Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 10/8/2010

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Die Sitzung ist eröffnet. Ich wünsche Ihnen einen guten Morgen und begrüße Sie alle sehr herzlich zu unseren heutigen Beratungen. Wir können gleich in die Tagesordnung einsteigen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 27 auf: Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung Hightech-Strategie 2020 für Deutschland - Drucksache 17/2691 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung ({0}) Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuss für Kultur und Medien Interfraktionell wurde vereinbart, darüber eineinviertel Stunden zu debattieren. - Ich sehe, damit sind Sie einverstanden. Dann können wir so verfahren. Ich eröffne die Aussprache. Als erste Rednerin hat das Wort für die Bundesregierung Frau Bundesminister Professor Dr. Annette Schavan. ({1})

Dr. Annette Schavan (Minister:in)

Politiker ID: 11003836

Guten Morgen, Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Innovationen garantieren Wettbewerbsvorteile. Das gilt für unser Land insgesamt und für die Unternehmen in Deutschland im Besonderen. Ein ressourcenarmes Land wie Deutschland - wir haben in diesem Hohen Hause oft darüber diskutiert - ist auf technologische Meisterleistungen angewiesen. Technologisch fortschrittliche Unternehmen können sich wegen des harten internationalen Innovationswettbewerbs einen Verzicht auf Forschung und Entwicklung nicht leisten. Der eigentliche Wettbewerbsvorteil der deutschen Unternehmen liegt nicht im Preis, sondern in innovativen und hochwertigen Produkten. Der überwiegende Teil der deutschen Unternehmen hat deshalb Weitblick bewiesen und die Forschungs- und Entwicklungsausgaben auch im Krisenjahr nicht angetastet, und das, obwohl das BIP überdurchschnittlich stark zurückgegangen ist. Die Investitionsbereitschaft ist deshalb so beeindruckend, weil die historische Erfahrung einen Rückgang der Investitionen erwarten ließ. Die tatsächliche Planung zeigt dagegen konstante Investitionsausgaben. Erste Schätzungen für das vergangene Jahr - mit Blick auf das 3-Prozent-Ziel - gehen von einer Quote von mehr als 2,8 Prozent aus. Das ist eine äußerst positive Entwicklung für Deutschland. ({0}) Voraussetzung für stabile und über längere Zeiträume sich positiv entwickelnde Phasen ist das Zusammenspiel, in diesem Fall von Wissenschaft, Wirtschaft und Politik. Das ist das eigentliche Grundprinzip, die Grundstruktur der Hightech-Strategie: Staat, Wirtschaft und Wissenschaft bilden eine Allianz und sind in der Lage, zum richtigen Zeitpunkt die richtigen Entscheidungen zu treffen. Deshalb gab es einen überwältigenden Konsens in diesem Haus dafür, dass gerade in solchen Zeiten Bildung und Forschung der Vorrang vor allem anderen eingeräumt wird. Deshalb haben sich - das wird jetzt deutlich - die Konjunkturprogramme rentiert. Es war richtig, die Schwerpunkte auf Bildung und Forschung zu legen. Wir können jetzt sagen - viele sagen das, wenn sie auf Deutschland schauen -: Nach der Krise sind wir stärker als vorher. ({1}) Die EU-Kommission hat die Wachstumsprognose nach oben geschraubt. Danach erhöht sich die deutsche Wirtschaftsleistung in diesem Jahr um 3,4 Prozent. Das Weltwirtschaftsforum hält Deutschland für die wettbewerbsfähigste Volkswirtschaft der Euro-Zone. Der Aufschwung verläuft in Deutschland schneller und stärker als in den meisten anderen Industrienationen. Gute Bildung, starke Forschung und eindrucksvolle Innovationskraft, das sind die Fundamente des Aufschwungs. Redetext Wir konsolidieren den Haushalt und geben gezielte Wachstumsimpulse. Um aus Wissen und Ideen möglichst effizient Innovationen und wirtschaftliches Wachstum zu machen, brauchen wir einen klaren Fahrplan. Dieser Plan ist die Hightech-Strategie. Mit ihr setzen wir unsere nationale Innovationsstrategie der vergangenen Legislaturperiode fort. Mehr Qualität, mehr Effizienz in das Zusammenspiel von Wissenschaft, Wirtschaft und Politik zu bringen und die Rahmenbedingungen für Innovationen in der Wirtschaft zu verbessern - das sind die zentralen Ziele dieser Strategie. Im nächsten Schritt wird es darauf ankommen, die Erfahrungen, die wir mit der Hightech-Strategie gemacht haben, in eine europäische Innovationsstrategie einzubringen, über die der Wettbewerbsfähigkeitsrat im November diskutieren und der Europäische Rat im Dezember dieses Jahres entscheiden wird. Neue Technologien, neue Dienstleistungen und auch gesellschaftliche Veränderungen sind die eigentlichen Innovationstreiber. In der fortgeschriebenen Hightech-Strategie richten wir die Innovationspolitik noch stärker an ganz konkreten Aufgaben und auch Bedürfnissen der Menschen aus. Deshalb konzentrieren wir uns auf fünf Schwerpunkte: Klima und Energie, Gesundheit, Kommunikation, Mobilität und Sicherheit. Das sind die Bedarfsfelder, auf denen sich die wichtigsten Menschheitsfragen des 21. Jahrhunderts entscheiden werden. Deshalb sind das unsere Schwerpunkte in der Hightech-Strategie. Übrigens werden zu dem Instrumentenkasten, der mit der Hightech-Strategie verbunden ist, in den nächsten Monaten und Jahren auch verstärkt Bürgerdialoge gehören. Wir müssen reden, kommunizieren, die öffentliche Kommunikation über die großen Zukunftsprojekte, die mit der Hightech-Strategie verbunden sind, herstellen. Das macht moderne Innovationspolitik aus. Wir erfahren ja im Moment an einer Reihe von Stellen in Deutschland: Zu guter Politik gehört auch gute Kommunikation. Deshalb gehört zu guter Forschungspolitik auch, Lust und Leidenschaft auf Zukunft, auf die großen Zukunftsprojekte zu wecken. ({2}) Zu den Zukunftsprojekten, zu den Leuchttürmen gehört zum Beispiel die CO2-neutrale, energieeffiziente und klimaangepasste Stadt - diese Beschreibung ist etwas kompliziert -, kurz Nachhaltigkeitsstadt genannt. Sie ist nicht nur eine Vision, sie ist der Prototyp für die Zukunftsprojekte. Wichtig ist der Gesamtkontext, die Herstellung eines systemischen Zusammenhangs. Die Nachhaltigkeitsstadt steht in einem engen Zusammenhang mit dem Fortschritt des Zukunftsprojektes „Intelligenter Umbau der Energieversorgung“. Wo es solche klaren inhaltlichen Schnittmengen gibt, werden wir sie nutzen. Es gehört zum Markenkern der Hightech-Strategie, alle Ressorts hinter einer gemeinsamen Idee zu versammeln. Konzeption und Umsetzung der Hightech-Strategie sind vom gemeinsamen Willen der ganzen Bundesregierung getragen. Es geht darum, Innovationen und das, was in diesem Kontext relevant ist, in das Zentrum der Fachaufgaben zu rücken. Die Ausgestaltung der Hightech-Strategie ist deshalb Sache aller Ressorts. Das ist gleichsam roter Faden des Regierungshandelns: Wie sind die Entscheidungen und Prozesse, die wir auf den Weg bringen, unter dem Gesichtspunkt von Zukunftsfähigkeit und Stärkung von Innovationskraft zu bewerten? Mit erfolgreichen Initiativen wie dem Spitzenclusterwettwerb oder „KMU-innovativ“ haben wir Maßstäbe gesetzt. International ist die Hightech-Strategie viel beachtet. Deshalb werben wir auch im Ausland verstärkt für unseren Ansatz und verzahnen nationale und europäische Forschungs- und Innovationspolitik enger miteinander. Mit Europa 2020 und der Innovationsunion haben Kommission und Europäischer Rat einen anspruchsvollen Prozess angestoßen. Vorbild für das, was jetzt auf der europäischen Ebene als europäische Innovationsstrategie beraten wird, ist unsere Hightech-Strategie. Die europäische Innovationspolitik orientiert sich stärker als je zuvor und zu Recht an den globalen Aufgaben und nimmt innovationsfördernde Rahmenbedingungen in den Blick. Deutschland wird dank seiner Erfahrungen mit der Hightech-Strategie zu dieser neuen Forschungs- und Innovationspolitik in Europa maßgeblich beitragen. Deutschland hat die innovative Kraft, Vorreiter zu sein. Das gilt im Hinblick auf die Maßnahmen, die in den vergangenen Jahren bereits auf den Weg gebracht worden sind. Das gilt aber auch für Maßnahmen, die wir, auch wenn es schwierig ist und wenn innerhalb der Fraktionen und der Regierung unterschiedliche Akzente gesetzt werden, noch anpacken müssen. Wie Sie wissen, zählt für mich dazu - neben institutioneller Förderung, neben Projektförderung im Bereich der Forschungspolitik und neben dem, was schon auf den Weg gebracht worden ist -, auch im Blick zu behalten, dass wir speziell für kleine und mittelständische Unternehmen steuerliche Anreize für Forschung und Entwicklung brauchen. Dies muss unser nächstes Thema sein. ({3}) Das ist schwierig; darüber haben wir auch gestern im Haushaltsausschuss gesprochen. Aber die Sache wird rund, wenn wir auf dieser Ebene Instrumente schaffen, um noch stärkere Anreize für Investitionen in Unternehmen zu schaffen. Denn wir wissen: Dass wir im Jahre 2009 2,8 Prozent des BIP für Forschung und Entwicklung ausgegeben haben, ist gut; das ist eine ausgesprochen positive Entwicklung. Aber wir wollen das 3-Prozent-Ziel erreichen. Das schaffen wir nur durch konsequente Investitionen seitens der Unternehmen. Vielen Dank. ({4})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Nächster Redner ist der Kollege Florian Pronold für die SPD-Fraktion. ({0})

Florian Pronold (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003612, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Guten Morgen! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die SPD begrüßt, dass die Hightech-Strategie, die wir in der Großen Koalition gemeinsam begonnen haben, fortgesetzt wird. Ich denke, damit Deutschland Weltspitze bleibt, ist es wichtig, dass wir sehr viel Geld in den Forschungsbereich stecken. Es darf aber nicht dabei bleiben, dass man nur Leuchttürme baut, sondern man muss auch überprüfen: Was passiert damit? Man darf also nicht zu viel Weihrauch über die aktuellen Projekte gießen, ohne auch zu überprüfen: Was konkret geschieht auf den fünf Schwerpunktfeldern, und was versteckt sich dahinter? Eine neue Innovation hätten wir gebraucht, als vor einigen Monaten der Elektromobilitätsgipfel der Bundesregierung stattfand. Man hätte ein neues Weitwinkelobjektiv gebraucht. Auf der Bühne drängten sich nämlich so viele Minister, dass man sie nur schwer auf ein Foto bekommen hat. ({0}) Es ist gut, dass wir für die Förderung der Elektromobilität eine Menge Geld ausgeben. Aber die spannende Frage ist doch: Was passiert jetzt? ({1}) Wird das Elektroauto der Zukunft tatsächlich in Dingolfing, Ingolstadt oder Stuttgart gebaut? Oder geht es wie im Märchen Des Kaisers neue Kleider? Durch all die entsprechenden Kommissionen wird zusätzliche Bürokratie geschaffen, und man hört, dass die Forschungsgelder bisher hauptsächlich verwendet wurden, um unterschiedliche Papiere auszutauschen. Man weiß aber nicht: Wie geht es in den Modellregionen weiter? Es ist doch wichtig, dass mit dem Geld tatsächlich etwas auf den Weg gebracht wird und dass nicht nur so getan wird, als würde man Aktivitäten ergreifen. Das muss nachweisbar geschehen. ({2}) Die Evaluierung der Hightech-Strategie steht bis heute aus. Es ist wichtig, dass man nicht nur darüber redet, sondern auch nachprüft, ob das Ganze richtig eingesetzt wird. Man sollte auch darauf verzichten, Dinosauriertechnologie weiterhin als Brückentechnologie auszugeben und zu fördern. Die Schwerpunktsetzung, die Sie vorgenommen haben - dass Sie wieder Klientelpolitik machen und die Atomenergie weiterhin fördern, ({3}) anstatt konsequent auf erneuerbare Energien zu setzen -, ist ein Defizit. ({4}) Frau Ministerin, ich habe sehr wohl gehört, dass Sie - wohl in Richtung Ihrer eigenen Koalition - etwas zum Thema der steuerlichen Forschungsförderung gesagt haben. ({5}) Wenn ich den Koalitionsvertrag richtig gelesen habe, haben Sie sich darin festgelegt. Wir haben vor einigen Monaten in einer Anfrage der SPD-Bundestagsfraktion genau zu diesem Punkt nachgefragt. Denn in diesem Hause besteht große Einigkeit darin, dass wir auch steuerliche Forschungsförderung brauchen. Ich erinnere an den „Deutschland-Plan“ von Frank-Walter Steinmeier. ({6}) - Das stimmt nicht. Der „Deutschland-Plan“, liebe Kollegin, kam eindeutig vor der Bundestagswahl heraus, falls Sie sich daran erinnern. ({7}) Auch die SPD-Fraktion ist immer dafür eingetreten, dass wir kleine und mittelständische Unternehmen entsprechend fördern. ({8}) Aber wir brauchen eine punktgenaue Förderung. Die Schwierigkeit auf diesem Gebiet ist, dass man nicht mit der „steuerlichen Gießkanne“ alle fördern, sondern gewährleisten sollte, dass die Mittel punktgenau bei kleinen und mittelständischen Unternehmen ankommen. ({9}) Die spannenden Fragen sind, wie das gemacht wird und was dann kommt. Da das im Koalitionsvertrag steht, haben wir eine Anfrage gestellt. Die Antwort auf die Anfrage lautete: Daran ist derzeit nicht gedacht. ({10}) Wenn die Ministerin heute den Appell an die eigene Koalition richtet, es doch zu tun, wäre es endlich mit Blick auf die staunende Öffentlichkeit an der Zeit, zu sagen, wie sie das tun möchte und was dadurch passiert. Denn das ist eine Möglichkeit, tatsächlich Bürokratie abzubauen und etwas für die kleinen und mittleren Unternehmen zu tun, um wirklich für Innovation zu sorgen. Das ist die Aufgabe. Aber wir hören nichts außer Appellen. In dieser Debatte gibt es sehr viele Ankündigungen. Der Kollege Hagemann wird sicherlich in seiner Rede auf einige Punkte eingehen, wie ich ihn kenne. Aber ganz wichtig ist, dass wir hier nicht gemäß Des Kaisers neue Kleider handeln. Bei der Elektromobilität und der steuerlichen Forschungsförderung scheint mir die schwarz-gelbe Koalition ganz nach diesem Märchen vorzugehen. Das scheint Ihr Drehbuch zu sein. Wie bei Des Kaisers neue Kleider steht dann Schwarz-Gelb irgendwann nackt da. Deswegen wäre es mit Blick auf die Ästhetik gut, wenn Sie alle noch ein bisschen ins Fitnessstudio gingen, damit die Auswirkungen auf die Wahlbevölkerung nicht allzu dramatisch sind. ({11}) Das Wichtige dabei ist jedoch nicht, dass dann die schwarz-gelbe Koalition nackt dasteht, sondern dass das Schwierigkeiten für die Arbeitsplätze in Deutschland mit sich bringt. ({12}) Wenn wir mit Forschung und Entwicklung nicht weiterkommen und wenn nicht mehr gemacht wird, als Weihrauch zu verbreiten und Leuchttürme in den Raum zu stellen, wird diese Sache schwierig für den Wirtschaftsstandort Deutschland. Wir alle sind uns doch einig, dass wir in Deutschland schneller und besser entwickeln und produzieren müssen, um an der Weltspitze zu bleiben. Umso wichtiger ist es, dass Sie nicht durch das aktuelle politische Handeln Ihre Hightech-Strategie konterkarieren. Frau Ministerin, Sie haben gerade von der klimagerechten Stadt gesprochen. Auch hier liegt ein wichtiges Zukunftspotenzial. Aber was machen Sie denn praktisch in den Haushaltsdebatten gerade? Was ist mit der CO2-Gebäudesanierung? Sie haben angekündigt, die Mittel dafür sollten gekürzt werden. Jetzt soll das ein Stück weit korrigiert werden. Um eine klimagerechte Stadt zu entwickeln, brauchen wir auch einiges beim Stadtumbau. Schön ist, wenn der Titel für die Forschung aufgestockt wird. Aber was ist mit der Städtebauförderung? Glauben Sie denn, dass wir eine klimagerechte Stadt vernünftig hinbekommen, wenn Sie die Städtebauförderung kaputtmachen und wenn Sie den Kommunen vor allem das notwendige Geld nehmen, um genau diese Innovation, die wir jetzt erforschen, in ein paar Jahren umzusetzen? So wird das nie etwas. So kann das nicht funktionieren. ({13}) Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, die Hightech-Strategie muss mehr als eine Strategie sein. Dabei darf es nicht nur um schöne haushaltspolitische Ansätze gehen, sondern man muss das, was man sich vorgenommen hat, in praktische Politik umsetzen. Was im Haushalt im Bereich Forschung und Entwicklung gemacht wird, widerspricht fundamental den Ansätzen, die in anderen Bereichen des Haushalts verfolgt werden. Sie erfüllen das, was Sie im Bereich Forschung und Entwicklung an die Wand malen, durch Ihre praktische Politik nicht mit Leben, sondern konterkarieren es. ({14})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Für die FDP-Fraktion spricht nun der Kollege Professor Dr. Martin Neumann. ({0})

Prof. Dr. Martin Neumann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004120, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Guten Morgen, Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ein wichtiges Kernanliegen der christlich-liberalen Koalition ist es, Deutschland zu einer Bildungsrepublik und zu einem attraktiven und innovativen Forschungsstandort zu machen. Mit den Haushalten 2010 und 2011 - das sehe ich etwas anders als Sie, Herr Pronold - zeigen wir an der Stelle sehr deutlich, wo hier Prioritäten gesetzt werden. ({0}) Mit der Weiterentwicklung der Hightech-Strategie liegt uns nun endlich ein Gesamtkonzept vor, in dem deutlich dargestellt wird, wo es in Zukunft hingehen soll. Das große Potenzial der deutschen Wissenschaft und auch der deutschen Wirtschaft muss gezielt aktiviert werden, um Lösungen für die zukünftigen globalen Herausforderungen und Probleme zu erarbeiten; denn nur so investieren wir in die Zukunft unserer Kinder. Dass es immer etwas mehr sein könnte, glaube ich Ihnen gerne. Ich denke, es ist schon wichtig, an dieser Stelle festzustellen, dass wir den Weg in die richtige Richtung beschreiten. Es gibt vier Bedarfsfelder mit entsprechend deutlicher Schwerpunktsetzung. Mit dieser deutlichen thematischen Ausrichtung muss es Deutschland gelingen, zukünftige Leitmärkte zu entwickeln und internationale Wettbewerbsvorteile zu schaffen. Das Konzept beinhaltet aber mehr als nur die Festlegung der Schwerpunkte. Ich halte es für außerordentlich wichtig, dass es auch gelungen ist, in diesem Konzept darzustellen, dass es notwendig ist, die Akteure zusammenzubringen. Die Zusammenarbeit von Wirtschaft und Wissenschaft an der Stelle ist der Schlüssel zu weiteren Erfolgen. Ich möchte an dieser Stelle nur hervorheben: Unter dem Stichwort Validierungsförderung ist es uns erstmals gelungen, den Kreis zwischen der Grundlagenforschung und der Forschung in angewandten Systemen tatsächlich zu schließen. So kann endlich der Weg von der Produktentwicklung zu marktreifen Produkten verkürzt und somit der Ablauf beschleunigt werden. ({1}) Wir haben damit endlich auch eine Lücke geschlossen und für deutsche Wirtschaftsunternehmen Wettbewerbsvorteile geschaffen und natürlich auch zusätzliche Arbeitsplätze möglich gemacht. Nicht nur die großen Unternehmen profitieren von der Hightech-Strategie, sondern vor allem auch die kleinen und mittelständischen Unternehmen. Diese etwa 4,5 Millionen kleinen und mittelständischen Unternehmen und Selbstständigen investieren beträchtliche Summen in ihre Forschungsbereiche und sind sehr innovationsfreudig. Diese Innovationskraft muss weiter gestärkt werden. Dr. Martin Neumann ({2}) Im Rahmen der Maßnahmen der Hightech-Strategie werden beispielsweise auch in meinem Wahlkreis Cottbus/Spree-Neiße bereits jetzt 33 Projekte im Bereich Forschung und Entwicklung gefördert. Insgesamt erhalten die Träger 26 Millionen Euro. Beispielsweise wird dort an einer neuen Generation von Solarzellen gearbeitet. Es geht im Kern auch darum, nicht nur irgendwelchen Ideen nachzugehen, sondern wir orientieren uns ganz stark an der Thematik Gesamtenergieeffizienz. Das ist auch im Rahmen der Energieforschung ein ganz wichtiger Punkt. Das Bedarfsfeld Klima und Energie hat deshalb aus forschungspolitischer Sicht einen besonders hohen Stellenwert; ({3}) denn gerade an dieser Stelle konzentrieren sich Technologieoffenheit und Nachhaltigkeit in der Forschung. Das ist aus meiner Sicht der Schlüssel für eine nachhaltige und sichere Energieversorgung. Der Forschungsbedarf - das sagte ich bereits - ist gewaltig. Es gibt eine ganze Reihe von Schwerpunktfeldern, die ich aus Zeitgründen nicht alle nennen möchte. Es geht um Transport, es geht um intelligente Netze, es geht um das Thema Fusionsforschung, und es geht um die gezielte CO2-Vermeidung, um nur einige zu nennen. Es geht dabei nicht, wie Sie gesagt haben, Herr Pronold, um Dinosaurier, sondern es geht darum, die Modelle tatsächlich so zu entwickeln, dass sie auch mit Blick auf die Gesamtenergiebilanz nachhaltig sind. ({4}) Wir brauchen - das will ich an dieser Stelle hervorheben - diesen Richtungswechsel tatsächlich dringend, um endlich den Innovationsrückstand in der Energieforschung, der ja vor allen Dingen aus den Zeiten von RotGrün stammt, wieder aufzuholen. ({5}) In der Energieforschung brauchen wir ein Innovationsniveau von etwa 1,5 Milliarden Euro. Im Koalitionsvertrag wurden für Bildung und Forschung zusätzliche Investitionen vereinbart. Wir haben gute Voraussetzungen, weil wir über ein breit gefächertes Forschungssystem verfügen, sodass es auch vonseiten der Wissenschaft weitere Impulse geben wird. Diese Impulse schaffen dann auch Freiräume für Innovationen. Wer frühzeitig die Potenziale neuer Technologien und ihre möglichen Anwendungsfelder erkennt, kann seine Innovationspolitik entsprechend ausrichten. Nur durch innovative Ideen, eine fundierte Grundlagenforschung und die Unterstützung neuer Wege zur Entwicklung innovativer Produkte können moderne Arbeitsplätze entstehen. Ich betone an dieser Stelle - damit komme ich zum Schluss -: Die Koalition setzt somit ein starkes Zeichen für die Innovationsrepublik Deutschland und für die Zukunft unseres Landes. Ich bedanke mich. ({6})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Nächste Rednerin ist die Kollegin Dr. Petra Sitte für die Fraktion Die Linke. ({0})

Dr. Petra Sitte (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003848, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Im Jahr 2006 verkündete die Ministerin erstmals die HightechStrategie. Dieses Paket war genau genommen schon von der Vorgängerregierung geschnürt worden. Allerdings bekam das Ganze jetzt einen schicken und einprägsamen Aufkleber. Das reichte damals, weil sich an den Inhalten und Adressaten nicht sehr viel geändert hatte. ({0}) Deutschland sollte Hightech-Wachstums-Wunderland werden. Es war in dem Konzept ziemlich deutlich zu erkennen, dass die geförderten Technologien den Global Playern unter den deutschen Unternehmen auf den Leib geschneidert worden waren. Mit öffentlichen Geldern wurde klassische Industrieforschung massiv unterstützt, obgleich das eigentlich gerade für die Liberalen eine Kernaufgabe innovativer Unternehmensentwicklung sein müsste. Mancher Lobbyist dürfte sich heute noch die Hände reiben. Aber man ging in dieser Strategie sogar noch einen Schritt weiter. Man bediente vor allem diejenigen, die schon länger der Kanzler Lieblinge gewesen sind. So geht nämlich mindestens ein Drittel der Fördergelder in Richtung Automobilindustrie, und das kann, wie wir gesehen haben, sehr schnell zur Sackgasse werden. ({1}) Man wollte mit dieser Strategie nicht nur neue Märkte beherrschen. Nein, Sie wollten mit dieser Strategie künstlich neue Leitmärkte schaffen, und zwar mit Steuergeldern. Insgesamt ging es um die Poleposition Deutschlands im Kampf um die Exportweltmeisterschaft, wenn sich Europa laut Lissabon-Strategie zum wettbewerbsfähigsten wissensbasierten Wirtschaftsraum der Welt aufstellte. 2006 haben Sie große Ziele verkündet: 1,5 Millionen neue Arbeitsplätze sollten entstehen. Inzwischen ist die Innovationseuphorie etwas schaumgebremst. Dafür sorgte eine Krise, die Quittung ungerechter Reichtumsverteilung und einseitiger Reichtumsanhäufung war. ({2}) Die riesigen Summen wurden nämlich in Finanzmarktspekulationen gepumpt, weil dort die Renditen höher sind als bei realen wirtschaftlichen Investitionen. Es ist völlig klar, dass diese Mittel dann fehlen, um den längst überfälligen Umbau der ressourcenfressenden und expansiven Wirtschaftsentwicklung zu vollziehen. Daher ist es auch nicht verwunderlich, dass die HightechStrategie bis heute von dieser Logik geprägt ist. Übrigens konnte die Bundesregierung bis heute nicht nachweisen, wie viele Arbeitsplätze durch die Hightech-Strategie entstanden sind. Die Linke hat bereits 2006 kritisiert, dass bei Ihnen Wachstum vor Nachhaltigkeit kommt. Trotz Konzentration auf wenige Themenfelder, wie Sie vorhin ausgeführt haben, und vielversprechender Titel in der neuen Strategie bleibt es dabei: Technologien allein - so sehr sie auch als Hightech daherkommen mögen - lösen viele globale Grundkonflikte nicht. ({3}) Sie können bestenfalls befristet Symptome deckeln, und das auch nur dann, wenn sich die betreffenden Länder diese tollen Entwicklungen überhaupt leisten können. Ein gleichermaßen notwendiger Bestandteil einer Hightech-Strategie ist Forschung, die die sozialen, kulturellen und ökologischen Ursachen für Konflikte untersucht und gesellschaftliche Bedingungen zu deren Lösung konzipiert. Das können und müssen Sie dann verzahnen mit Anwendungsbedingungen für Technologien in diesen Ländern. Die Bedingungen unterscheiden sich eben beispielsweise zwischen Europa und Afrika deutlich. Dieser Ansatz fehlt in diesem Konzept gänzlich, genauso wie das gesamte Forschungsfeld nachhaltiges Wirtschaften. ({4}) Dass Chancen vergeben werden - das ist vorhin angeklungen -, zeigt sich sehr deutlich im Bereich der Energieforschung. Dass Energieversorgung auf erneuerbare Energien umgestellt und Energieeffizienz drastisch und schnell verbessert werden muss, gehört zu den Grundbedingungen, um den Klimawandel zu verzögern. Wie aber reagiert diese Regierung? Sie gibt für die Erforschung fossiler und nuklearer Energieträger 290 Millionen Euro aus. Für erneuerbare Energien und Effizienztechnologien stellt sie nur 190 Millionen Euro bereit. Offensichtlich haben auch hier die Energiemonopolisten gewonnen. Das ist nun wahrlich keine High-Performance Ihres Zukunftsdenkens. ({5}) Im gleichen Licht spiegelt sich das Sicherheitsforschungsprogramm. Ihre Logik ist: Der demokratische Verfassungsstaat wird bedroht von Terror, Cyberkriminellen und näher kommenden Kriegsherden. Vor dieser Kulisse sollen Hochtechnologien zu Abwehr und Überwachung samt daraus entstehenden neuen Märkten aufgerüstet werden. So versprechen beispielsweise Körperscanner zwar leichtere Kontrollen auf Flughäfen. Aber wirklich sicherer wird es in dieser Welt nicht. Ganz abgesehen davon, dass die Italiener gerade diese Scanner als untauglich wieder abmontieren, wissen wir doch: Viele Wege führen nach Rom. ({6}) Die Hightech-Strategie bleibt so einseitig, weil in den Beratungsgremien wie der Forschungsunion „Wirtschaft - Wissenschaft“, im Bio-Ökonomie-Rat, beim Innovationsdialog der Kanzlerin oder auch in der eben erst gegründeten Nationalen Plattform Elektromobilität zahlreiche Wirtschaftslobbyisten sitzen, und diese richten Wissenschaft nach ihren konkreten Interessen strategisch aus. Was fehlt, sind fast durchgängig Vertreterinnen und Vertreter der Zivilgesellschaft. So kommen beispielsweise von den 148 Mitgliedern der Arbeitsgruppe der Nationalen Plattform Elektromobilität 111 aus der Industrie. Umwelt- und Verbraucherverbände durften - raten Sie einmal! - lediglich drei Vertreterinnen und Vertreter entsenden. Schließlich werden die Hightechlinien vor allem - das verwundert uns nicht - von Männern aufgelegt. In den genannten Beratungsgremien ist weniger als ein Drittel weiblich. Liegt da nicht der Gedanke nahe, dass die Technologiefixierung der Hightech-Strategie vor allem männlichen Denkmustern folgt? Frauen würden nachgewiesenermaßen viele gesellschaftliche Probleme anders angehen. Vielleicht wären es nicht zuerst Assistenzsysteme und Pflegeroboter, die Forscherinnen als Antwort auf die Alterung unserer Gesellschaft geben würden. Hightechentwicklung konsequent als Vereinfachung von Technologien zu denken, um diese so auch robuster sowie anwendungs- und alltagstauglicher zu machen, ist kein Ziel Ihrer Technologiepolitik. „Demokratie heißt Entscheidung durch die Betroffenen.“ So jedenfalls hat es Carl Friedrich von Weizsäcker gesehen. Forschung in der Demokratie braucht demokratische Forschungspolitik. Da haben Sie noch verdammt viel nachzuholen. ({7}) Dazu gehören nun einmal auch die Träger der Forschungsleistungen. Deshalb muss ich Sie erneut daran erinnern, dass die Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses eine von fünf Säulen der Hightech-Strategie von 2006 war. Ich habe mich in den letzten Monaten mehrfach mit Nachwuchsforschern und -forscherinnen getroffen. Deren Erfahrungsberichte, aber auch Statistiken belegen eindeutig, dass sich die Situation des Nachwuchses in den letzten Jahren deutlich verschlechtert hat. Der Trend, mehr Stipendien statt Stellen zu vergeben, muss endlich gestoppt werden. ({8}) So steuert nun beispielsweise die Deutsche Forschungsgemeinschaft mit sinnvollen Änderungen in der Förderpraxis gegen diesen Trend. Kein Umdenken lässt sich dagegen aus der Neufassung der Hightech-Strategie erkennen; denn da wird der wissenschaftliche Nachwuchs noch nicht einmal erwähnt. Wer hier ständig von Fachkräftemangel redet und ihn beklagt, muss jungen, engagierten Menschen auch in diesem Bereich echte Chancen eröffnen. ({9}) Schließlich - das darf nicht fehlen - wird die innovative Forschung durch das Kooperationsverbot erhebDr. Petra Sitte lich beschränkt. So gibt es in Deutschland beispielsweise 46 Ministerien, die sich in irgendeiner Weise mit Energieforschung auseinandersetzen. Außeruniversitäre Forschungseinrichtungen und Universitäten können eben nach Art. 91 b des Grundgesetzes nicht direkt miteinander kooperieren. Sie müssen mühsam bürokratische, vertragliche Umwege gehen. Professor Jäckle, Vizepräsident der Max-Planck-Gesellschaft, appellierte unlängst an uns Parlamentarier: Wissen muss der Anwendung vorausgehen. Meine Damen und Herren, wir wissen, dass das Kooperationsverbot in der Anwendung völlig unnötige Barrieren baut. Deshalb - lassen Sie mich das abschließend sagen - muss es endlich, auch im Interesse leistungsfähiger Forschung, fallen. Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. ({10})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Nächste Rednerin ist die Kollegin Krista Sager für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Krista Sager (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003622, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Bei dem zentralen Vorhaben Ihrer Hightech-Strategie für die Verbesserung der Rahmenbedingungen für kleine und mittlere Unternehmen, die hochinnovativ sind, nämlich bei der steuerlichen Forschungsförderung, sind Sie kläglich gescheitert, und zwar an sich selber. ({0}) Die bittere Wahrheit ist ganz einfach: 1 Milliarde Euro an Steuergeschenken für Hoteliers war Ihnen schlicht wichtiger. ({1}) Da war einfach kein Geld mehr für die steuerliche Forschungsförderung übrig. Ich finde es interessant, dass eine Partei, die glaubt, sie hätte den Fortschritt geradezu gepachtet, die erste ist, die dieses Vorhaben für diese Legislaturperiode für beerdigt erklärt. Die Kollegen von der CDU tun ja wenigstens noch so, als wollten sie jetzt mit den Haushältern in die nächste Runde gehen. Die Ministerin selber sagt ja immerhin noch: Wollen wir das mit der Hotelierssubventionierung nicht noch einmal überdenken? - Aber die FDP hat dieses Projekt wegen der Hoteliers tatsächlich beerdigt. ({2}) Liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU, Sie haben sich die Auseinandersetzung mit den Haushältern künstlich schwer gemacht, und zwar dadurch, dass Sie die Großkonzerne in die steuerliche Forschungsförderung einbeziehen wollen. ({3}) Das macht die Sache extrem teuer, das bringt hohe Mitnahmeeffekte. Die Großkonzerne profitieren von zahlreichen Projektförderprogrammen, und sie sind Profis bei der Steuergestaltung. Sie hätten hier lieber das machen sollen, was die Grünen schon in der letzten Legislaturperiode gefordert haben: Konzentration auf kleine und mittlere Unternehmen. Das ist zielgenau und verbraucht weniger Mittel. ({4}) Sie beziehen die Großkonzerne mit ein und würden deshalb die meisten Mittel für Autokonzerne und Pharmakonzerne einsetzen. Es gäbe ein starkes Nord-Süd-Gefälle, und Ostdeutschland würden Sie dabei gar nicht erreichen. Sie sind jetzt zweimal an Ihrem Klienteldenken gescheitert, einmal an den Hotels und der FDP und zum anderen an den Großkonzernen. ({5}) Hören Sie endlich mal auf die Grünen, dann klappt es auch mit der steuerlichen Forschungsförderung und den Haushältern. ({6}) Die Expertenkommission Forschung und Innovation hat mehrmals angemahnt: Wir brauchen mehr Budgettransparenz bei der Hightech-Strategie, und wir brauchen vor allen Dingen eine Evaluierung der Instrumente. Davon ist auch nach sechs Jahren keine Rede. Im Gegenteil: Bei Ihrer Hightech-Strategie überhaupt zu einem differenzierten Überblick und zu einer differenzierten Bewertung zu kommen, wird immer schwieriger. Dadurch wird auch die qualitative Bewertung, ob diese Hightech-Strategie eigentlich die Antwort auf die ökologischen Herausforderungen gibt, immer schwieriger. Aber Transparenz ist offensichtlich auch gar nicht gewollt. Wenn fast 35 Prozent der Energieforschungsmittel aufgebracht werden müssen, um kerntechnische Forschungsanlagen zurückzubauen, dann ist das eine teure Vergangenheitsbewältigung. ({7}) Uns diese Ausgaben als Zukunftsausgaben unterzujubeln, ist schlicht eine gewaltige Mogelpackung. ({8}) Wenn 29 Prozent der Energieforschungsmittel in die Fusionsforschung fließen, ({9}) obwohl wir wissen, dass sie in den nächsten 30, 40 Jahren keinen Beitrag zur Energieversorgung leisten wird, dass sie auf zentrale, große Anlagen ausgerichtet ist, die sehr teuer sein werden, und in ein dezentrales System er7018 neuerbarer Energien mit intelligenten Netzen gar nicht hineinpassen wird, ({10}) dann ist auch das keine Ausrichtung auf die ökologischen Herausforderungen, und es ist keine wirkliche Ausrichtung dieser Strategie auf Zukunftsmärkte. ({11}) Anspruch und Wirklichkeit driften bei Ihnen fundamental auseinander. ({12}) In der Forschungspolitik wollen Sie intelligente Netze und erneuerbare Energien fördern; aber durch Ihre reale Politik der Laufzeitverlängerung für Atomkraftwerke verstopfen Sie die jetzigen Netze. Das führt dazu, dass die erneuerbaren Energien in Deutschland Marktanteile abgeben werden. ({13}) Die Expertenkommission Forschung und Innovation, die Sie selber eingesetzt haben, hat mehrfach darauf hingewiesen, dass wir zu wenig Dynamik bei den Spitzentechnologien und vor allen Dingen bei den wissensintensiven Dienstleistungen haben. Die wissensintensiven Dienstleistungen sind in Ihrer Hightech-Strategie aber seit Jahren vollkommen unterbelichtet. Für diesen Bereich haben Sie in der Vergangenheit gerade einmal 17,5 Millionen Euro ausgegeben. In Ihrem eigenen Forschungsbericht nimmt dieses Thema nur eine halbe Seite ein. Die wissensintensiven Dienstleistungen sind aber von entscheidender Bedeutung bei der Frage: Wie können wir in Zukunft dafür sorgen, dass die Wertschöpfung auch in Deutschland stattfindet? Technik können inzwischen auch die anderen, und sie können sie meistens billiger. In der Verbindung von komplementären wissensintensiven Dienstleistungen mit technologischen Stärken liegt eine ganz große Chance. ({14}) Sie wird in Deutschland aber leider nicht ergriffen, und das ist ein mentales Problem, das sich auch in Ihrer Hightech-Strategie fortsetzt. ({15}) Sie sollten sich im Hinblick auf die Zukunft Ihrer Hightech-Strategie vielleicht einen kleinen Merkzettel machen: Es gibt auch Innovationen ohne einen Motor. In diese Richtung sollten Sie einmal weiterdenken. ({16}) Ein anderer Kritikpunkt der sogenannten EFI-Gutachter ist die mangelnde Fokussierung. 17 Hightechsektoren sind einfach zu viel. Was machen Sie jetzt? Sie verteilen Ihre 17 Hightechsektoren auf fünf Bedarfsfelder und sieben Schlüsseltechnologien. Es gibt nicht einen einzigen guten alten Bekannten aus den 17 Hightechsektoren, den man dort nicht wiederfindet. Sie erfinden neue Überschriften, aber nehmen keine Fokussierung vor. ({17}) Jetzt frage ich mich aber: Warum tun Sie sich bei der Fokussierung, bei der Budgettransparenz, bei der Orientierung auf innovative kleine und mittlere Unternehmen, bei der Orientierung auf ökologische Herausforderungen und bei den wissensintensiven Dienstleistungen eigentlich so schwer? Die Ausrichtung der Hightech-Strategie findet vorrangig durch Experten der sogenannten Forschungsunion statt, die gleichzeitig die entschiedensten Lobbyisten der großen, starken Traditionsbereiche sind. Das ist Eon, das ist BASF, das ist BMW, das ist Bayer, das ist Boehringer. Keine Frage, auch sie haben ihren Stellenwert für Arbeitsplätze in Deutschland. ({18}) Aber wenn sie die Hightech-Strategie dominieren und ausrichten, dann haben es neue Innovationsfelder, dann haben es hochinnovative kleine Unternehmen einfach schwer. Das zeigt doch Ihre steuerliche Forschungspolitik: Sie machen lieber überhaupt nichts, bevor Sie irgendjemandem von den Großen einmal auf die Zehen treten, indem Sie sich auf kleine und mittlere Unternehmen konzentrieren. ({19}) Zum Schluss möchte ich noch etwas zum 3-ProzentZiel sagen. Auch dieses Jahr werden wir das 3-ProzentZiel nicht erreichen, obwohl der Bund mehr Geld für Forschung und Entwicklung ausgibt. Das liegt daran, dass die Länder leider hinterherhinken. Das liegt auch daran, dass Sie ihnen durch Ihre Steuerpolitik die Basis für Investitionen in Frühförderung, Schule und Hochschule entziehen. Ich sage Ihnen eines: Wenn wir den Ländern die Basis für die Bildungsausgaben entziehen, dann können wir das durch die beste Hightech-Strategie in Deutschland nicht kompensieren; denn die Zukunft fängt bei der Bildung in den Bundesländern an. ({20})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Nun hat das Wort der Kollege Professor Dr. Heinz Riesenhuber für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Prof. Dr. Dr. Heinz Riesenhuber (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001849, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Frau Sager, Sie haben mit großer Entschlossenheit dargestellt, was alles so schrecklich falsch läuft. Insbesondere klingt es bei Ihnen so, als ob wir hier einen Gegensatz zwischen großen Unternehmen einerDr. Heinz Riesenhuber seits und kleinen und mittleren Unternehmen andererseits aufbauen sollten. Wir brauchen aber alle. ({0}) Die Stärke Deutschlands besteht auf der einen Seite darin, dass wir mit sehr großen Unternehmen erfolgreich in den Weltmärkten sind, und auf der anderen Seite darin, dass wir einen vielfältigen und differenzierten Mittelstand haben. Die Strategie der letzten Jahre zeigt: Nirgends sind so starke Steigerungen zu verzeichnen wie beim Mittelstand, und nirgends waren wir so erfolgreich wie beim forschenden Mittelstand. Schauen Sie sich die Zahlen an - wenn auch Geld manchmal nicht alles ist; Intelligenz ist durchaus zusätzlich hilfreich -: ({1}) Die Mittel für die Förderung des Mittelstands sind in den letzten Jahren von 600 Millionen Euro auf 950 Millionen Euro erhöht worden. Das Programm ZIM hat sich besonders in den neuen Bundesländern bei der Zusammenführung von unterschiedlichen alten Programmen glänzend bewährt. Es ist technologieoffen. Es ist für jeden da. Es ist breit aufgestellt. ZIM-SOLO - so heißt es, wenn Einzelprojekte gefördert werden - haben wir in den alten und neuen Bundesländern stark aufgestellt. Die Dynamik hat gezündet. Der Mittelstand hat seine Forschungskapazitäten in den letzten Jahren noch stärker ausgeweitet als die großen Unternehmen. Das ist der Erfolg einer gezielten Strategie in Kooperation mit den Unternehmern, die allein einstehen und kämpfen für ihre Sache, die Ideen und Unternehmungsgeist haben. ({2}) Da helfen wir und schaffen wir die Voraussetzungen. ({3}) Ich bin dankbar und glücklich, dass wir damit rechnen können, dass Sie von der SPD uns bei der steuerlichen Forschungsförderung mannhaft unterstützen werden. ({4}) Ich finde das uneingeschränkt positiv. Wir haben jetzt ein Jahr in dieser bürgerlichen Koalition die Zukunft Deutschlands gestaltet. Wenn wir nicht noch Aufgaben hätten, die wir erledigen müssen, könnten wir aufhören, zu regieren. ({5}) Die steuerliche Forschungsförderung ist eines der Themen. Wir arbeiten daran, ({6}) und zwar in der Form, dass die mittelständischen Unternehmen auf die Forschung bezogen dreimal so stark gefördert werden sollen wie die großen Unternehmen. Ich halte das für richtig, vernünftig und klug in der Gesamtstrategie. ({7}) Ich fand es prima, dass Frau Schavan vor dem Forschungsausschuss in der letzten Diskussion zum Haushalt sehr deutlich gesagt hat, dass unsere Forschungsstrategie künftig drei Säulen haben muss: die Projektförderung, die institutionelle Förderung und die steuerliche Forschungsförderung. Daran werden wir herzlich arbeiten mit der Unterstützung unseres freundschaftlich und brüderlich verbundenen Koalitionspartners. ({8}) - Dieser klatscht mit der gleichen Begeisterung. Niemand soll daran zweifeln, dass wir das gemeinsam schaffen werden. Aber auch die Opposition ist dazu herzlich eingeladen. Was wir in den ersten vier Jahren der Hightech-Strategie erreicht haben, ist ein Sprung über die Erwartungen hinaus und über die Krise hinweg. Die Ausgaben des Bundes sind gestiegen. Wir haben die Forschungsausgaben des Bundes um ein Drittel erhöht, von 9 Milliarden Euro auf 12 Milliarden Euro im Jahr. Herr Röspel, den ich heute hier nicht in leiblicher Gestalt unter uns sehe, hat hier in einer Debatte vor der Sommerpause darauf hingewiesen, dass die Forschungsausgaben unter Schröder so wunderbar gestiegen seien. Unter Schröder stiegen die Ausgaben für Forschung in sieben Jahren um 700 Millionen Euro. In der letzten Legislaturperiode unter unserer Regierung sind diese Ausgaben innerhalb von vier Jahren um 3 Milliarden Euro gestiegen. ({9}) Wir haben in der Tat den Aufbruch Deutschlands in die Wissensgesellschaft zu einem herausragenden Thema gemacht. Für diese Periode haben wir für Bildung und Forschung einen Mittelaufwuchs von jeweils 6 Milliarden Euro vorgesehen. Wir investieren in die Bildung, weil wir die Menschen brauchen, die Forschung können, die Wissenschaft können, die Technik können, die die Welt so verstehen, dass sie sie gestalten können. Wir investieren in die Forschung mit dem Willen, die Stärke aufzubringen, etwas zu machen, was andere noch nicht können. Nur so bewahren wir unseren Wohlstand in einer offenen und kompetitiven Welt. Das ist die Aufgabe, von der wir auszugehen haben. ({10}) Messen Sie das einmal am Erfolg! Wir sind immer noch führend in der Umwelttechnik: 16 Prozent Weltmarktanteil. ({11}) - Wir sind an der Spitze, jawohl! Wir werden weiter daran arbeiten. - Frau Präsidentin, wenn Sie mir noch eine Viertelstunde zusätzlich geben, ({12}) dann erkläre ich dem Kollegen das im Einzelnen. Das ist ein Angebot, keine Drohung, Herr Kollege. ({13}) Wir müssen doch einmal anerkennen, wo wir stehen in der Lasertechnik, in der Automobilindustrie, im Maschinenbau, in der Chemie! Die Voraussetzungen sind gut. Die Hightech-Strategie ist ein vernünftiger Ansatz. Frau Sager, die Konzentration auf die fünf globalen Herausforderungen, die hier mehrfach zitiert worden sind, hat ihren Sinn. Bei der Vielfalt und Fülle von Wissenschaft, die überall entsteht, ist nicht alles gleichermaßen zu fördern. Der Markt regelt vieles. Dafür gibt es unsere technologieoffenen Programme und sicherlich bald auch die steuerliche Forschungsförderung. Es geht darum, das auf Ziele und Problemlösungen hin auszurichten, sodass wir das mitgestalten, was ich immer als ein Anliegen der Grünen für die künftige Welt verstanden habe: eine humane Welt, in der wir langfristig leben können, in der wir nachhaltig Wirklichkeit gestalten, in der wir verantwortlich mit begrenzten Ressourcen umgehen und in der wir Frieden dadurch garantieren, dass wir durch eine offene und starke Entwicklung unserer Technik und unserer Gesellschaft allen Völkern und Menschen in der Welt Chancen geben. Das ist die Aufgabe, an der wir arbeiten. Nun gibt es verschiedene Zukunftsprojekte. Wir werden sie noch im Einzelnen zu definieren haben. Viele sind schon genannt worden, etwa die nachhaltige Stadt oder die Elektromobilität. Ich fand es auch prima, dass hier gesagt wurde: Man soll im Alter ein selbstbestimmtes Leben führen können. Gell? ({14}) Freunde, wir alle werden mal alt werden. Das Alter beginnt jeweils 15 Jahre nach dem Zeitpunkt, an dem ich gerade stehe. ({15}) Klug zu überlegen, wie das Ganze anzulegen ist, nicht nur im Pharmabereich, nicht nur in der Medizintechnik, sondern auch bei der sozialen Teilhabe, in den Infrastrukturen - wo es zum Beispiel in dem Projekt „1 000 Wohnungen mit innovativer Technik“ darum geht, auch im hohen Alter ein Leben in Menschlichkeit, Selbstbestimmung und mit Freude an sinnerfüllten Tätigkeiten möglich zu machen -, das ist eine der Aufgaben, für die die Strategie aufgelegt wurde. ({16}) Wir haben durchaus noch dicke Bretter zu bohren, aber unsere Stärken sind die brüderliche Verbundenheit, die Eintracht und die Standfestigkeit unserer Bundesregierung, ({17}) die Herzlichkeit, in der man dort miteinander umgeht über alle Ressorts hinweg. Sie beklagen, dass sechs Minister zum Thema Elektromobilität antreten. Das ist doch nichts anderes als ein Ausweis dafür: Wir alle stehen zusammen, wenn es gilt, die Herausforderungen zu meistern. Auch in den sogenannten technikfernen Ressorts haben wir begriffen, dass die Chance darin liegt, Deutschland als Wissensgesellschaft in einer offenen Welt stark und lebendig zu halten, sodass alle Freude daran haben, an der neuen Welt selbst mitzugestalten, auch die Grünen und die Sozialdemokraten. Hier stehen wir in brüderlicher Verbundenheit für die Zukunft Deutschlands, wenn auch manche auf etwas irrigen Wegen. ({18}) Was daraus entstehen kann, ist eine Zukunft, in der wir erfolgreich sind. Es geht darum, die Zukunft zu erfinden, für uns und für andere, indem wir einen Beitrag leisten zu einer nachhaltigen Entwicklung unserer Erde, bei der die Menschen mit Freude in die Zukunft gehen und sich nicht immer nur verhaken, wie das in den Tagesdebatten des Deutschen Bundestages mitunter der Fall ist. Es gilt, in einem gemeinsamen Geist Zukunft zu gestalten - mit fröhlicher Zuversicht, wie sie dieser Regierung in hervorragender Weise zu eigen ist. ({19})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Nun hat das Wort die Kollegin Andrea Wicklein für die SPD-Fraktion. ({0})

