Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Die Sitzung ist eröffnet. Guten Morgen, liebe Kolle-
ginnen und Kollegen!
Interfraktionell ist vereinbart worden, die verbundene
Tagesordnung um die in der Zusatzpunktliste aufgeführ-
ten Vorlagen zu erweitern:
ZP 1 Weitere Überweisungen im vereinfachten Ver-
fahren
Ergänzung zu TOP 2
a) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Harald Terpe, Birgitt Bender, Katrin GöringEckardt, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Gesundheitliche Risiken des Drogengebrauchs
verringern - Drugchecking ermöglichen
- Drucksache 17/2050 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Gesundheit ({0})
Rechtsausschuss
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Winfried
Hermann, Kerstin Andreae, Birgitt Bender, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Sofortiger Baustopp für Stuttgart 21 und die
Neubaustrecke Wendlingen-Ulm
- Drucksache 17/2893 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ({1})
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Tourismus
Haushaltsausschuss
c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Tabea
Rößner, Agnes Krumwiede, Ekin Deligöz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Kultur und Rundfunk nicht durch die Frequenzumstellung schädigen
- Drucksache 17/2920 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie ({2})
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für Kultur und Medien
Haushaltsausschuss
d) Beratung des Antrags der Abgeordneten Markus
Kurth, Fritz Kuhn, Ekin Deligöz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN
Bedarfsgerechte Regelsätze und ein zuverlässiges Hilfesystem für Kinder, Jugendliche und
Erwachsene statt Experimenten
- Drucksache 17/2921 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales ({3})
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
e) Beratung des Antrags der Abgeordneten Brigitte
Pothmer, Beate Müller-Gemmeke, Fritz Kuhn,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Kein Sachgrund, keine Befristung - Befristete
Arbeitsverträge begrenzen
- Drucksache 17/2922 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales ({4})
Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
f) Beratung des Antrags der Abgeordneten Daniela
Wagner, Bettina Herlitzius, Markus Kurth, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Heizkostenkomponente beim Wohngeld erhalten
- Drucksache 17/2923 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ({5})
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Haushaltsausschuss
Redetext
Präsident Dr. Norbert Lammert
g) Beratung des Antrags der Abgeordneten Sabine
Leidig, Dr. Dietmar Bartsch, Herbert Behrens,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE
LINKE
Stuttgart 21, Neubaustrecke Wendlingen-Ulm
und Sparpaket der Bundesregierung
- Drucksache 17/2914 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ({6})
Haushaltsausschuss
h) Beratung des Antrags der Abgeordneten Katja
Kipping, Matthias W. Birkwald, Diana Golze,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE
LINKE
Maßnahmen zur Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenz- und Teilhabeminimums
- Drucksache 17/2934 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales ({7})
Rechtsausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Haushaltsausschuss
i) Beratung des Antrags der Abgeordneten Uwe
Beckmeyer, Rainer Arnold, Sören Bartol, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Kein Weiterbau von Stuttgart 21 bis zur
Volksabstimmung
- Drucksache 17/2933 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ({8})
Haushaltsausschuss
Dabei soll von der Frist für den Beginn der Beratungen, soweit erforderlich, abgewichen werden.
Außerdem mache ich auf eine nachträgliche Ausschussüberweisung im Anhang zur Zusatzpunktliste aufmerksam:
Der in der 55. Sitzung des Deutschen Bundestages
überwiesene nachfolgende Gesetzentwurf soll zusätzlich dem Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz ({9}) zur Mitberatung
überwiesen werden.
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die
weitere Bereinigung von Bundesrecht
- Drucksache 17/2279 Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss ({10})
Innenausschuss
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Sind Sie damit einverstanden? - Das ist offensichtlich
der Fall. Dann ist das so beschlossen.
Wir setzen die Haushaltsberatungen - Tagesord-
nungspunkt 1 - fort:
a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die
Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das
Haushaltsjahr 2011 ({11})
- Drucksache 17/2500 -
Überweisungsvorschlag:
Haushaltsausschuss
b) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Finanzplan des Bundes 2010 bis 2014
- Drucksache 17/2501 Überweisungsvorschlag:
Haushaltsausschuss
Für die heutige Haushaltsberatung hatten wir bereits
am Dienstag eine Redezeit von insgesamt siebeneinhalb
Stunden beschlossen. Auch dabei soll es offensichtlich
bleiben.
Wir beginnen mit dem Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie, Einzelplan 09.
Das Wort erhält zunächst der Bundesminister Rainer
Brüderle.
({12})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Aufschwung hat Flügel bekommen. Das letzte Quartal war
das wachstumsstärkste seit 20 Jahren. Ganz Deutschland
hat die Wirtschafts- und Finanzkrise schneller verdaut
als erwartet. Es gibt zwar noch Risiken, aber wir haben
die Kurve bekommen.
({0})
Die führenden Wirtschaftsforschungsinstitute haben
ihre Wachstumsprognose für Deutschland in den letzten Wochen flächendeckend erhöht. Zwar wird sich die
Dynamik im Herbst etwas normalisieren, doch das Bruttoinlandsprodukt könnte aufs Jahr gerechnet um deutlich
mehr als 2,5 Prozent wachsen.
({1})
Das ist mehr als doppelt so viel, wie wir Anfang des Jahres prognostiziert haben.
Ich habe die Berufspessimisten noch im Ohr. Doch
mit Nörgelei kommen wir nicht weiter. Deutschland
braucht Zuversicht und Optimismus. Die Zuversicht ist
auch berechtigt. Deutschland ist wirtschaftlich wieder
die Nummer eins in Europa. Die grün-rote Laterne aus
Massenarbeitslosigkeit und jahrelanger Stagnation haben wir längst abgegeben.
({2})
Unser Aufschwung ist ein Beschäftigungsaufschwung.
Seit Jahresmitte 2009 hat die Beschäftigung zugenommen. Die Arbeitslosigkeit geht stetig zurück.
({3})
In Bayern und Baden-Württemberg haben wir quasi
Vollbeschäftigung: eine Vier vor dem Komma. Ein
Rückgang der Arbeitslosenzahl auf unter 3 Millionen im
Herbst dieses Jahres ist erreichbar. Das ist enorm wichtig
für die wirtschaftliche Psychologie und die Stimmung.
Das deutsche Jobwunder, wie es im Ausland genannt wurde, löst Hunderttausende persönliche Konjunkturprogramme aus. Das ist besser als jedes staatliche
Konjunkturprogramm Nummer drei, vier, fünf oder
sechs.
({4})
Wir müssen sogar aufpassen, dass wir nicht schon
bald ein großes Fachkräfteproblem bekommen. Deshalb
brauchen wir in Deutschland auch Fachkräfte aus dem
Ausland. Kollege de Maizière hat von der Willkommenskultur gesprochen. Er hat recht. Wir sollten den
besten Talenten der Welt den roten Teppich ausrollen.
({5})
Wir brauchen ein Umsteuern von unkontrollierter Zuwanderung in die Sozialsysteme hin zur Zuwanderungssteuerung zum Erhalt unserer Sozialsysteme.
({6})
Die sehr positive Wirtschaftsentwicklung kommt
nicht von ungefähr. Die deutschen Unternehmen haben
sich seit Jahren gut aufgestellt. Sie haben sich auf den
wachsenden Weltmärkten hervorragend positioniert. Der
Aufschwung ist exportgetrieben. Die entscheidenden
Impulse kamen aus dem Export. Die Unternehmen haben in der Krise alles darangesetzt, ihre Mitarbeiter zu
halten. Bei den ersten Anzeichen der Belebung konnten
sie voll durchstarten. Oft haben betriebliche Bündnisse
mit den Betriebsräten vor Ort das ermöglicht. Auch
wenn jetzt die Lohnfindung im Aufschwung ansteht,
muss das einzelbetrieblich bewertet werden. Manche
Betriebe verdienen so gut, dass mehr drin ist. Bei anderen heißt es: mehr Maßhalten, damit sie ihre Wettbewerbsfähigkeit nicht verlieren.
Der Aufschwung zeitigt auch Entlastungen für Bürger und Unternehmen: Circa 10 Milliarden Euro Einkommensteuerentlastung hatte das Bundesverfassungsgericht uns verordnet. 6 Milliarden Euro Entlastungen
der alten Regierung haben wir beibehalten, und
8 Milliarden Euro haben wir noch draufgelegt, und zwar
genau an den Stellen, wo Bürger, Mittelstand und Wirtschaft gestärkt werden. 24 Milliarden Euro steuerliche
Entlastung! Das nenne ich Wachstumsbeschleunigung.
So stärkt man die Binnennachfrage
({7})
und nicht durch Forderungen nach Steuererhöhungen
oder die Wiederbelebung der klassenkämpferischen Vermögensteuer. Das alles sind letztlich Vorschläge, die
Wachstum und Dynamik in Deutschland abwürgen.
Über 80 Prozent der Unternehmen in Deutschland sind
Personengesellschaften. Für sie ist die Einkommensteuer
Unternehmensteuer. Diesen Gesellschaften will die SPD
50, 60 Prozent des Gewinns wegsteuern. Ein Unternehmen, das keinen Gewinn hat, kann nicht investieren. Wer
nicht investieren kann, kann keine Jobs, keine Arbeitsplätze schaffen.
({8})
Diese wirtschaftspolitische Binsenweisheit kennen in
der aktiven Sozialdemokratie offenbar nur noch wenige.
Einem Klaus von Dohnanyi sind solche Dinge noch geläufig.
({9})
Ökonomisch sinnvolle Politik sieht anders aus. Ökonomisch sinnvolle Politik setzt auf Vorfahrt für die soziale Marktwirtschaft und ein großes Stoppschild für
staatliche Eingriffe; darum geht es dieser Regierung. Wir
haben entschieden, dass die Krisenmaßnahmen jetzt sukzessive auslaufen. Das fängt in der Realwirtschaft mit
dem Deutschlandfonds an, und das wird sich auch in der
Finanzwirtschaft - bis hin zur Commerzbank - fortsetzen. Auch beim Bundeshaushalt schalten wir vom Krisenmodus auf Wachstummodus um. Vernünftige Prioritäten setzen heißt, alle zu fordern, aber niemanden zu
überfordern. Das verstehe ich unter intelligentem Sparen.
Wir bauen den Haushalt des Bundeswirtschaftsministeriums strukturell um, weg von überholten Subventionen, hin zu Innovation und Investition. Wir straffen die
Regionalhilfen. Die Steinkohlebeihilfen werden deutlich um 10 Prozent zurückgefahren. In diesem Thema ist
derzeit viel Bewegung. Wie auch immer die abschließende Haltung der Europäischen Kommission sein wird,
eines ist klar: Es geht um einen Auslaufbergbau in
Deutschland.
({10})
Überraschend finde ich die Reaktionen der Grünen. In
Nordrhein-Westfalen kämpfen sie engagiert für die Fortführung der Kohlesubventionen bis 2018. Hier im Bundestag stellen die Grünen einen Antrag nach dem anderen auf sofortigen Ausstieg aus der subventionierten
Kohle.
({11})
Der tiefere Sinn dieser ökologisch-ökonomischen Dialektik bleibt mir völlig verschlossen.
({12})
„Hauptsache dagegen“ reicht nicht für die größte Volkswirtschaft Europas. Deswegen legt die Bundesregierung
das erste umfassende Energiekonzept seit über zehn
Jahren vor. Wir vereinen Ökonomie und Ökologie. Wir
zeigen den Weg in das regenerative Zeitalter auf. Bezahlbare Energien, technologische Machbarkeit und
CO2-Minderung müssen sinnvoll miteinander verzahnt
werden. Dafür brauchen wir die Laufzeitverlängerung
bei den Kernkraftwerken um durchschnittlich zwölf
Jahre.
({13})
Meine Damen und Herren, unser besonderes Augenmerk gilt dem Mittelstand. Die anwendungsorientierten
Programme für kleine und mittlere Unternehmen haben
Priorität. Gerade für den Mittelstand ist die erneute hohe
Förderung im Außenwirtschaftsbereich notwendig. Ich
will, dass alle Programme des Bundeswirtschaftsministeriums zukünftig noch besser auf den Mittelstand zugeschnitten werden. Ich habe deshalb eine Prüfung aller
Förderprogramme angeordnet; denn ich bin mir sicher:
Mit dem eingesetzten Geld können wir noch mehr erreichen für den Mittelstand und noch mehr Freiheiten für
Entscheidungen und für Gestaltung schaffen.
({14})
Der jetzige Aufschwung soll keine Eintagsfliege sein.
Nein, es geht darum, unser langfristiges Potenzial zu erhöhen. Das ist unser Ziel. Das werden wir auch gemeinsam schaffen: für die Unternehmen, für den Mittelstand,
für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer - kurzum für
die Menschen in unserem Land. Lassen Sie uns deshalb
bei den Beratungen wie immer gut und zügig zusammenarbeiten. Das hat Deutschland verdient.
Vielen Dank.
({15})
Für die SPD-Fraktion erhält nun der Kollege
Hubertus Heil das Wort.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Minister Brüderle, nach Ihrer Rede kann man
sagen: Man kann Ihnen viel nachsagen, aber zwei Eigenschaften nicht, nämlich Dankbarkeit und Demut. Sie
sollten dankbar dafür sein, dass die Vorgängerregierung
die Maßnahmen ergriffen hat, die Deutschland durch die
Krise gebracht haben: die Konjunkturpakete, die Regelungen bei der Kurzarbeit. All diese Grundlagen hat die
Große Koalition gelegt, und zwar auf Vorschläge von sozialdemokratischen Ministern hin, von Frank-Walter
Steinmeier, Peer Steinbrück und Olaf Scholz. Jetzt stellen Sie fest, dass wir besser durch die Krise gekommen
sind, als zu erwarten war.
Herr Minister Brüderle, Sie sollten demütig sein, weil
Sie als Oppositionspolitiker gegen jede dieser Maßnahmen zu Felde gezogen sind. Herr Brüderle, Sie haben
mit dem Aufschwung nichts zu tun.
({0})
Sich hier mit fremden Federn zu schmücken, ist das eine.
Wenn man sich anschaut, was Sie in den letzten Monaten zustande gebracht haben, dann kann man nur sagen,
das Brüderle-Prinzip sah bis dato so aus: Sie haben etwas Wildes angekündigt, aber keiner musste sich Sorgen
machen, weil es doch nicht gekommen ist.
({1})
Ein Beispiel dafür gab es im Herbst letzten Jahres, als
es um das Thema Kreditklemme ging. Sie schlugen wie
Kai aus der Kiste vor, dass die Kreditanstalt für Wiederaufbau auch ein Hausbankprinzip haben sollte. Alle
Fachleute haben den Kopf geschüttelt, aber keiner
musste sich Sorgen machen; denn das war ja nur eine
Ankündigung.
Ein paar Wochen später kamen Sie auf die glorreiche
Idee, ein Entflechtungsgesetz für die Wirtschaft anzukündigen. Gott sei Dank ist das über den Referentenstatus nicht hinausgekommen. Daraus wird auch nichts
mehr. Im Sommer dieses Jahres kündigten Sie dann ein
„Begrüßungsgeld für Gastarbeiter“ an. Auch daraus ist
nichts geworden.
Herr Brüderle, ich muss mich korrigieren. Wir haben
Sie in den letzten Monaten immer dafür kritisiert, dass
Sie nichts entschieden, sondern nur angekündigt haben.
Heute muss ich aber sagen: Das ist immer noch besser
als das, was Sie jetzt tun, nämlich das Falsche zu machen. Das sieht man vor allen Dingen im Bereich der
Energiepolitik. Ich frage mich angesichts dessen, was
Sie im sogenannten Energiekonzept machen, ob Sie bei
Ludwig Erhard nur die Klappentexte gelesen haben;
denn die verlängerten Restlaufzeiten für alte und abgeschriebene Atommeiler sind nichts anderes als die Verfestigung des Oligopols von vier großen Energiekonzernen. Herr Brüderle, Sie behindern Wettbewerb, und das
als liberaler Minister.
({2})
Verlängerte Restlaufzeiten für alte, abgeschriebene
Atommeiler behindern vor allen Dingen Investitionen in
moderne Kraftwerkstechnik, auch in erneuerbare Energien. Wenn Sie das nicht glauben, dann schauen Sie sich
an, was die kommunale Energiewirtschaft zu diesem
Thema zu sagen hat.
({3})
Herr Brüderle, vor allem reicht es überhaupt nicht,
sich nur über den Aufschwung zu freuen. Auch wir
freuen uns über den Aufschwung. Sie tun aber nichts dafür, dass es ein langfristiger Aufschwung, ein nachhaltiger Aufschwung, ein Aufschwung für alle Menschen in
diesem Land, nicht nur für wenige, wird. Sie haben eben
eingeräumt, dass der jetzige Aufschwung exportgetrieben ist, weil unsere deutsche Wirtschaft wettbewerbsfähig ist. Mit den deutschen Produkten, Verfahren und
Hubertus Heil ({4})
Dienstleistungen sind wir auf den Märkten der Welt erfolgreich.
({5})
- Nein, wegen sozialdemokratischer Politik, Herr Kollege. Wir haben die notwendigen Reformen durchgesetzt, die Sie damals in diesem Hause bekämpft haben.
Ich kann mich sehr gut daran erinnern. Den Mut, den wir
hatten und für den wir viel Prügel bekommen haben, haben Sie nicht.
({6})
Wir haben mitgeholfen, dass die deutsche Wirtschaft
im Export erfolgreich sein kann. Es ist aber festzustellen,
dass Sie ein Problem der deutschen Wirtschaft vollständig aussparen, nämlich dass die Binnennachfrage in
diesem Land zu schwach ist. Die Binnennachfrage hängt
von privaten und öffentlichen Investitionen ab. Wir
brauchen eine höhere Investitionsquote. Ein weiterer
Faktor ist die Kaufkraft in diesem Land. Wenn man einen Blick in den Bundeshaushalt wirft, dann fällt auf,
dass Sie gerade im Bereich der Investitionen Maßnahmen ergriffen haben, die dazu angetan sind, ganze
Wirtschaftszweige zu beschädigen. Wie kommen Sie eigentlich auf die Idee, Mittel für die energetische Gebäudesanierung zu kürzen? Das ist ein Bereich, in dem wir
Energiesparen mit sozialer Politik verbinden und gleichzeitig dem Bauhandwerk und der Bauindustrie Impulse
geben können. Das ist ein sehr gutes Programm, aber Sie
machen es kaputt.
({7})
Wie kommen Sie auf die Idee, Mittel für die Städtebauförderung zu kürzen? Unterhalten Sie sich doch einmal mit der Bauindustrie, dem Bauhandwerk und den
Kommunen. Jeder in diesem Bereich eingesetzte Euro
ist eine sinnvolle Investition, weil durch diese Programme das Achtfache an privaten und öffentlichen Investitionen ausgelöst wird. In Sachen Kaufkraft sprechen Sie, Herr Minister, auf einmal davon, dass man
intelligente Tarifabschlüsse braucht. Das wissen auch
Arbeitgeber und Gewerkschaften, dafür brauchen sie
keinen Brüderle.
({8})
Tatsache ist: Wir müssen etwas dafür tun, damit die
Kaufkraft in diesem Land wächst und Nachfrage erzeugt
wird. Es gilt das alte Wort von Henry Ford: Autos kaufen keine Autos. ({9})
Wenn die Wirtschaft wächst, muss man dafür sorgen,
dass auch die Kaufkraft wieder stärker wächst. Die erste
Voraussetzung dafür ist, einen Mindestlohn einzuführen,
damit Menschen von ihrer Arbeit leben können. Wir
könnten uns 11 Milliarden Euro im Haushalt von Frau
von der Leyen sparen, wenn wir nicht ergänzendes Arbeitslosengeld II zahlen müssten.
({10})
Wir müssen aber auch dafür sorgen, dass die Kaufkraft
nicht weiter eingeschränkt wird, wie Sie das gerade machen.
Herr Minister Brüderle, zusammenfassend muss man
feststellen, dass Sie zwar launige Reden auf öffentlichen
Veranstaltungen halten, aber bisher so gut wie kein Gesetz zustande gebracht haben. Das Entflechtungsgesetz
ist die einzige Reform, die Sie auf den Weg gebracht haben, aber auch die ist im Sand verlaufen. Jetzt versuchen
Sie, den Schalter umzulegen. Sie behaupten, die wirtschaftliche Entwicklung, die dem Export und den Entscheidungen der Vorgängerregierung zu verdanken ist,
sei Ihr Verdienst. Das glaubt Ihnen kein Mensch. Sie
meinen, sich jetzt gegen den früheren Minister für Reaktorsicherheit, Herrn Röttgen, in der Energiepolitik
durchsetzen zu müssen. Sie verwechseln an diesem
Punkt aber Energie- und Wirtschaftspolitik mit Klientelpolitik.
({11})
Die Verlängerung der Restlaufzeiten - ich sage es Ihnen
noch einmal - ist nicht nur aus Gründen der Energiesicherheit fragwürdig, sondern auch aus Gründen der
Reaktorsicherheit.
({12})
Es ist nicht nur ein Ding der Unmöglichkeit, weil das
Problem der Endlager nirgendwo hinreichend gelöst ist,
Sie aber dafür sorgen, dass es mehr Atommüll gibt, sondern auch deshalb, weil es handfeste wirtschaftliche
Gründe gibt, warum die Verlängerung von Restlaufzeiten für alte, abgeschriebene Atommeiler keine gute Idee
ist. Die Verlängerung verhindert Investitionen in moderne Kraftwerkstechnik und erneuerbare Energien. Ich
sage es Ihnen noch einmal: Sie machen das Geschäft von
vier großen Konzernen zulasten des Wettbewerbs im
Energiesektor. Deren Profite haben Sie im Blick, aber
nicht das volkswirtschaftliche Wohl. Das ist eines Bundeswirtschaftsministers nicht würdig, zumal wenn er in
der Tradition von Ludwig Erhard und Karl Schiller stehen will, was Sie immer vorgeben.
({13})
Herr Brüderle, Sie sind bisher gut im Ankündigen gewesen. Bitte, bleiben Sie dabei! Denn es ist schlimmer,
wenn Sie versuchen, tatsächlich Politik zu beeinflussen.
Das zeigt sich wieder dieser Tage beim Energiekonzept.
Es gibt keine Vorstellung davon, wie Deutschland auf einen nachhaltigen Wachstumspfad kommen soll, wie wir
wettbewerbsfähig bleiben und wie wir neben einem
starken Auswärtsspiel ein starkes Heimspiel auf dem
Binnenmarkt organisieren können. Es gibt über die Tatsache, dass Sie immer davon sprechen, dass ein Fachkräftemangel in diesem Land droht, und Broschüren
Hubertus Heil ({14})
und Flugblätter Ihres Ministeriums hinaus keine Vorschläge, wie dieser Entwicklung zu begegnen ist.
Sie behaupten, Sie würden im Bundeshaushalt bei der
Bildung nicht kürzen. Das ist falsch; denn Sie haben mit
den Klientelgeschenken, die Sie beispielsweise den Hoteliers gegeben haben - es war Ihr Herr Burgbacher in
Ihrem Ministerium, Herr Minister Brüderle, der diesen
Unsinn mit der „Hotelsteuer“ angerichtet hat -, die öffentlichen Finanzen, vor allen Dingen von Kommunen
und Ländern, geschädigt. Dort kann man nun eben weniger in Bildung investieren. Ich weiß gar nicht, warum
Sie diesen Zusammenhang nicht begreifen.
Sie können nicht über Fachkräftemangel jammern
und gleichzeitig veranlassen, dass der Staat im Bereich
Bildung weniger Geld zur Verfügung stellt. Das ist nicht
in Ordnung. Stattdessen sollten Sie in diesem Bereich etwas tun. Nicht ein Begrüßungsgeld für sogenannte Gastarbeiter brauchen wir, sondern vor allen Dingen erst einmal Investitionen in die Köpfe und Herzen der jungen
Menschen in diesem Land, egal ob mit Migrationshintergrund oder nicht.
({15})
Kümmern Sie sich darum! Sie hätten die Gelegenheit.
Sie haben nicht angesprochen, dass es immer noch
70 000 junge Menschen sind, die Jahr für Jahr in
Deutschland die Schule ohne schulischen Abschluss verlassen. Wir haben auf dem Arbeitsmarkt eine Entwicklung zu gewärtigen, die in ganzen Regionen zu einem
wirtschaftlichen Problem wird. Es gibt einen gespaltenen Arbeitsmarkt: auf der einen Seite Fachkräftemangel, auf der anderen Seite viele junge Menschen - im
Übrigen auch ältere Menschen -, die in Langzeitarbeitslosigkeit landen, weil sie den Einstieg in den Arbeitsmarkt nicht geschafft haben. Wo ist die Initiative des
Bundesministers für Wirtschaft und der Bundesministerin für Arbeit, um diesem Fachkräftemangel entgegenzuwirken? Wo sind die Maßnahmen, die wir brauchen, um
denjenigen, die erst einmal durchgefallen sind, eine
zweite und eine dritte Chance zu geben?
Ich habe Sie bei der Verleihung des Gründerpreises
gehört. Sie haben immer viel davon geredet. Aber wo
sind die konkreten handfesten Ansätze? Ein Wirtschaftsminister der Bundesrepublik Deutschland sollte kein
Grußaugust sein, sondern ein Innovator, einer, der Impulse gibt, der den Finger in die Wunde legt, der Vorschläge und Konzepte auf den Tisch bringt und sich
nicht in Dampfplauderei auf öffentlichen Veranstaltungen ergeht, Herr Minister Brüderle.
({16})
Herr Brüderle, wir werden in diesem Haus, im Ausschuss und auch im Plenum, konkrete Vorschläge machen.
({17})
Sie mögen sich hinstellen und alte Vorurteile über Sozialdemokraten verbreiten,
({18})
weil es in Ihr beschränktes FDP-Weltbild passt. Aber die
Menschen in diesem Land spüren, dass bei der FDP das,
was sie für sich reklamiert, nämlich Politik aufgrund
wirtschaftlicher Kompetenz, verwechselt wird mit Politik für wenige zulasten von vielen,
({19})
Politik für Pharmakonzerne verwechselt wird mit der Sicherung des Gesundheitswesens, Politik für große Hotelketten verwechselt wird mit Initiativen zur Belebung des
Tourismus in Deutschland, Politik für große Energiekonzerne, vier Stück, und deren Profite
({20})
verwechselt wird mit Politik für einen modernen Energiebereich. Klientelpolitik statt gemeinwohlorientierte
Politik, Einzelinteressen statt volkswirtschaftlicher
Nutzen, kurzfristige Ankündigungen statt langfristiges
Wachstum - diese kurzatmige Politik à la Brüderle ist
schon heute gescheitert. Die Menschen sehen das auch
so. Sie als FDP werden das nicht nur bei den nächsten
Wahlen erleben, sondern erleben das schon jetzt täglich.
Sie haben jegliche Glaubwürdigkeit im Bereich der
Wirtschaftspolitik verspielt, Herr Minister Brüderle.
({21})
Nächster Redner ist der Kollege Dr. Michael Fuchs
für die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen!
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Lieber Herr
Heil, wenn man das Unheil hört, das Sie hier von sich
gegeben haben,
({0})
kann einem eigentlich nur schlecht werden.
({1})
Sie haben bei den Konjunkturpaketen mitgearbeitet - da
gebe ich Ihnen recht -,
({2})
Sie haben mit uns einiges mit umgesetzt,
({3})
aber jetzt sind Sie gerade dabei, alles wieder zurück auf
null zu drehen. Ihr Vorsitzender hat soeben beschlossen,
dass man die Rente mit 67, die er selber im Kabinett mit
beschlossen hat, wieder zurücknehmen sollte. Was ist
das für eine Politik? Sie wissen überhaupt nicht, was Sie
wollen. Vor vier Jahren haben Sie gesagt: „Wir brauchen
die Rente mit 67; das ist notwendig“, und haben mit uns
verantwortungsvolle Politik gemacht. Jetzt können Sie
das nicht mehr, weil wir nicht mehr an Ihrer Seite sind.
Sie tun mir leid.
({4})
Wenn ich mir anschaue, wie die wirtschaftliche Situation sich darstellt, kann ich eigentlich verstehen, dass die
Opposition so gequält guckt. Sie guckt deswegen so gequält, weil sie die Zahlen, die wir jetzt erreicht haben,
nie erreicht hätte.
({5})
Die christlich-liberale Koalition ist der Garant dafür,
dass es bei Wachstum und Beschäftigung in Deutschland
wirklich vorwärtsgeht. Die EU hat gerade eine Wachstumsprognose für dieses Jahr für uns aufgestellt:
3,4 Prozent Wachstum hätte uns doch vor einem halben
Jahr keiner zugetraut. Ich weiß noch, als der Bundeswirtschaftsminister am Anfang des Jahres zögerlich mit
1,4 Prozent plante. Das war sehr niedrig angesetzt, aber
wir wollten vorsichtig sein. Jetzt sind wir auf einem
Weg, den einzuschlagen uns wirklich keiner in ganz Europa zugetraut hat.
Natürlich haben wir Glück, weil der Export boomt.
Das hat auch etwas mit dem weicheren Euro zu tun; so
weich ist er allerdings gar nicht: Gestern lag er im Verhältnis zum Dollar bei 1,29. Das ist eine mittlere Zahl
und ein vernünftiger Durchschnitt. Es hat auch etwas damit zu tun, dass der Binnenmarkt angesprungen ist.
Auch das hätte eigentlich kein Mensch geglaubt. Frau
Lagarde hat uns ja vor nicht allzu langer Zeit noch aufgefordert, etwas mehr für den Binnenmarkt zu tun. Ich
glaube, die Franzosen wären verdammt froh, wenn sie
unser Binnenmarkt- und Exportwachstum hätten. In
Frankreich liegt das nämlich bei 1,7 Prozent; bei uns lag
es im zweiten Quartal dieses Jahres bei 3,7 Prozent. Kein
Industrieland in der Welt, auch nicht die USA, hat solche
Wachstumsperspektiven, wie wir sie zurzeit haben. Das
sollte man einmal ganz deutlich sagen.
({6})
Das Weltwirtschaftsforum in der Schweiz hat gerade
festgestellt, dass Deutschland hinsichtlich der Wettbewerbsfähigkeit auf Platz eins in Europa liegt. Die
deutsche Wirtschaft hat ihre Hausaufgaben gemacht, die
Arbeitgeber haben ihre Hausaufgaben gemacht und zusammen mit den Gewerkschaften dafür gesorgt, dass es
wieder Wachstum in Deutschland gibt. Als wir im letzten Jahr beim Wachstum ein Minus von fast 5 Prozent
hatten, konnte sich kaum einer vorstellen, dass wir so
schnell wieder aus dieser Krise herauskommen. Das hat
kein anderes Land geschafft.
Das beste Konjunkturprogramm, Herr Heil, das Sie
völlig ausgeblendet haben, ist die Schaffung zusätzlicher
Arbeitsplätze,
({7})
Leuten die Chance zu geben, am Wirtschaftswachstum
teilzuhaben.
({8})
Wir haben mittlerweile nur noch 3 Millionen Arbeitslose. Als Schröder aufgehört hat, waren es 5 Millionen.
Sie konnten es nicht. Sie haben uns gebraucht.
({9})
Auf dem Weg dahin haben wir mit Ihnen richtige Entscheidungen getroffen.
({10})
Aber mittlerweile wird es noch besser; denn wir können
darauf hoffen, dass die 3-Millionen-Grenze bei den Arbeitslosen vielleicht schon im September nach unten
durchbrochen wird. Das hieße, dass wir dann die niedrigste Arbeitslosenquote seit der Wiedervereinigung haben würden. Das ist wirklich eine Erfolgsgeschichte. Da
können Sie erzählen, was Sie wollen.
({11})
Ich weiß, dass Sie das nicht gerne hören.
({12})
Aber das ist das beste Konjunkturprogramm für alle.
({13})
Schauen wir uns einmal die Arbeitslosenquoten weltweit in den großen Industrieländern an: Bei der EU-27
liegt sie bei 9,2 Prozent, in Spanien bei 18,7 Prozent, in
Frankreich bei 9,6 Prozent und in den USA, wo sie bisher immer deutlich unter der unsrigen gelegen hat, bei
9,7 Prozent, während sie in Deutschland zurzeit bei
7,6 Prozent, Tendenz fallend, liegt. Man spricht im
Ausland vom „German Job Wonder“. Das ist mehr als
positiv. So sollten wir das jedenfalls sehen. Wenn wir
weiterhin die richtigen Entscheidungen treffen, dann
funktioniert das auch noch länger.
Wir haben richtige Entscheidungen getroffen, von denen Sie heute vielfach gar nichts mehr hören wollen. Sie
haben ja noch mit uns das Bürgerentlastungsgesetz auf
den Weg gebracht. Wir haben dieses um das Wachstumsbeschleunigungsgesetz ergänzt. Beide Gesetze zusammen haben dazu geführt, dass wir sowohl beim Binnenwachstum als auch bei der wirtschaftlichen Entwicklung
wieder nach vorn kommen. Das ist in Ordnung. Das
brauchen wir so.
Es war auch richtig, die Rettungsschirme, die wir für
Griechenland und den Euro gespannt haben, zu beschließen. Sie als Opposition aber haben diesen Rettungsschirmen Ihre Zustimmung verweigert.
({14})
Das war falsch. Sie sehen ja jetzt - ({15})
- Es stimmt, nicht alle. In diesem Falle haben Sie sich
sogar ausgesprochen positiv verhalten, Frau Künast. Das
möchte ich loben. Entschuldigung! Aber die Herrschaften auf der linken Seite des Hauses haben sich verweigert, und das war falsch.
({16})
Die Weltwirtschaft wächst in diesem Jahr um 4 Prozent. Wenn es uns tatsächlich gelingt, ein Wirtschaftswachstum in einer Größenordnung von 3,4 Prozent, wie
es uns die OECD voraussagt, zu erzielen, dann wäre dieses Jahr das erste Jahr seit annähernd 20 Jahren, wo wir
ungefähr im Gleichschritt mit der Weltwirtschaft wachsen. Auch diese positive Entwicklung hat uns keiner zugetraut.
({17})
Die Binnennachfrage ist ausgesprochen stark. Warum? Weil wir eine Menge an Maßnahmen im Wachstumsbeschleunigungsgesetz ergriffen haben - Sie, Herr
Heil, hören das ja nicht so gerne -, die für die Bürgerinnen und Bürger positiv waren. Wir haben die Kinderfreibeträge und das Kindergeld erhöht und dafür gesorgt,
dass die Krankenkassenbeiträge steuerlich absetzbar
sind.
({18})
Wir haben Familien mit Kindern um 4,6 Milliarden Euro
entlastet. Außerdem haben wir etliche Maßnahmen für
die Unternehmen ergriffen, um das zu korrigieren, was
wir aufgrund Ihrer falschen Positionen in der letzten Regierung falsch gemacht haben. Beispielsweise sind die
geringwertigen Wirtschaftsgüter jetzt wieder voll steuerlich absetzbar, wie das von Anfang an der Fall war. Das
war richtig.
({19})
Das Ganze haben wir parallel zu einem sehr ambitionierten Programm gemacht. Der Finanzminister hat vollkommen recht: Wir müssen den Pfad der Konsolidierung
des Haushaltes einhalten. Ich erinnere daran: Als Herr
Steinbrück letztes Jahr den ersten Entwurf des Haushaltes für dieses Jahr vorgelegt hat,
({20})
waren darin noch 86 Milliarden Euro Neuverschuldung
enthalten. Wir werden, lieber Herr Finanzminister
Schäuble, dieses Jahr auf rund 60 Milliarden Euro kommen. Wir machen dies, weil Konsolidierung unser zentrales Ziel ist, das wir dringend erreichen müssen.
Lieber Kollege Fuchs, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Peter Friedrich?
Von mir aus.
Bitte schön.
Lieber Kollege Fuchs, danke, dass Sie mir Gelegenheit zu einer Frage geben.
Sie haben gerade davon gesprochen, dass es Konsolidierungsanstrengungen brauchte. Zuvor haben Sie Ihr sogenanntes Wachstumsbeschleunigungsgesetz gelobt. In diesem Gesetz ist der abgesenkte Mehrwertsteuersatz für die
Hotellerie enthalten. Knapp 1 Milliarde Euro hat es gekostet. Dieses Geld steht jetzt nicht mehr für die Konsolidierung zur Verfügung. Ich frage Sie, wie Sie folgenden
Satz, der von der DEHOGA stammt, beurteilen - ich zitiere mit Erlaubnis des Präsidenten -:
Mit 208 Millionen Euro lag das konkret belegbare
Investitionsvolumen der einheimischen Hotellerie
bereits Anfang August deutlich über dem Niveau
kompletter Normaljahre von 118 Millionen Euro.
- Müssen wir das so verstehen, dass Sie 1 Milliarde Euro
eingesetzt haben, damit 100 Millionen Euro an zusätzlichen Investitionen auf den Weg gebracht werden? Halten Sie das für eine sinnvolle Wirtschafts- und Konjunkturpolitik?
Wir haben gesagt - das ist Ihnen bekannt -, dass wir
die Regelungen zu den Mehrwertsteuersätzen in einer
Kommission komplett überarbeiten werden.
({0})
Wir werden uns dann ansehen, ob das vernünftig war.
Wenn die Zahlen so sind, wie Sie sie gerade genannt haben, dann wurde eben nicht ausreichend investiert. Gestern Abend hat mir der Präsident der DEHOGA mitgeteilt, es seien bereits 750 Millionen Euro investiert
worden. Wir wollen die Zahlen überprüfen und abwarten, was am Ende des Jahres dabei herauskommt.
({1})
Wir haben das Konsolidierungsprogramm auf den
Weg gebracht. Ich möchte einige Zahlen nennen, die zeigen, dass Ihre Argumentation, dieses Programm habe
eine gewaltige soziale Schieflage, völlig aus der Luft gegriffen ist. Im Jahr 2000 - damals regierte Gerhard
Schröder - betrug der Anteil der sozialen Sicherung
am Bundeshaushalt 41,2 Prozent. Letztes Jahr, als wir
noch gemeinsam regierten, Herr Heil, betrug er rund
50,3 Prozent. In diesem Jahr beträgt er 54,5 Prozent. Das
heißt, noch nie in der Geschichte der Bundesrepublik
Deutschland hatten wir einen solch hohen Anteil der soDr. Michael Fuchs
zialen Sicherung wie jetzt. Dann von sozialer Schieflage
zu sprechen, halte ich schon für sehr verwegen.
Am Sparpaket hat der Bereich Soziales einen Anteil
von etwa einem Drittel. Aber der Anteil am Haushalt
liegt über 40 Prozent. Das heißt, wir sparen im sozialen
Bereich unterproportional im Vergleich zu allen anderen
Bereichen. Das ist richtig und eine vernünftige Politik,
die wir da machen. Das soll auch so bleiben.
Wenn ich die Opposition predigen höre, wir müssten
noch mehr Deficit Spending machen - diese Forderung
kommt vor allen Dingen vom ganzen linken Teil dieses
Hohen Hauses -, dann kann ich mich nur noch wundern.
Sie haben Keynes anscheinend nur bis zum ersten Kapitel gelesen. Im zweiten Kapitel sagt er genau, was man
in Aufschwungphasen tun sollte. Sie sollten das ganze
Buch lesen; das hilft Ihnen weiter.
({2})
Was wir in der Energiepolitik machen, ist verantwortliche Politik. Ich halte es für richtig, dass wir die
Laufzeiten um durchschnittlich zwölf Jahre verlängern.
Ich halte es auch für richtig, dass wir die großen Erträge
in hohem Maße abschöpfen.
({3})
In den ersten zwei Jahren zahlen die Kernkraftwerksbetreiber 2,6 Milliarden Euro pro Jahr. 2,3 Milliarden Euro
gehen direkt in den Haushalt und 300 Millionen Euro in
den Fonds. In den vier Folgejahren zahlen sie 2,5 Milliarden Euro, wovon wiederum 2,3 Milliarden Euro in
den Haushalt und 200 Millionen Euro in den Fonds fließen.
({4})
Wir sind auf diese Art in der Lage, viel Geld in den Einstieg in erneuerbare Energien, in Speichertechnologien,
in Forschung, in Netzausbau etc. zu investieren.
Zum Thema Netzausbau darf ich Ihnen einmal eines
sagen: Sie alle fordern hier erneuerbare Energien. Auch
ich tue das; ich finde das auch richtig. Nur, wir wissen,
dass erneuerbare Energien dezentral entstehen.
({5})
Wenn Sie dezentral entstehen, dann brauchen wir Leitungsnetze, damit sie dahin kommen, wo sie gebraucht
werden.
({6})
Und wer macht etwas gegen Leitungsnetze? Verehrte
Frau Künast, kommen Sie in meinen Wahlkreis. Da soll
eine 380-kVA-Leitung gebaut werden. Wer ist dagegen,
dass diese Leitung gebaut wird?
({7})
Die Grünen, Greenpeace, NABU, BUND. Das ist doch
keine verantwortliche Politik. Dann gehen Sie bitte hin
und fördern mit uns den Leitungs- und Netzbau, und versuchen Sie nicht, ihn zu verhindern.
({8})
Ich sage Ihnen noch eines. Wir wollen OffshoreWindanlagen bauen. Dafür bin ich absolut. Da stören sie
nicht; da sieht man sie nicht. Sie sind irgendwo draußen.
Das ist eine komplizierte Geschichte und sehr teuer.
Auch das wird in Zukunft mit dem Erneuerbare-Energien-Gesetz gefördert werden. Aber der Strom wird
nicht in der Nordsee gebraucht. Nach meiner Kenntnis
lieben Fische keinen Strom.
({9})
Wenn es uns nicht gelingt, ein vernünftiges Leitungsnetz von der Nordsee und der Ostsee in die Gegenden zu
bauen, in denen wir den Strom brauchen - zum Beispiel
in das Ruhrgebiet oder nach Bayern, wo man heute noch
65 Prozent Kernkraftstrom nutzt -, dann funktioniert das
ganze System nicht. Deswegen brauchen wir ein Leitungsnetz, das wirklich vernünftig ist. Dieses Leitungsnetz müssen wir aufbauen. Ich erwarte von den Grünen,
dass sie ihre Kameraden in den Ländern zurückpfeifen
und dafür sorgen, dass diese Dinge auch umgesetzt werden können.
({10})
Herr Kollege Fuchs, darf Ihnen der Kollege Lenkert
noch eine Zwischenfrage stellen?
Nein, es reicht jetzt. - Wir werden durch diese Möglichkeiten auch in der Lage sein, den Strompreis in
Schach zu halten. Es ist in den Energieszenarien, die wir
erstellt haben, bewiesen, dass der Strompreis sinken
wird und dass die erneuerbaren Energien besser ausgebaut werden.
Das ganze Geschwätz, dass der Kernkraftstrom die
Leitungen verstopfen würde, zeigt doch, dass entweder
keinerlei Ahnung vorhanden ist oder demagogisch falsch
argumentiert wird.
({0})
Wie soll denn, bitte schön, Atomkraft die Leitungsnetze
verstopfen, wenn erneuerbare Energien einen Leitungsvorrang haben?
({1})
Die erneuerbaren Energien werden zuallererst durchgelassen, und nichts anderes passiert. Das wissen Sie ganz
genau. Deswegen sollten Sie hier auch nicht solche Unwahrheiten verbreiten; denn das verunsichert die Bevölkerung. Wir wollen der Bevölkerung Sicherheit geben.
Wir wollen dafür sorgen, dass die erneuerbaren Energien
ausgebaut werden, aber zu Preisen, die die Bürgerinnen
und Bürger bezahlen können,
({2})
und vor allen Dingen zu Preisen, die die Unternehmen
nicht aus Deutschland vertreiben. Das ist uns wichtig.
Wir brauchen in Deutschland die Industrie.
({3})
Mein Bild von Deutschland ist ein Industrieland. Wir
sind deswegen so gut aus der Krise gekommen, weil unsere Industrie Arbeitsplätze aufgebaut hat und weiter gewachsen ist, und das muss auch so bleiben.
({4})
Für eine Kurzintervention erhält der Kollege Lenkert
das Wort.
Herr Kollege Fuchs, eine kurze Frage: Ist Ihnen bekannt, dass die Netzbetreiber verpflichtet sind, eine Leitung zu legen, egal wohin ein Kraftwerksbetreiber sein
Kraftwerk bauen will, dass dies volkswirtschaftlich relativ sinnlos ist und dass es in früheren Zeiten, bevor Sie
Netze und Betreiber getrennt haben, üblich war, die
Kraftwerke zum einen dorthin zu bauen, wo Strom gebraucht wurde, damit man nicht so viele Leitungen
bauen musste, und zum Zweiten, wo Leitungen frei waren? Dieses Prinzip ist außer Kraft gesetzt. Würden Sie
mir zustimmen, dass das natürlich die Akzeptanz der Bevölkerung für Leitungsneubauten deutlich reduziert?
({0})
Ist Ihnen denn bekannt, dass Anlagen zur Nutzung erneuerbarer Energien dort gebaut werden, wo der Betreiber es wünscht, dass deshalb natürlich Netze vorhanden
sein müssen? Wir haben einen Einspeisevorrang für erneuerbare Energien; die Netze müssen ihn gewährleisten.
Ich halte es übrigens für richtig, dass die Netzbetreiber von den Kraftwerksbetreibern getrennt sind. Dieses
Unbundling ist auch europäische Politik. Die Grünen
sollten sich damit beschäftigen.
({0})
Ich vermute, dass ein größerer Teil dieser außergewöhnlich geistreichen wechselseitigen Zwischenrufe gar
nicht das Protokoll erreichen, sodass sich für einen solchen Fall eine rechtzeitige Absprache empfiehlt, damit
sie überhaupt aufgenommen werden können.
Nun hat die Abgeordnete Sahra Wagenknecht für die
Fraktion Die Linke das Wort.
({0})
Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen!
Wenn eine Regierung jeden Bezug zur Realität verliert,
({0})
ist das in der Regel nicht besonders gut für das Land.
({1})
Herr Brüderle, Sie träumen vom Wirtschaftsaufschwung
mit Flügeln. Ich will Ihnen nicht Ihre Träume nehmen;
aber eigentlich sollten Sie wissen, auf welch wackeligen
Fundamenten das Wachstum, das wir aktuell in Deutschland haben, beruht. Sie träumen von einem Jobwunder,
aber wissen ganz genau, dass Sie die Statistik fälschen,
weil Sie etwa 1 Million Menschen, die in diesem Lande
verzweifelt nach Arbeit suchen, schlicht nicht mehr erfassen und einrechnen.
Noch eine andere Zahl ist interessant: Die Summe der
Löhne und Gehälter liegt heute in der Bundesrepublik
inflationsbereinigt auf dem Niveau von 1991. Das muss
man sich einmal vergegenwärtigen. Diese Zahl ergibt
sich trotz der ganzen gefeierten tollen neuen Jobs, die
angeblich geschaffen wurden: Billigjobs, Minijobs sowie Leiharbeit, die wieder auf Vorkrisenniveau boomt.
All das sind Jobs, von denen Menschen eben nicht leben
können. Das ist das Grundproblem.
Im Gegenzug sind die Einkommen aus Gewinnen und
Vermögen in diesem Jahr schon wieder nach oben geschossen, und zwar um 22 Prozent. Herr Brüderle, das
ist Ihr Aufschwung, aber er trägt nicht. Denn diejenigen,
die diese dicken Einkommen beziehen, schieben das
Geld nur in die Finanzmärkte, während der Binnenmarkt
und der Konsum unverändert am Boden liegen.
({2})
Gerade deshalb ist Ihr Sparpaket eben nicht nur ein
sozialer Skandal, sondern auch ein wirtschaftspolitischer
Irrsinn. Sie können doch nicht im Ernst glauben, dass
Sie die Wirtschaft dadurch stabilisieren, dass Sie denen,
die nun wirklich jeden Euro für ihre dringendsten Lebensbedürfnisse brauchen, das letzte Geld aus der Tasche ziehen.
({3})
Hören Sie doch endlich auf, uns zu erzählen, das sei
ein Sparpaket. Sie sparen doch gar nicht. Die annähernd
40 Milliarden Euro, die Sie Hartz-IV-Empfängern, ArSahra Wagenknecht
beitslosen und Geringverdienern in den nächsten Jahren
aus der Tasche ziehen wollen, haben Sie doch schon
vorab bei der HRE versenkt.
({4})
Das ist doch keine Sparpolitik. Das machen Sie wirklich:
Sie arbeiten daran, den Sozialstaat im Interesse einer ungebremsten und ungehemmten Profitmacherei endgültig
zu entsorgen. Das ist doch das, was hier läuft; das läuft
leider seit Jahren in diesem Land.
({5})
Ich muss allerdings auch sagen, dass ich immer wieder wirklich verblüfft bin, mit welcher Selbstgefälligkeit
die SPD hier den Robin Hood der sozial Entrechteten
gibt. Ja, wann hat das denn alles angefangen mit Billigjobs, Rentenkürzungen, Leiharbeit und Hartz IV?
({6})
Das alles fing doch im Wesentlichen bei Ihnen an, unter
Rot-Grün: Arbeitslose werden in übelster Weise gedemütigt, Banken finanzieren lieber Finanzwetten als innovative Mittelständler, die Löhne sinken,
({7})
Dividenden sind wichtiger als Ausgaben für Forschung
und Entwicklung. Die Weichen in diese Sackgassen wurden doch im Wesentlichen unter Beteiligung der SPD
gestellt.
Nun will ich jeder Partei zubilligen, dass sie sich korrigieren kann.
({8})
Das Erschreckende ist aber: Sie korrigieren sich gar
nicht. Sie tun einfach nur so, als hätten Sie mit dem in
diesem Lande angerichteten sozialen Desaster einfach
nichts zu tun. Da kann ich Sie nur fragen: Merken Sie
überhaupt nicht, wie unglaubwürdig diese Inszenierung
ist, die Sie hier immer wieder abziehen?
({9})
Ich komme zurück zur Regierung. Für Walter Eucken,
({10})
einen der geistigen Väter des Konzepts der sozialen
Marktwirtschaft - den Sie wahrscheinlich alle wieder
nicht gelesen haben -,
({11})
war das Prinzip der Haftung die Voraussetzung für eine
funktionierende Wettbewerbsordnung. Eucken wörtlich:
„Wer den Nutzen hat, muss auch den Schaden tragen.“
Herr Brüderle, wir verlangen nicht, dass Sie auf uns, die
Linke, hören, aber hören Sie wenigstens auf Walter
Eucken und sorgen Sie dafür, dass diejenigen, die aus
der Spekulationsparty und dem Dividendenregen den
Nutzen gezogen haben, jetzt auch den Schaden tragen
und nicht Arbeitslose und Geringverdiener.
({12})
Aber diese Regierung hat noch nicht einmal das Kreuz,
eine Politik zu machen, wie sie im Sinne von Walter
Eucken wäre.
Kennen Sie übrigens den Urheber von folgendem
schönen Satz:
Der Tatbestand der sozialen Marktwirtschaft ist …
nur dann als voll erfüllt anzusehen, wenn entsprechend der wachsenden Produktivität … echte Reallohnsteigerungen möglich werden.
Es ist schon interessant, dass niemand auf die Idee kommen würde, diesen Satz irgendeinem Mitglied der aktuellen Bundesregierung zuzuordnen. Der Satz stammt
von Ludwig Erhard. Wenn man seine Aussage ernst
nimmt, dann ist völlig klar, dass wir in unserem Lande
seit vielen Jahren definitiv keine soziale Marktwirtschaft mehr haben. Was wir tatsächlich haben, ist ein gewissenloser und zunehmend rabiater Kapitalismus, von
dessen wenigen Profiteuren Sie sich die Agenda Ihrer
Politik diktieren lassen: von der Atomlobby, von den
Banken, von den Konzernen und von einer kleinen,
steinreichen Oberschicht, die Sie alle, wie Sie hier sitzen
- von SPD und Grünen bis FDP und CDU/CSU -,
({13})
mit Ihrer neoliberalen Politik gemästet haben und immer
noch mästen.
({14})
Das ist das Grundproblem. Das ist schlimm für die Demokratie und gefährlich für die Zukunft. Es wird Zeit,
dass sich die Menschen gegen Ihre verhängnisvolle Politik mit gleicher Vehemenz zur Wehr setzen, wie es die
Stuttgarter gegenwärtig mit gutem Grund bei diesem
aberwitzigen Tunnelbahnhof tun.
Vielen Dank.
({15})
Ich erteile das Wort jetzt dem Kollegen Fritz Kuhn für
die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Liebe Frau Wagenknecht, eine Partei bzw.
eine Fraktion, die sich in den letzten Monaten nur mit
den Reallohnsteigerungen ihres Vorsitzenden beschäftigt
hat und mit sonst gar nichts, sollte etwas weniger aufs
Blech hauen, als Sie es gemacht haben.
({0})
Herr Brüderle, zu dem, was Sie vorgetragen haben,
kann ich nur sagen: Ich muss mich schon wundern. Selten hat sich ein Minister, der in dem bis jetzt knapp einen
Jahr seiner Amtszeit so gut wie nichts gemacht hat - bisher haben Sie nur Ankündigungen gemacht -,
({1})
die wirtschaftliche Entwicklung so sehr auf die Fahnen
geschrieben, wie Sie das eben getan haben. Alle Experten im In- und Ausland schreiben,
({2})
dass der Umstand, dass wir schneller bzw. gut aus der
Krise gekommen sind, im Wesentlichen arbeitsmarktbegründet ist. Das hat mit der Kurzarbeiterregelung und
den Konjunkturprogrammen zu tun. Gegen beides sind
Sie kräftig zu Felde gezogen.
Ihr Weltbild ist klar: Geht es der Wirtschaft schlechter, ist Rot-Grün schuld; geht es der Wirtschaft besser,
sind Sie dafür verantwortlich.
({3})
- Das ist das Schöne bei euch. Solange ihr das glaubt,
seid ihr harmlos ohne Ende. Ihr solltet euch aber gelegentlich mit der Frage beschäftigen, wieso ihr von rund
14 Prozent auf etwa 5 Prozent geschrumpft seid, wo
doch der Aufschwung so großartig und FDP-geschuldet
ist. Irgendwie verstehen die Menschen draußen nicht,
wie toll ihr seid.
({4})
Wir müssen aufpassen, dass der Aufschwung eine
nachhaltige Ergänzung auf dem Binnenmarkt erfährt.
Ich kenne die Zahlen. In diesem Bereich sieht es besser
aus, aber ich halte die Entwicklung nicht für nachhaltig,
weil die Menschen lange mit Konsumausgaben gezögert
haben, die sie jetzt dringend tätigen müssen. Die Binnenmarktentwicklung muss nachhaltig sein, sonst bekommen wir erneut die Leistungsbilanzprobleme, die uns die
EU ins Stammbuch geschrieben hat. Wann wäre die
Stunde, wenn nicht jetzt, den Binnenmarkt zu stabilisieren, indem man vernünftige Mindestlöhne in Deutschland einführt?
({5})
Bei diesem Thema sind Sie der Oberbremser, weil Sie
den Kabinettsvorbehalt nutzen, wie jüngst bei der Zeitarbeit, um immer wieder auf die Bremse zu treten. Ich
kann nur sagen: Mit dem ordnungspolitischen Kernkonzept einer sozialen Marktwirtschaft ist das, was Sie bei
den Löhnen machen, nicht vereinbar. Wenn Löhne von
Menschen, die ganztags arbeiten, nicht ausreichen, um
eine Familie zu ernähren, wenn diese Menschen zusätzlich zur Arbeitsagentur gehen müssen, dann ist das keine
soziale Marktwirtschaft mehr. Von jemandem, der in der
Tradition Ihres Hauses steht, verlange ich, dass er sich
endlich einmal um das Soziale bei der sozialen Marktwirtschaft kümmert. Herr Brüderle, gehen Sie runter von
der Bremse beim gesetzlichen Mindestlohn und bei den
branchenspezifischen Mindestlöhnen, die wir anstreben!
({6})
Eine kurze Bemerkung, weil wir über den Haushalt
reden. Den Kreditmediator brauchen wir nicht. Dafür haben Sie wieder, wie schon im letzten Jahr, 5 Millionen
Euro in den Haushalt hineingeschrieben. Hinter diesen
Posten sollten Sie schreiben: Abwickeln. Ich hoffe, dass
das, was da angesagt ist, Ihrem rheinland-pfälzischen
Freund, Herrn Metternich, vermittelbar ist.
({7})
Für das, was man nicht braucht, gibt man auch nichts
aus. Das ist eine relativ vernünftige kaufmännische Regel.
Ich komme zu dem, was Sie im Bereich der Energiepolitik, für die Sie eine genuine Zuständigkeit haben,
angerichtet haben bzw. anrichten wollen. Zunächst einmal: Dass ein Wirtschaftsminister ein Energiekonzept
mitträgt - dabei geht es auch um Arbeitsplätze und Energiesicherheit -, dessen wissenschaftliche Grundlagen,
wie das ja in den Gutachten nachgelesen werden kann,
so fragwürdig sind, kann ich nicht nachvollziehen. Dass
Sie verschiedene Szenarien untersuchen und bei den
Szenarien mit einer Laufzeitverlängerung hohe Einsparpotenziale beim Energieverbrauch unterstellen, aber
beim Referenzszenario ohne Laufzeitverlängerung davon ausgehen, dass weniger Energie eingespart wird, ist
doch völlig skurril und politisch unglaubwürdig. Gerade
wenn Sie die Laufzeiten nicht verlängern und nicht länger Atomstrom ins Netz speisen, werden Sie für die Effizienzsteigerung doch umso mehr tun. Das ist nicht logisch, was in Ihrem Konzept steht.
({8})
Dass Sie es auf so etwas gründen, können wir wirklich
nicht nachvollziehen.
Dass wir nach Ihrem Laufzeitverlängerungsszenario
im Jahr 2050 einen Stromimport von 30 Prozent haben was hat das mit Energiesicherheit und einer fortschrittlichen Energierevolution zu tun?
({9})
Das ist einfach blanker Unsinn, und wer auf Unsinn
gründet, kommt nicht zu vernünftigen politischen Vorschlägen.
({10})
Jetzt muss ich fragen: Herr Brüderle, wo ist eigentlich
Ihr marktwirtschaftlicher Kompass? Einer der elementarsten Grundsätze der deutschen sozialen Marktwirtschaft, von den Gründervätern angefangen bis jetzt, war
immer: Es ist Aufgabe des Staates, den Wettbewerb zu
stärken, Oligopole und Monopole zurückzudrängen und
dafür zu sorgen, dass wir stets einen freien Wettbewerb
als Voraussetzung für wirtschaftliche Kreativität haben.
Das ist das Kerncredo der sozialen Marktwirtschaft. Am
Anfang haben Sie mit dem Ansatz für ein Entflechtungsgesetz - den haben Sie still und heimlich in die Tüte getan - den Eindruck erweckt, als würde Ihnen das Thema
ordnungspolitisch am Herzen liegen. Das gehört ja zur
Grundrhetorik der Marktwirtschaftler. Und jetzt? Was
machen Sie jetzt mit den Laufzeitverlängerungen? Sie
geben den vier Oligopolisten zusätzliche Marktvorteile.
Die vier Großen, die den Markt beherrschen, erhalten
durch Ihr Energiekonzept mindestens 60 Milliarden
Euro, die sie nicht an den Staat oder an Fonds geben
müssen.
({11})
Das heißt, Sie machen die marktbeherrschenden Akteure
am Energiemarkt um ein Vielfaches stärker, als sie es
heute sind. Ich frage: Wo ist da der Wettbewerbshüter
Rainer Brüderle?
({12})
Sie verschlechtern die Wettbewerbsmöglichkeiten, anstatt sie zu verbessern. Sie reden zwar über den Wettbewerb, helfen aber denen, die ihn kaputtmachen und weiter kaputtmachen werden.
Diese Kritik am Wirtschaftsminister betrifft nichts
Nebensächliches, sondern bedeutet klipp und klar, dass
Sie die Kernaufgabe „Hüter des Wettbewerbs und
Kämpfer gegen die Monopole“ auch nicht einmal im
Ansatz wahrnehmen, sondern ins Gegenteil verkehren.
Deswegen stehen Sie nicht in der Tradition der sozialen
Marktwirtschaft, die besagt, für Wettbewerb einzustehen
und ihn nicht kaputtzumachen.
Mir gefallen ja die elektronischen Anzeigetafeln gut,
die wir jetzt im Plenarsaal haben. Bei Ihren Reden
müsste in Zukunft dort stehen: Rainer Brüderle, sponsored by RWE, EnBW, Eon und Vattenfall. - Denn nichts
anderes machen Sie in der Energiepolitik.
({13})
Jetzt muss man natürlich die FDP-Rhetorik sehen:
Hüter des Mittelstands wollen Sie sein. Aber Sie machen
Folgendes: Sie streichen bei den Programmen zur energetischen Gebäudesanierung, die im Etat von Herrn
Ramsauer sind, und fördern die Atomlobby. Das heißt,
diejenigen, die von den Energieeinsparungsprogrammen
profitieren - das sind die kleinen Betriebe, der Mittelstand und das Handwerk -,
({14})
werden durch Ihre Politik behindert. Sie schaffen eine
Innovationsbremse. Es ist doch völlig klar, dass das
Marktsignal Ihrer Politik, das Sie jetzt aussenden, ist:
Aha, es geht wieder in die alte Richtung, zu Atomkraft
und Kohlekraft, und die neue Energiepolitik wird erst
einmal gebremst. - Die Brücke zu den erneuerbaren
Energien ist ja keine wirkliche Brücke. Vielmehr haben
Sie mit Ihrer Politik einen Sperrriegel aufgestellt.
({15})
Ich glaube, es ist bei den Leuten deutlich angekommen,
dass man nicht sagen kann, man wolle die erneuerbaren
Energien fördern, und dann erst einmal eine Politik
macht, die die alten Energieformen stabilisiert.
Selbstverständlich kommt es im Netz zu einer Konkurrenz. Herr Fuchs, ich wundere mich über Ihre Naivität. Natürlich ist der Ausdruck vom Verstopfen nur eine
politische Metapher, aber es ist tatsächlich so, dass wir
in Deutschland schon heute an vielen Tagen unseren
Strom zu 100 Prozent aus erneuerbaren Energien beziehen können. Doch dann passiert Folgendes: Die Atomkraftwerke können nicht kurzfristig heruntergefahren
werden, weil sie nicht wie kleine Gaskraftwerke von
heute auf morgen flexibel regulierbar sind. Daher haben
Sie das Problem, dass es eine Konkurrenz zwischen den
großen Kraftwerken einerseits und den erneuerbaren
Energien andererseits gibt. Die Definition von Grundlast
wird sich in den nächsten Jahren massiv verschieben.
Deswegen gibt es keine Koexistenz zwischen den großen Kraftwerken und der dezentralen Energieversorgung.
({16})
Über das, was Sie zum Leitungsbau gesagt haben,
brauchen wir uns nicht zu streiten. Aber dann machen
Sie auch eine vernünftige Energiepolitik! Dann sprechen
wir über die Frage, wie man vor Ort in den Landkreisen
auftreten muss, damit Leitungen dort akzeptiert werden.
Und: Zeigen Sie bei Blockaden nicht immer auf die Grünen!
Ich sage Ihnen: Bei Ihrer ach so geliebten CCS-Technik, dem Verbringen von CO2 in die Erde, sollten Sie
einmal Peter Harry Carstensen in Schleswig-Holstein
fragen, wie begeistert die CDU dort von dieser Idee ist.
Sie führt dort den Widerstand an; also Vorsicht bei solchen Geschichten. Klar ist doch: Sie müssen die Bevölkerung überzeugen, wenn Sie etwas Notwendiges machen wollen. Sie können sie nur mit einem vernünftigen
Gesamtkonzept überzeugen, mit einer echten Brücke in
die erneuerbaren Energien, aber nicht mit Lobbypolitik
für die Atomkraft.
({17})
Ich komme zum Schluss. Herr Brüderle, mit Marktwirtschaft hat das, was Sie gepredigt haben, nichts zu
tun. Sie haben nicht erklärt, warum der Entwurf Ihres
Entflechtungsgesetzes jetzt plötzlich in der Schublade
ist. Natürlich haben Sie zum Beispiel auch in der Gesundheitspolitik gemerkt, dass Sie auf die eine oder andere Problematik bei den PKVs stoßen.
Herr Kollege.
Wir werden hier in diesem Hause nicht mehr durchgehen lassen, dass Sie die Erbschaft der sozialen Marktwirtschaft für sich reklamieren und gleichzeitig die
Macht der Oligopole stärken, wie Sie es jetzt bei Ihrem
Energiekonzept tun.
Ich danke Ihnen.
({0})
Ulrike Flach ist die nächste Rednerin für die FDPFraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr
Kuhn, wie sich ein Vertreter einer Fraktion, die nun
wirklich eine alles andere als ausgereifte Vorstellung von
der Energieversorgung in den nächsten Jahrzehnten hat,
an dieser Stelle so äußern kann, wird mir ewig unklar
sein. Sie wollen Atomkraft nicht, Sie wollen Kohlekraft
nicht, Sie wollen kein CCS. Was wollen Sie eigentlich?
Sie wollen dieses Land vor allen Dingen abhängig machen von Importen aus anderen Ländern.
({0})
Ich muss an dieser Stelle etwas zu dem Vorwurf, den Sie
immer so wohlfeil in die Welt setzen und in dem von
Lobbyismus die Rede ist, sagen: Wo sind denn eigentlich die führenden Köpfe der Grünen und der SPD geblieben? Sie sind ohne eine Schamfrist zu den Energieversorgern gegangen, nachdem sie aufgehört haben, zu
regieren. Das war Lobbyismus pur und hat mit dem, was
hier heutzutage läuft, überhaupt nichts zu tun.
({1})
Meine Damen und Herren, der Haushalt 2011 stellt
die Weichen neu. Die Wirtschafts- und Finanzkrise ist
zwar noch nicht für alle Branchen überwunden, aber es
ist Zeit, die Rettungsschirme zu schließen und den Wirtschaftsfonds auslaufen zu lassen. Das war richtig; denn
wir leben in einer Zeit, in der wir sicherstellen müssen,
dass unsere Kinder ohne Schulden leben. Wir müssen sehen, dass wir die Schulden, die Sie hinterlassen haben,
abbauen. Wir wissen alle, dass Kinder nicht auf Schuldenbergen spielen können. Das können Sie vielleicht in
Nordrhein-Westfalen machen, aber nicht hier in Berlin.
({2})
Der Einzelplan 09 von Rainer Brüderle beteiligt sich
übrigens in einem sehr beträchtlichen Maße an der Konsolidierung. Er leistet allein in diesem Jahr einen Beitrag
zur Haushaltskonsolidierung von 67 Millionen Euro und
setzt gleichzeitig auf Bildung und Innovation. Das ist
der Unterschied zwischen dem linken Teil dieses Hauses
und dem rechten Teil dieses Hauses. Wir sparen und investieren in die Zukunft. Das tun wir auch mit diesem
Haushalt.
({3})
Rainer Brüderle hat vorhin zu Recht darauf hingewiesen, dass er gleichzeitig neue Akzente gesetzt hat. An
dieser Stelle möchte ich auf die Fachkräftesicherung
zu sprechen kommen. Wo waren eigentlich die Vorschläge von Rot, von Grün und von ganz Rot zum
Thema „fehlende Fachkräfte“? Was ist denn mit dem
Zuwanderungskonzept, das wir seit vielen Jahren einfordern? Was ist denn mit den vielen Punkten, wo man ansetzen könnte, damit qualifizierte Menschen in dieses
Land kommen und keine Zuwanderung in die Sozialsysteme erfolgt? All das ist von diesem Wirtschaftsminister
thematisiert worden. Sie werden erleben, dass wir das in
den nächsten Monaten auf den Weg bringen werden.
({4})
Denn unsere Wirtschaft kann nur boomen, wenn wir
qualifizierte Köpfe haben. Ansonsten laufen wir ins
Leere.
({5})
- Herr Heil, Sie sollten sich den Haushalt einmal anschauen, bevor Sie hier so herumlärmen. Lesen hilft
immer: 9 Millionen Euro allein für die Vermittlung von
Jugendlichen aus geringfügigen Beschäftigungsverhältnissen.
({6})
9 Millionen Euro für die Hilfe von Kammern bei der Bewertung ausländischer Qualifikationen. Vergleichen wir
das doch einmal mit dem, was Sie gemacht haben. Sie
haben in diesem Bereich nichts unternommen. Deswegen ist das ein deutlicher Fortschritt.
({7})
Dieses Ministerium ist übrigens auch ein Technologieministerium. An dieser Stelle will ich namens der Innovationspolitiker der FDP deutlich sagen: Wir drängen
seit vielen Jahren auf eine steuerliche Forschungsförderung. Sie sehen daran, dass wir sehr wohl in der Lage
sind, die politischen Bereiche - ({8})
- Gerne.
Dazu fällt einem manches ein. Jedenfalls wünscht und
erhält nun der Kollege Heil die Gelegenheit zu einer
Zwischenfrage.
Geschätzter Herr Präsident, herzlichen Dank. - Liebe
Frau Flach, wir haben zum Thema „steuerliche Forschungsförderung“ eine Anfrage an diese Bundesregierung gestellt.
({0})
Die Antwort lautet: Wir werden das, was wir im Koalitionsvertrag beschrieben haben, nicht umsetzen. - Warum verschwenden Sie also Ihre Redezeit mit der Forderung nach etwas, das Sie selbst nicht umsetzen? Das ist
durchaus vernünftig; aber dazu gibt es laut Angaben der
Bundesregierung kein Konzept und keine Unterfütterung.
Lieber Herr Heil, ich habe vorhin schon darauf hingewiesen, dass es gut wäre, wenn Sie ein bisschen warten
und sich erst dann äußern würden. Ich war gerade dabei,
zu erläutern, warum wir auf die steuerliche Förderung in
dieser Legislaturperiode verzichten, nämlich aus dem
einfachen Grund, weil wir im Gegensatz zu Ihnen über
den Haushalt nachdenken, weil wir im Gegensatz zu Ihnen wissen, an welcher Stelle es entscheidend ist, mit erfolgreichen Programmen weiterzumachen
({0})
und die Mittel dafür aufzustocken. Wir haben uns auf
den mittelständischen Bereich konzentriert, weil wir
wissen, dass Mittel im erforderlichen Umfang nicht vorhanden sind. Deshalb haben wir allein 500 Millionen
Euro zusätzlich für ZIM, das Zentrale Innovationsprogramm Mittelstand, bereitgestellt, das übrigens unter Ihrer werten Führung eingeführt wurde.
({1})
Dieses Programm haben wir immer als gut gepriesen.
Die Mittel für dieses Programm stocken wir auf, weil
wir wissen, dass wir die steuerliche Förderung in dieser
Periode nicht umsetzen können.
Sie fordern von uns doch immer Realismus ein.
({2})
Jetzt ist Realismus da, und Realismus heißt, dass man
eine Förderungsform nicht einführen kann, wenn die
Mittel im Haushalt nicht vorhanden sind. Das unterscheidet uns von Ihnen. Aus diesem Grunde kommen
wir zu einem nachhaltigen Haushalt. Wir kommen zu einer sinkenden Neuverschuldung. Gleichzeitig kommen
wir zu einer erhöhten Förderung im mittelständischen
Bereich. Ich denke, selbst Kollege Riesenhuber, der immer so gern zur steuerlichen Förderung spricht, wird damit zufrieden sein.
({3})
Das Ende des Konsolidierungspfades bedeutet für uns
auch, dass wir erneut eine Debatte über andere Instrumente führen müssen; darüber haben wir gerade gesprochen.
Ich will zum Schluss auf einen weiteren Aspekt hinweisen: Die Steinkohleförderung wird unter dieser Regierung erneut abgesenkt, und sie wird - die Haushälter
haben sich das vorgenommen - noch weiter abgesenkt
werden. Auch dies ist übrigens ein Punkt, der uns deutlich von Ihnen, Herr Kuhn, unterscheidet. Es wäre schön
gewesen, wenn wir in den Zeiten der rot-grünen Regierung auch nur einmal erlebt hätten, dass eine Kürzung
von Subventionen in „alten“ Bereichen wie der Steinkohle, die Sie ja immer einfordern, durchgeführt worden
wäre.
({4})
Wir tun das, und in den nächsten Jahren werden wir das
fortführen.
Der Technologieminister Rainer Brüderle wird die
Programme straffen. Er hat gerade darauf hingewiesen:
Es wird Zeit. Wir haben von der Großen Koalition und
von der rot-grünen Koalition einen Bauchladen übernommen. Dieser Bauchladen wird nun zusammengeführt. Er wird zu einem effektiven, schlagkräftigen Instrument gemacht. Im nächsten Jahr werden wir darüber
diskutieren, wie man Technologie in diesem Land mit einem stringenten Konzept durchgehend fördern kann.
Das ist der große Unterschied zur Politik unserer Vorgängerregierungen.
Ich wünsche uns allen eine gute Haushaltsberatung
und dass wir den Haushalt so auf den Weg bringen können.
({5})
Nächster Redner ist der Kollege Garrelt Duin für die
SPD-Fraktion.
({0})
Verehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr Bundeswirtschaftsminister
Brüderle, zunächst einmal nachträglich herzlichen Glückwunsch! Heute und Stern haben Ihnen im Juli einen Titel
verliehen: „König des Sommerlochs“. Diesen Eindruck
hatte man in der Tat. Mit Vorschlägen wie einer Begrüßungsprämie für - Zitat - „Gastarbeiter“ oder der Abschaffung der Rentengarantie haben Sie medial für viel
Wirbel gesorgt. Tatsächlich passiert ist aber nichts. Insofern hat Bundesgesundheitsminister Rösler, der jetzt leider nicht hier ist - allerdings kenne ich ihn aus vielen Jahren in Niedersachsen gut und kann deswegen auch seine
Reden gut einschätzen, insbesondere dann, wenn er, was
ihn durchaus auszeichnet, gelegentlich ins Humoristische
verfällt -, in der Rede, die er letzte Woche gehalten hat, in
einem Punkt absolut recht. Er hat gesagt: Wir haben zehn
Monate nichts getan. - Dann fügte er hinzu:
Das waren genau die zehn Monate, die die Wirtschaft gebraucht hat, um sich zu erholen.
Da kann man ihm wirklich nicht widersprechen.
(Heiterkeit und Beifall bei der SPD und dem
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Diese Bundesregierung hat mit dem Aufschwung
und den positiven Zahlen, die in vielen Prognosen zum
Ausdruck kommen, nichts zu tun. Deswegen können Sie
sich auch nicht darauf ausruhen. Vielmehr wäre es dringend erforderlich, dass Sie sich einmal fragen: Was waren eigentlich die Ursachen der Krise? Ich meine, es waren der Irrglaube an die Effizienz unregulierter Märkte,
der Druck auf Löhne zugunsten rapide wachsender Vermögenseinkommen und vor allen Dingen die weltwirtschaftlichen Ungleichgewichte: Auf der einen Seite gibt
es Länder, die nur auf Pump gelebt haben, und auf der
anderen Seite gibt es Länder - zu diesen würde ich
Deutschland zählen -, die eher unter ihren Verhältnissen
und nicht über ihre Verhältnisse gelebt haben,
({0})
wie es vonseiten Ihrer Regierung immer dargestellt wird.
