Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Die Sitzung ist eröffnet. Nehmen Sie bitte Platz.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich begrüße Sie alle
herzlich, jedenfalls diejenigen, die zu dieser frühen Uhr-
zeit schon eingetroffen sind.
Wir setzen unsere Haushaltsberatungen - Tagesord-
nungspunkt 1 - fort:
a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die
Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das
Haushaltsjahr 2011 ({0})
- Drucksache 17/2500 -
Überweisungsvorschlag:
Haushaltsausschuss
b) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Finanzplan des Bundes 2010 bis 2014
- Drucksache 17/2501 Überweisungsvorschlag:
Haushaltsausschuss
Vereinbarungsgemäß soll die heutige Aussprache eine
Redezeit von insgesamt dreieinhalb Stunden umfassen.
Dazu gibt es offenkundig keine neuen Anträge.
Wir beginnen die heutigen Haushaltsberatungen mit
dem Geschäftsbereich des Bundesministeriums für
Verkehr, Bau und Stadtentwicklung, Einzelplan 12.
Das Wort erhält zunächst der Bundesminister
Dr. Peter Ramsauer.
({1})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren auf
den Rängen und vor den Fernsehgeräten! In 16 Tagen
begehen wir den 20. Jahrestag der Wiedervereinigung
unseres Vaterlandes, und die meisten von uns wissen
noch und haben noch vor Augen, wie das DDR-Erbe
aussah. Die Verkehrsinfrastruktur war vollkommen vernachlässigt, und Teile der wertvollen Bausubstanz waren
dem Verfall preisgegeben. Das war die bittere Wahrheit.
({0})
Wenn wir uns heute im geeinten Deutschland und insbesondere in den neuen Bundesländern umsehen, so dürfen wir mit Fug und Recht sagen: In der Stadtentwicklung, im Bereich der Verkehrsinfrastruktur und im
Bereich der gesamten Bausubstanz und Baukultur ist Beeindruckendes geschaffen worden.
({1})
Gerade auch die Verkehrs-, Bau- und Stadtentwicklungspolitik des Bundes hat dazu Erhebliches beigetragen.
({2})
- So ist das, Herr Kahrs, genau. Danke.
({3})
- Wir sind bestens dabei.
Von der Vielzahl an Verkehrs- und Bauprojekten sowie Maßnahmen der Städtebauförderung profitieren dabei nicht nur die Bürgerinnen und Bürger in den neuen
Ländern, sondern Gewinner dieser Entwicklung sind wir
alle, ist unser ganzes Land in West und Ost.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, damals wie heute
ist sich die unionsgeführte Bundesregierung des überragenden Stellenwerts einer gut ausgestatteten Verkehrsinfrastruktur für den Wohlstand und die Chancen unseres
Landes bewusst. Ich darf zunächst einmal den Verkehrsbereich ansprechen. Wir müssen mit Blick auf unsere
Verkehrswege zwei ganz zentrale Aufgaben schultern.
Wir müssen erstens die gute Qualität unseres Bestandsnetzes erhalten, und wir dürfen es nicht auf Verschleiß
fahren. Wir müssen uns zweitens bereits heute rüsten für
die sich ständig weiterentwickelnden Mobilitätserfordernisse der Menschen und der Wirtschaft von morgen.
Redetext
Hier ist natürlich die herausragende Herausforderung die
Verkehrszunahme, die wir prognostizieren müssen. Wir
brauchen also weiterhin einen bedarfsgerechten Ausund Neubau neben dem Erhalt, und zwar für alle Verkehrsträger.
({4})
Unsere Verkehrswege sind die entscheidenden Lebensadern unserer Gesellschaft und unserer Wirtschaft.
Deshalb müssen wir auch bereit sein, die dazu erforderlichen finanziellen Mittel in ausreichender und verantwortbarer Weise zur Verfügung zu stellen.
({5})
- Das machen wir schön, Herr Kahrs, wenn es in den anstehenden Haushaltsberatungen darum geht, dies sicherzustellen.
({6})
- Ich nehme Sie beim Wort. Mit Ihnen ist manchmal
noch ganz gut reden. Aber dann hört es schon bald auf,
wenn man in die Weiten Ihrer Fraktion hineingeht.
({7})
Ich glaube, es ist uns gelungen, im Bundeshaushalt
eine durchaus ansehnliche Verkehrsinvestitionslinie zu
verankern. Für die Jahre 2011 bis 2014 wird sie ausweislich des vorliegenden Finanzplans mit konstant
9,7 Milliarden Euro auf einem höheren Niveau festgeschrieben, als dies in den Jahren 2001 bis 2008 mit
durchschnittlich 9,4 Milliarden Euro der Fall war. Das
kann sich durchaus sehen lassen. Aber eine klare Prioritätensetzung ist dennoch erforderlich. Priorität müssen
solche Projekte haben, die den größten gesellschaftlichen, aber vor allen Dingen auch den größten ökonomischen Nutzen aufweisen. Beim Neubau wird es also vorrangig um die Beseitigung von Engpässen und den
Ausbau überlasteter Hauptverkehrsachsen gehen.
Ich möchte beispielhaft ein Zukunftsprojekt herausgreifen. Für unser Land als führende Exportnation ist
eine Verbesserung der Hinterlandanbindung der Häfen auch und vor allen Dingen auf der Schiene von herausragender Bedeutung.
({8})
- Herr Beckmeyer, Sie auch. Es wird schon besser. - Die
Realisierung der sogenannten Y-Trasse - das ist die Verbindung von Hannover, die sich y-mäßig Richtung Bremen und Hamburg verzweigt - ist ein Projekt, das kein
isoliertes Prestigeprojekt darstellt, sondern ist pure Notwendigkeit, damit wir für die Zielorte und für die Absatzwege fertiger Produkte in Gesamtdeutschland eine
stimmige und zukunftsfähige Verkehrsinfrastruktur bereitstellen können.
({9})
- Das ist ja fast wie früher zu Zeiten der Großen Koalition.
({10})
- Stimmt, und weit darüber hinaus.
Wir alle, glaube ich - jetzt komme ich zu einem wichtigen Punkt -, sind gut beraten, immer den gesamtwirtschaftlichen Nutzen derartiger Projekte deutlich stärker
in das öffentliche Bewusstsein zu rücken.
({11})
Jeder von uns weiß um das Konfliktpotenzial von Großprojekten. Das war immer so, und leider Gottes fängt es
jetzt wieder an. Wir wissen um die langen Planungszeiträume, und wir wissen um die langen, oft jahrzehntelangen Entscheidungsprozesse. Wenn dann aber endlich
der Startschuss für die Realisierung eines Projekts fällt,
dann sollten die Entscheidungen, die diesen Projekten
vorangegangen sind, auch respektiert und mitgetragen
werden.
Ich möchte hier ganz offen das Projekt Stuttgart 21
ansprechen. Die Bundeskanzlerin hat vorgestern an dieser Stelle schon das Notwendige gesagt. Stuttgart 21,
liebe Kolleginnen und Kollegen, ist ein Projekt, das über
15 bis 20 Jahre hinweg nach allen Regeln rechtsstaatlicher Kunst als Projekt und als Baurecht zustande gekommen ist.
({12})
Es kann deshalb nicht hingenommen werden, dass nach
einer solchen Rechtsfindung nach allen Regeln des
Rechtsstaats entgegenstehende Kräfte für sich ein vermeintlich höherrangiges Recht reklamieren, das dem
Recht nach rechtsstaatlichen Regeln entgegensteht.
({13})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ein Staat -
Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Schlecht?
Ich bin mitten in diesem Gedanken. Das ist ein sehr
zentraler Gedanke; er ist nicht nur verkehrspolitisch,
sondern gesamtgesellschaftspolitisch wichtig.
({0})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ein Staat, der dies
hinnehmen würde, würde sich als Rechtsstaat dem Zweifel preisgeben. Die Politik muss natürlich zu den Resultaten klarer rechtsstaatlicher Prozeduren stehen. Die
Politik muss zu dem stehen, was der Rechtsstaat hervorgebracht hat.
({1})
Zu diesen Prozeduren gehören ganz ausdrücklich auch
Bürgerbeteiligungen. Dazu gehören Parlamentsbeschlüsse, Gemeinderatsbeschlüsse, Gerichtsverfahren,
Gerichtsurteile und vieles mehr. Tut die Politik dies
nicht, dann wirkt sie selbst daran mit, dass Respektlosigkeit ihr selbst gegenüber und gegenüber dem Rechtsstaat
um sich greift.
({2})
An die Adresse der SPD als größte Oppositionsfraktion sage ich: Stehen Sie zu diesem Projekt! Nehmen Sie
sich ein Beispiel an Ihren Kolleginnen und Kollegen von
der Südwest-SPD im Landtag von Baden-Württemberg!
Ihr Spitzenkandidat Nils Schmid hat noch am vergangenen Samstag klipp und klar festgestellt:
({3})
Aber wir wackeln nicht … Die SPD steht in der Sache weiter zu Stuttgart 21 und dem Bau der Neustrecke Wendlingen-Ulm.
Und vorgestern, am Mittwoch:
Die verkehrlichen, ökologischen und städtebaulichen Vorteile überwiegen deutlich. Ein Ausstieg
aus dem Projekt würde sich auf die Verkehrsinfrastruktur in Baden-Württemberg fatal auswirken.
Besser noch:
Ich persönlich bin auch bereit, Seite an Seite mit
den Kollegen von den anderen Befürworter-Parteien gegen den Ausstieg zu streiten.
Donnerwetter, kann ich nur sagen. Klatschen!
({4})
- Guter Mann, Herr Kahrs.
({5})
Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, ich weiß
zwar nicht, wer von der SPD sprechen wird, aber Herr
Beckmeyer würde zum Beispiel gleich sagen: Zu dem
haben Sie nichts gesagt, dazu haben Sie nichts gesagt,
dazu haben Sie nichts gesagt. Sie wissen ganz genau,
dass ich zu allem gern stundenlang sprechen würde. In
den verbleibenden anderthalb Minuten möchte ich noch
einige Punkte anreißen.
Zukunft der Städtebauförderung: Das ist ein Thema,
das uns allen intensiv am Herzen liegt. Die Einschnitte,
die jetzt im Entwurf stehen, sind für uns alle schmerzlich. Ich möchte mir aber den Hinweis erlauben: Wir alle
miteinander können stolz darauf sein, in den schwierigen
Jahren der Wirtschafts- und Finanzkrise gerade den
Kommunen mit zweistelligen Milliardensummen aus
dem Konjunkturpaket II - 10 Milliarden Euro, die durch
Komplementärmittel und Länder- und Gemeindemittel
aufgestockt wurden - geholfen zu haben. Diese Mittel
sind vom Zweckcharakter her in Bereiche der Städtebauförderung und der energetischen Gebäudesanierung
hineingeflossen. Das waren großartige Erfolge, und daran war natürlich auch die SPD beteiligt.
({6})
Beim Thema energetische Gebäudesanierung gehört
auch zur Wahrheit, dass, weil das Programm ein Renner
war, wir noch im Jahr 2009 damit begonnen haben,
Haushaltsmittel aus den Jahren 2010 und 2011 vorzuziehen, um sie in diesen Bereich hineinzupumpen. Vorziehen heißt, dass sie später haushaltsmäßig nicht mehr zur
Verfügung stehen. Das wissen auch Sie von der SPD,
weil Sie selbst daran mitgewirkt haben. Jetzt müssen wir
sehen, wie wir damit in den schwierigen Verhandlungen,
die in den Haushaltsberatungen vor uns stehen, zurechtkommen.
Eine Reihe von weiteren Themen wäre zu nennen,
beispielsweise die Verkehrssicherheit. Wir müssen uns
Gedanken darüber machen, wie wir sie im Haushalt noch
besser dotieren können. Ich nenne die Elektromobilität,
die Stärkung des Logistikstandorts Deutschland und die
Vernetzung von Verkehrsträgern. Wir haben in den kommenden Wochen reichlich Gelegenheit, all diese Themen
zu erörtern. Ich als verantwortlicher Ressortminister
freue mich auf diese Gespräche und lade die Opposition
ein, konstruktiv mitzuarbeiten.
Besten Dank.
({7})
Für eine Kurzintervention erteile ich dem Kollegen
Schlecht das Wort.
Herr Minister Ramsauer, seit Jahren wird in Stuttgart
gegen Stuttgart 21 protestiert. Seit Ende Juli hat dieser
Protest gewaltige Ausmaße angenommen. Es wird dort
mehrmals in der Woche protestiert. Große Teile der Stuttgarter Bevölkerung beteiligen sich an diesen Demonstrationen. Wir hatten in der letzten Woche eine Demonstration mit 70 000 Teilnehmern. Man kann schätzen, dass in
Stuttgart mittlerweile bei den vielen Demonstrationen ein
Personenkreis von 100 000 bis 200 000 Menschen aktiv
an den Protesten gegen Stuttgart 21 beteiligt war. Das
heißt, fast die Hälfte der Bevölkerung in Stuttgart hat sich
durch aktives Handeln gegen dieses Projekt ausgesprochen. Vor diesem Hintergrund finde ich es schon sehr
merkwürdig, wenn Sie diesen Protest als „entgegenstehende Kräfte“ bezeichnen. Das empfinden die Menschen
in Stuttgart sicherlich als eine Verhöhnung ihres Einsatzes für ihre Interessen und für ihre demokratischen
Rechte.
Danke schön.
({0})
Sehr geehrter Herr Kollege, ich bedanke mich für
diese Frage. Wenn Sie sagen, es habe seit Jahren Proteste
größerer und kleinerer Art gegeben, dann möchte ich da6270
ran erinnern, dass dieses Projekt seit Jahren von einem
großen Lager ständig gefordert worden ist.
({0})
Ich betone, dass heute, wie ich zitiert habe, auch die
Landtagsfraktion der SPD im Landtag von BadenWürttemberg ganz offensichtlich nach wie vor zu diesem Projekt steht, und zwar unmissverständlich. Seit‘ an
Seit‘, hat der Spitzenkandidat gesagt, stehe er dazu. Ich
erinnere auch daran, dass im Rahmen aller rechtsstaatlichen Genehmigungs-, Verwaltungs- und Verfahrensprozeduren und Gerichtsverfahren alle erdenklichen zur Debatte stehenden Aspekte abgewogen worden sind und
dass alle an diesem Prozess Beteiligten mit allen rechtsstaatlichen Mitteln das Ihre haben beitragen können. Das
ist das, was ein Rechtsstaat bieten muss, und das, was er
bieten kann. Ich als verantwortlicher Politiker muss aber
dann auch fordern, dass die Ergebnisse solcher rechtsstaatlichen Prozeduren gesamtgesellschaftlich akzeptiert werden.
({1})
Ich erinnere an ein weiteres Moment: die Legitimation. Ich habe von 15 bis 20 Jahren gesprochen. Gerade
in den letzten Jahren haben Wahlen aller Art stattgefunden. Zwei Beispiele: Zu dem Zeitpunkt, als das letzte
Mal der Stuttgarter Oberbürgermeister Schuster gewählt
worden ist, war es nicht so, dass von diesem Projekt
noch nie die Rede gewesen wäre. Dieses Projekt war damals zur Kommunal- und Oberbürgermeisterwahl klar
auf der Tagesordnung. Dieser Oberbürgermeister ist mit
einem guten Ergebnis wiedergewählt worden, und die
Menschen wussten, wofür er steht.
({2})
Vor vier Jahren wurde der baden-württembergische
Landtag mit einem Ergebnis gewählt, das mich nur
freuen kann. Auch damals hat Stuttgart 21 klar im Raum
gestanden.
({3})
Diejenigen, die heute für dieses Projekt stehen, sind
nicht nur irgendwann in letzter Zeit gewählt worden,
sondern sie sind mit hervorragenden Ergebnissen wiedergewählt worden vor dem Hintergrund, dass sie für
dieses Projekt stehen. Ich lasse deshalb keinerlei Zweifel
an der rechtsstaatlichen sowie gesellschaftlichen und gesamtpolitischen Legitimation dieses Projekts.
({4})
Nächster Redner ist der Kollege Uwe Beckmeyer für
die SPD-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Minister, zu
dem zuletzt angesprochenen Thema ein Satz. Nach meiner Kenntnis wird in 2011 in Baden-Württemberg gewählt. Die Kanzlerin hat vorgestern deutlich gemacht:
Das wird ein wichtiges Thema in diesem Wahlkampf
sein. Die Bürger in Baden-Württemberg werden die Gelegenheit haben, bei dieser Abstimmung zu zeigen, wofür sie sind. - So weit zur Beteiligung der Bürger. Wir
wünschen uns eigentlich noch mehr Beteiligung; vielleicht gibt es das.
Herr Minister, ich habe mich über Ihre Rede zum Teil
gefreut. An manchen Stellen habe ich mich aber auch
gefragt: Warum sagt er nicht noch mehr zu seinem Haushalt? - Das ist doch Ihr Haushalt, Herr Minister, den Sie
uns hier als Entwurf vorlegen. Dazu hätten wir eigentlich gern noch etwas mehr gehört
({0})
- das ist wunderbar -, weil das, was in diesem Haushaltsentwurf zu finden ist, schmerzlich, in einigen Bereichen aber auch unverständlich ist.
({1})
Als oppositioneller Sozialdemokrat muss ich das in dieser Rede natürlich sagen; ich werde daran nicht vorbeikommen.
Zum Fachpolitischen. Es gibt Schwerpunktsetzungen - es geht immerhin um viel Geld -, die mit meinem
fachpolitischen Verständnis von Verkehrs- und Baupolitik überhaupt nicht in Einklang zu bringen sind. Man
kann nicht sagen: „Wir machen etwas mit Elektromobilität“, dann aber im Haushalt die Ansätze dafür vergessen.
Das geht nicht. Man kann doch nicht am Ende die
Finanzausstattung für all die Elektromobilitätsprojekte in
den Regionen in Deutschland vergessen. Man kann doch
nicht die Ansätze für Maßnahmen zur CO2-Reduzierung - wir alle wissen, dass das Handwerk und die Bundesrepublik Deutschland insgesamt sehr davon profitiert
haben - im Grunde halbieren. Wir haben in Deutschland
zurzeit eine Debatte über Integration. Und was passiert in
Ihrem Haushalt? Die Mittel für die Städtebauförderung
und für das Programm „Soziale Stadt“ werden halbiert.
Das sind doch gerade die Programme, mit denen wir in
den Städten und Kommunen wirken können.
({2})
Das ist doch das, was Politik ausmacht. Es geht nicht
immer nur um Milliarden, sondern auch darum, kleine
Projekte zu pflegen, zu unterstützen, am Leben zu halten, zu helfen, dass die Gesellschaft zusammenwächst.
Dafür haben Sie in Ihrem Haushalt ein ganz wesentliches Werkzeug. Und was passiert? Wir stellen fest: Sie
halbieren die Ansätze. Vor der bundesrepublikanischen
Öffentlichkeit muss offengelegt werden, weshalb Sie das
tun. Warum kürzen Sie dort? Ist das Ihr Politikverständnis? Ist das Ihre Schwerpunktsetzung, von der Sie gesprochen haben?
Das geht so weiter. Wir haben im Norden schon über
Jahre ein maritimes Bündnis. Mit Kanzler Schröder hat
das angefangen, Kanzlerin Merkel hat es fortgesetzt. Damit wollen wir etwas für Kapitäne und die Ausbildung
an der Küste machen. Und was passiert? Es wird massiv
gekürzt. Das maritime Bündnis wird von der öffentlichen Seite aufgekündigt. Da kann mich der Hinweis:
„Wir bekommen die Y-Trasse“, für die Sie momentan
die Planungsmittel bereitstellen, aber auch keinen Cent
mehr, gar nicht beruhigen. Das ist nur die Wurst, die uns
vor die Nase gehängt wird, aber am Ende des Tages ist
keine Substanz vorhanden. Ihre Staatssekretäre gehen
von einer Veranstaltung in der Bundesrepublik zur
nächsten, verkünden alles, versprechen alles,
({3})
aber es ist keine Substanz da.
({4})
Wir hören das überall, in Bremen, in Hamburg, bei den
Vertretungen. Es wird alles versprochen. Schaut man in
den Haushalt, stellt man fest: Das ist irgendwie nur virtuell. Es steht nicht im Haushalt. Man kann es nicht finden. Es ist nicht finanziert. Dennoch wird es versprochen. Ich frage mich: Woher nehmen Sie eigentlich die
Chuzpe, so zu verfahren? Ist das eine andere Wirklichkeit?
Sie selbst haben in Ihrem Koalitionsvertrag, um ein
anderes Thema anzusprechen, gesagt: Wir wollen dem
deutschen Verkehrsgewerbe helfen. Wir setzen die Mauterhöhung aus. - Das klingt erst einmal toll, aber wenn
man sich das genauer anschaut, stellt man fest: Sie helfen der Verkehrswirtschaft überhaupt nicht. Es werden
erst einmal Einnahmen in Höhe von 80 Millionen Euro
weggekürzt, die Sie ansonsten im nächsten Jahr bekommen würden und die dann vielleicht auch in die Straße
fließen könnten. Doch Sie setzen die Mauterhöhung aus
und verzichten auf die Einnahmen. Was heißt das dann
für die Verkehrswirtschaft? Alle Unternehmen, die so
klug waren - das war ja auch unsere Absicht -, in die Erneuerung ihres Fuhrparks zu investieren, und eine Erhöhung der laufenden Betriebskosten in Kauf genommen
haben, indem sie Euro-4- und Euro-5-Fahrzeuge angeschafft haben, werden nun bestraft.
({5})
Und das betrifft nun überwiegend deutsche Unternehmen. Alle diese können keine Vorteile aus ihren Investitionen ziehen, während mehr als ein Drittel der nicht
nachgerüsteten Euro-3-Fahrzeuge, für die nun keine höhere Maut fällig wird, aus dem Ausland kommt.
({6})
Was machen Sie also? Sie bestrafen im Grunde diejenigen
Unternehmen in Deutschland, die ihren Fuhrpark erneuert
haben, und unterstützen die ausländischen Unternehmen,
die noch Euro-3-Fahrzeuge haben. Das ist völliger Unsinn. Das ist eine völlig falsche Schwerpunktsetzung in
der Mautpolitik.
({7})
Ich bin der Meinung, dass wir uns auch den Baubereich
noch einmal genau anschauen sollten. Es war ziemlich heftig, was vonseiten der CSU, Ihrem eigenen Landesverband, Herr Minister, und vonseiten der Bauministerkonferenz zu lesen und zu hören war. Die Bauminister aller
Länder in Deutschland haben gesagt: Herr Ramsauer, so
geht das nicht, machen Sie bitte bei der Städtebauförderung ordentlich weiter! - Ich war in der Sommerpause
beim Oberbürgermeister von Stralsund, einem CDUMann, gut mit Frau Merkel bekannt. Stralsund ist wie
auch Wismar eine der Städte in Deutschland, die zum
Weltkulturerbe gehört. Er hat gesagt: Wenn das eintritt,
was geplant ist, kann ich hier meinen Laden dichtmachen.
Ich kann nichts Neues beginnen. - Die Konsequenz Ihrer
Pläne ist, dass eine so wunderschöne und kulturhistorisch
bedeutsame Stadt ihre Ausbaumaßnahmen nicht fortsetzen und bestimmte Projekte nicht mehr unterstützen
kann. Wollen wir das?
({8})
Nein. Darum ist es doch nur sinnvoll, zu überlegen, ob
es nicht vielleicht klüger ist, diese Förderung fortzusetzen und vielleicht sogar besser auszustatten.
In solchen Momenten mache ich mir bewusst: Bei der
Politik geht es nicht nur darum, Milliarden hin und her
zu schieben, sondern auch um Gestaltung. Ich glaube,
das ist ein wichtiger Aspekt, den zu berücksichtigen man
auch von Ihrem Ministerium erwarten kann. Darum ist
die Frage, meine sehr geehrten Damen und Herren: Wo
ist Ihre rote Linie? Wo ist Ihre Gestaltungskraft? Wo ist
Ihr tragendes Konzept?
({9})
Wir können zunächst einmal in keinster Weise einen
Umbau des Haushaltes feststellen. Vielmehr halten Sie
krampfhaft an einer Investitionslinie fest. Sie selbst haben gesagt, Sie müssten 10 Milliarden Euro halten. Doch
selbst das schaffen Sie nicht. Es sind nur 9,75 Milliarden
Euro für Investitionen vorgesehen. Das hat zur Konsequenz, dass bei Straße, Schiene und Wasserstraße im
nächsten Jahr im Grunde kein neues Projekt angefangen
werden kann, weil das Geld dafür nicht da ist. Sie können neue Projekte im Augenblick in keiner Form darstellen. Darum sind alle vollmundigen Ankündigungen,
die im Land getätigt werden, stark von der Realität entfernt, um es nicht drastischer auszudrücken.
({10})
Ihr Spitzenpersonal erklärt etwas anderes. Ich sage an
dieser Stelle noch einmal: Das ist nicht seriös. Die
Schiene ist unterfinanziert, die Straße ist unterfinanziert.
Viele Warnrufe aus der Fachbeamtenschaft Ihres Hauses
werden leider ignoriert. Man hat so den Eindruck: Entweder sind Sie nicht informiert, oder Ihre Entourage filtert alle entsprechenden Informationen weg und sie kommen nicht an Sie heran, oder aber die Spitze des Hauses
ist derart von sich selbst überzeugt, dass sie meint, fachlich alles besser zu wissen.
({11})
Das Ergebnis ist nicht in Ordnung. Es ist gefährlich für
die deutsche Verkehrswirtschaft und für die deutsche
Bauwirtschaft, eine solche Politik fortzusetzen, meine
sehr geehrten Damen und Herren.
({12})
Der legendäre Franz Josef Strauß hat einmal gesagt:
Es kann nicht ein Neuer, noch bevor er sein Amt übernimmt, Vollkommenheit erwerben, um das Amt übernehmen zu dürfen. - Herr Minister, Ihr Amtsantritt ist
jetzt ein Jahr vorbei. Nun geht es langsam ans Eingemachte. Wir erwarten von Ihnen, dass mehr dabei herauskommt. Kommen Sie heraus aus der Wagenburg Ihres Leitungszirkels! Machen Sie mit uns Politik!
Wir haben uns vorhin sehr darüber gefreut, dass Sie
ganz bestimmte Projekte angekündigt haben. Aber Sie
müssen jetzt auch etwas dafür tun, dass die Opposition
mit Ihnen zusammenarbeitet. Ich habe schon einmal in
einer Haushaltsdebatte gesagt: Machen Sie Vorschläge,
und wir werden darüber nachdenken. Machen Sie beispielsweise Vorschläge zu einer Nutzerfinanzierung von
Verkehrsprojekten.
Aber was Sie momentan machen, ist abenteuerlich.
Sie wollen demnächst - auch das haben Sie angekündigt die Mittel aus der Maut der Straße zuführen. Aber das
reicht für die Straße nicht. Sie werden also weiterhin Finanzierungsbeiträge aus dem Haushalt für die Straße
brauchen. Auch für die Schiene werden Sie mehr Finanzierungsmittel aus dem Haushalt einsetzen müssen.
Wenn Sie sich die Zahlen anschauen, dann werden Sie
feststellen, dass auch das nicht zu einer Art Geldvermehrung in diesen Bereichen führt. Es führt möglicherweise
nur dazu, dass Sie damit eine Diskussion zur Einführung
einer Pkw-Maut anstoßen.
Herr Kollege Beckmeyer!
Jawohl, Herr Präsident, ich komme zum Schluss.
Wie schön.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, Sie merken,
in diesem Haushaltsentwurf ist der Wurm drin. Ich habe
versucht, dies an einigen Beispielen darzustellen. Ich
hoffe, dass die Koalitionsfraktionen aus sich heraus ein
wenig mehr Kraft entfalten, um das eine oder andere
noch zu korrigieren. Wir würden uns jedenfalls darüber
freuen. Wir Sozialdemokraten werden einige Anträge für
die Haushaltsberatung am 6. Oktober einbringen, um Ihnen ein bisschen zu helfen.
Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
({0})
Dr. Claudia Winterstein ist die nächste Rednerin für
die FDP-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Die letzten Regierungen sind immer den einfachen Weg gegangen, nämlich über Schulden und Steuererhöhungen ihre Ausgabenpolitik zu finanzieren. Das
haben Sie, Herr Beckmeyer, eben sehr deutlich gemacht.
Sie haben gesagt, wofür wir das Geld ausgeben sollen.
Aber Sie haben nicht gesagt, woher wir das Geld bekommen sollen, um es dann auszugeben.
({0})
Der Haushalt für das Jahr 2011 wird eine deutliche
Trendwende einleiten. Hier stellt sich die christlich-liberale Koalition ihrer Verantwortung, die enorme Verschuldung, die Sie mit zu vertreten haben, endlich in den
Griff zu bekommen, um dann wieder Gestaltungsmöglichkeiten zu haben.
({1})
Das sind wir auch unserer jungen Generation schuldig.
Für sie müssen wir die Grundlagen für ein stabiles
Wachstum unserer Volkswirtschaft erhalten und ausbauen. Eine gut ausgebaute und intelligent vernetzte
Verkehrsinfrastruktur ist eine der wichtigsten Grundlagen.
({2})
Deswegen betrachtet die Koalition neben der Konsolidierung der Staatsfinanzen den Ausbau der Infrastruktur als ein sehr wichtiges Ziel ihrer Politik.
({3})
Ohne solide Staatsfinanzen nehmen wir uns den Handlungsspielraum, um auch in Zukunft Verkehrspolitik zu
gestalten. Jeder Euro, den wir für Kredite ausgeben müssen, fehlt uns nicht zuletzt bei den Straßen und Schienen.
Der hier vorliegende Entwurf zum Einzelplan 12 berücksichtigt beide Ziele in gleicher Weise. Trotz der
schwierigen Rahmenbedingungen durch die Schuldenbremse und das Sparpaket bleiben die Investitionen im
Verkehrsbereich auf einem akzeptablen Niveau. Denn
Sie müssen bedenken: Fast 10 Milliarden Euro werden
im nächsten Jahr in Straße, Schiene und Wasserstraße investiert. Im Haushalt 2008, also vor den Konjunkturhilfen, lagen die Investitionen im Verkehrsbereich bei
knapp über 9 Milliarden Euro. Es fließt im Jahre 2011
also mehr Geld in die Sanierung und den Ausbau unserer
Verkehrswege als vor der Wirtschaftskrise.
({4})
Auch Sie, Herr Beckmeyer, hätten in den letzten vier
oder acht Jahren die Möglichkeit gehabt - ich frage
mich: wo waren Sie eigentlich in diesen Jahren? -,
({5})
diese Ansätze noch höher zu setzen, da Sie sich ja keine
Gedanken darüber machen, woher Sie das Geld bekomDr. Claudia Winterstein
men, sondern sich nur Gedanken darüber machen, wie
Sie es ausgeben.
({6})
Ob das nun eines verantwortungsbewussten Politikers
würdig ist, darüber kann man streiten.
Jedenfalls muss der Einzelplan 12 auch seinen Beitrag erbringen. Einer von vielen Einsparvorschlägen der
Regierung betrifft die Kürzung von Programmmitteln im
Bereich der Stadtentwicklung; Sie haben das schon gesagt. Dieser Bereich wurde in den beiden letzten Jahren
um zusätzliche Mittel aus dem Konjunkturprogramm I
aufgestockt. Diese Sonderausgaben fallen jetzt weg.
Darüber hinaus leistet der Bereich Städtebau seinen
Beitrag zur Haushaltskonsolidierung. Das ist eben leider
so. Wenn Sie jetzt sagen: „Wir brauchen das nicht, wir
wollen weiterhin die Gelder ausgeben“, dann sagen Sie
uns bitte, woher sie kommen sollen. Durch die Fördersumme von 305 Millionen Euro, die der Bund den Ländern und Kommunen für städtebauliche Projekte zur
Verfügung stellt, bleibt die Möglichkeit erhalten, auch
weiterhin Impulse für die Stadtentwicklung zu setzen.
