir mit dem Defizit
von 9 Milliarden Euro um? Dieses Defizit ist im Übrigen
nicht vom Himmel gefallen, sondern aufgrund der bewusst getroffenen Entscheidung der Großen Koalition
entstanden, Ausgabensteigerungen insbesondere im ambulanten und stationären Bereich vorzunehmen, die dazu
dienten, die Versorgungsqualität weiter zu verbessern.
Wir handeln nun angesichts dieses Defizites. Dabei
haben wir die Grundsatzentscheidung getroffen, das Defizit nicht ausschließlich auf der Einnahmeseite anzugehen, sondern auch über eine Begrenzung der Ausgaben.
Das ist sicherlich nicht der einfache, bequeme Weg, aber
ein Weg, der verantwortbar ist, weil er die Interessen der
Versicherten, vor allem der Beitragszahler, im Blick behält.
({2})
Wir begrenzen die Ausgaben, aber nicht einseitig,
sondern mit dem rechten Maß, indem wir hier alle Beteiligten in die Verantwortung nehmen: die Arzneimittelhersteller, die Ärzte, die Krankenhäuser, aber auch die
Krankenkassen. Dabei wahren wir die Balance zwischen
dem, was einerseits notwendig ist, um die Ausgabenzuwächse zu begrenzen, und dem, was andererseits erforderlich ist, um weiterhin die hohe Versorgungsqualität
für die Patienten vor Ort sicherzustellen.
Wir haben deshalb dafür gesorgt, dass in allen Regionen Deutschlands die hervorragende Qualität unserer
ambulanten ärztlichen Versorgung gewahrt bleibt. Wir
haben auch dafür gesorgt, dass die hausarztzentrierte
Versorgung unverändert weiterbesteht: Bestehende
Hausarztverträge haben einen Bestandsschutz bis zum
Juni des Jahres 2014 und damit eine sichere Rechtsgrundlage.
({3})
Wir begrenzen nicht nur die Ausgaben, sondern stärken auch die Finanzierungsgrundlagen.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Nein, erst einmal nicht. - Die großen Herausforderungen sind dabei die demografische Entwicklung und der
medizinisch-technische Fortschritt. Je größer der Anteil
der älteren Menschen wird - darauf müssen wir hinweisen -, desto höher sind die Ausgaben im Gesundheitssystem. Deswegen werden die Gesundheitsausgaben
auch in Zukunft steigen. Aus diesem Grund entwickeln
wir das Finanzierungssystem weiter. Dabei ist der Kerngedanke, den Arbeitgeberbeitrag festzuschreiben, damit
die Lohnkosten nicht weiter anwachsen. Wir finanzieren
dies über einen Zusatzbeitrag, der von einem Sozialausgleich flankiert wird.
Was setzt nun die werte Opposition entgegen? Was
erleben wir in der heutigen Debatte? Sie haben außer negativen Schlagworten nichts anzubieten. Sie folgen der
Maxime, dem Motto: Erlaubt ist, was gefällt. - Auch heute
wird wieder deutlich: Die Opposition setzt auf eine Politik,
die Neid als Keil einsetzt und Solidarität als Keule.
({0})
Wir haben es mit der Unterstellung zu tun, die Festschreibung der Arbeitgeberbeiträge sei unsolidarisch.
Aber wir - Sie und ich - wissen doch, dass steigende
Gesundheitskosten die Lohnnebenkosten erhöhen. Wir
wissen doch, dass sich dadurch die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands auf Dauer verschlechtern würde; dadurch würden Arbeitsplätze nicht gesichert, sondern gefährdet. Genau das wollen wir nicht. Deshalb ist die
Festschreibung der Arbeitgeberbeiträge der richtige Ansatz im Interesse aller Menschen in Deutschland.
Wir haben es auch mit der irrigen Annahme zu tun,
dass die Beitragszahler angesichts der in Zukunft steigenden Gesundheitsausgaben alleingelassen würden.
Das ist nichts anderes als eine verunglimpfende Stimmungsmache; denn richtig ist, dass wir unseren Zusatzbeitrag mit einem Sozialausgleich über Steuern flankieren und somit alle Einkommensarten einbeziehen. Sie
wissen doch genauso wie ich, dass die 10 Prozent mit
den höchsten Einkommen um die 50 Prozent des EinStephan Stracke
kommensteueraufkommens erbringen. Diese Mittel setzen wir im Rahmen des Sozialausgleichs ein. Das ist gerecht, und das ist auch solidarisch.
({1})
Wir setzen auf die Anreize, sich wirtschaftlich gegenüber der Solidargemeinschaft zu verhalten. Das ist auch
der Hintergrund, warum wir sagen: Wir erstatten den Sozialausgleich nur bis zum durchschnittlichen Zusatzbeitrag. Das ist gerecht, das ist sozial. Wir machen uns hier
gemeinsam auf den Weg, die Finanzen der gesetzlichen
Krankenversicherung auf eine vernünftige Basis zu setzen. Wir handeln verantwortlich und gewährleisten dadurch, dass die hohe Versicherungs- und Versorgungsqualität der Menschen auch in Zukunft garantiert wird.
Herzlichen Dank.
({2})
Das Wort erhält nun der Kollege Dr. Karl Lauterbach
für die SPD-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Kolleginnen und
Kollegen! Gestatten Sie mir zunächst eine persönliche
Bemerkung. Diverse Male wurden heute von der Opposition Sachthemen angesprochen. In der Kritik unserer
Reden heißt es, wir würden nicht viel über die eigenen
Konzepte sagen. Ist Ihnen denn nicht aufgefallen, wie
ungewöhnlich blass und inhaltslos die Rede des Ministers gewesen ist? Wann hört man eine so schwache Rede
eines Ministers, wenn er sein erstes großes Gesetz vorstellt?
({0})
Wir haben doch nichts gehört. Der Minister war nicht in
der Lage, eine einzige Zwischenfrage zuzulassen. Ich
kann mich bereits jetzt nicht mehr erinnern, meine sehr
verehrten Damen und Herren, weil er nichts gesagt hat.
({1})
Auch Sie wissen das. Diejenigen, die das bestreiten,
frage ich: Wer kann sich erinnern? Niemand weiß etwas.
So, und jetzt zu Ihnen, Herr Spahn.
({2})
- An Ihre Rede kann ich mich erinnern. Ihnen will ich
einen rhetorischen Rat geben. Im Rheinland sagt man:
Die Menschen, die in ihrer Rede zu häufig von der Ehrlichkeit sprechen, sind die größten Lügner. Das trifft
heute auf Ihren Redebeitrag zu; denn Sie haben gesagt,
dass wir die kleine Kopfpauschale wollten.
({3})
Sie haben gesagt, wir hätten das Defizit verursacht und
machten jetzt keine Vorschläge.
({4})
Sie produzieren innerhalb eines Jahres ein Defizit von
10 Milliarden Euro und werfen uns dann vor, dass wir
keine Vorschläge machen. Ja, wer regiert denn, Herr
Spahn, meine sehr verehrten Damen und Herren? Das ist
ja ein Witz.
({5})
Wir haben Ihnen das Ministerium im dritten Quartal
mit 1,9 Milliarden Euro Überschuss übergeben. Jetzt haben wir 10 Milliarden Euro Defizit, und Sie beklagen
sich, dass wir keine Vorschläge bringen. Das ist doch absurd.
({6})
- Nein, das ist die Wahrheit. Sie werden ausgelacht. Die
Leute lachen nicht über mich, sondern die Leute lachen
mit mir über Sie. Das ist die Tatsache!
({7})
- Ja, das ist so.
Jetzt zum Inhalt -
Herr Kollege Lauterbach, es wäre schon schön, wenn
wir auch noch zur Sache debattieren würden.
({0})
Ich rede zur Sache. Herr Präsident, ich habe auf jeden
Fall schon mehr zur Sache geredet als der Minister in
seinem Redebeitrag.
({0})
Hier wird vorgetragen, wir wären es gewesen, die die
kleine Kopfpauschale, die am heutigen Tage durch die
Hintertür eingeführt wird, eingeführt hätten. Das ist eine
Unwahrheit. Wir haben Zusatzbeiträge eingeführt, die
5 Prozent der Gesamtausgaben nicht übersteigen durften. Das heißt, jede weitere Ausgabensteigerung wäre zu
5 Prozent in die Kopfpauschale gelaufen. Jetzt laufen
100 Prozent der Ausgabensteigerung in die Kopfpauschale. Das ist der Unterschied. Von daher ist die Zusatzprämie heute zur Kopfpauschale geworden. Das ist heute
zu vertreten.
({1})
Sie versuchen, die Leute zu verdummen, indem Sie
sagen, die Parität könne sich wirtschaftlich nicht länger
halten, das paritätische System sei am Ende. Seien Sie
doch so ehrlich und räumen Sie ein, dass wir es mit der
Parität geschafft haben, die Arbeitslosenzahl unter
3 Millionen zu drücken. Das System ist nicht kaputt, es
funktioniert. Sie wollen die Privatisierung, den Systemwechsel. Es geht Ihnen nicht um die Lohnzusatzkosten.
Sie wollen das System amerikanisieren und privatisieren. Sie sind aber zu feige, das ehrlich zuzugeben, meine
sehr verehrten Damen und Herren.
({2})
In Wahrheit kassieren Sie die Rentner und die Geringverdiener ab, um den Arbeitgeberbeitrag einfrieren zu
können. Darauf läuft es hinaus. Der Rentner, der
800 Euro bezieht, bekommt bei einer durchschnittlichen
Kopfpauschale von 20 Euro nur 4 Euro Sozialausgleich.
Wissen Sie, wie ich das nenne? Das ist kein Sozialausgleich; das ist ein Almosen.
({3})
Bei einer Rente von 1 000 Euro bekommt er gar keinen
Sozialausgleich. Kein Geringverdiener mit einem mittleren Einkommen von 1 500 Euro kann einen Sozialausgleich erhalten, wenn die Kopfpauschale im Durchschnitt 30 Euro beträgt. Das ist ein Abkassieren bei den
kleinen Leute. Das ist weniger Netto vom Brutto für die
Leute, die Guido Westerwelle als Leistungsträger bezeichnet hat.
Herr Westerwelle, die Leistungsträger, die 1 500 Euro
verdienen, büßen bei einer Kopfpauschale in Höhe von
30 Euro 2 Prozent ihres Nettoeinkommens ein - ohne jeden Sozialausgleich. Wollen Sie das den Geringverdienern, den Leistungsträgern und den Menschen in den
neuen Bundesländern anbieten?
({4})
Ihnen geht es nicht um die Leistungsträger. Ihnen geht es
um die PKV. Ihnen geht es um die Arbeitgeber. Das ist
die Koalition des Kapitals, Herr Kauder. Dafür werden
Sie in Baden-Württemberg abgestraft. Darauf können
Sie sich verlassen. Das kann ich Ihnen versichern, Herr
Kauder.
({5})
In diesen Tagen bin ich im Rahmen des Vorwahlkampfes häufig in Baden-Württemberg.
({6})
Sie liegen falsch, wenn Sie glauben, dass es den Menschen dort nur um den Bahnhof in Stuttgart geht. Die
Leute wissen ganz genau, wo Sie abkassieren.
({7})
Für Sie haben die Arbeitgeber, die private Krankenversicherung und die Ärzte Priorität, nicht die Rentnerinnen
und Rentner.
({8})
Der Erfolg Ihrer Partei hängt wie bei keiner anderen Partei von den Wählerstimmen der Rentner ab.
({9})
Sie werden abgestraft werden. Die Menschen werden
das im Januar begreifen. Im Januar flattern die Rechnungen ins Haus, Herr Kauder. Dann werden die Leute kapieren, was diese Reform bedeutet. Dann werden nicht
nur Ihre Umfrageergebnisse schlechter. Dann erhalten
Sie die Strafe dafür, dass Sie hier abkassieren.
({10})
Sie sind nicht bereit, offen dazu zu stehen.
({11})
Gestern wurde uns von Ihnen der Entwurf eines Gesetzes vorgelegt, das gut für die Pharmaindustrie und gegen die Patienten gerichtet ist. Heute liegt uns ein Gesetzentwurf vor, der gut für die Arbeitgeber und die
private Krankenversicherung und ebenfalls gegen die
Patienten und Versicherten gerichtet ist. Ein solches Vorgehen ist einer Partei, die sich damit brüstet, eine christliche Partei zu sein, unwürdig. Wo sind denn die christlichen Elemente in diesem Gesetzentwurf, Herr Kauder?
Davon ist nichts zu sehen.
({12})
Dazu, dass die Vorkasse, die Abkassiererei eingeführt
wird, sagt uns der Minister: Die Menschen müssen das ja
nicht machen. Niemand hier ist so dumm, zu glauben,
dass die Menschen das machen müssen. Als Minister haben Sie aber die Pflicht, die Menschen vor der Abzocke
zu schützen, und nicht, sie einzuführen, Herr Minister.
({13})
Ich komme zum Schluss, bevor ich abgemahnt werde.
Meine Redezeit ist abgelaufen.
({14})
Sie werden sich noch an meine Worte erinnern. Sie werden schon sehen. Ich habe gesagt: Wegen der miserablen
Gesundheitspolitik wird Jürgen Rüttgers in NordrheinDr. Karl Lauterbach
Westfalen demnächst seinen Stuhl räumen müssen. Genau so ist es gekommen. Das habe ich hier vorgetragen.
({15})
Jetzt sage ich voraus: Herr Mappus wird der Nächste
sein, der sich wegen dieser Gesundheitspolitik verabschiedet.
({16})
Ob die Grünen oder wir dann vorne liegen, ist mir egal.
Hauptsache, es ist eine progressive, linke Partei, die
weiß, wo das Herz schlägt.
Ich danke für die Aufmerksamkeit.
({17})
Letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der
Kollege Dietrich Monstadt für die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen
und Herren! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen!
Wir legen heute den Entwurf eines GKV-Finanzierungsgesetzes vor, mit dem die Finanzierung der gesetzlichen
Krankenversicherung stabilisiert wird, mit dem auch in
langfristiger Hinsicht Weichen gestellt werden.
Die christlich-liberale Koalition hat gehandelt. Deshalb wird es das befürchtete Milliardenloch im Gesundheitssystem nicht geben. Es ist eine gute Nachricht, dass
keine Leistungen gestrichen werden, sondern die Versorgung der Patienten unverändert gesichert ist.
({0})
Aus Sicht der neuen Bundesländer - ich spreche hier
als Abgeordneter aus Mecklenburg-Vorpommern - ist
die Sicherstellung der ärztlichen Versorgung insbesondere im ländlichen Raum eine der großen Sorgen. Dieser Gesetzesentwurf wird hier zu spürbaren Verbesserungen führen.
({1})
Erstens. Wir passen das Honorar der Zahnärzte in den
neuen Bundesländern in Richtung Westniveau an.
20 Jahre nach der deutschen Einheit ist das mehr als
überfällig.
Zweitens. Wir führen die Möglichkeit von Sicherstellungszuschlägen wieder ein. Damit können für niederlassungsinteressierte Ärzte gezielt Anreize gesetzt werden, insbesondere in ländlichen Regionen.
({2})
Drittens. Weil sich die bisherige Honorarreform der
Ärzte regional unterschiedlich ausgewirkt hat, ist eine
asymmetrische Aufteilung des Zuwachses durch die
Selbstverwaltung vorgesehen. Davon profitieren insbesondere auch neue Bundesländer.
({3})
Bemerkenswert ist: Unser Vorgehen hat - das ist erfreulich - sogar die ausdrückliche Unterstützung von
Hausärzten gefunden. In seiner jüngsten Pressemitteilung lobt der Hausärzteverband Mecklenburg-Vorpommern unsere beiden Gesetzesvorlagen und fordert sogar
seinen Dachverband zu einer konstruktiven Haltung auf.
Anders die stellvertretende SPD-Vorsitzende, Landesministerin Schwesig. Sie redet von angeblichen - ich zitiere wörtlich - „Millionen-Verlusten der Krankenhäuser
durch die Entscheidung der Bundesregierung gegen einen bundesweit einheitlichen Landesbasisfallwert“. Tatsächlich gibt es aber weder eine solche Entscheidung
noch die behaupteten Millionenverluste. Tatsächlich findet nämlich 2010 bis 2014 die gesetzlich vorgeschriebene Angleichung der Landesbasisfallwerte an den gesetzlich vorgeschriebenen Korridor unverändert statt.
Das heißt, hier ändert sich in den nächsten vier Jahren
nichts. Die Krankenhäuser haben Planungssicherheit.
({4})
Auch wird die im Gesetzentwurf vorgesehene wissenschaftliche Untersuchung über die Ursachen unterschiedlicher Basisfallwerte der Länder nicht gestrichen.
Sie muss bis zum 30. Juni 2011 in Auftrag gegeben werden; dabei bleibt es.
Und jetzt, Herr Kollege Lauterbach, zu Ihnen und Ihrem Erinnerungsvermögen. Sie haben am 17. Dezember
2009 hier im Plenum des Deutschen Bundestages ein
durchgerechnetes Konzept versprochen. Wörtlich:
Wir werden einen konkreten, durchfinanzierten
Vorschlag für eine Bürgerversicherung machen.
Das kündige ich hiermit an.
({5})
Sie haben angekündigt, dass wir uns damit - ich zitiere wörtlich - „in Kürze auseinandersetzen müssen“.
Das war vor einem Jahr.
({6})
Was ist aus dem lange angekündigten konkreten,
durchfinanzierten Vorschlag geworden? Der Berg
kreißte, und am Montag hat das SPD-Präsidium ein Papier zur Beschäftigung ihrer Generalsekretärin beschlossen.
({7})
Darin stellt die SPD fest, dass ihr veraltetes Konzept einer Bürgerversicherung aus dem Jahre 2004 seit spätestens 2006 überholt ist und überarbeitet werden muss.
Dazu, meine Damen und Herren von der SPD, haben Sie
nur vier Jahre gebraucht.
({8})
Mit der Überarbeitung ist die SPD noch nicht weit gekommen. Offenbar hat sie die erforderliche Muße noch
nicht finden können.
({9})
In dem SPD-Papier findet sich keine Spur des durchfinanzierten Konzepts einer Bürgerversicherung, das
Sie, Herr Kollege Dr. Lauterbach, vor einem Jahr versprochen haben. Stattdessen wird in dem SPD-Papier die
Einsetzung einer Projektgruppe angekündigt, immer
nach dem Motto: Wenn ich nicht mehr weiter weiß, dann
gründ’ ich einen Arbeitskreis.
({10})
Herr Kollege Dr. Lauterbach, erlauben Sie mir noch eine
persönliche Bemerkung: Demenzbehandlung wird von
der gesetzlichen Krankenversicherung immer noch
finanziert.
({11})
Und dann das unermüdliche Lamentieren über die angebliche Einführung der Vorkassenregelung! Gemeint
ist die Wahlmöglichkeit von Patienten,
({12})
sich für Kostenerstattung statt Sachleistung zu entscheiden. Diese Wahlmöglichkeit existiert schon seit vielen
Jahren. Sie wurde mehrfach umgestaltet und erweitert,
übrigens immer mit Zustimmung der SPD. Kostenerstattung ist aber nicht das Gleiche wie Vorkasse. Vorkasse
bedeutet, dass abweichend vom üblichen Vorgehen zunächst eine Bezahlung der Ware oder Dienstleistung
erfolgt. Erst danach beginnt der Verkäufer oder Dienstleistungserbringer mit der Warenlieferung oder Dienstleistung.
Bei der Kostenerstattungsoption gibt es offensichtlich
keine Vorkasse im Verhältnis zwischen Patient und Arzt,
da der Arzt zuerst die Leistung erbringt und erst später
eine Rechnung stellt. Auch im Verhältnis zwischen
Krankenkasse und Patient passt der Begriff Vorkasse
nicht. Denn bevor der Patient seinen Erstattungsanspruch bei der Krankenkasse geltend gemacht hat, sind
der Kasse diese Kosten weder nach Art noch nach Höhe
bekannt. Der Kostenerstattungsanspruch entsteht erst
zum Zeitpunkt der Vorlage. Erst dann kann und darf die
Kasse leisten. Der Begriff „Vorkasse“ ist im Hinblick auf
die Kostenerstattungsoption unter keinem tatsächlichen
und rechtlichen Gesichtspunkt gerechtfertigt.
({13})
Er ist einfach nur unseriös.
({14})
Meine Damen und Herren, wir haben die letzten Monate genutzt, um den heute zur Abstimmung stehenden
Entwurf eines Gesetzes zur finanziellen Stabilisierung
unseres Gesundheitssystems zu erarbeiten. Mit dem
GKV-Finanzierungsgesetz können wir den Herausforderungen einer älter werdenden Bevölkerung, des medizinisch-technischen Fortschritts und steigender Kosten begegnen und gleichzeitig für alle Versicherten den
Zugang zu hochwertigen Leistungen erhalten. Ich werbe
deshalb um Ihre Zustimmung.
Herzlichen Dank.
({15})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen nun zu den Abstimmungen über den
von den Fraktionen der CDU/CSU und der FDP eingebrachten Entwurf eines GKV-Finanzierungsgesetzes.
Ich bitte um Aufmerksamkeit für folgende Hinweise:
Mir liegen zahlreiche persönliche Erklärungen zur Abstimmung vor. 28 Kolleginnen und Kollegen aus den
Reihen der CDU/CSU-Fraktion
({0})
und zwei aus den Reihen der SPD-Fraktion geben solche
persönliche Erklärungen zu Protokoll.1)
Darüber hinaus möchten fünf Kolleginnen und Kolle-
gen aus den Reihen der Fraktion Die Linke persönliche
Erklärungen zur Abstimmung vortragen. Ich werde diese
persönlichen Erklärungen nach den beiden namentlichen
Abstimmungen aufrufen. Ich weise schon jetzt darauf
hin, dass der Gegenstand dieser persönlichen Erklärun-
gen nicht die Verlängerung der Debatte, sondern die Er-
läuterung persönlicher Motive mit Blick auf den jeweili-
gen Gegenstand ist, was in Anbetracht der verfügbaren
Zeit zu einer auf beiden Seiten verträglichen Konzentra-
tion führen könnte.
Der Ausschuss für Gesundheit empfiehlt in seiner Be-
schlussempfehlung auf Drucksache 17/3696, in Kennt-
nis des Berichts des GKV-Spitzenverbandes über die Er-
fahrungen mit den Rechtsänderungen in § 13 Abs. 2 des
Fünften Buches Sozialgesetzbuch, unter Buchstabe a,
den Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und
der FDP auf Drucksache 17/3040 in der Ausschussfas-
sung anzunehmen.
Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der
Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzei-
chen. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Da-
mit ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung mit der
Mehrheit der Koalition gegen die Stimmen der Opposi-
tion angenommen.
Wir kommen zur
dritten Beratung
und Schlussabstimmung. Über den Gesetzentwurf stim-
men wir auf Verlangen der SPD-Fraktion namentlich ab.
Ich mache darauf aufmerksam, dass im Anschluss an
diese namentliche Abstimmung eine weitere namentli-
che Abstimmung erfolgt.
1) Anlagen 2 bis 4
Präsident Dr. Norbert Lammert
Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die
Plätze an den vorgesehenen Stellen einzunehmen. - Ich
habe den Eindruck, dass alle Plätze ordnungsgemäß be-
setzt sind, und eröffne die Abstimmung.
Ist ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine
Stimme noch nicht abgeben konnte? - Das scheint mir
nicht der Fall zu sein. Dann schließe ich die Abstim-
mung und bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer,
mit der Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis wird Ih-
nen später bekannt gegeben.1)
Wir setzen die namentlichen Abstimmungen fort und
kommen zu dem Entschließungsantrag der Fraktion Die
Linke auf Drucksache 17/3708, zu dem ebenfalls namentliche Abstimmung verlangt wurde. Ich bitte die
Schriftführerinnen und Schriftführer, die Plätze einzunehmen. - Sind alle Urnen besetzt? - Das scheint der
Fall zu sein. Dann eröffne ich die Abstimmung.
Haben alle, die das wollen, ihre Stimmkarte abgeben
können? - Alle konnten ihre Stimmkarte abgeben?
({0})
- Noch nicht. - Konnten jetzt alle ihre Stimmkarte abge-
ben? - Das ist nun der Fall. Dann schließe ich die Ab-
stimmung. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schrift-
führer, mit der Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis
wird Ihnen ebenfalls später bekannt gegeben.2)
Verabredungsgemäß erteile ich jetzt das Wort zu persönlichen Erklärungen nach § 31 unserer Geschäftsordnung, zunächst Kathrin Vogler.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Liebe Kolleginnen
und Kollegen, ich möchte doch noch einmal erklären,
warum ich dieses GKV-Finanzierungsgesetz abgelehnt
habe. Ich habe das getan als Mitglied einer gesetzlichen
Krankenkasse, das sich entschieden für eine Krankenversicherung einsetzen will, in der die Gesunden für die
Kranken und die finanziell Stärkeren für die finanziell
Schwächeren einstehen. Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf wird dieser verbliebene Rest an Solidarität aufgekündigt.
Mit dem, was Sie als einkommensunabhängige Zusatzbeiträge einführen, nämlich der Kopfpauschale, soll
ich als Bundestagsabgeordnete nächstes Jahr womöglich
den gleichen Zusatzbeitrag wie die Sachbearbeiterin in
meinem Büro zahlen. Ihr Beitrag erhöht sich dadurch
aber sehr viel stärker als meiner. Das halte ich für ungerecht - und die Sachbearbeiterin wahrscheinlich noch
mehr. Deswegen kann ich diesem Gesetzentwurf nicht
zustimmen.
({0})
Sie halten uns entgegen, man könne die Zusatzbei-
träge minimieren, indem man die Kasse wechsele. Als
1) Ergebnis Seite 7878 A
2) Ergebnis Seite 7880 C
Mitglied der Deutschen Multiple Sklerose Gesellschaft
kenne ich viele kranke Menschen, chronisch kranke und
behinderte Menschen, die dauerhaft in ärztlicher Behandlung sind. Gerade für sie ist ein Kassenwechsel oft
mit großen Problemen und Ängsten verbunden. Weil ich
diese Ängste ernst nehme, muss ich diesen Gesetzentwurf ablehnen.
({1})
- Herr Lanfermann, es ist nicht Ihre Entscheidung, ob
ich hier zur Abstimmung rede oder nicht, sondern die
der Präsidentin.
Es geht hier um persönliche Erklärungen zur Abstimmung. Das muss gewährleistet sein.
Ich habe deshalb häufig die besorgte Frage von Bürgerinnen und Bürgern im Wahlkreis gehört, ob sie sich
ihre Krankenkasse im nächsten Jahr überhaupt noch leisten können. Ich finde diese Frage nur zu berechtigt, auch
angesichts des Wahltarifs in Bezug auf die sogenannte
Kostenerstattung, bei der man das Geld für die Arztrechnung aus eigener Tasche vorstrecken kann. Wer soll das
machen? Vor allem Behinderte und chronisch Kranke
werden sich das nicht leisten können. Sie werden es sich
auch nicht leisten können, auf einem Teil ihrer Behandlungskosten sitzen zu bleiben. Deswegen halte ich den
Gesetzentwurf für diskriminierend und ausgrenzend und
habe dagegengestimmt.
Ich habe auch deshalb gegen den Gesetzentwurf gestimmt, weil unter Ausschaltung der Rechte der Opposition erst vor vier Tagen durch einen Änderungsantrag ein
völlig neuer Sachverhalt hineingeschmuggelt wurde. Die
umstrittene elektronische Gesundheitskarte soll jetzt beschleunigt eingeführt werden. Mindestens 10 Prozent
der Versicherten sollen innerhalb eines Jahres damit ausgestattet werden. Schaffen die Krankenkassen das nicht,
dann werden sie finanziell bestraft.
Für mich sind in diesem Punkt noch zu viele Fragen
offen, die wir nicht in einem ordentlichen parlamentarischen Verfahren klären konnten, zum Beispiel zur Datensicherheit und zu den immensen Kosten, die dieses
Projekt zur Karte 21 machen könnten. Das kann ich
nicht verantworten.
Aus all diesen Gründen habe ich den Gesetzentwurf
abgelehnt.
({0})
Das Wort hat jetzt die Kollegin Dr. Martina Bunge.
({0})
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt
- Ich weise noch einmal darauf hin, dass es hier um persönliche Erklärungen und nicht um eine Verlängerung
der Debatte geht.
Danke, Frau Präsidentin. - Verehrte Kollegen und
Kolleginnen! Ich lehne den Gesetzentwurf ab, weil Sie
zwar vorgeben, damit eine nachhaltige und sozial ausgewogene Finanzierung zu erreichen - so heißt es zumindest im Titel des Entwurfs -, weil Sie aber tatsächlich
durch die Hintertür die Kopfpauschale einführen, die
Beiträge der Arbeitgeber einfrieren und die Versicherten
künftig mit allen Kostensteigerungen allein lassen. So
zerschlägt Schwarz-Gelb die solidarische Krankenversicherung.
({0})
Das kann ich nicht mit meinem Gewissen vereinbaren,
Herr Lanfermann.
({1})
Das ist zutiefst sozial ungerecht.
({2})
Deshalb stimme ich gegen diesen Gesetzentwurf.
({3})
Ich lehne den Gesetzentwurf ab, weil Sie des Weiteren den Angleichungsprozess der Bundesländer nicht
nur zwischen Ost und West, sondern auch zwischen
Nord und Süd aufhalten. Ganz massiv wirkt sich das beispielsweise auf die Krankenhäuser in meinem Bundesland Mecklenburg-Vorpommern aus. Dort haben wir den
niedrigsten Landesbasisfallwert der Bundesrepublik.
Der Fahrplan hin zu einem einheitlichen Wert für das gesamte Bundesgebiet war bereits geregelt. Sie kippen das
Ganze. Die Zeit ist reif, dass eine Blinddarmoperation in
Mecklenburg-Vorpommern das gleiche Geld bringt wie
eine Blinddarmoperation in Rheinland-Pfalz.
({4})
Es mag zwar regionale Unterschiede geben, aber wenn
Sie in diesem Bereich auf Wettbewerb setzen, dann kann
ich dieser Ausrichtung nicht folgen.
({5})
Im Übrigen bringt die unterschiedliche Bezahlung,
die Sie beibehalten wollen, die Krankenhäuser weiter in
Bedrängnis. Wenn das Geld fehlt, geht das zulasten der
Beschäftigten und der Patientinnen und Patienten. Kollege Monstadt, es trifft nicht zu, dass alles gut weitergehen kann. Alle Kalkulationen werden mit diesem Gesetzentwurf null und nichtig.
Frau Bunge, ich muss Sie darauf hinweisen, dass der
Disput mit anderen Abgeordneten
({0})
keine persönliche Erklärung, sondern eine Verlängerung
der Debatte ist.
Gut. Ich lasse den Namen weg.
({0})
Der Punkt ist vorhin betont worden.
({1})
Die Frage ist jetzt, ob Löhne erhöht werden oder Personal aufgestockt wird. Beides wäre nötig. Aber das unterbinden Sie. Deshalb lehne ich den Gesetzentwurf ab.
({2})
Ich lehne ihn auch deshalb ab, weil er unnötig ist. Der
Umstieg in die Kopfpauschale könnte mit einer Sofortmaßnahme vermieden werden. Das Milliardenloch
könnte anders gestopft werden.
Wir schlagen vor, die Verschiebebahnhöfe zwischen
den Sozialversicherungskassen, zum Beispiel bei den
Arbeitslosengeld-II-Bezieherinnen und -Beziehern, endlich zu beseitigen. Dann wäre das Gesetz unnötig, und
wir könnten uns in Ruhe mit einer solidarischen Lösung
für das Gesundheitssystem beschäftigen. Die Bevölkerung ist für dieses System. 80 Prozent stehen dahinter.
Wir müssen es erhalten und ausbauen, wir müssen es fitmachen für die Zukunft. Eine Bürgerinnen- und Bürgerversicherung wäre der beste Weg.
Da Sie nicht vernünftig diskutieren, sondern alles in
drei Sitzungswochen durchziehen, lehne ich den Gesetzentwurf ab.
({3})
Ich weise ein letztes Mal darauf hin, dass es sich um
persönliche Erklärungen handeln muss.
({0})
Dazu gehört es gegebenenfalls auch nicht, die Positionen
der eigenen Fraktionen darzustellen. Diesen Unterschied
müssen wir machen.
Als Nächster hat Harald Weinberg das Wort.
({1})
Sehr geehrte Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Ich lehne dieses Gesetz ab und habe dagegen gestimmt, weil diese RegelunHarald Weinberg
gen dazu führen, dass das kommunale Klinikum in
meiner Heimatstadt Nürnberg mit Sicherheit in eine
schwierige finanzielle Lage kommt. Bis vor einem Jahr
war ich Stadtrat in meiner Heimatstadt und damit auch
mitverantwortlich für das kommunale Klinikum. Als
Verdi-Mitglied bin ich ebenfalls mitverantwortlich für
die Mitarbeiter in diesem Klinikum.
Das genannte Krankenhaus hat es mit Mühe geschafft, im letzten Jahr wieder in die schwarzen Zahlen
zu kommen. Insgesamt steigen die Erlöse pro Fall für die
Krankenhäuser im Jahr 2011 gerade einmal um
0,9 Prozent. Damit können die Krankenhäuser die Tarifsteigerungen nicht bezahlen. Der Marburger Bund
- Herr Henke wird das als Vorsitzender sicher bestätigen
können - wird sich nicht mit einer Steigerung von
1 Prozent abspeisen lassen. Umso weniger Geld wird es
für die berechtigten Forderungen von Verdi und der
Krankenpflegerinnen und Krankenpfleger geben.
Hinzu kommen die steigenden Sachkosten. Nach meiner Auffassung wird die Folge ein noch höherer Druck
auf die Beschäftigten in den Krankenhäusern sein. Damit wird die Behandlungsqualität zwangsläufig weiter
sinken. Dennoch werden die Sparbemühungen nicht ausreichen. Viele Krankenhäuser werden wie das Krankenhaus in meiner Heimatstadt Nürnberg wieder in die roten
Zahlen rutschen, und dann werden die Privatisierungsdiskussionen wieder anfangen.
Die Versicherten, die Patientinnen und Patienten sowie ein großer Teil der Beschäftigten im Gesundheitswesen zahlen die Zeche. Das ist kein Unfall, sondern die
Politik von CDU/CSU und FDP. Das ist ein Skandal.
Deshalb stimme ich diesem Gesetz nicht zu.
Es wird auch dazu führen, dass wir in den Kliniken
Personalabbau haben werden. Ich werde die Folgen dieses Gesetzes in der Öffentlichkeit thematisieren. Ich
werde versuchen, den Menschen zu vermitteln, dass
diese Bundesregierung, die sich gegen die Mehrheit der
Menschen durchgesetzt hat, abgewählt gehört, und das
einzig Gute an diesem Gesetz ist, dass es 2013 wieder
einkassiert werden kann.
Danke.
({0})
Der Kollege Ilja Seifert hat seine Erklärung schrift-
lich abgegeben. Jetzt hat die Kollegin Senger-Schäfer
das Wort.1)
Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen!
Auch ich möchte eine persönliche Erklärung dazu abge-
ben, warum ich diesem Gesetz nicht zustimme. Ich
stimme dagegen, weil dieses Gesetz in seinen zukünfti-
gen Auswirkungen auf die gesundheitliche Versorgung
der Bürgerinnen und Bürger nach meiner Auffassung
einmalig ist. Diese Einmaligkeit seiner Auswirkungen
1) Anlage 2
veranlasst mich, von meinem parlamentarischen Recht
Gebrauch zu machen, mein Abstimmungsverhalten vor
dem Deutschen Bundestag zu begründen.
Ich stimme dem vorliegenden Gesetzentwurf nicht
zu; denn dieses Gesetz wird das seit 127 Jahren bestehende Solidarprinzip als Fundament der solidarischen
und paritätischen Finanzierung des Gesundheitssystems
in nie dagewesener Weise beschädigen.
Ich stimme dagegen, weil, anstatt das Solidarprinzip
in der gesetzlichen Krankenversicherung auszubauen
und weiterzuentwickeln, heute mit den Stimmen von
Union und FDP die Solidarität zwischen den Gesunden
und den Kranken, den Armen und den Reichen und zwischen den Jungen und den Alten folgenschwer aufgekündigt wird.
Als pflegepolitische Sprecherin der Fraktion Die
Linke im Bundestag und als gewählte Vertreterin der
Menschen in meinem Wahlkreis Ludwigshafen/
Frankenthal, im Rhein-Pfalz-Kreis und darüber hinaus
muss ich der Tatsache Rechnung tragen, dass das zur
Abstimmung gestellte Finanzierungsgesetz an den Bedürfnissen der Versicherten, der Patienten und insbesondere der pflegebedürftigen Menschen komplett vorbeigeht.
({0})
Dieses Gesetz setzt allein auf eine Finanzreform und
folgt dabei dem Kalkül, das Erfordernis der Zustimmung
durch den Bundesrat zu umgehen.
({1})
- Wer schreit, hat unrecht.
({2})
Im Wesentlichen wird damit auf eine einseitige Erhöhung der Abgabenlast gesetzt. Das ist für mich inakzeptabel. Ich erachte es für notwendig, dass bei Reformprojekten im Gesundheitsbereich gerade den Wünschen und
Bedürfnissen der Patientinnen und Patienten und der
pflegebedürftigen Menschen entsprochen wird.
Frau Kollegin, kommen Sie jetzt zum persönlichen
Teil Ihrer persönlichen Erklärung?
({0})
Ich stimme dagegen, weil es keine Lösung ist, allein
auf die Finanzierung zu setzen. Für uns gilt: Gesundheit
ist keine Ware. Deshalb stimme ich dagegen.
({0})
Ich gebe Ihnen jetzt die von den Schriftführerinnen
und Schriftführern ermittelten Ergebnisse der namentlichen Abstimmungen bekannt.
Ich komme zunächst zum Entwurf eines Gesetzes zur
nachhaltigen und sozial ausgewogenen Finanzierung der
Gesetzlichen Krankenversicherung, Drucksachen 17/3040
und 17/3696. Abgegebene Stimmen 559. Mit Ja haben
gestimmt 306, mit Nein haben gestimmt 253.