Sie als Wirtschaftsminister müssten sich endlich mit
folgenden Fragen befassen: Wie bekomme ich globale
und europäische Ungleichgewichte in den Griff? Wie
kann ich das erreichen, indem ich die Stärkung der Binnennachfrage, also der Kaufkraft in Deutschland, in den
Blick nehme, insbesondere durch gerechtere Löhne?
Wie kann ich durch eine kräftige und nachhaltige Unterstützung das Technologieland Deutschland voranbringen? Wie kann ich unsere Städte und Gemeinden wieder
zu starken Helfern im Hinblick auf die Wirtschaft vor
Ort und den Zusammenhalt in unserer Gesellschaft machen?
Es ist schon gesagt worden: Die jetzigen Erfolge, die
Früchte, die jetzt geerntet werden, sind auf vergangene
Entscheidungen zurückzuführen, auf Entscheidungen in
der Arbeitsmarkt-, der Finanz-, der Wirtschafts- und der
Energiepolitik. Eines wird dabei aber immer wieder vergessen - deswegen will ich es Ihnen in Erinnerung rufen;
Frau von der Leyen, die neben Ihnen sitzt, wird das möglicherweise bestätigen können -: Einen ganz wesentlichen Anteil daran, dass wir so gut durch die Krise gekommen sind, hat das Modell der Mitbestimmung.
Ohne Betriebsräte und Gewerkschaften, die mit dafür gesorgt haben, dass passgenaue Lösungen gefunden wurden, wären wir nicht so gut durch die Krise gekommen.
({1})
Deswegen, Herr Brüderle, ist es gefährlich, wenn Sie,
wie heute Morgen in Ihrer Rede, davon sprechen, dass
wir wieder einzelbetriebliche Lösungen brauchen. Wir
Sozialdemokraten sagen klipp und klar: Das Instrument
des Flächentarifvertrages ist ein ganz wichtiger Bestandteil unserer Politik und muss auch in Zukunft erhalten
bleiben. - Das wird in Ihrem Programm und in Ihren Reden natürlich nicht erwähnt.
({2})
Die Konjunkturprogramme laufen jetzt aus, die Investitionstätigkeit bleibt schwach - ich komme darauf
gleich noch einmal zurück -, und die weltwirtschaftliche
Lage - insbesondere in den USA, aber auch die Zeichen
aus China deuten darauf hin - ist nach wie vor schwierig. Wer in Deutschland allein auf den Erfolg von Exporten und damit auf Außenhandelsüberschüsse setzt, der
macht sich von den Risiken und Schwankungen des
Weltmarktes in zu starkem Maße abhängig. Deswegen
ist es so wichtig, die Binnennachfrage zu stärken. Dazu
sagen Sie aber eigentlich nichts. Das, was Sie ankündigen, ist Subventionsabbau. Frau Flach hat das gerade anders formuliert und gesagt, die Dinge würden zusammengeführt. Ich will Ihnen etwas sagen - noch einmal
mit Bezug auf Ihre Kollegin Frau von der Leyen -: Der
wichtigste Subventionsabbau in Deutschland wäre der,
endlich mit der Subventionierung von zu niedrigen Löhnen aufzuhören, indem man sich für Mindestlöhne entscheidet. Die Milliarden, die dort verschenkt werden,
könnten in andere, sinnvolle Dinge investiert werden.
({3})
Herr Brüderle, Sie nehmen weniger hier am Pult, aber
in anderen Gesprächen und auch im Ausschuss gerne
Bezug auf die Erfahrungen, die Ihr Vater, ein, wie ich
fest überzeugt bin, ehrbarer Kaufmann, im Einzelhandel
gemacht hat. Das Instrument des Mindestlohns dient
dazu, den normalen, ehrbaren Kaufmann, der, wie Ihr
Vater, als Einzelhändler oder in anderen Branchen tätig
ist, vor Dumpingkonkurrenz zu schützen. In diesem Bereich tun Sie nichts. Sie lassen den sogenannten ehrbaren
Kaufmann, der im Mittelstand tätig ist, im Regen stehen;
er sieht sich dieser Konkurrenz tagtäglich ausgesetzt.
Wir müssen dort endlich etwas tun. Das Bundeswirtschaftsministerium sieht dieser Entwicklung aber tatenlos zu.
({4})
Aus der Geschichte der Wirtschaft wissen wir, dass
sich wirtschaftliche Eliten nicht automatisch der Demokratie, dieser Gesellschaft, dem gesellschaftlichen Zusammenhalt und irgendwelchen Standorten verpflichtet fühlen.
Dazu bedarf es der Einflussnahme, und dafür - das glaube
ich jedenfalls - machen wir alle hier überhaupt Politik.
Wir wollen Einfluss nehmen; wir wollen Ordnungsrahmen setzen, und wir wollen Orientierung und Regeln geben. Lieber Herr Brüderle, lieber Herr Röttgen und andere, so herum wird ein Schuh daraus: Wir müssen als
demokratisch legitimierte Vertreter unseres Volkes Einfluss nehmen auf die Wirtschaftseliten und auch auf die
wirtschaftlichen Abläufe in unserem Land. Es darf nicht
andersherum sein: dass Sie sich von der Wirtschaft aufschreiben lassen, was Sie zu tun haben. Das ist der falsche
Weg, und es würde das Vertrauen in unsere Demokratie
erschüttern, wenn Sie auf dem Weg, den Sie in der Energiepolitik beschritten haben, weiter vorangehen würden.
({5})
Wir müssten stattdessen Dinge tun, die wir hier schon
häufig diskutiert haben, zum Beispiel die Förderung von
Investitionen in die Zukunft. Wir alle wissen: Der Schlüssel zur Schaffung von Arbeit für morgen ist die gezielte
Erhöhung der Investitionsquote im öffentlichen und im
privaten Bereich. Die Nettoinvestitionsquote in Deutschland ist mit 4 Prozent zurzeit auf einem historisch niedrigen Stand. Die anderen positiven Zahlen sollten uns den
Blick nicht vernebeln. Jede Investition in Wissenschaft,
Forschung und Bildung ist eine Investition, die dieses
Land voranbringen würde.
Sie haben daher unsere Zustimmung dafür - auch
wenn Sie danach gar nicht gefragt haben -, dass Sie in den
Koalitionsvertrag aufgenommen haben, dass Sie zusätzlich zu der bisherigen Projektförderung ein neues Instrument auf den Weg bringen wollen, nämlich die steuerliche Forschungsförderung. Frank-Walter Steinmeier hat
dieses Instrument in seinem „Deutschland-Plan“ ebenfalls vorgeschlagen und gesagt: Wir müssen noch darüber
diskutieren, ob wir das auf die mittelständischen und kleinen Betriebe konzentrieren oder ob auch größere mit dabei sein sollen. - Man kann hier über viele Details sprechen. Auch mit den Abgrenzungsschwierigkeiten werden
wir uns, wenn wir es denn machen, befassen müssen.
Frau Flach sitzt gerade bei Herrn Riesenhuber. Ich
gehe davon aus, dass Ihre soeben getätigte Aussage,
Frau Flach, dass Herr Riesenhuber einverstanden sei, auf
sehr tönernen Füßen gestanden haben dürfte. Es gibt
viele wie Herrn Riesenhuber in der Koalition, die mit
uns gemeinsam dafür gestritten haben, dass wir das Instrument der steuerlichen Forschungsförderung endlich
bekommen. Sie haben heute zugegeben, dass Sie heimlich, still und leise etwas, was in Ihrem Koalitionsvertrag
steht, zu Grabe tragen. Das werden wir nicht hinnehmen.
Wir werden weiterhin für die steuerliche Forschungsförderung in diesem Land kämpfen. Wir brauchen sie für
Innovationen.
({6})
Subventionsabbau war ein weiteres Stichwort. Sie sagen - auch mit Blick auf das Haushaltsbegleitgesetz, das
wir noch diskutieren werden -, dass man im Bereich der
Energiesteuern kürzen müsse. Ich bin ganz bei Ihnen,
wenn Sie sagen: Dort, wo es zu Mitnahmeeffekten
kommt, kann man kürzen. - Aber wir reden hier über ein
Volumen von insgesamt ungefähr 1,3 Milliarden Euro.
Das, was wir an Mitnahmeeffekten konkretisieren können,
sind lediglich 300 Millionen Euro. Die andere Milliarde
geht zulasten ganz normaler, aber im internationalen Wettbewerb stehender Unternehmen, den sogenannten energieintensiven Unternehmen. Sie als Wirtschaftsminister
hätten die Aufgabe - Herr Fuchs, Sie gucken gerade
ganz verkniffen; Sie nämlich auch -, sich an die Seite
dieser Unternehmen zu stellen. Wir müssen ihnen abverlangen, dass Energieeffizienzpläne aufgestellt werden.
({7})
Wir müssen ihnen abverlangen, dass sie sorgsamer mit
Material und anderen Energieressourcen umgehen. Aber
wir dürfen sie in dieser schwierigen Wettbewerbssituation nicht hängen lassen und riskieren, dass sie ins Ausland abwandern, wenn wir diese Einsparungen vornehmen. Das ist eine falsche Politik. Ich verstehe nicht, wie
das mit Ihren ordnungspolitischen und wirtschaftspolitischen Vorstellungen in Einklang zu bringen ist, lieber
Herr Brüderle. Das ist industriefeindlich und diesem
Standort nicht zuträglich.
({8})
Ich bin ganz sicher, dass wir in den nächsten Monaten
eine Debatte darüber brauchen, wie qualitatives Wachstum in Zukunft aussehen muss. Sie berauschen sich an
den BIP-Wachstumszahlen; das allein wird für dieses
Land aber nicht ausreichen. Wir brauchen einen anderen
Wachstumsbegriff. Wir werden gemeinsam mit den Grünen eine Enquete-Kommission auf den Weg bringen, die
das zum Thema hat; denn wir streben einen Wohlstand
an, der sich nicht nur am Bruttoinlandsprodukt, sondern
auch an der Lebensqualität einer möglichst großen Zahl
von Menschen bemisst. Deswegen ist die Einrichtung einer Enquete-Kommission richtig.
Lassen Sie mich abschließend Folgendes sagen, lieber
Herr Brüderle: Wir alle sind froh darüber, dass es diese
Wachstumszahlen, diese Prognosen gibt. Sie haben sich
nicht nur im Sommer, sondern bis heute an diesen
Wachstumszahlen berauscht. An den Zahlen, die die
FDP in Umfragen bekommt, können Sie das nicht.
Herr Kollege!
Der Zusammenhang ist ganz eindeutig: Die Menschen wissen, dass es in diesem Land wieder aufwärtsgeht. Aber die FDP und diese Bundesregierung, namentlich dieser Bundeswirtschaftsminister, haben damit
nichts zu tun.
Herzlichen Dank.
({0})
Dr. Joachim Pfeiffer ist der nächste Redner für die
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Deutschland ist in der Tat durch eine Kombination
von kluger Politik und gemeinsamen Anstrengungen von
Unternehmern und Arbeitnehmern besser durch die
Krise gekommen, als wir uns dies vorgestellt haben und
als wir es noch vor zwei Jahren auch hier im Deutschen
Bundestag gehofft haben.
({0})
Deshalb verstehe ich nicht, warum wir uns nicht alle darüber freuen.
({1})
Nur weil der Wähler letztes Jahr die SPD aus der Regierung entlassen hat, distanzieren Sie sich heute von Maß6168
nahmen und Instrumenten, die Sie damals mit beschlossen und die uns auf den richtigen Weg gebracht haben.
({2})
Wir haben es geschafft, durch Stabilisierung mit den
Konjunkturprogrammen Vertrauen zu schaffen. Gleichzeitig haben wir aber auch entlastet. Man muss sich noch
einmal in Erinnerung rufen, dass wir zu Beginn dieses
Jahres die größte Entlastung in Deutschland hatten, die
es jemals gab.
({3})
Durch das Bürgerentlastungsgesetz und das Wachstumsbeschleunigungsgesetz wurden Bürger und Wirtschaft in
diesem Land um 23 Milliarden Euro entlastet. Auch das
ist ein Grund dafür, dass wir wieder solche Wachstumszahlen haben.
({4})
Wir haben, wie schon erwähnt wurde, eine kluge Arbeitsmarktpolitik gemacht. Statt der befürchteten 5 Millionen liegen wir jetzt bei 3 Millionen Arbeitslosen. Für
den Bundeshaushalt bedeutet das, dass rund 40 Milliarden Euro weniger in die Sozialetats fließen. Das sind
40 Milliarden Euro, die für das Wachstum zur Verfügung
stehen. Deshalb ist es richtig, wenn wir diese beschäftigungsorientierte Lohnpolitik weiterverfolgen. Die Arbeitnehmer werden in diesem Jahr von den Maßnahmen
und Erfolgen profitieren. Es wird dieses Jahr kräftige
Reallohnsteigerungen geben, allein deshalb, weil die
Kurzarbeit zurückgeht.
({5})
Durch die Ausweitung des Arbeitsvolumens wird es zu
Reallohnsteigerungen kommen, und durch eine beschäftigungsorientierte Lohn- und Arbeitsmarktpolitik wird
- auch das müssen wir uns vergegenwärtigen - im
Wachstum die Binnennachfrage gestärkt. Die Zahlen sagen ganz klar - Adam Riese lässt sich auch durch die
Linken nicht widerlegen -: 0,1 Prozent Lohnsteigerung
bedeutet 0,3 Prozent Zuwachs der Binnenmarktnachfrage. Eine Beschäftigungsausweitung um 1 Prozent bedeutet 0,8 Prozent Zuwachs der Binnenmarktnachfrage.
Das heißt, die beste Binnenmarktpolitik ist eine beschäftigungsorientierte Arbeitsmarktpolitik, die das Arbeitsvolumen erhöht und die Menschen in Arbeit bringt.
({6})
Das ist die Politik, die wir verfolgen, und wir werden damit das Wachstum verstetigen. Wir werden nicht nach
der Rasenmähermethode sparen; wir werden Deutschland mit intelligentem Sparen fitmachen.
Wie werden wir das Wachstum verstetigen? Wir werden nicht nur blindlings sparen. Vielmehr wird der Bereich „Forschung und Entwicklung“ weiter gestärkt und
aufgebaut. Im Haushalt 2011 stehen mehr Mittel zur Verfügung als bisher.
Das Programm ZIM ist bereits angesprochen worden.
Es ist ein maßgeschneidertes Programm für den Mittelstand in Industrie und Wirtschaft. Wir werden es außerhalb der Konjunkturprogramme weiter auf die alten
Bundesländer ausdehnen, verstetigen und bei einem
Aufwuchs auf über 500 Millionen Euro auf höchstem
Niveau fortführen.
Wir werden - da können Sie sicher sein - in dieser
Legislaturperiode die steuerliche Forschungsförderung einführen.
({7})
Wir werden aber nicht alles auf einmal machen können.
Deshalb werden wir sie nicht im Jahr 2011 einführen
können. Wir sind noch mitten in den Haushaltsberatungen, sodass sich noch das eine oder andere ändern wird.
Aber wir werden in dieser Legislaturperiode mit der
steuerlichen Forschungsförderung weiterkommen.
Bei allen Sparnotwendigkeiten wollen wir die Chancengleichheit und Wettbewerbsfähigkeit der deutschen
Industrie nicht gefährden. Deshalb werden wir im weiteren Haushaltsverfahren Änderungen bei der Ökosteuer
vornehmen, durch die die Mitnahmeeffekte beschränkt,
die Wettbewerbsfähigkeit der energieintensiven Industrie aber nicht gefährdet wird. Wenn Sie dabei mithelfen,
dann ziehen wir gemeinsam an einem Strang in dieselbe
Richtung.
Neben den Maßnahmen einer wachstumsorientierten
modernen Regulierung im Bereich „Post und Telekommunikation“ werden wir mit intelligenten neuen Produkten weitere Arbeitsplätze schaffen. Auch in den Bereichen Bahn, Strom und Gas werden wir uns in neuen
Sphären bewegen, vor allem im Energiebereich. Diese
Regierung legt gerade einen energiepolitischen Marshallplan vor, der den Umbau der deutschen Energiewirtschaft
grundlegend angeht. Rot-Grün hat kein Energieprogramm
zustande gebracht. Das letzte Energieprogramm ist
20 Jahre alt; es datiert noch aus der Regierung Kohl.
Man hat Rumpfprogramme und Rumpfmaßnahmen auf
den Weg gebracht. Zum ersten Mal seit 20 Jahren werden wir ein Programm auf den Weg bringen, das nicht
nur isoliert einzelne Sektoren oder nur die Angebotsund Nachfrageseite betrachtet, sondern wir werden sowohl den Stromsektor als auch den Gebäudesektor und
die Mobilität entsprechend berücksichtigen und den Umbau mit über 60 Maßnahmen und Instrumenten beschleunigen.
Die Kernenergie ist Mittel zum Zweck. Sie wird unser Ziel, den Hauptanteil der Energieversorgung aus erneuerbaren Energien zu bestreiten, im Gegensatz zu
dem, was bisher auf den Weg gebracht wurde, beschleunigen statt ausbremsen. Der volkswirtschaftliche Nutzen
der Kernenergie wird diesem Umbau zugutekommen.
Otto Schily hat recht: Die Kernenergie und ihr volkswirtschaftlicher Nutzen sind in der Tat so etwas wie ein
Lastwagen voller Geld, den Sie verbrennen wollen.
({8})
Wir werden ihn nicht verbrennen. Wir werden vielmehr
den volkswirtschaftlichen Nutzen und das Geld für den
Umbau einsetzen und ihn beschleunigen, indem wir
Maßnahmen zur Verbesserung der Energieeffizienz, des
Netzausbaus - Stichwort „intelligente Netze“ -, der
Speicherung, der Energieforschung und im Gebäudebereich finanzieren. Der Gebäudebereich wird ein zentraler
Punkt des Energieprogrammes werden. 40 Prozent des
Endenergieverbrauchs sind schließlich gebäudebezogen. Sie werden sehen, was herauskommt. Wir werden
im Vergleich zu den bisherigen Ansätzen mehr Geld für
die energetische Gebäudesanierung ausgeben. Wir
werden das Maßnahmenpaket in diesem Bereich weiterentwickeln.
({9})
- Warten Sie doch ab, was als Ergebnis herauskommt!
({10})
Wir werden steuerliche Möglichkeiten aus der Vergangenheit entsprechend nutzen. Von den 30 Milliarden
Euro - so hoch ist der volkswirtschaftliche Nutzen der
Kernenergie; ohne sie hätten wir dieses Geld nicht werden wir bis zu 3 Milliarden Euro pro Jahr einsetzen,
um den Umbau umzusetzen und zu beschleunigen.
({11})
Sie haben von Verträgen gesprochen. Ich darf daran
erinnern: Die Ersten, die in diesem Land einen Vertrag
mit der Energiewirtschaft geschlossen haben - und
zwar über den Ausstieg -, waren Sie von Rot-Grün,
nicht wir. Aber Sie haben einen Vertrag zulasten der
deutschen Volkswirtschaft geschlossen. Wir schließen
nun einen Vertrag zugunsten der deutschen Volkswirtschaft
({12})
und werden die volkswirtschaftlichen Potenziale nutzen.
({13})
Lieber Herr Kuhn, was Sie machen, ist nicht zu überbieten. Sie stellen sich hier hin und sagen: Jawohl, wir
brauchen Netze und erneuerbare Energien. - Das höre
ich nicht nur von Ihnen, sondern auch von Ihren Kollegen. Wenn man aber vor Ort geht, stellt man fest, dass
Sie die Fähnleinführer und Rädelsführer derjenigen sind,
die gegen den Ausbau der Netze sind. Wenn man nach
Baden-Württemberg geht, stellt man fest, dass die Grünen an der Spitze der Bewegung gegen Pumpspeicherkraftwerke sind, obwohl diese Kraftwerke die Speicherung von Strom aus regenerativen Energiequellen
ermöglichen und die Netzintegration verbessern. Wenn
man nach Baden-Württemberg geht, stellt man fest, dass
die Grünen gegen den Ausbau von Kraftwerken im
Kleinwasserbereich sind, weil sie der Meinung sind,
dass das zum Beispiel für die Fische nicht gut ist. Die
Grünen vor Ort sind in der Regel gegen Biogasanlagen
und Biomassekraftwerke. Das, was Sie hier im Deutschen Bundestag für notwendig erachten, sollten Sie
auch vor Ort vertreten. Leider ist das bislang nicht der
Fall.
({14})
Wir werden mit diesem Haushalt in einem Dreiklang
aus Konsolidieren, Reformieren und Wachsen einen Beitrag dazu leisten, dass Deutschland aus der Krise nicht
nur gestärkt hervorgeht, sondern in einigen Jahren in allen Bereichen deutlich besser dasteht als zu Beginn dieser Legislaturperiode. Dann wird abgerechnet. Ich bin sicher: Deutschland wird dann entscheiden, dass es gut
regiert worden ist. Wir werden sehen, wohin wir dann
gekommen sind. Wir sehen jedenfalls den kommenden
Entwicklungen gelassen entgegen.
({15})
Nächster Redner ist der Kollege Michael Schlecht für
die Fraktion Die Linke.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen
und Herren! Herr Brüderle, ich finde es immer gut, wenn
Menschen fröhlich und guter Laune sind. Aber Ihre gute
Laune betreffend den Aufschwung kommt mir fast so
vor, als ob sich Ihr Geist so stark beflügelt wie bei
Ikarus, der bekanntlich die beste Laune hatte, kurz bevor
er abgestürzt ist. Ich hoffe nicht, dass dies auch der Konjunktur so ergeht. Aber man muss die Lage realistisch
einschätzen.
Die wirtschaftliche Verbesserung, die wir im zweiten
Quartal dieses Jahres erleben, ist zu einem Drittel einzig
und allein darauf zurückzuführen, dass der Lageraufbau
deutlich zugenommen hat. Das, was dann an Aufschwung bleibt, ist nicht Ihr Aufschwung, Herr
Brüderle, nicht der Aufschwung der Bundesregierung,
sondern zuallererst der Aufschwung von Obama und den
Chinesen; denn diese haben in der Krise milliardenbzw. billionenschwere Konjunkturprogramme aufgelegt.
Solchen Programmen hat man sich hier in Deutschland
verweigert.
({0})
Das, was hier gelaufen ist, war relativ mickrig. Die deutsche Exportindustrie profitiert bislang von den Konjunkturprogrammen in anderen Ländern. Diese Programme
werden aber zurückgefahren. In den USA steht die weitere wirtschaftliche Entwicklung auf wackligen Beinen.
Insoweit stehen wir in der Frage, wie es weitergeht, vor
einem sehr großen Risiko. Es wird bereits eine Ab6170
schwächung prognostiziert. Wir bräuchten dringend eine
deutliche Steigerung der Binnennachfrage, um diesen
Gefahren vorzubeugen.
Ein ganz wichtiges Instrument ist die Steigerung der
Löhne. Nebenbei gesagt: Bei der SPD wird immer so getan, als ob die SPD mit der Lohndepression, der deutlich
verschlechterten Lohnentwicklung der letzten zehn
Jahre, nichts zu tun hat. Man muss klar sagen, es ist genau umgekehrt. Der eigentliche Täter - die CDU hat das
fortgesetzt - der schlechten Binnennachfrage war die
rot-grüne Koalition mit den Agendagesetzen, die dazu
geführt haben, dass die Lohnentwicklung in Deutschland
in den Keller gefahren worden ist und wir in Deutschland den großen Niedriglohnsektor haben. Das ist ein
Skandal. Hier wäre bei Ihnen wirklich eine ganze Menge
an Vergangenheitsbewältigung notwendig, nicht immer
diese fröhlichen Sprüche.
({1})
Darüber hinaus muss die Binnennachfrage durch
massive Besteuerung Reicher gestärkt werden, damit der
Staat wieder mehr ausgeben kann und damit nicht gespart werden muss, denn das führt dazu, dass den Ärmsten der Armen Geld genommen wird, dass sie weniger
Geld haben.
Es gibt einen Punkt, für den wir sehr wohl Kürzungsvorschläge haben. Dieser Punkt heißt: Stoppen Sie
Stuttgart 21.
({2})
Dieses aberwitzige Eisenbahnprojekt, das offiziell
7 Milliarden Euro kosten soll,
({3})
wird voraussichtlich, nach bahnunabhängigen Experten,
auf 10, 13 oder noch mehr Milliarden hochlaufen. Die
vielen vermeintlich demokratischen Beschlüsse für
Stuttgart 21 basieren alle auf Halbheiten und Falschmeldungen.
({4})
Seitdem die Fakten in Stuttgart bekannt sind, leisten die
Menschen breit Widerstand. Seit Ende Juli wird mehrmals in der Woche auf Demonstrationen dagegen protestiert. Zuletzt waren 70 000 Menschen auf der Straße.
Das kommt faktisch einem Volksaufstand nah. Es wäre
auch der Demokratie halber angezeigt, dass dort endlich
korrigiert wird.
Viele lehnen Stuttgart 21 deshalb ab,
({5})
weil es auch in der relativ reichen Schwabenmetropole
viele soziale Missstände gibt. In Schulen bröckelt der
Putz von den Decken. In Stuttgart sind vier Turnhallen
wegen Baumängeln geschlossen. Die Kinderarmut ist
hoch, und es fehlen 3 000 Kitaplätze. Jetzt soll auch
noch im Rahmen Ihres Sparprogramms das Elterngeld
für Erwerbslose gestrichen werden. Das passt alles nicht
zusammen mit der Verpulverung von Milliarden und
Abermilliarden Euro für ein wahnsinniges Bahnprojekt.
Eines ist auch klar: Spätestens am 27. März wird es in
Stuttgart und in Baden-Württemberg in der Tat eine
Volksabstimmung geben. Die Kanzlerin hat das gestern
fröhlich angekündigt. Bei dieser Volksabstimmung am
27. März werden die Tunnelparteien SPD, CDU und
FDP mit Sicherheit abgestraft. Es ist zynisch, wenn die
Bürgerinnen und Bürger - wie gestern von der Kanzlerin verhöhnt werden. Wer Stuttgart 21 - so ihr Zitat - zu einem Symbol der Zukunftsfähigkeit Deutschlands erklärt
und alle Gegner als rückwärtsgewandte Technikfeinde
beschimpft, der hat unrecht. Das Volk in Stuttgart würde
auf solche Behauptungen ganz anders reagieren. Die
Stuttgarter würden sagen: Lügenpack!
({6})
Das ist dort die Hauptparole.
Danke schön.
({7})
Dr. Georg Nüßlein ist der nächste Redner für die
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen! Meine Herren! Herr
Schlecht, es fällt mir schon ein bisschen schwer, auf das
einzugehen, was Sie hier an Unsäglichkeit vorgetragen
haben. Sie geben, was die wirtschaftliche Entwicklung
angeht, eine düstere Prognose, als wollten Sie daraus einen parteipolitischen Nutzen ziehen. Sie machen falsche
Vorschläge, wie man dem Ganzen auf die Sprünge helfen könnte, als ob höhere Steuern jemals zu Wachstum
geführt hätten. Dann machen Sie Einlassungen zu
Stuttgart 21, die ich beim allerbesten Willen nicht nachvollziehen kann. Bemerkenswert war insbesondere Ihr
Hinweis auf - wie haben Sie sich ausgedrückt? - „vermeintliche“ Demokratie. Eine vermeintliche Demokratie
gab es in der DDR, da, wo Sie hingehören, aber sicher
nicht in Stuttgart und in der Bundesrepublik Deutschland.
({0})
Ich möchte jetzt einmal die Berufsdemonstranten und
diejenigen, die versuchen, Großprojekte in Deutschland,
die uns wirtschaftlich voranbringen, kaputtzumachen,
beiseite lassen. Ich möchte auch wegen der Landtagswahl - auch darum ging es in Ihrem Beitrag - und um
vom Parteigezänk wegzukommen, ein, zwei nachdenkliche Töne anschlagen. Das Wort „alternativlos“ war das
Wort, das uns wie kein anderes zwei Jahre lang in der
Krise begleitet hat. Wir waren von dieser Krise getrieben
und wussten bei vielen Entscheidungen, dass wir keine
andere Chance haben, das Vertrauen in der Wirtschaft
wieder zurückzugewinnen. Es ist uns gelungen, dieses
Vertrauen wiederherzustellen. Ich glaube, dass viele von
uns, die meisten und die Vernünftigen jedenfalls, nicht
damit gerechnet haben, dass sich dieser Erfolg so schnell
und in diesem Ausmaß einstellt.
Wenn Herr Heil von Demut spricht, hat er durchaus
recht. Es geht aber nicht um Demut untereinander, sondern es geht um Demut gegenüber denjenigen, die den
Rahmen, den wir mit Bürgschaften, Verlängerung der
Kurzarbeit und Konjunkturprogrammen geschaffen haben, intelligent und mutig ausgefüllt haben. Es waren die
Unternehmer, die Handwerker, die Arbeitnehmerinnen
und Arbeitnehmer und viele Mittelständler, die ihre Aufgabe gut erfüllt haben. Ihnen gegenüber müssen wir demütig sein.
({1})
Ich möchte unterstreichen: Zu dieser Demut gehört auch,
dass man zugibt, dass wir nicht damit gerechnet haben,
dass alles so gut läuft.
({2})
Wenn man jetzt feststellt, dass Deutschland wieder Konjunkturlokomotive in Europa ist und die Arbeitslosenzahlen zurückgehen - demnächst werden sie unter
3 Millionen liegen -, dann sollte man auch mit diesen
Zahlen - das gebe ich offen zu - mit einer gewissen Demut umgehen. Man sollte den Optimismus jetzt nicht
übertreiben.
Ich erkenne an, sehr geehrter Herr Brüderle, dass wir
aufgrund der demografischen Entwicklung und der wirtschaftlichen Zahlen, die uns vorliegen, irgendwann mit
einem Fachkräftemangel rechnen müssen. Ich will auch
unterstreichen, dass Sie recht mit der Aussage haben,
dass wir, wenn wir Zuwanderung brauchen, die Zuwanderung von qualifizierten Menschen brauchen und nicht
eine Zuwanderung in unser Sozialsystem. Wenn aber das
Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung gleich fordert, 500 000 Zuwanderer pro Jahr zuzulassen, dann ist
das übertrieben. Mit einer solchen Zuwanderung würden
wir die Bundesrepublik Deutschland und ihre Bürgerinnen und Bürger deutlich überfordern.
({3})
Ich sage das auch in dem Bewusstsein, dass wir die Voraussetzung für einen Fachkräftezuzug haben. Spitzenkräfte können schon heute von überall auf der Welt zu
uns kommen, wenn sich ihr Fachwissen in ihrem Gehalt
niederschlägt und sie mehr als 66 000 Euro jährlich zu
verdienen in der Lage sind. Das ist die Sachlage. Deshalb muss man an dieser Stelle gar nichts tun. Wir müssen uns vielmehr darum kümmern, dass es keine Zuwanderung in die Sozialsysteme gibt. Ich unterstreiche, dass
es dazu einer intelligenten Politik in einer Phase bedarf,
in der Deutschland über Integration diskutiert, wobei ich
zu bedenken gebe, dass diese Diskussion von jemandem
angestoßen wurde, der als SPD-Finanzsenator in Berlin
keinen Beitrag dazu geleistet hat, dass sich die Verhältnisse hier in Berlin bessern, aber im Nachhinein schlaue
Bücher schreibt. Auch darüber sollte man einmal nachdenken.
Lassen Sie mich etwas zu dem ausführen, was hier
über das Thema Kernkraft gesagt wurde.
({4})
Es steht ganz klar fest - Herr Kuhn, natürlich kann man
über die Szenarien diskutieren -, dass uns die Laufzeitverlängerung einen volkswirtschaftlichen Nutzen bringt,
dass sie für Arbeit und Beschäftigung sorgt, preisdämpfend wirkt und die Chance bietet, eine Brücke zu den erneuerbaren Energien zu schlagen, und zwar in doppeltem Sinne. Zum einen, weil wir die Chance haben, die
höheren Preise - Sie werden nicht bestreiten, dass die
Einführung der erneuerbaren Energien teuer ist - durch
die preisdämpfende Wirkung der Laufzeitverlängerung
auszugleichen, zum anderen, weil wir diesen Fonds auflegen.
Etliche Vorredner haben gesagt, man habe den Konzernen zu wenig abgeknöpft. Wir sind hier unter Wirtschaftsfachleuten. Ich darf Ihnen dringend empfehlen,
die aktuellen Analystenberichte zu lesen. Die Analysten
schreiben nämlich: In Anbetracht der Tatsache, dass so
viel abgeschöpft wird, ist nicht sicher, wie sich die Kurse
entwickeln. - An der Börse zeichnet sich das ab. Die
Kurse sind in den letzten Tagen gesunken. Wenn es so
wäre, wie Sie behaupten, dass wir den Konzernen große
Geschenke gemacht hätten, wären die Kurse gestiegen.
Auch das bitte ich zu berücksichtigen.
Herr Kollege.
Letzter Satz, Herr Präsident.
Die Geschichte mit dem Wettbewerb ist ein Märchen.
Was ist denn das für eine Argumentation? Die Stadtwerke sagen uns: Wir brauchen höhere Preise, die preisdämpfende Wirkung der Kernenergie
({0})
muss unterbunden werden, damit unsere Anlagen wirtschaftlich sind.
({1})
Das ist etwas, was wir so nicht akzeptieren können. In
diesem Sinne bitte ich Sie, über die Argumentation in
Sachen Kernenergie im Fachausschuss noch einmal
nachzudenken.
Vielen herzlichen Dank.
({2})
Letzter Redner zu diesem Geschäftsbereich ist der
Kollege Dr. Michael Luther für die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Ich bin nun schon eine Weile im Parlament,
nämlich seit 20 Jahren. Wenn man am Ende einer solchen Debatte resümiert, was gesagt worden ist, kann
man feststellen: Das Ritual ist immer dasselbe. Der Bundeswirtschaftsminister legt einen Haushalt vor - aus
meiner Sicht einen guten -, die Regierungsfraktionen, in
diesem Fall CDU/CSU und FDP, loben das, was vorliegt, und die Opposition sagt das Gegenteil. Das ist klar;
das ist nichts Neues.
Besonders schwierig wird es allerdings für diejenigen, die sagen: „Wir haben richtige Maßnahmen auf den
Weg gebracht“, aber zukünftig - das erkennt man, wenn
man die aktuellen Beschlüsse ansieht - genau das Gegenteil machen wollen und - das prognostiziere ich für
den Fall, dass sie irgendwann wieder an der Regierung
sind - genau das Gegenteil machen werden.
({0})
Das ist das, was Politik unglaubwürdig macht. Es
wäre viel besser, wenn wir einen Moment bei dem Zustand, den wir heute haben, bleiben und feststellen würden: Wir können uns auf die Schulter klopfen. Wir haben
das, was infolge der größten Krise nach dem Zweiten
Weltkrieg in Deutschland passiert ist, mit klugem politischen Handeln wirklich gut begleitet. Deswegen können
wir heute sagen: Wir haben Wachstum. Wir haben die
Krise überwunden. Die Arbeitslosigkeit liegt nicht, wie
wir befürchtet haben, bei 5 Millionen,
({1})
sondern bei 3 Millionen oder weniger. Das müssen wir,
denke ich, einmal sagen können.
({2})
Wir, die Regierung von CDU/CSU und FDP, sind
jetzt ein Jahr im Amt.
({3})
Wir haben diesen Prozess auch nachträglich unterstützt.
({4})
Deswegen ist es doch ein Gemeinschaftswerk.
Es kommt als Nächstes darauf an - jetzt rede ich als
Haushälter -, dass wir uns um die Zukunft unseres Landes kümmern, das heißt konsolidieren. Wenn man wiederum einen Blick in die Geschichte wirft, muss man sagen: Wir haben einen sehr hohen Schuldenstand, wir
haben eine hohe Neuverschuldung, und wir haben entsprechend hohe Zinszahlungen im Haushalt. Wir müssen
da einfach runter. Alle, die hier im Haus sitzen, haben
letztendlich daran mitgewirkt, dass wir so hohe Schulden haben. Wir sollten für die Zukunft einmal darüber
nachdenken: Wie schaffen wir es gemeinsam, da herunterzukommen?
Diejenigen, die als Erstes darüber nachdenken, die
Neuverschuldung dadurch zu senken, dass man die Steuern erhöht, sind auf dem Holzweg. Das Erste, was wir
tun müssen, ist, Ausgabensenkungen durchzuführen. Ich
komme aus Sachsen - das ist bekannt -, und Sachsen
zeigt seit Jahren, dass das funktioniert.
({5})
Eine solche Politik ist letztendlich gut für die Wirtschaft
und für die Menschen.
Zur Schuldensenkung muss auch das Wirtschaftsministerium seinen Beitrag leisten. Das zu sagen, fällt
mir natürlich besonders schwer. Wer den Haushalt des
Wirtschaftsministeriums anschaut, wird feststellen, dass
darin sehr viele Förderprogramme sind - das wird
manchmal despektierlich als Bauchladen bezeichnet -,
die aber genau die Leistungsträger unserer Gesellschaft,
die Basis, nämlich den Mittelstand, auf verschiedene
Art und Weise unterstützen und fördern. Der Mittelstand
ist wichtig. Deswegen haben wir die positive Entwicklung in Deutschland. Deswegen müssen wir aufpassen,
ob es richtig ist, wenn wir dort Veränderungen vornehmen, insbesondere wenn wir dort sparen.
Ich bin erst einmal froh, dass es gleichwohl gelingt,
Schwerpunkte zu setzen. Ein paar sind genannt worden:
ZIM als Programm für den Mittelstand oder Maßnahmen
gegen den Fachkräftemangel. Ich gehe einmal näher auf
den Bereich Luft- und Raumfahrt ein. Da geht es nicht in
erster Linie um den Flug zum Mond, sondern darum,
dass Hochtechnologie in unserem Land entwickelt wird,
die dann auch vielen zugutekommt und wodurch sich
Deutschland als Hochtechnologiestandort auszeichnen
kann.
Es geht auch um Zukunftsthemen wie die Energieforschung. Wir wissen, dass die Energiebasis in Zukunft anders aussehen muss als heute. Wir können uns
auch trefflich darüber streiten, wie wir dieses Ziel erreichen. Ich denke, es ist erst einmal wichtig, dass hier
noch viel Know-how hineingesteckt wird, um unabhängig von fossilen Energieträgern zu werden. Das Energiekonzept, was Union und FDP jetzt vorgelegt haben, zeigt
ja einen Weg hin zu einer Energieversorgung ohne fossile Energieträger.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Duin?
Gerne.
Vielen Dank, Herr Kollege, für die Gelegenheit. - Sie
weisen darauf hin, dass Sie im Haushalt eine Reihe von
Maßnahmen ergreifen, die Positives bewirken sollen.
Teilen Sie die Einschätzung, dass in der Vergangenheit
insbesondere die Mittel, die für die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“ aufgewendet wurden, sehr erfolgreich eingesetzt wurden?
({0})
Ausweislich der vom Ministerium veröffentlichten Daten ist es nämlich so, dass zum Beispiel im Zeitraum von
2007 bis 2009 mit insgesamt 4,1 Milliarden Euro GAMitteln Investitionen in Höhe von 26,2 Milliarden Euro
angestoßen wurden und in den geförderten Betrieben ein
Beschäftigungszuwachs von 4,6 Prozent und ein Lohnzuwachs von 6 Prozent zu verzeichnen gewesen ist. Teilen Sie angesichts dieser Zahlen - ich gehe einmal davon
aus, dass sie stimmen - die von uns vertretene Auffassung, dass es ein Fehler ist, im Haushalt die Fördermittel
für diese Gemeinschaftsaufgabe zu kürzen? Herr
Brüderle hat in seiner Rede eben geradezu mit einem gewissen Stolz verkündet, dass das vorgesehen ist.
({1})
Ich warte noch, ich wollte den Beifall abklingen lassen.
({0})
- Noch ein zweiter. Schön.
Ich möchte nun gerne auf Ihre Frage antworten: Man
kann natürlich einen Haushalt nicht konsolidieren, wenn
man nirgendwo Geld kürzen will. Jetzt gibt es einen
Haushaltsentwurf, in dem zu meinem Bedauern auch die
genannte Gemeinschaftsaufgabe von Kürzungen betroffen ist. Wir sind allerdings erst bei der ersten Lesung und
nicht am Ende der Haushaltsberatungen. So plädiere
auch ich dafür, in den weiteren Beratungen zu schauen,
ob man es bei der Kürzung der Mittel für dieses Förderinstrument belassen oder ob man sie zurücknehmen
sollte.
Bevor ich dazu Weiteres sage, möchte ich noch einen
anderen Aspekt ins Spiel bringen: Manchmal ist es auch
gut, zu versuchen, andere Schwerpunkte zu setzen. Wir
setzen jetzt insbesondere einen Schwerpunkt bei ZIM.
Auch die Fördermittel aus diesem Programm fließen zu
einem Großteil in die neuen Bundesländer. Der Mittelaufwuchs bei diesem Programm ist vom Umfang her
sogar höher als die Einsparungen bei der Gemeinschaftsaufgabe. Hier wird nun ein neuer Weg eingeschlagen,
um Forschung und Entwicklung neuer Technologien zu
fördern.
Wir müssen aber - deshalb bin ich auch so dankbar
für die Frage - uns eines in diesem Hause sehr wohl immer wieder bewusst machen: Wir haben in den letzten
20 Jahren in den neuen Bundesländern - das Land war
vorher ja geradezu ruiniert worden - viel erreicht. Die
Wirtschaftsleistung beträgt jetzt ungefähr 80 Prozent der
der alten Länder; sie liegt also noch nicht bei
100 Prozent. Wir werden hier also noch eine ganze
Weile einen besonderen Schwerpunkt setzen und die
richtigen Instrumente finden müssen, um den sogenannten Aufbau Ost fortzusetzen. Lassen Sie uns im Rahmen
der Haushaltsberatungen prüfen, ob man, um dieses Ziel
zu erreichen, vielleicht doch noch anders vorgehen
müsste.
({1})
Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, vor der Zwischenfrage hatte ich eine Reihe von Schwerpunkten, die
ausgebaut werden sollen, genannt. Ich war bei der Energieforschung stehen geblieben. Zu nennen ist noch die
Elektromobilität. Ich habe auch davon gesprochen, dass
es Kürzungen geben muss. Das Thema Gemeinschaftsaufgabe ist in diesem Zusammenhang aus meiner Sicht
zu Recht schon angesprochen worden. Ich habe das dazu
Notwendige bereits gesagt.
Ich will noch einen Punkt hervorheben, der ebenfalls
schon erwähnt worden ist. Das sind die Subventionskürzungen für sogenannte energieintensive Unternehmen.
Hier müssen wir im Rahmen der Haushaltberatungen prüfen, ob das, was wir momentan haben, tatsächlich so gewollt ist. Wir müssen uns überlegen, ob die Subventionen
für diejenigen, die viel Energie verbrauchen - das ist die
Grundstoffindustrie; dazu gehört zum Beispiel auch die
Chipindustrie; AMD in Dresden hat ein eigenes Kraftwerk, weil für die Reinräume viel Energie gebraucht wird -,
richtig sind oder ob wir es anders machen müssen.
({2})
Für mich - das will ich ganz klar sagen - bleibt das
Ziel der Haushaltskonsolidierung bestehen. Aber eine
Haushaltsberatung ist eben nicht dazu da, das abzunicken, was die Regierung vorgibt, sondern dass man darüber redet, wie man den Haushalt vernünftig ausgestaltet.
({3})
Dazu wünsche ich uns allen viel Kraft in den nächsten
Wochen.
Danke schön.
({4})
Weitere Wortmeldungen zu diesem Geschäftsbereich
liegen nicht vor.
Ich rufe nun auf den Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales, Einzelplan 11.
Ich erteile als erster Rednerin der Bundesministerin
Frau Dr. Ursula von der Leyen das Wort.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Der Haushaltsentwurf, über den wir heute debattieren, steht immer noch sehr deutlich unter den Auswirkungen der Krise. Wir haben auf der einen Seite viel
Geld investiert, gerade um den Arbeitsmarkt zu stabilisieren. Ich nenne die Konjunkturprogramme und die
Ausgaben für das Kurzarbeitergeld. Das hat sich ausgezahlt. Wenn man die Arbeitslosendaten im August
nimmt, dann sieht man, dass es gerade aus dem verarbeitenden Gewerbe, also der Branche, die am stärksten unter den Auswirkungen der Krise gelitten hat, weniger
Zugänge in Arbeitslosigkeit gibt. Gleichzeitig wird die
Kurzarbeit abgebaut. Das heißt, die Menschen gehen aus
der Kurzarbeit wieder in die volle Beschäftigung. Dieses
Prinzip, die Kurzarbeit als Brücke über die Krise zu nutzen, hat sich bewährt.
Wir sehen auch, dass wir am Arbeitsmarkt auf einem
Niveau aus der Krise herauskommen, das niemand für
möglich gehalten hätte. Experten haben uns noch im
Jahr 2008 Arbeitslosenzahlen um 5 Millionen vorhergesagt. Wenn der positive Trend dieses Jahres weitergeht,
dann könnte es gelingen, gegen Ende des Jahres die
3-Millionen-Marke zu unterschreiten.
Auch im internationalen Vergleich hat sich der deutsche Arbeitsmarkt gut gehalten. Die Arbeitslosigkeit ist
in der Krise bei den EU-27 im Durchschnitt um 28 Prozent gestiegen, in Spanien um 60 Prozent, in Frankreich
um 23 Prozent und in England um 35 Prozent. Aber in
Deutschland ist die Arbeitslosigkeit nur um 3 Prozent
gestiegen. Das, meine Damen und Herren, ist eine Bilanz, die sich sehen lassen kann.
({0})
Das alles wirkt sich natürlich positiv auf den Sozialhaushalt aus. Für das Jahr 2011 liegen wir in der Gesamtsumme der Ausgaben des Einzelplanes 11 mit rund
131,8 Milliarden Euro deutlich unter dem alten Finanzplan, nämlich um 14,6 Milliarden Euro. Der größte Batzen in Höhe von 10 Milliarden Euro sind Einsparungen
aufgrund des Anziehens der Wirtschaft und des Absinkens der Arbeitslosigkeit. Diese konjunkturellen Einsparungen sind nicht, wie sie so gerne bezeichnet werden,
Windfall Profits. Nein, sie sind Einsparungen auf der
Grundlage eines beherzten Krisenmanagements der Regierung. Sie beruhen auf richtigen politischen Entscheidungen, aber vor allem auch auf dem außergewöhnlichen
Zusammenhalt von Gewerkschaften und Arbeitgebern.
Das ist in der Tat etwas, was dieses Land auszeichnet.
({1})
So weit die Auswirkungen der Krise am Arbeitsmarkt. Im Prinzip gibt es eine positive Entwicklung
durch ein gutes Krisenmanagement.
Wir wissen natürlich auch, dass die Krise ihre Spuren
im Staatshaushalt durch eine exorbitant hohe Verschuldung hinterlassen hat. Deshalb reichen die Verbesserungen, die ich eben geschildert habe, durch sinkende Arbeitslosigkeit, was automatisch zu Einsparungen im
Sozialetat führt, nicht aus. Unser Haushalt ist damit nicht
nur Bilanz der guten Krisenbewältigung, sondern auch
schon Vorbote für die nächsten Herausforderungen,
nämlich der ganz klaren Ansage: Dieses Land muss
strukturell konsolidieren.
Es gibt deshalb zu den Einsparungen in Höhe von
10 Milliarden Euro weitere 4,3 Milliarden Euro an strukturellen Einsparungen, die für die Schuldenbremse relevant sind. Das sind 3 Prozent des Sozialhaushalts. Das
ist schmerzhaft, aber das ist nicht unverhältnismäßig.
Natürlich ist es im Sozialhaushalt immer schwierig,
wenn man Prioritäten setzen muss. Was tun in einem
Etat, der von Ausgaben für Rentnerinnen und Rentner,
von Leistungen für Menschen mit Behinderungen, von
Leistungen für Langzeitarbeitslose und ihren Lebensunterhalt dominiert ist?
Wir haben bewusst nichts bei den Renten der Rentnerinnen und Rentner und bei den Leistungen für Menschen mit Behinderungen verändert, und auch bei dem
Etat für den Lebensunterhalt und die Warmmiete für Arbeitslose hat sich nichts verändert. Wir sparen aber da
ein, wo nach reiflichen Überlegungen das eingesetzte
Geld kaum Wirkung hat. Der Bund zahlt zum Beispiel
jährlich 1,8 Milliarden Euro dafür, dass ein Langzeitarbeitsloser später gerade einmal 2 Euro Rente mehr im
Monat hat. Daran sieht man: Man kann es drehen und
wenden, es reicht für den Einzelnen in Zukunft niemals
für eine auskömmliche Rente. Deshalb ist die Entscheidung gefallen, dafür heute nicht Milliarden einzusetzen,
wenn es später keine Wirkung hat, sondern dies heute
strukturell einzusparen. Das wird auch für die späteren
Generationen die richtige Rendite sein.
({2})
Eine einfache Wahrheit lässt sich an diesem Beispiel
auch ablesen: Aus Langzeitarbeitslosigkeit kann man
keine Rente erwirtschaften. Die einzige Möglichkeit, Altersarmut zu vermeiden, sind möglichst viele Beitragsjahre in Arbeit.
Frau Ministerin, darf die Kollegin Hagedorn Ihnen
eine Zwischenfrage stellen?
Gerne.
Frau Ministerin, Sie haben die 1,8 Milliarden Euro,
die nach Ihren Vorschlägen für die Arbeitslosengeld-IIEmpfänger künftig nicht mehr in die Rentenkasse eingezahlt werden sollen, eben als Einsparung bezeichnet.
Stimmen Sie mir zu, dass man unter Sparen gemeinhin
versteht, dass man etwas für die Zukunft zurücklegt?
Stimmen Sie mir weiterhin zu, dass diese 1,8 Milliarden
Euro, die in Zukunft nicht mehr aus Ihrem Etat bezahlt
werden, vor allem den Effekt haben, dass es ein Loch in
der Rentenkasse von jährlich 1,8 Milliarden Euro geben
wird, und dass darum die Schwankungsreserve, die wir
haben, früher aufgebraucht sein wird, was de facto ein
Verlagern von Kosten in die Zukunft ist, weil die Beiträge für die Rente früher ansteigen müssen, als es bisher
geplant war?
({0})
Frau Hagedorn, die Reduktion der Einzahlungen in
die Rentenversicherung wird nicht die Auswirkung haben, dass sie - das sind Ihre Worte gewesen - ein Loch
in die Rentenkasse reißen wird, sondern sie ist dank der
demografiefesten Leitplanken, die die Rente jetzt hat,
durchaus verkraftbar.
Aber ich finde den zweiten Gedanken noch wichtiger,
den Sie angesprochen haben. Sie haben zu Recht gesagt,
die gängige Vorstellung ist, dass man, wenn man etwas
spart, etwas zurücklegt, damit man in der Zukunft etwas
hat. Ich muss ganz deutlich sagen: Ich wäre froh, wenn
Deutschland in dieser Situation wäre. Aber unsere Haushalte sind weiß Gott nicht so, dass wir, wenn wir etwas
einsparen, mehr auf der hohen Kante für die Zukunft haben; denn auch aufgrund der Politik einer hohen Verschuldung, die die Regierungen in den Jahren von RotGrün zu verantworten haben, ist die Verschuldung jetzt
so hoch, dass wir es gerade eben schaffen können, ein
Anwachsen der Schulden zu verhindern. Das heißt, Sparen bedeutet eigentlich nur, Ausgaben nicht wieder mit
neu aufgenommenen Schulden tätigen, die sich drei- und
vierfach negativ in den Haushalten der nächsten Jahre
und damit zulasten der Kinder auswirken werden.
({0})
Es ist ganz entscheidend, in den kommenden Jahren
die Geschichte eines robusten Arbeitsmarktes fortzuschreiben. Wir kehren bei den Mitteln der aktiven Arbeitsmarktpolitik auf das Vorkrisenniveau zurück:
9,5 Milliarden Euro für 2011. Das sind 400 000 Euro
mehr, als 2008 zur Verfügung standen, obwohl das
Niveau der Arbeitslosigkeit von 2008 schon heute wieder erreicht ist. Das heißt, dieser Haushaltsansatz ist vertretbar. Er ist mit Blick auf den Arbeitsmarkt verhältnismäßig. Zugleich ist er verantwortlich gegenüber dem
Gesamthaushalt.
({1})
Der Etat meines Hauses für den Arbeitsmarkt beträgt
auch jetzt noch rund 48 Milliarden Euro. Hinzu kommen
die Ausgaben der Bundesagentur für Arbeit aus Mitteln
der Arbeitslosenversicherung. Das ist - keine Frage noch immer viel Geld. Aber die Rahmenbedingungen
der Vermittlung von Arbeitslosen verändern sich: Die
Wirtschaft fasst wieder Tritt; die Zahl der offenen Stellen
wächst. Wir fangen schon an, die Auswirkungen eines
kommenden Fachkräftemangels in zahlreichen Branchen
zu spüren. Das bedeutet aber auch: Wenn man passgenaue Maßnahmen zur Vermittlung in Arbeit und zur
Weiterqualifizierung entwickelt, dann kann es gelingen,
ein neues Fenster der Chancen für genau diejenigen Arbeitslosen zu öffnen, die in der Vergangenheit abgehängt
waren, weil sie einfach durch die Konkurrenz der vielen
Menschen, die in den Arbeitsmarkt hineindrängten, fast
keine Chancen gehabt haben.
Es gibt einen weiteren positiven Punkt. Wir haben
jetzt mit der Jobcenterreform die Grundlage für ein modernes, effizientes, selbstlernendes System der Vermittlung geschaffen. Deshalb wird es jetzt notwendig sein,
sich in der aktiven Arbeitsmarktpolitik auf die Programme und Maßnahmen zu konzentrieren, die nachweislich Menschen in Arbeit bringen. Eine Maßnahme,
die wenig wirkt und viel Geld kostet, zementiert letztlich
Arbeitslosigkeit. Deshalb werden wir auf der Grundlage
wissenschaftlicher Evaluationen im nächsten Jahr prüfen: Wo können wir wirksamer werden? Welche Maßnahme bewirkt in der Tat eine zügige Vermittlung in Arbeit? Worauf können wir verzichten?
Wenn wir einen Teil der unwirksamen Maßnahmen
aufgeben, dann können wir im Ergebnis beides tun, nämlich deutlich zur Haushaltssanierung beitragen und mit
den bewährten Mitteln, mit erfolgreichen Maßnahmen,
Menschen gezielt wieder in Arbeit bringen. Gute Arbeitsmarktpolitik hängt nicht von der absoluten Summe
der eingesetzten Mittel ab, sondern zuallererst von der
Qualität der Maßnahmen.
({2})
Arbeitslosigkeit entsteht aber vor allem durch
schlechte und fehlende Ausbildung. Es ist ganz fatal,
wenn sich Bildungsarmut und Benachteiligung von einer Generation in die nächste vererben und so Langzeitarbeitslosigkeit in Familien zementiert wird. Das Bundesverfassungsgericht hat hier mit seinem Urteil im
Februar den Finger in eine Wunde gelegt: Der Bund hat
bei Kindern von Langzeitarbeitslosen und Sozialhilfeempfängern, die von der schwierigen Situation ihrer Eltern genauso betroffen sind, eine Fürsorgepflicht. Die
Fürsorgepflicht des Bundes bedeutet: Ja, Kinder müssen
zur Schule gehen; aber sie müssen auch eine Chance haben, in der Schule mitzukommen und an den Aktivitäten
der Gleichaltrigen im Alltag teilzunehmen.
Wir wissen doch zu gut, wie sehr sich der Kreislauf
von wenig Bildung, wenig Chancen am Arbeitsmarkt
und Transferabhängigkeit von einer Generation in die
nächste fortsetzen kann, wenn man nicht von Anfang an
gegensteuert. Man kann da mehr tun. Wir brauchen keinen teuren Reparaturmechanismus später, sondern reelle
Chancen für die Kinder von Anfang an; das muss unser
leitendes Prinzip sein.
({3})
Wir werden deshalb für Kinder, deren Eltern langzeitarbeitslos sind oder von Sozialhilfe leben, zusätzlich zum
Lebensunterhalt, der wie bisher gezahlt wird, ein Bildungspaket entwickeln. Es geht um Lernförderung für
Kinder, die in wichtigen Schulfächern nicht mitkommen.
Es geht um das notwendige Schulmaterial. Es geht um
ein warmes Mittagessen in der Schule oder in der Kita.
Es geht um Teilhabe außerhalb der Schule bei Sport und
Spiel.
Entscheidend ist, dass diese Kinder nicht länger ausgegrenzt werden und nicht bereits in den allerersten Lebensjahren den Anschluss an ihre gleichaltrigen Kameradinnen und Kameraden verlieren. Man könnte all das
auf lange Sicht unkompliziert und unbürokratisch über
eine Bildungskarte abrechnen. Manche sehen das als
Stigmatisierung an. Ich sage: Die Stigmatisierung findet
schon heute statt, nämlich wenn Kinder von Langzeitarbeitslosen nicht beim eintägigen Schulausflug mitmachen können, wenn bedürftige Kinder nicht am gemeinsamen, warmen Mittagessen in der Schule teilnehmen
können, wenn bedürftige Kinder nicht mit ihren Klassenkameraden im Fußballklub sind, beim Turnen oder
bei der „Kindermucke“. Eine solche Stigmatisierung findet bereits heute statt, und der wollen wir ein Ende bereiten.
({4})
Ich möchte die logistische Aufgabe nicht kleinreden.
Sie ist sicher nicht trivial. Man kann es auch umgekehrt
sagen. Die kurzfristig bequemste, aber meines Erachtens
langfristig teuerste, da wirkungsärmste Variante wäre:
Geldbetrag erhöhen, aufs Konto überweisen, das Thema
Bildungschancen ist erledigt. Das ist nicht mein Verständnis von nachhaltiger Politik.
({5})
Es ist unsere vornehmliche und verantwortungsvolle
Aufgabe, uns der Mühe zu unterziehen, etwas zu unternehmen, indem wir es organisieren, dass im Zusammenspiel aller vor Ort die Lebensperspektiven bedürftiger
Kinder verbessert werden. Die Anstrengung lohnt sich.
Sie zahlt sich aus, nicht nur für eine Wirtschaft mit zunehmendem Fachkräftemangel, nicht nur für eine Gesellschaft im demografischen Wandel, nicht nur für eine
Gemeinschaft, die heute eher teure Reparatursysteme
bezahlt, sondern vor allem für das einzelne Kind, das
bessere Lebenschancen und Lebensperspektiven hat.
Lassen Sie uns deshalb diese Aufgabe gemeinsam angehen.
Vielen Dank.
({6})
Nächste Rednerin ist die Kollegin Elke Ferner für die
SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kollegen und Kolleginnen!
Frau von der Leyen, Sie haben eben gesagt, die Kürzungen in Ihrem Haushalt seien nicht unverhältnismäßig.
Ich muss sagen: Ein Stück weit wundert mich das schon.
({0})
Kürzungen bzw. Streichungen beim Elterngeld für SGBII-Empfängerinnen und -Empfänger und auch für diejenigen vorzunehmen, die arbeiten und Aufstockungsleistungen in Anspruch nehmen müssen, weil sie nicht
genug Geld bekommen, während die nichtarbeitende
Bankiersgattin das Elterngeld weiterhin bekommt wenn das nicht unverhältnismäßig ist, dann weiß ich
nicht mehr, was verhältnismäßig sein soll.
({1})
Es ist unverhältnismäßig, dass der Heizkostenzuschuss beim Wohngeld gekürzt werden soll, dass die
KdU pauschaliert werden sollen, mit all dem Bürokratieaufwand und den Ungerechtigkeiten. Ich sage voraus,
dass es die nächste Verfassungsklage provozieren wird,
wenn jemand keine Wohnung findet, die er mit seinem
Budget bezahlen kann, und er die Miete aus dem Lebensunterhalt bestreiten muss.
({2})
Ich kann die Koalition nur davor warnen, diesen Weg zu
gehen. Unsere Zustimmung dafür werden Sie auf alle
Fälle nicht bekommen.
({3})
Gerade beim Eingliederungstitel wird Geld gespart.
Man kann sagen: Gut, es gibt weniger Arbeitslose. Aber
bei den Langzeitarbeitslosen ist die Arbeitslosigkeit viel
verfestigter als bei denen, die im Regelkreis des SGB III
sind. In diesem Bereich zu sparen, den Menschen Chancen zu nehmen und dann noch die Arbeitsmarktleistungen, auf die man bisher Rechtsansprüche hatte, in
Ermessensleistungen umzuwandeln, sozusagen nach
Haushaltslage oder Qualifizierungsmaßnahmen in den
Jobcentern nach Gutdünken zu verteilen, ist keine nachhaltige Politik, sondern Politik à la Gutsherrenart. Das ist
möglicherweise auch so etwas wie Klientelpolitik, wie
das in vielen anderen Bereichen der Fall ist. Für den Arbeitsmarkt ist das alles andere als stimulierend. Vor allen
Dingen bedeutet das für die Betroffenen weniger Chancen, wieder in den regulären Arbeitsmarkt einzusteigen.
({4})
Wir haben heute festgestellt, dass wir gut durch die
Krise gekommen sind. Das sind wir, insbesondere wegen der Maßnahmen, die wir gemeinsam in der Großen
Koalition beschlossen haben. Aber natürlich hatten die
Tarifpartner einen großen Anteil daran. Die Sozialpartnerschaft hat sich bewährt, gerade in der Krise. Deshalb
ist dieses Land so gut durch die Krise gekommen.
In Ihrer Rede fehlte einiges. Sie haben einen Gesetzentwurf zur Leiharbeit eingebracht. Darüber haben Sie
nicht gesprochen. Sie haben auch nicht über das Thema
Mindestlohn gesprochen. Allein das zeigt, wohin die
Reise geht. In Ihren Koalitionsvertrag haben Sie hineingeschrieben, dass Sie die Kombilöhne ausweiten wollen.
Sie wollen sogar die Minijobregelung ausweiten. Das
produziert aber gleichzeitig neue Hilfsbedürftigkeit: Je
mehr Leute im Niedriglohnsektor arbeiten, umso geringer ist das Einkommen, umso eher muss aufgestockt
werden, umso weniger Geld fließt in die Steuerkasse und
in die Sozialversicherungskassen. Umgekehrt wird ein
Schuh daraus: Ein flächendeckender Mindestlohn
sorgt bei vielen dafür, bei den Alleinstehenden ohnehin,
dass sie keine aufstockenden Leistungen mehr benötigen, die Sozialversicherungskassen mehr BeitragseinElke Ferner
nahmen und auch die Steuerkassen mehr Einnahmen haben und die Binnennachfrage zusätzlich stimuliert wird.
Insofern gehen Sie genau den falschen Weg.
({5})
Frau von der Leyen, in der letzten Wahlperiode waren
Sie auch für das Thema Gleichstellung zuständig. Sie
haben nichts dazu gesagt, wie die Situation von Frauen
auf dem Arbeitsmarkt ist. Wir haben noch immer einen
sehr geschlechterspezifischen Arbeitsmarkt. Die Frauen
arbeiten vielfach Teilzeit. Wenn sie Vollzeit arbeiten,
sind sie deutlich schlechter bezahlt als ihre männlichen
Kollegen. Was ist denn mit dem Thema Entgeltgleichheit und Durchsetzung der Entgeltgleichheit? Was ist mit
dem Thema „gleiche Teilhabe an Karriere und Beruf“?
Was ist mit partnerschaftlicher Teilhabe von Männern
und Frauen? Was ist mit der Zeit, sich um Familie zu
kümmern, nicht nur um Kinder, sondern auch um pflegebedürftige Angehörige? Was ist damit, dass existenzsichernde Erwerbsarbeit der beste Schutz vor Armut im
Erwerbsleben, im Alter und vor allen Dingen vor Kinderarmut ist? Kinder sind arm, weil ihre Eltern arm sind.
Das fällt ja nicht vom Himmel. Das hat mit fehlender
Beschäftigung und fehlenden Mindestlöhnen zu tun.
Auch dazu haben Sie nichts gesagt.
Zum Thema Rente haben Sie nur gesagt: Es ist vertretbar, 1,8 Milliarden Euro Zuschuss für die Rentenversicherung zu streichen.
({6})
- Das haben wir auch schon einmal gemacht. Deshalb
muss es nicht richtig sein. Das ist damals nicht richtig
gewesen, und Sie machen es auch jetzt nicht richtig,
Herr Kolb.
({7})
Der Rentenversicherung fehlen jedes Jahr 1,8 Milliarden
Euro. Mit Ihrer Beitragserhöhung bei der Krankenversicherung kommen noch einmal weitere 300 Millionen
Euro hinzu, die zusätzlich ausgegeben werden müssen.
Das heißt, jedes Jahr fehlen 2,1 Milliarden Euro. Die
Beitragssatzsenkung ab 2014 bei der Rentenversicherung können Sie schon einmal knicken. Sie wird nicht
mehr möglich sein, und die darauffolgende auch nicht.
Das viel Schlimmere an der Tatsache, dass der Zuschuss
jetzt komplett gestrichen wird, ist aber, dass Anwartschaftszeiten unterbrochen werden. Diejenigen, die noch
keine Anwartschaft auf eine Erwerbsminderungsrente
komplett haben, verlieren sie. Wenn sie wieder Arbeit
haben, müssen sie von vorne anfangen. Das ist der
Punkt. Die Riester-Förderung ist davon betroffen. Daran
sieht man, dass Sie mal eben mit einem Federstrich versuchen, etwas - ich sage das in Anführungszeichen „einzusparen“. In Wahrheit ist das eine Verschiebung auf
die kommenden Jahre; denn dadurch werden mehr Leute
im Alter in die Grundsicherung fallen als bisher. Die
Folgen, die damit zusammenhängen, bedenken Sie nicht.
({8})
Frau von der Leyen, über das Thema Regelsätze haben Sie sehr ausführlich gesprochen. Das Verfassungsgerichtsurteil ist ganz klar. Ich kann Neugierige nur davor warnen, zu glauben, man könne sich die Regelsätze
schönrechnen. Wir haben ein Drei-Säulen-Modell vorgelegt. Wir wollen Regelsätze, die transparent berechnet
sind, die bedarfsgerecht sind, die die Bedarfe abdecken
und nicht künstlich heruntergerechnet werden, wie man
gestern in der Süddeutschen Zeitung und heute in der taz
lesen konnte. Da steht die Überschrift: „Regierung rechnet sich die Hartz-IV-Sätze passend“. Davor kann ich
nur warnen. Wir sind im Interesse der Betroffenen bei
diesem Thema gesprächsbereit.
({9})
Ich kann Neugierige nur davor warnen, zu glauben, man
könnte bei der Festsetzung der Referenzgruppe einfach
statt der unteren 20 Prozent die unteren 15 Prozent heranziehen, weil sich die Regelsätze nach der Kassenlage
zu richten hätten und nicht so bemessen sein müssten,
dass das Existenzminimum gesichert wird; denn das war
die Vorgabe des Bundesverfassungsgerichts. Dafür werden Sie - das kann ich Ihnen hier sagen - von uns keine
Zustimmung bekommen, weder von uns noch von den
SPD-geführten Bundesländern.
({10})
Die Frage, wie wir Teilhabe gewährleisten, ist wichtig. Ich hätte mir gewünscht, dass Sie schon vor August
mit den Ländern gesprochen hätten; denn die Umsetzung
muss vor Ort passieren. Der Finanztransfer ist dabei nur
ein Punkt. Stattdessen werden Diskussionen über die
Einführung einer Chipkarte aufgemacht, und gestern war
zu lesen, dass Sie die Umbenennung von Hartz IV planen. Wissen Sie, Frau von der Leyen, uns ist es wichtig,
was drin ist, wie wir die Bildungsteilhabe ermöglichen,
wie wir die soziokulturelle Teilhabe für Kinder, aber
auch für Erwachsene ermöglichen. Uns ist weniger
wichtig, wie nachher das Geld fließt oder was draufsteht.
Frau von der Leyen, ich kann Sie nur auffordern, uns
frühzeitig und umfassend die Informationen zur Verfügung zu stellen, die wir alle hier im Parlament brauchen,
um eine transparente und sachgerechte Bewertung der
Zahlen des Statistischen Bundesamtes vorzunehmen und
eine parlamentarische Beratung durchzuführen, die den
Vorgaben des Verfassungsgerichtes entspricht.
Wenn ich mir anschaue, dass von Ihrem Haus verschiedene Varianten in Auftrag gegeben worden sind,
liegt der Verdacht nahe, dass die Regelsätze je nach Kassenlage angepasst werden sollen. Herr Fuchs fordert beispielsweise eine härtere Gangart gegenüber integrationsunwilligen Migranten. Anfang dieses Jahres hat er
gesagt, das dürfe alles nicht mehr kosten, sondern müsse
im Hartz-IV-Bereich umgeschichtet werden. Das wird
mit uns nicht möglich sein. Um das Zitat von Herrn
Fuchs bezüglich der integrationsunwilligen Migranten
noch einmal zu bemühen: Ich frage mich wirklich, ob in
dieser Koalition einige noch alle Tassen im Schrank haben. Er fordert:
Wenn etwa die Kinder nicht in die Kita oder die
Schule geschickt werden,
- wir haben eine Schulpflicht dann muss das mit Hartz-IV-Kürzungen sanktioniert werden.
Das heißt, die Regelleistungen sollen dann gekürzt
werden. Gleichzeitig will diese Koalition ein Betreuungsgeld einführen, das genau für die Menschen gedacht
ist, die ihre Kinder nicht in Kitas schicken, das heißt, die
Bildungsteilhabe verhindern. Wie soll das zusammenpassen?
({11})
- Natürlich, in Ihrem Koalitionsvertrag steht, dass diejenigen Betreuungsgeld erhalten sollen, die darauf verzichten, ihre Kinder in eine Einrichtung zu schicken.
({12})
- Ich traue den Eltern zu, dass sie ihre Kinder erziehen.
Ich traue aber auch den Einrichtungen zu, dass sie den
Kindern guttun, besonders den Kindern, die einen Migrationshintergrund haben oder aus bildungsferneren
Schichten kommen. Dabei geht es um die Frage der späteren Bildungsteilhabe in der Kita und in der Schule.
({13})
Das ist der Unterschied zwischen Ihnen und uns: Sie
wollen, dass die Kinder aus den Einrichtungen herausgehalten werden. Wir wollen es den Eltern ermöglichen,
dass die Kinder einen Zugang dazu haben.
({14})
Wichtig ist für uns bei der Frage der Bildungsteilhabe
auch der kostenfreie Zugang zur Infrastruktur, zu einem
Mittagessen und natürlich auch zu Sport- und Musikvereinen sowie anderen Freizeitmöglichkeiten jenseits der
Schule. Aber ich kann auch da nur davor warnen, das alles auf diejenigen zu beschränken, die im SGB-II-Bezug
sind. Was ist denn mit den Kindern von den Eltern, die
so eben jenseits der Grenzen sind? Wollen wir diese ausgrenzen? Auch da muss es Möglichkeiten geben. Deshalb, Frau von der Leyen, brauchen wir ganz schnell
eine Verständigung mit den Ländern und der kommunalen Ebene, wie wir das bewerkstelligen können.
Ich kann nur dafür werben, bestehende Strukturen zu
nutzen, sie auszubauen und vor allen Dingen mit der
Ganztagsbetreuung sowohl im schulischen als auch im
vorschulischen Bereich schneller voranzukommen, damit die Infrastruktur zur Verfügung steht. Das alles ist
zeitlich sehr knapp bemessen. Insofern hoffe ich, dass
wir da zu einem guten Ergebnis kommen. Ich sage Ihnen
auch: Die Lösungen müssen alle verfassungskonform
sein, zu etwas anderem werden wir die Hand nicht reichen.
Schönen Dank.
({15})
Für die FDP-Fraktion spricht nun die Kollegin
Claudia Winterstein.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Auf die Schwarzmalerei von Ihnen, Frau Ferner,
und der Opposition, will ich jetzt gar nicht weiter eingehen; denn wir können positiv nach vorne schauen. Es
geht wieder aufwärts, meine Damen und Herren.
({0})
Es kann gar nicht oft genug gesagt werden: Die Wirtschaft boomt. Deutschland ist wieder die Wachstumslokomotive in Europa. Die Arbeitslosigkeit ist so niedrig
wie seit 18 Jahren nicht mehr. Die Erwerbstätigkeit ist
nahe am Rekord des Jahres 2008. Auch beim Haushalt
sind wir auf einem guten Wege. Ich bitte die Opposition,
dies endlich einmal zur Kenntnis zu nehmen.
({1})
Bei der ersten Lesung des Haushalts 2010 hatten wir
es beim Einzelplan 11 mit einem Etatentwurf der negativen Rekorde zu tun. Sein Volumen belief sich damals
auf 19 Milliarden Euro mehr als im Jahr zuvor. Der
aktuelle Etatentwurf hingegen ist auf dem klaren Weg
zur Konsolidierung; denn sein Volumen liegt 11,3 Milliarden Euro unter dem Soll des Jahres 2010, nämlich bei
131,8 Milliarden Euro.
Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage der
Kollegin Hagedorn?
Nein. Ich glaube, Sie werden mehr lernen, wenn Sie
jetzt erst einmal weiter zuhören, Frau Hagedorn.
({0})
Das ist keineswegs nur ein Ergebnis der gut laufenden
Konjunktur. Das ist auch das Ergebnis des aktiven politischen Handelns.
Unter SPD-Ministern kannte der Haushalt des Arbeitsministeriums immer nur eine Richtung, nämlich:
Erhöhung der Ausgaben. Das galt insbesondere bei den
Ausgaben für die Arbeitsmarktpolitik im Bereich von
Hartz IV. Ob steigende Arbeitslosigkeit oder sinkende
Arbeitslosigkeit, das Rezept hieß immer: mehr Geld.
Diese Entwicklung haben wir gestoppt. Ich bin der
Ministerin sehr dankbar, dass auch ihr Haus den notwendigen Beitrag zum Sparpaket leistet.
Im nächsten Jahr wollen wir bei den Ausgaben des
Bundes für arbeitsmarktpolitische Maßnahmen und
Hartz-IV-Verwaltung 500 Millionen Euro gegenüber
dem alten Finanzplan einsparen. Das ist angesichts der
sinkenden Arbeitslosenzahlen vertretbar.
