Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Guten Tag, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Sitzung ist eröffnet.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 1 auf:
Befragung der Bundesregierung
Die Bundesregierung hat als Thema der heutigen Kabinettssitzung mitgeteilt: Strategie zur digitalen Zukunft Deutschlands.
Das Wort für den einleitenden fünfminütigen Bericht
hat der Bundesminister für Wirtschaft und Technologie,
Rainer Brüderle.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bei der
IKT, der Informations- und Kommunikationstechnologie, handelt es sich um ein Querschnittswissen, das alle
Sektoren der Wirtschaft und der Gesellschaft umfasst.
Die in der IKT-Branche tätigen Unternehmen erzielen in
Deutschland einen Umsatz von 140 Milliarden Euro im
Jahr. Rund 850 000 Beschäftigte sind in der IKT-Branche tätig. Hinzu kommen weitere 650 000 IKT-Spezialisten, die diese Technologie in den Unternehmen selbst
anwenden.
Die IKT hilft uns, die großen Herausforderungen zu
meistern. Die Informations- und Kommunikationstechnologie bringt uns zum Beispiel in der Medizin weit voran. So ist etwa die Lasertechnik in der Chirurgie nicht
mehr wegzudenken. Die IKT bietet auch Lösungen im
Energiebereich. Zum Beispiel lassen intelligente Stromzähler die Waschmaschine erst dann laufen, wenn der
Strom günstig ist.
Die IKT ist besonders gefragt, wenn es um die Zukunft
des Wirtschaftsstandorts Deutschland geht; denn sie ist
ein wichtiger Innovationstreiber. Sie ist auch Treiber unseres derzeitigen Aufschwungs. Dieser Aufschwung war
zunächst der starken Nachfrage nach Automobilen und
Maschinen made in Germany zu verdanken; darin steckt
viel IKT. So sind bis zu 40 Prozent der Wertschöpfung
bei den Premiumfahrzeugen der IKT zuzurechnen: etwa
Minisensoren, die den Fahrer vor Glatteis oder Stau warnen oder ihm beim Einparken helfen.
Inzwischen ist der Impuls vom Export auf die Binnennachfrage übergesprungen. In diesem Jahr stammen
etwa zwei Drittel der Wachstumskräfte vom Binnenmarkt; der Sachverständigenrat geht nach seinem heute
vorgelegten Gutachten davon aus, dass im nächsten Jahr
90 Prozent der Wachstumskräfte vom Binnenmarkt
stammen werden.
Es kommt jetzt darauf an, dass aus diesem Aufschwung ein langfristiges Wachstum wird. Dafür müssen
wir die Innovationskraft unserer Unternehmen stärken.
Auch hier ist der IKT-Bereich ein Schlüsselbereich, um
etwa in Fertigungsprozessen mit modernen Techniken
effizienter und schneller arbeiten zu können. So ist eine
Just-in-time-Produktion möglich. IKT-Entwicklungen
sind im Wesentlichen die Grundlage von Produktivitätssteigerungen.
Die Kommission der Europäischen Union schätzt,
dass über die Hälfte der Produktivitätssteigerungen auf
die Informations- und Kommunikationstechnologie zurückzuführen sind. Deutschland ist vorn mit dabei, wenn
es um die Entwicklung maßgeschneiderter IKT für Industrie und gewerbliche Wirtschaft geht. Deutschland ist
auch vorn mit dabei, wenn es um die Anwendung dieser
modernen Technologie geht. Das geht aus dem IKTStandortmonitoring des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie hervor. Diese Standortanalyse
werden wir auf dem Nationalen IT-Gipfel am 7. Dezember in Dresden vorstellen. Deutschland liegt jetzt auf
Platz 4 der 15 größten IKT-Nationen der Welt; wir haben
uns um einen weiteren Platz verbessert.
Wir wollen aber mehr. Am Schluss wollen wir auf das
Siegertreppchen gelangen. Darum haben wir heute Vormittag im Kabinett die neue IKT-Strategie beschlossen.
Sie trägt den Titel „Deutschland Digital 2015“. Das bedeutet: Wir wollen den Bereich IKT stärken und so den
Standort Deutschland auf dem Gebiet der Zukunftstechnologien noch fitter machen. Diese Strategie wird von
der gesamten Bundesregierung getragen. Sie wurde bereits im Koalitionsvertrag begründet und festgeschrieRedetext
ben. Diese Aufgabe haben wir zügig umgesetzt. Das
Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie hatte
die Federführung inne und koordiniert jetzt die Umsetzung gemeinsam mit den anderen Ressorts.
Wir brauchen einen engen Schulterschluss zwischen
Politik, Wirtschaft und Wissenschaft. Der IT-Gipfel ist
dafür eine wichtige Plattform. Konkret geht es um sechs
Punkte: Erstens geht es darum, durch die digitale Vernetzung neues Wachstum und die Entstehung neuer Arbeitsplätze zu ermöglichen. Zweitens geht es darum, digitale
Netze auszubauen, und drittens darum, den Verbraucher
im Internet zu schützen. Viertens geht es darum, Forschung und Entwicklung im IKT-Bereich voranzutreiben. Fünftens soll der Bereich der Aus- und Weiterbildung auf dem Gebiet der neuen Medien gestärkt werden.
Sechstens. IKT soll noch stärker genutzt werden, wenn
es um die Lösung großer Probleme geht.
Dreh- und Angelpunkt der digitalen Vernetzung unserer Wirtschaft ist eine gut ausgebaute und leistungsfähige Infrastruktur. Mit der Breitbandstrategie sind wir
auf einem sehr guten Weg zu einer flächendeckenden
Versorgung. Als Wirtschaftsminister ist es mir wichtig,
zu betonen, dass Forschen, Entwickeln und Entdecken
einzig und allein Aufgaben der Unternehmen sind. Der
Staat setzt den Rahmen. Aus diesem Grund gibt es die
IKT-Strategie. Das sind die Leitlinien, die den Rahmen
setzen.
Ich denke insbesondere an den Verbraucherschutz.
Das ist auch mir ein besonders wichtiges Anliegen. Auf
diesem Gebiet gibt es nach wie vor ein enormes Verbesserungspotenzial. Das Bundeswirtschaftsministerium hat
dieses Thema bei der Novellierung des Telekommunikationsgesetzes aufgegriffen.
Beispiel Warteschleifen. Das kennt fast jeder von uns:
ewiges Warten, Musikgedudel und am Ende eine dicke
Rechnung. In Zukunft soll der Kunde erst bezahlen,
nachdem er tatsächlich Beratung und Hilfe bekommen
hat.
Ein weiteres Beispiel ist die Vertragslaufzeit. Heute
ist es kaum möglich, einen Telefon- oder Internetvertrag
mit einer Laufzeit von weniger als zwei Jahren abzuschließen. Dadurch ist der Wettbewerb stark eingeschränkt, zum Teil sogar fast ausgeschlossen. Das ist
nicht fair. Deshalb muss jeder Anbieter in Zukunft auch
einen Vertrag mit einer maximalen Laufzeit von zwölf
Monaten anbieten. Dann können die Verbraucher den
Anbieter schneller wechseln, was den Wettbewerb fördert.
Ein anderes Beispiel ist der Anbieterwechsel. Auch
das haben viele von uns schon erlebt: Der eine Vertrag
wurde gekündigt, aber der andere Vertrag ist noch nicht
angelaufen; tagelang ertönt dann „Kein Anschluss unter
dieser Nummer“. In Zukunft darf die Leitung für maximal 24 Stunden unterbrochen sein, wenn der Anbieter
gewechselt wird. Der Kunde kann nicht tagelang offline
sein, nur weil er zur Konkurrenz, zu einem anderen
Wettbewerber, geht. Auch auf diesem Gebiet brauchen
wir stärkere Impulse für einen fairen Wettbewerb.
Verbraucherschutz ist auch an einer anderen Stelle ein
Thema: bei der Kriminalität im Internet. Dabei geht es
zum Beispiel um Computerviren auf privaten oder geschäftlichen PCs. Fast 20 Millionen Deutsche haben so
etwas schon einmal erlebt. Mittelstandsbetriebe können
sich durch spezielle Softwareprogramme und eine entsprechende Beratung schützen. Vertrauen schaffen wir
nur durch Sicherheit. Ich denke zum Beispiel an die Diskussion über den Bilderdienst von Google Street View.
Wir wollen Vertrauen und Sicherheit in der digitalen
Welt stärken.
Klar ist: Das Internet muss jedem zur Verfügung stehen, und zwar als freies Netz für freie Bürger. Mir geht
es dabei vor allem um die Netzneutralität und die Diskriminierungsfreiheit. Es dürfen nicht einige wenige das
Internet kontrollieren und quasi monopolisieren. Auch
darauf habe ich bei der Novelle zum Telekommunikationsgesetz großen Wert gelegt.
Jetzt geht es um die Umsetzung. Ich setze auf eine
gute Zusammenarbeit zwischen Politik, Wirtschaft und
Wissenschaft. Wir werden, wie schon angesprochen, auf
dem fünften IT-Gipfel am 7. Dezember 2010 in Dresden
wichtige Projekte für das kommende Jahr verabreden. In
sieben Arbeitsgruppen werden insgesamt 150 Personen
mitarbeiten. Sie tun dies ehrenamtlich und mit großem
Engagement. Ich erwarte weitere wichtige Impulse.
Insbesondere beim Ausbau des Breitbandnetzes und
dem nationalen IT-Gipfel gehen wir in Europa mit gutem
Beispiel voran.
Wir wollen auch in anderen Bereichen Lokomotive
sein. Dabei hilft uns eine erfolgreiche IKT-Strategie.
Vielen Dank.
Danke schön, Herr Bundesminister. - Ich habe schon
einige Fragewünsche aufgezeichnet.
Als erste Fragestellerin hat die Kollegin Dr. Petra
Sitte das Wort.
Danke, Herr Präsident, für die Worterteilung. - Herr
Brüderle, ich habe eine Frage, die sich aus Ihrer Ankündigung in Bezug auf die Entwicklung der Arbeitsplätze
in diesem Bereich ergibt; Sie haben Ihren einleitenden
Bericht damit begonnen. Die Bundesregierung hat gesagt, dass in den nächsten Jahren etwa 30 000 Arbeitsplätze entstehen sollen. Ein ähnliches Ziel verfolgt
offensichtlich auch die britische Regierung. David
Cameron sagte in diesem Kontext, dass dieses Ziel nur
zu erreichen sei, wenn man auch das Urheberrecht anpasse und flexibler mache; ansonsten seien all die kreativen Innovationen und Dienstleistungen, durch die neue
Arbeitsplätze entstehen sollten, nicht denkbar. Plant die
Bundesregierung Ähnliches? Planen Sie mit Blick auf
die digitale Zukunft Deutschlands eine Lockerung des
Urheberrechts?
Danke.
Ich bitte, direkt zu antworten.
Zunächst zu den Zahlen, die Sie nennen: Ich glaube,
dass sie letztlich wesentlich höher sein werden. Wir haben schon derzeit einen Fehlbedarf, den wir nicht decken
können: In Deutschland fehlen 65 000 Fachleute im ITSektor und 36 000 Ingenieure. Nach unseren Projektionen für die nächsten zehn Jahre wird dieser Fehlbedarf,
wenn wir nichts dagegen tun, auf rund 240 000 ansteigen.
Urheberrechtsänderungen sind jedenfalls in meinem
Geschäftsbereich nicht geplant. Das ist allerdings ein
Sektor, bei dem ich einräume, dass vieles im Fluss ist,
weil es zu neuen Strukturen kommt, sodass man noch
nicht in jeder Facette erkennen kann, wie weit es Bedarf
nach rechtlicher Anpassung gibt. Ich halte es für wichtig,
dass diejenigen, die sich neues Wissen erarbeiten, auch
einen Vorteil davon haben. Es ist wesentlich, die uralte
Diskussion „Patentschutz - ja oder nein?“ anzugehen.
Ich wiederhole: In meinem Geschäftsbereich sind solche
Überlegungen derzeit nicht aktuell. Ob andere Ressorts
etwas anderes planen, dazu kann ich nicht abschließend
Stellung nehmen.
Der Kollege Thomas Jarzombek hat das Wort.
Herr Minister! Meine Damen und Herren! Zunächst
einmal möchte ich die Regierung für den IT-Gipfel loben. Ich finde, das ist ein tolles und zukunftsweisendes
Veranstaltungsformat. Ich würde mir allerdings auch
wünschen, dass die Abgeordneten da eine größere Rolle
spielen, als das bislang der Fall gewesen ist. Daran gibt
es sehr viel Interesse.
Nun zu meiner Frage. Die Breitbandstrategie der
Bundesregierung ist sicherlich ein Erfolgsmodell, gerade
was das Abdecken der weißen Flecken im ländlichen
Raum betrifft. Insofern ist jetzt schon der geeignete Zeitpunkt, sich die Frage zu stellen, ob man nicht noch einen
Schritt weitergehen kann.
Auf jeden Fall wird Glasfaser die Zukunft der Breitbandverbindungen sein. Nur damit werden auf Sicht die
Ansprüche an Breitbandverbindungen zu erfüllen sein.
Ich glaube, dass die Infrastruktur ein ganz entscheidender Wirtschaftsfaktor ist. Wenn man sich hier einen Vorteil schaffen möchte, dann wäre es schon der richtige
Weg, zu sagen: Wir gehen voran, wir spielen eine führende Rolle nicht nur in Europa, sondern weltweit, und
wir fangen an, in jedem Gebäude Glasfaserausbau zu betreiben.
Sie wissen, dass in der Europäischen Union die Anteile der Glasfaserverkabelung ausgesprochen gering
sind. Im asiatischen Raum ist dieser Anteil schon viel
höher. Insofern werden wir das sowieso irgendwann machen müssen. Wenn wir zu spät kommen, haben wir aber
keinen Wettbewerbsvorteil. Wenn wir jetzt einsteigen
und eine aktive Glasfaserstrategie verfolgen, können wir
zahlreiche innovative Unternehmer, Gründer und unglaublich viele andere nach Deutschland ziehen. Wird in
der Bundesregierung darüber gesprochen und nachgedacht, nach der Breitbandinitiative als nächsten Schritt
eine nationale Glasfaserstrategie zu entwickeln?
Ende des Jahres haben etwa 98,5 Prozent der Haushalte mindestens 1 Megabit. Das ist noch bescheiden. Im
Breitbandkonzept ist die Strategie angelegt, dass in den
nächsten vier bis fünf Jahren 75 Prozent der Haushalte
50 Megabit haben. Diese Haushalte haben dann Highspeed-Internet.
Richtig ist: Die Zielrichtung muss darüber hinausreichen. Ich habe deshalb einen Branchendialog für genau
diesen Sektor auf den Weg gebracht. Zwei Gesprächsrunden haben schon stattgefunden, aber es wurde noch
kein Ergebnis erzielt. Es gibt also noch keine Folgestrategie, die in diese Richtung geht. Wenn wir flächendeckend Glasfaser verlegen wollen, müssen wir auch
Funklösungen einbeziehen; denn es wäre zu teuer, zum
Beispiel ein einzelnes Gehöft im Allgäu an das Glasfasernetz anzuschließen. Wir wollen anreizreguliert vorgehen, das heißt, die Wirtschaft, die Unternehmen sollen
investieren und nicht der Staat.
Wonach Sie fragen, ist Teil der Diskussion. Es wäre
verfrüht, zu sagen, dass wir unmittelbar an die Breitbandstrategie eine Glasfaserstrategie anschließen wollen. Ich behalte dieses Thema jedoch im Auge.
Die nächste Frage stellt der Kollege Garrelt Duin.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Sehr geehrter Herr
Minister, ich möchte auf ein Thema zu sprechen kommen, das sich aus der Versteigerung des Frequenzpaketes ergeben hat. Dies betrifft die Frequenzen von 790 bis
862 Megahertz. Sie wissen, dass die Frequenzumstellung für Kultureinrichtungen, die drahtlose Mikrofone
nutzen, problematisch ist. Hier wurde auch zwischen
Bund und Ländern ein Problem geschaffen.
Der Bund hat in der Vergangenheit zugesagt, die aus
der Umstellung entstehenden Kosten in angemessener
Form zu tragen. Nach meinem Informationsstand sind
Bund und Länder in Gesprächen, liegen aber in ihren
Vorstellungen noch meilenweit - das Wort passt in diesem Zusammenhang gut - auseinander. Dabei geht es
nicht nur um die letzte Meile; der Abstand ist noch etwas
größer. Nach meinen Informationen hat der Bund etwas
mehr als 100 Millionen Euro in Aussicht gestellt, die
Länder erwarten aber rund 800 Millionen Euro. Können
Sie uns sagen, wie der aktuelle Sachstand der Verhandlungen ist, worauf es Ihrer Meinung nach hinausläuft
und in welcher Verantwortung sich der Bund bei diesem
Thema sieht?
Sie sind völlig zutreffend informiert; genau so ist der
Stand. Bei den Verhandlungen zwischen Bundesfinanzministerium und Ländern gibt es - das haben Sie richtig
skizziert - Disparitäten. Eine Lösung ist noch nicht
greifbar; man liegt weit auseinander. Ursprünglich betrugen die Forderungen der Länder, wenn ich es richtig im
Kopf habe, sogar über 1 Milliarde Euro. Die Angebote
vom Finanzministerium liegen in einer Größenordnung
von etwas über 100 Millionen Euro. Meines Wissens
sind in der letzten Zeit weitere Sondierungen erfolgt;
aber es gibt noch keine abschließende Lösung.
Es gibt die Zusage des Bundes, für die Kosten der
Umstellung aufzukommen. Die Freigabe dieser Frequenzen hatte die Basis für die Versteigerung geschaffen. Die Erfahrung zeigt, dass der Föderalismus zu Lösungen fähig ist. Aber die Erfahrung zeigt auch, dass
dergleichen geraume Zeit dauert. Ich glaube, diese Zeit
ist noch nicht abgelaufen.
Das Fragerecht hat jetzt die Kollegin Tabea Rößner.
Vielen Dank. - Herr Brüderle, Sie kommen ja aus
dem gleichen Bundesland wie ich. Deshalb kennen auch
Sie die dortigen Diskussionen über den Breitbandanschluss. Es gibt bei diesem Thema sehr widersprüchliche
Angaben. Ein Referent aus Ihrem Haus hat im Unterausschuss Neue Medien gesagt, dass es praktisch keine weißen Flecken, also Gebiete in Deutschland ohne schnellen
Internetanschluss, mehr gebe und dass man fast überall
zu einer Versorgung mit bis zu 40 Mbit/s komme. Dem
widerspricht unsere Erfahrung aus Rheinland-Pfalz. Im
Rhein-Lahn-Kreis sind 23 Gemeinden nicht angeschlossen. In Schleswig-Holstein sind 800 Gemeinden mit jeweils um die 1 100 Einwohnern nicht versorgt. Wenn ich
meine Familie betrachte, komme ich zu dem Ergebnis,
dass 40 Prozent keinen Breitbandanschluss haben. Die
tatsächlichen Zahlen sind also andere. Auch die OECD
kommt in ihrer Studie zu dem Ergebnis, dass Deutschland weit hinter Ländern wie Dänemark, Frankreich und
Luxemburg zurückliegt. Deutschland liegt mit einer
Breitbandversorgung von 23,7 Prozent im Mittelfeld;
der Anteil an Glasfaserverbindungen liegt in Deutschland bei 1 Prozent.
Ich frage Sie: Wie definieren Sie die weißen Flecken?
Wie kann man verlässliche Daten bekommen? Der
Breitbandatlas scheint nicht das richtige Instrument zu
sein, um verlässliche Daten zu bekommen. Vor allen
Dingen: Welche Fördermittel setzen Sie an und wie gehen Sie regulatorisch vor, um den Breitbandausbau voranzubringen und Ihr Ziel, das sehr niedrig gesteckt ist,
zu erreichen? Was halten Sie von dem Instrument Universaldienstverpflichtung, worüber jetzt auf europäischer Ebene diskutiert wird?
Frau Kollegin, wir haben den Vorzug, nicht nur aus
dem gleichen Bundesland, sondern sogar aus der gleichen Stadt zu kommen, was die Sache noch einfacher
macht.
Ich habe die Formulierung, dass bis Ende dieses Jahres 98,5 Prozent der Haushalte mit Breitbandanschlüssen
von 1 Megabit pro Sekunde versorgt sein werden, mit
Bedacht gewählt. Mit diesen Zahlen ist man nämlich auf
der sicheren Seite. Die Zahl, die Sie genannt haben
- 40 Prozent -, kann ich in diesem Zusammenhang nicht
bestätigen.
In der Tat: Der Ausbau geschieht anreizreguliert. Bei
der Versteigerung lautete die Vorgabe, die Priorität bei
der Erschließung der ländlichen Räume zu setzen. Der
wesentliche Ansatz ist, anreizreguliert und nicht mithilfe
staatlicher Subventionen vorzugehen. Es gibt hier und da
entsprechende Programme. Ein Programm des Bundes
ist das sogenannte Leerrohrprogramm: Wenn man sowieso Verkehrswege und Infrastruktur schafft, wird
gleich ein Rohr mit verlegt, durch das man später Leitungen und sogar Glasfaserkabel ziehen kann.
Auch Länder und Kommunen haben Anreizprogramme aufgelegt. Sie sind ganz unterschiedlich angelegt. Aber ihre Grundphilosophie ist, durch Regulierung
und geeignete Vorgaben dafür zu sorgen, dass diese Investitionen von Unternehmen getätigt werden und sie
nicht primär vom Steuerzahler finanziert werden.
Diese Diskussion geht kreuz und quer. Ich glaube,
dass es auch wichtig ist, den Investoren die Erzielung
einer hinreichenden Rendite zu ermöglichen. Durch private Investitionen wird man in der Perspektive nur dann
eine Geschwindigkeit von 50 Megabit oder später
100 Megabit pro Sekunde erreichen, wenn unter dem
Strich auch entsprechende Verdienstmöglichkeiten bestehen. Dies muss bei der Anreizregulierung immer mit
bedacht werden, auch von der Bundesnetzagentur. Eine
Investition, die sich finanziell nicht darstellen lässt, wird
nicht erfolgen. Das gleiche Problem besteht beim Netzausbau, etwa im Hinblick auf die Energienetze. Auch in
diesem Bereich müssen Regulierungen so vorgenommen
werden, dass sich die getroffene Regelung für die Investoren als interessant erweist; sonst erfolgen solche Investitionen in einer Marktwirtschaft nicht.
Danke schön. - Die nächste Frage stellt der Kollege
Dr. Konstantin von Notz.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Herr Bundesminister,
vielen Dank für Ihren Bericht. Ich habe zwei Fragen.
Meine erste Frage betrifft den Bereich „Cloud Computing und Smart Metering“. Dazu heißt es in der ITStrategie, soweit sie mir bekannt ist, etwas vage:
Die Bundesregierung strebt an, die Entwicklung
und Einführung zu beschleunigen. Gerade mittelständische Unternehmen und der öffentliche Sektor
sollen frühzeitig von den Chancen profitieren.
Grundsätzlich stimme ich zu, dass beide Aspekte, Cloud
Computing und Smart Metering, Chancen bieten, gerade
unter ökologischen Gesichtspunkten. Aber im Bereich
des Datenschutzes gibt es erhebliche Probleme. Uns
würde interessieren, ob es schon Ansätze für eine Konkretisierung hinsichtlich der datenschutzrechtlichen und
letztlich auch bezüglich der sicherheitstechnischen Probleme der Unternehmen gibt.
Meine zweite Frage betrifft die Netzneutralität, die
Sie angesprochen haben. Auch unserer Meinung nach ist
dieses Thema sehr wichtig. Ich frage Sie: Wie will die
Bundesregierung die Netzneutralität, die sie als wichtige
Grundlage des Netzes betrachtet, ganz konkret schützen,
gerade angesichts der derzeitigen Bestrebungen vonseiten der Wirtschaft - ich formuliere es etwas zugespitzt -,
die Netzneutralität aufzubohren?
Herzlichen Dank.
Zunächst zum Cloud Computing. Die Idee dahinter
ist, dass man Computerkapazitäten auslagert und quasi
gemeinschaftlich nutzt und dadurch Energie einspart.
Durch den Einsatz von Computern wird nämlich sehr
viel Energie verbraucht. Dieses Thema ist ein Schwerpunkt der Mittelstandsstrategie, weil man insbesondere
kleinen Betrieben, wenn sie ihre Computerkapazitäten
auslagern und quasi gemeinschaftlich nutzen, einen wesentlich kostengünstigeren Zugang ermöglicht.
Dies ist mit Blick auf die industrielle Entwicklung mit
der Erfindung des Elektromotors vergleichbar. Während
es früher die großen Einheiten der Dampfmaschinen
gab, kann man sich heute dank der IKT-Möglichkeiten
ähnlich wie ein Großbetrieb in kleinsten Einheiten Informationswissen und Nutzungsmöglichkeiten erschließen.
Dies ist im Hinblick auf die gesamte Mittelstandsförderung eine große strategische Chance. Wir wollen dieses
Thema anpacken, sowohl aus Gründen der Energieeinsparung als auch aus Gründen der besseren Nutzung und
einer kostengünstigeren Regelung. Die Datenschutzregelungen wurden noch nicht abschließend getroffen.
Deshalb beschäftigt sich auch eine der Arbeitsgruppen
für den IT-Gipfel mit diesen Problemen. Das Ganze,
auch die rechtlichen Regelungen, ist Neuland.
Das alles sind keine einfachen Fragen. Einerseits
braucht man Sicherheit, andererseits darf die Regelung
nicht so eng gefasst sein, dass der Einsatz von neuen
technologischen Möglichkeiten entscheidend behindert
wird. In diesem Spannungsfeld befinden wir uns. Ich besitze die Patente so wenig wie die beteiligten Juristen,
wobei es allerdings nur wenige gibt, die entsprechende
Erfahrungen haben.
Smart Grid bedeutet, dass man aus den Stromnetzen
intelligente Steuerungsbereiche macht, sodass präzise
Abrechnungen erstellt werden können. Auch das ist auf
dem Weg. Wir haben Musterhäuser, mit denen wir das
präsentieren. Seit einigen Monaten zeigen wir in Lateinamerika - die Reise führt durch 18 Staaten - ein Modellhaus, Casa Alemana, mit dem wir die modernsten Energiespar- und Nutzungsmöglichkeiten darstellen, um für
unsere Hersteller zu werben und Anwendungsmöglichkeiten zu präsentieren. Auch diese Dinge sind noch im
Fluss. Es wäre unredlich, jetzt zu sagen, dass wir Ihnen
schon heute eine abschließende Regelung dazu präsentieren können.
Ich möchte jetzt noch einige Sätze zur Netzneutralität
sagen. Wir müssen allen den gleichen fairen Zugang ermöglichen. Das ist genauso wie beim Datenschutz ein
rechtliches Problem. Wir haben das auch bei den heftigen Diskussionen über die Nutzungsmöglichkeiten von
Google und anderem gesehen. Man muss den Einzelfall
betrachten und entsprechende Regelungen definieren.
Wenn Diskriminierungstatbestände auftreten - es gibt
hier viele Entwicklungen, die wir noch nicht voll und
ganz übersehen können -, dann müssen wir eingreifen.
Das ist ein spannender Prozess. Was kommt, das weiß
man nicht ex ante. Hier sind wir begleitend tätig.
Die nächste Frage stellt die Kollegin Dr. Petra Sitte.
Ich möchte das Thema wechseln und etwas zur elektronischen Gesundheitskarte fragen. Bisher sollte die
elektronische Gesundheitskarte auf freiwilliger Basis
eingeführt werden. Jetzt haben Sie Ihre Meinung offensichtlich geändert - warum? -; Sie führen die Gesundheitskarte nun doch verpflichtend ein. Die Krankenkassen sollen mittels Sanktionsandrohung gezwungen
werden, die Gesundheitskarte im nächsten Jahr einzuführen. Ich frage Sie jetzt zu dem Dialog mit den Kassen, den Ärzte- und den Patientenverbänden: Welche
Positionen sind dort vertreten worden? Was haben Sie
den entsprechenden Parteien entgegengehalten? Wie ist
Ihre derzeitige Perspektive?
Ich bitte den Parlamentarischen Staatssekretär beim
Bundesminister für Gesundheit, Daniel Bahr, diese
Frage zu beantworten.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Frau Kollegin, ich darf
für die Bundesregierung auf Ihre Frage antworten und
sagen: Die neue Bundesregierung hat eine Bestandsaufnahme der bisherigen Pläne für eine elektronische Gesundheitskarte vorgenommen. Im Rahmen dieser Bestandsaufnahme haben wir diejenigen Dinge, die aufgrund des
Datenschutzes und der Praktikabilität sowie aus Umsetzungsgründen nicht kurzfristig umsetzbar waren, ad acta
gelegt. Die Umsetzung all der Dinge, bei denen es um
medizinische Daten geht, haben wir erst einmal auf Eis
gelegt.
Wir haben uns stattdessen um die Dinge gekümmert,
die schnell und sinnvoll umzusetzen sind, beispielsweise
um ein sicheres Versichertenstammdatenmanagement.
Hierbei geht es um die gleichen Daten, die schon heute
auf der Krankenversichertenkarte gespeichert sind. Sie
wissen vielleicht, dass die Datenschützer und auch der
Datenschutzbeauftragte die bisherige Krankenversicher7524
tenkarte aus Datenschutzgründen kritisiert haben, weswegen wir ein neues, besseres und sichereres Verfahren
für den Abgleich der Versichertenstammdaten brauchen.
Einen großen Vorteil der so modifizierten elektronischen Gesundheitskarte sehen wir darin, dass der Missbrauch mit Krankenversichertenkarten, den es in
Deutschland heute leider gibt und der der Solidargemeinschaft der gesetzlich Krankenversicherten schadet,
dadurch eingedämmt wird, dass die Versichertenstammdaten auch online besser abgeglichen werden können. Es
geht hier um den Versichertenstatus, um das Geschlecht
usw., also um die Daten, die schon heute auf der Krankenversichertenkarte gespeichert sind.
Gleichzeitig sollen zwei weitere Anwendungen aufgebaut werden, etwa eine sichere Arzt-zu-Arzt-Kommunikation. Wir erfahren heute immer wieder von Fällen,
in denen niedergelassene Ärzte Befunde oder andere Informationen per Fax an andere niedergelassene Ärzte
weitergeleitet haben. Das ist aus Datenschutzgesichtspunkten nicht korrekt. Wir brauchen eine sichere Arztzu-Arzt-Kommunikation. Diese Kommunikation soll im
Zuge der Einführung der elektronischen Gesundheitskarte verbessert werden. Ferner ist der Aufbau eines
Notfalldatensatzes geplant, der - auf freiwilliger Basis auf der Karte gespeichert werden kann.
Wir haben uns auf die drei Projekte beschränkt, die
kurzfristig sinnvoll umzusetzen sind. All das, was von
vielen kritisch gesehen wurde - Sie haben die Verbraucherschutzorganisationen, Selbsthilfeorganisationen und
viele andere angesprochen; viele im Bundestag sehen es
ähnlich -, nämlich die Sammlung und Speicherung von
medizinischen Daten, Stichwort „elektronisches Rezept“, wird nach dem aktuellen Plan zur elektronischen
Gesundheitskarte nicht umgesetzt. Es ist auf Eis gelegt;
bisher plant die Bundesregierung nicht die Umsetzung.
Das Vorhaben wird vielmehr auf die drei Projekte beschränkt, die ich eben dargestellt habe.
Vielen Dank, Herr Staatssekretär. - Wir kommen zur
Frage des Kollegen Lars Klingbeil.
Meine Frage bezieht sich auf das Leistungsschutzrecht, das Teil der Berliner Reden war und somit auch in
die Internetstrategie der Bundesregierung eingehen wird.
Davon gehe ich jedenfalls aus. Herr Minister, es gibt einen großen Konflikt zwischen den Verlagen auf der einen Seite und der Internetwirtschaft und dem BDI auf
der anderen Seite. Dazu interessiert mich explizit die
Position Ihres Hauses. So gerne ich Herrn Stadler dazu
höre, interessiert es mich auch, mit welchen Positionen
das Wirtschaftsministerium in die Verhandlungen geht.
Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie etwas dazu sagen
könnten.
Ich kann glücklicherweise berichten, dass wir intensiv
miteinander im Gespräch sind. Die Gespräche sind noch
nicht abgeschlossen. Wenn sie abgeschlossen sind, kann
ich darüber berichten.
Die nächste Frage stellt der Kollege Garrelt Duin.
Vielen Dank, Herr Minister. - Ich muss zugeben, dass
ich die Frage des Kollegen zum Thema Netzneutralität
nicht erschöpfend beantwortet fand. Deswegen will ich
an dieser Stelle nachhaken. Ich habe Ihre Antwort so
verstanden, als ob Sie dieses Thema begleitend beobachten und quasi in Einzelfällen entscheiden wollen, inwieweit zu reagieren ist.
Müssen wir aber nicht sehr genau darauf achten, dass
es nicht, wie Sie vorhin in Ihrer Eingangsrede gesagt haben, zu einer Monopolisierung in diesem Bereich
kommt? Wenn das so ist, dann kann man sich nicht auf
Einzelfallentscheidungen beschränken. Man muss vielmehr fragen, nach welchen Kriterien eine Priorisierung
für bestimmte Bereiche, die man für wichtig hält, vorgenommen werden soll. Haben Sie Vorstellungen, welche
Kriterien man dabei zugrunde legen könnte? Vielleicht
können Sie auch sagen, wie Sie sicherstellen wollen,
dass eine Kontrolle von Inhalten verhindert wird. Denn
ich denke, es kann auch nicht im liberalen Sinne sein,
dass wir seitens der Politik oder über die Agentur Vorkehrungen treffen, Inhalte zu kontrollieren und danach
eine Priorisierung vorzunehmen.