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 558;
davon
ja: 305
nein: 253
Ja
CDU/CSU
Ilse Aigner
Peter Altmaier
Peter Aumer
Thomas Bareiß
Norbert Barthle
Günter Baumann
Ernst-Reinhard Beck
({0})
Manfred Behrens ({1})
Veronika Bellmann
Dr. Christoph Bergner
Peter Beyer
Steffen Bilger
Clemens Binninger
Dr. Maria Böhmer
Wolfgang Börnsen
({2})
Wolfgang Bosbach
Norbert Brackmann
Klaus Brähmig
Michael Brand
Helmut Brandt
Dr. Ralf Brauksiepe
Dr. Helge Braun
Heike Brehmer
Ralph Brinkhaus
Gitta Connemann
Leo Dautzenberg
Alexander Dobrindt
Thomas Dörflinger
Marie-Luise Dött
Dr. Thomas Feist
Enak Ferlemann
Ingrid Fischbach
Hartwig Fischer ({3})
Dirk Fischer ({4})
Axel E. Fischer ({5})
Dr. Maria Flachsbarth
Dr. Hans-Peter Friedrich
({6})
Erich G. Fritz
Hans-Joachim Fuchtel
Alexander Funk
Ingo Gädechens
Dr. Thomas Gebhart
Norbert Geis
Alois Gerig
Eberhard Gienger
Michael Glos
Peter Götz
Dr. Wolfgang Götzer
Reinhard Grindel
Hermann Gröhe
Michael Grosse-Brömer
Markus Grübel
Manfred Grund
Monika Grütters
Dr. Karl-Theodor Freiherr
zu Guttenberg
Olav Gutting
Florian Hahn
Holger Haibach
Dr. Stephan Harbarth
Jürgen Hardt
Gerda Hasselfeldt
Dr. Matthias Heider
Mechthild Heil
Ursula Heinen-Esser
Frank Heinrich
Rudolf Henke
Michael Hennrich
Jürgen Herrmann
Ansgar Heveling
Ernst Hinsken
Peter Hintze
Christian Hirte
Robert Hochbaum
Franz-Josef Holzenkamp
Joachim Hörster
Anette Hübinger
Thomas Jarzombek
Dieter Jasper
Dr. Franz Josef Jung
Andreas Jung ({7})
Dr. Egon Jüttner
Bartholomäus Kalb
Hans-Werner Kammer
Steffen Kampeter
Alois Karl
Bernhard Kaster
Siegfried Kauder ({8})
Volker Kauder
Dr. Stefan Kaufmann
Roderich Kiesewetter
Eckart von Klaeden
Ewa Klamt
Volkmar Klein
Jürgen Klimke
Axel Knoerig
Jens Koeppen
Dr. Kristina Schröder
Manfred Kolbe
Hartmut Koschyk
Thomas Kossendey
Michael Kretschmer
Gunther Krichbaum
Dr. Günter Krings
Rüdiger Kruse
Bettina Kudla
Dr. Hermann Kues
Günter Lach
Andreas G. Lämmel
Katharina Landgraf
Ulrich Lange
Dr. Max Lehmer
Paul Lehrieder
Dr. Ursula von der Leyen
Ingbert Liebing
Matthias Lietz
Dr. Carsten Linnemann
Patricia Lips
Dr. Jan-Marco Luczak
Dr. Michael Luther
Karin Maag
Dr. Thomas de Maizière
Hans-Georg von der Marwitz
Andreas Mattfeldt
Stephan Mayer ({9})
Dr. Michael Meister
Maria Michalk
Dr. h. c. Hans Michelbach
Dr. Mathias Middelberg
Philipp Mißfelder
Marlene Mortler
Stefan Müller ({10})
Nadine Schön ({11})
Dr. Philipp Murmann
Bernd Neumann ({12})
Michaela Noll
Dr. Georg Nüßlein
Franz Obermeier
Henning Otte
Dr. Michael Paul
Rita Pawelski
Ulrich Petzold
Dr. Joachim Pfeiffer
Sibylle Pfeiffer
Beatrix Philipp
Ronald Pofalla
Christoph Poland
Ruprecht Polenz
Eckhard Pols
Daniela Raab
Dr. Peter Ramsauer
Eckhardt Rehberg
Katherina Reiche ({13})
Lothar Riebsamen
Josef Rief
Klaus Riegert
Dr. Heinz Riesenhuber
Johannes Röring
Dr. Christian Ruck
Erwin Rüddel
Albert Rupprecht ({14})
Anita Schäfer ({15})
Dr. Andreas Scheuer
Karl Schiewerling
Tankred Schipanski
Georg Schirmbeck
Christian Schmidt ({16})
Patrick Schnieder
Dr. Andreas Schockenhoff
Dr. Ole Schröder
Bernhard Schulte-Drüggelte
Uwe Schummer
Armin Schuster ({17})
Detlef Seif
Johannes Selle
Reinhold Sendker
Dr. Patrick Sensburg
Bernd Siebert
Thomas Silberhorn
Johannes Singhammer
Carola Stauche
Dr. Frank Steffel
Erika Steinbach
Christian Freiherr von Stetten
Dieter Stier
Gero Storjohann
Karin Strenz
Thomas Strobl ({18})
Lena Strothmann
Michael Stübgen
Dr. Peter Tauber
Antje Tillmann
Dr. Hans-Peter Uhl
Arnold Vaatz
Volkmar Vogel ({19})
Stefanie Vogelsang
Andrea Astrid Voßhoff
Dr. Johann Wadephul
Marco Wanderwitz
Kai Wegner
Marcus Weinberg ({20})
Peter Weiß ({21})
Sabine Weiss ({22})
Karl-Georg Wellmann
Peter Wichtel
Annette Widmann-Mauz
Klaus-Peter Willsch
Elisabeth WinkelmeierBecker
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt
Dr. Matthias Zimmer
Wolfgang Zöller
Willi Zylajew
FDP
Christian Ahrendt
Christine AschenbergDugnus
Daniel Bahr ({23})
Florian Bernschneider
Sebastian Blumenthal
Claudia Bögel
Klaus Breil
Rainer Brüderle
Angelika Brunkhorst
Ernst Burgbacher
Marco Buschmann
Sylvia Canel
Helga Daub
Reiner Deutschmann
Dr. Bijan Djir-Sarai
Patrick Döring
Mechthild Dyckmans
Rainer Erdel
Jörg van Essen
Otto Fricke
Dr. Edmund Peter Geisen
Hans-Michael Goldmann
Heinz Golombeck
Miriam Gruß
Joachim Günther ({24})
Dr. Christel Happach-Kasan
Heinz-Peter Haustein
Manuel Höferlin
Elke Hoff
Birgit Homburger
Dr. Werner Hoyer
Heiner Kamp
Michael Kauch
Dr. Lutz Knopek
Pascal Kober
Dr. Heinrich L. Kolb
Gudrun Kopp
Dr. h. c. Jürgen Koppelin
Sebastian Körber
Holger Krestel
Patrick Kurth ({25})
Heinz Lanfermann
Sibylle Laurischk
Harald Leibrecht
Sabine LeutheusserSchnarrenberger
Lars Lindemann
Christian Lindner
Dr. Martin Lindner ({26})
Michael Link ({27})
Dr. Erwin Lotter
Horst Meierhofer
Patrick Meinhardt
Gabriele Molitor
Petra Müller ({28})
Burkhardt Müller-Sönksen
Dr. Martin Neumann
({29})
Dirk Niebel
Hans-Joachim Otto
({30})
Gisela Piltz
Dr. Christiane RatjenDamerau
Dr. Birgit Reinemund
Dr. Peter Röhlinger
Björn Sänger
Christoph Schnurr
Marina Schuster
Werner Simmling
Judith Skudelny
Dr. Hermann Otto Solms
Joachim Spatz
Dr. Max Stadler
Torsten Staffeldt
Florian Toncar
Serkan Tören
Johannes Vogel
({31})
Dr. Daniel Volk
Dr. Guido Westerwelle
Dr. Claudia Winterstein
Dr. Volker Wissing
Hartfrid Wolff ({32})
Nein
CDU/CSU
Josef Göppel
Max Straubinger
SPD
Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Heinz-Joachim Barchmann
Doris Barnett
Dr. Hans-Peter Bartels
Klaus Barthel
Sören Bartol
Bärbel Bas
Dirk Becker
Uwe Beckmeyer
Lothar Binding ({33})
Gerd Bollmann
Klaus Brandner
Willi Brase
Bernhard Brinkmann
({34})
Edelgard Bulmahn
Ulla Burchardt
Petra Crone
Dr. Peter Danckert
Martin Dörmann
Garrelt Duin
Sebastian Edathy
Siegmund Ehrmann
Dr. h. c. Gernot Erler
Petra Ernstberger
Gabriele Fograscher
Dr. Edgar Franke
Dagmar Freitag
Peter Friedrich
Sigmar Gabriel
Michael Gerdes
Martin Gerster
Iris Gleicke
Günter Gloser
Angelika Graf ({35})
Michael Groschek
Michael Groß
Wolfgang Gunkel
Hans-Joachim Hacker
Bettina Hagedorn
Michael Hartmann
({36})
Hubertus Heil ({37})
Rolf Hempelmann
Dr. Barbara Hendricks
Gabriele Hiller-Ohm
Petra Hinz ({38})
Frank Hofmann ({39})
Dr. Eva Högl
Josip Juratovic
Oliver Kaczmarek
Johannes Kahrs
Ulrich Kelber
Lars Klingbeil
Hans-Ulrich Klose
Dr. Bärbel Kofler
Daniela Kolbe ({40})
Anette Kramme
Nicolette Kressl
Angelika Krüger-Leißner
Ute Kumpf
Christine Lambrecht
Christian Lange ({41})
Steffen-Claudio Lemme
Burkhard Lischka
Gabriele Lösekrug-Möller
Katja Mast
Hilde Mattheis
Petra Merkel ({42})
Dr. Matthias Miersch
Franz Müntefering
Dr. Rolf Mützenich
Manfred Nink
Thomas Oppermann
Holger Ortel
Aydan Özoğuz
Heinz Paula
Johannes Pflug
Joachim Poß
Dr. Wilhelm Priesmeier
Dr. Sascha Raabe
Mechthild Rawert
Gerold Reichenbach
Dr. Carola Reimann
Sönke Rix
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Karin Roth ({43})
Michael Roth ({44})
Marlene Rupprecht
({45})
Anton Schaaf
Axel Schäfer ({46})
Marianne Schieder
({47})
Werner Schieder ({48})
Silvia Schmidt ({49})
Olaf Scholz
Swen Schulz ({50})
Ewald Schurer
Frank Schwabe
Rolf Schwanitz
Stefan Schwartze
Rita Schwarzelühr-Sutter
Sonja Steffen
Peer Steinbrück
Dr. Frank-Walter Steinmeier
Christoph Strässer
Kerstin Tack
Franz Thönnes
Wolfgang Tiefensee
Rüdiger Veit
Dr. Marlies Volkmer
Heidemarie Wieczorek-Zeul
Dr. Dieter Wiefelspütz
Waltraud Wolff
({51})
Manfred Zöllmer
Brigitte Zypries
DIE LINKE
Agnes Alpers
Dr. Dietmar Bartsch
Herbert Behrens
Matthias W. Birkwald
Heidrun Bluhm
Steffen Bockhahn
Eva Bulling-Schröter
Roland Claus
Sevim Dağdelen
Dr. Diether Dehm
Heidrun Dittrich
Werner Dreibus
Dr. Dagmar Enkelmann
Wolfgang Gehrcke
Nicole Gohlke
Diana Golze
Annette Groth
Heike Hänsel
Inge Höger
Dr. Barbara Höll
Andrej Hunko
Ulla Jelpke
Katja Kipping
Harald Koch
Jan Korte
Jutta Krellmann
Katrin Kunert
Sabine Leidig
Michael Leutert
Ulla Lötzer
Thomas Lutze
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt
Ulrich Maurer
Dorothee Menzner
Kornelia Möller
Wolfgang Nešković
Thomas Nord
Jens Petermann
Richard Pitterle
Yvonne Ploetz
Ingrid Remmers
Paul Schäfer ({52})
Dr. Ilja Seifert
Raju Sharma
Dr. Petra Sitte
Kersten Steinke
Sabine Stüber
Alexander Süßmair
Dr. Kirsten Tackmann
Dr. Axel Troost
Alexander Ulrich
Johanna Voß
Harald Weinberg
Jörn Wunderlich
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Kerstin Andreae
Marieluise Beck ({53})
Volker Beck ({54})
Cornelia Behm
Viola von Cramon-Taubadel
Ekin Deligöz
Katja Dörner
Hans-Josef Fell
Dr. Thomas Gambke
Kai Gehring
Britta Haßelmann
Bettina Herlitzius
Winfried Hermann
Priska Hinz ({55})
Ulrike Höfken
Dr. Anton Hofreiter
Thilo Hoppe
Uwe Kekeritz
Katja Keul
Memet Kilic
Sven-Christian Kindler
Maria Klein-Schmeink
Ute Koczy
Tom Koenigs
Sylvia Kotting-Uhl
Oliver Krischer
Agnes Krumwiede
Fritz Kuhn
Stephan Kühn
Renate Künast
Markus Kurth
Undine Kurth ({56})
Nicole Maisch
Agnes Malczak
Jerzy Montag
Kerstin Müller ({57})
Beate Müller-Gemmeke
Ingrid Nestle
Dr. Konstantin von Notz
Omid Nouripour
Friedrich Ostendorff
Dr. Hermann Ott
Lisa Paus
Brigitte Pothmer
Tabea Rößner
Claudia Roth ({58})
Manuel Sarrazin
Elisabeth Scharfenberg
Christine Scheel
Dr. Frithjof Schmidt
Dorothea Steiner
Dr. Wolfgang StrengmannKuhn
Hans-Christian Ströbele
Markus Tressel
Jürgen Trittin
Daniela Wagner
Dr. Valerie Wilms
Josef Philip Winkler
Jetzt komme ich zur namentlichen Abstimmung über
den Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke
- Drucksachen 17/3708 und 17/3696 - zum Entwurf
eines Gesetzes zur nachhaltigen und sozial ausgewogenen Finanzierung der Gesetzlichen Krankenversicherung. Abgegebene Stimmen 555. Mit Ja haben gestimmt 61, mit Nein haben gestimmt 308. Enthaltungen
gab es 186.
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 555;
davon
ja: 61
nein: 308
enthalten: 186
Ja
DIE LINKE
Agnes Alpers
Dr. Dietmar Bartsch
Herbert Behrens
Matthias W. Birkwald
Heidrun Bluhm
Steffen Bockhahn
Eva Bulling-Schröter
Roland Claus
Sevim Dağdelen
Dr. Diether Dehm
Heidrun Dittrich
Werner Dreibus
Dr. Dagmar Enkelmann
Wolfgang Gehrcke
Nicole Gohlke
Diana Golze
Annette Groth
Heike Hänsel
Inge Höger
Dr. Barbara Höll
Andrej Hunko
Ulla Jelpke
Harald Koch
Jan Korte
Jutta Krellmann
Katrin Kunert
Sabine Leidig
Michael Leutert
Ulla Lötzer
Thomas Lutze
Ulrich Maurer
Dorothee Menzner
Kornelia Möller
Wolfgang Nešković
Thomas Nord
Jens Petermann
Richard Pitterle
Yvonne Ploetz
Ingrid Remmers
Paul Schäfer ({59})
Dr. Ilja Seifert
Raju Sharma
Dr. Petra Sitte
Kersten Steinke
Sabine Stüber
Alexander Süßmair
Dr. Kirsten Tackmann
Alexander Ulrich
Johanna Voß
Harald Weinberg
Jörn Wunderlich
Nein
CDU/CSU
Ilse Aigner
Peter Altmaier
Peter Aumer
Thomas Bareiß
Norbert Barthle
Günter Baumann
Ernst-Reinhard Beck
({60})
Manfred Behrens ({61})
Veronika Bellmann
Dr. Christoph Bergner
Peter Beyer
Steffen Bilger
Clemens Binninger
Dr. Maria Böhmer
Wolfgang Börnsen
({62})
Wolfgang Bosbach
Norbert Brackmann
Klaus Brähmig
Michael Brand
Helmut Brandt
Dr. Ralf Brauksiepe
Dr. Helge Braun
Heike Brehmer
Ralph Brinkhaus
Gitta Connemann
Leo Dautzenberg
Alexander Dobrindt
Thomas Dörflinger
Marie-Luise Dött
Dr. Thomas Feist
Enak Ferlemann
Ingrid Fischbach
Hartwig Fischer ({63})
Dirk Fischer ({64})
Axel E. Fischer ({65})
Dr. Maria Flachsbarth
Dr. Hans-Peter Friedrich
({66})
Erich G. Fritz
Hans-Joachim Fuchtel
Alexander Funk
Ingo Gädechens
Dr. Thomas Gebhart
Norbert Geis
Alois Gerig
Eberhard Gienger
Michael Glos
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt
Josef Göppel
Peter Götz
Dr. Wolfgang Götzer
Reinhard Grindel
Hermann Gröhe
Michael Grosse-Brömer
Markus Grübel
Manfred Grund
Monika Grütters
Dr. Karl-Theodor Freiherr
zu Guttenberg
Olav Gutting
Florian Hahn
Holger Haibach
Dr. Stephan Harbarth
Jürgen Hardt
Gerda Hasselfeldt
Dr. Matthias Heider
Mechthild Heil
Ursula Heinen-Esser
Frank Heinrich
Rudolf Henke
Michael Hennrich
Jürgen Herrmann
Ansgar Heveling
Ernst Hinsken
Peter Hintze
Christian Hirte
Robert Hochbaum
Franz-Josef Holzenkamp
Joachim Hörster
Anette Hübinger
Thomas Jarzombek
Dieter Jasper
Dr. Franz Josef Jung
Andreas Jung ({67})
Dr. Egon Jüttner
Bartholomäus Kalb
Hans-Werner Kammer
Steffen Kampeter
Alois Karl
Bernhard Kaster
Siegfried Kauder ({68})
Volker Kauder
Dr. Stefan Kaufmann
Roderich Kiesewetter
Eckart von Klaeden
Ewa Klamt
Volkmar Klein
Jürgen Klimke
Axel Knoerig
Jens Koeppen
Dr. Kristina Schröder
Manfred Kolbe
Hartmut Koschyk
Thomas Kossendey
Michael Kretschmer
Gunther Krichbaum
Dr. Günter Krings
Rüdiger Kruse
Bettina Kudla
Dr. Hermann Kues
Günter Lach
Andreas G. Lämmel
Katharina Landgraf
Ulrich Lange
Dr. Max Lehmer
Paul Lehrieder
Dr. Ursula von der Leyen
Ingbert Liebing
Matthias Lietz
Dr. Carsten Linnemann
Patricia Lips
Dr. Jan-Marco Luczak
Dr. Michael Luther
Karin Maag
Dr. Thomas de Maizière
Hans-Georg von der Marwitz
Andreas Mattfeldt
Stephan Mayer ({69})
Dr. Michael Meister
Maria Michalk
Dr. h. c. Hans Michelbach
Dr. Mathias Middelberg
Philipp Mißfelder
Marlene Mortler
Stefan Müller ({70})
Nadine Schön ({71})
Dr. Philipp Murmann
Bernd Neumann ({72})
Michaela Noll
Dr. Georg Nüßlein
Franz Obermeier
Henning Otte
Dr. Michael Paul
Rita Pawelski
Ulrich Petzold
Dr. Joachim Pfeiffer
Sibylle Pfeiffer
Beatrix Philipp
Ronald Pofalla
Christoph Poland
Ruprecht Polenz
Eckhard Pols
Daniela Raab
Dr. Peter Ramsauer
Eckhardt Rehberg
Katherina Reiche ({73})
Lothar Riebsamen
Josef Rief
Klaus Riegert
Dr. Heinz Riesenhuber
Johannes Röring
Dr. Christian Ruck
Erwin Rüddel
Albert Rupprecht ({74})
Anita Schäfer ({75})
Dr. Andreas Scheuer
Karl Schiewerling
Tankred Schipanski
Georg Schirmbeck
Christian Schmidt ({76})
Patrick Schnieder
Dr. Andreas Schockenhoff
Dr. Ole Schröder
Bernhard Schulte-Drüggelte
Uwe Schummer
Armin Schuster ({77})
Detlef Seif
Johannes Selle
Reinhold Sendker
Dr. Patrick Sensburg
Bernd Siebert
Thomas Silberhorn
Johannes Singhammer
Carola Stauche
Dr. Frank Steffel
Erika Steinbach
Christian Freiherr von Stetten
Dieter Stier
Gero Storjohann
Max Straubinger
Karin Strenz
Thomas Strobl ({78})
Lena Strothmann
Michael Stübgen
Dr. Peter Tauber
Antje Tillmann
Dr. Hans-Peter Uhl
Arnold Vaatz
Volkmar Vogel ({79})
Stefanie Vogelsang
Andrea Astrid Voßhoff
Dr. Johann Wadephul
Marco Wanderwitz
Kai Wegner
Marcus Weinberg ({80})
Peter Weiß ({81})
Sabine Weiss ({82})
Karl-Georg Wellmann
Peter Wichtel
Annette Widmann-Mauz
Klaus-Peter Willsch
Elisabeth WinkelmeierBecker
Dr. Matthias Zimmer
Wolfgang Zöller
Willi Zylajew
SPD
Bernhard Brinkmann
({83})
FDP
Christian Ahrendt
Christine AschenbergDugnus
Daniel Bahr ({84})
Florian Bernschneider
Sebastian Blumenthal
Claudia Bögel
Klaus Breil
Rainer Brüderle
Angelika Brunkhorst
Ernst Burgbacher
Marco Buschmann
Sylvia Canel
Helga Daub
Reiner Deutschmann
Dr. Bijan Djir-Sarai
Patrick Döring
Mechthild Dyckmans
Rainer Erdel
Jörg van Essen
Otto Fricke
Dr. Edmund Peter Geisen
Hans-Michael Goldmann
Heinz Golombeck
Miriam Gruß
Joachim Günther ({85})
Dr. Christel Happach-Kasan
Heinz-Peter Haustein
Manuel Höferlin
Elke Hoff
Birgit Homburger
Dr. Werner Hoyer
Heiner Kamp
Michael Kauch
Dr. Lutz Knopek
Pascal Kober
Dr. Heinrich L. Kolb
Gudrun Kopp
Dr. h. c. Jürgen Koppelin
Sebastian Körber
Holger Krestel
Patrick Kurth ({86})
Heinz Lanfermann
Sibylle Laurischk
Harald Leibrecht
Sabine LeutheusserSchnarrenberger
Lars Lindemann
Christian Lindner
Dr. Martin Lindner ({87})
Michael Link ({88})
Dr. Erwin Lotter
Horst Meierhofer
Patrick Meinhardt
Gabriele Molitor
Petra Müller ({89})
Burkhardt Müller-Sönksen
Dr. Martin Neumann
({90})
Dirk Niebel
Hans-Joachim Otto
({91})
Gisela Piltz
Dr. Christiane RatjenDamerau
Dr. Birgit Reinemund
Dr. Peter Röhlinger
Björn Sänger
Christoph Schnurr
Marina Schuster
Werner Simmling
Judith Skudelny
Dr. Hermann Otto Solms
Joachim Spatz
Dr. Max Stadler
Torsten Staffeldt
Florian Toncar
Serkan Tören
Johannes Vogel
({92})
Dr. Daniel Volk
Dr. Guido Westerwelle
Dr. Claudia Winterstein
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt
Dr. Volker Wissing
Hartfrid Wolff ({93})
Enthalten
SPD
Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Heinz-Joachim Barchmann
Doris Barnett
Dr. Hans-Peter Bartels
Klaus Barthel
Sören Bartol
Bärbel Bas
Dirk Becker
Uwe Beckmeyer
Lothar Binding ({94})
Gerd Bollmann
Klaus Brandner
Willi Brase
Edelgard Bulmahn
Ulla Burchardt
Petra Crone
Dr. Peter Danckert
Martin Dörmann
Garrelt Duin
Sebastian Edathy
Siegmund Ehrmann
Dr. h. c. Gernot Erler
Petra Ernstberger
Gabriele Fograscher
Dr. Edgar Franke
Dagmar Freitag
Peter Friedrich
Sigmar Gabriel
Michael Gerdes
Martin Gerster
Iris Gleicke
Günter Gloser
Angelika Graf ({95})
Michael Groschek
Michael Groß
Wolfgang Gunkel
Hans-Joachim Hacker
Bettina Hagedorn
Michael Hartmann
({96})
Hubertus Heil ({97})
Rolf Hempelmann
Dr. Barbara Hendricks
Gabriele Hiller-Ohm
Petra Hinz ({98})
Frank Hofmann ({99})
Dr. Eva Högl
Josip Juratovic
Oliver Kaczmarek
Johannes Kahrs
Ulrich Kelber
Lars Klingbeil
Hans-Ulrich Klose
Dr. Bärbel Kofler
Daniela Kolbe ({100})
Anette Kramme
Nicolette Kressl
Angelika Krüger-Leißner
Ute Kumpf
Christine Lambrecht
Christian Lange ({101})
Steffen-Claudio Lemme
Burkhard Lischka
Gabriele Lösekrug-Möller
Katja Mast
Hilde Mattheis
Petra Merkel ({102})
Dr. Matthias Miersch
Franz Müntefering
Dr. Rolf Mützenich
Manfred Nink
Thomas Oppermann
Holger Ortel
Aydan Özoğuz
Heinz Paula
Johannes Pflug
Joachim Poß
Dr. Wilhelm Priesmeier
Dr. Sascha Raabe
Mechthild Rawert
Gerold Reichenbach
Dr. Carola Reimann
Sönke Rix
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Karin Roth ({103})
Michael Roth ({104})
Marlene Rupprecht
({105})
Anton Schaaf
Axel Schäfer ({106})
Marianne Schieder
({107})
Werner Schieder ({108})
Silvia Schmidt ({109})
Olaf Scholz
Swen Schulz ({110})
Ewald Schurer
Frank Schwabe
Rolf Schwanitz
Stefan Schwartze
Rita Schwarzelühr-Sutter
Sonja Steffen
Peer Steinbrück
Dr. Frank-Walter Steinmeier
Christoph Strässer
Kerstin Tack
Franz Thönnes
Wolfgang Tiefensee
Rüdiger Veit
Dr. Marlies Volkmer
Heidemarie Wieczorek-Zeul
Dr. Dieter Wiefelspütz
Waltraud Wolff
({111})
Manfred Zöllmer
Brigitte Zypries
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Kerstin Andreae
Marieluise Beck ({112})
Volker Beck ({113})
Cornelia Behm
Viola von Cramon-Taubadel
Ekin Deligöz
Katja Dörner
Hans-Josef Fell
Dr. Thomas Gambke
Kai Gehring
Britta Haßelmann
Bettina Herlitzius
Winfried Hermann
Priska Hinz ({114})
Ulrike Höfken
Dr. Anton Hofreiter
Thilo Hoppe
Uwe Kekeritz
Katja Keul
Memet Kilic
Sven-Christian Kindler
Maria Klein-Schmeink
Ute Koczy
Tom Koenigs
Sylvia Kotting-Uhl
Oliver Krischer
Agnes Krumwiede
Fritz Kuhn
Stephan Kühn
Renate Künast
Markus Kurth
Undine Kurth ({115})
Nicole Maisch
Agnes Malczak
Jerzy Montag
Kerstin Müller ({116})
Beate Müller-Gemmeke
Ingrid Nestle
Dr. Konstantin von Notz
Omid Nouripour
Friedrich Ostendorff
Dr. Hermann Ott
Lisa Paus
Brigitte Pothmer
Tabea Rößner
Claudia Roth ({117})
Manuel Sarrazin
Elisabeth Scharfenberg
Christine Scheel
Dr. Frithjof Schmidt
Dr. Wolfgang StrengmannKuhn
Hans-Christian Ströbele
Markus Tressel
Jürgen Trittin
Daniela Wagner
Dr. Valerie Wilms
Josef Philip Winkler
Ich komme jetzt zu den weiteren Entschließungsanträgen, zunächst zum Entschließungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 17/3707. Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der
Entschließungsantrag ist abgelehnt gegen die Stimmen
der einbringenden Fraktion und von Bündnis 90/Die
Grünen und mit den Stimmen von CDU/CSU und FDP.
Die Linke hat sich enthalten.
Ich komme zum Entschließungsantrag der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/3709. Wer
stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? Der Entschließungsantrag ist ebenfalls abgelehnt. Dafür
haben gestimmt Bündnis 90/Die Grünen und die Linke,
dagegen die Koalitionsfraktionen. Die Fraktion der SPD
hat sich enthalten.
Wir setzen die Abstimmung zu der Beschlussempfehlung des Ausschusses für Gesundheit auf Drucksache 17/3696 fort. Der Ausschuss empfiehlt unter
Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung, den Gesetzentwurf der Bundesregierung - Drucksachen 17/3360
und 17/3441 - für erledigt zu erklären. Wer stimmt für
diese Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist angenommen
mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und von
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt
Bündnis 90/Die Grünen. Dagegen hat die Linke gestimmt. Die SPD hat sich enthalten.
Tagesordnungspunkt 32 b. Der Ausschuss empfiehlt
unter Buchstabe c seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion der SPD auf Drucksache 17/3427 mit dem Titel „Patientenschutz statt Lobbyismus - Keine Vorkasse in der gesetzlichen Krankenversicherung“. Wer stimmt für die Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Damit ist die
Beschlussempfehlung angenommen mit den Stimmen
der Koalitionsfraktionen. Dagegen haben die Oppositionsfraktionen gestimmt.
Unter Buchstabe d seiner Beschlussempfehlung empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der
Fraktion Die Linke auf Drucksache 17/1238 mit dem Titel „Solidarische Bürgerinnen- und Bürgerversicherung
in Gesundheit und Pflege einführen“. Wer stimmt für die
Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist angenommen. Zugestimmt haben die Koalitionsfraktionen und
Bündnis 90/Die Grünen, dagegen gestimmt hat die Fraktion Die Linke. Die SPD-Fraktion hat sich enthalten.
Ich rufe jetzt Tagesordnungspunkt 33 auf:
Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Halina Wawzyniak, Ulla Jelpke, Jan Korte,
weiteren Abgeordneten und der Fraktion DIE
LINKE eingebrachten Entwurfs eines … Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes ({118})
- Drucksache 17/1199 Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses ({119})
- Drucksache 17/3609 Berichterstattung:
Abgeordnete Ingo Wellenreuther
Jimmy Schulz
Wolfgang Wieland
Über diesen Gesetzentwurf werden wir später namentlich abstimmen.
Es ist verabredet, hierzu eineinhalb Stunden zu debattieren. - Dazu sehe und höre ich keinen Widerspruch.
Ich gebe das Wort zunächst dem Abgeordneten Ingo
Wellenreuther für die CDU/CSU-Fraktion.
({120})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Zunächst einmal möchte ich ankündigen, dass ich versuchen will, den eingetretenen
Zeitverzug einigermaßen wettzumachen. Haben Sie also
keine Angst, wenn Sie auf die Rednerliste und die vorgesehene Redezeit blicken.
Wir haben heute zwar erst den 12. November, doch
die Linke möchte wohl schon das Weihnachtslied Alle
Jahre wieder anstimmen. Wieder einmal geht es um die
Forderung, direktdemokratische Elemente auf Bundesebene einzuführen,
({0})
um angeblich die Mitwirkungsmöglichkeit der Bevölkerung an der demokratischen Willensbildung zu stärken.
Ich habe zum Thema Volksabstimmung bereits mehrfach
an dieser Stelle gesprochen. Ich bin überzeugter Demokrat, und an meinen Argumenten zu dieser staatspolitischen Grundsatzfrage hat sich auch Jahre nach meiner
ersten Rede nichts geändert.
Ich wiederhole mich eigentlich nur ungern. Sollte dies
allerdings einen Lernprozess in Gang setzen und würden
dadurch die Vorzüge der parlamentarischen Demokratie
und des Grundgesetzes besser begriffen, so tue ich dies
natürlich gern.
Gerade von der Linken, die den heute zu behandelnden Gesetzentwurf vorgelegt hat, wissen wir allerdings,
dass sie sich mit der Demokratie immer noch schwertut.
({1})
Deshalb betreiben Sie mit Ihrem Gesetzentwurf vor allem eines: einen Etikettenschwindel. Dort, wo Sie vorgeben, die Demokratie stärken zu wollen, geht es Ihnen
nämlich in Wahrheit um eine populistische Forderung,
die mehr Risiken birgt, als Vorteile bringt. Gleichwohl
oder gerade deshalb möchte ich Ihnen wie schon in der
Vergangenheit darlegen, warum wir als CDU/CSU-Fraktion an den bewährten Prinzipien einer repräsentativen
Demokratie festhalten, wie sie die Väter und Mütter des
Grundgesetzes entwickelt haben, und warum wir die
Einführung einer dreistufigen Volksgesetzgebung in das
Grundgesetz ablehnen.
({2})
- Dazu komme ich noch.
Erstens ist festzustellen: Seit über 60 Jahren hat die
repräsentative Demokratie unserem Land Stabilität in
Frieden und Freiheit gegeben. Unser System hat sich seit
dem Zweiten Weltkrieg ausgezeichnet bewährt. Dies gilt
für wesentliche Meilensteine der Gesetzgebung genauso
wie für entschlossenes Handeln in Krisensituationen.
Natürlich stimmt es, dass dabei auch unpopuläre Entscheidungen auf den Weg gebracht wurden, aber mittelund langfristig wurden diese Entscheidungen allgemein
als richtig eingeschätzt und für gut befunden. Ich darf an
dieser Stelle als Beispiele die Wiederbewaffnung mit
dem Aufbau der Bundeswehr, den Beitritt der Bundesrepublik zur NATO oder den NATO-Doppelbeschluss nennen.
Zweitens ist nachvollziehbar, dass in der heutigen
Zeit der Globalisierung bei vielen Menschen die Sehn7884
sucht nach einfachen Antworten wächst. Aber einfache
Antworten gibt es in der Regel nicht. Realität ist, dass
gerade auf Bundesebene die Fragestellungen immer
komplizierter und komplexer werden.
({3})
Auf kommunaler und landespolitischer Ebene sind die
Entscheidungszusammenhänge meistens weniger komplex und die Fragestellungen auch überwiegend überschaubarer.
Meine Damen und Herren, ich bin durchaus ein Befürworter direkter Demokratie, allerdings in den Kommunen und auf Landesebene.
({4})
- Das erkläre ich Ihnen gleich. - Wo es um Problemlösungen vor Ort geht, ist die Einflussnahme des Bürgers
sinnvoll. Auf der regionalen Ebene ergänzen Bürgerinitiativen und Bürgerentscheide das repräsentative System
recht gut. Aber auf Bundesebene können Volksentscheide oder ähnliche Verfahren den oft komplexen Fragen unserer Gesellschaft nicht gerecht werden, insbesondere auch unter Berücksichtigung der ständig steigenden
Normenflut der europäischen Institutionen.
In diesem Sinne hat sich auch die frühere Präsidentin
des Bundesverfassungsgerichts, Jutta Limbach, skeptisch dazu geäußert, die bekannten Formen der direkten
Demokratie auf die Bundesebene zu übertragen. Ich zitiere Frau Limbach:
Je größer der politische Raum ist, umso mehr sind
wir auf das Prinzip der Repräsentanten angewiesen
und umso weniger können wir uns direkte Demokratie leisten.
Es ist etwas grundsätzlich anderes, über den Bau einer
Stadthalle, einer U-Bahn und über das Rauchverbot oder
über das Euro-Rettungspaket abzustimmen. Hier besteht
ein elementarer Unterschied.
Drittens. Die Befürworter von Volksentscheiden nennen stets die Schweiz als Musterland der direkten Demokratie. Aber schauen wir uns die Schweiz etwas genauer
an. Die Schweiz hat einen neutralen Status in der internationalen Politik; ihre politischen Prozesse sind auf nationale Interessen beschränkt und zum Teil auch viel
langsamer. Das ist für die Schweiz in Ordnung, auch
weil es seit Hunderten von Jahren deren politischer Kultur und dem Selbstverständnis der Bürger dort entspricht. Die Schweiz ist ein kleines Land. Sie hat
8 Millionen Einwohner. Das entspricht ungefähr der
Größe des Bundeslandes Hessen. Deutschland hat im
Gegensatz hierzu 80 Millionen Einwohner, und als
große Volkswirtschaft ist Deutschland eng mit der Europäischen Union verflochten. Das erfordert eine politische Verlässlichkeit und Handlungsfähigkeit, die die repräsentative Demokratie in idealer Weise gewährleistet.
({5})
Viertens. Auch innerstaatlich leistet die repräsentative
Demokratie einen wesentlichen Beitrag zur Stabilisierung unseres gesellschaftlichen Gefüges. Dies zeigt sich
beispielhaft an Großprojekten - jetzt komme ich dazu -,
die oftmals jahrzehntelange Planungsverfahren erforderlich machen. In dieser Zeit können natürlich Stimmungen und Meinungen der Bürger zu den oftmals schwierigen Projekten durchaus schwanken; aber bei
Volksentscheiden birgt dies die Gefahr wahltaktischer
Stimmungsmache, wie das Beispiel von Stuttgart 21
ganz deutlich zeigt. An anderen ähnlich umstrittenen
Projekten wie zum Beispiel dem Rheinufertunnel in
Düsseldorf oder dem Berliner Bahnhofsneubau erweist
sich nach deren Realisierung, dass diese allgemein anerkannt und erfolgreich sind und dass es, im Nachhinein
betrachtet, auch richtig war, daran festzuhalten. Ich bin
mir sicher, dass dies trotz der Kostensteigerungen auch
bei Stuttgart 21 der Fall sein wird und das Projekt später
einmal in der Rückschau als wegweisend angesehen
werden wird.
({6})
Die repräsentative Demokratie leistet die dazu notwendige Kontinuität und Stabilität unabhängig von vorübergehenden Stimmungsschwankungen.
Fünftens. Die parlamentarische Demokratie hat auch
deshalb wesentliche Vorteile gegenüber einer Volksgesetzgebung auf Bundesebene, weil sie ein lernendes
Verfahren ist, was in dieser Form die direkte Demokratie nicht leisten kann. Die eben genannten komplexen
Fragestellungen erfordern oftmals ein vielschichtiges
Gesetzgebungsverfahren, das eine kaum überschaubare
Vernetzung mit anderen Regelungsbereichen berücksichtigt.
Zu zufriedenstellenden Antworten kann man nur gelangen, wenn, wie im Deutschen Bundestag, auf dem
Weg der Gesetzgebung ein Verfahren angewandt wird,
das ein hohes Maß an thematischer Tiefe und Flexibilität
erlaubt. Auf der Grundlage von drei Lesungen, Ausschussberatungen, Sachverständigenanhörungen und
Berichterstattergesprächen wird eine ausgewogene und
faire Gesetzgebung und Gesetzesfindung sichergestellt.
Hinzu kommen eine Folgenabschätzung und eine Überprüfung der möglichen Bürokratie durch den Normenkontrollrat. Dieser Weg bietet den notwendigen Spielraum für Änderungen und Anpassungen. Es wird ein
dokumentiertes, ein transparentes Verfahren mit detailreicher Abstimmung gewährleistet, das bei Volksentscheiden in dieser Intensität schlichtweg fehlt.
Volksentscheidungen sind Fragestellungen, die mit Ja
oder Nein zu beantworten sind. Bundespolitische Fragen
lassen sich so einfach nicht entscheiden.
({7})
Darüber hinaus sind sie oft auch von existenzieller Bedeutung für Deutschland, zum Beispiel Auslandseinsätze der Bundeswehr, Fragen der Landesverteidigung,
Steuerfragen oder Fragen der Energieversorgung. Solche
Themen lassen sich nur in einem lernenden Verfahren
bewältigen und nicht einfach mit einem schlichten Ja
oder Nein entscheiden.
({8})
Sechstens. Wer durch direkte Demokratie auf Bundesebene die Entscheidung über wichtige Sachfragen abgibt, gibt auch die Verantwortung ab. Wenn alle entscheiden, entscheidet letztendlich niemand mehr. Man
kann die Volksentscheider auch nicht abwählen. Plebiszite bedeuten daher immer auch die Anonymisierung
von Verantwortung. Sie bringen für die gewählten Parlamentarier die Versuchung mit sich, unpopuläre oder
schwierige Entscheidungen dem Volk zu überlassen.
Hier im Bundestag hätten bestimmt einige gern auch die
Überführung der Castorbehälter nach Gorleben zur Abstimmung gestellt. Ohne Verantwortungsbewusstsein
und Weitsicht hätte man die Frage „Wohin damit?“ und
die Tatsache, dass es sich um Müll von Brennstäben handelt, deren Leistung wir alle schon verbraucht haben,
gern ausgeblendet. Daran schließt sich die Frage an - die
hat mir noch niemand beantworten können - wie das
Vertrauen der Bürger in die Politik und die Abgeordneten ausgerechnet steigen soll, wenn sich das Parlament
in schwierigen Entscheidungen der Verantwortung entzieht.
({9})
Siebtens. Die repräsentative Demokratie mit ihren
gründlichen Verfahren bietet die Möglichkeit, auch
Kompromisse auszuhandeln - zum Wohle der Allgemeinheit, aber auch zum Wohle und zum Schutz von
Minderheiten. Bei Volksentscheiden ist ein solch ausgewogenes Verfahren in dieser Form nicht möglich. Dies
würde insbesondere zulasten von Minderheiten und von
gesellschaftlich benachteiligten Gruppen gehen. Das ist
umgekehrt gerade ein tragendes Argument für die unveränderte Beibehaltung unserer repräsentativen parlamentarischen Demokratie auf Bundesebene. Sie stellt nämlich durch ihr ausgewogenes und abwägendes Verfahren
den Schutz von Minderheiten gerade sicher. Auch dazu
Jutta Limbach - sie hat es treffend formuliert -:
In der repräsentativen Demokratie ist es Sache des
Parlaments, die gegensätzlichen Interessen abzuwägen und einen sozialen Ausgleich zu schaffen.
Achtens. Bei Volksentscheiden geht es oftmals um
viel mehr als um die zur Entscheidung gestellte Frage.
Die Gelegenheiten werden gern genutzt - das ist auch
bekannt -, um der gerade amtierenden Regierung die
Rote Karte zu zeigen bzw. einen Denkzettel zu verpassen, und das schadet der eigentlichen Sache, denn sie
wird aufgrund unsachlicher Gründe und unsachlicher
Nebeneffekte entschieden.
