Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 11/25/2009

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Guten Tag, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Sitzung ist eröffnet. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 1 auf: Befragung der Bundesregierung Die Bundesregierung hat als Thema der heutigen Kabinettssitzung mitgeteilt: Entwurf einer Verordnung über die Bezugsfrist für das Kurzarbeitergeld. Das Wort für den einleitenden fünfminütigen Bericht hat der Bundesminister für Arbeit und Soziales, Herr Dr. Franz Josef Jung.

Dr. Franz Josef Jung (Minister:in)

Politiker ID: 11003781

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Bundesregierung hat heute im Rahmen ihrer Kabinettsentscheidung eine Anschlussverordnung zur Kurzarbeit beschlossen, das heißt konkret, dass das Kurzarbeitergeld, das im Jahr 2010 beantragt wird, für einen Zeitraum von maximal 18 Monaten bezogen werden kann. Für Anträge bis zum 31. Dezember dieses Jahres gilt noch die maximale Bezugsdauer des Kurzarbeitergeldes von 24 Monaten. Für Anträge ab 2010 beträgt die Dauer 18 Monate. Ich denke, dass gerade die Entscheidung der Regierung, das Kurzarbeitergeld länger zu zahlen, dazu geführt hat, dass wir - was den Arbeitsmarkt betrifft - einigermaßen robust durch diese Krise gekommen sind. Sie müssen bedenken: Die Prognosen lagen bei 5 Millionen Arbeitslosen. Ich konnte in meinem ersten Bericht 3,229 Millionen Arbeitslose angeben. Allerdings - das muss man deutlich sagen - ist das noch keine Trendwende. Wir haben das Tal noch nicht durchschritten. Die Bundesregierung rechnet mit 4,1 Millionen Arbeitslosen, wobei die Sachverständigen uns vor Kurzem mitgeteilt haben, dass die Zahl auch bei 4 Millionen oder knapp darunter liegen könnte. Ich glaube, diese Zahlen zeigen, dass es richtig und notwendig ist, die Möglichkeit einer längeren Bezugsdauer des Kurzarbeitergeldes für das Jahr 2010 beizubehalten, um damit die Chance zu schaffen, dass die Menschen in Arbeit bleiben und nicht in die Arbeitslosigkeit fallen. Ich will des Weiteren hinzufügen, dass wir für das Jahr 2010 noch die Möglichkeit haben, entsprechende Zuzahlungen bzw. die Erstattung von Sozialversicherungsbeiträgen zu gewährleisten. Das stellt eine zusätzliche Erleichterung und Unterstützung für die Betriebe und damit letztlich auch für die Arbeitnehmer dar. Ich will darauf hinweisen, dass Hunderttausende von Arbeitsplätzen durch die derzeitige Regelung der Kurzarbeit gesichert worden sind. Es ist die Frage gestellt worden, warum man die Bezugsdauer des Kurzarbeitergeldes nicht wieder auf maximal sechs Monate beschränkt. Das wäre der Fall, wenn wir keine Regelung für Anträge ab dem 1. Januar 2010 getroffen hätten. Ich glaube, das ist gerade für die Planungssicherheit von Unternehmen, aber auch der Arbeitnehmer notwendig; denn teilweise gibt es Kündigungsfristen, die über drei Monate hinausgehen. Deshalb glaube ich, es ist richtig, dass wir eine entsprechende Verordnung beschlossen haben. Aber die Verkürzung der maximalen Bezugsdauer auf 18 Monate macht deutlich, dass wir ein Ende der Krise am Arbeitsmarkt sehen und davon ausgehen, dass die Menschen wieder in die volle Beschäftigung zurückkehren können. Zusammengefasst: Ich halte diese Entscheidung mit Blick auf die Arbeitnehmer, aber auch mit Blick auf die Betriebe für richtig; denn die Betriebe können dadurch qualifizierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in ihren Betrieben halten und sie, wenn es wieder mehr Aufträge gibt, wieder voll beschäftigen. Dadurch fallen die Arbeitnehmer nicht in die Arbeitslosigkeit. Daher denke ich, dass dies eine richtige, eine positive Entscheidung ist, die sowohl im Interesse der Unternehmen als auch im Interesse der betroffenen Arbeitnehmer liegt. Besten Dank. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Danke, Herr Minister. - Das Wort zur ersten Frage hat der Kollege Roland Claus. Redetext

Roland Claus (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003065, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Bundesminister, das Geld, über das wir hier reden, muss im Etat der Bundesagentur für Arbeit eingestellt werden. Im Etatentwurf für das Jahr 2010 der vorherigen Bundesregierung, der Sie auch angehört haben, wurde dafür ein Zuschuss von 20 Milliarden Euro veranschlagt. Inzwischen steuern wir auf einen neuen Etatentwurf zu. Sie hatten zwischenzeitlich versucht, die BA-Zuschüsse in einem Schattenhaushalt unterzubringen, den Sie liebevoll „Sondervermögen“ nennen wollten. Ich würde jetzt gerne von Ihnen wissen: Was haben wir an Zuschuss für die BA im Etat 2010 zu erwarten, den Sie am 16. Dezember im Kabinett behandeln wollen?

Dr. Franz Josef Jung (Minister:in)

Politiker ID: 11003781

Sehr geehrter Herr Kollege, Ihre Frage hat mit Kurzarbeit zwar nichts zu tun, aber ich will sie Ihnen trotzdem gerne beantworten. Tatsache ist, dass die Bundesagentur für 2010 durch die Entwicklung am Arbeitsmarkt im Hinblick auf die Arbeitslosigkeit einen Bedarf in Höhe von 17,8 Milliarden Euro hat und sie noch 1,8 Milliarden Euro Rücklagen hat. Die Bundesregierung beabsichtig zu entscheiden, die fehlenden 16 Milliarden Euro durch einen Zuschuss abzudecken; denn es ist unser Ziel, die Lohnnebenkosten auch in Zukunft stabil zu halten. Sie wissen, dass die Bundesregierung die Lohnnebenkosten gesenkt hat, indem sie den Beitragssatz zur Arbeitslosenversicherung von 6,5 Prozent auf 2,8 Prozent reduziert hat. Dies bedeutete für Arbeitgeber und Arbeitnehmer eine Entlastung in Höhe von rund 24 Milliarden Euro. Es ist unser Ziel, dass der Beitragssatz von 3 Prozent, der ab dem 1. Januar 2011 gelten soll, auch weiterhin gilt, um Arbeit nicht zusätzlich zu verteuern. Ich glaube, es wäre ein Fehler, wenn wir einen Beitrag dazu leisten würden, Arbeit zu verteuern. Das wäre nicht im Interesse der arbeitenden Mitbürgerinnen und Mitbürger. Deshalb werden wir den Beitragssatz stabil halten und der Bundesagentur 2010 einen Zuschuss gewähren.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Die nächste Frage stellt der Kollege Peter Weiß. ({0})

Peter Weiß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003255, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Bundesminister Dr. Jung, zunächst möchte ich es ausdrücklich begrüßen, dass das Bundeskabinett heute die neue Rechtsverordnung zum Bezug des Kurzarbeitergeldes beschlossen hat, weil das für die Beschäftigten in den von der Krise gebeutelten Unternehmen unseres Landes eine Beschäftigungssicherung bedeutet. Damit wird eine gute Perspektive für das kommende Jahr eröffnet. Für Betriebe, die ab dem 1. Januar 2010 Kurzarbeitergeld neu beantragen, ist eine Laufzeit von 18 Monaten möglich. Bedeutet diese Festlegung, dass die Bundesregierung aufgrund der Konjunkturerwartungen für die Jahre 2010 und 2011 davon ausgeht, dass wir spätestens Mitte des Jahres 2011 die ärgsten, die schlimmsten Auswirkungen der Finanz- und Kapitalmarktkrise auf dem Arbeitsmarkt überwunden haben werden und nach der Kurzarbeit in den meisten Betrieben wieder Vollbeschäftigung möglich sein wird?

Dr. Franz Josef Jung (Minister:in)

Politiker ID: 11003781

Herr Kollege Weiß, genau das ist die Annahme der Bundesregierung. Ich will das mit konkreten Zahlen untermauern: Für das Jahr 2009 wurde ein Wirtschaftswachstum von bis zu minus 5 Prozent erwartet. Jetzt liegen einige Prognosen bei minus 4,7 bzw. 4,8 Prozent. Sie wissen, dass sie ursprünglich sogar bei minus 6 Prozent lagen. Auch für das Jahr 2010 wurde ursprünglich ein Minus von 0,7 Prozent prognostiziert. Die Bundesregierung geht jetzt von einem Plus von 1,2 Prozent aus. Die Sachverständigen haben uns am letzten Freitag gesagt, dass sie mit einem Plus von 1,6 Prozent rechnen. Sie lesen heute in den Zeitungen, dass der eine oder andere Sachverständige sogar von einem Plus von 2,5 Prozent ausgeht. Wir sollten hier ein Stück weit realistisch bleiben. Unsere Zielvorstellung ist, dass wir wieder zu einer entsprechenden Beschäftigungssituation am Arbeitsmarkt mit Vollzeitbeschäftigung kommen. Daher ist es sinnvoll, im Rahmen der neuen Verordnung die maximale Bezugsdauer des Kurzarbeitergeldes auf 18 Monate zu beschränken.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Die nächste Frage stellt die Kollegin Brigitte Pothmer.

Brigitte Pothmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003823, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Minister, insgesamt sind von der Inanspruchnahme der Kurzarbeitsregelung bis jetzt 1,4 Millionen Menschen betroffen. Aber nach meinen Zahlen haben nur 85 000 Menschen die Möglichkeit einer geförderten Weiterbildung genutzt. Der Grund dafür liegt darin, dass die Vorgängerregierung, also die Große Koalition, die Qualifizierungsanreize aus der Regelung gestrichen hat. Warum reagiert die Bundesregierung jetzt nicht darauf und nutzt die Verlängerung der Kurzarbeitsregelung, um Qualifizierungsanreize zu setzen? Ich sage dies vor dem Hintergrund, dass Deutschland wie fast kein anderes europäisches Land in der Weiterqualifizierung ein Defizit hat. Das wäre die Chance, aus der Krise besser herauszukommen, als wir hineingegangen sind.

Dr. Franz Josef Jung (Minister:in)

Politiker ID: 11003781

Frau Kollegin, konkret: Wir hatten in der Spitze 1,5 Millionen Arbeitnehmer in der Kurzarbeit. Nach aktuellen Schätzungen - die konkreten Zahlen liegen im Dezember vor - werden 1,1 Millionen Arbeitnehmer in Kurzarbeit sein. Sie haben zutreffend beschrieben, dass wir uns wünschen, dass mehr Menschen die Chancen zur WeiterbilBundesminister Dr. Franz Josef Jung dung nutzen. Die Bundesregierung hatte damals entschieden, dass bei entsprechender Weiterbildung die Kosten der Maßnahme zum Teil sowie die Sozialversicherungsbeiträge voll erstattet werden. Dies ist aber offensichtlich als Anreiz für Weiterbildung und Qualifizierung nicht ausreichend. Deshalb müssen wir hier konkreter werden. Das heißt im Klartext, dass wir etwa auch die Fremdsprachenförderung als qualifizierende Weiterbildung einbeziehen, um einen zusätzlichen Anreiz zu schaffen, sodass in Zukunft mehr Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Kurzarbeit die Chance auf Weiterbildung in Anspruch nehmen. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Die nächste Frage stellt die Kollegin Jutta Krellmann.

Jutta Krellmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004080, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Guten Tag, Herr Minister! Meine Frage ist: Wieso hat die Bundesregierung die Höchstdauer für den Bezug von Kurzarbeitergeld nicht bei zwei Jahren belassen? Ich persönlich erlebe, dass viele Betriebe, insbesondere im Maschinen- und Anlagenbau, noch aus ihrer Auftragslage aus Zeiten der Hochkonjunktur schöpfen und das Tal der Tränen praktisch noch vor sich haben. Sie werden erst im nächsten Jahr überhaupt in die Situation kommen, Kurzarbeit anzumelden. Warum belässt man die maximale Bezugsdauer nicht bei zwei Jahren? Kein Betrieb meldet freiwillig Kurzarbeit an, sondern er meldet dann Kurzarbeit an, wenn keine Arbeit da ist. Sobald wieder Arbeit vorhanden ist, ist das Erste, das im Betrieb gemacht wird, die Kurzarbeit wieder abzumelden und alle voll arbeiten zu lassen. Das liegt im Interesse von Arbeitgebern und Arbeitnehmern, weil die Kurzarbeit für Arbeitnehmer Einkommensverluste bedeuten. Die Frage ist noch einmal ganz klar: Wieso kann die Bezugsdauer nicht weiterhin zwei Jahre betragen, statt eine Entwicklung vorwegzunehmen, die man noch gar nicht kennt?

Dr. Franz Josef Jung (Minister:in)

Politiker ID: 11003781

Frau Kollegin, ich denke, Sie müssen sich schon die Zahlen anschauen, die sich von Jahr zu Jahr verändern. Im Jahre 2009 haben wir entschieden, den Bezug von Kurzarbeitergeld auf 24 Monate zu verlängern. Für das Jahr 2010 haben wir jetzt entschieden, den Bezug auf 18 Monate zu befristen. Im Jahre 2009 - das habe ich gerade gesagt - wird beim Wachstum mit einem Minus von fast 5 Prozent gerechnet, während für das Jahr 2010 ein Plus von 1,2 Prozent geschätzt wird. Hier gibt es eine Veränderung. Wir dürfen nicht zu Dauersubventionen kommen, sondern wir müssen dafür sorgen, dass die Menschen wieder in Vollbeschäftigung kommen. Wenn sich die Rahmenbedingungen positiv verändern, gerade auch beim wirtschaftlichen Wachstum, dann ist die Einschätzung richtig, die Bezugsdauer auf 18 Monate zu beschränken. Dies schließt nicht aus, dass man die Gesamtentwicklung weiterhin im Blick behält. Aber unsere Einschätzung ist, dass wir heute mit dieser 18-Monate-Regelung die Voraussetzungen dafür schaffen, dass diese Kurzarbeit genutzt werden kann, um die Menschen im Betrieb zu halten, dass aber eine längere Bezugsdauer aufgrund der wirtschaftlichen Daten, die ich Ihnen gerade vorgetragen habe, nicht notwendig ist. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat die Kollegin Anette Kramme.

Anette Kramme (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003162, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Minister, wird es im Jahr 2011 bei der Durchführung von Kurzarbeit noch Entlastungen bei den Sozialabgaben geben?

Dr. Franz Josef Jung (Minister:in)

Politiker ID: 11003781

Frau Kollegin, ich habe Ihnen gerade vorgetragen, dass für das Jahr 2010 Entlastungen bei den Sozialabgaben vorgesehen sind. Es ist per Gesetz beschlossen, dass diese Regelung bis zum 31. Dezember 2010 gilt. Wir müssen uns die weitere Entwicklung anschauen. Wir müssen die entsprechenden Daten, beispielsweise der Frühjahrsprognosen, konkret ins Blickfeld nehmen, um festzustellen, ob gegebenenfalls eine zusätzliche Unterstützung notwendig ist. Wir gehen derzeit davon aus, dass diejenigen, die im Jahr 2010 eine Unterstützung bei den Sozialabgaben beantragen, diese im Jahr 2010 erhalten. Das ist mit dem Übergang ins Jahr 2011 nach heutigem Stand nicht mehr gegeben. Ich sage aber noch einmal: Wir müssen dies meines Erachtens Mitte des Jahres 2010 auf den Prüfstand stellen und die weitere Entwicklung ins Blickfeld nehmen.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Eine weitere Frage zu diesem Themenbereich stellt nun die Kollegin Brigitte Pothmer.

Brigitte Pothmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003823, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Minister, ich nehme zur Kenntnis, dass Sie in diesem Themenfeld noch fachfremd sind. ({0}) Es nützt jedoch nichts, den Versuch zu unternehmen, Fragen, die ich stelle, nicht zu beantworten. Sie können sich nämlich darauf verlassen: Ich frage einfach immer wieder. Sie haben in Ihrer Antwort auf die Bedeutung der Qualifizierung der Beschäftigten für die wirtschaftliche Entwicklung in Deutschland hingewiesen. Sie haben die Defizite, die wir in Deutschland insbesondere in diesem Bereich haben, zuerkannt. Vor dem Hintergrund dieser Erkenntnis frage ich Sie: Warum haben Sie nicht wenigstens die entsprechenden Anreize, die schon einmal bestanden haben und geeignet sind, diese Defizite auszuräumen, wieder ins Gesetz aufgenommen?

Dr. Franz Josef Jung (Minister:in)

Politiker ID: 11003781

Wenn Sie mich schon so ansprechen, will ich Sie darauf hinweisen: Wir reden jetzt über eine Verordnung, nicht über ein Gesetz. So viel zur Frage des Sachverstands. ({0}) Eine zweite Feststellung: Wir haben innerhalb der Koalition vereinbart, dass wir uns im Hinblick auf Weiterbildung die Dinge genauer anschauen wollen, um hier gegebenenfalls nachzujustieren. Man muss die unterschiedlichen Entwicklungen betrachten. Wenn Sie sich einmal mit den Unternehmen auseinandersetzen, dann werden Sie sehen, dass die Kurzarbeitsregelungen sehr unterschiedlich angewandt werden, auch im Hinblick auf den zeitlichen Umfang. Eine auf längere Zeit angelegte Weiterbildung ist deshalb nicht immer passend. Man muss sich schon sehr konkret auf die einzelne Situation beziehen. Wir haben damals in der Großen Koalition die Entscheidung getroffen, dass bei einer Weiterbildung die vollen Sozialversicherungsbeiträge erstattet werden. Hier ist also ein zusätzlicher Anreiz geschaffen worden. Wie gesagt: Wir werden uns den Punkt genauer anschauen, um hier gegebenenfalls nachjustieren zu können. ({1})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Die nächste Frage stellt der Kollege Peter Weiß. ({0})

Peter Weiß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003255, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Kollegin Pothmer, man kann sich auch ohne Sprechzettel in der Gesetzesmaterie auskennen. Das hat Herr Bundesminister Dr. Jung soeben hervorragend unter Beweis gestellt. ({0}) Herr Bundesminister Dr. Jung, ich beziehe mich auf Ihre Antwort auf die Frage der Kollegin Pothmer. Ist es richtig, dass es dringend notwendig war, eine Rechtsverordnung des Bundeskabinetts zu erlassen, weil nur so die gesetzliche Befristung des Kurzarbeitergeldbezugs auf sechs Monate aufgehoben und die Frist verlängert werden kann? Ist es auch richtig, dass die Frage der Freistellung von den Sozialversicherungsbeiträgen bzw. der Erstattung der Beiträge in vollem Umfang durch die Bundesagentur für Arbeit nicht über eine Rechtsverordnung geregelt werden kann? Wir haben in einem Gesetz, beschlossen von der Großen Koalition, festgeschrieben, dass die entsprechende Regelung bis zum Ende des Jahres 2010 gilt. Wir müssen im kommenden Jahr darüber nachdenken, ob wir am Gesetz gegebenenfalls etwas ändern; das geht nicht per Rechtsverordnung. Herr Bundesminister, ich wollte Sie fragen, ob die Erfahrungen Ihres Hauses so sind wie die, die ich in meinem Wahlkreis mache: Für viele Firmen, die wegen des geringen Auftragseingangs für längere Zeit Kurzarbeit anmelden müssen, ist die Befreiung von den Sozialversicherungsbeiträgen ab dem siebten Monat Kurzarbeit ein wichtiger, meist der wichtigste Grund, dass sie sich doch zur weiteren Kurzarbeit entschließen und keine Entlassungen vornehmen. Daher glaube ich - im Gegensatz zu Frau Pothmer -, dass diese Regelung der Erstattung der gesamten Sozialversicherungsbeiträge durch die Bundesagentur für Arbeit ab dem siebten Monat Kurzarbeit ohne weitere Bedingungen, also auch ohne die Bedingung von Qualifizierungsmaßnahmen, für die Betriebe, denen es besonders schlecht geht, der entscheidende Grund ist, Kurzarbeit statt Entlassung zu wählen. Ist das eine Erfahrung, die auch Ihr Haus in Deutschland macht? ({1})

Dr. Franz Josef Jung (Minister:in)

Politiker ID: 11003781

Lieber Kollege Weiß, das kann ich nur mit Nachdruck unterstreichen. Ich habe mit den Betroffenen darüber gesprochen, und das kam immer wieder sehr deutlich zum Ausdruck. Wir haben ja jetzt die Regelung, dass wir im ersten halben Jahr die Hälfte der Sozialversicherungsbeiträge und ab dem siebten Monat die gesamten Sozialversicherungsbeiträge erstatten. Das ist für ein Unternehmen meist der Hauptgrund, sich letztlich doch für Kurzarbeit zu entscheiden und die Menschen nicht in die Arbeitslosigkeit fallen zu lassen. Deshalb, glaube ich, ist es in beiderseitigem Interesse; es ist sinnvoll und geboten. Es ist im Interesse des Betriebes, dass die Arbeitnehmer dem Betrieb auch in Zukunft mit ihrer Qualifizierung voll zur Verfügung stehen, und es ist im Interesse der Arbeitnehmer, dass sie nicht in die Arbeitslosigkeit fallen. Deshalb halte ich es für richtig, dass diese gesetzliche Regelung bis zum 31. Dezember nächsten Jahres gilt. Ich habe ja gesagt: Wir müssen Mitte des Jahres noch einmal überprüfen, inwiefern es gegebenenfalls weiteren Bedarf gibt. Diese Regelung trägt aber entscheidend dazu bei, dass die Menschen in Kurzarbeit bleiben.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollege Weiß, da Sie ein erfahrener Kollege sind, nehme ich jetzt Ihre Frage zum Anlass, alle Kolleginnen und Kollegen darauf hinzuweisen, dass wir in der Befragung der Bundesregierung und in der Fragestunde davon leben, dass wir Fragen stellen, die mit einem Fragezeichen enden und sich nicht über mehr als drei Minuten erstrecken. Das gibt uns die Möglichkeit, möglichst viele Vizepräsidentin Petra Pau Fragen zu stellen und natürlich auch möglichst viele Antworten zu hören. ({0}) Das Wort hat der Kollege Ullrich Meßmer.

Ullrich Meßmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004109, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich will versuchen, diese Anregung gleich aufzugreifen. - Herr Minister, ich habe eben sehr wohl zur Kenntnis genommen, dass Sie planen, im nächsten Jahr anhand einiger Kriterien zu überprüfen, ob diese Regelung verlängert werden soll. Ich habe das jetzt so verstanden - das muss ich als Frage formulieren -, dass Sie dabei allgemeine wirtschaftliche Zahlen zugrunde legen wollen. Werden die Zahlen der allgemeinen wirtschaftlichen Entwicklung die einzige Grundlage bei der Überprüfung oder Veränderung der Regelungen zur Kurzarbeit sein, oder könnten zum Beispiel auch strukturelle Argumente oder Gesichtspunkte des Arbeitsmarktes dabei berücksichtigt werden? Wenn weitere Punkte berücksichtigt werden, spielen dann auch Qualifikationsgesichtspunkte in Ihren persönlichen Überlegungen eine Rolle, um auch an die Zukunft der jungen Menschen zu denken?

Dr. Franz Josef Jung (Minister:in)

Politiker ID: 11003781

Ich denke, ob es solche Überprüfungsnotwendigkeiten gibt, hängt nicht nur vom wirtschaftlichen Wachstum ab. Ich will Ihnen auch sagen: Natürlich muss man schauen, wie sich das in den unterschiedlichen Industriezweigen auswirkt. Das heißt konkret: Wir haben heute im verarbeitenden Gewerbe eine wesentlich andere Entwicklung als beispielsweise in den Bereichen Gesundheit, Pflege und Weiterbildung. Das sind Punkte, die man bei der Gesamtabwägung berücksichtigen muss; denn letztlich - auch das will ich sagen; ich bin ja vorhin nach den finanziellen Aspekten gefragt worden - ist es immer noch sinnvoller, in Arbeit zu investieren als in Arbeitslosigkeit. Deshalb muss man diese Fragen Mitte des Jahres auf den Prüfstand stellen, um gegebenenfalls zu entsprechenden Entscheidungen zu kommen.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Die nächste Frage stellt der Kollege Heinrich Kolb.

Dr. Heinrich L. Kolb (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001171, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Minister, Sie haben zu Recht darauf hingewiesen, dass in der Verordnung nur die maximal mögliche Bezugsdauer geregelt ist und dass die tatsächliche Inanspruchnahme von Kurzarbeit durch die Betriebe davon zu unterscheiden ist. Gibt es in Ihrem Haus Zahlen dazu, wie lang die Kurzarbeitsphasen in den Unternehmen tatsächlich sind? Das heißt, ist eine Dauer von mehr als sechs Monaten in der jetzigen Wirtschaftslage die Regel, oder ist das eher die Ausnahme?

Dr. Franz Josef Jung (Minister:in)

Politiker ID: 11003781

Es gibt diesbezüglich Untersuchungen. Die Kurzarbeitsphasen dauern zum Teil bis zu drei Monate, zum Teil bis zu sechs Monate oder länger, wobei sich das in etwa die Waage hält. Kollege Kolb, die einzelnen Zahlen habe ich jetzt nicht im Kopf. Ich bin aber gerne bereit, sie Ihnen schriftlich nachzureichen, damit Sie sich die unterschiedliche Dauer dieser Phasen ansehen können. Ich möchte hinzufügen: Im Hinblick auf die Situation auf dem Arbeitsmarkt betrachte ich es als durchaus positiv, dass ein Teil der Betriebe von der im Rahmen der Arbeitszeitkonten geschaffenen Flexibilität Gebrauch gemacht hat; auch diese Regelung bietet nämlich eine Möglichkeit, besser durch die Krise zu kommen. Die zeitliche Inanspruchnahme ist allerdings sehr unterschiedlich. Die konkreten Zahlen werde ich Ihnen gerne nachreichen.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat die Kollegin Mechthild Rawert.

Mechthild Rawert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003825, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Minister, mit welchen Auswirkungen auf die verschiedenen Branchen und auf den Arbeitsmarkt für Frauen und Männer rechnen Sie?

Dr. Franz Josef Jung (Minister:in)

Politiker ID: 11003781

Ich möchte mich jetzt nicht ins Spekulative begeben, Frau Kollegin. Man muss aber zur Kenntnis nehmen, dass die Situation beispielsweise im Maschinenbau, um eine Branche zu nennen, noch schwieriger ist als in den Berufen, die, wie ich vorhin sagte, einen Bezug zur Gesundheit haben. Da dies auch unmittelbar mit dem Export zusammenhängt, kann ich nur hoffen und wünschen, dass wir diese krisenhafte Situation in dem zeitlichen Rahmen, den ich dargestellt habe, bewältigen und dass es dann auch für die besonders betroffenen Unternehmen einschließlich der Automobilindustrie wieder eine Perspektive gibt. Die Entwicklungen in den einzelnen Industriezweigen sind, wie gesagt, sehr unterschiedlich. Deshalb muss man darauf auch unterschiedlich reagieren. Ich glaube, dass die Grundsatzentscheidung, den Betrieben jetzt die Möglichkeit zu eröffnen, im Jahre 2010 für eine Dauer von 18 Monaten Kurzarbeit in Anspruch zu nehmen, auch ihren Interessen gerecht wird. Ich kann nur hoffen und wünschen, dass die Betriebe, die in Bereichen tätig sind, in denen sich die Situation heute noch schwierig gestaltet, dann wieder die Perspektive haben, zur vollen Beschäftigung zurückzukehren.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Zu einer weiteren Nachfrage hat die Kollegin Anette Kramme das Wort.

Anette Kramme (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003162, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Minister, wann liegt nach Auffassung des Ministeriums ein Neuantrag vor? Nehmen wir die Sachverhaltskonstellation an, dass ein Betrieb im Jahr 2009 bis einschließlich Januar 2010 Kurzarbeit beantragt hat. Reicht beispielsweise eine Unterbrechung von zwei Mo326 naten aus, um die Stellung eines Neuantrages zu vermuten?

Dr. Franz Josef Jung (Minister:in)

Politiker ID: 11003781

Frau Kollegin, es kommt auf die konkrete Antragstellung an. Für alle Anträge, die bis zum 31. Dezember dieses Jahres gestellt werden, gilt noch der Zeitraum von 24 Monaten. Für Anträge, die ab dem 1. Januar 2010 bis zum 31. Dezember 2010 gestellt werden, gilt dann der Zeitraum von 18 Monaten.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Die nächste Frage stellt die Kollegin Pothmer.

Brigitte Pothmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003823, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Die Zahl der Betrugsverdachtsfälle beim Kurzarbeitergeld ist stark gestiegen. Warum nutzt die Regierung die Neuregelung der Verordnung nicht, um hier strengere Regelungen zu treffen?

Dr. Franz Josef Jung (Minister:in)

Politiker ID: 11003781

Hierzu will ich Ihnen Folgendes sagen: Es geht um insgesamt 100 000 Betriebe. In 633 Fällen werden derzeit entweder vonseiten des Zolls oder vonseiten der Bundesagentur Sonderprüfungen durchgeführt. Nach meiner Kenntnis hat sich der Verdacht in 67 Fällen als nicht zutreffend erwiesen. Wenn ich mich richtig erinnere, sind mittlerweile 60 Fälle an die Staatsanwaltschaft abgegeben worden, und die Staatsanwaltschaft ist in ihre Ermittlungen eingetreten. Diesen Verdachtsfällen wird sehr konkret nachgegangen, damit ein solches strafrechtlich relevantes Verhalten in Zukunft unterbleibt.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Die nächste Frage stellt der Kollege Jens Petermann.

