Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 10/1/2010

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Sitzung ist eröffnet. Bevor wir in die Tagesordnung eintreten, müssen wir einen Geschäftsordnungsantrag behandeln. Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat nach Ablauf der dafür in der Geschäftsordnung vorgesehenen Fristen einen Antrag auf Erweiterung der heutigen Tagesordnung um eine vereinbarte Debatte oder hilfsweise um eine Aktuelle Stunde zu den Demonstrationen in Stuttgart gestellt. Der Erweiterungsantrag kann daher nur unter Abweichung von der Geschäftsordnung gemäß § 126 mit Zweidrittelmehrheit beschlossen werden. Wer wünscht das Wort zur Geschäftsordnung? - Bitte schön, Frau Haßelmann.

Britta Haßelmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003764, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Seit gestern am späten Nachmittag und am Abend muss den meisten Menschen klar sein, dass die Auseinandersetzung um Stuttgart 21 absolut eskaliert. ({0}) Es gibt Hunderte Verletzte, darunter Jugendliche und ältere Menschen. Lesen Sie die heutigen Zeitungen! Dort finden sich Überschriften wie: „CDU zielt auf die Mitte.“ - Deshalb überdenken Sie bitte einmal Ihre Empörung. ({1}) Es handelt sich bei den Verletzten um ganz normale Menschen; das konnten Sie alle gestern in den Medien sehen. Die Lage vor Ort spitzt sich absolut zu. Es gibt anscheinend überhaupt keine Ebene mehr, auf der man miteinander reden könnte, weder in Stuttgart vor Ort noch auf der Landesebene in Baden-Württemberg. Es ist noch nicht lange her, da haben wir hier und in der Öffentlichkeit mit Joachim Gauck einen interessanten Diskurs über die Einmischung und Teilhabe von Menschen, über das Stärken der Demokratie und den Einsatz und das Engagement der Menschen für ihr Gemeinwesen gesprochen. In diesem Zusammenhang hat Joachim Gauck von Sprachstörungen zwischen Regierenden und Regierten gesprochen. Sehen Sie sich vor dem Hintergrund dieser Aussagen die Lage in Stuttgart an. Ich finde, wir hier im Deutschen Bundestag müssen uns mit dieser Situation beschäftigen. ({2}) Es reicht nicht aus, zu sagen, das sei ein Thema in Stuttgart und Baden-Württemberg. Wir hier im Bundestag sind Teil dieser Debatte. Der Bund gibt Geld für das Projekt Stuttgart 21, ohne das dieses Projekt nicht realisiert werden könnte. Die Deutsche Bahn AG, für die das Parlament die Mitverantwortung trägt, hat Verantwortung für die Planung dieses Projekts. Nicht zuletzt hat die Kanzlerin bei der Einbringung des Haushalts Stuttgart 21 hier in diesem Parlament zum Thema gemacht, als sie sagte, die Landtagswahl in BadenWürttemberg sei die Abstimmung über das Projekt Stuttgart 21. ({3}) Das sind mindestens drei Gründe, die uns verpflichten, nicht länger wegzugucken und hier im Parlament die Debatte über Stuttgart 21 und die Frage zu führen, welche Wirkungen dies für unser Gemeinwesen hat. ({4}) Über den Polizeieinsatz, den unmittelbaren Zwang wird noch an geeigneter Stelle zu reden sein. Meinen Sie eigentlich Ihren Hinweis ernst, die Polizei habe so handeln müssen und was 14-Jährige überhaupt auf Demonstrationen machen würden? Gestern hörte ich gar das Argument, es handele sich nicht um eine genehmigte Demonstration. Meine Damen und Herren, in diesem Land muss man Demonstrationen nicht genehmigen lassen. ({5}) Ich weiß nicht, ob Ihnen das klar ist. Redetext Das alles zeigt doch: So ist dieses Projekt nicht durchzusetzen. Man hat doch das Gefühl, es gehe nach dem Motto: Augen zu und durch. Das wird so nicht gehen, wenn man die Bilder der letzten Nacht gesehen hat. Deshalb müssen wir auch hier eine Debatte darüber führen, welchen Beitrag der Deutsche Bundestag leisten kann, um die völlig eskalierte Situation in Stuttgart zu befrieden. Es geht jetzt doch darum, die Frage des Miteinanderredens, die Frage, wie man zu einer befriedeten Situation kommen kann, auch in diesem Haus zu erörtern und hier seine Verantwortung wahrzunehmen. Deshalb haben wir den Geschäftsordnungsantrag gestellt. Wir möchten, dass Sie diese Debatte mit uns in Verantwortung für die Zivilgesellschaft führen, in Verantwortung für das Gemeinwesen. Kommen Sie da nicht mit irgendwelchen Sprüchen, man müsse nicht auf solche Demonstrationen gehen! ({6})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort zur Geschäftsordnung hat jetzt der Kollege Peter Altmaier von der CDU/CSU. ({0})

Peter Altmaier (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002617, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte zunächst einmal von dieser Stelle aus im Namen der CDU/CSU-Bundestagsfraktion - und ich denke, ich spreche für das ganze Haus - allen, die im Laufe des gestrigen Tages und der heutigen Nacht verletzt worden sind, ({0}) Genesungswünsche aussprechen. Das gilt für die Demonstranten, es gilt für Unbeteiligte, und es gilt ausdrücklich auch für die Polizistinnen und Polizisten, die dort ihren Dienst tun und für Rechtsstaatlichkeit und Demokratie kämpfen. ({1}) Herr Kollege Trittin, der Antrag von Bündnis 90/Die Grünen ist durchsichtig, er ist taktisch, und er ist vor allen Dingen politisch schädlich. ({2}) - Hören Sie bitte genau zu. - Wir lehnen ihn insbesondere aus drei Gründen ab: Erstens. Die Geschäftsordnung dieses Hauses, die wir gemeinsam beschlossen haben, sieht vor, dass Änderungen der Tagesordnung dem Präsidenten am Vortag bis 18 Uhr vorzulegen sind. Die ersten Meldungen über die Ereignisse in Stuttgart liefen gestern am frühen Nachmittag über den Ticker. ({3}) Der Kollege Beck fand dann immerhin Zeit, gegenüber der Presse zu erklären, der Polizeieinsatz sei unverhältnismäßig. ({4}) - Ich komme darauf zurück. - Ihren Antrag haben wir gestern um 20.44 Uhr bekommen, mehr als zweieinhalb Stunden nach Fristablauf. Meine Damen und Herren, wir sind hilfreich, edel und gut; aber wir sind nicht dafür da, offensichtliches Organisationsversagen der Fraktionsund Parteiführung der Grünen zu kaschieren ({5}) und Ihnen dabei zu helfen, Ihre parteitaktisch motivierten Ziele durchzusetzen. ({6}) Zweitens. Wir sind ein föderales Land. Das Grundgesetz kennt eine klare Ordnung von Zuständigkeiten, was nichts darüber aussagt, wie wichtig eine Materie ist; aber es ist geregelt, ob Bund oder Land für etwas zuständig ist. Das, was Sie als Thema in Ihrem Antrag bezeichnen, nämlich die Auseinandersetzung mit dem Vorgehen der Polizei, ist in allererster Linie eine Landeszuständigkeit. Das schließt nicht aus, dass man darüber auch auf Bundesebene diskutiert. ({7}) Aber es ist für uns eine Frage des demokratischen Respekts, dass wir zunächst dem gewählten Landtag von Baden-Württemberg Gelegenheit geben, ({8}) sich mit dieser Frage zu beschäftigen, und dass wir die Dinge nicht gleich zu uns auf die Bundesebene ziehen. ({9}) Drittens; das ist für meine Kollegen und mich das entscheidende Argument. Ich habe mich schon gewundert, als ich heute Morgen im Tagesspiegel gelesen habe - er ist immerhin ein paar Stunden vorher gedruckt worden -, der Parlamentarische Geschäftsführer Volker Beck habe gestern von einem unverhältnismäßigen Polizeieinsatz gesprochen. ({10}) Ich war gestern über weite Strecken mit dem Kollegen Beck zusammen: bei einer Fernsehdiskussion, im Ältestenrat und bei anderen Gelegenheiten. Ich wundere mich, wie der Kollege Beck über eine Entfernung von 700 Kilometer Luftlinie durch Inhalation von Agenturmeldungen feststellen kann, ob der Polizeieinsatz verhältnismäßig war oder nicht. Das ist eine unverantwortliche Zuspitzung der Situation, und da machen wir nicht mit. ({11}) Wir sind nicht bereit, ohne Kenntnis der Fakten, die uns eine seriöse und angemessene Auseinandersetzung mit dieser Thematik erlauben, ({12}) eine Debatte zu führen, die vor dem Hintergrund der Umstände dazu beitragen wird, dass die Situation nicht deeskaliert, sondern eskaliert. ({13}) Wir wollen nicht, dass diese Debatte mit Vorverurteilungen und Verdächtigungen geführt wird, weil Sie die Dinge durch eine parteipolitisch gefärbte Brille sehen und ein bestimmtes Ergebnis voraussetzen, ganz egal, wie die Abläufe vor Ort waren. ({14}) Wir werden alles dafür tun, dass das Demonstrationsrecht geschützt wird, auch im Zusammenhang mit Stuttgart 21. Aber wir werden uns auch dafür einsetzen, dass die rechtsstaatlichen Verfahren respektiert werden und dass das staatliche Gewaltmonopol durchgesetzt wird. Wir werden keine rechtsfreien Räume dulden, weder in Stuttgart noch anderswo. Darüber lasst uns gemeinsam streiten. ({15})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt der Parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Fraktion Christian Lange. ({0})

Christian Lange (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003168, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir sind erschüttert über die Nachrichten und Bilder, die uns gestern und heute aus Stuttgart erreicht haben, erschüttert über die Eskalation der Gewalt. Uns zeigt dies: Stuttgart 21 kann man nicht mit Gewalt durchknüppeln. ({0}) Herr Kollege Altmaier, im Hinblick auf das Thema „staatliches Gewaltmonopol“ habe ich zur Kenntnis genommen, dass das Landesinnenministerium gestern Abend, um 22.56 Uhr, eine Meldung über Steinewerfer zurückziehen musste, weil die Demonstrationen friedlich verlaufen sind. Bitte, nehmen Sie auch das zur Kenntnis. Das ist die Wirklichkeit in Stuttgart. ({1}) Die Frage ist nun: Wie entkommen wir einer Spirale der Gewalt und einer Spirale der Sprachlosigkeit? Die SPD Baden-Württemberg hat dazu einen Vorschlag gemacht: Eine Volksabstimmung über Stuttgart 21 ist der einzige verbliebene Weg, aus der Eskalation herauszukommen. Ich fordere deshalb CDU und FDP im Landtag auf, diesen Weg endlich freizumachen. ({2}) Es gibt natürlich immer eine Alternative im Leben, zumal die Bahn eine Baugenehmigung hat und Stuttgart 21 durchprozessiert ist. Die Alternative zur Volksabstimmung heißt: Augen zu und durch. Dafür hat sich Herr Mappus entschieden, und deshalb trägt er die politische Verantwortung für die Eskalation des Konflikts. ({3}) Mir tun die Polizisten leid, auf deren Rücken diese Rambopolitik ausgetragen wird. ({4}) Wenn man die Bilder - wir alle haben sie im Fernsehen zur Kenntnis genommen - insbesondere von verletzten Schülern und älteren Damen sieht, dann frage ich mich, ob Landesinnenminister Rech seiner Aufgabe gewachsen ist. Ich meine, er sollte besser zurücktreten. ({5}) Wir alle hier im Bundestag müssen uns fragen: Wie gehen wir eigentlich mit Menschen um, von denen viele das erste Mal ihre politische Stimme erheben? Unsere Aufgabe muss es doch sein, ({6}) sie für die repräsentative parlamentarische Demokratie zu gewinnen, egal wie wir zum Projekt selbst stehen. ({7}) Deshalb frage ich mich: Wo war der Ministerpräsident? Wo war der Oberbürgermeister? Wo war die Gesprächsbereitschaft der Demokraten? Deshalb gehört dieses Thema in den Deutschen Bundestag. ({8}) Ich prophezeie: Die Landesregierung wird scheitern, wenn sie das Bauprojekt mit aller Gewalt gegen die Bürger durchdrücken will. Der Bundestag ist der Ort, über die Rolle der Bahn zu sprechen. Deshalb darf es keine Denk- und Sprechverbote geben; genau diese Denk- und Sprechverbote haben uns nämlich dahin geführt, wo wir heute sind. ({9}) Christian Lange ({10}) Die SPD-Bundestagsfraktion wird dem Aufsetzungsantrag zustimmen. Herzlichen Dank. ({11})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt der Parlamentarische Geschäftsführer der FDP-Fraktion Jörg van Essen. ({0})

Jörg Essen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000495, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nach dieser platten Wahlkampfrede des Kollegen Lange ({0}) werde ich mir vier kurze Bemerkungen zur Geschäftsordnung erlauben. Die erste Bemerkung: In meinem früheren Leben als Staatsanwalt war ich sehr oft mit dem Geschehen rund um Demonstrationen befasst. ({1}) Ich habe dabei eines gelernt: Unmittelbar nach den Ereignissen, wenn die Aufregung groß ist, gibt es kein klares Lagebild. Aus dieser Erfahrung heraus empfehle ich deshalb allen, und zwar aus Respekt vor den Demonstranten, aber auch aus Respekt vor den Polizisten, dass wir uns erst ein klares Lagebild verschaffen, bevor wir im Deutschen Bundestag darüber debattieren. ({2}) Meine zweite Bemerkung. Zu meinen dienstlichen Erfahrungen gehört die Gladbecker Geiselaffäre. Auch damals waren Polizisten aus ganz vielen Ländern, unter anderem auch vom Bund eingesetzt. Als Vorwürfe gegen die Polizei wegen des Einsatzes erhoben worden sind, gab es natürlich auch eine parlamentarische Aufarbeitung. Diese Aufarbeitung fand aber in Nordrhein-Westfalen und in Bremen statt, weil genau da die Einsatzleitung lag. ({3}) Wir lassen es als Koalition nicht zu, dass hier der Föderalismus auf den Kopf gestellt wird, ({4}) dass hier Verantwortung beim Bund abgeladen wird, die der Bund nicht zu tragen hat. Wir werden das nicht zulassen und stimmen deshalb Ihrem Antrag nicht zu. ({5}) Die dritte Bemerkung: In der nächsten Zeit werden in Hamburg 280 Bäume gefällt, nicht weil es die Bundesregierung will, ({6}) sondern weil es die grüne Verkehrssenatorin will. ({7}) Mir ist nicht bekannt, dass sich der Bundestag mit dieser Baumfällaktion beschäftigen wird. ({8}) Auch das unterstreicht, wie richtig es ist, dass wir die Debatte heute hier nicht führen. ({9}) Die vierte Bemerkung: Viele wissen, dass ich ein sehr engagierter Eisenbahnfreund bin. Deshalb kenne ich auch die Geschichte der Eisenbahn. Wir feiern in wenigen Wochen 175 Jahre Eisenbahn in Deutschland. ({10}) Viele wissen nicht, dass der Weg zur ersten Eisenbahn außerordentlich schwierig war; denn die Bürger fühlten sich in ihrer Biedermeieridylle gestört. Es gab Wissenschaftler, die vorhersagten, ab etwa 25 Stundenkilometern würde man wahnsinnig, die Frauen würden unfruchtbar. ({11}) Damals hat sich Gott sei Dank die Vernunft durchgesetzt, sodass wir heute dieses sehr ökonomische und ökologische Verkehrsmittel haben. Wir wissen, was wir der Eisenbahn in der Entwicklung der Industrie zu verdanken haben. ({12}) Wir sorgen für die Zukunft der Bahn. ({13}) Auch deshalb sind wir gegen Ihren Antrag und lehnen ihn ab. Ganz herzlichen Dank. ({14})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Jetzt hat die Parlamentarische Geschäftsführerin der Fraktion Die Linke, Dr. Dagmar Enkelmann, das Wort. ({0})

Dr. Dagmar Enkelmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000479, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Fraktion Die Linke wird dem Aufsetzungsantrag, also dem Antrag auf Änderung der Tagesordnung, zustimmen. ({0}) Wer die Bilder aus Stuttgart gesehen hat, den darf das nicht kaltlassen. ({1}) Herr Kollege van Essen, wir beide mögen uns sehr; ({2}) aber das, was Sie hier vorgetragen haben, war mehr als peinlich. Es gehörte nicht in diese Debatte. ({3}) Wir sind der Auffassung: Wir dürfen nicht einfach zur Tagesordnung übergehen. ({4}) - Ich stehe am Mikro, Herr Kauder; insofern kann ich lauter reden als Sie. ({5}) Seit Wochen demonstrieren in Stuttgart friedlich viele Tausende Menschen. Da sind Demonstrationserfahrene, aber auch viele Demonstrationsneulinge dabei, auch viele CDU-Wählerinnen und -Wähler. Das dürfen Sie nicht vergessen. ({6}) Diese Demonstranten nehmen ihr Recht auf Demonstration wahr. Das geschieht nicht im rechtsfreien Raum. ({7}) Das gilt im Übrigen auch für die Schülerinnen und Schüler, die dort gestern eine genehmigte Veranstaltung durchgeführt haben. ({8}) Ich weiß nicht, meine Damen und Herren, ob Sie das Entsetzen und die Tränen in den Augen der Schülerin gesehen haben, die gestern auf allen Sendern zu sehen war. Was lernen eigentlich Schülerinnen und Schüler an einem solchen Tag? ({9}) Lernen sie Demokratie? Lernen sie freie Meinungsbildung? Was lernen sie über die Institutionen dieses Staates? ({10}) Was lernen sie, wenn plötzlich Wasserwerfer auffahren, wenn Pfefferspray eingesetzt wird? ({11}) Wenn Schülerinnen und Schüler so etwas erfahren, sollen sie Vertrauen in die Institutionen des Staates gewinnen? Das können Sie vergessen. ({12}) Hier geht es nicht um Wahlkampf. Hier geht es um Demokratie. ({13}) Ich sage Ihnen eines: Demokratie heißt auch, dass man Entscheidungen, die man einmal getroffen hat, gegebenenfalls überprüft. Deswegen fordert die Linke an dieser Stelle einen Baustopp für Stuttgart 21. ({14}) Der Bundestag ist sehr wohl involviert. Deshalb gehört dieses Thema heute auf die Tagesordnung. Er war beteiligt bei der Entscheidung zu Stuttgart 21, und es sind Bundespolizisten im Einsatz gewesen. ({15}) Damit ist das auch Sache dieses Bundestages. Damit müssen wir uns beschäftigen. ({16}) Wir müssen heute und hier in einer öffentlichen Debatte über dieses Thema reden und Rede und Antwort stehen. Ich denke, das sind wir denen schuldig, die in Stuttgart brutal bedroht und verletzt worden sind. Die Bilder haben Sie alle gesehen. Der Linken ist das Thema so wichtig, dass wir bereit sind, den von uns beantragten Tagesordnungspunkt zurückzuziehen, wenn stattdessen eine Debatte zu den gestrigen Vorgängen in Stuttgart durchgeführt wird. ({17})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Wir stimmen jetzt über den Geschäftsordnungsantrag ab. Wer für den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms Grünen stimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Antrag hat nicht die erforderliche Mehrheit gefunden. Gefordert ge- wesen wäre eine Zweidrittelmehrheit, die, wie ich glaube, unzweifelhaft nicht erreicht wurde. Damit ist der Antrag abgelehnt. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 25 a bis 25 f sowie die Zusatzpunkte 8 bis 12 auf: 25 a) Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/ CSU und der FDP Energiekonzept umsetzen - Der Weg in das Zeitalter der Erneuerbaren Energien - Drucksache 17/3050 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Technologie ({0}) Rechtsausschuss Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit b) Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/ CSU und der FDP eingebrachten Entwurfs eines Elften Gesetzes zur Änderung des Atomgesetzes - Drucksache 17/3051 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({1}) Innenausschuss Rechtsausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Haushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 GO c) Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/ CSU und der FDP eingebrachten Entwurfs eines Zwölften Gesetzes zur Änderung des Atomgesetzes - Drucksache 17/3052 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({2}) Innenausschuss Rechtsausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Haushaltsausschuss d) Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/ CSU und der FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Errichtung eines Sondervermögens „Energie- und Klimafonds“ ({3}) - Drucksache 17/3053 Überweisungsvorschlag: Haushaltsausschuss ({4}) Innenausschuss Rechtsausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung e) Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/ CSU und der FDP eingebrachten Entwurfs eines Kernbrennstoffsteuergesetzes ({5}) - Drucksache 17/3054 Überweisungsvorschlag: Haushaltsausschuss ({6}) Finanzausschuss ({7}) Innenausschuss Rechtsausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Federführung strittig f) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Energiesteuer- und des Stromsteuergesetzes - Drucksache 17/3055 Überweisungsvorschlag: Finanzausschuss ({8}) Rechtsausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Haushaltsausschuss gemäß § 96 GO ZP 8 Beratung des Antrags der Abgeordneten Rolf Hempelmann, Ingrid Arndt-Brauer, Doris Barnett, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Die Steinkohlevereinbarung gilt - Drucksache 17/3043 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Technologie ({9}) Rechtsausschuss Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Haushaltsausschuss ZP 9 Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulla Lötzer, Dr. Barbara Höll, Matthias W. Birkwald, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Für einen geordneten und sozialverträglichen Ausstieg aus dem subventionierten Steinkohlebergbau - Drucksache 17/3044 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Technologie ({10}) Rechtsausschuss Finanzausschuss Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ZP 10 Beratung des Antrags der Abgeordneten Oliver Krischer, Bärbel Höhn, Hans-Josef Fell, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Energie 2050 - Sicher erneuerbar - Drucksache 17/3061 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({11}) Rechtsausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms ZP 11 Beratung des Antrags der Abgeordneten Volker Beck ({12}), Cornelia Behm, Hans-Josef Fell, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Überprüfung der Verfassungsmäßigkeit eines Gesetzgebungsverfahrens zur Verlängerung der Laufzeiten von Atomkraftwerken - Drucksache 17/3083 Überweisungsvorschlag: Innenausschuss ({13}) Rechtsausschuss ({14}) Federführung strittig ZP 12 Unterrichtung durch die Bundesregierung Energiekonzept für eine umweltschonende, zuverlässige und bezahlbare Energieversorgung und 10-Punkte-Sofortprogramm - Monitoring und Zwischenbericht der Bundesregierung - Drucksache 17/3049 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Technologie ({15}) Rechtsausschuss Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache eineinhalb Stunden vorgesehen. Gibt es Widerspruch? - Das ist nicht der Fall. Dann ist das so beschlossen. Ich bitte nun diejenigen Kolleginnen und Kollegen, die an dieser Debatte nicht teilnehmen wollen, den Saal möglichst zügig zu verlassen, damit wir mit den Beratungen beginnen können. Ich eröffne jetzt die Aussprache und erteile als erstem Redner dem Bundesminister Rainer Brüderle das Wort. ({16})

Rainer Brüderle (Minister:in)

Politiker ID: 11003059

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Diese Koalition ist keine Regierung des Ausstiegs. Diese Koalition ist eine Regierung des Einstiegs, des Einstiegs in mehr Wachstum, des Einstiegs in mehr Beschäftigung, des Einstiegs in gesunde Staatsfinanzen und eben auch des Einstiegs in das Zeitalter der erneuerbaren Energien. ({0}) Erstmals nach vielen Jahren haben wir jetzt in Deutschland ein langfristig angelegtes Energiekonzept vorgelegt. Die rot-grüne Ausstiegsregierung hat es jedenfalls nicht geschafft, ein solches Konzept zu erarbeiten. Wir setzen um, was wir im Koalitionsvertrag angekündigt haben. Wir zeigen unsere Entschlossenheit, wir zeigen unseren Gestaltungswillen, wir richten die Energiepolitik langfristig aus. Nach intensiven Beratungen haben wir am Dienstag dieser Woche unser Energiekonzept im Kabinett beschlossen. Es ist ein wirklich umfassendes Energiekonzept für Strom, für Wärme und für Verkehr. Im Koalitionsvertrag haben wir uns ambitionierte Klimaschutzziele gesetzt. Das Energiekonzept zeigt Wege auf, wie wir diese Ziele erreichen können. Es beschränkt sich also nicht auf wohlfeile Zielbeschreibungen und schöne Worte. ({1}) Die Opposition will so schnell wie möglich aus der Kernkraft aussteigen. Gleichzeitig wollen weite Teile der Opposition aus der Kohleverstromung aussteigen, die derzeit noch für rund 40 Prozent unserer Stromversorgung sorgt. Außerdem wollen Sie vor Ort den Bau neuer Netze verhindern. Wenn das Realität würde, gingen in Deutschland die Lichter aus. ({2}) Man hat fast den Eindruck, Sie wollen eine Art energiepolitischen Morgenthau-Plan. Wer das ernsthaft will, steigt aus der internationalen Wettbewerbsfähigkeit aus und verspielt leichtfertig zentrale Grundlagen für Wohlstand und Arbeitsplätze in unserem Land. Die Rechnung würden die Menschen zahlen. Das ist keine seriöse Energiepolitik. Das machen wir nicht. ({3}) Mit diesem Energiekonzept beenden wir die energiepolitische Flickschusterei. Wir wollen, dass Energie in unserem Land sauber, sicher und bezahlbar ist. ({4}) Diesem Zweck dient auch die Laufzeitverlängerung nicht mehr, aber auch nicht weniger. Wir setzen uns Ziele. Wir benennen die konkreten Maßnahmen, um die Ziele zu erreichen, und wir legen ein solides Finanzierungskonzept vor. Wir schöpfen die Gewinne der Kernkraftwerkbetreiber in Milliardenhöhe ab, zu rund 50 Prozent. Zum Vergleich: Im grün regierten Freiburg werden gerade einmal 10 Prozent der städtischen Konzessionsgewinne für Klimaschutzprojekte verwendet. ({5}) In unserem Konzept werden Wind- und Solarstrom mit zweistelligen Milliardenbeträgen gefördert. Noch mehr Mittel kommen hinzu. Hinzu kommen die Einnahmen aus der Versteigerung von Emissionszertifikaten für die Kohle- und Gaskraftwerke ab 2013. ({6}) Sie werden fast ausschließlich in erneuerbare Energie, Energieeffizienz und in die Forschung gesteckt. Das heißt konkret: Die konventionelle Energieerzeugung aus Kernenergie, Kohle und Gas bezahlt letztendlich den Umbau ins Zeitalter der erneuerbaren Energien. Wir wollen faire Wettbewerbsbedingungen zwischen großen und kleinen Unternehmen, zwischen konventionellen und neuen Energieformen. Wir flankieren das mit dem Wettbewerbsrecht: mit der neuen Markttransparenzstelle beim Bundeskartellamt, ({7}) mit der neuen Gasnetzzugangsverordnung und mit der Umsetzung des Dritten Binnenmarktpaketes. ({8}) Mit diesen Maßnahmen verfolgen wir ein Ziel: bezahlbare Energiepreise für Bürger und Unternehmen in Deutschland. ({9}) Die Opposition scheint eher auf hohe Energiepreise zu setzen. ({10}) Anders lassen sich manche Zahlen, mit denen Sie derzeit hausieren gehen, überhaupt nicht erklären. ({11}) Wenn der Wind über die Nordsee weht und die Sonne in der Wüste scheint, dann können erneuerbare Energien erzeugt werden. Wir müssen den Strom aber auch zu den Verbrauchern bringen: nach Berlin, Hamburg, München, Stuttgart oder ins Ruhrgebiet. Deswegen ist für mich das Thema Energienetze ein wirklich entscheidender Punkt in unserem Konzept. ({12}) Deshalb ist dieses Thema auch einer der ersten Punkte in unserem Sofortprogramm. Wir müssen die Windparks vor der Küste möglichst schnell und effizient an das Festlandnetz anbinden. Wir wollen, dass in die Netze der Zukunft investiert wird. Wir wollen, dass im Bereich Speichertechnologien geforscht und entwickelt wird. Das haben Sie in der Vergangenheit nicht betrieben. ({13}) Ich muss ganz klar sagen: Wer für eine dezentrale, regenerative Energieerzeugung ist, aber nicht Ja sagt zu einem umfassenden Netzausbau, der will in Wahrheit keine dezentrale, regenerative Energieerzeugung. Anders geht es nämlich gar nicht. ({14}) Es ist scheinheilig, einerseits für die dezentrale Energieversorgung zu sein und andererseits als Erste vor Ort gegen den Bau von Leitungen zu sein. Damit verhindern Sie das Umsteuern in der Energiepolitik. Das ist unaufrichtig. ({15}) Wir wollen, dass Strom jederzeit und ohne Unterbrechung zur Verfügung steht. Wir wollen zu jeder Zeit unser Handy aufladen, Kaffee kochen oder das Licht anschalten. Dieses Energiekonzept steht für Verlässlichkeit, für Klimaschutz und für bezahlbare Energiepreise. Wir steigen ein. Wir packen es an. Wir machen es. ({16})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat der Kollege Ulrich Kelber von der SPDFraktion. ({0})

Ulrich Kelber (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003450, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Bundesminister Röttgen hat einen Satz geprägt, der mich fasziniert hat: „Politik durch die Augen unserer Kinder machen.“ Für mich als fünffachen Familienvater war das eine interessante Idee. Es besteht allerdings die Gefahr, dass sich nachkommende Generationen tatsächlich an Minister Röttgen erinnern: ({0}) als Minister, der zusätzlich 5 000 Tonnen atomaren Müll verantworten wollte, die für 30 000 nachfolgende Generationen tödlich bleiben, als Minister, der die Sicherheitsanforderungen an die Endlager senken wollte, als Minister, der die Sicherheitsanforderungen an die Atomkraftwerke senken wollte. Im Interesse der Kinder ist diese Politik sicherlich nicht. ({1}) Wir kritisieren den Stil, mit dem dieses sogenannte Energiekonzept zustande gekommen ist. Es lohnt sich, einen Blick darauf zu werfen und die Frage zu stellen, wer an der Erarbeitung nicht beteiligt wurde. Dies waren die Branche der erneuerbaren Energien, die kommunalen Spitzenverbände, die Stadtwerke, die Wettbewerber der großen Energiekonzerne, die Monopolkommission, das Bundeskartellamt, die unabhängige Wissenschaft, die Umweltschutzverbände, Verbraucherschutzverbände wie Mieterbund und Verbraucherzentrale Bundesverband. Diese durften sich monatelang nicht beteiligen. Sie schreiben Ihnen jetzt Briefe und versuchen, Ihnen Argumente zu liefern, die aber an Ihnen abprallen, frei nach Max Pallenberg: Argumente nützen gegen Vorurteile wie Schokoladenplätzchen gegen Verstopfung. In den letzten Tagen ist herausgekommen, dass das Drücken der Sicherheit ein zusätzliches Element des Energiekonzeptes ist. Die Deutsche Umwelthilfe spricht bei dem Gesetz von einer „Gesetzesnovelle von der Atomlobby für die Atomlobby“ und spielt darauf an, dass der Bundesumweltminister einen Vertreter der Atomlobby zum obersten Atomaufseher im Bundesumweltministerium gemacht hat. Statt sich um die Sicherheit zu kümmern, stellt sich der Minister hin und sagt über seinen eigenen Entwurf wissentlich die Unwahrheit. Er behauptet, er sei der erste Minister, der dynamische Sicherheitsanforderungen an Atomkraftwerke stelle. ({2}) Ich zitiere aus einem Brief der schwarz-gelben Landesregierung Schleswig-Holsteins an den Minister - vielleicht sollte er ihn einmal den Fraktionen der CDU/CSU und FDP vorlegen -: Bereits auf der Basis des geltenden Rechts sind Kernkraftwerksbetreiber zu einer dynamischen Anpassung ihrer Anlagen an aktuelle Entwicklungen und damit zu einer bestmöglichen Schadensvorsorge verpflichtet. Die Behörden könnten Nachrüstungen auch ohne Neuregelung durchsetzen, so die Meinung der schwarz-gelben Landesregierung Schleswig-Holsteins zu den Plänen der schwarz-gelben Bundesregierung. Schon in den 70er-Jahren hat das Bundesverfassungsgericht die dynamische Anpassung durchgesetzt. Jetzt möchte der Bundesminister neben den Kategorien der „bestmöglichen Vorsorge“ und des „hinnehmbaren Restrisikos“ eine neue Kategorie ins Atomrecht einführen. Er verkauft das als eine Verbesserung. Das ist der brutale Röttgen’sche Trick: In Zukunft können die Aufsichtsbehörden Maßnahmen, die bisher Teil der „bestmöglichen Vorsorge“ waren und durch die Anlieger gerichtlich überprüft werden konnten, aus dieser Kategorie herausnehmen und damit den Anliegern das Klagerecht nehmen, das das Bundesverwaltungsgericht noch 2008 bestätigt hat. Mit diesem Urteil wurde gesagt: Jawohl, Anwohner können zum Beispiel die Sicherheit eines Atommeilers gegenüber Terrorangriffen einklagen. Die Folge wäre gewesen: mehr Sicherheit am Atommeiler, nicht das Schleifen der Rechte der Anlieger, wie es Schwarz-Gelb jetzt plant. ({3}) Nach den Berichten der Medien hat es gestern wohl ein Treffen zu Sicherheitsanforderungen für Endlager gegeben. Seit heute lassen Sie in Gorleben wieder die Bohrer dröhnen. In dem Entwurf, der der Frankfurter Rundschau vorliegt - dem Parlament nicht -, ist die Rückholbarkeit des Atommülls gestrichen, wird der Sicherheitsnachweis geschleift, werden viele Grenzwerte abgeschafft und durch Gummiparagrafen ersetzt. Auch dieses Papier war geheim, bis die Medien darüber berichtet haben. Das ist der neue Stil der Regierung: Papiere werden so lange geheim gehalten, bis die Medien es herausbekommen; dann werden sie in Nacht-und-Nebel-Aktionen auf die Webseiten der Regierung gestellt. Die Konzerne dürfen - das ist der interessante Punkt erhöhte Ausgaben für die Endlager sowie höhere Nachrüstkosten von ihren Zahlungen an die Regierung abziehen. Herr Röttgen, ich frage Sie: Sind das die ersten Folgen des Einwirkens des Finanzministers: Sie senken die Sicherheitsforderungen ab, damit die Zahlungen an die Regierung in voller Höhe erhalten bleiben? Wir wissen seit vorgestern durch einen Bericht der Zeit, dass der Rechtsanwalt, der diese Vereinbarung mit RWE und Eon für die Bundesregierung ausgehandelt hat, normalerweise als Berater der RWE tätig ist. Auch da hat die Atomlobby mit sich selbst verhandelt. Wir kritisieren aber auch die inhaltlichen Fehler Ihres Energiekonzeptes. Sie werden höhere Preise und weniger Wettbewerb ernten. Sie zementieren die Monopole der vier großen Energiekonzerne, die bereits heute 80 bis 90 Prozent der Stromproduktion stellen. ({4}) Schlimmer noch: Sie übertragen diese Monopole in den Bereich der erneuerbaren Energien. Das Einzige, was Sie uns anbieten - Minister Brüderle hat es hier wieder getan -: Sie wollen eine Markttransparenzstelle einrichten. Entschuldigung, das schreibt das EU-Binnenmarktpaket vor! Das ist doch keine Erfindung von SchwarzGelb. Das soll alles sein, was Ihnen als Wirtschaftsminister zum Thema Wettbewerb einfällt? Ich halte das für eine traurige Vorstellung. ({5}) Der Chef der Monopolkommission hat zu Ihrem Programm am 7. September der Rheinischen Post gesagt: Langfristig wird der Wettbewerb nicht gestärkt, im Gegenteil. Herr Minister, diese Aussage stammt aus Ihrem Beratergremium. Der Präsident des Bundeskartellamts Mundt sagte, damit werde der Wettbewerb geschwächt. Sein Vorvorgänger Böge hat ein Gutachten erstellt, in dem er nachweist, dass es zu höheren Preisen kommen wird. Bernhard Heitzer, der bis Oktober 2009 Kartellamtspräsident war, schrieb: Wenn die Laufzeiten verlängert werden, wird die hohe Verdichtung der Erzeugungskapazitäten zementiert. Herrn Heitzer haben Sie im November zum Staatssekretär in Ihrem Ministerium gemacht. Warum hören Sie nicht auf den Sachverstand in Ihrem Ministerium, Herr Minister? Wir werden durch Ihr Energiekonzept Jobs verlieren. ({6}) In der Branche der erneuerbaren Energien, der dynamischsten Branche, wird es auch Firmenzusammenbrüche geben. Ich bitte alle Abgeordneten von CDU/CSU und FDP: Lesen Sie, bevor Sie am Ende abstimmen werden, die Gutachten zu dem Energiekonzept dieser Regierung. Dort finden Sie die erwarteten Ausbauzahlen für die erneuerbaren Energien: ({7}) ein Rückgang von 85 Prozent beim Biomasseausbau, ein Rückgang von 94 Prozent beim Photovoltaikausbau, ein Zusammenbruch von 98 Prozent beim Windenergieausbau an Land, das sind die Ziele dieser Regierung. Das wird der Niedergang der Arbeitsplatzmöglichkeiten sein. ({8}) Deutschland verliert seinen Technologievorsprung vor Konkurrenten. Sie führen die drei schlechtesten Merkmale Ihrer Politik in einem Konzept zusammen: ökologisch schädlich, wirtschaftlich unsinnig, sozial unausgewogen. Wir lehnen Ihre Gesetzentwürfe ab. ({9})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Für die CDU/CSU-Fraktion spricht jetzt der Kollege Dr. Michael Fuchs. ({0})

Dr. Michael Fuchs (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003531, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Kollege Kelber, wann haben Sie eigentlich die ganzen von Ihnen eben aufgezählten Vereine bzw. Organisationen beim Ausstieg beschäftigt? Haben Sie sie jemals beschäftigt oder eher überhaupt nicht? Ich glaube, überhaupt nicht. Aber so machen Sie das ja immer. Im Übrigen muss ich eine Zahl von Ihnen korrigieren: ({0}) Die Verlängerung der Laufzeit führt zu maximal 4 Prozent mehr Atommüll gegenüber heute. ({1}) Die Zahl, die Sie genannt haben, stimmt so also nicht. Mit dem Energiekonzept der Bundesregierung liegt erstmals seit 20 Jahren, seit Helmut Kohls Zeiten, ein technologieoffenes, marktorientiertes und vor allen Dingen ideologiefreies Konzept vor. ({2}) Damit haben wir eine klare Linie bis zum Jahre 2050 aufgestellt, und wir haben jetzt erstmalig die notwendigen Mittel zum Forschen etc. zur Verfügung. Das ist Rot-Grün in sieben Jahren überhaupt nicht gelungen. Sie haben kein Energiekonzept; Sie haben auch nie eines aufgestellt. ({3}) Wir fördern den weiteren Ausbau der erneuerbaren Energien. Wir haben uns als Ziel gesetzt, bis zum Jahre 2020 35 Prozent und bis zum Jahre 2050 80 Prozent Strom aus erneuerbaren Energien zu erzeugen. Wir stärken die Forschung im Bereich Speichertechnologien und vor allen Dingen im Bereich der Effizienzsteigerung. Wir nehmen Geld in die Hand für den Klimaschutz, und zwar in erheblichem Maße. Zur Finanzierung schaffen wir ein rechtlich abgesichertes Sondervermögen. Die Mittel kommen aus dem Emissionshandel und aus der Laufzeitverlängerung und stehen damit für viele Jahre regelmäßig und in voller Höhe zur Verfügung. Damit vermeiden wir in Zukunft den jährlichen Verteilungskampf im Haushalt. Es macht keinen Sinn, sichere, CO2-freie Kernkraftwerke abzuschalten und dafür Strom aus Kernkraftwerken in Frankreich, Polen und Tschechien zu beziehen. ({4}) Denn wie sagte Ihr - für die einen ist es ein früherer, für die anderen ein aktueller - Parteifreund Otto Schily vor kurzem: Ich finde es sinnlos, die jetzt abgeschriebenen Kernkraftwerke einfach abzuschalten. Das ist so, als wenn Sie einen Lastwagen voller Bargeld verbrennen. Dann nimmt man doch lieber einen Teil des Geldes … und investiert das in die erneuerbaren Energien. Recht hat er. ({5}) Lieber Herr Kollege Trittin, uns ist Sicherheit etwas wert. Was Sie betrifft, zitiere ich aus der von Ihnen am 14. Juni 2000 gemachten Ausschlussvereinbarung: ({6}) - Herr Trittin, Sie haben das unterschrieben. … die Bundesregierung wird keine Initiative ergreifen, um diesen Sicherheitsstandard und die diesem zugrundeliegende Sicherheitsphilosophie zu ändern. Bei Einhaltung der atomrechtlichen Anforderungen gewährleistet die Bundesregierung den ungestörten Betrieb der Anlagen. ({7}) Sie haben damals keinerlei zusätzlichen Sicherheitsstandard vereinbart. ({8}) Kollege Röttgen hat etwas ganz anderes gemacht, Herr Kelber: Er hat die Sicherheitsvorschriften verschärft. Wir führen eine zusätzliche Sicherheitsstufe ein. Danach muss der Sicherheitsstandard von Kernkraftwerken permanent entsprechend dem fortschreitenden Stand von Wissenschaft und Technik verbessert werden. ({9}) Das haben Sie nicht gemacht. ({10}) - Herr Kelber, regen Sie sich nicht auf! Sie müssen das erleiden, weil Sie damals nicht bereit waren, zusätzliche Sicherheitsstandards vorzusehen, so wie wir das in unserem Konzept vorgesehen haben. ({11}) Warum haben Sie denn nicht den Mut, das einmal zuzugeben? ({12}) Was wir hier machen, ist ein geschlossenes Konzept für mehr Sicherheit und für mehr Investitionen im Bereich der Photovoltaik, ({13}) im Bereich der Netze, im Bereich der Speichertechnologien etc. Bis heute haben wir keine vernünftigen Speichermöglichkeiten in Deutschland. Ich will das einmal ganz kurz auflisten: Wir haben momentan eine Speicherkapazität von rund 6 400 Megawatt. Die Deutsche EnergieAgentur beziffert das Ausbaupotenzial auf 2 500 Megawatt. Nötig wären im Bereich der erneuerbaren Energien aber 25 000 Megawatt. Bis jetzt gibt es nur eine Planung eines Neubaus eines Speicherkraftwerks, und zwar im Südschwarzwald, in Atdorf. Dort sollen 700 Millionen Euro investiert werden. Aber was passiert in Atdorf? ({14}) Es gibt massiven Widerstand. Vor allem sämtliche Grünen sind da und wollen genau das nicht. Das ist doch eine verlogene Politik. Auf der einen Seite fordern Sie einen Ausbau der erneuerbaren Energien, aber auf der anderen Seite sind Sie gegen jede Möglichkeit zur Absicherung der erneuerbaren Energien. ({15}) Wenn man Ihren Antrag liest, so kann ich nur eines sagen: So etwas Verlogenes habe ich selten erlebt. ({16}) Sie können doch nicht sagen, dass Sie keine Kernkraftwerke wollen, und gleichzeitig gegen den Bau von Speicherkraftwerken stimmen. Sie verhindern den Netzausbau, wo immer Sie das können. Mittlerweile gibt es überall in Deutschland Initiativen gegen den Netzausbau, die von Ihnen ausgehen. ({17}) Das soll eine konsistente, vernünftige und zukunftsorientierte Energiepolitik sein? Es tut mir leid, aber so werden wir das nicht machen. Wir werden uns dafür einsetzen und dafür kämpfen, dass ein vernünftiger Netzausbau betrieben wird. Wir werden die Planungs- und Genehmigungsverfahren vereinfachen und beschleunigen. Das muss sein. Hierzu legt der Bundesumweltminister in Kürze Vorschläge vor. Genau das brauchen wir. ({18})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Kollege Fuchs, darf ich Sie kurz unterbrechen? Erlauben Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Nestle von den Grünen?

Dr. Michael Fuchs (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003531, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Nein. ({0})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Nein, keine Zwischenfrage.

Dr. Michael Fuchs (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003531, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Das muss heute nicht sein. Wir wollen die Energieeffizienz steigern. Die Kilowattstunde, die nicht verbraucht wird, ist die allergünstigste. Unser Ziel ist es, den Wärmebedarf des Gebäudebestandes zu senken. Wir werden die Sanierungsrate von 1 auf 2 Prozent anheben, ({0}) aber nicht mit Zwang; das ist Ihre Politik. Die CDU, die CSU und die FDP sind die Parteien des Eigentums. ({1}) Wir werden das nicht mit Zwang machen, sondern mit Anreizsystemen. Das ist der richtige Weg. Wir müssen die Bevölkerung auf dem Weg in Richtung einer stärkeren Nutzung der erneuerbaren Energien mitnehmen. Das ist unser Ziel. Das werden wir gemeinsam hinbekommen, und darauf werden wir stolz sein. Es wird uns auch gelingen, Lösungen für das Problem der Speicherkapazität zu finden. Man muss mit den Nachbarländern verhandeln, um unter Umständen in den Ländern, in denen aus topografischer Sicht der Bau von Speicherkraftwerken möglich ist, Strom zu speichern. Das kann Norwegen sein. Das wird aber nicht einfach, weil die Norweger mittlerweile auch ein Moratorium gegen den weiteren Bau von Pumpspeicherkraftwerken haben.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Kollege Fuchs, jetzt möchte Herr Kelber gerne eine Zwischenfrage stellen.

Dr. Michael Fuchs (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003531, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Von dem höre ich sie mir an. ({0})

Ulrich Kelber (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003450, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Das war ja eine Umarmungsstrategie.

Dr. Michael Fuchs (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003531, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Nein, ganz sicher nicht! Da irren Sie sich.

Ulrich Kelber (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003450, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Fuchs, vielen Dank. - Sie haben gerade betont, dass Ihre Partei die Partei des Eigentums ist. Ist Ihnen bekannt, dass durch die Novelle, über die wir gerade sprechen, ein neuer Enteignungsparagraf eingeführt wird?

Dr. Michael Fuchs (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003531, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Mir ist das bekannt. Aber wir werden nicht hingehen und jemanden zwingen, sein Haus zu sanieren. Das wollen wir nicht. ({0}) Wir wollen, dass die Leute einen Anreiz erhalten. Wir wollen, dass die Leute bereit sind, mitzugehen. Wir wollen die Bürgerinnen und Bürger mitnehmen auf dem Weg ins Zeitalter der erneuerbaren Energien, aber wir wollen sie nicht zwingen. Das werden wir nicht tun. ({1}) Wir werden die erneuerbaren Energien zügig an den Markt heranführen. Wir werden Marktprämien aussetzen und den Druck erhöhen, um Innovationen und eine Kostensenkung herbeizuführen. So bleiben unsere Unternehmen international wettbewerbsfähig. Es muss unser zentrales Ziel sein, dass die Unternehmen wettbewerbsfähig bleiben. Wir brauchen Strompreise, die nicht dazu führen, dass sich Unternehmen aus Deutschland verabschieden müssen. Für mich ist das extrem wichtig; ({2}) denn Deutschland ist ein Industrieland, ein Industriestandort, wie es kaum einen besseren gibt. Der Beweis dafür ist die wirtschaftliche Situation unseres Landes. Hören wir doch einmal bitte hin: Deutschland hat gestern die beste Arbeitslosenzahl seit der Wiedervereinigung erlebt. Etwa 3 Millionen Menschen sind noch arbeitslos. Das sind immer noch viel zu viele. Aber wir sind auf einem guten Weg, und wir können davon ausgehen, dass die Zahl von 3 Millionen bereits im Oktober erstmalig unterschritten wird. Als Rot-Grün aufgehört hat, da hatten wir 5 Millionen Arbeitslose. Das muss doch hier in diesem Hause einmal gesagt werden. ({3}) Das muss Ihnen doch bewusst sein. Wir sorgen dafür, dass Arbeitsplätze in Deutschland entstehen. Genau da legen wir unsere Ziele hin. Dazu gehört aber auch eine Energiepolitik, die nicht dazu führt, dass energieintensive Unternehmen aus Deutschland vertrieben werden. Deswegen werden wir die Ausnahmen beim Ökostrom ebenso weiterführen, wie wir auch für energieintensive Unternehmen Lösungen beim Emissionshandel finden werden. Es kann nicht sein, dass die indirekten Kosten des Emissionshandels dazu führen, dass Unternehmen in Deutschland nicht mehr weiterarbeiten können. Das muss unser Ziel sein; das wird es auch sein. Eine Deindustrialisierung kommt mit uns nicht infrage. ({4}) Wir brauchen die regenerativen Energien. Wir sehen auch jede Menge Forschungspotenzial in den regenerativen Energien. Wir glauben daran. Aber wir müssen das mit Behutsamkeit, Vernunft sowie mit Maß und Ziel machen. Ohne das wird es nicht gehen. Ohne das werden wir Unternehmen aus Deutschland vertreiben. Ich gehe davon aus, dass wir ein vernünftiges Konzept auf den Weg gebracht haben. Ich bin auch allen dankbar - insbesondere den Kollegen Solms, Kauch und Ruck -, dass wir gemeinsam an diesem Konzept so zügig und lautlos gearbeitet haben. ({5}) Dass es vernünftig umgesetzt wird, werden wir jetzt beweisen. Sie können davon ausgehen, dass dieses Konzept der richtige Weg in eine vernünftige Zukunft erneuerbarer Energien in Deutschland sein wird. ({6})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Zu einer Kurzintervention erteile dem Kollegen Hermann Scheer das Wort. ({0})

Dr. Hermann Scheer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001950, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bei beiden Rednern der Koalition ist wiederholt aufgetaucht, dass es angeblich nur 4 Prozent zusätzlichen Atommüll geben wird, und zwar unabhängig davon, dass er viele Jahrtausende lagert. Wenn jetzt - entgegen dem Gesetz von 2001 - die Laufzeitverlängerung kommt, dann würde das bedeuten, dass die Atomkraftwerke insgesamt 25 Prozent länger laufen gelassen worden sind. Die tatsächliche Atommüllmenge wird sich genau um diese 25 Prozent erhöhen. Man darf diesen Atommüll nicht mit irgendwelchem anderen Atommüll vermischen. Es geht um den besonders radioaktiven, der aus Atomkraftwerken kommt. Das darf man nicht vernebeln. ({0}) Aber mein Hauptpunkt ist ein anderer. Es wird hier der Köder ausgelegt, dass aus den zusätzlichen Einnahmen, aus den Gewinnen aus der Atomstromproduktion irgendwelche Maßnahmen für erneuerbare Energien gemacht werden könnten. Das geht bis hin zu der Formulierung, dass man „möglichst schnell“ oder „langfristig“ aus der Atomenergie aussteigen und zum Einsatz erneuerbarer Energien kommen will. Das jedoch ist ein Widerspruch in sich. Wir haben im Jahr 2000 einen Atomausstiegskonsens erlebt. Den haben die vier großen Atomkraftwerksbetreiber unterschrieben. Sie haben sich verpflichtet, diese Vereinbarung auf Dauer einzuhalten. Das Gesetz von 2001 stützt sich minutiös darauf. Diese Vereinbarung war eine von Leistung und Gegenleistung. Die Leistung im Rahmen eines öffentlich-rechtlichen Vertrages war, sich auf Dauer dazu zu verpflichten, nach einem Stufenplan aus der Atomenergie auszusteigen. Die Gegenleistung der damaligen Mehrheit war - vertraglich vereinbart -, Maßnahmen zu unterlassen, durch die die wirtschaftliche Betätigung der Atomkraftwerksbetreiber im Zuge der noch vorhandenen vereinbarten Restlaufzeit beeinträchtigt werden könnte. ({1}) Das war die Gegenleistung. Die Gegenleistung bestand darin, keine Atombrennstäbesteuer zu machen, wie Sie sie jetzt für sechs Jahre - warum angesichts von zwölf Jahren Laufzeitverlängerung eigentlich nur für sechs Jahre? - einführen wollen. Das bedeutet für die letzten zehn Jahre einen wirtschaftlichen geldwerten Vorteil im Umfang von 23 Milliarden Euro für die Atomkraftwerksbetreiber. Die Gegenleistung bestand ferner darin, dass die Haftungsvorsorge nicht angetastet wurde. Sie wurde zwar ein bisschen erhöht, es blieb aber bei der Regelung, dass nur ein Atomreaktor und nicht 17 versichert werden mussten. Das machte einen geldwerten Vorteil in Höhe von 4 Milliarden Euro im Jahr aus. Die steuerfreie Rückstellung, die beliebig verwendet werden kann, wurde wegen des Konsenses ebenfalls nicht angetastet.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Kollege Scheer, die Zeit ist abgelaufen.

Dr. Hermann Scheer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001950, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich bin am Ende, Herr Präsident. ({0}) Es handelt sich hierbei um einen hochbrisanten rechtlichen und ökonomischen Vorgang. Dass den AKW-Betreibern die Gegenleistung in Form des Ausstiegs jetzt erlassen werden soll und damit ein geldwerter Vorteil im Umfang von in zehn Jahren fast 60 Milliarden Euro nachträglich zugestanden wird, können Sie nicht als Köder für die Förderung erneuerbarer Energien verkaufen.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Vielen Dank, Herr Scheer.

Dr. Hermann Scheer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001950, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Hier geht es um die Sanktionierung eines Vertragsbruchs der Atomstromkonzerne. An diesem Punkt können Sie nicht vorbei. ({0})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Kollege Fuchs zur Erwiderung.