Im Haushaltsentwurf werden für das sogenannte Eingliederungsbudget im nächsten Jahr insgesamt 9,5 Milliarden Euro zur Verfügung gestellt. In den Folgejahren
werden weitere Einsparungen möglich sein, nämlich
durch die Evaluation der arbeitsmarktpolitischen Instrumente, die die Koalition vereinbart hat.
Ziel des Sparpakets ist es, das Eingliederungsbudget
bis 2013 auf 8 Milliarden Euro zurückzuführen. Auf diesem Niveau lagen die Ausgaben schon einmal im Jahr
2006. Dazu muss man wissen, dass die Arbeitslosenzahlen im Jahr 2006 bei 4,5 Millionen lagen. Jetzt sind wir
bei 3,2 Millionen Arbeitslosen und sind auf dem Weg,
unter die 3-Millionen-Grenze zu gelangen. Das heißt,
wir können das Absenken der Mittel sehr wohl vertreten
und bleiben weiterhin bei einem hohen Leistungsniveau.
({1})
Frau Kollegin, darf ich Sie noch einmal unterbrechen? Die Kollegin Mast möchte Ihnen eine Frage stellen.
Ich habe es schon einmal gesagt: Ich glaube, es ist
besser, Sie hören erst einmal zu, weil Sie dann mehr dazulernen können
({0})
und sich Ihre Schwarzmalerei vielleicht ändern wird,
weil Sie dann mehr verstehen und die Zahlen zur Kenntnis nehmen.
Rechnet man die Bundesmittel im Eingliederungsbudget auf die Zahl der Arbeitslosen nach SGB II um
- das ist für Sie sehr interessant -, so ergibt sich, dass im
Jahr 2006 pro Arbeitslosen 2 860 Euro zur Verfügung
standen, während im kommenden Jahr 4 400 Euro zur
Verfügung stehen werden. Von einem sozialen Kahlschlag kann also weiß Gott nicht die Rede sein, meine
Damen und Herren von der Opposition. Nehmen Sie das
einmal zur Kenntnis: 2 860 Euro und jetzt 4 400 Euro.
({1})
Einen zweiten großen Sparbeitrag erbringt dieser
Haushaltsentwurf beim Arbeitslosengeld II. Das Sparpaket sieht zwei Maßnahmen vor, nämlich die Abschaffung des befristeten Zuschlags und den Wegfall der
Rentenversicherungsbeitragszahlung. Frau Ferner, ich
wundere mich, was Sie schon alles dazu gesagt haben
und was Sie schon alles wissen. Wir sind dabei, dieses
Gesetz zu entwerfen. Insofern wollen wir doch einmal
sehen, wie es dann letztendlich ausgestaltet wird.
({2})
Tatsache ist, dass 1,8 Milliarden Euro pro Jahr ausgegeben werden und dass das so nicht sonderlich sinnvoll
ist. Ich denke, man kann mit dem Geld effektiver umgehen. Man muss dazusagen: Altersarmut lässt sich mit
solchen Instrumenten ganz sicher nicht verhindern, sondern das geht nur mit sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung, meine Damen und Herren.
({3})
Für die Einsparungen im Bereich der Sozialleistungen
gilt, was der Bundesfinanzminister schon bei der Präsentation des Haushaltsgesetzes gesagt hat: Wir haben den
- ich zitiere - „Sinn sozialer Leistungen dort hinterfragt,
wo sie weder zum Schutz vor existenziellen sozialen Bedrohungen nötig sind noch soziale Aufstiegschancen eröffnen“. Kurzum, unser Ziel ist es nicht, Hartz IV zu
optimieren. Unser Ziel ist es, optimale Chancen zum
Ausstieg aus Hartz IV zu schaffen.
({4})
Angesichts der guten Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt wird die Bundesagentur für Arbeit schon in diesem Jahr ein deutlich geringeres Defizit aufweisen als
zunächst befürchtet; es wird wahrscheinlich bei 8 bis
9 Milliarden Euro liegen. Auch durch die Anhebung des
Beitragssatzes von 2,8 auf 3 Prozent wird sich die
Finanzgrundlage für die BA bessern. Deshalb bleibt es
dabei: Wir haben in diesem Jahr einen Zuschuss gewährt. Im kommenden Jahr wird aber ein Darlehen gewährt. Das muss zurückgezahlt werden. Es gibt keinen
Zuschuss mehr.
Meine Damen und Herren, mit diesem Haushaltsentwurf liegt zum ersten Mal seit Jahren ein echter Sparhaushalt vor. Das ist ein ganz entscheidender Wendepunkt. Dem Vorwurf der sozialen Schieflage, der immer
wieder geäußert wird, können wir ganz gelassen begegnen.
({5})
51,7 Prozent des Bundeshaushaltes,
({6})
158,8 Milliarden Euro,
({7})
sind im Jahre 2011 für den Bereich der sozialen Sicherung vorgesehen.
({8})
Das ist mehr als jemals unter der rot-grünen Regierung,
meine Damen und Herren.
({9})
Wir gehen in dieser Regierung den verantwortungsvollen Weg einer dauerhaften und echten Konsolidierung des Haushalts, indem wir die Ausgaben tatsächlich
senken. Das sind wir auch der jungen Generation schuldig; denn Kinder können auf Schuldenbergen nicht spielen.
Danke.
({10})
Das Wort zu einer Kurzintervention hat nun die Kollegin Hagedorn.
({0})
Frau Kollegin Winterstein, ich habe mich gemeldet,
weil Sie meine Zwischenfrage bedauerlicherweise nicht
zugelassen haben.
({0})
Da wir von der medialen Öffentlichkeit beobachtet werden, sollten wir dazu beitragen, dass aufgeklärt und nicht
versucht wird, die Menschen zu verdummen.
({1})
Sie haben vorhin einen sehr kruden Vergleich angestellt, als Sie gesagt haben, die Neuverschuldung sei
2009 gegenüber 2008 enorm gestiegen und 2011 werde
sie im Vergleich zu 2010 gesenkt. Damit haben Sie in
der Öffentlichkeit den Eindruck erweckt, der vorliegende Haushalt sei ein Sparhaushalt.
({2})
Nehmen Sie bitte zur Kenntnis, dass der Haushalt, der
2010 aufgestellt worden ist, die höchste Neuverschuldung der Nachkriegszeit bedeutet hat. Auch wenn wir,
was wir alle hoffen, aufgrund der guten Konjunkturlage
und des gestiegenen Wachstums, das vermutlich 3,4 Prozent betragen wird, bei einer Neuverschuldung von gut
50 Milliarden Euro landen, wird sich das Haushaltsjahr
2010 diesen Spitzenplatz in der gesamten Nachkriegszeit
mit dem Haushaltsjahr 2011 teilen, weil Sie jetzt eine
Neuverschuldung in Höhe von 57 Milliarden Euro vorgesehen haben.
({3})
Geben Sie mir außerdem recht, dass den dritten Platz
der Haushalt 1996 von Theo Waigel einnimmt und dass
das Haushaltsjahr, das Sie herangezogen haben, das
Haushaltsjahr nach der Finanz- und Wirtschaftskrise
war, also nach dem Fall von Lehman Brothers?
({4})
Frau Kollegin Winterstein, bitte.
Liebe Bettina Hagedorn, ich will gerne auf diese Fragen antworten. Vor allen Dingen möchte ich darauf hinweisen, dass es schon ein Leben vor der Krise gab. Es
gab Zeiten, in denen wir sprudelnde Steuereinnahmen zu
verzeichnen hatten, in denen wir sehr wohl in der Lage
gewesen wären, einen ausgeglichenen Haushalt vorzulegen,
({0})
in denen wir sehr wohl auch in der Lage gewesen wären,
für den Bereich Arbeit und Soziales einen wesentlich
besseren Haushalt vorzulegen. Diese Chance ist von Ihnen vertan worden.
({1})
In guten Zeiten sollte man etwas zurücklegen, damit
man in schlechten Zeiten etwas hat.
({2})
Diese wahnsinnig hohe Neuverschuldung haben wir
auch Ihrer schlechten Regierungszeit zu verdanken;
({3})
sonst würden wir uns heute nicht in dieser Situation befinden.
Nehmen Sie insofern doch bitte auch zur Kenntnis,
dass wir jetzt - das habe ich auch gesagt - auf einem
sehr guten Weg sind, weil wir bei uns sparen und diesen
Haushalt durch eigene konsequente und dauerhafte Sparmaßnahmen sozusagen wieder auf die gerade Schiene
bringen wollen und nicht über Steuereinnahmen versuchen, zu sanieren. Es ist leider so, dass das jetzt Zeit benötigt, weil die Verschuldung derartig hoch ist. Damit
müssen wir leben. Umso wichtiger ist aber, dass wir jetzt
wirklich intensiv sparen. Auf diesem Wege sind wir.
Insofern sind die Maßnahmen, die wir ergriffen haben, sehr ausgewogen: Auf der einen Seite sorgen wir
eben tatsächlich für Einsparungen, auf der anderen Seite
haben wir aber sehr wohl auch die soziale Komponente
im Blick. Dementsprechend haben wir unsere Sparmaßnahmen sozialverträglich angelegt.
({4})
Nun hat der Kollege Klaus Ernst für die Fraktion Die
Linke das Wort.
({0})
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir erleben
eine Ministerin, die ihre Arbeit selbstverständlich gut
darstellt. Dafür habe ich Verständnis. Trotzdem müssen
wir schon ein bisschen genauer hinschauen, Frau von der
Leyen.
({0})
Wenn Sie sagen: „Es geht wieder aufwärts“, dann stellt
sich natürlich die Frage, für wen. Ich zitiere aus Spiegel
Online vom 4. September 2010. Dort heißt es - Zitat -:
Die Verluste aus der Finanzkrise sind laut einer
DIW-Studie inzwischen komplett ausgeglichen.
Davon profitieren besonders die Reichen: Noch nie
gab es hierzulande so viele Vermögensmillionäre.
Es geht aufwärts, aber nicht für die Bevölkerung.
Frau von der Leyen, wenn ich mir Ihren Haushalt ansehe, dann stelle ich fest: Das Elterngeld für Hartz-IVBezieher wird um 500 Millionen Euro gekürzt, bei der
Rentenversicherung wird um 1,8 Milliarden Euro gekürzt, und die Ausgleichszahlungen für den Übergang
vom Arbeitslosengeld I zum Arbeitslosengeld II sinken
um 200 Millionen Euro. - Daneben stellen wir fest, dass
die Eingliederungstitel gekürzt werden, die für die Menschen gedacht sind, die Hilfe brauchen, um tatsächlich
wieder Arbeit zu bekommen. Das alles passt überhaupt
nicht mit dem zusammen, was Sie hier darstellen. Es
geht offensichtlich nicht allen besser. Vielmehr wird bei
den sozial Schwachen ganz besonders gekürzt.
Es wurde von dem Prinzip des sozialen Ausgleichs
gesprochen, und die Bundeskanzlerin sagte, als es um
das Kürzungspaket ging, es sei ausgewogen. Die Ausgewogenheit ist schon deshalb nicht gegeben, weil in Ihrem Haushalt, Frau von der Leyen, letztendlich 37 Prozent der gesamten Kürzungen vorgenommen werden.
Ich kann Ihnen nur sagen: Es ist falsch, das mit dem
Prinzip der Ausgewogenheit zu erklären.
({1})
Warum verfahren Sie eigentlich nicht nach dem Verursacherprinzip?
({2})
Es wird unter anderem deshalb eine hohe Verschuldung
im Haushalt ausgewiesen, weil wir eine Bankenkrise zu
finanzieren haben, für die all diejenigen, die Sie jetzt belasten, nicht die geringste Verantwortung haben, und das
ist falsch an Ihrem Haushalt, Frau von der Leyen.
({3})
Von der Beachtung des Verursacherprinzips sind wir
weit entfernt. Wir sind aber auch weit weg von einer einigermaßen vernünftigen Verteilung dessen, was in diesem Land erwirtschaftet wird. Auch dafür ist die Bundesregierung aus meiner Sicht mitverantwortlich.
Wir haben festgestellt, dass die Situation bei den Arbeitgebern, bei den Reichen wieder dieselbe ist wie vorher.
({4})
Jetzt sagen Sie: Der Aufschwung kommt an. - Frau
Winterstein, ich habe gerade von Ihnen gehört, es gehe
aufwärts.
({5})
Ich sage Ihnen: Es geht aufwärts, weil die Industrieunternehmen wieder die Leiharbeiter einstellen, die sie vorher
entlassen haben. Es geht nicht aufwärts im Bereich der
normalen Vollzeitjobs. Im Gegenteil: Wir stellen bei Betrachtung eines längeren Zeitraums fest - diese steht ja
durchaus zur Verfügung -, dass die Anzahl der sozialversicherungspflichtigen Vollzeitbeschäftigten, die es 2000
noch gab, inzwischen um 2,3 Millionen gesunken ist. Die
Anzahl anderer Jobs ist demgegenüber gestiegen: Die
Anzahl der Menschen in Leiharbeit, der Menschen in befristeten Beschäftigungsverhältnissen und der Menschen
in prekärer Beschäftigung hat zugenommen. - Nicht zugenommen hat jedoch die Anzahl der Menschen mit einer
vernünftigen Beschäftigung in diesem Land. Dafür sind
Sie mitverantwortlich, unter anderem deshalb, weil Sie,
Frau von der Leyen, eine vernünftige Regelung für den
Bereich der Leiharbeit nach wie vor verhindern.
Beim Thema Leiharbeit geht es nicht nur darum, den
Drehtüreffekt zu verhindern, dass Menschen zunächst
entlassen und anschließend im selben Betrieb wieder
eingestellt werden. Vielmehr geht es beim Thema Leiharbeit um ein ganz einfaches Prinzip - das müsste doch
für uns selbstverständlich sein -, nämlich dass man bei
gleicher Arbeit das gleiche Geld bekommt, dass Equal
Pay gilt. Aber das machen Sie in Ihrem Gesetz nicht.
Damit sind Sie für eine ungleiche Verteilung in diesem
Land verantwortlich, Frau von der Leyen.
({6})
Dasselbe Problem gibt es bei befristeten Arbeitsverhältnissen. Inzwischen sind 40 Prozent aller neu abgeschlossenen Arbeitsverhältnisse - das trifft natürlich
auch jetzt für die Zeit des Aufschwungs zu - nur noch
befristet. Betrachten Sie das als Aufschwung? Betrachten Sie es als Aufschwung, wenn die überwiegend jungen Leute, die nach der Krise wieder einen Job bekommen und vorher möglicherweise als Leiharbeiter
beschäftigt waren, jetzt nur noch solche Beschäftigungsverhältnisse bekommen, bei denen sie von vornherein
wissen, dass dieses Arbeitsverhältnis in kürzester Zeit
wieder beendet ist? Ich kann Ihnen sagen: Damit geben
Sie den Menschen in diesem Land keine Zukunft. Im
Gegenteil: Damit tragen Sie dazu bei, dass die Menschen
eine Zukunft haben, die aus Unsicherheit, schlechten Arbeitsbedingungen und Niedriglöhnen besteht.
Angesichts der Feststellung, dass mit diesem Aufschwung die Gewinne wieder deutlich steigen - Sie
freuen sich darüber natürlich ganz besonders; wir freuen
uns vor allem darüber, dass die Krise vorbei ist -, hätte
ich erwartet, dass wir hier von Ihnen etwas hören, wie
Sie dazu beitragen wollen, die ungleiche Vermögensverteilung, die ungleiche Verteilung des gesellschaftlichen
Reichtums zu beenden. Dazu habe ich keinen einzigen
Satz von Ihnen gehört, Frau von der Leyen.
({7})
Ich könnte gerne noch den einen oder anderen Punkt aufzählen, der für Ihren Haushalt noch von Bedeutung
wäre.
Frau von der Leyen, wir haben viel über Mindestlöhne und Aufstocker diskutiert.
({8})
Dazu nenne ich Ihnen folgende Berechnung: In den letzten Jahren wurden 50 Milliarden Euro an Lohnsubventionen gezahlt, weil Sie die Einführung eines gesetzlichen
Mindestlohns verhindern. Wären wir in der Lage, die
Menschen in diesem Lande tatsächlich auf einem vernünftigen Lohnniveau zu bezahlen, dann hätten Sie in
Ihrem Haushalt das, was Sie machen, nämlich diese Kürzungsorgien, überhaupt nicht nötig.
Verweigern Sie sich deshalb an der Stelle nicht länger! Schaffen Sie einen gesetzlichen Mindestlohn! Regeln Sie Leiharbeit mit gleichem Lohn für gleiche Arbeit! Sorgen Sie dafür, dass die Menschen eine
unbefristete Beschäftigung haben und dass wir kein Prekariat erleben müssen.
Ich danke fürs Zuhören.
({9})
Nächster Redner ist der Kollege Markus Kurth für die
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Dieser Haushalt präsentiert sich zwar als Sparhaushalt, aber tatsächlich verschiebt er Lasten auf andere
Zweige der Sozialversicherung und in die Zukunft. Dies
ist kein Sparhaushalt.
({0})
Es werden Lasten auf die Rentenversicherung und auf
die Bundesagentur für Arbeit verschoben, die sich jetzt
verschulden können soll und die einen Schattenhaushalt
begründen wird. Am schlimmsten ist: Auch zulasten der
Arbeitslosen werden finanzielle Belastungen in die Zukunft verschoben, indem Sie beim Eingliederungstitel,
bei der Qualifizierung, bei der Weiterbildung und bei der
Förderung von Langzeitarbeitslosen einsparen.
({1})
Erst kürzlich - Herr Schiewerling, auch Sie waren
dabei - hat das Institut der deutschen Wirtschaft eine
Evaluation vorgelegt, in der die Berufsbildungswerke
untersucht wurden, die sehr teure Weiterbildungs-, Qualifizierungs- und Umschulungsmaßnahmen anbieten. Das
Institut der deutschen Wirtschaft hat festgestellt, dass die
Rendite aus den Investitionen in Weiterbildung 11,7 Prozent beträgt, erwirtschaftet durch eingespartes Arbeitslosengeld II, durch zusätzliche Steuereinnahmen und durch
zusätzliche Sozialversicherungsbeiträge. Sie rechnen kurzsichtig und nicht nachhaltig und langfristig.
({2})
Dramatisch finde ich auch, dass Sie blind sparen. Sie
sparen ins Blaue hinein. Frau von der Leyen hat hier ausgeführt, dass sie eine Evaluation der arbeitsmarktpolitischen Instrumente in Auftrag gegeben hat und dass sie
im nächsten Jahr die Ergebnisse erwartet. Warum warten
Sie denn die Ergebnisse nicht ab, um dann festzustellen,
was das effektivste Instrument ist? Dann könnte man den
Einsparungen unter Wirtschaftlichkeitsgesichtspunkten
noch zustimmen. Aber Sie sparen einfach drauflos, weil
Sie unter Druck gesetzt worden sind, Frau von der
Leyen.
({3})
Der Vergleich mit dem Jahr 2006 hinkt überdies.
Nicht nur dass im Jahr 2006 der Eingliederungstitel nicht
vollständig ausgeschöpft wurde, sondern auch die Zahl
der Langzeitarbeitslosen, die einer besonders intensiven
und qualifizierten Förderung bedürfen, ist gegenüber
2006 nicht gesunken.
({4})
An diesem Punkt müssen wir ansetzen.
({5})
Im Ergebnis ist die Folge klar absehbar: Diese Sparpolitik wird immer kurzatmigere Maßnahmen seitens der
Bundesagentur für Arbeit erzwingen, weil diese ihre sogenannten Aktivierungsquoten hochhalten wird, und im
Ergebnis den Druck auf Langzeitarbeitslose und Beschäftigte erhöhen. Unterm Strich kann man sagen: Dieser Haushalt vergrößert die soziale Verschuldung in
diesem Lande.
({6})
Wenn Sie den Haushalt schon so offensiv in den Kontext der Staatsverschuldung stellen, Frau von der Leyen,
dann frage ich Sie, warum Sie Stimmen wie die von
Gerhard Cromme nicht ernst nehmen. Gerhard Cromme,
Aufsichtsratsvorsitzender von Siemens, Multimillionär
und früherer Vorstandschef des Konzerns ThyssenKrupp, ist dafür bekannt, dass er kein Kind von Traurigkeit ist, wenn es um harte Sanierungseinschnitte in Unternehmen geht. Derselbe Gerhard Cromme sagt in
einem Interview mit einer angesehenen deutschen Tageszeitung in der Sommerpause, er könne sich eine befristete Vermögensabgabe vorstellen, um einen Beitrag
zur Überwindung der Krise zu leisten. Warum greifen
Sie diese Bereitschaft, die viele Menschen in diesem
Lande zeigen, nicht auf?
({7})
Die Verteilungswirkungen sind das eine. Das andere
ist die Wirkung auf die Menschen, die davon betroffen
sind. Ich werfe Ihnen vor, dass Sie - ob willentlich oder
unbewusst - eine Politik der Diskriminierung gegenüber
denjenigen betreiben, die Unterstützung benötigen. Am
augenfälligsten wird das bei der Streichung des Elterngeldes für Eltern, die Grundsicherung beziehen müssen. Sie
diskriminieren gezielt die Bezieher einer bestimmten Sozialleistung und entziehen diesen die Familienförderung.
Deutlicher kann man, ob gewollt oder nicht, die Botschaft
nicht aussenden: Wir wollen nicht, dass ihr Kinder bekommt.
({8})
Genau diesem Muster folgt die Tonlage im Hintergrund, wenn es um die Idee eines elektronisch gestützten Gutscheinsystems für Kinder aus ArbeitslosengeldII-Haushalten geht. Die Botschaft lautet: Wir trauen den
langzeitarbeitslosen Eltern von Kindern die Erziehung
und eigenständige Lebensführung nicht wirklich zu. Zumindest wird dies von nicht wenigen Abgeordneten und
Akteuren aus der schwarz-gelben Koalition so orchestriert.
Damit wir uns nicht missverstehen: Es spricht alles
dafür, statt rechnerisch 1 Euro für das Mittagessen eines
Kindes im Regelsatz anzusetzen, ein vollwertiges Essen
als reguläre Sachleistung in der Schule anzubieten. Ich
füge hinzu: wenn es denn in allen Schulen einen Mittagstisch gibt.
Oder nehmen wir das Beispiel Bildung, von dem Sie
ausführlich gesprochen haben: Es wäre mehr als sinnvoll, die 4 Euro im Monat, die für Nachhilfe angesetzt
sind, aus dem Regelsatz herauszunehmen. Für 4 Euro im
Monat kann man sich ohnehin keine Nachhilfestunden
leisten. Es wäre sinnvoll, stattdessen einen eindeutigen
Rechtsanspruch auf Nachhilfe festzuschreiben, der als
einmalige Leistung im notwendigen Umfang zu gewähren ist.
Aber was tun Sie? Zunächst sehen Sie tatenlos zu, wie
die Bundesagentur für Arbeit den Nachhilfeanspruch,
der seit Februar durch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts besteht, maximal einschränkt. Anstatt den Richterspruch zum Anlass zu nehmen, auf einem Gebiet den
Bildungsanspruch und Bildungsziele durchzusetzen, lassen Sie zu, dass der vom Verfassungsgericht definierte
Bildungsanspruch in kleinlicher und geradezu beschämender Weise kleingerechnet wird und nur dann geltend
gemacht werden kann, wenn ein Todesfall oder eine
schwere Krankheit in der Familie vorliegt. Dann gönnen
Sie sich im Sommer einen großen Auftritt zur Präsentation einer Bildungschipkarte, die finanziell voraussichtlich so kläglich ausgestattet sein wird, dass sie auch nur
für fünf Stunden Nachhilfe im ganzen Jahr reicht. Das ist
ein politisches Täuschungsmanöver.
({9})
Ich empfinde es auch als Täuschungsmanöver, wenn
der Eindruck erweckt wird, mit der Chipkarte stünde
jetzt allen der Weg zur Musikschule und zur künstlerischen Bildung offen. Was ist denn in den letzten Jahren
in den Kommunen mit solchen Bildungsangeboten passiert? Ihre Zahl ist um mehr als ein Drittel verringert
worden, und die verbleibenden sind mit Gebühren versehen worden, die Ihre Chipkarte nicht einmal zu einem
Bruchteil abdecken wird. Diese Bundesregierung drückt
durch Steuergeschenke den Städten und Gemeinden finanziell die Gurgel zu und präsentiert dann einen Gutschein, den man vielerorts überhaupt nicht mehr einlösen kann, weil die Angebote fehlen.
({10})
Weil Sie dies wissen, entwerfen Sie eine Szene von der
Einbindung der Privatwirtschaft bei der Finanzierung
der Chipkarte. Aber diese Finanzierungsbeteiligung der
Privatwirtschaft ist noch nicht einmal am Horizont zu sehen. Darüber hinaus kann man getrost die Frage stellen,
ob wir eine öffentliche Regelfinanzierung von Kinderförderung an Institutionen durch private Almosengewährung an diese Institutionen ersetzen wollen. Wir jedenfalls wollen dies nicht. Im Ergebnis laufen Ihre Pläne auf
Bevormundung und weniger Freiheit für Langzeitarbeitslose und alle anderen hinaus, die auf das Arbeitslosengeld II angewiesen sind.
Das korrespondiert mit anderen Vorhaben wie der sogenannten Bürgerarbeit. Hier sollen fünfmal mehr Bürger aktiviert werden, als überhaupt Plätze in der Bürgerarbeit zur Verfügung stehen. Das heißt - das scheint
offenbar von vornherein das Ziel zu sein -, ein Großteil
der zu Aktivierenden soll letzten Endes aus dem Leistungsbezug ausgesteuert werden. Ich finde, dass sich
dies alles in Richtung des vormodernen Sozialstaats bewegt, wo Armenpolizei und Arbeitshaus die Armen zu
Objekten eines Obrigkeitsstaates machten und wo nur
der sittliche Arme Anspruch auf öffentliche Fürsorge
hatte. Ich erlebe eine erstaunliche Renaissance dieses
Denkens. Michael Fuchs etwa sagt - das wurde schon
erwähnt -: Eltern, die ihre Kinder nicht erziehen, müssen
ALG-II-Kürzungen hinnehmen. - Ich will ein Urteil des
Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 1967 zitieren,
ein Urteil, das ich wirklich wegweisend finde. Das Bundesverfassungsgericht hat in diesem Urteil, das das Ende
der Arbeitshäuser im Nachkriegsdeutschland besiegelte,
gesagt: Es ist nicht die Aufgabe des Staates, seine Bürger
zu bessern. - Das ist ein wichtiger und zentraler Satz, an
den wir uns in der Sozialpolitik öfter erinnern sollten.
({11})
Es geht um die Stärkung und die Befähigung von
Menschen, die zeitweise nicht in der Lage sind, ihren
Lebensunterhalt selbstständig zu erwirtschaften. Wir
Bündnis 90/Die Grünen wollen die Menschen ernst nehmen. Wir wollen ein Wunsch- und Wahlrecht, Möglichkeiten, sich die Angebote selber auszusuchen. Miteinander statt Obrigkeit, das erzielt die besten Ergebnisse. Das
ist am effektivsten. Wir stehen für einen Ausbau der Infrastruktur zur Bildung und Förderung von Kindern sowie Jugendlichen. Wir stehen für Teilhabe und Selbstbestimmung statt Verhaltenskontrolle durch Nannys im
Sozialministerium.
Danke.
({12})
Für die CDU/CSU-Fraktion hat nun das Wort die Kollegin Ingrid Fischbach.
({0})
Frau Präsidentin! Frau Ministerin! Liebe Kolleginnen
und Kollegen!
Wer aufhört zu werben, um Geld zu sparen, kann
ebenso seine Uhr anhalten, um Zeit zu sparen.
Diese Worte hat Henry Ford einmal gesprochen. Sie sind
wohl wahr. Wenn wir jetzt aufhören, zu sparen und den
Haushalt zu konsolidieren, können wir gleich einpacken.
Sie haben recht, Frau Hagedorn: Wir haben hohe Schulden. Da ich ein bisschen länger dabei und gut bei Verstand bin und mein Erinnerungsvermögen vorhanden ist,
erinnere ich mich noch an einen Sparminister - ich
glaube, er kam aus Ihrer Fraktion, meine Damen und
Herren von der SPD -, der im Jahr 2004, als sich der damalige Kanzler rühmte, den Aufschwung habe er allein
durch seine Kandidatur und sein Kanzlersein erwirtschaftet, eine Neuverschuldung in Höhe von 43 Milliarden Euro auf den Weg gebracht hat. Theo Waigel, den
Sie angesprochen hatten, war 1996 bei 40 Milliarden
Euro angelangt.
({0})
Die Zuschauer vor den Bildschirmen können nun errechnen, wer eine höhere Neuverschuldung zu verantworten
hatte. Wer im Glashaus sitzt, sollte nicht mit Steinen
werfen.
({1})
Die Situation 2004 war anders als die heutige. Deswegen ist das, was Sie hier machen, unfair, unsozial und
effekthascherisch. Wir haben eine so hohe Neuverschuldung, weil wir eine noch nie dagewesene Krise bewältigen müssen. Das mussten Sie nicht. Um den Menschen
Sicherheit zu geben und die Zahl der Arbeitslosen nicht
wieder auf 5 Millionen steigen zu lassen, sorgen wir dafür, dass die Menschen in Arbeit bleiben und nicht arbeitslos werden; das ist doch gut. Deshalb war es richtig,
das Geld zur Verfügung zu stellen. Das bedeutet aber
nicht, dass wir jetzt aufhören können, diese Schulden zurückzufahren.
({2})
Herr Kurth, deshalb ist es auch nicht richtig, dass Sie
sagen, dieser Haushalt sei kein Sparhaushalt. Wir reduzieren, und das ist wichtig - ({3})
- Dann hören Sie zu, vielleicht erfahren Sie doch noch,
was Sparen heißt, wenn Sie selbst es noch nicht wissen
und noch nicht können.
Wir haben eine Aufgabe, nämlich die Neuverschuldung zurückzufahren und Einsparungen vorzunehmen.
Das bedeutet: Alle Ministerien sind gefordert, auch das
Sozialministerium. Ich möchte an dieser Stelle deutlich
machen, dass wir bisher 12 Prozent des Bundeshaushaltes allein für Zinszahlungen ausgeben. Davon müssen
wir runter, weil wir das Geld für andere Dinge brauchen.
Mittlerweile ist jeder fünfte Euro kreditfinanziert. Sie
tun hier so, als hätten wir ein Wunschkonzert nach dem
Motto: Wer noch etwas haben möchte, der soll sich melden, dann packen wir noch ein bisschen drauf.
({4})
Das haben wir in den letzten Jahren und Jahrzehnten getan, und das war falsch. Sie monieren Kürzungen, statt
zuzuhören, warum gekürzt wird und an welchen Stellen
gekürzt wird.
({5})
- Darüber, ob die Stellen richtig sind oder nicht, können
wir reden.
Ich bin jetzt bei dem Punkt der arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen. Frau Hagedorn, Sie gehen doch
wie ich in Ihrem Wahlkreis mal zu den Arbeitsagenturen.
Sie reden auch mit den Bürgerinnen und Bürgern, auch
mit denen, die länger arbeitslos sind.
({6})
Ich höre von vielen Kolleginnen und Kollegen und von
vielen Bürgerinnen und Bürgern die Frage bzw. Aussagen: „Wieso gibt es eigentlich so viele Maßnahmen, die
uneffektiv sind?“, „Jetzt schicken die mich schon in den
dritten Computerkurs.“ „Ich muss jetzt wieder eine Umschulung für einen Beruf machen, der dann, wenn ich
fertig bin, überhaupt nicht.“ - ({7})
- Jetzt hören Sie doch einmal gut zu. Was wir mit Recht
wollen, ist doch, dass wir kontrollieren und nach Zielgenauigkeit und Effizienz auswählen und an dieser
Stelle den Menschen - ({8})
- Sie können sich gern melden und eine Zwischenfrage
stellen; aber immer reinzurufen, ist unsinnig, weil die
Zuhörer draußen nicht hören, was Sie rufen. Wenn ich
Ihnen dann antworte, dann ist meine Rede nicht so logisch; das finde ich nicht so prickelnd.
({9})
Also, wir haben gemeinsam beschlossen, die Schuldenbremse ins Grundgesetz aufzunehmen und daran zu
arbeiten. Ich sage an dieser Stelle noch einmal: Der Abbau von Schulden ist zukunftsorientierte Politik. Das ist
eine Politik für unsere Kinder, für unsere Nachfolger und
für unsere Enkelkinder, und daran halten wir fest.
({10})
Mit den Einsparungen und Kürzungen bei den Ausgaben des Sozialministeriums sind wir bei Zahlen, die wir
im Jahr 2008 hatten. Wir liegen sogar noch darüber. Frau
Hagedorn, hatten Sie, als wir in der Großen Koalition
waren, bei 123 Milliarden Euro Ausgaben im Sozialetat
den Gedanken, wir hätten den sozialen Kahlschlag verabreicht? Das habe ich von Ihnen in der Diskussion nicht
gehört.
({11})
Wir sind heute bei 143 Milliarden Euro. Sie sprechen
vom sozialen Kahlschlag, wenn wir von 143 Milliarden
Euro auf 131 Milliarden Euro heruntergehen. Sie müssen bei Ihrer Argumentation ein bisschen darauf aufpassen.
({12})
Die Außenwirkung ist wichtig. Wir geben trotz der
Kürzungen immer noch 131,8 Milliarden Euro für den
Sozialhaushalt aus. 131,8 Milliarden Euro! Ich sage das
so deutlich und so oft, weil ich glaube, dass viele nicht
verstehen, über welche Summe wir reden. Das ist ein
Anteil am gesamten Bundeshaushalt von weit über
50 Prozent. Wenn ein Drittel der gesamten Einsparungen
von diesem Teil erbracht werden muss, dann ist das richtig, dann ist das vertretbar.
({13})
Wir müssen diesen Weg gehen, weil wir Politik für unsere Kinder machen und weil wir wollen, dass die Schulden heruntergehen. Das werden wir anders nicht hinkriegen; das ist richtig, Frau Ferner.
({14})
Frau Ferner, jetzt bin ich bei Ihnen. Sie haben bei der
Aussage der Ministerin moniert, dass sie im Bereich der
Kinderregelsätze einiges auf den Weg bringe, was nicht
richtig sei. Darf ich Sie bitte noch einmal daran erinnern,
wer die Hartz-IV-Regelung auf den Weg gebracht hat?
({15})
- Frau Ferner, ich unterstelle Ihnen jetzt nicht, dass Sie
damals den Anteil für die Bildung der Kinder bei der
Berechnung der Eckregelsätze absichtlich herausgelassen haben. Das sage ich jetzt nicht. Ich vermute, Sie haben nicht daran gedacht.
({16})
Wenn ich der Verursacher wäre, dann wäre ich ganz ruhig. Ich würde nicht damit argumentieren, was alles
falsch läuft. Sie haben nicht daran gedacht.
({17})
Sie haben das auch nicht auf den Weg gebracht. Sie
hätten damals an dieser Stelle sagen müssen, das sei
wichtig. So wie Sie heute sagen, das werde vor dem Verfassungsgericht keinen Bestand haben, hätten Sie es damals genauso sagen können.
({18})
- Sie haben das doch mitgetragen.
({19})
Ich persönlich war nicht im Vermittlungsausschuss,
({20})
aber Sie waren vielleicht darin. Ich sage nur: Sie haben
ein Gesetz auf den Weg gebracht und den Bildungsanteil
nicht berücksichtigt. Ich habe nicht gesagt, dass Ihnen
das bewusst war - diese Einschätzung überlasse ich Ihnen -, aber Sie haben ihn nicht berücksichtigt.
({21})
Jetzt haben wir gesagt: Wir machen es transparent,
und dieser Anteil muss vorhanden sein. - Das Verfassungsgericht gibt uns den Auftrag, nicht nur für diesen
Anteil zu sorgen, sondern auch dafür zu sorgen, dass er
bei den Kindern ankommt. Deshalb halte ich die Idee der
Ministerin, eine Bildungschipkarte einzuführen, für eine
sehr gute. Dass wir noch schauen müssen, wie das im
Detail geht, ist klar. Das werden wir klären. Das ist aber
kein gänzlich neues Instrument. Einige tun so, als sei das
eine Erfindung über Nacht und als müssten wir schauen,
wie wir das auf den Weg bringen. Die Bildungskarte gibt
es als ergänzende Familienhilfekarte in vielen Kommunen, wo sie sich sehr gut bewährt hat. Wir übernehmen
das, was gut läuft, und notwendige Verbesserungen werden wir vornehmen. Ich finde, das ist ein guter und richtiger Schritt; denn in die Kinder zu investieren, ist eine
Investition in die Zukunft. Das ist christlich-liberale
Politik. Daran werden wir festhalten, und wir werden
uns von Ihnen nicht von unserem Weg abbringen lassen.
({22})
Ich möchte kurz auf die Situation der Langzeitarbeitslosen eingehen. Herr Kurth verbreitet hier, die
Zahlen seien nicht rückläufig. Sie sind aber zurückgegangen und liegen jetzt unter 1 Million. Sie können die
Zahlen abrufen und werden feststellen, dass sie zurückgegangen sind. Ich habe heute Morgen die aktuellsten
Zahlen abgerufen. Wir müssen vor allem die Menschen
in Arbeit bringen, die schon lange keine Arbeit mehr haben. Dazu sind manche Maßnahmen - das habe ich vorhin schon gesagt - nicht geeignet, weil sie nicht effizient
sind und die Menschen in Langzeitarbeitslosigkeit halten.
({23})
Die beste Vorsorge für das Alter und die besten Mittel
gegen Altersarmut sind Arbeit
({24})
und ein vernünftiger Lohn. Deshalb müssen die Menschen in Arbeit gebracht werden. Wir werden im Rahmen der Reform viel stärker auf die individuellen Bedürfnisse der Arbeitslosen eingehen können. Das werden
wir auch tun. Wir werden uns auch über die Hinzuverdienstgrenzen unterhalten müssen. Ich höre oft von
Langzeitarbeitslosen - vielleicht höre nur ich das immer
in meinem Wahlkreis und Sie nicht -, wenn es darum
geht, einen 400-Euro-Job anzunehmen: Ich darf nur
160 Euro dazuverdienen. - Ich frage dann: Wieso dürfen
Sie nur 160 Euro dazuverdienen? Die Antwort lautet:
Der Rest wird mir angerechnet. - Ich entgegne dann,
dass der Langzeitarbeitslose 400 Euro und den anderen
Teil selber verdient und damit nicht auf Sozialtransfers
angewiesen ist. Ich glaube, wir müssen etwas tun, damit
das Verständnis, selbst etwas zum Lebensunterhalt beizutragen, wächst. Deshalb werden wir uns über die Hinzuverdienstgrenzen noch unterhalten müssen. Es ist ein
richtiger Weg, Anreize zu schaffen, eine Arbeit aufzunehmen. Es muss aber auch deutlich werden, dass diejenigen, die in Arbeit sind, mehr Geld haben müssen als
diejenigen, die nicht arbeiten. Das Lohnabstandsgebot
wird immer das Credo unserer Politik sein. Daran halten
wir fest. Die christlich-liberale Koalition wird dafür sorgen, dass die Menschen, die lange Zeit arbeitslos sind, in
Arbeit kommen.
Frau Kollegin.
Die Prognosen für das nächste Jahr stimmen uns optimistisch. Ein Wirtschaftsinstitut hat heute gemeldet,
dass es 2011 2,8 Millionen Arbeitslose geben wird. Wir
sind auf einem guten Weg.
Frau Kollegin.
Ich höre jetzt auf, Frau Präsidentin.
Vielen Dank.
({0})
Bettina Hagedorn hat das Wort für die SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Sie von Schwarz-Gelb versuchen seit Tagen, uns
von der SPD zu unterstellen, dass wir die Verschuldung
auf die leichte Schulter nehmen würden.
({0})
Dazu sage ich Ihnen hier ganz klipp und klar: Die SPD
steht selbstverständlich zur Schuldenbremse.
({1})
Die SPD nimmt die Verantwortung gegenüber künftigen
Generationen mindestens so ernst wie Sie. Das Problem
ist, dass Sie das, was Sie hier vorgelegt haben, täglich
mindestens 20-mal Sparhaushalt nennen, es aber in
Wirklichkeit kein Sparhaushalt ist; denn Sie sparen
nicht, sondern Sie verschieben Lasten auf die nächste
Generation, und Sie schichten zulasten der sozialen Sicherungssysteme um. Wir werden uns in wenigen Jahren
damit zu beschäftigen haben, dass sowohl die Beiträge
zur Arbeitslosenversicherung als auch die zur Rentenversicherung nicht stabil gehalten werden können. Das
alles haben Sie zu verantworten. Sie organisieren mit
diesem Haushalt in allererster Linie eine gigantische
Umverteilung von unten nach oben.
({2})
Es ist richtig - das wurde schon mehrfach gesagt -:
Wir reden hier über 132 Milliarden Euro. Das ist knapp
die Hälfte des Bundeshaushalts. Aber die Größe an sich
sagt noch gar nichts darüber aus, wie viel soziale Gerechtigkeit davon ausgeht. Vor diesem Hintergrund will
ich mit einem Ammenmärchen aufräumen: Indem Sie
immer wieder vorbringen, der prozentuale Anteil des
Einzelplans am Gesamthaushalt habe sich in den letzten
Jahren vergrößert, versuchen Sie, deutlich zu machen
- das hat Michael Fuchs versucht, das hat Frau
Dr. Winterstein versucht, und das ist auch von Frau
Fischbach versucht worden -, dass Sie doch so sozial
seien. Dazu muss ich Ihnen sagen: Verdummen Sie die
Menschen bitte nicht! Der größte Brocken in diesem
Einzelplan ist mit über 80 Milliarden Euro der Zuschuss
zur Rentenversicherung.
({3})
Ich möchte in Erinnerung rufen, dass dieser Steuerzuschuss 1990 noch bei 30 Milliarden Euro lag, 1998 bei
52 Milliarden Euro und dass es in den letzten zwölf Jahren einen Aufwuchs von 28 Milliarden Euro gegeben
hat, für den gesetzliche Grundlagen bestehen, die wir
alle miteinander geschaffen haben und die auch richtig
sind. Wenn Sie die 80 Milliarden Euro in Ihre prozentuale Rechnung einbeziehen, verkennen Sie aber völlig,
dass die Einschnitte, Frau von der Leyen, die übrigens in
keinem Einzeletat so groß sind wie in Ihrem Etat, sich
- richtigerweise - nicht bei der Rente abspielen, sondern
sich auf die übrigen 51 Milliarden Euro konzentrieren.
Das sind genau die Milliarden, mit denen für die anderen
Generationen in unserer Gesellschaft Chancen im Bereich Arbeit geschaffen werden sollen.
({4})
Sie und vor allen Dingen Ihre Kollegen stellen sich
hin und sagen, hier werde etwas für Kinder und für Familien geleistet. Das ist einfach absurd und infam, weil
die wirklichen Zahlen etwas anderes besagen. Dieser
Haushalt schmälert die Chancen von Kindern, von Alleinerziehenden und von Familien
({5})
- das ist sehr wohl wahr -, und das ist genau die falsche
Stelle. Sie sparen sogar bei der Bildung!
({6})
Sie streichen bei Familien und Alleinerziehenden, die
schlechtbezahlte oder gar keine Jobs haben, die
300 Euro Erziehungsgeld. Dabei waren Sie es, Frau von
der Leyen, die mit uns Sozialdemokraten das Elterngeld
ausdrücklich einkommensunabhängig eingeführt hat.
Mit der FDP zusammen kassieren Sie es jetzt bei circa
85 000 geringverdienenden Paarhaushalten und bei circa
50 000 Alleinerziehenden wieder ein, während die Millionärsgattin es behält. Wie können Sie als Christin nach
diesem Rückwärtssalto eigentlich noch in den Spiegel
schauen?
({7})
Welche Wertvorstellungen liegen einer solchen Politik
eigentlich zugrunde?
({8})
Das sind übrigens die gleichen Familien mit Kindern,
die schon von Ihrer vielgepriesenen Kindergelderhöhung
ab Januar dieses Jahres nicht einen einzigen Cent erhalten haben.
({9})
Das sind die gleichen Familien mit Kindern, die durch
die Streichung des Heizkostenzuschusses pünktlich zum
bevorstehenden Winter eiskalt betroffen sein werden.
Das, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist soziale Kälte
pur.
({10})
Das ist menschenverachtend und kinderfeindlich.
({11})
Die Frage ist gar nicht, ob gespart wird - darauf können wir uns, glaube ich, verständigen -; die Frage ist,
wie gespart wird und zu wessen Lasten. In Ihrem sogenannten Sparpaket
({12})
sind allein für 2011 Kürzungen im Bereich Arbeit und
Soziales in Höhe von 4,7 Milliarden Euro geplant. Das
ist fast die Hälfte des kompletten Pakets. Bis 2014 werden es nahezu 32 Milliarden Euro sein. Bei der anderen
Hälfte der Maßnahmen, die sich bei der Wirtschaft abspielen sollen, handelt es sich um unseriöse Luftbuchungen. Sie sparen de facto - nein, „sparen“ ist nicht der
richtige Ausdruck -,
({13})
Sie kürzen de facto lediglich bei denjenigen, die unserer
Unterstützung am meisten bedürfen,
({14})
und das, obwohl wir alle diese jungen Menschen als gutausgebildete Arbeitskräfte in unserem Land brauchen,
und zwar unabhängig davon, ob sie einen Migrationshintergrund haben oder nicht.
({15})
Genau denen und ihren Eltern fallen diese Kürzungen
nämlich auf die Füße.
({16})
Frau Kollegin, Sie haben schon das Ende der Redezeit
erreicht.
Dann war das das Ende meiner Rede.
Ich danke.
({0})
Der Kollege Dr. Heinrich Kolb hat das Wort für die
FDP-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Wenn Sie mich morgens um 7 Uhr suchen, finden Sie
mich regelmäßig auf meinem Heimtrainer. Dort habe ich
heute Morgen radelnd und Frühstücksfernsehen schauend die für mich wichtigste Nachricht des Tages schon
vernommen:
({0})
In 2011, so lauten die Prognosen, wird die Zahl der Arbeitslosen in Deutschland auf durchschnittlich 2,8 Millionen sinken. Das sind im Durchschnitt 400 000 weniger als noch in diesem Jahr.
({1})
Das zeigt mir - das will ich an der Stelle einmal sagen -,
dass die Maßnahmen zur Belebung der Konjunktur, die
diese Regierung nach ihrem Regierungsantritt unternommen hat, auch tatsächlich wirken.
({2})
Das muss man hier einmal sagen. Sie sollten so ehrlich
sein, das auch anzuerkennen.
({3})
Sie konzentrieren sich immer nur auf eine Maßnahme; wir haben aber viele entlastet, vor allen Dingen
Familien mit Kindern und Arbeitnehmer.
({4})
Der Taxpayer’s Day, der Tag, ab dem die Menschen in
diesem Lande für sich selbst und nicht mehr für den
Staat arbeiten, lag in diesem Jahr zehn Tage früher. Damit steht mehr Geld zur Verfügung. Das belebt die Konjunktur. So macht man das. Das muss in diesem Land
auch einmal gesagt werden.
({5})
Liebe Frau Hagedorn, wir haben die Schuldenbremse gemeinsam in die Verfassung hineingeschrieben.
({6})
Jetzt muss man auch zu dem Versprechen stehen, das mit
Aufnahme der Schuldenbremse in die Verfassung gegeben worden ist.
({7})
Man muss doch einmal klar sagen, dass es einen Sinn
hat, dass wir die Schuldenbremse eingeführt haben. Mit
jeder weiteren Entscheidung, Konsum schuldenfinanziert anzustoßen,
({8})
engen wir die Spielräume in der Zukunft ein. Aber die
Kinder können in der Zukunft nicht auf Schuldenbergen
spielen. Deswegen ist heute der Zeitpunkt gekommen,
wo wir Ansätze kürzen und Einsparungen vornehmen
müssen.
({9})
Im Grundsatz sind wir uns ja einig, dass gespart werden muss. Sie jedoch sagen: Aber nicht so. Da fällt mir
ein Wort von Graf Lambsdorff ein: Wenn es darum geht,
den Gürtel enger zu schnallen, fummelt jeder am Gürtel
des anderen. Wir wollen einmal schauen, wie das konkret gehen kann. Der größte Einzelposten im Sozialbereich, bei dem wir sparen,
({10})
betrifft Rentenversicherungsbeiträge in Höhe von
1,8 Milliarden Euro für ALG-II-Empfänger. Hier können Sie sich nicht ganz unschuldig fühlen, Frau Kollegin
Hagedorn.
({11})
Genau so etwas haben auch Sie schon getan. Die Behauptungen der Kollegin Ferner, da würden keine Anspruchszeiten mehr entstehen, sind so nicht zutreffend;
das sollten wir einmal abwarten. Das Gesetz ist noch
nicht geschrieben.
({12})
Den Einsparsachverhalt als solchen haben Sie selbst in
diesem Hause mehrheitlich beschlossen. Sie, Frau
Hagedorn, können sich jetzt nicht hier hinstellen und sagen: An dieser Stelle wollen wir keine Einsparungen
vornehmen.
Jetzt wollen wir uns das Ganze noch etwas konkreter
anschauen, insbesondere weil der Kollege Ernst, der ja
der bekannteste Aufstocker in diesem Land ist,
({13})
hier gesagt hat, alle unsere Maßnahmen gingen immer
nur zulasten der Ärmsten.
Herr Kolb, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Schaaf?
Er kann gerne später fragen; ich möchte meinen Gedankengang zu den Ausführungen des Kollegen Ernst
gerade noch zu Ende bringen. - Kollege Ernst sagt, das,
was wir machen, gehe immer zulasten der Ärmsten.
Wenn zum Beispiel der Zuschuss für die einigungsbedingten Leistungen nach § 291 c SGB VI gekürzt wird,
dann bekommt keiner derjenigen, die entsprechende
Leistungen erhalten, auch nur 1 Cent weniger. Es handelt
sich vielmehr um einen geringeren Zuschuss an die Rentenversicherung. Die Betroffenen erhalten weiterhin genau die Beträge, die sie bisher bekommen haben.
({0})
Es ist also falsch, wenn Sie sagen, es werde zulasten der
Ärmsten gespart.
Nun reden wir einmal darüber, dass durch die Kürzung dieser Rentenversicherungsbeiträge den Langzeitarbeitslosen weniger Ansprüche entstehen.
({1})
Aus heutiger Sicht ist das für die allermeisten Betroffenen in diesem und im nächsten Jahr mit hoher Sicherheit
irrelevant.
({2})
Aber es stellt sich natürlich die Frage der Altersarmut. Diese möchte ich nicht kleinreden. Wir sind angetreten, hier etwas zu tun. Das können Sie in unserem
Koalitionsvertrag nachlesen.
({3})
Wir werden im nächsten Jahr eine Expertenkommission
einberufen und beraten, was man da tun kann, und wir
werden noch in dieser Legislaturperiode Ergebnisse präsentieren. Aber durch einen zusätzlichen Rentenanspruch von 2,09 Euro pro Jahr Langzeitarbeitslosigkeit wird man das Problem nicht lösen können. Auch das
muss man hier einmal klar sagen.
({4})
Herr Kolb, wäre jetzt der Moment, wo Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Schaaf zulassen würden?
Ja, das wäre jetzt der Moment, wo eine Zwischenfrage gestellt werden kann. - Bitte schön, Herr Schaaf.
Bitte schön.
Weil Sie mich so freundlich darum gebeten haben,
verlängere ich mit dieser Frage Ihre Redezeit. Frau
Winterstein hat sich den Fragen ja noch verweigert.
Herr Kolb, ich gebe Ihnen recht: Wir sind, was die
Zuschüsse an die Rentenversicherung für Langzeitarbeitslose angeht, nicht ganz unschuldig. Aber wir haben in den Wahlkämpfen der letzten Jahre auch nicht immer wieder gebrüllt, dass die Menschen mehr Netto vom
Brutto haben sollen. Wie verhält sich diese Forderung zu
Ihrer Politik heute?
Die Nachhaltigkeitsrücklage in der Rentenversicherung soll für einen Ausgleich sorgen. Arbeitgeber und
Arbeitnehmer haben dieses Geld gleichermaßen eingezahlt. In der mittelfristigen Planung der Rentenversicherung ist die Absenkung der Beiträge vorgesehen, damit
Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sowie Arbeitgeber einen Teil des angesparten Geldes zurückbekommen.
Aber diese 1,8 Milliarden Euro werden sie nicht zurückerhalten. Was hat das Ganze mit „Mehr Netto vom
Brutto“ zu tun? Das müssen Sie den Menschen einmal
erklären.
({0})
Herr Kollege Schaaf, es gilt der altbekannte Satz: Das
Schwierige an der Prognose ist die Vorhersage des Zukünftigen.
({0})
Das können Sie sehr genau erkennen, wenn Sie sich die
Entwicklung der Überschüsse bzw. der Defizite in der
Rentenversicherung ansehen. Es ist nur wenige Jahre
her, dass wir in Zeiten einer sehr guten Konjunktur satte
Überschüsse in der Rentenversicherung erzielt haben.
Im letzten Jahr hatten wir den schwersten Einbruch in
der Wirtschaftsgeschichte der Bundesrepublik mit einem
ebenso satten Defizit in der Rentenversicherung, weil
Kurzarbeiter weniger Beiträge in die Rentenversicherung eingezahlt haben. Wenn Sie sagen, Sie wüssten
schon heute sicher, wie sich die Rentenbeiträge in den
Jahren 2013/2014 entwickeln werden, dann sagen Sie
einfach nicht die Wahrheit.
Wir setzen darauf, über die Stärkung der Wirtschaft
sowie über die Schaffung und Sicherung von Arbeitsplätzen ein möglichst hohes Erwerbspotenzial zu erreichen. Eine möglichst hohe Zahl sozialversicherungspflichtig Beschäftigter ist immer noch die beste
Bestandsgarantie für alle Sozialkassen und insbesondere
für die Rentenversicherung.
({1})
Herr Kollege Ernst, ich will mit zwei Beispielen weitermachen. Wo sparen wir denn?
({2})
Wir haben konkrete Vorschläge vorgelegt. Wo es bisher
Pflichtleistungen gibt, wollen wir Ermessensleistungen.
Ist es denn wirklich sinnvoll, dass wir demjenigen, der
dreimal erfolglos eine Firmengründung versucht hat,
auch noch ein viertes Mal 10 000 Euro hinterherwerfen?
Ich sage: Das macht keinen Sinn.
({3})
Der Berater vor Ort muss die Möglichkeit haben, an dieser Stelle Nein zu sagen. Auch das gehört dazu.
({4})
Ein letztes Beispiel, Herr Kollege Kurth. Wenn es darum geht, sozialpolitische Hecken zu pflanzen, dann sind
Sie alle da. Aber wenn es darum geht, die sozialpolitischen Hecken zu schneiden, will keiner die Schere in die
Hand nehmen. Andere haben in Zeiten, als die Energiekosten auf einem Rekordniveau waren, einen Heizkostenzuschuss für Hartz-IV-Empfänger eingeführt. Ich
frage Sie: Wenn wir unsere Haushaltsverantwortung
ernst nehmen, ist es dann nicht unsere Pflicht in Zeiten,
in denen die Energiepreise gesunken sind, die Heizkostenzuschüsse zurückzunehmen?
({5})
Genau das halten Sie uns vor. Aber ich halte das für notwendig.
Das sind mehrere Beispiele, die zeigen, wo wir konkret und verantwortlich handeln werden.
Zum Schluss noch eine Bemerkung zu den Regelsätzen. Frau Ferner, wir müssen Ihre Scherbenhaufen wegräumen.
({6})
In zwei Urteilen haben Sie vom Bundesverfassungsgericht Ohrfeigen bekommen, nämlich bei der Organisationsreform der Jobcenter und auch bei den Regelsätzen.
({7})
Es ist doch nicht so, dass wir das falsch gemacht hätten.
Sie haben damals ins Blaue hinein Regelsätze festgesetzt. Deswegen wundere ich mich über das, was Sie
heute schon wieder alles wissen.
Herr Kolb, Sie sind jetzt schon fast am Ende Ihrer Redezeit. Aber Herr Ernst würde Ihnen gerne noch eine
Zwischenfrage stellen.
Bitte sehr, Herr Ernst.
Herr Kolb, sozusagen von Aufstocker zu Aufstocker.
({0})
Wird es Ihnen nicht ein wenig mulmig und macht es
Sie nicht ein wenig nachdenklich, wenn man feststellen
muss, dass am Ende dieser Krise die Klientel, die Ihnen
besonders zugewandt ist - das sind die Besserverdienenden, Hoteliers und andere -, offensichtlich wieder auf
demselben Niveau ist wie vor der Krise? Auf der anderen Seite haben nach der Krise ausgerechnet diejenigen,
die schon vor der Krise am wenigsten hatten, noch weniger. Da können Sie auf die einzelnen Punkte so viel eingehen, wie Sie wollen. Sie müssen doch feststellen, dass
als Ergebnis Ihrer Politik - ich nenne beispielsweise die
Streichung des Übergangsgelds für den Übergang vom
Arbeitslosengeld I zum Arbeitslosengeld II - den Leuten
ganz konkret Geld fehlt, wenn sie ihren Job verlieren.
Auch in Zukunft wird es Leute geben, die ihren Arbeitsplatz verlieren. Sie können nicht davon ausgehen, dass
es keine Kündigungen mehr gibt.
Ist es nicht so, dass die Kürzungen, die wir insbesondere beim Elterngeld für die Bezieher von Arbeitslosengeld II haben, massive Einschränkungen ausgerechnet
für die bedeuten, die schon vorher weniger hatten? Sind
Sie nicht auch der Meinung, dass die fehlende soziale
Ausgewogenheit bei dem, was Sie da machen - wir sind
der Meinung, die Verursacher der Krise, also Ihre Klientel, soll dafür zahlen -, die Politikverdrossenheit in diesem Land fördert?
({1})
Herr Kollege Ernst, dazu, was Politikverdrossenheit
in diesem Sommer befördert hat, habe ich meine eigene
Meinung. An dieser Stelle will ich gar nicht persönlich
werden.
({0})
Die Verhältnisse treiben natürlich auch uns um. Wenn
Sie in der Sommerpause aufmerksam Zeitung gelesen haben, wird Ihnen nicht verborgen geblieben sein, dass die
FDP zum Beispiel aus Sorge um die Einkommenssituation von Personen, die einer Zeitarbeit nachgehen, einen
Vorschlag gemacht hat. Wir sehen die von Ihnen angesprochene Problematik also schon. Wir wünschen uns natürlich ebenfalls, dass möglichst viele Menschen Arbeitslosengeld I oder II überhaupt nicht in Anspruch nehmen
müssen. Sie verwenden unglaublich viel Energie auf die
Frage: Was machen wir, wenn das Kind in den Brunnen
gefallen ist? Wir hingegen verfolgen einen präventiven
Ansatz. Wir wollen erreichen, dass die Rahmenbedingungen für möglichst viel Arbeit in diesem Land geschaffen
werden.
Ich komme auf den Anfang meiner Rede zurück, Herr
Ernst. 2,8 Millionen Arbeitslose im Jahresdurchschnitt
2011 werden immer noch 2,8 Millionen Arbeitslose zu
viel sein. Aber es werden 400 000 weniger als in diesem
Jahr sein, und es werden rund 2,2 Millionen weniger als
das sein, was die Prognosen für das Jahr 2011 besagten.
Das heißt, man kann etwas tun. Es geht darum, dass wir
gute Rahmenbedingungen schaffen, damit möglichst
viele Menschen ihr Einkommen aus eigener Kraft erDr. Heinrich L. Kolb
wirtschaften können. Das ist das Ziel unserer Politik. Sie
kaprizieren sich mit mehr oder weniger großem Erfolg
auf andere Felder. Da unterscheiden wir uns. Dass es
Unterschiede zwischen der Linken und der FDP gibt, ist
auch gut so.
Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
({1})
Katja Kipping hat für die Fraktion Die Linke das
Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Heute
läuft vor dem Bundestag die Aktion „Das letzte Hemd“
von Campact. Diese Aktion zeigt, dass das Kürzungspaket so manchem wirklich ans letzte Hemd geht. Die Botschaft ist klar: Die Interessen der Atom- und Spekulationslobby sind Schwarz-Gelb wichtiger als das letzte
Hemd der Erwerbslosen und Geringverdienenden.
Der Sozialhaushalt 2011 weist 20,9 Milliarden Euro
für das Arbeitslosengeld II aus. Das sind 3 Milliarden
Euro weniger als in diesem Jahr. Eigentlich kann die Regierung gar nicht wissen, wie viel Geld sie für das
Arbeitslosengeld II braucht; denn - erinnern wir uns - im
Februar hat das Bundesverfassungsgericht die Hartz-IVRegelsätze, das Arbeitslosengeld II, als verfassungswidrig eingestuft,
({0})
und wir haben alle den Auftrag bekommen, die Grundsicherung verfassungskonform auszugestalten. Angeblich weiß die Bundesregierung noch gar nicht, wie hoch
die Regelsätze ausfallen sollen. Also sollten wir festhalten: Der Titel für das Arbeitslosengeld II im Sozialhaushalt ist entweder eine reine Luftbuchung, oder das Ganze
ist das Eingeständnis, dass hier Manipulationen geplant
sind. Beides ist skandalös.
({1})
Der Auftrag des Verfassungsgerichts lautet, die Regelsätze nachvollziehbar neu zu berechnen. Die zentrale Kritik des Gerichts war, dass man damals unter Müntefering
bei der Berechnung den Eindruck gewinnen musste, dass
es sich um eine politisch gewollte Punktlandung bei einer
Zahl, die vorher politisch ausgehandelt war, gehandelt
hat. Insofern wäre es richtig gewesen, zunächst die Methode festzulegen und erst danach auf Grundlage der vorliegenden Daten nachzurechnen, wie hoch der Betrag ist.
Doch wie agiert das Haus von Frau von der Leyen?
Frau von der Leyen, Sie verweigern uns bisher die Herausgabe der Rohdaten. Ich habe diese Herausgabe in einem Brief angefragt. Sie haben sich geweigert, diese Daten herauszugeben. Sie halten damit das Parlament
bewusst in Unwissenheit. Frau von der Leyen, ich fordere Sie wirklich auf: Geben Sie die Rohdaten für das
Parlament frei. Machen Sie Schluss mit dieser Geheimniskrämerei.
({2})
Diese Daten sind nicht Ihre Privatangelegenheit; sie gehen auch den Gesetzgeber an.
({3})
Wenn Sie mit dieser Geheimniskrämerei so weitermachen, dann muss man wirklich den Eindruck gewinnen,
dass Sie erst dann etwas herausrücken wollen, wenn das
Ergebnis vorliegt. Hier wird so agiert, als würde man
beim Pokern die Regeln erst dann festlegen, wenn alle
Karten ausgeteilt sind und der Bestimmende weiß, was
für Karten er hat.
Inzwischen ist aus vertraulichen Quellen in die Medien gelangt, dass das Ergebnis zwar längst vorliegt,
dass es der CDU aber nicht in den Kram passt, weil der
Regelsatz - würde man ihn wie bisher berechnen - wohl
bei deutlich über 400 Euro liegen würde. Inzwischen
gibt es - auch das ist herausgekommen - die klare Ansage: Hier muss gerechnet werden, bis der Regelsatz
deutlich unter 400 Euro liegt.
Bisher erfolgte die Berechnung wie folgt - nur zur Erläuterung -: Es werden die Ausgaben derjenigen gemessen, die zu den ärmsten 20 Prozent der Bevölkerung zählen. Schon damit haben wir Linke Probleme. Wir können
uns im Ausschuss einmal detaillierter über die Methode
der Berechnung unterhalten. Weil jetzt der Regelsatz zu
hoch erscheint, werden nicht mehr die ärmsten 20 Prozent der Bevölkerung in die Berechnung einbezogen,
sondern nur noch die ärmsten 10 oder 15 Prozent. Das ist
Manipulation pur.
({4})
Frau Ministerin, Sie schlittern mit dieser Methode direkt
in einen Verfassungsbruch. Ich fordere Sie auf: Geben
sie die Rohdaten frei! Machen Sie Schluss mit dieser
Manipulation!
({5})
Die Linke meint: Wir müssen das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes ernst nehmen. Dazu gehört, dass
wir endlich anerkennen, dass es sich hier um ein Grundrecht handelt: um das Grundrecht auf soziale und kulturelle Teilhabe. Ich höre hier immer, man müsse auf die
Schuldenbremse und auf die Kassenlage Rücksicht nehmen. Bei einem Grundrecht kann man aber nicht nach
Lust und Laune oder nach Kassenlage verfahren. Das
wäre so, als wenn Sie das Grundrecht auf freie und geheime Wahlen nur dann gewährten, wenn Ihnen die Umfragewerte gefielen.
({6})
- Ich hoffe, ich habe Sie jetzt nicht auf dumme Gedanken gebracht. 6192
({7})
Der Regelsatz muss also das soziale und kulturelle Existenzminimum garantieren. Das muss sich auch im Haushalt widerspiegeln.
Zum Ernstnehmen des Urteils gehört es aber auch,
festzustellen, dass die Sanktionen im Hartz-IV-Bereich
endlich abgeschafft werden müssen,
({8})
weil das Grundrecht im Grunde nicht verfügbar ist.
({9})
Da ein Hilfsbedürftiger bei der Garantie des Grundrechtes - das ist jetzt ein Zitat aus dem Urteil - „nicht auf
freiwillige Leistungen … Dritter verwiesen werden“
darf, gehört auch die Bedarfsgemeinschaft auf den Prüfstand.
({10})
Um es zusammenzufassen: Sollte sich der Posten für
das Arbeitslosengeld II im Haushalt nicht ändern, dann
ist dieser Haushalt ein klares Indiz für einen geplanten
Verfassungsbruch. Ich hoffe, das Parlament lässt sich
nicht entmündigen und geht diesen Weg nicht mit. Ich
hoffe auf eine Allianz gegen den geplanten Verfassungsbruch. Ich hoffe auf eine Allianz für das Grundrecht auf
soziale und kulturelle Teilhabe.
Danke.
({11})
Der Kollege Max Straubinger spricht jetzt für die
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen!
Ich glaube, die heutige Botschaft muss sein: Die Menschen können sich auf unseren Sozialstaat verlassen.
Diese Bundesregierung wird den Sozialstaat stärken,
({0})
insbesondere mit dem Haushalt für das Jahr 2011.
({1})
Heute wurden hier in einer gemeinsamen Front der Oppositionsfraktionen SPD, Grüne und Linke Zweifel gesät. Dies zeigt sehr deutlich, dass Sie den Sozialstaat
letztendlich nicht stärken, nicht zukunftsfest machen
wollen. Im Klartext: Sie sind nicht bereit, ihn nachhaltig
in die Zukunft zu führen.
Es muss, auch für die Öffentlichkeit, immer wieder
dargestellt werden: Über 50 Prozent des Bundeshaushaltes, das heißt über 150 Milliarden Euro, fast 160 Milliarden Euro, stehen für die sozialen Belange der Bürgerinnen und Bürger in Deutschland zur Verfügung. Das zeigt
sehr deutlich: Deutschland ist das sozialste Land, das es
in Europa und auf der Welt gibt.
({2})
Damit die Leistungen aller sozialen Sicherungssysteme - Rente, Pflege, Gesundheit, Arbeitslosigkeit, familiäre Unterstützungsleistungen - gewährt werden können,
brauchen wir als Fundament eine tragfähige Wirtschaft.
Die Wirtschaft entwickelt sich gut. Dadurch wird insbesondere die Arbeitslosigkeit bekämpft. Hier sind wir sehr
erfolgreich. Unter Rot-Grün gab es 5 Millionen Arbeitslose; dank dieser bürgerlich-liberalen Koalition gibt es in
Zukunft 2,8 Millionen Arbeitslose. Das sind 2,8 Millionen zu viel; aber wir arbeiten daran, dass diese Zahl
weiter sinkt. Wir verstehen eine konsequente Wirtschaftspolitik als Grundlage für die Finanzierung unseres Sozialstaates.
({3})
Werte Kolleginnen und Kollegen aus dem linken
Spektrum dieses Parlaments, es ist entscheidend, dass wir
auch für Zukunftsinvestitionen, für moderne Technologien stehen. Wenn die Bundesregierung ein Energiekonzept bis zum Jahr 2050 verabschiedet hat, dann gilt es,
dies zu unterstützen und nicht zu bekämpfen, weil mit einem solchen Konzept Arbeitsplätze in unserem Land gesichert werden. Alle Ausstiegsszenarien aus der linken
Ecke bedeuten für unser Land Arbeitsplatzverluste und
keine Arbeitsplatzgewinne. Das muss deutlich gesagt
werden.
({4})
Das gilt auch für strukturpolitische Entscheidungen. Sobald eine strukturpolitische Entscheidung für die
Zukunft, etwa beim Bahnhof in Stuttgart,
({5})
getroffen wird - dieser Bahnhof soll nach den Vorstellungen der Linken nicht mehr gebaut werden -, zeigt
sich, dass die Fraktionen des linken Spektrums dieses
Hauses arbeitsplatzfeindlich handeln.
({6})
Sie alle haben gegen den Flughafenneubau in München
demonstriert. Jetzt ist dieser Flughafen zu einem Jobmotor in unserem schönen Bayernland geworden.
({7})
Das ist eine Auszeichnung. Sie sind letztendlich gegen
jeden Straßenbau und gegen jeden Schienenausbau.
({8})
Früher hat die rot-grüne Stadtregierung in München den
Transrapid bekämpft, jetzt wird gejammert, dass es
keine Schnellbahnverbindung zum Flughafen gibt.
({9})
Das zeigt deutlich, dass sich SPD, Grüne und Linke bei
strukturellen Entscheidungen in unserem Land verweigern und Arbeitsplatzvernichter sind. Damit untergraben
sie die soziale Sicherheit der Menschen.
({10})
In unserem Sozialstaat geht es auch darum, dass wir
das Prinzip „Fordern und Fördern“ umsetzen.
({11})
Die Redebeiträge des Herrn Kollegen Kurth und verschiedener Redner der SPD zeigen, dass Sie die Rückabwicklung der Politik, wie sie unter Schröder gemacht
wurde, im Sinn haben. Sie wollen nicht mehr fordern,
sondern nur noch fördern.
({12})
Das zeigt sich bei den jetzigen Haushaltsplanungen in
Nordrhein-Westfalen. Frau Kollegin Hagedorn wirft uns
ständig vor, dass wir die Verschuldung angeblich in zu
geringem Maße abbauen. Was ist mit Nordrhein-Westfalen? Dort ist eine Neuverschuldung in Höhe von 6 Milliarden Euro geplant. Das zeigt deutlich, dass Sie eine
unverantwortliche Politik zulasten der nachfolgenden
Generationen betreiben.
({13})
Bei der SPD tritt das noch stärker in den Vordergrund.
Auf dem Parteitag wird die Rente mit 67 diskutiert.
Letztendlich soll eine Rückabwicklung erfolgen; vielleicht unterstützt der Kollege Toni Schaaf das nicht, aber
die anderen schon. Das zeigt sehr deutlich, dass die SPD
keine Verlässlichkeit in der Rentenpolitik gewährleistet.
Sie verfahren wieder nach dem gleichen Schema wie
1998. Norbert Blüm und die christlich-liberale Koalition
hatten zuvor vor dem Hintergrund der schon damals absehbaren demografischen Entwicklung den demografischen Faktor in die gesetzliche Rentenversicherung eingeführt.
({14})
Sie haben das aus billigen parteipolitischen Gründen bekämpft, sind in den Wahlkampf gezogen und haben angekündigt, dass Sie diesen Faktor aussetzen werden. Sie
haben das hinterher auch getan. Nach zwei, drei Jahren
hat
Das war das
Dümmste, was die neue Koalition machen konnte.
({0})
Herr Kollege Straubinger, möchten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Schaaf zulassen?
Ja, gerne. Das machen wir sofort.
Sie sind auch am Ende Ihrer Redezeit.
Lieber Max Straubinger, ich komme auf die Behauptung zu sprechen, wir würden auf dem Parteitag beschließen, die Rente mit 67 zurückzunehmen. Wir haben
in der Großen Koalition gemeinsam ein Gesetz verabschiedet, in dem eine Klausel enthalten ist, die festlegt,
dass die Bundesregierung in diesem Jahr einen Bericht
dazu abgeben muss, wie die arbeitsmarkt- und sozialpolitische Situation der älteren Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer tatsächlich ist und ob vor diesem Hintergrund die Rente mit 67 ab 2012 eingeführt wird. Haben
wir das gemeinsam vereinbart? Ist es daher nicht richtig,
dass wir diese Überprüfungsklausel, die Teil dieses Gesetzes ist - von Ihnen wird das gern ignoriert; aber wir
nehmen sie ernst -, inhaltlich gefüllt haben?
({0})
Ich finde im vorliegenden Positionspapier keinen einzigen Satz dazu, dass ein höheres Renteneintrittsalter in
Zukunft unnötig oder falsch ist. Wir haben die Überprüfungsklausel inhaltlich gefüllt, im Gegensatz zur Ministerin, die, ohne dass eine Überprüfung stattgefunden hat,
gesagt hat: Wir können die Rente mit 67 ab 2012 einführen.
({1})
Lieber Kollege Schaaf, ich bin sehr dankbar für diese
Frage, weil sie mir Gelegenheit gibt, hier etwas klarzustellen:
Erstens. Die Beschäftigungsquote älterer Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer steigt.
({0})
Das zeigen die Zahlen. 1999 waren in der Altersgruppe
der 60- bis 65-Jährigen 32 Prozent sozialversicherungspflichtig beschäftigt. Im Jahr 2009 waren es bereits
44 Prozent, die eine Beschäftigung fanden. Das zeigt
sehr deutlich, dass die ältere Generation wieder wesentlich stärker am Arbeitsmarkt teilnimmt.
Zweitens. Wenn die SPD in ihrem Parteiprogramm
möglicherweise beschließt, dass eine Rente ab 67 Jahren
für sie erst dann akzeptabel ist, wenn in der Altersgruppe
der 60- bis 65-Jährigen eine Quote an sozialversicherungspflichtig Beschäftigten von über 50 Prozent zu verzeichnen ist - zumindest habe ich es so den Zeitungen
entnommen -, so möchte ich Sie, verehrte Kolleginnen
und Kollegen der SPD, darauf hinweisen, dass nach Eu6194
rostat die Beschäftigungsquote der 40- bis 60-Jährigen in
Deutschland - wohl gemerkt, es geht um sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse - derzeit bei
gerade einmal 48,6 Prozent liegt. Das zeigt sehr deutlich: Die SPD will sich ganz scheinheilig aus der Rente
mit 67 verabschieden,
({1})
die sie richtigerweise mit Franz Müntefering als damaligem Bundesminister für Arbeit und Soziales an der
Spitze mit beschlossen und mit durchgesetzt hat, weil
das Generationengerechtigkeit bedeutet.