Jens Petermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004128, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Minister, eine Kollegin ist mir zuvorgekommen, daher will ich nur ergänzend fragen: Haben Sie einen Überblick über die Höhe des Schadens, der durch Missbrauch der Kurzarbeiterregelung entstanden ist?

Dr. Franz Josef Jung (Minister:in)

Politiker ID: 11003781

Das kann ich Ihnen noch nicht sagen. Ich kann Ihnen nur sagen, dass jetzt durch Sonderprüfungen den einzelnen Fällen nachgegangen wird und dort, wo es relevant ist, auch staatsanwaltschaftliche Ermittlungen aufgenommen werden. Selbstverständlich hat dies zur Konsequenz, dass Schadensersatzansprüche geltend gemacht werden. Von daher sage ich: Alle rechtlichen Möglichkeiten werden ausgeschöpft, um diesen Fällen nachzugehen.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Max Straubinger.

Max Straubinger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002812, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Minister, eine Kollegin der Linken - mir ist leider Gottes der Name nicht geläufig; dafür bitte ich um Entschuldigung - hat etwas vorwurfsvoll gesagt, ({0}) dass die Neuregelung nur die Möglichkeit biete, für 18 Monate Kurzarbeitergeld zu bekommen, während dies nach der alten Regelung für bis zu 24 Monate möglich war. Haben Sie Erkenntnisse über die Betriebe, die insgesamt für 24 Monate Kurzarbeit beantragt haben?

Dr. Franz Josef Jung (Minister:in)

Politiker ID: 11003781

Für bis zu 24 Monate hat nur ein sehr geringer Teil der Betriebe Kurzarbeit beantragt. Ich habe dem Kollegen Kolb gesagt, dass ich ihm die Einzelaufschlüsselung noch gebe. Es wird - das will ich noch sagen - oft vergessen, dass die Kurzarbeiterregelung, auch wenn wir die Sozialversicherungsbeiträge übernehmen, sowohl die Betriebe als auch die Arbeitnehmer etwas kostet; aber natürlich ist das immer noch besser als Arbeitslosigkeit. Die Betriebe nehmen die Möglichkeit der Kurzarbeit aber nicht länger in Anspruch als es zwingend notwendig ist. Was der Kollege Weiß vorhin angesprochen hat, ist natürlich zutreffend. Durch die volle Entlastung bei den Sozialversicherungsbeiträgen - nach 7 Monaten -, haben wir eine zeitliche Perspektive eröffnet; aber die Ausschöpfung von insgesamt 24 Monaten geht, wenn ich es richtig im Kopf habe, gegen null.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Die Kollegin Jutta Krellmann hat das Wort zu einer weiteren Nachfrage.

Jutta Krellmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004080, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Ich habe noch eine Nachfrage zur Dauer. Wenn die Bundesregierung sieht, dass der Bedarf, Kurzarbeit anzumelden, branchenabhängig ist, wieso hat sie dann im Rahmen der Anschlussregelung nicht ermöglicht, dass entsprechend entschieden werden kann: dass eine Branche, die Kurzarbeit braucht, diese bekommt und Branchen, die sie nicht brauchen - zum Beispiel, wie Sie selbst gesagt haben, das Gesundheitswesen -, keine Genehmigung für zwei Jahre Kurzarbeit bekommen?

Dr. Franz Josef Jung (Minister:in)

Politiker ID: 11003781

Frau Kollegin, wo Kurzarbeit nicht zwingend notwendig ist, wird sie gar nicht beantragt; denn Kurzarbeit kostet, wie ich gerade gesagt habe, sowohl die Betriebe als auch die Arbeitnehmer etwas. Umsonst ist Kurzarbeit jedenfalls nicht. Deshalb glaube ich, dass Kurzarbeit nicht beantragt wird, wenn das nicht geboten ist. Es kommt auf die entsprechende Notwendigkeit an. Letztlich - das ist doch das Ziel, das man nicht aus dem Auge verlieren darf - geht es darum, einen Beitrag zu leisten, dass die Menschen in Arbeit bleiben und nicht in die Arbeitslosigkeit geschickt werden. Ich denke, das sollte unser gemeinsames Interesse sein. Ein entscheidender Faktor dafür, dass wir durch diese größte Wirtschafts- und Finanzkrise, die die Bundesrepublik Deutschland je erlebt hat, bisher, was den Arbeitsmarkt anbetrifft, einigermaßen robust durchgekommen sind, ist neben anderen Faktoren die Kurzarbeit. Deshalb halte ich es für geboten, dass wir, weil wir durch das Tal noch nicht hindurch sind, den Zeitraum, für den man Kurzarbeit anmelden kann, auf 18 Monate festlegen. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Weitere Fragen zu diesem Themenbereich liegen mir nicht vor. Gibt es Fragen zu anderen Themenbereichen der heutigen Kabinettssitzung? - Bitte.

Martin Dörmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003517, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Der hier anwesende Staatssekretär Otto hat laut Tickermeldungen die beabsichtigte Einflussnahme des Ministerpräsidenten Koch auf die am Freitag anstehende Entscheidung über die Neubesetzung des Chefredakteurpostens beim ZDF zu Recht kritisiert. Daran schließen sich meine Fragen an, ob die Bundesregierung diese Bewertung teilt, denn aus unserer Sicht wird dadurch die Unabhängigkeit des öffentlichrechtlichen Rundfunks insgesamt in der Tat infrage gestellt, und welche konkreten Maßnahmen seitens der Kanzlerin und seitens des Beauftragten für Kultur und Medien ergriffen worden sind oder ergriffen werden, um einen solchen Sündenfall zu verhindern, zumal der Staatsminister im Verwaltungsrat ja auch mit Sitz und Stimme vertreten ist.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Zur Beantwortung steht der Staatsminister bei der Bundeskanzlerin Eckart von Klaeden zur Verfügung, der auch für die Bund-Länder-Koordination zuständig ist. Sie haben das Wort.

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Herr Kollege, ungeachtet der Wertungen in Ihrer Frage kann ich Ihnen mitteilen, dass der von Ihnen angesprochene Sachverhalt in der Kabinettssitzung keine Rolle gespielt hat. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Gibt es darüber hinaus sonstige Fragen an die Bundesregierung? - Herr Kollege Oppermann.

Thomas Oppermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003820, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Staatsminister von Klaeden, mit der Antwort kann man sich nicht zufriedengeben. Die Bundesregierung ist ja auch für die Einhaltung der Verfassung und die Respektierung der Rundfunkfreiheit in Deutschland zuständig und verantwortlich. Deshalb frage ich: Welche Haltung hat die Bundesregierung in dieser Frage?

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Herr Kollege Oppermann, bei aller persönlichen Wertschätzung: Ihnen als erstem Geschäftsführer Ihrer Fraktion sollte doch die Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages geläufig sein. Darin steht, dass in der Regierungsbefragung nach Sachverhalten gefragt wird, die in der Kabinettssitzung eine Rolle gespielt haben. Es ist Ihnen unbenommen, dringliche Fragen oder Fragen an die Bundesregierung zu stellen. Wenn Sie die Antwort auf diese Frage so sehr interessiert, dann können wir sie gerne in der nächsten Fragestunde beantworten.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Die letzte Frage, die in der jetzigen Regierungsbefragung eine Rolle spielt, stellt der Kollege Wolfgang Gehrcke.

Wolfgang Gehrcke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003130, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Staatsminister von Klaeden, man muss sich ja erst einmal an Ihre neue Rolle gewöhnen; das gebe ich zu. Ich frage Sie auch nicht nach der Außenpolitik. Darauf dürften Sie ja nicht antworten. Das hat sich jemand anderes vorbehalten. Meinen Sie nicht, dass sich die Bundesregierung mit diesem Vorgang in Hessen beschäftigen muss, da Herr Koch in einem Aufruf von 25 Intellektuellen hinsichtlich seiner Haltung zu den Medien mit Herrn Berlusconi verglichen wird? Ich halte das für einen ernsten Vorgang. Damit müsste sich das Kabinett eigentlich auseinandersetzen.

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Herr Kollege Gehrcke, zunächst einmal darf ich mich zu allen Fragen äußern, die in der Kabinettssitzung eine Rolle gespielt haben. Ich wiederhole, dass der von Ihnen angesprochene Sachverhalt nicht zu diesen gehört, und ich bitte doch um Verständnis dafür, dass sich die Bundesregierung an die Geschäftsordnung hält, die sich das Parlament selbst gegeben hat. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Es ist der Bundesregierung unbenommen, zu entscheiden, was sie beantwortet. Richtig ist aber: In unserer Geschäftsordnung steht, dass in der Regierungsbefragung zuerst ein Mitglied der Bundesregierung fünf Minuten lang zu einem selbst gewählten Thema vorträgt, dass dann vorrangig Fragen dazu gestellt werden und an328 Vizepräsidentin Petra Pau schließend nach weiteren Themen der an diesem Tag stattgefundenen Kabinettssitzung gefragt werden kann. Ich hatte, weil das in unserer Geschäftsordnung vorgesehen ist, ausdrücklich danach gefragt, ob es sonstige Fragen an die Bundesregierung gibt. Das war eine solche sonstige Frage. Das heißt natürlich noch lange nicht, dass die Bundesregierung die Frage sozusagen zur Zufriedenheit der Fragesteller beantworten muss. Das liegt dann in ihrem Ermessen. Eine weitere Frage ist in diesem Bereich jetzt nicht mehr möglich, Kollege Beck. Ich beende die Regierungsbefragung und rufe Tagesordnungspunkt 2 auf: Fragestunde ({0}) - Drucksachen 17/48, 17/54 Zu Beginn der Fragestunde rufe ich gemäß Nr. 10 Abs. 2 der Richtlinien für die Fragestunde die dringliche Frage auf Drucksache 17/54 des Kollegen Volker Beck auf: Welches Land hat für den Hasssänger Sizzla alias Miguel Collins ein Visum ({1}) ausgestellt, und warum wird die Einreise nach Deutschland oder in den SchengenRaum anders als nach Großbritannien nicht verhindert, obwohl Sizzla 2008 im Schengen-Informationssystem zur Nichteinreise ({2}) ausgeschrieben wurde und entsprechend die Einreise nach Deutschland dann auch misslang? Sie betrifft den Geschäftsbereich des Bundesministeriums des Innern. Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Ole Schröder zur Verfügung. - Bitte, Herr Staatssekretär.

Dr. Ole Schröder (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003628

Die Französische Republik hat Herrn Collins am 23. September 2009 ein Schengen-Visum erteilt. Für den Zeitraum ab dem 9. Oktober 2009 waren und sind zahlreiche Auftritte von Herrn Collins in verschiedenen europäischen Staaten vorgesehen. Die Zuständigkeit für allgemeinpolizeiliche und ordnungsbehördliche Maßnahmen im Zusammenhang mit Konzertveranstaltungen liegt bei den Ländern. Daher hat das Bundesministerium des Innern die Innenressorts der betreffenden Länder nochmals gebeten, notfalls durch ordnungsbehördliche Maßnahmen sicherzustellen, dass kein strafbewehrtes Liedgut vorgetragen wird. Dadurch werden die Belange der öffentlichen Sicherheit auch weiterhin angemessen gewahrt. Das Bundesministerium des Innern wird die Wirksamkeit dieser Maßnahmen genau beobachten. Auch ist zu berücksichtigen, dass Herr Collins den Reggae Compassionate Act, eine Art freiwillige Grundsatzerklärung der Reggae-Repräsentanten, für einen respektvollen und toleranten Umgang unterzeichnet hat und polizeilichen Erkenntnissen bei zurückliegenden Konzerten unter anderem in Budapest und Den Haag im Jahr 2008 zufolge keine Liedtexte mit strafrechtlich relevantem Inhalt bekannt geworden sind. Ich bitte auch um Verständnis, dass die Bundesregierung zu Einzelmaßnahmen der Länder nicht Stellung nehmen kann.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage, Kollege Beck.

Volker Beck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002625, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin, würden Sie mir noch eine Bemerkung zu dem vorigen Vorgang gestatten? In der Anlage 7 unserer Geschäftsordnung ist zur Befragung der Bundesregierung eindeutig geregelt, dass die Bundesregierung zu Fragen von aktuellem Interesse im Rahmen ihrer Verantwortlichkeit Rede und Antwort steht und nur vorrangig zur vorangegangenen Kabinettsitzung. Das heißt, wenn die Fragen vom Parlament nicht vorrangig gestellt werden, dann werden nachrangig üblicherweise auch die Materien behandelt, die das Parlament nachrangig interessieren. Das ist von unserer Geschäftsordnung gedeckt. Das ist keine Kritik an Ihnen, Frau Präsidentin, sondern eher an der Antwort oder Nichtantwort der Regierung.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Dies hatte ich auch gerade eben klargestellt für die Bundesregierung wie auch für die neuen Kolleginnen und Kollegen. Denn viele Kolleginnen und Kollegen sind heute in einer Premierensituation.

Volker Beck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002625, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Genau.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Jetzt bitte Ihre Nachfrage, Kollege Beck.

Volker Beck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002625, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Es ist richtig, Herr Staatssekretär, dass der ReggaeSänger Sizzla den Reggae Compassionate Act im April 2007 unterschrieben hat. Er hat sich danach bei mehreren Auftritten auch in Europa erneut homophob geäußert, in Jamaika die Unterzeichnung des Reggae Compassionate Act bestritten und ein neues Lied „Nah Apologize“ - „don’t apologize to no batty-boy“, wie es darin auf Patois heißt - gesungen, in dem an vier Stellen zum Mord an Homosexuellen aufgerufen wird. Dieses Lied ist nach der Unterzeichnung geschrieben worden. Es ist an verschiedenen Stellen auf YouTube abrufbar. Ich habe vorhin die entsprechenden Stellen als Links ans Ministerium geschickt. Ich frage Sie, ob die Bundesregierung bereit wäre, aufgrund dieses Sachverhaltes zu prüfen, dass wie im Jahr 2008 Herr Collins alias Sizzla erneut im SchengenInformationssystem zur Nichteinreise ausgeschrieben wird. Denn ich finde, es bringt nichts, wenn jemand zwar hier keine Mordaufrufe singt, aber dort damit weitermacht, wo es wie in Jamaica zu realen Morden führt. Ich glaube, wir alle würden doch auch nicht akzeptieren, dass uns ein Holocaust-Leugner verspricht, bei seinem Auftritt in Deutschland nur über den Ersten Weltkrieg zu sprechen, statt den Holocaust zu leugnen. Es muss Regeln geben, wie wir mit Leuten umgehen, die zu Mord und Gewalt gegen Minderheiten aufrufen. Ich finde, solche Leute haben in unserem Land nichts verloren.

Dr. Ole Schröder (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003628

Wir sind uns völlig einig, dass jede Form von Hassgesang und Hasspredigten in unserem Land nichts zu suchen haben, unabhängig gegen wen, ob gegen Homosexuelle, gegen Frauen, in welcher Form auch immer. Wir sind an die uns vorliegenden Informationen gebunden. Denn wir leben in einem Rechtsstaat. Dieser Rechtsstaat gilt für alle. Deshalb müssen wir auch das Prinzip der Verhältnismäßigkeit berücksichtigen. Eine Ausschreibung im Schengener Informationssystem bedeutet, dass der Betroffene auch keine privaten Reisen durchführen darf. Wir stehen in sehr engem Kontakt mit verschiedenen Ländern und beobachten genau, welche Lieder dieser Sänger singt. Wir sind dankbar für jeden Hinweis, der dazu führen kann, dass wir eine solche Person im Schengener Informationssystem ausschreiben, um Straftaten in Deutschland zu verhindern.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sie haben das Wort zu einer zweiten Nachfrage.

Volker Beck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002625, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Welcher Umstand oder neue Aspekt hat eigentlich dazu geführt, dass die Daten von Herrn Sizzla, nachdem er 2008, also nach seiner berühmt-berüchtigten Unterschrift, im Schengener Informationssystem erfasst war, offensichtlich 2009 herausgenommen wurden? Er hat seitdem nichts widerrufen, und es ist auch kein neuer Gesichtspunkt aufgetaucht. Er hat vielmehr in schöner Regelmäßigkeit weiter seine Mordaufrufe in Jamaika gesungen. Deshalb ist mir das administrative Handeln, das die Herausnahme aus dem Schengener Informationssystem bewirkt hat, nicht verständlich. Ich hatte die Ehre, mit Otto Schily, Herrn Müller und anderen an den Zuwanderungsverhandlungen teilzunehmen. Damals gab es über alle Parteigrenzen hinweg den Konsens, dass Hassprediger und Hasssänger hier in Deutschland nichts verloren haben und dass wir sogar versuchen, solche Personen außer Landes zu bringen, obwohl sie ein Aufenthaltsrecht haben. Umso mehr müsste man verhindern, dass Personen, die keinen Aufenthaltsstatus und keine Rechte, die sich aus einem solchen Status ableiten lassen, besitzen, mit einem Visum einreisen.

Dr. Ole Schröder (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003628

Ich habe bereits vorgetragen, dass nach den hiesigen Erkenntnissen im Jahr 2008 in Budapest und Den Haag keine Liedtexte mit strafrechtlich relevanten Inhalten bekannt geworden sind. Daraufhin ist die Ausschreibung im Schengener Informationssystem offensichtlich nicht verlängert worden. Solche Ausschreibungen erfolgen immer nur befristet. Nun geht es darum, dass wir das Ganze weiter beobachten, um Informationen und Anhaltspunkte zu bekommen, die es nach unseren rechtsstaatlichen Prinzipien rechtfertigen, erneut eine solche Ausschreibung vorzunehmen.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Es gibt noch eine Nachfrage des Kollegen Josef Winkler.

Josef Philip Winkler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003660, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Herr Staatssekretär, mir stellt sich folgende Frage: Muss in die Bewertung nicht einfließen, dass jemand, der in seinem Liedgut zu Straftaten aufruft, in Deutschland eine Straftat begehen würde, wenn er es hier täte, und wäre das nicht visumsrelevant? Herr Kollege Beck hat darauf hingewiesen, dass auch die aktuellen Liedtexte dieses Sängers, die nach 2007 veröffentlicht wurden, Mordaufrufe enthalten. Damit ist doch die Wahrscheinlichkeit hinreichend gegeben, dass er solche Liedtexte auch auf seiner Tournee in Deutschland singt. Allein der Hinweis, dass er das bisher auf anderen Konzerten in Europa nicht getan hat, erhöht nicht die Wahrscheinlichkeit, dass er das auch in Deutschland nicht tut.

Dr. Ole Schröder (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003628

Ich möchte jetzt nicht diesen Einzelfall en detail durchdeklinieren. Dazu müssten wir sämtliche Informationen haben. Wir müssen aufpassen, dass wir das Recht auf informationelle Selbstbestimmung beachten. Wenn sich jemand in der Vergangenheit an die Gesetze in Europa gehalten und solche Liedtexte nicht gesungen hat, dann ist das ein allgemeiner Anhaltspunkt dafür, dass er das auch zukünftig nicht tun wird. Umgekehrt gilt auch: Wenn jemand solche Platten aufnimmt, dann ist das ein Anhaltspunkt dafür, dass er sich unter Umständen nicht an die Gesetze hält. Das muss abgewogen werden. Es geht hier um eine Einzelfallentscheidung. Noch einmal: Die Einstellung in das Schengener Informationssystem ist ein sehr weitreichender Schritt. Das gilt nicht nur für Konzertreisen, sondern für alle privaten Reisen. Deshalb muss genau beachtet werden, ob das verhältnismäßig ist oder nicht. Ich finde, wir sollten diese Diskussion in allen Bereichen führen. Das gilt für alle Hassprediger, für alle Hasssänger. Schauen Sie sich an, was nicht nur in manchen Reggaetexten, sondern vor allen Dingen auch in manch anderen Texten steht. Wir sollten zukünftig viele Bereiche beobachten, nicht nur Reggaemusiker, sondern auch andere Musiker, die in ihren Texten beispielsweise zur Gewalt gegen Frauen aufrufen. Wir sollten insgesamt die Diskussion darüber führen, welche Maßstäbe hierfür gelten und zu welchen Konsequenzen das führen muss.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ich danke dem Herrn Staatssekretär für die Beantwortung der dringlichen Frage. Nachdem die dringliche Frage aufgerufen und beantwortet worden ist, rufe ich jetzt die Fragen auf Drucksache 17/48 in der üblichen Reihenfolge auf. Die Frage 1 des Kollegen Volker Beck ({0}) zur Benennung von Erika Steinbach als Stiftungsratsmitglied Vizepräsidentin Petra Pau der Stiftung „Flucht, Vertreibung, Versöhnung“ wird schriftlich beantwortet. Das entspricht Nr. 2 Abs. 2 unserer Richtlinien für die Fragestunde. Das heißt, dieses Thema wird in einem anderen Tagesordnungspunkt der Sitzungswoche behandelt. Wir kommen damit zum Geschäftsbereich des Auswärtigen Amts. Zur Beantwortung der Fragen steht die Staatsministerin Cornelia Pieper zur Verfügung. Ich rufe die Frage 2 des Kollegen Wolfgang Gehrcke auf: Wird die Bundesregierung bei der gemeinsamen deutschisraelischen Kabinettssitzung am Montag, dem 30. November 2009, die israelische Regierung nachhaltig zu einem Baustopp in den besetzten palästinensischen Gebieten auffordern? Bitte, Frau Staatsministerin.

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Bei Begegnungen mit israelischen Regierungsmitgliedern, so auch am 30. November 2009, wenn die zweiten deutsch-israelischen Regierungskonsultationen, wie Sie wissen, in Berlin stattfinden, stehen im Rahmen des Nahostfriedensprozesses diese Fragen ständig auf der Tagesordnung. Zuletzt war dies der Fall bei dem Gespräch von Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel mit Ministerpräsident Netanjahu am 27. August 2009 in Berlin sowie bei den Gesprächen des Bundesministers des Auswärtigen, Dr. Guido Westerwelle, bei seinem Besuch in Israel am 23./24. November. Die Position der Bundesregierung zum Siedlungsbau ist bekannt und gilt fort. Die Fortsetzung des Siedlungsbaus widerspricht den zwischen den Parteien getroffenen Vereinbarungen und erschwert eine verhandelte Endstatuslösung. Die Bundesregierung und ihre europäischen Partner haben regelmäßig verdeutlicht und werden das auch in Zukunft tun, dass sie die Fortsetzung des Siedlungsbaus ablehnen.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage.

Wolfgang Gehrcke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003130, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herzlichen Dank für Ihre Antwort, Frau Staatsministerin. Ich habe mit Interesse gelesen, dass der Außenminister in Israel gesagt hat, um es wörtlich zu zitieren, dass die Regelungen zum Siedlungsbau Teil der Roadmap bleiben. Das war nie bestritten. Die Roadmap ist abgeschlossen. Die Frage ist, was die Bundesregierung zu tun gedenkt, um Israel zu bewegen, sie einzuhalten. Das ist der Punkt, um den die Auseinandersetzungen gehen.

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Bundesminister Westerwelle hat sich mehrmals dazu geäußert. Er hat unter anderem während seiner Reise auch geäußert, dass es um die Siedlungspolitik gehen wird, die auch Thema der Gespräche der amerikanischen Außenministerin gewesen ist und die natürlich auch in der Nahostpolitik eine große Rolle spielt. Er hat sich zur sogenannten Roadmap für den Nahostfriedensprozess bekannt. Die Roadmap sieht auf dem Weg zum Frieden das Einfrieren der Siedlungsaktivitäten vor. Er hat deutlich gemacht, dass diese Haltung von Deutschland vertreten wird. Die Roadmap ist klar vereinbart. Er hat zum Einfrieren der Siedlungsaktivitäten aufgefordert, und das vertritt er nach außen. Ich glaube, dass die Bundesregierung immer wieder eine ganz klare Haltung auch in den Gesprächen mit der israelischen Regierung zeigt und dass diese nicht anzuzweifeln ist.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sie haben das Wort zu einer zweiten Nachfrage.

Wolfgang Gehrcke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003130, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Ich möchte in diesem Zusammenhang nachfragen, welche Bedeutung die Bundesregierung dem Umstand beimisst, dass der Palästinenserpräsident Abbas erneut für diese Aufgabe kandidiert. Glauben Sie, dass man Herrn Abbas davon überzeugen kann, dass, wenn von Europa faktisch wenig Unterstützung geleistet wird, das ein Schritt ist, der notwendige Friedensverhandlungen wieder in Gang bringen kann? Was Sie gesagt haben, ist: Wir bleiben dabei. - Sie haben aber nicht gesagt, was Sie tun wollen, um Israel dazu zu bringen.

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Gehen Sie davon aus, dass die Bemühungen der Bundesregierung weiterhin darauf ausgerichtet sein werden, dass wir einen schnellen Einstieg in die Friedensverhandlungen bekommen und dass wir dabei alle Aspekte abwägen.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Zu einer weiteren Nachfrage hat der Kollege Rolf Mützenich das Wort.

Dr. Rolf Mützenich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003599, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Frau Staatsministerin, im Zusammenhang mit der Bearbeitung des Nahostkonfliktes stehen wir vor vielen Entscheidungen. Der Außenminister hat soeben Israel und die palästinensischen Gebiete bereist. Vor diesem Hintergrund möchte ich Sie gerne fragen, ob Sie uns möglicherweise über die Reaktionen Israels und der am UNIFIL-Prozess beteiligten Staaten auf die Reise des Außenministers in Kenntnis setzen können. Wie ist darauf reagiert worden, dass die Bundesregierung beabsichtigt, diesen Einsatz nur für die nächsten sechs Monate zu verlängern, wodurch ein Ausstieg Deutschlands bereits vor einer weiteren Verlängerung des Mandats des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen erfolgen würde?

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Ich sage noch einmal: Die Bundesregierung begleitet diese Friedensbemühungen sehr intensiv. Gehen Sie einmal davon aus, dass das auch weiterhin so geschehen wird. Ich kann Ihnen keine konkrete Antwort auf Ihre Frage geben. Ich bin aber gern bereit, sie schriftlich zu beantworten.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Damit kommen wir zur Frage 3 des Kollegen Wolfgang Gehrcke: Wird die Bundesregierung den Umgang mit dem sogenannten Goldstone-Bericht über Menschenrechtsverletzungen im Gazakrieg zu einem Thema bei den deutsch-israelischen Regierungsgesprächen machen? Sie haben das Wort, Frau Staatsministerin.

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Wie bereits in der Antwort auf Frage 2 ausgeführt, Herr Gehrcke, sind bei Begegnungen mit israelischen Regierungsmitgliedern für den Nahostfriedensprozess relevante Fragen selbstverständlich stets Thema. Die Position der Bundesregierung zum Goldstone-Bericht ist bekannt und gilt natürlich fort. Die Bundesregierung hat sich von Beginn an für eine angemessene, ausgewogene Behandlung eingesetzt. Der Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen ist als Auftraggeber des Goldstone-Berichts das geeignete Gremium für eine sorgfältige Aufarbeitung der erhobenen Vorwürfe. Das liegt im Interesse beider Parteien. Dafür setzt sich natürlich auch die Bundesregierung ein.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage.

Wolfgang Gehrcke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003130, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Die Bundesregierung hat sich gegen die Weiterleitung des Goldstone-Berichtes, in dem beiden Konfliktparteien - nicht nur Israel; es ist mir wichtig, das zu betonen Menschenrechtsverletzungen vorgeworfen werden, an die Vollversammlung der Vereinten Nationen ausgesprochen. Könnten Sie dem Parlament erklären, warum die Bundesregierung nicht möchte, dass der Goldstone-Bericht in dieser Ausgewogenheit von der Vollversammlung der Vereinten Nationen diskutiert wird?

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Wie Sie wissen, haben bei dieser Frage nicht nur Deutschland, sondern auch die USA, Italien, Tschechien und die Niederlande mit Nein gestimmt. Nach Auffassung der Bundesregierung ist der Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen als Auftraggeber des Goldstone-Berichts das geeignete Gremium für die Befassung; das habe ich schon gesagt. Vorverurteilungen und dem Weiterverweisen an andere Stellen hat sich die Bundesregierung von Anfang an widersetzt. Nach schwierigen Verhandlungen in New York über einen Textentwurf der palästinensischen Delegation mit dem Ziel, einen für alle Seiten akzeptablen Kompromiss zu finden, berücksichtigte der zur Abstimmung vorgelegte Text weder die Verhandlungsergebnisse noch Kompromissvorschläge verschiedener Parteien. Die erste vorgelegte Version dieses Textes war für die Bundesregierung und andere Mitgliedstaaten nicht akzeptabel. Daher hat die Bundesregierung am 5. November 2009 gemeinsam mit einigen EU-Mitgliedstaaten und den USA die Resolution der Vollversammlung der Vereinten Nationen abgelehnt, die den Goldstone-Bericht indossiert und an den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen weiterverweist.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sie haben das Wort zu einer zweiten Nachfrage.

Wolfgang Gehrcke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003130, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Staatsministerin, können Sie verstehen, dass vor diesem Hintergrund bei der palästinensischen Autorität - nicht bei irgendwelchen Randgruppen - der Wunsch nach einer einseitigen Ausrufung eines palästinensischen Staates wächst, um die Anliegen der Palästinenser, auch rechtlich gesehen, endlich durchsetzen zu können? Wie wird sich die Bundesregierung dazu verhalten?

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Der Bundesaußenminister, Herr Westerwelle, hat sich ganz klar auch während seines Besuches und während des Gesprächs mit Herrn Netanjahu zu einer Zwei-Staaten-Lösung geäußert. Das wissen Sie sicherlich; denn das konnten Sie ja den Medien so entnehmen. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Zu einer weiteren Nachfrage hat der Kollege Rolf Mützenich das Wort.