Meine Damen und Herren, das waren die Gründe, die
ich Ihnen anführen wollte. Darüber hinaus liefern Sie
selbst eines der wichtigen Argumente gegen Ihren Gesetzentwurf. Ihr Standardargument lautet ja, dass durch
die Möglichkeit von Plebisziten auch auf Bundesebene
der Politikverdrossenheit entgegengetreten werden kann.
Dieses Argument ist nachweislich falsch. Alle Volksentscheide der jüngeren Zeit, ob in Hamburg, Berlin oder
Bayern, beweisen das Gegenteil. Die Wahlbeteiligung
war immer konstant niedrig, zwischen 29 und 39 Prozent. Diese Zahlen sprechen eine eindeutige Sprache.
Direkte Demokratie ist also gerade nicht ein Allheilmittel gegen Politikverdrossenheit und führt eben nicht zu
einer höheren Wahlbeteiligung. Aufgrund der Zahlen,
die ich gerade genannt habe, haftet den Volksentscheiden selbstverständlich auch der Malus der mangelhaften
Legitimation an.
({10})
- Herr Wieland, soweit ich weiß, ist Berlin ein Bundesland und nicht die Bundesebene; aber wir können uns
gern darüber austauschen.
({11})
- Genau, das ist der Unterschied. Da muss man sich die
Sache differenziert anschauen.
Die Befürworter preisen Volksentscheide stets als urdemokratisches Modell, in dem Volkes Wille ideal zur
Geltung käme. Anders ist es, wenn es konkret wird.
- Herr Wieland, Sie können aufpassen, weil es auch die
Grünen betrifft. - Denken wir einmal an Hamburg und
an die dortige Volksabstimmung bezüglich des Schulsystems.
({12})
Den Grünen, stets Befürworter der direkten Demokratie,
passte das Ergebnis nämlich überhaupt nicht.
({13})
Aufschlussreich war in diesem Zusammenhang die Erklärung der grünen Schulsenatorin, Frau Goetsch, zum
Volksentscheid in Hamburg in diesem Jahr: Die Gegner
der Schulreform hätten irrationale Ängste geschürt, mit
denen die Hamburger verunsichert worden seien.
({14})
Mit anderen Worten: Weil das Ergebnis des Volksentscheids den Grünen gerade nicht in den Kram passte,
sind die Menschen auf einmal gerissenen Bauernfängern
auf den Leim gegangen.
({15})
Das nenne ich Doppelzüngigkeit, Herr Wieland.
({16})
Herr Kollege, würden Sie eine Zwischenfrage zulassen?
Nein, ich bin bald fertig; wir wollen ja auch Zeit aufholen.
Weiterhin gefiel den Grünen in Hamburg nicht, dass
nachgewiesenermaßen die Wahlbeteiligung mit der
Höhe des Einkommens stieg. Herr Özdemir sah darin die
Gefahr, dass Reformen im Sinne angeblich Benachteiligter von Leuten torpediert würden, die - ich zitiere besser situiert und besser vernetzt sind und durch
ihren Bildungshintergrund besseren Medienzugang
haben.
({0})
Deshalb müsse man sich fragen, so Özdemir weiter,
„wie eine gleichberechtigte Mitwirkung von allen möglich ist“.
({1})
- Ja, gute Frage. - Wenn also ein mehrheitlicher Bürgerwille zum Ausdruck kommt, der nicht passt, dann sind
es die Befürworter selbst, die ihn nicht akzeptieren wollen,
({2})
und es wird versucht, ihn passend zu machen. Herr
Wieland, scheinheiliger geht es nimmer.
({3})
Ein weiteres Argument: Sie werfen uns immer vor,
wir hätten kein Vertrauen in die Bevölkerung, aber insbesondere bei den Linken scheint das Vertrauen in das
Volk seine Grenzen zu haben; denn Volksinitiativen zum
Haushaltsgesetz sollen nach Ihrem eigenen Gesetzentwurf gerade nicht möglich sein.
({4})
Neben diesen allgemeinen Erwägungen gegen die Argumente der Befürworter von mehr direkter Demokratie
auf Bundesebene leidet der vorliegende Gesetzentwurf
ganz konkret an zwei gravierenden Mängeln:
Erstens. Ihr Entwurf ist glatt verfassungswidrig, weil
er nicht den Anforderungen des Art. 79 Abs. 3 genügt.
Dieser Grundsatz steht unter der Ewigkeitsgarantie des
Grundgesetzes, das heißt, er ist unabänderlich. Darin
sieht das Grundgesetz zwingend die grundsätzliche Mitwirkung der Länder bei der Gesetzgebung vor. Diese
Mitwirkung der Länder darf sich nicht in einer lediglich
formalen Beteiligung erschöpfen. Sie muss vielmehr bestimmenden Einfluss ermöglichen.
Der Entwurf der Linken greift laut seiner Begründung
im Falle zustimmungspflichtiger Gesetze auf das Modell
des schweizerischen Volks- und Ständemehrs zurück.
Demnach soll beim Volksentscheid in Deutschland das
Ergebnis der Abstimmung in einem Land als Abgabe
seiner Bundesratsstimmen gelten.
({5})
Genau das ist aber eine rein rechnerische, formale
Methode und weit entfernt von der grundgesetzlich geforderten inhaltlichen Mitwirkung der Länder. Damit
wird der Einfluss der Länder in keiner Weise gesichert.
({6})
- Das ist aber ein Verstoß gegen das Grundgesetz, meine
Dame.
({7})
Wir haben in der Bundesrepublik aus guten Gründen
ein föderales System. Die Länder haben eigene Interessen, die Sie mit Ihrem Modell offensichtlich untergraben
wollen. Das von Ihnen vorgeschlagene Modell erlaubt
zwar eine formale Berücksichtigung der Landesvölker,
nicht aber die Berücksichtigung des organschaftlich gebildeten Willens der einzelnen Länder. Ihr Entwurf genügt daher nicht den Anforderungen des Art. 79 Abs. 3
Grundgesetz; er ist verfassungswidrig. Allein deshalb ist
Ihr Gesetzentwurf abzulehnen.
({8})
Zweitens. Die notwendige Zahl an Beteiligten für Ihr
dreistufiges Volksgesetzgebungsmodell ist vollkommen
unzureichend. Schon 100 000 Wahlberechtigte sollen
eine Volksinitiative starten können. Damit wäre es zum
einen gut organisierten Lobbyistengruppen, die der Linken ja ein Dorn im Auge sind, ein Leichtes, die notwendige Anzahl von Bürgern zu mobilisieren, um ihre Interessen durchzusetzen. Zum anderen öffnen Sie damit
Bagatellinitiativen Tür und Tor.
({9})
Ungenügend ist auch, dass Ihr Gesetzentwurf beim eigentlichen Volksentscheid, außer bei einer Grundgesetzänderung, überhaupt keine Mindestbeteiligung vorsieht. Bei den genannten geringen Wahlbeteiligungen,
die ich vorhin genannt habe, kann dies die gefährliche
Folge haben, dass eine nicht repräsentative Mehrheit
politisch bedeutsame Fragen entscheidet.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, all diese Argumente
führen zusammenfassend zu dem Ergebnis, dass die
CDU/CSU-Bundestagsfraktion den vorliegenden Gesetzentwurf ablehnt. Das habe ich am Anfang schon angekündigt. Wünschenswert wäre, wenn ich Sie vielleicht
heute überzeugt hätte; dann bestünde nämlich schon ein
Anlass zu vorweihnachtlicher Freude.
({10})
Ich bedanke mich fürs Zuhören. Drei Minuten haben
wir gespart.
({11})
Das Wort hat Gabriele Fograscher für die SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Einen Lernprozess, Herr Wellenreuther, würden wir
von Ihrer Fraktion auch einmal erwarten.
({0})
Ihre Argumente sind immer die gleichen, und sie wirken
sehr bemüht. Sie sollten vielleicht auch einmal zur
Kenntnis nehmen, dass sich mehr als 60 Jahre nach Einführung des Grundgesetzes auch die Gesellschaft verändert hat.
Wir als Politikerinnen und Politiker erleben doch seit
längerem - ganz aktuell ja Sie, Schwarz-Gelb -, dass die
Wahlentscheidung der Bürgerinnen und Bürger zum Beispiel bei der Bundestagswahl eben nicht automatisch als
Legitimation, als Zustimmung zu einzelnen Entscheidungen angesehen wird. Ein Beispiel: Sie begründen die
Verlängerung der Laufzeiten der Atomkraftwerke damit,
dass Bürgerinnen und Bürger Sie gewählt haben und
demzufolge auch die längeren Laufzeiten wollten. Die
massiven Proteste aber, die erst begonnen haben, zeigen
da etwas anderes.
Wir erleben in Stuttgart, dass zwar die formalen und
rechtlichen Mitwirkungsrechte eingehalten wurden, aber
die Bürgerinnen und Bürger diese Entscheidung der zuständigen Gremien eben nicht mehr automatisch mittragen. Wir erleben, dass das Ansehen der Politiker, das
Vertrauen in politische Entscheidungen, die Akzeptanz
von Mehrheitsentscheidungen der Abgeordneten, die repräsentativ für die Bürgerinnen und Bürger Entscheidungen treffen, abnehmen. „Die da oben entscheiden, wir da
unten werden nicht gefragt“, so ist doch die Stimmung
im Lande. Wenn sich diese Einstellung verfestigt, dann
ist auch Demokratie gefährdet. Wir tun auch deshalb gut
daran, nicht als Ersatz, nicht als Beruhigungspille, nicht
anstelle der repräsentativen Demokratie, sondern in Ergänzung dazu, Instrumente direkter Demokratie und
Mitsprache einzuführen.
({1})
Wir haben diese Möglichkeiten auf kommunaler Ebene,
wir haben sie auf Landesebene, und wir werden sie auf
europäischer Ebene bekommen. Warum dann also nicht
auf Bundesebene?
Bürgerinnen und Bürger - das haben die Erfahrungen
in den Kommunen und in den Bundesländern gezeigt gehen mit diesen Instrumenten verantwortungsvoll um.
Es gibt keine Unzahl von Volksinitiativen und auch keinen Unsinn bei Volksinitiativen. Die Ergebnisse von
Volksentscheiden mögen einem gefallen oder nicht. Dies
gilt ebenso für andere politische Entscheidungen. Aber
ein Volksentscheid kann befrieden. Wer da unterliegt,
fügt sich, nicht mit Begeisterung, aber ohne Hass und
Groll; so hat es Erhard Eppler formuliert.
Wenn der Rahmen für die Quoren, also für die Mindestbeteiligung, für die Voraussetzungen, für die Vorgaben klug gesetzt ist, werden Bagatellinitiativen und ein
inflationärer Gebrauch des Instruments „direkte Demokratie“ vermieden.
Sehr geehrter Herr Kollege Brandt, ein Argument, das
Sie in der ersten Lesung gebracht haben und das Herr
Wellenreuther heute aufgegriffen hat, lautete:
Mit Volksabstimmungen kann man den immer
schwierigeren und komplexen Fragestellungen unserer pluralistischen Welt gerade nicht gerecht werden.
Ich glaube nicht,
({2})
dass nur wir Politiker und Politikerinnen klug genug
sind, komplexe Sachverhalte zu verstehen und über sie
zu entscheiden.
({3})
Ich befürchte im Gegenteil, dass solche Aussagen die
Kluft zwischen „denen da oben“ und „denen da unten“
vergrößern. Das Volk ist nicht dümmer oder klüger als
wir.
({4})
Den mündigen Bürger gibt es nicht nur in Sonntagsreden, sondern auch im echten Leben. Die Möglichkeit
von Volksbegehren zwingt Politik dazu, Entscheidungen
zu erklären, zu begründen, zu kommunizieren, um
Volksbegehren möglichst zu vermeiden.
Die SPD setzt sich schon seit vielen Jahren dafür ein,
Elemente direkter Demokratie ins Grundgesetz aufzunehmen. In unserem Wahlprogramm steht es; und auch
im Koalitionsvertrag von SPD und Bündnis 90/Die Grünen von 1998 heißt es:
Wir wollen die demokratischen Beteiligungsrechte
der Bürgerinnen und Bürger stärken. Dazu wollen
wir auch auf Bundesebene Volksinitiative, Volksbegehren und Volksentscheid durch Änderung des
Grundgesetzes einführen.
Dementsprechend haben wir Anfang 2002 einen Gesetzentwurf in den Deutschen Bundestag eingebracht. Er
enthält gestufte Quoren, Fristen und schließt Themen
wie die Wiedereinführung der Todesstrafe für Volksentscheide aus. Wir halten diesen Gesetzentwurf heute immer noch für richtig und wichtig,
({5})
sind aber in der 14. Wahlperiode an der Ablehnung der
CDU/CSU und somit auch an der notwendigen Zweidrittelmehrheit gescheitert.
Ich möchte hier auch eines klarstellen: Der Kollege
Thomas Strobl hat am 7. September 2010 in einer Phoenix-Runde zum Thema „Ignoranz der Mächtigen? - Bür7888
ger kontra Politiker“ erklärt, die rot-grüne Bundesregierung habe aus guten Gründen keinen bundesweiten
Volksentscheid eingeführt. Das stimmt nicht;
({6})
denn wir haben mit der Drucksache 14/8503 einen entsprechenden Gesetzentwurf vorgelegt. Herr Strobl sagte
in dieser Sendung, wir hätten nicht über einen solchen
Gesetzentwurf entschieden. Das ist falsch; denn darüber
wurde am 7. Juni 2002 namentlich abgestimmt. Kollege
Strobl hat laut Plenarprotokoll an dieser Abstimmung
teilgenommen und mit Nein votiert. - Auch wenn Sie
gegen die Einführung von plebiszitären Elementen in
unsere Verfassung sind, so halte ich es einfach für unanständig, in aller Öffentlichkeit solche Unwahrheiten zu
behaupten. Sie sollten das hier auch klarstellen.
({7})
Nun aber zum Gesetzentwurf der Linksfraktion. Ich
habe bereits in der ersten Lesung vorgetragen, dass die
vorgesehenen Quoren für Volksinitiative und Volksbegehren von 100 000 Abstimmenden viel zu gering sind;
das ist weniger als die Hälfte der Bevölkerung eines
Wahlkreises. Damit öffnen Sie Bagatellinitiativen Tür
und Tor.
Weiterhin halte ich den Vorschlag für problematisch,
dass die Fraktionen des Bundestages das Recht bekommen sollen, eine Sachfrage zur Abstimmung zum Termin der nächsten Bundestagswahl vorzuschlagen und
den neu gewählten Bundestag für die Dauer der Legislaturperiode an diese Entscheidung zu binden. Volksentscheide sollen den Bürgerinnen und Bürgern ja gerade
zwischen den Bundestagswahlen die Möglichkeit geben,
sich zu Sachfragen zu äußern. Auch konnten Sie mir bisher nicht erklären, warum nur die im Bundestag vertretenen Parteien und nicht alle Parteien, die zur Bundestagswahl zugelassen sind, Sachfragen stellen können sollen.
Ich halte Ihre Vorschläge für eine Volksgesetzgebung für
nicht praktikabel. Volksentscheide sollen aus der Mitte
des Volkes kommen und nicht von den Bundestagsfraktionen vorgegeben werden. Damit würden Sie dieses
Instrument ad absurdum führen. Wir werden Ihren Gesetzentwurf deshalb ablehnen.
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, die Vorgänge in
Stuttgart, in Gorleben und anderswo zeigen, dass die
Bürgerinnen und Bürger immer mehr das Gefühl haben,
dass ihre Volksvertreter sie nicht mehr verstehen, sich
entfremden, sie nicht ernst nehmen. Ich will noch einmal
Erhard Eppler zitieren, der in der Süddeutschen Zeitung
vom 26. Oktober 2010 schrieb:
Aber es gibt ein Mittel gegen die Spaltung zwischen unten und oben: das Plebiszit. Wenn alle Gewalt vom Volke ausgeht, dann muss das Volk notfalls auch das letzte Wort haben.
Die repräsentative Demokratie stößt erkennbar an
ihre Grenzen. … Wer jetzt nicht mehr Demokratie
wagt, wird sehr viel mehr Polizei brauchen.
Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, die meisten Mitglieder dieses Hauses - dabei schließe ich die FDP mit
ein, die ja in der vergangenen Wahlperiode einen Gesetzentwurf zur Einführung von Elementen direkter Demokratie in den Bundestag eingebracht hat - sind für die
Einführung von Volksinitiative, Volksbegehren und
Volksentscheid auf Bundesebene. Bis auf die Unionsfraktion sind wir uns hier im Hause einig über das Ziel,
mehr direkte Demokratie auf Bundesebene zu ermöglichen. Über den Weg dahin sollten wir ernsthaft diskutieren.
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
({8})
Jimmy Schulz hat das Wort für die FDP.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen
und Kollegen! Nun stehe ich noch ein zweites Mal hier,
um über den Entwurf eines Gesetzes der Linken zur Einführung der dreistufigen Volksgesetzgebung zu reden.
Das Thema ist, wie Sie alle wissen, nicht neu. Wie wir in
den letzten Wochen und Monaten gesehen haben, ist es
aber ein aktuelles Thema.
Wir werden die Bürgerinnen und Bürger intensiver in
den politischen Diskussionsprozess einbinden. Wir brauchen mehr Transparenz im politischen Prozess; denn
Transparenz schafft Verständnis. Wer seine Rechte
kennt, der will sich einmischen, der will mitmischen, der
will partizipieren. Direkte Demokratie gibt es schon auf
vielen politischen Ebenen. Sie gibt es auf kommunaler
und auf Länderebene. Demnächst gibt es sie hoffentlich
auch auf europäischer Ebene.
Mein Lieblingsbeispiel in diesem Zusammenhang ist
der Nichtraucherschutz. Dazu gab es in Bayern kürzlich
einen Volksentscheid. Man kann dafür oder so wie ich
dagegen gewesen sein. Trotzdem bin ich ein großer Fan
von Volksentscheiden auf Länderebene.
({0})
Ich bin aus folgendem Grund ein großer Fan von Volksentscheiden auf Länderebene: Beispielsweise kann in
Bayern die Verfassung nur durch Volksabstimmung geändert werden, was eine schützende Wirkung hat. Bisher
ist dies allerdings nur sehr selten passiert. Diesen Schutz
hätte ich mir manchmal auch für das Grundgesetz gewünscht.
({1})
Auch auf europäischer Ebene werden wir mithilfe
der europäischen Bürgerinitiative neue Elemente schaffen, um die Bürger am Gesetzgebungsprozess aktiv zu
beteiligen. Das schafft gerade auf europäischer Ebene
eine neue Transparenz, aber auch eine neue Möglichkeit
der Identifikation, die gerade, was Europa angeht, den
Bürgerinnen und Bürgern an dieser oder jener Stelle
noch fehlt und die eine Voraussetzung dafür ist, dass sie
aktiv an Entscheidungsprozessen mitwirken.
({2})
- Danke sehr.
({3})
Direkte Demokratie existiert und funktioniert bereits
hervorragend, wie Sie sehen. Nun wollen wir weitere
Schritte in die Wege leiten. Wir wollen die Anregungen
der Bürgerinnen und Bürger aufgreifen und uns nicht
hinter funktionierenden Mechanismen auf anderen Ebenen verstecken. Wir wollen etwas verändern. Den Entwurf eines Gesetzes der Linken zur Einführung der dreistufigen Volksgesetzgebung lehnen wir hingegen ab.
({4})
Sie wissen ja - das wurde schon gesagt -, dass die
FDP in der letzten Legislaturperiode einen eigenen Entwurf zu diesem Thema eingebracht hat.
({5})
Wir bleiben dabei: Wir wollen mehr partizipative Elemente auf Bundesebene. Daran hat sich nichts geändert.
({6})
Wir wollen mehr Bürgerbeteiligung und mehr Teilhabe
an den Entscheidungsprozessen. Wir wollen die Stärkung der Legitimation.
({7})
Deswegen haben wir im Koalitionsvertrag die Bürgerbeteiligung aufgenommen;
({8})
wir wollen das Petitionsrecht ausbauen. Ich zitiere:
Wir wollen die Mitwirkungsmöglichkeiten der Bevölkerung an der demokratischen Willensbildung
stärken. Dazu werden wir das Petitionswesen weiterentwickeln und verbessern. Bei Massenpetitionen werden wir über das im Petitionsausschuss bestehende Anhörungsrecht hinaus eine Behandlung
des Anliegens im Plenum des Deutschen Bundestages unter Beteiligung der zuständigen Ausschüsse
vorsehen.
({9})
Sie sehen also: Wir machen die ersten Schritte - wenn es
auch nur kleine Schritte sind - in die richtige Richtung.
({10})
Denn Deutschland bleibt eine repräsentative Demokratie.
({11})
Herr Kollege, möchten Sie eine Zwischenfrage beantworten?
Nein, danke.
({0})
Teilhabe muss überlegt sein. Der Gesetzentwurf der
Linken ist ein unüberlegter Schritt. Wir wollen die Beteiligung der Bürger, nicht aber die Diktatur durch Minderheiten.
({1})
100 000 Unterstützer sind ein deutlich zu niedriger
Schwellenwert. Volksinitiativen müssen deutlich breiter
aufgestellt werden.
({2})
Die FDP hat deshalb immer deutlich höhere Hürden gefordert.
Auch die zweite Stufe, die Verankerung einer absoluten Zahl im Grundgesetz, ist natürlich Mumpitz. Dann
müssten wir das Grundgesetz jedes Mal ändern, wenn
sich die Bevölkerungszahl ändert. Eine prozentuale
Koppelung wäre der einzig gangbare Weg. Der Vorschlag der Linken ist also kein Schritt in die richtige
Richtung. Er verrennt sich; denn er setzt Grundgesetzänderungen voraus. Was ich davon halte, hatte ich schon
gesagt.
Ein wichtiges Thema, das immer wieder ignoriert
wurde, ist die Notwendigkeit von mehr Transparenz. Die
Bürgerinnen und Bürger wollen nicht nur öfter abstimmen; sie wollen vor allen Dingen besser informiert sein
und in aktuellen Debatten über Zukunftsthemen mitreden und ihre Sorgen und Nöte artikulieren. Deshalb haben wir in der Enquete-Kommission „Internet und digitale Gesellschaft“ neue Formen der Bürgerbeteiligung
vorgesehen. Wir haben in dem Einsetzungsbeschluss interfraktionell festgestellt, „die Bürgerinnen und Bürger
mithilfe einer Online-Beteiligungsplattform zur Mitarbeit einzuladen“ und so „die Öffentlichkeit in einem be7890
sonderen Maße mit in die Arbeit der Kommission einzubeziehen“. Die Enquete-Kommission sieht den Bürger
als 18. Sachverständigen an. Er wird gebeten, seine Meinung offen zu äußern.
({3})
Sie sehen also: Wir wollen mehr Beteiligung nicht nur
probieren, sondern sie etablieren. Wir glauben, dass wir
damit eine Vorbildfunktion für andere Ausschüsse und
Gremien des Hauses wahrnehmen können.
Moderne Formen der Beteiligung sind dialogorientiert und offen. Diskussionen mit Bürgerinnen und Bürgern im Rahmen des politischen Diskussionsprozesses
- bevor Entscheidungen getroffen sind - sind der richtige Weg zu mehr Partizipation; das ist die richtige Richtung. Neue Beteiligungsformen sollen sich nachhaltig in
die repräsentative Demokratie integrieren. Wir setzen
die Bürgerbeteiligung jetzt um, anstatt jahrelang darüber
zu reden.
({4})
Vielen Dank.
({5})
Zu einer Kurzintervention gebe ich der Kollegin Mast
das Wort.
Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Verehrter Kollege Schulz, Sie haben aus dem Koalitionsvertrag zitiert,
dass Sie „das Petitionswesen weiterentwickeln und verbessern“ möchten. Meine Frage ist: Wann dürfen wir
hier im Parlament mit Ihren Änderungsvorschlägen
rechnen? Ich glaube, Sie können das kurz beantworten.
Vielen Dank.
Herr Schulz.
Wir arbeiten intensiv an einer Lösung. Darüber muss
natürlich diskutiert werden. Der Koalitionsvertrag ist
nicht auf zwölf Monate angesetzt; er ist ein Programm
für vier Jahre. Wir werden baldmöglichst ein Papier dazu
vorlegen.
({0})
Ich gebe das Wort der Kollegin Halina Wawzyniak
für die Fraktion Die Linke.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Als ich 16 war, riefen die Menschen: Wir sind
das Volk!
({0})
Ein Staat brach zusammen, und das nicht ohne Grund.
Demokratische Mitwirkungsmöglichkeiten entwickelten
sich von null auf 100. Es herrschte Aufbruchstimmung.
Die Menschen fühlten sich ernst genommen und mitgenommen. Wichtige politische Entscheidungen wurden
am Runden Tisch gefällt, an dem Vertreterinnen und
Vertreter aller gesellschaftlichen Organisationen saßen.
Das war gelebte Demokratie.
({1})
Der Runde Tisch entwickelte sogar einen Verfassungsentwurf. In diesem Verfassungsentwurf stand in
Art. 89:
Die Gesetze werden durch die Volkskammer oder
durch Volksentscheid beschlossen.
Art. 98 des Verfassungsentwurfs enthielt Regelungen
zum Volksentscheid. Für mich war das die demokratischste Zeit, die ich in meinem ganzen Leben erlebt
habe. Es hätte der alten Bundesrepublik gutgetan, sich
dieses Entwurfes des Runden Tisches anzunehmen, anstatt die Ideen des demokratischen Aufbruchs einfach zu
ignorieren; aber genau das ist geschehen.
({2})
Auch deshalb gibt es immer noch keine Möglichkeit der
Bevölkerung, jenseits von Wahlen direkt auf politische
Prozesse Einfluss zu nehmen. Beantworten Sie mir die
Frage - Sie haben das bisher nicht getan -, warum das
auf Landesebene möglich ist, aber auf Bundesebene unmöglich sein soll.
({3})
Wovor haben Sie eigentlich Angst?
Derzeit erleben wir eine Unzufriedenheit mit der Parteiendemokratie, und zwar zu Recht. Wir erleben Unzufriedenheit mit der Arbeit des Parlamentes, und zwar zu
Recht.
({4})
Wir beschließen Gesetze im Hauruckverfahren. Relevante Ausschusssitzungen sind nichtöffentlich. Bei der
Gesetzgebung fehlen Informationen, zum Beispiel: Welcher Leihbeamte hat gerade für welches Unternehmen an
welchem Gesetzentwurf mitgearbeitet? Im Jahr 2007 saßen mindestens 100 Beschäftigte von Unternehmen und
Verbänden in den Ministerien und arbeiteten an Gesetzesvorlagen. Wir fordern das Verbot von Leihbeamten in
Ministerien.
({5})
Es fehlt auch an Zahlenmaterial. Wir reden über Netzneutralität und darüber, dass es zu Datenstaus kommt,
aber wir wissen nicht, wo und wann. Es gibt Zusatzvereinbarungen, die am Parlament vorbei getroffen werden,
zum Beispiel beim Atomdeal.
Bundestagspräsident Lammert spricht - ich habe es
schon zitiert - von einem Hauruckverfahren in der Gesetzgebung. Damit hat er recht. Bettina Gaus spricht in
der taz von einer Alibiveranstaltung, die wir hier abhalten. Damit hat sie recht. Wir können das parlamentarische Verfahren verbessern. Einverstanden! Wir können
aber auch weiter gehen und mehr Demokratie wagen.
({6})
Wir können innerhalb des Parlaments mehr Transparenz einführen, beispielsweise durch konsequent öffentliche Ausschusssitzungen. Wir können ein verpflichtendes Lobbyistenregister einführen. Der Gesetzentwurf
meiner Fraktion sieht beispielsweise vor, dass ein Gesetzentwurf, sobald eine Person außerhalb des Bundestages oder der Bundesregierung ihn erhält, für alle öffentlich zugänglich sein muss. Wir können zudem das
Akteneinsichtsrecht für Bürgerinnen und Bürger erweitern. Niemand hindert uns daran, das emanzipatorische
Potenzial des Internets zu nutzen und auch auf diesem
Weg den Einfluss der Bürgerinnen und Bürger zu erhöhen. Warum erlauben wir den Bürgerinnen und Bürgern
nach der ersten Lesung nicht, im Rahmen von Internetportalen uns ihre Meinung kundzutun, um dann darüber
zu entscheiden, ob wir die Anregungen aufnehmen wollen?
({7})
Wir leben in einer Zeit, in der faktisch neue Verfahren
zur Konfliktbewältigung eingeführt werden, weil sie
notwendig sind. Ich nenne die Schlichtung zu
Stuttgart 21, aber auch die Mediation betreffend den
Frankfurter Flughafen. Diese neuen Verfahren belegen:
Das Interesse der Menschen an politischen Prozessen ist
groß. Sie sind nicht politikverdrossen, sie sind parteienverdrossen. Erweitern wir unsere parlamentarische Demokratie, die mehr und mehr zu einer Demokratie der
vermeintlichen Eliten wird. Nehmen wir Art. 20 Abs. 2
GG ernst: „Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus.“
({8})
Und an uns Parteien gerichtet: Setzen wir Art. 21 Abs. 1
Satz 1 „Die Parteien wirken bei der politischen Willensbildung des Volkes mit“ um. Es gibt kein Monopol von
Parteien auf politische Willensbildung. Auch deshalb haben wir eine Vorlage vorgelegt, die Spenden von Unternehmen und Wirtschaftsverbänden an Parteien verbietet
und Spenden von natürlichen Personen beschränkt. Alle
Menschen, die hier länger leben, müssen die Möglichkeit haben, auf politische Entscheidungsprozesse Einfluss zu nehmen, auch durch Beteiligung an Volksinitiativen, Volksbegehren, Volksentscheiden und Wahlen.
Am 8. Juli haben wir das erste Mal über ein konkret
auf dem Tisch liegendes Angebot für mehr direkte Demokratie geredet. Heute wird sich zeigen, wie die mediale Sommerlochforderung nach mehr direkter Demokratie praktisch ihre Umsetzung findet. Auch deshalb haben
wir namentliche Abstimmung beantragt. Sie von der
SPD haben in den Medien im Sommer immer wieder die
Forderung nach mehr direkter Demokratie erhoben. Bislang blieb es allein bei der Forderung. Sie haben keine
Anstalten im Bereich der direkten Demokratie unternommen. Auch Ihr großer Vorsitzender ist heute nicht
da. Ich kenne die Kritik von Grünen, SPD und FDP.
Über die Union rede ich nicht; die ist in dieser Frage
nicht satisfaktionsfähig. Obwohl: Der neu gewählte Verfassungsrichter Professor Dr. Peter Huber hat sich in der
Festschrift „20 Jahre Mehr Demokratie“ für eine weitere
Beförderung der direkten Demokratie auch auf Bundesebene ausgesprochen. Vielleicht überzeugt er Sie. Grüne
und SPD wenden ein, die Quoren seien zu niedrig. Bereits am 8. Juli haben wir Ihnen angeboten, mit uns darüber zu reden. Wo sind Ihre Änderungsanträge? Statt im
Sommer große Töne zu spucken, hätten Sie mit uns reden können, wenn es Ihnen mit diesem Thema wirklich
ernst ist.
({9})
Der Justizministerin will ich in Erinnerung rufen, was
sie in der Festschrift „20 Jahre Mehr Demokratie“ gesagt
hat:
Die Zeit ist reif, dass, beginnend mit der Volksinitiative, zumindest schrittweise plebiszitäre Elemente auch auf Bundesebene eingeführt werden.
Die Einwände des Rests sind absurd. Herr Brandt hat gesagt - Herr Wellenreuther hat das heute wiederholt -, es
handele sich um eine populistische Forderung der Linken, die keinen Nutzen für die Demokratie habe. Er hat
weiter ausgeführt: „Volksabstimmungen bergen die Gefahr des Missbrauchs und der politischen Destabilisierung in sich.“ Er hat damals sogar noch auf die Weimarer Republik - offensichtlich ohne Geschichtskenntnis Bezug genommen. Stefan Schmitz spricht im Stern von
einem Zweckargument. Der Wissenschaftler Otmar Jung
von der FU Berlin sagt: Nicht die Erfahrungen aus der
Weimarer Republik hatte der Parlamentarische Rat im
Blick, als er für die Nichtaufnahme direktdemokratischer Elemente plädierte. Woher hätten im Übrigen auch
die negativen Erfahrungen aus der Weimarer Republik
kommen sollen? Von acht Volksbegehren zwischen 1919
und 1933 gelangten gerade einmal zwei zur Abstimmung.
Herr Brandt und Herr Wellenreuther, Sie haben gesagt: Mit Volksabstimmungen kann man schwierigen
und komplexen Fragestellungen unserer pluralistischen
Welt nicht gerecht werden. Im Parlament würden Expertengespräche geführt, Sachverständigenanhörungen
durchgeführt und Folgeabschätzungen vorgenommen.
Herr Frieser hatte damals ergänzend gefragt: Wie wollen
Sie Sachverständigenanhörungen und Sachverständigengremien in Volksabstimmungen einbeziehen? - Meine
Antwort könnte einfach sein. Wir könnten die Einbeziehung so gestalten wie hier im Parlament: als Alibiveranstaltung.
({10})
Aber ernsthaft: Der Prozess der dreistufigen Volksgesetzgebung dauert länger als die Hauruckverfahren im
Parlament. Es gibt eine öffentlich-mediale Begleitung.
Mehr Sachverstand ist gar nicht möglich.
({11})
Erklären Sie mir einmal: Wieso kann man mit Volksabstimmungen den immer schwierigeren und komplexeren Fragestellungen der pluralistischen Welt nicht gerecht werden, im Parlament aber schon? Sie haben
wieder das Argument vorgebracht, man könne bei Volksabstimmungen nur mit Ja oder Nein stimmen. Entschuldigung, aber das machen wir hier den ganzen Tag.
({12})
Formal findet hier eine Folgenabschätzung statt, aber
eben nur formal. Tatsächlich geht es immer um einen inhaltlich-konkreten Vorschlag. Dieser steht allein zur Abstimmung. Alle gesellschaftlichen Aspekte dieses Vorschlags werden nicht in einem breit angelegten Prozess
beleuchtet. Wenn wir das wollen, gründen wir eine
Enquete. Eine Volksgesetzgebung mit einem dreistufigen Verfahren dauert viel länger; darauf habe ich schon
hingewiesen. Dadurch bleibt viel mehr Zeit, um sich Gedanken über die Dinge zu machen. Hier verlassen wir
uns auf Experten und beschließen Gesetzentwürfe wie
den zur Verlängerung der Laufzeit von Atomkraftwerken.
Herr Brandt und Herr Wellenreuther haben gesagt, die
Gefahr bestehe, dass bei wichtigen Fragen nicht nach
sachbezogenen Gesichtspunkten entschieden wird, sondern danach, welche Interessengruppe die bessere
Lobbyarbeit macht.
({13})
Dazu sage ich Ihnen: Total überzeugend! Tun Sie doch
nicht so, als würde das hier im Parlament nicht so laufen.
({14})
Wir entscheiden doch mitnichten allein nach sachbezogenen Gesichtspunkten.
({15})
Der Einfluss von Lobbyisten auf parlamentarische Entscheidungsprozesse ist nachgewiesen. Worin besteht
bitte der Unterschied zwischen dem Einfluss von Lobbyisten auf Entscheidungen der Parlamente und dem Einfluss von Lobbyisten auf die Volksgesetzgebung? Im
Übrigen sind Politikerinnen und Politiker genauso anfällig für Populismus wie die Bevölkerung. Steigen wir
also ab vom hohen Ross! Hören wir auf, so zu tun, als
seien wir besser und kompetenter als der Durchschnitt
der Bevölkerung! Das ist Quatsch.
Die Linke hält, was sie verspricht. Unser konkretes
Angebot liegt auf dem Tisch. Sie können entscheiden: Ja
oder nein? Da für die Änderung eine Zweidrittelmehrheit notwendig ist, wird das Vorhaben an der Blockadehaltung der Union scheitern, wie wir wissen. Insofern
können die anderen Fraktionen ein Symbol setzen und
zeigen, dass sie für mehr direkte Demokratie sind, dass
sie die Bürgerinnen und Bürger mitentscheiden lassen
wollen. Seien Sie beruhigt: Sie stünden damit auf der
Seite der Mehrheit der Bevölkerung. Die neueste ForsaUmfrage belegt, dass sich 79 Prozent der Bürgerinnen
und Bürger Volksentscheide auch auf Bundesebene wünschen.
Demokratie, insbesondere direkte Demokratie, ist Zumutung und Versprechen zugleich. Zumutung für die
Parteien und Abgeordneten, Versprechen für die Bürgerinnen und Bürger. Wir sollten uns diese Zumutung zumuten.
({16})
Das Wort hat jetzt Ingrid Hönlinger für Bündnis 90/
Die Grünen.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen!
Demokratie lebt vom Streit, von der Diskussion um
den richtigen Weg.
Das ist ein Zitat des früheren Bundespräsidenten Richard
von Weizsäcker. Wenn wir dieses Zitat ernst nehmen,
dann müssen wir eingestehen, dass wir momentan an
vielen Orten der Republik wahre Sternstunden der Demokratie erleben. Die Bürgerinnen und Bürger machen
von ihrem Recht auf freie Meinungsäußerung selbstbewusst Gebrauch. Sie streiten für ihre Positionen. Sie gehen für ihre Anliegen sogar auf die Straße, wenn die Regierungspolitik ihre Anliegen nicht wahrnehmen will.
Ich möchte zwei aktuelle Ereignisse in den Mittelpunkt rücken. Mein Wahlkreis ist Ludwigsburg. Das ist
15 Kilometer von Stuttgart entfernt. In Stuttgart und andernorts gehen jede Woche Zehntausende Menschen auf
die Straße. Sie äußern ihre Unterstützung für den
Kopfbahnhof 21. Sie äußern ihre Kritik am Bahnprojekt
Stuttgart 21. Dafür haben sie gute Gründe: Dieses Projekt droht in finanzieller Hinsicht ein Fass ohne Boden
zu werden. Der verkehrspolitische Nutzen ist fragwürdig. Außerdem ist zu befürchten, dass die Profite in die
Taschen von Banken und Baukonzernen wandern, während die Bürgerinnen und Bürger die Zeche zahlen.
({0})
Je schwächer die Argumente für Stuttgart 21 werden,
desto lauter werden die Durchhalteparolen. Jetzt gibt es
sogar Anzeigenkampagnen der Wirtschaft für Stuttgart 21. Auch die Joggingveranstaltungen für Stuttgart 21 werden mit Anzeigen der Landesregierung beworben. Wir Grünen gestehen ein: Den größeren Marketingetat haben die Tunnelbauer. Aber wir haben die besseren Argumente. Diese werden sich am Ende gegen die
Werbemillionen durchsetzen.
({1})
Ein weiteres Schlaglicht auf die Lage in der Republik
haben wir am Wochenende im Wendland erlebt. Dort
sind wiederum Tausende Menschen auf die Straße gegangen und haben sich für den Atomausstieg eingesetzt.
Sie haben kritisiert, dass die Laufzeiten der Atomkraftwerke von dieser Regierungskoalition verlängert worden
sind. Sie haben auch stark kritisiert, dass weitere große
Mengen an radioaktivem Müll produziert werden. Wir
Grünen - das sage ich ganz klar - unterstützen den friedlichen Protest gegen die Laufzeitverlängerung und gegen
die Atommülltransporte.
({2})
Wir setzen uns für den Atomausstieg und für die verstärkte Nutzung erneuerbarer Energien ein. Wir setzen
uns auch für einen oberirdischen Kopfbahnhof in Stuttgart ein. Für uns steht nicht der Profit für wenige im Vordergrund, sondern der Nutzen für alle. Wir sind keine
Blockadepartei; wir sind eine Zukunftspartei.
({3})
Zum Respekt vor der Meinung anderer gehört auch
der Respekt der Regierenden vor dem Willen der Bevölkerung. Jetzt wird kritisiert - darauf hat auch Kollege
Wellenreuther hingewiesen -, dass in unserer Gesellschaft große Politikverdrossenheit und Demokratieverdrossenheit herrschen. Diese Feststellung ist richtig.
Dazu gehört aber auch, dass wir den Willen der Bevölkerung ernst nehmen müssen, wenn wir die Bevölkerung
zu Willensbekundungen auffordern. Wer den Bürgerwillen als Blockadehaltung abtut, wer Schüler niederknüppelt und Bürgerargumente mit Pfefferspray bekämpft,
hat ein falsches Verständnis von Demokratie. Wir Grünen wollen so etwas nicht mehr erleben, weder in Stuttgart noch im Wendland.