Andrea Wicklein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003659, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Professor Riesenhuber, ich bewundere Ihre schauspielerischen Talente wirklich sehr. Wir diskutieren jedoch heute über sehr ernsthafte Fragen, nämlich über folgende zentralen Fragen für die Entwicklung unseres Landes: Kann Deutschland auch in Zukunft seinen technologischen Vorsprung halten? Können wir die Herausforderungen meistern, denen sich eine Industrienation wie Deutschland zukünftig stellen muss? Die Hightech-Strategie betrachtet diese Fragen aus forschungspolitischer Sicht. Wirklich spannend wird es aber erst dort, wo die Erkenntnisse der Forschung tatsächlich Eingang in den Wertschöpfungsprozess finden. Wirtschaftspolitisch geht es um die richtigen Rahmenbedingungen, damit dieser Transfer von Forschung in die Wirtschaft gelingt. Worauf kommt es an? Was fehlt aus unserer Sicht an der Strategie der Bundesregierung, und was muss stärker gewichtet werden? Für uns Sozialdemokraten ist klar: Die Zukunftsfähigkeit deutscher Unternehmen wird daran gemessen, ob es gelingt, immer wieder neue innovative Produkte zu entwickeln. Ihre Produktivität darf also nicht nur daran gemessen werden, ob möglichst viele Arbeitsplätze freigesetzt werden, vielmehr bemisst sich Erfolg heute daran, wie effizient man mit den immer knapper werdenden Ressourcen umgeht und wie man mit weniger Energie, auf weniger Fläche und mit weniger Rohstoffen produziert. Vor dem Hintergrund der sich verschiebenden Kräfteverhältnisse auf dem globalen Markt müssen wir die technologische Führerschaft bei der Lösung dieser Aufgaben verteidigen. China wird nach Prognosen der Weltbank schon in 17 Jahren die USA als größte Wirtschaftsnation der Welt überholen. Indien, Brasilien und Russland werden in 40 Jahren Deutschland an Wirtschaftskraft um ein Vielfaches übertreffen. Der Aufholprozess der Schwellenländer verläuft in einem rasanten Tempo, weil sie massiv in Forschung, Innovation und die Ausbildung ihrer Menschen investieren. Dem müssen wir etwas entgegensetzen. Der Erfolg des Hightechstandortes Deutschland wird davon abhängen, ob es uns gelingt, Innovationspolitik aus einem Guss zu machen, wie es uns die Experten des „Gutachtens zu Forschung, Innovation und technologischer Leistungsfähigkeit Deutschlands“ mit auf den Weg gegeben haben. Hightech ist kein Selbstzweck. Eine Hightech-Strategie braucht klar abgesteckte Ziele. Leider fehlen diese in Ihrer Strategie. Ein klares Ziel könnte sein, die Führerschaft in der Effizienzrevolution zu übernehmen, wie es Frank-Walter Steinmeier ausgedrückt hat. ({0}) Dazu müssen aber Voraussetzungen geschaffen werden. Eine ganz besondere Bedeutung kommt dabei dem Umgang mit dem demografischen Wandel zu. Dazu haben Sie, Frau Ministerin, nichts gesagt. Wo sind denn Ihre Strategien zum Umgang mit der zunehmenden Überalterung und dem daraus resultierenden Fachkräftemangel? Es macht meiner Meinung nach keinen Sinn, eine Hightech-Strategie zu entwickeln, ohne diesen wesentlichen Fakt zu berücksichtigen. Natürlich ist die Nachwuchssicherung die Voraussetzung für unsere technologische Leistungsfähigkeit. Aber so, wie wir unsere Anstrengungen verstärken müssen, jungen Menschen technologieaffine Bildung schmackhaft zu machen, so müssen wir gleichzeitig die Erfahrungen der Älteren nutzen und alles dafür tun, dass diese auch zukünftig Leistungsträger unserer Gesellschaft sein können. ({1}) Die SPD-Fraktion hat deshalb gefordert, in den Haushalt 2011 des Bundeswirtschaftsministeriums einen eigenen Titel zur Bewältigung des demografischen Wandels in der Wirtschaft aufzunehmen. Die Koalitionsfraktionen haben diesen Antrag leider abgelehnt. Eine weitere wesentliche Herausforderung mit erheblicher Tragweite für die Wirtschaft ist der zunehmende Rohstoffmangel und der immer schärfer werdende Konkurrenzkampf darum. China schränkt aktuell den Export von Spezialrohstoffen, den sogenannten seltenen Erden, ein, die für wichtige Hochtechnologiebranchen unentbehrlich sind, und auf dem afrikanischen Kontinent ist der Verteilungskampf längst im vollen Gange. Wo ist denn da die Strategie der Bundesregierung? Meines Erachtens hätte die Sicherstellung der Rohstoffe als sechstes Bedarfsfeld in Ihre Hightech-Strategie aufgenommen werden müssen. Die Hightech-Strategie muss nicht zuletzt die Rahmenbedingungen dafür schaffen, dass dynamische Hochtechnologiefelder nicht in die Schwellenländer abwandern. Wichtig bleibt dabei vor allem, die KMU zu unterstützen, die sich stark in Forschung und Entwicklung engagieren wollen. Deshalb ist das Zentrale Innovationsprogramm Mittelstand unverzichtbar; das sieht die SPD genauso. Deshalb fordern wir die Bundesregierung auf, dafür zu sorgen, dass die nicht ausgeschöpften Mittel aus dem Konjunkturpaket dem ZIM auch weiterhin zur Verfügung stehen. Ergänzt werden muss diese wichtige Projektförderung durch eine steuerliche FuEFörderung. Das hat die Bundesregierung, wie wir heute gehört haben, bereits ad acta gelegt. Der neue Impuls für mehr Forschung in den Unternehmen bleibt also leider aus. Ich wiederhole: Wir brauchen eine Innovationspolitik aus einem Guss. Wir brauchen mehr Anreize für die Forschung in den Unternehmen. Wir brauchen intelligente ressourcenschonende Technologien, um den Rohstoffbedarf von morgen zu sichern. Wir brauchen dringend eine Strategie, um dem demografischen Wandel gerecht zu werden und Bildung und Qualifikation der Menschen in den Mittelpunkt zu stellen. Ganz herzlichen Dank. ({2})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Nächster Redner ist der Kollege Dr. Peter Röhlinger für die FDP-Fraktion. ({0})

Dr. Peter Röhlinger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004137, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Heute in Anwesenheit von Herrn Professor Riesenhuber über Strategien für Forschung zu sprechen, ist für mich eine ganz besondere Freude. Ich will vor diesem Hohen Haus diesbezüglich ein Geheimnis lüften: Herr Professor Riesenhuber war einst Bundesminister für Forschung und Technologie und in dieser Funktion in Jena auf dem Beutenberg, und zwar an der Stelle, wo heute das Max-Planck-Institut, das Leibniz-Institut, das Fraunhofer-Institut und weitere Institute stehen. Ich war damals der Oberbürgermeister dieser Stadt. Mir war daran gelegen, das Potenzial, das in dieser Stadt seit Generationen vorhanden war, auszuschöpfen und weiterzuentwickeln. Lieber Herr Professor Riesenhuber, dass wir nun in diesem Hohen Hause als Redner einander ablösen, zeigt, dass zu diesem Zeitpunkt Strategien entwickelt worden sind, die dazu geführt haben, dass es in dieser Stadt vorwärtsgegangen ist. Ansonsten stünde ich heute nicht hier, ({0}) und unserem Land ginge es nicht so gut. ({1}) Ich kann mich gut erinnern, dass es im Jahre 1990 so schien - das wurde uns glauben gemacht -, als befänden wir uns an einem Übergang zur Informations- und Dienstleistungsgesellschaft. Die Realität sieht Gott sei Dank anders aus. Die Bundesrepublik Deutschland, im Herzen von Europa gelegen, ist eine starke Industrienation. Wir sind Jobmotor geworden. Wir sind mit der Krise schneller fertig geworden als andere Länder. Dabei ist festzuhalten: Die Bruttowertschöpfung in diesem Land liegt zu 25 Prozent in der materiellen Produktion und zu 25 Prozent in der Dienstleistungswirtschaft. Das ist ein gesundes Verhältnis und ein gutes Zeichen für die hohe Disponibilität unseres Landes in den vergangenen Jahren. Da wir gerade über Disponibilität sprechen, möchte ich noch auf eines hinweisen: Die Kraft, derer es bedurfte, diese Situation zu meistern, wurde aus der hohen Bildung und der Motivation der Bürger geschöpft. Dies gilt auch für die neuen Bundesländer; das wird häufig unterschätzt. Auch die Bürger der DDR waren gebildet. Wir waren nicht nur gebildet, sondern obendrein auch noch geschult: Wir haben mit einem hohen Abstraktionsvermögen auf Durchzug geschaltet, wenn die Rotlichtbestrahlung angestellt wurde; aber wenn es um wissenschaftliche Fakten ging, haben wir sehr aufmerksam zugehört und es uns gut gemerkt. Wie ist der gegenwärtige Stand? ({2}) Führende Vertreter aus Politik, Wissenschaft und Wirtschaft haben sich im Jahr 2010 in der Forschungsunion Wirtschaft-Wissenschaft zusammengetan. Erst gestern konnten wir die Vorstellung der Ergebnisse der Expertenkommission Forschung und Innovation, EFI, erleben. Nun sind beide Gremien heute in den Reden nicht so gut weggekommen. Mein Eindruck ist: Es war eine kluge Entscheidung der vorhergehenden Regierungen, sich des Rates von Experten zu bedienen. ({3}) - Liebe Frau Sager, wir bedienen uns, um so gut aus der Krise herauszukommen, natürlich auch der Leistungen vorhergehender Regierungen. ({4}) Es wäre doch töricht, so zu tun, als hätte das die bürgerliche Koalition allein geschafft. Sie dürfen davon ausgehen, dass wir die Chancen, die wir jetzt haben, mit besonderer Vehemenz nutzen. In der Forschung gibt es sehr positive Entwicklungen. Allein die Wirtschaft hat ihre Aufwendungen für Forschung und Entwicklung in den letzten fünf Jahren von 1,7 Prozent auf 1,9 Prozent des Bruttoinlandsprodukts erhöht. In Zahlen ausgedrückt bedeutet das: Die Wirtschaft gibt heute pro Jahr über 5,5 Milliarden Euro mehr aus als 2005. Nun sehe ich, dass das Licht blinkt. Die Präsidentin hat sich noch nicht zu Wort gemeldet; aber ich weiß, dass ich meine Ausführungen beenden sollte. Lassen Sie mich zusammenfassen: Heute ist ein guter Tag, weil wir uns im Hohen Hause über diese Dinge unterhalten können. Wir gehen auf eine gute Zeit zu. ({5}) Ich bin so weit optimistisch, dass dies unter der christlich-liberalen Regierung besonders gut gelingen wird. ({6})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Das Wort hat nun der Kollege Klaus Hagemann für die SPD-Fraktion. ({0})

Klaus Hagemann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002668, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Professor Riesenhuber, ich kann nicht so wie Sie in lyrischer Perfektion und epischer Breite schildern, worum es geht, und nicht - wie Sie es getan haben - Wunsch und Wolke darstellen. ({0}) In einem Punkt hat die Kollegin Sitte recht: Die Hightech-Strategie, über die wir beraten, ist eine Weiterentwicklung der rot-grünen Forschungspolitik unter Edelgard Bulmahn und Bundeskanzler Gerhard Schröder. Frau Sitte, da haben Sie völlig recht. ({1}) Ich bin dankbar, dass wir in der Zeit der Großen Koalition die Strategie weiterentwickeln konnten, hier mehr Geld zur Verfügung stellen und entsprechende Konzepte vorlegen konnten. ({2}) Zuvor hatte Herr Rüttgers, bis 1998 Forschungsminister - da muss ich mich an die jetzige Koalition wenden -, die Mittel für Bildung und Forschung deutlich abgesenkt. Erst unter Edelgard Bulmahn konnten die Gelder wieder aufgestockt werden; ({3}) das sei hier deutlich herausgestellt. Dadurch konnten wir die Lissabon-Strategie umsetzen. ({4}) Der Spitzencluster-Wettbewerb, die Zusammenarbeit von Universitäten mit anderen Hochschulen sowie Forschungseinrichtungen und der Wirtschaft, ist ein Erfolg. Hier steht genügend Geld zur Verfügung; da muss etwas Positives herauskommen. Ich kann das in meiner Region, im Rhein-Neckar-Raum, immer wieder beobachten. Die Exzellenzinitiative hat frischen Wind in die Universitäten gebracht; das sagen die Universitäten selbst. Auch das ist sicherlich positiv herauszustellen. Auch diese Initiative wurde von Edelgard Bulmahn angestoßen. Es gibt aber auch eine Menge Schatten - auch darauf möchte ich jetzt hinweisen -: Beim Vollzug, Herr Meinhardt, ist es oft so, dass es nicht ordentlich organisiert wird. Es werden zu viele Erwartungen geweckt. Es wird zu viel Luft hineingeblasen. So haben Sie, Frau Ministerin, im Jahr 2006, als die Hightech-Strategie gestartet wurde, gesagt: 1,5 Millionen Arbeitsplätze sind zu erwarten. - Wir haben nachgefragt, wie es damit aussieht, und haben erfahren, dass sich die Zahl der Arbeitsplätze im forschungsnahen Bereich in einer Größenordnung zwischen 10 und 100, aber nicht von 1 Million bewegt. Eine etwas geringere Prognose wäre sinnvoll gewesen. Wir erwarten, dass in wenigen Monaten - wenn der Vollzug beendet sein wird - durch die Evaluation nachgewiesen wird, wo die 1,5 Millionen Arbeitsplätze entstanden sind. Herr Riesenhuber hat gesagt: Wir brauchen sie alle, große und kleine Betriebe. Das ist richtig. Das ZIM, ein ordentliches Programm, wurde von der Großen Koalition gestartet. Aber wir haben auch ein anderes Programm gestartet, nämlich die Forschungsprämie, Frau Ministerin Professor Schavan. Es wurden von Ihnen große Erwartungen geweckt. ({5}) - Es war ein Flop, Herr Meinhardt, völlig richtig. 100 Millionen Euro wurden gefordert, ganze 14 Millionen Euro sind abgeflossen. Das ganze Projekt ist zwischenzeitlich beerdigt worden. Es wurde falsch angegangen. Daran möchte ich erinnern. ({6}) An dieser Stelle sei noch das Technikum erwähnt. Auch das ist eingestellt worden. Zur Elektromobilität. Die ökonomische Wirkung der Konjunkturpakete wurde bereits deutlich dargestellt. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der FDP, es war sinnvoll, dass Konjunkturpakete geschnürt wurden, auch für Elektromobilität. 70 Millionen Euro wurden im Konjunkturprogramm I veranschlagt. ({7}) Im Konjunkturpaket II waren es 500 Millionen Euro. Sie waren immer gegen Konjunkturprogramme. Wir haben das in der Großen Koalition auf den Weg gebracht. Im schwarz-gelben Koalitionsvertrag steht, dass die Werkstoff- und Materialforschung ausgebaut werden soll. Im Haushaltsansatz für das nächste Jahr ist vorgesehen, dass die Projektmittel heruntergefahren werden. Herr Professor Neumann, Sie haben die Validierungsforschung erwähnt. ({8}) - Ja. - Aber dazu wird nichts vorgelegt. Es fehlen konkrete Vorschläge und die notwendigen Mittel, obwohl die SPD-Fraktion in der letzten Legislaturperiode konkrete Vorschläge gemacht hat. Es gibt nur große Ankündigungen, aber es geschieht nichts auf diesem Sektor. Es geht darum, wissenschaftliche Erkenntnisse in Produkte umzusetzen und die Forscher dabei zu unterstützen und zu begleiten. Ein anderes Beispiel sind die nationalen Gesundheitszentren. Sie sind eine sinnvolle Einrichtung, Frau Ministerin. Wir haben das unterstützt und im Haushaltsausschuss dafür gekämpft. Woran scheitert es, dass es flott vorangeht? Es fehlen einige wenige W3-Professuren; es fehlen Planstellen. Beim Finanzminister konnten Sie die vorgesehenen Planstellen für den Haushalt 2011 nicht durchsetzen. Dadurch können unter anderem Leitungsfunktionen nicht besetzt werden. Frau Ministerin, die 500 Millionen Euro, die in Ihrer Amtszeit für Investitionen genehmigt worden waren, konnten aber nicht ausgegeben werden, sie sind von Ihrem Ministerium nicht investiert worden. In diesem Bereich müssen Sie handeln und nicht so viel ankündigen. ({9}) Zur Verschiebung von Forschungseinrichtungen. Man hat das Institut für Meeresforschung zwischen der Helmholtz-Gemeinschaft und der Leibniz-Gemeinschaft hinund hergeschoben. Den Wissenschaftsrat hat man dazu nicht befragt. Man hat noch nicht einmal das betroffene Institut gefragt. Der Gewinn ist wissenschaftlich gesehen gleich null. Doch es gibt einen Gewinner: Das ist Schleswig-Holstein. Damals wurde die Landesregierung gebraucht, um die Mehrheit für das Wachstumsbeschleunigungsgesetz im Bundesrat zu sichern. Das ist keine nachhaltige Politik. Das sind zu viele Ankündigungen. Das wollen wir so nicht hinnehmen. Hoffentlich ist der „Wissenschaftszug“ nicht Symbol für Ihre Politik. Er ist eine tolle Einrichtung der MaxPlanck-Gesellschaft. Er ist voriges Jahr durch Deutschland getourt und hat junge Menschen für Wissenschaft begeistert. Wo steht er jetzt? Auf dem Abstellgleis in Potsdam-Rehbrücke. Hoffentlich ist das nicht das Ziel Ihrer Forschungs- und Wissenschaftspolitik. Danke schön. ({10})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Nächster Redner ist der Kollege Albert Rupprecht für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Albert Rupprecht (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003620, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Die Hightech-Strategie begründet eine neue Qualität. Erstmals haben wir ein nationales Gesamtkonzept. Die Albert Rupprecht ({0}) wichtigsten Akteure des Innovationsgeschehens in Deutschland setzen eine gemeinsame Strategie um, und das mit einem Mitteleinsatz wie nie zuvor. Seit 2005 hat der Bund die Forschungs- und Entwicklungsausgaben um sage und schreibe 33 Prozent erhöht. Auch die Wirtschaft zieht mit. Sie hat ihren Anteil trotz Wirtschaftskrise um 20 Prozent erhöht. Das ist entscheidend. Wir müssen die Wirtschaft mit im Boot haben, wenn aus der Hightech-Strategie letztendlich Wohlstand für Deutschland entstehen soll. Eine erfolgreiche Hightech-Strategie braucht zudem eine breite gesellschaftliche Grundlage. Wir kommen auch deswegen schneller als fast alle anderen Industriestaaten auf der Welt aus der Wirtschaftskrise heraus, weil wir in Deutschland eine Infrastruktur haben, die stimmt, und einen Geist haben, der stimmt. Das Land der Tüftler und Techniker hat eine Infrastruktur, um die es weltweit beneidet wird. Bei uns gibt es ordentliche Straßen, Häfen, Flughäfen, Stromnetze und Schienennetze. Unser Rechtsstaat und unsere parlamentarische Demokratie bieten ein hohes Maß an Verlässlichkeit. Forschung und Innovation können in Deutschland gedeihen, weil man dem Land, den Menschen und den Institutionen vertrauen kann. ({1}) Widersprüchlichkeit, Beliebigkeit und Wankelmütigkeit hingegen machen dieses Vertrauen kaputt. Es ist kaum zu glauben: Grüne fordern seit Jahrzehnten vehement, dass mehr Verkehr auf die Schiene kommt. Wenn es aber ernst wird, stehen sie in der ersten Reihe, um Bahnstrecken und Bahnhöfe zu verhindern. ({2}) Die Grünen sind auch im Jahr 2010 nicht über ihren historischen Ursprung als Antibewegung hinausgekommen. Die SPD ist 15 Jahre für Stuttgart 21 - auch hier, im Deutschen Bundestag -, aber wackelt wie ein Fähnchen im Wind, sobald der erste Widerstand auftaucht. ({3}) Sie reden von der Energiewende, kritisieren aber den zwingend notwendigen Ausbau der Stromnetze. Wir brauchen für den Transport von Wind- und Sonnenenergie 3 500 Kilometer Hochspannungsleitungen. Ohne Leitungen gibt es keine Energiewende. Der Strom kommt eben nicht aus der Steckdose. Wir brauchen in diesem Zusammenhang Infrastruktur in großen Dimensionen. ({4}) 60 Prozent der Deutschen würden nach Umfragen gerne in Bayern leben. ({5}) Bayern steht für eine wunderbare Natur. Bayern steht für Tradition und Fortschritt zugleich. Hätten SPD und Grüne in den vergangenen Jahrzehnten in Bayern regiert, wären wir noch heute arm wie eine Kirchenmaus. ({6}) Sie waren praktisch gegen alles, was den heutigen Wohlstand Bayerns begründet. Sie waren gegen den RheinMain-Donau-Kanal, ({7}) gegen den Schnellen Brüter in Garching, ({8}) gegen den neuen Flughafen in München, ({9}) gegen den Ausbau der Autobahnen, ({10}) gegen die Forschungsneutronenquelle, gegen Wasserkraftwerke usw. Sie waren immer dagegen. Wir werden die Hightech-Strategie nur dann zu einem nachhaltigen Erfolg führen, wenn wir die Forschungsergebnisse und die Innovationen auch verwerten können. ({11}) Dazu bedarf es aber der Bereitschaft, langfristige und auch große Projekte zu stemmen. Dazu bedarf es der Bereitschaft zum Risiko. Wir brauchen eine Risikokultur. Zukunftsverweigerung, Irrationalität und Antistimmung bringen uns keinen Zentimeter weiter. ({12})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Pronold?

Albert Rupprecht (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003620, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Später. ({0}) Wir brauchen Visionen, die zeigen, wofür wir stehen. Deswegen fokussieren wir die Hightech-Strategie auf die globalen Herausforderungen. Die großen Fragen der Menschheitsgeschichte erfordern Visionen: Klima, Energie, Gesundheit und Ernährung, Mobilität, Sicherheit und Kommunikation. Allein in der Gesundheitsforschung geben wir zwischen 2011 und 2014 ganze 6 Milliarden Euro im Kampf gegen Krebs, Herzinfarkt, Alzheimer und andere Krankheiten aus. ({1}) Die Verbesserungsvorschläge zur Strategie aus dem EFI-Gutachten beziehen sich vor allem auf die stärkere Verwertung von Forschungsergebnissen durch die Wirtschaft. Das nehmen wir sehr ernst. Deswegen haben wir Albert Rupprecht ({2}) das Programm zur Validierungsförderung gestartet. Herr Hagemann, da Sie gesagt haben, dass man nichts davon hört: Es ist existent und mit Mitteln ausgestattet. ({3}) Wir schaffen neue Technologiecampus. Wir haben erste Verbesserungen bei der Wagniskapitalfinanzierung beschlossen. Weitere Schritte müssen folgen. Im Übrigen war dies eines der Themen, bei denen die Sozialdemokraten in der Großen Koalition massiv geblockt haben. ({4}) Nach wie vor gilt die Vereinbarung, die im Koalitionsvertrag steht - Frau Ministerin Schavan hat es angesprochen -, dass wir in dieser Legislaturperiode in die steuerliche Forschungsförderung einsteigen wollen. Die Hightech-Strategie wird von der Fachwelt hoch gelobt. Sie ist ein historischer Meilenstein der Forschungspolitik in unserem Land. Sie wird sich aber nur dann voll entfalten können, wenn es eine Bereitschaft zum Risiko, eine Risikokultur in Deutschland gibt. Herzlichen Dank. ({5})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Das Wort zu einer Kurzintervention hat die Kollegin Krista Sager.

Krista Sager (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003622, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrter Herr Kollege, ich finde es bemerkenswert, dass Sie die Diskussion über die Hightech-Strategie dazu nutzen, Ihre Verärgerung über die Stuttgarter Bürgerinnen und Bürger zum Ausdruck zu bringen. ({0}) Sie tun auch noch so, als wären diese Bürgerinnen und Bürger von den Grünen ferngesteuert. ({1}) In Stuttgart geht es offenkundig nicht um einen Technologiestreit, sondern um das Misstrauen gegenüber der Politik. Es ist offensichtlich so, dass die Bürgerinnen und Bürger darüber nachdenken, dass die Bahn ihre Verpflichtungen im ländlichen Raum zunehmend weniger wahrnimmt, ({2}) dass viele Strecken, die die Menschen für ihre Mobilität brauchen, immer schlechter oder stillgelegt werden und gleichzeitig an einer Stelle ein Großprojekt gebaut wird, das immer teurer wird. Die Bürgerinnen und Bürger fragen nach Kosten und Nutzen. Als Hamburgerin weiß ich, dass ein Volksentscheid nicht immer das Ergebnis hat, das sich eine Regierung wünscht, aber es ist ein sehr gutes Mittel, um die Bürger auf Fragen, die sie stark betreffen und bei denen ein gewisses Misstrauen besteht, selbst die Antwort geben zu lassen. Ich frage mich, warum Sie diesen Weg in BadenWürttemberg nicht gehen. Stattdessen jammern Sie hier über das, was dort stattfindet. ({3}) Im Übrigen sind gerade in Niedersachsen oft CDUOberbürgermeister an der Spitze der Gegenbewegung, wenn es um Trassenführung von Stromleitungen geht. Wir Grünen haben gesagt, dass wir das Geld ausgeben sollten, um neue Trassen, neue Netze unterirdisch zu verlegen, weil das auf mehr Akzeptanz bei den Bürgerinnen und Bürger stößt. Wenn Sie meinen, immer noch so tun zu können, als wären die Grünen die Zukunftsverweigerer, ({4}) haben Sie offensichtlich nicht mitbekommen, dass die von Ihnen selbst eingesetzte Expertenkommission „Forschung und Innovation“ Solartechnologie zu den neuen Spitzentechnologien zählt. Sie sind mit der Verlängerung der Laufzeiten von Atomkraftwerke gerade dabei, den erneuerbaren Energien in Deutschland die Marktchancen zu nehmen, weil Sie mit Atomstrom die Netze verstopfen und den Spitzentechnologien mit großer Zukunft das Leben schwer machen. ({5})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Herr Kollege Rupprecht, bitte.

Albert Rupprecht (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003620, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Kollegin Sager, wir nehmen jede Frau, jeden Mann, jedes Kind, jeden Jugendlichen und jeden Rentner, der in Stuttgart Sorge hat, sehr ernst. Deswegen suchen und führen wir das Gespräch. Das, was Sie gerade dargestellt haben, war überhaupt nicht die Aussage meiner Rede. Die Aussage meiner Rede war, dass sich die Grünen nach jahrzehntelanger Auseinandersetzung nicht weiterentwickelt haben und nach wie vor die Partei sind, die letztendlich Deutschland blockiert, Großprojekte verhindert und nicht die Bereitschaft zum Risiko hat. ({0}) Wir werden, ob im Energiebereich, im Verkehrsbereich oder wo auch immer, allein durch ungefährliche dezentrale Kleinprojekte die Probleme dieser Welt nicht lösen. Wenn wir technologischen Fortschritt wollen, wenn wir die Probleme der Welt lösen wollen, dann braucht es Dezentralität, Kleinstrukturiertheit, Subsidiarität, aber auch die Kraft der Langfristigkeit, es braucht Albert Rupprecht ({1}) die Großprojekte. Überregionale Schienenverkehrsstränge sind Großprojekte. Stromleitungen durch das Land sind Großprojekte. Kernfusion ist ein Großprojekt. Dem, der wie Ihre Kollegin Hinz sagt, dass Kernfusion im nächsten Jahr nichts bringt, sage ich: Okay, vielleicht bringt es in den nächsten drei, vier Jahren noch nichts. Meine kleine Tochter ist anderthalb Jahre alt. Ich möchte, dass meine Tochter noch mit 60 Jahren von der Politik, die wir heute, im Jahr 2010, machen, profitiert. Meine Aussage ist: Die Grünen sind ein Wolf im Schafspelz, der sich in den letzten 30 Jahren nicht von der Antibewegung wegentwickelt hat, sondern immer noch dem alten Geist frönt. ({2})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege Axel Knoerig für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Axel Knoerig (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004073, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Mit der heutigen Diskussion über die Hightech-Strategie der Bundesregierung wollen wir darstellen, wie sich die Rahmenbedingungen für Innovationen weiter verbessern. Innovationen haben keinen Selbstzweck. Sie sollen den Menschen nutzen. Das geschieht dadurch, dass vorhandene Produkte verbessert oder neue entwickelt werden. Eine gute Forschungs- und Innovationspolitik ist der Garant für neue Wertschöpfungsketten in unserer Volkswirtschaft. Doch dafür braucht man einen langen Atem. Kurzfristige Effekte können in bis zu drei Jahren erzielt werden, beispielsweise durch Forschungs- und Entwicklungskooperationen und die Bildung von regionalen Wirtschafts- und Forschungsnetzwerken. Mittelfristige Effekte treten nach bis zu sechs Jahren auf; sie zeigen sich in der kommerziellen Verwertung von Produkten oder der Bildung strategischer Allianzen von Unternehmungen. Bis zu zehn Jahre brauchen wir, um technische Veränderungen auf Zukunftsmärkten spürbar durchzusetzen. Die Hightech-Strategie der Bundesregierung ist auf dieses lange Zeitfenster ausgerichtet. Das dokumentiert eindrucksvoll der Innovationsreport des Deutschen Industrie- und Handelskammertages aus dem Jahre 2009. Dieser belegt, dass 30 Prozent der deutschen Unternehmen Innovationen auf eine verbesserte Forschungs- und Innovationspolitik zurückführen. Frau Ministerin, sehr geehrte Frau Professor Schavan, das ist Ihr Verdienst und sehr wohl auch das Verdienst Ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Ministerium. ({0}) Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, wir dürfen die Leistungen der Praktiker nicht verschweigen, zum Beispiel die der Techniker, der Chemielaboranten, der Mitarbeiter in den Forschungseinrichtungen, den Hochschulen, den Universitäten und den Unternehmen. Auch ihnen möchte ich für ihre Forschungs- und Entwicklungsarbeit einen herzlichen Dank aussprechen. ({1}) Mittelständische Unternehmen sind Vorreiter des technologischen Fortschritts und Beschäftigungsmotor für unsere Wirtschaft. Denn im Mittelstand entstehen viele der Innovationen, welche die Industrie zu weltweiten Exportschlagern ausbaut. Das ist die Einheit von Industrie und Mittelstand, von der Sie, Herr Professor Riesenhuber, gerade gesprochen haben. Ich hoffe, dass auch bei der Kollegin Sager das eine oder andere Argument angekommen ist. Wir unterstützten die Hightech-Strategie 2020 mit der Förderinitiative „KMU-innovativ“ für kleine und mittelständische Unternehmen. Wir spüren, dass diese Regierungspolitik in unseren Regionen und Wahlkreisen ankommt. In meinem Wahlkreis Diepholz-Nienburg werden durch diese Programme Unternehmen aus der Wasserwirtschaft, dem Klimaschutz, der Fertigungstechnologie, der Pflanzenforschung, der Sicherheitsbranche und der Luftfahrttechnik gefördert. Information und Kommunikation sind die Grundlage für Innovation. Aus diesem Grund hat die Bundesregierung eine Förderberatung des Bundes eingerichtet. Damit kommen die mittelständischen Unternehmungen schnell, einfach und unbürokratisch an die Förderprogramme der Hightech-Strategie. Mithilfe der Hightech-Strategie wollen wir Deutschland in Europa zum Schrittmacher für marktfähige Lösungen machen. Die Strategie „Europa 2020“ für intelligentes, nachhaltiges und integratives Wachstum nimmt die Hightech-Strategie 2020 der Bundesregierung auf. Die Europäische Kommission startet jetzt mit der Innovationsunion eine Initiative zur Forschungs- und Innovationspolitik. Damit greifen unsere Validierungsprozesse auf die europäische Ebene durch. Auf diese Weise wollen wir sicherstellen, dass innovative Ideen grenzüberschreitend in wachstums- und beschäftigungswirksame Produkte und Dienstleistungen umgesetzt werden. Das ist ein Erfolg, der unser aller Lebensqualität verbessert und unseren Arbeitsmarkt mit zukunftsfähigen Ausbildungs- und Arbeitsplätzen bereichert. Ich halte fest: Die konservativ-liberale Bundesregierung hat mit der Hightech-Strategie einen Mehrwert in der Forschungspolitik in Europa erzielt. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({2})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 17/2691 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt Ich rufe den Tagesordnungspunkt 28 auf: Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten Garrelt Duin, Hubertus Heil ({0}), Doris Barnett, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Ökonomische Wirkung der Konjunkturpakete - Drucksachen 17/1616, 17/2568 Interfraktionell wurde vereinbart, darüber eineinviertel Stunden zu debattieren. - Ich sehe, damit sind Sie einverstanden. Dann können wir so verfahren. Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner dem Kollegen Wolfgang Tiefensee für die SPDFraktion das Wort. ({1})