Dr. Michael Fuchs (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003531, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Scheer, Sie haben völlig übersehen, dass wir dadurch einen erheblichen Geldbetrag bekommen, den Sie nicht bekommen haben. Ab nächstem Jahr zahlen die Konzerne 2,6 Milliarden Euro pro Jahr. Danach wird es sogar noch mehr. Denn ab dem Jahre 2017 - lesen Sie es bitte nach! - zahlen die Konzerne pro Megawattstunde mindestens 9 Euro. Es kann auch mehr sein. Das hängt von der Höhe des Strompreises ab. Wenn dieser auf über 50 Euro pro Megawattstunde steigt, wird es noch mehr. Während dieser Laufzeit werden wir von den Konzernen also einen Betrag in einer Größenordnung von weit mehr als 30 Milliarden Euro abschöpfen. Wenn Sie dann noch die Gewerbe- und die Körperschaftsteuer abziehen, verbleiben den Konzernen immer noch knapp 28 Prozent des Mehrgewinns. Die müssen sie haben, weil sie sonst nicht mehr investieren können. Wir erwarten schließlich von ihnen, dass sie sowohl in erneuerbare Energien als auch in sichere und vernünftige Kohlekraftwerke investieren. Wir wollen eine Politik des Übergangs in erneuerbare Energien. Wir wollen aber auch eine Politik, die das finanziert und die sicherstellt, dass mit den Geldern effizient umgegangen wird. Sie muss auch sicherstellen, dass die Strompreise nicht exorbitant steigen. Wenn Sie als der größte Solarlobbyist, den diese Republik kennt, das alles nur mit Solarenergie machen würden, dann könnten Sie sich von der deutschen Industrie verabschieden. Dann könnten auch die Bürgerinnen und Bürger ihren Strom nicht mehr bezahlen. Wir werden schon im nächsten Jahr sehen, was beim EEG aufgrund der verstärkten Solareinspeisungen passiert. Das Magazin Photon - das ist kein Parteiblatt der CDU, sondern Ihr Magazin - hat gerade geschrieben, sie gehe davon aus, dass der Strompreis pro Kilowattstunde durch das EEG nur aufgrund der Solarenergie um 2 Cent steigt. Der EEGAnteil wird sich also von 2 auf 4 Cent erhöhen. Durch die Einbeziehung der Windenergie können es auch 5 Cent werden. Das heißt: Durch Ihre Politik und Ihre Maßnahmen bei der Photovoltaik zahlt eine vierköpfige Familie aufgrund des EEG an Kosten für erneuerbare Energien circa 200 Euro pro Jahr mehr. Auch damit wir uns in der nächsten Zeit intensiv beschäftigen müssen. ({0})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt der Kollege Gregor Gysi für die Fraktion die Linke. ({0})

Dr. Gregor Gysi (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000756, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Was ich bei den Mitgliedern der Fraktionen von Union und FDP überhaupt nicht verstehe, ist, warum sie jetzt dazu neigen, die Bevölkerung permanent und in jeder Hinsicht zu provozieren. Was wollen Sie eigentlich erreichen? Sie geben bei Stuttgart 21 keinen Millimeter nach und setzen die Polizei in einer Art und Weise ein, die indiskutabel ist. Bei den Demonstrationen waren ganz viele CDUWählerinnen und CDU-Wähler dabei. Glauben Sie im Ernst, dass diese Ihre Partei weiterhin wählen werden, wenn sie zusammengeschlagen werden? Was wollen Sie eigentlich? Sie provozieren bei der Kernenergie eine gesellschaftspolitische Auseinandersetzung, die im Kern nichts bringt und Ihnen nichts nutzt. Ich weiß gar nicht, wie Sie die Gesellschaft verändern wollen und wozu Sie das Ganze so betreiben. ({0}) - Zur Sache, ja. - Passen Sie auf: Herr Fuchs hat gerade gesagt, dass Sie die Partei des Eigentums sind. Das stimmt in folgender Hinsicht: Sie wollen, dass der Milliardär Milliardär bleibt und der Bettler seine Krücke behält. Man muss ein bisschen umverteilen, wenn man Gerechtigkeit in der Gesellschaft organisieren will. ({1}) Auch etwas ganz anderes ist sehr interessant: Warum führt eigentlich in dieses Thema der Bundeswirtschaftsminister ein und nicht der Bundesumweltminister? ({2}) Er redet erst sehr viel später. Schon daran sieht man, dass Sie den Kern der Frage überhaupt nicht verstanden haben. Was Sie in Sachen Atomenergie machen, ist ganz einfach: Es gibt in Deutschland vier große Konzerne. Diese Konzerne bestimmen leider nicht nur die Preise, sondern sie bestimmen auch, was die Bundesregierung und die Mehrheit des Bundestages machen. Das beschädigt die Demokratie. Das nehmen Sie einfach in Kauf. ({3}) - Das können Sie doch nicht leugnen! Wenn Sie eine Steuer zum Nachteil der Bäckermeister einführen, sprechen Sie nicht mit der Bäckermeisterinnung. Wenn Sie das Elterngeld der Hartz-IV-Empfängerinnen und Hartz-IV-Empfänger streichen, reden Sie nicht mit Vertretungen der Hartz-IV-Empfängerinnen und Hartz-IVEmpfänger. Aber wenn Sie etwas im Bereich der Atomwirtschaft machen, dann müssen die vier großen Konzerne zustimmen. Die werden gefragt, und was die Ihnen nicht zubilligen, das machen Sie auch nicht. Damit beschädigen Sie die Demokratie. ({4}) In den letzten Jahrzehnten haben wir für die Kernenergie Subventionen in Höhe von 160 Milliarden Euro zur Verfügung gestellt. Aber den Hartz-IV-Empfängerinnen und Hartz-IV-Empfängern sagen Sie: Ihr bekommt 5 Euro mehr pro Monat. Mehr ist nicht drin. - Das sind die Widersprüche Ihrer Politik. Die Bürgerinnen und Bürger verstehen auch nicht, warum Sie für Stuttgart 21 viele Milliarden Euro aufbringen, für die Lösung sozialer Probleme aber keinen Euro zur Verfügung stellen. Das ist eine Frage, die Sie beantworten müssen. ({5}) Sie haben die Macht der vier Konzerne in jeder Hinsicht zementiert, und das Kartellrecht kennen Sie nicht mehr. Ich frage die FDP: Wo sind denn all Ihre Vorstellungen von Marktwirtschaft geblieben? Was glauben Sie, was die vier großen Konzerne machen werden? Entgegen Ihrer Annahme sind sie in der Lage, miteinander zu telefonieren. Sie werden sich absprechen und festlegen: Ab nächster Woche kostet das Ganze soundsoviel. Aus, Feierabend! Nichts mit Marktwirtschaft, nichts mit Kartellverhinderung! ({6}) Deshalb warnen sogar die Monopolkommission und das Kartellamt vor dem, was Sie jetzt betreiben. Die Demokratie muss im Übrigen auch dadurch gesichert werden, dass die Politik zuständig bleibt. ({7}) - Ja, das muss ich Ihnen sagen. ({8}) - Ich will Ihnen ein Beispiel nennen, Herr Kauder, damit auch Sie es verstehen. Passen Sie auf! Nehmen wir einmal an, wir beide treten in einer Stadt als Oberbürgermeisterkandidaten gegeneinander an. ({9}) Ich sage jetzt nicht, wer gewinnen würde. ({10}) Aber ich sage Ihnen, was das Problem ist. Sie haben dafür gesorgt, dass weder Sie noch ich, egal wer von uns Oberbürgermeister würde, hinsichtlich der Energiepreise irgendetwas zu entscheiden hätte. Das empfinden die Leute als Verletzung der Demokratie. Denn der Sinn der Wahl zwischen uns ist doch, dass derjenige, der gewählt wird, auch in der Lage ist, die Verhältnisse zu ändern. Wenn Sie alles privatisieren, wenn Sie alle Kompetenzen an Konzerne übertragen, dann hat die Politik aber nichts mehr zu entscheiden. Genau das verletzt die Demokratie. Das müssen Sie endlich begreifen. ({11}) Was die Energiepolitik betrifft, sind wir für eine dezentrale, für eine kommunale Versorgung, damit die Zuständigkeit der Politik und damit auch der Einfluss der Bürgerinnen und Bürger wiederhergestellt werden. Sie haben ausschließlich Lobbyinteressen verwirklicht; dazu habe ich mich schon geäußert. Ich muss allerdings noch einmal sagen: Wir werden 5 000 Tonnen zusätzlichen Atommüll bekommen, es gibt kein Endlager, und was Gorleben betrifft, werkeln Sie nur herum. Es gibt aber überhaupt keine Lösung. Es ist übrigens auch immer wieder schön, zu hören, dass bestimmte Bundesländer Gorleben als Endlagerstandort vorschlagen; in Bayern zum Beispiel soll es ja kein Endlager geben. Dieses Vorgehen kenne ich schon. Ich bin es leid, und ich muss Ihnen sagen: Auch die Bevölkerung ist es leid. Sie stellen lauter falsche Behauptungen auf. Die erste Behauptung: Die Kernenergie ist als Brückentechnologie unverzichtbar. - Sie behaupten, wenn wir jetzt Kernkraftwerke abschalteten, würde der Strom teurer werden. Im ersten Halbjahr 2010 haben wir eine Strommenge von 11 Milliarden Kilowattstunden exportiert. Wenn wir die sieben ältesten und marodesten Atomkraftwerke schlössen, brauchten wir nicht eine einzige Kilowattstunde zu importieren. Was Sie hier sagen, ist falsch. ({12}) Die zweite Behauptung, die Sie aufstellen - diese Behauptung finde ich noch abenteuerlicher -, ist: Die Hälfte der Extraprofite werden abgeschöpft. - Mit diesem Thema habe ich mich eingehend befasst. Sie sprechen übrigens mittlerweile von einem Betrag in Höhe von 2,6 Milliarden Euro, was großer Quatsch ist. Es geht um 2,3 Milliarden Euro. ({13}) - Warten Sie doch einmal ab. Zu den anderen Beträgen komme ich noch, Herr Fuchs. ({14}) Ein Vertreter des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, des DIW, sagte auf Phoenix: 2,3 Milliarden Euro sind doch eine beachtliche Summe. - Warum fügen Sie nicht hinzu, dass dieser Betrag zu einem so großen Teil steuerlich absetzbar ist - das gilt im Hinblick auf die Körperschaft- und die Gewerbesteuer -, dass der Reingewinn nur 1,5 Milliarden Euro ausmacht? Warum sagen Sie hier nicht die Wahrheit? Das ist nämlich ein beachtlicher Unterschied. ({15}) Man muss noch hinzufügen, dass die Gewerbesteuer die Kommunen bekommen und dass die Brennelementesteuer der Bund bekommt. Das heißt, wenn man diese Beträge bei der Gewerbesteuer absetzen kann, schwächen Sie die Kommunen weiterhin, die schon heute nicht wissen, wie sie eine Toilette in der Schule reparieren lassen sollen. Das ist das Problem, mit dem wir es zu tun haben. ({16}) Eben ist schon darauf hingewiesen worden: Sechs Jahre lang gilt das Ganze. Wieso eigentlich nur sechs Jahre lang? Also: Es kommt ein Betrag von 9 Milliarden Euro heraus und nicht der Betrag, von dem Sie träumen. Hinzu kommen die 15 Milliarden Euro für die erneuerbaren Energien. Herr Fuchs, warum fügen Sie nicht hinzu, dass Sie Folgendes vereinbart haben: Wenn die Laufzeiten von einer neuen Mehrheit im Bundestag wieder gekürzt werden, brauchen die Atomkonzerne nicht zu bezahlen. Das haben Sie mit ihnen vereinbart. ({17}) Das Zweite, was Sie vereinbart haben, ist: Wenn es neue Steuern gibt, können die Atomkonzerne die neuen Steuern von den 15 Milliarden Euro abziehen. Als Drittes haben Sie vereinbart, dass man, wenn die Kosten - zum Beispiel für Endlager, aber vor allen Dingen auch für neue Sicherheitsstandards in den Atomkraftwerken - den Betrag von 500 Millionen Euro überschreiten, den überschreitenden Betrag von den 15 Milliarden Euro abziehen kann. Nun sagt der Bundesumweltminister Ihrer Partei, dass das Ganze pro AKW 1,2 Milliarden Euro kosten wird, nicht 500 Millionen Euro. ({18}) Wenn man die 700 Millionen Euro Mehrbetrag nimmt, den man abziehen wird, bleiben von den 15 Milliarden Euro ernsthaft nur 3 Milliarden Euro übrig. 9 und 3 Milliarden Euro macht zusammen 12 Milliarden Euro. Der Gewinn liegt aber bei mindestens 67 Milliarden Euro. Wie Sie da auf die Hälfte kommen, ist ein reiner Witz. ({19}) Aber 67 Milliarden Euro Extragewinn gibt es nur dann, wenn die Preise gleich bleiben. Ich sage Ihnen: Es gibt keine Bürgerin und keinen Bürger, die bzw. der auch nur eine Sekunde lang glaubt, dass die Preise über so viele Jahre hinweg gleich bleiben; vielmehr werden sie steigen. Selbst wenn man nur eine angemessene Preissteigerung zugrunde legt, wird der Extraprofit bei 127 Milliarden Euro liegen. ({20}) Sie schwächen die Stadtwerke. Die Stadtwerke haben investiert, weil sie von einem anderen Vertrag ausgegangen sind. Allein durch falsche Investitionen verlieren sie 4 Milliarden Euro. Herr Brüderle, Sie haben heute etwas nicht wiederholt. Wollen Sie sich korrigieren? Sie haben gesagt, die Strompreise würden um 8 Milliarden Euro heruntergehen. Aber der Chef von RWE, der Chef eines großen Konzerns, hat gesagt: Das ist völliger Blödsinn. - Der Preis wird nämlich um keinen Cent gesenkt werden. Davon sollten die Bürgerinnen und Bürger gar nicht erst anfangen zu träumen. Ich sage noch einmal: Erstens. Dieser Atomvertrag ist ein Verfassungsbruch. Er ist ein Geheimvertrag. Sie haben den Bundestag ausgeschlossen. Inzwischen ist alles bekannt, aber nicht durch Sie, sondern weil Leute das den Medien gesteckt haben. ({21}) Das Zweite ist: Sie wollen jetzt alles in einem Tempo durch die Ausschüsse peitschen, das wirklich selten ist. Dabei haben Sie Folgendes gemacht - ich habe zweimal nachgefragt, ob das stimmt -: Sie haben Sachverständige bestellt, die sowohl die Steuer als auch die Sicherheitsmaßnahmen in AKWs erklären sollen. Auf der Welt gibt es keinen Sachverständigen, der von Steuern genauso viel versteht wie von Sicherheitsanlagen in AKWs. Auch das geht also daneben. Sie haben den Vertrauensschutz bei den Investitionen der Kommunen verletzt. Sie wollen den Bundesrat ausschließen. Das alles ist nicht machbar und grundgesetzwidrig. Aber grundgesetzwidrig werden Sie das Ganze nicht durchbekommen. Nun haben Sie noch einmal getagt. Ich dachte: Mal sehen, was jetzt herauskommt. - In Ihrem Entwurf stand, dass die Gebäudeeigentümer - Stichwort „Schutz des Eigentums“ - verpflichtet sind, Gebäudesanierungsmaßnahmen vorzunehmen. Jetzt haben Sie eine freiwillige Maßnahme daraus gemacht. Und warum? Weil die Hausbesitzer- und Immobilienverbände das von Ihnen verlangt haben. ({22}) Wenn Sie schon diese einladen, Herr Kauder, warum laden Sie dann nicht auch einmal den Mieterbund ein? ({23}) Dann stellt sich doch die Kanzlerin anschließend hin und sagt: Die Mehrkosten, die dadurch entstehen, werden die Mieterinnen und Mieter tragen müssen. - Das finde ich unverfroren, muss ich Ihnen sagen. ({24}) Hinsichtlich der Ökosteuern, die jetzt auch energieintensive Unternehmen bezahlen sollten, haben Sie gesagt: Das wird natürlich einmal gestrichen. - In der Autoindustrie sollte der CO2-Ausstoß bis zum Jahr 2040 von 160 Gramm pro Kilometer auf 35 Gramm pro Kilometer gesenkt werden. Das wurde gestrichen. Sie wollten die Lkw-Maut ausweiten. Plötzlich ist Ihnen eingefallen, Sie wollen sie doch nicht ausweiten; es bleibt bei dem, was ist. Dabei ist die Lkw-Maut wichtig, damit wir die Transporte von der Straße endlich auf die Schiene verlegen. Wir brauchen keine unterirdischen Bahnhöfe, sondern wir brauchen eine Förderung der Bahn in anderer Hinsicht. ({25}) Dann fordern Sie auch noch Kohlekraftwerke, und zwar nicht nur die, die wir schon haben, und die, die geplant und im Bau sind, sondern Sie wollen noch weitere haben. Das alles hat mit Zukunft nichts zu tun. Bei all dem, was Sie hier an Leistung betont haben, Herr Fuchs, haben Sie einen Zusatz vergessen. Ob das Kreditprogramm Offshorewindenergie mit 500 Millionen Euro, die Nationale Klimaschutzinitiative mit 200 Millionen Euro oder die Forschung für erneuerbare Energien mit 300 Millionen Euro: All dies steht unter dem Vorbehalt der Zustimmung des Bundesfinanzministers. ({26}) Er kann jeden Tag Nein sagen. Sie machen ein Programm der Vergangenheit und kein Programm der Zukunft. Sie eskalieren, anstatt zu deeskalieren. Gehen Sie endlich einen anderen Weg gerade bei der Kernenergie! ({27})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Für Bündnis 90/Die Grünen hat jetzt der Kollege Jürgen Trittin das Wort.

Jürgen Trittin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003246, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben heute den 1. Oktober 2010. Ich muss die Jahreszahl betonen. Nur weil wir einen Wirtschaftsminister Brüderle haben und weil in Stuttgart im Auftrag von Herrn Mappus und Frau Merkel Baumschützer mit Wasserwerfern misshandelt werden, sind wir noch immer nicht wieder in den 80er-Jahren angekommen. ({0}) An die 80er-Jahre werde ich auch durch den heutigen Tag erinnert. Ab heute darf in Gorleben wieder gebaut werden. Damit setzen Sie, meine Damen und Herren von der Koalition, eine unselige Tradition fort. Gorleben ist damit nach Morsleben und nach der Asse das dritte Atommülllager, das ohne ein atomrechtliches Genehmigungsverfahren errichtet wird. ({1}) In Morsleben hat Frau Merkel westdeutschen Müll einlagern lassen, in der Asse haben Sie eine sichere Lagerung verhindert, und nun wollen Sie diese unschöne Tradition in Gorleben fortsetzen. ({2}) Was ist es anderes als ein Schwarzbau, wenn ohne eine atomrechtliche Genehmigung gebaut wird und wenn die Koalition des Eigentums dafür Kirchen und Bürger gemäß dem Atomrecht enteignen will, damit anschließend nach veraltetem Bergrecht weiter gebaut werden kann? ({3}) Da wir feststellen müssen, dass es nicht einmal dem Rahmenbetriebsplan entspricht, dass Sie dort bauen, wo Sie bauen - das hat der Untersuchungsausschuss herausbekommen -, ist das ein Schwarzbau. Sie bauen schwarz; Sie erkunden nämlich nicht. All das, was wir erkunden müssten, zum Beispiel die Beherrschbarkeit von Gasbildung in dichten Salzgesteinen und die unterschiedlichen Vor- und Nachteile von Opalinuston, Granit und Salz, können Sie in Gorleben nicht erkunden. Das könnten Sie nur erkunden, wenn Sie endlich ein Standortauswahlverfahren durchführen würden, wie Ihnen die Schweiz das vormacht. ({4}) Aber, meine Damen und Herren, was tun Sie? Seit 2005 liegt der Entwurf des Standortauswahlgesetzes im Bundesumweltministerium vor. Sie blockieren es. Wissen Sie, warum? Sie blockieren es, weil Frau Homburger, Herr Kauder und die Kollegen der Koalition fürchten, sie könnten diesen Ärger in ihren Wahlkreisen haben. Deswegen sagen Sie: Bloß nicht hierher, der Müll soll zu den Fischköppen, ein Auswahlverfahren blockieren wir um jeden Preis. - Sie verhindern die vernünftige Lösung des Atommüllproblems seit Jahren, und nun fangen Sie wieder an, in Gorleben schwarz zu bauen. ({5}) Die Prüfung der Geeignetheit dieses Endlagers haben Sie in verantwortliche Hände gelegt, nämlich in die Hände des Managers von Vattenfall, der wegen der Störfälle in Brunsbüttel und Krümmel gefeuert worden ist, Herrn Thomauske. ({6}) Sie haben ja eine große Neigung zu solchen Zusammenarbeiten. Bei Ihnen ist jetzt der ehemalige Angestellte von Eon, Herr Hennenhöfer, für die Reaktorsicherheit zuständig. ({7}) Das Ergebnis können wir im heute vorliegenden Gesetzentwurf nachlesen. Bisher gilt - das war der Atomausstieg -, dass die bestmögliche Gefahrenabwehr und Risikovorsorge zu gelten haben. Herr Minister, eine Steigerung von „bestmöglich“ gibt es nicht. Sie wollen, dass künftig nur noch angemessene und geeignete Maßnahmen ergriffen werden, ({8}) das heißt, Sie senken den Standard. Ich sage Ihnen aber: Sie dürfen diesen Standard nicht senken; denn das verstößt gegen die Verfassung, wie Sie im Kalkar-Urteil nachlesen können. ({9}) Es ist absolut unerträglich, dass Sicherheitsanforderungen von Aufsichtsbehörden künftig daran geknüpft werden sollen, dass diese Nachrüstungsmaßnahmen zum Zwecke der bestmöglichen Vorsorge - oder auch nur der Geeignetheit - nicht mehr als 500 Millionen Euro pro AKW kosten dürfen. Wer das macht, der verdealt Sicherheit gegen Geld. ({10}) Es ist auch kein Zufall, dass dieser Deal von einem Anwalt formuliert worden ist, der häufiger für RWE als für die Bundesregierung arbeitet, der auf die Frage, wie er denn dazu komme, sagt: So ist das Business. Bei dem steht man mal auf der einen Seite, mal auf der anderen Seite. - Das ist Ihr Verständnis von Sicherheit. ({11}) Wir haben den drittältesten Atomkraftwerkspark der Welt. Mit Biblis A betreiben wir das älteste Kraftwerk. Die Sicherheit dieser alten Möhren wollen Sie Atomlobbyisten überantworten. Das ist völlig unverantwortlich und nicht akzeptabel. ({12}) Sie erzählen uns, Sie tun das, weil Sie eine Brücke zu den erneuerbaren Energien bauen wollen. ({13}) Befragt dazu, wo denn diese Brücke ist, haben Sie, Herr Röttgen, in einem Zeitungsinterview gesagt: Wenn die Erneuerbaren 40 Prozent unseres Stroms liefern. - Lesen Sie Ihre eigene Meldung an die EU! Darin steht, dass Sie im Jahre 2020 38,6 Prozent unseres Stroms erneuerbar erzeugen wollen. Ich glaube, nach Ihrer Auffassung müssen wir spätestens 2022 - das ist jetzige Rechtslage des Ausstiegs - die 40 Prozent erreicht haben. ({14}) Was machen Sie? Sie verlängern die Laufzeit von Atomkraftwerken über 2040 hinaus. Sie haben die Brücke mal eben um 20 Jahre verlängert und nicht verkürzt, wie es richtig gewesen wäre. ({15}) Hören Sie auf, von Geld zu reden! Am Ende des Tages werden Sie für Energieeffizienz bzw. Energieeinsparung maximal 14 bis 15 Milliarden Euro haben, wenn Sie bei der Sicherheit ein Auge zudrücken. Wissen Sie, wie hoch das Investment der erneuerbaren Energien im Jahre 2009 - also in einem Jahr, nicht in 30 Jahren - gewesen ist? 17,8 Milliarden Euro. Das heißt, Sie investieren in einem Jahr mehr, als Sie glauben in 30 Jahren einsammeln zu können. ({16}) Aber wird es denn dabei bleiben? Ich empfehle einen Besuch bei der HUSUM WindEnergy. Werfen Sie dort einen Blick in die Auftragsbücher. Für das Jahr 2012 verzeichnet die HUSUM WindEnergy, die größte Messe der Windindustrie, ein Auftragsminus von 70 Prozent. 70 Prozent Einbruch! Wir werden weniger Investitionen in erneuerbare Energien haben statt mehr. Das ist Ihre Politik. Wir werden dabei Arbeitsplätze in großem Stil verlieren. ({17}) Sie sagen: Sie tun das alles für den Klimaschutz. Ich sage: Sie reißen das Klimaschutzziel! Wer 2050 80 Prozent des Stroms erneuerbar erzeugt, der wird das 2-GradZiel nicht einhalten können. Das kann man nämlich nur, wenn man vorher alle Zementwerke und alle Stahlwerke in diesem Land schließt und den Kühen verbietet, Fladen zu produzieren. Das sind nämlich die Emissionen, die wir jenseits der Energie noch haben werden. Ich frage Sie ernsthaft: Wollen Sie für den Weiterbetrieb von Kohlekraftwerken die Stahlindustrie, die Zementindustrie und die Landwirtschaft aus Deutschland vertreiben? Ich kann nicht glauben, dass Sie hier ernsthaft so etwas beschließen wollen. ({18}) Das Energiekonzept der Bundesregierung ist nichts anderes als das Geschäftsmodell von RWE, Eon, EnBW und Vattenfall. In Deutschland wird mit alten Kohle- und Atomkraftwerken Geld verdient, im Ausland wird in erneuerbare Energien investiert. Wenn die alten Möhren hier auslaufen, dann können wir den Strom aus dem Ausland importieren. Sie haben das in Ihrem eigenen Energieszenario in aller Ehrlichkeit aufgeschrieben. Bei einem Rückgang des Anteils der erneuerbaren Energien um 20 Prozent, bezogen auf die Meldungen, die Sie nach Brüssel geliefert haben, und bei einer Laufzeitverlängerung um zwölf Jahre ergibt sich im Jahre 2050 ein Nettostromimport von 25 Prozent. Ein Viertel unseres Stroms soll dann aus dem Ausland kommen. Von wegen mehr Energiesicherheit! Ich nenne das, was Sie planen, weniger Energiesicherheit. ({19}) Schlimmer noch: Der Einstieg in die erneuerbaren Energien und der Ausstieg aus der Atomenergie, die wir 2000 in einer Koalition der ökologischen Erneuerung auf den Weg gebracht haben, hat in diesem Land einen Boom bewirkt. Neue Firmen, neue Anbieter, zum Beispiel in der Windenergiebranche, oder auch regionale Anbieter wie ENTEGA und andere sind auf den Markt getreten. Das hatte einen Effekt: Jedes Jahr verloren Eon, RWE, EnBW und Vattenfall 1 Prozent Marktanteil. Das heißt, wir haben für mehr Wettbewerb gesorgt. Jetzt kommt die sogenannte bürgerliche Koalition und sagt: Das geht uns zu weit. So viel Wettbewerb wollen wir nicht. Wir wollen die Wiederherstellung des Monopols der großen Vier im Kampf gegen die Stadtwerke und die Erneuerbaren. - Dafür rauben Sie anderen Unternehmen die Investitionssicherheit. Ich sage Ihnen: Das wird keinen Bestand haben, nicht hier im Hause, nicht vor Gericht und nicht bei den nächsten Wahlen. Wir sagen in aller Deutlichkeit: Wir wollen in Deutschland verlässliche Rahmenbedingungen in der Energiepolitik. Die wird es nur geben, wenn wir zum Konsens zurückkehren und aufhören, diese Gesellschaft im Auftrag von Jürgen Großmann von RWE zu spalten, wie Sie, liebe Frau Merkel, es tun. ({20})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Für die FDP-Fraktion hat jetzt der Kollege Michael Kauch das Wort. ({0})

Michael Kauch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003698, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir sind es inzwischen gewohnt, dass die Opposition bei diesem Thema nur noch hysterisch reagiert, verblendet ist und eine eingeschränkte Wahrnehmung hat. Aber das, was wir hier gerade erlebt haben, Herr Trittin, war die größte Heuchlerrede in der ganzen Debatte. ({0}) Sie, Herr Trittin, haben bei der Asse sieben Jahre weggeschaut. Sie haben sieben Jahre nichts getan, um die Suche nach einem Endlager voranzubringen, sei es in Gorleben oder an einem anderen Standort. Sie fordern eine Standortsuche immer nur dann, wenn Sie in der Opposition sind. Das ist Ausdruck Ihrer Klientelpolitik. Was hätte Ihre Klientel denn gesagt, wenn Sie verantwortungsvoll die Endlagerfrage vorangetrieben hätten? Dann hätten diese Menschen Sie nicht mehr gewählt. Deshalb haben die Grünen nichts, aber auch gar nichts gemacht, um die Suche nach einem Endlager voranzubringen. Es ist ein Vergehen an den kommenden Generationen, was Sie gemacht haben. ({1}) Sie, meine Damen und Herren von der SPD und den Grünen, haben doch die größten Deals gemacht, die diese Republik je gesehen hat. Dafür, dass die Energieversorger die Klappe halten, haben Sie ihnen zugesagt, keine zusätzlichen Sicherheitsauflagen zu beschließen, keine Steuern zu erheben ({2}) und keine Gewinnabschöpfung vorzunehmen. Das hat Herr Scheer selber zugegeben. ({3}) Deshalb kann ich nur sagen: Wir sind die, die für mehr Sicherheit sorgen, die eine Steuer einführen und die Gewinne abschöpfen, wozu Sie sich nie getraut haben. ({4}) Wir schließen keine Deals über Sicherheit ab, wir garantieren die Sicherheit durch Gesetze. Sie haben Sicherheit durch Ihren Vertrag ausgeschlossen. Das ist der Unterschied. Es ist die Unwahrheit, was hier verbreitet wird. Wir senken keine Sicherheitsstandards. ({5}) Alle Standards, die es heute gibt, werden erhalten. ({6}) Wir setzen eine zusätzliche Risikovorsorge durch. Wenn Herr Kelber sagt: „Das war heute auch schon so“, dann schauen Sie bitte in § 18 des Atomgesetzes. Dort steht nämlich, dass die Nachrüstungen, die über das Design der Genehmigung hinausgehen, entschädigungspflichtig sind, und zwar durch das Bundesland der Atombehörde, die die Aufsicht führt. Deshalb hat es das in Deutschland nie gegeben. ({7}) Wenn Sie sich echauffieren, dass ab 500 Millionen Euro die Gewinnabschöpfung gesenkt wird, gilt doch Folgendes: Wenn wir „nur“ diese 500 Millionen von den 17 Kraftwerken nehmen, dann ersparen wir dem deutschen Steuerzahler allein durch diese Änderung 8,5 Milliarden Euro, die als Entschädigung fällig gewesen wären, wenn Sie das gemacht hätten, was wir jetzt wollen. ({8}) Deshalb sage ich, meine Damen und Herren, das, was Sie verbreiten, ist völlig abwegig. Das ist der Versuch, die deutsche Bevölkerung hinters Licht zu führen. ({9})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Kollege Kauch.

Michael Kauch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003698, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Nein, keine Zwischenfrage.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Keine Zwischenfrage. Gut, danke.

Michael Kauch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003698, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Diese Koalition geht den Weg in das Zeitalter der erneuerbaren Energien. Das gefällt Ihnen natürlich nicht, weil wir mehr machen, als Sie jemals verabschiedet haben, meine Damen und Herren. ({0}) Diese Koalition erhöht die Klimaschutzziele: 80 bis 95 Prozent bis 2050. Anders als Sie fixieren wir auch Zwischenschritte, sodass man nachprüfen kann, ob wir uns auf dem richtigen Weg befinden. Wir haben es berechnen lassen und wissen, dass es geht. Wir erhöhen die Ziele für erneuerbare Energien auf 80 Prozent beim Strom und auf über 50 Prozent beim Primärenergieverbrauch. Das haben Sie immer nur gefordert, aber Sie haben es nie umgesetzt, meine Damen und Herren. ({1}) Diese Koalition redet nicht nur von Investitionen in erneuerbare Energien. ({2}) Zusätzlich zu dem, was das Erneuerbare-Energien-Gesetz schon hergibt, zusätzlich zu dem, was die bisherigen Förderprogramme beispielsweise für Ökoheizungen hergeben, legen wir einen Energie- und Klimafonds auf. Dieser Energie- und Klimafonds wird aus den Gewinnen der Kernkraftwerke gespeist: etwa 15 Milliarden Euro. Ab 2013 kommen dann aber 100 Prozent der Erlöse aus den Emissionsrechten für CO2-Zertifikate dazu. ({3}) Das ist der größte Erfolg, den die Umweltpolitiker jemals gegenüber dem Bundesfinanzminister erreicht haben. Denn das sichert die Finanzierung der Programme für Energieeffizienz, für Gebäudesanierung und erneuerbare Energien, ({4}) ohne dass wir jedes Jahr zum Finanzminister betteln gehen müssen. ({5}) - Da steht 100 Prozent der Mehrerlöse, nämlich genau der Mehrerlöse, die noch nicht im Haushalt verplant sind. 900 Millionen Euro sind unter Herrn Steinbrück bereits verplant worden, unter anderem für das Marktanreizprogramm für erneuerbare Energien. Deshalb, Herr Kelber, sollten Sie ganz ruhig sein, wenn Sie das hier jetzt infrage stellen. ({6}) Meine Damen und Herren, das Wichtigste, was wir in diesem Energiekonzept als Bundestagsfraktionen der Union und der FDP klargestellt haben, ist: Der unbegrenzte Einspeisevorrang für erneuerbare Energien bleibt erhalten. Damit ist das Märchen vom Tisch, dass das Ganze ein Wettbewerb gegen die erneuerbare Energien wäre. Durch den unbegrenzten Einspeisevorrang können die erneuerbaren Energien nach ihren Möglichkeiten eingespeist werden. Dadurch entsteht aber kein Wettbewerb zwischen Erneuerbaren und Kernkraft, sondern ein Wettbewerb zwischen Kernkraft und Kohle. ({7}) Wenn Sie das schlecht finden, dann sind Sie die Befürworter von mehr Kohle, von mehr Gas und von weniger Klimaschutz, meine Damen und Herren von den Grünen. ({8}) Abschließend, meine Damen und Herren noch zu einem weiteren Märchen, nämlich dass der Wettbewerb so negativ für die Stadtwerke wäre. Wenn Sie die neuesten Stellungnahmen der kommunalen Unternehmen lesen, dann hört sich das schon ganz anders an. Denn unsere Fraktionen haben das Energiekonzept an dieser Stelle in wesentlichen Punkten nachgebessert. ({9}) Wir haben nicht nur ein Offshore-Förderungsprogramm, von dem gerade Zusammenschlüsse von Stadtwerken profitieren, sondern wir haben auch das Förderprogramm „Investitionszulagen für neue Kraftwerke“ auf neue, kleine Anbieter beschränkt. Es sind eben nicht RWE und Co, die davon profitieren, sondern nur noch die Stadtwerke und kleine neue Anbieter. Unser Energiekonzept ist ein Programm zur Förderung des Mittelstands. Das sollten Sie hier zur Kenntnis nehmen. ({10})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Zu einer Kurzintervention erteile ich das Wort dem Kollegen Hans-Josef Fell von Bündnis 90/Die Grünen.

Hans Josef Fell (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003115, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Kollege Kauch, Sie haben genauso wie Ihre Vorredner von Union und FDP immer wieder behauptet, dass Sie mit diesem Konzept den Ausbau der erneuerbaren Energien vorantreiben. Wenn ich in das Gutachten von EWI, Prognos und GWS schaue, das die Grundlage dieses Konzepts der Bundesregierung gebildet hat, dann kann ich diese Aussage nicht bestätigt finden. Was eine Branche mit heute 300 000 Arbeitsplätzen in dieser Republik braucht, sind gesicherte Absatzmärkte für ihre Produkte, auch in Deutschland. Dieses Gutachten sieht ein bestimmtes jährliches Ausbauvolumen vor. Die drei Säulen, die im Bereich Elektrizität, erneuerbare Energien heute existent sind - die Windkraft an Land hatte im letzten Jahr einen Zubau von 1,8 Gigawatt -, sollen in den nächsten Jahren um sage und schreibe 65 Prozent auf 0,65 Gigawatt jährlichen Zubaus reduziert werden. Nach 2020 soll dort weiter drastisch reduziert werden. Die Photovoltaik hat heute ein großes Ausbauvolumen von etwa 5 bis 6 Gigawatt; sämtliche Zahlen kennen wir noch nicht exakt. Dieses Ausbauvolumen soll um 75 Prozent zurückgeschraubt werden. ({0}) - Im ersten Schritt, und danach noch viel deutlicher. Das Ausbauvolumen der Bioenergiebranche soll jährlich gar um 85 Prozent gesenkt werden. Auch angesichts der Tatsache, dass der Ausbau der Wasserkraft und die Stromerzeugung aus Geothermie in Ihrem Konzept überhaupt keine Rolle spielen, frage ich Sie: Wie wollen Sie verantworten, dass diese Unternehmen 50 bis 70 Prozent ihres Marktvolumens verlieren werden? Wie wollen Sie verantworten, dass die zahlreichen Arbeitsplätze dort dann nicht mehr existent sind, dass einige dieser Unternehmen, die den Rückgang ihres Marktvolumens auf dem Exportmarkt nicht auffangen können, in Konkurs gehen werden müssen, dass Handwerker in den nächsten Jahren nicht mehr genügend Arbeitsaufträge haben? All das kann man im Gutachten von EWI, Prognos und GWS nachlesen. Ich habe Umweltminister Röttgen bereits mehrfach aufgefordert, zu sagen, wie seine Zahlen aussehen, wenn er abstreitet, dass die Zahlen in diesem Gutachten Grundlage des Energiekonzepts der Bundesregierung sind. Wenn ich mir die im Aktionsplan der Bundesregierung prognostizierten Zahlen anschaue, die sie nach Brüssel gemeldet hat, dann erkenne ich, dass dort ähnliche Reduktionen vorhanden sind und dass eben nicht der Ausbau erneuerbarer Energien geplant ist. Einzig und allein Offshore-Windenergie, die heute noch kein großes Marktvolumen hat, soll gewährleisten, dass der Anteil der erneuerbaren Energien an der Stromerzeugung 2020 bei 35 Prozent liegt. Wenn ich mir auch hier die Zahlen für den jährlichen Ausbau anschaue, sehe ich: Die Summe dessen, was Sie für Offshore-Windenergie plus Onshore-Windenergie auszugeben planen, ist niedriger als das, was heute für Onshore-Windenergieanlagen bereitgestellt wird. Ich stelle fest:

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Kollege Fell!

Hans Josef Fell (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003115, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

- Sie werden diese Branche in den Abgrund treiben, Arbeitsplätze vernichten

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Kollege Fell, Ihre Zeit ist schon lange zu Ende.

Hans Josef Fell (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003115, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

- und keinen Ausbau erneuerbarer Energien herbeiführen, wie ihn die Branche bräuchte. ({0})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Kollege Kauch, bitte, zur Erwiderung.

Michael Kauch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003698, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Lieber Herr Kollege Fell, das war wieder ein klassisches Beispiel von Wahrnehmungsschwäche, wie wir sie in dieser Debatte immer wieder erleben. Sie haben immer noch nicht verstanden, was wir hier beschließen. Die Fraktionen von FDP und Union haben keinen Antrag eingebracht, dass der Deutsche Bundestag ein Gutachten beschließt. Auch ist es nicht so, dass die Bundesregierung ein Gutachten beschlossen hat. Wir haben ein politisches Konzept beschlossen, dem eine Expertise zugrunde lag. Über deren Prämissen kann man streiten. Man kann sagen: Diese Expertise enthält einige Annahmen, die vielleicht zu optimistisch sind, beispielsweise was die Möglichkeit angeht, schon 2020 einen offenen europäischen Binnenmarkt zu haben. Aber die Zahlen, die Sie hier nennen, liegen nicht dem politischen Konzept der Bundesregierung und auch nicht dieser Koalition zugrunde. Es gilt das, was die Bundesregierung beschlossen hat, nämlich der Aktionsplan für erneuerbare Energien. Das ist die Grundlage, die Beschlusslage dieser Bundesregierung, und dabei wird es auch bleiben, Herr Fell. Im Übrigen geht man in dem Gutachten von der Prämisse aus, dass es einen offenen europäischen Binnenmarkt gibt. Man kann darüber streiten, ob das schon 2020 der Fall sein wird, wie es die Gutachter schreiben. Die politische Zielsetzung aber ist sinnvoll, dass wir im Blick auf die von den Verbraucherinnen und Verbrauchern zu tragenden Stromkosten erneuerbare Energien möglichst dort in der Europäischen Union produzieren lassen, wo es am kostengünstigsten ist. ({0}) Das hat nichts mit der Wertschöpfung zu tun; denn es ist für die deutschen Hersteller genauso gut, wenn ihre Windkraftanlagen an der Biskaya aufgestellt werden anstatt im Harz. Verursachen Sie hier doch bitte keine Hysterie! Es geht darum, dass wir eine Versorgung mit Strom aus regenerativen Energiequellen aufbauen wollen. Sie verwundern mich schon sehr, Herr Fell. Ich dachte immer, dass wir beide Protagonisten des Projektes Desertec sind, mit dem Strom in der Wüste erzeugt werden soll. Mit Ihrer nationalistischen Argumentation distanzieren Sie sich von der Politik, die Sie ansonsten im Deutschen Bundestag vertreten. Wir als Koalition stehen dazu, nicht nur in Deutschland, sondern in ganz Europa alle erneuerbaren Energien entsprechend ihrer Möglichkeiten auszubauen. Deshalb werden wir das Erneuerbare-Energien-Gesetz fortschreiben, mit Einspeisevorrang und Vergütungssätzen, die jeder Technologie in Deutschland eine Chance geben. ({1})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Für die SPD-Fraktion spricht jetzt der Kollege Rolf Hempelmann. ({0})

Rolf Hempelmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002671, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Ich möchte mich zuerst an Sie, Herr Bundeswirtschaftsminister, wenden. Herr Brüderle, ich habe Sie in dieser Woche zweimal gefragt, wie Sie Ihre Atompolitik mit Ihren Pflichten als oberster Wettbewerbshüter dieser Bundesregierung vereinbaren wollen. Sie haben zweimal die gleiche Antwort gegeben. Das spricht zwar für Sie, aber die Antwort war zweimal falsch. Sie haben gesagt: Das ist doch ganz einfach; wenn länger Atomstrom in das Netz eingespeist wird, erhöhen wir die Strommenge. Das Angebot wird dann größer sein als die Nachfrage, und dann sinkt der Preis. - Das klingt einfach, ist aber falsch. Klar ist: Wir erhöhen damit die Strommenge, die von den großen Vier längerfristig eingespeist werden kann. Wir stärken also das Oligopol der Vier. Interessanterweise sagt der eigentliche oberste Wettbewerbshüter in diesem Land, nämlich der Präsident des Bundeskartellamts, dass die Stärkung des Oligopols eben nicht zu niedrigeren, sondern mittelfristig zu höheren Preisen führt. ({0}) Jetzt kommen wir zum Clou: Wird das Angebot größer oder kleiner? Schauen wir uns die sonstigen Auswirkungen der Laufzeitverlängerung an. Da melden sich nämlich die Wettbewerber zu Wort, und zwar sowohl die privaten als auch die kommunalen Unternehmen. Es melden sich übrigens auch die Kraftwerksbauunternehmen. Sie sagen unisono: Aufträge, die schon in Sicht waren, werden wieder zurückgenommen. - Das heißt, mittelfristig wird die Laufzeitverlängerung dazu führen, dass das Angebot eher sinkt als steigt. Mit anderen Worten: Selbst mit Ihrer einfachen Logik müssten Sie darauf kommen, dass wir durch die Laufzeitverlängerung tendenziell steigende Preise auslösen. Jetzt kommen wir zu einer weiteren Verschärfung dieser Problematik. Herr Fuchs war ja ehrlich genug, zu sagen, dass die großen Vier durch die Laufzeitverlängerung Liquidität bekommen sollen, um Investitionen sowohl in die Erneuerbaren als auch in den konventionellen Kraftwerkspark tätigen zu können. Was bedeutet das, wenn man gleichzeitig, Herr Kauch, den Stadtwerken und den neuen Anbietern auf dem Strommarkt Mittel für Investitionen entzieht? Was nutzt es, ihnen die Möglichkeit zu geben, in Offshore-Anlagen zu investieren, wenn man ihnen zugleich die Mittel entzieht? ({1}) Darauf weisen die kommunalen Unternehmen und die neuen Anbieter hin. Sie sagen: Wir sind mit unseren Anlagen nicht mehr wettbewerbsfähig, wenn die Atomkraftwerke weiterlaufen. Man verringert damit unsere Gewinnaussichten. Wir haben in Zukunft gar keine Möglichkeiten mehr, zu investieren. ({2}) Das ist der Grund, warum Investitionen zurückgenommen werden. Das ist auch der Grund, warum der Marktanteil der großen Vier in Zukunft sogar noch wachsen wird. Die bekommen nämlich die Mittel, um in erneuerbare und in konventionelle Energien zu investieren. Das wird deren Marktmacht weiter stärken. Es gibt genug warnende Stimmen: Ich erinnere an die Aussagen des jetzigen Präsidenten des Bundeskartellamtes. Der ehemalige Präsident des Bundeskartellamtes, Böge, hat sogar ein Gutachten erstellt, in dem er all diese Konsequenzen deutlich gemacht hat. Sie haben sich einen ehemaligen Präsidenten des Bundeskartellamtes ins Haus geholt. Auch er hat in seiner alten Funktion auf all diese Zusammenhänge hingewiesen, die er aber offenbar in der Zwischenzeit - das Sein bestimmt das Bewusstsein ({3}) zu den Akten gelegt hat. Meine Kolleginnen und Kollegen, welchen Einfluss hat denn die Laufzeitverlängerung auf die Erneuerbaren? Stellt sie eine Brückenfunktion dar, wie Sie immer sagen? Sind Atomkraft und Erneuerbare das neue Traumpaar der Nation? ({4}) Stimmt es wirklich, dass Atomkraftwerke so wunderbar regelbar sind, wie Sie sagen? Schauen wir uns doch einmal Ihre eigenen Zahlen an: Sie gehen von einer ausgesprochen hohen Auslastung der Atomkraftwerke aus. Die Auslastung liegt zu Anfang bei 95 Prozent und schlägt dann nur einen sehr leichten Sinkpfad ein. Die Institute gehen von ganz anderen Zahlen aus, jedenfalls dann, wenn zugrunde gelegt wird, dass Ihre Ziele bei den Erneuerbaren erreicht werden. Die Institute sagen: In diesem Fall ist die Auslastung der Atomkraftwerke viel niedriger. Dafür gibt es eigentlich nur zwei Erklärungen. Entweder Sie haben recht, dass die Auslastung tatsächlich so hoch ist. Dann heißt das aber zugleich, dass Sie von Anfang an nicht davon ausgehen, dass die Atomkraftwerke heruntergeregelt werden und dass real - was auf dem Papier steht, ist etwas anderes - der Vorrang für Erneuerbare gegenüber Atomkraft gilt. Sie gehen vielmehr davon aus, dass jede Kilowattstunde, die in einem Atomkraftwerk erzeugt werden kann, auch wirklich ins Netz eingespeist wird. Oder - das ist die alternative Erklärung - Sie wissen, dass eine so hohe Auslastung nicht möglich ist und die Auslastung tatsächlich sinken wird. Dann müssen Sie aber offenbar etwas anderes im Kopf gehabt haben, wenn Sie dennoch von einer so hohen Auslastung ausgehen. Was denn nun? Die Erklärung ist ganz einfach: Sie wollen eine 15-jährige Laufzeitverlängerung hinter einer 12-jährigen verstecken. Sie haben behauptet, dass die Reststrommenge, die gemäß Ihrem Zugeständnis in den Atomkraftwerken produziert werden darf, für eine Restlaufzeit von 12 Jahren reicht. Wenn die Auslastung aber wegen des Ausbaus der Erneuerbaren niedriger ist, als Sie sie angeben, dann handelt es sich in Wirklichkeit um eine Verlängerung um 15 Jahre. ({5}) Das ist die Zahl, die seriöse Institute in diesem Zusammenhang nennen. ({6}) Ehrlichkeit in der Sache ist gefragt, auch bei dem anderen Thema, zu dem es heute Anträge von mehreren Fraktionen gibt. Hier geht es um den deutschen Steinkohlebergbau. Ich kann das - weil meine Redezeit schon fast abgelaufen ist - nur noch antippen. Ich sage Ihnen: Die Bundesregierung steht hier in der Pflicht. Die Kommission war auf einem guten Weg und bereit, der Bundesregierung zu folgen. Mittlerweile, Herr Brüderle, ist sie dazu nicht mehr bereit. Herr Oettinger schwänzt die wichtigsten Sitzungen. ({7}) Sie machen einen Prüfvorbehalt geltend, während Spanien und Rumänien sagen: Einspruch! Wir bestehen auf ein Ende der Subventionierung im Jahr 2018 bzw. in einem Fall im Jahr 2022. Frau Merkel, es wird wahrscheinlich Mitte Dezember auf dem Europäischen Rat ihr Job sein müssen, das durchzusetzen, was wir in Deutschland beschlossen haben und was die Kommission zwischenzeitlich schon einmal zu ihrer eigenen Politik gemacht hatte. Vielen Dank. ({8})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt Herr Bundesminister Dr. Norbert Röttgen. ({0})

Dr. Norbert Röttgen (Minister:in)

Politiker ID: 11002765

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Seit Jahrzehnten fehlt unserem Land, fehlt unserer Gesellschaft, fehlt dem Industrieland Deutschland ein Energiekonzept. Jetzt liegt es vor, weil diese Koalition im Unterschied zu den Vorgängerregierungen handelt. Das ist die Realität. ({0}) Der Punkt ist eben, dass ein Ausstieg noch kein Energiekonzept macht. Sie haben im Jahr 2000 den Ausstieg beschlossen und den Kernkraftwerken noch 20 Jahre Restlaufzeit gegeben, ({1}) aber den Einstieg versäumt. Mit Aussteigermentalität, Ideologie, Falschbehauptungen und der Kampfmentalität, die Sie zeigen, kann man kein Industrieland führen. ({2}) Vielmehr braucht man einen verantwortungsvollen Einstieg in die Energieversorgung. ({3}) - Vielleicht kann es bei all den Kampfbehauptungen und Falschbehauptungen, die aufgestellt worden sind, hier auch einmal möglich sein, eine sachliche Bemerkung zu machen. ({4}) Einstieg bedeutet übrigens nicht nur den Ausbau von Kapazitäten. Wenn man in die Versorgung mit erneuerbaren Energien einsteigen will, dann braucht man auch einen Einstieg in die dazugehörige Infrastruktur aus Netzen und Speichertechnologien. ({5}) Ohne das haben Sie keine Versorgung mit erneuerbaren Energie, meine Damen und Herren. ({6}) Auf diesem Gebiet haben Sie, Herr Kollege Trittin, schlicht und ergreifend nichts gemacht. ({7}) - Sie haben nichts gemacht. - Wir müssen jetzt die Folgen Ihrer Untätigkeit kompensieren. Wir tun es auch. Darauf können Sie sich verlassen. ({8}) Genau aus diesem Grund ist übrigens eine Laufzeitverlängerung, wie ich von Anfang an gesagt habe, notwendig. ({9}) - Jetzt lasse ich keine Zwischenfrage zu. - Im Jahr 2000 ist der Ausstieg beschlossen worden. Wir sind jetzt zehn Jahre weiter. Im Laufe der vergangenen zehn Jahre ist auf dem Gebiet des Netzausbaus und bei den Speicherkapazitäten praktisch nichts passiert. Wir können nicht einfach sagen: Das, was jetzt bei null steht, wird in zehn Jahren bei 100 Prozent sein. - Damit gefährden wir die Energiesicherheit und die Versorgung mit erneuerbaren Energien in Deutschland, und das dürfen wir nicht tun. Energie ist auch eine Frage von elementarer Sicherheit; diese gewährleisten wir. ({10}) Ich stelle mir die Frage, warum Sie, Herr Kelber und Herr Trittin, in dieser Debatte in einem solchen Maß Falschbehauptungen bewusst - anders kann ich mir das nicht erklären - aufstellen, die parlamentarisch schon sehr befremdlich sind, die ich aber auch für scheinheilig und verantwortungslos halte. ({11}) Ich glaube, dass es einen Grund gibt, warum Sie mit dieser Mischung aus Aggressivität, Kampfrhetorik und Falschbehauptungen hier auftreten. ({12}) - Ich werde ja gerade konkret. - Den Grund hat, wie ich glaube, der Kollege Scheer heute auf den Punkt gebracht. Herr Kollege Scheer, ich will das noch einmal herausarbeiten; denn ich glaube, dass Sie den Sachverhalt ganz zutreffend geschildert haben. ({13}) Sie haben zutreffend gesagt: Der Ausstiegsvertrag, den Rot-Grün abgeschlossen hat, war ein Vertrag im Sinne des Wortes. Es war nämlich ein Austausch von Leistung und Gegenleistung, der darin bestand, dass sich die Kernenergieversorgungsunternehmen damit einverstanden erklären, dass Kernkraftwerke in Deutschland nur noch gut 20 Jahre betrieben werden. Dann haben Sie die Gegenleistungen des Staates, der Regierung genannt. Sie haben zum Beispiel gesagt: Es wird - das war die Gegenleistung - keine Steuern, keine Kernbrennstoffsteuer, geben, und es wird auch nicht mehr Sicherheit geben, weil Sicherheitsmaßnahmen auch ein Kostenfaktor sind. Als Gegenleistung des Staates verzichten wir auf diese Kostenbelastungen. ({14}) Dazu will ich Ihnen zwei Dinge sagen. Die damalige Regierung hat mit den Zusagen, es gebe keine Kernbrennstoffsteuer und nicht mehr Sicherheitsmaßnahmen, über Rechte verhandelt, die allein diesem Haus zustehen. Es ist das Recht des Parlaments, Steuern zu beschließen, und nicht das Recht der Regierung, darüber Verträge mit Kernenergiewirtschaftsunternehmen zu schließen. Es beschädigt die Demokratie, es beschädigt das Parlament, ({15}) wenn die Regierung dieses Parlament entmündigt. Es beschädigt Demokratie und Parlament, dass die Koalitionsfraktionen von damals bei diesem parlamentarischen Entmündigungsprozess mitgemacht haben. Das ist ein parlamentarischer Skandal, den Sie zu verantworten haben. ({16}) Der zweite Skandal, der tief in das Staatsverständnis einschneidet, ({17}) besteht darin, dass Sie über Sicherheit verhandelt haben. Sie haben damals gesagt: Wir, die rot-grüne Regierung, sind damit einverstanden, dass Sicherheit nicht zur Bedingung für den Betrieb von Kernkraftwerken gehört. Sie ist ein Kostenfaktor. Wir sichern euch zu, dass an diesem Kostenfaktor nichts geändert wird, egal was die Sicherheit der Sache nach erfordert. - Das ist der Vertrag, den Sie abgeschlossen haben. ({18}) Ich habe Ihnen in der Regierungsbefragung zugesagt, dass ich in jeder energiepolitischen Debatte aus dem Vertrag, den Sie geschlossen haben, vorlesen werde. ({19}) - Vollständig. - Ich möchte Ihnen einige Vertragskautelen vorlesen. Der damalige Minister für Reaktorsicherheit, Jürgen Trittin, hat selber unterschrieben und zugesagt, dass die Bundesregierung keine Initiative ergreifen werde, um diesen Sicherheitsstandard zu ändern. Er hat die Zusage gegeben: Es gibt keine Veränderung bei Sicherheit und Sicherheitsstandards, und es gibt auch keine Erhöhung von Sicherheit. - Das hat er zugesagt, obwohl sich die Sicherheitstechnik vielleicht weiterentwickelt. ({20}) Das ist die Zusage, die Sie gegeben haben. Sie ist unverantwortlich. ({21})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Kollege Röttgen, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Scheer?