({4})
Demokratie bedeutet Regierung durch und für das
Volk. Wir sind davon überzeugt, dass unsere Demokratie
von der Einmischung und dem Engagement der Bürgerinnen und Bürger lebt, dass sie dadurch lebendiger und
manchmal auch sachlicher und kreativer wird. Deshalb
wollen wir den Bürgerwillen stärker in politische Entscheidungen einbeziehen.
Viele Bundesländer - auch das wurde schon gesagt haben zahlreiche positive Erfahrungen mit Bürgerentscheiden gemacht. Die Volksabstimmungen haben dort
die Kluft zwischen Staatsmacht und Volk verringert.
Hinzu kommt: Wenn Bürgerinnen und Bürger Entscheidungen mitbestimmen können, sind sie eher bereit, die
Folgen dieser Entscheidungen mitzutragen. Und die
Menschen wollen sich an den Entscheidungen beteiligen. Das hat das neueste Volksbegehren in Berlin, das
„Wasser-Volksbegehren“, gezeigt. Es gab mehr als
280 000 Unterschriften für dieses Volksbegehren. Das ist
ein wichtiger Schritt in Richtung einer bürgerfreundlichen, einer transparenten Politik. Wenn wir erst eine
neue Bürgermeisterin in Berlin haben, werden wir noch
viel mehr Gebrauch von dieser bürgerfreundlichen Politik machen.
({5})
Natürlich bleibt das Parlament bei der direkten Demokratie der zentrale Ort der Auseinandersetzung und
der Entscheidungen. Wir können jederzeit eigene Gesetze beschließen; das ist uns allen hier klar. Wir meinen,
dass Volksabstimmungen die Politik nicht behindern,
sondern ergänzen. Sie sehen also, meine Damen und
Herren insbesondere von der CDU/CSU: Es gibt wenige
Gründe gegen, aber ziemlich viele gute Gründe für die
Einführung einer Volksgesetzgebung auch auf Bundesebene.
({6})
- Dazu komme ich noch. - Vorher möchte ich sagen,
dass auch wir Grünen uns schon sehr lange für diese
Weiterentwicklung der Demokratie einsetzen. Wir wollen, dass durch Volksinitiativen Gesetzesvorschläge von
außen in das Parlament getragen werden. Wir wollen,
dass Bürgerinnen und Bürger stärker in politische Entscheidungen einbezogen werden. Wir wollen, dass die
Bevölkerung wichtige Sachfragen auch zwischen den
Wahltagen entscheiden kann.
Wir haben dabei im Blick - auch das ist schon thematisiert worden -, dass Formen der direkten Demokratie
besonders Menschen ansprechen, die engagiert und politisch interessiert sind. Zwar kann die Politikbeteiligung
von Interessengruppen, insbesondere von finanzstarken,
dominiert werden. Das sind für uns aber keine Argumente gegen direkte Demokratie. Wir meinen, dass wir
vielmehr faire Rahmenbedingungen für direkte Demokratie schaffen müssen und dass wir die Bürgerinnen
und Bürger möglichst frühzeitig an den Entscheidungen
beteiligen müssen.
Wir sehen auch den großen Nutzen der direkten Demokratie. Sie führt zu mehr politischer Information, zu
mehr Motivation und zu mehr Diskussion. Auch die
politische Qualifikation der Bürgerinnen und Bürger
wird dadurch verbessert.
({7})
Wenn Sie zum Beispiel einen Stuttgarter auf den Bahnhof ansprechen, dann werden Sie mit ihm fachgerecht
über die Pläne zum Ausbau des Stuttgarter Bahnhofs diskutieren können. Vielleicht werden Sie sogar erfahren,
dass die tiefen Tunnel die Mineralwasservorkommen in
Bad Cannstatt gefährden. Sie sehen: Bürgerbeteiligung
fördert die Partizipation und das Bürgerengagement.
({8})
Wenn mehr Menschen an der Gestaltung unserer Gesellschaft mitwirken, dann führt dies zu mehr Identifikation mit den Entscheidungen und zu mehr Teilhabe.
Jetzt zu dem Symbol, das Sie, Frau Kollegin
Wawzyniak, gefordert haben. Wir werden uns bei der
Abstimmung über Ihren Gesetzentwurf enthalten.
({9})
Das Thema finden wir zwar gut; aber ihr Gesetzentwurf
hat leider einige gravierende Mängel.
({10})
Die Quoren sind zu niedrig angesetzt, die Fristen für den
Übergang von Volksinitiative zu Volksbegehren und
Volksentscheid zu kurz. Wir finden es nicht sinnvoll und
nicht gut, dass Sie die Abstimmung über Sachfragen mit
Wahlen verbinden wollen. Übrigens wollen wir nicht nur
en passant, am Rande des Plenums, kurz über einen guten Gesetzentwurf diskutieren. Lassen Sie uns die Sache
richtig angehen und fraktionsübergreifend vorgehen!
Dann finden wir gute Lösungen.
Das wachsende Bürgerengagement, das wir derzeit
im Hinblick auf den Kopfbahnhof 21 und den Atomausstieg erleben, ist ein Lehrstück für unsere Demokratie.
Das Land ist durch das Bürgerengagement aufgerüttelt
worden. Wir erleben, dass unsere Demokratie, die mehr
als 60 Jahre alt ist, reifer geworden ist. Sie hat hinzugewonnen, und die Bürgerinnen und Bürger sind selbstbewusster geworden. Heiner Geißler, der Vermittler im
Schlichtungsprozess zu Stuttgart 21, hat es so ausgedrückt: Die Zeiten der Basta-Entscheidungen sind vorbei.
({11})
Auf diesem Weg werden wir Grüne weitergehen,
gerne zusammen mit den anderen Fraktionen im Bundestag; ich setze meine Hoffnungen hier insbesondere
auf die FDP. Wir würden uns wirklich freuen, wenn es
uns gelingen würde, mehr Elemente direkter Demokratie
auf Bundesebene einzuführen. Wir Grüne wollen mehr
Demokratie, und zwar direkt.
Vielen Dank.
({12})
Michael Frieser hat jetzt das Wort für die CDU/CSUFraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Man könnte den Eindruck haben, das, was wir
heute erleben, sei ein Wettstreit in Demokratieversessenheit.
({0})
Für unsere Satisfaktionsfähigkeit bedarf es keines Beweises. Vor allem müssen wir uns nicht von Ihnen sagen
lassen, wer Anhänger direkter Demokratie ist. Es wird
Ihnen nicht gelingen, deutlich zu machen, dass CDU und
CSU - das gilt auch für die FDP - gegen Plebiszite
seien. Im Gegenteil: Dort, wo sie richtig und angebracht
sind, und in geeigneten Organisationsformen funktioniert direkte Demokratie. Das hat sich erwiesen.
Die Linken führen das System der direkten Demokratie ad absurdum. Über diese Formen der Beteiligung diskutieren wir schon seit Jahren. Frau Hönlinger, was den
Gesetzentwurf der Linken betrifft, geht es nicht nur um
Missverständnisse und handwerkliche Fehler. Vielmehr
wurde ein Jahr lang diskutiert, ohne dass Sie auf Gegenargumente eingegangen sind. Ich frage mich, inwieweit der Diskussionsprozess hier noch funktioniert.
Worum geht es den Linken? Sie versuchen, mit Ihrem
Gesetzentwurf zu politisieren.
({1})
Ich würde Ihnen gerne glauben, dass Sie es mit der Demokratie gut meinen. Ich würde Ihnen gerne glauben,
dass Ihre Vorschläge dazu beitragen sollen, die Demokratie unmittelbarer, erfahrbarer und erlebbarer zu machen. Letztlich geht es Ihnen aber darum, eine DagegenDemokratie zu etablieren.
({2})
Was Sie beabsichtigen, ist die Instrumentalisierung
von Minderheiten. Sie wollen dem Land und der Bevölkerung vortäuschen, dass es hier eine gesamtgesellschaftliche Bewegung gibt. Ihnen geht es aber nur um
Minderheiten. Die Linke ist immer bass erstaunt und zutiefst enttäuscht von diesem Volk, wenn sie sich der sogenannten Volksseele wirklich einmal stellt. Das lässt
sich relativ leicht anhand des Themenkatalogs nachweisen, über den wir hier reden. Natürlich soll über moralisch-ethische Themen und alles, was in irgendeiner Art
und Weise mit Religion zu tun hat, nicht abgestimmt
werden.
({3})
- Ich glaube nicht, dass man in diesem Land gerne eine
Volksabstimmung auf Bundesebene über Minarette
durchführen würde. Man will auch keine Abstimmung
zum Thema Todesstrafe. Ich jedenfalls will das nicht.
Wenn dann doch einmal eine Volksabstimmung in einem Bundesland durchgeführt wird - das Thema wurde
vom Kollegen Wellenreuther schon angesprochen; es
geht um Hamburg -, dann passt Ihnen das Ergebnis
nicht.
({4})
- Herr Kollege Wieland, weil Sie sich so lautstark zu
Wort melden, darf ich Sie einmal fragen - hören Sie besser zu; dann können Sie etwas lernen -: Glauben Sie allen Ernstes, dass man über Berlin als Hauptstadt wirklich hätte abstimmen lassen können? Glauben Sie, dass
diese Entscheidung damals dann zugunsten von Berlin
hätte getroffen werden können?
Sie legen hier einen Abstimmungskatalog vor, in dem
steht, worüber Ihrer Ansicht nach auf Bundesebene abgestimmt werden könnte. Das muss ein Zeitgeistkatalog
bleiben. Insofern ist der Gesetzentwurf nicht nur handwerklich schlecht. Vielmehr geht es auch inhaltlich in
die falsche Richtung.
({5})
Es besteht immer die Gefahr, dass Protestbewegungen zur Meinungsmache instrumentalisiert werden. Im
Ergebnis kann es darauf hinauslaufen, dass eine radikalisierte, politisierte Minderheit über die Gesetzgebung bestimmt, und das gegen die Mehrheit. Das wird nicht
funktionieren.
Herr Kollege, lassen Sie eine Zwischenfrage von
Herrn Lenkert zu?
({0})
Herr Wieland, Ihre Frage wird sicherlich bis zum
Ende meiner Rede beantwortet sein. Wenn nicht, sollten
Sie so viel Geduld haben, um sie dann zu stellen.
Herr Kollege, es geht nicht um eine Frage von Herrn
Wieland, sondern um eine Frage von Herrn Lenkert.
Möchten Sie sie zulassen?
Darf ich die Fragen vielleicht am Ende meines Gedankenganges zulassen? Das würde mir weiterhelfen.
Können Sie uns sagen, wann der Gedankengang zu
Ende ist?
Ich werde Ihnen das mitteilen, Frau Präsidentin, falls
Sie das nicht mitbekommen sollten.
Das ist schön.
Herr Kollege Wieland, man darf nicht so lange warten, bis eine Minderheit gegen die Mehrheit entscheidet,
erst recht nicht in bestimmten Punkten. Man darf sich als
Abgeordneter einer repräsentativen Demokratie nicht
aus der Verantwortung stehlen und muss zu der Politik
stehen, die man in diesem Land durchsetzen will.
({0})
Es darf nicht zu einer Art Guerillamarketing kommen; das gab es schon. Derjenige, der am aggressivsten
in die politische Auseinandersetzung geht, der am lautesten tönt und der am besten eine mediale Empörung
hervorrufen kann, darf nicht zum Mehrheitsmacher in
diesem Land werden. Hierdurch würden wir meines Erachtens die falsche Richtung einschlagen.
({1})
Es wurde in diesem Land noch nie so viel kommuniziert wie im Augenblick, aber es wurde auch noch nie so
wenig zugehört wie im Augenblick. Wir müssen versuchen, das hypernervöse Grundrauschen, das in diesem
Land manchmal herrscht und dazu führt, dass Wichtiges
und Unwichtiges ineinander übergehen, abzustellen.
Hier haben gerade Politiker und Journalisten eine große
Verantwortung. Sie müssen in der Lage sein, wirklich
objektiv zu berichten, zu bewerten und zu gewichten. Ich
glaube, das ist eine der wesentlichen Aufgaben, die wir
in diesem Land haben. Bei allen Themen, die im Moment durch die Gegend schwirren, muss man feststellen:
Wir haben sehr viele Sender, aber nur ganz wenige Empfänger. Denn jeder kann aufgrund der Masse an Informationen nur noch das hören, was ihn vielleicht wirklich
enerviert. Wir dürfen die Demokratie an dieser Stelle
nicht kleinreden. Diese Debatte sollte nicht dazu da sein.
Es kommt darauf an, dass es einen Diskurs gibt. Ich
kann es nur immer wieder sagen: Es gibt das pädagogische Prinzip der Wiederholung. Man muss Dinge nun
einmal öfter ankündigen. Es ist vollkommen falsch, zu
glauben, dass man mit 80 Millionen Menschen und mit
soundso vielen Wahlberechtigten einen Diskurs führen
kann, wenn es um wirklich komplizierte Vorgänge, verbunden mit Anhörungen von Sachverständigen, geht.
Wie wollen Sie denn in einer öffentlichen Debatte eine
Anhörung von Sachverständigen durchführen?
Als Beispiel nenne ich die Themen Internetsperre und
Datenschutz. Dabei geht es um das Löschen und Sperren. Wir haben monatelang in kleinen Runden versucht,
die Dinge bis ins Detail auszuloten. Ich will niemandem,
der sich lange mit diesen Themen befasst hat, absprechen, dass er zu einem richtigen und guten Ergebnis
kommt. Sollen wir aber Expertenanhörungen tatsächlich
einer aggressiven Öffentlichkeitsarbeit opfern? Ich
glaube, das wäre der falsche Weg.
Ich meine auch, dass wir schauen müssen, dass eine
Idee, die dieses Land und diese Gesellschaft weiterbringen soll, im Sinne des demokratischen Prinzips zu einem
Konsens geführt werden muss. Das ist eine der wesentlichen Aufgaben der Politik.
({2})
- Ich befürchte, Kollege Wieland, Sie haben den Gedankengang noch nicht verstanden. Deshalb möchte ich ihn
kurz erläutern: Entscheidend ist, dass wir in diesem Parlament für eine Idee kämpfen und uns gegenseitig überzeugen. Dazu gehört natürlich, dass man zuhört, Herr
Kollege Wieland;
({3})
anders funktioniert es nicht.
Im Rahmen dieses Diskurses muss man
({4})
- vielleicht stellen Sie Ihre Frage dann zu diesem Gedankengang, Herr Kollege Wieland - auch die Frage berücksichtigen, ob ein Plebiszit wirklich dazu führen
kann, die Wahlbeteiligung zu erhöhen. Ich wage das zu
bezweifeln. Ich komme aus einem Land, in dem durchaus - Kollege Schulz hat darauf hingewiesen - sehr interessante Volksentscheide und Bürgerentscheide zur Abstimmung stehen; dadurch erhöht sich allerdings nicht
die Wahlbeteiligung insgesamt. Das heißt nicht, dass
Plebiszite schlecht sind. Aber Sie verknüpfen zwei
Dinge, die nichts miteinander zu tun haben. Der Satiriker
Karl Kraus hat einmal gesagt: Es gibt Dinge, die so
falsch sind, dass noch nicht einmal das Gegenteil
stimmt.
({5})
Das gilt auch bei diesem Argument. Man muss deutlich
sagen: Man kann keine Begründung heranziehen, die mit
der Sache gar nichts zu tun hat.
({6})
Ich würde wirklich gerne glauben, dass es an dieser
Stelle um die Demokratie geht. Aber ich finde es schon
seltsam - Herr Kollege Wieland, Sie sind wirklich gleich
dran; vertrauen Sie mir; ich habe extra fünf Minuten Argumentationszeit für Sie reserviert -, wenn man eine
Reihe von im Augenblick stattfindenden Diskussionen
zu Protestbewegungen ummünzt und dann im Ergebnis
sagt, das stelle die Mehrheit dar. Ich weiß nicht, ob das,
was im Augenblick im Wendland passiert, wirklich gut
ist, wenn ich sehe, dass der Vorsitzende der Fraktion der
Linken das Ergebnis beeinflusst, indem er sich mit seinem Wagen zu einer Protestbewegung fahren lässt, die
ohnehin überarbeitete Polizei dazu abstellt, auf sein
Auto aufzupassen, um sich dann in einen Trecker zu
wuchten und hinterher zu sagen: Ich repräsentiere hier
die Mehrheit. - Das macht die Politik absurd und führt
im Ergebnis mit Sicherheit nicht weiter.
({7})
Ich glaube - jetzt bin ich bei Ihnen, Herr Kollege
Wieland -, dass die Kritik der Grünen an der handwerklichen Beschaffenheit des Gesetzentwurfes der Linken nur dazu dient, diesem nicht zustimmen zu müssen.
Das kritisieren wir. Ich glaube, dass wir mit dieser Art
und Weise der Auseinandersetzung nicht weiterkommen.
Bekennen Sie Farbe! Wenn Sie etwas Bestimmtes wollen, dann sagen Sie es. Wenn Sie es nicht wollen, dann
lassen Sie es bleiben.
Vielen Dank. - Jetzt darf er fragen, Frau Präsidentin.
Zuerst wäre da eine Frage von Herrn Lenkert gewesen. Wollen Sie die zuerst zulassen?
Jetzt muss sich Herr Wieland auch noch hinten anstellen; das tut mir furchtbar leid.
({0})
Vielen Dank, Herr Kollege Frieser, für die Gelegenheit zur Zwischenfrage. - Ich hatte gehofft, Sie würden
unseren Gesetzentwurf richtig lesen. Sie haben vorhin
die Behauptung aufgestellt,
({0})
dass danach ein Volksentscheid zur Todesstrafe möglich
wäre. Wenn Sie richtig gelesen hätten, dann hätten Sie
gelesen, dass in dem in unserem Gesetzentwurf vorgesehenen Art. 82 a Abs. 2 des Grundgesetzes steht:
Volksinitiativen, durch die … die in den Artikeln 1
und 20 niedergelegten Grundsätze berührt werden
… sind unzulässig. Volksinitiativen zur Änderung
des Grundgesetzes dürfen kein Grundrecht in seinem Gehalt antasten.
Gleichzeitig besteht, wie bei jedem Gesetz, die Möglichkeit, auch einen per Volksgesetzgebung zustandegekommenen Gesetzentwurf vom Verfassungsgericht überprüfen zu lassen. Unter diesem Aspekt frage ich Sie, wie
Sie zu der falschen Behauptung kommen, dass wir die
Einführung der Todesstrafe befürchten müssten, wenn
eine Volksgesetzgebung eingeführt würde.
({1})
Herr Lenkert, ich bin fast versucht, mich bei Ihnen für
diese Zwischenfrage zu bedanken. So kann ich dem Eindruck entgegentreten, ich wäre Anhänger eines Plebiszits über die Todesstrafe. Das ist verkehrt. Das sage ich
deutlich, falls dieser Eindruck entstanden sein sollte. Sie
nehmen eindeutig bestimmte Fragen aus dem Katalog
heraus. Nicht nur, dass das Grundgesetz schon darüber
Auskunft gibt; ich will damit auch deutlich machen, dass
es einen ganzen Katalog an Fragestellungen gibt, die
sich - das geben Sie mit Ihrer Frage auch zu - ohnehin
einer Abstimmung durch ein Plebiszit auf Bundesebene
entziehen, weil wir das nicht machen dürfen. Das bestreite ich nicht.
({0})
Ich will damit nur deutlich machen, dass es einen ganzen Katalog gibt. Die Auflistung war klar. Es ging um
religiöse, moralische und ethische Fragen. Diese Fragen
können wir nicht dem Zeitgeist gemäß zur Abstimmung
stellen.
Nehmen Sie als nächstes Beispiel die Sicherungsverwahrung. Ich glaube, dass wir in diesem Land nicht unbedingt zu einem richtigen und konformen Ergebnis gekommen wären, wenn wir sie zur Abstimmung gestellt
hätten.
({1})
- Nein, überhaupt nicht.
Herr Wieland.
Herr Kollege Frieser, als Abgeordneter aus Berlin
sind mir bei Ihrer Rede etliche Fragen gekommen. Ich
will sie komprimieren. Es bleibt mir nichts anderes
übrig, als sie zusammenzufassen.
Habe ich es richtig in Erinnerung, dass die Abgeordneten der CSU beispielsweise beinahe geschlossen gegen Berlin als Bundeshauptstadt gestimmt haben, und
wäre das Volk dabei nicht möglicherweise klüger als die
CSU gewesen?
({0})
Wie kommt es ferner, dass Ihre Partei in Berlin da, wo
wir in der Regel gegen den Willen dieser Partei die Möglichkeiten zu Volksbegehren und Volksentscheide haben,
bei Bürgerbegehren immer eine Dagegen-Partei ist? Bei
dem Bürgerbegehren gegen die Umbenennung in RudiDutschke-Straße war die CDU-Kreuzberg vorneweg.
Sie war als Dagegen-Partei auch gegen die Schließung des Flughafens Tempelhof. In einer so komplizierten Frage, wie Sie es gerade geschildert haben, bei der
Experten eingebunden waren und ein Planfeststellungsverfahren durchgeführt wurde, hat Ihr damaliger Fraktionsvorsitzender Friedbert Pflüger am Abend der Auszählung gesagt, diese Niederlage sei ein großer Erfolg
für die CDU. Wie er dazu kam, weiß ich nicht. Aber er
hat sich in einer solchen Weise an die Spitze dieses
Volksbegehrens gestellt, dass die CDU-Initiatoren des
nächsten Volksbegehrens zum Thema „Religion als
Wahlpflichtfach“ Angst hatten, dass auch dieses Volksbegehren ein solches CDU-Label bekommt, dass es am
Ende scheitert.
Warum sollen Ihre ganzen Argumente, dass das große
Geld zählt, dass es um Marketing geht, dass es zu einer
Dagegen-Demokratie kommt und dass sich damit Minderheiten durchsetzen wollen - in Berlin ist die CDU
eine Minderheit, das gebe ich zu -, hier gelten, aber
nicht in den Bundesländern?
Herr Kollege Wieland, das entscheidende Problem ist,
dass Sie den Ausführungen anscheinend nicht ganz aufmerksam gelauscht haben.
({0})
Denn der Großteil Ihrer Argumentation wurde schon bei
der Rede des Kollegen Wellenreuther angesprochen.
Worum geht es? Ich schätze Friedbert Pflüger sehr. Er
ist zwar nicht mein Fraktionsvorsitzender, aber als direkt
gewählter Abgeordneter aus Bayern kann ich sagen, dass
es sehr wohl eine ganze Reihe von Fragen gibt, über die
man gut und richtig abstimmen kann, wenn sich die Fragestellung eindeutig auf eine Ja-Nein-Konstellation reduzieren lässt. Ich bin der Auffassung, dass es dann
funktioniert.
({1})
Ich habe keinen Zweifel daran, dass die Bürger von
Berlin in der Lage sind, entsprechende Fragen, vor allem
die ihrer kommunalen Verfassung, zu entscheiden. Ich
will aber noch einmal darauf hinweisen, dass es in unserem föderalen System aufgrund der Tatsache, dass es
eine Reihe von Argumenten und Themen gibt, die sich
einer Abstimmung auf Bundesebene entziehen, nicht
möglich ist, eine Volksabstimmung auf Bundesebene
durchzuführen.
({2})
Alle Beispiele, die Sie nennen, stehen bewusst in einem
unmittelbaren kommunalen Zusammenhang, in dem die
Bürger vor Ort sehr sachkundig über die Fragen entscheiden können.
Es hilft letzten Endes nicht, dass Sie versuchen, die
Argumente auf die Bundesebene zu übertragen. Denn
damit lassen sich die Fragen zu diesem Thema nicht beantworten.
Im Ergebnis darf ich darauf hinweisen, dass eine
Volksgesetzgebung nur dann sinnvoll ist, wenn sie die
Themen so klar zuschneidet, dass eindeutige Fragen zur
Abstimmung gestellt werden können. Schließlich kann
die gesamte Diskussion nicht so aufgerollt werden, wie
es etwa mithilfe von Sachverständigenanhörungen in der
Regel notwendig ist. Deshalb glaube ich, dass wir mit
unserer Verfassung, die Plebiszite auf kommunaler Ebene
und auf Länderebene vorsieht, durchaus gut beraten
sind. Dort funktionieren sie. Ich glaube, dass man den
Gesetzentwurf der Linken aus guten Gründen ablehnen
muss.
Vielen Dank.
({3})
Herr Kollege, möchten Sie noch eine Zwischenfrage
des Kollegen Wellmann zulassen?
Wenn Sie möchten.
Bitte schön.
Herr Kollege, wären Sie bereit, den Kollegen Wieland
darauf hinzuweisen, dass der CDU-Fraktionsvorsitzende
im Berliner Abgeordnetenhaus gerade eine Volksbefragung zur Verlängerung der A 100 vorgeschlagen hat und
es die Grünen waren, die öffentlich erklärt haben, sie
seien gegen eine solche Volksbefragung?
({0})
Vielen Dank, Herr Kollege, den Gedanken greife ich
gerne auf und erweitere ihn zu einer Anfrage an Herrn
Wieland, die wir gerne bilateral mit ihm diskutieren können. Ich glaube nicht, dass die Grünen bereit sind, eine
Abstimmung über alle Arten von Trassen- und Verkehrsproblemen herbeizuführen. Ich gebe das gerne an den
Kollegen Wieland weiter.
Vielen Dank.
({0})
Daniela Kolbe hat das Wort für die SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen!
Liebe Bürgerinnen und Bürger, vielleicht haben Sie einen weiten Weg genommen, um heute hier bei uns zu
sein. Schön, dass Sie da sind!
Wir alle hier im Saal sind überzeugte Demokratinnen
und Demokraten. Aber schon wenn es um eine Einschätzung der Situation unserer Demokratie geht, gehen unsere Positionen offenbar weit auseinander.
Unsere Demokratie ist nicht vom Himmel gefallen.
Sie wurde vielfach erkämpft, und wir haben sie auch
schon einmal verloren. Für viele Menschen in unserem
Land war Demokratie für mehr als 60 Jahre nur ein
Traum. Für diesen Traum sind im Jahr 1989 in der DDR
Zehntausende Menschen auf die Straße gegangen; sie
haben zum Teil ihr Leben dafür riskiert. Diese Menschen
kennen den Wert von Demokratie und freier Meinungsäußerung sehr gut, vielleicht sogar besser als andere.
Umso erschreckender ist es, dass die Zustimmung zur
Demokratie gerade in den neuen Ländern geringer wird,
dass sie ohnehin schon erschreckend gering ist.
Wenn man genau nachfragt, erfährt man erstaunliche
Sachen: Eine repräsentative Studie der Friedrich-EbertStiftung hat zum Beispiel ergeben, dass 93 Prozent unserer Bevölkerung der Grundidee der Demokratie zustimmen. Jedoch sind nur 46 Prozent zufrieden damit,
wie die Demokratie derzeit funktioniert. Um die andere
Hälfte dieser mit der Demokratie grundsätzlich einverstandenen Menschen müssen wir ganz besonders hart
kämpfen.
Demokratie ist kein abgeschlossener Prozess; sie entsteht ständig neu. Wir müssen sie immer wieder neu erklären und die Menschen dafür begeistern. Wir müssen
sie auch dadurch rechtfertigen, dass sie eine gerechte
Politik im Sinne der Menschen hervorbringt.
Studien wie die von Serge Embacher haben ergeben,
dass die Zustimmung zur Demokratie abnimmt, wenn
die Menschen den Eindruck haben, dass es im Land
nicht gerecht zugeht. Wenn wir heute über den Zustand
der Demokratie und über mehr direkte Demokratie debattieren, dann sollten wir auch das im Blick behalten.
Es geht nicht nur um die Form der Demokratie, sondern
es geht auch um ihren Inhalt. Schwarz-Gelb hat unserer
Demokratie im letzten Jahr mit seiner Politik, einer Politik für Lobbyisten und gegen die Mehrheit der Menschen, jedenfalls keinen Gefallen getan.
({0})
Für die SPD ist Demokratie seit fast 150 Jahren Ziel
und Mittel gleichzeitig. Wir wollen, dass möglichst alle
Menschen in unserem Land an der Demokratie beteiligt
sind und mitbestimmen, in welche Richtung sich unsere
Gesellschaft entwickeln soll. Demokratie ist mehr, als
alle vier Jahre zur Wahl zu gehen.
({1})
Wir wollen weiterhin eine Demokratisierung der gesamten Gesellschaft.
({2})
Dazu gehören für uns Demokratie in den Unternehmen,
in den Schulen, in den Hochschulen, bei Demonstrationen, aber eben auch über direkte Mitsprache bei Bürgerentscheiden und Bürgerinitiativen. Direkte Demokratie
ist für uns ein Mittel, um die Menschen wieder stärker zu
beteiligen.
Auch aus diesem Grund - das wurde schon angesprochen - hat die SPD bereits 2002 einen entsprechenden
Gesetzentwurf vorgelegt. Dieser Grundsatz gilt für uns
weiterhin. Leider ist mit Blick auf die rechte Seite dieses
Hauses eine dazu notwendige Änderung des Grundgesetzes schon rein rechnerisch nicht möglich. Das finden
wir mehr als bedauerlich.
({3})
Gerade bei Ihnen in der Union ist die Angst vor Elementen direkter Demokratie unheimlich groß. Für Teile der
Union scheint Demokratie sich auf den Parlamentarismus zu beschränken.
Anders als für die Union ist für uns mit dem wahren
Satz - er ist wahr - „Der Parlamentarismus hat dieses
Land weit gebracht“ eben nicht alles gesagt. Wir nehmen
zur Kenntnis, dass sich zunehmend eine Kluft zwischen
politisch Aktiven und dem Rest der Bevölkerung entwickelt. Das geflügelte Wort von „denen da oben“ ist erschreckend weit verbreitet. Zugegeben: Mitunter habe
ich den Eindruck, dass die eine oder andere Bürgerinitiative vor allem zum Ziel hat, es „denen da oben“ - gemeint sind wir - einmal richtig zu zeigen. Andererseits
habe ich bei Ihnen, der Koalition - zum Beispiel war das
vorgestern bei manchem Redebeitrag zum Thema Castor
der Fall -, den Eindruck, dass Sie sich sehnlich wünschen, dass die Menschen draußen endlich einmal die
Klappe halten und Ihre Entscheidungen hinnehmen. Im
Zweifel setzt man solche Entscheidungen mit Polizeigewalt durch. Wenn aber Parlamentarismus bedeutet,
dass plötzlich die Bevölkerung gegen die Parlamente ist,
dann ist eines eindeutig klar: Bei dieser Auseinandersetzung können beide Seiten nur verlieren.
({4})
Deshalb freue ich mich, dass wir über eine Ergänzung
des Parlamentarismus durch Elemente der direkten Demokratie diskutieren. Direkte Demokratie kann dazu
beitragen, dass Bevölkerung und Parlamente wieder aufeinander zugehen. Direkte Demokratie zeigt aber auch,
dass unterschiedliche Positionen nicht Parlamente und
Bevölkerung trennen, sondern dass die Trennlinien quer
durch die Parlamente und quer durch die Bevölkerung
verlaufen.
Die SPD will direkte Demokratie, aber sie will sie gut
abgestimmt. Sie soll den Parlamentarismus ergänzen,
nicht ersetzen. Deshalb herzlichen Dank an die Linke für
das Einbringen des Antrags. Wir empfinden aber die
vorgeschlagenen Quoren für Volksinitiativen als eindeutig zu niedrig. Ich möchte Ihnen einmal ein Gefühl dafür
vermitteln, was ein Quorum von 100 000 Stimmen bedeutet. Die Linke hat in Hamburg bei der letzten Bundestagswahl knapp 100 000 Stimmen bekommen. Über
die Landesliste ist deshalb ein Abgeordneter in den Bundestag eingezogen. Es gibt ziemlich viele gute Gründe
dafür, warum wir es in diesem Haus so handhaben, dass
nicht ein einzelner Abgeordneter eine Gesetzesinitiative
einbringen kann.
({5})
Ein solch niedriges Quorum wäre eine zu starke Entwertung der Parlamente. Gleichzeitig sollten die Quoren
auch nicht zu hoch sein. Es bleibt deshalb dabei: Die
SPD schlägt ein Quorum von 400 000 Stimmen für eine
Volksinitiative und von 5 Prozent der Wahlbevölkerung
für Volksentscheide vor.
Kritisch sehen wir auch Ihren Vorschlag, die Bundestagswahlen zur Abstimmung über Teile der Wahlprogramme zu machen. Bundestagswahlen würden dann zu
Kreuzeltests werden. Statt demokratische Debatten über
schlüssige Programme zu führen, soll die Debatte auf
eine Handvoll plakativer Auseinandersetzungen eingedampft werden. Verflachung ist dabei eindeutig programmiert. Außerdem ginge das Grundprinzip plebiszitärer Elemente verloren, nämlich Ideen der Bevölkerung
aufzunehmen. Ich kann durchaus nachvollziehen, dass
die Idee aus Sicht der Linken mehr als verlockend ist.
Immerhin kann man so als Daueroppositionspartei Inhalte durchsetzen. Die SPD aber befürwortet mehr
direkte Demokratie nicht, um die parlamentarische Opposition zu stärken, sondern die demokratische Mitbestimmung der Bevölkerung soll über den Wahltag hinaus
gestärkt werden.
({6})
Ich fasse zusammen. Für die SPD ist klar: Mehr Demokratie ist nötig. Mehr direkte Demokratie ist deshalb
eine sehr gute Idee. Wir werden auch weiterhin dafür arbeiten, dass in diesem Haus eine Zweidrittelmehrheit dafür zustande kommt. Wir rufen der Union zu: Haben Sie
keine Angst vor der Bevölkerung.
({7})
Drehen Sie sich einmal um und schauen Sie zur Tribüne.
Vor diesen interessierten Menschen muss man wirklich
keine Angst haben. Wir sagen aber auch: Mehr direkte
Demokratie muss gut gemacht sein. Der Antrag der Linken wird dem leider nicht gerecht. Deshalb lehnt die
SPD den Antrag ab.
Vielen Dank.
({8})
Jetzt hat das Wort Stephan Thomae für die FDP-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Für die
FDP ist direkte Demokratie kein Teufelszeug. Zunächst
will ich deshalb ein paar Worte über das verlieren, was
ich an diesem Antrag gut finde.
Ich bin der Meinung, dass diese repräsentative parlamentarische Demokratie in der Tat das beste politische
System ist, das wir in diesem Lande jemals hatten. Man
könnte sich deswegen fragen: Wozu brauchen wir eigentlich direktdemokratische Elemente? Es ist doch eine
unbequeme Sache, wenn das Volk dauernd mitmischt.
Aber auch Gutes kann man verbessern, auch Gutes kann
und muss man gelegentlich weiterentwickeln. Deswegen
begrüße ich es, dass wir nicht beim Guten stehen bleiben, sondern uns auch Gedanken über Verbesserungen
machen wollen.
({0})
Allerdings bin ich etwas irritiert über den Absender
dieses Antrags; denn ich bringe die Linken sonst nicht
mit einem politischen System in Verbindung, in dem die
Meinungsfreiheit Andersdenkender der höchste Wert ist.
({1})
Deswegen sollte man einmal genauer hinschauen und einen zweiten Blick wagen.
Mir fallen zwei Dinge an Ihrem Antrag auf, weshalb
wir Liberale ihn ablehnen werden.
Erstens. Wir klagen häufig über eine abnehmende
Wahlbeteiligung. Nun kann es bei allgemeinen Wahlen
aus systematischen Gründen keine legitimatorische Untergrenze geben. Auch wenn sich nur wenige Menschen
an einer Wahl beteiligen, bleibt deswegen kein Sitz in einem Gemeinderat, Stadtrat, Landtag oder im Bundestag
unbesetzt. Bei Abstimmungen stellt sich hingegen sehr
wohl die Frage nach einer legitimatorischen Untergrenze.
({2})
Deswegen gibt es bei Volks- und Bürgerentscheiden mit
guten Gründen Quoren. Dabei sollen Eingangsquoren
nicht zu hoch sein, wodurch der Volksentscheid zur unerreichbaren Verheißung würde. Sie sollen aber auch
nicht zu niedrig sein, wodurch kampagnenfähige Minderheiten ihre Spezialinteressen sozusagen bei Nacht
und Nebel unbemerkt vorbeischmuggeln könnten.
Zweitens. Es soll aber auch nicht das genaue Gegenteil dessen geschehen: Abstimmungen sind naturgemäß
reine Mehrheitsentscheidungen. Die Mehrheit majorisiert die Minderheit, auch wenn das Ergebnis noch so
knapp ausfallen sollte. 49 Prozent sind eigentlich keine
vernachlässigbare Größe; aber sie fallen bei Abstimmungen naturgemäß unter den Tisch. Eine Volksabstimmung
kennt nur Ja oder Nein, sie kennt nur Sieger oder Verlierer.
({3})
Minderheitenaspekte, Randaspekte bleiben unberücksichtigt. Nun sagen Sie zu Recht, das sei hier doch auch
der Fall.
({4})
Aber bei unseren Abstimmungen - das ist der Unterschied zur direkten Demokratie - geht die Kunst der
Kompromissfindung voraus. Das ist, meine ich, der
Vorzug, den wir hier im Parlament haben.
({5})
Wenn man nun diese beiden Schwächen - Minderheitenthemen und Minderheitendiktat - kombiniert, dann
ergibt sich gerade wegen niedriger Quoren das Problem
des Diktats einer Mehrheit, die in Wirklichkeit eine Minderheit ist. Vor diesem Hintergrund hat das niedrige Eingangsquorum im Antrag der Linken vielleicht Kalkül;
vielleicht haben Sie mit Diktaten nicht das Problem, das
wir als Liberale mit ihnen haben.
Wir Liberale - das will ich ganz deutlich sagen - wollen mehr Demokratie, und das heißt auch, mehr direkte
Demokratie. Aber wir verstehen darunter mehr als nur
Volksabstimmungen.
({6})
Wir wollen nicht nur die parlamentarische Demokratie
weiterentwickeln, sondern auch die direkte Demokratie.
Wir wollen nicht einfach nur entweder parlamentarische
oder direkte Demokratie, sondern eine Verknüpfung der
beiden, wir wollen ein Ineinandergreifen, eine Verzahnung.
({7})
- Herr Kollege Wieland, deswegen enthält unser Koalitionsvertrag in diesem Punkt Ansätze dazu, wie wir im
Bereich des Petitionswesens eine Form der Volksinitiative entwickeln, bei der aber die verantwortliche Entscheidung beim Parlament verbleibt. Frau Kollegin
Mast, derzeit führen wir Gespräche mit unserem Koalitionspartner hierüber, die wir auch zügig voranbringen
werden.
({8})
Übrigens gibt es auch Vorstufen direkter Demokratie, die nicht unbeachtet bleiben sollten. Ich denke zum
Beispiel an das Modell der Bürgergutachten, wie sie die
beiden Münchener Wissenschaftler Hilmar Sturm und
Christian Weilmeier entwickelt haben. Dabei geht es darum, dass Bürger nach einem Zufallsprinzip ausgewählt
werden, dann in professionell moderierten Sitzungen auf
Entscheidungen vorbereitet werden - dabei gibt es Expertenanhörungen, wie wir sie auch im Parlament kennen -, und dann wird ein Gutachten erstellt, in dem eine
Empfehlung für die Volksvertreter abgegeben wird, die
dann eine verantwortliche Entscheidung zu treffen haben. Das ist, wie ich finde, ein sehr interessantes Modell.
Entscheidend ist für uns Liberale, dass direkte Demokratie weder ein Instrument für eine Minderheit sein
kann, um Mehrheitsverhältnisse auszuhebeln, noch ein
Instrument für ein Parlament sein kann, sich einer Entscheidung zu begeben. Deswegen befürworten wir grundsätzlich direktdemokratische Elemente. Den Gesetzentwurf der Linken in der heute vorliegenden Form lehnen
wir aber ab.
Ich danke Ihnen.
({9})
Für die SPD-Fraktion hat Klaus Hagemann jetzt das
Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Wir führen eine schon fast anderthalbstündige
Debatte über den Gesetzentwurf der Linken. Sie haben
dargelegt, dass man von der Politikverdrossenheit der
Menschen ausgehen muss, dass es zu wenig Möglichkeiten der politischen Einflussnahme gibt, dass Petitionen
nicht ausreichen. „Zuschauerdemokratie“ ist ein Wort
von Ihnen.