Dr. Rolf Mützenich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003599, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Im Zusammenhang mit den deutsch-israelischen Regierungskonsultationen, die ja hier angesprochen worden sind, würde ich gerne noch einmal nachfragen, ob Sie sich - weil die Bundeskanzlerin ja gesagt hat, dass der Einsatz im Rahmen des UNIFIL-Mandats im Interesse der israelischen Sicherheit ist, und die Gesprächspartner in Israel uns nahegelegt haben, den Beitrag doch so lange aufrechtzuerhalten, wie das Mandat des Sicherheitsrates gilt - zu einer Korrektur Ihrer Mandatsentscheidung entschließen könnten.

Not found (Gast)

Sie wissen, dass wir zu diesem Thema noch im Deutschen Bundestag debattieren werden. Deswegen will ich an dieser Stelle den Äußerungen des Bundesaußenministers und der Bundeskanzlerin nicht vorgreifen.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Die Fragen 4 und 5 des Kollegen Paul Schäfer werden schriftlich beantwortet. Vizepräsidentin Petra Pau Ich rufe die Frage 6 des Kollegen Tom Koenigs auf: Was gedenkt die Bundesregierung zu tun, um sich für menschenwürdige Haftbedingungen und einen legalen Status der Häftlinge im Militärgefängnis Bagram, Afghanistan, und im neu eingerichteten Gefängnis Parwan, Afghanistan, einzusetzen, und hat die Bundesregierung vor, entsprechende Initiativen im UN-Menschenrechtsrat vorzubringen? Sie haben das Wort, Frau Staatsministerin.

Not found (Gast)

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Ich beantworte die Frage für die Bundesregierung wie folgt: Nach Kenntnis der Bundesregierung beabsichtigt die Regierung der Vereinigten Staaten von Amerika im Zusammenhang mit dem Neubau des Gefängnisses Parwan und der Verlegung der Gefangenen in dieses neue Gefängnis, die bis Ende dieses Jahres abgeschlossen sein soll, Lage und Rechte der Insassen zu verbessern. Die Bundesregierung hat in der Vergangenheit wiederholt gegenüber der US-Administration deutlich gemacht, dass der internationale Terrorismus entschlossen bekämpft werden muss, dabei aber rechtsstaatliche Grundsätze und völkerrechtliche Verpflichtungen eingehalten werden müssen. Diese Haltung wird die Bundesregierung auch weiterhin gegenüber der US-Administration vertreten.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sie haben das Wort zu einer ersten Nachfrage.

Tom Koenigs (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004077, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Staatsministerin, wie steht die Bundesregierung zur Einbeziehung der afghanischen Justiz in die rechtsstaatliche Behandlung von Gefangenen bisher in Bagram und künftig in Parwan?

Not found (Gast)

Die afghanische Regierung hat deutlich gemacht, dass sie in dieser Frage aktiv werden will und sich letztendlich auch verpflichtet sieht, zukünftig diese Aufgabe zu übernehmen. Das ist Ihnen ja bekannt. Ich denke, dass man weiterhin in Gesprächen, auch mit der amerikanischen Regierung, daran arbeiten sollte, das zu vollziehen.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollege Koenigs, Sie haben das Wort zu einer zweiten Frage.

Tom Koenigs (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004077, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Das begrüße ich ausdrücklich. - Glauben Sie, dass sich die Bundesregierung eventuell auch bereit erklären würde, nicht abschiebefähige Häftlinge im Rahmen eines Asylverfahrens zu übernehmen?

Not found (Gast)

Dazu gibt es noch keine Klärung, wie Sie wissen. ({0}) Deswegen kann ich dazu auch keine Aussage machen.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ich rufe die Frage 7 des Kollegen Koenigs auf: Was gedenkt die Bundesregierung zu tun, um der Afghanistan Independent Human Rights Commission, AIHRC, dem High Commissioner for Human Rights und anderen internationalen Menschenrechtsorganisationen Zugang zu den Gefangenen in beiden Gefängnissen zu verschaffen? Sie haben immer noch das Wort, Frau Staatsministerin.

Not found (Gast)

Die Antwort auf die Frage des Kollegen Koenigs lautet: US-Präsident Barack Obama hat den Auftrag erteilt, die Haftbedingungen und die rechtliche Stellung von Terrorverdächtigen in Gefängnissen außerhalb der Vereinigten Staaten von Amerika zu prüfen. Nach Auffassung der Bundesregierung schließt dieser Prüfauftrag auch den Zugang unabhängiger Menschenrechtsorganisationen zu den Gefängnissen ein.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ihre erste Nachfrage.

Tom Koenigs (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004077, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank, Frau Staatsministerin. - Hat die Bundesregierung die Vertreter der USA auch darauf hingewiesen, dass die Afghanistan Independent Human Rights Commission ein Recht darauf hat, die Gefangenen zu besuchen?

Not found (Gast)

In der Tat ist es so, dass es zu den Aufgaben der amerikanischen Regierung gehört, zu prüfen, ob Menschenrechtsorganisationen Zugang zu den Gefangenen haben. Das Internationale Komitee vom Roten Kreuz hat bereits Zugang. Wir sehen es so, dass die Prüfung in unserem Interesse vorankommt.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sie haben das Wort zu einer zweiten Nachfrage.

Tom Koenigs (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004077, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank. - Glauben Sie nicht, dass eine Initiative der Bundesregierung in dieser Angelegenheit einen Beitrag zur Prüfung durch die Regierung der Vereinigten Staaten liefern könnte?

Not found (Gast)

Sie können davon ausgehen, dass die Bundesregierung diesen Vorgang weiterhin aktiv verfolgen wird. Sie hat großes Zutrauen in die Zusagen von Präsident Obama in dieser Sache.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ich rufe die Frage 8 des Kollegen Andrej Hunko auf: Welche Bedeutung misst die Bundesregierung einer fairen und freien Parlamentswahl in Afghanistan im Sommer nächsten Jahres bei? Bitte, Frau Staatsministerin.

Not found (Gast)

Die Durchführung einer demokratischen Parlamentswahl in Afghanistan ist natürlich auch ein zentrales Anliegen der Bundesregierung. Die glaubwürdige Kontrolle der Exekutive kann nur durch ein funktionierendes Parlament gewährleistet werden. Die Verantwortung für Planung, Durchführung und Bereitstellung der notwendigen Sicherheit für die Parlamentswahl liegt bei der afghanischen Regierung. Allerdings wird die internationale Gemeinschaft, wie schon bei den Präsidentschaftsund Provinzratswahlen am 20. August 2009, den Wahlprozess aktiv begleiten und unterstützen. Die Bundesregierung beabsichtigt, dabei selbstverständlich einen substanziellen Beitrag zu leisten.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sie haben das Wort zu einer ersten Nachfrage.

Andrej Hunko (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004060, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank, Frau Staatsministerin. - Sehen Sie denn in Afghanistan die Voraussetzungen für eine faire und freie Parlamentswahl im nächsten Jahr als gegeben an?

Not found (Gast)

Ich sehe sie als gegeben an. Die Bundesregierung wird alles daransetzen, sie mit konkreten Maßnahmen zu unterstützen. Sie wissen, dass sich die Bundesregierung seit 2008 über das Auswärtige Amt und das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung an den Wahlvorbereitungen beteiligt, dass die finanzielle und technische Unterstützung über UNDP/ELECT erfolgt und die Bundesregierung den Wahlprozess 2008 mit 10 Millionen US-Dollar unterstützt hat und ihn 2009 mit 12 Millionen US-Dollar unterstützt. Ich glaube, dass diese Unterstützungsmaßnahmen letztendlich dazu beitragen werden, dass der Demokratisierungsprozess in Afghanistan voranschreitet.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ihre zweite Nachfrage, bitte.

Andrej Hunko (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004060, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank. - Ist die Bundesregierung bereit, die nationale afghanische Armee bei der kommenden Parlamentswahl erneut mit Marder-Schützenpanzern zu unterstützen, wie sie das auch im Vorfeld der Präsidentschaftswahlen im letzten Jahr gemacht hat?

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Die Bundesregierung ist zu den Maßnahmen bereit, die die Sicherheit der Parlamentswahlen gewährleisten. Alle bisherigen Maßnahmen werden auch weiterhin in Betracht gezogen.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Zu einer Nachfrage hat der Kollege Tom Koenigs das Wort.

Tom Koenigs (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004077, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Bei der letzten Wahl hat sich herausgestellt, dass der Vorsitzende der sogenannten Independent Election Commission unfähig ist. Die Bundesregierung wird bei der nächsten Wahl einen finanziellen Beitrag leisten, der wahrscheinlich so groß ist, dass man daran Bedingungen knüpfen kann. Wird die Bundesregierung darauf hinwirken, dass dieser Vorsitzende aus seinem Amt entlassen wird?

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Dazu sind mir keine Bestrebungen der Bundesregierung bekannt.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Eine weitere Nachfrage stellt nun der Kollege Wolfgang Gehrcke.

Wolfgang Gehrcke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003130, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Keine Sorge, es ist die letzte für heute. - Frau Staatsministerin, können Sie dem Parlament vielleicht erklären, auf welche Fakten sich Ihre Beurteilung, dass die Voraussetzungen für freie und faire Wahlen in Afghanistan gegeben seien, nach den gefälschten Präsidentschaftswahlen stützt? Mich würde wirklich interessieren, welche Fakten Sie zu dieser Aussage gebracht haben.

Not found (Gast)

Wie Sie wissen, sind wir an dem Demokratisierungsprozess in Afghanistan sehr interessiert. Es gab sehr intensive Gespräche des Bundesaußenministers bei seinem Besuch in Afghanistan. Wir gehen davon aus, dass die bevorstehenden Wahlen mit der entsprechenden Unterstützung der internationalen Völkergemeinschaft so ablaufen werden, wie ich es Ihnen beschrieben habe und wie es die Bundesregierung begrüßt.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Eine weitere Nachfrage stellt nun der Kollege Jörn Wunderlich.

Jörn Wunderlich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003867, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Staatsministerin, es wurde gerade nach den Fakten gefragt. Fakten haben Sie aber nicht genannt. Sie haben über Vermutungen der Bundesregierung gesprochen. Die Frage lautete aber, welche Fakten den von Ihnen geäußerten Vermutungen zugrunde liegen.

Not found (Gast)

Ich habe Ihnen mehrere Fakten genannt und auch Zitate des Ihnen bekannten Bundesaußenministers Guido Westerwelle hier vorgetragen. Diese müssen Sie einfach zur Kenntnis nehmen. Wir bleiben in der Diskussion über dieses Thema. Gehen Sie davon aus, dass meine Antwort auf Ihre Frage auch die Fakten enthalten hat, nach denen Sie gefragt haben.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Wir kommen damit zur Frage 9 des Kollegen Andrej Hunko: Teilt die Bundesregierung die Einschätzung, dass die neu gefassten Begleitgesetze zum Vertrag von Lissabon lediglich das verfassungsrechtlich geforderte Minimum der Beteiligung des Deutschen Bundestages an Angelegenheiten der Europäischen Union umsetzen? Bitte, Frau Staatsministerin.

Not found (Gast)

Die neu gefassten Begleitgesetze setzen die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts vollständig um, mit dem Ziel, den Bundestag in die Lage zu versetzen, die vom Gericht geforderte „Integrationsverantwortung“ umfassend wahrnehmen zu können. Die im „Integrationsverantwortungsgesetz“ enthaltenen Gesetzes- und Zustimmungsvorbehalte zur Weiterentwicklung des Primärrechts gehen dabei in einzelnen Fällen über die vom Bundesverfassungsgericht formulierten Vorgaben hinaus. Das ist beispielsweise bei den Mitwirkungsrechten vor einer eventuellen Einführung einer gemeinsamen europäischen Verteidigung der Fall. Hier ist ein zusätzlicher Beschluss des Bundestages vor einer Entscheidung im Europäischen Rat erforderlich, damit der deutsche Regierungsvertreter zustimmen kann. Ein weiteres Beispiel - um bei den Fakten zu bleiben -: Im Gesetz über die Zusammenarbeit von Bundesregierung und Bundestag, EUZBBG, wurde der Begriff des „Vorhabens der Europäischen Union“ ausgedehnt, unter anderem im Bereich der gemeinsamen Handelspolitik.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ihre erste Nachfrage, bitte.

Andrej Hunko (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004060, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehen Sie ein Spannungsverhältnis zwischen den Möglichkeiten parlamentarischer Kontrolle, wie sie im Begleitgesetz vorgesehen sind, und den Anforderungen in der Regierungspraxis?

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Ich sehe dieses Spannungsverhältnis. Wir befinden uns ja immer in einem Diskussionsprozess. Ich glaube, das gehört zu einer parlamentarischen Demokratie.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ihre zweite Nachfrage.

Andrej Hunko (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004060, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

In Ihrem Koalitionsvertrag haben Sie geschrieben: Wir werden im Verlauf der Legislaturperiode bewerten, ob die durch die Begleitgesetze eröffneten Möglichkeiten größerer parlamentarischer Kontrolle den Anforderungen der Praxis genügen, und gegebenenfalls entsprechende Initiativen ergreifen. Meine Frage: Ist die Bundesregierung der Auffassung, dass sich die Möglichkeiten parlamentarischer Kontrolle nach den Anforderungen der Praxis zu richten haben?

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Unsere Auffassung dazu haben wir im Koalitionsvertrag ganz klar niedergelegt. Wir glauben, dass es auch im Interesse des Parlaments ist, dass man den Prozess ständig überprüft.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Die Frage 10 der Kollegin Dağdelen wird schriftlich beantwortet. Herzlichen Dank, Frau Staatsministerin. Wir kommen damit zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums des Innern. Zur Beantwortung der Fragen steht der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Ole Schröder zur Verfügung. Ich rufe die Frage 11 des Kollegen Werner Schieder auf: Unter welchen Bedingungen ist die Bundesregierung bereit, dem geplanten Abkommen über die Übermittlung von Finanztransferdaten des Dienstleisters SWIFT an die USA zum Zwecke der Terrorismusfahndung zuzustimmen, und welche Bedeutung kommt dabei dem im Koalitionsvertrag formulierten Ratifizierungsvorbehalt zu? Bitte, Herr Staatssekretär.

Dr. Ole Schröder (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003628

Bei SWIFT handelt es sich um eine privat verfasste Genossenschaft, über die europäische Finanzinstitute ihre Transaktionen abwickeln. Zurzeit wird über ein EUUS-Übereinkommen zur Verarbeitung und Übermittlung dieser Daten an die USA verhandelt. Gegenstand des Abkommens ist die Festlegung von Voraussetzungen für die Übermittlung von Zahlungsverkehrsnachrichten aus Belgien - dort ist der SWIFT-Sitz - oder den Niederlanden - dort ist der SWIFT-Server - an die USA. Es wird danach gefragt, unter welchen Voraussetzungen die Bundesregierung bereit ist, einem SWIFT-Abkommen, über das gerade verhandelt wird, zuzustimmen. Maßgeblich hierfür ist der Koalitionsvertrag. Danach setzt sich die Bundesregierung bei den Verhandlungen für ein hohes Datenschutzniveau und einen effektiven Rechtsschutz ein. Ein automatisierter Zugriff auf SWIFT von außen ist auszuschließen. Die Übermittlung der Daten ist an Tatbestandsvoraussetzungen zu knüpfen und aufgrund einer Bedrohungs- und GefährdungsanaParl. Staatssekretär Dr. Ole Schröder lyse eingegrenzt. Die Menge der zu übermittelnden Daten ist gering zu halten. Das Abkommen ist unter Ratifizierungsvorbehalt zu stellen. Der Ratifizierungsvorbehalt - auch danach ist gefragt worden - bezweckt, dass das Abkommen nur in Kraft tritt, wenn in den Mitgliedstaaten die verfassungsrechtlichen Vorschriften dafür eingehalten werden. In Deutschland wäre dazu ein Vertragsgesetz nach Art. 59 Abs. 2 Satz 1 des Grundgesetzes erforderlich. Ich möchte hinzufügen, dass Deutschland die Verhandlungen nicht selbst führt, sondern die Europäische Kommission zusammen mit der schwedischen Ratspräsidentschaft. Morgen findet eine zusätzliche Verhandlungsrunde im Ausschuss der Ständigen Vertreter statt. Da Deutschland nicht selbst verhandelt, ist es natürlich ausgesprochen schwierig, den jeweiligen Sachstand der Verhandlungen wiederzugeben.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage.

Werner Schieder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004142, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Vielen Dank, Herr Staatssekretär. - Können Sie etwas dazu sagen, ob die Bundesregierung diesem Abkommen zustimmen wird? Mich würde interessieren, welche Folgen es Ihrer Einschätzung nach hätte, wenn die Bundesregierung dem nicht zustimmen würde, bzw. welche weiteren Verfahrensschritte aus Ihrer Sicht dann erforderlich wären.

Dr. Ole Schröder (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003628

Wie gesagt, die Verhandlungen werden noch geführt. Insofern kann die Bundesregierung jetzt noch nicht sagen, ob sie am Montag zustimmen wird oder nicht. Das wird sehr kurzfristig zu entscheiden sein, weil die Verhandlungen noch geführt werden. Das Ziel ist natürlich, ein möglichst hohes datenschutzrechtliches Niveau sicherzustellen, insbesondere in den Vereinigten Staaten von Amerika, wo eine völlig andere datenschutzrechtliche Systematik existiert als bei uns. Jede Speicherung von Daten bedeutet nach unserem Rechtsverständnis einen Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung und bedarf deshalb einer rechtlichen Grundlage. Das wird im amerikanischen Recht völlig anders gesehen. Das bloße Abspeichern von Daten wird im amerikanischen Rechtssystem als Nullum betrachtet. Erst die Abfrage bei einem entsprechenden Verdacht wird nach amerikanischem Rechtsverständnis als Eingriff gewertet. Das Problem ist natürlich, diese völlig unterschiedlichen Rechtssystematiken zusammenzubringen.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ihre zweite Nachfrage, bitte.

Werner Schieder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004142, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, gesetzt den Fall, die Bundesregierung würde am Ende nicht zustimmen - das ist eine hypothetische Frage; aber vielleicht können Sie sie trotzdem beantworten -, welche Verfahrensschritte sind dann nach Ihrer Einschätzung erforderlich, oder welche Folgen hätte das, welche Problemlage würde dann entstehen?

Dr. Ole Schröder (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003628

Zunächst einmal: Es gibt schon jetzt ein Übereinkommen zwischen den Vereinigten Staaten von Amerika und der Europäischen Union über Rechtshilfe. Dieses Übereinkommen sieht schon jetzt vor, dass es in bestimmten Fällen einen Anspruch auf die Übermittlung von Daten gibt. Jetzt muss im Verhandlungswege erörtert werden, welche Folgen ein Abkommen hätte. Das hängt natürlich insbesondere auch davon ab, wie sich die Niederlande und Belgien verhalten; denn diese müssen das EU-Übereinkommen umsetzen. Wie gesagt, die Bundesrepublik Deutschland verhandelt nicht selbst, und sie hat keinen unmittelbaren Einfluss auf die Behörden in Belgien und den Niederlanden, die eine solche Konvention administrativ ausführen müssen.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Zu einer weiteren Nachfrage hat der Kollege Gerold Reichenbach das Wort.

Gerold Reichenbach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003615, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Wie der Presse zu entnehmen war, beabsichtigt das Innenministerium, sich am Montag zu enthalten. Meine Frage ist a): Trifft dies zu? Und b): Gibt es eine abgestimmte Position zwischen dem Innen- und dem Justizministerium, was die Bedingungen für eine Zustimmung oder eine Enthaltung betrifft?

Dr. Ole Schröder (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003628

Der Verhandlungsprozess ist noch im Gange. Deshalb können wir uns auch noch kein abschließendes Urteil erlauben. Wir stehen in engem Kontakt mit den Verhandlungsführern, der schwedischen Ratspräsidentschaft und der Kommission. Natürlich wird es eine Ressortabstimmung geben, sobald das Verhandlungsergebnis feststeht. Das ist völlig normal.

Petra Pau (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003206, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Wir bleiben bei diesem Thema. Ich rufe die Frage 12 des Kollegen Dr. Konstantin von Notz auf: In welcher Form wird sich die Bundesregierung nach den sich als schwierig erwiesenen Verhandlungen über das sogenannte SWIFT-Abkommen zwischen der EU und den USA nun für eine - den innerhalb der EU geltenden datenschutzrechtlichen Standards gerecht werdende - zukünftige Regelung einsetzen, um letztendlich zu verhindern, dass Bankdaten von Bürgerinnen und Bürgern der EU, zum Beispiel durch Weitergabe an Dritte, missbraucht werden könnten? Bitte, Herr Staatssekretär.

Dr. Ole Schröder (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003628

Die Frage hat letztendlich das zum Inhalt, was wir eben angesprochen haben. Die Bundesregierung wird alle ihr nach dem Vertrag von Lissabon zustehenden Einflussmöglichkeiten nutzen, um in einem künftigen Abkommen Regelungen auf dem hohen europäischen Datenschutzniveau zu erreichen, die einen Datenmissbrauch ausschließen.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sie haben das Wort zu einer ersten Nachfrage.

Dr. Konstantin Notz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004123, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Staatssekretär, das steht doch sicherlich auch nach Ihrem Verständnis in offenem Widerspruch zu den Aussagen der Justizministerin, die klar gesagt hat, dass Deutschland dieses Abkommen ablehnen wird.

Dr. Ole Schröder (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003628

Ich habe andere Informationen. Die Verhandlungen sind im Gange. Insofern wird sich auch die Justizministerin, genauso wie die gesamte Bundesregierung, noch kein abschließendes Urteil erlauben. Das ist erst möglich, wenn die Verhandlungen zum Abschluss gekommen sind. Morgen findet, wie gesagt, noch einmal eine Sitzung des Ausschusses der Ständigen Vertreter statt. Während des Wochenendes werden sicherlich noch Gespräche geführt. Dann finden auch noch Gespräche im JI-Rat statt. Jetzt von einer abschließenden Bewertung zu sprechen und zu spekulieren, wäre nicht seriös.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ihre zweite Nachfrage.

Dr. Konstantin Notz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004123, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Erlauben Sie sich denn ein Urteil zu dem gestrigen Beschluss des Europäischen Parlaments? Es verbittet sich darin ausdrücklich, dass es einen Tag vor Inkrafttreten des Lissabon-Vertrags, praktisch auf den letzten Drücker, durch die Hintertür umgangen werden soll, indem man diesen Gesetzentwurf durchschleust.

Dr. Ole Schröder (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003628

Das ist kein Gesetzentwurf, sondern ein völkerrechtlicher Vertrag zwischen den Vereinigten Staaten von Amerika und der Europäischen Union. Von einer Umgehung des Europäischen Parlaments kann überhaupt nicht die Rede sein, weil es sich nur um ein Interimsabkommen handelt. Es wird auch nur über ein Interimsabkommen verhandelt. Natürlich wird das Europäische Parlament entsprechende Verhandlungen aufnehmen und die eigenen Einflussmöglichkeiten geltend machen können. Danach wird es entscheiden, ob nach Auslaufen dieses Interimsabkommens - wenn es denn dazu kommt, das wissen wir noch nicht - ein Nachfolgeabkommen beschlossen wird oder das Interimsabkommen ausläuft. Hier hat das Parlament Mitwirkungsmöglichkeiten. Es dauert eine gewisse Zeit, bis ein solches Abkommen ausverhandelt ist. Deshalb kann von einer Umgehung des Europäischen Parlaments überhaupt nicht die Rede sein.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Zu einer Nachfrage hat der Kollege Gerold Reichenbach das Wort.

Gerold Reichenbach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003615, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Es ist klar, dass man ein Verhandlungsergebnis, das noch nicht vorliegt, nicht beurteilen kann. Aber ich frage noch einmal: Gibt es eine Abstimmung innerhalb der Bundesregierung zwischen dem Justiz- und dem Innenressort darüber, welche Mindeststandards erfüllt sein müssen, um zustimmen zu können?

Dr. Ole Schröder (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003628

Ich habe bereits dargelegt, an welchen Maßstäben wir uns orientieren. Wir orientieren uns am Koalitionsvertrag; dort haben wir das festgelegt. Wir wollen ein größtmögliches datenschutzrechtliches Niveau in den Vereinigten Staaten von Amerika. Das ist unser Ziel. Wichtig ist natürlich auch, dass das hohe datenschutzrechtliche Niveau, das wir in Europa haben, durch ein solches Abkommen auf gar keinen Fall gesenkt wird. Das ist die Zielrichtung, mit der wir verhandeln: das datenschutzrechtliche Niveau in Amerika heben, soweit das angesichts der unterschiedlichen datenschutzrechtlichen Systematiken möglich ist - das habe ich eben erwähnt -, und das datenschutzrechtliche Niveau in Europa, insbesondere auch in Belgien und den Niederlanden, nicht absenken. Ich habe von dem Ratifizierungsvorbehalt gesprochen, der natürlich auch wichtig ist, damit dieses Parlament darüber entscheiden kann und sichergestellt wird, dass durch dieses Abkommen auf gar keinen Fall das datenschutzrechtliche Niveau in Deutschland abgesenkt wird.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Eine weitere Nachfrage stellt nun der Kollege Volker Beck.

Volker Beck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002625, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Da Sie uns auf die Frage des Kollegen von Notz hin nicht die Haltung des Justizministeriums mitteilen konnten, Herr Kollege Schröder, frage ich Sie: Wäre es Ihnen möglich, den jetzt neben Ihnen sitzenden Staatssekretär Stadler kurz zu fragen, ob das Justizministerium dem SWIFT-Abkommen zustimmen will oder es abzulehnen gedenkt? Vielleicht können Sie das kurz machen und Ihre gewonnenen Erkenntnisse dem Haus und mir anschließend mitteilen.

Dr. Ole Schröder (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003628

Der Kollege Stadler wird Ihnen nichts anderes antworten können als ich, nämlich: Die Verhandlungen sind noch im Gange. Insofern wäre das jetzt nur Spekulation. Zu spekulieren, was am Ende ausverhandelt wird, ist mit Sicherheit nicht sinnvoll. Noch einmal: Wir haben das Problem, dass Deutschland die Verhandlungen nicht selbst führt. Die Verhandlung wird von der Europäischen Kommission zusammen mit der schwedischen Ratspräsidentschaft geführt.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Eine weitere Nachfrage stellt nun der Kollege Josef Winkler.

Josef Philip Winkler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003660, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Herr Staatssekretär, gerade ist die Entschließung des Europäischen Parlaments angesprochen worden. Erstens: Haben Sie diese zur Kenntnis genommen? Zweitens: Wie bewertet die Bundesregierung die Tatsache, dass das Europäische Parlament der Ansicht ist, dass die Position des Europäischen Parlaments in den Verhandlungen über ein Dauerabkommen, über das nach dem Interimsabkommen verhandelt wird, deutlich geschwächt ist, wenn es vorher ein zwischen der Kommission und der amerikanischen Regierung vereinbartes Abkommen ad interim gibt?

Dr. Ole Schröder (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003628

Ich finde, das Europäische Parlament hat völlig recht. Ein solches Interimsabkommen darf die Position des Europäischen Parlaments in keiner Weise präjudizieren. Das Europäische Parlament ist völlig frei, dieses Abkommen, wenn es denn zustande kommt - das ist ja überhaupt noch nicht sicher -, zu verlängern, Anpassungen vorzunehmen und seinen Einfluss geltend zu machen, wie es im Lissabonner Vertrag festgeschrieben ist.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Wir sind damit am Ende dieses Geschäftsbereichs. Danke, Herr Staatssekretär. Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Justiz. Zur Beantwortung der Fragen steht der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Max Stadler zur Verfügung. Ich rufe die Frage 13 der Kollegin Caren Lay auf: Plant die Bundesregierung Korrekturen an der nationalen Umsetzung der EU-Zahlungsdiensterichtlinie, um die in den neuen allgemeinen Geschäftsbedingungen vieler Banken verankerte verschuldungsunabhängige Haftung von bis zu 150 Euro Selbstbehalt bei Verlust oder Diebstahl der ECKarte einzuschränken, und welche Ausnahmen beabsichtigt die Bundesregierung insbesondere im Falle von Raubopfern gesetzlich zu fixieren? Bitte, Herr Staatssekretär.

Dr. Max Stadler (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002805

Ich darf die Frage wie folgt beantworten: Tatsächlich gibt es in Deutschland seit kurzer Zeit, nämlich seit dem 31. Oktober 2009, aufgrund der Umsetzung einer EGRichtlinie eine neue Rechtslage für die verschuldensunabhängige Haftung bei missbräuchlicher Nutzung von Zahlungsauthentifizierungsinstrumenten, zum Beispiel von Bankkarten. Demnach kann ein Zahlungsdienstleister nach § 675 v BGB eine Schadensbeteiligung des Karteninhabers bei nichtautorisierten Zahlungsvorgängen verlangen. Diese Beteiligung gilt verschuldensunabhängig bis zu einem Höchstbetrag von 150 Euro, wenn die Zahlungskarte entweder verloren gegangen, gestohlen oder sonst abhanden gekommen ist, und meint immer Vorgänge bis zur Meldung des Verlustes. Das ist wichtig, wie wir gleich sehen werden. Nun haben die Mitgliedstaaten nach Art. 61 Abs. 3 der Zahlungsdiensterichtlinie die Option, den Betrag von 150 Euro herabzusetzen. Der deutsche Gesetzgeber hat jedoch ebenso wie zahlreiche andere EU-Mitgliedstaaten von dieser Option keinen Gebrauch gemacht. Die Bundesregierung hält dies für sachgerecht. Es geht bei dieser Regelung vor allem um die Obliegenheit des Karteninhabers, Schäden zu vermeiden oder die Höhe von Schäden zu begrenzen, also um eine Schadensminderungsobliegenheit. Deswegen soll ein Karteninhaber den Verlust einer Zahlungskarte unverzüglich anzeigen. Damit dafür ein zusätzlicher Anreiz gegeben wird, hat sich der Gesetzgeber entschieden, die in der Richtlinie genannte verschuldensunabhängige Schadensbeteiligung in Höhe von 150 Euro in vollem Umfang zu übernehmen. Diese verschuldensunabhängige Haftung gilt unabhängig von den jeweiligen Fallkonstellationen, weil immer das Grundprinzip zur Geltung gebracht werden soll, dass es einen Anreiz für eine rasche Verlustanzeige gibt. Ich darf noch darauf hinweisen, dass diese 150 Euro eine Maximalvorgabe sind. Es bleibt den Kreditinstituten unbenommen, ihren Kunden günstigere Konditionen einzuräumen. Beispielsweise hat eine der größten Finanzgruppen schon angekündigt, diesen Betrag bei einem Missbrauch der Bankkarte nicht zu erheben, wenn der Kunde sorgfältig mit der Karte und der Geheimzahl umgegangen ist.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sie haben das Wort zu einer ersten Nachfrage.