Wolfgang Tiefensee (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004176, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die ökonomische Wirkung der Konjunkturpakete ist atemberaubend gut. Die ökonomische Wirkung der Regierungsarbeit von Schwarz-Gelb ist atemberaubend schlecht. ({0}) Wir diskutieren in einer sehr schwierigen Phase. Es ist an der Zeit, dass wir mit dem Vorurteil aufräumen, Schwarz-Gelb und speziell die FDP mit dem Wirtschaftsminister, Herrn Brüderle, stünden für eine strategische Wirtschaftspolitik und würden den aktuellen Erfordernissen entsprechend handeln. Vor allen Dingen müssen wir mit dem Vorurteil aufräumen, Schwarz-Gelb und speziell die FDP stünden für den Mittelstand und für die Kommunen. Das ist falsch, und das muss geradegerückt werden. ({1}) Wir erleben einen konjunkturellen Aufschwung. Das IWF prognostiziert 3,3 Prozent Wachstum des BIP. Das ist nicht zu erwarten gewesen. Das ist grandios. Aber was erleben wir? Wir erleben, dass sich der Wirtschaftsminister mit diesen Federn schmückt. Er sagt zum Beispiel, diese Wirtschaftsentwicklung sei exportgetrieben, das könne unmöglich etwas mit der SPD zu tun haben. ({2}) Sehr verehrter Herr Minister - lieber Herr Staatssekretär, bitte richten Sie es ihm aus -, ({3}) wie kann man sich in dieser Art und Weise irren und Ursache und Wirkung verwechseln? Gerade durch die Konjunkturpakete, gerade durch unser beherztes Handeln ist dieser Aufschwung möglich gewesen, der sowohl exportgetrieben ist als auch im Inland stattfindet. Das ist die Wirkung der Konjunkturpakete und der segensreichen Arbeit der wirtschaftsverständigen Sozialdemokratie. ({4}) Das Schlimme ist, dass die schwarz-gelbe Koalition und speziell der Wirtschaftsminister keine Strategie haben. Deshalb geht es nicht nur darum, rückwärts, sondern auch nach vorn zu schauen. Ich will Folgendes in Erinnerung rufen: Die Konjunkturpakete und der Schirm über die Finanzwelt sind in eine Strategie eingebettet. Ich darf an den „DeutschlandPlan“ von Frank-Walter Steinmeier erinnern. Es gibt in diesem Hause von Schwarz-Gelb und speziell vom Wirtschaftsminister nichts Vergleichbares. Es wird nur herumgedoktert. In seiner Regierungserklärung sagte der Herr Wirtschaftsminister im April: Wir erleben in Deutschland ein Wirtschaftswachstum und beobachten ein Jobwunder. Das sind die Ausführungen unseres Wirtschaftsministers. Er beobachtet. Er greift nicht ein, wo er beherzt eingreifen müsste, sondern steht daneben und beobachtet. Ich will das an einigen Beispielen deutlich machen. Erstens. Das CO2-Gebäudesanierungsprogramm ist der wesentliche Baustein im Konjunkturpaket und der Treiber für das Wirtschaftswachstum. Was macht die Bundesregierung, und wogegen stemmt sich der Wirtschaftsminister nicht? Dieses CO2-Gebäudesanierungsprogramm wird massiv gekürzt. Das ist eine Politik gegen den Mittelstand. Ich wünsche mir, dass der Mittelstand aufwacht und sagt: Halt, so geht das nicht. ({5}) Ich sage in allem Ernst: Wenn wir bei diesem Programm kürzen - es hilft auch nicht, es jetzt zwangsweise ein bisschen aufzustocken - und es nicht verstetigen, werden wir nicht nur die negativen Entwicklungen beim Klima haben, werden wir nicht nur die erneuerbaren Energien nicht vorantreiben, sondern vor allem dem Mittelstand schaden. Zweitens. Auf der gleichen Linie liegt Ihr Vorgehen im Bereich der Städtebauförderung. Auch die Städtebauförderung ist Wirtschaftsförderung pur für den Mittelstand. Aber was macht Schwarz-Gelb? Die Förderung wird auf die Hälfte gekürzt - sowohl jetzt als auch in der Mittelfristplanung. Durch eine solche Politik werden Arbeitsplätze vernichtet und die Wirtschaft belastet. Das ist keine kluge Wirtschaftspolitik. ({6}) Drittens. Schauen Sie sich das Kurzarbeitergeld an. Das ist der eigentliche Grund, das Fundament für den Wirtschaftsaufschwung. Was erleben wir bei SchwarzGelb? Was erleben wir beim Wirtschaftsminister? Erst ist er dagegen; er will sich nicht einmischen und tritt massiv gegen den Mindestlohn auf. Jetzt aber, da es wohlfeil ist, fordert er einen Lohnzuwachs. Die ganze Zeit herrscht Ruhe; er verschränkt seine Arme und schaut zu. Aber dann, wenn es ihn eigentlich überhaupt nichts angeht, kommt er aus der Deckung und fordert etwas zulasten Dritter. Das ist schlechte Wirtschaftspolitik. Herr Brüderle, kümmern Sie sich um die Arbeitsplätze, wie wir das mit dem Konjunkturpaket gemacht haben. ({7}) Es gibt eine weitere Baustelle, nämlich die Förderung der neuen Technologien. Schauen Sie sich die Elektromobilität an. Das ist das Zukunftsthema. Auch hier können in hohem Maße Arbeitsplätze entstehen. Was macht Schwarz-Gelb? Was macht der Wirtschaftsminister? Er zeigt keine Perspektive auf, er kürzt bzw. lässt zu, dass gekürzt wird, in der Hoffnung darauf, dass mit dem Geld, das die Stromkonzerne zur Verfügung stellen, vielleicht eine geringfügige Aufstockung möglich ist. Meine sehr verehrten Damen und Herren, mit dieser Art des Zuschauens, des Gewährenlassens und des Eingreifens an den falschen Stellen können wir keine Wirtschaftspolitik machen. Nehmen Sie die unsinnigen Teile dieses unsäglichen Wirtschaftsbeschleunigungsgesetzes zurück, und konzentrieren Sie sich darauf, die gute Arbeit, die in den Konjunkturpaketen zum Ausdruck kommt, zu verstetigen und sie den modernen Erfordernissen anzupassen. Um es mit einem Satz zu sagen: Hören Sie auf, von Ihrer Wirtschaftskompetenz und von Ihrer Mittelstandsfreundlichkeit zu schwadronieren, sondern schauen Sie sich ab, wie man Konzepte macht, nämlich bei der Sozialdemokratie. ({8})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Nächste Rednerin ist die Kollegin Lena Strothmann für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Lena Strothmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003699, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wer von uns hätte vor einem Jahr erwartet, dass wir in Deutschland ein Wirtschaftswachstum von circa 3 Prozent erreichen und dass die Arbeitslosenzahl auf 3 Millionen und bald sogar auf unter 3 Millionen sinkt? Deutschland steht gut da. Die Wirtschaft wächst, der Arbeitsmarkt erholt sich, und auch die Haushaltskonsolidierung ist wieder auf einem guten Weg. Wir haben in der Krise die Konjunkturpakete beschlossen; sie zeigen jetzt ihre ökonomische Wirkung. Aber wer A sagt, muss auch B sagen. Wir haben dafür zusätzliche Schulden gemacht, und die müssen wir nun abbauen. Wir haben die Krise dank der Konjunkturpakete, aber auch dank des politischen Geschicks unserer Kanzlerin Angela Merkel gemeistert. ({0}) Andere europäische Staaten wie Frankreich beneiden uns, weil wir alles richtig gemacht haben. Ich habe in den vergangenen Wochen mit französischen Handwerkern gesprochen, die mir das bestätigt haben. Aber auch die Handwerkskammer in meinem Wahlkreis Bielefeld liefert den Beweis für den Erfolg. Wir haben in diesem Herbst hervorragende Ergebnisse in den Konjunkturumfragen erzielt. Das sind die besten Daten seit der Wiedervereinigung - und das bei fast allen Gewerken. ({1}) Das Handwerk in Ostwestfalen-Lippe entwickelt sich dank der Konjunkturpakete und der sich daraus entwickelnden Wachstumskräfte zur Jobmaschine. ({2}) Die bereits positive Entwicklung im Frühjahr wurde im Herbst nochmals übertroffen. Dies gilt für ganz NRW, für den ländlichen Raum und das Ruhrgebiet. Ein Zeichen des Erfolges ist aber auch die Ausbildungsquote im Bund. Betriebe - gerade im Handwerk bilden aus, wenn die Auftragslage stimmt, und sie stimmt wieder. Es wird wieder mehr ausgebildet. Es gibt keine Lehrstellenlücke im Handwerk, und wir erwarten in diesem Jahr 160 000 neue Ausbildungsplätze. ({3}) Das sind gute Nachrichten auch für unsere jungen Menschen. Deutschland war von der Krise besonders betroffen: Rückgänge beim Export, Einbrüche beim Umsatz und drohender Arbeitsplatzabbau. Wir haben darauf schnell und zielführend reagiert und mit den Konjunkturpaketen die richtigen Maßnahmen auf den Weg gebracht. Der Erfolg gibt uns recht. ({4}) Die Kurzarbeit bewahrte uns vor hoher Arbeitslosigkeit. Unsere Betriebe konnten im Vorfeld des sich abzeichnenden Fachkräftemangels ihre gut ausgebildeten Fachkräfte halten. Die Einführung der Abwrackprämie und die KfzSteuerbefreiung führten zu einem Boom. Viele haben gerade diese Maßnahme abgelehnt, da im Anschluss der Untergang der deutschen Kfz-Branche und gähnende Leere in den Werkstätten orakelt wurde. Aber nichts von alledem ist eingetreten. Die Sorge war unberechtigt. Die Automobilindustrie meldet gute Verkaufszahlen, und die Handwerker berichten von ausgelasteten Werkstätten. ({5}) Die Verdopplung des Steuerbonus für Handwerkerleistungen hatte sogar Mehrfacheffekte: Davon hat nicht nur der Handwerker durch mehr Aufträge profitiert, sonLena Strothmann dern vor allen Dingen der private Auftraggeber. Nicht zu vergessen ist auch die Bekämpfung der Schwarzarbeit. Besonders richtig und wichtig war die Aufstockung der Fördermittel für energetische Gebäudesanierung und energieeffizientes Bauen. Das ist ein enormer Beitrag zum Klimaschutz und meiner Ansicht nach keine Subvention. Nicht zu vergessen: Für jeden Euro Fördermittel werden weitere 12 Euro privat investiert, wie das Bauministerium bestätigt. ({6}) Insgesamt bedeutet das die Sicherung von 290 000 Arbeitsplätzen - eine wahre Erfolgsstory. Ähnlich nachhaltig wirken die zusätzlichen Investitionen der öffentlichen Hand in Infrastruktur. Damit wurde die Auftragslage im Baugewerbe stabilisiert. Die Lockerung der Vergabebestimmungen für öffentliche Aufträge hat viele Investitionen zeitlich beschleunigt. Auch Bielefeld hat in besonderer Weise davon profitiert. Viele Pläne für notwendige Investitionen waren bereits vorbereitet, ({7}) weil die Stadt seit 2001 die Sanierung ihrer Schulen systematisch durchgeführt hat. Wo andere Kommunen noch debattierten, wurde dank der Konjunkturpakete in Bielefeld längst gearbeitet, renoviert und investiert. ({8}) Die Konjunkturpakte haben aber nicht nur eine wirtschaftliche, sondern auch eine psychologische Bedeutung. ({9}) In weiten Teilen der Bevölkerung war die Krise überhaupt nicht spürbar, und die Menschen in unserem Land haben weiter konsumiert. Dieses besonnene Verhalten der Menschen und die Konjunkturpakete haben Schlimmeres verhindert. Jetzt ist der Aufschwung da. ({10}) Wir haben aber auch immer gesagt, dass wir rechtzeitig die Exit-Strategie einleiten müssen. Jetzt müssen wir aus Teilen der Konjunkturpakete aussteigen. ({11}) Es muss klar sein: Eine zeitweilige Konjunkturhilfe darf keine Dauersubvention werden. Erfolgreiche Maßnahmen, die wir bereits vor der Krise durchgeführt haben, wollen wir natürlich fortführen. Gerade Elemente mit hohem Nachhaltigkeitspotenzial wollen wir beibehalten. Dazu gehören die zukunftsgerichteten Maßnahmen in unserem Energiekonzept. Ich nenne nur das Gebäudesanierungsprogramm als Baustein. ({12}) Hier werden ökonomische und ökologische Ansprüche vereint. Wer also eine Fortführung der Konjunkturpakete fordert, kann sich unserem Energiekonzept gerne anschließen. Herzlichen Dank. ({13})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Für die Fraktion Die Linke hat der Kollege Michael Schlecht das Wort. ({0})

Michael Schlecht (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004144, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Das Konjunkturpaket I im Jahre 2008 war ein schlechter Scherz. Es hat nämlich überhaupt nichts gebracht. Dann hat die damalige Bundesregierung aufgrund massiven Drucks von außen, gerade auch von den Gewerkschaften - ich habe das damals noch von der anderen Seite aus miterlebt -, Ende 2008/Anfang 2009 ein zweites Konjunkturpaket aufgelegt, das man zwar in der Tat so nennen konnte, aber in seiner Bedeutung außerordentlich begrenzt war. Für dieses zweite Konjunkturpaket waren 25 Milliarden Euro pro Jahr vorgesehen, von denen aber gerade einmal 9 Milliarden Euro sinnvoll ausgegeben wurden, indem Länder und Kommunen besser ausgestattet und investive Impulse gegeben wurden. Rund 10 Milliarden Euro des Konjunkturpaketes II wurden vor allem für Steuersenkungen verpulvert. Der Konjunktur hat das in der Tat kaum etwas gebracht. Es war jedoch außerordentlich profitabel und lukrativ für Besserverdienende. Während Geringverdiener durch das Konjunkturpaket um gerade einmal 150 Millionen Euro entlastet wurden, entfiel auf die Spitzenverdiener das Zehnfache, nämlich 1,5 Milliarden Euro. Das war nicht nur ungerecht, sondern auch ökonomischer Schwachsinn. ({0}) Denn bekanntermaßen tragen Menschen mit geringen und mittleren Einkommen ihr Geld fast vollständig in die Geschäfte und konsumieren. Reiche tragen es auf die Bank, zocken oder verzocken es. Dies ist bekanntermaßen einer der Gründe für die schwere Wirtschafts- und Finanzkrise, die wir erlebt haben und deren Auswirkungen noch längst nicht überwunden sind. Nun will die Bundesregierung aus diesem zaghaften Konjunkturpaket wieder aussteigen. Mehr noch: Sie will mit einem 80-Milliarden-Euro-Kürzungsprogramm, beginnend mit dem nächsten Jahr, die wirtschaftliche Entwicklung strangulieren. Herr Brüderle sagt in seiner rheinland-pfälzischen Fröhlichkeit natürlich: Das ist überhaupt kein Problem. Wir haben ja einen Aufschwung XXL. - Das Wort von einem neuen Wirtschaftswunder ist, glaube ich, auch schon gefallen. Die wirtschaftliche Lage ist jedoch höchst wackelig und in keiner Weise so risikolos, wie es hier immer dargestellt wird. Das Plus im ersten Halbjahr 2010 ging zu einem Drittel auf den Lageraufbau zurück. Herr Tiefensee, die Bedeutung des auch von Ihnen als so glorreich geschilderten Konjunkturpaketes ist - um das zu relativieren - außerordentlich minimal. Wie gesagt, der Lageraufbau hatte im ersten Halbjahr dieses Jahres eine viel größere Wirkung. Der Rest kommt ein ganz kleines bisschen aus dem Konjunkturpaket. Entscheidend ist aber in der Tat - hier muss ich fast Herrn Brüderle gegen Sie verteidigen, Herr Tiefensee - der Export; das hat Herr Brüderle schon richtig beobachtet. Dass der Export so gut läuft, hängt aber vor allen Dingen mit den Konjunkturpaketen der Chinesen und der US-Amerikaner zusammen. ({1}) Die Chinesen haben 14 Prozent ihres Bruttoinlandsproduktes in die Konjunktur investiert, die US-Amerikaner 7 Prozent. Bei uns bewegte sich das Konjunkturpaket in einer Größenordnung von gerade einmal 2 bis 2,5 Prozent. Die wirtschaftliche Verbesserung, die zurzeit zu verzeichnen ist, ist kein Resultat der Konjunkturpakete in Deutschland, sondern vor allen Dingen ein Resultat der Konjunkturpakete der Chinesen und der US-Amerikaner; das muss man sehr deutlich sehen. ({2}) Es ist eigentlich eine Schande für ein Land wie Deutschland, das nicht gerade arm ist, dass man im Grunde genommen versucht, von den Konjunkturpaketen anderer Länder zu profitieren. Nein, hier müsste etwas ganz anderes gemacht werden. Als Risikoszenario kommt hinzu, dass in Europa auf massiven Druck der Bundesregierung - die Kanzlerin brüstet sich immer damit - viele Länder, Griechenland, Portugal, Spanien usw., gezwungen werden, große Kürzungspakete aufzulegen. Europa ist aber der Hauptabsatzmarkt für deutsche Exporte. Wenn die Länder, die eine große Bedeutung für unseren Export haben, ihre Wirtschaft strangulieren, dann wird das erhebliche Auswirkungen auf die deutschen Exporte haben. Das birgt enorme Risiken, genauso wie die wirtschaftliche Entwicklung in China und den USA; denn die dortigen gigantischen Konjunkturprogramme können nicht unendlich fortgesetzt werden. Deshalb wird das Wachstum wieder zurückgehen. Das ist bei allen, die sich gutachterlich äußern, vollkommen unbestritten. Ob es zu einem neuen Einbruch kommt, ist in der Tat offen. Aber es bestehen Risiken. Man muss diese Risiken sehen und ihnen auch begegnen. Das findet momentan überhaupt nicht statt. Die Risiken werden von der Regierung komplett negiert. Ich habe auch von Ihnen von der SPD nichts gehört, das man im Fokus haben müsste. Wirtschaftsminister Brüderle hat in seiner altbekannten Fröhlichkeit überhaupt keinen Blick dafür. Es ist zumindest vollkommen klar - das ist auch das Votum vieler anderer, die sich damit befassen -: Es ist viel zu früh, das Ende der Krise auszurufen. Wir müssen vielmehr wachsam sein und müssten eigentlich eine ganz andere Politik einleiten. Zum Ende einer Krise gehört nämlich ein selbsttragender Aufschwung mit einer deutlichen Steigerung der Binnennachfrage, und das ist in keiner Weise erkennbar. Wir leiden nach wie vor darunter, dass sich in den letzten zehn Jahren die Löhne in Deutschland außerordentlich gedrückt entwickelt haben. Wir hatten in den letzten zehn Jahren eine Reallohnstagnation. Diese Reallohnstagnation ist für die binnenwirtschaftliche Entwicklung natürlich außerordentlich problematisch. Herr Tiefensee, da Sie die sozialdemokratischen wirtschaftspolitischen Weisheiten so gelobt haben, möchte ich darauf eingehen: Dass die Binnennachfrage so desaströs ist und die Reallohnentwicklung stagniert, ist Folge der Agenda 2010 mit Befristungen, Leiharbeit, Minijobs sowie mit Hartz IV und dem Arbeitslosengeld II. Das ist der Skandal, den man immer wieder sehr deutlich benennen muss, vor allen Dingen, wenn man sich eine solche Lobhudelei anhören muss. ({3}) Wir brauchen hier dringend eine Umkehr. Wir brauchen eine Erhöhung der Löhne, aber zuallererst einen gesetzlichen Mindestlohn von 10 Euro. ({4}) Im Grunde genommen brauchen wir mehr als Konjunkturprogramme. Wir benötigen eine nachhaltige Umsteuerung auf binnenwirtschaftliche Dynamik und Logik. Dazu gehört zuallererst, dass die öffentliche Hand ein Zukunftsprogramm in der Größenordnung von jährlichen Mehrausgaben in Höhe von 100 Milliarden Euro auflegt. ({5}) Wir wollen, dass in Zukunft jedes Jahr 30 Milliarden Euro mehr in Erziehung und Bildung fließen, damit unsere Kinder, und zwar alle Kinder, endlich wieder optimale Chancen haben. ({6}) - Dass in Berlin Probleme bestehen, hat damit zu tun, dass Sie dafür verantwortlich sind, dass auf bundespolitischer Ebene ({7}) in den letzten zehn Jahren Reichen und Vermögenden 300 Milliarden Euro geschenkt worden sind. Sie wissen doch auch, dass über die Finanzausstattung der Länder vom Bund entschieden wird. Dort ist stranguliert worden, und das ist der Skandal. ({8}) Wir wollen natürlich auch, dass in den Ländern und Kommunen jedes Jahr 50 Milliarden Euro mehr für den sozial-ökologischen Umbau ausgegeben werden. Es muss endlich Schluss damit sein, dass in vielen Städten 30-km/h-Schilder aufgestellt werden, weil die Löcher im Straßenbelag mittlerweile zu groß sind. Es muss Schluss damit sein, dass Deutschland von unten, von der Kanalisation her, verrottet, weil die Stadtkämmerer kein Geld haben. All das würde 2 Millionen Arbeitsplätze bringen, was dringend notwendig ist, weil die von Ihnen immer so fröhlich verkündeten Arbeitslosenzahlen natürlich getürkt sind. Die stimmen nicht. ({9}) Wir haben mindestens 4 oder 5 Millionen Arbeitslose, wenn man realistisch rechnet. Die sogenannte stille Reserve rechne ich Ihnen hier, weil ich heute großzügig bin, gar nicht vor. All das ist auch finanzierbar. Wir brauchen eine massive Umsteuerung in der Steuerpolitik. Ich sage Ihnen nur eine entscheidende Hausnummer: Wir müssen Reiche und Vermögende, die zehn Jahre „gepampert“ worden sind, endlich wieder stärker zur Kasse bitten. Wir wollen die Wiedereinführung der Vermögensteuer vor allen Dingen bei Millionären und Milliardären. Es ist möglich, mit einer 5-prozentigen Besteuerung mindestens 80 Milliarden Euro jährliche Mehreinnahmen zu erzielen. Wenn ich mehr Zeit hätte, würde ich Ihnen weitere steuerpolitische Maßnahmen darlegen, mit denen man endlich zu einer Sanierung, zu einer deutlich besseren finanziellen Ausstattung der öffentlichen Hand kommen könnte. Ich danke Ihnen. ({10})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Nächster Redner ist der Kollege Dr. Martin Lindner für die FDP-Fraktion. ({0})

Dr. Martin Lindner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004096, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wenn man meinem Vorredner von der Linken zugehört hat, hätte man eigentlich zu dem Ergebnis kommen müssen, wir hätten nicht ein Wachstum, sondern eine Rezession von 3 Prozent. Lieber Kollege Schlecht, das Einzige, was noch gefehlt hätte, wäre, dass Sie uns hätten weismachen wollen, dass unser Wirtschaftswachstum von knapp 3 Prozent auf Konjunkturprogramme in Nordkorea und Venezuela zurückgeht. ({0}) Wir sind hier auf richtigem Kurs; das muss ich auch dem Kollegen Tiefensee sagen. Ein Wachstum von 3 Prozent, ({1}) ein Sinken der Arbeitslosigkeit auf etwa 3 Millionen das ist dank einer vernünftigen, liberal-konservativen Politik dieser Bundesregierung erfolgt. ({2}) Das muss man ganz klar sagen. Wir wären nie so weit gegangen, es so zu machen wie Gerhard Schröder, der etwa drei Wochen nach Amtsantritt gesagt hat, die etwas niedrigeren Arbeitslosenquoten seien seiner Politik geschuldet. Er meinte im Nachsatz, man habe bereits im Vorgriff auf seine Regierung investiert. So weit wären wir nicht gegangen. Aber nach einem Jahr ist klar: Schwarz-Gelb wirkt. ({3}) Das zeigt sich bei der Arbeitslosigkeit und an der wachsenden Wirtschaft. Das Entscheidende bei den Konjunkturprogrammen ist, dass diese Bundesregierung nicht auf interventionistische Strohfeuer setzt, sondern auf eine nachhaltige Förderung, auf Investitionen in Bildung, Wissenschaft und Forschung. ({4}) Auch unter Berücksichtigung des Konsolidierungszwangs, insbesondere der Schuldenbremse, haben wir hier maßgebende Entscheidungen getroffen, in die Zukunft dieses Landes, in die Zukunft unserer nachfolgenden Generationen zu investieren. Das ist tatsächlich sinnvolle langfristige Konjunkturpolitik und kein einmaliges Strohfeuer. Weiterhin setzen wir auf antizyklische Fiskalpolitik. Dauerhafte staatliche Subventionen verzerren den Wettbewerb, verursachen hohe Kosten und stehen effizienten Marktmechanismen im Wege. In dieser Phase ist es richtig und vernünftig, auf die Stabilisierung unserer Staatsfinanzen zu setzen. Bei allen Umfragen, bei allen Erhebungen in der deutschen Wirtschaft wurden in den letzten Monaten, im letzten Jahr die hohe staatliche Verschuldung und die Gefahren, die sich daraus für die gesamte Euro-Zone entwickelt haben, als zentrales Problem identifiziert. ({5}) Es ist richtig, dass wir hier trotz der Schwerpunktsetzungen bei Bildung und Forschung einen klaren Blick auf die Rückführung der staatlichen Defizite gerichtet haben. ({6}) - Der Staatssekretär hört selbstverständlich zu. ({7}) Er sitzt da und ist völlig gespannt, was ihm sein liberaler Koalitionspartner so zu erzählen hat. ({8}) Dr. Martin Lindner ({9}) Wir sind uns auch völlig einig: Wir sind eine geschlossene Bundesregierung, die in den letzten Monaten gezeigt hat, was geht. ({10}) Wir haben in den letzten Wochen so viel angeschoben, wie Sie in Ihrer gesamten rot-grünen Bundesregierungszeit insgesamt nicht angeschoben haben: ({11}) Wir haben die Staatsfinanzen stabilisiert, Hartz IV reformiert, ein Energiekonzept auf den Tisch gelegt, ({12}) die Bundeswehrreform angeschoben. Sie hätten sich doch nicht träumen lassen, dass wir all das innerhalb von Wochen auf den Weg bringen. Meine Damen und Herren, es war richtig und vernünftig, die Konjunkturprogramme so anzulegen, dass sie Impulse setzen, aber dass sie in den nächsten ein, zwei Jahren auch sanft wieder auslaufen. Herr Tiefensee, da besteht der gravierende Unterschied zwischen uns. Konjunkturpakete können und müssen im Einzelfall sinnvoll eingesetzt werden. Da sind wir nicht ideologisch und sagen nicht: Auch in solch dramatischen Phasen, wie wir sie gerade in den letzten Jahren hatten, spielt der Staat keine Rolle. - Er spielt eine Rolle. Wenn er sie langfristig ausfüllt, ist das auch sinnvoll. Der Unterschied zwischen Ihnen und uns hat sich in Ihrer Rede gezeigt. Sie haben gefragt, warum dieses oder jenes Programm nicht fortgeführt wird. Wir müssen in einer Phase der wirtschaftlichen Erholung - ich gebe den Vorrednern recht, dass sie noch nicht zu Ende ist - die Ressourcen ausschöpfen, um in späteren Abschwungphasen über genug Mittel zu verfügen, um wieder anzuschieben. Aber wir können solche Programme nicht ad infinitum fortsetzen, wie Sie sich das wünschen, so sinnvoll die Programme im Einzelnen auch sein mögen. Langfristiges Ziel muss sein, durch gescheite Rahmenbedingungen dafür zu sorgen, dass sich dieser Aufschwung, der sich am Ende dieses Jahres so drastisch zeigt, in den nächsten Jahren verstetigt und solide fortsetzt. Meine Damen und Herren, die Verstetigung des Aufschwungs und die Kräftigung der Wirtschaft sind auch für das Gedeihen des Sozialstaats entscheidend. Hier müssen wir Grundlagen erwirtschaften, die wir im Anschluss wieder verteilen können. Bei Ihnen - das ist auch bei meinem Vorredner wieder deutlich geworden - ist die Reihenfolge umgekehrt. Für uns kommt zuerst die ökonomische, dann die soziale Leistungsfähigkeit. Bei Ihnen scheint das jedes Mal umgekehrt zu sein. Wir haben noch einiges vor. Wir brauchen eine steuerliche Systematisierung. Das ist selbstverständlich. Hier geht es nicht darum, im Einzelfall riesige Entlastungen zu erreichen. Vielmehr geht es darum, einzelne Steuern, beispielsweise die Gewerbesteuer, zu betrachten und zu überlegen, ob man sie nicht durch andere, sinnvollere Steuern ersetzen kann, ({13}) die zu einem solideren Aufkommen gerade der Kommunen beitragen, aber zu einer Vereinfachung der gesamten Steuersystematik führen.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Tiefensee?

Dr. Martin Lindner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004096, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ja. - Herr Tiefensee, bitte.

Wolfgang Tiefensee (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004176, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Vielen Dank für die Möglichkeit, zu fragen. - Herr Dr. Lindner, Sie haben die einzelnen Programme des Konjunkturpaketes in die Nähe von Strohfeuern gerückt. Sie haben deutlich gemacht, dass nach Ihrer Wirtschaftspolitik diese Programme endlich seien, und haben gesagt, man müsse zu einer Kontinuität außerhalb dieser Programme kommen, wenngleich die Programme wichtig und gut seien. Bei der energetischen Gebäudesanierung ist das Finanzvolumen auf zunächst 400 Millionen Euro, dann auf 900 Millionen Euro gekürzt worden. Staatssekretär Mücke spricht davon, dass in diesem Jahr und in den folgenden Jahren jeweils 3 Milliarden Euro nötig seien. Herr Bundesminister Röttgen spricht davon, dass 2 Milliarden Euro nötig seien. Ich frage Sie: Sind Sie mit mir einer Meinung, dass genau das, was ich angesprochen habe, nötig ist, nämlich dass diese Programme nicht abgebrochen werden, wie Sie es wollen, sondern verstetigt werden?

Dr. Martin Lindner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004096, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Kollege Tiefensee, ich sehe eine ganze Reihe von anderen Feldern, in denen es ebenfalls durchaus wünschenswert wäre, mehr Mittel einzusetzen. Bei der steuerlichen Forschungsförderung beispielsweise habe ich ganz persönlich den Eindruck, dass man da noch etwas tun könnte. Ich glaube auch, dass wir bezüglich der Infrastruktur des Staates noch mehr machen könnten. Wir haben eine ganze Reihe von Ideen, die - da werden wir uns relativ schnell einig sein - durchaus sinnvoll sind. Aber wir haben andererseits den Druck der notwendigen Konsolidierung der Staatsfinanzen. Die Einführung der Schuldenbremse haben nicht allein die FDP und die Union beschlossen, sondern auch die SPD, ({0}) in einer Zeit, in der Sie noch nicht in einer Art Populismus light wie ein Rohr im Winde durch die Gegend trieben, sondern noch Verantwortung getragen haben. Wenn Sie jetzt an unserer Stelle wären, würden Sie nicht anders handeln. ({1}) Auch Sie müssten sich ebenso wie wir den Zwängen und dem Druck der Haushaltskonsolidierung beugen. ({2}) Natürlich wollen wir die Programme fortsetzen. Es ist ja nicht so, dass diese Programme auslaufen. Wir haben 4,9 Milliarden Euro für die Umweltprämie vorgesehen, ({3}) 3,1 Milliarden Euro für Zukunftsinvestitionen in den Kommunen und Ländern, 1,3 Milliarden Euro zusätzliche Investitionen des Bundes. Das haben wir doch alles, und es läuft auch weiter. Wir sind hier aber nicht in einer Art Wüsch-dir-was-Kino, in dem jeder sein Lieblingsprogramm bekommt. ({4}) Meine Damen und Herren, ich war bei der steuerlichen Systematisierung stehen geblieben, die ein dringendes Erfordernis ist; die Verknappung und Konzentration von Regeln ist ein weiteres Erfordernis. Wir müssen insbesondere mehr für unsere Exportwirtschaft tun, auch weil wir wissen, dass wir uns im Export in den nächsten Jahren großen Herausforderungen zu stellen haben; die Amerikaner wie auch die Chinesen und andere werden mit Macht auf den Markt drängen. Wir müssen der Exportwirtschaft helfen, ihre Spitzentechnologieprodukte, zum Beispiel im Maschinenbau, noch leichter und besser ins Ausland verkaufen zu können. Wir brauchen Verfahrensbeschleunigung. Wir leben in einem Lande, in dem es nicht nur 12- bis 15-jährige Planfeststellungsverfahren und Raumordnungsverfahren für Infrastrukturprojekte gibt. In diesem Land muss man teilweise auch drei Jahre auf einen ersten Termin beim Verwaltungsgericht warten. Das schädigt und hemmt die Wirtschaft. ({5}) - Wenn Sie hier schon wieder „Stuttgart 21“ dazwischenrufen: Natürlich brauchen wir auch Infrastruktur. Seit ich denken kann, hat es Demonstrationen gegen jedes Infrastrukturprojekt gegeben. Ich bin in München aufgewachsen. Gegen den Flughafen waren damals mehr als 50 000 auf der Straße. Ebenso war man gegen die Startbahn West, gegen Mutlangen. Sie waren immer dabei. ({6}) - Wackersdorf. - Es spielt gar keine Rolle; ({7}) wenn es um Kraftwerke, Autobahnen, Flughäfen usw. geht, finden sich in diesem Land immer genug, die sich irgendwie dagegen positionieren. Wir brauchen diese Projekte aber trotzdem. Wenn dieses Land eine Zukunft haben will, werden wir solche Projekte auch zukünftig realisieren müssen. Es gilt, auch in solchen Fragen Verlässlichkeit zu demonstrieren, für alle Partner, die an solchen Projekten beteiligt sind. ({8}) Wir brauchen weiterhin - auch das haben wir gezeigt - ein sinnvolles Energiekonzept statt Ideologien. ({9}) - Sie betreiben Ideologie! Sie suggerieren den Menschen, dass es möglich sei, hier in Deutschland Kernkraftwerke abzuschalten mit der Folge, dass es das Problem nicht mehr gibt ({10}) völlig ignorierend, dass um uns herum Kernkraftwerke erhalten und sogar neue gebaut werden. Da ist es doch pure Ideologie, zu sagen: Wir schalten Biblis und Neckarwestheim ab, ({11}) lassen zu, dass in Frankreich die Kraftwerke laufen, und lassen die ausländischen Kernkraftwerksbetreiber die Gewinne machen. ({12}) Das ist Ihre Politik. Sie betreiben das Geschäft ausländischer Kraftwerksbetreiber. Wir betreiben Politik im Sinne des deutschen Verbrauchers. ({13}) - Niemand tut das. Es gibt eine Vorrangeinspeisung, Frau Kollegin, und das wissen Sie genau. ({14}) - Ja, jetzt sind wir endlich wieder da! Jetzt kommt die Trinitas der Teufelei: Rüstungslobby, Atomlobby und - was habe ich vergessen? ({15}) Autolobby. Zum Schluss kommt noch der Satan selbst: Ackermann. ({16}) Das ist Ihre einfache Welt, aber so einfach ist die Welt da draußen nicht. ({17}) Dr. Martin Lindner ({18}) Weiterhin bedarf es sinnvoller Anreize, in Arbeit zu kommen und nicht in Sozialsysteme; auch das haben wir gezeigt. Es war richtig und wichtig, dass sich diese Koalition gestern Abend darauf geeinigt hat, die Zuverdienstmöglichkeiten im Hartz-IV-Bezug zu erweitern und die Regelsätze nicht dramatisch zu erhöhen. ({19}) Auch das ist ein Unterschied. Wir wollen, dass die Leute in Arbeit kommen. Wir wollen sie nicht dauerhaft alimentieren. Sie stellen sich ja eine Art Daueralimentation vor. ({20}) Das ist purer Populismus. Von den Parteien, die Hartz IV eingeführt haben, hört man jetzt das lauteste Geschrei. Legen wir einmal Ihre Zahlen zugrunde: Sie fordern 420 Euro Mindestregelsatz - davon brauche ich gar nicht zu reden - und gleichzeitig 7,50 Euro bzw. 8,50 Euro Mindestlohn. Rechnen Sie sich das doch einmal aus! Eine Familie mit zwei Kindern im Hartz-IVBezug steht dann dauerhaft finanziell besser da als eine Familie, in der man arbeiten geht. Das ist purer Populismus. Den machen wir nicht mit. Das unterscheidet uns. ({21}) Das haben die Menschen gewählt, und das bekommen sie jetzt auch; ganz klar. ({22}) - Sie können sich die Umfragen täglich im Badezimmer oder Schlafzimmer aufhängen; entscheidend in Deutschland - das muss ich Ihnen ganz klar sagen - sind Wahlen und nicht Umfragen. Wir haben einen Regierungsauftrag für vier Jahre. Den werden wir wahrnehmen. Danach - das kann ich Ihnen schon jetzt versprechen - werden wir auch wiedergewählt. Die größte Herausforderung ist, für eine Integration auch der ausländischen Zuwanderer in den Arbeitsmarkt zu sorgen. Es wird wirklich eine der großen Herausforderungen für diese Koalition sein, in den nächsten Jahren dafür zu sorgen, dass wir nicht Zuwanderung in die Sozialsysteme, sondern Zuwanderung in den Arbeitsmarkt bekommen.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Herr Kollege.

Dr. Martin Lindner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004096, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Wir brauchen Fachkräfte aus dem Ausland - dazu werden wir große Anstrengungen unternehmen - sowie eine vernünftige Lohn- und Gehaltspolitik. Es hat sich nämlich gezeigt, dass wir durch moderate Lohnerhöhungen in der Vergangenheit im verarbeitenden Gewerbe innerhalb der Europäischen Union wettbewerbsfähig geworden sind und weiterhin solide auf dem vierten Platz stehen. Auch das ist ein Zeichen dieser Koalition. ({0})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Herr Kollege, Sie müssen nun zum Schluss kommen.

Dr. Martin Lindner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004096, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Für all dies - moderate, vernünftige Lohnpolitik, vernünftige Fiskalpolitik, Investitionen in Forschung und Bildung - steht diese Bundesregierung und steht unser Bundesminister Brüderle. Wir stehen für den Aufschwung in Deutschland. Herzlichen Dank. ({0})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das Wort hat nun die Kollegin Kerstin Andreae, Bündnis 90/Die Grünen.

Kerstin Andreae (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003493, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Geschätzter Herr Staatssekretär, schön, dass Sie zuhören. Bevor ich zu meiner Rede komme, möchte ich auf Stuttgart 21 eingehen, weil auch Sie, Herr Lindner, Stuttgart 21 angesprochen haben. Seit Tagen hören wir ja von Ihnen dieses Lamento: Dagegen sein wäre das Einzige, was wir könnten. ({0}) Ich sage Ihnen eines: Man kann auch für etwas sein, indem man gegen etwas ist. ({1}) Natürlich sind wir dagegen, 10 Milliarden Euro in der Erde zu verbuddeln. Natürlich sind wir für eine zukunftsfähige Verkehrsinfrastruktur. Natürlich sind wir dafür, dass die 10 Milliarden Euro sinnvoll eingesetzt werden. Aber diskreditieren Sie nicht Zehntausende von Menschen, die auf Demonstrationen gehen und sagen: Dieses Projekt ist falsch. Wir wollen etwas anderes. Das ist keine Dagegen-Haltung, sondern es ist ein Eintreten für eine zukunftsfähige, moderne Politik. Seien Sie da vorsichtig! ({2}) Die Konjunkturpakete - wir haben sie in weiten Teilen positiv begleitet, auch wenn wir herbe Kritik an Einzelmaßnahmen hatten - waren eine teure Angelegenheit: 100 Milliarden Euro. Wir haben heute mit enormen Verschuldungsproblemen zu tun. Vor allem gibt es Risiken aus Bankenrettung und Unternehmensbürgschaften, die noch nicht richtig dargestellt sind. Wir haben uns nicht grundsätzlich gegen Konjunkturprogramme gestellt, aber wir haben immer gesagt: Konjunkturpolitische Maßnahmen müssen eine doppelte Rendite haben. Sie müssen die konjunkturelle Lage stabilisieren bzw. verbessern, aber sie müssen vor allem dahin gehend wirken, dass hin zu mehr Nachhaltigkeit umgesteuert wird. Durch sie muss die Möglichkeit eröffnet werden, einen neuen Pfad einzuschlagen. Dieser neue Pfad heißt Ökologisierung und Modernisierung der Wirtschaft hin zu Zukunftstechnologien, hin zu Zukunftsmärkten. Wir müssen anerkennen, dass wir auf einem begrenzten Planeten mit begrenzten Ressourcen leben. Deswegen ist es so wichtig, dass wir Konjunkturpolitik immer unter der Maßgabe der Ökologie diskutieren. Das haben Sie in weiten Teilen nicht gemacht. Das kritisieren wir an den Konjunkturprogrammen, die Sie aufgelegt haben. China ist zwar kein Vorzeigemodell für uns, hat aber in seinen Konjunkturprogrammen einen Schwerpunkt auf Ökologie gelegt, deutlich stärker als Deutschland. Warum hat man das dort gemacht? Man hat es deswegen gemacht, weil das wirtschaftspolitisch langfristig mehr Erfolg nach sich zieht. Hier haben Sie eine enorme Chance verpasst. ({3}) Sie haben für die Abwrackprämie 5 Milliarden Euro in die Hand genommen, ohne damit ökologische Lenkungswirkungen zu verbinden. Sie hätten diese Prämie doch auf verbrauchsarme Autos ausrichten können. Beim Kurzarbeitergeld hatten Sie am Anfang eine kluge Idee, als Sie sagten: Wir verbinden Kurzarbeit mit Qualifizierung. Dies haben Sie dann irgendwann klammheimlich einkassiert. Damit haben Sie eine enorme Chance verpasst, während der Zeit der Kurzarbeit Qualifizierung in den Vordergrund zu stellen. Damit hätten Sie einen Teil dazu beitragen können, die Wirtschaft auf einen neuen Pfad auszurichten und neue Technologien zu implementieren. Dieses Vorhaben haben Sie einkassiert. Auch hier haben Sie eine Chance verpasst. ({4}) Jetzt geht es um die Frage: Führen wir diese Konjunkturprogramme fort? Ich bitte wirklich darum, dass wir das sehr intensiv diskutieren. Wir können die Konjunkturprogramme nicht einfach fortsetzen. Das macht keinen Sinn, und das können wir uns auch nicht leisten. Wir brauchen jetzt strukturelle Veränderungen. Wir brauchen Strukturprogramme und keine Konjunkturprogramme. Wir müssen die Möglichkeiten nutzen, die wir haben, um an ganz entscheidenden Stellschrauben zu drehen und tatsächlich strukturelle Veränderungen in der Wirtschaft zu bewirken. Ich will Ihnen im Einzelnen sagen, wie Sie das tun könnten. Sie, Herr Lindner, sagten ja, Sie hätten umfangreiche Programme aufgelegt und sich gute Ideen einfallen lassen. Ich frage mich: Was haben Sie denn gemacht? Sie haben das Wachstumsbeschleunigungsgesetz auf den Weg gebracht. Das finden die Leute nicht wirklich toll. Das haben wir im Einzelnen diskutiert. Sie haben den Atomausstieg gekippt. Sie sagen nun, mit dem Atomausstieg hätten Sie einen Weg zu den erneuerbaren Energien beschritten. ({5}) Unterhalten Sie sich einmal mit den Vertretern von Verbänden und Betreibern erneuerbarer Energien! Warum sehen sie das denn ganz anders? ({6}) Sie sehen es deswegen anders, weil Sie mit Ihrem Energiekonzept zu einer Deindustrialisierung Deutschlands beitragen, weil die Produzenten erneuerbarer Energien Deutschland verlassen werden - entsprechende Anlagen lohnen sich nämlich hier nicht mehr -, ({7}) weil Sie die Monopolgewinne der großen Atomkonzerne verstetigen und den Wettbewerb kaputtmachen. ({8}) - Herr Lindner, ich würde Ihnen als Vertreter der FDP empfehlen, erstens ganz vorsichtig sein, über Spendenempfänger zu reden, ({9}) und zweitens ganz vorsichtig zu sein, über Lobbypolitik zu reden. Sie können den Anspruch, Wettbewerbspartei zu sein - ich weiß nicht, warum Sie den jemals für sich reklamiert haben -, völlig einsammeln. Sie sind eine Partei der Konzerne, der Atomlobby, ({10}) der Pharma- und der Hotellobby. Sie haben keine Politik zugunsten des Wettbewerbs gemacht. ({11}) Ich sage Ihnen, an welcher Stelle Sie strukturelle Veränderungen vornehmen müssen: beim Fachkräftemangel. ({12}) Sie haben den Fachkräftemangel zwar angesprochen; es handelt sich dabei aber um ein weites Feld. Verbinden wir es doch einmal mit dem Thema Kurzarbeit. Der letzte Tag der Kurzarbeit ist auch der erste Tag des Fachkräftemangels. Sie müssen anerkennen, dass die Unternehmen durch den Fachkräftemangel keine Möglichkeit mehr haben, offenen Stellen zu besetzen. Wir brauchen ein langfristiges Konzept. Was machen wir mit der Bildung? Was machen wir mit den Menschen, die keinen Zugang zum Arbeitsmarkt haben? Was machen wir mit den älteren Beschäftigten? Was machen wir mit den Ressourcen, die wir hier im Land haben? Was machen wir ganz konkret für die IT-Firma, die gern einen indischen Programmierer einstellen würde, es aber nicht kann, weil sie keine 66 000 Euro für sein Jahresgehalt bezahlen kann? Dazu sagen wir: Senkung der Einkommensschwelle für Hochqualifizierte auf 40 000 Euro! In diesem Punkt sehen wir uns im wunderbaren Einklang mit der FDP. ({13}) Diese Senkung wurde im Sommer sowohl von Herrn Brüderle als auch von Herrn Lindner gefordert. Wir haben sie am Mittwoch im Wirtschaftsausschuss und im Innenausschuss gefordert. Wer aber hat sie abgelehnt? Die FDP. Ankündigungspolitik, sonst nichts. ({14}) Ich möchte ein weiteres Beispiel für Ihre Ankündigungspolitik nennen: Die kleinen und mittleren Unternehmen ächzen unter den bürokratischen Belastungen. Was aber machen Sie? Sie wollten eigentlich den Normenkontrollrat stärken. Sie wollten den Normenkontrollrat - Fahne hoch - schon in Oppositionszeiten immer stärken. Man wollte herausfinden, wie hoch die Belastungen für die Unternehmen sind. Wir haben uns gesagt, dies jetzt gemeinsam mit Ihnen anzugehen. Sie in der Regierung und wir in der Opposition hätten die Stärkung des Normenkontrollrats auf den Weg bringen können. Der Gesetzentwurf ist aber in der Versenkung verschwunden. Was ist noch in der Versenkung verschwunden? Auch das Entflechtungsgesetz ist in der Versenkung verschwunden. Ich frage deshalb: Wie gehen wir eigentlich mit monopolistischen Strukturen um? Haben wir ein scharfes Schwert, angesichts dessen wir sagen können: Ja, wir wollen in diesem Bereich mehr Wettbewerb und werden ihn einfordern? Minister Brüderle sagt, das Instrument der Entflechtung sei grundsätzlich in Ordnung. Aber das Gesetz verschimmelt in der Schublade. Das ist Ankündigungspolitik. ({15}) Bei der Umsatzsteuer-Strukturreform haben Sie mit der 1 Milliarde Euro einen ordnungspolitischen Sündenfall begangen, Stichwort Hotellobby. Grundsätzlich hätten Sie an die komplizierte Umsatzsteuer herangehen können. Was aber ist passiert? Eingesammelt, Ankündigungspolitik. Stellen Sie sich also nicht hierhin und behaupten, Sie würden große Programme machen. Dieser Aufschwung geht nicht auf Ihre Kappe. Die schwarzgelbe Wirtschaftspolitik berauscht sich an Wachstumszahlen, Sie tun aber nichts für positive strukturelle Veränderungen. Das Problem ist, dass sich Ihr Verhalten eines Tages rächen wird. Wir müssen uns einmal anschauen, wo der Aufschwung herkommt. Wir haben eine enorme Exportabhängigkeit. Wir müssen strukturelle Veränderungen vornehmen, die unser Land stabilisieren und stärken. Wir müssen die Binnennachfrage thematisieren und die Unternehmen in den Wettbewerbsstrukturen des Weltmarkts in Position bringen. Das alles machen Sie aber nicht. Sie berauschen sich stattdessen an den exportgeleiteten Wachstumszahlen. Nächstes Jahr wird Ihnen das bitter auf die Füße fallen.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Frau Kollegin.