Dr. Norbert Röttgen (Minister:in)

Politiker ID: 11002765

Nein danke. Ich möchte keine Zwischenfrage zulassen. Ich kann noch weitergehen und andere Behauptungen von Ihnen anführen. Herr Kollege Trittin, Sie haben behauptet - auch das wider besseres Wissen; Sie sollten das in solchen Debatten unterlassen ({0}) - nein, Sie haben behauptet -: Wenn es zur Genehmigung von Gorleben kommt, dann wird sie ohne ein atomrechtliches Genehmigungsverfahren erfolgen. ({1}) Diese Behauptung ist definitiv falsch. ({2}) Wenn es, was wir heute noch nicht wissen, zu einer Genehmigung von Gorleben als Endlager kommen sollte - das ist ein ergebnisoffener Prozess -, ({3}) dann kann dies nur auf Grundlage und nach Abschluss eines atomrechtlichen Zulassungsverfahrens geschehen. Etwas anderes zu behaupten, ist die blanke Unwahrheit. Erzählen Sie nicht solche Unwahrheiten, nur um StimBundesminister Dr. Norbert Röttgen mung zu machen und Angst zu schüren! Lassen Sie das sein! Es ist unverantwortlich. ({4}) Es gibt eine zweite Unwahrheit, die Sie verbreiten. Man fragt sich schon, ob Sie nicht irgendein Argument in der Sache oder irgendeinen Vorschlag haben, wie Sie es machen wollen. Offensichtlich haben Sie kein Argument und keinen Vorschlag, sonst würden Sie nicht Unwahrheiten erzählen. ({5}) Sie behaupten nämlich, durch das Gesetz würde die Sicherheit geschmälert. Ich betone zum wiederholten Male in diesem Parlament: nicht mit einer Vorschrift, nicht mit einem Wort! Vielmehr bleibt der komplette Standard an Sicherheitsvorschriften und Sicherheitsmaßnahmen, der jetzt im Atomgesetz mit allen Klagemöglichkeiten und mit allen Verfahren sowie mit allen materiellen Vorschriften enthalten ist, selbstverständlich erhalten. Es wird nichts begrenzt; es wird nichts beschnitten. Alle Sicherheitsvorschriften bleiben zunächst so, wie sie sind. Aber zu den Sicherheitsstandards, die wir haben, kommt eine Stufe von Sicherheitsanforderungen hinzu; diese führen wir zusätzlich ein. ({6}) Es wird ein über das bisherige Maß der Erforderlichkeit hinausgehender Maßstab zur weiteren Vorsorge gegen Risiken angelegt, mit dem erstmalig eindeutig klargestellt wird, dass dann, wenn sich die Technik und die Wissenschaft auf dem Gebiet der Sicherheit fortentwickeln, diese neuen zusätzlichen Sicherheitserkenntnisse auch als rechtliche Anforderung an den Betrieb von Kernkraftwerken im Einzelfall durchgesetzt werden können. Das ist ein klarer Fortschritt an Sicherheit; das ist mehr Sicherheit. ({7}) Dies wird allerdings nicht in einem Vertrag, sondern in einem Gesetz geregelt. Das haben Sie in beiderlei Hinsicht nicht zustande gebracht. Das ist die Wahrheit. Sie wollen dieses Gesetz bekämpfen, weil Sie an diesem Punkt gescheitert sind. ({8}) Sie haben nicht mehr Sicherheit erreicht, sondern Sie haben gedealt. Den Vorwurf kann ich Ihnen nicht ersparen. ({9}) Wir haben in diesem Vertrag den Aspekt der Sicherheit nicht angesprochen. Das ist der entscheidende Unterschied zu Ihrer damaligen Vereinbarung. ({10}) Es gibt in dem Vertrag, der allein Regelungen zur Gewinnabschöpfung beinhaltet, keine Limitierung der Sicherheitsanforderungen. Es gibt eine neue, zusätzliche Grundlage für Sicherheitsmaßnahmen. Der eine Reaktorsicherheitsminister, der die Sicherheit verdealt hat, heißt Jürgen Trittin; das muss hier einmal ausgesprochen werden. Sie sind das, was Sie anderen vorwerfen. Das ist die Realität. ({11}) Jetzt noch einmal zur Sache. Zum Einstieg möchte ich einen Teil der Falschbehauptungen, die Sie machen, widerlegen. Wir haben gerade wieder über den Ausstieg gesprochen; ich rede jetzt über den Einstieg, über die Ziele, die wir verfolgen. Der Einstieg, den wir vornehmen, dient dazu, die Energiesicherheit und die Klimaverträglichkeit zu steigern sowie die Wachstums- und Wettbewerbspotenziale der Technologien in den Bereichen der erneuerbaren Energien und der Effizienzsteigerung zum Nutzen unseres Landes und des Klimas auszuschöpfen. ({12}) Wenn man das erreichen will, dann muss man heute handeln. Wenn man heute nicht handelt und weiter Versäumnisse zulässt, wie Sie es getan haben, dann steuert man auf massive Probleme bei der Energieversorgung und der Klimaverträglichkeit zu; das ist völlig klar. Deshalb sind die Ziele anspruchsvoll und ehrgeizig; sie sind aber erreichbar, wenn man heute handelt. Ich drücke die Ziele, die wir uns setzen, in Zahlen aus: Reduzierung der Treibhausgasemission um 80 bis 95 Prozent bis 2050 in dem Langfristhorizont, in dem man Energiepolitik nur machen kann; Steigerung des Anteils der erneuerbaren Energien an der Stromversorgung auf 80 Prozent; Halbierung des Stromverbrauchs durch mehr Energieeffizienz. Verbesserung der Energieeffizienz um 2,1 Prozent pro Jahr, bezogen auf den gesamten Energieverbrauch. Das sind anspruchsvolle Ziele. Aber wir trauen uns zu, sie mit konsequenter Politik zu erreichen, und zwar in Etappen, die wir einlegen, mit einem Überprüfungsprozess und mit 60 konkreten Maßnahmen beispielsweise zur Finanzierung von Offshore-Windkraftanlagen. ({13}) Wir werden auch den Ausbau der Onshore-Anlagen vorantreiben. ({14}) - Kollege Fell, Sie wissen es doch besser. ({15}) Allein in diesem Jahr werden wir wahrscheinlich eine Verdopplung der gesamten nationalen Kapazität auf dem Gebiet der Photovoltaik erreichen, und das, nachdem wir die Vergütung reduziert haben, weil die Marktpreise in der Photovoltaik um 40 Prozent gesunken sind. Es kann also überhaupt nicht die Rede davon sein, dass die Branche einbricht, wie Sie es in der Debatte behauptet haben. Die Branche boomt. Wir wollen, dass sie boomt, weil das für die Entwicklung unseres Landes gut ist. ({16}) Neben den genannten Maßnahmen haben wir - das ist schon gesagt worden - ein Sofortprogramm mit zehn Punkten finanziell abgesichert. Es wird in einem Jahr umgesetzt. Zur Erreichung der Ziele werden 60 Maßnahmen ergriffen. Dazu bieten wir eine Finanzierung, von der man als Umwelt- und Klimapolitiker nur träumen kann. ({17}) Das ist ein Erfolg, den ich für nicht möglich gehalten habe, als wir mit den Gesprächen darüber begonnen haben. Der Aufbau beginnt im nächsten Jahr mit einem Betrag von 300 Millionen Euro. Ab 2013 wird verlässlich und langfristig ein Betrag von jährlich rund 3 Milliarden Euro für Energiepolitik, Effizienzpolitik und Klimaschutzpolitik zur Verfügung stehen. Das ist ein sensationeller Erfolg. Wir sind stolz, dies erreicht zu haben. ({18}) Weil es sich hier um das anspruchsvollste und konsequenteste Umwelt- und Energieprogramm handelt, ist es ein Meilenstein in der Umwelt- und Klimaschutzpolitik in Deutschland. Das vertreten und verteidigen wir. Wir werden es gegen Ihren Neid und Ihre Proteste umsetzen, weil es - das ist unsere Orientierung - gut für unser Land ist. ({19})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Für die SPD-Fraktion spricht jetzt der Kollege Marco Bülow. ({0}) - Ich habe übersehen, dass Bärbel Höhn von den Grünen eine Kurzintervention beantragt hat. Bitte sehr, Frau Höhn.

Bärbel Höhn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003774, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Minister Röttgen, Sie haben die Zwischenfrage, die ich stellen wollte, nicht zugelassen. Sie haben in dieser Debatte als Zweiter geredet, nicht als Erster. Das macht deutlich: Sie sind der Verlierer dieses Jahres; das muss man eindeutig so sehen. ({0}) Weil Sie der Verlierer sind, klammern Sie sich an einen einzigen Punkt: Sie würden mehr Sicherheit bieten als die anderen. Deshalb zitiere ich aus der damals geschlossenen Vereinbarung noch einmal, was dort zum Thema Sicherheit steht. Denn Sie zitieren immer nur einen Satz und versuchen, aus diesem abzuleiten, es habe weniger Sicherheit gegeben. Dabei verschweigen Sie die anderen Sätze. Kennen Sie folgenden Satz aus der damals geschlossenen Vereinbarung? Während der Restlaufzeiten wird der von Recht und Gesetz geforderte hohe Sicherheitsstandard weiter gewährleistet … Die EVU werden bis zu den in Anlage 3 genannten Terminen - also dynamisch Sicherheitsüberprüfungen … durchführen und die Ergebnisse den Aufsichtsbehörden vorlegen. Erstmals! Daraus ist das kerntechnische Regelwerk entstanden. Es liegt auf Ihrem Schreibtisch. Warum setzen Sie es nicht endlich in Kraft? Dann hätten wir mehr Sicherheit bei den Atomkraftwerken. Sie verhindern die Sicherheitsstandards bei den Atomkraftwerken. ({1}) - Auch die Kanzlerin will ablenken, weil ihr das unangenehm ist. Wenn Sie schon, Herr Röttgen, so viel Wert auf Sicherheit und Vorsorge legen, dann müssen wir Sie an Ihren eigenen Maßstäben messen. Sie haben in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 20. Mai dieses Jahres gesagt: Drei - Kernkraftwerke haben keinen Schutz gegen Flugzeugabstürze. Die Kraftwerke müssen etappenweise auf den Stand der Nachrüsttechnik gebracht werden. Nach unserem Atomausstieg würde das Atomkraftwerk Biblis A jetzt abgeschaltet. Herr Minister, sind wir uns einig, dass die beste Sicherheit für die Bevölkerung ist, wenn wir Biblis A abschalten, nicht mehr und nicht weniger? ({2}) Das wäre aus dem Atomausstieg von Jürgen Trittin und anderen gefolgt! Aber ich frage Sie heute sehr konkret: Was wollen Sie an Nachrüstungsmaßnahmen für Biblis A in Gang setzen? Wie sieht Ihre Sicherheit für Biblis A wirklich aus? Das wollen wir endlich von Ihnen hören; denn dazu haBärbel Höhn ben Sie bisher konkret nie etwas gesagt. Wir erwarten, dass Sie das heute tun. Der letzte Punkt, den ich ansprechen möchte. Sie versuchen immer, darzustellen, wir wären gegen Netze und Netzausbau. Können Sie bestätigen, dass es Jürgen Trittin war, der 2005 mit dem Infrastrukturbeschleunigungsgesetz hier einen Weg gewiesen hat? Woran ist er gescheitert? Er ist im Bundesrat an der Mehrheit der CDU/CSU- und FDP-geführten Länder gescheitert. Sie haben den Ausbau der Infrastruktur seit 5 Jahren blockiert. Das waren Sie und nicht wir. ({3})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Herr Bundesminister, bitte.

Dr. Norbert Röttgen (Minister:in)

Politiker ID: 11002765

Frau Kollegin, nur, damit wir uns richtig verstehen: Ich bin, offen gestanden, gar nicht der Auffassung, dass Sie gegen Sicherheit und gegen den Netzausbau sind. ({0}) Meine These ist nur, dass Sie auf all diesen Gebieten nichts erreicht haben. Sie sind Maulhelden und können gut reden; aber Sie bekommen nichts hin. Das ist der Unterschied zwischen unseren beiden Regierungen: ({1}) Wir legen jetzt ein Energiekonzept vor. Bei uns steht die Sicherheit im Gesetz. Der arme Trittin musste sie verdealen. Ich behaupte gar nicht, dass er das wollte. Aber er hat bei den Rotwein- und Zigarrenrunden keine Chance gehabt, die Sicherheit ins Gesetz zu bringen. Das war damals die Realität: Tun wir doch nicht so, als wäre das alles vergessen! ({2}) Er hat es nicht hinbekommen. Es ist beschämend, das immer wieder vortragen zu müssen, ({3}) aber ich muss das tun, weil bei Ihnen eine partielle Vergesslichkeit, was das eigene Tun anbelangt, festzustellen ist. ({4}) Darum will ich noch einmal die Passage vorlesen, die sozusagen der Gipfel des Ausverkaufs von Parlamentsrechten ist, den Sie sich in diesen Rotwein- und Zigarrenrunden mit der Kernenergiewirtschaft geleistet haben. ({5}) Da haben Sie ja nicht nur die Sicherheit verdealt, sondern Sie haben sogar zugesagt, dass die Beteiligten diese Vereinbarung auf der Grundlage schließen, dass in dem zu novellierenden Atomgesetz - das ist Sache des Parlamentes! - einschließlich der Begründung die Inhalte dieser Vereinbarung umgesetzt werden. Die rot-grünen Koalitionsfraktionen haben sich selber zu einem Umsetzungsgesetzgeber bezüglich der Vereinbarungen mit der Kernenergiewirtschaft degradiert. ({6}) Jetzt kommt es noch stärker. Es hätte ja sein können, dass jemand in der Regierung oder im Parlament sich herausgenommen hätte, etwas anderes zu beschließen, als die Vereinbarung vorgesehen hat. ({7}) Darum wurde Folgendes sichergestellt: Über die Umsetzung in der AtG-Novelle wird auf der Grundlage des Regierungsentwurfs vor der Kabinettsbefassung zwischen den Verhandlungspartnern beraten. ({8}) Bevor etwas ins Kabinett geht, wird es Eon und RWE vorgelegt, damit die feststellen können, ob es in Ordnung ist. Das ist eine besondere Form der Ressortabstimmung, die Sie da vorgenommen haben. Das ist eine Peinlichkeit und ist ein Skandal und nichts anderes. ({9}) Jetzt kommen wir einmal zu Biblis A. Ich frage Sie: Wie haben Sie im Jahr 2000 die Risiken von Biblis A eingeschätzt? Dramatisch? Hinnehmbar? Jedenfalls haben Sie mit Ihrer Risikoeinschätzung, die nicht meine ist, dem zugestimmt, dass Biblis A noch zehn Jahre läuft. ({10}) Waren das wirklich dramatische Risiken? Wenn ein Kernkraftwerk den Sicherheitsanforderungen nicht genügt, dann muss es abgeschaltet werden. ({11}) Wenn Sie dieser Auffassung waren, dann hätten Sie das veranlassen müssen. ({12}) Sie waren die Aufsicht über die Aufsicht, Herr Kollege Trittin. Sie haben auch auf diesem Feld versagt. Bei Fragen der Sicherheit darf man nicht nur reden; dabei muss man handeln. ({13}) Wir schaffen nunmehr eine bessere, zusätzliche Grundlage dafür, dass die Atomaufsicht der Länder einschreiten und handeln kann, selbst wenn der Atomaufsichtsminister im Bund mehr ein Maulheld als ein Handelnder ist. ({14}) Die Atomaufsicht der Länder kann jetzt handeln, wenn sie möchte. So wird das sein, wenn dieses Gesetz hier beschlossen wurde. ({15})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Nun bitte ich um Aufmerksamkeit für den nächsten Redner. Das ist der Kollege Marco Bülow für die SPDFraktion. ({0})

Marco Bülow (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003512, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich wünsche allen gerade geborenen Kindern und denen, die demnächst geboren werden, alles Gute. Allerdings: Wenn die Regierung ihre Atomvorhaben wahrmacht, werden diese Kinder unnötigen zusätzlichen Gefahren und Belastungen ausgesetzt. Erst wenn die jetzt neu Geborenen 30 Jahre alt sind, werden sie hoffen können, dass wir endlich aus der Uralttechnologie Atomkraft aussteigen. Der radioaktive Abfall - jährlich zusätzlich 400 Tonnen - wird den nachfolgenden Generationen auch in Tausenden von Jahren noch vor den Füßen liegen. All diese Kinder hatten niemals die Chance, darüber zu entscheiden, ob die Atomkraftwerke länger laufen sollen, ob sie Atomkraft überhaupt wollen. ({0}) Sie müssen mit den Gefahren und dem Abfall leben, egal wie jetzt entschieden wird. Das nennen Sie Demokratie? Das nennen Sie Generationengerechtigkeit? ({1}) Zu Biblis A: Wenn Biblis A jetzt noch 8 Jahre länger läuft, dann wird Biblis A am Ende 44 Jahre alt sein. Auf der Welt gibt es kein Atomkraftwerk, das 44 Jahre alt ist. Wir haben weltweit keine Erfahrung damit, was mit Kernkraftwerken passiert, die über 40 Jahre alt sind, wie sie erodieren und welche neuen Gefahren dadurch entstehen. Wir sprechen nämlich nicht nur über die Gefahren, die jetzt entstehen, sondern auch über die Gefahren, die hinzukommen, wenn Atomkraftwerke über 40 Jahre am Netz sind. Wenn wir noch an der Regierung wären, dann wäre Biblis A jetzt verschwunden. ({2}) So müssen wir diese Gefahr auch in Zukunft hinnehmen. Es gibt weitere Auswirkungen, beispielsweise auf die Investitionen in die erneuerbaren Energien. Sie postulieren immer wieder die große Brücke. Das Gegenteil ist doch der Fall, und deswegen steigen Ihnen die Stadtwerke aufs Dach. Die Auswirkung davon wird sein, dass die meisten jetzt nicht mehr in erneuerbare Energien investieren, weil sie wissen, dass der Markt gesättigt ist. Das heißt, der Weg ins solare Zeitalter wird deutlich länger. Es ist ferner fraglich - das ist eine weitere Auswirkung -, ob Gorleben, sofern Sie es als Endlager durchsetzen, für den Atommüll überhaupt ausreicht oder ob wir ein weiteres Endlager brauchen. Auch darüber sollten Sie sich vielleicht einmal Gedanken machen. Da wir schon beim Thema Müll sind: Jedes Unternehmen, auch jede Currywurstbude braucht einen Entsorgungsplan. Nur diejenigen, die den gefährlichsten Abfall von allen produzieren, haben, 50 Jahre nachdem das erste Atomkraftwerk in Deutschland ans Netz ging - Herr Kauch, wir sprechen nicht von 7, sondern von 50 Jahren -, noch immer keinen Entsorgungsplan und noch immer kein Endlager. Das sollten wir, glaube ich, auch einmal auf den Punkt bringen. Das ist absurd. ({3}) Frei nach Minister Brüderle, der heute von Einstiegsregierung gesprochen hat: Ja, Sie sind eine Einstiegsregierung, und zwar steigen Sie ein in eine alte, gefährliche Versorgungs- und Energiepolitik. Sie sind vor allen Dingen eine Einstiegsregierung für die Allmacht der Atomlobby. Es fing an mit Herrn Hennenhöfer. Das muss man sich noch einmal zu Gemüte führen: Herr Hennenhöfer war einer der größten Atomlobbyisten, den es in Deutschland gab. Den haben Sie als Erstes in die Regierung geholt, um ihn für die Atomfragen zuständig zu machen. Dann haben Sie eine Anwaltskanzlei, die hauptsächlich für RWE arbeitet, beschäftigt, um einen Atomvertrag zu schreiben. Dann haben Sie für Ihre Prognose noch einen Gutachter bestellt, der von den großen Energieversorgungsunternehmen getragen wird. Herr Kauch, Sie haben gerade davon gesprochen, dass dieses Gutachten und die Prognose nicht in erster Linie berücksichtigt würden. Schauen Sie bitte einmal in Ihr Energiekonzept! Darin steht nicht nur, dass die Prognose wichtig ist, sondern auch, dass das, was darin steht, der Kompass für Ihre Energiepolitik ist. Schauen Sie da vielleicht einmal hinein! ({4}) Zusammengefasst: Da haben also Leute ein Atomgesetz erstellt - es ist ja schön, dass die Bundesregierung an diesem Atomgesetz überhaupt beteiligt worden ist -, die hauptsächlich und maßgeblich für die Atomwirtschaft arbeiten. Die haben ihr eigenes Gesetz geschrieben. Das haben Sie hier eingebracht und nennen das auch noch „Revolution“ und „Einstieg in das Zeitalter der Erneuerbaren“. Das ist wirklich ein Hohn. Das ist wirklich das, was ich scheinheilig nenne, Herr Umweltminister. In Zukunft werden wir uns die Frage stellen müssen, wie überhaupt mit einzelnen Maßnahmen in dem Bereich umgegangen worden ist. Ich will als ein Beispiel die Brennelementesteuer nennen, die Sie hier immer wieder so hochhalten; das sei das Tolle, was Sie der Energiewirtschaft abgerungen haben. Ja, im Sommer hörte es sich noch ganz gut an. Wir hatten ja als Erste gefordert, dass es eine Brennelementesteuer geben soll. Irgendwann sind Sie dieser Forderung gefolgt und haben dann postuliert, Ihr Finanzminister beispielsweise: Die Brennstoffsteuer kommt unbefristet. Sie wird unabhängig vom Atomgesetz gemacht, und sie hat auch eine bestimmte Höhe. - Was wir jetzt haben, ist eine befristete Brennelementesteuer. Sie fällt deutlich niedriger aus, als Sie im Sommer postuliert haben. Das Allerbeste ist: Im Gesetz steht, dass sich die Atomwirtschaft das Recht nimmt - Sie billigen ihr dieses Recht zu -, dagegen Klage zu führen. Das heißt, Sie gehen doch davon aus, dass es die Brennelementesteuer am Ende vielleicht gar nicht geben wird, und nehmen das nur als Ausrede dafür, dass Sie der Atomwirtschaft irgendetwas abgerungen haben. Das, denke ich, ist scheinheilig. ({5}) Dann zu Ihren Argumenten, Herr Brüderle und Herr Fuchs - ich kann es nicht mehr hören; denn das sind die Debatten aus den 70er- und 80er-Jahren -: Wenn wir die Atomkraftwerke nicht länger laufen lassen, dann gehen hier die Lichter aus; dann brauchen wir Energie aus Tschechien usw. - Das sind die alten Kamellen, die immer wieder gebracht werden. ({6}) Ich will Ihnen einmal Folgendes sagen - vielleicht kennen Sie die Zahlen ja und verschweigen sie; oder Sie haben keine Ahnung -: Im ersten Halbjahr 2010 gab es in Deutschland einen Stromexportüberschuss von 11 Milliarden Kilowattstunden. Das ist ungefähr die Menge von sieben Atommeilern. Wir könnten also sieben Atommeiler abschalten, ohne auch nur eine Kilowattstunde neu von irgendwo herholen zu müssen oder durch Erneuerbare generieren zu müssen. Dazu kommen noch zwei Atomreaktoren, die eigentlich immer stillstehen, die wegen Pannen und anderer Ungeschicklichkeiten gar nicht am Netz sind. Das heißt, neun Atomkraftwerke - das ist mehr als die Hälfte könnten wir sofort abschalten, ohne irgendeinen Effekt zu spüren. Das ist die Realität in Deutschland! Reden Sie doch nicht davon, dass die Lichter ausgehen! ({7}) Herr Röttgen, was Ihre tollen, unglaublichen Vorhaben und all die Maßnahmen angeht, die Sie durchführen wollen, so sind 35 von diesen Maßnahmen Prüfaufträge. Wir wissen doch, wie diese Prüfaufträge am Ende ausgehen. Das ist nur Schönmalerei in Ihrem Gesetz. Im Prinzip haben Sie nichts auf den Tisch gelegt, außer der Verlängerung der Atomlaufzeiten. Deswegen, Herr Röttgen, werden Sie auch nicht als Umweltminister in die Geschichte eingehen, sondern als Atomminister. Ich finde es schade, dass die Umweltpolitiker der Union - sie haben ja heute auch nicht geredet; wahrscheinlich deshalb, weil es ihnen peinlich ist oder weil sie nicht durften -, von denen ich einige sehr schätze, leider nicht mitdiskutieren und Ihnen leider keinen Widerstand leisten. ({8}) Zum Schluss. Es gibt ein schönes Sprichwort von Erich Kästner: Du sollst den Kakao, durch den man dich zieht, nicht auch noch trinken. - In diesem Sinne: Leisten Sie doch endlich Widerstand! Wir jedenfalls werden das tun: hier im Parlament und auf der Straße - gegen Ihre verrückten Pläne. ({9})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Nun hat das Wort der Kollege Dr. Christian Ruck für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Dr. Christian Ruck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001893, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Bülow, Sie haben ganz übersehen, dass ich noch drankomme. Ich bezeichne mich tatsächlich als Umweltpolitiker. ({0}) Deswegen möchte ich an dieser Stelle gern meine Version der Dinge vortragen: Ich bin jetzt immerhin schon 20 Jahre Parlamentarier und habe vieles erlebt. Ich muss aber zugeben: Von dieser unwürdigen und unseriösen Show, die Sie von RotGrün in diesen Wochen im Rahmen der Energiediskussion abliefern, bin ich schon beeindruckt. Sie arbeiten mit Unterstellungen, mit Verleumdungen, mit Verdächtigungen und auch mit Verhetzung. Sie schüren Gewalt und wecken Illusionen. Das ist mit meinem Verständnis von Parlamentarismus nicht zu vereinbaren. ({1}) In dieser Debatte geht es um mehr als nur um das eine oder andere Einzelgesetz. Es geht um eine grundsätzliche Weichenstellung, auch für das Wohl und Wehe unserer Kinder und Kindeskinder. ({2}) Mich ärgert zum Beispiel, dass Sie die Bundesregierung kritisieren, weil sie die Endlagerfrage jetzt entschlossen angeht, ({3}) was Sie zehn Jahre lang mit allen möglichen Mitteln verhindert haben. Ich kann mich noch gut an die Auseinandersetzungen erinnern, die wir im Parlament geführt haben. Sie haben nichts anderes getan, als der Bevölkerung den Atommüll vor die Füße zu kippen. Noch jetzt stehen die Castorbehälter in der freien Prärie, sozusagen in besseren Garagen. ({4}) Das ist keine Antwort auf die Atommüllfrage. Das war Feigheit und Verantwortungslosigkeit. ({5}) Ich möchte Ihnen jetzt einmal etwas zu den angeblichen Lobbyisten in diesem Haus sagen: Die Kernkraftbetreiber haben insbesondere für die Forschung aufsummiert Subventionen in Höhe von 20 Milliarden Euro erhalten. Die Solarbranche, die ganz offiziell und finanziell dem einen oder anderen von Rot-Grün nahe steht, wird in den nächsten Jahren Subventionen in Höhe von 100 Milliarden Euro erhalten. Die Kernkraft macht aber ein Viertel der Stromerzeugung aus - und die Photovoltaik nur 1 Prozent - und verursacht zehnmal so hohe CO2-Vermeidungskosten wie die Windenergie. So viel zum Thema Lobbyismus. Was ich außerdem als Unverschämtheit ansehe, ist Ihre Geschichte mit den Geheimverträgen. Das ist eine Verleumdung. ({6}) Was wir im Koalitionsvertrag vereinbart haben, unterscheidet sich nicht von dem, was wir jetzt machen. Im Gegensatz zu Ihren Mauscheleien von damals werden die Verträge erst unterschrieben, wenn das gesamte parlamentarische Verfahren durchgezogen ist ({7}) und dieses Hohe Haus darüber beschlossen hat. Das unterscheidet uns von den damaligen Weicheikoalitionären von Rot-Grün fundamental. ({8}) Ich bekenne mich ohne Wenn und Aber zu diesem Energiekonzept. Es ist ein großes Rad. Es beinhaltet ehrgeizige Ziele. Wir haben den Weg dazu gewiesen. Herr Hempelmann, ich bin immer für einen seriösen Austausch von Meinungen. Ich würde nie sagen, dass dieses Energiekonzept keine Verbesserungen nötig hat. Wir werden im Laufe der nächsten Jahre und vielleicht auch der nächsten Jahrzehnte sehr wohl miteinander diskutieren können, was wir korrigieren müssen und welche Verbesserungsmöglichkeiten es gibt. Die Weichenstellungen, die hier getroffen sind, halte ich aber für richtig. Das betrifft auch die Laufzeitverlängerung. Ich habe immer Respekt vor Leuten gehabt - auch vor Kollegen -, die gesagt haben: Wir wollen dieses Restrisiko auch wegen Tschernobyl damals nicht tragen. - Es ist aber genauso ehrenhaft, wenn man in einem Abwägungsprozess zu anderen Ergebnissen kommt - vor dem Hintergrund der völlig anders gearteten Sicherheit der deutschen Kernkraftwerke und alternativer Gefahren wie dem Klimawandel -, wenn man die Atommüllfrage ganz entschlossen angeht und das Atommüllproblem löst. Ich sage ganz offen: Durch die längeren Laufzeiten der Kernkraftwerke, die billigen und CO2-freien Strom liefern, ({9}) verschaffen wir uns die nötigen gewaltigen Finanzmittel, ({10}) die für den Umbau unserer nationalen Wirtschaft nötig sind, und zwar ohne dass wir Hunderttausende von Arbeitsplätzen ins Ausland treiben. Das ist der eigentliche Punkt. Das ist die eigentliche Brücke, eine Brücke, die nicht ins Nichts führen darf. ({11}) Die erste Lebenslüge von Rot-Grün lautet, dass unsere Wirtschaft auch dann blüht, wenn die Energiekosten steigen. ({12}) Die zweite Lebenslüge ist, dass die erneuerbaren Energien sofort die Rolle der konventionellen Kraftwerke übernehmen könnten. ({13}) Ich sage Ihnen: Wenn wir Ihrer Strategie folgen würden, wäre das ein gigantischer Schildbürgerstreich. Dann würden wir nämlich mit teurem Geld, und zwar dem der normalen Stromkunden und Bürger, einen Hype im Bereich der Sonnen- und Windenergie erzeugen. ({14}) Aber der Strom könnte gar nicht mehr abgenommen werden, weil wir weder die nötigen Speichertechnologien noch die nötigen Netze haben. ({15}) Deswegen ist es nur logisch, ({16}) dass wir Geld und Zeit gewinnen müssen, sowohl für die Entwicklung neuer Technologien und neuer Netze ({17}) als auch, Herr Kelber, für die Entwicklung von Technologien zur CO2-Abscheidung. Auch Sie von Rot-Grün könnten an dieser Stelle beweisen, dass es Ihnen wirklich um den Klimaschutz geht. ({18}) Wir haben die Chance. Wir brauchen aber noch mehr Technologien. Allein mit der CO2-Abscheidetechnologie ({19}) könnten wir die 12 Tonnen CO2, die jeder Bundesbürger pro Jahr verursacht, ({20}) um 5 Tonnen reduzieren. Das wäre ungeheuer viel. ({21}) Deswegen ist die CO2-Abscheidung ein wichtiger Bestandteil unseres Energiekonzeptes. Darüber hinaus brauchen wir Geld und Zeit für die Gebäudesanierung; auch dies ist für uns ein entscheidender Hebel. Jetzt komme ich zum Wettbewerb.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Herr Kollege, darf ich Sie kurz unterbrechen?

Dr. Christian Ruck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001893, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Der Kollege Bülow würde gerne eine Zwischenfrage stellen.

Dr. Christian Ruck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001893, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Nein, keine Zwischenfrage. ({0}) Die Einwände der Kommunen und die Diskussion mit ihnen müssen wir sehr ernst nehmen. Ich habe den Eindruck, dass der Widerspruch der Kommunen, seitdem unser Energiekonzept vorliegt, erheblich geringer geworden ist, ({1}) weil auch wir Parlamentarier einiges zum Wohle der Kommunen getan haben. Ich sage noch einmal: Ich halte die Kommunen für ein ganz wichtiges Element der Wettbewerbsregulierung auf unserem Energiemarkt. ({2}) Lassen Sie mich darauf hinweisen - Herr Kauch hat es schon gesagt -: Gerade wir Umweltpolitiker und auch die Entwicklungspolitiker sind stolz darauf, erkämpft zu haben, dass ab dem Jahr 2013 nicht 50 Prozent der Mehrerlöse aus dem Handel mit Emissionszertifikaten für den Umwelt- und Klimaschutz bereitgestellt werden, sondern 100 Prozent. ({3}) Hier hat uns auch der Bundesfinanzminister, der über seinen Schatten gesprungen ist, geholfen. Dafür bin ich ihm sehr dankbar. ({4}) Meine Damen und Herren, unsere Fraktion hat in dieser Woche den Kongress „Klima und Energie - Technologien für eine nachhaltige Zukunft“ veranstaltet. Dieser Kongress hat mich beschwingt. Wir haben noch viele Möglichkeiten. Aber wir brauchen auch noch viele Technologiesprünge, um unsere ehrgeizigen Ziele zu erreichen. Wir setzen der rot-grünen Kultur des Destruktivismus eine ganz andere Haltung entgegen. Wir vertrauen auf den Mut, auf den Einfallsreichtum und auf die Tatkraft der deutschen Ingenieure und Naturwissenschaftler. Wir setzen auf Innovation. So werden wir die ökonomische und die ökologische Führerschaft Deutschlands in der Welt ausbauen. Vielen Dank. ({5})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege Bernhard Schulte-Drüggelte für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Bernhard Schulte-Drüggelte (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003629, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Wir beraten heute über das Energiekonzept der Bundesregierung. Die fünf Gesetzentwürfe beraten wir zum ersten Mal. Es geht um den Energiemix der Zukunft, um eine zuverlässige, wirtschaftliche und umweltverträgliche Energieversorgung. Wir haben heute erlebt - wie auch in den letzten Tagen und Wochen -, dass natürlich kontrovers, hitzig und aufgeregt diskutiert wird; das ist völlig selbstverständlich. Aber, werte Kollegin Höhn, es wäre schön, wenn man zumindest in der Nähe der Wahrheit bliebe. ({0}) Ich bin der Meinung, dass die Probleme möglichst sachlich debattiert werden sollten und dass man sich am Wohl der Allgemeinheit orientieren sollte. Zumindest sollte man das versuchen. Bei der Rede von Herrn Trittin vorhin ist mir aufgefallen: Wenn man sehr laut ist, wird das Argument nicht besser. - Ich erinnere mich noch an Joschka Fischer. Er hat einmal gesagt, wenn er schreien wolle, dann gehe er ins Fußballstadion. Sie sollten sich vielleicht einmal ein Beispiel daran nehmen. ({1}) Die Bürgerinnen und Bürger und auch die Wirtschaft haben einen Anspruch auf verlässliche Antworten für die kommenden Jahre und auch für die nächsten Jahrzehnte. ({2}) Wir sollten verlässlich sein. Orientierung ist nötig. Ich möchte in diesem Zusammenhang am Anfang der Beratungen nur zwei Fragen stellen. Die erste Frage richtet sich an die Menschen, die Energie einsparen sollen: Zu welchen Investitionen können wir die Menschen ermuntern, und wie kann der Staat das unterstützen? Die zweite Frage richtet sich an die Wirtschaft: Welche Investitionen können wir der Wirtschaft zumuten, ohne dass sie Betriebe und Arbeitsplätze ins Ausland verlegt? Das sind für mich die wichtigen Fragen, die die Grundlage der Beratung sind. Es geht um die Interessen verschiedener Branchen; das haben wir gerade in einigen Beiträgen gehört. Aber für mich geht es nicht um Industrieinteressen. Für mich geht es vielmehr um das wohlverstandene Interesse unseres Industrielandes. Ich finde, das ist ein Unterschied, den man einmal herausstellen sollte. ({3}) Der Bundestag wird jetzt öffentliche Anhörungen durchführen. Dabei besteht für Wissenschaft und Wirtschaft die Möglichkeit, Argumente darzulegen. Herr Kelber, die Beratungen fangen jetzt erst an, und die Entscheidungen fallen später. Sie brauchen sich jetzt noch nicht zu entscheiden. Warten Sie die sachlichen Beratungen ab und treffen Sie erst dann die Entscheidung! ({4}) Ich finde eines ganz besonders wichtig, nämlich dass sich die Abgeordneten ihrer öffentlichen Verantwortung bewusst sind ({5}) und einigermaßen neutral bleiben, vielleicht auch eine innere Distanz haben und dann im Interesse des Landes entscheiden. ({6}) - Das habe ich gerade gesagt; so sollte es sein. - Was Herr Gysi vorhin gesagt hat - er ist jetzt nicht mehr hier; Sprüche, und dann weg -, war nicht in Ordnung; denn die Vorgehensweise, die ich gerade aufgezeigt habe und der auch Sie zustimmen, ist keine Schwächung der Demokratie, sondern eine Stärkung der Demokratie. ({7}) - Das stimmt! Die erneuerbaren Energien sollen eine tragende Säule der künftigen Energieversorgung werden. Das ist ein Ziel, das viele von uns haben. Wir streiten uns jetzt über den richtigen Weg; das ist selbstverständlich. Die Koalition will Wirtschaft und Umwelt zusammenbringen. Versorgungssicherheit, Bezahlbarkeit und Umweltverträglichkeit - das sind die Stichworte. Herr Fuchs hat gerade schon gesagt: Wir wollen eine ideologiefreie und technologieoffene, aber keine machtorientierte Energiepolitik. Das ist das Ziel. ({8}) - Das ist das Ziel, Herr Kollege. ({9}) Zu einer sachorientierten Problemlösung - lassen Sie mich das noch sagen - gehört auch eine sachorientierte Sprache. Das Schüren von Emotionen ist bestimmt nicht immer hilfreich. Vor allem spricht das gegen eine ernsthafte Debatte, die bei diesem ernsten Thema nötig ist. Ich habe den Eindruck, dass es Ihnen um Sprüche und nicht um die Sache geht. Ich bin zwar für ein streitiges Debattieren, aber dieses streitige Debattieren sollte im Interesse der Zukunftsfähigkeit des Industrielandes Deutschland sein. Herzlichen Dank. ({10})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen nun zunächst zu den unstrittigen Überweisungen. Es geht dabei um die Tagesordnungspunkte 25 b bis 25 d und 25 f sowie die Zusatzpunkte 8 bis 10 und 12. Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 17/3051, 17/3052, 17/3053, 17/3055, 17/3043, 17/3044, 17/3061 und 17/3049 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. - Ich sehe, damit sind Sie einverstanden. Dann sind diese Überweisungen so beschlossen. Nun geht es um die Überweisungen, bei denen die Federführung strittig ist. Tagesordnungspunkt 25 a. Der Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und FDP zum Energiekonzept der Bundesregierung auf Drucksache 17/3050 soll an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse überwiesen werden. Die Federführung ist strittig. Die Fraktionen der CDU/CSU und FDP wünschen Federführung beim Ausschuss für Wirtschaft und Technologie. Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen wünscht Federführung beim Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit. Wir stimmen nun zunächst über den Überweisungsvorschlag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen ab, das heißt Federführung beim Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit. Wer stimmt für diesen Überweisungsvorschlag? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Überweisungsvorschlag ist damit mehrheitlich abgelehnt. Nun stimmen wir über den Überweisungsvorschlag der Fraktionen der CDU/CSU und FDP ab, das heißt Federführung beim Ausschuss für Wirtschaft und Technologie. Wer stimmt für diesen Überweisungsvorschlag? Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Dieser Überweisungsvorschlag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen bei Gegenstimmen der Oppositionsfraktionen angenommen. Tagesordnungspunkt 25 e. Hier wird interfraktionell die Überweisung des Entwurfs eines Kernbrennstoffsteuergesetzes der Fraktionen der CDU/CSU und FDP auf Drucksache 17/3054 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Die Federführung ist ebenfalls strittig. Die Fraktionen der CDU/CSU und FDP wünschen Federführung beim Haushaltsausschuss. Die Fraktionen der SPD, Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen wünschen Federführung beim Finanzausschuss. Auch hier stimmen wir zunächst einmal über den Vorschlag der Fraktionen der SPD, Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen ab, das heißt Federführung beim Finanzausschuss. Wer stimmt dafür? - Wer ist dagegen? Enthaltungen? - Dann ist dieser Überweisungsvorschlag abgelehnt. Nun stimmen wir über den Überweisungsvorschlag der Fraktionen der CDU/CSU und FDP ab, das heißt Federführung beim Haushaltsausschuss. Wer stimmt für diesen Überweisungsvorschlag? - Wer stimmt dagegen? Enthaltungen? - Dieser Überweisungsvorschlag ist angenommen, das heißt die Federführung liegt beim Haushaltsausschuss. Zusatzpunkt 11. Der Antrag der Fraktion Bündnis 90/ Die Grünen zur Überprüfung der Verfassungsmäßigkeit eines Gesetzgebungsverfahrens zur Verlängerung der Laufzeiten von Atomkraftwerken auf Drucksache 17/3083 soll an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse überwiesen werden. Auch hier ist die Federführung strittig. Die Fraktionen der CDU/CSU, FDP und SPD wünschen Federführung beim Innenausschuss. Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen wünscht Federführung beim Rechtsausschuss. Wir stimmen zunächst über den Überweisungsvorschlag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen ab, das heißt Federführung beim Rechtsausschuss. Wer stimmt für diesen Überweisungsvorschlag? - Wer ist dagegen? Enthaltungen? - Dann ist dieser Überweisungsvorschlag abgelehnt. Nun stimmen wir über den Überweisungsvorschlag der Fraktionen der CDU/CSU, FDP und SPD ab, das heißt Federführung beim Innenausschuss. Wer stimmt für diesen Überweisungsvorschlag? - Wer ist dagegen? - Enthaltungen? - Dann ist dieser Überweisungsvorschlag mit den Stimmen der Fraktionen, die diese Federführung auch beantragt haben, angenommen, das heißt die Federführung liegt beim Innenausschuss. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 26 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Klaus Ernst, Matthias W. Birkwald, Heidrun Dittrich, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Rente ab 67 vollständig zurücknehmen - Drucksache 17/2935 6654

Not found (Mitglied des Präsidiums)

Ausschuss für Arbeit und Soziales ({0}) Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Gesundheit Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache eineinhalb Stunden vorgesehen. - Ich sehe, damit sind Sie einverstanden. Dann können wir so verfahren. Wenn die Gespräche der Kolleginnen und Kollegen außerhalb des Plenarsaals durchgeführt werden und wir die volle Konzentration auf die Redner dieser Debatte haben, dann kann ich die Aussprache eröffnen. Ich eröffne die Aussprache. Als erster Redner hat das Wort der Kollege Klaus Ernst für die Fraktion Die Linke. ({1})

Klaus Ernst (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003753, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Frau Präsidentin! Wir legen Ihnen heute einen Antrag vor, mit dem wir das Ansinnen, das Renteneintrittsalter deutlich zu erhöhen, ablehnen wollen. Sie argumentieren, dass es aufgrund der demografischen Entwicklung notwendig sei, dass man zukünftig erst mit 67 in Rente gehen kann. Sie sagen: Weil die Menschen länger leben, verlängert sich die Zeit, in der sie Rente beziehen. Das ist nicht finanzierbar, und weil es nicht finanzierbar ist, müssen die Menschen länger arbeiten, um die Rentenbezugszeiten wieder zu verkürzen. Das greift zu kurz. Wir leugnen nicht, dass es demografische Veränderungen gibt. Aber wir glauben nicht, dass es deshalb notwendig wäre, länger zu arbeiten. Ich möchte Ihnen einige Gründe vortragen, warum wir das weder für sinnvoll noch für notwendig halten. Wir wissen, dass das Bruttoinlandsprodukt jährlich in einer Größenordnung von etwa 1,5 Prozent wächst. Das bedeutet, dass wir im Jahre 2030 ein deutlich höheres Bruttoinlandsprodukt haben als heute. Ferner wissen wir, dass gleichzeitig die Zahl der Menschen, die im Jahr 2030 in der Bundesrepublik Deutschland leben werden - das sagen uns alle Demografen -, sinken wird. Es werden deutlich weniger sein, als es heute sind. Was haben wir dann für einen Zustand? Wir haben den Zustand, dass der Kuchen, der zu verteilen ist, deutlich größer geworden ist. Im Jahr 2030 wird er rund 30 Prozent größer sein, es werden sich aber deutlich weniger Menschen diesen Kuchen teilen müssen. Wenn ich den Dreisatz heranziehe, den man auf der Volksschule Sauerland lernt, dann weiß ich, dass die einzelnen Kuchenstücke - wenn der Kuchen größer wird und weniger Leute ihn sich teilen müssen - nicht kleiner, sondern größer werden. Das Problem ist, dass Sie diesen Tatbestand permanent leugnen. ({0}) - Das hat mit Baumschule nichts zu tun, sondern es hat etwas damit zu tun, dass Sie das Argument benutzen, um die Menschen hinter die Fichte zu führen - wie die Kanzlerin immer so schön sagt -, indem Sie so tun, als sei das ein demografisches Problem. Das ist es aber nicht. Warum gibt es aber trotzdem ein Problem, wenn der Kuchen größer wird und damit auch die Kuchenstücke? Jemand klaut uns den halben Kuchen, bevor er an die Bürgerinnen und Bürger und an die Rentnerinnen und Rentner verteilt wird. Diesen Kuchenklau betreiben Sie. ({1}) Ich sage Ihnen auch, in welcher Weise Sie das tun. Sie tun das dadurch, indem Sie beispielsweise die Einführung des Mindestlohns verweigern. Durch die Verweigerung des Mindestlohns fehlen Einzahlungen in die Rentenkassen. Sie verweigern es dadurch, dass Sie Leiharbeit in der derzeit geltenden Form zulassen, weil Leiharbeiter deutlich weniger verdienen als Vollzeitbeschäftigte in einem normalen Arbeitsverhältnis. Auch dies ist Kuchenklau: Wir wissen, dass 40 Prozent der neu abgeschlossenen Arbeitsverhältnisse insbesondere bei jungen Menschen nur noch als befristete Verhältnisse abgeschlossen werden, weshalb auch die Bezahlung niedriger ist. Wir wissen auch, dass die Menschen durch die Hartz-Gesetze so viel Angst vor einem Arbeitsplatzverlust haben, dass sie bereit sind, Lohnsenkungen hinzunehmen. Es ist Fakt, dass wir in der Bundesrepublik eine sinkende Lohnquote zu verzeichnen haben; das werden Sie doch wohl nicht leugnen wollen. Wenn Sie die Löhne von der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, von dem größer werdenden Kuchen abkoppeln, dann ist es logisch, dass wir Probleme bei der Finanzierung der Rentenkasse haben. Das hat aber nichts mit Demografie zu tun, sondern schlichtweg mit der Tatsache, dass Sie den Menschen, insbesondere auch den Rentnern, einen großen Teil dessen vorenthalten, was in diesem Land erwirtschaftet wird. Das ist eine Tatsache. ({2}) Frauen sind davon besonders betroffen. Wir wissen, dass die geringeren Löhne von Frauen später zu geringeren Rentenleistungen führen werden. Auch dazu haben Sie mit Ihrem Vorschlag, die Rente ab 67 einzuführen, keinen vernünftigen Beitrag geleistet. Ein anderes Argument betrifft die Frage, ob der Arbeitsmarkt und die Beschäftigungssituation insgesamt es hergeben, die Menschen länger arbeiten zu lassen. Da genügt ein Blick auf die Realität. Nur 9,9 Prozent der 64-Jährigen, also derjenigen, die bis 67 arbeiten sollten, haben eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung, nur 6,4 Prozent arbeiten Vollzeit. Das sind Zahlen der Bundesregierung. Wenn man sich die einzelnen Berufsgruppen anschaut, dann stellt man fest: Von den Malern und Lackierern sind es gerade einmal 2,9 Prozent, die im Alter von 64 Jahren noch eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung haben, von den Mechanikern sind es 2,8 Prozent, im Bau- und Raumausstattergewerbe sind es 2,7 Prozent, von den Bäckern sind es 2,0 Prozent und von den Dachdeckern, Gerüstbauern und Zimmerern sind es 1,6 Prozent. Denen, deren Beschäftigungsquote im Alter von 64 Jahren - es geht um die sozialversicherungspflichtige Beschäftigung - nur 1,6 Prozent beträgt, sagen Sie, sie sollten bis 67 arbeiten. Wissen Sie was? Diese Leute halten Sie schlichtweg für verrückt. Diese Rechnung geht einfach nicht auf. ({3}) Wenn also insgesamt 90 Prozent außen vor sind, dann gibt die Arbeitsmarktsituation einen späteren Renteneintritt schlichtweg nicht her. Die höchste Arbeitslosenquote bei den 55- bis unter 65-Jährigen haben wir in Ostdeutschland mit 13 Prozent. Wenn man sich den Anteil der Älteren an den Erwerbslosen ansieht, dann stellt man fest, dass wir seit 2004 eine kontinuierliche Steigerung des Anteils der Älteren an den Erwerbslosen insgesamt haben. Und dann sagen Sie, dass die Arbeitsmarktsituation es erlaubt, dass die Menschen länger arbeiten. 36 Prozent der Betriebe beschäftigen keinen einzigen Menschen über 50. Nur 11,7 Prozent der neu Eingestellten sind über 50 Jahre alt. Gleichzeitig kürzen Sie noch die Mittel für die aktive Arbeitsmarktpolitik, die diese Situation vielleicht ändern könnte. An Ihren Aussagen wird deutlich, dass Sie es überhaupt nicht darauf anlegen, das zu tun, was im Gesetz mit Ihrer Zustimmung beschlossen wurde, nämlich im Jahr 2010 zu prüfen, ob die Arbeitsmarktsituation überhaupt ein späteres Renteneintrittsalter ermöglicht. Sie nehmen diese Prüfung überhaupt nicht ernst. Frau von der Leyen, ich zitiere Sie aus dem Focus vom 17. Mai 2010: Es hat enorme Kraft gekostet, die Rente mit 67 festzuschreiben. Wenn wir keine griechischen Verhältnisse wollen, müssen wir länger arbeiten. Wir leben auch länger. Sie bringen kein einziges Argument bezüglich der Beschäftigungssituation in der Realität. ({4}) Herr Brauksiepe sagt es noch deutlicher. Er ist ein ganz Ehrlicher. Er sagte über die Rente mit 67: Es wird dabei bleiben, egal wie die Beschäftigung Älterer aussieht. So veräppeln Sie die Leute im Land. ({5}) Sie tun so, als würden Sie tatsächlich darüber nachdenken; in Wirklichkeit haben Sie die Entscheidung aber längst gefällt. Es wird immer angeführt, die Situation in den Betrieben werde sich verbessern. Im Jahr 2009 haben nur 44 Prozent aller Betriebe überhaupt Weiterbildung betrieben, und zwar für die gesamte Belegschaft. Wir wissen auch, dass Weiterbildung in den Betrieben in der Regel für die Höherqualifizierten angeboten wird und weniger für die, für die die Rente mit 67 unmöglich ist. Also hält auch das Argument der Weiterbildung einer Überprüfung nicht stand. In Wirklichkeit führt die Rente ab 67 für 90 Prozent der Beschäftigten zu höheren Abschlägen. Sie wissen das. Der Abschlag beträgt 7,2 Prozent für alle, die schon im Alter von 64 Jahren keinen Job mehr haben und dann bis 67 arbeiten müssten. Das ist offensichtlich gewollt. Die Rente ab 67 ist nichts anderes als ein Rentenkürzungsprogramm. Das ist das, was Sie den Menschen hierzulande zumuten. ({6}) Ich möchte auf eine Größenordnung hinweisen. Die Höhe der Abschläge hat von 2000 bis 2008 von 35 Euro auf durchschnittlich 115 Euro zugenommen. Das bedeutet, dass wir bei einem durchschnittlichen Rentenanspruch von 848 Euro noch einmal 115 Euro abzuziehen haben. Sie treiben mit der Rente ab 67 die Menschen in die Grundsicherung im Alter. Das ist es, was Sie offensichtlich vorhaben. Sie wollen die gesetzliche Rente kaputtschießen, um die privaten Versicherungen zu stützen. Das ist Ihr Konzept. ({7}) Ein weiteres Argument, das Sie immer anführen, ist das der Generationengerechtigkeit. Wir wissen, dass nur um 0,5 Prozent höhere Beiträge notwendig wären, um auf die Rente ab 67 zu verzichten; 0,25 Prozent für den Arbeitnehmer. Ich kenne keinen, der wegen 0,25 Prozent zwei Jahre länger arbeiten möchte. 0,25 Prozent sind beim Durchschnittsverdiener 7 Euro. Wegen 7 Euro zwei Jahre länger arbeiten zu lassen, das ist dann Ihre Generationengerechtigkeit. Ich sage Ihnen: Sie treffen mit diesem Vorschlag Jung und Alt gleichermaßen. Die Jungen kriegen weniger Geld, kriegen weniger Rente und sollen länger arbeiten. Den Alten muten Sie zu, in den Betrieben zu bleiben, bis sie umfallen. Vielleicht löst sich dann das eine oder andere Rentenproblem biologisch. Das ist offensichtlich das, worauf es hinausläuft. ({8}) Meine Damen und Herren, ich halte diese Politik, die Sie hier betreiben, für absolut unzumutbar. Deswegen möchte ich auch noch einmal auf unsere Vorschläge eingehen; dies ist nötig. Die Rente mit 67 gehört sofort zurückgenommen. Es ist auch keine Lösung - das muss ich meinen Kolleginnen und Kollegen der SPD sagen -, zu sagen: Dann warten wir mal bis 2015, aber 2029 wird sie dennoch voll wirken. Ihr Vorschlag, dass die Rente mit 67 bei einer Beschäftigungsquote der 60- bis 65-Jährigen von 50 Prozent eingeführt werden soll, bedeutet dann immer noch, dass die Hälfte der Betroffenen nur eine Rentenkürzung kriegt. Das kann doch nicht eure Lösung sein. Deshalb überdenken Sie diesen Vorschlag bitte noch einmal, damit wir da zurande kommen. Ein weiterer Punkt ist: Wir brauchen natürlich sofort eine Stabilisierung der Löhne, unter anderem den gesetzlichen Mindestlohn, und wir brauchen vor allen Dingen eine andere Rentenformel. Wir brauchen eine Erwerbstätigenversicherung, in die alle einzahlen und in der alle gleich behandelt werden - auch die Beamten, auch die Selbstständigen und auch wir als Mitglieder des Deutschen Bundestages. ({9}) Es ist nicht akzeptabel, dass hier den Menschen dauernd eine Kürzung der Renten - auch mit der Rente ab 67 verordnet wird, während gleichzeitig die Abgeordneten des Bundestages so tun, als würde es sie überhaupt nichts angehen. Es geht sie auch tatsächlich nichts an, weil sie sich selber eine höhere Rente genehmigen. Das ist aus meiner Sicht nicht akzeptabel. Es muss bei der Rente ab 65 bleiben, und es muss für bestimmte Berufsgruppen eine Möglichkeit zum vorzeitigen Ausstieg geben. Ich danke für die Aufmerksamkeit. ({10})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Nächster Redner ist der Kollege Peter Weiß für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Peter Weiß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003255, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Für diejenigen in unserem Land, die in den nächsten 10, 20 Jahren in Rente gehen können, also die Seniorinnen und Senioren der Zukunft, gibt es eine wirklich gute Nachricht. Diese Nachricht ist, dass die Lebenserwartung, dass die Lebenszeit, die wir beim Renteneintritt vor uns haben, in den kommenden Jahrzehnten noch einmal deutlich ansteigen, wir also einen echten Gewinn an Lebenszeit und Lebensqualität haben werden, und dass sich damit auch die Zeit, in der wir aufgrund einer lebenslangen Arbeitsleistung Rente beziehen, noch einmal deutlich ausweiten wird. Ich finde, diejenigen, die diesen erfreulichen Zugewinn an Rentenleistung, an Lebensqualität, an Lebenszeit haben werden, dürfen sich auch mit einem Stückchen Solidarität für diesen Zugewinn bedanken. Die Antwort auf die Frage, ob wir in den kommenden Jahren und Jahrzehnten eine Veränderung an der Regelaltersgrenze in der gesetzlichen Rentenversicherung vornehmen, richtet sich zuallererst danach, ob das Solidaritätsprinzip in der Sozialversicherung in unserem Land noch funktioniert. ({0}) Damit komme ich sehr bewusst - dies auch aufgrund meiner Vorbildung - zu der christlichen Soziallehre, zu der als wichtiges Prinzip das Solidaritätsprinzip gehört. Aber ich habe gelernt, dass auch bei der Linken, bei den Sozialisten, Solidarität ein hoher Wert sei. ({1}) Deswegen muss ich Ihnen Folgendes sagen: Solidarität ist keine Einbahnstraße. Wenn sich diejenigen, die an der Bezugsdauer von Rente, an Lebensjahren und an Lebensqualität etwas hinzugewinnen, zu Recht auf die Solidarität der Jungen, die dafür bezahlen, verlassen können, dann kann es umgekehrt nicht verkehrt sein, dass die Älteren auch ein Stück Solidarität mit den Jungen üben und ihnen dieses Bezahlen ein bisschen erleichtern. Solidarität ist keine Einbahnstraße. Deswegen ist das, was die Linke hier vorführt, der Todesstoß für das Solidaritätsprinzip in unserem Land. ({2}) - Norbert Blüm war ein Bundesarbeitsminister, der in der Tradition der christlichen Soziallehre und des Solidaritätsprinzips stand und deswegen dafür gesorgt hat, dass die gesetzliche Rentenversicherung in Deutschland ein stabiles System der Altersvorsorge ist und bleibt. ({3}) Der Kollege Ernst, der offensichtlich ein fleißiger Bäcker ist, hat versucht, das Ganze mit dem Kuchenbeispiel etwas anders darzustellen. ({4}) Er hat allerdings etwas Entscheidendes verschwiegen: Der Kuchen der Zukunft wird anders aufgeteilt als heute. ({5}) Heute teilen sich diesen Kuchen sehr viele Erwerbstätige und wenige Rentnerinnen und Rentner. In der Zukunft werden sich immer weniger Erwerbstätige den Kuchen mit Rentnerinnen und Rentnern teilen. Schon das zeigt, dass sein Kuchenbeispiel nicht stimmt. Wer Kuchen stiehlt, fährt eben Porsche, Herr Ernst. ({6}) Richtig ist: Wenn überhaupt eine Chance bestehen soll, dass ältere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer länger arbeiten, als das heute der Fall ist, dann muss es auch die entsprechenden Arbeitsplätze dafür geben. Die Erfahrung der vergangenen 10 bis 20 Jahre war, dass es diese Arbeitsplätze nicht in genügender Zahl gab. Deswegen ist die Erwerbstätigenquote Älterer in Deutschland immer weiter gesunken. Vorruhestandsmodelle wurden modern, durch die dafür gesorgt wird, dass die Erwerbsquote Älterer so niedrig ist, wie sie ist. In den kommenden 10 bis 20 Jahren wird sich diese Entwicklung allerdings ins Gegenteil verkehren. Im Jahr 2029 - das ist das Jahr, in dem die neue Regelaltersgrenze 67 in Kraft treten soll - werden wir in Deutschland fast 8 Millionen Erwerbstätige weniger als heute haben. Schon heute wird uns ein massiver Fachkräftemangel vorausgesagt. Angesichts dieser Situation kann man eben nicht bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag warten. Peter Weiß ({7}) Vielmehr muss man jetzt handeln; denn die notwendige Anzahl an Arbeitsplätzen ist in den kommenden Jahren erkennbar vorhanden. Wenn wir nicht handeln, werden wir den Fachkräftemangel in Deutschland massiv erhöhen. Zu Recht fordern die Wählerinnen und Wähler, unsere Mitbürgerinnen und Mitbürger von uns, den Politikern, immer, ihnen die Wahrheit zu sagen. Die Wahrheit ist: 2029 gibt es 8 Millionen Erwerbstätige weniger als heute. Wir haben einen dringenden Bedarf, dass Menschen länger arbeiten. Es gibt die Chance, das zu gewährleisten, und diese Chance sollten wir auch nutzen. ({8}) Jetzt kann man sich natürlich fragen: Wie macht man das? ({9}) SPD und Linke haben den Vorschlag gemacht, abzuwarten. ({10}) Man will schauen, wie sich die Erwerbstätigkeit Älterer entwickelt, und irgendwann später möchte man handeln. ({11}) - Doch. Sie wollen abwarten.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Birkwald?