Bis zum Jahr 2029 rechnen wir - und das ist schön für
die Menschen - mit einer Steigerung der Lebenserwartung um bis zu drei Jahre. Wir verlängern die Lebensarbeitszeit um nur zwei Jahre. Das ist der einzig vernünftige Weg. Die Erhöhung des Beitrages, die Sie vorhin
bereits kritisiert haben,
({2})
die Kürzung der Rente und die Verlängerung der Wochenarbeitszeit sind weitere Parameter, an denen man
ansetzen könnte. Das wollen wir aber nicht, und das werden wir auch nicht tun. Diese Bundesregierung steht in
diesem Sinne zum Generationenvertrag und für Generationengerechtigkeit. Das muss man so sehen.
({3})
Man kann nicht populistisch ein Renteneintrittsalter
von 67 Jahren ablehnen, wie SPD und Linke es tun, und
gleichzeitig den jungen Bürgerinnen und Bürgern exorbitant hohe Zukunftslasten aufhalsen. Das darf unserer
Gesellschaft nicht zugemutet werden.
({4})
Wir werden dafür sorgen, dass dieser Sozialstaat auch
in der Zukunft generationengerecht gestaltet ist.
Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
({5})
Die Kollegin Katja Mast hat das Wort für die SPDFraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Verehrter Kollege Straubinger, als Baden-Württembergerin muss ich kurz etwas zu Stuttgart 21 sagen. Sie
sind doch nur sauer, dass es uns von der SPD mit der Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger in BadenWürttemberg ernst ist.
({0})
Sie sind doch nur sauer, weil Sie es nicht hinbekommen
haben, in den letzten Monaten inhaltlich für dieses Projekt zu kämpfen, weil Sie stattdessen nur die Gegner
lautstark haben demonstrieren lassen und weil Ihre Landesregierung, zu der auch die FDP gehört, jetzt - endlich
einmal - kämpfen muss für dieses Projekt. Das ist Ihr
Problem beim Thema Stuttgart 21.
({1})
Heute geht es aber nicht um Stuttgart 21. Ich möchte
nicht weiter über Themen philosophieren, die nicht den
Haushalt für Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik betreffen.
Mir geht es um das, was in dem Haushalt, den Ursula
von der Leyen uns als Sozialministerin vorlegt, steckt.
Ich sage Ihnen: Darin steckt erstens ein Wortbruch Ihrer
Koalition und Ihrer Regierung, zweitens sozialer Kahlschlag - das wurde heute schon ausreichend begründet -,
drittens weniger Netto vom Brutto, viertens ist es ein
Bildungskürzungsprogramm,
({2})
und fünftens ist es ein Chancenabbauhaushalt.
({3})
Der Wortbruch ist schnell erklärt. Mit Ihrer Erlaubnis,
Frau Präsidentin, zitiere ich aus einem Interview mit
Angela Merkel, abgedruckt in der FAZ vom 11. Juni 2010:
Deshalb sparen wir nicht bei Bildung und Forschung, sondern erhöhen diese Ausgaben …
Die Haushaltskürzungen im Bereich Arbeitsmarktund Sozialpolitik betreffen ausschließlich fördernde Arbeitsmarktpolitik und somit Kürzungen im Bildungsbereich. Damit, Frau von der Leyen, sind Sie Bildungskürzungsministerin Nummer eins in Deutschland.
({4})
Bildungskürzungen für zukünftige Generationen
lassen wir Ihnen nicht durchgehen. Mein Vorredner
sprach von Generationengerechtigkeit. Das, was Sie machen, ist das Gegenteil von Generationengerechtigkeit.
Bildungskürzungen und Chancenabbau im Haushalt lassen wir Ihnen auch deshalb nicht durchgehen, weil wir
hier über diejenigen diskutieren, die die stärkste Hilfe
und Unterstützung von uns brauchen. Wir reden über alleinerziehende Mütter, über Migrantinnen und Migranten, die langzeitarbeitslos sind, über Jugendliche, die
Chancen brauchen, um in Ausbildung zu kommen, und
über Menschen mit Behinderungen in Deutschland. Genau denen nehmen Sie die Chancen auf Beteiligung weg.
Ich möchte Ihnen ein Beispiel nennen. In meinem
Wahlkreis in Pforzheim besuche ich oft die FörderKatja Mast
schule, die Bohrainschule. Antonio und Katharina werden dieses Jahr diese Schule verlassen, vermutlich nicht
mit einem Hauptschulabschluss. Sie werden ihn auch in
einem Jahr wahrscheinlich nicht haben, obwohl sie sich
anstrengen. Wir haben in der Großen Koalition eingeführt, dass sie ein Leben lang ein Recht darauf haben,
den Hauptschulabschluss nachzuholen, damit sie Perspektiven und Chancen in dieser Gesellschaft haben.
({5})
Sie wollen Pflicht- in Ermessensleistungen umwandeln,
nehmen die entsprechende Haushaltsgrundlage weg,
16 Milliarden Euro in vier Jahren, und sagen Antonio
und Katharina, dass sie keine zweite Chance mehr in
dieser Gesellschaft haben werden.
({6})
Sie betreiben Schuldenabbau zulasten der kommenden Generationen und nicht für die kommende Generation, und Sie begehen Wortbruch, weil Sie Ausgaben für
Bildung kürzen und nicht erhöhen, wie Angela Merkel
das in dem erwähnten Interview gesagt hat. Deshalb
werden wir von den Oppositionsparteien Ihnen eine
Kampfansage zu diesem Haushalt machen, Frau von der
Leyen, nicht nur wegen der Regelsätze, nicht nur wegen
der Kürzungen bei der Rente, nicht nur wegen der Kürzungen beim Elterngeld, sondern auch, weil Sie Bildungschancen wegnehmen.
({7})
Der Kollege Axel Fischer hat jetzt das Wort für die
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren!
Liebe Kollegin Mast, weil Sie Stuttgart 21 angesprochen
haben, einen Satz von mir dazu: Wenn die Menschen vor
Ort erkennen, dass der Verzicht auf Stuttgart 21 das
Gleiche kostet wie die Umsetzung, werden sie, glaube
ich, für Stuttgart 21 sein.
Heute reden wir aber über den Haushalt für Arbeit
und Soziales. Der vorgelegte Haushalt für den Einzelplan 11 trägt erstmals die Handschrift der christlich-liberalen Koalition.
({0})
Er hat zwei wesentliche Ziele. Das erste Ziel ist, Menschen wieder in Arbeit zu bringen. Das ist eine unserer
Zielsetzungen; sie ist vernünftig und richtig.
({1})
Das zweite Ziel - auch dies ist klar; Frau Hagedorn, Sie
sprechen gerade von Mittelkürzungen ({2})
ist die Konsolidierung des Haushaltes. Der Etat im Einzelplan liegt - die Frau Ministerin hat darauf hingewiesen - 10 Prozent unter dem, was im Finanzplan von
Minister Peer Steinbrück für 2011 vorgesehen war. Er
liegt nicht bei 146,4 Milliarden Euro, sondern bei
131,8 Milliarden Euro. Das sind 11,4 Milliarden Euro
weniger als im Etat 2010, und zwar ohne Einschnitte bei
der Rente, ohne Einschnitte beim ALG II und ohne Einschnitte bei den Mitteln für Behinderte.
Möglich wurde dies, weil wir relativ gut aus der größten Wirtschafts- und Finanzkrise seit dem Zweiten Weltkrieg gekommen sind. Es ist völlig klar, dass wir den
Haushalt an die positiv veränderten Rahmenbedingungen anpassen. Weniger Arbeitslose, eine bessere Wirtschaftsentwicklung und mehr sozialversicherungspflichtige Beschäftigte - das wirkt sich positiv auf den
Bundeshaushalt aus. Die Entscheidungen, die wir in der
Großen Koalition getroffen haben, um die Krise zu bewältigen, waren richtig. Sie waren ja dabei, Frau
Hagedorn. Sie sehen, dass wir diesen Kurs in der christlich-liberalen Koalition richtungsweisend fortsetzen.
({3})
Wenn die Wirtschaft brummt, geht es den Menschen in
Deutschland besser. Das halten wir fest.
({4})
Wir haben ganz klar gesagt, dass es wichtig ist, dafür
zu sorgen, dass die Mittel aus den Eingliederungstiteln
besser bei den Menschen ankommen. Im Jahr 2010 soll
die Bundesagentur für Arbeit mit 12,8 Milliarden bezuschusst werden.
({5})
Dies ist der Wirtschafts- und Finanzkrise geschuldet. Im
nächsten Jahr geben wir ein Darlehen von etwa
6,6 Milliarden Euro. 2012 gehen wir aufgrund weiterer
positiver Entwicklungen am Arbeitsmarkt von 2,2 Milliarden Euro aus. Ab 2013 kann die BA diese Darlehen
zurückzahlen.
({6})
Auch das ist positiv für den Bundeshaushalt.
Im Frühjahr dieses Jahres haben wir verabredet, genauer die Frage zu untersuchen, wie Arbeitslose wieder
in den Arbeitsmarkt gebracht werden können und welche Instrumente hierfür erforderlich sind. Wir haben beschlossen, eine Evaluation durchzuführen und zu
schauen, welche Instrumente wirkungsvoll und welche
weniger wirkungsvoll sind.
Mein Dank gilt Bundesministerin Dr. von der Leyen
und dem Ministerium dafür, dass sie dieses Thema vorantreiben und eine Instrumentenreform vornehmen
Axel E. Fischer ({7})
wollen. Mein Dank gilt genauso Herrn Weise sowie den
Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Bundesagentur
für ihre Arbeit, weil sie sich intensiv um dieses Thema
kümmern.
({8})
So können wir ohne große Probleme feststellen: Im
Jahr 2006 - bei 4,5 Millionen Arbeitslosen - belief sich
der Eingliederungstitel auf 8 Milliarden Euro. Für 2014
- bei dann etwa 3 Millionen Arbeitslosen - planen wir
ebenfalls 8 Milliarden Euro ein. Das ist meines Erachtens ein gutes Verhältnis, ein gutes Ziel. Wir werden in
diesem Bereich vorankommen. Dass die Konjunktur, unsere wirtschaftliche Entwicklung besser ist als erwartet,
ist doch positiv. Genauso positiv ist es, wenn weniger
Mittel gebraucht werden, weil es weniger Bedürftige
gibt.
Sparen heißt in erster Linie: weniger Geld ausgeben.
Wenn der Anteil der Sozialausgaben im Bundeshaushalt
über 50 Prozent beträgt und wir zu Einsparungen in diesem Bereich von gut 30 Prozent kommen, dann ist das
nun einmal sozial ausgewogen. In Zeiten knapper Kassen muss man sich auf die Kernaufgaben konzentrieren,
und das tun wir in diesem Bereich.
Meine Damen und Herren, vorhin kam die Diskussion
über das Elterngeld auf: Wer bekommt Elterngeld? Wie
wird das ausgestaltet?
({9})
Elterngeld bekommt jeder. Es ist aber völlig klar und logisch, dass wir bei einer Familie, die Arbeitslosengeld II
bezieht und mit der Geburt eines Kindes eine Erhöhung
dieses Satzes bekommt,
({10})
weil auch das Kind einen Anspruch hat, dann das Elterngeld anrechnen. Das liegt in der Natur der Sache.
({11})
Unsere Sozialsysteme sind geschaffen, um Bedürftigen zu helfen, aber nicht, um Luxus zu finanzieren.
({12})
Wer arbeitet, muss in Deutschland mehr haben als der,
der nicht arbeitet. Das muss unsere Prämisse sein.
({13})
Nun zur Diskussion über den Heizkostenzuschuss.
Bei gesunkenen Energiekosten wird der den Wohngeldempfängern bei höheren Preisen gewährte Heizkostenzuschuss wieder gestrichen. Das ist ein völlig normaler
Vorgang und in der Sache völlig richtig. Ich kann Ihre
Kritik daran nicht nachvollziehen.
Sie weisen immer wieder darauf hin, dass in Deutschland starke Schultern mehr tragen sollen als schwache
Schultern. Dabei haben Sie uns auf Ihrer Seite. Auch wir
sind der Auffassung, dass starke Schultern mehr tragen
sollen als schwache Schultern. Schauen wir uns dazu
einmal die Realität an: Weniger als ein Zehntel der Menschen trägt über die Hälfte der Steuerlast. Starke Schultern tragen also mehr. Die Hälfte der Menschen trägt
etwa 6 Prozent der Steuerlast. Schwache Schultern tragen also weniger. Deshalb ist es wichtig, dass man diese
Diskussion offen und fair führt.
Meine Damen und Herren, mit dem Regierungsentwurf haben wir eine gute Vorlage, die wir heute in erster
Lesung und dann in den Ausschüssen beraten. An einigen Punkten gibt es für uns noch Diskussions- und Veränderungsbedarf. Wir werden darüber nachdenken, wie
wir bei ALG-II-Aufstockern mit der Anrechnung des Elterngeldes umgehen. Wir werden das Urteil des Bundesverfassungsgerichts umsetzen. Das heißt, wir werden
eine Neuberechnung des Arbeitslosengeldes II vornehmen müssen. Wir müssen in diesem Hause dann auch
über Folgendes diskutieren: Gehören zum Arbeitslosengeld II auch Genussmittel wie Alkohol oder Tabak? Gehört das mobile Internet dazu? Muss Hundefutter usw.
bezahlt werden? Diese Diskussion werden wir offen führen und dann einen bestimmten Satz festlegen.
Außerdem werden wir dafür sorgen, dass die Bildungsleistungen treffsicher bei den Kindern ankommen. Wir stehen dazu, dass wir die Bildungsleistungen
als Sachleistungen gewähren wollen. Ich bin mir sicher,
dass die Bundesarbeitsministerin und das Bundesarbeitsministerium Vorschläge machen werden, wie wir dies
zielführend hinbekommen können.
Herzlichen Dank.
({14})
Damit ist die Aussprache zu diesem Einzelplan been-
det.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 2 a bis d sowie die
Zusatzpunkte 1 a bis 1 i auf - es handelt sich um Über-
weisungen im vereinfachten Verfahren ohne Debatte -:
2 a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen
Parlaments und des Rates über Finanzbeiträge der Europäischen Union zum Internationalen Fonds für Irland ({0})
- Drucksache 17/2629 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie ({1})
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Haushaltsausschuss
b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Modernisierung der Regelungen über Teilzeit-WohnVizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt
rechteverträge, Verträge über langfristige
Urlaubsprodukte sowie Vermittlungsverträge
und Tauschsystemverträge
- Drucksache 17/2764 Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss ({2})
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Ausschuss für Tourismus
c) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Vierten Gesetzes zur
Änderung der Wirtschaftsprüferordnung Wahlrecht der Wirtschaftsprüferkammer
- Drucksache 17/2628 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie ({3})
Rechtsausschuss
Finanzausschuss
d) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Neunten Gesetzes
zur Änderung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes
- Drucksache 17/2866 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({4})
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
ZP 1 a)Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Harald Terpe, Birgitt Bender, Katrin GöringEckardt, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Gesundheitliche Risiken des Drogengebrauchs
verringern - Drugchecking ermöglichen
- Drucksache 17/2050 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Gesundheit ({5})
Rechtsausschuss
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Winfried
Hermann, Kerstin Andreae, Birgitt Bender, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Sofortiger Baustopp für Stuttgart 21 und die
Neubaustrecke Wendlingen-Ulm
- Drucksache 17/2893 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ({6})
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Tourismus
Haushaltsausschuss
c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Tabea
Rößner, Agnes Krumwiede, Ekin Deligöz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Kultur und Rundfunk nicht durch die Frequenzumstellung schädigen
- Drucksache 17/2920 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie ({7})
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für Kultur und Medien
Haushaltsausschuss
d) Beratung des Antrags der Abgeordneten Markus
Kurth, Fritz Kuhn, Ekin Deligöz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN
Bedarfsgerechte Regelsätze und ein zuverlässiges Hilfesystem für Kinder, Jugendliche und
Erwachsene statt Experimenten
- Drucksache 17/2921 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales ({8})
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
e) Beratung des Antrags der Abgeordneten Brigitte
Pothmer, Beate Müller-Gemmeke, Fritz Kuhn,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Kein Sachgrund, keine Befristung - Befristete
Arbeitsverträge begrenzen
- Drucksache 17/2922 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales ({9})
Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
f) Beratung des Antrags der Abgeordneten Daniela
Wagner, Bettina Herlitzius, Markus Kurth, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Heizkostenkomponente beim Wohngeld erhalten
- Drucksache 17/2923 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ({10})
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Haushaltsausschuss
g) Beratung des Antrags der Abgeordneten Sabine
Leidig, Dr. Dietmar Bartsch, Herbert Behrens,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE
LINKE
Stuttgart 21, Neubaustrecke Wendlingen-Ulm
und Sparpaket der Bundesregierung
- Drucksache 17/2914 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ({11})
Haushaltsausschuss
h) Beratung des Antrags der Abgeordneten Katja
Kipping, Matthias W. Birkwald, Diana Golze,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE
LINKE
Maßnahmen zur Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenz- und Teilhabeminimums
- Drucksache 17/2934 6198
Ausschuss für Arbeit und Soziales ({0})
Rechtsausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Haushaltsausschuss
i) Beratung des Antrags der Abgeordneten Uwe
Beckmeyer, Rainer Arnold, Sören Bartol, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Kein Weiterbau von Stuttgart 21 bis zur
Volksabstimmung
- Drucksache 17/2933 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ({1})
Haushaltsausschuss
Die Fraktionen schlagen vor, die Vorlagen an die in
der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. - Damit sind Sie einverstanden. Dann ist das so beschlossen.
Ich rufe jetzt die Tagesordnungspunkt 3 a bis c auf. Es
handelt sich um die Beschlussfassung zu Vorlagen, zu
denen keine Aussprache vorgesehen ist.
Tagesordnungspunkt 3 a:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Haushaltsausschusses ({2})
- zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Bärbel
Kofler, Sören Bartol, Dirk Becker, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Marktanreizprogramm und nationale Klimaschutzinitiative fortsetzen
- zu dem Antrag der Abgeordneten Oliver
Krischer, Sven-Christian Kindler, Hans-Josef
Fell, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Aufhebung der Haushaltssperre und Weiterführung des Marktanreizprogramms und
der nationalen Klimaschutzinitiative zur
Förderung erneuerbarer Energien
- Drucksachen 17/2119, 17/2007, 17/2477 Berichterstattung:
Abgeordnete Bernhard Schulte-Drüggelte
Sören Bartol
Heinz-Peter Haustein
Michael Leutert
Sven-Christian Kindler
Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner
Beschlussempfehlung, den Antrag der Fraktion der SPD
auf Drucksache 17/2119 mit dem Titel „Marktanreizprogramm und nationale Klimaschutzinitiative fortsetzen“
für erledigt zu erklären. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Das
scheint einstimmig angenommen zu sein.
Unter Buchstabe b empfiehlt der Ausschuss, den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/2007 mit dem Titel „Aufhebung der Haushaltssperre und Weiterführung des Marktanreizprogramms
und der nationalen Klimaschutzinitiative zur Förderung
erneuerbarer Energien“ ebenfalls für erledigt zu erklären. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Ebenfalls einstimmig
angenommen.
Tagesordnungspunkt 3 b:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Haushaltsausschusses ({3})
zu dem Antrag des Präsidenten des Bundesrechnungshofes
Rechnung des Bundesrechnungshofes für das
Haushaltsjahr 2009
- Einzelplan 20 - Drucksachen 17/1730, 17/2489 Berichterstattung:
Abgeordnete Rüdiger Kruse
Bernhard Brinkmann ({4})
Michael Leutert
Sven-Christian Kindler
Wer stimmt für Nr. 1 der Beschlussempfehlung, die
Feststellung der Erfüllung der Vorlagepflicht? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Damit ist diese Beschlussempfehlung angenommen.
Wer stimmt für Nr. 2 der Beschlussempfehlung, die
Erteilung der Entlastung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Diese Beschlussempfehlung ist ebenfalls einstimmig angenommen.
Tagesordnungspunkt 3 c:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Haushaltsausschusses ({5})
- zu dem Antrag des Bundesministeriums der
Finanzen
Entlastung der Bundesregierung für das
Haushaltsjahr 2008 - Vorlage der Haushalts- und Vermögensrechnung des Bundes ({6})
- zu der Unterrichtung durch den Bundesrechnungshof
Bemerkungen des Bundesrechnungshofes
2009 zur Haushalts- und Wirtschaftsführung des Bundes ({7})
- zu der Unterrichtung durch den Bundesrech-
nungshof
Bemerkungen des Bundesrechnungshofes
2009 zur Haushalts- und Wirtschaftsfüh-
rung des Bundes - Weitere Prüfungsergeb-
nisse -
- Drucksachen 16/12620, 17/790 Nr. 21, 17/77,
17/317 Nr. 3, 17/1300, 17/1644 Nr. 2, 17/2492 -
Berichterstattung:
Abgeordneter Dr. Michael Luther
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt
Unter Nr. 1 seiner Beschlussempfehlung schlägt der
Haushaltsausschuss die Erteilung der Entlastung der
Bundesregierung für das Haushaltsjahr 2008 vor. Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt
dagegen? - Enthaltungen? - Damit ist die Beschluss-
empfehlung angenommen. Dafür haben CDU/CSU, FDP
und SPD gestimmt. Dagegen hat das Bündnis 90/Die
Grünen gestimmt. Die Fraktion Die Linke hat sich ent-
halten.1)
Unter Nr. 2 seiner Beschlussempfehlung empfiehlt
der Haushaltsausschuss, die Bundesregierung aufzufor-
dern, a) bei der Aufstellung und Ausführung der
Bundeshaushaltspläne die Feststellungen des Haushalts-
ausschusses zu den Bemerkungen des Bundesrechnungs-
hofes zu befolgen, b) Maßnahmen zur Steigerung der
Wirtschaftlichkeit unter Berücksichtigung der Entschei-
dungen des Ausschusses einzuleiten und fortzuführen
und c) die Berichtspflichten fristgerecht zu erfüllen, da-
mit eine zeitnahe Verwertung der Ergebnisse bei den
Haushaltsberatungen zu gewährleisten ist. Wer stimmt für
diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? -
Wer enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist ange-
nommen. Die Fraktion Die Linke hat sich enthalten, alle
anderen haben zugestimmt.2)
Jetzt kommen wir wieder zu den Haushaltsberatungen. Wir setzen fort mit dem Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und
Jugend, Einzelplan 17.
Zur Einbringung gebe ich das Wort der Kollegin
Dr. Kristina Schröder.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
In vielleicht keinem anderen Politikfeld zeigt sich das
Dilemma eines hochverschuldeten Staates so eindeutig
wie in der Familienpolitik. Einerseits sind wir gerade als
Jugendpolitiker doch verpflichtet, im Sinne der jungen
Generation unseren Beitrag zum Abbau der Staatsverschuldung zu leisten; andererseits treffen Sparmaßnahmen im Familienressort zwangsläufig immer auch Familien und Kinder.
Dieses Dilemma lässt sich nicht auflösen. Haushaltspolitisch können wir aber die Weichen dafür stellen, dass
die knappen finanziellen Mittel, die wir haben, vor allen
Dingen dort eingesetzt werden, wo sie im Hinblick auf
faire Zukunftschancen von Kindern und Jugendlichen
am meisten bewirken. Dafür habe ich in den vergangenen Wochen und Monaten gekämpft.
({0})
Der Einzelplan 17 im Bundeshaushalt 2011 zeigt: Union
und FDP stellen sich der Verantwortung für die Zukunft
unserer Kinder.
1) Anlage 2
2) Anlage 3
({1})
Zunächst zu den wichtigsten Zahlen: Der Einzelplan 17 im Haushalt 2011 umfasst 6,4 Milliarden Euro.
Das sind 106 Millionen Euro weniger als 2010. Insgesamt beträgt der Sparbeitrag der Bundesregierung im
Rahmen meines Ressorts 605 Millionen Euro jährlich ab
2011. Damit klar wird, von welcher Größenordnung wir
hier reden: Dieser Sparbeitrag entspricht 0,35 Prozent aller ehe- und familienbezogenen Leistungen.
Unangetastet blieb das Kindergeld; das haben wir zu
Beginn dieses Jahres deutlich erhöht. Es geht hier also
nicht um Haushaltskonsolidierung auf Kosten von Kindern und Jugendlichen, sondern um Haushaltskonsolidierung für Kinder und Jugendliche; denn die größte Gefahr für den künftigen Wohlstand und für die soziale
Sicherheit von Familien entsteht doch, wenn wir nichts
tun, um die Staatsverschuldung in den Griff zu bekommen. Deshalb ist es gerade unter familienpolitischen Gesichtspunkten richtig, dass Union und FDP für solide
Staatsfinanzen eintreten.
Ich habe als Abgeordnete der Schuldenbremse im
Grundgesetz aus voller Überzeugung zugestimmt. Ich
hoffe, bei der SPD gab es dieselbe volle Überzeugung.
({2})
Deswegen war ich auch von Anfang an bereit, im Rahmen meines Ressorts einen Beitrag zu den gemeinsamen Sparanstrengungen zu leisten. Entscheidend war
für mich dabei, dass wir nicht dort sparen, wo wir dadurch Kräfte abgewürgt hätten, die wir für die Zukunftsfähigkeit unseres Landes brauchen. Deshalb habe ich
versprochen: Am Ausbau der Kindertagesbetreuung
wird nicht gerüttelt. Dieses Versprechen habe ich gehalten.
({3})
Der Bund steht auch in wirtschaftlich schwierigen
Zeiten zu seiner Zusage, in die frühkindliche Bildung
zu investieren und bis 2013 4 Milliarden Euro für den
Ausbau der Kindertagesbetreuung beizusteuern; denn
die schlimmste Form von Kinderarmut ist doch Bildungsarmut.
({4})
Deshalb brauchen wir die Förderung für alle Kinder und
Jugendlichen von Anfang an.
Das ist auch der Grund, warum wir allen Sparmaßnahmen zum Trotz mehr Geld für den Kinder- und Jugendplan zur Verfügung stellen, warum wir, wie versprochen, 5 Millionen Euro mehr für die Programme für
Demokratie, Toleranz und Vielfalt zur Verfügung stellen
und warum wir die Investitionen in frühkindliche Bildung und Förderung deutlich aufstocken. Damit sorgen
wir für faire Chancen für alle Kinder in unserer Gesellschaft.
({5})
Im neuen Haushaltstitel „Qualifizierungsoffensive“ sind
2011 dafür 82 Millionen Euro zusätzlich und bis 2014
insgesamt 488 Millionen Euro vorgesehen.
Dadurch zeigt sich: Sparen und Gestalten schließen
sich nicht aus. Union und FDP konsolidieren den Haushalt, und dennoch investieren wir in die Zukunftschancen unserer Kinder.
Ich bin davon überzeugt, dass das der richtige Weg
ist; denn mit der Förderung von Kindern aus bildungsfernen Schichten müssen wir viel früher anfangen als
bisher.
({6})
Wir setzen viel zu sehr auf kompensatorische Maßnahmen, und wir setzen zu wenig auf vorbeugende Maßnahmen, und das, wo doch mittlerweile wirklich Einigkeit
darüber besteht, dass die Förderung in den ersten Jahren
entscheidend für alle Bildungs- und Entwicklungschancen ist, die ein Kind hat. Deshalb werde ich die Offensive „Frühe Chancen“ starten. Bis 2014 investieren wir
rund 400 Millionen Euro in bis zu 4 000 SchwerpunktKitas zur Sprach- und Integrationsförderung.
({7})
Damit tragen wir insbesondere in sozialen Brennpunkten
dazu bei, faire Chancen für alle Kinder, insbesondere für
Kinder mit Migrationshintergrund, zu schaffen; denn ich
bin - wie wahrscheinlich viele hier - nicht der Meinung,
dass bei der Geburt eines Kindes bereits alle Würfel für
die weitere Entwicklung gefallen sind. Vielmehr hat jedes Kind Talente und Potenzial. Unsere Aufgabe ist es,
diese Talente zu fördern und dieses Potenzial auszuschöpfen. Das ist die richtige Antwort auf die massiven
Integrationsprobleme, die wir in unseren Städten haben
und die wir weder leugnen noch kleinreden sollten.
({8})
Meine Damen und Herren, die notwendige Haushaltskonsolidierung sehe ich auch als eine Gelegenheit, die
Weichen neu zu stellen: weg von Sozialtransfers, die den
Status quo zementieren, hin zu Investitionen in faire Zukunftschancen und in den gesellschaftlichen Wandel.
Das war der Grundgedanke für meine Entscheidung,
welchen Konsolidierungsbeitrag ich im Rahmen des
Sparpakets der Bundesregierung leiste.
Dass beim Elterngeld gekürzt werden musste, war
schon deshalb klar, weil es nun einmal zwei Drittel meines Etats ausmacht. Aber bei der Frage, wo wir ansetzen,
galt für mich die zentrale Überlegung:
({9})
Wie bekommen wir es hin, beim Elterngeld zu sparen,
ohne dass es seine gesellschaftspolitische Gestaltungskraft verliert, im Hinblick auf die Beteiligung von Männern bei Fürsorgeaufgaben und im Hinblick auf den
Wandel in unserer Arbeitswelt? Die Antwortet lautet: indem wir dort sparen, wo Elterngeld bisher häufig dazu
beigetragen hat, die Abhängigkeit von Sozialleistungen
zu verstärken.
({10})
Die SGB-II-Leistung deckt ab, was Menschen zum
Leben brauchen. Die Anrechnungsfreiheit für das Elterngeld war deshalb von Anfang an systematisch nicht
richtig. Wenn ein Paar im Hartz-IV-Bezug ein Kind bekommt, dann wird gelegentlich so getan, als gebe es keinerlei staatliche Leistungen. Vielmehr ist es aber so, dass
dieses Paar für das Kind selbstverständlich einen eigenen Bedarfssatz bekommt. Die Zuschüsse für die Wohnung werden erhöht. Es gibt eine Erstausstattung für das
Kind; auch dafür gibt es noch Extrageld. Wenn es sich
um Alleinerziehende handelt, dann bekommt diese oder
dieser Alleinerziehende monatlich einen Mehrbedarfszuschlag. All das leistet der Staat. Zusätzlich zu diesem
Existenzminimum noch Elterngeld zu zahlen, kann auch
eine negative Wirkung entfalten.
({11})
Schauen Sie sich nur einmal eine vierköpfige Familie an,
die ausschließlich von Hartz IV lebt und eine durchschnittliche Miete zahlt. Diese Familie erhält vom Staat
1 585 Euro netto.
({12})
Wenn dann noch 300 Euro Elterngeld draufkommen,
dann sind wir bei 1 885 Euro netto. Das ist ein Problem
in Bezug auf das Lohnabstandsgebot.
({13})
Dann fragen sich diejenigen Leute, die arbeiten gehen,
die jeden Tag früh aufstehen und hart arbeiten, warum
sie das überhaupt tun. Das kann nicht in unserem Sinne
sein. Derjenige, der arbeiten geht, muss mehr haben als
der, dessen Auskommen die Gemeinschaft finanziert.
({14})
Deshalb unsere Entscheidung, Elterngeld all denjenigen
zu gewähren, die vor der Geburt gearbeitet haben,
({15})
einschließlich Minijobbern und Aufstockern - gemeinsam mit den Koalitionsfraktionen arbeite ich hierzu an
sachgerechten Lösungen -, bei voller Anrechnung des
Elterngelds auf Leistungen nach dem SGB II, also dann,
wenn Familien ausschließlich von Hartz IV leben.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage, Frau Ministerin?
Ja.
Bitte, Frau Deligöz.
Frau Ministerin, ich bin über Ihre Ausführungen ein
bisschen erstaunt. Sie sagen, dass eine vierköpfige Familie, also eine Familie mit zwei Kindern, mit einem Betrag von 1 585 Euro zu viel bekommen würde,
({0})
daher frage ich Sie, welchen Betrag Sie für diese Familie
zum Leben adäquat finden.
({1})
Ich habe nicht gesagt, dass diese 1 585 Euro zu viel
sind. Ich habe vielmehr gesagt: Wenn weitere 300 Euro
Elterngeld hinzukommen - ({0})
- Sie müssen berücksichtigen, dass der Betrag von
1 885 Euro das Nettoeinkommen der Familie wäre, wenn
Sie den Mietzuschuss mit einrechnen. Dafür muss man
erst einmal entsprechend viel brutto verdienen.
({1})
Das Lohnabstandsgebot ist ein entscheidendes Gebot der Gerechtigkeit, nämlich dass derjenige, der arbeitet, mehr hat als derjenige, der nicht arbeitet. Sie können
ausrechnen, was man für 1 885 Euro netto brutto verdienen muss. Der Anreiz, arbeiten zu gehen, ist in diesen
Fällen ausgesprochen gering.
({2})
Wir sparen damit 450 Millionen Euro. Betroffen sind
16 Prozent aller Elterngeldbezieher. Familien, die ein
höheres Einkommen beziehen, sind übrigens von den Elterngeldkürzungen stärker betroffen. Sie bekommen unter anderem deshalb weniger als bisher, weil wir bei denjenigen, deren Nettoeinkommen mehr als 1 200 Euro
beträgt, den Prozentsatz für das Elterngeld von 67 Prozent auf 65 Prozent absenken.
Was sich allerdings nicht ändert - das ist der entscheidende Punkt -, ist die Grundstruktur des Elterngeldes.
Denn nur dann, wenn es von der Kernidee her seine Wirkung als Lohnersatzleistung entfaltet, bleibt das Elterngeld auch weiterhin attraktiv für Väter. Nur dann entfaltet es auch weiterhin seine Wirkung auf die Kultur in der
Arbeitswelt, vor allem in der Form, dass familiäre Aufgaben und private Verpflichtungen ebenfalls eine Rolle
spielen.
({3})
Der Einzelpan 17 trägt der Tatsache Rechnung, dass
sich die soziale Gerechtigkeit unserer Gesellschaft nicht
in erster Linie auf der Umverteilungsebene entscheidet.
Die soziale Gerechtigkeit unserer Gesellschaft entscheidet sich vielmehr dort, wo es um die Verteilung von Chancen auf Bildung und Entwicklung von Kindern geht. Wir
wollen eine Gesellschaft, in der jedes Kind eine faire
Chance erhält. Wir wollen eine Gesellschaft, in der sich
Menschen Zeit für Verantwortung nehmen können: für
Kinder, Partnerschaft, pflegebedürftige Angehörige und
Engagement.
Wir wollen eine Gesellschaft, die zusammenhält, weil
sich Menschen durch Leistung Aufstiegschancen erarbeiten können und weil Menschen Verantwortung füreinander übernehmen. Dafür setzt sich die christlichliberale Koalition ein. Das sind die Schwerpunkte, die
wir im Einzelplan 17 unseres Haushaltes setzen.
Herzlichen Dank.
({4})
Nächste Rednerin ist die Kollegin Dagmar Ziegler für
die SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Frau Ministerin Schröder, Sie haben es nicht gemerkt, deshalb muss ich es Ihnen sagen: Durch Deutschland geht ein Riss.
({0})
Auf der einen Seite sprudeln die Gewinne der Unternehmen wieder, und die Menschen finden wieder Beschäftigung. Das ist gut und auch Folge der SPD-Modernisierungspolitik und der Konjunkturprogramme aus Zeiten
der Großen Koalition. Das haben Sie uns in den letzten
beiden Tagen mehrfach bestätigt.
Auf der anderen Seite wird der Abstand zwischen
oben und unten immer größer; das ist schlimm. Aber
noch schlimmer ist, dass unter den Einkommensarmen
immer mehr sind, die keinerlei Hoffnung haben, aus eigener Anstrengung aus ihrer Situation herauszufinden.
Diese Menschen sind nämlich von Teilhabe und Bildung
ausgeschlossen, von der Sie gerade so großspurig gesprochen haben, Frau Schröder, und geben diesen Ausschluss oft an die eigenen Kinder weiter. Das ist der
Kern der Armuts- und auch der Integrationsdebatte.
Was tun Sie in dieser Situation? Sie legen einen Haushalt
vor, mit dem Sie den Keil zwischen die ohnehin auseinanderdriftenden Teile unserer Gesellschaft noch tiefer
treiben; denn Sie kürzen ausgerechnet die Mittel für Jugendliche, Familien und ältere Menschen und nennen
das Konsolidierungsbeitrag im Sinne der Zukunft genau
dieser Personengruppen. Das ist perfide.
({1})
Sie lassen die Schwächsten unserer Gesellschaft für die
Folgen der Finanz- und Wirtschaftskrise bluten.
Wenn man den Haushaltsentwurf genau anschaut,
muss man sich fragen, ob die Kürzungen der Mittel für
Familien, Jugendliche und Ältere noch schlimmer hätten
ausfallen können, wenn es keine zuständige Bundesministerin Schröder gäbe. Ich glaube nicht.
({2})
- Da Jugendpolitik bei Ihnen nicht stattfindet, ist Ihnen
dieses Wort tatsächlich fremd.
({3})
Frau Schröder, waren Sie an der Diskussion überhaupt beteiligt, oder haben Sie sich da genauso weggeduckt wie in der Debatte über Kinderarmut und die Neuberechnung der SGB-II-Leistungen? Nirgends hat
man Sie gehört oder gesehen. Wir diskutieren darüber,
wie wir das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes zu
den Regelsätzen und der Teilhabe von Kindern bis zum
1. Januar 2011 umsetzen können. Aber Sie haben nichts
Besseres zu tun, als ausgerechnet den Beziehern von
SGB-II-Leistungen und Kinderzuschlag das Elterngeld
zu streichen. Das tun Sie mit dem unanständigen Argument - das haben Sie heute wiederholt -, Sie wollten Erwerbsanreize stärken. Schauen Sie doch einmal hin, wer
die Betroffenen sind - ich glaube, Sie verlassen zu selten
Ihr Ministerzimmer, als dass Sie solche Menschen treffen könnten -: Alleinerziehende, kinderreiche Familien,
Kinderzuschlagsempfängerinnen und -empfänger. Diese
Eltern finden oft keine Beschäftigung wegen fehlender
Kinderbetreuung. Oder sie arbeiten Tag für Tag, aber ihr
Lohn reicht nicht für die gesamte Familie, weil Sie und
Ihre Koalition nicht willens sind, einen gesetzlichen
Mindestlohn einzuführen, und deshalb gerade viele Frauen
für einen Hungerlohn arbeiten müssen. Ich finde, Ihre
Argumentation ist so schräg, dass man sich schämen
muss, dass diese hier überhaupt vorgetragen wird.
({4})
Sie sagen, diese Menschen verdienten das Mindestelterngeld nicht. Ausgerechnet für diese Menschen sollen 300 Euro zu viel sein? Aber was ist mit der nicht erwerbstätigen Gattin des Notars oder dem nicht erwerbstätigen Gatten der Unternehmerin? Diese dürfen das
Elterngeld behalten. Dann spielt das Lohnabstandsgebot
keine Rolle. Welches Gesellschaftsbild haben Sie eigentlich?
({5})
Was halten Sie von sozialer Gerechtigkeit? Was halten
Sie vom Leistungsgedanken? Der zählt hier überhaupt
nichts.
({6})
Sie diskriminieren die Armen und bereichern Menschen,
die es gar nicht nötig haben.
Ihre Kürzungsorgie geht weiter, und zwar - diesen Begriff scheinen Sie offenbar gar nicht zu kennen - bei der
Jugendpolitik. Während Ihre Kollegin von der Leyen
von besserer Bildung schwadroniert, kürzen Sie in Ihrem
Haushalt Leistungen zusammen, die gerade für viele benachteiligte Jugendliche wichtig sind. Dann wundern Sie
sich, wenn diese jungen Menschen keinen Platz in der
Gesellschaft finden. Auch das ist unanständig. Schauen
Sie sich bitte die Bewilligungen an! Es handelt sich ausschließlich um Senkungen, ob es sich um die Ansätze für
den internationalen Jugendaustausch oder die politische
Bildung handelt. Schauen Sie sich die Ansätze an! Dann
werden Sie sehen, wie alles gesenkt wurde, mit dem Argument: Irgendwo müssen wir sparen. - Aber Sie sparen
genau an den falschen Stellen. Ich könnte Ihnen die Liste
vollständig vortragen, wenn Sie sie nicht kennen. Es ist
schade, dass Sie an einer Haushaltsdebatte teilnehmen!
({7})
Frau Ministerin, Sie wollen in die Qualität von Kitas
investieren. Das ist richtig und wichtig. Aber wo bleibt
die Initiative, um den ins Stocken geratenen Kitaausbau
wieder anzuschieben? Wo ist die Initiative für mehr gut
ausgebildete Erzieherinnen und Erzieher? Vielen Kommunen steht das Wasser bis zum Hals. Der Kitaausbau
droht zu scheitern, und zwar auch - das sieht man schon
heute - als Folge Ihrer verfehlten Steuerpolitik. Sie sehen das nicht und schauen ruhigen Auges zu. Frau
Ministerin, machen Sie endlich Ihre Hausaufgaben! Wir
brauchen keine Modellprojekte, bei denen am Ende Länder und Kommunen nicht mehr wissen, wie sie sie weiter finanzieren sollen.
({8})
Der Ausbau von Kitas und auch der Ausbau von Ganztagsschulen kann nur als gemeinsame nationale Kraftanstrengung gelingen. Bund, Länder und Gemeinden müssen an einen Tisch, um gemeinsam das Beste für unsere
Kinder zu bewegen. Laden Sie endlich alle Ebenen zu
einer Kinderkonferenz, oder wie Sie das auch immer
nennen wollen, ein. Laden Sie sie endlich ein. Nehmen
Sie die Beteiligten ernst. Die Zeit läuft Ihnen, aber vor
allem unseren Kindern davon. Frau Schröder, Sie tragen
als Familienministerin allein die Verantwortung dafür.
Machen Sie Schluss mit Ihrer Politik nach dem Motto:
So tun als ob. Rechtfertigen Sie endlich Ihr Amt!
Vielen Dank.
({9})
Für die FDP-Fraktion spricht nun der Kollege Florian
Toncar.
({0})
Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Ich glaube, gerade am Einzelplan 17 sieht man
sehr deutlich, dass wir an der Struktur des BundeshausFlorian Toncar
halts erhebliche Veränderungen vorgenommen haben
und dass wir ein Stück weit auch den Ansatz in der Familienpolitik verändern. Es geht - etwa beim Elterngeld um Einsparungen, es geht zum Teil aber auch um ganz
neue Schwerpunkte, die es bisher nicht gegeben hat, wie
beispielsweise um das Thema frühkindliche Bildung und
Sprachförderung. Zum Teil geht es auch um ganz entscheidende Strukturveränderungen, über die wir etwa im
Zusammenhang mit dem Zivildienst zu diskutieren haben.
Zum Elterngeld: Es ist zweifelsohne so, dass hier eine
hohe Summe eingespart wird. Es sind knapp 600 Millionen Euro an Einsparungen, die unterschiedliche Gruppen
treffen, aber natürlich auch sehr stark die Arbeitslosengeld-II-Empfängerinnen und -empfänger. Das fällt niemandem leicht. Ich glaube aber, dass es richtig ist, was die
Ministerin zum Thema Lohnabstandsgebot gesagt hat,
und dass das auch ein notwendiger Beitrag zur Haushaltskonsolidierung ist.
Wir haben im Sozialbereich insgesamt geringere Kürzungen vorgenommen, als der Anteil des Sozialbereichs
am gesamten Haushalt vermuten lässt. Es ist anhand von
Zahlen absolut nicht belegbar, dass im Sozialbereich
mehr gespart und mehr gekürzt werde, als es sich proportional nach dem gesamten Volumen des Konsolidierungspaketes ergeben würde. Das Gegenteil ist der Fall,
es wird an dieser Stelle weniger gekürzt.
Ich möchte gerade an die Kolleginnen und Kollegen
von der Opposition die Frage richten: Wo kommen wir
eigentlich her? Ich finde, in der Debatte ist sehr viel Unehrlichkeit. Ich gehe zurück in das Jahr 2005. Frau Kollegin Ziegler, da hat ein Bundeskanzler, der den gleichen
Namen trägt wie unsere heutige Familienministerin, im
Kern sehr ähnliche Dinge gesagt wie sie heute, und Ihre
Fraktion hat damals applaudiert.
({0})
Im Übrigen hat auch die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen applaudiert. Es ist schon erstaunlich, wer sich hier in
welcher Weise bewegt.
({1})
- Selbstverständlich hat er das gesagt.
Was war 2005 die Rechtslage? Es gab kein Elterngeld, es gab für niemanden Elterngeld, ganz gleich ob er
Arbeitslosengeld II bezogen hat oder nicht.
({2})
- Selbstverständlich, aber es gab kein Elterngeld, und
das ist auch von der Größenordnung her im Endeffekt etwas ganz anderes.
({3})
Es war einer der Kerngedanken Ihrer eigenen Reform
und nicht irgendein Randaspekt, dass Sie gesagt und beschlossen haben: Jeder Vermögenszufluss wird auf den
Regelsatz angerechnet, egal woher er kommt. Das haben
Sie beschlossen. Heute stellen Sie dieses Prinzip Ihrer
eigenen Reform infrage und sagen, man müsse Ausnahmen machen.
({4})
Ich halte es nicht für besonders konsequent, wie Sie hier
argumentieren.
({5})
Wir müssen aber auch deutlich feststellen, dass sich in
vielen wichtigen Bereichen Verbesserungen ergeben.
Das Bundesverfassungsgericht hat das zentrale Projekt
der Regierung Schröder/Fischer, die Agenda 2010, an
zwei ganz entscheidenden Punkten gekippt. Der eine
Punkt war die organisatorische Seite, nämlich die Jobcenter. Das, was Sie da gemacht haben, war verfassungswidrig. Der andere Punkt war die Bemessung der Regelsätze, insbesondere der Regelsätze für Kinder, weil Sie
dort das Thema Bildung und kulturelle Teilhabe schlichtweg nicht mit einbezogen haben. Das sagt das Bundesverfassungsgericht. Das wird jetzt korrigiert. Ich glaube,
dass das eine Korrektur ist, bei der wir sehr darauf achten, dass sie auch bei den Kindern ankommt und Wirkung zeigt.
Vor allem aber gehen wir an die Ursache von Problemen, gerade auch von Integrationsproblemen, heran, indem wir dafür sorgen, dass die Kinder anständige Bildungschancen bekommen, die sie ausweislich des
Bundesverfassungsgerichts nach der bisherigen und von
Ihnen zu verantwortenden Rechtslage noch nicht hatten.
Das werden wir tun, und ich glaube, dass das eine Verbesserung für die Betroffenen ist.
({6})
Damit komme ich zum zweiten Punkt. Wir haben einen ganz neuen Schwerpunkt in diesem Haushalt, für
den wir im nächsten Jahr einen hohen Geldbetrag ansetzen. Das ist das Thema Qualifizierungsoffensive. Wir
werden als Bundesregierung in vier Jahren 12 Milliarden
Euro extra für Bildung und Forschung ausgeben. Ich
glaube, schon dadurch wird erkennbar, dass wir eine Regierung sind, die sich darüber Gedanken macht, wie sie
die Zukunftschancen der Deutschen fördern kann. Einen
Teil dieser Bildungsoffensive, nämlich 400 Millionen
Euro, bringen wir in den Bereich der frühkindlichen Förderung und der Sprachförderung ein. Gerade in Gegenden, in denen Integrationsprobleme bestehen und wo
Handlungsbedarf besteht, tun wir sehr viel.
Ich glaube, dass es gut ist, dass schon im nächsten
Jahr 3 000 Kitas durch qualifiziertes Personal geholfen
werden soll. Das ist eine konkrete Maßnahme, die zeigt,
dass wir nicht nur über Integrationsprobleme sprechen,
sondern an die Ursachen der Probleme herangehen. Das
ist mir allemal lieber als wohlfeile Rhetorik und das Absingen von Gesinnungen. Am Ende zählt die Tat. Ich
glaube, dass dieser Haushalt sehr deutlich macht, dass
wir gerade für die Integration und die Bildungschancen
junger Kinder sehr viel mehr tun, als es bisher der Fall
gewesen ist.
({7})
Wir haben darüber hinaus über den Zivildienst zu
sprechen. Bisher rechnen wir im Haushaltsentwurf mit
einem sechsmonatigen Zivildienst. Es zeichnet sich aber
ab, dass durch eine mögliche Aussetzung der Wehrpflicht auch beim Zivildienst Handlungsbedarf entsteht.
Letzten Endes muss man feststellen, dass der Zivildienst
verfassungsrechtlich ein Anhängsel der Wehrpflicht ist
und ihr Schicksal teilt. Insofern müssen wir uns gut
überlegen, wie man mit der möglichen Aussetzung der
Wehrpflicht, die wir als FDP begrüßen, umgehen. Dann
müssten Freiwilligendienste in die Bresche springen und
einige der Aufgaben übernehmen, die heute von Zivildienstleistenden übernommen werden. Wir müssen ein
Konzept erarbeiten, in dem wir sehr deutlich machen,
dass ein Freiwilligendienst attraktiv ist. Wenn wir darüber reden, ob das ein freiwilliger Zivildienst oder ein
Freiwilliges Soziales Jahr sein soll und wie das Verhältnis dieser beiden Dienste zueinander ist, wird man darauf achten müssen - das werden wir Liberale auch tun -,
dass es nicht zu Verdrängungseffekten kommt und das
Freiwillige Soziale Jahr geschwächt wird. Ich glaube,
dass es dafür Lösungen gibt. Wir wollen nicht, dass Freiwillige, die für jede Form von möglichen Diensten akquiriert werden sollen, nur bestimmte attraktive Dienste
ableisten und niemand Interesse an weniger attraktiven
Diensten bekundet. Darüber werden wir sprechen. Die
Diskussion ist erst am Anfang. Wir haben noch keine
Klarheit über den Zeitplan, aber das wird sich bis zur abschließenden Beratung des Einzelplans im November
geändert haben. Dann werden wir unser Konzept mit
Zahlen unterlegen können.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
({8})
Nächster Redner ist der Kollege Steffen Bockhahn für
die Fraktion Die Linke.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und
Herren! Ich habe im Sommer eine sehr schöne Veranstaltung bei mir zu Hause in Rostock besucht, nämlich die
Feier anlässlich des 20. Jahrestages der Gründung des
Frauennetzwerks „Die Beginen“. Frau Ministerin
Schröder, Sie sind die Frauenministerin. Ich glaube, diesen Frauen haben Sie heute richtig Kraft gegeben. Was
sagt die Frauenministerin zum Thema Frauen? - Nichts.
Für Gleichstellungspolitik sind in diesem 6,4-Milliarden-Euro-Etat ganze 17 Millionen Euro vorhanden.
4,5 Millionen Euro davon sind für die Förderung von
Jungen und Männern mit Programmen wie „MEHR
Männer in Kitas“ und „Neue Wege für Jungs“ vorgesehen. Es bleiben also 12,5 Millionen Euro für Gleichstellungspolitik im Sinne von Frauenpolitik.
Machen wir einmal ein Gedankenexperiment. Stellen
wir uns einmal eine Studentin vor, die in Wiesbaden studiert, vier Jahre Studium hinter sich hat, demnächst fertig ist und kurz davor ist, in das Berufsleben einzusteigen.
({0})
Diese Frau schaut sich an, wie die Situation für Frauen
in Deutschland zurzeit aussieht. Sie sieht: Frauen bekommen durchschnittlich für die gleiche Arbeit, die
Männer leisten, nur drei Viertel des Geldes - bis heute.
Was tut die Frauenministerin? ({1})
Nichts.
Der ehemalige sächsische Ministerpräsident Kurt
Biedenkopf hat als Leiter der Zukunftskommission Anfang der 90er-Jahre festgestellt, dass die erhöhte Erwerbsneigung ostdeutscher Frauen eine der Ursachen für
die großen Probleme am Arbeitsmarkt im Osten ist. Die
Arbeitslosigkeit von Frauen ist dort deutlich höher als
die von Männern. Die Inanspruchnahme von Sozialleistungen durch Frauen ist dort deutlich höher als die von
Männern. Was tut die Ministerin dagegen?
({2})
- Nein, nicht nichts. - Sie hat vielmehr eine Steuerungsgruppe zum Aktionsprogramm „Perspektive Wiedereinstieg“ eingerichtet, dazu einen Stufenplan für mehr
Frauen in Führungspositionen. Anfang des Jahres haben
wir erfahren, dass die Telekom eine Selbstverpflichtung
eingegangen ist, mehr Frauen in Führungspositionen zu
bringen. Was ist seitdem passiert? Nichts. Es gibt ein
Ressortgespräch „Entgeltungleichheit“. Super! Was ist
dabei herausgekommen? Nichts!
({3})
- Es wird bei dieser Statistik leider langweilig; das ist
völlig richtig, Kollege Mattfeldt. - Das Problem dabei
ist, dass wir immer noch auf ein Gleichstellungskonzept
der Bundesregierung warten müssen. Das Einzige, was
sich im Bundeshaushalt tatsächlich zur Gleichstellung
findet, ist die Aussage des Bundesministeriums der Finanzen, dass die Gleichstellungspolitik die Sache der
einzelnen Ressorts sei. Und was macht die Ministerin,
um ihren Auftrag als Frauenministerin insofern zu erfüllen? ({4})
Nichts! Frau Ministerin, es tut mir leid, Ihnen Folgendes
attestieren zu müssen: Sie lassen die Frauen alleine.
({5})
Die Frauen sind aber nicht die Einzigen, die von Ihnen alleingelassen werden. Sie sind auch für den Zivildienst zuständig. Was haben Sie hier heute zum Zivildienst gesagt? In Zeitungen, im Fernsehen, in
Gesprächen mit vielen Betroffenen höre ich, dass das ein
großes Thema ist. Was sagen Sie zu dem Thema?
Nichts!
Was soll ein 18-jähriger Azubi, der nächstes Jahr fertig wird, heute denken? Worauf soll er sich einstellen?
Er muss sich jetzt darüber im Klaren werden, ob er einen
Arbeitsplatz für die Zeit nach dem Ende der Ausbildung
suchen oder ob er sich um eine Zivildienststelle kümmern muss. Er weiß aber gar nicht, ob es den Zivildienst
nach dem 30. Juni 2011 überhaupt noch geben wird.
({6})
Er weiß auch gar nicht, wo er sich heute noch um eine
Zivildienststelle bewerben kann. Er weiß nicht, ob er einen Pflichtzivildienst machen muss oder ob er einen freiwilligen Zivildienst machen muss.
({7})
Wie der freiwillige Zivildienst bezahlt wird und was für
ein Dienstverhältnis er dann tatsächlich haben wird,
weiß er heute ebenfalls noch nicht. Auch diesen jungen
Mann, Frau Ministerin, lassen Sie allein.
Fragen wir uns einmal, was die Eltern eines behinderten Kindes denken müssen, das in der Kita von einem
Zivi betreut wird! Fragen wir uns, was mit der 94-jährigen Oma ist, die vom Zivi das Essen auf Rädern bekommt und für die der Zivi der einzige Kontakt zur Außenwelt ist!
({8})
Auch sie weiß nicht, was in Zukunft passieren soll.
Was ist mit den Trägern der Zivildienststellen, die
heute nicht wissen, ob sie wieder neue Stellen schaffen
können? Was ist mit den Angestellten in den Einrichtungen, in denen Zivis arbeiten? Wer macht die Arbeit, die
heute der Zivi macht, wenn er weg ist?
({9})
- Nur um richtig verstanden zu werden: Die Wehrpflicht
muss weg. Sie darf nicht nur ausgesetzt, sondern muss
abgeschafft werden.
({10})
Die Freiwilligendienste dürfen wir nicht gegeneinander ausspielen. Das gilt auch für einen möglichen freiwilligen Zivildienst und das Freiwillige Soziale Jahr.
Wir brauchen stattdessen eine Ausweitung des Zivildienstes oder vielmehr der Freiwilligendienste auch auf
16- und 17-Jährige, damit eine berufliche Frühorientierung stattfinden kann. Wenn Sie wollen, dass junge
Menschen nach dem Zivildienst oder dem Freiwilligendienst sich beispielsweise für einen Pflegeberuf entscheiden, dann müssen Sie auch an Haupt- und Realschülerinnen und -schüler denken. Diese brauchen
spätestens mit 16 ein Angebot. Wir brauchen eine Kampagne für einen Freiwilligendienst. Wir brauchen eine
gute Werbung. Wenn Bundeswehr-Jugendoffiziere in
Schulen gehen können, dann können dort auch Menschen auftreten, die für Freiwilligendienste werben.
({11})
Vor allem aber brauchen wir die Finanzierung gesellschaftlich notwendiger Arbeit - und das zu existenzsichernden und sozialversicherungspflichtigen Einkommen.
Ich danke Ihnen.
({12})
Nächste Rednerin ist die Kollegin Katja Dörner für
die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen!
Liebe Kollegen! Frau Ministerin, Sie haben Ihre Rede
mit dem begonnen, was Sie schon häufiger gesagt haben: Alle müssen sparen. - Dafür haben auch wir durchaus Sympathien. Nur: Im Verfahren der Haushaltsaufstellung haben wir erlebt, dass Sie sich quasi in die erste
Reihe gedrängelt haben nach dem Motto: Ich möchte
auch sparen dürfen.
({0})
Wenn man sich das jetzt anschaut, kommt man angesichts des kleinen Etats, den das Familienministerium
hat, zu dem Ergebnis, dass Sie tatsächlich mit am meisten sparen müssen. Das, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist kein Kämpfen für Familie und Kinder in unserem Land.
({1})
Ich habe mir für die heutige Rede das Beispiel der Familie im ALG-II-Bezug, das Sie im Juni über Twitter in
die Welt gepustet haben, extra noch einmal herausgesucht, weil ich finde, dass diese Twitter-Nachricht, diese
Aussage für die Politik der Bundesregierung symptomatisch ist. Sie ist regelrecht perfide.
Sie machen Folgendes: Sie stellen geringverdienende
Eltern gegen Eltern, die gar kein Einkommen haben, und
Sie hetzen die Leute, die wenig haben, gegen die auf, die
noch weniger haben. Dabei hoffen Sie, dass niemand
mitbekommt, dass die großen Fische völlig unbehelligt
bleiben.
({2})
Das ist zutiefst unsozial, und das unterhöhlt den Zusammenhalt in unserer Gesellschaft.
Wer bei den armen Familien spart, aber der Atomlobby, Hoteliers und Banken Milliardenbeträge hinterherschmeißt,
({3})
der befördert die soziale Spaltung in unserem Land und
- ich möchte das hier auch sagen - der gefährdet unsere
Demokratie. Das ist ein sehr weitgehender Vorgang.
({4})
Nun kommen Sie mal nicht mit dem Argument, wie
wir es eben auch von der Ministerin gehört haben, das
Elterngeld würde jetzt zu einer echten Lohnersatzleistung umgestaltet.
Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Schirmbeck?
Natürlich.
Verehrte Frau Kollegin, es gibt ja keinen Einzelplan,
bei dem man nicht die Geschichte erzählt, dass auf der
rechten Seite des Hauses die säßen, die bestochen würden und Schmiergelder bekämen, um bestimmte Gesetze
zu machen.
({0})
Das ist ja eigentlich so das Leitmotiv von allem.
Von Schmiergeldern habe ich nicht gesprochen!
({0})
Ich möchte Sie fragen, ob Sie die ganze Geschichte
der Kernenergie kennen. Wussten Sie, dass der Kernenergiekonsens, den Rot-Grün gemacht hat, damit erkauft wurde, dass die Anteilseigner der Kernenergiewerke
({0})
ihre Industriebeteiligungen steuerunschädlich verkaufen
durften? Das hat dazu geführt, dass die Kommunen negative Körperschaftsteueraufkommen hatten. So ist man
in der Vergangenheit mit der Großindustrie umgegangen.
Die Leute, die damals diesen Kernenergiekonsens eingekauft haben, sollen besser sein als diejenigen, denen Sie
jetzt diese Vorwürfe machen? Sie sollten Obacht geben,
dass Sie sich nicht selbst mit dem beschmutzen, was Sie
hier ausführen.
({1})
Herr Kollege, die Geschichte der Kernenergie und
auch die Geschichte des Protestes gegen die Atomenergie kenne ich sehr gut. Ich bin hier seit langem engagiert. Was Sie hier gesagt haben, ist reinste Geschichtsklitterung; das ist überhaupt nicht zutreffend. Wir
müssen uns heute damit auseinandersetzen, was Ihre
Kanzlerin in irgendwelchen Geheimverträgen um
5.23 Uhr morgens mit den Chefs der großen Energiekonzerne zulasten der gesamten Gesellschaft ausbaldowert
hat,
({0})
und vor allem damit, dass sie den Ausverkauf der Sicherheit der Anlagen betrieben hat. Das ist die Tatsache,
mit der wir uns jetzt auseinandersetzen müssen, und
nicht irgendwelche Vorgänge aus dem letzten Jahrhundert.
({1})
Ich war beim Elterngeld und komme jetzt, nachdem
Sie von Schimären gesprochen haben, zu Ihrer nächsten
Schimäre, nämlich wie die Ministerin es ausgeführt hat,
dass - - Sie können sich wieder setzen.
({2})
- Okay. - Ich fahre mit einer Schimäre fort, genau genommen einer Schimäre der Ministerin. Es geht jetzt um
die Frage, ob das Elterngeld tatsächlich zur Lohnersatzleistung weiterentwickelt wird. Wir wissen doch alle,
wie es kommen soll: Hausfrauen ohne vorheriges eigenes Einkommen sollen weiterhin den Sockelbetrag beziehen können.
({3})
Das entlarvt sich doch von selbst. Das ist schwarz-gelbe
Klientelpolitik pur.
({4})
Wie steht es eigentlich um das Elterngeld für die Aufstocker? Die Ministerin hat dazu nichts gesagt.
({5})
Es bleibt im Prinzip so, wie es schon im Haushaltsbegleitgesetz steht: Es gibt einen Prüfauftrag. Mehr wissen
wir nicht.
({6})
Wir können uns sehr wohl vorstellen, zu welchem Ergebnis dieser Prüfauftrag kommen wird.
({7})
Wir müssen vermuten, dass die Ministerin an dem festhalten wird, was meine Kollegin Frau Gruß als irrsinnig
bezeichnet hat und was meine Kollegin Frau Bär völlig
zu Recht als unsinnig bezeichnet hat, nämlich dass das
Elterngeld bei den Aufstockern in irgendeiner Art und
Weise angerechnet wird.
({8})
Das ist wirklich widersinnig. Es wäre gut gewesen, heute
von der Ministerin eine klare Ansage zu bekommen,
dass das nicht der Fall sein wird.
({9})
- Ich freue mich darauf, wenn Frau Bär gleich dazu etwas sagt.
Die Bilanz der Familienministerin nach einem knappen Jahr Regierungszeit ist wirklich ein Trauerspiel: Elterngeld gekürzt, Einführung von Teilelterngeld und Erhöhung der Zahl der Partnermonate verschoben,
wahrscheinlich auf den Sankt-Nimmerleins-Tag; von
Verbesserungen beim Unterhaltsvorschuss, vom Zukunftskonto, von steuerlichen Entlastungen für Alleinerziehende redet auf der Regierungsbank kein Mensch
mehr. All das war im Koalitionsvertrag versprochen
worden. Man kann nur sagen: versprochen - gebrochen.
Umso bizarrer ist es eigentlich, dass sich die Ministerin immer noch nicht von den Plänen zum Betreuungsgeld verabschiedet hat. Ein solches wäre tatsächlich irrsinnig und unsinnig.
({10})
Ich möchte an dieser Stelle ausdrücklich sagen, dass
ich es gut finde, dass die Ministerin den vorgesehenen
Rechtsanspruch auf einen Kitaplatz für unter Dreijährige verteidigt. Aber auch hier verschließt sie die Augen
vor der Realität: Ob man wirklich davon sprechen kann,
dass der Rechtsanspruch umgesetzt werden kann, wenn
für 35 Prozent der Kinder ein Kitaplatz zur Verfügung
steht, wird zu Recht angezweifelt. Wir brauchen ganz
dringend eine Bedarfsanalyse, die auch über das Jahr
2013 hinausgeht.
({11})
Es darf uns nicht nur um die Platzzahlen gehen. Es
muss uns auch um die Qualität der Angebote gehen. Ich
habe häufig den Eindruck, dass dieser Aspekt in der
Rechtsanspruchsdebatte etwas unter den Tisch fällt, obwohl wir alle wissen, dass eine bessere Vereinbarkeit
von Familie und Beruf eben nur gelingt, wenn die Eltern
ein gutes Gefühl haben, wenn sie ihr Kind in die Kita geben. Gute frühpädagogische Maßnahmen und Bildung
können nur erfolgreich sein, wenn die Erzieher und Erzieherinnen in den Kindertagesstätten tatsächlich die
Möglichkeit haben, gute Angebote zu machen.
Im Juli hat die Ministerin den KiföG-Bericht vorgestellt. Darin - ich zitiere aus diesem Bericht - hat sie
dargelegt, dass in einigen Bundesländern die Personaleinsatzschlüssel in einer Größenordnung liegen, die unter fachlichen Gesichtspunkten als bedenklich einzustufen sind. Ich denke, hier ist die Bundesregierung ganz
klar gefragt im Konzert mit Ländern und Kommunen;
denn der Kitaausbau ist eine gesamtgesellschaftliche
Aufgabe, die für den Bund nicht 2013 endet.
Nun sollen in den nächsten Jahren 100 Millionen
Euro in die Sprachförderung in Schwerpunkt-Kitas investiert werden. Dagegen ist im Prinzip nichts zu sagen.
Aber auch da kennen wir das Konzept und die Zielvereinbarung mit den Ländern noch nicht. Deshalb würde
ich sagen: Vorsicht mit Vorschusslorbeeren. Wir müssen
erst einmal schauen, ob die Kitas nicht doch nur Placebos bekommen.
Die Unklarheit, was überhaupt geplant ist, setzt sich
beim Zivildienst fort. Auch da sind - die Ministerin war
gestern bei uns im Ausschuss - viele Fragen unbeantwortet geblieben. Ich fand es gut, dass der Herr Kollege
Toncar darauf hingewiesen hat, dass es keine zwei Klassen bei den künftigen Freiwilligendiensten geben soll.
Wir Grünen finden es positiv, dass wir wegkommen von
der Pflicht und hinkommen zur Freiwilligkeit. Aber die
Äußerungen der Ministerin konnten uns noch nicht davon überzeugen, dass es da tatsächlich ein gutes Konzept
gibt.
({12})
Ich komme zum Schluss. Als Sachwalterin für die Interessen von Kindern, Jugendlichen und Familien haben
Ministerin Schröder und auch die komplette Bundesregierung bis dato völlig versagt.
({13})
Es bleibt zu hoffen, dass es einen Herbst der Erkenntnis
aufseiten der Koalition gibt und nicht ein böses Erwachen für alle nach den Haushaltsverhandlungen.
Vielen Dank.
({14})
Das Wort hat nun die Kollegin Ingrid Fischbach für
die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Frau Ministerin! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Herr Bockhahn, ich würde Ihnen einmal
empfehlen, in den Ausschuss zu kommen.
({0})
- Sie sind da drin? Ich habe Sie da noch nie gesehen.
({1})
Wahrscheinlich handelt es sich um eine Halluzination.
Sie haben vorhin beklagt, dass die Ministerin zu den
und den Punkten nichts gesagt hätte.
({2})
- Darauf will ich doch eingehen. Lassen Sie mich einmal
ausreden. Wenn Sie eine Frage haben, stellen Sie sie
bitte. Dann habe ich auch eine längere Redezeit.
Sie haben Punkte aufgeführt, zu denen die Ministerin
nichts gesagt hat. Sie hat über die Punkte gesprochen,
die für den Haushalt relevant sind. Sie hat also genau das
gemacht, was die Kollegin von den Grünen, die im Moment nicht zuhört, eingefordert hatte. Hätte sich die
Ministerin über Themen wie Konzepte zum Wiedereinstieg, Entgeltgleichheit, Möglichkeiten zur Anrechnung
der Pflegezeit, Frauen in Führungspositionen und Stufenplan ausgelassen, dann hätte die Kollegin zu Recht
angemerkt: Wir reden heute über den Haushalt und nicht
allgemein über die Aufgaben und Leistungen des Familienministeriums.
({3})
Darauf muss man schon achten. Da läuft eine ganze
Menge. Dazu kann ich Ihnen gleich noch etwas sagen.
Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Bockhahn?
Ja, vielleicht kann er noch etwas lernen.
Bitte.
Bildung wird ja großgeschrieben. Insofern bin ich auf
Ihre Antwort sehr gespannt.
Sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, dass die
Veränderungen bzw. die Nichtveränderungen beim Zivildienst definitiv haushaltswirksam sind und sie deswegen auch ein Thema in einer Haushaltsdebatte sein sollten? Ist Ihnen bekannt, dass es eine Studie gibt, die zeigt,
dass die Gleichstellungspolitik auch budgetgerecht dargestellt werden könnte? Sind Sie bereit, anzuerkennen,
dass das gegenwärtig nicht der Fall ist? Dann müssten
wir uns aber über haushaltspolitische Gleichstellungsfragen unterhalten, was im Zweifel auch in eine Haushaltsdebatte gehört.
({0})
Wir reden über den Haushalt 2011. Wenn Sie sich diesen Haushalt anschauen, dann können Sie feststellen,
dass wir beim Wehretat für 2011 keine Änderungen vorgenommen haben.
({0})
Das haben Sie doch mitbekommen. Worüber wir jetzt reden, sind zukünftige Entscheidungen, die mit folgenden
Fragen zu tun haben: Wie gehen wir mit der Wehrpflicht
um? Wird sie ausgesetzt, oder soll sie abgeschafft werden? Dazu gibt es Diskussionen innerhalb der Fraktionen und der Parteien. Wenn wir zu einer Entscheidung
kommen, wie wir mit dem Wehrdienst umgehen, dann
müssen wir uns überlegen, welche Auswirkungen dies
auf den Zivildienst hat.
Deswegen fand ich es nicht so prickelnd, dass Sie gerade sagten, Sie sind für die Abschaffung des Wehrdienstes, aber den Zivildienst müssen wir erhalten. Das
passt irgendwie nicht.
({1})
- Doch, er hat am Anfang gesagt: Was sage ich heute einem Zivildienstleistenden - O-Ton -, wenn er sich um
eine Stelle bewerben will, sie aber nicht mehr findet? Wie kommen Sie darauf, dass man keine Zivildienststelle mehr findet?
({2})
Unsere Bewerber finden noch Zivildienststellen; diese
sind noch da.
Sie wollen darauf hinaus, was passiert, wenn es keine
Wehrpflicht mehr gibt. - Ich bin noch nicht fertig mit der
Antwort auf Ihre Frage. Deswegen möchte ich Sie bitten,
noch stehen zu bleiben. Ich würde das gerne zu Ende
ausführen.
Wenn wir über den Wehrdienst entschieden haben,
kommen wir zu den weiteren Auswirkungen, und dann
werden wir darüber informieren. Es macht überhaupt
keinen Sinn, jetzt über etwas zu diskutieren, von dem ich
zum Beispiel gar nicht weiß, wie meine Partei damit umgeht.
({3})
- Aber es ging doch jetzt um die Abschaffung. Er sagte
doch gerade, er will ihn abschaffen.
({4})
- Meine Damen und Herren, ich lasse mich jetzt nicht
auf eine Zwischendiskussion ein. Wenn die Entscheidungen anstehen, werden wir es mitteilen. Dann werden wir
darüber reden und mit Ihnen darüber diskutieren. Wir
werden Vorschläge machen; das ist schon richtig. So machen wir das. Aber wir werden erst einmal intern beraten, wie wir damit umgehen. So machen wir das in der
CDU und in der CSU. Wie das bei den Linken ist, weiß
ich nicht. Wahrscheinlich ist es da anders.
({5})
Da wird es bestimmt, und dann ist es so. Wir diskutieren
darüber, wir binden die Basis mit ein. Wenn wir die Entscheidungen haben, dann werden wir auch wissen, welche weiteren Schritte zu gehen sind.
({6})
Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und
Kollegen, wenn ich auf den Beginn der Finanz- und
Wirtschaftskrise zurückblicke, dann sind mir noch sehr
wohl die immensen Zahlen, die im Raum standen, und
die Sorgen der Menschen und Familien in Erinnerung:
Wie gehen wir damit um? Um Gottes willen, was passiert da? Wie können wir jemals die Schulden, die wir
aufnehmen, zurückzahlen? Die konjunkturelle Entwicklung ist im Moment positiv. Die Zahl der Arbeitslosen
geht deutlich zurück. Die Wachstumsraten betragen 3 bis
3,5 Prozent.
Die freundliche Aufbruchstimmung darf uns aber
nicht dazu verleiten, uns aus dem Konsolidierungsprozess zu verabschieden; vielmehr gibt es weiterhin die
Aufgabe und den klaren Auftrag an die Politik, für eine
Konsolidierung des Haushalts zu sorgen. Das ist verantwortungsvolle Familien- und Jugendpolitik. Das ist
Politik für die nachfolgenden Generationen. Sie muss
nachhaltig sein. Auch unsere Kinder und Enkelkinder
müssen die Chance haben, in diesem Staat zu leben und
noch über Haushalte beraten zu können. Das können sie
nicht, wenn wir uns jetzt aus der Konsolidierung verabschieden und weitermachen wie bisher. Deswegen tun
wir es nicht.
({7})
George Bernard Shaw hat nicht umsonst gesagt: Was
man „sparen“ nennt, heißt nur, einen Handel für die Zukunft abzuschließen.
({8})
Das tun wir. Das Zukunftspaket der Bundesregierung
macht deutlich, dass wir bis 2014 über 80 Milliarden
Euro einsparen wollen. Das ist richtig; das ist wichtig.
Wir haben die Schuldenbremse gemeinsam im Grundgesetz verankert. Deswegen ist es unsere gemeinsame Aufgabe, hier für eine Konsolidierung zu sorgen. Dazu muss
auch das Familienministerium im Sinne von Generationengerechtigkeit etwas beitragen. Wir müssen uns an
dieser Konsolidierung beteiligen, damit unsere Kinder
auch Perspektiven haben.
Das Elterngeld - die Frau Ministerin hat es gesagt macht mit 4,48 Milliarden Euro einen großen Anteil des
Haushalts des Familienministeriums aus. Auch hier
Sparmaßnahmen anzugehen, ohne die Grundstrukturen
zu verändern und aufzuheben, halte ich für richtig. Genau das passiert. Wir werden die Quote von 67 auf
65 Prozent absenken, und wir werden die Anrechnungsfreiheit des Elterngeldes beim Bezug von Leistungen im
Rahmen des Arbeitslosengeldes II und der Sozialhilfe
aufheben. Das hat sicherlich einschneidende Auswirkungen; das streite ich gar nicht ab. Aber das Elterngeld ist
als Lohnersatzleistung konzipiert.
({9})
- Das ist nicht falsch. Sie waren in der Runde, die damals das Elterngeld konzipiert hat, gar nicht dabei, Frau
Marks. Da war Frau Humme dabei; Sie waren nicht dabei.