Kerstin Andreae (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003493, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Dann treffen wir uns wieder hier und ich will sehen, wie Sie das dann erklären. Vielen Dank. ({0})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ernst Hinsken ist der nächste Redner für die CDU/ CSU-Fraktion. ({0})

Ernst Hinsken (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000906, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Lassen Sie mich kurz auf das replizieren, was von meinen Vorrednern gesagt worden ist. Herr Tiefensee, Sie haben mich ein bisschen enttäuscht - bei mir stehen Sie sonst immer hoch im Kurs -: Sie sollten eine Rede zur Großen Anfrage, die Sie gestellt haben, halten, haben aber völlig am Thema vorbeigeredet. ({0}) Bei Ihnen, Herr Schlecht, möchte ich Nachsicht üben. Sie sind erst seit einem Jahr im Deutschen Bundestag. ({1}) Lärm erzeugen und keine Substanz haben bringt uns aber nicht weiter. Es wäre also auch bei Ihnen angebracht, sich ein bisschen mehr in die Materie zu begeben. Verehrte Frau Kollegin Andreae, Sie haben selbst gesagt, dass Sie die Konjunkturprogramme in weiten Teilen positiv begleitet haben. Bei der Abstimmung waren Sie aber dagegen. ({2}) - Ja, das haben Sie nebenbei erwähnt. - Es stünde Ihnen gut an, sich einmal vom Chefberater von BMW und Rewe, Herrn Joschka Fischer, dem früheren Vorsitzenden Ihrer Fraktion, beraten zu lassen, der seine Meinungen vielleicht in der Zwischenzeit geändert hat, um überhaupt in solch eine Position zu kommen. ({3}) Ich meine schon, dass wir stolz sein können, weil wir allen Unkenrufen zum Trotz die zwei größten Krisen der Nachkriegszeit bewältigt haben. Wir sind besser durch die Krise gekommen, als wir befürchtet hatten. Ein weiterer erfreulicher Aspekt kommt hinzu: Die Konjunkturerholung festigt sich zunehmend. Dazu haben gerade die zwei Konjunkturprogramme einen wichtigen Beitrag geleistet. Herr Schlecht, die Programme haben eben auch die Binnenkonjunktur angekurbelt. Ich möchte der Vollständigkeit wegen darauf verweisen, dass wir zusammen mit der SPD in der Großen Koalition die Weichen richtig gestellt haben. ({4}) Warum werden wir denn momentan weltweit gelobt, etwa vom Internationalen Währungsfonds und von der EU-Kommission? Warum werden wir momentan weltweit um dieses Jobwunder beneidet? Warum werden wir weltweit an verschiedener Stelle immer wieder gefragt, wie wir Deutsche das gemacht haben? Warum wird uns weltweit nachgeeifert? Weil die Bundesregierung unter Angela Merkel auf diesem Gebiet hervorragende Politik betrieben hat. Das soll nicht unter den Tisch gekehrt werden, sondern das verdient Anerkennung. Wir alle sollten stolz darauf sein. ({5}) Die Konjunkturprogramme hatten ein Gesamtvolumen von 23,5 Milliarden Euro. Herr Schlecht, jetzt passen Sie einmal gut auf: ({6}) Erstens. Die Wiedereinführung der degressiven Abschreibung für Maschinen für die Jahre 2009 und 2010 sowie die Ausweitung der steuerlichen Absetzbarkeit von Handwerksleistungen für Privathaushalte mit einem Volumen von circa 5 Milliarden Euro waren die richtigen Maßnahmen für Handwerk und Mittelstand. Es war goldrichtig, denn dadurch wurde die Investitionsbereitschaft der mittelständischen Unternehmen erhöht. Das wollten wir; zu guter Letzt haben wir es erreicht. Zweitens - dies wurde vor allen Dingen von Frau Kollegin Andreae angesprochen -: die Abwrackprämie. Dafür haben wir wiederum 5 Milliarden Euro zur Verfügung gestellt. Auch die Abwrackprämie war richtig. ({7}) Das kann man erst jetzt, im Nachhinein betrachtet, doppelt und dreifach feststellen. Drittens: die Bereitstellung von weiteren 10 Milliarden Euro für Zukunftsinvestitionen in den Jahren 2009 und 2010. Damit gelang der große Wurf. Bei diesem Konjunkturprogramm bilden die Investitionen in Bildung und Forschung das Herzstück. Es handelt sich um das größte Investitionsprogramm für Bildung, das es je in Deutschland gegeben hat. ({8}) Es liegt auf der Hand: Der Bund schiebt den Bildungsbereich - über diese subsidiäre Hilfe hinaus - mit Investitionen in Höhe von insgesamt 4 Milliarden Euro weiter an. Herr Staatssekretär Dr. Scheuer, es gab weitere richtige Weichenstellungen am laufenden Band: allein 2 Milliarden Euro für den Ausbau von Verkehrswegen, 750 Millionen Euro für die energetische Sanierung von Bundesliegenschaften, 650 Millionen Euro für Investitionen in den Ministerien, 500 Millionen Euro für die Modernisierung der Informations- und Kommunikationstechnologie. Ich möchte bei dieser Gelegenheit nicht vergessen: Die steuerlichen Maßnahmen im Rahmen dieser Konjunkturprogramme waren eine kleine Einkommensteuerreform. Wir haben alle Bürger einbezogen, alle haben davon profitiert. Der Eingangssteuersatz wurde von 15 auf 14 Prozent gesenkt, der Grundfreibetrag für eine vierköpfige Familie auf über 28 000 Euro angehoben. Weil uns Kinder einfach viel bedeuten, haben wir zusätzlich das Kindergeld um einmalig 100 Euro erhöht. Das kann sich sehen und hören lassen. Es war die Regierung unter Angela Merkel. Das soll heute im Mittelpunkt meiner Ausführungen stehen dürfen. ({9}) Weil die jetzige Bundesregierung weiterhin eine richtige Politik macht, sinken die Arbeitslosenzahlen Monat für Monat. Aktuell sind es gerade noch 3 Millionen. Nach allem, was wir hören, wird die magische 3-Millionen-Grenze zum Winter hin sogar noch geknackt werden. All das stimuliert den privaten Konsum. Werte Frau Kollegin Andreae, richtig gehandelt wurde auch durch die Auflage des Kurzarbeitergeldes. Dadurch blieben mehrere Hunderttausend Arbeitsplätze erhalten. Was ein Arbeitsplatz bedeutet, kann der am meisten schätzen, der keinen mehr hat. Die Menschen danken es uns. Sie sagen: Jawohl, ihr von der Regierung habt das richtig gemacht. Ihr habt uns - auch bildhaft ausgedrückt - über den Winter geholfen. Jetzt sind wir wieder in festen Arbeitsverhältnissen. Ich will bei dieser Gelegenheit auch darauf verweisen, dass es für mich als Regionalpolitiker besonders wichtig war, dass die Bundesregierung insbesondere den strukturschwachen Regionen unter die Arme greift und ein Zeichen setzt. So wurden allein im Jahr 2009 zusätzlich 100 Millionen Euro für die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“ ausgegeben. ({10}) - Kollege Lämmel, ich bedanke mich für den Beifall. Ich weiß, dass die Bürger in Ihrem Wahlkreis davon profitiert haben. ({11}) Dadurch wurde verhindert, dass die großen Bereiche beispielsweise in den Grenzregionen durch die Krise in Mitleidenschaft gezogen wurden. Schlicht auf den Nenner gebracht: Es waren Glücksgriffe für die ganze Nation. Das Machbare wurde getan. Gerade durch die Konjunkturprogramme wurden zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen. Zum einen konnten sinnvolle Projekte in Angriff genommen werden, die dringend der Verwirklichung bedurften. Zum anderen konnten Arbeitsplätze vor Ort geschaffen bzw. gehalten werden. In meinem Heimatland Bayern beispielsweise laufen die Konjunkturprogramme bestens. Ich war vor Ort und werde demnächst wieder vor Ort sein, Herr Landesgruppenvorsitzender Dr. Friedrich, um mit den Menschen zu reden, um zu erfahren, woran es mangelt. ({12}) Ich möchte mich bei der Bundesregierung und bei der Staatsregierung dafür bedanken, dass unbürokratisch gehandelt wurde und dass man schnelle Entscheidungen herbeiführen konnte, die uns Gott sei Dank in die Vorderhand gebracht haben.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ernst Hinsken (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000906, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich weiß Bescheid, Herr Präsident.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

- das wäre ein hervorragender Schlusssatz gewesen. ({0})

Ernst Hinsken (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000906, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich komme zum Schluss. - Insgesamt gesehen wurden die richtigen Weichenstellungen vorgenommen, die richtigen Programme aufgelegt und richtige Politik gemacht. Der Wille zum Erfolg ist da. Das sind die Zauberworte der Gegenwart und der Zukunft. Wenn wir das berücksichtigen, wie es die Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage vorsieht, dann bin ich der festen Überzeugung, dass wir den Mitbürgerinnen und Mitbürgern die Ängste nehmen können, den Arbeitsplatz eines Tages zu verlieren. Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. ({0})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das Wort erhält der Kollege Garrelt Duin für die SPD-Fraktion. ({0})

Garrelt Duin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003751, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Vielen Dank, Herr Präsident. - Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Kollege Hinsken, ich bin Ihnen dankbar, dass Sie mit deutlicher Euphorie noch einmal darauf hingewiesen haben, dass wir gemeinsam in der Großen Koalition die genannten Vorhaben auf den Weg gebracht haben. ({0}) - Einzelne von Ihnen sind so, Sie zum Beispiel, aber nicht alle. Meine erste Botschaft ist: Die Konjunkturpakete haben deutlich gemacht, wie richtig und wichtig politisches Handeln ist. Es ist nicht so, wie die FDP über Jahre hinweg immer wieder erzählt hat: Wirtschaft wird in der Wirtschaft gemacht, und in der Politik solle man sich am besten heraushalten. Wenn wir uns in dieser massiven Krise herausgehalten und nicht diese Kraftanstrengung unternommen hätten, dann sähe es in Deutschland gänzlich anders aus. Es ist gut, dass wir Ihnen nicht gefolgt sind, es ist gut, dass Sie nicht regiert haben, als die Krise auf dem Höhepunkt war, meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen von der FDP. ({1}) Es ist richtig, dass die positive Entwicklung, die sich zurzeit in vielen Branchen niederschlägt, sehr stark vom Export abhängt. Deswegen und aufgrund der Tatsache, dass die Konjunkturpakete zum Ende dieses Jahres auslaufen, müssen wir uns jetzt überlegen, was noch getan werden kann. Jede Analyse, die sagt, dass wir eine Stärkung der Binnennachfrage brauchen, ist richtig. Herr Brüderle hat gestern erstaunlicherweise gesagt - man muss fast Mitleid mit ihm haben, weil er seitdem so viel Haue bekommt -, dass ein wichtiges Element zur Stärkung der Binnennachfrage höhere Löhne sind. In diesem Zusammenhang hat er sogar einen einzelnen Tarifabschluss gelobt. Das ist eine sehr späte Erkenntnis und eine aus seinem Mund überraschende Aussage, aber damit allein ist es nicht getan. Wer nur auf die jetzt anstehenden Tarifabschlüsse wartet, gleichzeitig aber ausblendet, dass wir im Bereich der Leiharbeit endlich den Grundsatz der gleichen Bezahlung brauchen, und ausblendet, dass wir in ganz vielen Bereichen endlich Mindestlöhne brauchen, der wird der Herausforderung Stärkung der Binnennachfrage nicht ausreichend gerecht. ({2}) Was wir dringend brauchen, sind Investitionen. Ich freue mich, dass der Kollege Döring anwesend ist, weil ich auf ihn Bezug nehmen will. Sie haben noch im Sommer ein sogenanntes Investitionsbeschleunigungsgesetz angekündigt. Im internationalen Vergleich und im Vergleich mit seinen europäischen Nachbarn und Partnern hat Deutschland eine der niedrigsten Investitionsquoten. Das muss uns über das Ende dieses Jahres hinaus mit Sorge erfüllen. Dazu haben Sie, Herr Döring, gesagt: Wir müssen jetzt schnell ein umfassendes Gesetzespaket schnüren, um die wirtschaftliche Erholung zu sichern, Investitionen zu erleichtern … Das haben Sie im Juni eingefordert. Jetzt sind vier Monate herum, aber passiert ist nichts. Es kommt nichts. Ich zeige Ihnen einmal eine Darstellung der Arbeitsplanung des Bundeswirtschaftsministeriums; Frau Andreae hat zu Recht darauf hingewiesen. ({3}) Hier stehen fünf Punkte. Zwei davon sind internationale Zwangsvereinbarungen, die man mitmacht. Dann steht da das ERP-Wirtschaftsplangesetz; auch das ist Standard. Aus diesem Ministerium kommt nichts an Initiativen, auch nicht das, was Sie von der Koalition selbst fordern, obwohl das für den Standort Deutschland wichtig wäre. Es passiert einfach viel zu wenig. ({4}) Deswegen sind wir in dieser Debatte herausgefordert, auf das hinzuweisen, was man tun kann. Herr Hintze, es gibt eine Reihe von guten Elementen, die Begleitmaßnahmen der Konjunkturpakete waren. Da sie nicht der europäischen Reglementierung unterliegen und dementsprechend nicht zum Ende dieses Jahres auslaufen müssen, könnten sie fortgeführt werden. Warum tun Sie im Bereich der Bürgschaftsbanken nichts, um die Eigenkompetenz der Bürgschaftsbanken beizubehalten? Das würde den KMUs helfen. Warum denken Sie nicht darüber nach, wie wir die Laufzeit der Vereinfachungsregelung beim Vergaberecht verlängern können? Warum wird nicht darüber nachgedacht, wie wir die Mittel, die wir für den Ausbau der Breitbandnetze zur Verfügung gestellt haben - das wäre im Interesse der Kommunen -, weiterhin ausreichen können? Warum wird die auch von Ihnen, Frau Strothmann, gelobte Verbesserung der steuerlichen Absetzbarkeit von Handwerksleistungen nicht fortgeführt? Warum wird darüber nicht gesprochen? All diese Elemente haben sich bewährt. Dabei geht es nicht um ein neues Programm mit einem Volumen von 100 Milliarden Euro, wie die Linkspartei es fordert, sondern schlichtweg darum, aus ordnungspolitischen Gründen die Dinge fortzuführen, die sich in den letzten zwei Jahren bewährt haben. Verschließen Sie doch nicht die Augen. Sagen Sie doch nicht einfach: Wir machen jetzt eine Exit-Strategie; das muss jetzt alles zu Ende sein, weil die Krise vorbei ist. Schauen Sie sich die Dinge an, die gut funktioniert haben, die gut für die Kommunen sowie die kleinen und mittelständischen Unternehmen waren. Führen Sie diese fort, und beenden Sie sie nicht zum Ende dieses Jahres! ({5}) Über das CO2-Gebäudesanierungsprogramm ist schon gesprochen worden. Deswegen will ich diesen Punkt überspringen. Herr Hinsken, weil Sie die regionale Wirtschaftsförderung erwähnt haben, möchte ich auf dieses Thema zurückkommen. Ich halte das ebenso wie Sie - ich weiß, dass Sie so denken - für ein ganz entscheidendes Instrument. Wenn wir uns die Zahlen des Wirtschaftsministeriums anschauen, dann wissen wir, dass wir mit dem Instrument der GRW-Förderung in den Bereichen Beschäftigung und Lohnentwicklung, in all den Bereichen, die für die Binnennachfrage von großer Bedeutung sind, herausragende Ergebnisse erzielt haben. Ich frage nicht Sie, Herr Hinsken - Sie sind da standhaft -, sondern die Regierungskoalition insgesamt: Wie kann man in einer konjunkturellen Situation wie dieser überhaupt auf die Idee kommen, die Mittel massiv zu kürzen? Wir brauchen keine Kürzung bei der GRW-Förderung, sondern eine Verstetigung, damit der Aufschwung, den wir alle begrüßen, auch in allen Regionen Deutschlands ankommen und die positive Förderung fortgeführt werden kann. ({6}) Wir unterstützen Sie, Herr Hinsken. Ich hoffe, dass auch alle anderen das begreifen. Ich komme zum Schluss. Herr Brüderle hat gesagt, man könnte jetzt aus allem aussteigen, was durch die Konjunkturpakete auf den Weg gebracht wurde. ({7}) Denn - so war sein Bild - wenn es nicht mehr regnet, könne man den Regenschirm zuspannen. Das ist ein schönes Bild. Herr Brüderle nutzt gerne schöne Bilder; das möchte ich gar nicht kritisieren. Er betätigt sich ja quasi als konjunkturpolitischer Wetterfrosch, um die weitere Entwicklung vorherzusagen.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Aber das können Sie jetzt nicht mehr weiter ausführen.

Garrelt Duin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003751, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Unsere Botschaft ist: Werfen Sie den Schirm nicht weg, sondern lassen Sie uns die Dinge nutzen, die gut waren und die wir weiterführen können, ohne weitere Neuverschuldung zu verursachen, um für die mittelständischen Unternehmen etwas zu tun. ({0}) Denn sie tragen diesen Aufschwung. Deswegen ist nicht Tatenlosigkeit gefordert, sondern Engagement - hier in Deutschland, aber auch auf der europäischen Ebene. Herzlichen Dank. ({1})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Dr. Matthias Heider ist der nächste Redner für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Dr. Matthias Heider (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004051, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Wir hatten befürchtet, Herr Duin, dass die Große Anfrage der SPD offenbar nur darauf abzielt, noch ein paar Fleißkärtchen für die damalige Regierungsbeteiligung einzuheimsen. Aber dass Sie hier heute Morgen die Leistungen der Arbeitnehmer und der Unternehmer in der Krise in Zweifel ziehen, dass Sie den Aufschwung kleinreden, überrascht uns dann doch. ({0}) Sie werden in den nationalen Parlamenten Europas unglaubliches Staunen für solche Reden, wie Sie sie heute gehalten haben, ernten. Liest man die Große Anfrage der SPD, ereilt einen sehr schnell die Erkenntnis, dass die Zeit über die Grundlage Ihrer Anfrage bereits hinweggegangen ist. Im Mai dieses Jahres, als Sie Ihre Anfrage formuliert haben, sprachen Sie von einem prognostizierten leichten Wachstum für 2010. Die Dynamik hat Sie überholt. Ich gebe zu: Die heute vorliegenden Schätzungen von rund 3,5 Prozent Wirtschaftswachstum übertreffen unsere Erwartungen. Aber sie verdeutlichen die zentrale Erkenntnis: Konjunktur und Wirtschaftswachstum kann man nicht im Parlament beschließen. Politik hingegen kann in der wirtschaftlichen Krise Folgendes leisten: Sie kann Risiken aus dem konjunkturellen Fahrwasser ziehen, die gesamtwirtschaftliche Aktivität stimulieren und die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen fördern. Diese Aspekte zusammen schaffen ein Gegengewicht zum konjunkturellen Abschwung. Wir, die Regierungskoalition, werden dafür sorgen, dass ein innovations- und investitionsfreundliches Klima geschaffen wird, das über den Tag hinaus seine Wirkung zeigen wird. ({1}) Die Bundesregierung führt in ihrer Antwort zu Recht die großen Erfolge der einzelnen Maßnahmen auf: Umwelt- bzw. Abwrackprämie, Verlängerung der Kurzarbeiterregelung, Vereinfachung des Vergaberechts. All das ist schon genannt worden. Ich betone, dass die Koalition der Vorgängerregierung kluge Entscheidungen getroffen hat, von denen Beschäftigte und Unternehmer, von denen wir alle heute profitieren. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass die jetzige Regierung diese Politik klug fortgesetzt hat. Mit dem Wachstumsbeschleunigungsgesetz hat die christlich-liberale Koalition Familien und Unternehmen mit einem Bündel von Maßnahmen um zusätzliche 8,5 Milliarden Euro entlastet. ({2}) Auch das hat dazu beigetragen, dass der aktuelle Konsumindex der GfK das höchste Ergebnis seit Mai 2008 ausweist. Neben dem Export, der dieses Jahr um rund 16 Prozent steigen wird, steigt erfreulicherweise auch die heimische Nachfrage. Auch die aktuellen Lohnabschlüsse lassen die Hoffnung zu, dass sich dieser Trend verstetigt. Eine echte Trendwende erkennen wir auch bei den Investitionen. Zu Beginn des Jahres hat noch niemand damit gerechnet, dass die Ausrüstungsinvestitionen in diesem Jahr 8 Prozent übersteigen. Das zeigt: Die Unternehmen haben Vertrauen in diesen Aufschwung. Ich könnte es auch kurz machen und sagen: „Alles wird besser“, so wie es das Institut der deutschen Wirtschaft in dieser Woche in seiner Schlagzeile festgestellt hat. Das Wirtschaftswachstum wird sich im nächsten Jahr, wahrscheinlich bei etwas gedrosseltem Tempo, um 2 Prozent fortsetzen. Herr Kollege Schlecht, es gibt in der Wirtschaft Wellenbewegungen; es geht etwas rauf und etwas runter. Das gehört zum Wirtschaftsleben dazu. Zur Krisenbewältigung gehört auch - meine Damen und Herren, geben Sie jetzt acht -, dass wir in diesem Frühjahr die Stützungsmaßnahmen im Hinblick auf den Euro beschlossen haben. Da sich die SPD-Fraktion für ihre Beteiligung an den Konjunkturpaketen hier auf die Schulter klopfen lässt, möchte ich feststellen: Sie haben rein gar nichts dazu beigetragen, dass das Vertrauen in den Euro und die europäische Solidarität wiederhergestellt wurde ({3}) und die Wirtschaftsstandorte Europa und Deutschland in einer schwierigen Phase gefestigt wurden. ({4}) Alle Konjunkturpakete helfen nichts, meine Damen und Herren von der Opposition, wenn man sich bei einer so zentralen Frage wie der Sicherung der Stabilität des Euros in die Büsche schlägt. In der Krise war es wichtig, dass wir den Unternehmen mit rund 10 Milliarden Euro im Rahmen von Bürgschaften und Krediten unter die Arme gegriffen haben. Der Deutschlandfonds mit seinen Förderprogrammen hat Tausenden von Unternehmen geholfen. Nicht große Millionenbeträge waren hier ausschlaggebend, sondern die Breitenwirkung. Zahllose Darlehen zwischen 20 000 Euro und 100 000 Euro haben vielen mittelständischen Unternehmen in der Krise Luft zum Atmen gegeben. Jetzt aber müssen wir umschwenken, von einem rettenden Feuerwehreinsatz zu einer substanziellen Wirtschaftsförderung; ab heute geht es wieder um den Wirtschaftsstandort Deutschland. Ein hervorragendes Instrument dafür ist die Forschungs- und Entwicklungsförderung, zum Beispiel im Rahmen des Zentralen Innovationsprogramms für den Mittelstand. Die Projektförderung des ZIM ist auf die Innovationsentwicklung mittelständischer Betriebe ausgerichtet, die weniger in großen Forschungsabteilungen stattfindet, sondern eher in anwendungsspezifischen Projekten. Deswegen ist es gut und richtig, dass die Finanzplanung nicht nur eine Verstetigung, sondern sogar eine Aufstockung der ZIM-Mittel auf deutlich über 500 Millionen Euro vorsieht. ({5}) Das ist kluge Strukturpolitik, so wie wir sie verstehen. Die SPD fordert jetzt in breitem Umfang weitere Stützungsmaßnahmen über 2010 hinaus. Wo das sinnvoll erDr. Matthias Heider scheint, handelt die Bundesregierung. Wo die staatlichen Eingriffe jedoch eine dauerhafte Verzerrung des Wettbewerbs bedeuten, müssen wir sie jetzt, in der Aufschwungphase, abbauen. ({6}) So wie das Pendel in Zeiten der Krise in Richtung Ausgabenpolitik schlägt, so gehört das Zurückpendeln zu einer Konsolidierungspolitik. Dies leistet die Regierungskoalition mit dem Haushalt 2011 und einem Zukunftspaket. Dies dient der Festigung unseres Wirtschaftsstandortes. Ich darf sagen: Ich sehe die Bundesregierung im Gegensatz zu Ihnen auf einem guten Weg. Vielen Dank. ({7})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das Wort erhält nun der Kollege Klaus Barthel für die SPD-Fraktion. ({0})

Klaus Barthel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002622, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich will auf unsere Große Anfrage und die Antwort der Bundesregierung eingehen. Viele der Fragen, die wir uns sehr gut überlegt haben, bleiben unbeantwortet. Ihre Antworten sind mit Worten wie „dürfte“, „könnte“, „sollte“ usw. bestückt, und Ihre Lieblingsformulierung lautet: „Die Bundesregierung geht davon aus …“. Es wurde die Chance vertan, das Konjunkturpaket im Hinblick auf die Wirkungen einzelner Maßnahmen zu durchleuchten. Das kann mit Unfähigkeit zu tun haben, das kann aber auch Absicht sein. Denn Ihr Interesse daran, dass man sich das Konjunkturpaket genauer anschaut, dürfte durchaus gebremst sein. Wenn man zum Beispiel danach fragt, was die Steuerermäßigung für die Hotellerie im Verhältnis von Kosten und Nutzen bringt, stellt man fest: Es bleibt nicht viel übrig. Sinnvolle Maßnahmen wie die Städtebauförderung werden gestrichen, obwohl jeder Euro, den der Staat hierfür zur Verfügung gestellt hat, Investitionen in Höhe von 8 Euro nach sich gezogen hat. Das ist spannend. Ich kann gut verstehen, dass sich Herr Ramsauer folgendermaßen zur Halbierung der Mittel für die Städtebauförderung äußert - ich zitiere aus einer Ausgabe der Bayerischen Staatszeitung von vor einer Woche; liebe Kolleginnen und Kollegen von der Koalition, insbesondere von der CSU, hören Sie bitte zu -: Insofern bin ich über jede Stimme eines Bundestagsabgeordneten wie der des Nürnberger Abgeordneten Michael Frieser ({0}) froh, der diese Kürzung nicht hinnehmen will, betont Ramsauer. Er werde sich dafür einsetzen, dass noch einmal verhandelt wird. ({1}) Dabei geht es um sinnvolle Maßnahmen, die gewirkt haben. Aber genau so etwas wird in der Antwort auf die Anfrage weder hinterfragt noch beleuchtet, sondern eher verschleiert. Da wird alles in eine Soße gerührt. Dann findet man auch spannende Widersprüche, was die Zukunft angeht. Auf der einen Seite heißt es, man wolle jetzt - wörtliches Zitat -: „den Rückzug aus der expansiven Finanzpolitik“ einleiten. Einige Zeilen weiter steht aber, es sollten die Spielräume für weitere Steuersenkungen genutzt werden. Was denn jetzt? Wir hören in diesen Tagen von Herrn Brüderle den Vorschlag, die Löhne zu erhöhen. ({2}) Frau Merkel warnt im Handelsblatt vor Lohndumping aus China in der Europäischen Union. Man muss die beiden Herrschaften fragen - inhaltlich sind wir uns ja einig -, was sie tun. Sie müssen endlich wieder Ordnung und Fairness am Arbeitsmarkt durchsetzen, damit die Löhne steigen können. ({3}) Denn mit Leiharbeit, mit Befristungen, mit Minijobs, mit Ausweitung von Prekarität und mit Niedriglohn kann dieses Ziel nicht erreicht werden. Deswegen muss in der Koalition jetzt endlich die Frage entschieden werden: Wollen Sie zum Beispiel in der Zeitarbeit einen Mindestlohn, oder wollen Sie Equal Pay? Das Ergebnis ist: Sie blockieren sich, und es kommt gar nichts. Wir fordern, dass in der Leiharbeit beides kommt. ({4}) Gestern wurden Fragen der Mindestlöhne und des Weiterbildungssektors hier diskutiert. Ich nenne ergänzend die Post und viele andere Bereiche. Wenn es keine Mindestlöhne gibt, dann werden Sie das Lohnniveau insgesamt nicht erhöhen können. Ganz im Gegenteil: Der Strudel geht immer weiter nach unten. ({5}) Bei der Kurzarbeit ist der entscheidende Punkt - darüber ist heute noch gar nicht viel geredet worden - gut dokumentiert, nämlich dass sie ein riesiger Erfolg war. Aber entscheidend ist doch, dass Kurzarbeit nur auf der Basis von geordneten Verhältnissen in den Betrieben, von Normalarbeitsverhältnissen, von Betriebsräten, von Gewerkschaften und von Mitbestimmung funktioniert. Das funktioniert eben nicht im gesamten prekären Sektor. Das führt im Ergebnis dazu, dass nur die Kernsektoren - das war uns wichtig; das ist überhaupt nicht zu mindern - davon profitiert haben, während der gesamte prekäre Bereich davon aber nicht profitiert hat. ({6}) Zum Beispiel sind die Auswirkungen auf die Geschlechter sehr unterschiedlich. Frauen haben von diesen Maßnahmen kaum profitiert. Das war zu weniger als 30 Prozent der Fall, während zu mehr als 70 Prozent die Männer davon profitiert haben. Wir beklagen den Erfolg der Kurzarbeit nicht, aber es gibt noch etwas nachzuarbeiten. Das muss bei solch einer Evaluation auch erwähnt werden. Bei der Fortsetzung dieser Programme muss es in Zukunft um Qualität und weniger um Quantität gehen. Es muss um Industriepolitik gehen. Auf Ihre Positionen hierzu bin ich sehr gespannt; denn die Bundesregierung antwortet auf konkrete Fragen ausweichend, zum Beispiel auf die Fragen, wie es mit dem Breitbandausbau oder mit den Netzen im Bereich der Energiepolitik weitergehen soll. Dabei fordert die Europäische Kommission, dass 1 Billion Euro in Europa investiert wird. Die Bundesregierung weicht auch der Antwort auf die Frage aus, wie es mit der Mobilität weitergehen soll. Mehr noch: Bei der Mobilität werden der Bahn jährlich 500 Millionen Euro entzogen, die sie eigentlich für Investitionen braucht. In keinem dieser Bereiche sagen Sie, wie es weitergehen soll. ({7}) Vielmehr ist von „könnte“, „müsste“ und „sollte“ die Rede. Nun zur Weiterentwicklung der Dienstleistungswirtschaft bzw. zum Abbau von Prekarität. Sie finden zum Beispiel eine Analyse der ILO, der Internationalen Arbeitsorganisation, die ich hier zitieren will: Die Uno-Organisation empfiehlt den Regierungen eine stärkere Konzentration auf die Arbeitsmärkte auch deshalb, - bitte hören Sie genau zu weil sie einen weltweiten Vertrauensverlust in die Regierungen und die politischen Systeme als Folge der Arbeitslosigkeit beobachtet. „Der soziale Zusammenhalt steht auf dem Spiel“, heißt es in dem Bericht. In drei Vierteln der 82 Staaten, in denen es entsprechende Umfragen gab, haben die Menschen den Eindruck, dass Lebensstandard und Lebensqualität sinken. Die Bundesrepublik Deutschland gehört dazu. ({8}) Sie müssen den Kommunen jetzt auch einmal erklären, wie Sie die öffentlichen Investitionen verstetigen wollen, während sie gleichzeitig ausbluten.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Herr Kollege.

Klaus Barthel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002622, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Vorletzter Satz. - Wir haben beim Konjunkturprogramm gesehen, dass die Angabe darüber, welcher Bedarf hier herrscht, stimmt und dass zum Beispiel die vorgesehenen Investitionen durch die Kommunen mehrfach überzeichnet wurden. Das alles soll am Ende dieses Jahres auslaufen. Ich denke, hier gibt es viel zu tun. Die Europäische Union bewegt sich in dieser Frage jetzt ja sogar wieder. Wir öffnen uns für eine Fortsetzung gezielter strukturpolitischer und konjunktureller Maßnahmen, und diesen Spielraum, der sich hier wieder auftut, sollte die Bundesregierung nutzen, um da, wo es sinnvoll ist, die Konjunktur zu stützen und den Aufschwung zu verstetigen. ({0})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Sie hatten vor geraumer Zeit einen vorletzten Satz angekündigt.

Klaus Barthel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002622, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Es waren viele Kommas dazwischen.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ja. Wir werden das im Protokoll präzise so festhalten, um möglichen präjudizierenden Wirkungen entgegenzutreten. ({0}) Letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der Kollege Dieter Jasper für die CDU/CSU-Fraktion. ({1})

Dieter Jasper (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004062, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! „Ökonomische Wirkung der Konjunkturpakete“, das ist das Thema heute. Zur Erinnerung: Was war die Ausgangssituation? In der schwersten Wirtschafts- und Finanzkrise der Bundesrepublik Deutschland hat die unionsgeführte Bundesregierung zwei Konjunkturpakete aufgelegt, mit denen geholfen werden sollte, die Folgen dieser Krise abzumildern. Das Bruttoinlandsprodukt - auch das zur Erinnerung - ist um 4,9 Prozent eingebrochen. Die Wirtschaft hatte die schwerste Rezession der Nachkriegsgeschichte zu bewältigen. Durch das Konjunkturpaket I aus dem Jahre 2008, „Beschäftigungssicherung durch Wachstumsstärkung“ genannt, werden Investitionen und Aufträge von Unternehmen, privaten Haushalten und Kommunen in einer Größenordnung von rund 50 Milliarden Euro gefördert. Das Konjunkturpaket II aus dem Jahre 2009, „Pakt für Beschäftigung und Stabilität in Deutschland“ genannt, umfasst weitere Maßnahmen mit einem Umfang von weiteren 50 Milliarden Euro. Wichtige Impulse zur Stützung der Binnenkonjunktur und zur nachhaltigen Stärkung des Landes wurden gesetzt. Wie stehen wir heute da? Erneut waren es die kleinen und mittelständischen Unternehmen und ihre Mitarbeiter, die sich in dieser Zeit als Rückgrat der deutschen Wirtschaft und als stabilisierender Faktor erwiesen haben. Gestärkt durch die Maßnahmen der beschriebenen Konjunkturprogramme konnte ein Weg aus der Krise gefunden werden. Deutschland weist im laufenden Jahr ein Wirtschaftswachstum von 3,3 Prozent auf. Die größte Volkswirtschaft des Euro-Raums lässt alle anderen klassischen europäischen Industriestaaten hinter sich. Dies ist insbesondere durch den unerwartet kräftigen Anstieg der Auftragszahlen in der Industrie begründet, dem Herzen der deutschen Wirtschaft. Zum sechsten Mal innerhalb von acht Monaten ist die Zahl der Auftragseingänge gegenüber dem Vormonat gestiegen. Vor allem durch die verbesserte Kurzarbeiterregelung wurde den Unternehmen und ihren Mitarbeitern Sicherheit und Stabilität gegeben. Die Unternehmer konnten ihre Mitarbeiter in den Krisenjahren weiter beschäftigen, Entlassungen wurden vermieden, und besonders das Ziel, die Fachkräfte zu binden, konnte erreicht werden. Das ist gerade bei der jetzt zu verzeichnenden konjunkturellen Erholung von besonderer Bedeutung. Hinzu kamen zahlreiche Neueinstellungen. Somit haben wir heute eine historisch niedrige Arbeitslosenquote von 7,2 Prozent. Auch die Geldwertstabilität ist gegeben. Die Inflationsrate, der „Taschendieb des kleinen Mannes“, wie sie genannt wird, liegt bei rund 1 Prozent. Die Lage im Finanzsektor hat sich entspannt. Das Kredit- und Bürgschaftsprogramm im Rahmen des Wirtschaftsfonds Deutschland hat dazu beigetragen, dass die Kreditversorgung auch in der Krise sichergestellt wurde. ({0}) In einzelnen Branchen sind natürlich Liquiditätsprobleme zu beobachten, aber ich kann nicht erkennen, dass es eine allgemeine Kreditklemme gibt, wie in vielen Medien propagiert wird. Durch diesen Dreiklang aus gutem Wachstum, niedrigen Arbeitslosenzahlen und geringer Inflation zeigt sich, dass die Maßnahmen zur Finanzmarktstabilisierung und zur Konjunkturstützung offensichtlich gegriffen haben. Diesen Erfolg kann die unionsgeführte Bundesregierung deutlich für sich verbuchen. In schwierigen Zeiten ist es gelungen, richtige und zukunftsweisende Entscheidungen zu treffen. ({1}) Welche Handlungsoptionen haben wir? Wir haben die schlimmsten Folgen der Wirtschafts- und Finanzkrise überwunden, aber es wird noch einige Zeit dauern, bis die Euro-Zone wieder das Vorkrisenniveau erreicht hat. Viele dauerhafte steuerliche Entlastungen für private Haushalte und Unternehmen werden auch zukünftig Wachstum und Beschäftigung sichern. Hier sei exemplarisch die verbesserte Absetzbarkeit von Handwerksdienstleistungen oder die Erhöhung der Kinderfreibeträge genannt. Andere Maßnahmen waren schon im Vorfeld befristet angelegt und nur als vorübergehende Stützung in einer Phase konjunktureller Schwäche gedacht. Eine unnötige Verlängerung der Geltungsdauer dieser Maßnahmen oder gar ein Ausbau dergleichen führt zu Wettbewerbsverzerrungen und hebelt wichtige Marktmechanismen aus. Es darf nicht vergessen werden, dass die 100 Milliarden Euro, die in die Hand genommen worden sind, nicht auf der hohen Kante lagen. Für diese 100 Milliarden Euro musste ein Kredit aufgenommen werden, der inklusive Zinsen zurückzuzahlen ist. Es wäre fahrlässig, weitere konjunkturelle Stützungsmaßnahmen zu fordern und diese auf Pump zu finanzieren. Die Solidität und die Nachhaltigkeit der Staatsfinanzen müssen wieder erste Priorität haben. Natürlich ist es leichter, weiterhin Versprechungen und Zusagen zu machen, diese über Kredite zu finanzieren und die Rückzahlung den kommenden Generationen zu überlassen. Auf diese Art und Weise haben wir inzwischen einen Schuldenberg von über 1,7 Billionen Euro aufgebaut. Das kann nicht der richtige Weg sein. Diesen Weg wollen wir auch nicht gehen. ({2}) Wir müssen sparen, und wir müssen vor allen Dingen konsolidieren. Die im Grundgesetz verankerte Schuldenbremse und das daraus resultierende Sparpaket der Bundesregierung ermöglichen es, die Neuverschuldung in den nächsten Jahren zurückzufahren. Solide Staatsfinanzen sind die beste Gewähr für eine positive wirtschaftliche Entwicklung unseres Landes. Kernthemen der deutschen Wirtschaftspolitik müssen Fiskalkonsolidierung, Schuldenabbau und Strukturreform sein. Investitionen in Forschung, Entwicklung und Bildung sind nötig und müssen weiterhin gefördert werden.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Herr Kollege Jasper, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Vogler?

Dieter Jasper (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004062, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Gerne.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Bitte.

Kathrin Vogler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004181, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Kollege Jasper, würden Sie uns bitte erklären, inwieweit das von Ihnen genannte Sparpaket der Bundesregierung, das in erster Linie die Schwachen trifft, ({0}) Auswirkungen auf den Mittelstand hat, weil es ja die Binnenkaufkraft beeinträchtigt, wenn die sozial Schwachen in diesem Land weniger Geld zum Ausgeben haben, und wie das Ganze im Verhältnis zu dem steht, was Sie gerade gelobt haben, dass nämlich durch die Erhöhung der Kinderfreibeträge und durch die steuerliche Absetzbarkeit von Handwerksleistungen vor allem die Besserverdienenden, die Menschen mit höherem Einkommen gefördert worden sind?