Wir sollten unsere repräsentative Demokratie, wie sie
in über 60 Jahren gewachsen ist und die sich bewährt
hat, nicht schlechtreden; das möchte ich unterstreichen.
({0})
Aber - liebe Kolleginnen und Kollegen von der Union,
vielleicht haben Sie zu früh geklatscht ({1})
wir müssen auch die gesellschaftliche Entwicklung sehen, so wie meine beiden Kolleginnen Fograscher und
Kolbe das dargelegt haben. Das müssen wir in die Überlegungen einbeziehen und deswegen auch mehr Bürgerbeteiligung in unser Grundgesetz hineinschreiben.
Dazu fällt mir ein Vorschlag des Landes RheinlandPfalz ein. Dort will man in den nächsten Wochen und Tagen intensiv über eine mehrstufige Bürgerbeteiligung bei
großen Baumaßnahmen diskutieren. Dort will man die
Bürger von Anfang an in die Meinungsbildung und in
die Entscheidung einbeziehen. Ich glaube, damit sind
wir auf dem richtigen Weg.
({2})
Auf der Unionsseite war eben von der Dagegen-Demokratie die Rede. Ich frage mich: Wie ist das denn in
anderen europäischen Ländern, in denen es Volksabstimmungen, Referenden, gibt? Ist das in Frankreich, in Irland, in Dänemark usw. auch eine Dagegen-Demokratie?
Nein!
Wenn wir schon auf die europäische Ebene schauen,
meine Damen und Herren, dann sollten wir auch daran
denken, dass es das europäische Volksbegehren gibt.
Das Europäische Parlament hat sich mit den Stimmen
der Europäischen Volkspartei, also Ihrer Parteifamilie,
Kolleginnen und Kollegen von der Union, für eine stärkere Bürgerbeteiligung eingesetzt. Folgen Sie doch dem
Beispiel Ihrer Kollegen in Brüssel!
({3})
Ich möchte in meiner Argumentation auch das Petitionsrecht nicht zu kurz kommen lassen, Kollege
Thomae; denn das ist sehr wichtig. Wir haben es gemeinsam weiterentwickelt in Richtung einer stärkeren
Bürgerbeteiligung. Wir haben am Montag dieser Woche
wieder erlebt, wie die Menschen vom Petitionsrecht Gebrauch machen; ich nenne nur die elektronische Petition
und die öffentliche Petitionsberatung. Hier sind wir auf
einem guten Weg.
Ich bin froh darüber, dass uns die Union gefolgt ist.
Wir mussten euch, liebe Kolleginnen und Kollegen, erst
zum Jagen tragen.
({4})
Ihr hattet so viele Bedenken. Heute wird das auch von
der Union begrüßt und als positiv dargestellt. Damit sind
wir auf dem richtigen Weg. Ihr werdet auch noch dahin
kommen, zu erkennen, dass eine stärkere Bürgerbeteiligung im Grundgesetz zu verankern ist.
Meine Damen und Herren, wir müssen auch die Verfahrensgrundsätze im Petitionsverfahren weiterentwickeln. Was wir vorgesehen haben, hat sich zum Teil als
zu eng erwiesen. In drei Wochen müssen 50 000 Unterschriften eingehen. Die Zeit ist zu knapp bemessen; sie
muss ausgeweitet werden, damit sich mehr Bürger beteiligen können; die Begeisterung ist da. „Hebammen“,
„Internetsperren“, „GEMA“ und viele andere Themen
sind zu nennen, bei denen wir etwas umgesetzt haben.
Wenn es um eine Ausweitung des Petitionsrechts
geht, Kollege Thomae, reicht es nicht aus, dass wir hier
im Plenum des Bundestages über Petitionen diskutieren;
denn da kann der Petent gar nicht mitwirken. Wichtig ist,
mehr öffentliche Petitionen zu behandeln, an denen der
Petent und die Petentin selbst mitwirken und mit diskutieren können. Deshalb ist das nur ein Schritt, und es
muss ein größerer gemacht werden.
({5})
Meine Damen und Herren, wir von der SPD - der Antrag von 2002 hat es bewiesen - wollen mehr plebeszitäre Elemente als Ergänzung der repräsentativen Demokratie auf Bundesebene haben. Warum wir dem Antrag
der Linken nicht zustimmen können, haben meine beiden Vorrednerinnen schon wunderbar begründet.
Vielen Dank.
({6})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den Gesetzent-
wurf der Fraktion Die Linke zur Änderung des Grundge-
setzes, Einführung der dreistufigen Volksgesetzgebung
in das Grundgesetz. Der Innenausschuss empfiehlt in
seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/3609,
den Gesetzentwurf der Fraktion Die Linke abzulehnen.
Wir stimmen über den Gesetzentwurf namentlich ab. Ich
bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgese-
henen Plätze einzunehmen. - Sind alle Urnen besetzt? -
Das ist der Fall. Dann eröffne ich die Abstimmung.
Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine
Stimmkarte nicht abgeben konnte? - Ist jetzt noch ein
Mitglied des Hauses anwesend, das seine Stimmkarte
nicht abgegeben hat? - Das ist nicht der Fall. Dann
schließe ich die Abstimmung.
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt
Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit
der Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis der Abstim-
mung wird Ihnen später bekannt gegeben.1)
Wir setzen die Beratungen fort.
({0})
- Jetzt würde ich gerne erst einmal die Debatte fortsetzen und bitte die Kolleginnen und Kollegen, die hier immer noch in der Mitte stehen, sich zu setzen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 18 auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Stärkung des Anlegerschutzes und Verbesserung
der Funktionsfähigkeit des Kapitalmarkts
({1})
- Drucksache 17/3628 Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss ({2})‘
Rechtsausschuss
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Haushaltsausschuss
Hierzu ist vorgesehen, eine halbe Stunde zu debattieren. - Dazu sehe und höre ich keinen Widerspruch. Dann
ist das so beschlossen.
Ich gebe als Erstem das Wort dem Kollegen Parlamentarischen Staatssekretär Hartmut Koschyk.
Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen!
Die Bundesregierung ist entschlossen, sich international,
auf europäischer Ebene, aber auch national dafür einzusetzen, dass alle Finanzmärkte, alle Finanzmarktakteure
und alle Finanzinstrumente einer angemessenen Aufsicht und Regulierung unterworfen werden. Das hat die
Bundeskanzlerin vor und im Rahmen des G-20-Gipfels
noch einmal deutlich gemacht; denn die Finanzmarktkrise hat aufgezeigt, dass die Stabilität und Funktionsfähigkeit der Kapitalmärkte dann gefährdet sind, wenn das
Vertrauen der Marktteilnehmer und der Bevölkerung in
funktionierende Märkte und ein faires, kundenorientiertes Finanzdienstleistungsangebot ausgehöhlt wird. Dem
tragen wir mit dem vorliegenden Entwurf eines Gesetzes
zur Stärkung des Anlegerschutzes und der Verbesserung
der Funktionsfähigkeit des Kapitalmarkts Rechnung.
Ein zentrales Anliegen dieses Gesetzesvorhabens ist
es, einen verbesserten Schutz der Anleger vor Falschberatung zu gewährleisten.
({0})
In der Vergangenheit ist der Eindruck entstanden - da-
raus müssen wir die Konsequenzen ziehen -, dass bei
Anlageberatungen nicht immer das Kundeninteresse,
1) Ergebnis Seite 7905 C
sondern oftmals das Provisionsinteresse der Institute im
Vordergrund stand. Die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht, BaFin, verfügt bislang leider noch
nicht über ausreichende Mittel, um diesen Missständen
wirkungsvoll begegnen zu können. Deshalb zielt unser
Gesetzentwurf darauf ab, die Berater und, was noch
wichtiger ist, die Vertriebsverantwortlichen in den Fokus
der Finanzaufsicht zu nehmen.
Hierzu wird bei der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht eine Datenbank eingerichtet werden, an
die die Institute angestellte Anlageberater, Verantwortliche für den Vertrieb und die sogenannten ComplianceBeauftragten melden müssen. Ganz entscheidend ist:
Dabei muss die Qualifikation dieser Personen bestätigt
und im Einzelfall nachgewiesen werden.
Schließlich sollen die Institute verpflichtet werden,
die BaFin über Beschwerden von Kunden zu informieren, die sich auf die Anlageberatung beziehen. Stellt die
BaFin schwerwiegende Verstöße gegen das Gebot einer
anlegergerechten Beratung fest, soll sie in Zukunft verlangen können, dass die betroffenen Mitarbeiter bis zu
zwei Jahre nicht mehr in der Anlageberatung eingesetzt
werden.
Die Finanzmarktaufsicht wird damit zukünftig ein
deutlicheres Bild der Situation in der Anlageberatung erhalten und in die Lage versetzt werden, Fehlentwicklungen stärker entgegenzuwirken - ein ganz großer Schritt
im Hinblick auf einen besseren Anlegerschutz!
({1})
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, die Gewährleistung einer fachlich qualifizierten und anlageorientierten
Beratung ist nur eine wichtige Voraussetzung. Richtiger
Anlegerschutz muss darüber hinaus dafür Sorge tragen,
dass die Anleger über ein möglichst fundiertes Wissen
über die ihnen empfohlenen Finanzprodukte verfügen.
Deshalb sehen wir die Einführung von Produktinformationsblättern vor, die häufig auch als Beipackzettel bezeichnet werden. Auf zwei, höchstens drei Seiten sollen
in Zukunft wesentliche Eigenschaften des Finanzinstruments in einer für den Kunden verständlichen Form dargestellt werden.
Angesichts der dramatischen Lage bei offenen Immobilienfonds haben wir auch dieses Thema in dem Gesetzentwurf angepackt. Durch geeignete regulatorische
Maßnahmen soll der Immobilienfondsmarkt in Zukunft
krisenfester gestaltet werden, um damit das Vertrauen
der Anleger in dieses Finanzinstrument wiederzugewinnen. Der vorliegende Gesetzentwurf sieht daher vor,
dass Anleger ihre Anteile an offenen Immobilienfonds in
den ersten zwei Jahren nach dem Erwerb nicht zurückgeben können. In den anschließenden zwei Jahren können
die Anteile nur gegen einen Rücknahmeabschlag zurückgegeben werden. Hiervon ausgenommen sind Beträge bis zu 5 000 Euro pro Monat und Anleger. Damit
wollen wir gewährleisten, dass Kleinanleger von diesen
Einschränkungen faktisch nicht betroffen werden. Außerdem müssen die Immobilien in den Fonds zukünftig
zu jedem Ausgabe- und Rücknahmetermin bewertet
werden. Damit sollen sachgerechte Anteilspreise gewährleistet werden.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, mangelhafte Transparenz kann an den Finanzmärkten zu schwerwiegenden
Marktverwerfungen und zu unternehmensgefährdenden
Fehlentwicklungen führen. Die Übernahmefälle VW/
Porsche und Continental/Schaeffler haben deutlich gemacht, dass die bisherigen Meldepflichten im Hinblick
auf Beteiligungen an Unternehmen nicht ausreichen, um
die erforderliche Transparenz zu schaffen. Die Nutzung
von Finanzinstrumenten, die keine Meldepflicht auslösen, ermöglichte in der Vergangenheit ein unbemerktes
Anschleichen an die Unternehmen. Um derartige Fälle
des Anschleichens in Zukunft zu verhindern, sieht unser
Gesetzentwurf die Einführung neuer Meldepflichten für
Finanzinstrumente mit Barausgleich und für Geschäfte
mit ähnlicher Wirkung, zum Beispiel Wertpapierdarlehen, vor.
Sie sehen: Wichtige Elemente des Anlegerschutzes
werden in diesem Gesetzentwurf aufgegriffen. Ein wichtiges Vorhaben haben wir vorab umgesetzt: Wir haben
einen Beitrag zur Bekämpfung missbräuchlicher Wertpapiergeschäfte geleistet, indem wir das mit diesem Gesetzentwurf ursprünglich geplante Verbot ungedeckter
Leerverkäufe vorgezogen haben. Hier ist Deutschland
vorausgegangen. Inzwischen folgt uns die Europäische
Kommission mit einem eigenen Vorhaben.
({2})
Ich kündige an, dass wir auch das Thema grauer Kapitalmarkt anpacken werden. Hierzu befinden wir uns in
der Ressortabstimmung. Wir wollen noch in diesem Jahr
auch zu diesem wichtigen Sachverhalt einen in der Bundesregierung abgestimmten Referentenentwurf vorlegen. Ich bitte um zügige Beratung und Zustimmung zu
diesem Gesetzentwurf der Bundesregierung.
Herzlichen Dank.
({3})
Das Wort für die SPD-Fraktion hat nun Carsten
Sieling.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Sehr geehrter Herr Staatssekretär, Sie haben erst am
Schluss Ihrer Rede auf den politisch wirklich brisanten
Punkt hingewiesen. Zuvor haben Sie drei Elemente dieses Gesetzentwurfs ausführlich benannt: die umgehende
und umfassende Registrierungspflicht, der die Banken
unterworfen sind; das Anschleichen; Produktinformationsblätter. Aber Sie haben uns hier nicht deutlich gemacht - das will ich gerne herausarbeiten -, dass von
dem Referentenentwurf, der ursprünglich mehrere Zentimeter dick war und der vor allem wichtige Themen behandelte, nichts übrig geblieben ist.
({0})
Das Bestreben, den gesamten grauen Kapitalmarkt besser zu regulieren, ist dem Lobbyismus schon in den Vorberatungen zum Opfer gefallen.
({1})
- Das muss man so deutlich sagen: Es ist dem Lobbyismus zum Opfer gefallen. Sie sind mit diesem Gesetzentwurf als Tiger gestartet, und Sie landen als Bettvorleger.
({2})
Nichts anderes ist das, was Sie hier vorführen.
Im ursprünglichen Gesetzentwurf, im Referentenentwurf des Bundesfinanzministers, war natürlich auch vorgesehen, den grauen Kapitalmarkt, vor allem die freien
Vermittler und nicht nur die Banken diesem Gesetz zu
unterwerfen und damit eine einheitliche und ganzheitliche Regelung zu treffen. Damit ist Herr Schäuble bei
Herrn Brüderle gescheitert.
({3})
An dieser Stelle ist aus politischer Opportunität ein
schwerer konzeptioneller Fehler gemacht worden. Die
Fairness im Verbraucherschutz geht baden, der Lobbyismus blüht. Das ist die Wahrheit, die wir hier sehen.
({4})
Ich will Ihnen gerne anhand eines Beispiels verdeutlichen, dass es andere Möglichkeiten gegeben hätte. Unsere Grundüberzeugung ist - diese Überzeugung wurde
auch von der Kanzlerin vor der G 20 betont -, dass wir
einheitliche Regelungen für alle brauchen. Sie wollen
aber nur die Beratungen, die den Bankensektor betreffen, regeln, und alles, was den Markt der freien Vermittler betrifft, zur Ausnahme erklären. Sie nehmen diesen
Bereich aus dem Kreditwesengesetz heraus und packen
ihn in die Gewerbeordnung. Damit wird dieses Gesetz
ein zahnloser Tiger. Das haben die FDP, Brüderle und
die entsprechende Lobby zu verantworten.
({5})
Ich hoffe, dass es an dieser Stelle Änderungen gibt. Ich
bin sehr auf die Debatte und vor allen Dingen auf die
weiteren Beratungen gespannt.
Natürlich wollen wir nicht überbürokratisieren. Aber
es gab den Vorschlag, das Kreditwesengesetz in der Weise
behutsam auszugestalten - sozusagen ein KWG light zu
schaffen -, dass kleine Unternehmen, die im Vermittlungsgeschäft tätig sind, anders behandelt werden als
zum Beispiel die Deutsche Bank und andere Großbanken. Da gibt es Möglichkeiten. Am Ende des Tages müssen vor allem der Anleger und der Verbraucher geschützt
werden. Das ist die politische Herausforderung, vor der
wir stehen. Sie bieten uns aber nur eine Mogelpackung.
Ich möchte dieses Thema vertiefen; wir haben im
Finanzausschuss schon angefangen, darüber zu diskutieren. Herr Kollege Flosbach hat sehr ausführlich dargestellt,
({6})
es werde ein einheitliches Recht für Vermittler geschaffen, in das Vermittler von Versicherungen einbezogen
seien. Wunderbar, kann ich nur sagen. Aber wenn man
sich das Ganze etwas genauer anschaut, dann wird man
feststellen, dass schon jetzt 70 bis 80 Prozent der Vermittler aus der Aufsicht herausfallen. Vor allem aber
wollen Sie die Aufsichtsregelungen in die Gewerbeordnung packen.
In diesem Zusammenhang muss man sich fragen: Wer
ist dann die Aufsicht? Es ist dann nicht mehr die BaFin,
sondern es sind die Gewerbeämter. Schauen Sie sich einmal die Aufgaben der Gewerbeämter an. Sie kümmern
sich um die Gaststättenhygiene und viele andere Dinge.
Sie sind außerdem personell unterbesetzt und unterliegen in jedem Bundesland anderen Regelungen. Wir bekommen, was die Aufsicht angeht, einen Flickenteppich
und keinen allgemein geltenden Schutz der Anlegerinnen und Anleger. Das ist das Manko dieses Gesetzentwurfs.
({7})
Dies ist nicht nur die Meinung der Sozialdemokraten
und der Opposition insgesamt. Ich bin sehr froh darüber,
dass es auch unterstützende Stimmen bis in die Regierungsfraktionen hinein gibt. Ich möchte zunächst auf den
entsprechenden Bundesratsbeschluss hinweisen. Der
Bundesrat hat mit Stimmen der CDU-Länder beschlossen:
Demgegenüber spricht sich der Bundesrat dafür
aus, den Grauen Kapitalmarkt angesichts der inhaltlichen Sachnähe in den Anwendungsbereich des
Wertpapierhandlungsgesetzes einzubeziehen.
({8})
Recht hat er. Meine Damen und Herren, hören Sie also
auf den Bundesrat!
({9})
- Immer dann, wenn der Bundesrat recht hat. Wir sind
mit Blick auf die Landtagswahlen in Baden-Württemberg auf einem sehr guten Wege, Herr Dautzenberg, dass
sich die Mehrheit im Bundesrat weiter zu unseren Gunsten verändert.
Frau Merk, die Verbraucherschutzministerin in Bayern, sagte ganz ausdrücklich:
Daher bin ich überrascht, dass nun offenbar doch
die Gewerbeaufsicht weiterhin für die freien Anlageberater und -vermittler zuständig sein soll.
Sie lehnt diese Regelung ebenfalls ab. Ich kann sie dabei
nur unterstützen. Frau Merk, setzen Sie sich durch!
Herr Kollege Dautzenberg, Sie haben sich in vornehmer und zurückhaltender Weise geäußert.
({10})
- Ja, das ist Ihre charmante Art. Das freut mich. - Sie haben gesagt:
Mit einer deutlich erleichterten Aufsicht nach dem
Kreditwesengesetz hätte der Verbraucherschutz im
Finanzdienstleistungsbereich deutlich verbessert
werden können.
({11})
Das ist richtig. Nun geben Sie sich auch einmal Mühe.
Setzen Sie die bessere Regelung durch! Der graue Kapitalmarkt muss staatlich beaufsichtigt werden. Damit fällt
er unter das KWG und unter die Aufsicht der BaFin und
nicht der Gewerbeämter.
({12})
Das müssen wir im Laufe der Beratungen erreichen.
Zum vorliegenden Gesetzentwurf will ich sagen: Er
geht in die richtige Richtung; denn die Befugnisse der
BaFin sollen ausgeweitet werden. Die BaFin soll in Zukunft - zumindest für den Bereich der Banken - ein Vermittlerregister mit der Möglichkeit zur Aufnahme von
Beschwerdemeldungen führen. Das führt zu verbesserten Informationen. Es gibt aber noch gewaltige Mängel
im Bereich der Qualifikation des Personals.
Solche Mängel sehe ich auch beim Produktinformationsblatt. Die SPD hat Vorschläge gemacht, wie das
Produktinformationsblatt viel konkreter gefasst werden
kann. Das brauchen wir; das muss umgesetzt werden.
({13})
Lassen Sie mich die offenen Immobilienfonds ansprechen. Das ist ein weiterer Regelungsbereich, in dem gerade angesichts der Verwerfungen der letzten Wochen
Schritte vorgenommen werden sollten. Ich verweise
auch hier auf ein Votum des Bundesrates: Es ist zu überlegen, wie auf der einen Seite die privaten Anleger und
auf der anderen die institutionellen Anleger zu behandeln sind. Schafe und Wölfe müssen voneinander getrennt werden; nur dann bringen wir einen ordentlichen
Anlegerschutz zustande.
({14})
Wir stehen vor einem Beratungsverfahren, in dem
verschiedene Änderungen in Angriff genommen werden
müssen. Ich fordere Sie vor allem auf, dass Sie die Gesetzgebungsvorhaben, die Sie aus politisch-lobbyistischen Gründen künstlich voneinander getrennt haben,
wieder zusammenführen, damit Deutschland einen einheitlichen Anlegerschutz erhält. Wir brauchen dafür eine
deutliche Revision des vorliegenden Gesetzentwurfs.
Herr Brüderle muss zurücktreten. Herr Schäuble hat an
der Stelle den richtigen Weg gewählt.
({15})
An dieser Stelle möchte ich ihn unterstützen und bestärken. Ich bin jetzt sehr gespannt, wie Kollege Schäffler
von der FDP dieses Thema lobbyistisch darstellen wird.
Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
({16})
Ich unterbreche die Diskussion zu diesem Tagesordnungspunkt und teile das von den Schriftführerinnen und
Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen
Abstimmung zu dem von der Fraktion Die Linke eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des
Grundgesetzes - Einführung der dreistufigen Volksgesetzgebung in das Grundgesetz - mit: abgegebene Stimmen 521. Mit Ja haben gestimmt 61, mit Nein haben gestimmt 400, Enthaltungen 60. Der Gesetzentwurf ist
damit abgelehnt.
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 524;
davon
ja: 61
nein: 400
enthalten: 63
Ja
DIE LINKE
Agnes Alpers
Dr. Dietmar Bartsch
Herbert Behrens
Matthias W. Birkwald
Heidrun Bluhm
Steffen Bockhahn
Eva Bulling-Schröter
Roland Claus
Sevim Dağdelen
Dr. Diether Dehm
Heidrun Dittrich
Werner Dreibus
Dr. Dagmar Enkelmann
Wolfgang Gehrcke
Nicole Gohlke
Diana Golze
Annette Groth
Heike Hänsel
Inge Höger
Dr. Barbara Höll
Andrej Hunko
Ulla Jelpke
Katja Kipping
Harald Koch
Jan Korte
Jutta Krellmann
Katrin Kunert
Sabine Leidig
Michael Leutert
Ulla Lötzer
Dr. Gesine Lötzsch
Thomas Lutze
Dorothee Menzner
Kornelia Möller
Wolfgang Nešković
Thomas Nord
Jens Petermann
Richard Pitterle
Yvonne Ploetz
Ingrid Remmers
Paul Schäfer ({0})
Raju Sharma
Dr. Petra Sitte
Kersten Steinke
Sabine Stüber
Alexander Süßmair
Dr. Kirsten Tackmann
Dr. Axel Troost
Alexander Ulrich
Halina Wawzyniak
Jörn Wunderlich
Nein
CDU/CSU
Ilse Aigner
Peter Altmaier
Peter Aumer
Thomas Bareiß
Norbert Barthle
Günter Baumann
Ernst-Reinhard Beck
({1})
Manfred Behrens ({2})
Veronika Bellmann
Dr. Christoph Bergner
Peter Beyer
Steffen Bilger
Clemens Binninger
Dr. Maria Böhmer
Wolfgang Börnsen
({3})
Wolfgang Bosbach
Norbert Brackmann
Klaus Brähmig
Michael Brand
Helmut Brandt
Dr. Ralf Brauksiepe
Dr. Helge Braun
Heike Brehmer
Ralph Brinkhaus
Leo Dautzenberg
Alexander Dobrindt
Thomas Dörflinger
Marie-Luise Dött
Dr. Thomas Feist
Enak Ferlemann
Ingrid Fischbach
Hartwig Fischer ({4})
Dirk Fischer ({5})
Dr. Maria Flachsbarth
Dr. Hans-Peter Friedrich
({6})
Erich G. Fritz
Hans-Joachim Fuchtel
Alexander Funk
Ingo Gädechens
Dr. Thomas Gebhart
Norbert Geis
Alois Gerig
Eberhard Gienger
Michael Glos
Josef Göppel
Peter Götz
Dr. Wolfgang Götzer
Hermann Gröhe
Michael Grosse-Brömer
Markus Grübel
Manfred Grund
Monika Grütters
Olav Gutting
Florian Hahn
Holger Haibach
Dr. Stephan Harbarth
Gerda Hasselfeldt
Dr. Matthias Heider
Mechthild Heil
Ursula Heinen-Esser
Frank Heinrich
Rudolf Henke
Michael Hennrich
Jürgen Herrmann
Ansgar Heveling
Ernst Hinsken
Peter Hintze
Christian Hirte
Franz-Josef Holzenkamp
Joachim Hörster
Anette Hübinger
Thomas Jarzombek
Dieter Jasper
Dr. Franz Josef Jung
Andreas Jung ({7})
Dr. Egon Jüttner
Hans-Werner Kammer
Steffen Kampeter
Alois Karl
Bernhard Kaster
Siegfried Kauder ({8})
Volker Kauder
Dr. Stefan Kaufmann
Roderich Kiesewetter
Eckart von Klaeden
Ewa Klamt
Volkmar Klein
Jürgen Klimke
Axel Knoerig
Jens Koeppen
Dr. Kristina Schröder
Manfred Kolbe
Hartmut Koschyk
Michael Kretschmer
Gunther Krichbaum
Dr. Günter Krings
Rüdiger Kruse
Bettina Kudla
Dr. Hermann Kues
Günter Lach
Andreas G. Lämmel
Katharina Landgraf
Ulrich Lange
Dr. Max Lehmer
Paul Lehrieder
Dr. Ursula von der Leyen
Ingbert Liebing
Matthias Lietz
Dr. Carsten Linnemann
Patricia Lips
Dr. Jan-Marco Luczak
Dr. Michael Luther
Karin Maag
Dr. Thomas de Maizière
Hans-Georg von der Marwitz
Andreas Mattfeldt
Stephan Mayer ({9})
Dr. Michael Meister
Maria Michalk
Dr. h. c. Hans Michelbach
Dr. Mathias Middelberg
Philipp Mißfelder
Marlene Mortler
Stefan Müller ({10})
Nadine Schön ({11})
Dr. Philipp Murmann
Bernd Neumann ({12})
Michaela Noll
Dr. Georg Nüßlein
Franz Obermeier
Henning Otte
Dr. Michael Paul
Rita Pawelski
Ulrich Petzold
Dr. Joachim Pfeiffer
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse
Sibylle Pfeiffer
Beatrix Philipp
Ronald Pofalla
Christoph Poland
Ruprecht Polenz
Eckhard Pols
Dr. Peter Ramsauer
Eckhardt Rehberg
Katherina Reiche ({13})
Lothar Riebsamen
Josef Rief
Klaus Riegert
Dr. Heinz Riesenhuber
Johannes Röring
Dr. Christian Ruck
Erwin Rüddel
Albert Rupprecht ({14})
Dr. Annette Schavan
Dr. Andreas Scheuer
Karl Schiewerling
Tankred Schipanski
Georg Schirmbeck
Christian Schmidt ({15})
Patrick Schnieder
Dr. Andreas Schockenhoff
Dr. Ole Schröder
Bernhard Schulte-Drüggelte
Uwe Schummer
Armin Schuster ({16})
Detlef Seif
Johannes Selle
Reinhold Sendker
Dr. Patrick Sensburg
Bernd Siebert
Thomas Silberhorn
Johannes Singhammer
Carola Stauche
Dr. Frank Steffel
Christian Freiherr von Stetten
Dieter Stier
Gero Storjohann
Max Straubinger
Karin Strenz
Thomas Strobl ({17})
Lena Strothmann
Michael Stübgen
Dr. Peter Tauber
Antje Tillmann
Dr. Hans-Peter Uhl
Arnold Vaatz
Volkmar Vogel ({18})
Stefanie Vogelsang
Andrea Astrid Voßhoff
Dr. Johann Wadephul
Marco Wanderwitz
Kai Wegner
Marcus Weinberg ({19})
Peter Weiß ({20})
Sabine Weiss ({21})
Karl-Georg Wellmann
Peter Wichtel
Annette Widmann-Mauz
Klaus-Peter Willsch
Elisabeth WinkelmeierBecker
Dr. Matthias Zimmer
Wolfgang Zöller
Willi Zylajew
SPD
Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Heinz-Joachim Barchmann
Doris Barnett
Dr. Hans-Peter Bartels
Klaus Barthel
Sören Bartol
Bärbel Bas
Dirk Becker
Lothar Binding ({22})
Klaus Brandner
Edelgard Bulmahn
Petra Crone
Dr. Peter Danckert
Martin Dörmann
Garrelt Duin
Sebastian Edathy
Siegmund Ehrmann
Petra Ernstberger
Gabriele Fograscher
Dr. Edgar Franke
Dagmar Freitag
Martin Gerster
Iris Gleicke
Günter Gloser
Angelika Graf ({23})
Michael Groschek
Michael Groß
Wolfgang Gunkel
Hans-Joachim Hacker
Bettina Hagedorn
Michael Hartmann
({24})
Hubertus Heil ({25})
Rolf Hempelmann
Dr. Barbara Hendricks
Gabriele Hiller-Ohm
Petra Hinz ({26})
Frank Hofmann ({27})
Dr. Eva Högl
Josip Juratovic
Oliver Kaczmarek
Johannes Kahrs
Ulrich Kelber
Lars Klingbeil
Daniela Kolbe ({28})
Nicolette Kressl
Angelika Krüger-Leißner
Ute Kumpf
Christine Lambrecht
Christian Lange ({29})
Steffen-Claudio Lemme
Burkhard Lischka
Gabriele Lösekrug-Möller
Katja Mast
Hilde Mattheis
Petra Merkel ({30})
Dr. Matthias Miersch
Franz Müntefering
Dr. Rolf Mützenich
Manfred Nink
Thomas Oppermann
Holger Ortel
Aydan Özoğuz
Heinz Paula
Johannes Pflug
Dr. Wilhelm Priesmeier
Mechthild Rawert
Gerold Reichenbach
Dr. Carola Reimann
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Karin Roth ({31})
Michael Roth ({32})
Anton Schaaf
Axel Schäfer ({33})
Marianne Schieder
({34})
Werner Schieder ({35})
Silvia Schmidt ({36})
Carsten Schneider ({37})
Olaf Scholz
Swen Schulz ({38})
Ewald Schurer
Rolf Schwanitz
Stefan Schwartze
Rita Schwarzelühr-Sutter
Sonja Steffen
Peer Steinbrück
Dr. Frank-Walter Steinmeier
Christoph Strässer
Kerstin Tack
Franz Thönnes
Wolfgang Tiefensee
Rüdiger Veit
Dr. Marlies Volkmer
Dr. Dieter Wiefelspütz
Waltraud Wolff
({39})
Manfred Zöllmer
Brigitte Zypries
FDP
Christian Ahrendt
Christine AschenbergDugnus
Daniel Bahr ({40})
Florian Bernschneider
Sebastian Blumenthal
Claudia Bögel
Klaus Breil
Angelika Brunkhorst
Ernst Burgbacher
Marco Buschmann
Sylvia Canel
Helga Daub
Reiner Deutschmann
Dr. Bijan Djir-Sarai
Patrick Döring
Mechthild Dyckmans
Rainer Erdel
Jörg van Essen
Otto Fricke
Dr. Edmund Peter Geisen
Hans-Michael Goldmann
Heinz Golombeck
Miriam Gruß
Dr. Christel Happach-Kasan
Heinz-Peter Haustein
Manuel Höferlin
Elke Hoff
Birgit Homburger
Dr. Werner Hoyer
Heiner Kamp
Michael Kauch
Dr. Lutz Knopek
Pascal Kober
Dr. Heinrich L. Kolb
Gudrun Kopp
Dr. h. c. Jürgen Koppelin
Sebastian Körber
Holger Krestel
Patrick Kurth ({41})
Heinz Lanfermann
Sibylle Laurischk
Harald Leibrecht
Sabine LeutheusserSchnarrenberger
Lars Lindemann
Christian Lindner
Dr. Martin Lindner ({42})
Michael Link ({43})
Dr. Erwin Lotter
Horst Meierhofer
Gabriele Molitor
Petra Müller ({44})
Dr. Martin Neumann
({45})
Dirk Niebel
Hans-Joachim Otto
({46})
Gisela Piltz
Dr. Christiane RatjenDamerau
Dr. Birgit Reinemund
Dr. Peter Röhlinger
Björn Sänger
Christoph Schnurr
Marina Schuster
Werner Simmling
Judith Skudelny
Dr. Hermann Otto Solms
Joachim Spatz
Dr. Max Stadler
Torsten Staffeldt
Florian Toncar
Serkan Tören
Johannes Vogel
({47})
Dr. Daniel Volk
Dr. Guido Westerwelle
Dr. Claudia Winterstein
Dr. Volker Wissing
Hartfrid Wolff ({48})
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Ulrike Höfken
Enthalten
DIE LINKE
Dr. Ilja Seifert
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Kerstin Andreae
Marieluise Beck ({49})
Volker Beck ({50})
Cornelia Behm
Alexander Bonde
Viola von Cramon-Taubadel
Katja Dörner
Hans-Josef Fell
Dr. Thomas Gambke
Kai Gehring
Britta Haßelmann
Bettina Herlitzius
Winfried Hermann
Priska Hinz ({51})
Dr. Anton Hofreiter
Thilo Hoppe
Uwe Kekeritz
Katja Keul
Sven-Christian Kindler
Maria Klein-Schmeink
Ute Koczy
Tom Koenigs
Sylvia Kotting-Uhl
Oliver Krischer
Agnes Krumwiede
Fritz Kuhn
Stephan Kühn
Renate Künast
Markus Kurth
Undine Kurth ({52})
Nicole Maisch
Agnes Malczak
Jerzy Montag
Kerstin Müller ({53})
Beate Müller-Gemmeke
Ingrid Nestle
Dr. Konstantin von Notz
Omid Nouripour
Friedrich Ostendorff
Dr. Hermann Ott
Lisa Paus
Brigitte Pothmer
Claudia Roth ({54})
Krista Sager
Manuel Sarrazin
Elisabeth Scharfenberg
Christine Scheel
Dr. Frithjof Schmidt
Dorothea Steiner
Dr. Wolfgang StrengmannKuhn
Hans-Christian Ströbele
Markus Tressel
Jürgen Trittin
Daniela Wagner
Dr. Valerie Wilms
Josef Philip Winkler
Wir kommen zurück zur Tagesordnung. Ich erteile
Kollegen Frank Schäffler für die FDP-Fraktion das
Wort.
({55})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der vorliegende Gesetzentwurf behandelt drei Aspekte.
Erstens geht es um die offenen Immobilienfonds, also
um die Frage: Wie können wir die offenen Immobilienfonds für die Zukunft fitmachen, sodass sie für die
Kleinanleger in Deutschland tatsächlich eine attraktive
Anlage darstellen? Die Notwendigkeit, hier Änderungen
vorzunehmen, ist sicherlich der Geschichte dieser Produkte geschuldet. Inzwischen wurden 25 Prozent der
Fonds, gemessen am Anlagevolumen, geschlossenen
oder befinden sich in der Abwicklung. Insofern gibt es in
diesem Bereich Handlungsbedarf.
Der Handlungsbedarf besteht auch deshalb, weil der
Handel mit diesen Produkten etwas schwierig ist; denn
Immobilien sind schon dem Namen nach immobil und
damit nicht für eine tägliche Veräußerung geeignet. Bisher waren die Anteile der offenen Immobilienfonds aber
täglich veräußerbar. Die damit verbundene sogenannte
Fristeninkongruenz wurde in der Finanzkrise leider zum
Problem - das stellen wir auch in der aktuellen Situation
fest -: Es kommt zu zusätzlichen Schließungen. Da müssen wir uns als Gesetzgeber Gedanken machen: Wie
können wir dieses Produkt fitmachen? Wir tun das, indem wir Haltedauern einführen und Freibeträge für
Kleinanleger schaffen, sodass sie monatlich Geld aus
dem Fonds herausnehmen können, unabhängig von der
Haltedauer. Ich glaube, das ist ein wichtiger Schritt, um
dieses Produkt für die Zukunft fitzumachen.
Zweitens geht es um die Frage, wie mit Finanzinstrumenten umzugehen ist, die im Falle der Übernahme von
Unternehmen - etwa bei VW und Porsche oder bei
Schaeffler und Conti - zum Anschleichen genutzt wurden, also um Mehrheiten zu beschaffen, ohne das dem
Kapitalanleger mitzuteilen. Unsere Regelungen haben
sehr viel mit Anlegerschutz zu tun; denn dieses Vorgehen hat im Wesentlichen denjenigen Kleinanlegern in
Deutschland massiv geschadet, die in Finanzinstrumente
investiert hatten, die zum Beispiel an die Entwicklung
des Deutschen Aktienindex angelehnt sind. Insofern ist
der Gesetzentwurf ein großer Beitrag zum Anlegerschutz. Wir setzen das jetzt in der Koalition um. Das haben Sie von der SPD im Jahr 2008, als diese Fälle auftraten, nicht getan.
Drittens führen wir Sanktionsmöglichkeiten der
BaFin im Bereich des Bankenmarktes im Falle von
Falschberatungen ein. Auch das ist ein wichtiger Beitrag
zu mehr Verbraucherschutz in Deutschland.
Herr Sieling, darüber will ich mit Ihnen durchaus eine
Diskussion führen. Es ist wichtig, dass wir die Frage des
freien Vertriebes hier nicht geregelt haben; denn das,
was Sie wollen, hätte zu einer massiven Marktbereinigung in Deutschland geführt. Hunderttausende von Arbeitsplätzen in dieser Branche wären verloren gegangen,
wenn wir das gemacht hätten, was Sie gewollt haben.
({0})
Es hätte nämlich dazu geführt, dass freie Vermittler
plötzlich Beratungskosten und BaFin-Gebühren in fünfund sechsstelliger Höhe hätten bezahlen müssen. Das
hätte zwangsläufig zur Folge gehabt, dass die kleinen
Vermittler in Deutschland vom Markt verschwunden wären. Es ist nicht so, dass die Banken grundsätzlich gut
beraten und die freien Finanzvermittler schlecht beraten.
Da gibt es ebenfalls sehr viele, die völlig richtig vorgehen.
Unser Ansatz ist ein völlig anderer. Unser Ansatz ist,
dafür zu sorgen, dass der freie Vertrieb einheitlich geregelt wird. Sie haben es in Ihrer Zeit nicht geschafft, den
freien Vertrieb einheitlich zu regeln. Wer in Deutschland
Versicherungen vermittelt, unterliegt einem anderen
Standard als derjenige, der geschlossene Fonds vermit7908
telt. All das ist unterschiedlich geregelt. Wir werden dafür sorgen, dass das Ganze künftig einheitlich geregelt
ist, dass es einheitliche Mindeststandards, einheitliche
Qualifikationsstandards und einheitliche Haftungsvoraussetzungen in diesem Markt gibt, damit sich die
schwarzen Schafe nicht in den rechtlich weniger regulierten Bereich begeben können. Das ist ein ganz wichtiger Beitrag zum Verbraucherschutz in Deutschland.
Letztendlich sollen die schwarzen Schafe vom Markt
verschwinden. Das ist das Ziel dieser Koalition.
({1})
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Sieling?
Bitte.
Vielen Dank, Herr Präsident! - Herr Kollege, Sie haben wahrscheinlich zur Kenntnis genommen, dass die
Umsetzung des Vorschlags, ein „KWG light“, was die
Gebühren angeht, zu schaffen, nicht dazu geführt hätte,
dass die Kleinen vom Markt verschwunden wären. Ich
bitte Sie, das der Ehrlichkeit halber an dieser Stelle zu
sagen.