({10})
- Sie waren in der Koalitionsrunde nicht dabei, nein.
Das ist jetzt auch egal. Ich war jedenfalls die ganze Zeit
dabei.
({11})
- In der Koalitionsrunde - darum geht es - war sie nicht
dabei. Da haben wir gesagt: Das ist eine reine Lohnersatzleistung. Wir haben die Menschen im Blick gehabt, die für Kindererziehung auf ihre Erwerbsarbeit verzichten und zu Hause bleiben. Wir haben das Mindestelterngeld gemeinsam beschlossen. Ich kann mich erinnern, dass Sie das gar nicht wollten. Sie wollten das Elterngeld auch nicht für ein Jahr, sondern nur für sechs
Monate zahlen; ein Jahr Bezugszeit war Ihnen viel zu
lang. All das ist aber Schnee von gestern. Wir haben gemeinsam entschieden, dass wir es so machen. Das war
auch gut und richtig so.
Es war aber von Anfang an nicht richtig, dass wir dabei gegen die Systematik der Grundsicherung verstoßen haben. Auch Sie erinnern sich: Wir waren damals im
Aufschwung und hatten vor Augen, dass wir 2011 keine
neue Kreditaufnahme, keine Neuverschuldung, mehr
brauchen. Da haben wir gesagt: Wenn die Entwicklung
so ist, können wir Elterngeld in dieser Weise zahlen. 6210
Es war aber schon damals falsch, weil es nicht der Systematik der Grundsicherung entsprach.
Jetzt dürfen Sie nicht mich, uns oder die Frau Ministerin dafür verantwortlich machen; denn Sie haben die
Grundsicherung, damit auch die Systematik der Grundsicherung, mit verabschiedet. Da haben Sie festgelegt,
dass bei Transferleistungen Einkommen bestimmter Arten angerechnet werden müssen. Das ist nicht geändert
worden, auch nicht von Ihnen. Insofern tun wir jetzt
nichts anderes, als diese Systematik anzuwenden. Das
fällt an der einen oder anderen Stelle schwer; aber es entspricht der Grundausrichtung, die auch von Ihnen auf
den Weg gebracht wurde. Das möchte ich einmal festhalten.
({12})
Frau Dörner, vielleicht haben Sie es vorhin nicht gehört: Wir sehen Änderungsbedarf bei den Aufstockern
und Minijobbern; das hat auch Frau Ministerin gesagt.
Sie wissen aber, dass die Zuständigkeit für Aufstocker
bei einem anderen Ministerium liegt und wir auch hier
Absprachen treffen müssen. Hier sind wir auf einem guten Weg. Ich kann Ihnen versichern - wir sind hier heute
in der ersten Lesung -, dass wir in den Beratungen darauf eingehen und Lösungen dafür anbieten werden.
({13})
Das Erfolgsmodell Elterngeld bleibt in der Grundstruktur erhalten. Das ist richtig so. Wir haben festgestellt - Frau Ministerin hat es gesagt -, dass gerade auch
Väter diese Möglichkeit nutzen, sich um die Kinder zu
kümmern. Es könnten ruhig noch mehr Väter diese
Möglichkeit nutzen, auch länger als zwei Monate. Daran
wäre uns gelegen. Deswegen halten wir daran fest.
Frau Kollegin, Frau Dörner würde gerne eine Zwischenfrage stellen.
Ja.
Bitte.
Frau Fischbach, ich möchte auf das Elterngeld zurückkommen. Zunächst einmal ist es ein positives Zeichen, dass Sie den Prüfauftrag, der im Haushaltsbegleitgesetz geregelt ist, bei der Frage des Elterngelds für
Aufstocker ernst nehmen. Da die Summe der Einsparungen bezogen auf das Elterngeld schon feststeht und entsprechend im Haushalt verankert ist, möchte ich Sie aber
fragen: An welcher Stelle wollen Sie ansonsten Einsparungen vornehmen?
Das klärt sich in genau den Verhandlungen, die anstehen und schon auf den Weg gebracht sind. Davon sind
unterschiedliche Ministerien betroffen. Wenn man eine
gemeinsame Lösung haben will, dann muss man sie
auch gemeinsam finden. Wir wollen und werden eine
Lösung finden. Das kann ich Ihnen versichern.
({0})
Der Ausbau der Kinderbetreuungseinrichtungen
ist ein wichtiger Schwerpunkt unserer Familienpolitik,
der Familienpolitik der Frau Ministerin. Sie hat deutlich
gemacht, dass es an dieser Stelle zu keinen Einschnitten
kommen wird. Wenn Sie die Ergebnisse des letzten Monitor Familienleben im Kopf haben, dann wissen Sie,
dass flexible - nicht starre - Betreuungsangebote für
Kinder das A und O sind. Wir müssen die Angebote
schaffen, die Eltern brauchen. Da müssen wir weiter ansetzen. Die Mittel dafür bleiben erhalten.
Es ist erfreulich, dass die Länder mit ihren Anträgen
nachgezogen sind. Das lief etwas schleppend; jetzt läuft
es besser. Wir können deshalb davon ausgehen, dass wir
eine Betreuungsquote von 35 Prozent - wir haben sie gemeinsam beschlossen - erreichen werden; daran halten
wir erst einmal fest. Dann wird man sehen - Sie wissen,
dass Angebote auch Nachfrage schaffen -, ob später ein
Mehrangebot nötig ist. Darüber werden wir mit den beiden anderen Verhandlungspartnern diskutieren; es ist
nicht die ureigenste Aufgabe des Bundes, die Kinderbetreuungsangebote vor Ort zu finanzieren. Wir müssen
das mit den Ländern und den Kommunen absprechen;
das können wir nicht alleine tun. Das wird auch stattfinden. An dieser Stelle ein herzliches Dankeschön an Sie,
Frau Schröder, dass Sie daran festgehalten haben. Damit
helfen Sie den jungen Familien, den Eltern, Vätern und
Müttern. Das ist gut so.
({1})
Eine Aufgabe, ein Aspekt Ihrer künftigen Politik
- das interessiert vielleicht auch Herrn Bockhahn - ist
die Sprachoffensive, die anlaufen soll. Sie werden eine
größere Summe in die Hand nehmen und in Kitas, die
besondere Bedarfe haben, eine Sprachoffensive starten;
denn auch hier stellen wir fest: Wenn wir über Bildung
reden, reden wir über Sprache. Wenn die Kinder der
Sprache nicht mächtig sind, ist das schlimm. Wir müssen
für Angebote sorgen, damit sie sprachfähig werden. Leider betrifft das nicht nur Kinder mit Migrationshintergrund, auch viele Kinder mit deutschem Hintergrund haben Sprachschwierigkeiten. An dieser Stelle muss man
ansetzen. Wir müssen gezielt in die Brennpunkte hineingehen und für eine Sprachoffensive sorgen. Das halten
wir, die CDU/CSU-Bundestagsfraktion, für eine vernünftige politische Entscheidung. Das ist Politik für die
Bedürfnisse der Menschen und nicht an den Menschen
vorbei.
({2})
Frau Ministerin, mit der Familienpflegezeit rücken
Sie ein Thema in den Fokus der Öffentlichkeit, das
wichtig ist. In der Erwerbsbiografie gerade von Frauen
ist die Pflegezeit die zweite große Lücke. Oft müssen Eltern, Schwiegereltern oder kranke Angehörige gepflegt
werden. Es ist gut, dass Sie sich dieses Themas annehmen und mit dem Konzept der Pflegezeit eine erste Offensive starten. Das ist ein mutiger Schritt. Machen Sie
weiter so!
({3})
Das ist ein erster Schritt, der ausgebaut werden muss,
und er wird auch ausgebaut werden. Wenn sich die Konjunktur weiter so entwickelt wie im Moment, haben wir
gute Chancen. Wenn nicht, müssen wir schauen, dass wir
es anders geregelt bekommen, um den Bedürfnissen der
Frauen und der Menschen gerecht zu werden.
Die Opposition hat eben deutlich gemacht, wie verheerend, schrecklich und furchtbar die Familien-, Frauen- und Jugendpolitik der Bundesregierung ist.
({4})
Ich sage Ihnen: Lesen Sie die 16. Shell-Studie, die gerade veröffentlicht wurde. Seit 2006 hat sich der Anteil
junger Menschen, die sich Kinder wünschen, erhöht.
({5})
Es ist die Familienpolitik der Union, die sich in diesem
Bereich ausgezeichnet hat. Wenn sie so furchtbar wäre,
würden die jungen Menschen keine Kinder bekommen
wollen. Sie wünschen es sich. Wir werden alles dafür
tun, dass der Wunsch nach Kindern und Familie in Erfüllung gehen kann. Dafür arbeiten wir. Dafür stehen wir.
Darauf können sich die Menschen in unserem Land verlassen.
({6})
Für die SPD-Fraktion hat das Wort der Kollege Rolf
Schwanitz.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Familien und Kinder sind die großen Verlierer
des Entwurfs der schwarz-gelben Bundesregierung zum
Bundeshaushalt 2011. Das ist so. Das liegt an den Kürzungen beim Elterngeld. Es geht um 600 Millionen Euro
insgesamt, 155 Millionen Euro sind es im Einzelplan 17,
bei der Familienministerin. Nebenbei bemerkt: Welchen
Stellenwert das Thema für Sie hat, sieht man auch an der
Präsenz der Bundesregierung bei dieser Debatte. Das
Kanzleramt hat wenigstens noch einen Aluminiumkoffer
hingestellt.
({0})
Apropos Kanzleramt. Ich fand folgenden Vorgang bemerkenswert: Die Bundeskanzlerin hat gestern in der
Generalaussprache mit keinem einzigen Satz begründet,
weshalb sie die vorgesehenen Kürzungen als sozial gerecht empfindet. Das schreiben heute auch einige Zeitungen. Nun begründet die Familienministerin diese
Kürzungen mit abstrusen und fadenscheinigen Argumenten. Keiner hier im Haus - das behaupte ich - ist der
Überzeugung, dass es nicht wichtig ist, im Interesse der
künftigen Generationen Schulden abzubauen.
({1})
Aber es kann programmatisch doch nicht sinnvoll sein,
die Kinder von morgen scheinbar zu entlasten, indem ich
die Kinder von heute belaste. Das halte ich für einen zynischen Ansatz.
({2})
Herr Schwanitz, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Bitte schön.
Bitte sehr.
Herr Kollege, Sie sind nicht der erste Redner der
SPD-Bundestagsfraktion, der sich heute zu diesem
Thema äußert und erklärt, wo überall wir nicht sparen
sollen. Wenn mich mein Gedächtnis nicht vollständig
trügt, beruhen die Einsparbemühungen nicht zuletzt
auch auf der gesetzlichen Grundlage der Schuldenbremse, die Ihre Fraktion mit unserer Fraktion beschlossen hat. Wie ich der Presse entnehme, wollen Sie auch
noch gegen die Brennelementesteuer und den Laufzeitkompromiss klagen, sodass weitere Einnahmequellen
wegfallen. Ich frage Sie: Wo würden Sie stattdessen sparen? Die Beantwortung dieser Frage gehört zur Ehrlichkeit der Diskussion dazu.
({0})
Ich weiß nicht, ob Sie in der gestrigen Debatte dabei
waren und zugehört haben. Es gab eine ganze Reihe von
Vorschlägen - übrigens auch zu dem unzulänglichen
Vorschlag einer Brennelementesteuer, den Sie in die Debatte eingebracht haben -, beispielsweise das Zurücknehmen der Subventionen zugunsten von Hotels und
reichen Erben, die am Anfang Ihrer schwarz-gelben
„Traumkoalition“ gestanden haben.
({0})
In dieser Woche habe ich sehr intensiv mit Kolleginnen
und Kollegen aus Ihrer Fraktion darüber gestritten, ob
und in welchem Umfang wir in dieser Situation im land6212
wirtschaftlichen Bereich Subventionen draufsatteln müssen. Ich kenne diese Diskussionen bei Ihnen: Den Begriff „Subventionen“ führt man nur dann ein, wenn man
es nicht mag; ansonsten heißt das immer „Hilfe“. Ich
rate zu einer ehrlichen und offenen Debatte über alle
Einzelpläne.
({1})
Ich will eine zweite Feststellung machen: Es gibt in
dem Einzelplan 17 eine Verstärkung im Bildungsbereich
in der Größenordnung von 82 Millionen Euro. Das will
ich nicht kritisieren. Die Sozialdemokraten haben mehrfach die Stärkung der frühkindlichen Bildung angemahnt
und die Verbesserung der Qualität der Betreuungsangebote gefordert. Ich will dazu aber zwei Anmerkungen
machen:
Erste Anmerkung. Wenn Sie, Frau Ministerin, die
82 Millionen Euro, diese große Summe hier so herausstreichen, dann muss auch ein Wort dazu gesagt werden,
welche Einsparungen an anderer Stelle im Bundeshaushalt stattfinden. Im Einzelplan 30 entfällt der Titel für
das vor- und außerschulische Lernen im Lebenslauf
- das sind die lokalen Bildungsbündnisse für benachteiligte Kinder und Jugendliche -: minus 18 Millionen
Euro. Beispielsweise entfallen die Sprachstandstests für
Kinder im vierten Lebensjahr. Das ist Sprachförderung
im Vorschulalter. Das sind 5 Millionen Euro weniger für
Sprachförderungsprogramme. Ich finde, es gehört dazu,
dass die Ministerin nicht nur ressortegoistisch auf ihren
Einzelplan schaut, sondern auch schaut, was für Kinder
insgesamt dabei herumkommt.
({2})
Das Prinzip „rechte Tasche - linke Tasche“ verschweigen Sie.
Zweitens möchte ich dazu sagen - meine Vorrednerin
aus meiner Fraktion hat das schon angesprochen -:
({3})
Die 82 Millionen Euro werden ja aufwachsen. Das ergibt
nach Ihrem Plan irgendwann einmal ein Volumen in der
Größenordnung des gesamten Kinder- und Jugendplans
in einem Haushaltsjahr. Eine solche Summe kann man
natürlich nicht nur mit einem einzelnen Titel ausbringen,
sondern man muss vorsorgen, dass etwas Nachhaltiges
entsteht. Diesbezüglich ist Ihrem Entwurf nichts zu entnehmen. Was wird denn eigentlich, wenn die Modellprojekte, die Sie fördern wollen - 4 000 -, ausgelaufen
sind? Was wird dann eigentlich mit den Elternbegleitern? Werden sie dann kommunale Angestellte, Beschäftigte?
Ich fordere Sie auf: Legen Sie noch vor Abschluss der
Haushaltsberatungen ein Nachhaltigkeitskonzept vor!
Stimmen Sie das mit den Ländern und den kommunalen
Spitzenverbänden ab, damit nicht nur ein netter Fototermin zustande kommt und ein Strohfeuer entsteht, sondern es zu einer nachhaltigen und dauerhaften Verbesserung der frühkindlichen Bildung in Deutschland kommt!
({4})
Ich will eine dritte Bemerkung zum Thema Jugendpolitik machen. Die Shell-Studie hat ja gerade schon eine
Rolle gespielt. Die Süddeutsche Zeitung hat getitelt:
„Die Ideenlosigkeit einer Ministerin“ und hat reflektiert,
dass die Shell-Studie nicht nur Positives berichtet. Sie
berichtet auch, dass es abgehängte Jugendliche im Alter
zwischen 12 und 25 Jahren gibt. Das Motto scheint ja zu
sein: Optimismus kann man nur haben, wenn man ihn
sich leisten kann. Die Studie zeigt also sehr wohl gegenläufige Entwicklungen auf.
Deswegen muss man einmal schauen, was in diesem
Entwurf im Bereich Jugendpolitik passiert. Ich muss
sagen: Die Kürzungen erstrecken sich in der Tat großflächig auf den Bereich des Kinder- und Jugendplanes.
Beim Freiwilligen Sozialen Jahr im Sport haben Sie eine
Verstärkung vorgenommen. Das hängt selbstverständlich
mit der Wehrrechtsänderung zusammen. Aber diese Erhöhung wird zu fast 60 Prozent durch Kürzungen im
Kinder- und Jugendplan finanziert.
Ich will die Dinge einzeln benennen: 9 Prozent weniger für soziale und berufliche Integrationsförderung von
Jugendlichen. Darin enthalten ist zum Beispiel die Förderung der Jugendsozialarbeit. Es gibt 24 Prozent Kürzungen bei den „Neuen Wegen“ der Kinder- und Jugendhilfe, zum Beispiel in den Schulen. Der Bereich der
„sonstigen Fördermaßnahmen“ im KJP wird fast halbiert.
Ich will nicht verschweigen: Ein absolutes Alarmsignal ist, was mit den Verpflichtungsermächtigungen
beim Kinder- und Jugendplan passiert, also wo es darum
geht, Bewilligungen für die folgenden Jahre möglich zu
machen. Diese Verpflichtungsermächtigungen senken
Sie um sage und schreibe 23 Millionen Euro ab; das sind
minus 31 Prozent. Die Botschaft ist völlig klar: Langfristige Arbeit über das Haushaltsjahr hinaus wird sukzessive zurückgefahren. Der KJP wird nur noch auf Sicht
gefahren, und neue Kürzungen sind vorprogrammiert.
Deswegen haben Sie auch eine globale Minderausgabe
als neuen Titel eingebracht. Da steht zwar noch keine
Zahl, aber Sie erwarten, dass die Koalitionäre das im
Verfahren ausführen, so, als hätten Sie damit nichts zu
tun.
Die Kinder, die Familien und die Jugendlichen erwarten von Ihnen nicht, dass Sie die Kürzungspolitik, die im
Hause Schäuble ersonnen worden ist, rechtfertigen, sondern, dass Sie als echte Anwältin für Kinder, Jugend und
Familie auftreten. Das sind Sie uns schuldig geblieben.
Schönen Dank.
({5})
Nächste Rednerin die die Kollegin Miriam Gruß für
die FDP-Fraktion.
({0})
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Frau Präsidentin! Ich habe mir die Debatte jetzt eine ganze Weile
angehört und muss feststellen: Wir sind bei diesem Themenfeld auch dafür zuständig, Politikverdrossenheit abzubauen. Wenn ich mir die vielen jungen Menschen anschaue, die hier auf den Besuchertribünen sitzen, dann
muss ich an dieser Stelle sagen: Wir haben in der bisherigen Debatte keinen Beitrag dazu geleistet, dass die Politikverdrossenheit etwas weniger wird. Denn hier wird
nur unehrlich argumentiert, falsche Tatsachen werden
auf den Tisch gelegt, und es findet einfach nur Verdummung statt, statt Tatsachen zu benennen und über sie zu
diskutieren.
({0})
Von daher bin ich dafür, dass wir die Debatte jetzt etwas
versachlichen und uns auf die Fakten konzentrieren.
({1})
Da sich die SPD gerade so aufregt, möchte ich sagen:
Ich habe gestern bei der Debatte sehr wohl zugehört.
Sigmar Gabriel, Ihr Vorsitzender, ist als Erzengel
Gabriel aufgesprungen, letzten Endes aber wie viele von
Ihnen als Wolf im Schafspelz gelandet.
({2})
Denn das, was Sie machen, ist nichts anderes, als mit
dem Scheckbuch durch die Lande zu ziehen - schauen
Sie sich doch an, wie Sie es in Nordrhein-Westfalen machen! - und den jungen Leuten zu sagen: Wir verteilen
jetzt Geld. - Aber dieses Scheckbuch ist nicht gedeckt.
Vielmehr bedeutet es eine Hypothek für die nächsten
Generationen.
Wir machen das Gegenteil. Wir stellen einen Haushalt
auf, der treffsicher ist; das ist wichtig. Wir stellen einen
Haushalt auf, der gegen Umverteilung ist: Wir nehmen
den Leuten nicht erst etwas weg, um es dann wieder
großgönnerhaft auszugeben. Herr Schwanitz, schauen
Sie sich einmal meine Reden zum Thema „linke Tasche/
rechte Tasche“ an; das können viele von Ihren Kolleginnen und Kollegen schon fast nicht mehr hören. Das waren unsere Themen; wir haben das immer wieder gesagt.
({3})
Wir stellen einen Haushalt auf, der generationengerecht
ist.
({4})
Das sind die drei wesentlichen Merkmale unserer Regierungsarbeit und der Arbeit unserer Fraktionen.
({5})
Frau Kollegin, darf ich Sie unterbrechen? Frau
Dörner würde gern eine Zwischenfrage stellen.
Nein, ich bin gerade so in Fahrt; tut mir leid.
({0})
- Ja, gerne. - Ich finde es schon wichtig, dass in dieser
Debatte die großen Linien der Politik aufgezeigt werden.
({1})
Man nutzt ja die Haushaltswoche dazu, die Daten und
Fakten auf den Tisch zu legen, aber auch darüber zu reden, wo es hingehen soll, was gemacht worden ist und
wo die Schwerpunkte in der Zukunft gesetzt werden sollen.
Zu den Themen Kinder und Jugend. Beim Thema
Kinder stehen für uns nach wie vor Schutz und Chancen
an erster Stelle. Zum Thema Kinderschutz werden wir
ein Kinderförderungsgesetz auf den Weg bringen. Natürlich werden wir auch die Ergebnisse der runden Kindertische präsentieren. Beim Thema Chancen - das hat Herr
Toncar schon ausgeführt - stellen wir die Finanzierung
vom Kopf auf die Füße und denken zunächst einmal daran, das Geld dann zu investieren, wenn es dringend notwendig ist und wenn wir es auch so investieren können,
dass es sich später mehrfach auszahlt. Ein Beispiel ist
die Initiative zur frühkindlichen Bildung.
Auch zum Thema Jugendliche sollten Sie sich meine
Reden aus den letzten Jahren ansehen. Es war mir immer
ganz wichtig, zu sagen, dass wir eine eigenständige Jugendpolitik brauchen; Kai Gehring wird das bestätigen.
Daran halten wir weiterhin fest. Auch über die Inhalte
des Kinder- und Jugendplans muss im Rahmen der Sparmaßnahmen diskutiert werden. Da komme ich zum Ausgangspunkt zurück.
({2})
Wir wollen treffsicher arbeiten. Deswegen muss man
sich auch in diesem Bereich anschauen, ob etwas funktioniert oder nicht. Aber eine eigenständige Jugendpolitik ist selbstverständlich.
Als FDP-Fraktion und als Koalitionsfraktion werden
wir darauf achten, dass die Partizipation und die Chancen von Jugendlichen in Zukunft in den Vordergrund
gestellt werden. Im Übrigen - ich bin auch Mitglied im
Ausschuss für Arbeit und Soziales - muss man einmal
sehen, wo das verankert wird. Chancen von Jugendli6214
chen sind hauptsächlich im Ministerium für Arbeit und
Soziales verankert, aber nicht im Familienministerium.
Dennoch bin ich davon überzeugt, dass es wichtig ist,
dass das Familienministerium und auch wir als Koalitionsfraktionen dies entsprechend begleiten.
Zum Thema Familie. Es hat sich nichts daran geändert: Familien brauchen Zeit, Geld und Infrastruktur.
Beim Thema Familienzeit - Frau Fischbach hat schon
darauf hingewiesen - diskutieren wir nicht nur über die
Familienpflegezeit, sondern auch über Zeit für Familien,
für Mütter wie Väter, die sich Zeit nehmen wollen, für
die Familie da zu sein. Ich bin fest davon überzeugt, dass
wir keine Gesetze brauchen, sondern dass wir beispielsweise im Rahmen des Audits „Beruf & Familie“ einen
verstärkten Fokus auf die Zeit legen können. Dabei geht
es um die Anerkennung dieses Labels durch die Unternehmen. Das wird im Übrigen schon sehr gut angenommen.
Frau Kollegin, es gibt den Wunsch des Kollegen
Gehrcke nach einer Zwischenfrage.
Nein, jetzt nicht. Ich weiß, dass die Kurzintervention
sowieso kommt. Das ist jetzt auch wurscht.
Zum Thema Geld. Es geht um Geld für Familien. Wir
treten dafür ein, dass Geld nicht erst weggenommen,
dann umverteilt und gönnerhaft ausgegeben werden soll.
Vielmehr sollten wir schauen, wie wir das Geld treffsicher investieren.
Damit komme ich zum Thema Elterngeld. Ich verhehle nicht und stehe nach wie vor dazu, dass ich zum
Thema Elterngeld andere Vorschläge hatte. Meine Vorschläge werde ich auch wieder einbringen, und dann
werden wir darüber diskutieren. Wir befinden uns in der
ersten Haushaltsberatung.
({0})
Ich mache auch keinen Hehl daraus, dass ich keine Verfechterin des Betreuungsgeldes bin. Das können Sie im
Protokoll der vergangenen Sitzung nachlesen.
({1})
Lesen Sie sich im Übrigen den Koalitionsvertrag einmal
genau durch. Außerdem haben wir jetzt nicht das Jahr
2013, sondern das Jahr 2010, und jetzt beraten wir den
Haushalt für das Jahr 2011. An dieser Stelle sollten Sie
deshalb einfach einmal ruhig sein.
Nun zum Thema Infrastruktur. An dieser Stelle ein
herzliches Dankeschön an Sie, liebe Frau Ministerin, dass
- es ist schon mehrfach gesagt worden, aber noch nicht
von jedem; deswegen sage ich es gern noch einmal - am
Ausbau der Betreuungsplätze nicht gerüttelt wird, und
zwar nicht nur bis 2013. Alles, was da in Gang gesetzt
wird, funktioniert natürlich auch und wird mit Sicherheit
von den Kommunen und den Ländern übernommen. Die
Kommunen und Länder sind jetzt schon sehr viel weiter
als noch vor ein paar Jahren. Deshalb ist es richtig, weiter
mutig voranzuschreiten.
Ein Thema, das in letzter Zeit viel Beachtung gefunden hat, ist das Thema Integration. Ich bin überzeugt,
dass wir von familienpolitischer Seite noch einen wichtigen Debattenbeitrag jenseits der Paragrafendiskussion
leisten können. Ich ermuntere zumindest dazu und freue
mich auf anregende Diskussionen in diesem Hause.
Vielen Dank.
({2})
Die Kollegin Diana Golze von der Fraktion Die Linke
ist nun die nächste Rednerin.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich muss zunächst einmal etwas zur
Ruhe kommen. Nach diesem doch sehr selbstkritischen
und aufrüttelnden Beitrag meiner Kollegin Gruß möchte
ich dieser Debatte etwas Sachliches hinzufügen.
({0})
Sehr geehrte Frau Ministerin, am 15. September
konnte ich der Märkischen Allgemeinen entnehmen, dass
Sie besorgt zur Kenntnis nehmen, „dass die soziale Spaltung in der jungen Generation immer weiter zunimmt“.
Es ist sicher gut, dass die Familienministerin die Situation eines viel zu großen Teils der in Deutschland lebenden Jugendlichen endlich zur Kenntnis nimmt. Es ist
auch gut, dass sie deren Situation besorgt stimmt. Ich bezweifle aber, dass dies den Jugendlichen in irgendeiner
Art und Weise helfen wird; denn sonst sähe der Haushaltsentwurf des Familienministeriums grundsätzlich anders aus.
({1})
Die einzelnen Haushaltstitel sprechen eine deutliche
Sprache. Frau Ministerin, Sie klopfen sich dafür auf die
Schulter, dass der Kinder- und Jugendplan um gut
2 Millionen Euro aufgestockt wurde. Sie verschweigen
jedoch, dass diese 2 Millionen Euro nicht einmal im Ansatz das wiedergutmachen, was in den vergangenen Jahren beim Kinder- und Jugendplan weggenommen wurde.
Doch genau die Folgen dieser Kürzungen sind die Ursache für das, was Ihnen bei der Vorstellung der Shell-Jugendstudie die Sorgenfalten auf die Stirn getrieben hat.
Es sind die Kürzungen bei der Jugendsozialarbeit, bei
den Hilfen zur Erziehung sowie bei der allgemeinen,
politischen und kulturellen Bildung. Es sind also Kürzungen an den Stellen, durch die die steigende soziale
Spaltung in der jungen Generation aufgefangen werden
müsste.
Frau Schröder, wenn Sie etwas zur Kenntnis nehmen
könnten, dann ist es die Tatsache, dass Sie über Ihren Etat
konkret etwas an der Situation der Kinder und Jugendlichen verbessern könnten, wenn Sie es denn wollten, so
zum Beispiel, dass man in den Städten und Gemeinden
gut ausgestattete Jugendeinrichtungen vorfindet. Sie
können dafür sorgen, dass Kinder und Jugendliche die umfassenden Angebote wie Jugendsozialarbeiter oder Beratungsstellen auch an ihrer Schule und in ihrem Wohnort
vorfinden. Ich weiß, dass Sie die Verantwortung dafür
gerne auf die Kommunen schieben möchten. Ich weiß
auch, dass Sie diese Aufgaben an die Kommunen delegiert haben. Jetzt ist es Ihre Aufgabe, diesen Aufgaben
auch die für ihre Erfüllung notwendigen Mittel folgen zu
lassen. Ansonsten ist diese Politik unehrlich.
({2})
Nächstes Thema: Kitaausbau. Frau Schröder, Sie lassen sich dafür loben, dass Sie sich an Recht und Gesetz
halten.
({3})
Sie lassen sich dafür loben, dass beim Kitaausbau nicht
gespart wird. Das Kinderförderungsgesetz ist in diesem
Hause verabschiedet worden. Das Sondervermögen ist
mit Ländern und Kommunen vereinbart worden. Davon
kann man sich nicht einfach verabschieden. Dafür wollen Sie sich auch noch loben lassen? Wenn es bei der
Bundesregierung schon so weit ist, dass man sich dafür
loben lassen muss, dann spricht das eine deutliche Sprache.
({4})
Ebenfalls bei der Lektüre meiner Zeitung habe ich erfahren - Sie haben das heute selbst gesagt -, dass Sie für
bestimmte Pilotprojekte mehr Geld in den Haushalt einstellen werden. Sie sprachen von 400 Millionen Euro, die
Sie im Bereich der frühkindlichen Bildung für Schwerpunktkitas bereitstellen wollen. Da ich selbst kommunale
Abgeordnete bin, weiß ich, dass die Kommunen in diesem
Bereich jeden Cent zusammenkratzen, um die Kinder
möglichst früh zu fördern und Fehlbedarfen möglichst
früh entgegenzuwirken. Die von Ihnen vorgesehenen
400 Millionen Euro sind auf vier Jahre angelegt. Ich kann
mir schon vorstellen: Die Entscheidung, welche Kitas zu
den Glücklichen gehören, welche also zu Modellkitas
werden, geht bestimmt aus wie das Hornberger Schießen.
({5})
Was passiert danach mit diesen Kitas?
({6})
- Frau Gruß, was passiert danach mit diesen Kitas? Es
wird so ausgehen wie bei den Mehrgenerationenhäusern.
Für einige Jahre gibt es ein paar Euro Trostpflaster, und
dann heißt es: Jetzt seht selbst zu, wie es weitergeht.
({7})
Dann landet auch diese Aufgabe bei den Kommunen.
Auch das ist eine unehrliche Haushaltspolitik.
({8})
Glauben Sie ernsthaft, dass Sie die Probleme in diesem Bereich durch solche Modellprojekte lösen können?
Glauben Sie ernsthaft, dass Sie dem Mangel an qualifiziertem Personal, der auf über 100 000 Stellen beziffert
wird, mit 4 000 Schwerpunktkitas begegnen können? Ich
glaube das nicht.
({9})
Sie müssen endlich so handeln, wie es die Linke, andere
Fraktionen in diesem Hause und viele Sozialverbände
von Ihnen fordern. Sie müssen mehr Geld investieren
und über das Ziel, 35 Prozent der unter Dreijährigen bis
2013 einen Betreuungsplatz anzubieten, nachdenken.
Das ist eine Forderung, die auch außerhalb dieses Hauses erhoben wird. Ich fordere Sie auf, dieser Forderung
endlich nachzukommen.
({10})
Zum Elterngeld. Es ist heute schon mehrfach angesprochen worden: Kinderarmut ist immer auch Familienarmut. Aber Sie bekämpfen Familienarmut, indem Sie
arme Familien bekämpfen. Das ist für mich ziemlich unlogisch. Denn während eine nicht erwerbstätige Hausfrau,
die Frau eines Spitzenverdieners, 3 600 Euro Mindestelterngeld bekommt, werden einer langzeiterwerbslosen
Frau 3 600 Euro weggenommen, und das mit der Begründung, dies sei eine Lohnersatzleistung. Na prima!
Die eine Frau will nicht arbeiten, die andere Frau kann
nicht arbeiten, aber beide werden ungleich behandelt.
Diese Ungleichbehandlung ist zutiefst sozial ungerecht.
({11})
Die ALG-II-Beziehenden bekamen schon bei der Einführung des Elterngeldes durch die Halbierung der Bezugsdauer die erste massive Kürzung zu spüren. Nun
nehmen Sie diesen Familien auch noch den letzten verbliebenen Anspruch. Dafür werden Sie unsere Zustimmung auf keinen Fall bekommen.
({12})
Auch die von Ihnen angekündigten Sonderregelungen
für Aufstocker liegen immer noch nicht vor; sie sind
heute schon eingefordert worden. Wenn Sie gemeinsam
mit Ihrer Kollegin so schnell eine Bildungskarte vorschlagen können, dann können Sie uns doch wohl auch
sagen, wie Sie sich die geplanten Sonderregelungen vor6216
stellen: Wollen Sie den Aufstockern das Elterngeld lassen oder nicht?
({13})
Wollen Sie fördern, dass die Menschen arbeiten gehen,
oder nicht? Machen Sie hierzu Vorschläge! Hören Sie
auf, nur anzukündigen! Tun Sie endlich etwas!
({14})
Ich fordere Sie auf: Nehmen Sie die Planungen zum
sogenannten Sparpaket - ich sage viel lieber und treffender: Kürzungspaket - vom Sommer zurück! Lassen Sie
diejenigen die Zeche für die Krise zahlen, die sie verursacht haben, nämlich die Banken und die Spekulanten,
und holen Sie sich das Geld nicht bei denen, die eh
schon nichts mehr haben!
Vielen Dank.
({15})
Nächste Rednerin ist die Kollegin Monika Lazar für
die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Mit vielen Förderansätzen im Einzelplan 17 wird das
Anliegen verfolgt, das Zusammenleben unserer Gesellschaft zu verbessern. Ein Programm heißt „Maßnahmen
zur Stärkung von Vielfalt, Toleranz und Demokratie“.
29 Millionen Euro will die Bundesregierung ab 2011
jährlich dafür ausgeben.
({0})
Bündnis 90/Die Grünen begrüßen alle Aktivitäten für
mehr Vielfalt, Toleranz und Demokratie. Doch wenn
man sich das Programm im Einzelnen anschaut, sieht
man, dass man sehr kritisch darauf eingehen muss.
Das Programm ist ein Sammeltopf, aus dem Maßnahmen gegen Extremismen aller Art gefördert werden.
({1})
Das heißt für das Ministerium: Rechtsextremismus,
Linksextremismus und islamischer Extremismus.
({2})
Die Bundesregierung geht davon aus, dass es eine Mitte
der Gesellschaft und als Gegenstück extreme Ränder
gibt, an denen sich Menschen tummeln, die unsere Demokratie abschaffen wollen. Wer sich allerdings die Studien zu diesem Themenbereich anschaut, zum Beispiel
der Professoren Heitmeyer, Brähler und Decker, der
weiß: Diese These hält einer wissenschaftlichen Prüfung
nicht stand.
({3})
Die Extremismustheorie hat auch obrigkeitsstaatliche
Züge. Überspitzt formuliert: Weil dem Staat eine demokratische Verfassung zugrunde liegt, ist gemäß dieser Logik auch jedes staatliche Handeln gut. - Kritik am Staat
gerät also schnell unter Generalverdacht, extremistisch
zu sein, weil die Differenzierung zwischen dem konkreten staatlichen Handeln, das nicht zwingend demokratisch sein muss, und der zugrunde liegenden demokratischen Verfassung nicht mehr vorgenommen wird.
Ab wann handelt ein Mensch extremistisch? Die Bundesregierung antwortete darauf im Rahmen der Antwort
auf eine Kleine Anfrage zu den politischen Dimensionen:
Wesentliche Aktionsfelder von Linksextremisten
sind Antirepression, Antimilitarismus und Antifaschismus.
Wenn dies als linksextrem diffamiert wird, dann stellt
sich die Frage: Was ist mit den Initiativen gegen Rechtsextremismus? Sie geraten doch schnell unter Generalverdacht.
Bündnis 90/Die Grünen stehen auf der Seite von zivilgesellschaftlichen Initiativen, die sich vor Ort mutig
und engagiert Rassisten und Antisemiten entgegenstellen. Solche Menschen sind für uns keine Störenfriede,
sondern Verteidiger unserer Demokratie.
({4})
Wir fordern die Bundesregierung auf, für solche Projekte
einen eigenen Fördertitel mit Mitteln gegen Rassismus,
Antisemitismus und gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit bereitzustellen - ohne eine Ausweitung auf die
sogenannten weiteren Extremismusformen.
Welche Blüten die Diskussionen um Extremismus
treiben können, haben wir in der letzten Haushaltsdebatte am Beispiel der sächsischen Kleinstadt LimbachOberfrohna diskutiert. Der eine oder andere wird sich erinnern. Heute nenne ich ein anderes absurdes Beispiel.
In der ebenfalls sächsischen Kleinstadt Delitzsch beantragte der NPD-Stadtrat seine Aufnahme in den örtlichen
Arbeitskreis gegen Extremismus mit der Begründung, er
sei auch gegen Extremismus und Gewalt und spreche
sich auch gegen Fremdenfeindlichkeit aus, die es nicht
gäbe, wenn nicht Millionen fremder Menschen aus ihrer
Heimat gelockt und als entwurzelte Arbeitsnomaden
nach Deutschland geschleust werden würden. - Man
darf den Neonazis mit diesen Begriffen doch kein
Podium bieten.
Wichtig ist bei der Programmgestaltung außerdem,
dass die Träger ein solides eigenständiges Antragsrecht
beim Bund erhalten. Das gilt insbesondere für Projekte
aus den Regionen, in denen die Kommunen selbst nicht
an einer Auseinandersetzung teilnehmen wollen oder
diese gar ablehnen.
Besonders problematisch und ignorant ist es aber, dass
bei einem auf Extremismus orientierten Förderansatz
gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit und ein wachsender Rechtspopulismus in Teilen der sogenannten gesellschaftlichen Mitte ausgeblendet werden.
({5})
Wir müssen uns doch fragen, wieso etwa Thilo Sarrazin
mit seinen kruden Thesen so viel Sympathie in der Bevölkerung erntet.
Aber auch jenseits dieser aufgeheizten Debatte zeigt
sich in verschiedenen Studien seit Jahren Zustimmung
zu rassistischen Aussagen. So werden häufig pauschalisierende Thesen in Bezug auf Migranten bejaht. Es ist
zwar zutreffend, dass sich ein geringer Teil der Muslime
in Deutschland der notwendigen Integration verweigert
oder sich schwer damit tut.
({6})
Diesem Problem muss man sich natürlich widmen. Allerdings kann man sich nicht darauf beschränken, das
auf die Religionszugehörigkeit zurückzuführen. Es fehlt
eine fundierte Definition, was die Bundesregierung und
das Ministerium überhaupt unter Islamismus verstehen.
Hier wäre die Frage angebracht, welche politischen, sozialen und kulturellen Faktoren es braucht, um aus einem Menschen einen sogenannten Islamisten zu machen. Wenn es keine differenzierte Analyse hierzu gibt,
kann die Bundesförderung gegen Islamismus leicht von
neonazistischen Gruppen als Bestätigung für ihre ethnopluralistische Ideologie gebraucht werden - ein Beispiel
habe ich vorhin genannt - und so kontraproduktiv wirken.
({7})
Sie verstehen es wahrscheinlich noch immer nicht.
Wie so häufig kann ich nur sagen: Noch besteht Zeit, die
Bundesprogramme zu ändern. Ich fordere Sie hiermit
nochmals auf: Verbessern Sie die Ausgestaltung der
Bundesprogramme!
Danke.
({8})
Für die CDU/CSU-Fraktion hat nun die Kollegin
Dorothee Bär das Wort.
({0})
Kommen wir einmal zum Haushalt zurück; denn wie
vielleicht nicht jeder weiß, haben wir heute Haushaltsberatungen.
Liebe Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen
und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir beraten heute den Einzelplan 17; das haben wir heute schon
gehört.
({0})
- Man merkt das Erstaunen in der Opposition; sie ist
aufgewacht. - Der Einzelplan 17 umfasst gut 6,4 Milliarden Euro. Damit liegen wir leider Gottes über
100 Millionen Euro unter dem Niveau des Vorjahres. Es
ist schon mehrfach angesprochen worden - das gehört
zur Ehrlichkeit dieser Koalition -, dass dies zwar
schmerzlich, aber für uns unvermeidbar ist.
({1})
Natürlich ist es immer schöner, noch eins draufzusatteln.
Wem gefällt das nicht? Welchem Politiker gefällt es
nicht, zu Hause lieber ein Band durchzuschneiden, statt
ein „Geschlossen“-Schild hinzuhängen?
({2})
- Weil Sie gerade Bayern erwähnen, Herr Kollege: In
Bayern legen wir sogar einen ausgeglichenen Haushalt
vor.
Da uns die Zukunft so am Herzen liegt, versuchen
wir, einen zukunftsgerichteten Haushalt aufzustellen.
({3})
Für mich wäre es wünschenswert - auch Ihnen sollte das
in Ihrem Alter wünschenswert erscheinen -, dass man
einen Haushalt aufstellt, der keine Schulden auf Kosten
der nachfolgenden Generationen macht. Ich möchte das
nicht.
({4})
Jeder weiß, wie schwer wir es bei der Wirtschaftsund Finanzkrise hatten. Trotzdem ist es uns gelungen,
die Neuverschuldung um fast 8 Milliarden Euro zu senken. Aber wir stellen uns nicht hin und sagen: Wir sparen 8 Milliarden Euro. - Nein, wir sagen: Wir machen
trotzdem noch über 50 Milliarden Euro Schulden. Das
ist ein Zustand, der nicht hinzunehmen ist - auch das gehört zur Ehrlichkeit -; denn die Schulden, die wir heute
machen, müssen unsere Kinder und Kindeskinder mit
Zins und Zinseszins zurückzahlen. Diese Verantwortung
möchte ich nicht übernehmen. Ich möchte später von
meiner jetzt vierjährigen Tochter nicht gefragt werden:
„Du warst damals im Bundestag. Warum habt ihr nur
ausgegeben, ausgegeben, ausgegeben?“,
({5})
wenn sie einmal alt ist und mich fragt, wie das war.
({6})
Dann werde ich mich nicht dafür rechtfertigen, dass die
Opposition unsinnige Vorschläge ohne Ende gemacht
hat. Wir stehen zu der Haushaltskonsolidierungspolitik.
({7})
Liebe Kolleginnen und Kollegen aus dem Ausschuss,
ich betrachte unseren Ausschuss nicht nur als Ausschuss
für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. Man kann es
auch kürzer fassen: Wir sind der Ausschuss für Generationengerechtigkeit.
({8})
Wer das nicht kapiert hat, lernt es hoffentlich noch. Ansonsten tut es mir sehr leid.
Natürlich tun diese Einschnitte weh. Hier schreit doch
niemand: Juhu, wir dürfen jetzt etwas kürzen. - Es ist
auch eine Unverfrorenheit, das der Ministerin vorzuwerfen. Aber es wäre doch verlogen, wenn die jüngste
Ministerin im Kabinett sagen würde, dass bei ihr nicht
gespart werden dürfe. Natürlich muss auch sie ihren Beitrag dazu leisten.
({9})
Wir unterstützen sie dabei.
Wir haben uns vorgenommen, das Elterngeld weiterzuentwickeln. Kollegin Gruß und ich haben hervorragende Ideen, um es noch besser an die Bedürfnisse junger Eltern anzupassen. Wir werden diese Pläne nicht
aufgeben, sondern versuchen, sie aufgrund der Haushaltslage zurückzustellen. Wir ducken uns nicht weg,
sondern wir sprechen es offensiv an. Das merken Sie
auch daran, dass sich heute kein Redner der Regierungskoalition vor diesem Thema weggeduckt hat, sondern
dass es ganz offen angesprochen wurde.
({10})
Für die Zuhörer hier oder außerhalb ist Folgendes
vielleicht ganz interessant: Wenn man sich die Reden anhört, dann merkt man ganz klar, wie unterschiedlich unser Menschenbild ist.
({11})
- Die Wahrheit tut weh. Hören Sie einmal zu! - Wir haben ein christliches Menschenbild. Wir sagen: Der
Mensch hat eine Selbstverantwortung;
({12})
jeder hat erst einmal für sich selbst zu sorgen. Wir müssen uns um diejenigen kümmern, die eine Leistung für
die Gesamtbevölkerung bringen.
({13})
Frau Präsidentin, ich finde es hervorragend, dass wir
jetzt diese großen Bildschirme haben. Vielleicht kann
man sie später nicht nur für unsere Namen nutzen, sondern auch einmal an die Wand werfen, wie dieser Haushalt ausschaut. Wenn man sich nämlich den Haushalt
ansehen würde - der Sozialstaatssekretär ist gerade anwesend - dann könnten auch diejenigen, die ihn unsozial
nennen, sehen, wie sozial er ist. Weit über die Hälfte des
Haushaltes ist für Sozialausgaben vorgesehen. Davon
profitieren auch Kinder und Jugendliche.
({14})
Weil mehrfach nachgefragt, es aber offensichtlich
nicht kapiert wurde, richte ich die nächste Bemerkung an
Frau Dörner und Frau Golze - durch ständiges Wiederholen verstehen es vielleicht die einen oder anderen doch -:
Ich freue mich ganz besonders, dass wir es erreicht haben, dass das Elterngeld für Aufstocker auch künftig
nicht gekürzt wird und es für Minijobber bei der bisherigen Regelung bleibt.
({15})
- Ich sage Ihnen das, und auch Frau Gruß hat es Ihnen
gesagt. Man kann das zwar in Zweifel ziehen; aber ich
finde, Frau Dörner, zur Politik gehört auch ein bisschen
gegenseitiges Vertrauen.
({16})
- Wenn ich mit Misstrauen darangehe, dann werde ich
nie etwas in der Welt verändern.
Wir haben dafür gekämpft, und wir werden es auch
durchsetzen. Das werden wir nach dieser Debatte sehen,
wenn wir zur zweiten und dritten Beratung kommen.
Frau Kollegin, darf ich Sie unterbrechen? Ich habe
zwei Wortmeldungen zu einer Zwischenfrage.
Frau Dörner hat schon gesprochen, aber Herr Gehring
noch nicht. Deswegen darf er eine Zwischenfrage stellen.
Herr Gehring wird vorgezogen.
Nein, er wird nicht vorgezogen. Nur er darf seine
Zwischenfrage stellen, weil Frau Dörner schon genug
Redezeit hatte.
Ich habe schon verstanden. - Herr Gehring.
Zu Ihrem absurden Verständnis von Sparen und Generationengerechtigkeit möchte ich Sie nichts fragen.
Ich finde, das sprach für sich.
Um zum Thema dieser Debatte zurückzukommen: Es
gibt einen Bereich, in dem Sie frei werdende Mittel umverteilen können, nämlich den Umbau des Zivildienstes. Ich hätte gerne an irgendeiner Stelle eine Aussage
der Koalition gehört. Wir sind schließlich als Bundestagsabgeordnete Haushaltsgesetzgeber. Die Ministerin
hat nichts dazu gesagt. Was wird aus den frei werdenden
Zivildienstmitteln? Wie viel davon werden Sie in den
künftigen Haushalten für die längst überfällige Offensive beim Ausbau der Freiwilligendienste nutzen? Das
wäre zum Beispiel ein Thema, das die Menschen interessieren würde, weil die ganze Bundesrepublik darüber
diskutiert, was nach Wehrpflicht und Zivildienst kommt.
Das wäre vielleicht ein Beitrag gegen die Politikverdrossenheit. Was Sie bisher abgeliefert haben, macht es
schwierig. Bei den Ärmsten zu sparen, verstehe ich nicht
als Generationengerechtigkeit.
Herr Kollege Gehring, auch das gehört zu unserer
ehrlichen Politik. Herr Toncar hat es bereits angesprochen: Wir sind mitten in den Beratungen über Wehrpflicht und Zivildienst, und es wäre unehrlich, heute zu
sagen, in welche Richtung die Diskussion laufen wird.
Wir haben doch gerade erst damit begonnen.
({0})
Zur Ehrlichkeit gehört auch, dass wir für den Fall X,
falls die Aussetzung oder Abschaffung der Wehrpflicht
oder was auch immer zustande kommt, gerüstet sind.
Wir hätten auch sagen können: Wir warten erst einmal
ab, bis etwas passiert. Aber das tun wir nicht, sondern
wir beschäftigen uns mit der Frage.
({1})
Wie Sie wissen, müssen wir, weil die Freiwilligendienste bei den Ländern angesiedelt sind, gemeinsam
mit den Ländern zu einer Lösung kommen; wir können
nicht alleine auf Bundesebene entscheiden. Deswegen
müssen Bund und Länder gemeinsam klären, ob wir einen freiwilligen Zivildienst oder mittelfristig einen einzigen Freiwilligendienst bundesweit einführen. Das wird
alles in die Verhandlungen eingebracht werden. Es ist
wieder einmal symptomatisch, dass Sie jetzt schon Geld
ausgeben wollen, obwohl die Mittel noch nicht frei geworden sind.
({2})
Das tun wir nicht. Lassen Sie sich überraschen, was wir
noch alles in petto haben.
({3})
Ich möchte noch auf eine sehr wichtige Zahl eingehen, die man nicht oft genug wiederholen kann. Im Etat
des Familienministeriums sind zusätzliche Mittel in
Höhe von 82 Millionen Euro zur Förderung von Modellprojekten der Sprach- und Integrationsförderung eingestellt. Auch das hat Frau Golze kritisiert und bemängelt, dass die Mittel nicht ausreichen und auf bestimmte
Bereiche beschränkt seien.
({4})
Wenn wir etwas tun, dann passt Ihnen das nicht; wenn
nichts getan wird, passt es Ihnen auch nicht. Konstruktive Politik sieht meines Erachtens anders aus.
({5})
- Das haben Sie leider nicht. Sie haben eben nicht anerkannt, dass wir unterstrichen haben, wie wichtig die
Sprachförderung ist, und zwar in jedem einzelnen Bereich.
Ich muss noch einmal auf den Kollegen Toncar zurückkommen, weil man auch diese Zahl nicht oft genug
wiederholen kann: Wir investieren mit einem Aufwuchs
von 12 Milliarden Euro in Bildung und Forschung. Gerade die Bildungspolitik, in die so viel Geld fließt, ist
eine aktive Politik für Kinder, Familien und die Zukunft.
Ich wünsche mir, dass Sie das alles mehr anerkennen.
Die nachfolgenden Generationen werden uns unsere
ehrliche Politik danken. Sie können später die Beschwerden Ihrer Kinder und Enkelkinder entgegennehmen, weil Sie diejenigen sind, die schon jetzt das Geld
für ihre Zukunft ausgeben wollten. Wir machen das
nicht. Deswegen sind wir zu Recht die Politiker der Generationengerechtigkeit.
Danke schön.
({6})
Für die SPD-Fraktion spricht nun die Kollegin Caren
Marks.
({0})
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Jahr 2010 ist das
Europäische Jahr zur Bekämpfung von Armut und sozialer Ausgrenzung. Der von Ihnen vorgelegte Haushaltsentwurf, Frau Ministerin, ist allerdings das genaue Gegenteil. Seine Maßnahmen sind auf Ausgrenzung
gerichtet. Er wird vor allem - das haben wir heute schon
mehrfach gehört - für Familien zusätzliche Armut bedeuten.
Hört man Ihnen und den anderen Kolleginnen und
Kollegen von Union und FDP zu, dann wird einem sehr
deutlich: Sie leben in einer Parallelwelt. Das schwarzgelbe Kürzungspaket - dreisterweise von einigen auch
Zukunftspaket genannt - verheißt Familien in Deutschland alles andere als eine gute Zukunft. Haben Sie, Frau
Schröder, anfangs noch vollmundig angekündigt, das
Elterngeld auszuweiten, soll es nun ganz anders kommen. In vorauseilendem Gehorsam haben Sie dem Finanzminister Kürzungsvorschläge unterbreitet.
({0})
Brav, wird der Minister wahrscheinlich zu Ihnen gesagt
haben. Die Verbesserungsvorschläge zum Elterngeld?
Schnee von gestern, passé, stattdessen massive Kürzungen! Familien im Hartz-IV-Bezug streichen Sie künftig
das komplette Mindestelterngeld in Höhe von 300 Euro
im Monat. Ob Sie das anrechnen oder streichen, ist egal.
Das ist nichts anderes als eine perfide Differenzierung.
Die Betroffenen werden jedenfalls keinen Euro bekommen. Ihre Begründung, Arbeitsanreize müssten erhalten
bleiben - und das in einer Familienphase, bei der es sich
nach unserer gemeinsamen Auffassung um eine Erziehungsphase handelt, in der es um die Kleinsten geht -,
ist mehr als zynisch. Das ist arrogant und lebensfremd,
Frau Ministerin.
({1})
Rund 130 000 Familien werden von dieser Streichung
des Elterngeldes - um nichts anderes handelt es sich betroffen sein, darunter 47 000 Alleinerziehende; das
sind vor allem Frauen. Sie und Ihre Frau Kollegin Arbeits- und Sozialministerin reden zwar immer großspurig davon, dass Alleinerziehende besonders unterstützt
werden. Man merkt es aber nicht. Außerdem soll das Elterngeld beim Kinderzuschlag vollständig als Einkommen angerechnet werden. Die betroffenen Familien zahlen die Zeche für die Krise, die sie definitiv nicht
verursacht haben.
({2})
Für die SPD ist es eine Frage der sozialen Gerechtigkeit, dass der Staat mit dem Elterngeld die Erziehungsleistung aller Eltern anerkennt. Wir wollen Eltern bei der
Erziehung unterstützen, und wir wollen, dass alle Kinder
gleich gute Startchancen haben.
({3})
Frau Fischbach, Familien mit kleinen Kindern haben besondere Anforderungen zu meistern, und zwar alle Familien. Wenn noch niedriges Einkommen oder sogar
Erwerbslosigkeit hinzukommen, dann geraten diese Familien schnell an die Grenzen ihrer Belastbarkeit. Ungeachtet dessen kürzen Sie von Union und FDP bei denen,
die definitiv ohnehin am wenigsten haben. Viele Kinder
werden deshalb künftig von Geburt an zusätzlich benachteiligt sein. Das ist alles andere als sozial ausgewogen und angemessen.
({4})
Doch damit nicht genug. Das sozialdemokratische
Projekt Elterngeld wird weiter rasiert. So soll die Lohnersatzrate beim Elterngeldbezug von 67 auf 65 Prozent
gesenkt werden. Bei einem Nettoeinkommen in Höhe
von 1 500 Euro führen die Kürzungen immerhin zu Einbußen in Höhe von circa 360 Euro pro Jahr. Falls das für
Sie, Frau Ministerin, Peanuts sind: Das sind die Kosten
zum Beispiel für Kinderwagen und die Erstlingsausstattung für ein Baby. Für Hausfrauen mit gut verdienendem
Partner hingegen - darauf wurde schon hingewiesen bleibt das Mindestelterngeld erhalten. Genauso bleibt
der Höchstsatz von 1 800 Euro für Gutverdienende unangetastet. Ich sage dazu: Das ist ein sehr merkwürdiges
Verständnis von sozialer Ausgewogenheit. Frau
Schröder, Sie müssen sich die Frage stellen lassen: Warum vertreten Sie als Familienministerin eigentlich nicht
die Interessen aller Familien, sondern ausschließlich der
Familien, denen es ohnehin am besten geht?
({5})
Die SPD lehnt diese Kürzungen beim Elterngeld ab.
Sie sind gesellschaftspolitisch falsch. Falsch ist auch,
dass Sie sich immer noch nicht vom unsinnigen Betreuungsgeld verabschiedet haben, das Kinder von Bildung
fern hält. Das ist ein Indiz dafür, dass Sie es mit der Integration, die am besten bei den Kleinsten gelingt, nicht
wirklich ernst meinen.
Frau Ministerin, auch beim Betreuungsausbau von
Krippenplätzen sollten Sie endlich in der Realität der
Familien ankommen. Der Betreuungsausbau muss
schneller vorankommen. Eltern haben ein Recht auf gute
Angebote für ihre Kinder, damit die Vereinbarkeit von
Beruf und Familie besser gelingt. Werden Sie endlich tätig, und zwar gemeinsam mit Ländern und Kommunen.
Bereits beschlossenes Geld nicht infrage zu stellen und
sich dafür feiern zu lassen, das ist definitiv ein bisschen
zu wenig.
Und: Kinder haben ein Recht auf Bildung und Teilhabe. Wir warten auf den Vorschlag zur Umsetzung des
Bundesverfassungsgerichtsurteils zu den Regelsätzen.
Bisher ist die Diskussion zum Chipkartenvorschlag nur
ein Ablenkungsmanöver von der Leyens. Von Ihnen hört
man auch dazu sehr wenig. Hören konnten wir allerdings, dass Sie die gute Arbeit der Mehrgenerationenhäuser ins Leere laufen lassen. Sie haben es versäumt,
gemeinsam mit Ländern, Kommunen und Trägern nach
einer tragfähigen Finanzierung zu suchen. Auch Generationensolidarität ist für Sie nur ein Schlagwort.
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen von der
Union, Sie führen das Wort „christlich“ im Namen Ihrer
Partei. Frau Bär hat es noch einmal betont. In Ihren
Sonntagsreden und Grußworten betonen Sie die Bedeutung von Familie und die Notwendigkeit ihres Schutzes.
({6})
Ihre reale Politik spricht dagegen eine ganz andere Sprache.
({7})
Okay, von der FDP war nichts anderes zu erwarten. Gern
sprechen Union und FDP immer wieder davon, dass
Kinder unsere Zukunft sind. Ja, das sind sie auch. Liebe
Kolleginnen und Kollegen, erst einmal sind Kinder aber
unsere Gegenwart. Sie brauchen jetzt, hier und heute, in
der Gegenwart unsere Unterstützung.
({8})
Darum haben die Kinder - und zwar alle - eine bessere
Regierung und eine Ministerin verdient, die ihr Amt
ernst nimmt, um für Kinder und für Familien zu streiten.
Herzlichen Dank.
({9})
Nächster Redner ist der Kollege Andreas Mattfeldt
für die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Frau
Ministerin! Sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen und
vor allen Dingen sehr verehrte Gäste hier im Reichstag!
Wir hören es in jeder Rede: Die Haushaltsberatungen
stehen unter dem besonderen Diktat der Einhaltung der
von allen beschlossenen Schuldenbremse. Genau deshalb ist es wichtig, dass wir jetzt, in Zeiten guter wirtschaftlicher Entwicklung, entscheidungswillig sind, um
unseren Haushalt zu sanieren.
Meine Damen und Herren, es war in der Krise völlig
richtig, mehr neue Schulden zu machen, als uns eigentlich lieb war. Damit haben wir Deutschland gestärkt aus
der Wirtschafts- und Finanzkrise herausgeführt. Aber
jetzt, da sich auch dank richtiger politischer Entscheidungen die Arbeitsmarkt- und die Wirtschaftsdaten positiv entwickeln und das Ausland vom deutschen Wunder
spricht, müssen wir beginnen, den Haushalt zu konsolidieren. Jedes Ministerium muss hierzu seinen Beitrag
leisten, auch das Familienministerium, über dessen Etat
wir gerade sprechen.
Unser früherer Bundespräsident Theodor Heuss hat
seinerzeit zum Thema Sparen gesagt, Sparen sei die
richtige Mitte zwischen Geiz und Verschwendung. Ich
meine, genau hiernach müssen wir handeln. Wir müssen
schauen, wo Geld verschwendet wird und wo Haushaltsmittel für Maßnahmen ausgegeben werden, die die Menschen nicht erreichen. Wir müssen uns aber genauso fragen, in welchen Bereichen Geiz unangebracht ist und wo
wir mehr Geld in die Bildung unserer Kinder investieren
müssen.
({0})
Der Regierungsentwurf zum Etat des Familienministeriums schafft eine gute Balance zwischen Verschwendung und Geiz. An einigen Stellen wird gespart, an anderen Stellen wird mehr Geld ausgegeben. In diesem
Haushaltsentwurf der Regierung ist vorgesehen, insgesamt 6,4 Milliarden Euro für den Einzelplan auszugeben, das sind 106 Millionen Euro weniger als im laufenden Haushalt für das Jahr 2010. Diese Einsparung ergibt
sich eben nicht - jetzt kommen wir zur Legendenbildung aus Kürzungen im Familienbereich, sondern zum Großteil aus der Verkürzung des Zivildienstes sowie aus Anpassungen, die wir beim Elterngeld richtigerweise vornehmen. Wir geben damit immer noch mehr Geld für
Familien aus, als es die rot-grüne Koalition in ihrer Regierungszeit je getan hat. Das zeugt von großer Klugheit
hier im Hause.
({1})
Lassen Sie mich zu den Änderungen beim Elterngeld
kommen, gerade um der Legendenbildung vorzubeugen.
Arbeitende Eltern, die für die Kindererziehung ihren Job
und damit ihr Einkommen aufgeben, bekommen als Ersatzleistung das Elterngeld. Hartz-IV-Empfänger hingegen erhalten, wenn sie ein Kind bekommen, wie bisher
in voller Höhe ihre durch den Steuerzahler erarbeitete
Hartz-IV-Leistung, sprich: ihr Einkommen. Natürlich
werden auch Neugeborene bei den Sozialleistungen berücksichtigt. Bislang hat dieser Personenkreis - hier lag
ein großer Fehler im System - zusätzlich zu den Hartz-IVLeistungen, dem Einkommen, noch als Bonbon das Elterngeld obendrauf bekommen.
({2})
Deshalb ist es richtig, dass das Elterngeld zukünftig auf
den Regelsatz angerechnet wird. Die bisherige Praxis
- da können Sie ruhig schreien - führte dazu, dass ein
Hartz-IV-Paar mit zwei Kindern, das für ein Kind Elterngeld bezog, über ein Nettoeinkommen von insgesamt
1 885 Euro verfügt. Auf solch eine Summe muss ein
normaler Arbeitnehmer erst einmal kommen. Wenn Sie
von der Opposition meinen, immer von Gerechtigkeit
sprechen zu müssen,
({3})
dann frage ich Sie: Was ist daran gerecht, dass diejenigen, die dafür gesorgt haben, dass durch ihre Steuern Sozialleistungen gezahlt werden können, weniger als die
Bevölkerungsschichten bekommen, die diese Leistung
vielfach schon lange in Anspruch nehmen? Die Haltung,
die Sie vertreten, ist ungerecht gegenüber den Arbeitenden dieser Bevölkerung. Das sage ich ganz deutlich.
({4})
Doch kommen wir nun zu dem Bereich, in den wir
mit gutem Grund erheblich mehr Geld investieren und
der wohl die bedeutendste Neuerung im Einzelplan 17
darstellt. Wir werden 2011 bis 2014 insgesamt 400 Millionen Euro in die Verbesserung frühkindlicher Bildung investieren. Allein für 2011 sind hierfür 82 Millionen Euro vorgesehen. Gerade vor dem Hintergrund der
aktuellen Integrationsdebatte halte ich es für einen äußerst sinnvollen Schritt, Kinder ausländischer Herkunft,
aber auch deutsche Kinder mit Sprachschwierigkeiten zu
fördern. Sprache ist die Basis, um Kinder zu integrieren
und ihnen einen guten Start in den gesamten Bildungsweg zu ermöglichen. Ich habe als Bürgermeister mit
einem Sprachförderprogramm ausschließlich positive Er6222
fahrungen gemacht. Dieses Sprachförderprogramm - das
haben mir Erzieherinnen und Eltern gleichermaßen bestätigt - hat Erfolg gebracht. Deshalb unterstütze ich unsere Familienministerin Kristina Schröder bei der Umsetzung ihrer Idee, Sprachförderung bundesweit in
Kindergärten mit großem Förderbedarf einzuführen.
Hiermit setzt die Familienministerin neue Maßstäbe;
denn dieses Programm erreicht die Kinder direkt, es
setzt frühzeitig an und bietet damit Zukunft und Perspektive.
({5})
Damit wir aber auch zukünftig solche sinnvollen Projekte, die auch wirklich die Menschen erreichen, finanzieren können, werde ich als zuständiger Haushälter jede
einzelne Ausgabe dieses Etats auf den Prüfstand stellen
und vor allem auf seine Wirksamkeit überprüfen. Es
kann einfach nicht sein, dass wir in diesem Land Projekte fördern, von denen die Familien noch nie etwas gehört haben. Es gibt in dem Einzelplan 17 unzählige Programme, Projekte und Institute, die die Familienpolitik
gerade in den Kommunen unterstützen sollen. Ich sage
Ihnen ganz ehrlich: Ich habe von vielen Projekten und
Instituten - zahlreichen ehemaligen Bürgermeisterkolleginnen und -kollegen geht es ähnlich - noch nie gehört,
sie sind mir noch nie begegnet. Deshalb müssen wir uns
wirklich fragen, ob die Finanzierung dieser zahllosen
Ausgabepositionen sinnvoll und zielführend ist oder ob
es sich in der ein oder anderen Position nur um eine
Selbstbedienung - das sage ich jetzt ganz provokant gewisser Berufsgruppen aus dem Bundeshaushalt handelt.
Ich freue mich auf die vor uns stehenden Haushaltsberatungen. Ich lade Sie herzlich ein, sachlich daran mitzuwirken. Ich bin sicher, dass wir am Ende der Beratungen ein gutes Ergebnis vorlegen werden.
Herzlichen Dank.
({6})
Das Wort hat nun für die SPD-Fraktion der Kollege
Sönke Rix.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Auch auf die Gefahr hin, dass ich mir von Frau
Fischbach anhören muss, nicht ganz konkret nur zu diesem Haushalt zu sprechen, sondern generell zur Familienund Jugendpolitik - ich hoffe, das ist mir gestattet -,
möchte ich auf ein Thema eingehen, das vonseiten der
Oppositionskollegen schon öfter angemahnt wurde; von
der anderen Seite des Hauses haben wir dazu bis jetzt
aber noch nichts gehört. Es geht um die große Debatte,
die wir im Moment führen: Was passiert eigentlich mit
dem Zivildienst? Dazu gibt es ein paar Gesprächskreise,
ein paar Ideen, aber die Unsicherheit, die Sie bis jetzt
verbreitet haben, ist damit längst noch nicht ausgeräumt.
Diese Unsicherheit gilt es zu bekämpfen. Wir haben zunächst die Verkürzung auf sechs Monate hinnehmen
müssen, haben dann die Anschlusslösung mit einem freiwilligen Zivildienst erlebt, und jetzt geht es um den
Wegfall des Zivildienstes, auch wenn die ersten Ideen
noch dahin gehen: Wir wollen ihn doch noch irgendwie
aufrechterhalten, zumindest als freiwilliges Element.
Wir sind uns alle einig, dass es zu Nachfolgelösungen
für den Zivildienst kommen muss. Ich glaube, jeder von
uns hat die Einsicht gewonnen, was es bedeutet, wenn
die Zivildienststellen in den sozialen Einrichtungen wegbrechen. Wir haben allerdings unterschiedliche Auffassungen zur Lösung des Problems.
Die einen sagen: Es muss jetzt staatlich organisiert
werden, dass in den sozialen Einrichtungen junge Menschen ihren Dienst tun können. - Wir sagen: Es muss
bürgerschaftlich organisiert werden, dass junge Menschen dort ihren Dienst tun können; denn die Freiwilligkeit ist dabei eines der wichtigsten Elemente.
({0})
Deshalb lautet mein Appell an Sie für die kommenden
Gespräche und Verhandlungen: Setzen Sie in dieser Sache möglichst wenig auf Staatlichkeit und möglichst viel
auf gesellschaftliches Engagement!
Es wird von dem sogenannten freiwilligen Zivildienst
auf der einen Seite und den Jugendfreiwilligendiensten
auf der anderen Seite gesprochen. Suggeriert wird: Wir
brauchen den freiwilligen Zivildienst; denn es sei nicht
verfassungsgemäß, wie wir im Moment mit den Jugendfreiwilligendiensten umgingen. - Solche Dienste hat es
aber die letzten Jahre durchaus gegeben, und ich hoffe
nicht, dass wir uns im rechtsfreien Raum bewegt haben
oder immer noch bewegen. Man hört immer wieder,
auch heute hier: Wir müssen parallel in Jugendfreiwilligendienste investieren. - Wenn wir das weiterhin können, dann sollten wir dieses Modell als Grundlage für
eine Nachfolgeregelung für den Zivildienst nehmen.
({1})
Gestern wurde uns im Ausschuss kurz berichtet: Wir
sind verteidigungspolitisch von Freunden umzingelt,
und deshalb organisiert sich die Bundeswehr neu. - Das
ist auch richtig; das sehen die Sozialdemokraten ebenso.
Auch die Freiwilligendienste sind von Freunden umzingelt. In jeder Rede und Sonntagsrede wird gesagt, dass
wir sie stärken und weiter ausbauen wollen. Deshalb
geht mein Appell dahin, die freiwerdenden Mittel zum
großen Teil in die Freiwilligendienste zu investieren und
nicht künstlich einen staatlichen Dienst aufrechtzuerhalten.
({2})
Nur so fördern wir Engagement. „Engagement“ heißt
auch: Engagement für Demokratie. Da ist die Frage
- das ist von der Kollegin Lazar, aber wiederum nicht
von der Jugendministerin angesprochen worden -: Wie
gehen wir mit Demokratiefeindlichkeit um? Wir haben
in unserem Haushalt mehrere Millionen Euro zur Verfügung, und das ist auch richtig so. Das haben wir unter
Rot-Grün eingeführt. In der Großen Koalition haben wir
als Sozialdemokraten für den Erhalt gekämpft, und auch
Sie tasten das nicht an. Wir haben aber eine Bitte. Die
unterschiedlichen Arten von Extremismus brauchen unterschiedliche Programme. Schmeißen Sie das nicht in
einen Topf, und schmeißen Sie das nicht in einen Haushalt!
({3})
Erlauben Sie mir zum Abschluss noch eine Bemerkung. Wer die gesamte Debatte verfolgt hat, kommt auf
die Idee, dass es in der einen oder anderen Sache vielleicht Uneinigkeit bei Schwarz-Gelb gibt, etwa was das
Betreuungsgeld oder das Elterngeld angeht. Es wurde
immer wieder erwähnt, dass wir unterschiedliche Gesellschafts- und Familienbilder haben. Ich überlege immer,
welches Familienbild Schwarz-Gelb antreibt
({4})
oder welches Familienbild Sie antreibt, Frau Ministerin.
Da gibt es die Idee der Pflegezeit. Es wird darauf geachtet, dass man möglichst zu Hause bleiben kann, um ältere Angehörige zu pflegen. Dann soll es das Betreuungsgeld geben. Damit wird gefördert, dass Mütter oder
Väter zu Hause bleiben können, um zu Hause zu erziehen oder frühkindliche Bildung zu vermitteln. Für mich
steckt zum Teil folgendes Gesellschaftsbild dahinter:
Die Frauen sollen zu Hause bleiben. Denen werden aber
dann entsprechende Jahre der Erwerbstätigkeit fehlen.
Es ist verkehrt, solche Modelle zu entwickeln, anstatt in
die frühkindliche Bildung und in die Ausbildung von Erzieherinnen und Erziehern sowie von Pflegekräften zu
investieren.
({5})
Uns fehlen männliche Erzieher. Das betrifft auch
mich; denn ich habe diesen Beruf einmal gelernt. Ich
könnte diesen Job gerne auch irgendwann wieder machen, aber jetzt im Moment möchte ich mich politisch
damit beschäftigen. Angesichts Ihrer, Frau Ministerin, in
einem Interview getätigten Äußerung, Sie fänden es gut,
wenn man Arbeitslose umschule, damit sie in Kindergärten arbeiten können, frage ich mich: Welches Bild haben
Sie eigentlich von dem, was die Erzieherinnen und Erzieher im Kindergarten leisten? Es ist doch nicht so, dass
man einmal eben jemanden umschulen und damit eine
vier- bis fünfjährige Ausbildung nachholen kann, damit
jemand in der Lage ist, Kinder zu betreuen. Es geht eben
nicht nur um das Aufpassen auf Kinder, sondern es geht
auch darum, dass frühkindliche Bildung stattfindet.
Dazu braucht es eine richtige Ausbildung. Hier müssen
Sie noch beträchtlich nachholen.
({6})
Ganz zum Schluss: Dass das Elterngeld aus Reihen
der Union als „Bonbon“ bezeichnet wird, ist wirklich
entlarvend
({7})
und zeigt uns, dass weder von allen das System verstanden wurde noch von allen so gewollt ist. Das ist das
wahre Problem, das Sie unter Schwarz-Gelb erst einmal
lösen müssen.
({8})
Zu diesem Einzelplan liegen keine weiteren Wortmeldungen mehr vor.
Damit kommen wir zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Justiz, Einzelplan 07.
Ich erteile als erster Rednerin das Wort der Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger.
({0})
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Der Justizetat ist auch in diesem Jahr wieder das
Aushängeschild des Bundeshaushalts. Wir geben weniger
Geld aus - minus 0,5 Prozent -, wir nehmen mehr Geld
ein - plus 1,2 Prozent -, und wir steigern damit unsere
Deckungsquote auf ein neues Rekordhoch von 85 Prozent. Wenn man diese Zahlen zugrunde legt, dann kostet
die Bundesjustiz den Bürger jährlich lediglich 89 Cent.
({0})
- Natürlich nur die Bundesjustiz. Die Kosten der Länderjustiz habe ich in diesen Betrag nicht eingerechnet.
({1})
Diese einmalige Haushaltsbilanz spiegelt sich aber
auch in den bisher gefundenen Ergebnissen und unterbreiteten Vorschlägen wider, die schon im Kabinett beschlossen worden sind. In dem knappen Jahr seit Beginn
dieser Legislaturperiode ist eine Fülle von Vorhaben
auf den Weg gebracht worden. Lassen Sie mich einige
Gesetzesvorhaben, weil es wichtige sind, hier kurz benennen:
Das Vertrauensverhältnis zu den Anwälten wird besser geschützt.
Die Pressefreiheit wird gestärkt, indem wir die Beihilfe zur Verletzung eines Dienstgeheimnisses nicht
mehr unter Strafe stellen und damit das Einfallstor für
strafrechtliche Ermittlungen geschlossen wird. Das ist
zwar keine Verpflichtung aus dem Cicero-Urteil, aber
wir wollten das tun.
