Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich
begrüße Sie alle herzlich zur Haushaltswoche im Deutschen Bundestag. Die Sitzung ist eröffnet.
Vor Eintritt in unsere Tagesordnung möchte ich darauf hinweisen, dass der Kollege Dr. Koppelin heute
seinen 65. Geburtstag feiert,
({0})
wozu ich ihm offensichtlich im Namen des ganzen Hauses unsere guten Wünsche übermittele.
Während der parlamentarischen Sommerpause gab es
eine Reihe weiterer runder Geburtstage. Ebenfalls ihren
65. Geburtstag begingen die Kollegen Herbert
Frankenhauser, Ernst-Reinhard Beck und Klaus
Breil. Den 60. Geburtstag feierten die Kollegen Josef
Göppel und Manfred Zöllmer. Auch Ihnen übermittele
ich auf diesem Wege alle guten Wünsche.
({1})
Die Kollegin Lucia Puttrich hat Anfang des Monats
auf ihre Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag verzichtet. Als ihren Nachfolger begrüße ich den Kollegen
Bernd Siebert wieder hier im Hause. Herzlich willkommen, lieber Kollege Siebert!
({2})
Ich rufe nun die Tagesordnungspunkte 1 a und 1 b auf:
a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die
Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das
Haushaltsjahr 2011 ({3})
- Drucksache 17/2500 -
Überweisungsvorschlag:
Haushaltsausschuss
b) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Finanzplan des Bundes 2010 bis 2014
- Drucksache 17/2501 Überweisungsvorschlag:
Haushaltsausschuss
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind im
Rahmen der Haushaltsberatungen für die heutige Aussprache im Anschluss an die einstündige Einbringung
des Haushalts siebeneinhalb Stunden, für Mittwoch
achteinhalb Stunden, für Donnerstag wieder siebeneinhalb Stunden und für Freitag dreieinhalb Stunden vorgesehen. Darf ich dazu Ihr Einvernehmen feststellen? Das ist offensichtlich der Fall. Dann haben wir jedenfalls
das Zeitbudget einvernehmlich beschlossen. Über den
Rest wird es möglicherweise die eine oder andere kontroverse Urteilsbildung geben; jedenfalls entspricht das
den Erfahrungen früherer Haushaltsberatungen.
Wie Sie sehen, wurden in der Sommerpause nach einer damaligen Erprobung und nach Beratung und Beschlussfassung in Präsidium und Ältestenrat die LCDGroßbildwände fest installiert, die in Zukunft alle Teilnehmer an den Plenarsitzungen des Deutschen Bundestages noch präziser und zeitnäher über den Tagesordnungspunkt, die Abfolge der Rednerinnen und Redner,
deren voraussichtliche Redezeit und damit verbundene
Abstimmungen in Kenntnis setzen. Beim ersten Redner
der Haushaltsdebatte wäre das vermutlich auch ohne Anzeige hinreichend identifizierbar.
Ich erteile nun zur Einbringung des Haushalts dem
Bundesminister der Finanzen, Dr. Wolfgang Schäuble,
das Wort.
({4})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit dem
Entwurf des Bundeshaushalts 2011, auch mit der Fortschreibung der mittelfristigen Finanzplanung, setzen wir
den Ausweg aus dem durch die Finanzkrise verursachten
schwersten Einbruch in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland konsequent fort.
Man muss daran erinnern: Wir hatten im vergangenen
Jahr einen Rückgang des Bruttoinlandsprodukts um
4,7 Prozent. Das haben wir in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland so nicht gekannt. Wir haben bei
der Einbringung des Haushalts 2010 im Januar noch mit
Redetext
einer Neuverschuldung von annähernd 86 Milliarden
Euro rechnen müssen. Ich habe damals gesagt: Die
Rückgewinnung verloren gegangenen Vertrauens ist die
wichtigste Aufgabe, wenn wir politisch die Rahmenbedingungen für eine positive wirtschaftliche und soziale
Entwicklung gestalten wollen.
Die tatsächliche Neuverschuldung in diesem Jahr
liegt nicht mehr bei 86 Milliarden Euro, sondern zwischen 50 und 60 Milliarden Euro. Die Steuereinnahmen
für Bund, Länder und Gemeinden haben sich besser bzw.
weniger schlecht entwickelt, als wir es am Anfang des
Jahres noch einplanen mussten. Unsere wirtschaftliche
Entwicklung ist sehr viel besser, als man Anfang des
Jahres hoffen konnte.
Die EU-Kommission hat gestern ihre Frühjahrsprognose vorgelegt. Bisher hat sie uns, der Bundesrepublik
Deutschland, für dieses Jahr ein reales Wachstum in
Höhe von 1,2 Prozent prognostiziert. Gestern hat sie ihre
Prognose auf 3,4 Prozent angehoben. Der IWF prognostiziert für dieses Jahr ähnlich. Das heißt, wir sind auf einem guten wirtschaftlichen Weg.
Ich will hinzufügen: Niemand kann erwarten, dass
sich die Wachstumszahlen für das Jahr 2010 angesichts
der Ausgangsbasis des Jahres 2009 im Jahr 2011 so fortsetzen werden. Manche titeln schon: Wenn das Wachstum in diesem Jahr über alle Erwartungen hoch sein
wird, dann werden wir im nächsten Jahr einen Einbruch
des Wachstums zu verzeichnen haben. Das ist sachlich
nicht ganz richtig. Auch die Prognosen für das Jahr 2011
werden von allen nationalen und internationalen Institutionen eher angehoben. Wahr ist aber: Wir werden die
Wachstumszahl von über 3 Prozent - wenn sie sich in
diesem Jahr verwirklicht - im nächsten Jahr zwar nicht
erreichen, aber wir haben alle Chancen auf eine stetige,
nachhaltige wirtschaftliche Entwicklung. Das ist nichts
Abstraktes, sondern es wirkt sich auf die Bürgerinnen
und Bürger in unserem Land konkret und positiv aus.
Ich will daran erinnern: Die Arbeitslosigkeit ist das
größte soziale Problem. Wer Arbeitslosigkeit abbaut,
leistet den wichtigsten Beitrag zu nachhaltiger sozialer
Gerechtigkeit und zur Gewährleistung sozialer Leistungen. Das kann man nicht voneinander trennen.
({0})
Im August dieses Jahres wurden 3,188 Millionen Arbeitslose registriert. Damit liegen wir unter dem Niveau,
das wir vor der Krise hatten. Wir haben übrigens einen
stärkeren Rückgang der Arbeitslosigkeit in den neuen
Bundesländern zu verzeichnen; dort sind es 10 Prozent.
In den alten Bundesländern sind es 7 Prozent. Das heißt,
die derzeitige Entwicklung hat die positive Wirkung,
dass der Abstand zwischen neuen und alten Bundesländern nicht größer, sondern kleiner wird.
Bei der Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten liegen wir um 93 000 über dem Vorkrisenniveau. Der Bestand an gemeldeten offenen Arbeitsstellen
belief sich im August auf 396 000. Das ist gegenüber
dem Vorjahresmonat ein Anstieg um 32 Prozent. Das
heißt, unsere Politik wirkt sich konkret auf die Menschen aus. Wer die sozialen Wirkungen dieser Politik
kritisch beleuchtet - das wird in der Debatte in dieser
Woche geschehen -, darf das nicht aus dem Blick verlieren.
Im internationalen und im europäischen Vergleich liegen wir übrigens nicht schlecht: In der Europäischen
Union rechnet man in diesem Jahr mit einer durchschnittlichen Arbeitslosenquote von 9,6 Prozent. Wir liegen bei 6,9 Prozent und damit weit unter dem EUDurchschnitt. Nur zum Vergleich: Die Erwerbslosenquote in den USA lag im Juni bei 9,5 Prozent. Unsere
Politik wirkt sich also positiv für die Menschen aus, und
das ist die beste Sozialpolitik.
({1})
Wir sind auf dem richtigen Weg. Wir behaupten ja
nicht, dass alles durch die Finanzpolitik oder überhaupt
durch die Politik beeinflusst und gestaltet wird - das
wäre der Beleg für ein falsches Verständnis von sozialer
Marktwirtschaft -; aber offensichtlich setzt die Politik
den richtigen Rahmen für eine positive Entwicklung,
und das ist schon eine ganze Menge. Weil wir auf dem
richtigen Weg sind, wäre es töricht, diesen Weg nun
schon wieder zu verlassen. Deswegen sind wir, die Bundesregierung, die Koalition und CDU/CSU, entschlossen, Kurs zu halten. Wir sind entschlossen, diesen Weg,
dessen erste Erfolge wir deutlich spüren, fortzusetzen.
Das ist wichtig; denn wenn wir Vertrauen zurückgewinnen wollen, brauchen wir Stetigkeit, Nachhaltigkeit und
Verlässlichkeit.
Im Übrigen beurteilen uns unsere Partner in Europa
und in der Welt inzwischen mit weniger Kritik. Noch vor
einigen Monaten hat man uns nicht zugetraut, dass wir
die Anforderungen des europäischen Stabilitäts- und
Wachstumspaktes erfüllen können. Wir selbst haben uns
in den Bundestagsdebatten im Januar und im März kritisch gefragt - jeder wird sich erinnern -, ob wir die
Schuldenbremse des Grundgesetzes, die gut ist, die eine
balancierte, nachhaltige Exit-Strategie aus der zu hohen
Verschuldung vorsieht, einhalten können.
Die Kritik und die Zweifel sind inzwischen gewichen.
Stattdessen gab es im internationalen Bereich zunehmend eine andere Kritik: Wir sparten die Weltwirtschaft
kaputt; wir müssten unsere Verantwortung in Europa
ganz anders wahrnehmen. Doch auch diesbezüglich hat
sich unsere Politik als richtig erwiesen und durchgesetzt.
Ich will daran erinnern, dass man sich beim Treffen der
Staats- und Regierungschefs im Rahmen des G-20-Gipfels in Toronto am Ende gemeinsam verpflichtet hat, die
jeweiligen Budgetdefizite bis 2013 zu halbieren. Man
hat festgestellt, dass es richtig ist, dass man eine maßvolle, aber nachhaltige Reduzierung der zu hohen öffentlichen Defizite, die ja eine Hauptursache der Krise sind,
so ausgestalten kann, dass sie wachstumsfreundlich ist,
dass sie die wirtschaftliche Entwicklung nicht behindert,
sondern fördert. Im Übrigen hat man festgestellt, dass
das auch dem Arbeitsmarkt und den Menschen zugute
kommt.
Es ist ein wichtiger Punkt, dass das gelungen ist; denn
die Zweifel daran waren weit verbreitet. Deswegen muss
daran festgehalten werden. Wir sind auf einem richtigen
Weg. Wir gelten inzwischen als Wachstumslokomotive
in Europa. Angesichts unserer Wachstumszahlen in diesem Jahr und angesichts der Tatsache, dass wir im Juni
die höchsten Importzahlen in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland hatten, ist die Kritik, wir nähmen unsere Verantwortung für Europa und für die globalisierte Welt nicht wahr, in sich zusammengebrochen.
Auch das Vertrauen unserer Partner und deren Beurteilung zeigen, dass wir auf dem richtigen Weg sind.
({2})
Im Übrigen zeigen alle Meinungsumfragen, dass die
Bürgerinnen und Bürger sehr wohl verstanden haben
- sie empfinden eine entsprechende Sorge -, dass eine
zu hohe, nicht mehr beherrschbare Neuverschuldung des
Staates eines unserer größten Probleme ist. Wenn wir sie
zurückführen, entsprechen wir dem dringenden Bedürfnis unserer Bürgerinnen und Bürger. Auch das ist wichtig.
In den Debatten über die Frage, ob wir mit unserer
Defizitreduzierung unsere internationale Verantwortung vielleicht nicht richtig wahrnehmen, habe ich unseren Kollegen übrigens immer gesagt - ich bin nicht derjenige, der anderen viele Ratschläge erteilt; ich
konzentriere mich eher darauf, die Ratschläge, die wir
anderen geben könnten, bei uns selbst zu verwirklichen -:
In Deutschland ist die Rückgewinnung von Vertrauen,
die Bekämpfung von Verunsicherung wegen der zu hohen Defizite, eine der wichtigsten Voraussetzungen dafür, dass wir nachhaltiges Wachstum und eine ausgewogene, stabile Entwicklung am Arbeitsmarkt haben.
Meine Damen und Herren, wir führen die Neuverschuldung zurück; das zeigen die Zahlen der mittelfristigen Finanzplanung. Die Ausgangsmarge für 2010
habe ich genannt. Noch einmal: Bei der Verabschiedung
des Haushaltsentwurfs lagen wir noch bei rund
80 Milliarden Euro, bei der Einbringung bei annähernd
86 Milliarden Euro. Im tatsächlichen Verlauf liegen wir
irgendwo unterhalb von 60 Milliarden Euro. Wir führen
die Neuverschuldung des Bundes in den Jahren 2011 bis
2014 konsequent von 57,5 Milliarden Euro - das ist die
Zahl im Haushalt 2011 - über 40 Milliarden Euro im
Jahr 2012 auf 31,6 Milliarden Euro in 2013 und
24,1 Milliarden Euro in 2014 zurück. Das ist konkret die
Umsetzung der im Grundgesetz vorgesehenen Schuldenbremse, und vor allen Dingen ist das eine nachhaltige,
wachstumsfreundliche Defizitreduzierung.
Unsere Ausgestaltung der Rahmenbedingungen für
eine vernünftige wirtschaftliche Entwicklung ist richtig.
Das zeigt sich auch darin, dass wir unser Zukunftskonzept zur Rückgewinnung von mehr Handlungsfähigkeit
genau danach ausgerichtet haben. Wir haben die Investitionen im Bundeshaushalt nicht verringert. Wir haben
die Investitionen für Bildung und Forschung erhöht, und
es bleibt dabei. Wir haben im Übrigen vor dem Hintergrund unserer demografischen Entwicklung - eines unserer größeren gesellschaftlichen wie ökonomischen
Probleme - einen klaren Schwerpunkt gesetzt, indem
wir die Leistungen für Familien und Integration nicht
verringern, sondern verstärken. Das alles ist der richtige
Weg.
({3})
- Wenn Sie sich die praktische Umsetzung in der Familienpolitik anschauen, können Sie nicht bestreiten, dass
wir die Mittel erhöht haben; dies ist übrigens schon zum
1. Januar dieses Jahres in Kraft getreten.
({4})
Wenn Sie sich anschauen, wie der Anteil der Sozialausgaben im Bundeshaushalt kontinuierlich in den letzten
Jahren gestiegen ist und auch im Haushalt 2011 steigt,
dann erkennen Sie, dass wir das sehr wohl bedacht haben.
Ich füge jetzt hinzu: Wir machen mit der Wende bei den
Ausgaben zum ersten Mal Ernst. Wir haben im Bundeshaushalt 2010 noch 319,5 Milliarden Euro Ausgaben. In
2011 - nach dem Entwurf des Haushalts, den ich Ihnen
heute vorlege - reduzieren sich die Ausgaben im Bundeshaushalt auf 307 Milliarden Euro. Ab 2012 wollen wir bei
301 Milliarden Euro landen. Damit schaffen wir erstens
die Voraussetzungen dafür, dass wir das Wachstum der
Ausgaben unter dem Anstieg des Bruttoinlandsproduktes
halten - das ist die entscheidende Größenordnung, um die
zu hohe Verschuldung dauerhaft zurückzuführen -, und
zweitens dafür, dass wir die Neuverschuldung zurückführen.
Wir haben im Übrigen in unserem Zukunftspaket
- auch das muss man wieder und wieder in Erinnerung
rufen - eine ausgewogene Struktur. Wir sparen - das
wird in den öffentlichen Debatten gelegentlich ein bisschen unterschätzt - in dem Bereich, den die Regierung
ohne gesetzliche Änderungen selbst gestalten kann: bei
den Ausgaben für Personal, bei den Stellen und bei den
sachlichen Verwaltungsausgaben.
({5})
- Ach, Herr Bonde, die Haushaltsberatung im Einzelnen
läuft, und Sie werden, wie alle anderen im Haushaltsausschuss, daran mitwirken.
({6})
- Ja, wir haben insgesamt - ich kann Ihnen die Zahlen
gerne noch einmal vortragen ({7})
im Verwaltungsbereich im kommenden Jahr bei den disponiblen Mitteln eine Reduzierung um 2,3 Milliarden
Euro vorgesehen.
An der Gesamtsumme der mittelfristigen Finanzplanung der nächsten vier Jahre, in denen wir insgesamt etwas über 80 Milliarden Euro konsolidieren, ist der Verwaltungsbereich mit über 14 Milliarden Euro beteiligt.
Wir planen weitere Maßnahmen, die auch im Regierungsbereich liegen. Wenn Sie das zusammenrechnen,
stellen Sie fest: Wir liegen bei etwa 20 Milliarden Euro
weniger.
Wir haben im Bereich der Neujustierung von gesetzlichen Leistungen - hier achten wir im Übrigen sehr genau darauf, dass wir Anreize für Beschäftigung verbessern, und wir berücksichtigen das Lohnabstandsgebot als
einen der wichtigen Schlüssel für nachhaltig positive Entwicklung am Arbeitsmarkt - für die nächsten vier Jahre
insgesamt einen Betrag von etwa 30 Milliarden Euro - im
Jahr 2011 3 Milliarden Euro - vorgesehen. Wir haben
darüber hinaus in dem Bereich, den man Subventionsabbau nennen kann - ökologische Neujustierung, Beteiligung von Unternehmen oder Einnahmeverbesserungen -,
eine Größenordnung von zusammengerechnet ebenfalls
etwa 30 Milliarden Euro. Das heißt, das Zukunftspaket
der Bundesregierung hat eine ausgewogene Struktur. Das
ist ein zentraler Punkt.
Ich will im Übrigen daran erinnern, dass wir uns bei
den Kürzungen im sozialen Bereich ganz gezielt darauf konzentrieren, die Möglichkeiten zur Arbeitsaufnahme zu verbessern.
({8})
- Schauen Sie sich doch einmal die Zahlen an, die die
Situation auf dem Arbeitsmarkt darstellen. Ich weiß
nicht, warum Sie darüber lachen.
({9})
Herr Kollege Trittin, wenn Sie sich den Haushalt des
Bundesministeriums für Arbeit und Soziales und den
Haushalt der Bundesagentur für Arbeit anschauen und
wenn Sie darüber hinaus die bessere Entwicklung auf
dem Arbeitsmarkt berücksichtigen, dann sehen Sie,
({10})
dass wir mit reduzierten Ansätzen die Effizienz der Leistungen verbessern können. Das ist die Politik der Bundesregierung.
({11})
Wir haben darüber hinaus die Einnahmen verbessert.
Meine Damen und Herren, ich habe wieder und wieder
gesagt - das wissen wir alle -: Aufgrund der Struktur des
Bundeshaushalts kann die Erwartung nicht erfüllt werden, dass sich die Haushaltskonsolidierung ausschließlich
auf der Ausgabenseite vollzieht. Dafür ist die Struktur des
Bundeshaushalts zu spezifisch. Weit über 50 Prozent der
Mittel des Bundeshaushalts fließen in Sozial- und Familienleistungen. Einen Großteil der Investitionen müssen
wir im Interesse einer nachhaltigen Entwicklung von
Wirtschaft und Beschäftigung schonen, da zusätzliche
Impulse davon ausgehen können.
Vor diesem Hintergrund sind Einnahmeverbesserungen zur Haushaltskonsolidierung bzw. Defizitreduzierung unvermeidlich. In der Bundesregierung haben wir
intensiv darüber diskutiert und uns bewusst dafür entschieden, zugleich Anreize für mehr Energieeffizienz
und zur Energieeinsparung zu setzen. Deswegen schlagen wir die Einführung einer Luftverkehrsabgabe vor.
({12})
- Ja, klar. Herr Kollege Schneider, Sie sind zu sachkundig, um nicht zu wissen, dass ein Subventionsabbau - dazu
haben Sie 100 Prozent Zustimmung - im Ergebnis fast
immer höhere Steuern nach sich zieht. Daran führt kein
Weg vorbei. Es ist wichtig, dass wir das gelegentlich sagen.
({13})
- Herr Kollege, ich sage es immer. Es ist so.
({14})
- Von Ihnen auch. Das muss auch gesagt werden.
Jetzt will ich die Luftverkehrsabgabe erläutern. Wir
hätten eine breite Zustimmung in der Bevölkerung und
auch im Parlament, wenn wir die Ausnahme beseitigen
könnten, dass der Luftverkehr - im Gegensatz zu den
Verkehrsträgern Schiene und Straße - von der Mineralölbesteuerung ausgenommen ist. Aufgrund der internationalen und der europäischen Rechtslage können wir
diese Ausnahme aber nicht beseitigen. Das mag man bedauern; aber das ist so. Also wollen wir anstelle dessen
eine Luftverkehrsabgabe einführen. Das ist ein Ersatz
für eine nicht national einzuführende Besteuerung von
Flugbenzin. Das ist Subventionsabbau. Ich glaube, diese
Maßnahme ist richtig dosiert, abgewogen und sie ist gut
zu begründen.
Das ist übrigens bei der Kernbrennstoffsteuer ganz
ähnlich. Wir wissen, dass von der Kernenergie im Gegensatz zu anderen Energieträgern keine als Belastung empfundenen Emissionen ausgehen. Deswegen beseitigen
wir mit der Kernbrennstoffsteuer - das sehen die Betroffenen natürlich nicht ganz so; daher muss man darüber intensiv diskutieren - im Wesentlichen die Privilegierung
eines bestimmten Energieträgers. Angesichts dessen kann
man auch diese Maßnahme gut rechtfertigen.
({15})
- Weil auch die Laufzeit der Kernkraftwerke befristet
ist.
({16})
- Herr Kollege Poß, wir werden in den nächsten Tagen
und Wochen das Energiekonzept der Bundesregierung
und der Koalition insgesamt mit großer Intensität diskutieren. Sie werden dann ziemlich viel Mühe haben, Argumente zu finden, die dagegensprechen, dass dieses
Energiekonzept das wahrscheinlich ehrgeizigste und effizienteste beim Umstieg auf regenerative Energien ist.
({17})
- Ich hoffe, dass der Bundeshaushalt 2011 und die Politik der Bundesregierung, der christlich-liberalen Koalition insgesamt zum Renner werden, nicht nur bei YouTube.
({18})
Ich will in diesem Zusammenhang auch darauf hinweisen, dass ich es trotz der öffentlichen Diffamierung,
die in dieser Frage betrieben worden ist, für richtig halte,
dass wir mit den Betreibern von Kernkraftwerken, mit
den Energieversorgungsunternehmen - ({19})
- Ach, „Deal“ klingt so negativ.
({20})
- Herr Kollege Trittin, wenn ich mich richtig erinnere,
haben auch Sie einmal einer Bundesregierung angehört.
({21})
Ich erinnere mich dunkel, dass Sie mit der Energiewirtschaft damals eine vertragliche Vereinbarung getroffen
haben.
({22})
- Ich reagiere ja gern auf Ihre Einwände, aber nicht,
wenn das zu einer Dauereinrichtung wird.
({23})
Ich muss auch noch die Chance haben, Ihnen den Haushalt darzulegen.
({24})
Ich will in großer Ruhe und mit großer Klarheit sagen: Über die Kernbrennstoffsteuer, die Sache des Gesetzgebers ist, wird nicht verhandelt.
({25})
Über zusätzliche Sicherheitsauflagen,
({26})
die Sache der Politik sind und die nicht vorhanden waren - ({27})
- Es waren doch Sie, die Sie in Ihrer Ausstiegsvereinbarung auf jede zusätzliche Sicherheitsmaßnahme für
Kernkraftwerke verzichtet haben!
({28})
Wir haben sehr darauf gedrängt - wir sind froh, dass es
uns gelungen ist, dies auch zu erreichen -, die Vereinbarung zu erzielen, dass die Energieversorgungsunternehmen im Zusammenhang mit der Verlängerung der Laufzeit von Kernkraftwerken im Hinblick auf den Übergang
zu regenerativen Energien einen zusätzlichen Beitrag
leisten. Das ist ein großer Erfolg. Es gibt überhaupt
nichts, was daran zu diffamieren ist. Ganz im Gegenteil,
das ist der richtige Weg, und es ist das beste, ehrgeizigste
und effizienteste Programm für den Umstieg in der Energiepolitik.
({29})
Aber dafür brauchen wir Zeit. Das kann man nicht innerhalb eines Jahres verändern, sondern dafür braucht
man einen langen Atem. Insofern bildet die Kernenergie
eine Brücke, um den Umstieg in der Energiepolitik in
den nächsten Jahrzehnten gesamtwirtschaftlich zu schaffen. Das ist die Politik der Bundesregierung.
({30})
- Schauen Sie: Das Prinzip der freien Rede gilt sogar für
den Bundesfinanzminister bei der Einbringung des Bundeshaushalts.
({31})
Regen Sie sich nicht auf! Die Herausforderung, die wir
gesamtwirtschaftlich zu bewältigen haben, ist so groß,
dass wir alle Kräfte brauchen, um auf diesem guten Weg
nachhaltig und konsequent voranzuschreiten.
({32})
Wenn wir auf dem Weg der Reduzierung der zu hohen
Staatsverschuldung, so wie ich ihn beschrieben habe und
wie er in der mittelfristigen Finanzplanung angelegt ist,
konsequent voranschreiten, dann, liebe Kolleginnen und
Kollegen, gewinnen wir auch zusätzliche Handlungsspielräume für die Politik; darum geht es. Bei der Reduzierung der zu hohen Defizite nehmen wir unsere Verantwortung für unsere Kinder und Enkel wahr. Denn
nachhaltige Politik heißt: Man darf nicht immer höhere
Schulden auf die kommenden Generationen abwälzen.
({33})
Wir nehmen außerdem unsere Verantwortung für die
künftige Handlungsfähigkeit von Politik und Staat auf
allen Ebenen - Bund, Länder und Kommunen - wahr.
Wenn Sie erst einmal in der Lage wie andere Länder
- auch in Europa - sind, dass Sie zu ganz anderen Einschnitten in die Finanzpolitik kommen müssen, dann ist
das der Beweis dafür, dass Sie den Handlungsspielraum
für politische Gestaltung in den zurückliegenden Jahren
verspielt haben. In diese Situation wollen wir in
Deutschland nicht kommen, und in diese Situation werden wir auch nicht kommen, wenn wir die Politik der
Bundesregierung und der christlich-liberalen Koalition
konsequent weiterführen.
({34})
Diesen Spielraum erweitern wir und nutzen wir auch.
Wir nutzen ihn nicht nur für das modernste Energiekonzept, sondern wir nutzen ihn auch für Steuervereinfachungen. Dafür haben wir in den ersten Jahren nur einen
begrenzten Spielraum. Hier arbeiten wir übrigens intensiv mit den 16 Finanzministern aller 16 Bundesländer
zusammen. Es besteht die grundsätzliche Übereinstimmung, dass wir uns in den ersten Jahren bei steuervereinfachenden Maßnahmen auf solche Bereiche konzentrieren müssen, in denen wir mit geringen Ausfällen für
Bund, Länder und Kommunen rechnen.
({35})
- Sie wirken mir ein bisschen wie der Autofahrer auf der
Autobahn, der die Meldung hört, es sei ein Geisterfahrer
unterwegs, und dann sagt: Was, einer? Hunderte!
({36})
Wenn Sie bei dem Thema Steuervereinfachung gegen
16 Finanzminister von 16 Bundesländern argumentieren,
die ja die Verantwortung für die Steuerverwaltung haben
und die Steuergesetze vollziehen müssen, dann müssen
Sie sich schon überlegen, ob Sie nicht irgendwo eine falsche Position haben. Wir setzen die Maßnahmen zur
Steuervereinfachung gemeinsam mit den Bundesländern Schritt für Schritt um.
({37})
- Herr Kollege Poß, wenn Sie Ihren Kollegen sagen,
dass Sie gar nicht dagegen sind, dann haben wir ja schon
wieder ein hohes Maß an Übereinstimmung und dann
hoffe ich auf Ihre kooperative Mitwirkung.
({38})
Prinzipiell sind wir alle für Defizitreduzierung; aber
wenn es konkret wird, sind Sie dagegen. - So geht es
nicht. Diese Arbeitsteilung funktioniert nicht.
({39})
Im Übrigen nutzen wir den Spielraum auch und vorrangig, um die Lage der Kommunalfinanzen zu verbessern. Ich habe das wieder und wieder gesagt: Das ist die
dringendste Aufgabe, die wir in dem gesamtstaatlichen
Verbund von Bund, Ländern und Kommunen leisten
müssen. Wir brauchen eine Verbesserung der Kommunalfinanzen, um die kommunale Selbstverwaltung nicht
weiter erodieren zu lassen. Auch daran arbeiten wir intensiv. Wir werden die Vorschläge dafür gemeinsam mit
den Ländern und den Vertretern der kommunalen Ebene,
den kommunalen Spitzenverbänden, noch in diesem
Herbst vorlegen. So nutzen wir Schritt für Schritt die
Spielräume, die wir mit unserer konsequenten Haushaltspolitik gewinnen.
Mit dieser Haushaltspolitik nehmen wir übrigens
auch unsere Verantwortung in und für Europa wahr. Wer
sich noch daran erinnert, dass wir in den ersten Monaten
dieses Jahres in einer so nicht vorhergesehenen und
wahrscheinlich so auch nicht für möglich gehaltenen
Weise darum ringen mussten, die Stabilität unserer gemeinsamen Währung in Europa zu verteidigen, weil die
Verhältnisse sich durch die globale Verflechtung der Finanzmärkte anders entwickelt haben, als das bei der
Gründung der Europäischen Währungsunion und der
Schaffung des europäischen Stabilitäts- und Wachstumspaktes vorhergesehen werden konnte, der weiß: Wir haben eine hohe Verantwortung für unsere gemeinsame
Währung. Wir müssen diese Verantwortung in Europa
und in der Euro-Zone wahrnehmen, und wir nehmen sie
wahr.
Wir nehmen sie am besten dadurch wahr, dass wir zunächst einmal uns selber an die gemeinsam vereinbarten
Regelungen im Stabilitäts- und Wachstumspakt halten.
Das ist das beste Argument dafür, andere von der Richtigkeit dieser Politik und von der Notwendigkeit einer
wachstumsfreundlichen Defizitreduzierung zu überzeugen. Diese Verantwortung nehmen wir wahr, und wir
kommen auch damit voran.
Es wird international teilweise schon wieder bestritten, aber es bleibt dabei: Die zu hohen Staatsdefizite in
vielen Ländern, insbesondere Industrieländern, sind eine
der Hauptursachen der Krisen, die wir an den Finanzmärkten und am Schluss auch in der Euro-Zone in diesem Jahr hatten. Wer uns krisenfester für die Zukunft
machen will, der muss diese zu hohen Defizite zurückführen. Daran führt kein Weg vorbei, in Deutschland
nicht und auch in Europa nicht.
({40})
Darüber haben wir - ich habe es erwähnt - inzwischen sogar in der G 20 einen Konsens; das zeigt sich an
der gemeinsamen Erklärung der Staats- und Regierungschefs von Toronto, die beinhaltet, dass sich alle Industriestaaten dazu verpflichten, ihre Defizite bis 2013 zu
halbieren.
Wir müssen den europäischen Stabilitäts- und
Wachstumspakt stärken; denn seine Instrumente haben
nicht ausgereicht, die Krise des Euro, ausgehend von
Griechenland, zu verhindern. Eine der unabweisbaren
Konsequenzen aus diesen Erfahrungen ist, dass die BunBundesminister Dr. Wolfgang Schäuble
deskanzlerin am 25. März dieses Jahres im Europäischen
Rat durchgesetzt hat, dass wir konsequent daran arbeiten, die Instrumente des Stabilitäts- und Wachstumspaktes effizienter zu gestalten. Dazu gehört, dass wir bessere
Kriterien für die Beurteilung entwickeln, ob europäische
Volkswirtschaften, insbesondere solche in der EuroZone, diesen Anforderungen gerecht werden oder nicht.
Daran arbeiten wir in der Taskforce - so ist das genannt
worden -, die unter dem Vorsitz des europäischen Ratspräsidenten den Auftrag hat, zunächst einmal bis Oktober die Schritte zu definieren und vorzuschlagen, die wir
ohne Änderung der europäischen Verträge zustande bringen können. Danach reden wir in der zweiten Etappe
über diejenigen Schritte, die eine Veränderung in den
europäischen Verträgen notwendig machen.
Dazu verbessern wir die Transparenz in der Abstimmung der Haushaltsverfahren innerhalb Europas; das
nennt man Europäisches Semester. Es ist wichtig, dass
alle frühzeitig Kenntnis von den Verfahren der anderen
erhalten und dass wir als nationale Haushaltsgesetzgeber
uns unserer Verantwortung für das Ganze in Europa bewusst sind. Dadurch wird die Souveränität des Bundestages in Haushaltsfragen nicht beeinträchtigt. Aber mehr
Transparenz und frühere Abstimmung sind ein Beitrag
dazu, dass alle ihre Verantwortung besser wahrnehmen.
Dazu gehört, dass wir die Kriterien verschärfen, dass
wir insbesondere die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Volkswirtschaften als ein wichtiges Element der
Beurteilung frühzeitig mit einbeziehen, dass wir Instrumente schaffen, mit denen früher gegen sich abzeichnende Fehlentwicklungen eingeschritten werden kann
- „Early Warnings“ nennt man das -, und dass wir im
Übrigen auch das Instrumentarium der europäischen
Strukturfonds dazu nutzen, um die Anreize für stabilitätsgerechtes Verhalten zu verstärken und um notfalls
durch zeitige erste sanktionsähnliche Eingriffe früher zu
Korrekturen zu kommen als erst dann, wenn das Kind
gewissermaßen schon im Brunnen liegt. Auch da sind
wir auf einem guten Weg. Der Europäische Rat wird
nach meiner festen Überzeugung entsprechende Vorschläge nach den Vorarbeiten in der Van-RompuyGruppe und durch die Finanzminister im Oktober beschließen.
Wir werden - ich sagte es schon - auch europäische
Strukturfonds in den Katalog möglicher Sanktionen mit
einbeziehen müssen. Zudem brauchen wir in einem
zweiten Schritt - darüber gibt es in Europa noch keinen
völligen Konsens, aber wir müssen Schritt für Schritt vorangehen - Maßnahmen, die nicht ohne eine Änderung
der europäischen Verträge zu erreichen sind. Wer beispielsweise nichtökonomische Sanktionen, also etwa
den Ausschluss von Stimmrechten, vorübergehend einführen will, braucht dazu eine Vertragsänderung.
({41})
Wir alle sind uns einig: Wir brauchen solche moralischen Sanktionen, weil die ökonomischen Sanktionen
zum Teil nicht mehr richtig wirken, wenn das Defizit eines Landes schon sehr weit fortgeschritten ist. Das ist
eine zusätzliche Maßnahme, um den europäischen Stabilitäts- und Wachstumspakt zu stärken.
Wir in Deutschland sind uns auch darüber einig - daran muss in Europa noch intensiv gearbeitet werden -,
dass zur Vermeidung künftiger Krisen des Euro Maßnahmen erforderlich sind, um die Moral-Hazard-Problematik besser lösen zu können. Das heißt auf Deutsch: Es
kann nicht sein, dass wir Krisen, die im Finanzsektor in
Euro-Staaten oder wo auch immer entstehen, auf Dauer
zulasten der Gemeinschaft der Steuerzahler abwenden.
Das war 2008 bei der Bankenkrise nicht anders möglich,
und es war auch 2010 in der Euro-Krise vorübergehend
nicht anders möglich. Aber für die Zukunft ist eine Beteiligung der Gläubiger notwendig.
({42})
Wenn höhere Zinsen innerhalb der Euro-Zone ein Anreiz sind - bzw. der negative Anreiz, sich stabilitätsgerecht zu verhalten -, dann müssen diejenigen, die als
Gläubiger höhere Zinsen bekommen, auch angemessen
am höheren Risiko beteiligt werden. Dafür brauchen wir
einen Mechanismus, den wir in Europa nicht haben; aber
wir arbeiten daran. Dabei werden wir noch viel Überzeugungskraft brauchen. Da sollten wir Schritt für Schritt
vorangehen. Ich bin zuversichtlich, dass wir das im kommenden Jahr in Europa erreichen werden.
Ich will daran erinnern, dass dies von Anfang an die
Position der Bundesregierung war; wir haben unsere
Vorschläge schon im Mai in die Van-Rompuy-Gruppe
eingebracht und entsprechende Punkte formuliert. Ich
finde es auch wichtig, dass Frankreich und Deutschland
- keine unwichtigen Mitgliedsländer in der Euro-Zone
und in der Europäischen Union - diese Position gemeinsam formuliert haben, zuletzt in einem gemeinsamen
Schreiben der französischen und deutschen Finanzminister auf der Grundlage einer Entscheidung, die im französischen Kabinett am 22. Juli getroffen worden ist, in einer Sitzung, bei der ich die Ehre hatte anwesend zu sein.
Auf diesem Weg kommen wir in der engen deutschfranzösischen Zusammenarbeit gut voran. Das stärkt unsere Chancen, in Europa die notwendigen Entscheidungen zustande zu bringen. Der Weg wird noch schwierig
sein. Aber wir gehen ihn konsequent, und wir kommen
auch voran. Diejenigen, die sagen, wir hätten das noch
nicht erreicht, übersehen, dass wir verabredet haben, uns
zunächst einmal bis zum Europäischen Rat im Oktober
auf die Dinge zu konzentrieren, die ohne Vertragsänderung möglich sind; denn wir wollen nicht mit allem warten, bis wir zu Vertragsänderungen kommen - das
braucht Zeit -, sondern das, was möglich ist, schon jetzt
tun.
Es gehört übrigens zu den Lehren, die wir aus der Krise
ziehen müssen, wenn sie sich so nicht wiederholen soll,
dass wir strengere Regulierungen der Finanzmärkte erreichen müssen. Wie notwendig das ist, sehen wir übrigens in diesen Tagen, in denen verständlicherweise viele
Menschen in unserem Lande Schwierigkeiten haben,
wenn sie hören, dass die HRE eine zusätzliche Liquiditätsgarantie durch die Finanzmarktstabilisierungsanstalt
braucht. Sie fragen sich: Wieso ist das notwendig?
Meine Damen und Herren, das ist notwendig, weil
wir längst die Entscheidung getroffen haben - die umgesetzt werden muss und Ende des Monats auch umgesetzt
wird -, dass Bilanzvolumen in einer Größenordnung von
über 200 Milliarden Euro aus der HRE in eine Anstalt
innerhalb der Finanzmarktstabilisierungsanstalt ausgelagert wird.
({43})
- Ja, das wird jetzt vollzogen. - Um diesen Prozess abzusichern, ist es unvermeidlich, dass die HRE in der
Übergangszeit über zusätzliche Liquidität verfügt. Dazu
braucht sie die zeitlich begrenzten zusätzlichen Liquiditätsgarantien, die wir am Freitagabend im Lenkungsausschuss beschlossen haben. Das war übrigens mit allen
Ressorts, die in diesem Lenkungsausschuss vertreten
sind, abgestimmt; es war eine gemeinsame Position.
Die Maßnahmen sind aber bis Ende September befristet; denn sie sind nur zur Abstützung des Prozesses, die
HRE nachhaltig zu sanieren, notwendig. Das ist erforderlich, weil sonst diese Instrumente nicht bei der Zentralbank refinanzierungsfähig wären. Aber es ist völlig
klar: Was wir bei der HRE beschließen mussten, gilt vorübergehend und ist zeitlich eng befristet. Es ist eine
Maßnahme, um die Sanierung der HRE so, wie gemeinsam verabredet, voranzubringen, nicht mehr und nicht
weniger.
Aber das zeigt, dass wir in Bezug auf die bessere Regulierung unseres Finanzsektors nicht am Ende sind und
dass wir in unserem Elan nicht nachlassen dürfen. Die
Gefahr besteht immer - das gilt in der Haushaltspolitik
wie bei zusätzlichen Regulierungen -, dass man, sobald
die Krise ein bisschen überwunden scheint, in den Anstrengungen nachlässt, weil man meint, jetzt seien sie
nicht mehr so notwendig. Das wäre falsch. Gerade weil
wir auf dem richtigen Weg sind, muss er konsequent
fortgesetzt werden.
Wir haben im Übrigen mehr erreicht, als viele in der öffentlichen Debatte wahrnehmen wollen. Wir haben die Anreizsysteme in der Bezahlung und Vergütung von Bankmanagern international wie national - auf dem G-20-Gipfel
verabredet und dann in Europa und jetzt in nationale
Gesetzgebung umgesetzt - deutlich stärker auf den langfristigen Erfolg der Institute begrenzt. Denn solange es
Anreize gab, die sich am kurzfristigen Erfolg der Unternehmen ausrichten, hat man die Verantwortlichen in die
nicht beherrschbare Versuchung geführt, den kurzfristigen Erfolg ohne Rücksicht auf die langfristige Tragfähigkeit zu maximieren. Deshalb ist eine Korrektur bei
den Vergütungs- und Anreizsystemen eine notwendige
Konsequenz.
Der zweite, genauso notwendige Bereich ist, dass wir
die aufsichtsrechtlichen und die tatsächlichen Möglichkeiten verbessern. Deswegen ist es ein großer Schritt,
dass es in Europa gelungen ist, sich auf eine europäische Finanzaufsichtsstruktur zu verständigen. Das hat
viele Anstrengungen erfordert. Aber wir haben es geschafft. Damit kann die nationale Finanzaufsicht, die
nicht ersetzt werden soll, in Krisensituationen von
grenzüberschreitenden, europäischen Dimensionen besser eingreifen. Es ist ein wichtiger Erfolg, dass wir die
Finanzaufsicht in Europa insgesamt handlungsfähiger
machen, damit sie früher krisenhaften Entwicklungen
entgegenwirken kann. Das machen wir mit Nachdruck.
Auch da kommen wir voran.
({44})
Das bedeutet im Übrigen im nächsten Schritt, dass
wir unsere nationale Finanzaufsicht an die neuen Anforderungen anpassen müssen. Ich hatte immer gesagt - nur
zur Erinnerung -: Wir brauchen zuerst die Entscheidung
über die europäischen Strukturen - diese werden wir
jetzt haben; das Europäische Parlament wird sich bald
damit befassen; der Finanzministerrat hat dem schon zugestimmt -; dann können wir gemeinsam prüfen, welche
richtigen Konsequenzen für unsere nationale Finanzaufsichtsstruktur wir ziehen müssen. Auch das wird im
Laufe dieses Jahres zum Abschluss gebracht werden.
Wir brauchen dann - das ist der nächste wichtige Bereich; man kann ihn gar nicht hoch genug einschätzen im Bereich der Eigenkapital- und Liquiditätsvorsorge
bei den Finanzinstituten bessere Konsequenzen. Auch
hier sind wir mit dem Ergebnis, das die Notenbankgouverneure und die Finanzaufseher am Sonntag in Basel erzielt haben - der sogenannte Basel-III-Prozess -,
einen großen Schritt vorangekommen. Dabei ist es gelungen, die richtige Balance zu finden zwischen der Notwendigkeit einer besseren Eigenkapital- und Liquiditätsvorsorge und der Notwendigkeit, zu vermeiden, dass der
Finanzsektor nicht mehr in der Lage ist, die stattfindende
wirtschaftliche Erholung mit genügend Liquidität und
entsprechenden Kreditmöglichkeiten abzusichern. Es ist
wichtig, dass es im Rahmen von Basel III gelungen ist,
die Besonderheiten des deutschen Finanzwesens mit den
drei Sektoren - Sparkassenwesen, Kreditgenossenschaften und Privatbanken - zu berücksichtigen. Das ist in
den Besitzstandswahrungsvorschriften des in Basel erzielten Ergebnisses gesichert.
Ich halte Folgendes für ganz wichtig - das sage ich
immer unseren Kollegen -: Dass Deutschland zurzeit
eine bessere wirtschaftliche Entwicklung hat, und zwar
nachhaltig, hat neben anderem mit unserer ausgewogenen Struktur aus Groß-, Mittel- und Kleinbetrieben zu
tun. Die mittelständisch orientierte Wirtschaftsstruktur
in unserem Land ist einer unserer großen Vorteile.
({45})
Diese Struktur erfordert einen entsprechend gegliederten
Finanzsektor. Diesen Zusammenhang zwischen der mittelständischen Struktur unserer Wirtschaft und der gegliederten Struktur unseres Finanzsektors sollte man
nicht übersehen.
({46})
Das heißt im Übrigen nicht, dass wir nicht auch Konsequenzen im deutschen Finanzsektor ziehen müssen. Die
erheblichen Anforderungen auf der Eigenkapitalseite
und an die Liquiditätsvorsorge im Rahmen von Basel III
werden alle betreffen. Aber diese Anforderungen sind
zumutbar und zu bewältigen. Sie werden den Prozess einer Neustrukturierung innerhalb des Finanzsektors eher
befördern. Die Bundesregierung ist entschlossen, ihren
Beitrag im Rahmen unserer föderalen Ordnung - bis hin
zum besonders schwierigen Bereich der Landesbanken zu leisten und den Prozess voranzubringen.
({47})
- Die HRE ist immer dabei, Herr Kuhn. Darum brauchen
Sie sich keine Sorgen zu machen. Das kommt gut voran.
({48})
- Das mag sein. Vielleicht befassen Sie sich, Herr
Trittin, noch ein bisschen damit. Dann haben Sie einen
durch Faktenkenntnis begründeten Eindruck. Dann werden Sie ganz unbesorgt sein.
({49})
Wir müssen auch den Schutz des Steuerzahlers, der
sich in der Krise als der letzte Anker herausgestellt hat,
ausbauen und seine hohen Belastungen zurückführen.
Deswegen ist die Umsetzung der Restrukturierung für
die Finanzinstitute ein zentraler Punkt.
Das ist uns durch die G-20-Beschlüsse vorgegeben.
Wir haben sie durch den Gesetzentwurf zur Restrukturierung der Banken umgesetzt. Der Bundestag muss sich
noch intensiv damit befassen. Das sind die Konsequenzen aus der nicht gegebenen Möglichkeit 2008, systemische Risiken bei der Bankenrestrukturierung zu vermeiden. Deswegen haben wir damals andere Lösungen
gewählt. Jetzt leisten wir Vorsorge für ein geordnetes
Restrukturierungsverfahren, das systemische Risiken im
Finanzsektor vermeidet. Dazu gehört im Übrigen auch,
dass wir einen Restrukturierungsfonds schaffen, der
teilweise durch eine maßvolle, aber systemische Risiken
berücksichtigende Bankenabgabe gespeist werden soll.
Das ist ein wichtiger Schritt, und wir liegen mit dieser
Gesetzgebung genau in der Linie, die durch G 20 vorgegeben ist und die jetzt auch in eine europäische Struktur
eingebettet wird.
Es ist gelegentlich kritisiert worden, dass wir als Bundesrepublik Deutschland in Europa gewissermaßen vorgegangen wären. Ich sage Ihnen: Wir haben damals
schon in enger Abstimmung mit Frankreich gesagt, dass
wir eine europäische Regelung wollen. Aber so eine Regelung kommt eher zustande, wenn einige der größeren
Mitgliedsländer vorangehen, als wenn jeder sich hinter
der Aussage versteckt: Sobald es alle machen, machen
wir auch mit. Am Ende geschieht dann nichts. Das ist
ein Punkt, den wir sehr im Blick haben müssen.
({50})
Dazu kommt im Übrigen, was ich an dieser Stelle
schon einige Male gesagt habe: Wir müssen auch die alternativen Marktteilnehmer im Finanzsektor der Regulierung und der Aufsicht unterwerfen. Das ist ein wichtiger Punkt. Daran arbeitet die EU mit Nachdruck; wir
kommen hier voran. Wir müssen uns bei den alternativen
Produkten im Finanzsektor ganz genau anschauen, wo
die Missbrauchsmöglichkeiten größer sind als die dienende Funktion für die Erfüllung der Aufgaben des Finanzsektors.
({51})
Meine Damen und Herren, deshalb haben wir in der
Frage der ungedeckten Leerverkäufe die Entscheidung
getroffen, national voranzugehen. Wir haben dies nicht
getan, um Europa zu spalten, sondern um eine europäische Lösung zustande zu bringen. Wir wollen die Maßnahmen international so gut wie möglich abstimmen,
weil das immer die bessere Lösung ist; aber die internationale Abstimmung darf am Ende nicht zu einer Ausrede dafür mutieren, dass gar nichts geschieht. Wenn wir
Lösungen nicht global zustande bringen, dann müssen
wir sie in Europa zustande bringen, und damit es in
Europa vorangeht, müssen wir gelegentlich auch ein
Stück auf nationaler Ebene vorangehen.
({52})
An den Bemühungen, ungedeckte Leerverkäufe oder
Kreditversicherungen, CDS, die nicht der Absicherung
realer Geschäfte dienen, stärker aus dem Instrumentariumkasten herauszunehmen, sehen Sie, dass wir mit
diesem Weg vorankommen und dass wir die richtigen
Entscheidungen getroffen haben. Es zeigt, dass die Bundesregierung konsequent ihrer Verpflichtung nachkommt, wo immer möglich Konsequenzen aus der Finanzkrise zu ziehen, damit sie sich nicht wiederholen
kann. Hier sind wir auf einem richtigen Weg.
({53})
Ich will die Gelegenheit nutzen, noch einmal an unsere vielen Debatten über die Frage einer zusätzlichen
Besteuerung des Finanzsektors zu erinnern; sei es nun
eine Finanzaktivitätsteuer oder sei es eine Finanztransaktionsteuer. Es ist klar: Global werden wir diese nicht
zustande bringen. In Toronto hat sich gezeigt: Wer sagt,
er sei für eine solche Steuer, jedoch unter der Voraussetzung, dass sie global eingeführt wird, muss auf nicht absehbare Zeit davon Abstand nehmen. Das geht nicht.
Deshalb hatten wir früh einen großen Konsens, und zwar
weitgehend auch mit der Opposition und innerhalb der
Regierung: Wenn wir das global nicht hinbekommen,
dann werden wir eine europäische Lösung suchen.
({54})
- Herr Kollege Poß, das ist in Europa schwer; denn die
Bereitschaft, das zu unterstützen - ({55})
- Hier sind wir gut vorangekommen. Wissen Sie, das
schadet auch nichts. Es tut einer Regierung und übrigens
jeder politischen Partei gut, wenn sie politische Entscheidungen erst kritisch diskutiert, bevor sie sie trifft,
wenn sie nicht sagt: Wir entscheiden das erst einmal und
sehen dann, ob es richtig ist.