Caren Lay (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004088, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Staatssekretär, erst einmal herzlichen Dank für die sehr umfangreiche Antwort auf diese Frage, die sehr viele Bankkunden in den letzten Wochen bewegt hat und vor allen Dingen zukünftig bewegen wird, wenn der Fall der verschuldensunabhängigen Haftung beim Verlust der EC-Karte tatsächlich eintritt. Ich muss dennoch nachfragen, ob ich Sie richtig verstanden habe, dass die neue Bundesregierung zunächst nicht plant, die Regelungen der alten Bundesregierung, wie es von den Verbraucherverbänden gefordert wird, dahin gehend zu korrigieren, dass der nationale Handlungsspielraum für Ausnahmeregelungen genutzt wird, die im Einzelfall sogar bis zum Haftungsausschluss führen können.

Dr. Max Stadler (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002805

Sie haben mich völlig richtig verstanden. Grundsätzlich sind wir zur Umsetzung der EG-Richtlinie verpflichtet. Die Option bestand darin, dass man für Ausnahmefälle eine Herabsetzung dieses Betrages von 150 Euro hätte vorsehen können, so wie dies in der Praxis von Kreditinstituten ohnehin praktiziert wird. Im Gesetzgebungsverfahren ist diese Frage ausführlich erörtert worden. Es hat sich die Auffassung durchgesetzt, dass das Grundprinzip, dass mit dieser verschuldensunabhängigen Schadensbeteiligung eine rasche Anzeige des Verlusts herbeigeführt werden soll, auf alle Fallgruppen zutrifft. Dieses Grundprinzip findet seine Rechtfertigung darin, dass der Karteninhaber dazu beitragen soll, dass Schäden erst gar nicht entstehen oder möglichst gemindert werden.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ihre zweite Nachfrage.

Caren Lay (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004088, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank. - Ich möchte Sie weiter fragen, wie Sie mit dieser Prämisse verhindern wollen, dass Kreditinstitute künftig zulasten der Verbraucherinnen und Verbraucher an ihren Sicherheitsvorkehrungen sparen oder eben nicht in diese investieren, weil jetzt nicht mehr allein das Kreditinstitut, sondern verschuldensunabhängig auch die Verbraucherinnen und Verbraucher zur Kasse gebeten werden.

Dr. Max Stadler (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002805

Gleichwohl bleibt es natürlich ein Interesse der Kreditinstitute, selber Vorkehrungen zu treffen, dass solche Schäden nicht eintreten. Es handelt sich hier nur um eine ergänzende Maßnahme, damit der Verbraucher seine Obliegenheit, die ihn nach dem geltenden Recht ohnehin trifft, nämlich den Verlust der Karte rasch anzuzeigen, tatsächlich erfüllt.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Danke, Herr Staatssekretär. Wir kommen damit zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Finanzen. Zur Beantwortung der Fragen steht der Parlamentarische Staatssekretär Hartmut Koschyk zur Verfügung. Ich rufe die Frage 14 der Kollegin Dr. Barbara Höll auf: Welche Schlussfolgerungen zieht die Bundesregierung aus dem Urteil des Bundesfinanzhofs vom 18. Juni 2009 ({0}) zur steuerlichen Behandlung der Kosten des Erststudiums, und welche Konsequenzen und Umsetzung ergeben sich nach Ansicht der Bundesregierung aus dem Urteil?

Hartmut Koschyk (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001186

Frau Präsidentin, ich möchte die Frage der Kollegin Höll wie folgt beantworten: Zunächst möchte ich darauf hinweisen, was die zentrale Aussage der Entscheidung des Bundesfinanzhofs zum Erststudium ist. Der Bundesfinanzhof hat in der von Ihnen nachgefragten Entscheidung deutlich gemacht, dass der Begriff des Erststudiums nun dahin gehend konkretisiert wird, dass Aufwendungen für ein erstmaliges Studium nach einer bereits abgeschlossenen nichtakademischen Berufsausbildung nicht unter das Abzugsverbot fallen. Vielmehr hat er aufgrund des Veranlassungszusammenhangs mit einer späteren beruflichen Tätigkeit einen Abzug dieser Aufwendungen als Werbungskosten in vollem Umfang zugelassen. Frau Kollegin, ich bitte um Verständnis, dass die Bundesregierung die Schlussfolgerungen, nach denen Sie gefragt haben, nicht alleine treffen kann. Da die Besprechungen mit den zuständigen Behörden der Länder noch nicht abgeschlossen sind, können wir noch keine Aussagen über Konsequenzen und Schlussfolgerungen aus dem Urteil machen.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollegin Höll, Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage.

Dr. Barbara Höll (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000921, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Danke für die Antwort, Herr Staatssekretär. Da Sie gesagt haben, dass Sie eigentlich noch nicht antworten können, ist es ein bisschen schwierig, eine Nachfrage zu stellen. Trotzdem möchte ich nachfragen. Ich beziehe mich dabei auf den Umstand, dass sich an dem Sonderausgabenabzug seit 2004 prinzipiell nichts geändert hat, also noch immer eine Deckelung in Höhe von 4 000 Euro besteht. Meines Erachtens besteht auch beim Sonderausgabenabzug, der im Zusammenhang mit den Werbungskosten steht, Änderungsbedarf. Da die Kosten des Studiums in den vergangenen fünf Jahren aufgrund der Einführung von Studiengebühren in verschiedener Form gestiegen sind, sind sie nicht mehr durch einen Betrag von 4 000 Euro abgedeckt. Zudem wissen wir, dass Deutschland im internationalen Vergleich viel zu wenige Studentinnen und Studenten hat.

Hartmut Koschyk (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001186

Frau Kollegin Höll, ich darf in diesem Zusammenhang darauf hinweisen, dass die Koalitionsfraktionen in ihrem Koalitionsvertrag unter dem Stichwort Steuervereinfachung vereinbart haben, die steuerliche Abzugsfähigkeit von Ausbildungskosten neu zu ordnen. Die Frage, die Sie gerade gestellt haben, wird ebenso wie die Frage nach den Konsequenzen aus dem Urteil des Bundesfinanzhofs bei der grundsätzlichen konzeptionellen Ausrichtung, der Neuordnung der Abzugsfähigkeit von Ausbildungskosten zu berücksichtigen sein.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Haben Sie eine zweite Nachfrage?

Dr. Barbara Höll (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000921, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Ich weiß nicht, Herr Staatssekretär, ob Sie auch noch meine Frage 15 beantworten werden.

Hartmut Koschyk (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001186

Natürlich beantworte ich die nächste Frage.

Dr. Barbara Höll (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000921, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Dann verzichte ich jetzt auf eine Nachfrage.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ich rufe die Frage 15 der Kollegin Höll auf: Plant die Bundesregierung eine Neuregelung der steuerlichen Behandlung der Kosten des Erststudiums, und, wenn ja, sieht diese eine einheitliche Behandlung der Kosten für ein Erststudium als Werbungskosten oder generelles Abzugsverbot vor? Herr Staatssekretär, Sie haben weiterhin das Wort.

Hartmut Koschyk (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001186

Frau Kollegin Höll, Ihre Frage reicht in den Teil des Koalitionsvertrags hinein, der eine Neuregelung der steuerlichen Abzugsfähigkeit von Ausbildungskosten vorsieht. Natürlich muss die Entscheidung des Bundesfinanzhofs auch in diesem Zusammenhang bewertet werden; es müssen Konsequenzen daraus gezogen werden. Insofern kann ich heute noch keine abschließende Stellungnahme zu den Planungen der Bundesregierung in diesem Bereich abgeben.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ihre erste Nachfrage.

Dr. Barbara Höll (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000921, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Danke, Herr Staatssekretär. Sie können noch nicht sagen, wann die abschließenden Beratungen stattfinden werden. Können Sie uns eventuell zur Kenntnis geben, mit welchem Zeithorizont Sie planen?

Hartmut Koschyk (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001186

Frau Kollegin, ich weise auch hier darauf hin, dass die Bundesregierung nicht alleine entscheiden kann, welche Konsequenzen aus dem Urteil gezogen werden. Hier ist eine umfassende Abstimmung mit den Finanzministerien der Länder notwendig. Die grundsätzliche Frage der Neuregelung der Abzugsfähigkeit von Ausbildungskosten muss in enger Abstimmung mit anderen Ressorts, zum Beispiel dem Bundesministerium für Bildung und Forschung, geklärt werden. Sie entnehmen den Aussagen des Koalitionsvertrags, dass die Bundesregierung dieses Thema nach meiner Überzeugung in allzu naher Zukunft sehr engagiert in Angriff nehmen wird.

Dr. Barbara Höll (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000921, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Danke, Herr Staatssekretär. - Ich stelle damit fest, dass wir einer Meinung sind, dass es auf alle Fälle Handlungsbedarf gibt, weil für Studentinnen und Studenten momentan nicht durchschaubar ist, wie sie ihre Kosten steuerlich absetzen können, sodass wir erwarten können, dass in Bälde eine Neuregelung zugunsten der Studentinnen und Studenten erfolgt.

Hartmut Koschyk (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001186

Ich darf es noch einmal sagen, Frau Kollegin: Das ist Thema des Koalitionsvertrags. Selbstverständlich ergeben sich aus der von Ihnen angesprochenen Entscheidung des Bundesfinanzhofs Konsequenzen für die Umsetzung - die sieht jeder -; aber die Bundesregierung kann diese Konsequenzen nicht alleine ziehen, sondern nur im Benehmen mit den Ländern, weil die Länder davon ganz entscheidend betroffen sein werden.

Dr. Barbara Höll (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000921, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Danke.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ich rufe die Frage 16 der Kollegin Dr. Dagmar Enkelmann auf: Welche Belastungen bringt die von der Bundesregierung nach der Klausurtagung in Meseberg angekündigte steuerliche Entlastung von 20 Milliarden Euro für 2010 und 2011 jeweils für die Haushalte von Bund, Ländern und Kommunen, und auf welche Weise will die Bundesregierung die steuerlichen Mindereinnahmen insbesondere für finanzschwache Länder sowie für die Kommunen kompensieren? Bitte, Herr Staatssekretär.

Hartmut Koschyk (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001186

Verehrte Frau Kollegin Enkelmann, die Verteilung der Steuermindereinnahmen auf die Gebietskörperschaften erfolgt entsprechend dem grundgesetzlich festgelegten Aufteilungsmaßstab für gemeinschaftliche Steuern. Danach entfallen von der Einkommensteuer jeweils 42,5 Prozent auf Bund und Länder sowie 15 Prozent auf die Kommunen. Den Ausfall beim Solidaritätszuschlag trägt allein der Bund. Bei Steuermindereinnahmen von 20 Milliarden Euro würden sich beispielhaft die nachfolgend dargestellten Auswirkungen ergeben, wobei die Angaben gerundet sind: Es wären 19 Milliarden Euro im Bereich der Einkommensteuer und 1 Milliarde Euro an Solidaritätszuschlag. Diese Ausfälle würden sich wie folgt verteilen: Bund 9,1 Milliarden Euro, Länder 8,1 Milliarden Euro, Gemeinden 2,8 Milliarden Euro. Die von Ihnen gestellte Frage nach einer Kompensation stellt sich wegen der in Art. 106 des Grundgesetzes festgelegten Verteilung der Steuereinnahmen nicht. Über Kompensationen wurde weder in den Koalitionsverhandlungen noch bei der Klausurtagung in Meseberg gesprochen.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage.

Dr. Dagmar Enkelmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000479, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Zunächst einmal: Sie haben die Zahlen selber genannt. Der saarländische Finanzminister und auch Finanzminister anderer Bundesländer sprechen von nichtverkraftbaren Einnahmeausfällen. Ich denke, insofern ist die Frage durchaus berechtigt. Ich kann mich erinnern, dass es in der Geschichte der Bundesrepublik durchaus einen Ausgleich gegeben hat, zum Beispiel durch das Aufkommen der Mehrwertsteuer. Die Frage lautet: Gibt es in der Bundesregierung Überlegungen, diese Einnahmeausfälle zum Beispiel durch ein erhöhtes Aufkommen bei der Mehrwertsteuer auszugleichen?

Hartmut Koschyk (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001186

Derartige Überlegungen gibt es bei der Bundesregierung nicht.

Dr. Dagmar Enkelmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000479, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Noch nicht?

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sie haben eine zweite Frage?

Dr. Dagmar Enkelmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000479, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Das war noch nicht meine zweite Nachfrage; es war sozusagen eine Halbfrage. Erhebliche Kritik vom Handwerk und von den kommunalen Spitzenverbänden gibt es an der Mehrwertsteuersenkung für Hotelübernachtungen. Das ist Ihnen ja nicht ganz unbekannt; das ist ein bayerisches Modell. Der Zentralverband des Deutschen Handwerks fordert in diesem Zusammenhang eine umfassende Reform der Umsatzsteuer. Ich will daran erinnern, dass die Linke in den letzten Jahren unter anderem gefordert hat, zum Beispiel bei Dienstleistungen für Kinder, bei Handwerksdienstleistungen und auch bei Medikamenten die Mehrwertsteuer abzusenken. Die Frage ist: Plant die Bundesregierung, eine solche umfassende Reform der Umsatzsteuer vorzunehmen?

Hartmut Koschyk (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001186

Im Koalitionsvertrag ist vereinbart, Frau Kollegin, dass sich eine Kommission darüber Gedanken machen soll, wie man im Bereich der verschiedenen Mehrwertsteuersätze möglicherweise zu Veränderungen kommt. Jetzt haben die Koalitionsfraktionen im Entwurf des Wachstumsbeschleunigungsgesetzes in einem Bereich eine Änderung vorgeschlagen. Dass es darüber hinaus Diskussionen über die Gestaltung der Mehrwertsteuersätze gibt, ist allgemein bekannt. Diese Diskussionen will die Bundesregierung aufgreifen. Die Vorschläge sollen in einer Kommission erörtert werden.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Zu einer Nachfrage hat die Kollegin Dr. Gesine Lötzsch das Wort.

Dr. Gesine Lötzsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003584, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Herr Staatssekretär, Sie haben gesagt, dass die Einnahmeausfälle für die Länder und Kommunen nicht kompensiert werden sollen. Nun ist es so, dass den Ländern und Kommunen immer mehr Aufgaben übertragen werden. Wir führen jetzt im Zusammenhang mit dem Bildungsstreik die Diskussion darüber, wofür die Länder verantwortlich sind. Ich will zu einem anderen Thema nachfragen. Es gibt einen aktuellen Streit darüber - wir werden am Donnerstag darüber diskutieren -, wie die Kommunen und dann letztlich die Länder die Kosten der Unterkunft finanzieren sollen. Sehen Sie nicht einen Widerspruch darin, dass die Länder Einnahmeausfälle haben, aus Sicht des Bundes aber einen immer größeren Teil der Finanzierung der Daseinsvorsorge übernehmen sollen?

Hartmut Koschyk (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001186

Frau Kollegin Lötzsch, wie Sie wissen, stellt der Bund den Ländern und damit den Kommunen gerade bei den Kosten für Unterkunft in nicht geringer Höhe Leistungen zur Verfügung. Wir sind der Meinung, dass der Schlüssel, den wir zugrunde gelegt haben, angemessen ist. Ich darf in diesem Zusammenhang darauf hinweisen, dass wir in den letzten Jahren immer die Erfahrung machen konnten, dass nicht nur der Bund, sondern auch die Länder und die Kommunen von Wachstumsimpulsen, einem Anziehen der Konjunktur und steigenden Steuereinnahmen der öffentlichen Hand erheblich profitiert haben. ({0}) Frau Kollegin Lötzsch, ich darf Ihnen die Entwicklung der Zahlen in den Jahren 2006, 2007 und 2008 in Erinnerung rufen. Auch in den Jahren 2006, 2007 und 2008 haben sich die Steuereinnahmen von Bund, Ländern und Gemeinden infolge der konjunkturellen Impulse, die die Große Koalition gesetzt hat, und des Anziehens der Konjunktur bis zu einer von niemandem prognostizierten Höhe entwickelt. Selbstverständlich sind die Auswirkungen der Finanzmarktkrise auf die Realwirtschaft jetzt mit Einnahmeverlusten verbunden. Genau deshalb setzt die Bundesregierung mit ihrem Wachstumsbeschleunigungsgesetz, das die Koalitionsfraktionen eingebracht haben, jetzt auf Wachstumsimpulse und auf steigende Steuereinnahmen; sie werden dann auch den Ländern und den Kommunen zugutekommen. ({1})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Zu einer weiteren Nachfrage hat die Kollegin Dr. Barbara Höll das Wort.

Dr. Barbara Höll (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000921, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Staatssekretär, die Proteste von Landesfinanzministern resultieren daraus, dass sie den von Ihrem Haus prognostizierten Zahlen nicht trauen. Bei der geplanten Senkung des Mehrwertsteuersatzes für das Hotel- und Gaststättengewerbe geht die Regierung von Einnahmeausfällen in Höhe von etwa 1 Milliarde Euro aus, Landesfinanzminister sprechen von bis zu 4 Milliarden Euro. Woraus resultiert diese sehr große Diskrepanz der Annahmen? Sind Sie in der Lage, dem Haus kurz zu erDr. Barbara Höll klären, warum Sie wesentlich unter den Annahmen der Landesfinanzminister bleiben?

Hartmut Koschyk (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001186

Frau Kollegin Höll, mir sind derart unterschiedliche Bewertungen von Landesministern nicht bekannt. Ich habe an einer Besprechung von Herrn Bundesminister Schäuble mit Landesfinanzministern teilgenommen. Außerdem habe ich eine Besprechung mit Staatssekretären und Leitern der Steuerabteilungen der Länder geleitet. Auch dort ist über dieses Thema gesprochen worden. Es wurden aber keine Zahlen genannt, die von den Erwartungen, die im Tableau des Wachstumsbeschleunigungsgesetzes zugrunde gelegt sind, derart stark abweichen.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ich rufe die Frage 17 des Kollegen Alexander Bonde auf: Gilt die durch die Verordnung zum Finanzmarktstabilisierungsgesetz festgelegte Begrenzung für Gehalts-, Bonus- und Dividendenzahlungen an Bankmitarbeiter in vom Sonderfonds Finanzmarktstabilisierung durch Eigenkapital oder Risikoübernahmen gestützten Banken für die gesamte Dauer der Stabilisierungsmaßnahmen und für alle Mitarbeiter dieser Banken? Bitte, Herr Staatssekretär.

Hartmut Koschyk (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001186

Herr Kollege Bonde, gemäß § 5 Abs. 2 der Finanzmarktstabilisierungsfonds-Verordnung sollen den Begünstigten von Rekapitalisierungen und Risikoübernahmen nach dem Finanzmarktstabilisierungsfondsgesetz bestimmte Auflagen zu Vergütungssystemen, zur Vergütung von Organmitgliedern und zur Dividendenpolitik aufgegeben werden. Insbesondere soll die Vergütung der Organmitglieder und der Geschäftsleiter auf ein angemessenes Maß begrenzt werden. Der Fonds soll unter anderem darauf hinwirken, dass Organmitglieder keine unangemessene Gesamtvergütung erhalten, wobei eine monetäre Vergütung über 500 000 Euro grundsätzlich als unangemessen gilt. Außerdem sollen für die Dauer der Stabilisierungsmaßnahme keine in das freie Ermessen des Unternehmens gestellten Vergütungsbestandteile einschließlich Bonifikationen, die zu einer unangemessenen Gesamtvergütung führen, gezahlt werden. Der Zusatz „für die Dauer der Stabilisierungsmaßnahme“ ist bei der genannten Bestimmung zur Begrenzung der monetären Vergütung nicht enthalten. Die genannten Bestimmungen gelten, wie erwähnt, nur für Organmitglieder. Darüber hinaus soll den begünstigten Unternehmen aufgegeben werden, die Anreizwirkung und die Angemessenheit der Vergütungssysteme für alle Mitarbeiter zu überprüfen und darauf hinzuwirken, dass sie nicht zur Eingehung unangenehmer Risiken verleiten sollen, sondern an langfristigen und nachhaltigen Zielen ausgerichtet und transparent sind. In diesem Sinne unangemessene Vergütungssysteme oder auch Vergütungsbestandteile sind im Rahmen der zivilrechtlichen Möglichkeiten zu beenden. Im Hinblick auf abhängig Beschäftigte sind aber die Vertragsfreiheit und die Tarifautonomie zu berücksichtigen. Grundsätzlich sollen während der Dauer der Stabilisierungsmaßnahmen auch keine Dividenden gezahlt werden. Über die konkreten Auflagen im Einzelfall und damit auch über deren zeitliche Geltung entscheidet gemäß § 4 Abs. 1 Finanzmarktstabilisierungsfondsgesetz ein interministerieller Lenkungsausschuss unter Berücksichtigung der genannten Sollbestimmungen der Verordnung.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage, Kollege Bonde.

Alexander Bonde (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003509, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Staatssekretär, Sie haben in Ihrer Antwort großen Wert darauf gelegt, dass sich die Einschränkungen nicht zwangsläufig auf die gesamte Dauer der Stabilisierungsmaßnahme beziehen. Gibt es aktuell Fälle, dass Banken bei Rettungsmaßnahmen durch den SoFFin keine Auflagen dieser Art gemacht worden sind oder aber bei der Verlängerung von Maßnahmen geplant ist, Gehaltsobergrenzen und Boni abweichend von den Grundsätzen, die Sie genannt haben, zu regeln?

Hartmut Koschyk (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001186

Mir ist im Moment nicht bekannt, dass Vergütungsfragen bei infrage kommenden Instituten abweichend von den Regelungen, die ich angesprochen habe, geregelt werden sollen.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sie haben das Wort zur zweiten Nachfrage.

Alexander Bonde (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003509, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Wie bewertet die Bundesregierung die bisherige Erfahrung mit den Obergrenzen? Wie steht die Bundesregierung zu einer Ausweitung auf den gesamten Instrumentarienkasten des SoFFin, und weshalb wird dieser Sanktionsmechanismus bei der Übernahme von Bürgschaften bisher nicht ausgeübt?

Hartmut Koschyk (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001186

Herr Kollege, ich darf sagen, dass sich dieses Instrumentarium aus unserer Sicht bewährt hat; es wird auch angewandt. Gegenwärtig überlegt die Bundesregierung nicht, es auszuweiten.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ich rufe die Frage 18 der Kollegin Dr. Gesine Lötzsch auf: Teilt die Bundesregierung die Auffassung vom DeutscheBank-Chef Josef Ackermann, die Gesellschaft müsse akzeptieren, dass der Staat in systemischen Bankenkrisen der Aktionär der letzten Instanz bleibt, und, wenn nein, was will die Bundesregierung unternehmen, damit die Banken nicht weiter die Krisenkosten auf die Bürger abladen können? Bitte, Herr Staatssekretär.

Hartmut Koschyk (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001186

Verehrte Frau Kollegin Lötzsch, der Staat hat in der Finanzkrise nicht wie ein privater Aktionär gehandelt. Es ging weder um Gewinnmaximierung noch um die Rettung von Banken um ihrer selbst willen. Es ging vielmehr um die Wahrung der Stabilität des Finanzsystems, und zwar aus gesamtgesellschaftlicher Verantwortung. Ein stabiles Finanzsystem ist entscheidend für die gesamte Volkswirtschaft sowie für Wohlstand und Arbeitsplätze. Die systemische Bedeutung des Finanzsektors begründet die Verantwortung und das Recht des Staates, den Finanzsektor einer strengen Regulierung und Aufsicht zu unterwerfen. Als Lehre aus der Krise wird es eine deutlich verschärfte Regulierung geben. Vieles wurde bereits angestoßen; aber der Prozess ist noch nicht abgeschlossen. Dieser Prozess kann nicht national geregelt werden. Sie wissen, Frau Kollegin, dass sich die G-20-Staaten mit diesem Sachverhalt beschäftigen. Sie wissen, dass auf der Ebene der Europäischen Union in diesem Zusammenhang eine Reihe von Entscheidungen getroffen worden sind und weitere anstehen. Im Rahmen dieser notwendigen Regulierung ist es ein wichtiges Anliegen, die systemische Bedeutung einzelner Institute zu verringern, um Krisen überhaupt und vor allem eine Abwälzung der Krisenbewältigungskosten auf den Steuerzahler zu vermeiden. Die Möglichkeiten dazu im internationalen, europäischen und nationalen Bereich - auch eine offenere Diskussion darüber im internationalen Bereich - nutzt die Bundesregierung intensiv, Frau Kollegin Lötzsch. Deutschland hat sich beispielsweise erfolgreich dafür eingesetzt, dass dieses Thema international auf der Tagesordnung bleibt. Das Financial Stability Board wird der G 20 im Herbst dieses Jahres einen Bericht dazu vorlegen.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage, Kollegin Lötzsch.

Dr. Gesine Lötzsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003584, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Staatssekretär, Sie haben meine Frage, die ganz konkret auf die Äußerungen von Herrn Ackermann bezogen war, nicht beantwortet. Vielleicht können Sie noch einmal konkretisieren, ob Sie die Auffassung von Herrn Ackermann teilen, dass der Staat - der Steuerzahler, wir alle - immer der Aktionär der letzten Instanz bleibt. Wenn Sie diese Auffassung in Gänze teilen, würde ich gerne ein deutliches Ja hören. Wenn Sie die Auffassung nicht in Gänze teilen, würde ich gerne wissen, wie Sie konkret verhindern wollen, dass sich die Banken dieses Risikos auf Kosten der öffentlichen Hand entledigen.

Hartmut Koschyk (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001186

Frau Kollegin, ich glaube, dass sowohl die Bundeskanzlerin in der letzten Woche auf einem Wirtschaftssymposium einer Tageszeitung hier in Berlin als auch der Bundesfinanzminister bei der großen Zusammenkunft von Bankenvertretern in Frankfurt hinreichend deutlich gemacht haben, wie die Auffassung der Bundesregierung dazu ist.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ihre zweite Nachfrage, bitte.

Dr. Gesine Lötzsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003584, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Herr Staatssekretär, das Problem bei Ihren Antworten besteht darin - das entgeht Ihnen selber ja auch nicht -, dass sie reichlich unkonkret sind. Darum würde ich gerne wissen, welchen konkreten Zeitplan die Bundesregierung hat, um welche konkreten Gesetzentwürfe vorzulegen, um eine Wiederholung dieser Krise zu verhindern. Ich habe all die Reden der Bundeskanzlerin gehört. Sie sagte: Manche Leute haben nichts gelernt. Das darf sich nicht wiederholen. - Welche konkreten Gesetzesvorhaben wollen Sie dem Deutschen Bundestag in welchem Zeitraum vorlegen?

Hartmut Koschyk (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001186

Frau Kollegin, im Koalitionsvertrag sind eine ganze Reihe von Maßnahmen zur Regulierung und Stabilisierung der Finanzmärkte enthalten. In dem Bereich, in dem wir national gefordert sind, wird die Bundesregierung die im Koalitionsvertrag vorgeschlagenen Maßnahmen unverzüglich angehen. Ich darf aber noch einmal darauf hinweisen, dass die Bundesregierung auf diesem Sektor auch international sehr aktiv ist. Der Bundesfinanzminister war extra beim G-20-Finanzministertreffen in St. Andrews in Schottland, wo er dieses Thema auf der Tagesordnung gehalten hat. Über die Umsetzung der national zu treffenden Maßnahmen wird die Bundesregierung und werden die Koalitionsfraktionen zu gegebener Zeit das Parlament durch entsprechende konkrete Gesetzesinitiativen unterrichten.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Wir kommen zur Frage 19 der Kollegin Dr. Gesine Lötzsch: Was hat die Bundesregierung unternommen, um eine internationale Finanztransaktionsteuer einzuführen, und unter welchen Bedingungen ist die Bundesregierung bereit, die von der Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel in ihrer Regierungserklärung angekündigte Börsenumsatzsteuer einzuführen? Bitte, Herr Staatssekretär.

Hartmut Koschyk (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001186

Frau Kollegin, auf Initiative der Bundesregierung hat der G-20-Gipfel der Staats- und Regierungschefs im September dieses Jahres den Internationalen Währungsfonds beauftragt, für den nächsten G-20-Gipfel einen Bericht zur Beteiligung der Finanzwirtschaft an den Kosten, die durch staatliche Eingriffe zur Korrektur des Bankwesens entstehen, vorzubereiten. Die Einführung einer Finanztransaktionsteuer ist ein mögliches Instrument, das allerdings nicht national, sondern nur international abgestimmt unter Einbeziehung der wichtigsten Finanzplätze Wirkung entfaltet. Die Überlegungen der Bundesregierung, aber auch im internationalen Rahmen sind noch nicht abgeschlossen.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage.