Wir haben, noch die schrecklichen Bilder aus dem
Fall Kevin vor Augen, eine Änderung des Vormundschaftsrechts dahin gehend beschlossen, dass ein Vormund in Jugendämtern und anderen Einrichtungen nur
50 Kinder betreuen soll, weil von einem Vormund, der
230 Kinder zu betreuen hat, wie es im Fall Kevin war,
keine ausreichende Fürsorge geleistet werden kann.
Wir haben jetzt auch für die Restrukturierung der
Banken - das war schon in der letzten Legislaturperiode
ein Thema, ohne dass das in einen Gesetzentwurf mün6224
dete - in gemeinsamer Federführung mit dem Finanzministerium Regelungen für ein Insolvenzverfahren unter Einbeziehung der Gläubiger vorgeschlagen, damit
Fälle, wie wir sie jetzt noch immer im Zuge der Altlast
HRE aus der letzten Legislaturperiode haben, künftig
möglichst verhindert werden.
Wir haben natürlich auch die Insolvenzrechtsreform
auf unserer Agenda, liebe Kolleginnen und Kollegen,
mit der wir das Ziel verfolgen, die Planverfahren zu verbessern und die Eigenverwaltung zu stärken. Der Gesetzentwurf befindet sich in der Abstimmung.
Wir beraten hier auch das Haushaltsbegleitgesetz.
Deshalb bin froh, dass erreicht werden konnte, dass es
das sogenannte Fiskusprivileg und die pauschale Bevorzugung der Sozialkassen nicht geben wird.
({2})
Aber es sind Ersatzmöglichkeiten im Haushaltsbegleitgesetz vorgesehen, die gewisse Interessen des Staates
berücksichtigen. Ich denke dabei an § 55, „Sonstige
Masseverbindlichkeiten“, und § 14 der Insolvenzordnung, die im Vorschlag zu einer grundlegenden Insolvenzrechtsreform enthalten sind. Wir haben bestimmt
noch ausreichend Gelegenheit, über bestimmte Punkte in
den Ausschüssen zu beraten. Wir müssen abwarten, zu
welchen Ergebnissen der Rechtsausschuss und das Parlament hierbei kommen. Zu anderen Punkten wie Musterbelehrungen bei Verbraucherdarlehen will ich keine
weiteren Ausführungen machen.
Ich möchte lediglich noch den Gesetzentwurf zum
Schutz vor überlangen Gerichtsverfahren erwähnen.
Hierzu liegt ein Kabinettsbeschluss vor. Es ist ein Vorhaben, das schon viele Regierungen in den letzten zehn
Jahren beschäftigt hat. Wir müssen hier etwas tun, weil
uns der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte
schon seit Jahren dazu auffordert. In einer Entscheidung
in einem jüngeren Verfahren hat er vor kurzem ausdrücklich begrüßt, dass die Bundesregierung gehandelt
hat. Es gibt die Möglichkeit einer Verfahrensrüge, möglicherweise verbunden mit einer zu zahlenden Entschädigung. Das ist mit den Ländern, den obersten Gerichten
und auch dem Bundesverfassungsgericht im Vorfeld abgestimmt. Die unternommenen Anläufe zeigen: Der Regierung ist es gelungen, hier zu einem Erfolg zu kommen. Sie haben jetzt die Möglichkeit zu einer intensiven
Beratung im Rechtsausschuss.
({3})
Beim Vorgehen gegen Kinderpornografie im Internet
verfolgen wir den Grundsatz „löschen statt sperren“. Wir
sehen deutlich, dass es eine schrittweise Zunahme der
Erfolge gibt. Unsere Anstrengungen sollen mit aller
Macht intensiviert werden. Nach unserer Überzeugung
ist es natürlich das Allerwichtigste, dass diese widerlichen Inhalte tatsächlich aus dem Netz verschwinden.
({4})
Auch Überlegungen, wie man an die Täter herankommt,
stehen ganz klar in unserem Fokus. Wir müssen prüfen,
ob es da an irgendeiner Stelle noch Verbesserungsmöglichkeiten gibt.
Einen Gesetzentwurf zur Vorratsdatenspeicherung
werden Sie in dieser Zwischenbilanz nicht finden. Es
gab ein Urteil, in dem ein Gesetz aus der letzten Legislaturperiode für verfassungswidrig erklärt wurde. Zurzeit
wird die EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung evaluiert. Die zuständigen Kommissarinnen sehen selbst die
Notwendigkeit, sich intensiv mit dieser Richtlinie zu befassen. Unser Handeln als Bundesgesetzgeber wird sich
strikt an die Ergebnisse der Prüfung durch die Europäische Kommission anlehnen.
Frau Ministerin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Ströbele?
Ja, bitte.
Frau Ministerin, ich habe eine Frage zur Vorratsdatenspeicherung. Ihr Ministerium soll ein Gutachten in Auftrag gegeben haben - ich glaube, an das Max-Planck-Institut -, das Sie aber zurückgegeben haben, weil Sie mit
dem Inhalt nicht einverstanden waren. Meine Fragen:
Gibt es ein solches Gutachten? Haben Sie ein solches
Gutachten in Auftrag gegeben? Können Sie über den Inhalt und über Ihre Kritik an dem Inhalt etwas sagen?
Herr Ströbele, erstens. Jawohl, es ist ein Gutachten
bei Professor Albrecht vom Max-Planck-Institut in Auftrag gegeben worden. Zweitens. Es geht überhaupt nicht
darum, ob mir der Inhalt passt oder nicht. Drittens. Wenn
wir Gelder für ein Gutachten ausgeben, habe ich darauf
zu achten, dass der Auftrag vollständig erfüllt wird. Nur
darum geht es. Die Ergebnisse werden dann natürlich
hier vorgetragen und insgesamt bewertet werden.
Lassen Sie mich einen wichtigen weiteren Punkt erwähnen, ein Thema, das gerade in der Sommerpause
nicht wenige intensiv beschäftigt hat, und zwar die Sicherungsverwahrung. In der Koalitionsvereinbarung haben
wir uns auf eine Neuordnung der Sicherungsverwahrung
verständigt, und zwar unabhängig davon, wie die - dann
rechtskräftig gewordene - Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte ausgefallen ist;
denn wir sehen angesichts zahlreicher einzelner Gesetzgebungen in den letzten elf Jahren die dringende Notwendigkeit, hier ein in sich möglichst widerspruchsfreies
Konzept für die Zukunft zu erstellen. Sicherungsverwahrung heißt ja, auf der einen Seite das zu tun, was rechtsstaatlich verantwortbar ist, um die Allgemeinheit vor gefährlichen verurteilten Tätern auch nach Haftverbüßung
zu schützen, und auf der anderen Seite natürlich alles zu
tun, um die rechtsstaatlichen Grundsätze zu beachten.
Wenn jemand seine Strafe verbüßt hat, gilt zunächst
der Grundsatz, dass er dann auch entlassen wird, sodass
die Möglichkeit, jemanden dann weiter in Verwahrung
zu nehmen - natürlich immer mit Überprüfung und mit
Begutachtung -, ganz strikter Vorgaben bedarf. Deshalb
wollen wir für die Zukunft - die Eckpunkte sind vom
Kabinett beschlossen worden - ganz klar die primäre
und vorbehaltene Sicherungsverwahrung stärken, und
wir wollen die Sicherungsverwahrung generell auf Gewaltdelikte konzentrieren; denn genau da liegen dann
auch die Probleme und Gefährdungen für die Allgemeinheit, für das Wohl des Einzelnen.
Zum Zweiten - das hat die Debatte natürlich bewegt haben wir uns darauf verständigt, im Rahmen dessen, was
auf Bundesebene nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts 2004 überhaupt kompetenzrechtlich
möglich ist, auf der Grundlage von Artikel 5 e der Europäischen Menschenrechtskonvention in einem rechtsstaatlichen Konzept die Unterbringung von psychisch
Gestörten in schwerwiegenden Fällen zu ermöglichen.
An der Umsetzung arbeiten wir derzeit. Ich denke, es ist
mit den Maßnahmen zur Führungsaufsicht ein Gesamtkonzept, das der rechtsstaatlichen Verantwortung, aber
auch unserem Auftrag Rechnung trägt.
Ich bedanke mich für die Geduld.
({0})
Nächste Rednerin ist die Kollegin Christine Lambrecht
für die SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Verehrte Frau Ministerin, ich
kann genau da weitermachen, wo Sie aufgehört haben.
Ich glaube, das Thema „Zukunft der Sicherungsverwahrung“ muss mit noch mehr Inhalt gefüllt werden, als Sie
es gerade getan haben. Aber ich möchte gleich sagen:
Als in diesem Sommer deutlich wurde, dass hier so langsam etwas getan wird, nachdem das Urteil bereits letztes
Jahr im Dezember gefasst worden ist, hat Ihnen die
SPD-Fraktion frühzeitig eine konstruktive Zusammenarbeit angeboten, damit wir in diesem Bereich zu einem
Ergebnis kommen, das dann auch sachgerecht umgesetzt
werden kann.
Ich kann an dieser Stelle auch sagen: Wir begrüßen
ausdrücklich, dass nach den Eckpunkten, die Sie angesprochen haben, die Sicherungsverwahrung auf Gewalt- und
auf Sexualverbrechen begrenzt sein soll. Darauf sollte es
dann auch beschränkt bleiben. Die Bevölkerung hat kein
Interesse daran, vor Betrügern oder vor Dieben durch Sicherungsverwahrung geschützt zu werden; durch allgemeines Strafrecht natürlich schon, damit nicht ein falscher Eindruck entsteht. Die Sicherungsverwahrung ist in
diesen Bereichen, glaube ich, der absolut falsche Weg.
Deswegen begrüße ich ausdrücklich, dass Sie das auf
diese Bereiche beschränken wollen. Das wird ebenso unsere Unterstützung erfahren wie die Abschaffung der
nachträglichen Sicherungsverwahrung, um stattdessen
die vorbehaltene Sicherungsverwahrung auszubauen.
Doch ich habe mittlerweile Zweifel daran, dass dieses
aus unserer Sicht vernünftige Konzept zumindest in diesem Bereich tatsächlich mit Leben erfüllt wird. Auch der
ursprüngliche Entwurf sah - außer dem Vorschlag, eine
Fußfessel einzuführen - noch keine Regel bezüglich der
Altfälle vor. Das ist eigentlich keine Fessel, sondern eine
Möglichkeit, Straftäter zu orten. Auch da war es so, wie
man es aus den Reihen der Koalition kennt - man ist es
schon gewohnt, dass es in dem Moment, in dem endlich
etwas vorliegt, munter losgeht -: Einerseits gab es von
Frau Voßhoff Zustimmung zu dem Vorschlag; nach ihrer
Meinung macht eine Fußfessel Sinn; andererseits hält es
Herr Bosbach für Unsinn. Die Positionen gingen da
querbeet durcheinander.
Es gab weitere Vorschläge, wie man mit Altfällen umgehen sollte, also mit Menschen, die jetzt zum Teil entlassen werden müssen. Beispielsweise gab es den Vorschlag des bayerischen Innenministers Herrmann von
der CSU, einen Internetpranger einzuführen. Die Kollegen Geis und Grindel hielten das zumindest für diskussionswürdig; andere fanden es völlig absurd. Ich will damit nur aufzeigen, was für ein Chaos bei solch einem
wichtigen Thema ausgebrochen ist, bei dem die Bürgerinnen und Bürger ein sehr hohes Sicherheitsbedürfnis haben. Deswegen bin ich sehr zurückhaltend bei der Frage,
ob das, was Sie jetzt vorgestellt haben, tatsächlich von
Erfolg gekrönt sein wird.
Ich habe meine Bedenken nicht nur, weil ich Ihnen
von der Koalition momentan - aus Ihrer Sicht wahrscheinlich völlig unbegründet, aus unserer schon begründet - kaum zutraue, dass Sie zu einem Ergebnis
kommen, sondern auch wegen einiger sachlicher Punkte,
die ich einmal beleuchten möchte.
Frau Ministerin, Sie haben angesprochen, dass Sie für
psychisch gestörte Täter eine Art der Unterbringung
nach der Strafhaft schaffen wollen. Unser Strafrecht
kennt den Begriff des psychisch Kranken. Wenn jemand
psychisch krank ist, kommt er schon heute nicht in Strafhaft, sondern sofort in die Psychiatrie; das regelt schon
heute das StGB. Jetzt kreieren Sie einen neuen Begriff:
psychisch gestört. Damit wollen Sie ein bisschen das
umgehen, was Ihnen vom Europäischen Gerichtshof für
Menschenrechte vorgegeben wurde. Uns fehlt da die
klare Ansage: Was ist denn bitte mit „psychisch gestört“
gemeint? Jetzt kann man es natürlich so verstehen: Jeder,
der ein grausames Gewaltverbrechen begeht, muss irgendwie gestört, also nicht normal sein. Ich glaube aber, das
wäre ein bisschen zu weit gegriffen. Ich kann nur sagen:
Wir erwarten eine deutlichere Ansage dazu, was konkret
mit dem Begriff gemeint ist, damit wir mitreden können.
Ich möchte einen weiteren Punkt ansprechen, bei dem
wir dringend mehr Informationen brauchen: Wie soll die
Unterbringung ausgestaltet sein? Das ist genau der
Punkt, der uns vor die Füße gefallen ist: In der Regel
ging es für diejenigen, die in Sicherungsverwahrung untergebracht wurden, quasi mit der Haft weiter; für sie
waren keine neuen Umstände gegeben. Da kann ich Ihnen nur raten: Schauen Sie sich einmal an, was beispielsweise Rheinland-Pfalz hier unternimmt. Das Land - mit
dem Ministerpräsidenten Kurt Beck und dem zuständi6226
gen Justizminister Bamberger - ist da schon einen
Schritt weiter: Es plant gerade den Bau einer entsprechenden Unterkunft in Diez. Da wird schon jetzt - quasi
vorauseilend - versucht, entsprechende Möglichkeiten
der Unterbringung zu schaffen. Vielleicht ist das einmal
eine Reise wert; ich kann Ihnen das nur empfehlen.
({0})
- Was dem Kollegen dazu einfällt, lassen wir jetzt einmal weg.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich sage es Ihnen
noch einmal: Hier geht es um ein ganz wichtiges Thema.
Ich kann Ihnen im Namen der SPD-Fraktion bei all den
Fragestellungen, die sich ergeben, den Bedenken, ob das
Ganze verfassungs- und europarechtlich konform ausgestaltet werden kann, eine konstruktive Zusammenarbeit
anbieten. Das ist kein Persilschein; uns ist nicht egal,
was Sie uns vorlegen. Wir werden aber konstruktiv mitarbeiten. Das kann ich Ihnen zusagen. Dafür brauchen
wir jetzt endlich einen Gesetzesentwurf, nicht nur Eckpunkte und Diskussionsentwürfe. Es eilt: Wir brauchen
eine Regelung, bevor alle Alttäter entlassen sind.
({1})
Ich möchte einen weiteren Punkt ansprechen: die
Frage des Sorgerechts. Auch hier gibt es ein Urteil aus
Europa und vom Bundesverfassungsgericht. Wir müssen
die elterliche Sorge bei nichtehelichen Eltern neu regeln.
Es kann nicht weiterhin so sein, dass Vätern das gemeinsame Sorgerecht versagt wird und die Mutter allein darüber entscheidet. Auch da möchte ich Sie dringend bitten: Legen Sie etwas vor! Das, was da momentan wabert
- ob es eine Regellösung oder eine Antragslösung gibt -,
ist nicht sonderlich konkret und nicht geeignet, um sich
damit zu beschäftigen.
({2})
Ich kann für uns sagen: Wir favorisieren eine Antragslösung. Wir glauben nämlich, es wäre sachgerecht,
dass ein Vater, der sich um sein Kind kümmert, Unterhalt zahlt und tatsächlich ein Umgangsrecht wahrnimmt
- also das umsetzt, was man unter elterlicher Sorge versteht -, ein Recht darauf hat, die gemeinsame elterliche
Sorge übertragen zu bekommen. Insofern gibt es eine
klare Ansage von uns: Wir favorisieren eine Antragslösung. Wir werden auch hier sehr konstruktiv mit Ihnen
zusammenarbeiten.
({3})
Aber auch hier fehlt es an einem konkreten Vorschlag.
Lassen Sie mich einen weiteren Punkt ansprechen, bei
dem etwas fehlt. Sie haben in der Koalitionsvereinbarung angekündigt, dass Sie etwas gegen Mietnomaden
tun wollen. Der erste Vorschlag, der gemacht wurde,
war: Wir verändern die Kündigungsfristen. Als ob das
gegen Mietnomaden auch nur im Geringsten etwas nützen würde! Der Vorschlag ist offensichtlich vom Tisch.
Sie haben in der Deutschen Richterzeitung erklärt, dass
Sie das nicht infrage stellen wollten. Einige aus der Koalition sahen das anders. Gegen die Mietnomaden an
sich haben Sie bis heute nichts vorgelegt. Sie haben es
großmütig angekündigt, aber bis heute liegt nichts vor.
Wenn Sie ernsthaft an das Problem herangehen wollen,
kann ich Sie nur auffordern: Machen Sie Vorschläge!
Wir werden bereit sein, konstruktiv mitzuarbeiten. Nur:
Tun Sie endlich was!
({4})
Ich habe den Eindruck, Sie sind gar nicht gewillt, etwas zu tun. Das muss ich ehrlich sagen.
({5})
Deswegen möchte ich zum Schluss ein Thema ansprechen, bei dem man auf den ersten Blick den Eindruck
haben könnte, dass es gar nichts mit der Haushaltsdebatte zum Bereich Justiz zu tun hat, aber nur auf den ersten Blick. Es geht um die Vereinbarung zum Atomausstieg, den sogenannten Geheimvertrag, der so geheim
nicht mehr ist.
({6})
- Ja, darauf komme ich gleich zu sprechen. Auch Sie
werden es verstehen, wenn ich ein paar Sätze dazu gesagt habe, Herr Grosse-Brömer.
In einem Geheimvertrag zwischen Vertretern von
Energieversorgungsunternehmen und einem Vertreter
der Bundesregierung - der zuständige Minister ist es
nicht, sondern es ist ein Staatssekretär - morgens um
4.30 Uhr ({7})
das ist in deutscher Gründlichkeit auf diesem Vertrag sogar vermerkt - wurde vereinbart, dass Laufzeiten für
Atomkraftwerke verlängert werden und dass auf Steuerzahlungen verzichtet wird, wenn die Betreiber die gesetzlich auferlegte Pflicht, Sicherheitsstandards einzuhalten, erfüllen und die Kosten die Steuerlast übersteigen. Ich frage Sie in Ihrer Funktion als Rechtspolitiker, als Juristen, als Parlamentarier: Lassen Sie sich so
etwas allen Ernstes gefallen? Ich kenne Sie eigentlich
ganz anders. Bei Ihnen können selbst die letzten Hinterbänkler vor Kraft manchmal nicht mehr laufen.
({8})
Zwischenrufe werden einfach so hereingeblökt, aber in
einer solchen Frage sitzen Sie stumm da, genau wie jetzt,
({9})
und lassen sich einfach von der Regierung Ihr höchstes
Recht nehmen. Sie lassen sich kastrieren und sitzen da
wie die Lämmer.
({10})
Ich kann Ihnen nur sagen: Wachen Sie endlich auf und
nehmen Sie Ihre Verantwortung wahr!
({11})
Gerade wir als Rechtspolitiker - der Vorsitzende des
Rechtsausschusses ist anwesend - haben die Pflicht, alle
Gesetze auf Rechtmäßigkeit und Verfassungsgemäßheit
zu überprüfen.
({12})
Diese Möglichkeit wird uns dadurch genommen, dass
der Verzicht auf Steuern am Parlament vorbei vereinbart
wurde. Wo leben wir denn?
({13})
Die Überprüfung ist unsere herausragende Pflicht als
Parlament. Es kann doch nicht wahr sein, dass man sich
so etwas entziehen lässt. Wachen Sie endlich auf, werden Sie wieder zu den selbstbewussten Parlamentariern,
die Sie eigentlich sind.
({14})
Lassen Sie sich nicht rasieren. Sie werden sonst viel Zeit
vor Gerichten verbringen müssen, um solche Vereinbarungen zu vertreten. Das ist sicherlich nicht im Sinne einer sinnvollen Haushaltsführung.
Vielen Dank.
({15})
Die Kollegin Andrea Voßhoff hat jetzt das Wort für
die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren Kollegen! Frau Lambrecht, Sie haben eingangs zum Thema
Sicherungsverwahrung unter anderem gesagt, dass die
Koalition unterschiedliche Vorschläge gemacht habe. Ich
habe im Zuge der Diskussion irgendwo gelesen, dass
Herr Montag gesagt habe, man habe 2004 der nachträglichen Sicherungsverwahrung nur zugestimmt, weil sonst
die Koalition geplatzt wäre. Also, so ganz unstreitig
dürfte das unter Rot-Grün auch nicht gewesen sein.
({0})
Zu dem Thema, das Sie zum Schluss angesprochen
haben. Die Koalition ist mehr als wach. Nach meinem
Kenntnisstand gab es auch bei Ihnen damals Nebenvereinbarungen. Wenn Sie die jetzt kritisierten Nebenvereinbarungen rechtsförmlich zu beanstanden haben, dann
können Sie das jederzeit gerne tun.
({1})
Meine Damen und Herren, mit der ersten Lesung zum
Einzeletat Justiz steht auch das erste Jahr der christlichliberalen Rechtspolitik zur Debatte. Im Koalitionsvertrag haben wir die Überschrift für unsere Themenfelder
genannt: Freiheit und Sicherheit durch Bürgerrechte und
starken Staat. Ich finde, das ist für die Themen der
Rechtspolitik eine sehr gute Überschrift. Dass nach einem Jahr - um mit der Sprache der Haushälter zu sprechen - Soll und Haben in diesem Bereich noch nicht
ausgeglichen ist, erwarten Sie auch nicht; das ist gar
keine Frage. Wir haben aber schon einiges auf den Weg
gebracht, einiges auch schon verabschiedet - die Ministerin hat einiges davon genannt -: EU-Geldgesetz, Divergenzvorlage. Das wissen Sie.
Auch wenn das nicht unbedingt ein typisches rechtspolitisches Thema ist, möchte ich hier doch erwähnen,
dass sich der Gesetzentwurf zur SED-Opfer-Pension in
der parlamentarischen Beratung befindet. Die wird bald
abgeschlossen sein. Ich sagte bereits, dass das kein typisches rechtspolitisches Thema ist. Es ist uns zur Federführung zugewiesen worden. Ich finde aber schon, dass
man das im Jahr 20 nach der Wiedervereinigung hier erwähnen darf. Es geht dabei um die Verbesserung der
SED-Opfer-Bezüge. Daran arbeiten wir. Wir treffen uns
in einer großen Berichterstatterrunde des Rechtsausschusses. Ich hoffe dabei auf Ihre aktive und intensive
Mithilfe. Ich denke, im Jahr 20 nach der Wende darf man
auch beim Thema Rechtspolitik erwähnen, dass dies ein
gutes und sinnvolles Unterfangen ist.
({2})
Zu den umfangreicheren rechtspolitischen Gesetzesvorhaben gehört - die Ministerin hat es erwähnt - die
Reform des Insolvenzrechts. Schon vor der Sommerpause wurde ein Diskussionsentwurf des BMJ dazu versandt. Unabhängig von den Detailproblemen, auf die die
Ministerin hingewiesen hat, wurde er in der Fachwelt
durchaus sehr positiv bewertet. Wir wollen damit die
Chancen für die Sanierung von Unternehmen in der
Krise verbessern. Die Bundeskanzlerin hat formuliert:
Wir wollen, dass Deutschland stärker aus der schwersten
Finanz- und Wirtschaftskrise seit 80 Jahren herauskommt, als es vorher war. Die christlich-liberalen
Rechtspolitiker werden mit der Reform des Insolvenzrechts dazu einen guten Beitrag leisten.
In diesem Zusammenhang muss man selbstverständlich auch das vom Kabinett beschlossene Bankenrestrukturierungsgesetz nennen. Wir wollen sicherstellen, dass Bankinstitute weit unterhalb der Schwelle der
Enteignung in einem geordneten Verfahren frühzeitig saniert werden können. Hier werden Finanz- und Rechtspolitiker der Koalition sehr intensiv zusammenarbeiten.
Auch das ist eine rechts- und finanzpolitische Antwort
der christlich-liberalen Koalition auf die Banken- und
Finanzkrise.
Frau Kollegin Lambrecht, Sie erwähnten die Neuregelung des Sorgerechts für nichteheliche Kinder. Es ist
richtig, dass der EGMR, kürzlich aber auch das Bundesverfassungsgericht uns dazu aufgefordert haben, die
Rechte der Väter auf den Erwerb der gemeinschaftlichen
Sorge zu stärken. Das werden wir auch tun. Es ist richtig, dass unterschiedliche Modelle in der Diskussion
sind. Auch Sie wissen, dass die Diskussion darüber nicht
einfach ist. Sie können aber sicher sein, dass wir in absehbarer Zeit einen guten Vorschlag vorlegen werden,
über den wir dann gemeinsam diskutieren können. Vielleicht können wir dann auch Sie davon überzeugen.
Ein sehr wichtiges Unterfangen, der Gesetzentwurf
bezüglich der Entschädigung bei überlangen Gerichtsverfahren, ist von der Ministerin schon genannt worden.
Wir werden in Kürze aber auch eine Verschärfung der
Strafbarkeitsvorschriften in Bezug auf Gewalt gegen
Polizeibeamte auf den Weg bringen. Polizeibeamte,
aber auch Rettungskräfte sehen sich bei ihrer Arbeit immer dreisteren Angriffen Dritter ausgesetzt, auf die eine
angemessene Reaktion des Staates erforderlich ist. Die
Union steht hier an der Seite der Polizeibeamten, die tagtäglich ihre Gesundheit für uns alle riskieren, und wird
dafür sorgen, dass der Staat einen angemessenen Schutz
bereitstellt.
({3})
Zwei weitere Punkte hat die Ministerin genannt: Stärkung des Vertrauensverhältnisses zu Rechtsanwälten und
den Gesetzentwurf zur Stärkung der Pressefreiheit im
Straf- und Strafprozessrecht. Auch das muss man nennen.
Dann kommen wir zu dem Thema, das die Debatte
heute logischerweise beherrschen muss - das ist gar
keine Frage -, weil es eines der schwierigsten rechtspolitischen Themen überhaupt ist, zur Frage der Neuordnung der Sicherungsverwahrung. Es ist überhaupt
keine Frage, dass das bei uns oben auf der Tagesordnung
steht. Wir wissen, dass wir durch die Entscheidung des
EGMR zum Handeln gezwungen sind. Ich habe es eingangs gesagt: Rot-Grün hat die nachträgliche Sicherungsverwahrung eingeführt, die heute zur Diskussion
und zur Disposition steht. Heute ist schon deutlich geworden, dass mit dem Lösungsansatz, mit den Eckpunkten, die seitens des BMJ und des BMI erarbeitet wurden
- Konzentration der primären, Ausbau der vorbehaltenen, aber auch der im Detail sicherlich noch zu diskutierende Vorschläge zur Regelung der sogenannten Alt- oder
Parallelfälle -, eine gute Regelung auf den Weg gebracht
wurde. Ich hoffe - das ist wichtig und notwendig -, dass
der Gesetzentwurf möglichst bald vorliegt. Dann können
wir im Detail darüber diskutieren, was erforderlich ist
und was nicht.
Weil Sie es vorhin erwähnt haben, darf ich in diesem
Zusammenhang sagen, dass die Ausgestaltung natürlich
schwierig ist: Aber um was geht es dabei? Sie, meine
Damen und Herren von der SPD und den Grünen, haben
die nachträgliche Sicherungsverwahrung damals beschlossen, weil vier oder fünf Straftäter, bei denen nachweislich klar war, dass sie nicht auf freien Fuß gesetzt
werden durften, drohten freizukommen. Das war das
Motiv, warum Sie das damals gemacht haben. Im Zuge
der EGMR-Entscheidung - das wissen Sie - steht theoretisch in über 70 Fällen die Freilassung an. Deshalb war
es gerade für uns als Union in der Diskussion in der
Sommerpause wichtig, zu fragen: Was können wir an
dieser Stelle tun, um dem Schutz der Bevölkerung gerecht zu werden? Der Rechtsstaat verliert an Akzeptanz;
denn die Bürger auf der Straße fragen uns. Sie verstehen
nicht, was das soll, dass jemand, der nach wie vor als gefährlich gilt, rund um die Uhr von 20 Polizisten überwacht werden muss.
({4})
- Ja, natürlich, wir sind dabei; das haben Sie vorhin mitbekommen. - Der Bürger verliert das Vertrauen in den
Rechtsstaat, wenn wir nicht zumindest versuchen, eine
Antwort zu finden. Die Union kämpft da um jeden Millimeter.
({5})
Deshalb haben wir - lassen Sie mich doch ausreden nicht nur diese Diskussion innerhalb der Koalition geführt, sondern wir haben auch - da danke ich ganz ausdrücklich nicht nur dem Innenminister de Maizière, der
vorhin da war, sondern auch der Justizministerin - einen
Kompromiss gefunden, der diesem Anspruch gerecht
werden kann. Mit dem Entwurf eines Gesetzes zur Therapierung und Unterbringung psychisch gestörter Gewalttäter möchten wir das Problem, das ich vorhin genannt habe, in den Griff bekommen. Das ist eine gute
Beratungsgrundlage. Ich sagte es: Das Gesetzgebungsverfahren muss jetzt laufen; der Gesetzentwurf muss eingebracht werden. Wir müssen sehen, dass wir ihn zügig
- ich hoffe, noch in diesem Jahr - verabschieden. Ich
denke, das Thema wird uns hier in diesem Hause noch
häufiger beschäftigen.
({6})
Ich möchte noch zwei Punkte ansprechen; die Ministerin hat sie genannt. Dies muss man hier ansprechen
dürfen. Für uns als Union - ich denke, wir werden in der
Koalition einen Weg finden, auch wenn er vielleicht
nicht ganz einfach ist - ist es wichtig, dass das Thema
Vorratsdatenspeicherung sobald als möglich wieder
auf die Tagesordnung kommt. Wir wissen, dass es auf
der europäischen Ebene einen Evaluierungsbericht geben soll. Gleichwohl ist das für uns von Bedeutung. Die
Frage muss angegangen werden. Nach dem Urteil des
Bundesverfassungsgerichts ist dieses wichtige Ermittlungsinstrument in Deutschland nicht mehr verfügbar.
Das Verfassungsgericht hat klar gesagt, dass eine Speicherung von Verbindungsdaten nicht per se verfassungswidrig ist. Das wissen Sie; wir haben die Diskussion darüber schon häufig geführt. Außerdem müssen wir die
EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung umsetzen,
und zwar schon seit September 2007 bzw. für die Internetdaten seit März 2009.
In diesem Zusammenhang - auch das ist vorhin angesprochen worden - möchte ich betonen, dass die Fragen
im Zusammenhang mit dem Zugangserschwerungsgesetz geklärt werden müssen, Stichwort „Darstellung kinderpornografischer Abbildungen im Internet - Löschen
statt Sperren“. Ja, wir haben in der Koalitionsvereinbarung eine Regelung getroffen. Auf dieser Grundlage
werden wir hoffentlich gemeinsam eine Lösung finden.
Frau Ministerin, Sie haben vorhin auf die Daten hingewiesen. Ich kenne unterschiedliche Daten und Informationen, zum Beispiel einen Artikel aus der Frankfurter
Allgemeinen Zeitung vom 3. September 2010, in dem steht,
dass die Internetwirtschaft sich korrigieren muss, weil es
mit dem Löschen nicht so funktioniert wie gedacht. Das
Kriminalwissenschaftliche Institut der Leibniz-Universität Hannover hat veröffentlicht, dass 170 000 bis 180 000
sicher zugeordnete kinderpornografische Bilder in der
Datenbank des BKA vorhanden sind. Die Dunkelziffer
dessen, was im Internet ersichtlich ist, ist enorm groß.
Ich denke, dass wir an dieser Stelle zu einer Lösung
kommen müssen. Wir dürfen uns, wie ich meine, dem
Thema Sperren nicht in Gänze verschließen.
({7})
Wir werden aber in dieser Frage weiter miteinander verhandeln. Wir haben einen Koalitionsvertrag. Uns Rechtspolitikern ist das ein Anliegen, weil es unerträglich ist,
diesen Schund im Internet sehen zu müssen. Wir sollten
im Interesse unserer Kinder alles daransetzen, etwas dagegen zu tun. Je eher wir löschen können, umso besser.
Aber wenn es technische Probleme gibt, kann man schon
einmal sozusagen den Vorhang zuziehen, bis gelöscht
werden kann. Deshalb ist es der Union ein Anliegen - wir
sind dabei, auch wenn es nicht ganz einfach ist -, dass wir
dort gemeinsam einen Weg finden.
In diesem Zusammenhang stehen viele Themen an.
Ich hätte noch einige nennen können, zum Beispiel das
Mietrecht; die Kollegin Lambrecht hat es angesprochen.
Seien Sie gewiss, dass Sie demnächst von uns einen guten Vorschlag auch zum Thema Mietnomaden bekommen. Wir werden im Rechtsausschuss viel zu debattieren
und zu diskutieren haben. Ich fordere Sie als Opposition
auf, sich daran aktiv zu beteiligen - ich weiß, Sie werden
es tun -, und wenn es auch noch konstruktiv erfolgt,
würde uns das als Rechtspolitiker der christlich-liberalen
Koalition sehr freuen.
Vielen Dank.
({8})
Das Wort zu einer Kurzintervention gebe ich dem
Kollegen Kauder, der vorhin nicht zum Zuge kam, weil
Frau Lambrecht so schnell weg war und gar nicht mehr
hören konnte, dass ich sie nach der Frage fragen wollte.
Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Frau Kollegin
Lambrecht, Sie haben im Zusammenhang mit der beabsichtigten Verlängerung der Laufzeiten von Atomkraftwerken das Hohe Haus attackiert. Sie haben erklärt, dass
Sie nicht verstünden, dass sich die Mitglieder des deutschen Parlaments nicht dagegen wehren würden, dass
ein Teil in Geheimverträgen geregelt würde.
({0})
Dabei haben Sie einen Teil der Mitglieder dieses Hohen
Hauses als Hinterbänkler bezeichnet. Ich halte diesen
Begriff für unparlamentarisch und bitte Sie, ihn zurückzunehmen.
Frau Lambrecht, bitte.
Ich glaube, wir alle sind uns einig, dass nicht jeder in
der ersten Reihe Platz nehmen kann. Ansonsten müssten
wir diese ziemlich verlängern.
Zunächst einmal halte ich den Begriff „Hinterbänkler“ nicht für eine Beleidigung. Ich glaube, dabei bin ich
mit vielen Kolleginnen und Kollegen aus den hinteren
Reihen einer Meinung, weil natürlich auch diejenigen,
die nicht in der ersten Reihe sitzen oder stehen, wertvolle Arbeit leisten.
({0})
Herr Kauder, im Allgemeinen bin ich es von Ihnen
gewohnt, dass Sie zuhören. Das haben Sie in diesem Fall
offensichtlich aber nicht getan. Das liegt vielleicht daran, dass der Vorwurf so saß. Ich habe ausdrücklich gesagt: Ich kenne Kolleginnen und Kollegen - auch als
Hinterbänkler -, die ansonsten vor Kraft nicht laufen
können. - Ich bitte, ganz genau zuzuhören und erst dann
Kritik zu üben. So viel zu den Hinterbänklern.
Offensichtlich hat die Aussage richtig gesessen, dass
Sie als Regierungskoalition, dass Sie als Parlamentarier
diese Umgehung nicht stoppen und sich gegen diese
Umgehung auch nicht wehren, sondern wie die Lämmer
zusehen, wie am Parlament vorbei Vereinbarungen zulasten der Bevölkerung getroffen werden.
Vielen Dank.
({1})
Die Kollegin Halina Wawzyniak hat jetzt das Wort für
die Fraktion Die Linke.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Frau Ministerin! Man
soll in der Opposition nicht immer nur kritisieren. Deshalb möchte ich zunächst zwei Gesetzentwürfe aus Ihrem Ministerium lobend erwähnen. Dies ist zum einen
der Gesetzentwurf zum Schutz vor überlangen Verfahren
und zum anderen der Gesetzentwurf zur Stärkung der
Pressefreiheit. Ich hätte mir gewünscht, dass Sie unseren
Gesetzentwurf aus der vergangenen Wahlperiode komplett übernommen hätten.
({0})
Dann müssten wir nicht nur von „ein bisschen Stärkung
der Pressefreiheit“ reden, aber na gut.
Wir alle wissen, wie intellektuell arm ein Land ist, in
dem es keine umfassende Pressefreiheit gibt. Deshalb ist
es zu begrüßen, dass Journalistinnen und Journalisten
künftig zumindest nicht wegen Beihilfe zum Geheimnisverrat angeklagt werden können.
Doch damit ist es - bedauerlicherweise - genug des
Lobes. Angesichts Ihrer persönlichen Geschichte bzw.
Ihrer Biografie habe ich kein Verständnis für den Kompromiss bei der Sicherungsverwahrung und dem Einsatz
der elektronischen Fußfessel. Hierbei sind Sie leider im
Sommer gegenüber den Sicherheitsfanatikern der Union
in Ihrer liberalen Haltung eingeknickt.
Mir ist klar, dass man in einer Koalition Kompromisse schließen muss, insbesondere als Juniorpartner
und mit nicht sonderlich erbaulichen Umfragewerten.
Dass aber die CDU/CSU ihr vermeintlich verloren gegangenes konservatives Profil ausgerechnet im sensiblen
Bereich des Jugendstrafrechts und des Strafrechts schärfen darf, finde ich nicht hinnehmbar.
({1})
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, die Linke
lehnt die Sicherungsverwahrung ab. Die Sicherungsverwahrung ist verfassungswidrig, europarechtlich bedenklich und hält rechtsstaatlichen Prinzipien nicht stand.
({2})
Vielleicht sagen Ihnen folgende Stichworte etwas:
Verbot der Doppelbestrafung, Schuldprinzip. Wenn ja,
dann wüssten Sie selbst, warum die Sicherungsverwahrung rechtsstaatlich bedenklich ist. Bei der Sicherungsverwahrung handelt es sich um eine Inhaftierung für
noch nicht begangene Straftaten, um eine präventive Sicherungshaft, und das ist mit dem deutschen Strafrecht
nicht vereinbar.
({3})
Auch der zwangsweise Einsatz der sogenannten elektronischen Fußfessel begegnet erheblichen Bedenken.
Dies stellt eine Totalüberwachung der Betroffenen dar,
welche in einer freien Gesellschaft nicht toleriert werden
darf. Sie wirkt stigmatisierend und behindert die Resozialisierung der ehemaligen Gefangenen. Die Wiedereingliederung wird erheblich erschwert, wenn der Betroffene die ganze Zeit das Gefühl haben muss, beobachtet
zu werden.
Bisher war es in der bundesrepublikanischen Rechtswissenschaft und Rechtspolitik Konsens, dass tragende
Säulen des Strafrechts und des Jugendstrafrechts die Resozialisierung und der Erziehungsgedanke sind. Dieser
Konsens wird mit dem Gesetz zur Neuordnung des
Rechts der Sicherungsverwahrung und zur Stärkung der
Führungsaufsicht aufgelöst.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der FDP, sehr
geehrte Frau Ministerin, am vergangenen Samstag fand
die Demonstration „Freiheit statt Angst“ statt. Der Infostand Ihrer Partei, mit schicken gelben T-Shirts, war direkt neben dem der Linken aufgebaut. Nunmehr fordert
Ihr Koalitionspartner in Form von Herrn Bosbach von
Ihnen eine Neuregelung der Vorratsdatenspeicherung
und der Internetsperren. Ich habe eine Bitte an Sie:
Lassen Sie die Union einfach rechts liegen - da, wo sie
hingehört -, und verlassen Sie sich an dieser Stelle auf
Rot-Rot-Grün! Denn soweit ich weiß, teilen wir hier im
Grundsatz Ihre Positionen, und wir sind bereit, diese
Positionen mit Ihnen gemeinsam gegen die Union zu
verteidigen.
({4})
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, Politik hat
die Pflicht, aufzuklären. Ich habe mir drei Punkte aus
dem Haushalt dieses Bundesministeriums herausgesucht, an denen man exemplarisch zeigen kann, dass die
Koalition leider kein Interesse an Aufklärung und Sachpolitik hat.
Da wären die Zuschüsse an die Kriminologische Zentralstelle in Wiesbaden, die Deutsche Bewährungshilfe
und das Präventionsprojekt Dunkelfeld der HumboldtUniversität. Diese Zuschüsse seitens des Justizministeriums sind seit Jahren äußerst gering. Obwohl die Einnahmen im Haushalt im Jahr 2011 insgesamt um circa
5 Millionen Euro steigen, sinken die Ausgaben um
3,5 Millionen Euro - Geld, welches die drei Institute gut
gebrauchen könnten. Aber vielleicht besteht ja gar kein
Interesse an einer seriösen rechtswissenschaftlichen Forschung. Denn diese würde den Law-and-Order-Wünschen der konservativen Politik die empirischen Grundlagen entziehen.
Die Deutsche Bewährungshilfe beispielsweise hat die
Neuordnung des Rechts der Sicherungsverwahrung kritisiert. Die Kriminologische Zentralstelle in Wiesbaden
veröffentlicht regelmäßig Forschungsergebnisse, Studien
und Aufsätze. Diese stellen der vor allem im Strafrecht
und Jugendstrafrecht stammtischorientierten Rechtspolitik kein gutes Zeugnis aus.
Schließlich möchte ich auf das sehr bemerkenswerte
Präventionsprojekt Dunkelfeld an der Berliner Charité
aufmerksam machen. In diesem Präventionsprojekt werden kostenlos Therapieplätze angeboten für Nutzer von
Kinderpornografie mit auf Kinder oder Jugendliche gerichteten sexuellen Fantasien und Wünschen, die ihren
Konsum einstellen wollen und deswegen therapeutische
Hilfe suchen. Aber leider gibt es bundesweit neben Berlin nur noch in Kiel ein vergleichbares Angebot. Genau
solche Projekte brauchen aber in viel größerer Zahl Unterstützung.
Eine rationale Rechtspolitik ist auf seriöse empirische
Daten angewiesen. Es ist Aufgabe des Staates, diese, bevor er zu restriktiven und einschneidenden Maßnahmen
greift, in Zusammenarbeit mit Expertinnen und Experten
zu erheben, auszuwerten und entsprechende Schlussfolgerungen für die Politik daraus zu ziehen.
({5})
Dies erfordert aber eine Diskussion, in der man sich
auch einmal den einfachen Wahrheiten der konservativen Stammtischpolitik entgegenstellen muss. Bei der
Union ist da Hopfen und Malz verloren. Ich hoffe, Sie,
Frau Justizministerin, haben mehr Standvermögen.
({6})
Für Bündnis 90/Die Grünen hat die Kollegin Ingrid
Hönlinger das Wort.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Sehr geehrte Frau Ministerin! Ein zentrales
Anliegen unserer Diskussionen im Rechtsausschuss und
im Plenum ist die Frage: Wie ermöglichen wir den Bürgerinnen und Bürgern den gleichen Zugang zum Recht?
Hierzu möchte ich auf fünf zentrale Punkte eingehen.
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat
die Bundesrepublik in 54 Fällen wegen überlanger Verfahren gerügt. Sicher sind das Einzelfälle. Dennoch gibt
es bei uns im Lande zu viele Gerichtsverfahren, die zu
lange dauern.
Bürgerinnen und Bürger haben nur dann Vertrauen in
die Gerichtsbarkeit, wenn sie innerhalb absehbarer Zeit
auch ein gut begründetes Urteil erhalten. Um dies zu gewährleisten, brauchen wir strukturelle Verbesserungen in
den Verfahren, die Länder müssen sich die Frage nach
der Personalausstattung stellen lassen, und wir brauchen
ein effektives Verfahren. Da reicht uns der Entwurf, der
vorgelegt wurde, nicht aus. Eine Untätigkeitsbeschwerde
könnte hier zusätzlich Abhilfe schaffen.
Insgesamt 18 Jahre dauerte ein Rechtsstreit um eine
Hinterbliebenenrente. Das ist eine unzumutbare Herausforderung für den Rechtsuchenden, aber auch für Anwälte und Gerichte. Ein solcher Fall darf sich nicht wiederholen. Dafür müssen wir hier sorgen.
({0})
Eine weitere Ohrfeige aus Straßburg hat diese Bundesregierung beim Thema Sorgerecht erhalten; das
wurde schon gesagt.
({1})
Es wurde festgestellt, dass nichteheliche Väter durch das
Sorgerecht, wie es jetzt geregelt ist, diskriminiert werden. Wir alle kennen aber Paare, bei denen sich sowohl
die Mutter als auch der Vater bestens um die Kinder
kümmern. Wir meinen: Bei einer Neuregelung des Sorgerechts muss das Kindeswohl im Vordergrund stehen,
und wir müssen die Rechte und Pflichten für verheiratete
und nicht verheiratete Väter möglichst weitgehend angleichen. Bis heute hat es die Regierung leider nicht geschafft, eine brauchbare Vorlage zu liefern. Wir Grünen
werden uns jedenfalls energisch für eine Neuregelung
des Sorgerechts einsetzen - im Sinne eines Antragsverfahrens.
({2})
Das Stichwort Mediation ist bisher noch nicht gefallen. Wir müssen die EU-Richtlinie zur Mediation hier im
Bundestag bis Mai 2011 umsetzen. Auch hierfür liegt ein
Entwurf vor, der einige positive Aspekte enthält. Es fehlen aber einige wichtige Punkte:
Zum Beispiel ist die Aus- und Fortbildung ein wichtiger Bestandteil der Qualitätssicherung der Mediation,
und die Aus- und Fortbildung muss fortlaufend gesichert
werden.
Das Gleiche gilt für die Antwort auf die Frage, wie
wir einkommensschwachen Schichten den Zugang zur
Mediation gewähren. Wir meinen, dafür brauchen wir
ein Mediationskostenhilfeverfahren in Anlehnung an die
Prozesskostenhilfe. Wir reden jetzt gerade über den
Haushalt. Natürlich kostet so etwas Geld, aber aufgrund
der spürbaren Entlastung der Gerichte können wir auch
wieder Geld einsparen. Unsere Nachbarländer haben es
uns schon vorgemacht. In den Niederlanden, in Frankreich und in Norwegen gibt es eine Mediationskostenhilfe.
Die Mediation ist ein demokratisches Verfahren,
durch das die Selbstbestimmung und auch die Mitwirkung gestärkt werden. Ich meine, es lohnt sich, auf diesem Weg weiterzugehen, und wir Grünen werden uns
dafür nachhaltig einsetzen.
({3})
Zugang zum Recht bedeutet auch, dass alle Menschen
Zugang zum Recht erhalten, unabhängig von der Größe
ihres Geldbeutels. Es liegt jetzt ein Gesetzentwurf des
Bundesrates zur Beratungshilfe vor. Die Beratungshilfe
soll eingeschränkt werden, obwohl die Kosten für die
Beratungshilfe in den letzten Jahren zweimal hintereinander gesunken sind. Das haben wir aus einem aktuellen Bericht aus dem Bundesamt für Justiz erfahren.
Die Kosten sind um insgesamt 2,7 Millionen Euro gesunken. Dennoch soll die Beratungshilfe weiter eingeschränkt werden.
Frau Ministerin, Sie haben sich zu dem Bundesratsentwurf kritisch geäußert. Ich kann Sie darin nur bestärken und hoffe, dass Sie diese kritische Einschätzung
weiterhin aufrechterhalten.
({4})
Zum Insolvenzrecht. Mit drei Änderungen im Haushaltsbegleitgesetz wollen Sie den Fiskus gegenüber anderen Gläubigern besserstellen. Das soll dem Fiskus
jährlich 390 Millionen Euro einbringen. Meine Damen
und Herren von der Regierungsbank, damit zeigen Sie
leider zum wiederholten Male, dass Ihnen kurzfristige
Gewinne wichtiger als langfristige wirtschaftspolitische
Konzeptionen sind. Sie wollen kurzfristig staatliche Einnahmen erzielen, vergessen aber völlig, dass Sie damit
langfristig einen wirtschaftlichen Schaden anrichten, der
um ein Vielfaches größer sein wird. Ihre Pläne führen zu
einem Liquiditätsabfluss bei den Unternehmen. Dadurch
wird eine Sanierung der betroffenen Unternehmen immer schwieriger, und es besteht die Gefahr, dass Sie die
Betriebe und damit auch die Gläubiger direkt von der Insolvenz in den Ruin treiben.
({5})
Wir Grünen wollen Betriebe retten, damit diese Betriebe auch morgen wieder Beschäftigung schaffen und
Steuern zahlen können. Das ist für uns die Konzeption
der Zukunft. Aus diesem Grund können wir uns dieser
Strohfeuerfinanzpolitik nicht anschließen.
Vielen Dank.
({6})
Jetzt hat der Kollege Florian Toncar für die FDPFraktion das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Die Ministerin hat anhand vieler Vorhaben, die sie hier
vorgetragen hat, sehr deutlich gemacht, was diese Bundesregierung unter einer modernen Rechtspolitik und
unter Rechtsstaatlichkeit versteht, nämlich dass sie die
Bürgerrechte stärken möchte, dass sie selbstverständlich
für Sicherheit sorgen möchte, aber dass sie Sicherheit
immer als Beitrag zur Verwirklichung unserer freiheitlichen Gesellschafts- und Rechtsordnung und nicht als
Gegensatz sieht. Das begrüßt die FDP-Bundestagsfraktion nachhaltig.
({0})
Ich möchte neben dem, was die Ministerin an Vorhaben und Erfolgen vorgetragen hat, noch eines herausgreifen, weil dieser Prozess sehr lange gedauert hat, und
zwar die Rücknahme des Vorbehalts zur Kinderrechtskonvention, die Deutschland in diesem Jahr erklärt hat. Wir setzen damit ein deutliches Zeichen, dass
wir für Kinderrechte sind und dass wir auch bereit sind,
internationale Standards in diesem Bereich durchzusetzen und offensiv zu vertreten. Die FDP-Fraktion als Teil
dieser Regierungskoalition ist stolz darauf, dass es dieses Jahr endlich gelungen ist, diesen Vorbehalt zurückzunehmen.
({1})
- Ich glaube, dass das wirklich ein Anlass zur Freude ist,
Kollegen.
Bevor wir zum Haushalt selbst kommen, möchte ich
noch kurz etwas zum Thema Sorgerecht sagen. Frau
Kollegin, es ist vielleicht ein bisschen übertrieben, zu sagen, das sei eine Ohrfeige für diese Bundesregierung.
Dieser Zustand währt schon sehr lange. Ich würde Ihnen
attestieren, dass die Gnade der späten Wahl Sie zu fast
allem berechtigt, was Sie hier kritisieren oder vortragen.
Aber ich glaube, es hätte auch schon in vorherigen Wahlperioden Gelegenheit gegeben, das zu korrigieren, im
Übrigen auch für das Bundesverfassungsgericht. Das
wird jetzt gemacht - die Ministerin hat es in ihrer heutigen Rede sogar angesprochen - und in absehbarer Zeit
Realität werden.
({2})
Wir haben über den Haushalt zu sprechen. Der Haushalt hat eine ganz besondere Struktur. Diese Struktur erklärt sich aus dem hohen Anteil an Personalkosten in
diesem Haushalt. Das Personal, vor allem in Gestalt von
Richtern und Beamten, aber auch Angestellten, ist im
Durchschnitt älter als in anderen Bereichen - ein Beispiel sind unsere Bundesrichter - und oft auch hoch qualifiziert. Hier, insbesondere bei den Pensionierungen,
schlagen sich auch die Auswirkungen des demografischen Wandels sehr viel stärker nieder, als es in anderen
Gebieten der Fall ist.
Gleichwohl hat das Justizministerium immer gesagt:
Wir akzeptieren, dass auch in einem solch personalkostenlastigen Haushalt, in dem es vielleicht weniger Veränderungsspielräume gibt als in anderen Haushalten, gespart wird. - Das sind im Ansatz 7 Millionen Euro
weniger, als der Finanzplan ursprünglich vorgesehen hat.
Das ist selbstverständlich nur ein kleiner Beitrag zur
Haushaltskonsolidierung. Aber ich denke, die Einstellung stimmt, dass man wie alle anderen Bereiche einen
Beitrag zur Konsolidierung leistet.
({3})
Trotz aller Einsparbemühungen und Einsparvorgaben
gibt es im Haushalt Schwerpunkte. Sie finden im Entwurf einen neuen Titel, nämlich den Titel „Stiftungsvermögen zur Errichtung der Magnus-Hirschfeld-Stiftung“. Sie greift etwas auf, was der Bundestag bereits
vor über zehn Jahren einstimmig beschlossen hat.
({4})
Das soll jetzt Realität werden. Zu diesem Ziel bekennen
wir uns. Wir möchten im nächsten Jahr den Einstieg in
die Arbeit dieser Stiftung schaffen. Was soll sie machen?
Sie soll einmal das Unrecht aufarbeiten, das Homosexuellen während der Nazizeit widerfahren ist. Sie soll
aber nicht nur Klarheit über das schaffen, was in der Vergangenheit passiert ist, sondern sie soll sich auch mit
Ressentiments oder Vorurteilen befassen, die es in der
Gegenwart gibt, und einen Beitrag dazu leisten, dass unsere Gesellschaft in diesem Bereich zu Toleranz und
auch zu Akzeptanz kommt. Dazu wollen wir mit diesem
Haushalt einen Einstieg schaffen.
({5})
Darüber hinaus haben wir im letzten Jahr, also im laufenden Haushalt, die Mittel für die internationale
rechtliche Zusammenarbeit aufgestockt. Das ist mir
persönlich sehr wichtig. Hier sollen Rechtsberatung geleistet und Dialoge auch mit anderen Ländern geführt
werden. Das liegt in unserem wohlverstandenen Eigeninteresse. Denn einerseits wollen sich andere Länder
vielleicht einmal anschauen, wie Dinge im deutschen
Recht gelöst werden, andererseits gibt es große Gemeinsamkeiten mit ihnen. Das ist für unsere Gesellschaft und
auch für unsere Wirtschaft ein großer Vorteil.
Ich möchte einen letzten Punkt ansprechen, der im
Haushalt etatisiert ist, und zwar eine neue Aufgabe, das
sogenannte Europäische Geldsanktionsgesetz. Im
Kern geht es darum, dass Ordnungswidrigkeiten im Verkehrsbereich, die Deutsche im Ausland begehen - auf
gut Deutsch: wenn jemand im Urlaub im europäischen
Ausland zu schnell fährt -, zukünftig auch in Deutschland vollstreckt werden, jedenfalls ab einer Summe von
70 Euro. Das erfordert gehörige neue Ressourcen, die
wir an dieser Stelle bereitstellen.
Nichtsdestotrotz - deswegen möchte ich es hier ansprechen - möchte und erwarte ich nach einem Anschub,
dass die Lücke zwischen dem, was dort eingenommen
und ausgegeben wird, nicht so groß wird. Ich denke, es
ist nicht vermittelbar, wenn am Ende der deutsche Steuerzahler möglicherweise noch draufzahlen muss, wenn
Landsleute im Ausland zu schnell fahren. Wir als Haushälter werden sehr genau darauf achten, dass das nicht
passiert.
Es gibt also trotz einer schwierigen Haushaltslage,
was die Konsolidierungszwänge angeht, im Haushalt einige Bereiche, in denen wir Schwerpunkte setzen können. In der Rechtspolitik gibt es klare Akzente zugunsten der Stärkung der Bürgerrechte. Diesen Weg wollen
wir weitergehen.
Herzlichen Dank.
({6})
Der Kollege Burkhard Lischka hat jetzt das Wort für
die SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir debattieren auch den Justizhaushalt 2011 noch unter den
Auswirkungen der größten Finanz- und Wirtschaftskrise
der letzten Jahrzehnte. Diesem Auseinanderfallen von
Finanz- und Realwirtschaft mit seinen immensen Schäden, das wir erlebt haben, müssen wir klare Regeln entgegensetzen. Das ist die Kernbotschaft der letzten zwei
Jahre.
Das ist aber nicht nur die Aufgabe der Finanz- und
Wirtschaftspolitik, Frau Ministerin. Es ist eigentlich das
ureigene Feld der Justiz, klare Regeln zu setzen. Ich
habe aber den Eindruck, dass Ihnen dazu teilweise der
Mut fehlt. Sie glänzen dabei geradezu durch Tatenlosigkeit.
Was folgt daraus beispielsweise? Obwohl Vorstände
und Aufsichtsräte in der Vergangenheit unkontrollierbare Risiken eingegangen sind und riesige Schäden verursacht haben, ist bis heute kaum jemand dafür haftbar
gemacht worden. Besteht hier nicht eigentlich gesetzgeberischer Handlungsbedarf?
({0})
Was folgt aus der nach wie vor engen Verflechtung
von Vorständen und Aufsichtsräten in einigen börsennotierten Unternehmen? Macht das nicht eine effektive
Kontrolle unmöglich? Müssen wir nicht für bessere Aufsichtsstrukturen in unserem Aktienrecht sorgen? Müssen
wir nicht zuletzt auch die Vergütung und Verantwortung
im Aktienrecht noch viel stärker miteinander verzahnen,
als es in der Vergangenheit der Fall gewesen ist?
Als vor etwa eineinhalb Jahren die Wellen hochschlugen, die Aktienkurse abschmierten, einige Banken auf
der Kippe standen und nur mit Staatsgeld gerettet werden konnten und damals die Frage aufkam, wer die Zeche für all das bezahlen soll, hieß es, es werde keine
Sozialkürzungen geben. Spätestens seit diesem Haushalt wissen wir: Das ist unwahr. Diese Bundesregierung
bedient sich bei den Schwächsten. Sie verschont gleichzeitig die Reichen und Vermögenden.
Sie versuchen nicht mit der notwendigen Ernsthaftigkeit, derartige Krisen im Keim zu ersticken bzw. Vorsorge dagegen zu treffen. Dabei steht doch fest: Wir
brauchen bessere Regelungen in unserem Aktienrecht,
um Führungs- und Kontrollfunktionen in unseren Unternehmen glasklar voneinander abzugrenzen.
Wir brauchen bessere Regelungen in unserem Aktienrecht, damit sich Pflichtverstöße auch unmittelbar auf
Haftung und Vergütung auswirken. Wir brauchen einen
Rechtsrahmen, der in allen Unternehmensbereichen eine
nachhaltige Unternehmenspolitik festschreibt.
Weil wir zu alledem keinerlei Aktivitäten von Ihrer
Seite erkennen können, Frau Ministerin, und Sie auch in
Ihrer Rede nichts dazu gesagt haben, werden wir als
SPD-Bundestagsfraktion in den kommenden Wochen einen Antrag in den Deutschen Bundestag einbringen, wie
wir unser Aktienrecht so weiterentwickeln können, dass
sich derartige Krisen nicht wiederholen. Das sind wir
nicht zuletzt denjenigen schuldig, die derzeit die Zeche
dieser Krise zu zahlen haben.
({1})
Ich will noch ein zweites Thema ansprechen, nämlich
das Fiskusprivileg. Sie haben gesagt, dass das nicht eingeführt wird. Das ist auch kein Wunder, weil SchwarzGelb in den letzten Wochen von allen Experten und
Sachverständigen massiver Gegenwind frontal ins Gesicht geblasen ist bei Ihrem Plan, dass sich bei der Insolvenz eines Unternehmens der Staat vor allen anderen
Gläubigern, ob Handwerker oder Lieferanten, an der Insolvenzmasse bedienen kann.
Aber das, was Sie jetzt präsentieren, ist eine Mogelpackung.
({2})
Sie erklären einfach Steuerschulden zu Masseverbindlichkeiten mit der Folge, dass diese dann vorab befriedigt werden müssen. Den betroffenen Handwerkern und
Lieferanten ist es relativ egal,
({3})
auf welchem Weg sich der Staat bei insolventen Unternehmen bedient. Entscheidend ist doch, dass Betriebsfortführung und erfolgreiche Sanierung nicht mehr möglich sind, wenn kein Geld mehr im Unternehmen
vorhanden ist, weil Sie es vorher weggeschafft haben,
und die Handwerker und Lieferanten auf ihren Rechnungen sitzen bleiben.
({4})
Das alles wird Arbeitsplätze vernichten. Das alles
fügt unserer Volkswirtschaft Schaden zu. Sie missbrauchen das Insolvenzrecht als Steinbruch, um Geld für Ihren Haushalt lockerzumachen.
({5})
Wieder einmal lernen wir: Es trifft die Schwächsten. Es
trifft diesmal diejenigen, die dann ihre Arbeitsplätze verlieren. Es trifft diejenigen, die auf unbezahlten Rechnungen sitzen bleiben und so selber in den Ruin getrieben
werden. Das alles folgt dem alten Strickmuster:
Schwarz-Gelb will sparen, und die Schwächsten sollen
die Zeche dafür zahlen. - Diesmal macht auch noch das
Justizministerium kräftig mit. Das habe ich mir bei Ihrem Amtsantritt, Frau Ministerin, etwas anders gewünscht. Dafür werden Sie unsere Unterstützung nicht
bekommen.
({6})
Michael Grosse-Brömer hat jetzt das Wort für die
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ich habe vorhin mit großem Interesse zugehört, Frau
Wawzyniak, und erfahren, dass meine Fraktion für Law
and Order zuständig ist und dass wir alle Sicherheitsfanatiker sind. Da ich zu diesem Thema ohnehin etwas sagen wollte - ich gehe auf einzelne Mitglieder Ihrer Fraktion gleich noch ein -:
({0})
Wir wollen uns nicht damit abfinden, dass zum Beispiel
in Berlin und Hamburg regelmäßig Autos brennen. Wir
wollen uns nicht damit abfinden, dass es am 1. Mai Krawalle gibt.
({1})
- Anscheinend langweilt Sie das. Ich werde Ihnen gleich
erklären, warum Mitglieder Ihrer Fraktion das teilweise
sogar toll finden. Ich sage Ihnen ganz klar: In diesen
Punkten sind wir Sicherheitsfanatiker, und das ist auch
gut so.
({2})
- Oh, da scheine ich mit diesem Thema einen Punkt getroffen zu haben, der Sie stört. Das ist ja richtig schön.
({3})
Wir mögen es nicht, wenn Polizisten angepöbelt werden; wir finden es einfach nicht gut. Die Zahl der Angriffe auf Polizisten hat sich seit 1998 allein in Nordrhein-Westfalen verdoppelt.
({4})
Allein die Zahl der linken Gewalttaten hat sich seit 2009
um rund 60 Prozent erhöht. Die Zahl der Brandstiftungen hat sich verdoppelt. Die Zahl der Körperverletzungen stieg um 40 Prozent. 6 600 Personen aus dem linksextremistischen Spektrum werden nun als gewaltbereit
eingestuft. Ja, wir sind gerne Sicherheitsfanatiker. Wir
wollen uns mit diesem Zustand nicht abfinden.
({5})
- Hören Sie weiter zu!
({6})
Die Empörung müsste eigentlich groß sein. Das
würde man jedenfalls annehmen. Aber Politiker und
Stimmen aus dem linken Lager zeigen sogar Verständnis
für die vermeintlich gerechten Motive: Da geht es doch
um soziale Gerechtigkeit; da geht es doch um Antifaschismus; da muss man doch nicht so genau hinschauen.
({7})
Nein, in diesem Punkt sind wir gerne Sicherheitsfanatiker. Da gibt es keinen Unterschied zwischen rechter und
linker Gewalt. Wir sind gegen jede Form von Gewalt.
Es wäre schön, wenn das auch bei Ihnen so wäre.
({8})
Ich nenne Ihnen Beispiele. Ich will mit den Grünen
anfangen. Die Grünen sind vom Bezirksbürgermeister in
Neukölln hinausgeworfen worden, weil sie sich geweigert haben, eine Resolution gegen linke Gewalt zu unterschreiben.
({9})
Das hat mich ein bisschen verwundert; denn Sie sind
doch aus dem Milieu schon weg. Ein anderes Beispiel:
Ulla Jelpke, Inge Höger und Sevim Dağdelen, alle drei
MdBs von der Linken, unterzeichnen Solidaritätserklärungen für Mitglieder der Militanten Gruppe, die wegen Brandanschlägen gegen Polizei, Feuerwehr und
Bundeswehr zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt wurden. Das ist Ihre Art von Sicherheitsfanatismus: lockere
Solidaritätsbekundungen für Straftäter, die zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt wurden.
({10})
Die militante Antifaschistische Linke Berlin, die schon
auf verschiedene Weise verdeutlich hat, dass es sie besonders freut, dass die Bullen ab und zu so richtig etwas
abbekommen,
({11})
ist mit der Homepage Ihrer Jugendorganisation verlinkt.
Wenn Sie das stört, sollten Sie sich einmal darum kümmern.
Eine überregionale Berliner Zeitung titelte jüngst:
Brandanschläge sind wieder hipp.
({12})
- Sie haben überhaupt keine Vorurteile, oder?
({13})
Schlagen Sie nach, ob ich in der Burschenschaft war!
Immer locker bleiben! Ihnen gehen die Argumente aus,
und jetzt werden Sie polemisch. Das brauchen wir doch
gar nicht.
({14})
Schon die Anschaffung großer Autos wird in der
linksextremen Szene als Provokation empfunden. - Frau
Dağdelen, Sie können widersprechen, wenn ich unrecht
habe.
Frau Dağdelen möchte Ihnen gerne eine Zwischenfrage stellen.
Selbstverständlich. Wenn Sie meine Zeit anhalten,
gern.
({0})
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Lieber Herr Kollege,
Sie haben eben gesagt, dass Sie Sicherheitsfanatiker
sind, und zwar gerne.
Nein, ich habe gesagt, dass Sie Solidarität mit Straftätern üben, die zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt
wurden.
Nein, Sie haben gesagt, dass Sie gegen jede Form von
Gewalt sind, und haben so getan, als ob wir nicht gegen
Gewalt wären. Dem ist aber nicht so. Deshalb frage ich
Sie: Wenn Sie gegen Gewalt sind, wie erklären Sie dann,
dass Sie hier im Bundestag jedes Mal für Kriegseinsätze
stimmen, bei denen Menschen ums Leben kommen?
Beim Kunduz-Bombardement im letzten Jahr sind über
142 Menschen gestorben. Aber nicht nur in Afghanistan,
sondern auch in vielen anderen Ländern der Welt werden
Menschen getötet. Wie können Sie das mit Ihrem Gewissen vereinbaren, wenn Sie doch gegen Gewalt sind? Erklären Sie uns das einmal.
({0})
Das will ich gern tun. Im Übrigen scheint mir Ihr
Schweigen zu Ihrer Solidaritätsbekundung eine Bestätigung dessen zu sein, was ich vorhin gesagt habe. Das ist
gut zu wissen.
({0})
Zu Ihrer konkreten Frage. Ich will Ihnen sagen: Diese
aus Ihrer Sicht sogenannten Kriegseinsätze sind international abgestimmt und rechtlich unterlegt. Im Übrigen
sind nach meiner Kenntnis - wenn Sie Afghanistan
meinen - die Deutschen nicht allein dort, sondern 42
weitere Nationen. Fragen Sie in puncto Gewalt einmal
die Frauen, die nicht mehr gesteinigt werden und nicht
mehr zu Hause eingeschlossen werden, wie sie diese
vermeintlichen Kriegseinsätze sehen, die Sie gerade als
solche bezeichnen. Fragen Sie einmal diejenigen, die
keine Angst mehr haben, umgebracht zu werden, nur
weil sie eine andere Auffassung haben oder unter Umständen Frauen sind.
({1})
Fragen Sie doch einmal, ob deren Auffassung von Gewalt so eingeschränkt ist wie Ihre.
({2})
Wir kommen hier in Schwung, und das finde ich gut.
Ich will Ihnen ganz konkret sagen: Es gibt die Verfassungsschutzchefin Claudia Schmid aus Berlin. Sie hat
ein Interview gegeben. Weil ich sogar verschiedene Mitglieder Ihrer Fraktion genannt habe, wollen wir jetzt einmal jemanden zu Wort kommen lassen, der wahrscheinlich mehr Ahnung davon hat als wir alle zusammen.
Frau Schmid sagt:
Zumindest sollten Parteien und Organisationen
links von der Mitte, die sich auf die Bündnis-Politik
von Linksextremisten einlassen, eine strikte Abgrenzung zu Gewalt vertreten. Es ist verheerend,
wenn Politiker das nicht tun oder sogar Gewalt
rechtfertigen, wie das bei der Militanten Gruppe die
Bundestagsabgeordnete der Linken, Inge Höger,
getan hat.
So viel zu Ihrem Gewaltbegriff. Ich würde noch einmal
darüber nachdenken, ob Sie hier auf dem richtigen Weg
sind.
({3})
Wie ich es vorhin erwähnte, sind wir nach wie vor
nicht bereit, die zunehmende Gewalt gegen Polizisten
zu akzeptieren. Deshalb arbeiten wir als CDU/CSU daran, ein Stück weit den Konsens zu schaffen, den wir,
wie ich finde, sinnvollerweise und übereinstimmend bei
politisch rechts motivierter Gewalt geschafft haben. Der
Konsens lautet nämlich, dass wir grundsätzlich nicht bereit sind, Gewalt zu akzeptieren, und schon gar nicht,
Gewalt zu motivieren oder zu unterstützen. Es muss
vielmehr unser aller Ziel sein, auch einen demokratischen Konsens in der Abgrenzung links motivierter Gewalt herzustellen. Ich halte das gerade angesichts der
derzeitigen Entwicklung, die wir allerorten verzeichnen
müssen, für einen wichtigen Punkt.
({4})
- Herr Ströbele, das ist relativ einfach erklärt. Sie sind
doch so lange dabei. Sie kennen § 113 Strafgesetzbuch.
Wir halten den für verbesserungswürdig.
({5})
- Nein, aber erst einmal mit Gewalt gegen Polizei. Die
Gewalt gegen Polizei ist in ganz erheblichem Maße auch
von linker Gewalt gekennzeichnet.
({6})
- Es muss doch erlaubt sein, auch wenn es emotional
oder psychisch schwer fällt, in dieser Debatte darauf zu
reagieren und solche Sachen anzusprechen.
({7})
Ich habe mir die Entwicklung, die ich aufgezeigt
habe, nicht ausgedacht. Das sind gesellschaftliche Entwicklungen, die mir ein Stück weit Sorge machen.
({8})
Deshalb denke ich, wir müssen den Straftatbestand des
§ 113 Strafgesetzbuch ändern. Wir müssen hier ein Stück
weit besser werden.
({9})
- Man kann zum Beispiel darüber nachdenken, ob man
weiterhin von einer Privilegierung des Widerstandes gegen Vollstreckungsbeamte ausgehen kann oder vielmehr
den Schutz der Polizisten einmal in den Vordergrund
stellen muss.
({10})
Wir arbeiten gerade daran, und Sie werden zur gegebenen Zeit, und zwar rechtzeitig, darüber informiert, was
im Gesetz konkret geändert werden soll.
Herr Kollege, der Kollege von Notz würde Ihnen gern
eine Zwischenfrage stellen. Möchten Sie die zulassen?
Ja. Wir sind zwar noch nicht bei der Vorratsdatenspeicherung, zu der ich auch noch kommen wollte, aber Sie
können auch jetzt schon eine Zwischenfrage stellen.
Herr Kollege, dazu muss ich keine Zwischenfrage
stellen, dazu darf ich nachher selbst reden. Zu der Strafverschärfung, die Sie ansprechen: Es würde mich interessieren, ob Sie hier kurz aus dem Stand einen relevanten Sachverhalt formulieren könnten, der heutzutage
nicht adäquat bestraft werden kann und den Sie mit Ihrer
Strafverschärfung härter bestrafen wollen. Nennen Sie
einfach einen schlichten Sachverhalt, der heute vom
StGB nicht erfasst ist.
Wenn Sie diese Debatte intensiv verfolgt haben, dann
wissen Sie vielleicht, dass es nicht allein darum geht, ob
man den bestrafen kann. Die Frage ist doch, wie man
den bestraft. Wir sind der Auffassung, dass eine höhere
Bestrafung vielleicht auch eine höhere Abschreckungswirkung hat und dass deshalb eine Änderung notwendig
ist.
({0})
- Das habe ich gerade.
Ich habe Ihnen gesagt, was wir als gesetzgeberische
Maßnahme vorhaben.
({1})
- Herr Ströbele, überlassen Sie es mir, zu entscheiden,
ob ich Fragen ausreichend beantwortet habe oder nicht.
Sie wissen zwar fast alles besser, aber in diesem Fall
bitte ich Sie um etwas Zurückhaltung.
({2})
Viele werden einwenden, das alles sei nicht genug.
Vielleicht war das der Hintergrund der Frage. Ich finde
es im Übrigen richtig, dass wir das ergänzen. Unsere Familienministerin Kristina Schröder hat angekündigt, ein
Modellprojekt gegen Linksextremismus einzurichten.
Ich halte eine solche Begleitung und dass man nicht nur
bestraft, für klug. Man sollte aber - das ist unsere Auffassung - schärfer bestrafen, damit diese Entwicklung,
die wir alle nicht wollen, nicht so weitergeht.
Wir haben eben über Personen gesprochen, die ein
noch besseres Hintergrundwissen als wir haben. Kirsten
Heisig, die leider kürzlich verstorbene Jugendrichterin,
hat ein Buch geschrieben, das ich gelesen habe. Das zu
lesen, lohnt sich mehr als manch anderes Buch. Sie
schreibt,
… dass sich am linken Rand der Gesellschaft in
Großstädten wie Hamburg oder Berlin ein hohes
Aggressionspotenzial entwickelt, das meiner Einschätzung nach in den nächsten Jahren völlig entgleisen wird, wenn nicht bei den „Linken“ genauso
konsequent reagiert wird wie bei den „Rechten“.
Das ist unsere Politik. Dahinter stehen wir, und es war
mein Anliegen, das deutlich zu machen.
({3})
Wir kümmern uns übrigens auch um den Opferschutz. Es war überhaupt nicht hinnehmbar, dass Opfer
linker Gewalt und Opfer rechter Gewalt völlig unterschiedlich behandelt wurden. Unter Rot-Grün wurde das
damals damit begründet, dass man Zeichen setzen
müsse. Die Zeiten, um Zeichen allein gegen rechte Gewalt zu setzen, sind vorbei. Wir müssen Zeichen gegen
jede Form von Gewalt in Deutschland setzen. Deswegen
ist es richtig, dass es keinen Unterschied mehr macht, ob
Opfer von Gewalttaten von einem Kampfstiefel eines
Linksextremisten oder eines Rechtsextremisten getroffen wurden. Das ist eine wichtige Änderung, die wir umsetzen konnten.