Dieter Jasper (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004062, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Danke für die Frage. Ich habe es ja gerade darzustellen versucht. Für mich ist es so, dass die beste Gewähr für eine prosperierende Wirtschaft solide Staatsfinanzen sind. All das, was gerade von Ihrer Seite immer wieder gefordert wird, ist nicht finanzierbar. Dafür wären Kredite erforderlich. Unser Weg muss es aber sein, die Staatsfinanzen zu regulieren. Wir müssen konsolidieren, damit die Dinge, die wir uns leisten wollen, auch finanzierbar sind. Wir müssen sparen. Das ist für mich der einzig richtige Weg. ({0}) Welches Fazit ist trotz allem zu ziehen? Die ökonomischen Wirkungen der Konjunkturpakete sind grundsätzlich positiv. Die staatlichen Maßnahmen haben dazu beigetragen, dass sich unsere Wirtschaft erholt hat und wir auf einem guten Weg sind, unsere alte Stärke wieder zu erreichen. Wir besitzen eine hohe Wettbewerbsfähigkeit auf europäischer und auf internationaler Ebene. Kritische Punkte sind, wie angemerkt, die Finanzierung dieser Konjunkturpakete durch Kredite ebenso wie die jetzt lauter werdenden Forderungen nach Verlängerung und Ausbau staatlicher Unterstützungen. Der Staat hat in der Krise Sicherheit und Vertrauen geschaffen und in schwierigen Zeiten Rückhalt gegeben. Jetzt sind die Unternehmer und ihre Mitarbeiter grundsätzlich wieder in der Lage, ihre erfolgreiche Arbeit selbstständig fortzusetzen und den weiteren Weg aus der Krise eigenverantwortlich zu gehen. Eine prosperierende Wirtschaft ist die entscheidende Voraussetzung für Wohlstand und soziale Gerechtigkeit. In diesem Sinne wird die CDU/CSU gemeinsam mit den Kollegen von der FDP eine erfolgreiche Wirtschaftspolitik für die Menschen in unserem Lande machen. Danke schön. ({1})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ich schließe die Aussprache. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 29 a und b auf: a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Kultur und Medien ({0}) - zu dem Antrag der Abgeordneten Christoph Poland, Rita Pawelski, Wolfgang Börnsen ({1}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Helga Daub, Reiner Deutschmann, Patrick Meinhardt, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Kulturtourismus in Deutschland stärken - zu dem Antrag der Abgeordneten Ulla Schmidt ({2}), Heinz Paula, Sören Bartol, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Potenziale von Kultur und Tourismus nutzen - Kulturtourismus gezielt fördern - Drucksachen 17/676, 17/1966, 17/2940 Berichterstattung: Abgeordnete Christoph Poland Ulla Schmidt ({3}) Dr. Lukrezia Jochimsen Agnes Krumwiede b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Kultur und Medien ({4}) zu der Unterrichtung Grünbuch Erschließung des Potenzials der Kultur- und Kreativindustrien KOM({5}) 183 endg.: Ratsdok. 9073/10 hier: Stellungnahme gegenüber der Bundesregierung gemäß Artikel 23 Absatz 2 des Grundgesetzes - Drucksachen 17/2071 Nr. A.39, 17/2941 Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Dazu höre ich keinen Widerspruch. Dann können wir so verfahren. Ich eröffne die Aussprache und erteile zunächst der Kollegin Rita Pawelski für die CDU/CSU-Fraktion das Wort. ({6}) ({7})

Rita Pawelski (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003607, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Tourismus in Deutschland boomt. In diesem Jahr sind bislang mehr Reisende in unser Land gekommen als vor der Finanz- und Wirtschaftskrise. 15 Millionen ausländische Gäste besuchten uns in den ersten sieben Monaten dieses Jahres. Das sind 11,4 Prozent mehr als 2009. Viele dieser Menschen kommen zu uns und in unsere Städte, um unsere einzigartige Kultur kennenzulernen. Im Bereich Kulturtourismus gab es eine Steigerungsrate von über 30 Prozent. Ich denke, das ist eine sehr gute Nachricht für unser Land, ({0}) weil es im Ausland immer beliebter wird, und für die Arbeitsplätze im gesamten Tourismusgewerbe. Das ist auch eine gute Nachricht für unsere Städte, die mit ihrer Einzigartigkeit im kulturellen Bereich werben. Gerade Städtetouren werden immer beliebter. Im ersten Halbjahr stieg die Zahl der Übernachtungen um stolze 9 Prozent. So könnte man jetzt sagen: „Es läuft doch alles wunderbar“, aber wir wissen, dass Tourismus eine flüchtige und sensible Sache ist. Vor jeder Planung oder Buchung eines Urlaubs müssen sich die Anbieter aufs Neue einem harten Wettbewerb stellen. Der Urlauber vergleicht; er prüft Angebote und Leistung. Darum ist es nicht gottgegeben, dass der Tourismusboom in Deutschland anhält. Er muss jedes Jahr, jeden Tag und jede Stunde neu erkämpft werden. Daher halte ich nichts von einer Bettensteuer, die einige Städte derzeit anstreben. ({1}) Sie ist völlig kontraproduktiv, wenn sie lediglich dazu dient, das Stadtsäckel zu füllen, aber nicht in touristische Projekte investiert wird; denn das merken die Gäste. Sie fühlen sich abgezockt und suchen im nächsten Urlaub ein anderes Domizil, vielleicht in einem anderen Land. Die Bettensteuer wird damit begründet, dass man damit den reduzierten Mehrwertsteuersatz für Hotelübernachtungen kompensieren wolle. So ganz stimmt das nicht; denn in Wahrheit würden die Städte mit ihrer neuen Steuer erheblich mehr einnehmen, als sie verlieren. In Köln zum Beispiel verspricht man sich durch die neue Steuer Mehreinnahmen in Höhe von 20 Millionen Euro. Die Ausfälle durch die Steuersenkung für Hotels betragen aber nur 19 Millionen Euro, und dies nicht für Köln, sondern für alle Städte und Kommunen in Deutschland zusammen. Man könnte deshalb auf den Gedanken kommen, dass irgendjemand im Mathematikunterricht nicht aufgepasst hat. Man könnte es auch als moderne Piraterie bezeichnen. Ich gebe zu, dass ich die Reduzierung des Mehrwertsteuersatzes im Hotelgewerbe anfangs sehr kritisch gesehen habe. Wahr ist aber, dass die zusätzlichen Mittel von den Hoteliers nicht in die eigene Tasche gesteckt, sondern in Projekte des Tourismus bzw. des Kulturtourismus investiert werden. Laut einer Umfrage des Hotel- und Gaststättenverbandes DEHOGA geben die Hotels 717 Millionen Euro für Investitionen aus. Sie schaffen über 5 700 neue Arbeitsplätze. Sie senken zum Teil die Übernachtungspreise und erhöhen die Löhne der Beschäftigten. Kurzum - wir haben gerade über den konjunkturellen Aufschwung gesprochen -: Auch die Hotels tragen zum Aufschwung in unserem Land bei. Ich erinnere daran, dass der Tourismusbereich der drittstärkste Arbeitsmarkt in unserem Land ist. Darum kann ich den Städten nur raten: Bedenken Sie bei Ihrer Entscheidung die Konsequenzen einer Bettensteuer. Meiner Ansicht nach ist das der falsche Weg; denn wir sollten unsere Gäste nicht mit neuen Steuern und Abgaben abschrecken. ({2}) Nein, wir müssen sie weiterhin für unsere schönen Landschaften und unsere Kultur begeistern. Wir müssen sie für unsere Theater, Opern, unsere Schlösser und Burgen sowie unsere 12 000 Schaufeste und Volksfeste begeistern. Wir müssen ihnen Lust auf mehr Deutschland machen. Wir alle wollen doch, dass sie bei uns bleiben. Wir wollen doch, dass sie wiederkommen. Wir wollen, dass sie Deutschlands ganze Vielfalt, sein reiches kulturelles Erbe und seine einzigartigen Kulturangebote kennenlernen. Wir wollen, dass Deutschland ein beliebtes Kulturreiseland bleibt. Die Deutsche Zentrale für Tourismus leistet dazu einen sehr wichtigen Beitrag, einen richtig guten Beitrag. Sie lockt mit Kunst und Kultur sehr erfolgreich Gäste an, zum Beispiel in das Musikland Niedersachsen. Dort gibt es mit den „PartiTouren Niedersachsen“ - das ist nicht mit Partytouren zu verwechseln; es geht hier nicht um Trinken und Feiern, sondern um Musik - ein Vorzeigebeispiel dafür, wie Kultur und Tourismus Hand in Hand gehen können. Die Zahl solcher Beispiele nimmt erfreulicherweise deutschlandweit zu. Aber leider ist das noch immer die Ausnahme. Es gibt nach wie vor Berührungsängste im Verhältnis von Kultur zu Tourismus. Es mangelt an Vernetzung. ({3}) Es gibt Informationsdefizite, vor allem in Marketingfragen, und es bestehen ganz konkrete Vermarktungshemmnisse. Wir werden das ändern. Ich freue mich daher sehr, dass mein Angebot zur überfraktionellen Zusammenarbeit in dieser Frage aufgegriffen wurde und wir heute einen Antrag verabschieden, der von fast allen Fraktionen dieses Hauses getragen wird. Kultur verbindet auch parteiübergreifend. ({4}) Das ist doch eigentlich schön. ({5}) Mit unserem gemeinsamen Antrag stellen wir die Weichen richtig. Wir wollen, dass Kulturtourismus in Deutschland noch erfolgreicher wird. Bund, Länder und Kommunen werden ein gemeinsames Konzept für den Kulturtourismus entwickeln. Darum kann ich es gar nicht nachvollziehen - das sage ich ganz ehrlich -, dass sich die Länder 2011 aus der Inlandsvermarktung verabschieden. Wir wollen Landesgrenzen mit einer einheitlichen Plattform für kulturtouristisches Marketing überwinden. Das Internetangebot der DZT soll zu einer Onlineanlaufstelle ausgebaut werden. Kulturcluster sind zu fördern.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Frau Kollegin!

Rita Pawelski (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003607, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich komme gleich zum Schluss. - Es soll einen regelmäßigen Wettbewerb „Kulturregion Deutschland“ geben. Die Informationen über Fördermöglichkeiten werden noch intensiver dargestellt.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Frau Kollegin!

Rita Pawelski (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003607, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich bin sicher: Unser Antrag wird positive Effekte haben. Aber der schönste Effekt ist: Wir werden dem Ausland zeigen, dass wir ein modernes, offenes Land sind,

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Frau Kollegin!

Rita Pawelski (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003607, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

- mit vielen sympathischen, gastfreundlichen, offenen Menschen. Danke für Ihre Geduld, Frau Präsidentin. ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Ich hatte gar keine Geduld. ({0}) Die nächste Rednerin ist die Kollegin Ulla Schmidt für die SPD-Fraktion. ({1})

Ulla Schmidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002019, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Kollegin Pawelski, auch uns wäre es lieber, dass die Kommunen in einer Situation wären, in der sie keine Bettensteuer fordern müssten. Das setzt aber voraus, dass diese Bundesregierung und die sie tragenden Koalitionsfraktionen alles dafür tun, dass unsere Kommunen auf sichere finanzielle Füße gestellt werden. Sie schimpfen über die Bettensteuer und entlasten gleichzeitig die Hoteliers um 1 Milliarde Euro, die dann den Kommunen fehlt. ({0}) Sie machen es sich zu einfach. Sie betreiben Klientelpolitik zulasten der Kommunen. ({1}) Das führt dazu, dass Kommunen manchmal Schritte gehen müssen, die sie selber nicht gut finden. Auch das gehört zur Wahrheit. Die zur Abstimmung stehende Initiative zum Kulturtourismus ist, wie ich meine, ein konsequenter Schritt nach den Anträgen von SPD und Grünen sowie der Großen Koalition in den letzten Legislaturperioden. Ich bin sehr froh darüber, dass wir in den Diskussionen, die wir in den letzten Wochen geführt haben, deutlich machen konnten, dass die Förderung des Kulturtourismus mehr ist, als nur das Potenzial für Wachstum und Beschäftigung zu entfalten. Kultur hat einen Eigenwert auch jenseits der ökonomischen Verwertung. Ich bin davon überzeugt, dass sie nur dann ein Gewinn für den Tourismus ist, wenn wir sie in ihrer gesamten Breite und Vielfalt - inklusive der Nischenkultur - fördern. Das wird das Kennzeichen für eine wirkliche Förderung des Kulturtourismus sein.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Herr Hinsken würde Ihnen gerne eine Zwischenfrage stellen. Möchten Sie die zulassen? - Bitte schön.

Ernst Hinsken (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000906, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Vielen Dank, Frau Kollegin Schmidt, dass ich diese Zwischenfrage stellen kann. - Ich möchte nur von Ihnen wissen, ob Ihnen bewusst ist, dass die Forderung, die Mehrwertsteuer für das Hotelgewerbe zu senken, einstimmig von der SPD-Landtagsfraktion im Lande Bayern erhoben wurde, und zwar vor den Wahlen. ({0}) Wie bewerten Sie es, wenn man vor den Wahlen anders als nach den Wahlen spricht, wie Sie das heute tun? Das ist Ihrer nicht würdig. ({1}) Ich kenne bessere Seiten an Ihnen.

Ulla Schmidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002019, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege, viele hier im Saal haben gefordert, dass bei einer Reform der Mehrwertsteuer auch die Reduzierung der Mehrwertsteuersätze für das Hotel- und Gaststättengewerbe in Betracht gezogen werden müsse. Ich habe - auch im Wahlkampf - immer gesagt: Dem werde ich nur zustimmen, wenn es gleichzeitig eine Reduzierung der Mehrwertsteuersätze für Medikamente und medizinische Produkte gibt; denn das gehört dazu. ({0}) Deswegen müssen wir uns, auch im Hinblick auf das, was jetzt auf europäischer Ebene angegangen wird, fragen: Wie können wir eine sinnvolle Reform der Mehrwertsteuersätze auf den Weg bringen? Zum Beispiel geht es dabei auch um die Forderung, Mehrwertsteuersätze für die Produkte zu reduzieren, die Kinder betreffen, und vieles andere mehr. Das gehört in einen Zusammenhang. Sie aber haben eine ganz spezielle Klientel bedient, die Sie im Wahlkampf unterstützt hat. Das haben Sie noch eingeschränkt gemacht - es kann keiner von Ihnen sagen, dass das eine glückliche Lösung ist -, weil Sie gemerkt haben, dass es zu teuer wird, wenn Sie noch für weitere Bereiche Senkungen der Mehrwertsteuersätze vornehmen. Das ist Klientelpolitik und hat nichts mit Versprechungen und Wahlkampfaussagen zu tun, die sich grundsätzlich auf das Problem der Mehrwertsteuersätze beziehen. Insofern bleibe ich - wie Sie mir das unterstellen - redlich. Ich wünsche mir, dass Sie auch bei anderen Produkten fragen, was eigentlich den Menschen in diesem Land nutzt. Wenn sich am Schluss einer Mehrwertsteuerreform herausstellt, dass für Familien alles teurer wird, andererseits aber bestimmte Interessen bedient werden, dann ist sie nicht gut. Ulla Schmidt ({1}) ({2}) So viel zu dieser Frage. Ich möchte auf unsere jetzige Diskussion zurückkommen. In unserem gemeinsamen Antrag fordern wir die Bundesregierung auf - ich zitiere -, … das baukulturelle Erbe durch das UNESCOWelterbeprogramm … zu erhalten und zu nutzen, um die gewachsenen Identitäten von historischen Städten und Kulturlandschaften zu bewahren, zu entwickeln … Und wir fordern dazu auf, das bauhistorische Erbe in historischen Stadt- und Ortskernen zu fördern. Gleichzeitig beschließen Sie Kürzungen beim UNESCO-Welterbeprogramm, bei der Städtebauförderung und beim Denkmalschutz. Es kann doch nicht sein, dass unsere Forderungen, die wir gemeinsam beschließen, schon Makulatur sind, ehe sie überhaupt den Bundestag verlassen haben. ({3}) Ich weiß sehr wohl - auch aus den Debatten dieser Woche -, dass von Ihren Fraktionen ein Antrag eingebracht wurde, die Kürzungen zu reduzieren. Aber Fakt bleibt doch, dass für die Städtebauförderung 120 Millionen Euro weniger zur Verfügung stehen, als es noch im Rahmen des Haushaltes 2009, der von einem sozialdemokratischen Minister verantwortet wurde, der Fall war, und es ist Fakt, dass für das UNESCO-Welterbeprogramm 6 Millionen Euro weniger zur Verfügung stehen. Jeder und jede in diesem Raum weiß, dass im schlimmsten Fall diese 120 Millionen Euro nur ein Drittel der Kürzungen sind, die tatsächlich auf die Städte zukommen; denn gleichzeitig fallen die Kofinanzierungen der Länder und Kommunen weg. Jeder weiß, dass privates - auch finanzielles - Engagement oft daran geknüpft wird, wie viel vonseiten der Kommunen, der Länder oder des Bundes gegeben wird. Angesichts dessen appelliere ich hier an Sie: Lassen Sie uns gemeinsam dafür sorgen, dass diese Entscheidung in der Bereinigungssitzung des Haushaltsausschusses rückgängig gemacht wird. Ich sage Ihnen hier unsere Unterstützung auch im Hinblick auf die Diskussionen mit unseren Haushältern zu. Herr Hagemann - er sitzt im Moment hinter mir - wird dies mittragen. ({4}) - Man muss überlegen, woher man es nimmt. ({5}) - Herr Fricke, Sie haben dem Haushaltsausschuss lange genug vorgesessen. Wir sagen: Man muss Ausschau halten, wo man in den Haushalten sinnvoll sparen kann. Man kann aber nicht beschließen, etwas Bestimmtes zu fördern und auszubauen, und gleichzeitig weniger Geld dafür zur Verfügung stellen. Das verträgt sich nicht. Es ist sicher keine intellektuelle Herausforderung, das zu begreifen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich freue mich, dass wir das bürgerschaftliche Engagement stärken, dass wir in die Qualifikation der Beschäftigten investieren wollen, damit wir genügend Fachkräfte zur Verfügung haben, und dass wir uns gemeinsam darauf verständigen konnten, dass Barrierefreiheit in allen Bereichen eine wesentliche Voraussetzung dafür ist, dass Kulturangebote genutzt werden können; denn auch Behinderte, Familien und ältere Menschen, deren Zahl wächst, sollen teilhaben können.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Frau Schmidt, möchten Sie eine Zwischenfrage von Herrn Fricke zulassen?

Ulla Schmidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002019, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich möchte meine Rede jetzt zu Ende bringen. Wichtig ist, dass wir die anstehenden Aufgaben nicht nur als eine deutsche Frage betrachten. Wir müssen sie auch im europäischen Kontext diskutieren. Deshalb begrüßen wir sehr, dass mit dem Grünbuch zur Kultur- und Kreativwirtschaft der EU-Kommission eine Diskussion über eine solche Strategie eingeleitet wurde. Deutschland kann als Teil Europas von einer sehr offenen Diskussion profitieren. Ich muss allerdings sagen, dass wir es kritisch sehen, dass in dem vorliegenden Grünbuch die öffentliche Kulturförderung allein unter dem Begriff „Kultur- und Kreativwirtschaft“ behandelt wird. Wir müssen auch in den kommenden Diskussionen sehr aufpassen, dass hier keine ökonomistische Einengung geschieht. Ich rate dazu, darauf zu achten, dass immer auch die marktunabhängige Förderung kultureller Vielfalt bedacht wird. Ich glaube, in aller Namen zu sprechen, wenn ich sage, dass wir gut daran tun, wenn wir die Vorschläge der Kommission von Anfang an in einem Kontext diskutieren, der breiter ist, als es im vorliegenden Grünbuch geschieht, und dass wir den Ausbau der kulturellen und medialen Bildung als wesentlichen Punkt mit einbringen. Ich bitte die Bundesregierung, die auf der Ministerebene verhandelt, dies von Anfang an in ihre Strategie zu integrieren. Lassen Sie mich abschließend sagen: Wir wollen die volle Entfaltung der Potenziale des Kulturtourismus. Wir wollen den Ausbau und die Förderung des gesamten kulturellen Angebots in unserem Land einschließlich der Nischenkultur. Aber wir wollen auch eine bessere soziale Absicherung der Kultur- und Kreativschaffenden, und das nicht nur in Deutschland, sondern auch auf der europäischen Ebene. Wir müssen das im Rahmen einer gemeinsamen Strategie angehen. Es ist gut, dass zumindest wir, die Mitglieder des Kulturausschusses, uns darauf verständigt haben, dass wir diese Punkte gemeinsam in die europäische Diskussion einbringen. Ich glaube, wir haben gute Chancen, dass wir das, was wir in diesem Antrag gemeinsam fordern, in die Praxis umsetzen. Ulla Schmidt ({0}) Vielen Dank. ({1})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Zu einer Kurzintervention gebe ich das Wort dem Kollegen Otto Fricke.

Otto Fricke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003530, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herzlichen Dank, Frau Präsidentin. - Frau Kollegin Schmidt, es ist immer sehr schön, zu sagen: Dafür muss man doch Geld finden; dafür sollte man doch Geld haben; da sollte man nicht so eine ökonomistische Sicht haben. - Ich darf Sie auf ein paar Fakten aufmerksam machen. Wenn Sie aus Ihrer politischen Sicht sagen: „Die Mehrwertsteuer für das Hotelgewerbe zu ermäßigen, war falsch“, dann ist das Ihr Recht. Wenn Sie sagen: „Das hat die Kommunen zu viel gekostet“, dann ist das ebenfalls Ihr Recht. ({0}) Wenn Sie aber gleichzeitig sagen: „Ich verlange eine reduzierte Mehrwertsteuer bei Medikamenten“, was eine Überlegung wert ist, dann hätten Sie aber auch auf Folgendes hinweisen müssen: Den Kommunen würde damit mindestens das Vierfache, eher das Sechsfache von dem weggenommen, was eine Mehrwertsteuerabsenkung für das Hotelgewerbe zur Folge hat. Das hätte der Fairness halber dazugesagt werden müssen. Wenn Sie sagen, die Kommunen müssten mehr Geld für die Städtebauförderung bekommen, dann sage ich Ihnen: Das würde auch ich mir wünschen. Ebenso würde ich mir wünschen, dass wir noch Abermillionen für Kultur, den Humus unserer Gesellschaft, ausgeben könnten. Darüber hinaus würde ich mir wünschen, dass wir für Bildungspolitik mehr Geld zur Verfügung hätten. Das kann aber nicht dazu führen, dass Sie sagen, man müsse eben eine Lösung finden. So können Sie keine konkrete Politik machen. ({1}) Der Kollege Hagemann, der im Haushaltsausschuss immer hart streitet, weiß genau, dass das mit Blick auf die Schuldenbremse konkret gefasst werden muss. Es kann nicht sein, dass ein Teil des Parlamentes dafür zuständig ist, Forderungen zu stellen, während der andere Teil für die Kärrnerarbeit zuständig ist und entscheiden muss, woher das Geld genommen werden soll. ({2}) Ich hätte mir gewünscht, dass Sie das konkret gefasst hätten. ({3})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Frau Schmidt zur Erwiderung.

Ulla Schmidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002019, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Fricke, weil ich verantwortungsvolle Politik machen möchte, habe ich angesichts der jetzigen Haushaltssituation nicht gefordert, die Mehrwertsteuer auf Medikamente auf den halben Satz zu reduzieren; denn ich weiß, dass eine solche Reduktion nur möglich ist, wenn eine Reform der gesamten Mehrwertsteuer unter Betrachtung des Gesamthaushaltes auf den Weg gebracht wird. ({0}) Deswegen bleibe ich dabei: Wenn Sie so vieles für wünschenswert, aber nicht umsetzbar halten, ist es umso schlimmer, dass Sie für eine kleine Klientelgruppe 1 Milliarde Euro zur Verfügung stellen, die Sie für andere wichtige Dinge - für Bildung, Städtebauförderung, das Programm „Soziale Stadt“, kulturelle Bildung nicht haben. Da beißt die Maus keinen Faden ab: Das bleibt Klientelpolitik, und es war unredlich, das zu Beginn des Jahres zu beschließen. ({1})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Die Kollegin Helga Daub hat jetzt das Wort für die FDP-Fraktion. ({0})

Helga Daub (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003515, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Liebe Kollegen! Liebe Kolleginnen! Als ich heute in diesen Saal gekommen bin, bin ich davon ausgegangen, dass der Kulturtourismus sich nicht dazu anbieten würde, sich parteipolitisch zu beharken. Die letzten Minuten konnten einen vom Gegenteil überzeugen. ({0}) Aber gut, wenn es denn sein muss. Gleichwohl bin ich froh, dass wir jetzt etwas vorliegen haben, was wir gemeinsam erreicht haben. Das zeigt doch, dass man bei gewissen Punkten über Parteigrenzen hinweg gut zusammenarbeiten kann. Schließlich ist Kulturtourismus ein wichtiges Thema. Ich freue mich ganz besonders, dass wir die Initiative gemeinsam mit der SPD und mit den Grünen bei Enthaltung der Linken beschließen konnten. Das ist ein schöner Erfolg für den Kulturtourismus in Deutschland. Wir nehmen hier übrigens eine Spitzenposition in Europa ein, denn wir liegen - hinter Frankreich - an zweiter Stelle. Der Städtetourismus boomt; Frau Pawelski hat das vorhin schon angesprochen. Gerade da liegt ein großes Potenzial für den Kulturtourismus. Aber das Bessere ist der Feind des Guten. Das heißt, wir müssen uns weiterhin anstrengen, Konkurrenzen, HemmHelga Daub nisse und strukturelle Probleme schnellstmöglich abzubauen. Kultur und Touristik - das ist mittlerweile eine Symbiose, ohne dass sich, wie es früher oft der Fall war, den Kulturschaffenden alleine bei dem Gedanken an eine Vermarktung durch den Tourismus die Schneidezähne kräuseln. Mit „Vermarktung“ meine ich an dieser Stelle allerdings Teilhabe, die Möglichkeit, die Kultur breiten Schichten zu öffnen und zur Verfügung zu stellen. Darauf gründet sich unsere Forderung an die Bundesregierung, der Empfehlung der Enquete-Kommission „Kultur in Deutschland“ zu folgen und die Schaffung einer Plattform für strategisches kulturpolitisches Marketing von Bund und Ländern unter Einbeziehung der Dachverbände aus Kunst, Kultur und Tourismus zu prüfen. ({1}) Ziel muss sein, das kulturelle und nicht zuletzt das wirtschaftliche Potenzial besser auszuschöpfen. Außerdem hat Kulturtourismus durchaus auch eine soziale Komponente; das sollten wir nicht vergessen. Daher sollte die Bundesregierung auch das Gespräch mit den Ländern und den Kommunen aufnehmen. Ich bin genauso enttäuscht darüber, Frau Pawelski, dass die Länder sich ab 2011 aus der Inlandsfinanzierung zurückziehen. Wenn sie es denn täten, um ihrerseits Kulturarbeit zu betreiben, wäre das nicht so schlimm. Die Erfahrungen weisen aber in eine andere Richtung. Es ist zu befürchten, dass die Mittel im allgemeinen Haushalt verschwinden, und das wäre schade. ({2}) Das Gespräch muss gesucht werden. Selbstverständlich muss das alles unter Wahrung der Interessen der Kommunen und auch der Länder geschehen. Wir haben in dem zusammengeführten Antrag - Sie alle haben ihn gelesen - viele, aber allesamt umsetzbare Forderungen in Bezug auf Strategie, Barrierefreiheit, Marketing und verbesserte Zusammenarbeit zusammengestellt. Highlights wie „RUHR.2010“ - das war nun wirklich ein Highlight - haben gezeigt, wie man so etwas machen kann. Ich freue mich, dass wir diesmal gemeinsam vorgehen. Wir sind auf einem guten Weg. Ich hoffe, wir gehen diesen Weg weiter - für unser Land und die vielen Menschen, die unser schönes Land besuchen. Danke. ({3})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Luc Jochimsen hat jetzt das Wort für die Fraktion Die Linke. ({0})

Dr. Lukrezia Jochimsen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003777, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Meine Kolleginnen und Kollegen! Ein Gespenst geht um in Europa, seit der US-Ökonom Richard Florida vorgerechnet hat, dass nur die Städte prosperieren, in denen sich die „kreative Klasse“ wohlfühlt. So beginnt das Manifest Not in Our Name - Nicht in unserem Namen - Marke Hamburg! vom Oktober 2009. Die Verfasser, eine Gruppe von Künstlern und Kulturschaffenden, darunter Rocko Schamoni und Peter Lohmeyer, fordern eine menschliche Stadt, die nicht allein nach den Regeln optimaler Kapitalverwertung funktioniert, eine Stadt, in der die Bewohner mit ihren vielfältigen Interessen im Mittelpunkt stehen, eine Stadt, in der Kunst und Kultur nicht nur eine attraktive Dekoration zur Aufwertung eines kulturtouristischen Standorts sind. Dieses Manifest Nicht in unserem Namen hat eine landesweite Diskussion über die Vermarktung von Städten angestoßen und zu einer Protestbewegung weit über Hamburg hinaus geführt. Durch den Protest wurde in Hamburg das Künstlerquartier „Gängeviertel“ gerettet. Aber die Stadtpolitik setzt weiter auf die kulturtouristische Marke Hamburg. Sie schließt das Altonaer Museum - wer kommt schon nach Altona? - und setzt auf das Gigantomanieprojekt Elbphilharmonie; das wird ein Touristenmagnet. ({0}) Die Stadtpolitik korrigiert sich nur dort, wo der Bürgerprotest nicht mehr zu vernachlässigen ist. Der Bürgerprotest nimmt zu - siehe Stuttgart 21! -, und wir haben das sehr ernst zu nehmen. ({1}) Ich habe den Künstlerprotest ganz bewusst an den Beginn dieser Rede gesetzt, damit wir im Parlament heute nicht nur, wie so oft, das Wunder der prosperierenden Kultur- und Kreativwirtschaft, den Städtetourismusboom, beschwören. Die arbeitsmarkt- und beschäftigungspolitische Bedeutung ist unstrittig, aber Kultur ist mehr als eine Ware. Sie ist ein öffentliches Gut und wesentliches Moment von Lebensqualität. ({2}) Davon sollten wir ausgehen, wenn wir über Kulturwirtschaft und über Kulturtourismus reden. Wir müssen dabei auch die soziale Seite und die Lage der Kreativen beachten. Gerade dieser soziale Aspekt fehlt in dem nunmehr zusammengeführten Antrag zum Kulturtourismus, der von den Fraktionen der CDU/CSU, FDP, SPD und Bündnis 90/Die Grünen getragen wird. Die Linke hatte im Kulturausschuss mehrfach versucht, diesen Mangel zu beheben und zu erreichen, dass wenigstens noch ein, zwei Sätze zur sozialen Lage der Kreativen und Kulturschaffenden eingefügt werden - leider vergeblich. Des7050 wegen - weil das fehlt - stimmen wir nicht zu, sondern werden uns bei der Abstimmung enthalten. Wir sind dafür, den Kulturtourismus besser zu fördern, und können viele Forderungen unterschreiben. Aber wer Kulturtourismus fördern will, muss auch und gerade gute Arbeitsbedingungen für die betroffenen Berufsgruppen schaffen und dafür sorgen, dass die kulturelle Infrastruktur in den Ländern und Kommunen in ihrer Vielfalt erhalten bleibt. Sie ist nämlich die Basis für den Kulturtourismus. ({3}) Deshalb ist wichtig, dass sich das Parlament heute mit der Entschließung zum Grünbuch „Erschließung des Potenzials der Kultur- und Kreativindustrien“ der Europäischen Kommission äußert. Darin heißt es: Die Attraktivität der Branche der Kultur- und Kreativwirtschaft kann auf Dauer nur gewährleistet werden, wenn die Einkommen der Künstlerinnen und Künstler und künstlerisch Kreativen angemessen sind. Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie wissen, dass diese heute nicht angemessen sind und dass die Tendenz eher dahin geht, dass sie immer geringer werden, als dass sie angemessener werden. Insofern müssen wir stärker als bisher an die Kreativen, die durch ihre Kultur unsere Städte attraktiv machen, denken. Deswegen stimmen wir der Entschließung ohne Wenn und Aber zu; beim Antrag enthalten wir uns. Vielen Dank. ({4})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Jetzt spricht der Kollege Markus Tressel für Bündnis 90/Die Grünen.

Markus Tressel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004178, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich freue mich, dass wir heute wieder über das Thema Kulturtourismus diskutieren. Er ist wichtig für die kulturelle und touristische Entwicklung Deutschlands. Deshalb freue ich mich ganz besonders, dass wir heute auf einer weitgehend gemeinsamen Basis diskutieren können. Das möchte ich an dieser Stelle ausdrücklich betonen. ({0}) In einem Punkt waren wir uns ja auch schon im Februar einig: Deutschland muss die Synergien von Tourismus und Kultur stärker nutzen. Das ist nicht nur ökonomisch folgerichtig, sondern auch kulturell. Deshalb - das kann ich für meine Fraktion sagen - haben wir uns, gemeinsam auch mit den Sozialdemokraten, bemüht, die interfraktionellen Verhandlungen über einen gemeinsamen Antrag positiv abzuschließen. Ich glaube, man kann mit Blick auf das heute vorliegende Papier sagen: Das Ergebnis ist solide, auch wenn wir uns an der einen oder anderen Stelle mehr gewünscht hätten. Das möchte ich an dieser Stelle gar nicht verhehlen. Ich möchte noch einige Punkte ansprechen, die uns wichtig erscheinen: Die alte Weisheit „Ohne Moos nichts los“ gilt auch in diesem Bereich. Deshalb war es uns ein zentrales Anliegen, dass der Finanzierungsaspekt im Antrag nicht ausgeblendet wird. Er ist ein zentrales Thema in diesem Bereich. Es wurde vorhin schon angesprochen: Wir mussten die angespannte Haushaltslage berücksichtigen. Ich möchte jetzt zwar nicht wieder von der Mehrwertsteuerabsenkung sprechen - das hat die Kollegin Schmidt eben ausreichend getan -, aber darauf hinweisen, dass wir einen verstärkten Dialog zwischen Bund, Ländern und Kommunen insbesondere über Finanzierungsfragen brauchen. Ich möchte noch einmal betonen: Die Finanzierungsfrage ist eine zentrale Frage, wenngleich im Antrag natürlich auch andere Faktoren angesprochen werden, die ebenfalls sehr wichtig für den Ausbau des Kulturtourismus sind. Bessere Koordinierung löst keine finanziellen Nöte, wir können aber durch eine bessere Koordinierung Probleme effektiver anpacken oder gar dafür sorgen, dass Probleme gar nicht erst entstehen. Wir alle wissen aber auch, liebe Kolleginnen und Kollegen: Kultur und Tourismus sind freiwillige Aufgaben. Das macht es besonders „attraktiv“ für die öffentliche Hand, hier den Rotstift anzusetzen. Wir alle haben in den letzten Wochen unrühmliche Beispiele mitbekommen. Ich erinnere nur an die auslaufende Förderung für die Tourismuszentralen in Schleswig-Holstein und Sachsen-Anhalt. Aus unseren kommunalpolitischen Erfahrungen wissen wir alle ebenfalls, dass die Schließung von Theatern und Museen vielerorts zur Debatte steht. Diese Probleme müssen wir sehr ernst nehmen und dafür Sorge tragen, dass die Mittelansätze für bestehende Förderprogramme nicht reduziert werden. ({1}) Allerdings, liebe Kolleginnen und Kollegen, befürchte ich, dass das trotz dieses Antrages an einigen Stellen passieren wird. Die Kollegin Schmidt hat in diesem Zusammenhang einen Bereich angesprochen, auf den auch ich eingehen möchte: das UNESCO-Welterbeprogramm. Wir können nicht auf der einen Seite im Antrag festschreiben, dass wir unsere Welterbestätten ausbauen bzw. entsprechend schützen wollen, und auf der anderen Seite zugleich dieses wichtige Programm auslaufen lassen. Eine solche Vorgehensweise läuft einer zentralen Forderung dieses Antrages zuwider. Das finde ich außerordentlich schade. ({2}) Wir brauchen also - das zeigt dieses Beispiel - deutlich mehr Konsequenz in der finanziellen Absicherung unserer kulturellen Schätze. Hier sind wir an einem zenMarkus Tressel tralen Punkt: Ohne diese Schätze und auch ohne ihre Pflege gibt es keinen Kulturtourismus. Dass dieser zum Erliegen kommt, wäre genau das Gegenteil von dem, was wir uns alle gemeinsam wünschen. Die Kreativwirtschaft wächst und wächst. Ihr weiterer Ausbau darf nicht an finanziellen Engpässen scheitern, weil sie für den Kulturtourismus wichtig ist. Deswegen ist es an dieser Stelle wichtig, bestehende Förderinstrumente der EU oder anderer offensiver an die Akteure heranzutragen. Wir freuen uns darüber, dass wir das in dem gemeinsamen Antrag verankern konnten und damit eine Bresche dafür schlagen konnten, dass die Arbeit dort verbessert werden kann. Summa summarum: Wir haben festgestellt, dass gemeinsam vieles besser geht, auch wenn es an einigen Stellen noch mehr Klarheit bräuchte. Ich glaube, mit dem Ergebnis der gemeinsamen Arbeit können wir trotzdem zufrieden sein. Hier geht es um ein Zeichen an die Länder und Kommunen. Kulturtourismus ist eine Chance. Ausgaben in diesem Bereich lohnen sich, Einsparungen rächen sich. Nach diesem Prinzip sollten wir auch im Bund handeln. Vielen Dank. ({3})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Christoph Poland hat jetzt das Wort für die CDU/ CSU-Fraktion. ({0})

Christoph Poland (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004130, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Vorab: Wir haben einen gemeinsamen Antrag auf den Tisch gelegt, der in sehr guten Verhandlungen zwischen CSU, CDU, FDP, SPD und Grünen verhandelt worden ist. Auch Herr Tressel hat dies betont. Aber, Frau Jochimsen, es geht hier nicht um Kultursozialismus. ({0}) Wir mussten schon in den Antragsberatungen feststellen: Sie sind bei Kultur immer nur dann dabei, wenn andere dafür zahlen. ({1}) Noch heute ist wahr, was Adenauer einmal gesagt hat: Alles, was die Sozialisten vom Geld verstehen, ist die Tatsache, dass sie es von anderen haben wollen. ({2}) Ich werde Ihnen in meiner Rede einige Beispiele nennen, die zeigen, wie Kulturtouristen auch durch die Hotelförderung angelockt werden, weil nämlich Hotels, wenn sie klug sind, die Kostenersparnis an Touristen weitergeben, ihr Personal besser schulen und ihre Häuser auf Vordermann bringen.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Kollege, möchten Sie eine Zwischenfrage von Frau Jochimsen zulassen?

Christoph Poland (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004130, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Bitte.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Bitte schön.

Dr. Lukrezia Jochimsen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003777, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Kollege, ich würde Sie gerne fragen. Gesetzt den Fall, wir hätten dem Antrag an der Stelle, an der wir ihm einfach nicht folgen konnten, weil wir fanden, dass die soziale Frage nicht genug beachtet wird, dennoch zugestimmt: Geben Sie mir recht, dass Sie dann dafür gesorgt hätten, dass wir Linke von dem Antrag ausgeschlossen werden, weil Sie grundsätzlich überhaupt keinerlei fraktionsübergreifende Anträge zusammen mit meiner Fraktion machen? ({0}) Stellen Sie sich also bitte nicht hierhin und beklagen, dass es keine gemeinsamen Anträge gibt. Sie schließen uns grundsätzlich von fraktionsübergreifenden Anträgen aus - da können wir machen, was wir wollen -, ({1}) egal ob wir übereinstimmen oder nicht. Selbst wenn wir Anträge einbringen und Sie sie inhaltlich übernehmen und zu sogenannten interfraktionellen Anträgen machen, werden wir ausgeschlossen. Sagen Sie also bitte nicht, es habe keine Gemeinsamkeit gegeben; denn nach Ihrer Ansicht darf es überhaupt keine Gemeinsamkeit mit der Linksfraktion geben. ({2})

Christoph Poland (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004130, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Jochimsen, inhaltlich gibt es durchaus einige Übereinstimmungen. Aber Sie haben sich von den Verhandlungen selbst ausgeschlossen, indem Sie darauf bestanden haben, dass es bei einem solchen Antrag immer um soziale Dinge gehen müsse. ({0}) Aber das ist nicht der Inhalt dieses Antrags. Deswegen gibt es keine gemeinsame Verhandlungsbasis. ({1}) Ich möchte Ihnen einige Beispiele aus meinem Wahlkreis nennen, die zeigen, wie man mit degressiver Förderung leben kann. Mit einer Anschubfinanzierung der Stadt entstand der Ueckermünder Musiksommer auf dem Ueckermünder Marktplatz; dies ist eine schöne Sache. Nach zwei Jahren hat sich das allein getragen. Die Unternehmen der Stadt zahlen die Ausgaben aus eigener Tasche, weil sie merken, dass diese touristische Attraktion ihnen nutzt. Ich nenne ferner das Kulturzentrum Alte Kachelofenfabrik in Neustrelitz. Jedes Jahr wird das dazugehörige Kino von Bernd Neumann mit einem Preis ausgezeichnet. Das angeschlossene Öko-Hotel strahlt weit über die Grenzen der Stadt hinaus. Oder nehmen Sie die Aktion „Mecklenburgische Seenplatte wasserREICH - barriereARM“. Hier weisen wir Multiplikatoren darauf hin - dies haben wir auch in dem Antrag festgehalten -, wie wir dem Ruf nach Barrierefreiheit gerecht werden. Für den Kulturtourismus gilt: Großstädte und Kleinstädte sowie ländliche Räume profitieren von der zunehmenden Nachfrage. Ich habe hierzu ein Beispiel für Berlin herausgesucht. Letztens hat die Zeitung Die Welt von wunderbaren Zahlen berichtet: Allein im Jahr 2008 hat der Tourismus in Berlin 9 Milliarden Euro Umsatz erzielt. Ein großer Teil der Besucher reist wegen der Kultur, der Theater, der Konzerte, der Schlösser und der Museen hierher. ({2}) - Sicher auch wegen des Bundestages und des schönen Regierungsviertels. - Von den 9 Milliarden Euro verbleibt 1 Milliarde Euro im Stadtsäckel. Berlin hat einen Kulturetat von 370 Millionen Euro. Unter dem Strich muss die Stadt Berlin also nichts draufzahlen: Die Kultur rechnet sich von alleine. Sie haben schon im Zusammenhang mit unserem Antrag zur Kultur- und Kreativwirtschaft erfahren, dass die Kultur ein zuverlässiger Jobmotor ist. Ich will nur zwei Zahlen nennen: Die Zahl der Arbeitsplätze ist hier in den letzten zehn Jahren um 3 Prozent gestiegen. Wenige Branchen sind so erfolgreich wie die Kulturwirtschaft. 825 000 Beschäftigte werden zu diesem Bereich gezählt. Frau Jochimsen, die Beschäftigten können sich von ihrer Arbeit ernähren; die meisten werden nicht schlecht bezahlt. Die Kultur- und Kreativwirtschaft zieht mit der Chemiewirtschaft gleich und übertrumpft die Automobilwirtschaft. Auch der Kulturtourismus profitiert von der Kreativwirtschaft. Ich möchte einen Punkt aus dem Antrag hervorheben, der uns sehr wichtig war: bürgerschaftliches Engagement. Es gibt zwei Säulen, die den Kulturtourismus im Wesentlichen tragen: die Wirtschaft sowie das bürgerschaftliche Engagement bzw. das Ehrenamt. Seit dem Jahr 2000 steigt die Zahl der Kulturreisen; das haben wir heute schon gehört. Laut World Travel Monitor ist die Zahl der Kulturreisen nach Deutschland um 30 Prozent gestiegen. Es ist kein Wunder, dass das kulturelle Deutschland so beliebt ist. Ich weise in diesem Zusammenhang nur auf die 33 UNESCO-Welterbestätten hin; wir haben vorhin davon gehört. Wir können von der Küste bis zum Bodensee gehen, von der Stralsunder Altstadt bis zur Klosterinsel Reichenau: Überall kommen Menschen in unsere romantischen Städte und in die schönen Stadtzentren, die wir ausgebaut haben und trotz einiger Sparmaßnahmen weiter ausbauen werden. Lassen Sie mich zusammenfassen: Der Städte- und Kulturtourismus zählt zu den wichtigsten Segmenten des Deutschland-Tourismus. Es gibt Orte, die allmählich bekannt werden. Ich will Ihnen ein Beispiel geben. ({3}) - Richtig! Danke für den Tipp. Ich wollte eigentlich gar nicht so heimatnah argumentieren. - Mein Beispiel ist das Hans-Fallada-Haus in Carwitz. Nach der Aufnahme ins Blaubuch haben sich dort Sponsoren und Unternehmer gefunden, die die Einrichtung des Originalesszimmers des Dichters Hans Fallada bezahlt haben. Das ging ohne irgendwelches Geld von öffentlichen Stellen. Ich selbst lebe Kulturtourismus. Ich mache auch Geschenkreisen. Zum Beispiel fahre ich mit meinem Theaterförderverein übernächste Woche für drei Tage nach Chemnitz. Ich verschenke Reisen und fahre selber beispielsweise zu den Störtebeker-Festspielen oder zu den Schlossgartenfestspielen. Oder nehmen Sie die Passionsspiele in Oberammergau - ich war in diesem Jahr dort -: 2,5 Millionen Euro der Einnahmen bleiben in der Gemeinde. Die Friseure haben auch noch Hochkonjunktur, weil sie jetzt die Haare - die vielen „Jesus-Frisuren“ werden nicht mehr benötigt - abschneiden. Wir haben die Nibelungen-Festspiele in Worms, die Musikfestspiele in Mecklenburg-Vorpommern, Schleswig-Holstein und auf Usedom sowie das Weltmusikfestival in Rudolstadt. Ich möchte mit Augustinus enden: Die Welt ist ein Buch. Wer nie reist, sieht nur eine Seite davon. Das ist ein guter Leitspruch für den Kulturtourismus. Vielen Dank. ({4})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Reiner Deutschmann hat das Wort für die FDP-Fraktion. ({0})