Die Städtebauförderung ist durch ihre Vielzahl von
Programmen kompliziert und zum Teil unüberschaubar
geworden. Ich denke, dass eine Verknappung der Mittel
vielleicht auch dazu führt und Anreize bietet, Programme zu bündeln und effizienter zu gestalten.
({7})
- Ja. - Ein weiterer Sparbetrag soll nach bisheriger Planung das CO2-Gebäudesanierungsprogramm erbringen.
({8})
Seit dem Start im Jahre 2006 wurde die energetische
Haussanierung mit 7,2 Milliarden Euro durch den Bund
unterstützt. Jetzt soll das Programm zurückgefahren
werden, mit Mitteln von 440 Millionen Euro in 2011
aber noch aktiv bleiben.
Nun erinnere ich mich sehr gut daran, dass Herr
Tiefensee dafür in der letzten Regierung verantwortlich
war, Herr Beckmeyer. Ich frage mich: Warum hat er
denn die 1,5 Milliarden Euro, die er pro Jahr zur Verfügung gestellt hat, nicht noch weiter erhöht? Warum hat
er den Einsatz von 400 Millionen Euro vorgezogen?
({9})
- Sie müssen auch einmal die Vergangenheit sehen. Sie
haben doch gesagt: Die Mittel haben nie gereicht. So gesehen hätte Herr Tiefensee den Bereich der CO2-Gebäudesanierung in den letzten Jahren noch wesentlich besser
ausstatten können. Er hat es aber nicht getan. Aus welchem Grund? Weil eben schlichtweg die Gelder nicht
vorhanden waren.
({10})
Insofern möchte ich noch einmal darauf hinweisen,
dass wir jetzt über das Energiekonzept der Bundesregierung zu diskutieren haben, insbesondere natürlich auch
im Hinblick auf das ehrgeizige Ziel, bis 2050 alle Gebäude emissionsfrei umzubauen. Hier gibt es, denke ich,
noch viele offene Fragen wirtschaftlicher und auch juristischer Art.
({11})
Es ist zum Beispiel fraglich, ob ein Zwang zur Sanierung nicht einen unzulässigen Eingriff in das Eigentum
darstellt.
({12})
Wir dürfen Hauseigentümer und Mieter nicht überfordern. Nicht jeder ist in der Lage, entsprechende Summen
zur Sanierung aufzubringen.
({13})
Wir wollen die nächsten Wochen nutzen, um darüber
zu diskutieren, wie wir das CO2-Gebäudesanierungsprogramm in Zukunft ausgestalten können.
Eines muss man aber ehrlicherweise sagen: Derzeit
befinden sich die Bauzinsen auf einem sehr niedrigen
Niveau. Dadurch besteht auch ohne staatliche Förderung
ein hoher Anreiz für Sanierungsmaßnahmen. Außerdem
sind bei solchen Förderprogrammen auch Mitnahmeeffekte zu beachten, wenn zum Beispiel ein Bauherr den
Neubau sowieso nach den neuesten Standards geplant
hatte. Die Förderung muss also vor allen Dingen dort ankommen, wo sie gebraucht wird.
Wir denken über den aktuellen Haushaltsentwurf hinaus darüber nach, wie in Zeiten knapper öffentlicher
Kassen eine ausreichende Finanzierung der Verkehrswege erreicht werden kann. Das schaffen wir einerseits
durch die effektive Verteilung der vorhandenen Gelder,
indem wir klare Schwerpunkte in der Verkehrspolitik
setzen, wie etwa Erhalt vor Ausbau und die Beseitigung
von Engpässen an wichtigen Knotenpunkten und Hauptstrecken.
Andererseits wollen wir mehr privates Kapital für die
Infrastruktur mobilisieren. Es werden zu den bereits erfolgreich laufenden Projekten in öffentlich-privater Partnerschaft neue hinzukommen. Darüber hinaus wollen
wir durch die Weiterentwicklung der Verkehrsinfrastrukturgesellschaft einen geschlossenen Finanzierungskreislauf bei der Straße schaffen. Die Einnahmen aus der
Lkw-Maut sollen vollständig in die Straße zurückfließen. Das entspricht übrigens einer langjährigen Forderung der FDP. Es erhöht die Akzeptanz der Maut.
Zusätzlich soll die Verkehrsinfrastrukturgesellschaft kreditfähig werden, um bei der Finanzierung von Autobahnprojekten mehr Spielraum zu erhalten.
Meine Damen und Herren, wir wollen ganz klar eine
Trendwende in der Haushaltspolitik einleiten: solide
Staatsfinanzen statt ungezügelter Ausgabenpolitik. Das
ist das Versprechen gegenüber unserer jungen Genera6274
tion; denn auf Schuldenbergen können unsere Kinder
nicht spielen.
Vielen Dank.
({14})
Nächster Redner ist der Kollege Roland Claus für die
Fraktion Die Linke.
({0})
Herr Präsident! Sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen! Die Linke steht für eine Verkehrs-, Bau- und Stadtentwicklungspolitik, die stets von sozialer Verantwortung und demokratischer Teilhabe aller an den Gütern
der öffentlichen Daseinsvorsorge ausgeht: Was alle brauchen, muss öffentlich zugänglich sein; Mobilität und urbanes Leben müssen bezahlbar sein.
Wir reden hier über den Infrastrukturhaushalt. Um es
einmal plastisch zu machen: Es gibt nicht einen einzigen
Wahlkreis eines Bundestagsabgeordneten, der von diesem Etat nicht berührt wäre; er hat enorme Auswirkungen. Wenn Sie von der Bundesregierung etwas mutiger
wären, dann hätten Sie einen wirklichen Infrastrukturetat
geschaffen, indem Sie das Wirtschafts- und Landwirtschaftministerium hier integriert hätten.
Sie sehen: Die Opposition geht den Haushalt lustvoll
und kreativ an. Das Zahlenwerk von Bundesminister
Ramsauer ist allerdings ein Anschlag auf Mut und Kreativität.
({0})
Dafür will ich ein paar Beispiele nennen.
Sie wollen mit diesem Haushalt die Etats zweier besonders erfolgreicher Förderprogramme - die Städtebauförderung und die energetische Gebäudesanierung - im Vergleich zu diesem Jahr halbieren. Wer sich
so seiner eigenen Stärken beraubt, nimmt sich doch den
Spielraum zum Gestalten. Ich finde, das, was Sie hier
vorführen, ist nun wirklich absurd.
({1})
Deshalb bekommen Sie wie wir Briefe von Architekten, Wohnungsgesellschaften, Kirchen und Mietervereinigungen, die sich darüber beschweren. Es muss Ihnen
doch zu denken geben, wenn sich Ortsvereine von CSU,
Grünen, SPD und Linken gleichermaßen über diesen
Unsinn beschweren. Dass Sie nicht in der Lage sind, daraus Schlüsse zu ziehen, ist ebenfalls absurd.
({2})
- Das schreckt inzwischen niemanden mehr.
({3})
Das Neue an diesem Widerstand ist: Diejenigen, die
uns diese Beschwerdebriefe schicken, argumentieren in
erster Linie nicht betriebswirtschaftlich. Sie sagen nicht:
Meinem Unternehmen geht der Gewinn flöten. Sie sagen
auch, aber nicht nur: Es geht um Arbeitsplätze. Sie argumentieren mit gesellschaftlicher Verantwortung und sagen Ihnen die Wahrheit. Die Wahrheit ist: Sie machen
mit dieser Politik das Gemeinwesen und die Demokratie
kaputt; wir erleben hier einen Anschlag auf unser demokratisches Gemeinwesen.
({4})
Das ist das Neue am Widerstand gegen Ihre vermeintliche Sparpolitik, die nicht wirklich Sparpolitik ist: Während wir hier eine Woche lang darüber debattieren, wie
man 10 Milliarden Euro im Bundesetat einsparen kann,
werden Garantien in Höhe von 40 Milliarden Euro - erneut für die Hypo Real Estate - am Parlament vorbei
ausgereicht.
({5})
Ich will Ihnen von einem Erlebnis erzählen. Ich stand
vor kurzem auf einer halb fertiggestellten ICE-Brücke in
meinem Wahlkreis, die über die Unstrut führt. Sie gehört
zur ICE-Strecke Nürnberg-Leipzig. Ingenieurtechnisch
ist das außerordentlich beeindruckend; die Fahrstrecke
wird dann irgendwann eine halbe Stunde kürzer sein.
Die Wahrheit der neuen Trasse heißt aber auch, dass
dann Kulturstädte wie Weimar, Naumburg und andere
regelrecht vom Fernverkehr abgehängt werden. Ich
glaube, diese Logik der Metropolendominanz ist keine
Logik von heute, sondern von gestern. Das Interessante
dabei ist: Ihre Ideen von vorgestern werden heute in Beton gegossen; aber es sind eben Ideen von vorgestern.
Es gibt auch ganz andere Logiken. In Sachsen-Anhalt
fand die Internationale Bauausstellung statt, eine sehr
beeindruckende Veranstaltung, deren Motto „Weniger ist
Zukunft“ lautete. Es ging um die Hinwendung zu einer
anderen Entwicklungslogik. Aber dafür braucht es eine
zukunftsfähige Infrastrukturpolitik. Dafür muss man
Mut haben und dann auch Geld anfassen.
Herr Bundesminister, in Ihrem Etat sind alle Baulichkeiten des Bundes in Berlin und Bonn versammelt. Sie
tragen künftig eine spezielle Verantwortung dafür, den
Umzug der Bundesregierung von Bonn nach Berlin
zu vollziehen. Die Linke hat Ihnen dazu bereits im Jahr
2006 einen entsprechenden Antrag vorgelegt. Nun hat
auch der Bundesverteidigungsminister - er ist ein reformfreudiger Typ - erkannt, dass es besser wäre, sein
Ministerium in Berlin anzusiedeln.
({6})
Herr Ramsauer, wir fordern Sie auf: Packen Sie es an!
Treten Sie für die Wiedervereinigung der Bundesregierung in Berlin ein! Wir versprechen Ihnen dabei: Keinem Bonner wird es schlechter gehen.
({7})
Herr Minister, wir Ossis haben gut gelernt, zwischen den
Zeilen zu lesen, auch bei Ihrer Rede. Demnach wollen
Sie, dass Ihr Etat nicht so bleibt, wie er ist. Hierin stimRoland Claus
men wir überein. Bessern Sie Ihren Etat; denn so, wie er
ist, ist er Mist.
({8})
Herr Kollege Claus, es wird in Bonn sicher nachhaltige Beruhigung auslösen, wenn ein Vertreter Ihrer Fraktion die Bundesregierung zur Wiedervereinigung auffordert.
({0})
Nächster Redner ist der Kollege Winfried Hermann
für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Meine Damen und
Herren! Liebe Kollegen! Wir debattieren heute über die
Grundzüge des Haushalts des Ministeriums für Verkehr,
Bau und Stadtentwicklung.
({0})
Eines der Grundprobleme dieses Haushalts - vor allem
im Verkehrsbereich - ist, dass wir eine große Lücke haben zwischen den Ansprüchen, die gestellt werden, und
den Mitteln, die tatsächlich zur Verfügung stehen.
({1})
Die Kluft zwischen Wunsch und Wirklichkeit - man
müsste eigentlich sagen: zwischen Wahn und Wirklichkeit - ist gewaltig.
({2})
Schauen wir uns an, welche Kosten im Bundesverkehrswegeplan für den vordringlichen Bedarf vorgesehen sind: im Bereich Schiene noch 35 Milliarden Euro
und im Bereich Straße noch 28 Milliarden Euro. Im
Schienenbereich stehen uns in den kommenden 5 Jahren
aber nur maximal 5 bis 6 Milliarden Euro und im Straßenbereich maximal 10 Milliarden Euro für Neubauinvestitionen zur Verfügung. In dieser Situation hätte
ich vom Minister erwartet, dass er sagt: Es ist Zeit zur
Einkehr, zum Nachdenken, zum Nachrechnen und auch
zur Umkehr. Wir müssen uns von unbezahlbar teuren,
nicht durchsetzbaren Projekten verabschieden.
({3})
Das tun Sie nicht. Dazu haben Sie nicht den Mut.
Das ist übrigens der Grund, warum in Stuttgart so
viele Menschen Tag für Tag auf die Straße gehen. Sie
protestieren nicht, wie die Kanzlerin meint, gegen einen
neuen Bahnhof. Nein, diese Menschen fragen sich: Warum wird in Stuttgart ein gut funktionierender Kopfbahnhof nicht einfach bezahlbar und schnell modernisiert? Warum wird er zerstört? Warum wird ein Park für
einen unterirdischen Durchgangsbahnhof zerstört,
({4})
der geringere Kapazitäten hat, der schlechter für die
Kunden ist, bei dem der Taktverkehr nicht mehr funktioniert, aber richtig teuer ist und nur der Immobilienwirtschaft und den Tunnelbauern nutzt?
({5})
Sie fragen sich: Wie kann es sein, dass sich Politiker
in Gremien über Jahre hinweg schöne Zahlen vorlegen
lassen und nie kritisch nachfragen? Wie kann es sein,
dass ein Gremium wie der Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestages - Herr Kollege Barthle, Sie waren
dabei - das Projekt Stuttgart 21 und die Neubaustrecke
vor anderthalb Jahren verabschiedet hat, was mit
2,8 Milliarden Euro veranschlagt wurde und inzwischen
4,1 Milliarden Euro kosten soll?
({6})
Die Neubaustrecke wurde damals mit 2 Milliarden Euro
veranschlagt, inzwischen wurde zugegeben, dass es
3 Milliarden Euro sind.
({7})
In einem von uns vorgelegten Gutachten haben wir Ihnen dargelegt, dass es wohl eher 4 oder 5 Milliarden
Euro sein werden.
({8})
Alles in allem schlucken beide Projekte 10 bis 11 Milliarden Euro. Das ist die Summe, die Sie zum Ausbau
des gesamten deutschen Schienengüterverkehrs dringend brauchten.
({9})
Diese Art von Geldverschwendung geht den Leuten so
was von auf den Keks, in Schwaben ganz besonders.
({10})
Herr Kollege Hermann, darf Ihnen der Kollege Kalb
eine Zwischenfrage stellen?
Gerne, das verlängert meine Redezeit, und ich kann
dann meine Gedanken noch besser ausführen. Vielen
Dank.
Herr Kollege Hermann, würden Sie erstens zugeben,
dass es eine klare Finanzierungsvereinbarung zwischen
dem Bund und den übrigen Beteiligten gibt und dass die
finanzielle Beteiligung des Bundes seinerzeit auf
Vorschlag des damaligen Bundesverkehrsministers
Tiefensee
({0})
exakt begrenzt wurde und hier keine nachteiligen Auswirkungen zu erwarten sind?
Würden Sie zweitens zugeben, dass Sie die Öffentlichkeit in die Irre führen, weil bei allen Planungen und
Kostenangaben der Kostenstand des Jahres 2004 zugrunde gelegt wird und es natürlich eine Eskalation bei
der Preisentwicklung gibt?
({1})
Vielen Dank. - Tatsächlich wird bei diesen Großprojekten immer mit veralteten Zahlen gerechnet, damit
nicht auffällt, wie teuer sie sind.
({0})
Wir wissen heute zum Beispiel - nach Angaben der
Bahn -, dass die Neubaustrecke 3 Milliarden Euro kostet. Das ist exakt das Doppelte von dem, was der Haushaltsausschuss vor anderthalb Jahren als Verpflichtungsermächtigung beschlossen hat. Bei Neubaustrecken
- das wissen Sie so gut wie ich - ist der Bund alleiniger
und ausschließlicher Finanzier. Dass Baden-Württemberg dem Bund in diesem Zusammenhang ungefähr
1 Milliarde Euro schenkt, ist eher ein Glück, man könnte
auch sagen: Dummheit. Auf jeden Fall muss das nicht
geschehen.
Beim Bahnhof ist es das Gleiche. Der Bund wird
nicht alleine bezahlen. Alle Beteiligten werden mehr bezahlen. Aber auch hier hat man jahrelang mit falschen
Zahlen gerechnet.
({1})
Jetzt komme ich zum Thema Demokratie. Herr
Minister, Sie haben gefragt: Was haben diese Leute für
ein Demokratieverständnis? Bei den Protesten in Stuttgart höre ich von den Leuten immer wieder, dass sie
nicht verstehen können, dass sich gewählte Parlamentarierinnen und Parlamentarier so wenig mit der Frage beschäftigen, was solche Großprojekte wirklich kosten,
wie hoch die Baurisiken und die Kostenrisiken sind. Die
Leute fragen: Wie kann es sein, dass solche Gremien auf
der Basis völlig falscher Zahlen Beschlüsse fassen und
diese anschließend noch nicht einmal korrigieren?
({2})
Nach der Haushaltsordnung des Deutschen Bundestages
und den darin festgelegten Prinzipien der Sparsamkeit
und der Wirtschaftlichkeit wäre es Ihre Pflicht, diese Beschlüsse von vor anderthalb Jahren komplett infrage zu
stellen.
({3})
Noch etwas ärgert die Leute. Hier wird so getan, als
wären diese Beschlüsse unumkehrbar, als sei von allen
zuständigen Gremien längst alles beschlossen. Die Bevölkerung ist nie gefragt worden. Eine Bürgerbeteiligung ist immer abgelehnt worden. Ein Bürgerentscheid
ist immer abgelehnt worden. Am Anfang hat man gesagt, dafür sei es zu früh. Später hat man gesagt, es sei zu
spät dafür. Abgelehnt worden ist die Beteiligung immer.
Was aber wirklich ärgerlich ist, ist, dass man, obwohl
das Projekt Stuttgart 21 in wesentlichen Teilen noch
nicht rechtskräftig planfestgestellt ist und die Neubaustrecke in fast allen Teilen noch nicht rechtskräftig planfestgestellt ist,
({4})
den Bahnhof abreißt und damit Tatsachen schafft. Man
will das Projekt durchprügeln, und das stinkt den Leuten.
Es stinkt ihnen, dass Sie so tun, als sei über alles geschwätzt worden, als sei alles geregelt, als könne man
nichts mehr umkehren.
({5})
Das ist die Wahrheit, aber die verstehen Sie nicht.
Sie haben gesagt, dass es genügend Möglichkeiten
gab, Einfluss zu nehmen.
({6})
Sie täuschen sich. Ich begleite dieses Projekt seit Anfang
der 90er-Jahre. Die Bevölkerung ist nie gefragt worden,
ob sie einen neuen Bahnhof haben möchte, ob sie einen
Nutzen in diesem Projekt sieht. Sie ist nie gefragt worden. In den allgemeinen Wahlen hat die Bevölkerung der
CDU die Mehrheit gegeben. Die Krux an einer allgemeinen Wahl ist nun einmal, dass man nicht über einzelne
Punkte abstimmen kann. Viele CDU-Wähler haben Sie
zweifellos gewählt, obwohl sie gegen Stuttgart 21 waren. Das wird sich ändern. Das werden Sie sehen. Das
erkennt man an den aktuellen Umfragen. Ich kann nur
sagen: Es ist noch Zeit zum Umdenken. Wir sagen klipp
und klar: Es ist höchste Zeit zum Nachdenken und zum
Einlenken. Schluss mit den Abrissarbeiten! Moratorium!
Die Zahlen müssen auf den Tisch. Wir müssen wissen,
was das kostet und welchen Nutzen das wirklich bringt.
Es muss auch auf den Tisch, was der Ausstieg kosten
würde. Wir brauchen seriöse und ehrliche Berechnungen
und keine Mondzahlen.
Herr Kollege Hermann.
Wenn diese Zahlen auf dem Tisch liegen, dann kann
die Bevölkerung abstimmen. Entweder Sie machen bei
der Volksbefragung und dem Volksentscheid mit oder
Sie bekommen bei der Wahl, bei der Sie sowieso dabei
sind, die Quittung.
Vielen Dank.
({0})
Arnold Vaatz ist der nächste Redner für die CDU/
CSU-Fraktion.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten
Damen und Herren! Abweichend von dem, was ich eigentlich vorhatte, muss ich erst einmal etwas zu der
Rede von Herrn Hermann sagen.
Wenn ich über Stuttgart 21 rede, ist das nicht authentisch, weil ich nicht von dort komme
({0})
und in meinem Wahlkreis andere Probleme habe. Ich
möchte Ihnen etwas Prinzipielles zu dem Gesamtproblem sagen. Ihre Politik, die Politik der Grünen,
({1})
besteht seit vielen Jahren darin, Planungsprozesse so
lange wie möglich zu verzögern, immer neue Einspruchsmöglichkeiten zu schaffen
({2})
und nach erfolgreicher Verzögerung mit der veränderten
Sachlage zu argumentieren und zu sagen, das Ganze sei
jetzt nicht mehr zeitgemäß.
({3})
Wenn Sie diese Strategie in diesem Land weiter bis zum
Exzess treiben, kommen wir an einen Punkt, an dem wir
in diesem Land nicht mehr investieren können. Das müssen Sie wissen. Sie tragen dafür die volle Verantwortung.
({4})
Im Übrigen sollten Sie nicht so laut nach Volksentscheiden rufen. Ich habe in Dresden erlebt, wie Sie mit
dem Resultat von Volksentscheiden umgehen.
({5})
Sie holen dann eine Reihe von Demonstranten auf die
Straße. Diese Demonstranten waren in Dresden immer
die Minderheit. Sie waren allerdings, wenn sie gesammelt auftraten, ganz eindrucksvolle Kulissen.
({6})
Sie wollen mit einer Minderheit der Mehrheit Ihren Willen aufzwingen. Das ist undemokratisch. Das ist das Gegenteil von dem, was ich unter Demokratie verstehe.
({7})
Wir reden heute über den Einzelplan 12. Wenn Sie gestatten, möchte ich Sie bitten, vor allen Dingen diejenigen, die schon länger im Parlament sind, ehrlich zurückzublicken, was in aller Regel geschehen ist, wenn von
Haushaltskonsolidierung die Rede war. In aller Regel ist
der konsumtive Teil des Haushaltes nahezu unangetastet
geblieben, und der investive Teil war sozusagen der
Steinbruch, wo man sich bedient hat. Das mag ein bequemer Weg sein, aber diesen bequemen Weg ist die Koalition, insbesondere Wolfgang Schäuble, in diesem Fall
nicht gegangen. Vielmehr haben wir zum ersten Mal
Konsolidierung und Schonung des investiven Haushaltsteils zusammengebracht. Das halte ich für eine ganz
große Leistung dieser Koalition.
({8})
Wir haben also auch im Verkehrshaushalt die Investitionslinie auf hohem Niveau gehalten. Kern unserer
Verkehrspolitik bleibt - das bildet der Haushalt ganz eindeutig ab - die Sicherstellung unserer Infrastrukturfinanzierung. Allerdings brauchen wir, da auch in Zukunft das Geld knapp sein wird, neue umfassende
Konzepte, um das, was wir uns vorgenommen haben,
durchzusetzen. Wir müssen in erster Linie beachten
- hier verändern sich die Dinge in Deutschland ein klein
wenig -, dass die Erhaltung unserer Verkehrswege in
Zukunft mehr Aufmerksamkeit fordern wird als früher.
Peter Ramsauer ist am Anfang seiner Rede auf das
Thema 20 Jahre deutsche Wiedervereinigung eingegangen. Wenn Sie sich fragen, weshalb ein so ungeheuer
großer Finanz- und Investitionsbedarf in Ostdeutschland
bestanden hat, dann müssen Sie sich vergegenwärtigen,
dass Instandhaltung über viele Jahre in Ostdeutschland
ein Fremdwort war. Wir bekamen ab und zu schöne neue
Straßen - das ist richtig -, aber an denen wurde dann
über ein, zwei oder drei Jahrzehnte nichts getan. Das
führte zu dem Zustand, den wir 1990 hatten. Dies dürfen
wir in der Bundesrepublik Deutschland auf keinen Fall
jemals wieder zulassen. Demzufolge ist Instandhaltung
wichtig.
({9})
Für den Schienenbereich haben wir die Leistungsund Finanzierungsvereinbarung für das Bestandsnetz.
Das ist eine gute Tat, die unter der Ägide unserer sozialdemokratischen Freunde vernünftig unter Dach und
Fach gebracht worden ist. Dergleichen brauchen wir in
Zukunft für die Straße aber auch. Ich hoffe, dass uns das
gelingen wird.
Wir sagen aber auch ganz deutlich, und unser Haushalt bringt das zum Ausdruck: Mobilität muss bezahlbar
bleiben. Das ist ein ganz wichtiger Zielpunkt, den wir
anstreben. Das heißt insbesondere, dass man nicht dauernd mit kostentreibenden Vokabeln in der Öffentlichkeit jonglieren sollte. Über Finanzierungsfragen sollten
wir erst reden, wenn sich diese aus einem Konzept heraus ergeben. Es darf nicht zuerst eine Vokabel in die
Welt geworfen und dann die konzeptionelle Frage nachgereicht werden. Das ist keine richtige Politik. Demzufolge sagen wir auch, dass die Einführung einer PkwMaut nicht auf der Tagesordnung steht.
({10})
Das Bundesverkehrsministerium hat jetzt die große
Möglichkeit, möglicherweise ideologisch bedingte
Denkverbote von früher abzustreifen und die vorhandenen Spielräume besser auszunutzen. Grundlage seriösen
Handelns ist es meines Erachtens, dass man nicht zuerst
nach mehr ruft, sondern mit dem, was man hat, so effizient wie möglich umgeht.
Wir konnten die Infrastrukturinvestitionsmittel auf
hohem Niveau verstetigen. Wir müssen uns aber überlegen, ob wir uns in bestimmten Bereichen des Bundeshaushalts in Zukunft von diesen nicht unabhängiger machen können und machen müssen; denn Unabhängigkeit
ist eine wichtige Grundlage für Planungssicherheit.
Wir brauchen verkehrsträgerbezogene Finanzierungskreisläufe. Das gilt sowohl für die Einnahmen aus
der Lkw-Maut, die wieder vollständig für die Straße einzusetzen sind, wie auch für die Trassenerlöse der
Schiene, die komplett in die Schieneninfrastruktur zurückfließen müssen. Das halte ich für ein wichtiges Gebot der Transparenz. Wenn wir das unterlassen, dann
werden wir das nötige Vertrauen in eine vernünftige Verkehrspolitik in der Öffentlichkeit nicht einwerben können. Demzufolge müssen wir dies mit aller Konsequenz
angehen.
({11})
In einem ersten Schritt müssen wir noch für den
Haushalt 2011 die haushaltstechnischen Änderungen bezogen auf die Straße schaffen. Die Einnahmen aus der
Lkw-Maut müssen wieder ausschließlich für Investitionen in die Straße eingesetzt werden. In diesem Zusammenhang sehe ich auch den mit der Lkw-Maut verbundenen Anspruch, im Bundeshaushalt prinzipiell mehr
Transparenz herzustellen.
In einem zweiten Schritt gilt es dann, ein Geschäftsmodell für die Verkehrsinfrastrukturfinanzierungsgesellschaft zu entwickeln. Dieses muss die direkte
Zuweisung der Lkw-Maut an die Gesellschaft unter
Wegfall der Jährlichkeit ermöglichen. Dabei muss ihr
auch eine beschränkte Kreditfähigkeit eingeräumt werden.
Wir haben über die Kreditfähigkeit der VIFG schon
viel diskutiert. Es ist richtig, wenn das Finanzministerium sagt: Die VIFG kann Kredite nicht zu besseren
Konditionen als der Bundeshaushalt aufnehmen und unterliegt zudem auch der Schuldenbremse. Sie kann sich
also nicht zusätzlich verschulden. Das ist alles in Ordnung. Sie kann sich aber auf diese Weise etwas mehr aus
der Klammer der Kameralistik befreien. Sie kann stetiger finanzieren. Das führt zu mehr Effizienz. Demzufolge müssen wir uns darum bemühen, dass das stattfindet, meine Damen und Herren.
({12})
Ich möchte eine weitere Aussage machen. Auch ein
guter Haushalt verdient es, gelegentlich nachjustiert zu
werden. Neben den Verkehrsinvestitionen sind auch die
Investitionen im Städtebaubereich von elementarer
Bedeutung. Ich halte es für richtig, dass wir stärker dem
Gedanken nachgehen, dass sich die Städtebaumittel wegen ihrer enormen Hebelwirkung, wegen der daraus resultierenden zusätzlichen Investitionen selbst refinanzieren.
({13})
- Wissen Sie, wir sind der Deutsche Bundestag. Wir haben die Haushaltssouveränität, und wir können in unseren Verhandlungen über den Bundeshaushalt genau über
diese Fragen ausführlich reden. Dazu leiste ich hier einen Beitrag.
({14})
- Sie brauchen nicht zu klatschen.
({15})
Einen Satz muss ich Ihnen noch sagen. - Herr Präsident,
einen Augenblick Geduld.
Ich sage auch: Wir müssen aufpassen, dass wir aus
unseren Fachhaushalten nicht ein Sammelbecken für alles machen.
({16})
Dazu gehört zum Beispiel, dass wir einmal überprüfen,
ob es passend ist, das Programm „Soziale Stadt“ tatsächlich aus diesem Investitionshaushalt zu finanzieren.
({17})
Das ist es nicht. Stadtfeste zu organisieren, ist nicht Aufgabe des Bundesbau- und Verkehrsministers.
({18})
Aus dem Grunde sage ich: Das mag Sinn haben, aber es
gehört in den richtigen Haushalt, nämlich in den Haushalt für Arbeit und Soziales. Ich hoffe, dass uns hier ein
bisschen mehr Ordnung gelingt.
Vielen Dank.
({19})
Nun hat der Kollege Kahrs für die SPD-Fraktion das
Wort.
({0})
Guten Morgen, Herr Präsident! Herr Minister! Liebe
Kolleginnen und Kollegen!
({0})
Wenn man die Reden heute hier hört, dann fragt man
sich, wer hier gerade in welche Rolle geschlüpft ist. Herr
Minister, ich habe Ihre Rede gehört und zu großen Teilen
klatschen können. Sie war fantastisch. Ich frage mich
aber, wer hier jetzt die Regierung stellt und wie das am
Ende funktionieren soll.
Ich habe gerade eben auch den Kollegen Vaatz gehört,
der nun ob seiner Rede von allen beglückwünscht wird.
Ich habe ernsthaft nicht verstanden, wie das, was Sie sagen, mit dem, was Sie uns schriftlich vorgelegt haben, in
irgendeiner Form übereinstimmt.
({1})
Herr Minister, Sie und Ihre Staatssekretäre - Ihre fünf
Jungs hinter Ihnen - sind wirklich eine feine Truppe. Es
macht viel Spaß, mit Ihnen zusammenzuarbeiten, und
ich muss sagen: Es ist auf der privaten Ebene immer eine
helle Freude.
({2})
Bei aller persönlichen Sympathie muss ich aber auch
ganz ehrlich sagen: Ich weiß angesichts dessen, was Sie
tun, nicht, ob Sie auf der Sachebene Ihrer Aufgabe wirklich ernsthaft gewachsen sind.
Wenn man sich einmal die unterschiedlichen Aussagen zu Ihrem Haushalt anhört, dann wundert man sich.
Zum einen haben Sie einen Kollegen - das sind manchmal die Gefährlichsten -, nämlich den Kollegen Röttgen.
Der erklärte zu den Streichungen beim CO2-Gebäudesanierungsprogramm - man soll es ja gar nicht für
möglich halten -:
Diese Kürzungen werden die Sanierungsrate massiv senken und drastische Auswirkungen auf Wirtschaft und Arbeitsmarkt haben.
Wenn Deutschland seine ambitionierten Klimaschutzziele verwirklichen wolle, müssten dauerhaft wieder
2 Milliarden Euro pro Jahr für das Gebäudesanierungsprogramm zur Verfügung stehen. - Das sagte Minister
Röttgen.