({56})
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, wenn wir zulassen, dass öffentliche Debatten vor Entscheidungen immer als Streit diffamiert werden, dann schwächen wir die
Mechanismen der parlamentarischen Demokratie. Das
wird diese Regierung nicht tun.
({57})
Wir haben nun - auch dazu gibt es einen deutschfranzösischen Vorschlag - im Finanzministerrat Anfang
dieses Monats zum ersten Mal eine Vorlage der Kommission - die hat das Initiativrecht - für eine solche
Steuer in Europa bekommen. Deswegen hatten wir im
Ecofin im September die erste Debatte über die Initiative der Bundesregierung und der französischen Regierung. Natürlich haben wir in der ersten Debatte keine
einstimmige Zustimmung für diesen Vorschlag bekommen. Wer das erwartet hat, hat keinen Bezug zur Wirklichkeit. Aber die Diskussion im Finanzministerrat, im
Ecofin, war sehr viel offener, als man nach den öffentlichen Erklärungen hätte vermuten können. Deswegen
werden wir an unserem Vorschlag weiterarbeiten. Ich
habe nie behauptet, dass wir sicher sind, dass wir unser
Ziel erreichen werden. Wir sind nicht allein in Europa.
Sie können aber sicher sein - das haben wir auch hier im
Bundestag versprochen, und das ist die Politik der Bundesregierung -, dass wir alles daransetzen und alle
Bemühungen unternehmen werden, um das zustande zu
bringen. Sie können darauf vertrauen. Wir sind in dieser
Frage nicht isoliert, aber wir müssen noch sehr viel daran arbeiten.
Wenn wir die Konsequenzen aus der Krise ziehen,
dann ist folgender Punkt entscheidend - ich will ihn uns
noch einmal ins Gedächtnis rufen -: Wir leben in einer
Zeit dramatisch schneller und dramatisch tiefgehender
Veränderungen wirtschaftlicher, ökologischer, politischer und sozialer Art. Das ist das Kennzeichen der modernen Gesellschaft im Zeitalter der Globalisierung. In
einer solchen Zeit ist es wichtig, dass wir das Vertrauen
unserer Bürger in die Nachhaltigkeit unserer Politik bewahren. Eine Gesellschaft, die sich ohnmächtig und den
Veränderungen ausgeliefert fühlt, wird eher regressiv reagieren. Wir müssen die Zukunftsfähigkeit unseres Landes bewahren und die notwendigen Entscheidungen,
über die man im Einzelnen streiten kann, treffen. Wir
müssen unser Land immer wieder infrastrukturell weiterentwickeln und uns auf veränderte weltwirtschaftliche
Rahmenbedingungen einstellen. Das kann nicht bestritten werden. Es ist wichtig, dass die Bevölkerung genügend Vertrauen in die Nachhaltigkeit unserer Politik
hat, damit wir die notwendigen Veränderungen in unserer offenen Gesellschaft konsensfähig gestalten können.
Wenn kein Vertrauen vorhanden ist, werden wir das Gegenteil von dem, was wir wollen, erzielen. Die Rückgewinnung von Vertrauen durch Nachhaltigkeit und Beständigkeit unserer Politik ist ein zentrales Element,
wenn wir in einer Zeit aufregender Veränderungen Kurs
halten wollen.
Wir haben in über 60 Jahren Nachkriegszeit vieles erreicht, worüber wir glücklich sein können. In diesen Tagen und Wochen erinnern wir uns an den größten
Glücksfall der deutschen Geschichte. Wir leben seit
20 Jahren nicht mehr in der alten Bundesrepublik, sondern im vereinten Deutschland. Wir haben die Einheit in
Frieden und Freiheit erreicht. Uns wurde die Richtigkeit
unserer grundsätzlichen ordnungspolitischen Vorstellungen wieder und wieder bestätigt. Wenn wir nun diesen
Weg konsequent fortsetzen, auch indem wir uns etwa bei
der Energiewende auf neue Entwicklungen einstellen,
dann sind wir auf einem guten Weg in die Zukunft. Mir
ist vor der Zukunft nicht bange. Die Politik allein kann
die Zukunft nicht gestalten; aber sie muss die Bedingungen so setzen, dass wir einen stabilen Rahmen für Freiheit, aber auch für Gerechtigkeit in unserer demokratischen Gesellschaft haben. Das ist die Politik der
Bundesregierung.
({58})
Dazu gehört: Wer die Freiheit - auch die des Marktes
und des Wettbewerbs - durch mehr staatliche Bürokratie
ersetzen will, wird am Ende wieder die Erfahrung machen, die wir in 40 Jahren Nachkriegsgeschichte gemacht haben. Bürokratische staatliche Systeme sind weniger effizient und weniger in der Lage, die Menschen
zu motivieren. Sie sind noch weniger in der Lage, richtige und nachhaltige ökonomische Entscheidungen zu
treffen. Deswegen setzen wir auf Freiheit. Aber damit
die Freiheit sich nicht selbst zerstört, brauchen wir einen
Rahmen. Diesen Rahmen setzt die soziale Marktwirtschaft. Sie setzt Regeln, die eingehalten, und Grenzen,
die nicht überschritten werden. Diese Regeln müssen
immer wieder angepasst werden. Sie sorgen im Übrigen
für den sozialen Ausgleich. Deswegen ist es so wichtig,
dass unsere Politik durch die Verbesserung der Lage auf
dem Arbeitsmarkt und der Beschäftigungschancen den
Menschen konkret zugutekommt. Diesen Weg werden
wir fortsetzen.
Im Prinzip ist es klar: Es geht darum, in einer Zeit
schneller Veränderungen, in einer Zeit, in der die Gefahr
der Verunsicherung als Folge dieser Veränderungen groß
ist, zu handeln. Dies ist die Situation überall in der westlichen Welt. Schauen Sie sich andere Länder an, ehe Sie
vorschnell diskutieren oder kritisieren. Schauen Sie sich
die Schwierigkeiten anderer Länder an, die Bevölkerung
davon zu überzeugen, dass Anpassungen in der Gesellschaft notwendig sind. Wir kommen um Konsequenzen
aus der demografischen Entwicklung so wenig herum
wie um Konsequenzen aus der Veränderung der weltweiten wirtschaftlichen Bedingungen durch die Globalisierung.
Wenn wir Zukunft gestalten wollen, brauchen wir
Vertrauen, brauchen wir eine verlässliche Basis. Die
Grundwerte, die Grundstrukturen in unserem Land verändern sich nicht. Aber die Antworten, die wir aus
Grundwerten und Grundstrukturen ableiten müssen, um
für das Jahr 2010 und die folgenden Jahre die richtigen
Entscheidungen zu treffen, setzen voraus, dass wir die
Realität zur Kenntnis nehmen. Es gilt, auf fester Basis
zukunftsfähige Entscheidungen zu treffen.
Das, meine Damen und Herren, ist das Leitmotiv der
Bundesregierung: Veränderung gestalten - auf der Basis
fester Werte, aber unter Würdigung dessen, was in der
Welt stattfindet. Die Verweigerung der Realität durch
ideologisch begründete Vorstellungen ist der falsche
Weg.
({59})
Unser Weg ist, auf fester Basis einen Rahmen für Veränderung zu geben, die Rahmenbedingungen durch die
Politik so zu gestalten, dass Freiheit, Gerechtigkeit und
sozialer Ausgleich in unserem Land auch in der Zukunft
möglich bleiben. Das ist eine große Aufgabe. Der
Haushalt 2011, den wir jetzt zu beraten beginnen, leistet
seinen Beitrag dazu.
({60})
Ich bitte Sie um Ihre Unterstützung.
Herzlichen Dank.
({61})
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem
Kollegen Carsten Schneider für die SPD-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Herr Bundesfinanzminister, wenn man die letzten zehn
Minuten Ihrer Rede verfolgt hat,
({0})
dann kann man der Financial Times aus der letzten Woche nur recht geben: Wolfgang Schäuble wird gern
grundsätzlich, wenn er im mühsamen politischen Alltagsgeschäft mal wieder an seine Grenzen gestoßen ist.
({1})
Übersetzt heißt das: Sie, Herr Bundesfinanzminister,
philosophieren lieber über Gott und die Welt, als sich
den harten Auseinandersetzungen hier und jetzt zu stellen.
Wer Ihre Rede und Ihre philosophischen Ausführungen über Vertrauen, Solidität etc. verfolgt hat,
({2})
der muss sich doch fragen: Reden Sie eigentlich über
den Finanzbereich, den Sie in dieser Regierung seit zehn
Monaten vertreten? - Ich habe einen ganz anderen Eindruck.
Begonnen haben Sie im September/Oktober letzten
Jahres mit einer Diskussion mit der FDP darüber, ob Sie
die Schulden, die Sie in diesem Jahr und in der ganzen
Legislaturperiode machen werden, noch schnell der alten Regierung und dem alten Finanzminister in die
Schuhe schieben. Dann gab es einen Aufschrei der Öffentlichkeit, und Sie haben das schnell wieder eingepackt. Aber das zeigt, wes Geistes Kind Sie an dieser
Stelle waren.
({3})
In vollkommener Verkennung der Tatsachen, in vollkommener Negation der hohen Kredite und der Schuldenlast, die wir in Deutschland haben, haben Sie zum
1. Januar 2010 Steuergeschenke von über 10 Milliarden
Euro an Hoteliers, an Erben und an Unternehmen gemacht. Das war Ihre Politik in diesem Jahr.
({4})
Dann haben Sie vor der nordrhein-westfälischen
Landtagswahl bis zur Mai-Steuerschätzung die Fata
Morgana aufrechterhalten, man könne in dieser Situation
noch Steuersenkungen vollziehen. Ich erinnere mich an
eine Debatte am Tag der Steuerschätzung, in der die FDP
hier aufgetreten ist und gesagt hat: Wir haben Mehreinnahmen, und diese nutzen wir, um Steuern zu senken. Das war Ihre Aussage.
({5})
Jetzt frage ich mich: Bringt das der uns vorliegende
Haushaltsentwurf zum Ausdruck?
Ich zeige das nur einmal an einem Punkt: Sie sprechen von einer ökologischen Luftverkehrsabgabe. Das
ist jedoch ein Euphemismus. In Wirklichkeit ist das ganz
klar eine Steuer, die neu eingeführt wird. Ich finde, wenn
das so ist, dann soll man dieses Instrument auch so bezeichnen und dazu stehen. Allein das schafft Vertrauen.
({6})
Über das Für und Wider dieser Steuer will ich gar nichts
sagen. Aber dass Sie jetzt einen anderen Kurs eingeschlagen haben, dass Sie etwas vollkommen anderes tun,
als Sie bisher behauptet haben, wird daran deutlich.
Zum Gesamthaushalt kann man insbesondere zwei
Urteile fällen:
Erstens. Dieser Haushalt weist eine soziale Schieflage auf, die die soziale Spaltung in Deutschland weiter
vertiefen wird.
({7})
Da muss man sich schon fragen: Wer hat denn die Krise
in Deutschland verursacht? Waren das die Arbeitslosen?
Waren das die Rentner, sodass Sie sich nun herausnehmen können, die Rentenversicherungskasse zu plündern? Waren das die Arbeitnehmer, die Sie nun durch
höhere Abgaben im Gesundheitsbereich und einen Verzicht auf die Senkung des Rentenversicherungsbeitrags
belasten? Ihre Politik führt ja dazu, dass all die Genannten heute nun die Zeche für die Krise zahlen, die maßlose Bankiers, Investmentbanker und andere Spekulanten angerichtet haben.
Carsten Schneider ({8})
({9})
Mit den Maßnahmen, die Sie heute hier einbringen, werden nun all die oben Genannten die Zeche dafür bezahlen. Ich werde auch noch im Einzelnen darauf eingehen.
Ein weiteres Beispiel zur sozialen Schieflage: Sie,
Herr Minister, haben hier vorgetragen, die Wirtschaft
werde stark belastet, der Sozialbereich dagegen nur unterproportional in Bezug auf den Anteil, den er am Gesamthaushalt hat. Dazu muss man ganz klar sagen: Die
Belastung der Wirtschaft hält sich in mageren bzw. sehr
überschaubaren Grenzen. Was haben wir da?
Ein Punkt ist die Luftverkehrsteuer. Wer zahlt die?
Zahlen diese die Unternehmen, oder werden diese die
Familien zahlen, die in Urlaub fliegen?
({10})
Die Belastungen hierdurch werden natürlich weitergegeben. Damit werden die Kunden belastet und nicht die
Wirtschaft.
({11})
Ein weiterer Punkt ist der in der Sache schon skandalöse Atomdeal. Hierdurch sollen 2,3 Milliarden Euro
zusätzliche Einnahmen erzielt werden. Dies gilt dann als
Belastung der Wirtschaft. Dazu ist zu sagen, dass es sich,
nachdem Sie sich das auch wieder aus der Hand haben
nehmen lassen, Herr Finanzminister, nicht mehr um
2,3 Milliarden Euro, sondern nach derzeitigem Stand um
1,6 Milliarden Euro handelt. Wahrscheinlich werden es
noch weniger.
({12})
So zerbröselt das Sparpaket immer weiter, und die Lücke, die Sie in den nächsten Jahren schließen müssen,
wird immer größer. Letztendlich handelt es sich noch
nicht einmal um eine Belastung der Wirtschaft; denn
man muss ja auch sehen, was die Atomkonzerne dafür
bekommen: Sie bekommen eine Laufzeitverlängerung,
sie bekommen die Lizenz zum Gelddrucken. Von diesen
Gewinnen sollen sie nun einen kleinen Betrag abgeben.
Das ist für die Wirtschaft ein Zugewinngeschäft, aber
keine Belastung.
({13})
Die einzigen Maßnahmen, bei denen Sie konkret sind
und auf die Sie sich als christlich-liberale Koalition einvernehmlich verständigen konnten, sind die Kürzungen
bei den Schwächsten der Gesellschaft wie den Arbeitslosen. Das ist Fakt. Nichts anderes liegt heute hier auf dem
Tisch.
({14})
Zweitens ist zum Gesamthaushalt zu sagen: Sie profitieren von der Konjunktur, der positiven wirtschaftlichen Gesamtentwicklung. Ich sage ganz klar: Über
diese freuen wir Sozialdemokraten uns auch. Wir freuen
uns über jeden Arbeitslosen weniger.
({15})
Wir freuen uns, dass die Auftragsbücher im verarbeitenden Gewerbe voll sind. Wir freuen uns, dass die Kurzarbeiterregelung gegriffen hat. Wenn Sie dann aber so
tun, als wäre das Ihr Verdienst, meine Damen und Herren, entgegne ich Ihnen: Das ist einfach dreist.
({16})
Der Bundesgesundheitsminister hat ja in seiner kabarettreifen Rede auf dem Gillamoos einiges zum Zustand
der Koalition gesagt. Er hat auch Dinge wie zum Beispiel zur Kleiderordnung gesagt, die ich eher nebensächlich finde. Aber einen konkreten Punkt hat er doch genannt, nämlich dass diese Regierung zehn Monate nichts
getan hat. Genau diese zehn Monate hat die Wirtschaft
gebraucht, um sich zu erholen, meine Damen und Herren! Ihr Anteil an der wirtschaftlichen Erholung ist damit
gleich null.
({17})
Viel ehrlicher wäre es zu sagen: Höchstwahrscheinlich
geht diese auf die Strukturreformen der vergangenen
zehn Jahre zurück. Es sind die maßvollen, aber klugen
Investitionen im Rahmen der Konjunkturprogramme gewesen, die dazu geführt haben, dass wir in 2010 eine extrem gute Wachstumssituation haben.
({18})
Herr Barthle, Sie können es doch ruhig sagen: Wir haben damals die meisten Vorhaben durchgesetzt, aber Sie
haben zugestimmt.
({19})
Deswegen spreche ich Ihnen einen Anteil am Erfolg zu.
Der Vorschlag der FDP war damals, nichts zu tun und alles laufen zu lassen. Wenn wir so gehandelt hätten, wären wir jetzt in dem Strudel, in dem viele andere Länder
weltweit sind.
Der Haushalt 2011 ist eigentlich der erste Haushalt,
den Sie vorlegen; denn der letzte war noch von der Großen Koalition maßgeblich bestimmt.
({20})
- Sie haben den Haushalt mit der Rekordverschuldung
beschlossen, Herr Fricke. - Wenn man sich den Haushalt
2011 ansieht, dann kann man zu einem ganz klaren Urteil kommen: Dieser Haushalt wird der Scheidepunkt
sein, was die wirtschaftliche Entwicklung und den sozialen Zusammenhang in Deutschland in den nächsten Jahren angeht. Er ist nichts anderes als ein Handbuch für die
soziale Spaltung in Deutschland. Einen solchen Haushalt
haben Sie hier vorgelegt.
({21})
Ich sage Ihnen klipp und klar: Wir werden diesem
Entwurf nicht zustimmen. Wir stimmen zwar der grundCarsten Schneider ({22})
sätzlichen Linie zu, dass wir die hohe Neuverschuldung
zurückführen müssen,
({23})
weil sie eine Gefahr für die Stabilität unseres Landes ist.
Das ist gar keine Frage.
({24})
Man muss aber auch ganz klar sagen, dass das, was Sie
hier vorgelegt haben, nicht dazu führen wird, dass die
Binnenkonjunktur in Deutschland gestärkt wird.
({25})
Was machen Sie? Sie haben in den vorherigen Debatten immer gesagt, Sie wollen die Sozialabgaben nicht erhöhen. Was ist denn nun tatsächlich passiert?
({26})
Sie machen eine eindeutige Klientel- und Lobbypolitik.
Respekt an Sie von der FDP dafür, wie Sie mithilfe einer
christlichen Partei die Interessen der Pharmakonzerne
und der privaten Krankenversicherung in Deutschland
schamlos durchsetzen. Das spottet jeder Beschreibung.
({27})
Die gesetzliche Krankenversicherung bekommt 2 Milliarden Euro zusätzlich aus dem Steuerhaushalt. Es sind
mittlerweile insgesamt 15 Milliarden Euro.
({28})
Aber 1 Milliarde Euro ziehen Sie der gesetzlichen Krankenversicherung aus der Tasche, um sie der privaten
Krankenversicherung zuzuführen.
({29})
- So ist es aber. Ich empfehle dazu die Lektüre der gestrigen Ausgabe der Berliner Zeitung. Sie sollten sich da
einmal schlaumachen. Wir werden diese Debatte sicherlich auch noch in der Zukunft führen.
Dass Sie die Interessen der privaten Krankenversicherung vertreten, ist doch offensichtlich. Das weiß doch jeder. Leugnen Sie es also nicht. Sie bekommen, so glaube
ich, Vorzugsprämien. Das ist alles in Ordnung. Aber Sie
sollten es nicht leugnen.
Man muss noch einen zweiten Punkt beleuchten. Neben der sozialen Ausgewogenheit ist auch die Frage
wichtig, welche Zukunftsakzente Sie setzen. Herr Bundesfinanzminister, Sie haben gesagt, Sie würden die
Ausgaben für Investitionen steigern. Ausweislich dessen, was Sie uns vorgelegt haben, muss man sagen, dass
die Ausgaben für Investitionen in diesem Haushalt sinken. Ich will nur die erfolgreichen Programme erwähnen, die die Bereiche Umweltpolitik und Bau verbinden
und zum Beispiel Auswirkungen auf die Mietnebenkosten haben. Da ist zunächst einmal das CO2-Gebäudesanierungsprogramm. Dieses Programm rasieren Sie.
({30})
Ich nenne ferner die Städtebauförderung, die einen großen Hebeleffekt für privatwirtschaftliche Investitionen
hat. Dieses Programm wird ebenfalls rasiert. Was Sie
hier vorlegen, wird im Endeffekt dazu führen, dass wir
weniger Wachstum und einen geringeren Beitrag zu umweltpolitischen Belangen wie zum Beispiel einen geringeren CO2-Ausstoß haben.
({31})
Ich will noch auf einen Punkt eingehen, der die Unsolidität Ihres Sparpakets deutlich macht. Sie reden immer
von 80 Milliarden Euro. Real durch Gesetze untersetzt
sind 40 Milliarden Euro. Die anderen 40 Milliarden Euro
sind Luftbuchungen. Sie haben in der Finanzplanung
Einsparungen bei der Bundeswehr in Höhe von 8 Milliarden Euro aufgeführt. Bisher kann ich nur feststellen:
Jedes Beschaffungsvorhaben ist teurer geworden. Auch
die Auslandseinsätze der Bundeswehr stellen Sie nicht
infrage. Was Sie aber infrage stellen, ist das Konzept der
Wehrpflicht und des Zivildienstes. Das tun Sie allerdings
einzig und allein unter Spargesichtspunkten. Das wird
diesem wichtigen Thema nicht gerecht - inhaltlich und
finanziell ebenfalls nicht, weil Sie dadurch die von Ihnen
angestrebten Einsparungen niemals erreichen werden.
({32})
Dann wollen Sie bei der aktiven Arbeitsmarktpolitik so richtig zuschlagen. Sie sprechen davon, dass Sie
dort Effizienzreserven heben wollen. Worum geht es? Es
geht um aktive Arbeitsmarktpolitik, um den Eingliederungstitel. Da sind Arbeitslose, die eine berufliche Rehabilitation, eine Weiterbildung oder einen Lohnkostenzuschuss erhalten. Diese Leistungen halbieren Sie nahezu.
Das wird dazu führen, dass die Chance für Arbeitslose in
Deutschland, wieder in Arbeit zu kommen, geringer
wird. Dementsprechend wird auch die wirtschaftliche
Entwicklung in Deutschland darunter leiden.
({33})
Ich gebe zu: Das haben Sie vorher wenigstens gesagt.
Dass Sie diesen Kahlschlag mit der Union durchsetzen
können, hätte ich allerdings nicht für möglich gehalten.
Das zeigt nur, dass wir früher das Schlimmste haben verhindern können.
({34})
Ich habe zu Beginn gefragt: Sind die Arbeitslosen
diejenigen, die die Zeche zahlen? Ja, sie müssen sie zahlen. Sind es diejenigen, die die Krise verursacht haben?
Ich meine, nein. Die Frage ist: Leisten diejenigen, die
die Krise zu einem Großteil mit verursacht haben, indem
sie über Jahre extreme Gewinne gemacht haben, bei denen moralisches Verhalten keine Rolle mehr gespielt hat,
Carsten Schneider ({35})
irgendeinen Beitrag? Ich kann da nichts finden, keinen
höheren Spitzensteuersatz,
({36})
keine Vermögensbesteuerung, keine wirklich solide Durchsetzung einer Finanztransaktionsteuer auf europäischer
Ebene, nichts. Hier gibt es ganz klar eine soziale Schieflage und Klientelpolitik. Dies ist für Deutschland kein guter Haushalt.
({37})
Diese Koalition ist sich nur einig - da geht sie sonntags sogar arbeiten -, wenn sie für die Atomkonzerne
Milliarden herausholen kann, um sie montags bis freitags bei den normalen Arbeitnehmern wieder einzusammeln. Das ist die Wahrheit in diesem Land.
({38})
Wir werden Änderungsvorschläge einbringen, wie zum
Beispiel die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohnes, der Mehreinnahmen von mindestens 5 Milliarden
Euro bringt, wie die Vermögens- und Kapitalbesteuerung,
die ebenfalls zu Mehreinnahmen führt. Wir werden Ihnen
zeigen, dass man solide Haushaltsführung und soziale
Gerechtigkeit in Deutschland miteinander verbinden und
gleichzeitig wirtschaftliches Wachstum generieren kann.
Meine Damen und Herren, ich bin gespannt auf die Beratungen.
({39})
Nächster Redner ist der Kollege Dr. Michael Meister
für die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Es ist bemerkenswert, in welcher Weise sich die
Sozialdemokratie in Deutschland von ihrer eigenen Politik distanziert. Wir haben eben gehört, was für Fehlentwicklungen wir in der Finanzwelt haben. Wir sind uns
darüber einig, dass diese stattgefunden haben. Wir sind
uns auch darüber einig, dass diese korrigiert werden
müssen. Aber wir dürfen doch auch einmal die Frage
stellen, wer mehr als ein Jahrzehnt die Finanzmarktpolitik in diesem Lande gestaltet hat.
({0})
Herr Schneider, warum haben Sie die Erkenntnisse,
die Sie hier vortragen, nicht umgesetzt? Wir tun es jetzt.
({1})
Der Bundesfinanzminister hat die Maßnahmen sehr konkret benannt und damit deutlich gemacht, wie wir zu einer
neuen Verantwortungskultur kommen und diejenigen
in die Verantwortung nehmen, die in den Finanzmärkten
tätig sind. Das ist unsere Aufgabe.
({2})
Zum Zweiten, lieber Herr Poß, will ich einmal fragen:
Wollen wir als Bundesrepublik Deutschland, was die Sozialpolitik angeht, in dieselbe Lage wie Griechenland
kommen? Griechenland ist nicht mehr in der Lage, die
notwendigen Leistungen für die Schwächsten und Ärmsten im Lande zu erbringen. Ich sage Nein.
({3})
Deshalb müssen wir den Sozialstaat nachhaltig handlungsfähig halten. Dies bedeutet, dass wir zur rechten
Zeit Konsolidierung betreiben, damit der Staat in der
Not den Ärmsten helfen kann. Das ist verantwortliche
Sozialpolitik. Was Sie an dieser Stelle tun, ist unverantwortlicher Populismus.
({4})
Wir geben in diesem Jahr etwa 170 Milliarden Euro
- das sind mehr als 50 Prozent des Haushalts - für soziale Dinge in diesem Lande aus. Das ist relativ, prozentual und absolut der höchste Betrag, der jemals in dieser
Republik für Soziales aufgewendet worden ist.
({5})
Wer dann die These aufstellt, wir würden Sozialabbau
betreiben, der hat die Realität nicht wahrgenommen und
betreibt Populismus. Er ist aber nicht an Lösungen und
Antworten für die Zukunft dieses Landes interessiert.
({6})
Ich will eine weitere Bemerkung machen. Sie haben
die Arbeitslosen angesprochen. Ja, die Arbeitslosigkeit
bereitet uns die größte Sorge in diesem Land. Wir müssen mehr Menschen in Arbeit bringen. Aber das ist die
Antwort: Wir wollen nicht Arbeitslosigkeit verwalten
und die Menschen in dieser Situation pflegen, sondern
ihnen Perspektiven eröffnen, sie aktivieren, damit sie aus
der Arbeitslosigkeit herausfinden. Ich glaube, das, was
wir in der Krise gesehen haben, ist ein gutes Beispiel dafür, dass es gelingt. Wir haben nämlich in der Krise eine
deutliche Verbesserung der Arbeitsmarktzahlen erreicht.
Daran wollen wir weiterarbeiten, nicht an der Verwahrung von Arbeitslosen in der Arbeitslosigkeit.
({7})
Jetzt kann man sagen: Das ist eine tolle Politik. - Das
tue ich nicht. Ich sage hier ausdrücklich: Das ist eine
tolle Leistung der Arbeitnehmer. Sie haben nämlich im
letzten Jahrzehnt einen wesentlichen Beitrag dazu geleistet, dass Arbeit in Deutschland wieder wettbewerbsfähiger ist. Es ist eine tolle Leistung der Unternehmer,
die in der Krise nicht wie in anderen Ländern einfach
zum Mittel der Entlassung gegriffen haben, sondern versucht haben, ihre Belegschaften zu halten.
({8})
Ich sage aber auch einmal: Wir haben gemeinsam - damit meine ich durchaus auch die Sozialdemokraten - die
Rahmenbedingungen dafür geschaffen, dass diese Entwicklung möglich war. Herr Schneider, Herr Poß, deshalb verstehe ich nicht, dass Sie sich von dem distanzieren, was Sie im Wesentlichen mit beschlossen und auf
den Weg gebracht haben.
({9})
Sie sollten eigentlich sagen: Das war eine gute Politik;
diese gute Politik muss weitergeführt werden.
({10})
Wir freuen uns über die tolle Konjunktur in diesem
Land. Wir haben in den vergangenen Jahren immer die
Behauptung gehört, das sei im Wesentlichen unserer tollen Position als Exportland zu verdanken. Ich will an dieser Stelle ansprechen: Wir leben nicht nur von den Exporten, sondern haben es geschafft, dass dieser Aufschwung
ein breites Fundament hat, dass er eben auch von der Binnenkonjunktur, von der Inlandsnachfrage, getragen
wird. Daran müssen wir festhalten. Herr Schneider, wenn
wir einen Aufschwung haben wollen, der nicht nur exportorientiert ist, sondern ein breites Fundament behält,
müssen wir zwei Dinge tun:
Erstens - ich habe es eben angesprochen -: Perspektiven am Arbeitsmarkt schaffen. Wir müssen den Menschen deutlich machen, dass sie eine Chance haben, ihre
eigene Existenz in Deutschland zu verdienen.
Zweitens. Wir müssen den Menschen klarmachen,
dass der Erwartungswert für künftige Steuer- und Abgabenzahlungen nicht höher ist als die heutigen Zahlungen;
denn wenn sie das befürchten müssen, dann konsumieren sie nicht, sondern sparen ihr Geld.
Deshalb ist eine Politik der Konsolidierung ein wesentlicher Teil, wenn es darum geht, das Vertrauen der
Menschen in den Staat, in die Sozialsysteme zu erhalten.
Damit erreichen wir, dass wir nicht nur exportorientiert
sind, sondern auch in Zukunft eine gute Inlandsnachfrage haben. Deshalb ist der Haushaltsentwurf richtig; er
leistet einen Beitrag dazu, das Vertrauen der Menschen
im Inland zu stärken, um damit zu erreichen, dass die Inlandsnachfrage erhalten bleibt.
({11})
Wir stehen in Deutschland nach der Krise - der Bundesfinanzminister hat es benannt; ich muss es hier nicht
wiederholen - bei Wachstums- und Arbeitsmarktzahlen
besser da als vor der Krise. Unser Haushaltsansatz versucht, auch hier Impulse für die Zukunft zu setzen. Wir
führen eben nicht nur eine Konsolidierung durch, sondern setzen in diesem Haushalt Schwerpunkte bei der
Zukunftsfähigkeit unseres Landes, indem wir Bildung,
Forschung und Innovation gezielt nach vorne führen.
Wir stärken Familien. Wir haben zum 1. Januar dieses
Jahres die Leistungen für Familien massiv ausgeweitet,
und zwar - ich sage das hier einmal sehr deutlich - gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen und gegen
die Stimmen der SPD, die sich den Familien in diesem
Lande verweigert haben.
({12})
Wir werden diese Politik weiterführen.
({13})
Wir haben die automatischen Stabilisatoren wirken
lassen. Jawohl, Herr Schneider, das war richtig; das haben wir gemeinsam getan. Es ist aber genauso richtig, zu
sagen: Wenn der Aufschwung wieder da ist, dann müssen die Programme auslaufen; dann muss natürlich auch
im Bereich der Sozialsysteme und der öffentlichen
Haushalte konsolidiert werden.
({14})
Da muss ich sagen: Sie haben heute Morgen einen Offenbarungseid geleistet. Sie haben sich zwar allgemein
dazu bekannt, dass es richtig sei, zu konsolidieren; aber
ich habe jeden konkreten Vorschlag von Ihnen vermisst.
Sie haben keinen eigenen Vorschlag gemacht. Sie haben
auch nicht gesagt, dass die Regierung bei der Konsolidierung an dieser oder jener Stelle einen richtigen Ansatz verfolgt. Ein allgemeiner Glaubenssatz „Wir müssen konsolidieren“ reicht aber nicht; man muss dann
schon konkret werden.
({15})
Hier hat die SPD jeglichen Vorschlag unterlassen. Ich
hoffe, dass die Kollegen der anderen Oppositionsfraktionen das noch leisten. Herr Schneider, in solch einer
schwierigen Lage des Landes kann man es sich auch in
der Opposition nicht so einfach machen.
({16})
Ich habe eben die Zukunftsfähigkeit des Landes angesprochen. Wir werden die Investitionshaushalte nicht reduzieren. Wir werden sehr genau darauf achten, dass wir
die Ausgabenreduzierung, die notwendig ist, so aussteuern, dass sie im Wesentlichen im konsumptiven Bereich
ansetzt und eben nicht bei den Investitionshaushalten.
Auch das ist aus meiner Sicht ein Beitrag zum Erhalt der
Zukunftsfähigkeit unseres Landes.
Wir freuen uns über die Entwicklung, Herr Schäuble,
die der Haushalt im Jahre 2010 nimmt. Das hat im Wesentlichen drei Gründe: Zum einen wurde das Wachstum, zum anderen wurde die Arbeitsmarktentwicklung
angesprochen. Der dritte Grund ist, dass wir trotz ansteigender Staatsverschuldung geringere Aufwendungen
für die Staatsverschuldung haben, also geringere Zinsen
zahlen müssen. Das hat etwas damit zu tun, dass man
uns auf den Kapitalmärkten der Welt glaubt, dass wir ein
verlässlicher Schuldner sind, dass man von uns erwarten
kann, dass wir unsere Schulden mit Zins und Tilgung jederzeit ordentlich bedienen. Unsere Diskussion über die
Finanzplanung 2011 sowie die mittelfristige Finanzplanung wird von den Kapitalmärkten sehr genau beobachtet. Sie werden uns nur so lange die günstige Refinanzierung gewähren und uns dadurch in unseren Bemühungen
Entlastung verschaffen, solange wir glaubwürdig darstellen, dass wir die Konsolidierungsanstrengungen vollbringen. In der Sekunde, in der von uns das Signal ausgesendet wird, dass wir in unseren Anstrengungen
nachlassen, werden wir in eine Spirale der Verteuerung
unserer Staatsschulden geraten, die kein Parlament auffangen kann.
({17})
Wir müssen klare Signale setzen und dürfen keine Irritationen aussenden.
({18})
Ich will darauf aufmerksam machen, dass wir neben
der Zinsentwicklung ein weiteres hohes Risiko haben,
nämlich die demografische Entwicklung in unserem
Land. Sie wird dazu führen, dass das Konsolidieren des
Haushaltes schwieriger wird. Da ist es sehr einfach, dass
sich Herr Schneider einen schlanken Fuß macht. Er hat
das Thema nicht angesprochen. Die Sozialdemokraten
schließen die Augen vor der Frage, wie unser Land mit
der demografischen Entwicklung umgehen soll.
({19})
Sie haben damals in der Regierung mit entschieden - Ihr
damaliger Arbeitsminister hat das vorschlagen -, ob der
demografischen Entwicklung bis 2029 ein Renteneintrittsalter von 69, Entschuldigung, 67 Jahren, zu beschließen.
({20})
- Ja, weil ich 2029 gesagt habe. Regen Sie sich ruhig darüber auf. - Sie machen sich einen schlanken Fuß, indem
Sie sagen: Die demografische Entwicklung findet zwar
statt, aber unsere populistische Antwort lautet: Das, was
beschlossen wurde, ist nicht notwendig. Das ist keine
verantwortungsbewusste Antwort auf die Fragen der Zukunft, sondern das ist purer Populismus und Opportunismus. Dafür werden Sie in Deutschland keine Zustimmung bekommen.
({21})
Mit unserem Ansatz liegen wir richtig, um auch international deutlich zu machen - Herr Schäuble hat es gesagt: Man soll nicht nur anderen kluge Ratschläge geben, sondern man sollte selbst mit gutem Beispiel
vorangehen, sowohl was den Stabilitäts- und Wachstumspakt als auch die Einhaltung der selbst gesetzten Schuldenbremse betrifft -: Die Schuldenbremse und der Stabilitäts- und Wachstumspakt sind kein Selbstzweck. Es
geht nicht darum, einen Selbstzweck zu erfüllen, sondern dahinter steht das Ziel einer nachhaltigen Finanzpolitik, die sowohl im nationalen wie im internationalen
Recht kodifiziert worden ist. Darum muss es uns gehen,
und zwar nicht nur, um Gesetze einzuhalten, vielmehr
unterziehen wir uns diesen Anstrengungen, um das Ziel
einer nachhaltigen Finanzpolitik zu erreichen. Wir schlagen einen Mix aus wachstumsfördernden Maßnahmen
und Ausgabenkonsolidierung vor. Wir verzichten deshalb konsequent auf die Erhöhung von Ertragsteuern;
denn eine Erhöhung von Ertragsteuern würde dazu führen, dass wir die wirtschaftliche Belebung zerstören. Damit wäre die von uns für die Konsolidierung benötigte
Einnahmebasis nicht mehr vorhanden. Deshalb ist die
Forderung der SPD, das Problem über eine Ertragsteuererhöhung zu lösen, ein Signal, das in die Irre führt. Sie
ist kein Beitrag zur Lösung des Problems, sondern sie
geht am Thema vorbei.
({22})
Ich glaube nicht, dass wir eine soziale Schieflage haben. Ich habe eingangs erwähnt, wie hoch die Aufwendungen für den sozialen Bereich sind, die wir derzeit
nicht nur im Bundeshaushalt, sondern auch auf anderen
Ebenen beispielsweise bei den Kommunen haben. Das
ist die eine Seite der Medaille. Die andere Seite der Medaille ist, dass man immer überlegen muss, wer diese Sozialaufwendungen zahlt. Dazu möchte ich zwei Hinweise geben.
Erstens. Ob der Demografie wird die Zahl der Beitragszahler in Deutschland zukünftig zurückgehen, das
heißt, weniger Menschen werden mehr Leistungen schultern müssen. Deshalb müssen wir uns die Frage stellen:
Wie können wir Strukturen schaffen, damit die notwendigen Aufgaben erledigt werden können? Das ist die erste
Aufgabe, die vor uns liegt.
Die zweite Aufgabe: Wir dürfen die Leistungsfähigsten nicht überfordern. Wir müssen einfach sehen, dass
die oberen 10 Prozent der Steuerzahler die Hälfte der
Steuern in diesem Land zahlen.
({23})
Natürlich klingt es toll, wenn man sagt: Man muss die
Belastung hochfahren. - Das kann man locker fordern,
aber man muss sich auch die Frage stellen, wie die Reaktionen darauf ausfallen. Wird das tatsächlich dazu führen, dass unser Staat in seiner Gesamtheit leistungsfähig
bleibt?
({24})
Ich glaube das nicht. Ich glaube, dass das zu Reaktionen
führt, die den Armen und Ärmsten in unserem Land
nicht helfen.
({25})
Lassen Sie mich eine letzte Bemerkung machen. Wir
alle wollen Klimaschutz. Darüber sind wir uns einig;
darüber gibt es in diesem Haus keinen Streit. Man muss
sich überlegen, wie man das so umsetzt, dass es wirtschaftspolitisch vernünftig ist, dass wir wettbewerbsfähig bleiben und im Bereich Klimaschutz in Zukunft
möglicherweise Exporterfolge erzielen können. Auf der
anderen Seite muss man sich die Frage stellen: Wie kann
die Wirtschaft die Auswirkungen verkraften, und wie
können die Energiepreise - das ist die soziale Dimension für die Menschen bezahlbar bleiben? Ich glaube, dass
die Bundesregierung ein wegweisendes Konzept vorgelegt hat, das die Punkte Klimaschutz, soziale Energiepreise, wirtschaftspolitisch vertretbare Energiepreise und
Versorgungssicherheit in vernünftiger Weise zusammenbringt. Deshalb ist das nicht nur eine Veränderung unserer energiepolitischen Ausrichtung; es geht nicht nur um
das Erreichen von Klimaschutzzielen. Vielmehr ist es
auch ein Beitrag zur Sozialpolitik und zur Arbeitsmarktpolitik in diesem Land. Auch das steckt in diesem Konzept.
({26})
Deshalb bitte ich Sie, sich nicht zu verweigern, sondern mitzumachen. Das ist notwendig, wenn Sie Ihre
Aussagen zu einer wirklich sozialen Politik für die Menschen in diesem Land selbst ernst nehmen. Ich glaube,
wir sollten uns in aller Ruhe und Gelassenheit den Beratungen des Haushalts zuwenden. Wir sind offen für alle
inhaltlichen Anregungen, die uns auf dem Weg aus der
Krise weiterbringen, die dazu beitragen, Deutschland
besser zu positionieren. Die Kollegen aus der Koalition
sind sehr aufgeschlossen.
Dem Bundesfinanzminister will ich für die Vorbereitungen danken. Das, was uns vorliegt, ist aus meiner
Sicht eine sehr gute Grundlage, auf der wir unsere Aufgabe in 2011 und den Folgejahren angehen können.
Vielen Dank. Ich freue mich auf die Haushaltsberatungen.
({27})
Die Kollegin Dr. Gesine Lötzsch ist die nächste Rednerin für die Fraktion Die Linke.
({0})
Vielen Dank, Herr Präsident. - Meine sehr geehrten
Damen und Herren! Sie, die Mitglieder der Bundesregierung, haben in Ihrem Amtseid geschworen, dem Land zu
dienen und Schaden von ihm abzuwenden. Aber genau
das Gegenteil geschieht. Jüngstes Beispiel: Im Windschatten der Sarrazin-Debatte werden der Hypo Real Estate 40 Milliarden Euro neue Bürgschaften in die Hand
gedrückt. Dass die Bundesregierung kein Interesse daran
hat, die Finanzkrise aufzuarbeiten, ist inzwischen allgemein bekannt. Aber dass auch die zuständigen Abgeordneten ihre Kontrollaufgaben nicht wahrnehmen, das ist
mehr als erklärungsbedürftig.
({0})
Einzig und allein der Vertreter der Linken im Finanzmarktgremium, Roland Claus, hat im Sommer immer
wieder Sitzungen des Gremiums gefordert. Dreimal
wurde abgesagt, und zwar mit der Begründung - die
sollte man sich gut merken -: … da die erforderliche
Mindestzahl von drei Mitgliedern, die eine Sitzung wünschen, nicht erreicht wurde. Das heißt, weder Vertreter
der Regierungsfraktionen noch der beiden anderen Oppositionsfraktionen hatten Zeit und Lust, sich im
Sommer über die skandalösen Vorgänge bei der HRE zu
informieren.
({1})
Darum fordern wir als Linke: Endlich ein Ende der Geheimpolitik dieser Bundesregierung! Denn diese Geheimpolitik widerspricht den Grundregeln der Demokratie.
({2})
Es ist doch absurd, dass die Koalition hier in größter
Selbstzufriedenheit auf die Konjunktur schaut und die
FDP schon wieder Steuersenkungen verspricht. Die
Wirtschafts- und Finanzkrise hat riesige Löcher in die
Haushalte des Bundes und der Länder gerissen, sodass
Schulen nicht saniert, Kitas nicht gebaut, Straßen nicht
repariert und Bibliotheken geschlossen werden. Das ist
das Gegenteil von Generationengerechtigkeit und Nachhaltigkeit.
({3})
Der größte Skandal ist allerdings, dass diese Regierung die Haushaltslöcher wieder nicht mit dem Geld der
Banker und Spekulanten stopfen will, sondern mit dem
Geld der normalen Steuerzahler. Ich kann Ihnen das
ganz einfach erklären: Schaut man sich den Haushalt an,
stellt man fest, dass er in zwei Teile zerfällt, in einen
Lobbyteil und in einen Kürzungsteil. Wenn Sie, Herr
Schäuble, hier die Einschnitte für Empfänger von Arbeitslosengeld mit dem Lohnabstandsgebot begründen
wollen, dann kann ich Ihnen nur sagen: Es gibt ein anderes, viel besseres Mittel: Führen Sie endlich den gesetzlichen Mindestlohn in Deutschland ein! Dann haben wir
auch keine Diskussionen mehr über das sogenannte
Lohnabstandsgebot.
({4})
Ich werde Ihnen einige Beispiele zu den Kürzungen
nennen, damit Sie in aller Deutlichkeit hören, was Sie in
den Haushalt geschrieben haben. Nach Ihren Planungen
muss zum Beispiel eine alleinerziehende Mutter mit einem Kind mit Einkommenseinbußen von bis zu
32 Prozent rechnen. Stellen Sie sich einmal vor, Herr
Ackermann müsste auf 32 Prozent seines Einkommens
verzichten. Jede Regierung, die das vorschlagen würde,
würde mit Großanzeigen aus dem Amt gefegt werden.
Wir sind ja in unseren Forderungen bescheidener. Wir
fordern nur eine fünfprozentige Vermögensabgabe für
Millionäre, und zur Finanzierung der Krisenkosten fordern wir außerdem eine Finanztransaktionsteuer und
eine Bankenabgabe. Die Bundesregierung hat es zwei
Jahre nach dem Ausbruch der Finanzkrise immer noch
nicht geschafft, die Banken und Spekulanten zur Kasse
zu bitten. Ich denke, eigentlich wollen Sie das nicht. Wir
haben da eine andere Auffassung: Die Verursacher der
Krise müssen zur Kasse gebeten werden und nicht die
normalen Menschen.
({5})
Wir sehen ja, dass diejenigen die Krise bezahlen sollen und müssen, die noch nie am Tisch der Bundeskanzlerin gesessen haben und dort auch nie sitzen werden.
Das Elterngeld für Arbeitslose soll ersatzlos gestrichen
werden. Der befristete Zuschlag für Arbeitslosengeld-IIEmpfänger soll genauso ersatzlos wegfallen wie die
Rentenversicherungsbeiträge für Langzeitarbeitslose.
Die Forderung, den Heizkostenzuschuss für Wohngeldempfänger auf die Streichliste zu setzen, ist nach dem
letzten langen, harten Winter besonders zynisch und
zeigt Ihre Politik in aller Deutlichkeit. Dieser stellen wir
uns entgegen.
({6})
Um die Zahlen einmal ein bisschen ins Verhältnis zu
setzen: In der Summe sind das knapp 2,6 Milliarden
Euro, die die sogenannte christlich-liberale Koalition
den Menschen nimmt, die nun wirklich keine Schuld an
der Finanzkrise tragen. Ich setze eine andere Zahl dagegen: Allein die Commerzbank bekam von der Bundesregierung in Form von verschiedenen Unterstützungsmaßnahmen das Zehnfache der genannten Kürzungssumme.
Das ist eine Schieflage, die wir nicht lange hinnehmen
können. Darum fordern wir als Linke die Rücknahme
aller Sozialkürzungen und endlich eine Aufstockung
des Arbeitslosengeld-II-Satzes, zuallererst für Kinder, so
wie es das Bundesverfassungsgericht vorgeschrieben
hat.
({7})
Ich komme jetzt zum Lobbyteil des Haushaltes.
({8})
Dieser Lobbyteil des Haushaltes besteht aus Luftbuchungen. Eingeplant ist eine Summe in Höhe von
2,3 Milliarden Euro für die Kernbrennstoffsteuer. Ich
sage Ihnen: Das ist eine Luftbuchung. Eingeplant haben
Sie eine Energiesteuer für stromfressende Industrie.
Auch das ist eine Luftbuchung. Sie haben eine Finanztransaktionsteuer eingeplant. Auch diese wird nicht umgesetzt werden. Das ist nach einem Jahr so gut wie gewiss. Das alles sind Luftbuchungen. Der Finanzminister
hat gegen die Lobby verloren. Ich habe allerdings den
Eindruck, er hat nicht einmal wirklich gekämpft. In diesem Land regiert die Lobby; nicht die Regierung oder
das Parlament bestimmen. Diesen Zustand müssen wir
im Sinne der Demokratie endlich beenden.
({9})
Doch darüber wollen Sie von der Regierung nicht
gerne diskutieren. Sie palavern lieber über die Entmündigung armer Kinder und ihrer Eltern. Ich finde, die Diskussion über die Chipkarten ist mehr als zynisch. Ich
sage Ihnen: Alle Kinder in diesem Land könnten ein Musikinstrument lernen, in einem Sportverein Flickflack
lernen oder Wasserball spielen, wenn die Bundesregierung die Kommunen nicht systematisch aushungern lassen würde. Wenn wir eine Bankenabgabe nach dem
Obama-Modell in Deutschland einführen würden, hätten
wir jährlich 12 Milliarden Euro mehr in der Kasse, die
wir den Kommunen zur Verfügung stellen könnten. Das
wäre doch ein guter Vorschlag. Viele, die hier gern für
die Kommunen sprechen, könnten dem doch sofort zustimmen.
({10})
Das Haushaltsprinzip dieser Regierung lautet: Vor
den Lobbys einknicken, nach oben katzbuckeln und
nach unten treten. Für diese Politik sind Sie nicht beauftragt. Wir als Linke werden dieses Prinzip niemals akzeptieren.
({11})
Die Linke will aber nicht nur die Krisenverursacher
zur Kasse bitten, sondern wir sehen auch große Einsparpotenziale im Haushaltsentwurf der Bundesregierung.
Ich komme zu einem Beispiel. Der Verteidigungsminister hat eine Bundeswehrreform vorgeschlagen, die
nachweislich kein Geld spart, dafür aber - das bitte ich
genauer zu beachten - klar regelt, wer in Zukunft auf
den Schlachtfeldern sterben soll. Herr zu Guttenberg
will aus der Bundeswehr eine Freiwilligenarmee machen, um angeblich die Wehrungerechtigkeit zu beseitigen. Doch das Gegenteil ist der Fall. Die Bundeswehr
wird zu einer Hartz-IV-Armee umgebaut. Wer sich Studiengebühren leisten kann, der darf studieren. Wer arbeitslos ist, darf weltweit sein Leben aufs Spiel setzen.
Das ist ein Verständnis von Wehrgerechtigkeit, das wir
nicht teilen, meine Damen und Herren.
({12})
Richtig Geld sparen kann man nur, wenn man die großen Rüstungsprojekte streicht. Beispiele haben wir immer wieder vorgetragen, und immer mehr Menschen
stimmen dem auch zu. Ich denke an den Eurofighter, den
Transporter A400M und an das völlig überalterte und
nicht funktionierende Raketensystem MEADS. Außerdem denken wir natürlich auch an den milliardenschweren Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan.
Meine Damen und Herren, dieses Geld wäre als Entwicklungshilfe besser angelegt. Doch genau da wollen
Sie merkwürdigerweise streichen. Sie wollen Geld zur
Bekämpfung von HIV/Aids und Malaria streichen. Das
ist zynisch. Das ist keine Hilfe. Das ist eine Beleidigung
der Menschen.
({13})
Fazit. Diese Regierung wird immer mehr von mächtigen Lobbyisten der Atom-, Rüstungs- und Pharmaindustrie gesteuert. Augenscheinlich sind Sie auch noch stolz
darauf. Sie haben jedes Gefühl für die Menschen und die
Beziehungen zu ihnen verloren. Diese Regierung setzt
nicht darauf, gemeinsam mit dem Großteil der Bevölkerung etwas zu erreichen und zu verbessern, sondern sie
setzt auf Ausgrenzung und auf die Privilegierung einer
Handvoll von Superreichen. Das - damit komme ich
zum Anfang zurück - widerspricht eklatant dem Amtseid, den Sie alle vor dem deutschen Parlament geschworen haben. Erfüllen Sie Ihren Eid, und brechen Sie ihn
nicht, meine Damen und Herren!