Reiner Deutschmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004027, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Prognosen der Wirtschaftsweisen sagen der deutschen Wirtschaft in diesem und auch im nächsten Jahr solide Wachstumszahlen voraus, während andere Länder noch in starkem Maße mit den Folgen der Wirtschafts- und Finanzkrise kämpfen. Gleichzeitig sinkt die Arbeitslosenquote auf den niedrigsten Wert seit Anfang der 90er-Jahre. Wenn man sich die Gründe für diesen Aufschwung ansieht, dann erkennt man, dass auch die Kultur- und Kreativwirtschaft zu diesem Erfolg beiträgt. Selbst in der jüngsten Wirtschaftskrise sank der Umsatz der Kultur- und Kreativindustrie vergleichsweise nur leicht um 3,5 Prozent, während der Rückgang in der Gesamtwirtschaft 8,5 Prozent betrug. ({0}) Die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten ist im letzten Jahr sogar um rund 24 000 auf 787 000 gestiegen. ({1}) Es ist daher nicht verwunderlich, dass sich auch die Europäische Union der Erschließung dieses Potenzials annimmt. Schließlich arbeiten in der EU über 5 Millionen Menschen in der Kultur- und Kreativwirtschaft. Damit leisten sie einen Beitrag zum EU-Bruttoinlandsprodukt von circa 2,6 Prozent. ({2}) Die Kultur- und Kreativindustrie hilft beim Strukturwandel. Dort, wo alte Industrien niedergehen, blühen neue kreative Unternehmen auf. Das Ruhrgebiet als Kulturhauptstadt - RUHR.2010 - zeigt, wie auch Kultur helfen kann, den notwendigen Strukturwandel zu bewältigen. Wir stehen in einem weltweiten Wettbewerb. Gute Ideen zu haben, war immer ein Standortvorteil Deutschlands. Aufstrebende Länder wie China und Indien haben, was Kreativität und Innovation angeht, inzwischen immer öfter die Nase vorn. Hier muss Europa wieder aufschließen. ({3}) Das Grünbuch der Europäischen Union zur Erschließung des Potenzials der Kultur- und Kreativindustrien dient der Verbesserung der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen. Ziel ist es, wichtige Triebkräfte zu unterstützen und gleichzeitig Hemmnisse abzubauen. Das betrifft den Ausbau der Infrastruktur, zum Beispiel durch flächendeckende Versorgung mit Breitbandinternet sowohl im ländlichen als auch im städtischen Raum, genauso wie die Entwicklung neuer Geschäftsmodelle. ({4}) Hier leistet das Kompetenzzentrum Kultur- und Kreativwirtschaft des Bundes mit seinen acht Regionalbüros eine sehr wichtige Arbeit. Wir unterstützen mit unserem Entschließungsantrag vom 7. Juli ausdrücklich die Initiative der EU-Kommission. Das Potenzial der Kultur- und Kreativindustrien ist einfach zu groß und zu wichtig, als dass man diese Entwicklung dem Zufall überlassen sollte. Wir brauchen vielmehr einen systematischen Ansatz, um das Wachstum dieses Wirtschaftszweiges weiter zu befördern. Ohne Frage: Kreativität hängt auch immer von guter Bildung ab. Das betrifft nicht nur die Naturwissenschaften, sondern genauso den kulturellen Bereich. Auch hier ist die Ebene der Europäischen Union noch stärker gefordert. Ohne Kreativität gibt es keine Innovationen, und ohne Innovationen gibt es kein Wirtschaftswachstum. ({5}) Ein Fundament jeder Kreativität ist für uns Liberale der Schutz des geistigen Eigentums. Dort, wo Ideen und geistige Leistungen nicht mehr ausreichend geschützt sind, wird es über kurz oder lang einen Rückgang an Kreativität geben. Kreativität muss sich lohnen, auch in Form einer angemessenen Vergütung. Daher verdient die kreative Leistung unsere besondere Aufmerksamkeit. Vielen Dank. ({6})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Kultur und Medien auf Drucksache 17/2940 zu dem Antrag der Fraktion der CDU/CSU und FDP auf Drucksache 17/676 mit dem Titel „Kulturtourismus in Deutschland stärken“ und zu dem Antrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 17/1966 mit dem Titel „Potenziale von Kultur und Tourismus nutzen - Kulturtourismus gezielt fördern“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung, die genannten Anträge zusammenzuführen und in der Ausschussfassung anzunehmen. Wer stimmt für die Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? Die Beschlussempfehlung ist angenommen bei Zustimmung durch die vier einbringenden Fraktionen, dagegen hat niemand gestimmt, die Fraktion Die Linke hat sich enthalten. Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschusses für Kultur und Medien auf Drucksache 17/2941 zu dem Grünbuch „Erschließung des Potenzials der Kultur- und Kreativindustrien“. Der Ausschuss empfiehlt, in Kenntnis der Unterrichtung eine Entschließung gemäß Art. 23 Abs. 2 Grundgesetz anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist einstimmig angenommen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 30 sowie Zusatzpunkt 8 auf: 30 Beratung des Antrags der Abgeordneten Jörn Wunderlich, Cornelia Möhring, Diana Golze, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Arbeit familienfreundlich gestalten - Drucksache 17/3189 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ({0}) Rechtsausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Arbeit und Soziales ZP 8 Beratung des Antrags der Abgeordneten Katja Dörner, Ekin Deligöz, Kai Gehring, weiterer Ab7054 Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt geordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN „Kinder, Küche und Karriere“ - Vereinbarkeit für Frauen und Männer besser möglich machen - Drucksache 17/3203 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ({1}) Ausschuss für Arbeit und Soziales Es ist verabredet, hierzu eine halbe Stunde zu debattieren. - Dazu sehe und höre ich keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege Jörn Wunderlich für die Fraktion Die Linke. ({2})

Jörn Wunderlich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003867, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ein Intro zur Kinderbetreuung lasse ich einmal weg. Die Grünen werden da gleich sicher entsprechende Ausführungen zu ihrem Antrag machen, welcher im Übrigen eine schöne Ergänzung unseres Antrags ist. ({0}) In unserem Antrag geht es darum, Rahmenbedingungen mit dem Ziel zu schaffen, Elternschaft lebbar zu machen und den Bedürfnissen junger Familien besser zu entsprechen. Es geht um den Kündigungsschutz und um bessere Möglichkeiten des beruflichen Wiedereinstiegs mit anschließender Rücksicht auf die familiäre Situation. Weil im Regelfall alle Kinder mit sechs Jahren eingeschult sind, fordern wir, den Kündigungsschutz entsprechend zu erweitern. Das ist der Kern unserer Aussage zum Kündigungsschutz. ({1}) Ich muss betonen, dass es nicht um eine sechsjährige Auszeit geht, erst recht nicht nur von Müttern; wir reden von Eltern. Dass die Berufsrückkehr ein wesentlicher Punkt ist, haben wir im Ausschuss schon mehrfach festgestellt. Es geht um eine entsprechende Qualifizierung für den Wiedereinstieg in den Beruf. Wir alle wissen doch, dass der Wiedereinstieg, beispielsweise nach einer dreijährigen Pause, ausgesprochen schwierig ist. Die Förderung der Berufsrückkehr ist ein wesentlicher Punkt unseres Antrags. Im Ausschuss ist schon vor langer Zeit übereinstimmend festgestellt worden, dass dies der Knackpunkt ist, der geregelt werden muss. Deshalb soll der Anspruch auf berufliche Weiterbildungsmaßnahmen begründet werden. Darüber hinaus sollen Eltern, welche Elternzeit nehmen, bei kurzer Vertretungszeit bevorzugt berücksichtigt werden, um den Kontakt zum Betrieb aufrechtzuerhalten. Probleme mit dem Mehrschichtbetrieb greifen wir in unserem Antrag ebenfalls auf. Dazu - jetzt wird es interessant - hat die CDU/CSU, namentlich Frau Dr. Eva Möllring, schon vor über anderthalb Jahren im Ausschuss ausgeführt - ich zitiere -: Kinder sind 16 Stunden am Tag auf den Beinen und halten sich nicht an Öffnungszeiten. Das heißt, wir müssen es den Eltern ermöglichen, dass sie ihre Berufs- und Familienzeiten so einrichten, dass sie nicht 10 Jahre lang auf dem Zahnfleisch gehen und keiner Aufgabe mehr gerecht werden. Was macht denn eine Mutter mit einem Schulkind, die plötzlich im Dreischichtsystem arbeiten soll? Was macht die Mutter von drei Kindern, welche verschiedene Kitas besuchen, und deren Mann möglicherweise in der IT-Branche bis in den Abend arbeitet. Zitat Ende. Jetzt dürfen Sie klatschen. Damals haben Sie an dieser Stelle auch geklatscht. ({2}) Getan hat sich allerdings in dieser Hinsicht nicht viel. Die Linke fordert deshalb erneut einen gesetzlichen Anspruch auf Teilzeit bzw. auf Normalschichtbetrieb. Diesen Problemen ist man seit Jahren noch nicht gerecht worden. Man kann doch nicht nur auf freiwillige Vereinbarungen zwischen Betriebsrat, Belegschaft und Unternehmer setzen. ({3}) - Nein, das kann man nicht, Frau Gruß. Sie verstehen das nicht. - Es gibt sicherlich etliche Betriebe, welche das schon umsetzen, auch in Kenntnis der Tatsache, dass zufriedene Arbeitnehmer einen geringeren Krankenstand aufweisen und am Ende einer solchen Personalpolitik eine sogenannte Win-Win-Situation steht. ({4}) Ich spreche von den Unternehmen, die einen Mehrschichtbetrieb ohne Rücksicht auf Familien durchführen. Das sind die Fälle, die einer gesetzlichen Regelung zugeführt werden müssen. ({5}) Bereits vor über zwei Jahren haben wir von der Linken ähnliche Forderungen an die Regierung gestellt. Diese wurden abgelehnt. Das Ergebnis Ihrer Politik ist beschämend, wie wir alle dem Familienmonitoring 2010 entnehmen können. Diesbezüglich verhält sich die Regierung wie auch sonst. Am vorletzten Montag hatten wir im Familienausschuss ein Expertengespräch zum Kinder- und Jugendbericht. Das Fazit der Experten war: Die Kinderarmut steigt seit Jahren, und die Regierung macht im Grunde nichts dagegen. - Bei der Arbeitssituation der Alleinerziehenden ist es ähnlich. Wir zeigen in unserem Antrag die flankierenden Maßnahmen auf, die erforderlich sind, um eine familienfreundliche Politik in diesem Land zu betreiben. Uns geht es um eine Politik für Familien, bei der der so oft zitierte Dreiklang stimmt und nicht in einer schwarzgelben Kakofonie endet. ({6}) Wir haben keine Erkenntnisprobleme. Die Regierung hat Umsetzungsprobleme. Das ist erstaunlich; denn sie hat keine Umsetzungsprobleme, wenn es darum geht, das Elterngeld für Hartz-IV-Eltern anzurechnen; wir konnten der heutigen Ausgabe der Süddeutschen Zeitung entnehmen, dass die Argen schon entsprechende Bescheide verschicken. Außerdem hat sie keine Umsetzungsprobleme, wenn es darum geht, Wasserwerfer gegen Kinder einzusetzen. Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. ({7})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Dorothee Bär hat das Wort für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Dorothee Mantel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003586, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Für uns als CDU/CSU-Bundestagsfraktion gemeinsam mit unserem Koalitionspartner, der FDP-Fraktion, ist der zentrale Schwerpunkt unserer Familienpolitik die nachhaltige Familienpolitik, die wir seit einiger Zeit machen. ({0}) - Ich möchte jetzt nichts Beleidigendes sagen. Diejenigen, die es merken können, merken es auch, Herr Kollege Wunderlich. ({1}) Das kann natürlich nur im Zusammenspiel von familienfreundlichen Arbeitsbedingungen und einer qualitativ guten sowie natürlich auch - das ist uns besonders wichtig - einer bedarfsgerechten Kinderbetreuung gelingen. Ich denke, darin stimmen wir mit den Antragsstellern überein. Wir alle wissen, dass junge Paare heutzutage verstärkt beides möchten. Sie möchten eine Familie gründen, Kinder bekommen und, wenn möglich, im Berufsleben - das gilt für beide - tätig sein. Deswegen hat die unionsgeführte Bundesregierung bereits in der letzten Legislaturperiode den Anstoß für den massiven Ausbau der Kinderbetreuungsplätze gegeben. An dieser Stelle unterscheiden wir uns nun in unseren Ansichten. Denn anders als die beiden Antragsteller sind wir fest davon überzeugt, dass das angestrebte Ausbauziel erreicht werden wird. Wir arbeiten die ganze Zeit daran. Wenn man sich beispielsweise den ersten Evaluationsbericht zum KiföG anschaut, sieht man, dass uns dieser in unserer Zuversicht bestätigt. Deswegen kann ich nicht verstehen, warum hier von den beiden Fraktionen, die Anträge gestellt haben, so viel Schwarzmalerei betrieben wird. ({2}) - Wir sagen, dass wir den Ausbau schaffen. Wir werden am Ende sehen, ob wir das hinbekommen. Ich bin fest davon überzeugt. ({3}) Wir werden, Kollegin Humme, zum Beispiel in Bayern schon ein Jahr vor der Zeit unser Ausbauziel erreichen. Das alles ist eine Frage der richtigen Prioritätensetzung. ({4}) Wie ist es denn in Ihrem Heimatland? Wir müssen konstatieren, dass die Vereinbarkeit von Erwerbsarbeit und Familie kein rein frauenspezifisches Phänomen ist, auch wenn die Frauen die entsprechenden Probleme immer noch am drängendsten spüren. Eltern wollen neben dem Ausbau der Kinderbetreuung - natürlich müssen Plätze vorhanden sein und muss die Qualität stimmen - vor allem in den ersten Jahren eines - das wird in Umfragen immer wieder bestätigt -: Sie wollen viel Zeit mit ihren Kindern verbringen. Das gilt nicht nur für Mütter, sondern, Gott sei Dank, im besonderen Maße auch sehr stark für Väter. ({5}) Das war ja nicht immer so. ({6}) - Ja, das ist doch wunderbar. Ich freue mich, wenn Väter Verantwortung übernehmen; Zeit ist nun einmal die moderne Leitwährung. ({7}) Dieser Bewusstseinswandel konnte sich nur langsam durchsetzen, weil vor allem viele Männer immer noch berufliche Nachteile fürchten, wenn sie sich für ihre Familie mehr Zeit nehmen wollen. Deswegen brauchen wir eine Arbeitswelt, die den Müttern und den Vätern familienfreundliche Möglichkeiten bietet. Wir brauchen unbedingt auch einen Bewusstseinswandel in folgender Hinsicht: Es sollen nicht ausschließlich diejenigen in höhere Positionen befördert werden, deren berufliche Leistung nach der Anwesenheit bemessen wird. Ich spreche mich gegen eine reine Anwesenheitskultur insofern aus, als es nicht von großer Bedeutung sein sollte, dass abends um 22 Uhr in den Büros noch das Licht brennt. Es darf nicht sein, dass diejenigen, die um 17 oder 18 Uhr ihr Kind aus einer Krippe, aus dem Kindergarten abholen, bei Beförderungen übergangen werden. Diesem Problem müssen wir uns stellen, darum müssen wir uns kümmern. Es geht nicht nur darum, Vereinbarkeit von Familie und Beruf herzustellen, sondern es geht auch sehr stark darum, Vereinbarkeit von Familie und Karriere herzustellen. Das ist gerade für Frauen noch ganz besonders schwierig.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Frau Bär, würden Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Dittrich zulassen?

Dorothee Mantel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003586, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Nein. - Wir brauchen auch kein Gegeneinander als Folge staatlichen Zwangs, wie er sich teilweise aus Ihren Anträgen ergeben würde. Da ist die Linke wieder einmal ganz vorne mit dabei, indem sie sagt, der Staat müsse jeden strangulieren und immer alles regulieren. Wenn man diesen Zwang einführen würde, würde man ganz bewusst in Kauf nehmen, dass am Ende weniger Arbeitsplätze zur Verfügung stehen als vorher. Es muss doch jedem klar sein, dass es viel wichtiger ist, für beide Seiten diesen Nutzen herauszuarbeiten. Für eine Firma ist es natürlich viel besser, wenn die Mitarbeiter motiviert sind. Denn diejenigen, die zum Beispiel zu Hause kleine Kinder haben, verrichten ihre Arbeit wesentlich glücklicher, weil sie wissen, dass sie einen Chef oder - das wäre auch einmal schön - eine Chefin haben, der oder die sich kümmert und sagt: Ich akzeptiere das, du kannst selbstverständlich um 17 Uhr gehen; denn ich weiß, du erledigst dieselbe Arbeit wie die, die länger bleiben. - Wenn ich diesen Firmen sagen würde, dass wir diesen staatlichen Zwang einführen, würde ich genau das Gegenteil erreichen. Da tragen auch die Tarifpartner Verantwortung. Das haben die Grünen, Gott sei Dank, in ihrem Antrag erkannt. Wir haben schon einiges getan. Mit der „Allianz für die Familie“ und dem Unternehmensprogramm „Erfolgsfaktor Familie“ hat das Familienministerium gemeinsam mit den Spitzenverbänden der deutschen Wirtschaft und den Gewerkschaften ein ganz konkret und praxisnah arbeitendes Forum geschaffen. Ergänzt wird das Ganze durch die „Lokalen Bündnisse für Familie“, in denen sich die Akteure vor Ort ebenfalls um familienfreundliche Arbeitsbedingungen kümmern. Alle Beteiligten sind sich darin einig, dass sich Familienbewusstsein in Unternehmen nicht nur für die Familien auszahlt, sondern auch für die Betriebe selbst. Das ist auch ein Wettbewerbsvorteil. Diejenigen Unternehmer, die ganz bewusst auf Familien und Eltern junger Kinder setzen, wissen, was für ein wahnsinniges Organisationstalent sie sich damit zusätzlich einkaufen. Das muss ein großer Vorteil und darf kein Nachteil sein. Hier müssen auch die Kommunen mit ins Boot geholt werden. Denn dieses Thema betrifft nicht nur den Bund und die Länder, sondern auch die Kommunen. In den Kommunen müssen allerdings die richtigen Prioritäten gesetzt werden. Frau Kollegin Ernstberger, manche Kommunen in Oberfranken, zum Beispiel Gemeinden mit 1 000 Einwohnern, schaffen es, von 6 Uhr früh bis 22 Uhr abends Kindergartenplätze anzubieten, weil es dem Bürgermeister vor Ort wichtig ist und die richtigen Rahmenbedingungen gesetzt werden. Die Vereinbarkeit von Familie und Erwerbsarbeit ist von elementarer Bedeutung. In dem gerade geschilderten Fall hat der Freistaat Bayern übrigens unbürokratisch gehandelt und die Kommune unterstützt. Das meine ich, wenn ich sage, dass wir ein Miteinander und kein Gegeneinander brauchen. Wir setzen weiterhin auf Verständnis und freiwillige Maßnahmen, nicht auf Druck. Ich kann Ihnen sagen: Die christlich-liberale Bundesregierung ist nicht nur auf einem guten, sondern sogar auf einem sehr guten Weg. Vielen Dank. ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Gabriele Hiller-Ohm hat das Wort für die SPD-Fraktion. ({0})

Gabriele Hiller-Ohm (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003556, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen der Linken! Ich spreche zu Ihrem Antrag „Arbeit familienfreundlich gestalten“. Herr Kollege Wunderlich, Sie haben Ihrem Namen wirklich alle Ehre gemacht. Über Ihren Antrag kann man sich nur wundern. ({0}) Zu Ihrer Information: An einer Verbesserung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf haben sich ganze Generationen die Zähne ausgebissen. Meine sind, wie Sie sehen können, noch drin. ({1}) Der Verwirklichung Ihres Anspruchs stehen nicht nur beinharte Unternehmensinteressen, sondern obendrein auch eingefahrene Rollenbilder entgegen. In Ihrem Antrag finde ich dazu gerade einmal drei Forderungen. Armselig ist das. Ich stimme Ihnen zu: Ein umfassender Kündigungsschutz ist super. Aber er sollte, bitte schön, für alle Eltern gelten. Was, so frage ich Sie, nützt Eltern der von Ihnen geforderte Kündigungsschutz bis zur Vollendung des sechsten Lebensjahres des Kindes, wenn sie keinen sicheren Job haben? ({2}) Die Hälfte der im letzten Jahr neu geschlossenen Arbeitsverträge war befristet. ({3}) Frauen und junge Männer sind hiervon überdurchschnittlich betroffen. ({4}) Wir fordern deshalb: Schluss mit der sachgrundlosen Befristung! ({5}) Mit einem unbefristeten Arbeitsvertrag in der Tasche können sich viele junge Männer und Frauen leichter für Kinder und Karriere entscheiden. Außerdem befinden sich Frauen, darunter zahllose Mütter, zunehmend in prekären Beschäftigungsverhältnissen. Inzwischen haben fast 5 Millionen Frauen einen Minijob. Insgesamt ein Drittel aller erwerbstätigen Frauen arbeitet für einen Niedriglohn. ({6}) Eine Familie ernähren kann man davon nicht; das leuchtet allen ein. ({7}) Über 600 000 Familien sind auf aufstockende Sozialleistungen angewiesen. Davon sind fast 40 Prozent Alleinerziehende. Meine Damen und Herren, das ist beschämend. ({8}) Wir fordern existenzsichernde Löhne und einen gesetzlichen Mindestlohn, um diese Schieflage auf dem Arbeitsmarkt zu überwinden. ({9}) Warum schreiben Sie zu diesem Thema nichts in Ihrem Antrag? ({10}) - Bitte? ({11})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Frau Hiller-Ohm, möchten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Kurth zulassen?

Gabriele Hiller-Ohm (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003556, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Auf gar keinen Fall. ({0}) - Herr Kollege, Sie haben doch gar keinen Antrag eingebracht. Warum wollen Sie dann eine Frage stellen? ({1}) Liebe Kolleginnen und Kollegen der Linken, ich fürchte, mit Ihrer Forderung nach einem Kündigungsschutz für Eltern kleiner Kinder bis zur Vollendung ihres sechsten Lebensjahres erreichen Sie genau das Gegenteil von dem, was Sie erreichen wollen. Es würde noch mehr befristete Arbeitsverhältnisse und Minijobs in Deutschland geben, wenn man den Forderungen Ihres Antrags nachkommen würde. Toll, aber eben auch völlig realitätsfern ist Ihre Forderung eines Initiativrechts für Eltern mit Kindern im Alter von unter zwölf Jahren zur Gestaltung der regulären Arbeitszeit und eines ebenso langen Rechtsanspruchs, in einem Mehrschichtbetrieb nur die Normalschicht zu fahren. Keine Frage ist, dass die Arbeitswelt familienfreundlicher gestaltet werden muss. Arbeitgeber müssen ihren Anteil dazu leisten. Es ist nicht hinnehmbar, dass topausgebildete Frauen heute im Durchschnitt 23 Prozent weniger verdienen als Männer. ({2}) Damit werden alte Rollenmuster zementiert. Wir fordern ein Entgeltgleichheitsgesetz, um diesen unhaltbaren Zustand zu überwinden. Davon finde ich in Ihrem Antrag nichts. ({3}) Außerdem sind wir Politikerinnen und Politiker in Bund, Ländern und Kommunen gefordert, die Grundlagen für einen gleichberechtigten Zugang zur Arbeitswelt zu schaffen. Meine Partei setzt sich seit Jahren für verbesserte Betreuungsstrukturen ein. ({4}) Wir haben das Recht auf einen Kinderbetreuungsplatz ab dem ersten Lebensjahr durchgefochten. Wir wollen dieses Recht zu einem Recht auf Ganztagsbetreuung ausweiten, für Alleinerziehende ab sofort. Wir haben ein 4-Milliarden-Euro-Programm zum Ausbau der Ganztagsschulen auf den Weg gebracht. Diese Anstrengungen müssen wir gerade jetzt fortsetzen. Sie von der FDP sollten sich dem anschließen. ({5})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Frau Kollegin, kommen Sie bitte zum Ende.

Gabriele Hiller-Ohm (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003556, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ihr Antrag, Kolleginnen und Kollegen der Linken, wird seinem Titel, dem wichtigen Thema „Arbeit familienfreundlich gestalten“, nicht gerecht. Das ist eigentlich schade. ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Miriam Gruß hat jetzt das Wort für die FDP-Fraktion. ({0})

Miriam Gruß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003760, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich freue mich, auch in dieser Woche wieder über Themen debattieren zu dürfen, die uns gerade als christlich-liberaler Koalition sehr am Herzen liegen. Die Vereinbarkeit von Beruf und Familie spielt auch in unserer Koalition eine ganz große Rolle. ({0}) Im Gegensatz zu Ihnen von der SPD tun wir sehr viel dafür. Sie hätten in den letzten elf Jahren Ihrer Regierungsbeteiligung die Chance dazu gehabt, haben aber wenig in dieser Richtung unternommen. ({1}) Wir hingegen setzen auf den klassischen Dreiklang. Die Familien brauchen Zeit, Geld und Infrastruktur. Wir wissen, dass wir einen anderen Ansatz haben, den Familien das zu geben, was sie brauchen. Sie nehmen den Familien erst einmal das Geld weg, schicken es durch einen gigantischen Umverteilungsmechanismus und geben es großgönnerhaft wieder aus. ({2}) Sie versuchen bei jeder Gelegenheit, Ihren ständigen Forderungen nach einem Mindestlohn Gehör zu verschaffen. Aber ein Mindestlohn bringt nichts, wenn die Familien danach keinen Arbeitsplatz mehr haben, weil ein Mindestlohn eingeführt wurde. ({3}) Aber wir als schwarz-gelbe Koalition verzeichnen eine Arbeitslosigkeit, die so niedrig wie nirgendwo sonst in Europa ist. Wir haben einen wirtschaftlichen Aufschwung, der international spitze ist. ({4}) Durch Ihre Regierungsbeteiligungen in den letzten Jahren haben wir ein Gebilde bekommen, das europaweit auch spitze ist. Wir geben unheimlich viel Geld für die Familien aus, stellen aber fest, dass es nicht zielgenau ankommt. Deswegen setzen wir weiterhin darauf, dass die familienpolitischen Leistungen evaluiert werden müssen, um zu erreichen, dass sie tatsächlich bei den Familien ankommen. ({5}) Die Vereinbarkeit von Beruf und Familie funktioniert heutzutage doch schon in den meisten Unternehmen. Wir kennen viele Unternehmen, in denen das bereits gelebt wird. Das ist nicht nur bei Großkonzernen, die ich ausdrücklich loben möchte, der Fall, wie bei der Deutschen Telekom, die über 50 verschiedene Arbeitszeitmodelle hat und somit als Dax-Konzern auch bei der Familienfreundlichkeit im Betrieb eine Vorreiterrolle spielt. Aber auch die kleinen und mittelständischen Unternehmen, die inhabergeführten Unternehmen, setzen sich mit ihren Mitarbeitern zusammen und finden Vereinbarungen, damit qualifizierte Beschäftigte Kind und Karriere unter einen Hut bekommen können. Es funktioniert also heute schon. Deswegen: Wir haben nichts davon, jetzt die Unternehmen zu belasten, weil jede Belastung von Unternehmen wieder Arbeitsplätze kosten kann. ({6}) Das ist das Letzte, was die Unternehmen in diesen Zeiten brauchen. ({7}) - Ich weiß nicht, in welcher Welt Sie leben, aber in der Welt, in der ich lebe, funktioniert es und wird es bereits gelebt. ({8}) Ein weiteres Merkmal dieser schwarz-gelben Regierung ist es, insbesondere auch die Männer ins Blickfeld zu nehmen. ({9}) Wir wollen nicht sagen, dass Frauen keine Förderung mehr bräuchten. Wir wissen um die Entgeltungleichheit. Wir wissen auch um einen möglichen Karriereknick bei Frauen, wenn sie beispielsweise ein Kind bekommen. Aber wir wollen auch bewusst Männern die Chance geben, Familienzeit zu nehmen. ({10}) Ich weiß, wovon ich rede. Bei mir zu Hause ist es beispielsweise inzwischen so: Mein Mann ist aus dem Beruf ausgestiegen, und wir leben das Modell. - Von daher kann ich Ihnen nur sagen: Es wird in Deutschland inzwischen gelebt. ({11}) Hier bringen neue Gesetze nichts, sondern wir brauchen Familienfreundlichkeit, die gelebt wird. Darauf setzt diese schwarz-gelbe Regierungskoalition. ({12}) Die Infrastruktur ist natürlich wichtig. Wir wissen, die Familien müssen entsprechende Möglichkeiten haben. Wir als Staat sorgen auch für diese Möglichkeiten. Frau Bär hat bereits darauf hingewiesen, dass wir es in Bayern bereits bis 2012 schaffen, dass es einen durchsetzbaren Rechtsanspruch geben wird. Auch diese Koalition setzt darauf, dass wir die Infrastruktur verbessern. Gerade heute können Sie vom Familienministerium hören, dass wir 4 000 neue Erzieherstellen schaffen. GeMiriam Gruß rade in sozialen Brennpunkten wollen wir den Betreuungsschlüssel verbessern, weil wir als schwarz-gelbe Koalition wissen: Die Infrastruktur ist das eine, die Qualität ist das andere. - Ein besonderer Ausdruck von Qualität ist natürlich ein besserer Betreuungsschlüssel. Darauf setzen wir, und dafür nehmen wir auch Geld in die Hand. ({13}) Ganz nebenbei sind wir die erste Koalition, die die Bildung massiv fördert: angefangen bei der frühkindlichen Bildung bis hin zur weiterführenden Bildung und zu den Hochschulen. Wir nehmen dafür insgesamt 12 Milliarden Euro in die Hand und sind damit bei den Bildungsausgaben zum ersten Mal spitze in Europa. Wir wollen die OECD-Bedingungen hier erfüllen, und wir werden sie auch erfüllen. Wir sagen: Auch in Zeiten sparsamer Haushalte investieren wir da, wo es nötig und dringend geboten ist, also da, wo sich jeder Cent, den wir ausgeben, später tausendfach auszahlt. Meine sehr geehrten Damen und Herren, Sie haben an der Stelle nichts zu bieten. ({14}) Wir handeln, und wir investieren insbesondere in die Bildung und in die Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Damit sind wir spitze. Vielen Dank. ({15})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Jetzt hat Katja Dörner für Bündnis 90/Die Grünen das Wort.

Katja Dörner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004030, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Die Bundesfamilienministerin, die heute leider nicht hier ist, hat im August den schönen Satz „Zeit ist die Leitwährung moderner Familienpolitik“ geprägt. ({0}) Ich finde diesen Satz richtig. Das Problem ist nur und Fakt ist auch: Diese Bundesregierung ist ausgesprochen geizig, wenn es um diese Leitwährung geht. ({1}) Ich nenne Ihnen ein Beispiel: das Teilelterngeld. Wenn heute beide frischgebackenen Elternteile nach der Geburt eines Kindes in Teilzeit arbeiten, dann verlängert sich der Bezugszeitraum des Elterngeldes eben gerade nicht. Verglichen mit einem Paar, bei dem ein Elternteil zu Hause bleibt und der andere weiter Vollzeit arbeitet, bekommen diese Eltern insgesamt also weniger Elterngeld. Das ist ungerecht und meiner Meinung nach auch unzeitgemäß. Viele Eltern - das ist heute auch schon angesprochen worden - wollen sich Erwerbsarbeit und Familienarbeit fair und partnerschaftlich teilen. Deshalb brauchen wir endlich ein flexibles Teilelterngeld ohne doppelten Anspruchsverbrauch. ({2}) Diese richtige Idee hatte die Ministerin ja auch schon einmal, aber wie fast alle anderen familienpolitischen Maßnahmen, die groß im Koalitionsvertrag angekündigt waren, ist auch das auf den Sankt-Nimmerleins-Tag verschoben worden. Damit die Ministerin mit „mehr Vereinbarkeit“ einmal ernst machen könnte, dürfte sie eben keine Ankündigungsministerin bleiben. ({3}) Es ist absolut richtig: Für eine gute Vereinbarkeit von Beruf und Familie braucht man Zeit, Infrastruktur und Geld. Thema Infrastruktur. Beim Ausbau der Kindertagesstätten und der Ganztagsschulen sind wir eben noch nicht so weit gekommen, wie hier immer postuliert wird. Ich fordere die Bundesregierung auch an dieser Stelle erneut auf, endlich eine solide und ordentliche Bedarfserhebung zu machen. Frau Bär, es geht nicht darum, dass wir nicht glauben, dass man das bis 2013 für 35 Prozent der Kinder tatsächlich schaffen kann. ({4}) Das haben wir nie gesagt. Wir haben immer gesagt: Wir gehen davon aus, dass es auch mehr als 35 Prozent der Kinder sein können. Darüber machen Sie sich offensichtlich keine Gedanken; ({5}) denn es ist kein Geld dafür da, falls es für mehr Kinder als für diese 35 Prozent einen Bedarf gibt. Das ist eben das, was wir kritisieren. Deshalb und doch nicht aufgrund dessen, was Sie hier gesagt haben, brauchen wir eine Bedarfserhebung. ({6}) Schon heute, im Oktober 2010, ist das Sondervermögen in NRW überzeichnet. Ich stimme meinen Vorrednern auch völlig zu, dass es dringend notwendig ist, endlich den Rechtsanspruch dahin gehend zu erweitern, dass er auch für die Ganztagsbetreuung gilt. Eltern brauchen, bezogen auf ihren Arbeitsplatz, mehr Verlässlichkeit und Planungssicherheit. Nach der Elternzeit in erzwungener Teilzeit und auf einer wenig qualifizierten Stelle stecken zu bleiben, das ist ein realer Erfahrungswert vieler junger Eltern, insbesondere von Müttern. Deshalb ist es absolut überfällig, das Recht auf Teilzeit, das wir heute schon im Teilzeit- und Befristungsgesetz verankert haben, um ein Rückkehrrecht auf eine Vollzeittätigkeit zu ergänzen. ({7}) Den Vorschlag der Linken, den Kündigungsschutz auf den Zeitraum bis zur Vollendung des sechsten Lebensjahres eines Kindes auszuweiten, müssen wir aus unserer Sicht durchaus kritisch diskutieren; denn wir wollen nicht, dass es letztlich dazu kommt, dass junge Eltern eher weniger eingestellt werden. Ich glaube, das ist ein Problem, das man ernsthaft diskutieren muss. Wenn es dazu käme, dann ist eben niemandem gedient. Ich denke, wir müssen tatsächlich noch grundlegender ansetzen; das ist schon angesprochen worden. Wenn wir zur Kenntnis nehmen, dass mehr als die Hälfte der Leiharbeiter und Leiharbeiterinnen Menschen unter 36 Jahre sind, und wenn wir wissen, dass zwei Drittel der Leute um die 30 sich von einem befristeten Job zum nächsten hangeln, dann sehen wir, dass die Herausforderungen an die Politik deutlich größer sind als das, was die Regierungskoalition sich anzupacken traut. ({8}) Die Forderungen, die aktuell im Ausschuss für Arbeit und Soziales diskutiert werden, nämlich die sachgrundlose Befristung und die Befristung auf Probe abzuschaffen, halte ich - auch im Zusammenhang mit unserer heutigen Debatte - für ausgesprochen wichtig und vielversprechend. ({9}) Ich bin gespannt auf die Beratungen in den Ausschüssen. Ich hoffe doch, dass die Bundesregierung endlich von der reinen Ankündigungspolitik wegkommt und sich aufmacht, tatsächlich Maßnahmen zu ergreifen. Vielen Dank. ({10})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Jetzt hat Nadine Schön für die CDU/CSU-Fraktion das Wort. ({0})

Nadine Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004116, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vier von fünf Arbeitnehmern können sich vorstellen, für eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf den Arbeitgeber zu wechseln. Familienfreundlichkeit ist vielen heute sogar wichtiger als ihr Gehalt. Nach einer aktuellen Allensbach-Umfrage beschäftigt eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf die Deutschen derzeit mehr als die Gesundheitsreform oder Steuersenkungen. Es ist also ein brennendes Thema. Eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf heißt Flexibilität und Zeit. Zeit ist der entscheidende Faktor für ein glückliches und zufriedenes Familienleben. Sie alle wissen, das ist gar nicht so einfach; denn auch der Arbeitgeber verlangt von seinem Mitarbeiter Flexibilität, Mobilität, Einsatz und Verfügbarkeit, also auch Zeit - Zeit für Schichtdienst, Zeit für Überstunden. Zeit und Flexibilität wollen also zum einen die Betriebe von den Mitarbeitern. Das ist zum anderen aber auch das, was die Familien gerne von den Betrieben wollen. Das ist für Alleinerziehende besonders schwer, und man fragt sich, wie das zusammenpassen soll. In meinen Augen ist der erste Schritt getan. Die Unternehmen haben erkannt: Gerade in der jetzigen Zeit, in der es an Fachkräften mangelt, können sie von ihren Mitarbeitern nicht Flexibilität verlangen, ohne ihnen ebenfalls mehr Flexibilität zu gewähren. Wer also seine guten Mitarbeiter halten will, der muss familienfreundlich sein. ({0}) Die Unternehmen haben erkannt: Familienfreundlichkeit zahlt sich aus. Vier von fünf Unternehmen bestätigen, dass sie durch Familienfreundlichkeit konkrete betriebswirtschaftliche Vorteile haben. Die Erkenntnis, dass Familienfreundlichkeit wichtig ist, ist also bei Arbeitnehmer und Arbeitgeber vorhanden. Also sind auch alle gefordert, und zwar mit Unterstützung der Politik. Ich denke, mit Schuldzuweisungen kommen wir da nicht weiter. Hier müssen einfach alle ran. ({1}) Ansatzpunkte gibt es viele. Viele sind auch schon genannt worden. Ich will drei gerne noch einmal ansprechen. Ein Punkt ist eine gute Betreuungsinfrastruktur. Liebe Kollegen, ich komme aus einer sehr ländlichen Region, und ich kenne die Fragen und die Unsicherheiten junger Frauen, die schwanger sind oder sich Kinder wünschen und die keine feste Zusage für einen Betreuungsplatz nach der Geburt haben, sehr gut. Diese jungen Menschen hängen wirklich in der Luft. Zum Glück wird das von Monat zu Monat besser; das kann man wirklich beobachten, gerade bei uns im ländlichen Raum. Der Kitaausbau geht zügig voran. 2013 gibt es den Rechtsanspruch auf einen Kitaplatz. Das ist Fakt, und daran wird nicht gerüttelt. Deshalb bitte ich Sie, liebe Kollegen von den Grünen, ganz herzlich: Hören Sie bitte mit Ihrer Panikmache auf, dass für den Ausbau nicht genug getan werde! ({2}) Nadine Schön ({3}) Hören Sie auf mit den Kassandrarufen! Das bringt keinem etwas. Das Ziel ist klar. Der Weg ist klar. Die Situation wird von Monat zu Monat besser. Liebe Kollegen, ich glaube, darauf können wir stolz sein. ({4}) Allein mit einer guten Betreuungsinfrastruktur ist es allerdings nicht getan. Echte Familienfreundlichkeit geht darüber hinaus. Echte Familienfreundlichkeit bedeutet, die individuelle Situation des Arbeitnehmers in den Blick zu nehmen. Dazu gehört, dass Babypausen und Pflegezeiten gemeinsam organisiert werden. Dazu gehören Fortbildungsangebote während der Elternzeit und Hilfen beim Wiedereinstig. Dazu gehören auch bisher unübliche Arbeitszeitmodelle wie die 30- oder 35-Stunden-Woche. Hier ist Kreativität von Unternehmen und Mitarbeitern gefragt. Meine Kollegin Dorothee Bär hat bereits auf das Unternehmensnetzwerk „Erfolgsfaktor Familie“ hingewiesen. Darin gibt es kreative Ansätze von Telearbeit bis zum Eltern-Kind-Büro, die übrigens auch in unseren Ministerien intensiv umgesetzt werden. Maßgeblich sind, denke ich, die Kreativität und Kompetenzen der Menschen und die Initiativen in den Betrieben. Sozialistisch anmutende Zwänge wie ein sechsjähriges Kündigungsverbot brauchen wir nicht, liebe Kollegen der Linken. ({5}) Es ist wichtig, dass wir die Strukturen ändern. Noch viel wichtiger ist aber, dass sich in den Köpfen etwas ändert. Solange in unseren Betrieben noch eine Anwesenheitskultur vorherrscht und man ab einer gewissen Ebene schief angeschaut wird, wenn man um 17 Uhr das Büro verlässt, solange Elternzeit von Männern belächelt wird, so lange wird sich nichts Entscheidendes ändern. Hier lohnt sich ein Blick über die Grenze, um zu sehen, was möglich ist. Versuchen Sie einmal, in Norwegen um 18 Uhr ein Meeting zu vereinbaren. Keine Chance: Um 17 Uhr fällt dort der Hammer. Dann wird der PC heruntergefahren, und dann werden erst einmal die Kinder von der Kita abgeholt. Es ist aber durchaus üblich, den Laptop um 22 Uhr wieder einzuschalten. Das ist uns noch ziemlich fremd, aber ich denke, es ist ein gutes Beispiel. Familienfreundlicher als unser System ist das allemal. Wir können uns dort ruhig etwas abschauen. Familienfreundlichkeit muss vorgelebt werden. Vor ein paar Tagen habe ich mit einem jungen Mann gesprochen, dessen Chef ein halbes Jahr Elternzeit nimmt. Als seine Freundin davon erfahren hat, wollte sie wissen, ob auch er sich das vorstellen kann. Er hat erzählt, dass er zuerst geschluckt hat. Dann hat er aber erlebt, dass sein Chef die Elternzeit als bereichernd empfunden hat und dass es kein Problem mit der weiteren Berufskarriere gab. Dann ist ihm die Antwort nicht mehr schwergefallen. Dieser Chef ist ein Vorbild für seine Mitarbeiter. Er trägt wesentlich dazu bei, dass der Betrieb insgesamt familienfreundlicher wird. Das sind die kleinen, aber sehr deutlichen Zeichen, dass sich in der Arbeitswelt etwas bewegt. Ich glaube, das ist eine gute Nachricht an diesem Freitagnachmittag. Ich wünsche Ihnen ein schönes Wochenende, und ich hoffe, dass Sie es im Kreise Ihrer Familie verbringen können. Danke schön. ({6})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Nicht dass Sie denken, Sie könnten jetzt schon gehen. Jetzt hat nämlich Stefan Schwartze für die SPD-Fraktion das Wort. ({0})