({3})
Als Sozialdemokrat habe ich jetzt ein kleines Problem
damit. Ich habe in meiner Fraktion tapfer dafür gekämpft, dass wir von den mieseligen 400 Millionen
Euro, die Sie für dieses CO2-Gebäudesanierungsprogramm übergelassen haben, auf 1,5 Milliarden Euro
hoch wollen. Jetzt hat mich der Röttgen um 500 Millionen Euro geschlagen. Abgesehen davon, dass das mit Ihrem Haushalt überhaupt nichts zu tun hat: Wie soll ich
das jetzt in meiner Fraktion erklären?
({4})
Was der Herr Schäuble dazu sagt, das können wir ja einmal in einer stillen Stunde diskutieren.
Weit besser als der Kollege Röttgen ist allerdings Ihr
eigener Staatssekretär. Man liest ja nun wirklich selten
die Bild-Zeitung, aber manchmal lernt man etwas dabei.
Ich hoffe, ich finde das jetzt in meinen Unterlagen. Diese
Zettelwirtschaft liegt daran, dass die Presse in letzter
Zeit so fantastisch geworden ist. - Wenn man die BildZeitung liest, dann erfährt man, dass der Kollege Mücke
von der FDP - Frau Winterstein, Sie müssen einmal miteinander reden ({5})
eine Kehrtwende der Regierung bei der Förderung der
Energiesanierung von Wohnungen angedeutet hat. Er
sagte der Bild-Zeitung:
Das CO2-Sanierungsprogramm sollte auf bis zu
3 Milliarden Euro im Jahr aufgestockt werden.
({6})
Also: Lesen bildet, Denken hilft!
Jetzt haben wir hier also einen Haushaltsentwurf zum
CO2-Gebäudesanierungsprogamm, in dem 400 Millionen Euro stehen. Der Bundesumweltminister sagt: Es
müssen mindestens 2 Milliarden Euro sein, sonst sind die
Ziele der Bundesregierung überhaupt nicht zu halten. Was ich davon zu halten habe, weiß ich ja. Schließlich
kommt noch der Herr Staatssekretär Mücke von der
FDP, damit alle Parteien im gleichen Boot sitzen: die
CSU mit ihrem Entwurf über 400 Millionen Euro, die
CDU, der Minister, mit dem Entwurf über 2 Milliarden
Euro und die FDP, Ihr Staatssekretär, mit gleich 3 Milliarden Euro.
Die Kollegin Winterstein hat die ganze Zeit etwas davon erzählt, dass man keine Schulden machen dürfe und
sparen müsse; hier ganz besonders.
({7})
Dazu kann ich nur sagen, dass das eine lustige Mischung
ist. Was das allerdings mit einer soliden Haushaltsund Regierungspolitik zu tun hat - Haushaltsklarheit
und -wahrheit, das sagen Sie ja immer gerne -, weiß
nicht einmal der Kollege Barthel Kalb. Er schüttelt nämlich die ganze Zeit den Kopf. Er ist ein feiner Kerl, aber
auch er ist ratlos.
({8})
- Ich weiß, dass du nicht nervös bist. Du bist schon so
lange dabei; dich wird niemand aus der Ruhe bringen. Ich bemühe mich in dieser Frage nicht. Ich finde, dass
eher der Minister unruhig werden sollte.
Wenn man sich die Presse weiter anschaut, liest man
so schöne Überschriften wie: „Soziale Kälte statt Heizkostenzuschuss“. Über den Heizkostenzuschuss können
wir noch an anderer Stelle reden.
Ein Thema, das auch ganz amüsant ist, ist das Thema
Städtebauförderung; das hatten wir eben.
({9})
Sie haben uns gerade gesagt, die Mittel hierfür würden
halbiert. Über den Sinn, Unsinn und Zweck der Städtebauförderung ist bereits viel gesagt worden. Dass sie
richtig, wichtig und gut ist, hat die CDU/CSU-FDP-Koalition in ihrer Koalitionsvereinbarung geschrieben. In
der Koalitionsvereinbarung, die Sie geschrieben haben
- das ist die Grundlage Ihrer Arbeit; das, was Sie für vier
Jahre vereinbart haben -, kann man nachlesen
({10})
- sie ist nicht für jeden Sozialdemokraten die Grundlage
einer vernünftigen Politik; aber lichte Momente sollte
man durchaus zitieren -:
Die Städtebauförderung leistet einen unverzichtbaren Beitrag zur lebenswerten Gestaltung von Städten und Gemeinden.
- Herr Vaatz, das haben Sie eben als Stadtteilfeste so abgekanzelt. Wir werden die Städtebauförderung als gemeinschaftliche Aufgabe von Bund, Ländern und Kommunen auf bisherigem Niveau, aber flexibler fortführen.
Gegen Flexibilität hat niemand etwas. Aber das Niveau
war die Ansage.
In einer Presseerklärung des Bundesverbandes deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmen - ein sehr
solider, sehr ehrenwerter Verband, meistens von Hanseaten geführt - steht - manchmal hilft es, zu lesen -: Dennoch sieht der Haushaltsentwurf der Bundesregierung
vor, im Haushalt des BMVBS die Mittel für die Städtebauförderung zu halbieren, von ursprünglich geplanten
610 Millionen Euro auf 305 Millionen Euro. - Jetzt nehmen wir den Koalitionsvertrag dieser Regierung, dann
nehmen wir den Haushaltsentwurf, und dann wundern
wir uns; denn eigentlich sollte man glauben, dass hier
die gleichen Herrschaften tätig gewesen sind.
Nachdem wir jetzt die Presselage studiert, die unterschiedlichen Ministermeinungen und die Unterschiede
zwischen CSU, CDU und FDP zur Kenntnis genommen
haben, kann ich noch kurz auf den Haushalt zu sprechen
kommen. Herr Minister, ich habe wirklich sehr geschätzt, was Sie zu den wichtigen Themen gesagt haben,
nämlich zu den Häfen, dass sie die Lebensader unserer
Republik seien, und zu den Hinterlandverkehren. Es
ist eine Supersache, dass Sie als Bayer das verstanden
haben. Ich nehme an, der Kollege Ferlemann hat etwas
damit zu tun. Er - der übrigens von mir sehr geschätzte
Kollege ist aus Otterndorf; bei der Elbsanierung ist das
für ihn nicht immer so einfach - hat auf einer Veranstaltung des Hamburger Hafens alle diejenigen Dinge erwähnt, die für uns Norddeutsche für die Hinderlandverkehre richtig, wichtig und gut sind: Elbe rauf und runter
ausbauen, Nord-Ostsee-Kanal - das sind wunderbare
Geschichten - und Y-Trasse. Er hat gesagt: All das soll,
wird und muss kommen.
({11})
Als Hamburger mit dem Wahlkreis Hamburg-Mitte kann
ich dem nur zustimmen. Super!
({12})
Aber das klitzekleine Problem bei der Sache ist, dass
die anderen Jungs, die da sitzen, das Gleiche tun. Sie alle
gehen durch ihre Wahlkreise und Bundesländer - egal ob
in Bayern oder Baden-Württemberg - und erzählen den
Leuten das, was sie hören wollen. Auch ich als Sozialdemokrat tue das immer gerne. Aber wenn man schon
durch die Länder und Kommunen geht und Ortsumgehungen, Elbvertiefungen, die Y-Trasse und all das, was
richtig, wichtig und gut ist, verspricht, dann müsste man
das auch im Haushalt wiederfinden - Stichwort: „Haushaltsklarheit und Haushaltswahrheit“.
({13})
Allerdings ist das, was wir sehen, mehr Wunsch und
Wahn, weil finanziell nicht unterlegt. Wir haben doch
das Problem, dass all die schönen Dinge nicht unterlegt
sind. Bei der Y-Trasse, so erklärte uns Herr Grube vor
kurzem, habe er leider nur die Planungskosten, von Bau
und Investitionen nichts, gar nichts.
({14})
- Das ist richtig. Aber wir haben doch eine mittelfristige
und eine langfristige Finanzplanung, und Sie wissen: Es
gibt bestimmte Vorläufe, und es muss Geld da sein. Das
Problem ist: Es ist kein Geld da.
Herr Grube sagte, dass die Y-Trasse unverzichtbar
und notwendig, zurzeit aber nicht finanzierbar ist. Vor
diesem Hintergrund erscheint die Arbeit dieser Regierung, dieser Koalition in einem anderen Licht. Frau
Dr. Winterstein sagt zwar zu Recht: Man muss das, was
man tut, auch finanzieren können. Aber da erinnere ich
immer an Theo Waigel;
({15})
er ist ja ein respektabler Mann.
({16})
- Ja, ja. - Er hat gesagt: Haushaltssanierung gelingt
nur in einem Dreischritt: erstens Einnahmeverbesserungen, zweitens Wachstumsförderung, drittens Einsparungen.
Die Einnahmeverbesserungen haben Sie versemmelt.
({17})
Ich will jetzt nicht wieder mit Ihrer Nummer mit den
Hotels anfangen. Sonst bekomme ich gleich Ärger von
meinem Lieblingsstaatssekretär;
({18})
das muss ich nicht haben. Auch über die anderen Punkte
haben wir schon diskutiert; auch da haben Sie geloost.
Wachstumsförderung ist das, was wir in der Großen
Koalition so wunderbar getan haben. Wir haben Konjunkturpakete geschnürt. Sie canceln jetzt leider all diese
Konjunkturpakete. Dabei kommt aber nichts heraus.
Wachstumsförderung findet bei Ihnen also nicht statt.
Sie fördern nicht Wachstum, sondern Sie streichen.
({19})
- „Unglaublich“, Herr Döring, ist in der Tat das einzige
Wort, mit dem man beschreiben kann, was Sie leisten,
wenn man das überhaupt „leisten“ nennen kann.
({20})
Zum Schluss möchte ich ganz kurz sagen: Die Elbvertiefung wollen wir natürlich alle. Bei Otterndorf müssen wir aufpassen; das wissen wir. Der Nord-OstseeKanal ist super, die Y-Trasse auch.
Ein allerletztes Wort zu Stuttgart 21. Da wir hier und
heute gehört haben, dass die CSU Lobeshymnen auf die
SPD in Baden-Württemberg gesungen hat, sage ich Ihnen: Erstens ist die SPD in Baden-Württemberg gut,
zweitens in den Umfragen deutlich unterbewertet,
({21})
und drittens glauben wir, dass das, was in BadenWürttemberg geschieht, kluge, kühle und solide denkende Köpfe erfordert. Ich kann den Kollegen Hermann
verstehen. Ein kleiner Wutanfall ist gut für Wahlaussagen.
Lieber Kollege Kahrs.
Ich komme zum Ende.
Ich könnte Ihnen zwar noch stundenlang zuhören.
({0})
Bedauerlicherweise hat Ihnen Ihre Fraktion aber eine
miserabel kurze Redezeit zugestanden.
({1})
Ich warte die ganze Zeit auf Vorschläge aus den Reihen
der Koalition, dass sie einen Teil ihrer Redezeit für weitere Belobigungen von Regierungsmitgliedern, insbesondere von Mitgliedern früherer Bundesregierungen,
zur Verfügung stellen will.
({2})
Eine solche Meldung habe ich aber nicht erhalten. Deswegen nähern wir uns dem grausamen Ende Ihrer Redezeit.
({3})
Herr Präsident, ich komme zum Schluss, allerdings
nicht, ohne noch darauf hinzuweisen: Stuttgart 21 ist
richtig; die SPD hat dazu eine klare Ansage gemacht. Es
ist aber auch richtig, die Bevölkerung zu fragen, zu überzeugen und in der Sache mitzunehmen.
({0})
Dadurch vermeidet man solche Demonstrationen.
Herr Minister, Sie haben gute Argumente. Nutzen Sie
sie, statt auf die Demonstranten, die das Gefühl haben,
dass sie von Ihnen alleine gelassen werden, immer nur
„einzudreschen“.
Vielen Dank.
({1})
Das Wort erhält nun der Kollege Patrick Döring für
die FDP-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es
ist ein Stück weit tragisch, dass die Opposition immer
virtuelles Geld ohne Ende hat,
({0})
dass diejenigen, die regieren, aber mit der Realität operieren müssen. Ebenso ist es intellektuell unredlich, dass
Sie über diesen Einzelplan völlig losgelöst von der
Haushaltswirklichkeit der Bundesrepublik Deutschland,
unseres Staatswesens, diskutieren.
Das, was wir gehört haben, war ein Wunschkonzert,
({1})
insbesondere vonseiten der Sozialdemokraten. Sie betonten zwar, all Ihre Vorschläge seien wohlfeil durchdacht und leicht umsetzbar. Aber die Kollegin
Winterstein und andere haben schon deutlich gemacht:
Wir investieren mehr in die Verkehrswege, als es die Regierungen, an denen Sie beteiligt waren, jemals getan haben.
({2})
Mit Ausnahme der zwei Jahre, in denen sich Deutschland in einer Konjunkturkrise befunden hat und wir Konjunkturpakete aufgelegt haben, investieren wir mehr.
({3})
Das ist die Wahrheit.
({4})
Mit diesem Phantomschmerz kommen Sie nicht klar,
liebe Kolleginnen und Kollegen.
({5})
Man kann über Unterfinanzierung, Planungen oder
Versprechungen diskutieren, aber eines ist auch klar: Die
Projekte, über die wir aktuell sprechen und die so stark
im Fokus sind, sind alle unter einer anderen Regierung
entstanden. Auch die Finanzierungsvereinbarung zu dem
umstrittenen Projekt im Südwesten trägt die Unterschrift
eines Sozialdemokraten, nämlich von Wolfgang
Tiefensee.
({6})
Jetzt werfen Sie das uns vor die Füße und beklagen sich,
dass wir nicht genug Mittel auskehren können. Auch das
ist intellektuell unredlich.
({7})
- Geschätzter Kollege Hermann, ich komme noch darauf, keine Bange.
Man kann auch das Thema CO2-Gebäudesanierungsprogramm isoliert betrachten und den Blick nur
in den Einzelplan werfen. Aber falls es Ihnen entgangen
ist: Diese Bundesregierung und diese Koalition arbeiten
gerade an einem umfangreichen Energiekonzept, durch
das es zu zusätzlichen Haushaltseinnahmen kommt.
Selbstverständlich werden wir darüber reden, wie wir
die Mittel aus diesem Sondervermögen einsetzen werden. Wenn wir uns in der Koalition darüber einig sind,
dass die Gebäudesanierung einen wesentlichen Beitrag
zur Erreichung unserer Klimaziele leistet, dann werden
wir sie auch finanzieren. So einfach ist das.
({8})
Insofern muss man sein Horizontproblem - keiner weiß,
wie klein sein Horizont ist - auch dadurch lösen, dass
man andere Politikbereiche mit einbezieht.
Ich persönlich finde es auch bemerkenswert, geschätzte Kolleginnen und Kollegen, dass alle bisherigen
Redner der Opposition es geschafft haben, kein einziges
Wort über die gesamtstaatliche Situation zu verlieren.
Ganz im Gegenteil, Herr Kahrs hat eben gesagt, wir würden angeblich kein Wachstum bewirken. Dabei ist die
deutsche Wirtschaft in diesem Quartal so stark gewachsen, wie es in den meisten Quartalen der Regierungszeit
der Sozialdemokraten nicht der Fall war.
Wir brauchen keine Konjunkturprogramme, weil wir
gute Politik machen. Das ist die Wirklichkeit.
({9})
Wir haben so wenig Arbeitslose in unserem Land wie
nie zuvor in der Regierungszeit der Sozialdemokraten.
({10})
Auch das ist offensichtlich ein Phantomschmerz. Denn
das ist die Wahrheit in diesem Land, auch wenn Sie noch
so viele nette Reden halten: Die Wirtschaft funktioniert
sehr gut, weil diese Regierung gute Politik macht.
({11})
Ich will nicht auf die gespielte Empörung des Kollegen Hermann zu dem Infrastrukturprojekt in Stuttgart
eingehen, weil ich glaube, dass die Art der Diskussion,
die Sie dort anzetteln, weit über die Grenzen Stuttgarts
hinaus und auch für dieses Haus eine große Bedeutung
hat.
({12})
Es ist demokratietheoretisch und politisch brandgefährlich, einen Unterschied zwischen Legalität und Legitimität zu machen.
({13})
Das tun Sie permanent.
Es gibt ein Planfeststellungsverfahren. Das ist übrigens spannend, weil die Kollegin Künast, die die
Debatte leider nicht mehr verfolgen kann, immer von
Bürgerrechten redet: Wir haben in Stuttgart ein Planfeststellungsverfahren durchgeführt, in dem über
10 000 Einwendungen von Bürgerinnen und Bürgern
von den Behörden einzeln und individuell abgearbeitet
worden sind.
({14})
Deshalb hat es über 15 Jahre gedauert. Jetzt der Bundesrepublik Deutschland - unabhängig davon, wer regiert vorzuwerfen, dass das ganze Projekt nicht mehr legitim
und legal ist, weil es 15 Jahre gedauert hat und zu Kostensteigerungen gekommen ist, ist schlicht unredlich.
Das wird das Land nicht weiterbringen.
({15})
Es gibt klare Prozesse und Verfahren. Bürgerbeteiligung ist ein hohes Gut. Es gibt kein Land in der Europäischen Union, das seine Bürgerinnen und Bürger in Planfeststellungsverfahren so stark und intensiv beteiligt wie
die Bundesrepublik Deutschland.
({16})
Aber worüber soll eigentlich abgestimmt werden,
Frau Kollegin? Soll über die Oberverwaltungsgerichtsurteile oder über die 1 200 Seiten der Planfeststellung
abgestimmt werden? Nein, liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn wir anfangen, Legitimität und Legalität gegeneinander auszuspielen, dann werden wir in diesem
Land - das hat der Kollege Vaatz richtigerweise gesagt keine Möglichkeit haben, Infrastrukturprojekte durchzusetzen, wenn wir gleichzeitig unsere Verfahren zumindest halbwegs am Leben erhalten wollen, und ich bin
sehr dafür, dass man das tut.
({17})
Ich komme zum Schluss. Der Deutsche Bundestag hat
sich kurz vor der Wahl 2005 einstimmig für das Projekt
Wendlingen-Ulm und für Stuttgart 21 positioniert. Es
gab einen Antrag der damaligen rot-grünen Koalition.
Der verkehrspolitische Sprecher der SPD hat damals in
einer Pressemeldung gejubelt: Schön, dass auch Union
und FDP bei diesem tollen Projekt mit im Boot sind!
Die Zurückweisung muss jetzt ganz knapp erfolgen.
Nun, wo es ein bisschen brenzlig wird, gehen einige
von der Fahne. Der Kollege Kahrs hat sich positioniert;
das habe ich sehr wohlwollend zur Kenntnis genommen.
({0})
Ich sage Ihnen: Es war klug, dass der Deutsche Bundestag neben vielen anderen Institutionen im Jahre 2005
den Weg bereitet hat. Ihr Minister hat dann eine Finanzierungsvereinbarung geschlossen. Diese Regierung
wird sich ganz getreulich der Umsetzung dieses einstimmigen Beschlusses des Deutschen Bundestages - einstimmig, also mit Ihren Stimmen, Kollege Hermann zuwenden.
Vielen Dank.
({1})
Sabine Leidig ist die nächste Rednerin für die Fraktion Die Linke.
({0})
Werte Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte tatsächlich noch einmal dafür werben, den Beschluss zu
Stuttgart 21 zu überdenken und zu verhindern, dass dort
viele Milliarden unsinnig vergraben werden. Wir glauben nicht, dass virtuelles Geld in Massen zur Verfügung
steht. Wir wissen, dass das Geld knapp ist. Genau deshalb muss man diesen Beschluss überdenken. Es ist doch
völlig unsinnig, dass Großprojekte auf jeden Fall durchgezogen werden, nur weil irgendwann einmal vertragliche Grundlagen geschaffen worden sind, die jedoch auf
völlig falschen Fakten beruhen.
({0})
Wir haben die Wiederaufbereitungsanlage in Wackersdorf nicht gebaut. Der Schnelle Brüter in Kalkar ist nicht
in Betrieb gegangen, weil sich die Grundlagen verändert
hatten. Es gehört doch zum politischen Vermögen, zu erkennen, dass sich Verhältnisse verändern. Es hat von Anfang an begründete Skepsis gegenüber dem Projekt
Stuttgart 21 gegeben. Schon vor 14 Jahren ist ein Büchlein erschienen, in dem ganz vieles wunderbar zusammengefasst ist. Es hat allerdings auch eine Menge Versprechungen und Vorstellungen gegeben, was es Tolles
gibt.
({1})
In den letzten Monaten ist aber eine ganze Reihe von
Fakten auf den Tisch gekommen, die bisher unter Verschluss gehalten waren.
({2})
- Die bisher unter Verschluss waren.
({3})
Ich spreche noch darüber. - Es ist deshalb nicht ehrenrührig, wenn man seine Meinung ändert; das ist eigentlich das Vernünftige. Der vernünftige und erst recht der
politische Verstand gebietet es, dann die Meinung zu ändern.
({4})
Ich will noch etwas zum Rechtsstaat sagen. Er kennt
das Prinzip von Treu und Glauben. Dieses Prinzip ist
verletzt worden. Wer vor diesem Hintergrund nach dem
Motto verfährt: „Augen zu und durch“, und wie die
Kanzlerin sagt, das sei standfest, der irrt. Das ist nicht
standfest, sondern starrsinnig oder sogar suspekt.
({5})
Schon im Oktober 2008 hat der Bundesrechnungshof
Fundamentalkritik geübt und gesagt: Stuttgart 21 muss
als Projekt des Bundes anerkannt und unter parlamentarische Kontrolle gestellt werden. - Das haben Sie ignoriert. Die Deutsche Bahn AG hat beschlossen, dass der
Bau jetzt losgeht.
({6})
Seit dieser Bau losgegangen ist, gibt es jede Woche eine
Demonstration, und zwar jeden Montag. Das Wort
„Montagsdemonstrationen“ haben Sie, glaube ich, schon
einmal gehört.
({7})
- Es ist nicht die Linke, die dort demonstriert, sondern
die Bevölkerung von Stuttgart. Gehen Sie doch einfach
einmal dorthin, und schauen Sie sich an, mit welchen
Leuten Sie es dort zu tun haben!
({8})
Am Anfang waren es nur zwei Leute, die dort demonstriert haben. Als ich im Februar dort war, waren es
schon 2 000. Als ich vor 14 Tagen dort war, waren es
20 000 Leute. Damals hat der evangelische Prälat von
Stuttgart gesprochen. Er hat dieses Projekt mit dem
Turmbau zu Babel verglichen. Sie sollten darüber nachdenken, was das bedeutet.
Am 8. Juli hat der Stern über ein Gutachten berichtet,
das die Landesregierung vor zwei Jahren in Auftrag gegeben, aber auch zwei Jahre unter Verschluss gehalten
hatte. Darin ist die Rede vom „hohen Stabilitätsrisiko“
und von „einer geringen Gestaltungsmöglichkeit des
Fahrplanes“. Es wird konkret nachgewiesen, dass sich
der Schienennahverkehr durch das Projekt verschlechtern wird.
({9})
Am Ende dieses Berichts heißt es wörtlich:
Aufgrund der Brisanz der vorliegenden Resultate
ist absolutes Stillschweigen erforderlich.
Ich bitte Sie, das ist doch unverantwortlich. Da können
Sie nicht von Demokratie reden.
({10})
Am 11. August hat das Umweltbundesamt seine Studie zur Entwicklung der Schieneninfrastruktur vorgelegt,
und die Verfasser meinen, dass Stuttgart 21 umgehend
gestoppt werden müsste, weil es kein Nadelöhr beseitigt,
sondern ein neues schafft.
({11})
Zwei Tage später lässt Grube das erste Loch in den
Nordflügel des Bahnhofs reißen.
({12})
Die Folge davon sind Menschenketten und spontane
Straßenblockaden. Sie müssen sich einmal Ursache und
Wirkung vor Augen führen.
({13})
Am 26. August bringt der Stern ein Interview mit dem
berühmten Architekten Frei Otto, der diesen unterirdischen Bahnhof übrigens einmal entworfen hat. Dieser
Architekt befürchtet ein schlimmes Baudesaster, nachdem er die geologischen Untersuchungen gesehen hat,
die auch nicht veröffentlicht worden sind.
({14})
Er sagt, man müsse jetzt die Notbremse ziehen. Über die
Kostensteigerungen muss ich gar nicht mehr sprechen;
denn dazu hat der Kollege Winfried Hermann geredet.
({15})
Die Bürgerinnen und Bürger im Schwabenland sind
über diese Expertisen und Argumente bestens informiert.
Das, womit wir es hier zu tun haben, ist kein Kommunikationsproblem.
({16})
Die Bürgerinnen und Bürger fragen sich mit Recht,
warum dieses Projekt auf Biegen und Brechen durchgezogen werden soll und warum die Alternativen, die vorliegen, systematisch ignoriert werden, obwohl sie kostengünstiger sind.
({17})
- Sie müssen sie sich einmal angucken. Lassen Sie uns
im Parlament darüber reden.
({18})
Man fragt sich, warum sich Bahnchef Grube wie ein
Rambo gebärdet und einen intakten Bahnhof zerstört,
({19})
der übrigens zusammen mit Leipzig einen Wettbewerb
gewonnen hat, welcher Bahnhof der pünktlichste ist.
Frau Kollegin!
Man fragt sich natürlich auch, warum Ministerpräsident Mappus eigentlich sein Amt als Regierungschef
aufs Spiel setzen will.
Herr Präsident, wollen Sie mir sagen, dass meine Redezeit zu Ende ist? - Okay.
Man fragt sich natürlich auch, ob ein Grund ist, dass
Vertreter von Bilfinger Berger in diesem Beirat sitzen.
Man fragt sich, ob ein Grund ist, dass die Bahnvorstände
aus der Automobilindustrie kommen. Jedenfalls befürchtet man, dass die Verantwortlichen für dieses Projekt so verstrickt und so bestochen sind, dass sie nicht
mehr zurückkönnen. Die Leute begreifen nicht, was hier
abläuft. Die Mehrheit der Menschen in Baden-Württemberg hat dafür kein Verständnis.
Das Schild, das ich jetzt hochhalte, hängt in Stuttgart
inzwischen überall: in den Wohnblocks, in denen die
einfachen Leute wohnen, aber auch in der Halbhöhenlage, in der die Architekten, die Künstler, die Lehrerinnen und Lehrer wohnen.
Frau Kollegin, Sie sind nun wirklich weit über Ihre
Redezeit.
Diese Leute, viele ehemalige CDU-Wählerinnen und
-Wähler, sind nicht einfach gegen irgendetwas. Sie
kämpfen für ihre Stadt.
Ich entziehe Ihnen jetzt das Wort.
({0})
Es ist höchste Zeit, dass der Bundesrat sie dabei unterstützt.
({0})
Im Übrigen schließe ich die Kolleginnen und Kollegen der Linken, die glauben, den Plenarsaal mit T-Shirts
bereichern zu müssen, vom weiteren Verlauf der Sitzung
aus. Sie verlassen bitte unverzüglich den Plenarsaal.
({0})
Nächster Redner ist der Kollege Stephan Kühn für die
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Minister Ramsauer, das Engagement, das Sie
hier für Stuttgart 21 an den Tag legen, hätte ich mir bei
der Aufstellung des Etats für das CO2-Gebäudesanierungsprogramm und für die Städtebauförderung gewünscht.
({0})
Man muss den Eindruck haben, dass die Bundesregierung nicht nur nach der Pfeife der vier großen Energiekonzerne tanzt, sondern offensichtlich auch nach den
Lobbyinteressen der großen Baukonzerne. Wie wäre es
anders zu erklären, dass weiterhin überdimensionierte
sowie verkehrlich und volkswirtschaftlich unsinnige
Verkehrsprojekte umgesetzt werden? Kleine und mittelständische Unternehmen, regionale Baufirmen und
Handwerker, die noch vor Ort ihre Steuern zahlen - das
ist im Bauhauptgewerbe die überwiegende Mehrheit und die eine Vielzahl an Arbeitsplätzen anbieten und sichern, haben das Nachsehen, weil Sie die Mittel für die
Städtebauförderung halbieren und die verbliebenen Mittel für das CO2-Gebäudesanierungsprogramm - es sind
nur noch Restmittel - ebenfalls halbieren. In diesem Jahr
stehen 1,35 Milliarden Euro für das CO2-Gebäudesanierungsprogramm zur Verfügung, und dieses Geld wird
nicht bis zum Ende des Jahres ausreichen. Ich frage
mich, wie man im nächsten Jahr mit 450 Millionen Euro
auskommen will. 300 000 Arbeitsplätze hängen davon
ab. Jetzt, da das Konjunkturprogramm ausläuft, streichen Sie dieses Programm zusammen.
Wenn man sich den Etat ganz genau anschaut, wird
man feststellen, dass dieser Kahlschlag nur im Baubereich stattfindet. 10 Prozent der Kürzungen beziehen
sich auf den Bauetat. Der Verkehrsetat ist mehr oder weniger ausgenommen; die Kürzungen dort betragen gerade einmal 2,5 Prozent.
Nachgewiesen ist bekanntlich, dass sich die Städtebauförderung und das CO2-Gebäudesanierungsprogramm rechnen. Diese Programme bringen mehr ein,
als sie kosten. Im vergangenen Jahr wurden durch das
CO2-Gebäudesanierungsprogramm private Investitionen in Höhe von 18 Milliarden Euro ausgelöst. Bei der
Städtebauförderung haben wir nachweislich eine Hebelwirkung von 1 : 8 in Bezug auf private Investitionen.
Um zu sehen, dass sich diese Programme rechnen,
braucht man sich nur die Umsatzsteuermehreinnahmen
anzuschauen. Wenn Sie, Herr Minister, also sparen wollen, dann fangen Sie endlich an, bei den umweltschädlichen Subventionen zu sparen. Davon ist in Ihrem Etatentwurf nichts zu sehen.
({1})
Stattdessen werden Sie, wenn der Etatentwurf nicht
geändert wird, die Investitionstätigkeit im Bereich der
energetischen Gebäudesanierung und der Stadtentwicklung komplett zum Erliegen bringen. Sie beschneiden
wieder einmal massiv die Handlungsfähigkeit der Kommunen und lassen sie mit den Problemen des demografischen Wandels und des ökologischen Umbruchs alleine.
Der Haushalt ist das in Zahlen gegossene politische
Programm. Leider hat dieser Haushaltsentwurf mit Ihrem politischen Programm überhaupt nichts zu tun.
Wenn man sich Ihr Energiekonzept anschaut, dann stellt
man fest, dass es dem Haushaltsentwurf widerspricht. Im
Energiekonzept kommt man zu der richtigen Erkenntnis,
dass in Bezug auf den Klimaschutz der größte Handlungsspielraum bei Maßnahmen liegt, die Gebäude und
Verkehr betreffen, und man deshalb die größte Reduzierung des Energieverbrauchs in diesen Bereichen errei6286
chen kann. Deshalb heißt es in Ihrem Konzept zu Recht:
Die Gebäudesanierung muss deutlich besser ausgestattet
werden.
({2})
Außerdem heißt es dort: Der Schlüssel zur Energieeffizienz ist der Gebäudebereich.
Doch Sie haben Ihre Hausaufgaben bei der Etataufstellung einfach nicht gemacht.
({3})
Ich habe manchmal den Eindruck, wir seien die Regierung und Sie die Opposition. Herr Ramsauer spricht sich
öffentlich gegen diese Kürzungen aus, obwohl er für den
Etat zuständig ist. Staatssekretär Mücke fordert sogar
3 Milliarden Euro für das CO2-Gebäudesanierungsprogramm. Richtig! Sie haben mich das letzte Mal noch
schief angeschaut, als ich - bescheiden, wie ich war 2 Milliarden Euro für das CO2-Gebäudesanierungsprogramm gefordert habe. Herr Staatssekretär Mücke geht
richtigerweise noch darüber hinaus.