Peter Weiß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003255, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Bitte.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Herr Kollege Birkwald, bitte.

Matthias W. Birkwald (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004012, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Herr Kollege Weiß, ich habe zwei Fragen an Sie. Bundeskanzlerin Merkel hat in ihrer Regierungserklärung vom 30. November 2005 gesagt - ich zitiere -: Wenn wir es nicht schaffen, dass auch die Älteren wieder die Chance haben, länger arbeiten zu können, dann werden wir in der Gesellschaft kein Verständnis dafür erhalten, dass wir die Lebensarbeitszeit insgesamt verlängern. Beides muss Hand in Hand gehen. Alles andere wird keine Akzeptanz finden. ({0}) Vor diesem Hintergrund bitte ich Sie erstens, zu bewerten, was es dann bedeutet, dass im Jahr 1999 29,6 Prozent derjenigen, die neu in Rente gegangen sind, aus versicherungspflichtiger Beschäftigung kamen und es dann mit mehr oder weniger kontinuierlichem Absinken im Jahr 2008 nur noch 17,8 Prozent waren. Dazu hätte ich gern eine Antwort von Ihnen. ({1}) Zweitens möchte ich Sie fragen, wie Sie auf die Idee kommen können, dass das Kuchenbeispiel, das Klaus Ernst vorgetragen hat, falsch sei. Die Kuchenstücke werden natürlich größer, wenn es weniger Menschen in der Gesamtgesellschaft gibt. Das ist jetzt nicht irgendwoher, sondern das können Sie gern nachlesen: „Rente mit 67“, Monitoring-Bericht des Netzwerks für eine gerechte Rente. Darin sind die Zahlen enthalten. Im Jahr 1970 gab es einen Anteil der Erwerbspersonen an der Bevölkerung, der im Jahr 2060 wieder erreicht werden wird. Warum das in der Zwischenzeit, in der wir im Verhältnis deutlich mehr Erwerbspersonen haben, ein Problem sein soll, erschließt sich mir nicht. Auch darauf hätte ich gerne eine Antwort. ({2})

Peter Weiß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003255, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Es ist alles einfache Mathematik. Sie sollten aber bitte auch die Variablen im Spiel benennen. ({0}) Erster Punkt. Machen wir ein kleines Beispiel. Heute trifft sich eine Großfamilie mit zehn Personen. Davon sind drei Personen in Rente und sieben Personen junge Leute, die voll und ganz im Erwerbsleben stehen, Steuern und Sozialversicherungsbeiträge zahlen. Diese Leute essen zusammen den Kuchen. Drei Stückchen bekommen die Senioren, sieben Stückchen bekommen die jungen Leute, die arbeiten gehen und den Kuchen bezahlt haben. ({1}) In 20 Jahren treffen wir keine zehn Personen mehr am Tisch, sondern nur noch sechs. Von denen, die da sitzen, hat natürlich jeder mehr Kuchen zur Verfügung. ({2}) Jetzt kommt aber der große Unterschied. Drei von ihnen sind in Rente, und drei gehen arbeiten und haben den Kuchen bezahlt. Diesen Punkt haben Sie nicht mit berechnet. Deswegen ist Ihre Rechnung falsch. ({3}) Zweiter Punkt. Dass in Zeiten hoher Arbeitslosigkeit viele nicht aus dem Erwerbsleben heraus, sondern aus Arbeitslosigkeit heraus in Rente gehen, ist richtig. Die entscheidende Frage, die Sie aber völlig ausblenden, ist: Was bringt die Zukunft? Peter Weiß ({4}) Am vergangenen Montag haben auch Sie an der Anhörung des Ausschusses für Arbeit und Soziales teilgenommen. Herr Dr. Walwei vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung hat uns Folgendes vorgetragen - ich zitiere -: Die Beschäftigungsquoten haben in den letzten zehn Jahren enorm zugelegt. ({5}) - Ich beantworte Ihnen Ihre Frage. Sie haben zwei Fragen gestellt. Jetzt bekommen Sie auch zwei Antworten. ({6}) - Doch. - Frau Präsidentin.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Ich habe die Uhr noch nicht weitergestellt.

Peter Weiß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003255, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Gut. Das gilt im Grunde für alle Altersgruppen, 50- bis 54-, 55- bis 59-, 60- bis 64-Jährige, bei der letzten Gruppe am allerstärksten. Auch die Erwerbsneigung der Älteren hat kontinuierlich zugenommen. Herr Birkwald, deswegen ist es richtig, was ich hier vorgetragen habe. Wir haben schon heute einen Anstieg der Beschäftigungsquote Älterer. Diese Beschäftigungsquote Älterer werden wir in den nächsten Jahrzehnten noch einmal deutlich steigern, auch steigern können, weil nicht genügend jüngere Arbeitskräfte in den Arbeitsmarkt nachkommen. ({0}) Es ist die Frage gestellt worden, was man als Rente ausbezahlt bekommt. Es ist - wie es oft in Rentendebatten geschieht - das Lied von der sinkenden Rente und der Zerstörung des gesetzlichen Rentensystems gesungen worden. Die Anhebung der Altersgrenze in der gesetzlichen Rentenversicherung und damit die Möglichkeit, zwei Jahre zusätzlich etwas für seine Rente anzusparen, ({1}) führt aufgrund des in der Rentenformel enthaltenen Nachhaltigkeitsfaktors dazu, dass die Möglichkeiten für Rentensteigerungen in den kommenden Jahren nicht abnehmen, sondern zunehmen. Deshalb ist in Wahrheit die Anhebung der Regelaltersgrenze für die gesetzliche Rentenversicherung keine Zerstörung, sondern eine Stabilisierung und schafft die Möglichkeit, dass auch künftigen Rentnerinnen und Rentnern wieder Rentenerhöhungen zugutekommen. Das ist, wie ich finde, eine positive Nachricht für künftige Seniorinnen und Senioren in unserem Land. ({2}) Nun stellt sich die Frage, wie man das umsetzt. Die Große Koalition aus CDU/CSU und SPD hatte sich zu Recht dazu entschlossen, die Anhebung der Regelaltersgrenze in kleinen Schritten vorzunehmen, um keinen der künftigen Jahrgänge von Seniorinnen und Senioren zu überfordern. Genau das halte ich für den richtigen Weg. Solidarität verlangt, dass wir die notwendigen Maßnahmen, die wir ergreifen müssen, auf möglichst viele Schultern gleichmäßig verteilen. Die Vorschläge, die Umstiegsphase der Erhöhung des Renteneintrittsalters von 65 auf 67 Jahre zu verkürzen oder die Erhöhung der Altersgrenze auf einen Schlag einzuführen, würden in Wahrheit eine massive Ungerechtigkeit gegenüber den Jahrgängen mit sich bringen, die es dann treffen würde. Deshalb noch einmal ein klares Bekenntnis: Wir wollen das, was auf uns zukommt, solidarisch ({3}) auf möglichst viele Schultern verteilen. Deswegen dauert die Umstiegsphase von 2012 bis 2029. Mir persönlich wäre es ehrlich gesagt sogar lieber gewesen, wenn diese Phase noch länger dauerte, aber diese Umstiegsphase zu verkürzen - das wird ja insbesondere von der SPD vorgeschlagen -, würde zur Entsolidarisierung unserer Gesellschaft führen, also dem Gegenteil von Solidarität. ({4}) Meine sehr geehrten Damen und Herren, die Jahreszahlen 2012 und 2029 sind nicht willkürlich gegriffen. Im Jahr 2012 werden zum ersten Mal in Deutschland mehr Mitbürgerinnen und Mitbürger ihren 65. Geburtstag feiern als Mitbürgerinnen und Mitbürger ihren 20. Geburtstag. Das Jahr 2012 ist das Jahr, in dem die Alterspyramide umkippt und die Zahl der Älteren, deren Erwerbsleben endet, höher liegt als die der Jüngeren, die in das Erwerbsleben eintreten. ({5}) Im Jahr 2029 werden insgesamt 1,35 Millionen Menschen - der geburtenstärkste Jahrgang war der Jahrgang 1964 - ins Rentenalter kommen. Ins Erwerbsleben treten dann diejenigen ein, die letztes Jahr geboren wurden, insgesamt 351 000. Vor diesem Hintergrund wurden die beiden Daten 2012 und 2029 ausgewählt. Diese Zahlen wurden nicht willkürlich gegriffen, sondern sie spiegeln die Lebenswirklichkeit in unserem Land hinsichtlich des Altersaufbaus unserer Gesellschaft exakt wider. ({6}) Verehrte Kolleginnen und Kollegen, zu Recht wird darauf hingewiesen - auch von der Frau Bundeskanzlerin; vorhin wurde ja aus ihrer Regierungserklärung zitiert -, dass der Erfolg dieses Konzeptes entscheidend davon abhängt, ob sich im Denken der Personalchefs unserer Betriebe grundlegend etwas ändert, sie also ältere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer endlich wieder mehr wertschätzen und ihnen eine Chance geben, und ob sich auf dem Arbeitsmarkt bessere Chancen für ältere Mitmenschen ergeben. Peter Weiß ({7}) ({8}) Deswegen haben wir klugerweise in das Gesetz hineingeschrieben, dass die Bundesregierung darüber regelmäßig einen Bericht zu erstatten hat. ({9}) Sie wird diesen Bericht erstmals im November dieses Jahres vorlegen. ({10}) Deswegen schlage ich einfach einmal vor, dass wir, verehrte Kolleginnen und Kollegen, bevor wir ständig irgendwelche Schaufensterdebatten zu diesem Thema führen, erst einmal diesen von uns als Parlament selbst in Auftrag gegebenen Bericht - wir als Parlament haben ja beschlossen, dass die Regierung einen solchen Bericht vorlegen soll - zur Kenntnis nehmen, die Zahlen gründlich studieren und auswerten, um dann über notwendige Konsequenzen miteinander zu beraten. Nicht irgendwelche Wolkenkuckucksheime, sondern die Ergebnisse von Studien, wie die konkreten Chancen für ältere Menschen auf dem Arbeitsmarkt aussehen, stellen die Leitlinie für uns bei der Erhöhung der Regelaltersgrenze in der Rentenversicherung dar. In diesem Bereich werden wir uns auch in den kommenden Jahren entsprechend arbeitsmarktpolitisch anstrengen müssen. Wir haben die Chance dazu, und diese Chance sollten wir auch ergreifen. Vielen Dank. ({11})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Nächster Redner ist für die SPD-Fraktion der Kollege Josip Juratovic. ({0})

Josip Juratovic (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003782, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir debattieren heute erneut über die Erhöhung des Renteneintrittsalters. Das ist mir auch sehr wichtig; denn diese Diskussion wird in der gesamten Gesellschaft geführt. Wenn ich in meinem Wahlkreis Gespräche führe, ist die Rente immer ein sehr emotionales Thema, und das zu Recht; denn die Diskussion ist häufig von Halbwahrheiten und Populismus geprägt. Die Menschen in unserem Land wollen aber eine ehrliche Debatte über die Rente. Deshalb müssen wir uns an der Realität orientieren: Erstens. Immer weniger jüngere Menschen müssen die Rente von immer mehr älteren Menschen bezahlen. Zudem werden die Menschen in unserem Land zum Glück immer älter und beziehen länger ihre Rente. Zweitens. Viele Menschen in unserem Land können nicht bis 67 arbeiten. Meine Frau ist Krankenschwester. Sie und ihre Kolleginnen können unter den derzeitigen Arbeitsbedingungen nicht bis 67 durchhalten. ({0}) Aus diesen Erkenntnissen müssen wir politische Schlüsse ziehen. Um unser Rentensystem finanzieren zu können, brauchen wir Reformen. Somit kommen wir auch an einer Erhöhung des Renteneintrittsalters nicht vorbei. Allerdings: Wenn wir das Renteneintrittsalter anheben, müssen wir unsere Arbeitswelt verändern. In diesem Bewusstsein haben wir in der Großen Koalition die Rente mit 67 beschlossen, und zwar bewusst zusammen mit einer im Gesetz verankerten Überprüfungsklausel. Demnach ist die Rente mit 67 nur umsetzbar, wenn die Voraussetzungen auf dem Arbeitsmarkt stimmen. ({1}) Das ist und bleibt eine vernünftige Lösung, die sich an der gesellschaftlichen Realität orientiert. Meine Kolleginnen und Kollegen von der Linken, mit Ihrer Forderung, die Rente mit 67 abzuschaffen, verkennen Sie leider die Realität. Der demografische Wandel lässt sich nicht so einfach wegdiskutieren, auch nicht mit dem von der SPD geforderten Mindestlohn und der Erwerbstätigenversicherung. Das wissen Sie, und das wissen auch meine ehemaligen Kollegen am Fließband.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Schlecht?

Josip Juratovic (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003782, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Nein. - Meine Kolleginnen und Kollegen von der Union und von der FDP, auch Sie verschließen sich vor der Realität. Sie halten stur an der Erhöhung des Renteneintrittsalters fest, ohne Rücksicht auf die Situation auf dem Arbeitsmarkt. Aber die Arbeitswelt in den Betrieben ist in den letzten drei Jahren nicht altersgerechter geworden. Die Arbeitswelt ist gekennzeichnet von einer enormen Leistungsverdichtung. Schonarbeitsplätze wurden wegrationalisiert, in vielen Betrieben liegt die Auslastung bei über 95 Prozent, Taktzeiten werden verdichtet, Erholungszeiten werden verkürzt. Es existiert ein enormer psychischer Druck. Das Arbeitsklima ist durch den Stress sehr belastet. Das bringt viele Arbeitnehmer an den Rand ihrer Leistungsfähigkeit. Unter diesen Umständen können meine ehemaligen Kollegen nicht bis 67, allerdings auch nicht bis 65 und oft nicht einmal bis 60 arbeiten. ({0}) Viele Arbeitnehmer gehen also nicht freiwillig früher in Rente, sondern können bei den derzeitigen Arbeitsbedingungen einfach nicht mehr mithalten. Sie haben also keine Chance, tatsächlich bis 67 zu arbeiten. Kolleginnen und Kollegen von der Union und von der FDP, wenn Sie die Rente mit 67 ohne Rücksicht auf die Situation auf dem Arbeitsmarkt umsetzen, ist dies faktisch eine Rentenkürzung. ({1}) Deshalb müssen wir unsere Arbeitswelt altersgerechter gestalten, damit die Menschen auch eine Chance haben, tatsächlich länger arbeiten zu können. ({2}) Erstens brauchen wir gleitende Übergänge in die Rente. Dazu gehören Gleitzeit, Urlaubsanspruch und schrittweise Arbeitszeitreduzierung. Wir müssen die Altersteilzeit weiterentwickeln und fördern und flexible altersgerechte Arbeitszeiten einrichten. Wir brauchen eine Teilrente, damit Arbeitnehmer ihre Arbeitszeit reduzieren können, ohne einen enormen Einkommensverlust hinnehmen zu müssen. Zweitens müssen wir für eine angemessene Rentenhöhe sorgen. Die Rente muss armutsfest sein, um Altersarmut zu verhindern. Dazu zählen Mindestentgeltpunkte, besonders für Zeiten unverschuldeter Arbeitslosigkeit und für geringe Einkommen. Hier müssen wir vor allem an Geringverdiener denken, die keine Betriebsrente und keine Riester-Rente erhalten. Drittens brauchen wir neue Wege im präventiven Gesundheitsschutz gemeinsam mit Arbeitgebern, Arbeitnehmern und Krankenkassen. Wir brauchen Weiterbildung und Qualifizierung speziell für ältere Arbeitnehmer. Dazu muss die von der SPD angestoßene Initiative „50 plus“ ausgeweitet werden. Wir müssen uns Gedanken machen über Schonarbeitsplätze, die eventuell auch subventioniert werden müssen. Wir müssen aber auch die Wirtschaft fordern. Die Politik allein kann die Arbeitswelt nicht altersgerechter gestalten. Dazu brauchen wir die Unternehmen. Sie müssen sich verändern und können ihre Mitarbeiter nicht mehr mit 60 Jahren in die Frühverrentung schicken. In dieser Debatte hilft uns kein Populismus. Vernunft kennt kein Ja oder Nein. Weder ist es vernünftig, die Rente mit 67 abzuschaffen, wie es die Linke fordert, noch ist es vernünftig, die Rente mit 67 ohne Rücksicht auf den Arbeitsmarkt umzusetzen, wie Union und FDP es planen. Deshalb sage ich: Vernünftig ist eine abwägende Lösung, wie sie in der Überprüfungsklausel vorgesehen ist. Erst wenn die Voraussetzungen auf dem Arbeitsmarkt geschaffen sind, können wir das Renteneintrittsalter erhöhen. Deshalb sollten wir die Erhöhung des Renteneintrittsalters verschieben und die Zeit zur altersgerechten Gestaltung der Arbeitswelt nutzen. Das ist die ehrliche und verständliche Ansage der SPD. Meine Kollegen am Fließband und die Kolleginnen meiner Frau im Krankenhaus müssen wissen: Die Politik kümmert sich darum, dass jeder gesund in Rente gehen und von dieser Rente anständig und in Würde leben kann. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({3})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Das Wort zu einer Kurzintervention hat der Kollege Schlecht.

Michael Schlecht (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004144, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Es ist bedauerlich, dass Sie anscheinend das Kuchenbeispiel des Kollegen Klaus Ernst nicht verstanden haben. ({0}) Denn die Demografie ist nun wirklich kein Argument dafür, das Renteneintrittsalter zu erhöhen. Ich will ein weiteres Beispiel anführen. In den 50er-, 60er-Jahren ist in der Tat eine Art demografischer Bombe explodiert. Im Jahre 1950 betrug der Altersquotient noch sieben zu eins. Dieses Verhältnis hat sich bis in die 60er-Jahre hinein auf vier zu eins verschlechtert. Nach Ihrer Logik hätte sich in diesen zehn, fünfzehn Jahren ein massiver Sozialabbau und eine massive Verschlechterung der Rentensituation ergeben müssen. Wir wissen alle: Das Gegenteil ist der Fall. 1958 gab es durch die große Rentenreform gewaltige Verbesserungen. Das heißt, Veränderungen im Altersaufbau sind überhaupt kein zwingender Grund dafür, in der Rente zu Verschlechterungen zu kommen. Dass das jetzt so ist, ist wirklich bedauerlich. Ich sage ganz deutlich: Keiner sehnt sich mehr als wir danach, dass die SPD in dieser Frage eine Kurskorrektur vornimmt und sich dadurch resozialdemokratisiert. Davon ist bei der Rente außer diesem einen Ansatz, dass Sie von der SPD die Einführung der Rente mit 67 um vier Jahre hinausschieben wollen, leider nichts zu spüren. Danke schön. ({1})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Wollen Sie erwidern? - Nein. Dann hat der Kollege Dr. Heinrich Kolb das Wort für die FDP-Fraktion. ({0})

Dr. Heinrich L. Kolb (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001171, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Ernst, wenn Sie gestatten, würde ich zunächst einige Bemerkungen an die Adresse der SPD richten und danach auf Ihren Antrag zu sprechen kommen. Hoffentlich reicht die Zeit; man kann die Redezeit ja immer mit Zwischenfragen verlängern. ({0}) Herr Juratovic, wir müssen heute noch einmal feststellen: Die Rente mit 67 ist von einem SPD-Minister umgesetzt worden, von Franz Müntefering, der dem Vernehmen nach damals unter durchaus dramatischen UmDr. Heinrich L. Kolb ständen die Kanzlerin zur Seite genommen hat und ihr vermutlich gesagt hat: Hören Sie, das ist eine unabweisbare Notwendigkeit. - Er hat dann konsequenterweise die Rente mit 67 ins Gesetz gebracht. ({1}) Mit dieser Feststellung sollte man anfangen. Dann wurde, vermutlich auf Druck Ihrer Fraktion, eine Überprüfungsklausel in das Gesetz aufgenommen, die Sie in Ihrem jüngsten Präsidiumsbeschluss zitieren. Zuerst werden die Voraussetzungen für die Einführung festgelegt. Im nächsten Absatz erklären Sie zu Recht, dass der Prozentsatz der sozialversicherungspflichtig beschäftigten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer im Alter von 60 bis 64 durchschnittlich von 10,7 Prozent im Jahr 2000 auf 21,5 Prozent im Jahr 2009 gestiegen ist, sich also mehr als verdoppelt hat. Sie fangen diesen Satz mit dem Wort „Zwar“ an, um anschließend zu sagen, der Anteil müsse noch steigen. Da bin ich absolut bei Ihnen: Es ist, glaube ich, Konsens in diesem Hause, dass wir die Erwerbsbeteiligung Älterer nachhaltig steigern wollen. Herr Kollege Juratovic, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, ich frage mich aber schon: Welche Erwartungen hatten Sie eigentlich damals im Jahr 2007, als Sie die Rente mit 67 eingeführt haben? Wollten Sie schon heute eine Erwerbsbeteiligung von 30 Prozent oder 35 Prozent erreicht haben? ({2}) Wir kommen hier in Ihrem Sinne - in dem Sinne, in dem Franz Müntefering damals den Vorschlag gemacht hat deutlich voran. Sie zucken jetzt aber zurück und sagen: Das reicht uns noch nicht; wir wollen abwarten und setzen es dann gegebenenfalls komprimiert in einem kürzeren Zeitraum um. - Das sind nach meinem Dafürhalten Ausflüchte. Die Wahrheit ist nämlich: Sie wollen zu keiner Ihrer früheren Reformen mehr stehen. ({3}) Ich finde das traurig.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Herr Kollege Kolb, gestatten Sie die Zwischenfrage des Kollegen Birkwald?

Dr. Heinrich L. Kolb (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001171, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ja, selbstverständlich. Ich habe nur fünf Minuten Redezeit. ({0})

Matthias W. Birkwald (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004012, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Kollege Kolb, Sie haben förmlich nach einer Zwischenfrage gerufen. ({0}) - Ja, gelechzt. Deswegen würde ich Sie, nachdem Sie gerade die Kollegen von der Sozialdemokratie auf frühere Positionen angesprochen haben, gerne fragen, wie Sie es denn mit Ihren früheren Positionen halten. Sie haben am 14. Dezember 2006 in der Debatte zum Altersgrenzenanpassungsgesetz gesagt: Herr Minister Müntefering, die Anhebung, die Sie vorhaben, macht doch nur Sinn, wenn die Menschen am Schluss wirklich die Gelegenheit haben, länger zu arbeiten. Dann haben Sie die Rente mit 67 als einen „unerwarteten Tabubruch“ bezeichnet und gesagt: Die Menschen ahnen - Herr Minister, ich sage: zu Recht -, dass die Reform der Rente aufgrund mangelnder begleitender Arbeitsmarktreformen für die allermeisten Versicherten auf eine verkappte Rentenkürzung hinauslaufen wird ({1}) Kollege Weiß hat mir eben keine befriedigende Antwort auf meine Frage gegeben, was es bedeutet, „dass im Jahr 1999 29,6 Prozent derjenigen, die neu in Rente gegangen sind, aus versicherungspflichtiger Beschäftigung kamen und es dann mit mehr oder weniger kontinuierlichem Absinken im Jahr 2008 nur noch 17,8 Prozent waren“. Ich möchte Sie fragen, ob Sie Ihre kritische Haltung zur Rente erst mit 67 aus dem Jahr 2006 weiter aufrechterhalten? ({2})

Dr. Heinrich L. Kolb (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001171, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Vielen Dank. Ich bitte Sie, stehen zu bleiben. Ich will Ihre Frage gerne beantworten; aber das könnte ein bisschen mehr Zeit erfordern. ({0}) Wir stehen zu unseren damaligen Positionen. Wir haben immer gesagt: Die Rente mit 67 ist eine Herausforderung; es kommt auf die Entwicklung am Arbeitsmarkt an, sie ist entscheidend. Wenn Sie heute in die Zeitungen schauen, stellen Sie fest: Wir hatten in den letzten Jahren eine positive Entwicklung am Arbeitsmarkt, ({1}) die natürlich auch den älteren Arbeitnehmern zugutekommt. 3,03 Millionen Menschen - immer noch viel zu viele - sind in unserem Land im September arbeitslos gewesen. ({2}) Die Prognosen gehen davon aus, dass wir die Zahl von 3 Millionen Arbeitslosen im Oktober unterschreiten. Als Franz Müntefering damals, 2007, die Reform umsetzte, hatten wir Arbeitslosenzahlen, die eher in Richtung 5 Millionen gingen. Das ist ein Unterschied von 2 Millionen und damit natürlich auch eine deutliche Veränderung bei den Möglichkeiten Älterer, sich am Erwerbsleben zu beteiligen. Zweitens. Herr Kollege Birkwald, ich habe immer gesagt: Das Ende der Krise - wir erleben es erfreulicher6662 weise etwas früher, als wir alle befürchtet hatten - ist der Anfang der demografisch bedingten Arbeitskräfteknappheit. Das ist so. Das ist auch in dem Beispiel von Peter Weiß zum Ausdruck gekommen. In den nächsten Jahren, beginnend 2012 und innerhalb relativ kurzer Zeit deutlich spürbar, werden ältere Arbeitnehmer aus dem Erwerbsleben ausscheiden und jüngere in deutlich geringerer Zahl in den Arbeitsmarkt nachrücken. Das wird zu Veränderungen führen, die Sie in Ihren Prognosen nicht ins Kalkül ziehen. Für diejenigen Gruppen, die heute am Arbeitsmarkt Probleme haben - Alleinerziehende, ältere Arbeitnehmer, auch Menschen mit geringerer Qualifikation -, erhöhen sich die Chancen deutlich. - Sagen Sie mir bitte, wenn die Uhr weiterläuft; dann müsste ich die Beantwortung abbrechen. Sonst würde ich die Frage gerne weiter beantworten. - Das spiegeln auch Zahlen wider, die ich in meiner weiteren Rede noch benennen möchte. Da tut sich also etwas. Das Dritte ist: Wir stehen weiterhin zu unserem Konzept der Flexibilisierung. Bei einer Anhebung der Regelaltersgrenze ist es nach unserer Auffassung unverändert notwendig, dass man den Menschen die Chance gibt, auf der Basis der eigenen freien Entscheidung über einen früheren Renteneintritt, natürlich mit Abschlägen, nachzudenken. Ich glaube, der Staat hat auch kein Recht, Menschen, die im Hinblick auf das Alter Ansprüche oberhalb der Grundsicherung erworben haben, vorzuschreiben, bis 67 zu arbeiten. Diese Entscheidungsfreiheit sollten wir jedem Einzelnen einräumen. ({3}) Ich hoffe, dass damit Ihre Frage ausreichend beantwortet ist, Herr Kollege Birkwald. Jetzt will ich noch ein paar Zahlen nennen, Frau Kollegin Enkelmann, die ich der Antwort auf Ihre Große Anfrage entnehme. Ich gehe immer davon aus, dass Sie Fragen stellen, um auch die Antworten zur Kenntnis zu nehmen. Das haben Sie aber anscheinend nicht getan. Die Zahl der Nichterwerbstätigen über 60 Jahre ist im Zeitraum von 2000 bis 2008 von über 80 auf 65 Prozent gesunken. Das ist auch ein wichtiger Hinweis an Ihre Adresse, Herr Juratovic. Sie schreiben nämlich in Ihrem Präsidiumsbeschluss: Aber wenn weiterhin durchschnittlich rund 80 Prozent der Menschen über 60 Jahre nicht mehr sozialversicherungspflichtig beschäftigt sind, wirkt eine Anhebung … aus demografischen Gründen … wie eine … Rentenkürzung. Wenn die Menschen zwar nicht mehr sozialversicherungspflichtig beschäftigt, aber kurz vor Erreichen des Regelalters in deutlich höherem Maße erwerbstätig sind, beispielsweise als Selbstständige, ({4}) kommt es deshalb nicht zwingend dazu - man muss das immer zusammen betrachten: gesetzliche Rente plus Altersvorsorge aus anderen Quellen -, dass sich die Situation des Gesamtalterseinkommens verschärft. Das ist ein wichtiger Punkt, den Sie bei Ihrem Präsidiumsbeschluss vollkommen ausgeblendet haben und den Sie noch einmal überdenken sollten. Man kann es auch an einer anderen Zahl verdeutlichen: Der Anteil der über 60-Jährigen, die aus der Arbeitslosigkeit noch einmal in volle Erwerbstätigkeit wechseln konnten, hat sich allein von 2006 bis 2009 deutlich mehr als verdoppelt. Das sind Menschen, die früher praktisch keine Chance mehr am Arbeitsmarkt hatten. Das ist eine dramatische Veränderung. ({5}) - Ich habe immer gesagt, Frau Müller-Gemmeke: Wir brauchen einen Paradigmenwechsel auf den Golfplätzen. Es war lange Zeit schick in Deutschland, über 50-Jährige aus den Betrieben zu verbannen. Das habe ich immer für falsch gehalten. Offensichtlich hat sich da in den letzten Jahren etwas bewegt. ({6}) - Vielleicht auch wegen der Politik von Franz Müntefering; darauf können Sie doch stolz sein. Aber Sie blenden das vollkommen aus, und das kann ich überhaupt nicht nachvollziehen. ({7}) Ich habe es schon gesagt: 21,5 Prozent der 60- bis 64-Jährigen sind sozialversicherungspflichtig beschäftigt. Aber die Tendenz ist gut. Vor zehn Jahren waren es 10 Prozent. Das muss man in der Zukunft fortschreiben. Sie müssen auch sehen, dass die Zahlen derzeit durch die Abwicklung der Altersteilzeit belastet sind, ({8}) die in hohem Maße genutzt worden ist; das ist in der Statistik noch enthalten. Viele haben, natürlich auch in Ansehung der möglicherweise bevorstehenden Abschaffung, einen richtigen Run auf die Altersteilzeit gestartet. Wenn dieser Effekt erst einmal beseitigt ist, wird man sehen, dass die Möglichkeiten der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung älterer Arbeitnehmer sich sehr gut entwickeln werden. Darüber hinaus weise ich darauf hin, dass das nicht nur für die alten, sondern auch für die neuen Bundesländer gilt. Das ist die letzte Zahl, die ich - mit Blick auf die Uhr, Frau Präsidentin - noch nennen will. Die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten zwischen 55 und 65 Jahre ist in Ostdeutschland im Zeitraum 2005 bis 2009 um erfreuliche 38,3 Prozent gestiegen; davon sind fast zwei Drittel in Vollzeitbeschäftigung. Ich kann das hier aus Zeitgründen nicht weiter ausführen, weil niemand eine weitere Zwischenfrage gestellt hat. Aber ich will noch Folgendes sagen: Der Trend ist aus unserer Sicht durchaus ermutigend. Das ist ein Grund, das, was auf dem Weg ist, fortzuführen, jedoch gleichzeitig deutlich zu machen, dass wir mit den Flexibilisierungsmöglichkeiten ein Ventil anbieten wollen. Darüber denken doch auch Sie von der SPD nach. Zum Beispiel könnten wir bei den Zuverdienstgrenzen etwas verändern. Wenn wir mit diesem Konzept vorangehen, sind wir, glaube ich, auf einem guten Weg. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({9})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Nächster Redner ist der Kollege Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003888, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben kurz vor der Sommerpause eine Debatte über die Rente mit 67 geführt. Jetzt führen wir schon wieder eine darüber. Teilweise haben wir die gleichen Reden gehört, zum Beispiel von Herrn Ernst, Herrn Weiß und Herrn Kolb. ({0}) Ich könnte jetzt auch einfach die gleiche Rede halten, aber ich will anders anfangen und an einem Tag wie heute etwas Grundsätzliches und Nachdenkliches sagen. Als Politiker müssen wir, glaube ich, insgesamt aufpassen, dass wir nicht über die Köpfe der Menschen hinweg und jenseits der Realitäten regieren. Vor diesem Hintergrund fand ich die Rede des Herrn Juratovic sehr hilfreich. Ich hätte mich gefreut, wenn Sie auf der rechten Seite des Hauses etwas besser zugehört hätten und nicht so viel und so laut gequatscht hätten. ({1}) Es passieren zurzeit mehrere Dinge: In Stuttgart wird ein Projekt mit brutaler Gewalt gegen den Willen eines großen Teils der Bevölkerung vor Ort durchgesetzt. Heute Morgen haben wir über die Laufzeitverlängerung der Atomkraftwerke diskutiert, die die Bundesregierung gegen den Willen der Mehrheit der Menschen durchsetzen will. ({2}) Ebenso ist die Mehrheit der Bevölkerung gegen die Rente mit 67. ({3}) - Ja. Wir Grünen halten die Rente mit 67, um das klar zu sagen, grundsätzlich für die richtige Perspektive. ({4}) Ich erkläre gleich, warum. Wir dürfen aber nicht den Fehler machen, anzunehmen, die Ablehnung der Bevölkerung komme daher, dass die Menschen zu dumm seien und das nicht verstehen würden. Häufig sind die Menschen durchaus klüger, als wir Politikerinnen und Politiker glauben. ({5}) Die Frage: „Rente mit 67? Ja oder nein?“, die die Linke häufig stellt, greift zu kurz. Wenn die Mehrheit gegen die Rente mit 67 ist, stecken dahinter mehrere durchaus reale Sorgen der Menschen. Die Menschen haben Angst, dass die Rente mit 67 dazu führt, dass sie keine existenzsichernde Rente mehr erhalten. Sie haben Angst, dass sie erwerbsunfähig werden und höhere Abschläge als heute in Kauf nehmen müssen. Sie haben Angst, dass sie nicht bis 67 arbeiten können und ihre Rente entsprechend gekürzt wird. An diesen Punkten müssen wir ansetzen. Ich kann Ihnen versichern: Wir Grüne nehmen die Sorgen der Menschen sehr ernst und werden Vorschläge dazu unterbreiten. Bald, wenn wir wieder regieren, werden wir uns darum kümmern, dass es Lösungen gibt. ({6}) Ich habe es schon gesagt: Wir Grüne halten die Rente mit 67 nach wie vor für die richtige Perspektive. Wenn die Menschen länger arbeiten, sind die Beiträge niedriger und die Renten höher, Herr Ernst, sodass letztlich alle davon profitieren können. Es profitieren alle von diesem größeren Kuchen. ({7}) Wenn die Menschen allerdings nicht länger arbeiten können, dann handelt es sich tatsächlich um eine Rentenkürzung, und das gilt es, zu verhindern. Wenn man sich die Zahlen anschaut - Sie haben ein paar genannt -, muss man sagen: Die Voraussetzungen sind jetzt noch nicht gegeben. ({8}) Man muss aber betonen, dass es, wenn wir über die Rente mit 67 sprechen, nicht um diejenigen geht, die in den Jahren 2010, 2011 oder 2012 in Rente gehen, sondern es geht um die Rente mit 66 ab dem Jahr 2024 und um die Rente mit 67 für meinen Jahrgang und später, also ab 2031. Bis dahin ist durchaus noch Zeit. Ich erwarte, dass in dem Bericht, den uns die Bundesregierung Ende November vorlegen wird, nicht nur die aktuellen Zahlen enthalten sind, Herr Fuchtel, sondern auch Prognosen bezüglich der Entwicklung des Arbeitsmarktes für Ältere; denn das ist eine wichtige Entscheidungsgrundlage. Außerdem erwarte ich von der Bundesregierung, dass sie in diesem Bericht ausführt, wie sie es erreichen will, dass die Menschen länger arbeiten, wie sie bessere Möglichkeiten schaffen will, dass die Menschen früher in Rente gehen können, wenn sie nicht so lange arbeiten können, und wie die Bundesregierung Armut im Alter verhindern will. Dazu gibt es bisher relativ wenige Vorschläge. ({9}) Wir Grüne wollen verhindern, dass die Rente mit 67 eine Rentenkürzung durch die Hintertür wird. Wir Grüne wollen für diejenigen, die nicht so lange arbeiten können, Möglichkeiten schaffen, früher in Rente zu gehen. Last but not least, wir Grünen wollen den Menschen die Angst vor der Altersarmut nehmen. Die Voraussetzungen für die Rente mit 67 im Jahre 2031 müssen jetzt geschaffen werden; denn die Arbeitsbedingungen von heute bestimmen, ob die Menschen in der Zukunft tatsächlich länger arbeiten können. Was tut die Bundesregierung dafür? Nichts. Wo bleibt denn die Weiterbildungsoffensive für die Älteren? Wo bleibt das Erwachsenen-BAföG, damit sich auch Ältere weiterbilden und ein Studium aufnehmen können? Wo bleibt die Kampagne für eine Kultur der Altersarbeit? Wo sind denn die Arbeitsmarktmaßnahmen, die zunehmend insbesondere auf die Älteren zugeschnitten sind? ({10}) - Genau; Herr Kurth sagt gerade: Die werden im nächsten Jahr gekürzt. Was unternimmt denn die Bundesregierung, damit die Unternehmen mehr alters- und alternsgerechte Arbeitsplätze schaffen? ({11}) Damit die Menschen länger arbeiten können, ist es aber nicht nur notwendig, dass die Arbeitsbedingungen der Älteren verbessert werden, sondern wir brauchen insgesamt Arbeitsbedingungen - das hat Herr Kollege Juratovic schon gesagt -, die nicht krank machen. ({12})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Weiß?

Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003888, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Gerne.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Bitte.

Peter Weiß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003255, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Strengmann-Kuhn, Sie haben zu Recht die Frage gestellt: Was tut die Bundesregierung, was tun wir insgesamt politisch dafür, dass ältere Menschen länger arbeiten können und dabei auch gesund bleiben? Deswegen möchte ich Sie fragen: Ist Ihnen bekannt, dass wir mit dem Gesetz zur Anhebung der Regelaltersgrenze auch die Initiative „50 plus“ beschlossen und gestartet haben, dass wir im Haushalt des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales nicht gekürzt, sondern mit einem beachtlichen Ansatz die Initiative „Neue Qualität der Arbeit“ mit vielen Unternehmen starten, die große Fortschritte bei der Verbesserung der Beschäftigungssituation älterer Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer gemacht haben, dass wir aus diesem Programm neue Projekte in den Bereichen Arbeitsschutz, Gesundheitsprävention und Arbeitsorganisation fördern, mit denen erkennbar mehr getan werden kann als heute, damit ältere Menschen eine Beschäftigungschance haben und tatsächlich länger arbeiten können, und dass viele der Unternehmen, die sich daran beteiligen - leider beteiligen sich nicht alle daran -, zum Beispiel bei Wettbewerben wie „Deutschlands beste Arbeitgeber“ dafür ausgezeichnet worden sind, dass sie modellhaft etwas tun? Würden Sie also freundlicherweise zur Kenntnis nehmen, dass seitens der Bundesregierung und aus dem Bundeshaushalt eine kräftige Förderung entsprechender Projekte erfolgt, die modellhaft zeigen, dass man etwas tun kann, wenn man will? ({0})

Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003888, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Es ist schön, dass es da kleinere Modellprojekte gibt. Die Aktion „50 plus“ hat ja auch bewirkt, dass die Erwerbsbeteiligung der über 55-Jährigen insgesamt gestiegen ist. Aber wir haben die Zahlen gehört: Bei den über 60-Jährigen, insbesondere bei den 64-Jährigen, ist die Erwerbsquote immer noch sehr gering. Da muss also noch deutlich mehr getan werden. Dazu habe ich von dieser Regierung - Sie haben ja vor allen Dingen von der Großen Koalition geredet - jetzt noch kein wirkliches Konzept gesehen. Da müssen wir in der Tat mehr machen, insbesondere im Bereich Gesundheitsprävention; denn das ist, glaube ich, ein ganz zentraler Baustein für die Rente mit 67 im Jahre 2030. ({0}) - Vielleicht noch etwas zum Haushalt. - Markus Kurth hat es gerade eingeworfen: Bei den Arbeitsmarktmaßnahmen soll ja um 1,5 Milliarden Euro gekürzt werden. Angesichts dessen werden die Arbeitsmarktmaßnahmen für die Älteren sicherlich nicht ausgebaut werden. Das war noch eine ergänzende Antwort auf die Frage von Herrn Weiß. Wir brauchen insgesamt Arbeitsbedingungen, die nicht krank machen. Wir brauchen gute Arbeit. Frau Fischbach, Sie haben ja neulich in der Debatte gefragt, was denn gute Arbeit ist. Gute Arbeit bedeutet, dass Menschen von ihrer Arbeit nicht krank werden. Das liegt an körperlichen Bedingungen; das liegt aber zunehmend auch daran - auch das hat Herr Juratovic schon gesagt -, dass die Menschen viel mehr unter Stress stehen. Wenn man sich die Zahlen anschaut, dann stellt man fest, dass die Zahl der psychischen Erkrankungen aufgrund schlechter Arbeitsbedingungen stark angestiegen ist. Auch da müssen wir ansetzen. Aber zu guter Arbeit gehört neben den gesundheitlich positiven Arbeitsbedingungen auch eine vernünftige Bezahlung, und dazu gehört auch eine Eindämmung von prekären Jobs. Wer ständig unter Existenzängsten leidet, wird nicht bis 67 durchhalten können. ({1}) „Angst essen Seele auf.“ Wir brauchen mehr Gesundheitsprävention. Wir brauchen einen Mindestlohn, und wir brauchen endlich gleichen Lohn für gleiche Arbeit. Auch hier geht die Bundesregierung genau in die entgegengesetzte Richtung. Ehe Sie gleich wieder aufstehen, Herr Weiß, lassen Sie mich sagen: Ich weiß natürlich, dass es in bestimmten Branchen mittlerweile Mindestlöhne gibt. Aber Sie wehren sich ja immer noch gegen den gesetzlichen Mindestlohn für alle, und Sie wehren sich gegen gleichen Lohn für gleiche Arbeit in der Leiharbeit. Wir Grünen sind keine Traumtänzer. Es wird sicherlich auch in 20 Jahren noch Menschen geben, die nicht bis 67 arbeiten können. Für diese Menschen müssen wir bessere Möglichkeiten schaffen, früher in Rente zu gehen. Dass die Altersgrenze, ab der eine Erwerbsminderungsrente ohne Abschläge bezogen werden kann, von 63 auf 65 Jahre steigen soll, ist vor diesem Hintergrund ein Skandal. Wir wollen das ändern. ({2}) Die Menschen sollen die Möglichkeit erhalten, ihre Arbeitszeit bereits ab einem Alter von 60 Jahren zu reduzieren und Teilrente zu beziehen. Das höre ich zwar immer mal wieder von einzelnen Kolleginnen und Kollegen aus den Regierungsfraktionen. Ein Vorschlag, über den wir diskutieren könnten, liegt bisher allerdings noch nicht vor. Genauso wenig liegt ein Konzept gegen Altersarmut vor. Es gibt Ankündigungen; im nächsten Jahr soll eine Kommission eingesetzt werden, die sich mit der Altersarmut befasst. Wir wissen aber noch immer nicht, was in dieser Kommission tatsächlich besprochen werden soll. Wir wissen auch immer noch nicht, wer Mitglied dieser Kommission werden soll. Angesichts der Dinge, die zurzeit bei der Regelsatzerhöhung und der Gesundheitsreform ablaufen, ist die Ankündigung, dass die Bundesregierung eine Kommission zur Altersarmut bilden will, für viele Betroffene eher eine Drohung als eine Hoffnung. ({3}) Wenn bei dieser Kommission zur Bekämpfung der Altersarmut ähnliche Ergebnisse herauskommen, dann werden wir damit mit Sicherheit nicht einverstanden sein. Sie können aber vielleicht in weiteren Redebeiträgen für Klarheit darüber sorgen, was passieren soll und wie das Konzept der Bundesregierung zur Bekämpfung der Altersarmut aussieht. Ich fürchte aber, dass von Ihrer Seite nicht viel kommen wird. Zusammenfassend will ich sagen: Wir Grünen nehmen die Sorgen der Menschen sehr ernst und wollen die sozialen Voraussetzungen für die Rente mit 67 schaffen. Im Gegensatz zur der Linken wollen wir sie nicht abschaffen. Der Unterschied zwischen uns und den Linken ist, dass wir sagen: Wenn man die entsprechenden Maßnahmen ergreift, dann bietet die Rente mit 67 tatsächlich die richtige Perspektive, eine Perspektive für die Rentenversicherung und für die Menschen. Diese Voraussetzungen müssen in der Tat aber erst geschaffen werden. Ich hoffe, dass wir bald wieder Gelegenheit haben, diese Voraussetzungen zu schaffen und die Bekämpfung der Altersarmut in Angriff zu nehmen. Herzlichen Dank. ({4})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Für die CDU/CSU-Fraktion hat der Kollege Frank Heinrich das Wort. ({0})

Frank Heinrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004054, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kollegen! Liebe Kolleginnen! Ich möchte kurz auf meinen Vorredner eingehen: Ich bin sehr froh über den Duktus, der bei Ihrer Rede spürbar war. Ich habe auch noch eine kurze Bemerkung zu Ihrer Rede, Herr Juratovic. Sie sprachen davon, dass die Situation auf dem Arbeitsmarkt nicht berücksichtigt werde. Das ist auch eine Ihrer Erklärungen dafür, warum Sie sich von der Rente mit 67 verabschieden möchten. Sie werten die vorliegenden Anzeichen nämlich anders als wir. Wir warten eben, bis der Bericht vorliegt. Und dieser Bericht kommt. Er wurde für dieses Jahr angekündigt. Wir werden ihn abwarten und keine Entscheidung treffen, bevor er nicht vorliegt. ({0}) - Warten Sie das Ergebnis ab, das Ende November vorliegen wird. Dann können wir gerne über all das, was noch umstritten ist, diskutieren. Der Bericht wird bis Ende des Jahres vorliegen. Ich werde die Zahlen und Zeichen, die wir sehen, jetzt nicht wiederholen. Ich denke, das verwirrt mehr, als dass es zur Klärung beiträgt. Ich möchte aber auf zwei Sachverhalte hinweisen: Sie haben gesagt, dass es eine Regierungskommission geben wird, die zurzeit eingerichtet wird, und dass Sie mitgeteilt bekommen möchten, wer dieser Regierungskommission angehören wird. Im Übrigen ist im Sozialministerium ein Referat, das für Fragen der Altersarmut zuständig ist, gebildet worden. Dieses Referat hat seine Arbeit im Juni aufgenommen. Ich kenne es noch nicht. Deshalb kann ich darüber noch keine Aussagen treffen. Herr Kollege von den Linken, am Anfang Ihrer Rede ging es sehr stark darum, was wir brauchen. Ich möchte an das Thema nicht in der gleichen Art wie Sie herangehen und nicht sagen: Wir brauchen alles. - Ich möchte vielmehr grundsätzliche Bemerkungen machen, wie mein Vorredner. Ich möchte drei Kernaussagen dazu treffen, was nach unserer Meinung notwendig ist. Erstens. Die Menschen brauchen eine finanzielle Absicherung. Das hat mit diesem Thema zu tun. Das hat auch mit den Ängsten zu tun, die Sie angesprochen haben. Diese wollen wir ernst nehmen. Es geht dabei nicht nur um materielle Dinge. Zweitens. Die Wirtschaft braucht Wissen, Erfahrung und Planungssicherheit. Drittens. Die Rente braucht Zukunft und Tragfähigkeit. Dabei geht es auch um die Ängste unserer Mitbürger. Zum ersten Punkt. Menschen brauchen eine finanzielle Absicherung. Aber es geht in der Zukunft - je länger sie leben, desto mehr - nicht nur um das Materielle, obwohl auch dieser Aspekt natürlich behandelt werden muss und wichtig ist. Stabile und ausreichende Renten in der Zukunft sind letztlich nur in Kombination mit Maßnahmen in den Bereichen Bildung, Familienförderung und Integration möglich. Das Gesamtkonzept muss stimmen. Die einzelnen Elemente müssen miteinander verflochten sein. Dabei geht es zum Beispiel um die Pflege, um die Gesundheitsreform und die Teilhabe älterer Menschen; Herr Kolb hat das vorhin schon gesagt. Es ist nötig, wahrzunehmen und zu respektieren, dass es auch im Alter um Lust am Leben geht, nicht nur um ein „Ausdimmen“. Es geht um Lebensqualität und Ausbildungschancen. Selbst Angehörige der Altersgruppe, über die wir reden, die 55- bis 65-Jährigen, können noch eine Ausbildung beginnen. Lebenslanges Lernen bekommt somit eine ganz neue Dimension. ({1}) Ein weiterer Aspekt ist der Zugang zu Selbstentfaltungs- und Freizeitmöglichkeiten. Menschenwürde hat auch damit zu tun, gebraucht zu werden, und zwar nicht nur, weil wir das politisch wollen und es generationenbedingt bzw. von den Zahlen her notwendig ist. Vielmehr geht es darum, in die Gesellschaft einbezogen und beteiligt zu sein. Das betrifft die Teilhabe sowohl im Ehrenamt als auch in sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung. ({2}) Lebenslanges Lernen muss durchbuchstabiert werden, in der Wirtschaft und im einzelnen Unternehmen. Diesem Begriff wollen wir neues Leben einhauchen. Diesen Prozess muss die Politik natürlich begleiten. Quer durch Europa gibt es, mit wenigen Ausnahmen, die gleichen Schwierigkeiten, was die Alterspyramide angeht. Wenn wir den Einstieg verschlafen und vom Einstieg in die Rente mit 67 abrücken, dann fehlt uns am Schluss die Zeit, dann fehlen uns die Jahre der Planung und dann fehlt die Verlässlichkeit für die Betriebe. ({3}) Die Menschen müssen sich auf das, was sie erwartet, einstellen können, und die Firmen brauchen Planungssicherheit. Es ist besser, wir fangen jetzt damit an, zumal wir die vorliegenden Zahlen für deutlich genug halten. Ich nenne nur eine Zahl. 2009 waren 38,7 Prozent der Angehörigen der Altersgruppe der 60- bis 64-Jährigen erwerbstätig, damit fast doppelt so viele wie zehn Jahre zuvor. Diese Tendenz kann man nicht von der Hand weisen. Die anderen Zahlen sind vorhin schon erwähnt worden. Es ist nicht legitim - hier gebe ich meinem Vorredner recht -, den Eindruck zu erwecken, als wäre schon nächstes Jahr längeres Arbeiten angesagt. Ich bin Jahrgang 1964, gehöre also dem ersten Jahrgang an, der von der Rente mit 67 betroffen sein wird. Das ist aber ganz am Ende. Darauf kann man sich einstellen. Bis wir in den Genuss dieser Regelung kommen, ist noch viel Flexibilität möglich, und zwar nicht nur Flexibilität aufseiten der Politik, die Sie einfordern, sondern auch in den Unternehmen und der Wirtschaft, übrigens auch aus Eigeninteresse, wie vorhin in einem Zwischenruf angemerkt wurde. Zudem entwickelt sich in der Bevölkerung und in den Betrieben ein Bewusstsein für dieses Thema. Unterschätzen Sie nicht unsere Mitbürger! Auch sie beziehen die Rente mit 67 schon in ihre Überlegungen mit ein. Gestern Abend habe ich mit einem 25-Jährigen telefoniert, der, wie ich glaube, heute hier im Publikum sitzt. Ich stellte ihm die Frage: Was hältst du von der Rente mit 67? Die relativ spontane Antwort war: Wenn Beruf für mich Berufung ist, dann mag ich auch mit 67 noch nicht aufhören. ({4}) Auch dies ist ein Indiz dafür, dass eigentlich gewünscht ist, sich zu beteiligen. ({5}) - Wie bitte? ({6}) - Es muss niemand; aber es ist möglich. Deshalb muss dieser Bereich flexibler geregelt werden. Zweitens. Die Wirtschaft braucht Wissen, Erfahrungen und Planungssicherheit. Die Antwort auf den Fachkräftemangel muss neben erhöhten Anstrengungen im Bildungsbereich und einer attraktiven Integrationspolitik auch lauten, dass Fachkräfte länger beschäftigbar sein müssen, unter anderem durch die Rente mit 67. Es gibt allerdings auch andere Mittel und Wege in unserem Land, die noch nicht in dem Maße ausgeschöpft werden, zum Beispiel das betriebliche Eingliederungsmanagement. Es ist nutzbar und erfolgreich, wenn Mitarbeiter, etwa nach einer Krankheit oder einem Arbeitsunfall, wieder eingegliedert werden müssen. Viele Unternehmen nutzen und schätzen schon heute das Wissen und die Fähigkeiten der Altersgruppe, über die wir heute reden und bei der bezweifelt wird, dass sie einfach übernommen werden kann. Vorletzte Woche wurde mir von Unternehmern in meinem Wahlkreis Chemnitz gesagt: Ich stelle fast nur Leute ein, die älter als 45, 50 Jahre sind. - Ich habe sie gefragt: Warum? Die Antwort lautete: weil sie fachlich fit und erfahren sind, oft eine Familie haben, ortsgebunden sind und wir uns darauf verlassen können, dass sie uns nicht irgendwann wegbrechen. Verschiedene Schätzungen - sie sind unterschiedlich hoch, aber hoch sind sie alle - besagen, dass in den nächsten Jahren in diesem unseren Land sehr viele Arbeitskräfte aus dem Arbeitsmarkt ausscheiden. Sie werden fehlen, und wir müssen sie ersetzen. Dritter Punkt. Die Rente braucht Zukunft und Verlässlichkeit. Der Anlass dieser ganzen Diskussion - dies wissen wir alle - ist leider das Zauberwort „Demografie“. Der demografische Wandel macht die Rente mit 67 nahezu zur Bedingung. ({7}) Herr Weiß hat das am Anfang gesagt. Dabei geht es natürlich um die Finanzierbarkeit. Die Fakten verändern sich manchmal schneller, als sich das Bewusstsein verändert. Deshalb brauchen wir intelligente und machbare Lösungen sowie Flexibilität. Darauf wollen auch wir als Politiker reagieren, auch in meiner Fraktion. Unternehmer machen das. Sie heißen nicht umsonst so. Sie wissen sich zu helfen. Sie unternehmen etwas - ich erlebe das, wenn ich meine Runde bei den Chefs und Geschäftsführern mache -, und zwar nicht nur um ihrer selbst willen, wie das manchmal unterstellt wird, sondern auch in Verantwortung für ihre Mitarbeiter, deren Familien und das Gemeinwesen. Wie oft habe ich gehört: Probleme? Die sind zum Lösen da. - In solchen Momenten bin ich stolz, in diesem Land zu leben, in dem immer noch mitgedacht und mitgemacht wird. ({8}) Ich komme mit zwei kleinen Zusammenfassungen zum Ende. Natürlich gibt es verschiedene Wege, darauf zu reagieren. Wir lehnen ab, dass wir die Beitragssätze erhöhen; das haben wir hiermit ausgedrückt. Es geht um eine längere Einzahldauer; das ist uns wichtig. Es geht um mehr Beitragszahler, vielleicht auch durch Integration und eine bessere und schnellere Schulung, auch durch die Rente mit 67. Sie trägt dazu bei, in einem ausgewogenen Verhältnis zwischen den Generationen die finanzielle Grundlage und die Leistungsfähigkeit der gesetzlichen Rentenversicherungen nachhaltig sicherzustellen. Ich betone noch einmal das vorhin so oft genannte Wort „Solidarität“. Wissenschaft und EU loben Deutschland dafür, dass wir diesen Schritt gehen. Sie gehen in ihren Aufforderungen - ich denke da an das EU-Parlament - zum Teil sogar noch weit über dieses Alter hinaus. Ich denke, wir sind da auf einem guten Weg. Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit. ({9})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Nächster Redner ist der Kollege Anton Schaaf für die SPD-Fraktion. ({0})

Anton Schaaf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003623, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Hier ist jetzt wiederholt der Vorwurf gemacht worden, die SPD-Bundestagsfraktion würde sich von den Sozialreformen der letzten Jahre verabschieden. ({0}) Ich will jetzt einmal die gestrige Debatte um die Regelsätze nach dem SGB II betrachten: Es war die Union, die mit fast allen Rednern, die hier gesprochen haben, versucht hat, sich aus der Verantwortung für das SGB II zu stehlen. Bis auf Karl Schiewerling haben alle versucht, die Verantwortung für das, was im SGB II steht, ausschließlich bei Rot-Grün abzuladen. ({1}) - Das haben Sie getan. - So viel zum Thema Redlichkeit. Das muss man hier einmal sagen. Uns diesen Vorwurf zu machen, ist schlicht unredlich. Ich sage Ihnen noch etwas: Wir haben gestern in Zwischenfragen deutlich gemacht, wie das mit Redlichkeit und Transparenz ist. Sie, meine Damen und Herren, waren es, die uns die realen Grunddaten, die Zahlen, die Rohdaten und die Alternativberechnungen zum SGB II bzw. zum Regelsatz im Ausschuss per Mehrheit verweigert haben. Sie haben das gemacht, nicht die Sozialdemokraten, nicht die Linken und auch nicht die Grünen im Deutschen Bundestag. Das muss man hier zum Thema Redlichkeit einmal sagen. ({2}) - Frau Fischbach, ich sage Ihnen Folgendes: Solange wir den Eindruck haben, dass sich Sozialpolitik bei der Koalition zwischen der einen Leitplanke, die „vermeintliche römische Dekadenz“ heißt, und der anderen Leitplanke, die da lautet: „schon eingestelltes Geld im Haushalt“, bewegt, können Sie nicht mit der Zustim6668 mung aus den Reihen der sozialdemokratischen Fraktion rechnen. ({3}) Nun aber zum Thema, das heute auf der Tagesordnung steht. Der Kollege Ernst ist noch hier. Herr Kollege Ernst, es ist noch nicht ausgemacht, ob der Kuchen, der zu verteilen ist, in 20 oder 30 Jahren gleich groß, größer oder kleiner ist. Man muss schlichtweg mit allen diesen Möglichkeiten rechnen. Sie können das Wirtschaftswachstum und die Leistungsfähigkeit der Gesellschaft für die nächsten 20 bis 30 Jahre nicht vorhersagen. Das geht nicht. Da müssten wir alle etwas schlauer sein, als wir es sind. Dafür müssten wir übersinnliche Kräfte haben. Aber eines ist auf jeden Fall absehbar, nämlich dass wir immer weniger und immer älter werden. ({4}) Dazu gibt es Zahlen. Darüber brauchen wir nicht zu diskutieren. Mit diesem Fakt müssen wir umgehen. Es gibt unterschiedliche Antworten. Ich gebe Ihnen durchaus recht, dass es andere Antworten geben könnte als die reine Erhöhung des Renteneintrittsalters - allerdings nur, wenn es um die Frage der Finanzierbarkeit geht. Die Finanzierbarkeit der Rente kann anders als nur über eine Erhöhung des Renteneintrittsalters sichergestellt werden. Darin gebe ich Ihnen allemal recht, zumal das, was wir bei den Beitragssätzen sparen, marginal ist. ({5}) Aber wie sieht es mit der Leistungsfähigkeit der Gesellschaft aus? Wie halte ich diese Gesellschaft, die schrumpft und älter wird, leistungsfähig, damit all das, was wir verteilen, tatsächlich auch erwirtschaftet werden kann? Dass es dann verteilt wird, geschieht übrigens auch zu Recht, weil es erwirtschaftet worden ist. - Diese Frage müssen Sie alternativ beantworten. Wenn die Antwort nicht ein höheres Renteneintrittsalter ist, dann brauchen wir alternative Antworten auf die Frage, wie wir mit der Demografie in den nächsten 10, 20 und 30 Jahren umgehen. ({6}) Hierauf vermisse ich allerdings jede Antwort. ({7}) Deswegen werden wir Ihrem Antrag in der vorliegenden Form mit Sicherheit nicht zustimmen, auch wenn er einiges Richtige beinhaltet.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Herr Birkwald möchte Ihnen noch eine Zwischenfrage stellen. ({0})

Anton Schaaf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003623, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja, selbstverständlich. Wenn der rentenpolitische Sprecher der linken Fraktion, der ja Ahnung vom Thema hat, Redezeit nur darüber generieren kann, dass er sich hier zu einer Zwischenfrage meldet, dann lasse ich das selbstverständlich gerne zu. ({0})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Herr Birkwald, bitte sehr.