Stefan Schwartze (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004150, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bei der Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist in den letzten Jahren das eine oder andere erreicht worden. Immer mehr Menschen erkennen, wie wichtig das Thema für unsere Gesellschaft ist. Dafür waren viele Entscheidungen grundlegend: der Rechtsanspruch auf die Betreuung ab dem ersten Lebensjahr und das Elterngeld, das dazu geführt hat, dass sich jetzt ein Viertel der Väter Zeit für die Betreuung ihrer Kinder nimmt. Damit wurde die partnerschaftliche Betreuung massiv gestärkt. In manchen Chefetagen hat sich auch die Einstellung geändert, aber hauptsächlich deswegen, um den Fachkräftebedarf zu sichern. Bis zur wirklichen Vereinbarkeit von Familie und Beruf liegt aber noch ein weiter Weg vor uns. Unser Ziel ist es, dass Paare sich wirklich partnerschaftlich um Erziehung oder Pflege kümmern. Unser Ziel ist es, dass arbeitende Mütter und betreuende Väter Normalität werden. Wer wissen will, wie die Lebenswirklichkeit aussieht, der muss nur einmal mit den Menschen in den Betrieben reden. Wie ist die Reaktion des direkten Vorgesetzten, wenn sie ihm erklären: „Das Projekt kann ich nicht übernehmen; ich gehe in Elternzeit“? Wer hat sich schon einmal mit dem Chef darüber unterhalten, dass er flexiblere Arbeitszeiten braucht, weil er pflegebedürftige Angehörige zu Hause hat? Haben Sie den Kollegen schon einmal erklärt, dass Sie dienstags immer vertreten werden müssen, weil Sie das Kind vom Sport abholen müssen? Ich glaube, bei diesen Fragen erfährt man ganz schnell, wie die Lebenswirklichkeit in den Betrieben aussieht, eine Lebenswirklichkeit, unter der ganz besonders Frauen zu leiden haben. Sie werden in Teilzeitarbeit gedrängt und verlieren dadurch jede Aufstiegsperspektive. Viele finden nach der Erziehung der Kinder keinen festen Arbeitsplatz mehr und landen in prekärer Beschäftigung. Das ist auch ein wesentlicher Grund dafür, dass Frauen im Schnitt 23 Prozent weniger verdienen als Männer. Ganz wichtig für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist der Ausbau der Kinderbetreuung. Aber ebenfalls ganz wichtig ist es, die Zeit zu haben, sich um pflegebedürftige Angehörige zu kümmern. ({0}) Die Pflege von Angehörigen beansprucht die Menschen oft viel mehr als die Kinderbetreuung. Auch für die Pflege gilt es bei diesem Thema Antworten zu finden. Das ist ein Bereich, der uns in den vorliegenden Anträgen noch nicht deutlich genug herausgestellt ist und über den wir in den Ausschussberatungen weiter diskutieren werden. Wir warten auf das angekündigte Eckpunktepapier der Ministerin Schröder zur Pflegezeit. Auch hier ist es bisher bei der Ankündigung geblieben. Alles, was bisher dazu aus dem Ministerium zu hören war, ist mehr als enttäuschend. Wir brauchen für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf flexiblere Arbeitszeiten. Wir brauchen eine ausreichende Infrastruktur, die den Eltern eine wirkliche Wahlfreiheit gibt und die den Rechtsanspruch auf Betreuung wirklich umsetzt. Die Partnermonate beim Elterngeld sind auszubauen, und der doppelte Anspruchsverbrauch bei gleichzeitiger Elternteilzeit ist abzuschaffen. ({1}) Hier wird stattdessen das Elterngeld für ALG-II-Empfänger gestrichen. - Das sind nur einige Punkte. Unser Ziel ist es, die alte Rollenverteilung zwischen Mann und Frau zu überwinden. ({2}) Wir brauchen echte Partnerschaftlichkeit sowie Zeit für Kinder und Pflege. Wir scheitern, wenn Schwarz-Gelb das alte Rollenbild durch die Einführung des Betreuungsgeldes zementiert. ({3})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 17/3189 und 17/3203 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist das so beschlossen. Jetzt rufe ich den Tagesordnungspunkt 31 sowie Zusatzpunkte 9 und 10 auf: 31 Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/ CSU und der FDP Beitrittsantrag der Republik Serbien zur Prüfung an die Europäische Kommission weiterleiten - Drucksache 17/3190 ZP 9 Beratung des Antrags der Abgeordneten Uta Zapf, Günter Gloser, Dietmar Nietan, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Glaubhafte Unterstützung für Serbiens Beitrittsantrag zur Europäischen Union - Drucksache 17/3175 ZP 10 Beratung des Antrags der Abgeordneten Marieluise Beck ({0}), Volker Beck ({1}), Viola von Cramon-Taubadel, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Serbiens Beitrittsgesuch an die Europäische Kommission weiterleiten - Gesamte Region im Blick behalten - Drucksache 17/3204 Zwischen den Fraktionen ist es verabredet, hierzu eine halbe Stunde zu debattieren. - Dazu sehe ich keinen Widerspruch. Dann verfahren wir so. Ich bin sicher, dass insbesondere der Geschäftsführer der FDP-Fraktion seinem Kollegen Dr. Rainer Stinner zuhören möchte, dem ich jetzt gerne das Wort gebe. Bitte, Herr Stinner. ({2})

Dr. Rainer Stinner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003640, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Präsidentin, erlauben Sie mir zu Beginn dieser Debatte, in der es um Serbien geht, den serbischen Botschafter auf der Tribüne zu begrüßen. Herr Botschafter, ganz herzlichen Dank! Es ist gut, dass Sie Interesse an dieser Debatte im Deutschen Bundestag zeigen. ({0}) Ohne jeden Zweifel ist Serbien ein besonders wichtiges Land auf dem westlichen Balkan. Es ist auf dem Weg hin zu Europa. Deswegen haben wir über dieses wichtige Land häufig auch kontrovers diskutiert. Wir wissen von den Schwierigkeiten. Es ist völlig klar: Wir haben hier gemeinsam - das zeigen auch die Anträge, die ähnlich sind; ich werde auf Unterschiede kurz eingehen - das Bestreben, dass Serbien ein demokratisches, rechtsstaatliches, friedliches europäisches Land in einer friedlichen Europäischen Union wird und eine gute Nachbarschaft zu allen Nachbarn pflegt. Das ist unser gemeinsames Ziel, auf dessen Erreichung wir gemeinsam mit Serbien hinarbeiten. Auf diesem beschwerlichen Weg nach Europa gab es - keine Frage - viele Hindernisse, aber es gibt auch Fortschritte. Ein Fortschritt ist ohne jeden Zweifel die gemeinsame UN-Resolution zum Thema Kosovo, die vor einigen Wochen zwischen Serbien und der Europäischen Union hart erkämpft worden ist. Wir wissen, das ist für Serbien ein großer Sprung gewesen, eine harte EntscheiDr. Rainer Stinner dung. Wir würdigen diese und nehmen sie als ein Zeichen Serbiens auf dem Weg zu Europa, das wir ausdrücklich begrüßen. ({1}) Wir können aber auch, liebe Kolleginnen und Kollegen, an diesem Beispiel erstmals - ich sage bewusst „erstmals“ - Handlungsfähigkeit der Europäischen Union in außerpolitischen Dingen konstatieren. Eine übereinstimmende gemeinsame Aktion von Außenminister Westerwelle, Herrn Feith und Frau Ashton hat dazu geführt, dass Serbien diesen wichtigen Schritt gegangen ist. Ich möchte dem Außenminister ganz, ganz herzlich für diese Initiative danken. ({2}) Meine Damen und Herren, es gibt eine weitere gute Nachricht aus Serbien, die viele von uns nicht wahrnehmen: Serbien hat eine außerordentlich effiziente Administration und ist besser als viele andere Länder in der Lage, den Beitrittsprozess schnell und effizient abzuwickeln. Das ist nicht überall der Fall. Auch das nehmen wir sehr, sehr gern zur Kenntnis. Nachdem nun Serbien diesen Schritt gemacht hat, ist es an uns, an den Europäern, auch einen weiteren Schritt zu gehen. Deshalb haben wir diesen Antrag gestellt. Die Anträge der Kolleginnen und Kollegen der anderen Fraktionen haben denselben Sinn. Wir müssen dazu sehr deutlich sagen: Es handelt sich um ein schrittweises Vorgehen. Jetzt geht es um den ersten Schritt, nämlich die Weiterleitung an die Europäische Kommission. Dann kommt der zweite Schritt, nämlich die Beimessung eines Kandidatenstatus für Serbien. Und dann kommt der dritte Schritt, die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen. Die beiden anderen Schritte liegen jetzt noch vor uns, zuerst muss der Europäische Rat den ersten Schritt gehen. Bei diesem Prozess wird die Europäische Union ganz genau hinschauen. Die Europäische Union und wir alle, meine Damen und Herren, werden genauer hinschauen als bei früheren Beitrittsprozessen. Das mag nicht gerecht sein; aber wir müssen aus den Beitrittsprozessen lernen. Wir möchten unter allen Umständen vermeiden, dass Probleme wie die, die wir mit Zypern, zum Teil mit Rumänien und Bulgarien, aber auch in Bezug auf den Grenzkonflikt zwischen Slowenien und Kroatien hatten, noch einmal auftreten. ({3}) Wir möchten vermeiden, dass ungelöste Probleme in die EU hineingetragen werden. Deshalb werden wir genauer hinschauen. Jeder in Serbien, Herr Botschafter, muss das verstehen, so schmerzhaft es eventuell auch sein mag. Meine Damen und Herren, mit unserem Antrag bürden wir Serbien keine neuen Bedingungen auf. Die Bedingungen sind klar. Außenminister Westerwelle hat es sehr deutlich gesagt: Die Grenzen des Balkans sind gezogen. Damit ist ein Datum gesetzt, über das wir nicht hinweggehen wollen und können. Wir wollen es auch nicht, wir wollen das als Datum sehen. Serbien ist willkommen, muss aber wissen, dass die Grenzen auf dem Balkan gezogen sind und unverändert bleiben. ({4}) Wir haben in der dritten Forderung in unserem Antrag deutliche Fortschritte bezüglich der Lösung offener Fragen eingefordert. Das ist durchaus noch milde. Andere fordern in ihren Anträgen, dass alle Probleme gelöst sein müssen. Aber wir wollen ja die Hürden auch nicht zu hoch machen. Wir wollen jedoch deutlich sagen, dass natürlich vor dem übernächsten Schritt, dem Beginn der Beitrittsgespräche, einige Probleme gelöst werden müssen. Das haben wir sehr, sehr deutlich gemacht. Damit - das betone ich - machen wir Serbien nicht zur Geisel des Kosovos. Wir fordern Fortschritte bei den Bemühungen von Serbien, und wir werden genau betrachten, wie sich Serbien und der Kosovo hier verhalten. Serbien ist nicht die Geisel des Kosovos, sondern Serbien ist für seine eigenen Handlungen und Taten selber verantwortlich, und das werden wir sehr, sehr genau beobachten. Lassen Sie mich in den verbleibenden Sekunden noch auf die vorliegenden Anträge eingehen. Die Zielrichtung ist völlig eindeutig; wir sind alle einer Meinung. Im Antrag der SPD habe ich einen Satz gefunden, den ich nicht verstehen kann, Herr Gloser. Da schreiben Sie tatsächlich: Die Verhandlungen über einen Beitritt sind noch in diesem Jahr aufzunehmen. Das kann doch nicht Ihr Ernst sein. Die SPD-Fraktion kann doch nicht ernsthaft der Meinung sein - die SPD hat Außenminister Steinmeier gestellt; die SPD-Fraktion betreibt seit Jahren Außenpolitik -, dass die Beitrittsverhandlungen zwischen dem 9. Oktober und dem 31. Dezember dieses Jahres aufgenommen werden sollten. Herr Gloser, da muss Ihnen irgendwo ein Fehler passiert sein. Ich glaube nicht, dass Sie der Meinung sind, dass das möglich und sinnvoll ist. Wir müssen diesen Antrag also ablehnen. ({5}) Frau Beck - ich schätze Sie außerordentlich; wir arbeiten sehr eng zusammen -, im Antrag der Grünen kann man ein häufiges Phänomen entdecken: Ganz egal, was Sie machen, es muss der Name Bosnien-Herzegowina auftauchen. ({6})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Herr Kollege Stinner, könnten Sie Ihre Sympathieerklärungen für eine einzelne Kollegin - sie finden leider außerhalb Ihrer Redezeit statt - vielleicht einem vertiefenden privaten Gespräch anvertrauen? ({0})

Dr. Rainer Stinner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003640, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ja, das mache ich ausführlich, Herr Präsident. Lassen Sie mich abschließend sagen, dass wir aus Gründen der Nichtfokussierung auch diesen Antrag ablehnen müssen. Ich fordere Sie auf und wünsche mir, dass Sie dem sehr guten Antrag der Union und der FDP heute zustimmen. Wir sind uns alle einig. Lassen Sie uns das gemeinsam zum Ausdruck bringen. Dann geht vom heutigen Nachmittag eine gute Botschaft aus. Schönen Dank. ({0})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Nun hat der Kollege Günter Gloser für die SPD-Fraktion das Wort.

Günter Gloser (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002660, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Serbiens Wunsch, auf dem Weg zu einer Vollmitgliedschaft in der Europäischen Union voranzukommen, hat - dieses Signal der SPD-Fraktion, sehr geehrter Herr Botschafter, können Sie aufnehmen - unsere volle Unterstützung. Die Europäische Union hat auf ihrem Westbalkan-Gipfel in Thessaloniki 2003 allen Staaten des westlichen Balkans eine europäische Perspektive versprochen. Serbien hat seither in der Tat eine bemerkenswerte Entwicklung gezeigt, die unsere Anerkennung verdient. Die nationalistische Politik Milosevićs und deren Vollstrecker Karadzić und Mladić haben tiefe Spuren in Serbien, aber auch in den Nachbarländern hinterlassen. Unsere Politik muss darauf abzielen, die vorhandenen Wunden zu heilen und alles zu tun, damit sich solche Tragödien nicht wiederholen. Was aber ist die richtige Politik gegenüber Serbien? Ich will Ihnen dazu zwei Beispiele nennen. Erstens. Richtige und erfolgreiche Politik der Europäischen Union war es, im Jahre 2008 das Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommen gegen starke Bedenken einiger, wenn auch weniger EU-Mitgliedstaaten zu unterzeichnen; denn damit wurde zwei Wochen vor den serbischen Wahlen ein klares Zeichen für einen europäischen Kurs Serbiens gesetzt. Die Wählerinnen und Wähler in Serbien haben das verstanden und ihrerseits eine proeuropäische Regierung gewählt. Im Dezember 2009 hat die Regierung in Belgrad einen Antrag auf EU-Mitgliedschaft gestellt. Diese Entwicklung zeigt, dass die Entscheidung von 2008 kein gefährliches Einknicken der Europäischen Union war, sondern das richtige Zeichen zur richtigen Zeit. Das ist auch ein Beleg dafür, dass die Europäische Union als Ganzes handlungsfähig sein kann, wenn es darauf ankommt. Zweitens. Der Internationale Gerichtshof hat in einem Gutachten festgestellt, dass die Unabhängigkeitserklärung des Kosovo nicht gegen internationales Recht verstößt. Serbien wollte daraufhin zunächst im Rahmen der Vereinten Nationen Neuverhandlungen über den Status des Kosovo fordern. Die Europäische Union hat aber erreicht, dass Serbien gemeinsam mit den 27 EU-Mitgliedern eine konstruktive Resolution einbrachte und - das ist wichtig - einen Dialog mit dem Kosovo zusagte. Es ist gut, dass Deutschland in diesen Verhandlungen eine positive Rolle gespielt und zum europäischen Erfolg wesentlich beigetragen hat. ({0}) - Es ist immer schön, wenn Sie die Zwischentöne wahrnehmen. Die beiden genannten Beispiele belegen, dass Europa gegenüber Serbien eine klare, einheitliche, aber auch unmissverständliche Politik verfolgen muss und dann auch mit einer rationalen und konstruktiven Politik Serbiens rechnen kann. Aber ich will hier auch ansprechen: Es gibt Defizite in der Entwicklung Serbiens, die sich negativ auf die weitere Annäherung an die Europäische Union auswirken können. Erstens nenne ich in diesem Zusammenhang die Forderung nach einer vollständigen Zusammenarbeit mit dem Internationalen Strafgerichtshof. Die serbische Regierung muss noch überzeugender nachweisen, dass sie tatsächlich alles tut, um Mladic zu finden und an den Strafgerichtshof auszuliefern. Zweitens. Das derzeitige Maß an Korruption in Serbien ist nicht europafähig. Die negativen Erfahrungen in anderen Ländern, leider auch innerhalb der Europäischen Union, zeigen deutlich, dass hier nur eine Nulltoleranzpolitik gelten kann. Korruption schadet der Wirtschaft; sie trifft aber auch die Schwächsten in der Gesellschaft und ist für einen demokratischen Rechtsstaat einfach nicht akzeptabel. Deshalb können wir auch nicht wegsehen, wenn ausländische Investoren sich, wie jüngst die Verlagsgruppe der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung, nach erheblichen Investitionen mit Hinweis auf Korruption wieder aus Serbien zurückziehen. Ich kann und will diesen Einzelfall hier nicht weiter bewerten. Aber die serbische Regierung muss wissen, dass solche Fälle gerade in einem EU-Kandidatenland besonders genau verfolgt werden. Serbien muss für Investitionssicherheit und für Fairness auf seinem Markt sorgen. ({1}) Meine Damen und Herren, sprechen wir noch einmal deutlich von den Interessen der Europäischen Union und Deutschlands in diesem Fall. Unser erstes Interesse ist Frieden und Sicherheit in unserer Nachbarschaft. Weil die Länder des westlichen Balkans inzwischen eine Enklave mitten in der Europäischen Union bilden und weil dort noch vor kurzem blutige Kriege stattfanden, gilt das für Serbien und seine Nachbarn in ganz besonderem Maße. Wenn es um die Nachbarschaft von Serbien und Kosovo geht, sollte der Vorschlag des ehemaligen Botschafters Ischinger aufgegriffen werden. Ischinger erinnerte an den Grundlagenvertrag zwischen den beiden deutschen Staaten von 1972. Dieser hatte seinerzeit mitten im Kalten Krieg eine pragmatische und wirksame Zusammenarbeit zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der DDR möglich gemacht. Das sollte in naher Zukunft in ähnlicher Weise auch für Serbien und Kosovo möglich sein. Wir haben ein großes Interesse an einer positiven wirtschaftlichen, aber auch gesellschaftlichen Entwicklung in Serbien und der Region. Dort liegt nicht nur ein bedeutendes Potenzial für die deutsche und die europäische Wirtschaft. Besonders für das soziale Gefüge Europas ist es von entscheidender Bedeutung, dass das eklatante Wohlstandsgefälle in Europa durch nachholende Entwicklung gerade in Südosteuropa gemildert wird. Welche weiteren Mittel stehen uns zur Verfügung, um positiv auf diese Entwicklung einzuwirken? Neben der Diplomatie und der wirtschaftlichen Zusammenarbeit ist es vor allem die Zusammenarbeit der Zivilgesellschaften, die wir aktiv fördern müssen. Leider sollen an mancher Stelle im Auswärtigen Amt Bereiche, die mit Krisenprävention, kulturellem Austausch und Förderung von zivilgesellschaftlichen Kontakten zu tun haben, eher reduziert als konzeptionell ausgebaut werden. Wir brauchen mehr Jugendaustausch, mehr Studienstipendien und mehr Deutschunterricht in den zukünftigen EU-Mitgliedstaaten. Wir brauchen auch mehr Kulturprojekte, die dem Austausch zwischen Deutschland und Südosteuropa Tiefe und den Beziehungen Belastbarkeit verleihen. Das wäre eine Aufgabe für das Auswärtige Amt: die Entwicklung eines Konzeptes für einen neuen Stabilitätspakt der Zivilgesellschaften in Südosteuropa. ({2}) Viele Vereine, Stiftungen, aber auch private Initiativen sind auf diesem Feld schon tätig. Unterstützen wir sie, ermutigen wir sie und binden wir sie ein in eine Strategie für den gemeinsamen europäischen Weg Serbiens und der südosteuropäischen Staaten! Meine Damen und Herren, zum Schluss noch ein Zitat aus dem neuen Buch des britischen Historikers Timothy Garton Ash. Ursprünglich stammen diese Sätze aus der Schlussbetrachtung zu einem Aufsatz, den er im Jahr 2000 geschrieben hat; jetzt hat er sie in einer Nachbemerkung zu dem Buch aktualisiert. Ash sagt - ich zitiere; damit kein Missverständnis entsteht -: Ich stimme denen zu, die sagen, wir in Europa sollten uns das strategische Ziel setzen, alle Staaten des westlichen Balkans einschließlich Serbiens und Montenegros bis zum 28. Juni 2014 zu Mitgliedern der Europäischen Union zu machen, dem hundertsten Jahrestag der Ermordung Erzherzog Franz Ferdinands in Sarajevo, die das Fass zum Überlaufen brachte und den Ersten Weltkrieg auslöste. Es wird sich zeigen, ob das heutige Europa zu einer solchen historischen Vorstellungskraft und strategischen Risikobereitschaft fähig ist. Dieses strategische Ziel - wenn auch vielleicht nicht mit dem im Zitat genannten Datum - hat sich die Europäische Union und haben sich viele Völker auf dem westlichen Balkan zu eigen gemacht. Wir sollten dieses strategische Ziel unterstützen, auch wenn das Zieldatum heute sicherlich noch nicht konkret genannt werden kann. Vielen Dank. ({3})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Roderich Kiesewetter ist der nächste Redner für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Roderich Kiesewetter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004068, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Unser Bundestag hat schon eine beeindruckende Gabe, wesentliche historische Ereignisse mit aktuellen Debatten zu verknüpfen. ({0}) Am 8. Oktober 1912 - Herr Sarrazin, Sie als angehender Historiker werden das wissen ({1}) hat das Osmanische Reich eine Kriegserklärung von Montenegro erhalten. Der erste Balkankrieg brach aus. Am 8. Oktober 1991 hat das kroatische Parlament seine Unabhängigkeit von Jugoslawien erklärt. Heute, 19 Jahre später, debattieren wir über die Weiterleitung des Beitrittsantrags Serbiens. Wir als Regierungsfraktion sprechen uns eindeutig für die EU-Perspektive des westlichen Balkans aus. ({2}) Daran arbeiten wir. Das ist ganz entscheidend für eine friedliche Zukunft. Wir haben in den letzten Jahren sehr viel Mut bei der Erweiterung bewiesen. Jetzt ist eine gewisse Müdigkeit eingetreten. Der Mut wurde sicherlich auch in Teilen enttäuscht, weil 2007 zwei Staaten die Beitrittskriterien nicht eingehalten haben; wir waren nicht kritisch genug. Jetzt steht an, dass wir den Prozess der Aufnahme Serbiens in die Europäische Union aufmerksam und kritisch begleiten. Es geht noch nicht um die Aufnahme, sondern es geht darum, dass die Europäische Kommission darüber berät und den Ratschlag abgibt. In den knappen und wohlformulierten Punkten unseres Antrags, der sich weitestgehend mit den Anträgen der anderen Fraktionen deckt, machen wir deutlich: Vor einem Beitritt, auch schon vor dem Avis, müssen bestimmte Dinge geklärt werden. Wir als Europäer brauchen eine ganz klare Sicht auch nach außen. Wir haben uns jetzt lange mit der Wirtschaftskrise und mit unserer Binnenkonstitution beschäftigt. Wir sprechen heute nicht ohne Grund über die Aufnahme Serbiens. Das ist ein Recht, das uns mit dem Lissabon-Vertrag eingeräumt worden ist. Da können wir als Parlament etwas bewegen. Auch das ist ein Fortschritt in der parlamentarischen Demokratie, den wir begrüßen müssen. ({3}) Es gibt Fortschritte. Serbien hat in beeindruckender Weise deutlich gemacht, dass es bereit ist, mit dem Kosovo über den Bereich nördlich des Ibar zu sprechen. Ich will ein paar weitere Meilensteine nennen. Warum sollte Serbien in die Europäische Union? Es ist klar: Es hat europäische Wurzeln. Es gehört zu Europa. Es sind auch nicht nur die wirtschaftliche Kraft und die Verwaltungseffizienz, die mitgebracht werden - das wurde schon angesprochen -; ein demokratisch verfasstes Serbien wird eine Bereicherung für Europa sein und wird im Hinblick auf das, was es historisch verursacht hat, ausgleichend wirken. Im Dezember 2009 wurde die Bahnlinie von Belgrad nach Mostar eröffnet; Kooperation von Serbien. Im März hat das Parlament von Serbien die Schuld beim Massaker von Srebrenica anerkannt. Am 11. Juli nahm Tadic an dem Gedenken in Srebrenica teil, was eine sehr große Geste war. Am 9. September wurde glasklar, dass Serbien mit den Staaten der Europäischen Union die Anerkennung des Kosovos, zumindest des Gutachtens, teilt. Das sind entscheidende Fortschritte, die wir fördern sollten, indem wir sagen: Über den Antrag muss in positiver Weise entschieden werden. - Wenn uns das gelingt, ist das auch ein Zeichen unseres Parlaments. ({4}) Natürlich sind Hinderungsgründe vorhanden. Es gibt Stolpersteine. Aber wir sind auch dazu da, Serbien zu helfen und zu begleiten. Die Stolpersteine liegen in der Bekämpfung der organisierten Kriminalität, in der Verwaltungsreform, sicherlich auch im Selbstverständnis des Parlaments Serbiens; in Klammern: Rücktrittserklärungen. Da gibt es noch viel zu tun. Wir müssen unsererseits aber auch darauf achten, dass die Mittel, die die EU für die Aufnahme bereitstellt, besser abfließen. Es gibt zurzeit ein Aufnahmeproblem. Dem könnten wir mit Twinning-Projekten sicherlich begegnen. Die Reise unseres Außenministers war Balsam und ein Heilmittel für die Perzeption im Balkan. Unsere deutsche Außenpolitik hat wieder aktiv Bewegung in die Balkanpolitik gebracht. Dafür müssen wir dem Außenminister dankbar sein. Ich habe bei meinen Besuchen im Frühjahr und in der letzten Woche in Albanien erlebt, welche Auswirkungen dieser Besuch gehabt hat. Wichtig ist in diesem Zusammenhang, dass die Visaerleichterungen ({5}) für Bosnien und Albanien noch in diesem Jahr in Kraft treten. Die Bedingungen sind eingehalten. Damit schaffen wir eine Perspektive für die Region und auch Anreize. ({6}) Der entscheidende Punkt ist, dass wir auch Anreize schaffen, die das begleiten. ({7}) Deutschland ist ein souveräner Staat und verfolgt eine interessengeleitete werteorientierte Außenpolitik. Ich glaube, dass wir hier Lösungen aufzeigen können. Meine sehr geehrten Damen und Herren, lassen Sie mich abschließend noch einen Punkt ansprechen. Wenn wir gemeinsam im Parlament für die Weiterleitung dieses Beitrittsantrags stimmen, ist damit noch lange nicht gesagt, dass Serbien bald Mitglied der Europäischen Union wird. Wir brauchen eine Gesamtperspektive. Diese muss aus einem Geben und Nehmen bestehen. Das bedeutet, mit kritischem Blick Serbiens Verhältnis zum Kosovo zu verfolgen. Das bedeutet aber auch, Segregations- oder gar Separationsbemühungen der Republika Srpska zu bekämpfen. Das bedeutet auch Zusammenarbeit mit dem Internationalen Gerichtshof. Natürlich hat Serbien bereits 42 der 44 angeklagten Kriegsverbrecher ausgeliefert, aber bezüglich der kritischen Fälle Mladić und Hadzić bestehen noch Schwierigkeiten. Wir wissen nicht, wie das Schicksal dieser beiden Herren ist, aber wir wissen, dass sie das Schicksal von Millionen beeinflusst haben. Deshalb wollen wir hier Klarheit. Darauf haben wir auch einen Anspruch. Das wird der Schlüssel für den Beitritt sein. Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, Serbien ist auf dem halben Weg zwischen Vergangenheit und Zukunft. Mit der Annahme des vorliegenden Antrags haben wir als Parlament es in der Hand, den weiteren Prozess aufmerksam und kritisch zu begleiten, mit Sticks and Carrots bzw. Zuckerbrot und Peitsche. Aber auch Serbien selbst hat es in der Hand. Ich glaube, wir haben deutlich gemacht, in welche Richtung der Weg gehen muss. Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. ({8})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das Wort hat nun der Kollege Thomas Nord für die Fraktion Die Linke. ({0})

Thomas Nord (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004122, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr Botschafter! Ich teile - das wird vielleicht den einen oder anderen überraschen - vieles von dem, was Herr Kiesewetter hier über die historische Situation gesagt hat. ({0}) - Gerade in Geschichtsfragen kann man, wie Sie wissen, sehr unterschiedlicher Meinung sein. In dieser sind wir offensichtlich gemeinsam einer Meinung. ({1}) Die Einleitung von Beitrittsverhandlungen zwischen Serbien und der EU bietet auch aus unserer Sicht eine historische Chance, einen sehr alten Konflikt, der viel Leid verursacht hat, dauerhaft zu beenden. Daher ist die Linke für die Weiterleitung des Beitrittsantrags Serbiens an die Europäische Kommission. Wir wollen, dass sich die Bundesregierung dafür im Rat und bei den übrigen Mitgliedsländern einsetzt. ({2}) Wie die SPD wollen wir, dass bei den Beitrittsverhandlungen mit Serbien ausschließlich die Kopenhagener Kriterien gelten und keine weiteren Bedingungen gestellt werden. Die Anträge der Koalitionsfraktionen und der Grünen aber lassen erkennen, dass dies für Serbien nicht so gelten soll. Auch der Antrag der SPD bleibt hier leider unklar. Es entspricht nicht unserer Auffassung, dass die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen mit Serbien mit der Anerkennung des Kosovos als unabhängiger Staat verknüpft werden darf. Wir halten trotz des Gutachtens des Internationalen Gerichtshofes die Unabhängigkeitserklärung des Kosovos für nicht mit dem Völkerrecht vereinbar, ({3}) weil sie letztlich dazu beiträgt, einseitige Grenzveränderungen zu legitimieren. ({4}) Mit dem zentralen Satz des Gutachtens, das Völkerrecht enthalte kein Verbot von Unabhängigkeitserklärungen und das Kosovo habe deshalb nicht gegen allgemeines internationales Recht verstoßen, wurde aus unserer Sicht die Büchse der Pandora geöffnet. Wer solche Aussagen begrüßt, darf sich über die Sprüche von Milorad Dodik und anderen Nationalisten nicht wundern. Der Außenminister wird noch oft und nicht nur auf dem Balkan erklären müssen, warum für diese nicht gilt, was für den Kosovo rechtens sein soll. ({5}) Wir unterstützen die Forderung - das schließt gut an -, dass Serbien uneingeschränkt mit dem Internationalen Strafgerichtshof zusammenarbeiten soll. Gleichwohl lehnen wir die Verknüpfung dieser Forderung mit der Entscheidung über die Weiterleitung des Beitrittsantrags ab. Die jetzige serbische Regierung unternimmt große Anstrengungen für eine Annäherung an die Europäische Union, darunter solche, die wir scharf kritisieren wie die Umsetzung der Bedingungen des IWF bei der Bewältigung der Krise. Damit dürfte die Bundesregierung aber eher weniger Probleme haben. Für uns gibt es aber auch positive Belege - dies wurde beispielsweise schon von Herrn Kiesewetter gesagt -, zum Beispiel den Beschluss des serbischen Parlaments zum Massaker in Srebrenica oder die aktiven Bemühungen, gemeinsam mit Kroatien Kriegsfolgen zu überwinden. Es müsste im Interesse der Bundesregierung sein, der serbischen Seite die Durchsetzung dieser politischen Linie zu erleichtern. ({6}) Mit der Verknüpfung der Beitrittsverhandlungen an die Forderung nach Anerkennung eines unabhängigen Staates Kosovo durch Serbien wird aber das Gegenteil erreicht. Die Bundesregierung steht mit dieser Politik in einer traurigen Kontinuität. Warren Christopher sagte mit Blick auf die Anerkennung von Slowenien und Kroatien1991: Beim gesamten Anerkennungsprozess … wurden schwere Fehler gemacht … die Deutschen tragen eine besondere Verantwortung. Diesen Fehlern folgten Bürgerkriege und der völkerrechtswidrige Krieg gegen Rest-Jugoslawien durch die NATO, den unsere Partei abgelehnt hat. ({7}) Die entstandenen politischen Verhältnisse zum Beispiel in Bosnien-Herzegowina sind nach wie vor instabil. Die jetzigen Wahlen haben nichts daran geändert. Die OSZE spricht nach 15 Jahren militärischer und ziviler Präsenz in Bosnien-Herzegowina von einer Stabilisierung des Wahlprozesses. Das ist nach 15 Jahren wirklich ein bemerkenswerter Fortschritt. Richtig wäre, die Kräfte zu stärken, die für Aussöhnung und Neuanfang sowie eine proeuropäische Politik stehen. Der Deutsche Bundestag sollte deutlich machen - dies tut er heute hier -, dass Serbien heute nicht mehr das Serbien von Slobodan Milosević ist. Es setzt sich für friedliche Konfliktlösungen ein und sucht den Dialog und die Verständigung. Diese Regierung braucht Unterstützung in ihrer Außenpolitik, keine Ansagen oder Diktate. Soll der Beitrittsprozess Erfolg haben, muss er von inneren Überzeugungen und der Bereitschaft, tradierte Sichtweisen und Emotionen zu überwinden, geleitet sein.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das ist ein sehr guter Schluss.

Thomas Nord (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004122, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Mir scheint, die serbische Regierung hat das schon begriffen. Hier bin ich mir nicht immer ganz sicher. Danke schön. ({0})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Nun hat die Kollegin Beck für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort.

Marieluise Beck-Oberdorf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002624, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Auch wir Grüne begrüßen, dass Serbien die Tür in die Europäische Union noch ein Stückchen weiter aufgemacht worden ist. Wir erkennen die Schritte Serbiens an: die Srebrenica-Resolution im serbischen Parlament, die wirklich mit einem Risiko behaftet war, den Besuch von Präsident Tadic in Srebrenica in diesem Sommer - auch ich bin dort gewesen - und das Einlenken bei der UNResolution zum Kosovo. Zu diesem Erfolg hat der deutsche Außenminister beigetragen. Ich hoffe, dass er dranbleiben wird; denn es ist vollkommen klar, dass die Steine nur zu einem kleinen Teil aus dem Weg geräumt worden sind. Es werden noch viele Steine auftauchen. Insofern sollte sich das Außenministerium eher auf eine Art Pendeldiplomatie einstellen statt auf einen einmaligen Besuch. ({0}) Die Differenz, die wir haben, ist, dass es in der Außenpolitik eine Unsitte gibt, nämlich unangenehme Wahrheiten unter den Teppich zu kehren, wenn politische Entscheidungen getroffen worden sind. Noch einmal: Wir halten es politisch für richtig, Serbien die Tür in die Europäische Union zu öffnen. Aber wir sollten nicht darüber hinweggehen, dass sich Serge Brammertz inzwischen wieder deutlich kritischer über eine weniger gute Zusammenarbeit mit der serbischen Regierung äußert, um die beiden letzten großen Kriegsverbrecher, nämlich Mladić und Hadzić, zu fassen. Man muss sagen, dass ein Staat, der in die Europäische Union will, doch nicht über Jahre hinweg behaupten kann - Serbien hat 7,5 Millionen Einwohner! -, dass er nicht in der Lage ist, diese beiden Kriegsverbrecher zu finden. Das stellt die Reife des Justizwesens und der Polizei dieses Landes infrage. Ich möchte Sie auch daran erinnern, dass der serbische Arbeitsminister Rasim Ljajić vom Vorsitz des Nationalkomitees für Zusammenarbeit mit Den Haag zurückgetreten ist, weil er selbst nicht mehr von der Ernsthaftigkeit des Bemühens der serbischen Regierung überzeugt war, die Kriegsverbrecher Mladić und Hadzić zu finden. All das sollten wir durchaus ansprechen, auch wenn wir die Tür aufmachen wollen. Das schadet gar nicht. Wie gesagt: Es ist nicht besonders hilfreich, das unter den Teppich zu kehren. Jetzt zum Kosovo. Man kann sich nicht darauf ausruhen, dass die Regierung in Belgrad Minister Westerwelle zugesagt hat: „Wir arbeiten an einer Lösung des Problems mit.“ Am 3. Oktober, also kurze Zeit nach dem Besuch von Westerwelle, ist der serbische Patriarch Irinej als Erzbischof von Pec eingeführt worden. Die gesamte serbische Regierung war bei diesem Festakt anwesend. Was hat sie dort formuliert? Sie hat dort ihre Forderungen für die Verhandlungen über die Zukunft des Kosovo formuliert. Dort wurde nicht nur die Abtretung des Gebiets von Nord-Mitrovica gefordert; wir kennen diese Forderung, sie überrascht uns nicht. Dort wurde auch die Abtretung des Gebiets der Stadt Pec gefordert. Pec ist mit etwa 170 000 Einwohnern die zweitgrößte Stadt des Kosovo. Sie müssen auch solche Tatsachen zur Kenntnis nehmen, um ein realistisches Bild davon zu bekommen, was wir auf den nächsten Etappen von Serbien zu erwarten haben. Der Weg wird noch sehr lang sein. Ganz kurz ein Wort zu den Einlassungen des verehrten Kollegen Stinner zu Bosnien. Ja, ich erwähne Bosnien, weil wir den Blick auf die gesamte Region des Westbalkans richten müssen. Noch einmal: Bei Serbien tendieren wir dazu, die Türen aufzumachen und Konditionen, die einmal aufgestellt worden waren, beiseitezuschieben, weil wir Serbien auf dem Weg in die EU unterstützen wollen. Bei Bosnien gibt es diese Sichtweise nicht, obwohl wir die Verantwortung für die Misere tragen, in der dieses Land aufgrund des Entitätenvotums steckt, das dem serbischen Präsidenten Dodik die Möglichkeit gibt, Bosnien in unverantwortlicher Weise zu blockieren. Das müssen wir, wenn wir noch einen Funken historisches Gedächtnis haben, bei unserer Politik berücksichtigen. Deswegen erwähne ich hier Bosnien immer wieder.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Frau Kollegin.

Marieluise Beck-Oberdorf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002624, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ein Satz noch. - Wenn jetzt Frankreich aus innenpolitischen Gründen die Visumliberalisierungen für Bosnien und Albanien blockiert, obwohl die EU-Kommission festgestellt hat, dass alle Forderungen erfüllt worden sind, ist das ein politischer Skandal, gegen den sich Deutschland mit aller Deutlichkeit wenden muss. Schönen Dank. ({0})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der Kollege Florian Hahn für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Florian Hahn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004048, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Serbien ist ein fester Bestandteil der europäischen Kultur- und Staatengemeinschaft. Die Entwicklungen in Serbien haben dadurch nicht nur unmittelbare Auswirkungen auf die Länder in Südosteuropa, sondern auch direkte Rückwirkungen auf die Länder der Europäischen Union, damit auch auf Deutschland. Daher ist es richtig und wichtig, dass sich Deutschland intensiv um seine Beziehungen zu Serbien kümmert. Es ist gleichermaßen bedeutsam, dass Deutschland seinen Einfluss nutzt, um vielfache positive EntwicklunFlorian Hahn gen in Serbien politisch wie wirtschaftlich zu unterstützen. Dies gilt insbesondere für den Freistaat Bayern, der aufgrund seiner geografischen Lage und seines politischen und wirtschaftlichen Gewichts ein besonderes Interesse an den Entwicklungen in Südosteuropa, insbesondere in Serbien, hat. So wurde anlässlich des 40-jährigen Bestehens der Ständigen Kommission Bayern-Serbien erst am vergangenen Montag zwischen dem Ministerpräsidenten Horst Seehofer und dem serbischen Präsidenten Boris Tadic eine noch intensivere Zusammenarbeit vereinbart. Mit unserer Aufforderung an die Bundesregierung, in der nächsten Sitzung des Rates für eine Weiterleitung des Beitrittsgesuchs Serbiens an die Europäische Kommission zu stimmen, bleiben wir unseren Aussagen von Thessaloniki treu, dass grundsätzlich jedes Land der Region des westlichen Balkans die Perspektive eines Beitritts zur Europäischen Union hat. Kroatien hat die Chance ergriffen und sich dem NATO- und dem EU-Beitrittsprozess unterzogen, im Hinblick auf die NATO bereits erfolgreich. Ich sage deshalb „unterzogen“, weil wir aus den Erweiterungserfahrungen, insbesondere aus den Fällen Rumänien und Bulgarien, gelernt haben. Wir haben den Erweiterungsprozess durch die Einführung von Benchmarks anspruchsvoller gestaltet - manche sagen auch: verschärft -, weil wir uns eben nicht mehr nur mit Erfolgen auf dem Papier bzw. mündlichen Zusagen zufriedengeben wollten, sondern nur mit konkret verwirklichten, nachprüfbaren Fortschritten. Unsere klare Aussage in diesem Zusammenhang war und ist: Die Beitrittskriterien müssen unsererseits klar definiert und von Beitrittsländern strikt erfüllt werden. Es gibt keine politischen Rabatte, aber auch keine politisch motivierten Sanktionen. So begrüße ich ausdrücklich die Resolution der UNO-Vollversammlung vom 10. September dieses Jahres, in der zu einem Dialog zwischen Serbien und dem Kosovo aufgerufen wird. Die von Serbien selbst eingebrachte Resolution befürwortet Verhandlungen - nicht über den staatsrechtlichen Status des Kosovo, der für Deutschland und für die allermeisten Staaten inzwischen feststeht - über praktische Fragen des Zusammenlebens. Wir alle können nachvollziehen, dass diese Resolution in Serbien selbst auch auf Widerspruch stößt. Hier gilt es, Überzeugungsarbeit zu leisten. Hier gilt es, den Menschen in Serbien deutlich zu machen, dass nur ein friedliches Miteinander das Land als einen gleichberechtigten Partner in Europa sichtbar und verankert sein lässt. ({0}) Die Resolution ist ein klares Signal, dass Serbien auf Kooperation setzt und auf dem Weg in die Integration in die EU ist. Ich möchte Minister Guido Westerwelle ausdrücklich danken. Seine Gespräche haben Serbien von den Vorteilen eines proeuropäischen Kurses überzeugen können. ({1}) Die gezeigte Bewegung der serbischen Regierung in der für sie extrem heiklen Kosovo-Frage sollte honoriert werden. Mit unserer Weiterleitungsempfehlung rückt Serbien dem Beitritt ein Stück näher. Daher meine ich, dass wir ehrlicherweise eine weitere, in der Debatte schon genannte, sehr wichtige politische Frage jetzt und immer wieder anschneiden sollten, nämlich die der uneingeschränkten Kooperation Serbiens mit dem Internationalen Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien. Ich habe mich am Anfang zu Kroatien geäußert, weil wir im Hinterkopf behalten sollten, dass wir bzw. die EU im Falle Kroatiens die Frage der Auslieferung von Angeklagten an den Internationalen Strafgerichtshof zu einem bestimmten Zeitpunkt des Beitrittsprozesses zur Nagelprobe gemacht haben. Wir müssen uns bewusst sein, dass in dem teilweise politisch noch vergifteten Klima in der Region genau beobachtet wird, ob wir gleiche Maßstäbe an die Länder anlegen. Deshalb halte ich es für richtig und wichtig, auch Serbien unsere Prioritäten von Anfang an klar anzusagen. Die uneingeschränkte Zusammenarbeit Serbiens mit dem Internationalen Strafgerichtshof mit dem Ziel der Auslieferung der wegen Kriegsverbrechen angeklagten Personen Mladic und Hadzic gehört für uns zu diesen Prioritäten. ({2}) In diesem Sinne bitte ich Sie um die Zustimmung und wünsche dem serbischen Volk auf seinem Weg in die europäische Staatengemeinschaft Glück und Gottes Segen. Herzlichen Dank. ({3})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und FDP auf Drucksache 17/3190 mit dem Titel „Beitrittsantrag der Republik Ser- bien zur Prüfung an Europäische Kommission weiterlei- ten“. Wer stimmt für diesen Antrag? - Wer stimmt dage- gen? - Wer enthält sich? - Damit ist der Antrag mit den Stimmen der Mehrheit der Koalition angenommen. Zusatzpunkt 9. Hier geht es um die Abstimmung über den Antrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 17/3175 mit dem Titel „Glaubhafte Unterstützung für Serbiens Beitrittsantrag zur Europäischen Union“. Wer möchte diesem Antrag zustimmen? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Dieser Antrag ist mit Mehrheit abge- lehnt. Wir kommen zum Zusatzpunkt 10. Hier geht es um den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/3204 mit dem Titel „Serbiens Beitrittsge- such an die Europäische Kommission weiterleiten - Ge- samte Region im Blick behalten“. Wer stimmt für diesen Antrag? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Auch dieser Antrag ist mit Mehrheit abgelehnt. Präsident Dr. Norbert Lammert Ich rufe nun die Tagesordnungspunkte 32 a und 32 b sowie den Zusatzpunkt 11 auf: 32 a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Kerstin Müller ({0}), Katja Keul, Ute Koczy, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 10 Jahre UN-Resolution 1325 - Frauen, Frieden, Sicherheit - Nationaler Aktionsplan für eine gezielte Umsetzung - Drucksache 17/2484 Überweisungsvorschlag: Auswärtiger Ausschuss ({1}) Verteidigungsausschuss Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union b) Beratung des Antrags der Fraktion der SPD 10 Jahre UN-Resolution 1325 „Frauen, Frieden und Sicherheit“ - Drucksache 17/3176 Überweisungsvorschlag: Auswärtiger Ausschuss ({2}) Verteidigungsausschuss Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union ZP 11 Beratung des Antrags der Abgeordneten Cornelia Möhring, Jan van Aken, Agnes Alpers, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Verpflichtung zur UN-Resolution 1325 „Frauen, Frieden und Sicherheit“ einhalten Auf Gewalt in internationalen Konflikten verzichten - Drucksache 17/3205 Überweisungsvorschlag: Auswärtiger Ausschuss ({3}) Verteidigungsausschuss Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann können wir so verfahren. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort erhält zunächst die Kollegin Kerstin Müller für die Fraktion Bündnis 90/ Die Grünen.