({4})
Lassen Sie mich abschließend auf die Bedeutung der
Städtebauförderung eingehen. Es ist nicht so - das ist
angesprochen worden -, dass die Bauminister sich immer einig sind und ihre Beschlüsse im Verhältnis 16 : 0
treffen. Aus gutem Grund ist das so; denn sie wissen genau, dass, wenn die Städtebauförderung in dem Ausmaß
gekürzt wird, wie Sie das im Etat vorgesehen haben, ein
Investitionsstopp droht und in den Kommunen keine
neuen Projekte mehr begonnen werden können. Es wird
ein ganz wichtiger Aspekt angesprochen, den Sie, Herr
Kollege Vaatz, diffamiert haben. Ich meine den sozialen
Zusammenhalt. Dabei geht es nicht um irgendwelche
Stadtteilfeste. Ich bringe ein Zitat aus der Bauministerkonferenz:
Die Städtebauförderung stärkt wie kein anderes
Politikinstrument die Integration unterschiedlicher
sozialer Schichten und von Zuwanderern vor Ort.
Das ist der Kern des Programms „Soziale Stadt“, nicht
die Finanzierung von irgendwelchen Stadtteilfesten.
({5})
Sie, Herr Vaatz, wissen genauso gut wie ich, dass die
Städtebauförderung ein unverzichtbarer Beitrag zum
Aufbau Ost ist. Wenn wir demografische Prozesse, die
im Osten wesentlich eher und massiver als in den alten
Bundesländern auftreten, bremsen wollen, dann ist es
entscheidend, ob es uns gelingt, die Innenstädte und die
Wohnquartiere aufzuwerten, oder ob nichts passiert und
wir sie der Abwanderung preisgeben.
Wir werden unsere Vorschläge in die Etatverhandlungen einbringen. Wir haben gehört, dass die Regierung
mit dem von ihr vorgelegten Entwurf nicht zufrieden ist.
Ich bin gespannt auf die Haushaltsberatungen und hoffe,
dass wir gerade in den Bereichen CO2-Gebäudesanierungsprogramm und Städtebauförderung am Ende des
Tages ein anderes Ergebnis haben als das, das uns mit
dem heutigen Entwurf vorgelegt wurde.
Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
({6})
Nächster Redner ist der Kollege Reinhold Sendker für
die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!
Es lohnt, nicht nur über Stuttgart 21 zu sprechen,
sondern auch über herausragende Essentials des Einzelplans 12, des Verkehrshaushalts. In den zurückliegenden
20 Jahren, also seit der Einheit Deutschlands, wurden allein im Rahmen der Verkehrsprojekte „Deutsche Einheit“ fast 40 Milliarden Euro in Straße, Schiene und
Wasserwege investiert. Die Bahnfahrt von Berlin nach
Hamburg - das werden unser hochverehrter Kollege
Dirk Fischer und andere mir bestätigen - dauert nicht
mehr vier Stunden, sondern, bei Pünktlichkeit, 99 Minuten. Dank der milliardenschweren Investitionen geht
heute vieles besser und komfortabler. Damit sind wir auf
einem guten Kurs.
({0})
Gerade weil gute Verkehrsinfrastruktur Wettbewerbsvorteile bringt, neigt ein Großteil der Investoren in
unserem Land dazu, eine moderne Infrastruktur deutlich
höher zu gewichten als niedrige Arbeitskosten. In diesem Licht sind es drei Punkte, die beim vorliegenden
Etatentwurf 2011 als hocherfreulich zu nennen sind:
Erstens. Wir können heute miteinander feststellen,
dass die Investitionen im Bereich von Verkehr, Bau und
Stadtentwicklung inklusive der Konjunkturpakete, die in
den beiden zurückliegenden Jahren auf Rekordniveau
gelegen haben, ihre Wirkung voll erreicht haben. Das
war erfolgreiche Politik zur Bekämpfung der Krise.
({1})
Zweitens. Auch vom Bundeshalt 2011 geht ein klares
Bekenntnis zur Stärkung von Wachstum und zur Sicherung und Schaffung von Arbeitsplätzen aus. Deshalb ist
es erfreulich, wenn unser Minister hier feststellen kann,
dass es trotz Auslaufens der Konjunkturprogramme und
auch bei Berücksichtigung der Haushaltskonsolidierungsbeiträge keine nennenswerten Abstriche bei der
Verstetigung der Investitionslinie auf knapp 10 Milliarden Euro jährlich geben wird. Auch das ist ein großer
Erfolg - das sollte man hier nicht bestreiten - und findet
in der Öffentlichkeit sowie bei den Verbänden breite Anerkennung. Fakt ist auch, dass diese Investitionslinie
deutlich höher liegt als in den Jahren vor der Finanz- und
Wirtschaftskrise.
Drittens. Im kommenden Jahr, 2011, summieren sich
die Investitionen sowie die Mittel nach dem GemeindeReinhold Sendker
verkehrsfinanzierungsgesetz und für den Verwaltungsbereich auf insgesamt 11,6 Milliarden Euro. 40 Prozent
sind Investitionen. Damit ist dieser Einzelhaushalt nach
wie vor der größte Investitionshaushalt des Bundes, verehrte Anwesende. Darin steckt nicht der Wurm; das ist
weiterhin eine gute Basis für die Ertüchtigung unserer
Verkehrsinfrastruktur als einem der Grundpfeiler einer
erfolgreichen Wirtschaftspolitik.
({2})
Sie, meine Damen und Herren der Opposition, haben
in den vergangenen Tagen und auch heute Morgen wieder unsere Haushaltskonsolidierungsbeiträge kritisiert.
Da muss ich Sie nach Ihren Alternativen fragen. Auch
bei mir hat sich der Eindruck verfestigt: Die Opposition
hat Geld im Überfluss wie in einem Märchenland. Meine
Damen und Herren, kommen Sie in die Realität zurück!
Kritisieren Sie nicht nur, sondern nennen Sie bitte auch
Ihre Alternativen! Das ist Haushaltspolitik. Darum bitten
wir Sie.
({3})
Vielleicht wollen Sie aber auch gar nicht sparen, sondern weiter Schulden machen, wie das aktuell in Nordrhein-Westfalen der Fall ist. Was dort geschieht, ist in
meinen Augen verantwortungslos; denn weiter Schulden
auf dem Rücken unserer Kinder zu machen, ist doch in
Wahrheit die unsozialste Politik, die es gibt.
({4})
Natürlich hätten wir angesichts steigender Verkehrsleistungen in unserem Land gern mehr oder zumindest
so viele Finanzmittel wie in den beiden Vorjahren zur
Verfügung; das räume ich ein. Da dem nicht so ist, müssen wir Prioritäten setzen, auch - das will ich hier in die
Diskussion einbringen - mithilfe privater Investoren,
vor allem was die Effizienz der Verkehrsprojekte angeht,
die man mit Planungssicherheit deutlich verbessern
kann, insbesondere beim mehrstufigen Ausbau unserer
Bundesautobahnen.
ÖPP - lassen Sie mich das noch hinzufügen - sind
nicht nur eine wirtschaftliche Alternative zum konventionellen Straßenbau, sondern erreichen mit der Bündelung der baubedingten Staus auf einen bestimmten
Zeitraum auch einen gesamtwirtschaftlichen Nutzen.
Deswegen unterstütze ich das, was meine Vorredner aus
der Koalition gesagt haben: Zielführend ist die Herstellung eines Nutzerfinanzierungskreislaufs Straße, wie
ihn der Koalitionsvertrag ausdrücklich vorsieht - vor
dem Hintergrund der Forderung nach mehr Transparenz,
nach mehr Planungs- und Finanzierungssicherheit.
Vor allem, weil Deutschland über eines der am besten
ausgebauten Verkehrsnetze Europas verfügt, ist es von
hoher Bedeutung, die Qualität der Bestandsnetze bei
Schiene, Straße und Wasserwegen zu sichern und, wenn
nötig, durch Aus- und Neubau Engpässe zu beseitigen,
insbesondere mit Blick auf die leistungsfähige Hinterlandanbindung deutscher Seehäfen.
Auch die Verkehrsbeanspruchung unserer Straßen
wird in den nächsten Jahren weiter ansteigen. Daher sind
Substanzerhaltung und funktionssichernde Maßnahmen
unabdingbar. Hierfür sieht der Etat 2,2 Milliarden Euro
vor. Der Bewältigung wachsender Verkehre dienen natürlich auch integrierte Systeme - wir wollen sie weiter
nach vorne bringen - sowie die Forschung im Bereich
des Verkehrsmanagements. Deshalb fördert die Bundesregierung auch die Telematik.
Die Bundesregierung fördert ferner die Elektromobilität. Die Anfang Mai gegründete Nationale Plattform
Elektromobilität arbeitet nun an dem sich selbst gesteckten ambitionierten Ziel, bis 2020 1 Million Elektrofahrzeuge auf deutschen Straßen fahren lassen zu können.
Das bleibt unser Kurs, meine Damen und Herren, und
dieser Kurs ist richtig.
({5})
Zudem ist und bleibt es erklärtes Ziel der Koalition,
dem Lkw-Stellplatzdefizit wirksam zu begegnen. Bis
2012, also innerhalb von zwei Jahren, sollen 8 000 neue
Lkw-Parkstände entstehen. Mit Blick auf die internationalen Wettbewerbsverzerrungen im Gütertransportgewerbe begrüßen wir an dieser Stelle auch ausdrücklich
die Entscheidung der Bundesregierung, die Erhöhung
der Lkw-Maut nicht durchzuführen. Das Moratorium ist
völlig richtig.
Im Bereich Schiene stehen die laufenden Bedarfsplanvorhaben im Mittelpunkt: der Substanzerhalt, die
notwendige Lärmsanierung an bestehenden Schienenwegen und das Bahnhofssanierungsprogramm. Damit investieren wir direkt in die Sicherheit unserer Mitbürgerinnen und Mitbürger.
In diesem Zusammenhang ist auch die Verlagerung
der Schwerlastverkehre, unter anderem auf die Wasserwege, Anliegen der Koalition. Es werden allein
672 Millionen Euro für Um-, Aus- und Neubaumaßnahmen bereitgestellt. Hiermit steigern wir die Leistungsfähigkeit des Wasserwegenetzes.
({6})
Meine Damen und Herren, erfolgreiche und zukunftsfähige Verkehrspolitik muss auf alle wesentlichen Ansprüche des Menschen ausgerichtet sein, somit auch auf
seine Sicherheitsbedürfnisse. Seit 1970 hat sich die damals sehr hohe Zahl von fast 20 000 Verkehrstoten pro
Jahr auf nunmehr circa 4 000 verringert. Dem Bemühen
um mehr Verkehrssicherheit dient auch unsere Initiative zur Einführung des begleiteten Fahrens mit 17 zum
1. Januar 2011 als Dauerrecht. Der Modellversuch erbrachte in den letzten fünf Jahren im Ergebnis 20 Prozent weniger Unfälle bei den Fahranfängern. Auch hier
ist ein deutlich positives Ergebnis zu verkünden.
({7})
- Herr Kollege Beckmeyer, wir sind der Auffassung,
dass wir auch die jungen Menschen früh an die Risikobereitschaft im Verkehrsgeschehen heranführen sollten.
Es ist ganz besonders im ländlichen Raum zielführend,
die Menschen da heranzuführen.
({8})
Überaus erfolgreich im Bereich von Bau- und Stadtentwicklung entwickelte sich das CO2-Gebäudesanierungsprogramm, konjunkturpolitisch, wohnungspolitisch und klimapolitisch. Daher ist die Kürzung der
Ansätze für dieses Programm im Rahmen der Haushaltskonsolidierung schmerzlich: Ich freue mich aber nun darüber, dass durch das Energiekonzept der Bundesregierung neue Perspektiven eröffnet werden.
Die Städtebauförderung leistet ein Vielfaches dessen, was sie kostet. Das heißt, auch sie stellt eine Erfolgsgeschichte dar. Die Kritik an den Kürzungen ist
also sachlich begründet, wir nehmen sie ernst.
Verehrte Frau Kollegin Dr. Winterstein, die Debatte
über die Mittelkürzungen sollten wir darüber hinaus als
Möglichkeit betrachten, die Effizienz der Programme
durch Bündelung insgesamt zu verbessern,
Herr Kollege!
- um den immer wieder kritisierten Überschneidungen zu begegnen.
Meine Damen und Herren, wir freuen uns darüber,
dass unser Minister hier Nachprüfungen angekündigt
hat. Wir freuen uns auch darüber - damit komme ich
zum Schluss, Herr Präsident -, dass er ein Herz für ländliche Räume hat. Wir begrüßen ebenso den Einzelplan 12
insgesamt, nicht nur vor dem Hintergrund der notwendigen Haushaltssanierungsmaßnahmen, sondern auch deshalb, weil er das Fundament für die Fortsetzung einer erfolgreichen und zukunftsfähigen Politik im Bereich von
Verkehr, Bau und Stadtentwicklung für unser Land darstellt.
Herzlichen Dank.
({0})
Letzter Redner zu diesem Geschäftsbereich ist der
Kollege Dr. Max Lehmer, ebenfalls für die CDU/CSUFraktion.
Sehr verehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten
Damen und Herren! Der vorgelegte Haushalt zeigt, wie
man Verkehrspolitik unter den gegebenen Bedingungen
verantwortbar gestalten kann. Das sage ich ganz ausdrücklich. Im Rahmen des allgemeinen Sparzwangs
beim Gesamthaushalt ist es leider unvermeidlich, dass
auch der Haushalt des Bundesministers für Verkehr, Bau
und Stadtentwicklung Einschränkungen hinnehmen
muss. Ich sage das als jemand, der, was die Realisierung
von Großprojekten angeht, betroffen ist. Ich erwähne
zum Beispiel die Projekte im Großraum München und
die TEN-Strecke Paris-München-Bratislava-Budapest.
Umso mehr begrüße ich es, dass es mit dem vorliegenden Entwurf gelingt, Deutschland auch in verkehrspolitischer Hinsicht zukunftsfähig zu machen. Die knappen Mittel werden gezielt und, so meine ich, richtig
eingesetzt. Dies sichert den Wirtschaftsstandort
Deutschland.
Gerade eine leistungsfähige Verkehrsinfrastruktur
ist für eine wettbewerbsfähige Volkswirtschaft wie die
unsere eine Grundvoraussetzung, wie wir alle wissen.
Angesichts dessen ist es ein großer Erfolg, dass bei den
Wachstum generierenden Verkehrsinvestitionen nicht
gekürzt wird. Die Verkehrsinvestitionslinie von knapp
10 Milliarden Euro kann über den gesamten Finanzplanungszeitraum aufrechterhalten werden. Damit steht
mehr Geld zur Verfügung als in den Jahren vor der Finanz- und Konjunkturkrise. Zusätzlich darf auch noch
einmal erwähnt werden, dass wir mit den Konjunkturprogrammen zusätzlich über 2 Milliarden Euro für Verkehrsinvestitionen verwenden konnten.
Dies findet auch Anerkennung. Unmittelbar nach dem
Kabinettsbeschluss zum Haushalt 2011 stellte zum Beispiel die Allianz pro Schiene fest, dass es dem Bundesverkehrsminister gelungen sei, die um die Konjunkturpakete bereinigten Haushaltsmittel für Schienenprojekte
sogar noch leicht zu erhöhen.
Natürlich erreicht die vorgesehene Summe für Verkehrsinvestitionen noch lange nicht die Höhe, von der
jeder Verkehrspolitiker träumt. Aber in dieser Angelegenheit sind auch Realismus und Pragmatismus gefragt.
Wir müssen unser Geld ganz gezielt in notwendige Projekte investieren und in diesem Zusammenhang insbesondere auch einen Schwerpunkt auf den Lärmschutz legen. Der Schutz der Menschen vor Lärm ist ein zentrales
Anliegen, das wir trotz aller Sparzwänge verwirklichen
wollen.
({0})
Noch ein Wort zur Lkw-Maut. Politik muss realitätsnah und verlässlich sein. Deshalb wird die Lkw-Maut
2011 nicht erhöht. Deutschland wird damit als Logistikstandort gestärkt. Ich denke, auch das ist verantwortliche
Politik.
Verkehrs- und Baupolitik wird zumeist am dafür eingesetzten Geld gemessen. Das greift aber zu kurz; denn
eine gute und im Sinne der Bürgerinnen und Bürger vorteilhafte Politik ist auch bei knappen Kassen möglich.
Ich nenne hier zum Beispiel die Stichworte „begleitetes
Fahren mit 17“ und „Wechselkennzeichen“. Die damit
verbundenen Maßnahmen hat unser Verkehrsminister
sehr pragmatisch und schnell umgesetzt. Das ist es, was
wir beispielhaft unter freiheitlicher Verkehrspolitik im
Sinne der Bürger verstehen.
Aus dem Baubereich hierzu noch ein Beispiel. Die
Geräusche spielender Kinder dürfen nicht wie Maschinenlärm und damit als Lärmbelästigung behandelt werden. Durch eine Gesetzesänderung im Bau- und Immissionsschutzrecht werden wir Kindertagesstätten auch in
reinen Wohngebieten ermöglichen. Ich glaube, da gehören sie auch hin.
({1})
Die Städtebauförderung schreibt seit 40 Jahren Erfolgsgeschichte, wie uns allen bekannt ist. Aber auch
hier müssen wir verantwortungsvoll handeln. Nicht nur
das Bundesverkehrsministerium muss sparen, sondern
auch die Länder haben enorme Haushaltszwänge und
stehen unter Druck. Das hat sich, wie der Herr Minister
richtig ausgeführt hat, auf der Konferenz der Landesbauminister deutlich gezeigt. Wir sind also gemeinsam mit
den Beteiligten gefordert, hier eine tragfähige Lösung zu
finden, damit die Städtebauförderung auf hohem Niveau
fortgeführt werden kann, und zwar auch im Westen.
Es ist dringend nötig, im Dialog mit allen Beteiligten
die vielfältigen Programme, die es im Bereich Städtebau
gibt, zu bündeln, effizienter zu machen - das ist eine
große Herausforderung - und dafür zu sorgen, dass in
den nächsten Jahren mit weniger Geld eine intelligentere
Stadtentwicklung betrieben werden kann. Ich denke, das
ist ein gutes Ziel.
({2})
Ähnlich verhält es sich mit dem CO2-Gebäudesanierungsprogramm. Niemand bestreitet den Nutzen dieses
Programms für den Klimaschutz und auch für die Volkswirtschaft. Die durch das Programm ausgelösten Investitionen sind so hoch und haben einen solchen Nutzen,
dass sich das Programm - das wurde schon ausgeführt eigentlich selbst trägt. Denn zusätzliche Steuereinnahmen und Sozialbeiträge in Verbindung mit vermiedenen
Kosten der Arbeitslosigkeit führen zu Einnahmen, die
höher sind als die damit verbundenen Ausgaben. Auch
das ist nachgewiesen.
Außerdem müssen wir bedenken, dass die vorgesehene Halbierung der Programmmittel - das hat der Bundesverkehrsminister richtig dargelegt - vor dem Hintergrund des Energiekonzepts der Bundesregierung eine
Neubewertung erfahren muss und erfahren wird. Das ist
sehr wichtig. Sie von der Opposition dürfen den aktuellen Haushaltsansatz in diesem Bereich nicht mit den
Zielvorgaben, die wir im Energiekonzept haben, verwechseln. Die Steigerung der Energieproduktivität um
durchschnittlich 2,1 Prozent jährlich und die Verdoppelung der Sanierungsrate bei der Sanierung des Gebäudebestands sind ohne Frage richtige und notwendige Maßnahmen, wenn wir unsere Klimaziele erreichen wollen.
Herr Kollege!
Ich komme gleich zum Ende, Herr Präsident. - Es ist
aber nicht zielführend, diese Sanierungsrate mit Zwang
erreichen zu wollen. Hier setzen wir ganz klar auf Anreize,
({0})
die es dem Bürger ermöglichen, seinen Beitrag zum Klimaschutz zu leisten. Ausdrücklich wollen wir dazu keine
eigentumsähnlichen Eingriffe und Malusregelungen.
Vielen herzlichen Dank.
({1})
Weitere Wortmeldungen zu diesem Einzelplan liegen
nicht vor.
Bevor wir nun zur Schlussrunde kommen, will ich
nach einer Demonstration, die nach gemeinsamer Überzeugung ausnahmslos aller Fraktionen dieses Hauses mit
unserer Geschäftsordnung nicht vereinbar ist, auf den
Ausschluss einiger Mitglieder aus den Reihen der Fraktion Die Linke zurückkommen.
Nach § 38 unserer Geschäftsordnung kann der Präsident ein Mitglied des Bundestages, auch ohne dass ein
Ordnungsruf ergangen ist, für die Dauer der Sitzung aus
dem Saal verweisen. Bis zum Schluss der Sitzung muss
der Präsident bekannt geben, für wie viele Sitzungstage
der Betroffene ausgeschlossen wird. Ein Mitglied des
Bundestages kann bis zu 30 Sitzungstage ausgeschlossen werden.
Ich schließe die Kolleginnen und Kollegen Heidrun
Dittrich, Heike Hänsel, Inge Höger, Annette Groth und
Michael Schlecht für die beiden nächsten Sitzungstage
am 29. und 30. September 2010 von den Sitzungen des
Deutschen Bundestages aus. Damit will ich sicherstellen, dass die wiederholte, nicht mehr sonderlich originelle, spektakuläre, öffentlichkeitswirksame, im Übrigen
aber folgenlose Demonstration an Freitagvormittagen
nicht zu einer bequemen Verabschiedung in ein vorzeitiges Wochenende wird.
({0})
Wir kommen nun zur Schlussrunde.
Erster Redner in der Schlussrunde ist der Kollege
Norbert Barthle für die CDU/CSU-Fraktion.
({1})
Sehr verehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Wenn wir jetzt in die Schlussrunde der ersten
Lesung dieses Haushalts eintreten, dann ist es sicherlich
angebracht, die Debatten dieser Woche kurz Revue passieren zu lassen. Wir werden jetzt in intensive Beratungen im Haushaltsausschuss eintreten. Wir werden uns
jeden Einzelplan, jeden Titel noch einmal genau anschauen, und wir werden wägen und prüfen. Wir werden
sicherlich auch die einen oder anderen Vorschläge aus
den Reihen der Opposition aufnehmen und schauen, was
sich realisieren lässt.
Man kann zunächst einmal feststellen, dass einer der
Höhepunkte dieser Woche die wirklich kämpferische
und ideenreiche Rede unserer Bundeskanzlerin war.
({0})
Wir haben in einer wirklich gehaltvollen Rede unseres Finanzministers hören können, wie die einzelnen
Punkte unseres Zukunftspakets zusammenzubinden
sind, wie das Konzept, das diesem Paket zugrunde liegt,
aussieht. Das fand ich sehr erhellend.
({1})
Die Opposition dagegen hat aus meiner Sicht einen
Fehlstart hingelegt. Kollege Gabriel trat als Oppositionsführer auf und sprach davon, dass es keine große intellektuelle Herausforderung sei, eine Oppositionsrede zu
halten. Nun, seine Rede wurde diesem Anspruch gerecht. Aber leider macht es das nicht leichter, darauf zu
reagieren. Ein wirklich konstruktives, sinnvolles Alternativkonzept zur Bewältigung der Herausforderungen
der Zukunft habe ich nicht hören können. Das muss man
am Ende dieser Woche auch feststellen.
({2})
Wir stehen jetzt vor der anspruchsvollen Herausforderung, dass wir ab dem Jahr 2011 bis zum Jahre 2016
mindestens 80 Milliarden Euro weniger neue Schulden
machen, dies mit weiteren Impulsen für Wachstum und
Beschäftigung verbinden und dabei die Sozialkassen
nicht gefährden. Ich stelle fest: Die Koalition gestaltet
Zukunft. Wir haben ein tragfähiges Konzept vorgelegt.
Wir kürzen die Ausgaben um 3,8 Prozent. Wir verbessern die Einnahmen, ohne das Wachstumspotenzial zu
gefährden.
({3})
Wachstumsfördernde Investitionen und Impulse bleiben
erhalten; wir sparen nicht bei Bildung und Forschung.
Wir nehmen aber durchaus Unternehmen, Banken, Verwaltungen und auch den Sozialbereich in den Blick,
wenn es um die Konsolidierung des Haushalts geht.
({4})
Ein weiterer Höhepunkt dieser Woche war die Debatte über den Etat des Umweltministers. Ich kann feststellen: Es ist der Bundesregierung gelungen, ein zukunftsweisendes Energiekonzept zu erarbeiten, das
entscheidende Weichen für nachhaltiges wirtschaftliches
Wachstum stellt und in den kommenden Jahren Beschäftigung sichern wird. Dabei werden die Energieversorgungsunternehmen in den nächsten Jahren einen Beitrag
von immerhin rund 30 Milliarden Euro leisten müssen.
Die Opposition stellt es aber so dar, als ob das Klientelpolitik wäre, als ob wir den Energieversorgern etwas
hinterherwerfen würden.
({5})
Meine Damen und Herren, schauen Sie sich doch einmal die Situation an! Werfen Sie einen einzigen Blick in
die Meldungen der Ratingagenturen. Schauen Sie sich
die Reaktion der Aktienmärkte an. Schauen Sie, was die
Analysten zur Situation der Energieversorger sagen.
Dann werden Sie schlauer. Eines muss man auch
feststellen: Die Wirtschaftlichkeit einzelner Energieversorgungsunternehmen bzw. -standorte ist noch nicht gesichert. Hier geht es immer noch darum, die Wirtschaftlichkeit für die Zukunft zu sichern.
Ich habe den Eindruck, die Opposition ist erst dann
zufrieden, wenn man jeden Gewinn abschöpft und damit
die Energieversorger an den Rand ihrer Wirtschaftlichkeit drängt; aber das kann es nicht sein.
({6})
Die Energieversorger leisten erstens einen wirkungsvollen Beitrag zur Reduzierung der Neuverschuldung.
Zweitens ebnen sie den Weg in das neue, regenerative
Zeitalter. Der Umweltminister sagt immer: Die Kernenergie bildet die Brücke. Ich sage: Wir haben eine goldene Brücke, wenn nicht gar die Golden Gate Bridge in
das regenerative Zeitalter geschaffen. Das muss man entsprechend würdigen.
({7})
An dieser Stelle muss man schon betonen: Wenn Rot
und Grün hier regieren dürften, würden sie 30 Milliarden
Euro einfach auf der Straße liegen lassen.
({8})
Das ist so, als ob Sie einen Lastwagen voller Geld vor
die Tür gestellt bekommen und diesen anzünden, nur
weil draufsteht: kommt von den Kernenergieunternehmen.
({9})
Das wäre ein Verwerfen von Volksvermögen in großem
Umfang, wie es schlimmer kaum sein könnte. Wenn man
nur eine Sekunde darüber nachdenkt, welche neuen
Sparpakete notwendig wären, um diese 30 Milliarden
Euro zu erwirtschaften, dann relativiert sich jede Kritik,
die Sie in dieser Woche vorgetragen haben.
({10})
Lassen Sie mich auf das eingehen, was schon heute
früh besprochen wurde - das war auch ein Höhepunkt
dieser Woche -: Stuttgart 21. Da gab es eine Rede des
Kollegen Winfried Hermann; er ist leider nicht mehr da.
({11})
Er hat auch die Haushälter angesprochen. Erst einmal
muss man dem Kollegen Winfried Hermann mit Blick auf
den Umfang der Kosten für Stuttgart 21, nämlich rund
4,5 Milliarden Euro, sagen: Sie verschenken 30 Milliarden Euro; damit könnte man Stuttgart 21 sechsmal
bauen.
Winfried Hermann meinte, wir Haushälter hätten uns
das nicht genau angeschaut. Ich erinnere mich sehr gut
an die Sitzung, bei der er extra zu uns in den Haushaltsausschuss gekommen ist. Wir haben uns die Unterlagen
sehr genau angeschaut und lange mit uns gerungen, ob
wir die langfristigen Verpflichtungsermächtigungen in
die Haushalte einstellen. Wir haben uns also die Zahlen
sehr genau angeschaut. Winfried Hermann hat als Ausschussvorsitzender Zugang zu diesen Zahlen und zu allen vertraglichen Vereinbarungen. Er weiß es also besser
und nennt trotzdem falsche Zahlen; er stellt die Faktenlage falsch dar. Das halte ich für nicht tragbar; das ist
kein verantwortungsvolles Handeln. Das muss man dem
Kollegen ganz klar sagen.
({12})
Eines ist auch wichtig - Bundesbauminister
Ramsauer hat bereits darauf hingewiesen -: Bei Stuttgart 21 geht es inzwischen nicht mehr nur um die Finanzen. Es geht um den Kernbereich unseres Rechtsstaates.
Es geht darum, ob man sich noch darauf verlassen kann,
dass Verträge Gültigkeit haben.
({13})
Es geht darum, ob die Unterschrift eines SPD-Verkehrsministers unter einem Vertrag noch Gültigkeit hat. Es
geht darum, ob sich ein Investor noch darauf verlassen
kann, wenn Projekte politisch und vertraglich festgelegt
sind. Glaubt irgendein Mensch in diesem Saal, dass die
Bahn einen einzigen Euro in Stuttgart investieren würde,
wenn dieses Projekt bzw. diese begonnene Maßnahme
gestoppt werden müsste? Glaubt irgendjemand, dass
noch ein Investor in ein größeres Projekt investieren
würde, wenn er sich auf vertraglich festgelegte Vereinbarungen nicht verlassen könnte? Wenn in Deutschland
der Satz „Pacta sunt servanda“ keine Gültigkeit mehr
hat, dann werden wir zur Bananenrepublik, dann werden
wir zum Entwicklungsland. Das müssen sich vor allem
die Grünen, die sich an dieser Stelle vom Acker gemacht
haben, genau überlegen.
({14})
Wenn es so käme, dass dieses begonnene Bauprojekt,
das sich in wirtschaftlicher Hinsicht rechnen wird - das
rechnet Ihnen der Bahnchef klipp und klar vor -,
({15})
gestoppt werden müsste, dann bekäme das in diesen Tagen aktuelle Buch „Deutschland schafft sich ab“ von
Herrn Sarrazin eine ganz neue Bedeutung.
Damit komme ich zu einem weiteren Kritikpunkt, der
in dieser Woche immer wieder vorgetragen wurde, und
zwar dem der sozialen Schieflage. Die Kollegen von der
Opposition weisen immer wieder darauf hin, dass die sozial Schwachen in unserem Lande nicht die Verursacher
der Krise gewesen seien. Das ist richtig. Man muss gemeinsam mit der Ursache aber immer auch die Wirkung
im Blick haben; Ursache und Wirkung stehen immer im
Zusammenhang. Die Schwachen wurden auch von den
Wirkungen nicht betroffen. Die Verluste haben andere
getragen. Die Wirkungen haben diejenigen, die von sozialen Transferleistungen leben, überhaupt nicht betroffen. Im Gegenteil: Wir haben sie verschont. Wenn man
die Auswirkungen wieder korrigieren und zu einem konsolidierten Haushalt zurückkehren muss, dann kommt
man nicht daran vorbei, ein sozial ausgewogenes Konzept zu erarbeiten, an dem alle gesellschaftlichen
Schichten teilhaben. Genau das machen wir.
Ich füge hinzu: Dieses Konzept setzt vorwiegend auf
der Ausgabenseite an und nicht auf der Einnahmeseite.
Das ist der entscheidende Unterschied zu dem, was wir
bisher erlebt haben, und zu dem, was die Opposition vorschlägt. Von Ihnen höre ich ständig, man müsse die Einnahmeseite stärken, man müsse die starken Schultern
stärker belasten, man müsse neue Steuern erfinden.
({16})
Man muss immer wieder darauf hinweisen: Das oberste
Drittel unserer Steuerpflichtigen trägt 80 Prozent des
Aufkommens der Einkommensteuer. Wir belasten unsere starken Schultern schon erheblich. Wenn es nach Ihnen ginge, dann würden wir die Steuererhöhungen so
lange nach oben treiben, bis alle weggehen und gar kein
Geld mehr kommt. Das ist der entscheidende Unterschied zwischen uns. Mit einer solchen Strategie
beheben wir aber nicht das strukturelle Defizit. Die Erfahrungen anderer Staaten zeigen es: Wer auf der Einnahmeseite für Zuwachs sorgt, verbessert nicht die
strukturellen Defizite, sondern erlaubt sich auch mehr
Ausgaben.