Dr. Gesine Lötzsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003584, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Wir alle wissen, die Legislaturperiode ist noch nicht sehr alt. Sie beginnen ja erst mit vielen Dingen. Es ist aber nicht so, dass diese Krise völlig neu ist und man sich nicht vorher schon einige Gedanken hätte machen können, wie man ihr entgegentritt. Ich möchte auf Ihre Antwort eingehen und Sie fragen: Auf welchen Feldern, meinen Sie, könnte die Bundesrepublik Deutschland als eine der größeren Volkswirtschaften dieser Welt mit gutem Beispiel vorangehen? Sie sagen immer, es müsse alles international geleistet werden. Das hört sich gut an; vieles muss international geleistet werden. Wo aber sagen Sie als Bundesregierung: „Hier sind wir Vorbild und entscheiden selbst, ohne uns hinter den anderen zu verstecken“?

Hartmut Koschyk (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001186

Frau Kollegin, ich glaube, man muss hier auch die Diskussionen in den anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union und der G 20 sehr sorgfältig beobachten. Ich erlaube mir, im Hinblick auf die Diskussion über die Einführung einer Finanztransaktionsteuer darauf hinzuweisen, dass sich zum Beispiel Österreich und Frankreich dafür ausgesprochen haben, zuletzt auch Großbritannien im Rahmen des Gipfels der G-20-Finanzminister in St. Andrews. Diesen Meinungsbildungsprozess begleitet die Bundesregierung durch bilaterale Beratungen und durch Beratungen im Bereich der europäischen Gremien. Sie wissen aber, dass es auch andere Herangehensweisen gibt. So plant zum Beispiel Schweden für Ende des Jahres 2009 die Einführung einer Stabilitätsabgabe. Diese ist von Finanzinstituten zu entrichten und fließt in einen Sicherungsfonds, aus dem künftig anfallende Kosten zur staatlichen Stützung des Finanzsektors finanziert werden sollen. An diesem Meinungsbildungsprozess auf EU-Ebene, aber auch im G20-Gipfel beteiligt sich die Bundesregierung aktiv. Die Meinungsbildung der Bundesregierung, welcher Königsweg schließlich in dieser Frage beschritten werden soll, ist noch nicht abgeschlossen.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ihre zweite Nachfrage, bitte.

Dr. Gesine Lötzsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003584, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Herr Staatssekretär, Sie haben einige EU-Mitgliedstaaten genannt. Mit welchen EU-Mitgliedstaaten hat denn die Bundesrepublik die größten Übereinstimmungen in der Frage der Einführung oder Nichteinführung einer internationalen Finanztransaktionsteuer? Wer sind dabei Ihre engsten Verbündeten?

Hartmut Koschyk (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001186

Die Diskussion über diesen gesamten Themenkomplex - Abgabe wie in Schweden, Finanztransaktionsteuer, Börsenumsatzsteuer - zeigt, dass es bei allen genannten Bereichen Gründe gibt, die dafür oder dagegen sprechen. Die Meinungsbildung der Bundesregierung, welches der möglichen Instrumente das geeignete ist, ist noch nicht abgeschlossen.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Damit kommen wir zur Frage 20 der Abgeordneten Caren Lay von der Fraktion Die Linke: Wie schätzt die Bundesregierung gerade auch angesichts des aktuellen Massenaustauschs von Kreditkarten das Risiko für Verbraucherinnen und Verbraucher ein, Opfer von Datenmissbrauch zu werden, und welche entsprechenden Maßnahmen für den Verbraucherschutz plant die Bundesregierung, um ähnliche Vorgänge künftig zu verhindern?

Hartmut Koschyk (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001186

Herzlichen Dank, Herr Präsident. - Frau Kollegin, die Polizeiliche Kriminalstatistik 2008 weist insgesamt 7 940 Betrugsfälle mittels Kreditkarten auf. Die Zahl der Betrugsfälle bei der Nutzung von Kreditkarten bewegte sich in den Vorjahren auf einem ähnlichen Niveau. Aktuelle Zahlen für das Jahr 2009 liegen noch nicht vor. Dennoch lässt sich angesichts von mehr als 20 Millionen Kreditkarten, die von deutschen Kreditinstituten ausgegeben worden sind, die Aussage treffen, dass nur bei einer geringen Zahl von Fällen die Daten von Kreditkarteninhabern missbraucht worden sind. Obwohl die tatsächlichen Schadensfälle gering sind, ist es erforderlich, dass Banken und Zahlungsinstitute ebenso wie Kartennutzer die notwendigen Vorsichtsmaßnahmen bei der Nutzung der Kreditkarte und bei Zahlungen mittels Karte treffen, um kriminelle Zugriffe auf Karteninformationen und daraus resultierende Schäden zu verhindern. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt steht zwar noch nicht fest, dass im Zusammenhang mit dem aktuell von europäischen Banken durchgeführten Austausch von Kreditkarten ein krimineller Angriff tatsächlich stattgefunden hat; der Fall - darüber sind wir uns sicherlich einig, Frau Kollegin - zeigt aber deutlich, dass durch eine weiter verbreitete Kartennutzung und die zunehmende Zwischenschaltung von Dienstleistern bei der Abwicklung von Kreditkartenzahlungen die Risiken zugenommen haben. Bereits nach geltendem Recht sind Kreditinstitute verpflichtet, zur Verhinderung betrügerischer Handlungen angemessene geschäfts- und vor allem kundenbezo344 gene Sicherheitssysteme zu schaffen, diese zu aktualisieren und zu kontrollieren. Das Bundesministerium der Finanzen hat die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht aber auch im Lichte des jüngsten Falles aufgefordert, ihre aufsichtsrechtlichen Anforderungen an die institutsinternen Sicherungsmaßnahmen gegen Finanzbetrug zu verstärken. Zusätzliche Maßnahmen, die dem Verbraucherschutz dienen, sind derzeit von der Bundesregierung nicht geplant.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Haben Sie eine Nachfrage, Frau Kollegin? - Bitte schön.

Caren Lay (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004088, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Staatssekretär, zunächst herzlichen Dank für diese Antwort. Ich möchte eine Nachfrage zu den Sicherheitsvorkehrungen stellen, die die Bundesregierung planen könnte. Derzeit wird insbesondere von den Verbraucherverbänden gefordert, nach Vorbild anderer europäischer Länder die sehr betrugsanfälligen Magnetstreifensysteme durch moderne Chipsysteme zu ersetzen. Gibt es seitens der Bundesregierung Planungen, diese Umstellung zu vollziehen?

Hartmut Koschyk (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001186

Ich habe darauf hingewiesen, dass das ein ständiger Prozess ist, der sicherlich zusammen mit den Verbraucherschutzverbänden, aber auch mit den Instituten erfolgt. Wenn zum Beispiel aus den Instituten Vorschläge kommen, wo gesetzgeberisches oder verordnungsgeberisches Handeln notwendig ist, um zu mehr Sicherheitsstandards zu kommen, wird dies sicherlich von der Bundesregierung positiv aufgegriffen. Konkrete Maßnahmen sind aber derzeit nicht geplant. Ich habe aber bereits gesagt, dass wir über die BaFin die Kreditinstitute auffordern werden, ihre institutsinternen Sicherungsmaßnahmen zu verstärken.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Weitere Nachfragen? - Bitte schön.

Caren Lay (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004088, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herzlichen Dank. - Im Zusammenhang mit dem aktuellen Massenumtausch von Kreditkarten geht es auch um Aufklärung, also um die Frage, wie es dazu kommen konnte und wo das Leck war. Viele kritisieren auch die schlechte Informationspolitik der beteiligten Kreditkartenanbieter. Ist die Bundesregierung tätig geworden, um die Aufklärung dieser Vorgänge weiter voranzubringen?

Hartmut Koschyk (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001186

Frau Kollegin, die Bundesregierung ist immer daran interessiert und wirkt mit ihren Möglichkeiten darauf hin, dass die Institute solche Fälle zum Anlass nehmen, für mehr Aufklärung der Verbraucher über ihre Aufbewahrungspflichten zu sorgen, aber auch tätig zu werden, damit in Zukunft solche Fälle verhindert werden.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Vielen Dank. Dann kommen wir zu Frage 21 der Kollegin Cornelia Behm: Welche weiteren Kriterien berücksichtigt die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben, BImA, allgemein bei der Entscheidung über den Verkauf von Flächen, wenn öffentliche Interessen direkt berüht sind, wie beispielsweise am Griebnitzsee in Potsdam, wo die Stadt Potsdam nach Verhandlungen mit der BImA über alle zum Verkauf stehenden Uferflächen einen Preis von 2,6 Millionen Euro geboten hat, aber nach öffentlichem Bekanntwerden dieses Preises jetzt laut Zeitungsberichten ein höheres Kaufangebot eines privaten Bieters eingegangen ist, oder ist in jedem Fall mit dem Verkauf an den Meistbietenden zu rechnen? Bitte, Herr Staatssekretär.

Hartmut Koschyk (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001186

Sehr geehrte Frau Kollegin, neben den gesetzlichen Bestimmungen, an die die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben im Rahmen ihrer Verkaufstätigkeit gebunden ist, zum Beispiel die Bundeshaushaltsordnung, beachtet die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben natürlich im Rahmen von Verkaufsverhandlungen auch den Grundsatz der kaufmännischen Treue. Sie hat daher in dem von Ihnen in Ihrer Frage angesprochenen Fall der Stadt Potsdam die Möglichkeit gegeben, sich zu dem höheren Kaufangebot eines privaten Anbieters für die Uferweggrundstücke am Griebnitzsee zu äußern. Sobald der Bundesanstalt die Stellungnahme der Stadt Potsdam vorliegt, wird sie diese prüfen und dann entscheiden, wie in diesem Fall weiter vorzugehen ist.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Ihre erste Nachfrage, Frau Kollegin Behm.

Cornelia Behm (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003500, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank für die Beantwortung dieser Frage, obwohl die Antwort aus meiner Sicht sehr wenig befriedigend ist. Ich muss deswegen nachfragen - das ist breit durch die Presse gegangen -: Inwieweit sehen Sie in diesem Fall den Vertrauensschutz der Geschäftspartner verletzt, wenn man nun, nachdem mit der Stadt Potsdam bereits langwierige Verhandlungen und Gespräche geführt worden sind und im Ergebnis dieser Verhandlungen ein für beide Seiten akzeptiertes Kaufpreisgutachten erstellt worden ist, sagt: „Äußert euch zu diesem höheren Angebot eines anderen Bieters!“?

Hartmut Koschyk (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001186

Verehrte Frau Kollegin, ich selber habe als Wahlkreisabgeordneter eine Reihe vergleichbarer Fälle erlebt; denn in meinem Wahlkreis ist eine Reihe von Liegenschaften sowohl der amerikanischen Streitkräfte als auch der Bundeswehr aufgelassen worden. In einem solchen Bieterverfahren ist es üblich, dass andere Bieter unabhängig von der Tatsache, dass die BImA Gespräche mit kommunalen Körperschaften führt, die Möglichkeit haben, sich daran zu beteiligen. Ich darf auf meine vorangegangene Antwort verweisen, dass die BImA der Stadt Potsdam die Möglichkeit gegeben hat, sich zu diesem weiteren Angebot zu äußern. Erst wenn die Stellungnahme der Stadt Potsdam vorliegt, wird die BImA entscheiden, wie in dem konkreten Fall weiter verfahren werden soll.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Ihre zweite Nachfrage, Frau Kollegin Behm.

Cornelia Behm (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003500, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank. - Das lässt nun vieles vermuten und veranlasst mich zu einer grundsätzlichen Frage nach der Verkaufspraxis der BImA; denn diese Praxis scheint von dem abzuweichen, was zurzeit zum Beispiel bei der BVVG im Gespräch ist. Dort will man von dem allein geltenden Prinzip des Verkaufs an den Höchstbietenden abgehen. Ich habe mich mit dieser Frage - auch im Hinblick auf die BImA - schon länger befasst. Meine Fraktion hat eine Kleine Anfrage zur Privatisierung von Wald durch die BImA gestellt. In der Antwort der Bundesregierung heißt es unter anderem, dass Verkaufsobjekte grundsätzlich öffentlich angeboten werden und dass grundsätzlich an den höchstbietenden Erwerbsinteressierten veräußert wird. Ein Ausschlussgrund, also eine Ausnahme, wurde genannt, nämlich wenn der potenzielle Käufer entweder rechtsextremistisch ist oder einer verfassungswidrigen Vereinigung angehört. Können Sie mir vielleicht - ich gebe mich auch mit einer schriftlichen Antwort zufrieden - die anderen Ausnahmen von dem Prinzip „grundsätzlich öffentliches Angebot und grundsätzlich Verkauf an den Höchstbietenden“ nennen? Dann könnte man sich in Zukunft vielleicht anders darauf einstellen. Ich will als Letztes noch anfügen, dass ich es nicht für angemessen halte, Gemeingüter, und dazu gehören Felder, Wälder, Wiesen und auch Seen, grundsätzlich an den Höchstbietenden zu verkaufen, weil dann das Gemeinwohlinteresse völlig außen vor bleibt. Wenn die BVVG jetzt noch andere Grundsätze in ihre Verkaufspraxis einbezieht, dann sollte das auch die BImA tun. Wenn Sie uns einen entsprechenden Ausnahmenkatalog nennen können, findet sich vielleicht so etwas darunter.

Hartmut Koschyk (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001186

Frau Kollegin, diesen Katalog der Kriterien, wann vom Höchstgebot abgewichen werden kann, stelle ich Ihnen gerne zur Verfügung. Ich darf Ihnen aber noch einmal von der Erfahrung in meinem Wahlkreis berichten: Ich konnte selber solche Verfahren begleiten, bei denen die BImA am Schluss nicht nach dem Höchstgebot entschieden hat, sondern zum Beispiel im Hinblick auf die kommunale Planungshoheit, die auch in diesem Fall nach meiner Kenntnis gegeben ist, gefragt hat, ob ein Bieter, wenn er zum Zuge kommen würde, überhaupt ein Projekt mit der Immobilie verfolgt, das auch mit der kommunalen Planungshoheit, unter die die Liegenschaft fällt, vereinbar ist. Da sehen Sie schon ein Kriterium. Die BImA verkauft nicht freiweg nach dem Motto: Der Höchstbietende bekommt das, und was mit dem Objekt am Schluss geschieht, ist uns egal. - Gerade wenn es sich um Objekte handelt, bei denen kommunale Planungshoheiten gegeben sind, geht die BImA sehr sensibel vor. Die Ausnahmetatbestände, die Sie erbeten haben, werden wir Ihnen gerne schriftlich zur Verfügung stellen.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Vielen Dank, Herr Staatssekretär. Wir kommen nun zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales. Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär Hans-Joachim Fuchtel zur Verfügung. Ich rufe die Frage 22 der Kollegin Brigitte Pothmer auf: Wie beurteilt die Bundesregierung die Aussage des Parlamentarischen Staatssekretärs beim Bundesminister für Arbeit und Soziales, Dr. Ralf Brauksiepe, auf der Plattform „Abgeordnetenwatch“, die Koalition der CDU/CSU und FDP habe sich für die getrennte Trägerschaft im Zweiten Buch Sozialgesetzbuch, SGB II, entscheiden müssen, weil die SPD eine Verfassungsänderung in diesem Bereich nicht mittragen würde, auch vor dem Hintergrund, dass die Fraktion der CDU/CSU im Deutschen Bundestag am 18. März 2009 selbst erklärt hatte, eine Verfassungsänderung nicht mittragen zu wollen, und dadurch einen ausgehandelten Kompromiss in Sachen Trägerschaft zum Scheitern brachte?

Hans Joachim Fuchtel (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000616

Verehrte Frau Kollegin Pothmer, der Kollege Dr. Brauksiepe wäre heute ganz gerne persönlich hierhergekommen, aber er nimmt an der Arbeits- und Sozialministerkonferenz in Berchtesgaden teil und ist deswegen unabkömmlich. Deswegen darf ich die Frage heute gerne beantworten. Zunächst einmal wurde uns vom Verfassungsgericht eine sehr kurze Frist vorgegeben, die bis zum Ende des Jahres 2010 reicht. Bitte haben Sie deswegen Verständnis, dass wir seitens der Bundesregierung die Diskussion auf die Fragen konzentrieren werden, die den Zielsetzungen der Koalitionsvereinbarung entsprechen und die Lösung der Aufgabe bis zu diesem Zeitpunkt sicherstellen. Ich befürchte, dass Sie damit leben müssen, dass wir nicht in eine lange Diskussion über die Frage eintreten können, ob und unter welchen Bedingungen wer eine bestimmte Lösung mittragen möchte. Ich darf den zarten Hinweis geben, dass neben den hier im Hause vertretenen Fraktionen auch die Länder einer Verfassungsänderung mit Zweidrittelmehrheit zustimmen müssten. Aus diesem Grund ist eine gründliche und schnelle Diskussion notwendig. Die Koalition hat deswegen bereits im Koalitionsvertrag die Weichen gestellt, nämlich die Aufgabenwahrnehmung der Grundsicherung für Arbeitsuchende auf der Grundlage des geltenden Verfassungsrechts und ohne Finanzverschiebungen durchzuführen und neu zu ordnen. Durch die Fokussierung auf die Stärken der Leistungsträger, nämlich der Bundesagentur für Arbeit und der Kommunen, schaffen wir für die Bekämpfung von Langzeitarbeitslosigkeit klare Strukturen und Verantwortlichkeiten im Rahmen der getrennten Aufgabenwahrnehmung. Darüber hinaus entfristen wir die Optionskommunen und schaffen eine Möglichkeit, auf Gebietsreformen zu reagieren. Vor diesem Hintergrund bezieht sich die zitierte Aussage auf die aktuelle Situation des Kollegen, in der ein Zuwarten nicht verantwortbar wäre.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Nachfrage, Frau Kollegin Pothmer.

Brigitte Pothmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003823, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrter Herr Staatssekretär, ich finde, Sie haben meine Frage in keiner Weise beantwortet. Meine Frage lautete, wie Sie zu der Aussage des Herrn Staatssekretär Brauksiepe stehen, dass die CDU/CSU-Fraktion für eine Verfassungsänderung wäre, die von der SPD aber leider torpediert werde. Ich frage dies insbesondere vor dem Hintergrund, dass sich die Länder in diesem Jahr bereit erklärt haben, einer Verfassungsänderung zuzustimmen.

Hans Joachim Fuchtel (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000616

Erstens. Ich kann Ihnen Ihre Empfindungen nicht nehmen, Frau Kollegin. Zum Zweiten möchte ich darauf hinweisen, dass ich hier für die Bundesregierung spreche und die vorliegenden Fragen zu beantworten habe.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Frau Pothmer, Sie haben das Wort zu einer weiteren Nachfrage.

Brigitte Pothmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003823, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Hält die Bundesregierung eine Verfassungsänderung zur Lösung der vom Verfassungsgericht aufgegebenen Problematik für wünschenswert? Schließlich wären mit einer Verfassungsänderung die Weiterführung der Jobcenter sowie die Ausweitung von Optionskommunen und damit die Hilfe aus einer Hand möglich.

Hans Joachim Fuchtel (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000616

Ich kann hier nur wiederholen, was ich schon zuvor gesagt habe: Die Bundesregierung sieht ihre Aufgabe darin, den Koalitionsvertrag umzusetzen. Vorgesehen ist, dies ohne Verfassungsänderung zu tun. Deswegen stellt sich diese Frage für die Bundesregierung gar nicht.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Wir kommen zur Frage 23 der Abgeordneten Pothmer: Ist die Bundesregierung offen dafür, den Fortbestand der Jobcenter und der Optionskommunen zu sichern, wenn neben der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auch die Fraktion der SPD ihre Bereitschaft erneuert, eine dafür notwendige Verfassungsänderung zu tragen, da die geplante getrennte Trägerschaft im SGB II nach Aussage des Parlamentarischen Staatssekretärs beim Bundesminister für Arbeit und Soziales, Dr. Ralf Brauksiepe, wegen des zusätzlichen bürokratischen Aufwands nicht die bevorzugte Lösung sei?

Hans Joachim Fuchtel (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000616

Die Bundesregierung beabsichtigt, die zukünftige Durchführung der Grundsicherung für Arbeitsuchende in Form der eigenständigen, getrennten Aufgabenwahrnehmung der Träger, der Kommunen und der Bundesagentur für Arbeit zu regeln. Daneben beabsichtigt sie, die Optionskommunen dauerhaft rechtlich zu sichern. Ich kann nur wiederholen: Angesichts dieser Vorgaben stellt sich Frage 23 nicht.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Nachfrage, Frau Pothmer.

Brigitte Pothmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003823, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Weiß das eigentlich auch das Mitglied der Bundesregierung, Staatssekretär Brauksiepe?

Hans Joachim Fuchtel (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000616

Der Herr Staatssekretär weiß natürlich, wie der Koalitionsvertrag aussieht. ({0}) Er wird sich in all seiner Arbeit darauf konzentrieren, diesen Vertrag einzuhalten.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Wie ich sehe, gibt es dazu keine Nachfrage mehr. Dann kommen wir zur Frage 24 des Kollegen Markus Kurth: Welche neuen Anforderungen ergeben sich nach Auffassung der Bundesregierung aus dem Art. 6 - Frauen mit Behinderungen - der UN-Behindertenrechtskonvention für den „Bericht der Bundesregierung über die Lage behinderter Menschen und die Entwicklung ihrer Teilhabe“ nach § 66 SGB IX, und wie erklärt die Bundesregierung die - im Vergleich zum „Bericht der Bundesregierung über die Lage behinderter Menschen und die Entwicklung ihrer Teilhabe“ der 15. Wahlperiode - geringe und nicht durchgängige Berücksichtigung der Situation behinderter Frauen im aktuellen „Bericht der Bundesregierung über die Lage behinderter Menschen und die Entwicklung ihrer Teilhabe“ der 16. Wahlperiode?

Hans Joachim Fuchtel (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000616

Herr Kollege Kurth, zunächst möchte ich Ihnen für den sehr frühzeitigen Beginn der Diskussion über diesen Bereich der Behindertenpolitik gleich am Anfang der Legislaturperiode danken. Vor Ihnen steht derjenige Staatssekretär, der im Ministerium für solche Fragen zuständig ist. Ich werde die Umsetzung der UN-Konvention mit großem Nachdruck vorantreiben. Dies möchte ich diesem Hause vorab sagen. Mit Art. 6 Abs. 1 der UN-Behindertenrechtskonvention wird anerkannt, dass Frauen und Mädchen mit Behinderungen mehrfachen Diskriminierungen ausgesetzt sind. Die Vorschrift verpflichtet dazu, die Aufmerksamkeit auf diese spezifischen Benachteiligungen zu richten und ihnen durch entsprechende Maßnahmen entgegenzuwirken. Die besondere Situation behinderter Frauen wird auch im aktuellen Bericht der Bundesregierung, den ich Ihnen gerne nachher noch übergeben kann - noch die vorherige Bundesregierung hat ihn vorgelegt -, dargestellt und analysiert. Darüber hinaus wird die Bundesrepublik in ihrem Staatenbericht zu den jeweiligen Themen Stellung nehmen.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Nachfrage, Herr Kollege Kurth.

Markus Kurth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003578, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank. Jetzt weiß ich, an wen ich mich in der 17. Wahlperiode im Bundesarbeitsministerium wenden kann, wenn ich weiterhin den Eindruck habe, dass möglicherweise ein wesentlicher Bereich, nämlich das Thema „Frauen und Mädchen mit Behinderungen“, nicht ausreichend berücksichtigt wird. Haben Sie denn, Herr Staatssekretär, eine Erklärung dafür, warum im jüngst veröffentlichten Bericht über die Lage von Menschen mit Behinderungen kaum etwas und vor allen Dingen nicht durchgängig über die Lage von Frauen und Mädchen mit Behinderungen steht, wo doch noch im vorherigen Bericht der 15. Wahlperiode bei den Themen „Besondere Hilfebedarfe“ über „Zugang zu Gesundheitsdiensten“ bis hin zur „Beruflichen Rehabilitation“ vielfältige Aspekte der geschlechtsspezifischen Seite angesprochen wurde? Warum ist das diesmal nicht der Fall?

Hans Joachim Fuchtel (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000616

Herr Kollege, dem ist nicht ganz so. Der Bericht ist sehr umfassend. Deswegen war es Ihnen vielleicht nicht möglich gewesen, das alles in der ganzen Tiefe zur Kenntnis zu nehmen. ({0}) Ich habe deswegen als Service der Bundesregierung die Stellen, an denen dazu Stellung genommen wird, schon einmal markiert, damit Ihnen eine entsprechende Lesehilfe zuteil wird. ({1})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Weitere Nachfrage?

Markus Kurth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003578, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Offensichtlich haben wir da teilweise unterschiedliche Auffassungen. Ich bin jedenfalls der Auffassung, dass im vorangegangenen Bericht, dem der 15. Wahlperiode, das Thema „Frauen und Mädchen mit Behinderungen“ systematischer und umfangreicher behandelt worden ist. Hat die Bundesregierung denn vor, im Bericht der 17. Wahlperiode, der in den nächsten Jahren anstehen wird, dieses Thema im Sinne des Gender-Mainstreamings als Querschnittsthema zu berücksichtigen?

Hans Joachim Fuchtel (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000616

Es wird natürlich berücksichtigt werden. - Ich darf noch darauf hinweisen, dass auch das Bundesfamilienministerium hierzu weitere Beiträge geleistet hat, die in Kürze bekannt gegeben und mit in die weitere Arbeit einfließen werden.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Es gibt eine weitere Frage des Kollegen Ilja Seifert. Bitte schön.

Dr. Ilja Seifert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002153, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Kollege Fuchtel, die ursprüngliche Frage war, welche neuen Anforderungen sich für die Bundesregierung aus der UN-Behindertenrechtskonvention ergeben. Die Antwort darauf kann ja nicht darin bestehen, dass Sie jetzt im Bericht markieren, wo was im Bericht steht. Vielmehr müssen Sie uns sagen, was Sie daraus schlussfolgern. Was also muss im richtigen Leben, nicht nur in den Berichten, passieren, dass Frauen und Mädchen mit Behinderungen wenigstens gleiche Chancen haben?

Hans Joachim Fuchtel (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000616

Genau das muss passieren, dass man darauf achtet, dass in allen Lebensbereichen die Chancengleichheit verbessert bzw. wirklich umgesetzt wird.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Wir kommen zur Frage 25 des Kollegen Markus Kurth: Beabsichtigt die Bundesregierung, darauf hinzuwirken, die Zahl der schwerbehinderten Erwerbstätigen als eine wesentliche Kennzahl durch die Bundesagentur für Arbeit statistisch erfassen zu lassen, um somit eine monatliche geschlechtsspezifische Berichterstattung zu ermöglichen - die auch die Datenbasis zur beruflichen Lage behinderter Frauen im „Bericht der Bundesregierung über die Lage behinderter Menschen und die Entwicklung ihrer Teilhabe“ verbessern könnte -, und wie erklärt die Bundesregierung den Umstand, dass gewisse Themen wie die Elternassistenz oder das Projekt „SELBST“ zum § 44 Abs. 1 Nr. 3 SGB IX in dem „Bericht der Bundesregierung über die Lage behinderter Menschen und die Entwicklung ihrer Teilhabe“ der 16. Wahlperiode nicht vorkommen?

Hans Joachim Fuchtel (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000616

Es geht hier ja vor allem um die Frage der Datenbasis, und es wird begehrt, dass noch mehr Berichterstattung darüber erfolgt, und zwar im Rahmen einer monatlichen Berichterstattung. Die Bundesagentur hat weitreichende Daten vorliegen, die sehr spezifisch die Situation schwerbehinderter Menschen in Arbeitslosigkeit und in Beschäftigung erfassen; diese sind geschlechtsspezifisch aufbereitet und heben auch besonders auf die berufliche Lage ab. Diese Daten bieten damit eine gute Informationsgrundlage für Maßnahmen zur Verbesserung der Teilhabe schwerbehinderter Menschen. Dem Wunsch nach einer neuen Informationspflicht mit monatlicher Berichterstattung werden wir nicht nachkommen können. Alle Welt spricht davon, dass Bürokratie abgebaut werden muss. Auch diese Regierung ist angetreten, um Bürokratie abzubauen. Daher werden wir nicht zulassen, dass durch weitere spezifische Befragungen von Unternehmen und Arbeitgebern noch mehr Bürokratie aufgebaut wird. Der aktuelle Bericht der Bundesregierung, der vorhin schon einmal genannt wurde, zeigt ja auch, dass seit 2005 Fortschritte bei der Weiterentwicklung der Teilhabe von Menschen mit Behinderungen gemacht wurden. Ebenso macht er deutlich, welche Herausforderungen hier noch bestehen. Ich darf beispielsweise nochmals auf das Projekt „SELBST - Selbstbewusstsein für behinderte Mädchen und Frauen“ hinweisen. Der Abschlussbericht hierzu ist seit Mai 2009 auf der Homepage des Bundesfamilienministeriums veröffentlicht. Dort wird dieser Fragenkomplex ausführlich behandelt. Ich ermuntere Sie, das auf dieser Homepage nachzulesen.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Nachfrage, Kollege Kurth?