Herr Kollege Duin, im Grunde ist beides notwendig.
Zum einen brauchen wir eine quasi durch den Wettbewerb gegebene Neutralität, die in der Tat bis zum
Kartellamt reicht, das die Strukturen überprüfen und gegebenenfalls Gegenmaßnahmen ergreifen muss, damit
keine Monopolstrukturen entstehen. Zum anderen müssen wir, weil es eine Entwicklung mit völlig neuen Produkten ist, in der plötzlich etwas entstehen kann, was wir
heute noch nicht überblicken, die Einzelangebotssituation permanent im Blick behalten. Wir bewegen uns in
ein völliges Neuland hinein; das ist etwas anderes als
zum Beispiel der Markt für Schnürsenkel, dessen Marktstrukturen uns seit langem bekannt sind. Insofern bleibt
es uns nicht erspart, die Entwicklung auch im Hinblick
auf die Einzelangebotsstruktur zu verfolgen.
Wenn man bei diesen Angeboten, die auch andere
Entwicklungen behindern können, in der Vorstufe eine
einseitige Monopolisierung zulassen würde, würde das
möglicherweise komplette Innovationsprozesse unterbinden. Deshalb bin ich seit langem für ein europäisches
Kartellamt. Denn wir haben gar nicht die notwendigen
Instrumente. Die relevanten Märkte werden immer größer. Es sind schon fast Weltmärkte, in denen wir uns
betätigen. Denken Sie etwa an Google. Je größer die
Bezugseinheit ist, desto weniger kartellrechtliche Begleitung gibt es. Das ist ein Problem, das man im
Rahmen der WTO und auf anderen Ebenen wie bei den
G-20-Treffen erörtern muss, um zu klären, wie weit wir
uns weltweit interaktiv miteinander vernetzen wollen. Je
stärker wir vernetzt sind, umso schwieriger wird es, mit
nationalen Ansätzen Monopolisierung zu verhindern.
Die nächste Frage stellt die Kollegin Tabea Rößner.
Vielen Dank, Herr Brüderle, dass ich noch einmal
zum Breitbandausbau nachfragen darf. Sie sprachen
eben Fördermittel bzw. -programme an. Die Bundesregierung hat ihr selbst gestecktes Ziel, bis 2010 Internetanschlüsse mit einer Übertragungsrate von mindestens
1 Megabit pro Sekunde flächendeckend anzubieten,
nicht erreicht. Die eingesetzten Fördermittel sind also
nicht an der richtigen Stelle angekommen. Offenbar sind
überhaupt nur 25 Prozent der bereitgestellten Fördermittel abgeflossen. Man muss diese Förderprogramme also
generell infrage stellen.
Ich wüsste gerne von Ihnen, wie Sie sicherstellen
wollen, dass die aufgelegten Programme auch tatsächlich wirken und einen nachhaltigen Ausbau des Breitbandnetzes sowie eine bessere Versorgung gewährleisten.
Ich will noch einmal auf meine Frage zu der Möglichkeit einer Universaldienstverpflichtung zurückkommen,
die Sie mir eben nicht beantwortet haben. Eine Universaldienstverpflichtung würde bedeuten, dass es einen
rechtlichen Anspruch auf einen Breitbandanschluss
- ähnlich wie es beim Telefonanschluss und bei der
Postzustellung der Fall ist - gibt; das wird auch auf europäischer Ebene diskutiert. Ist das nicht auch eine Möglichkeit, um den Breitbandausbau voranzubringen?
Zunächst sehe ich unser Ziel mit einer Quote von
98,5 Prozent als erreicht an. Bei einem so breiten Ansatz
bewegen die fehlenden 1,5 Prozentpunkte sich im Bereich von Schwankungen, die man nicht völlig ausschließen kann.
({0})
Ich habe die exakten Abrufbeträge für die Haushaltsstellen zwar nicht im Kopf. Im Interesse der Steuerzahler
freue ich mich aber immer, wenn wir Geld nicht verbrauchen; denn die Menschen, die Steuern zahlen, arbeiten
hart dafür. Wenn es uns gelingt, unser Ziel mit weniger
Mitteln, als ursprünglich veranschlagt waren, zu erreichen, dann ist das für mich ein Anlass zur Freude, nicht
zum Beklagen. Ich überlege mir dann nicht, wie ich das
Geld noch verbrauchen kann - verfalle also nicht in das
sogenannte Dezemberfieber -, sondern freue mich darüber, wenn das Ziel mit weniger Geld erreicht werden
kann. Ich kann das jetzt allerdings weder bestätigen noch
widerlegen, da ich die Zahl nicht zur Hand habe.
Die Frage nach der Notwendigkeit eines entsprechenden Universaldienstes stellt sich eigentlich nicht mehr,
wenn man das Ausbauziel mit einer Quote von 98,5 Prozent bereits erreicht hat. Hinsichtlich der restlichen
1,5 Prozentpunkte kommt eine Bereitstellung durch
Funkdienste in Betracht, aber Sie wissen ja, dass es dagegen örtlich auch Bedenken und Widerstände gibt.
Meines Wissens wurde weltweit noch nicht nachgewiesen, dass Elektrosmog gesundheitliche Auswirkungen
hätte. Aber dennoch gibt es deswegen örtlich Widerstände.
Aufgrund der Kosten ist es, wie der Kollege von der
CDU vorhin angesprochen hat, einfach nicht möglich,
überall Glasfaserkabel zu verlegen; das ist weder zeitlich
noch wirtschaftlich darstellbar. Meiner Meinung nach
wäre die Funklösung für die dünn besiedelten ländlichen
Räume eine akzeptable Alternative; das Handy funktioniert auch über Funkwellen.
Wenn man eine Quote von nahezu 100 Prozent erreicht hat, stellt sich meines Erachtens die Frage, ob man
für jeden einen rechtlichen Anspruch etablieren sollte,
nicht mehr. Man kann damit vielleicht formell noch etwas draufsetzen, materiell wird die Situation damit aber
nicht geändert.
Meine Hauptsorge ist es, dass wir beim weiteren Ausbau möglicherweise nicht schnell genug vorankommen.
Ich habe Ihnen vorhin das Ziel von 75 Prozent hinsichtlich der Verfügbarkeit von Hochleistungsnetzen genannt.
Dieses Ziel ist aufgrund der damit verbundenen Aufwendungen natürlich leichter in Ballungszentren wie Mainz
als in einem Dorf im Hunsrück zu erreichen. Die Grundversorgung mit 1 Megabit pro Sekunde ist praktisch flächendeckend gewährleistet. Unser Ziel ist es nun, möglichst vielen Menschen möglichst schnell noch mehr
bieten zu können. Das Erreichen dieses Ziels ist aber von
Anreizen für private Investitionen abhängig und kann
nicht durch eine staatliche Vollversorgung gewährleistet
werden.
Die letzte Frage zu diesem Themenbereich stellt der
Kollege Thomas Jarzombek.
Herr Bundesminister, ich möchte nach den verschiedenen Fragen zu den Risiken auf die Chancen der IT und
der neuen Technologien eingehen. Die großen Internetunternehmen, die in den letzten Jahren gegründet wurden, sind allesamt nordamerikanische Firmen. Ich nenne
nur eBay, Google, Facebook und vielleicht noch Twitter
als das nächste Konzept, das wirtschaftlich trägt. Angesichts dessen halte ich es für sehr wichtig, dass wir uns
überlegen, wie wir den Jobmotor Internet und IT noch
besser zum Laufen bringen können. Damit komme ich
zu dem Thema Gründungen.
Mich würde Ihre Position dazu interessieren, was man
verbessern kann, um Gründungen zu fördern. Ich beziehe mich unter anderem auf die Finanzierung von
Gründungen und auf die Zusammenarbeit mit und die
Ausgründung aus Universitäten.
Herr Kollege, es handelt sich in der Tat um einen Jobmotor. Ich hatte vorhin gesagt, dass nach den Einschät7526
zungen der Europäischen Kommission über 50 Prozent
unserer Produktivitätsfortschritte auf diesem Sektor basieren. Ich nenne als Beispiel SAP. Das ist eine erfolgreiche deutsche Firma, wobei man allerdings einräumen
muss, dass sich die Arbeitsplätze größtenteils außerhalb
von Deutschland befinden. Aber immerhin sind die Konzernzentrale und die Schaltstellen in Deutschland. Das
ist auch gut so. Es gibt eine breite Welle von Existenzgründungen. Wir setzen dabei besonders auf die Ausgründungen aus den Hochschulen und Technologiezentren, wo die neuen Ideen entstehen. Wir haben allerdings
auch das Phänomen, dass es oft einen Hype gibt, sich
eine Idee durchsetzt, dann aber ein anderer eine noch
bessere Idee hat. Das bedeutet, dass das Verfallsdatum
von Ideen relativ kurz ist. Das gesamte Spektrum der
Existenzgründungsprogramme - ich nenne die KfWProgramme und das Zentrale Innovationsprogramm Mittelstand, ZIM, das sehr segensreich in diesem Sektor
wirkt - bleibt voll erhalten.
Eines halte ich für wichtig, und deswegen sind auch
der IT-Gipfel und entsprechende Debatten, auch wenn es
so kleine wie jetzt hier im Plenum sind, so wichtig: Wir
müssen die Akzeptanz dieser Technologien fördern. Mir
macht Sorge, dass kleine Betriebe - das sehe ich hier
und da beim Einzelhandel - oft noch eine gewisse
Hemmschwelle haben, sich in diesen neuen Sektoren zu
engagieren, obwohl ihnen dieses Engagement - ich habe
das vorhin am Beispiel des Elektromotors erläutert - einen Ausgleich der größenbedingten Nachteile, die kleine
Unternehmen haben, ermöglicht. Es ist wichtig, eine positive Einstellung zu erzeugen. Wer einmal im Leben
verliebt war, weiß: Der Mensch ist nicht nur rational.
Wir brauchen neben den Fakten und neben der Technik
auch eine emotionale Komponente, die Motivation, die
neuen Chancen zu ergreifen. Das versuche ich im Rahmen unserer Aktivitäten einzubauen. Angesichts der hohen Wachstumsraten, die wir in diesem Sektor haben,
habe ich den Eindruck, dass das nicht erfolglos ist.
({0})
Gibt es weitere Fragen zu den Themen der heutigen
Kabinettssitzung? - Das ist nicht der Fall. Gibt es darüber hinausgehende Fragen? - Auch das ist nicht der
Fall. Dann beende ich die Regierungsbefragung.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 2 auf:
Fragestunde
- Drucksachen 17/3619, 17/3635 Zu Beginn der Fragestunde rufe ich gemäß Nr. 10 der
Richtlinien für die Fragestunde die dringlichen Fragen
auf.
Wir kommen zunächst zum Geschäftsbereich des
Bundesministeriums des Innern. Zur Beantwortung steht
der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Christoph
Bergner zur Verfügung.
Ich rufe die dringliche Frage 1 des Abgeordneten
Wolfgang Wieland auf:
Warum wird in dem vom Bundesminister des Innern,
Dr. Thomas de Maizière, vorgestellten Fünf-Punkte-Katalog
zur Verbesserung der Sicherheit bei der Luftfracht nicht gesondert auf das dringliche Problem der Beiladung von Luftfracht in Passagiermaschinen eingegangen, und sieht die Bundesregierung ihre Informationspflichten gegenüber dem
Deutschen Bundestag und der Bevölkerung als erfüllt an,
wenn dieser Fünf-Punkte-Katalog zunächst in der Presse ({0}) vorgestellt wird?
Bitte, Herr Bergner.
Herr Kollege Wieland, ich beantworte Ihre Frage wie
folgt: Auf Vorschlag des Bundesministers des Innern hat
der Rat der Innenminister am 8. November 2010 beschlossen, eine hochrangige Arbeitsgruppe der EU-Mitgliedstaaten unter Einbindung der Verkehrs- und Innenexperten einzurichten, die bis zum 2. Dezember 2010
gemeinsam mit der EU-Kommission unter Berücksichtigung des Fünf-Punkte-Katalogs konkrete Vorschläge für
eine Verbesserung der Luftfrachtsicherheit unterbreiten
soll. Im Rahmen dieser Arbeitsgruppe wird selbstverständlich auch erörtert werden, inwieweit die bestehenden Regelungen für die Kontrolle von Fracht, die in Passagierflugzeugen transportiert wird, angepasst werden
müssen.
Zusatzfrage? - Das ist der Fall.
Herr Staatssekretär, ich hatte auch danach gefragt, ob
die Bundesregierung der Ansicht ist, dass das Postulat
des Art. 23 Abs. 2 unseres Grundgesetzes, wonach der
Bundestag umfassend und schnellstmöglich - ich wiederhole: schnellstmöglich - über Angelegenheiten der
Europäischen Union zu unterrichten ist, erfüllt wird,
wenn man Informationen über den Fünf-Punkte-Katalog
zunächst in der Bild am Sonntag zu lesen bekommt.
Ist das der Kommunikationsweg der Bundesregierung, und meint der Bundesinnenminister, nachdem sich
die Kanzlerin, wie man las, beschwert hat, dass sie nicht
rechtzeitig informiert werde, dass eine Art Gleichbehandlung im Unrecht stattzufinden habe, nach dem
Motto: Wenn ich schon die Kanzlerin nicht rechtzeitig
informiere, dann den Bundestag erst recht nicht?
Herr Kollege Wieland, Sie kommen aus einer Innenausschusssitzung, in der Ihnen der Bundesminister des
Innern für über eine Stunde zur Berichterstattung zum
Sachverhalt zur Verfügung gestanden hat.
({0})
Insofern lässt sich allein aus diesem Sachverhalt ableiten, dass sich der Bundesinnenminister seiner InformaParl. Staatssekretär Dr. Christoph Bergner
tions- und Berichtspflichten gegenüber dem Parlament
bewusst ist und dass er ihnen nachkommen will.
({1})
Außerdem möchte ich darauf aufmerksam machen,
dass wir den Umgang mit einer akuten Bedrohungslage
zu bewältigen hatten und dass angesichts dieser akuten
Bedrohungslage erstens kurzfristiges Handeln der Bundesregierung erforderlich war - dies ist mit der entsprechenden Vorlage für die EU-Innenminister geschehen und zweitens auch das Bedürfnis der Öffentlichkeit nach
entsprechenden Informationen über das Verhalten der
Bundesregierung kurzfristig befriedigt werden musste.
Sie wissen, dass es zur Philosophie unseres Bundesinnenministers gehört, keine Panik zu machen. Aber
gerade weil dies zu seiner Philosophie gehört, ist es erforderlich, dass sachliche Mitteilungen und sachliche Informationen über das Handeln der Bundesregierung zeitnah erfolgen.
Eine weitere Zusatzfrage, bitte.
Meine Rüge war, dass gar nichts erfolgte. Nun ja, Bild
am Sonntag ist dann das sachliche Informationsbulletin.
Meine Frage lautet, Herr Staatssekretär: Sieht die
Bundesregierung nicht, dass gerade bei der Frage der
Beiladung von Luftfracht in Passagiermaschinen ein besonders schneller Handlungsbedarf besteht, zumal wenn
diese Beiladung in der Bundesrepublik geschieht, und
wäre es nicht richtig, dass man, bevor man die anderen
Maßnahmen, die Sie angesprochen haben - die ich nicht
für sinnlos halte -, irgendwann einmal auf der Zeitschiene ergreift, jetzt sofort sagt: Wir führen einen einheitlichen Standard bei der Durchsuchung des Gepäcks
der Passagiere und der zugeladenen Luftfracht ein?
Denn wie wollen Sie in Zukunft noch erklären, dass der
Passagier seine Zahnpasta in eine durchsichtige Hülle
packen muss, dass er Wunderkerzen und Ähnliches aus
seinem Koffer herausnehmen muss, während er weiß,
dass gleichzeitig quasi unkontrollierte Luftfracht in seiner Maschine mittransportiert wird?
({0})
- Nein.
Herr Kollege Wieland, zunächst will ich noch einmal
zurückweisen, der Bundesinnenminister habe das Parlament gewissermaßen qua Bild am Sonntag informiert.
Sonst hätte heute diese Ausschusssitzung nicht stattgefunden. Er hat, was diese Ausschusssitzung angeht, von
Anfang an seine Bereitschaft erklärt und sogar den
Wunsch geäußert, persönlich Rede und Antwort zu stehen, weil dies naturgemäß auch sehr stark durch sein
persönliches Handeln und durch seine persönlichen Initiativen begleitet war. Der Bundesinnenminister hat sich
- das werden Sie sicherlich dem ausführlichen Bericht
im Innenausschuss entnommen haben -, unmittelbar
nachdem die entsprechenden Lageberichte eingegangen
sind, vor Ort in den Frachtunternehmen auf den Flughäfen informiert. Von Anfang an war klar, dass bezüglich
der begleitenden Luftfracht eine besondere Sicherheitsherausforderung besteht, und es war immer klar, dass bei
allen Konzepten, die umgesetzt werden sollten - ich verweise auf den Stopp entsprechender Lieferungen aus
dem Jemen und aus anderen Ländern mehr -, diesem
Aspekt eine besondere Aufmerksamkeit zuteil werden
muss.
({0})
Jetzt hat der Kollege Christian Ströbele den Wunsch
nach einer weiteren Frage. Bitte sehr.
Herr Staatssekretär, dies treibt mich nun wirklich zu
einer ganz entscheidenden Frage. Sie haben gerade eben
erklärt und noch einmal betont - ich habe ebenfalls an
verschiedenen Sitzungen teilgenommen, in denen informiert worden ist, und kann das, was Sie hier gesagt
haben, bestätigen -, dass eine erhebliche konkrete Gefährdungssituation vorhanden war. Ich stelle fest: Diese
konkrete Gefährdungssituation ist in Deutschland nach
wie vor täglich bei Hunderten von Flugzeugen gegeben.
Ich frage Sie jetzt: Was hat die Bundesregierung an
konkreten Maßnahmen ergriffen - nicht mit Wirkung ab
2. Dezember oder ab Januar oder so, sondern ab vorgestern oder ab letztem Sonntag -, um diese Gefahr zu beseitigen oder mindestens entscheidend zu minimieren?
Sie werden mir doch recht geben: Nach wie vor werden
jeden Tag Tausende von Päckchen und Paketen - das
geht von Blumen bis zu technischen Geräten aller Art; es
handelt sich auch um solche technischen Geräte, um die
es bei den Paketen aus dem Jemen ging - in Flugzeuge
mit Passagieren geladen. Was hat die Bundesregierung
also veranlasst, damit das so kontrolliert wird, dass wir
uns einigermaßen sicher in ein Flugzeug setzen können
in dem Wissen: „Alles ist kontrolliert worden“?
Herr Kollege Ströbele, Sie beziehen sich in der Berichterstattung richtigerweise auf Gremien; die entsprechenden Berichte können wir hier nicht öffentlich behandeln. Sie werden aus dieser Berichterstattung wissen,
dass gerade in dem Bereich einiges geschehen ist bzw.
dass die entscheidenden Aufklärungsinformationen insbesondere aus dem Bereich der Dienste gekommen sind
und dass hier eine besondere Aufmerksamkeit herrscht.
Zweiter Punkt. Ich mache auf das entsprechende Verbot von Lieferungen aus dem Jemen aufmerksam; dort
ist das Risiko in der Tat am größten. Ich mache auf die
Gründung des interministeriellen Arbeitsstabes aufmerksam. Bereits morgen wird er wieder zusammenkommen.
Übermorgen wird eine Unterredung mit den Luftfrachtunternehmen stattfinden. Die sonstige Politik ist natürlich darauf gerichtet, dass dem Problem bereits im Rahmen der bestehenden Möglichkeiten und Strukturen eine
erhöhte Aufmerksamkeit zuteil wird.
Wenn Sie den Bericht des Innenministers heute gehört
hätten - Sie sind ja nicht Mitglied des Innenausschusses -,
wüssten Sie, dass es hier auch um Koordinierung ging.
Deshalb war der Innenministerrat der EU so außerordentlich wichtig. Die Maßnahmen können allein mit
den Möglichkeiten der Bundesrepublik Deutschland
nicht befriedigend umgesetzt werden.
Der Kollege Michael Hartmann hat eine weitere
Frage.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Herr Staatssekretär, ich
kann Ihnen auch aus der Kenntnis von Informationen, die
in anderen Gremien seitens der Bundesregierung dankenswerterweise geliefert wurden, bestätigen, dass unsere
Sicherheitsorgane tatsächlich zeitnah, adäquat und professionell agiert und reagiert haben. Allerdings müssen einem Zweifel kommen, was die professionelle Kommunikation in so relevanten Sicherheitsfragen innerhalb der
Bundesregierung anbelangt.
Glauben Sie, dass sich da alles auf der Höhe der Zeit
befindet, wenn - das war so der Presse zu entnehmen die Bundeskanzlerin mitteilen lässt, dass sie von Herrn
Cameron über eine Sicherheitslage unterrichtet wurde,
die unser Land und Großbritannien betrifft? Warum war
die Kanzlerin nicht rechtzeitig durch den Bundesinnenminister über die Sicherheitslage, die jetzt in aller
Munde ist, unterrichtet worden?
Ich glaube, dass sich der Sachverhalt inzwischen doch
hinreichend aufgeklärt hat. Sie wissen, dass die Nachricht erst eingegangen ist, als die Sendung den deutschen
Flughafen schon verlassen hatte, zu einem Zeitpunkt, als
die Bundeskanzlerin sich schon auf der Reise befand. Im
Übrigen legen wir Wert darauf, dass die Bundeskanzlerin selbst durch diese Situation nie gefährdet war.
({0})
Vielen Dank, Herr Staatssekretär. - Es gibt aber noch
eine weitere Frage, und zwar durch den Kollegen
Winkler. Bitte schön.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Herr Staatssekretär, ich
wollte noch einmal nachfragen: Ist die Bundesregierung,
speziell der Bundesinnenminister, bereit, zuzusagen, dass
er in Zukunft über weitreichende Veränderungen bei der
Sicherheitsgesetzgebung oder bei Sicherheitsfragen, die
auf europäischer Ebene diskutiert werden, wie zum Beispiel hinsichtlich des Frachtverkehrs oder anderer Bereiche, zumindest die Obleute des Innenausschusses des
Deutschen Bundestages informiert, bevor er das der
Presse mitteilt? Es ist wirklich unzumutbar, dass wir aus
der Bild am Sonntag erfahren müssen, was der Bundesinnenminister auf europäischer Ebene mit seinen Ministerkollegen diskutiert. Ich beziehe mich da auf Art. 23
Abs. 2 und 3 des Grundgesetzes.
Herr Kollege Winkler, ich kann Ihnen gerne zusagen,
dass der Bundesinnenminister Art. 23 Abs. 2 des Grundgesetzes und die für ihn daraus erwachsenden Pflichten
sehr ernst nimmt.
({0})
Ich mache auf die Sondersituation aufmerksam.
({1})
- Bisher sind ja noch keine entsprechenden Entscheidungen getroffen worden. Es handelte sich ja zunächst
um einen Verfahrensvorschlag für eine Behandlung dieses Themas auf europäischer Ebene. Insofern können
Mitwirkungsfragen bei dieser Betrachtung außen vor gelassen werden.
Ich mache noch einmal darauf aufmerksam, dass in
der konkreten Situation, in der es ja nicht nur ein Lagebild für den Bundesinnenminister, sondern auch entsprechende Berichterstattung der Medien gab, der Bundesinnenminister auch eine Auskunftspflicht gegenüber den
Medien hat. Ich kann Ihnen versichern, dass die Wahrnehmung dieser Auskunftspflicht nicht in irgendeiner
Konkurrenz zur Information der Parlamentarier gesehen
wurde, vielmehr fand dieses Erfordernis spätestens heute
seine Erfüllung in einem ausführlichen Bericht im Innenausschuss.
({2})
Jetzt gibt es eine weitere Frage der Kollegin
Dr. Barbara Hendricks.
Man hat ja den Eindruck, dass die Kommunikation in
der Bild oder auch Bild am Sonntag nicht nur zur Information des Parlamentes dienen soll, sondern auch ein
Kommunikationsweg innerhalb der Regierung ist. Das
hat man jedenfalls bei anderen Beispielen auch schon erlebt.
Sie, Herr Kollege, haben nun gesagt, es sei eigentlich
alles in Ordnung und auch kommunikativ richtig gelauDr. Barbara Hendricks
fen. Können Sie mir erklären, warum die Bundeskanzlerin verfügt hat, dass die Meldewege zukünftig stringenter und unmittelbarer gestaltet werden sollen? Das heißt
doch mit anderen Worten: Sie waren bisher weniger
stringent und unmittelbar.
Frau Kollegin, ich würde die Situation eher so charakterisieren, dass das entstandene Lagebild eine besondere
Herausforderung für die interministerielle Kommunikation dargestellt hat und es darauf ankam, uns dieser Herausforderung zu stellen. So deute ich auch den Hinweis
der Bundeskanzlerin.
Ich sage noch einmal: Es handelt sich um verschiedene Abstimmungsprozesse. Wir stehen beispielsweise
vor dem schwierigen Abstimmungsprozess, inwieweit
die Verantwortung für Luftsicherheitsfragen, die bisher
in die Zuständigkeit des Bundesverkehrsministeriums
fiel, zukünftig vom Bundesinnenministerium wahrgenommen werden kann und welche Rolle dem Zoll in diesem Zusammenhang zuwachsen soll. Gehen Sie bitte davon aus, dass mit der Einrichtung der interministeriellen
Arbeitsgruppe auch die Plattform für eine intensive
Kommunikation innerhalb der Bundesregierung gegeben
ist. Es handelte sich ja um eine besondere Herausforderung. Daran besteht überhaupt kein Zweifel. Ich sehe
aber keinen Anlass zu der Deutung, dass die Kommunikationswege angesichts dieser kurzfristig eingetretenen
Herausforderung als unzureichend qualifiziert werden
müssen.
({0})
Vielen Dank, Herr Staatssekretär.
Die nächste Frage betrifft den Geschäftsbereich des
Bundesministeriums der Finanzen. Es handelt sich um
die dringliche Frage 2 der Kollegin Lisa Paus:
Wann ist die Bundesregierung vom Luftfahrt-Bundesamt
und von der Deutschen Zoll- und Finanzgewerkschaft, BDZ,
über Mängel in der Personalausstattung des Zolls informiert
worden, die zu Sicherheitslücken im Luftfrachtverkehr führen
können, und welche Maßnahmen hat sie daraufhin ergriffen,
um die Mängel zu beseitigen ({0})?
Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär Hartmut Koschyk zur Verfügung. - Bitte schön,
Herr Staatssekretär.
Herzlichen Dank, Herr Präsident. - Frau Kollegin
Paus, die Bundesregierung sieht keine Mängel bei der
Personalausstattung des Zolls; denn bereits seit dem Jahr
2009 verstärkt die Zollverwaltung prioritär die Überwachungs- und Kontrolltätigkeit auf den Flughäfen, um
eine intensivierte und zielgerichtete Kontrolle des Reiseund Warenverkehrs sicherzustellen. Die Flughafenzollstellen haben im Rahmen der Ressourcenplanung für das
Jahr 2010 einen Personalbedarf im Bereich der Reisenden- und Frachtabfertigung geltend gemacht, der
vom Bundesfinanzministerium vollumfänglich anerkannt
wurde. Aufgrund der bestehenden Gefährdungslage ist
das Bundesfinanzministerium nachhaltig bestrebt, gemeinsam mit dem Innen- und dem Verkehrsressort weitere zielführende Maßnahmen zu ergreifen, die auch eine
optimierte Personal- und Sachausstattung einbeziehen.
Zusatzfrage? - Bitte schön.
Herr Staatssekretär Koschyk, ich beziehe mich mit
meiner Frage auch auf entsprechende Presseberichte.
Dort erwähnt beispielsweise der Chef der Deutschen
Zoll- und Finanzgewerkschaft, Klaus Leprich, dass es
nicht nur um die Personalausstattung ging; vielmehr
würden seit Jahren Zollfahnder dem Bundesfinanzministerium von Sicherheitslücken bei der Luftfracht berichten. Sie haben sich nur auf die Personalfrage beschränkt.
Ich möchte von Ihnen wissen: Seit wann sind Sie über
Sicherheitslücken bei der Luftfracht informiert, und in
welcher Form sind Ihnen entsprechende Informationen
zugänglich gemacht worden?
Ich kann nur noch einmal sagen: Wir sehen diese Sicherheitslücken bei der Luftfracht nicht, und wir haben
gerade im Hinblick auf die notwendige Personalausstattung seit dem Jahr 2009 die Personalzuweisung an die
Flughafendienststellen optimiert. Dem, was uns von den
Flughafenzolldienststellen an Personalbedarf für das
Jahr 2010 gemeldet worden ist, sind wir vollumfänglich
nachgekommen.
Weitere Zusatzfrage?
Zur Verbesserung der Sicherheit bei der Fracht gibt es
seit 2005/2006 eine EU-Richtlinie, die die Mitgliedstaaten verpflichtet, die sogenannte summarische Anmeldung als Mittel zur Risikoanalyse im Frachtverkehr flächendeckend einzuführen. Könnten Sie vielleicht noch
einmal sagen, wie der Stand der Umsetzung dieser
Richtlinie in der Bundesrepublik Deutschland ist und
warum Sie bei der Umsetzung zuerst die Seehäfen und
nicht die Luftfracht dieser Risikoanalyse unterzogen haben.
Eine solche Richtlinie wird abgestuft umgesetzt. Aber
die Bundesregierung ist bestrebt, diese Richtlinie vollumfänglich umzusetzen. Selbstverständlich haben dabei
auch die Flughäfen eine entsprechende Schwerpunktsetzung durch die Bundesregierung erfahren.
Eine weitere Frage hat der Kollege Wolfgang
Wieland.
Herr Staatssekretär, nun verstehe ich eines wirklich
nicht: Sie sagen, die Bundesregierung sieht diese Mängel bei der Luftfracht nicht Hartmut Koschyk, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister der Finanzen:
Was die Personalausstattung des Zolls anbelangt.
- nicht so voreilig; dieser Nachsatz sollte kommen -,
was die Personalausstattung des Zolls angeht. Weshalb
plant dann dieselbe Bundesregierung - so wurde ich
eben im Innenausschuss informiert -, im Haushalt jetzt
noch 450 zusätzliche Planstellen beim Zoll zu schaffen,
sie zwar zunächst - - Nun hören Sie doch einmal mir zu
und nicht dem Kollegen Bergner!
Ich höre Ihnen zu und dem Kollegen Bergner.
Bei Männern geht Multitasking meist schief. - Warum planen Sie 450 neue Planstellen, wenn es gar keinen
Personalengpass gibt? - Jetzt soll doch auch der Kollege
Bergner bitte einmal zuhören. Das geht ja hier hin und
her. Positionen stimmt man vorher ab, nicht erst im Plenum. - Also: Warum 450 neue Planstellen? Sie sollen
zwar zunächst gesperrt werden, aber nur weil man sehen
will, ob man möglicherweise woanders - durch Abordnung oder durch andere Maßnahmen - diese zusätzlichen Kräfte bekommen kann, und zwar zu ebendiesem
Zweck der Durchsuchung und Kontrolle der Luftfracht.
Sehr geehrter Herr Kollege Wieland, beim Zoll gibt
es nicht nur im Bereich der Dienststellen an den Flughäfen zusätzlichen Personalbedarf. Es gibt auch andere
Bereiche, in denen wir Forderungen nach mehr Personal
gegenüber dem Parlament geltend gemacht haben. Ich
nenne beispielsweise die Finanzkontrolle Schwarzarbeit.
Das heißt, die Bundesregierung ist im Dialog mit dem
Parlament ständig darum bemüht, in diesen relevanten
Bereichen des Zolls mehr Personal zu ermöglichen.
Das ist auch im Hinblick auf die Haushaltsverhandlungen, die noch nicht abgeschlossen sind, der Fall. Ich
kann für das Jahr 2010 nur sagen, dass das Bundesfinanzministerium der Forderung der Zolldienststellen
an den Flughäfen nach mehr Personal vollumfänglich
nachgekommen ist.
Jetzt gibt es eine interministerielle Arbeitsgruppe, von
der der Kollege Bergner schon gesprochen hat. Wenn
sich aus den Beratungen dieser interministeriellen Arbeitsgruppe weiterer Personalmehrbedarf für die Bundespolizei, für den Zoll und für andere Dienststellen des
Bundes ergeben sollte, dann werden wir das in den laufenden Haushaltsverhandlungen berücksichtigen. Mit
Blick auf das Jahr 2010 gilt: Das Bundesfinanzministerium hat alle Wünsche der Zolldienststellen an den Flughäfen in Bezug auf das Personal vollumfänglich erfüllt.
({0})
- 2010.
Jetzt gibt es eine Frage des Kollegen Hartmann.
Danke, Herr Präsident. - Herr Staatssekretär, Sie können dem Parlament bei seiner Beratung über den Haushalt natürlich durch klare Aussagen helfen. Die Aussage,
dass keine Sicherheitslücken beim Zoll, das Personal betreffend, bestehen, ist für mich nicht nachvollziehbar angesichts der Tatsache, dass für 2011 vorsorglich eine
Reihe von Stellen angefordert wurde.