({14})
Das Wort erhält nun der Kollege Otto Fricke für die
FDP-Fraktion.
({0})
Geschätzter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Eine alte Weisheit lautet: Spare in der Zeit, dann
hast du in der Not. Wenn wir uns klarmachen, was die
Aufgabe in diesem Jahr und in den nächsten Jahren ist,
dann heißt es: Spare in der Zeit! Denn keiner von uns
weiß, wie sich das alles in den nächsten Jahren weiterentwickelt. Das ist eine Verantwortung, die wir wahrnehmen. Es mag Kritik daran geben - manche eher polemisch vorgetragen -, aber an den Zahlen orientiert ist
doch das, was wir machen, für zukünftige Generationen
notwendig.
Diese Koalition spart. Sie spart auf eine Art und
Weise, wie es Vorgängerregierungen fast nie gelungen
ist. Sie stabilisiert, und nur daran kann man Sparen erkennen. Für Sie von der Opposition bedeutet Sparen größere Einnahmen und in der Folge ein geringeres Defizit.
Für uns bedeutet Sparen einen Verzicht auf Ausgaben.
Das ist der Unterschied zwischen einer christlich-liberalen Koalition und Ihrer Auffassung.
({0})
Wie war es denn in der Vergangenheit? Sie haben
doch immer wieder gesagt: Dafür müssen wir mehr Geld
haben, dafür müssen wir mehr Geld haben, und dafür
müssen wir mehr Geld haben. - Was haben Sie am Ende
machen müssen? Steuern erhöhen, Abgaben erhöhen,
Beiträge erhöhen. Das war am Ende immer Ihr Ergebnis.
Sie machen eine Politik - und schlagen diese leider auch
heute wieder vor -, die besagt: Wir wollen lieber beliebt
sein. Lieber keine Rente mit 67; lieber dafür mehr Geld
und lieber für andere Dinge mehr Geld.
Ich sage Ihnen eines: Mit Sparen macht man sich
nicht beliebt.
({1})
Mit dem Reduzieren von Ausgaben macht man sich
nicht beliebt. Mit dem aber, was Sie machen, macht man
sich auch nicht beliebt, sondern nur beliebig.
({2})
Meine Damen und Herren, wenn der Bürger uns fragt,
was wir im Haushalt vorhaben, dann geht es doch darum, dass wir für zukünftige Jahre eine klare Planungssicherheit haben, damit die Leute wissen, wohin es geht.
Es geht uns darum - das ist uns allen ja passiert; davon
kann sich keiner freisprechen -, dass eine Finanz- und
Wirtschaftskrise nicht noch einmal so erhebliche Auswirkungen auf den Haushalt hat.
Auf Folgendes sollten wir noch am meisten stolz sein:
Hat die Finanz- und Wirtschaftskrise in dem Maße
Auswirkungen auf unsere Bürger, auf unsere Rentner
und unsere Arbeitslosen gehabt, wie dies in anderen
Ländern der Fall gewesen ist? Schauen wir uns das doch
einmal an. Haben wir die Renten gekürzt, wie dies in anderen Ländern der Fall war? Nein. Ist in unserem Sparpaket eine Kürzung der Renten vorgesehen? Nein. Haben wir bei der Arbeitslosenversicherung gekürzt? Nein,
wir haben es nicht gemacht. Haben wir die Hartz-IVSätze gekürzt? Nein, wir haben es nicht gemacht. Wer
sind diejenigen, die die Krise in den vergangenen Jahren
finanziell getragen haben und in zukünftigen Jahren tragen müssen? Diejenigen, die dafür sorgen, dass der Staat
Einnahmen hat: Unsere Steuerzahler, die wir dringend
brauchen, haben die Kosten dieser Krise zu tragen.
Weil Sie immer davon reden, dass die Unternehmer
nichts damit zu tun haben, sage ich Ihnen: Wenn wir
jetzt die Neuverschuldung abbauen, Stück für Stück und
Schritt für Schritt, mit einer klaren Perspektive und auf
Grundlage dessen, was uns die Verfassung vorgibt,
meine Damen und Herren, dann trägt der Steuerzahler
einen wesentlichen Teil dazu bei. Der Unternehmer, der
in der Finanzkrise keine Einnahmen hatte und darum
bangen musste, dass sein Unternehmen diese Krise überlebt, ist derjenige, der durch seine Steuerzahlungen jetzt
mit dafür sorgt, dass für zukünftige Generationen ausreichend Geld da ist. Das haben Sie aber völlig aus den Augen verloren. Das sehen Sie nicht. Das wollen Sie auch
nicht wahrhaben. Sie wollen den Menschen noch mehr
Geld wegnehmen. Das, was Sie an dieser Stelle tun, ist
nicht verantwortbar.
({3})
Warum machen wir das? Der Bürger fragt sich doch:
Müssen die das denn gerade jetzt so machen? Da muss
man ganz klar sagen: Wir müssen die Verfassung einhal5926
ten. Ich frage einmal in Richtung der Opposition: Wollen
Sie die Schuldenbremse einhalten oder nicht? Wollen
Sie das? Sind Sie wirklich fest dazu entschlossen?
Herr Kollege Fricke, da sich der Kollege Carsten
Schneider ohnehin zu einer Zwischenfrage gemeldet hat,
wäre das ja vielleicht eine schöne Gelegenheit, auch Ihre
Frage gleich mitzubeantworten.
Ja, das wäre schön.
Bitte schön, Herr Kollege Schneider.
Herr Kollege Fricke, Sie sind eben auf die Problematik der Schuldenbremse eingegangen und haben gesagt,
dass Sie sie einhalten wollen. Wir wollen das natürlich
auch.
({0})
Ach, wirklich?
Ich frage Sie nur - das ist eine wichtige Frage -, was
für Sie die maßgebliche Bezugsgröße ist. Wie wir wissen, haben Sie, Herr Bundesfinanzminister Schäuble,
den Ausgangspunkt für den Abbaupfad der Kreditaufnahme zu Beginn auf das Haushaltssoll 2010 festgelegt.
Sie haben das dann geändert - ich unterstütze das -,
Aha.
- und zwar auf den Juni 2010, auf das voraussichtliche Ist vom Juni 2010. Jetzt sehen wir, dass sich die konjunkturelle Lage deutlich verbessert. Gegen Ende dieses
Jahres werden wir wahrscheinlich bei einer Nettokreditaufnahme von circa 50 Milliarden Euro landen. Weil wir
das erste Mal in diesem Parlament mit der Schuldenbremse umgehen und dies für die nächsten Jahre stilbildend sein wird, stellt sich mir die Frage: Welchen
Ausgangspunkt wird uns die Koalition im November
vorlegen, die voraussichtliche Entwicklung im November oder die im Juni? Das ist für die Abbauschritte in den
nächsten Jahren nämlich maßgeblich.
Welche ist für Sie maßgeblich?
Die im November.
Für Sie wäre also der November maßgeblich. - Dann
haben Sie nur ein Problem, lieber Kollege Schneider
- jetzt gehe ich sehr stark in technische Details -: Wenn
man Verschuldung abbaut, dann ist das Ziel aufgrund der
Schuldenbremse, wie ich glaube, klar; darüber sind wir
uns alle einig. Es geht jetzt darum, in welchen Schritten
wir die Neuverschuldung in den nächsten Jahren gleichmäßig abbauen, übrigens sowohl der Bund als auch die
Länder; darauf komme ich gleich noch zu sprechen.
Ich kann Ihnen nur sagen: Maßgeblich muss der Finanzplan sein; darüber sind wir uns, wie ich glaube, einig. Oder sehen Sie das anders? Ich jedenfalls sehe es so,
dass der Finanzplan die Basis dafür ist, wie man in den
nächsten Jahren vorgeht. Er steht jetzt so, wie er steht;
das wissen Sie. Ich gehe, wie gesagt, davon aus, dass der
Finanzplan für uns maßgeblich ist.
Aber eines, Kollege Schneider, haben Sie vergessen
zu fragen: Sagen wir etwa - das steckt ja hinter Ihrem
Denken -: „Wir geben so viel aus, wie uns die Schuldenbremse vorgibt“? - Nein, das ist nämlich der Unterschied zwischen Ihnen und der Koalition: Wir wollen
unterhalb dieser Grenze bleiben. Daran arbeiten wir. Für
uns ist diese Grenze nicht das, was wir ausgeben dürfen,
sondern für uns ist das eine Linie, die auf keinen Fall zu
überschreiten ist.
({0})
Wir versuchen, unterhalb dieser Linie zu bleiben. Deswegen kommt es auf eine einzige Frage an: Sind Sie bereit, eigene konkrete Vorschlägen zu unterbreiten, wie
wir es schaffen können, unterhalb dieser Grenze zu bleiben?
({1})
Ich sage Ihnen: In Ihrer Rede habe ich das nicht gehört.
({2})
Die nächste Frage lautet: Für wen machen wir das eigentlich? Wir machen das für diejenigen, die Sozialleistungen beziehen und einen Anspruch darauf haben, sozial abgesichert zu sein. Aber wir machen es auch für
zukünftige Generationen.
Heute hat in Bayern die Schule angefangen. Den
Schülern, die heute eingeschult werden, muss man sagen: Wir arbeiten mit einem Instrument, das unangenehm sein mag, daran, dass sie dieselben Zukunftschancen haben, wie sie der Kollege Schneider, meine
Generation und schon die Generation vor mir in diesem
Lande hatten. Das ist nicht immer einfach. Sparen ist wie
eine bittere Medizin. Sie schmeckt bitter; man muss sie
regelmäßig nehmen; aber am Ende ist man geheilt und
vergisst sogar, woher die Heilung kam.
({3})
Zwischen Ihren Worten nach dem Motto „Wir wollen
alle sparen“ auf der einen Seite und Ihren Taten auf der
anderen Seite gibt es aber einen Unterschied. Das, was
Sie wollen, ist keine bittere Medizin. Nehmen Sie die
Rücknahme der Rente mit 67, die Erhöhung von HartzIV-Sätzen und alle anderen möglichen Geschenke, die
kurzfristig nett sind: Das, was Sie machen, ist das süße
Gift der Verschuldung, das Sie weiter verabreichen wollen, und keine Medizin.
({4})
Das ist der ganz wesentliche Unterschied.
({5})
Das, was Sie hier sagen, hört sich für den Bürger auf
den ersten Blick so an wie: Oh, die wollen auch sparen.
({6})
Liebe Bürger: Achtet nicht nur auf das, was die SPD hier
sagt, sondern schaut, was die SPD mit den Grünen
macht.
({7})
Schauen wir uns einfach einmal die beiden Länder an,
in denen diese beiden glorreichen Parteien regieren. Sie
bauen die Neuverschuldung in diesem Jahr nicht ab, wie
wir das tun, sondern im Gegenteil: In beiden Ländern
bauen sie die Neuverschuldung auf. Um es einmal konkret zu machen: In Nordrhein-Westfalen wird die Neuverschuldung in diesem Jahr um 35 Prozent erhöht.
({8})
Das würde bei uns bedeuten, dass wir die Neuverschuldung gegenüber der Planung auf über 100 Milliarden
Euro steigern würden.
({9})
Das ist der Unterschied: Sie reden vom Sparen, aber Sie
meinen Geldausgeben,
({10})
Sie reden von zukünftigen Generationen, aber die Schuldenberge, auf denen unsere Kinder nicht spielen können,
machen Sie immer höher.
Herzlichen Dank.
({11})
Der Kollege Alexander Bonde von der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen ist der nächste Redner.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der
Haushalt 2011 ist ein wichtiger Haushalt, weil mit ihm
einige langfristige Prozesse eingeleitet werden müssen.
Es ist der erste Haushalt, der unter den Regeln der Schuldenbremse aufzustellen ist. Das heißt, sowohl Sie als Regierung als auch wir als Opposition müssen mit diesem
Haushalt nicht nur einen Blick auf dieses oder das
nächste Jahr, sondern auch auf die Jahre bis 2016 werfen. Es geht darum, mit einem politischen Entwurf für
diesen Weg die Gesellschaft als Ganzes mitzunehmen,
um die schwierige Aufgabe zu lösen, die Schuldenbremse einzuhalten und eine nachhaltige Konsolidierung zu erreichen.
Es gibt in dieser schwierigen Zeit, in der wir uns nach
wie vor befinden, auch die Aufgaben, den sozialen Zusammenhalt in diesem Land zu erhalten und die auch
durch die Wirtschaftskrise offengelegten Modernisierungsdefizite in unserer Volkswirtschaft - vor allem hinsichtlich der ökologischen Modernisierung - endlich
anzugehen, um unseren Wohlstand nachhaltig und verträglich zu sichern.
Das ist der Anspruch, an dem man Ihren Haushaltentwurf messen muss. Dann ist es vorbei mit den schönen
Reden, die wir gerade gehört haben. Den Weg bis 2016
bekommen Sie mit Ihren Maßnahmen gar nicht beschrieben.
Überall dort, wo es um die ökologische Modernisierung und um die Fragen geht, wie wir den Zusammenhalt stärken und es schaffen, die Konsolidierungsaufgabe
der nächsten Jahre wirklich als breite, von der ganzen
Gesellschaft getragene Aufgabe zu verstehen, versagen
Sie mit diesem Haushaltsentwurf grandios.
({0})
Neben der fiskalischen Verschuldung gibt es ja auch
eine ökologische und eine soziale Verschuldung: Genau
diese verschärfen Sie mit dem, was Sie hier als Haushalt
2011 vorlegen.
Sie nutzen nicht die Chance zum Subventionsabbau.
In einer Zeit, in der es eine Klimakrise und eine Haushaltskrise gibt, ist es absurd, jedes Jahr weiterhin
48 Milliarden Euro für umweltschädliche Subventionen
im Bundeshaushalt auszuweisen.
Sie nutzen ausschließlich bestimmte Teile des Haushaltes zu Einsparungen und nehmen andere nicht in den
Blick. Ich frage Sie: Was ist das eigentlich für ein Wirtschaftsetat, der ein Bauchladen mit Subventionstöpfchen
für alle und jeden ist? Was ist das eigentlich für ein
Landwirtschaftsetat, in dem in Zeiten knapper Kassen
der Export von deutschen Schweinen ins Ausland zum
Hauptziel von neuen Investitionen gemacht wird?
({1})
Mit diesem schwarz-gelben Entwurf werden Sie keinem
der wirklich wichtigen Bereiche gerecht.
({2})
Sie haben ja im Sommer angekündigt, Sie wollten
jetzt mal anfangen, zu regieren.
({3})
Man kann sagen: Spät, aber Sie haben es immerhin gemerkt. - Das Einzige, was Sie in der CDU im Moment
aber machen, ist, eine sehr komische, konservative
Selbstfindungsdebatte zu führen.
Ich finde, Sie haben wirklich Grund zur Selbstfindung. Gucken Sie nur einmal in diesen Haushalt! Ich
frage mich schon: Was ist eigentlich konservativ daran,
immer nur bei den kleinen Leuten zu sparen?
({4})
Ich frage mich schon: Was ist eigentlich christlich daran,
wenn es immer auf die Schwächsten geht und wenn die
starken Schultern nichts zur gesellschaftlichen Verantwortung beitragen sollen?
({5})
Das haben Sie als vermeintlich konservative oder christliche Partei wirklich mal zu klären, liebe Union.
({6})
Auch in der FDP gibt es jetzt Selbstfindung. Wir können auch das gut nachvollziehen. Die Fünfprozenthürde
lässt immer die eine oder andere Frage aufkommen. Ich
finde, es gibt richtig harte Fragen an Sie: Was ist eigentlich aus dem Liberalismus in Deutschland geworden,
wenn die Politik immer nur nach der Pfeife von ein paar
Monopolisten tanzt?
({7})
Das ist eine Frage, die die FDP einmal klären muss. In
diesem Haushalt tun Sie es nicht.
Ich will von Ihnen schon wissen: Was ist eigentlich liberal daran, die Stadtwerke plattzumachen, damit den
Wettbewerb auf dem Energiemarkt wieder völlig auszuhöhlen und den Oligarchen aus RWE, EnBW, Eon und
Vattenfall die goldenen Löffel hinterherzuwerfen?
({8})
Das sind Fragen, die eine liberale Partei, die wieder liberal werden will, wirklich klären muss.
Kommen wir zum Finanzplan. Da machen Sie interessante Operationen. Der Kollege Fricke hat sich hier
bemüßigt gefühlt, über Nordrhein-Westfalen zu reden,
wo die schwarz-gelbe Koalition einen richtig schönen
getarnten Schuldenberg hinterlassen hat. Wenn man Ihren Haushaltsplan anschaut, dann stellt man fest, dass
Sie für das Jahr 2014 genau das Gleiche machen. Jetzt
verstehe ich das: Sie glauben nicht mehr, den Haushalt
2014 selbst aufstellen zu müssen. Das wird nämlich eine
neue Regierung machen müssen, die Ende 2013 gewählt
wird.
({9})
Schauen Sie einmal, was Sie im Finanzplan vorlegen: Im
Jahr 2014 werden die Zinszahlungen nach den Kalkulationen von Herrn Schäuble von heute 40 Milliarden Euro
auf dann 50 Milliarden Euro pro Jahr angestiegen sein.
Das heißt, da werden schon einmal 10 Milliarden Euro
im Bundeshaushalt fehlen.
Jetzt gucken wir einmal, wie Sie das in Ihrem Finanzplan für das Jahr 2014 bewältigt haben: Es gibt eine globale Minderausgabe von über 5 Milliarden Euro, also
angekündigte Einsparungen, bei denen keine Idee dahinter steckt. Sie versprechen, Verwaltungsausgaben von
3,9 Milliarden Euro einzusparen und auf dem Weg dorthin einmal zu überlegen, wie das gehen könnte. Bis dahin soll die Bundeswehrreform von Herrn Guttenberg
4,5 Milliarden Euro jährliche Einsparungen bringen,
eine Zahl, die er selbst mit seinem optimistischsten Modell heute nicht unterlegen kann.
({10})
Wenn Sie heute auf NRW zeigen, dann sage ich Ihnen, Herr Fricke: Sie machen doch das Gleiche hier, indem Sie der nächsten Bundesregierung schon jetzt einen
Schuldenberg von 11 Milliarden Euro auf den Tisch legen und das noch als eine Einhaltung der Schuldenbremse verkaufen wollen.
({11})
Mit Verlaub: Das lassen wir Ihnen nicht durchgehen. Sie
wissen nämlich selbst, welche Lasten Sie in die Zukunft
schummeln.
Der Kollege Fricke möchte und darf offenkundig eine
Zwischenfrage stellen. - Bitte schön.
Kollege Bonde, es ist ein sehr schöner rhetorischer
Trick, auf das Jahr 2014 hinzuweisen, für das eine Planung besteht, bei der selbst Sie noch nicht genau wissen,
was im Jahr 2014 passiert, aber dabei zu verschweigen,
dass das, was in Nordrhein-Westfalen stattfindet, nicht
erst im nächsten Jahr sein wird. Vielmehr hat die rotgrüne Regierung, die dort erst angefangen hat, mit der
Tolerierung der Linken zu regieren, bereits im ersten
Jahr die Verschuldung um 35 Prozent erhöht.
Würden Sie mir nicht zustimmen, dass zu sagen: „Wir
verzichten auf Studiengebühren und machen das über
Verschuldung. Wir geben den Kommunen mehr Geld
und machen das über Verschuldung. Wir geben mehr für
neue Behörden aus und machen das über Verschuldung.
Wir geben noch mehr für Förder- und sonstige Maßnahmen aus und machen das über Verschuldung“,
({0})
ein Unterschied gegenüber dem ist, was in diesem Jahr
an konkreten Einsparungen vorliegt? Würden Sie mir
zustimmen, dass, wenn Sie die beiden Haushalte - Bund
dieses Jahr und Land NRW dieses Jahr - vergleichen,
Sie zu dem Ergebnis kommen, dass der eine die Neuverschuldung abbaut und Rot-Grün die Neuverschuldung
aufbaut?
Lieber Kollege Fricke, als Nordrhein-Westfale wissen
Sie genau, mit welcher Art von Buchführung da operiert
wurde. Ich halte es für richtig, dass die Koalition in
NRW zu Beginn ihrer Amtszeit Kassensturz gemacht
hat. Dies hat Schwarz-Gelb in ihrem Wahn, Ihre Steuersenkungsforderung bis zur Wahl in Nordrhein-Westfalen
über die Zeit zu retten, fahrlässigerweise nicht gemacht.
Das ist genau der Unterschied, und es stellt sich die
Frage: Mache ich mich als neue Regierung glaubwürdig?
({0})
Lege ich die Fakten auf den Tisch, oder glaube ich, dass
ich den Menschen mit geschönten Zahlen, Tricks, mit
Schattenhaushalten und Ähnlichem die Realität auf
Dauer verstellen kann? Da müssen Sie sich entscheiden,
Kollege Fricke. Es ändert nichts daran, dass Sie mit dem
Finanzplan, den wir heute beraten, die Operation fortsetzen, die Sie in NRW begonnen haben. Dies müssen Sie
sich vor Augen führen, auch wenn das weh tut. So viel
Ehrlichkeit haben die Menschen verdient, Herr Kollege.
({1})
Der nächste Punkt, Kollege Fricke: Ihr Wirtschaftsminister hat zu der beschriebenen Situation im Jahr 2014
gleich angekündigt, dass noch ein paar Schulden dazukommen; denn Sie sind wieder in Sachen Steuersenkungslüge unterwegs. Insofern rate ich zur Vorsicht bei
der FDP. Ich glaube, eine liberale Selbstfindungsdebatte
steht Ihnen besser an, als mit dem Finger auf andere zu
zeigen.
({2})
Das, was wir heute diskutieren, erinnert ein bisschen
an die Nacht-und-Nebel-Aktion, die wir im Zusammenhang mit der Hypo Real Estate erlebt haben. Da hat die
Vorstandschefin der HRE an einem Mittwochnachmittag
verkündet, sie sehe schon 2011 den Gewinnkorridor
kommen, und nachmittags den Finanzminister aufgesucht, um 40 Milliarden Euro an Liquiditätsgarantien abzuholen. Ich glaube, wir müssen mit dieser Art von Politik aufhören, bei der man vermeintliche Erfolge ins
Fenster stellt, um dann den Menschen hintenherum deutlich zu machen, dass das Risiko doch bei ihnen gelandet
ist.
Es ist auch absurd, in welcher Art und Weise hier mit
dem Parlament umgegangen wurde. Aber das werden
wir später in der extra anberaumten Sondersitzung diskutieren. Ich hoffe, dass der Finanzminister anwesend
sein und erklären wird, was er damit meint, dass nicht
das Parlament, aber alle relevanten Personen informiert
worden seien. Ich möchte wissen, welches Demokratieverständnis sich hinter dieser Aussage verbirgt, Kollege
Schäuble.
({3})
Das war die eine nächtliche Mauschelei der Bundesregierung. Eine andere haben wir in Sachen Atomenergie
erlebt. Sie haben bei Nacht und Nebel der Atomenergiewirtschaft Zusatzgewinne garantiert. In der ersten Fassung des Haushaltsbegleitgesetzes und Ihrer Einnahmeerwartung für diesen Haushalt, die darauf beruht, sind
Sie davon ausgegangen, dass die Besteuerung von Brennelementen in Höhe von 220 Euro pro Gramm Uran
2,3 Milliarden Euro für den Haushalt einbringen würde.
Das hat man auf 145 Euro pro Gramm herunterverhandelt, was angeblich auch 2,3 Milliarden Euro einbringen
würde. Dann haben Sie in dem Geheimvertrag nachverhandelt, dass sichergestellt sein muss, dass diese Steuer
nicht erhöht werden darf. Das bringt bestimmt auch
2,3 Milliarden Euro ein. Diese Abfolge lässt langsam den
Verdacht aufkommen, dass Sie zum Schluss noch dafür
bezahlen, dass die Atomkonzerne durch die Laufzeitverlängerung 100 Milliarden Euro Mehreinnahmen erwirtschaften.
({4})
Langsam glaubt Ihnen niemand mehr in dieser Frage,
Herr Schäuble, dass ein relevanter Beitrag der Konzerne
zur Haushaltskonsolidierung erfolgen soll.
Die FDP muss man auch an dieser Stelle fragen: Was
ist aus den Liberalen geworden, wenn so drastisch Monopole fettgefüttert werden und wie die fette Henne alles
verdrängen, was in ihre Nähe kommt? Da müssen Sie
noch einmal in sich gehen. So absurd wurde Wirtschaftspolitik in Deutschland noch nie gemacht.
({5})
Wir sehen daran, wie Haushaltspolitik gemacht wurde.
Wo große Konzerne und Baugesellschaften dahinterstecken und 40 Unternehmensvorstände millionenschwere
Anzeigenkampagnen schalten, gerät bei jedem einzelnen
Husten eines Konzernchefs die schwarz-gelbe Konsolidiererfront ins Wanken. Millionen von Schwachen in diesem Land sind Ihnen aber egal. Genau dort schlagen Sie
dann bei den Kürzungen zu. Für Sie gilt die Leitregel:
Wer es sich nicht leisten kann, in eine gut gedämmte
Wohnung zu ziehen, dem streichen Sie den Heizkostenzuschuss. Die Programme, um diese Dämmungen durchzuführen, streichen Sie ebenfalls. Aber wenn es darum
geht, üppige Energiesteuervergünstigungen für Unternehmen moderat anzugehen, kneifen Sie vor den Lobbys.
Ihre Prioritätensetzung in diesem Haushalt ist ein peinliches Schauspiel.
({6})
Das wird bei den Sozialmaßnahmen deutlich, zum Beispiel beim Elterngeld. Einsparungen in Höhe von
400 Millionen Euro sollen von den Schwächsten dieser
Gesellschaft aufgebracht werden, 200 Millionen Euro
von den Normalverdienern und -verdienerinnen, aber
null Euro von den Reichen. Von ihnen wird nicht ein
Cent zu der Konsolidierungsleistung beigetragen. Das ist
symptomatisch für die Schieflage, die Sie schaffen.
({7})
Der Bundesagentur für Arbeit schieben Sie jetzt die
Schulden zu. Es wird Beitragserhöhungen geben. Auch
hier ist wieder die Frage: Wer zahlt das denn? Wir alle
wissen genau, welche Auswirkungen das hat.
Im ökologischen Bereich rasieren Sie alles, was wichtig ist. Das Marktanreizprogramm für erneuerbare Energien, eine wesentliche Stütze unseres Handwerks, gehen
Sie massiv an. Die Ausgaben für die Nationale Klimaschutzinitiative werden radikal gekürzt, und die Mittel für
das CO2-Gebäudesanierungsprogramm kürzen Sie um
die Hälfte.
Dieser Haushalt ist kein Aufbruch hin zur Bewältigung
der zentralen Aufgaben, die vor uns stehen. Sie haben die
Beantwortung der Frage nach einer ökologischen Modernisierung der Gesellschaft aufgegeben und den Atomkonzernen übertragen. Dieser Haushalt ist kein Auftakt dafür,
den sozialen Zusammenhalt in Deutschland zu stärken.
Herr Kollege!
Auch hier haben Sie den Schlüssel zum Kanzleramt
an die Konzernleitungen und die Bestverdienenden weitergegeben. Das ist die Aufgabe, der Sie sich stellen
müssen: Wir werden belegen, dass man die Vorgaben der
Schuldenbremse ökologisch und sozialverträglich einhalten kann
Herr Kollege!
- und dass die Schuldenbremse kein Alibi für Sozialabbau ist, den Sie betreiben wollen.
Herzlichen Dank.
({0})
Der Kollege Stefan Müller hat das Wort für die CDU/
CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Herr Kollege Bonde, Sie haben gerade angekündigt,
konstruktive Vorschläge einzubringen. Ich hoffe, dass
ich Sie richtig verstanden habe. Sie haben hier über zehn
Minuten viele Punkte vorgetragen, die aus Ihrer Sicht
kritikwürdig sind; das ist Ihr gutes Recht. Sie haben uns
aber alles vorenthalten, was Sie anders machen würden.
Ich finde, es ist die Pflicht einer Opposition, zu sagen,
was man selber besser machen würde, wenn man die anderen kritisiert. Ich hoffe sehr, dass Sie die nächsten Wochen der Haushaltsberatungen dazu nutzen, das zu tun,
werter Kollege Bonde.
({0})
Der Bundeshaushalt für 2011 stellt ein bislang einmaliges Konsolidierungsvorhaben dar.
({1})
Wir beenden damit die haushaltspolitische Unvernunft
der vergangenen Jahrzehnte. Es ist unstrittig: Wenn man
sich die Schuldenentwicklung der vergangenen Jahrzehnte anschaut, dann stellt man fest, dass in diesem
Land permanent mehr ausgegeben wurde, als man vorher
eingenommen hatte. Übrigens hat die SPD das in der
Großen Koalition noch nicht einmal bestritten. Aber vielleicht haben Sie auch hier Ihre Meinung geändert. Jedenfalls sind die Mehrausgaben in der Vergangenheit immer
durch neue Schulden finanziert worden. Wir haben nun
mit der Schuldenbremse endlich ein Instrument, dem
Einhalt zu gebieten. Letztlich ist die Schuldenbremse
nichts anderes als die verfassungsrechtlich verankerte
Pflicht zu einer soliden Finanzpolitik und zu einer nachhaltigen Haushaltspolitik. Letztlich ist die Schuldenbremse damit auch die grundgesetzliche Verankerung für
Generationengerechtigkeit. Aber selbst wenn es rechtlich
nicht bindend wäre, wäre es politisch notwendig, diesen
Kurs einzuschlagen und von dem abzukehren, was in den
vergangenen Jahrzehnten in Deutschland stattgefunden
hat. Allein die Zinsausgaben im Bundeshaushalt machen
über 40 Milliarden Euro aus und schränken schon heute
die politische Handlungsfähigkeit massiv ein. Das gilt
selbstverständlich auch für die Zukunft. So kann es nicht
weitergehen. Wir sind gerade nachfolgenden Generationen schuldig, an dieser Stelle umzusteuern.
({2})
Mit dem, was wir vorschlagen und auf den Weg bringen, legen wir die Messlatte für andere Länder. Ich
möchte in Erinnerung rufen, dass wir in diesem Frühjahr
sehr intensiv um die Stabilität des Euro gerungen haben. Das Problem war nicht nur, dass es eine ganze
Reihe von Finanzmarktakteuren und Spekulanten gegeben hat, die gegen den Euro gewettet haben. Sie haben
letztlich das Problem nur verschärft. Sie waren gewissermaßen die Brandbeschleuniger. Das eigentliche Problem
in der Euro-Zone ist ein ganz anderes. Der eigentliche
Brandherd ist die immense Verschuldung der Euro-Länder. Deswegen gilt: Wer die Stabilität des Euro, wer
Währungsstabilität haben möchte, muss auch dafür sorStefan Müller ({3})
gen, dass die öffentlichen Finanzen der Euro-Länder in
Ordnung gebracht werden.
({4})
Deutschland hat als größte Volkswirtschaft in Europa
eine ganz besondere Verantwortung. Wir tun gut daran,
mit gutem Beispiel voranzugehen. Wir dürfen nicht nur
mit dem Finger auf die anderen zeigen, sondern müssen
selber unsere Hausaufgaben machen. Deswegen ist es
gut, wenn sich andere Länder in der Euro-Zone bzw. in
der EU an dem orientieren, was wir hier auf den Weg
bringen; denn wir machen mit der Haushaltskonsolidierung Ernst. Dabei wäre es gut, wenn sich nicht nur andere Länder in Europa daran orientierten. Es wäre hilfreich, wenn sich auch Bundesländer wie Berlin oder
Rheinland-Pfalz an dem orientierten, was wir hier in
Berlin machen. Ich finde es unmöglich, dass man sich
gerade in diesen Bundesländern mit dem Geld aus anderen Bundesländern Dinge leistet, die sich diejenigen, die
in den Finanzausgleich einzahlen, nicht leisten können.
({5})
Richtig ist auch, dass wir heute schon sehr viel weiter
sein könnten. An und für sich war bereits für 2011 ein
ausgeglichener Haushalt vorgesehen. Die Finanzmarktkrise und die Wirtschaftskrise haben uns einen Strich
durch die Rechnung gemacht. Die Konjunkturpakete, die
wir in der letzten Wahlperiode auf den Weg gebracht haben, haben viel Geld gekostet, Geld, das im Bundeshaushalt nicht vorhanden war, weshalb wir neue Schulden
aufnehmen mussten. Wir haben viel Geld in die Hand
genommen, um die Wirtschaft zu stabilisieren, und wir
haben viel Geld in die Hand genommen, um Arbeitsplätze zu sichern. 2009 lag die Neuverschuldung bei
34 Milliarden Euro; 2010 haben wir eine Neuverschuldung von 65 Milliarden Euro. Die guten Nachrichten aus
der Wirtschaft und die positiven Arbeitsmarktzahlen zeigen aber, dass dies richtig war, auch um den Preis einer
höheren Verschuldung. Das heißt, der Erfolg gibt uns an
dieser Stelle recht. Kein anderes Land in Europa hat die
Wirtschafts- und Finanzkrise so gut überstanden wie die
Bundesrepublik Deutschland. Das ist ein Grund zur
Freude. Ich finde, wir können uns mit allen freuen, die
im letzten Jahr noch von Arbeitslosigkeit bedroht waren
und heute wieder einen verlässlichen Arbeitsplatz haben.
Linke Miesmacherei hilft uns an dieser Stelle nicht weiter.
({6})
Gut und bemerkenswert ist, dass die Situation, wie wir
sie in Deutschland haben, mittlerweile auch internationale Beachtung findet. Führende US-Manager blicken
seit Neuestem mit Neid auf Deutschland. Herr Immelt,
der Chef von GE, sagt: Deutschland ist das Vorbild. US-Medien sagen, es sei höchste Zeit, dass man der deutschen Wirtschaft einigen Respekt einräume. Selbst der
russische Ministerpräsident sagt, Deutschland sei in Europa zweifelsfrei Anführer in Sachen Stabilität. Deshalb:
Das erfolgreiche Krisenmanagement der vergangenen
Jahre gibt uns heute die Spielräume für die Haushaltskonsolidierung, und diese werden wir konsequent nutzen.
Konsolidieren heißt zunächst einmal sparen. Wer auf
einer Veranstaltung über das Sparen redet, wird sofort
Beifall dafür bekommen, weil jeder sagt: Natürlich muss
auch dort gespart werden. Letztlich muss auch für den
Staat gelten, was für jeden von uns im privaten Bereich
gilt. Wenn es dann aber konkret wird, findet jeder eine
Begründung dafür, warum ausgerechnet hier nicht gespart werden soll. Trotzdem nehmen wir uns dieser Aufgabe an.
Bis 2014 werden über 80 Milliarden Euro in allen Bereichen eingespart. Ich halte das für verantwortbar. Ich
halte das auch im Sozialbereich für verantwortbar. Das,
was wir hier an Einsparungen vornehmen, macht gerade
einmal 3 Prozent des gesamten Sozialhaushaltes aus.
Das heißt, auch in Zukunft wird mehr als die Hälfte des
Bundeshaushalts auf die Sozialleistungen, auf die Sozialausgaben entfallen. Das macht deutlich: Es gibt mit
dem, was wir hier vornehmen, keinen Sozialabbau. Ich
halte es für unverantwortlich, wenn Sie sich hier hinstellen und genau das Gegenteil behaupten.
({7})
Nun reicht Sparen allein aber nicht aus. Das Ziel ist
nicht nur, weniger Schulden zu machen. Das Ziel ist, irgendwann gar keine neuen Schulden mehr aufnehmen zu
müssen.
({8})
Das Ziel ist, irgendwann einmal von den Schulden, die
wir haben, etwas zurückzuzahlen. Dass das geht, dafür
gibt es auf dieser Welt etliche Beispiele.
({9})
- Bayern ist ein Beispiel; es gibt aber auch andere Beispiele auf dieser Erde. - Überall dort hat das funktioniert,
weil es über einen verhältnismäßig langen Zeitraum wirtschaftliches Wachstum, niedrige Arbeitslosigkeit und einen hohen Beschäftigungsstand gab.
Wenn wir in Deutschland in Zukunft eine hohe wirtschaftliche Dynamik und einen hohen Beschäftigungsstand haben wollen, dann muss es uns gelingen, dass dieses Land Industrieland bleibt. Dafür ist entscheidend
- wir werden im Anschluss über den Haushalt des Bundesbildungsministeriums diskutieren -, dass wir in der
Lage sind, hier neue Technologien zu entwickeln und sie
in marktfähige Produkte umzusetzen, die in Deutschland
produziert werden und international verkauft werden
können. Das heißt, wir brauchen starke Impulse für wirtschaftliches Wachstum in der Zukunft. Die besten Investitionen dafür sind weitere Ausgaben für Bildung und
Forschung in den nächsten Jahren. Das ist der einzige
Stefan Müller ({10})
Bereich, in dem mehr Geld ausgegeben werden kann. In
den Jahren 2010 bis 2013 werden die Ausgaben für Bildung und Forschung um 12 Milliarden Euro erhöht werden. Damit ist der Bereich „Bildung und Forschung“ der
einzige Bereich, in dem künftig mehr Geld zur Verfügung steht; denn dort entscheidet sich die Zukunftsfähigkeit unseres Landes. Wir sparen nicht auf Kosten der Zukunft, sondern wir sparen für die Zukunft.
({11})
Die Kollegin Nicolette Kressl hat das Wort für die
SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Die bisherige Debatte - das gilt ganz besonders für die
Beiträge der Redner der Koalitionsfraktionen - hat deutlich gemacht: Zu den wirklich entscheidenden Fragen
sagen Sie außer Allgemeinplätzen heute nichts.
Ich will kurz die Frage der sozialen Gerechtigkeit ansprechen. Sie, Herr Müller, haben gerade gesagt, es würden im Sozialhaushalt nur 3 Prozent eingespart. Ich sage
Ihnen: Die alleinerziehende Frau, die Arbeit hat, die als
Aufstockerin Hartz IV bezieht und der Sie jetzt das Elterngeld streichen, kann mit Ihrem Argument, es würden
nur 3 Prozent gestrichen, nichts anfangen. Diese Streichung ist ungerecht, und sie bleibt ungerecht.
({0})
Herr Minister Schäuble, Sie haben die Streichung mit
dem Lohnabstandsgebot begründet und dabei den Begriff der Leistung gebraucht. Dass der Aufstockerin, die
arbeitet, das Elterngeld gestrichen wird, hat mit der Anerkennung von Leistung nichts zu tun. Sie sind die Antworten auf viele Fragen schuldig geblieben.
({1})
Sie gehen den falschen Weg. Ihre Allgemeinplätze machen deutlich, dass Sie sich selber nicht im Klaren darüber sind, wohin der Weg eigentlich führen soll.
({2})
Lassen Sie mich auf die zwei Bereiche eingehen, die
für die allgemeine Finanzdebatte wichtig sind. Die erste
Anmerkung betrifft Basel III. Wir haben uns fraktionsübergreifend - das ist auch gut - zu einer stärkeren Regulierung bekannt. Wir haben gemeinsam über alle Fraktionen hinweg einen entsprechenden Antrag verabschiedet.
Ich glaube, wir sind auf einem richtigen Weg. Es wird
aber darauf ankommen, darauf zu achten, dass die Regulierung in Europa und in den USA gleichermaßen erfolgt.
Wir wissen, dass wir da genau hinschauen müssen. Das
ist ganz wichtig in diesem Bereich. Aber auch in dieser
Frage bleiben Sie die entscheidende Antwort schuldig:
Wo bleibt eigentlich die Beteiligung der Verursacher der
Krise an den Kosten der Krise?
({3})
Sie können sich nicht mit der Bankenabgabe herausreden. Das wissen Sie doch. Durch die Bankenabgabe werden die Verursacher mit keinem einzigen Cent an den
Kosten der Krise beteiligt. Es handelt sich dabei vielmehr um einen Topf, in den für die Zukunft eingezahlt
wird. Möglicherweise muss 100 Jahre in diesen Topf
eingezahlt werden, um die Kosten der nächsten Krise bewältigen zu können. Aber lassen wir das einmal dahingestellt sein. Sie haben kein Konzept, um die Verursacher an den Kosten der Krise zu beteiligen, um es ganz
deutlich zu sagen.
({4})
Wir als SPD haben gesagt: Wir wollen dafür die
Finanztransaktionsteuer. Sie sagen, dass Sie diese einfordern, wissen aber, dass es darüber extrem divergierende Meinungen in der Bundesregierung gab. Vorhin
sagten Sie, man könne sich darüber streiten, und wenn
man sich hinterher einige, sei es gut. So ist es aber nicht.
Ich habe von keinem einzigen FDP-Vertreter ein klares
Bekenntnis zur Finanztransaktionsteuer gehört, kein einziges Wort. Herr Wissing hat gleich anschließend Gelegenheit, sein Bekenntnis dazu deutlich zu machen.
({5})
Das führt dazu, dass die Durchsetzungsfähigkeit der
Bundesregierung bei Verhandlungen auf internationaler
Ebene massiv geschwächt wird. Bei einem Scheitern der
Finanztransaktionsteuer wird dann nachher als Alibi angegeben, der Vorstoß sei wegen des Widerstands auf europäischer und internationaler Ebene gescheitert. Das ist
nun wirklich nicht das, was wir wollen.
Frau Kollegin Kressl, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Barthle?
Gern.
Bitte schön.
Frau Kollegin Kressl, das ist nun schon die zweite
Rede aus den Reihen der SPD-Fraktion, in der immer
wieder darauf hingewiesen wird, wir müssten doch endlich auch die Verursacher der Krise zur Kasse bitten. Ich
möchte Sie gern fragen, ob Sie mir hier und heute sagen
können, wer alles aus Deutschland Verursacher der Krise
war, in welchem Ausmaß und wie wir alle diese dann zur
Kasse bitten.
Lieber Herr Kollege Barthle, ich weiß:
({0})
Der Hintergrund Ihrer Frage ist der, dass Sie immer wieder erzählen, man könnte die Kosten der Krise nicht genau definieren und deswegen bräuchte man gar nicht zu
versuchen, die Verursacher daran zu beteiligen.
({1})
- Damit es alle mitbekommen: Herr Barthle ruft: Namen! - Dann wollen wir einmal Ihre Reden zum Thema
Bankenkrise lesen.
({2})
Diejenigen, die über alle Maßen und völlig losgelöst von
der Kreditversorgung der Realwirtschaft im Bereich der
Spekulation unterwegs waren, die bei den Banken ihre
Hauptgewinne inzwischen nicht mehr mit realwirtschaftlichen Geschäften, sondern mit Spekulationen gemacht
haben,
({3})
sind auch Verursacher der Krise.
({4})
Dass Sie hier jetzt ernsthaft sagen, das seien sie nicht
und das könne man nicht benennen,
({5})
ist wirklich das Lächerlichste, was ich hier im Plenum
seit langem gehört habe.
({6})
Es gib im Übrigen auch Redner aus der Regierung,
Herr Barthle, die sagen: Wir müssen die Verursacher mit
zur Verantwortung ziehen. - Da sind immer auch die unverantwortlich schnellen Spekulationen mit genannt
worden.
({7})
Aus Ihrer seltsamen Frage muss ich schließen, dass Ihnen nicht einmal das mehr klar ist.
Das will ich zu dieser Frage noch ergänzen: Sie ziehen das jetzt ins Lächerliche,
({8})
weil Sie nicht in der Lage sind, die Verursacher durch
eine Finanztransaktionsteuer heranzuziehen.
({9})
Kurzum: Sie wollen das nicht. Wir nehmen das zur
Kenntnis und werden das allen Menschen entsprechend
erklären. Wenn Sie hier wörtlich sagen: „Wir kennen die
Verursacher nicht; wir beteiligen sie nicht an den Kosten, weil wir die Kosten nicht genau definieren können“,
dann ist das, finde ich, mehr als entlarvend.
({10})
Gehen wir weiter zu einem zweiten Bereich, zur Steuerpolitik. Dazu ist ganz aktuell zu lesen: Die Zerstrittenheit in der Bundesregierung führt dazu, dass sie im Fall
von Singapur den Kampf gegen die Steuerhinterziehung nicht aufnehmen kann. - Das ist heute Morgen
nachzulesen gewesen. Das Wirtschaftsministerium hat
eine andere Position als das Finanzministerium. Ich zitiere:
Klar ist aber auch: Solange die Bundesregierung
hier keine Lösung findet, bleibt der Kampf gegen
Steuerhinterziehung blockiert.
({11})
- Herr Fricke fragt, was das mit dem Haushalt zu tun
hat. Ich habe immer gedacht: Wenn man Steuerhinterziehung bekämpft, hat man mehr Steuereinnahmen, und das
wirkt sich auf den Haushalt aus.
({12})
Aber offensichtlich hapert es bei der Koalition inzwischen schon beim kleinen Einmaleins.
In den letzten Tagen ist eine Debatte um die Umsatzsteuer erkennbar. Hier stimmt der altbekannte Spruch:
Im Vergleich zu Ihnen ist ein Hühnerhaufen eine geordnete Formation. - Die FDP gibt in dieser Frage ihre
Klientelpolitik auf; die CDU hat das schon seit längerem
getan. Die Einzige, die sich jetzt noch als Hüterin des
„1-Milliarde-Euro-pro-Jahr“-Klientelgeschenks aufspielt,
ist die CSU. Gleichzeitig wird gesagt: Wir machen ganz
schnell, noch bis Ende des Jahres - das würde ich gern
sehen -, eine Mehrwertsteuerreform. - Das habe ich in
den Zeitungen gelesen. Herr Schäuble - das war nicht
das Ministerium, sondern die Koalition, aber Sie gehören ja irgendwie dazu -, das macht deutlich, finde ich,
wie chaotisch das Ganze ist.
({13})
Sie bekommen doch nie im Leben eine sozial verantwortbare Mehrwertsteuerreform noch in diesem Jahr auf
den Weg.
({14})
Wir von der SPD haben immer gesagt - wir waren
Mitinitiatoren dieses Gutachtens -: Darauf muss man
mal schauen.
({15})
- Frau Homburger, es war die SPD, die dieses Gutachten
initiiert hat.
({16})
Ich darf daran erinnern, wer bei der Mehrwertsteuerreform 2002 über den Bundesrat blockiert hat. Das waren
nicht die Sozialdemokraten.
({17})
Das waren Sie. Sie sollten bei dem Punkt ganz vorsichtig
sein.
({18})
Auf jeden Fall: Das Bild vom Hühnerhaufen, was die
Frage Mehrwertsteuer angeht, gilt weiter.
({19})
Kommen wir zum nächsten spannenden Teil. Niemand kann uns ernsthaft und seriös sagen, wie Sie im
Rahmen der Brennelementesteuer wirklich auf 2,3 Milliarden Euro kommen wollen.
({20})
Da ist doch nachträglich, als klar war, dass für den Gesamthaushalt weniger herauskommt, mit Müh und Not
etwas gedreht worden. Ich sage Ihnen: Die Sozialdemokraten werden im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens
darauf drängen, zu erfahren, wie sich dieser Deal tatsächlich auswirkt.
Ein letzter Punkt: Herr Schäuble, Sie haben gesagt,
zusammen mit den Ländern und Kommunen werden Sie
deren Finanzierungsgrundlage stabilisieren. „Zusammen“ entspricht aber nicht dem, was wir zum Beispiel
im Zwischenbericht der Gemeindefinanzkommission lesen. Da ist ausschließlich von einem Gegeneinander die
Rede, da, wie Sie wissen, die Kommunen die Gewerbesteuer, die Sie abschaffen wollen, erhalten wollen.
Kurzum: Sie verwenden eine plakative Überschrift, die
mit der Realität, was in der Politik tatsächlich passiert,
nichts zu tun hat.
Ich fasse zusammen: Sie sind chaotisch in die Sommerpause gegangen - Sie sind chaotisch herausgekommen. Im Interesse des Landes hoffen wir, dass Sie endlich einmal zu einer klaren Linie finden.
Danke.
({21})
Das Wort hat der Kollege Dr. Volker Wissing für die
FDP-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Die Bundesrepublik Deutschland befindet sich in einer
Aufwärtsbewegung. Die Konjunktur hat sich stabilisiert,
die Wirtschaft wächst, und die Arbeitslosenzahlen gehen
zurück. Das zeigt, dass diese christlich-liberale Regierung,
({0})
diese christlich-liberale Koalition mit ihrer wachstumsorientierten Politik genau auf dem richtigen Weg ist. Wir
haben Erfolge vorzuweisen.
({1})
Wir haben in einer weiß Gott nicht einfachen Situation Verantwortung übernommen: Es gab die schwerste
Finanzmarktkrise, die das Land je getroffen hat, und eine
enorme Wirtschaftskrise. In Wahrheit haben wir nicht
nur eine Finanzmarktkrise, sondern auch eine Staatsverschuldungskrise. Trotz dieser schwierigen Situation haben wir im Bereich der Finanzpolitik einen guten Weg
eingeschlagen und können bereits die ersten Früchte ernten. Darüber sollten wir uns in diesem Hause auch gemeinsam freuen, meine Damen und Herren!
({2})
Sie, Frau Kressl, haben mehr Steuergerechtigkeit und
die Bekämpfung von Steuerbetrug angesprochen. Auch
in diesem Bereich hat die Bundesregierung etwas erreicht, was Sie nicht geschafft haben. Ihr Bundesfinanzminister hat mit seinen peinlichen Drohungen gegenüber
der Schweiz diplomatisches Chaos angerichtet; der derzeitige Bundesfinanzminister hat die Problematik der
Doppelbesteuerung mit der Schweiz gelöst. Es geht, wenn
man es kann.
({3})
Das gilt auch in anderen Bereichen. Sie fordern ja immer, endlich etwas bei der Finanzmarktregulierung zu
tun. Wir haben schon viel getan. Wir sind damit noch
nicht fertig, aber wir haben schon viel auf den Weg gebracht: Wir haben die Vergütungs- und Anreizsysteme in
Ordnung gebracht. Wir haben für Bankenrestrukturierung gesorgt und eine Bankenabgabe auf den Weg gebracht, damit diese Bankenrestrukturierung nicht vom
Steuerzahler finanziert werden muss, sondern von den
Unternehmen selbst. Es gibt nun höhere Eigenkapitalanforderungen - Stichwort: Basel III -; es gilt ein erhöhter
Selbstbehalt bei Verbriefungen. Leerverkäufe wurden
strenger reguliert. - All das sind Erfolge dieser christlich-liberalen Koalition. Diese lassen wir uns von der
Opposition nicht kleinreden.