Uns geht es darum, das strukturelle Defizit abzubauen. Das ist der entscheidende Unterschied. An dieser
Stelle setzt unser Konzept an. Ich bin überzeugt: Mit unserem Konzept, das wir in den kommenden Wochen intensiv beraten und weiter gestalten werden, gelingt es
uns, den Bundeshaushalt wieder auf solide Beine zu stellen und damit die Voraussetzung für mehr Wachstum,
mehr Beschäftigung und mehr Wohlstand in diesem
Lande zu schaffen. Das ist im Sinne der Menschen in unserem Land. Das erwarten sie von uns. Daran arbeiten
wir.
Herzlichen Dank.
({17})
Das Wort hat nun Carsten Schneider für die SPDFraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine Kolleginnen und Kollegen!
Herr Kollege Barthle hat eben begonnen, für die Rednerqualitäten und die Inhalte der Reden, die in dieser Wo6292
Carsten Schneider ({0})
che gehalten wurden, Noten zu verteilen. Ich will daran
anknüpfen, möchte mich aber nicht auf Personen, sondern auf den Haushalt und auf das, was Sie vorgelegt haben, beziehen. Man kann klar sagen: Mathematik gerade
noch ausreichend, aber Volkswirtschaftslehre, Sozialkunde und Ethik mangelhaft und ungenügend.
({1})
Zu Beginn meiner Ausführungen möchte ich erklären,
warum ich die Mathematik für gerade noch ausreichend
halte. Es stellt sich die Frage: Ist das, was Sie hier vorgelegt haben, nicht nur nicht sozial ungerecht - darauf
komme ich noch -, sondern auch ausreichend im Hinblick auf die Erfordernisse der Schuldenbremse, so wie
wir sie im Grundgesetz im vergangenen Jahr mit großer
Mehrheit im Bundestag verabschiedet haben?
({2})
Der entscheidende Ausgangspunkt dafür ist das Jahr
2010.
({3})
- Warten Sie doch einmal, Herr Kollege Fricke, Sie haben nachher genügend Zeit, zu antworten. - Bei der ersten Anwendung der Schuldenbremse ist entscheidend,
dass wir im Parlament wissen, worüber wir abstimmen,
({4})
das heißt, dass wir vom Finanzministerium bezüglich
der Zahlen nicht an der Nase herumgeführt werden und
es keine Tricksereien gibt.
({5})
Entscheidend ist die Frage: Wie sieht das voraussichtliche Ist, das Ergebnis des Jahres 2010 aus?
({6})
Der Kollege Schäuble hat bereits einen Zickzackkurs
hingelegt. Am Anfang des Jahres gab Ihr Haus die Auskunft, dass Sie das Haushaltssoll des Jahres 2010 ansetzen wollen. Das waren 80 Milliarden Euro. Das habe ich
schriftlich, und ich gebe es Ihnen gern. Das war die Antwort Ihres Staatssekretärs, Herrn Kampeter, auf eine
schriftliche Anfrage. Das wären 80 Milliarden Euro gewesen. Dann hätten Sie in den nächsten Jahren weniger
sparen müssen, als jetzt von ihnen vorgelegt.
({7})
Dann haben Sie festgestellt, dass es aufgrund der
Konjunkturprogramme und der erfolgreichen Politik, die
wir gemeinsam betrieben haben, bedeutend besser lief,
worüber wir uns freuen. Angesichts dessen war es wirklich nicht mehr zu akzeptieren, es bei den 80 Milliarden
Euro zu belassen. Sie sind also von weniger ausgegangen. Im Juni, nachdem Sie bis zur NRW-Wahl alles verschleiert haben, haben Sie gesagt: Wir nehmen das voraussichtliche Ist. Das waren 65 Milliarden Euro. Das ist
derzeit der Ausgangspunkt für Ihren Abbaupfad.
Wenn Sie dieser Logik folgen - das ist zwingend und
im Geiste dessen, was wir als Gesetzgeber mit der
Schuldenbremse hier beschlossen haben -, müssen Sie
im November, wenn wir den Haushalt in dritter Lesung
beschließen, das dann voraussichtliche Ist als Ausgangspunkt heranziehen. Das werden deutlich bessere Zahlen
sein.
({8})
- Ich merke, dass Sie getroffen sind.
({9})
Sie tun so, als wären Sie die Sparmeister der Nation.
Was die Konjunktur betrifft, läuft bisher alles von selbst.
Die Frage ist jetzt: Strengen Sie sich genügend an, wenn
es darum geht, Einnahmen und Ausgaben so anzupassen,
dass wir das Defizit so schnell wie möglich verringern?
Das wird sich im November zeigen.
Herr Bundesfinanzminister, ich würde gerne heute
hier Folgendes von Ihnen erfahren: Werden Sie die voraussichtlichen Ist-Zahlen im November akzeptieren
({10})
und zur Grundlage machen, und zwar auch für die
Finanzplanung, die Sie im nächsten Jahr fortschreiben
werden? Wenn dem so wäre, müssten Sie die richtigen
Zahlen in den Blick nehmen, könnten nicht tricksen und
müssten außerdem die Einnahmeseite dieses Staates berücksichtigen.
({11})
Ich bin sehr gespannt, was Sie darauf sagen. Bisher bestand Ihre Finanzpolitik nur aus einem Zickzackkurs.
Das ist der eine Kritikpunkt.
Der zweite Kritikpunkt betrifft die Frage: Wen belasten Sie hier eigentlich? Wenn Einnahmen und Ausgaben
so weit auseinanderklaffen, dann müssen Sie diese Lücke schließen; das ist vollkommen klar. Diesem Vorhaben verschließen wir uns nicht.
({12})
- Ich werde konkrete Vorschläge machen. Beruhigen Sie
sich. Ich werde sagen, wie wir uns das vorstellen.
({13})
Das, was Sie vorgelegt haben, geht einseitig zulasten
der sozial Schwachen, zulasten derer, die sich nicht wehren können. Bei denen schlagen Sie knallhart zu.
({14})
Carsten Schneider ({15})
Sie kürzen nur im Sozialbereich. Sie kürzen das Elterngeld für Arbeitslosengeld-II-Empfänger, sie kürzen beim
Rentenversicherungsanspruch für Arbeitslosengeld-IIEmpfänger, und Sie kürzen bei den Eingliederungsleistungen. Alles, was konkret belegt ist, bezieht sich auf
den Sozialbereich.
({16})
Kein einziger Vorschlag betrifft die Gehaltsklasse derer,
die hier sitzen. Weder bei der Steuer noch bei den staatlichen Leistungen sind für diese Gehaltsklasse Mehrbelastungen geplant - gar nichts. Sie sind vollkommen blind,
wenn es um die soziale Balance in diesem Land geht.
({17})
Im Gegenteil. Sie haben gesagt, Sie wollen die Steuern senken und die Abgaben nicht erhöhen. Das war immer Ihr Spruch. Jetzt führen Sie eine neue Steuer ein. Sie
nennen das zwar Luftverkehrsabgabe; es ist aber eine
neue Steuer.
({18})
Ich wünsche mir, dass das auf dem FDP-Parteitag endlich einmal beschlossen wird. Machen Sie sich doch einmal ehrlich!
({19})
Ein wirkliches Problem, das wir in diesem Land haben, ist die Binnennachfrage. Wir haben eine zu geringe Bruttolohnentwicklung und eine sehr hohe Abgabenlast. Wir haben keine hohe Steuerlast, sondern eine
hohe Abgabenlast in den unteren Einkommensbereichen.
({20})
Was passiert durch Ihre Politik? Aufgrund der Gesundheitspolitik Ihres Ministers, die die CDU/CSU mit verantwortet, werden die privaten Krankenversicherungen
aus dem Steuersäckel quersubventioniert und gepäppelt,
und der normale Arbeitnehmer zahlt die Zeche dafür.
({21})
Die zusätzlichen Belastungen durch die Steigerung des
Gesundheitsversicherungsbeitrages plus einmalige Leistungen plus Steigerung des Arbeitslosenversicherungsbeitrages um mehr als 1 Prozent führen bei einem
Normalverdiener - 27 000 Euro pro Jahr - zu einer zusätzlichen Belastung um monatlich 22,50 Euro. Das ist
die Rechnung, die Sie den normalen Arbeitnehmern in
Deutschland präsentieren.
({22})
Ein zweiter ökonomischer Punkt, der gegen diesen
Haushalt spricht: Die Investitionen sinken. Sie sinken
nicht nur, weil die Konjunkturprogramme wegfallen.
Das ist richtig; aber diese hatten wir ohnehin in einem
anderen Haushalt abgerechnet. Die Investitionen sinken
um 1 Milliarde Euro von 28,2 auf 27,2 Milliarden Euro.
Sie haben andere Zahlen ausgewiesen, weil Sie die Mittel für die BA, die im Jahr 2010 noch als Zuschuss verbucht waren, jetzt als Darlehen darstellen und dieses als
Investition verbuchen. Aber das ist natürlich Quatsch.
Die realen Investitionen sinken um 1 Milliarde Euro.
Wir haben das eben auch in der Verkehrs- und Baudebatte gehört. Das wird für die Arbeitsplätze in Deutschland ein Minus bedeuten.
Ich will, weil sich das in der ersten Lesung geziemt,
auch sagen, wie unsere Vorschläge aussehen. Darauf waren Sie ja so gespannt. Wir werden unsere Vorschläge
alle einbringen, und Sie können sich dann dazu verhalten.
Erstens. Wir sind der Auffassung, dass die Quersubventionierung von Niedrigstlöhnen aus dem Sozialetat
von Frau von der Leyen aufhören muss. Da muss ein
Stoppschild hin.
({23})
Wie gelingt das? Ganz einfach: Durch die Einführung eines flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohns
({24})
schaffen Sie - das sind ganz normale Berechnungen, die
die Bundesregierung unter alter Führung noch in Auftrag
gegeben hat - 5 Milliarden Euro zusätzliche Einnahmen
in der Sozialversicherung und bei Steuern. Wir müssen
endlich damit aufhören, die Aufstocker - 1,2 Millionen
Menschen in diesem Land, die arbeiten, obwohl sie es
nicht müssten, weil sie genauso viel Geld vom Sozialamt
bekämen - und damit die Arbeitsplätze bzw. Arbeitgeber
in diesem Land querzusubventionieren.
({25})
Zweitens. Wir plädieren dafür - wir halten das für den
entscheidenden Punkt, damit Ihre Maßnahmen überhaupt in irgendeiner Weise akzeptiert werden könnten -,
dass dieses unsinnige Steuersenkungs- und Klientelgeschenkegesetz für die Hotels vom Beginn dieses Jahres
zurückgenommen wird. Das macht 3 Milliarden Euro.
({26})
- Das ist nicht gelogen. - Natürlich ist die Zahl bereinigt
um die Kindergelderhöhung. Sonst wäre es sogar mehr;
aber diese Erhöhung wollen wir gar nicht zurücknehmen.
({27})
Carsten Schneider ({28})
Drittens: effizienter Steuervollzug in Deutschland;
dazu gibt es auch ein Gutachten des Bundesrechnungshofs. Führen Sie doch einmal in Ihrer Verantwortung als
Ressortminister Gespräche mit den Landesverwaltungen
darüber, dass Unternehmen in Deutschland fast nicht
mehr geprüft werden, dass, wenn es dazu kommt, das
quasi schon ein Schicksalsschlag ist.
({29})
Wir fordern die Einführung einer Bundessteuerverwaltung, damit Steuermoral und Steuergerechtigkeit wieder
durchgesetzt werden. Das würde 11 Milliarden Euro
bringen.
({30})
Ich weiß, dass das mit den Ländern besprochen werden
muss. Aber die wollen auch ein bisschen Geld; man
muss nur an die Ausgaben für Bildung denken. Da muss
man einmal verhandeln.
Viertens. Zu den Kürzungen im Verwaltungsbereich,
die Sie mit dem Rasenmäher machen, insbesondere im
Bereich des Personalabbaus, will ich Ihnen klar sagen,
dass ich das sehr kritisch sehe.
({31})
Was passiert? Sie wollen dort mit der Sense ran.
({32})
Das bedeutet, dass Sie weitere Auslagerungen - diese
halte ich für nicht mehr akzeptabel - vornehmen. Sie
wollen öffentliche Fürsorge und auch Beratung auf Bundesebene, Beratung des Parlaments und der Regierung,
also die Steuerung eines Landes, auf externe Berater,
Anwälte etc. und letztendlich Lobbyisten auslagern. Das
akzeptieren wir nicht mehr. Wir glauben vielmehr, dass
wir die 65 Milliarden Euro für Beschaffung, die insgesamt im Bundeshaushalt sind, überprüfen sollten. Wir
werden vorlegen, wie man dort 10 Prozent sparen kann.
Auch dann kommen Sie auf eine Summe von
6 Milliarden Euro.
Der letzte Punkt, den ich ansprechen möchte, setzt bei
der Gerechtigkeit von Besteuerung an.
({33})
Sie machen keinen einzigen Vorschlag - ich habe das
vorhin gesagt -, um diejenigen, die in diesem Land mehr
verdienen, ein bisschen zur Verantwortung zu ziehen.
Wir hatten in den vergangenen Jahren enorme Vermögenszuwächse, und es betrifft im Übrigen auch die, die
dafür gesorgt haben, dass wir in die Krise geschliddert
sind. Wir sind für eine Erhöhung des Spitzensteuersatzes. Auch das bringt nach dem Konzept der SPD
5 Milliarden Euro mehr Staatseinnahmen für den Bildungsbereich und für die Konsolidierung.
Unser Konzept steht.
({34})
Es wäre erstens zukunftsfähig, und zweitens würde es
eine Wahrung der sozialen Balance in Deutschland gewährleisten, die Sie wie eine Dampfwalze einreißen. In
dieser Koalition hat reine Klientelpolitik begonnen, und
Sie schreiben diese jetzt dauerhaft fort.
({35})
Das Wort hat nun Kollege Jürgen Koppelin für die
FDP-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich
finde, diese Haushaltswoche hat deutlich gemacht, was
die Koalition will. Haushaltsdebatte ist keine Verteilungsdebatte mehr,
({0})
wie das in früheren Jahren der Fall war. Hier geht es um
das Sparen und das Abbauen von Schulden.
Das habe ich vermisst, Kollege Schneider. Sie haben
nicht ein Wort zu unseren Schulden gesagt, nicht ein
Wort zu den hohen Zinsen, die wir zahlen müssen, und
dass wir davon herunterkommen müssen. Ihre Redebeiträge in dieser Woche vermitteln den Eindruck, dass
zwei und zwei nicht vier sind, sondern fünf oder sechs.
Etwas anderes bieten Sie hier nicht. Sie haben nicht ein
Wort zu den Schulden gesagt.
({1})
Was Sie hier gerade vorgetragen haben, das sind doch
Luftbuchungen. Sie wissen genau, dass das Luftbuchungen sind.
Kein Wort von der Opposition zu dem, was wir - ich
finde, das muss man anerkennen - zurzeit in Deutschland erleben: einen boomenden Export, Investitionen der
deutschen Wirtschaft, Wachstumssprünge. Das heften
wir uns nicht allein an - das unterscheidet uns vielleicht
von früheren Regierungen -; aber wir haben die Rahmenbedingungen dafür geschaffen, dass die Wirtschaft
wachsen kann, dass wir diese Wachstumssprünge machen können.
({2})
Das ist das Verdienst dieser Bundesregierung.
({3})
Ich glaube, es gibt keine Alternative zur Haushaltssanierung. Dazu haben Sie sich aber überhaupt nicht geäußert. Ich kann nur sagen: Dieser Boom bietet die
Chance zur Haushaltssanierung. Wir müssen aber sehr
vorsichtig damit umgehen. Den Fehler früherer Regierungen, Steuermehreinnahmen gleich auszugeben und
den Schuldenberg so zu belassen, werden wir Freien Demokraten jedenfalls nicht begehen.
Der Parteivorsitzende der SPD, Herr Gabriel, beklagt
- ich will das einmal aufgreifen; man müsste eigentlich
viel mehr Ihrer Argumente aufgreifen, sofern es überhaupt Argumente sind -, wir würden nicht vom Gemeinwohl sprechen. Er selbst hat übrigens kein Wort zum
Thema Gemeinwohl gesagt. Er hat uns auch nicht erklärt, was er unter Gemeinwohl versteht.
Ich freue mich, dass der frühere Finanzminister Peer
Steinbrück, der ein Buch veröffentlicht hat, heute anwesend ist; denn heute kann man in der Süddeutschen Zeitung lesen - und das sollte auch Herr Gabriel lesen -:
Von den jüngsten politischen Beschlüssen seiner
Partei zeigte sich Steinbrück nicht begeistert: „Die
SPD hat in den letzten zwei Monaten im Wesentlichen Rentner und Transferempfänger angesprochen.“
({4})
Weiter heißt es:
Steinbrück … zeigte sich auch skeptisch über die
Reformfähigkeit der SPD.
Herr Steinbrück, ich werde mir Ihr Buch kaufen. Das
scheint wirklich spannend zu sein.
({5})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich habe auch festgestellt, dass es vonseiten der Opposition nicht einen
einzigen Sparvorschlag gibt,
({6})
sondern nur allgemeines Gejammer und allgemeines
Klagen, wir müssten mehr Geld ausgeben. Gleichzeitig
fordern Sie uns auf, Schulden abzubauen. Ich kann Ihnen
nur sagen: Das wissen wir auch. Für Kürzungen, die wir
vornehmen müssen, für unangenehme Aufgaben bei der
Beratung des Haushalts werden wir keinen Beifall bekommen. Das weiß man.
Aber eines sage ich Ihnen auch bei dieser Gelegenheit: Die Haushaltspolitik von Rot-Grün in NordrheinWestfalen wird uns jedenfalls kein Vorbild sein.
({7})
Da Herr Gabriel mehrmals aus Medien zitiert hat, mache ich das jetzt auch, obwohl das eigentlich nicht meine
Art ist. Vor einigen Wochen las ich zum Beispiel im
Spiegel über die Haushaltspolitik der rot-grünen Koalition in Düsseldorf: „Politik der neuen Löcher“. Dort ist
auch beschrieben, wie Sie beim Schuldenmachen tricksen. So viel dazu. Das wird für uns kein Vorbild sein.
Bei dieser Gelegenheit will ich auch sagen - weil immer von Schieflage die Rede ist -, dass Sie offensichtlich vergessen haben, dass diese Koalition zu Beginn
dieses Jahres das Kindergeld angehoben hat. Ich weiß
allerdings auch: Man kann das Kindergeld noch so sehr
anheben, dafür erntet man keinen Dank. Würden wir jedoch das Kindergeld um 5 Euro kürzen, würden wir
viele böse Briefe bekommen. Wir haben uns schwerpunktmäßig dafür engagiert und über 4 Milliarden Euro
eingesetzt.
({8})
Das war richtig und wichtig.
Genauso - und das fehlt bei Ihnen - setzen wir uns
jetzt schwerpunktmäßig für Bildung und Forschung
ein. Das wird ein Schwerpunkt der Arbeit dieser Regierung sein. Dies dient kommenden Generationen und
schafft Arbeitsplätze. Sie haben nicht mit einem Wort erwähnt, welche positiven Impulse wir als Koalition für
Bildung und Forschung setzen. Ich behaupte, damit haben Sie ein Problem, weil die sozialdemokratische Partei
in den vergangenen Jahren immer forschungsfeindlich
gewesen ist.
({9})
Sie sind die forschungsfeindliche Partei in Deutschland.
({10})
Um es anders zu sagen: Die Sozialdemokraten haben
sich 1966 zum letzten Mal für Forschung eingesetzt. Ich
kann mich noch gut daran erinnern. Willy Brandt
drückte auf einen Knopf, und in Westdeutschland gab es
Farbfernsehen. Bei dieser Gelegenheit haben Sie sich
zum letzten Mal für Forschung eingesetzt.
({11})
Außerdem werfen Sie uns Klientelpolitik vor. Hierfür
gibt es viele Beispiele. Der Herr Präsident hat dafür gesorgt, dass wir im Plenum so tolle Tafeln haben. Vielleicht wäre es möglich, während der Debatte auf diesen
Tafeln zu zeigen, was Gerhard Schröder und Joschka
Fischer mit welchen Firmen verdienen. Dann zeigt sich,
was Klientelpolitik ist.
({12})
Daneben haben Sie etwas völlig ausgeblendet, was im
letzten Jahr bei den Sozialdemokraten noch eine große
Rolle gespielt hat - ich bin dem Minister Brüderle mehr
als dankbar -: Sie, die Sozialdemokraten, hätten die Milliarden zu General Motors getragen. Sie hatten das vor,
wir haben das verhindert. Das ist der Erfolg unserer Politik. Unser Weg war richtig und Ihrer war falsch. So hätten Sie die Milliarden verbrannt.
({13})
Machen wir uns nichts vor: General Motors hat die SPD
an der Nase herumgeführt.
Gerade von den Sozialdemokraten könnte man mehr
erwarten. Sie nehmen in diesen Tagen Ihre gesamte Re6296
gierungspolitik zurück, und ich habe gelesen, Franz
Müntefering - dafür habe ich viel Verständnis - habe erklärt, dass er zum Bundesparteitag der Sozialdemokraten
nicht kommen werde, weil er etwas Besseres vorhabe.
So war es gestern in den Agenturmeldungen zu lesen.
Ich kann das gut verstehen.
Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von den Sozialdemokraten, haben uns bei einer der größten und wichtigsten Aufgaben, die diese Koalition in den letzten Monaten bewältigt hat, völlig im Stich gelassen, nämlich bei
der Rettung des Euros. Das war Schwerstarbeit. Das Verdienst dieser Regierung ist es, den Euro mit stabilisiert
zu haben,
({14})
während Sie versagt haben. Sie haben - unter einem sozialdemokratischen Finanzminister - dafür gesorgt, dass
Griechenland in die Euro-Zone aufgenommen wurde,
obwohl Sie genau wussten, dass die Daten nicht stimmten. Wir haben das jetzt wiedergutzumachen. Das sind
Ihre Fehler gewesen.
({15})
Ich gebe zu - damit habe ich kein Problem -: Auch
diese Regierung hat Fehler gemacht, gerade zu Beginn.
Eines ist aber klar - ich glaube, auch den Bürgern wird
das inzwischen klar -: Zu dieser Koalition gibt es trotzdem keine Alternative; denn die Alternative wäre RotRot-Grün,
({16})
und wir sehen gerade in Nordrhein-Westfalen und anderswo - der Herr Präsident musste heute einige von den
Linken ausschließen -, wohin das führt.
Herr Gabriel hat davon gesprochen, dass diese Regierung für die Opposition keine große intellektuelle Herausforderung bedeute. Das hat man bei Ihren Reden gemerkt. Schade; Sie hätten sich mehr Mühe geben sollen.
Ich kann nur sagen: Wir gehen einen unbequemen
und anstrengenden Weg, einen Weg, der nicht einfach
ist. Man bekommt wenig Beifall dafür.
({17})
Ich sage Ihnen aber auch: Kommende Generationen werden es uns danken.
Herzlichen Dank.
({18})
Das Wort hat nun Dietmar Bartsch für die Fraktion
Die Linke.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr
Koppelin hat eben davon gesprochen, dass Schulden abgebaut werden. Das ist mir hier im Haushalt wirklich
nicht aufgefallen. Daneben soll das Wachstum von der
Regierung herbeigeführt worden sein. Ich vermute, irgendwann wird auch der Sonnenschein noch mit der Regierung verbunden werden. Ich kann nach dieser Woche
nur eines feststellen: Dieser schwarz-gelbe Haushaltsentwurf ist unsolide, er ist ungerecht, und er vertieft die
Spaltung. Er ist durch und durch unsolide.
({0})
Gerade weil Herr Steinbrück heute auch hier ist, lassen Sie mich noch einmal daran erinnern: Es ist ja noch
gar nicht so lange her, dass die Kanzlerin davon gesprochen hat, das Jahr 2011 werde das erste Jahr mit einem
ausgeglichenen Haushalt sein. Das war einmal das Ziel.
Nun weiß ich, dass die Krise und vieles andere mehr dazwischengekommen ist. Die Zahlen, die wir heute verzeichnen können, sind aber ganz einfach: 60 Milliarden
Euro an neuen Schulden in diesem Jahr, im nächsten
Jahr werden es 57,5 Milliarden Euro sein, im Jahre 2012
über 40 Milliarden Euro und 2013 über 30 Milliarden
Euro. Diese Regierung macht neue Schulden in Höhe
von fast 200 Milliarden Euro.
In der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland
wurde in keiner Legislaturperiode ein solcher Schuldenberg angehäuft. Sie hingegen kündigen das schon jetzt
an. Das ist die Realität.
({1})
Herr Schäuble löst Herrn Waigel als Schuldenminister
ab. Das ist die schlichte Realität.
({2})
Herr Schäuble ist der Schuldenminister. Das, was Sie
hier im Plenum immer postulieren, ist weder nachhaltig
noch verantwortungsbewusst und auch nicht solide. Sie
verfrühstücken mit Ihrer Politik die Einnahmen des Jahres 2040. Das ist die Zukunft unserer Kinder und Enkel.
Ich habe hier in der Debatte - das ist völlig absurd von mindestens vier Leuten von der FDP - zum Beispiel
Frau Homburger, Frau Winterstein und Frau Piltz - den
wunderschönen Satz gehört: Kinder können nicht auf
Schuldenbergen spielen. - Dieser Satz ist richtig klasse.
({3})
Handlungsmaxime dieser Regierung ist er aber eben
überhaupt nicht.
({4})
Das ist die Realität. Im Gegenteil: Sie betreiben Raubbau an der Zukunft unseres Landes und verengen die
Handlungs- und Gestaltungsspielräume durch Ihre
Schuldenaufnahme. Sie häufen nämlich Schuldenberge
an. Das ist die Realität.
({5})
Frau Merkel hat ja recht: Jeder fünfte Euro wird für
den Schuldendienst eingesetzt. Herr Schäuble, was passiert eigentlich, wenn die Zinsen ansteigen? Das ist ja
nicht völlig ausgeschlossen. Was tun Sie eigentlich,
wenn wir hier in die Situation kommen, dass wir völlig
neue Aufgaben bewältigen müssen?
({6})
Als wenn das alles nicht schon schlimm genug wäre,
müssen wir auch noch konstatieren, dass es nicht nur einen, sondern diverse Schattenhaushalte gibt.
({7})
Über diese hat niemand hier vor laufender Kamera irgendein Wort verloren. Ich möchte nur noch einmal daran erinnern: Im vergangenen Jahr haben wir den Bankenrettungsschirm
({8})
- ich komme noch dazu - mit 480 Milliarden Euro beschlossen. Inzwischen schaut es bei den Sondervermögen
folgendermaßen aus: Der Finanzmarktstabilisierungsfonds umfasst 36 Milliarden Euro, der Investitions- und
Tilgungsfonds 7,5 Milliarden Euro und der Euro-Rettungsschirm fast 150 Milliarden Euro. Für Griechenland sind
über 20 Milliarden Euro vorgesehen.
({9})
- Das weiß ich doch, Herr Fricke; keine Belehrungen. Das alles sind Schattenhaushalte, und es besteht die Gefahr, dass dieses Geld weg ist. Das ist die Realität.
({10})
Ich möchte an dieser Stelle nur eine Sache zur HRE
sagen: In der letzten Woche haben wir festgestellt, dass
die HRE offensichtlich ein Fass ohne Boden wird.
({11})
Die inzwischen über 140 Milliarden Euro für Hilfen und
Garantien umfassen, wie Sie alle wissen, den halben
Bundeshaushalt.
({12})
Das ist die Realität. Ich erinnere mich noch: Herr
Steinbrück kam einmal in die Fraktion der Linken und
hat bei der ersten Tranche von 25 Milliarden Euro gesprochen. Danach sei aber wirklich Schluss, kein Euro
mehr, meinte er. Die Realität ist 140 Milliarden Euro, ein
Fass ohne Boden.
Das Problem ist folgendes: An einem Wochenende
beschließen Sie weitere 40 Milliarden Euro am Parlament vorbei. Es ist doch völlig klar, dass die Menschen
dann sagen, das am Parlament vorbei und nach Gutsherrenart zu tun, habe mit Demokratie nichts zu tun. Aber
genau das tun Sie bei der HRE, und leider ist es so, dass
letztlich Rentner und Steuerzahler für diese Summen zur
Kasse gebeten werden.
Ich möchte daran erinnern: Ihre Koalition, insbesondere die FDP, hat im vorigen Jahr - das ist noch gar nicht
so lange her; da war noch Wahlkampf - gesagt: Das ist
die Koalition mit Wirtschafts- und Finanzkompetenz. Dann fiel der Spruch von der FDP, den ich sehr oft gehört habe: Wir wollen ein Steuersystem, das einfach,
niedrig und gerecht ist. - Was ist dabei herausgekommen? Es ist die Entlastung der großen Hoteliers herausgekommen, die Mövenpick-Steuer, und Sie haben die
großen Erben entlastet. Das ist die Realität. Das ist steuerpolitischer und haushaltspolitischer Unfug gewesen,
ohne Wenn und Aber. Deswegen: Einfach, niedrig und
gerecht sind die Umfrageergebnisse der FDP, und das ist
gut so.
({13})
Sie sagen, mit dem Haushalt werde die Wirtschaft angemessen belastet. Aber niemand glaubt doch ernsthaft,
dass die Luftverkehrsteuer die Wirtschaft belastet. Sie
alle sagen, dass diese Kosten selbstverständlich in Richtung Passagiere weitergegeben würden. Ich bin nicht gegen die Luftverkehrsteuer; das ist überhaupt nicht die
Frage. Sie haben diese Steuererhöhung beschlossen, und
ich finde sie vernünftig. Aber sagen Sie nicht, Sie würden die Wirtschaft belasten. Das ist schlicht die Unwahrheit.
Noch unwahrer ist es bei der Brennelementesteuer.
Herr Barthle, es ist richtig, wenn gesagt wird, dass Sie
den Energiekonzernen Geld hinterherwerfen. Das ist die
Realität.
({14})
Sie haben einen Deal mit den Energiekonzernen gemacht. Die Regierung hat eben keine angemessene Beteiligung der Wirtschaft bei der Überwindung der Krise
auf den Zettel genommen. Das ist unsere Hauptkritik.
Ein Markenzeichen Ihrer Politik ist, dass Sie die wirklich Vermögenden nicht zur Kasse bitten. Damit spalten
Sie das Land. Ich möchte noch einmal an die Zahlen erinnern: Im letzten Jahr - das war das große Krisenjahr hatten wir beim Bruttoinlandsprodukt minus 5 Prozent.
In diesem Jahr ist die Zahl der Vermögensmillionäre in
Deutschland relevant um 6,4 Prozent auf 861 700 gestiegen. Sie sind nicht in der Lage, auch nur mit einer Maßnahme an die Reichen und Superreichen dieser Gesellschaft zu gehen. Sie schonen die privaten Geld- und
Immobilienvermögen. Das ist inakzeptabel, meine Damen und Herren von der Regierungskoalition.
({15})
Sie sagen zu Recht, eine Haushaltskonsolidierung
müsse mit Zukunftsinvestitionen verbunden werden.
Völlig d’accord. Ja, wir müssen investieren, wir müssen
viel mehr machen. Mehr Geld für Bildung ist grundsätzlich ein richtiger Ansatz. Aber das, was Frau Schavan
vorgelegt hat, ist letztlich halbherzig und ein Ausdruck
der Kräfteverhältnisse in der Koalition. Insgesamt ist
dieser Haushaltsentwurf vor allem auch Politik zulasten
der Länder und Kommunen. Das, was Sie hier beschließen, ist die Realität: Sie produzieren neue Haushaltslöcher.