Angesichts der bekannt gewordenen Sicherheitslücken
im Bereich der Luftfracht erlaube ich mir, folgende
Frage zu stellen: Ist Ihr Ressort, ist die Bundesregierung
insgesamt bereit, hinsichtlich der Luftfrachtkontrollen
über die Verteilung von Kompetenzen auf Zoll, Bundespolizei und Luftfahrt-Bundesamt neu nachzudenken? Ist
man gegebenenfalls bereit, organisatorische Veränderungen Ihres Ressorts zu unterstützen oder sogar zu fördern?
Herr Kollege Hartmann, Sie wissen ja, dass zurzeit in
einer sehr kompetent besetzten Arbeitsgruppe des Bundesinnenministeriums und des Bundesfinanzministeriums
über die Schnittstellenproblematik, was die Zusammenarbeit zwischen Bundespolizei und Zoll angeht, intensiv
diskutiert wird. Selbstverständlich wird jetzt in dieser
vom Kollegen Bergner schon erwähnten interministeriellen Arbeitsgruppe auch im Hinblick auf das Gefahrenpotenzial bei der Luftfracht intensiv darüber beraten, wie
angesichts dieser Gefährdungslage die Zusammenarbeit
zwischen den unterschiedlichen Sicherheitsbehörden
und Institutionen weiter verbessert werden kann.
Es gibt nun eine Frage des Kollegen Josef Winkler.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Herr Staatssekretär,
teilen Sie die Auffassung, die der Bundesminister de
Maizière heute im Innenausschuss geäußert hat? Er hat
gesagt, dass er sich zwar im Rahmen einer Geschäftsführung ohne Auftrag um diesen Bereich der Luftfracht
kümmert, dass aber eigentlich dieser Bereich dem Luftfahrt-Bundesamt und damit dem Bundesministerium für
Verkehr untersteht und somit die Mängel, die jetzt erJosef Philip Winkler
kannt werden, dem Bundesministerium für Verkehr, insbesondere dem ehemaligen Bundesminister Tiefensee,
zuzuordnen sind.
Da ich an der Sitzung des Innenausschusses nicht teilgenommen habe und diese Einlassung des Bundesinnenministers nicht gehört habe, kann ich dazu keine Stellung nehmen.
({0})
Herr Wieland, Sie hatten schon die Möglichkeit, eine
Frage zu stellen. Eine zusätzliche Frage kann ich leider
nicht zulassen. Das verbietet die Geschäftsordnung.
({0})
Wir sind damit am Ende der dringlichen Fragen. Jetzt
rufe ich die Fragen auf Drucksache 17/3619 in der üblichen Reihenfolge auf.
Wir beginnen mit dem Geschäftsbereich des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung. Zur Beantwortung steht uns die Parlamentarische Staatssekretärin Gudrun Kopp zur Verfügung.
Ich rufe Frage 1 der Kollegin Dr. Barbara Hendricks auf:
Welche konkreten Maßstäbe wird die Bundesregierung heranziehen, um die von ihr angestrebte Wirkungssteigerung der
deutschen wirtschaftlichen Zusammenarbeit objektiv nachvollziehbar zu messen?
Bitte schön, Frau Kopp.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Frau Kollegin
Dr. Hendricks, das BMZ versteht die derzeit laufende
Vorfeldreform als einen wichtigen Baustein bei der Steigerung der Effizienz der Entwicklungszusammenarbeit.
Diese Reform umfasst die Fusion der drei Organisationen GTZ, InWEnt und DED - das ist Ihnen bekannt -,
die ab Jahresbeginn eine neue Gesellschaft, die GIZ, bilden sollen. Im Zuge der Vorfeldreform wird zudem eine
verstärkte Ergebnisorientierung und Wirkungsmessung
angestrebt, unter anderem durch die Einrichtung eines
unabhängigen Evaluierungsinstitutes. Darüber hinaus
lassen wir unsere Effizienz im Rahmen der Erklärung
von Paris über die Wirksamkeit der Entwicklungszusammenarbeit messen, die mit dem Aktionsplan von Accra
aus dem Jahr 2008 umgesetzt wird. Zudem wollen wir
unsere Effizienz - um nur einige Beispiele zu nennen durch eine Steigerung der Kohärenz und eine Akzentuierung der wirtschaftlichen Zusammenarbeit erhöhen.
Ihre Zusatzfrage, Frau Hendricks.
Mir ist bewusst, dass Sie diese Maßnahmen eingeleitet haben. Damit sind aber noch keine Maßstäbe genannt, mit denen die von Ihrem Haus angekündigte Wirkungssteigerung tatsächlich gemessen werden soll. Laut
Minister Niebel gehört zum Beispiel die Reduzierung
des Anteils ausländischer Hilfen am Staatshaushalt eines
Landes zu den Erfolgskriterien; das hat er bei einem
Fachgespräch bei der KfW im Mai dieses Jahres gesagt.
Wenn ein Land auf weniger ausländische Hilfe angewiesen ist, dann ist das gut; dagegen ist nichts zu sagen.
Würde dieses Kriterium, wenn man es weiterdenkt, nicht
bedeuten, dass die Budgethilfen ganz abgeschafft werden müssten? Dann hätte nämlich ausländische Hilfe gar
keinen Anteil am Staatshaushalt dieses Landes.
Frau Kollegin Hendricks, es ist richtig: Es ist unser
Ziel, die Entwicklungszusammenarbeit auf Augenhöhe
durchzuführen. Die Entwicklungszusammenarbeit soll
dazu führen, dass ein Entwicklungsland eines Tages unabhängig von ausländischer Hilfe wird; das ist der Idealfall, das muss unser Ziel sein. Weder Minister Niebel
noch unser Haus, noch die Bundesregierung haben je gesagt, dass wir komplett auf Budgethilfe verzichten könnten; aber wir legen sehr wohl Wert darauf, dass nicht einfach Geld zum Beispiel in andere Staatskassen fließt,
sondern dass sehr genau hingeschaut wird, wofür das
Geld verwendet wird, dass sehr genaue Kriterien für die
Zahlung von Geldmitteln - Good Governance, Einhaltung der Menschenrechte, Überprüfbarkeit der Verwendung von Mitteln - formuliert werden. Das ist das Neue
an der Politik der Bundesregierung: Wir betreiben eine
Entwicklungszusammenarbeit, die im Sinne einer inklusiven Entwicklung des jeweiligen Landes besonders
wirksam sein soll.
Eine weitere Zusatzfrage.
Ich nehme zur Kenntnis, dass Sie für sich in Anspruch
nehmen, eine besonders wirksame Entwicklungszusammenarbeit zu betreiben. Ob die Entwicklungszusammenarbeit tatsächlich besonders wirksam ist oder, wenn das
noch nicht der Fall ist, in absehbarer Zukunft wirksamer
sein wird, wird man irgendwann messen können, wenn
entsprechende Parameter für die Messung bestimmt
worden sind; bis jetzt gibt es solche Parameter noch
nicht. - Minister Niebel hat bei derselben Gelegenheit
im Mai darauf hingewiesen, dass im Hinblick auf eine
Steigerung der Wirksamkeit der Entwicklungszusammenarbeit der größte Hebel darin bestehe, dass die
schädlichen Agrarexportsubventionen auch in Europa
abgeschafft würden. Hat die Bundesregierung dort schon
Parameter gefunden? Kann sie schon anhand von Zahlen
nachweisen, dass die Mittel für schädliche Agrarexportsubventionen gesunken sind?
Frau Kollegin Dr. Hendricks, ich bin besonders stolz
darauf, verkünden zu können, dass Minister Niebel und
Ministerin Aigner völlig einig darüber sind, dass schädliche Agrarexportsubventionen auf EU-Ebene im Rahmen der WTO-Verhandlungen wegzufallen haben. Wir
tun alles, um die Verhandlungen in diese Richtung zu
bringen, damit hier ein Ergebnis erzielt wird. Solche
Markteingriffe führen nämlich in den ärmsten Ländern
zu weniger Entwicklung; das ist messbar. Es gibt Kriterien, die die Wirksamkeit messbar machen. Seien Sie bezüglich der Budgethilfe versichert: Mit unseren Partnern
in der EU sind wir gerade dabei, Kriterien festzulegen,
mit deren Hilfe die Wirksamkeit der Entwicklungszusammenarbeit messbar wird.
Ich rufe die Frage 2 der Kollegin Hendricks auf:
Welche konkreten Implementierungsmaßnahmen plant die
Bundesregierung, um der Empfehlung der DAC Peer Review
nachzugehen, „das Bewusstsein der anderen Bundesministerien für Entwicklungsfragen zu schärfen“?
Frau Kollegin Hendricks, Sie haben im Zusammenhang mit dem DAC Peer Review - das ist ein Prüfbericht - nach den Implementierungsmaßnahmen gefragt.
Ich kann Ihnen mitteilen, dass das Bundeskabinett im
Juli die Einrichtung des Ressortkreises „Technische Zusammenarbeit“ beschlossen hat, der unter Federführung
des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung stattfindet. Die erste Sitzung
fand vor wenigen Tagen, am 2. November 2010, mit
hochrangigen Vertretern aller Ressorts statt. Neben Fragen zur neuen GIZ - das ist die neue Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit - sollen in diesem Ressortkreis auch Fragen der Kohärenz diskutiert und das
Bewusstsein aller Ressorts für Entwicklungsfragen geschärft werden. Das ist neu. Wir erhoffen uns davon eine
große Wirkung.
Mit der Einrichtung dieses Ressortkreises hat das
BMZ ein wichtiges Instrument geschaffen und eine
Empfehlung des DAC Peer Review bereits umgesetzt.
Viele weitere Instrumente sind angedacht, zum Beispiel
eine nationale Nachhaltigkeitsstrategie der Bundesregierung, wodurch die diesbezüglichen Arbeitsprozesse evaluiert werden können.
Frau Kollegin Hendricks, bitte.
Vor rund einem Jahr, am 20. November des Jahres
2009, hat Minister Niebel in einem FAZ-Interview davon
gesprochen, dass sich - Zitat - „tolle Synergien“ in der
Entwicklungspolitik schon dadurch ergeben würden,
dass die Ressorts unter FDP-Verantwortung enger zusammenarbeiten würden. Können Sie darlegen, wie sich
die Situation in Bezug auf diese „tollen Synergien“ im
Verlauf des jetzt zu Ende gehenden Jahres entwickelt
hat?
Frau Kollegin Hendricks, das Zitieren von Interviews
finde ich sehr interessant. Ich glaube, dass Sie an dem
Beispiel, das ich eben genannt habe, ablesen können,
dass es für uns als Bundesregierung selbstverständlich
geworden ist, beim Thema Entwicklungszusammenarbeit mit allen Ressorts zusammenzuarbeiten. Hinzugezogen wird das Umweltressort, bei bestimmten Fragen auch
das Innenressort, ferner das Auswärtige Amt und das
Ressort für Agrarpolitik. Der ganze Strauß politischer
Aktivitäten, die wir in Verbindung mit der Entwicklungszusammenarbeit unternehmen - übrigens spielt
auch das Thema Sicherheit eine Rolle -, beweist, dass es
wichtig ist, dass es eine solche Zusammenarbeit gibt und
dass sie jeden Tag realisiert wird.
Zweite Zusatzfrage, Frau Hendricks?
Nein, danke. Ich verzichte.
Weitere Fragen dazu? - Manfred Grund, bitte.
Vielen Dank. - Ich würde gerne auf die erste Frage
der Kollegin Barbara Hendricks zurückkommen. Es ging
darum, wer der Empfänger von Entwicklungshilfe sein
soll.
({0})
Frau Staatssekretärin, sollten die Empfänger der Entwicklungshilfe nicht vorrangig hilfebedürftige Menschen sein und weniger Diktatoren und schwer zu kontrollierende Regierungen?
Selbstverständlich, Herr Kollege. Genau das ist der
Punkt. Ich betone noch einmal: Es ist keine wirksame
Entwicklungszusammenarbeit, wenn lediglich Gelder an
andere Regierungen transferiert werden. Man muss sehr
genau hinschauen - das sagte ich vorhin -, ob man es
mit einer transparenten und guten Regierungsführung zu
tun hat oder mit korrupten Strukturen, die zur Folge haben, dass Gelder für ganz andere Zwecke verwendet
werden, beispielsweise für den Aufbau von Armeen, die
in bestimmten unterentwickelten Ländern der Sicherung
der Macht dienen. Wir müssen genau festhalten, wohin
das Geld zu welchen Bedingungen fließt, und prüfen,
welche Wirkung damit erzielt wird. Erst dann, glaube
ich, kann man den Anspruch einer wirklichen Entwicklungszusammenarbeit erfüllen.
Vielen Dank. Wir kommen dann zur Frage 3 der Kollegin Dr. Bärbel Kofler:
Wie wird das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung der Aufforderung im aktuellen Bericht des DAC Peer Review der OECD entsprechen,
einen Stufenplan mit realistischen Jahreszielen und einem
glaubhaften Anstieg des entwicklungspolitischen Budgets
vorzulegen, um einen Anteil von 0,7 Prozent des Bruttonationalprodukts bis 2015 für Entwicklungszusammenarbeit zu erreichen, und welche Rolle werden dabei innovative Finanzierungsinstrumente spielen?
({0})
- Das ist die Version, die mir vorliegt, und die ist verbindlich.
({1})
- Ich kann jetzt nur nach der Reihenfolge vorgehen, die
mir vorliegt. Wir behandeln die Frage 3 der Kollegin
Bärbel Kofler. Sie befasst sich mit der Erreichung eines
Anteils von 0,7 Prozent des Bruttonationalprodukts für
Entwicklungszusammenarbeit. Das ist die sogenannte
ODA-Quote.
Frau Staatssekretärin, Sie haben die Möglichkeit, zu
antworten.
Vielen Dank, Herr Präsident! - Frau Kollegin Kofler,
die Bundesregierung wird wie bisher durch geeignete Instrumente - wie zum Beispiel den Einsatz auch innovativer Finanzierungsinstrumente - zusätzliche Mittel für
die Entwicklungsfinanzierung generieren. Beispiele
hierfür sind die Erlöse aus dem Emissionshandel und die
Beimischung von Marktmitteln, also das sogenannte
Blending. Ein ODA-Stufenplan der Bundesregierung
würde dem Budgetrecht des Parlamentes widersprechen.
Das können wir von daher nicht. Aber ich betone noch
einmal: Die Bundesregierung sieht sich ausdrücklich der
Erreichung dieses Ziels von 0,7 Prozent verpflichtet. Wir
haben dieses Ziel nach wie vor auf unserer Aktionsagenda.
Zu einer Zusatzfrage hat Frau Kofler das Wort. Bitte.
Vielen Dank. - Die Zusatzfrage ergibt sich ganz notwendig. Auch ich muss die Presse zitieren; das ist ja
meistens die Quelle, in der man als Parlamentarier Informationen findet.
({0})
Minister Niebel wird in der Berliner Zeitung nach der
ODA-Quote gefragt und mit der Aussage zitiert: „Mit
diesem Haushalt schaffen wir es nicht.“ Auch aus den
Kabinettsvorlagen des Finanzministers Schäuble ergibt
sich ganz klar, dass mit der Finanzplanung ab dem Jahr
2012 und den darin vorgesehenen Haushaltsmitteln das
Ziel, 0,7 Prozent des BNP für Entwicklungszusammenarbeit auszugeben, nicht erreichbar ist. Sie sprechen als
innovative Finanzierungsinstrumente solche Dinge wie
den CO2-Emissionshandel an. Der Zeitung konnte ich
entnehmen, dass die Wirtschaft zu mehr Investitionen ermuntert werden soll.
Ich stelle noch einmal die Frage nach der Official
Development Assistance - also nach staatlichen Mitteln
und nicht nach Mitteln anderer Geber, nach Marktbeimischung und sonstigen Strategien der Aufblähung, die
zum 0,7-Prozent-Ziel führen sollen -: Welche Finanzierungsinstrumente und welche Haushaltsmittel planen Sie
dafür einzusetzen? Sie können es nicht auf Komma und
Cent sagen, das will ich auch nicht. Aber so große Summen wie die, die hier fehlen, bedürfen in der mittelfristigen Finanzplanung doch einer anderen Strategie als
eines Runterfahrens des Einzelplans 23, um dann zu sagen: Da wird schon irgend etwas Innovatives kommen.
Welche konkreten Pläne gibt es?
Frau Kollegin Kofler, wenn das Parlament den Haushalt 2011 des BMZ so verabschieden wird wie geplant,
dann wird es im Einzelplan 23 keine Kürzungen, sondern einen leichten Aufwuchs geben. Allein das ist angesichts der Schwierigkeiten, die wir zu überwinden haben, schon eine enorme Leistung. Das will ich erst mal
vorwegschicken. Da sind wir schon sehr gut bedient.
Keine vorherige Regierung hat es in den letzten Jahren geschafft, das vorgegebene Ziel des ODA-Stufenplans auch nur annähernd zu erreichen. Trotzdem sagen
wir: Wir sehen uns der Erreichung des Ziels verpflichtet,
und wir machen uns Gedanken darüber, wie wir diese finanziellen Hürden überwinden können. Denn dass das
eine Riesenleistung bzw. ein Kraftakt ist, das werden
auch Sie zugestehen. Deshalb machen wir uns Gedanken
darüber, wie wir die Quote erreichen können.
Sie haben gerade die Presse zitiert. Sie werden sicherlich auch gelesen haben, dass der Minister öffentlich
mehrfach erklärt hat, dass das BMZ anstrebt, Rückflüsse, beispielsweise im Bereich der finanziellen Zusammenarbeit, im Rahmen der EZ zu nutzen. Wir werden selbstverständlich - das betone ich ausdrücklich für private Investoren Möglichkeiten schaffen, in entwicklungspolitisch sinnvolle Maßnahmen zu investieren. Wir brauchen ausdrücklich auch privates Geld, um
Entwicklung voranzutreiben. Wir sehen auch das Sondervermögen „Energie- und Klimafonds“ als wichtige
Quelle für die Finanzierung von entwicklungspolitisch
nachhaltigem internationalen Klima- und Umweltschutz.
All das zeigt, dass wir nach Möglichkeiten suchen,
nicht nur unseren Verpflichtungen nachzukommen, sondern auch eine Entwicklungspolitik zu betreiben, die
diesen Namen tatsächlich verdient, eine inklusive Poli7534
tik, die der Bevölkerung in den armen Ländern mehr
Entwicklung ermöglicht.
Gibt es eine weitere Zusatzfrage? - Bitte schön.
Ich entnehme den Ausführungen der Staatssekretärin
Kopp, dass sie sich für die Aufhebung der Haushaltssperre bei den Mitteln des Sondervermögens „Energieund Klimafonds“ einsetzen wird; das finde ich sehr interessant. Vielleicht können Sie mir an dieser Stelle konkret sagen, ob innovative Finanzierungsinstrumente wie
die Finanztransaktionsteuer in Ihren Überlegungen eine
Rolle spielen. Man hört ja vonseiten der Bundesregierung unterschiedlichste Stimmen dazu. Wird die Bundesregierung die Einführung einer Finanztransaktionsteuer als innovative Finanzierungsquelle - auch zur
Bekämpfung von Armut - vorantreiben?
Frau Kollegin Kofler, Sie werden wissen, dass diese
Bundesregierung, insbesondere Kanzlerin Merkel, dafür
eingetreten ist, auf internationaler Ebene über eine solche Finanzierung zu sprechen. Es gibt keinerlei Chancen, in dieser Frage international zu einer Einigung zu
kommen. Sie wissen, dass es hier sehr wohl auch um
Wettbewerbsfragen geht; diese müssen wir bei diesem
Thema auf dem Schirm haben.
Ganz davon abgesehen: Es gibt weitere Verhandlungen auf der europäischen Ebene. Ob wir hier zu einer Einigung kommen werden, kann ich derzeit nicht sagen.
Ich befürchte allerdings, da ich die Verhandlungen teilweise mitbekommen habe, dass es derzeit wohl auch auf
europäischer Ebene keine Einigung geben wird. Ich sage
das mit aller Vorsicht, weil ich es nicht genau weiß.
Es ist wichtig, nach Finanzierungsmöglichkeiten zu
suchen, die helfen, dieses Ziel zu erreichen. Dies tun
wir; ich habe eben die Beispiele genannt. Noch einmal:
Es geht nicht nur um Gelder, um Zahlen, sondern es geht
vor allem um die Wirksamkeit der eingesetzten Entwicklungsgelder.
Wir kommen zur Frage 4 der Kollegin Dr. Bärbel
Kofler:
Wann wird das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung die neue Sektorstrategie Bildung fertigstellen, und welches sind die im Rahmen der Fast
Track Initiative geplanten Leuchtturmprojekte, die das Bundesministerium mit seiner deutschen BACKUP-Initiative zur
Förderung der Bildung in Afrika in Angriff nehmen will?
Frau Kollegin Kofler, die Bildungsstrategie des BMZ
soll im Februar 2011 von Bundesminister Niebel im
Rahmen einer vom BMZ organisierten internationalen
entwicklungspolitischen Veranstaltung zum Thema Bildung vorgestellt und zur Diskussion gestellt werden. Das
Leuchtturmprojekt der deutschen BACKUP-Initiative
zur Förderung der Bildung in Afrika ist ein Regionalvorhaben, das politische und sektorfachliche Entscheidungsträger sowie zivilgesellschaftliche Akteure in
Afrika durch Capacity Development, also Organisationsund Fachberatung, darin unterstützen soll, globale Finanzierungsmechanismen zur Bildungsförderung effektiver und besser nutzen zu können.
Zusatzfrage? - Bitte, Frau Kofler.
Bildung ist von Ihnen und Minister Niebel zu Recht
als zentraler Punkt der Entwicklungszusammenarbeit genannt worden. Ich freue mich, dass wir im Februar 2011
ein Sektorkonzept Bildung vorliegen haben werden.
Können Sie sagen, welche Rolle die Bildungszusammenarbeit insbesondere auf staatlicher Ebene in Ihrem
Konzept einnehmen wird? Wir vernehmen ja in vielen
Diskussionen immer, dass Sie in diesem Sektor sehr auf
die Wirtschaft und auf private Initiativen setzen. Ich bin
der Meinung, dass Bildung eine urstaatliche Aufgabe ist.
Mich würde interessieren, was genau Sie anstreben. Was
werden Sie insbesondere im Rahmen von staatlichem
Capacity Building unternehmen, um in den verschiedensten Ländern die Bildung zu verbessern?
Frau Kollegin Kofler, das Thema Bildung steht im
Fokus unserer Entwicklungszusammenarbeit. Ohne Bildung ist Entwicklung, gerade in ärmeren, aber auch in
reicheren Ländern - das wissen wir -, nicht möglich.
Bildung ist ein Schlüsselbereich. Natürlich setzen wir
insbesondere bei der staatlichen Bildung an, zum Beispiel bei der Grundbildung, aber auch bei der beruflichen Bildung. Was die berufliche Bildung angeht, habe
ich bei verschiedenen Reisen wahrgenommen, dass unser duales System im Ausland in besonderer Weise nachgefragt wird, zum Beispiel in Mali, aber auch in anderen
Ländern. Hier bietet es sich an, mit der Privatwirtschaft
zusammenzuarbeiten.
Im Fokus steht zunächst einmal die Primarbildung,
die Grundbildung. Wenn man den Bildungsstand eines
armen Landes messen möchte - ich finde, auch dies ist
ein wichtiger Punkt -, dann darf man nicht allein die
Einschulungszahlen zugrunde legen, sondern wichtig ist
auch, festzuhalten, wie viele Schuljahre Kinder und Jugendliche Bildung genießen; das ist nämlich entscheidend, wenn es darum geht, ob sie in ihrer Entwicklung
tatsächlich vorankommen. Seien Sie also versichert: Für
uns ist Bildung - Grundbildung, aber auch Bildung bis
ins Erwachsenenalter - ein wichtiges Thema, an dem
alle Einrichtungen, die staatlichen und auch die privaten,
beteiligt sind.
Zweite Zusatzfrage. - Bitte.
Verstehe ich Sie richtig, dass Sie im Rahmen der deutschen BACKUP-Initiative für Afrika auch mehr finanzielle und personelle Mittel zur Verfügung stellen, um
die gerade angesprochene Qualität der Ausbildung angesichts des Fehlens von Lehrern, insbesondere in Subsahara-Afrika, heben zu können?
Genau dort besteht natürlich ein besonders großer Bedarf. Ich kann Ihnen sagen: Um unsere Partnerländer bei
der Erreichung dieses Ziels zu unterstützen, wurde die
„Education for All - Fast Track Initiative“ - das heißt
„Bildung für alle“ - eingerichtet. Herz dieser Initiative
ist ein Multigeberfonds, der in Form von nicht rückzahlbaren Mitteln zusätzliche Bildungsfinanzierungen ermöglicht, und zwar über bilaterale und nationale Mittel
hinaus.
Bei der Nutzung dieser Mittel treten jedoch Schwierigkeiten auf, vor allem in Ländern mit besonders großem Bildungsbedarf. Der Mittelabfluss ist daher schleppend, weitgehend verursacht durch mangelnde
Kompetenzen und Kapazitäten in den Partnerländern.
Viele Länder, Frau Kollegin Kofler, vor allem Länder in
Konfliktsituationen, haben so schwache Kapazitäten,
dass sie nicht einmal zur Beantragung solcher Mittel
ausreichen. Hier wollen wir in besonderer Weise aktiv
werden und beratend sowie finanziell helfen.
Eine weitere Frage stellt der Kollege Hartwig Fischer.
Frau Staatssekretärin, ist Ihnen bekannt, dass die damalige rot-grüne Regierung in den Jahren von 1998 bis
2005 bei den Schwerpunktländern, in denen wir nach
Regierungsverhandlungen grundsätzlich in drei Sektoren
zusammenarbeiten, die Mittel für Bildung erheblich heruntergefahren und die Nachfrage nach beruflicher Bildung nicht bedient hat?
Herr Kollege Fischer, das kann ich Ihnen ausdrücklich bestätigen.
Danke.
Nun kommen wir zur Frage 5 des Kollegen
Dr. Sascha Raabe:
Wird die Bundesregierung die Kritik des neuen OECD/
DAC Peer Review an der unbegründeten starren Aufteilung
der deutschen Mittel für bi- und multilaterale Entwicklungszusammenarbeit im Verhältnis zwei Drittel zu einem Drittel
aufnehmen und künftig diese haushalterische Vorfestlegung
der Mittel aufgeben?
Frau Staatssekretärin, bitte.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Herr Kollege Raabe,
im Peer Review wird keine Kritik an der Aufteilung der
Mittel geäußert. Der Peer Review empfiehlt, eine Strategie zur multilateralen Zusammenarbeit zu erarbeiten.
Die Bundesregierung wird an der grundsätzlichen Zielgröße für die Aufteilung der Mittel für die Entwicklungszusammenarbeit auf bi- und multilaterale Instrumente festhalten.
Im Koalitionsvertrag wird die Bedeutung wirksamer
multilateraler Strukturen hervorgehoben und multilateralen Organisationen eine wichtige Rolle zugemessen. Vor
diesem Hintergrund ist die Mittelaufteilung als politische und strategische Zielgröße zu verstehen, durch die
zum einen die Sichtbarkeit unserer bilateralen Zusammenarbeit erhöht wird, zum anderen aber auch die Aufmerksamkeit für eine bewusste Instrumentenauswahl gestärkt wird und die Verzahnung und Verbindung von biund multilateralen Instrumenten verbessert werden sollen.
Zusatzfrage, Kollege Raabe.
Frau Staatssekretärin, man kann solch einen Bericht
natürlich immer so lesen, wie man ihn gerne lesen
möchte.
({0})
Ich habe ihn so gelesen - so steht es auch drin -, dass der
Entwicklungsausschuss der OECD - zu Recht - gesagt
hat, dass die willkürliche Festlegung des Verhältnisses
von einem Drittel zu zwei Dritteln inhaltlich nicht begründet ist und dass deshalb die Aufforderung an die
Bundesregierung ergeht, darüber nachzudenken, welchen Sinn das hat.
Sie haben vorhin von der Konferenz in Accra gesprochen und gesagt, dass Sie sich den dort vereinbarten Zielen verpflichtet fühlen. Ich frage Sie: Wissen Sie, wie
viele Geber sich zum Teil jedes Jahr in Entwicklungsländern die Klinke in die Hand geben - in Vietnam und in
anderen Ländern -, um über ihre einzelnen Projekte zu
reden? Stimmen Sie mir zu, dass in Accra vereinbart
wurde, dass gerade dies beendet werden soll, um effizient, gemeinsam und international abgestimmt, vor allem auch durch die multilaterale Arbeit, mit mehreren
Gebern zusammen Entwicklungszusammenarbeit zu
leisten? Warum weigert sich die Bundesregierung, diesen Vorschlägen der Konferenz von Accra in Bezug auf
Effizienz nachzukommen?
Herr Kollege Raabe, im Peer Review, in diesem Prüfbericht, wird vor allen Dingen die Entwicklungszusammenarbeit der früheren Bundesregierung dargestellt.
Hinsichtlich der Arbeit der neuen Bundesregierung - gerade im Bereich der Entwicklung - erfolgt nur ein Rückblick auf wenige Monate. Ich sage es noch einmal: Es ist
nicht so, dass diese Aufteilung kritisiert wird, sondern es
wird noch einmal darauf verwiesen, wie wichtig die
Effizienz der jeweils ausgewählten Instrumente ist.
Wir haben die Quote - zwei Drittel bilateral, ein Drittel multilateral - nicht starr festgelegt, sondern wir
schauen natürlich genau hin, welche multilateralen Projekte sinnvoll sind. In der Tat gibt es manchmal 20 verschiedene Geber für bestimmte Projekte. Die Entwicklungsländer sind häufig völlig überfordert, wenn sie da
eine Struktur hineinbringen wollen.
Deswegen sagte ich auch: Es geht uns nicht um starres Handeln. Vielmehr kennen wir den Wert von multilateralen Projekten durchaus; wir sind nicht komplett dagegen. Wir legen größeren Wert auf die bilaterale
Zusammenarbeit, weil wir dadurch häufig mehr Transparenz und eine direkte Einflussnahme sicherstellen
können.
Unser Wunsch ist es, Entwicklungszusammenarbeit
mit größtmöglicher Wirksamkeit in Bezug auf die Entwicklung zu betreiben. Das ist unser Maßstab, und es
geht uns nicht um starre Regelungen.
Zweite Zusatzfrage.
Frau Staatssekretärin, mir ist bekannt, dass in dem
Bericht die letzten fünf Jahre betrachtet werden, aber die
Frage und mein Zitat bezogen sich genau auf den Punkt,
mit dem die Experten des Entwicklungsausschusses der
OECD auf den Koalitionsvertrag der jetzigen Regierung
eingegangen sind. Ich kann es Ihnen nicht ersparen, noch
einmal darauf hinzuweisen, dass das in dem Bericht so
kritisiert wird.
Auch im Koalitionsvertrag steht die Aufteilung von
einem Drittel zu zwei Dritteln. Stimmen Sie mir zu, dass
es in diesem Jahr zum Beispiel bei dem hochwirksamen
Globalen Fonds zur Bekämpfung von AIDS, Tuberkulose und Malaria zu erheblichen Problemen geführt hat,
dass anfänglich nicht gesichert werden konnte, dass sich
Deutschland dort entsprechend beteiligt, weil auch mit
Verweis auf die Haushälter in den Koalitionsfraktionen
gesagt wurde, das würde mit der Regelung „ein Drittel zwei Drittel“ in Konflikt stehen? Der Minister hat das
auch gesagt. Gott sei Dank hat er sich am Ende aufgrund
des Druckes unsererseits, der Sozialdemokraten, der
NGOs und der Kanzlerin eines Besseren belehren lassen.
Wie Sie sehen, führt diese starre Aufteilung zu großen
Problemen. Deshalb frage ich Sie, ob Sie mir zustimmen, dass sie in Zukunft aufgegeben werden muss.
Herr Kollege Raabe, ich stimme Ihnen ausdrücklich
nicht zu. Das wird Sie nicht überraschen. Zu dem sehr
wichtigen Global Fund, den Sie eben angesprochen haben, und seiner Finanzausstattung ist festzustellen: Wir
hatten seitens des BMZ und der Bundesregierung unsere
bereits zugesagten Verpflichtungen übererfüllt. Es ging
um neue Zusagen. Dabei hat sich die Kanzlerin in besonderer Weise eingebracht. Wir haben weitere Schritte machen können, und zwar zusammen mit dem Parlament,
weil die Gelder - das ist völlig klar - entsprechend bewilligt werden müssen.
Noch einmal: Wir haben unsere Verpflichtungen
übererfüllt. Wir haben auch einen Weg gefunden, wie
wir die Finanzierung für weitere drei Jahre sicherstellen
können, und über die Kanzlerin entsprechende Zusagen
gemacht.
Sie mögen den Peer Review lesen, wie Sie es für richtig halten. Ich bleibe dabei, dass es keine starren Grenzen, sondern Richtgrößen gibt, und das ist vernünftig.
Dann kommen wir zur Frage 6 des Kollegen Sascha
Raabe:
Wie bewertet die Bundesregierung aus entwicklungspolitischer Sicht die jüngsten Äußerungen des Bundesministers für
Wirtschaft und Technologie, dass bei der Entwicklungszusammenarbeit mit rohstoffreichen Ländern künftig stärker darauf geachtet werden solle, dass im Gegenzug Deutschland
bevorzugter Handelspartner wird, und somit die deutsche Entwicklungszusammenarbeit in Zukunft nicht mehr an entwicklungspolitischen Kriterien, sondern primär an deutschen Außenwirtschafts- und Rohstoffinteressen ausgerichtet wird?