Genauso müssen Sie feststellen, dass die Einheitlichkeit nicht geboten ist. Wird Ihr Vorschlag umgesetzt, gilt
Folgendes: Wenn ich, um eine Anlage zu tätigen, zur
Bank gehe, muss ich nach Recht und Gesetz behandelt
werden. Gehe ich danach zum Vermittler, dann weiß ich
nicht, inwieweit ich noch rechtlichem Schutz unterliege
oder ob ich nur in Gottes Hand bin. Das ist das Problem:
Sie organisieren Uneinheitlichkeit.
Nein, das tun wir nicht. „KWG light“ ist wie „CocaCola light“: Das Produkt verspricht nicht, was es hält.
„KWG light“ ist der falsche Ansatz gewesen.
„KWG light“ hätte ebenfalls dazu geführt, dass bei den
Beratern ganz erhebliche Gebühren entstanden wären.
Außerdem wäre ein Problem aufgetaucht, das Sie in Ihrer Regierungszeit nicht gelöst haben: Die freien Vermittler in Deutschland wären der Entschädigungseinrichtung der Wertpapierhandelsunternehmen unterstellt
worden. In der Folge hätten die freien Vermittler ein Defizit von 180 Millionen Euro, das die EdW derzeit vor
sich her schiebt, weil sie den Entschädigungsfall Phoenix Kapitaldienst in Deutschland nicht bewältigen kann,
decken müssen. Sie haben dieses Problem in Ihrer Regierungszeit nicht gelöst. Das ist die Wahrheit.
({0})
Wir haben viel dazu beigetragen, dass der Mittelstand
in Deutschland noch seine Existenzberechtigung hat.
Gleichzeitig haben wir dazu beigetragen, einen konsistenten Vermittlermarkt in Deutschland zu schaffen. Dadurch können nicht nur die Großen überleben; vielmehr
haben auch die Kleinen eine Chance, auf diesem Markt
zu existieren.
Vielen Dank.
({1})
Das Wort hat nun Caren Lay für die Fraktion Die
Linke.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Verbraucherschutz auf den Finanzmärkten ist
dringend notwendig. Viele Kleinanleger haben in der
Finanzkrise ihr mühsam erspartes Geld verloren. Sie
verlieren bis jetzt durch Falschberatung jährlich 20 bis
30 Milliarden Euro. Es sind noch immer zweifelhafte Finanzprodukte auf dem Markt. Noch immer werden Kreditnehmer mit undurchsichtigen Verträgen oder auch
durch überhöhte Dispozinsen abgezockt. Das alles gibt
es noch, und das zwei Jahre nach der Pleite der Bank
Lehman Brothers. Hier hat die Bundesregierung tatsächlich viel zu lange gewartet, um einen Gesetzentwurf vorzulegen. Welche Vorschläge macht uns die Regierung
jetzt? Ein großer Wurf ist das nicht, vielmehr ein Katalog mit Minimaländerungen.
Beginnen wir mit dem Infoblatt. Nachdem die Verbraucherministerin Aigner mit dem freiwilligen Beipackzettel offenbar gescheitert ist, wird uns jetzt ein gesetzlich festgeschriebenes Infoblatt vorgeschlagen. Das
ist gut so. Das hat die Opposition, insbesondere die
Linke, immer gefordert. Aber wenn Sie dem nachkommen: Bitte schön nicht so! Für die konkrete Ausgestaltung des Infoblatts sollen die Finanzinstitute selbst zuständig sein. Insofern ist das zentrale Kriterium für ein
solches Informationsinstrument, die Vergleichbarkeit
zwischen den verschiedenen Instituten, nicht erfüllt. Ich
habe, ehrlich gesagt, kein Verständnis dafür, dass man
schon bei diesem kleinen Punkt vor den Finanzinstituten
kapituliert hat.
Es soll ein Beraterregister eingeführt werden; Sie haben es erwähnt. Dabei kann es sicherlich nicht nur darum gehen, das Fehlverhalten von Beratern zu dokumentieren. Das Kernproblem bei der Beratung ist für uns die
provisionsgetriebene Beratung. Es kann doch nicht sein,
dass Berater gerade dann gut verdienen, wenn sie ihren
Kunden hochriskante Produkte anbieten.
({0})
In einigen Fällen ist Rentnern eine Lebensversicherung
mit jahrzehntelanger Laufzeit angedreht worden, weil
die Banken daran prima verdient haben. Wir sagen: Finanzberatung muss unabhängig sein. Das leistet Ihr Gesetzentwurf nicht.
({1})
Wir Linke bleiben dabei: Finanzschrott gehört unserer
Auffassung nach überhaupt nicht auf den Markt.
({2})
Deswegen wollen wir einen Finanz-TÜV einrichten, der
die Finanzprodukte vor ihrer Zulassung prüft.
({3})
Ein zentrales Problem ist - Kollege Sieling von der
SPD hat schon darauf hingewiesen -, dass Ihr Gesetzentwurf eine völlig unzureichende Regulierung des sogenannten grauen Kapitalmarkts vorsieht. An dieser Stelle
ist die Bundesregierung vor der Finanzlobby komplett
eingeknickt. Der völlig unregulierte graue Kapitalmarkt
muss unserer Auffassung nach einer einheitlichen Finanzaufsicht unterstellt werden. Stattdessen schlagen Sie
vor, dass die Kontrolle des Vertriebs von Produkten des
grauen Kapitalmarkts der Gewerbeaufsicht unterstellt
wird. Die Gewerbeaufsicht überprüft normalerweise die
Einhaltung von Hygienevorschriften in Betrieben und
die Einhaltung des Nichtraucherschutzes. Jetzt soll sie
auch für Finanzprodukte zuständig sein. Es sieht doch
jeder, dass die Gewerbeaufsicht die falsche Institution
ist.
({4})
Der Bundesrat hat das verstanden und die Bundesregierung aufgefordert, endlich einen Vorschlag zu einer einheitlichen Finanzaufsicht vorzulegen.
Einer weiteren zentralen Anforderung im Zusammenhang mit der Regulierung der Finanzmärkte kommt Ihr
Gesetzentwurf nicht nach. Wir müssen den Verbraucherschutz endlich als wichtige Aufgabe der Finanzaufsicht
festschreiben. Deswegen sagen wir: Wir wollen eine
Verbraucherschutzbehörde. Wir wollen, dass die Finanzmärkte von starken Verbraucherverbänden, die als
Marktwächter fungieren, kontrolliert werden.
({5})
Auch hinter diesem Anspruch bleibt Ihr Gesetzentwurf
meilenweit zurück.
Mit verstreuten Minimaländerungen ist es nicht getan.
Sie müssen endlich den Mut aufbringen, die Finanzmärkte verbrauchergerecht zu regulieren. Diesem Anspruch werden Sie mit diesem Gesetzentwurf mit Sicherheit nicht gerecht.
({6})
Das Wort hat nun Nicole Maisch für die Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der
Staatssekretär hat es am Anfang gesagt: Das Anlegerschutzgesetz sollte die Verbraucherinnen und Verbraucher umfassend schützen und verlorenes Anlegervertrauen zurückbringen. Ich denke, gemessen an diesem
Vorhaben sind Sie mit diesem Gesetzentwurf gescheitert.
Sie scheitern nicht nur an den Anforderungen eines modernen Anlegerschutzes, sondern auch an Ihren eigenen
Vorgaben aus dem Koalitionsvertag von Schwarz-Gelb.
Darin steht:
Ein angemessener Anlegerschutz gegen unseriöse
Produktanbieter … wird prinzipiell unabhängig davon gewährleistet, welches Produkt und welcher
Vertriebsweg vorliegt.
({0})
Dieses Versprechen lösen Sie nicht ein. Sie lassen den
grauen Kapitalmarkt in weiten Teilen unreguliert.
({1})
Tausende Produkte und viele Vermittler, die sogenannten
freien Vermittler, sind von der Regulierung nicht betroffen. Ich finde, das ist kein fairer Wettbewerb.
({2})
Das kritisiert übrigens auch Frau Aigner in der Ausgabe des manager magazins von dieser Woche. Sie
sagte, sie möchte, dass die BaFin auch für diese Vermittler und für diese Produkte zuständig ist.
Dieser Gesetzentwurf ist eine Niederlage für den Verbraucherschutz, aber auch für Ihre Verbraucherschutzministerin. Das merkt man am Produktinformationsblatt.
2009 hat Frau Aigner einen eigenen Entwurf vorgestellt
und folgendermaßen gerühmt:
Unser heute vorgestelltes standardisiertes Produktinformationsblatt ist ein ganz großer Fortschritt für
den Verbraucherschutz.
({3})
Das wird leider in diesem Gesetzentwurf nicht eingelöst. Ihr Produktinformationsblatt ist bezüglich Form,
Struktur und Inhalt weder standardisiert noch transparent. Denn dieses Produktinformationsblatt - das ist der
entscheidende Nachteil - wird nur in der Beratungssituation beim Finanzvermittler in der Bank vorgelegt. Jetzt
frage ich Sie: Wenn ich zehn verschiedene Produkte vergleichen möchte, muss ich im Zweifelsfall, da nicht jede
Bank jedes Produkt anbietet, zehn Gespräche führen?
({4})
Nach diesen zehn Gesprächen habe ich nicht nur unglaublich viel Zeit vertan, sondern im Zweifelsfall auch
noch andere Produkte aufgeschwatzt bekommen, die ich
gar nicht möchte. Ich finde, wenn man Transparenz und
Wettbewerb will, muss man Informationen einfach zugänglich machen und darf sie nicht verstecken.
({5})
Sie haben es in der Diskussion bisher nicht geschafft,
klarzumachen, inwieweit dieses Produktinformationsblatt mit den Regelungen auf europäischer Ebene abgestimmt ist. Ich bin sehr gespannt, ob sich die Verbraucherinnen und Verbraucher nicht in kurzer Zeit wieder
an neue Vorgaben gewöhnen müssen.
Wir sagen: Ein Produktinformationsblatt muss bezüglich der Form und Reihenfolge der Informationen klar
standardisiert sein, damit man auf einen Blick erkennen
kann, wie die unterschiedlichen Produkte aufgebaut
sind. Natürlich müssen die Kosten in Euro und Cent angegeben sein. Wir wünschen uns, dass auch ökologische
und soziale Aspekte - diese interessieren mittlerweile
immer mehr Anleger - in diesem Informationsblatt aufgezeigt werden.
({6})
Mich erinnert Ihr Produktinformationsblatt ein bisschen an das Beratungsprotokoll. Auch das war ein halbgares Konzept, das im Praxistest bei BaFin und Verbraucherverbänden durchgefallen ist. Ich wünsche mir sehr,
dass Sie den Gesetzentwurf in den Beratungen nachbessern.
Ich finde es interessant, wo die Lücken im Gesetzentwurf sind. Wir haben schon über den grauen Kapitalmarkt gesprochen. Sie haben zugegeben, dass noch
nachzuarbeiten ist. Der Bundesrat und verschiedene
Fraktionen dieses Hauses haben Ihnen hierzu Vorschläge
gemacht. Wir denken, dass man in den Anhörungen und
parlamentarischen Beratungen auch über die Ausgestaltung der Finanzaufsicht mit Blick auf Verbraucherschutzaufgaben diskutieren muss.
Unsere Vorschläge zu diesen Themen liegen Ihnen
vor. Wir wünschen uns, dass Sie diese unvoreingenommen prüfen. Der Gesetzentwurf hat in einigen Teilen
richtige Ansätze, aber die Lücken sind so groß, dass man
unbedingt nacharbeiten muss.
({7})
Das Wort hat nun Klaus-Peter Flosbach für die CDU/
CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Dies ist meines Erachtens eine sehr wichtige Diskussion.
Herr Sieling, ich kann nicht verstehen, dass Sie überhaupt nicht zum Inhalt des Gesetzentwurfes gesprochen
haben.
({0})
Es ist nicht zu begreifen. Wir haben einen solch wichtigen Gesetzentwurf vorliegen und müssen uns über die
Inhalte austauschen, und Sie haben ausschließlich über
das Verfahren gesprochen.
({1})
In wenigen Wochen werden wir uns über die Themen,
die Sie angesprochen haben, ausführlich unterhalten.
Deswegen verstehe ich Ihr Verhalten überhaupt nicht.
({2})
Einen der wesentlichen Punkte in diesem Gesetzentwurf, den auch Sie angesprochen haben, möchte ich einmal erläutern: die offenen Immobilienfonds.
({3})
Es gibt in der Baubranche einen alten Spruch: Wer ruhig
schlafen will, der setzt auf Beton. Das ist eine Werbung
der Baubranche. Viele haben das ewig berücksichtigt
und bei einem großen Teil ihrer Altersvorsorge auf Immobilien gesetzt. 3 Millionen Deutsche sind an einem
offenen Immobilienfonds beteiligt.
Was ist das? Ein offener Immobilienfonds ist ein
Topf, in dem Kaufhäuser, Bürohäuser und andere verschiedene Immobilien sind. Der durchschnittliche Ertrag
aus diesen Fonds betrug über die letzten 45 Jahre im
Durchschnitt 5 oder 6 Prozent; die Spannbreite lag bei
3 bis 9 Prozent. Das hat also immer funktioniert. Viele
Selbstständige, die keine Rente, keine Pension haben
und Geld anlegen müssen, haben ihre Altersvorsorge darauf aufgebaut. Wer 50 000 Euro angelegt hatte, konnte
nach 30 Jahren jeden Monat 250 Euro entnehmen.
Plötzlich funktioniert dieses System nicht mehr. Warum funktioniert es nicht mehr?
({4})
Das Gesetz hatte eine Lücke. Großanleger konnten, ohne
dass ihnen Kosten entstanden, in den Fonds einsteigen
und aussteigen und ihm so die gesamte Liquidität entziehen. Das ist ein Problem, das früher nicht erkannt worden ist, weil die Großanleger erst eingestiegen sind, als
die Festzinssätze so niedrig waren, dass es für sie interessanter war, in einen solchen Fonds zu investieren.
Aus diesem Grund sind wir gezwungen, dieses Thema
heute aufzugreifen. Wir müssen dort ansetzen, wo es
Mängel im System gibt. Dabei müssen wir nicht die
Großanleger, sondern die Kleinanleger schützen. Das ist
die Aufgabe des Parlaments.
({5})
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Schick?
({0})
Ja, klar.
Dieses Thema betrifft sowohl den Verbraucherschutz
als auch die Finanzpolitik. Wir beide sind übrigens einer
Meinung, während das Verbraucherschutzministerium
heute durch Abwesenheit glänzt.
Zu meiner Frage. Sie haben gerade gesagt, plötzlich
sei bekannt geworden, dass es eine Lücke im Gesetz
gibt. Können Sie mir erklären, warum die CDU/CSUFraktion diese Gesetzeslücke zum Jahreswechsel 2005/
2006, als in einer ersten Welle eine Reihe von offenen
Immobilienfonds geschlossen wurde - diese Gesetzeslücke war schon damals sichtbar; sie wurde republikweit
thematisiert -,
({0})
nicht erkannt hat,
({1})
sondern dem Petitum des Branchenverbandes BVI gefolgt ist und eine konsequente Regulierung unterlassen
hat, was uns heute noch Probleme bereitet?
Herr Kollege, wir haben uns schon damals mit diesem
Thema befasst, aber auch darauf gesetzt, dass die Fehler,
die damals erkannt worden sind, vom Markt behoben
werden.
({0})
Wir haben erkannt, dass dies nicht der richtige Weg war.
Übrigens haben auch die Grünen einen falschen Weg
eingeschlagen, als Sie damals einen Antrag, der 30 Forderungen enthielt, eingebracht und vorgeschlagen haben,
einen Sicherungsfonds einzurichten. Immobilienfonds
sind Marktprodukte, deren Wert sich steigern, sich aber
auch verringern kann. Da dieses Marktprodukt Risiken
und Chancen birgt, macht es keinen Sinn, über die Einrichtung eines Sicherungsfonds zu sprechen. Wir haben
eingesehen, dass in der Vergangenheit Fehler gemacht
worden sind. Jetzt gehen wir daran, diese Fehler zu beseitigen.
({1})
- Auf dieses Thema komme ich noch zu sprechen, falls
der Präsident mir zehn Minuten mehr Redezeit gibt.
({2})
Wichtig ist: Ein offener Immobilienfonds ist eine
langfristige Anlage; das wissen wir. Das war immer so
geplant und soll auch in Zukunft so bleiben. Deshalb
wollen wir mehrere Maßnahmen ergreifen.
Als erste Maßnahme treffen wir die Regelung, dass
monatlich bis zu 5 000 Euro aus einem solchen Fonds
entnommen werden können. Als zweite Maßnahme setzen wir eine Mindesthaltedauer von zwei Jahren fest.
Wir wollen, dass das „rein in den Fonds“ und „raus aus
dem Fonds“ aufhört. Ich glaube, dadurch werden die
meisten Anleger, gerade Großanleger, abgeschreckt.
Auch aus Gründen des Verbraucherschutzes ist allerdings fraglich, ob es richtig ist, von jemandem, der im
dritten Jahr seiner Beteiligung Geld entnehmen will, einen zehnprozentigen Abschlag zu verlangen. Wenn die
Regelung getroffen wird, dass beispielsweise jemand,
der 30 000 Euro entnehmen will, um sich ein Auto zu
kaufen, einen Abschlag in Höhe von 3 000 Euro hinnehmen muss, frage ich mich: Worin besteht das systemische Risiko für den Fonds, das es rechtfertigt, einen Abschlag in Höhe von 10 Prozent zu verlangen?
({3})
Ich halte dies nicht für richtig.
Meines Erachtens ist es ein Fehler des Gesetzentwurfes, dass nach vier Jahren Haltedauer in unbeschränkter
Höhe Geld entnommen werden kann. Ein Großanleger,
der 50 Millionen Euro in einen solchen Fonds investiert
hat, könnte nach vier Jahren den gesamten Betrag entnehmen. Das würde auch die Liquidität des Fonds berühren. Ich halte es für richtig, in Abhängigkeit von der
Summe, die investiert wurde, gewisse Staffelungen vorzunehmen und entsprechende Kündigungsfristen festzusetzen. Das wäre meiner Meinung nach eher im Interesse
der Verbraucher.
Damit bin ich beim Thema Anlegerschutz. Herr
Sieling, wenn ein Produkt 45 Jahre lang funktioniert hat,
wer ist schuld, wenn es dann nicht mehr funktioniert?
Was werden die Anleger sagen?
({4})
Die Rahmengesetzgebung war in diesem Zeitraum nicht
richtig. Schuld ist nicht der Vermittler - ob eine Bank
oder ein freier Vermittler -, der dieses Produkt vielleicht
gutgläubig vermittelt hat.
Der Anlegerschutz ist ein wichtiger Bestandteil dieses
Gesetzentwurfs. In den nächsten Monaten werden wir
noch sehr intensiv über dieses Thema diskutieren; denn
der Anlegerschutz hat für uns sehr große Bedeutung.
Das macht dieses Beispiel sehr deutlich. Für offene Immobilienfonds gibt es übrigens kein Risiko-ChancenRaster, was bei geschlossenen Fonds sonst immer der
Fall ist. Im Prospekt sind also noch Fehler enthalten.
Die Anleger müssen wissen: Mit offenen Immobilienfonds können sie einen Verlust erleiden. Auch mit einer
Lebensversicherung können sie einen Verlust erleiden.
Wenn ein Lebensversicherungsvertrag frühzeitig gekündigt wird, wird möglicherweise überhaupt keine Rendite
erzielt, sondern man hat einen hohen Verlust gemacht.
Das kann selbstverständlich auch bei einem geschlossenen Fonds geschehen. Meine Empfehlung ist deswegen,
dass die Produkte im Markt grundsätzlich geprüft sein
müssen; denn beim offenen Immobilienfonds liegt der
Fehler beim Produkt und nicht beim Vermittler. Das
heißt, alle Produkte, die im Markt sind, müssen geprüft
sein.
Wir brauchen eine Prospektprüfung, und bei geschlossenen Fonds brauchen wir meines Erachtens zusätzlich beispielsweise noch eine Überprüfung durch
Wirtschaftsprüfer. Folgendes halte ich bei noch stärkerer
Einbeziehung der BaFin für richtig: Eine Fachgruppe
sollte eine kohärente, systematische Überprüfung dieser
Produkte vornehmen, damit keine falschen und „faulen“
Produkte in die Märkte kommen. Ich denke, hier ist ein
wichtiger Ansatzpunkt, und hier können wir auch etwas
leisten.
({5})
Für die Kunden ist es natürlich auch wichtig, dass sie
ein Produktinformationsblatt bekommen, das heißt, verständlich über das Produkt informiert werden. Wichtig
ist natürlich auch, dass hierin die Kosten aufgeführt sind.
Die Kosten, die Chancen und vor allen Dingen auch die
Risiken müssen parallel zu jedem Produkt ausgewiesen
werden.
Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, wir wollen
in Kürze das Vermittlerrecht vereinfachen; der Kollege
Schäffler hat darauf hingewiesen. Ich glaube, es ist
wichtig, dass für Versicherungsprodukte, Investmentprodukte und geschlossene Fonds ein einheitliches Recht
besteht.
Frau Kollegin von den Grünen, Sie haben nicht auf all
das hingewiesen, was wir vorhaben.
({6})
Wir wollen ein öffentliches Register. In diesem öffentlichen Register muss stehen, welche Qualifikation der
Einzelne hat. Es müssen Qualifikationsüberprüfungen
vorgenommen werden.
Herr Kollege, Sie müssen bitte zum Ende kommen.
Ich bin jetzt fertig, Herr Präsident. - Sie müssen eine
Berufshaftpflichtversicherung haben. Viele werden gar
keine Berufshaftpflichtversicherung bekommen. Deshalb ist es wichtig, dass wir den Markt einheitlich gestalten. Vor allen Dingen müssen wir dafür sorgen, dass
viele Nebenberufler -
Herr Kollege, Sie müssen vor allem zum Ende kommen.
({0})
Das ist der vorletzte Satz. - Wir müssen dafür sorgen,
dass viele Nebenberufler vom Markt verschwinden. Ich
möchte zum Thema Finanzen nicht von Nebenberuflern
beraten werden, genauso wenig, wie ich mich von einem
Nebenberufler operieren lassen möchte.
Vielen Dank.
({0})
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 17/3628 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es
dazu anderweitige Vorschläge? - Das ist offensichtlich
nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 35 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Familie, Senioren,
Frauen und Jugend ({0})
- zu dem Antrag der Abgeordneten Christel
Humme, Willi Brase, Petra Crone, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Mit gesetzlichen Regelungen die Gleichstellung von Frauen im Erwerbsleben umgehend durchsetzen
- zu dem Antrag der Abgeordneten Cornelia
Möhring, Dr. Barbara Höll, Klaus Ernst, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE
Entgeltgleichheit zwischen den Geschlechtern wirksam durchsetzen
- zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Dritte Bilanz der Vereinbarung zwischen
der Bundesregierung und den Spitzenverbänden der deutschen Wirtschaft zur Förderung der Chancengleichheit von Frauen und
Männern in der Privatwirtschaft
- Drucksachen 17/821, 17/891, 16/10500, 17/1486 Berichterstattung:
Abgeordnete Nadine Müller ({1})
Miriam Gruß
Monika Lazar
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. - Auch
dazu höre ich keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile Kollegin
Dorothee Bär für die CDU/CSU-Fraktion das Wort.
({2})
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Auch im Jahr
2010 stehen wir bei vielen uns wichtigen Punkten leider
noch nicht ganz da, wo wir eigentlich stehen sollten.
Der erste Punkt ist die Entgeltungleichheit. Es ist
auch für uns nicht hinzunehmen, dass der Equal Pay Day
auch in diesem Jahr erst am 26. März stattgefunden hat:
Frauen verdienen in Deutschland immer noch durchschnittlich 23 Prozent weniger als ihre männlichen Kollegen. Das ist ein Zustand, den wir als christlich-liberale
Koalition nicht hinnehmen wollen.
({0})
Besonders befremdlich ist, dass sogar Berufsanfängerinnen bei einer vergleichbaren Tätigkeit durchschnittlich
18,7 Prozent weniger verdienen als ihre männlichen
Kollegen.
Deswegen hat die Bundesregierung mit dem Instrument Logib-D ein Instrument für Unternehmen zur Beseitigung des Verdienstunterschiedes von Frauen und
Männern entwickelt. Mit diesem Instrument können wir
die Ursachen dafür erkennen und betriebliche Lösungen
für eine faire Bezahlung entwickeln.
Ich denke, wir alle hier sind einer Meinung, dass eine
derartige Lohnlücke einem modernen Land wie
Deutschland nicht gut zu Gesicht steht.
Der zweite wichtige Punkt für unsere Koalition und
besonders auch für meine Fraktion ist natürlich, dass es
einen viel zu geringen Anteil von Frauen in Führungspositionen gibt.
Zwischen der Bundesregierung und den Spitzenverbänden der Wirtschaft gab es bereits 2001 eine Vereinbarung zur Erhöhung des Frauenanteils auf Chefpositionen. Das war 2001; jetzt sind wir im Jahre 2010. Wenn
man sich einmal anschaut, was von 2001 bis 2010 passiert ist, dann kann man höflich sagen: wenig.
({1})
Andere würden vielleicht sagen: gar nichts. Deswegen
liegt Deutschland hinsichtlich des Anteils der Frauen an
Führungskräften in der Privatwirtschaft unter dem EUDurchschnitt an elfter Stelle. Im Jahr 2009 betrug der
Anteil im Topmanagement der DAX-Unternehmen nur
0,6 Prozent. Das entspricht bei derzeit knapp 200 Vorständen von DAX-Unternehmen vier Frauen; ab März
werden es wunderbarerweise fünf sein. Bei den Aufsichtsräten liegt der Anteil bei 12,8 Prozent; davon sind
fast drei Viertel Vertreterinnen der Arbeitnehmerseite.
Das ist in meinen Augen sehr beschämend.
Beschämend ist das vor allem, wenn man sich andere
Zahlen zu Gemüte führt: 51 Prozent der Hochschulabsolventen und 41 Prozent der Promoventen in diesem
Lande sind weiblich. Daran sieht man, dass es eine eklatante Lücke gibt, die schleunigst geschlossen werden
muss.
({2})
Für uns ist es nicht nachvollziehbar, dass gut ausgebildete, motivierte Frauen nicht im gleichen Stil Verantwortung übertragen bekommen wie Männer. Zudem ist
Fakt: Frauen nicht zu fördern, ist volkswirtschaftlicher
Unsinn. Auf diesen Talentpool zu verzichten, ist insbesondere für die Unternehmen selbst irrational. Deshalb
sieht unser Koalitionsvertrag auch einen Stufenplan zur
Erhöhung des Frauenanteils in Vorständen und Führungspositionen vor.
Ich möchte nicht verhehlen, dass auch in unserer
Fraktion über eine Frauenquote beispielsweise in Aufsichtsräten diskutiert wird. Die Gruppe der Frauen der
CDU/CSU-Bundestagsfraktion hat hierzu einen Beschluss gefasst. - Herr Präsident, wenn Sie vielleicht
nicht die ganze Zeit reden würden, wäre das ganz lieb.
Danke schön. - Dieser Beschluss lautet, dass alle mitbestimmungspflichtigen Unternehmen im Rahmen einer
Selbstverpflichtung bis zum Jahr 2014 den Frauenanteil
auf mindestens 30 Prozent steigern sollen. Wenn das bis
dahin nicht geschehen sein sollte, werden diese Unternehmen gesetzlich verpflichtet, den Anteil von Frauen in
Führungspositionen und Aufsichtsräten bis spätestens
2018 auf mindestens 30 Prozent zu steigern.
Das unterstütze ich. Aber ich muss auch sagen: Wer
sich über Quoten und einen entsprechenden Zwang aufregt, muss ehrlicherweise auch feststellen, dass es bereits
heute überall Quoten gibt, gerade in der Politik; da nennen wir es nur anders.
({3})
- Hören Sie einfach einmal zu, anstatt so hereinzugackern. - Wir nennen es zum Beispiel in der Politik nicht
Quote, sondern Proporz. Keiner regt sich auf, wenn ein
Bundesland sagt, es müsse unbedingt vertreten sein.
({4})
Selbst wenn irgendein unabhängiges Institut feststellen
würde, dass die zehn Besten, die man in einem bestimmten Bereich haben könnte, alle aus einem Bundesland
kommen - ich sage jetzt einmal: alle zehn aus Hessen
oder aus Nordrhein-Westfalen; ich habe jetzt extra nicht
Bayern gesagt, weil logisch ist, dass da die zehn Besten
herkämen -, würden sicherlich auch alle anderen
schreien: Wir müssen vertreten sein! - Die Keule des
Qualitätsverlusts wird immer nur herausgeholt, wenn es
um Frauen geht.
Ich schließe mich an dieser Stelle Herrn Sattelberger
von der Deutschen Telekom, dem ersten DAX-Unternehmen, das eine verbindliche Frauenquote eingeführt
hat, an. Denn auch er - und das freut mich natürlich besonders -, ein Mann mit langjähriger Berufserfahrung,
antwortet auf die Frage, woran es liegt, dass Frauen wenig Chancen haben, dass die Bestenauswahl häufig ein
Mythos ist: Faktoren wie Hausmacht, Treuebonus,
Vitamin B und Seilschaften sind oft ebenso starke Steigbügel auf dem Weg nach oben. Das wissen alle, und das
wird von Männern problemlos akzeptiert. Wenn aber
Frauen an die Macht wollen, wird die Keule der Bestenauswahl hervorgeholt.
Deswegen sage ich auch: Wenn der Anteil von Frauen
in Führungspositionen weiterhin in dem Tempo erhöht
wird wie bisher, werden wir auf eine gesetzliche Initiative nicht verzichten können. Im Übrigen werden wir die
Effektivität des Bundesgleichstellungsgesetzes dahin gehend bewerten, ob und wie Teilzeitkräfte unterstützt
werden. Auch in Teilzeit muss es Frauen - und natürlich
auch Männern - möglich sein, Führungspositionen zu
übernehmen. Gerne wird dagegen ins Feld geführt, dass
Präsenz in Leitungspositionen sehr wichtig ist. Ich
denke, wir sind uns einig - zumindest diejenigen, die
sich intensiv damit beschäftigen -, dass wir in diesem
Lande einer sehr übertriebenen Anwesenheitskultur anhängen, von der wir uns verabschieden müssen; das
würde meines Erachtens nicht nur den Müttern, sondern
auch den Vätern sehr stark entgegenkommen.
({5})
Durch unsere modernen Kommunikationsmittel ist es
nicht mehr in der Weise wie früher notwendig, ständig
vor Ort präsent zu sein.
Auch das Besetzen einer Stelle mit zwei Führungskräften ist eine Option und wird meiner Meinung nach
viel zu selten genutzt. Deswegen brauchen wir flexiblere
Arbeitszeitmodelle. Sie sind ein Schlüssel, um die bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf, aber auch von
Familie und Karriere zu gewährleisten.
Einige Ansätze in den Anträgen gehen in die richtige
Richtung. Wir wollen aber mehr. Deswegen lehnen wir
sie ab.
Vielen Dank.
({6})
Das Wort hat nun Christel Humme für die SPD-Fraktion.
({0})
Frau Bär, schön analysiert. Wir fragen uns aber als
Opposition, was die Regierung tatsächlich macht.
({0})
In einem Interview ist diese Woche von der Frauenministerin etwas Erstaunliches zu lesen. Sie sagt darin,
sie halte von Feminismus nichts, gibt aber gleichzeitig
zu, dass es ohne den Feminismus keine Frauenministerin
Schröder gäbe.
({1})
Herzlichen Glückwunsch, Frau Ministerin. Sie ist
heute Nachmittag nicht anwesend; ich weiß nicht, wo sie
ist. Errungenschaften in Anspruch zu nehmen, aber kein
Wort der Würdigung der Erfolge einer breiten Frauenbewegung: Ich denke, das ist ein Armutszeugnis für eine
Frauenministerin.
({2})
Die Ministerin hat Politik- und Sozialwissenschaften
studiert, wie man nachlesen kann,
({3})
aber das Kapitel politische Frauenbewegung offensichtlich überschlagen oder den Begriff des Feminismus
falsch verstanden. Darum gestatten Sie mir, eine kleine
Nachhilfe zu geben und etwas zu zitieren, das man in jedem Lexikon nachlesen kann:
Feminismus bezeichnet den Einsatz und das Engagement für die soziale, politische und ökonomische
Gleichstellung der Frauen und das mit dem Ziel der
Befreiung aus Rollenzwängen und Stereotypen.
Das passt auch gut zu Ihrer Rede, Frau Bär. In diesem
Sinne sind wir alle - nicht nur die Frauen in der SPD Feministen und Feministinnen.
({4})
Wir sind stolz auf eine Frauenbewegung, die viel verbessert hat, und zwar sowohl für Frauen als auch für
Männer. Die klassische Rollenverteilung gibt es leider
noch, aber wir stellen fest, dass sie bröckelt. Immer mehr
Männer wollen Familienarbeit übernehmen. Auch das ist
Ergebnis des von der Ministerin so gescholtenen Feminismus.
Frauen streben nach ökonomischer Unabhängigkeit
und möchten die gleichen Berufschancen wie die Männer. Diese gewünschte Partnerschaftlichkeit und die
Gleichstellung in Familie und Beruf zu unterstützen
wäre die Aufgabe der Familien- und Frauenministerin.
({5})
Was aber tut sie? Mit ihrer Parole „Jetzt sind Männer
dran“ schüttet sie Öl ins Feuer. Sie verstärkt alte Ressentiments und Vorurteile und spielt Männer gegen Frauen
aus. Das haben wir mit Gender Mainstreaming nicht gemeint.
({6})
In der Vergangenheit gab es in der Tat Fortschritte,
unter Rot-Grün zum Beispiel mit dem Bundesgleichstellungsgesetz und dem Recht auf Teilzeit für Mütter und
Väter, damit sie in der Elternzeit beide ihr Kind erziehen
können. Es gab sogar trotz starker Kritik aus der CSU
Fortschritte in der Großen Koalition - auch das ist nicht
zu verhehlen -, und zwar mit dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz, dem Ausbau der Betreuung für unter
Dreijährige und dem unter Rot-Grün entwickelten Elterngeld.
Aber wo stehen wir heute nach einem Jahr SchwarzGelb? Die Ministerin bezeichnet sich selbst als konservativ und sagt - ich zitiere -:
Für mich bedeutet Konservatismus, die Realität zu
akzeptieren … Wir erkennen an, dass es Unterschiede gibt, auch zwischen Mann und Frau.
({7})
Welche politischen Konsequenzen sollen wir daraus
ziehen? Ist alles gut so, wie es ist? Will die Ministerin
die Hände in den Schoß legen?
Ihr Stillstand ist ein Rückschritt für die Gleichstellung, und zwar für Frauen und Männer. Das ist nicht unser Ansatz.
({8})
Wir wollen, dass es mit der Gleichstellung schneller
geht, Frau Bär. Sie wollen das offensichtlich auch, aber
Sie tun nichts.
({9})
Wir haben heute ein umfassendes Konzept für den Arbeitsmarkt vorgelegt. Wir wollen nicht länger hinnehmen, dass Frauen kaum in Führungspositionen zu finden
sind und dass ihre Karrierechancen eingeschränkt sind,
und zwar nicht nur, weil sie Kinder haben, sondern auch
deshalb, weil sie potenziell Mütter werden können.
Wir wollen aber auch nicht hinnehmen - das haben
Sie Gott sei Dank auch gesagt, Frau Bär -, dass die
Lohnlücke immer größer wird. Der eigentliche Skandal
dabei ist, dass 13 Prozent dieser Lohnlücke allein auf die
Diskriminierung wegen des Geschlechts zurückzuführen
sind. Ich glaube, das können wir nicht länger hinnehmen.
({10})
Deshalb fragen wir uns, was die Frauenministerin
- und das betrifft leider genauso die Kanzlerin - eigentlich macht.
({11})
Sie rät den Frauen, sie sollten ihr Gehalt besser einfordern und weniger bescheiden sein. Sie sagt, die Frauen
sollen selbstbewusster und tougher werden. Aber was tut
sie damit? Sie gibt den Frauen die Schuld an der ungerechten Bezahlung.
({12})
- Ja, Eigenverantwortung. - „Helft euch selbst, ich tue
es nicht“, ist ihre Botschaft. Das ist nicht unser Ansatz.
Wir stehen an der Seite der benachteiligten Frauen
und fordern unter anderem - da sind wir weiter als Sie,
Frau Bär - eine gesetzlich festgelegte Quote für Vorstände und Aufsichtsräte, ein Entgeltgleichheitsgesetz,
das Lohndiskriminierung wirksam verhindert. Es stünde
der Ministerin gut an, sich mit uns zusammen dafür stark
zu machen. Aber dafür müsste sie selbst erst einmal
selbstbewusster und tougher werden.
Danke schön.
({13})
Das Wort hat nun Kollegin Nicole Bracht-Bendt für
die FDP-Fraktion.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten
Damen und Herren! In der Beschreibung der Situation
von Frauen im Beruf enthält sowohl der Antrag der
SPD-Fraktion als auch der Antrag der Linken viele Aussagen, die ich teile. Es ist vollkommen richtig, dass hinsichtlich der ungleichen Entlohnung und bei der Erhöhung des Frauenanteils in Aufsichtsräten, Vorständen
und Leitungspositionen in Wirtschaft, Forschung und
Lehre Handlungsbedarf besteht.
Sie fordern eine gute Vereinbarkeit von Familie und
Beruf für Frauen und Männer. Das alles unterstütze ich
voll und ganz.
({0})
Aber, liebe Kollegin Humme, warum hat die SPD-Fraktion die Entgeltgleichheit nicht während ihrer Regierungszeit durchgesetzt?
({1})
Bereits damals lag der durchschnittliche Verdienst von
Frauen 23 Prozent unter dem Gehalt der Männer - genau
wie heute.
Auch bei den Ursachen hat sich nichts Wesentliches
geändert. Viele junge Frauen entschieden sich schon während Ihrer Regierungszeit für schlecht bezahlte Berufe
ohne große Chancen auf berufliches Weiterkommen. Es
ist keineswegs neu, dass Auszeiten vom Beruf die
Karriere abbremsen und sich dies natürlich auch auf die
Rente auswirkt. Daran hat sich seitdem nichts geändert.
({2})
In der Opposition wollen Sie nun mit der Brechstange
per Gesetz die Gleichstellung von Frauen im Erwerbsleben durchsetzen, und zwar mit einem riesigen Paket an
Forderungen, vom enormen bürokratischen Aufwand
ganz zu schweigen.
({3})
Die Fraktion Die Linke tut so, als habe die christlichliberale Bundesregierung bisher nichts getan, außer an
die Selbstverpflichtung der Unternehmen zu appellieren.
Die Linken verweisen auf den Fall Schlecker, weil in
diesem Unternehmen viele Frauen beschäftigt sind, und
behaupten, dass Dumpinglöhne durch radikale Lohnsenkungen sogar noch weiter abgesenkt werden sollen.
Das ist unverschämt.
Kolleginnen und Kollegen der Fraktion Die Linke,
Sie wissen genau, dass die Bundesregierung diesbezüglich längst tätig geworden ist. Der Referentenentwurf
vom 2. September 2010 sieht klare Regelungen vor, dass
solche Praktiken verboten werden. Die christlich-liberale Koalition hat schon im ersten Jahr ihrer Regierungszeit einen Antrag zu wichtigen Schritten in der Gleichstellungspolitik vorgelegt.
Wir sind davon überzeugt, dass wir die Männer mit
ins Boot nehmen müssen. Dazu gehört, dass wir Stereotypen aufbrechen.
({4})
Niemand schaut eine Frau schief an, wenn sie Ingenieurin oder Erzieherin wird. Ein Mann als Erzieher in der
Kita muss hingegen nach wie vor um Anerkennung
kämpfen. Deshalb hat die Bundesregierung zum Beispiel
ein Programm zur Förderung von Männern in Kitas aufgelegt.
({5})
- Frau Humme, Sie müssten einmal den Bericht genau
lesen, der zusammen mit diesem Programm vorgelegt
wurde. Dann sehen Sie, dass der Gehaltsunterschied
zwischen einem Kfz-Mechaniker und einem Erzieher
nur gering ist. Daran liegt es also nicht.
({6})
Die von Ihnen geforderte gesetzliche Frauenquote
von mindestens 40 Prozent in Vorständen und Aufsichtsräten ist mit uns Liberalen nicht zu machen. Wir lehnen
es ab, die Unternehmen zu bevormunden und ihnen per
Gesetz vorzuschreiben, wie sie ihre Posten zu besetzen
haben.