Weil wir vorhin die Debatte dazu geführt haben,
möchte ich eines noch deutlich hervorheben: Das, was
Sie bei der Kürzung der Städtebauförderung machen
- mir muss einmal jemand erklären, wie man auf eine
solche Idee kommen kann -, ist grandios falsch. Dass
Sie die Mittel für die energetische Gebäudesanierung
streichen, ist grandios falsch. Das sind Zukunftsinvestitionen. Hier muss trotz klammer Kassen eher noch etwas
draufgelegt werden. Korrigieren Sie das im Laufe der
Haushaltsberatungen! Unsere Unterstützung haben Sie
dafür in jedem Fall.
({16})
Im Übrigen widerspricht das sogar Ihrem eigenen
Koalitionsvertrag. Lesen Sie einmal nach, was Sie dort
zu diesen beiden Punkten geschrieben haben. Da steht
nämlich etwas anderes. Sie verletzen also Ihren eigenen
Koalitionsvertrag.
({17})
Carsten Schneider hat darauf hingewiesen: Was die
Binnenkonjunktur betrifft, ist die Frage des Mindestlohns natürlich relevant, ebenso wie die Aufstockerproblematik. Ich glaube, das hat die SPD beschlossen. Kann
das sein?
({18})
Das war ein großer Fehler.
({19})
Die Aufstockerproblematik wird durch die Einführung
eines Mindestlohns reduziert, und die Binnennachfrage
wird gestärkt. Für die Binnennachfrage tun Sie real nämlich gar nichts. Die Linke bleibt bei ihrer Forderung:
Diejenigen, die die Krise zu verantworten haben und
jetzt schon wieder sehr große Gewinne einfahren, müssen zur Kasse gebeten werden.
({20})
Das ist in dieser Situation ohne Wenn und Aber notwendig. Wir müssen die Einnahmen erhöhen. Herr Barthle,
Ihre Politik, auf der Einnahmeseite um Gottes willen
nichts zu tun, ist falsch. Deswegen möchte ich auf einige
Punkte eingehen.
Es ist richtig, den Spitzensteuersatz bei der Einkommensteuer zu erhöhen. Er kann etwas später einsetzen;
aber er muss wieder in Richtung 50 Prozent angehoben
werden. Das ist angesichts dieser Krise notwendig.
({21})
- Wer das mit dem Steuersatz war? Zu Ihrer Regierungszeit bis 1998 lag der Spitzensteuersatz bei 53 Prozent.
({22})
War Helmut Kohl etwa ein Linksradikaler?
({23})
- Ja, die Sozialdemokraten. Aber jetzt muss man ihn erhöhen.
({24})
Diese Krise hat uns nämlich vor andere Herausforderungen gestellt.
Die Finanztransaktionsteuer ist bereits mehrfach erwähnt worden. Hier haben Sie unsere volle Unterstützung. Ich habe allerdings manchmal das Gefühl, dass Sie
dieses Vorhaben nicht mit vollem Enthusiasmus angehen. Tun Sie das, Herr Schäuble! Ich wäre dafür. Die
Unterstützung der Linken haben Sie. Das wird Ihnen auf
europäischer Ebene wirklich helfen.
({25})
Mein nächster Punkt. Mit der Entlastung von Erben
großer Vermögen haben Sie zu Beginn dieser Legislaturperiode eine Fehlentscheidung getroffen.
({26})
Nehmen Sie eine generelle Korrektur der Erbschaftsteuer vor! Über die Erbschaftsteuer nehmen wir viel zu
wenig Geld ein. Diese 4 Milliarden Euro sind faktisch
nichts.
({27})
- Das ist mir klar. Herr Fricke, lassen Sie doch die Belehrungen. Ich erkläre Ihnen das alles.
({28})
Wir brauchen eine Reform der Erbschaftsteuer. Nehmen
Sie sich die USA zum Vorbild. Dann erzielen wir Einnahmen im zweistelligen Milliardenbereich.
({29})
Die Kernforderung, die die Linke angesichts der
Krise erhebt, ist die Einführung einer Millionärssteuer.
Die Zahl der Vermögensmillionäre habe ich Ihnen genannt. Was ist denn so schlimm daran, oberhalb eines
Freibetrags von 1 Million Euro eine Steuer in Höhe von
5 Prozent zu erheben?
({30})
Dadurch würde niemand verarmen. Für die zweite Million müsste ein Betrag von 50 000 Euro gezahlt werden.
Dadurch würden zweistellige Milliardenbeträge in die
öffentlichen Haushalte fließen.
({31})
Das ist die Realität.
({32})
Wir haben doch die völlig kuriose Situation, dass das
Volumen der Sparvermögen selbst im Krisenjahr 2009
um 200 Milliarden Euro gestiegen ist. Warum schöpfen
wir da nicht etwas ab? Das wäre angesichts der Situation
notwendig.
({33})
Zu den Militärausgaben, zu denen ich sehr viel sagen
könnte, möchte ich mich jetzt nicht äußern.
Mich hat sehr gefreut, dass die Bonn/Berlin-Frage
auch von Abgeordneten der Union und der FDP angesprochen worden ist.
({34})
- Ich unterstütze das sehr, Herr Westerwelle. Ich unterstütze es sehr, wenn endlich die Zusammenführung der
Bundesregierung hier in Berlin erfolgt.
({35})
Das wäre auch eine Sparmaßnahme.
({36})
Die Linke ist auf der Seite derjenigen, die dies vorschlagen.
({37})
- Herr Westerwelle, Sie wissen doch, dass nach wie vor
sechs Ministerien in Bonn sind.
({38})
Das ist falsch. Alle Ministerien sollten nach Berlin umziehen. Sie können am Wochenende trotzdem in Ihre
Heimat nach Bonn fahren; das verwehrt Ihnen ja niemand.
({39})
Zu den Maßnahmen, die Sie durchgeführt haben, will
ich ein paar Bemerkungen machen. Mir muss einmal jemand von der Union erklären, wie die Streichung des
Elterngeldes für Hartz-IV-Empfänger mit dem Adjektiv
„christlich“ zu verbinden ist.
({40})
Diejenigen, die nicht gearbeitet haben, bekommen
300 Euro Elterngeld. Die Millionärsgattin bekommt Elterngeld. Aber bei denjenigen, die nur ganz wenig haben, streichen Sie. Ich kann Ihnen nur raten: Überdenken
Sie diese Entscheidung. Diese Maßnahme ist zutiefst unsozial. Sie trifft die Kinder und ist mit dem Ausdruck
„christlich“ keinesfalls zu verbinden.
({41})
Genauso verhält es sich im Übrigen mit dem Heizkostenzuschuss. Sie führen die Begründung an, die Energiekosten seien gesunken, und sagen, deswegen hätten sie
ihn in etwa halbiert. Wenn Sie ihn halbiert hätten, wäre
das noch nachzuvollziehen. Aber Sie streichen ihn gänzlich. Wieder sind es die sozial Schwächsten der Gesellschaft, bei denen Sie total „mutig“ sind. Natürlich verhandeln Sie mit denen auch nicht, anders als mit den
Energiekonzernen. Die Konzerne laden Sie sonntags ein,
dann schließen Sie einen Deal, und am Ende kommt irgendeine Summe heraus. Warum reden Sie nicht auch
mit denjenigen, die von dieser Maßnahme betroffen
sind, oder warum gelangen Sie nicht durch die Debatten
im Parlament zu der Erkenntnis, dass die Richtung Ihrer
Politik eine grundsätzlich falsche ist?
({42})
Es ist grundsätzlich falsch, bei den sozial Schwächsten
zu sparen.
Ich mache Ihnen gerne Sparvorschläge. Nehmen wir
doch nur den Militärhaushalt. Wie finden Sie die Idee,
den Transportflieger A400M zu streichen? Das würde
9 Milliarden Euro ausmachen.
({43})
Wie denken Sie über den Eurofighter? Damit könnten
wir 10 Milliarden Euro einsparen.
Wie könnten wir über eine Reform der Wehrpflicht
- wir sind für die Abschaffung - dahin kommen, dass in
diesem Bereich weniger Geld ausgegeben wird? Warum
denken Sie nicht darüber nach, die Auslandseinsätze
wirklich zurückzufahren? Für den Afghanistan-Einsatz
zahlen wir 1 Milliarde Euro. Das alles sind unsinnige
Geldausgaben.
({44})
Die Linke hat in den Beratungen reichlich Sparvorschläge gemacht und wird dies auch weiter fortsetzen.
Ich würde auch gerne auf das Liberale Sparbuch der
FDP zurückkommen. Wie viele Staatssekretäre sollten
eingespart werden?
({45})
Es ist leider kein einziger eingespart worden. Dabei bin
ich zutiefst davon überzeugt, dass man sich einige wirklich sparen könnte.
({46})
- Ich sage Ihnen auch Namen, Herr Fricke, kein Problem.
({47})
Ich will etwas ansprechen, das mir wichtig ist, weil
mit diesem Haushalt auch die Problematik der OstWest-Spaltung vertieft wird: Die Sozialkürzungen pro
Einwohner sind in den neuen Ländern mit 76 Euro doppelt so hoch wie in den alten Bundesländern, wo sie etwa
36 Euro betragen. Das sollten Sie sich auf der Zunge zergehen lassen, meine Damen und Herren. Wir wollen
doch nicht, dass 20 Jahre nach der deutschen Wiedervereinigung die Menschen im Osten noch als Menschen
zweiter Klasse betrachtet werden. Deswegen muss man
sich, wenn es um Einsparungen geht, auch diesen Aspekt
vor Augen führen.
Wir haben im Osten weiterhin fast doppelt so hohe
Arbeitslosenzahlen und eine geringere Wirtschaftskraft
als im Westen. Deshalb kann man in dieser Situation
dort nicht besonders hohe Einsparungen vornehmen.
Denn auch das vertieft die Spaltung in diesem Lande.
({48})
Frau Merkel hat in ihrer Rede am Mittwoch viel über
Zusammenhalt gesprochen. Ich halte es grundsätzlich
für einen richtigen Ansatz, dieses Substantiv und die damit verbundene Problematik in den Mittelpunkt zu stellen. Realität ist aber, dass dieser Haushalt nicht den Zusammenhalt fördert; er ist vielmehr durch und durch ein
Haushalt für Lobbyisten. Er richtet sich gegen Arbeitslose, Familien und Kinder. Er ist unsozial, ungerecht und
unsolide.
({49})
Nehmen Sie die Vorschläge der Opposition an, damit
Deutschland gerechter wird!
Danke schön.
({50})
Das Wort hat nun Kollegin Priska Hinz für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr
Barthle und Herr Koppelin, es war zu erwarten, dass Sie
sich und die gesamte Koalition heute wie schon die
ganze Woche rühmen, welch tollen Sparhaushalt Sie
vorgelegt haben und wie hervorragend Sie das Problem
der Schuldenbremse lösen. Ich will aber kurz daran erinnern, dass Sie Anfang des Jahres ein Schuldenbeschleunigungsgesetz verabschiedet haben
({0})
und dass Sie dann bis zur NRW-Wahl abgetaucht sind,
als es um die Reduzierung der Nettoneuverschuldung
und die Einhaltung der Schuldenbremse ging. Wir könnten mit der Konsolidierung des Haushaltes nämlich
schon sehr viel weiter sein.
({1})
Ganz besonders vergnüglich, Herr Koppelin, finde ich
den Vorwurf an die Opposition, dass wir immer Steuereinnahmen erzielen wollten, die wir gleich wieder ausgeben wollten. Sie haben mit der Hoteliersteuer keine
Einnahmen generiert, sondern gleich Steuerlöcher geschaffen.
({2})
Auch das macht vielleicht den Unterschied zur FDP aus.
({3})
Wir wissen auch, dass die Verschuldung des Bundes
gigantische 1,045 Billionen Euro beträgt und dass inzwischen jeder fünfte Euro im Bundeshaushalt für Zinsen
ausgegeben wird. Wir wissen aber auch, dass die Regierung mit dem Finanzplan bis zum Jahr 2014 nur die
Hälfte des Weges aufgezeigt hat, wie die Schuldenbremse eingehalten werden kann, und zudem im Finanzplan einen Haufen Luftbuchungen vorgenommen hat.
({4})
Als globale Minderausgabe sind für das Jahr 2014
5,6 Milliarden Euro veranschlagt. An Kürzungen der
Verwaltungsausgaben sind für das Jahr 2014 3,9 Milliarden Euro vorgesehen, und die Einsparungen durch
die Streitkräftereform, die auch noch nicht hinterlegt ist,
sind mit 3 Milliarden Euro veranschlagt. Damit kommen
wir auf 12,5 Milliarden Euro, die sehr wackelig sind.
({5})
Hinzu kommen Schattenhaushalte und möglicherweise
steigende Zinslasten. Sie häufen damit eine Hypothek
auf, die Sie der neuen Regierung vor die Füße kippen.
Aber ich sage Ihnen: Wir nehmen die Herausforderung
an. Wir werden es schaffen, die Tendenz hin zu einer sozialen, ökologischen und finanziellen Verschuldung, die
Sie vorantreiben, umzukehren. Wir werden in der nächsten Regierung bessere Finanzpläne vorlegen.
({6})
- Es ist mir klar, dass es Sie aufregt, dass wir die nächste
Regierung übernehmen wollen. Aber Sie werden schon
sehen, wie wir das schaffen.
Herr Schäuble, Sie haben bei der Einbringung des
Haushalts darauf hingewiesen, dass es eine hohe Zustimmung in der Bevölkerung zum Sparkurs gibt. Das ist
richtig; darin stimme ich Ihnen zu. Aber die Bevölkerung will auch, dass es gerecht zugeht. Die Bürgerinnen
und Bürger haben derzeit überhaupt nicht das Gefühl
und sind nicht der Meinung, dass diese Regierung in der
Lage ist, eine gerechte Steuerpolitik zu machen und einen gerechten Sparkurs zu fahren, weil zwei Drittel der
Priska Hinz ({7})
Belastungen im Sozialbereich verankert werden und nur
ein Drittel der Belastungen auf die Wirtschaft zukommt.
({8})
Das ist nicht gerecht. Das können Sie nicht einfach mit
der allgemeinen Aussage wegwischen, auch die Bevölkerung wolle sparen. Vielmehr müssen Sie aufzeigen,
wie es gerecht zugehen kann. Wir machen das in unseren
Vorschlägen immer.
({9})
Sie streichen über 30 Milliarden Euro bei den Ärmsten und Arbeitslosen: beim Heizkostenzuschuss, beim
Wohngeld und beim Elterngeld für Langzeitarbeitslose.
In der gestrigen Debatte über die Sozialpolitik wurde
über das Lohnabstandsgebot philosophiert. Sie sind bislang nicht in der Lage, das Problem mit dem Lohnabstandsgebot durch die Einführung eines Mindestlohns zu
lösen. Das wäre das Gebot der Stunde.
({10})
Sie verschieben auch noch zulasten der Zukunft und der
Kommunen, indem Sie die Streichung des Rentenbeitrags für die Arbeitslosengeld-II-Empfänger im Haushalt
verankert haben. Das heißt, dass die Arbeitslosen ihre
Armut im Alter fortsetzen und die Kommunen als Träger
der Grundsicherung dies künftig bezahlen müssen. So
sieht Ihre Haushaltspolitik aus; so sieht Ihre Konsolidierung aus. Das ist nicht in Ordnung, weil das eine falsche
Prioritätensetzung ist.
({11})
Der letzte Tag der Wirtschafts- und Finanzkrise wird
der erste Tag des Fachkräftemangels sein. Schon jetzt
fehlen Ingenieure und Pflegekräfte. Was tun Sie gerade
in diesem Bereich? Sie kürzen die Mittel für die Wiedereingliederungsmaßnahmen. Aber gerade die Langzeitarbeitslosen brauchen Möglichkeiten der Umschulung
und der Weiterbildung und kein Streichkonzert. Notwendig wäre, dass die Bundesregierung im Ganzen ein Weiterbildungskonzept hätte. Aber auch im Bereich des Bildungsministeriums wird gespart, und zwar unter
anderem 20 Prozent bei der Weiterbildung. 20 Prozent!
Zwar bleibt noch immer viel Geld übrig. Aber das wird
falsch ausgegeben. Da, wo Sie sparen, sparen Sie ungerecht. Das ist keine sinnvolle Haushaltspolitik. Wir haben Ihnen ein Konzept vorgelegt, aus dem hervorgeht,
wie in drei Jahren 1 Million Weiterbildungsangebote
durch das Bildungsministerium geschaffen werden kann,
und zwar sowohl im Umschulungsbereich als auch im
Bereich der Weiterbildung. Sie verschärfen dagegen den
Fachkräftemangel, anstatt ihm zu begegnen.
Des Weiteren kommt hinzu: Sie brauchen vier Minister, die permanent Pressekonferenzen geben - Herr de
Maizière, Frau Schavan, Frau von der Leyen und der allgegenwärtige Herr Brüderle -, um über eine Lösung des
Problems der Zuwanderung zu diskutieren. Aber Sie
schaffen es nicht, eine Einigung herzustellen und in diesem Land die Zuwanderung für Hochqualifizierte zu regeln. Hier werden wir Ihnen ebenfalls auf die Sprünge
helfen, meine Damen und Herren.
({12})
Sie erhöhen aber nicht nur die soziale Verschuldung
in diesem Haushalt, sondern Sie treiben mit der Kürzung
der Mittel für das Gebäudesanierungsprogramm und mit
der Kürzung beim internationalen Klimaschutz auch die
ökologische Verschuldung voran. Sie sind nicht gut bei
dem Thema der ökologischen Modernisierung in diesem Land. Sie schaden aber nicht nur dem Klima. Sie
schaden der Wirtschaft, und Sie schaden mit solchen
Kürzungsorgien dem Handwerk. Frau Flach hat gestern
angekündigt, dass die steuerliche Forschungsförderung
nicht mehr stattfinden wird.
({13})
Das hat das BMBF uns schon vor ein paar Wochen erzählt. Jetzt erklärt es auch die FDP. Auch hier ist Fehlanzeige, was das Thema ökologische und technologische
Modernisierung der kleinen und mittleren Unternehmen
in diesem Land angeht. Gerade hier wäre es aber notwendig, Mittel einzusetzen, damit das Innovationspotenzial der Wirtschaft gehoben wird, weil eine ökologische
Modernisierung auf breiten Füßen stehen muss. Das ist
zum einen durch Programme zu erreichen. Zum anderen
ist das durch steuerliche Forschungsförderung zu erreichen, damit die KMUs überhaupt die Möglichkeit haben,
sich auf diesem Feld zu betätigen.
({14})
Ich komme nun zum Werbeblock für die Atomindustrie, den Sie, Frau Merkel, Herr Brüderle und Herr
Röttgen, in dieser Woche mit Leben gefüllt haben. Auch
der Bundesfinanzminister hat bei der Einbringung des
Bundeshaushaltes dazu gesprochen. Sie versuchen, den
schmutzigen Deal mit der Atomlobby kleinzureden, und
zwar die ganze Woche lang.
({15})
- Herr Kauder, das haben Sie die ganze Woche lang versucht, aber das wird Ihnen nicht gelingen;
({16})
denn Fakt ist, dass Sie den Atomkonzernen für ihre
Laufzeitverlängerungen 100 Milliarden Euro an Zusatzgewinnen schenken.
({17})
- Herr Barthle, die Brennelementesteuer wollen wir
schon seit vielen Jahren einführen, aber ohne Laufzeitverlängerung,
({18})
weil wir der Meinung sind, dass die Atomindustrie natürlich auch in der Frage der Endlagersuche und in der
Frage, wie Müll entsorgt werden soll, beteiligt werden
muss.
Priska Hinz ({19})
({20})
Meine Damen und Herren, es kann doch wohl nicht
sein, dass es einen Deal am Parlament vorbei gibt und
dass man die Zahlungen in den Fonds, den Sie jetzt immer so in den Mittelpunkt stellen, dadurch reduzieren
kann, dass man in den einzelnen Atomkraftwerken Sicherheitsauflagen erfüllt.
({21})
- Wir wollen Sicherheitsauflagen, aber wir wollen keinen Rabatt auf Sicherheit. Wir wollen nicht, dass sich
die Atomindustrie von Sicherheitsauflagen freikaufen
kann.
({22})
Meine Damen und Herren, Herr Barthle, das, was an
Zahlungen in den Fonds hineingeht, hat die Atomindustrie nach einer Betriebslaufzeit von drei Wochen wieder
raus.
({23})
Das ist der Deal, den Sie mit der Atomindustrie gemacht
haben.
({24})
Und der Bundesumweltminister? Der Bundesumweltminister saß während dieses Deals draußen vor der Tür.
Das muss man sich einmal vorstellen.
({25})
- Ja, vielleicht hat er vor der Tür oder zu Hause geschlafen, das ist mir auch egal. Wenn man als Bundesumweltminister aber ein bisschen Selbstachtung hat, dann dürfte
man so etwas nicht nur nicht mitmachen, dann müsste
man eigentlich zurücktreten, meine Damen und Herren.
({26})
In jedem Fall ist dies die dreisteste Klientelpolitik, die
das Land jemals gesehen hat. Das ist neben der sozialen
Schieflage und dem ökologischen Rückschritt das Bemerkenswerteste, was wir in dieser Haushaltswoche zu
diskutieren haben.
({27})
Wir werden Ihnen in den Haushaltsberatungen zeigen,
dass es ganz anders gehen kann, dass man den Haushalt
konsolidieren und trotzdem mehr in Klimaschutz, Bildung und soziale Gerechtigkeit investieren kann. Wir haben die Möglichkeit, ökologisch schädliche Subventionen zu streichen, und zwar, wie das Umweltbundesamt
sagt, in einer Höhe von über 40 Milliarden Euro.
Wir gehen noch nicht einmal so stark heran. Wir sagen, dass im ersten Jahr 12 Milliarden Euro ausreichen.
Auch das wäre ein erklecklicher Teil, der zur ökologischen Modernisierung des Landes beitragen würde.
({28})
Auch wir sind der Meinung, dass wir Strukturreformen brauchen. Die Bundessteuerverwaltung ist schon
angesprochen worden. Es gibt weitere Bereiche. Weil
wir einen handlungsfähigen Staat wollen und für eine
gerechte Steuerpolitik sorgen wollen, kämpfen wir für
die Erhöhung des Spitzensteuersatzes, für eine gerechte
Erbschaftsteuer und für eine Finanztransaktionsteuer auf
europäischer Ebene. Das ist die Alternative zur unsozialen Politik von Schwarz-Gelb. Wir werden Ihnen in diesen Haushaltsberatungen aufzeigen, wie man einen Zukunftshaushalt aufstellen kann.
Danke schön.
({29})
Das Wort hat nun der Bundesminister der Finanzen,
Wolfgang Schäuble.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Die erste Lesung des Entwurfs des Bundeshaushalts 2011 geht ihrem Ende entgegen. Ich will doch in
dieser Debatte, nachdem ich den Rednerinnen und Rednern der Opposition sorgfältig zugehört habe, daran erinnern: Wir kommen aus der schwersten Wirtschaftskrise,
aus dem schwersten wirtschaftlichen Einbruch, verursacht durch die Finanz- und Bankenkrise von vor zwei
Jahren. Deswegen haben wir höhere Defizite, als wir in
der mittelfristigen Finanzplanung unterstellt haben. Es
tut mir ein bisschen leid, Herr Kollege Bartsch. Es ist zu
einfach, zu sagen, Frau Merkel habe für 2011 ein Defizit
von null angekündigt. Klar, in der mittelfristigen Finanzplanung stand es so, aber inzwischen hat sich die Welt
ein wenig verändert.
({0})
Ich habe bisher nicht gehört, dass irgendjemand in diesem Hause infrage gestellt hat, dass es richtig war, unter
Inkaufnahme exorbitant hoher Defizite die schlimmen
Auswirkungen dieser Wirtschaftskrise, insbesondere auf
dem Arbeitsmarkt, zu bekämpfen. Deswegen sollten Sie
nicht in einer so billigen und demagogischen Weise zwei
Tage später so etwas tun.
({1})
Eine zweite Bemerkung: Wenn man der Opposition
zuhört, klingt es so, als würden wir nicht genügend konsolidieren, wenn wir aber konsolidieren, dann angeblich
an der falschen Stelle. Die Kunst ist, dass wir so konsolidieren, dass wir die Chance für eine nachhaltige wirtschaftliche Aufwärtsbewegung nicht zerstören, sondern
fördern. Das nennt man wachstumsfreundliche Defizitreduzierung. Die ist international vereinbart. Es ist viel
bezweifelt worden, ob das geht. Die Bundesrepublik
Deutschland beweist zurzeit zur Überraschung vieler in
der Welt, dass es möglich ist.
({2})
Damit wird der Instrumentenkasten für die nachhaltige
Reduzierung der zu hohen Defizite ein bisschen kleiner.
Die Vorstellung, man könne einfach beliebig Steuern erhöhen
({3})
- ich komme gleich dazu -, hat wenig mit der wirtschaftlichen Überzeugung zu tun, dass wir alles daransetzen
müssen, den Weg aus der Krise zu finden. Im letzten
Jahr ist das Bruttoinlandsprodukt um 4,7 Prozent zurückgegangen. Wenn das Bruttoinlandsprodukt in diesem Jahr wirklich um 3 Prozent steigt, dann liegen wir
immer noch deutlich unter dem Niveau von 2008. Deswegen müssen wir bei allem, was wir tun, die wirtschaftlichen Auswirkungen mit bedenken. Daran führt kein
Weg vorbei. Deswegen sind die meisten Instrumente, die
Sie uns vorschlagen, völlig ungeeignet, wenn wir eine
wachstumsfreundliche und beschäftigungsfreundliche
Defizitreduzierung vornehmen wollen.
({4})
Es kommt noch etwas hinzu - das will ich für Ihre Argumentationslinien für die weiteren Beratungen doch
noch einmal anmerken -: Wenn man Defizite reduzieren
will, muss man auch die Kraft haben, Leistungen, die in
einer besonderen Situation vorübergehend eingeführt
worden sind, dann, wenn die Voraussetzungen nicht
mehr gegeben sind, wieder zurückzunehmen. Deswegen,
Herr Kollege Schneider, mit allem Respekt: Der Vergleich der Investitionsquoten ohne Berücksichtigung
dessen, dass das Konjunkturprogramm ausläuft, ist einfach ein irreführender.
({5})
Genau so ist es übrigens mit dem Heizkostenzuschuss
für Wohngeldempfänger. Er ist eingeführt worden, als
der Preis für einen Barrel Rohöl bei nahezu 200 Dollar
lag. Inzwischen beträgt er zum Glück wieder weniger als
die Hälfte. Deswegen ist es richtig, dass wir das zurückführen.
({6})
Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Schneider?
Herr Kollege Schneider.
Herr Minister, ich will gern auf Ihre Anmerkung zum
Vergleich der Investitionsquoten 2010 und 2011 eingehen. Vorhin habe ich ausgeführt, dass die Ausgaben, bereinigt um das BA-Darlehen, um 1 Milliarde Euro sinken. Dann kann man eben nicht sagen, das sei 2010
konjunkturbedingt gewesen; denn der gesamte Konjunkturteil - das wissen Sie - liegt separat im Sondervermögen „Investitions- und Tilgungsfonds“.
({0})
Deswegen müssen wir die bereinigten Zahlen 2010 mit
denen für 2011 vergleichen, und da sinkt der Investitionsanteil.
Herr Kollege Schneider, wenn Sie die Investitionen
mit dem Gesamtvolumen des Haushalts vergleichen,
dann werden Sie feststellen, dass Sie nicht recht haben.
Zum ersten Mal legen wir einen Haushalt vor, bei dem
die Ausgaben kontinuierlich von Jahr zu Jahr sinken.
({0})
Das ist der Schlüssel für eine nachhaltige Defizitreduzierung.
({1})
Wir haben bei unserem Zukunftspaket die investiven
Ausgaben sehr bewusst geschont, so gut es irgend ging.
Natürlich haben wir im Bereich der disponiblen Mittel
bei den Einzelplänen eine gewisse Vorgabe gemacht. Die
muss jedes Ressort in seiner eigenen Verantwortung erfüllen. Darüber wird es im Einzelnen noch Debatten geben, auch im Zuge der weiteren Haushaltsplanung. Aber
insgesamt ist unser Konsolidierungskurs ein wachstumsfreundlicher, der die Investitionen schont. Die Investitionen in Bildung und Forschung haben wir sogar erhöht.
({2})
Weil Sie die Bemerkung gemacht haben, Herr Kollege Schneider: Unterstellen Sie mir bitte nicht Tricksereien! Das ist nicht in Ordnung.
({3})
Ich habe frühzeitig hier gesagt, mehrfach, bei der ersten
wie bei der zweiten und dritten Lesung des Bundeshaushalts 2010: Wir werden als Ausgangsmarke für das
strukturelle Defizit gemäß der Schuldenbremse des
Grundgesetzes, die wir zum ersten Mal anwenden, das
zum Zeitpunkt der Fortschreibung der mittelfristigen Finanzplanung - das ist der entscheidende Punkt ({4})
absehbare tatsächliche strukturelle Defizit zugrunde legen. - Genau das haben wir getan.
({5})
- Genau so habe ich es gesagt, und genau so tun wir es.
({6})
Wir können die mittelfristige Finanzplanung doch
nicht im parlamentarischen Verfahren fortschreiben.
Deswegen gilt: Wir brauchen für die Schuldenbremse
die mittelfristige Perspektive, und genau dies haben wir
mit der Formulierung des strukturellen Defizits in 2010
sichergestellt. Das hatte ich vorher angekündigt, und genau das machen wir. Werfen Sie mir also nicht Tricksereien vor! Das ist nicht in Ordnung.
({7})
Gestatten Sie noch eine Frage des Kollegen
Schneider? - Ja.
({0})
Herr Minister, ich wollte Ihnen in dem Punkt nicht
Tricksereien vorwerfen. Ich habe ja gesagt: Ich habe die
Sorge, dass es so sein könnte. Deswegen frage ich ganz
gezielt und konkret: Was ist für die Aufstellung der Finanzplanung 2012, die Sie im Juni 2011 beschließen
werden, maßgeblich, das Ist-Ergebnis des Jahres 2011
({0})
- Entschuldigung, 2010 -, was auch die Bundesbank in
ihrem letzten Monatsbericht empfiehlt, oder die nicht
ganz so guten Zahlen vom Juni dieses Jahres, weil die
dazu führen, dass Sie ein höheres Defizit haben und
dementsprechend in den Folgejahren weniger abbauen
müssen?
({1})
Sind Sie also engagiert oder nicht?
Herr Kollege Schneider, schauen Sie sich doch noch
einmal die Schuldenbremse im Grundgesetz an. Ich
empfehle übrigens überhaupt, sich noch einmal anzuschauen, was wir in der Föderalismuskommission gemeinsam erreicht haben und was nicht. Eine Bundessteuerverwaltung haben wir nicht erreicht. Deswegen
sollte man sie nicht ein paar Monate später schon wieder
als den großen Vorschlag zur Lösung aller Probleme in
die Debatte einbringen. Das ist doch unseriös.
Nach den Regeln des Grundgesetzes müssen wir das
im Jahr 2010 vorhandene strukturelle Defizit in gleichen
Jahresbeträgen
({0})
bis 2016 zurückführen. Deswegen haben wir 2012 keinen Beurteilungsspielraum. Die Entscheidung war bei
der Aufstellung der mittelfristigen Finanzplanung im
Sommer 2010 zu treffen. Und wir haben sie getroffen.
({1})
Jetzt würde ich gern noch eine Bemerkung zu der
Frage machen, wie sich all das sozial auswirkt. Verehrte
Kolleginnen und Kollegen, die schlimmste Gefahr für
die soziale Ausgewogenheit unserer Politik ist eine zu
hohe Arbeitslosigkeit. Das Beste, was wir für mehr soziale Gerechtigkeit in diesem Lande tatsächlich tun können, ist, dafür zu arbeiten, dass alle Menschen mehr
Chancen auf Beschäftigung bzw. auf Arbeit haben. Da
sind wir auf einem ausgesprochen guten Weg.