Markus Kurth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003578, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Staatssekretär, Sie sagen, dass die Bundesagentur für Arbeit sehr spezifische Daten erhebt. Sie erhebt aber nicht - das war der Kern meiner Frage - gleichzeitig Daten zu den Merkmalen Geschlecht und Behinderung. Wir wissen also nicht, wie sich die Eingliederungserfolge oder möglicherweise auch -misserfolge der Bundesagentur für Arbeit nach Geschlecht differenziert darstellen. Ich weiß nicht, ob Sie noch andere Zahlen haben, die mir nicht zur Verfügung stehen. In meinen Gesprächen mit Verantwortlichen der Bundesagentur für Arbeit ist mir bislang nicht zugesichert worden, die geschlechtsspezifische Erhebung in Bezug auf behinderte Frauen und Mädchen vorzunehmen. Halten Sie es nicht für notwendig, den möglichen Bürokratieaufwand - es ginge nur um die Erfassung eines zusätzlichen Merkmals und die Effizienz der arbeitsmarktpolitischen Steuerung gegeneinander abzuwägen?

Hans Joachim Fuchtel (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000616

Ich darf wiederholen, dass es schon sehr viele Daten auf dem Markt gibt, dass es sowohl in diesem Hause als auch in der Gesellschaft durchaus das Bewusstsein gibt, dass diesem Fragenkomplex entsprechende Aufmerksamkeit zukommen muss, und dass es deswegen nicht sinnvoll ist, noch tiefer ins Datenmaterial einzudringen. Das beschäftigt Soziologen und sonstige Kommunikationskünstler, hilft aber im wahren Leben nicht. Denn diese Erkenntnisse müssen, wie bereits gesagt, umgesetzt werden. Das kann man bereits jetzt tun; dazu bedarf es keiner weiteren statistischen Erhebungen. Ich mache aber darauf aufmerksam, dass die Bundesagentur für Arbeit eine sehr ausführliche Statistik herausgibt. Es ist quasi ein kleines Buch mit reichem Datenmaterial. Wer sich darin vertieft, wird sehr viele Fragen beantwortet finden. Mehr Statistiken werden uns in Deutschland in diesem Bereich nicht weiterhelfen. Weiterhelfen wird nur ein gesellschaftliches Bewusstsein, das wir gemeinsam schaffen müssen.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Weitere Nachfrage?

Markus Kurth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003578, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ja. - Beabsichtigt die Bundesregierung, zukünftig Gespräche mit Trägern der beruflichen Rehabilitation, mit Integrationsfirmen, Integrationsämtern und Integrationsfachdiensten zu führen, um herauszufinden, dass dieses Datenmaterial nicht nur Soziologen interessiert?

Hans Joachim Fuchtel (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000616

Die Bundesregierung ist mit Sicherheit bereits in der Vergangenheit in diesen Bereichen aktiv gewesen. Ich kann Ihnen für meine Person zusichern, dass ich das mit Nachhaltigkeit tun werde.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Eine Nachfrage des Kollegen Ilja Seifert.

Dr. Ilja Seifert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002153, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Staatssekretär, wenn ich Ihre Antwort richtig verstanden habe, dann betonen Sie ganz besonders, dass es eine wichtige Aufgabe der Bundesregierung sei, Bürokratie abzubauen. Meinen Sie nicht, gerade als Staatssekretär, der sich besonders für Menschen mit Behinderungen zuständig fühlt, dass es viel wichtiger wäre, die Arbeitslosigkeit von schwerbehinderten Frauen und Mädchen abzubauen?

Hans Joachim Fuchtel (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000616

Das ist richtig. Genau das meinte ich: dass wir Beschäftigungsprogramme nicht in der Theorie machen, sondern in der Praxis. Das werden wir tun. Wir werden darauf hinwirken, dass, wenn planmäßig nach zwei Jahren der Staatenbericht erscheint, damit auch ein nationaler Bericht vorgelegt wird. Diese sollen im Laufe der Zeit ein effektives Handbuch ergeben, dem man entnehmen kann, welche Ziele insgesamt bestehen. Dadurch soll für alle Beteiligten eine gute Grundlage geschaffen werden, die es in dieser Art bisher nicht gibt. Dann werden wir auch besser mit den spezifischen Problemen der Behinderten auf dem Arbeitsmarkt umgehen können und mit Sicherheit noch mehr erreichen. An diesem Prozess werden sehr viele beteiligt werden müssen. Diese Aufgabe müssen wir angehen, denn die Behinderten haben ihren Platz mitten in der Gesellschaft.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Wir kommen damit zu Frage 26 der Kollegin Dr. Dagmar Enkelmann: Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms Hält die Bundesregierung mittelfristige jährliche Rentenerhöhungen von im Schnitt 1,6 Prozent, wie sie in dem bei der Klausur in Meseberg gebilligten Entwurf des Rentenversicherungsberichtes vorausberechnet werden, für ausreichend, um die realen Einkommensverluste der Rentnerinnen und Rentner mit den beiden erwarteten Nullrunden in den Jahren 2010 und 2011 auszugleichen, und ist die Bundesregierung bereit, im Interesse der Rentnerinnen und Rentner auf alle Berechnungsfaktoren, die den Anstieg der gesetzlichen Rente dämpfen sollen, künftig zu verzichten?

Hans Joachim Fuchtel (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000616

Diese Frage beantworte ich Ihnen sehr gerne. Denn das eröffnet mir die Möglichkeit, eine Klarstellung vorzunehmen. Im Augenblick wird von einem Teil des Hauses versucht, die Diskussion in eine andere Richtung zu lenken. Deswegen ist es wichtig, das Ganze hier einmal grundsätzlich festzuhalten. Die Renten folgen den Löhnen und nicht der Preisentwicklung. Das ist ein Fundamentalsatz. In der jetzigen Diskussion wird versucht, daran etwas zu ändern. Das kann aber nicht unsere Zustimmung finden. Ob und inwieweit Preissteigerungen rechnerisch zu realen Einkommensverlusten oder -gewinnen führen, ist eine Frage, die sich für Rentner und für Beschäftige gleichermaßen stellt. Das muss auch künftig so sein, wenn wir an dem bisherigen Rentenrecht weiter festhalten wollen, was der Fall ist. Wie sich die Inflationsrate in der Zukunft konkret entwickeln wird, kann nicht verlässlich vorausgesagt werden, weder von der Bundesregierung noch von irgendeiner Fraktion dieses Hauses. Fakt ist: In den vergangenen zwölf Monaten hat sich der Verbraucherindex kaum verändert. Langfristig gesehen sind die Renten seit Einführung der dynamischen Rente im Jahre 1957 - das wird keiner bestreiten können - stärker gestiegen als die Preise. Daher ist es im Umkehrschluss richtig, in der aktuellen Situation nicht von diesem Grundsatz abzuweichen. Die sogenannten Dämpfungsfaktoren stellen die Lohnorientierung der Rente nicht infrage. Mit dem Faktor für die Veränderung des Altersvorsorgeanteils wird sichergestellt, dass die steigenden Aufwendungen der Jüngeren für ihre privaten zusätzlichen Vorsorgen bei der Rentenanpassung berücksichtigt werden. Der Nachhaltigkeitsfaktor erfasst Veränderungen des zahlenmäßigen Verhältnisses von Rentnern zu Beitragszahlern. Dies ist wichtig, um eine generationengerechte Verteilung der mit einer älter werdenden Gesellschaft verbundenen Ausgaben zu gewährleisten. Klar ist: Eine Abschaffung der Dämpfungsfaktoren würde die Beitragszahler zusätzlich belasten und die Lohnersatzkosten erhöhen. Das kann nicht gewünscht sein.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Nachfrage, Frau Enkelmann?

Dr. Dagmar Enkelmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000479, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Ja, eine Nachfrage. - Sie haben sehr richtig beschrieben, dass mit den Kürzungen mittels der Dämpfungsfaktoren der Grundsatz von der Angleichung an die Lohnentwicklung letztendlich fallen gelassen worden ist, und zwar aus rein politischen Gründen. Wir wissen sehr wohl, dass es immer mehr Rentnerinnen und Rentner geben wird, die künftig auf die Grundsicherung angewiesen sind, weil ihnen das, was sie aus der gesetzlichen Rentenversicherung bekommen, nicht für die Bestreitung ihres Lebensunterhalts reicht. Deshalb meine Nachfrage: Welche Schlussfolgerung zieht die Bundesregierung daraus für eine künftige Rentenreform, mit der zum Beispiel gesichert wird, dass sämtliche Einkommen für die Rentenversicherung herangezogen werden? Es sollen also nicht mehr nur für die Arbeitseinkommen, sondern auch für die Einnahmen aus Pacht und Vermietung Rentenbeiträge fällig werden.

Hans Joachim Fuchtel (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000616

Ich will noch einmal sagen, dass die Belange der Rentnerinnen und Rentner in der aktuellen Rentenformel mehrfach berücksichtigt sind. Die im Jahr 2004 eingeführte Schutzklausel stellt sicher, dass es durch die Anwendung der Dämpfungsfaktoren nicht zu einer Kürzung der Bruttorente kommt. 2009 wurde diese Schutzklausel bekanntlich erweitert mit der Folge, dass auch sinkende Löhne nicht zu einer Kürzung der Bruttorente führen. Daher ist ganz klar, dass die Regierung gut beraten ist, wenn sie an dieser Rentenformel festhält.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Es gibt keine Nachfrage mehr. Ich rufe dann die Frage 27 der Abgeordneten Sabine Zimmermann auf: Welche rechtlichen Schlussfolgerungen zieht die Bundesregierung daraus, dass das Unternehmen Schlecker versucht, mit der Zeitarbeitsfirma Meniar einen mit der Gewerkschaft Verdi geschlossenen Tarifvertrag über Lohn- und Arbeitsbedingungen im Unternehmen zu unterlaufen, und wie steht sie zu dem Vorwurf, dass es sich dabei de facto um eine „rechtsmissbräuchliche Strohmann-Konstruktion“ handelt, vor dem Hintergrund, dass laut Wirtschaftswoche vom 16. November 2009 der Geschäftsführer dieser Zeitarbeitsfirma jahrelang Toppersonalmanager bei Schlecker war und ein Büro am Konzernsitz unterhält? Bitte schön, Herr Staatssekretär.

Hans Joachim Fuchtel (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000616

Frau Kollegin, meine Antwort auf Ihre Frage wird sehr kurz sein. - Die Bundesregierung hat keine eigenen unmittelbaren Erkenntnisse in dieser Sache. Ohne genaue Kenntnis dieses Einzelfalls kann dieser nicht bewertet werden. Deshalb können daraus auch keine rechtspolitischen Schlüsse gezogen werden.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Frau Kollegin Zimmermann, Nachfrage?

Sabine Zimmermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003869, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Danke schön, Herr Präsident. - Herr Staatssekretär, ich bin ein bisschen überrascht, dass Sie keine Kenntnisse darüber haben. Der Stammsitz der Zeitarbeitsfirma der Schlecker GmbH - Meniar mit Namen - befindet sich in Zwickau. Diese Firma ist bereits seit einem Jahr tätig und hat die Zulassung zur Arbeitnehmerüberlassung. Wenn Sie bei der Bundesagentur für Arbeit nachgefragt hätten, dann hätten Sie diese Informationen dort bekommen können. Da Sie sagen, dass Sie keine Kenntnisse haben, muss ich Ihnen die Praxis in diesem Bereich schildern: Schlecker entlässt die eigenen Beschäftigten und stellt sie über diese Leiharbeitsfirma wieder ein, aber nicht zu denselben Bedingungen, sondern zu einem wesentlich geringeren Einkommen. Es ist bis zu 50 Prozent geringer. Wie beurteilen Sie die Praxis dieser Leiharbeitsfirma? Wie bewertet die Bundesregierung solche Praktiken? Das ist kein Einzelfall; es gibt andere Unternehmen, die dies schon praktizieren.

Hans Joachim Fuchtel (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000616

Zunächst ist festzustellen: Die Bundesregierung ist kein Forschungsinstitut, dessen Aufgabe es wäre, solchen Einzelfällen nachzugehen. Hierfür sind andere Instanzen zuständig. Die zuständigen Gerichte müssen sich mit diesen Fragen beschäftigen.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Weitere Nachfrage?

Sabine Zimmermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003869, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Ja, ich habe eine weitere Nachfrage. - Herr Staatssekretär, das befremdet mich schon; denn es geht hier um 4 300 Menschen. Sie sind in diese Leiharbeitsfirma gedrückt worden. Sie waren zuvor als Verkäuferinnen im Einzelhandel bzw. bei Schlecker beschäftigt. Ich denke, es ist an der Zeit, dass die Bundesregierung hier tätig wird. Ich gebe Ihnen mit auf den Weg, dass Sie Recherchen dazu anstellen und versuchen, zu klären, wie solche Praktiken auf gesetzlichem Wege unterbunden werden können. Dies ist im Interesse der Allgemeinheit; denn die Folgekosten - es werden dadurch geringere Sozialversicherungsbeiträge gezahlt - trägt die Gesellschaft. Dies kann nicht sein. Sind Sie der Meinung, dass es richtig ist, wenn die Kosten so verlagert werden?

Hans Joachim Fuchtel (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000616

Ich wiederhole mich zunächst einmal: Es geht hier nicht um generelle Tendenzen, sondern wir haben es hier mit einem Einzelfall zu tun. Die Gerichte werden klären, was rechtens ist und was nicht. Im Übrigen möchte ich ein Wort zum Thema der Leiharbeit insgesamt sagen. Für die Bundesregierung ist die Leiharbeit bzw. Zeitarbeit ein flexibles Instrument der Arbeitsmarktpolitik. Sie hat ein hohes Beschäftigungspotenzial und bietet vielen Arbeitslosen die Chance auf ein sozialversicherungsverträgliches Arbeitsverhältnis - und das bei grundsätzlich gleichen Arbeitnehmerschutzvorschriften. Diese müssen eingehalten werden; darum geht es. Dafür müssen wir sorgen. Falls es Praktiken gibt, die dem nicht Rechnung tragen, ist es Sache der dafür zuständigen Instanzen, sich damit zu befassen. Hier sind die Gerichte gefragt. ({0})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Damit kommen wir zur Frage 28 der Kollegin Zimmermann: Befürwortet die Bundesregierung eine Vermittlungspraxis der Bundesagentur für Arbeit, wonach Arbeitslose unter Androhung von Sanktionen genötigt werden, Leiharbeitsplätze anzunehmen, obwohl diese dazu genutzt werden, bisher gültige Tarifverträge in einem Unternehmen zu unterlaufen, und werden damit wie im Fall Schlecker nicht sittenwidrige Löhne unterstützt angesichts der Tatsache, dass die von der Leiharbeitsfirma Meniar gezahlten Löhne 40 Prozent unter dem Entgeltniveau liegen, das über Tarifverträge der Gewerkschaft Verdi im Einzelhandel vereinbart ist? Das ist die letzte Frage, die ich zulasse; denn die für die Fragestunde vorgesehene Zeit ist dann beendet. Bitte schön, Herr Staatssekretär.

Hans Joachim Fuchtel (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000616

Zu Frage 28 kann ich nur ausführen, dass die Bundesagentur für Arbeit im Rahmen ihres gesetzlichen Auftrags der Arbeits- und Ausbildungsvermittlung zu prüfen hat, ob das Stellenangebot gegen ein Gesetz oder die guten Sitten verstößt. Wenn dem so ist, ist der Vermittlungsauftrag abzulehnen.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Nachfrage, Frau Zimmermann?

Sabine Zimmermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003869, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Danke, Herr Präsident. - Herr Staatssekretär, ich stelle fest, dass sich die Bundesregierung mit solchen Einzelfällen, wie Sie es bezeichnen, nicht beschäftigen will. Ich muss aber trotzdem fragen: Ist sich die Bundesregierung darüber klar, dass der Staat und die Allgemeinheit den Niedriglohnsektor gerade im Einzelhandel massiv subventionieren? In Deutschland sind allein im Einzelhandel 160 000 Hartz-IV-Aufstocker beschäftigt. Das heißt, jeder achte Aufstocker in Deutschland arbeitet im Einzelhandel. Will die Bundesregierung diesen Niedriglohnsektor weiter subventionieren und ihn ausweiten?

Hans Joachim Fuchtel (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000616

Ich entnehme Ihrer Frage, dass Sie durch die Hintertür wieder auf das Thema Mindestlohn kommen möchten. ({0}) Das ist mit uns auf diese Weise nicht zu machen. Wir haben klare Vorgaben, in welchem Rahmen Mindestlöhne gezahlt werden oder nicht; und diese werden eingehalten. Solange wir regieren, müssen sich alle nach unserer Auffassung richten. Ich darf weiterhin darauf hinweisen, dass für Zeitarbeitnehmerinnen und Zeitarbeitnehmer von den Sozialpartnern ausgehandelte Tarifentgelte nahezu flächendeckend gelten. Es ist grundsätzlich nicht die Aufgabe der Bundesregierung, die Arbeitsbedingungen einschließlich des Arbeitsentgelts festzulegen. Das ist, mit Verlaub, nach weit verbreiteter Auffassung in diesem Hause die Aufgabe der Sozialpartner. Dass das funktioniert, zeigen die über 50 Jahre hinweg erfolgreichen Sozialpartnerschaften in Deutschland. ({1}) Diese sollten wir weiterhin bestehen lassen und fördern. Auf sie sollten wir uns stützen. Die Bundesregierung würde es allerdings nicht hinnehmen, wenn es sich um sittenwidrig niedrige Löhne handelt.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Frau Zimmermann, haben Sie eine Nachfrage?

Sabine Zimmermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003869, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Ja, ich habe eine Nachfrage. - Ich möchte Ihnen ein paar Beispiele nennen. Bei Schlecker haben die Verkäuferinnen 12,80 Euro die Stunde erhalten. Nachdem ihnen betriebsbedingt gekündigt wurde, wurden sie bei der Leiharbeitsfirma Meniar eingestellt. Die Verkäuferinnen erhalten nun 6,50 Euro pro Stunde. Das ist schon ein großer Unterschied. Finden Sie es richtig, dass durch die Subventionierung, die Sie über die Aufstockung betreiben, die Steuerzahler, also die Allgemeinheit, für diese Kosten aufkommen müssen?

Hans Joachim Fuchtel (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000616

Ich kann nur sagen, dass auch der Staatssekretär Zeitung lesen kann. ({0}) Ich nehme deswegen aber noch lange nicht alles, was in der Zeitung steht, eins zu eins hin. Es gibt vielleicht noch Rückfragen. Ich verstehe gut, dass Sie als örtlich betroffene Abgeordnete diesen Fragenkomplex ansprechen. Allerdings müssen Sie auch mich verstehen, dass ich bereits gegebenen Antworten nichts hinzuzufügen habe. ({1})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Ich beende die Fragestunde. Ich rufe den Zusatzpunkt 1 auf: Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion der SPD Versöhnen statt provozieren - Das deutschpolnische Verhältnis nicht beschädigen Ich eröffne die Aktuelle Stunde und erteile als erster Rednerin das Wort der Kollegin Angelica SchwallDüren von der SPD-Fraktion.

Dr. Angelica Schwall-Düren (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002795, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Diese Regierung führt wenige Wochen nach Abschluss der Koalitionsvereinbarung täglich ein Trauerspiel auf: ({0}) Streit um Steuerfragen, Streit um Gesundheitsversorgung, Streit um Kinderbetreuung, Streit auf dem Rücken von Bürgern und Bürgerinnen, die darauf warten, dass diese Regierung Lösungen für die wichtigen Fragen anbietet. Nun kommt auch noch ein Streit der Koalition dazu, der zulasten unserer guten Beziehungen zu unserem größten östlichen Nachbarn geht. Wie anders soll man es interpretieren, wenn die Bundeskanzlerin erklärt, dass sie nicht mehr bereit ist, sich weiter um Kompromisse zu bemühen. Der Außenminister legt die aus unserer Sicht richtige Haltung an den Tag. Er will verhindern, dass Frau Steinbach einen Platz im Stiftungsrat der Stiftung „Flucht, Vertreibung, Versöhnung“ einnimmt. Es gab eine Zeit, da fand man in der CDU noch Europapolitiker, die um die deutsche Verantwortung im Umgang mit unseren Nachbarn wussten und eine entsprechende Sensibilität an den Tag legten. Wie verträgt es sich aber, wenn die Bundeskanzlerin mit verständnisvollen Worten am 1. September in Danzig auftritt, wenn von Herrn Gröhe gesagt wird, dass es für die CDU und für die CDU-Vorsitzende und Bundeskanzlerin Merkel eine Herzensangelegenheit sei und Frau Steinbach das uneingeschränkte Vertrauen genieße. ({1}) Wenn Frau Steinbach scheitere, sei dafür die FDP verantwortlich, so Herr Gröhe in der FAZ vom 24. November 2009. Nicht die FDP bringt eine Opfergabe, sondern mein Eindruck ist, dass Frau Merkel Frau Steinbach zum Opfer macht, indem sie ihr nicht rät, sich zurückzuziehen. Die Bundeskanzlerin verursacht Schaden im doppelten Sinne: Sie schadet nicht nur der berechtigten Angelegenheit der Erinnerungsstiftung, sondern sie schürt auch Misstrauen bei unseren Nachbarn in Mittel- und Osteuropa. ({2}) Worum geht es? ({3}) Es geht darum, dass wir alle unsere besondere historische Verantwortung gegenüber Polen anerkennen, gegenüber einem Land, das wie kein anderes unter den Verbrechen des Nationalsozialismus gelitten hat, dessen Bevölkerung mit einem Sklavenvolk auf eine Stufe gestellt werden sollte, dessen Elite ausgelöscht werden sollte und das wie kein anderes Land Opfer zu bringen hatte, nämlich 6 Millionen Tote. Es geht nicht darum, das Leid, das Vertriebene erlebt haben, zu leugnen oder ihnen das Recht streitig zu machen, inmitten unserer Gesellschaft an dieses Leid zu erinnern. Die meisten Vertriebenen und ihre Nachkommen haben verstanden, dass sie Opfer des Naziunrechtsregimes geworden sind, so wie auch viele andere Menschen Eigentum, Leib und Leben im Bombenkrieg oder an der Front verloren haben. Deshalb haben viele Vertriebene sehr früh Kontakt zu den Menschen aufgenommen, die heute in ihrer alten Heimat leben. Durch das Erzählen der gegenseitigen Geschichten haben sie viel für die Versöhnung getan. Das waren Einzelne, aber auch Vertriebenenverbände. Ich darf daran erinnern, dass dazu auch die Seliger-Gemeinde, die Ackermann-Gemeinde und die Danziger Katholiken gehören. Frau Steinbach jedenfalls kann nicht den Anspruch erheben, für alle Vertriebenen zu sprechen. ({4}) Sie hat - leider - durch viele Äußerungen im Zusammenhang mit dem anstehenden EU-Beitritt Polens und durch ihre Ablehnung der Anerkennung der Oder-NeißeGrenze nicht dazu beigetragen, dass sie wirklich ernsthaft für Versöhnung stehen kann. Ich bin erstaunt, dass die Bundesregierung hier und heute nicht Position bezieht. Wir müssen uns fragen, auf welches Niveau sich die Bundesregierung begibt, ({5}) wenn wir lesen, dass nun über mögliche Kompensationsgeschäfte verhandelt werden soll. Wir müssen uns fragen, ob die Bundeskanzlerin mit dem historischen Gedenken umgehen darf, als würde sie mit Bananen handeln. Die Bundesregierung kann in diesem Fall nicht erwarten, von Polen in Sachen Geschichtspolitik als aufrichtig wahrgenommen zu werden. ({6}) Polen ist unser größter und wichtigster Nachbar im Osten Europas. Diesem Land gegenüber haben wir aufgrund der eindeutigen Kriegsschuld eine große Verantwortung. Frau Merkel sollte das, was sie am 1. September in Danzig formuliert hat, ernst nehmen und nicht die Erwartungen der Polen enttäuschen. Sie sollte sich darum bemühen und erreichen, dass sich Frau Steinbach zurückzieht; denn sonst wird Deutschland als EU-Partner für Polen unglaubwürdig. Vielen Dank. ({7})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat der Kollege Klaus Brähmig von der CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Klaus Brähmig (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000240, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Seit Wochen erleben wir in Deutschland eine hitzige öffentliche Debatte über das deutsch-polnische Verhältnis, in deren Zentrum die Stiftung „Flucht, Vertreibung, Versöhnung“ steht. Dabei geht es lediglich um einen von drei Sitzen im 13-köpfigen Stiftungsrat, für die der Bund der Vertriebenen Mitglieder benennen darf. Wir lesen in der Bild-Zeitung über eine Frau, die Deutsche und Polen angeblich spaltet, im Spiegel von unmoralischen Angeboten oder in der Frankfurter Rundschau vom Vertagen der Eskalation. Neu angefacht wurde diese Debatte erst durch den Besuch unseres Außenministers Anfang November in Warschau. Auf einer Pressekonferenz fragten Journalisten nach dem Stiftungsrat. Der polnische Außenminister wehrte interessanterweise mit den Worten ab: Erbarmen Sie sich unser! - Sein deutscher Kollege ließ es sich nicht nehmen, zu der Vertriebenenstiftung Stellung zu nehmen. Er sagte: Wir wollen, dass das ein Projekt ist, das unsere Länder zueinander bringt, ein Beitrag zur Versöhnung ist. Wir werden alles unterlassen, was diesem Gedanken entgegensteht. ({0}) Mit der abschließenden Bemerkung, eine Bewerbung um diesen Sitz sei bei ihm noch nicht gelandet, setzte der Vertreter Deutschlands ohne Not noch einen drauf. Meine Damen und Herren, für die deutsch-polnischen Beziehungen wäre es besser gewesen, unser Außenminister hätte es mit dem Sprichwort gehalten: Reden ist Silber, Schweigen ist Gold. ({1}) Gerade die deutschen Heimatvertriebenen sind durch zahlreiche Kontakte, Besuche oder Projekte zwischen Deutschland und Polen sehr wertvolle Brückenbauer. Man sollte sie nicht mit im Ausland gemachten Aussagen grundlos brüskieren. Als neuer Vorsitzender der Gruppe der Vertriebenen, Flüchtlinge und Aussiedler der CDU/CSU-Bundestagsfraktion möchte ich zu einer Versachlichung der Diskussion gerne beitragen, ({2}) die bemerkenswerterweise in Polen derzeit fast geräuschlos abläuft. Unzweifelhaft war Nazideutschland der Aggressor im Zweiten Weltkrieg. Wir Deutsche haben unseren Nachbarn überfallen und unterjocht. Dennoch darf man darauf hinweisen, dass auch Deutsche in diesem Krieg Opfer geworden sind, ohne gegenseitiges Unrecht aufrechnen zu wollen. Nicht umsonst findet die Erinnerung an Flucht und Vertreibung der Deutschen vor mehr als 60 Jahren in jüngster Zeit eine neue Aufmerksamkeit. Man denke nur an Filme wie „Die Gustloff“ und „Die Flucht“ mit jeweils Millionen Zuschauern. Flucht und Vertreibung am Ende des Zweiten Weltkriegs waren die weltweit größte demografische Umwälzung des 20. Jahrhunderts und eine der größten in der Geschichte. Deshalb ist es unser politischer Auftrag, auch an das Leiden der Deutschen zu erinnern, wie es unser Auftrag ist, aller Opfergruppen zu gedenken. Aus diesem Grundverständnis heraus hat die Union seit nunmehr acht Jahren für die Errichtung eines Vertriebenenzentrums gerungen, das auf eine Initiative meiner geschätzten Kollegin Erika Steinbach und des SPD-Politikers Peter Glotz zurückgeht. Der Deutsche Bundestag hat im Dezember 2008 die Errichtung der Stiftung „Flucht, Vertreibung, Versöhnung“ mit breiter Mehrheit beschlossen. Auf einem Fachkongress der CDU/CSU-Bundestagsfraktion Anfang dieses Jahres betonte die Bundeskanzlerin in ihrer Rede - ich zitiere -: Flucht und Vertreibung sind keineswegs vergessen. Ganz im Gegenteil … Die Schicksale der von Flucht und Vertreibung betroffenen Menschen berühren uns stets aufs Neue … Auch die Kinder und Enkel von Vertriebenen haben das Bedürfnis nach Klärung und vor allen Dingen nach Wahrheit. Meine Damen und Herren, vor dem Hintergrund der zunehmenden Spurensuche von Kriegskindern und nachfolgenden Generationen gilt es heute mehr denn je, den aktuellen Bezug des Themas zur gesellschaftlichen und politischen Lage in Deutschland herzustellen. Daher ist die neue Bundesstiftung in Berlin eines der wichtigsten Projekte unserer nationalen Identität in Europa. Eines ist an dieser Stelle ganz klar festzuhalten: Eine solche Dokumentations- und Gedenkstätte ohne angemessene Beteiligung der größten Organisation deutscher Heimatvertriebener darf und wird es nicht geben. ({3}) Sie sind die Opfer, und sie entscheiden, wen sie in das Gremium entsenden. Dafür wird sich die Gruppe der Vertriebenen weiterhin einsetzen. Wir werden uns ebenfalls weiterhin dafür einsetzen, dass die Flucht und Vertreibung von über 12 Millionen Deutschen als nationale Katastrophe begriffen und das Schicksal der Betroffenen endlich gesellschaftlich anerkannt wird. Zudem wird in den kritischen Berichten über die Vertriebenenverbände sowohl in Deutschland als auch in Polen dreierlei völlig ausgeblendet: dass es erstens die Präsidentin des Bundes der Vertriebenen war, die den BdV mit Beharrlichkeit wieder in die Mitte der Gesellschaft geholt hat, ({4}) dass zweitens Erika Steinbach als erste BdV-Präsidentin die Nulllösung propagiert und sich eindeutig gegen die Forderung der Preußischen Treuhand gestellt hat und dass drittens sie es war, die 60 Jahre nach dem Warschauer Aufstand in einer großen Veranstaltung in Berlin das bei uns immer noch fast unbekannte Schicksal der Polen während der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft thematisiert hat. Sie sagte 2004 in der Französischen Friedrichstadtkirche: Empathie ist der Weg zum Miteinander. Wir wollen selbst mitfühlen und wir sehnen uns nach dem Mitgefühl anderer. Es würde dem deutsch-polnischen Verhältnis sehr nützen, wenn diese Leistungen von Erika Steinbach endlich zur Kenntnis genommen würden. ({5})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat die Kollegin Dr. Lukrezia Jochimsen von der Fraktion Die Linke. ({0})