Frau Kopp, bitte schön.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Die Antwort auf Ihre
Frage, Kollege Raabe, bezieht sich auf eine Aussage
vom 26. Oktober, die der Bundesminister für Wirtschaft
beim BDI-Rohstoffkongress gemacht hat. In der Rohstoffstrategie der Bundesregierung, die übrigens ressortabgestimmt ist, heißt es:
Rohstoffsicherung bedarf daher einer engagierten
außen- und außenwirtschaftspolitischen Unterstützung sowie entwicklungspolitischer Flankierung.
Genau das ist der Punkt. Ein wichtiges Instrument hierfür sind bilaterale Rohstoffpartnerschaften. Denn Rohstoffsicherung kann keine Einbahnstraße sein. Es geht
darum, die Interessen sowohl der rohstofffördernden als
auch der rohstoffimportierenden Länder zu berücksichtigen und zu einem sinnvollen Ausgleich zu bringen.
Ich will noch einmal betonen: Wir haben in unserer
ressortabgestimmten Strategie zur Rohstoffsicherung
und noch einmal in einer eigenen BMZ-Strategie sehr
ausführlich dargelegt, wie wir uns die extraktiven Industrien bzw. die Rohstoffwirtschaft vorstellen. Wir möchParl. Staatssekretärin Gudrun Kopp
ten eine Zertifizierung in dem Bereich implementiert
wissen, sodass Firmen, die in Entwicklungsländern Rohstoffe abbauen, sich zu bestimmten Mindeststandards
bereitfinden, damit in den Entwicklungsländern eine entsprechende Rendite ermöglicht werden kann. Das setzt
voraus, dass wir in den Entwicklungsländern eine gute
Regierungsführung, also keine korrupten Strukturen vorfinden und dass die Einnahmen zum Beispiel aus dem
Rohstoffabbau tatsächlich der Bevölkerung zugutekommen. Das ist in den letzten Jahren häufig nicht der Fall
gewesen.
Die Einnahmen sollen beispielsweise zum Aufbau
von Finanzsystemen verwendet werden. Daraus sollen
ein Bildungssystem und ein Gesundheitssystem finanziert werden. Das verstehen wir unter einer inklusiven
Rohstoffstrategie, bei der das Volk vor Ort profitieren
soll, statt dass die Einnahmen daraus in irgendwelchen
Kanälen verschwinden. Darin sind wir uns mit allen beteiligten Ressorts völlig einig.
Eine solche Politik führt auch dazu, dass Frieden, Sicherheit und Entwicklung viel schneller und in viel größerem Maße erreicht werden, als es bisher der Fall war.
Zusatzfrage, Kollege Raabe.
Frau Staatssekretärin, Ihr Verweis darauf, dass es sich
um ein ressortabgestimmtes Konzept handelt, beruhigt
mich nicht; das macht mir eher noch mehr Angst und
Sorge. Denn damit ist vorgegeben, dass sich letzten Endes das Wirtschaftsministerium durchsetzt. Sie haben
immer wieder auf die Texte verwiesen. Wenn Sie in dem
ressortabgestimmten Rohstoffkonzept weitergelesen hätten, dann hätten Sie auch gelesen - das findet sich ein
paar Sätze weiter -, dass die Projekte dazu beitragen sollen, die Rohstoffversorgung Deutschlands zu sichern.
Es stellt sich dann natürlich die Frage, Frau Staatssekretärin, welche konkreten Auswirkungen das auf die
Auswahl unserer Partnerländer hat. Denn die Mittel, die
wir vergeben, sind begrenzt. Wenn man irgendwann eine
Neuauswahl von Partnerländern trifft und sich dabei vor
allem diejenigen aussucht, die für Deutschlands Rohstoffversorgung wichtig sind, dann werden natürlich
arme afrikanische Länder ohne Rohstoffe vernachlässigt.
Es gibt natürlich arme Länder, die Rohstoffe besitzen;
aber es gibt eben auch arme Länder, bei denen das nicht
der Fall ist. Es kann doch nicht der Sinn der Entwicklungszusammenarbeit sein, nicht mehr dort zu helfen,
wo die größte Armut herrscht, sondern dort, wo die
meisten Rohstoffe für Deutschland zu holen sind.
Meine konkrete Frage ist: Wir wirkt sich das auf die
künftige Auswahl der Partnerländer aus, und bedeutet
das nicht einen Vorrang wirtschaftlicher Interessen vor
den Bedürfnissen der Ärmsten der Welt?
Herr Kollege Raabe, aus Ihren Worten spricht eine
generelle Skepsis gegenüber der Zusammenarbeit mit
der Wirtschaft. Diese teilen wir ressortübergreifend
nicht. Wenn Sie im Rohstoffkonzept weiterlesen, dann
werden Sie feststellen, dass es uns darum geht, Entwicklungsländer in besonderer Weise - so wie ich das eben
beschrieben habe - profitieren zu lassen.
Ich will Ihnen nur in Erinnerung rufen, dass etwa
75 Prozent der ärmsten Menschen der Welt in den rohstoffreichsten Ländern leben. Schon an dieser Zahl sehen Sie, dass etwas schiefläuft. Es gibt offensichtlich
Reichtümer, die nicht für das eigene Land gehoben werden. Unsere Politik ist zuallererst werte- und dann auch
interessenorientiert.
Werteorientierte Politik bedeutet in diesem Fall - dem
stimmt übrigens auch das Wirtschaftsministerium voll
und ganz zu -, dass wir Regierungen beraten wollen, wie
sie ihre Rohstoffschätze am besten heben können - durch
Rohstoffabbau oder die Vergabe von Lizenzen; da gibt
es viele Möglichkeiten -, sodass Sozial- und Umweltstandards eingehalten werden. Es gibt etliche Unternehmen und Länder, die bereit sind, sich an dieser Initiative
zu beteiligen, weil sie es für sinnvoller halten, auf diese
Weise zu arbeiten, statt irgendwo Entwicklungsruinen
hinzustellen, wie es gerade in Afrika an einigen Stellen
der Fall ist. Eine solche Politik machen wir nicht. Wir
machen eine abgestimmte, ressortübergreifende Rohstoffpolitik, die insbesondere den ärmsten Ländern nützt.
Haben Sie eine weitere Zwischenfrage?
Meine Frage war eigentlich, nach welchen Kriterien
die Auswahl der Partnerländer zukünftig erfolgt. Ich will
aber eine neue Frage stellen, weil Sie gesagt haben, dass
Sie sich ressortübergreifend abgestimmt haben. Mir
macht noch mehr Sorge, dass Verteidigungsminister zu
Guttenberg nun auch gesagt hat - das passt in das Muster,
dass man Entwicklungspolitik in Zukunft an Rohstoffinteressen ausrichtet -, dass die Verteidigungspolitik und der
Einsatz deutscher Soldaten in Zukunft auch der Sicherung
der Rohstoffversorgung Deutschlands dienen sollen.
Nachdem auch Minister Niebel die Entwicklungszusammenarbeit für Afghanistan an die Bedingung der
Kooperation von Nichtregierungsorganisationen mit der
Bundeswehr geknüpft hat, frage ich Sie, ob Sie mir darin
zustimmen, dass da eine ganz gefährliche Militarisierung der deutschen Entwicklungszusammenarbeit erfolgt.
Man hat den Eindruck, dass die von Ihnen angesprochene Ressortabstimmung ein großangelegtes Konzept
ist, um militärisch und entwicklungspolitisch Rohstoffe
zu sichern, dass man sich aber nicht mehr um die eigentlichen Aufträge kümmert, nämlich um die Überwindung
von Hunger und Armut bzw. um die im Grundgesetz
vorgeschriebene Verteidigung des Landes. Das ist offenbar eine Politik, die mit Soldaten Rohstoffe für uns sichern will.
({0})
Herr Kollege Raabe, Ihre sicherheitskritische und
wirtschaftskritische Haltung teile ich ausdrücklich nicht.
({0})
Das Wort zu einer Zusatzfrage hat die Kollegin Heike
Hänsel.
Danke schön, Frau Präsidentin. - Ich hoffe, ich bekomme eine etwas vielsagendere Antwort. Meine Frage
bezieht sich auf Ihre Aussage, dass die Rohstoffstrategie
auch zu Frieden und Entwicklung in den Ländern des
Südens beiträgt. Minister Niebel war gerade auf Lateinamerikareise, unter anderem auch in Peru. Während er
sich mit dem Präsidenten Alán García sehr gut verstanden hat und es neue, sehr hohe Geldzusagen für Peru
gibt - unter anderem in Form von Krediten -, hat die katholische Bischofskonferenz Perus ihn darüber informiert, dass Bergbaulizenzen in großem Stil hinter dem
Rücken der indigenen Bevölkerung vergeben werden
und das zu großen sozialen Konflikten führt.
Meine Frage lautet: Sieht die deutsche Bundesregierung darin einen Beitrag zu Frieden und Entwicklung,
wenn mit dem Präsidenten Perus über diese Konflikte
kein Wort gesprochen wird?
Frau Staatssekretärin, bitte.
Danke sehr. - Frau Hänsel, der Minister war zu Gesprächen in Peru und hat sich dort - das gilt auch für andere Länder - nicht gescheut, kritische Dinge anzusprechen, zum Beispiel Menschenrechte oder fehlende Good
Governance. Ich finde, Sie sollten dem Minister daher
nicht unterstellen, dass er bei seinem Besuch keine kritischen Fragen gestellt hat. Ich bin ganz sicher, dass er das
getan hat. Unsere Strategie ist, so zusammenzuarbeiten,
dass eine optimale Hebelwirkung erzielt wird. Das ist
beispielsweise im Rahmen der Rohstoffstrategie möglich. Ich habe eben gesagt, wie wichtig uns beim Rohstoffabbau die Werteorientierung ist. Wenn sich ein Akteur nicht an Werten orientiert, werden wir mit ihm nicht
im Rahmen der Rohstoffstrategie zusammenarbeiten
können. Das geht natürlich nicht. Kritische Punkte werden angesprochen. Ich war bei den erwähnten Gesprächen nicht dabei. Der Minister wird wissen, was angesprochen worden ist. Aber seien Sie versichert, dass
kritische Punkte selbstverständlich ein Thema sind und
auch in Zukunft sein werden.
Das Wort zu einer weiteren Zusatzfrage hat der Kollege Holger Haibach.
Frau Staatssekretärin, ich möchte auf die Frage des
Kollegen Raabe über die Rohstoffstrategie zurückkommen. Würden Sie mir zustimmen, dass dann, wenn eine
Rohstoffstrategie sehr gut gemacht ist, beide Ziele erreichbar sind, nämlich auf der einen Seite den Lebensstandard der Menschen in den Ländern des Südens, in
den rohstoffreichen Ländern, zu heben, und auf der anderen Seite die Rohstoffsicherung für das rohstoffarme
Land Deutschland zu gewährleisten?
Da stimme ich Ihnen voll und ganz zu. Das Ganze
kann man unter dem Begriff „wirksame Entwicklungszusammenarbeit“ subsumieren. - Vielen Dank.
Der Kollege Hartwig Fischer hat noch eine Zusatzfrage.
Frau Staatssekretärin, können Sie uns bestätigen,
dass, nachdem die Große Koalition die Zertifizierung
von Rohstoffen aus dem Kongo zu einem Programmteil
gemacht hat, Herr Minister Niebel bei seiner ersten
Reise nach Afrika die Zertifizierung von Rohstoffen als
Zukunftsthema einer wertegebundenen Politik bezeichnet hat und er im Ostkongo Gespräche auch mit der Zivilgesellschaft geführt hat, weil das als Einheit gesehen
werden muss? Ich kann die Gespräche in Peru nicht beurteilen, weil ich nicht dabei gewesen bin. Ich kann das
aber über die Gespräche sagen, die wir in Afrika mit verschiedenen Stellen geführt haben.
Herr Kollege Fischer, das bestätige ich ausdrücklich.
Es ist so, dass die werte- und interessenorientierte Zusammenarbeit sehr viele Vorteile bringt. In Afrika gibt es
einige Regierungen, die die Kriterien von Good Governance einigermaßen erfüllen. Diese wollen mit solchen
Regierungen und Unternehmen zusammenarbeiten, die
sich einer Zertifizierung unterziehen. Die Regierungen
selber legen Wert darauf, weil sie in den vergangenen
Jahren häufig sehr negative Erfahrungen mit Unternehmen gemacht haben, die Rohstoffe zulasten der eigenen
Bevölkerung abgebaut haben. Oft ist kein Geld geflossen, weil es Möglichkeiten gibt, Steuerzahlungen zu vermeiden. Diese Länder legen großen Wert auf eine Zertifizierung, weil sie selbst leidvolle Erfahrungen gemacht
haben. Deshalb bestätige ich Ihnen das ausdrücklich.
Zu einer weiteren Zusatzfrage hat der Kollege
Wolfgang Gehrcke das Wort.
Schönen Dank, Frau Präsidentin. - Frau Staatssekretärin, rechnen Sie damit, dass der Verteidigungsminister
aus seiner Äußerung, die wirtschaftlichen Interessen
Deutschlands auch militärisch sichern zu wollen, die
gleiche Konsequenz zieht wie der ehemalige Bundespräsident, nämlich zurückzutreten?
Diese Frage beantworte ich Ihnen nicht. Wenn Sie
diese Frage beantwortet haben wollen, verweise ich auf
den Bundesverteidigungsminister. Ich finde Ihre Frage
bemerkenswert.
({0})
Wir kommen zur Frage 7 der Kollegin Karin Roth:
Beabsichtigt das Bundesministerium für wirtschaftliche
Zusammenarbeit und Entwicklung, BMZ, die am 20. Oktober
2010 ({0}) von der Parlamentarischen Staatssekretärin Gudrun
Kopp zugesagte Verdoppelung der Mittel zur Unterstützung
der selbstbestimmten Familienplanung und reproduktiven Gesundheit ab 2011 auf 80 Millionen Euro im Jahr zusätzlich in
den Bundeshaushalt einzustellen, und, wenn nein, wo werden
an anderer Stelle im Bundeshaushalt Mittel gekürzt werden?
Bitte sehr, Frau Kopp.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Frau Kollegin Roth,
zu diesem Thema haben wir uns schon häufiger ausgetauscht. Ich beantworte Ihnen die Frage wie folgt:
Die angekündigte Verdoppelung der Mittel zur Unterstützung der selbstbestimmten Familienplanung und reproduktiven Gesundheit ab 2011 wird einen wesentlichen Beitrag zur Umsetzung der G-8-Muskoka-Initiative
zur Verbesserung der Kinder- und Müttergesundheit darstellen, für die sich die Bundesregierung verpflichtet hat,
von 2011 bis 2015 zusätzliche Mittel in Höhe von insgesamt 400 Millionen Euro bereitzustellen.
Für den Haushalt 2011 stehen hierfür keine zusätzlichen Mittel im Gesamtetat des BMZ zur Verfügung.
Vielmehr erhalten bei der Umsetzung der verschiedenen
infrage kommenden Haushaltstitel Vorhaben zur Förderung der reproduktiven Gesundheit und Familienplanung
Priorität. So werden unter anderem bei den Titeln der bilateralen finanziellen Zusammenarbeit und technischen
Zusammenarbeit 22 Millionen Euro, die bislang noch
nicht anderweitig verplant waren, exklusiv für Vorhaben
in diesen Förderbereichen genutzt werden.
Im Übrigen wird auf die Antworten verwiesen, die ich
Ihnen schon am 29. Oktober gegeben habe.
Haben Sie eine Zusatzfrage, Frau Kollegin? - Bitte.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Verehrte Frau
Staatssekretärin, richtig ist: Wir sind in ständigem Dialog über die Frage, was die Zusagen der Bundeskanzlerin auf internationalen Konferenzen materiell, nicht nur
ideell, wert sind. Wenn man auf der internationalen Konferenz, die in Kanada stattgefunden hat, für die nächsten
fünf Jahre 400 Millionen Euro zur Bekämpfung der Kinder- und Müttersterblichkeit zusagt - dabei spielt das
Thema Familienplanung natürlich auch eine Rolle; ich
komme noch darauf zu sprechen -, dann muss man sich
doch bewusst sein, dass diese 400 Millionen Euro, also
80 Millionen Euro jedes Jahr, im Haushalt nicht einfach
verteilt werden, zumal die Mittel ohnehin knapp sind.
Sie haben vorhin durchaus richtig gesagt, dass das
Thema Bildung eine wichtige Rolle spielt; morgen wird
es das Klima sein, und dann kommt vielleicht noch ein
weiteres Thema dazu. Daher müssen dies zusätzliche
Mittel sein.
Wenn wir - vor allem aber die Bundeskanzlerin - in
der internationalen Staatengemeinschaft glaubwürdig
bleiben wollen - die nächsten Gipfel stehen schon an -,
dann stellt sich doch die Frage: Was wird wirklich finanziert? Dazu sage ich Ihnen Folgendes:
Beim Thema Familienplanung haben Sie angekündigt,
aus 40 Millionen Euro 80 Millionen zu machen. Schauen
wir einmal ins Tableau der Finanzierung. Unter der Großen Koalition gab es einen Entwurf für 2010, in dem für
die Familienplanung, für den UNFPA und die IPPF - das
ist die Internationale Föderation geplanter Elternschaft -,
insgesamt 23 Millionen Euro vorgesehen waren. Unter
der neuen Regierung sind es für 2010 nur noch 18,3 Millionen Euro, und in 2011 sollen es 19,7 Millionen Euro
sein.
Wie Sie auf 40 Millionen Euro für die Familienplanung kommen, ist schon ein Rätsel. Aber wie Sie dann
nach der Presseerklärung, die Sie ja mit unterschrieben
haben, sogar auf 80 Millionen kommen, ist erst recht
nicht nachvollziehbar.
Die Erklärung, die Sie mir jetzt gegeben haben - deshalb bin ich wirklich froh, mit Ihnen endlich auf dieser
Ebene zu reden -, heißt doch nichts anderes, als dass Sie
die Finanzierung anderer Projekte einstellen. Das geht
dann zulasten des Bereichs Bildung.
Viel wichtiger ist aber etwas anderes. Staatssekretär
Beerfeltz schreibt abschließend, dass Sie 22 Millionen
Euro im Rahmen der Nachsteuerung zur Verfügung stellen; das haben auch Sie gerade gesagt. Wenn ich von den
80 Millionen Euro ausgehe, die die Kanzlerin vorgesehen hat, fehlen immer noch 58 Millionen Euro. Es muss
also irgendetwas in dem Haushalt nicht richtig koordiniert worden sein. Wie kann eine Bundeskanzlerin auf
internationalen Konferenzen 80 Millionen Euro oder
400 Millionen Euro zusagen, wenn nicht gleichzeitig die
Finanzierung gewährleistet ist? Oder findet etwa vorher
eine Abstimmung innerhalb der Bundesregierung, auf
Karin Roth ({0})
die Sie bekanntermaßen sonst so viel Wert legen, hier
nicht statt? Wird die Bundeskanzlerin Ihren Haushalt
noch einmal aufstocken, damit sie wenigstens an der
Stelle glaubwürdig bleibt?
Frau Kollegin Roth, ich betone ausdrücklich, dass die
Zusagen der Kanzlerin selbstverständlich eingehalten
werden;
({0})
das ist überhaupt keine Frage. Ich will noch einmal sagen, dass die Initiative „selbstbestimmte Familienplanung“ im Fokus unserer Arbeit steht. Auch darüber haben wir schon einmal gesprochen. Ich will jetzt aber
noch ein paar Zahlen vortragen.
Die angekündigte Verdoppelung der Mittel bezieht
sich auf das Basisjahr 2008.
({1})
Da beliefen sich die Zusagen für reproduktive Gesundheit und für Familienplanung auf etwa 35 Millionen
Euro. Eine Steigerung auf 80 Millionen Euro ist durchaus realistisch und wird auch erfolgen, weil neben der
Nutzung der thematischen Reserve von 22 Millionen
Euro, von der ich eben gesprochen habe, weitere Maßnahmen im Bereich der TZ, und zwar hier vor allem bei
InWEnt sowie develoPPP, und Initiativen mit den Kirchen und privaten Trägern geplant sind. Auch die noch
konkret zu verplanenden Treuhandmittel, zum Beispiel
die der IPPF, werden statistisch als bilaterale Leistungen
erfasst.
Summa summarum: Wir sind dabei, ebendiese Finanzierung sicherzustellen, und Sie dürfen ganz sicher sein,
Frau Kollegin Roth, dass wir diese Verpflichtungen auch
einhalten.
Haben Sie eine weitere Zusatzfrage? - Bitte.
Ich bin ja gern bereit, vieles nachzuvollziehen; aber,
Frau Kollegin Kopp, wir wissen doch ganz genau, dass
die Ausgaben der GTZ und des DED und anderer verplant sind. Sie waren für andere Projekte vorgesehen.
Von Herrn Beerfeltz wird zwar gesagt, dass man alles
prüft - das haben Sie mir gerade auch noch einmal gesagt -, aber letztendlich - darauf kommt es an -: Es sind
58 Millionen Euro weniger vorgesehen. Sie verkünden
80 Millionen Euro, und Sie verkünden für die Familienplanung noch einmal 80 Millionen Euro.
Entweder stimmt das nicht, oder Sie können mir die
einzelnen Haushaltstitel nennen. Ich bin in der Lage,
Haushalte zu lesen; das ist für mich kein Problem. Deshalb komme ich ja auch darauf, dass das, was Sie öffentlich immer erklären, mit der Realität im Haushalt nicht
ganz übereinstimmt. Insofern bitte ich Sie, mir mitzuteilen - wenigstens das! -, wo ich die 58 Millionen finde,
die jetzt noch ausstehen, die hier nicht enthalten sind, die
Sie mir eben nur noch einmal allgemein dargestellt haben, bei welchem Programm etwa. Möglicherweise ist
der Haushalt an der Stelle so ungenau, dass ich das, was
ich bestätigt haben möchte, nämlich die Glaubwürdigkeit der Bundesrepublik Deutschland auf internationaler
Ebene, nicht nachvollziehen kann. Wenn Sie mir dieses
Nachvollziehen ermöglichten, wäre das wunderbar.
Frau Kollegin Roth, ich weiß, dass Sie das nicht glauben,
({0})
aber das müssen Sie mit sich selbst ausmachen. Ich habe
ein paar Beispiele dafür genannt, wo Mittel zu akquirieren sind. Es geht nicht nur darum, an irgendeiner Stelle
etwas wegzunehmen, sondern darum, wie wir einen
Haushalt zustande bringen, der Projekte finanziert, die
so auch tatsächlich umzusetzen sind.
Ich habe eben eine Hausnummer für den Haushalt genannt, die 22 Millionen Euro; aber es gibt noch mehr.
Sie wissen, dass derzeit die Bereinigungssitzung läuft,
die bis morgen Abend dauern soll. Wir sind also dabei,
den Haushalt 2011 festzuzurren, und - das habe ich Ihnen gesagt - beabsichtigen, das, was wir in Aussicht gestellt haben, zu erfüllen. Ich bitte Sie, da einfach noch
ein wenig Geduld zu haben. Anschließend können wir
schauen, wie letzten Endes das Ergebnis ausgefallen ist.
Dann kommen wir zur Frage 8 der Kollegin Karin
Roth:
In welcher Form und in welchem konkreten finanziellen
Umfang wird das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, BMZ, zukünftig den Bereich
Gender fortführen, nachdem die Zielgröße „Gender“ in den
Haushalten 2010 und 2011 des BMZ gestrichen wurde, und
wie fließen die Ergebnisse des internen Monitorings zu Gender in die zukünftige multilaterale und bilaterale Entwicklungszusammenarbeit vor dem Hintergrund der erforderlichen
Planungssicherheit für alle Akteure der Entwicklungszusammenarbeit ein?
Frau Kollegin Roth, der Förderung der Gleichberechtigung der Geschlechter wird von der Bundesregierung
nach wie vor eine große Bedeutung beigemessen. Vorhaben und Programme des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, deren
Hauptziel es ist, zur Gleichberechtigung der Geschlechter beizutragen, werden auch im Jahr 2011 fortgeführt.
Auch ohne eine bestehende Zielgröße können Neuvorhaben in diesem Bereich initiiert werden. Beispielhaft hierfür ist das Regionalvorhaben „Soziale Eingliederung von
Betroffenen von Menschenhandel“, dessen Hauptzielgruppe Frauen sind und welches in Südosteuropa 2010
auf den Weg gebracht wurde. Im Rahmen der Umsetzung des entwicklungspolitischen Aktionsplans werden
zudem durch gezieltes Gender-Mainstreaming und die
Förderung frauenspezifischer Maßnahmen Beiträge im
Bereich Gender in der bilateralen und multilateralen Zusammenarbeit geleistet.
Ihre Nachfrage, bitte.
Frau Kollegin Kopp, auch hier sind wir ja in einem
ständigen Dialog. Sie hatten im Juli 2010 angekündigt,
dass Sie mir das Ergebnis des Monitorings mitteilen, das
damals noch nicht vorlag, weil Sie auf der Grundlage
dieses Monitorings und bezogen auf die Zielgröße, die
es nun nicht mehr gibt, die Schwerpunkte bezüglich der
Gender-Politik in Ihrem Hause festlegen wollten.
Nun möchte ich Sie fragen: Was hat das Monitoring
ergeben? Gibt es Veränderungen, oder arbeitet man weiter auf der Grundlage der Gender-Strategie, die die vorhergehende Bundesregierung verfolgt hat, und führt den
Gender-Aktionsplan, durch den Frauen in den Entwicklungsländern, die ja Träger von Entwicklung sind, unterstützt werden, genauso fort? Dann war die Ankündigung, die Zielgröße abzuschaffen, eigentlich ziemlich
unnötig.
Frau Kollegin Roth, wir sind uns völlig einig, dass
Frauen die Schlüsselpersonen für Entwicklung in den
Ländern sind. Sie tragen die meiste Last, und sie sind
auch diejenigen, auf deren Unterstützung wir besonderen Wert legen sollten. Der Entwicklungspolitische Gender-Aktionsplan 2009-2012 - Sie kennen ihn - besitzt
nach wie vor Gültigkeit. Insbesondere im Rahmen der
vier thematischen Schwerpunkte - wirtschaftliches
Empowerment von Frauen, Frauen bei bewaffneten
Konflikten und ihre Rolle bei der Konfliktbearbeitung,
geschlechtsspezifische Herausforderungen und Antworten auf den Klimawandel sowie sexuelle und reproduktive Gewalt - wird das BMZ auch zukünftig konkrete
Maßnahmen unterstützen.
Haben Sie eine weitere Zusatzfrage?
Ja.
Bitte.
Es freut mich, dass Sie den Gender-Aktionsplan fortsetzen und, wie ich hoffe, auch weiterführen; denn wir
haben gerade heute im Rahmen unserer Sitzung gehört,
dass beispielsweise die EU gemeinsam mit Afrika dem
Thema Gender höchste Priorität zuerkannt hat. Insofern
kann sich die Bundesregierung, wahrscheinlich auch in
Zukunft, gar nicht von diesen Gender-Aktionsplänen
verabschieden.
Spannend ist aber auch hier wieder die Frage nach
dem Geld, wie immer, wenn es um die Unterstützung
von Projekten geht. Wenn ich es richtig in Erinnerung
habe, standen hierfür bisher immer 60 Millionen Euro
zur Verfügung. Wird die Bundesregierung weiterhin
Mittel in dieser Größenordnung zur Verfügung stellen,
damit man wenigstens die bisherige Quantität und, wie
ich hoffe, auch Qualität erreicht?
Frau Kollegin Roth, wir sind uns völlig einig, dass
wir nach wie vor unser Augenmerk auf die Gender-Betrachtung und -Förderung, die je nach Konfliktlage und
Situation in den Ländern immer wieder neue Facetten
aufwirft, richten werden.
Die 60 Millionen Euro, die Sie eben angesprochen
haben, kann ich Ihnen im Moment nicht sicher bestätigen, weil ich die endgültigen Haushaltszahlen nicht
kenne. Da bitte ich Sie um etwas Geduld; innerhalb der
nächsten anderthalb Tage kann ich Ihnen das genau sagen.
Damit rufe ich die Frage 9 der Kollegin Heike Hänsel
auf:
Weshalb wurde vonseiten des Bundesministeriums für
wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, BMZ, entschieden, den „Plan zur integralen Konsolidierung der Macarena“ der kolumbianischen Regierung finanziell zu unterstützen, obwohl ein BMZ-Papier vom 13. Oktober 2010 in der
Bewertung des Projektes vor der „lokalen Sicherheitslage“
warnt und feststellt, dass die Bevölkerung „das Programm
eher als militärisches denn ziviles wahrnimmt“ und dadurch
auch die Reputation der deutschen Entwicklungszusammenarbeit als unabhängigem Akteur durch die Assoziierung mit
den Sicherheitskräften leiden könnte?
Frau Staatssekretärin, bitte.
Herzlichen Dank für diese Frage. - Das Thema hat
beim Besuch des Ministers in Kolumbien auch in der Öffentlichkeit eine Rolle gespielt, sodass ich Ihnen heute
sagen kann, dass die Unterstützung der Erstellung eines
Raum-/Umweltordnungsplans im Rahmen des Plans zur
integralen Konsolidierung der Macarena durch deutsche
TZ-Beratung zum Ziel hat, zur Lösung der Landproblematik und damit zur Schaffung der notwendigen Voraussetzungen für die angestrebte Landtitelvergabe
beizutragen. Die deutsche TZ ist auf Zonen mit hoher
Konsolidierung begrenzt. Die wesentlichen Tätigkeiten
werden in der Departementhauptstadt stattfinden, die befriedet ist. Die Präsenz der deutschen Entwicklungszusammenarbeit wird von der lokalen Bevölkerung begrüßt, weil sie dazu beitragen kann, bezüglich der
Situation in der Region für mehr Öffentlichkeit zu sorgen.
Frau Kollegin, Ihre Nachfrage.
Danke schön. - Frau Staatssekretärin, Sie haben es erwähnt: Die Unterstützung dieses Plans zur integralen
Konsolidierung ging durch die Medien und hat bei vielen Menschenrechtsorganisationen und kirchlichen
Hilfsorganisationen Aufsehen erregt und auch Kritik
hervorgerufen; sie haben darauf hingewiesen, dass die
Region, in der dieses Projekt ausgeführt werden soll,
konfliktreich ist. Dort sind Guerillakämpfer, paramilitärische Kämpfer, aber auch die kolumbianische Armee
aktiv, und allen werden Menschenrechtsverletzungen
vorgeworfen. Unter anderem geht es um 446 Leichen,
die dort gefunden wurden und bei denen die Todesursache noch nicht aufgeklärt ist. Die Armee sagt, dass dies
im Kampf getötete Menschen seien. Zwei Menschenrechtsaktivistinnen, die das erforschen wollten, wurden
im August dieses Jahres dort ermordet. Es ist also eine
hochexplosive Region. Nichtregierungsorganisationen
werfen Ihnen vor, damit die Aufstandsbekämpfung in
der Region zu unterstützen.
Meine Frage ist: Der Plan zur integralen Konsolidierung, an dem sich die Bundesregierung beteiligt, ist ein
zivil-militärisches Projekt, an dem auch das Verteidigungsministerium und andere Sicherheitskräfte, der Geheimdienst, mitwirken. Wie können Sie das angesichts
der massiven Menschenrechtsverletzungen, die auch der
kolumbianischen Armee vorgeworfen werden, verantworten?
Frau Kollegin Hänsel, ich weise Ihre Darstellung zurück, die Bundesregierung würde sich hier an der militärischen Niederschlagung von Aufständischen beteiligen.
({0})
Das ist absolut nicht der Fall.
Ich verweise darauf - das hat auch Bundesminister
Niebel getan, unter anderem in verschiedenen Presseäußerungen -, dass die neue Regierung Santos gerade einmal circa 100 Tage im Amt ist. Diese Regierung hat
glaubwürdig dargestellt - das hat auch der Minister berichtet -, dass sie den sozialen Ausgleich in den Vordergrund des Handelns stellt. Es geht bei diesem Projekt
darum, die Voraussetzungen für Landtitelvergabe zu
schaffen; denn wir können alle davon ausgehen, dass
Ländereien für die Menschen im ländlichen Bereich
nicht zur Verfügung stehen. Ich kann Ihnen sagen: Nach
der Abreise des Ministers hat es eine Gruppe um den
Botschafter gegeben - Polizeikräfte, NGOs vor Ort, Bürger, Rechtsexperten -, die Gespräche geführt und übereinstimmend gesagt hat, dass dies ein sinnvolles Projekt
ist.
Ich kann Ihnen ankündigen, dass BMZ und AA in wenigen Tagen einen gemeinsamen Dienstbericht vorliegen
haben werden. Wir stellen Ihnen diesen Bericht gerne
zur Verfügung, damit Sie sich selbst ein Bild darüber
machen können, was die Nachbetrachtung ergeben hat.
Haben Sie eine weitere Zusatzfrage?
Ja, ich habe eine weitere Zusatzfrage. - Sie haben
diese Gruppe erwähnt. Soviel ich weiß, waren auch Mitarbeiter des BMZ vor Ort, die unter Armeeschutz standen. Angesichts der Tatsache, dass die Bevölkerung vor
der kolumbianischen Armee Angst hat, spricht es eine
sehr deutliche Sprache, dass Mitarbeiter des BMZ unter
Armeeschutz in diese Region geschickt werden. Sie werden dadurch Teil dieses Konfliktes; sie bleiben nicht
neutral.
Meine Frage ist: Wieso hat Minister Niebel schon im
September fest zugesagt, dieses Projekt zu unterstützen,
wo doch erst jetzt Mitarbeiter des BMZ vor Ort waren
und sich das angeschaut haben?