({4})
- Ja, ich weiß, das passt Ihnen nicht. Setzen Sie sich
doch einmal damit auseinander.
Über Kinderpornografie hat schon Frau Kollegin
Voßhoff gesprochen. Zurzeit läuft ein riesiger Prozess in
Darmstadt. Wir sind nach wie vor der Auffassung, dass
das Löschen von Seiten nicht ausreicht. Wir sind dafür,
dies zu tun, wo wir es tun können. Das ist auch wichtig,
aber wir treten weiterhin für das Sperren von Internetseiten mit kinderpornografischem Inhalt ein.
({5})
Herr von Notz, ich will Ihnen etwas sagen, weil Sie das
beim letzten Mal in Zweifel gezogen haben. Das Beispiel Norwegen zeigt, dass auch das Sperren wirksam
ist, nicht nur das Löschen. - Sie winken ab, aber Sie sollten die Süddeutsche Zeitung vom 15. Januar 2009 nachschlagen. Dort steht - das ist mit Sicherheit ordentlich
recherchiert -, dass die Zugangssperren in Norwegen
täglich 18 000 Zugriffe auf solche widerlichen Seiten
verhindern. Hochgerechnet auf Deutschland würde das
bedeuten, dass 350 000 Zugriffe auf Internetseiten mit
kinderpornografischem Inhalt verhindert würden. Das ist
es uns wert, nicht nur zu löschen, sondern auch zu sperren.
({6})
Wir haben rechtspolitisch schon viel erreicht. Wir arbeiten gut zusammen. Das Insolvenzrecht ist schon angesprochen worden. Die Reform wird die Kollegin
Winkelmeier-Becker mit dem Kollegen Ahrendt bearbeiten. Es gibt Fortschritte in diesem Bereich. Mir war es
wichtig, heute einen speziellen Teil anzusprechen, der in
dieser Gesellschaft aus unserer Sicht, aus Sicht von Sicherheitsfanatikern, schiefläuft. Ich hoffe, Sie sind sensibilisiert worden und demnächst dabei, wenn es darum
geht, Gewalt auch rechtspolitisch zu bekämpfen.
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
({7})
Der Kollege Raju Sharma hat jetzt das Wort für die
Fraktion Die Linke.
({0})
Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Frau
Ministerin! Im Verhältnis von FDP und Linken gibt es
Punkte, die uns trennen, und solche, die uns verbinden,
({0})
es gibt Politikfelder, in denen wir möglicherweise größere Schnittmengen haben als die derzeitigen Partner in
der Regierungskoalition. Die Rechtspolitik ist tendenziell eines dieser Politikfelder. Deshalb haben wir Linke
immer gesagt, dass wir bereit sind, die FDP in ihren Bemühungen um eine freiheitliche Rechtspolitik auch gegen ihren Koalitionspartner zu unterstützen. Wie notwendig das ist, hat meine Fraktionskollegin vorhin sehr
anschaulich aufgezeigt. Tatsache ist auch, dass die Bundesjustizministerin in ihren Bemühungen um eine freiheitliche Rechtspolitik bisher oft genug den Kürzeren
gegen Sicherheitsfanatiker wie Grosse-Brömer und all
die anderen Law-and-Order-Politiker und die schwarzen
Sheriffs von der Union gezogen hat.
Leider gilt das auch für den Justizhaushalt. Seit Jahren können wir einen ständigen Aufgabenzuwachs und
eine immer stärkere Arbeitsbelastung der Beschäftigten im Justizressort beobachten. Der Bundesjustizministerin ist es dennoch nicht gelungen, diesen Aufgabenzuwachs mit einem angemessenen Personalzuwachs zu
begleiten. Das ist den ohnehin stark belasteten Beschäf6238
tigten in der Justiz nicht zuzumuten, und es tut auf Dauer
auch der Aufgabenerledigung nicht gut.
Ein Bereich, in dem der Haushaltsplan einen Personalzuwachs vorsieht, ist das Bundesjustizamt. Hier sollen 99 neue Stellen für Mitarbeiter geschaffen werden,
die sich um die Beitreibung von im europäischen Ausland verhängten Bußgeldern kümmern sollen. Dass so
etwas jetzt überhaupt möglich wird, ist sicher ärgerlich
für manchen Urlaubsraser, der bisher ungeschoren davongekommen ist. Im Hinblick auf die notorisch klammen öffentlichen Kassen ist es aber vielleicht nicht
falsch.
({1})
- Darauf komme ich gleich zu sprechen.
Doch während es in jeder Kommune eine Selbstverständlichkeit ist, dass die eingetriebenen Bußgelder zunächst genutzt werden, um die Kosten für die zu diesem
Zweck eingesetzten Ordnungshüter und Politessen zu finanzieren, gilt das für den Bundeshaushalt erstaunlicherweise nicht.
({2})
Was jeder schwäbischen Hausfrau einleuchtet, gilt beim
Umgang mit dem schwäbischen Chefhaushälter offenbar
nicht. Frau Leutheusser-Schnarrenberger bezahlt das
Personal, und Herr Schäuble kassiert die Einnahmen.
Herr Kollege Toncar, dass ausgerechnet Sie die Einsparung im Justizhaushalt vorhin als positiv hervorgehoben haben, finde ich tatsächlich bemerkenswert. Bisher
bin ich davon ausgegangen: Wir müssen Ihre Justizministerin vor den Kollegen der CDU/CSU schützen.
({3})
Jetzt merke ich, dass man sie vielleicht auch vor ihren eigenen Parteifreunden in Schutz nehmen muss.
({4})
Wenn wir heute über den Haushalt reden, können Sie
von der Opposition mit Recht erwarten, dass wir nicht
nur die Regierung kritisieren - dazu gibt es ja, wie wir
alle gesehen haben, reichlich Grund -, sondern dass wir
auch konstruktive Vorschläge für mögliche Einsparungen machen. Da ich nicht nur Mitglied des Rechtsausschusses, sondern auch religionspolitischer Sprecher
meiner Fraktion bin, bietet es sich an, dass ich Ihnen einen Einsparvorschlag unterbreite, der gleich beide Bereiche betrifft.
Sparen Sie eine Norm im Strafgesetzbuch ein! Streichen Sie den „Gotteslästerungsparagrafen“ 166 StGB
und ersparen Sie uns eine unnötig lange Debatte darüber! Nach den Aussagen der meisten Fraktionen vor
einigen Monaten müsste in diesem Haus eigentlich ein
breiter Konsens darüber bestehen, dass dieser Paragraf
nicht nur veraltet und überflüssig ist, sondern in seiner
praktischen, höchst einseitigen Handhabung das Zusammenleben der verschiedenen Religionen unnötig belastet.
({5})
Wir werden Ihnen in den nächsten Wochen einen entsprechenden Gesetzentwurf vorlegen. Dann können Sie
alle Farbe bekennen und zeigen, wie ernst Sie es mit den
Werten „Toleranz“, „Meinungsfreiheit“ und „Gleichbehandlung der Religionsgemeinschaften“ meinen.
Wenn wir schon einmal dabei sind, könnten wir auch
gleich über das Thema Staatsleistung reden. Dafür gibt
es in einer gesonderten Debatte aber vielleicht mehr
Zeit; denn dabei geht es um wesentlich mehr als nur ums
Geld, nämlich darum, wie es in unserem Land um eine
konsequente Trennung von Staat und Religion bestellt
ist.
({6})
Offensichtlich fällt es der Bundesregierung ohnehin
schwer, staatliche von eindeutig nichtstaatlichen Aufgaben zu trennen. Anders lässt sich jedenfalls nicht erklären, warum die Banken und die Versicherungswirtschaft
bei der Akquise neuer Märkte mit knapp 4 Millionen
Euro Steuergeldern unterstützt werden sollen. Auch darum geht es der Deutschen Stiftung für internationale
rechtliche Zusammenarbeit, die von der Regierung so
großzügig bedacht wird. Zweck des Vereins ist laut Satzung insbesondere die Unterstützung ausländischer Staaten beim Übergang von der Planwirtschaft in die soziale
Marktwirtschaft.
({7})
Kein Wunder, dass sich unter den Stiftungsmitgliedern
die Bundesverbände der deutschen Banken, der deutschen Industrie und der deutschen Versicherungswirtschaft finden! Deren Interesse in allen Ehren, aber was
haben Mittel für diesen Verein im Bundeshaushalt zu suchen?
Ich finde auch in diesem Punkt den missionarischen
Eifer der Bundesregierung völlig unangemessen. Niemand bestreitet Ihnen das Recht, an die Vorzüge eines
bestimmten Wirtschaftssystems zu glauben - glauben
Sie, was Sie wollen -; aber verschonen Sie bitte den Rest
der Welt mit Ihren ideologischen Beglückungsversuchen!
Vielen Dank.
({8})
Jerzy Montag hat das Wort für Bündnis 90/
Die Grünen.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Sehr geehrte Frau Ministerin, gestern jährte sich ein Datum, das
für die Rechtspolitik in Deutschland von einer ganz
überragenden Bedeutung ist: Gestern vor 75 Jahren sind
die Nürnberger Gesetze erlassen worden. Ich finde, dass
deutsche Rechtspolitik heute und auch in Zukunft dies
als Mahnung und Auftrag begreifen soll: dass Gesetze in
einem demokratischen Gemeinwesen nicht schon dann
Recht sind, wenn sie auf formal korrektem Weg zustande
gekommen sind - das ist notwendig -; vielmehr müssen
Gesetze auch die Menschenrechte, die Grundrechte achten, und sie müssen dem Grundsatz der Menschenwürde
jedes einzelnen Menschen verpflichtet sein.
({0})
Ich wollte deswegen darauf hinweisen, weil ich über
die Sicherungsverwahrung reden will, die ja die Nationalsozialisten ins deutsche Recht im Jahre 1933 eingeführt haben.
({1})
Heute stehen wir in einer Debatte, in der ich für meine
Fraktion sagen kann und muss: Wir brauchen die Sicherungsverwahrung. Es gibt leider einige wenige Menschen, die für andere eine so aktuelle und große Gefahr
sind, dass wir potenzielle Opfer nicht anders schützen
können als dadurch, dass diesen Menschen die Freiheit
entzogen wird. Aber wenn wir das tun und uns grundsätzlich dazu bekennen, dann müssen wir ganz besonders prüfen, ob die Regelungen zur Sicherungsverwahrung an den Grundsätzen der Menschenrechte, der
Grundrechte und der Menschenwürde ausgerichtet sind.
({2})
Den Vollzug der Sicherungsverwahrung in Deutschland hat der Europarat bereits Ende 2005 als einen Verstoß gegen die Europäische Menschenrechtskonvention gerügt. In den Ländern hat sich jedoch beim
Vollzug nichts geändert. Dann hat im Dezember des Jahres 2009 der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte eine ganz bestimmte, konkrete Ausgestaltung der
Sicherungsverwahrung - die Einzelheiten kennen die
Fachleute hier im Kreise - als einen Verstoß gegen die
Menschenrechte erachtet; das betraf übrigens eine Regelung, die Schwarz-Gelb im Januar 1998 eingeführt hat.
Was hören wir nun - das halte ich für unglaublich aus den Reihen der Rechtspolitiker der Union? Der
rechtspolitische Sprecher erklärt in der ZRP, dieses Urteil sei ein Anschlag auf das demokratisch legitimierte
Strafrechtssystem der Bundesrepublik Deutschland. Der
Kollege Dr. Uhl fordert öffentlich dazu auf, das Urteil
nicht zu beachten. Meine Damen und Herren, so geht es
nicht!
({3})
Wir sind Signatarstaaten der Europäischen Menschenrechtskonvention. Wir sind stolz darauf, 60 Jahre dabei
zu sein. Wir sind stolz darauf, dass wir beim Kampf um
Menschenrechte immer in der ersten Reihe gestanden
haben.
Wenn uns der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte sagt, eine bestimmte Regelung sei menschenrechtswidrig, dann ist es unsere Pflicht, darauf zu
reagieren. Wie sollten wir darauf reagieren? Indem wir
diesen Missstand, der ja ein gesetzlicher ist, auch gesetzlich beheben! Darauf warten wir jetzt seit einem Jahr.
Ich sage Ihnen, meine Damen und Herren von der
Union, von der FDP, von der Koalition und von der Bundesregierung: Mit der Verabschiedung von Eckpunkten
vom 7. Juni, vom 9. Juni, vom 27. August und wiederum
vom 1. September kommen wir nicht weiter.
({4})
Seit einem Jahr haben wir dieses Problem. Spätestens
seit Sommer dieses Jahres verhudeln Sie die Zeit. Sie haben noch nicht einmal einen Entwurf vorgelegt, wie Sie
diesen menschenrechtswidrigen Zustand in Deutschland
beenden wollen. Das halte ich für einen Skandal.
Ich fordere Sie auf, statt neue Regelungen zum Umgang mit sogenannten psychisch gestörten Tätern zu erlassen, endlich dem Hohen Hause eine gesetzliche Regelung vorzulegen, durch die die Übergangsbestimmungen
von 1998, die Sie, Schwarz-Gelb, damals erlassen haben, endlich im Sinne der Europäischen Menschenrechtskonvention nachgebessert werden.
({5})
Der Kollege Stephan Mayer hat jetzt das Wort für die
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Sehr verehrte Frau Präsidentin! Sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen! Rechtspolitik ist immer auch Gesellschaftspolitik; denn sie wird von der gesamten Gesellschaft wahrgenommen und betrifft die gesamte
Gesellschaft. Es gibt wahrscheinlich keinen Bereich innerhalb der Justizpolitik, der so im Zentrum der öffentlichen Wahrnehmung steht wie die Strafrechtspolitik. Ich
möchte auf Aspekte eingehen, die meines Erachtens
höchste Priorität haben.
Ein Aspekt ist die schon eben erwähnte Sicherungsverwahrung. Kollege Montag, ich bin Ihnen dankbar,
dass Sie zum Ausdruck gebracht haben, dass Sie das Institut der Sicherungsverwahrung für richtig halten und
daran festhalten wollen. Sie können sich sicher sein: Wir
werden nicht nur Konzepte und Eckpunktepapiere vorlegen; die christlich-liberale Koalition wird alsbald auch
ein fundiertes Gesetzespaket vorlegen, um so den Bereich der Sicherungsverwahrung effektiv und vor allem
verfassungsgemäß zu regeln. Ziel muss es sein, dass
diese Regelung verfassungsgemäß und auch menschenrechtskonform ist. Ich sage Ihnen aber auch: Das darf
nicht das einzige Ziel sein.
Ein weiteres Ziel muss sein - dafür sind wir als Abgeordnete des Deutschen Bundestages verantwortlich -,
dass eine Regelung geschaffen wird, die absolut gewährleistet, dass höchst gefährliche Gewaltstraftäter und
Sexualstraftäter keine Gefahr mehr für die öffentliche
Sicherheit darstellen, dass sie keinen Schaden mehr anrichten, dass sie beispielsweise keine Mädchen mehr
Stephan Mayer ({0})
vergewaltigen können. Ich bin mir sicher, dass die
Grundlage, die mittlerweile durch das gemeinsame Papier des Bundesinnenministers und der Bundesjustizministerin geschaffen wurde, die richtige Basis für die weiteren Verhandlungen sein wird.
Herr Kollege, möchten Sie die Frage von Herrn
Montag zulassen?
Selbstverständlich. Sehr gerne.
Bitte schön.
Herzlichen Dank, Herr Kollege Mayer, für Ihre Ausführungen. - Jetzt habe ich auch von Ihnen gehört, dass
Sie bei der generellen Reform die Sicherungsverwahrung auf schwerste Gewaltdelikte und schwere Sexualstraftaten begrenzen wollen. Dies hat die Ministerin in
ihrer Eingangsrede heute ebenfalls gesagt. Sie ist vonseiten der SPD dafür gelobt worden.
Der Diskussionsentwurf des Bundesjustizministeriums soll die Grundlage dieser generellen Reform werden.
({0})
- Aber nicht zu den Altfällen, Herr Kollege; zu den Altfällen gibt es nichts. - In diesem Diskussionsentwurf ist
die Sicherungsverwahrung entgegen den Aussagen von
heute nicht auf Gewaltstraftaten und auf schwere Sexualstraftaten begrenzt, sondern umfasst auch andere Straftaten. Stimmen Sie meiner Einschätzung zu, oder bedeutet Ihr Beitrag von heute, dass der Diskussionsentwurf in
diesem Punkt geändert wird?
Lieber Herr Kollege Montag, ich sage Ihnen in aller
Deutlichkeit, dass mein Fokus auf dem Bereich der Gewaltstraftäter und vor allem der Sexualstraftäter liegt.
Wir haben in Deutschland derzeit ungefähr 500 Personen, größtenteils Männer - diese Zahl nenne ich zur Verdeutlichung -, die in Sicherungsverwahrung sind. 100
davon sind nach dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 17. Dezember letzten Jahres von der sogenannten Altfallregelung betroffen. Zuallererst auf diesen Personenkreis muss unser Augenmerk
gerichtet sein.
Wir brauchen eine verlässliche, verfassungs- und
menschenrechtskonforme Regelung, mit der dauerhaft
gewährleistet ist, dass von diesem Täterkreis in Zukunft
keine Gefahren mehr ausgehen können. Was die Sicherungsverwahrung angeht, muss der Fokus auf Sexualstraftätern und nicht auf Serienbetrügern und ähnlichen
Kriminellen liegen. Ich glaube, das sind wir den Bürgerinnen und Bürgern in Deutschland schuldig.
Was den Bereich der Sicherungsverwahrung anbelangt, gibt es auf Basis des Grundlagenpapiers aus dem
BMI und dem BMJ durchaus noch Diskussionsbedarf.
Man kann beim Thema „Notwendigkeit der nachträglichen Sicherungsverwahrung“ unterschiedlicher Meinung
sein. Da die Anzahl derjenigen, die sich in nachträglicher
Sicherungsverwahrung befinden, verschwindend gering
ist, glaube ich, dass der Ausbau der vorbehaltenen Sicherungsverwahrung grundsätzlich der richtige Schritt ist.
Ich möchte trotzdem die Frage stellen, ob es neben
der primären Sicherungsverwahrung und neben dem
Ausbau der vorbeugenden Sicherungsverwahrung nicht
doch erforderlich wäre, im Instrumentenkasten die nachträgliche Sicherungsverwahrung zumindest vorzuhalten. Diese Frage muss erlaubt sein. Sie wird im weiteren
Gang des Verfahrens mit Sicherheit erörtert werden.
Ich möchte in aller Deutlichkeit auch ansprechen,
dass meines Erachtens eine Verlängerung der Rückfallverjährungsfrist unabdingbar erforderlich ist. Fünf Jahre
sind deutlich zu wenig. Es sei dahingestellt, ob man die
Frist auf 20 Jahre verlängern muss. Zumindest eine Verdoppelung der Rückfallverjährungsfrist ist aus meiner
Sicht unerlässlich.
Der zweite Aspekt, der in der Strafrechtspolitik derzeit
größte Beachtung finden sollte, ist die rasant ansteigende
Zahl der Straftaten im Internet und mittels des Internets. Es ist höchst besorgniserregend, dass sich die Anzahl solcher Straftaten von 2008 bis 2009 um immerhin
20 Prozent erhöht hat. Im Jahr 2009 wurden in Deutschland insgesamt 200 000 Straftaten im und über das Internet begangen. Die Kriminalität mittels der Informationsund Kommunikationstechnologie im engeren Sinn ist sogar um etwa 33 Prozent gestiegen. Ich glaube, dass diese
Entwicklung uns nicht ruhig lassen darf. Sie stellt eine
echte Bedrohung für das digitale Zeitalter dar und verursacht außerdem einen immensen wirtschaftlichen Schaden. Laut einer Prognose der BITKOM wird der Schaden,
der in Deutschland in diesem Jahr im Internet angerichtet
wird, aller Voraussicht nach um die 17 Millionen Euro
betragen.
Es geht nicht nur darum, dass dadurch möglicherweise ein rasant steigender wirtschaftlicher Schaden eintritt. Wir sollten uns vielmehr auch der Frage zuwenden,
ob die Wahrnehmung von wichtigen Freiheitsrechten
langfristig nicht dadurch eingeschränkt wird, dass immer
mehr Menschen persönlich Schaden nehmen, wenn sie
sich im Internet aufhalten, um zum Beispiel Überweisungen vorzunehmen oder Bestellungen zu tätigen. Es
gibt immer mehr gebrannte Kinder. Auf die Dauer wird
dadurch ein immer größerer Anteil unserer Bevölkerung
lieber die Finger vom Internet lassen, also beispielsweise
kein Onlinebanking mehr betreiben oder Bestellungen
dort vornehmen. Wenn wir dem tatenlos zusehen, wird
es sogar zu einer Einschränkung der Freiheitsrechte
kommen.
Der Kreditkartenbetrug nimmt immer mehr zu. Auch
der Betrug mittels des Missbrauchs von Bankverbindungen nimmt immer mehr zu. Um hier keinem Trugschluss
aufzusitzen: Es ist nicht so, dass halbwüchsige Internetfreaks von 16 oder 17 Jahren in einem Kellerverließ sitStephan Mayer ({0})
zen und Kreditkartenbetrug betreiben. Der Präsident des
BKA hat im Rahmen seiner Pressekonferenz vom
6. September 2010 deutlich gemacht, dass es sich mittlerweile um ein hochprofessionelles Geschäft handelt.
Es gibt außerhalb Deutschlands hochprofessionelle und
hochkriminelle Banden, die den Kreditkartenbetrug und
den Missbrauch von Benutzernamen, Passwörtern und
Bankverbindungen gewerbsmäßig betreiben. Dem müssen wir uns zuwenden.
Besorgniserregend ist nicht nur der Anstieg der Zahl
der Straftaten im Internet, sondern auch, dass es immer
schwieriger wird, diese Straftaten aufzuklären. Vor dem
Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Thema Vorratsdatenspeicherung war es noch möglich, 800 von 1 000
Verdächtigen zu ermitteln. Nach diesem Urteil - das ist
nicht meine Aussage, sondern die von Herrn Ziercke vom
6. September 2010 - ist es nur noch möglich, etwa 7 von
1 000 Verdächtigen zu ermitteln. Es muss jedem einleuchten, dass wir hier effektive Regelungen brauchen.
Wir brauchen eine Verbindungsdatenspeicherung. Diese
Forderung bezieht sich nicht nur auf Kinderpornografie
im Internet, sondern auch darauf, dass es einen galoppierenden Anstieg der Zahl der Straftaten im Internet gibt.
Diese Straftaten können nur ermittelt werden, wenn das
BKA und die Ermittlungsbehörden auf die Verbindungsdaten zurückgreifen können. Ich appelliere deshalb an
alle in diesem Hause, dieser wichtigen Regelung schnell
näher zu treten.
Ich danke ganz herzlich für die Aufmerksamkeit.
({1})
Die Kollegin Dr. Eva Högl hat jetzt das Wort für die
SPD.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Frau Ministerin, es ist jetzt an der Zeit, die
Bürgerrechte stärker in den Blick zu nehmen. Damit
möchte ich beginnen. Herr Kollege Grosse-Brömer, wir
brauchen weniger Sicherheitsfanatiker. Wir brauchen
überhaupt weniger Fanatismus in dieser ganzen Debatte.
({0})
Was wir stattdessen brauchen, ist eine vernünftige Balance zwischen Sicherheit und Freiheit. Darum geht es.
Da haben wir jetzt eine echte Chance.
Ich will ein Beispiel nennen, das vielleicht ein bisschen ungewöhnlich ist; aber ich sehe es so. Wir haben
bei der Debatte um das SWIFT-Abkommen gesehen,
dass es möglich ist, die Bürgerrechte stärker zu verankern, als viele zu Beginn der Verhandlungen gedacht
hätten, und dass man sogar mit den USA - wenn ich das
so sagen darf - über Datenschutz verhandeln und Verbesserungen erreichen kann.
({1})
Auch wenn wir mit dem Endergebnis nicht zufrieden
sind, so haben wir, wenn wir es mit dem vergleichen,
was am Anfang gewesen ist, eine ganze Menge erreicht.
Frau Ministerin, dazu brauchen wir aber - Sie wissen
es auch aus den Verhandlungen - Mut, Entschlossenheit,
Beharrlichkeit und politische Gestaltungskraft. Wenn ich
das so offen sagen darf: Da kann an der einen oder anderen Stelle noch eine Schippe draufgelegt werden.
Da wir gleich über die Innenpolitik diskutieren und
Sie neben Ihrem Kollegen, dem Innenminister, sitzen,
sage ich Ihnen in Bezug auf die Balance von Sicherheit,
Freiheit und Bürgerrechten ganz offen: Überlassen Sie
bitte die Rechtspolitik nicht dem Innenministerium! Setzen Sie sich durch! Nehmen Sie Ihre Aufgabe als Anwältin der Bürgerrechte war! Darum möchte ich Sie inständig bitten.
({2})
Der Kollege Mayer hat eben den Datenschutz angesprochen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie sind in
der Position, hier etwas vorzulegen. Wir aber warten. Ich
sage Ihnen ganz offen: Entweder verschläft die Koalition
wichtige Themen, oder sie ist nicht handlungsfähig, weil
sie sich nicht einigen kann; das gilt insbesondere für die
Bereiche Inneres und Justiz. Wir brauchen zum Beispiel
dringend mehr Datenschutz für Beschäftigte. Da hat
auch das Justizministerium eine Aufgabe. Ich frage
mich, warum die Bundesregierung über Monate untätig
blieb, obwohl wir schlimme Skandale hatten und der
Handlungsbedarf mehr als deutlich erkennbar wurde.
Frau Ministerin, ich lege Ihnen deswegen ans Herz:
Setzen Sie sich für den Datenschutz ein, insbesondere
für den dringend erforderlichen Datenschutz der Beschäftigten! Wir von der SPD haben etwas vorgelegt.
Wir haben die Interessen von Beschäftigten und Arbeitgebern in ein richtiges Verhältnis gebracht. Wir haben
klar gesagt, was erlaubt und was verboten sein soll. Hier
ist dringender Handlungsbedarf.
Ich will ein anderes Thema ansprechen: Google
Street View. Wir haben intensiv darüber diskutiert.
Auch hier haben wir gesehen, dass die Koalition nicht in
der Lage ist, rechtzeitig Rahmenbedingungen zu formulieren. Sie konnten sich nicht einigen, ob es gut oder
schlecht ist, Google Street View zu haben. Sie hatten
keine Vorstellung davon, welches Vorgehen richtig ist.
Auch hier hören wir wieder - nicht nur in dieser Debatte,
sondern schon den ganzen Tag -: „Demnächst“, „irgendwann“, „bald“
({3})
oder, wie meine Kollegin sagt, „in Kürze“ werde irgendetwas vorgelegt. Das Beispiel Google Street View zeigt,
dass wir eines auf keinen Fall zulassen dürfen: Politik
darf nicht handlungsunfähig und hilflos dastehen. Das
war hier aber der Fall. Ich fordere deswegen von der
Bundesregierung, hier tätig zu werden.
Zwei Sätze zur Vorratsdatenspeicherung. Frau
Ministerin, Sie haben es selbst angesprochen: Es reicht
nicht, die europäische Entwicklung, die Überarbeitung
der Richtlinie, abzuwarten. Auch wir erwarten von Ihnen
eigene Akzente und eine klare Vorstellung davon, was
die Koalition in diesem Bereich zu tun gedenkt.
Damit komme ich zum Stichwort „Europa“. Ich will
kurz ansprechen, dass wir mit der Grundrechte-Charta
und dem Stockholmer Programm jetzt gute Grundlagen
für mehr Bürgerrechte in ganz Europa haben. Auch hier
müssen wir engagiert auftreten. Frau Ministerin, ich will
kurz sagen, dass wir es mit einer sehr engagierten Vizepräsidentin der Europäischen Kommission zu tun haben
- wir werden sie morgen in Berlin treffen -, die sich
nicht die Butter vom Brot nehmen lässt, sondern klare
Initiativen anstößt, deutliches Engagement zeigt und
sehr durchsetzungsstark ist. Ich wünsche mir auch von
unserer Bundesjustizministerin, dass sie so kämpferisch
auftritt. Frau Leutheusser-Schnarrenberger, ich habe die
dringende Bitte, dass Sie in Europa gestalten und sich
einbringen. Treten Sie nicht auf die Bremse! Setzen Sie
nicht nur das durch, was nach deutschem Recht ohnehin
möglich ist!
Frau Ministerin, in den verbleibenden Sekunden
möchte ich noch ein Thema ansprechen, das mir sehr am
Herzen liegt: Menschenhandel. Dabei handelt es sich
um das abscheulichste Verbrechen, das man sich vorstellen kann. Wir haben hier im Großen und Ganzen gute
Rechtsgrundlagen; aber ich habe zwei Bitten:
Erstens. Ratifizieren Sie endlich die Konvention des
Europarates zum Menschenhandel! Das ist dringend erforderlich; hier haben wir Handlungsbedarf. Wir müssen
uns engagiert in die Diskussion um die neue Richtlinie
einbringen, die die Kommission vorgelegt hat. Wir müssen sie noch verbessern.
Zweitens. Ich möchte Ihr Augenmerk auf § 233 Strafgesetzbuch richten, den wir 2005 eingeführt haben. Es
muss genau untersucht werden, ob er tatsächlich dabei
hilft, Menschenhandel zum Zweck der Ausbeutung der
Arbeitskraft zu bekämpfen, oder ob er zu überarbeiten
ist. Ich bitte Sie inständig, sich dieses wichtigen Themas
gestaltend anzunehmen.
Ich fordere Sie auf: Seien Sie mutig! Setzen Sie sich
gegen Ihren Kollegen durch! Gestalten Sie Europa und
Deutschland in der Rechtspolitik! Dann haben Sie auch
unsere Unterstützung.
Herzlichen Dank.
({4})
Alexander Funk hat jetzt das Wort für die CDU/CSUFraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen
und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Justizetat hat mit Ausgaben in Höhe von rund 486 Millionen
Euro einen relativ geringen Anteil am Gesamthaushalt
des Bundes. Trotzdem hat er eine enorme Bedeutung für
unsere Demokratie und für eine sichere Rechtsstaatlichkeit, auf die wir stolz sein können. Natürlich will auch
dieser Einzelplan seinen Beitrag zum Zukunftspaket der
Bundesregierung leisten.
Auch in diesem Einzelplan wird gespart. Schon die
Ausgaben im aktuellen Plan für das Jahr 2010 sind um
2,2 Prozent gesunken. 2011 sollen die Ausgaben noch
einmal um 0,5 Prozent sinken. Das ist für diesen Verwaltungshaushalt angesichts der Tatsache, dass 77 Prozent
dem Personalhaushalt zuzurechnen sind, eine enorme
Leistung. Dafür gebührt dem Ministerium unser Dank.
Ein weiteres Indiz dafür, dass das Ministerium mit den
vorhandenen Mitteln sparsam umgeht, sind die Haushaltsreste. Als Haushälter bin ich geteilter Meinung: Auf
der einen Seite freue ich mich, wenn nicht alle veranschlagten Mittel am Ende des Jahres ausgegeben wurden.
Auf der anderen Seite gehören zu einem Haushalt auch
Wahrheit und Klarheit. Die Titelansätze sollten so veranschlagt werden, dass man das, was man benötigt, auch
ausgibt. Mittlerweile beläuft sich die Höhe der Haushaltsreste auf über 62 Millionen Euro, weshalb durchaus
Zweifel bestehen, ob in der Vergangenheit immer richtig
gehaushaltet wurde. Wir fordern deshalb, die Haushaltsreste abzubauen.
Viele Ausgaben sind durch gesetzliche Vorgaben gebunden. Dort müssen wir ansetzen, wenn wir den Haushalt konsolidieren wollen. Das Einsparpotenzial im Verwaltungshaushalt, aber auch im Personalbereich neigt
sich dem Ende zu. Wir sind alle aufgefordert, Vorschläge
zu machen.
Ein Vorschlag war in dieser Woche erneut in der Diskussion - ich schließe mich dem sehr gerne an -, nämlich der Berlin-Umzug. Es gibt sicherlich gute Gründe,
komplett von Bonn nach Berlin umzuziehen,
({0})
zumal Bonn hohe Kompensationszahlungen erhalten
hat. Ich kann an dieser Stelle nur für das Justizministerium sprechen. Es gibt noch drei Referate in Bonn und
zwei Referate - „Kriminalprävention“ und „Täter-OpferAusgleich“ -, die sowohl in Bonn als auch in Berlin beheimatet sind. Ich bin der Überzeugung, dass diese Doppelstrukturen beendet werden können. Auch das wäre
ein Beitrag zur Haushaltskonsolidierung.
({1})
Wir müssen intelligent sparen. Deshalb werden wir in
den Haushaltsberatungen alle Sparvorschläge exakt prüfen. Dazu gehören auch Stelleneinsparungen beim Deutschen Patent- und Markenamt. Es stellt sich die Frage,
ob diese Einsparungen wirklich sinnvoll sind. Die Bedeutung des Deutschen Patent- und Markenamtes wird
häufig unterschätzt. Die Bundesrepublik Deutschland ist
ein rohstoffarmes Land. Es ist ein Land der Ideen. Unsere wichtigste Ressource ist die Kreativität der Menschen. Hierfür ist das Deutsche Patent- und Markenamt
ein Spiegelbild. Trotz der Krise wurden im vergangenen
Jahr rund 60 000 Erfindungen zum Patent angemeldet.
Die rund 2 700 Mitarbeiter sorgen für Einnahmen in
Höhe von 293 Millionen Euro. Nach dem jetzigen HausAlexander Funk
haltsentwurf ist auch dieses Amt von Stelleneinsparungen betroffen. Das werden wir in den Haushaltsberatungen kritisch durchleuchten; denn dort gibt es einen
Bearbeitungsstau. Wir wissen alle, dass schnelle Verfahren für unsere Wirtschaft wichtig sind.
({2})
Trotz aller Spardiskussionen wollen wir dort, wo es
sinnvoll ist, Schwerpunkte setzen. Ich komme zum
Thema „Dunkelfeld“, das heute in der Debatte bereits
angesprochen wurde, allerdings in unangemessener, polemischer Wahlkampfrhetorik. „Dunkelfeld“ ist deutschlandweit die erste Initiative, die auf den Umgang mit
pädophilen sexuellen Störungen ausgerichtet ist. Diese
Initiative setzt auf Prävention. Sie bietet Menschen Hilfe
an, die sich selbst als Gefahr wahrnehmen und sich zum
Schutz der Kinder um eine Therapie bemühen. Das Ziel
ist, die Nutzung von Kinderpornografie einzudämmen,
um sexuellem Missbrauch vorzubeugen. Wir halten das
für ein sehr sinnvolles und sehr wichtiges Projekt. Im
Jahr 2007 hat die damalige Justizministerin Zypries das
Projekt vor dem Aus gerettet. Ich bin sowohl ihr als auch
der jetzigen Justizministerin dankbar, dass sie hinter diesem Projekt stehen und sich klar zu diesem Projekt bekennen. Die Justizministerin möchte das Projekt ausbauen und eine zentrale Koordinierungsstelle einrichten,
die dafür sorgen soll, dass das Projekt bundesweit etabliert wird.
Die Mittel, die jetzt im Haushaltsentwurf stehen, reichen aus, um die Therapie fortsetzen zu können. Die
Mittel für die Koordinierungsstelle müssen in den Haushaltsberatungen noch sichergestellt werden. Dafür sage
ich meine Unterstützung zu. Ich gehe sogar noch einen
Schritt weiter. Leider läuft die Forschungsförderung
Ende 2010 aus. Damit würde die wissenschaftliche Begleitung der Therapie wegfallen, was misslich ist, weil
die Einblicke in das Dunkelfeld mittlerweile auf einer
weltweit einmaligen Stichprobengröße basieren. Gerade
diese Daten liefern praxisrelevante Erkenntnisse für die
Prävention gegen sexuellen Missbrauch, wie mir Professor Beier ausführlich dargelegt hat. Insofern sollten
wir nach Möglichkeiten suchen, die Forschungsförderung zu verlängern. Jeder Euro, der dazu beiträgt, dass
ein Kind nicht Opfer sexueller Gewalt wird, ist ein gut
investierter Euro.
({3})
Uns stehen sicherlich spannende Haushaltsberatungen bevor. Ich bitte alle um konstruktive Mitarbeit.
Vielen Dank.
({4})
Damit ist die Aussprache zu diesem Einzelplan beendet.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums des Innern, Einzelplan 06.
Das Wort erteile ich dem Bundesminister Thomas de
Maizière.
({0})
Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Der Einzelplan des Bundesministeriums des
Innern hat im Haushaltsentwurf des Jahres 2011 ein Volumen von 5,4 Milliarden Euro. Das sind 105 Millionen
Euro weniger als im Soll des Jahres 2010.
({0})
Für einen kleinen und vergleichsweise personalintensiven Haushalt ist das ein respektabler, spürbarer Beitrag
zur Sanierung des Bundeshaushalts. Er ist notwendig,
aber nicht in allen Politikfeldern leicht umzusetzen.
Lassen Sie mich zu einigen wenigen inhaltlichen
Schwerpunkten des Geschäftsbereichs ein paar Worte
sagen. Dabei geht es wahrlich darum - ich weiß nicht,
ob die Abgeordnete Högl noch anwesend ist -, wer sich
innerhalb der Bundesregierung gegen wen durchsetzt,
sondern darum, wie die Justizministerin und der Innenminister gemeinsam für mehr Freiheit und Sicherheit in
unserem Land sorgen. Das ist unsere Aufgabe, und der
stellen wir uns.
Zu Migration und Integration. Darüber haben wir in
den vergangenen Wochen in verschiedenen Foren intensiv diskutiert. Das ist sicher eine der Kernfragen unserer
Zeit. Ja, es gibt heute Defizite. Ja, es gab in der Vergangenheit Fehler. Da wurde so manche Chance verpasst.
Aber seit einigen Jahren arbeiten wir entschlossen an
Lösungen, und das lassen wir uns auch nicht nehmen.
Migration und Integration sind untrennbar miteinander verbunden. Wir müssen sachlich, fair und wahrhaftig
diskutieren und an Lösungen arbeiten. Wir müssen auch
klar differenzieren: Wir fördern die ganz große Mehrheit
der integrationsbereiten Ausländer und Migranten durch
eine Fülle von Angeboten. Von der kleinen Minderheit
der Integrationsunwilligen fordern wir mehr Anstrengungen. Diese Forderungen müssen wir notfalls auch
mit Sanktionen durchsetzen.
({1})
Wer eine neue Heimat gefunden hat, der muss auch
heimisch werden wollen. Wer heimisch wird, muss seine
Herkunft nicht verleugnen. Im Gegenteil; gerade darin
liegt ja auch die kulturelle Bereicherung. Aber es gelten
die Regeln der neuen Heimat und nicht mehr die Regeln
der Herkunft.
({2})
Die Integrationskurse sind das wichtigste integrationspolitische Förderinstrument des Bundes. Die Teilnahme daran ist teilweise verpflichtend. Deutschkenntnisse sind die Grundvoraussetzung für jede Form von
Integration. Viele Migranten nehmen erfolgreich an den
Kursen teil. Diese Integrationskurse umfassen nicht nur
einen Deutschkurs im Umfang von rund 600 Stunden,
sondern auch einen Orientierungskurs über Geschichte,
Recht und Kultur in Deutschland.
Der Haushaltsentwurf 2011 sieht - trotz der sonst
zum Teil unvermeidlichen Haushaltskürzungen - für
diese Integrationskurse den gleichen Ansatz in Höhe von
218 Millionen Euro vor wie der Haushalt für dieses Jahr.
Dies wurde auch durch eine Hilfe aus dem Bildungsbereich von Frau Kollegin Schavan möglich, wofür ich
dankbar bin.
Rund 30 Prozent der Verpflichteten nehmen an diesen
Kursen nicht über die gesamte Dauer oder gar nicht teil.
Darüber müssen wir in Deutschland offen reden. Wir haben Sanktionen. Sie reichen von der Verhängung eines
Bußgelds über die Kürzung des SGB-II-Satzes bis hin zu
der Möglichkeit der Veränderung des Aufenthaltsstatus
und Ausweisung.
({3})
Wir haben hier überwiegend kein Gesetzesproblem, sondern ein Vollzugsproblem.
({4})
- Herr Wieland, ich freue mich, wenn wir uns darüber
einig sind.
({5})
Die Anwendung obliegt im Wesentlichen den
600 Ausländerbehörden in Deutschland. Die Frage, ob,
in welchem Umfang und warum nicht von solchen Sanktionsmöglichkeiten Gebrauch gemacht worden ist,
werde ich versuchen zu beantworten. Ich werde dies bei
der nächsten Innenministerkonferenz im Gespräch mit
meinen Kollegen zum Gegenstand machen und dann
gerne die Öffentlichkeit darüber unterrichten.
({6})
Zum Thema der öffentlichen Sicherheit. Deutschland bleibt eines der sichersten Länder der Welt. Die
polizeilich registrierte Kriminalität ist und bleibt rückläufig. Dennoch gibt es eine Reihe von Entwicklungen,
die mir Sorgen machen. Wir können sie aus Zeitgründen
hier jetzt nicht im Einzelnen und umfänglich bereden.
Über das Thema Gewalt war eben schon gesprochen
worden. Ich nenne die Themen organisierte Kriminalität,
Terrorismus und Internetkriminalität.
Bezüglich des Terrorismus bestätigen auch jüngere
Beobachtungen unserer Sicherheitsbehörden: Der internationale Terrorismus stellt nach wie vor eine ernst zu
nehmende Bedrohung für die Sicherheit unseres Landes
und das Leben unserer Bürgerinnen und Bürger dar. Im
Fokus unserer Sicherheitsbehörden befinden sich knapp
über 1 000 Personen, über die sicherheitsrelevante Hinweise und Erkenntnisse vorliegen. 130 Personen davon
werden als sogenannte Gefährder eingestuft, knapp
280 als sogenannte relevante Personen. Dass sich nähere
öffentliche Informationen darüber verbieten, liegt in der
Natur der Sache. Aber niemand soll daraus, dass nicht
viel darüber geredet wird, schließen, dass nicht Tag und
Nacht daran gearbeitet wird. Erfolgreich ist das im
Übrigen nur - das sage ich der Opposition mit Blick auf
einen anderen Kontext der letzten Wochen -, wenn alle
Sicherheitsbehörden, selbstverständlich im Rahmen ihrer Zuständigkeiten, sehr eng zusammenarbeiten.
Zu den zwei Guantánamo-Häftlingen möchte ich nur
zwei Worte sagen. Erstens. Ja, sie sind da. Zweitens. Ich
richte an alle die Bitte, sie in Ruhe zu lassen.
({7})
Besondere Sorge bereitet mir die Entwicklung im Zusammenhang mit der Internetkriminalität. Im Jahr
2009 haben wir im Bereich der engeren IuK-Kriminalität
- Herr Mayer hat darauf hingewiesen - einen Anstieg
von rund einem Drittel zu verzeichnen. Kinderpornografie, Bot-Netze und Wirtschaftskriminalität sind da Stichworte. Eines ist jedoch klar: Ohne die notwendigen
rechtlichen Befugnisse machen wir den Ermittlern ihre
Arbeit teilweise fast unmöglich.
({8})
Deswegen halte ich es für zwingend erforderlich, dass
wir uns rasch auf eine Neuregelung der Mindestspeicherungsfristen für Telekommunikationsverbindungsdaten einigen.
({9})
Wenn man einen neuen Begriff findet, ist das vielleicht
ein Weg zu einem neuen Denken.
({10})
- Mit wem wir uns einigen, können Sie sich doch denken.
({11})
Aber dass wir alle Debatten, die wir zu führen haben - es
ist auch kein Geheimnis, dass wir sie führen -, in Anwesenheit der Öffentlichkeit vor dem Deutschen Bundestag
führen, das werden Sie jedenfalls bei mir nicht erleben.
Freiheit und Sicherheit sind elementare Werte unseres
Zusammenlebens, auch im Internet. Wir müssen diese
Werte auch im Internet sicherstellen. Das Internet ist
eine kritische Infrastruktur wie die Strom- und Wasserversorgung. Das hat erhebliche Folgen. Kritische Infrastrukturen müssen zuverlässig zur Verfügung stehen.
Dies ist auch eine Aufgabe der Daseinsvorsorge der öffentlichen Hand. Was das im Einzelnen bedeutet, wird
uns in den nächsten Jahren noch intensiv beschäftigen.
Daran arbeiten wir: sichere Regierungsnetze, europäische Zusammenarbeit, Abwehr von Angriffen auf das
Regierungsnetz und andere Angriffe, die Bot-Netz-Initiative, der neue Personalausweis, das De-Mail-Gesetz.
Das Internet ist ein sehr freiheitliches Medium. Diese
Freiheit müssen wir bewahren und schützen, und zwar
vor einzelnen Unternehmen, die ihre Marktmacht ausDr. Thomas de Maizière, Bundesminister des InnernBundesminister Dr. Thomas de Maizière
spielen wollen, ebenso wie vor dem individuellen Missbrauch durch Kriminelle. Es gibt eine breite Debatte um
die zentralen Zukunftsfragen unserer Informationsgesellschaft.
Meine Damen und Herren, Google Street View ist nur
ein Wimpernschlag im Internetzeitalter. Es geht nicht
nur um Fassaden und öffentliche Plätze. Es werden neue
Dienste entwickelt und Verknüpfungen hergestellt, die
eine weit größere Auswirkung auf das Leben des Einzelnen haben als die reine Abbildung von Häuserfassaden.
Gefragt sind Nüchternheit und Klarheit beim Blick auf
die Chancen und auf die Risiken.
Wir müssen darauf achten, dass wir mit einer gesetzgeberischen Reaktion nicht die Maßstäbe verrücken.
Alles, was wir tun, muss vor dem Hintergrund der internationalen Entwicklungen auch durchsetzbar sein. Wir
brauchen deswegen eine angemessene Balance zwischen
Offenheit für Informationen, für Innovationen, für das
offensichtliche Informationsinteresse der Bürger, aber
auch für den Schutz der Privatsphäre und legitimer Sicherheitsinteressen.
Am kommenden Montag werden wir bei einem von
mir initiierten Treffen Eckpunkte für künftige Regelungen beraten, welche alle Geodaten und vor allem ihre
Verknüpfung im Internet in den Blick nehmen.
Vorhin war vom Beschäftigtendatenschutz die Rede.
Die Regierung hat einen Gesetzentwurf zur Regelung
des Beschäftigtendatenschutzes beschlossen. Damit ist
dieser Bundesregierung etwas gelungen, was vielen
Bundesregierungen zuvor nicht gelungen ist.
({12})
Der Gesetzentwurf schafft einen angemessenen Ausgleich zwischen den berechtigten Interessen der Arbeitnehmer und den berechtigten Interessen der Arbeitgeber.
Er dient auch einem effektiven Betriebsablauf und der
Korruptionsbekämpfung. Wir werden diesen Gesetzentwurf hier noch beraten und dann Gelegenheit haben,
ausführlich darüber zu diskutieren.
Meine Damen und Herren, im nächsten Jahr bietet die
Frauenfußballweltmeisterschaft unserem Land wieder
die Gelegenheit, sich als guter Gastgeber zu präsentieren, und unsere Frauen sind ganz gut drauf.
Genau dasselbe wünsche ich mir für die Olympischen
Winterspiele 2018 - möglichst in München. Die Bewerbung Münchens um die Ausrichtung der Spiele findet
unsere volle Unterstützung. Katarina Witt ist ein Glücksfall für diese Bewerbung. Ich bitte den Deutschen Bundestag, wie bisher die Bundesregierung, die Stadt München und den Freistaat Bayern bei der Bewerbung um
diese Olympischen Winterspiele zu unterstützen.
({13})
In diesem Jahr feiern wir den 20. Geburtstag der deutschen Einheit. Demnächst werden wir im Kabinett den
Jahresbericht zum Stand der Deutschen Einheit beschließen und der Öffentlichkeit vorstellen. Dann wird
sicher auch Gelegenheit sein, im Deutschen Bundestag
darüber zu diskutieren.
({14})
- Warum nicht alle? Warum können wir nicht alle darüber diskutieren?
({15})
Es dürfen alle Abgeordneten kommen, wenn wir den
Bericht zur deutschen Einheit diskutieren.
Das wäre schön. Darin sind die Präsidentin und ich
uns vollkommen einig. Wenn wir bei dieser Diskussion
ein volles Haus hätten, wäre das schön.
Ich will jetzt keine Einzelheiten zu dem Bericht und
zu der Entwicklung der vergangenen 20 Jahre nennen.
Ich will nur zwei Punkte zum Schluss sagen. Bei allen
Turbulenzen und Debatten, die wir haben, sollten wir im
politischen Tagesgeschäft hin und wieder auch - und
dazu boten die vergangenen Tage einen Anlass - an den
Mut und die Tatkraft von Menschen wie Bärbel Bohley
denken. Dann können wir vielleicht, wenn wir uns zaghaft und schüchtern fühlen, manches zurückstellen und
uns vornehmen, schwierige Dinge gemeinsam anzupacken.
Das Zweite. Unsere Nationalhymne hat einen sehr
schönen Eingangsvers: „Einigkeit und Recht und Freiheit“. Das betrifft nicht nur die deutsche Einheit, sondern
ist für die Bundesregierung, für den Bundesminister des
Innern und hoffentlich für uns alle auch ein konkreter
Handlungsauftrag, über den Haushalt hinaus.
Herzlichen Dank.
({0})
Der Kollege Olaf Scholz hat jetzt das Wort für die
SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es gibt
Fragen, die von den beiden Verfassungsressorts, dem
Justiz- und dem Innenministerium, gemeinsam bewältigt
werden müssen. Über ein solches Thema haben wir eben
gesprochen: darüber, wie wir bei der Sicherungsverwahrung eine neue Regelung zustande bekommen. Ich
sage ausdrücklich, dass die Dauer des Diskussionsprozesses zwischen den beiden Ressorts mittlerweile die erträgliche Zeitschwelle überschritten hat.
({0})
Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister des InnernBundesminister Dr. Thomas de Maizière
Es hätte längst ein Gesetzentwurf vorgelegt werden
müssen, den wir dann im Bundestag hätten beraten können. Aber der Prozess dauert zu lange, obwohl wir genau
wissen, dass hier etwas getan werden muss. Deshalb haben wir als sozialdemokratische Fraktion der Regierung
angeboten, bei der Erarbeitung der Regelungen, die notwendig sind, schnell zu helfen. An einer Stelle haben wir
unsere Bereitschaft, uns zu beteiligen, gemeinsam mit
vielen anderen schon bewiesen, indem wir nämlich die
Divergenzvorlage ermöglicht haben, mit der vermieden
werden soll, dass all diese Straftäter aufgrund sehr unterschiedlicher Praktiken aus den Gefängnissen entlassen
werden.
Uns geht es um das gesamte Vorhaben. Das gilt
selbstverständlich für die Vorschläge zu einer Neuregelung, die eingangs von der Justizministerin gemacht
worden sind und die vom Kabinett getragen werden. Es
gilt aber auch für die Frage: Wie gehen wir mit dem Problem der sogenannten Altfälle um?
Das, was die Regierung jetzt vorgeschlagen hat, ist
- ich glaube, das wissen auch die Beteiligten - ein Ritt
auf Messers Schneide. Es ist gefährlich und kann auch
misslingen. Trotzdem hat Ihnen unsere Fraktion zugesagt: Wir wollen, wenn es geht, gerne helfen und diesen
Weg mit Ihnen gemeinsam gehen. Aber wir brauchen einen Gesetzentwurf, den wir prüfen können. Denn es
kann sein, dass man zwar einen guten Einfall hatte, dieser am Ende, wenn man ihn in gesetzgeberische Worte
fassen muss, aber nicht funktioniert.
Es kann nicht angehen, dass es noch länger dauert, bis
Sie einen Gesetzentwurf vorlegen. Jetzt hieß es, es dauert noch bis Dezember oder sogar länger. Es muss jetzt
ein Gesetzentwurf her. Wir versprechen Ihnen, alles zu
tun, was dazu beiträgt, dass in diesem Haus und im Bundesrat eine schnelle Beratung erfolgen kann. Wir brauchen nämlich schnell ein neues Gesetz, das endlich die
alten ersetzt.
({1})
Es gibt ein zweites Vorhaben, bei dem beide Verfassungsressorts gefragt sind, bei dem sie allerdings nicht
aufgepasst haben. Jedenfalls kann ich mir nicht vorstellen, dass der Vertrag, den die Regierung mit der Atomwirtschaft geschlossen hat, die Billigung beider Verfassungsressorts gefunden hat. Es gibt zu viele Fragen, die
mit diesem Vertrag verbunden sind, die seine verfassungsrechtliche Zulässigkeit thematisieren.
Dabei geht es um solch einfache Fragen wie: Wird
das Kopplungsverbot missachtet? Sind hier nicht Regelungen, die nur durch Gesetz oder hoheitliches Handeln
getroffen werden dürfen, in einen Vertrag gegossen und
mit Gegenleistungen versehen worden, die man als demokratischer Staat nicht hätte geben dürfen? Außerdem
geht es um das Prinzip der Wesentlichkeit: Kann man
wirklich akzeptieren, dass solche Regelungen nicht vom
Parlament, sondern in einem Vertrag getroffen werden?
({2})
Ist es nicht notwendig, dass man die Regelungen, die
man will, in einem Gesetz trifft? Bei diesen Fragen reden Sie sich zu leicht und übrigens auch zu irre lachend,
wenn ich das dazusagen darf,
({3})
mit dem Hinweis auf den alten Vertrag heraus. Denn darin waren nur Regelungen getroffen, die als Begleitung
für die gesetzlich geregelten Umstände zu verstehen waren.
({4})
Das, was wir heute vorfinden, hat es damals nicht gegeben.
({5})
Wir müssen uns wirklich fragen, ob das so geht. Sie
sollten nicht den Respekt der Bevölkerung unseres Landes vor der Verfassung riskieren, weil Sie etwas beschließen, das offensichtlich kurze Zeit später vor dem
Bundesverfassungsgericht scheitern wird.
({6})
Vergessen Sie auch nicht, dass die Atomenergie gefährlich ist, wie auch immer man das politisch bewertet.
Jedenfalls gibt es eine Schutzpflicht des Staates, die
nicht einfach durch einen Vertrag geregelt werden kann.
Ich habe große Zweifel an der Zulässigkeit dieses Vertrages, und ich bitte die Verfassungsressorts, sich dazu zu
äußern.
({7})
Meine Damen und Herren, das Thema Integration ist
jetzt in aller Munde, und das ist fast schon das Problem.
Natürlich ist es richtig, dass darüber gesprochen wird;
aber viel wichtiger, als dass wir reden, ist, dass wir handeln. Wenn man das mitbekommt, was hier gegenwärtig
stattfindet, dann hat man in vielen Fällen den Eindruck,
dass zwar geredet wird, dass das aber mit den Handlungen, die hinterher stattfinden, nichts zu tun hat. Dann
wird man sehr schnell unehrlich. Zudem ist es gefährlich, wenn Reformvorschläge, die eigentlich vernünftig
und richtig sind, nur gemacht werden, damit die Ressentiments, die man in Wahrheit vortragen möchte, einen
sozialadäquaten Rahmen bekommen.
Deshalb sage ich: Ich bin mit dem, was wir hier hören, nicht einverstanden. Überall wird gesagt: „Deutsch
zu lernen, ist wichtig“, was richtig ist; aber gleichzeitig
wird die Möglichkeit, die deutsche Sprache zu erlernen,
in allen Verantwortungsbereichen der Bundesregierung
erschwert und nicht verbessert. Das ist das, was gegenwärtig stattfindet.
({8})
Wir haben vor kurzem die Mitteilung bekommen,
dass es nicht mehr möglich ist, dass alle, die sich freiwillig melden, an Integrationskursen teilnehmen können.
Das ist aber das, was wir eigentlich wollen: dass nicht
nur diejenigen, die neu hierhin kommen, sondern auch
diejenigen, die bereits hier sind und Sprachprobleme haben, gefördert werden.
({9})
Das wird ihnen aber verweigert, und darüber hinaus wird
gesagt, man müsse monatelang auf solche Kurse warten.
Während wir also über mehr Deutschkurse reden, werden die Deutschkurse nicht in dem nachgefragten und erforderlichen Maße angeboten. Das ist unehrlich, unseriös und bei einem so wichtigen Thema auch nicht in
Ordnung.
({10})
Es geht hier möglicherweise um 20 000 Menschen, die
freiwillig teilnehmen würden, dies aber aufgrund der falschen Haltung der Bundesregierung nicht können.
Man vergesse auch nicht die Verknüpfung mit anderen Ressorts. Wir stellen fest, dass es Integrationsverweigerer gibt, die aufgrund ihrer Möglichkeiten nicht
auf dem Arbeitsmarkt klarkommen oder den Zugang
vielleicht auch nicht suchen. Viel entscheidender ist
aber, dass man Angebote macht. Wie kann man die Mittel für die aktive Arbeitsmarktpolitik um Milliarden kürzen, wie es diese Regierung will, und sich hinterher
trauen, eine Rede darüber zu halten, dass man mehr tun
muss, um die Leute aus der Situation von Unterbeschäftigung bzw. Nichtbeschäftigung zu befreien? Das ist unehrlich und unseriös, und dadurch wird Politikverdrossenheit gefördert.
({11})
Genau das alles tun Sie heute, und das ist ein sehr großes Problem, weil Sie dadurch dazu beitragen, dass wir
nicht vorankommen. Wenn wir etwas wollen, dann müssen wir auch handeln.
({12})
Das gilt übrigens auch für manch andere Dinge, die bei
der Integrationspolitik eine zentrale Rolle spielen. Wir
beklagen die Situation mancher Frauen in Ehen, die hier
nach erfolgter Migration geschlossen worden sind.
Gleichzeitig kommen wir bei der Verbesserung des
Rückkehrrechts von Frauen, die Opfer von Zwangsehen
gewesen sind, nicht voran. Das ist unehrlich;
({13})
denn nur, wenn man diese Frauen beschützt, macht man
sie auch mutig dafür, dass sie sich jetzt und hierzulande
gegen das wehren, was sie nicht in Ordnung finden.
Das Gleiche gilt hinsichtlich der Antwort auf die
Frage, was wir eigentlich mit denjenigen machen, die sich
anstrengen. Die Botschaft unseres Landes muss doch
sein, dass sich Anstrengung lohnt. Wir haben den Vorschlag gemacht, dass zum Beispiel ein junger Mensch,
der geduldet ist und in einer Familie lebt, die geduldet ist,
seinen Aufenthaltsstatus in Deutschland mit dem Schulabschluss verbessern kann. Das wäre doch einmal eine
Botschaft, wenn man sagen würde: Wenn ihr das tut,
({14})
was wir hier ständig fordern, dann hat das auch eine gute
Konsequenz für euren Aufenthalt hier. - Es wäre richtig,
das zu tun.
({15})
Daneben gibt es noch die leidige Geschichte der Anerkennung im Ausland erworbener Abschlüsse. Auch
darüber ist schon viel geredet worden. Was man machen
muss, ist der Bundesregierung auch von dem früheren
Arbeitsminister schon einmal vorgeschlagen worden.
Das haben die damals verantwortlichen Ressortminister
und -ministerinnen - es sind immer noch die gleichen damals nicht gewollt. Danach stand es so ähnlich im Koalitionsvertrag, aber jetzt, nach einem Jahr, gibt es dieses
Gesetz, das schon seit weit über einem Jahr fertig sein
könnte, immer noch nicht. Wir brauchen ein Anerkennungsgesetz, um deutlich zu machen, dass diejenigen,
die sich anstrengen, hierzulande auch eine gute berufliche Chance haben.
({16})
Wir brauchen also Taten - die durchaus anstrengend sein
können.
Folgendes möchte ich noch anmerken: Wenn man
sagt, es müsse auch Sanktionen geben, während man
gleichzeitig alles dafür tut, dass man niemanden sanktionieren kann, dann ist das die doppelte Verstärkung von
unseriösen Argumentationen. Wer Sprachkurse nicht in
ausreichendem Maße anbietet, kann niemanden sanktionieren, weil er nicht teilnimmt, und wer die Arbeitsmarktförderung nicht so gestaltet, wie es notwendig ist, der
kann das ebenfalls nicht. Das ist also auch etwas, was
man hinterfragen muss: Wird das nur gesagt, damit es gesagt worden ist oder damit wir das Land und unser Zusammenleben verbessern?
Meine Damen und Herren, ich möchte noch eine
letzte Bemerkung machen zur Frage der Internetnutzung
und zu der Frage, wie wir damit umgehen wollen. Nicht
alles, was wir in den letzten Wochen und Monaten in der
Debatte zum Beispiel über Google Street View gehört
haben, ist wirklich zu Ende gedacht. Ich glaube, dass
man klug handelt, wenn man dort nicht jeder Aufregung
nachgibt. Auch die Panoramafreiheit gehört zu den Dingen, die in unserem Land eine große Rolle spielen. Es
kann nicht sein, dass etwas, was wir uns schon immer erlaubt haben, plötzlich verboten ist, nur weil es im Internet stattfindet.
({17})
Wenn man sich auf diese Dinge konzentriert, dann geschieht es ganz schnell, dass man die eigentlich wichtigen Dinge vergisst; denn die große Gefahr ist doch die
Verknüpfung von Daten, die Möglichkeit, dass nicht nur
das Bild da ist, sondern dass wir auch noch herausfinden
können, wer da wohnt und welche Lebensgewohnheiten
er hat, und dass das alles ungefragt und ungewünscht geschieht. Das müssen wir verhindern, und darum müssen
wir uns kümmern, aber nicht darum, ob ein Bild im Internet ist oder nicht. Das ist nicht die entscheidende
Frage; vielmehr ist die Verknüpfung von Daten ein wichtiges Thema, bei dem wir gesetzgeberische Fortschritte
brauchen, und zwar ziemlich schnell.
({18})
Das Wort geht an den Kollegen Hartfrid Wolff für die
Fraktion der FDP.
({0})
Dank der öffentlichen Debatte um die Ausführungen
eines bekannten Sozialdemokraten ist die Integrationspolitik derzeit wieder in aller Munde. Manchmal wird
leider weniger über die Integration als über den Sozialdemokraten diskutiert.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren!
({0})
Wir wollen die Chancen der Zuwanderung in den Mittelpunkt rücken, statt ständig über die Probleme zu sprechen. Die Koalition hat sich auf eine konsequente Steuerung der Zuwanderung nach Deutschland und eine
aktive Integrationspolitik geeinigt. Dabei muss der Zusammenhalt der durch Zuwanderer bereicherten zukünftigen deutschen Gesellschaft im Mittelpunkt stehen. Aus
Sicht der FDP müssen gerade die Betroffenen selbst bereit sein, sich den Herausforderungen der Integration zu
stellen. Wer dauerhaft hier leben möchte, muss die eigene Integration aktiv voranbringen und die Chancen ergreifen.
({1})
Wir halten es nicht für unzumutbar, Deutsch zu lernen
und das Rechtssystem zu kennen. Wir halten Zuwanderer nicht für bemitleidenswerte und unfähige Menschen,
denen nur mit Nachsicht oder Sozialhilfe begegnet werden kann.
({2})
Statt der Unkultur eines auf Dauer erniedrigenden Mitleids und des Verzichts auf Integrationsforderungen, wie
dies die rot-rot-grüne Opposition propagiert, muss
Deutschland in der Integrationspolitik endlich positiv
denken.
({3})
Wir brauchen eine Kultur der Anerkennung für diejenigen, die es geschafft haben. Wir halten integrierte Zuwanderer mit ihren Erfahrungen und ihrer Kultur für
eine große Bereicherung unserer Gesellschaft.
({4})
Wir wollen noch weiter gehen, um Integrationsleistungen zu unterstützen und zu honorieren. Dabei gehören
Fördern und Fordern zusammen.
Wir haben trotz des allgemeinen Spardrucks - der
Minister hat darauf hingewiesen - die Mittel für die Integrationskurse aufgestockt
({5})
und werden sie auch in Zukunft halten. In besonders herausragenden Fällen, bei denen Integration ausgezeichnet verläuft, wollen wir die Einbürgerung beschleunigen.
Einbürgerung ist für uns das Ziel und der Abschluss des
Integrationsprozesses.
({6})
Eine Einbürgerungsregelung allerdings, die von weiten
Teilen der Bevölkerung nicht akzeptiert wird, stärkt keinesfalls die Akzeptanz von Migranten.
Nach Auffassung von Rot-Rot-Grün sollen die Betreffenden durch eine Doppelstaatsangehörigkeit generell privilegiert werden. Die Abschaffung des Optionsmodells jetzt zu fordern, ist unverständlich, da wir noch
keine verwertbaren Daten zur Verwendung des Gesetzes
haben.
({7})
Wir werden die Erfahrungsberichte auswerten und danach die rechtlichen Fragen prüfen. So ist es im Koalitionsvertrag vereinbart; so werden wir es tun.
({8})
Aber einen Punkt möchte ich den Freunden der doppelten Staatsangehörigkeit schon jetzt zu bedenken geben: Die Einführung des Optionsmodells vor einigen
Jahren wurde zu Recht als Einstieg in das Jus soli und
als Abkehr vom Jus sanguinis gefeiert. Wer die Doppelstaatsangehörigkeit fordert, stoppt die Hinwendung zum
Jus soli; denn die Beibehaltung der Herkunftsstaatsangehörigkeit bedeutet die Beibehaltung des Abstammungsrechts.
Hartfrid Wolff ({9})
({10})
- Herr Wieland, denken Sie einfach in Ruhe darüber
nach! Lesen Sie es nachher noch einmal durch und denken Sie in aller Ruhe darüber nach!
Alles, was in unserer freiheitlich-aufgeklärten Gesellschaft als reaktionär gilt, wird bei Rot-Rot-Grün wieder
hoffähig, wenn man ihm nur das Mäntelchen „Migrationshintergrund“ umhängt. Da muss man plötzlich frauenfeindliche Bekleidungssitten hinnehmen, Verständnis für
orientalische Machokultur aufbringen oder Vorstellungen zur Familienehre tolerieren, die in einer fortschrittlichen Gesellschaft nur Unverständnis hervorrufen.
Ich würde mir wünschen, dass die Rot-Rot-Grünen
statt Multikulti und Nachgiebigkeit ihre sonst so demonstrativ zur Schau gestellte Fortschrittlichkeit gerade
in puncto Integration nachdrücklich einforderten.
({11})
Das bedeutet dann auch, dass für diejenigen, die sich der
Integration dauerhaft verschließen, die bestehenden
Sanktionsmöglichkeiten konsequenter als bisher angewandt werden. Dazu gehört, dass ethnisch-kulturelle Absonderung nicht hingenommen wird. Dazu gehört, dass
Eltern in Verantwortung genommen werden, die die Bildung und Ausbildung ihrer Kinder schleifen lassen. Die
Durchsetzung der Schulpflicht auch mit Bußgeldern gegen Eltern von Schulverweigerern ist bereits jetzt rechtlich möglich und muss auch konsequent durchgesetzt
werden.
({12})
Toleranz gegenüber Tätern etwa bei der Zwangsheirat
ist fehl am Platz. Ein eigenständiger Straftatbestand zur
Bekämpfung der Zwangsheirat muss eingeführt werden.
Es müssen aber nicht nur die Täter bestraft, sondern
auch die Opfer unterstützt werden, etwa beim Rückkehrrecht für Zwangsverheiratete. Das werden wir auch tun.
Wir wollen Mitbürgerinnen und Mitbürgern aus Zuwandererfamilien alle Chancen eines weltoffenen Landes eröffnen und ihre gesellschaftliche, wirtschaftliche
und kulturelle Teilhabe ermöglichen - mit allen Rechten
und Pflichten. So wird der Zusammenhalt der gesamten,
durch Zuwanderung bereicherten deutschen Gesellschaft
gestärkt.
Deutschland verändert sich. Die Bundesregierung aus
Union und FDP wird diese Veränderung gestalten.
({13})
Das Wort hat jetzt der Kollege Steffen Bockhahn von
der Fraktion Die Linke.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten
Damen und Herren! Bei der letzten Beratung des Bundeshaushaltes zum Einzelplan 06 im Frühjahr dieses
Jahres habe ich versucht, der Verlagerung der Zuständigkeit für den Osten der Republik etwas Positives abzugewinnen. Leider bin ich schwer enttäuscht worden - ich
hatte es aber fast vermutet -; denn es ist absolut dürftig,
was die Bundesregierung in diesem Bereich unternimmt.
Ich nenne einige Beispiele. Beim ersten Beispiel muss
ich den Minister ein bisschen in Schutz nehmen; er
wollte etwas anderes: Der Goldene Plan Ost zur Sanierung der Sportstätten für den Breitensport wurde gestrichen.
Die Förderung von Forschungsnetzwerken im Osten
der Republik wird zurückgefahren. Der Titel zur Förderung Ostdeutschlands insgesamt wird ebenfalls abgeschmolzen.
Wie sieht es 20 Jahre nach dem Beitritt der neu gebildeten Bundesländer am 3. Oktober 1990 in den neuen
Ländern aus? Die Arbeitslosenquote ist mit 11,5 Prozent
im Durchschnitt fast doppelt so hoch wie im Westen mit
6,5 Prozent. 14,4 Prozent aller erwerbsfähigen Ostdeutschen leben von Hartz IV. Dazu kommen die Kinder und
viele andere Menschen, die von Grundsicherung leben
müssen.
Ich bin 1978 im Osten der Republik geboren, in der
schönsten Stadt der Welt: Rostock. Ich kann Ihnen versichern, dass ich völlig frei davon bin, in irgendeiner
Form nostalgisch zu sein. Keineswegs, ich genieße die
Freiheiten, die ich in diesem System habe. Ich wünsche
mir mehr Freiheiten auch in diesem System. Ich bin frei
davon, mir die DDR zurückzuwünschen.
({0})
Aber sagen Sie mir bitte, wie sich jemand, der seit
20 Jahren zu Hause sitzt, keine Arbeit mehr findet oder
sich von einer Hartz-IV-Maßnahme in den nächsten
1-Euro-Job gedrängelt hat, über die Situation heute
freuen soll. Wir hören immer nur, dass alles toll ist, und
zwar von fast allen. Der Minister - das muss ich sagen ist konsequent und verspricht im Gegensatz zu vielen
seiner Vorgänger jetzt nicht mehr die schnelle Herbeiführung gleichwertiger Lebensverhältnisse. Ich hoffe
aber, dass er trotzdem intensivst daran arbeitet. Denn als
Verfassungsminister weiß er, dass die Herstellung
gleichwertiger Lebensverhältnisse in allen Teilen der
Republik ein Auftrag des Grundgesetzes ist.
({1})
Dann müsste er allerdings beim sogenannten Sparpaket der Bundesregierung aufbegehren. Denn gerade in
Regionen mit vielen sozial Benachteiligten schlägt dieses sogenannte Sparpaket durch. Die Kürzungen beim
Wohngeld und bei den Heizkosten für Hartz-IV-Empfänger und die Streichung des Elterngeldes für diese Klientel führen nämlich zu einem weiteren Kaufkraftverlust
und damit zu einer weiteren Schwächung des Wirtschaftsstandortes. Als Ostminister müsste der Innen6250
minister wissen, dass dies nicht nur einige Regionen im
Westen betrifft, sondern vor allem den gesamten Osten
der Republik. Schon deshalb müsste er dem Sparpaket
widersprechen.
({2})
Sie fordern immer wieder und auch völlig zu Recht
Einsparvorschläge von der Opposition. Sie behaupten,
alle müssten in diesem Bundeshaushalt etwas dazu beitragen, dass Geld gespart werde könne. Bereits im Frühjahr haben wir Ihnen einen Vorschlag gemacht; den
möchte ich gerne wiederholen. Wir schlagen Ihnen vor,
die Mittel für den sogenannten Bund der Vertriebenen
zu streichen.
({3})
In den letzten Tagen ist eindeutig klar geworden, wie
richtig diese Forderung ist. Die Präsidentin dieses Verbandes erweckt den Eindruck, Polen sei am Zweiten
Weltkrieg mitschuldig. Für den Stiftungsbeirat werden
Leute vorgeschlagen, die meinen, Staaten wie Polen und
Tschechien hätten den Zweiten Weltkrieg genutzt, um
die Deutschen loszuwerden. Dieser sogenannte Bund der
Vertriebenen bekommt auch in diesem Jahr
2,013 Millionen Euro, ohne jede Kürzung. „Maßnahmen, die geeignet sind, die Verständigung und Aussöhnung mit unseren östlichen Nachbarn zu fördern“, so
heißt dieser Haushaltstitel. Was die Debattenbeiträge
von Vertreterinnen und Vertretern des sogenannten Bundes der Vertriebenen in den letzten Tagen mit diesem
Ziel zu tun haben, erschließt sich mir in dieser Haushaltsberatung noch nicht.
({4})
Der Bund der Vertriebenen hat einen Auftrag zur Aufarbeitung der eigenen Geschichte und dafür auch Geld aus
dem Haushalt bekommen. Diesen Auftrag hat er bis
heute nicht zufriedenstellend abgearbeitet. Im Normalfall führt so etwas zu Sanktionen. Im Normalfall, aber
nicht beim Bund der Vertriebenen!
Ein weiterer Punkt, über den man in Haushaltsberatungen immer sprechen sollte, ist der Anspruch, dass ein
Haushalt Klarheit und Wahrheit widerspiegelt. Um
das kurz zu erklären: Das bedeutet, dass jeder, der sich
den Haushaltsentwurf anschaut, versteht, welches Geld
an welcher Stelle wofür ausgegeben wird. Es muss auch
deutlich werden, woher das Geld kommt. Damit komme
ich zu einem spannenden Punkt, dem E-Perso, also dem
elektronischen Personalausweis, der nun eingeführt werden soll. Wir haben gerade gelernt, dass 24 Millionen
Euro ausgegeben werden, um entsprechende Lesegeräte
anzuschaffen. Diese haben bei freundlicher Betrachtung
zumindest leichte Defizite im Bereich der IT-Sicherheit.
Aber es gibt nun eine Kampagne des Ministers, um die
IT-Sicherheit zu erhöhen. Ich hoffe, dass auch die Lesegeräte davon betroffen sind. Diese Lesegeräte werden jedenfalls nicht mit den klassischen Mitteln des Bundeshaushalts, also des Einzelplans 06, sondern im Rahmen
der Investitionsprogramme des Konjunkturpaketes angeschafft. Ich weiß nicht, ob diese Lesegeräte besonders
CO2-freundlich sind und deswegen diese Komponente
zum Tragen kommt. Fakt ist aber: Wenn ein elektronischer Personalausweis eingeführt wird und dafür Lesegeräte gebraucht werden, dann gehört das in den „normalen“ Haushalt des Innenministeriums und nicht
irgendwo anders hin. Das ist ein Beispiel dafür, dass
auch dieser Haushalt leider nicht besonders transparent
ist. Es gibt noch andere Beispiele. Wie wir gehört haben,
werden die Kosten beim Digitalfunk aufgeteilt. Wie dies
im Detail aussieht, wird nicht richtig klar. Auch hier ist
es wieder intransparent.