({2})
Alle Ihre Vorschläge führen jedoch genau in die falsche
Richtung. Für uns ist die Entwicklung am Arbeitsmarkt
entscheidend. Was wir machen, ist wirklich sozial nachhaltige Politik, und diesen Weg werden wir fortsetzen.
Herr Kollege Schneider, es hat mich schon tief betroffen gemacht, wie Sie damit - womit Sie sich schon in
der rot-grünen Regierungszeit beschäftigt haben, womit
wir uns während unserer gemeinsamen Regierungszeit
über vier Jahre beschäftigt haben und womit wir uns
auch in Zukunft beschäftigen müssen - umgegangen
sind, nämlich mit der Frage: Wie können wir angesichts
der Entwicklung des globalen Wettbewerbs um Arbeitsplätze, Investitionsstandorte und Marktanteile ein vernünftiges Beschäftigungsniveau für unser Land sichern?
So einfach ist das Thema Mindestlohn nämlich nicht.
Wenn wir Regelungen treffen, die dazu führen, dass
noch mehr Arbeitsplätze in der industriellen Produktion
auf andere Kontinente verlagert werden, dann erweisen
wir der sozialen Gerechtigkeit einen Bärendienst.
({3})
- Herr Kollege Poß, ich würde doch einmal nachlesen,
welche Reden Sie persönlich im Zusammenhang mit der
Agenda 2010 gehalten haben.
({4})
Sie werden sehr schnell finden, dass Sie sich da sachlich
vertieft mit dem Problem des Lohnabstandsgebotes beschäftigt haben. Dabei geht es darum, dass wir darauf
achten müssen, dass nicht ein Niveau bei den Sozialleistungen festgeschrieben wird, das auf dem Arbeitsmarkt,
wie er im Zeitalter der Globalisierung - ({5})
- Warum lassen Sie mich eigentlich nicht einen Satz zu
Ende sprechen? Sie werden offenbar nervös, wenn man
Sie an Ihre eigenen Reden erinnert.
({6})
Das Problem ist, dass wir bei dem Standard an Sozialleistungen in Deutschland, der richtig ist und auf den wir
stolz sein können, den wir aber wieder und wieder durch
wirtschaftliche Leistungs- und Wettbewerbsfähigkeit erBundesminister Dr. Wolfgang Schäuble
arbeiten müssen, ein Niveau haben, das weit über dem
liegt, zu dem in anderen Ländern Menschen arbeiten, ein
Problem, das wir nur durch eine vernünftige Kombination bzw. Abgrenzung von Sozialleistungen und Löhnen
lösen können.
({7})
Wenn Sie das als Quersubventionierung diffamieren,
versperren Sie sich den Weg zu einer sachgerechten Lösung dieser Probleme. Es ist nicht einfach, diesen Weg
zu gehen, aber es ist notwendig. Man darf ihn aber nicht
durch Diffamierung versperren. Deswegen werbe ich dafür, dass wir all das nicht aus dem Blick verlieren. Dafür
brauchen wir übrigens die Tarifpartner. Was die zum gesetzlichen Mindestlohn sagen, sollten Sie sich im Einzelfall auch etwas genauer anschauen. Dann könnten Sie
auch hören: Dadurch wird die Tarifautonomie ausgehöhlt.
({8})
Meine Damen und Herren, auch wenn wir uns auf
dem Weg aus der schwersten Krise seit langem befinden,
sollten wir unsere Verantwortung für Europa nicht geringschätzen. Wir haben in den ersten Monaten dieses
Jahres in der so auch nicht erwarteten Situation, dass
sich die Krise eines Landes ganz schnell und unabsehbar
auf andere Euro-Länder und weit darüber hinaus ausbreiten kann, eine neue Dimension der Verflechtung der
Finanzmärkte erkennen können. Wir wissen, dass die Instrumente des europäischen Stabilitäts- und Wachstumspaktes geschärft werden müssen, um in dieser Situation
bestehen zu können. Wir wissen, dass es dazu unvermeidlich ist, dass alle Länder ihre Defizite reduzieren,
so, wie wir es vereinbart haben. Wir wissen, dass dabei
Deutschland beobachtet wird: Halten wir es ein oder
nicht? Schaffen wir es in einer Weise, die Arbeitsplätze
nicht gefährdet, sondern fördert? Wenn wir das schaffen,
nehmen wir unsere Verantwortung für Europa wahr.
Denken Sie daran: Hätten wir den Euro nicht gehabt,
wären die Auswirkungen der Krise für unser Land noch
schlimmer gewesen.
({9})
Wir müssen alles daransetzen, die Stabilität in Europa
und für den Euro zu verteidigen. Dazu muss jeder seine
Verantwortung wahrnehmen. Die Bundesrepublik
Deutschland tut es auch nach dem Urteil aller sachverständigen Institutionen. Die Europäische Zentralbank
wie auch die Europäische Kommission sagen: Deutschland ist auf dem richtigen Weg.
Die Ergebnisse am Arbeitsmarkt, Wirtschaftsentwicklung und Steuereinnahmen geben uns recht. Deswegen
dürfen wir nicht den Fehler machen, dass wir auf dem
Weg, den wir jetzt erfolgreich eingeschlagen haben und
wo sich die ersten Erfolge abzeichnen, in der Entschlossenheit wieder nachlassen. Nein, wenn wir Generationengerechtigkeit und Nachhaltigkeit ernst meinen und
wenn uns die soziale Verpflichtung gegenüber allen Teilen unserer Bevölkerung auch in der Zukunft wichtig ist,
dann müssen wir genau diesen Weg mit Kraft, Entschiedenheit und ohne demagogische Verzerrung weitergehen. Darum bitte ich Sie in den weiteren Haushaltsberatungen.
({10})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, bevor ich dem
nächsten Redner das Wort erteile, möchte ich eine Mitteilung bekannt geben.
Der Bundestagspräsident Norbert Lammert hat mir
übermittelt, dass an dem Zwischenfall, der passierte,
während er präsidiert hat, auch der Kollege Herbert
Behrens von der Fraktion Die Linke beteiligt war. Die
Anwesenden wissen, worum es sich handelt: ein unparlamentarisches Verhalten, eine Demonstration, die nicht
in dieses Haus gehört. Der Bundestagspräsident möchte
ausdrücklich den Kollegen Herbert Behrens in die Sanktionen einschließen. Auch für ihn gilt also der Ausschluss von Plenardebatten für zwei Tage.
Nun erteile ich dem Kollegen Klaus Hagemann von
der SPD-Fraktion das Wort.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Bundesfinanzminister Dr. Schäuble hat zum
Schluss das Thema Europa angesprochen. Lassen Sie
mich zu Beginn einige Gedanken hinzufügen; denn wir
diskutieren zurzeit nicht nur über den deutschen Haushalt, sondern wir reden in den Gremien des Bundestages
auch über den Haushalt 2011 der Europäischen Union
und über die finanzielle Vorausschau 2014 bis 2020. Wir
können also praktisch von einer Schicksalsgemeinschaft
reden.
Wir hatten in diesem Jahr große Ereignisse zu bewältigen. Ich nenne die Hilfe für Griechenland. Die deutsche Beteiligung an der solidarischen Unterstützung
beträgt immerhin 6 Milliarden Euro. Kurz danach, sozusagen nur Stunden danach, gab es die Ad-hoc-Entscheidung für den Rettungsschirm und für die Stabilität des
Euro. Hier geht es ebenfalls um eine Bürgschaft, die im
Notfall in Anspruch genommen würde. Der Anteil der
Bundesrepublik Deutschland beträgt 148 Milliarden
Euro. Es geht schließlich noch um EU-Zahlungshilfen
für Nicht-Euro-Staaten wie Lettland oder Ungarn.
Der Kollege Jürgen Koppelin hat ebenfalls das Thema
Griechenland angesprochen. Herr Kollege, ich kann
mich nicht daran erinnern, dass die FDP damals gegen
eine Aufnahme Griechenlands in den Euro-Raum gestimmt hat. Ich kann mich auch nicht daran erinnern,
dass die Union gegen eine Aufnahme gestimmt hat. Das
sei hier unterstrichen.
({0})
Das jetzt Rot-Grün vorzuwerfen, empfinde ich als unfair.
Das ist nicht gerecht und wäre auch historisch falsch.
Ich möchte noch einen anderen Gedanken aufgreifen,
der diese Woche geäußert worden ist. Frau Bundeskanzlerin hat von der „historischen Schuld“ durch die Änderung des Stabilitätspaktes im Jahre 2005 gesprochen.
Er wurde ja deswegen geändert, um zukünftig solche
prozyklischen Phasen zu verhindern.
({1})
Es sollte vielmehr in wirtschaftlich guten Zeiten gespart
werden, um in wirtschaftlich schlechten Zeiten, wie in
den Jahren 2008, 2009 und 2010, mehr ausgeben zu können. Genau das ist in den Stabilitätspakt eingearbeitet
worden, und das ist beschlossen worden.
Sehr verehrte Frau Bundeskanzlerin,
({2})
wir hätten die von Ihnen zu Recht gelobten Konjunkturprogramme, die wir in der Großen Koalition beschlossen
haben, die Verlängerung beim Kurzarbeitergeld oder die
Konjunkturprogramme I und II etwa, die wir vorgenommen haben, die Sie jetzt auch loben und die Ihnen auch
die guten Zahlen auf dem Arbeitsmarkt bringen, gar
nicht durchführen können, wenn nicht der Stabilitätspakt
geändert worden wäre. Auch das sollten wir noch einmal
unterstreichen.
({3})
Das Gleiche gilt auch für die Logik der Schuldenbremse. Auch das ist die Grundlage. Kollege Fricke, Sie
können es abstreiten. Es ist aber so.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, lassen Sie
mich zu Griechenland noch einiges hinzufügen bzw. fragen. Es wurden ja nun die Kontrollberichte vorgelegt.
Da lobt die EZB die Entwicklung, und auch der Bundesfinanzminister tut dies. Die Kommission lobt die Entwicklung. Der Internationale Währungsfonds lobt die
Entwicklung. Nur, in den Medien hört und liest man etwas ganz anderes. Ich bin verunsichert. Ich weiß nun
nicht, was sich hier alles tut.
Auf eine Frage, Herr Bundesfinanzminister, möchte
ich noch eingehen. Sie hatten ja mit Herrn Ackermann in
einer öffentlichen Präsentation sehr groß herausgestellt,
dass sich die privaten Banken an den Kosten mit beteiligen, dass es hier um 8 Milliarden Euro gehe, an denen
sich die Privaten, also die, die verdienen, indem sie Kredite auch nach Griechenland vergeben haben, beteiligen.
Ich habe Ihr Haus gefragt, welche Entwicklung die
Zahlen nehmen, welche Ergebnisse vorliegen. Ich habe
keine Antwort bekommen. Es hieß: Man könne es nicht
und wisse es nicht. - Ich hoffe und wünsche nur, dass die
Zahlen Ende dieses Jahres wirklich vorgelegt werden,
dass dann geprüft wird und dass Sie dann genau so heftig darauf pochen - wie Sie es bei der gemeinsamen Präsentation getan haben -, dass die privaten Banken sich
hier beteiligen, dass die, die Gewinne gemacht haben, an
den Kosten beteiligt werden.
Wir wissen, die Financial Times Deutschland titelte
damals: „Ackermanns Charity Show“. Ich hoffe, dass
das, was ich hier anmahne, entsprechend geschieht;
denn, meine Damen und Herren, es ist den deutschen
und auch den europäischen Steuerzahlern sehr schwer zu
vermitteln, dass sie blindlings bürgen sollen, während
von den deutschen Banken keine belastbaren Fakten zu
ihrer Beteiligung und zu ihren risikolosen Gewinnen
vorgelegt werden können.
({4})
Ich bitte Sie also, Herr Minister, uns das dann im Haushaltsausschuss vorzulegen.
Wir hatten uns - ich sagte es eben schon - wenige
Tage nach den Ereignissen Griechenland betreffend intensiv mit dem EU-Rettungsschirm zu beschäftigen.
Da hätte man das Parlament an den Beratungen und an
den Beschlussfassungen durchaus etwas stärker beteiligen können. Wir diskutieren jetzt sehr viel in den Gremien, etwa im Unterausschuss zu Fragen der Europäischen Union des Haushaltsausschusses. Wir hatten hier
ein Rettungspaket von 750 Milliarden Euro zu beraten.
Aber ich sage noch einmal: Die Informationspolitik
der Bundesregierung war sehr zurückhaltend, um es diplomatisch auszudrücken. Wir mussten uns - damit
meine ich das Parlament - vieles selbst erarbeiten. Wir
mussten nachbohren und nachfragen. Unser Unterausschuss hat auch eine Reise nach Brüssel unternommen,
um dort nähere Fakten zu erfahren. Wir haben beispielsweise festgestellt, dass die 60 Milliarden Euro, die seitens der Europäischen Union kommen, eigentlich virtuelles Geld sind; denn sollte es notwendig werden - ich
hoffe, das wird es nicht -, dann muss das auch erst finanziert und auf dem Markt aufgenommen werden. Das ist
eine schwierige Sache.
Die 440 Milliarden Euro, die dann noch aufzubringen
sind, könnten gar nicht in voller Höhe verwendet werden, weil hier nämlich eine Belastung von 120 Prozent
notwendig ist, sodass effektiv nur 366 Milliarden Euro
zur Auszahlung kommen könnten.
Ich äußere also noch einmal die Bitte nach einer intensiveren Informationspolitik, zumal das auch in dem
Begleitgesetz zu den Beschlüssen des Lissabonner Vertrags, die wir im vergangenen September hier gefasst haben, gefordert wird und Verfassungsrang hat; daran
möchte ich doch immer wieder erinnern.
({5})
Lassen Sie mich kurz die Zahlungshilfen für Ungarn
ansprechen. Auch hier ist unklar, wie es weitergeht. Am
5. Oktober laufen die Verträge aus. Wie geht es weiter?
Diese Frage steht hier im Mittelpunkt.
Lassen Sie mich nun die Reform des europäischen
Stabilitäts- und Wachstumspaktes ansprechen. Auch
hier scheint große Verwirrung zu herrschen:
({6})
Wie ist jetzt der Sachstand? Man bekommt keine klaren
Antworten. Die Vorschläge des BMF wurden mit großem Getöse und starken Ausdrücken öffentlich gemacht;
hier war vom Rausschmiss aus der Euro-Zone, von
Strafzahlungen und vom Entzug des Stimmrechts die
Rede.
({7})
Frau Bundeskanzlerin, Sie haben gestern in Brüssel getagt; ich würde gerne wissen, welche Zwischenergebnisse - mehr ist jetzt noch nicht zu erwarten - es gibt.
({8})
Die Presse berichtet sehr negativ, dass hier noch alles offen sei. Es scheint mir, als habe sich Deutschland in dieser Frage stark isoliert.
({9})
Ich hoffe, es ist nicht so. Es gibt aber heftigen Widerstand von Italien, Großbritannien und den osteuropäischen Ländern. Herr Minister, Frau Bundeskanzlerin, ich
frage nur: Wie ist der Sachstand? Was muss hier getan
werden? Wie kann das Parlament in die Entscheidungen
einbezogen werden?
Schließlich kann man den Medien entnehmen: Es
scheint in der Unionsfraktion zu „rumoren“ - das ist
nicht mein Wort, Sie können es so nachlesen -, weil die
Maximalziele, die Sie genannt haben, nicht erreicht werden und es wenig Spielraum in der Gestaltung gibt.
Gerade in der Sommerzeit konnte man lesen, dass die
Bundeskanzlerin und der Außenminister von „deutscher
Stabilitätskultur“ sprechen, als ob am deutschen Wesen
die Welt genesen müsste.
({10})
Wir sollten zuerst vor der eigenen Türe kehren. Dann erkennen wir: Wenn man mit dem Finger auf andere Menschen zeigt, zeigen drei Finger auf einen selbst. Mit unserem Verhalten sind wir nämlich nicht solch ein großes
Vorbild; Kollege Fricke, das sage ich auch selbstkritisch.
Auch die deutsche Verschuldungsquote liegt bei 80 Prozent; auch unsere Neuverschuldungsquote liegt deutlich
über 3 Prozent. Deshalb wäre es für die anstehenden
Verhandlungen sicherlich gut, ein wenig bescheidener
bei der Formulierung zu sein und etwas weniger großspurig aufzutreten.
Zum Schluss möchte ich auf den EU-Haushalt und
die Beratungen, die dazu anstehen, eingehen - meine
Redezeit ist abgelaufen -: Warum sieht der Vorschlag
vor, dass die Verwaltungskosten der Europäischen Union
so stark steigen? Warum müssen die Personalkosten so
stark steigen? Diese Fragen sind zu stellen. Die Frage ist
auch: Warum muss immer noch so viel Geld - 40 Prozent des EU-Etats - für die Agrarpolitik zur Verfügung
gestellt werden? Frau Aigner hat gesagt, daran dürfe
nicht gerüttelt werden. Wir müssen jetzt über all diese
Fragen diskutieren.
Interessant ist, dass viele Projekte, bei denen der EU
jetzt die Kosten davonlaufen - ich denke an das ITERProjekt, die Kernfusion -, über Mittel aus dem Agrartitel
finanziert werden. Da muss doch etwas nicht stimmen.
Wir müssen die Großprojekte wie „Galileo“, das europäische GPS, und das Kernfusionsprojekt ITER stärker
in den Blick nehmen; das wollen wir in den Ausschüssen
tun.
Zum Schluss möchte ich sagen: Ich bin stolz, dass wir
den Euro haben; ich bin stolz, dass wir die Europäische
Union haben. Das ist die Zukunft für unser Land. Wir
müssen aber auch die Schwachstellen herausarbeiten.
Das tun wir gemeinsam, auch in unserem Unterausschuss des Haushaltsausschusses zu Fragen der Europäischen Union.
Vielen Dank.
({11})
Das Wort hat nun endlich Kollege Otto Fricke.
({0})
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Ein Haushalt ist konkret; er besteht aus konkreten
Zahlen. Anscheinend ärgert es Sie von der Opposition
unheimlich, dass Sie an den konkreten Zahlen nicht vorbeikommen, dass Sie nur Fantasie- und Theoriegebäude
aufbauen können. Von Ihnen kommen keine konkreten
Zahlen, sondern nur Vorurteile. Wenn Sie das nicht irgendwann einschränken, dann werden Sie sich nur noch
weiter aus der Haushaltspolitik verabschieden.
({0})
Was mich am meisten ärgert: Wenn man eine Woche
Haushaltsdebatten verfolgt, wenn man hier also sitzt, die
Eröffnungsrunde hört, dann die Fachdebatten und die
Kanzlerrunde usw., denkt man immer, dass es in diesem
Haus zwei verschiedene Oppositionen gibt. Es gibt die
Fachopposition, die sagt: Oh Gott, ihr spart da; das dürft
ihr nicht! Mehr Geld ausgeben! Ihr gebt auch an anderer
Stelle nicht genug Geld aus, ihr tut dieses nicht, ihr tut
jenes nicht. - Und dann kommt der Kollege Schneider,
stellt sich hier hin und sagt:
({1})
Ihr spart nicht. - Liebe SPD, ihr müsst euch irgendwann
entscheiden: Seid ihr der Meinung, dass ihr auf dem Boden der Verfassung steht und die Schuldenbremse einhalten wollt? Oder versucht der Kollege Schneider mit
seinen Konstruktionen, die noch nicht einmal die Verfassung berücksichtigen, daran herumzudrehen? Was wollt
ihr? Ihr wollt die Zahlen sehen. Die Zahlen sind das, was
die Opposition so stört. Wir sind gemeinsam mit unseren
Nachbarn, mit unseren Freunden in Polen,
({2})
die Wachstumslokomotive in Europa. Das passt euch
nicht. Das wollt ihr nicht wahrhaben.
({3})
Deswegen versucht ihr immer wieder, unser Land
schlechtzureden, statt den Leuten Mut zu machen, dass
es nach vorne geht.
({4})
Das Wachstum ist auf hohem Niveau, und die Arbeitslosigkeit befindet sich auf dem niedrigsten Stand.
Das hatten Sie in elf Jahren SPD-Regierung nie. Auch
das scheint Ihnen Probleme zu bereiten.
Dann erleben wir Folgendes - Carsten Schneider war
dafür das beste Beispiel -: Zu Beginn seiner Rede sagt er
- die Bürger draußen im Land hören das -: Ich mache
Ihnen nachher ein paar Vorschläge, wo wir einsparen
können. - Ich sage den Bürgern: Diese SPD, diese Grünen und diese Linken können Ihnen keine Einsparvorschläge machen, weil sie unter Einsparen verstehen, dass
man mehr Geld einnimmt.
({5})
Für jeden verständigen Bürger bedeutet Einsparen, dass
man den Mut hat, an die Ausgaben heranzugehen. Das
ist Verantwortungspolitik und nicht Gesinnungspolitik.
Das müssten Sie sich mal merken.
({6})
Diese Regierung geht einen nicht einfachen Weg. Sie
muss bittere Medizin verteilen. Sie muss sagen: Ja, wir
wissen, dass wir die Verfassung einhalten müssen; wir
wissen, dass wir in den nächsten Jahren aufgrund der
Verfassung diese bittere Medizin nehmen müssen. Wir
gehen an Ausgaben heran, die wir für nicht notwendig
halten,
({7})
wir gehen auch an Ausgaben heran, die Sie nie abgebaut
haben. Wir machen das aus einem einfachen Grund: Wir
wollen diese Schuldenberge - Herr Kollege, Sie wissen,
dass sie seit Jahrzehnten existieren -, auf denen Kinder
nun wirklich nicht spielen und erst recht nicht, Herr Kollege Hagemann, lernen können, abbauen.
({8})
Wir wollen sie abbauen. Dafür muss man auch mal sagen: Nein, das geht nicht. Man kann nicht immer nur sagen: Ja, wir geben mehr.
({9})
Die Linie, die Sie elf Jahre lang im Finanzministerium
verfolgt haben, wird mit der schwarz-gelben Koalition
nicht verfolgt werden.
({10})
Konkrete Sparvorschläge von Ihnen? Nichts. Steuererhöhungsvorschläge haben Sie. Ich sage klar: Wenn wir
in den nächsten Jahren die Neuverschuldung Stück für
Stück abbauen, dann ist das nicht nur eine Frage dessen,
dass auf der Ausgabenseite etwas passieren muss. Vielmehr werden die Steuerzahler selbst ohne Steuererhöhung in erheblichem Umfang und weit mehr als auf der
Ausgabenseite vorgesehen dazu beitragen, dass die Neuverschuldung abgebaut wird.
({11})
Im Sozialbereich ist eine Kürzung um 1,7 Prozent
- 1,7 Prozent von diesen riesigen Ausgaben - vorgesehen. Man kann einzelne Punkte kritisieren, aber insgesamt zu sagen: „Das ist schlecht“, ist nicht ehrlich. Denn
man muss sich fragen: Wer sorgt denn mit über 3 bis
4 Prozent bei den Steuereinnahmen dafür, dass dieser
Staat endlich schwarze Zahlen schreibt? Das sind die
Steuerzahler, diejenigen, die arbeiten, diejenigen, die in
der Krise die größten Belastungen haben, Unternehmer,
Selbstständige usw. Die verlieren Sie völlig aus dem
Blick und vergessen, dass sie die wesentlichen Träger
für die Einnahmen unseres Landes, unseres Sozialstaats
sind. Die interessieren Sie gar nicht, das ist Ihr Problem.
({12})
Sie versuchen immer wieder, zu unterstellen: Die Koalition hat ja noch gar nichts erreicht.
({13})
Ich sage Ihnen klar: Es ist schon ziemlich viel erreicht
worden. Wir haben ein Wachstumsbeschleunigungsgesetz verabschiedet, und was passiert? Das Wachstum
hat sich beschleunigt.
({14})
- Ja, das tut Ihnen weh, aber es hat sich beschleunigt. Da
können Sie so viel reden, wie Sie wollen; es ist so. Wollen Sie vielleicht auch noch bestreiten - das ist Ihr Problem: Sie würden ja am liebsten das bestreiten -, dass
sich das Wachstum beschleunigt hat? Selbst das wollen
Sie nicht wahrhaben.
Was ist mit der Sozialversicherung? Der Minister hat
das genau dargestellt. Wir haben ein Sozialversicherungsstabilisierungsgesetz auf den Weg gebracht. Und
was passiert? Die Beiträge laufen eben nicht aus dem
Ruder.
({15})
- 1 Prozent mehr. Herr Schneider, Sie sagen, die Arbeitslosenversicherung wird um 1 Prozent erhöht?
({16})
- Aha, das wird sie nicht, es sind nämlich nur
0,2 Prozent. Da kann man wieder einmal sehen: Zahlen
sollte man immer klar und präzise nennen. Man sollte
nicht versuchen, herumzuschummeln. Das ist keine
Haushaltspolitik, sondern der Versuch, mit Polemik weiterzukommen.
({17})
Ich möchte etwas zu dem Vorwurf sagen, unsere Politik sei unsozial. Wenn eine christlich-liberale Koalition
in einem Sparhaushalt eine Sozialquote erreicht, die
über der Sozialquote von Rot-Grün liegt, wenn wir einen
höheren Prozentsatz für Soziales ausgeben, als Rot-Grün
es jemals geschafft hat - dann zu sagen, das wäre unsozial, ist auch nur ein Ignorieren von Zahlen. Das sind
Wunschgebilde, aber keine Politik.
({18})
Jetzt kann man sagen, dass SPD, Grüne und Linke
sparen wollen. Sagen wir einmal, wir glauben ihnen.
Nehmen wir einfach an, dass das so ist. Können wir
dann nicht auch schauen, ob sie das tatsächlich machen?
Schauen Sie nach NRW - ich habe das bereits in der Eröffnungsrunde gesagt -:
({19})
Im Jahr 2011, in dem wir planen, die Neuverschuldung
von 71 Milliarden Euro zur Zeit von Peer Steinbrück auf
57 Milliarden Euro zu reduzieren - wahrscheinlich wird
es noch weniger werden -, wollen Sie die Neuverschuldung in NRW erhöhen. Was plant Rot-Grün in NRW mit
Unterstützung der Linken für das Jahr 2011, obwohl die
Verschuldungsbremse auch für die Länder gilt? Sie erhöhen die Ausgaben, obwohl sie eigentlich irgendwann bei
null ankommen müssen. Das ist keine ehrliche Politik.
Das ist Scheinpolitik und bringt dieses Land nicht voran.
Ich jedenfalls bin froh, dass diese Koalition in dieser
Woche Mut gefasst hat und ihre Ziele deutlich gemacht
hat. Sie hingegen sind planlos und ziellos. Das wird Ihnen in den nächsten Wochen auf die Füße fallen.
Herzlichen Dank.
({20})
Das Wort hat nun Kollege Hans Michelbach für die
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Es ist
Zeit, ein Fazit dieser Haushaltswoche zu ziehen.
({0})
Die Debatten haben klar gezeigt, dass die Koalition auf
einem richtigen und guten Weg ist:
({1})
Die Krisenbekämpfung, das Krisenmanagement ist erfolgreich; die Wirtschaft wächst weiter; die Themen
Nachhaltigkeit und Zukunftsfähigkeit werden strategisch
angegangen.
Bei all diesen Debatten stellt sich die Frage: Warum
sind wir diesbezüglich erfolgreicher als alle anderen Industriestaaten? Auf diese Frage muss es doch eine Antwort geben. Die Antwort lautet: weil wir die richtigen
politischen Rahmenbedingungen schaffen, weil es eine
konsequente Konsolidierungspolitik und neues Vertrauen in der Wirtschaft und am Finanzmarkt gibt.
({2})
So bieten wir den Menschen, insbesondere der jungen
Generation, neue Chancen. Wir sind derzeit das Wachstums- und Chancenland Nummer eins in Europa. Das ist
die Wahrheit.
({3})
Natürlich gibt es in dieser Zeit viele Probleme, für die
wir in den weiteren Beratungen und darüber hinaus Lösungsansätze finden müssen. Wir haben - das sollte man
sich vor Augen führen - innerhalb von nur zwei Jahren
einen makroökonomischen Wohlstandsverlust von etwa
170 Milliarden Euro zu verkraften und zu überwinden.
({4})
Das ist eine Herkulesaufgabe. Wir wollen alles daransetzen, zukünftige Krisen dieser Art zu verhindern. Wir
werden nicht nachlassen. Wir werden Handlungsfähigkeit, Verlässlichkeit und konzeptionelle Gestaltungskraft
aufbringen, wenn es darum geht, die zweifellos bestehenden Herausforderungen anzugehen.
Von der Opposition habe ich in dieser Woche außer
Polemik nichts gehört. Gerade heute muss ich sagen:
Hier werden teilweise Unwahrheiten gepflegt. Da ich
schon länger in diesem Hause arbeiten darf, möchte ich
sagen, was mich vor allem stört: Die Verunglimpfung
demokratischer Institutionen seitens der Opposition bedeutet einen Niedergang der demokratischen Kultur. Damit sollten wir aufhören. Das sollten wir in dieser Form
nicht weiter betreiben.
({5})
Begriffe wie „Käuflichkeit“ und „Trickserei“ sind außen
vor zu lassen.
({6})
Wir gehen die Schuldenreduzierung aktiv an. Das
Konsolidierungspaket ist ausgewogen, maßvoll, konjunkturschonend und auf Nachhaltigkeit ausgerichtet. Es
gibt keinen sozialen Kahlschlag. Im Gegenteil: Der
Haushaltsansatz ist so hoch wie nie. Sie kommen nicht
an der Tatsache vorbei, dass wir mehr als 50 Prozent des
Haushaltsvolumens für Soziales ausgeben.
({7})
Die Opposition beklagt die Schulden, fordert aber
gleichzeitig neue Mehrausgaben. Wie passt das zusammen? Welch ein Widerspruch! Sie kennen nur Neiddebatten und sagen den Leuten nicht die Wahrheit. Es ist
notwendig, bei den sozialen und staatlichen Leistungen
maßvoll einzusparen. Das ist es, was wir wahrnehmen
müssen.
Ich glaube, dass es eine Antwort auf die demografischen Veränderungen gibt; die populistische Aufkündigung der SPD bezüglich der Verlängerung der Lebensarbeitszeit ist das falsche Signal. Wir gehen auch die
steuerpolitischen Aufgaben an. Wir haben die Familien
und die Bezieher geringer Einkommen zu Beginn dieses
Jahres in wesentlichem Maße steuerlich entlastet.
({8})
Wir gehen die Steuervereinfachung an. Wir widmen uns
der Gemeindefinanzreform, und wir werden auch eine
Mehrwertsteuerreform in die politische Debatte einbringen.
({9})
Es hilft überhaupt nicht, immer wieder die Hotelsteuer, wie Sie es bezeichnen, anzusprechen. Tatsache
ist, dass hier eine Selbstfinanzierung stattfindet. Die Investitionen in diesem Bereich haben viel mehr Umsatzsteuer und auch Lohnsteuer generiert. Ich danke den
Betrieben, dass sie diese Mittel inzwischen für Arbeitsplätze und Investitionen nutzen.
({10})
Wir gehen die Probleme im Zusammenhang mit der
Finanzmarktkrise, den Stabilitätsanforderungen an den
Euro und der Finanzmarktregulierung an. Wir haben
das Primat der Politik über die Finanzmärkte wieder
übernommen und die Finanzierungschancen für die
Wirtschaft wieder erhöht. Es ist ganz klar: Wir wollen
eine Stärkung des europäischen Stabilitäts- und Wachstumspaktes zur Währungssicherung vornehmen. Eine
Verlängerung des Euro-Rettungsfonds ist von uns abzulehnen. Es gibt europaweit Verhandlungen. Deshalb
kann man nicht über Nacht eine Finanzmarkttransaktionsteuer beschließen. Das hätte Wettbewerbsnachteile
für den Finanzplatz Deutschland zur Folge. - All dies ist
auf der Agenda. Deutschland und die Bundesregierung
nehmen in all den Fragen der Regulierung des Finanzmarktes eine Vorreiterrolle in Europa ein. Diese Vorreiterrolle hat der Bundesfinanzminister verantwortungsbewusst wahrgenommen.