Frau Kollegin Hänsel, Sie haben schon während Ihres
Besuchs in Kolumbien - Sie haben den Minister bei seiner Reise begleiten dürfen - Pressemitteilungen veröffentlicht, die ich ausdrücklich nicht teile. Diese Mitteilungen zeigen Ihre grundsätzliche Ablehnung einer
Entwicklung, die zu einer vernetzten Sicherheit wie in
Afghanistan führt. Wir sagen: Ohne Sicherheit ist Entwicklung nicht möglich und umgekehrt. In diesem Punkt
besteht zwischen uns ein grundsätzlicher Dissens. Wir
sind der Ansicht, dass die neue Regierung die Chance
haben muss, Vertrauen aufzubauen. Vertrauen aufbauen
heißt auch, Menschen an der Entwicklung zu beteiligen.
Sie haben eben das PCIM erwähnt. In diesem Gutachten gibt es folgenden Passus - ich zitiere mit Erlaubnis
der Präsidentin -:
Die Regierung des neuen kolumbianischen Staatspräsidenten Santos scheint das Landthema entschiedener als die Vorgängerregierung angehen zu wollen. Eine neu eingerichtete Arbeitsgruppe unter
Leitung von Alejandro Reyes erarbeitet momentan
einen detaillierten Gesetzesvorschlag für die neue
Regierung, bei dem es um die Rückgabe von insgesamt 2 Millionen Hektar Land an Vertriebene gehen
soll. Dabei geht es unter anderem auch um die
Rückgängigmachung von Enteignungen.
Weiter heißt es hier:
Auch Gesetzesprojekte zur schnelleren Beschlagnahmung von illegal erworbenem Land sollen ausgearbeitet und jetzt umgesetzt werden.
Das alles lässt den Schluss zu, dass es Möglichkeiten
gibt, hier zu einer Befriedung und zu einem vertrauensvollen Neuanfang zu kommen. Ich sage noch einmal:
Dieser Umweltplan dient ausdrücklich dazu, Landtitelvergabe überhaupt möglich zu machen, damit Entrechtete zu ihrem Recht kommen.
Der Kollege Thilo Hoppe hat nun das Wort für eine
Zusatzfrage.
Frau Staatssekretärin, wie bewerten Sie die Stellungnahme mehrerer deutscher Hilfswerke, auch kirchlicher
Hilfswerke, die sich mit den Verhältnissen in Kolumbien
gut auskennen und die eindringlich vor diesem zivilmilitärischen Engagement in der Macarena-Region gewarnt haben? Diese Organisationen werben vielmehr dafür, das respektierte und anerkannte Engagement der
deutschen Entwicklungszusammenarbeit im Justizsektor weiter auszubauen.
Herr Kollege Hoppe, das eine tun und das andere
nicht lassen. Natürlich muss es sehr viel mehr Kooperationen auch auf anderen Ebenen geben.
Es gibt natürlich Skeptiker bei den NGOs und bei den
Kirchen in Bezug auf das Thema „vernetzte Sicherheit in
Afghanistan“. Herr Minister Niebel hat im Vorfeld sorgfältig geprüft, welche Möglichkeiten es gibt, bei der
Landtitelvergabe weiterzukommen. Ich sage noch einmal: Wir schaffen die Voraussetzung dafür, dass eine
entsprechende Kartierung erstellt wird. Das dient der
Friedenssicherung und bewirkt nicht das Gegenteil.
Wir kommen zur Frage 10 der Kollegin Heike
Hänsel:
Wie ist die Aussage in dem BMZ-Papier zur Bewertung
des Macarena-Projektes vom 13. Oktober 2010 zu verstehen,
die „Erfahrungen aus der Maßnahme könnten als lessons
learnt in die Arbeit der deutschen EZ in problematischen
Sicherheitssituationen und der dortigen Schaffung von Governance-Strukturen einfließen“?
Frau Kollegin Hänsel, die deutsche EZ hat mit der
Zusammenarbeit bei der partizipativen Landnutzungsplanung international, aber auch in der genannten Region außerordentlich gute Erfahrungen gemacht. Unsere
Partner schätzen den partizipativen, auf Konsens zielenden Ansatz der deutschen EZ. Die Region La Macarena
hat hier aufgrund des Kolonialisierungsprozesses und
der bestehenden Rechtsunsicherheit eine symbolische
Bedeutung für mehrere kolumbianische Regionen mit
ähnlich gelagerten Problemstellungen. Der Plan zur integralen Konsolidierung der Macarena kann insofern als
gutes Beispiel - als lessons learnt - für andere Regionen
gesehen werden.
Haben Sie eine Zusatzfrage?
Ja.
Bitte.
Danke schön. - Frau Staatssekretärin, es war eine der
positiven Empfehlungen des BMZ, dieses umstrittene
Projekt zu fördern, weil man dabei viele Erfahrungen
- lessons learnt - für andere Konfliktregionen sammeln
kann. Dazu habe ich eine Nachfrage: Starten Sie hier sozusagen einen Versuch, auch unter Gefährdung von
Menschenleben? Aufgrund der dortigen Kämpfe befinden sich nämlich sowohl die Entwicklungshelfer als
auch die Bauern und ihre Organisationen vor Ort, mit
denen die Entwicklungshelfer kooperieren, in einer lebensgefährlichen Situation.
Nein, Frau Kollegin Hänsel. Ich sage es ausdrücklich:
Unser Ziel ist es nicht, Menschenleben zu gefährden.
Vielmehr ist es unser Ziel, die Entwicklung zu befördern.
Eine weitere Zusatzfrage.
Sie sagten, dass Sie auch in anderen Regionen Kolumbiens - es gibt sehr viele Regionen mit ähnlich gearteten Konflikten - eventuell Projekte fördern wollen.
Habe ich Sie insofern richtig verstanden, dass Sie die
Akteure der Entwicklungszusammenarbeit mehr und
mehr in diese stark kritisierten, riskanten zivil-militärischen Projekte hineinziehen wollen?
Frau Kollegin Hänsel, uns ist bewusst, dass es viele
konfliktträchtige Regionen gibt, übrigens nicht nur in
Kolumbien, sondern weltweit.
({0})
Wir, das BMZ, haben es uns zur Aufgabe gemacht, die
Entwicklung voranzutreiben, um dadurch möglicherweise Konflikte zu verhindern - auch das ist ein wichtiger Aspekt - und Regionen zu befrieden. Warten wir
doch einmal ab, wie sich dieses Projekt weiterentwickelt. Ich hoffe, dass Sie dann Ihre skeptische Haltung
aufgeben können. Ich bin mir ziemlich sicher, dass wir
hier zu mehr Entwicklung kommen und zur Vertrauensbildung beitragen können. Es ist wichtig, an dieser Stelle
neue Wege zu gehen. Noch einmal: Das BMZ hält dieses
Projekt für geeignet, um die Entwicklung zu befördern.
Damit sind wir am Ende dieses Geschäftsbereichs. Frau Staatssekretärin, ich bedanke mich für die Beantwortung der Fragen.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Auswärtigen Amtes auf. Für die Beantwortung steht Frau Staatsministerin
Cornelia Pieper zur Verfügung.
Wir kommen zunächst zur Frage 11 des Kollegen
Wolfgang Gehrcke:
Auf welche Faktoren führt es die Bundesregierung zurück,
dass ein Bericht zur Verstrickung des Auswärtigen Amts in
die Nazibarbarei erst 65 Jahre nach dem Ende der Hitlerdiktatur vorgelegt werden konnte?
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Das Auswärtige
Amt ist übrigens das erste Ressort der Bundesregierung,
das einen entsprechenden Auftrag an eine unabhängige
Historikerkommission gegeben hat. Wissenschaftliche
Darstellungen zur Rolle des Auswärtigen Amtes im Dritten Reich liegen bereits seit geraumer Zeit vor. Herr Abgeordneter Gehrcke, denken Sie bitte an die Studie The
final solution and the German Foreign Office von Christopher Browning aus dem Jahr 1978 und an den Aufsatz
Das Auswärtige Amt im Dritten Reich von Hans-Jürgen
Döscher, erschienen 1987.
Konkreter Anlass für die Vergabe des Auftrags an die
vom Auswärtigen Amt berufene unabhängige Historikerkommission war eine Debatte im Auswärtigen Amt
darüber, welche Regeln für das Gedenken an verstorbene
ehemalige Kollegen, die schon zur Zeit des Dritten Reiches im diplomatischen Dienst tätig waren, gelten sollen.
Ich glaube, es ist für alle Abgeordneten interessant,
diese Studie zu lesen. Natürlich empfehle ich Ihnen das
Werk der unabhängigen Historikerkommission.
Herr Kollege Gehrcke, bitte.
Ich bedanke mich für die Literaturempfehlung. Ich
kann sie an alle Kolleginnen und Kollegen weitergeben.
Ich habe das Buch gelesen und bin wie Sie der Auffassung, dass es zur Pflichtlektüre aller Abgeordneten des
Deutschen Bundestages gehören sollte. Durch die Lektüre wird man klüger, aber auch ein bisschen nachdenklich.
Jetzt meine Frage, die Sie vielleicht vorausgeahnt haben: Da ich davon ausgehe, dass auch Sie das Buch gelesen haben, frage ich, ob Sie anderen Ministerien, zum
Beispiel dem Bundesministerium der Verteidigung,
empfehlen würden, eine ähnliche Studie unabhängiger
Historiker in Auftrag zu geben. Dies ist schließlich nicht
nur ein Thema des Auswärtigen Amtes, sondern auch
des Verteidigungsministeriums und anderer Ministerien.
Herr Abgeordneter Gehrcke, ich möchte festhalten,
dass der Bundesaußenminister direkt nach Veröffentlichung dieser Studie gesagt hat, dass sie selbstverständlich zur normalen Ausbildungslektüre zukünftiger Diplomaten gehören wird. Das soll an dieser Stelle noch
einmal erwähnt werden. Ich halte das für richtig. - Die
Abgeordneten sind frei in ihrer Entscheidung, aber, wie
ich glaube, auch so verantwortungsbewusst, dass sie
diese Studie lesen werden.
Was war die zweite Frage? Entschuldigung!
Das macht nichts. Wenn sie mir nicht angerechnet
wird, wiederhole ich sie gerne. Ich habe gefragt, ob Sie
anderen Ministerien, zum Beispiel dem Verteidigungsministerium, empfehlen können, eine ähnliche Studie
unabhängiger Historiker in Auftrag zu geben.
Ich glaube, dass die Ministerien selbst wissen, dass
sie aufgrund der deutschen Vergangenheit verantwortungsvoll mit der Geschichte Deutschlands umgehen
sollten. Ich bin in Kenntnis darüber, dass einige Bundesministerien darüber nachdenken, in der Tat Ähnliches zu
tun. Wenn ich es richtig in Erinnerung habe, denkt das
Bundesfinanzministerium ernsthaft darüber nach. Zur
Geschichte des Finanzministeriums zur Zeit des Nationalsozialismus gab es, wie Sie wissen, schon Veröffentlichungen. Selbstverständlich entscheidet das aber jedes
Ressort für sich.
Ich kann es nur begrüßen, wenn Sie, Herr Gehrcke,
als Abgeordneter der Fraktion Die Linke die Aufarbeitung der Vergangenheit einfordern. Das gilt natürlich für
die gesamte Geschichte unseres Landes, insbesondere
für die Zeit des Nationalsozialismus, aber eben auch für
die Zeit der DDR-Diktatur. Ich wünsche mir manchmal
mehr Offenheit und Bereitschaft der Fraktion Die Linke,
wenn es darum geht, sich diesen Fragen zu stellen.
({0})
Haben Sie eine weitere Zusatzfrage?
Wenn ich mir dazu eine Bemerkung erlauben darf.
Sie haben das Wort zu einer weiteren Zusatzfrage.
Ich glaube, dass ich mehr gegen und über den Stalinismus geschrieben habe, als Sie gelesen haben. Das will
ich einfach einmal so in den Raum stellen.
Ich will noch einmal nachfragen. Warum ist es eigentlich nicht möglich, dass das Außenministerium der Geschichte der Widerstandskämpfer, die es auch in diesem
Ministerium gegeben hat, in einer aufklärerischen und
würdigen Art und Weise nachgeht? Das habe ich nie verstanden. Im Bericht wurden einige Schicksale, einige
Biografien genannt. Ich erwarte, dass das Außenministerium überlegt, wie es diese Personen würdigen kann.
Herr Abgeordneter, Sie sagten, dass Sie das Gutachten gelesen haben. Ich darf Sie daran erinnern, dass Sie
darin lesen können, dass in der Anfangsphase des Auswärtigen Amtes, im Jahr 1951, etwa jeder Fünfte im höheren Dienst ein Verfolgter des Naziregimes war. Ich
könnte jetzt einzelne Namen aufführen, will aber nur ein
Beispiel nennen, den Diplomaten Georg Ferdinand
Duckwitz, der für seinen Einsatz zur Rettung der dänischen Juden in Yad Vashem als Gerechter unter den Völkern geehrt wird. Ich glaube, es gibt noch mehr Beispiele. Natürlich gedenken wir im Auswärtigen Amt
dieser Widerstandskämpfer.
Ich rufe die Frage 12 des Kollegen Wolfgang Gehrcke
auf:
Welche Erkenntnisse liegen der Bundesregierung vor, wie
es möglich war, dass zahlreiche, auch hohe, Beamte des Auswärtigen Amts Nazideutschlands, von dem der Leiter der
Kommission, der Historiker Professor Dr. Eckart Conze
meint, man könne es als „verbrecherische Organisation“ bezeichnen, nach 1945 weiter bzw. wieder im Auswärtigen
Dienst der Bundesrepublik Deutschland tätig werden konnten?
Herr Abgeordneter, die Frage ist ähnlich gelagert wie
die vorhergehende: Die Studie Das Amt und die Vergangenheit. Deutsche Diplomaten im Dritten Reich und in
der Bundesrepublik fasst aus meiner Sicht die wesentlichen Erkenntnisse, die zu dieser Frage vorliegen, zusammen. Ich sage es noch einmal: Jeder Abgeordnete kann
das Gutachten, das in einem Buch zusammengefasst ist,
lesen.
Erste Zusatzfrage.
Frau Staatsministerin, kann es sein, dass nach 1945
gezielt Seilschaften, alte Verbindungen, dazu genutzt
wurden, dass man sich an ehemaligen Wirkungsstätten
wiedergetroffen und die Arbeit fortgesetzt hat? Es ist
doch kein Zufall, dass sich so viele nazibelastete Personen dann im Auswärtigen Amt wiedergefunden haben.
({0})
Frau Staatsministerin, Sie haben das Wort.
Danke schön. - Bei aller Wertschätzung, Herr Abgeordneter, sollten wir jetzt nicht an dieser Stelle Historikerdebatten über Details führen. Wir werden diese
ganz bestimmt führen und auch im Auswärtigen Amt
fortsetzen. Auch die Forschungen zu diesen Fragen werden natürlich fortgesetzt. Das wird von unserem Haus
vorangetrieben; darin können Sie sicher sein. Ich bitte
einfach, das Buch noch einmal zur Hand zu nehmen. Da
werden Sie alle Antworten auf Ihre Fragen finden.
Haben Sie eine weitere Zusatzfrage? - Bitte.
Ich weiß ja, Sie sind im Bilde. Das bin ich auch, zumindest manchmal. Ich will Sie nur beruhigen. Der Kollege Mißfelder und ich haben vorgeschlagen, dass sich
die Kolleginnen und Kollegen des Auswärtigen Ausschusses mit diesem Bericht genauestens befassen. Dann
wird man in aller Öffentlichkeit - auch hier im Plenum Fragen erörtern müssen. Wir sind zwar keine Historiker,
haben aber politische Schlussfolgerungen zu ziehen.
Letzte Frage. Meinen Sie nicht auch, dass eine der
Schlussfolgerungen sein müsste, dass das Auswärtige
Amt nicht mehr eigenständig ein Archiv führt, sondern
dass dieses Archiv in den Archiven anderer Ministerien
aufgeht?
Ich denke, dass die Studie, die jetzt veröffentlich
wurde - sie wurde übrigens von Bundesaußenminister
Westerwelle persönlich am 28. Oktober vorgestellt -, natürlich Motivation und Anregung für andere Ministerien
ist. Im Übrigen bin ich gerne bereit, an der Diskussion
im Auswärtigen Ausschuss, wenn sie geführt wird, teilzunehmen.
Frau Staatsministerin, ich bedanke mich für die Beantwortung der Fragen.
Die Fragen 13 und 14 des Kollegen Dr. Rolf Mützenich,
die Fragen 15 und 16 des Kollegen Klaus Barthel sowie
die Frage 17 des Kollegen Volker Beck werden schriftlich beantwortet.
Dann kommen wir zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums des Innern. Für die Beantwortung steht
Herr Parlamentarischer Staatssekretär Dr. Christoph
Bergner zur Verfügung.
Die Frage 18 des Kollegen René Röspel, Frage 19 des
Kollegen Hans-Christian Ströbele sowie die Fragen 20
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt
und 21 des Kollegen Gustav Herzog werden schriftlich
beantwortet.
Ich rufe die Frage 22 der Kollegin Waltraud Wolff
auf:
Ist es richtig, dass es in der EU-Ratsarbeitsgruppe zwischen
den Mitgliedstaaten unterschiedliche Auffassungen zur Frage
gibt, ob die Erfahrungen mit den Safe-Harbor-Grundsätzen
zum Gegenstand der derzeitigen Verhandlungen über ein allgemeines Datenschutzabkommen zwischen den USA und der EU
gemacht werden sollen, und wie hat sich die Bundesregierung
in der Ratsarbeitsgruppe zu dieser Frage positioniert?
Herr Staatssekretär, bitte.
Frau Kollegin Wolff, ich beantworte Ihre Frage wie
folgt: Die EU-Ratsarbeitsgruppe „Datenschutz und Informationsaustausch“ hat sich auf ihrer Sitzung am
1. Oktober dieses Jahres mit dem Thema des EU-USDatenschutzabkommens für den Bereich polizeilicher
und strafjustizieller Zusammenarbeit befasst. Diskutiert
wurde unter anderem die Frage, ob das Abkommen auch
für Daten gelten solle, die nicht im Rahmen der Zusammenarbeit von Strafverfolgungsbehörden, sondern von
Privaten an Private unter Einhaltung der Safe-HarborGrundsätze übermittelt und sodann in den USA von den
Strafverfolgungsbehörden beschlagnahmt werden.
Die Bundesregierung hat sich neben einer Reihe anderer Mitgliedstaaten gegen eine derartige Erweiterung
des Anwendungsbereichs des Abkommens ausgesprochen. Ziel des Datenschutzabkommens für Polizei und
Strafjustiz ist es, hohen, angemessenen Schutz für polizeiliche und justizielle Daten auch dann sicherzustellen,
wenn sie mit den USA ausgetauscht werden. Die Bundesregierung ist der Auffassung, dass die Verhandlungen
erheblich erschwert würden und dieses Ziel gefährdet
würde, wenn weitere Daten in den Anwendungsbereich
einbezogen werden.
Eine Nachfrage, Frau Kollegin? - Nein.
Dann kommen wir zur Frage 23 der Kollegin
Waltraud Wolff:
Wie steht die Bundesregierung zu der von der EU-Kommission am 4. November 2010 angekündigten neuen Strategie
im Datenschutzrecht, und unterstützt die Bundesregierung die
EU-Kommission in dem darin enthaltenen Ziel, dasselbe Datenschutzniveau bei der Zusammenarbeit mit Drittstaaten wie
innerhalb der EU anzustreben und sich weltweit für hohe Datenschutzstandards einzusetzen?
({0})
- Ich darf bitten, dass die Gespräche ein bisschen leiser
geführt werden. - Danke.
Herr Staatssekretär, Sie haben das Wort.
Frau Kollegin Wolff, ich beantworte die Frage wie
folgt: Die Bundesregierung begrüßt die Pläne der Europäischen Kommission, eine umfassende Regelung zum
Datenschutz innerhalb der Europäischen Union und in
ihren Beziehungen zu Drittstaaten zu entwickeln. Die
vorgestellte Strategie wird derzeit geprüft. Ein moderner
Datenschutz ist in der heutigen Informationsgesellschaft
von besonderer Bedeutung. Deshalb sollte ein hohes Datenschutzniveau auf europäischer Ebene und weltweit
weiterhin unser gemeinsames Ziel sein.
Eine Zusatzfrage, Frau Kollegin? - Bitte sehr.
Herr Staatssekretär, vielen Dank. - Gerade weil Sie in
der Antwort auf die vorhergehende Frage den Unterschied zwischen Polizei und Strafverfolgung auf der einen Seite und Privatpersonen auf der anderen Seite deutlich gemacht haben, frage ich jetzt: Wie haben Sie sich
in diese Ratsarbeitsgruppe eingebracht? Wie möchte die
Bundesregierung vorgehen, um zu einem nicht nur in
Europa, sondern weltweit geltenden Datenschutz im
Sinne der Verbraucherinnen und Verbraucher zu kommen?
Frau Kollegin, ich habe versucht, in meiner Antwort
auf Ihre vorherige Frage darauf hinzuweisen, dass wir
uns zusammen mit anderen Mitgliedstaaten dafür ausgesprochen haben, zunächst einmal - unabhängig von allen
anderen Bemühungen um umfänglichen Datenschutz das Abkommen abzuschließen, das das Schutzniveau
polizeilicher und staatsanwaltschaftlicher Daten - auch
im Austausch mit den USA - sichert. Ferner sind wir natürlich aktiv an der Überarbeitung und Fortschreibung
der entsprechenden EU-Datenschutzrichtlinie beteiligt,
die das Ziel verfolgt, das Sie beschrieben haben.
Haben Sie eine weitere Zusatzfrage? - Bitte.
Dann dürfen wir davon ausgehen, dass das Innenministerium demnächst entsprechende Vorlagen für den
Deutschen Bundestag haben wird?
Dies richtet sich nach dem Stand der Verhandlungen.
Ich habe bereits in anderem Zusammenhang gesagt, dass
unser Haus Art. 23 Abs. 2 des Grundgesetzes und die
sich daraus ergebenden Informationspflichten gegenüber
dem deutschen Parlament sehr ernst nimmt.
Ich rufe Frage 24 der Kollegin Sevim Dağdelen auf:
Wie ist der Widerspruch zu erklären, dass der Bundesminister des Innern, Dr. Thomas de Maizière, am 27. Oktober
2010 sagte ({0}), dass es im Zusammenhang der Frage, ob Personen einer Verpflichtung zum
Integrationskurs nachkommen, „offensichtlich ein VollzugsVizepräsidentin Gerda Hasselfeldt
defizit“ gebe, während der Parlamentarische Staatssekretär
Dr. Christoph Bergner nur wenig später ausführte ({1}), dass es noch einer eingehenderen
Analyse bedürfe, inwieweit überhaupt „ausländerbehördliche
Vollzugsdefizite“ vorlägen, und wie ist inzwischen der aktuelle Stand der diesbezüglichen Analyse des Bundesministeriums des Innern?
Frau Kollegin Dağdelen, ich beantworte Ihre Frage
wie folgt: Zwischen den beiden von Ihnen zitierten Äußerungen besteht kein Widerspruch. In meiner Antwort
auf Ihre Frage 12 in der Fragestunde am 27. Oktober
2010 habe ich nicht verneint, dass es ein Vollzugsdefizit
gibt; Sie werden sich vielleicht daran erinnern. Ich habe
durch meine Formulierung darauf hingewiesen, dass
derzeit noch offen ist, inwieweit es ein Vollzugsdefizit
gibt und inwieweit es für die Nichtteilnahme eines verpflichtenden Integrationskurses nachvollziehbare rechtliche oder praktische Gründe gibt. Hierauf hat auch der
Bundesminister des Innern in seiner Stellungnahme hingewiesen.
Die in Ihrer Frage angesprochenen Ergebnisse der
Länderumfrage über solche Defizite liegen mittlerweile
vollständig vor. Aus ihnen lässt sich bereits jetzt ableiten, dass es Defizite bei der Anwendung der gesetzlichen
Sanktionsinstrumente gibt. Die Umfrageergebnisse wird
der Bundesminister des Innern im Rahmen der Innenministerkonferenz mit seinen Länderkollegen besprechen. Im Anschluss daran wird eine abschließende Bewertung der Ergebnisse erfolgen.
Haben Sie eine Nachfrage? - Bitte.
Vielen Dank, Herr Staatsekretär. - Meine Frage zielt
vor allen Dingen darauf ab, weshalb seitens des Bundesinnenministers und des Bundesinnenministeriums in den
letzten Wochen und Monaten in der Öffentlichkeit der
Eindruck erweckt wurde, es gäbe eine Integrationskursverweigerung in einem nennenswerten Umfang, aufgrund derer es Gesetzesverschärfungen und noch stärkere Sanktionen bzw. eine Prüfung der Sanktionen
gegenüber Migrantinnen und Migranten geben müsste,
obwohl offenkundig ist, dass es keine entsprechenden
Zahlen gibt. Das haben in den letzten Wochen sehr viele
Zeitungen deutlich gemacht.
Staatssekretär Dr. Ole Schröder beantwortete am
3. November dieses Jahres schriftlich bisher unbeantwortet gebliebene mündliche Fragen von mir. Demnach
haben immerhin fünf Bundesländer, darunter NordrheinWestfalen, erklärt, dass von aufenthaltsrechtlichen Sanktionen deshalb kein Gebrauch gemacht wurde, weil es
im Zusammenhang mit der Integrationskursteilnahme
kein vorwerfbares Verweigerungsverhalten in nennenswertem Umfang gibt.
({0})
Ich nehme an, dass Ihnen die Zahlen aus den Ländern
bekannt sind und Sie wissen, dass sich die anderen Länder nicht klar geäußert haben. Deshalb lautet meine
Frage: Wie viele bzw. welche Bundesländer haben dem
Bundesinnenministerium mitgeteilt, dass sie in nennenswertem Umfang Erkenntnisse über ein vorwerfbares
Verweigerungsverhalten im Zusammenhang mit der Integrationskursteilnahme haben?
Frau Kollegin, ich möchte zunächst einmal begründen,
warum unser Haus eine solche Verweigerungshaltung zumindest für überprüfungswürdig hält. Auf der einen Seite
nehmen 20 Prozent der zur Teilnahme Verpflichteten
nicht an einem Integrationskurs teil; das ist eine Angabe
des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge. Auf der
anderen Seite gibt es eine relativ geringe Zahl von Sanktionen. Durch eine Befragung der Länder wollten wir die
Gründe für diese Diskrepanz herausfinden.
({0})
Ich bitte um Verständnis, dass ich zum gegenwärtigen
Zeitpunkt, bevor der Minister die Umfrageergebnisse gemeinsam mit seinen Kollegen aus den Ländern ausgewertet und erörtert hat, nicht zu Ihrer Frage Stellung
nehmen möchte. Dies ist ein Verfahrenserfordernis, das
ich einzuhalten gedenke. Man muss zunächst einmal mit
den Ländern sprechen.
Haben Sie eine weitere Nachfrage?
Ja, Frau Präsidentin. - Wenn Sie die Beteiligung der
Bundesländer abwarten wollen, ist das ganz in meinem
Sinne, Herr Staatssekretär, auch wenn wir Sie bereits vor
Monaten gepiesackt und von Ihnen gefordert haben, eine
Länderabfrage durchzuführen.
Da dem Bundesinnenministerium aber seit über einer
Woche die Stellungnahmen aller Bundesländer zur
Sanktionspraxis bei Integrationsverweigerung vorliegen,
möchte ich Sie gerne fragen, wann mir diese Auskünfte
und Daten, so lückenhaft sie auch erscheinen mögen,
entsprechend meiner parlamentarischen Initiative und
meiner parlamentarischen Rechte endlich zur Verfügung
gestellt werden. Ich habe diese Auskünfte in der Kleinen
Anfrage auf Drucksache 17/3147 erbeten und der Bundesregierung für die Beantwortung meiner Fragen ausdrücklich eine Fristverlängerung eingeräumt. Die Bundesregierung hat mir die entsprechenden Informationen
aber nicht zur Verfügung gestellt.
Frau Kollegin, ich bitte um Verständnis - ich kann das
gerne nachreichen -, dass ich den Zeitpunkt, wann der
Minister diesen Tagesordnungspunkt mit den Innenministern der Länder erörtern wird - ich vermute, dies
wird im Rahmen der Innenministerkonferenz geschehen -,
nicht nennen kann.
({0})
Ich denke, im Anschluss daran haben wir eine hinreichend gute Grundlage, um Ihrem Auskunftsbedürfnis
nachzukommen.
Frau Jelpke, bitte sehr.
Herr Staatssekretär Bergner, wenn Ihnen diese Zahlen
bereits vorliegen und Sie im Hinblick auf die Beantwortung der Fragen eine Fristverlängerung beantragt haben,
verstehe ich nicht, wieso wir die Informationen nicht bekommen, bevor die Innenministerkonferenz stattfindet.
Wie Sie wissen, wird sie am kommenden Wochenende
stattfinden, und ein breites Spektrum von Initiativen, insbesondere Migranten- und Flüchtlingsorganisationen,
wird vor Ort demonstrieren. Ich verstehe nicht, warum
Sie uns diese Informationen vorenthalten. Auch die Initiativen sind an den Antworten auf diese Fragen sehr interessiert.
Im Übrigen kann ich nicht nachvollziehen, dass man
Sanktionen gegen Integrationsverweigerer ankündigt,
sich danach aber erst einmal informieren muss, ob es
überhaupt Fälle der Integrationsverweigerung gibt. Das,
was Sie vortragen, ist sehr widersprüchlich. Ich denke,
es ist unser parlamentarisches Recht, diese Informationen zu bekommen.
({0})
Frau Kollegin, ich habe nie einen Zweifel daran gelassen, dass wir unseren Auskunftspflichten nachkommen.
({0})
Ich will noch einmal darauf hinweisen, dass es sich hier
aus meiner Sicht um ein Verfahrenserfordernis handelt.
Es geht um Daten und ihre Bewertung. Eine solche Bewertung sollte erst nach Rücksprache mit den Verfahrensbeteiligten und ihrer Anhörung erfolgen. Dies steht
noch aus.
Eine weitere Zusatzfrage hat der Kollege Kilic.
Herr Staatssekretär, der Herr Innenminister hat vor
circa drei Wochen auf meine Frage schriftlich geantwortet, dass das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge
keine statistischen Daten im Hinblick auf Integrationskursverweigerer erhebt. Sie aber werfen hier mit Zahlen
um sich, die offenbar gar nicht vorliegen. Haben Sie
zwischendurch höchstpersönlich eine Blitzumfrage
durchgeführt, oder wie soll ich mir das erklären?
Ich habe mich hier mit den 20 Prozent auf eine mir
vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge zugeleitete Auskunft berufen. Diese Auskunft ist gewissermaßen keine amtliche Auskunft über das Ausmaß der Verweigerung, an Integrationskursen teilzunehmen, sondern
sie dient nur als Beschreibung der Größenordnung,
durch die deutlich gemacht wird, dass wir hier nicht irgendeinem Phantom hinterherlaufen, sondern dass das
tatsächlich ein Punkt ist, mit dem wir uns auseinandersetzen müssen.
Frau Kollegin Dittrich hat das Wort für eine weitere
Zusatzfrage.
Ich habe eine Nachfrage zum Auskunftsrecht der Parlamentarier. Bitte nennen Sie uns doch einmal die Verfahrenserfordernisse, die Sie sehen, und sagen Sie uns,
ob diese ausreichen, die Abgeordneten nicht zu informieren, obwohl bereits mehrere Anfragen gestellt wurden. Sie sind nicht nur gegenüber den Bundesländern informationspflichtig, sondern Sie sind dies zuallererst
gegenüber den Abgeordneten hier, die die Bundesregierung kontrollieren. Warum bekommen wir diese Antworten nicht sofort?
({0})
Frau Kollegin, ich habe noch einmal deutlich gemacht, dass es sich hier um die Bewertung von Antworten handelt, die die Länder gegeben haben. Ich halte es
für ein normales Verfahrenserfordernis, dass man bei der
Bewertung einer Auskunft, die man von einem Dritten
eingeholt hat, dem Dritten auch die Möglichkeit zur
Stellungnahme gibt und ihm Gehör schenkt.
Damit haben wir den zeitlichen Rahmen der Fragestunde mehr als ausgeschöpft.
Herr Staatssekretär, ich danke Ihnen für die Beantwortung der Fragen. Die noch nicht beantworteten Fragen werden schriftlich beantwortet.
Nun rufe ich den Zusatzpunkt 1 auf:
Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktionen CDU/CSU, FDP,
DIE LINKE und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Demonstrationen und Vorgänge beim Castortransport
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt
Ich eröffne die Aussprache. Als erster Redner hat der
Bundesminister des Innern, Dr. Thomas de Maizière, das
Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Nach
dem Castortransport gelten meine ersten Worte unserer
Polizei. Allen Polizisten, denen der Bundespolizei und
denen der Landespolizeien, danke ich für ihren kräftezehrenden Einsatz. Sie hatten einen gesetzlichen Auftrag, und sie haben ihn besonnen und konsequent erfüllt.
Sie wurden beschimpft, bespuckt und angegriffen, aber
sie haben sich dadurch nicht aus der Ruhe bringen lassen. Ihnen allen gelten der Dank und die Anerkennung
der Bundesregierung, mein persönlicher Dank und mein
Respekt für ihren Einsatz und für ihr Augenmaß, mit
dem sie diese kritischen Situationen gemeistert haben.
({0})
Es waren übrigens auch Polizisten aus sozialdemokratisch regierten Ländern dabei.