Matthias W. Birkwald (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004012, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank für die Blumen, Herr Kollege Schaaf. Sie haben ja eben davon gesprochen, dass man nur bedingt in die Zukunft schauen kann, und Sie haben das auch auf das Wirtschaftswachstum bezogen. Ich bitte Sie jetzt um Aufklärung. Zum Ersten. In der Öffentlichkeit ist ja der Eindruck entstanden, dass sich die SPD beim Thema „Rente erst ab 67“ bewegt habe. Am 18. August 2010 wurde gemeldet, dass es zwischen Parteichef Gabriel und Fraktionschef Steinmeier, dem ich von hier aus noch einmal gute Besserung wünsche, ({0}) einen Kompromiss dergestalt gegeben haben soll, dass die Rente ab 67 erst dann eingeführt werden soll, wenn die Quote der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten im Alter zwischen 60 und 64 bei 50 Prozent liegt. Nun ist von der Arbeitnehmerkammer Bremen ausgerechnet worden, dass, wenn man die Entwicklung vom Jahr 2000 bis heute fortschreibt, dies genau im Jahr 2030 der Fall sein wird, Sie also dann damit anfangen könnten, das Renteneintrittsalter anzuheben, während es bei der jetzigen Regelung dann schon erreicht worden wäre. Ich bitte Sie, dazu etwas zu sagen. Zum Zweiten. Wie soll es funktionieren, dass gleichzeitig dem Wunsch des Fraktionschefs nachgegeben wird, wonach das Endziel, 2029, bestehen bleibt? Das ist ein Widerspruch. Ich bitte Sie, den aufzuklären. Weil Sie eben von der Zukunft gesprochen haben: Haben Sie eine andere Zielmarke als 2029, und, wenn ja, welche Projektionen legen Sie dieser zugrunde?

Anton Schaaf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003623, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich danke Ihnen außerordentlich, weil ich jetzt die Zeit nutzen kann, um auf unser Konzept und unsere Beschlüsse einzugehen und anschließend das zu sagen, was ich sonst noch zu sagen habe. Also: Wir haben nicht nur die Quote miteinander besprochen, und Grundlage unserer Diskussion war auch nicht nur die Quote, sondern es ging auch um die Frage: Wie gehen wir mit dem Thema Erwerbsminderung um? Was machen wir mit denjenigen, die nach langjähriger Arbeit nicht mehr arbeiten können? Wie gehen wir mit flexiblen Übergängen um, also zum Beispiel mit der AlAnton Schaaf tersteilzeit und der Teilrente? Für uns geht es um eine Gesamtstrategie und nicht nur um einen Punkt, wie die Quote. Zur Quote. Wären wir in Verantwortung, was wir nicht sind, ({0}) dann würden wir an dem Thema Erwerbsminderungsrente massiv arbeiten. Wir brauchen einen besseren Zugang, insbesondere für Menschen, die aufgrund ihrer Arbeit psychisch krank sind, und wir brauchen eine bessere Ausstattung der Erwerbsminderungsrente. Dadurch würde die Zahl derer, die tatsächlich bis 67 arbeiten müssen, natürlich verringert, weil die Menschen einfacher aus dem Arbeitsleben ausscheiden könnten, wenn sie „kaputt“ sind. Selbstverständlich würden wir auch versuchen, bessere Möglichkeiten für flexible Übergänge zu schaffen. ({1}) Leider war es uns im Rahmen der Großen Koalition nicht möglich, beispielsweise die Förderung der Altersteilzeit beizubehalten. Dadurch würde die Quote derer, die regulär in den Altersruhestand gehen, auch wieder abgesenkt werden. Von daher ist die Quote zwar eine ordentliche Zielmarke, aber sie ist nicht ausschließlich das, was unser Konzept ausmacht. Vielmehr muss man es in Gänze beachten. - Ich danke Ihnen. ({2}) Ich komme noch einmal zu der Aussage: Ihr habt es ja mitbeschlossen. - Ja, das stimmt; das ist schon richtig. ({3}) Wir haben vor dem Hintergrund der aktuellen Debatte gesagt: Es gibt im Moment keine Alternative dazu. Herr Strengmann-Kuhn, ich bin hier sofort wieder bei Ihnen, dass die Frage nach einem höheren Renteneintrittsalter irgendwann mit Sicherheit beantwortet werden muss. Man könnte das jetzt tun, aber es hätte doch folgenden Nachteil, wenn wir das jetzt täten: Die Beschäftigungsquote der 60- bis 64-Jährigen liegt zurzeit bei 21,5 Prozent, und in den letzten zehn Jahren hat sich diese Quote in der Tat verdoppelt. ({4}) Wenn man diese Entwicklung über die nächsten zwei Jahre fortschreibt, dann sieht man, dass dann vielleicht 25 Prozent der 60- bis 64-Jährigen beschäftigt sein werden. Viel mehr werden es aber nicht sein. ({5}) Für diejenigen, die das reguläre Renteneintrittsalter nicht erreichen, bedeutet das, ab 2012 dauerhaft 0,3 Prozent mehr Abschläge hinnehmen zu müssen, und zwar unverschuldet. Wir Sozialdemokraten sagen: Da wollen wir nicht mitmachen; so war es nie gedacht. Deswegen haben wir gegen den massiven Widerstand der Union in Verhandlungen dafür gesorgt, dass die Überprüfungsklausel ins Gesetz geschrieben wird. Sie besagt eindeutig, was zu geschehen hat. Die Begründungen der Union zu diesem Thema sind abenteuerlich. Es steht ja im Gesetz, dass im Jahr 2010 die Regierung verpflichtet ist, die arbeitsmarkt- und sozialpolitische Situation der älteren Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zu überprüfen, und empfehlen muss, ob vor diesem Hintergrund die Einführung der Rente mit 67 ab 2012 geboten ist. ({6}) Die Arbeitsministerin hat ja offensichtlich die Auswertung dieser Überprüfung nicht vorliegen, und auch der Staatssekretär Brauksiepe hat sie nicht - zumindest wurde das heute gesagt -, und trotzdem haben beide gesagt: Ab 2012 kommt die Rente mit 67 auf jeden Fall. Das ist Pharisäertum. Das ist rücksichtslos. Das hat mit Kenntnisnahme der Realität in dieser Republik nichts zu tun. ({7}) Meine Damen und Herren von der Union, wir nehmen das gemeinsam beschlossene Gesetz in Gänze ernst, nicht nur die Teile, die die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer belasten, sondern auch die Überprüfungsklausel, die wir ins Gesetz hinein verhandelt haben. Der Kollege Weiß hat etwas zum Thema Fachkräftemangel gesagt. Die Frage der Solidarität wurde breit angesprochen. Lieber Peter Weiß, das mit der Solidarität ist so eine Sache. Gefordert war Solidarität von denen, die in Rente gehen; da hieß es: Sie gehen halt ein bisschen später. Wir erinnern uns an das Rentennachhaltigkeitsgesetz aus dem Jahre 2003. Da wurde gesagt: Sie werden auch für weniger - man könnte an der Stelle sagen: doppelt solidarisch - gehen. Es wurde ferner gefordert: Arbeitnehmer müssen solidarisch sein. - In der Tat: Die Beiträge werden etwas steigen, bis maximal 22 Prozent; denn wir haben das sogenannte Beitragsdogma eingeführt, das besagt: Die Beiträge dürfen nicht über 22 Prozent steigen. - Es wird also Solidarität eingefordert. Es stimmt, wenn man sagt, dass sich unsere Gesellschaft verändert und wir daher eine breitere Solidarität brauchen. Aber wenn es darum geht, die sozialen Sicherungssysteme solidarisch und paritätisch zu finanzieren, verabschiedet sich die Union aus der Solidarität und friert die Arbeitgeberbeiträge ein. So viel zum Thema Solidarität. Sie überlassen die Lasten allein den Arbeitnehmerinnen, Arbeitnehmern und Rentnern. ({8}) Im Bereich der Gesundheitspolitik ist das ganz klar geschehen. Zu den Themen „Qualität der Arbeit“, „Voraussetzungen schaffen“, „gute Arbeit“ gibt es von dieser Bundesregierung null Ansage. Sie ergreifen keine Initiative. Es passiert überhaupt nichts. Wir hatten auch eine Debatte zum Thema „prekäre Beschäftigung“. Viele Menschen in diesem Lande, die deswegen nie über ein ausreichendes Renteneinkommen verfügen werden, arbeiten für 5, 6 oder 7 Euro die Stunde, und zwar den ganzen Tag. Wir haben Ihnen gesagt: Passen Sie auf, was passiert, wenn ab dem nächsten Jahr die Arbeitnehmerfreizügigkeit gilt. Viele Menschen aus Osteuropa werden kommen und das derzeitige Lohnniveau noch unterbieten. In dieser Hinsicht tun Sie nichts, um Ordnung auf dem Arbeitsmarkt zu schaffen, um dafür zu sorgen, dass die Menschen ein sicheres Einkommen und damit eine gesicherte Rente haben. Ich sagen Ihnen etwas - das ist mittlerweile, auch nach dieser Debatte, meine feste Überzeugung -: Sie sind der Meinung - zumindest Teile von Ihnen, auf jeden Fall die Arbeitsministerin -, dass derjenige, der ein leistungsloses Einkommen bezieht, kein Bier trinken und auch keine Zigaretten rauchen soll. Zumindest muss man das nicht berechnen. Rentenpolitisch gesehen sind Sie völlig leistungslos. Die Ministerin sollte sich von daher überlegen, Ihnen teuren Wein und die Zigarren zu verbieten. ({9})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Das Wort hat nun der Kollege Sebastian Blumenthal von der FDP-Fraktion. ({0})

Sebastian Blumenthal (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004013, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Nach dem Versuch der Vergangenheitsbewältigung der SPD, den wir eben erlebt haben, komme ich zu dem konkreten Antrag zurück, den uns die Linke vorgelegt hat. Die Linke fordert - ich zitiere - „eine Umorientierung in der Finanzierung der gesetzlichen Rente sowie den Umbau der gesetzlichen Rentenversicherung“. Zur Frage, wie dieser Umbau konkret aussehen soll, bleibt der Antrag zunächst sehr vage und wenig konkret. Der vorliegende Antrag ist Teil eines Rentenkonzepts, das im aktuellen Wahlprogramm der Linken sehr genau beschrieben wird. Nun will ich nicht behaupten, dass sich der Blick ins Wahlprogramm der Linken grundsätzlich lohnt, aber in diesem Fall ist er durchaus hilfreich. ({0}) - Herr Birkwald, genau so ist das. Sie fordern in Ihrem Wahlprogramm, die staatliche Unterstützung der privaten Vorsorge einzustellen und die privat erworbenen Ansprüche und die staatlichen Fördermittel in die gesetzliche Rente zu überführen. Was bedeutet das konkret für die Bürgerinnen und Bürger? Das hieße: Alle Ersparnisse aus den Sparverträgen und Versicherungen, die der privaten Vorsorge dienen, müssten den Bürgern entzogen werden. Das sind unter anderem private Renten- und Lebensversicherungen, das sind Riester-Sparverträge, das sind Rürup-Renten, und es sind unzählige private Betriebsrenten, über die wir reden. Das, was die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer lange Jahre angespart haben, wird ihnen entzogen. Wir reden nicht über Millionäre und Spitzenverdiener, sondern wir reden überwiegend über Kleinsparer. Das ist genau die Gruppe, auf die Sie abzielen. Dem werden wir uns entgegenstellen. ({1}) Im Mai dieses Jahres hat Ihre Genossin Lötzsch das unsägliche Zitat gebracht, dass es auf dem Finanzmarkt „Taliban im Nadelstreifen“ geben würde, weil Finanzmanager sehr streitbare Vorgänge vollzogen haben. Jetzt betätigen Sie sich selbst durch das Ansinnen, das ich gerade geschildert habe, als Finanzspekulanten; denn Sie wollen die private Altersvorsorge der Menschen hintertreiben, und Sie offenbaren erneut ein erschreckendes Verständnis vom Verhältnis zwischen Staat und Bürger. Das werden wir von der FDP-Fraktion nicht mittragen. Dagegen werden wir uns energisch stellen. ({2}) Ich möchte zusammenfassen, was Sie gefordert haben. Die privaten Rentenersparnisse werden also erst von den Linken zwangsaufgelöst und anschließend verstaatlicht. So steht es in Ihrem Programm. Schauen Sie bitte nach, Herr Birkwald. ({3}) Das heißt, jede Form der staatlich geförderten privaten Vorsorge wollen Sie auflösen und damit wollen Sie bei den Menschen abkassieren. Nicht nur auf den Finanzmärkten, sondern auch auf den Immobilienmärkten würden Sie als Spekulanten aktiv werden. Viele Menschen haben nämlich im Rahmen der privaten Altersvorsorge zum Beispiel in Eigenheime investiert. Wenn es nach Ihnen ginge, müssten auch diese Immobilien verkauft werden. Das wäre die Konsequenz der Verstaatlichung der privaten Altersvorsorge. ({4}) - Wo wir gerade beim Kabarett sind - das ist ein gutes Stichwort, Herr Birkwald -: Das erklärt vielleicht auch, warum Teile Ihres Spitzenpersonals Immobilien in Österreich haben. Da zeigt sich die Konsequenz in Ihrem Handeln. ({5}) Ich gehe davon aus, dass Sie das nicht einfach so in das Wahlprogramm geschrieben haben, sondern es ernst damit meinen. Herr Kollege Ernst, es geht hier nicht um Kuchenklau, wie Sie es dargestellt haben, sondern es geht um Rentenklau. Das ist die logische Konsequenz aus Ihrem Gedankengang. ({6}) Als Fazit möchte ich festhalten: Der Antrag ist fachlich völlig unausgegoren, er ist sozial unausgewogen, und Sie bestrafen die private Initiative der Bürger, die für ihr Alter vorsorgen. Der Antrag ist überflüssig und verzichtbar. Das sind Gründe genug, ihn abzulehnen. Das werden wir tun. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({7})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Das Wort hat der Kollege Dr. Matthias Zimmer für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Prof. Dr. Matthias Zimmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004192, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich habe den Eindruck, dass neben der spannenden Debatte über die Frage der Rentensicherung heute hier noch ein anderes Thema ganz spannend ist, nämlich die Frage: Wo steht die SPD? ({0}) Ich habe nach den beiden Debattenbeiträgen, die ich hier gehört habe, den Eindruck, dass die SPD in der Frage der Rente mit 67 auf der Suche nach einem Notausgang für Helden ist. Ich bin mir sicher: Den werden Sie eines Tages finden. Sie haben sich auch bei anderen Themen aus der Verantwortung gestohlen, nachdem Sie keine Regierungsverantwortung mehr hatten. ({1}) Schauen wir uns einmal genauer an, was in dem Antrag der Linken steht. Ich will auf einige Forderungen genauer eingehen. Sie wollen den Ausstieg aus der Rente mit 67 durch einen höheren Beitragssatz von 0,5 Prozentpunkten gegenfinanzieren. Das kann man machen. Wir haben im Wesentlichen drei Stellschrauben, um mit dem demografischen Problem der Rentenversicherung umzugehen: die Kürzung der Renten, die Verlängerung der Arbeitszeiten oder die Erhöhung des Rentenbeitrags. ({2}) Ich halte das allerdings für falsch, weil damit Arbeit zusätzlich belastet wird, und das ist etwas, was wir augenblicklich überhaupt nicht gebrauchen können. ({3}) Dann wollen Sie die Arbeitslosigkeit durch die Schaffung sozialversicherungspflichtiger Beschäftigungsverhältnisse bekämpfen. Ich nehme einmal an, dass Sie hier nicht die 500 000 öffentlich geförderten zusätzlichen Stellen meinten, die Sie neulich in einem Antrag gefordert haben, ({4}) sondern Arbeitsplätze, die in der Wirtschaft entstehen. ({5}) - Einverstanden. ({6}) Das wollen wir auch. Aber dann dürfen Sie doch nicht die Arbeit durch einen höheren Rentenbeitrag teurer machen. Das passt nicht zusammen. ({7}) Im Übrigen: Dort, wo Sie in der politischen Verantwortung stehen - das habe ich einmal nachgeschaut -, können Sie doch beweisen, wie man neue Arbeitsplätze schafft. Die Zahlen, die gestern herausgekommen sind, belegen: Berlin hat die höchste Arbeitslosigkeit im Bundesgebiet. Wie wollen Sie dann die Arbeitslosigkeit durch die Schaffung neuer Arbeitsplätze bekämpfen? ({8}) Das passt, glaube ich, nicht zusammen. ({9}) Dann schlagen Sie vor, die Deckelung des Beitragssatzes aufzuheben. Dadurch würden höhere Anwartschaften entstehen; aber die wollen Sie dann deckeln. Ich halte schon eine Aufhebung der Beitragsbemessungsgrenze aus verfassungsrechtlichen Gründen für problematisch; aber das Äquivalenzprinzip aufzugeben, bedeutet, dass der Charakter der Rentenversicherung ein völlig anderer wird. Auch das wirft erhebliche verfassungsrechtliche Fragen auf. Natürlich taucht wie das Teufelchen in der Box auch wieder das Thema Mindestlohn auf. Nun stellen Sie den Mindestlohn in einen Zusammenhang mit den Einnahmen der Rentenversicherung. Ich bin mir allerdings nicht sicher, ob hier nicht ein Irrtum vorliegt. Ich fürchte eher, dass mit der Einführung des Mindestlohnes Arbeitsplätze verloren gingen. Sie werden vermutlich sagen, dass das Arbeitsplätze sind, die nicht Ihrer Vorstellung von guter Arbeit entsprechen. Das mag sein. Aber wenn diese Arbeitsplätze dann wegfallen, hat das natürlich auch Auswirkungen auf die Renteneinzahlungen. ({10}) Einige Probleme mit der Rente mit 67, die hier zum Teil schon zur Sprache gekommen sind, möchte ich aus unserer Sicht einmal ansprechen. Es ist richtig, dass es gerade in körperlich anstrengenden Berufen ausgesprochen schwierig ist, bis zum 67. Lebensjahr zu arbeiten. Ein Maurer arbeitet nicht bis 67; aber, wie es Franz Müntefering von diesem Pult einmal formuliert hat: Der steht auch nicht mehr mit 64 auf dem Gerüst. - Ich denke, dass hier die Arbeitgeber und die Gewerkschaften gefordert sind, gerade in solchen Berufen frühzeitig Weiterbildungsangebote oder Schulungen, die einen anderen Arbeitseinsatz erlauben, anzubieten. ({11}) Das betrifft neben der Baubranche die Forst- und Landwirtschaft, aber auch den Einzelhandel und die Pflege. Es ist richtig, dafür Sorge zu tragen, dass immer mehr ältere Arbeitnehmer auch tatsächlich in Arbeit sind. Das ist so in 2007 verabredet worden. Wenn wir aber feststellen, dass noch zu wenig ältere Arbeitnehmer in Arbeit sind, dann heißt das doch nicht, dass wir aus der Rente mit 67 aussteigen müssen, sondern nur, dass wir uns mehr anstrengen müssen, ({12}) diesen Anteil den Arbeitnehmer zu steigern. Wir tun das mit der Perspektive „50plus“, die schon gute Erfolge aufweisen kann; der Kollege Strengmann-Kuhn hat das eben bestätigt. Wir müssen weg von einem Jugendlichkeitswahn in der Arbeitswelt, der manchmal seltsame Blüten getrieben hat. Jung soll der Arbeitnehmer sein, keine 30, mit zehn Jahren Berufserfahrung - im Ausland studiert, mit Doktorhut, zeitlich und örtlich unbegrenzt flexibel. Nein, ich glaube, wir müssen einen Bewusstseinswandel befördern. Wir müssen den Erfahrungsschatz hervorheben, die Beständigkeit und Gelassenheit, die vielleicht erst mit zunehmendem Alter kommen. ({13}) Vielleicht müssen wir den Betrieben auch Mittel an die Hand geben, ihre Mitarbeiter zu halten, etwa durch einen deutlichen Ausbau der Mitarbeiterbeteiligung. Denn eines ist richtig: Je besser die Arbeit, je besser das Arbeitsklima, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass länger gearbeitet werden kann. Das geht zumindest aus dem DGB-Index Gute Arbeit 2009 sehr deutlich hervor. Hier haben wir noch einigen Handlungsbedarf. Meine Damen und Herren, der Umstand, der zu unserer Diskussion geführt hat, ist der, dass die Menschen länger leben und länger Rentenzahlungen erhalten. 1960 haben die Rentner im Durchschnitt zehn Jahre Rente bezogen.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Kollege, möchten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Schaaf zulassen?

Prof. Dr. Matthias Zimmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004192, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Aber natürlich.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Bitte schön.

Anton Schaaf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003623, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege, Sie haben eben gesagt, dass wir uns mehr anstrengen müssen, damit Ältere länger beschäftigt werden und in Arbeit bleiben können. Man solle nicht dafür eintreten, die Rente mit 67 zu verhindern bzw. zu verschieben, sondern man solle quasi in Kauf nehmen, dass es so ist. Ich gebe Ihnen recht: Wir müssen uns mehr anstrengen, damit ältere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Arbeit bleiben oder in Arbeit kommen. Bis dahin sind wir d’accord. Würden Sie mir zugestehen, dass Menschen vor dem Hintergrund der realen Zahlen - sie liegen vor, und sie werden sich in den nächsten zwei Jahren nur unwesentlich verbessern - dauerhaft höhere Abschläge als heute hinnehmen müssen, weil sie vorzeitig in den Ruhestand gehen müssen und somit gezwungen werden, Leistungen nach dem SGB II zu beziehen? Nehmen wir das in Kauf? Das war die Frage. Wenn Sie sagen: „Wir müssen mehr tun am Arbeitsmarkt“, dann gebe ich Ihnen völlig recht, auch wenn Ihre Aussage mit den Absenkungen der Mittel für den Eingliederungstitel nicht korrespondiert. Ich möchte noch gerne ein Versäumnis nachholen. Gestern hat nicht nur ein CDU-Kollege Verantwortung für die Reform des SGB II übernommen, sondern auch der Kollege Lehrieder; das will ich hier ausdrücklich sagen. Alle anderen Rednerinnen und Redner der Union haben diese Verantwortung aber leider nicht übernommen.

Prof. Dr. Matthias Zimmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004192, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Schaaf, es tut immer gut, wenn von Ihrer Seite die Kollegen der CDU gelobt werden. Ich wünschte mir eigentlich, dass Sie sehr viel stärker, als es bisher der Fall gewesen ist, bei dem, was in 2007 verabredet worden ist, bleiben. Ich wünschte mir von Ihnen eigentlich ein deutliches „Wir stehen nach wie vor zu der Rente mit 67“. Ich glaube, das wäre etwas, was zur begrifflichen Klarheit und zur Klarheit in der Diskussion in diesem Hause beitragen würde. ({0}) Meine Damen und Herren, der Umstand, der zu unserer Diskussion geführt hat, ist der, dass Menschen länger leben und länger Rentenzahlungen erhalten. 1960 haben Rentner im Durchschnitt zehn Jahre Rente bezogen, 2030 werden es 20 Jahre sein. Das ist eine gute Nachricht. Solange wir im bestehenden Rentensystem bleiben, halte ich es schon für legitim, etwas länger zu arbeiten. Wir werden sicherlich an anderer Stelle Gelegenheit haben, über Alternativen zu unserem jetzigen System nachzudenken. Ich persönlich verhehle nicht meine Sympathie für das Rentenmodell der katholischen Verbände. Ich hoffe sehr, dass wir bei der Diskussion über Altersarmut auch darüber diskutieren, ob wir unser bestehendes Rentensystem nicht langfristig transformieren wollen. Für heute und den hier diskutierten Antrag bleibt aber festzuhalten, dass er nichts Neues, aber viel Falsches enthält und deswegen unsere Zustimmung nicht finden kann. Danke schön. ({1})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Silvia Schmidt hat das Wort für die SPD-Fraktion. ({0})

Silvia Schmidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003217, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen! Herr Dr. Zimmer, Sie haben zu Recht gesagt: Von bestimmten Dingen sollte man sich nicht verabschieden. „Rente mit 67“ ist ein sehr wichtiges Thema in der Gesellschaft. Viele Menschen lehnen die Rente mit 67 ab, weil sie einfach noch nicht verstanden haben, worum es eigentlich geht. Die Einführung der Rente mit 67 muss sehr gut vorbereitet sein, damit die Menschen diese Reform begreifen, akzeptieren und mittragen können. Eine entsprechende Haltung ist zum heutigen Zeitpunkt einfach noch nicht da. Herr Heinrich, Sie haben wunderbar geredet. Was Sie gesagt haben, war alles sehr schön. Wenn man das hört, möchte man gerne bis zum 70. Lebensjahr zur Arbeit gehen. Aber Sie haben auch die Worte verwendet: gebraucht werden, lebenslanges Lernen, Spaß am Leben haben. Glauben Sie mir, ein Erwerbsminderungsrentner hat heute keinen Spaß am Leben. Das ist uns bewusst; das haben wir nicht nur in der Anhörung erfahren. Es gibt hier einige schwerwiegende Punkte. Wir müssen das Problem der Erwerbsminderungsrente in den Griff bekommen. Dabei geht es nicht nur um den Maurer oder den Metaller, sondern auch um Frauen, die zum Beispiel im Krankenhaus als Krankenschwester oder im Pflegedienst arbeiten. Hier soll noch einmal auf das hingewiesen werden, was wir verändern müssen, damit eine Verbesserung eintritt. ({0}) Zurzeit leben in Deutschland 1,1 Millionen Menschen, die eine Erwerbsminderungsrente bekommen. Übrigens waren es 2000 noch 1,4 Millionen Menschen. Wir haben die Zugangsvoraussetzungen deutlich erhöht. Das könnte man kritisieren; aber es war ein guter Weg, den wir damit gegangen sind. Wir haben das betriebliche Eingliederungsmanagement gemäß § 84 SGB IX eingeführt. Damit ist endlich gesetzlich verankert, dass Unternehmen Verantwortung für ihre Mitarbeiter tragen. Die Unternehmen sind also mitverantwortlich dafür, ob ihre Mitarbeiter in gutem gesundheitlichen Zustand sind, ob sie sich wohlfühlen. Um dem gerecht zu werden, müssen sie zusammen mit den Betriebsräten oder den jeweiligen Interessenvertretungen, zum Beispiel den Schwerbehindertenvertretungen, tätig werden. Das passiert sehr selten. Nur 50 Prozent der großen Unternehmen wissen, dass es ein betriebliches Eingliederungsmanagement gibt, und bei den kleinen und mittleren Unternehmen sind es gerade einmal 25 Prozent. Damit will man nicht nur den Menschen gesund erhalten, sondern man will auch seinen Arbeitsplatz erhalten. Ich frage mich manchmal, warum die Wirtschaft dieses Konzept nicht viel intensiver nutzt. Auf der einen Seite reden wir über Fachkräftemangel, und auf der anderen Seite haben wir 1,1 Millionen Erwerbsminderungsrentner, die zu Hause sitzen und sehr gern arbeiten würden, dies aber nicht in Form einer Zuverdienstlösung; das möchte ich auch noch einmal deutlich sagen. ({1}) Im Bereich der Erwerbsminderungsrenten ist in den vergangenen Jahren ein großes Problem auf uns zugekommen: Die Zahlbeträge für Erwerbsminderungsrenten sind deutlich nach unten gegangen. Das heißt, sie liegen - im Osten wie im Westen - gerade am Existenzminimum. Gerade Menschen mit Behinderungen - und dies sind Erwerbsminderungsrentner - haben natürlich einen deutlichen Mehrbedarf. Wenn sie diesen Mehrbedarf haben, stehen sie bei den Kommunen an und müssen das Prozedere mit Anträgen, Ablehnungen, Widersprüchen und Bescheiden durchlaufen, um endlich einen Ausgleich für ihren Mehrbedarf zu erhalten, wobei eine Kommune in der jetzigen Situation - ich erinnere nur an die Reform der Eingliederungshilfe - natürlich nicht das Geld dazu hat. An dieser Stelle gilt es, deutlich zu machen, wie wir die Erwerbsminderungsrentner unterstützen können. Ein weiteres Problem, das schon angesprochen wurde, ist, dass eine größere Anzahl von psychisch Kranken Erwerbsminderungsrente bezieht. - Herr Kolb, es wäre gut, wenn Sie zuhören würden. - Gerade die Menschen, die auf dem Arbeitsmarkt flexibel sein müssen, die mobil sein müssen, die Stress ausgesetzt sind, die lange von den Familien getrennt sind, die Mobbing über sich ergehen lassen müssen, die einem starken Leistungsdruck ausgesetzt sind, werden verstärkt zu Erwerbsminderungsrentnern. Die Krankenkassen warnen uns und sagen, dass das unsere zukünftigen Erwerbsminderungsrentner sind. Ich frage mich, wie wir dieses Problem aus der Welt schaffen. Hier ist ein Präventionsgesetz vonnöten. Darüber wird noch gar nicht gesprochen. ({2}) Wir haben zu Zeiten der Großen Koalition versucht, es einzubringen. Das hat aber nicht funktioniert. Auch der Bundesrat hat es abgelehnt. Wir haben damals im SGB IX festgelegt: Prävention vor Reha. - Aber wir haben kein Präventionsgesetz. Wir brauchen eine humane Arbeitswelt, damit Menschen freiwillig länger arbeiten. Das ist ein wesentlicher Punkt. In den vergangenen Monaten - von Januar bis Mai ist die Förderung der BA zur Wiedereingliederung von Schwerbehinderten auf dem Arbeitsmarkt deutlich zurückgegangen, und zwar um 24 Prozent. Ältere schwer6674 Silvia Schmidt ({3}) behinderte Langzeitarbeitslose haben kaum eine Chance, an irgendwelchen Maßnahmen der BA teilzunehmen, um wieder ins Arbeitsleben eintreten zu können. Diese werden dann meistens in die Erwerbsminderungsrente verwiesen. Wenn sie ganz viel Pech haben, dann kommen sie in eine geschützte Werkstatt. Das kann nicht unser Zukunftsmodell sein. Wir müssen den Menschen die Angst nehmen. Wir müssen den Menschen sagen, dass sie in Zukunft gute und sichere Arbeitsverhältnisse haben und gerne zur Arbeit gehen werden. Davon profitiert auch die Wirtschaft und dementsprechend auch das Rentensystem. Wir fordern, dass der Zugang zur Erwerbsminderungsrente wieder erleichtert wird. Die Abschläge müssen abgeschafft werden. 10,4 Prozent sind relativ viel. Bei dem niedrigen Betrag, den heute ein Erwerbsminderungsrentner im Durchschnitt bekommt, ist das schon dramatisch.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Frau Schmidt, kommen Sie bitte zum Ende.

Silvia Schmidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003217, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Wir brauchen endlich ein Präventionsgesetz. Außerdem brauchen wir endlich auch gesetzliche Mindestlöhne. Vielen Dank. ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Gabriele Molitor hat das Wort für die FDP. ({0})

Gabriele Molitor (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004112, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Antrag der Linken, den wir zu beraten haben, geht an der Realität vorbei und erkennt Wahrheiten einfach nicht an. Es scheint, als ob die Linken noch nie etwas vom Fachkräftemangel oder von der demografischen Entwicklung gehört hätten. ({0}) Anstatt auf diese drängenden Fragen die passenden Antworten zu suchen, wird ein Kampf der Generationen heraufbeschworen. In Ihrem Antrag schreiben Sie, dass die Rente mit 67 jungen Menschen den Zugang zum Arbeitsmarkt versperre. ({1}) Dabei verschließen Sie die Augen davor, dass die Unternehmen dringend auf das Know-how älterer Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer angewiesen sind. ({2}) Sie verkennen auch die Tatsache, dass es in Deutschland Zehntausende offener Ausbildungsplätze gibt. ({3}) Ein Blick ins Ausland lohnt: Dänemark und die Niederlande planen die Rente mit 67, Lettland und Irland wollen die Regelaltersgrenze sogar auf 68 Jahre erhöhen. In den USA gilt die Altersgrenze von 67 Jahren für alle Personen, die nach 1960 geboren wurden. Auch die Europäische Kommission lobt unsere Pläne ausdrücklich. Im kommenden November wird das Arbeits- und Sozialministerium einen Prüfbericht vorlegen, in dem die Voraussetzungen für die Rente mit 67 untersucht werden. Dieser Bericht soll dann alle vier Jahre fortgeschrieben werden und über die Entwicklung der Beschäftigung älterer Arbeitnehmer auf dem Arbeitsmarkt informieren. Dabei wird auch geprüft werden, ob die Anhebung der Regelaltersgrenze weiterhin vertretbar ist oder ob Änderungen notwendig sind. Ich denke, das ist der richtige Weg. Dadurch können wir zukünftig frühzeitig auf mögliche Fehlentwicklungen reagieren. ({4}) Anders als die Linke wollen wir nicht mit der Förderung von Altersteilzeit Steuergelder für die Frühverrentung verschwenden. ({5}) Die Koalition hat die Fortführung der staatlichen Förderung von Altersteilzeit im Koalitionsvertrag ausgeschlossen, weil von den so frei gewordenen Stellen zwei Drittel weggefallen sind, das heißt nicht wiederbesetzt wurden. Große Unternehmen haben diese Maßnahme also dazu genutzt, mit staatlicher Hilfe Stellen abzubauen. Wir wollen kein Blockmodell mehr, auf das 90 Prozent der Altersteilzeitfälle entfielen, sondern die Kombination von Rente und Zuverdiensten. ({6}) Bei diesem Thema argumentieren Sie auch unlogisch. Eine Wiedereinführung der Altersteilzeit würde nämlich dazu führen, dass weniger Menschen in die Rentenkassen einzahlen. Bereits heute ist ein Umdenken in der Wirtschaft erkennbar. Die Unternehmen wollen ihre Arbeitnehmer halten und gerade auf die Erfahrungen ihrer älteren Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nicht verzichten. ({7})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Kollege Schaaf würde Ihnen gerne eine Zwischenfrage stellen.

Gabriele Molitor (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004112, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Schaaf hat zwar heute schon viel Gelegenheit gehabt, zu reden, aber von mir aus: Bitte schön.

Anton Schaaf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003623, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Molitor, ich danke Ihnen sehr. Es handelt sich auch nur um eine Frage zur Altersteilzeit, auf die Sie vielleicht mit einer Präzisierung antworten können. Bei der geförderten Altersteilzeit gab es die Bedingung, dass der Arbeitsplatz nicht wegfällt. Zwei Drittel der Altersteilzeit, die in Anspruch genommen wird und wurde, war nicht geförderte Altersteilzeit. Wenn Sie jetzt sagen, dass das nur negative Auswirkungen habe, dann muss man doch präzisieren, dass es negative Auswirkungen nur im Zusammenhang mit der nicht geförderten Altersteilzeit, wozu nach wie vor die Möglichkeit besteht - Sie haben diese ja nicht abgeschafft -, gab und gibt. Im Zusammenhang mit der geförderten Altersteilzeit gab es keine negativen Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt, weil Bedingung für die Förderung eben der Erhalt des Arbeitsplatzes war. Können Sie mir das bestätigen?

Gabriele Molitor (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004112, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ich denke, die Zahlen sprechen eine deutliche Sprache. ({0}) Ich wehre mich dagegen, Steuergelder zu verwenden, um Unternehmen solche Umstrukturierungen zu ermöglichen. ({1}) Ich denke, wir haben hier den richtigen Weg eingeschlagen. ({2}) Also: Der Fachkräftemangel wird die Nachfrage nach gut ausgebildeten und erfahrenen Kräften erhöhen. In der Krise wurde deutlich, dass in schwierigen Zeiten die Menschen nicht entlassen worden sind - das Kurzarbeitergeld hat sicherlich sehr viel dazu beigetragen -; denn die Unternehmen wissen ganz genau: Wer einmal entlassen wurde, kommt nicht mehr zurück. ({3}) - Das haben wir gemeinsam erfunden. ({4}) Ein flexibler Renteneintritt ermöglicht den gleitenden Übergang vom Erwerbsleben in den Ruhestand. Ein Wegfall der Hinzuverdienstgrenzen ermöglicht, den eigenen Lebensstandard selbst zu bestimmen; das ist uns sehr wichtig. ({5}) Die Beseitigung von Barrieren zur Beschäftigung älterer Menschen führt dazu, dass Gesellschaft und Unternehmen stärker vom Know-how älterer Mitarbeiter profitieren können. Von der Wertschätzung älterer Menschen, auch älterer Arbeitnehmer haben wir schon in anderen Wortbeiträgen gehört. Dem kann ich mich nur anschließen. ({6}) All diese Vorkehrungen, alle diese politischen Maßnahmen, die wir ergriffen haben, zeigen der jungen Generation, wie verantwortungsvoll wir mit der Rentenfrage umgehen und dass sie sich keine Sorgen machen muss, weil für ihren Ruhestand vorgesorgt ist. Das ist der richtige Weg, und dafür setzen wir uns ein. Vielen Dank. ({7})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Für die CDU/CSU-Fraktion hat der Kollege Max Straubinger das Wort. ({0})

Max Straubinger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002812, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Die Linke in unserem Haus stellt heute wieder den Antrag, die Rente mit 67 abzuschaffen, und verschließt letztendlich die Augen vor der demografischen Entwicklung und auch vor den zukünftigen Herausforderungen auf dem Arbeitsmarkt. Jetzt, beim Aufschwung, wird sichtbar, dass wir Fachkräfte brauchen und dass wir händeringend um sie werben müssen. Deshalb ist es richtig, an dieser Rentengesetzgebung, die wir in der Großen Koalition gemeinsam geschaffen haben, festzuhalten. Wir wissen, dass die Gesamtgesellschaft, die Jungen und die Alten, diese demografische Herausforderung solidarisch zu tragen hat. Wenn bis zum Jahr 2029 das Regeleintrittsalter auf das 67. Lebensjahr angehoben wird, so ist dies ein maßvoller Schritt, weil bis zu diesem Zeitpunkt auch die Lebenserwartung der Menschen in Deutschland um drei Jahre steigt. Wenn wir dann die Arbeitszeit um zwei Jahre verlängern, so ist dies ein sehr maßvoller, generationengerechter und verantwortbarer Schritt. ({0}) Ich danke dem Kollegen Strengmann-Kuhn ausdrücklich dafür, dass er sich ebenfalls dazu bekannt hat. Aber dem Antrag liegen auch falsche Behauptungen zugrunde, so beispielsweise die Behauptung, mit der Rücknahme der Rente mit 67 könnten junge Menschen in Arbeit kommen. Das ist nicht der Fall. Im Gegenteil: Wir haben heute einen Lehrstellenüberschuss; das hat meine Vorrednerin bereits dargelegt. ({1}) - Wir haben die Arbeitslosigkeit in den vergangenen Jahren signifikant abgebaut, und wir sind auf einem gu6676 ten Weg, jetzt auch die 3-Millionen-Grenze zu unterschreiten. Das ist mit ein Ergebnis unserer Politik. ({2}) Vor allen Dingen ist dies kein Rentenkürzungsprogramm, wie Sie es darstellen wollen. Ich denke, es ist viel besser, an praktischen Beispielen darzustellen, wie sich die Demografie entwickelt. Ich glaube, dass man sich vor 10 oder 20 Jahren gar nicht vorstellen konnte, dass man 100 Jahre alt werden kann. Wir haben den Kollegen Frankenhauser einmal gefragt, wie das in der Stadt München ist, und er hat mir die Zahlen dankenswerterweise schnell mitgeteilt. In München gibt es momentan 224 Personen über 100 Jahre. Wenn wir die Lebenserwartungsstatistiken betrachten, ergibt sich, dass vor allem Frauen älter werden - das ist auch schön - und dass vor allen Dingen ein weibliches Kind, das heute geboren wird, die Chance hat, 102 Jahre alt zu werden. Man stelle sich vor, jemand geht mit 67 in Rente und wird 102 Jahre alt. Das bedeutet 35 Jahre Rentenbezug. Das macht klar, welche Herausforderung die demografische Entwicklung bedeutet und dass die Bewältigung dieser Herausforderung eben von allen Generationen gerecht getragen werden muss und nicht so, wie es die Linken in unserem Haus darlegen, die die Augen vor dieser Generationenfrage verschließen. Werte Damen und Herren, eine Antwort auf diese Herausforderung war die Gesetzgebung, die wir jetzt umsetzen. Aber wichtig ist, dass die Menschen in Arbeit sind. Heute sind schon mehrere Zahlen der älteren Beschäftigten in unserem Land genannt worden. Gerade die Entwicklung im letzten Jahr war bedeutsam. Ich darf ganz kurz die entsprechenden Zahlen nennen. Die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten in der Gruppe zwischen 60 und 64 Jahren lag im März 2010 bei 1 080 000. Diese Zahl ist innerhalb eines Jahres um 120 000 gestiegen. Dies, verehrter Herr Kollege Anton Schaaf, ist ein Beleg dafür, dass die sogenannte Betrachtungsklausel greift. Nach dieser Klausel muss geprüft werden, ob es verantwortbar ist, die Rente mit 67 ab dem Jahr 2012 in die Tat umzusetzen. Die Zahlen zeigen in signifikanter Weise, dass auch Menschen in einem höheren Alter noch sozialversicherungspflichtig beschäftigt sind. Dass dies so bleibt, dafür setzen wir uns ein. Ich bin überzeugt, dass sich diese Entwicklung fortsetzen wird; denn das Programm für die geförderte Altersteilzeit - der Herr Kollege Kolb hat dies bereits ausgeführt - läuft aus und findet nur noch für diejenigen Anwendung, die diesen Schritt bis zum 31. Dezember 2009 gegangen sind. Es zeigt sich sehr deutlich: Die sozialversicherungspflichtige Beschäftigung älterer Bürgerinnen und Bürger wird weiter zunehmen. Deshalb bedarf es keines Antrags wie den der SPD, in dem das Erreichen eines bestimmten Beschäftigungsquotienten gefordert wird. Denn mit Instrumenten wie beispielsweise dem Kündigungsschutz für ältere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer stellen wir sicher, dass die Beschäftigung von Menschen zwischen 60 und 64 Jahren bzw. zwischen 60 und 67 Jahren steigen wird. Noch ein Punkt ist wichtig. Wir haben im Rahmen der vergangenen Rentenreform auf Verlangen der CSU vereinbart, dass derjenige, der 45 Jahre sozialversicherungspflichtige Beschäftigung und damit die entsprechenden Beitragszeiten in der gesetzlichen Rentenversicherung nachweisen kann, mit 65 Jahren abschlagsfrei in Rente gehen kann. Das ist unser sozialpolitischer Beitrag zur Rentengesetzgebung, der meines Erachtens in der öffentlichen Darstellung viel zu kurz kommt. ({3}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, die vom Deutschen Bundestag verabschiedeten Rentengesetze sind demografisch und vor allen Dingen gesellschaftspolitisch ausgewogen. Wir werden diese Gesetze zukünftig mit Maßnahmen flankieren, mit denen sichergestellt wird, dass ältere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mit guten und altersgerechten Arbeitsplätzen versorgt werden. Damit besteht für sie die Möglichkeit, bis zum 67. Lebensjahr ihrer Arbeit nachzugehen. Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. ({4})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Zwischen den Fraktionen ist es verabredet, die Vorlage auf Drucksache 17/2935 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. - Dazu gibt es keinen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 27 auf: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Restrukturierung und geordneten Abwicklung von Kreditinstituten, zur Errichtung eines Restrukturierungsfonds für Kreditinstitute und zur Verlängerung der Verjährungsfrist der aktienrechtlichen Organhaftung ({0}) - Drucksache 17/3024 Überweisungsvorschlag: Finanzausschuss ({1}) Rechtsausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Haushaltsausschuss Hierzu ist es vorgesehen, eine Stunde zu debattieren. - Ich sehe keinen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen. Für die Bundesregierung hat der Parlamentarische Staatssekretär Hartmut Koschyk das Wort. ({2})

Hartmut Koschyk (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001186

Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Wir sind uns darüber einig, dass eine zentrale Lehre aus der Finanzmarktkrise die stärkere, vor allem aber die effizientere Regelung der Finanzmärkte sein muss. Dafür hat die Bundesregierung auf internationaler Ebene - beim IWF, bei den G 20 und auf europäischer Ebene ein Bündel von Regulierungsmaßnahmen maßgeblich vorangebracht, die natürlich national umgesetzt werden müssen. Wir alle wissen: Dazu gehört auf der einen Seite, dass wir die Eigenkapitalausstattung der Banken verbessern. Die geringe Eigenkapitalausstattung der Banken war ein Grund für die Krise. Die Bemühungen im Basler Ausschuss dienen dem Ziel, die Eigenkapitalausstattung zu verbessern. Es muss aber auch darum gehen, sogenannte systemrelevante Finanzinstitute überhaupt nicht in Schieflagen geraten zu lassen. Die Problematik, um die es hier geht, wird in der Fachwelt als Moral Hazard bezeichnet. Das heißt nicht anderes, als dass der Staat mit seiner Regulierung dafür sorgen muss, dass systemrelevante Banken nicht in die Versuchung geführt werden, höhere Risiken, als sie verantworten können, einzugehen, weil sie sich ihrer Rettung durch den Staat sicher sein können. ({0}) Dem dient der Gesetzentwurf, der in einer guten Partnerschaft zwischen dem Justizministerium und dem Finanzministerium entwickelt wurde. Er stärkt die Eigenverantwortung der Banken, er schützt so den deutschen Finanzsektor mit maßgeschneiderten Instrumenten zur Reorganisation und Restrukturierung vor bedrohlichen Dominoeffekten, und er sorgt dann, wenn es zu einer Krise kommt, für einen besseren Schutz unserer Steuerzahler, indem er den Bankensektor an den Kosten künftiger Krisen beteiligt. ({1}) Die Finanzkrise hat klargemacht, dass die bisherigen Reorganisations- und Insolvenzverfahren vieler Länder - auch in Deutschland - für die Sanierung systemrelevanter Banken verbessert werden müssen. Diese Verfahren zielten in der Regel darauf ab, im Falle einer Schieflage den Geschäftsbetrieb einzufrieren und die Vertragsbeziehungen zu anderen Finanzmarktteilnehmern zu unterbrechen. Bei systemrelevanten, auch international vernetzten Banken ist aber eine solche Vorgehensweise - das hat die Krise deutlich gemacht - ungeeignet. Denn das Einfrieren des Geschäftsbetriebs und die Unterbrechung der Vertragsbeziehungen einer großen national und international stark vernetzten Bank kann eine Vertrauenskrise unter den Banken auslösen und zu einer Gefahr für das gesamte Finanzsystem führen; das haben wir in der Finanzmarktkrise erlebt. Ich darf nur an die Insolvenz der international stark vernetzten Bank Lehman Brothers erinnern, die zu einem zeitweiligen Zusammenbruch der globalen Finanzmärkte führte. Wir führen deshalb mit dem vorliegenden Gesetzentwurf ein intelligentes Regime zur Restrukturierung und geordneten Abwicklung von systemrelevanten Banken in Deutschland ein. Es geht darum, dass Banken ihre finanziellen Schwierigkeiten in Zukunft nicht mehr aus Furcht vor Marktreaktionen verdecken können; denn gerade in der Frühphase der Gefährdung eines Instituts bestehen oftmals noch die besten Chancen, die beginnende Schieflage mit einem relativ geringen Aufwand zu verhindern. ({2}) Hier setzt unser Gesetzentwurf an. Er sieht ein mehrstufiges Verfahren vor, mit dem Schieflagen durch frühes und entschiedenes Eingreifen auf der Ebene der Geschäftsführung bewältigt werden können. Im sogenannten Sanierungsverfahren, das allen Banken offensteht, wird eine breite Palette von Handlungsoptionen eröffnet. Hier sind zunächst noch keine Eingriffe in Drittrechte vorgesehen. Im Ernstfall greift dann aber bei systemrelevanten Kreditinstituten das sogenannte Reorganisationsverfahren, um Gefahren für die Stabilität des Systems abzuwehren. Das Reorganisationsverfahren orientiert sich dabei am bereits existierenden und bewährten Insolvenzplanverfahren. Sind die Beteiligten nicht bereit, aktiv an einer Reorganisation des Instituts mitzuwirken, oder erscheint ein Reorganisationsverfahren nicht aussichtsreich, dann kann die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht sofort ein aufsichtsrechtliches Eingriffsverfahren einleiten. Mit diesem Regime führen wir ein Instrument ein, das Schieflagen von Instituten in Zukunft verhindern soll. Die Entscheidung, ob eine Bank in eine Schieflage gerät und ob diese Bank systemrelevant ist, wird in Zukunft nicht mehr die Bank selber, sondern die Bankenaufsicht treffen. Natürlich schließen sich die beiden von mir aufgezeigten Verfahren nicht aus. Voraussetzung ist also, dass die in Schwierigkeiten geratene Bank national oder international vernetzt ist. Dann kann der Staat eingreifen und, wenn es keinen anderen Ausweg gibt, Maßnahmen anordnen. ({3}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, dieses Verfahren ist das eine. Aber wir brauchen auch Krisenreaktionsmöglichkeiten. Deshalb werden wir einen sogenannten Restrukturierungsfonds schaffen, an den alle Institute eine Sonderabgabe entrichten müssen, um im Falle der Krise nicht automatisch wieder den Steuerzahler zur Kasse zu bitten. Da werden wir sehr vernünftig vorgehen. Das heißt, wir werden in einer noch vorzulegenden Verordnung Parameter entwickeln, die wir in das Verfahren einführen werden. Selbstverständlich wird es so sein, dass die Abgabe risikoadjustiert ist: Je höher die Risiken bei einem Institut sind, desto höher ist auch die Abgabe, die eine Bank zu leisten hat. ({4}) Ich will hier ankündigen, dass wir gemeinsam mit den Koalitionsfraktionen anstreben, im parlamentarischen Verfahren des vorliegenden Gesetzentwurfes eine Regelung zu finden, die die Kappung variabler Gehaltsbestandteile bei gestützten Banken ermöglicht. Das ist ein wichtiges Thema, wie die Diskussion der letzten Tage gezeigt hat. Das Justizministerium und das Finanzministerium werden gemeinsam mit den Bundestagsfraktionen das laufende Gesetzgebungsverfahren nutzen, um hier zu vernünftigen, aber auch rechtssicheren Lösungen zu kommen. Schließlich möchte ich darauf hinweisen, dass der Entwurf eine Verlängerung der Verjährungsfrist von fünf auf zehn Jahre für die Haftung der Organe von Aktiengesellschaften bei Pflichtverletzungen vorsieht. Dadurch können Ersatzansprüche auch dann noch durchgesetzt werden, wenn sie spät bekannt werden. Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf legen wir einen wichtigen Mosaikstein für ein Gesamtkunstwerk neu greifender, besserer und effizienterer Regelungen für unsere Finanzmärkte vor. Herzlichen Dank. ({5})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Der Kollege Manfred Zöllmer hat das Wort für die SPD. ({0})