Wenn Sie immer wieder auf Norwegen als Vorzeigeland verweisen,
({7})
verschweigen Sie, dass dort viele kleine Unternehmen
ihre Statuten geändert haben, um den strengen Regelungen zu entgehen.
Sie ignorieren auch, dass die Mehrheit der Bevölkerung gesetzliche Quoten ablehnt;
({8})
Befragungen zeigen das immer wieder. In der Debatte
zur Einführung einer Frauenquote während des jüngsten
CSU-Parteitages waren es vor allem die jungen Frauen
- also diejenigen, die es am meisten betrifft -, die sich in
feurigen Reden vehement gegen die Quote aussprachen.
Die FDP-Fraktion verschließt nicht die Augen davor,
dass der Anteil von Frauen in leitenden Positionen der
Wirtschaft immer noch verschwindend gering ist.
Je größer das Unternehmen, desto weniger Frauen in
der Chefetage. Dass die Gehaltsunterschiede zwischen
Männern und Frauen in der obersten Ebene am größten
sind, ist ein Skandal. Wir brauchen unbedingt Transparenz bei den Gehältern. Die FDP-Bundestagsfraktion
setzt auf Logib-D-Verfahren. Das schafft Transparenz
und macht sensibel für ungleiche Behandlung. Aus Imagegründen werden sich Unternehmen überlegen müssen,
ob sie es sich leisten können, öffentlich als frauenfeindlich zu gelten. Leistung muss sich lohnen, für Frauen genauso wie für Männer.
Unternehmen sollten darüber hinaus mehr tun. Die
Telekom hat es uns vorgemacht. Es ist nicht nur die
selbstverordnete Quote, die mich freut; die Telekom hat
vielmehr ein ganzes Paket an karrierefördernden Maßnahmen für Frauen ergriffen. So hat das Unternehmen
ein Konzept erarbeitet, wie es als Arbeitgeber mit Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in Kontakt bleibt, wenn sie
zur Kinderbetreuung aussetzen. Gleichzeitig werden
Fortbildungsmaßnahmen während der Elternzeit angeboten. Davon profitieren Mütter und Väter wie auch das
Unternehmen selbst. Das zeigt, was ein Arbeitgeber für
Eltern, also auch für Väter, tun kann. Ich wünsche mir,
dass andere Unternehmen sich ein Beispiel daran nehmen und sich Gedanken über eigene Maßnahmen machen, um ihr Unternehmen familienfreundlicher zu gestalten.
({9})
Auch flexible Arbeitszeitmodelle gehören dazu. Kindererziehung und die Pflege von alten Menschen ist auch
Sache von Männern. Wir brauchen eine gezielte Frauenförderung, und die darf nicht erst im Erwachsenenleben
beginnen. Schon in der Schule müssen Mädchen lernen,
selbstbewusst für ihre Rechte einzutreten. Mädchen wie
Jungen müssen wissen, dass Hausarbeit nicht allein Sache der Frauen ist. Eine Studie des DIW Berlin zeigt eindrucksvoll, dass die Lohnkluft nicht nur in unterschiedlicher Qualifikation, Berufswahl und Berufserfahrung
begründet ist; ein weiterer Faktor bei den Einkommensunterschieden ist nämlich das Ausmaß der Hausarbeit.
Vollzeitbeschäftigte Männer mähen am Wochenende
schon einmal den Rasen, vollzeitbeschäftigte Frauen
übernehmen, ohne zu murren, täglich Wischmopp und
Kochlöffel.
Einkommen und Karriere müssen zurückstehen, wenn
die Flexibilität für berufliche Termine oder Überstunden
aufgrund der häuslichen Tätigkeit fehlt. Für die FDPFraktion steht außer Frage, dass die Gleichbehandlung
von Frauen im Berufsleben überfällig ist. Das möchte
ich ausdrücklich betonen. Die christlich-liberale Koalition hat mit ihrem Antrag bereits viele Schritte hierzu
unternommen. Ich verweise auf den Ressortbericht der
Bundesregierung mit dem Titel „Verringerung des Verdienstabstandes zwischen Männern und Frauen“ vom
Juni 2010. Er enthält wichtige Erkenntnisse über die
Gründe für die ungerechten Lohn- und Gehaltsunterschiede. Da heißt es zum Beispiel, dass die Dauer der
Unterbrechung des Erwerbslebens eine besondere Rolle
spielt. Laut Studien senke eine sechsmonatige Erwerbsunterbrechung den Lohn um 9 Prozent. Bleibe eine Frau
nach Ablauf der Elternzeit ein weiteres halbes Jahr zu
Hause bei ihrem Kind, erhöhe dies die Lohneinbuße um
nochmals 15 Prozent. - Das müssen wir den Frauen sagen.
Die Wirtschaft braucht mehr Frauen. Es liegt in ihrem
eigenen Interesse, moderne Arbeitsmöglichkeiten wie
das Homeoffice anzubieten.
({10})
Kindertagesstätten und flexible Arbeitsbedingungen für
Mütter und Väter sind Bausteine auf dem Weg zu einem
ausgewogenen Verhältnis der Geschlechter im Beruf.
Dazu ist ein neues Rollenverständnis nötig, nicht nur der
Männer, sondern auch der Frauen selbst.
Ganz herzlichen Dank.
({11})
Das Wort hat nun Cornelia Möhring für die Fraktion
Die Linke.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Gleichstellung ist ein sehr großes Thema. Das haben wir
in den vorherigen Reden gehört. Dazu gehört vieles. Ich
werde mich aus diesem Grund auf das Thema Entgeltgleichheit beschränken. Eines möchte ich vorwegschicken: Frau Schröder ist heute nicht da. Ich denke, die
Union hat ein ernsthaftes Personalproblem.
({0})
Es kann nicht angehen, dass sich jemand Frauenministerin nennen darf, obwohl sie solch einen Blödsinn erzählt.
({1})
- Nein, das betrifft nicht Dr. Kues. Er ist da. Sie können
Frau Schröder gern berichten, Herr Dr. Kues, welche
Ratschläge wir ihr geben. Vielleicht wäre es hilfreich,
wenn sie sie befolgt. - Frau Schröder hat letzte Woche
zum Beispiel behauptet, dass die Lohnungerechtigkeit
unter anderem darin begründet sei, dass sich Frauen nun
einmal die schlechter bezahlten Berufe aussuchen. Ich
finde, das ist ein Schlag ins Gesicht der Frauen, die sich
Tag für Tag abrackern und Kinder erziehen, die aber
trotzdem nicht genug zum Leben verdienen und keine
auskömmliche Rente erwirtschaften. Es ist eine Ungeheuerlichkeit, so etwas als Familienministerin zu behaupten.
Liebe Frau Kollegin Bracht-Bendt, dem Ruf nach Eigenverantwortung kann man dann am besten nachkommen, wenn man mit einem Geldschein im Mund geboren
ist.
({2})
Denn jene, die wirklich nicht die Voraussetzungen haben
und denen dieses Land diese Voraussetzungen nicht bietet, haben es tatsächlich schwer, eigenverantwortlich zu
mehr Lohn zu gelangen. Ich vermute, dass Frau Schröder,
wie auch andere in diesem Hohen Hause, tatsächlich
keine Vorstellung davon hat, wie sich Frauen fühlen und
wie das reale Leben aussieht. Aber vielleicht versuchen
wir einmal gemeinsam einen Perspektivwechsel.
Stellen Sie sich vor, Sie haben ein Kind bekommen
- die Entscheidung war sicherlich nicht einfach -, und
dann haben Sie keinen Kitaplatz bekommen - das ist
durchaus im Rahmen des Üblichen -; aber nun wollen
Sie zurück an einen Arbeitsplatz. Aber Sie bekommen
keinen vernünftig bezahlten neuen Arbeitsplatz.
Stellen Sie sich einmal vor, Sie sind Anfang 40, gehen
zur Arge und Ihnen wird mitgeteilt, dass Sie schon zu alt
seien. Stellen Sie sich vor, Sie sind alleinerziehend und
müssen Ihre Familie und sich selber mit Minijobs und
Teilzeit über Wasser halten. - Ich habe den Eindruck,
dass Sie sich das nicht vorstellen können.
({3})
- Nein, das können sie nicht. Aber mangelndes Vorstellungsvermögen ist keine Entschuldigung für schlechte
Politik.
({4})
Wie könnten wir auf einfachem Wege die Situation
dieser Frauen und zigtausend anderer Arbeitnehmer verbessern? Wir könnten es zum Beispiel tun, indem wir
einen flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn einführten. Lohndumping und Armut trotz Arbeit gehören
endlich abgeschafft.
({5})
Genauso ungeheuerlich ist es, dass in unserem Land,
wie schon erwähnt, die meisten Frauen immer noch
durchschnittlich ein Viertel weniger Lohn erhalten als
ihre Kollegen, und das sogar, wenn sie exakt das Gleiche
tun, mit der gleichen Ausbildung, mit den gleichen Verantwortungsbereichen. Auch die ungleiche Bezahlung
für gleichwertige Arbeiten gehört auf den Müllhaufen
der Politik.
Ich will Ihnen ein paar Beispiele nennen; denn wenn
man nur Zahlenspiele macht, ist das vielleicht weniger
nachvollziehbar.
Eine Frau, die in öffentlichen Verwaltungen Räume
und Toiletten saubermacht, bekommt mehrere Euro weniger die Stunde als ein Mann, der für die Pflege der Außenanlagen zuständig ist. Ich frage Sie: Warum ist das
Putzen öffentlicher Klos eigentlich geringer zu bewerten
als das Abkratzen von Kaugummis von Parkbänken?
({6})
Das ist völlig unsinnig.
Eine Frau, die mit Hochschulabschluss in einer Verwaltung zum Beispiel als Gleichstellungsbeauftragte arbeitet, wird um zwei Tarifgruppen schlechter bezahlt als
die Bereichsleiter, die mit der gleichen Qualifikation
teilweise sogar weniger Verantwortung übernehmen.
Der Leiter einer Kfz-Werkstatt mit fünf Facharbeitern
und Facharbeiterinnen erhält deutlich mehr Lohn als die
Leiterin einer Küche mit ebenso vielen Facharbeiterinnen und Facharbeitern.
Eine Erzieherin bekommt nach vier bis fünf Jahren
Ausbildung - das hängt davon ab, ob sie Abi oder Mittlere Reife hat - ein paar Hundert Euro weniger als der
Facharbeiter nach drei Jahren Ausbildung. - Ich könnte
jetzt noch ganz viel Beispiele aufführen.
Das ist doch nicht nachvollziehbar. Der Grund besteht
darin, dass Arbeit in diesem Land dann gering geschätzt
und schlecht oder gar nicht bezahlt wird, wenn es sich
um das Wohl der Menschen und nicht um die Extraprofite dreht, die Sie für Ihre Lobby realisieren wollen. Das
muss sich ändern. Pflegerische und sorgende Arbeit darf
nicht länger weniger wert sein und muss dringend aufgewertet werden.
({7})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, aus Sicht der Linksfraktion müssen auch deutlich bessere rechtliche Voraussetzungen geschaffen werden, damit die Entgeltgleichheit durchgesetzt werden kann. Dazu liegt Ihnen unser
Antrag vor. Bisher müssen Betroffene in Einzelklagen
sehr mühselig gegen Ungerechtigkeiten dieser Art vorgehen. Das dauert viele Jahre und verschlingt viel Geld.
Aus diesem Grunde fordern wir eine Erweiterung der
betrieblichen Mitbestimmung sowie die Änderung des
Betriebsverfassungsgesetzes und des Personalvertretungsrechts. Zudem muss es durch einen Ausbau des sogenannten Verbandsklagerechts ermöglicht werden, dass
auch Vereine, Verbände und Gewerkschaften kollektiv
klagen können.
Doch das allein reicht immer noch nicht aus. Die zunehmenden Lohnunterschiede zwischen den Geschlechtern zeigen deutlich: Die Arbeitswelt muss sich grundlegend ändern - nicht nur für Frauen, sondern auch für
Männer.
({8})
Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat nun
Monika Lazar das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Noch nie war eine Frauengeneration in Deutschland so
gut ausgebildet wie heute. Meine Vorrednerinnen sind
schon mehrfach darauf eingegangen. Dennoch sind sie
- nicht unsere Kolleginnen, sondern die Frauen, die außerhalb des Bundestages arbeiten - im Arbeitsleben weiter benachteiligt. Die dritte Bilanz der Vereinbarung zwischen der Bundesregierung und der Wirtschaft zur
Förderung der Chancengleichheit von Frauen und Männern macht deutlich, dass es in den vergangenen Jahren
keinen nennenswerten gesellschaftspolitischen und
gleichstellungspolitischen Fortschritt gegeben hat. Der
Untätigkeit der schwarz-gelben Bundesregierung können wir nicht weiter zusehen. Es sind zwar, insbesondere
von Frau Bär, schon Ankündigungen gemacht worden,
aber wir warten immer noch auf die konkreten Maßnahmen.
Wir fordern eine Vielzahl konkreter Maßnahmen zur
Schaffung von echter Chancengerechtigkeit im Arbeitsleben. So sollen - um nur einige Punkte zu nennen Unternehmen regelmäßig geschlechterspezifische Personalstatistiken erstellen, die Gehaltsstrukturen und Positionen transparent machen sowie einen Gleichstellungsbeauftragen beschäftigen.
Natürlich halten wir an der Forderung nach einer
Frauenquote in der Wirtschaft fest. Wir fordern einen
Frauenanteil von mindestens 40 Prozent in Aufsichtsräten börsennotierter Unternehmen bis 2017; denn wir
können es uns nicht länger leisten, Bildungsinvestitionen
zu vergeuden und auf kreative Potenziale von Frauen zu
verzichten.
({0})
Wir fordern ein Gleichstellungsgesetz für die Privatwirtschaft; denn im Durchschnitt erhalten Frauen in
Deutschland 23 Prozent weniger Lohn - und das nicht
nur deshalb, weil Frauen lieber brotlose Germanistik und
Männer Elektrotechnik studieren, wie die Ministerin
gerne argumentiert; auch bei vergleichbarer Tätigkeit
bekommen Frauen rund ein Viertel weniger als Männer.
Wir wollen daher ein echtes Verbandsklagerecht im
Antidiskriminierungsgesetz, die geschlechtergerechte Überarbeitung der Eingruppierungskritierien der Tarifverträge
und die Einführung von Mindestlöhnen. Gerade die
Mindestlöhne würden Frauen sehr stark zugutekommen;
denn nur 43 Prozent der erwerbstätigen Frauen arbeiten
in Vollzeit; der Rest ist im Teilzeit- und Niedriglohnsektor beschäftigt.
Hinzu kommt, dass viele Frauen aufgrund von Kinderbetreuung oder Pflege von Angehörigen unterbrochene Erwerbsbiografien aufweisen. Dies wirkt sich negativ auf die Einkommenshöhe aus. Wir brauchen daher
einen Ausbau der Zahl der Kinderbetreuungsplätze, insbesondere für die unter Dreijährigen; denn daran mangelt es in unserem Land noch gravierend. Auch die
Pflege muss einen größeren Stellenwert erhalten.
Ich verstehe die Gleichstellung von Frauen und Männern als eine zentrale Gerechtigkeitsfrage. Wir wollen,
dass Frauen und Männer auf Augenhöhe miteinander
umgehen. Gleiche Chancen und gleiche Rechte gehören
dazu. Der Weg hin zu einer geschlechtergerechten Gesellschaft ist noch lang und fordert uns allen etwas ab.
Die Abkehr von der traditionellen Geschlechterordnung
bringt aber auch neue Chancen und Perspektiven; sie eröffnet Freiräume, Wahlmöglichkeiten und die Chance
auf mehr Selbstbestimmung für Frauen und für Männer.
Ministerin Schröder hinkt der Zeit weiterhin hinterher. Erst musste sie sich von der Telekom vorführen lassen, die als erstes - und bisher leider einziges - deutsches DAX-Unternehmen eine Frauenquote eingeführt
hat, und dann hat sich selbst die CSU nach langen Diskussionen für eine parteiinterne Frauenquote entschieden; zwar nicht auf allen Ebenen, aber ein Fortschritt ist
es immerhin.
Selbst Maria Böhmer, Vorsitzende der Frauen Union,
sagte in der gestrigen Ausgabe der Welt zum Thema
„Frauenquote in der Wirtschaft“ - ich zitiere -:
Wir brauchen solche Instrumente. Die Wirtschaft
muss wissen, dass die Quote kommt, wenn der Anteil der Frauen in Führungspositionen nicht rasch
steigt. Wir wollen erreichen, dass zeitnah mindestens ein Drittel der Aufsichtsratsposten an Frauen
geht. Längerfristig streben wir einen Anteil von
40 Prozent an.
Das alles ist sehr schön. Aber wo bleiben bitte die
konkreten Vorschläge?
({1})
Diese Aussage müsste der Ministerin wirklich zu denken geben, aber nein: Ihr Patentrezept besteht weiterhin
aus Unverbindlichkeit und warmen Worten. Frau
Schröder sagte in ihrem unsäglichen Spiegel-Interview
in dieser Woche: Wenn die Quote eingeführt wird, hat
die Politik versagt. - Ja, die Politik hat versagt; denn jahrelang hat es außer freiwilligen Selbstverpflichtungen
nichts gegeben. Das müssen auch die Koalitionsfraktionen endlich zur Kenntnis nehmen; sie dürfen die Augen
nicht vor der Realität verschließen.
({2})
- Ich habe mich in meinen vorherigen Reden immer
selbstkritisch geäußert. Lesen Sie das bitte nach! Wir
müssen gemeinsam handeln. Wenn sich die Frauen in allen Fraktionen einig sind, dann müssen wir, was zumindest Ihre Koalition angeht, nur noch die Männer überzeugen. Aber, wie gesagt: Passiert ist nichts. Vielleicht
schaffen wir es gemeinsam in dieser Wahlperiode.
({3})
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, Ihr
Antrag ist gut. Viele Forderungen decken sich mit unseren Forderungen. Ich würde mich freuen, wenn wir bei
der Frage der Quote für die Aufsichtsräte in zwei Wochen, wenn unser Gesetzentwurf ins Plenum eingebracht
wird, gemeinsam streiten.
({4})
Die Ministerin hat wieder eine Studie angekündigt,
um herauszufinden, warum Frauen nicht in Führungspositionen gelangen. Für mich ist das Verschwendung von
Steuergeldern.
({5})
Wir wissen, woran es liegt. Nicht zuletzt das Haus von
Ministerin Schröder hat für Unsummen bereits zahlreiche Studien anfertigen lassen. Gerade im Frühjahr dieses
Jahres wurde die von ihrem Haus finanzierte Studie zur
gläsernen Decke vorgestellt.
Wir wissen: Es greifen verschiedene Hemmnisse ineinander. Aber klar ist: Ohne gesetzliche Maßnahmen
wird es nicht gehen. Frau Ministerin, liebe Koalition,
werden Sie endlich aktiv. Deutschland ist reif für eine
moderne Frauenpolitik.
Vielen Dank.
({6})
Das Wort hat nun Elisabeth Winkelmeier-Becker für
die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der
Antrag der SPD fängt mit einer richtigen Feststellung an.
Alles Wesentliche ist gesagt. Auch hier und heute ist
vielfach wieder dargestellt worden, wie die Mechanismen zusammengreifen.
({0})
- Genau. In etlichen Forderungen stimmen wir überein,
aber nicht in allen. Vor allem gehen Sie, denke ich, in
den bürokratischen Anforderungen doch weit über das
Ziel hinaus.
({1})
Die Änderungen beim AGG, Verlängerungen der Einspruchsfrist, die Verbandsklage, längere Aufbewahrungsfristen und dergleichen werden, so glaube ich,
nicht den Durchbruch für die Frauen bringen. Das bringt
vor allem Mehraufwand und Rechtsunsicherheit.
({2})
Wenn Sie öffentliche Aufträge vor allem an Firmen
vergeben wollen, die Gleichstellungspläne haben, dann
müssen dafür Kriterien entwickelt werden. Wer soll das
entscheiden? - Das muss dann wieder zertifiziert und geprüft werden. Ich glaube, auch das läuft sich ziemlich
tot.
Sie schlagen vor, dass Betreuungsplätze - ihre Zahl
ist knapp - vor allem für Kinder von Berufstätigen zur
Verfügung gestellt werden sollen. Dazu sage ich, dass
wir beim SGB VIII und den dortigen Regelungen bleiben.
({3})
Danach soll vorrangig bedacht werden, wer einen Platz
wegen der Berufstätigkeit der Eltern oder zur Persönlichkeitsentwicklung braucht. Wenn ein Kind einen Betreuungsplatz vor allem für die eigene Persönlichkeitsentwicklung braucht, dann soll es auch Vorrang haben.
Ich glaube, das ist ein ganz wichtiges Kriterium, das
nicht hinter den anderen zurückstehen sollte.
Was die Linken den Tarifparteien alles vorschreiben
wollen, zeugt von einem ziemlich tiefen Misstrauen. Ich
glaube, hier können wir den Tarifvertragsparteien durchaus mehr zutrauen.
({4})
Diese haben den Weckruf gehört und werden hier sicherlich etliches verbessern. Das sind Gründe, weswegen wir
unter anderem Ihre Anträge nicht mittragen können,
auch wenn sie viele Dinge enthalten, über die Konsens
besteht.
Weil dies sicherlich der aktuell wichtigste politische
Punkt ist, möchte ich noch einmal auf den Vorschlag eingehen, eine 40-prozentige Quote einzuführen. Dies ha7920
ben auch die Grünen in einem Antrag verlangt, der heute
nicht zur Debatte steht, der aber auch im parlamentarischen Verfahren ist. In der Tat, die privatwirtschaftliche
Vereinbarung aus dem Jahr 2001 ist ohne Wirkung. Daran hat sich, seit wir im März zuletzt darüber gesprochen
haben, nichts geändert. Deshalb ist meine Überzeugung
durchaus, dass wir eine Quote brauchen und dass wir
eine Quote bekommen.
({5})
Es war schon die Rede davon: Als Gruppe der Frauen
in der Union haben wir uns für einen Stufenplan mit zunächst Berichtspflichten ausgesprochen, durch die eine
Vergleichbarkeit hergestellt werden soll. Ich glaube, wir
erwischen die Unternehmen wirklich am Nerv, wenn
zum Beispiel im Handelsblatt oder im manager magazin
eine übersichtliche Tabelle steht, aus der sich ganz klar
ergibt, wer hier vorn liegt und wer nicht.
Wir wollen aber auch, dass das in eine verbindliche
Quote mündet. Auch Staatsministerin Böhmer hatte das
vorgeschlagen. Davon war schon die Rede. Unser Konzept sieht vor, dass wir im nächsten Wahlturnus auf eine
Zielmarke von 30 Prozent kommen wollen. Wenn das
nicht freiwillig gelingt,
({6})
dann erfolgt die verbindliche Vorgabe für den übernächsten Wahlturnus. Wir müssen die Wahlturnuszeiten
mit in Rechnung stellen und deshalb bald beginnen.
Auch das ist kein Geheimnis: Wir haben in der Tat
das Problem und die Aufgabe, dafür in der eigenen Partei Mehrheiten zu finden.
({7})
Ich glaube, diese Situation kennen Sie sehr gut. Denken
Sie an das Jahr 2001 zurück. Da waren die Frauen in der
rot-grünen Koalition auch auf einem anderen Weg. Es ist
schon Legende, dass damals bei Zigaretten und Wein die
freiwillige Vereinbarung mit der Privatwirtschaft gekippt
und abgemildert wurde.
({8})
Von daher wissen wir alle, wovon wir sprechen.
Wir machen uns in unserer Fraktion aber optimistisch
auf den Weg. Daraus erklärt sich auch die Zahl. Wenn
man mit einer moderaten Zahl letztendlich erreicht, dass
etwas Wirklichkeit wird, dann sind mir 30 Prozent real
lieber als 40 oder 50 Prozent auf dem Papier. Die Quote
wäre eine einfache und unbürokratische Regelung. Sie
nützt den Unternehmen; denn den Unternehmen nützt alles, was den Horizont und die Perspektive der homogenen Gruppen, die jetzt in den Vorständen und Aufsichtsräten sitzen, erweitert.
Jetzt gibt es zwei Gruppen, die sich offenbar nicht so
gut mit dem Gedanken an die Quote anfreunden können:
zum einen die Männer, die dann vielleicht etwas Platz
machen müssen und deshalb am liebsten gar nichts ändern wollen,
({9})
zum anderen Frauen, häufig junge Frauen, die meinen,
dass die nötigen Veränderungen auch ohne Quote zu erreichen wären. Beide kommen uns mit dem Argument:
Qualität und Kompetenz setzen sich auch so durch.
({10})
Das würde stimmen, wenn Qualität und Kompetenz als
alleinige Kriterien gelten würden. Wir wissen aber, dass
auch andere Kriterien gelten: Seilschaften, Loyalitätsbeweise, Tauschgeschäfte und dergleichen.
({11})
Nun sagen junge Frauen auch: Wir brauchen vor allem Kinderbetreuungsmöglichkeiten und eine andere
Präsenzkultur. Das stimmt, das stimmt aber auch unabhängig von der Quote, neben der Quote und auch ohne
die Quote. Aber das reicht nicht. Es geht doch nicht darum, die heute 30-Jährigen neben die 50-jährigen Männer in den Aufsichtsräten zu setzen. Es geht um die
Frauen, die heute in der Lage wären, die Aufgaben zu
übernehmen. Für diese ist Kinderbetreuung in der Regel
überhaupt kein Thema mehr.
Frau Kollegin, Sie müssen bitte zum Ende kommen.
Deshalb brauchen wir die Quote. Wir wollen, dass das
zeitnah geht. Deshalb bleiben wir am Thema Quote dran.
Das ist versprochen.
Danke schön.
({0})
Das Wort hat nun Caren Marks für die SPD-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau
Winkelmeier-Becker, ja, es war ein großer Fehler von
Rot-Grün, die freiwillige Vereinbarung einzugehen.
Aber die SPD und auch die Grünen sind mittlerweile
weiter. Wir haben die Konsequenzen aus diesem Fehler
gezogen und sagen ganz klar: Ohne gesetzliche Regelung geht es bei der Quote und der Entgeltgleichheit
nicht. Wir wünschen Ihnen alles Gute auf dem Weg zu
dieser Erkenntnis und bei Ihrem Bemühen, zu entsprechenden Mehrheiten zu kommen.
({0})
Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, auch ich
komme nicht umhin, mich auf das bereits erwähnte Spiegel-Interview der Ministerin zu beziehen. Vielleicht ist
es auch kein Zufall, dass sie es vorzieht, heute nicht dabei zu sein. In diesem Interview konnten wir erfahren,
warum es eine Lohnungleichheit zwischen Männern und
Frauen gibt; denn:
Frauen studieren gern Germanistik …, Männer dagegen Elektrotechnik - und das hat eben auch Konsequenzen beim Gehalt.
Selbst schuld, liebe Frau! So einfach, so schlicht ist die
Welt der Frauenministerin in unserem Land.
Nach einer aktuellen Studie beträgt die Lohnlücke
zwischen Männern und Frauen bei wirklich vergleichbaren Voraussetzungen immerhin noch knapp 13 Prozent.
Das ist die tatsächliche Lohndiskriminierung von Frauen
in unserem Land. Daran wird ganz deutlich, dass wir
endlich rechtliche Regelungen brauchen, um dieser
Lohndiskriminierung effektiv entgegenzuwirken. Wir
bräuchten auch eine tatkräftige Ministerin, die sich nicht
länger vor ihren Aufgaben drückt.
({1})
In der Studie wird außerdem dargelegt: Je länger die
Unterbrechungen des Erwerbslebens sind, desto größer
wird der Lohnabstand. Es sind nach wie vor überwiegend die Frauen, die längere Erwerbspausen haben, allerdings immer seltener wirklich gewollt. Auch deswegen war die Einführung des Elterngeldes ein sinnvolles
Instrument, um zu erreichen, dass Frauen nach der Geburt ihres Kindes nicht zu lange aus dem Erwerbsleben
ausgeschlossen werden und gleichzeitig auch die Väter
im ersten Jahr nach der Geburt an der Betreuung beteiligt werden. Die Beteiligung der Väter sollte allerdings
noch deutlich besser werden. Deswegen setzen wir uns
in der SPD für mehr Partnerschaftlichkeit beim Elterngeld ein. Ziel ist eine gerechte Aufteilung der Elternzeit.
({2})
Was aber will die Ministerin? Der Presse konnten wir
aktuell entnehmen, dass sie bei einer Weiterentwicklung
des Elterngeldes auf das Prinzip Hoffnung setzt. Sie
hoffe, dass eine Ausweitung der Partnermonate beim Elterngeld und die Einführung eines Teilelterngeldes noch
vor den nächsten Bundestagswahlen - hört, hört, der
Zeitpunkt - verwirklicht werden. Indem man allein auf
das Prinzip Hoffnung setzt, haben sich gesellschaftliche
Rahmenbedingungen - vielleicht richten Sie das Ihrer
Ministerin aus, Herr Staatssekretär - noch nie geändert.
Hier sind Taten von der Ministerin gefordert!
({3})
Denn die Frauen in Deutschland haben diesen Stillstand
nicht verdient, und sie haben ihn vor allem wirklich satt.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, Taten sind auch
beim Ausbau der Kinderbetreuung gefordert. Hierzu hat
das Statistische Bundesamt ganz aktuelle Betreuungszahlen veröffentlicht. Die Zahl der betreuten Kinder unter drei Jahren nimmt zwar weiter zu, doch nach wie vor
ist die Betreuungsquote in den meisten westdeutschen
Bundesländern wirklich alles andere als zufriedenstellend. Es bedarf endlich konkreter Verabredungen mit
Ländern und Kommunen, wie das Angebot schneller bedarfsgerecht ausgebaut und der Rechtsanspruch 2013
verlässlich umgesetzt werden kann.
Auf das Engagement der Bundesfamilienministerin
warten Eltern und ihre Kinder bislang vergeblich. Dabei
müsste sie schleunigst einen Krippengipfel einberufen
und eine aktuelle und ehrliche Bedarfsanalyse vorlegen,
statt sich permanent hinter veralteten Zahlen zu verstecken.
({4})
Die SPD fordert: Die Ganztagsbetreuungsangebote in
Kitas und Schulen müssen ausgebaut werden. Nur so
lässt sich Vereinbarkeit von Familie und Beruf für Männer und Frauen leben; nur so ist Gleichstellung zu verwirklichen.
Wenig konkret hingegen ist die Initiative „Familienbewusste Arbeitszeiten“, die die Ministerin zusammen
mit der DIHK gestartet hat. Ziel ist es, Betrieben Anregungen für flexiblere und damit familienfreundlichere
Arbeitszeitmodelle zu geben. Meine lieben Kolleginnen
und Kollegen, es fehlt nicht an Anregungen, es fehlt an
konkreten Angeboten für die Beschäftigten. Das ist das
Problem.
({5})
Über die Quote haben wir schon einiges gehört. Ich
merke dazu an: Auch die Quote gehört nicht gerade zu
den Lieblingsthemen der Ministerin, und man fragt sich,
welche es eigentlich sind. Die Quote, so hört man von
ihr, sei nur Ultima Ratio. Jetzt folgte auch noch die Aussage, eine Quote sei auch immer eine Kapitulation der
Politik. Dann hat ja - schade, dass Frau Bär schon weg
ist - die CSU mit ihrer Frauenquote schon einmal kapituliert.
Kapituliert hat wohl auch die Justizministerkonferenz
der Länder? Sie hat letzte Woche einen Quotenbeschluss
für Aufsichtsräte gefasst. Die SPD begrüßt diesen Schritt
ausdrücklich. Ich kann nur sagen: Hier wurde nicht kapituliert, sondern endlich verstanden, was guten Frauen
wirklich hilft.
({6})
Das Bedauern der Ministerin über die fehlenden
Frauen in Führungspositionen ist alles andere als überzeugend, und ihre Aktivitäten erschöpfen sich auch hier,
wie so oft, in einer Initiative mit der Wirtschaft, diesmal
für mehr Frauen in Führungspositionen. Wir brauchen
aber keine folgenlosen Initiativen, wir und die Frauen in
diesem Land brauchen gesetzliche Regelungen. Die SPD
will eine gesetzliche Frauenquote für Aufsichtsräte und
Vorstände. Damit kommen Frauen in die entsprechenden
Positionen, nicht aber mit folgenlosen Initiativen. Es
wundert nicht wirklich, dass wir mit einer solchen
Ministerin bei einem Ranking des Weltwirtschaftsforums zur Gleichstellung von Platz 5 auf Platz 13 zurückgefallen sind.
Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, es ist nicht
nachvollziehbar, dass eine so junge Frauenministerin mit
Gleichstellungspolitik nichts am Hut hat,
({7})
und das, obwohl sie ihre Karriere auch der Frauenbewegung der 70er-Jahre verdankt. Schlimmer noch: Frau
Schröder macht in der Gleichstellungspolitik eine Rolle
rückwärts nach der anderen. Die Frauen in unserem
Land wissen, dass die Ministerin nicht an ihrer Seite
steht. Die Quittung - da bin ich mir sicher - wird folgen.
Herzlichen Dank.
({8})
Als letzter Rednerin zu diesem Debattenpunkt erteile
ich Kollegin Nadine Schön für die CDU/CSU-Fraktion
das Wort.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Nach den aufgeheizten Diskussionen der letzten Tage dachte ich, dass wir wenigstens hier im Parlament etwas sachlicher diskutieren, ohne Verleumdungen
und ohne Falschbehauptungen.
({0})
Aber was machen Sie? Sie machen genau so weiter, in
der Hoffnung, parteipolitischen Profit daraus zu schlagen. Ich bin der Meinung, der Zirkus, den Sie hier vor allem in den letzten Tagen veranstaltet haben, lähmt die
gleichstellungspolitische Debatte mehr, als dass er sie
voranbringt.
({1})
Worum geht es eigentlich? Es geht zum einen um die
Frage, wer was erreicht hat.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ja, der Feminismus
hat vieles erreicht. Viele von uns würden heute hier nicht
stehen, hätte es den Feminismus nicht gegeben.
({2})
Das hat übrigens die Ministerin in ihrem Interview wortwörtlich so gesagt. Niemand stellt die Erfolge des Feminismus infrage.
({3})
Was ich allerdings infrage stelle, sind die Erfolge der
Gleichstellungspolitik der letzten Jahre. Da ist nicht
wahnsinnig viel passiert. Trotzdem werfen Sie uns vor,
dass wir bei vielen Themen auf der Stelle treten. Dabei
waren sowohl die SPD als auch die Grünen, also all diejenigen, die in den letzten Jahren an der Regierung waren, an dieser Entwicklung genauso beteiligt.
({4})
Deshalb halte ich das Geschrei der letzten Tage für ein
wirklich durchsichtiges Manöver, um von Ihrem eigenen
Scheitern abzulenken.
({5})
Zum Zweiten geht es um verschiedene inhaltliche
Themen. Auch hier war ich etwas überrascht über die
Schwerpunktsetzung der letzten Tage. In meinen Augen
gibt es Themen, bei denen wir wirklich weitergekommen sind. Allerdings gibt es auch andere Themen, bei
denen noch viel zu tun ist. Aber diese Gewichtung hat
sich in der Diskussion der letzten Tage ganz und gar
nicht widergespiegelt. Ich frage mich: Ist es wirklich
notwendig, einen Namenswechsel so hoch zu hängen?
Vor 20 bis 30 Jahren war der Namenswechsel eine absolut politische Aussage.
({6})
Das ist aber heute nicht mehr so. Man ist weder eine
Emanze, wenn man als Frau einen Doppelnamen wählt
oder seinen Namen behält, noch ist man superkonservativ, wenn man den Namen des Mannes annimmt.
({7})
Die Namenswahl geschieht heute in den meisten Fällen
völlig undogmatisch. Sie wird beeinflusst vom persönlichen Geschmack und der individuellen Situation. Für
viele ist es heute unvorstellbar, wie es früher einmal war.
Aber es ist doch gerade der Erfolg der Frauenbewegung,
dass wir die Namenswahl heute so undogmatisch sehen
können. Lassen Sie uns das auch heute leben, und verlangen Sie nicht von uns, dass wir alles genauso machen,
wie Sie es damals vor 20, 30 Jahren aus berechtigten
Gründen gemacht haben.
Das Gleiche gilt für die Jungenpolitik. Ich sehe in der
Feststellung, dass die Jungen gegenüber den Mädchen in
den letzten Jahren zu kurz gekommen sind,
({8})
keinen Angriff gegen die Mädchen- und Frauenpolitik.
({9})
Trotzdem beobachtet man Reaktionen wie gerade von den
Linken oder hört Sätze wie: Jetzt müssen wir uns auch
noch um die armen Jungen kümmern. - Ich sage: Ja, das
müssen wir; denn Gleichstellungspolitik bedeutet, dass
wir jedes Geschlecht bestmöglich fördern müssen.
({10})
Nadine Schön ({11})
Man kann durchaus für eine Quote sein und gleichzeitig
die Jungen fördern. Pragmatismus statt Ideologie: Mit
diesem Grundsatz kommen wir in diesen Tagen weiter
als mit dem Kampf der Geschlechter.
Aber das darf nicht mit Laisser-faire verwechselt werden. Es gibt noch viel zu tun. In vielen Punkten sind wir
absolut nicht zufrieden mit dem, was erreicht worden ist.
Wir müssen aufpassen, dass wir nicht zurückfallen.
Auch das sage ich ganz deutlich. Einen Rückfall können
wir nur verhindern, indem wir uns gemeinsam auf die
wichtigen Themen konzentrieren und nicht aufeinander
losgehen.
({12})
Die CDU/CSU-Fraktion steht für entschiedenes und
pragmatisches Handeln sowie für einen breiten, ursachenorientierten Ansatz. Die Kolleginnen haben es bereits im Zusammenhang mit dem Thema Entgeltungleichheit dargestellt. Dafür gibt es eine Reihe von
Gründen. Dazu gehört das Berufswahlverfahren; das
wurde schon gesagt. Ich nenne ferner die vielen Erwerbsunterbrechungen und die schlechtere Bezahlung in
typischen Frauenberufen. Da müssen sich auch die Tarifpartner fragen lassen, ob ihnen an dieser Stelle nicht eine
Verantwortung zukommt.
({13})
Es gibt in der Tat auch Diskriminierungen, was die Karrierechancen und das Gehalt angeht. Es gibt also ein
Bündel von Ursachen. Dieses Problem müssen wir gemeinsam angehen: Frauen und Männer, Unternehmen,
Tarifparteien, Wirtschaft, Politik und Gesellschaft. So
kommen wir wirklich weiter.
Das Gleiche gilt für das Thema Frauen in Führungspositionen. Hier müssen wir feststellen: Wir sind unter
Rot-Grün nicht weitergekommen; wir sind in der Großen
Koalition nicht weitergekommen. Nur gerade einmal
2,5 Prozent der Vorstandsposten der 200 größten deutschen Unternehmen sind mit Frauen besetzt. Das haben
Sie genauso wie wir zu verantworten. Hier treten wir auf
der Stelle.
Dafür gibt es eine breite Palette von Gründen: In gut
bezahlten technischen Berufen arbeiten weniger Frauen.
Es liegt zum Teil auch daran, dass Frauen manchmal
vorsichtiger sind. Aber die Hauptursache sind meiner
Meinung nach die Kultur und der Status quo in den Führungsetagen der Unternehmen. Die Old-Boys-Netzwerke funktionieren leider - vielleicht auch unbewusst.
Es herrscht eine männliche Kultur vor. Frauen stoßen da
irgendwann an eine gläserne Decke. Hier bedarf es einer
qualifizierten Anzahl von Frauen - man spricht von etwa
30 Prozent - in den entsprechenden Ebenen, um diese
Kultur strukturell zu ändern.
Wie kommen wir dahin? Die Kolleginnen haben es
bereits erwähnt: Wir legen einen Stufenplan vor. So konkret waren Sie noch nie.
({14})
Auf der ersten Stufe stehen Selbstverpflichtung und Berichtspflichten.
({15})
Wir sagen aber eben auch deutlich: Wir warten nicht
ewig. Ein Stufenplan ist ein Stufenplan.
({16})
Das heißt, wenn nicht ganz schnell Dynamik in die Sache hineinkommt, dann muss die zweite Stufe wesentlich mehr Vorgaben und Druck beinhalten. Da kann Norwegen für uns durchaus ein gutes Vorbild sein.