({4})
Nun können Sie sich hier hinstellen und noch mehr
fordern.
({5})
Das ist Ihr Recht als Opposition, und so werden Sie sich
auch immer verhalten. Aber Sie können eines damit
nicht aus der Welt schaffen: Was Schwarz-Gelb in den
letzten Monaten an Regulierung auf den Weg gebracht
hat, ist viel mehr als das, was Rot-Grün hinterlassen hat.
({6})
Wir werden diesen Weg der Ordnung der Finanzmärkte in den nächsten Monaten weitergehen. Als nächsten Schritt werden wir die Reform der Finanzmarkt- und
damit auch der Bankenaufsicht in Deutschland in Angriff
nehmen. Der Bundesfinanzminister hat das hier angekündigt. Nachdem wir auf europäischer Ebene die Weichen
gestellt haben, werden wir das jetzt umsetzen. Wir werden damit am Ende ein entscheidendes Stück weiter sein:
Wir werden eine bessere Bankenaufsicht haben, die unsere Bürgerinnen und Bürger davor schützt, dass sich das
wiederholt, was unter der Bankenaufsicht möglich war,
die von Rot-Grün gestaltet worden ist. Auch das muss
heute hier gesagt werden.
Weil wir gegenwärtig eben nicht nur eine Finanzmarktkrise, sondern auch eine Staatsverschuldungskrise
haben, müssen wir neben der Ordnung der Märkte auch
die Staatsfinanzen wieder in Ordnung bringen. Das geschieht mit diesem Bundeshaushalt. Die hohe Staatsverschuldung stellt deshalb für die Bürgerinnen und Bürger
eine gefährliche Situation dar, weil dann, wenn der
Druck auf der Politik so stark wie heute lastet, die Gefahr von Steuererhöhungen enorm hoch ist. Man sieht es
in anderen Ländern: Schnell wird zum Instrument der
Steuererhöhung gegriffen. Auch Sie fordern das. Die
SPD hat ein Steuererhöhungskonzept vorgelegt. Die
Grünen sagen: Die Steuern müssen erhöht werden. - Wir
werden das aus mehreren Gründen nicht tun: Zum einen
ist die Steuerlast für viele in Deutschland schon zu hoch.
Zum anderen haben Sie mit Ihren Steuererhöhungen in
der Vergangenheit das Ziel der Haushaltskonsolidierung
deutlich verfehlt. Deswegen sagt diese christlich-liberale
Koalition: Jetzt ist Schluss mit dieser verfehlten Politik;
jetzt wird der Haushalt auf der Ausgabenseite konsolidiert und nicht auf Kosten der Steuerzahlerinnen und
Steuerzahler. Das ist die entscheidende Wende in der Finanzpolitik.
({7})
Der Staat muss nicht nur in seinen Leistungen sozial
sein, sondern auch die Höhe der Steuerbelastung des
Einzelnen ist eine soziale Frage.
({8})
Wenn heute nur noch 30 Prozent der Bevölkerung Einkommensteuer zahlen und von diesen rund ein Viertel
80 Prozent des Einkommensteueraufkommens erwirtschaften, dann ist es unverfroren, dass Sie immer wieder
behaupten, dass starke Schultern in diesem Land keinen
großen Beitrag leisten. Man muss auch einmal den Mut
haben, in diesem Haus den enormen Beitrag der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler zu würdigen. Das tut die
christlich-liberale Koalition.
({9})
Wir werden uns von Ihnen nicht beirren lassen. Ein
Sozialstaat ist nämlich ein Solidarstaat und keine Bringschuld einer Minderheit. Solidarität muss gegenüber
den Empfängern von Sozialleistungen genauso gelten
wie gegenüber denjenigen, die arbeiten und Steuern zahlen. Darauf werden wir in dieser Koalition achten.
({10})
Deshalb bleibt es in der Finanzpolitik dabei: Wir werden den öffentlichen Haushalt auf der Ausgabenseite
sanieren. Wir werden die Menschen vor höherer Steuerbelastung schützen. Wir werden unser Steuersystem vereinfachen; das werden wir jetzt angehen in Abstimmung
mit den Ländern. Wir werden die Kommunalfinanzen
sanieren. Wir werden bei unserem Ziel bleiben, die Steuerlast in Deutschland gerechter zu verteilen und diejenigen zu entlasten, die heute über Gebühr und ungerecht
belastet sind. Der Mittelstandsbauch bleibt auf der
Agenda und ebenso die kalte Progression. Sobald wir die
Haushaltskonsolidierung geleistet haben und sich die
Früchte unseres Wachstums zeigen,
({11})
werden wir diese Gerechtigkeitslücke in Deutschland
schließen. Das ist eine stringente Politik.
Es gibt die ersten Früchte mit dem Rückgang der Arbeitslosigkeit. Diese Erfolge werden sich fortsetzen.
Vielen Dank.
({12})
Der Kollege Norbert Barthle hat das Wort für die
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Verehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Haushalt 2011 ist tatsächlich - das
wurde schon gesagt - der erste Haushalt, der eine eindeutige Sprache spricht, nämlich die Sprache der christlich-liberalen Koalition.
({0})
Der Vorgängerhaushalt 2010 war noch von der Vergangenheit geprägt und von Krisenbewältigung. An dem
Haushaltsentwurf 2011 können wir erstmals die positiven Ergebnisse der von der Koalition ergriffenen Maßnahmen zur Krisenbewältigung ablesen.
({1})
Es ist an dieser Stelle schon darüber diskutiert worden, wer dafür verantwortlich ist. Wir sind nicht so vermessen, zu sagen: „Das ist unser Aufschwung!“ Es gab
einmal einen sozialdemokratischen Bundeskanzler, der,
kaum dass er im Amt war, diesen Satz gesagt hat. Wir
sagen vielmehr: Die Tatsache, dass wir so gut durch die
Krise gekommen sind, hat viel damit zu tun, dass die
Unternehmerinnen und Unternehmer und auch die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Deutschland viel
dazu beigetragen haben. Ich will auch ganz bewusst die
Gewerkschaften loben, die in dieser Zeit eine kluge Politik gemacht haben.
({2})
Aber auch wir waren daran nicht ganz unbeteiligt.
Was wir auf den Weg gebracht haben, war ein wichtiger
Bestandteil dafür, dass wir jetzt besser dastehen als jeder
andere. Auch das muss man einmal sagen.
({3})
Wenn wir uns vergegenwärtigen, woher wir kommen,
und auf den Haushalt 2010 blicken, dann dürfen wir dabei nicht vergessen, dass wir noch im Frühjahr in diesem
Hause mit 80,2 Milliarden Euro neuen Schulden für
2010 gerechnet haben. Mitte des Jahres hat der Finanzminister diese Zahl nach unten korrigiert auf 65,2 Milliarden Euro. Zwischenzeitlich hören wir vom Finanzminister, dass die Aussicht besteht, am Ende des Jahres
deutlich darunter zu liegen, wenn die Entwicklung so
weiter verläuft.
Ich will an dieser Stelle einmal sagen: Ich bin sowohl
der Bundeskanzlerin als auch dem Finanzminister ausgesprochen dankbar, dass sie an dieser Stelle konsequent
Linie halten und sagen: Wir wollen diese positive Entwicklung ausnutzen, um die Nettokreditaufnahme zu
senken und die Schulden zurückzufahren. Auch das ist
eine politische Leistung, die so mancher in diesem
Hause - da schaue ich nach links - wahrscheinlich nicht
hinkriegen würde.
({4})
Im Haushaltsentwurf für das Jahr 2011 ist eine Neuverschuldung von 57,5 Milliarden Euro vorgesehen. Ich
habe die Hoffnung, dass wir während des parlamentarischen Verfahrens der Haushaltsberatungen - wir werden
dies ja erst im November abschließen - vielleicht an der
einen oder anderen Stelle noch etwas ändern können.
Vielleicht können wir die Neuverschuldung sogar senken, wenn die Entwicklung gut verläuft. Aber wir werden mit Sicherheit alle Ausgabepositionen kritisch auf
weitere Einsparpotenziale hin überprüfen. Sollten wir
weitere Einsparpotenziale entdecken, dann werden wir
auch diese zur Senkung der Nettokreditaufnahme nutzen.
({5})
Ich habe gerade erläutert, dass wir so, wie sich die Situation derzeit darstellt, tatsächlich besser dastehen, als
man je erwarten konnte. Auch zu Anfang des Jahres hat
noch keiner davon geträumt, was uns jetzt die Wirtschaftsforschungsinstitute voraussagen. So prognostiziert das Institut für Weltwirtschaft in Kiel für dieses
Jahr ein Wachstum von 3,4 Prozent. Ich mache mir das
nicht zu eigen. Aber das sind Prognosen, von denen noch
vor wenigen Monaten niemand zu träumen gewagt hat.
Die Arbeitslosenzahlen sehen ausgesprochen freundlich aus. Wir werden bei der Zahl von 3,2 Millionen nicht
stehen bleiben; vielmehr deuten alle Prognosen darauf
hin, dass wir im Jahre 2011 vielleicht unter die 3-Millionen-Grenze kommen könnten. Das sind Zahlen, von denen eine rot-grüne Regierung nur geträumt hat. Auch da
sehe ich positive Entwicklungen. Das ist für uns ausgesprochen erfreulich; denn das sind Anzeichen dafür, dass
die Krise zumindest derzeit überwunden ist. Wie nachhaltig diese Situation ist, weiß noch niemand. Wir setzen
darauf und tun alles dafür, diese Entwicklung entsprechend zu stärken, zu unterfüttern und nicht zu beschädigen.
Die derzeitige Situation wird auch international sehr
anerkannt. Lassen Sie mich kurz einige wenige Pressestimmen oder auch den EZB-Chef Jean-Claude Trichet
zitieren, der uns lobt und sagt, Deutschland ist derzeit
wirtschaftlich mustergültig. Die New York Times sagt,
Deutschland hat es fertig gebracht, Wirtschaftswachstum
und sinkende Arbeitslosigkeit zu vereinen und gleichzeitig einen Plan für einen nahezu ausgeglichenen Haushalt
binnen sechs Jahren zu erarbeiten. Die Wochenzeitschrift Economist sagt, die deutsche Wirtschaftspolitik
könnte zum begehrtesten Exportgut dieses Landes werden. Die Financial Times begrüßt, dass Deutschland zur
Ordnungspolitik erhardscher Prägung zurückkehrt. Ich
könnte weiter zitieren. Rund um uns herum, in Europa,
in der Welt wird allenthalben anerkannt, dass wir in der
Krise antizyklisch reagiert haben und eine Politik gemacht haben, die darauf setzt, mit zunächst konjunkturfördernden Maßnahmen die Krise zu überwinden,
gleichzeitig aber auch den Haushalt zu konsolidieren.
Dieser Mix aus Wachstum befördern und konsolidieren
wird weltweit anerkannt. Das sollten wir auch in diesem
Hause einmal zur Kenntnis nehmen und die Situation
nicht immer schlechtreden.
({6})
Lassen Sie mich an dieser Stelle auf einige Reden zurückkommen, die wir bereits von der Opposition gehört
haben. Ich würde den Kollegen, insbesondere aus der
Sozialdemokratie, einmal empfehlen, ihre Reden aus der
Debatte zum Wachstumsbeschleunigungsgesetz nachzulesen. Damals gab es einen massiven oppositionellen
Theaterdonner. Da wurde von Nullwachstum geredet.
Der Kollege Steinmeier, dem ich von hieraus gute Besserung wünsche, titulierte das Wachstumsbeschleunigungsgesetz als Zukunftsverhinderungsgesetz. Der Kollege Poß sprach von Wachstumsverhinderung. Der
Kollege Schneider sprach von Voodoo-Ökonomie. Wenn
sich etwas als Voodoo erwiesen hat, dann allenfalls Ihre
apokalyptischen Horrorszenarien.
An dieser Stelle will ich klipp und klar sagen: Das,
was hier vonseiten der Opposition vorgetragen wurde,
etwa, dass die soziale Spaltung in diesem Land vorangeNorbert Barthle
trieben werde, ist an den Haaren herbeigezogen.
Schauen Sie sich die Entwicklung der Sozialausgaben
im Bundeshaushalt an. Als Rot-Grün noch an der Regierung war, betrugen sie 43 Prozent. Heute sind es
54 Prozent.
({7})
Ich will nun nicht behaupten, dass der Anteil der Sozialausgaben im Haushalt ein Maßstab für soziale Gerechtigkeit ist. Aber er weist immerhin darauf hin, dass wir
mehr für die sozialen Sicherungssysteme, für die sozial
Schwachen in diesem Land tun, als es Rot-Grün jemals
getan hat. Das ist auch wahr.
({8})
Lassen Sie mich auf die Gesamtsituation zurückkommen. Wir haben einen Schuldenberg, der uns allen Sorgen bereitet. Die Verschuldungsquote beträgt nahezu
80 Prozent. 12 Prozent des Bundeshaushalts müssen allein für die Zinsen aufgebracht werden. Rund gerechnet,
ist jeder fünfte Euro, den wir in diesem Jahr in diesem
Land ausgeben, schuldenfinanziert. Das ist eine Entwicklung, die wir umkehren müssen. Deshalb bin ich
froh und dankbar, dass die Schuldenbremse in unserem
Grundgesetz steht. Die Abbaupfade wurden bereits vom
Finanzminister erläutert. Wir sind fest entschlossen, die
Grenzen der Schuldenbremse in jedem Fall einzuhalten,
sie im besten Fall zu unterschreiten; das ist unsere Zielsetzung.
Ich sage deshalb klipp und klar: Solide Haushaltspolitik ist für uns kein Selbstzweck, sondern eine Herausforderung, die wir als Daueraufgabe verstehen. Politik auf
Pump führt zu Entwicklungen, wie wir sie in Griechenland bei der Euro-Krise beobachten konnten. Das hat
zwischenzeitlich - auch dafür bin ich dankbar - zu einem deutlichen Umkehrprozess bei der Betrachtungsweise der Bevölkerung geführt. Die jüngsten Umfragen
zeigen uns klar und deutlich, dass die Stabilität der
Staatsfinanzen für eine Mehrheit der Bevölkerung eine
unabdingbare Voraussetzung für das Vertrauen in die
politische Führung in diesem Land ist.
({9})
Deshalb tun wir alles dafür, so schnell wie möglich zu
ausgeglichenen Haushalten zurückzukehren, den Haushalt auf solide Beine zu stellen und damit dem Vertrauen
der Menschen gerecht zu werden.
Wir tun das auch aus Gründen der Generationengerechtigkeit; sie ist heute schon das eine oder andere
Mal angesprochen worden. Als ich geboren wurde, haben acht sozialversicherungspflichtig Beschäftigte die
Rente für einen Rentner erarbeitet; heute sind es vier;
wenn ich 80 bin, sind es noch zwei. Diese demografische
Entwicklung, die wir zur Kenntnis nehmen, wird von
Teilen dieses Hauses völlig ausgeblendet. Wir dürfen
dieser nachwachsenden Generation, die in den sozialen
Sicherungssystemen ohnehin schon viele Lasten zu tragen hat, nicht auch noch Schuldenberge hinterlassen.
Deshalb ist es wichtig, dass wir diesen Trend umkehren
und zu einem ausgeglichenen Haushalt zurückkehren,
der für uns noch immer das Ziel ist.
({10})
Die Bundesregierung hat nun ein großes Zukunftspaket beschlossen, mit einem Einsparvolumen von 80 Milliarden Euro innerhalb von vier Jahren. Wir unterstützen
dieses Paket. Teile davon werden wir mit dem Haushaltsbegleitgesetz realisieren. Wir gehen aber auch da
mit Augenmaß vor: Es gibt keine Vollbremsung; wir
wollen nichts zu Tode sparen. Vielmehr sparen wir mit
Augenmaß. Wichtige Zukunftsbereiche sind von allen
Sparauflagen ausgenommen. Im Gegenteil: Für Bildung
und Forschung geben wir nochmals zusätzlich Geld aus.
Wir wollen diese auf vier Jahre angelegte Strategie
der Konsolidierung in jedem Fall einhalten. Deshalb
führen wir die Ausgaben ganz gezielt langfristig zurück:
Der Haushaltsentwurf für 2011 sieht vor, die Ausgaben
auf 307 Milliarden Euro zurückzuführen; danach sollen
die Ausgaben weiter sinken, und zwar auf 301 Milliarden Euro. Vielleicht gelingt es sogar, die Ausgaben noch
weiter zurückzuführen. Die Strategie besteht also darin,
bei einer besseren Einnahmsituation die Ausgaben zurückzuführen und zu deckeln. Damit sind wir in der
Lage, die Ziele, die wir uns gesetzt haben, in realistischen Zeiträumen zu erreichen.
({11})
Wir steigen jetzt in die parlamentarischen Beratungen
des Haushalts ein. Ich bin gespannt, wie diese verlaufen
werden. Ich fordere die Opposition auf: Tragen Sie mit
konstruktiven Beiträgen dazu bei! Wir brauchen keine
Vorschläge, wie wir die Einnahmen erhöhen können; da
würde auch uns, wenn wir das wollten, genug einfallen.
Wir brauchen Vorschläge, wie man Ausgaben senken
kann. Da warte ich noch auf sinnvolle Vorschläge.
Ich fürchte, dass der eine oder andere wieder von seinen Positionen abrücken wird. Wenn ich in diesen Tagen
vernehme, dass die SPD-Bundestagsfraktion vorhat, einen Baustopp für Stuttgart 21 zu fordern,
({12})
dann kann ich nur sagen: Liebe Kolleginnen und Kollegen, noch vor 15 Monaten waren Sie mit dabei, als wir
dieses Projekt hier beraten und beschlossen haben. Sie
haben es mit beschlossen.
({13})
Die Fraktion hat sich seitdem zwar etwas verkleinert;
aber es sind immer noch viele dabei, die das Projekt im
Haushalts- und im Verkehrsausschuss mittragen. Wenn
Sie da jetzt umfallen, dann verlieren sie jegliche Glaubwürdigkeit; dann traut Ihnen niemand mehr zu, dass Sie
irgendwo noch standhaft sind, dass Ihre Werte wirklich
nicht wanken, wenn es zu öffentlichem Wiederstand
kommt. Da riskieren sie jegliches Vertrauen in Ihre Politik. Davon rate ich Ihnen ab. Stehen Sie zu den Beschlüssen, die Sie gefasst haben, stehen Sie zu der Zielsetzung, unsere Haushalte nachhaltig zu konsolidieren,
helfen Sie uns dabei, dann hören wir auf Ihre Vorschläge
und bringen sie entsprechend ein.
Herzlichen Dank.
({14})
Damit sind wir am Ende der allgemeinen Finanzdebatte und kommen jetzt zum ersten Einzelplan, nämlich zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums
für Bildung und Forschung, Einzelplan 30. Ich gebe
das Wort der Bundesministerin Dr. Annette Schavan.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine Damen und Herren! Lernen und Forschen gehören zu den besten Seiten des Menschen. Bildung und
Forschung gehören zu den Kraftquellen unserer Gesellschaft. Sie tragen zu Integration in einem umfassenden
Sinne bei, sehr viel umfassender, sehr viel differenzierter
als manche Diskussion, die öffentlich geführt wird, und
Bildung und Forschung sind die Quellen künftigen
Wohlstands. Das gehört zu den Grundüberzeugungen der
christlich-liberalen Koalition, und deshalb setzen wir
fort, was in den letzten Jahren sowohl in der Großen
Koalition als auch in der jetzigen Koalition
({0})
und auch in diesem Parlament - wie ich finde, bei manchem Punkt mit bemerkenswerter Übereinstimmung;
zum Streiten haben wir dann immer noch genug Möglichkeiten - erreicht werden konnte: neue Konzepte,
hohe Investitionen, weitere Internationalisierung. Davon
ist auch der Haushalt 2011 des Bundesministeriums für
Bildung und Forschung geprägt. Wir bleiben verlässliche Partner für gute Bildung und starke Forschung. Wir
setzen die Internationalisierung fort, und wir stehen
dazu: Wir stellen in dieser Legislaturperiode 12 Milliarden Euro mehr für Bildung und Forschung zur Verfügung, das bedeutet einen deutlichen Anstieg im Blick
auf die finanziellen Investitionen in diesem Haushalt.
Ich sage ausdrücklich: Herzlichen Dank dafür, dass dieser Konsens so tragfähig ist, dass auch bei den Haushaltsberatungen in dieser Woche an vielen Stellen deutlich werden wird: Bildung und Forschung haben absolut
Vorrang in dieser Regierung.
({1})
Wir gehen auf den 3. Oktober zu. 20 Jahre deutsche
Einheit bedeuten auch 20 Jahre Innovationsförderung
in Ostdeutschland. Wer heute an Standorte wie Potsdam, Dresden, Jena, Rostock, Greifswald, Leipzig oder
Halle kommt, um nur einige herausragende Beispiele zu
nennen, der spürt, wie groß der Beitrag von Bildung und
Forschung, von gezielter Innovationsförderung für die
Entwicklung in den vergangenen 20 Jahren war. Deshalb
sage ich den Ländern in Ostdeutschland ausdrücklich
Dank für das, was in dieser Zeit - davon sind viele Regierungen betroffen - geleistet worden ist, was möglich
geworden ist, wodurch Arbeitsplätze entstanden sind. Innovative Unternehmen wurden gegründet, und die
Standorte, die ich genannt habe, sind heute mit attraktiven Hochschulen und durch eine attraktive Zusammenarbeit zwischen Hochschulen und außeruniversitären
Forschungseinrichtungen verbunden. Wir haben in den
vergangenen Jahren durch gezielte Programme Erhebliches beitragen können. Ich nenne nur das Programm
„Unternehmen Region“. Wir werden in 14 Tagen Bilanz
über 20 Jahre Aufbau Ost ziehen. Ich sage hier ausdrücklich - das gilt für den Haushalt 2011 und für die
Haushalte der nächsten Jahre -: Wir werden die Innovationsförderung in Ostdeutschland konsequent weiterentwickeln.
({2})
Mit dem Regierungsentwurf zum Haushalt 2011 legen wir einen Haushalt vor, der gegenüber dem Haushalt
2010 um 7,2 Prozent gestiegen ist. Da kann man immer
fragen: Ist das viel oder wenig? Ich finde es aber bemerkenswert - das zeigt, was seit 2005 entstanden ist -, dass
der Haushalt 2011 einen Umfang von 11,6 Milliarden
Euro hat. Das entspricht gegenüber dem Haushalt von
2005 - das war das letzte Jahr der rot-grünen Bundesregierung - einer Steigerung um 54 Prozent.
({3})
Ich nenne diese längeren Zeiträume - Herr Hagemann,
Sie wissen das, weil Sie sich schon lange mit diesem
Haushalt beschäftigen -, weil es für Bildungs- und Forschungspolitik zentral ist, dass nicht Strohfeuer entfacht
werden, sondern eine verlässliche, langfristige Entwicklung betrieben wird. Das erwarten unsere Partner. Das ist
notwendig, damit sich wirklich etwas entwickeln kann
und unsere Investitionen und Konzepte auch tatsächlich
zu nachhaltigen Entwicklungen führen.
Wir haben ein Plus von 54 Prozent. Wenn wir auch
die mittelfristige Finanzplanung berücksichtigen, also
das Plus von 12 Milliarden Euro hinzunehmen, dann
werden wir am Ende der Legislaturperiode, gemessen an
2005, bei einer Steigerung von 74 Prozent angekommen
sein. Das ist gemeint, wenn wir sagen: Priorität für Bildung und Forschung.
({4})
Das, was investiert und an neuen Konzepten möglich
gemacht wird, spricht sich herum. Deutschland ist nach
den USA und Großbritannien gemeinsam mit Frankreich
international auf dem dritten Platz bei den beliebtesten
Zielländern für ausländische Studierende.
({5})
Das ist wichtig, weil der Fachkräftemangel in den nächsten Jahren natürlich dazu führen wird, dass wir sagen
werden: Es ist wichtig, dass viele junge Leute aus allen
Teilen der Welt nach Deutschland kommen, hier studieren und hier eine attraktive Möglichkeit finden, um als
Ingenieure, als Physiker oder als Biologen in den Arbeitsmarkt einzusteigen. Deshalb ist es wichtig, dass unsere Hochschulen für junge Leute aus aller Welt attraktiv
sind.
({6})
Die Studienanfängerquote lag noch 2005 bei rund
37 Prozent. Wir haben immer von 40 Prozent gesprochen. Im Studienjahr 2009 liegen wir bei 43,3 Prozent.
Wir wollen sie weiter erhöhen. Deshalb gibt es eine
dritte Säule, den Hochschulpakt, die Stärkung der Lehre.
Es darf nicht sein, dass nur die Forschung gestärkt wird.
Wir wollen in den nächsten Jahren 2 Milliarden Euro zur
Stärkung der Lehre, zur Entwicklung berufsbegleitenden
Studierens und in neue Entwicklungen im Wissenschaftssystem investieren, damit es immer attraktiver
wird.
Die Studienanfängerquote von 43 Prozent ist eine gute
Grundlage. Der internationale Vergleich zeigt, dass wir
noch mehr Hochqualifizierte brauchen. Es ist wichtig, das
wachsende Interesse junger Leute weiter zu steigern. Deshalb brauchen wir Anreize: eine bessere Studienfinanzierung. Deshalb gibt es das Deutschlandstipendium, mit
dem nach über 60 Jahren Bundesrepublik Deutschland
erstmals unabhängig vom Einkommen der Eltern finanzielle Unterstützung gegeben wird. Das ist eine ganz
neue Entwicklung.
({7})
Deshalb wollen wir eine weitere Entwicklung und
Modernisierung des BAföG, eine Erhöhung der Fördersätze und der Freibeträge. Ich sage das ausdrücklich,
weil heute Nachmittag der Vermittlungsausschuss zusammenkommen wird. Ich appelliere an die Länder, die
Studenten nicht sitzen zu lassen.
({8})
Der Bund steht zu seinen Zusagen. Herr Matschie macht
es sich zu einfach,
({9})
wenn er wie heute Morgen im Deutschlandfunk sagt: Na
ja, wir wollen BAföG, aber wir wollen eigentlich noch
viel mehr. Wir wollen, dass das BAföG zu 100 Prozent
vom Bund übernommen wird. - Das ist ganz einfach
Flucht aus der politischen Verantwortung.
({10})
Weiterentwicklung des Wissenschaftssystems heißt
auch, Weiterbildung im Kontext unserer großen Institutionen, der Hochschulen zu fördern. Wir haben entsprechende Entwicklungen auf den Weg gebracht. Wir machen Bildungspolitik mit den Akzenten, die der Bund
setzen kann. Wir in der Bundesregierung sind dabei, eine
überzeugende Antwort auf die Frage zu finden, wie Kinder aus Hartz-IV-Familien besser an Bildung beteiligt
werden können. Das ist eine komplizierte Aufgabe; aber
es wird ein gutes Konzept entstehen. Wir wollen darüber
hinaus, dass lokale Bildungsbündnisse, so wie im Koalitionsvertrag vereinbart, im Laufe dieser Legislaturperiode entstehen. Wir wollen, dass Kinder, egal aus
welchen Gründen sie benachteiligt sind, bessere Teilhabe an Bildung bekommen. Dazu bedarf es einer sozialen Bewegung in unserer Gesellschaft. Dazu bedarf es
vieler Akteure, die bereit sind, die Chancen, die es in den
Städten und Gemeinden gibt, den Kindern, um die es
geht, besser zu vermitteln. Das steht im Mittelpunkt unserer Bildungspolitik: Benachteiligung abbauen, Zugang
verbessern, mehr Aufmerksamkeit für Kinder und Jugendliche, die sich schwertun.
({11})
Dazu zähle ich als zentrales Projekt der Bundesregierung die Bildungsketten bis zum Ausbildungsabschluss.
Wir werden in den nächsten Jahren erleben - das sage ich
sehr überzeugt nach den Erfahrungen mit den Modellversuchen -, wie es möglich wird, die Schulabbrecherquote
zu reduzieren. Weil immer schlimme Beispiele genannt
werden, nenne ich einmal ein sehr beeindruckendes Beispiel hier mitten aus Berlin. Die Rütli-Schule, die vielfach besprochen worden ist, hatte 2006 noch eine Schulabbrecherquote von 18 Prozent und all die Probleme, die
wir nachlesen konnten oder uns vor Ort angeschaut haben. Die Rütli-Schule hat im Jahr 2010 eine Schulabbrecherquote von noch 1,8 Prozent,
({12})
und 30 Prozent der Schüler bekommen eine Empfehlung
für eine weiterführende Schule. Ich sage das,
({13})
weil ich finde, dass wir in der Bildungspolitik mehr darüber sprechen müssen, wo Maßnahmen gut greifen.
Denn wenn sich Dinge gut entwickeln, können sie auch
anderswo eingesetzt werden. Ob das dann in Berlin, in
Stuttgart oder Dresden ist, da bin ich nicht so kleinherzig
wie Sie.
({14})
Pakt für Innovation, Hochschulpakt und Exzellenzinitiative sind Beispiele für Verlässlichkeit in der Politik.
Die Steigerung um 5 Prozent jährlich ist wichtig für
überzeugende Arbeit unserer Forschungsorganisationen.
Die Projektförderung in der Forschung, die 2005 noch
bei 1,2 Milliarden Euro lag, liegt jetzt bei 2,1 Milliarden
Euro; das ist eine Steigerung um 70 Prozent. Die Hightech-Strategie gilt international als überzeugende Innovationsstrategie in Deutschland. Es ist uns auch mithilfe
der Hightech-Strategie gelungen, deutlich höhere Investitionen der Unternehmen zu ermöglichen. Wir haben in
dieser Legislaturperiode zentrale Schwerpunkte - Energie und Klimaschutz, Gesundheitsforschung - in die
Hightech-Strategie eingebracht.
Das wird sich schon jetzt als positiv erweisen. Denn
das Energiekonzept der Bundesregierung ist ein Konzept,
({15})
das wesentlich darauf basiert, dass wir in Deutschland
erhebliches exzellentes Potenzial in den vielen Bereichen der Energieforschung haben. Dabei wird die Forschung mit Blick auf neue effiziente Erzeugungsstrukturen, die Forschung im Bereich von Energieeffizienz bei
Gebäuden, Materialien und Produkten und die Forschung für Infrastruktur, insbesondere zur Verknüpfung
von erneuerbaren und konventionellen Energieträgern
durch neue Netze und Speicher, im Vordergrund stehen.
Dazu werden wir in den nächsten Wochen und Monaten
entsprechende Konzepte vorlegen.
({16})
Gute Bildung, mehr Bildungsbeteiligung sowie starke
Forschung und Entwicklung als Grundlage für die Innovationskraft in unserem Land stehen im Mittelpunkt der
Bildungs- und Forschungspolitik. Das wird mit dem
Haushalt 2011 durch erhebliche zusätzliche Investitionen gestützt.
Vielen Dank.
({17})
Die Kollegin Dagmar Ziegler hat das Wort für die
SPD-Fraktion.
({0})
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Beim Zuhören der Rede unserer
Bundesministerin habe ich gedacht: Welch eigenartige
Selbstwahrnehmung eine Bundesministerin doch haben
kann.
({0})
Bildung sollte das Flaggschiff
({1})
dieser Bundesregierung werden. Vollmundig haben Sie
mit
Was ist daraus geworden? Antwort:
Der heute zu debattierende Haushaltsentwurf ist ein Dokument Ihres Scheiterns.
({0})
- Hören Sie noch bis zum Ende zu. Dann vergeht Ihnen
das Lachen.
Ihrem Schiff „Bildungspolitik“ fehlen der Kompass
und auch das Ziel. Ein Prestigeprojekt nach dem anderen
haben Sie bis zur Unkenntlichkeit zusammengestrichen
oder gleich ganz über Bord geworfen. Aus der versprochenen Verdoppelung beim Einzelplan 30 ist nichts geworden. Vom 10-Prozent-Ziel sind Sie himmelweit entfernt. Mit Ihnen am Steuerrad und Bundeskanzlerin
Merkel auf der Kommandobrücke ist das Flaggschiff
„Bildung“ zu einer ziellos vor sich hin dümpelnden Jolle
verkümmert.
({1})
Was haben Sie nicht alles im Koalitionsvertrag
- Nachlesen hilft - versprochen? Lokale Bildungsbündnisse sollte es geben.
({2})
Davon ist kaum noch etwas übrig. Ein Zukunftskonto
Bildung wurde in Aussicht gestellt.
({3})
Dafür sind keine Mittel im Haushalt eingestellt. Beerdigung erster Klasse!
({4})
Außerdem ist ein groß angekündigtes nationales Stipendienprogramm bis zur Unkenntlichkeit zusammengeschmolzen worden. Von 160 000 angekündigten Studierenden, die gefördert werden sollten, werden es
vielleicht maximal 10 000 werden. Aber selbst um diese
Mittel ist es zu schade; denn das nationale Stipendienprogramm, das Sie groß und vollmundig umbenannt haben in Deutschlandstipendium - eine Nummer kleiner
wäre auch angemessen -, ist völlig untauglich. Gleiches
gilt für das Zukunftskonto. Unsere Probleme werden damit nicht gelöst. Beides sind Angebote für diejenigen,
die ohnehin gute Chancen in Deutschland haben. Sie
stellen kein Angebot für all die benachteiligten jungen
Menschen dar, für viele mit türkischen oder arabischen
Wurzeln, aber auch für viele mit deutschen Eltern.
Ein junger Mensch, der Sorge hat, im Studium zu
scheitern und auf einem dicken Darlehensbetrag sitzen
zu bleiben, wird sich nicht mit der vagen Aussicht auf
ein Stipendium zum Studium bewegen lassen. Helfen
würden aber deutliche Verbesserungen beim BAföG.
Dazu haben Sie sich aber nicht durchringen können.
({5})
- Reden Sie doch einmal von Ihren B-Ländern.
Selbst Ihre kleine BAföG-Novelle haben Sie im Bundesrat scheitern lassen. Hunderttausende von Studenten
warten deshalb auf diese dringend notwendige BAföGErhöhung. Wir werden im Vermittlungsausschuss alles
dafür tun, dass wenigstens diese marginale Verbesserung
endlich auf den Weg gebracht wird.
({6})
Wir müssen aber noch weit früher ansetzen. Integration gelingt nämlich nur dann, wenn wir auch diesen junDagmar Ziegler
gen Menschen von Anfang an Teilhabe und Aufstiegschancen ermöglichen. Dabei hilft nur Bildung, Bildung,
Bildung. Die zentralen Stichworte sind Ganztagsangebote in Kitas und Schulen.
Ein Kind mit Migrationshintergrund, das frühzeitig
eine Kita besucht, verbessert seine Chancen auf den Besuch eines Gymnasiums und die Erlangung des Abiturs
deutlich, nämlich um rund 50 Prozent. Wo bleibt Ihre
Antwort, um für benachteiligte Kinder und Jugendliche
bessere Bildungschancen zu schaffen? Wo ist die Initiative der Bundesregierung, um den ins Stocken geratenen
Kitaausbau mit Nachdruck voranzutreiben? Wo bleibt
Ihr Ansatz, um für mehr Ganztagsschulen zu sorgen?
Das Mindeste, was Sie tun könnten, wäre, ein Programm
für Schulsozialarbeiter und -sozialarbeiterinnen aufzulegen. Bei all dem Fehlanzeige, meine Damen und Herren!
({7})
Frau Schavan - jetzt werden Sie nicht wieder auf die
A-Länder Bezug nehmen können -, Ihr Kardinalfehler
war, dass Sie den Bildungsgipfel im Juni dieses Jahres
haben scheitern lassen. Ohne eine nationale Bildungsoffensive, in der sich Bund, Länder und Kommunen auf
einen massiven - ich sage ausdrücklich: massiven Ausbau von Kitas, Ganztagsschulen und Hochschulen
einigen, bleibt Ihre Politik bestenfalls Stückwerk.
Es kommt sogar noch schlimmer. Sie haben nicht nur
nichts getan, um Ländern und Kommunen mehr Geld für
Bildung zukommen zu lassen, sondern durch Ihre Geschenke an Hoteliers und Erben haben Sie den Ländern
und Kommunen auch Steuerausfälle in Milliardenhöhe
beschert. Jetzt steht den Ländern und Kommunen das
Wasser bis zum Hals.
Frau Schavan, wir fordern Sie auf: Machen Sie endlich Ihre Hausaufgaben! Sorgen Sie dafür, dass Länder
und Kommunen in der Lage sind, für bessere Bildung zu
sorgen!
({8})
Sorgen Sie dafür, dass Barrieren beim Zugang zu Bildung abgebaut werden! Sorgen Sie dafür, dass jungen
Menschen durch beste Bildung der Ausbruch aus unverschuldeter Perspektivlosigkeit ermöglicht wird!
Meine Fraktion ist sehr gern bereit, Ihnen für eine Bildungspartnerschaft von Bund und Ländern die Hand
zu reichen. Denn wir wissen, dass wir nur mit mehr und
besseren Kitas, mit mehr und besseren Ganztagsschulen,
mit mehr und besser ausgestatteten Hochschulen für bessere Bildungschancen sorgen können. Hier teile ich ausdrücklich die Haltung Ihres Koalitionspartners in Person
von Herrn Lindner: Dazu gehören von der Gesellschaft
besser anerkannte Pädagoginnen und Pädagogen: Erzieherinnen und Erzieher sowie Lehrerinnen und Lehrer.
Dazu gehört auch eine qualitativ andere Ausbildung dieser Berufsgruppen, damit sie überhaupt in die Lage versetzt werden, den höheren Anforderungen gerecht zu
werden. Sorgen Sie für bessere Chancen für alle! Dann
werden Sie auch uns an Ihrer Seite haben. Die Menschen
in unserem Land jedenfalls warten darauf.
Vielen Dank.
({9})
Ulrike Flach hat das Wort für die FDP-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Die beste Antwort auf die Thesen von Thilo Sarrazin ist
dieser Haushalt, der Bildung und Forschung in den Mittelpunkt stellt.
({0})
Bildung ist der Schlüssel zur Integration. Bildung ist der
Schlüssel zum Aufstieg in unserer Gesellschaft. Bildung
ist die Chance für jeden Jugendlichen, unabhängig von
Herkunft, von Religion und vom Geldbeutel.
Diese Koalition will eine Bildungsrepublik, in der
jeder die Chance hat, nach vorn zu kommen, auch wenn
er nicht von der Poleposition an den Start geht. Union
und FDP haben sich im Koalitionsvertrag klar zur Bildungsrepublik Deutschland bekannt, und die Förderung
von Bildung und Forschung ist eines der zentralen Projekte dieser Regierung. Um welche Größenordnung es
geht, hat die Ministerin gerade deutlich gemacht: 54 Prozent mehr im Vergleich zu Ihrer Regierungszeit, 11,6 Milliarden Euro im Haushalt,
({1})
zusätzlich 12 Milliarden Euro bis zum Ende dieser Legislaturperiode.
Dabei haben wir übrigens etwas getan, worüber in
dieser Runde immer wieder diskutiert worden ist. Wir
haben endlich auch die anderen Häuser beteiligt. Wir haben endlich dafür gesorgt, dass auch die anderen Ministerien insgesamt 2 Milliarden Euro für Bildung und Forschung bereitstellen. Das heißt, wir erfassen die
Gesamtausgaben, wir wissen, dass die Mittel zielgerichtet eingesetzt werden, und wir wollen eine Bildungsrepublik schaffen, wie sie sich diese Koalition vorstellt.
({2})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, keine andere Bundesregierung hat Bildung und Forschung einen so hohen
Stellenwert eingeräumt,
({3})
übrigens bei gleichzeitigem Sparkurs.
({4})
Ich möchte diejenigen, die mit mir gemeinsam Anfang
dieses Jahrzehnts Herrn Eichel erlebt haben, und die
Kolleginnen und Kollegen von der SPD, die damals vol5942
ler Verzweiflung dem Wirken von Frau Bulmahn zuschauten,
({5})
daran erinnern: Wer hat denn damals auf das DreiKörbe-Modell beim BAföG verzichten müssen, weil
Herr Eichel die Sparbremse anzog?
({6})
Das ist der entscheidende Unterschied: Der Finanzminister dieser Koalition spart, und gleichzeitig setzen wir auf
Bildung und Forschung, und das in einem Ausmaß, wie
es das in Deutschland noch nie gegeben hat.
({7})
Übrigens unterscheiden wir uns an dieser Stelle auch
von dem Land Nordrhein-Westfalen. Es ist ja im Augenblick ganz nett, dass man das parallel beobachten kann.
Damit in NRW etwas für Bildung ausgegeben werden
könne, sagt die dortige Ministerpräsidentin, sei sie bereit, einen nicht verfassungskonformen Haushalt auf den
Weg zu bringen.
({8})
Das ist genau der Gegensatz zu uns.
({9})
Wir leben mit der Verfassung, wir beachten die Schuldenbremse, und wir tun etwas für unsere Kinder und Jugendlichen.
({10})
Wenn Sie sich den Haushalt anschauen, dann sehen
Sie: Wir fördern die erfolgreichen Pakte natürlich weiterhin verlässlich und in nie gekannter Höhe: 910 Millionen Euro für den Hochschulpakt, 326 Millionen Euro für
die Exzellenzinitiative, deutlich mehr Mittel für die
Deutsche Forschungsgemeinschaft, die HGF und die
Max-Planck-Institute. Ich sage an dieser Stelle auch als
Haushälterin für den Einzelplan des Wirtschaftsministeriums: Es wird Zeit, dass wir das auch bei der Ressortforschung tun - es kann nämlich nicht sein, dass durch
eine 5-prozentige Erhöhung im normalen Forschungsbereich die verdienstvollen Forscher im Bereich der Ressortforschung hintenangestellt werden -, das ist ein Ziel;
das sollten wir uns setzen. Wir sollten gemeinsam überlegen, wie wir das auf den Weg bringen.
({11})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir erhöhen das
BAföG mit einem Mittelansatz von über 1,5 Milliarden
Euro.
({12})
Ich kann mich hier der Bundesbildungs- und Forschungsministerin nur anschließen: Es liegt jetzt doch in
Ihrer Verantwortung.
({13})
Sie sind immer so gerne bereit, uns zu sagen, wir täten
all das nicht, was wir versprochen haben.
({14})
Sie stehen in der Verantwortung dafür, das BAföG so
umzusetzen, wie es eigentlich erforderlich ist.
({15})
Das wird sich am heutigen Nachmittag natürlich zeigen.
Ich finde es schon merkwürdig, dass Sie die Gelegenheit nutzen, um die begabten und leistungsstarken Kinder aus geringverdienenden Familien gegen die zu setzen, die aus normalverdienenden Familien kommen.
({16})
Sie versuchen, einen Zwist zwischen Leistung und Herkunft heraufzubeschwören. Das ist eine Sache, die einfach nicht klappen kann.
({17})
Übrigens: Auch an dieser Stelle kann ich NordrheinWestfalen nur lobend erwähnen. Wir haben dort ja gezeigt, dass gerade die Kinder aus den einkommensschwächeren Familien durch unser Stipendium gefördert
werden.
({18})
Wir haben doch erlebt, was zum Beispiel an der Uni
Duisburg-Essen gelaufen ist, und wir sehen, wie es positiv läuft.
({19})
- Liebe Frau Kollegin, es empfiehlt sich immer, einfach
einmal hinzugehen und zu schauen. - Wir haben genau
die Familien gefördert, die Ihrer Meinung nach angeblich immer rechts und links des Weges liegen bleiben.
Das Stipendium für leistungsstarke Schüler und Studenten wird wirklich dazu dienen, den Leistungsstärkeren
aus einkommensschwächeren Regionen dieses Landes
zu helfen. Das ist doch der Punkt.
({20})
Ich möchte Sie an dieser Stelle übrigens einfach auch
einmal an Ihre Verantwortung erinnern. Wir haben damals bei der Föderalismusreform gemeinsam dafür gestritten, dass das Kooperationsverbot nicht in die Verfassungsänderung eingetragen wurde.
({21})
Sie haben das Ganze mitgetragen. Sie haben diese Föderalismusreform sozusagen verbockt, und jetzt setzen Sie
sich hin und lassen Ihre Länder gegen die jeweilige Bundesregierung anlaufen, um zu versuchen, etwas zu blockieren, was hier in Berlin passiert.
Das geschieht auf dem Rücken der Kinder. Sie sollten
sich endlich Ihrer Verantwortung bewusst sein. Die Länder wollten die Bildungshoheit, sie haben sie bekommen
- übrigens gegen die Stimmen von Frau Pieper und mir;
wir waren immer anderer Meinung -, und jetzt erfüllen
Sie sie bitte schön. Setzen Sie das Geld für diejenigen
ein, die gerne ein höheres BAföG haben wollen, verkämpfen Sie sich nicht in dem Bereich, indem Sie sagen,
Stipendien seien etwas Schreckliches, und prügeln Sie
nicht auf die Leistungsstarken dieser Gesellschaft ein!
({22})
Der Unterschied zwischen Ihnen und uns ist, dass wir
Leistung in diesem Lande fördern wollen. Das werden
wir tun.
({23})
Dafür nehmen wir das Geld in die Hand, und wir werden
dafür sorgen, dass jeder unabhängig von seiner Herkunft
auch das tun kann, was er sollte.
({24})
Wir werden Ihnen im Laufe der kommenden Beratungen
zeigen, wie wir das Titel für Titel weiter fortführen werden.
({25})
Das Wort hat die Kollegin Dr. Rosemarie Hein für die
Fraktion Die Linke.
({0})
Danke schön. - Frau Präsidentin! Meine verehrten
Kolleginnen und Kollegen! Während der Sommertour
bin ich durch meinen Wahlkreis Magdeburg und den
Bördekreis gefahren
({0})
und habe nachgefragt, wie die Programme der Bundesregierung in der Praxis ankommen und was man sich davon verspricht. So habe ich nach den angekündigten Bildungsbündnissen gefragt. Dann sah ich in ungläubig
fragende Gesichter: Davon habe man noch nie etwas gehört.
Das brachte mich darauf, nachzuschauen, was aus den
vielen vollmundigen Ankündigungen der Bundesbildungsministerin geworden ist. Frau Ziegler hat schon ein
paar Dinge genannt. Ich möchte noch ein paar dazusetzen; hier also die besten acht:
({1})
Von den Zukunftskonten, dem Bausparen in der Bildung,
ist nichts mehr zu hören. Die Weiterbildungsallianz ist
im Haushalt 2011 nicht mehr erwähnt, möglicherweise
gescheitert. Das BAföG-Gesetz - Sie haben gerade darüber gesprochen - ist mit seiner bescheidenen Erhöhung - nicht mit seiner starken Erhöhung - im Moment
noch im Vermittlungsausschuss gefangen.
({2})
Wir wissen nicht, ob es da wieder herauskommt. Das nationale Stipendienprogramm, das jetzt „Deutschlandstipendium“ heißen soll, war mit 280 Millionen Euro dotiert;
das haben Sie auf 26 Millionen Euro zusammengeschrumpft. Die vorgesehenen Mittel für die Bildungsketten wurden nur zur Hälfte abgerufen. Wie denn auch,
wenn man sie nicht kennt? Für die lokalen Bildungsbündnisse gibt es noch heute kein Konzept; sie tauchen
im Haushalt inzwischen nicht mehr auf. Das Programm
zur Sicherung von Ausbildungsplätzen in strukturschwachen Regionen, von der Koalition im vergangenen Jahr
eingefordert, ist ganz verschwunden. Auch das Gesetz
über die Anerkennung ausländischer Abschlüsse ist noch
nicht in Sicht.
({3})
In aller Munde ist allerdings jetzt die Bildungschipkarte, das Sommerlochmärchen der Bundesarbeitsministerin.
({4})
Sie hat immerhin schon Eingang in Satiresendungen des
Fernsehens gefunden.
Insgesamt ist das Fazit des Haushaltsjahres 2010 eine
ziemlich große bildungspolitische Pleite.
({5})
Der Haushalt 2011 lässt nicht hoffen, dass es besser
wird. So finden sich an vielen wichtigen Stellen mehr
oder weniger massive Kürzungen, etwa bei der Berufsorientierung, bei der Förderung überbetrieblicher Ausbildungsstätten - zwei Ihrer Flaggschiffe -, bei der Stärkung der Leistungsfähigkeit im Bildungswesen, bei der
Weiterbildung. Ja, selbst noch bei vergleichbar kleinen
Summen wie der kulturellen Bildung wird gekürzt, und
das in Relation ganz schön kräftig.
Insgesamt werden bei allgemeiner und beruflicher
Bildung gegenüber dem Haushalt 2010 27 Prozent eingespart. Meine Damen und Herren, das ist mehr als ein
Viertel. Das müssen Sie den Leuten einmal erklären.
({6})
Wenn man dann noch in Betracht zieht, dass die Mittel für die berufliche Qualifizierung, die über die Bundesagentur für Arbeit ausgereicht werden, mit dem beschlossenen Sparpaket ebenfalls gekürzt werden, dann
verschärft das die Situation bei der Weiterbildung einmal
mehr. Das retten Sie weder mit Bildungslotsen noch mit
der Chipkarte.
Eine der wenigen Positionen, die tatsächlich wächst,
ist der Posten der Erstattung von Kreditausfällen bei der
KfW-Bank. Hier erwartet man gegenüber dem Jahr 2009
mehr als eine Verdoppelung. Hat sich eigentlich einmal
jemand gefragt, warum das so ist?
({7})
Kann es nicht sein, dass Ausbildung und Studium
extrem unterfinanziert sind? Wäre es nicht gescheiter,
die verschwundenen circa 250 Millionen Euro aus dem
Stipendienprogramm, die Sie dafür eingeplant hatten, für
eine vernünftige Ausfinanzierung des BAföG zu verwenden?
({8})
„Bei der Bildung wird nicht gekürzt“ - das haben Sie
noch beim Sparpaket gesagt. Wir haben Ihnen das schon
damals nicht geglaubt. Es wird aber noch schlimmer: Sie
kürzen nicht nur heute, Sie legen auch später nichts
drauf.
Schon für die Stärkung der Leistungsfähigkeit im Bildungswesen planen Sie 23 Millionen Euro weniger als
im vergangenen Jahr ein. Aber Sie planen auch weniger
für die kommenden Jahre. Die Verpflichtungsermächtigungen im Haushalt 2010 betrugen noch 1,6 Milliarden
Euro. Jetzt stehen da noch 205 Millionen Euro. Das ist
schon ein gewaltiger Unterschied.
Alles in allem ist Ihr Haushalt kein geeignetes Mittel,
die wichtigsten Defizite im Bildungssystem in irgendeiner Weise zu beheben, auch dort nicht, wo Sie handeln
dürften.