Kerstin Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002741, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ende Juli wurden in der kongolesischen Provinz NordKivu innerhalb von vier Tagen 242 Frauen und Kinder von FDLR und Mai-Mai-Milizen vergewaltigt. Im Laufe des August kam es sogar zu weiteren 260 Vergewaltigungen. Dennoch schritten die UNO-Blauhelmsoldaten, die sich in der Nähe aufhielten, nicht ein - mal wieder nicht. Margot Wallström, die UNO-Sonderbeauftragte zum Thema „Sexuelle Gewalt in Konflikten“ - dieses Amt gibt es inzwischen immerhin -, erklärte zwar, dass die UN die kollektive Verantwortung dafür hätten, dass die Massenvergewaltigungen nicht rechtzeitig gestoppt wurden, und die UNO hat dieses Mal Versäumnisse ihrer Soldaten eingeräumt; dennoch zeigt dieses Beispiel, dass auf internationaler Ebene immer noch viel zu wenig passiert, obwohl es die UN-Resolution 1325 gibt und die Folgeresolution, die Resolution 1820, klipp und klar zum Schutz der Frauen und Mädchen vor sexueller Gewalt auffordert. Es gibt keinen Aufschrei der internationalen Gemeinschaft oder der Öffentlichkeit. Wenn wir so etwas lesen, steht das in der Regel auf Seite drei oder vier. Ich meine, wir dürfen nicht länger wegschauen, wenn solche schrecklichen Verbrechen passieren. Dieser Zustand der Straflosigkeit im Kongo, in Darfur und anderswo ist unerträglich und muss beendet werden. Wir müssen alle Anstrengungen unternehmen, um ihn zu beenden. ({0}) Wir müssen dafür sorgen, dass die Verantwortlichen, zum Beispiel im Fall Kongo, von der kongolesischen oder der internationalen Justiz zur Rechenschaft gezogen werden. Genau das will man mit der Resolution 1325 erreichen. Deshalb ist es so entscheidend, dass diese Resolution und die Folgeresolutionen endlich zentraler Bestandteil der internationalen Politik werden. Davon kann auch zehn Jahre nach ihrer Verabschiedung leider keine Rede sein. Sicherlich, es hat einige Verbesserungen gegeben. Auf internationaler Ebene hat die Geschlechterperspektive in den letzten Jahren an Bedeutung gewonnen. Beispiele dafür sind die Einsetzung der UN-Sonderbeauftragten - das erwähnte ich eben - und die Einrichtung von UNWomen, die neue Einheit für Geschlechtergerechtigkeit. Auch in der Europäischen Union hat es Weichenstellungen für eine stärker geschlechtersensible Friedens- und Sicherheitspolitik gegeben. Das darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass wir mit der Umsetzung der Resolution 1325 auf globaler und nationaler Ebene noch ganz am Anfang stehen. Noch einmal: Solche UN-Resolutionen leben davon, dass wir, die einzelnen Mitgliedstaaten, sie umsetzen. Dafür tragen wir die Verantwortung. Wir müssen diese Resolutionen mit Leben füllen und dafür sorgen, dass sie nicht beschriebenes Papier bleiben. Diese Resolution ist aus meiner Sicht ein Meilenstein auf dem Weg zu einer geschlechtersensiblen Friedensund Sicherheitspolitik; denn zum ersten Mal in der Geschichte der UNO gibt es eine völkerrechtlich verbindliche Vorgabe zur Beteiligung von Frauen an Friedensprozessen. Kofi Annan hat die Mitgliedstaaten bereits 2005 aufgefordert, nationale Aktionspläne zu ihrer Umsetzung vorzulegen. Schweden ist 2006 vorangeschritten. Sogar afrikanische Länder wie Liberia und die Elfenbeinküste Kerstin Müller ({1}) haben eigene nationale Aktionspläne. Insgesamt gilt das aber nur für 19 Staaten. Das ist eine blamable Zahl, wenn man bedenkt, dass die UNO 192 Mitgliedstaaten hat. Ich finde es sehr bedauerlich, dass auch die Bundesregierung bisher keinen nationalen Aktionsplan vorgelegt hat. ({2}) Sie alle wissen, dass ich schon seit einigen Jahren dafür streite, dass wir einen solchen nationalen Aktionsplan bekommen. Ich glaube, dass nicht nur die skandinavischen Länder, sondern dass auch Länder wie Deutschland in einer solchen Frage vorangehen müssen. Die Bundeskanzlerin streitet für einen deutschen Sitz im Sicherheitsrat, und auf jeder internationalen Veranstaltung wird die Fahne des Multilateralismus hochgehalten. Daher kann es nicht sein, dass wir uns bei so einer zentralen Resolution immer noch weigern, einen nationalen Aktionsplan vorzulegen.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Frau Kollegin.

Kerstin Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002741, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Wir brauchen einen solchen nationalen Aktionsplan, damit diese Resolution mit Leben gefüllt wird. ({0}) Noch ein letzter Satz. Ein solcher nationaler Aktionsplan bedeutet auch nicht mehr Bürokratie. Wir brauchen messbar formulierte Ziele, Fortschrittsberichte, Zeitvorgaben. Die UNO und die EU haben diesbezüglich Indikatoren beschlossen. Ich freue mich, dass die SPD inzwischen für einen nationalen Aktionsplan ist. Ich würde mir sehr wünschen - die Resolution wird jetzt zehn Jahre alt; es wird viele Veranstaltungen dazu geben -, dass auch die Koalitionsfraktionen sich dazu durchringen und wir in Deutschland einen nationalen Aktionsplan bekommen und so unseren Teil dazu beitragen, diese Resolution mit Leben zu füllen. Vielen Dank. ({1})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Nächster Redner ist der Kollege Mißfelder für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Philipp Mißfelder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003810, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Kollegin Müller hat zu Recht auf die grundsätzliche Bedeutung der UNO-Resolution hingewiesen. Auch wir unterstützen sie sehr deutlich. Auch wir meinen, dass sie in der täglichen Außenpolitik mit Leben gefüllt werden muss. Ich glaube, dass wir Parlamentarier bei unseren Gesprächen hier in Deutschland, wenn ausländische Gäste zu uns kommen, aber auch im Ausland darauf achten müssen, dass eine zentrale Forderung unserer wertegebundenen deutschen Außenpolitik die Verwirklichung der Frauenrechte sein muss; dafür müssen wir eintreten. Sie haben die Krisenregionen, um die es geht, angesprochen. Ich glaube, dass gerade in den vergangenen Tagen deutlich geworden ist, wie dringend diese Frage ist. Ich erinnere an die Berichterstattung der International Herald Tribune von vor ein paar Tagen über Massenvergewaltigungen in Dörfern im Ost-Kongo, wo auch vor einer 80-jährigen Frau, Anna Mburano, nicht haltgemacht worden ist; sie ist nicht verschont worden. Dabei handelt es sich nicht um einen Einzelfall. Dies ist einer der spektakulären Fälle, die die internationale Presse schlaglichtartig immer mal wieder beschäftigen, aber nicht dazu führen, dass es eine kontinuierliche Berichterstattung, gar ein kontinuierliches Interesse gibt. Vor diesem Hintergrund ist die Resolution wichtig. Es ist auch wichtig, dass wir gerade dort, wo es darauf ankommt, für dieses wichtige Thema, für die Verwirklichung der Rechte der Frauen, einstehen. Mein Kollege Hartwig Fischer, der, ich glaube, insgesamt neunmal im Kongo war, ist einer der Garanten dafür, dass die Union dies auch in Afrika tut und nicht unter den Tisch fallen lässt. Lieber Hartwig Fischer, herzlichen Dank für das große Engagement und deine Arbeit im Kongo. Diese wollen wir in der AG „Außen“ der Union, aber auch im ganzen Bundestag weiter fortsetzen. ({0}) Es gibt auch positive Beispiele, dass wir die Rechte von Frauen durchsetzen können. Diese sollten wir am heutigen Tage nicht unter den Tisch fallen lassen. Ich möchte - auch vor dem Hintergrund der Ereignisse am gestrigen Tag - an dieser Stelle unseren Einsatz in Afghanistan hervorheben. Deutsche Soldatinnen und Soldaten treten mit ihrem Leben dafür ein, dass die Rechte der Frauen in Afghanistan verwirklicht und durchgesetzt werden. Deshalb haben sie nach den schweren Ereignissen von gestern unseren vollen Respekt und unsere volle Anerkennung verdient. ({1}) Nahezu jede internationale Organisation hat auf die Missstände in der Zeit der Taliban-Herrschaft in Afghanistan hingewiesen. Als die Taliban 1996 in Kabul einmarschiert sind, haben sie verboten, dass Mädchen zur Schule gehen, dass junge Frauen an die Universität gehen. Damals, im Jahre 1996 und in den folgenden Jahren, gab es 4 000 Studenten in ganz Afghanistan. Zu dieser Zeit hatte keine einzige Frau Zugang zu universitärer Bildung. Daher ist es beachtlich, dass von den heute insgesamt 50 000 jungen Menschen in Afghanistan, die die Möglichkeit haben, unter dem Schutz der internationalen Gemeinschaft zu studieren, immerhin 7 000 Frauen sind; wünschenswert wären natürlich mehr. Ein Garant dafür ist die Bundeswehr mit ihrem Einsatz in Afghanistan. ({2}) Eine Geschichte aus Afghanistan ging in den vergangenen Wochen um die Welt. Robina Jalali, die bei den Olympischen Spielen in Peking als Sprinterin eine enorme Leistung vollbracht hat, ist jetzt auch zur Wahl für das Parlament in Afghanistan angetreten. So eine Situation wäre zu Zeiten der Taliban-Herrschaft nicht möglich gewesen. Es ist leider immer noch nicht klar, ob sie dem Parlament letztendlich angehören wird oder nicht. Leider ist die Situation so, dass man ihr nicht nur im Wahlkampf viel Glück und Erfolg wünschen musste, sondern auch jetzt bei der Auszählung; so bedauerlich das auch ist. Die Perspektive, dass Frauen in Afghanistan überhaupt in politische Verantwortung kommen können, sollten wir unterstützen, und wir sollten im Hinblick auf die weiteren Debatten hier in diesem Haus das Thema Afghanistan nicht unter den Tisch fallen lassen. ({3})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Herr Kollege Mißfelder, wollen Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Müller beantworten?

Philipp Mißfelder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003810, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja, natürlich gerne.

Kerstin Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002741, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Kollege Mißfelder, da Sie über Afghanistan sprechen, würde ich gerne eine Nachfrage stellen. Im Juni dieses Jahres fand dort die Jirga statt. Über 20 Prozent der mehr als 1 600 Teilnehmer waren Frauen; fast 400 Delegierte waren also Frauen. Allerdings kamen sie mit ihren Anliegen nicht zu Wort. Im Anschluss gab es einen Aufruf von zehn afghanischen Frauenorganisationen. Sie haben darauf hingewiesen, dass sie sich große Sorgen um die Friedensverhandlungen, die jetzt mit den Taliban geführt werden, machen und dass sie nicht bereit sind, hinzunehmen, dass die Rechte, die sie in den letzten zehn Jahren mühsam erkämpft haben, jetzt zugunsten eines möglichen sogenannten Friedensvertrages mit den Taliban oder gar mit Hekmatjar aufgegeben werden. Ich frage Sie: Sind auch Sie der Meinung, dass die internationale Gemeinschaft und auch die Bundesregierung gegenüber der Karzai-Regierung deutlich machen müssen, dass die Frauen- und Menschenrechte bei diesen Verhandlungen nicht zu kurz kommen dürfen, dass sie nicht verhandelbar sind?

Philipp Mißfelder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003810, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Kollegin Müller, herzlichen Dank für Ihre Frage. - Ich glaube, ich kann Einigkeit feststellen, dass eine der roten Linien in den Verhandlungen mit den sogenannten moderaten Taliban - was auch immer das bedeuten soll ganz klar ist, dass die Frauenrechte geschützt werden müssen, zumindest diejenigen, die schon erkämpft worden sind. Wie Sie wissen, gestalten sich die Verhandlungen gerade in diesem Punkt sehr schwierig. Meines Wissens ist die Bundesregierung daran nicht direkt beteiligt. Deshalb können wir nur die Initiative ergreifen, indem wir in Gesprächen insbesondere mit unseren amerikanischen Partnern darauf hinweisen, dass Frieden in Afghanistan zwar unser Ziel ist, aber natürlich kein Frieden, der leichtfertig auf dem Rücken der Frauen erreicht wird. Insofern stimme ich der Intention Ihrer Frage zu und unterstütze das Anliegen, das dahintersteckt, grundsätzlich sehr gerne. Das habe ich in der Vergangenheit getan, und das werde ich auch zukünftig tun. Herzlichen Dank, dass auch Sie in diesem Bereich so aktiv sind! ({0}) Stellt man das Thema Frauenrechte in den großen Zusammenhang unserer Außenpolitik, so bin ich der Meinung: Dies ist ein zentraler Punkt einer wertegebundenen und gleichzeitig interessengeleiteten Außenpolitik. Sie muss auch zielorientiert sein. Bei all dem, worüber wir diskutieren, müssen wir das konkrete Ziel vor Augen haben, die Situation der Frauen zu verbessern. Dass es dabei hilfreich ist, in eine große Diskussion über Gender Mainstreaming einzutreten und parallel zu den bisher bestehenden Strukturen eine neue Bürokratie zu schaffen, möchte ich stark bezweifeln. Lassen Sie uns lieber zielorientiert und effektiv daran arbeiten, dass die Rechte der Frauen verwirklicht werden, als irgendwelche Bürokratiemonster aufzubauen. Sie wissen, was die CDU/CSU- und die FDP-Fraktion generell von Gender Mainstreaming halten. Wir haben damit sehr große Schwierigkeiten. Gender Mainstreaming als zentralen Punkt herauszustellen - Sie haben es in Ihrer Rede nicht getan; aber in manchen Papieren schwingt das zum Teil mit -, bringt uns, wie ich glaube, nicht weiter. Unser gemeinsames Ziel, die Rechte der Frauen durchzusetzen, verfolgen wir effizienter und zielorientierter, wenn es weniger Bürokratie gibt, wir dieses Thema dafür aber zu einer zentralen Aufgabe unserer Politik machen. Herzlichen Dank. ({1})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Angelika Graf ist die nächste Rednerin für die SPDFraktion. ({0})

Angelika Graf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002662, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Thema „Frauen in Afghanistan“ muss man, wie ich denke, sehr differenziert betrachten: auf der einen Seite die Bildungssituation, auf der anderen Seite die Rechtssituation. Nicht alles ist ein Erfolg. Deswegen sollte man sich, wie gesagt, differenziert und ausführlich mit diesem Thema beschäftigen, nicht nur anlässlich einer Debatte. Am letzten Wochenende war ich im Auftrag der Parlamentarischen Versammlung des Europarates in Bosnien-Herzegowina, genauer gesagt: in Sarajevo. Angelika Graf ({0}) Bei meinem letzten Besuch in Sarajevo im Jahr 1996 habe ich mit vom Krieg sehr schwer traumatisierten Frauen gesprochen. Sie waren Opfer von Gewalt, auch von schwerer sexualisierter Gewalt. Nach meiner Wahrnehmung liegt das Trauma dieses Krieges immer noch über dem ganzen Land und insbesondere über dieser Stadt. Ich sage Ihnen auch: 8 der 14 Wahllokale, die ich dort besucht habe, waren von Frauen geleitet. Insbesondere die jungen unter diesen Frauen waren unglaublich tough und ganz fest entschlossen, eine Zukunft in einer Demokratie zu haben. Das ist ein gutes Beispiel für die verschiedenen Aspekte dieser UN-Resolution 1325, deren Verabschiedung sich am 31. Oktober zum zehnten Mal jährt. Die SPD-Fraktion hat das zum Anlass genommen, dies einerseits in der heutigen Debatte zu würdigen und andererseits unsere Forderungen bezüglich der Weiterentwicklung und der Umsetzung dieser wichtigen Resolution zur Diskussion zu stellen. Ich gebe unumwunden zu, dass ich es bedauerlich finde, dass zumindest bisher kein Antrag von der Koalition vorliegt, an dem man auch sehen könnte, in welche Richtung Sie sich entwickeln wollen. Ich gebe auch zu, dass ich es peinlich finde, dass eine Resolution, die direkt etwas mit den Menschenrechten zu tun hat, dem Auswärtigen Ausschuss zur federführenden Bearbeitung überwiesen wird. Ich weiß nicht, woran das liegt. Vielleicht können Sie mir das erklären. Vielleicht liegt es ja auch an der AG „Menschenrechte“ in der Union und deren Qualität. ({1}) Grundsätzlich halte ich die Resolution für einen wichtigen Meilenstein für eine geschlechterbewusste und geschlechtersensible Friedens- und Sicherheitspolitik. Das ist auf zwei Ebenen der Fall. Einerseits stärkt sie die Bedeutung von Frauen als Akteure für Frieden, Sicherheit und Entwicklung. Andererseits vergisst sie auch nicht, dass Frauen als Opfer von sexueller Gewalt in Kriegsund Krisensituationen besonderer Berücksichtigung, besonderer Behandlung und besonderen Schutzes bedürfen. In den letzten zwei Jahren sind zur Resolution 1325 noch drei notwendige ergänzende Resolutionen hinzugekommen. Die Resolution 1820 aus dem Jahr 2008 betont noch einmal die Bedeutung der sexuellen Gewalt und stellt fest, dass sie eine Bedrohung für den Frieden und für die Sicherheit der Nationen sowie der internationalen Gemeinschaft darstellt. Die Resolution 1888 aus dem Jahre 2009 sieht in der Konsequenz konkrete Maßnahmen zur Bekämpfung von sexueller Gewalt vor. Die Resolution 1889, die ebenfalls aus dem Jahr 2009 stammt, wiederholt den Anspruch auf eine stärkere Beteiligung von Frauen an politischen Prozessen. Ich hoffe, dass damit die Rolle und Bedeutung der Frauen für Frieden und Sicherheit in Konflikten noch weiter ins Bewusstsein der internationalen Akteure gerückt sind. Gleichzeitig ist aber auch auf den zähen Prozess der Umsetzung dieser Resolutionen hinzuweisen. Als Reaktion darauf hat zum Beispiel die UN im Juli 2010 und im Rahmen der UN-Reform die Einheit für Geschlechtergerechtigkeit, UNWomen, beschlossen. UNWomen soll sich auch um die Umsetzung der Resolution 1325 und der mit ihr verbundenen Resolutionen bemühen. Ein wichtiger Partner sollte dabei auch die NATO sein. All ihre Operationen müssen im Einklang mit diesen UN-Resolutionen stehen. Darauf wies die zuständige UN-Sonderberichterstatterin zur sexuellen Gewalt in Konflikten, Margot Wallström, auf einer von ihr eingeladenen Konferenz alle hochkarätigen NATO-Repräsentanten hin. In diesem Zusammenhang steht auch die aktuelle Initiative unserer ehemaligen SPD-Gesundheitsministerin, Ulla Schmidt, und des britischen Berichterstatters Lord Jopling. Dabei geht es darum, die Inklusion des GenderMainstreaming-Ansatzes weiterzubringen, der übrigens kein Bürokratiemonster, sondern ein ganz normales Konzept ist, sowie die Resolution 1325 in das neue strategische Konzept der NATO und ihrer Partner einzubinden. ({2}) Wenn das realisiert werden könnte, wäre das ein riesiger Schritt. Die Realität zeigt nämlich - Kerstin Müller hat das schon angesprochen -, dass der Fortschritt wie so oft eine Schnecke ist. Die Bilanz für beide Ebenen der Resolution ist sehr gemischt. Auf der formalen Ebene, innerhalb der UN, sieht es nicht gut aus. Die Integration der Frauen in die friedensschaffenden bzw. konfliktbeendenden Prozesse ist trotz der 50-Prozent-Frauenquote der Vereinten Nationen immer noch beklagenswert mangelhaft. Laut GTZ nahmen neben 78 407 Männern nur 1 794 Frauen an solchen Friedensmissionen teil. Noch vereinzelter haben Frauen die Leitung solcher Friedensmissionen inne. Das wird weder dem Ziel, das mit der Resolution verfolgt wird, noch dem schon erwähnten GenderMainstreaming-Ansatz gerecht, und schon gar nicht der Bedeutung, die den an den Konflikten beteiligten Frauen zukommt. Auf der Ebene der Konflikte ist die Realität noch erschreckender. Die GTZ dokumentierte neulich, dass in 51 Ländern sexualisierte Gewalt gegen Frauen in Konflikten ausgeübt wird. Dabei sind 90 Prozent aller Vergewaltigungen Massen- und Mehrfachvergewaltigungen, und 70 Prozent dieser Frauen sind nach einer Vergewaltigung mit HIV infiziert. Aber es wird über das Schicksal dieser Frauen berichtet und nicht wie in früheren Jahren darüber geschwiegen. Spätestens seit es die internationalen Strafgerichtshöfe gibt, ist die internationale Gemeinschaft dafür sensibilisiert, dass sexualisierte Gewalt häufig als Kriegsstrategie verwendet wird. Kerstin Müller hat die Situation im Kongo und die Straflosigkeit in all diesen Konflikten angesprochen. Das ist eines der Hauptprobleme. Wenn die Täter nicht zur Verantwortung gezogen werden, dann werden sie mit dieser Strategie weitermachen. Massenvergewaltigung ist eine Strategie, die im7074 Angelika Graf ({3}) mer häufiger und brutaler angewandt wird. Werden die Vergewaltigungen massenhaft und strategisch eingesetzt, dann werden die soziale Textur, die Infrastrukturen und die reproduktiven Ressourcen einer Gesellschaft zumeist für mehrere Generationen zerstört. Ein gutes Beispiel dafür, wie lange man diese Prozesse mit sich herumträgt und wie schwer sie die Betroffenen belasten, sind die sogenannten Trostfrauen. Die japanische Armee hat koreanische Frauen zu Tausenden versklavt und massenhaft vergewaltigt. Bis heute gibt es keine Anerkennung ihres erlittenen Unrechts durch eine Entschuldigung oder eine wirkliche Wiedergutmachung. Sie müssen noch immer darauf warten. Irgendwann erledigen sich solche Dinge biologisch; aber das ist nicht das, worauf wir warten sollten. Ich denke, man muss hier wirklich etwas tun. ({4}) Vergessen dürfen wir auch nicht, dass Frauen nicht nur in akuten Konfliktsituationen Opfer werden. Häufig geht ihr Elend auf der Flucht, in Flüchtlingslagern und in der Langzeitfolge in einer von Gewalt zerfressenen Gesellschaft weiter. Deswegen wollen wir umfassende Ansätze und ein an Langfristigkeit orientiertes Maßnahmenpaket, und deswegen wollen wir einen nationalen Aktionsplan. ({5}) Ich bedauere, dass es so lange gedauert hat, bis wir zu diesem Beschluss gekommen sind. Ich denke aber, dass das dringend notwendig war, um zu sehen, wie die einzelnen Länder diese wichtige Resolution umsetzen. Vergleichbarkeit ist hier ein wichtiges Stichwort. All die Punkte, die uns hier beschäftigen, müssen zusammengeführt werden; denn ich denke, es muss ein gemeinsames Vorgehen gegen die weltweite Seuche der sexualisierten Gewalt gegen Frauen geben. Ich danke Ihnen, dass Sie mir so lange zugehört haben, und dem Herrn Präsidenten danke ich, dass er mich so lange hat reden lassen. ({6})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Wie schön, dass das endlich auch einmal ins Protokoll kommt. ({0}) Nun hat die Kollegin Marina Schuster für die FDPFraktion das Wort. ({1})

Marina Schuster (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003845, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Fast auf den Tag genau ist es jetzt zehn Jahre her, dass der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen die UN-Resolution 1325 beschlossen hat. Wenn man den Debatten hier gefolgt ist, kann man eines sagen: Wir sind uns einig. Es war sehr wichtig, dass es zu dieser Resolution gekommen ist und dass die Rolle, die die Frauen im Kontext von Frieden und Sicherheit haben, erstmals anerkannt worden ist. Die Forderungen in der Resolution sind sehr umfangreich. Es hat in der Folge auch Kritikpunkte gegeben; denn die Frage ist, wie diese Forderungen ganz konkret umgesetzt werden. Es gab daraufhin weitere Resolutionen; sie wurden von meinen Vorrednerinnen schon angesprochen. Die Frage ist: Was ist in diesen zehn Jahren geschehen? Wenn wir uns die Situation in den jeweiligen Konfliktländern anschauen, dann müssen wir feststellen, dass eine flächendeckende Wirkung leider ausgeblieben ist. Wenn wir insbesondere auf die Länder Subsaharaafrikas schauen: Im Tschad, im Sudan und auch in der Demokratischen Republik Kongo ist Gewalt gegen Frauen nach wie vor auf der Tagesordnung. Die jüngsten Meldungen - Kerstin Müller hat es erwähnt - können uns nur mit Entsetzen und Abscheu erfüllen. Das Beispiel Kongo zeigt, dass die körperliche und seelische Gewalt gegen Frauen seit Jahren zum teuflischen Instrumentenkasten gehört. Tag für Tag werden die Menschenrechte dort mit Füßen getreten. Frauen haben ganz besonders darunter zu leiden. Es gibt aber auch positive Beispiele, die mir Hoffnung machen. Von einem Beispiel möchte ich berichten. Ich hatte die Möglichkeit, die Bundeskanzlerin im Jahre 2007 nach Liberia zu begleiten. In diesem Land hat es 14 Jahre lang Bürgerkrieg gegeben; nahezu 70 Prozent aller Liberianerinnen wurden Opfer von Vergewaltigungen. Die Präsidentin Ellen Johnson-Sirleaf setzt deswegen beim Wiederaufbau, bei dem Weg nach vorne auf Frauen. Sie hat eine Justizministerin und auch eine Polizeichefin ernannt; denn es ist ganz wichtig, dass Frauen eine Vorbildfunktion haben und vorangehen. Deutschland ist aktiv in der dortigen Polizeiausbildung. Immer mehr Frauen haben sich für eine Karriere bei der Polizei entschieden. Ich habe mit den Polizistinnen sprechen können. Sie haben gesagt: Wir wollen nicht mehr Opfer werden. Wir wollen dafür sorgen, dass wir uns wehren und andere schützen können. - Das zeigt, dass es gute Beispiele gibt. Aber es braucht auch den Willen und die Unterstützung der jeweiligen Länder vor Ort. Auch bei den Vereinten Nationen hat sich einiges getan; das ist von den Vorrednerinnen und Vorrednern schon angesprochen worden. Bei den Vereinten Nationen wird es eine Abteilung geben, die erst einmal alle Maßnahmen bündelt und deren Ziel es ist, für eine Umsetzung der Resolution 1325 zu sorgen. Da gibt es noch viel zu tun. Im Bereich der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik sind Richtlinien erlassen worden, die Gleichstellungsaspekte im Krisenmanagement berücksichtigen. Interessant finde ich die Wende, die die SPD innerhalb von zwei Jahren gemacht hat. ({0}) Ich kann mich noch gut erinnern: Der letzte Bericht der Bundesregierung zu dieser Resolution ist aus dem Jahre 2007. Wir haben diesen Bericht damals im Auswärtigen Ausschuss - Kerstin Müller kann sich erinnern; er war auch damals, unter einem SPD-Kanzler, schon federführend im Auswärtigen Ausschuss - diskutiert. Da war von der SPD noch nichts davon zu hören, dass man eine nationale Umsetzungsstrategie, einen Aktionsplan fordert. ({1}) Ich kann mich deswegen sehr gut an die Diskussion erinnern, weil man, wenn man diesen Bericht gelesen hat, nur feststellen konnte: Es fehlte damals wirklich der rote Faden. Ich frage mich nämlich, wie eine Veranstaltung der finnischen Gleichstellungsministerin mit einem Kulturmanagementkurs in der Türkei zusammenpasst und was das mit der UN-Resolution zu tun hat. ({2}) Ich freue mich auf den neuen, bald erscheinenden Bericht. Ich freue mich auf die Prioritäten und vor allem auf den Ausblick, was die zukünftigen Maßnahmen angeht. Fakt ist: Wir müssen international mehr für die Umsetzung tun. Wir müssen es international gemeinsam bündeln, vor allem auch innerhalb der Europäischen Union. Wir brauchen neben der Schulung des Personals eine bessere Einbindung von Frauen. Eines ist mir besonders wichtig: Wir brauchen die Bereitschaft, den Willen und die Unterstützung der jeweiligen Konfliktländer, dies auch durchzusetzen. Darauf müssen wir bei den Gesprächen vor Ort immer wieder hinwirken, so schwierig das auch ist. Ich warne davor, zu meinen, dass man mit einer deutschen Monitoringstelle, wie es die Grünen fordern, groß vorwärtskommen würde. Es braucht internationale Anstrengungen. Das ist langwierig und auch zäh. Aber diesen Weg müssen wir weitergehen. ({3})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das Wort erhält nun die Kollegin Kathrin Vogler, Fraktion Die Linke. ({0})

Kathrin Vogler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004181, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Meine lieben Kollegen und Kolleginnen! Ich bin ganz besonders erfreut, dass sich zu diesem Thema überwiegend männliche Kollegen im Plenum befinden. ({0}) Ich denke, daran wird ein leichter Bewusstseinswandel erkennbar. Keinem vernünftigen Menschen wird es einfallen, Tintenflecken mit Tinte, Ölflecken mit Öl wegwaschen zu wollen. Nur Blut soll immer wieder mit Blut abgewaschen werden. So Bertha von Suttner, die 1905 als erste Frau den Friedensnobelpreis bekam. Heute hat sie viele Schwestern in allen Kontinenten. Millionen von Frauen setzen sich weltweit für die Überwindung von Gewalt, für Menschenrechte und soziale Gerechtigkeit ein. Sie tun das beharrlich, gewaltfrei und oft unter großen Gefahren, so wie die argentinische Mutter, die immer noch nach ihren verschwundenen Kindern sucht, die kurdische Journalistin, die Rundfunksendungen in ihrer Muttersprache produziert, oder die israelische Ärztin, die in die Westbank fährt, um dort kranke Palästinenser und Palästinenserinnen zu behandeln. Ihnen ist zu verdanken, dass wir heute die Resolution „Frauen, Frieden und Sicherheit“ beraten können, die der UN-Sicherheitsrat vor zehn Jahren verabschiedet hat. ({1}) Frauen und Mädchen werden nicht erst in Kriegen zu Opfern. Häusliche Gewalt und sexuelle Misshandlung sind weltweit für viel zu viele bitterer Alltag. Wie wir gerade in sehr drastischen Beispielen gehört haben, wird sexuelle Gewalt im Krieg oder Bürgerkrieg aber auch als Waffe eingesetzt. Die Kollegin Müller hat das sehr eindringlich mit deutlichen Beispielen geschildert. Vergewaltigung und Zwangsprostitution sollen die Gegnerinnen und Gegner demütigen und die Kampfmoral der Truppe heben. Auch dann, wenn die Waffen endlich schweigen, ist für viele Frauen noch lange nicht Frieden. Wir wissen, dass in Nachkriegsgesellschaften Gewalt gegen Frauen geradezu allgegenwärtig ist. Es ist das Verdienst von mutigen Frauen wie Monika Hauser von Medica Mondiale, die ich an dieser Stelle ausdrücklich erwähnen möchte, dass diese Verbrechen nicht länger unter den Teppich gekehrt werden. ({2}) Die Überlebenden haben ein Recht auf unsere Solidarität. Ihr Leid darf nicht missbraucht werden, um erneute Gewalt zu rechtfertigen. Blut kann nämlich nicht mit Blut abgewaschen werden. Die UN-Resolution 1325 verpflichtet uns, Frauen und Mädchen besonders vor Gewalt und Krieg zu schützen. Mir macht es Sorgen, dass diese Pflicht immer öfter als Vorwand für neue Gewaltanwendung und Militäreinsätze missbraucht wird. Der wirksamste Schutz vor Gewalt ist und bleibt die Vorbeugung und damit die Verhinderung von Krieg. Dafür tut diese Bundesregierung viel zu wenig. ({3}) In Ihrem Haushaltsplanentwurf kürzen Sie die Mittel für die zivile Krisenprävention um bis zu 30 Prozent, während die Ausgaben für die Bundeswehr um weitere 400 Millionen Euro steigen sollen. Das ist doch Wahnsinn. Das kann man nicht mehr rechtfertigen. ({4}) Frau Schuster, Sie haben gerade den Bericht der Bundesregierung zur Umsetzung der Resolution 1325 von 2007 kritisiert. Aber im aktuellen Bericht der Regierung zur zivilen Krisenprävention findet sich zum Thema Geschlechtergerechtigkeit nur Politlyrik. Das ist die Sache nicht wert. ({5}) Frauenorganisationen fordern zum zehnten Jahrestag der Resolution, dass wir endlich ernst machen und konkret werden sollen: mit einem Aktionsplan, klaren Zeitvorgaben und den entsprechenden personellen und finanziellen Mitteln. Das mit dem Argument der Bürokratisierung abzubügeln, finde ich unredlich, Herr Mißfelder. ({6}) Deshalb haben wir als Linke diese Forderung in unserem Antrag aufgegriffen. Wir wollen, dass die Bundesrepublik Deutschland in internationalen Konflikten grundsätzlich auf militärische Gewalt verzichtet und konsequent auf zivile Konfliktbearbeitung setzt. ({7}) Aus meinen eigenen Erfahrungen mit dem Zivilen Friedensdienst in Palästina und Israel weiß ich, dass Projekte, die die Sicht der Frauen ausblenden, wenig Erfolgsaussichten haben. Deshalb ist es wichtig, dass wir die Frauen- und Friedensorganisationen hier und in den Konfliktregionen aktiv beteiligen und ihre Kreativität, ihre soziale Fantasie und ihre Erfahrungen noch stärker als bisher einbeziehen.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Frau Kollegin!

Kathrin Vogler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004181, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Ich komme zum Schluss. - Die irrwitzige Vorstellung, dass man nur genügend Frauen zum Militär holen müsste, um den Krieg zu humanisieren, lehnen wir als Linke allerdings ab. Krieg lässt sich nicht humanisieren. Wir sollten ihn alle gemeinsam abschaffen. Ich danke Ihnen. ({0})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Peter Beyer ist der letzte Redner zu diesem Tagesordnungspunkt für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Peter Beyer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004010, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Hoffnung, dass das Ende des Kalten Krieges zu vermehrter Achtung der Menschenrechte führen würde, hat getrogen. Religiös motivierter Fanatismus, Nationalismus und Rassismus sind traurige Realität in der Welt. Genannt seien nur Afghanistan unter der Terrorherrschaft der Taliban, der Genozid in Ruanda oder die schrecklichen Bürgerkriege im zerfallenden Jugoslawien. Häufig leiden Frauen und Kinder in besonderem Maße unter kriegerischen Auseinandersetzungen. Die Resolution 1325 weist in die richtige Richtung. Es ist angemessen, hier von einem Meilenstein zu sprechen - Kollegin Kerstin Müller hat vorhin dieses Wort im gleichen Zusammenhang richtigerweise verwendet -; denn es ist dem Sicherheitsrat der Vereinten Nationen im Jahre 2000 erstmals in seiner Geschichte gelungen, völkerrechtliche Vorgaben zu treffen, die die Beteiligung von Frauen an Entscheidungen über Krieg und Frieden berühren. Die Resolution vermittelt politisch die nicht zu unterschätzende Verpflichtung der Staaten der UN, die in der Resolution aufgestellten Forderungen umzusetzen. Auch die Rechtsprechung der durch die UN eingesetzten internationalen Strafgerichtshöfe hat zumindest einem Teil der Opfer Gerechtigkeit widerfahren lassen. Die Gerichtshöfe für das ehemalige Jugoslawien und Ruanda haben durch ihre Arbeit entscheidend an der Anerkennung der Bereiche des humanitären Völkerrechts und des Völkerstrafrechts mitgewirkt, die zum ersten Mal umfassenden Schutz vor sexueller Gewalt in bewaffneten Konflikten bieten. Der Kompass des deutschen Engagements stimmt. Deutschland hat beispielsweise bei der Einrichtung des neuen UN-Büros für Frauen maßgebliche Unterstützung geleistet. Dieses Büro wird Anfang kommenden Jahres seine Arbeit aufnehmen. Dort sollen mehrere Einheiten, die mit der Förderung von Frauenrechten befasst sind, zu einer Einheit zusammengeführt werden. Das neue UNFrauenbüro soll nach dem Beschluss der Vollversammlung durch einen eigenen Untergeneralsekretär vertreten werden. Das ist ein Fortschritt bei der Stärkung der Frauenrechte. Im Übrigen ist das auch ein Beleg für die Reformfähigkeit der Organisation Vereinte Nationen. Doppelstrukturen werden dabei beseitigt. Das System der UN insgesamt wird leistungsfähiger und effizienter. Auch hierzulande ist die Entwicklung erfreulich. Das Prinzip des Gender Mainstreaming, also die Verwirklichung der Gleichstellung, ist in der deutschen Politik fest verankert, nicht nur weil eine Frau an der Spitze unserer Regierung steht. Deutschland hat sich in den Gesamtprozess mit viel Pragmatismus eingebracht und gehört zu der überschaubaren Anzahl derjenigen Länder, die regelmäßig über den Fortgang der Umsetzung ausführlich berichten. So sind bei der Bundeswehr mittlerweile alle Laufbahnen für Frauen geöffnet. Am Zentrum für Internationale Friedenseinsätze sind mittlerweile zwei Drittel des ausgebildeten Personals weiblich. Frauen leisten einen wesentlichen Beitrag zu Krisenprävention, Konfliktlösung und Friedenskonsolidierung in internationalen Friedens- und Beobachtungseinsätzen. Nun ist es aber nicht so, als gäbe es nichts zu verbessern. Deutschland ist auf einem guten Weg, den Forderungskatalog der UN-Resolution 1325 weiter auszubauen und zu vertiefen. Die Anforderungen an die Menschenrechtspolitik müssen in einer diffus gewordenen Umwelt jedoch noch steigen. Die Beobachtungs- und Dokumentationsmöglichkeiten bei Menschenrechtsverletzungen, die Zusammenarbeit mit internationalen Menschenrechtsorganisationen sowie das Anreiz- und Sanktionsinstrumentarium der freiheitlichen Staaten und auch der internationalen Institutionen wie der UN selbst müssen an die weltpolitische Situation zu Beginn des 21. Jahrhunderts angepasst werden. Es gilt, ihre Wirkung zu verfeinern und zu verstärken. Für uns Deutsche ist es eine ethische Pflicht, bei der Formulierung und Durchsetzung einer weltweiten Menschenrechtspolitik eine leitende Rolle zu übernehmen. Dieser besonderen Bedeutung werden die drei vorliegenden Anträge nicht gerecht. Die Grünen jedenfalls sind, zumindest was die Forderung nach einem nationalen Aktionsplan angeht, konsequent. Es ist ihre alte Forderung. Anders verhält es sich bei der SPD. Als Sie noch in der Regierungsverantwortung waren, hat Ihr Außenminister Steinmeier keinen nationalen Aktionsplan zur Resolution 1325 installiert, geschweige denn auch nur für erforderlich gehalten. ({0}) Steinmeier hatte recht; denn das bestehende Bündel an Maßnahmen greift. Der Antrag der Linken fällt noch weiter ab. Sie bringen Ihre übliche Litanei und sprechen von Verquickung zivilen Engagements und militärischer Einsätze. Vorhin haben wir an dieser Stelle über die EU-Perspektive Serbiens debattiert. Wenn es nach Ihnen gegangen wäre, wäre Slobodan Milosević noch heute am Ruder. ({1}) Ich zitiere aus einer großen deutschen Tageszeitung vom 8. Oktober 2000 - das war heute vor genau zehn Jahren -: Auf Zeit spielen, bluffen, sich diplomatisch geben und dann wieder mit rücksichtsloser Brutalität zuschlagen. So hat sich Slobodan Milosević viele Jahre lang an der Macht gehalten, und Sie sind darauf hereingefallen. Ihr Herr Gysi hat den Massenmörder Milosević einst vor laufender Kamera hofiert, als sich die internationale Staatengemeinschaft schon längst von diesem abgewandt hatte. Die Widersprüche in Ihrer Menschenrechtspolitik kann dieser Antrag jedenfalls nicht kaschieren. ({2}) Damit keine Zweifel aufkommen - Herr Präsident, ich komme zum Schluss -: Die internationale Stärkung der Frauenrechte ist für die Arbeit der Bundesregierung auch mit Blick auf die Vernetzung der Ministerien untereinander von besonderer Bedeutung; denn Menschenrechte sind kein Luxus für gute Zeiten, sondern der Kern unseres politischen Selbstverständnisses. Ich danke. ({3})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 17/2484, 17/3176 und 17/3205 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Ich nehme an, Sie sind damit einverstanden. Das ist der Fall. Dann ist das so beschlossen. Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, den 27. Oktober 2010, 13 Uhr, ein. Dann werden wir mit einer Regierungserklärung zu Europa beginnen. Ich wünsche Ihnen ein schönes, offenkundig sonniges Wochenende. Das gilt auch den Besucherinnen und Besuchern. Genießen Sie Berlin! Die Stadt ist bei diesem Wetter noch attraktiver als ohnehin. Alles Gute! Die Sitzung ist geschlossen.