Manfred Zöllmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003663, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Herr Kollege Koschyk, ich habe gerade gehört, dass es sich bei Ihrem Gesetzentwurf um ein Gesamtkunstwerk handeln soll. ({0}) - Nein; das überfordert mich in der jetzigen Situation. Da müssen wir einmal schauen, ob dieses Kunstwerk sehr abstrakt oder sehr konkret ist; dann werden wir es entsprechend bewerten. Aus den USA stammt eine Begrifflichkeit, die bereits im Jahre 1914 während der ersten Finanzkrise geprägt worden ist und die auch heute eine große Rolle spielt: „too big to fail“. Genau mit diesem Phänomen sind wir in der Finanzmarktkrise konfrontiert worden. Der drohende Zusammenbruch eines systemrelevanten Kreditinstitutes hätte dramatische Folgen für die Stabilität des gesamten Finanzsystems und unübersehbare negative Folgen für die Gesamtwirtschaft gehabt. Das Problem dabei ist: Wenn wir eine solche Situation haben, wird ein zentraler Mechanismus unserer Marktwirtschaft außer Kraft gesetzt. Dieser Mechanismus besagt: Wenn ein Unternehmen schlecht wirtschaftet, auf Dauer Verluste macht und nicht wettbewerbsfähig ist, dann muss es vom Markt verschwinden. Wenn das nicht mehr gilt, dann hat das Konsequenzen. Das Fehlen dieses Mechanismus ist wegen der Sicherheit, dass im Zweifelsfalle der Staat einspringen würde, natürlich nicht nur für Anleger attraktiv, sondern besonders für die Bankmanager. Wir haben gesehen, dass diese Situation die Bankmanager dazu verleitet, besonders risikoreiche Geschäfte zu tätigen. Denn mit diesen besonderen, waghalsigen Geschäften konnten sie dicke Renditen und exorbitante Boni bekommen. Nun geht es um einen Gesetzentwurf, mit dem man sich dieser Problematik annimmt. Dieser Gesetzentwurf gründet sich in vielen Punkten auf die Vorarbeiten der beiden Minister Frau Zypries und Herrn Steinbrück im vergangenen Jahr. ({1}) - Etwas lauter, bitte. Ich habe es nicht verstanden. ({2}) - Das war im August letzten Jahres. Daran, dass Sie das Ganze aufgenommen haben, kann man sehen, dass gute Arbeit geleistet worden ist. Dieser Gesetzentwurf sieht ein zweistufiges Verfahren mit einem Sanierungs- und einen Reorganisationsteil vor. Im Kern ist das richtig. Der erste Teil basiert auf der Auffassung, dass in einer freiheitlichen marktwirtschaftlichen Ordnung derjenige Verantwortung für eine Sanierung hat, der auch die unternehmerische Verantwortung besitzt. Das ist ordnungspolitisch der richtige Ansatz. Er setzt voraus, dass von den Aufsichtsgremien entsprechend gehandelt wird. Wenn weder Sanierung noch Reorganisation klappen, dann muss die Aufsicht die Bank aufspalten und systemrelevante Teile auf eine Brückenbank übertragen, die dann fortgeführt wird. Der Rest verbleibt in einer sogenannten Bad Bank, also in einer schlechten Bank, und könnte dann abgewickelt werden. Ein „too big to fail“ würde es zumindest für diesen Teil dann nicht mehr geben. Der Teufel steckt aber bekanntlich im Detail. Wir werden uns diesen Gesetzentwurf sehr genau ansehen müssen. ({3}) Es bleiben einige Fragen. Ich will einige Fragen stellen: Wie sieht es mit den Arbeitnehmerrechten aus? Welche Eingriffsrechte haben die Sanierungs- und Reorganisationsberater in diesem Zusammenhang? Für uns wäre es wichtig, dass die zentralen Arbeitnehmerrechte auch in einer Krisensituation gewahrt bleiben. Der Gesetzentwurf sieht vor, dass die BaFin tätig wird. Das ist klar, da sie für die Finanzaufsicht zuständig ist. Daneben bekommt die Abwicklungsbehörde bei der Bundesanstalt für Finanzmarktstabilisierung neue und zusätzliche Aufgaben. Diese Konstruktion wird man sich einmal genau ansehen müssen. Es kann natürlich passieren, dass diese beiden Institutionen, wenn sie nicht miteinander, sondern eher gegeneinander arbeiten, für zusätzliche Probleme sorgen und das Verfahren unnötig verkomplizieren. Aufseiten der Sparkassen gibt es die große Befürchtung, dass viele Regelungen nicht mit dem Sparkassenrecht übereinstimmen. Ich glaube, das sollten wir sehr sorgfältig prüfen und Probleme in diesem Zusammenhang zweifelsfrei klären. ({4}) - Bei den Debt-to-Equity Swaps, der Umwandlung von Fremdkapital in Eigenkapital, zum Beispiel sagen die Sparkassen: Dies ist nach unserer Rechtskonstruktion nicht möglich. ({5}) - Lassen Sie uns das doch einmal in Ruhe klären. Wir führen ja noch eine Anhörung durch. Gestern haben wir hier über den Boniskandal bei der HRE diskutiert. Wir haben gesagt, dass wir in diesem Zusammenhang dringend gesetzliche Regelungen brauchen, damit auch in bestehende Verträge eingegriffen werden kann. ({6}) Ich glaube, auch dies ist ein Punkt, bei dem wir nacharbeiten müssen. Die entscheidende Frage lautet: Wie praxisrelevant sind die gesetzlichen Regelungen eigentlich? Funktioniert das? Wird ein Kreditinstitut in einer schwierigen Situation seine Sanierungsbedürftigkeit freiwillig anzeigen? Wird diese Regelung wirklich als Chance begriffen, oder wird die Nutzung dieser Regelung als Zeichen des Scheiterns interpretiert? Das müssen wir klären. Von daher bedauern wir ein bisschen den großen Zeitdruck, den die Bundesregierung bei diesem doch sehr komplexen Gesetzeswerk aufgebaut hat. Ein wichtiger Teil dieses Gesetzentwurfs ist die sogenannte Bankenabgabe. Wir müssen zum einen feststellen, dass damit ein Restrukturierungsfonds gespeist werden muss. Aus diesem Fonds sollen in zukünftigen Krisensituationen Maßnahmen finanziert werden. Das Problem dabei ist nur, dass das Aufkommen aus der Bankenabgabe mehr als gering ist. Im günstigsten Fall sind das 1,3 Milliarden Euro. Aber es kann auch viel weniger sein. Überlegen wir einmal, wie viele Jahrzehnte wir brauchen - vielleicht ist es sogar ein ganzes Jahrhundert -, um diesen Topf mit entsprechenden Mitteln zu füllen. ({7}) Wenn die Bankenabgabe so gering dimensioniert ist, dann wird der Staat in einer solchen Situation auch zukünftig in der Pflicht sein. „Staat“ bedeutet konkret, dass die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler gefordert sind. Im Übrigen entlarvt sich die Regierungsrhetorik von einer Beteiligung der Banken an den Kosten der Krise damit als Luftbuchung. Es geht nicht um eine Beteiligung der Banken an einer Krise, sondern es geht um die Beteiligung an zukünftigen Krisen. ({8}) Sie haben es nicht hinbekommen oder nicht gewollt, die Banken an den aktuellen Krisenkosten zu beteiligen, und das ist nicht akzeptabel. ({9}) Dann müssen wir darüber reden, ob es richtig ist, auch Sparkassen, Bausparkassen, Volks- und Raiffeisenbanken für beitragspflichtig zu erklären, obgleich sie eigene Sicherungssysteme haben und nicht Täter, sondern eher Opfer der Krise waren. Das sehen im Übrigen auch die Länder so. Außerdem taucht bei den Ländern noch das Stichwort „landeseigene Förderbanken“ auf. Auch darüber wird man sicherlich reden müssen. ({10}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben in der Finanzkrise sehr viel über die globale Vernetzung der Institute gelernt. Deswegen müssen wir uns auch mit der Frage auseinandersetzen: Wie gehen wir eigentlich mit Banken um, die grenzüberschreitend agieren? Warum sind Filialen grenzüberschreitender Banken nicht von der Abgabe betroffen? ({11}) - Weil sie Filialen sind. - Großbritannien macht das völlig anders. Da geht es nach dem Territorialprinzip. Dort sind deutsche Banken, die Filialen haben, ebenfalls zu einer Abgabe verpflichtet. ({12}) Ich glaube, wir können Folgendes feststellen: Diese Art der Bankenabgabe führt in die Irre. Dadurch werden die Banken nicht an den Kosten der Krise beteiligt, und es wird dadurch auch keine ausreichende Vorsorge gegen zukünftige Krisen getroffen. Das bedauern wir sehr. ({13}) - Die Alternative heißt Finanztransaktionsteuer. Das bleibt unser Ziel; das bleibt unser Weg. ({14}) Ich war gestern auf einer Veranstaltung der Landesvertretung Rheinland-Pfalz. Dort ist ein gewisser Professor Kirchhof aufgetreten; Sie sollten ihn noch kennen. Wissen Sie, was dieser Professor Kirchhof vorgeschlagen hat? Er hat gesagt: Finanztransaktionsteuer. Er wollte sogar eine Finanztransaktionsteuer in Höhe von 1 Prozent. Er hat das vehement vertreten. ({15}) Ich finde, daran könnten Sie sich ein Beispiel nehmen. Das wäre der richtige politische Weg. ({16}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir müssen den Banken das staatliche Ruhekissen nehmen, und es muss dabei bleiben: Die Banken müssen an den Kosten der Krise beteiligt werden. In diesem Sinne werden wir uns intensiv mit dem Gesetzentwurf auseinandersetzen. Herzlichen Dank. ({17})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Björn Sänger hat das Wort für die FDP-Fraktion. ({0})

Björn Sänger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004141, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Nur 6 Prozent aller Unternehmen werden älter als 100 Jahre. Diese Zahl zeigt ganz deutlich, dass das Scheitern, dass Marktaustritte, dass das Leben und Sterben in einer sozialen Marktschaft dazugehören, so wie sie auch zum realen Leben dazugehören. Bislang war eine Gruppe von diesem Prozess faktisch weitgehend ausgenommen. Das waren Kreditinstitute, wenn sie eine bestimmte Größe hatten - es ist nicht ganz klar, um welche Größe es sich dabei handelt; wir hatten IKB, wir haben HRE - und das Ganze eine gewisse Systemrelevanz hat. Diese Institute konnten oder können faktisch nicht aus dem Markt ausscheiden. Das Ganze hat drei Folgen. Die erste Folge ist: Die unternehmerische Entscheidung wird vom Risiko entkoppelt, im Übrigen auch von der Verantwortung der Eigentümer, genauer hinzuschauen, was sich denn eigentlich in ihrer Bank, an der sie Anteile haben, tut. Zweite Folge, daraus resultierend: Es werden Entscheidungen getroffen, die mit einer vernünftigen Risikosteuerung nichts zu tun haben. Man trifft die Entscheidung anders, wenn man die Gefahr des Scheiterns vor Augen hat. Damit bin ich schlussendlich bei der dritten Folge: Die Gefahr, dass der Steuerzahler einspringen muss, steigt extrem. Jetzt liegt uns hier die Problemlösung vor; ich sage einmal, ein weiterer Mosaikstein im großen Gesamtkunstwerk der christlich-liberalen Bundesregierung, ({0}) was die Neuordnung der Finanzmärkte angeht, der ganz offensichtlich mehrere Mütter und Väter hat, wie alles, was gut ist. Es gibt ein Positionspapier der FDP aus dem Sommer letzten Jahres, in dem man viel von dem wiederfindet, was dieser Gesetzentwurf richtigerweise beinhaltet. Wir haben uns auf drei große Maßnahmen konzentriert: erstens auf die Schaffung eines Rechtsrahmens, um ein kontrolliertes Ausscheiden aus dem Markt oder aber auch eine Sanierung zu ermöglichen, zweitens ein branchenfinanzierter Fonds zur Stabilisierung des Finanzsystems, sofern dies denn notwendig ist, und drittens die Verschärfung der Haftung für die Handelnden. ({1}) Das alles zeigt die entschlossene und sachgerechte Regulierung der Bundesregierung, die sich wieder einmal als vorbildlich erweist. Ich möchte auf die erste und die dritte Maßnahme gar nicht genauer eingehen, sondern werde mich auf die Bankenabgabe konzentrieren. Hierzu besteht offensichtlich der größte Diskussionsbedarf. Rund um die Bankenabgabe gibt es eine ganze Reihe von Irrtümern. Der Herr Kollege Zöllmer hat soeben einen davon angesprochen. Er hat freundlicherweise auch zugegeben, dass es sich in der Tat um einen Irrtum handelt. Der Irrtum lautet, die Banken sollen für die Krise zahlen. Das ist aber faktisch rechtlich nicht machbar. ({2}) Deswegen ist unser Ansatz, einen präventiven Fonds aufzubauen, um im gegebenen Fall aus der Branche heraus einspringen zu können, richtig. - Dies war der erste Irrtum. ({3}) Der zweite Irrtum ist, dass man einzelne Säulen des Drei-Säulen-Bankwesens in Deutschland von dieser Bankenabgabe ausschließen kann. ({4}) Den Sparkassen ist das Thema Landesbank nicht ganz fremd. Auch in Bezug auf die Genossenschaftsbanken muss man sagen, dass eigene Schutzmechanismen immer nur vor inneren Problemen schützen. Einen externen Schock wie die Finanzkrise, die wir erleben mussten, wird ein eigenes Sicherungssystem niemals auffangen können. Bei illiquiden Märkten nützt auch die beste Institutssicherung nichts, wenn keine Mittel an den Märkten vorhanden sind. Ich fasse zusammen: Wir haben eine Bankenabgabe geschaffen, die fair nach Risiken über die vorhandenen drei Säulen differenziert. Wir haben durch das Gesetz ein Instrumentarium geschaffen, welches sicherstellt, dass ein Karren, der gegen die Wand gefahren wird, nicht auf Kosten des Staates repariert wird. Er soll vielmehr abgeschleppt werden, damit man schauen kann, was man damit noch machen kann. Im schlimmsten Fall muss er eben abgewrackt werden, und das ganz ohne staatliche Abwrackprämie. Herzlichen Dank. ({5})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Richard Pitterle spricht jetzt für die Fraktion Die Linke. ({0})

Richard Pitterle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004129, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Da ich aus der Region Stuttgart komme, muss ich etwas vorausschicken: ({0}) Trotz der gestrigen skandalösen Einsätze mit Wasserwerfern und Reizgas werden heute Abend in Stuttgart 10 000 Bürgerinnen und Bürger für eine sinnvolle Sparmaßnahme demonstrieren. Sie wollen sich und uns Stuttgart 21 ersparen, weil es in einer Zeit leerer Kassen nicht zu rechtfertigen ist, Milliarden in der Erde zu verbuddeln. ({1}) Hierbei finden sie die Linke an ihrer Seite. Die Bürgerinnen und Bürger von Stuttgart haben gelernt, dass sie auf die Straße gehen müssen, um etwas zu verändern, ({2}) dass es nicht ausreicht, die Vernunft auf ihrer Seite zu haben, wenn hinter der Gegenseite starke wirtschaftliche Interessen stehen. Gleiches gilt für die Situation der Banken. So lange augenscheinlich nicht Tausende Menschen auf die Straße gehen und die Deutsche Bank belagern, die viele Besucher meines Wahlbüros für die eigentliche Regierung halten, scheint sich nichts zu bewegen. Wir brauchen endlich ein Gesetz, das tatsächlich Lehren aus der Krise zieht und diejenigen zur Kasse bittet, die die Verursacher waren. ({3}) Frau Merkel hat in der Haushaltsdebatte am 20. Januar dieses Jahres gesagt, es gehe darum, „Wege zu finden, um zu verhindern, dass Banken so groß sind oder so verflochten sind, dass sie uns immer wieder sozusagen erpressen können“. Wer den Mund so spitzt wie Frau Merkel, der sollte auch einmal pfeifen. Ich meine, davon ist in diesem Gesetz nichts zu spüren. ({4}) Allein mit diesem Gesetz werden Sie künftigen Finanzkrisen nicht vorbeugen, weil der gewählte Ansatz grundlegend falsch ist. ({5}) Um Ihnen das an einem Bild zu erklären: Ein wiederholt brandgefährdetes Hochhaus kann man abreißen und stattdessen mehrere kleine Häuser bauen. Man kann aber auch vollmundig versprechen, eine höchst effektive Feuerwehr aufzubauen, sich aber in Wirklichkeit damit begnügen, Handfeuerlöscher zur Pflicht zu erklären. Genau das tun Sie. ({6}) Sie wollen uns weismachen, dass man einen Großbrand mit den verordneten Handfeuerlöschgeräten schon irgendwie unter Kontrolle bringen wird. Aber Sie täuschen sich, meine Damen und Herren. Denn wer sagt Ihnen, dass die verantwortlichen Manager im Haus, um im Bild zu bleiben, die Feuerlöscher auch benutzen, wenn es anfängt, zu brennen? Möglicherweise haben sie kein Interesse, dass bekannt wird, dass es unter ihrem Dach lodert, und hoffen, das Feuer vielleicht auch mit den Füßen austreten zu können. Selbst BaFin-Präsident Jochen Sanio hat im HRE-Untersuchungsausschuss festgestellt, dass damals alle Maßnahmen, die nach § 45 Kreditwesengesetz möglich gewesen wären, das Problem nicht gelöst hätten und das Todesurteil für die betroffene Bank gewesen wären. ({7}) Damit wir uns nicht missverstehen: Auch wir sind für ein Insolvenzrecht für Banken. Aber wir machen uns im Gegensatz zu Ihnen keine Illusion, dass dadurch Finanzkrisen verhindert werden könnten. Warum sollten die vorgeschlagenen Maßnahmen bei den Banken auch funktionieren? Da ein Sanierungsplan vom Oberlandesgericht bestätigt werden muss, ist er nicht zu verheimlichen und wird zwangsläufig bekannt. Dies birgt für die Bank die Gefahr, dass sich Kunden und Geschäftspartner sofort abwenden und ihre Mittel abziehen. Ich frage Sie: Wie wollen Sie solch eine Kettenreaktion verhindern? ({8}) Damit komme ich zur Bankenabgabe. Wie, bitte schön, wollen Sie sich mit den angesprochenen Einnahmen von 1,2 oder 1,3 Milliarden Euro - zu einer Abgabe in dieser Höhe wollen Sie die Banken jetzt vorsorglich verpflichten - für die nächste Krise wappnen, wenn doch bei der letzten Krise Bürgschaften in Höhe von 480 Milliarden Euro bereitgestellt werden mussten? Entweder sind Sie grenzenlose Optimisten, oder die Bankenlobby rennt bei Ihnen offene Türen ein. Ich sage: Sie wollen vor allen Dingen die Öffentlichkeit beruhigen und mit Scheinaktivitäten einlullen. Großspurig behaupten Vertreter der Regierungskoalition immer wieder, man wolle den Finanzsektor an den Kosten der Krise beteiligen. Aber in Wirklichkeit sind es die Arbeitslosen, die Rentnerinnen und Rentner sowie die Kranken, die für die Bewältigung der Krisenfolgen zahlen. Kürzungen im sozialen Bereich und die Verabschiedung von der Solidarität bei der gesetzlichen Krankenversicherung sind Ihre neuesten Grausamkeiten. SchwarzGelb hat augenscheinlich nicht den Mut, sich gegen die Verursacher der Krise und die Nutznießer des Kasinokapitalismus zu stellen und die Spekulationsgewinne geldgieriger Banker abzuschöpfen, geschweige denn den Mut, das Kasino zu schließen. Dies wird auch am vorliegenden Gesetzentwurf deutlich. Statt einer wirklichen Bankenabgabe, wie sie von der Linken, Attac und Gewerkschaften gefordert wird, kommt bei Ihnen ein Restukturierungsfonds heraus, in den laut Presseberichten lächerliche 1,2 Milliarden Euro pro Jahr eingezahlt werden sollen. Wir kritisieren an diesem Restrukturierungsfonds, dass das von den Banken zu zahlende Geld nicht in den Bundeshaushalt fließt, obwohl die Banken mit Mitteln aus dem Bundeshaushalt, nämlich mit Steuergeldern, gerettet wurden. Wir kritisieren daran, dass die Höhe der Abgabe und die Höhe der Beiträge der einzelnen Banken ohne Zustimmung von Bundestag und Bundesrat bestimmt werden sollen; ({9}) dadurch beschädigen Sie wieder einmal die parlamentarische Demokratie. Wir kritisieren, dass das Bundesministerium der Finanzen einen Freibrief bekommt, die Abgabe so gering zu gestalten, wie es will. Da kann ich nur sagen: Bankenlobby, ick hör dir trapsen. Auch wenn die Banken offiziell nun nicht laut „Hurra!“ schreien - denn den Banken erscheint jede Steuer und Abgabe als eine ungerechte Belastung -, haben sie sehr wohl verstanden, dass sie von dieser Regierung nicht wirklich etwas zu befürchten haben. Aber nicht jeder aus dem Bankensektor, der jetzt schreit, schreit zu Unrecht. Wir als Linke sind der Meinung, dass die Einbeziehung der Sparkassen, Raiffeisenbanken und Volksbanken in den vorgesehenen Restrukturierungsfonds nicht zu rechtfertigen ist. ({10}) Denn diese haben sich größtenteils nicht an Spekulationsgeschäften beteiligt und haben großen Anteil daran, dass die vielen kleinen und mittleren Unternehmen trotz Krise mit Krediten versorgt wurden. Viel wichtiger ist: Die Sparkassen, Raiffeisen- und Volksbanken hatten schon vor der Krise eigene Sicherungsfonds, die bei einer Krise gegriffen hätten. Darf ich Sie daran erinnern, dass Frau Merkel im Hinblick auf die Sparkassen, Volks- und Raiffeisenbanken noch am 16. Mai dieses Jahres in ihrer Rede vor dem DGB-Bundeskongress zum gleichen Ergebnis gekommen ist? Sie sagte wortwörtlich - Zitat -: Sie stellen kein systemisches Risiko dar und denen können wir auch keine Bankenabgabe abnehmen. Das ist die Realität in Deutschland. Und wo ist die Realität hin? Sie handeln doch nach dem Motto: Was interessiert mich mein Geschwätz von gestern. Schauen wir nach Stuttgart. So wie die Bürgerinnen und Bürger dort nicht nachlassen, gegen ein unsinniges Bauprojekt aktiv zu werden, werden wir als Linke im Bundestag weiterhin darauf drängen, dass Sie endlich Lehren aus der Krise ziehen. Wir brauchen eine wirkliche Bankenabgabe und endlich eine Finanztransaktionsteuer, nicht nur kosmetische Veränderungen. ({11})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Der Kollege Dr. Gerhard Schick hat das Wort für Bündnis 90/Die Grünen.

Dr. Gerhard Schick (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003837, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Liebe Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lassen Sie mich als Erstes sagen, was dieses Gesetz leistet und was es nicht leistet. Ich glaube, das ist ganz wichtig. In Deutschland gibt es etwa 2 000 Banken, von denen 1 900 im Wesentlichen Sparkassen und Volksbanken sind. Bei ihnen haben wir in Bezug auf das Sterben von Banken, das Herr Sänger genannt hat, in der Vergangenheit keine Probleme gesehen. Das wurde im Verbund gelöst. Da gibt es also bereits einen Mechanismus, wie Banken untergehen können. Für diese wird das Gesetz keinen großen Unterschied machen. Auf der anderen Seite gibt es ein paar sehr große Banken. Ich kenne niemanden, der behauptet, dass dieses Gesetz für eine Deutsche Bank anwendbar sein wird. Deswegen muss man sich einmal klarmachen, dass hier noch eine ganz große Lücke vorhanden ist. Das große Versprechen, der Steuerzahler solle nicht mehr herangezogen werden, wird mit diesem Gesetz nicht eingelöst. Wer etwas anderes behauptet, macht den Leuten etwas vor. Insofern war die Rede des Staatssekretärs gerade wieder einmal sehr grenzwertig. ({0}) Sie haben gesagt: Wir lösen das Problem Moral Hazard, wo Banken Risiken eingehen können, weil sie darauf vertrauen können, dass sie der Steuerzahler im Zweifelsfall rettet. - Nein, wir lösen es nur für einen eng begrenzten Teil von Banken; denn die größten 10, 15 Banken werden nicht erfasst; da lässt es sich nicht umsetzen. ({1}) - Dann zeigen Sie mir einmal, wie das für die ganz großen Banken gehen soll. Das können wir dann im Ausschuss diskutieren. Für die 1 900 kleinsten Banken wird es keinen großen Unterschied machen. - Es gibt also einen eng begrenzten Bereich, in dem das Gesetz überhaupt nur anwendbar ist. Für diesen Bereich ist es gut, das zu machen. Aber wir sollten ehrlich sein: Es gibt eine große Baustelle. Das heißt, in Deutschland gibt es nach wie vor Banken, für die wir kein Verfahren haben, wie sie sterben könnten, und bei denen deswegen das Problem, das Sie, Herr Staatssekretär, angesprochen haben, nämlich das Moral-Hazard-Problem, das Too-big-to-fail-ProDr. Gerhard Schick blem, nach wie vor besteht. Deshalb ist Handlungsbedarf vorhanden. Da muss noch etwas getan werden. ({2}) Das Zweite, was das Gesetz nicht leistet - darauf ist schon eingegangen worden -, ist die Frage: Wer zahlt eigentlich für diese Finanzkrise? Sie haben in den Zwischenrufen so getan, als hätten Sie das nie behauptet; aber die Zitate sind eindeutig: Den Bürgerinnen und Bürgern ist gesagt worden, dass die Verursacher, die Banken, für die jetzige Krise zahlen sollen. Das haben die Bundeskanzlerin und der Herr Finanzminister gesagt. In diesem Gesetz steht, dass das nicht passieren wird. Deswegen ist die Frage offen, wer die Kosten dieser Krise tragen wird. Die Regierungskoalition verweigert die Antwort. Wir können aber an Ihren konkreten Taten sehen, wer es tun soll. Das Sparpaket gibt zum Beispiel Antwort. Es ist ganz klar: Erst kam die große Ankündigung, dass die Wirtschaft etwas tragen soll, aber nach und nach - über die verschiedenen Vorschläge landen die Kosten doch bei den Bürgerinnen und Bürgern. Ich finde, Sie sollten ehrlich sein und sagen, dass die ursprüngliche Ankündigung, dass die Verursacher für diese Krise zahlen, nicht eingehalten wird, sondern dass die Kosten bei den Bürgerinnen und Bürgern landen. Alles andere wäre unehrlich. ({3}) Wenn wir jetzt das nehmen, was dieses Gesetz tatsächlich leistet, nämlich für mögliche künftige Krisen einen Fonds aufzubauen und ein Verfahren für im Wesentlichen mittelgroße Banken in Deutschland für die Rettung bereitzustellen, dann, glaube ich, können wir im parlamentarischen Verfahren sehr konkret zusammenwirken und schauen, dass wir das Gesetz an entscheidenden Stellen noch verbessern. Ich finde, im Ansatzpunkt sind viele vernünftige Sachen drin. Aber Punkt eins. Wir müssen uns mit der parlamentarischen Kontrolle beschäftigen. ({4}) Das, was bisher im Bereich SoFFin, im Rahmen des geheim tagenden Gremiums an Nichtinformation der Parlamentarier und Nichtinformation der Öffentlichkeit stattgefunden hat, muss mit Inkrafttreten des neuen Gesetzes ein Ende haben, und es muss eine effektive parlamentarische Kontrolle geben. ({5}) Ich glaube, hier sind unsere Einschätzungen ähnlich geworden, ({6}) und da sollten wir noch einmal nachsteuern. Der zweite Punkt, bei dem wir einen Korrekturbedarf sehen. Die Antwort auf die Frage, wer diese Bankenabgabe zahlen soll, ist heikel. Sie orientieren sich jetzt am Kreditwesengesetz, ökonomisch ist das aber kein sinnvolles Abgrenzungskriterium; denn wenn Sie argumentieren, Sparkassen und Volksbanken seien positiv betroffen, weswegen sie auch etwas beitragen müssten, dann stellt sich die Frage, warum das nicht auch für die Versicherungen gilt. ({7}) Deswegen ist das, was Sie hier vorlegen, ökonomisch inkonsistent. Wir werden im Ausschuss versuchen müssen, zusammen eine Lösung zu finden, die tragfähig ist und durch die nicht die Falschen belastet werden. Hinzu kommt natürlich auch die Risikogewichtung. Führt die Bankenabgabe durch ihre Ausgestaltung also möglicherweise dazu, dass teilweise mehr Risiken als vorher eingegangen werden oder dass vernünftiges Verhalten stärker belastet wird als unvernünftiges Verhalten? Den dritten Korrekturbedarf gibt es hinsichtlich der Antwort auf die Frage, ob die Gläubiger einbezogen werden. Einer der großen Schwachpunkte der Bankenrettung in Deutschland ist, dass die Gläubiger hinsichtlich der Rettungskosten völlig außen vor geblieben sind. Sie versuchen hier ein Verfahren. Ich wünsche Ihnen dabei frohe Verrichtung. Wenn die Gläubiger einer Bank nämlich im Ausland sitzen, dann wird es nicht so einfach sein, das umzusetzen, was Sie hier vorgelegt haben. Ich halte das nicht für eine stabile Lösung. Ich glaube, das geht nur, wenn das in den Anleihebedingungen von vornherein festgelegt wird. Wir sehen hier einen Korrekturbedarf und hoffen, dass wir den Gesetzentwurf in dieser Richtung noch einmal verbessern können. Den vierten Korrekturbedarf sehen wir beim Thema Haftung. Es ist gut und richtig, dass Sie bei der Organhaftung die Verjährungsfristen verlängern. Ich sehe allerdings, dass es noch ein Defizit gibt. Wir reden hier nur über die Innenhaftung. Unseres Erachtens gehört aber auch die Außenhaftung bei falscher, unvollständiger oder nicht vorhandener Kapitalmarktinformation mit hinein. Das ist vor einigen Jahren schon einmal diskutiert worden, auf Druck aus der Finanzbranche aber zurückgezogen worden. Ich finde, das Thema gehört in diesem Zusammenhang noch einmal auf die Tagesordnung. Das ist ein weiterer Punkt, den wir korrigieren wollen. ({8}) Fünftens: Sie haben angekündigt, dass Sie bezüglich der Bonuszahlungen eine Korrektur vornehmen wollen. Es ist gut, wenn Sie das tun, aber es sollte dann nicht dabei bleiben, dass irgendetwas im Gesetz steht. Die Bundesregierung sagte mir bisher auf meine Anfrage: Nein, wir kontrollieren nicht, ob das Gesetz in Bezug auf die Vergütungen eingehalten wird. - Ich finde, genauso wenig, wie wir uns im Straßenverkehr darauf verlassen, dass sich alle Leute an die Geschwindigkeitsbegrenzungen halten, genauso wenig sollte man sich bei solch einer Frage völlig blind auf die Informationen aus der Bank verlassen. Wir fordern Sie auf, auch eine Kontrolle dieser Regelungen vorzunehmen. Weil wir gesehen haben, dass es bei Teilen der Branche eine Selbstbedienungsmentalität gibt, müssen wir dafür sorgen, dass die Regeln, die gemacht werden, auch durchgesetzt werden. Auch hier sehen wir also einen Korrekturbedarf hinsichtlich Ihres Gesetzentwurfs. Alles Weitere in den Ausschussberatungen. Vielen Dank. ({9})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Der Kollege Leo Dautzenberg spricht für die CDU/ CSU. ({0})

Leo Dautzenberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003067, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Unter dem Titel „Gesetz zur Restrukturierung und geordneten Abwicklung von Kreditinstituten, zur Errichtung eines Restrukturierungsfonds für Kreditinstitute und zur Verlängerung der Verjährungsfrist der aktienrechtlichen Organhaftung“, kurz gesagt: Restrukturierungsgesetz, hat die Bundesregierung - insbesondere die zwei beteiligten Ministerien, nämlich das Bundesfinanzministerium und das Bundesjustizministerium - einen Meilenstein vorgelegt. Das ist nicht nur ein Mosaikstein, sondern man kann hier betonen, dass das wirklich ein aus den Erfahrungen aus der Finanzmarktkrise und der Wirtschaftskrise gewonnener Meilenstein dafür ist, wie man zukünftig die Restrukturierung von Banken und Finanzinstituten betreiben kann, was bisher im Grunde nicht möglich war. Das soll in einem geordneten Verfahren auf den Weg gebracht werden. Von daher ist das ein sehr anspruchsvoller Gesetzentwurf, weil es - das ist nie so betrachtet worden - einen Unterschied darstellt, Herr Kollege Zöllmer, ob man versucht, einen Gewerbebetrieb oder ein Industrieunternehmen gemäß der Insolvenzordnung zu restrukturieren, zu sanieren oder sogar zu reorganisieren, oder ob es sich dabei um ein Finanzinstitut handelt. Der große Unterschied ist, dass Sie bei einem Finanzinstitut weiterhin die Zahlungsströme zwischen den Banken ermöglichen müssen, was Sie in einem normalen Verfahren bei einem gewerblichen Betrieb nicht müssen. Dort können Sie einen Cut machen und bewerten, wie die Sache aussieht, aber für die Vernetzung der Institute - es geht um die Restrukturierung von systemischen Banken - brauchen Sie zur Begleitung einen Restrukturierungsfonds, und ein Restrukturierungsfonds ist etwas anderes als ein Rettungsfonds. Diesen Unterschied muss man sehen. Ich stimme allen Rednern zu: Sie können nie einen Rettungsfonds in einer Größenordnung generieren, der ausreicht, um eine große, systemische Bank zu retten. ({0}) - Nein, Frau Kollegin Kressl, das wird nicht möglich sein; so viel Volumina kann man nicht generieren. Deshalb sprechen wir auch nicht von einem Rettungsfonds, sondern von Restrukturierungsmaßnahmen, die von einem Restrukturierungsfonds begleitet werden ({1}) und in den die Banken ihre Abgabe zu entrichten haben. Man muss die intellektuelle Anstrengung, zwischen Rettung und Restrukturierung zu differenzieren, schon unternehmen. Wir haben dafür - der Herr Staatssekretär hat es bereits ausgeführt - bestimmte Stufenverfahren vorgesehen. Das erste erfolgt, was die Sanierung anbelangt, auf freiwilliger Basis. Aber wenn es um die Bereiche der Restrukturierung und Reorganisation geht, sind staatliche Eingriffe notwendig, um diese Restrukturierung herbeiführen zu können. Diese Maßnahmen greifen sehr drastisch ein und korrespondieren mit folgender Tatsache: Wenn wir diese Kompetenz der Aufsicht zuordnen, dann ist es nur konsequent, Herr Staatssekretär, dass wir alsbald die Neustrukturierung der Finanzaufsicht vornehmen, damit dieses Vorhaben zeitlich kompatibel zu dem vorliegenden Gesetzeswerk auf den Weg gebracht werden kann. ({2}) Wir haben die Möglichkeit, bei der Restrukturierung und Reorganisation als öffentlicher Eingriff - das ist erklärt worden - das, was man als überlebensfähig ansieht, wiederum begleitet durch den Restrukturierungsfonds, zu privatisieren oder, wenn man es öffentlich gestaltet, durch eine sogenannte Brückenbank auf den Weg zu bringen. Aber eine Begleitung des Restrukturierungsfonds ist immer erforderlich. Diesen Widerspruch müssen Sie auflösen. Sie sagen: Die beteiligten Banken und manche Bankengruppen müssen nicht dazugehören, weil sie nichts verursacht haben. Aber hier geht es um Prävention, also darum, etwas für die Zukunft zu machen, und nicht darum, die Vergangenheit zu betrachten. Die Betrachtung der Vergangenheit zeigt: Es ist aus verfassungsrechtlichen Gründen sehr schwierig, die Verursacher der Krise heranzuziehen, weil der Umfang der Beteiligung nicht so genau bestimmt werden kann, dass es verfassungsrechtlich fest ist. Herr Kollege Sieling, durch das Gremium, dem wir beide angehören, dem SoFFin-Ausschuss, ist Ihnen bekannt, dass wir im Endeffekt erst dann wissen werden, was vom Volumen her verursacht worden ist, wenn wir in 20, 25 Jahren den Schlussstrich gezogen haben. Deshalb ist es konsequent, einen anderen Weg zu gehen. Wir handeln präventiv. Neben den Aspekten, die im Restrukturierungsgesetz enthalten sind, haben wir vorgesehen, Maßnahmen nach dem Finanzmarktstabilisierungsgesetz und insbesondere nach dem Finanzmarktstabilisierungsfondsgesetz in die neue Regelung zu übernehmen, wodurch begleitend Garantien übernommen und Rekapitalisierungen durchgeführt werden können. Das, was hier vorgelegt worden ist, ist die richtige Konsequenz aus den Verwerfungen, die wir auf dem Finanzmarkt hatten, aus Bankenrettungswochenenden, die wir so nicht mehr haben wollen. Vor allen Dingen sorgen wir dafür, dass der Steuerzahler zwar nicht völlig verschont wird, er aber zumindest nicht immer der Erste ist, der herangezogen wird, wenn Banken in eine Schieflage geraten. Deshalb freue ich mich auf die Beratungen. Vielen Dank. ({3})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Der Kollege Dr. Carsten Sieling spricht jetzt für die SPD-Fraktion. ({0})

Dr. Carsten Sieling (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004157, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In dieser Debatte hat zuerst der Herr Staatssekretär von „Gesamtkunstwerk“ gesprochen und dann hat Herr Sänger diesen Begriff herausgearbeitet. Ich habe mir die Mühe gemacht und schnell einmal nachgeschaut, was man unter einem Gesamtkunstwerk versteht. ({0}) - Das wusste ich natürlich, aber wenn Sie die genaue Definition hören, dann werden Sie besonders erfreut sein. - Das ist ein Werk verschiedener Künste. Dazu gehört die Musik, aber auch die Dichtung, Herr Kollege. ({1}) Weiterhin gehören dazu Tanz, Pantomime und ein bisschen Malerei. ({2}) Schauen wir uns aber einmal die Bewertung an. So sagt zum Beispiel Odo Marquard, dass das Gesamtkunstwerk eine „Tendenz zur Tilgung der Grenze zwischen ästhetischem Gebilde und Realität“ habe. ({3}) Wenn Sie das auf Ihren Gesetzentwurf anwenden, dann kann ich nur sagen: Herzlichen Glückwunsch! Aber wir sind hier in einer Diskussion, in der wir ernsthaft prüfen müssen, was von den Ansprüchen, die formuliert worden sind, eigentlich bleibt. Die Kanzlerin - Herr Kollege Dautzenberg, ich glaube, das betrifft insbesondere Ihre Aussagen, aber auch die von Herrn Sänger - hat hier an dem Tag, an dem sie den Bundeshaushalt 2011 vertreten hat, gesagt, die Bankenabgabe diene dazu, den Steuerzahler zu verschonen und die Banken heranzuziehen. Sie sagen, das könne die Bankenabgabe gar nicht leisten. Herr Sänger spricht von dem ersten großen Irrtum, den man sehen werde. ({4}) Der Irrtum liegt bei Ihnen. Sie setzen nicht um, was die Kanzlerin den Bürgerinnen und Bürgern Deutschlands zugesagt hat. Das ist ein Widerspruch, den Sie auflösen müssen. Irgendeine Seite hat die Unwahrheit gesagt, oder Sie ändern etwas an dem Gesetz. Es ist natürlich richtig, dass diese Bankenabgabe nie und nimmer diese Aufgabe erfüllen kann. Sie legen ein Modell vor, wonach 1 Milliarde Euro pro Jahr erzielt werden soll. ({5}) - 1,2 Milliarden Euro. Sie sind noch stolzer. - Dabei ist das Jahr 2006 Ihr Referenzjahr. Mich hat interessiert, warum Sie das Jahr 2006 als Referenzjahr nehmen. Weil es vor der Krise liegt? Ich habe nachgefragt. Das Bundesfinanzministerium hat geantwortet, dass es, hätte man als Referenzjahr 2009 gewählt, 500 Millionen Euro gewesen wären, beim Referenzjahr 2008 nur 300 Millionen Euro. Selbst Ihre 1,2 Milliarden Euro sind noch hochgegriffen. ({6}) Dies ist eine weitere Mogelpackung. Der Staatssekretär hat vorhin gesagt, die Bankenabgabe solle dazu dienen, im Falle einer Krise den Steuerzahler nicht wieder heranziehen zu müssen. Dieser Aussage ist Herr Kollege Sänger - das war mein Lieblingsoppositionsredner in dieser Debatte; das muss ich gestehen - direkt entgegengetreten. Einigen Sie sich in Ihrer Koalition, was Sie wirklich wollen. ({7}) Herr Dautzenberg, ich komme jetzt zu Ihnen. Sie haben alle Illusionen, Erwartungen und Hoffnungen, die es in der Bevölkerung, in der Politik und in der Branche gab, zerstreut, indem Sie gesagt haben, das sei kein Rettungsfonds, sondern es handele sich um eine Restrukturierungsmaßnahme. ({8}) Ich bezweifele, dass Restrukturierungen in einem größeren Ausmaß mit Einnahmen in Höhe von 1 Milliarde Euro pro Jahr finanzierbar sind. Selbst wenn Sie diese Summe einnehmen, dauert es viele Jahre, bis der Fonds überhaupt wirksam werden kann. Es kommt doch nicht von ungefähr, dass der IWF, der Internationale Währungsfonds, eine Bankenabgabe vorschlägt, die 2 bis 4 Prozent der Wirtschaftsleistung eines Landes ausmacht. Das wären 40 Milliarden bis 60 Milliarden Euro. ({9}) Die Issing-Kommission, auf die Sie sich in Ihrem Gesetzentwurf durchaus beziehen, spricht von 120 Milliarden Euro. Das ist immerhin eine Regierungskommission - ich bitte Sie! -, die spricht von 120 Milliarden Euro. Das ist alles nichts. Zum Schluss möchte ich hier darauf hinweisen, dass die weitere Debatte ja noch erbringen wird, dass nicht al6686 lein wir die Gegenargumente, die hier von den Kollegen, die das im Vorfeld kritisch sehen, formuliert worden sind, vorbringen. Ich habe hier die Stellungnahmen des Landes Hessen vorliegen. Herr Sänger, da sind Ihre Parteifreunde in der Regierung. Dann habe ich hier die Stellungnahme Baden-Württembergs. Auch da sind Ihre Parteifreunde in der Regierung. Beide Länder sagen sehr eindeutig: Das Ganze ist falsch konzipiert, weil die Sparkassen und die Genossenschaftsbanken beigezogen sind; das solle man ändern. ({10}) Sie kritisieren die Sache mit der Förderbank. Klären Sie erst einmal die Sichtweise in Ihrem eigenen Lager, bevor Sie hier herkommen und uns mit Gesetzesvorschlägen, die Sie hinterher bei Ihren eigenen Leuten nicht umsetzen können, die Zeit rauben. Meine Damen und Herren, Sie haben viel zu tun. Ich freue mich auf die Ausschussberatungen. Herzlichen Dank. ({11})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Christian Ahrendt hat das Wort für die FDP-Fraktion.

Christian Ahrendt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003729, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Verehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr Kollege Sieling, das Gesamtkunstwerk erschließt sich oftmals nur dem sachkundigen Betrachter. Heute waren Sie mit Ihrer Rede zumindest kein sachkundiger Betrachter dessen, was die Bundesregierung hier vorgelegt hat. Lassen Sie mich auf zwei Dinge hinweisen. Mit dem Restrukturierungsgesetz, das vorgelegt worden ist, reagiert die Bundesregierung binnen Jahresfrist sehr erfolgreich auf eine Krise, die gezeigt hat, dass wir keinen vernünftigen Ordnungsrahmen haben, um die Finanzmarktunruhen, die wir erlebt haben, in den Griff zu bekommen. Man kann jetzt sagen, das Gesetz reiche nicht aus. Das kann man aber nur tun, wenn man es nicht gelesen hat. Der zentrale Gedanke dieses Gesetzes ist es, im Vorfeld einer Bankenkrise die Krise in den Griff zu bekommen. ({0}) Wenn man das erkennen will - man erkennt es; weil es immer schon so war, mit einem Blick ins Gesetz; denn ein Blick ins Gesetz erhöht die Rechtskenntnis -, dann schaut man sich im Entwurf den § 45 KWG an. Da werden Sie als Erstes lesen, dass der Eingriffszeitraum bei Bankkrisen für die Bankenaufsicht nach vorn verlegt worden ist. Sie werden als Zweites lesen, dass Sie ein zweites Eingriffsszenario haben, wenn Eigenmittel konkret gefährdet sind und die Liquidität gefährdet ist. Dann sieht das Gesetz in § 45 Abs. 2 Nr. 7 bereits einen Restrukturierungsplan vor. Wir sehen auch beim Sonderbeauftragten, § 45 c, einen Sanierungsplan vor. Das heißt, wir wollen die Banken da fangen, wo sie im Grunde genommen schon in der Anlage ihres Geschäftsmodells einen Fehler begehen und über die Aufsicht korrigierend eingreifen. Das ist der zentrale Gedanke des Gesetzes. Der Gesetzgeber greift hier den Gedanken der Haftung anders auf, weil es sich gerade in der Finanzkrise gezeigt hat, dass man eine systemrelevante Bank nicht vom Markt nehmen kann, ohne große Verwerfungen zu riskieren. Weil wir das klassische Haftungsprinzip, das wir haben, nicht an der Stelle verwirklichen können, wo es sich in der normalen Wirtschaft verwirklicht, nämlich in der Insolvenz, sagen wir: Es verwirklicht sich dadurch, dass wir früh eingreifen, früh gegensteuern. Deswegen ist die zentrale Vorschrift, die der Gesetzgeber hier aufgenommen hat, § 45 KWG. Wenn man sich den anschaut, Herr Kollege, dann erschließt sich ein Stück weit das Kunstwerk - um bei dem Begriff zu bleiben -, das hier vorgelegt worden ist. ({1}) Der zweite Punkt, über den man auch zu reden hat, ist das Sanierungsverfahren und das Reorganisationsverfahren, das in Art. 1 des Gesetzentwurfs vorangestellt wird. Damit geben wir Banken ein konkretes Handlungswerkzeug an die Hand, um in einem Sanierungsverfahren selbst aus der Krise herauszukommen. Da gibt es sicherlich in den Beratungen den einen oder anderen Pinselstrich, den man an dieser Stelle noch leisten muss. Wir werden uns fragen müssen, ob wir den Begriff der Sanierungsbedürftigkeit so stehen lassen, wie er da steht, nämlich ohne Definition, und ob wir es wirklich auf eine Freiwilligkeit ankommen lassen oder ob wir hier sagen: Wir werden die Sanierungsbedürftigkeit auch an dieser Stelle des Gesetzes definieren und werden sie an konkretere Handlungsfolgen und Tatbestände anknüpfen. Damit wird man sich auseinandersetzen müssen. Die Gesetzesberatungen sind ein parlamentarisches Verfahren, und wir werden in diesem Verfahren noch diejenigen Pinselstriche ziehen, die erforderlich sind, um ein Gesamtkunstwerk zu schaffen. An dieser Stelle werden wir auch den Haftungsgedanken verwirklichen, sowohl mit Blick auf das Institut und seine Aktionäre als auch mit Blick auf die im Institut verantwortlich handelnden Vorstände und Aufsichtsräte. Das erreichen wir damit, dass wir die Verjährungsfrist so weit verlängern, dass es auch im Nachhinein möglich ist, über entsprechende Aufklärungen seitens der Staatsanwaltschaften und seitens der Bankenaufsicht Sachverhalte aufzuarbeiten, die haftungsrechtlich und strafrechtlich verfolgt werden müssen. Lassen Sie uns vernünftig in die Beratungen eintreten. Sie sind eingeladen, sich einzubringen. Dazu müssen Sie aber mehr leisten als das, was Sie heute geleistet haben. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. ({2})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Elisabeth Winkelmeier-Becker hat jetzt das Wort für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Elisabeth Winkelmeier-Becker (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003865, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kollegen! Im Rückblick können wir heute sicherlich sagen, dass wir ganz gut durch diese Krise gekommen sind, auch wenn wir vielleicht noch nicht so ganz an Schmitz Backes vorbei sind, wie man im Rheinland sagt. Aber vorläufig können wir sagen, dass Schlimmeres verhütet worden ist. Diese Krise hat Schwächen des Systems offengelegt. Sie hat vor allem gezeigt, dass die Chance auf Gewinne auf der einen Seite und die Risiken, zu denen es kommt, wenn sich Verluste einstellen, auf der anderen nicht zusammenpassen. Hohe Renditen waren die Grundlage für hohe Dividenden und hohe Boni. Solange die Renditen hoch waren, waren sie etwas Gutes. Als sich dann aber Verluste realisiert haben, ging es darum, wer sie trägt. Das musste vom Staat übernommen werden, um Schlimmeres zu verhindern. Was hier getrennt worden ist, das muss wieder zusammengefügt werden. Die Verbindung von Chancen und Risiken ist ein Grundsatz unserer sozialen Marktwirtschaft. Chancen und Risiken sind zwei Seiten derselben Medaille. Das muss auch für Banken gelten, insbesondere für sehr große, systemrelevante. Wenn wir an den Februar 2009 zurückdenken, erinnern wir uns, dass die Aktionäre der HRE damals nicht sehr kooperativ waren; vielmehr haben sie versucht, ihre fast wertlosen Anteile möglichst teuer zu verkaufen. Sie haben ihr erpresserisches Potenzial ganz bewusst auszunutzen versucht und darauf spekuliert, dass der Staat für sämtliche Verluste aufkommt. „Too big to fail“, das war die Hoffnung, die sich damit verband. Um dem entgegenzuwirken, war es sehr wichtig und notwendig, dass wir eine klare gesetzliche Regelung schaffen, durch die der Aufsichtsbehörde ein effektives Eingriffsverfahren ermöglicht wird, sodass Gefahren für den gesamten Geldverkehr abgewendet werden können. ({0}) Ein solches Verfahren ist aber nur die Ultima Ratio. Uns geht es jetzt darum, den Banken und ihren Aktionären - sozusagen als Prima oder Secunda Ratio - zusätzlich die Möglichkeit einzuräumen, im Vorfeld von aufsichtsrechtlichen Maßnahmen und einer möglichen Insolvenz durch eigene Initiative eine Sanierung oder Reorganisation vorzunehmen. Das erfordert der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Man sollte nicht immer gleich mit dem schärfsten Schwert kommen, sondern zuvor, wenn das Kind noch nicht in den Brunnen gefallen ist, andere Möglichkeiten ausschöpfen. Auf der ersten Stufe soll ein Sanierungsverfahren stehen, das die Bank im Zusammenspiel mit der BaFin und dem OLG einleiten kann. Ein Sanierungsberater wird eingesetzt; aber es wird noch nicht in Rechte Dritter eingegriffen. Reicht das nicht, dann steht systemrelevanten Banken das Reorganisationsverfahren offen. Dieses Verfahren ist in Anlehnung an das Insolvenzplanverfahren entwickelt worden. Dabei ist zum ersten Mal ein Deptto-Equity Swap vorgesehen. Dadurch werden die Rechte der Aktionäre einbezogen. Damit einher geht ein gestraffter, das ganze Verfahren nicht aufhaltender Rechtsschutz für diejenigen Gläubiger und Aktionäre, die den Plan nicht mittragen wollen. Sie können außerhalb des Verfahrens geltend machen, dass ihre Anteile ohne Reorganisation mehr wert gewesen wären. ({1}) In die Rechte von Arbeitnehmern, Herr Zöllmer, wird an dieser Stelle ganz bewusst nicht eingegriffen. Weder die Entgelte noch die Ansprüche aus Altersversorgungen werden berührt. Es handelt sich nämlich nicht um ein Insolvenzverfahren; deshalb gibt es auch kein Insolvenzausfallgeld und dergleichen. Das ist hier völlig außen vor. Es geht darum, die Hauptgläubiger in das Sanierungsverfahren einzubeziehen. Beide Verfahren sind Angebote an die Kreditinstitute. Wer sie nicht nutzt, der soll es eben bleiben lassen, darf sich dann aber nicht beschweren, wenn zum Schwert der aufsichtsrechtlichen Maßnahmen gegriffen wird. Das Ganze bringt Haftung und Verantwortung, Chancen und Risiken wieder ein Stück weit zusammen. Ich will noch kurz auf die Verlängerung der Verjährungsfrist eingehen. Die Bankenkrise - ich denke, das hat sich gezeigt - beruhte nicht nur auf einem kollektiven Irrtum, auf irgendeinem Hype, der für den Einzelnen nicht durchschaubar war. Hier haben auch einzelne Bankmanager individuelle Fehlentscheidungen getroffen, die ihnen vorzuwerfen sind. Wir sehen, dass einige den Papieren von Anfang an nicht getraut haben, die sich hinterher als riskant erwiesen haben. Einige haben schnell bemerkt, dass Subprime kein besonderes Qualitätssiegel ist. Andere haben es erst bemerkt, als es zu spät war. Diese Fehler wurden vor allem in den Jahren 2006 und 2007 gemacht und zeigten sich dann in der Bankenkrise im Jahr 2008. Hier ist noch vieles aufzuklären, sowohl in tatsächlicher als auch rechtlicher Hinsicht. Es müssen noch Maßstäbe entwickelt werden, anhand derer man beurteilen kann, was nun vorwerfbar war und was nicht vorwerfbar war. Bei der IKB warten wir immer noch auf das Ergebnis einer Sonderprüfung, die bereits im Jahr 2008 in Auftrag gegeben worden ist und sich natürlich auf die Jahre davor bezieht. Wenn noch geprüft wird, ob Haftungstatbestände erfüllt sind, können wir nicht gleichzeitig zuschauen, wie die Verjährung nach fünf Jahren eintritt. Es kann nicht sein, dass wir Verjährung eintreten lassen, während die Sache noch geprüft wird. An dieser Stelle müssen wir schauen, ob das so, wie es im Gesetzentwurf steht, richtig ist, ob das wirklich die Sache trifft oder ob das vielleicht über das hinausgeht, was wir wollen. Ob die Regelungen zur Beweislast geändert werden müssen, werden wir noch prüfen. Auch die Fristen zur Aufbewahrung, der direkte Anwendungs6688 bereich und dergleichen sind zu prüfen. Das alles kann man im Detail noch ändern und prüfen. Die Botschaft im Hinblick nicht nur auf die Sachverhalte der Vergangenheit, sondern auch auf die Zukunft muss klar lauten: Der Zusammenhang zwischen Chancen und Risiken sowie die Verantwortung für das, was der Einzelne auf jeder Ebene tut, werden wieder in den Vordergrund gestellt. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. ({2})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Der Kollege Ralph Brinkhaus spricht für die CDU/ CSU-Fraktion. ({0})