So steht zu befürchten, dass einige der geschröpften
Vorhaben zur Finanzierung der Bildungschipkarte dienen. Diese soll nun zum Instrument des notwendigen
Nachteilsausgleichs in der Bildung werden: Nachhilfe
durch private Anbieter statt mehr Geld für bessere Schulen. Sollen immer mehr private Bildungsträger retten,
was eigentlich die öffentliche Aufgabe im Rahmen der
Schulpflicht wäre? Sollen Eltern und Kinder künftig entscheiden, was ihnen wichtiger ist: das Mittagessen, der
Nachhilfeunterricht, das Erlernen eines Musikinstrumentes oder das Schwimmbad? Wissen Sie eigentlich,
was Musikunterricht kostet? Haben Sie eine Ahnung davon? Können Sie mir sagen, wie viele Wochen Musikunterricht man sich mit der Bildungskarte kaufen kann? Ich
fürchte, Sie haben von den realen Lebensumständen von
Kindern und Jugendlichen in diesem Lande, vor allen
Dingen aus benachteiligten Familien, keine blasse Ahnung mehr.
({9})
Die Chipkarte soll durch die Jobcenter ausgegeben
werden. Sind künftig die Jobcenter auch für die Bildung
von Kindern und Jugendlichen zuständig? Die Rede von
Frau Flach lässt darauf schließen. Dann frage ich ganz
bestürzt: Wollen Sie das Bildungsministerium irgendwann ganz schließen?
({10})
Einer der erschreckendsten Befunde der im Sommer
veröffentlichten OECD-Studie zur beruflichen Bildung,
bei der die Bundesrepublik ansonsten recht gut wegkommt, ist die Tatsache, dass ein Drittel der Jugendlichen, die keinen gymnasialen Bildungsweg eingeschlagen haben, im Berufsübergangssystem landet, also
keinen regulären dualen Ausbildungsplatz erhält. Wie,
meine Damen und Herren von der Koalition, wollen Sie
das ändern? Mit diesem Haushalt leisten Sie jedenfalls
keinen Beitrag dazu.
({11})
Dagegen wäre einiges anders und besser zu finanzieren, gäbe es nicht das unsägliche Kooperationsverbot
zwischen Bund und Ländern in der Bildung. Darum bleiben wir dabei und fordern immer wieder: Das Kooperationsverbot muss weg. Fangen Sie endlich an und legen
Sie eine vernünftige Initiative dazu vor!
Danke schön.
({12})
Für Bündnis 90/Die Grünen hat Priska Hinz das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es ist
richtig, mehr Geld in Bildung und Forschung zu investieren. Darin sind wir uns, glaube ich, alle einig. Aber
noch wichtiger wäre es, mit diesem Geld auch die richtigen Schwerpunkte zu finanzieren. Mehr Geld allein
reicht nämlich noch lange nicht.
({0})
Es gibt drei Aufgaben, die die Bildungsministerin
hätte, nämlich Bildungsgerechtigkeit zu fördern, gegen
den Fachkräftemangel anzukämpfen sowie Forschung
und Entwicklung so zu unterstützen, dass sich auch
kleine und mittlere Betriebe auf Energieeffizienz und
ressourcenschonendes Wirtschaften umstellen können.
Priska Hinz ({1})
Aber hier ist auf der ganzen Linie Fehlanzeige zu vermelden.
Frau Ministerin Schavan, Sie haben auch im letzten
Jahr nichts anderes getan, als einen Haufen Ankündigungen in die Welt zu setzen. Aber jedes Programm, das
Sie aufs Gleis gesetzt haben, ist Ihnen entgleist. Das ist
Ihr Problem.
({2})
Lokale Bildungsbündnisse zum Beispiel finden nicht
mehr statt. Sie haben sie groß angekündigt, inzwischen
aber versenkt. Das Zukunftskonto wurde wegen rechtlicher Fragen eingestampft. Die Weiterbildungsallianz,
die Sie schon seit drei Jahren im Munde führen, ist im
Haushalt nicht mehr vorgesehen. Für das TechnikumProgramm haben Sie in den letzten drei Jahren 4 Millionen Euro für 31 Praktikanten ausgegeben. Das ist mit
120 000 Euro pro Praktikant das teuerste Praktikumsprogramm der Welt, das jetzt Gott sei Dank ebenfalls eingestampft wird.
({3})
Sie verbrennen also Geld, mit dem Sie zum Beispiel
400 Studienplätze finanzieren könnten.
Jetzt kommt es aber in Sachen Bildungsgerechtigkeit
noch toller. Seit Wochen wird über Bildung als Mittel
zur Integration und Instrument gegen soziale Armut diskutiert. Während die Sozialministerin noch mit ihrer sogenannten Bildungschipkarte durchs Land zieht, die
mehr Fragen aufwirft, als sie Probleme löst, hat die Bundesbildungsministerin zu diesem Thema überhaupt keinen Plan.
({4})
Sie haben keine Idee, wie Sie die Bildungsinfrastruktur
in diesem Land stärken können, damit alle Kinder die
Möglichkeit zur Teilhabe an Bildung, am sozialen Aufstieg und am Bildungsaufstieg haben. Das ist Ihr Versäumnis, Frau Schavan.
({5})
Es ist klar, dass das zum Teil am Kooperationsverbot
liegt, das Sie mit unterstützt haben. Ich bin gespannt, ob
sich die FDP jetzt ein Herz fasst und endlich mit uns das
Ganze umkehrt. Dann könnten wir auch auf der Bundesseite besser in die gesamte Bildungsinfrastruktur investieren.
Aber selbst da, wo es originäre Bundeskompetenzen
wie in der beruflichen Bildung und der Weiterbildung
gibt, ist die Bildungsministerin nicht in der Lage, ihre
Konzepte so umzusetzen, dass etwas Sinnvolles dabei
herauskommt. Die Bildungsketten wurden mit Aplomb
angekündigt. Aber was finden wir im Haushalt für das
nächste Jahr? 20 Millionen Euro weniger für den gesamten Titel, aus dem die Bildungsketten finanziert werden
sollen! Das heißt, die Mittel für das Programm zur Berufsorientierung, das gut angenommen wird, werden gekürzt. Damit nehmen Sie ein Programm, für das Sie seit
Wochen landauf, landab werben, selbst nicht ernst. Das
ist wirklich kein Ausweis guter Regierungsfähigkeit.
({6})
Möchten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Flach
zulassen?
Ja, bitte.
Liebe Frau Hinz, ich will Ihnen zur Kenntnis bringen,
welch durchschlagende Bombe dieses Programm zur
Verbesserung der Berufsorientierung ist, wie Sie es
gerade dargelegt haben.
Ja, gerne.
Der Titel ist zu Recht heruntergefahren worden. Wir
beide sollten als Haushälter eigentlich wissen, dass man
etwas herunterfährt, das nicht so läuft, wie man es vollmundig versprochen hat. Das muss man nüchtern sehen.
({0})
Gerade in SPD-regierten Ländern wie Berlin hat kein
einziger Schüler an diesem Programm teilgenommen. In
meinem Bundesland Nordrhein-Westfalen waren es gerade 3 700. Also scheint die Nachfrage nicht so riesig zu
sein. Ich finde, wir beide sollten seriös mit dem Haushalt
umgehen. Wenn es Länder gibt, die das nicht annehmen
- mir sind allein drei bekannt -, dann muss man das Modell neu überdenken und einfach anders an die Sache herangehen.
({1})
- Kürzen setzt das voraus. Oder wollen Sie das Geld hinterherschmeißen?
Frau Flach, dank einer Anfrage des Kollegen Rehberg
wissen wir schon jetzt, dass das Programm für die Bildungslotsen im nächsten Jahr überbelegt ist und dass bereits in diesem Jahr mehr Geld für das Programm zur
Berufsorientierung verausgabt wurde, als im nächsten
Jahr zur Verfügung steht. Das heißt, wir werden im
nächsten Jahr de facto weniger Programme umsetzen
können als in diesem Jahr, obwohl sie erst jetzt richtig
anlaufen. Das ist ein Versäumnis Ihrer Bildungsministerin. Sie kommen nicht umhin, das zuzugestehen.
Priska Hinz ({0})
({1})
Im Bereich der Weiterbildung haben wir Ähnliches
zu verzeichnen. Dort steht im nächsten Jahr eine 20-prozentige Kürzung an, obwohl wir eigentlich ein Erwachsenen-BAföG und eine bessere Weiterbildungsberatung
brauchten. Natürlich wäre es auch sinnvoll, eine Weiterbildungsallianz auf den Weg zu bringen. Aber Sie schaffen es nicht, das zu tun, was notwendig wäre, nämlich
mit aller Kraft gegen den Fachkräftemangel mit einem
guten Konzept anzukämpfen.
Der letzte Punkt, den Sie immer angekündigt haben
und der nun auch versenkt wurde, ist das Programm zur
steuerlichen Forschungsförderung. Anstatt die Hotels zu
beschenken, wäre es notwendig gewesen, ein Programm
zugunsten der kleinen und mittleren Betriebe auf den
Weg zu bringen. Auch hier Versagen auf der ganzen Linie! Nach einem Jahr Gestolpere von Schwarz-Gelb
kann man nur sagen: Regierungsfähigkeit sieht anders
aus. Bislang ist sie auch für das nächste Jahr nicht zu erkennen.
Danke schön.
({2})
Das Wort hat der Kollege Michael Kretschmer von
der CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Dieser
Bundeshaushalt ist ein Bauplan, an dem man sehen
kann, wie wir die Zukunft unseres Landes im kommenden Jahr, aber auch in den nächsten Jahren gestalten wollen, und zwar unter dem Motto: Investieren in die Zukunft und gleichzeitig den Haushalt so sanieren, dass wir
aus der Verschuldungsfalle herauskommen. Das ist
wichtig. Anhand des Zukunftsministeriums, des Ministeriums für Bildung und Forschung, über das wir gerade
sprechen, wird ganz besonders deutlich, was diese bürgerliche Regierung vorhat, nämlich den Wohlstand dieses Landes auch in Zukunft zu erhalten, und zwar sowohl auf qualitativer als auch auf quantitativer Ebene.
({0})
Wir wissen, dass wir im Wettbewerb mit den Regionen in der Welt nur bestehen können, wenn wir besser
sind; wenn wir vor allem technologisch besser sind als
andere Länder. Gleichzeitig wollen wir aber auch ein
qualitatives Wachstum im Bereich der Gesundheit, der
Bildungsgerechtigkeit und natürlich im Hinblick auf die
demografische Entwicklung ermöglichen. Ich finde, Einzelplan 30 - Bildung und Forschung - des Bundeshaushalts ist wirklich gelungen und führt uns in eine gute Zukunft.
({1})
Die frühere Bildungs- und Forschungsministerin
Edelgard Bulmahn hat 2005 gesagt, man solle sich an ihrem Haushalt messen lassen. Vor allen Dingen sollten
sich CDU, CSU und FDP daran messen lassen.
({2})
Das tun wir gern, denn damals umfasste der Haushalt
7,5 Milliarden Euro. Wenige Jahre danach, heute, im
Jahr 2010, reden wir über rund 4 Milliarden Euro mehr,
nämlich über 11,7 Milliarden Euro. Das ist eine klare
Ansage, und es ist etwas, auf das wir gemeinsam stolz
sein können.
({3})
Der aktuelle Haushalt ist - was den Aufwuchs der
Mittel für Bildung und Forschung angeht - in eine Zusage der Koalitionsfraktionen für die kommenden Jahre
eingebaut. Wir werden insgesamt 12 Milliarden Euro zusätzlich in Bildung und Forschung investieren. Das ist
wichtig, weil damit klar wird, dass es kein Stop-and-go,
sondern dass es eine kontinuierliche Entwicklung gibt.
Nichts ist für Forschung und auch für Bildung wichtiger
als Verlässlichkeit. Wir können heute sagen: Wir werden
in den nächsten Jahren bei den deutschen Forschungsorganisationen einen jährlichen Aufwuchs von fünf Prozent haben. Wir werden den Hochschulpakt absichern,
wir werden mit der dritten Säule 1 Milliarde Euro zusätzlich in die Lehre investieren. Das sind große Sachen.
Zum Thema Lehre möchte ich noch einmal ganz
deutlich sagen: Wir haben gleichzeitig den Wettbewerb
Exzellenzinitiative in Deutschland. Unsere Erwartung ist
ganz klar: Keine Hochschule, die am Ende eine Exzellenzhochschule werden soll, kann in der Lehre schlecht
sein. Nein, eine Exzellenzhochschule muss auch in der
Lehre Exzellenz nachweisen. Dies zu berücksichtigen,
erwarten wir auch von der Jury, und wir bitten, darauf zu
achten.
({4})
Unser Forschungspakt umfasst die großen Fragen, die
die Menschen in Deutschland bewegen und die wichtig
für die Zukunft sind; sei es die Gesundheit, sei es die
Energieversorgung mit erneuerbaren Energien oder die
Nutzung konventioneller Energien, seien es der Klimaschutz, die Sicherheit, die Demografie oder auch die
Produktionstechnik. Wichtig ist eines - daran erkennt
man ein bürgerliches Politikverständnis -: Wir wollen
Dinge ermöglichen, und wir machen Schluss mit dem,
was uns unter Rot-Grün und auch noch in Teilen der
Großen Koalition aufgezwungen wurde, nämlich dass
aus ideologischen Gründen Forschungen behindert wurden.
({5})
- Sie haben gefragt, welche das sind. Das sind nicht nur,
aber vor allen Dingen die Kernfusion, die Sicherheitsforschung, die stoffliche Nutzung von beispielsweise Kohle
oder andere Dinge. Das sind Felder, die auch für die Zukunft wichtig sind. Für uns ist der Ausspruch von Max
Planck prägend: „Dem Anwenden muss das Erkennen
vorausgehen.“
Wir wollen, dass die Forschung überall möglich ist.
Wir wollen, dass Forschung frei erfolgen kann, und wir
haben Schluss gemacht mit den ideologischen Eingriffen
in die Forschungspolitik.
({6})
Meine Damen und Herren, das eine sind nüchterne
Zahlen von Prozentsätzen von Aufwüchsen. Das andere
sind die konkreten Projekte, die dahinterstehen, und die
sind im Detail - im Großen wie im Kleinen - bewegend
und beeindruckend. Wir haben heute den Grundstein für
weitere vier Deutsche Zentren der Gesundheitsforschung zu legen. Krebserkrankungen, Infektionskrankheiten, Lungen- und Herzkreislauferkrankungen sind
Volkskrankheiten, die die große Masse der Bevölkerung
betreffen. Die Bevölkerung wünscht sich, dass sich hier
etwas tut.
Ich glaube, wir können stolz darauf sein, dass wir es
schaffen, heute und in den folgenden Jahren pro Zentrum bis zu 35 Millionen Euro zu investieren und ein kooperatives Bündnis zwischen den Universitäten, der außeruniversitären Forschung und den Medizinern vor Ort
zu fördern, das sich in kurzer Zeit mit Blick auf die Bekämpfung dieser Volkskrankheiten auszahlen wird. Ich
bin froh darüber, dass wir es schaffen, die deutschen
Zentren auf den richtigen Weg zu bringen.
({7})
Es gibt darüber hinaus viele weitere große Projekte.
Ich habe die Produktionstechnik, den Klimaschutz und
Ähnliches angesprochen. In diesem Zusammenhang ist
auch die demografische Entwicklung zu erwähnen. Ich
glaube, das ist ein ausgewogener Mix, der Experten, die
uns beraten, auf welchen Forschungsfeldern wir arbeiten
sollen, zu verdanken ist.
Es gibt aber auch viele kleinere Projekte. Ich möchte
- ich bin der Bundesministerin sehr dankbar, dass sie das
Projekt im Haushalt verstetigen konnte - den Krebsinformationsdienst nennen. Jeder, der persönlich von
Krebs betroffen ist oder jemanden kennt, der daran leidet, kennt die existenziellen Sorgen der Patienten und ihrer Angehörigen. Dass wir vor Jahren diesen Krebsinformationsdienst eingerichtet haben, ist eine tolle Sache.
Man kann das der Wissenschaftskommunikation zurechnen und dies positiv bewerten, man kann aber auch darauf hinweisen, dass es einfach ein großes menschliches
Angebot ist, das wir schaffen. Es sind in aller Regel Mediziner, die am Telefon oder am Computer sitzen und Patienten, die in einer wirklichen Notlage sind, Zuspruch
geben und Hilfestellung leisten. Ich freue mich darüber,
Frau Bundesministerin, dass wir dieses Projekt in den
Haushalt aufgenommen haben und dieses Angebot jetzt
in ganz Deutschland zur Verfügung steht.
({8})
Sie, Frau Bundesministerin, haben 20 Jahre deutsche
Einheit angesprochen. Das sind 20 Jahre erfolgreiche
Wissenschaftspolitik, die über die Parteigrenzen hinaus
gemacht worden ist. Wir haben eine Wissenschaftslandschaft geschaffen, die international anerkannt ist.
Es gab über die Parteigrenzen hinweg einen Konsens,
diese Wissenschaftslandschaft weiterzuentwickeln. Von
Anfang an wurde nicht von einer Position der Schwäche
aus gearbeitet, sondern man hat auf Exzellenz Wert gelegt. Wir geben über 100 Millionen Euro jährlich für die
Forschung in den neuen Bundesländern aus, und zwar
für exzellente Projekte, in deren Rahmen sich Wissenschaft und Wirtschaft vernetzen können. Vielen Dank
dafür. Wir wollen das auch in Zukunft weiter so handhaben.
({9})
Wir haben über das BAföG gesprochen und hoffen,
dass heute Abend der Durchbruch erfolgt. Die Unionsfraktion und die Fraktion der FDP sind sich einig. Die
BAföG-Erhöhung wird in den nächsten Jahren 1 Milliarde Euro mehr kosten. Jeder, der sagt, das sei nur eine
kleine Erhöhung, hat keine Ahnung, oder meint es nicht
gut mit den Leuten in diesem Land. Das ist eine große
BAföG-Erhöhung, die vielen Personen zugutekommt.
({10})
Ich nenne in diesem Zusammenhang Studierende mit
Kind, Studierende, die den Master-Abschluss machen,
und die Erhöhung der Bedarfssätze. Wir erwarten von
den Bundesländern, dass sie sich der Verantwortung stellen und sich daran beteiligen.
({11})
In der Debatte über den Wissenschaftsstandort Deutschland ist viel Kleinteiliges, von manchen Rednern auch
recht Kleinliches - angesprochen worden. Jede der Parteien des linken Spektrums sollte froh über die Erhöhungen sein, die wir als bürgerliche Parteien durchgesetzt haben. Das ist Ihnen zu der Zeit, als Sie regierten, nicht
gelungen. Der Blick ins Ausland zeigt, wie gut wir hier in
Deutschland mittlerweile sind. Vor wenigen Tagen hat in
Boston die große GAIN-Jahrestagung stattgefunden.
400 deutsche Nachwuchswissenschaftler, die in Amerika leben, haben sich in Boston getroffen. Die Resonanz
ist gewaltig. Das, was hier in Deutschland geleistet wird,
wird vom Ausland als großartig empfunden. 90 Prozent
derer, die jetzt noch im Ausland arbeiten, wollen nach
Deutschland zurückkommen. Wenn das kein Erfolg unserer Wissenschaftspolitik ist, dann weiß ich es nicht. Sie
sollten das mehr würdigen.
({12})
Das Wort hat jetzt der Kollege Klaus Hagemann von
der SPD-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Wenn man den Rednerinnen und Rednern der
Koalition zuhört, dann hat man den Eindruck, in der Bildungs- und Forschungspolitik sei alles eitel Sonnenschein und es laufe nichts schief. Die Bildungsrepublik
sei auf der Überholspur, hat Frau Schavan kürzlich gesagt. Ich frage mich nur, warum die Forschungs- und
Bildungspolitik im Ranking der Bevölkerung nicht höher steht; denn die spielt, wenn man die Umfragen betrachtet, bei der Beurteilung der Politik der Regierung
keine Rolle. Das muss man einmal feststellen.
({0})
Ich habe mir die Presse angesehen, die es in diesem
Sommer gegeben hat. Da schrieb die Financial Times
Deutschland: Untergang der Bildungsrepublik. - Jetzt
hätte ich bald gesagt: Untergang der Bundesrepublik. Von teuren Tricks war die Rede. Die Süddeutsche schrieb:
„Voller Mund und leere Hände“. Von Bildungslüge war
die Rede. - Ich habe nur zitiert, meine sehr verehrten Damen und Herren.
Im Koalitionsvertrag und in der Öffentlichkeitsarbeit
haben Sie große Ankündigungen gemacht. Große Summen werden immer wieder genannt. Aber in der Realität
sieht es doch oft anders aus. Da wird gekürzt, da wird
verschoben, oder da werden Projekte ganz beerdigt, die
vorher groß angekündigt worden waren. Mein Büro hat
einmal zusammengestellt, was alles versprochen, dann
aber gekürzt, verschoben oder beerdigt worden ist. Fünf
Seiten haben wir zusammenbekommen.
Die frühkindliche Bildung ist schon genannt worden.
Auf die Zukunftskonten brauche ich nicht näher einzugehen: verschoben auf unbestimmte Zeit. Die lokalen
Bildungsbündnisse - auch sie sind schon erwähnt worden -: verschoben auf unbestimmte Zeit, in der mittelfristigen Finanzplanung für 2013. Damit erledigt sich
natürlich auch die Freigabe der Verpflichtungsermächtigungen. Das ist logisch. Es ist nichts da, was freigegeben
werden kann, weil kein Konzept vorliegt.
Das freiwillige technische Jahr wurde schon erwähnt.
Das war der Gipfel. 4 Millionen Euro waren vorgesehen.
Nach einem Jahr war ein Teilnehmer da. Jetzt sind wir
bei 31. Auch dieses Projekt wurde beerdigt. Das sollten
wir uns noch einmal in Erinnerung rufen.
Ich frage mich, wie es zu der Ankündigung kommt,
die der Presse zu entnehmen war: In den nächsten Jahren
sollen 5 000 Lehrer mit Migrationshintergrund bezahlt werden, die Unterricht erteilen sollen. - Ich bin gespannt, wie Sie es als Bund umsetzen wollen, dass 5 000
Lehrer bezahlt werden, wenn sich die Länder wieder dagegen sperren.
({1})
Viel besser wäre es, wir würden ein zweites Ganztagsschulprogramm auflegen,
({2})
damit die Kinder die Sprache lernen, damit sie ihr Umfeld kennenlernen, damit sie ein warmes Essen bekommen und überhaupt gefördert werden können.
({3})
Was haben Sie zu rot-grünen Zeiten gegen das Programm von Frau Bulmahn gesprochen! Auch das wollten wir hier noch einmal erwähnt haben.
Im Koalitionsvertrag waren für überbetriebliche Lehrwerkstätten die modernsten Technologien vorgesehen.
Kürzung um ein Drittel! Um fast 33 Prozent soll gekürzt
werden! Die Handwerkskammern schreiben Brandbriefe.
Auch zu den Bildungsketten möchte ich etwas sagen.
Sie geben dafür für vier Jahre 360 Millionen Euro an die
Bundesagentur für Arbeit. Darüber kann man diskutieren. Das ist sicherlich nicht schlecht. Aber schauen Sie
sich einmal an, wie es im Einzelplan 11 - Arbeit und Soziales - aussieht! Da wird gekürzt. Da werden die Zuschüsse für diese Maßnahmen deutlich heruntergefahren.
Das ist „linke Tasche/rechte Tasche“, wie wir im Haushaltsausschuss sagen.
({4})
Für den einzelnen Menschen bringt das, was hier mehr
gegeben wird, überhaupt nichts.
Universitäten und Hochschulen möchte ich erwähnen; „BAföG“ ist das Stichwort. Frau Flach, Sie haben
bei Ihrer Prozentzahlenauflistung öfter die Zeit der Großen Koalition für sich vereinnahmt, obwohl Sie als FDP
immer gegen die Haushalte gestimmt haben.
({5})
Auch daran sei einmal erinnert: Wir haben BAföG-Erhöhungen von 8 Prozent und 10 Prozent durchgesetzt, Sie
haben solche von 2 Prozent und 3 Prozent vorgesehen.
({6})
Ob Sie es durchsetzen, werden wir heute sehen. Wenn
Sie die Länder hier nur beschimpfen, so wie ich es erlebt
habe, dann können Sie natürlich nicht erwarten, dass
heute Abend beim Vermittlungsausschuss ein vernünftiges Ergebnis zustande kommt.
({7})
Arbeiten Sie mit den Ländern zusammen! Ziehen Sie an
einem Strang!
Herr Rupprecht, es ist auch nicht so, dass es nur an
den A-Ländern, also den SPD-geführten Ländern, liegt.
({8})
Der Beschluss zum BAföG ist 16 : 0 gefallen. Er wurde
also von allen Ländern getragen, auch von Bayern, woher Sie ja kommen.
({9})
Zu Ihrem großspurigen nationalen Stipendienprogramm, das auch noch sozial ungerecht ist. 10 Millionen Euro sind in diesem Jahr vorgesehen. Die Zustimmung der Länder wurde erkauft, indem der Bund bereit
war, die Finanzierung zu 100 Prozent zu übernehmen.
Sonst hätten Sie es bei den Ländern gar nicht durchbekommen; auch das soll hier noch einmal erwähnt werden.
({10})
Frau Schavan hat die Internationalisierung angesprochen. Richtig, wir müssen wesentlich mehr international zusammenarbeiten. Schauen wir einmal auf den
Titel für den Deutschen Akademischen Austauschdienst!
Da ist ein Minus vorgesehen.
({11})
Sie fahren die Mittel, die im Einzelplan 30 dafür vorgesehen sind, auswärtige Studenten einzuladen, hier zu studieren, herunter. In diesem Jahr haben Sie entsprechende
Mittel schon im Einzelplan 05, dem des Auswärtigen
Amtes, heruntergefahren. Es ist doch ein Widerspruch,
einerseits groß zu loben, wie toll das sei, aber andererseits die Mittel nach unten zu fahren. Ankündigungen
und Wirklichkeit liegen bei Ihnen weit auseinander.
({12})
In den Zeiten der Großen Koalition haben wir festgestellt, dass 18 000 Studienplätze Jahr für Jahr nicht besetzt
werden. Deshalb sollte ein elektronisches Einschreibebzw. Zulassungsverfahren eingeführt werden. Sie, Frau
Ministerin, haben versprochen - ich werde Sie noch häufiger daran erinnern -, im Frühjahr 2011 solle das laufen.
Ich höre ganz andere Signale, nämlich dass es technisch
wahrscheinlich nicht klappen werde. Auch die Universitäten winken ab. Das sei noch einmal erwähnt.
Kollege Kretschmer, Sie haben die nationalen Gesundheitszentren angesprochen. Das ist eine positive
Sache, die wir in der Großen Koalition wie auch anderes
durchgesetzt haben. Aber keine Stellen für Führungspositionen zu bewilligen, ist schon ein seltsamer Vorgang,
der hier erwähnt werden muss.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zum Abschluss noch darauf hinweisen: Alle großen Projekte, die
Sie, Frau Flach, kurzerhand in Ihrer prozentualen Darstellung vereinnahmt haben, wurden zu Zeiten durchgesetzt, als die FDP nicht an der Regierung beteiligt war:
({13})
Pakt für Forschung und Innovation - nicht von der FDP,
sondern von Rot-Grün; Hochschulpakte I und II - nicht
mit der FDP, sondern in der Großen Koalition durchgesetzt.
({14})
- Nein. Aber weil Sie das herausgestellt und vereinnahmt haben, Frau Flach, und so getan haben, als ob Sie
jetzt die größten Leistungen vollbringen - ({15})
- Nein, das ist nicht so. Wir haben das in der Großen Koalition auf den Weg gebracht, Sie haben dagegengestimmt.
({16})
Weiterhin sind der Cluster-Wettbewerb und das Ganztagsschulprogramm zu erwähnen. Was wurde dagegen
polemisiert! Ich könnte noch viele weitere Programme
erwähnen.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich ganz zum
Schluss darauf hinweisen: In Ihren Reden haben Sie,
liebe Frau Flach und hochverehrte Frau Ministerin, zum
Schluss immer wieder herausgestellt, dass Sie eine steuerliche Förderung von Unternehmen haben wollten, die
Forschung und Innovation betreiben. Heute war davon
nichts mehr zu hören, weder von Frau Flach noch von
Frau Schavan.
({17})
Ich hatte Herrn Kampeter, den Staatssekretär im Finanzministerium, gefragt, wie weit man hierbei sei. Dieses
Vorhaben steht ja auch groß im Koalitionsvertrag. Er
sagte: Es liegt keine abgestimmte Vorlage vor. Ich muss
Ihnen leider melden, dass das in nächster Zeit nicht geschehen kann.
Herr Kollege Hagemann.
Ich komme zum Schluss. - Als Tiger groß gestartet,
noch nicht einmal als Bettvorleger gelandet. Das ist das
Ergebnis Ihrer falschen Politik.
Ich freue mich auf die Beratungen im Ausschuss.
Vielen Dank.
({0})
Das Wort hat jetzt der Kollege Patrick Meinhardt von
der FDP-Fraktion.
({0})
Zum Föderalismus werde ich Ihnen gleich etwas erzählen.
({0})
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Präsident! Wenn man hier gerade zugehört hat,
glaubt man wirklich, auf der falschen Veranstaltung zu
sein. Ich möchte es noch einmal auf den Punkt bringen:
7,2 Prozent Wachstum in diesem Haushalt. Gegenüber
2009 werden wir 20 Prozent bzw. über 2,1 Milliarden
Euro mehr haben, die in Forschung und Bildung investiert werden. Wir werden in den nächsten vier Jahren in
der Summe 12 Milliarden Euro mehr in Forschung investieren. Das ist die höchste Steigerungsrate, die es je in
der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland gegeben hat. Das lassen wir uns nicht kleinreden.
({1})
Das ist nämlich eine grandiose Leistung dieses Hauses,
so etwas auf den Weg zu bringen.
({2})
Die Bildungs- und Forschungspolitik ist unser Flaggschiff. Nehmen wir einmal die gesamten Ausgabeprogramme aus dem Bereich der Forschung: Die HightechStrategie mit einem Volumen von 131 Millionen Euro im
Bereich der Förderinstrumente wird fortgesetzt; hierzu
zählen der Spitzencluster-Wettbewerb - zentral wichtig -,
der Industrie-Forschungs-Campus und die Validierungsforschung. Für Energieforschung und Gesundheitsforschung sind im Rahmen der Forschungsförderung von
neuen Technologien 700 Millionen Euro vorgesehen.
Ebenfalls werden die Exzellenzinitiative, der Hochschulpakt sowie der Pakt für Forschung und Innovation
bestens finanziell ausgestattet, und es wird ein Qualitätspakt „Lehre“ aufgelegt. Das ist eine dynamische Politik
für einen modernen Forschungsstandort Bundesrepublik
Deutschland, die die Koalition in diesem Haus vertritt.
({3})
Dies wurde schon im Rahmen der Debatte über das
nationale Stipendienprogramm angesprochen: Wir
wollen, dass Deutschland ein Land der Stifter und Stipendiaten wird. Dafür müssen wir aber noch einiges tun;
denn alle Studien zeigen, dass die Stipendienkultur in
Deutschland noch unzureichend ist. Wir müssen hier
neue Impulse setzen. Deswegen ist es richtig, dass wir
zusätzliche Aufstiegsstipendien im Bereich der beruflichen Bildung ermöglichen.
({4})
Deswegen ist es richtig, dass wir im Bereich der Begabtenförderungswerke vorangehen. Deswegen ist es richtig, dass wir ein nationales Stipendienprogramm auflegen, mit dem wir endlich erreichen, dass die Hochschulen vor Ort darüber entscheiden können, wer eine
Förderung bekommt. Das ist ein durch und durch bildungssoziales Projekt dieser Bundesregierung.
({5})
In diesem Zusammenhang ist natürlich das Thema
BAföG anzusprechen, das heute im Vermittlungsausschuss behandelt wird. Herr Hagemann, Sie haben vorhin pauschal die Finanzminister erwähnt. Ich erinnere
mich noch sehr genau an die Diskussion auf dem Bildungsgipfel. Ich habe mir genau angehört, was von den
sozialdemokratischen Ministerpräsidenten gesagt worden ist. Ich sage Ihnen: Die Äußerungen, die da gefallen
sind, hatten mehr mit Bildungsblockadepolitik zu tun als
mit dem Willen, aufeinander zuzugehen. Diesen Punkt
muss man bei der Debatte über das BAföG ehrlicherweise erwähnen.
({6})
Herr Matschie hat heute Morgen in einem Interview
sehr dreist gefordert, dass der Bund heute Nachmittag
anbieten solle, die Finanzierung des BAföG zu
100 Prozent zu übernehmen. In diesem Fall sei eine sofortige Einigung möglich. Ich sage Ihnen dazu ganz klar:
So läuft das nicht. Ein Landesminister muss deutlich zeigen, dass ihm die Studierenden in seinem Land etwas
wert sind.
({7})
Wer sich vollständig in die Büsche schlägt, geht nicht in
Richtung einer Bildungspartnerschaft. Wir wollen solche
Bildungspartnerschaften bundesweit durchsetzen, in denen Bund, Länder und Kommunen die wichtigen Projekte gemeinsam besprechen können.
Ich möchte in diesem Zusammenhang sehr bewusst
die berufliche Bildung ansprechen. Wir wollen, dass
Deutschland ein Land der exzellenten Fachkräfte und einer exzellenten beruflichen Bildung ist. Manch einer hat
heute schon die OECD-Studie in einem Nebensatz angesprochen. Ich will es einmal auf den Punkt bringen: In
der letzten Woche hat die OECD-Studie bestätigt, dass
wir bei der beruflichen Bildung weltweit eine Führungsposition einnehmen. Dies ist die Botschaft der OECD.
({8})
Im Bereich der beruflichen Bildung werden wir weiter
Akzente setzen: Aufstiegsstipendien, Bildungslotsen,
Bildungsketten und lokale Bildungsbündnisse sind
Punkte, die von uns vorangebracht werden und die Sie
während Ihrer Regierungszeit noch nicht einmal ansatzweise angepackt haben.
Wir wollen, dass Deutschland ein Land wird, in dem
die vorhandenen Initiativen auf vielfältige Weise vorangebracht werden. Ich zitiere aus der OECD-Studie „Bildung auf einen Blick“:
Die geplanten Maßnahmen, die zu jeweils unterschiedlichen Zeitpunkten im Lebenslauf greifen
sollen ({9}), die Bildungsketten für den Übergang von
der Hauptschule in den Beruf, aber auch das Nationale Stipendienprogramm … sind bestens geeignet,
mehr Menschen Zugang zu höheren Bildungsabschlüssen zu eröffnen.
Das ist das Urteil der OECD über unsere Initiativen.
({10})
Diese Koalition der Mitte macht Deutschland wirklich fit für die Herausforderungen der Zukunft. Wir wollen Bildungsgerechtigkeit in diesem Land schaffen und
weiter ausbauen sowie Zukunftschancen ermöglichen.
Deswegen schließe ich meine Rede mit den Worten von
Benjamin Franklin:
Eine Investition in Wissen bringt noch immer die
besten Zinsen.
Dafür steht diese Bundesregierung der Mitte.
Vielen Dank.
({11})
Das Wort hat jetzt die Kollegin Dr. Petra Sitte von der
Fraktion Die Linke.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben
es bemerkt: Die Koalition versucht, aus einer großen
Zahl eine gute Nachricht zu machen.
({0})
Bekanntermaßen bestehen aber die größten Haufen nicht
immer aus reiner Muttererde.
({1})
Wenn nun trotz schwarz-gelber Sparpakete der Etat
für Bildung und Forschung um mehr als 750 Millionen
Euro wächst, muss man ganz klar sagen: Das ist eine Reaktion auf angestaute Probleme. Vor dieser Kulisse erfahren viele auch, dass das wunderschöne Geld zu einem
großen Teil nicht dort ankommt, wo es am dringendsten
benötigt wird. Zu einem Großteil werden nämlich einfach Programme fortgesetzt, die Bund und Länder gemeinsam finanzieren, so etwa BAföG - das wurde schon
erwähnt -, Hochschulpakt, Exzellenzinitiative und ursprünglich auch Ihr schönes nationales Stipendienprogramm für Leistungseliten. Den Hochschulpakt beispielsweise werden die Länder kaum weiter finanzieren
bzw. stärken können. So können am Ende zwar mehr
Studierende kommen, insgesamt aber verschlechtern
sich die Studienbedingungen.
Letztlich verschiebt die Exzellenzinitiative grundsätzliche und notwendige hochschulpolitische Entscheidungen erneut; denn an der Unterfinanzierung des Gesamtsystems Wissenschaft ändert sich nichts. Stattdessen
haben jetzt schon drei Länder, nämlich Hessen, Schleswig-Holstein und Sachsen, Kürzungen angekündigt.
Konfrontiert mit Schuldenbremse und massiven Einnahmeausfällen infolge Ihrer Steuerpolitik, übrigens auch
des jüngsten Atomkompromisses, werden weitere Bundesländer folgen.
Fazit: Trotz Aufwuches der Mittel verschärfen sich die
Grundprobleme des Wissenschaftssystems. Ein eindringliches Beispiel dafür ist für mich folgendes Paradoxon:
Trotz Exzellenzinitiative, Professorinnenprogramm und
Nachwuchsförderung im Rahmen der Exzellenzinitiative
verschlechtern sich die Beschäftigungsbedingungen von
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, insbesondere des Nachwuchses, Jahr für Jahr.
({2})
Auf ihre Unterfinanzierung reagieren die Einrichtungen nämlich, indem sie immer mehr befristete Verträge
ausschreiben. 87 Prozent - wohlgemerkt, 87 Prozent der wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter
in den Einrichtungen arbeiten heute auf der Grundlage
von Zeitverträgen. Tausende sitzen zu zweit auf einer
Stelle; das wissen Sie alle. Eine Mehrheit wird schon gar
nicht mehr aus den Haushalten der Einrichtungen bezahlt, sondern aus eingeworbenen Mitteln, den sogenannten Drittmitteln. Das zwingt wissenschaftlichen
Nachwuchs insgesamt natürlich in prekäre oder auch
unsichere Arbeitsverhältnisse. Sie haben praktisch permanent den Abbruch ihrer Berufslaufbahn vor Augen.
Jene, die sich über Stipendien finanzieren, fallen sofort
in Arbeitslosengeld-II-Bezug, wenn sie keine Weiterbeschäftigung finden. Ich frage Sie: Wie verlässlich ist
denn das?
({3})
Letztlich spitzen sich durch die Exzellenzinitiative
die strukturellen Probleme der Nachwuchsförderung sogar noch zu. Sie haben jetzt 4 000 hochspezialisierte
Projektstellen geschaffen. Damit holen Sie 4 000 Menschen als zusätzliches Personal an die Hochschulen. Dieses und das bereits vorhandene Personal steuern aber auf
ein Nadelöhr zu. Das sind die späteren Dauerstellen, die
an den Hochschulen vorhanden bzw. nicht vorhanden
sind. Da gibt es keinen Aufwuchs. Deshalb werden viele
von diesen zusätzlich Geförderten am Ende keine Beschäftigung finden. Eine akademische Laufbahn bleibt
für diese hochqualifizierten Leute eben nicht planbar.
Auch das widerspricht Ihrer Ansage. Auch das ist nicht
verlässlich.
({4})
Diese Sackgassen schrecken bekanntermaßen besonders Frauen ab. Seit Amtsantritt der Bundesministerin
im Jahre 2005 wuchs der Frauenanteil bei Professuren
jedes Jahr lediglich um ein mageres Prozentpünktchen.
2009 lag er bei durchschnittlich 18,3 Prozent. Aber bei
den besserbezahlten W-3-Professuren liegt der Anteil
der Frauen nur bei 12 Prozent. Nun kann man sich ausrechnen, wann in etwa wir damit im System Gerechtigkeit für Frauen erreichen. Wir haben das einmal getan;
das Ergebnis ist: im Jahr 2042. So lange will ich gar
nicht leben. Wahrscheinlich werde ich es also nicht ein5952
mal mehr erleben. Insofern ist die Situation völlig inakzeptabel.
({5})
Jetzt kommt die Krönung des Ganzen: Trotz dieser
gravierenden Defizite kürzen Sie den Titel „Strategien
zur Durchsetzung von Chancengerechtigkeit für Frauen
in Bildung und Forschung“ in diesem Haushalt radikal
um über 20 Prozent. Ich muss Ihnen schon sagen: Dazu
fällt mir nichts mehr ein; es empört mich einfach nur
noch.
({6})
Welche Alternative besteht am Ende? Die Alternative
ist ein Wechsel ins Ausland; viele tun das schon heute.
Gerade jetzt ist wieder eine Debatte darüber entbrannt,
was Deutschland für einen Fachkräftemangel hat. Wir
haben es auch hier mit einer absurden und konzeptionslosen Ausgabe von Steuergeldern zu tun.
Fazit. Die Linke fordert:
Erstens: eine klare Orientierung Ihrer Ausgabenpolitik an den drängendsten Problemen der Wissenschaftseinrichtungen.
Zweitens: Der Bund muss den Ländern über höhere
Steueranteile die Sicherung der Grundausstattung ihrer
Hochschulen ermöglichen.
Drittens - meine Kollegin hat damit geschlossen;
auch ich will es gerne tun -: Das Kooperationsverbot
muss fallen, damit im Rahmen des Hochschulpaktes
zwischen Bund und Ländern endlich verlässliche Perspektiven für den wissenschaftlichen Nachwuchs vereinbart werden können.
Danke schön.
({7})
Das Wort hat nun Kai Gehring für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Wer heute nur halbherzig in bessere Bildung investiert,
wird morgen Fachkräfte- und Akademikermangel sowie
soziale Folgekosten ernten. Ich glaube, da sind wir Bildungspolitiker uns einig. Obwohl Ministerin Schavan
bei diesem Haushalt und beim unsozialen schwarz-gelben Spardiktat trotz Blessuren einigermaßen ungeschoren davonkommt, haben die Leute in diesem Land das
Gefühl, dass viele Milliarden Euro für starke Lobbygruppen fließen - von den AKW-Betreibern bis hin zur
Pharmaindustrie -, aber für Bildung und Hochschulen,
für Zukunftsinvestitionen nach wie vor nicht genug Geld
vorhanden ist.
({0})
Die Menschen haben zu Recht dieses Gefühl: Den
Schülern fehlen Lehrer und individuelle Förderung. Die
Eltern pochen auf bessere Lernbedingungen. Die Auszubildenden werden in Warteschleifen geparkt. Studierende warten vergeblich auf zusätzliche Studienplätze
und auf Korrekturen beim Bologna-Prozess. Bei der
Weiterbildung bleiben wir bildungspolitisches Entwicklungsland. - Das ist die reale Mangelsituation in der vermeintlichen, immer wieder vollmundig angekündigten
„Bildungsrepublik Deutschland“.
({1})
Man kann sagen, dass jeder zusätzliche Cent für die
Bildung gut angelegt ist, wenn die Strukturen, die Qualität und die Priorität stimmen. Schwarz-Gelb setzt aber
die falschen Prioritäten: Die starken Schultern werden
gestärkt, die schwachen Schultern werden geschwächt.
Das Symbol schlechthin für diese verfehlte Bildungspolitik ist das Deutschlandstipendium, das nationale
Stipendienprogramm: in Zahlen gegossene Klientelpolitik à la FDP und CDU/CSU. Das muss man so deutlich
sagen. Auch wenn das Deutschlandstipendium über die
Sommerpause offensichtlich zum Gartenzwergprogramm geschrumpft ist, privilegieren Sie damit die Privilegierten in diesem Land.
({2})
Wir werden in ein paar Jahren hier diskutieren und erkennen: Es ist leider nicht gelungen, das, was die OECD
von uns erwartet, umzusetzen: Mit dem Programm werden nicht reihenweise Bildungstalente aus bildungsfernen Schichten gewonnen; es wird keine gerechtere Teilhabe organisiert.
({3})
Worin besteht eigentlich der volkswirtschaftliche Nutzen
- er ist Ihnen von der FDP immer besonders wichtig -,
wenn Sie diejenigen fördern, die sowieso studieren würden? Das bringt jedenfalls keine höheren Akademikerquoten.
({4})
Die mickrige BAföG-Erhöhung hängt dagegen in
der Warteschleife. Hier geht es um die bedürftigen Studierenden, um Bildungsaufsteiger gerade auch aus Arbeiter- und aus Migrantenfamilien, die oftmals die ersten
in ihrer Familie sind, denen der Zugang zur Hochschule
gelingt. Sie gehen möglicherweise leer aus.
Wir Grüne wollen nicht, dass am Ende die Botschaft
ist: Mittel für Elitestipendien abgesegnet; BAföG auf Eis
gelegt. Das wäre unerträglich. Dass heute Abend im VerKai Gehring
mittlungsausschuss überhaupt dieses BAföG-Gefeilsche
stattfindet, ist doch - das muss man ganz klar sagen eine Folge des monatelangen Missmanagements von
Frau Schavan,
({5})
die auf mehreren Bildungsgipfeln die Chance gehabt
hätte, zwischen Bund und Ländern zu verabreden: Ja, die
BAföG-Erhöhung kommt. Sie hätte gewaltiger ausfallen
können, wenn man den Quatsch mit dem nationalen Stipendienprogramm gelassen hätte,
({6})
aber diese Bildungsgipfel sind sowieso eine Serie des
Scheiterns gewesen und keine Serie des beherzten Handelns oder Lösens der Bildungsmisere in unserem Land;
deshalb diese schlechte Bilanz.
({7})
Wer Arbeiter- und Migrantenkinder wirklich zu Bildungsaufsteigern machen will, der muss die Hörsaaltüren weit öffnen, der muss junge Menschen einladen, der
muss alle Hürden vor diesen Türen entfernen, statt diese
Türen zuzuschlagen.
({8})
Die Zahl der Studienanfänger ist gestiegen. Darüber
können wir uns gemeinsam freuen; aber das reicht nicht.
Die Absolventinnen- und Absolventenzahlen sind nach
wie vor zu gering, um die künftig freiwerdenden Stellen
für Hochqualifizierte zu besetzen.
({9})
Das ist das Problem. In den letzten zehn Jahren ist die
Zahl um bescheidene 0,9 Prozent pro Jahr gestiegen, im
OECD-Durchschnitt waren es 4,6 Prozent. Das heißt,
wir sind bei weitem nicht schnell genug, und wir brauchen dringend mehr Dynamik und höhere soziale Mobilität in unserem Bildungs- und Hochschulsystem. Darum
muss es jetzt gehen, weil der Bildungsaufstieg kein Hürdenlauf, kein Durchqueren eines Nadelöhrs bleiben darf.
Das heißt für uns, dass wir in unserem Land eben
keine Bildungschipkarte für Nachhilfeinstitute und Co
aus dem Hause von Frau von der Leyen brauchen,
({10})
sondern wir brauchen die besten Bildungsinstitutionen
und Infrastrukturen, von der Kita über die Schule bis
zum dualen Ausbildungsbereich, der Hochschule und
der Weiterbildung.
({11})
Mit einer Verbesserung der Bildungsinstitutionen und -infrastruktur lässt sich Bildungsarmut zielgenau bekämpfen durch kluge Maßnahmen wie Mittagessen für alle.
Darum sollten Sie sich kümmern und nicht um Chipkarten, die wohl sowieso nicht funktionieren.
Es muss einen wirksamen Hochschulpakt geben, der
deutlich mehr Studienplätze schafft und die Lehr- und
Studienbedingungen verbessert. Es muss Korrekturen
der Bologna-Reform geben, um ein gutes Studium für
alle zu ermöglichen.
({12})
Wir brauchen keine Deutschlandstipendien, wir brauchen keine Studiengebühren, sondern wir brauchen die
überfällige BAföG-Erhöhung und eine insgesamt bessere Studienfinanzierung. Dann können wir ernst damit
machen, dass eine Chance auf Bildungsaufstieg für alle
ein zentrales Anliegen in unserem Land ist. Das ist eine
Frage der Gerechtigkeit und der Integration. Das ist der
beste Weg im Umgang mit dem Fachkräfte- und Akademikermangel. Darum muss es jetzt gehen.
Wenn man den Haushalt von Schwarz-Gelb für den
Bildungsbereich näher betrachtet, stellt man fest, dass er
eine traurige Leistung ist. Man sieht nämlich, dass Sie
die Zukunftsfragen wieder einmal verschlafen und das
Gemeinwohl ignorieren. Mit dem vorliegenden Haushalt
setzt Schwarz-Geld wieder einmal die falschen Prioritäten.
Vielen Dank.
({13})
Das Wort hat nun Albert Rupprecht für die CDU/
CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren!
Man kann über jede Einzelmaßnahme trefflich streiten.
In der Tat erleben wir als Parlamentarier der Regierungsfraktion, dass wir im Bereich der Forschung schlagkräftig sind, dass wir Beschlüsse fassen können, dass es eine
Aufbruchstimmung in den Forschungsinstitutionen und
den Universitäten gibt und dass wir durchregieren können. Wir erleben auch - das zu erwähnen, gehört zur
Fairness dazu -, dass es im Bereich der Bildung länger
dauert, manche Einzelmaßnahme zu beschließen, weil
sie schlichtweg der Zustimmung der Länder bedarf.
Herr Hagemann, Herr Rossmann - Herr Rossmann,
Sie sprechen im Anschluss an meine Rede -, ich möchte
eine Frage an Sie richten.
({0})
Sie haben inzwischen die Mehrheit im Bundesrat. Sie
haben die Möglichkeit, das Inkrafttreten zahlreicher Gesetzentwürfe zu verhindern. Werden die SPD-geführten
Albert Rupprecht ({1})
Länder das BAföG-Gesetz, das wir im Bundestag beschlossen haben und das eine Erhöhung der BAföGSätze vorsieht, mittragen? Werden Sie organisieren, dass
die SPD-geführten Länder das heute beschließen werden?
({2})
Man kann über jede Einzelmaßnahme trefflich streiten. Aber Sie müssen der Fairness halber auch zugestehen,
({3})
dass der Haushalt ein historisches Spitzenniveau erreicht
hat. Zum Vergleich: In der Regierungszeit von Rot-Grün
unter Kanzler Schröder haben Sie in sieben Jahren den
Etat lediglich um 1 Milliarde Euro erhöht.
({4})
Wir erhöhen unter Kanzlerin Merkel selbigen Etat in nur
fünf Jahren um über 4 Milliarden Euro. Ihr damaliger
Kanzler Schröder hat Bildungspolitik als Gedöns bezeichnet.