({11})
Ich danke Dr. Wolfgang Schäuble dafür.
({12})
Solide Staatsfinanzen sind ein wesentlicher Eckpfeiler für Wachstum und Beschäftigung und ein Markenzeichen der Union. Ich glaube, dass es ganz wichtig ist, den
Menschen die Wahrheit zu sagen und deutlich zu machen, dass an der Haushaltskonsolidierung kein Weg
vorbeigeht. Das wissen die Menschen in unserem Land.
Sie wissen, dass wir aufhören müssen, Schulden zu machen, dass wir nicht mehr über die staatlichen Verhältnisse leben dürfen. Es ist nicht in Ordnung, wenn die
Zinskosten höher sind als die Investitionen. Das muss
wieder vom Kopf auf die Füße gestellt werden.
Unser Staat braucht Leistungsvermögen. Es muss
möglich sein, dass sich Leistung für unsere Menschen
lohnt. Wir sagen Ja zu Leistung. Wir sagen Ja zu Eigentum. Wir sagen Ja zu neuer moderner Technologie. Wir
sagen Ja zu unserem Land, zu unseren Bürgern und zum
Erfolg in den nächsten Monaten und Jahren. Der Haushalt, den wir heute in erster Lesung beraten, ist dafür der
richtige Ansatz.
Danke schön.
({13})
Das Wort hat nun Lothar Binding für die SPD-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Sehr verehrte Damen und Herren!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte zunächst
eine Bemerkung zu Otto Fricke machen, weil es mich
gelegentlich erschreckt, wenn jemand von der FDP von
„notwendig“ spricht.
({0})
Er hat nämlich gesagt: Wir kürzen nur Ausgaben, die wir
für nicht notwendig halten. „Notwendig“ impliziert eine
Not, zu wenden.
({1})
Sie kürzen bei jemandem, dem 359 Euro zur Verfügung
stehen. Mich würde interessieren, ob Sie schon jemals
davon haben leben müssen, um überhaupt zu wissen,
wovon Sie reden.
({2})
- Ja, zu einer anderen Zeit.
Deshalb muss man einmal genauer reflektieren, was
Sie sagen und in welchen Bereichen Sie kürzen wollen.
Lothar Binding ({3})
Ich würde nicht Begriffe wie Wildsäue, Gurkentruppe
oder „schlagende Verbindung“ nennen. Ich würde aber
sagen, dass wir einen gravierenden Fachkräftemangel
haben - im Kabinett.
({4})
Herr Minister Brüderle zum Beispiel reklamiert ein
großes Stoppschild für staatliche Maßnahmen, ruht sich
aber gleichzeitig auf genau den staatlichen Maßnahmen
aus, die Steinbrück, Steinmeier und Olaf Scholz noch
initiiert haben, und bezeichnet dies als sein Wachstum.
Das haben wir schon oft gehört. Wenn er einen Stopp
staatlicher Maßnahmen fordert, erkennt man gleich den
Gedankengang. Er lobt das Wachstum, um dann sofort
wieder mit staatlichen Maßnahmen die Binnennachfrage
zu stören. Eine Kürzung bei den Schwachen trifft genau
diejenigen, die maßgeblich die Nachfrage in Deutschland erzeugen.
Besonders gravierend sind die beabsichtigten Maßnahmen zur energetischen Sanierung. Die energetische
Sanierung führt doch dazu, dass der Handwerker einen
Auftrag bekommt. Das Besondere daran ist: Wenn die
Gemeinden die energetische Sanierung durchführen, die
Krise vorbei ist und vielleicht schon die nächste Krise
kommt, dann erzielen diese Gemeinden im Betriebshaushalt dieser Gebäude hohe Einsparungen. Das ist darüber hinaus sogar ökologisch sinnvoll, weil sie dann Öl
einsparen. So einfach ist das, und so schlecht ist Ihre
Politik, wie man anhand dieses Beispiels zeigen kann.
({5})
Die Kürzungen bei der Städtebauförderung werden
vorgenommen, nachdem die Kommunen schon mehrfach belastet wurden. Die Gewerbesteuereinnahmen
wurden durch die Absenkung der Zurechnungen reduziert. Außerdem wurde die Gewinnverlagerung für Konzerne erleichtert. Hinzu kommt die Umsatzsteuerreduzierung für Hotels. All das wirkt auf den Haushalt der
Kommunen.
Ich möchte einen Gedankengang aufgreifen, den
Peter Friedrich gestern geäußert hat. Er hat einen Kollegen der Koalition gefragt, wie Wirtschaftspolitik im Zusammenhang mit der Umsatzsteuerermäßigung für
Hotels eigentlich funktioniert. Man gibt zum Beispiel
den Hotels 1 Milliarde Euro. - Er hat allerdings etwas
vergessen. Davon ziehen wir 1 Million Euro Mövenpick-Steuer ab, damit es korrekt ist. Dann sind wir bei
999 Millionen Euro. - Laut Angaben des DEHOGA sind
bisher gut 100 Millionen Euro investiert worden. In diesem Jahr wurden 200 Millionen Euro investiert, also
100 Millionen Euro mehr. Wenn Sie 1 Milliarde Euro für
100 Millionen Euro Investitionen eingesetzt haben, dann
frage ich mich, was das mit Wirtschaftspolitik zu tun hat.
({6})
Auch die Kürzungen beim Wohngeld nach SGB II
und bei arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen belasten
die Kommunen. Ein kleiner Rechenfehler ist, dass in Ihren Finanztableaus ein Brennelementesteueraufkommen
mit einem gewissen Betrag steht. Sie haben aber vergessen, dass dadurch die Bemessungsgrundlage der Gewerbesteuer sinkt und sich diese Maßnahme damit unmittelbar auf die Einnahmen der Kommunen auswirkt.
({7})
Weshalb dieser Haushalt aufgrund seiner inneren
Struktur falsch sein muss, will ich in Bezug auf die vorgetragene Analyse versuchen zu verdeutlichen. Frau von
der Leyen hat gesagt, aufgrund der Politik einer hohen
Verschuldung, die die Regierungen in den Jahren von
Rot-Grün zu verantworten haben, sei der Haushalt unter
Druck. Jetzt schauen wir einmal: Adenauer, Erhard,
Kiesinger, Brandt, Schmidt, Kohl, Schröder, Merkel.
Alle waren Regierungschefs.
({8})
- Ihr lernt es aber nicht. Ich bringe immer Bilder mit, damit man es versteht. Die Gelben waren übrigens immer
dabei. Ihr müsst also ganz still sein.
Die Verschuldung hat sich über 60 Jahre aufgebaut.
Was macht aber Frau von der Leyen? Nehmen wir einmal diesen Zollstock als Maßstab für die Verschuldung.
Die rot-grünen Jahre machten dann bestenfalls 20 Zentimeter aus. Man kann das doch nicht als Analysegrundlage für diesen Haushalt nehmen. Die Verschuldung ist
über viele Jahre aufgebaut worden.
Ausgerechnet dieser Finanzminister sagt: Zum ersten
Mal ist die Neuverschuldung kontinuierlich gesunken. - Herr Dr. Schäuble, kennen Sie diese Grafik? Sie
hat einen ganz charakteristischen Punkt. Bis zu diesem
Punkt war Steinbrück Finanzminister, danach Sie. Den
dicken Bauch, dieses Ausmaß der Neuverschuldung,
werfe ich Ihnen nicht vor. Er ist Folge der Krise. Den
Entschuldungspfad aber - diese dünne Stelle hier - verdanken wir Steinbrück. Dafür hat er ein dickes Lob verdient; denn das ist die Basis, auf der Sie heute arbeiten
können.
({9})
Zum Stabilitätspakt hat der Freund Klaus Hagemann
das Notwendige gesagt. Ich glaube, dass Sie sich damit
auf sehr dünnem Eis bewegen.
Ich will noch ein Beispiel nennen, weil ich Elektriker
bin. Sie sprechen von Elektromobilität und preisen sie.
Jetzt habe ich ein Problem: Ich finde den Haushalt an
dieser Stelle geradezu magersüchtig und würde gerne
von einem von Ihnen wissen wollen, wo dazu eigentlich
etwas steht. Wie kann ich aus dem Haushalt ableiten,
dass Sie die Elektromobilität befördern wollen?
Sie sagen: Wir haben kein Geld. Wo soll das ganze
Geld herkommen?
({10})
Herr Döring hat gesagt, wir würden bei diesem Einzelplan ein Wunschkonzert veranstalten, ohne das Gesamte
zu sehen, und spricht dann noch von einem Energiekon6312
Lothar Binding ({11})
zept. Frau Winterstein fragte am letzten Tag der Debatte:
Wo sollen wir das Geld hernehmen? - Wir haben es Ihnen mehrfach erklärt. Die Antwort ist gar nicht kompliziert; Sie müssen der Opposition nur ein bisschen zuhören. Es ist viel Geld da, und zwar in bestimmten Händen.
Wenn Sie sich das unversteuerte Privatvermögen in
Deutschland und der Welt anschauen, haben Sie sofort
eine gute Idee, wenn Sie sie denn haben wollen. Schauen
wir einmal auf die Gewinne der Energiekonzerne. Fällt
Ihnen da etwas ein? Schauen Sie auf die Entwicklung
der privaten Vermögen, auf die Einkommen in der
Finanzwirtschaft - der Banker zum Beispiel - und auf
die Gewinngestaltung der Konzerne, die Sie durch das
Außensteuergesetz erleichtert haben. Jährlich werden
250 Milliarden Euro vererbt. Die Einnahmen aus der
Erbschaftsteuer haben 4 Milliarden Euro ausgemacht. Es
gab einen schwierigen Kompromiss, und Sie haben das
noch einmal abgesenkt.
Zur Gegnerschaft im Kabinett hinsichtlich der
Finanztransaktionsteuer. Man ist immer ein bisschen
irritiert, wenn das von Einzelnen vorgetragen wird. Ich
habe gestern die Probe aufs Exempel gemacht. Für den
Haushalt für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung ist Dirk Niebel zuständig. Ich habe ihn gefragt:
Trägst du die Finanztransaktionsteuer mit? - Hat er genickt oder den Kopf geschüttelt? Was glauben Sie, was
er gemacht hat? Nein, er trägt sie nicht mit; er hat den
Kopf geschüttelt.
Man könnte sich auch noch einmal mit einer Verbreiterung der Bemessungsgrundlage bei der Einkommensteuer befassen oder mit diesem verrückten Kreditmediator, der einige Millionen Euro kostet
({12})
und eine wahnsinnige Wirksamkeit haben soll. Dieses
Wort höre ich immer wieder in der Volkswirtschaft.
({13})
Das sind schon tolle Ergebnisse dieses Kabinetts. Das
Meisterstück ist das Auslassen der Banken, der Verursacher der gravierendsten Krise der Nachkriegsgeschichte.
Das nehmen wir Ihnen persönlich übel.
({14})
Auch durch so etwas wie den Mindestlohn würde Ihr
Haushalt stabilisiert werden. Dazu fällt Ihnen aber nichts
ein. Ich würde nach Theo Waigel sagen: Einnahmeverbesserung? Fehlleistung! Wachstumsförderung? Fehlleistung!
({15})
Einsparungen? Bei den Armen!
Ich bedanke mich vielmals für Ihre Aufmerksamkeit,
wobei ich noch auf Norbert Barthle eingehen will; denn
er hat uns einen ganz wichtigen Hinweis gegeben. Er hat
nämlich gesagt, wir sollten uns einmal die Bewertungen
der Ratingagenturen für Deutschland angucken.
({16})
Eines will ich sagen: Wenn ich mich auf irgendjemanden
nie mehr verlassen werde, dann sind es die Ratingagenturen.
({17})
Darauf beziehen Sie sich aber, wenn es um Deutschlands
Wachstumsprognose geht. Das ist ein ganz schwerer
Fehler.
Hier ist nichts einfach, niedrig und gerecht, hier ist alles hoch und an der falschen Stelle, kompliziert und ungerecht. Außerdem ist aus mehr Netto vom Brutto viel
weniger Netto vom Brutto geworden.
({18})
Das Wort hat nun Claudia Winterstein für die FDPFraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Die vergangenen Tage der Haushaltsdebatte haben aufschlussreiche Erkenntnisse über den Zustand der
Opposition hier im Deutschen Bundestag geliefert. Herr
Schneider, als Replik auf Ihre oberlehrerhafte Benotung
kann ich nur sagen: Setzen, sechs! Sie haben nichts verstanden.
({0})
Ich frage mich, wie es dazu nach so vielen Jahren im
Haushaltsausschuss kommen kann. Das ist enttäuschend.
({1})
Es wurde viel polemisiert, gepoltert und gepöbelt,
aber leider eben nicht sachgerecht diskutiert. Den Auftakt damit machte der Möchtegern-Oppositionsführer
Sigmar Gabriel am Mittwoch bei der Generaldebatte.
Sein Auftritt war wirklich ein Glanzstück. Zur Debatte
über den Bundeshaushalt hat er gesagt, sie sei keine intellektuelle Herausforderung; so begann er seine Rede.
Dadurch erklärt sich wohl auch, warum die SPD-Fraktion gerade ihn als Redner ausgewählt hat.
({2})
Trotzdem muss ich sagen: Ich hatte das Gefühl, dass er
das überhaupt nicht verstanden hat.
Herr Gabriel zitierte sehr gerne negative Zeitungsschlagzeilen, um die Politik der Regierung zu kritisieren.
Das geht aber auch andersherum. Focus Online schrieb
nach den Reden von Sigmar Gabriel und der BundesDr. Claudia Winterstein
kanzlerin: Staatsfrau punktet gegen Politrambo. - Ich
finde das sehr bezeichnend.
({3})
Es ist auch eine schöne Beschreibung für die weiteren
Debatten, die wir in den letzten Tagen zwischen Koalition und Opposition erlebt haben. Bei der Opposition
war an konstruktiver Kritik überhaupt nichts zu hören.
Es war eher wie eine Märchenstunde. Im Prinzip wurden
nur selektive Wahrnehmungen deutlich. Man redete an
den Realitäten vorbei.
({4})
Sie stimmen zwar mit uns überein, dass wir einen Abbau der Staatsverschuldung im Interesse der jungen
Generation brauchen, aber gleichzeitig halten Sie uns bei
jedem Einzelplan vor, dass wir ganz schrecklich seien,
weil wir Kürzungen vornähmen. Sie sagen, wir dürften
es nicht hier tun und nicht dort, aber benennen keine Alternativen. Wenn es ernst wird, tauchen Sie ab und verleugnen die Realität. Das ist eine Haltung nach dem
Motto: Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass.
- Damit kann man keine verantwortungsvolle Politik
machen, meine Damen und Herren von der Opposition.
({5})
Sie haben in den guten Jahren vor der Krise, als die
Steuereinnahmen sprudelten, die Chance vertan, die
Haushaltskonsolidierung ernsthaft anzugehen. Das war
verantwortungslos, Herr Schneider. Ich frage mich, was
Sie in den letzten Jahren eigentlich getan haben. Sie
müssen sich im Nachhinein doch einmal überlegen, welche Chancen Sie gehabt haben. Sie aber haben nichts getan; Sie haben einfach nur weiterhin Geld ausgegeben.
({6})
Das ist nicht der Weg, den wir einschlagen.
Ein Vorwurf, der von der Opposition in den letzten
Tagen vorgebracht wurde, war, der Haushaltsentwurf sei
sozial unausgewogen. Als Berichterstatterin für den Sozialetat möchte ich dazu nur kurz sagen: Es ist nicht nur
so, dass sich Ihr Vorwurf von der sozialen Schieflage
längst abgenutzt hat, auch inhaltlich ist er nicht haltbar.
Trotz Kürzungen wird der Anteil der Sozialausgaben im
Haushalt 2011 noch immer deutlich höher liegen als jemals zu rot-grünen Regierungszeiten.
({7})
Auch bei der Arbeitsmarktförderung des Bundes steht
2011 deutlich mehr Geld pro Kopf zur Verfügung als
noch vor fünf Jahren. Statt 2 860 Euro werden es im Jahr
2011 4 400 Euro pro Arbeitslosem sein. Der Vorwurf,
Schwarz-Gelb sei unsozial, ist also völlig absurd.
({8})
Der vorliegende Etatentwurf stellt einen fairen Ausgleich aus Abgaben der Wirtschaft und vertretbaren Kürzungen dar. Wir konsolidieren den Haushalt und werden
damit auch nachfolgenden Generationen gerecht.
({9})
Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage? Das
verlängert Ihre Redezeit.
Nein, ich würde gerne fortfahren.
Die Sozialausgaben umfassen mehr als die Hälfte des
gesamten Haushaltes; das wissen Sie. Es ist klar, dass
auch in diesem Bereich gespart werden muss. Die Opposition hat in den Debatten aber keine eigenen Vorschläge
hierzu eingebracht. Das ist ein finanzpolitisches Armutszeugnis.
({0})
Wir werden, mit dem Sparpaket als Grundlage, einen
Paradigmenwechsel in der Finanzpolitik einleiten. Vorherige Regierungen sind immer den einfachen Weg der
Ausgabensteigerung über Steuererhöhungen und neue
Schulden gegangen.
({1})
Die christlich-liberale Koalition ist entschlossen, die
Schuldenpolitik der letzten Jahrzehnte zu beenden. Solide Staatsfinanzen statt ungezügelter Ausgabenpolitik,
so lautet unser Motto. Das sind wir unserer jungen Generation schuldig.
Vielen Dank.
({2})
Das Wort hat nun Norbert Brackmann für die CDU/
CSU-Fraktion.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Der vorgelegte Haushaltsentwurf inklusive
der Finanzplanung bis 2014 markiert einen Zeitenwechsel. Wir haben seit 60 Jahren immer davon gelebt, dass
wir jedes Jahr mehr ausgegeben haben, und uns gestritten, wo wir die Prioritäten setzen. Wir sind jetzt das erste
Mal in einer Phase, in der wir nicht darüber diskutieren,
in einem Jahr Ausgaben zurücknehmen zu müssen. Vielmehr leiten wir ein Jahrzehnt ein, in dem wir uns immer
wieder hier werden treffen müssen, um darüber zu diskutieren, wie wir den Haushalt wieder in Ordnung bringen und Ausgaben kürzen.
Dies tun wir nicht nur, um die Schuldenbremse einzuhalten; dahinter stehen auch Ziele. Bei der Verfolgung
dieser Ziele dürfen wir die Menschen, für die wir hier
sitzen und von denen wir gewählt worden sind, nicht aus
dem Blick verlieren. Wir müssen an die junge Genera6314
tion denken, die eine Perspektive braucht. „Perspektive“
heißt, das Leben selbst gestalten zu können. „Selbst gestalten“ heißt, diese Möglichkeit auch in finanzieller
Hinsicht zu haben und nicht nur alte Schulden abtragen
zu müssen.
({0})
- Liebe Frau Hagedorn, wir wollen auch allen arbeitsfähigen Menschen - darauf komme ich nachher zurück eine realistische Möglichkeit geben, einen Arbeitsplatz
zu bekommen; auch an diese Menschen müssen wir denken.
({1})
- Frau Hagedorn, das Ergebnis Ihrer Politik, ein paar
Jahre hochgerechnet, können Sie in Griechenland betrachten.
({2})
Wir müssen auch an diejenigen denken, die eine sichere
Rente wollen und nicht erleben wollen, dass ihre Rente
auf einmal um 20 Prozent gekürzt wird.
({3})
Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, wir müssen
über den Tag hinaus denken und ganz deutlich sagen
- das geht ein wenig unter -: Eine schleichende Enteignung durch immer höhere Preissteigerungsraten wollen
wir verhindern. Zur Stabilität gehört auch, dass wir den
Menschen, die wenig verdienen, Sicherheit geben.
({4})
Die Voraussetzungen dafür sind solide Staatsfinanzen,
langfristig angelegt und vor allen Dingen nachhaltig angelegt;
({5})
sonst wird aus unseren Bemühungen nichts werden.
Maßnahmen, durch die die Ausgaben reduziert werden,
sind deutlich wachstumsfreundlicher als einnahmeorientierte Maßnahmen wie die, die Sie heute Morgen vorgeschlagen haben; denn diese führen nicht dazu, dass wir
vorankommen. Die Verschuldungsspirale müssen wir
durchbrechen.
({6})
Nur wenn wir dauerhaft höchstens so viel ausgeben, wie
wir einnehmen,
({7})
kommen wir auf einen vernünftigen Kurs.
({8})
Eine intellektuelle Leistung wäre es gewesen, in dieser Woche eine langfristige Alternative zum vorgelegten
Finanzplan aufzuzeigen.
({9})
Dazu habe ich in dieser Woche aber überhaupt nichts
von Ihnen gehört.
({10})
Was die Einzelthemen, die Sie emotionalisiert haben, betrifft, gibt es eine lange Liste; aber eine langfristige Perspektive zeigen Sie nicht auf.
Sie haben schon bei den Beratungen des Haushaltes 2010 bestritten, dass diese Regierung Erfolg haben
wird. Was ist tatsächlich passiert? Wie hoch war denn
die Arbeitslosigkeit zum Ende der Amtszeit von Herrn
Schröder, von dem bei seiner heutigen Tätigkeit - ({11})
- Ja, ja. Aber bei seiner heutigen Tätigkeit ahnt niemand,
dass er noch der SPD angehört. - Zum Ende von Schröders
Amtszeit gab es fast 5 Millionen Arbeitslose. Wir haben
diese Zahl auf deutlich unter 4 Millionen Arbeitslose gesenkt. Es wurde vorausgesagt, dass die Arbeitslosigkeit
krisenbedingt wieder auf dasselbe Niveau wie zu Zeiten
der SPD-Regierung steigen wird, also auf fast 5 Millionen Arbeitslose.
({12})
Tatsächlich läuft die Entwicklung darauf hinaus, dass
wir in diesem Jahr nur noch gut 3 Millionen Arbeitslose
zu verzeichnen haben. Die Wirtschaftsforschungsinstitute prognostizieren, dass wir im nächsten Jahr im
Durchschnitt sogar deutlich weniger als 3 Millionen Arbeitslose haben werden.
({13})
Gerade die SPD sollte wissen, dass die beste Sozialpolitik, die es gibt, diejenige ist, die die Menschen in Arbeit
bringt und ihnen eine persönliche Perspektive eröffnet.
({14})
Genau das werden wir mit unserer Politik erreichen.
({15})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wer dem
Rufer im eigenen Land nicht glaubt, der kann gerne in
die Welt schauen.
({16})
Schauen wir uns doch einmal an, was in der amerikanischen Presse im Moment über Deutschland geschrieben
wird.
({17})
Deutschland wird als „Powerhouse“ bezeichnet.
({18})
Es ist die Rede von „Germany’s Superstar Economy“.
Im Wall Street Journal hieß es in der letzten Woche
schlicht: das deutsche Wunder.
({19})
Unser Plan, durch Ausgabenkürzungen Wachstum zu
generieren, wird als intelligent bezeichnet. Sie hingegen
beurteilen unsere Leistung als katastrophal. Herr
Schneider bewertete unsere Konsolidierungsbemühungen vorhin als ungenügend. Herr Binding sprach von einer Fehlleistung.
({20})
Ich sage Ihnen: Wer zu solchen Einschätzungen kommt,
der hat nicht die vielen Arbeitslosen, die danach streben,
endlich in Arbeit zu kommen, im Blick, sondern der hat
den Blick auf die Menschen in unserem Land verloren.
Das werden wir nicht zulassen.
({21})
Darauf, dass sich eine so gute Wirtschaftspolitik, die
auf Wachstum und Stabilität ausgerichtet ist, auch woanders auszahlt,
({22})
ist noch gar nicht eingegangen worden. Wir als Musterknaben in Europa sind derzeit die Einzigen neben Finnland, die keine Risikoaufschläge zahlen, wenn wir uns
am Finanzmarkt bedienen. Es wird häufig beklagt, dass
wir 38 Milliarden Euro für Zinsen aufwenden müssen.
Wenn wir ein europäisches Mittelmaß an Zinsen aufzubringen hätten, dann müssten wir allein in diesem Haushalt 15 Milliarden Euro mehr für Zinsen aufbringen und
damit das Sparpaket, das die Regierung für das nächste
Jahr vorgeschlagen hat, mehr als verdoppeln. Darunter
würden alle Menschen in der Republik leiden, insbesondere diejenigen, die von Transferleistungen des Staates
leben, weil wir sie einfach nicht mehr bezahlen könnten.
Auch das ist ein Stück Wahrheit.
({23})
Was wir wegen der Mehrjährigkeit unserer Anforderungen benötigen, ist Nachhaltigkeit und das Wir-Gefühl, dass wir da durch wollen. So wie es uns bei der
Umweltpolitik gelungen ist, brauchen wir auch in der
Haushaltspolitik Nachhaltigkeit.
Für die Sicherheit dieser und der nachfolgenden Generationen, für eine nachhaltige Haushaltskonsolidierung und für solide Finanzen müssen wir auch die Nettokreditaufnahme in 2011 deutlich unter die Zahl von 2010
bringen. Diese Erkenntnis ist mittlerweile Allgemeingut.
Wir alle wissen es, aber nur wenige handeln danach.
Alexander von Humboldt hat einst gesagt: „Gelehrte
Leute wissen es, tapfere tun es.“ Alle in diesem Hause
wissen es. Die christlich-liberale Koalition wird es tun.
Danke schön.
({24})
Als letztem Redner in der heutigen Debatte erteile ich
dem Kollegen Leo Dautzenberg für die CDU/CSU-Fraktion das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Ich glaube, dass die erste
Beratung des Haushaltes gezeigt hat - so sehen wir das
als Finanzpolitiker -, dass die Haushaltskonsolidierung Grundlage einer nachhaltigen Finanz-, Finanzmarkt- und damit auch Wirtschaftspolitik ist. Wann,
wenn nicht jetzt sollten wir das schaffen, wo uns die
konjunkturellen Aspekte wieder hoffnungsfroh stimmen
und wir, wie Herr Schäuble ausgeführt hat, vielleicht im
nächsten Jahr wieder so weit sind, dass wir das aufgeholt
haben, was wir in der Wirtschaftskrise als Einbruch im
Wachstum, nämlich um knapp 5 Prozent, ertragen mussten? Dadurch wird noch einmal klar, um welche Dimensionen es dabei geht.
Wenn man jetzt, wo die Konjunkturlage wieder besser
wird und wir auch Gott sei Dank gemeinsam mit der
SPD die Schuldenbremse in der Verfassung verankert
haben, Ihre heutigen Ausführungen hört und wenn man
daran denkt, wie sich manche Bundesländer und auch
die neue Ministerpräsidentin in Nordrhein-Westfalen äußern, dann muss man fragen: Haben Sie aus dem, was
wir gemeinsam gemacht haben, nichts gelernt? Wollen
Sie jetzt wieder den gegenteiligen Weg gehen?
({0})
Das ist Ihr Dilemma. Die Umfragewerte sind auch davon abhängig, dass man zu etwas steht, das man gemeinsam gemacht hat, und sich nicht davon verabschiedet.
({1})
Was Stabilitätspolitik anbelangt, Kollegin Hagedorn,
haben Sie kritisiert, wir würden uns auf europäischer
Ebene als Musterknaben aufspielen. Schröder und
Eichel waren es doch, die 2003 den Stabilitäts- und
Wachstumspakt aufgeweicht haben, was dazu geführt
hat, dass auch die anderen europäischen Ländern keine
Haushaltsdisziplin mehr befolgt haben
({2})
und dass die Verschuldung in den Ländern gestiegen ist.
Das ist dann in der Euro-Krise kulminiert. Wenn wir Ursache und Wirkung genau auseinanderhalten, dann war
es auch die nicht mehr verantwortbare Verschuldung der
einzelnen Staaten in Europa, die zur Schwäche des Euro
geführt hat.
Von daher ist es eine konsequente Politik, dass sich
auch unser Finanzminister gemeinsam mit der Kanzlerin
zuletzt noch vorgestern, glaube ich, auf europäischer
Ebene dafür eingesetzt hat, dass wir zu weiteren Kriterien der Stabilitätspolitik auf europäischer Ebene kommen und dass wir dort Vereinbarungen und Systeme
schaffen, die keine kurzfristigen Euro-Rettungsschirme
mehr erforderlich machen. Damit kommen wir zu einer
langfristigen Stabilitätspolitik. Das ist die Grundlage,
um innerhalb des Euro-Raums zu Stabilität zu kommen
und die Inflation zu bekämpfen. Deshalb betonen wir Finanzpolitiker, dass mittelfristig die Vorgaben des Konsolidierungspakets in jedem Haushalt Schritt für Schritt
umgesetzt werden müssen. Wir haben jetzt die Chance,
dies auf den Weg zu bringen. Es kann sicherlich in einzelnen Bereichen noch zu Veränderungen bei den Stellschrauben kommen. Aber es muss klar sein, dass nun die
vereinbarten Eckpunkte und Volumina, die die Grundlage bilden, realisiert werden.
Wir können bereits Erfolge in den Fragen betreffend
den Finanzmarkt und insbesondere im Bereich einer effizienten Regulierung vorweisen, Stichwort Basel III.
So hat sich die deutsche Finanzierungskultur bei den
Banken im angelsächsischen Raum durchgesetzt, wenn
es um die Anerkennung des Kernkapitals geht. Beim
Kernkapital geht es nicht nur um reines Beteiligungskapital, sondern auch um sogenannte Mezzanine-Strukturen wie stille Beteiligungen. Aber das ist nur der Übergang. 2023 muss das Ganze neu austariert werden. Es ist
daher richtig, dass unser Finanzminister dies zum Anlass
nimmt, weitere Strukturmaßnahmen im öffentlichen
Bankensektor und insbesondere bei den Landesbanken
auf die Agenda zu setzen. Mit dem Finanzmarktstabilisierungsgesetz und dem Finanzmarktstabilisierungsfortentwicklungsgesetz haben wir die Grundlagen für die
Rettung und Stabilisierung von Banken gelegt. Wenn
man dem Wortlaut dieser Gesetze weiterhin folgt, dann
wird einem klar, dass nach der Phase der Konsolidierung
eine Neustrukturierung im öffentlichen Bankensektor,
insbesondere bei den Landesbanken, stattfinden muss.
Wenn man sieht, wie sich die Auswirkungen von
Basel III demnächst darstellen werden, dann muss man
sagen, dass jetzt der richtige Zeitpunkt ist, in der Übergangsphase die entsprechenden Maßnahmen auf den
Weg zu bringen.
Die Regierung zieht eine weitere Konsequenz aus der
Finanzkrise auf nationaler Ebene und bringt den Entwurf
eines Restrukturierungsgesetzes auf den Weg. Dieses
Gesetz soll gewährleisten, dass sogenannte systemische
Banken restrukturiert und abgewickelt werden können;
das war bisher nicht möglich. Mit der Bankenabgabe
und dem Restrukturierungsgesetz einschließlich eines
Insolvenzrechts für Finanzinstitute wird der richtige
Weg beschritten.
Diese Bundesregierung und die Regierungskoalition
leisten mit dem Haushalt, der einen Einstieg in die Konsolidierung darstellt, und den Regelungen betreffend die
Finanzmärkte einen wesentlichen und notwendigen Beitrag zur Sicherung der Zukunft Deutschlands.
In diesem Sinne vielen Dank.
({3})
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen
auf den Drucksachen 17/2500 und 17/2501 an den Haushaltsausschuss vorgeschlagen. - Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, den 29. September 2010, 13 Uhr,
ein.
Ich wünsche Ihnen ein freundliches Wochenende.
Die Sitzung ist geschlossen.