Ralph Brinkhaus (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004021, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich möchte daran erinnern, dass dies der fünfte Gesetzentwurf zur Bankenregulierung im weiteren Sinne ist, den wir, die Koalitionsfraktionen bzw. die Regierung, innerhalb eines Jahres vorlegen. Wir haben einen Gesetzentwurf zum Rating und einen Gesetzentwurf zur Vergütungspolitik vorgelegt. ({0}) Wir haben Regelungen zu Leerverkäufen und Regelungen zur Verbriefung im Zusammenhang mit der Umsetzung der Kapitaladäquanzrichtlinie geschaffen. Heute haben wir ein wahnsinnig ambitioniertes Programm auf den Weg gebracht, das wirklich bemerkenswert ist. Es ist bemerkenswert, weil wir in der Regulierungssystematik zum ersten Mal vom Ende her angreifen. Das heißt, wir akzeptieren mit diesem Gesetz, dass es möglich ist, dass Banken scheitern, dass betriebswirtschaftliche Konzepte von Banken scheitern. Wir versuchen nicht wie bei anderen Konzepten, ein Scheitern von vornherein durch mehr Eigenkapital, durch mehr Liquidität, durch eine bessere Transparenz oder durch das Verbot von bestimmten Geschäften zu verhindern. Es ist wirklich bemerkenswert, dass wir das so frühzeitig anpacken, weil es ein ganz komplizierter Gesetzentwurf ist. Meine Damen und Herren von der Opposition, ich hätte mir gewünscht, dass das in dem ein oder anderen Wortbeitrag einmal zum Ausdruck gekommen wäre; denn bei allen Unterschieden, die uns trennen, ist das wirklich eine gute Sache. Es lohnt sich, gemeinsam für dieses Projekt zu arbeiten. ({1}) Es ist ein bemerkenswertes Projekt, weil wir damit international eine Vorreiterrolle einnehmen. Es gibt das eine oder andere Land, das ebenfalls Regelungen in diesem Bereich erarbeitet. Wir werden aber dafür kritisiert, dass wir nicht EU-weit abgestimmt vorgehen, sondern dass wir vorangehen. Wir sind auch bei den Leerverkäufen vorangegangen. Vorangehen ist manchmal wichtig. Wir sind die größte Volkswirtschaft in Europa. Deswegen müssen wir auch einmal Gas geben und zusehen, dass die anderen hinter uns herkommen; denn anders funktioniert das nicht. Das ist die Erfahrung, die wir in Europa gemacht haben. ({2}) Ein weiterer Punkt, der bemerkenswert ist, ist der Restrukturierungsfonds. Die Banken werden an den Kosten zukünftiger Krisen beteiligt. Um gleich einmal mit zwei Irrtümern aufzuräumen: Es geht um die Kosten zukünftiger Krisen. Insofern läuft die Argumentation, man habe mit der alten Krise nichts zu tun, völlig ins Leere. Die ist schlicht und einfach falsch. ({3}) Der zweite Irrtum ist, zu sagen: Ich bin zu klein; ich bin nicht systemisch; ich habe damit nichts zu tun. - Fragen Sie doch einmal bei den Volksbanken und Sparkassen nach, wie viele Hypo-Real-Estate-Papiere in deren Depots gelegen haben! Fragen Sie einmal diese Banken, welche Geschäfte sie gemacht haben! Fragen Sie doch einmal die größeren Banken, ob es Schieflagen in diesem Bereich gegeben hat oder ob alles glattgegangen ist! Vor diesem Hintergrund kann ich nicht verstehen, dass immer wieder darauf insistiert wird, dass einige Banken damit nichts zu tun gehabt hätten. Das ist meines Erachtens schlichtweg falsch. ({4}) Dieses Gesetz ist nicht nur bemerkenswert, sondern es ist auch wahnsinnig anspruchsvoll. Dieses Gesetz ist deswegen so anspruchsvoll - vor diesem Hintergrund freue ich mich, dass hier auch die Kollegen vom Rechtsausschuss und aus dem Bereich Arbeitsmarktpolitik sitzen -, weil es Bankenrecht mit Insolvenzrecht, mit Gesellschaftsrecht und mit Arbeitsrecht verknüpft. Das ist ein wahnsinnig ambitioniertes Projekt. Es ist auch deswegen ein so wahnsinnig ambitioniertes Projekt, weil es notwendig ist, dass dieses Projekt von Anfang an fliegt. Es muss deswegen fliegen, weil die Mechanismen des Gesetzes in einer akut brennenden Krise eingesetzt werden. Um bei dem Bild „brennende Krise“ zu bleiben: Eine Feuerwehr muss sich darauf verlassen können, dass ihre Ausrüstung funktioniert, wenn es brennt. Deswegen würde ich mich sehr darüber freuen, wenn wir uns bei den Diskussionen, die wir führen, nicht immer nur am Thema Bankenabgabe festbeißen würden. Ich würde viel lieber mit Ihnen darüber diskutieren, ob das Gesetz technisch funktioniert, ob die Abläufe und die Verknüpfungen passen. Dazu, Herr Sieling, muss man ein Gesetz aber auch lesen. Dazu reicht es nicht, immer nur darauf herumzuhauen. ({5}) Vor diesem Hintergrund sollten wir in den Diskussionen, die wir jetzt führen werden, nicht mit der Frage beginnen, ob die Bankenabgabe einen Euro höher oder niedriger sein sollte - das wäre völlig verfehlt und ginge völlig am Thema vorbei -, sondern wir sollten schauen, ob wir hier einen Mechanismus haben, um in Krisen proaktiv Reorganisations- und Sanierungsverfahren oder, wenn das Kind in den Brunnen gefallen ist, Übertragungsverfahren einleiten zu können. Darauf sollten wir uns konzentrieren. Das empfehle ich auch dem einen oder anderen Verbandsvertreter, statt sich immer wieder nur auf den genannten Kritikpunkt zu konzentrieren. ({6}) Ich möchte noch etwas anmerken, das ebenfalls sehr bemerkenswert ist. Wir haben jetzt vor, eine Vorgehensweise zu verankern, die wir bislang noch nie gewählt haben. Wir sehen - meine Kollegin Winkelmeier-Becker hat es erklärt - für Reorganisationsverfahren erstmals den Dept-to-Equity Swap vor. Das bedeutet, dass zum ersten Mal auch die Gläubiger in Anspruch genommen werden. Bei allen Regulierungsmaßnahmen haben wir bisher immer eine Gruppe geschützt, nämlich die Gläubiger. Sie konnten davon ausgehen, dass, egal was passiert, entweder die Sicherungssysteme greifen oder, wenn diese nicht funktionieren, der Staat eingreift. Ich finde, das war nicht fair. Es lohnt daher, den im Gesetzentwurf enthaltenen Gedanken, auch den Gläubiger in einem geordneten Verfahren einzubeziehen, weiter zu verfolgen und über ihn an der einen oder anderen Stelle zu diskutieren. Für wirtschaftliches Handeln trägt immer derjenige die Verantwortung, der handelt. Wenn wir in vielen anderen Bereichen wie bei Hartz IV erwarten, dass die Menschen die Konsequenzen ihres wirtschaftlichen Handelns übernehmen und sich nicht einer Vollkaskomentalität hingeben, dann müssen wir das auch im Bankenbereich verlangen. Ich bin der Meinung, dass es durchaus der Sache wert ist, über diesen Gesetzentwurf weiter sachlich zu diskutieren und an der Technik zu feilen. Sie sollten anerkennen, dass dieser Gesetzentwurf insgesamt gelungen ist. Er stellt einen epochalen Schritt, einen Quantensprung dar. Dafür herzlichen Dank an die Bundesregierung und alle Beteiligten. ({7})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Ich schließe die Aussprache. Zwischen den Fraktionen ist verabredet worden, den Gesetzentwurf auf Drucksache 17/3024 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe jetzt Tagesordnungspunkt 28 auf: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Arbeit und Soziales ({0}) - zu dem Antrag der Fraktion der SPD Fairness in der Leiharbeit - zu dem Antrag der Abgeordneten Jutta Krellmann, Sabine Zimmermann, Klaus Ernst, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Lohndumping verhindern - Leiharbeit strikt begrenzen - zu dem Antrag der Abgeordneten Beate Müller-Gemmeke, Brigitte Pothmer, Kerstin Andreae, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Zeitarbeitsbranche regulieren - Missbrauch bekämpfen - Drucksachen 17/1155, 17/426, 17/551, 17/3082 Berichterstattung: Abgeordnete Jutta Krellmann Es ist vorgesehen, hierüber eine Dreiviertelstunde zu debattieren. - Dazu sehe und höre ich keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Für die Bundesregierung hat das Wort der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Ralf Brauksiepe.

Dr. Ralf Brauksiepe (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003055

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir debattieren heute über drei Anträge der Oppositionsfraktionen zum Thema Zeitarbeit. Dies gibt mir die Gelegenheit, darzustellen, welche Initiativen die Bundesregierung zu diesem Thema ergriffen hat und weiter plant. Daraus ergibt sich, warum uns die Anträge der Oppositionsfraktionen nicht überzeugen können. Bei guter Politik geht es darum, Probleme zu erkennen und zu benennen, dann entschlossen zu handeln und zum richtigen Zeitpunkt das Richtige zu tun. Im Januar dieses Jahres war der richtige Zeitpunkt für das entschlossene Einschreiten unserer Arbeitsministerin Dr. Ursula von der Leyen im Fall Schlecker. Sie hat klar und deutlich gesagt, dass die bekannt gewordenen Praktiken dieses Drogeriediscounters nicht hinnehmbar sind, und hat die Firma damit zu einem schnellen Einlenken bewogen. Das war das richtige Regierungshandeln zur richtigen Zeit, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({0}) Wir haben damit gleichzeitig eine umfassende Diskussion über das Thema Zeitarbeit angestoßen, wie sie in dieser Tiefe bisher noch von keiner Regierung geführt worden ist. Der bestehende gesetzliche Rahmen in diesem Bereich stammt noch aus der Zeit der rot-grünen Regierung und ist im Wesentlichen auch konstant. Im Zuge dieser Diskussion sind verschiedene Vorschläge von verschiedenen Seiten erarbeitet worden. Dabei geht es uns allerdings auch darum, dass wir Entscheidungen über Gesetzesänderungen nicht auf der Grundlage von Stimmungen und Einzelfällen treffen, ({1}) sondern dass wir zum richtigen Zeitpunkt die richtigen Vorschläge machen, die zu einer sachgerechten Weiterentwicklung auf dem Gebiet der Zeitarbeit führen. ({2}) Die Fakten zeigen, dass Zeitarbeit für Menschen, die sonst schlechte Chancen auf dem ersten Arbeitsmarkt hätten, Brücken in Arbeit baut. Dies wird auch aus dem Elften Bericht der Bundesregierung zur Arbeitnehmerüberlassung deutlich. Die Fakten, die dort aufgeführt werden, zeigen, dass wir es nicht zulassen dürfen, dass das wichtige arbeitsmarktpolitische Instrument Zeitarbeit diskreditiert wird; denn es hat seine gute Berechtigung auf dem Arbeitsmarkt. Die Bundesregierung steht hier als Institution in bester Kontinuität zur Politik, die die Vorgängerregierungen in der Vergangenheit - auch mit Unterstützung anderer Koalitionsfraktionen - gemacht haben. Wir verstecken uns nicht. Wir brauchen uns für das, was wir gemacht haben, nicht zu entschuldigen. Die Bundesregierung steht in Kontinuität zum Instrument der Zeitarbeit genauso wie zur Missbrauchsbekämpfung in der Zeitarbeit. Beides gehört zusammen, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({3}) Wir haben deshalb mit allen Partnern in der Branche mit Gewerkschaften, mit Arbeitgeberverbänden, mit den Zeitarbeitsunternehmen genauso wie mit den Unternehmen, die Zeitarbeit nutzen - darüber gesprochen, wie ein Missbrauch in der Zeitarbeit verhindert werden kann. Wir haben nicht nur das getan, sondern wir haben als Bundesregierung parallel dazu die Bundesagentur für Arbeit, die das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz durchführt, aufgefordert, das Personal für diesen Bereich aufzustocken. Dies ist mittlerweile umgesetzt, und die geschulten Kräfte arbeiten seit Mitte Juli in den zuständigen Regionaldirektionen der Bundesagentur für Arbeit. Das heißt, dass jetzt rund 100 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter - 30 Prozent mehr als zuvor - für die Erteilung der Verleiherlaubnisse und für die Prüfung der Zeitarbeitsunternehmen zuständig sind. Wir wissen: Wo es Probleme gibt, muss auch gehandelt werden. Davor verschließen wir nicht die Augen. Wir haben gehandelt. Das war unsere Aufgabe, der wir nachgekommen sind, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({4}) Jetzt ist es an der Zeit, dass wir auch zu gesetzlichen Regelungen kommen, um die schwarzen Schafe in der Branche, die es in der Zeitarbeit genauso wie anderswo gibt, in die Schranken zu weisen. Die Bundesregierung begrüßt ausdrücklich, dass die Tarifvertragsparteien in ihren Tarifvertragswerken Vorkehrungen getroffen haben, um einen Fall wie Schlecker in Zukunft zu verhindern. Unsere sorgfältigen Prüfungen im Ministerium haben ergeben, dass es über diese begrüßenswerten Initiativen der Tarifvertragsparteien hinaus notwendig ist, dies auch gesetzlich zu flankieren, damit es künftig keinen Drehtüreffekt mehr derart geben kann, dass Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer entlassen werden und nach kurzer Zeit in dem Unternehmen, das sie entlassen hat, oder in einem anderen Unternehmen aus dem Konzernverbund am gleichen Arbeitsplatz zu deutlich schlechteren Bedingungen als Zeitarbeitnehmerinnen und Zeitarbeitnehmer wieder eingestellt werden. Das ist nicht Sinn und Zweck der Zeitarbeit. Zu dem, was die Tarifvertragsparteien gemacht haben, kommt jetzt eine Gesetzgebungsinitiative hinzu: Wir flankieren gesetzlich, dass Missbrauch in der Zeitarbeit verhindert wird. ({5}) Wir nehmen das noch zu verabschiedende Gesetz zum Anlass, in diesem Zusammenhang bereits die sogenannte Leiharbeitsrichtlinie der Europäischen Union umzusetzen. Der Umsetzungsbedarf ist zwar nicht groß, aber auch kleine Zeichen sind manchmal wichtig. Es ist beispielsweise nicht nachvollziehbar, dass Zeitarbeitnehmerinnen und Zeitarbeitnehmer in den Entleihbetrieben keinen Zugang zu Gemeinschaftseinrichtungen haben. Wenn es eine Betriebskantine für die Stammarbeitnehmer gibt, dann macht es Sinn, dass diese auch von den Zeitarbeitnehmern genutzt werden kann. ({6}) Darüber ist bei der Erarbeitung der Leiharbeitsrichtlinie verhandelt worden. Auch das werden wir umsetzen. Wo konkreter Handlungsbedarf besteht, da handeln wir. ({7}) Gleichzeitig - da liegt der Unterschied zu den Anträgen der Opposition - wissen wir um die Bedeutung der Zeitarbeitsbranche für den Arbeitsmarkt. Man soll sie aber nicht überbewerten. Es haben in dieser Branche - auch das kann man in unserem Bericht nachlesen bundesweit nie mehr als 2,6 Prozent der Beschäftigten gearbeitet. Daher kann man nicht sagen, dass diese Branche, was die Beschäftigtenzahlen angeht, an der Spitze liegt. Trotzdem sollte man sie wichtig nehmen. Uns geht es darum, die Leiharbeitsbranche nicht zu verteufeln, sondern an den Stellen etwas zu tun, an denen Handlungsbedarf besteht. Im Interesse der Menschen, die gering qualifiziert sind, die schon lange ohne Arbeit sind oder die vielleicht noch nie gearbeitet haben, müssen wir die Chancen nutzen, die die Zeitarbeit bietet. Deswegen geht es darum, sachgerecht und zum richtigen Zeitpunkt das Notwendige zu tun. Das tut die Bundesregierung. Für diesen Kurs bitten wir um Unterstützung. Vielen Dank. ({8})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Für die SPD-Fraktion hat die Kollegin Katja Mast das Wort. ({0})

Katja Mast (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003804, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr Staatssekretär Brauksiepe, es geht bei der Regulierung von Leiharbeit nicht um die Möglichkeit, in den gleichen Kantinen zu essen, sondern es geht um gleiches Geld für gleiche Arbeit. ({0}) Wenn Sie den Bürgerinnen und Bürgern vormachen, es gehe ausschließlich um die Nutzung von Gemeinschaftseinrichtungen, dann verkennen Sie die Gefahr, die vom flächendeckenden Lohndumping und von der Tatsache ausgeht, dass Menschen in diesem Land in prekären Arbeitsverhältnissen stehen. Das ist die Axt an unserer sozialen Marktwirtschaft. ({1}) Wir reden an diesem Freitagmittag im Kern über die Würde der Arbeit, über gute Arbeit und über Fairness auf dem Arbeitsmarkt. Wir reden in diesem Zusammenhang über die notwendige gesetzliche Regulierung der Leiharbeit, bei der gute Arbeit und Fairness besonders wichtig sind. Ich will an dieser Stelle deutlich sagen: Es geht bei der Bekämpfung von prekärer Beschäftigung nicht nur um die Regulierung von Leiharbeit, sondern es geht auch um faire Regeln beim Berufseinstieg von Jugendlichen, für die sogenannte Generation Praktikum. Es geht darum, dass Menschen von ihrer Hände Arbeit in Würde leben können. Deshalb brauchen wir einen flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn. Es geht auch darum, dass es in Deutschland keine unsinnigen Befristungen mehr gibt. Wann sollen denn die jungen Menschen in dieser Republik eine Familie gründen, wenn sie dauerhaft mit befristeter Beschäftigung in Unsicherheit gehalten werden und kein ausreichendes Einkommen haben? Das alles sind Punkte, Herr Brauksiepe, die die schwarz-gelbe Koalition bei ihrer Politik vergisst. Sie reden immer nur über Detailprobleme. Es ist gut, dass Sie anfangen, bei Schlecker etwas zu verändern; das will ich ausdrücklich sagen. Aber damit es Fairness in der Leiharbeit gibt, brauchen wir gesetzliche Initiativen mit dem Ziel: gleiches Geld für gleiche Arbeit. ({2}) Leiharbeit wird in Deutschland zu oft für Lohndumping und zur Verdrängung regulärer Beschäftigung missbraucht. Ich will Ihnen ein Beispiel aus meinem Wahlkreis nennen. Ich habe kürzlich einen Arbeitsvertrag zu sehen bekommen, der mit einer Leiharbeitsfirma in Pforzheim, Baden-Württemberg, geschlossen wurde. Darin war ein Lohn von unter 7 Euro die Stunde bei einer wöchentlichen Arbeitszeit von 40 Stunden vereinbart. Davon kann man nicht in Würde leben. Sie sagen, das sei kein Problem, das sei gute Arbeit. Ich sage Ihnen: Meine Partei wird immer dafür kämpfen, dass es diese Form von „guter“ Arbeit in Deutschland nicht mehr gibt. ({3}) Die IG Metall hat eine Umfrage unter Betriebsräten durchgeführt und bei der Auswertung festgestellt - die Ergebnisse wurden erst kürzlich veröffentlicht -, dass jetzt im Aufschwung viele Menschen wieder in Arbeit kommen. Das ist zunächst einmal gut; denn Arbeit bedeutet Teilhabe an dieser Gesellschaft. Es wurde aber auch festgestellt, dass 20 Prozent der Betriebe die Leiharbeit nutzen, um bestehende Stammarbeitsplätze durch prekäre Beschäftigungsverhältnisse zu ersetzen. Für Sie ist das kein Problem. Sie sagen, man müsse da nicht gesetzgeberisch handeln. Ich sage Ihnen: Wir müssen gesetzgeberisch handeln; wir brauchen faire Regeln in der Leiharbeit. ({4}) Im Übrigen finden wir Abgeordnete des Deutschen Bundestags - damit meine ich alle Fraktionen, die hier vertreten sind - nur dann Akzeptanz für unsere Politik, wenn wir den Menschen die Gewissheit geben - ich denke dabei auch an die Schülerinnen und Schüler, mit denen ich oft über ihre Zukunft auf dem Arbeitsmarkt diskutiere -: Wenn ich mich anstrenge, bekomme ich einen Arbeitsplatz, von dem ich mich auf jeden Fall ernähren kann; noch besser wäre, wenn auch die Familie davon ernährt werden könnte. Aber das interessiert Sie nicht. Sie sind der Meinung, wir bräuchten keine flächendeckenden Mindestlöhne. Sie sind auch der Meinung, wir bräuchten keinen Mindestlohn in der Leiharbeit. Das lassen wir Ihnen nicht durchgehen. ({5}) In Baden-Württemberg findet der Beschäftigungsaufbau jetzt nach der Krise zu über 50 Prozent im Bereich der Leiharbeit statt. Lassen Sie mich noch ein Beispiel aus meinem Wahlkreis nennen. Bei der Firma Inovan in Birkenfeld haben im Zuge der Krise 100 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ihren Arbeitsplatz verloren. Jetzt findet wieder ein Beschäftigungsaufbau statt. Aber wie? Nicht, indem man die ehemaligen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zurückholt. Nein, es werden Leiharbeiterinnen und Leiharbeiter eingestellt. Das ist nicht fair. Das ist keine gute Unternehmenspolitik. Dieser Politik reichen Sie die Hand. Leiharbeit braucht klare Regeln. Wir haben im Arbeitnehmerüberlassungsgesetz verankert, dass Leiharbeit immer dem Grundsatz „Gleiches Geld für gleiche Arbeit“ folgen muss. Als wir diese Regelung 2003 gemeinsam - im Übrigen in großer Übereinstimmung mit der CDU/CSU - verabschiedet haben, hat keiner daran gedacht, dass die Öffnungsklausel - „ein Tarifvertrag kann abweichende Regelungen zulassen“ - in Deutschland flächendeckend von den sogenannten christlichen Gewerkschaften für Lohndumping über Haustarifverträge missbraucht würde. Damit klar ist, worüber ich rede: Wir waren damals der Meinung, es gehe hier nur um Tarifverträge unter dem Dach des Deutschen Gewerkschaftsbundes; damals war der erste Tarifvertrag für die Leiharbeit überhaupt gerade erst abgeschlossen. Plötzlich sprossen Arbeitgeberverbände in dieser Republik aus dem Boden, die dann Tarifverträge über Löhne von deutlich unter 7,50 Euro pro Stunde abgeschlossen und damit letztendlich das Lohnniveau gedrückt haben. ({6}) Wir haben bereits gestern eine Debatte über dieses Thema geführt. Ich sage Ihnen: Wenn Sie es nicht schaffen, dass der Verdienst höher als das Arbeitslosengeld II ist, dann brauchen wir uns gar nicht erst darüber zu unterhalten, inwiefern wir die Würde von Menschen, die am Rand stehen, durch eine Erhöhung der Regelsätze gewährleisten können. Sie organisieren einen flächendeckenden Abbau des Sozialstaats, der sozialen Marktwirtschaft und der Teilhabe. Da kann niemand in diesem Haus ruhig bleiben. Herr Kober, Sie haben gleich die Möglichkeit, Ihre Vorstellung von fairer und guter Arbeit zu äußern. Ich bin gespannt, was Sie dazu sagen werden und ob Sie einen flächendeckenden Mindestlohn in Deutschland wollen, zumindest für Beschäftigte in der Leiharbeit. Ich glaube, das wollen alle wissen, die heute zuhören. ({7}) Ich bin froh, dass die IG Metall vor einigen Monaten die große Initiative „Gleiche Arbeit - Gleiches Geld“ gestartet hat. Sie hat gestern den ersten Tarifvertrag abgeschlossen, in dem für die Stahlindustrie gleiches Geld für gleiche Arbeit vereinbart ist. Bereits gestern ging mehrfach die Meldung über den Ticker, dass Arbeitgeberverbände dagegen sind, dass dieser Tarifabschluss Vorbildcharakter hat. Ich bin der festen Überzeugung: Er muss Vorbildcharakter haben. Ich bin der IG Metall und dem Arbeitgeberverband dankbar für ihre kleine Revolution in der Tarifpolitik am gestrigen Tag. Weil ich genau weiß, was die Redner der schwarzgelben Regierungskoalition nachher sagen werden, will ich an dieser Stelle sehr deutlich festhalten: Wir brauchen im Hinblick auf die Regulierung von Leiharbeit und auf die Lohnuntergrenze nicht nur faire und kluge Arbeitgeberverbände und Gewerkschaften, sondern auch Initiativen für gesetzliches Handeln. Wir brauchen einen gesetzlichen flächendeckenden Mindestlohn, ({8}) und es ist Ihre Aufgabe, einen entsprechenden Gesetzentwurf in den Deutschen Bundestag einzubringen. Wenn Sie schon nicht bereit sind, das flächendeckend für alle Branchen zu machen, dann ist das Mindeste, was man von Ihnen erwarten kann, wenn Sie die Leiharbeit bekämpfen wollen und durch Ihr Handeln eine Legitimation guter Politik erreichen wollen, dass Sie die Leiharbeitsbranche in das Arbeitnehmer-Entsendegesetz aufnehmen und damit dafür sorgen, dass in dieser Branche, in der prekäre Beschäftigung in besonderem Maße erfolgt, eine faire Lohnuntergrenze gilt. Im Referentenentwurf steht es jetzt nicht. Ich bin gespannt, ob der Gesetzentwurf, über den wir in ein paar Wochen diskutieren werden, das enthalten wird. Unsere Unterstützung haben Sie, wenn es darum geht, hier eine Lohnuntergrenze zu vereinbaren. Unsere Unterstützung haben Sie nicht, wenn Sie nur Detailprobleme in der Leiharbeit regeln. ({9}) Was machen Sie in der Leiharbeit eigentlich? Sie legitimieren Löhne von 5, 6 und 7 Euro. ({10}) - Sie legitimieren solche Löhne, solange Sie nicht gleiches Geld für gleiche Arbeit im Arbeitnehmerüberlassungsgesetz vereinbaren. Frau Connemann, Sie haben nach mir noch genug Zeit, zu reden. Wenn Sie es jetzt genau wissen wollen, stellen Sie eine Zwischenfrage. ({11}) Sie legitimieren diese Löhne, weshalb Menschen in Vollzeitarbeit Arbeitslosengeld II beantragen müssen. Damit stellen Sie einen Blankoscheck für Lohndumping in dieser Republik aus. Das ist Sozialpolitik auf Abwegen, und dagegen werden wir uns als Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten immer wieder wenden. ({12}) Im Übrigen geht es beim Thema Leiharbeit nicht nur um die Beschäftigten, über die ich jetzt schon viel gesprochen habe. Sie spalten Belegschaften in Belegschaften erster, zweiter und dritter Klasse. Es geht auch darum, dass die Handwerker und der ehrliche Mittelstand in Deutschland bei Ausschreibungen nicht zum Zuge kommen, weil sie gegenüber dem Lohndumping von anderen Unternehmen keine Chance haben. ({13}) Damit werden gute Arbeitsplätze vernichtet, und anständige Firmenchefs haben keine Chance, sich am Markt zu behaupten. Aber Sie sagen: Das ist uns alles egal; ({14}) da schauen wir gerne weg. - Sie organisieren Billigkonkurrenz, die den Zuschlag bekommt. Das ist Politik des Wegschauens, und deshalb werden wir Sie bei diesem Thema im Deutschen Bundestag immer wieder stellen. ({15}) Sie vergessen auch völlig, dass ab Mai 2011 Arbeitnehmerfreizügigkeit gilt und dadurch der Druck auf die Löhne noch stärker zunimmt. Deshalb will ich noch einmal sagen: Die SPD will im Grundsatz gleiches Geld für gleiche Arbeit. Das steht in dem Antrag, den wir vorgelegt haben. Wir wollen über das Arbeitnehmer-Entsendegesetz eine untere Haltegrenze für die Kolleginnen und Kollegen und Beschäftigten in der Leiharbeit einziehen. Wir wollen, dass das Synchronisationsverbot abgeschafft, die konzerninterne Verleihung begrenzt und die Mitbestimmung gestärkt wird.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Kommen Sie bitte zum Schluss.

Katja Mast (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003804, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident, ich komme zum Schluss. - Außerdem wollen wir, dass sich unser aller Bundesarbeits- und -sozialministerin Ursula von der Leyen für die kleinen Leute in unserer Gesellschaft verantwortlich fühlt, ({0}) dass sie sich als Schutzmacht für die Menschen in dieser Gesellschaft versteht.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Jetzt ist aber wirklich Schluss, Frau Mast.

Katja Mast (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003804, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sie soll sich zur Speerspitze der Bewegung machen, wenn es um die Würde der Arbeit geht. ({0})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Frau Kollegin Mast, bitte! Sie haben Ihre Zeit weit überzogen. Bitte kommen Sie jetzt zum letzten Satz.

Katja Mast (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003804, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich komme zum letzten Satz, Herr Präsident. - Dann werden wir in dieser Gesellschaft auch wieder über eine echte soziale Marktwirtschaft sprechen können. ({0})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat der Kollege Pascal Kober von der FDPFraktion. ({0})

Pascal Kober (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004075, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Thema Zeitarbeit hat uns in den letzten Monaten zu Recht ausgiebig beschäftigt. Dass vereinzelt Unternehmen die Zeitarbeit in unverantwortlicher Art und Weise ausgenutzt haben, ist bei uns allen in diesem Hohen Haus auf große Ablehnung gestoßen. Das will ich für die FDP-Fraktion hier noch einmal deutlich betonen. Der Unterschied zwischen den Regierungsfraktionen und den Oppositionsfraktionen liegt in der Schlussfolgerung, die aus diesen Vorgängen gezogen wird. Während Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Opposition, die Fälle zum Anlass nehmen, eine ganze Branche beseitigen zu wollen, handeln wir mit Vernunft und Augenmaß. ({0}) Wir schaffen die Voraussetzungen dafür, dass Geschäftsmodelle wie im Fall Schlecker künftig nicht mehr möglich sind. ({1}) Es ist nicht akzeptabel, wenn die Stammbelegschaft von Konzernen in Leiharbeitsgesellschaften, bei denen die Arbeitsbedingungen für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ungünstiger sind, ausgelagert wird. Auf der anderen Seite sehen wir aber auch die Chancen, die die Zeitarbeitsbranche vielen Menschen bietet. Würde man hier und heute Ihren Anträgen folgen, würde das für viele Menschen, die bei Zeitarbeitsunternehmen beschäftigt sind, in naher Zukunft die Arbeitslosigkeit bedeuten. Das ist das Gegenteil dessen, was die christlich-liberale Koalition zur Maßgabe ihrer Politik erklärt hat. ({2}) Wir möchten den Menschen in unserem Land Chancen auf dem Arbeitsmarkt eröffnen bzw. Chancen offenhalten. Ich muss zugestehen, dass dies auch einmal die Maßgabe von Sozialdemokraten und Grünen war. Doch diese Zeiten sind nun offenbar endgültig vorbei, leider. ({3}) Der populistische Reflex siegt bei Ihnen über die Sachkenntnis. Sie vergessen die Chancen, die die Zeitarbeit vielen Menschen bietet. Sie ist jetzt, in der Zeit der Wirtschafts- und Finanzkrise, für viele der erste Schritt zurück in den Arbeitsmarkt. Diese Chance wollen Sie den Menschen nehmen, indem Sie das wirksame Instrument der Zeitarbeit gänzlich zerschlagen. Untersuchungen zeigen uns, dass 62,2 Prozent der Menschen, die in Zeitarbeitsverhältnissen beschäftigt sind, zuvor nicht beschäftigt waren. Sie zeigen uns auch, dass 11,4 Prozent in ihrem Leben zuvor überhaupt noch nicht beschäftigt waren. Dies belegt, welche Chancen die Zeitarbeit beim Kampf gegen Arbeitslosigkeit bietet. Zeitarbeit ist das erfolgreichste Arbeitsmarktinstrument, das wir haben. Darauf hat der Parlamentarische Staatssekretär Ralf Brauksiepe schon hingewiesen. Mit keinem anderen Instrument ist es gelungen, so viele Menschen in Arbeit zu bringen. ({4}) Ich kann Ihnen aber sagen, dass sich auch die FDP weitergehende Gedanken zum Thema Zeitarbeit macht. ({5}) Die Zeitarbeit soll der Bewältigung von Auftragsschwankungen dienen und dabei helfen, Menschen in den Arbeitsmarkt zu integrieren. Für die FDP ist Zeitarbeit - das sage ich ausdrücklich - kein Instrument der Lohndifferenzierung nach unten. ({6}) Deutschland setzt zum 1. Mai 2011 die Arbeitnehmerfreizügigkeit um. Anstatt sich über diesen wesentlichen Schritt im Rahmen der europäischen Integration zu freuen, wird von mancher Seite Angst davor geschürt. Ich halte das angesichts der Tatsache, dass Deutschland als Exportland wie kein zweites Land von der europäischen Integration profitiert, für unangebracht. ({7}) Niemand kann heute seriöserweise sagen, welche Folgen diese Umsetzung zum 1. Mai 2011 zeitigen wird. Ich kann Ihnen aber deutlich und klar sagen: Mit der FDP wird es in der Zeitarbeitsbranche keinen Mindestlohn nach dem Arbeitnehmer-Entsendegesetz geben. Liebe Frau Mast, ich komme zu dem, was Sie gesagt haben. Auch wir von der FDP sehen Handlungsbedarf im Bereich der Zeitarbeit, jedoch ganz unabhängig vom 1. Mai 2011. Wir halten es nicht für gerechtfertigt, dass Zeitarbeiter auf Dauer schlechter bezahlt werden als die Stammbelegschaft, wenn sie die gleiche Tätigkeit ausüben und die gleiche Qualifikation besitzen. Ein solcher Lohnunterschied ist nur für die Dauer einer Einarbeitungsphase nachvollziehbar und begründbar. Daher setzen wir uns dafür ein, dass der Grundsatz des Equal Pay nach einer angemessenen Einarbeitungszeit eingehalten werden muss.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Kollege Kober, erlauben Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Mast?

Pascal Kober (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004075, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Aber gerne. ({0})

Katja Mast (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003804, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Kober, einer Aussage von Herrn Kolb in der Presse habe ich entnommen, dass Sie für Equal Pay, also für gleiches Geld für gleiche Arbeit, nach einer kurzen Einarbeitungszeit - wie Sie es immer nennen - sind. Meine Frage an Sie ist: Was ist für Sie eine angemessene Einarbeitungszeit, insbesondere im Hinblick darauf, dass 50 Prozent der Leiharbeitsverträge eine Laufzeit von maximal drei Monaten haben?

Pascal Kober (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004075, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Mast, ich darf Ihnen hier die Transparenz bieten, die Sie wünschen. Wir als FDP-Bundestagsfraktion führen gerade Gespräche mit Zeitarbeitsunternehmen und mit Arbeitnehmervertretungen, mit Firmen, die Zeitarbeit verwenden. Wir werden uns nach den Gesprächen ein sachgerechtes Urteil bilden und werden Ihnen dann auf Ihre Frage eine sachgerechte Antwort geben. Das ist seriöse Politik: erst denken, dann handeln. ({0}) Unsere Politik orientiert sich an dem, was für den Einzelnen und seine Chancen, Arbeit zu finden, hilfreich ist. Deshalb werden wir bestehende Fehler beseitigen, dabei aber nicht über das Ziel hinausschießen, wie es die Anträge der Opposition tun. Das ist verantwortliche Politik für die Menschen. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({1})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Durch Sie haben wir jetzt zwei Minuten gespart. Vielen Dank. ({0}) Das ist durchaus als Vorbild für die nachfolgenden Redner zu sehen. Jetzt hat die Kollegin Krellmann für die Fraktion Die Linke das Wort. ({1}) - Nein, die zwei Minuten hat die Kollegin Mast vorher schon verbraucht. ({2})

Jutta Krellmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004080, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Guten Tag, Herr Präsident! Hallo, liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Nach acht Monaten liegt jetzt ein Gesetzentwurf auf dem Tisch. Er ist, wie zu befürchten war, unsozial und löst keine Probleme. Es sind die Schwächsten der Gesellschaft, die schutzlos bleiben. Diese Bundesregierung spaltet das Land weiter in Arm und Reich. Acht Monate lang haben Sie eine Lösung angekündigt und jetzt die Lösung „Weiter so!“ vorgelegt. Die Leiharbeit frisst sich währenddessen wie eine Krake durch die Arbeitswelt: bei Krankenhäusern, Tageszeitungen, Banken, Druckereien usw. Die Liste ließe sich problemlos fortsetzen. ({0}) Sogar auftragsstarke Firmen wie Airbus sind dabei. Frau von der Leyen behauptet hingegen, es handele sich um Einzelfälle. Während Sie nichts taten, kommt die Leiharbeit nach der Krise wieder auf die Beine. Die Nachfrage nach billigen Hire-and-Fire-Kräften boomt. ({1}) Im Bundesdurchschnitt betrug der Anteil der Leiharbeit im Juni mehr als ein Drittel der offen gemeldeten Stellen; in Hamburg waren es sogar 55 Prozent. Schauen wir uns das verarbeitende Gewerbe an! Seit Juni 2009 sind knapp 120 000 feste Arbeitsplätze verloren gegangen. Gleichzeitig wurden 170 000 Leiharbeitsstellen geschaffen. Hier wird in großem Stil feste Arbeit in unsichere Arbeit umgewandelt. Die Kolleginnen und Kollegen der Leiharbeit bekommen bis zu einem Drittel weniger Lohn. Die Unternehmensstrategie heißt: Löhne kürzen. Jugendliche und Berufsanfänger sind dabei am stärksten betroffen. Mehr als die Hälfte der Leiharbeiter sind junge Erwachsene unter 35. Gestern fand in Hannover eine Demonstration von 800 Auszubildenden statt, die gegen Leiharbeit und prekäre Beschäftigung, für mehr Ausbildungsplätze und für eine gute Zukunft für sich als Jugendliche gekämpft haben. ({2}) Wie sollen die eine Familie gründen, ein Häuschen bauen oder ihre Zukunft planen? Gleiches Geld für gleiche Arbeit ist der Schlüssel und das Ende der Ausbeutung. Das wissen Sie eigentlich. Das alles kann man per Gesetz lösen. Aber das scheint die Bundesregierung nicht zu interessieren. Im Gegenteil: Sie zementieren mit Ihrem Gesetzentwurf ganz bewusst das Lohndumping in der Leiharbeit. Was Sie vorschlagen, Frau von der Leyen, schafft den Missbrauch in der Leiharbeit nicht ab. Der Vorschlag ist nichts anderes als gesetzlich geregelter Missbrauch in der Leiharbeit. Mehr noch: Der Vorschlag ist Anstiftung zum Missbrauch. Verhindert wird nur ein Ausnahmetatbestand der Leiharbeit: Der Arbeitgeber soll seine Beschäftigten nicht direkt in die Leiharbeit ausgliedern können, so wie es bei Schlecker der Fall war. Das ist der einzige Tatbestand, Herr Kober. Leiharbeit als systematisches Lohndumping im Betrieb bleibt erhalten. Es liegen drei Vorschläge der Opposition auf dem Tisch. Alle zielen darauf ab, die Leiharbeit zu begrenzen. All diese Vorschläge sind besser als der Regierungsentwurf. Gleiches Geld für gleiche Arbeit ist ein Menschenrecht. Dieses Recht will die Linke schützen, und zwar ohne Ausnahme und vom ersten Tag an. ({3}) Was in diesem Bundestag bisher unmöglich war, ist den Kollegen in der Stahlindustrie gestern gelungen; Frau Mast hat das gerade angesprochen. Meinen herzlichen Glückwunsch von dieser Stelle an die Kolleginnen und Kollegen in den Stahlbetrieben! ({4}) Ihnen ist es gelungen, in einem Flächentarifvertrag zum ersten Mal Equal Pay durchzusetzen. Dieser Flächentarifvertrag ist natürlich ein Tarifvertrag zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern. Er ist das Ergebnis einer Tarifrunde. Die Kolleginnen und Kollegen, die in den Stahlbetrieben arbeiten, haben dafür gekämpft. Sie haben die Forderung gestellt und deren Durchsetzung erreicht. Wenn es am Ende nicht so schnell gegangen wäre, hätten sie noch weiter dafür gestreikt. ({5}) Das ist aus meiner Sicher ein echter Durchbruch. Es geht also. Warum nicht für alle? Warum nicht in ganz Deutschland? Warum nicht per Gesetz? ({6}) Frau von der Leyen, beenden Sie diese haarsträubende Ungerechtigkeit! Ob Hartz-IV-Erhöhungen von 5 Euro oder das Weiter-so in der Leiharbeit: Das ist herzlose Politik. Das ist soziale Kälte. Das hat mit der Würde von Menschen und Arbeit nichts zu tun. Die Quittung dafür bekommen Sie hoffentlich demnächst auf der Straße, wenn Ihnen möglichst viele Menschen sagen, womit sie nicht einverstanden sind und dass sie sich eine andere Politik für dieses Land wünschen. Vielen Dank. ({7})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt die Kollegin Beate Müller-Gemmeke von Bündnis 90/Die Grünen.

Beate Müller-Gemmeke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004117, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Wirtschaftsminister Brüderle sagte in seiner Haushaltsrede, der Aufschwung sei ein Beschäftigungsaufschwung und das deutsche Jobwunder löse Hunderttausende persönlicher Konjunkturprogramme aus. ({0}) „Beschäftigungsaufschwung“ bedeutet aber für mich, dass reguläre Beschäftigung entsteht. Wir können momentan allerdings nur einen Aufschwung in der Leiharbeitsbranche verzeichnen. Die Zahl der Leiharbeitskräfte hat bereits im Juni den alten Rekord von Juli 2008, also vor der Krise, gebrochen. Laut Branche hat sie also mit 826 000 Leiharbeitskräften im Juni ihre Höchstmarke erreicht. Dieses Jobwunder kann ich nur als bedenklich bezeichnen. ({1}) Leiharbeitskräfte müssen jeden Euro fünfmal umdrehen. Von Anschaffungen, Urlaub und Freizeitaktivitäten können sie nur träumen. Leiharbeitskräfte sind vor allem junge Menschen. An Familienplanung ist nicht zu denken. Der Boom in der Leiharbeit löst daher wahrlich keine persönlichen Konjunkturprogramme aus, wie Minister Brüderle meint. Konjunktur hat einzig und allein das aufstockende Arbeitslosengeld II. Dennoch haben wir die Krise gut überstanden. Dazu hat vor allem das Zusammenhalten der Tarifpartner viel beigetragen. Der Regierung kann man allenfalls zugutehalten, dass sie dabei nicht wesentlich gestört hat. ({2}) In Sachen Leiharbeit hat das Arbeitsministerium aber schlichtweg versagt. ({3}) Seit Dezember wird angekündigt, dass das Arbeitsministerium etwas gegen den Missbrauch in der Leiharbeit vorlegen will. Im Bundestag wurde hierzu noch immer nichts beschlossen. Der Gesetzentwurf der Ministerin kommt schlichtweg zu spät und ist zudem nicht ausreichend. Damit wird sich die Leiharbeit weiter ausweiten. Schon lange fordern wir die Regulierung der Leiharbeit, damit im momentanen Aufschwung reguläre Beschäftigungsverhältnisse entstehen können. Die Bundesregierung hat aber nichts gegen den Aufbau prekärer Beschäftigungsverhältnisse getan. Das zeigt einmal mehr, wohin die Reise gehen soll. Der Niedriglohnbereich soll nicht begrenzt, sondern eher noch ausgebaut werden. Ich kann nur fragen: Wie weit wollen Sie das eigentlich noch treiben? In meinem Wahlkreis gibt es beispielsweise einen Betrieb mit 102 Festangestellten und über 80 Leiharbeitskräften. Das ist kein Einzelfall. Herr Kollege Kober kann diesen Betrieb in Reutlingen gern einmal besuchen. Immer mehr Menschen leben in Unsicherheit und Angst, und immer mehr Menschen müssen von niedrigen Löhnen leben. Sie, die Regierungsfraktionen, machen Politik gegen und nicht für die Menschen. ({4}) Ich fordere Sie auf: Sorgen Sie endlich dafür, dass die Leiharbeit nicht weiter reguläre Beschäftigung verdrängt und zur Absenkung der Löhne führt! Ich verzichte darauf, all unsere Forderungen gebetsmühlenartig zu wiederholen. Alle notwendigen Maßnahmen und Argumente können Sie in unserem Antrag nachlesen. Ich möchte unsere Forderung „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit“ in den Mittelpunkt stellen und mit der Haushaltswoche verbinden. Das Sparpaket ist und bleibt sozial unausgewogen. Sie könnten einen deutlich gerechteren Weg gehen. Regulieren Sie einfach die Leiharbeit! Führen Sie das Prinzip „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit“ ein! Beenden Sie die Subventionierung von Unternehmen! Damit reduzieren Sie die Ausgaben für aufstockendes Arbeitslosengeld II und entlasten den Haushalt. Gleichzeitig sorgen Sie so für höhere Steuereinnahmen und Mehreinnahmen bei den Sozialversicherungen. Machen Sie den Weg frei für reguläre Beschäftigung und faire Löhne! Das wäre wesentlich gerechter, als auf dem Rücken der Schwächsten in unserer Gesellschaft zu sparen. ({5}) Ich versichere Ihnen, dass Sie auch die Sympathie der Gewerkschaften, der Beschäftigten und der Opposition haben, wenn Sie diesen Schritt wagen. Ich versichere Ihnen, dass dann auch viele Arbeitgeber erleichtert sein werden, nämlich diejenigen, die das Instrument Leiharbeit nicht missbrauchen und gerechte Löhne zahlen. Denn diese Betriebe leiden unter der Konkurrenz, die die Löhne durch Leiharbeit drückt. Zeigen Sie endlich wirtschafts- und sozialpolitische Kompetenz! Sorgen Sie für einen fairen Wettbewerbsrahmen, indem Sie die Leiharbeit sozialverträglich ausgestalten! Degradieren Sie die Leiharbeitskräfte nicht zu Beschäftigten zweiter Klasse! Es wird Zeit, dass Sie die Leistung der Leiharbeitskräfte wirklich wertschätzen. Machen Sie endlich eine Politik des Respekts! Wie das geht - ich sagte es schon -, können Sie in unserem Antrag nachlesen. Vielen Dank. ({6})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Für die CDU/CSU hat jetzt das Wort die Kollegin Gitta Connemann. ({0})

Gitta Connemann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003514, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ein Virus geht um in diesem Haus - diesen Eindruck habe jedenfalls ich nach den Debattenbeiträgen der Opposition -, nämlich der Virus der Vergesslichkeit. ({0}) Denn die Regelungen, über die wir heute sprechen, sind nicht von dieser christlich-liberalen Koalition beschlossen worden, sondern sie sind das Ergebnis einer Reform aus dem Jahre 2003, ({1}) die seinerzeit „Hartz I“ genannt wurde und das Paradestück von Rot-Grün war. ({2}) Dieses Paradestück, das Sie heute vollkommen in Abrede stellen, hat - darauf dürfen Sie außerordentlich stolz sein - zu enormen Erfolgen am Arbeitsmarkt geführt. ({3}) Deswegen können wir heute über Helden reden. „Die Helden des Aufschwungs“, so hat das Magazin Focus die Zeitarbeitnehmer in Deutschland bezeichnet - zu Recht, denn ohne Zeitarbeitsbranche könnten wir uns nicht seit Monaten über sinkende Arbeitslosenzahlen freuen. Jede dritte neue Stelle in Deutschland kommt aus der Zeitarbeit. Auch in meiner Heimat hat sich der Arbeitsmarkt unglaublich gut entwickelt. Die neueste Meldung: Die Arbeitslosenquote ist dort mit 6,5 Prozent so niedrig wie vor 30 Jahren. Das ist ein unglaublicher Erfolg. ({4}) Die Agentur für Arbeit in meiner Heimatstadt Leer hat mir mitgeteilt, dass 40,7 Prozent des Zugangs an offenen Stellen aus der Zeitarbeit stammen.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Frau Kollegin Connemann, erlauben Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Pothmer?

Gitta Connemann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003514, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja, gerne.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Bitte schön.

Brigitte Pothmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003823, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Connemann, Sie haben gerade zum wiederholten Male darauf hingewiesen, dass es die rot-grüne Regierung war, die die Liberalisierung der Zeitarbeit durchgesetzt hat. Haben Sie, wie auch wir, zur Kenntnis genommen, dass das Ziel der Liberalisierung der Zeitarbeit, das darin bestand, Auftragsspitzen abzufedern, nicht erreicht werden konnte und die gesellschaftliche Realität so aussieht - dies wurde in vielen Untersuchungen von verschiedenen Instituten, unter anderem vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung, nachgewiesen -, dass die Betriebe die Liberalisierung der Leiharbeit stattdessen in erheblichem Umfang genutzt haben, um Stammbelegschaften zu ersetzen? Das war unser Impuls und war unser Ziel nicht. Ich frage Sie: Ist das Ihr Ziel? Wir haben diese Anträge jetzt eingebracht, weil wir feststellen mussten, dass es einen erheblichen Missbrauch gibt, der weit über Schlecker hinausreicht. Ich frage Sie: Sehen Sie diesen Missbrauch nicht? Sind Sie bereit, diesem Missbrauch entgegenzuwirken? ({0})

Gitta Connemann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003514, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Verehrte Frau Kollegin Pothmer, wenn jemand Missbrauch entgegenwirken will, dann ist das die christlichliberale Koalition. ({0}) Denn wir haben nach dem Vorfall Schlecker sofort gehandelt. Wir haben uns an die Tarifvertragsparteien gewandt und darum gebeten, dass eine Formulierung gefunden wird, um Schlecker und seine Genossen auszuschließen. ({1}) Ich betone das Wort „Genossen“. Die Auseinandersetzung mit Fällen wie Schlecker hat eines deutlich gemacht, nämlich dass es tatsächlich durchaus prominente Mitspieler gibt, angefangen von der Frankfurter Rundschau - wir haben bereits damals darüber gesprochen, dass die SPD an diesem Zeitungsunternehmen erhebliche Anteile hält ({2}) bis hin zu Unternehmen wie der AWO. Da muss etwas passieren. Es ist auch etwas passiert; ({3}) denn es war diese Bundesregierung mit Bundesministerin von der Leyen, die einen Entwurf vorgelegt hat, um einem Problem zu begegnen, das Sie bei Ihrer Gesetzgebung nicht erkannt haben. Frau Kollegin Pothmer, Sie haben mich nach der Zahl der IAB gefragt. Da fällt mir ein Wort von Konrad Adenauer ein, der einmal gesagt hat: Wir alle leben unter demselben Himmel, aber wir haben nicht alle denselben Horizont. - Wenn ich die Aussage der IAB lese, dann sagt mir das - Sie können es nachlesen; Sie kennen den Bericht sehr gut; ich habe jetzt das Zitat leider nicht dabei, aber ich schicke es Ihnen gerne -, dass die immer wieder gepflegte Behauptung, dass durch Leiharbeit massenweise Stammbelegschaft ersetzt worden ist, in keiner Weise empirisch belegt ist. ({4}) - Ich bin noch nicht fertig, Frau Pothmer; bitte bleiben Sie noch stehen. Sie haben mich in einer sehr langen Frage auf die IAB angesprochen. Dann darf ich Ihnen auch lange antworten. ({5}) Die IAB hat festgestellt, dass die durchschnittliche Einsatzzeit eines Leiharbeitnehmers in Deutschland unter drei Monate beträgt. Ein Arbeitseinsatz von drei Monaten ist sicherlich nicht geeignet, um Stammarbeitsplätze zu ersetzen. Das sollten Sie bitte zur Kenntnis nehmen. ({6}) Nehmen Sie doch einmal wahr, welche Potenziale die Zeitarbeit bietet! 90 Prozent der Zeitarbeitsunternehmen haben in einer Umfrage mitgeteilt, dass sie in den nächsten Monaten weitere Mitarbeiter einstellen wollen. Das ist eine gute Nachricht für eine Branche, die es durchaus schwer hat, nicht nur deshalb, weil sie diskreditiert wird, sondern auch deshalb, weil sie die erste war, die unter der Krise litt. Diese Branche büßte in der Krise als erste Branche Beschäftigung ein. Aber so rettete sie Stammbelegschaft. Auf diese Weise konnten Betriebe sehr kurzfristig auf Auftragseinbrüche reagieren. Jetzt, da es wieder aufwärtsgeht, gibt es in diesen Betrieben noch die Kernmannschaft. Hinzu kommen die Zeitarbeitnehmer, die eingestellt werden, um die Produktionsspitzen abzufedern. Damit hat die Zeitarbeit in Deutschland in der Krise die Wettbewerbsfähigkeit unserer Betriebe gestärkt. Damit hat die Zeitarbeit in Deutschland gemeinsam mit klugen Instrumenten wie der Kurzarbeit das Wunder am deutschen Arbeitsmarkt erst möglich gemacht. Bitte nehmen Sie das zur Kenntnis! ({7}) Deshalb stellt der Focus unter anderem fest: Für die Wirtschaft ist die Erfindung der Zeitarbeit ein Glücksfall. Ja, ein Glücksfall. Ich betone: nicht nur für die Wirtschaft, sondern auch für unseren Arbeitsmarkt. Aber wie reagieren Sie darauf, meine Damen und Herren von der Opposition? Diffamierend und diskriminierend. Dies beginnt übrigens schon bei Ihrer Wortwahl. Sie halten stoisch an der überkommenen Bezeichnung „Leiharbeit“ fest. Das ist diskriminierend; denn es gibt keinen Begriff, der auf Zeitarbeit weniger zuträfe als „Leihe“. ({8}) Gegenstände werden verliehen. 830 000 Zeitarbeitnehmer in Deutschland sind aber keine Sachen. Deshalb verstehe ich persönlich die Forderung nach einer entsprechenden Gesetzeskorrektur auch durchaus. Darauf gehen Sie in dem Reigen Ihrer Anträge übrigens nicht ein. Dort, wo es kneift, kneifen Sie selbst, meine Damen und Herren von der Opposition. Sie beschränken sich lieber darauf, Ihre Vorurteile zu pflegen. Frau Kollegin Mast, Sie haben in Ihrer Rede zunächst behauptet, Zeitarbeit sei eine prekäre, also eine unsichere Beschäftigung. Das ist falsch. ({9}) Tatsache ist: Jeder Zeitarbeitnehmer steht in einem normalen Arbeitsverhältnis. ({10}) Er genießt Kündigungsschutz, er hat Anspruch auf Lohnfortzahlung und auf Urlaub, nur die Arbeitsorte wechseln häufiger, wie übrigens auch bei Vertretern, Bauarbeitern und Fernfahrern. Die Liste ließe sich fortsetzen. ({11}) Frau Kollegin Mast, Sie behaupten, in der Zeitarbeit sei Lohndumping die Regel. Bitte nehmen Sie zur Kenntnis: Das ist falsch. - Tatsache ist: 98 Prozent der Zeitarbeitnehmer - ich wiederhole: 98 Prozent - fallen unter Tarifverträge. ({12}) Davon können viele Branchen nur träumen. ({13}) Es gibt einen Einstiegslohn für ungelernte Hilfskräfte im Osten von 6,40 Euro und im Westen von 7,60 Euro. ({14}) Diese wurden übrigens von den von Ihnen so diffamierten christlichen Gewerkschaften abgeschlossen. Was sagen Sie denn zu dem Abschlussverhalten von DGB-Mitgliedsgewerkschaften, die zum Beispiel in Thüringen Tarifverträge für Friseure abschließen? Wo ist da Ihre Kritik? ({15}) Sie behaupten weiter, Stammbelegschaften würden durch Zeitarbeitnehmer ersetzt. Das ist falsch. Tatsache ist: Nur 2 Prozent der Betriebe haben zu gleicher Zeit Zeitarbeitnehmer eingestellt und andere Beschäftigte entlassen. 98 Prozent der Betriebe verhalten sich glücklicherweise anders als Schlecker. Ihre Anträge und damit auch Ihre Forderungen basieren auf falschen Grundlagen. Deshalb lehnen wir sie ab. Ich persönlich bedaure es, dass Sie sich mit diesem außerordentlich wichtigen Thema nur so oberflächlich auseinandergesetzt haben; ({16}) denn es gibt ja tatsächlich Herausforderungen. Wir müssen die EU-Zeitarbeitsrichtlinie fristgerecht im Maßstab eins zu eins umsetzen. Wir müssen verhindern, dass sich Missbräuche wie bei Schlecker wiederholen. Für beides hat unsere Bundesregierung, hat Frau Bundesministerin Ursula von der Leyen zukunftsweisende Lösungen vorgelegt, die von Herrn Staatssekretär Brauksiepe auch bereits vorgestellt worden sind. Wir müssen auch eine Antwort auf die sich ab dem 1. Mai kommenden Jahres stellenden Herausforderungen finden: Wie können wir unsere inländischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber vor Billigkonkurrenz aus dem Ausland schützen? Hier stellt sich für mich die Frage: Kann hier mit dem Arbeitnehmer-Entsendegesetz geholfen werden, oder wäre hier nicht ein Referenztarifvertrag die bessere Lösung, ein Referenztarifvertrag, der von der Bundesregierung im Einvernehmen mit einer Branchenkommission festgesetzt wird? Sofern dieser unterschritten wird, könnte Equal Pay gelten.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Kommen Sie bitte zum Schluss, Frau Connemann.