Dr. Lukrezia Jochimsen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003777, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Jede öffentliche Diskussion über die Stiftung „Flucht, Vertreibung, Versöhnung“ ist zu begrüßen, erst recht jede Debatte hier im Parlament. Erinnern Sie sich noch, wie diese Stiftung vor knapp einem Jahr, am 4. Dezember 2008, von diesem Hohen Haus gesetzlich errichtet wurde? Herr Kollege, Sie haben von einer großen Mehrheit gesprochen; tatsächlich wurde das Gesetz nachts um 2.30 Uhr klammheimlich verabschiedet, ohne jegliche Aussprache in der zweiten und dritten Lesung. Die FDP war gar nicht anwesend. Im Protokoll ist vermerkt: Der Gesetzentwurf ist … mit den Stimmen der beiden Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Linken bei Enthaltung der Grünen angenommen. Nach der Schlussabstimmung ist vermerkt: ({0}) Die Linke war stets gegen die Errichtung dieser Stiftung, und zwar aus drei Gründen: wegen ihrer Konzeption, ihres Standortes und der Zusammensetzung des Stiftungsrates. Wir haben nie verstanden, wieso der Bund der Vertriebenen in einem 13-köpfigen Gremium mit drei Sitzen, das Parlament hingegen mit zwei Entsandten vertreten sein soll. Wir haben immer wieder die Frage gestellt: Wie kann eine solche Institution der Erinnerung eigentlich der Versöhnung dienen, wenn sie ausgerechnet in Berlin ihren Sitz hat, dem Ort, von dem all das mörderische Verbrechen ausgegangen ist, das zum Elend von Flucht und Vertreibung geführt hat? ({1}) Welche Chancen wurden vertan? Polens Ministerpräsident Tusk hat Deutschland eingeladen, sich am großen polnischen Antikriegsmuseum in Danzig zu beteiligen: kein Interesse. Die Städte Görlitz und Zgorzelec haben sich um eine Doppelausstellung beworben: kein Interesse. Es gab Vorschläge, Ausstellungen und Dokumentationen im Dreiländereck Deutschland - Polen - Tschechische Republik zu präsentieren: kein Interesse. Seit Jahren - nicht erst heute - ist dieses Projekt der Erinnerung an Flucht und Vertreibung eine schwere Belastung für das deutsch-polnische Verhältnis. Das gilt insbesondere für das Jahr 2008; damals war aber von „Versöhnen statt Provozieren“ nicht die Rede. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, Sie haben in der Großen Koalition alles mitgetragen und allem zugestimmt. Insofern mutet Ihr heutiger Appell etwas sonderbar an, auch wenn er in der Sache vollkommen richtig ist und vielleicht bewirkt, dass grundsätzlich umgedacht wird. Im Dezember 2007, also vor zwei Jahren, gab es einen vielbeachteten Vorschlag des Willy-Brandt-Kreises: Anstelle der Stiftung gegen Vertreibung solle ein Zentrum gegen Krieg in Berlin eingerichtet werden. Zu den Initiatoren gehörten unter anderem Egon Bahr, Günter Grass, Friedrich Schorlemmer, Daniela Dahn und Klaus Staeck. Über 1 000 Künstler, Journalisten und Politiker haben diesen Vorschlag unterstützt. ({2}) Das wäre doch eine Alternative im Sinne von „Versöhnen statt Provozieren“: ein Museum, das den Krieg ächtet, was die Ächtung der Vertreibung einschließt. Vor allem aber wäre es eine weitergehende Initiative, die nicht bei den Folgen von Kriegen verharrt, sondern auf deren Ursachen zielt. Wenn wir wirklich versöhnen wollen, statt zu provozieren, sollten wir im Zusammenhang mit der Stiftung „Flucht, Vertreibung, Versöhnung“ hier im Parlament nicht über eine Personalie streiten. Die Kardinalfehler dieses Projektes der Erinnerungskultur müssen korrigiert werden. Der erste Kardinalfehler besteht darin, auf die schrecklichen Folgen des Krieges zu fokussieren, nicht auf seinen mörderischen Anfang. Der zweite Kardinalfehler hat mit der Legende zu tun, dass in der Nachkriegszeit das Schicksal der Vertriebenen verschwiegen und aus der Erinnerungskultur ausgeklammert worden sei. ({3}) Daran ist nämlich nichts wahr: Die alte Bundesrepublik hat sich in der Nachkriegszeit kontinuierlich mit dem Schicksal von Flucht und Vertreibung befasst. ({4}) Der Bund der Vertriebenen hat dabei eine dominierende Rolle gespielt, im Übrigen gegen jeden Versöhnungsgedanken. Man denke nur an die jährlichen Pfingsttreffen, welche Reden da gehalten wurden und wer da alles aufgetreten ist. Dieser Legende muss eine auf Europa und Versöhnung setzende Politik entgegenwirken. Das halte ich für ganz wichtig. Deshalb muss das Konzept der Stiftung „Flucht, Vertreibung, Versöhnung“ grundsätzlich neu überdacht werden. Vielleicht ist diese heutige Diskussion ein Anfang dafür. Ich danke Ihnen. ({5})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat der Kollege Michael Link von der FDPFraktion. ({0})

Michael Link (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003802, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Der etwas provokante Titel der heutigen Aktuellen Stunde ({0}) „Versöhnen statt provozieren“ deutet in die Richtung, das deutsch-polnische Verhältnis sei schlecht. Ich stelle fest: Der deutsch-polnische Motor läuft. Das sind nicht meine Worte, das sind die Worte von Außenminister Sikorski am Tag des Antrittsbesuchs von Bundesaußenminister Westerwelle in Warschau. ({1}) Darüber hinaus hat Außenminister Sikorski ausdrücklich zu Protokoll gegeben: Noch nie zuvor waren die deutsch-polnischen Beziehungen so gut. - Das ist ein Faktum, das wir festhalten können; das haben wir in der Vergangenheit selten so gehört. Deshalb ist der Takt, den wir in den deutsch-polnischen Beziehungen weiter vorgeben wollen, der Takt einer extrem engen europapolitischen und bilateralen Abstimmung im Geist der Versöhnung mit Polen. ({2}) Das war die Leitlinie dessen, was wir uns für die nächsten vier Jahre in der Bundesregierung vorgenommen haben. Im Koalitionsvertrag steht an prominenter Stelle, dass wir ein klares Bekenntnis zu dieser engen Freundschaft mit Polen abgeben. Stabile Partnerschaft und dauerhafte Aussöhnung mit Polen sind die Grundpfeiler deutscher Außen- und Europapolitik, genauso wie die Freundschaft mit Frankreich. Deshalb war es für uns extrem wichtig, in diesem Punkt den Kurs der alten Bundesregierung fortzusetzen. Nachdem Ministerpräsident Tusk nach der KaczynskiZeit mit Amtsantritt Ende 2007 einen konstruktiven Neuanfang in der Deutschlandpolitik gewagt hat, ist die alte Bundesregierung darauf ebenso konstruktiv eingeMichael Link ({3}) gangen. Wir haben das sehr begrüßt, und der neue Bundesaußenminister setzt genau diesen Kurs fort. Jeder, der die Situation in Polen kennt, weiß, wie umstritten Herrn Tusks Linie in Polen ist. Sie wird von manchen Kräften kritisch beobachtet. Uns wäre es nicht recht - ich sage dies mit allem Verlaub vor den polnischen Wählern -, wenn diese Kräfte die deutsch-polnischen Beziehungen wieder bestimmen könnten. Den anderen Kräften, den anderen Lagern ist die Versöhnung, auch das Hineinfühlen in das Unrecht, was Vertreibung bedeutet hat, bei weitem nicht so wichtig wie Ministerpräsident Tusk. Deshalb sollten wir bei all unseren Schritten genau bedenken, wie sie beim polnischen Partner ankommen. Genau das ist die Linie des Bundesaußenministers, die die FDP-Fraktion ausdrücklich begrüßt. ({4}) Es ist allgemein bekannt, dass sich die Große Koalition damals auf der Ebene der Regierungschefs konkret um die Entschärfung der Fragen um die in Rede stehende Stiftung bemüht hat. Auch wir haben sehr begrüßt, dass man es versucht hat. Dass man damit nicht zu Ende gekommen ist, dass diese Fragen buchstäblich an die neue Bundesregierung vererbt worden sind, haben wir nicht zu vertreten. Die Konzeption der Stiftung als solche ist gemeinsam anerkannt und gemeinsam erarbeitet worden. Wir haben sie mitgetragen. Gerade wurde gesagt, sie sei in Abwesenheit der FDP beschlossen worden. Ich kann nur sagen: Wir haben in der Fraktion darüber geredet. Wir tragen diese Stiftung mit, und wir stehen zu den Zielen dieser Stiftung. ({5}) Wir stehen auch dazu - das gerät oft in Vergessenheit -, dass der Bund der Vertriebenen, den auch wir für eine sehr wichtige Organisation und einen wichtigen Partner halten, drei Vertreter im Stiftungsrat hat. Der Bundestag hat übrigens nur zwei. Auch das drückt deutlich aus - dazu stehen wir -, dass das ein gemeinsames Projekt ist, das von der alten Bundesregierung genau wie von der neuen - und besonders vom Bundesaußenminister - konsequent fortgesetzt wird. Der entscheidende Punkt ist, zu vermeiden, dass jetzt das aufs Spiel gesetzt wird, was wir bisher erreicht haben. Ich wiederhole noch einmal: Was wir erreicht haben, ist in Polen eine in der Gesellschaft, bei Historikern, bei Politikern und selbst in den Medien, die gern einmal auf Provokationen anspringen, wachsende Bereitschaft, sich hineinzufühlen in das, was tatsächlich im Rahmen von Flucht und Vertreibung stattgefunden hat. Wir müssen alle unsere Schritte daraufhin prüfen, ob wir das, was sich jetzt in der Gesellschaft in Polen erfreulicherweise entwickelt, durch Personalentscheidungen auf der deutschen Seite riskieren wollen. Das ist etwas, worüber wir in der Tat immer wieder diskutieren müssen. ({6}) Der Bundesaußenminister hat auch in dieser Frage nur die Linie der alten Regierung fortgesetzt. ({7}) Wir sind der Meinung, dass all diejenigen, die hier gerne in einer vermeintlichen Wunde bohren wollen - die es zwischen den Regierungsfraktionen aber nicht gibt -, sehr schnell auf die eigenen Wunden stoßen werden; denn das ist in der Tat ein vererbtes Problem. Während meine letzten Worte an diejenigen gerichtet waren, die gerade einige Zwischenrufe gemacht haben - ich glaube allerdings, dass Sie meine Ausführungen trotzdem registriert haben -, sei jetzt vor allem an die Adresse der Fraktion, die die heutige Aktuelle Stunde beantragt hat, eines gesagt: Keine andere Regierung hat gerade im deutsch-polnischen Verhältnis de facto mehr Probleme geschaffen - nicht bewusst; das sage ich überhaupt nicht - als die damalige rot-grüne Regierung: erstens durch die Art und Weise, wie sie im Gefolge des EU-Beitritts Polens in die EU umgegangen ist, ({8}) zweitens durch die Art und Weise, wie sie mit dem Thema Ostseepipeline umgegangen ist, und drittens dadurch, dass sie im Rahmen der privilegierten Beziehungen zu Russland immer wieder über den Kopf des polnischen Partners hinweg oder hinter seinem Rücken Politik gemacht hat, wodurch sie den Polen gezeigt hat, dass sie in der Europäischen Union offensichtlich neu und noch nicht voll angekommen sind. Das ist eine Denkweise, mit der wir brechen. Deshalb haben wir als Fraktion ganz bewusst begrüßt, dass sein erster Antrittsbesuch den neuen Bundesaußenminister nach Warschau geführt hat. Vielen Dank. ({9})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat der Kollege Volker Beck von Bündnis 90/Die Grünen.

Volker Beck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002625, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich darf mit einem Satz von Frau Steinbach beginnen: „Man muss kein Wal sein, um sich für Wale einzusetzen.“ Lassen Sie mich dennoch ein Wort zu meiner eigenen Familiengeschichte verlieren. Meine Großeltern wurden am Ende des Ersten Weltkrieges aus Slowenien vertrieben; mein Großvater, ein österreichischer Offizier, war dort stationiert. Am Ende des Krieges mussten sie ihr Eigentum, ihren Hausstand hinter sich lassen und sind zu den Eltern meiner Großmutter nach Reichenberg ins Su356 Volker Beck ({0}) detenland zurückgekehrt. Am Ende des Zweiten Weltkrieges mussten sie ihre Heimat erneut verlassen. Sie sind dann, wie viele Sudetendeutsche, nach Bayern übergesiedelt. Dieses Gefühl hinterlässt in jeder Familie Spuren: dass ein Teil der Familie entwurzelt ist, dass man die Heimat der Großeltern nicht kennt, dass man auch kein natürliches Verhältnis zu dieser Heimat hat wie Leute, die einmal umgezogen sind, sondern dass damit eine Geschichte von Unrecht, eine Geschichte von großer Angst und eine Geschichte von totalem Verlust der eigenen bürgerlichen Existenz einhergeht. Deshalb ist es mir persönlich wichtig, dass wir auch die Menschenrechtsverletzungen, die am Ende des Zweiten Weltkrieges an Vertriebenen begangen wurden, aufarbeiten und dass wir dieses Unrecht und die Auseinandersetzung damit in unser Geschichtsbild integrieren, um diesem Thema insgesamt gerecht zu werden. ({1}) Wenn man dies tut, muss man meines Erachtens nicht jede Position von Frau Steinbach und des Bundes der Vertriebenen, in der Vergangenheit wie in der Gegenwart, übernehmen. ({2}) Ich muss sagen: Ich verstehe, dass die Personalie Steinbach in Polen nicht als Versöhnungsgeste ankommt. ({3}) Ich verstehe es, wenn ich mir anschaue, wie sich Frau Steinbach in Sachen deutsch-polnisches Verhältnis als Abgeordnete des Deutschen Bundestages ganz konkret verhalten hat. Als es damals um die Anerkennung der Oder-Neiße-Linie als deutsch-polnischer Staatsgrenze ging, hat sie, übrigens zusammen mit Herrn Ramsauer und anderen, dagegengestimmt. ({4}) Sie hat eine Erklärung abgegeben, in der sie dieses Verhalten damit begründete, dass sie sich im Vorfeld des Vertrages gegen eine isolierte deutsch-polnische Grenzregelung gewandt und sich für eine in die Zukunft gerichtete Lösung aller offenen deutsch-polnischen Fragen eingesetzt habe. Welche deutsch-polnischen Fragen waren denn, bitte schön, 1991 noch offen, und welche sind es womöglich noch heute? Das sind die Fragen, die sich mit der Personalie Steinbach verbinden. ({5}) Jenseits der diplomatisch verfassten persönlichen Erklärung, aus der ich zitiert habe, hat sie sich auch deutlicher eingelassen. Sie hat ihre Ablehnung des deutschpolnischen Grenzvertrages so begründet: „Man kann nicht für einen Vertrag stimmen, der einen Teil unserer Heimat abtrennt.“ Dieser Satz bedeutet, dass man sich letztendlich nicht mit den Ergebnissen des Zweiten Weltkrieges auseinandergesetzt und sie akzeptiert hat. So schmerzlich sie für die Menschen sind, die dadurch ihre Heimat verloren haben: Wir müssen an diesem Punkt anerkennen, was die historischen Fakten sind und welche Verantwortung unser Volk gerade gegenüber den osteuropäischen Völkern auf sich geladen hat. Wir müssen gegenüber unseren Freunden in Osteuropa deutlich machen: An diesen Fragen wollen wir fachlich wie sachlich wie juristisch nicht mehr drehen, sondern wir wollen unsere gemeinsame Geschichte aufarbeiten. Wie wir das im deutsch-französischen Verhältnis gemacht haben, wollen wir auch gegenüber Polen, gegenüber der Tschechischen Republik und auch gegenüber Russland und den baltischen Staaten klarmachen, dass Frieden, Freundschaft und Kooperation auf der Grundlage der Menschenrechte unser Ziel sind und nichts anderes mehr auf der Agenda steht. ({6}) Die Unionsfraktion und der Bund der Vertriebenen tun so, als ob es Anmaßung wäre, wenn der Bundesaußenminister infrage stellt, dass die Bundesregierung Frau Steinbach - wenn der Bund der Vertriebenen sie denn einmal benennen wird; man hat sie ja noch nicht benannt - in den Stiftungsrat bestellt. Das ist aber keine Anmaßung, das ist schlicht Rechtslage, und diese hat einen guten Grund. ({7}) In § 19 des Gesetzes zur Errichtung der Stiftung steht, dass die entsendenden Stellen die Mitglieder benennen und die Bundesregierung dann bestellt - oder auch nicht. Das machen wir bei Stiftungsgesetzen sonst nie so. Das haben wir bei diesem Stiftungsgesetz so gemacht, weil die Bestellung eine außenpolitische Bedeutung haben kann und die Regierung verantwortlich handeln muss, wenn eine benennende Stelle ihre Verantwortung letztendlich nicht wahrnimmt. ({8}) Meine Damen und Herren, diese Verantwortung muss die Regierung wahrnehmen. Ich habe es bemerkt: Sie wollen eigentlich einen anderen Außenminister, Herr Brähmig! Es wäre in der Tat so: Wenn der Außenminister der Bundesrepublik Deutschland sein Wort, das er in Warschau gegeben hat, nicht halten kann, dann steht er nackt im Hemd da, dann ist er außenpolitisch ein Fliegengewicht, Volker Beck ({9}) ({10}) weil sein Wort selbst bei einer solch kleinen Personalie nichts gilt. Lassen Sie mich zum Schluss sagen: Diese ganze Debatte ist eine unehrliche Debatte. ({11}) In Wirklichkeit wissen CSU und FDP, dass sie wunderbar ihr Klientel bedienen können: Die CDU/CSU kann die Vertriebenen hätscheln, wohlwissend, dass die FDP bzw. der Außenminister am Ende dafür sorgt, dass es außenpolitisch nicht zu einer Katastrophe kommt, ({12}) und Sie können sich in dieser Debatte dann als die institutionalisierte außenpolitische Vernunft gerieren. ({13}) Am Ende ist es aber eine Belastung, dass wir innenpolitisch eine Diskussion über eine Lappalie haben, die uns außenpolitisch unklar dastehen lässt. Dies addiert sich zu den Streitereien, die diese Koalition über die Finanzpolitik, über das Betreuungsgeld usw. austrägt.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Kollege Beck, kommen Sie bitte zum Schluss.

Volker Beck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002625, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Deshalb fordere ich die Regierung auf: Ziehen Sie diese Debatte nicht länger hin, sondern sagen Sie deutlich: Eine Bestellung Frau Steinbachs in den Stiftungsrat wird nicht stattfinden; die Debatte ist beendet; der Bund der Vertriebenen darf jemand anderen benennen.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Beck, bitte.

Volker Beck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002625, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Oder - das wäre mein Vorschlag zur Güte - er gibt den Sitz im Stiftungsrat an die Gesellschaft für bedrohte Völker ab; dann könnte man über das Thema „Flucht und Vertreibung“ zukunftsgerichtet in einem umfassenden Sinne reden. ({0})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat der Kollege Stephan Mayer von der CDU/CSU-Fraktion.

Stephan Mayer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003589, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen! Sehr geehrte Kollegen! Dem Titel der heutigen Aktuellen Stunde: „Versöhnen statt provozieren Das deutsch-polnische Verhältnis nicht beschädigen“ kann man nur zustimmen. Aber ich befürchte, meine lieben Kollegen von der SPD, damit hat es sich auch schon mit der Übereinstimmung; denn eines ist klar: Versöhnung setzt Verständigung voraus. Wahrhafte Verständigung zwischen Völkern kann nur auf gleicher Augenhöhe erfolgen. Um zu erreichen, dass man auf gleicher Augenhöhe miteinander spricht, bedarf es einer einheitlichen Auslegung der historischen Fakten, der geschichtlichen Grundlage. Hier muss man einfach einmal feststellen: Es gab furchtbar dunkle, schreckliche Jahre im deutsch-polnischen Verhältnis. Durch Nazideutschland ist schreckliches Unheil über Millionen von Polen hereingebrochen und sind barbarische Schreckenstaten an Millionen von Polen verübt worden. Genauso gilt es aber auch, der historischen Wahrheit wegen festzustellen, dass am Ende des Zweiten Weltkrieges und nach dem Zweiten Weltkrieg knapp 15 Millionen Deutsche zwangsvertrieben wurden und flüchten mussten, wobei knapp 3 Millionen Deutsche auf der Flucht auf schreckliche Art und Weise ums Leben kamen. - Dies sind die Fakten. Eines muss ebenfalls klar sein: Das eine Unrecht rechtfertigt das andere nicht. ({0}) Ebenso wenig wird ein Unrecht getilgt, indem man neues Unrecht schafft. Ich halte es hier mit dem österreichischen Schriftsteller Peter Rosegger, der gesagt hat: „Unrecht, durch Unrecht bekämpft, wird noch mächtiger“. Wir sind jetzt dabei, neues Unrecht zu schaffen, indem wir es der Organisation, die für die Betroffenen spricht, also dem Bund der Vertriebenen, verweigern, selbst darüber zu bestimmen, welche drei Vertreter sie in den Stiftungsrat der Stiftung „Flucht, Vertreibung, Versöhnung“ entsendet. ({1}) Im Detail geht es dabei natürlich um die Präsidentin des BdV, um Erika Steinbach, die im Jahre 2000 gemeinsam mit dem leider viel zu früh verstorbenen SPD-Politiker Peter Glotz Mitinitiatorin der Stiftung „Zentrum gegen Vertreibungen“ war. Eines muss ebenfalls deutlich herausgestellt werden: Dieses Dokumentations- und Begegnungszentrum, das jetzt im Deutschlandhaus am Anhalter Bahnhof in Berlin entsteht, geht nur auf die Initiative von Erika Steinbach und Peter Glotz zurück. Dieses Zentrum ist letztendlich das geistige Kind von Erika Steinbach. Ich halte es deshalb auch für das Selbstverständlichste von der Welt, dass die Person, deren geistiges Kind hier in Berlin letzten Endes Wirklichkeit wird, in dem 13-köpfigen Stiftungsrat mitarbeiten darf. ({2}) Der Wahrheit halber möchte ich ferner darauf hinweisen, dass es insbesondere Erika Steinbach in den mittler358 Stephan Mayer ({3}) weile elf Jahren ihrer Präsidentschaft im BdV war und ist, die für Versöhnung und Verständigung steht. Ich möchte daran erinnern, dass es der BdV war, der als einzige Betroffenenorganisation eine Veranstaltung zum 60. Gedenktag des Warschauer Aufstandes am 19. Juli 2004 durchgeführt hat. Die Vertriebenen und - das sage ich auch ganz offen ihre Nachkommen, vor allem auch die Bekenntnisgeneration, dienen als Brückenbauer in einem immer mehr zusammenwachsenden Europa. Es gibt zwischen Deutschland und Polen viele menschliche Begegnungen, grenzüberschreitende Kulturarbeit, Wiederaufbau- und Renovierungshilfen und mittlerweile auch sehr viele prosperierende Städtepartnerschaften. Seit 1993 - in der Regierungszeit von Bundeskanzler Helmut Kohl ins Leben gerufen - gibt es das hervorragende Deutsch-Polnische Jugendwerk, das jedes Jahr über 4 000 Maßnahmen durchführt, an denen zwischen 130 000 und 165 000 Jugendliche sowohl aus Polen als auch aus Deutschland teilnehmen. Das bedeutet: Das deutsch-polnische Verhältnis ist gut, es ist freundschaftlich, es kann aber natürlich auch noch weiter verbessert werden. Meine lieben Kolleginnen und Kollegen von der SPD, ich möchte Ihnen ganz deutlich sagen: Was Sie hier betreiben, ist Heuchelei. ({4}) Die geistigen Brandstifter, die dazu beigetragen haben, dass sich das deutsch-polnische Verhältnis möglicherweise verschlechtert, sitzen nicht im BdV und auch nicht auf polnischer Seite, sondern die sitzen woanders in Deutschland. ({5}) - Die sitzen da - auch das sage ich ganz offen -, wo immer wieder versucht wird, zu provozieren. ({6}) Um auch dies noch einmal klarzumachen: Erika Steinbach ist vom BdV für den Stiftungsrat benannt worden. Es gilt jetzt, sich in den nächsten Tagen und Wochen intensiv, gedeihlich und auch konstruktiv darum zu bemühen, die Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass der BdV das ihm zustehende autonome, selbstständige Benennungsrecht auch umsetzen kann. ({7}) Um auch dies noch einmal klar zu sagen, weil Kritik daran geübt wurde, dass der BdV drei Sitze im Stiftungsrat hat: Der BdV ist die Betroffenenorganisation, und es ist deshalb nur recht und billig, dass er mit drei Vertretern im Stiftungsrat vertreten ist. Ich darf aus einer Botschaft des polnischen Episkopats aus dem Jahre 1965 zitieren: „Wir vergeben und bitten um Vergebung.“ Das war meines Erachtens sowohl in christlicher als auch in politischer Hinsicht eine wegweisende Markierung für die Zukunft. Ich persönlich würde mich darüber freuen, wenn sich, auch wenn diese Botschaft schon über 40 Jahre alt ist, alle daran halten, daran orientieren und daran ausrichten. Dann, glaube ich, sind die Weichen für eine gedeihliche und freundschaftliche Entwicklung des deutsch-polnischen Verhältnisses hervorragend gestellt. Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. ({8})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat der Kollege Dr. Wolfgang Thierse von der SPD-Fraktion.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002318, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Erlauben Sie auch mir eine persönlich-biografische Einleitung. Das Leid der Vertriebenen kenne ich im Gegensatz zu manchen anderen aus eigener Anschauung und eigener Erfahrung: Ich bin in Breslau geboren. Meine gesamte Familie - mütterlicherseits wie väterlicherseits - hat in Schlesien gelebt und ist vertrieben worden. Der größere Teil meiner Familie fand sich im Westen Deutschlands wieder; der kleinere blieb im Osten Deutschlands hängen. Ich bin mit der trauernden Erinnerung an die verlorene Heimat aufgewachsen. Diese trauernde Erinnerung fand aber nur einen Platz im engsten Kreis der Familie oder in der Kirchengemeinde. Offiziell gab es uns Vertriebene in der DDR gar nicht. Stattdessen war euphemistisch von „Umsiedlern“ und schon ab 1950 von „ehemaligen Umsiedlern“ oder „Neubürgern“ die Rede. Dabei machten die Vertriebenen bei Gründung der DDR mit 4 Millionen Menschen noch mehr als ein Fünftel der Bevölkerung aus. Aber die hatten zu schweigen, Frau Kollegin Jochimsen. Ich weiß also, was es heißt, wenn vom Leid der Vertriebenen die Rede ist - dem doppelten Leid der bitteren Vertreibungserfahrung und des schmerzvollen Verlusts der Heimat einerseits und dem Leid des Schweigenmüssens, der Unterdrückung und Verdrängung, das krank machen kann, andererseits. Deshalb habe ich aus voller Überzeugung bei den schwarz-roten Koalitionsverhandlungen 2005 gemeinsam mit Norbert Lammert das Projekt des Sichtbaren Zeichens vereinbart, das an das Unrecht der Vertreibungen erinnern soll. Deshalb habe ich das von Kulturstaatsminister Bernd Neumann vorgelegte Konzept und das Gesetz zur Errichtung der Stiftung „Flucht, Vertreibung, Versöhnung“ ausdrücklich unterstützt. Kern dieses Projekts war aber immer der Gedanke der Versöhnung. Das Netzwerk „Erinnerung und Solidarität“ soll in die Ausstellungskonzeption einbezogen werden, weil dieses Vorhaben, dieses Versöhnungsprojekt, nicht gegen unsere Nachbarn, vor allem nicht gegen Polen, verwirklicht werden kann und darf. ({0}) Unser Erinnerungsprojekt soll gerade nicht zu neuem Zwist, neuer Spaltung führen. Versöhnung ist nicht möglich, jedenfalls nicht glaubwürdig, ohne Rücksichtnahme auf die Partner. Das zu begreifen, heißt eben nicht, sich einem anderen zu unterwerfen. Deswegen verbietet sich der Vorwurf der Einmischung. Wenn man etwas mit einem anderen zusammen tun will, dann lädt man ihn ein, sich einzumischen. Was denn sonst? ({1}) Ich sage es noch einmal: Unser Projekt - ich hoffe, dabei bleiben wir - kann nur gelingen, wenn es nicht nur ein nationales, sondern ein nachbarschaftlich-europäisches Projekt wird. Es darf - gerade auch in Polen - kein neues Misstrauen wecken. ({2}) Deshalb ist der zähe, klebrige Streit um die Besetzung des Stiftungsratspostens durch Frau Steinbach so entsetzlich schädlich. „Nur mit dem Gütesiegel Steinbach hat die Stiftung einen Zweck“, behauptet der CSU-Europaabgeordnete Bernd Posselt. Das wirft die Frage auf, die nun schleunigst beantwortet werden muss: Was ist Ihnen wichtiger, meine Damen und Herren von der CDU/CSU: das Versöhnungsprojekt der Stiftung oder die Person der BdV-Präsidentin? ({3}) Frau Steinbach und der BdV schaden dem sehr unterstützungswürdigen Anliegen, einen Ort zu schaffen, wo an Opfer und Leiden und Ursachen und Folgen von Flucht und Vertreibung angemessen und würdig erinnert werden kann. Deshalb ist nun die Bundeskanzlerin aufgefordert, dieser Hängepartie endlich und endgültig ein Ende zu setzen. ({4}) Diese Hängepartie schadet dem Anliegen der versöhnenden Erinnerung. Mit dieser peinigenden Vorstellung, die ohne Not seit einem Jahr gespielt wird, muss Schluss sein. ({5})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat der Kollege Dr. Rainer Stinner von der FDP-Fraktion.