Frau Kollegin, Sie müssen bitte zum Ende kommen.
Herr Präsident, ich komme zum Ende. - Es gibt noch
viel zu tun. Mit Diffamierungen kommen wir nicht weiter. Wir müssen das gemeinsam angehen.
Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
({0})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend auf
Drucksache 17/1486 zu dem Antrag der Fraktion der
SPD mit dem Titel „Mit gesetzlichen Regelungen die
Gleichstellung von Frauen im Erwerbsleben umgehend
durchsetzen“, zu dem Antrag der Fraktion Die Linke mit
dem Titel „Entgeltgleichheit zwischen den Geschlechtern wirksam durchsetzen“ sowie zu der Unterrichtung
durch die Bundesregierung mit dem Titel „Dritte Bilanz
der Vereinbarung zwischen der Bundesregierung und
den Spitzenverbänden der deutschen Wirtschaft zur Förderung der Chancengleichheit von Frauen und Männern
in der Privatwirtschaft“.
Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner
Beschlussempfehlung, in Kenntnis der genannten Unterrichtung auf Drucksache 16/10500 den Antrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 17/821 abzulehnen. Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt
dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung
ist mit den Stimmen von CDU/CSU und FDP gegen die
Stimmen der SPD bei Stimmenthaltung der Linken und
der Grünen angenommen.
Unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der
Fraktion Die Linke auf Drucksache 17/891. Wer stimmt
für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den
Stimmen der beiden Koalitionsfraktionen gegen die
Stimmen der Linken bei Stimmenthaltung von SPD und
Grünen angenommen.
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse
Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 36 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie ({0})
- zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Joachim
Pfeiffer, Peter Bleser, Nadine Schön ({1}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion
der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Paul K.
Friedhoff, Dr. Erik Schweickert, Claudia
Bögel, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
der FDP
Kinderfreundliche Nachbesserung der EUSpielzeug-Richtlinie dringend erforderlich
- zu dem Antrag der Abgeordneten Elvira
Drobinski-Weiß, Petra Crone, Petra
Ernstberger, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der SPD
Offensive für einen wirksamen Schutz der
Kinder vor Gift in Spielzeug
- zu dem Antrag der Abgeordneten Karin Binder,
Caren Lay, Dr. Kirsten Tackmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE
Krebserregende Stoffe in Kinderspielzeugen
durch Sofortmaßnahmen ausschließen
- zu dem Antrag der Abgeordneten Nicole
Maisch, Ulrike Höfken, Cornelia Behm, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Kinderspielzeug - Risiko für kleine Verbraucher
- Drucksachen 17/3424, 17/2345, 17/1563, 17/656,
17/3695 Berichterstattung:
Abgeordnete Nadine Schön ({2})
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Kollegen
Erik Schweickert für die FDP-Fraktion das Wort.
({3})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine Damen und Herren! Heute geht es im Prinzip um
den Vergleich von zwei Produkten - ich habe sie mitgebracht -: Es geht um den Vergleich zwischen einem
Quietscheentchen, auf dem meine Tochter schon einmal
herumkaut, wenn sie in der Wanne planscht, und einem
Autoreifen, auf dem sie noch nie herumgebissen hat. Sie
werden denken: Das ist logisch! Auch ich sage: Das ist
logisch! Wenn Sie jetzt aber wissen, dass bei diesem
Quietscheentchen eine 1000-fach höhere Konzentration
einzelner krebserregender Weichmacher zugelassen ist
als bei diesem Autoreifen - deswegen zeige ich Ihnen
das Ganze -, dann werden Sie sagen: Das ist unlogisch!
Ich sage Ihnen: Das ist unzumutbar. Hier muss gehandelt
werden.
({0})
Das Beispiel zeigt, warum wir von der christlich-liberalen Koalition hier vorangehen. Wir bemühen uns nicht
erst, seit die Stiftung Warentest nachgewiesen hat, dass
bei 80 Prozent von 50 untersuchten Spielzeugen die gesetzlich vorgegebenen Grenzwerte nicht eingehalten
wurden, darum, in diesem Bereich nach vorne zu kommen. Aber wie kann man hier nach vorne kommen? Da
es sich um eine europäische Regelung handelt, müssen
wir auf der europäischen Ebene ansetzen. Das tun wir
auf drei verschiedene Weisen:
Erstens. Wir möchten die Grenzwerte ändern; sie
müssen gesenkt werden. Ich denke, das ist unter den
Fraktionen dieses Hauses Konsens.
Zweitens. Es geht uns nicht so sehr darum, welche
Schadstoffe in einem Spielzeug enthalten sind, sondern
darum, welche Schadstoffe freigesetzt werden: Was wird
freigesetzt, wenn das Quietscheentchen in den Mund genommen wird, wenn es zum Haut- oder Mundkontakt
kommt? Wir sind also der Meinung, dass hier die Systematik geändert werden muss: Es ist nicht ausschlaggebend, was drin ist, sondern was freigesetzt wird.
({1})
Drittens. Wir, die christlich-liberale Koalition, wollen
eine verpflichtende Drittprüfung auf europäischer Ebene
durchsetzen; denn es hat sich gezeigt, dass das CEZeichen, das für „Conformité Européenne“ stehen soll
- eine Selbstverpflichtung der Hersteller -, so gut wie
nichts bringt. Insider sprechen bei CE nicht von „Conformité Européenne“, sondern von „China Exports“;
denn das Zeichen wird einfach aufgedruckt, ohne dass
man sich um die Vorgaben kümmert. Wir sind deshalb
der Meinung: Das muss besser gemacht werden. Wir
kennen in Deutschland den TÜV; wir wissen, was es
heißt, Stichproben zu nehmen. Dann ist es richtig, zu sagen: Wir wollen verpflichtende Drittprüfungen auf europäischer Ebene. Denn nur dann können wir den Schutz
unserer Kinder ordentlich gewährleisten.
({2})
Wir haben auch den Vorschlag unterbreitet - falls
man sich da mit Blick auf REACH schwertun sollte und sind bereit, Spielzeug - wie dieses Glas - als Lebensmittelbedarfsgegenstand zu klassifizieren. Wenn ich
das in den Mund nehme, brauche ich keine Angst zu haben, dass etwas migriert, weil für Lebensmittelbedarfsgegenstände sehr strenge Regelungen gelten. Wenn sich
die EU schwertut, haben wir also alternativ vorgeschlagen, Kleinkinderspielzeug als Lebensmittelbedarfsgegenstand zu klassifizieren. Auch dann sind wir auf dem
richtigen Weg.
Darüber hinaus sehen wir, dass wir im Bereich der allergenen Stoffe etwas tun müssen. Bei Uhren haben die
Nickelwerte ein Limit, bei Kinderspielzeug ist das nicht
der Fall. Auch das ist eine unlogische Gesetzgebung auf
europäischer Ebene. Hier werden wir zusammen mit
dem Wirtschaftsministerium und dem Verbraucherschutzministerium aktiv werden, damit sich etwas tut und unsere Kinder nicht länger mit dem teilweise doch als
Schrott zu klassifizierenden Produkten zugeschüttet werden.
({3})
Jetzt kommt die Opposition und sagt: Was tun Sie
denn national? Dazu muss ich sagen: Das Ganze einfach
nur national zu regeln, wäre zu einfach. Viele von uns
kommen ja aus Baden-Württemberg. Da ist der Weihnachtsmarkt in Frankreich relativ nahe. Ich will nicht,
dass Spielzeug, das in Deutschland nicht eingeführt werden darf, aus Frankreich zu uns herüberkommt. Das ist
kein effizienter Verbraucherschutz. Wir müssen hier auf
europäischer Ebene tätig werden. Trotzdem dürfen wir
national nicht untätig sein. Das sind wir, meine Damen
und Herren, liebe Elvira Drobinski-Weiß, auch nicht.
Wir haben in unserem Antrag ganz klar gesagt, dass
wir insbesondere mit China eine Arbeitsgruppe gründen
wollen, um dieses Thema in den Griff zu kriegen. Ich
möchte auch sagen, warum. Denn eine verpflichtende
Drittprüfung muss so organisiert sein, dass vor Ort eine
Probe genommen werden kann. Ich habe mich dazu
heute Morgen mit unserem Wirtschaftsminister Rainer
Brüderle abgestimmt. Wir werden auch die großen
Händler zu einem Gespräch einladen, damit nämlich genau diese Regelungen, die wir jetzt auf den Weg bringen,
beachtet werden - nicht erst dann, wenn Europa umsetzt.
Wir wollen schon vorher proaktiv tätig werden, damit
sich das nicht wiederholt, was die Stiftung Warentest herausgefunden hat.
Sie sehen also, wenn Sie sich diesen Antrag ganz genau durchlesen: Wir sind nicht nur auf dem richtigen
Weg; wir sind im Zeitplan, und wir handeln jetzt nach
zwölf Monaten so, wie es manche in zwölf Jahren Regierungsverantwortung nicht geschafft haben. Deshalb
möchte ich insbesondere an Sie aus der Opposition appellieren: Wir haben einen Antrag vorgelegt, der in vielen Teilen Ihre Anregungen aufgreift, der umsetzbar ist
und der zwischen den Häusern abgestimmt ist. Deswegen bitte ich Sie um Unterstützung, damit wir uns nicht
irgendwann wieder darüber unterhalten müssen, ob das
Quietscheentchen oder der Autoreifen für meine Tochter
besser wäre. Ich möchte ihr weiterhin das Quietscheentchen und nicht den Autoreifen zum Spielen geben.
Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
({4})
Das Wort hat nun Elvira Drobinski-Weiß für die SPDFraktion.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Schweickert
hat es ja auch angesprochen: Im Oktober hat die Stiftung
Warentest erneut festgestellt, dass Kinderspielzeug sehr
hoch mit Gift belastet ist, und zwar in einem doch sehr
erschreckendem Ausmaß. Von den 50 untersuchten Produkten waren über 80 Prozent betroffen. Ob Holzbausteine oder Holzpuzzles, Plüschtiere, Puppen und Plastikspielzeug: Sie enthielten Formaldehyd, Phthalate,
PAKs - das sind die sogenannten polyzyklischen aromatischen Kohlenwasserstoffe -, kritische Farbstoffe und
Nonylphenol, Stoffe, die als krebserregend gelten und
Allergien auslösen können. Einige verändern das Erbgut
oder sind fortpflanzungsschädigend.
Das ist, finde ich, erschreckend, aber leider nicht neu.
Regelmäßig warnen die Rapex-Meldungen der EU vor
giftigem Spielzeug, und zwar mit steigender Tendenz.
Wir haben bereits mehrfach über die Sicherheit von Kinderspielzeugen debattiert. Aber getan hat sich fast nichts.
Das ist es, was uns wirklich empören muss.
Bereits im Mai hatte ein Vertreter des Deutschen Verbandes der Spielwaren Industrie auf einer Anhörung im
Wirtschaftsausschuss berichtet, dass man schon seit
Mitte Dezember 2009 - das ist nun bald ein Jahr her mit Ministerin Aigner über eine Selbstverpflichtung zu
den PAKs im Gespräch sei. Seitens des Verbandes sei
man bereit, die für die Vergabe des GS-Zeichens - das
steht für „Geprüfte Sicherheit“ - geltenden Grenzwerte
für PAKs einzuhalten. Im aktuellen Warentest wurden
aber jede Menge PAK-Stoffe gefunden, zum Beispiel im
Meerschweinchen von Althans, in der Sandmännchenfigur Pitti von heunec, im Teddybär Victor von Steiff, in
der Puppe Cheeky von Simba.
Ich habe es schon gesagt: PAKs gelten als krebserzeugend, erbgutverändernd und fortpflanzungsschädigend.
Wir nennen diese Stoffe abgekürzt auch k/e/f-Stoffe. Das
Bundesinstitut für Risikobewertung sieht hier einen dringenden Handlungsbedarf. Diese Stoffe haben im Spielzeug tatsächlich nichts zu suchen. Sie gehören verboten.
Die SPD hat mit ihrer Offensive für einen wirksamen
Schutz der Kinder vor Gift in Spielzeug bereits im Juni
einen umfassenden Maßnahmenkatalog zur Verbesserung der Spielzeugsicherheit vorgelegt. Darin fordern
wir unter anderem die rechtliche Gleichstellung von
Spielzeug mit sogenannten Lebensmittelkontaktmaterialien; denn - das hat der Kollege Schweickert schon ausgeführt - Kinder nehmen diese Dinge in den Mund. Sie
kauen an ihren Plüschtieren, und dabei werden Giftstoffe
freigesetzt. Wir fordern ein komplettes Verbot dieser k/e/fStoffe, ebenso für alle allergieauslösenden Stoffe.
({0})
Auch die Kombinationswirkungen der verschiedenen
Chemikalien sind bisher nicht berücksichtigt worden.
Wir fordern, dass die Untersuchung solcher Kombinationswirkungen zu einem Forschungsschwerpunkt wird
und die Ergebnisse schnellstmöglich in gesetzliche Vorgaben einfließen. Wir wollen die Hersteller verpflichten,
die Sicherheit von Spielzeug durch unabhängige Dritte
überprüfen zu lassen, bevor dieses in den Handel gelangt. Schließlich kann man von Eltern und Großeltern
nicht verlangen, dass sie Chemieexperten sind. Sie sollten sich darauf verlassen können, dass auf dem Markt erhältliches Spielzeug keine Gefahr für die Gesundheit
ihrer Kinder ist. Wir fordern daher die Einrichtung einer
benutzerfreundlichen, öffentlich zugänglichen Daten7926
bank für Spielzeug. Darin sollen die Kontrollergebnisse
der Marktüberwachung der Länder und des Zolls unter
Nennung der Namen von Hersteller und Produkt zusammengeführt und die Inhaltsstoffe des Spielzeugs genannt
werden.
Als unser Antrag im Oktober endlich auf der Tagesordnung des Verbraucherausschusses stand, haben die
Kolleginnen und Kollegen der Regierungskoalition für
die Absetzung gesorgt. Eigene Vorschläge von CDU/
CSU und FDP lagen bis dahin nicht vor.
({1})
Immer wieder haben wir unsere Gesprächsbereitschaft
signalisiert. Im Interesse der Kinder - es geht um ihren
Schutz - sind wir für eine gemeinsame Initiative offen.
Wir denken aber, dass Ihre Vorschläge dafür nicht ausreichen.
Der Koalitionsantrag, den Sie uns Ende Oktober vorgelegt haben, bleibt weit hinter dem Machbaren zurück,
Herr Kollege Schweickert.
({2})
Warum haben Sie unsere Forderungen nicht komplett
übernommen? Ich denke, dass einiges aus unserem Antrag abgeschrieben wurde; aber leider wurde es aufgeweicht.
({3})
- Lachen Sie nur. Lesen Sie beide Anträge und vergleichen Sie sie.
({4})
Wichtige Punkte wurden weggelassen. Beispielsweise
haben Sie die Option, notfalls auch auf nationaler Ebene
Spielräume für Verbesserungen zu nutzen, ausgeklammert.
({5})
Wie ernst ist es Ihnen denn mit der Einführung einer
verpflichtenden Überprüfung der Sicherheit von Kinderspielzeug durch unabhängige Dritte?
({6})
Schließlich waren es CDU/CSU und FDP, die bei der
Überarbeitung der Spielzeug-Richtlinie die EU-weite
Einführung verhindert haben.
({7})
- Bei der Überarbeitung der Spielzeug-Richtlinie haben
CDU/CSU und FDP die EU-weite Einführung der verpflichtenden Drittprüfung im Europaparlament verhindert. Schauen Sie doch einfach in den Protokollen nach,
oder machen Sie sich bei den Kollegen kundig.
({8})
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU,
gemeinsam waren wir schon viel weiter. 2008 haben wir
als schwarz-rote Regierungskoalition ein komplettes
Verbot aller allergenen Duftstoffe und aller k/e/f-Stoffe
gefordert. Jetzt streben Sie strengere Grenzwerte für
diese Stoffe an, und die allergenen Duftstoffe haben Sie
im Forderungsteil Ihres Antrags offensichtlich vergessen.
Sehr geehrte Damen und Herren von der Regierungskoalition, ziehen Sie Ihren Antrag zurück!
({9})
Wichtige Forderungen fehlen. Das kann ja einmal passieren, man muss aber nicht darauf beharren, und schon
gar nicht, wenn es um so etwas Wichtiges wie Kindergesundheit geht. Unterstützen Sie hier und jetzt doch lieber
unseren Antrag im Interesse und für den Schutz der Gesundheit der Kinder! Alle Eltern wären Ihnen dafür
dankbar. Lassen Sie uns gemeinsam daran arbeiten, dass
wir nächstes Jahr nicht wieder kurz vor Weihnachten
über Gift im Spielzeug debattieren müssen.
Danke für Ihre Aufmerksamkeit.
({10})
Jetzt hat das Wort Kollegin Nadine Schön für die
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Weihnachten steht fast vor der Tür, Zeit der
Geschenke, besonders für Kinder. Kinder finden unter
dem Weihnachtsbaum sicherlich am häufigsten Spielzeug. Das soll weiterhin so bleiben. Der Deutsche Verband der Spielwaren Industrie spricht jetzt schon von
einem Umsatzplus von 7 Prozent im Vergleich zum Vorjahr und hofft auf ein noch besseres Weihnachtsgeschäft.
Allerdings muss man sich angesichts der kürzlich erschienenen Untersuchungsergebnisse der Stiftung Warentest fragen, ob für die Kleinsten wirklich nur das
Beste unterm Tannenbaum liegt. Immerhin waren
80 Prozent der getesteten Spielzeuge in irgendeiner
Form mangelhaft und wiesen Gefahren für Kinder auf.
Das ist für Eltern, Großeltern, für uns alle sehr bedenklich. Hier müssen wir etwas tun. Deshalb haben wir als
Koalition einen Antrag auf den Tisch gelegt, der mehrere
Forderungen für einen höheren Schutz vor mangelhaftem Spielzeug enthält.
Zum einen fordern wir Nachbesserungen bei der EUSpielzeug-Richtlinie. Diese Richtlinie - 2008 gegen die
Stimme Deutschlands verabschiedet, liebe Kollegin - erNadine Schön ({0})
höht zwar das Schutzniveau bei Spielzeug deutlich, ist
aber unseres Erachtens nicht ausreichend. Deshalb - das
wiederhole ich - hat Deutschland damals nicht zugestimmt.
({1})
Es ist zu begrüßen, dass sich die Bundesregierung in
Brüssel für Nachbesserungen starkmacht. Bis zum Inkrafttreten 2011 bzw. 2013 muss einiges geändert werden. Wir fordern im Einzelnen Folgendes:
Erstens müssen die festgelegten Grenzwerte für Chemikalien, insbesondere für Schwermetalle wie Blei und
Cadmium, und für allergene Stoffe wie Nickel und Duftstoffe an die neuesten wissenschaftlichen Erkenntnisse
angepasst werden. Zum Glück führt die Forschung immer wieder zu neuen Erkenntnissen. Nach unserer Meinung sind die Grenzwerte bisher zu hoch und sollten
deutlich abgesenkt werden.
Zweitens sind wir der Auffassung, dass krebserregende, erbgutverändernde oder fortpflanzungsgefährdende Stoffe, sogenannte CMR, in Spielzeugen nichts zu
suchen haben und generell zu verbieten sind.
({2})
Viele polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe,
PAK, die beispielsweise in Weichmachern zu finden
sind, besitzen krebserregende Eigenschaften und zählen
somit zu den CMR-Stoffen. Man sieht dem Spielzeug
nicht an, ob es giftige Weichmacher enthält. Deshalb
dürfen wir hier kein Risiko eingehen.
({3})
Drittens fordern wir ein umfassendes Migrationskonzept. Maßgeblich ist nämlich nicht nur, wie viel eines
Stoffes im Spielzeug ist, sondern auch, wie sich dieser
Stoff verhält, wenn am Spielzeug gerieben, gelutscht
oder gekaut wird. Das lässt sich bei Kindern eben nicht
vermeiden. Das muss untersucht werden. Wir brauchen
verlässliche Angaben über die Gefährlichkeit eines
Spielzeugs aufgrund der Migration seiner Inhaltsstoffe.
Schließlich muss geprüft werden, inwiefern es sinnvoll
ist, Spielzeuge generell als Lebensmittelbedarfsgegenstände zu klassifizieren. Mein Kollege Dr. Schweickert
hat dies anhand eines Trinkglases deutlich gemacht.
Mit diesen materiellen Änderungen allein ist es allerdings nicht getan. Das Ganze muss auch für den Kunden
nachvollziehbar sein. In Deutschland haben wir mit dem
freiwilligen Gütesiegel „GS“ sehr positive Erfahrungen
gemacht. Sie kennen das Logo bestimmt. Im Gegensatz
zum CE-Zeichen ist das für den Kunden ein aussagekräftiges Emblem. Ich bin sehr froh, dass sich unsere Bundesregierung dafür starkgemacht hat, dass wir dieses
Zeichen behalten dürfen; das ist ein großer Vorteil für
unsere deutschen Kunden. Unsere Bundesregierung hat
das in Brüssel durchgesetzt.
({4})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, was sich bewährt
hat, sollte ausgebaut werden. Ein solches Zeichen muss
es, zusammen mit einer verpflichtenden Drittprüfung,
auch auf EU-Ebene geben. Das gibt Herstellern die
Möglichkeit, sich positiv von ihren Wettbewerbern abzugrenzen, und schafft für die Käufer mehr Transparenz.
Die Welt besteht allerdings nicht nur aus der EU. Das
meiste Spielzeug, das wir in deutschen Kaufhäusern finden, kommt aus China. Deshalb ist es wichtig, dass das
Wirtschaftsministerium im Bereich der Produktsicherheit bereits intensiv mit den Kollegen in China zusammenarbeitet. So können Produktmängel bereits im Ursprungsland behoben werden. Werden parallel dazu die
Kontrollen an den EU-Außengrenzen und die Marktaufsicht verstärkt, kann man verhindern, dass gefährliches
Spielzeug überhaupt auf den europäischen Binnenmarkt
gelangt.
Schließlich - das ist der letzte, aber auch ein sehr elementarer Punkt - soll es unserer Auffassung nach eine
breit angelegte Informations- und Aufklärungskampagne
geben. Jeder von uns, der schon einmal ratlos vorm
Spielzeugregal gestanden hat, wird mir zustimmen: Hier
braucht es mehr Information. Der Kunde muss wissen,
worauf er achten soll.
({5})
Wenn es um die Sicherheit von Spielzeug geht, darf
es keine Kompromisse und Ausnahmen geben. Liebe
Kollegen von der Opposition, Ihre Anträge haben zwar
die gleiche Intention, verfehlen aber das Ziel. Denn nationale Alleingänge, die Sie fordern, bringen uns im
Zeitalter des europäischen Binnenmarktes überhaupt
nicht weiter. Dadurch werden Sie die Sicherheit von
Kinderspielzeug nicht erhöhen. Deshalb fordere ich Sie
auf: Schließen Sie sich dem Antrag der Koalitionsfraktionen an! Dann können Sie wirklich etwas für die Sicherheit von Kinderspielzeug tun. Helfen Sie mit, zusammen mit der Bundesregierung für einen besseren
Schutz bei Kinderspielzeug zu sorgen, damit wir alle unsere Weihnachtseinkäufe in Zukunft unbesorgt erledigen
können.
({6})
Das Wort hat nun Karin Binder für die Fraktion Die
Linke.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Alle Jahre wieder müssen
vor Weihnachten Spielzeuge aus dem Verkehr gezogen
werden, weil sie lebensgefährlich, zumindest aber gesundheitsschädigend sind. Nach wie vor finden Verbraucherschützer in Spielsachen Gift. Seit Jahren ist dieses
Problem bekannt, geschehen ist bisher wenig.
Fest steht: Auch zum diesjährigen Weihnachtsfest
herrscht Unsicherheit. Eltern können nicht darauf vertrauen, dass Spielzeuge sicher sind. Selbst der Kauf hei7928
mischer Markenware bietet keine Garantie. Dies zeigt
nachdrücklich die Untersuchung der Stiftung Warentest
von Ende Oktober 2010.
Das Bundesinstitut für Risikobewertung sattelt obendrauf und hebt hervor: Auch die Regelungen der gerade
überarbeiteten EU-Spielzeug-Richtlinie sind nicht geeignet, Kinder vor gesundheitlichen Schäden zu bewahren.
Die Grenzwerte, die die Brüsseler Vorschriften für unbedenklich halten, sind viel zu hoch. - Dies betonen die
Experten vor dem Hintergrund der Zunahme der Fälle
von Kinderkrebs in Deutschland.
Immerhin haben unsere Initiativen, hat der Druck der
Opposition jetzt auch die Regierung zur Initiative bewegt. Wir mussten dieses Thema aber erst mehrfach in
den Ausschüssen zur Sprache bringen und eine Anhörung erzwingen.
({0})
Wir begrüßen, dass man jetzt in Brüssel vorstellig geworden ist. Immerhin prüft die Europäische Kommission die deutschen Vorschläge zur Minderung giftiger
Schadstoffe in Spielzeugen. Doch das kann dauern. Voraussichtlich wird auf diesem Weg erst in circa drei Jahren eine Regelung erreicht, die unsere Kinder wirksam
vor den sogenannten PAK, den polyzyklischen aromatischen Kohlenwasserstoffen, schützt. Das ist uns zu spät.
({1})
Zum Teil handelt es sich dabei um krebserregende,
erbgut- und fortpflanzungsschädigende Substanzen, die,
wenn sie in Spielzeugen sind, für die Kinder verheerende Folgen haben können. Für die Linke ist deshalb
klar: Wir dürfen nicht auf eine Entscheidung in Brüssel
warten, wenn die Gesundheit unserer Kinder auf dem
Spiel steht.
({2})
Belastetes Spielzeug muss sofort verboten werden, notfalls auch in einem nationalen Alleingang von Deutschland.
({3})
Wo kommen wir denn hin, wenn wir uns an eine EURichtlinie halten sollen, deren Einhaltung auch von
Experten als gesundheitsschädlich beurteilt wird? In
Deutschland gilt noch immer das Grundgesetz, das
Recht auf körperliche Unversehrtheit. Das bedeutet: Vorsorge hat Vorrang.
({4})
Die Regierungskoalition hat nun in Reaktion auf die
Initiativen der Opposition eiligst noch einen eigenen Antrag zur Nachbesserung der EU-Spielzeug-Richtlinie
nachgeschoben. Darin bittet sie die EU-Kommission,
strengere Grenzwerte anzustreben,
({5})
und betont, man wolle nationale Alleingänge vermeiden.
Die Regierung bleibt also untätig und will nicht wirklich
Konsequenzen ziehen.
({6})
In der Antwort des Wirtschaftsministeriums auf
meine Anfrage zu diesem Thema von letzter Woche
heißt es, man habe bereits 2007 Eckpunkte zur Stärkung
der Marktüberwachung erarbeitet. Jetzt, also drei Jahre
später, sollen sie endlich Gegenstand des Gesetzentwurfs
werden.
({7})
- Wir nicht. - Meine Damen und Herren von der Regierung, so riskieren und gefährden Sie die Gesundheit vieler Kinder.
Wir, die Linke im Bundestag, fordern: Gesundheitsschädliche und krebserregende Stoffe haben im Spielzeug nichts verloren,
({8})
zumindest dürfen sie auch mithilfe der jeweils modernsten Technik nicht nachweisbar sein. Wir wollen, dass die
Regelungen, die für die Lebensmittelverpackungen gelten, auch für Spielzeug zugrunde gelegt werden.
({9})
Hersteller und Importeure sind zu verpflichten, Nachweise über die Einhaltung der Bestimmungen zu erbringen, bevor ein Spielzeug in Deutschland auf den Markt
gebracht werden darf.
({10})
Für die Überwachung durch die Behörden ist eine bundeseinheitliche Vorgehensweise festzulegen, die auch
von der Öffentlichkeit nachvollzogen werden kann.
Wichtig ist: Im Falle eines Verstoßes sind die Namen der
beteiligten Hersteller, Händler und Importeure sowie die
Verkaufsorte umgehend zu veröffentlichen.
({11})
Wir bitten Sie deshalb im Interesse der Kinder: Stimmen Sie unserem Antrag zu!
Danke schön.
({12})
Das Wort hat nun Nicole Maisch für die Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Das
Thema ist nicht neu, die FDP im Bundestag hat es nicht
erfunden; vielmehr haben wir schon vor zweieinhalb
Jahren hier im Parlament Anträge zu diesem Thema debattiert. Wir waren uns damals einig, dass Schadstoffe
und Gifte nichts im Kinderspielzeug verloren haben. Wir
alle wollten eine unabhängige Drittprüfung, und wir alle
haben gesagt, dass allergene Duftstoffe verboten werden
müssen. Das waren damals nicht die Forderungen der
Grünen, sondern die Forderungen der Großen Koalition,
denen alle Fraktionen dieses Hauses zugestimmt haben.
2008 hatte man sich also gemeinsam auf diese Position
geeinigt. Damals hätte die Bundesregierung handeln
müssen.
({0})
Leider hat Frau Aigner zwar die mediale Aufmerksamkeit gerne genossen, aber beim Vollzug hat sich wenig getan. Als wir das Thema in diesem Jahr wieder auf
die Tagesordnung gesetzt haben, hat Schwarz-Gelb versucht, die Anhörung dazu zu verhindern. Dass Sie das
niedliche Quietscheentchen und den Autoreifen mitgebracht haben, war einer Erkenntnis aus dieser Anhörung
geschuldet. Da Sie jetzt damit argumentieren, war es
vielleicht doch nicht so schlau, damals zu versuchen, die
Anhörung zu verhindern.
({1})
Wir warten noch immer auf einen konkreten Maßnahmenplan zum Thema Spielzeugsicherheit. Dass das ein
europäisches Thema ist, heißt ja nicht, dass man national
die Arbeit daran einstellen muss.
({2})
Ich möchte kurz aus einem Bericht zitieren, den wir in
dieser Woche erhalten haben. Dort heißt es:
In Kürze soll eine gemeinsame Deutsch-Chinesische Arbeitsgruppe Produktsicherheit eingerichtet
werden. Diese wird sich insbesondere mit Fragen
der Spielzeugsicherheit befassen.
Wir haben jetzt November 2010. Im Frühjahr 2008 haben wir darüber diskutiert. Damals war schon klar, dass
China beim Thema Spielzeugsicherheit eines der zentralen Probleme darstellt. Ich frage mich: Warum dauert es
so lange, bis diese Arbeitsgruppe eingerichtet wird?
({3})
Wenn es um die Exportförderung für Schweinefleisch
geht, ist der Staatssekretär kaum noch aus Fernost wegzukriegen. Da geht es schneller. Aber wenn es um Kinderspielzeug geht, müssen wir offensichtlich jahrelang
warten.
Ich glaube, beim Vollzug gibt es eine ganze Menge
Probleme. Ich habe heute einmal bei Amazon geschaut.
Mehrere der bei Stiftung Warentest als besonders giftig
getesteten Produkte kann man da immer noch bestellen.
Das konnten wir vor zehn Minuten feststellen. Das zeigt,
dass wir beim Vollzug noch nachzuarbeiten haben, und
der Vollzug, Frau Schön, ist eine nationale Aufgabe.
({4})
Hier darf sich die EU nicht in unsere Politik einmischen.
Ich möchte noch kurz sagen, warum wir dem Antrag
der schwarz-gelben Koalition nicht zustimmen werden.
Wir haben 2008 einen sehr guten Antrag gemeinsam beschlossen. Das war nicht unser Antrag, sondern ein Antrag der Großen Koalition. Der Antrag, den Sie heute
hier vorlegen, geht hinter das zurück, was Sie von der
CDU/CSU damals eingebracht haben. 2008 waren wir
uns einig, die krebserregenden, erbgutschädigenden
Stoffe zu verbieten. Heute ist von einem Verbot keine
Rede mehr, sondern nur noch von strengeren Grenzwerten. 2008 waren wir uns beim Verbot allergener Duftstoffe einig. Auch von einem solchen Verbot ist heute
nichts mehr zu hören. Ich frage mich: Sind allergene
Duftstoffe in den letzten zwei Jahren notwendiger geworden? Nein! Sie sind heute genauso überflüssig wie
damals.
({5})
2008 wurde außerdem gefordert - alle waren sich einig -, Spielzeug für Kleinkinder mit Lebensmittelbedarfsgegenständen gleichzusetzen. In dem heute vorliegenden Antrag ist nur noch die Prüfung enthalten. Wir
können diese Prüfung direkt durchführen: Hat irgendjemand Zweifel daran, dass Kleinkinder Spielzeug in den
Mund stecken? Nein. Also ist wohl geklärt und muss
nicht mehr geprüft werden, dass die Lebensmittelbedarfsgegenstände der richtige Bezugsrahmen für Kinderspielzeug sind.
({6})
Sie wollen explizit nationale Maßnahmen ausschließen. In einem gemeinsamen Binnenmarkt muss man gemeinsam vorangehen. Das heißt aber nicht, dass man auf
nationaler Ebene die Arbeit einstellen kann. Deshalb
werden wir Ihrem Antrag nicht zustimmen. Wir hoffen,
dass Sie jetzt endlich im Vollzug aktiv werden.
({7})
Als letztem Redner in dieser Debatte erteile ich dem
Kollegen Peter Bleser für die CDU/CSU-Fraktion das
Wort.
({0})
Herr Präsident! Ich darf heute die Debatte mit meinem Beitrag schließen. Ich will aber zunächst einmal für
uns alle gemeinsam feststellen, dass es bei der Sicherheit
von Kinderspielzeug keine Kompromisse geben darf.
({0})
Deswegen senden wir an diesem Freitagnachmittag Signale nach Brüssel, die dortige Rechtsetzung in unserem
Sinne zu beeinflussen.
Frau Maisch, Sie haben gerade auf Ihren Antrag hingewiesen. Ich könnte die Anträge unserer Koalition, aber
auch die der anderen Fraktionen hier vorlegen. Dünner
als Ihrer ist keiner; das kann ich Ihnen nur sagen.
({1})
Das sind noch nicht einmal zwei Seiten. Während sich
alle anderen mit den Themen fundiert und vertieft befasst haben, haben Sie hier etwas hingehuddelt, was man
niemandem ernsthaft zumuten kann.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage der
Kollegin Maisch?
Ich habe es befürchtet.
({0})
Herr Bleser, sind Sie bereit, anzuerkennen, dass wir
2008 in diesem Haus mehrere Anträge zu diesem Thema
vorliegen hatten und dass der Antrag der Grünen und der
Antrag der Koalition zu ungefähr 90 Prozent deckungsgleich waren, dass also hier im Haus ein Konsens bestand, und dass man Dinge, die gut und im Konsens beschlossen sind, nicht immer wiederholen muss?
Frau Maisch, das gestehe ich Ihnen gerne zu. Ein Hinweis in Ihrem Antrag, dass Sie zu 90 Prozent mit unserem Antrag übereinstimmen, hätte da Abhilfe geschaffen.
({0})
Meine Damen und Herren, hier ist ja alles schon
mehrfach gesagt worden. Dass wir bei beanstandetem
Spielzeug einen dramatischen Anstieg zu verzeichnen
haben - das europäische Schnellwarnsystem Rapex hat
einen Anstieg um 40 Prozent zu Beginn des Jahres 2010
gemeldet; es geht zum Beispiel um verschluckbare
Kleinteile und chemische Stoffe, die sich lösen -, ist
nicht hinnehmbar.
({1})
Deswegen sind wir dankbar, dass die Bundesregierung
der europäischen Spielzeug-Richtlinie nicht zugestimmt,
sondern sie abgelehnt hat. Aus diesem Grund läuft jetzt
der Prozess.
({2})
Wir müssen die europäische Rechtsetzung in der Form
beeinflussen, dass sie unsere Vorstellungen von Qualität
und Sicherheit erfüllt.
Frau Kollegin Drobinski-Weiß, ich muss Ihnen schon
vorwerfen
({3})
- aber bitte keine Zwischenfrage! -, dass Kommissar
Verheugen seinerzeit auf europäischer Ebene das GSZeichen abschaffen wollte. Es ist durch unseren Druck
und mithilfe unserer europäischen Kollegen in der EVPFraktion gelungen, es zumindest auf freiwilliger Basis
zu halten. Ich denke, das war schon ein kleiner Erfolg.
({4})
Ich will jetzt nicht alle Wortbeiträge wiederholen und
kommentieren; denn wir sind uns in der Zielsetzung einig. Die Anträge unterscheiden sich nicht sehr stark voneinander. Unser Antrag ist umfassend, und der Kollege
Schweickert hat Gummienten und Autoreifen mitgebracht. Das war pädagogisch sehr anschaulich. Ich habe
mir deshalb nicht selber die Mühe machen müssen.
Sie können mit unserem Antrag zu einem wesentlichen Teil übereinstimmen. Deshalb bitte ich Sie, ihm zuzustimmen.
Was wollen wir? Wir wollen zunächst einmal, dass
die Kontrollen an den Außengrenzen erhöht werden.
Wenn allein in Hamburg 8 Millionen Container im Jahr
angelandet werden, dann ist mit einer stichprobenartigen
Überwachung kein Blumentopf zu gewinnen. Deswegen
ist die verpflichtende Drittprüfung und das damit verbundene GS-Zeichen eine Kontrolle der Kontrolle,
durch die die Sicherheit des Produkts am Produkt selber
für den Käufer sichtbar in der Breite dargestellt werden
kann. Ich glaube, dieses Ziel müssen wir auf europäischer Ebene erreichen. Kollege Schweickert hat zu
Recht darauf hingewiesen, dass nationale Maßnahmen
letztlich nicht helfen. Die Grenzen sind offen. An den
Westgrenzen machen wir fast täglich davon Gebrauch.
Das ist sehr sinnvoll, und darüber freuen wir uns.
({5})
Die verpflichtende Drittprüfung ist entscheidend. Darüber hinaus müssen Spielzeuge, die in den Mund genommen werden können, als Lebensmittelbedarfsgegenstände klassifiziert werden. Auch das ist entscheidend.
Damit bekommen wir nämlich das Problem des Austretens von Substanzen bei Gegenständen, die in den Mund
genommen werden können, in den Griff.
Ich glaube, dass wir mit diesen drei Zielen - Drittprüfung, GS-Zeichen und Klassifizierung als LebensmittelPeter Bleser
bedarfsgegenstände - durch Rechtsetzung auf europäischer Ebene dem Problem Herr werden können. Ich
hoffe, dass wir nächstes Jahr um diese Zeit vor Weihnachten - das ist mein Wunsch, den Sie sicherlich alle
teilen - endlich eine europäische Richtlinie haben, die
unserem Anspruch an Spielzeugsicherheit entspricht.
Herzlichen Dank.
({6})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie auf Drucksache 17/3695. Der Ausschuss empfiehlt
unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung die Annahme des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU und
der FDP auf Drucksache 17/3424 mit dem Titel „Kinderfreundliche Nachbesserung der EU-Spielzeug-Richtlinie dringend erforderlich“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den
Stimmen der beiden Koalitionsfraktionen gegen die
Stimmen der Linken und der Grünen bei Enthaltung der
SPD angenommen.
Unter Buchstabe b empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion der SPD auf
Drucksache 17/2345 mit dem Titel „Offensive für einen
wirksamen Schutz der Kinder vor Gift in Spielzeug“.
Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer
stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen
gegen die Stimmen der drei Oppositionsfraktionen angenommen.
Weiterhin empfiehlt der Ausschuss unter Buchstabe c
seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags
der Fraktion Die Linke auf Drucksache 17/1563 mit dem
Titel „Krebserregende Stoffe in Kinderspielzeugen
durch Sofortmaßnahmen ausschließen“. Wer stimmt für
diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den
Stimmen der beiden Koalitionsfraktionen gegen die
Stimmen der Linken bei Enthaltung von SPD und Grünen angenommen.
Schließlich empfiehlt der Ausschuss unter
Buchstabe d seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung
des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf
Drucksache 17/656 mit dem Titel „Kinderspielzeug Risiko für kleine Verbraucher“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der beiden Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen
der Grünen bei Stimmenthaltung von SPD und Linken
angenommen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind damit am
Schluss unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Dienstag, den 23. November 2010, 10 Uhr,
ein.
Die Sitzung ist geschlossen. Ich wünsche Ihnen ein
heiteres, freundliches Wochenende.