Gitta Connemann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003514, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Wir müssen dafür sorgen, dass die klassische Zeitarbeit nicht wieder durch Umgehung diskreditiert wird. Ist die Überlassung eines Arbeitnehmers für mehr als ein Jahr wirklich noch Zeitarbeit? Diese Frage stellt sich mir. Hat Rot-Grün durch die unbegrenzte Öffnung der Höchstüberlassungsdauer nicht erst Scheinzeitarbeit provoziert? Das sind viele Fragen, die wir beantworten müssen. Leider können wir dabei nicht mit Ihrer Hilfe rechnen, aber wir werden diese Aufgabe auch selbst bewältigen. Vielen Dank. ({0})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Als letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt hat nun der Kollege Ulrich Lange von der CDU/CSU-Fraktion das Wort.

Ulrich Lange (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004087, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich begrüße Sie ganz herzlich. Herzlich willkommen zur Quartalsrede Zeitarbeit. Es hat sich nichts geändert; wir brauchen auch keine Zwischenfragen mehr. ({0}) - Ja, natürlich, es hat sich nichts geändert. Ich habe bereits zweimal eine Rede dazu gehalten. Lesen Sie sie! Ich werde nicht alles wiederholen. ({1}) Es ist wie beim Vokabellernen: Manche merken sich gute Argumente, manche merken sich gute Argumente nicht. - Sie scheinen sie sich nicht merken zu können. ({2}) Ihnen scheint entgangen zu sein, dass wir zwischenzeitlich mit allen vier großen Arbeitgeberverbänden und zwei Gewerkschaften Mindestlöhne in der Zeitarbeit vereinbart haben. Das bedeutet, dass nahezu die gesamte Branche einen vollständigen Tarifvertrag mit Mindestlohn hat. Das beweist die Stärke unseres Systems. Bei uns bestimmen die Tarifparteien - die selbst Sie eben noch so gelobt haben, Frau Kollegin Krellmann - und nicht der Staat die Löhne, und das ist gut so. ({3}) Eines ist damit klar geworden - das hat sich auch bei der Anhörung gezeigt -: Die Zeitarbeitsbranche selbst ist daran interessiert, aus der Schmuddelecke herauszukommen. Denn wofür steht seriöse Zeitarbeit? Sie steht für eine Brücke in die Arbeit für Menschen, die sonst schlechte Chancen haben, für die Flexibilisierung bei Auftragsspitzen und Auftragsflauten, für Perspektiven, in den Arbeitsmarkt zu kommen, und außerdem für voll sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse. Vergessen Sie das nicht! Zeitarbeit ist auch Arbeitnehmerschutz, und zwar in vollem Umfang: Kündigungsrecht, Teilzeit, Befristung und Urlaub. Für die Zeitarbeit gelten alle Arbeitnehmerschutzrechte. Staatssekretär Brauksiepe hat es angesprochen: Unsere Ministerin hat wie versprochen gehandelt. Wir haben den ersten Entwurf auf dem Tisch liegen. Wir wollen den Drehtüreffekt konsequent verhindern, wir wollen einen Zugang zu den Gemeinschaftseinrichtungen und konsequent eine Unterrichtungspflicht über freie Arbeitsplätze in den Einsatzunternehmen. Wir sind auf dem richtigen Weg. Wir sind im Laufe des Jahres Schritt für Schritt vorangekommen. Meine Damen und Herren von Rot-Grün, es ist unerträglich, dass Sie jedes Mal Ihre Ära der schrankenlosen Liberalisierung im Arbeitsrecht negieren wollen. Aber das lassen wir nicht zu. Sie waren es, die Equal Pay ausgehöhlt haben. Sie waren es, die Missbrauch legalisiert haben. Nur ein kleiner Hinweis, Frau Kollegin Mast: Meines Wissens bestand bei Hartz I keine Zustimmungspflicht durch den Bundesrat. Das haben Sie hier alleine beschlossen. ({4}) Wir, die christlich-liberale Koalition, reparieren heute Ihre Baustellen: gestern Hartz IV, heute die Zeitarbeit. Wir haben das aufzuräumen, was Sie hinterlassen haben. ({5}) Hören Sie auf mit Ihrem Populismus. 5 Millionen Arbeitslose waren Ihre Hypothek. Heute sind wir knapp über der 3-Millionen-Grenze, und wir werden sie noch unterschreiten. Meine Damen und Herren von der SPD, hören Sie mit Ihrer „Hartzer Rolle rückwärts“ auf. Ihr ehemaliger, verdienter Arbeitsminister hat einmal gesagt: „Opposition ist Mist“. Ihre Opposition ist zurzeit ganz großer Mist. Zeigen Sie endlich Rückgrat. Treffen Sie fachliche Entscheidungen. Wir stehen vor einem Jobwunder. Helfen Sie mit, dass es in Deutschland weiterhin greift. Ich wünsche Ihnen in diesem Sinne einen schönen 3. Oktober in einem guten Deutschland mit guten Arbeitsplätzen. Herzlichen Dank. ({6})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschus- ses für Arbeit und Soziales auf Drucksache 17/3082. Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Be- schlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion der SPD auf Drucksache 17/1155 mit dem Titel „Fairness in der Leiharbeit“. Wer stimmt für diese Be- schlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist angenommen mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Fraktionen der SPD und der Grünen bei Enthaltung der Fraktion Die Linke. Unter Buchstabe b empfiehlt der Ausschuss die Ab- lehnung des Antrags der Fraktion Die Linke auf Drucksache 17/426 mit dem Titel „Lohndumping ver- hindern - Leiharbeit strikt begrenzen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Ent- haltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stim- men der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Fraktion der SPD angenom- men. Schließlich empfiehlt der Ausschuss unter Buch- stabe c seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksa- che 17/551 mit dem Titel „Zeitarbeitsbranche regulieren - Missbrauch bekämpfen“. Wer stimmt für diese Beschluss- empfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist wiederum mit den Stimmen Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Linken und der Grünen bei Enthaltung der SPD-Fraktion ange- nommen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 29 a und b auf: a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Monika Lazar, Sven-Christian Kindler, Tom Koenigs, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Daueraufgabe Demokratiestärkung - Die Auseinandersetzung mit rassistischen, antisemitischen und menschenfeindlichen Haltungen gesamtgesellschaftlich angehen und die Förderprogramme des Bundes danach ausrichten - Drucksache 17/2482 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ({0}) Innenausschuss Haushaltsausschuss b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulla Jelpke, Jan Korte, Matthias W. Birkwald, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Auseinandersetzung mit Rechtsextremismus verstärken - Bundesprogramme gegen Rechtsextremismus ausbauen und verstetigen - Drucksache 17/3045 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ({1}) Innenausschuss Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile als erster Rednerin der Kollegin Monika Lazar vom Bündnis 90/Die Grünen das Wort.

Monika Lazar (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003714, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Auseinandersetzung mit Rechtsextremismus, Rassismus, Antisemitismus und anderen Formen der gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Um nachhaltig Erfolge zu erzielen, braucht man einen langen Atem. Initiativen müssen inhaltlich weitgehend unabhängig von staatlichem Einfluss wirken können. Es ist ein Austausch auf Augenhöhe zwischen Initiativen und den zuständigen Stellen auf allen Ebenen nötig. Es muss gesichert werden, dass erfolgreiche Strukturen und Projekte dauerhaft Förderung erhalten. ({0}) Deshalb fordern wir die Bundesregierung, aber auch die Länder auf, die erfolgreichen Programme auf hohem Niveau fortzusetzen, sie weiterzuentwickeln und zu verbessern. In unserem Land werden bundesweit rassistisch und rechtsextrem motivierte Gewalttaten begangen. Das reicht von Beschimpfung und Diskriminierung bis hin zu Mord. Vor diesem Hintergrund ist es nicht nachvollziehbar, warum es nicht einen zügigen Aufbau von Opferberatungsstellen auch in den westlichen Bundesländern gibt. Alles, was die Bundesregierung in einem aktuellen Bericht dazu vorlegt, ist die Aussage: Die Entscheidung über solche strukturellen Fragen obliegt den Ländern. So einfach sollte man es sich aber nicht machen. ({1}) Ich erwarte, dass auch der Bund seiner Verantwortung für Opfer rechter Gewalt gerecht wird und sich die betroffenen Opfer nicht erst Hunderte von Kilometern zu den Anlaufstellen bewegen müssen. In Ostdeutschland wurden die Opferberatungsstellen schon vor Jahren unter Rot-Grün aufgebaut. Leider gibt es dort jedes Jahr Probleme wegen finanzieller Schwierigkeiten. Eine dieser Einrichtungen mit Problemen ist die Opferberatung in Sachsen. Sie berichtete mir vor wenigen Tagen über ihre Lage. Im Frühjahr dieses Jahres beantragte sie Mittel in Höhe von 100 000 Euro, wovon jeweils die Hälfte der Bund und das Land Sachsen tragen sollten. Die Mittel von Sachsen erhielt sie, aber im September kam ein Schreiben vom Bund, dass keine Mittel mehr verfügbar seien. Ob das Land die fehlende Summe ersetzen wird, ist unklar, aber ich glaube es nicht angesichts der Sparmaßnahmen, die auch Sachsen ergreift. Damit wird es ab Oktober zu deutlichen Stellenkürzungen kommen müssen. Von einer professionellen und flächendeckenden Arbeit kann daher keine Rede sein. Ich fordere die Bundesregierung auf, sich mit den Ländern verbindlich darüber zu verständigen, wie man wichtige Strukturen erhalten und Planungssicherheit gewährleisten kann. ({2}) Dieses Beispiel zeigt: Wir brauchen eine langfristige, verlässliche Förderstrategie. Die Konzentration auf Extremismus, die dem Programm ab dem nächsten Jahr zugrunde liegen soll, führt zu einem falschen Ansatz. Das kritisiert auch die Linksfraktion in ihrem Antrag, der heute parallel zu unserem beraten wird. Zu Recht beanstandet sie darin, dass sich aus dieser Extremismustheorie keine Konzepte für präventive Arbeit ableiten lassen. Die Bundesregierung hat in diesem Bereich auch noch keine Konzepte, wie sich bei verschiedenen Nachfragen der Opposition auch in anderen Bereichen - zum Beispiel zum Bündnis für Demokratie und Toleranz, das sich in den letzten Jahren diesen Themen gewidmet hat gezeigt hat. Dort gibt es einfach nichts. ({3}) Herr Kues, Sie können uns ja in der nächsten Woche im Ausschuss etwas vorlegen. Bis jetzt gibt es leider nur heiße Luft. Wir müssen demokratische und tolerante Haltungen und Handlungsweisen in der gesamten Gesellschaft - kindgerecht, angefangen bei den Kleinsten - dauerhaft stärMonika Lazar ken. Und da war das, was der Staat gestern in Stuttgart vorgemacht hat, kein Beweis für Demokratie. ({4}) Die Förderung muss auf zivilgesellschaftliche Ansätze ausgerichtet sein und verstetigt werden. Es ist notwendig, die in Ostdeutschland entwickelten erfolgreichen Standards, besonders bei mobiler Beratung und bei Opferberatung, auf die alten Bundesländer zu übertragen. Das neue Programm soll anders gestrickt werden. Wir haben genügend Forderungen vorgelegt. Fördern Sie zielgerecht Aktivitäten gegen Rechtsextremismus, Rassismus, Antisemitismus und andere Formen der gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit, und das nicht nur an den vermeintlich extremen Rändern, sondern auch in der Mitte der Gesellschaft! ({5}) Gute lokale Aktionspläne, mobile Beratungsteams und Opferberatungsstellen müssen langfristig gesichert oder - wie in Westdeutschland - überhaupt erst aufgebaut werden. Ganz wichtig ist, dass auch kleine Träger und alternative Projekte Förderchancen erhalten. Sie brauchen ein Antragsrecht direkt beim Bund. Solche Mittel sind mit Sicherheit eine sinnvolle Investition in unsere Demokratie. Zum Schluss noch einmal meine Forderung: Beziehen Sie bei der Neugestaltung der Bundesprogramme die Wirklichkeit, die Erfahrungen aus der Praxis und auch die Erfahrungen der Opposition mit ein! Vielen Dank. ({6})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt der Kollege Eckhard Pols von der CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Eckhard Pols (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004131, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Verpackung und Inhalt klaffen leider zu oft auseinander. Das können wir immer wieder der Zeitschrift der Stiftung Warentest entnehmen, die gern über Mogelpackungen berichtet. Ähnlich wie es sich mit dem Unterschied zwischen Verpackung und Inhalt verhält, verhält es sich auch mit Ihrem Antrag, meine Damen und Herren von Bündnis 90/Die Grünen. ({0}) In der Überschrift zu Ihrem Antrag heißt es „Daueraufgabe Demokratiestärkung“. Das ist eine Aufgabe, der sich die demokratischen Fraktionen dieses Hauses selbstverständlich verpflichtet fühlen. Auch Ihre Analyse unter Nummer I kann ich in einigen Aspekten teilen. Sie schreiben: Jeder Form von Menschenfeindlichkeit und ideologisch motivierter Gewalt muss entgegengetreten werden, selbstverständlich auch dann, wenn sie aus dem linken politischen Spektrum kommt oder islamistisch motiviert ist. - Das ist ein Satz, der quasi auch von der Union stammen könnte. So viel zur Verpackung. Nun geht es aber in Ihrem Forderungskatalog ans Eingemachte, nämlich an den Inhalt der Verpackung. Beim Eingemachten ist es dann mit unseren Gemeinsamkeiten schnell vorbei, Frau Lazar. Sie bemängeln, dass das Antragsrecht für die Fördermittel des Programms „Vielfalt tut gut“ auf die Kommunen beschränkt ist. Sie kritisieren, dass die Gemeinden so politisch unliebsame Projektträger von den Förderungen ausschließen könnten. ({1}) Ich meine, die meisten Kommunalpolitiker werden sehr wohl wissen, was für die Demokratie vor Ort gut ist und was nicht. ({2}) Ich setze da auf die Erfahrungen und den gesunden Menschenverstand dieser Kommunalpolitiker in den Kreisen, Städten und Gemeinden. ({3}) Damit der Kampf gegen Extremismus weiterhin vor Ort fest verankert werden kann, ist es eben unbedingt notwendig, die Mandatsträger in den Städten und Gemeinden an diesen Entscheidungsprozessen zu beteiligen. Die Grünen und die Linke fordern ein ergänzendes Programm für freie Träger mit direktem Antragsrecht. ({4}) Das würde die Beteiligung der Kommunen beschneiden. Zu dem Weg über die Kommunen gibt es jedoch keine Alternative; ({5}) denn eine dauerhafte Förderung von Kleinstprojekten durch den Bund verstößt gegen die verfassungsmäßige Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern. ({6}) Der Erfolg von „Vielfalt tut gut“ zeigt, wir sind da auf dem richtigen Weg. Die von Ihnen schon angesprochenen lokalen Aktionspläne - bisher sind es 90 - werden weitergeführt, und zusätzlich werden 90 weitere Projekte gefördert. Die Ausschreibung für diese zusätzlichen lokalen Aktionspläne läuft in Kürze an, und die Nachfrage ist jetzt schon deutlich erkennbar. ({7}) Fragwürdig ist natürlich auch die Forderung der Grünen, von einer Regelüberprüfung engagierter Initiativen gegen Rechtsextremismus durch den Verfassungsschutz abzusehen. ({8}) Zum einen finden überhaupt keine regelmäßigen Überprüfungen statt. Zum anderen sollte gerade eine Organisation, die sich der Extremismusbekämpfung und der Demokratieförderung verschrieben hat, nichts zu verbergen haben. Ein klares Bekenntnis zu unserer Verfassung sollte da eine Selbstverständlichkeit sein. ({9}) Jeder meiner Handwerkskollegen muss zum Beispiel eine Tariftreueerklärung abgeben, wenn er einen öffentlichen Auftrag erhalten will. Zur Sicherheit führen wir die Abgabe einer Erklärung zur Verfassungstreue als neue Bedingung für die Gewährung von Fördermitteln ein. Es ist daher schon erstaunlich, dass einige Linke und selbsternannte antifaschistische Organisationen anscheinend ein Problem damit haben. Sowohl Bündnis 90/Die Grünen als auch die Linke fordern, auf die Ausweitung der Bundesprogramme auf Linksextremismus und Islamismus zu verzichten. Ich verstehe nicht, warum Sie dem Staat auf dem linken Auge ein Pflaster verpassen wollen. Jede Form des Extremismus ist eine Gefahr für unsere Demokratie, egal ob er links, rechts oder religiös motiviert ist. ({10}) Deshalb setzt zum Beispiel das Programm „Zusammenhalt durch Teilhabe“ bereits sehr frühzeitig an. Es handelt sich hierbei um ein vorbeugendes Programm, welches auf die Stärkung eines friedfertigen und gedeihlichen Zusammenlebens abzielt. Wir wollen so bereits im Vorfeld Ängsten und Vorverurteilungen den Nährboden entziehen. Extremismus darf gar nicht erst entstehen, liebe Kolleginnen und Kollegen. Ein grundlegendes Problem Ihrer Forderungen ist, dass linksextremen Vereinigungen, zum Beispiel die selbsternannte Antifa oder SJD - Die Falken, Tür und Tor geöffnet wird, um mit Steuergeldern ihre Aktivitäten zu finanzieren. ({11}) - Hören Sie zu! - Derartige Organisationen berufen sich auf Antifaschismus, um so ihre eigene Ideologie zu rechtfertigen, welche sich in Wahrheit gegen unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung richtet. Wir unterscheiden zwischen demokratischen Antifaschisten und nichtdemokratischen Antifaschisten. Es ist doch so: Aus einem Linksextremisten wird nicht automatisch ein Demokrat, nur weil er sich als Antifaschist bezeichnet. Wir wollen keine Förderung linksextremer und antidemokratischer Aktivitäten mit dem Geld der Bürger. ({12}) Der Kampf gegen Rassismus, Antisemitismus und Intoleranz ist ein Kennzeichen einer wehrhaften Demokratie. Wir wollen das Demokratiebewusstsein von Kindern und Jugendlichen von Anfang an stärken, um sie so vor Extremismus jeglicher Art zu schützen. Deshalb haben wir den Haushaltsansatz zur Bekämpfung des Extremismus und zur Stärkung der Demokratie um 5 Millionen Euro auf insgesamt 29 Millionen Euro erhöht. Das ist der höchste Ansatz seit 2001, Frau Lazar. Von Kürzung kann hier also keine Rede sein. Das Familienministerium hat die Maßnahmen zur Stärkung von Vielfalt, Toleranz und Demokratie entsprechend gebündelt und logischerweise in einem Haushaltstitel zusammengeführt. Wir wollen auf administrativer Ebene für die Projektpartner die Betreuung aus einer Hand ermöglichen. Meine Damen und Herren, wir, die christlich-liberale Koalition, und die Regierung der Mitte sind weder auf dem linken noch auf dem rechten Auge blind. Bei uns stimmen Verpackung und Inhalt überein. Vielen Dank. ({13})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat der Kollege Sönke Rix von der SPDFraktion.

Sönke Rix (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003830, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Auf die kruse Vorstellung, gerade Die Falken als linksextrem zu bezeichnen, will ich jetzt hier gar nicht eingehen. ({0}) - Sie mussten noch einmal nachlesen, was Ihnen aufgeschrieben worden ist. Die Falken als linksextrem zu bezeichnen, Herr Kollege, dazu gehört schon etwas. Ich schlage Ihnen vor: Überprüfen Sie das, bevor Sie solche Äußerungen hier in diesem Hause wiederholen! Jedes Jahr, liebe Kolleginnen und Kollegen, immer ungefähr zur Haushaltsdebattenzeit, unterhalten wir uns über die Programme zur Förderung von Demokratie und Toleranz, zur Bekämpfung von Rechtsextremismus oder von Extremismus allgemein. Das geschieht jedes Jahr wieder und alle vier Jahre ganz besonders, weil alle vier Jahre neue Förderrichtlinien auf den Markt geworfen werden. Zur Überprüfung dieser Richtlinien und zur Überprüfung der Programme will ich im Moment noch nicht viel sagen. Aber das, was man bisher trotz aller Geheimhaltung hört, vor allen Dingen die Rückmeldungen, die man von den Trägern der Programme bekommt, besagen, dass wir in den vergangenen Jahren in diesem Bereich gute Arbeit geleistet haben. Unseren Dank verdient haben insbesondere die zivilgesellschaftlichen Organisationen, die sich hier trotz der Bürokratie, trotz der jedes Jahr von neuem zu stellenden Anträge und trotz der alle vier Jahre neuen Richtlinien engagiert haben. ({1}) Ich gebe aber zu, dass es viel zu verbessern gibt. Auch während der Zeit der Großen Koalition hat sich nicht immer alles so entwickelt, wie sich die Sozialdemokraten das vorgestellt haben und wie sie es vielleicht umgesetzt hätten, wenn sie allein regiert hätten. Weniger Bürokratie brauchen wir unbedingt bei diesen Programmen. Wir brauchen auch so etwas wie einen Feuerwehrtopf, eine Möglichkeit, um kurzfristig auch kleinere Projekte zu unterstützen. Das ist bisher nicht vorgesehen. Ich appelliere an die Bundesregierung, so etwas auf den Weg zu bringen. ({2}) Generell brauchen wir einfach weniger Projektitis im Kampf gegen Rechtsextremismus bzw. - um es positiv zu formulieren - im Kampf für Demokratie und Toleranz. Wir brauchen das als eine stetige Aufgabe, sodass wir uns nicht jedes Jahr darüber unterhalten müssen, ob es genügend Mittel und vernünftige Strukturen gibt. Als wir über Antisemitismus diskutiert haben, haben wir fraktionsübergreifend beschlossen, dass wir den Kampf gegen Antisemitismus und damit auch gegen Rechtsextremismus verstetigen wollen. Leider hat die Bundesregierung hierzu bis dato noch nichts vorgelegt. ({3}) Am Montag hatte ich ein Treffen mit einigen Vertretern der Vereine und Verbände, die diese Programme betreiben. Monika Lazar war auch dabei. Keiner von ihnen wusste irgendetwas über die neuen Leitlinien. ({4}) Wir als Parlamentarier haben sowieso vorher nichts erfahren. Damit kann man manchmal schon leben. Wenn man aber der Auffassung ist, dass Demokratiestärkung nur durch die Zivilgesellschaft selbst möglich ist, dann sollte man aber auch die Zivilgesellschaft und die Organisationen bei der Erarbeitung der Richtlinien mit einbinden. Das ist leider nicht passiert, und das ist ganz scharf zu kritisieren. ({5}) Das spricht insgesamt dafür, dass eine Demokratieoffensive dieser Bundesregierung nicht stattfindet. Man muss sich nur einmal die Website der Bundesfamilienministerin anschauen. Die Bekämpfung von Rechtsextremismus findet dort nur ganz am Rande statt. Die Aufgabe muss aber offensiv angegangen werden, Projekte für Demokratie und für Toleranz auf den Weg zu bringen. Das muss eine Aufgabe nicht nur der Familienministerin, sondern der gesamten Bundesregierung sein. Ich vermisse jedoch ein Gesamtkonzept der schwarzgelben Koalition. ({6}) Ich appelliere deshalb noch einmal an die Mehrheit in diesem Hause, insbesondere vor dem Hintergrund der Haushaltsdebatte, dass sie den Kampf gegen Rechtsextremismus ernst nimmt und diesen vernünftig mit finanziellen Mitteln ausstattet. Ich appelliere an Sie, ein Konzept vorzulegen, das aufzeigt, wie dieser Kampf gegen Rechtsextremismus verstetigt werden kann. Entwickeln Sie endlich ein Gesamtkonzept und binden Sie die Zivilgesellschaft dabei ein! Abschließend zitiere ich aus einem Papier des „Weltoffenen Sachsen“: Gelebte Demokratie ist die beste Rechtsextremismusbekämpfung. - Fangen wir damit an. Ich hoffe, Sie sind dabei. Danke schön. ({7})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt der Kollege Florian Bernschneider von der FDP-Fraktion. ({0})

Florian Bernschneider (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004009, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Bundesrepublik Deutschland ist eine wehrhafte Demokratie. Sie ist eine wehrhafte Demokratie, weil die Mütter und Väter unseres Grundgesetzes richtige und wichtige Schlüsse aus der jüngsten deutschen Geschichte gezogen haben, weil sie erkannt haben, dass es wichtig ist, gegen Verfassungsfeinde nicht erst vorzugehen, wenn sie straffällig werden, sondern bereits vorher. Deswegen ist es richtig, dass wir an dieser Stelle immer wieder über präventive Ansätze diskutieren. Es ist aber falsch, diese präventiven Ansätze an Opferzahlen festzumachen. ({0}) - Der Antrag der Grünen führt sogar bereits in der Einleitung die Opferzahlen auf. Meine Damen und Herren, wenn es zu Opfern kommt, dann ist es für präventive Ansätze zu spät. Dann ist das ein Fall für die Justizbehörden. Eine wehrhafte Demokratie reagiert früher. Sie reagiert, bevor es zu Straftaten kommt. Deswegen ist es für eine wehrhafte Demokratie auch nicht hinnehmbar, dass man sich bei Facebook mit Heinrich Himmler befreundet sein. Genauso wenig ist es für eine wehrhafte Demokratie akzeptabel, dass Rechtsradikale CDs mit Hassparolen auf Schulhöfen verteilen. Meine Damen und Herren, bitte erklären Sie mir aber, warum es für eine wehrhafte Demokratie in Ordnung ist, wenn die Antifa Flyer mit der Aufschrift „Frei sein, high sein, Terror muss dabei sein“ vor Schulen verteilt. Bitte erklären Sie mir doch einmal, warum eine wehrhafte Demokratie wegschauen sollte bei Überschriften wie „Hassprediger werben um Jugendliche“. Warum soll eine wehrhafte Demokratie wegschauen, wenn Pierre Vogel auf YouTube mit einem Berliner Rapper für seine radikalen Glaubenssätze wirbt? Der Antrag der Linkspartei gibt uns einmal mehr keine Antwort darauf. ({1}) Sie schaffen es einmal mehr, ganze vier Seiten zu füllen, ohne überhaupt einmal das Wort „Linksextremismus“ zu benutzen. ({2}) - Ja, genau. Ich wollte gerade fragen, ob Sie das Wort „Linksextremismus“ nicht schreiben können. Zumindest wollen Sie es nicht erwähnen. ({3}) - Ja, ich kann Ihnen sagen, warum Sie keine Lust haben, sich damit auseinanderzusetzen. ({4}) Das würde ja bedeuten, auch einmal das Demokratieverständnis der eigenen Mitglieder genauer unter die Lupe zu nehmen. ({5}) Die Grünen sind Ihnen da, meine Damen und Herren von der Linkspartei, jedenfalls einen Schritt voraus. Sie erkennen in ihrem Antrag an, dass man „jeder Form von Menschenfeindlichkeit und ideologisch motivierter Gewalt“ entgegentreten muss. Aber welche Schlüsse ziehen Sie daraus? In der Begründung ihres Antrags heißt es: Eine „Ausdehnung der Programmmittel auf den Kampf gegen ‚Linksextremismus‘ und ‚Islamismus‘“ wäre „inhaltlich falsch“ und würde die Gefahr befördern, „dass mittelfristig die Mittel für den Kampf gegen“ Rechtsextremismus „gekürzt werden“. Meine Damen und Herren, was soll uns das sagen? Handelt es sich bei den Grünen um Extremismusprävention nach Kassenlage? Vor diesem Hintergrund möchte ich Sie beruhigen - entsprechende Vorwürfe werden uns ja immer vorgehalten -: Diese Bundesregierung hat nicht vor, die Mittel im Bereich Extremismusprävention zu kürzen. ({6}) Wir erweitern den Blick auf extremistische Gefahren - das stimmt -, aber wir erhöhen auch die Mittel, die wir dafür brauchen. ({7}) Deswegen wird der Titelansatz auch von 19 auf 29 Millionen Euro erhöht, um mehr als 50 Prozent. Man kann uns also nicht vorwerfen, weder den Kolleginnen und Kollegen von der Unionsfraktion noch uns, dass wir die von Rechtsextremismus ausgehende Gefahr nicht ernst nehmen. Wir erweitern jedoch den Blickwinkel. Ich würde mir die gleiche Ernsthaftigkeit auch bei Ihnen wünschen, wenn es um andere Gefahren als Rechtsextremismus geht. ({8}) Die Grünen kritisieren dann in ihrem Antrag außerdem unser Verständnis von Extremismusbekämpfung und überhaupt den Begriff des Extremismus. Das überrascht mich, weil es eine lange Rechtsprechungstradition des Bundesverfassungsgerichts gibt, auf die wir zurückgreifen können, um zu verdeutlichen, was unter Rechtsextremismus zu verstehen ist und was eine verfassungsfeindliche Gruppe ist. ({9}) Daran hat sich seit Rot-Grün nichts geändert. Es wurde auch keine neue Definition von Extremismus aufgestellt, seitdem die Regierung gewechselt hat. Aber natürlich - darin sind wir uns ja einig und darüber brauchen wir nicht zu streiten - kann man nicht mit den gleichen Mitteln Rechtsextremismus, Linksextremismus und Islamismus bekämpfen. Das hat diese Bundesregierung aber auch gar nicht vor. Wir setzen noch wesentlich früher an. Wir wollen schon an dem Punkt ansetzen, wo sich Jugendliche noch gar nicht im Umfeld einer extremistischen Bewegung befinden. Bei Prävention geht es nicht nur darum, gegen etwas zu mobilisieren, sondern vor allem darum, für etwas zu begeistern: für Demokratie, für Vielfalt, für Toleranz. Wir glauben, wenn jemand dieses Rüstzeug mit sich trägt - Demokratie, Vielfalt und Toleranz -, dann ist er immun gegen jede Form von Extremismus und erkennt in jeder Form von Extremismus das Falsche. Deswegen setzen wir mit unserem Programm auch genau hier an und erweitern den Blick. Das ist der richtige Weg. Ich würde mich freuen, wenn Sie endlich aufhörten, einen verengten Blick auf die Thematik zu richten, und uns dabei unterstützten, etwas Vernünftiges in diesem Bereich zu erreichen. Vielen Dank. ({10})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat die Kollegin Ulla Jelpke von der Fraktion Die Linke.

Ulla Jelpke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001023, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Auch die Linke meint, dass die Bundesprogramme gegen Rechtsextremismus und für Demokratie seit vielen Jahren eine wichtige und unverzichtbare Arbeit in den Ländern und Kommunen leisten. Die intensive Auseinandersetzung mit Nazistrukturen hat Früchte getragen. Das muss man ganz klar sagen. Wir messen das vor allem daran, dass es gelungen ist, Neofaschismus, Rassismus und Antisemitismus zu einem öffentlichen Thema zu machen, um Aufmerksamkeit und Gegenwehr mobilisieren zu können. Doch die Träger dieser unbestreitbar sinnvollen Projekte müssen sich seit Jahr und Tag gegen Beschränkungsversuche und Bevormundung wehren. Sie müssen teilweise jedes Jahr aufs Neue, wie wir schon gehört haben, um ihre Existenz bangen. Deshalb hat die Linke einen eigenen Antrag vorgelegt. Wir wollen erreichen, dass die Bundesprogramme langfristig abgesichert werden und ihre Ausweitung auch nach Westdeutschland möglich ist, ohne andere bestehende Programme finanziell einzuschränken. Meine Damen und Herren, wir meinen, der Kampf gegen Neofaschismus muss uns das wert sein. ({0}) Herr Pols, ein Problem, auf das Sie in diesem Zusammenhang aufmerksam gemacht haben, stellt sich auf kommunaler Ebene häufig genau andersherum dar, als Sie es hier dargestellt haben. Es ist der Versuch, die realen Naziprobleme zu verschweigen oder zu verharmlosen. Das gibt es immer wieder. Bloß nicht den Finger in die Wunde legen, bloß nicht zugeben, dass es in unserer Gemeinde Nazis gibt, ist das Motto leider allzu vieler Kommunen und Verwaltungen. Die Programme haben hier den Druck wesentlich erhöht. Mit dem Ignorieren oder stillschweigenden Tolerieren von Angriffen auf Migranten, Obdachlose oder auf Antifaschisten muss endlich Schluss gemacht werden. Sie haben für Aufmerksamkeit gesorgt, wenn es rassistische Vorfälle gab, beispielsweise in Fußballstadien, aber auch, wenn es um Nazischmierereien ging. Umso unverständlicher ist es für uns, dass vor allem in der Unionsfraktion ständig blockiert und gebremst wird. Sie versuchen schon seit Jahren, die Programme an die politische Kandare zu nehmen und sie wieder verstärkt unter Verwaltungsbürokratie zu bringen. In diesem Zusammenhang nenne ich in der Tat noch einmal Ihre Versuche, die Projekte verfassungsschutzmäßig in die Regelanfrage hineinzunehmen, oder dass, wie kürzlich geschehen, die Ministerin eine Kampagne gegen a.i.d.a. macht, gegen ein Zentrum in München, das Antifa-Dokumentationen archiviert. Jetzt hat das oberste Gericht entschieden, dass es aus dem Verfassungsschutzbericht herausgenommen werden muss. Ich halte es für einen Skandal, Projekte immer wieder als linksextremistisch zu verdächtigen. ({1}) Ausschlaggebend dafür ist die Kalter-Krieg-Mentalität, die in der Union immer noch Misstrauen gegen Antifaschismus hervorbringt. Da kann ich nur sagen: Für die Fraktion Die Linke ist Antifaschismus kein Ausdruck einer besonderen linksradikalen Gesinnung, sondern schlichtweg eine demokratische Selbstverständlichkeit. ({2}) Deswegen fordern wir auch: Die Bundesprogramme sollen nicht länger Modellprojekte sein, sondern dauerhaft gefördert werden. Dafür brauchen Sie mehr Geld. Das gilt auch für die zahlreichen lokalen Aktionspläne. Es darf nicht sein, dass sinnvolle Projekte dort, wo sie nötig wären, aus Geldmangel ausfallen müssen oder nur auf Kosten anderer Projekte stattfinden können. Zudem müssen auch im Westen unbedingt Beratungsstellen für die Opfer rassistischer und rechtsextremistischer Angriffe aufgebaut werden. Jeder Versuch, den Kampf gegen Neonazismus zu verwässern, ist verantwortungslos. Das sage ich vor allem auch mit Blick auf die Bundesregierung, die ohne jedes Konzept - Herr Bernschneider, Sie haben es eben angesprochen - eine Extremismusdebatte anzettelt. Sie ist noch nicht einmal in der Lage, uns eine klare Auskunft darüber zu geben, was eigentlich das Problem des Linksextremismus ist. ({3}) - Schauen Sie sich die vielen Kleinen Anfragen an. Die Bundesregierung ist nicht in der Lage, dies auch nur annähernd zu beschreiben. Dennoch wirft sie für diese Projekte Millionen aus dem Fenster. Ich will nur daran erinnern, dass im letzten Haushaltsjahr 2 Millionen Euro veranschlagt wurden und Sie nicht wussten, wo Sie das Geld unterbringen konnten. Setzen Sie es für den Kampf gegen Rechtsextremismus ein; da ist es auf jeden Fall sinnvoller eingesetzt als bei dem, was Sie im Moment in Ihrer Konzeption vorlegen. Ich will noch einmal verdeutlichen, wie Ihre Debatte gegenwärtig geführt wird. Unserer Meinung nach gibt es keine Rechtfertigung dafür, Krawalle am 1. Mai mit dem beinahe schon systematischen Terror der Neonazis gleichzusetzen. Das tun Sie hier ständig. ({4}) Damit verharmlosen Sie im Grunde genommen den Rechtsextremismus und ermutigen ihn meines Erachtens auch. Ich möchte noch einmal ganz deutlich sagen, dass dies auch eine Verhöhnung der 137 Menschen ist, die seit 1990 durch Nazis ums Leben gekommen sind, wie die Zeit und der Tagesspiegel erneut recherchiert haben.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Frau Jelpke, kommen Sie bitte zum Schluss!

Ulla Jelpke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001023, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Die Linke fordert seit vielen Jahren eine unabhängige Beobachtungsstelle. Sie ist hier auch schon einmal beschlossen worden. Unabhängiges Beobachten ist nötig, um eine genaue Analyse über Rechtsextremismus und Antisemitismus zu bekommen. Wir wünschen uns, dass der Bundestag das endlich umsetzt. ({0})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Peter Tauber von der CDU/CSU-Fraktion.

Dr. Peter Tauber (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004174, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich glaube, es darf kein Zweifel daran bestehen, dass im Kampf gegen den Rechtsextremismus alle demokratischen Fraktionen dieses Hauses Seite an Seite stehen sollten. Es darf auch keinen Zweifel daran geben, dass Bildung und Aufklärung die effektiven Instrumente gegen braune Rattenfänger sein müssen und sein können. ({0}) Deswegen haben wir trotz unseres Sparhaushaltes die Mittel für den Kampf gegen den Rechtsextremismus nicht gekürzt. ({1}) Das muss man an dieser Stelle sagen. Wir erwarten von denjenigen, die sich in diesem Feld engagieren, natürlich auch, dass sie ein ganz klares Bekenntnis zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung und zum Grundgesetz abgeben. Wer das nicht kann, ist ungeeignet, junge Menschen über die Gefahren des Rechtsextremismus oder des Extremismus im Allgemeinen aufzuklären. Auch daran darf es aus meiner Sicht keinen Zweifel geben. ({2}) Es geht noch um ein anderes Prinzip; denn es geht nicht allein um die Aufklärung über die Gefahren einer dumpfen Ideologie. Es geht auch darum, deutlich zu machen, dass wir nicht bereit sind, zu tolerieren, dass in diesem Land extremistische Gruppen ihre Partikularinteressen mit Gewalt gegen Sachen und Personen auf der Straße und an anderen Orten durchsetzen. Auch das muss man klar sagen. Den Opfern ist es vollkommen egal, ob sie von einem politischen Radikalinski, von einem Islamisten, von einem militanten Tierschützer oder von einem gewaltbereiten Fußballfan geschlagen, getreten und verletzt werden. Wir müssen daher das Thema Extremismus in seiner Gesamtheit betrachten. Eine Verengung auf den Rechtsextremismus ist falsch und führt in die Irre. ({3}) Die klare Aussage, dass jede Form von Extremismus Mist ist, muss aus meiner Sicht jeder Abgeordnete des Deutschen Bundestages unterschreiben können. In Ihrem Antrag gibt es sehr viele Sätze, die ich sofort unterschreiben würde. Aber wenn Sie darin mit Blick auf den Antisemitismus Ihre Perspektive - das ist das Bedauerliche - eindimensional verengen, ({4}) dann ist das leider der falsche Weg. Ich möchte gerne Charlotte Knobloch zitieren, die gesagt hat: Diese Bundesrepublik ist für uns Juden wieder eine Heimat geworden, wir sind fester Bestandteil der deutschen Gesellschaft. Dieser Satz muss uns alle stolz machen. ({5}) Nachdenklich müssen wir aber angesichts der Tatsache werden, dass 5,4 Prozent der Jugendlichen in diesem Land latent antisemitisches Gedankengut pflegen. Noch nachdenklicher müssen wir angesichts der Tatsache werden, dass dieser Anteil bei Jugendlichen mit muslimischem Hintergrund bei über 15 Prozent liegt. ({6}) Der Generalsekretär des Zentralrats der Juden hat deswegen gesagt: Die Gewaltbereitschaft im muslimischen Lager ist vergleichbar mit der im rechtsextremen Lager. - Das wird auch der Verfassungsschutz bestätigen. Aber diese Tatsache negieren Sie in Ihren Diskussionsbeiträgen permanent. ({7}) Das ist sehr bedauerlich. Es muss uns alle sehr nachdenklich stimmen, dass wir es bisher nicht geschafft haben, diesen jungen Leuten zu erklären, dass jeder Deutsche eine besondere Verantwortung gegenüber Israel und gegenüber Menschen jüdischen Glaubens hat. ({8}) Es gehört zur Staatsräson der Bundesrepublik Deutschland, für das Existenzrecht Israels einzutreten und die Freundschaft zum jüdischen Volk immer wieder zu betonen. Cem Özdemir hat es übrigens selbst gesagt. Diese Position fehlt leider in dieser Klarheit in Ihrem Antrag. ({9}) Ich komme zum nächsten Punkt. Wir dürfen beim Thema Antisemitismus nicht nur auf den Rechtsextremismus und den Islamismus schauen. Der Bundestag hat mit großer Mehrheit beschlossen: Wer an Demonstrationen teilnimmt, auf denen Israel-Fahnen verbrannt werden und antisemitische Parolen gerufen werden, ist kein Partner im Kampf gegen den Antisemitismus. Mitglieder Ihrer Fraktion, meine Kollegen von der linken Seite, haben in der Vergangenheit immer wieder an Demonstrationen teilgenommen, bei denen Parolen wie „Tod Israel“ gerufen wurden und bei denen IsraelDr. Peter Tauber fahnen verbrannt wurden. Deswegen sind Sie für mich kein Partner im Kampf gegen den Antisemitismus. Das sage ich an dieser Stelle ganz deutlich. ({10}) - Das ist keine Lüge. Sie können es an verschiedenen Stellen nachlesen: Neun Abgeordnete Ihrer Fraktion hatten gar kein Problem, an solchen Demonstrationen teilzunehmen. Ich bin sehr froh, dass die Bundesregierung einen positiven Ansatz wählt, um junge Menschen für Demokratie zu begeistern, um sie zu überzeugen, dass die Art, wie wir unser Gemeinwesen organisieren, die beste ist. Alle, die daran mitwirken wollen, sind herzlich eingeladen. Herzlichen Dank. ({11})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt die Kollegin Gabriele Fograscher von der SPD-Fraktion. ({0})

Gabriele Fograscher (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002653, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Demokratiestärkung, die Auseinandersetzung mit rassistischen, antisemitischen und menschenfeindlichen Einstellungen, war und bleibt eine Daueraufgabe jeder Bundesregierung und auch des Bundestages. Hier vermissen wir Impulse und Engagement dieser Bundesregierung. Stichwort Antisemitismus. Im Vorfeld des 9. November will ich daran erinnern, dass vor zwei Jahren alle Fraktionen gemeinsam hier im Bundestag einen Antrag zur Bekämpfung des Antisemitismus und zur Stärkung jüdischen Lebens in Deutschland verabschiedet haben. Aber wie sieht es mit der Umsetzung aus? Was ist aus dem Expertengremium geworden? Wie ist es besetzt? Welche Themen und Aufgaben bearbeitet es? Wann erhält der Bundestag einen Bericht darüber? ({0}) Ich will auf die Bundesprogramme eingehen. Seit dem Jahr 2000 finanziert der Bund Programme zur Stärkung der Zivilgesellschaft, zunächst Entimon und Civitas, jetzt „Vielfalt tut gut“. Aus diesen Programmen haben sich viele wirksame Projekte und Ansätze entwickelt. Es sind Strukturen entstanden, die es nachhaltig zu sichern gilt, so die Beratungsstellen für Opfer politisch motivierter Gewalt oder die Landeskoordinierungsstellen und die lokalen Aktionspläne als Anlaufstelle für Initiativen und Kommunen sowie als Netzwerk zum Austausch von Ideen und nachahmungswerten Aktivitäten. Allerdings begleitet uns hier seit zehn Jahren das Problem, eine nachhaltige Finanzierung zu gewährleisten. ({1}) Deshalb müssen wir uns in den Beratungen ernsthaft um Lösungen bemühen. ({2}) Schwerpunkt der Programme des Familienministeriums war immer die Förderung von Demokratie und Toleranz sowie die Information und Aufklärung über Rechtsextremismus, über die Ideologie, Erscheinungsformen und Gegenstrategien. Sie wünschen eine Ausdehnung der Programme auf andere Erscheinungsformen des Extremismus; aber Sie sind uns bis heute Strategien und Konzepte für die Auseinandersetzung mit Linksextremismus und islamistischem Extremismus schuldig geblieben. ({3}) Das Bündnis für Demokratie und Toleranz, initiiert von Bundesinnenministerium und Bundesjustizministerium, zeichnet jedes Jahr im Wettbewerb „Aktiv für Demokratie und Toleranz“ Projekte aus, die sich für Demokratie und Toleranz, gegen Extremismus und Gewalt engagieren. Viele Menschen in unserem Land engagieren sich hier, freiwillig, ehrenamtlich, mit Fantasie und Ideenreichtum. Dafür sind wir dankbar. Die Anerkennung in Form des Preises und der öffentlichen Würdigung ist für viele ein Ansporn. Sie versuchen nun jedoch seit Monaten, dem Bündnis die Aufgabe zuzuschieben, sich auch mit Linksextremismus zu befassen. Mit den Instrumenten, die dem Bündnis zur Verfügung stehen, geht das aber nicht. Es gibt eben keine zivilgesellschaftlichen Projekte, die sich dieser Aufgabe stellen können und wollen. Wir werden ernsthaft über die politischen Vorgaben und die Ausrichtung des Bündnisses reden müssen. Auch die Personalpolitik in der Geschäftsstelle muss ein Thema sein. ({4}) Die Gleichsetzung von Links- und Rechtsextremismus verstellt die Sicht darauf, dass es für die unterschiedlichen Phänomene unterschiedliche Herangehensweisen und Konzepte zur Lösung geben muss. Das starre Links-Rechts-Denken führt zu falschen Entscheidungen. Ein Beispiel dafür: Die Antifaschistische Informations-, Dokumentations- und Archivstelle e. V., a.i.d.a., wurde vom bayerischen Verfassungsschutz als linksextremistisch eingestuft. Am Donnerstag letzter Woche hat der Bayerische Verwaltungsgerichtshof in zweiter Instanz entschieden, dass der Verfassungsschutzbericht „ein auch nicht ansatzweise durch tatsächliche Anhaltspunkte nachvollziehbar belegtes Negativurteil“ über a.i.d.a. enthält; entsprechende Stellen im Bericht seien zu schwärzen oder zu streichen. Extremismus, insbesondere Rechtsextremismus, ist kein Phänomen an den Rändern der Gesellschaft. Studien belegen, dass es in der Mitte der Gesellschaft rassistische, antisemitische und fremdenfeindliche Einstellungen gibt. Es ist kein Jugendproblem. Deshalb müssen wir über die Ausrichtung von Folgeprogrammen im Bundesfamilienministerium und im Bundesinnenministerium diskutieren. Es ist kein ostdeutsches Problem. Ich begrüße, dass der Bundesinnenminister das Bundesprogramm „Zusammenhalt durch Teilhabe“ initiiert hat. Dafür sind 18 Millionen Euro für drei Jahre vorgesehen. Dieses Programm soll Projekte für demokratische Teilhabe und gegen Extremismus in Ostdeutschland fördern. Extremistische Bestrebungen sind kein Problem allein der neuen Bundesländer; sie sind ein gesamtdeutsches Problem. Im ersten Halbjahr 2010 gab es, so die Auskunft der Bundesregierung, insgesamt 36 überregionale Veranstaltungen und Aufmärsche von Rechtsextremisten. Davon fanden 19 in den sogenannten alten Bundesländern statt. Wer Demokratieförderung ernst nimmt, darf die Mittel für die Bundeszentrale für politische Bildung nicht kürzen. Er muss plebiszitäre Elemente auch auf Bundesebene einführen. Er darf Kommunen und Bundesländer nicht finanziell ausbluten lassen, sodass sie ihre Aufgaben nicht mehr wahrnehmen können. Er muss Projekte, Initiativen und Strukturen nachhaltig finanzieren. Er muss Menschen, die sich engagieren, unterstützen und ermuntern, statt sie vom Verfassungsschutz überprüfen zu lassen. ({5})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Kommen Sie bitte zum Schluss, Frau Fograscher.

Gabriele Fograscher (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002653, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

In diesem Sinne wünsche ich uns ernsthafte und zielführende Beratungen in den Ausschüssen. Vielen Dank. ({0})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Jetzt hat die Kollegin Ewa Klamt von der CDU/CSUFraktion das Wort. ({0})

Ewa Klamt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004203, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich bin fest davon überzeugt, dass es in diesem Haus den parteiübergreifenden Konsens gab und gibt, gegen jede Form von Rechtsextremismus vorzugehen. Ebenso bin ich jedoch der Überzeugung, dass das nicht dazu führen darf - diesen Satz richte ich besonders an die Kolleginnen und Kollegen der Linken -, dass andere Formen von Extremismus in unserem Land völlig ausgeblendet werden. Richtigerweise verweisen die Grünen in ihrem Antrag auf den Bericht des UN-Sonderberichterstatters von diesem Jahr, in dem dieser feststellt, dass das Rassismusverständnis in Deutschland zu eng auf rechtsextremistische Handlungen beschränkt ist. So richtig es ist, dass wir gegen Rassismus, Antisemitismus, menschenfeindliche Haltungen und Rechtsextremismus vorgehen, so wichtig ist es, Islamismus und Linksextremismus in unserem Land Einhalt zu gebieten. ({0}) Aus meiner Sicht ist das eine Selbstverständlichkeit für jeden, der sich dem Grundgesetz verpflichtet fühlt und im Deutschen Bundestag unser Volk vertritt. Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen, ignorieren außerdem mit etlichen Ihrer Forderungen die Zuständigkeitsverteilung gemäß Grundgesetz. So kann der Bund in den Themenfeldern Rechtsextremismus, Antisemitismus und Fremdenfeindlichkeit nur im Rahmen seiner Anregungsfunktion tätig werden. Das haben wir bisher getan. Wir haben viel Anerkennung dafür erfahren, und wir werden es auch weiterhin tun. Demokratiestärkung als Daueraufgabe des Bundes und eine entsprechende Dauerförderung sind nicht zulässig. ({1}) Entsprechend müsste Ihnen bekannt sein, dass eine auf Dauer angelegte Förderung von Kleinstprojekten vor Ort nicht möglich ist; denn hierfür sind gemäß der Kompetenzverteilung die Kommunen und Länder zuständig. ({2}) Sie blenden außerdem bereits bestehende präventivpädagogische Programme des Bundes aus, zum Beispiel die Förderung der politischen Bildung im Rahmen des Kinder- und Jugendplans. Gerade bei jungen Menschen gilt es anzusetzen. Ihr demokratisches Bewusstsein gilt es zu stärken, und ihre politische Partizipation gilt es zu fördern. Ich halte darum die Annahme für zu kurz gegriffen, dass unsere Verantwortung sich ausschließlich auf die Bekämpfung des Rechtsextremismus beziehen soll, wie dies die Linke in ihrem Antrag fordert. ({3}) Ich erinnere Sie deshalb an die unter anderem vom Deutschen Gewerkschaftsbund veranstaltete Demonstration am 12. Juni dieses Jahres in Berlin, in der Ihre Kollegin Gesine Lötzsch zum Kampf für ein gerechtes Land aufgerufen hatte. Dieser „Kampf“ endete mit 14 verletzten Polizisten - zwei davon wurden schwer verletzt -, die Opfer einer Splitterbombe wurden. ({4}) - Er hat zu der Demonstration aufgerufen. ({5}) Ich erinnere nur an das, was wir hier besprechen. Dass dieser Anschlag aus dem linksextremistischen Lager kam, steht außer Frage. Sosehr ich befürworte, dass die bisher erfolgreichen Programme gegen Rechtsextremismus fortgeführt werden, so klar plädiere ich dafür, dass wir gegen alle Formen von Extremismus vorgehen; denn alle Extremisten haben eines gemeinsam: Sie lehnen unsere freiheitliche Grundordnung ab. Zur Erfüllung unserer Aufgabe, zur Stärkung der Demokratie, stehen insgesamt 29 Millionen Euro pro Jahr für die Programme zur Verfügung. Das sind 5 Millionen Euro mehr als im letzten Haushaltsjahr. Der Handlungsbedarf gegen Rechtsextremismus ist nach wie vor groß. Das belegen die aktuellen Zahlen des Verfassungsschutzes. In dieser Woche wurde aber auch bekannt gegeben, dass Deutschland weiterhin im Fokus islamistischer Gruppierungen liegt. Das islamistische Potenzial ist im vergangenen Jahr erneut angestiegen: Inzwischen gibt es 36 270 Mitglieder. Genauso besorgniserregend ist die Zunahme der Gewalt in der linksextremistischen Szene um 59 Prozent. Ich erinnere daran, dass der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz nach dem Bombenanschlag auf Polizisten in Berlin einen signifikanten Anstieg militanter linksextremer Gewalt konstatierte. Ebenso zeigte sich der stellvertretende Bundesvorsitzende der Gewerkschaft der Polizei sehr besorgt darüber, dass es - ich zitiere - „bis in linksliberale bürgerliche Kreise hinein die Tendenz“ gebe, „linke Gewalt zu verharmlosen“. Lassen Sie uns deshalb mit den Programmen, die von dieser Bundesregierung angeschoben werden, gemeinsam für unsere freiheitliche Demokratie eintreten, ({6}) für eine Demokratie, die sich gegen jede Form von Gewalt wendet, die keine Form von Gewalt verharmlost und weder auf dem linken noch auf dem rechten Auge blind ist. Ich danke Ihnen. ({7})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Die letzte Rede des heutigen Tages war gleichzeitig die erste Rede der Kollegin Klamt in diesem Hause. Ich gratuliere Ihnen dazu im Namen des ganzen Hauses. ({0}) Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 17/2482 und 17/3045 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, den 6. Oktober 2010, 13 Uhr, ein. Die Sitzung ist geschlossen.