({5})
Er hat Lehrer - was vollkommen inakzeptabel ist - als
faule Säcke beschimpft.
({6})
- Das ist Fakt. Die Richtlinien der Politik bestimmen die
Kanzler. Unter Kanzlerin Merkel haben wir erreicht,
dass Bildung und Forschung absolute Priorität genießen.
({7})
Frau Flach hat zu Recht darauf hingewiesen, dass dieser Bereich höchste Priorität genießt und höchste Zuwächse verzeichnet - das Niveau ist historisch -, und
das in Zeiten, in denen auch das Sparen eine historische
Dimension erreicht hat. Wir müssen 80 Milliarden Euro
einsparen. Das gab es im Nachkriegsdeutschland noch
nie. Das ist ein Kraftakt. Das ist es, was wir im Augenblick schultern.
({8})
Das zeigt auch der Haushalt 2010. Ich sage es noch einmal: Wir können gerne über jede Einzelmaßnahme streiten; aber es gehört zur Fairness dazu, dass Sie diese historische Dimension und diese Priorität akzeptieren.
({9})
Wir steigern das Volumen des Haushalts der Ministerin Schavan gegenüber dem Vorjahr um 7,2 Prozent. Das
ist ein Riesenanstieg. Rechnen wir die Bildungs- und
Forschungsausgaben, die in anderen Ressorts stecken,
hinzu, zum Beispiel das Bildungspaket für Kinder, deren
Eltern Hartz IV beziehen - in den nächsten Wochen können wir gerne über die konkrete Umsetzung streiten; zunächst einmal ist aber festzustellen, dass die Beträge zur
Verfügung gestellt wurden -, oder die Mittel für die Ressortforschung, dann kommen wir bei den Forschungsund Bildungsausgaben auf eine Steigerung um 2,3 Milliarden Euro gegenüber dem Vorjahr. Ich sage es noch
einmal: Rot-Grün hat in sieben Jahren 1 Milliarde Euro
mehr zur Verfügung gestellt, wir stellen dagegen in einem Jahr 2,3 Milliarden Euro mehr bereit.
({10})
Das ist Fakt. Ich behaupte: Sie reden viel, Sie fordern
viel, aber wir handeln.
({11})
Schauen wir uns die Studierenden an: Diesbezüglich
haben Sie während Ihrer Regierungszeit kaum etwas zustande gebracht. 2005, unter Rot-Grün, wurden für die
Studienfinanzierung im Haushalt 1,1 Milliarden Euro
zur Verfügung gestellt. Wir haben die Mittel für die Studienfinanzierung unter Kanzlerin Merkel seit 2005 um
sage und schreibe 53 Prozent auf 1,7 Milliarden Euro erhöht. Das ist der substanzielle, der wesentliche Unterschied.
({12})
- Das sind Fakten, Kollegin Schieder. - Unter Ministerin
Schavan haben wir Aufstiegsstipendien eingeführt, das
BAföG massiv erhöht und anderes mehr.
Herr Rossmann, ich bitte Sie noch einmal, im Anschluss an meine Rede zu sagen, was die Position der
SPD-geführten Länder ist. Gibt es eine Mehrheit für die
BAföG-Erhöhung? Die Studenten in diesem Land warten darauf. Wir von der Bundesregierung und der Regierungskoalition stehen dazu.
({13})
Ähnlich verlief es beim Bologna-Prozess. Sie haben
unter Rot-Grün die Bologna-Reform beschlossen, für die
Umsetzung im Jahr 2005 aber nur magere 9 Millionen
Euro im Haushalt vorgesehen.
({14})
Wir haben das Bologna-Hochschulgesamtpaket inzwischen auf sage und schreibe 780 Millionen Euro erhöht.
Das ist nach Adam Riese eine Steigerung um 8 500 Prozent. Das ist eine ganz andere Dimension als das, was
Sie bis 2005 zustande gebracht haben.
({15})
Geld allein garantiert aber noch keine gute Bildungspolitik.
({16})
Man muss Bildungspolitik auch inhaltlich gut machen.
Auch hier sprechen die Fakten Bände: In den Bundesländern, in denen CSU und CDU seit langem regieren, haben wir ausgezeichnete Ergebnisse: in Bayern, in BadenWürttemberg und in den neuen Bundesländern Sachsen
und Thüringen.
Albert Rupprecht ({17})
({18})
Dort, wo SPD, Grüne und Linke seit langem das Sagen
haben, sind die Ergebnisse schlichtweg katastrophal: in
Bremen, in Brandenburg und in anderen Ländern. Den
Schaden haben die Kinder.
({19})
Kinder in Brandenburg sind nicht dümmer als Kinder
in Bayern oder Sachsen. Schuld an den schlechten Ergebnissen ist ausschließlich die miserable Bildungspolitik der SPD-Ministerpräsidenten und der roten bzw. grünen Bildungsminister in den letzten 20 Jahren.
({20})
Auch die jüngsten Studien bestätigen diese These. Es
gibt einen Riesenunterschied zwischen unionsgeführten
Ländern und SPD-geführten Ländern. Schüler in SPDgeführten Ländern sind auf dem Bildungsniveau italienischer Schüler, während Schüler in Sachsen, Bayern und
Baden-Württemberg auf Augenhöhe mit den Spitzenreitern Finnland und Kanada sind. Auch das ist Fakt.
Von wegen Ihre Schulpolitik helfe den Schwachen in
der Gesellschaft: Das ist wohl eine Mär. Der jüngste
Ländervergleich zeigt das Gegenteil. Auch Migrantenkinder und Arbeiterkinder schneiden in Bayern und
Sachsen wesentlich besser ab als in Bremen und in Brandenburg.
({21})
Linke Bildungsideologien, antiautoritäre Erziehung,
Gesamtschule und anderes mehr haben auf ganzer Breite
versagt. Das zeigt auch die aktuelle Integrationsdebatte. Vor zehn Jahren haben Sie von Rot und Grün
Edmund Stoiber als ausländerfeindlichen Rassisten beschimpft, weil er gefordert hat, dass jedes Kind, das eine
deutsche Schule besucht, die deutsche Sprache beherrschen muss. Inzwischen, im Jahr 2010, ist diese Forderung Allgemeingut und wird von allen geteilt. Aber wir
haben wertvolle Jahre verloren. Sie haben mit ihrer linken Multikulti-Ideologie den Kindern in unserem Lande
geschadet.
({22})
Herr Kollege, Sie müssen bitte zum Ende kommen.
Letzter Satz. - Sehr geehrte Damen und Herren, die
jahrzehntelangen Experimente linker Bildungsideologen sind gescheitert. Das zeigen die Ländervergleiche in
Deutschland ganz klar.
Herzlichen Dank.
({0})
Das Wort hat nun Ernst Dieter Rossmann für die
SPD-Fraktion.
({0})
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr
Rupprecht, bei Ihnen ist mir zu viel Selbstgerechtigkeit
im Spiel.
({0})
Das können wir aufzeigen, wenn wir darauf hinweisen
- wir erinnern nicht immer wieder daran; aber Sie provozieren es ja -, wo wir 1998 nach Kohl/Rüttgers standen. Edelgard Bulmahn hat zusammen mit Gerhard
Schröder unter Rot-Grün das Wachstum in Bezug auf
Bildung und Forschung eingeleitet. Dann ist es unter
Schwarz-Rot weitergegangen, und es geht auch bei Ihnen unter Schwarz-Gelb weiter. Das sollte man anerkennen. Aber auch Sie sollten anerkennen, was unter RotGrün eingeleitet worden ist und dass wir insgesamt in einer positiven Entwicklung sind. Solange Sie diese
Selbstgerechtigkeit immer wieder ausstrahlen, wird es
nichts mit der gemeinsamen „Bildungsrepublik Deutschland“.
({1})
In Bezug auf die Länder könnte man auch fragen:
Was ist denn in Hamburg? Wir mögen es ja bedauern,
dass die CDU jetzt schon ziemlich lange in Hamburg regiert. Weshalb sparen Sie Hamburg aus? Weil die Hamburger und auch die Bayern wissen, dass dort Größen
wie Arbeitslosigkeit und Einwanderungsanteil sowie die
Struktur der Großstadt und die anderen Voraussetzungen
in ländlichen Räumen eine Rolle spielen. Sie praktizieren hier eine zu billige Selbstgerechtigkeit, womit Sie
unter Ihrem Niveau bleiben.
({2})
Weil ich nicht in den gleichen Duktus verfallen
möchte, unternehme ich an dieser Stelle den Versuch, bei
Ihnen Nachdenklichkeit an zwei Punkten jenseits der Finanzdebatte zu erzeugen. Frau Schavan, wir hatten das
gemeinsame Ziel „Bildungsrepublik Deutschland“, wobei 3 Prozent für die Forschung und 7 Prozent für die
Bildung bereitgestellt werden sollten. Mir ist aufgefallen, dass diese beiden Zahlen hier heute keine Rolle
mehr spielen. Das liegt wohl daran, dass im OECD-Bericht, den Sie so positiv angesprochen haben, in Bezug
auf Bildung steht, dass wir bei 4,7 Prozent sind. Der
Durchschnitt liegt deutlich höher. Das wollen wir gemeinsam ändern. Aber mit dieser Beschimpfung von
Ministerpräsidenten und Ländern ändern Sie es nicht.
({3})
Sie brauchen einen neuen Geist, sodass sich Bund, Länder und Kommunen in der Bildungsrepublik gemeinsam
engagieren.
({4})
Natürlich gehört zu diesem gemeinsamen Geist, dass
Sie die Finanzierungsprobleme am Ende nicht bei Kommunen und Ländern abladen, die dann nur noch in einer
Notwehrreaktion das aufkündigen können, worüber eigentlich Konsens bestand. Wir beobachten leider - das
wird auch auf Ihrer Seite nicht mit Freude verfolgt -,
dass der Finanzierungskonsens jetzt nicht mehr überall
besteht, sondern dass die Länder sagen: Bund, dann finanzierst du alleine Stipendien und Hochschullehre.
Herr Rehberg, ich glaube, auch Sie finden es nicht gut,
dass die Länder auf einmal sagen: Bund, finanziere alleine.
Wie kommen wir wieder zu dem Konsens, dass es
eine gemeinsame Aufgabe, eine gemeinsame Verantwortung und auch eine gemeinsame Finanzierung gibt? Weil
Sie das einfordern, sage ich: Wir von der SPD-Fraktion
erwarten und hoffen, dass das Vermittlungsverfahren zu
dieser kleinen BAföG-Erhöhung führt.
({5})
Wir werden dann hinterher darüber streiten dürfen, ob
alle beteiligten Seiten, der Ministerpräsident von Bayern
wie alle anderen, dazu beigetragen haben; aber wir betreiben keine Vorverurteilung. Und dies sollte ein erster
Beitrag zur neuen Konsensbildung sein.
Ich möchte ein Zweites in die Debatte einbringen.
Wir stellen fest, dass sich in den parteiübergreifend gewachsenen Initiativen in Bezug auf die Forschungsorganisationen und die Forschungsförderung, die in der
Summe quasi 4 Milliarden Euro blank zugeschrieben bekommen, eine Stimmung aufbaut, Frau Schavan, durch
die infrage gestellt wird, ob der eingeschlagene Weg
vom Stil her immer kooperativ ist.
Als Schleswig-Holsteiner weiß ich, dass die Notrettung der Medizinischen Fakultät der Universität zu
Lübeck okay war. Was das aber bei der Leibniz-Gemeinschaft an Verbitterung und bei der Max-Planck-Gesellschaft an Alarmierung ausgelöst hat, das müssen Sie
wieder einfangen. Es geht nicht, dass sozusagen par
ordre du mufti in einer souveränen Wissenschaftsorganisation die Anteile hin- und hergeschoben werden. Auch
das muss wieder ins Lot gebracht werden, dies gilt auch
für andere Themen und zwar in der Sache und in der
Konzeption. Dies will ich an mehreren Beispielen verdeutlichen, bei denen es um lange Linien geht. Natürlich
sind wir der Meinung, dass sich Anspruch und Wirklichkeit an den aktuellen und zukünftigen Bildungsaufgaben
bewahrheiten müssen.
Wenn wir für Grundbildung und Integration sind,
dann verträgt sich das nicht damit, dass gleichzeitig die
Mittel für die nachträgliche Qualifizierung von zugewanderten Hochqualifizierten im Haushalt des Bundesministeriums für Bildung und Forschung gekürzt werden. Das verträgt sich auch nicht damit, dass in anderen
Ressorts dieser Regierung die Wartefristen für Altbewerber, die Sprachkurse belegen wollen, mittlerweile auf ein
halbes Jahr anwachsen sind und dass 20 000 Personen
auf entsprechende Angebote warten. Sie haben auch die
Aufgabe, dem Anspruch des Anerkennungsgesetzes gerecht zu werden, für eine bessere Förderung von Integration, für die Grundbildung und für die Förderung von
Hochqualifizierten zu sorgen. Diesem Anspruch wird die
Bundesregierung mit diesem Haushalt aber nicht gerecht.
Sie haben in Bezug auf die Umsetzung des Verfassungsgerichtsurteils hinsichtlich der Teilhabe von Bildungsärmeren eine lange Linie zu verfolgen. Sie können
beispielsweise bedenkenlos ein Schulsozialarbeitsprogramm auf den Weg bringen, weil wir zum Glück das
Bundesjugendhilferecht haben. Sie haben auch die Aufgabe, so etwas wie das Schüler-BAföG nicht zu ignorieren; denn das Schüler-BAföG ist eine gezielte Förderung
der Aufstiegswilligen, die aus materiellen Gründen nicht
so leicht wie andere zum Abitur gelangen können.
({6})
Ich will das an einem weiteren Feld, am Fachkräftemangel, verdeutlichen. In diesem Bereich haben wir
zwei Probleme. Wir haben das ganz große Problem der
1,5 Millionen beruflich nicht Qualifizierten unter 30 Jahren. Das verträgt sich nicht damit, dass der mühsam
durchgesetzte Rechtsanspruch auf das Nachholen eines
Schulabschlusses von dieser Regierung zu einer Ermessensleistung herabgesetzt worden ist. Sie als Bildungsministerin müssten vielmehr für den Bestand eines
Rechtsanspruchs werben.
({7})
Um noch einen draufzusetzen: Sie müssen dafür werben, dass es diesen Rechtsanspruch auch in Bezug auf
eine Ausbildung gibt, damit nicht 1,5 Millionen Menschen in ein Berufssystem gelangen, in dem sie ohne Berufsausbildung keine Chance haben. Das ist Ihre Aufgabe.
Nun zum nächsten Punkt, zur Hochschule. Hochschulpakt und Exzellenzinitiative erkennen wir an. Wie
ist es aber mit den Rechnungen? Herr Kretschmer, Frau
Schavan, Ihnen wird das aufgefallen sein: Frau Schavan
sprach von 2 Milliarden Euro in Bezug auf den Pakt für
eine gute Lehre. Herr Kretschmer, Sie sprachen von
1 Milliarde Euro. Wir sollten so ehrlich sein und sagen:
Es sind 200 Millionen Euro im Jahr, und das ist zu wenig.
Wir müssen an das anknüpfen, was uns der Wissenschaftsrat ins Stammbuch geschrieben hat. Wenn wir die
Hochschulen in die Lage versetzen wollen, mehr Menschen zu einem erfolgreichen Studienabschluss zu führen, dann müssen wir die Chance nutzen und dort nachlegen. Dann müssen wir darüber diskutieren, wie wir den
Bund und die Länder mit Blick auf die Einnahmeseite in
die Lage versetzen, einen entsprechenden Ausbau vorzunehmen und garantieren zu können, dass man nicht beim
Bachelor hängen bleibt, sondern dass sich die MasterDr. Ernst Dieter Rossmann
Perspektive eröffnet. Auch dies wollen wir Ihnen als
langfristige Linie mit ans Herz legen.
Eine abschließende Bemerkung: Herr Meinhardt,
Frau Flach, Sie haben sich ziemlich lautstark über das
neue Stipendiensystem echauffiert. Das hat mich ein bisschen gewundert, weil ich immer dachte, dass Sie aus sozialliberaler Zeit den Grundkonsens kennen, den wir in
Deutschland in Bezug auf die Bildungsförderung hatten.
Dieser Grundkonsens war: Wir wollen Chancengleichheit; deshalb müssen die Fördermittel dahin fließen, wo
die Voraussetzungen nicht gegeben sind.
({8})
Das hatten wir als Grundkonsens beim BAföG, beim
Meister-BAföG und in der gesamten Bildungsförderung.
In Bezug auf die Stipendien wird dieser Grundkonsens
nun aufgekündigt,
({9})
indem Sie lauthals dafür kämpfen, dass auch diejenigen,
die es nicht nötig haben, im Sinne von Chancengleichheit gefördert zu werden, zusätzliche Mittel bekommen,
obwohl dies weder sachgerecht noch sozial notwendig
ist.
Die Kollegen von den Grünen haben Ihr Stipendienprogramm als „Gartenzwergförderung“ bezeichnet. Frau
Schavan hat dieses Stipendienprogramm einmal als „Revolution“ bezeichnet. Dazu kann ich nur feststellen: Es
ist die Revolution der Gartenzwerge, die an dieser Stelle
in der „Bildungsrepublik Deutschland“ stattfindet.
Danke schön.
({10})
Das Wort hat nun Kollege Eckhardt Rehberg für die
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Kollege Rossmann, sicher kann man Selbstgerechtigkeit verbal darstellen. Nur, Fakten sind Fakten.
({0})
Die Fakten sind nun einmal so, dass bei PISA und im
Bildungsmonitor der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft
({1})
überraschenderweise die gleichen vier Länder vorne liegen. Das hat Ursachen, und die muss man nennen.
({2})
Die Gerechtigkeit für nachfolgende Generationen ist
sichergestellt, wenn wir vom Verschuldungspfad wegkommen. Allerdings, Kollege Rossmann, kann ich mich
noch gut der Debatte vor der Sommerpause entsinnen.
Damals gab es ein Papier der A-Länder und ein Papier
der B-Länder, und letztlich sind die B-Länder auf das
Papier der A-Länder „aufgesprungen“. Aber dass es nur
um A- und B-Länder geht, so einfach ist es nicht. Es gibt
Schwarz, Rot, Gelb und Grün.
({3})
- Ja. - Die Entscheidung ist damals 16 : 0 ausgegangen.
Ich wiederhole: 16 : 0. Ich sage das an dieser Stelle aus
folgendem Grund - ich habe ihn der Kollegin Hinz
schon zugerufen -: Ich habe vielleicht ein wenig Verständnis dafür, dass die Länder, als es um das nationale
Stipendienprogramm ging, aus politischen Gründen eine
Blockadehaltung eingenommen haben.
({4})
Wenn man aber beim Thema BAföG anfängt, um Umsatzsteuerpunkte zu feilschen,
({5})
und wenn man den seit Jahrzehnten bestehenden Grundkonsens - 65 Prozent Bund, 35 Prozent Länder - aufgibt, dann muss ich Ihnen sagen: Hier machen alle
16 Bundesländer eine Politik auf dem Rücken der Studierenden. Ich glaube, ein solches Vorgehen darf dieses
Haus insgesamt nicht tolerieren.
({6})
Angesichts dessen, was der eine oder andere Redner
gesagt hat, sehe ich eine weitere Gefahr.
({7})
Ihrer Rede, Kollege Rossmann, stimme ich in vielen Teilen zu, in einem Teil allerdings nicht, nämlich was den
Qualitätspakt Lehre betrifft. Wir müssen an dieser
Stelle aufpassen und sehr wohl auch deutlich machen:
Was ist Aufgabe der Gebietskörperschaften, der Kommunen,
({8})
was ist Aufgabe der Länder und wofür ist der Bund zuständig? Sie wissen genauso gut wie ich: Bei der Verteilung - 90 Prozent Bund, 10 Prozent Länder - gab es
aufseiten der Länder großes Potenzial.
({9})
- Ja, Sie haben recht: Letztendlich sind es 100 Prozent.
({10})
Nur, eines darf in dieser Republik nicht geschehen:
dass sich die Länder bei der Bildungspolitik in die Büsche schlagen, und das in weiten Teilen auf Kosten und
zulasten des Bundes. Dem sollten wir fraktionsübergrei5958
fend entschieden entgegentreten, meine sehr verehrten
Damen und Herren.
({11})
Da wir über Bildungs- und Forschungspolitik reden,
sage ich Ihnen: Ich glaube, dass Bundesmittel dort, wo
es möglich ist, eingesetzt werden sollten - das Kooperationsverbot ist, wie es ist -, zum Beispiel für die berufliche Bildung. Im Bildungsbericht der OECD wurde festgestellt, dass 80 Prozent der Schüler ohne Schulabschluss in Übergangssystemen landen.
Herr Rossmann, zu dem Gedanken, den Sie im Zusammenhang mit dem Hauptschulabschluss geäußert
haben, sage ich Ihnen: Es muss nicht etwa ein Rechtsanspruch her, sondern man braucht intelligente Systeme für
Jugendliche, die keinen Schulabschluss erwerben, aus
welchem Grund auch immer. In meinem Heimatland
sind es leider 13,7 Prozent der Jugendlichen; wir sind da
Spitzenreiter. Man braucht Systeme, die relativ geringe
Kosten verursachen, aber 80 Prozent der Jugendlichen in
einem Jahr zum Hauptschulabschluss führen. Ein Beispiel hierfür sind Produktionsschulen, Träger: CJD.
({12})
In diesen Schulen werden, wie gesagt, 80 Prozent der Jugendlichen in zwölf Monaten zum Hauptschulabschluss
geführt. Von diesen Jugendlichen wiederum wird mehr
als jeder Zweite in eine betriebliche Ausbildung vermittelt.
Mein Appell, auch als Haushälter, ist: Wir müssen die
Effizienz kontrollieren. Wir müssen evaluieren und
überlegen: Wo erreichen wir mit dem geringsten Mitteleinsatz die besten Effekte? Kollege Schummer und ich
haben uns ein solches System angesehen. In ganz
Deutschland gibt es übrigens etwa 40 solcher Produktionsschulen.
Lassen Sie mich noch einige Sätze zur Forschung sagen. Ich verstehe überhaupt nicht, was man gegen Drittmittel haben kann.
({13})
- Kollege Hagemann, Frau Kollegin Sitte hat doch ein
Plädoyer gegen Drittmittel gehalten.
({14})
Drittmittel sind eine Möglichkeit, eine Anregung und
natürlich auch ein Stück weit ein Zwang, dass sich Wissenschaft und Wirtschaft zusammentun, gemeinsam forschen, gemeinsam arbeiten und dass die Ergebnisse honoriert werden, damit sie sozusagen on top sind. Dass
dann mehr Wissenschaftler eingestellt werden können,
ist doch eine vernünftige Sache.
Ich bitte auch darum, dass wir die Korridorförderung
bzw. - neudeutsch - die Validierungsförderung im
Haushaltsausschuss noch einmal sehr intensiv diskutieren. Es ist heute nicht mehr klassisch zwischen dem Forschungsministerium und dem Wirtschaftsministerium zu
trennen. Es gibt nicht auf der einen Seite nur die Grundlagenforschung und auf der anderen Seite nur die anwendungsorientierte Forschung. Es gibt bei den einzelnen
Schritten immer wieder Überlappungen. Deswegen glaube
ich, dass wir an dieser Stelle auch deshalb, damit wir in diesem Bereich weiter vorankommen, neue Schritte und neue
Wege gehen müssen.
({15})
Das DIW sagt, Deutschland sei Weltspitze bei forschungsintensiven Industrien. Die Evaluierung zeigt - ich
glaube, das ist das Entscheidende; hierauf müssen wir
viel mehr Wert legen, und hierum müssen wir uns viel
mehr kümmern -, was mit dem einen Euro passiert, den
wir als Bund in Forschung und Bildung investieren. Wenn
ich mir den Bereich der Forschung anschaue, dann muss
ich als Haushälter Ihnen sagen: Im Bereich der Forschung
sind wir sehr erfolgreich. Bei KMU-innovativ - Quelle ist
Frau Hinz mit ihrer Berichtsanforderung - haben wir einen Mittelaufwuchs von 9 Prozent in sieben Technologiefeldern zu verzeichnen. Die Evaluierung hat gezeigt, dass
es hier eine Hebelwirkung gibt: Pro Projekt werden fünf
neue Arbeitsplätze geschaffen. Ähnlich ist es bei dem
sehr erfolgreichen Programm ZIM. Oder nehmen Sie daneben die Hebelwirkung bei den Innovationsallianzen:
Auch hier bedeutet 1 Euro vom Bund 5 Euro von der
Wirtschaft.
Kollege Rossmann, Sie heben darauf ab, wie wir die
Prozentziele erfüllen wollen. Der Bund steht - das scheint
mir an dem einen oder anderen von der linken Seite vollkommen vorbeizugehen - zu seinen Zusagen. Die mittelfristige Finanzplanung macht es deutlich: 12 Milliarden
Euro mehr für Bildung und für Forschung. Jetzt sind Länder, Kommunen und Wirtschaft, die ganze Gesellschaft,
gefordert, damit wir das 10-Prozent-Ziel erfüllen. Das ist
nicht nur Bundessache, das ist gesamtdeutsche Sache.
Danke schön.
({16})
Das Wort zu einer Kurzintervention erteile ich Kollegin Petra Sitte.
Das darf nicht unwidersprochen im Raum bleiben. Ich
habe nicht gegen Drittmittel gesprochen. Ich habe versucht, aufzuzeigen, dass Drittmittel an den Hochschulen
in den letzten Jahren in drei Bereichen tendenziell dazu
beigetragen haben, dass Kernaufgaben der Hochschulen
nicht mehr aus deren Haushalten finanziert werden.
Erstens werden Drittmittel, also eingeworbene Mittel,
immer mehr dazu genutzt, vorherige Kürzungen an den
Hochschulen bzw. Wissenschaftseinrichtungen zu kompensieren, oder die Finanzminister reagieren in den Ländern auf zusätzlich eingenommene Drittmittel, indem sie
die Mittel in den Haushalten der Hochschulen reduzieren.
Zweitens. Ich habe den wissenschaftlichen Mittelbau
angesprochen, der vor allem aus wissenschaftlichem
Nachwuchs besteht. Da mittlerweile 57 Prozent dieses
Mittelbaus nicht mehr aus den Haushalten der Hochschulen finanziert werden, läuft eine Kernaufgabe der
Hochschulen, nämlich die Nachwuchsförderung, Gefahr,
verloren zu gehen.
Drittens will ich auf ein grundsätzliches Problem hinweisen: Mit der Drittmittelforschung verschiebt sich immer mehr der Akzent von der Grundlagenforschung zur
anwendungsorientierten Forschung und hin zur Anwendungsforschung.
Das ist das dreigefächerte Problem, das wir mit den
Drittmitteln haben. Prinzipiell ist gegen Drittmittel gar
nichts einzuwenden; aber die gegenwärtige Tendenz ist
so, dass hochschulpolitische Entscheidungen immer mehr
durch das Bemühen überlagert werden, an Drittmittel heranzukommen, und die eigentlichen wissenschaftsimmanenten, wissenschaftsgetriebenen Entwicklungen nicht
mehr Grundlage einer Entscheidung sind. Das ist das Problem, das ich damit verbinde und das man einfach einmal
benennen und zur Kenntnis nehmen muss. Wir müssen
einmal schauen, welche Tendenz das in der Perspektive
für die Hochschulen, für deren Profilierung und für den
Nachwuchs bedeutet.
({0})
Kollege Rehberg, Sie haben Gelegenheit zur Reaktion.
Frau Kollegin Sitte, wenn ich mir anschaue, was der
Bund den Forschungseinrichtungen an Verlässlichkeit bietet - einen jährlichen Aufwuchs von 5 Prozent für die
Helmholtz-Gemeinschaft, die Leibniz-Gemeinschaft usw. -,
dann kann ich Ihre Argumentation überhaupt nicht verstehen. Die Kritik, die die Länderministerien betrifft,
bringen Sie bitte dort an, wo sie angebracht ist.
Ich will Ihnen einmal ein Beispiel nennen, bei dem
das BMBF Grundlagenforschung und anwendungsorientierte Forschung verbunden hat: Das BMBF fördert mit
dem Projekt POLAR gemeinsam mit der Universität
Rostock und mit 14 kleinen und mittelständischen Unternehmen Werften in Mecklenburg-Vorpommern. Es
geht um LNG-Tanker, um Module in der Arktis. Das ist
eigentlich Validierungsförderung, das ist Korridorförderung. Wenn das BMBF nicht gesagt hätte, es würde das
Projekt unterstützen, hätte es den Verbund von KMU
und Wissenschaft nicht gegeben.
Ich muss Ihnen sagen: Ich sehe überhaupt nicht die
Gefahr, dass Forschung und Wissenschaft zu anwendungsorientiert werden. Nein, ganz im Gegenteil: Als Ingenieur, als Techniker freue ich mich darüber, dass wir
viel stärker von der reinen Grundlagenforschung sowie
der reinen Anwendungsforschung wegkommen und dass
hier mehr Synergieeffekte entstehen. Aus meiner Sicht
sind Drittmittel als Projektförderung genau der richtige
Weg.
({0})
Weitere Wortmeldungen zu diesem Einzelplan liegen
nicht vor.
Wir kommen damit zu dem Geschäftsbereich des
Bundesministeriums für Gesundheit.
Das Wort hat der Bundesminister für Gesundheit,
Philipp Rösler.
Vielen Dank. - Herr Präsident! Meine sehr verehrten
Damen und Herren! Der Einzelplan 15 umfasst einen
Gesamtetat von 15,8 Milliarden Euro. Dabei ist der
größte Anteil der steuerliche Bundeszuschuss zur gesetzlichen Krankenversicherung in Höhe von 15,3 Milliarden Euro. Deswegen ist es notwendig, bei der Haushaltsberatung zum Einzelplan 15 auch auf die Finanzlage der
gesetzlichen Krankenversicherung insgesamt zu blicken.
Man kann zunächst einmal feststellen, dass die gesetzliche Krankenversicherung gut durch die Krisenjahre gekommen ist, jedenfalls vergleichsweise gut. Das ist - zugegebenermaßen - ein Stück weit eine Leistung der alten
Bundesregierung, aber auch eine Leistung der neuen Bundesregierung. „Vergleichsweise“ heißt, dass wir, wenn wir
so weitermachen würden wie bisher, im nächsten Jahr ein
Milliardendefizit zu erwarten hätten. Ein solches Defizit
würde die gesetzliche Krankenversicherung insgesamt
gefährden.
Deswegen zwei Dinge zu dem Defizit selbst: Zum einen kommt dieses Defizit aufgrund der schlechteren
Jahre 2008 und 2009 zustande, ist also krisenbedingt.
Zum anderen ist dieses Defizit aber auch durch fehlende
strukturelle Veränderungen in den letzten neun Jahren
begründet. Ein Teil des Defizits ist also immer auch Ergebnis neunjähriger verfehlter sozialdemokratischer Gesundheitspolitik.
({0})
Ich komme gleich noch zu den Zahlen.
Die gute Nachricht des Tages ist: Die christlich-liberale Koalition ist angetreten, um dieses Defizit gar nicht
erst entstehen zu lassen, also für das kommende Jahr
auszugleichen. Dabei werden alle Beteiligten gleichermaßen in Anspruch genommen: Arbeitgeber, Arbeitnehmer, und zwar durch die Rückführung des Krankenversicherungsbeitrages auf das Niveau von vor der Krise, die
Leistungserbringer im System, Ärzte, Zahnärzte, Apotheker, Krankenhäuser, die Krankenkassen und natürlich
auch die Pharmaindustrie.
Aber eine Gruppe wird nicht zum Ausgleich des Defizits herangezogen. Das sind die Patientinnen und Patienten, die eben nicht durch höhere Zuzahlungen wie Praxisgebühr oder weitere Zusatzbeiträge in Verantwortung
genommen werden.
({1})
Das zeigt, dass dieses System funktioniert, dass die Starken, nämlich die Gesunden, durch ihre Beiträge sicherstellen können, dass die Schwächeren, nämlich die Kranken, immer und zu jeder Zeit die notwendigen Leistungen
erhalten. Das zeigt nicht nur die Solidarität des Systems,
sondern auch die Ausgewogenheit unseres Sparpaketes
für das Jahr 2011 und auch für das Jahr 2012.
({2})
Ihre Kritik gerade an den Sparmaßnahmen zum
Thema Arzneimittelpreise finde ich bemerkenswert. Ich
meine, wenn jemand keine Kritik üben dürfte, dann wären das die Vertreter von SPD und Grünen.
({3})
Die Linken haben nie regiert, und sie werden auch nie
regieren.
({4})
Man kann den Kollegen also keinen Vorwurf machen,
wenn sie nicht versucht haben, die Pharmaindustrie in
den Griff zu bekommen. Aber Sie haben eine Zeit lang regiert, und Sie haben rein gar nichts erreicht, wenn es darum geht, die Pharmapreise in irgendeiner Form in den
Griff zu bekommen. Erinnern wir uns nur daran, wie Frau
Fischer als grüne Gesundheitsministerin einmal versucht
hat, an die Pharmaindustrie heranzugehen. Herr Schröder
hat dann zu einer weinseligen Runde im Kanzleramt eingeladen, und herausgekommen sind 400 Millionen Euro.
Netto waren es 200 Millionen Euro. Selbst wenn Sie es in
D-Mark umrechnen würden, würden Sie nicht in Ansätzen an die 2 Milliarden herankommen, die diese Regierungskoalition allein in diesem und im nächsten Jahr der
Pharmaindustrie nimmt, um sie für die gesetzlich Versicherten zu sichern.
({5})
Wenn wir die Maßnahmen loben würden, dann wäre
das nicht überraschend; wir haben sie schließlich auf den
Weg gebracht. Aber dass sie offenbar wirken, erkennen
Sie daran, dass die private Krankenversicherung nicht
nur die gleichen, sondern dieselben Instrumente fordert,
die die gesetzliche Krankenversicherung hat, um die
Arzneimittelpreise zu kontrollieren. Ich halte es ausdrücklich für gerechtfertigt, diese Instrumente auf die
private Krankenversicherung zu übertragen. Man muss
sich schon sehr über Ihre Lesart der deutschen Gesundheitspolitik wundern.
Wir sagen zu Recht: Wir sind für mehr als 80 Millionen Versicherte in Deutschland verantwortlich und zuständig. Dazu gehören die 70 Millionen gesetzlich Versicherten, aber auch die über 8 Millionen privat versicherten Menschen. Auch das sind ganz normale Menschen,
zum Beispiel Beamte des einfachen und mittleren Dienstes. Es ist gerechtfertigt, dass diese Menschen genau dieselben Möglichkeiten der Kostenkontrolle bekommen
wie die Versicherten in der gesetzlichen Krankenversicherung.
({6})
Alle Maßnahmen, die wir auf den Weg bringen, sollen
ihren Beitrag zum Defizitausgleich für die Jahre 2011 und
2012 leisten. Vor allem aber geben sie uns Zeit für strukturelle Änderungen im Gesundheitssystem, um langfristig die Finanzierung stabilisieren zu können. Das ist Ihnen in den letzten Jahren eben nicht gelungen. Denn zu
Recht fordern die Menschen eine Entkopplung der
Krankenversicherungskosten von den Lohnzusatzkosten
({7})
und damit die Aufhebung der Konjunkturanfälligkeit,
wie wir sie in den Jahren 2008 und 2009 erleben mussten, sowie gleichzeitig den Einstieg in ein wettbewerblicheres System durch einkommensunabhängige Beiträge
und mehr Solidarität durch einen steuerfinanzierten Sozialausgleich.
Dass wir dazu bereit sind, erkennen Sie auch im
Einzelplan 15 schon bei den Haushaltsberatungen zum
Haushalt 2011. Denn anders als in der mittelfristigen Finanzplanung ausgewiesen, steigt der steuerliche Bundeszuschuss von 13,3 Milliarden Euro um 2 Milliarden Euro
auf 15,3 Milliarden Euro. Das ist zum einen für den Ausgleich gedacht, zum anderen ist es aber auch für den
steuerfinanzierten Sozialausgleich vorgesehen. Das zeigt,
dass die Menschen zu Recht fordern, dass wir das System der gesetzlichen Krankenversicherung stabilisieren.
Genau das wird diese Regierungskoalition für das Jahr
2011, aber auch für die Folgejahre auf den Weg bringen,
und zwar nicht nur für diese Legislaturperiode, sondern
weit darüber hinaus.
({8})
Auch wenn die Zahlen im System, die den eigentlichen Haushalt des Einzelplans 15 betreffen, nicht an die
Größenordnung von 15,3 Milliarden Euro herankommen, lohnt es sich, finde ich, sie in den Blick zu nehmen.
Obwohl wir die Sparvorgaben des Finanzministeriums
nicht nur erfüllt, sondern übererfüllt haben - Sie kennen
den Begriff „Plan übererfüllt“ -,
({9})
haben wir auch Ausgabensteigerungen in für uns wesentlichen und wichtigen Bereichen durchgesetzt, zum
Beispiel bei der Bekämpfung von Krebs. Auch bei der
Einführung der Versorgungsforschung - das ist, glaube
ich, ein wichtiges Thema - kennen wir uns zwar bei den
Einzeltherapien gut aus; aber beim Ineinandergreifen der
unterschiedlichen Therapien und Sektoren gibt es noch
einiges zu erforschen, wie auch in dem wichtigen Bereich Krankenhaushygiene. Hier geht es insbesondere
um die Frage der Bekämpfung von Arzneimittelresistenzen. Ich halte es ausdrücklich für richtig, dass man tragische Ereignisse, die sich aktuell abgespielt haben, nicht
nur kurzfristig in der Öffentlichkeit bedauert, sondern
langfristig Maßnahmen zur Verbesserung der Krankenhaushygiene ergreift.
Ich will mich ausdrücklich bei den Regierungsfraktionen bedanken, die nicht nur die Mittel dazu zur Verfügung stellen, sondern gleichzeitig bei dem wichtigen
Ziel, Resistenzen bundesweit und weltweit zu bekämpfen, auch Initiativen auf den Weg bringen, um die Länder mit ins Boot zu holen.
({10})
Abschließend möchte ich noch eine Ausgabe hervorheben, die zwar nur einen kleinen Etatansatz ausmacht, aber
politisch ungemein wichtig ist, und zwar 400 000 Euro
für die Verbesserung der Organspendebereitschaft in
Deutschland. Ich will nicht nur die Leistung von FrankWalter Steinmeier, sondern auch die Vorbildfunktion, die
er dadurch für Deutschland hat, persönlich ausdrücklich
anerkennen und mich an dieser Stelle bei ihm dafür bedanken,
({11})
dass dadurch das Thema Organspende auf die Tagesordnung gesetzt wurde. Dabei spielen nicht nur die von uns
finanzierten Kampagnen eine Rolle; vielmehr ist es in
der Gesundheitspolitik, die sich nicht nur mit Finanzierungsfragen beschäftigen darf, unsere gemeinsame Aufgabe, dafür zu sorgen, dass das wichtige Thema Organspende ernst genommen und ernsthaft diskutiert wird
und die Menschen in Deutschland entsprechend versorgt
werden. Auch das gehört zur Haushaltsberatung dazu;
denn es heißt nicht umsonst, dass Haushaltsberatungen
in Zahlen gegossene Politik sind. Politik heißt Stabilisierung der Systeme, aber auch Erfolge für die Menschen in
diesen Systemen.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({12})
Das Wort hat nun Kollege Karl Lauterbach für die
SPD-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zunächst
möchte ich im Namen meiner Fraktion darauf hinweisen: Wir werden uns gegenüber allen parteiübergreifenden Initiativen offen zeigen, die zum Ziel haben, bei der
Organspende die bestehenden Verfahren zu verbessern.
({0})
Wir werden auf Gruppenanträge hinarbeiten. Hier darf
Parteipolitik keinen Platz haben. Hier müssen die Effizienz und die Qualität im System verbessert werden. Wir
werden unseren Beitrag dazu leisten. Auch bei der
Krankenhaushygiene müssen wir zu übergreifenden
Lösungen kommen. Bund und Länder müssen zusammenarbeiten.
Ich komme zum eigentlichen Thema. Der Minister
hat die Haushaltsdebatte verbreitert und über die Strukturpolitik und die Reformen der letzten Jahre gesprochen. Ich war überrascht, zu sehen, dass die Union die
Kritik an den eigenen Gesetzen beklatscht hat. Zum
Schluss ist das Ihre Entscheidung. Aber ich glaube, dass
alles, was wir - auch in der Großen Koalition - gemacht
haben, im Vergleich zu dem, was wir heute beobachten,
noch feines Handwerk gewesen ist.
({1})
Ich will versuchen, das zu begründen und darzulegen.
Was beobachten wir derzeit? Wir sehen eine breite Kritik
an der Art und Weise, wie Politik funktioniert: Stuttgart 21 und die Atommauscheleien der Bundeskanzlerin.
Die Bürger sind der Meinung, dass die Politik das, was
sie wünschen, nicht komplett umsetzt. Wir sehen das
derzeit nirgendwo klarer als in der Gesundheitspolitik.
Was will der Bürger beispielsweise in der Arzneimittelpolitik? Der Bürger will sichere und preiswertere Arzneimittel. Er hat auch recht. Wir lesen im Arzneiverordnungs-Report erneut, dass mehr als 9 Milliarden Euro
pro Jahr bei gleichwertiger Versorgung gespart werden
könnten, wenn die Preise in Deutschland genauso niedrig wären wie in Schweden. Aber die Preise in Deutschland sind höher. Was legt denn der Minister vor, um die
Preise zu senken? Wir sehen erst einmal Ausnahmeregelungen. Bei seltenen Arzneimitteln und seltenen Krankheiten soll die Kosten-Nutzen-Relation überhaupt nicht
geprüft werden, egal wie teuer die Medikamente sind. Es
soll zahlreiche Ausnahmen für kleine Bereiche geben.
Wer definiert, was ein kleiner Bereich ist? Die KostenNutzen-Prüfung soll nach einer Rechtsverordnung
durchgeführt werden, die vom Ministerium selbst
kommt. Hier ist die Staatsmedizin vom Ministerium vorgeschlagen, um der Arzneimittelindustrie einen Gefallen
tun zu können.
({2})
Ich bitte Sie: Machen wir uns nichts vor! Worauf wird
das hinauslaufen? Das wird darauf hinauslaufen, dass
die Preise weiter steigen und nicht sinken.
({3})
Herr Singhammer hat bereits in einem Interview in einer
Offenheit, für die man schon fast danken muss, gesagt,
dass andere Aspekte wie Erfahrungen mit der Anwendung von Arzneimitteln berücksichtigt werden sollen.
Genau das sind die Vorschläge des VFA; das sind die
Vorschläge der Lobbygruppen im System. Daher hat es
mich gar nicht überrascht, dass hier vom Verband Forschender Arzneimittelhersteller abgeschrieben wurde.
({4})
Das ist eine neue Qualität der Lobbypolitik. Die Vorschläge werden nicht übernommen, sondern abgeschrieben. Der Staatssekretär Bahr, dem man das wirklich
nicht gönnt, musste vor der Presse und in der Öffentlichkeit argumentieren, die Lobbygruppe habe beim Minister abgeschrieben und habe ihm einen Formulierungsvorschlag vorgelegt, den man zuvor beim Minister
abgeschrieben habe. Aber weshalb legt man dem Minis5962
ter vor, was man bei ihm selber abgeschrieben hat? Kein
Schüler lügt so plump.
({5})
Das ist so ähnlich, wie wenn der Schüler sagt, der Lehrer
habe bei ihm abgeschrieben.
({6})
Angesichts dessen muss man sich Sorgen um die Qualität der Pressearbeit im Haus machen. Man muss tatsächlich darüber nachdenken, ob die Pressestelle der
Aufgabe noch gewachsen ist oder eher zur Politikverdrossenheit beiträgt. Wenigstens die Art und Weise, wie
der Bürger an der Nase herumgeführt wird, sollte eine
gewisse Qualität haben, wenn schon die Gesetze keine
haben; das ist die Wahrheit.
({7})
Herr Spahn, die Wahrheit ist die folgende: Es sind die
Vorschläge, die der Verband Forschender Arzneimittelhersteller schon vor Jahren auch uns vorgetragen hat, als
wir in der Großen Koalition waren. Es sind die alten
Vorschläge. Es ist alter Wein in neuen Schläuchen.
({8})
Es ist Klientelpolitik pur, ohne Ausnahme. Es ist für den
Verbraucher kein Gewinn, wenn er erfährt: Ich konnte
zwar den Nutzen des Medikaments nicht für Sie prüfen,
aber es ist immerhin eine seltene Krankheit. - Was hat
der Bürger davon?
({9})
Überlegen Sie sich: Mit welcher Begründung werden die
Kosten-Nutzen-Prüfung und die Nutzenprüfung ausgesetzt, wenn die Krankheit selten ist? Wer definiert, was
eine Ausnahme ist? - Wir brauchen eine ehrliche und
transparente Kosten-Nutzen-Bewertung, ohne Ausnahmen, ohne Wenn und Aber, von Wissenschaftlern vorgenommen, und nicht eine gesundheitspolitische Bewertung von Minister Rösler oder seinen Mannen.
({10})
Ich komme zum Bereich der privaten Krankenversicherung. Hier muss man sagen, dass die Entbürokratisierung und die Herstellung von Transparenz bei der
Lobbypolitik tatsächlich stattgefunden haben. Da wurde
das Ganze zusammengebracht. Es wird nicht von den
Lobbyisten abgeschrieben; der Lobbyist arbeitet im
Ministerium. Herr Weber von der privaten Assekuranz
ist im Haus auf Staatskosten eingestellt; daher muss
nicht abgeschrieben werden, und die Vorschläge sind
entsprechend. Das hören Sie ungern, aber es ist so. Das
sind die Vorschläge der privaten Assekuranz, die Sie hier
umsetzen.
Wir sehen Rosinenpickerei: Schon nach einem Jahr
mit einem besseren Verdienst kann der junge Gesunde
das System und die gesetzliche Krankenversicherung
verlassen. Das ist der Vorschlag der privaten Krankenversicherung, den Sie zum Gesetz machen. Die Versicherungspflichtgrenze wird herabgesetzt, sodass der
Wechsel schneller vonstatten geht, und alle Zusatzversicherungen können nur noch durch die privaten Krankenversicherungen selbst angeboten werden. Der Wettbewerb wird eingeschränkt. Das ist Lobbypolitik pur. Das
sind genau die Vorschläge der privaten Assekuranz. Daher muss man sich nicht wundern, wenn man als das gesehen wird, was man ist: eine kleine Klientelpartei, die
nicht die Interessen der Bürger vertritt.
({11})
Ehrlich gesagt, ist das auch kein großer Wurf für die
CDU/CSU, denn der CDU/CSU wird dies mittelfristig
mehr schaden als der FDP. Von der FDP wird eine Politik zugunsten der Privatversicherten erwartet, aber von
Ihnen nicht, meine sehr verehrten Damen und Herren.
Sie treten als Volkspartei auf, vertreten aber die Interessen einer kleinen privilegierten Gruppe und wollen das
als Politik fürs Volk verkaufen. Damit kommen Sie nicht
durch.
({12})
Ich will dazu ein Beispiel bringen: Wenn
100 000 junge Menschen zusätzlich in das private System wechseln, dann werden der gesetzlichen Krankenversicherung pro Jahr 600 Millionen Euro fehlen. Mehr
als eine halbe Milliarde Euro wird fehlen. Dieses fehlende Geld wird in Beitragssatzerhöhungen und in Zusatzbeiträgen münden, die Sie vornehm „einkommensunabhängige Zusatzprämie“ nennen. Dieses Geld wird
im System fehlen; das ist das Resultat der Klientelpolitik. Die Klientelpolitik geht zulasten von 90 Prozent der
Beschäftigten, von 90 Prozent der Versicherten.
({13})
Dafür werden diese bürgerliche Koalition und die Regierung die Quittung bekommen.
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
({14})
Das Wort zu einer Kurzintervention erteile ich dem
Kollegen Daniel Bahr.
Lieber Herr Kollege Lauterbach, Sie haben in Ihrer
Rede kurz zu dem Vorwurf in der Frage Stellung bezogen, ob das Ministerium vom Verband Forschender Arzneimittelhersteller abgeschrieben habe oder nicht. Man
muss sich vielleicht die Zeit nehmen, die beiden Papiere
Daniel Bahr ({0})
nebeneinander zu legen. Man wird dann sehr genau
sehen, dass der Vorwurf nicht zutrifft. Der Verband Forschender Arzneimittelhersteller hat in der Tat einen Formulierungsvorschlag vorgelegt, und zwar für eine Verordnung, die im Bundesgesundheitsministerium noch
gar nicht erarbeitet wurde. Hier gibt es noch gar keinen
Entwurf, also konnten wir auch nirgendwo anders abschreiben.
({1})
In diesem Vorschlag wird aber auf die Formulierung
Bezug genommen, die schon im Gesetzentwurf vom
Juni stand. Hier haben die Journalisten in der Tat verglichen. Sie dachten, der eine hätte vom anderen abgeschrieben. Es ist vielleicht so, dass andere Journalisten
gern von einer Falschmeldung abschreiben.
Ich will Ihnen aber auch in der Sache begründen, warum das völliger Unsinn ist. Wir machen ein Arzneipaket, dessen Ziel es ist, dass die Ausgaben sinken.
Glauben Sie ernsthaft, dass wir bei einem solchen Paket
mit diesem Ziel ein Interesse daran haben könnten, dass
nachher ein pharmafreundlicher Weg eingeschlagen
wird, auf dem den Pharmaunternehmen Gewinne erleichtert werden?
({2})
Zweitens. Was haben wir konkret vorgesehen? Sie haben das kritisiert. Wir sehen vor, dass diese Verordnung
vom Bundesministerium für Gesundheit erarbeitet wird.
Das ist übrigens ein Verfahren, das auch in unseren
Nachbarländern üblich ist; denken Sie an Großbritannien
und Frankreich. Die SPD hat, als wir über die KostenNutzen-Bewertung und die Nutzenbewertung diskutiert
haben, was sehr lange gedauert hat - Sie werden sich daran erinnern; denn Sie haben das kritisiert -, gesagt, dass
es besser sei, wenn das Bundesministerium für Gesundheit die Kriterien vorgebe, damit der Prozess schnell in
Gang komme. Weil genau das unser Interesse ist - wir
haben aus den Erfahrungen anderer Länder gelernt -, haben wir es für besser gehalten, dass das Bundesministerium für Gesundheit diese Verordnung formuliert. Diese
wird in den nächsten Monaten erarbeitet. Sie können
dann vergleichen, wer von wem abgeschrieben hat. Sie
können die Verordnung danach beurteilen, ob sie gut ist
oder nicht.