({1})
Einige Bemerkungen zu den Kosten. Der ehemalige
Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland Gerhard
Schröder hat am 26. April 2001 einen Brief an den damaligen Ministerpräsidenten des Landes Niedersachsen,
Sigmar Gabriel, gerichtet, der in zweierlei Hinsicht interessant ist. Die erste Passage, die ich vorlese, lautet: Das
Land Niedersachsen trägt alleine die mit der Rückführung der Glaskokillen verbundenen besonderen Belastungen. Gorleben wird auf absehbare Zeit das einzige
Zwischenlager für die Glaskokillen bleiben. Die Bundesrepublik Deutschland ist völkerrechtlich zur Rücknahme der Glaskokillen aus der Wiederaufbereitung im
Ausland verpflichtet. Deshalb sind Castortransporte
nach Gorleben weiterhin notwendig. - Das war die erste
Aussage.
({2})
- Sie sagen, dass das alles stimmt. Ich bin froh, dass wir
hier einen Konsens haben. Darauf kommen wir sicher
zurück.
Ich zitiere weiter: Vor diesem Hintergrund wird der
Bund ohne die Anerkennung von Rechtspflichten den
Anspruch auf die Erstattung der einsatzbedingten Mehrkosten des Bundesgrenzschutzes nicht geltend machen. Das galt und gilt bis heute. Der Bund wird dem Land
Niedersachsen keine Rechnung schicken.
({3})
- Ich denke, das ist eine Information, die für das Land
Niedersachsen nicht irrelevant ist. Sie wird es freuen.
({4})
Jetzt ein paar politische Bemerkungen, zuerst zu
Herrn Gabriel, der damals Ministerpräsident war. Herr
Gabriel hat gestern gesagt - ich habe das als Anerkennung verstanden -, es gebe eine neue Qualität des Widerstandes.
({5})
Nicht Quantität, sondern Qualität! Was meint er damit?
Meint er damit, dass Polizisten bespuckt und beschimpft
werden?
({6})
Meint er damit, dass Polizisten und Wasserwerfer mittels
Pyrotechnik und anderer gefährlicher Gegenstände angegriffen werden? Meint er damit, dass im Bereich
Leitstade Beamte angegriffen werden, dass das Einsatzfahrzeug in Brand gesetzt wird und dass die Beamten in
Lebensgefahr gebracht werden? Meint er damit, dass ein
Polizeibeamter durch einen Schlag mit einem Ast in den
Kopf-Nacken-Bereich schwer verletzt wurde?
({7})
Er liegt jetzt mit Verdacht auf Gehirnquetschung oder
Gehirnerschütterung im Krankenhaus.
Meint er damit, dass durch Ankettaktionen weitab
von Lüneburg - zum Teil deutschlandweit - die Bahnstrecken stillgelegt wurden? Meint er damit, dass Signalverbindungen zerstört wurden mit der Folge, dass Fahrten auf Sicht notwendig waren, die eine erhebliche
Gefährdung für den Bahnverkehr und einen großen Zeitverlust mit sich brachten? Oder meint er damit, dass
frühzeitig Straßen unterhöhlt wurden, sowie das Anrennen von Störern gegen die Bahnstrecken zwecks „Schottern“?
Die Qualität, die er meint, kann sich nicht auf die
Zahl der Demonstranten beziehen, sondern auf ein anderes Vorgehen der Demonstranten.
({8})
Deswegen ist die Anerkennung einer solchen Qualität
von Demonstrationen unerhört und, wie ich finde,
falsch.
({9})
Jetzt komme ich zu den Linken. Wissen Sie, was ich
hier in der Hand halte? - Das ist ein Auszug eines Internetaufrufs. Darin heißt es - ich zitiere -:
Castor Schottern? Wir machen mit! Damit Castor
Schottern ein Erfolg wird, wollen wir viele werden.
Unterstützt mit Eurem … Namen die Aktion und
unterzeichnet die Absichtserklärung von Castor
Schottern.
Das ist ein Aufruf zu einer Straftat. Unterzeichnet wurde
er von elf Abgeordneten dieses Hauses von der Fraktion
der Linken.
({10})
Ich finde, da hört es auf. Welches demokratische Verständnis haben Bundestagsabgeordnete dieses Hauses,
wenn sie andere zu einer Straftat aufrufen?
({11})
Jetzt komme ich zu Frau Roth. Frau Roth hat der Süddeutschen Zeitung gesagt: „Die Polizei muss das Demonstrationsrecht schützen und nicht behindern.“ Wo ist
denn der Anlass für diesen Satz? Andere aus dem grünen
Bereich haben beide Seiten zur Gewaltlosigkeit aufgefordert. Was soll denn diese Gleichsetzung? Als ob irgendein Polizist, der eine Demonstration schützt, die
Absicht hat, Gewalt anzuwenden! Die Strategie der Polizei ist deeskalativ. Sie reagiert auf die Gewalt von anderen. Eine gleichzeitige Aufforderung an Polizei und Demonstranten, keine Gewalt anzuwenden, weise ich für
die deutsche Polizei zurück.
({12})
Herr Trittin, Sie haben 2001 inständig darum gebeten,
den Atommülltransporter passieren zu lassen. Ich zitiere:
Nur weil jemand seinen Hintern auf die Straße
setzt, finden wir das noch nicht richtig.
Das haben Sie als Umweltminister am 28. Januar 2001
an die niedersächsischen Kreisverbände der Grünen geschrieben. Die Voraussetzungen für den Transport seien
politisch und rechtlich gegeben. Offenbar sind für die
Grünen Castortransporte nur dann gut, wenn sie in der
Regierung sind. Das ist nicht in Ordnung.
({13})
Nun sagen manche - das ist meines Erachtens der entscheidende Punkt, und das werde ich auch gegenüber
dem Vorsitzenden der Gewerkschaft der Polizei ansprechen -, wegen der Laufzeitverlängerung habe die Bundesregierung diese Demonstrationen quasi provoziert.
({14})
Wer so etwas beschließe, dürfe sich nicht wundern,
wenn Demonstrationen auf der Straße eskalierten. Ich
sage Ihnen dazu Folgendes - das ist für mich ein sehr
wichtiger und ernster Punkt -: Man kann zur Laufzeitverlängerung stehen wie man will,
({15})
aber eine solche Argumentation beschädigt die parlamentarische Demokratie und verletzt die Würde des Parlaments.
({16})
Ein Parlament hat das Recht, etwas Streitiges zu beschließen. Eine Opposition hat das Recht, dagegen hart
und laut zu opponieren.
({17})
- Hören Sie einen Moment zu! - Demonstranten haben
das Recht, dagegen so zahlreich und so intensiv, wie sie
es schaffen und wollen, zu demonstrieren und das im
Grundgesetz verankerte Grundrecht, sich friedlich und
ohne Waffen zu versammeln, auszuüben.
({18})
Das ist alles wahr. Darin sind wir uns einig. Aber eine
Opposition und Demonstranten haben politisch nicht das
Recht, gegen eine demokratische Entscheidung zum zivilen Ungehorsam aufzurufen.
({19})
Das ist nicht in Ordnung. Die Straße hat keine höhere
demokratische Legitimation als Parlament und Gesetz.
({20})
Die Polizei sollte und muss von allen - wo immer sie
politisch stehen - in Schutz genommen werden, wenn
sie das Recht durchsetzt und das Demonstrationsrecht
friedlicher und rechtstreuer Demonstranten schützt.
Vielen Dank.
({21})
Das Wort hat die Kollegin Kirsten Lühmann für die
SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Es fällt mir ein bisschen schwer, ruhig zu bleiben, zumal
ich etwas unter einem Schlafdefizit leide - das sehen Sie
vielleicht -, genauso wie viele Polizeibeamte und Polizeibeamtinnen, die in den letzten Tagen im Wendland
eingesetzt waren, und wie viele Protestierende.
({0})
Ich möchte den Polizisten und Polizistinnen danken, die
in diesen Tagen trotz zum Teil massiver Übermüdung
besonnen und meist professionell gehandelt haben. Ich
danke allen Protestierenden für ihre friedlichen Aktionen, für ihr Engagement und für ihre fantasievollen Aktionen.
({1})
Mein Wahlkreis Celle-Uelzen liegt neben dem Wendland, und von den bisher zwölf Castortransporten habe
ich acht persönlich miterlebt, sieben davon als Sprecherin der Polizei und den achten in diesem Jahr als Beobachterin der SPD-Bundestagsfraktion. Das heißt, dass
ich bei den letzten acht Transporten bei allen Aktionen
direkt vor Ort war. Diesmal hatte die SPD das erste Mal
ein eigenes Camp, um Menschen einen Orientierungspunkt zu bieten.
({2})
- Ich höre Ihren Protest. Haben Sie nicht Ihrem Minister
zugehört, der uns erklärt hat, warum wir dieses Camp
hatten? Er hat nämlich etwas über die Demonstrationsfreiheit erklärt.
({3})
Ich hoffe, dass Sie wenigstens ihm glauben, wenn Sie
mir schon nicht glauben.
Herr Minister, wenn Sie dem Protest der Bürgerinitiative „X-tausendmal quer“ einmal zuhören würden, wüssten Sie, dass es nicht darum geht, zu verhindern, dass
dieser Transport in das Zwischenlager kommt. Es wissen
doch alle, dass wir Abnahmeverpflichtungen haben. Es
geht darum, dass wir durch die Verzögerung des Transportes und durch den Protest auf die Gefahren aufmerksam machen, die von Atomkraft ausgehen, darauf, dass
Gorleben als Zwischenlager ungeeignet ist, und in diesem Jahr auch auf die verfehlte Energiepolitik der Bundesregierung.
({4})
Sie versuchen jetzt, diesen Protest zu kriminalisieren.
Das haben Sie eben in einer Art und Weise getan, die ich
nicht gutheißen kann. Dabei hilft Ihnen die Bild-Zeitung,
in der zu lesen ist:
Doch diesmal explodierte die Gewalt! … GewaltExzesse beim Castor-Transport stürzen das Wendland ins Chaos!
({5})
Wenn Sie das wirklich so sehen, dann darf ich einmal zitieren, was Ihr eigener Innenminister in Niedersachsen
dazu sagt; ich hoffe, dass Sie wenigstens ihm glauben.
Er sagte nämlich heute: Die Demonstrationen waren bis
zum Schluss friedlich. Die Auftaktdemonstration war
am Samstag ohne Frage ein Ausdruck des friedlichen
und offensichtlich fantasievollen Protests.
({6})
Das ist ein Zitat von Herrn Schünemann, kein Zitat von
mir.
Herr Oestmann, der Pressesprecher der Gesamteinsatzleitung, dem Sie hoffentlich auch glauben, hat vor
Ort gesagt: Es gab in diesem Jahr friedliche Proteste,
({7})
mit Ausnahme der Vorfälle in der Göhrde. Aber das kennen wir. Dort haben wir immer Probleme. Das sind aber
keine Protestierer, das sind Chaoten und Krawallmacher.
Damit werden wir fertig.
({8})
Als Letztes möchte ich den Pressesprecher der Bundespolizei Christian Poppendieck zitieren, der in Harlingen auf dem Gleis gesagt hat: Was Sie hier sehen, ist absolute bürgerliche Mitte. Hier sind Menschen wie Sie
und ich. - So viel zu dem Thema Kriminalisierung.
({9})
Es gab kriminelle Akte von etwa 300 Menschen; der
Innenminister sprach es an. Es gab 78 verletzte Polizeibeamte und Polizeibeamtinnen. Ich stelle hier - ich
glaube, im Namen aller Anwesenden - fest: Das Verletzen von Polizeibeamten und Gewaltausübung verurteilen wir alle aufs Schärfste.
({10})
Wir wünschen diesen 78 Menschen eine gute Genesung
und hoffen, dass sie bald wieder okay sind.
({11})
Sie haben aber nicht von den 10 000 Menschen geredet, die friedlich unterwegs waren, die keine Gewalt ausgeübt haben, die nicht gespuckt und nicht beleidigt haben. Die habe ich bei den großen Protestveranstaltungen
in Harlingen und in Gorleben erlebt. Fragen Sie doch
einmal Ihre Polizeibeamten. Sie werden Ihnen sagen: Es
war noch nie so friedlich, noch nie so ruhig. Es gab noch
nie eine so hervorragende Aktion wie in diesem Jahr. Die Zusammenarbeit zwischen „X-tausendmal quer“
und der Polizei ist vorbildlich gewesen. Fragen Sie doch
bitte die Einsatzleitung!
({12})
- Ja, das war er nicht; wir waren vor Ort.
Ich habe dort Menschen getroffen, die zum ersten Mal
demonstriert haben. Fragen Sie sich doch einmal, warum
sie dort waren. Ich habe nachts in Harlingen ein Ehepaar
im Alter von Mitte 50 aus Celle, meiner Heimatstadt, getroffen, das zum ersten Mal in seinem Leben auf die
Straße gegangen ist. Fragen Sie doch einmal, warum dieses Ehepaar dies getan hat und warum es das vorher
nicht für nötig gehalten hat. Jetzt war es da.
Ganz zum Schluss möchte ich auf die Bemerkung
eingehen, dass die arme Polizei nicht abgelöst werden
konnte, weil die Straße blockiert war. Ich bitte Sie! Ich
war vor Ort. Ich bin überall durchgekommen. Ich habe
Wege gefunden, die nicht blockiert waren. Ich habe Lebensmittel nach Harlingen gebracht, wo die Polizei nicht
versorgt werden konnte. Wenn Sie dort Leute einsetzen,
die sich auskennen, dann können Sie die Polizisten auch
verpflegen. Lassen Sie sich das gesagt sein.
({13})
Sie haben die Leute ohne Verpflegung gelassen.
Frau Kollegin, kommen Sie bitte zum Schluss.
Ja, ich komme zum Schluss. - Beim SPD-Camp war
eine Kontrollstelle. Diese war frei zugänglich, aber die
Leute haben nichts zu essen erhalten. Wir vom SPDCamp haben die Polizisten mit Suppe, Kaffee und Kuchen versorgt. Fragen Sie einmal, warum die Polizisten
nicht versorgt werden konnten. So etwas kann doch
nicht sein.
({0})
Frau Kollegin, Ihre Redezeit ist jetzt um.
Mein letzter Satz ist: Glauben Sie nicht, dass dieser
Protest abflauen wird. Er wird nächstes Jahr genauso
stark oder noch stärker sein, wenn Sie nicht endlich wieder auf den Weg des gesamtgesellschaftlichen Konsenses zurückkehren.
Herzlichen Dank.
({0})
Nächster Redner ist der Kollege Christian Lindner für
die FDP-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren!
Die Bundesregierung genehmigt Atomtransporte
nicht aus Daffke. … Die Bundesregierung genehmigt Transporte, wenn sie notwendig sind. Sie genehmigt sie, wenn sie dazu international verpflichtet ist, und sie genehmigt sie ausschließlich unter
der Voraussetzung, dass die Sicherheit dieser Transporte gewährleistet ist …
Herr Trittin, das ist eines der inzwischen legendären
Zitate aus Ihrer Zeit als Bundesumweltminister. Die werden Sie in der nächsten Zeit wieder öfter hören, weil sie
Ausdruck Ihres politischen Stils sind.
({0})
Das zieht sich vom jetzigen Thema über das Kraftwerk
Moorburg in Hamburg bis nach Stuttgart 21. Es ist der
Stil, in der Regierungsverantwortung zu Besonnenheit
zu mahnen und in der Opposition mit hysterischen Parolen an der Spitze des Oppositions- und Protestzugs zu
stehen. Dafür gibt es einen Namen, ein Wort. Das Wort
heißt Heuchelei.
({1})
Das ist Ihr politischer Stil. Wir haben Demonstranten gesehen, die ihre Meinung gezeigt haben. Auch das heißt ja
„Demonstration“. Es gab aber auch Demonstranten, die
ihre Meinung durchsetzen wollten, mit Blockade, durch
Verschleiß der Polizei, durch Gewalt und durch Schottern.
({2})
Frau Kollegin Lühmann, Schottern - ist das einer der
fantasievollen Proteste, von denen Sie gesprochen haben?
({3})
Was ist Schottern? Schottern heißt einerseits, vor den
Gefahren der Castortransporte zu warnen, und andererseits Beschädigung des Gleisbetts, um vorsätzlich Entgleisungen zu provozieren. Das ist blutrot-grüner Zynismus, meine Damen und Herren und kein fantasievoller
Protest.
({4})
Das ist zu Recht eine Straftat, zu der zahlreiche Abgeordnete der Linkspartei aufgerufen haben und für die aus
den Reihen der Grünen Verständnis geäußert worden ist.
Ich sage Ihnen aber: Wer als gewählter Parlamentarier
zum Bruch von Gesetzen aufruft, der diskreditiert sich
selbst als Gesetzgeber.
({5})
Wenn Sie Straftaten tolerieren, überschreiten Sie die legitime Linie von Oppositionspolitik.
({6})
Setzen Sie sich mit uns hier auseinander.
Frau Künast sagt zu dem Ganzen - 131 verletzte Polizisten, 25 Millionen Euro Kosten für den Einsatz -, das
sei eine Sternstunde der Demokratie gewesen.
({7})
Demokratie heißt, dass Legitimität über Wahlen hergestellt wird. Legitimität heißt, die Kraft des Arguments
anzuerkennen. Demokratie heißt Ordnung durch Verfahren. Demokratie heißt, Rechtsprechung anzuerkennen.
({8})
Wenn das, was wir im Wendland erlebt haben, tatsächlich eine Sternstunde der Demokratie war, dann haben die Grünen aufgehört, eine Rechtsstaatspartei zu
sein.
({9})
Sie legitimieren das Ganze ja damit, dass diese Koalition
angeblich einen gesellschaftlichen Konsens gebrochen
hat.
({10})
Was war das für ein Konsens? Es war der Konsens, in
der Endlagerfrage nicht zu entscheiden. Es war der Konsens, planlos in das Zeitalter der erneuerbaren Energien
wechseln zu wollen. Ihr Konsens war in Wahrheit eine
Fiktion.
({11})
Diese Koalition entscheidet jetzt. Wir stellen uns der
Endlagerfrage, wozu der Staat nach dem Atomgesetz ja
auch verpflichtet ist. Wir stellen uns der Frage, wie wir
ins Zeitalter der erneuerbaren Energien kommen, wie
wir das wirtschaftlich erreichen, wie wir das mit Versorgungssicherheit erreichen, wie wir das auch klimaverträglich erreichen.
({12})
Insoweit haben Sie nichts anzubieten. In Ihrem Energiekonzept steht, möglicherweise könnte bis 2030 die
Energieversorgung Deutschlands aus erneuerbaren Energien gedeckt werden. - Möglicherweise! So wie möglicherweise auch Ihr grüner Oberbürgermeister in Freiburg das Zeitalter der erneuerbaren Energien erreichen
wollte.
({13})
Er hat im Jahr 2004 gesagt, er wolle bis 2010 die Versorgung mit regenerativen Energien von 3,4 Prozent auf
10 Prozent erhöhen. 3,7 Prozent hat er geschafft. Das
mag in Freiburg nicht schlimm sein, aber auf einem solchen Wunschdenken können wir die Energieversorgung
einer Industrienation nicht aufbauen.
({14})
Deswegen schließen wir eine befristete Allianz aus
erneuerbaren Energien und verlängerter Laufzeit der
Atomkraftwerke. Sie haben dazu keine Alternative vorgelegt, die belastbar ist. Sie wollen auf dem Papier
gleichzeitig aus der Kernenergie und aus der Kohlekraft
aussteigen.
({15})
Die Schwankungen wollen Sie dann durch neue Gaskraftwerke ausgleichen. Das ist interessant, nicht nur,
weil wir dadurch in größere Abhängigkeit vom lupenreinen Demokraten Putin geraten, sondern weil dies auch
zeigt, was das tiefere Motiv des damaligen sogenannten
Energiekonsenses von Rot-Grün war: mehr Gas. Heute
sind Gerhard Schröder und Joschka Fischer, die Protagonisten von damals, die größten Lobbyisten der Gasversorger. Werfen Sie uns niemals wieder interessengeleitete Energiepolitik vor!
({16})
Nächster Redner ist Dr. Gregor Gysi für die Fraktion
Die Linke.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr
Lindner, eine Sternstunde war das nicht, was wir hier mit
Ihnen erlebt haben.
({0})
Was in Gorleben passiert, ist etwas gänzlich anderes:
Der energiepolitische Irrweg der Bundesregierung stößt
auf massiven Widerstand der Bevölkerung. Das wollen
Sie einfach nicht zur Kenntnis nehmen.
({1})
Ihre Atomstrategie scheint zu scheitern. Ich wäre auch
sehr dafür, dass das gelingt. Tausende Demonstrantinnen
und Demonstranten dort stehen für die Mehrheit der Bevölkerung. Das müssen Sie endlich akzeptieren.
({2})
Die Mehrheit der Bevölkerung will Ihren Irrweg nicht.
({3})
Sie haben mit der Aufkündigung des Kompromisses
- darüber haben Sie nicht gesprochen, Herr de Maizière;
das haben Sie einfach beiseitegeschoben - einen gesellschaftlichen Großkonflikt heraufbeschworen, und nach7554
dem Sie das gemacht haben, beschweren Sie sich über
den Großkonflikt. Das ist für mich auch Heuchelei, um
das einmal ganz klar zum Ausdruck zu bringen.
({4})
Warum haben Sie das gemacht? Sie haben das gemacht, damit Eon, Vattenfall, EnBW und RWE riesige
Profite haben. Es gibt keinen anderen Grund.
({5})
Für die Profite von vier Konzernen nehmen Sie einen
solchen gesellschaftlichen Großkonflikt tatsächlich in
Kauf. Was Sie da organisieren, ist überhaupt nicht hinnehmbar.
({6})
Den über 50 000 Demonstrierenden, Blockierenden
und Protestierenden gebührt für ihren Einsatz der Dank
des Landes. Das will ich ganz klar sagen und nichts Gegenteiliges.
({7})
Der Castortransport wurde aufgehalten; er hat 92 Stunden gebraucht. Das hat es vorher noch nie gegeben.
({8})
- Das hat mit „Plan“ gar nichts zu tun. Die Bevölkerung
bringt damit zum Ausdruck, dass ihr Ihre Politik nicht
gefällt. Darüber beschweren Sie sich. Das ist das, was
wir hier erleben.
({9})
20 000 Polizistinnen und Polizisten waren eingesetzt.
Überwiegend verliefen die Proteste friedlich und gewaltfrei. Dennoch - das hat noch keiner gesagt -: 950 verletzte Demonstrantinnen und Demonstranten. Ich habe
gehört: 131 verletzte Polizistinnen und Polizisten, 1 316
Ingewahrsamnahmen, 306 Platzverweise und 172 Strafverfahren. Das ist ein Ergebnis. Es gab aber auch die
Verletzung des Grundrechts auf Demonstrations- und
Versammlungsfreiheit. Was mich stört, Herr de
Maizière: Sie waren nicht dabei, ich war nicht dabei,
({10})
aber Sie wissen schon jetzt alles und sagen ganz genau,
wie es gelaufen ist. Genau das ist nicht zu akzeptieren.
({11})
Die friedliche Nutzung von Kernenergie ist im Unglücksfall nicht beherrschbar. Das wissen Sie. Die Lagerfrage ist weltweit nicht gelöst. Das wissen Sie. Die
Bundesregierung hat sich auf Gorleben fixiert. Alternativen wurden nie geprüft. Allerdings - das stimmt -: Auch
zwei frühere Umweltminister aus Niedersachsen, nämlich Jürgen Trittin und Sigmar Gabriel, haben niemals
nach einem anderen Lager gesucht. Das bleibt ein Problem.
({12})
Der Kompromiss hätte konsequenter sein müssen. Ein
Ausstieg aus dem Ausstieg ist eigentlich nicht möglich.
Aber wenn man das so lange verschiebt, dann ist der
Ausstieg aus dem Ausstieg doch möglich, und davor hatten wir damals gewarnt. Nur, egal, wie der Kompromiss
aussah - das können Sie nicht leugnen, Herr de Maizière -:
Es war ein gesellschaftlicher Konsens hergestellt. Die
Leute haben sich damit abgefunden. Sie wussten genau,
in welchen Fristen der Atomausstieg stattfindet. Und
dann machen Sie für vier Konzerne das Ganze wieder
auf und provozieren eine solche Auseinandersetzung.
Das ist nicht hinnehmbar. Deshalb gibt es diesen Widerstand.
({13})
Was Sie auch nicht merken, egal ob es um Gorleben
oder Stuttgart 21 geht: Der Abstand zwischen der Regierung und den Regierten nimmt täglich zu. Fragen Sie
sich doch einmal, warum! Was passiert denn da? Nehmen Sie das Beispiel Stuttgart 21! Sie sagen: Rechtlich
ist alles abgeschlossen. - Das interessiert die Leute
nicht. Sie gehen trotzdem hin. Was hat sich im Denken
verändert? Es gibt ein rebellisches Denken, weil Sie an
den Leuten und an den Mehrheiten in der Gesellschaft
immer öfter vorbeiregieren, und zwar im Interesse von
bestimmten Lobbyisten. Das bekommen die Leute mit.
({14})
- Nein, Sie können das alles nicht erklären. Sie können
nicht erklären, weshalb wir hier im Bundestag in der
Lage sind, innerhalb einer Woche 480 Milliarden Euro
für die Banken bereitzustellen, die Frau und der Mann,
die sich darum kümmern, dass die Toilette in der Schule
repariert wird, aber die Auskunft bekommen, es sei kein
Geld da. Das ist den Leuten nicht mehr zu erklären. Ich
sage Ihnen: Sie werden an diesen Widersprüchen scheitern.
({15})
Ihre Fehlentscheidung in Bezug auf die Atomenergie
wird Konsequenzen haben. Ich bin davon überzeugt:
Frau Merkel hat mit ihrer Entscheidung das Ende ihrer
Kanzlerschaft eingeleitet.
({16})
Die Kollegin Claudia Roth hat nun das Wort für die
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Wir haben bewegte Tage erlebt, und wir haben bewegende Tage
im Wendland erlebt. Wir haben Zehntausende Menschen
beim größten und vor allem beim breitesten zivilgesellschaftlichen Widerstand erlebt, den es seit Jahrzehnten
im Wendland gab, gegen eine gefährlich falsche Atompolitik von Schwarz-Gelb.
({0})
All diese Menschen sind auf die Straße gegangen, gerade auch, weil Schwarz-Gelb mit dem Versuch, den
Atomausstieg zurückzudrehen, ihn rückgängig zu machen, für politische Eskalation gesorgt und einen Großkonflikt losgetreten hat. Herr Lindner, das ist der Unterschied. Reden Sie doch nicht von Heuchelei! Sagen Sie
die Wahrheit! Der Unterschied ist, dass Sie die Laufzeiten der Atomkraftwerke verlängern wollen. Deshalb sind
so viele Menschen auf die Straße gegangen.
({1})
Es sind viele alte Menschen gewesen, Herr Kauder,
und viele junge Menschen. Viele Familien waren unterwegs, manchmal drei Generationen. Es waren die Landwirte, die Gewerkschafter. Es waren sehr viele praktizierende Christinnen und Christen darunter,
({2})
die sich Sorgen machen und die wütend sind über eine
Politik, die sich so wenig um ihre Sicherheit kümmert.
Wenn es anders wäre, müsste so schnell wie möglich abgeschaltet werden, statt Tausende Tonnen von neuem
Müll zu produzieren, Kolleginnen und Kollegen von
Schwarz-Gelb.
({3})
Die Menschen sind wütend - das ist der Unterschied,
Herr Lindner - über die Aufhebung des Moratoriums.
Sie sind wütend über die De-facto-Festlegung auf Gorleben als Endlager. Dabei handelt es sich übrigens um einen illegalen Schwarzbau; ohne atomrechtliche Genehmigung soll das nämlich vonstatten gehen.
({4})
Sie sind vor allem wütend über eine ignorante Heuchelei, wie man sie immer wieder aus den im Süden gelegenen, CDU- oder CSU-regierten Ländern hört. Diese sagen nämlich: Wir wollen die Laufzeitverlängerung und
wollen Kasse machen mit der Stromproduktion, aber den
Müll schicken wir nach Gorleben. - Und das, ohne dass
es zuvor jemals eine ergebnisoffene Suche nach einem
Endlager gegeben hätte.
({5})
Es waren Vertreter von Unternehmen da, die gegen
Atomstrom protestierten. Es waren Vertreter von Stadtwerken da, die wütend sind, weil die Laufzeitverlängerung keine Brücke, sondern einen Abgrund für die
erneuerbaren Energien darstellt. Diese Laufzeitverlängerung wird, mit Verlaub, den Wirtschaftsstandort
Deutschland gefährden, weil so auch zukunftssichere
Arbeitsplätze in diesem Land gefährdet werden.
({6})
Es waren auch sehr viele Menschen aus Stuttgart da.
Das stimmt wirklich. Ich als Schwäbin habe sie gefragt,
warum sie da waren. Wissen Sie, warum die da waren?
({7})
Sie antworteten mir, dass sie ein Zeichen gegen die Arroganz einer Politik setzen wollen, die über die Köpfe
der Menschen hinweg entscheidet, sie mithilfe des alten
Bergrechts entmündigen will und weder Beteiligung
noch Transparenz garantiert.
({8})
Das ist das neue Aufbegehren: eine Aneignung von
demokratischem Bürgersinn.
({9})
- Früher hatten auch Sie ja einmal etwas mit Bürgerrechten im Sinn; aber das ist lange her.
({10})
Mit Verlaub: Sie verbarrikadieren sich in der
schwarz-gelben Zitadelle der Macht. Sie haben den Kontakt zu den Sorgen der Menschen, zu den Wünschen der
Menschen verloren. Die Ereignisse im Wendland haben
ja eines gezeigt, nämlich dass man Politik, die keine Akzeptanz findet, nicht gegen eine ganze Region und nicht
gegen die Mehrheit der Menschen in diesem Land
durchdrücken kann. Und warum überhaupt diese Politik? Doch nur, um vier Konzernen Milliardengewinne zu
sichern.
({11})
Ich sage Ihnen eines: Sie spalten mit diesem Großkonflikt unsere Gesellschaft, und Sie tun das auf dem
Rücken der Polizistinnen und Polizisten.
({12})
Claudia Roth ({13})
Wie viele wollen Sie denn noch hinschicken? 20 000 Beamte waren an der Grenze. Sie waren völlig überfordert.
Ich habe mit sehr vielen geredet. Was manche mir dort
gesagt haben, hat Konrad Freiberg deutlich zum Ausdruck gebracht. Ich zitiere den Vorsitzenden der Gewerkschaft der Polizei:
Wenn man einen unter schwierigsten Bedingungen
erzielten Konsens aufkündigt, muss man wissen,
was man dadurch hervorruft - nämlich gesellschaftliche Konflikte … Aber man kann mit der Polizei
keine gesellschaftlichen Konflikte lösen.
Sie tragen den Konflikt auf dem Rücken der Polizisten
aus, und das ist unerträglich.
({14})
Jetzt kommen sie wieder, die lauten, kreischenden
Versuche, den demokratischen Widerstand zu kriminalisieren.
({15})
Ich finde es erschreckend: Demokratiefeindliche Reflexe
tun sich bei den Herren Dobrindts dieser Republik auf.
Frau Kollegin, denken Sie bitte an die Redezeit.
Ja. - Das Demonstrationsrecht, das Recht auf gewaltfreien Widerstand inklusive der friedlichen Blockade, ist
ein Grundnahrungsmittel in einer selbstbewussten Demokratie.
({0})
Natürlich haben wir uns daran beteiligt, wie übrigens
auch die Landwirte, die mit 600 Treckern an einer Demonstration von 50 000 Menschen teilgenommen haben.
Frau Kollegin, kommen Sie bitte zum Schluss.
Ich komme zum letzten Gedanken.
Nein, zum letzten Satz.
Zum letzten Satz. ({0})
Genau das ist doch die Stärke des Protests, dass er gewaltfrei war. Genau das loben Herr Schünemann und
auch der Polizeieinsatzleiter.
Ich sage Ihnen: Sie gefährden den Frieden in diesem
Land mit Ihrer Dagegen-Politik: ({1})
Frau Kollegin, jetzt kommen Sie zum Schluss!
- gegen den Atomausstieg, gegen das Endlager und
gegen eine zukunftsfähige Energiepolitik.
({0})
Nächster Redner ist der Kollege Alexander Dobrindt
für die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Präsidentin!
Auch ich zitiere:
Gegen diese Transporte sollten Grüne in keiner
Form - sitzend, stehend, singend, tanzend ({0})
demonstrieren.
Jürgen Trittin, Sie hatten wohl Claudia Roth im Sinn, als
Sie das formuliert haben.
Und es geht noch weiter:
Diejenigen, die durch ihre Aktion auf den Gleisen
dazu beigetragen haben, dass die Castorbehälter
einen Tag später als geplant angekommen sind, haben … sich … rechtswidrig verhalten und Rechtsbruch begangen …
Jürgen Trittin 2001.
({1})
Sehr geehrter Herr Trittin, das ist der entscheidende
Unterschied: Wenn Sie in der Regierung sind, wenn Sie
Umweltminister sind, dann halten Sie Castortransporte
für notwendig. Sie haben Castortransporte angeordnet
und gesagt, man dürfe nicht gegen sie demonstrieren.
Jetzt, da Sie in der Opposition sind, mischen Sie sich unter die Demonstranten und heizen den Protest auch noch
an. Politische Heuchelei hat eine Farbe in diesem Land,
und die ist Grün.