Dr. Rainer Stinner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003640, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir nutzen die Gelegenheit dieser Aktuellen Stunde sehr gerne, zu Beginn dieser Legislaturperiode über die überragende Bedeutung des deutsch-polnischen Verhältnisses gemeinsam nachzudenken und zu diskutieren. Ich gehe davon aus, dass alle hier im Hause dasselbe wollen: Wir wollen eine dauerhafte Aussöhnung und eine konstruktive Zusammenarbeit in der Zukunft. Wir wissen aber auch, dass dabei immer die Erinnerung an die Vergangenheit eine Rolle spielen wird, die Erinnerung an den von Deutschland ausgegangenen furchtbaren Zweiten Weltkrieg, aber auch die Erinnerung an die darauf folgende unmenschliche Vertreibung von Millionen Deutschen. Das alles müssen und wollen wir beachten. ({0}) Gerade weil wir diese Erinnerung wachhalten wollen, sind wir so stolz auf das, was wir erreicht haben. Wer hätte sich vor 40 Jahren, als die Regierung Brandt/ Scheel mit der neuen Ostpolitik begonnen hat, vorstellen können, dass heute, im Jahr 2009, das wichtigste Problemfeld zwischen Polen und Deutschen die Besetzung eines Sitzes in einem 13-köpfigen Gremium ist? Ich glaube, wenn wir so weit gekommen sind, sind wir einen sehr weiten Weg gegangen, und das ist gut so. ({1}) Wir alle wissen um die Bedeutung der polnischen Solidarnosc für den Prozess, der zur deutschen Einheit geführt hat. Zu Recht hat Lech Walesa am 9. November dieses Jahres den symbolischen Anstoß zum Fall der Mauer gegeben. Das war eine bedeutende Symbolik. Wir sind dem polnischen Volk sehr dankbar. Deutschland hingegen war - das wissen die Polen die treibende Kraft bei der Integration Polens in die Europäische Union. Wir Deutsche haben Polen in die EU gebracht. Ich glaube, das wird in Polen entsprechend gewürdigt und anerkannt. Wir sind sehr daran interessiert, dass die konstruktive Zusammenarbeit weiter ausgebaut wird. Deshalb bitte ich Sie alle, über das Thema vom Ende her zu diskutieren, nicht von den Dingen her, die zwischendurch gelaufen sind, und nicht, ob gut oder schlecht. Was kommt dabei heraus? Welche Entscheidung wird gefällt? Welche Konsequenzen hat dann diese Entscheidung für das von uns gemeinsam getragene Ziel? Darum geht es. Ich bitte Sie alle, über Folgendes nachzudenken: Wie sollen die Beziehungen zu Polen in Zukunft aussehen? Was befördert eine positive Entwicklung der Beziehungen zu Polen? Was behindert eine solche Entwicklung? Was beschädigt diese Beziehungen? Was dient dem Geist der Versöhnung? Was schadet ihm? Also vom Ende her denken! Was bedeutet die Benennung in den Beirat für die deutsch-polnischen Beziehungen? Wenn ich vom Ende her denke, weiß ich, dass manche in unserem Land das als ungerecht empfinden. Das mag so sein. Aber wir haben meines Erachtens einen höheren Wert, nämlich den Wert der überragenden deutsch-polnischen Beziehungen, zu bewahren. Deshalb müssen wir ge360 meinsam überlegen, welche Konsequenzen eine umstrittene Benennung hätte. Die Regeln des Stiftungsbeirates sind eindeutig. Wenn ich mich richtig erinnere, sind sie durch die Große Koalition aus CDU/CSU und SPD geschaffen worden. In den Regeln steht ausdrücklich, dass die beteiligten Organisationen - zu ihnen gehört völlig zu Recht der Bund der Vertriebenen - nominieren können. Das Regelwerk besagt aber auch eindeutig - Sie haben das sicherlich nicht aus Jux und Tollerei gemacht, sondern sich etwas dabei gedacht; davon gehe ich jedenfalls aus -, dass die Bundesregierung letztendlich die Entscheidung fällt. Deshalb nehme ich an, dass die Bundesregierung genau das tun wird. Sie wird das, wie die vorherigen Bundesregierungen auch, im Einvernehmen festlegen. Dabei - das sage ich sehr deutlich - ist jede Form von persönlichen Angriffen von uns strikt abzulehnen. Ich möchte das ausdrücklich auch in Bezug auf Frau Steinbach betonen. Ich halte die Verunglimpfungen, die Frau Steinbach erleiden musste und muss, für völlig unsäglich. Das hat sie nicht verdient; ({2}) denn sie hat sich als Vorsitzende dieses wichtigen Verbandes von Millionen von Vertriebenen, die ein berechtigtes Anliegen haben, in der Vergangenheit den Respekt von uns verdient. Wenn wir auch nicht mit allen Themen einverstanden sind, so hat sie sich doch insgesamt den Respekt für ihre jahrelange Tätigkeit verdient. Aber im Zusammenhang mit der möglichen persönlichen Verunglimpfung bitte ich auch sehr herzlich darum, liebe Kolleginnen und Kollegen, dass man Mitgliedern der Bundesregierung nicht falsche Motive für ihre Positionierung in diesem Falle unterstellt. Auch das gehört dazu. Wir sollten von einem fairen Verhältnis untereinander ausgehen. Wir alle wollen, dass die Stiftung erfolgreich arbeiten kann, wir alle wollen das Verhältnis zu unserem Nachbarn Polen weiter festigen, vertiefen und ausbauen. Das eint uns. Dazu dient auch die Arbeit der Stiftung. Daher muss sie so besetzt werden, dass die von uns allen angestrebten Ziele erreicht werden. Vielen Dank. ({3})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt der Kollege Dietmar Nietan von der SPD-Fraktion.

Dietmar Nietan (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003199, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bevor ich mit meinen Ausführungen beginne, möchte ich dem Kollegen Link sagen: Legenden werden nicht dadurch wahrer, dass man sie wiederholt. Es waren Gerhard Schröder und Außenminister Joschka Fischer, die in Nizza für die Rechte von Polen, für Mehrheitsverhältnisse und für die finanzielle Ausstattung beim Beitritt Polens wie kaum ein anderes Regierungsduo in der damaligen EU gekämpft haben. ({0}) Deshalb ist es einfach falsch, pauschal zu sagen, dass sie diejenigen seien, die für die Trübung des deutsch-polnischen Verhältnisses verantwortlich waren. Das stimmt so einfach nicht. ({1}) Es waren auch, im Gegensatz zu den Aussagen von Kolleginnen und Kollegen hier im Hause aus ganz unterschiedlichen Fraktionen, Fischer und Schröder, die damals klar gesagt haben: Für die Bundesrepublik Deutschland gibt es keine Erweiterung mit Polen. ({2}) Da hätten sich einige in der Zeit deutlicher bekennen können. Das haben wohl einige von Ihnen heute vergessen. ({3}) Ich will Folgendes noch einmal in Erinnerung rufen: Am 28. April 1985 hat der damalige Außenminister und heutige Staatssekretär der Republik Polen Wladyslaw Bartoszewski in einer, wie ich finde, tief bewegenden, großartigen Rede, die in seinem Heimatland sicherlich unvergessen bleiben wird, in Bezug auf das Leid der Deutschen bei der Vertreibung sehr klar Stellung bezogen. Ich würde mich freuen, wenn sich manch einer von denjenigen, die heute die Causa Steinbach zu einer angeblichen Einmischung der polnischen Regierung in die inneren Angelegenheiten der Bundesrepublik Deutschland hochstilisieren, noch an diese Rede erinnern würde. Ich muss Ihnen ehrlich sagen: Mich erinnert das Gerede von einigen von Ihnen über innere Einmischung irgendwie an die empörten Reaktionen, die man von kommunistischen Machthabern kannte, wenn man sie früher darauf hingewiesen hat, dass sie die Schlussakte von Helsinki nicht eingehalten haben. ({4}) Es scheint so zu sein, dass die Redewendung von der Nichteinmischung für einen bestimmten Typus von Politiker auch heute noch zählt und zeitlos ist. Ich kann Ihnen allerdings sagen, dass diese Redewendung eine von gestern ist. Sie passt nämlich nicht mehr in eine Zeit, in der Deutsche und Polen - Gott sei Dank, sage ich - gemeinsame Bürger in einem vereinigten Europa sind. Da ist - das hat Wolfgang Thierse gesagt - Einmischung erwünscht, weil wir gemeinsame Bürger in diesem Europa sind. ({5}) Die Rede, von der ich zu Beginn sprach, hat Wladyslaw Bartoszewski vor nunmehr 14 Jahren anlässlich des 50. Jahrestages der Befreiung vom Faschismus vor dem Deutschen Bundestag gehalten. Damals führte er den großen Polen und Sozialdemokraten Jan Jozef Lipski an, der 1981, also vor der Wende, mit großem Mut zur Vertreibung der Deutschen in Polen sagte - ich zitiere -: Wir haben uns daran beteiligt, Millionen Menschen ihrer Heimat zu berauben … Das uns angetane Böse, auch das größte, ist aber keine Rechtfertigung und darf auch keine sein für das Böse, das wir selbst anderen zugefügt haben … Außenminister Bartoszewski betonte damals in seiner Rede ausdrücklich - ich zitiere wieder -: Ich identifiziere mich vollkommen mit den Thesen meines verstorbenen Freundes Jan Jozef Lipski … Welch eine große Geste von Wladyslaw Bartoszewski, einem Mann, der Auschwitz überlebt hat und anschließend auch noch Opfer stalinistischer Gewaltherrschaft wurde! Viele von denen, die hier sitzen und Zwischenrufe gemacht haben, sollten sich an dieser Art, mit Versöhnung und Vergangenheit umzugehen, wirklich ein Beispiel nehmen. ({6}) Ich frage mich: Wie müssen sich große Europäer wie Tadeusz Mazowiecki oder eben Wladyslaw Bartoszewski fühlen, wenn sie nun auf das Gezerre blicken, das wir jetzt um den Sitz im Stiftungsrat der Stiftung „Flucht, Vertreibung, Versöhnung“ erleben? Ich sage Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen: Ich schäme mich für dieses Trauerspiel, in dem ich alles Mögliche erkenne, aber nicht den Geist der Versöhnung. ({7}) Wolfgang Thierse hat gesagt, dass es für die Bundeskanzlerin nun an der Zeit ist, zu handeln. Ich sage Ihnen sehr deutlich: Ich glaube, dass dieser Ruf, so richtig er ist, ungehört bleibt. Frau Kollegin Steinbach muss das Heft des Handelns selbst in die Hand nehmen. Es mag Sie jetzt vielleicht verwundern, wenn ich an dieser Stelle ausdrücklich sage, dass Frau Kollegin Steinbach als Präsidentin des BdV viel für die Vertriebenen erreicht hat ({8}) und dass wir diese Stiftung, über deren Stiftungsrat sich jetzt so viele streiten, ohne ihre persönliche Beharrlichkeit möglicherweise nicht hätten. ({9}) Harry Nutt hat recht, wenn er in der Frankfurter Rundschau schreibt: Angesichts der kulturellen und gesellschaftlichen Anerkennung, die die Vertriebenenfrage in den letzten Jahren erfahren hat, muss es verwundern, wie wenig es Erika Steinbach und dem BdV gelingen will, die Früchte ihres Erfolges auch zu ernten. Deshalb sage ich an dieser Stelle, an Frau Steinbach gerichtet: Sie können die Früchte dieses Erfolges ernten, wenn Sie jetzt ein Zeichen der Versöhnung setzen und öffentlich erklären, dass Sie auf einen Sitz im Stiftungsrat dieser Stiftung verzichten. ({10}) Das wäre ein wirklicher Beitrag zur deutsch-polnischen Versöhnung. ({11}) Ich sage ebenfalls sehr deutlich: Es wäre ein Beitrag, der mithelfen würde, etwas zu beenden, was ich als zutiefst verantwortungslos empfinde, nämlich dass die Bundeskanzlerin parteipolitische Kalküle vor die Staatsräson stellt. Sie hat in das Wahlprogramm der CDU bewusst den Satz einfügen lassen, dass die Verbände der deutschen Heimatvertriebenen über ihre Vertretung im Rat der Stiftung „Flucht, Vertreibung, Versöhnung“ selbstverständlich selbst entscheiden können, obwohl sie schon damals wusste, dass diesen Sitz niemals Frau Steinbach erhalten wird.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Kommen Sie bitte zum Schluss, Herr Nietan. ({0})

Dietmar Nietan (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003199, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich komme gerne zum Schluss. - Das sagt sie nur nicht selber, und das ist der eigentliche Skandal. Sie versteckt sich, so wie sie es früher bei Frank-Walter Steinmeier getan hat, hinter dessen Nachfolger. Das ist verantwortungslos. Frau Kollegin Steinbach, Sie können dieses würdelose Schauspiel beenden. Erklären Sie, dass Sie dem Stiftungsrat nicht angehören wollen. Dann würden Sie mehr Staatsräson zeigen als Ihre Bundeskanzlerin. Dann würden Sie sich um das deutsch-polnische Verhältnis verdient machen. Das wäre ein Erfolg, den Ihnen niemand, auch nicht die Frau Bundeskanzlerin, nehmen kann. Vielen Dank. ({0})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat der Kollege Holger Haibach von der CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Holger Haibach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003546, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Eines möchte ich vorweg klarstellen, Herr Kollege Nietan: Uns in die Nähe von Menschen mit diktatorischen Überzeugungen zu rücken, indem Sie uns eine Sprache angedeihen lassen, die dieser Debatte nun wirklich nicht würdig ist, ist völlig daneben. Ich weise das auch im Namen meiner Fraktion deutlich zurück; ({0}) denn es wird der Sache nicht gerecht. Ich bin froh, dass wir diese Debatte heute führen können; sie bietet Gelegenheit, das eine oder andere zurechtzurücken. Die Integration von so vielen Millionen Vertriebenen in Deutschland ist in den vielen Jahren nach dem Krieg eine Erfolgsgeschichte ohne Parallele gewesen. Die Heimatvertriebenen haben an dem Wiederaufbau Deutschlands, an dem sogenannten Wirtschaftswunder, das keines war, weil es mit der Hände Arbeit geschaffen worden ist, einen unheimlich hohen Anteil. Die Frage ist: Ist die Zeit gekommen, auch ihre Geschichte zu erzählen? Da ist die Antwort unserer Fraktion ganz klar: Ja, es ist die Zeit gekommen, ihre Geschichte zu erzählen. Deswegen ist es richtig, dass wir diese Debatte führen. Deswegen ist es auch richtig, dass der BdV als die Organisation, die nun einmal die Vertriebenen vertritt, auch die Möglichkeit erhält, die Personen zu benennen, die er für richtig hält. ({1}) Wenn man sich jetzt einmal mit den Argumenten, die heute genannt worden sind, auseinandersetzt, dann stellt man fest, dass diese zum Teil nicht einer gewissen Doppelbödigkeit entbehren. Da gibt es einmal das Argument, dass es ein berechtigtes Anliegen der Vertriebenen gebe - das sagte eine Vertreterin der SPD; von Herrn Thierse haben wir es leicht anders gehört -, sich in diesen Stiftungsbeirat einzubringen, weil sie einen großen Anteil an der Versöhnung haben. Ich glaube, dass das vollkommen richtig ist. Wenn dem aber so ist, kann man nicht zugleich sagen, die Person, die benannt worden ist, ({2}) die Person, die für all das gesorgt hat, die Person, die sozusagen der Spiritus Rector der ganzen Geschichte gewesen ist, darf am Ende des Tages nicht mitbestimmen, wie ihr Kind aussehen soll. Ich finde, dass das falsch ist. Ich finde auch deshalb, dass das falsch ist, weil wir an dieser Stelle wieder ein Stück der Geschichte nicht richtig erzählen. ({3}) Natürlich ist es auch deshalb richtig, dass wir diese Debatte hier heute führen, weil auch sehr viel über die außenpolitische Komponente gesprochen wird. Jawohl, die gibt es. Das ist zweifelsohne richtig. Diese Debatte hat eine starke außenpolitische Komponente. Ich frage mich aber manchmal, warum zum Beispiel so wenig aus der Tschechischen Republik zu hören ist, dagegen sehr viel aus Polen. Offensichtlich gibt es ganz unterschiedliche Perzeptionen, ganz unterschiedliche Annahmen bei dieser Sache. Im Übrigen scheint es mir auch so zu sein, dass hier von interessierten Kreisen an der einen oder anderen Stelle versucht wird, die Frage des deutsch-polnischen Verhältnisses auf einen Punkt zu reduzieren, nämlich auf die Frage, wie der Stiftungsbeirat zusammengesetzt wird. Das, meine Damen und Herren, ist historisch nun wirklich absolut falsch. Versöhnung ist immer ein Prozess. Versöhnung ist eine Sache, die sich über Jahre und Jahrzehnte hinwegzieht. Versöhnung ist nie ein punktuelles Ereignis. Deshalb werden sich an der Frage, wer diesem Stiftungsbeirat am Ende des Tages beitritt, nicht die deutsch-polnischen Beziehungen entscheiden. Diese entscheiden sich daran, ob wir langfristig in guter Art und Weise zusammenarbeiten. Es ist ja auch schon genügend hingewiesen worden: Deutschland hat an der Integration Polens in Europa einen ganz großen Anteil gehabt. Dieser wird auch nicht geschmälert, wenn Frau Steinbach in den Stiftungsbeirat eintritt. ({4}) Weiter ist eingewandt worden, dass die Themen Flucht und Vertreibung ganz spezielle Themen sind und ein besonderes Fingerspitzengefühl erfordern. Auch das ist richtig und zweifelsohne wahr. Aber es ist auch so, dass dieses Thema auf der einen Seite von der Innenpolitik her und auf der anderen Seite von der Außenpolitik her zu betrachten ist. Für uns ist klar, dass der BdV die Person benennen kann, die er benennen will. Aber - damit komme ich zum Ende meiner Rede noch einmal ganz kurz auf die außenpolitische Komponente zu sprechen - Außenpolitik erfordert Fingerspitzengefühl und Rücksichtnahme. ({5}) Wenn man aber in der Außenpolitik seine eigenen Interessen - es geht nicht um Einmischung, sondern um Interessen ({6}) bewusst hintanstellt, dann wird man ein unglaubwürdiger Vertragspartner und wird sicherlich auch in Zukunft nicht außenpolitisch glaubwürdig handeln können. Danke sehr. ({7})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat der Kollege Siegmund Ehrmann von der SPD-Fraktion.

Siegmund Ehrmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003521, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Haibach, das Thema hat vor allem eine auSiegmund Ehrmann ßenpolitische Dimension, die nicht nachrangig ist. Es hat zwar auch starke innenpolitische Implikationen, aber die Debatte ist insbesondere deshalb so schwierig, weil das Verhältnis zu Polen berührt wird. Die Frage, wieso das in Polen so starke Irritationen auslöst, dürfte sich nicht nur mit dem beantworten lassen, was der Zweite Weltkrieg, ausgehend von unserem Volk, über Polen gebracht hat. Die Geschichte Polens zeigt, dass dieses Land schon oft vollkommen von der Landkarte verschwunden ist. Insofern war es gut, dass die Große Koalition verabredet hat, ein sichtbares Zeichen zu setzen, indem ein neues Kapitel der Geschichtspolitik in den europäischen Kontext eingebunden wird. Ich erinnere daran, dass wir uns kurz vor der Bundestagswahl an dieser Stelle mit einem Antrag der Union befasst haben, der dazu dienen sollte, die nationale Geschichtspolitik mit dem Zentrum gegen Vertreibungen aufzuwerten. Wir haben uns damals dagegengestellt, weil wir der Meinung waren, dass dieses Thema nur in einer sorgfältigen gemeinsamen Erörterung mit den europäischen Nachbarn sensibel und umsichtig angegangen werden kann. Das war unser Ansatz. Ein weiterer Ansatz war, dass dies in die Topografie unserer Museumslandschaft eingebettet werden soll und muss. Es sollte gewährleistet sein, dass nicht einmal im Ansatz der Verdacht aufkommt, dass Geschichte umgedeutet wird und Ursache und Wirkung vertauscht werden. Vor diesem Hintergrund ist der Standort Berlin ein guter Standort, Frau Dr. Jochimsen. Natürlich sind von hier fürchterliche Dinge ausgegangen. Aber in dieser Stadt sind auch große Wunder mit initiiert worden. Die Brüche unserer Geschichte im europäischen Kontext hier angemessen zu präsentieren, halte ich für einen guten Ansatz, der auch im Stiftungsgesetz so verankert ist. ({0}) Warum befinden wir uns heute in einer extrem schwierigen Situation? Man kann natürlich das Ganze bemänteln und sagen, die ganze Diskussion sei völlig losgelöst von Frau Steinbach zu sehen. Das zielt daneben. Zur Vita Steinbach gehört - das ist vorhin bereits angesprochen worden - die ausdrückliche Ablehnung der Oder-Neiße-Grenze. ({1}) Ebenso gehört zur Vita Steinbach die Interpretation, dass Hitler für die Polen ein günstiger Vorwand gewesen sei, Deutsche zu vertreiben. Weiterhin gehört zur Vita Steinbach ihr vehementer Widerstand gegen den Beitritt Polens zur EU. ({2}) Diese Positionen dienen nicht dem Dialog oder der Versöhnung. Das sind Punkte, die in den 90er-Jahren in Etappen, auch in der polnischen Öffentlichkeit, immer wieder sehr stark als Provokation empfunden und diskutiert worden sind. Letztendlich ist zu bedenken, dass der politische Resonanzboden in Polen sehr empfindsam ist; das hat auch Herr Link vorhin angesprochen. Es ist sehr dünnes Eis, auf dem wir uns in unserem Verhältnis zu Polen bewegen. Deshalb ist es wichtig, dass wir in einer guten Art und Weise diejenigen stärken, die auch in Polen an einer aufklärerischen Geschichtspolitik im europäischen Kontext interessiert sind. ({3}) Insofern geht es mir hier nicht um kleines Karo. Es kommt im Wesentlichen darauf an, dass wir jetzt einen vernünftigen Schritt nach vorne gehen und dass insbesondere die Union ihre Position deutlich formuliert. Das geht nur, indem die Kanzlerin hier endlich Farbe bekennt. Entscheidend ist auch, dass die FDP ihre Haltung beibehält, damit wir in dieser schwierigen Gemengelage deutlich nach vorne kommen und diese schwierige Debatte endgültig beenden können, um den Nachbarn, insbesondere den polnischen Partnern, deutlich zu machen, dass wir zuverlässige Partner sind, die in einer sehr verantwortungsvollen und umsichtigen Art und Weise Geschichtspolitik im europäischen Kontext erfahrbar machen. Herzlichen Dank. ({4})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Als letztem Redner in dieser Aktuellen Stunde erteile ich dem Kollegen Dr. Günter Krings von der CDU/CSUFraktion das Wort. ({0})

Dr. Günter Krings (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003574, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Dass die Fraktion der Linken mit der Stiftung und dem Zentrum gegen Vertreibungen ihre Schwierigkeiten hat, ist heute wieder deutlich geworden. Dass sie mit den Vertriebenen insgesamt Schwierigkeiten hat, erklärt sich aus der Geschichte der DDR und der damaligen Behandlung von Vertriebenen ({0}) und dadurch, dass dies eine Partei ist, die sich als Staatspartei an ihren Bürgern versündigt hat, indem sie Menschenrechte mit Füßen getreten hat. ({1}) Bei allem Verständnis für diese Aktuelle Stunde - es ist natürlich das Recht jeder Oppositionsfraktion, aktuelle Themen auf die Tagesordnung zu setzen - halte ich es für problematischer, dass die SPD, auch wenn sie es gar nicht will, mit dieser Diskussion heute die historische Leistung der Vertriebenen wieder in ein schlechtes Licht rückt. ({2}) Das wird auch der Geschichte der SPD nicht gerecht. Peter Glotz, ein großer Sozialdemokrat - er ist vorhin erwähnt worden -, hat sich sehr für diese Initiative eingesetzt. Die SPD war einmal eine Partei, die sich für die Belange der Vertriebenen eingesetzt hat. Sie war einmal eine solche Partei. Leider hat sie sich in dieser Hinsicht deutlich verändert. Wer Menschenrechtspolitik ernst nimmt, kann Vertreibung als eines der schlimmsten Phänomene im Europa des 20. Jahrhunderts nicht totschweigen. ({3}) Die CDU/CSU hat sich daher von Anfang an vehement für die Stiftung gegen Vertreibungen eingesetzt. Es war uns ein Herzensanliegen. Im Koalitionsvertrag 2005 - auch das gehört zur Wahrheit - mussten wir der SPD dieses „sichtbare Zeichen“ erst abringen. Ohne den Bund der Vertriebenen hätte es die Stiftung „Flucht, Vertreibung, Versöhnung“ nicht gegeben. Der Titel mit diesem Dreiklang, ausklingend auf Versöhnung, zeigt schon, was ein ganz wesentlicher Punkt dieser Stiftung von Anfang an war, nämlich Versöhnung als Ziel. Versöhnung kann eben nicht unter Ausschluss der Betroffenen funktionieren. ({4}) Ohne den BdV hätte es diese Stiftung nicht gegeben. Der BdV hat schon seit vielen Jahren viel für die Versöhnung, gerade mit Polen, getan. Er hat, was die kulturelle Arbeit betrifft, viel geleistet. Er hat Begegnungen zwischen den Menschen organisiert. Die Vertriebenen sind in Sachen menschlicher Begegnung, Versöhnung und Aussöhnung sehr viel weiter als manche Teile der Politik, jedenfalls weiter als die SPD. ({5}) Diese konsequente Ausrichtung des BdV auf Aussöhnung und Versöhnung ist untrennbar mit seiner Präsidentin Erika Steinbach verbunden. Ich freue mich sehr, sie in meiner Fraktion als Fraktionskollegin zu haben. Frau Steinbach hat unter anderem die Geschichte des BdV kritisch aufarbeiten lassen. Sie hat sich von der Preußischen Treuhand distanziert und hat keinerlei revisionistische Äußerungen in ihrem Verband akzeptiert. Sie hat sich in ihrem Verband auch für den EU-Beitritt Polens eingesetzt. Deswegen war es von Anfang an die logische Entscheidung des BdV - sie hat uns alle nicht ernsthaft überrascht -, als eine von drei Vertretern des BdV im Stiftungsrat Frau Steinbach vorzusehen. Jeder, der vor einem Jahr diesem Stiftungsgesetz hier zugestimmt hat, müsste heute als blauäugig gelten, wenn er sagt, dass ihn das überrascht hätte. Noch einmal: Versöhnung kann nicht unter Ausschluss der Betroffenen stattfinden. Versöhnung muss immer mit den Betroffenen stattfinden. Deshalb akzeptieren wir die Position des BdV. ({6}) Genau aus diesem Grund bin ich persönlich entsetzt über die diffamierenden Äußerungen, die in den letzten Wochen und Monaten immer wieder gegen Frau Steinbach ohne jede faktische Grundlage gefallen sind. Es waren leider eben auch Mitglieder der SPD, die sich - vielleicht unbewusst - hier als Stichwortgeber betätigt haben, ({7}) deren Stellungnahmen dann in Polen und auch hier von einigen aufgegriffen worden sind und zu polemischen Äußerungen geführt haben. Das ist sehr bedauerlich und wird der Verantwortung einer großen deutschen Partei nicht gerecht. ({8}) Genau aus dem Grund halte ich die eben unter anderem vom Kollegen Nietan hier vergossenen Krokodilstränen für scheinheilig. Sie haben selbst mitgezündelt und beschweren sich jetzt, dass es brennt. Seit - auch diese Erkenntnis kann ich Ihnen nicht ersparen - dem Auftritt des Altbundeskanzlers Schröder auf dem Marktplatz von Goslar versuchen Sie immer wieder, Themen der Außenpolitik für Ihre innenpolitische Profilierung zu instrumentalisieren. Das ist der SPD - das besagen auch die Umfragewerte von dieser Woche - nachweislich nicht gelungen. Aber es fügt dem Ansehen Deutschlands Schaden zu. ({9}) Ich komme zum Abschluss gerne auf den Titel der heutigen Aktuellen Stunde zurück. Darin heißt es „Versöhnen statt provozieren“. Ich glaube, in den heutigen Debattenbeiträgen ist deutlich geworden: Dem BdV wie der CDU/CSU ist Versöhnung ein Herzensanliegen. ({10}) Die Provokation findet auf der linken Seite dieses Hauses statt. Danke schön. ({11})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Die Aktuelle Stunde ist beendet. Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Donnerstag, den 26. November 2009, 9 Uhr, ein. Die Sitzung ist geschlossen.