Wir haben überhaupt kein Interesse daran, mit diesen
Maßnahmen die Arzneimittelausgaben steigen zu lassen
und etwas vermeintlich Pharmafreundliches zu tun. Wir
haben einen Herstellerrabatt in einer ungewöhnlichen
Höhe vorgesehen, was Sie sich damals nicht getraut haben. Wir sorgen dafür, dass das einseitige Preisdiktat der
Pharmaindustrie der Vergangenheit angehört und wir einen wirklichen Preiswettbewerb bekommen. Setzen Sie
also nicht solche unglaublichen Behauptungen in die
Welt, die den Tatsachen nicht entsprechen!
Danke für die Aufmerksamkeit.
({3})
Das Wort zur Reaktion hat Kollege Lauterbach.
Mit der Kritik an den Journalisten wäre ich sehr vorsichtig. Ich glaube nicht, dass ein Journalist zwei Texte,
die nebeneinander liegen und deren Wortlaut er vergleichen kann, missversteht. So dumm ist kein Journalist.
({0})
Sie, Herr Bahr, führen aus, dass Sie Geld sparen wollen. Wir lesen aber nur von Ausnahmeregelungen. Es
gibt Ausnahmeregelungen für seltene Erkrankungen, deren Behandlung sehr teuer sein kann. Ich nenne Ihnen
ein Beispiel. Die rheumatischen Erkrankungen sind relativ seltene Erkrankungen. Lupus ist zum Beispiel eine
seltene Erkrankung. Das Medikament zur Behandlung
dieser Krankheit kostet aber fast 100 000 Euro pro Jahr.
Die Vorschläge der Pharmaindustrie gehen in diese
Richtung. Sie können doch den Vorwurf nicht ausräumen, dass die Vorschläge der Pharmaindustrie, die sich
in Ihrem Gesetzentwurf wiederfinden, letztendlich das
Sparpaket belasten werden.
Ich habe vorhin Herrn Singhammer zitiert. Herr
Singhammer selbst sagt, dass die Anwendungserfahrungen mit dem Medikament berücksichtigt werden sollen.
Das ist genau das, was die Pharmaindustrie wünscht. Es
soll nicht streng geprüft werden, ob ein Medikament
wirkt, sondern festgestellt werden, welche Erfahrung der
Arzt mit der Anwendung hat. Darauf läuft Ihr Vorschlag
hinaus.
Daher sage ich voraus - ich würde mich freuen, wenn
es anders käme -, dass das keine Einsparungen bringen
wird. Sie können nicht davon ausgehen, dass Sie Einsparungen erzielen, wenn Sie die Wünsche der Pharmaindustrie zum Gesetz machen.
({1})
Das Wort hat nun Kollege Johannes Singhammer für
die CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir in der christlich-liberalen Koalition haben die
Versorgung von 70 Millionen gesetzlich Krankenversicherten und fast 10 Millionen privat Versicherten wieder
auf eine sichere, feste und nachhaltige finanzielle
Grundlage gestellt.
({0})
Wir haben mit den massivsten Einsparungen bei den
Ausgaben für Arzneimittel seit Bestehen der Bundesrepublik Deutschland erstmals einen Gesamtsparbetrag
von 2 Milliarden Euro erzielt. Gleichzeitig haben wir sichergestellt, dass die Patientinnen und Patienten in
Deutschland mit den besten und nicht mit den zweitbesten Arzneimitteln und Therapien versorgt werden.
Vor vier Monaten - vielleicht erinnert sich der eine
oder andere daran - gab es eine große öffentliche Diskussion über ein abgrundtiefes Finanzloch in der gesetzlichen Krankenversicherung. Man sprach von einem
Schlund geradezu apokalyptischen Ausmaßes, der die
gesetzliche Krankenversicherung zu verschlingen
drohte. Heute wissen wir, dass die gesetzliche Krankenversicherung auf einem sicheren Fundament steht und
die Einnahmen und Ausgaben im Gleichgewicht sind.
Wir haben das mit einer gerechten, durchdachten und zukunftsweisenden Neuausrichtung des Gesundheitswesens, mit effizienten Sparmaßnahmen, aber auch mit
einer ausgewogenen Beteiligung aller Partner an den
Kosten erreicht.
Mit dem Arzneimittelmarktneuordnungsgesetz wird
allein jedes versicherte Mitglied in der gesetzlichen
Krankenversicherung im kommenden Jahr, 2011, um
40 Euro entlastet. Dazu kommt eine Reihe weiterer
Sparmaßnahmen, deren Wirkungen in diesem Betrag
noch gar nicht eingerechnet sind, zum Beispiel 300 Millionen Euro durch günstigere Impfstoffe, 400 Millionen
Euro durch günstigere Bedingungen im Pharmagroßhandel. Zu nennen sind auch andere Bereiche, etwa
300 Millionen Euro durch geringere Verwaltungskosten
bei den Krankenkassen. Das heißt, es ist nicht nur über
Sparen geredet worden, sondern nachprüfbar kommen
bei jedem versicherten Mitglied in der gesetzlichen
Krankenversicherung die Einsparungen im kommenden
Jahr an.
({1})
Aber wir bleiben nicht beim Sparen stehen. Wir wollen, dass diese Diskussion einmal im Jahr über eine Welle
von Steigerungen und Preiserhöhungen nicht mehr in dieser Regelmäßigkeit stattfindet. Deshalb muss künftig der
zusätzliche Nutzen von neuen Medikamenten nachgewiesen werden. Deshalb verändern wir die Grundstruktur, sodass für neue Arzneimittel nur dann ein höherer
Preis gezahlt werden kann, wenn auch ein tatsächlicher,
nachgewiesener zusätzlicher Nutzen für den Patienten
besteht. Ein gleicher Nutzen im Medikamentenbereich
reicht nicht, sondern das Medikament muss besser wirken, schneller wirken, hilfreicher sein.
Früher - das darf ich hier auch einmal sagen - galt
Deutschland als die Apotheke für die Welt. Wir wollen,
dass zu Medikamenten, vor allem den neuesten, den innovativsten, den besten, auch denjenigen, die am teuersten zu entwickeln sind, Forschung und Produktion wieder vermehrt in Deutschland stattfinden. Wer das nicht
will, wer etwas dagegen hat, soll sich hier melden. Wir
wollen, dass die Arbeitsplätze in Deutschland bleiben
und teure Medikamente nicht importiert werden müssen.
Im Mittelpunkt der Neuregelung des Arzneimittelmarkts steht deshalb eine faire, verlässliche und wettbewerbliche Verhandlungslösung über Arzneimittelpreise.
Die Abläufe zur Nutzenbewertung müssen transparent
sein. Deshalb haben wir uns in der Koalition darauf verständigt, eine Verordnungsermächtigung für das Bundesministerium vorzusehen. Die Grundsätze des Bewertungsverfahrens sollen darin geregelt werden; sie sind es
noch nicht, aber sie werden es. Auf der Grundlage von
Transparenz werden Fristen, Übergangsregelungen, alles, was man in diesem Zusammenhang braucht, darin
geregelt.
Jetzt komme ich zu Ihnen, Herr Kollege Lauterbach.
Wider besseres Wissen haben Sie hier wiederum den
Eindruck zu erwecken versucht, als sei das ein besonderes Einknicken vor der Pharmalobby.
({2})
Herr Kollege Lauterbach, glauben Sie wirklich, dass
eine Koalition, die wie keine andere Zwangsrabatte,
Preismoratorien erlassen hat - keineswegs zum allgemeinen Beifall dieser Industriebranche; keiner hätte das
in dieser Höhe erwartet -, weich wie eine Mittelmeerqualle auf die Pharmalobby reagiert? Doch bestimmt
nicht! Wir tun nicht der Pharmalobby einen Gefallen,
sondern es sind die Patientinnen und Patienten, denen
wir einen Gefallen tun wollen.
({3})
Wie soll das Verfahren denn anders ablaufen? Auch
das muss man einmal feststellen: Die Alternative ist,
dass der Gemeinsame Bundesausschuss sich eine Verfahrensordnung gibt, die später durch das Ministerium
genehmigt wird. Das dauert. Das wird dadurch nicht besser. Besser, schneller, berechenbarer ist eine Verordnung
durch das Ministerium. Wir wollen erreichen, dass eine
solche Verordnung zeitgleich mit dem Arzneimittelmarktneuordnungsgesetz zum 1. Januar in Kraft tritt; dabei ist nichts Anstößiges.
({4})
Darüber begrenzen wir aber auch die vorhergesagten
Ausgabensteigerungen in den anderen Bereichen im Gesundheitswesen. Lassen Sie mich jetzt ganz klar sagen:
Anders als bei den Arzneimitteln, wo wirklich Einschnitte und Einsparmaßnahmen verfügt werden, wo es
Rückgänge gibt, wird den Ärzten und Krankenhäusern
nichts weggenommen.
Die Zuwächse können nicht so fortgesetzt werden,
wie es in den vergangenen Jahren war, aber es gibt keine
Einschnitte, keine Nullrunden, keine Rückgänge. Das ist
auch richtig und notwendig; denn bei den Krankenhäusern liegt der Personalkostenanteil beispielsweise bei
über 60 Prozent. Wir wollen den Krankenschwestern,
die die Patienten gut und aufopferungsvoll versorgen,
nicht den Lohn kürzen.
({5})
Deshalb gibt es hier Zuwächse. Zu denen stehen wir
auch.
({6})
Ein weiteres unserer Ziele ist eine gerechte Honorarverteilung bei den Ärzten. Dazu sind Summen von bis zu
1 Milliarde Euro vorgesehen. Wir werden - das sage ich
zu - auf gerechte Verteilung dieser Zuwächse achten, damit nicht der Fall eintritt, dass einige Länder völlig leer
ausgehen.
Wir wollen auch einen Vertrauensschutz für Hausarztverträge. Wir haben erst vor zwei Jahren die heute
geltende Regelung zur hausarztzentrierten Versorgung
beschlossen. Damit haben wir den Vertragspartnern,
Krankenkassen und Hausärzten, Möglichkeiten eröffnet, die noch nicht vollständig ausgeschöpft sind. Vertrauensschutz heißt, der Gesetzgeber darf nicht eine gerade eingeführte Neuregelung, die mit Freiheiten für die
Vertragspartner verbunden ist, wieder abschaffen, ohne
dass deren Effekte und Ergebnisse genau bewertbar sind.
Wir haben uns damals bei der Einführung der gesetzlichen Regelung zur hausarztzentrierten Versorgung vorgenommen, drei Jahre abzuwarten, um den Hausarztverträgen die Möglichkeit zu geben, sich zu bewähren und
ihre Vorteile auszuspielen. Diese Zeit sollten wir auch
tatsächlich abwarten.
Wir verbessern auch die Einnahmeseite. Das heißt,
der Beitragssatz wird das Niveau erreichen, das er bereits am 1. Januar 2009 erreicht hatte. Die anteilig von
Arbeitgebern und Arbeitnehmern zu zahlende Beitragserhöhung um 0,3 Prozentpunkte entspricht also exakt der
Differenz zwischen dem heutigen Beitragssatz und dem
Beitragssatz, der vor der Wirtschaftskrise erhoben wurde.
Durch den Einsatz von Steuermilliarden haben wir damals den Beitragssatz verringert.
({7})
Dieser Einsatz von Steuermitteln kann aber nicht unbegrenzt fortgesetzt werden. Deshalb kehren wir wieder zu
dem ursprünglichen Beitragssatz zurück. Das ist auch
sinnvoll, weil wir damit einen dauerhaften Plafond bilden, mit dem alle planen können.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir haben in
den Gesetzen, die wir noch in diesem Jahr verabschieden
werden, auch neue Weichenstellungen vorgesehen,
durch die unser Gesundheitssystem dauerhaft gesichert
wird. Dazu zählt beispielsweise die Einführung eines
Zusatzbeitrages. Diesem Zusatzbeitrag kommt insbesondere eine Wettbewerbsfunktion zu: Die festen Beitragssätze, die in der Vergangenheit politisch festgelegt wurden, können jetzt nämlich durch Zusatzbeiträge von den
Krankenkassen individuell variiert werden; das heißt,
Kassen, die gut wirtschaften, werden keinen Zusatzbeitrag erheben müssen, während Kassen, die weniger gut
wirtschaften, diesen erheben können. Sie müssen sich allerdings angesichts der Wechselbereitschaft der Patientinnen und Patienten gut überlegen, ob sie tatsächlich einen solchen Weg einschlagen wollen.
Zu den Neuerungen zählt auch die Einführung eines
Sozialausgleichs. Bei Versicherten mit geringen Einkommen wird der Zusatzbeitrag durch eine Absenkung
des Arbeitnehmerbeitrags ausgeglichen.
Wir wollen durch diese Neuregelungen möglichst wenig zusätzlichen Bürokratismus erzeugen. Ich bin mir sicher, dass wir das erreichen werden.
Abgerundet wird die Einnahmeseite durch den Steuerzahler: Die Solidargemeinschaft der Steuerzahler trägt
15,4 Milliarden Euro bei. Das ist ein beträchtlicher solidarischer Beitrag für die Säule der gesetzlichen Krankenversicherung.
Dank dieses Dreiklangs aus Sparen, Verbesserung der
Einnahmeseite und Solidarausgleich sind wir wieder auf
einem sicheren Weg; wir müssen nicht mehr ständig
bangen, wie sich die Lage der gesetzlichen Krankenversicherung in Deutschland in den nächsten Monaten entwickelt.
Deshalb können wir - das ist die entscheidende, wichtige Botschaft an die Versicherten und Patienten - Folgendes feststellen: Unser Gesundheitswesen hat keine
finanzielle Schräglage, sondern ein sicheres Fundament.
Wir ermöglichen den Menschen einen direkten Zugang
zu den Gesundheitsleistungen, und zwar auf einem Spitzenniveau, wie es nur wenige Länder in der Welt aufweisen.
Mit dieser Politik erreichen wir auch eine Nachhaltigkeit.
Wir werden der Verantwortung für künftige Generationen gerecht und hinterlassen keinen Schuldenberg.
Danke schön.
({8})
Das Wort hat nun Martina Bunge für die Fraktion Die
Linke.
({0})
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!
Wir merken es an der Debatte: Die Musik im Gesundheitssystem spielt nicht im Bundeshaushalt bzw. im Einzelplan Gesundheit mit seinen rund 15,5 Milliarden Euro.
Die Musik spielt mit rund 150 Milliarden Euro in der Beitragsgestaltung für die Krankenkassen. Das sieht man
heute hier deutlich. Die Klaviatur für diese Musik nutzen
Sie weidlich, Herr Minister. Sie nutzen Sie für Ihre Interessen und für die Interessen Ihrer Klientel. Am liebsten
würden Sie das Parlament ganz außen vorlassen.
({0})
Zu Beginn der Legislaturperiode wurde eine im Geheimen tagende Reformkommission ausgerufen.
({1})
Wo ist eigentlich Ihre Reformkommission? Komischerweise war diese nach der Nordrhein-Westfalen-Wahl im
Mai wie vom Erdboden verschluckt.
({2})
Ach ja! Sie hatte ihre Verschleierungsrolle gespielt. Dann
gab es Diskussionspapiere, die Sie Ihnen nahestehenden
Pressevertretern zugespielt haben, damit diese wohlwol5966
lend berichten konnten, und zwar bevor ein im Parlament
Tätiger je kritisch darauf hätte gucken und sich dazu hätte
äußern können. Dann folgten Referentenentwürfe unter
Aussparung des Parlaments. Ich darf Sie erinnern: Das
Parlament ist der Gesetzgeber.
({3})
In dem Zeitplan, den wir gestern zugespielt bekommen haben, geben Sie uns gönnerhaft ganze acht Wochen, um das gesamte Verfahren bis zum Herbst zu regeln.
({4})
Diese Regierung übt sich in Demokratielosigkeit ohnegleichen,
({5})
und zwar aus Mutlosigkeit, sich dieser unsozialen Politik
auf demokratische Weise zu stellen und sich mit ihr auseinanderzusetzen.
({6})
Zutiefst unsozial ist das Machwerk, das Sie im Gesetzentwurf, den wir offensichtlich noch nicht kennen,
festschreiben.
({7})
Sie schreiben fest, alle künftigen Kostensteigerungen allein die Versicherten tragen zu lassen. Mit 8,2 Prozent
schaffen Sie nicht den alten Beitrag, Kollege Singhammer;
denn man kann 2 Prozent dazurechnen. Das ist der
höchste Beitrag aller Zeiten. Durch die höheren Belastungen haben die Versicherten weniger statt mehr Netto vom
Brutto.
({8})
Es handelt sich hier wirklich um Wahlbetrug. Denn
Sie haben gesagt: Eigentlich sollte es mehr Netto werden. Außerdem konstruieren Sie eine Belastungsschieflage hin zu den kleinen Einkommen. Diese werden am
meisten geschröpft. Das alles ist zutiefst unsozial. Sie
aber setzen dem Ganzen noch einen drauf, indem Sie
den sogenannten Sozialausgleich nicht über den Bundeshaushalt decken. Ewig haben Sie gepredigt, dass er aus
Steuermitteln gedeckt werden soll. Sie decken ihn aber
mit der Liquiditätsreserve des Gesundheitsfonds. Ich
möchte Sie nur daran erinnern, dass Reserve im Volksmund bedeutet, etwas zurückzulegen, um für die Unbilden des Lebens gewappnet zu sein. Die Einführung der
Kopfpauschale durch die Hintertür ist aber in der Tat
eine Unbilde für die Zukunft der solidarischen Versicherung.
({9})
Das berechtigt Sie noch lange nicht, die Liquiditätsreserve zu plündern. Sie suchen sich diesen Weg bloß, weil
Sie Ihre Wünsche beim Finanzminister nicht durchbekommen.
({10})
Mit der verdeckten Kopfpauschale bauen Sie eine
Zeitbombe. Im Jahr 2011 wird es noch nicht so schlimm
werden; denn da haben Sie erst einmal die Beiträge erhöht. Sie bauen aber eine Zeitbombe, die in den nächsten
Jahren richtig explodieren wird. Allerdings sagen Sie
den Menschen nicht die Wahrheit. Sie wollen Ihr Gesicht
als Koalitionäre wahren. Sie haben nicht den Mut, es offen zu sagen. Sie gehen durch die Hintertür.
Die Arbeitgeber werden mit fadenscheinigen Argumenten von den Belastungen ausgespart. Ihre Begründungen für die Reformideen beruhen alle auf halbwahren
und ungeprüften Aussagen. Sie behaupten, die steigenden
Beiträge für die Arbeitgeber kosten Arbeitsplätze. Sie
verschweigen aber, dass die sinkende Kaufkraft im Land,
die durch die einseitige Belastung der Versicherten verursacht wird, erst recht Arbeitsplätze kostet. Das ist unseriös.
({11})
Sie behaupten, dass die Beiträge wegen des medizinischen Fortschritts und der Alterung der Gesellschaft steigen. Sie verschweigen aber, dass die Beiträge vor allem
wegen der seit Jahren sinkenden Arbeitseinkommen und
der Ausweitung des Niedriglohnsektors steigen. Höhere
Löhne und Mindestlöhne oder die Einbeziehung aller
Einkommen durch eine solidarische Versicherung müssten Ihre Forderung sein. Unsere Vorschläge für eine solidarische Bürgerinnen-und-Bürger-Versicherung liegen
vor. Da könnten Sie einmal hineingucken.
({12})
Sie verschweigen, dass man durch eine richtig gute
Gesundheitsförderung den durch die älter werdende Bevölkerung verursachten Kostensteigerungen entgegenwirken kann. Dadurch wird quasi gratis eine bessere Lebensqualität geschaffen. Dazu finden sich weder Ansätze
im vorliegenden Bundeshaushalt noch Aussagen in Ihrem Reformmachwerk. Diese Regierung hat keine Idee,
kein Konzept, das wirklich zukunftsfähig ist. Das Herz
von Schwarz-Gelb schlägt eindeutig für die Privatversicherungen und die Privatversicherten. Das wird mit uns
nicht zu machen sein.
Danke schön.
({13})
Das Wort hat nun Birgitt Bender für die Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren!
Die neue Regierung ist angetreten, damit im deutschen Gesundheitssystem endlich etwas passiert
und es endlich sozial gerecht wird. Das werden wir
auch einhalten.
Dieses Zitat stammt von Ihnen, Herr Minister. Versprochen haben Sie, Politik für 80 Millionen Versicherte
zu machen und die gesetzliche Krankenversicherung zu
stärken. Sie wollten das Krankenversicherungssystem
gerechter machen. Mehr Steuern ins System sollte das
Mittel dazu sein. Schließlich haben Sie uns angekündigt,
Sie wollten das Preismonopol der Pharmaindustrie brechen.
Was ist geschehen? Ist das System gerechter geworden? Nein, Sie frieren den Arbeitgeberbeitrag ein. Hätte
man das bereits im Jahr 2007 gemacht, dann würde der
Zusatzbeitrag für die Versicherten heute bereits bei
33 Euro im Monat oder 400 Euro im Jahr liegen. Daran
kann man sehen, welche Kostensteigerung auf die Versicherten zukommt. Das ist eben nicht sozial gerecht, sondern das Gegenteil.
({0})
Sie führen die Zusatzbeiträge ein und haben einen Sozialausgleich versprochen. Aber bereits bei einem Einkommen von 1 000 Euro erhält derjenige, der 20 Euro
Zusatzbeitrag zu zahlen hat, keinen Sozialausgleich.
Herr Minister, was soll denn daran gerecht sein? Mehr
Netto vom Brutto gibt es bei der FDP nur für die Hoteliers. Für die gesetzlich Versicherten heißt es immer:
draufzahlen.
({1})
Es gab auch das Versprechen, mehr Steuern ins System zu bringen. Mehr Steuern im nächsten Jahr für den
Gesundheitsfonds? Dass ich nicht lache. Zwar steigt
der reguläre Bundeszuschuss. Aber da der einmalige Zuschuss aus dem Jahre 2010 im kommenden Jahr nicht
mehr 3,9 Milliarden Euro, sondern nur noch 2 Milliarden beträgt, gibt es netto - so viel können Sie auch rechnen, Frau Flach - 400 Millionen Euro weniger an Steuern in den Gesundheitsfonds. Das ist nicht mehr, sondern
weniger.
({2})
Dementsprechend wird der mickrige Sozialausgleich
auch nicht aus Steuermitteln bezahlt, sondern direkt aus
der Liquiditätsreserve des Gesundheitsfonds. Das heißt
nichts anderes als: aus den Beiträgen der Versicherten.
Das widerspricht Ihrem Versprechen und ist in gar keiner
Weise gerecht.
Der Sozialausgleich sollte im Übrigen auch automatisiert sein. Wie sieht es aus? Nein, die Arbeitgeber müssen rechnen und ihn durchführen. Schließlich ist dazu
aus Ihrer Sicht auch noch notwendig, dass das Ministerium den durchschnittlichen Zusatzbeitrag par ordre du
mufti festlegt. Auch damit schaffen Sie mehr Bürokratie,
mehr Zentralismus.
Ich erinnere mich an die letzte Legislaturperiode, als
Ihr heutiger Staatssekretär, der damalige gesundheitspolitische Sprecher der FDP, Kollege Daniel Bahr,
({3})
die Ministerin Ulla Schmidt immer mit dem Vorwurf der
Staatsfixierung und der Staatsmedizin attackiert hat.
({4})
Herr Staatssekretär, da kann ich nur sagen: Staatsmedizin kann der gelbe Minister besser.
({5})
Weiter zum Thema Gerechtigkeit. Ihr politisches
Sponsorship für die private Krankenversicherung verträgt sich nicht mit dem Grundsatz der Gerechtigkeit. Es
wäre gerecht, wenn man die PKV am Finanzausgleich
beteiligen und das Zusammenwachsen der Systeme organisieren würde. Stattdessen gibt es für die Besserverdienenden einen Freifahrtschein für die Flucht aus der
gesetzlichen Krankenversicherung. Nach einem Jahr
dürfen sie die Versicherung wieder wechseln, und das
obwohl die Versicherungspflichtgrenze im nächsten Jahr
auch noch sinken wird. Das kostet die GKV 500 Millionen Euro.
({6})
Im Übrigen wollen Sie der PKV das Monopol für die Zusatzversicherungen zuschanzen. Damit verliert die GKV
auch wieder Geld; sie rechnet mit 250 Millionen Euro
weniger. Schließlich kriegt die PKV die neue Preisregulierung für Arzneimittel einfach geschenkt, ohne dass sie
etwas dafür tut.
({7})
Jetzt sagen Sie mir bloß nicht, das sei eine Systemangleichung! Eine Systemangleichung ist notwendig, aber
sie fängt bei den Finanzen an. Die PKV muss dann auch
Kranke aufnehmen und versorgen.
({8})
Sie muss sich dann auch an der Finanzierung der
Qualitätssicherung und der Selbsthilfe beteiligen. Sie
kann sich dann nicht nur die Rosinen herauspicken.
({9})
Herr Minister, Sie haben ein weiteres Versprechen gemacht: Sie wollten das Preismonopol der Pharmaindustrie brechen.
({10})
Wir stellen fest, dass nach Ihrem Gesetzentwurf im ersten Jahr immer noch freie Preisbildung herrscht und die
Kassen erst einmal die Behandlung finanzieren müssen.
({11})
Das gibt der Pharmaindustrie Zeit, durch Festlegung des
Einstiegspreises und durch ein Jahr ordentlicher Marketingmaßnahmen ihre Verhandlungsposition zu stärken.
Ob das zu niedrigeren Arzneimittelpreisen führt, ist
höchst fraglich.
Jetzt wollen Sie auch noch, wie wir schon gehört haben, per Verordnung aus dem Ministerium Vorgaben für
die Kosten-Nutzen-Bewertung machen. Ich habe jetzt
nicht vor, in eine Beweisaufnahme einzutreten, wer da
von wem abgeschrieben hat.
({12})
Aber es ist einfach so: Man sieht Herrn Singhammer im
Fernsehen, wo er sagt, man müsse schließlich auch die
Standortinteressen der Pharmaindustrie berücksichtigen.
Herr Singhammer, da sage ich Ihnen: Wenn man die
Standortinteressen der Pharmaindustrie berücksichtigen
will, dann muss man für Rahmenbedingungen eintreten,
die tatsächlich zu echten Innovationen bei fairen Preisen
führen. Auch das ist nämlich im Standortinteresse der
Pharmaindustrie.
({13})
Man darf aber nicht in die fachliche Bewertung des Zusatznutzens hineinpfuschen.
({14})
Herr Minister, es ist schon interessant, dass Sie den
Krankenkassen wieder einmal nicht die Aufgabe der
Selbstverwaltung zutrauen, sondern auch hier zum Regulierungsinstrument einer Verordnung greifen.
({15})
Wir zählen zusammen: Unter einem FDP-Minister
gibt es einen staatlich festgelegten Beitragssatz,
({16})
einen staatlich festgelegten durchschnittlichen Zusatzbeitrag und eine staatlich festgelegte Kosten-Nutzen-Bewertung. Das ist doch Staatsfixierung pur. Staatsfixierung war aber immer der Vorwurf an Ulla Schmidt. Herr
Minister, da kann ich nur sagen: Ihre eigene Fraktion
müsste Ihnen eigentlich den Ulla-Schmidt-Verdienstorden in Gold verleihen. Das würde passen.
({17})
Wir haben dank Ihrer Politik mehr Zentralismus und
weniger Wettbewerb. Hinzu kommt aber - das unterscheidet Sie von Ulla Schmidt - diese gnadenlose Klientelpflege. Das, was mit der Subventionierung der Hoteliers angefangen hat, setzen Sie mit der Klientelpflege
bei der PKV, den Fachärzten und der Pharmaindustrie
fort.
({18})
Die gesetzlich Versicherten zahlen die Zeche; denn die
gesetzliche Krankenversicherung wird teurer, unattraktiver und unsolidarischer.
Herr Minister, nun haben Sie angekündigt, dass es im
Jahre 2015 noch einmal etwas Neues geben soll; hier ist
die Rede von Steuermitteln in der GKV, die es dann doch
geben soll. Da kann ich nur sagen: Im Jahre 2015 werden Sie vielleicht - das kann ich nicht beurteilen - ein
glücklicher Mensch sein, aber Bundesgesundheitsminister werden Sie dann ganz bestimmt nicht mehr sein, und
das ist gut so.
({19})
Das Wort hat nun Kollege Jens Spahn für die CDU/
CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Herr Kollege Lauterbach, wenn das feines Handwerk
war, was wir in der Großen Koalition gemeinsam auf
den Weg gebracht haben, dann frage ich mich, warum
Sie fast alles von dem, was wir gemeinsam beschlossen
haben, zurückdrehen wollen: die Einführung der Entkoppelung der Arbeitskosten von den Gesundheitskosten, die Einführung der Zusatzbeiträge, die Aufgabe der
Parität, die von Ulla Schmidt im Jahre 2009 zu Recht bei
der Diskussion über die Ausgrenzung von Krankengeld
und Zahnersatz heftigst verteidigt wurde. Selbst die Bezahlung der Apotheker, auf die wir uns gemeinsam geeinigt haben, wollen Sie zurückdrehen. Wenn das feines
Handwerk war, dann sollten Sie nicht ständig versuchen,
alles das, was Ulla Schmidt richtigerweise gemacht hat,
wieder zurückdrehen zu wollen, nur weil Sie auf Wählerstimmen hoffen.
({0})
Mit Blick auf die grundsätzliche Debatte der Finanzreform: Es ist schon spannend, wie Sie sich in dieser Debatte und überhaupt in den letzten Wochen mit Kritik
zurückgehalten haben.
({1})
Das wird wahrscheinlich daran liegen, dass Sie nicht viel
gefunden haben, was Sie an dem, was wir vorgelegt haben, kritisieren könnten. Wir kommen mit dem, was wir
in den nächsten Wochen beraten werden und zum
1. Januar in Kraft setzen wollen, dem Ziel, das wir, wie
gesagt, in der Großen Koalition gemeinsam hatten, näher, in einer älter werdenden Gesellschaft, die medizinische Fortschritte will, die steigenden Gesundheitskosten
von den Arbeitskosten loszukoppeln. Diesem Ziel kommen wir näher und verbinden es mit einem Sozialausgleich, der steuerfinanziert und damit gerechter ist als
das, was wir heute haben; denn breitere Schultern werden mittragen: durch die Berücksichtigung von Kapitaleinkünften, Mieteinkünften und Einkünften über der
Versicherungspflichtgrenze. Außerdem funktioniert das
Ganze praktisch ohne größere Probleme, weil wir es
über EDV-basierte Lösungen relativ einfach regeln können, und das ohne Antragstellung. Sie sind perplex, weil
wir einen guten Vorschlag auf den Tisch gelegt haben.
Sie beschäftigen sich nicht damit; denn Sie hätten nichts
zu kritisieren. Das macht diese Debatte deutlich.
({2})
Sie beschäftigen sich mit Nebenkriegsschauplätzen,
({3})
die immer wieder mit der Phrase „Klientelpolitik“ überschrieben werden. Das ist ein gern gemachter Vorwurf,
der von allen Beteiligten gerne aufgegriffen wird. Leider
ist das, was Sie bisher vorgetragen haben, nicht besonders substanziell. Wir machen - dazu stehen wir, und der
Herr Minister hat es deutlich gemacht - Politik für
80 Millionen Versicherte. Wir machen nicht nur Politik
für 72 Millionen gesetzlich Krankenversicherte, wir machen auch nicht nur Politik für 8 Millionen Privatversicherte, sondern wir nehmen beide Systeme in den Blick
und überlegen, was die Menschen brauchen, die in beiden Systemen versichert sind. Wir machen Politik für die
80 Millionen Menschen in unserem Land; denn alle haben einen Anspruch darauf, dass wir uns um Sie kümmern.
({4})
Wir sagen es Ihnen immer wieder, aber Sie scheinen
es nicht verstehen zu wollen: In der privaten Krankenversicherung sind 5 Millionen Beamte und Pensionäre
und bis zu 2 Millionen Selbstständige, die nicht alle eine
dicke S-Klasse fahren oder in Villen leben, sondern es
sind auch der Dönerunternehmer aus Kreuzberg und
viele kleine Handwerker dabei, die keine großen Einkünfte haben.
({5})
Es sind Pensionäre, kleine Beamte und Polizisten, die einen schweren Dienst tun. Sie als Sozialdemokraten sollten sich schon die Frage stellen, ob es richtig ist, einem
Pensionär, der nicht mehr in der Lage ist, seine steigenden Privatversicherungsbeiträge zu bezahlen, zu sagen,
er hätte sich aus der Solidarität verabschiedet und freigekauft. Ist das sozialdemokratische Politik, wie Sie sie
verstehen?
({6})
Wer in diesem Land Beamter oder Pensionär ist, kann jedenfalls nicht mehr SPD wählen, das ist heute wieder
deutlich geworden.
({7})
Darüber hinaus werden wir die Regeln für die Arzneimittelpreisfindung, die wir im gesetzlichen System haben, auf die privaten Kassen übertragen, und die privaten
Versicherungen werden sich natürlich an den Kosten beteiligen.
({8})
Im Übrigen wäre es spannend, zu beobachten, wie die
Debatte über diese Frage abläuft. Wenn wir es für die
Privatversicherten regeln, heißt es: Klientelpolitik. Hätten wir es nicht gemacht und die Pharmaindustrie an der
Stelle geschont, hieße es: Klientelpolitik.
({9})
Egal wie wir es machen, es ist immer Klientelpolitik.
Das macht die Durchsichtigkeit Ihres Vorwurfs deutlich.
({10})
Ich komme zum Pharmasparpaket selbst. Wir
schnüren das härteste Sparpaket im Arzneimittelbereich
in der Geschichte der Bundesrepublik. Wir schaffen den
Spagat: Wir halten den Zugang zu Innovationen aufrecht
- das ist ein hohes Gut für die Menschen in diesem Land und verhindern, dass es weiterhin Mondpreise in
Deutschland gibt. Es wird an dieser Stelle eine faire
Preisbildung geben. Frau Kollegin Bender, darin stimme
ich Ihnen zu: Natürlich dauert es eine Zeit, bis das System implementiert ist. Aus genau diesem Grund haben
wir gesetzlich bis Ende 2013 einen Herstellerrabatt von
10 Prozent vorgesehen. Für einen so langen Zeitraum
und in dieser Höhe gab es das noch nie in der Geschichte
der Bundesrepublik. Das in dieser Debatte mit zumindest einem Satz anerkannt zu haben, wäre auch etwas
wert gewesen.
({11})
Eigentlich beißen Sie doch nur vor Wut in den Tisch,
({12})
und zwar vor Wut darüber, dass es, nachdem Sie jahrzehntelang gesagt haben: „Im Arzneimittelbereich muss
endlich etwas passieren“, ausgerechnet eine christlich-liberale Koalition ist, die diese Frage dauerhaft löst. Das
ist es doch, was Sie ärgert, und nichts anderes, und das
versuchen Sie hinter fadenscheinigen Vorwürfen zu verstecken.
({13})
Zum Thema Rechtsverordnung für die Nutzenbewertung. Bis jetzt ist es im Gesetz so geregelt, dass die
Verfahrensordnung vom Bundesministerium für Gesundheit genehmigt werden muss. Sie steht also schon heute
unter der Fachaufsicht des Ministeriums. Faktisch ändert
sich nicht besonders viel.
({14})
Auch Frau Schmidt und Herr Staatssekretär Schröder
haben da früher ganz genau hingeschaut. Zum Zweiten
- auch darüber kann man übrigens eine Debatte führen sitzen im Gemeinsamen Bundesausschuss, der sie erarbeiten soll, Krankenkassenvertreter, Ärztevertreter und
Krankenhausvertreter. Diese haben jeweils ihre ganz eigenen Interessen. Die Frage, wie der Nutzen eines Arzneimittels bewertet wird, ist eine Werteentscheidung,
auch eine Werteentscheidung der Gesellschaft, und diese
sollten wir uns als Politik zumindest im Grundsatz nicht
völlig aus der Hand nehmen lassen. Das wäre apolitisch.
Deswegen ist es richtig, das über eine Rechtsverordnung
zu regeln.
({15})
Im Übrigen geht es um die Rahmenbedingungen für
die wissenschaftliche Bewertung. Sie tun ja so, als würden wir die Bewertung zukünftig politisch vornehmen.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen
Lauterbach?
Jederzeit.
Herr Spahn, wenn es wirklich so wäre, dass das Werteentscheidungen sind, die die Politik zu bestimmen hat,
dann müsste das doch für alles andere auch gelten. Dann
müsste beispielsweise nicht der Gemeinsame Bundesausschuss die Bewertung festlegen, in welcher Art und
Weise Ärzte bezahlt werden, sondern die Politik. Die
Honorarordnung müsste auch so beschlossen werden,
wenn wirklich alles gleichbehandelt werden soll. Seien
wir doch ehrlich miteinander: Sie wollen, dass die Arzneimittel für privat und gesetzlich Versicherte gleich
teuer sind, weil der Verband Forschender Arzneimittelhersteller das wünscht. Aber Sie wollen das Gleiche
nicht in Bezug auf die Behandlung durch die Ärzte.
({0})
Wenn Sie konsequent wären, dann würden Sie sagen:
Für Arzneimittel gelten die gleichen Preise, das gilt aber
auch für die ärztliche Versorgung. - Doch genau das
wollen Sie nicht. Die Zweiklassenmedizin soll bestehen
bleiben. Aus meiner Sicht wird das alles aus der Perspektive der Lobbygruppen vorgebracht. Sie werden die
Bürger nicht täuschen können. Das, was Sie wollen, ist
das, was der VFA und die PKV wünschen und nicht der
Bürger.
({1})
Zum Ersten, lieber Herr Kollege Lauterbach, wird die
ärztliche Vergütung nicht im Gemeinsamen Bundesausschuss, sondern im Bewertungsausschuss geregelt.
({0})
Der Unterschied ist: Im Bewertungsausschuss regeln
Ärzte als Betroffene und Krankenkassen als Kostenträger die Bezahlung zwischen den beiden. Bei der Bewertung von Arzneimitteln gibt es eine Drittwirkung auf
die betroffenen Patienten, was ganz andere gesellschaftliche Dimensionen beinhaltet; darauf komme ich gleich
noch zu sprechen. Insofern ist das etwas Grundverschiedenes, und das wissen Sie auch, lieber Herr Kollege
Lauterbach.
Zum Zweiten. Das ist schon wieder dieser alberne
Klientelvorwurf. Das, was Sie hier vorhin erzählt haben
- so einfach muss man es sagen -, beleidigt Ihren eigenen Intellekt, Herr Professor. Es ist billig, diese Vorwürfe so zu konstruieren, ohne nach links und rechts zu
schauen, ohne darauf zu achten, was eigentlich Sache ist.
({1})
Ich mache jetzt mit meiner Rede weiter. Insofern können Sie sich, wenn Sie mögen, gerne wieder setzen. An
Ihrem Eingangsstatement zur Arzneimittelbewertung hat
mich Folgendes sehr gestört - das passt zum Thema -:
Sie haben gesagt, dass die Bürger eine sichere und preiswerte Arzneimittelversorgung wünschen. Ohne Frage ist
das so. Aber, glauben Sie mir, die Menschen in diesem
Land wollen auch Innovationen. Sie wollen am medizinischen Fortschritt teilhaben können. Sie wollen, insbesondere wenn es um neue Krebsmedikamente, um neue
Medikamente gegen HIV, gegen Hepatitis und andere
Erkrankungen wie Multiple Sklerose geht, an diesem
Fortschritt teilhaben. Es ist doch ein Schlag ins Gesicht
der Menschen, wenn Sie sagen: Das darf bei der Bewertung dessen, was wir bezahlen oder nicht, keine Rolle
spielen.
({2})
Dem Ganzen legen Sie dann noch einen drauf. Sie sagen, wir würden bei Orphan Drugs, bei Arzneimitteln
für seltene Erkrankungen - laut Definition haben maximal 5 von 10 000 Menschen solch eine Erkrankung -, zu
denen bei den Arzneimittelherstellern heute oft keine
Forschung stattfindet, weil es bei einer so kleinen Patientengruppe nur schwer möglich ist, diese Forschung
betriebswirtschaftlich darzustellen, nichts tun. Es gibt
eine EU-Richtlinie, die genau diese Arzneimittel fördern
will, weil man auch den Menschen, die ganz seltene Erkrankungen haben, von denen es zum Teil nur zwei
Handvoll in Deutschland gibt, eine Chance auf neue
Arzneimittel geben möchte. Wir haben gesagt: Wenn die
EU, übrigens die Europäische Arzneimittel-Agentur
- das fällt nicht vom Himmel -, feststellt, ein Medikament sei ein Orphan Drug, ein Arzneimittel für Menschen mit seltenen Erkrankungen, sollte es nicht die einschlägigen Verfahren in Deutschland durchlaufen
müssen; denn die EU hat das bereits festgestellt. Wir
wollen diesen Menschen helfen. Wenn es sozialdemokratische Politik sein soll, das nicht zu berücksichtigen,
dann sollten Sie noch einmal darüber nachdenken, Herr
Kollege Lauterbach, was Sie hier eigentlich erzählen.
({3})
Das Ganze können wir im Übrigen auch in Bezug auf
die Zusatztarife der gesetzlichen Krankenversicherungen deutlich machen. Dabei geht es um Chefarztarife,
um Einbettzimmer und Auslandsversicherungen. Wenn
Sie die Menschen auf der Straße fragen, ob sie glauben,
dass in die Grundversorgung der gesetzlichen Krankenversicherung, Sozialgesetzbuch V, eine Chefarztbehandlung gehört, dann, glaube ich, werden Sie etwas anderes
hören als das, was Sie und die Krankenkassenfunktionäre dauernd erzählen. Vielleicht sollten wir eine ehrliche Debatte auch darüber führen, wie sozialdemokratische Positionen in diesem Land mittlerweile aussehen.
({4})
Was passiert denn da? Mit diesen Tarifen versuchen
die Krankenkassen, die Gutverdiener zu locken und an
sich zu binden, weil man sich für drei Jahre an die Krankenkasse binden muss. Diese Tarife werden, weil es von
der Aufsicht kaum nachvollziehbar ist, von den Kranken
und Schwachen in den gesetzlichen Krankenkassen
quersubventioniert, und Sie verteidigen das auch noch.
Stellen Sie sich einmal die Frage, was daran noch sozialdemokratisch ist, die Quersubventionierung in gesetzlichen Krankenversicherungen zugunsten von Gutverdienern zu verteidigen.
({5})
Insofern kann man hier feststellen, dass wir in der
christlich-liberalen Koalition soziale Verantwortung
nicht in Überschriften festmachen, sondern in konkretem
Handeln. Wir schaffen eine Finanzierungsgrundlage für
die gesetzliche Krankenversicherung - diese steht aufgrund der demografischen Entwicklung und beim medizinischen Fortschritt vor großen Herausforderungen -,
die dauerhaft hält und gerechter ist als das, was wir heute
haben, weil es im Ausgleich steuerfinanziert ist. Wir
schauen genau, was 80 Millionen Menschen in diesem
Land brauchen. Wir nehmen uns nicht eine Gruppe heraus, die uns vielleicht besonders nahesteht, sondern wir
schauen auf die Bedürfnisse der Versicherten in der gesetzlichen und in der privaten Krankenversicherung und
fragen: Was ist richtig, um sie vor Überforderung zu
schützen und ihnen gleichzeitig den Zugang zu Innovationen möglich zu machen? Wir bringen das größte Arzneimittelsparpaket in der Geschichte der Bundesrepublik
Deutschland auf den Weg. Ein kleines Wort der Anerkennung wäre eine ganze Menge wert.
Abschließend kann ich Ihnen eines sagen: Wir akzeptieren konstruktive Kritik. Auch wir sind nicht unfehlbar
und natürlich der Kritik zugänglich. Wenn etwas falsch
ist, muss man das korrigieren. Das ist überhaupt keine
Frage. Aber differenzierungslose Kritik in platten Überschriften, die nur irgendwelche Mentalitäten bedient, ist
unter Ihrem Niveau. Das sollten Sie sich in der Zukunft
verkneifen.
({6})
Das Wort hat nun Ewald Schurer für die SPD-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen!
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Erst einmal
kommt pflichtbewusst der Dank des Haushälters an das
Ministerium für die Bereitstellung der Berichterstatterunterlagen. Sie kamen zwar spät, aber sie kamen und
waren zumindest zum Teil für die Vorbereitung hilfreich.
Ich füge hinzu: Dieser Haushalt 2011 steht unter dem
Vorbehalt, dass die Gesundheitsreform, die Sie von
Schwarz und Gelb Mitte August dieses Jahres angekündigt haben, umgesetzt wird. Darunter leidet dieser Haushalt; denn wir können die monetären und politischen
Auswirkungen nur erahnen.
Sie sind immer noch in dem großen Reich des Unbestimmten. Wenn ich mir anschaue, was der Kollege
Spahn hier gebracht hat, meine ich: Höflich gesagt, haben Sie zugespitzt. Unhöflich gesagt, waren Sie eine
Rumbling Gun, also eine freischießende Bordkanone,
die nach Belieben in alle Richtungen zielt, um irgendwen zu treffen.
({0})
Wenn irgendwer in diesem Hause den alten Kurs der
Großen Koalition verlässt, dann sind Sie es. Sie sind ein
ausgewiesener Protagonist für die Vorteile der PKV.
Ferner sind Sie sehr FDP-affin. In der jetzigen Situation
dürfen Sie das auch durchaus sein. Das schadet Ihnen
nicht. Für die CDU/CSU ist das aber kein Wertgewinn,
weil Sie niemand sind, der die großen solidarischen
Werte der GKV jemals verstanden hat oder sie hochhält.
({1})
Ich nenne ein aktuelles Beispiel dazu. Es gibt eine
Umfrage des Wissenschaftlichen Instituts der Allgemeinen Ortskrankenkassen, die in diesen Tagen veröffentlicht worden ist. Lesen Sie darin doch einmal nach, was
die Bürgerinnen und Bürger - auch die Beamten im öffentlichen Dienst und die Selbstständigen, die in der
PKV versichert sind - sagen: Die großen Werte für die
Zukunft, an die sie glauben, sind einkommensabhängige Beitragssysteme die die Leistungen der Gesundheitswirtschaft ermöglichen. Hierzu gehören für sie auch
die Elemente des Solidarprinzips. - Gegen all das verstoßen Sie.
Der Herr Minister hat mir heute gefallen. Er war einmal richtig frech, wie auf dem Gillamoos-Volksfest. Inhaltlich hat er heute zwar nicht sehr viel gesagt, aber er
war wenigstens in der Offensive. Es gefällt mir, dass der
Minister einmal aus sich herausgeht. Ich bezweifle aber
sehr, dass Sie verstanden haben, was die Sozialdemokratie in den vergangenen zehn Jahren im Gesundheitssystem an Wertschöpfung politisch unterstützt hat.
Herr Singhammer hat vorhin immerhin bestätigt, dass
Deutschland in Bezug auf die Leistungserbringung
Weltspitze sei. Das ist kein Wunder nach zehn Jahren sozialdemokratischer Gesundheitspolitik, obwohl wir mit
Ihnen schwere Kompromisse aushandeln mussten.
({2})
Wo der Kollege Spahn ebenfalls fundamental irrt: Die
SPD wollte niemals eine im Kern an den Arbeitskosten
orientierte Gesundheitspolitik verlassen. Wir wollten
schon immer eine paritätische Finanzierung durch Arbeitnehmer- und Arbeitgeberbeiträge, die ergänzt werden muss, um die finanziellen Prozesse entsprechend
darstellen zu können.
Herr Spahn, Sie haben mich nicht überzeugt. Hinsichtlich des Medikamentenzulassungsverfahrens muss
ich Ihnen als Haushälter ins Lehrbuch schreiben, dass
Sie das Zulassungsverfahren mit der Bewertung und der
Kosten-Nutzen-Analyse völlig durcheinandergebracht
haben. Noch nicht einmal fachlich hat das gestimmt. Ich
als Haushälter muss Ihnen sagen, dass Sie die Dinge gewaltig durcheinandergebracht haben. Die Rumbling Gun
der Union hat ganz schön geschossen. Fachlich war das
nicht wirklich gut.
Der Haushalt weist ein Volumen von 15,8 Milliarden
Euro auf. Wesentlich bestimmt wird dieser durch den
GKV-Zuschuss in Höhe von 15,3 Milliarden Euro:
13,3 Milliarden Euro als regulärer GKV-Zuschuss, wie
dies der Gesetzgeber unter sozialdemokratischer Führung beschlossen hat - dieser Teil ist aufwachsend -,
und einmalig 2 Milliarden Euro zur Stabilisierung der
GKV-Beiträge.
Trotz des erfreulichen wirtschaftlichen Wachstums
stellt sich natürlich für diesen und für den nächsten Bundeshaushalt die Frage, wie wir mit öffentlichen Zuschüssen aus Steuermitteln umgehen, um das GKV-System
angesichts der steigenden Kosten zu stabilisieren.
Was Sie gegenüber der Pharmaindustrie vorhaben,
wäre ehrenhaft, wenn Sie sich nicht die Drehbücher von
der Pharmaindustrie schreiben lassen würden. Ob es Ihnen wirklich gelingt, eine Kostenregulierung, abgesehen
vielleicht von Rabattregelungen, hinzubekommen, das
werden wir in einem Jahr evaluieren. Ich bin da sehr
skeptisch, weil Ihre bisherige handwerkliche Arbeitsweise so grobmotorig, so ungenau und so fachfremd aussieht, dass man sich wirklich wundert und fragt, wer versucht, dieses Gesundheitsministerium zu führen.
Meine Damen und Herren, schauen wir uns einmal
den materiellen Teil dieses Haushalts an. Dieser Haushalt verfügt über einen materiellen Teil mit einem Volumen von knapp 500 Millionen Euro. Dabei fällt auf, dass
Sie bei den Dingen, die den materiellen Kern dieses
Haushalts ausmachen, auch nicht sehr gut aussehen.
Sie kürzen unter anderen bei den Präventionskampagnen. Warum tun Sie das? Diese sind wichtig für die
Bewusstseinsbildung der Menschen. Sie kürzen zum
Beispiel die Mittel für den Aktionsplan „Gesundheitliche Prävention durch ausreichende Bewegung und ausgewogene Ernährung“ um 3,6 Millionen Euro. Das ist
verdammt viel, auch wenn Sie das vielleicht nicht auf
den ersten Blick verstehen wollen, Frau Flach. Sie kürzen die Mittel für Maßnahmen im Kampf gegen HIV/
Aids trotz nach wie vor gefährlich hoher Infektionsraten.