({2})
So handelt übrigens nur ein Politiker, dem die Glaubwürdigkeit abhandengekommen ist oder der bereit ist,
die Glaubwürdigkeit mit Füßen zu treten, oder der auf
Glaubwürdigkeit pfeift.
({3})
Liebe Frau Roth, Sie haben bei all Ihren Versuchen,
über Laufzeitverlängerung, Geld und anderes zu reden,
eines vergessen: Sie haben vergessen, zu erwähnen, dass
unter Ihrer Verantwortung Kernkraftwerke in Deutschland betrieben werden. Sie haben vergessen, zu erwähnen, dass Rot-Grün in München Eigentümer eines Kernkraftwerks ist, nämlich Isar 2. Eine Münchener Zeitung
hat den rot-grünen Bürgermeister, der sich dazu bekennt
- er sagt, SPD und Grüne sind seit 1990 in einem Regierungsbündnis in einer Kommune, die ein Kernkraftwerk
besitzt -, gefragt, er sei wohl der Einzige in Deutschland, der als Kernkraftwerksbetreiber am Samstag demonstriert habe, und ob es nicht sinnvoll wäre, darüber
nachzudenken, sich von so etwas zu trennen. Darauf
sagte der rot-grüne Bürgermeister: Moralisch macht es
keinen Unterschied, ob die Stadt vom Kaufpreis profitiert oder von der alljährlichen Rendite aufgrund der
Laufzeitverlängerung. - Das ist die Moral von Rot und
Grün in diesem Land. Machen Sie den Menschen doch
nichts vor!
({4})
Sie sind bereit, Kernkraftwerke in eigener Verantwortung zu betreiben. Trotzdem reden Sie vom Abschalten
und davon, dass nur dadurch andere in der Lage sind, in
die Energieversorgung zu investieren.
({5})
Frau Künast spricht von einer Sternstunde der Demokratie,
({6})
und das angesichts von 131 verletzten Polizisten und zig
Millionen Euro Kosten. Es wurden Gleise beschädigt,
und es wurde zum Schottern aufgerufen. Sie haben dafür
gesorgt, dass Polizisten von der Versorgung abgeschnitten wurden.
({7})
Sie bekamen deswegen kein Essen und konnten nicht abgelöst werden.
({8})
Das - nämlich Gleise beschädigen, Gleise schottern - ist
die Demokratie, wie sie sich vielleicht die Grünen vorstellen. Das hat aber mit einer Sternstunde der Demokratie nichts zu tun. Was Sie in diesem Land durchsetzen
wollen, ist eine Perversion von Demokratie.
({9})
Polizisten von der Versorgung abzuschneiden, ist ein
generalstabsmäßiges Vorgehen.
({10})
Das ist militärische Schule. Ein solches Verhalten kann
man nur von den Grünen mit ihrer APO-Vergangenheit
lernen. Frau Roth, ich bleibe dabei: Sie outen sich als der
politische Arm von Aufrührern, Brandstiftern und Steinewerfern. Das ist die grüne Realität in diesem Land.
({11})
Politik ohne Verantwortung, Politik ohne jegliche
Grenzen, Protest ohne Gewissen, Protest ohne Rücksicht
auf die Menschen in diesem Land:
({12})
Das ist undemokratisch und unparlamentarisch. Bei der
Bundestagswahl 2009 waren Sie gegen die Energiepolitik, die wir vorgeschlagen haben. Aber Sie haben keine
Mehrheit für Ihre Position bekommen.
({13})
Es wäre jetzt demokratisch - Sie reden doch von Demokratie -, wenn Sie einmal akzeptieren würden, dass Sie
keine Mehrheit bekommen haben.
({14})
Obwohl die Menschen Ihnen das Vertrauen nicht gegeben haben, gehen Sie auf die Straße und protestieren.
Das ist undemokratisch; das hat mit Demokratie überhaupt nichts zu tun. Sie müssen akzeptieren, dass Sie abgewählt worden sind.
({15})
Sie sind schlechte Verlierer. Wir haben vor der Wahl
deutlich gemacht, was wir nach der Wahl umsetzen wollen. Wir haben dargestellt, wie die Energiepolitik in diesem Land ausschauen soll. Dafür haben wir das Vertrauen der Bürger bei der Bundestagswahl bekommen.
Sie haben dieses Vertrauen nicht bekommen. Sie treten
jetzt die Demokratie mit Füßen. Noch einmal: Politische
Heuchelei in diesem Land hat eine Farbe, und die ist
Grün. Dabei bleibe ich.
({16})
Der Kollege Dr. Matthias Miersch ist der nächste
Redner für die SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Als jemand, der viele Tage vor Ort gewesen ist,
({0})
finde ich es unerträglich, wie Sie versuchen, Tausende
von Demonstranten zu kriminalisieren, liebe Kolleginnen und Kollegen von CDU/CSU und FDP.
({1})
Herr Bundesinnenminister, angesichts des Einsatzes
von 8 000 Bundespolizisten im Wendland hätte es Ihnen
gut zu Gesicht gestanden, wenn Sie sich vor Ort ein Bild
gemacht und persönlich von der Lage überzeugt hätten.
({2})
Herr Bundesumweltminister, es wäre auch an Ihnen gewesen, vor Ort zu sein und den Leuten zu erklären, welche Politik Sie hier machen. Das sind Sie den Menschen
schuldig geblieben.
({3})
Wenn Sie, Herr de Maizière, den Schaden für die parlamentarische Demokratie beklagen, dann muss ich Sie
darauf aufmerksam machen, dass der Bundestagspräsident die Art und Weise, wie hier beraten worden ist,
ganz öffentlich kritisiert hat und angemahnt hat, dass demokratische Rechte nicht verletzt werden dürfen.
({4})
Ich frage Sie, Herr Bundesinnenminister: Warum hat
der Rechtsausschuss des Bundesrates heute festgestellt
- offenkundig auch mit Stimmen von CDU oder FDP
oder beiden -, dass der Bundesrat der Änderung des
Atomgesetzes zustimmen muss? Warum hat der Rechtsausschuss des Bundesrates heute beschlossen, dem Bundesrat zu empfehlen, die Novelle zum Atomgesetz abzulehnen?
({5})
Das ist doch ein Fingerzeig darauf, dass mit Ihren Beratungsabläufen, mit Ihrem Vorgehen etwas nicht stimmt.
Sie müssen meine Fragen beantworten.
Das ist auch der Grund - so habe zumindest ich es
empfunden -, warum Menschen in Gorleben zum ersten
Mal in ihrem Leben demonstriert haben, warum alte
Menschen, die teilweise schon seit 40 Jahren gegen
Atomkraft demonstrieren, gesagt haben, dieses Mal
werde alles übertroffen, warum Apotheker dort Wärmedecken zur Verfügung gestellt haben, warum man gesagt
hat, dort passiere Unrecht. Die Menschen merken, dass
Sie Ihre Macht missbrauchen.
({6})
Herr Dobrindt, Sie haben kein Wort über das verloren,
was die Menschen umtreibt: Sie haben sich auf Gorleben
als Standort für ein Atommüllendlager festgelegt. Natürlich haben Sie ein großes Interesse, Bayern da herauszuhalten. Wer aber seriös Politik betreibt und bei der Wahl
eines Standorts die Informationen, die uns heute vorliegen, zur Kenntnis nimmt, der weiß: Es kann längst nicht
mehr nur um einen Salzstock gehen. Wer sich den Fall
Asse vor Augen führt, der weiß, dass hinsichtlich der
Eignung eines Salzstocks für ein Endlager mehr als nur
ein Fragezeichen angebracht ist. Tonschichten und Granitschichten könnten besser geeignet sein. Wo kommen
solche Schichten in Deutschland vor? Sie kommen im
Süden Deutschlands vor.
Ich finde, dieses Parlament muss im Interesse Gesamtdeutschlands entscheiden. Insofern darf es keine
Festlegung auf Gorleben als Standort für ein Endlager
geben; vielmehr müssen alternative Standorte mit in Betracht gezogen werden. Darum ging es Rot-Grün, darum
ging es uns auch in der Großen Koalition. Sie waren es,
die die vom damaligen Bundesumweltminister Gabriel
erarbeiteten Kriterien für die Standortsuche nicht übernehmen wollten, sondern nach dem Motto „Augen zu
und durch“ handeln wollen.
({7})
Damit kommen Sie bei uns nicht durch.
Eines regt mich zunehmend auf: die Art und Weise,
auf die anscheinend Entscheidungen getroffen werden.
Wir konnten gestern der Presse entnehmen, dass das
Bundesumweltministerium bzw. die Bundesregierung
unterschriftsreife Verträge mit Russland über die Abnahme von hochradioaktivem Abfall ausgehandelt hat.
Parallel dazu nehmen wir zur Kenntnis, dass die Europäische Kommission die Mitgliedstaaten dazu verpflichten will, ihren Müll vor Ort in Europa zu entsorgen. Warum finden auch diese Vorgänge im Geheimen statt?
Herr Bundesumweltminister, ich fordere Sie auf: Erklären Sie dem Parlament und dem Umweltausschuss, um
welche Vorgänge es sich handelt und wie die Verträge
aussehen! Legen Sie das offen! Ansonsten käme es hier
zu einem Geheimvertrag, Teil 2. Auch das lassen wir
nicht durchgehen.
({8})
Herr Bundesumweltminister, Sie wären gut beraten,
sich einmal mit den Polizeibeamten, mit dem neuen
EKD-Ratsvorsitzenden und den Seelsorgern vor Ort zu
unterhalten. Sie alle werden Ihnen bestätigen, dass dort
im Wendland in den letzten Tagen eine Stimmung
herrschte, die darauf abgerichtet - ({9})
- Ja, ja. - Es wurde darauf abgezielt, die Interessen der
zukünftigen Generationen zu berücksichtigen; darum
ging es diesen Menschen zum großen Teil. Wenn Sie
diese Menschen kriminalisieren, dann wollen Sie dies
einfach verdecken und nicht zur Kenntnis nehmen. Sie
werden mit dieser Masche aber nicht durchkommen. Die
Menschen - sie kamen nicht nur aus dem Wendland,
sondern aus ganz Deutschland - haben verstanden. Dieser Protest wird weitergehen.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({10})
Das Wort hat nun der Kollege Marco Buschmann für
die FDP-Fraktion.
({0})
Herzlichen Dank. - Frau Präsidentin! Meine lieben
Kolleginnen und Kollegen! Eine Bemerkung vorweg:
Herr Kollege Miersch, Vernunft misst sich nicht in Dezibel.
({0})
Jetzt zur Sache. Selbstverständlich hat jeder das
Recht, zu demonstrieren und auf die Straße zu gehen.
Die Versammlungsfreiheit ist unverzichtbar für die liberale Demokratie. Deshalb rufe ich jedem friedlichen Demonstranten im Wendland zu: Ich bin zwar nicht eurer
Meinung, aber selbstverständlich würde ich alles dafür
tun, dass ihr eure Meinung stets sagen dürft. Das ist doch
gar keine Frage. Das sage ich aber natürlich nur den
friedlichen Demonstranten. Das gebietet der Vorbehalt,
unter dem die Versammlungsfreiheit nach unserer Verfassung steht. Art. 8 Grundgesetz spricht eine deutliche
Sprache: Demonstrieren darf man nur friedlich und ohne
Waffen.
Wer sich die Bilanz dieses Wochenendes anschaut,
sieht, dass nicht nur friedlich und ohne Waffen demonstriert wurde.
({1})
Es ist nicht friedlich, wenn ein Polizeifahrzeug in Brand
gesteckt wird, und es ist auch nicht friedlich, wenn über
130 Polizistinnen und Polizisten verletzt werden. Das
kann man nicht ernsthaft sagen.
({2})
An dieser Stelle möchte ich mich bei allen Einsatzkräften bedanken und vor allen Dingen den Verletzten
schnelle und vollständige Genesung wünschen. Ich hoffe,
ich kann das im Namen des gesamten Hauses tun.
({3})
Denen, die für diese Verletzungen verantwortlich
sind, möchte ich eines sagen: Nichts zieht Ihr politisches
Anliegen so sehr in den Schmutz wie das Verletzen von
Menschen, die ihren Job machen, indem sie Recht und
Gesetz verteidigen. Ich wiederhole: Nichts zieht Ihr Anliegen mehr in den Schmutz.
({4})
An dieser Stelle muss gesagt werden: Natürlich waren
Recht und Gesetz in Gefahr. Ich nenne nur das Stichwort
„Schottern“. Schottern ist kein Volkssport, sondern eine
strafbare Handlung. Das ist ein gefährlicher Eingriff in
den Schienenverkehr. Das, was ein bisschen technisch
und leblos klingen mag - ich höre schon, wie gesagt
wird, das sei doch nichts -, ist ein Straftatbestand. Angeblich gehe es letzten Endes darum, Menschenleben zu
schützen.
({5})
Ich möchte Ihnen einmal kurz erläutern, warum ein
Straftatbestand vorliegt; schließlich wird immer wieder
gesagt, dabei könne nichts passieren, weil die Lokführer
vorgewarnt seien und sie nur ganz langsam führen. Am
7. Juni dieses Jahres ist ein Zug mit 11 Stundenkilometern - das ist quasi Schrittgeschwindigkeit - über ein
Gleisbett gefahren, bei dem der Schotter entfernt war.
Dieser Zug ist entgleist, weil sich die Schienen sofort
verformt haben. Züge, die entgleisen, gefährden Menschenleben. Wer etwas tut, was dazu führt, dass Züge
entgleisen, der gefährdet Menschenleben.
({6})
Schottern ist kein Kavaliersdelikt. Schottern ist lebensgefährlich.
({7})
Jetzt kann man natürlich die Frage stellen: Welchen
Vorwurf kann man den Schotterern machen, wenn sogar
Mitglieder gesetzgebender Organe zum Schottern aufrufen? Ich gebe zur Kenntnis: Mittlerweile ermittelt die
Staatsanwaltschaft Lüneburg in mehr als 20 Fällen gegen Mitglieder dieses Hauses und gegen Mitglieder von
Landesparlamenten. Es wurde sogar in Räumen des
Deutschen Bundestages zu strafbaren Handlungen aufgerufen. Das gebe ich dem Präsidium zur Kenntnis, und
ich hoffe, dass die Hauspolizei in solchen Fällen einschreitet. So etwas ist völlig inakzeptabel.
({8})
Mitglieder gesetzgebender Organe setzen Recht, sie
brechen es nicht, und sie rufen auch nicht zum Rechtsbruch auf. Was ist das für eine Gesinnung?
({9})
Wissen diese Leute denn nicht, welche Gewalt sie dem
Rechtsstaat antun, wenn sie Rechtsnormen unter den
Vorbehalt ihrer persönlichen Gesinnung stellen? Das hat
nichts mit Rechtsstaatlichkeit zu tun.
({10})
All die vorgeschobenen Argumente stimmen nicht.
Jeder weiß, dass jeder Castortransport, der heute und in
den nächsten zehn Jahren rollt, von jeder Bundesregierung genehmigt würde. Auch ohne eine Reststrommengenausweitung wären die Castortransporte erforderlich
oder, wie der abgewählte Bundesumweltminister Trittin
gesagt hat, unabweisbar und notwendig.
({11})
Zum Schluss nenne ich noch ein Stichwort - ich bitte
Sie wirklich, in sich zu gehen -:
({12})
Widerstandsrecht. Das in unserem Grundgesetz verankerte Widerstandsrecht - Art. 20 Abs. 4 - wurde geboren aus der historischen Erfahrung, dass die Nationalsozialisten die Demokratie abgeschafft haben. Wer
ernsthaft behauptet, dass ein Energiekonzept, das von einer demokratisch legitimierten Mehrheit dieses Hauses
beschlossen worden ist, mit der Abschaffung der Demokratie durch die Nationalsozialisten verglichen werden
kann, der hat jeden Bezug zur Realität, zur Verhältnismäßigkeit und zum politischen Anstand verloren.
({13})
Es bleibt dabei: Friedlich und ohne Waffen ist zu demonstrieren. Wer das nicht tut, ist kein Held. Er ist nicht
mutig und auch nicht Avantgarde. Er ist schlichtweg ein
Krimineller.
({14})
Nächste Rednerin ist die Kollegin Dorothée Menzner
für die Fraktion Die Linke.
({0})
Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen!
Vorab zwei Feststellungen:
Erstens. Ich glaube, wir hätten hier eine etwas bessere
Debatte, wenn auch der eine oder andere Kollege bzw.
die eine oder andere Kollegin der Koalition in den letzten vier Tagen im Wendland gewesen wäre und hier
nicht nur die Bild-Zeitung zitieren würde.
({0})
Zum Zweiten. Die Bürgerinnen und Bürger, die Initiativen und die Bauern brauchen keine Parteien, um aktiv
zu werden. Sie machen das schon ganz alleine, und zwar
seit 30 Jahren.
({1})
Ja, sie haben provoziert. Viele Menschen - viel mehr
als in der Vergangenheit - haben provoziert: bunt, fantasievoll, vielfältig. Ja, sie haben auf Schienen gesessen,
und sie ließen dabei vielleicht den einen oder anderen
Schotterstein mitgehen.
({2})
Ja, sie parkten ihre Trecker, ohne die StraßenverkehrsOrdnung zu beachten. Ja, sie kampierten auf Flächen,
die dafür nicht vorgesehen waren.
Aber wer provozierte eigentlich? Nicht diese Menschen. Die Provokateure und diejenigen, die das alles anrührten, waren nicht bei Frost im kalten Wendland. Sie
saßen in wohlbeheizten Konzernzentralen und Büros in
Berlin, Essen und Dortmund.
({3})
Wen habe ich eben mit „sie“ gemeint? „Sie“, das ist
zum Beispiel mein Schreinermeister, den ich seit Grundschultagen kenne; er ist übrigens Mitglied des Kirchenvorstandes. „Sie“, das sind Landwirte, die um ihre Existenz bangen. Das sind Schülerinnen und Schüler, die
nicht nur ihre eigene Zukunft mit Sorge betrachten, sondern auch die ihrer Kinder und Enkel.
({4})
Viele Menschen waren zum ersten Mal da. Sie waren
durch die Laufzeitverlängerung motiviert. Es waren
Menschen, die sich mit den Fragen der Nutzung von
Atomenergie sehr intensiv beschäftigt haben und wissen
- ich habe in den letzten Tagen mit Hunderten gesprochen -: Ein Castor enthält so viel nukleares Material,
wie in Tschernobyl seinerzeit freigesetzt wurde.
({5})
Ich behaupte, die Mehrzahl der Demonstrierenden
wusste mehr als die knappe Mehrheit im Bundestag, die
hier am 28. Oktober 2010 der Laufzeitverlängerung zugestimmt hat.
({6})
Die Demonstrierenden wussten schon im Vorfeld, auf
was für Strapazen, aber auch auf was für Gefahren sie
sich einlassen. Sie wussten, dass sie sich darauf einlassen, verprügelt zu werden, Tränengas abzubekommen
und Strafanzeigen zu kassieren. Ich bin mir sicher - das
war die Reaktion vieler -: Sie werden es auch wieder
tun, und zwar so lange, bis die Politik in diesem Lande
zur Vernunft kommt und den Willen der Mehrheit der
Bevölkerung und nicht den der Konzerne umsetzt.
({7})
Ich fordere Sie an dieser Stelle auf, über zwei Fragen
meines 13-jährigen Sohnes nachzudenken, auf die ich
keine befriedigende Antwort geben kann.
({8})
Mein Sohn fragte mich: Was ist das für eine Regierung,
die so weitreichende Entscheidungen wie die Laufzeitverlängerung gegen jede Vernunft, gegen den Willen der
Menschen und der Mehrheit der Bevölkerung durchsetzt? Was ist das für eine Demokratie, die sich vor ihren
Bürgerinnen und Bürger so martialisch schützen muss?
Ich kann ihm das nicht beantworten. Ich kann ihm nicht
beantworten, wieso wir jedes Jahr erleben, dass ein
Landkreis in den Ausnahmezustand versetzt wird,
({9})
dass Bürgerrechte und Versammlungsrechte eingeschränkt werden und dass wir immer wieder erleben - ({10})
- Ja, das können wir gerne machen. Versuchen Sie es.
Wir erleben immer wieder, dass die Bedenken der
Menschen nicht ernst genommen werden. Sie werden
übergangen. Wir erleben im Gorleben-Untersuchungsausschuss, dass selbst kritische Wissenschaftlerinnen
und Wissenschaftler ignoriert wurden. Ihre Berichte, die
besagt haben, dass Gorleben als Endlager ungeeignet ist,
wurden nicht zur Kenntnis genommen. Die Menschen
nehmen wahr: Jeder Castor, der ins Wendland kommt,
schafft vollendete Tatsachen und vergrößert die Gefahr,
dass wir - wie in der Asse - ein weiteres Desaster in einem Salzstock haben werden.
({11})
Wir sollten den Tausenden, die am Wochenende unterwegs waren, friedlich und fantasievoll demonstriert
und blockiert haben, sich bei Minustemperaturen die
Nächte um die Ohren geschlagen haben, die sich Schikanen, Schlägen, Tränengas ausgesetzt sahen, danken. Sie
haben die Meinung der Mehrheit der deutschen Bevölkerung auf die Straße getragen.
({12})
Sie stießen bei vielen der Beamten auf großes Verständnis. Es waren mehrere Beamte, die mir gesagt haben:
Seid ja laut. Viele der Polizisten haben sich gewünscht,
auf der anderen Seite zu sein.
({13})
Den Demonstrierenden gebührt unser aller Dank. Sie
haben gelebte Demokratie gezeigt. Sie haben sich demokratisch engagiert und genau das getan, was wir eigentlich immer wieder fordern. Sie sind nicht politikverdrossen, sie mischen sich ein, und sie werden sich weiterhin
einmischen. Dafür steht ihnen das Bundesverdienstkreuz
oder eher ein Bundesverdienst-X zu.
Ich danke Ihnen.
({14})
Nächste Rednerin ist die Kollegin Sylvia Kotting-Uhl
für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Verehrte Kolleginnen und Kollegen von der Koalition,
mit Ihrem Ablenkungsmanöver halten Sie sich den Kern
der Debatte nicht vom Hals. Der Kern der Debatte ist:
Sie verlieren das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger.
({0})
Wenn in Stuttgart die schwäbische Hausfrau und im
Wendland der Adlige und die Kirche gegen Sie demonstrieren, ist das für Sie der GAU.
({1})
Die intransparente, widersprüchliche und einseitig
gönnerhaft erscheinende Politik der Regierung
treibt die Bürgerinnen und Bürger zu Recht auf die
Straße.
Gefällt Ihnen der Satz? Er könnte von mir sein, ist aber
von einem Polizisten, und zwar einem hochrangigen,
von GdP-Chef Freiberg.
({2})
Sie jammern hier herum, Kolleginnen und Kollegen,
die Grünen müssten ihr Verhältnis zur Gewalt klären. Sie
müssen Ihr Verhältnis zu den Bürgerinnen und Bürger
klären,
({3})
und Sie müssen Ihr Verhältnis zur Rechtsstaatlichkeit
klären. Niedersachsens Justizminister Busemann sagte,
die Grünen hätten die Proteste angeheizt, das habe mit
Demonstrationsrecht nichts zu tun.
({4})
Klären Sie einmal Ihr Verhältnis zur Rechtsstaatlichkeit.
Demonstrationen sind keine Gewalt, sondern ein Grundrecht. Sitzblockaden sind keine Gewalt.
({5})
Sie halten an einem Endlagerstandort fest, in dessen
Geschichte ununterbrochen manipuliert wurde.
({6})
Geologische Zweifel wurden einfach beiseitegefegt. Die
Wissenschaftler, die diese Zweifel äußerten, wurden diskreditiert. Wenn es nicht passte, wurde das Konzept geändert. Als man entdeckte, dass das Deckgebirge nicht
intakt ist, hat man gesagt: Wir brauchen kein geologisches Mehrbarrierensystem, eine Barriere reicht. Hatte
man die Salzrechte nicht an der Stelle, wo man erkunden
wollte, sagte man: Gehen wir doch um die Salzrechte herum, verändern wir die Erkundungsbereiche.
Sie wollen dort nach Bergrecht weiterbauen, obwohl
Sie ein Endlager für radioaktiven Müll ausbauen.
({7})
Sie wollen nach einem Rahmenbetriebsplan von 1983
weiterbauen, der nichts, aber auch gar nichts mit dem zu
tun hat, was dort heute steht.
({8})
Die Schächte stehen woanders als auf dem Plan, der Abstand ist anders als auf dem Plan, die Richtstrecken gehen nach Norden statt nach Süden, die Erkundungsbereiche stehen völlig woanders. Es interessiert Sie und Ihren
Minister nicht. Warum wird nach diesem Rahmenbetriebsplan weitergebaut? Damit Sie nach Bergrecht - das
geht nur mit diesem Rahmenbetriebsplan - weiterbauen
können, um dann unter Atomrecht einzulagern. Sie verdrehen die Rechtslage völlig.
({9})
Jetzt wollen Sie auf Grundlage des neu geschaffenen
§ 9 d Atomgesetz enteignen. Auf diese Weise umgeht
man so schön die Öffentlichkeitsbeteiligung. Sie wollen
nach Bergrecht weiterbauen und nach Atomrecht enteignen, um dann nach Bergrecht weiterbauen zu können.
({10})
Sie verlängern die Laufzeiten der Atomkraftwerke und
vermehren den Atommüll, obwohl die Endlagerfrage
völlig ungelöst ist. Dennoch wundern Sie sich, dass
Zehntausende auf die Straße gehen?
({11})
Wo waren eigentlich Sie? Alle Rednerinnen und Redner der Oppositionsfraktionen waren dort. Wo waren
Sie?
({12})
Woher haben Sie eigentlich Ihre Informationen?
({13})
- Ja, aus der Bild-Zeitung? Wunderbar!
({14})
- Gut; sie würden sonst vielleicht platzen.
({15})
Rot-Grün hat den Atomkonflikt befriedet.
({16})
Rot-Grün hat den Ausstieg aus der Atomenergie beschlossen,
({17})
die Menge des Atommülls begrenzt und die Wiederaufarbeitung verboten.
({18})
Dann, meine Kolleginnen und Kollegen, kann man auch
guten Gewissens Castortransporte organisieren und den
Bürgerinnen und Bürgern sagen: Leute, die Sache ist geregelt.
({19})
Diese Castortransporte, die aus der inzwischen verbotenen Wiederaufarbeitung zurückkommen, sind gerechtfertigt. - Diesen Konsens haben Sie gebrochen.
({20})
Dafür bekommen Sie die Quittung. Sie bekommen allerdings eine friedfertige Quittung. Für Sie ist es unerträglich, dass die Verwirklichung Ihrer Pläne durch einen
friedlichen Protest verzögert wird,
({21})
durch einen in der Mehrheit absolut friedlichen Protest,
wie jeder, der vor Ort war, bestätigt.
({22})
Ihr Versuch, die Demonstranten zu kriminalisieren,
geht völlig ins Leere. Der Innenminister von Niedersachsen - einer aus Ihren Reihen - sagte, es habe zwar
weitaus mehr Blockaden als sonst gegeben; die Stimmung sei aber „insgesamt friedlich“ gewesen. Sprecher
von Antiatominitiativen erklärten, die Polizei sei in den
meisten Fällen verhältnismäßig vorgegangen.
({23})
Man war sich also völlig einig: Die Demonstration war
größtenteils friedlich. Was sagen Sie dazu?
({24})
Die Blockade der Versorgungswege war ein Nebeneffekt der kreativen Treckerblockaden. Die Bauern haben diesmal eine dezentrale Blockade vorgezogen. Das
war genial! Sie sind mit drei Treckern auf eine Kreuzung
gefahren, haben sie verkeilt und sind gegangen. Natürlich musste dann auch unsereiner seinen Weg suchen.
({25})
Nein, Kolleginnen und Kollegen von der Koalition, Sie
haben sich verzockt. Die Bürgerinnen und Bürger zeigen
Ihnen die Gelbe Karte.
({26})
Wenn Sie Ihre Politik nicht ändern, dann wird Ihnen bei
den nächsten Wahlen die Rote Karte gezeigt.
({27})
Das Wort hat nun der Kollege Eckhard Pols für die
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wenn
wir nicht über ein so ernstes Thema zu diskutieren hätten, dann könnte man das schöne Weihnachtslied „Alle
Jahre wieder“ von Johann Wilhelm Hey anstimmen. Alle
Jahre wieder findet ein Castortransport statt. Er ist leider
das einzige Ereignis, das in der ganzen Republik Aufmerksamkeit für den Landkreis Lüchow-Dannenberg
erregt. Kaum ist der Castor im Zwischenlager angekommen, ist die öffentliche Aufmerksamkeit für den Landkreis Lüchow-Dannenberg verschwunden. Wenn man
heute die Zeitungen aufschlägt, stellt man fest, dass über
dieses Thema nicht mehr auf den Seiten eins, zwei oder
drei, sondern erst auf den Seiten fünf, sechs oder sieben
berichtet wird.
({0})
Meine Heimatregion, die für unser Land eine wichtige Aufgabe übernimmt, hat aber auch an den restlichen
360 Tagen des Jahres durchaus Aufmerksamkeit verdient. Die Situation in Lüchow-Dannenberg darf nicht
nur auf „Castor“ und „Entsorgungsbergwerk“ reduziert
werden.
({1})
Die Bevölkerung vor Ort ist vom demografischen
Wandel stärker betroffen als die Bevölkerung anderer
Regionen in Deutschland. Dieser Landkreis, der mittlerweile 49 000 Einwohner hat, ist nicht nur hochverschuldet, sondern dort fehlt es auch an wichtigen Infrastrukturen, vor allem in den Bereichen Straße und Schiene.
Dies, meine Damen und Herren von der Opposition, ist
der Politik Ihrer Parteifreunde vor Ort geschuldet. Für
diese Probleme sind Lösungen gefordert, damit diese
strukturschwache Region nicht in ihrer Schönheit stirbt,
sondern eine Perspektive bekommt.
({2})
Dafür braucht diese Region vor allem Gewissheit in der
Frage, ob der Salzstock Gorleben als mögliches Endlager geeignet ist.
Frau Roth, wir wollen endlich wissen: Ist der Standort
geeignet oder nicht? Nichts anderes wollen die Menschen in der Region wissen. Dass sich in dieser Frage
nichts tut, macht einen wütend!
({3})
Diese Botschaft haben Sie aber leider nicht verstanden.
Ich will an dieser Stelle deutlich machen: Mir geht es um
meine Mitbürger vor Ort, um die Einwohner von
Lüchow-Dannenberg.
({4})
Die christlich-liberale Koalition ist das Thema Endlager
angegangen, auch wenn es unpopulär ist. Rot-Grün hat
lange genug geschlafen.
Es gibt in der Region viele Menschen, die sich gegen
den Castortransport und die Erkundung des Salzstockes
aussprechen. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass es in
der Samtgemeinde Gartow und in der Gemeinde Gorleben seit Jahrzehnten politische Mehrheiten gibt, die sich
dafür aussprechen; das gilt auch für die SPD, meine Damen und Herren. Das wissen Sie ganz genau.
({5})
Kollege Trittin, wir wissen, dass Sie die Lösung des
Endlagerproblems verschleppt haben. Sie haben aber
nicht den Mut gehabt - Sie wissen, aus welchen Gründen -, das Projekt Gorleben zu beerdigen. Das ist das Ergebnis Ihrer opportunistischen Politik: ein ganzes Jahrzehnt Ungewissheit.
Als Sie in der Verantwortung waren, haben Sie sich
schön mit dem Hubschrauber einfliegen lassen, um ja
nicht mit den Kommunalpolitikern, mit den gewählten
Vertretern vor Ort, reden zu müssen. Als Sie in der Verantwortung waren, haben Sie sich gegen die Demonstrationen ausgesprochen. Nun springen Sie, wie alle bei Ihnen, wieder auf den Protestzug auf.
({6})
Die überwiegend friedlichen Proteste wurden - das ist
leider richtig - von Krawallen begleitet, die in diesem
Jahr zu einem traurigen Höhepunkt geführt haben. Frau
Lühmann, ich gebe Ihnen hier völlig recht: Die Leidtragenden sind Ihre Kollegen von der Polizei und die Einsatzkräfte von Feuerwehr und Rettungsdiensten. Ich
schließe mich Ihnen ausdrücklich an: Ihnen gilt auch
mein besonderer Dank.
Ich wundere mich genauso wie unser Innenminister
darüber, dass der Vorsitzende der Polizeigewerkschaft
die Politik der Bundesregierung, aber nicht die Chaoten
kritisiert. Ich sehe es so, dass er hier eher als SPD-Mitglied - er hat Ihr Parteibuch in der Tasche - und nicht als
Gewerkschafter gesprochen hat.
({7})
Jeder hat das Recht, friedlich zu demonstrieren. Es ist
aber nicht hinnehmbar, dass sich Krawalltouristen und
linke Chaoten aus der autonomen Szene unter friedliche
Demonstranten mischen; denn denen geht es, wie gesagt,
nicht um die Sache, sondern um Gewalt und Zerstörung.
Null Toleranz muss es gegenüber dem Aufruf zu
Straftaten, zum Beispiel zum sogenannten Schottern, geben, den auch Abgeordnete der Linksfraktion aus diesem
Hause unterschrieben haben. Wer so etwas unterstützt,
wird meiner Meinung nach selbst zum Gewalttäter. Frau
Wagenknecht und ihre Genossen haben bewusst mit
Recht und Gesetz gebrochen. Ihre Vorgängerpartei, die
SED, hatte ein krankes Verhältnis zum Rechtsstaat, und
Teile Ihrer Partei haben es anscheinend noch immer.