Geheimhaltung gehört zweifelsfrei zum Innenministerium. Aber zum Haushalt des Innenministeriums sollte
sie nicht gehören.
({5})
Das Wort hat der Kollege Wolfgang Wieland von
Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr de
Maizière, Ihr Schlussappell betreffend Einigkeit und
Recht und Freiheit hat mir gefallen. Einigkeit kann natürlich nicht bedeuten, dass wir alle hier immer einer
Meinung sind. Wir sind aber d’accord, wenn es um Einigkeit in den Grundfragen geht. Ich habe zudem festgestellt, dass die Rolle des konservativen Hardliners an den
Kollegen Wolff von der FDP outgesourct wurde.
({0})
Man erlebt Erstaunliches. Alle fragen, wo das konservative Profil der CDU bleibt. Nun ist es schon bei Herrn
Wolff. Bei ihm war es auch gut aufgehoben.
Da es mir noch immer schwerfällt, etwas Positives
über die Tonalität des Innenministers zu sagen, lese ich
folgende Stelle aus dem in Berlin erscheinenden Tagesspiegel aus der vergangenen Woche vor:
Der Christdemokrat bevorzugt die leisen Töne. Es
ist äußerst unwahrscheinlich, dass sich de Maizière
zu einer Äußerung hinreißen ließe, wie sie Otto
Schily im Juni 2004 von sich gab: Wenn ihr den
Tod so liebt, dann könnt ihr ihn haben, schleuderte
Schily den militanten Islamisten entgegen. Das
klang nach High Noon und nicht nach Rechtsstaat.
Weiter heißt es:
In konservativen Milieus wird de Maizière als
Wohlfühlminister abgetan. Der Eindruck ist offensichtlich falsch.
Das sehen wir auch so. Der Eindruck ist falsch, die Tonalität ist angenehmer. Sie gefällt uns durch den Verzicht
auf großes Brimborium besser. Meine lieben Freundinnen und Freunde von den Liberalen, aber die Melodie ist
die gleiche geblieben.
({1})
Sie waren es, die uns nach dem Sicherheitsmarsch der
Vorgänger so etwas wie einen Freiheitsblues versprochen hatten. Auf den warten wir seit nunmehr beinahe
einem Jahr vergeblich.
({2})
Keines der Sicherheitsgesetze wurde auch nur modifiziert. Das BKA-Gesetz soll so bleiben, wie es ist. Das
Bundesverfassungsgericht hat einen sehr interessanten
Fragenkatalog versandt. Wir sind insbesondere auf die
Antworten aus dem Haus Leutheusser-Schnarrenberger
gespannt. Wir sind auch gespannt, ob Sie wieder diese
Doppelrollen spielen werden: als Kläger und Beklagter,
als Held und als Schurke, als Mörder und als Ermordeter.
Wir sind wirklich gespannt.
({3})
Politisch machen Sie das im Moment. Sie ermorden
sich selbst, da brauchen wir gar nicht viel zu tun. Das
schaffen Sie als FDP im Moment ganz allein.
({4})
Fazit ist, was vom Kollegen Scholz und von anderen
schon erwähnt wurde: Der E-Personalausweis sollte am
1. November eingeführt werden. Niemand hat so richtig
und so zutreffend davor gewarnt wie Sie, liebe Frau Kollegin Piltz. Sie haben noch nach der Entscheidung zu
den Vorratsdaten gesagt: Da müssen wir jetzt ran.
Gleichzeitig haben wir erlebt, dass eine konservativ-liberale Regierung in Großbritannien gesagt hat: Raus aus
der Biometrie, wir haben in Großbritannien zu viel
Überwachung. Hier passiert gar nichts. Hier haben wir
auf zwei Feldern einen einjährigen Waffenstillstand,
mehr ist das nicht.
({5})
Wer eben zugehört hat, der hat zu dem Stichwort Internetsperren von überall her aus der CDU-Fraktion gehört: Wir wollen wieder sperren. Bei der Vorratsdatenspeicherung ist das ganz genauso. Herr Kollege Uhl, Sie
schreiben herzerweichende Briefe darüber, welche Sicherheitslücke hier besteht.
({6})
Der Kollege Bosbach spricht heute in der Osnabrücker Zeitung davon, welche große Sicherheitslücke
hier besteht. Sie sitzen da und sagen: Das ist aber eine
schöne große Sicherheitslücke. Aber Sie tun nichts. Wir
sehen beim Fehlen der Vorratsdatenspeicherung weniger
eine Sicherheitslücke, wir sehen eine Glaubwürdigkeitslücke bei Ihnen als Innenpolitiker der CDU/CSU.
({7})
Wenn Sie meinen, die Lücke, die wir nicht sehen, sei
da, dann können Sie nicht einfach sagen: Warten wir
doch ab, wann bei unserem Koalitionspartner ein Stimmungsumschwung kommt.
Zur Frage Migration und Integration hat der Kollege Scholz einiges gesagt. Hinzuzufügen wäre eigentlich nur noch die Frage der Bezahlung der Kursleiter.
70 Prozent der Kursleiter arbeiten auf Honorarbasis und
ohne Sozialversicherung. Sie sind nach einem Gutachten
aus Ihrem Haus viel schlechter bezahlt als alle vergleichbar Tätigen. Dass der Haushaltsansatz, den Sie hier lobend herausgestellt haben, gleichgeblieben ist, reicht
eben nicht, weil wir die sogenannten Bestandsausländer
schon jetzt nicht in die Kurse hineinbekommen haben.
Wenn man diese leidige Sarrazin-Debatte führt, dann
muss man auch zu Ergebnissen kommen. Wir werden als
Politiker nicht dafür gewählt, dass wir jammern und klagen, sondern wir werden dafür gewählt, dass wir Lösungen suchen und finden. Daher muss ich in einem Haushalt auch eine Lösung anbieten.
({8})
Ich muss die Kurse verbessern, und ich muss sie auch für
diejenigen verbessern, die schon länger hier sind.
Fazit: Die Kanzlerin hat einen Herbst der Entscheidungen angekündigt. Ich fürchte mit Blick auf diesen
Haushaltstitel, dass es ein Herbst der Fehlentscheidungen wird.
({9})
Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Günter Krings von
der CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Der Blick in den Haushalt des Bundesinnenministers zeigt: Die innere Sicherheit ist bei der christlich-liberalen Koalition und vor allem bei ihrem Innenminister Thomas de Maizière in guten Händen. Ich hatte
ehrlich gesagt bei keinem der Redebeiträge der Opposition die Befürchtung, dass uns jemand den Rang in dieser Beziehung ablaufen könnte. Für die Sicherheit unserer Bürger und den Rechtsfrieden in unserem Land zu
sorgen, stellt - den Hinweis auf diese Grundlage ließen
einige Beiträge vermissen - eine Kernaufgabe unseres
Staates dar, ja, sie bildet seine Existenz- und Legitimationsgrundlage. Nur solange der Staat in der Lage und
willens ist, die Sicherheit seiner Bürger mit allen rechtsstaatlich möglichen Mitteln zu verteidigen, kann er erwarten, dass diese Bürger seine Gesetze befolgen und
pünktlich ihre Steuern zahlen. Vor diesem Hintergrund
sind die 6 Milliarden Euro, die für den Justiz- und Innenhaushalt zusammen veranschlagt werden, gut angelegtes
Geld für den Rechtsfrieden und die Sicherheit unserer
Bürger.
Trotz der Bedeutung der Innenpolitik war es unvermeidlich und richtig, dass auch das Innenressort seinen
Beitrag zum Sparen und damit seinen Beitrag zur Generationengerechtigkeit in diesem Bundeshaushalt erbringt. Es ist dem Minister zu verdanken, dass er die
100 Millionen Euro, die im Haushalt einzusparen waren,
klug erwirtschaftet hat. So hat er zum Beispiel die besonders personalintensiven Bereiche des BKA, des Verfassungsschutzes und der Bundespolizei, die besonders
sicherheitsrelevant sind, von Kürzungen ausgenommen.
In einem ganz wichtigen Bereich ist ebenfalls keine
Einsparung erfolgt - wenn wir das in längerer Perspektive
sehen, so stellen wir fest, dass wir in den letzten Jahren
die Mittel erheblich ausgeweitet haben -: Es ist der große
Bereich der Integration. Integrationskurse sind inzwischen so weit finanziert, dass bereits über 600 000 Zuwanderer entsprechende Integrationskurse begonnen haben. Es ist nicht richtig, wie hier darzustellen versucht
wurde, dass in dieser Hinsicht nicht genug getan worden
ist. Keine Bundesregierung hat so viel für die Integration
getan wie die aktuelle. Immer mehr Zuwanderer kommen in den Genuss solcher Kurse. Wir haben gerade
durch solche Kurse, die vor allem die deutsche Sprache
vermitteln, einigen Erfolg gehabt, gerade bei den
4 Millionen muslimischen Zuwanderern in Deutschland.
Wir sind damit in puncto Fördern Spitze in Europa, ja,
Spitze nahezu weltweit. Wir bieten Kurse an, auf die andere Staaten gar nicht kämen.
Herr Scholz, es ist bezeichnend, dass Sie den Staat in
der alleinigen Verantwortung sehen. In vielen anderen
Ländern ist es üblich, dass jemand, der die Sprache des
Gastlands erwerben möchte, das auf eigene Rechnung
tut und sich selbst darum bemüht. Auch das muss für unseren Staat eine Option sein. Integration hat mit Fördern,
aber auch mit Fordern zu tun. Wir müssen von denen,
die wir fördern, auch etwas fordern können. Daher ist es
vollkommen richtig, dass wir darauf fokussieren, dass
diejenigen, die zu uns kommen, sich integrieren wollen,
die Motivation dazu haben und das eigene persönliche
Engagement mitbringen. Fördern ist der kleinere Teil.
Das Wichtigere ist, dass die Menschen Integration auch
wollen. Sie müssen unsere Rechtsordnung anerkennen,
unsere kulturellen Werte respektieren und insbesondere
unsere Sprache erlernen.
({0})
Wenn wir zu Recht unsere Hand zur Integration weit
ausstrecken, müssen wir auch deutlich machen, was mit
denjenigen passiert, die diese Hand ausschlagen. Wer
diesen Staat ablehnt, wer Integration ablehnt, darf nicht
auf finanzielle Unterstützung von ebendiesem Staat hoffen. Wer nicht bereit ist, unsere Sprache zu erlernen und
unsere Werte aufzunehmen, gehört nicht in unser Land.
Wer hier erhebliche Straftaten begeht, hat das Gastrecht
in unserem Land ein für allemal verwirkt.
({1})
Wir haben mit unserem Koalitionspartner, der FDP,
eine große Übereinstimmung. Ich habe das aktuelle Integrationspapier der FDP sehr positiv aufgenommen. Es
gibt den einen oder anderen Punkt, über den wir noch
diskutieren müssen, aber ich bin sehr zuversichtlich,
dass wir mit den Kollegen von der FDP, mit Gisela Piltz
und Hartfrid Wolff, sehr erfolgreich daran arbeiten werden, eine wertegebundene Integrationspolitik voranzubringen. Für eine erfolgreiche Integration ist das entscheidende und erste Kriterium - ich habe es bereits
erwähnt - das Erlernen der Sprache des Gastlandes.
Ohne das sind alle weiteren Integrationsschritte von
vornherein zum Scheitern verurteilt. Aus dem Grund ist
es richtig, dass wir daran festhalten, und zwar auch gegen den Widerstand aus den Fraktionen der Grünen und
der SPD, dass beispielsweise nachziehende Ehegatten
erst Grundkenntnisse der deutschen Sprache erwerben,
bevor sie nach Deutschland kommen.
Wer das ablehnt,
({2})
wer sagt: „Das brauchen wir nicht“, der tut denjenigen,
die nach Deutschland kommen und sich hier integrieren
wollen, in Wahrheit einen Tort an. Er behindert Integration, betreibt das Gegenteil von Integrationsförderung.
Wir werden weiter fordern: Diejenigen, die nach Deutschland kommen, müssen Grundkenntnisse der deutschen
Sprache haben.
({3})
An diesem letzten Beispiel wird auch deutlich, dass
SPD und Grüne der aktuellen Integrationsdebatte, die
über sie gekommen ist, offenbar weniger denn je gewachsen sind.
({4})
Sie können gut philosophieren, Sie können gut von Multikulti, von sogenannten Gesellschaftsverträgen sprechen,
({5})
aber wenn es um hilfreiche Ideen geht, um den Mut,
auch problematische Entscheidungen zu treffen, herrscht
bei Ihnen weitgehend Fehlanzeige.
({6})
Es ist doch schon eine Art Realsatire, wenn der SPDParteivorsitzende und der Erste Parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Fraktion in ihrer Verzweiflung
jetzt auf den Neuköllner Bezirksbürgermeister Heinz
Buschkowsky als Kronzeugen für SPD-Politik rekurrieren. In der Tat, das ist einer der wenigen in der SPD, der
die Probleme noch beim Namen nennt, der Klartext
spricht. Aber weder der rot-rote Senat in Berlin noch die
SPD im Bund wollten jemals auf ihn hören.
({7})
Noch vor wenigen Tagen klagte Herr Buschkowsky
in der Berliner Morgenpost über seine eigene Partei
- ich zitiere -:
Ich bin nicht Teil von Arbeitsgruppen der SPD zur
Integration oder Migration. Meine Position ist dort
nicht gewünscht. Der größte Feind einer vernünftigen Integrationspolitik ist die Ignoranz.
Ignoranz, meine Damen und Herren, scheint ohnehin
zum Markenzeichen der Politik der SPD in diesen Fragen zu werden.
({8})
Ignoranz ist auch ein schlechter Ratgeber, wenn es
um die Bekämpfung des Extremismus geht. Wir haben
in der Rechtsdebatte schon einiges dazu gehört. Wir
müssen Extremisten in unserem Land genau beobachten,
gerade auch durch den Verfassungsschutz beobachten
lassen. Ich kann Ihnen dazu sozusagen aus erster Hand
aus meinem Wahlkreis berichten. Dort gründet sich eine
neue Salafistengruppe, eine extremistische Gruppe aus
dem religiösen Umfeld. Wir müssen nicht nur alles unternehmen, um die genauestens zu beobachten, sondern
auch dafür sorgen, dass wir uns abgrenzen, dass wir
Grenzen ziehen, dass wir solche Gruppen nicht als normalen Bestandteil des religiösen oder gesellschaftlichen
Lebens in unserem Land akzeptieren. Wir wissen, dass
solche extremistischen Gruppen, auch aus dem religiösen Bereich, Nährboden für Terrorismus darstellen können. Dem müssen wir mit aller Entschlossenheit entgegentreten.
({9})
Wir als CDU und CSU kämpfen in gleicher Entschlossenheit gegen jedwede Form des Extremismus, ob
er von rechts oder von links kommt oder ob es sich um
religiös motivierten Extremismus handelt. Aktuell ist
nach wie vor das rasante Anwachsen der Zahl von Gewalttaten aus dem linksextremen Milieu besorgniserregend. Linksextreme Gewalt hat rechtsextreme Gewalt
inzwischen sogar überflügelt. Besonders besorgniserregend ist, dass es immer noch Parteien und Abgeordnete
in diesem Haus gibt, die linksextreme Gewalt verharmlosen, verniedlichen
({10})
und damit indirekt fördern.
({11})
- Diejenigen haben sich gerade eindrucksvoll gemeldet.
Vielen Dank für diese Bestätigung.
Nicht nur aus diesem linksextremen Milieu - Ihre
Partei ist offenbar nicht bereit, sich davon eindeutig abzugrenzen -,
({12})
aber eben auch daraus gibt es immer mehr Gewalt gegen
Polizisten. Es ist nicht hinnehmbar, dass diese brutalen
Gewalttaten weiter an Intensität zunehmen. Die Polizistinnen und Polizisten halten im wahrsten Sinne des Wortes Tag für Tag ihren Kopf für uns hin, damit wir sicher
und frei leben können.
Es mögen Abgeordnete, auch exponierte Abgeordnete
in diesem Hause, ihren Beitrag darin sehen, die Arbeit
von Polizisten noch zu erschweren, indem sie beispielsweise an illegalen Sitzblockaden teilnehmen,
({13})
wir jedenfalls als Koalition sehen unsere Aufgabe darin,
auch den Schutz von Polizisten in Deutschland zu verbessern - er muss sich auch im Strafrecht widerspiegeln -,
und daran werden wir arbeiten.
({14})
Ich komme gern zum Schluss und will noch ein paar
Worte zu der grassierenden Internetkriminalität sagen.
Dieser Bereich wird von einigen Fraktionen in diesem
Hause nicht ausreichend ernst genommen. Es ist heute
möglich, Kreditkartendaten in einem vollautomatisierten
Internetshop ähnlich denen von Amazon und iTunes im
Zehnerpack oder Hunderterpack zu erwerben. Das lässt
ein deutliches Anwachsen dieser Kriminalität befürchten. Wir müssen die Infrastrukturverantwortung des
Staates, wie es der Minister gesagt hat, gerade in dem
Bereich ernst nehmen. Wir sind bereit, uns dieser Herausforderung zu stellen. Dazu gehören natürlich auch
Mindestspeicherfristen im Netz. Das ist ein wichtiger
Bereich, um dieses Medium, diese Infrastruktur sicher
und funktionsfähig zu halten.
Herr Kollege Krings!
Genug Aufgaben haben wir. Diesen Aufgaben wollen
wir uns unter anderem in den Haushaltsberatungen stellen. Ich freue mich auf diese Beratungen. Vielleicht
kommt ja auch von der Opposition noch etwas Konstruktives.
Vielen Dank.
({0})
Das Wort hat die Kollegin Gabriele Fograscher von
der SPD.
({0})
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!
Die geplanten Kürzungen und Einsparungen, Herr
Krings, sind kein Beitrag zur Generationengerechtigkeit;
sie sind vor allen Dingen und zuallererst die Folge Ihrer
einseitigen Steuergeschenke
({0})
und Ihrer Unfähigkeit und Unwilligkeit,
({1})
die Verursacher der Finanz- und Wirtschaftskrise zur Bewältigung der Folgen zur Kasse zu bitten.
({2})
Für den Innenhaushalt gilt, Herr Krings: Markige
Worte und Vorwürfe an alle möglichen Seiten helfen
nicht weiter. Deutliche Schwerpunktsetzung im Einzelplan 06 für mehr Integration, für mehr Demokratieförderung und Extremismusbekämpfung, für mehr öffentliche
Sicherheit: Fehlanzeige! Ich will das mit Beispielen belegen.
Erstes Beispiel: Bundespolizei. Ziel der 2008 beschlossenen Bundespolizeireform war, mehr Präsenz in
der Fläche und mehr Sicherheit an Bahnhöfen, Flughäfen und Grenzen zu schaffen. Zusätzlich sollte die Bundespolizei auch noch schwierige und gefährliche Auslandseinsätze bewältigen können. Diese Ziele sind nicht
erreicht worden. Das haben die Sachverständigen in der
Anhörung im Innenausschuss im Juli dieses Jahres drastisch dargestellt. Ich zitiere Rainer Wendt, den Vorsitzenden der Deutschen Polizeigewerkschaft:
Wenn Sie geglaubt haben, mit einer Neuorganisation aus zu wenig Personal ausreichend Personal
machen zu können, dann haben Sie sich getäuscht.
Das wird nicht funktionieren. Zu wenig Personal
heißt zu wenig Personal. Da können Sie organisieren, was sie wollen.
Anstatt dieses Problem anzugehen, planen Sie, Herr
Bundesinnenminister, in Ihrem Haushalt bis 2014 rund
weitere 1 000 Stellen bei der Bundespolizei zu streichen.
({3})
So steht es zumindest in dem Schwerpunktepapier Ihres
Hauses für den Einzelplan 06. Wie das zu einer spürbaren Entlastung, mehr Präsenz in der Fläche und mehr öffentlicher Sicherheit führen soll, bleibt Ihr Geheimnis.
Ich will ein zweites Beispiel anführen: Demokratieförderung und Extremismusbekämpfung. Der Haushaltstitel, in dem die Mittel für die Bekämpfung des Extremismus enthalten sind, wird trotz steigender Zahlen
bei politisch motivierten Gewalt- und Straftaten reduziert. Zwar erhält das Bündnis für Demokratie und Toleranz weiterhin 1 Million Euro, weitere Aktivitäten auf
diesem Gebiet sind wegen nicht eingestellter Haushaltsmittel offensichtlich nicht geplant.
Auch die Bundeszentrale für politische Bildung wird
durch den vorliegenden Haushalt geschwächt. In diesem
Jahr sind Kürzungen in Höhe von 1,5 Millionen Euro geplant, in den Folgejahren sogar von bis zu 5 Millionen
Euro. Politische Bildung aber ist Voraussetzung für Teilhabe und Teilnahme der Bürgerinnen und Bürger am demokratischen Gemeinwesen. Kürzungen gehen zulasten
von Information, Aufklärung und demokratischer Kultur.
Drittes Beispiel: Datenschutz, insbesondere Beschäftigtendatenschutz. Ihr Urteil, Herr Bundesinnenminister,
dass der in den Ressortabstimmungen weichgespülte
Entwurf Arbeitnehmer- und Arbeitgeberinteressen ausgleicht, teilen wir nicht. Wir kritisieren, dass es einen
Blankoscheck für die Videoüberwachung gibt, dass sie
einen unverhältnismäßigen Eingriff in die Privatsphäre
darstellt und
({4})
dass die Sanktionierung der zweckfremden Datenverwendung lückenhaft ist. Dieser Entwurf stellt somit keinen fairen Ausgleich zwischen den Interessen der Arbeitgeber und den Schutzbedürfnissen der Arbeitnehmer
dar. Das BMI muss hier noch nachbessern.
({5})
Viertes Beispiel: Technisches Hilfswerk.
({6})
Beim THW sollen in den nächsten vier Jahren 80 hauptamtliche Stellen, also 10 Prozent der Stellen, wegfallen.
Damit gefährden Sie die erfolgreiche Organisationsstruktur des THW. Die vielfach unter Beweis gestellte
Fähigkeit des THW, erfolgreich und effektiv im In- und
Ausland Hilfe leisten zu können, liegt in dem Verhältnis
und dem Zusammenwirken von haupt- und ehrenamtlichen Kräften. Derzeit stehen 800 hauptamtliche Mitarbeiter 80 000 ehrenamtlichen Helferinnen und Helfern
gegenüber. Wenn Sie die Zahl der hauptamtlichen Mitarbeiter um 10 Prozent reduzieren, dann wird das auch
Auswirkungen auf den Einsatz der Helferinnen und Helfer haben. Diese Auswirkungen werden nicht nur wir in
Deutschland spüren, sondern auch die Menschen in den
Ländern, in denen das THW hilft, wie zurzeit in Pakistan. Die neuen Herausforderungen, die das THW in Zukunft bewältigen muss, zum Beispiel die Gewinnung
Freiwilliger, wenn Sie - wie geplant - die Wehrpflicht
aussetzen, lassen sich so nur schwerlich meistern.
Über die Integration - zu diesem Beispiel will ich
jetzt noch etwas sagen - ist schon viel gesprochen worden. Es ist ein Megathema. Sie sprechen von Sanktionen
gegen integrationsunwillige Migrantinnen und Migranten, können aber mit den jetzt eingestellten Mitteln noch
nicht einmal all denen, die sich freiwillig zu einem
Sprachkurs melden, ein Angebot machen.
({7})
Ihre Ministerkolleginnen und -kollegen Schavan, von
der Leyen, Ramsauer und Schröder kürzen und streichen
dort, wo Integration stattfindet oder stattfinden muss. Zu
gelingender Integration gehören neben qualifizierenden
Sprachkursen auch die schnelle Anerkennung ausländischer Bildungsabschlüsse, die Stärkung der interkulturellen Bildung, das Programm „Soziale Stadt“, die Verbesserung der Nachqualifizierung, eine aktive Arbeitsmarktpolitik, zielgerichtete Sozialleistungen und frühkindliche Förderung in Kitas und Schulen.
Die FDP, Herr Wolff, hat sich wohl von einer liberalen Ausländerpolitik - so muss man es nach Ihrer Rede
hier feststellen - in dieser Regierung verabschiedet.
({8})
Im Haushalt des BMI sollen 100 Millionen Euro eingespart werden. Das ist zwar weniger, als andere Ressorts einsparen müssen. Aber diese Kürzungen sind besonders schmerzhaft, weil sie zulasten der öffentlichen
Sicherheit und zulasten der Integration gehen.
Vielen Dank.
({9})
Das Wort hat die Kollegin Gisela Piltz von der FDPFraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich
möchte heute mit einem Zitat beginnen:
Wenn es etwas gibt, wovon Sie nicht wollen, dass
es irgendjemand erfährt, sollten Sie es vielleicht ohnehin nicht tun.
({0})
- Herr Kollege, Sie haben es verraten. - Der eine oder
andere glaubt vielleicht, dieser Satz stamme von einem
ehemaligen Innenminister oder von CDU-Kollegen.
Nein, das ist nicht richtig. Es ist der Chef von Google.
Ich finde es besorgniserregend, wie mit unserer Privatsphäre umgegangen wird.
({1})
Grundsätzlich muss es jedem Menschen möglich sein,
selbst zu entscheiden, wer mit seinen Daten umgehen
darf und wie sie verknüpft werden. Die Informationsgesellschaft macht aus unserer Sicht Privatheit nicht überflüssig, im Gegenteil: Je mehr solche Daten verfügbar
sind und sozusagen mit einem Mausklick um die Welt
transportiert werden können, umso wichtiger ist der Datenschutz bei der Erhebung dieser Daten.
Schon lange ist der Datenschutz im nichtöffentlichen Bereich - das wissen Sie alle - mein persönliches
Anliegen und das Anliegen meiner Fraktion. Umso mehr
freue ich mich, dass das ein zentrales Thema dieser
christlich-liberalen Koalition geworden ist.
({2})
- Wir tun etwas im Haushalt. Es gibt trotz Konsolidierungsbemühungen für den Datenschutz 1,8 Millionen
Euro mehr als im vergangenen Haushalt.
({3})
Ich finde, das ist aller Ehren wert. Ein Vorschlag zum
Arbeitnehmerdatenschutz, eine Stiftung Datenschutz,
die nächstes Jahr aus der Taufe gehoben wird, und ein
modernes Datenschutzrecht: Das ist mehr als Sie, RotRot-Grün, gemeinsam oder anderweitig in den letzten
Jahren auf den Weg gebracht haben.
({4})
Darauf sind wir sehr stolz.
({5})
Ich bin froh darüber, dass wir das als christlich-liberale Koalition auf den Weg gebracht haben. Herr Minister, ich bin mir sicher, dass wir auch für die Vorratsdatenspeicherung eine Lösung finden.
Frau Kollegin Piltz, darf ich Sie kurz unterbrechen? Erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Korte
von den Linken?
Ja, ich habe schon darauf gewartet.
Frau Kollegin Piltz, Rot-Rot-Grün hat ja noch gar
nicht regiert. Wir versuchen, das 2013 hinzubekommen.
({0})
Aber das ist jetzt nicht das Thema.
Ich habe eine ernst gemeinte Frage. Wir haben heute
von der Justizministerin etwas zur Vorratsdatenspeicherung gehört. Dagegen haben wir in der letzten Legislaturperiode durchaus zusammen gekämpft. Wir wollen
uns praktisch einbringen. Meine Frage richtet sich deshalb an die Vertreterin der FDP, die auf der Demonstration eindrucksvoll vertreten war: Was können wir tun,
damit Sie sich gegen die CDU durchsetzen können
({1})
und die Bundesregierung auf der europäischen Ebene
gegen die neue Richtlinie vorgehen kann?
({2})
Wir wären Ihnen dabei behilflich. Was gedenken Sie zu
tun?
Herr Korte, ich habe nicht nur demonstriert, sondern
habe gemeinsam mit anderen erfolgreich geklagt. Aus
diesem Grund glaube ich, dass ein neuer Name allein
diesem Problem nicht gerecht wird.
({0})
Sie können Folgendes tun: Beobachten Sie es, und haben
Sie Spaß daran.
({1})
Ich bin mir sicher, dass sich die christlich-liberale Koalition auch in diesem Punkt einigt. Aber das machen wir
schon selber. Dazu brauchen wir die Hilfe der Linken
nicht. Aber herzlichen Dank für Ihr freundliches Angebot.
({2})
Wir sprechen im Rahmen dieses Haushalts auch über
den Sport. Ein aktuelles Ereignis hat uns beschäftigt, und
zwar die Entscheidung des EuGH zum Glücksspielstaatsvertrag. Aufgrund der Aktualität möchte ich dazu
Folgendes sagen - auch wenn der Bund dafür nicht klassischerweise zuständig ist -: Das Urteil des Europäischen Gerichtshofs aus der vergangenen Woche hat für
Deutschland doch erhebliche wirtschaftliche und damit
auch haushalterische Bedeutung. Im Sportwettenmarkt
werden jedes Jahr ungefähr 8 Milliarden Euro umgesetzt. Wenn auch die Musik zunächst formal in den Ländern spielt, bin ich doch der Auffassung, dass auch wir
auf der Bundesebene gehalten sind, die Einführung eines
durchdachten Konzessionsmodells endlich voranzutreiben. Ich hoffe, dass wir hier eine gute Lösung finden.
({3})
Der Haushaltsansatz für das Jahr 2011 steht insgesamt
unter dem Ziel der Konsolidierung. Das ist aber nicht so
einfach. Das können Sie nicht einfach so von der Hand
weisen. Denn ganz ehrlich: Auf Schuldenbergen können
Kinder nicht spielen. Das gilt übrigens auch für die
Sammlung von Daten - dieses Thema möchte ich noch
einmal ansprechen -: Auf Datenbergen kann keine Privatsphäre wachsen.
({4})
Wenn ich mir anschaue, was Ihre rot-grüne Minderheitsregierung in Nordrhein-Westfalen macht: Sie steigert gerade die Nettoneuverschuldung um 35 Prozent.
({5})
Besser kann man den Unterschied zwischen einer christlich-liberalen Koalition und einer rot-grünen Minderheitsregierung in Nordrhein-Westfalen nicht aufzeigen.
Wir senken die Nettoneuverschuldung; Sie erhöhen sie.
Das ist der Unterschied. Sie machen Politik zulasten unserer Kinder. Das ist nicht in Ordnung.
({6})
Wir werden in den nächsten Monaten an der Reform
der Bundespolizei arbeiten. Dazu werden wir Vorschläge
einbringen. Denn klar ist - das hat auch die Anhörung
ergeben -, dass es so nicht weitergehen kann. Wir müssen dringend Maßnahmen ergreifen. Das haben wir bereits vereinbart. Wir werden auch an anderen Themen
wie zum Beispiel der Sicherheitsarchitektur arbeiten.
Ich bin zuversichtlich, dass es ein Herbst der Entscheidungen und nicht der Fehlentscheidungen wird.
Fehlentscheidungen hatten wir in den letzten Jahren unter Ihrer Ägide genug.
Herzlichen Dank.
({7})
Das Wort hat der Kollege Frank Tempel von der Fraktion Die Linke.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen
und Herren! Zum Haushaltsentwurf gibt es relativ viel
zu sagen. Deswegen ist es auch problematisch, sich in
fünf Minuten zu äußern. Ich will versuchen, wenigstens
drei Themen anzureißen.
Es heißt: Wer sich an Schwächeren vergreift, ist ein
Feigling. Die derzeitige Bundesregierung greift ständig
denen in die Tasche, die sich am wenigsten dagegen
wehren können. Ist es nun Feigheit oder Klientelpolitik,
die das Verursacherprinzip in Ihrer Finanzpolitik außer
Kraft setzen? Beim jetzigen Aufschwung werden vielfach Lohnsteigerungen gefordert. Bei den Beamten, also
den Beschäftigten im eigenen Verantwortungsbereich,
will die Regierungskoalition aber genau das Gegenteil.
Die auf fünf Jahre befristete Kürzung der Sonderzahlung in der Beamtenbesoldung - das ehemalige Weihnachtsgeld und Urlaubsgeld - sollte Ende 2010 auslaufen. So war es vereinbart. Hier geht es übrigens um
immerhin 2,5 Prozent des Jahresgehalts. Jetzt soll das
Tarifergebnis für die Beamten in das Bundesbesoldungsanpassungsgesetz übernommen werden. Die Regierungskoalition brachte aber dazu einen Änderungsantrag
ein, der unter anderem die Fortsetzung dieser Kürzung
beinhaltet. Zugleich kommen Sie im Innenausschuss mit
einem mündlichen Antrag, der genau diese Kürzung
wieder zurücknimmt, um dann wiederum diesen Änderungsantrag zum eigenen Änderungsantrag zurückzunehmen.
({0})
Bei dem Thema herrscht also entweder komplettes
Chaos, oder Sie haben ein schlechtes Gewissen; denn
Polizeibeamte stehen Ihnen offensichtlich sehr nahe.
Vielleicht denken Sie auch bei diesem Thema einmal an
die Polizeibeamten; denn auch sie betrifft das.
({1})
So etwas nennt man jedenfalls Vertrauensbruch. Ich
muss Ihnen ganz ehrlich sagen: Wer soll denn dieser Regierung noch vertrauen, wenn selbst die Beamten und
Beamtinnen das Vertrauen in ihren eigenen Dienstherren
verlieren! Bei den Beamten ist hier sehr stark die Rede
von Vertrauensbruch und Vertrauensmissbrauch. Viele
von ihnen haben mir geschrieben. Ein Beamter schrieb
mir dazu:
({2})
Die Beamten haben jeweils in den letzten fünf Jahren auf Zahlungen zwischen 3 000 und 6 500 Euro
verzichten müssen, und so habe auch ich einen Anteil zur Sanierung des Bundeshaushaltes geleistet.
Jedoch habe ich weder die HRE vor den Baum gefahren noch die Commerzbank ruiniert.
Wie schrieb der Beamte weiter? „Ein funktionierender
Staatsdienst“ - das sollten Sie sich merken - „ist für das
Bestehen der Bundesrepublik genauso systemrelevant
wie das Überleben wichtiger Banken!“
({3})
Sie haben bereits die Demotivation durch fortlaufende Stellenstreichungen angesprochen. Hier steht der
Staatsdienst übrigens vor einer riesigen demografischen
Herausforderung. 70 000 Beschäftigte gehen in den
nächsten zehn Jahren in den Ruhestand. Wo bitte haben
Sie haushalterisch auf die seit Jahren bekannten Probleme hingearbeitet? Es ist nichts zu finden.
({4})
Man könnte über dieses Thema sicherlich eine eigene
Debatte führen.
Zum nächsten Thema. Das Thema Integration ist in
aller Munde und auch heute eines der Hauptthemen. Ich
kann aber im Haushalt keine verstärkten Bemühungen
erkennen.
({5})
Ich erinnere: Kürzung der Gelder für Migrationsberatung um 2 Millionen Euro. Das nennen Sie „verstärkte
Bemühungen“. Im letzten Jahr hatte das Ministerium
noch eine Aufstockung der Mittel um 8,5 Millionen
Euro gefordert. Genau das fordert die Linke.
({6})
Damit nicht genug: Sie brüsten sich offensichtlich damit, dass der Ansatz für Integrationskurse in Höhe von
218 Millionen Euro trotz Sparvorgaben unberührt bleibt.
Haben Sie eventuell vergessen, dass die Mittel bereits in
diesem Jahr um 15 Millionen aufgestockt werden mussten? Das Geld reicht offensichtlich nicht.
Es kommt noch mehr hinzu: Wir fordern seit langem
massiv angemessene Arbeitsbedingungen und Bezahlung für Lehrkräfte bei Integrationskursen. Lehrkräfte
leisten unter schwierigsten Bedingungen weit mehr als
bloß Sprachvermittlung. Das ist wichtig. Ich muss konstatieren: Die Bundesregierung ist offensichtlich weder
an der Verbesserung der Arbeitsbedingungen noch an
der Verbesserung der Qualität der Integrationskurse interessiert.
({7})
Eine solche Integrationspolitik nach Kassenlage können
wir uns im Interesse der Menschen und der Gesellschaft
schlicht nicht leisten.
({8})
Kollege Bockhahn hat es zwar schon kurz angesprochen; aber die Bedeutung dieses Themas ist gerade für
die neuen Bundesländer sehr hoch. In den Jahren 1999
bis 2009 erhielten die neuen Bundesländer aus dem Sonderförderprogramm „Goldener Plan Ost“ insgesamt
71 Millionen Euro für die Sanierung und den Neubau
von Sportstätten für den Breitensport. Der Breitensport
ist wichtig, auch wenn es um Sicherheit geht: Er trägt
zur Kriminalprävention bei; das sollten Sie bedenken.
Bereits ab 2004 wurden die Mittel massiv heruntergefahren. 2010 erfolgte die Streichung der Mittel. Wir haben aber folgende Problemlage: Im Jahr 2008 waren
60 Prozent der Sportstätten im Osten und 40 Prozent der
Anlagen im Westen sanierungsbedürftig. Aufgrund der
Finanzlage der Kommunen sind mittlerweile immer
mehr Anlagen auch im Westen schwer sanierungsbedürftig. Die Linke fordert deswegen dringend die Wiederaufnahme des Goldenen Plans und eine Ausweitung
auf strukturschwache Regionen im Westen. Wir werden
auch dazu einen entsprechenden Antrag einbringen.
Ich stelle fest: Der Einzelplan 06 des Haushaltsentwurfs ist ebenfalls ein Beweis dafür, dass die Regierung
keine Politik im Sinne der Bürgerinnen und Bürger
macht, sondern weiterhin am falschen Ende spart - Sparen ist eigentlich gut - und dabei langfristige Folgen ausklammert.
Danke schön.
({9})
Das Wort hat der Kollege Dr. Konstantin von Notz
von Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Liebe Kollegin Piltz, Ihr Streben um bürgerrechtliche Anerkennung in dieser Debatte hat durchaus
etwas Putziges. In Wahrheit ist es doch so: Trunken von
dem Wahlergebnis nach der letzten Bundestagswahl und
in Vorbereitung auf die Traumhochzeit mit Ihrem Koalitionspartner Union, haben Sie sich in drei Wochen Koalitionsverhandlungen im Bereich Bürgerrechte völlig
über den Tisch ziehen lassen.
({0})
Nun sind Sie außerstande, den Bereich der Bürgerrechtspolitik aktiv zu gestalten. Vor lauter Prüfaufträgen fehlt
Ihnen jede Linie. Sie sind in einen aussichtslosen Ab6258
wehrkampf gegen den eigenen Koalitionspartner verstrickt.
({1})
Er ist so aussichtslos, dass sich Herr Wolff gar nicht
mehr mit der Bürgerrechtspolitik beschäftigt, sondern irgendeinen anderen Acker bestellt. Dafür empfinde ich
keine Anerkennung, sondern bestenfalls Mitleid.
({2})
Herr Bundesinnenminister, wahr ist auch, dass Sie
Hoffnungen enttäuscht haben. Bei der Vorratsdatenspeicherung haben wir von Anfang an auf die Verfassungswidrigkeit hingewiesen. Sie mussten erst vom
Bundesverfassungsgericht gestoppt werden. Heute in der
Debatte forderten Sie wieder die Vorratsdatenspeicherung, als ob nichts gewesen wäre. Mir ist ein Widerspruch aufgefallen. In Ihren jüngsten Interviews sprechen Sie häufig davon, dass man Private vor Privaten
schützen soll. Der Staat soll also das Individuum nicht
nur vor seinen eigenen bösen Überwachungsfantasien
schützen, sondern auch vor großen Konzernen. Es ist ein
Widerspruch, wenn man dann die Vorratsdatenspeicherung fordert und damit die Unternehmen verpflichtet,
mehr Daten länger zu speichern. Das ist nicht nur widersprüchlich, das ist geradezu schizophren.
({3})
Auch im Hinblick auf ELENA haben Sie sich verweigert, aus dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts
zur Vorratsdatenspeicherung zu lernen. Im Februar haben wir Sie in einem Antrag aufgefordert, das Bürokratie- und Datenmonster ELENA auszusetzen und zu überarbeiten. Frau Piltz, Sie haben daraufhin medienwirksam
angekündigt, ELENA zu stoppen.
({4})
Dann haben Sie ELENA gegen unseren Antrag im Innenausschuss durchgewunken. Vor der Sommerpause
haben selbst die Bundeskanzlerin und der Bundeswirtschaftsminister ein Moratorium gefordert.
({5})
Ein Moratorium bedeutet den sofortigen Stopp. Es ist
Monate her. Wir diskutieren hier über ELENA, und die
Daten werden weiterhin übertragen. Eines wird deutlich:
Sie versagen in der Bürgerrechtspolitik bei den einfachsten Fragestellungen.
({6})
Beim Thema Netzsperren haben Sie, Herr Innenminister, immerhin den Dialog mit der Netzgemeinde
gesucht. Alle überzeugenden und guten Argumente sind
auch bei Ihnen im Ministerium von Angesicht zu Angesicht ausgetauscht worden. Die interessante Frage ist:
Was folgt daraus? Gar nichts! Sie wollen weiterhin Netzsperren, ohne Abstriche.
Gegen das Problem der Darstellung von Kindesmissbrauch im Internet ist im zurückliegenden Jahr effektiv
nichts passiert. Alle drei Oppositionsfraktionen haben in
der Vergangenheit immer wieder Anträge und Gesetzentwürfe mit Vorschlägen vorgelegt. Von Ihnen kamen
keine neuen Ansätze und keine Idee. Sie lassen sich vom
BKA treiben und sind beim Thema Netzsperren in einer
finalen Sackgasse angekommen. Einen Dialog zu führen
- den Sie ja gesucht haben -, heißt auch, dazuzulernen.
Wenn man das nicht tut, dann ist es nur PR.
({7})
Bei Facebook haben Sie noch nicht einmal PR gemacht. Frau Aigner hat sich wortreich abgemeldet und
8 Millionen Nutzerinnen und Nutzer im Regen stehen
lassen. Von Ihnen, Herr de Maizière, kam in der Debatte
kein konstruktives Wort. Ein Gesetzgeber, der Einzelboykotte von Ministerinnen inszeniert, statt Gesetze zu
machen, offenbart nichts anderes als Handlungsunfähigkeit.
({8})
Als Abgeordneter aus dem Wahlkreis, in dem sich bedauerlicherweise der Pannenreaktor Krümmel befindet,
kann ich Ihnen in der heutigen Debatte folgende Ausführung nicht ersparen: Herr de Maizière, Sie sind auch Verfassungsminister. Insofern tragen Sie Mitverantwortung
für das Verfahren und Ergebnis der Atomverhandlungen der letzten Wochen. Im Zuge des Verfahrens hat
man am Parlament vorbei Geheimverträge ausgehandelt,
das Haushaltsrecht und das Demokratiegebot nach Art. 20
Grundgesetz verletzend, den Versuch unternehmend, auch
zukünftige Regierungen an diesen schmutzigen Lobbydeal zu binden. Von Ihnen, Herr Bundesinnenminister,
gab es - ganz im Gegensatz zum Bundestagspräsidenten weder ein Veto noch Widerspruch. Sie, werte Kolleginnen und Kollegen von der FDP, haben als vermeintliche
bzw. ehemalige Bürgerrechtspartei noch nicht einmal geschwiegen. Sie haben diesen unwürdigen Prozess als
treibende Kraft mitbestimmt. Ich sage Ihnen: Das wird
Sie noch einholen.
Herzlichen Dank.
({9})
Das Wort hat der Kollege Dr. Hans-Peter Uhl von der
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine verehrten Kolleginnen und
Kollegen! Bei Haushaltsberatungen ist es vielleicht nicht
schlecht, wenn man daran erinnert, wie die finanzielle
Ausgangslage ist. Wir müssen sparen. Das heißt, auch
die Haushaltsmittel des Innenministeriums müssen geDr. Hans-Peter Uhl
kürzt werden, und zwar um 2 Prozent. Wir haben also
nicht mehr Geld zu verteilen, Herr Wieland, sondern weniger. Ich meine, dass wir die Sorgen und Ängste der
Bürger ernst nehmen müssen und trotz weniger Geld für
Sicherheit sorgen müssen und auch sorgen können.
({0})
Beispiel Sicherungsverwahrung. Das Gesetz zur Sicherungsverwahrung, dessen Entwurf wir Ihnen in allernächster Zeit vorlegen werden, wird in dem ganz sensiblen Bereich der Täter, die einschlägig vorbestraft sind
und nach Verbüßen ihrer Strafhaft entlassen werden
müssen, obwohl von ihnen da und dort noch erkennbar
eine Gefahr ausgeht, ein Mehr an Sicherheit bringen.
Wir können es uns nicht leisten, Tag und Nacht solche
potenziellen Schwerkriminellen mit einer Unzahl von
Polizeibeamten zu bewachen. Es muss eine Möglichkeit
zur Sicherungsverwahrung geben.
({1})
Das wird kommen. Der Gesetzentwurf ist in Vorbereitung, wie Sie wissen.
Zweites Thema: Vorratsdatenspeicherung. Gehen
Sie bitte zum Bundeskriminalamt nach Wiesbaden - wir
haben das getan, ebenso die FDP-Fraktion -, und lassen
Sie sich von den Fachleuten erklären, wie es um die Sicherheit im Internet und um die Sicherheit beim Onlinebanking und wie es um die Sicherheit bestellt ist, wenn
es darum geht, Kriminelle bei der Vorbereitung ihrer
Straftaten via Internet, via Skype zu überwachen. Es ist
hochdramatisch, dass sich im Internet ein ermittlungsfreier, ein fast rechtsfreier Raum entwickelt. Dabei geht
es, wie bei Google, nicht nur um Fassaden, sondern um
ganz andere Dinge, von denen eine ganz massive Gefährdung der Bürger in unserem Land ausgeht. Wir müssen das Bundeskriminalamt und die anderen Sicherheitsbehörden endlich in die Lage versetzen, auf die
Vorratsdaten zurückzugreifen.
({2})
Die Welt des Internets beherrscht die reale Welt immer mehr. Die Menschen haben blindes Vertrauen in dieses Medium, obwohl das Medium hoch unsicher ist. Mit
dem De-Mail-Gesetz tun wir alles, um wenigstens
Rechtsgeschäfte und bestimmte Kommunikationsmöglichkeiten sicherer zu organisieren. Dieser Gesetzentwurf wird demnächst in den Bundestag kommen.
Wir versuchen, mit dem neuen elektronischen Personalausweis, der am 1. November 2010 eingeführt wird,
für mehr Sicherheit zu sorgen.
({3})
- Lassen Sie sich von allerlei Fernsehsendungen nicht irremachen, in denen immer wieder versucht wird, darzustellen, dass er unsicher sei. Zugegeben, Herr Wieland:
Totale, hundertprozentige Sicherheit wird es niemals geben, wenn es um Dinge von Menschenhand geht.
({4})
Aber egal, wer Deutschland regiert, es geht darum, ein
Höchstmaß an Sicherheit herzustellen, und das wird mit
diesem elektronischen Personalausweis erreicht.
({5})
Das heißt, dass Kriminelle lange Zeit brauchen werden
und hohe Hürden nehmen müssen, um dieses System zu
überwinden. So ist es bei diesem Personalausweis.
Im Bereich des Datenschutzes werden wir sehr viel zu
tun haben. Das ist ein langer Prozess, der in dieser Legislaturperiode nicht zu bewältigen sein wird. Es ist sicher richtig, dass die Fassaden von Häusern kein Persönlichkeitsrecht haben, das zu schützen ist. Aber es ist
genauso richtig, dass man mit den Fassadenbildern andere, hochsensible Daten verknüpfen kann.
({6})
Der Staat muss auf solche Verknüpfungen achten, damit
er die Menschen schützen kann. Wir sind dabei. Die
Aussage dieses Herrn aus Amerika, der zurzeit Google
leitet, ist unsäglich. Er war ja letzte Woche in Berlin und
hat Audienz gehalten. Ich bin nicht hingegangen. Solchen Leuten muss man heimleuchten, um es einmal etwas salopp zu formulieren. Das geht natürlich nicht.
({7})
- Nein, das muss man nicht tun. - Wir machen Gesetze,
und er wird die Gesetze auch in Amerika nachlesen können.
Wir verzeichnen - ich möchte das letzte Thema noch
kurz ansprechen - glücklicherweise bei einer großen
Zahl von ausländischen Menschen erfolgreiche Integrationsprozesse; das ist zu begrüßen. Die Menschen haben sich in diesem Land integriert. Aber es gibt eben
auch eine Minderheit, über die man reden muss. Es ist
unsere Aufgabe als Gesetzgeber, zu überlegen, wie wir
mit dieser Minderheit umgehen. Jetzt kommen Sie mit
den Integrationskursen, Herr Wieland.
({8})
Wir geben auch im nächsten Jahr 218 Millionen Euro für
Integrationskurse aus; das ist genauso viel wie im Jahr
zuvor. Das ist sehr viel Geld. Wenn wir mehr zu verteilen hätten, würden wir da noch mehr Geld ausgeben.
({9})
Aber wir haben nicht mehr, sondern weniger zu verteilen.
({10})
Als wir mit dieser millionenschweren Aufgabe begonnen haben, haben Sie bei den Grünen noch von Multikulti geschwafelt.
({11})
Da haben wir schon Sprachkurse finanziert. Das unterscheidet Sie von uns.
({12})
Wir wollen Ernst machen mit Integration. Das habe
ich schon vor 20 Jahren gesagt. Da bin ich von den Grünen im Münchener Rathaus ausgebuht worden. Was
heißt denn Integration in Deutschland? Das heißt,
Deutsch, Deutsch und nochmals Deutsch lernen. Da hieß
es: Zwangsgermanisierer. „Administrativer Rassismus“
und ähnlichen Unflat musste ich mir anhören. Jetzt sagt
sogar ein grüner Ströbele: Ja, man muss in Deutschland
Deutsch lernen. Das heißt, Sie haben dazugelernt. Respekt, aber es kommt sehr spät.
({13})
Jetzt haben wir mit den Spätfolgen Ihrer völlig verkorksten Multikultipolitik zu kämpfen, und das tun wir.
({14})
Wir werden mit 218 Millionen Euro versuchen, dieses
Problem Jahr für Jahr weiter zu lösen. Wer nicht zum
Sprachkurs geht, wird dazu gezwungen werden, notfalls
durch Kürzung von Hartz IV.
Ich darf mich beim Minister und seinem Haus bedanken. Es wurde schon gesagt, dass er der Minister der leisen, der sanften Töne ist. Das ist nicht entscheidend.
Entscheidend ist die Sicherheit in Deutschland. Dafür
kämpft er wie kein anderer und wir mit ihm an seiner
Seite: die CDU, die CSU und die FDP. Sie werden sehen, die nächsten Gesetze kommen bestimmt.
({15})
Das Wort hat der Kollege Dr. Peter Danckert von der
SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im Moment sind noch die beiden für das Problem Zuständigen
anwesend, das ich jetzt kurz ansprechen will, die Frau
Justizministerin und der Herr Innenminister. Ende dieses
Monats jährt sich zum 30. Mal der Tag, an dem in München am Rande des Oktoberfestes das schrecklichste Attentat in der Nachkriegsgeschichte Deutschlands passiert
ist. Es gab 13 Tote und über 200 zum Teil sehr schwer
Verletzte.
Der Vorgang ist meines Erachtens noch nicht genügend aufgeklärt. Es gibt inzwischen zusätzliches Material. Ich verstehe nicht, warum die Justizministerin, die
Generalbundesanwältin oder, besser gesagt, ihre Behörde, das BKA und der Innenminister hier nicht entscheidende Impulse setzen. Wir können nicht immer nur
über den Kampf gegen Rechtsextremismus reden, während wir hier nichts machen, obwohl dort grausame
Mordtaten geschehen sind.
Ich appelliere an Sie und das Parlament, endlich mit
dem nötigen Nachdruck dafür zu sorgen, dass die Ermittlungen wieder aufgenommen werden. Wir haben
genügend neues Material. An diesem Jahrestag ist es angezeigt, dass Sie sich dazu bekennen und die entsprechenden öffentlichen Erklärungen abgeben. Darum bitte
ich Sie. Ich bitte auch die Kolleginnen und Kollegen im
Parlament, sich mit dieser Materie zu beschäftigen. Der
30. Jahrestag des schlimmen Oktoberfestattentats ist
ja, Gott sei Dank, in diesen Tagen auch in der Presse etwas stärker beachtet worden. Meine herzliche Bitte an
die Mitglieder des Parlaments und der Bundesregierung
ist, hier etwas zu tun.
Zum Haushalt. Herr Minister, es ist schon gelobt worden - dem kann ich mich anschließen -: Das war eine
Rede der sanften, der leisen Töne, die aber insgesamt,
wenn Sie mir diese Bemerkung gestatten, etwas sehr
wolkig war. Sie haben sich an keiner Stelle richtig zu
den Problemen geäußert.
In der kurzen verbleibenden Zeit kann ich noch ein
paar Stichworte nennen, unabhängig von der Frage, wie
sich die Kürzungen auswirken; das will ich nicht beleuchten.
Für die Bundespolizei ist im Zusammenhang mit der
Reform eine Studie erstellt worden, wonach 25 Prozent
der Angehörigen der Bundespolizei an einem Burn-outSyndrom leiden. Das ist eine Erkrankung, die man ernst
nehmen muss. Entweder das stimmt, und man muss etwas dagegen tun und sich dazu äußern, oder man sagt öffentlich: Diese Studie ist falsch.
Außerdem will ich mich noch zum Thema Digitalfunk äußern. Auch das ist ein leidiges Thema. Wir haben Mittel freigegeben, und man hat den Eindruck, dass
sich an dieser Stelle fast gar nichts tut. Seit August vergangenen Jahres wissen wir, dass die besonderen Sicherheitsnetze des Bundes, der Länder und der Dienste nicht
im vorgesehenen Regelbetrieb betrieben werden können.
Es ist eine ganz beschränkte Ausschreibung gelaufen.
Seit über einem Jahr ist noch keine Entscheidung getroffen worden. Ich weiß gar nicht, was in diesem Hause geDr. Peter Danckert
schieht. Da muss doch einmal einer richtig Druck machen. Entweder wir brauchen diese Netze - dann muss
beschleunigt daran gearbeitet werden -, oder wir brauchen sie nicht, und dann müssen wir nicht Milliarden dafür ausgeben.
Zu den Kosten. Das Problem ist nicht nur, dass der
Anteil des Bundes von ursprünglich 2,6 Milliarden Euro
auf 3,6 Milliarden Euro angestiegen ist. Den Anteil der
Länder, der sich auf etwa die gleiche Höhe belaufen soll,
kennen wir gar nicht. Ich verstehe nicht, warum das so
intransparent ist. - Ich bitte Sie, sich mit dem nötigen
Nachdruck dafür einzusetzen, dass dieses Thema endlich
wirklich befördert wird. Ich hätte auch nichts dagegen,
wenn es hier und da zu Personalentscheidungen kommt,
damit es endlich vorangeht.
Wir haben heute in ganzer Breite die Frage der Integrationskurse besprochen. Das ist richtig und wichtig.
Angefangen von Rot-Grün über Schwarz-Rot bis hin zur
jetzigen Koalition haben alle daran mitgewirkt; das ist gar
keine Frage. Die Zahlen sind auch interessant. Insgesamt
haben wir seit Beginn dieser Maßnahme 945 Millionen
Euro hierfür ausgegeben. Rund 700 000 Menschen haben
- Gott sei Dank in den meisten Fällen erfolgreich - an den
Integrationskursen teilgenommen und davon profitiert.
Das ist ein ganz wichtiger Beitrag.
Heute gehören aber immer noch 1,4 Millionen Menschen diesem Personenkreis an und brauchen diese Maßnahmen. Ich weiß gar nicht, wann wir das abarbeiten wollen. Neulich habe ich einen Bericht des Bundesamtes
gelesen, wonach das noch etwa zehn Jahre dauern soll.
Das ist natürlich überhaupt nicht zu vertreten. Wenn diese
Menschen integriert werden und deutsch sprechen können, was man wirklich erwarten kann - da gebe ich Peter
Uhl recht -, dann können sie viel schneller in den Arbeitsprozess eingegliedert werden. Dann sparen wir an dieser
Stelle Geld. Wir müssen also zusehen, dass das etwas umfassender behandelt wird.
Nun zu den Zahlen. Bereits in der vergangenen Haushaltsrede habe ich gesagt, dass diese 218 Millionen Euro
ein wichtiger Beitrag gewesen sind. Wir wussten aber
bereits Anfang des Jahres, dass diese Mittel nicht ausreichen würden. Fakt ist auch - der Kollege Tempel hat es
gesagt -, dass wir in diesem Jahr die 218 Millionen Euro
noch um 15 Millionen Euro aus Haushaltsmitteln ergänzen mussten. Diese Mittel waren übrigens nicht für die
laufenden Kurse erforderlich. Wenn ich richtig informiert bin, waren diese Mittel erforderlich für noch offene Posten aus dem vergangenen Jahr. An dieser Stelle
ist also ein ehrlicher Umgang geboten.
Noch ein letztes Wort zur politischen Bildung. Wir
sind uns alle einig, dass Bildung ein wichtiges Thema
ist. Wenn aber die Haushaltsmittel für die Bundeszentrale für politische Bildung im nächsten Haushaltsjahr
um 1,4 Millionen Euro, dann um 4,2 Millionen Euro und
dann um 4,4 Millionen Euro gekürzt werden sollen,
dann verstehe ich nicht, was die Kürzung an dieser Stelle
soll. Sie haben gesagt, man müsse die 18 Millionen Euro
hinzurechnen, die aus einem anderen Haushalt kommen.
Das kann man machen. Wenn wir das aber bilanzieren,
zeigt sich kein besonders erfreulicher Saldo. Wir erwecken den Eindruck, dass 18 Millionen Euro hinzukommen. Tatsächlich wird der Haushalt der Bundeszentrale
aber um 10 Millionen Euro gekürzt. Auch das ist sehr
widersprüchlich. Wenn wir über das Thema Bildung diskutieren, das das wichtigste Thema dieser Regierung
und dieses Parlaments ist, dann sollten wir ehrlich sein
und nicht die Mittel für die Einrichtung kürzen, die jahrzehntelang erfolgreich gearbeitet hat.
Herr Kollege!
Ich halte das für nicht vertretbar. Ich bitte Sie, in den
Haushaltsberatungen darüber noch einmal vernünftig zu
reden. Ich glaube, bei dieser Frage werden wir sehr
schnell Einigkeit zwischen Koalition und Opposition erreichen.
Vielen Dank.
({0})
Es ist bedauerlich, dass in keiner der Reden ein Wort
zum Sport gesagt worden ist, Klaus Riegert.
({1})
Spielt der eigentlich keine Rolle?
Herr Kollege Danckert!
Der Minister hat etwas zu den Olympischen Spielen
und zur Frauenfußballweltmeisterschaft gesagt, aber
nichts zu dem laufenden Etat. Da wird nämlich überproportional gekürzt.
Herr Kollege Danckert!
Vielen Dank.
({0})
Ihre Redezeit ist vorbei. Die Chance, für den Sport zu
reden, ist nicht mehr gegeben.
Sie waren sehr großzügig.
({0})
Jetzt hat das Wort der Kollege Florian Toncar von der
FDP-Fraktion.
Vielen Dank. - Herr Präsident! Meine Damen und
Herren! Der Einzelplan 06, der Haushalt des Bundesinnenministeriums, steht wie alle Einzelpläne ganz klar
unter dem Vorzeichen der Konsolidierung. Ich will ausdrücklich sagen: Wir begrüßen sehr, dass Ihr Haus, Herr
Minister, immer und von vornherein akzeptiert hat, dass
gespart werden muss. Das war eine vorbildliche Einstellung, die den Haushaltspolitikern natürlich gefallen hat.
Frau Kollegin Fograscher, natürlich haben wir in diesem Etat gespart, aber nicht, wie Sie sagen, bei Sicherheit
und Integration. Im Übrigen finde ich es bemerkenswert,
dass die Sozialdemokraten bei jedem Einzelplan - die
Haushaltsdebatte dauert mittlerweile ja schon ein paar
Tage - sagen: Auch wir sehen ein, dass gespart werden
muss. Aber hier haben wir ganz besondere Pflichten. Hier
darf nun wirklich nicht gespart werden. - Das passt allerdings gut ins Bild und zu dem, was Sie in NRW machen,
wo Sie die Verschuldung deutlich nach oben treiben.
({0})
Sie können eben nicht sparen. Das bringen Sie in dieser
Debatte zum Ausdruck, und das zeigen Sie dort, wo Sie
regieren, in aller Deutlichkeit.
({1})
Aufgrund der finanziellen Rahmenbedingungen haben wir die Aufgabe, dafür zu sorgen, dass die Leistungen, die der Staat erbringt, effizient erbracht werden,
dass man eher auf Qualität als auf Quantität, auf schiere
Geldbeträge, achtet. Das wollen wir tun.
In diesem Sinne haben wir in der Innenpolitik natürlich auch die Aufgabe, sicherzustellen, dass die Gesetze
vollzogen werden. Wir haben nicht den Ansatz, gerade
wir Liberalen nicht, immer neue Gesetze zu erfinden,
sondern wir wollen gewährleisten - auch das ist eine
Haushaltsfrage -, dass die Gesetze, die es gibt, zur Anwendung kommen. Dafür sorgen wir, unter anderem indem wir im Haushaltsgesetz festlegen, dass im gesamten
Sicherheitsbereich keine Stellenkürzungen vorgenommen werden - was Sie wissen sollten, weil das immer so
war, liebe Kollegin.
({2})
Wenn wir über die Wirksamkeit von Gesetzen diskutieren, müssen wir eines zur Kenntnis nehmen: Im Hinblick auf die Bekämpfung der Kriminalität im Internet
bestehen große Zweifel daran, ob die Sperre einer Seite
ein wirksames Instrument ist. Dies wird fachlich weitgehend bestritten. Ich glaube, in dieser Diskussion wird oft
unterschätzt, dass diese Gefahr nicht nur auf das Thema
Kinderpornografie beschränkt ist. Der eigentliche Einwand gegen dieses Vorgehen ist, dass man dadurch ein
ineffektives Mittel schafft, allerdings mit der Folge, dass
plötzlich eine Stelle existiert, die darüber entscheidet,
was sichtbar sein darf und was nicht. Das ist die ganze
Dimension dieses Problems.
({3})
Ich glaube, dadurch ist auch der Rahmen abgesteckt, in
dem wir diese schreckliche Form der Kriminalität wirksam bekämpfen können. Wir sind der Auffassung, dass
die Löschung und die Strafverfolgung, also die Durchsetzung der Gesetze, der effektivste Weg sind.
({4})
Wir wollen außerdem, dass unsere Sicherheitsorgane
handlungsfähig bleiben.
Ich möchte noch einen weiteren Bestandteil dieses
Einzelplans ansprechen, der unsere besondere Aufmerksamkeit verdient: das THW, das Technische Hilfswerk.
Natürlich sind viele Bereiche wichtig. Aber hier besteht
die besondere Situation, dass beim THW neben dem
hauptamtlichen ein ganz hohes Maß an ehrenamtlichem
Engagement zu verzeichnen ist. Dessen ist sich diese
Koalition bewusst. Wir werden in den Haushaltsberatungen, wenn es um die Haushaltsansätze und den Stellenplan geht, sicherstellen, dass das THW, trotz gestiegener
Anforderungen und Belastungen, weiterhin so hervorragende Arbeit leisten kann wie bisher. Damit werden wir
uns genau befassen.
({5})
Darüber hinaus werden wir uns mit folgenden Fragen
beschäftigen: Wo sind primär Bundesaufgaben betroffen? Wo sind im Hinblick auf den Bundeshaushalt vielleicht auch Aufgaben anderer staatlicher Ebenen betroffen? Es ist in Anbetracht der jetzigen Haushaltslage
nicht zwangsläufig so, dass man alles, was man einmal
für andere Ebenen bezahlt hat, noch leisten muss. Dies
wird im Rahmen der Detailarbeit zu klären sein. Ich
möchte allerdings ankündigen, dass man auch diesen
Punkt beachten muss.
Weil der Kollege Danckert den Sport vermisst hat,
möchte ich nicht zuletzt zum Ausdruck bringen, dass
sich die FDP-Fraktion sehr wünscht, dass die Olympiabewerbung von München erfolgreich ist. Ich glaube, das
wäre ein Aushängeschild für unser Land. Natürlich gibt
es, was das Konzept betrifft, immer Gesprächsbedarf.
Aber ich glaube, man darf ein Konzept nicht mit Einwänden zerreden, sondern wir müssen aufpassen, dass
Deutschland eine Gesellschaft bleibt, die auch größere
Herausforderungen stemmen kann. Das Thema Olympia
ist nur ein Aspekt in dieser Diskussion. Wir sollten keine
Dagegen-Republik werden. Man kann das Konzept natürlich noch verbessern. Aber wir wollen Olympia, und
das sollten wir auch deutlich sagen.
({6})
Die FDP-Fraktion und diese Koalition jedenfalls tun das.
({7})
Als letztem Redner zu diesem Einzelplan erteile ich
das Wort dem Kollegen Jürgen Herrmann von der CDU/
CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Verehrte Damen und Herren! Die ersten Berichterstattergespräche zum Haushalt des Jahres 2011 und zum
Einzelplan 06 sind bereits gelaufen, und ich darf an dieser Stelle noch einmal feststellen - das ist mir auch im
letzten Haushaltsjahr aufgefallen -, dass unter den Berichterstattern ein sehr gutes Klima herrscht. Das hätte
ich damals nicht erwartet.
({0})
Nichtsdestotrotz gibt es unterschiedliche Meinungen.
Wir haben sehr kontrovers, aber auch zielgerichtet diskutiert. Das sollte im Vordergrund stehen; das haben wir,
glaube ich, auch geschafft.
Herr Minister, auch an Sie und Ihr Haus ein herzlicher
Dank für die Vorbereitung des Haushalts! Wenn Mittel
gestrichen werden, ist das nicht ganz einfach. Wir werden darüber diskutieren; aber ich glaube, Sie haben es
geschafft, die grundlegenden Dinge zu vermitteln. Also
noch einmal: Herzlichen Dank auch an Ihre Mitarbeiter!
({1})
Die Ausgangssituation beim Einzelplan 06 ist aufgrund von 18 Behörden sicherlich anders als in anderen
Ressorts. Hier geht es um sehr personalintensive Behörden. Bei acht der 18 Behörden betragen die Personalausgaben über 60 Prozent der Gesamtausgaben. 52 Prozent
der Ausgaben für die Bundespolizei sind Personalausgaben. Das verdeutlicht schon, wie schwierig es ist, hier einzusparen. Trotz alledem - Kollege Toncar hat es angesprochen - verlangt die Haushaltskonsolidierung auch
ein entsprechendes Vorgehen beim Einzelplan 06. Aufgrund der Schuldenbremse im Grundgesetz und der
Maastricht-Kriterien sind auch wir verpflichtet, unseren
Beitrag zu leisten. Wir tun dies mit einer Beschneidung
unseres Haushalts in Höhe von circa 105 Millionen Euro.
Das führt natürlich zu Diskussionen - gar keine Frage -;
aber wir sind ja auch angetreten, um diese Dinge aufzuarbeiten.
Wenn ich mir die Haushaltsentwicklung der letzten Jahre
ansehe, dann erkenne ich natürlich, dass es einen Aufwuchs
gegeben hat. 2007 hatten wir ein Budget von 4,5 Milliarden
Euro; im Jahr 2011 werden wir bei circa 5,4 Milliarden
Euro landen. Mehr als zwei Drittel dieses Geldes wird
weiterhin für die innere Sicherheit ausgegeben. Ich
glaube, das ist ein klares Zeichen der Koalition in die
richtige Richtung. Denjenigen, die sich darüber beschweren, dass an den verschiedenen Stellen gespart wird, halte
ich entgegen, dass aus den Konjunkturmitteln schon erhebliche Anschaffungen getätigt worden sind - das gilt
insbesondere hinsichtlich der Sachbeschaffung -, weshalb der Schmerz sicher nicht allzu groß sein dürfte. Interessant ist, dass Sie, Herr Minister, dafür gesorgt haben
- das finde ich auch richtig -, dass alle Bereiche Ihres
Hauses sparen müssen. Es ist also sehr darauf geachtet
worden, dass es gerecht zugeht. Alle Bereiche müssen
sparen; ich glaube, diese Botschaft ist auch angekommen.
Es ist natürlich wichtig, dass wir in den Berichterstattergesprächen viele Dinge aufgreifen. Am vergangenen
Montag haben wir mit dem Hauptpersonalrat des Innenministeriums gesprochen. Zwei Dinge sind uns dabei gesagt worden, die von den Kollegen bereits angesprochen
worden sind.
Sicherlich ist es nicht schön, wenn es um Stellenabbau geht. Es ist aber bemerkenswert, dass wir in diesem
Bereich den niedrigsten Beschäftigtenstand seit der Wiedervereinigung haben.
Es geht allerdings auch - Herr Tempel, vielleicht hören Sie noch einen Moment zu - um die Weiterbeschäftigung der Auszubildenden. Wenn die Auszubildenden
ihre Lehre beendet haben, bleiben sie meist noch ein
oder zwei Jahre in den Behörden, je nachdem, wie sie
die Lehre abgeschlossen haben. Hier muss sicherlich die
demografische Entwicklung mitberücksichtigt werden;
sonst laufen wir in ein Tal. Das haben wir aber aufgenommen; wir werden uns hierüber entsprechende Gedanken machen. Man sollte vielleicht auch nicht mehr
nur in Richtung Stellenpläne denken, sondern über Personalbudgets nachdenken, sodass man auch Leute weiterbeschäftigen kann, ohne ihnen eine Stelle zuweisen zu
müssen.
Frau Fograscher, auch der Stellenabbau beim THW
war Thema. Wir haben es ja in den letzten Jahren geschafft - das muss man immer wieder sagen -, den THW
weitestgehend zu verschonen, allerdings mit der Auflage,
dass diese Stelleneinsparungen dann in den anderen Behörden zusätzlich erbracht werden mussten. Wir sind dabei - ich habe eben noch ein Gespräch mit dem Minister
geführt -, diese Aufgabe zu bewältigen; denn es kann
nicht richtig sein, dass wir dort trotz mehr als 80 000 ehrenamtlichen und über 800 hauptamtlichen Mitarbeitern
noch weitere Stellen aufbauen - insbesondere, weil dort
dezentral geführt wird. Ich glaube, wir werden hier, Peter
Danckert, mit den Berichterstattern zu einer gemeinsamen Lösung kommen.
Integration war heute das große Thema in dieser
Runde. Ich halte auch für wichtig, dass wir darüber diskutieren, nicht nur nachdem sich Sarrazin in vielen Bereichen so unflätig geäußert hat. Das ist ein Thema, das
uns als Abgeordnete in den Wahlkreisen betrifft. Ich erlebe tagtäglich, dass darüber gesprochen wird - positiv
und negativ. Da findet sich letztlich die Diskussion der
letzten Wochen wieder. Ich bin dankbar, dass der Minister dieses Thema offen angesprochen hat. Kollege Wolff
und Kollege Krings, Sie haben sehr deutliche Worte gefunden. Ich persönlich glaube, dass wir, wenn wir Teilhabe und Chancengleichheit in unserem Land wollen,
verpflichtet sind, Integrationskurse durchzuführen.
Integrationskurse und Alphabetisierungskurse sind
ein wichtiger Aspekt. Ich sage an dieser Stelle noch einmal: In diesem Bereich gibt es keine Einsparungen. Herr
Minister, ich lobe Sie ausdrücklich dafür, dass Sie, als in
diesem Haushaltsjahr Probleme bei der Finanzierung
auftraten, 15 Millionen Euro obendrauf gelegt haben.
Das ist ein deutliches Zeichen dafür, dass wir in dieser
Richtung vernünftig arbeiten wollen und auch in Zukunft arbeiten werden.
Die Mittel sind in 2009 und 2010 um 44 Millionen
Euro aus dem Bildungsfonds aufgestockt worden. Aber
damit nicht genug: In den Jahren 2012 und 2013 werden
wir zusätzlich 50 Millionen Euro bekommen.
Herr Kollege Herrmann, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Danckert?
Sehr gerne.
Bitte schön, Herr Danckert.
Herr Kollege Herrmann, auch Ihnen ist in diesem Zusammenhang das Problem der Fahrtkosten bekannt. In
2009 waren es 21,6 Millionen Euro. Derzeit sind es etwa 22 Millionen Euro. Ende des Jahres werden wir
30 Millionen Euro für Fahrtkosten aufzubringen haben,
die aus diesem Etat bezahlt werden. Teilen Sie meine
Auffassung, dass wir für dieses Sonderproblem eine Lösung finden müssen, damit das Geld für Integrationskurse und nicht für Fahrten ausgegeben wird?
Ich gebe Ihnen recht, Herr Danckert. Da kommt ein
Riesenproblem auf uns zu. Wir müssen hier eine Lösung
finden. Ich sage an dieser Stelle ganz offen: Wenn wir
über das Fördern sprechen, dann müssen wir auch über
das Fordern reden. Jeder Kilometer wird genau abgerechnet. Für mich stellt sich die Frage, ob jemand, der
die zwei Kilometer zum Integrationskurs vielleicht zu
Fuß zurücklegen kann, dies finanziell abrechnen können
muss. Diese Frage muss man einmal stellen.
Im Übrigen kommen nicht nur im Bereich der Fahrtkosten Probleme auf uns zu. Auch Kinderbetreuungskosten sind ein solches Thema. Wenn man sich einmal
die Mittel anschaut, die für diesen Bereich ausgegeben
werden, dann stellt man fest, dass sie im Vergleich zum
täglichen Leben überproportional hoch sind. Hier stellt
sich die Frage, ob man eine Kinderbetreuung nicht innerhalb der Familie organisieren kann. Ich glaube, das
ist der richtige Weg. Hier finden wir wahrscheinlich eine
Lösung; wir haben das in den Berichterstattergesprächen
schon angesprochen.
({0})
Meine Damen und Herren, wir werden in den nächsten Wochen intensiv über diesen Haushalt sprechen. Sicherlich werden wir die eine oder andere kontroverse
Diskussion führen. Das ist richtig, und das ist auch gut.
Das belebt nicht nur das Geschäft, sondern auch die Demokratie. Ich freue mich auf die Gespräche, weil ich
glaube, dass uns das deutlich voranbringt. Die letzte Beratung hat gezeigt, dass man auch mit den Kollegen der
Opposition in vielen Bereichen vernünftig Politik machen kann. Sie sollten sich auf jeden Fall anhören, was
wir Ihnen zu bieten haben.
({1})
Weitere Wortmeldungen zu diesem Einzelplan liegen
nicht vor.
Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Freitag, den 17. September 2010,
9 Uhr, ein.
Die Sitzung ist geschlossen.