({8})
Die SPD koaliert mit solchen Leuten in Berlin und Brandenburg. Das muss hier einmal klar gesagt werden.
({9})
Ich habe am Anfang den Landkreis Lüchow-Dannenberg angesprochen. Die Politik muss sich stets den aktuellen Herausforderungen stellen und die damit verbundenen Aufgaben lösen. Deshalb appelliere ich an Sie:
Arbeiten Sie konstruktiv mit uns zusammen an einer Lösung des gesamten Endlagerproblems; denn die Menschen in Deutschland und besonders in meiner Heimat
Lüchow-Dannenberg brauchen endlich Klarheit. Mit
dem Populismus, der hier gerade aus der grünen und linken Szene verbreitet wird, wird uns und unseren lieben
Mitbürgern in Lüchow-Dannenberg ganz bestimmt nicht
geholfen. Ich sage es noch einmal: Sie wollen endlich
wissen, ob Gorleben als Endlagerstandort geeignet ist
oder nicht. Das ist hier die zentrale Frage; die müssen
wir beantworten. Deswegen ist es richtig, das Moratorium zu beenden und so lange zu erkunden, bis wir wissen, was los ist.
Vielen Dank.
({10})
Nächster Redner ist der Kollege Sebastian Edathy für
die SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
1 Prozent der am Wochenende im Wendland Demonstrierenden hat sich nicht an Recht und Gesetz gehalten.
Das nimmt Schwarz-Gelb hier in der Aktuellen Stunde
zum Anlass, den anderen 99 Prozent ebenfalls eine unredliche Gesinnung zu unterstellen. Ich halte das für unanständig, für empörend und für unerhört.
({0})
Wer so argumentiert, kann offenkundig selber nicht auf
Redlichkeit verweisen, wenn es um das eigene Tun geht.
Sie beschweren sich über massenhafte Proteste im
Land.
({1})
Ich kann Ihnen dazu nur sagen, liebe Kolleginnen und
Kollegen von CDU/CSU und FDP: Wer den Brunnen
vergiftet, der darf sich anschließend nicht über eine
schlechte Wasserqualität beklagen. Was passiert, ist die
Folge dessen, was Sie hier vor zwei Wochen getan haben.
({2})
Die massenhaften Proteste gegen die Atompolitik der
Bundesregierung sind eben nicht Ausdruck einer Gefährdung unserer Demokratie, sondern ein Beweis für
ihre Stärke und ihr Funktionieren.
({3})
Sie sind Zeichen der Empörung darüber, dass die
schwarz-gelbe Bundesregierung einen befriedet geglaubten Konflikt mutwillig wieder aufgebrochen hat,
mit der Sicherheit der Bevölkerung spielt und ohne Not
den Atommüll vermehrt, ohne dass die Endlagerfrage
auch nur annähernd beantwortet worden ist.
({4})
Lassen Sie mich kurz aus dem Gorleben-Untersuchungsausschuss berichten, dessen stellvertretender Vorsitzender ich bin und der vor wenigen Monaten seine Arbeit aufgenommen hat. Er beschäftigt sich mit der Frage,
warum sich Schwarz-Gelb unter Helmut Kohl 1983, vor
27 Jahren, so stark auf Gorleben als möglichen Standort
für ein atomares Endlager fixiert hat.
Niedersachsens sogenannter Umweltminister Sander
({5})
hat am 28. Mai dieses Jahres vor der Landespressekonferenz gesagt, dass bei der Auswahl Gorlebens alles sauber
gelaufen sei; es gebe ein Gutachten eines Historikers.
Davon waren die Journalisten in Hannover sehr beeindruckt. Wir als Opposition haben uns gewundert, als wenige Wochen später dieser unabhängige Wissenschaftler,
der Historiker, als Mitarbeiter der Unionsfraktion im
Gorleben-Untersuchungsausschuss auftauchte. Wir haben ihn dann als Zeugen eingeladen, um zu hören, was er
zu unserem Untersuchungsauftrag beitragen kann. Bei
der Befragung des Zeugen kam heraus, dass seine historischen Untersuchungen über Gorleben in dem Gutachten auf einer Dissertation beruhen, die er vor etlichen
Jahren verfasst hat. Dann kam heraus, dass diese Dissertation von PreussenElektra, heute Eon, und damit von einem Kraftwerksbetreiber finanziert worden ist.
({6})
Was ist das für eine Wissenschaft, auf die Sie sich von
Schwarz-Gelb berufen? Das ist so ähnlich, als würde ich
bei der Tabakindustrie ein Gutachten über die Gefährlichkeit des Rauchens in Auftrag geben. Das können Sie
doch in den Papierkorb werfen.
({7})
Unabhängige Gorleben-Wissenschaftler hingegen wurden unter Druck gesetzt. Ihre Berufskarrieren wurden behindert, ihre Arbeitsergebnisse manipuliert, zensiert oder
ganz unterdrückt.
({8})
1983 schließlich beschließt die Regierung Kohl: Gorleben, und zwar nur Gorleben, soll als Endlagerstandort
untersucht werden. Grundlage war ein wissenschaftliches Gutachten. Das Problem aus Sicht der damaligen
Regierung war, dass alle Entwürfe dieser Wissenschaftler, die das Gutachten erstellen sollten, zu dem Ergebnis
kamen, dass mehrere Standorte untersucht werden müssten. Es sei wissenschaftlich völlig unseriös, nur einen
Standort zu untersuchen und letztlich keine Vergleichsmöglichkeit zu haben.
Als diese Wissenschaftler am 11. Mai 1983 in Hannover zu einer abschließenden Besprechung ihres Gutachtens zusammenkamen, auf dessen Grundlage sich SchwarzGelb unter Kohl für Gorleben entschieden hat, kamen
überraschend Vertreter des Kanzleramtes, des Forschungsministeriums und des Innenministeriums hinzu.
In einem Gesprächsprotokoll, dessen Korrektheit auch
von der Regierungsmehrheit im Ausschuss nicht infrage
gestellt wird, heißt es wie folgt:
Der Geologe Dr. Jaritz: „Drei Standorte untersuchen und dann eine Entscheidung.“
„Bei Vorschlag eines anderen Standortes wird Gorleben entwertet.“
Ein Vertreter des Bundesinnenministeriums ergänzt: „Das Bundesinnenministerium will nicht,
dass andere Standortvorschläge in den Bericht eingehen.“
So kam es auch. Der damalige Präsident der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt hat gesagt, dass das
eine Weisung der Bundesregierung war und dass Einfluss auf wissenschaftliche Ergebnisse genommen worden ist.
({0})
Im Klartext: Ihre Vorgängerregierung - SchwarzGelb unter Helmut Kohl - hat sich ihr wissenschaftliches
Gutachten im Grunde genommen selber geschrieben.
Das ist nicht in Ordnung. Es sind keine Kriterien für eine
Standortsuche entwickelt worden. Man hat sich aus politischen Gründen auf einen Standort festgelegt, und anschließend wurden die Kriterien so definiert, dass sie einigermaßen auf diesen Standort zu passen scheinen.
Das haben die Bürgerinnen und Bürger in diesem
Lande mittlerweile gemerkt, liebe Kolleginnen und Kol7566
legen von Schwarz-Gelb. Sie reiten seit 27 Jahren auf einem toten Pferd. Es wird Zeit, dass Sie absteigen.
({1})
Glauben Sie bitte nicht, dass die Proteste im Wendland ein singuläres Ereignis sind. Sie machen Politik gegen die Mehrheit der Menschen in unserem Land. Sie
machen Politik zulasten des inneren Friedens in unserer
Gesellschaft. Sie handeln kurzsichtig und in Mangel an
Verantwortung. Wenn Sie Ihren Kurs nicht korrigieren,
dann wird es spätestens in drei Jahren der Wähler tun.
Vielen Dank.
({2})
Die Kollegin Dr. Maria Flachsbarth ist nun die
nächste Rednerin für die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Kollege Edathy, Ihre Rede hat doch noch etwas
Überraschendes und Neues gebracht. Ich erwarte den
Antrag der Oppositionsfraktionen, relativ schnell mit der
Arbeit des Gorleben-Untersuchungsausschusses zu Ende
zu kommen, da offensichtlich schon alle Erkenntnisse
gewonnen sind. Das ist immerhin ein sehr wichtiger
Hinweis von Ihnen.
({0})
Mich stört an dieser Debatte, meine sehr verehrten
Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen,
dass es zwar selbstverständlich ist, dass wir alle die
friedliche Ausübung des Rechts auf Demonstrationsfreiheit begrüßen, die durch unser Grundgesetz gewährleistet ist, dass es aber nur ein Redner der Opposition für
notwendig gehalten hat, sich von der Gewalt, die tatsächlich stattgefunden hat und hier nicht nur herbeigeredet wurde, zu distanzieren.
({1})
Mich stört es gewaltig, dass der politische Konflikt über
die friedliche Nutzung der Kernenergie insbesondere
von den Grünen aus diesem Parlament auf die Straße getragen wird und dort auf dem Rücken der Polizistinnen
und Polizisten, die sowohl für die Ausübung des Demonstrationsrechts als auch für die Gewährung der Sicherheit Sorge tragen müssen, ausgetragen wird.
({2})
Politik muss und soll sich in Parlamenten, auf Podien
und meinetwegen auch im Rahmen von Demonstrationen um diese Probleme kümmern. Sie darf aber nicht
Castortransporte auf Kosten der Polizistinnen und Polizisten instrumentalisieren.
({3})
Die Grünen und die SPD feiern die Demonstrationen
laut Focus Online vom 9. November 2010 als „Sternstunde der Demokratie“. Wie anders wurde der gleiche
Sachverhalt von unserem ehemaligen Bundesminister
Trittin, der dieses Haus jetzt Gott sei Dank verlassen hat,
am 29. März 2001 von diesem Platz aus beurteilt.
({4})
- Er ist doch da. Wunderbar! Damals, Herr Trittin, haben
Sie gesagt - ich zitiere -:
Ich glaube, wir sind uns in diesem Hause einig, dass
jede Form von Gewalt und Verletzung von anderen
strikt abzulehnen ist und dies durch das Recht auf
Demonstrationsfreiheit nicht gedeckt ist.
Sie sagen weiter - Herr Kollege Koschyk hat es eben
schon angesprochen, aber ich will es noch einmal wiederholen, weil es so schön ist -:
Diejenigen, die durch ihre Aktion auf den Gleisen
dazu beigetragen haben, dass die Castorbehälter einen Tag später als geplant angekommen sind, haben
für sich in Anspruch genommen, sie seien nicht gewalttätig. Es ist aber völlig eindeutig, … dass sich
diese Menschen rechtswidrig verhalten … haben;
das wissen sie auch.
({5})
Das, verehrte Kolleginnen und Kollegen, ist ein unredliches und schäbiges Verhalten. Das, was 2001 noch
Rechtsbruch war, ist heute eine Sternstunde der Demokratie. Das geht nicht.
({6})
Ich zitiere noch eine Aussage von Ihnen, Herr Trittin,
vom 15. Februar 2001, auf der Homepage des BMU:
Weil wir rechtlich und politisch verpflichtet sind,
den deutschen Atommüll zurückzunehmen, sagen
wir mit aller Klarheit: Proteste sind verständlich,
aber in der Sache falsch.
Der objektiv gleiche Sachverhalt - die in internationalen Verträgen zugesicherte Rücknahme von Atommüll
aus La Hague und Sellafield - wird je nach eigenem parteipolitischen Vorteil bewertet.
({7})
Das ist Populismus. Das ist eine Politik ohne Rückgrat.
({8})
Der sogenannte Atomkonsens, mit dem Sie hier ständig argumentieren, war eigentlich gar kein Konsens. Er
sah Laufzeitverlängerungen von über 20 Jahren vor, und
zwar ohne zusätzliche Sicherheitsanforderungen,
({9})
ohne finanzielle Beteiligung der Konzerne am Umbau
des Energiesystems, ohne Strategie zum Ausbau der erneuerbaren Energie über den Zubau hinaus
({10})
sowie ohne jede Aussage zum Ausbau der Netze und der
Speicherkapazitäten. All das wird jetzt durch die neue
Bundesregierung auf den Weg gebracht.
Vor allem haben Sie die Notwendigkeit der Erkundung eines Endlagers im Rahmen Ihres Energiekonzepts
einfach ignoriert und verdrängt,
({11})
und zwar trotz der Bestätigung der Eignungshöffigkeit
im Rahmen der Ausstiegsvereinbarung und der Feststellung im sogenannten Synthesebericht, dass die Sicherheit eines möglichen Endlagers nur mit standort- und anlagespezifischen Sicherheitsanalysen ermittelt werden
könne.
({12})
Und was folgte daraus? Irgendein Handeln? Nein!
Nichts!
Der hochgelobte Abschlussbericht des AK End von
2002 blieb nur beschriebenes Papier. Das angekündigte
Endlagersuchgesetz war eine Fata Morgana. Alternativstandorte wurden selbstverständlich nicht genannt. Sie
hatten auch nicht den Mut, die Erkundung in Gorleben
tatsächlich zu beenden. Wenn Sie tatsächlich der Meinung sind, Gorleben sei nicht geeignet, hätten Sie sich
diese Möglichkeit damals nicht entgehen lassen sollen.
Jetzt verkünden Sie lautstark, dafür umso folgenloser,
Gorleben sei tot. Das ist schlicht und ergreifend völlig
verantwortungslos.
({13})
Wir übernehmen jetzt die Verantwortung, erkunden
ergebnisoffen weiter, beziehen internationale Wissenschaftler ein und wollen den Menschen vor Ort - so, wie
der Kollege Eckhard Pols als Wahlkreisabgeordneter es
eben gefordert hat - endlich Gewissheit geben, woran
sie sind. Die Menschen vor Ort wollen wissen, ob es ein
Endlager geben wird oder nicht. Darauf haben sie ein
Recht. Es darf aber nicht sein, dass es jedes Jahr aufs
Neue einen Ausnahmezustand gibt.
Herzlichen Dank.
({14})
Für die FDP-Fraktion hat nun die Kollegin Angelika
Brunkhorst das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Um es
noch einmal zu sagen: Auch für die FDP war es das gute
Recht der Bürgerinnen und Bürger - das bleibt auch
so -, friedlich gegen den Castortransport aus La Hague
in das zentrale Zwischenlager nach Gorleben zu demonstrieren.
({0})
Deutschland ist ein Rechtsstaat, und es ist Aufgabe der
Polizei, Recht und Gesetz durchzusetzen. Die Polizei
hatte den Auftrag, den möglichst störungsfreien Transport der Castoren zum Zielort zu gewährleisten und Gefahren für die Bevölkerung zu vermeiden. Meine Fraktionskollegin Judith Skudelny war in der vergangenen
Woche als Beobachterin bei den Castortransporten. Sie
konnte uns in eindrucksvoller Weise beschreiben, was
sie dort erlebt hat. Sie hat sehr wohl über die positiven
Dinge berichtet. Sie schilderte, dass die überwiegende
Mehrheit der Demonstranten friedlich und kreativ gewesen sei und es auch zwischen der Polizei und den Demonstranten vielfältige und wohlwollende Interaktionen
gegeben habe. Das wollen wir gar nicht unterschlagen.
Inakzeptabel waren jedoch die Treckerblockaden,
durch die die Zuwege hermetisch abgeriegelt wurden.
({1})
Das erscheint auf den ersten Blick ganz friedlich; aber
wir haben schon gehört, dass dadurch die Einsatzkräfte
der Polizei über Stunden nicht mit Nahrungsmitteln und
Getränken versorgt werden konnten. Dadurch konnte
kein Personalaustausch nach dem Ende der Schicht erfolgen. Viele Polizisten waren 24 Stunden nonstop im
Dienst.
({2})
Das ist mit Absicht erzeugter Stress, und das ist menschenverachtend.
({3})
Zum anderen verurteilen wir Liberalen aufs Schärfste
den generalstabsmäßig vorbereiteten Versuch, zeitgleich
mit 6 000 Leuten die Gleise zu schottern.
({4})
Das war eine Straftat - das kann man nicht oft genug
wiederholen -, das war ein Anschlag auf die öffentliche
Infrastruktur und auf Menschen. Punkt.
({5})
Ich möchte den vielen Polizistinnen und Polizisten,
die nötig waren, um den Transport sicher durchzuführen,
an dieser Stelle meine Hochachtung für ihren engagierten und anstrengenden Einsatz zollen. Vielen Dank.
({6})
Ich habe auch gar kein Verständnis dafür, wenn sich
ausgerechnet grüne Spitzenpolitiker an diesen Protesten
beteiligen; denn ihr Verhalten ist wirklich scheinheilig.
Sie wissen genau: Selbst wenn Sie in der Regierungsverantwortung gewesen wären, hätten Sie diese Transporte
durchführen müssen.
({7})
Ich möchte daran erinnern, dass die Castortransporte auf
einer vertraglichen Grundlage durchgeführt werden. Wir
sind verpflichtet, unseren wiederaufbereiteten Atommüll
aus La Hague zurückzunehmen. Wir alle wissen, dass lediglich Gorleben als Lager für diese Transportbehälter
geeignet ist und nur Gorleben die Zulassung hat. Deswegen führen diese Transporte unausweichlich nach Gorleben. Sie werden auch in Zukunft, nämlich im nächsten
Jahr, dorthin unterwegs sein.
({8})
Sie wissen genauso, dass bereits seit 2005 nach dem
Atomgesetz die Abgabe bestrahlter Brennelemente an
die Wiederaufbereitungsanlagen verboten ist. Es geht
also lediglich um die Abarbeitung alter Aufträge.
Sie haben den Castortransport missbraucht, um gegen
die aktuelle Energiepolitik zu demonstrieren. Dazu war
er denkbar ungeeignet, und das ist hier entlarvt worden.
({9})
Sie haben versucht, alles zu vermischen. Frau Roth, Sie
sind manchmal wütend, man kann aber auch wütend darüber sein, wie hier die Dinge auf den Kopf gestellt werden.
({10})
An der Pflicht zur Rücknahme hat sich nichts geändert. Geändert hat sich lediglich, dass die Grünen nicht
mehr an der Regierung sind. Da möchte ich einhaken:
Die Grünen behaupten einerseits, die friedliche Nutzung
der Kernenergie sei nicht zu verantworten. Im Atomkonsens haben sie andererseits aber garantiert, dass sie keine
Initiative ergreifen, um den Sicherheitsstandard der
Kernkraftwerke zu verbessern.
Die Grünen behaupten, der Salzstock in Gorleben
tauge nicht für ein Endlager. Im Atomkonsens bescheinigen sie dem Standort aber Eignungshöffigkeit. Die
Atompolitik der Grünen ist und bleibt unglaubwürdig.
({11})
Ich komme zum Schluss. Es ist höchste Zeit, dass die
ergebnisoffene Erkundung in Gorleben endlich Klarheit
darüber schafft, ob der Salzstock geeignet ist oder nicht.
({12})
Dazu wird parallel ein internationales Expertengremium
prüfen, ob Gorleben den neuesten internationalen Standards genügt. Auch werden wir die Bevölkerung während der Erkundungsarbeiten durch eine transparente
und umfassende Informations- und Kommunikationsteilhabe in einem Begleitprozess einbinden.
({13})
Das ist unser Weg, und dazu stehen wir auch.
Da mir noch zwölf Sekunden Redezeit verbleiben,
will ich noch eines sagen: Herr Miersch, ich muss mich
doch sehr wundern, dass Sie eine solche Informationsente in die Welt setzen wollen, der zufolge wir jetzt
Atommüll nach Russland verschaffen wollen. Sie wissen
doch ganz genau, dass es sich dabei um alte russische
Brennelemente handelt,
({14})
die in Dresden-Rossendorf verbraucht wurden und jetzt
nach einem amerikanisch-russischen Abkommen natürlich ins Ursprungsland zurückgeführt werden müssen.
({15})
Darum geht es. Ich finde es wirklich unredlich, dass Sie
das hier auch noch mit anbringen.
({16})
Nächster Redner ist der Kollege Armin Schuster für
die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten
Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen
und Herren! Die Opposition möchte uns heute erklären,
dass die Demonstranten gegen die Castortransporte am
vergangenen Wochenende friedlich demonstriert haben
({0})
- Sie hören mir ja zu. - Getreu dem Grundsatz „Nach
dem Einsatz ist vor dem Einsatz“ geben wir uns mit einer vorschnellen Bewertung nicht zufrieden. Ich glaube,
dass die fast 12 000 eingesetzten Polizeibeamten,
({1})
die Teilnehmer an künftigen Versammlungen und auch
die Bürger in Deutschland ein Recht darauf haben, dass
wir hier präzise politisch Stellung nehmen zu dem, was
dort geschehen ist.
({2})
Wir müssen eine klare Stellungnahme zu lang andauernden Blockaden mit Traktoren oder womit auch immer
abgeben, wir müssen zu Flaschen- und Steinwürfen Stellung nehmen, zu Sachbeschädigungen, zum Widerstand
gegen Vollstreckungsbeamte, zum Schottern, zum Einsatz von Pyrotechnik und zu einem versuchten Tötungsdelikt gegen Polizeibeamte.
Meine Damen und Herren, wir können angesichts dieser Vorkommnisse im Wendland doch nicht einfach zur
Tagesordnung übergehen und so tun, als wäre nichts passiert.
({3})
Die Versammlungsteilnehmer wollten ein politisches Signal setzen. Vielen ist das friedlich gelungen. Das begrüße ich sehr. Einige Tausend, Herr Edathy, nicht
1 Prozent, haben das nicht hinbekommen.
({4})
Sie haben es ja heute Morgen im Innenausschuss gehört.
({5})
Haben wir überhaupt noch das richtige Maß, wenn
wir angesichts solcher Straftaten von friedlichen Demonstrationen sprechen?
({6})
Mittlerweile gibt es genügend Kollegen in diesem Haus,
die den Menschen weiszumachen versuchen, ziviler Ungehorsam sei ein Bestandteil demokratisch legitimierter
Meinungsäußerung.
({7})
Das begründen Sie damit, dass unser Energiekonzept angeblich nicht demokratisch zustande gekommen sei. Sie
stellen die Dinge auf den Kopf.
({8})
Sie konnten hier vor 14 Tagen erleben, wie nach einem monatelangen Prozess, der vor der Wahl begann
und nach der Wahl verlässlich endete, ein Energiekonzept beschlossen wurde, von dem wir überzeugt sind,
über das wir gerne diskutieren, aber bitte in diesem ehrenwerten Haus.
({9})
Die Novellierung des Atomgesetzes würden wir gerne
hier mit Ihnen diskutieren und nicht auf der Straße im
Wendland. Wer diese demokratische Rechtmäßigkeit bezweifelt, bei dem bezweifle ich auch, dass er eine anständige Haltung zu unserer Verfassung hat.
({10})
Das erkläre ich Ihnen jetzt, auch Ihnen, meine Damen
und Herren von den Linken. Ein Bundesbeamter hätte
bei Aufruf zu Straftaten mit einem Disziplinarverfahren
zu rechnen, das unter Umständen mit Entlassung endet.
Leider ist das in diesem Haus mit Ihnen so einfach nicht
möglich. Ich bedauere das sehr.
({11})
- Herr Gysi: Gedankenstrich, ich habe verstanden. Es
wäre ein zutiefst undemokratischer Akt. Wir würden in
wenigen Wochen Ihre Fraktion auf ein vernichtendes
Maß dezimieren. Das möchte ich auch nicht.
({12})
131 Polizeibeamte verletzt, 1 316 Personen in Gewahrsam genommen, 306 Platzverweise erteilt,
117 Traktoren sichergestellt und 172 Strafverfahren,
meine Damen und Herren, das können Sie nicht als eine
friedliche Versammlung bezeichnen.
({13})
Wer Polizisten selbst die Versorgung nicht zukommen
lassen will und diese Wege blockiert, meine Damen und
Herren, der übt doch nicht das Recht auf Versammlungsfreiheit aus. Ich weiß nicht, was er tut, aber das jedenfalls nicht.
({14})
- Herr Winkler, wir haben das verstanden. Wir haben
schon bei Frau Lühmann verstanden, dass die Polizei das
nicht gut kann. Das akzeptiere ich aber nicht.
Es ist zur Normalität geworden, dass wir bei Demonstrationen lange Blockaden erleben, jeden Teilnehmer
wegtragen müssen, auch verbale Beschimpfungen gegenüber den Polizeibeamten ertragen müssen.
({15})
Das alles soll unter das Versammlungsrecht subsumiert
werden.
({16})
Das halte ich nicht für akzeptabel. Ich bin davon überzeugt, dass die Bundesregierung wie an diesem Wochenende entschieden einschreiten muss, wenn Versammlungsteilnehmer derart vorgehen.
({17})
Meines Erachtens liegt es auch nicht in dem vom Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil festgeschriebenen Rahmen, wenn Sie tagelang verhindern, dass ein
Castortransport sein Ziel erreicht.
({18})
Noch ein Satz zu den Grünen. Sie demonstrieren in
Stuttgart für „oberirdisch“, zeitgleich an der Rheintalbahn für „unterirdisch“.
({19})
Sie sind für Windkraft, aber gegen Leitungen. Sie sind
für regenerative Energien, aber gegen Wasserkraftwerke.
Diese Doppelbödigkeit, liebe Frau Roth, wird dafür sorgen, dass Sie in einigen Jahren unter Umständen wieder
von irgendwelchen Äckern getrieben werden, weil man
Sie für zutiefst unglaubwürdig hält.
({20})
Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Schluss.
Die Endlagerfrage könnten wir mit Ihnen überhaupt
nie diskutieren. Egal, über welchen Ort wir sprechen
würden: Sie wären in jedem Fall dagegen.
({0})
Herr Kollege, die Redezeit ist abgelaufen.
Ich möchte mich abschließend bei den vielen tatsächlich friedlichen Versammlungsteilnehmern bedanken.
Vor Ihnen und Ihrer Meinung, meine Damen und Herren,
habe ich großen Respekt.
({0})
Ich rufe Ihnen aber zu: Schwächen Sie diese starke Position nicht, indem Sie sich mit falschen Freunden umgeben, ({1})
Sie müssen wirklich zum Schluss kommen.
- egal, woher sie kommen mögen.
Danke schön.
({0})
Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege
Reinhard Grindel für die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Am Ende einer solchen Debatte versucht man natürlich,
ein Stück weit zusammenzufassen und nach vorne zu
schauen. Es ist völlig richtig: Wir haben uns hier, glaube
ich, einig gezeigt: Ein Großteil der Demonstrationen und
Aktionen war friedlich, aber ein bedeutender Teil - das
ist mehrfach auch zahlenmäßig unterlegt worden - eben
nicht. Wenn jemand wie der Organisator in Gorleben,
Jochen Stay, sagt, das sei eine Sternstunde des gewaltfreien Widerstandes gewesen, dann ist das meines Erachtens zynisch.
({0})
Es wäre eine Sternstunde des gewaltfreien Widerstands
gewesen, wenn die Friedlichen sich einmal den Militanten entgegengestellt hätten, wenn es auch bei den Demonstranten selber eine klare Distanzierung von unfriedlichen, militanten Aktionen gegen Polizeibeamte
gegeben hätte.
({1})
Das wäre eine Sternstunde des friedlichen Widerstands
gewesen. Das habe ich vermisst.
({2})
Frau Kollegin Roth, Sie haben, glaube ich, sogar
wörtlich gesagt: Auch Sitzblockaden gehören zu den
Grundnahrungsmitteln der Demokratie.
({3})
Dann rufe ich zum Hungerstreik auf. Wenn Sie sagen,
dass Sitzblockaden ein Grundnahrungsmittel der Demokratie darstellen, dann gehen Sie in meinen Augen in
Wahrheit an die Grundfesten der Demokratie.
({4})
Angesichts dessen, was in Stuttgart passiert ist, kann
ich nur sagen: Auch in den größten Konflikten müssen
wir noch ein Stück weit gemeinsame Grundlagen haben,
die allseits akzeptiert werden,
({5})
und zwar unabhängig von der Wertigkeit gewisser politischer Forderungen, die man wie ein Schild vor sich her
trägt. Ich sage Ihnen: Die Linken haben schon seit langem keinen klaren Trennstrich gegen Gewalt mehr gezogen. Das haben Sie, Frau Menzner, mit Ihrer Bemerkung, ein paar Schottersteine klauen sei nicht schlimm,
unterstrichen. Ähnliches gilt aber auch für Sitzblockaden. So wie es sie in Gorleben und Umgebung gegeben
hat, stellen sie natürlich eine Straftat dar.
({6})
Ich sage in aller Deutlichkeit: Gemeinsamkeit der Demokraten muss sein, dass man friedlich und ohne Begehen von Straftaten das Demonstrationsrecht ausübt.
({7})
Die Polizeibeamten und der Rechtsstaat schützen jeden
friedlichen Versammlungsteilnehmer. Aber wer das Demonstrationsrecht missbraucht, der muss auch den vollen Widerstand der demokratischen Institutionen wie der
Polizei spüren. Das ist Teil des demokratischen Grundkonsenses, auf den wir uns eigentlich in diesem Hause
verständigen müssten.
({8})
Nun will ich darauf eingehen, dass hier mehrfach gesagt wurde, Gorleben sei als Standort ungeeignet, es
handle sich um einen Irrweg. Aussagen von Herrn Trittin
wurden hier ja schon mehrfach zitiert.
({9})
Ich will eine Passage aus dem Ausstiegsvertrag zitieren,
den Rot-Grün mit den vier Versorgungsunternehmen geschlossen hat. In diesem Vertrag - das muss man sich
wirklich einmal auf der Zunge zergehen lassen -, der
von dem damals verantwortlichen Umweltminister
Trittin unterschrieben wurde, steht:
Die bisherigen Erkenntnisse über ein dichtes Gebirge und damit die Barrierefunktion des Salzes
wurden positiv bestätigt. Somit stehen die bisher
gewonnenen geologischen Befunde einer Eignungshöffigkeit des Salzstockes Gorleben … nicht
entgegen.
Das steht in Ihrem Ausstiegsvertrag. Das war damals
Konsens.
({10})
Seitdem sind ja wegen des Moratoriums
({11})
keine neuen Erkundungen durchgeführt worden. Heute
ist der wissenschaftliche Stand derselbe. Die Zahl der
Wissenschaftler, die mittlerweile sagen, dass Salz das
geeignetste Wirtsgestein ist, nimmt sogar zu. Ich kann
Ihnen nur sagen: Was Sie da machen, ist auch ein Stück
mangelnde Wahrhaftigkeit den Bürgern gegenüber. Sie
spielen mit den Ängsten der Bürger, wenn Sie sagen:
Gorleben ist völlig ungeeignet, ist gefährlich.
({12})
Dabei haben Sie selber im Jahr 2000 noch die Eignungshöffigkeit von Gorleben unterschrieben.
({13})
Der Kollege Trittin, der ja immer davon redet, dass es
sich bei Gorleben um einen Schwarzbau handelt, hat
sich jetzt entweder in die hintersten Reihen oder in sein
Büro zurückgezogen.
({14})
Ich kann ihm nur sagen: Er war sieben Jahre Umweltminister in diesem Land. Wenn es sich bei Gorleben um einen Schwarzbau handelte, dann hätte er ihn verbieten
und die Erkundung einstellen müssen. Hier gibt es doch
jede Menge Widersprüche. Wegen des Moratoriums ist
längere Zeit nichts passiert.
({15})
Insofern kann ich nur sagen: Wenn es sich um einen
Schwarzbau handeln würde, dann hätte Herr Trittin sieben Jahre Zeit gehabt, ihn zu verbieten. All das, was Sie
vortragen, ist nicht glaubwürdig.
({16})
Auch das, Herr Kollege Miersch, was Sie hier zum
Thema Asse gesagt haben, dient doch nur dazu, die Bürger, die nicht so in die Diskussionen vertieft sind, zu verunsichern und ihnen Angst zu machen. Die Bürger denken jetzt natürlich: Bei der Asse ging es um Salz, in
Gorleben geht es auch um Salz. Also wird das wohl
schlimm sein. Dass in Wahrheit natürlich ein Salzbergwerk, das ausgebeutet worden ist, das ganz dünne
Isolationsschichten hat, etwas völlig anderes ist als ein
unverritzter Salzstock, der 900, ja 1 000 Meter breite
Isolationspotenziale hat, verschweigen Sie.
({17})
Ich sage Ihnen auch in diesem Punkt: Wer Asse und
Gorleben miteinander vergleicht, will nichts anderes, als
den Menschen Angst machen.
Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Schluss.
Angst ist aber ein schlechter politischer Ratgeber.
({0})
Liebe Frau Präsidentin, lassen Sie mich schließen mit
den Worten des stellvertretenden Bürgermeisters der
Samtgemeinde Gartow, Herrn Hans-Joachim Schenk. Er
hat am Montag in der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung gesagt:
Vor allem wünsche ich mir ein Ende des politischen
Gezänks um die Atommüllentsorgung. Die Entsorgung ist eine nationale Aufgabe. Dazu bedarf es jedoch eines gemeinsamen Willens. Die politischen
Mehrheiten hier in der Region stehen zu dieser Verantwortung.
Ich finde, die Generation, die auf Atomenergie setzt,
Herr Kollege, jetzt müssen Sie bitte zum Schluss
kommen.
- muss auch die Generation sein, die sich um eine sichere Entsorgung kümmert. Das werden wir jetzt auf
den Weg bringen.
({0})
Die Aktuelle Stunde ist beendet.
Damit sind wir auch am Schluss unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestags auf morgen, Donnerstag, 11. November 2010,
9 Uhr, ein.
Ich wünsche Ihnen noch einen schönen Abend und
schließe die Sitzung.