Und Sie kürzen erneut bei der so wichtigen Bekämpfung
des Drogen- und Suchtmittelmissbrauchs. Auch das ist
für die Menschen ein todernstes Thema, weil es hier um
Maßnahmen gegen Nikotin- und Alkoholmissbrauch
geht.
Wenn man sich vor Augen hält, wie Sie die Mittel für
diese präventiven Bereiche und den materiellen Kern des
Haushalts, ohne mit der Wimper zu zucken, einfach um
ein paar Millionen Euro kürzen, drängt sich der Verdacht
auf: So wie Sie es hier machen, so machen Sie auch jenseits dieses Haushalts Gesundheitspolitik. Die Gesundheitspolitik ist für die Menschen im Lande allerdings
von größter Bedeutung. Sie nehmen dem Haushalt ein
Stück weit sein programmatisches, sprich inhaltliches,
Gesicht.
({3})
Das überzeugt mich in keiner Art und Weise, auch nicht
als Haushälter, als der ich ja versuchen muss, Gesundheitspolitik mit effizienten ökonomischen Lösungen zu
verbinden.
Meine Damen und Herren, man redet sich ja gelegentlich - das kennt man aus dem Leben - in Situationen hinein. Man versucht auch einmal, sich zu verteidigen.
({4})
Das hat auch Daniel Bahr als Reaktion auf die zutreffenden Äußerungen des Kollegen Lauterbach getan. Er ist,
wie von der Wespe gestochen, sofort aufgestanden, um
zu versuchen, die PKV-Vorwürfe materiell zu entkräften allerdings ohne Chance.
({5})
Im Handelsblatt von gestern - Herr Präsident, ich
würde mit Ihrer Genehmigung gerne daraus zitieren steht:
„Ich bin der Minister für 80 Millionen Versicherte“,
sagte Gesundheitsminister Philipp Rösler am
Freitag im Interview mit der „Süddeutschen Zeitung“.
(Beifall des Abg. Jens Spahn ({6})
Das Handelsblatt schreibt weiter - jetzt kommt das,
was alle Medien in Deutschland, von Osnabrück bis
München und von Leipzig bis Köln, schreiben -:
Doch in Wahrheit bittet er die Versicherten zur
Kasse. Dagegen verschont der FDP-Politiker die
Ärzte, die private Krankenversicherung und die
Pharmabranche.
({7})
Das ist die Aussage des Handelsblattes von gestern zu
Herrn Philipp Rösler, dem derzeitigen Gesundheitsminister in Deutschland. Das sind knallharte Aussagen.
({8})
Sie spiegeln das Bild in den Medien wider, und sie spiegeln den Eindruck der Menschen wider.
({9})
Zum Schluss komme ich zum Wissenschaftlichen Institut der AOK zurück.
({10})
Es ist nach der Bewertung des Gesundheitssystems gefragt worden. Darin heißt es: Es gibt eine große Zufriedenheit - gerade im letzten Jahr ist sie erneut gestiegen mit den Leistungserbringern im System, also mit Ärzten,
den Angehörigen der Pflegeberufe, denjenigen, die die
Menschen versorgen. Rapide angestiegen ist jedoch, gerade im letzten Jahr, die Unzufriedenheit mit der Politik,
die desorientierend und nicht in der Lage ist, zu sagen,
wohin es künftig geht. Das ist im Augenblick unser großes Problem.
({11})
Von diesem Problem ist der Haushalt 2011 überschattet.
Ich kann Ihnen nur gute Genesung und eine Rückbesinnung - gerade Sie, Herr Spahn, hätten sie notwendig auf die sozialdemokratischen Grundwerte wünschen, die
Sie in diesem Saal brüllend zurückgewiesen haben.
Danke schön.
({12})
Das Wort hat nun Ulrike Flach für die FDP-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr
Schurer, als Haushälter hat man ja sehr oft eine andere
Wahrnehmung. Aber das, was Sie uns gerade erzählt haben, ist schon erstaunlich.
({0})
Die „Wertschöpfung“ von mehr als zehn Jahren SPDGesundheitspolitik besteht darin, dass wir im Augenblick ein Defizit von 11 Milliarden Euro zu verzeichnen
haben, das wir decken müssen. Das ist Ihre Wertschöpfung. Ich muss Sie wirklich fragen, wie Sie es überhaupt
schaffen, den Leuten so etwas zu erzählen. Glauben Sie,
die Leute lesen keine Zeitungen? Sie lesen sie deutlich
besser als Sie.
In den letzten Wochen mussten wir uns ständig den
Vorwürfen derjenigen stellen, bei denen wir sparen. Das,
was Sie eben zitiert haben - dass angeblich keiner spart -,
stand offensichtlich jeden Tag in der Zeitung und führte
zu wilden Angriffen auf diese Koalition. Bei Frau Yzer
vom VFA brauche ich im Augenblick eigentlich nicht
mehr aufzutauchen.
({1})
Wenn Sie sich zum Beispiel anhören, wie sich der Hausärzteverband äußert, und wenn Sie sich vor Augen halten, was Herr Lotter mit Herrn Hoppenthaller in Bayern
erlebt, muss ich Ihnen sagen: Ich weiß nicht, ob das alles
so ist, weil wir nicht sparen.
Wir haben zum ersten Mal den Versuch unternommen, durchgehend bei allen Leistungserbringern im
Gesundheitssystem zu sparen, und zwar nicht, weil es
uns Freude macht, sondern weil Sie als Hypothek ein
Riesenloch hinterlassen haben und wir verhindern wollen, dass die Menschen höhere Beiträge zahlen müssen.
Das ist doch der Punkt.
({2})
Das ist nicht ungerecht, sondern das ist sachgerecht.
Auch die Kassen müssen sich beteiligen, Stichwort: Verwaltungskosten. Ich frage mich an dieser Stelle übrigens,
wann die Kassen, die uns jeden Tag durch die Medien
treiben, einmal über die Gehälter ihrer Vorstandsvorsitzenden nachdenken.
({3})
Es wäre auch einmal hilfreich, wenn nicht nur der Bundesrechnungshof darüber nachdenken würde. Das alles
ist übrigens zu Ihren Zeiten gelaufen.
Die Pharmaindustrie wird 2011 mit einer Zuwachsbegrenzung von 3,5 Milliarden Euro zur Kasse gebeten,
und 2012 ist sie mit 4 Milliarden Euro dabei. Das heißt:
Wo ist denn hier das Lobbytum, wenn zum ersten Mal in
Deutschland viele Milliarden Euro - 4 Milliarden Euro
im Jahr 2012 und 3,5 Milliarden in 2011 - von Big
Pharma gefordert werden? Sie können doch nicht erzählen, wir versuchen, die Leute hinter die Fichte zu führen.
Vielmehr wird das dazu führen, dass die Menschen endlich preiswerte Medikamente haben.
({4})
Das betrifft übrigens auch die Ärzte, die Krankenhäuser, die Apotheken und den Großhandel. Ich kann Ihnen
eine lange Liste mit Institutionen vorlegen, die im Augenblick schwer daran zu knacken haben, dass der Gesundheitsfonds von Ihnen bewusst unterfinanziert war
und wir seit dem letzten Herbst versuchen müssen, dieses Defizit zu decken.
({5})
Lassen Sie mich auch noch einmal etwas zu den Kassen sagen - ich finde das schon erstaunlich -: Wir sind
hier ja tätig, damit die Kassen auf einem einigermaßen
gesunden, soliden Fundament stehen können und die Patienten weiter eine ordentliche Versorgung haben. Das
ist unser Antrieb. Ich lese jeden Tag in der Zeitung - das
muss ich an dieser Stelle auch einmal sehr deutlich sagen von wechselnden Wasserständen in Bezug auf das, was
alles angeblich passieren würde, wenn wir unsere Gesetzesvorhaben durchführen würden. Ich frage mich hier
erst einmal: Woher wissen die Herrschaften das? - Sie
haben das Gesetz wahrscheinlich genauso wenig gelesen
wie Sie, Frau Bender.
({6})
Das scheint dann hier die Folge zu sein.
Denken Sie doch einmal alleine an den Vorwurf der
AOK, das würde zu millionenfachen Einschränkungen
in der GKV führen. Das wird von einer AOK Bayern gesagt, die mit den Hausarztverträgen dafür gesorgt hat,
dass zusätzliche Belastungen auf die Krankenkassen zukommen. Allein daran sehen Sie doch, wie unsolide solche Vorwürfe sind und mit welcher ausgesprochen gespaltenen Gesellschaft wir es hier zu tun haben.
Liebe Kollegen und Kolleginnen, der zweite Baustein
unseres Gesetzes neben den Sparanstrengungen ist natürlich immer im strukturellen Bereich zu finden. Ich bin
sehr froh, dass Herr Rösler das eben noch einmal auf den
Punkt gebracht hat. Wir machen die Beiträge ein Stück
konjunkturunabhängiger. Wir geben den Kassen über die
Zusatzbeiträge endlich wieder ein Stück ihrer Beitragsautonomie zurück, die ihnen von der SPD ja genommen
wurde, und wir führen endlich einen Sozialausgleich ein,
den Ulla Schmidt den Menschen draußen immer verweigert hat. Darum geht es doch.
Wenn wir an dieser Stelle über das Aushandeln von
Preisen hochpreisiger Arzneimittel sprechen, was wir
mit unserem Gesetz ja einführen werden, dann denken
Sie doch einmal daran, dass Sie diesen Mut nie gehabt
haben. Ich bin hier völlig beim Kollegen Spahn. Sie,
Herr Lauterbach, haben sechs Wochen lang in der Furche gelegen, weil Sie genau wussten, dass hier ein Gesetz auf den Weg gebracht wird, durch das die Menschen
preiswerte Medikamente erhalten, sie also Zugang zu
diesen Medikamenten bekommen.
Es wäre gerechter und vor allen Dingen sachgerechter
gewesen, wenn Sie sich in den Sommerferien an den
normalen, kompetenten Diskussionen beteiligt hätten.
Wir hören auch gerne einmal die Vorschläge der Opposition. Das, was Sie jetzt bringen, ist einfach nur ein Fiasko und sonst nichts - vielleicht noch ein bisschen Neid
auf ein gutes Gesetz.
({7})
Das Wort hat nun Harald Weinberg für die Fraktion
Die Linke.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Ich muss doch noch einmal darauf zurückkommen: Es geht mir hier und heute um einen Posten,
der nicht im Haushalt zu finden ist, für die Glaubwürdigkeit von Politik aber das A und O ist, nämlich das Vertrauenskapital. Das hat diese Bundesregierung in der Gesundheitspolitik deutlich verspielt; denn Gesetze werden
offenkundig nicht von den zuständigen Ministerien alleine geschrieben, sondern in wesentlichen Teilen von
Lobbyisten.
({0})
- Ich komme gleich noch einmal dazu. Sie brauchen es
mir nicht zu erklären; ich weiß es schon. - Es entsteht
der Eindruck, dass diese Koalition Politik macht, die
man mit Einfluss kaufen kann.
({1})
Damit wird die Demokratie entwertet, und das ist gefährlich für den Zusammenhalt unserer Gesellschaft.
({2})
Wir sprechen hier wieder über das Thema Pharmaindustrie. Die Bundesregierung lässt sich öffentlich dafür feiern, dass sie eine Nutzenbewertung für neue Arzneimittel eingeführt hat. Wir haben das in einer Rede
- ich kann mich noch daran erinnern; Kathrin Vogler hat
die Rede gehalten - ausdrücklich gelobt.
Sie wollen ja zwischendurch immer gerne Lob. Wir
haben das ausdrücklich gelobt. Zu diesem Lob gäbe es
auch allen Grund, würde die Regierung es ernst damit
meinen. Dann nämlich müssten die Pharmakonzerne
erstmals den Nutzen ihrer Produkte nachweisen, bevor
sie sie zulasten der Beitragszahler abrechnen dürfen. Wir
wollen das. Wir wollen Transparenz statt Mauschelei.
Nun ist die Bundesregierung dabei ertappt worden,
dass sie einen Änderungsantrag von der Pharmalobby
abgeschrieben oder aber von den Augen der Pharmalobby abgelesen hat, wie es Herr Bahr gerade gesagt hat.
({3})
Fakt ist demnach: Diese Nutzenbewertung soll verwässert werden. Nicht mehr ein unabhängiges Institut, sondern das Bundesministerium soll künftig per Rechtsverordnung festlegen können, wie geprüft wird. Bitte,
denken Sie einmal darüber nach: Lobbyarbeit besteht
nicht nur darin, alles abzuwenden, sondern eventuell einen großen Schaden abzuwenden und einen kleinen hinHarald Weinberg
zunehmen. Ich denke, das ist die Lobbyarbeit, die hier
dahintersteckt.
Die Pharmalobby hat noch eines draufgesetzt: Sie hat
bei der weltweit umsatzstärksten Anwaltskanzlei gleich
einen Vorschlag für diese Rechtsverordnung in Auftrag
gegeben.
({4})
Da darf man doch wirklich gespannt sein, ob diese Bundesregierung auch diese Vorarbeit dankbar eins zu eins
übernehmen wird. Immer mehr Bürgerinnen und Bürger
in diesem Land fragen sich: Wer macht hier eigentlich
die Gesetze? Das Parlament? Wer macht die Verordnungen? Die Bundesregierung?
Der Eindruck ist auch durch die aktuellen Dementis
der Bundesregierung nicht vom Tisch, dass hier einiges
outgesourct und vom Verband Forschender Arzneimittelhersteller und von der Londoner Rechtsanwaltskanzlei
Clifford Chance übernommen wird. Ich bin sicher: Das
ist kein Einzelfall. Es ist nur so, dass es in diesem konkreten Fall öffentlich geworden ist.
Aber nicht nur die Pharmaindustrie wird hofiert. Gleiches gilt auch für die privaten Krankenversicherungen.
({5})
An dieser Stelle muss ich allerdings eines sagen: Mit
Herrn Spahn verbindet mich selten etwas, aber in der
Frage der Zusatztarife sind wir sogar einer Meinung;
({6})
denn ich bin schon der Auffassung, dass die Zusatztarife,
die Sie angesprochen haben, eigentlich das Kerngeschäft
der privaten Krankenversicherung darstellen. Aber ich
bin gleichzeitig der Meinung, dass die private Krankenversicherung eben keine Krankenvollversicherung anbieten soll. Da unterscheiden wir uns dann wieder deutlich.
({7})
Ich frage auch: Wer hat eigentlich die Wahltarife mit
eingeführt?
Die Große Koalition hat 2007 beschlossen, dass man
als Angestellter erst dann in eine private Krankenversicherung wechseln kann, wenn man mindestens drei
Jahre und nicht nur ein Jahr lang ein entsprechendes Einkommen hat. Dadurch blieben mehr Menschen mit gutem Einkommen in der gesetzlichen Krankenversicherung. Das hat die Beiträge stabilisiert.
Die Privatversicherer klagten seitdem über einen
„dramatischen Mitgliederschwund und den Wegfall besonders lukrativer Versicherungsnehmer“, so der Chef
der Deutschen Krankenversicherung, Günter Dibbern.
Seine Klagen wurden erhört: Schwarz-Gelb will diese
Regelung nun rückgängig machen. Die private Krankenversicherung regt sich auf, die Bundesregierung springt.
Ein Schelm, wer dabei denkt, dass die Spenden der
Allianz-Versicherung von je 60 000 Euro im Jahr an
CSU, CDU und FDP hier die Entscheidungsfindung etwas erleichtert hätten, oder?
({8})
Lassen Sie mich an dieser Stelle noch etwas sagen,
weil Sie immer die Beamten ansprechen: Ich habe noch
keinen Beamten getroffen, der unter vernünftigen Bedingungen nicht viel lieber in der gesetzlichen Krankenversicherung als in der privaten Krankenversicherung wäre.
({9})
Ähnlich sieht es bei der dritten Klientelgruppe von
Schwarz-Gelb aus, nämlich bei den Arbeitgebern. Zwar
werden Sie von der Koalition nun sagen, dass auch die
Arbeitgeberbeiträge zur Krankenversicherung um
0,3 Prozentpunkte angehoben worden sind. Jedoch wollen Sie diesen Beitragssatz von dann 7,3 Prozent für die
Arbeitgeber für alle Zeiten festschreiben. Alle künftigen
Kostensteigerungen werden alleine von den Versicherten
getragen. So merken auch die Arbeitgeber, dass ihre Parteispenden bei den Schwarzen und den Gelben gut angelegtes Geld sind.
({10})
Für die gesetzlich Versicherten hingegen wird es bitter. Ihnen werden die künftigen Kosten aufgebürdet, insbesondere durch die kleinen Kopfpauschalen, also die
neuen Zusatzbeiträge.
Im nächsten Jahr werden die Einnahmen und Ausgaben in der gesetzlichen Krankenversicherung durch die
Beitragserhöhung aller Voraussicht nach ausgeglichen
sein. Das stimmt, Herr Rösler. Im Jahr darauf wird es
vermutlich Zusatzbeiträge in ähnlichem Umfang geben
wie bereits in diesem Jahr, nämlich 8 bis 10 Euro. 2013
werden die Zusatzbeiträge schon durchschnittlich über
20 Euro monatlich betragen, vorausgesetzt, die Ausgaben- und Einnahmeentwicklung geht so weiter wie bisher. Wenn man dies hochrechnet, kommt man im Jahr
2020 auf einen Betrag von über 100 Euro pro Monat und
pro gesetzlich Versicherten. Dann wäre - auch für die
gut verdiendenden gesetzlich Versicherten - die Belastungsgrenze von 2 Prozent überschritten, und alle müssten einen Sozialausgleich erhalten. Das bedeutet, dass
die Arbeitgeber weiterhin 7,3 Prozent zahlen, die Arbeitnehmer aber 7,3 Prozent plus 2 Prozent Zusatzbeiträge
plus 0,9 Prozent Sonderbeitrag, also insgesamt 10,2 Prozent. Zuzahlungen und Gebühren sind noch nicht eingerechnet. Eine paritätische Finanzierung sieht anders aus.
({11})
Tückisch an dieser Finanzreform des Gesundheitswesens sind also nicht die sofortigen Auswirkungen, sondern die Auswirkungen in einigen Jahren. Damit wird
deutlich, dass diese Bundesregierung nicht das Wohl der
70 Millionen gesetzlich Krankenversicherten, sondern
die Erfüllung ihrer Klientelaufgaben im Blick hat. Das
ist eine Politik der sozialen Ungerechtigkeit. Das kostet
Vertrauenskapital. Das gefährdet unsere Demokratie.
Wir fordern Sie auf: Kehren Sie um! Verlassen Sie diesen Irrweg!
Danke.
({12})
Nächster Redner ist der Kollege Alois Karl für die
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Liebe Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen
und Herren des Bundestages! Kaum ist der Haushalt
2010 vor einem halben Jahr hier verabschiedet worden,
treffen wir uns schon wieder, um den Haushalt 2011 auf
den Weg zu bringen. Die Kassen sind nicht voll. Wir
müssen auch heute unter dem Diktat der knappen Kassen
regieren. Aber so ist das Wirtschaften und Haushalten.
Das erfordert die Kunst, mit knappen Ressourcen ordentlich umzugehen.
Unsere Haushaltsaufstellung steht bei Ihrem Haushalt, Herr Bundesgesundheitsminister, wie bei allen anderen unter dem großen übergeordneten Leitbild, dass
wir konsolidieren wollen. Das heißt, wir wollen die
Haushalte auch für die nächsten Generationen in Ordnung bringen. Konsolidierungspolitik ist nichts anderes
als gut verstandene Zukunftspolitik. Die Kollegen im
Haushaltsausschuss und ich werden in den nächsten Wochen sehr darauf achten, dass wir die Maßgaben, auf die
wir uns in der Großen Koalition geeinigt haben - ich
glaube, Herr Kollege Schurer, es war eine der großen
Leistungen der Großen Koalition, ins Grundgesetz aufzunehmen, dass wir auf mittlere Sicht zu ausgeglichenen
Haushalten kommen müssen, und zwar mithilfe der
Schuldenbremse -, auch umsetzen. Wir haben das gemeinschaftlich beschlossen und müssen es jetzt ausführen. Wir haben die Freude, das mit der FDP tun zu können.
Was hatten wir vor nur zwölf Monaten für eine Situation? Die Auguren hatten nichts Gutes vorhergesagt. Die
Menschen haben um den Wert ihres angelegten Geldes
gefürchtet. Sie waren um die Stabilität ihres Geldes besorgt. Die Menschen waren von Arbeitslosigkeit bedroht.
Heute haben wir im Durchschnitt 3,2 Millionen Arbeitslose. Im Herbst wird die Zahl der Arbeitslosen einen so niedrigen Stand wie seit 20 Jahren nicht mehr erreichen; sie wird auf unter 3 Millionen sinken. Die Zahl
der Arbeitsplätze hat einen historischen Höchststand erreicht. Die Zahl der Kurzarbeiter ist innerhalb eines Jahres um 75 Prozent gesunken. Jeder junge Mann und jede
junge Frau, die ausgebildet werden wollen, können einen
Ausbildungsplatz erhalten. Eine solche Situation hatten
wir schon viele Jahrzehnte nicht mehr. In dieser Situation einen Haushalt aufzustellen, ist für uns eine Freude
gegenüber dem, was wir vor einem Jahr erlebt haben.
Ein Weiteres: Vor einem Jahr gab es Wahlen. Die Bürgerinnen und Bürger haben die CDU/CSU und die FDP
- auch mit unseren Konzepten des Sparens - zu Regierungsparteien und Sie zur Opposition gemacht,
({0})
Wir werden uns an unsere Konzepte halten. Wir haben
die Neuverschuldung von 86 Milliarden Euro, die Kollege Steinbrück vor einem Jahr auf den Weg gebracht
hat, für dieses Jahr auf 80 Milliarden Euro minimiert.
Herr Schäuble hat heute Vormittag gesagt, dass wir in
diesem Jahr eine Reduzierung der Neuverschuldung auf
65 Milliarden Euro erreichen werden und damit die Zahl
erreichen, die wir uns erst für 2011 vorgenommen hatten. Es ist eine starke Leistung, die Neuverschuldung in
einem einzigen Jahr um 20 Milliarden Euro zu senken.
({1})
Dies ist ein Anlass zur Freude. Daran sollten Sie sich beteiligen, statt sich auf Ihre miesepeterigen Ausführungen
zu beschränken, wie es heute der Fall war. Die Lage ist
tatsächlich besser als die Stimmung.
Um den Sozialstaat mit den hohen Ansprüchen im
Gesundheitswesen zu erhalten, müssen wir auch Veränderungen herbeiführen. Das ist in einem Land, das in
großem Wohlstand lebt, nicht ganz einfach.
Wer in großem Wohlstand lebt, ist nicht geneigt, Veränderungen auf sich zukommen zu lassen. Dennoch
müssen wir für Veränderungen sorgen. Der Weg, den Sie
eingeschlagen haben, Herr Bundesminister, ist in der Tat
richtig. Wir freuen uns, dass wir ein dichtes Netz aus
niedergelassenen Ärzten sowie hervorragenden medizinischen Fortschritt in unserem Land haben. Dass das in
zehn Jahren SPD-Regierung zustande gekommen sei,
Herr Schurer, ist vielleicht nicht ganz richtig.
({2})
Das liegt am Rande der Wahrheit. Aber es ist in der Tat
richtig, dass wir in einem hervorragend entwickelten,
medizinisch hochstehenden Land leben. Das möchten
wir halten. Unser Haushalt trägt dazu bei.
Sehr geehrter Herr Minister, Sie haben gesagt, dass der
Haushalt in hohem Maß durch den Gesundheitsfonds vorbelastet ist, dass wir aber auch große Investitionen tätigen. Das Robert-Koch-Institut zum Beispiel bekommt
endlich ein Hochsicherheitslabor. Wir statten es mit mehr
als 42 Millionen Euro aus, um die Forschung in unserem
Land - Herr Lauterbach, Sie haben das moniert - auf hohem Niveau voranzubringen. Wir werden die Forschung
und die Bildung in Ihrem Ministerium, Herr Rösler, weiterhin stark unterstützen. In den nächsten vier Jahren, bis
2014, werden die Forschungsmittel um 33 Prozent anwachsen. Ich freue mich auch darüber, dass wir die Stiftung für diejenigen, die sich ohne Eigenverschulden mit
HIV infiziert haben, weil sie verunreinigte Blutpräparate
erhalten haben, mit 25 Millionen Euro ausstatten. Wir tun
alles - genauso wie Sie es gesagt haben, Frau Flach -, um
den Aktionismus, den wir bei Ulla Schmidt kennengelernt haben, zu unterbinden. Wir werden die Ausgaben für
die Aids-Bekämpfung in Osteuropa, insbesondere in der
Ukraine, um 80 Prozent minimieren, genauso wie die
Mittel für die Gesundheitsprävention. Wir werden für
entsprechende Ansätze im Haushalt sorgen.
Ich freue mich auf unsere Beratungen mit Ihnen, sehr
geehrter Herr Bundesgesundheitsminister, aber auch mit
Ihnen, liebe Frau Flach, und den anderen Kollegen in
den nächsten Wochen. Ich bin sicher, dass wir einen
Haushalt auf den Weg bringen, der effektiv ist, der sich
am Wohl und an der Gesundheit der Bevölkerung orientiert und der sparsam ist.
Vielen herzlichen Dank.
({3})
Nächste Rednerin ist die Kollegin Bärbel Bas für die
SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Spahn hat gerade
so schön gesagt, dass wir eigentlich vor Wut in den
Tisch beißen müssten. Das ist in der Tat so, aber nicht
wegen unserer Politik in der Vergangenheit. Das, was
Sie heute abgeliefert haben, ist schon abenteuerlich. Das
muss man Ihnen lassen.
({0})
Sie stellen sich hier wirklich hin und sagen: Die Versicherten werden nicht belastet. - Diesen Satz muss man
sich auf der Zunge zergehen lassen. Es verwundert mich
aber, dass das die Versicherten nicht merken und Sie dafür keinen Beifall bekommen. Ich kann Ihnen das gleich
erklären. Noch schlimmer ist, was Herr Singhammer gesagt hat - das reimt sich fast -: Die Ersparnisse kommen
im nächsten Jahr bei den Versicherten an. - Auch das
halte ich für eine abenteuerliche Behauptung. Wie soll
das funktionieren? Der Bundeszuschuss beträgt schon
im nächsten Jahr 15,3 Milliarden Euro. Trotzdem werden dem Gesundheitsfonds im Jahr 2011 vermutlich
11 Milliarden Euro fehlen. Sie behaupten, das mit Einsparungen - diese gelten für alle - in Höhe von circa
3,5 Milliarden Euro auszugleichen. Wir bezweifeln, dass
Sie überhaupt diese 3,5 Milliarden Euro einsparen, wenn
wir sehen, welche Änderungsvorschläge zum vorliegenden Gesetzentwurf gemacht werden, um der Pharmaindustrie ein Stück entgegenzukommen.
Einen anderen Gesetzentwurf gibt es noch gar nicht.
Sie werfen Diskussions- und Referentenentwürfe in die
Medien. Über den Entwurf eines Gesetzes zur Finanzierung der gesetzlichen Krankenkasse reden Sie zwar
viel. Aber darüber haben wir noch nichts gelesen. Deshalb muss man sich leider mit Ihren Diskussionsbeiträgen auseinandersetzen.
({1})
- Wir schauen einmal, ob das zeitlich so ambitioniert
funktioniert, wie Sie sich das vorstellen. Das sind nur
Ankündigungen.
Geplant ist eine Beitragserhöhung um 0,6 Prozentpunkte. Diese ist durchaus notwendig, um einen kleinen
Teil des Lochs zu stopfen. Aber Sie haben im Bundeshaushalt noch nicht kalkuliert, dass die steigenden Beiträge zur Krankenversicherung steuerlich absetzbar sind.
Ich habe im Juli einmal nachgefragt, was die Beitragserhöhung angesichts der steuerlichen Entlastung der Beitragszahler bedeutet. Ich weiß gar nicht, ob der Herr
Finanzminister das schon berechnet hat. Das wird noch
einmal ein Loch in den Bundeshaushalt reißen. Deshalb
muss man sich die Zahlen genau angucken.
Es gibt auch ein Geschenk für die Arbeitgeber; denn
Sie sagen: Wir beteiligen euch im Jahr 2011 noch an den
Beitragserhöhungen, aber 2012 seid ihr nicht mehr dabei. Dann werden die zukünftigen Ausgabensteigerungen nur noch die Versicherten bezahlen. - Deshalb wundert es mich nicht, dass die Versicherten Ihre Politik
nicht verstehen und sagen: Bei uns kommen keine Ersparnisse an.
Sie brüsten sich damit, dass Sie zusätzlich 2 Milliarden Euro an Steuergeldern in den Gesundheitsfonds stecken. Schwierig ist nur, dass diese 2 Milliarden Euro für
Sie so ziemlich alle Probleme auf einmal lösen sollen:
Das Defizit soll ausgeglichen werden. Es soll eine
Schwankungsreserve aufgebaut werden, und ein Sozialausgleich soll damit finanziert werden. - Apropos Sozialausgleich: Erst ab 2015 sollen zusätzliche Steuermittel
für den Sozialausgleich in den Gesundheitsfonds fließen.
Wo bleiben Ihre vollmundigen Versprechungen von einer
gerechten Finanzierung? Wo beteiligen Sie die Gutverdienenden an der solidarischen Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung?
({2})
Nach meiner Auffassung müssen die gesetzlich Krankenversicherten im nächsten Jahr nicht nur eine unsoziale
Kopfpauschale finanzieren, sondern auch noch ihren eigenen Sozialausgleich. Das finde ich sehr merkwürdig.
({3})
Es kommt noch schlimmer: 2011 soll die Beitragsbemessungsgrenze gesenkt werden. Dadurch kann ich
keine Mehreinnahmen für die gesetzliche Krankenversicherung erkennen. Im Gegenteil, dies schont die Bezieher
höherer Einkommen; die Bezieher kleiner und mittlerer
Einkommen werden mehr bezahlen müssen. Das nenne ich
weder gerecht noch sozial. Wenn es nicht so ungerecht
wäre, dann müsste ich mich bei Ihnen dafür bedanken; denn
ich bin eine von den Gutverdienenden, die in der gesetzlichen Krankenversicherung an der Beitragsbemessungsgrenze liegen. Ich bekomme eine schöne Kompensation
für die Beitragssteigerung, wenn die Beitragsbemessungsgrenze gesenkt wird. Herzlichen Glückwunsch, das
finde ich sehr gut. Das nützt aber denjenigen, die gerin5978
gere Einkommen haben, überhaupt nichts. Damit haben
Sie wieder Klientelpolitik für die Gutverdienenden betrieben. Das ist nicht gerecht. Darüber sollten Sie nachdenken.
({4})
Hinzu kommen noch nicht bezifferte Bürokratiekosten für Ihren sogenannten Sozialausgleich. Kassen und
Arbeitgeber müssen bei den Versicherten Informationen
sammeln und austauschen, die sie bisher nichts angingen
und die sie auch nicht haben wollen. Sie müssen den
Aufwand betreiben, weil Sie das so wollen und weil es
völlig unproblematisch sein soll, für jeden Einzelnen
Konten für Zusatzbeiträge einzurichten. Wenn das nichts
kostet, dann möchte ich wissen, durch welche haushaltspolitischen Einsparvorschläge Sie das ausgleichen wollen.
Auf die Versicherten kommen massive Zusatzbelastungen zu; das verschweigen Sie hier. Die Zusatzbeiträge,
die Sie einfordern, werden noch durch das verschärft, was
Sie jetzt in der privaten Krankenversicherung beabsichtigen. Herr Spahn hat sich eben so schön für die kleinen Beamtinnen und Beamten in die Bresche geworfen. Ich sage
Ihnen voraus: Sie werden sehr wohl die SPD wählen, weil
sie nicht wollen, dass ein völlig abgewirtschaftetes Versicherungsmodell subventioniert wird. Sie wollen endlich
Zugang zu einer gesetzlichen Krankenversicherung haben. Sie haben scheinbar vergessen, dass viele Beamte
gern in die gesetzliche Krankenversicherung möchten, es
im Moment aber nicht dürfen. Konsequenterweise sollten
Sie das Gesetz an dieser Stelle ändern, damit sich die Beamtinnen und Beamten in der gesetzlichen Krankenversicherung versichern können; dann wären Sie auf der sicheren Seite.
({5})
Die Beamtinnen und Beamten, für die Sie sich so in die
Bresche geschlagen haben, werden uns Sozialdemokraten wählen, weil wir das mit der Bürgerversicherung ändern wollen.
({6})
Sie setzen die Solidarität innerhalb der Krankenversicherung leichtfertig und auch bewusst aufs Spiel, indem
Sie eine Klientelpolitik zur Stärkung der privaten
Krankenversicherung machen. Sie haben es selbst gesagt: Sie setzen sich massiv für 10 Prozent der Bevölkerung ein, die privat versichert sind. - Dafür lassen Sie
90 Prozent der Bevölkerung zu Verlierern werden; das
ist keine Nebensächlichkeit. Das ist eine ungerechte und
keine nachhaltige Politik. Wir werden das zu verhindern
wissen. Letztlich ist das, was Sie ankündigen, Herr
Rösler, weder nachhaltig noch solidarisch, geschweige
denn gerecht.
({7})
Die Kollegin Stefanie Vogelsang ist nun die nächste
Rednerin für die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren Kollegen! Ich möchte in den letzten Minuten, die
wir noch haben, nicht über das Arzneimittelmarktneuordnungsgesetz oder über das GKV-Finanzierungsgesetz
sprechen, sondern ich möchte versuchen, einen Bogen
vom Einzelplan 15, vom Haushalt des Gesundheitsministeriums, zum Haushalt des Bundesministeriums für
Forschung, dem vorherigen Tagesordnungspunkt, zu
schlagen. Schauen wir uns einmal an, in welchen Bereichen der Gesundheitsforschung Schwerpunkte gesetzt
und Veränderungen vorgenommen worden sind. Ich
finde, dass Entwicklungen stattgefunden haben, die zwar
nicht im Licht der Öffentlichkeit stehen, einen aber sehr
froh und optimistisch stimmen können.
Wir haben auf der einen Seite das Wirtschaftsministerium, das stark auf Forschung setzt, um Unternehmen
zu fördern. Auf der anderen Seite steht das Forschungsministerium, vertreten durch Frau Ministerin Schavan.
Frau Schavan hat hervorgehoben, dass die Forschungsförderung für den Bildungsstandort Deutschland eine
große Bedeutung hat. Schließlich gibt es die Ressortforschung des Bundesministeriums für Gesundheit. Ich
stelle fest, dass es eine Übereinkunft zwischen den drei
Ministerien gibt, zunehmend Titel gemeinsam zu bewirtschaften, zunehmend gemeinsam Ziele zu definieren und
zunehmend gemeinsam Verantwortung für die Haushaltsmittel zu übernehmen, um speziell für die Bundesrepublik Deutschland definierte Ziele zu erreichen. Das
ist, so finde ich, der richtige Weg. Das Ganze steckt noch
in den Kinderschuhen, und man könnte sich noch mehr
anstrengen. Aber bis 2014, dem Zeitpunkt, bis zu dem
die mittelfristige Finanzplanung reicht, ist noch etwas
Zeit, diesen guten Ansatz zu verstärken.
({0})
Der Kollege Schurer hat eben gesagt, es würden Ansätze, zum Beispiel im Bereich der Präventionsausgaben, reduziert. Wir sollten uns aber auf der anderen Seite
die Ansätze für die Versorgungsforschung anschauen.
Absicht der Ministerien ist es, nach der Zielgenauigkeit
von Ausgaben für Präventionsmaßnahmen zu fragen.
Das ist der richtige Weg.
Wir haben intensiv über die Organspende diskutiert.
Wir müssen sinnvolle Maßnahmen ergreifen, um die Bereitschaft der Bevölkerung zu erhöhen, in stärkerem
Maße Organe zu spenden. Dies wurde in der Vergangenheit durch Plakatwände und Schalten von ganzseitigen
Anzeigen in Zeitungen zu erreichen versucht. Diese
Maßnahmen waren gut gemeint - ich werfe das niemandem vor -, aber sie haben die Bereitschaft zur Organspende nicht nennenswert erhöht. Deswegen müssen wir
uns jetzt darum kümmern, wie wir dieses Ziel in Zukunft
erreichen.
Die am meisten verbreiteten Krankheiten in Deutschland sind Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Ein Viertel
aller Ausgaben der gesetzlichen Krankenversicherung
entfällt auf die Behandlung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Es ist nachhaltige Haushaltspolitik - schauen
wir uns doch die Entwicklung des Haushalts, des Sozialausgleichs oder der Zuschüsse für die GKV in den
nächsten Jahren an -, wichtig und notwendig, dass wir
uns bei der Forschungsförderung im Bereich der HerzKreislauf-Erkrankungen ein Ziel setzen. Herr Bundesminister, ich möchte Sie herzlich bitten, darüber nachzudenken, ob wir nicht das nationale Ziel formulieren
könnten, zunächst einmal die Rate der Reinfarkte zu senken. Unsere Anstrengungen im Bereich der Forschung,
der Vorsorge und der Präventionsmaßnahmen sollten
sich darauf konzentrieren, die Reinfarktquote in der
Bundesrepublik Deutschland um 50 Prozent zu senken.
Wir sollten einen Zeitraum von fünf Jahren anvisieren
und nach fünf Jahren überprüfen, was wir erreicht haben.
Das wäre nachhaltige Haushaltspolitik, nachhaltige Gesundheitspolitik und im Interesse von uns allen.
Ich danke Ihnen.
({1})
Zu diesem Einzelplan liegen keine weiteren Wortmeldungen mehr vor.
Damit kommen wir zu dem Geschäftsbereich des
Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und
Reaktorsicherheit, Einzelplan 16.
Als erstem Redner erteile ich das Wort dem Bundesminister Dr. Norbert Röttgen.
({0})
Jetzt dürfte die Aufmerksamkeit gesichert sein. Herr
Minister, Sie haben das Wort.
Besten Dank. - Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Ich habe an dieser Stelle bereits häufiger
gesagt: Diese Legislaturperiode ist eine Legislaturperiode von energiepolitischen Grundsatzdebatten und
auch energiepolitischen Grundsatzentscheidungen. Das
ist gut und richtig so; denn die Energieversorgung ist
eine Lebensader moderner Gesellschaften. Energieversorgung, Energiepolitik, das zählt zu den echten Anforderungen an Zukunftssicherung und Zukunftsgestaltung.
Weil das so ist, brauchen wir ein langfristiges Konzept
für Zukunftssicherung und Zukunftsgestaltung. Ein solches haben wir in der Koalition beschlossen und vorgelegt.
Ich möchte die Gelegenheit der Haushaltsdebatte nutzen, um zu dieser zentralen Frage von Zukunft und Zukunftssicherung durch langfristige Energiepolitik Stellung zu nehmen. Wenn man Energiepolitik als wichtigen
Bereich von Zukunftssicherung und Zukunftsgestaltung
versteht,
({0})
dann braucht man natürlich ein Zukunftsbild; sonst weiß
man nicht, wie man die Zukunft bauen soll, wie die Gesellschaft aussehen soll. Darum möchte ich das Bild, das
wir von der Koalition mit diesem Energiekonzept erstreben, vorstellen.
Wir wollen, dass unser Land, dass Deutschland eine
der effizientesten und klimafreundlichsten Volkswirtschaften der Welt wird - und das bei Steigerung der
Wettbewerbsfähigkeit und Erhaltung eines hohen und
breiten Wohlstands. Das wollen wir auch durch Energiepolitik erreichen. Wir glauben, dass wir damit einen konzeptionellen Wurf gemacht haben.
({1})
Um das zu erreichen - Energieeffizienz, eine der effizientesten und klimafreundlichsten Gesellschaften und
Volkswirtschaften weltweit -, braucht man ein langfristiges Konzept;
({2})
denn Technologien entwickeln sich nur, wenn man einen
verlässlichen Rahmen setzt.
({3})
Wir werden nur dann erfolgreich sein, wenn wir auchMärkte in Deutschland entwickeln. Wir brauchen Technologieentwicklung und Marktentwicklung in Deutschland; ansonsten werden sich weder Technologien entwickeln, noch werden Investitionen, die notwendig sind,
in unserem Land getätigt werden.
({4})
Mit diesem langfristigen Konzept erfüllen wir einen Anspruch, den sich meine beiden Amtsvorgänger noch
nicht einmal gestellt haben, geschweige denn, dass sie so
etwas erreicht haben.
({5})
Was macht dieses Energiekonzept aus?
({6})
Dieses Energiekonzept ist deshalb glaubwürdig, weil es
drei Elemente hat: Es ist erstens langfristig, weil es einen
Zeithorizont bis 2050 beschreibt und konkrete Zeitetappen, in denen wir bestimmte Ziele erreichen wollen und
werden. Es ist zweitens handfest mit ganz konkreten
Maßnahmen ausgefüllt.
({7})
Es sind über 60 konkrete Maßnahmen, um die Ziele zu
erreichen. Nicht nur große Ziele, sondern auch die Maßnahmen, die dazu gehören, sind in diesem Konzept enthalten. Drittens ist dieses Konzept verlässlich langfristig
finanziert. Sie mögen Wolkenschiebereien und Träumereien machen; wir machen erstens ein langfristiges Konzept, wir machen zweitens ein konkretes Konzept, wir
machen drittens ein seriös langfristig finanziertes Konzept.
({8})
- Einen Moment könnten Sie vielleicht mal zuhören.
({9})
Darum sage ich: Dieses Energiekonzept ist das anspruchsvollste, konsequenteste, umfassendste Energieund Umweltkonzept, was es in Deutschland je gegeben
hat, und es ist weltweit einmalig.
({10})
- Herr Trittin, ich weiß gar nicht, warum Sie so herumschreien.
({11})
Beteiligen Sie sich doch an der Debatte! Vielleicht liegt
der Grund darin, Herr Trittin: Sie haben versucht, den
Ausstieg aus der Kernenergie zu machen; wir machen
den Einstieg
({12})
in erneuerbare Energien und Energieeffizienz. Das ist
unser Ziel.
({13})
Sie wollen ein Ausstiegskonzept machen.
({14})
Wir machen ein energiepolitisches Einstiegskonzept in
erneuerbare Energien und Energieeffizienz. Das ist der
Unterschied.
({15})
Aussteigen ist einfach. Einsteigen ist schon etwas anspruchsvoller.
({16})
- Wir zeigen es Ihnen. Wir machen das auch, Frau Kollegin. Sie mögen davon reden, wir setzen ein entsprechendes Konzept um. Noch einmal: Wir machen etwas,
was Sie für sich noch nicht einmal in Anspruch genommen haben.
({17})
Ich will konkret sagen, was wir in unserem Konzept
beschlossen haben.
Erstens. Wir haben uns konkrete Ziele gesetzt, die wir
in Etappen fortschreiben, verbunden mit einem Überprüfungsmechanismus: bei den Treibhausgasemissionen bis
2020 eine Reduzierung um 40 Prozent bis hin zu einer
Reduzierung um 80 Prozent bis 2050.
({18})
Bei der Stromproduktion soll der Anteil erneuerbarer
Energien 2030 bei 50 Prozent liegen und 2050 bei 80 Prozent.
({19})
Wir haben langfristige Ziele. Ihr Erreichen werden wir in
Etappen immer wieder überprüfen. Wir setzen uns Ziele,
überwachen aber auch deren Einhaltung. Darum ist es
glaubwürdig, was wir machen.
({20})
Zweitens: erneuerbare Energien. Unser Konzept sieht
für alle Sektoren konkrete Instrumente vor. Ich nenne ein
Beispiel zum Ausbau der erneuerbaren Energien: Die
Offshore-Windenergie, bei der man während der rotgrünen Regierungszeit nicht vorangekommen ist, werden wir voranbringen. Mit einem KfW-Sonderprogramm
in Höhe von 5 Milliarden Euro werden wir die ersten
zehn Windparks auf hoher See realisieren. Eine solche
Kapitalmobilisierung haben Sie nicht geschafft. Wir machen das, weil wir der Offshore-Windenergie zum Durchbruch verhelfen wollen, und wir werden dieses Ziel auch
erreichen.
({21})
Herr Minister, darf ich Sie unterbrechen? Der Kollege
Fell möchte gerne eine Zwischenfrage stellen.
Ja, bitte.
Bitte sehr.
Herr Minister Röttgen, Sie haben gerade gesagt, dass
die Bundesregierung den Ausbau der erneuerbaren Energien vorantreiben will. Ich frage Sie: Legt die Bundesregierung die Daten zugrunde, die im Gutachten von
EWI und Prognos dargestellt wurden, nämlich dass beispielsweise der Ausbau der Fotovoltaik in den kommenden zehn Jahren auf nur noch ein Viertel des Ausbaustands von 2010 sinken wird und sich ab 2020 noch
weiter reduzieren wird, dass bei der Windkraft an Land
der Ausbau auf ein Drittel des derzeitigen Ausbaustands
sinken wird? Das wird nach unserer Meinung zu hohen
Arbeitsplatzverlusten in den betroffenen Branchen und
zu Konkursen führen. Können Sie bestätigen, dass die
Bundesregierung in ihrem Energieszenario die gleichen
Zahlen zugrunde legen wird wie das Gutachten, das von
Ihnen als Grundlage für Ihre Maßnahmen in Auftrag gegeben wurde?
Herr Kollege Fell, ich danke Ihnen für diese Frage,
weil mir das die Gelegenheit gibt, ein bei Ihnen und vielleicht auch bei anderen bestehendes grundlegendes
Missverständnis auszuräumen. Den Energieszenarien
sind bestimmte Annahmen zugrunde gelegt worden. Auf
der Basis dieser Annahmen sind dann Berechnungen angestellt worden. Beim energiepolitischen Konzept der
Bundesregierung handelt es sich nicht um eine Berechnung, sondern um eine Bekundung dessen, was wir politisch erreichen wollen. Darauf abgestimmt werden dann
Maßnahmen und Finanzierung. Das ist etwas grundlegend anderes.
({0})
Darum sage ich Ihnen: Bei dem, was ich eben referiert
habe, habe ich die Ziele formuliert, die unsere Koalition
mit bestimmten Maßnahmen erreichen will und mit diesen Maßnahmen auch erreichen kann.
({1})
Ich will Ihnen ein Beispiel nennen, das auch Sie angesprochen haben, nämlich die Fotovoltaik. Wir haben
hier ja eine Debatte über die Kürzung der Fotovoltaikvergütungen geführt. Ich habe gesagt, dass weder die
Photovoltaik noch andere im Erneuerbare-Energien-Gesetz genannte Energieformen zu einem Dauersubventionsgegenstand werden dürfen, sondern es hierbei um
eine Hilfe zu deren Markteinführung geht. Wenn sich die
Marktposition dann erfolgreich entwickelt, muss der
Staat seine Förderung zurücknehmen. Es wurde hier kritisiert, das werde zum Untergang führen. Ich nenne Ihnen die für 2010 prognostizierten Zahlen, nachdem wir
erst dieses Jahr die Kürzung beschlossen haben: Bis
2009 einschließlich wurde eine Kapazität von 9 800 Megawatt Photovoltaikstrom in Deutschland aufgebaut. In
diesem Jahr wird die Kapazität in Deutschland noch einmal um mehr als zwei Drittel gesteigert - allein in einem
Jahr! Auch nach der Kürzung der Förderung werden wir
weiterhin 4 000 bis 5 000 Megawatt Aufwuchs haben.
Das heißt, unsere marktorientierte Politik zur Förderung
erneuerbarer Energien ist erfolgreich. Wir werden sie
konsequent in der Form fortsetzen, wie wir es auch an
dieser Stelle gemacht haben.
({2})
Das ist marktwirtschaftliche Förderung, die Erfolge auch
auf den Märkten zeigt.
Wenn man erneuerbare Energien so fördert, wie wir
das zum Beispiel bei der Windenergie tun, dann muss
man sich auch einer Frage zuwenden, die in den letzten
acht Jahren völlig vernachlässigt worden ist, nämlich
dem Netzausbau. Es nützt nichts, Offshore-Windenergiekapazitäten aufzubauen, wenn man keine Anbindung
für diesen Strom an Fernnetze schafft, die ihn in die
westlichen und südlichen Bereiche unseres Landes transportieren können, wo die Nachfrage besteht.
Darum machen wir den Netzausbau zu einem konkreten Schwerpunkt unserer Politik der Förderung von
erneuerbaren Energien. Die Verzögerung, die es beim
Netzausbau gegeben hat, ist eine der Achillesfersen bei
der Förderung der erneuerbaren Energien. Daher handelt
es sich hierbei um einen echten Kurswechsel in der Förderung erneuerbarer Energien, den wir gegenüber der
Untätigkeitspolitik, die in der Vergangenheit geherrscht
hat, jetzt durchführen.
({3})
Wir - nicht Sie - werden jetzt erstmalig eine ClusterAnbindung für Offshore-Windenergien schaffen. Wir
werden eine Nord-Süd-Fernnetztrasse bauen, weil wir
die brauchen. Wir werden die Smart Grids, die intelligenten Verteilnetze, errichten. Wir werden flächendeckend intelligente Stromzähler einrichten. Das alles betrifft Versäumnisse alter Zeiten, die wir mit diesem
Konzept jetzt abarbeiten.
({4})
Gleiches gilt für die Energieeffizienz. Wir hatten bislang eine Steigerung der Energieeffizienz im Bereich
von 1,7 bis 1,8 Prozent pro Jahr. Energieeffizienz ist der
Schlüssel zum Erfolg. Ohne Steigerung der Energieeffizienz durch moderne Technologien werden wir unsere
Ziele nicht erreichen. Darum werden wir mithilfe einer
klaren Zielmarke eine Steigerung der Energieproduktivität von 2,5 Prozent pro Jahr erreichen und damit in zehn
Jahren einen um 20 Prozent geringeren und im Jahr 2050
einen um 50 Prozent geringeren Energieverbrauch haben. Energieeffizienz und -produktivität sind eine der intelligentesten Formen der Energiepolitik. Darum wählen
wir sie, und darum ist das ein Beitrag dazu, nach vorne
zu kommen.
Wir werden dabei die Bürger mitnehmen. Wir kommen nicht als Klimapolizei in die Häuser, sondern wollen die Bereitschaft der Bürger anreizen. Wir wollen sie
honorieren. Darum werden wir unter anderem einen Effizienzfonds im Umfang von 500 Millionen Euro auflegen. Dieser richtet sich an die Bürgerinnen und Bürger,
an die kleineren und mittleren Unternehmen und an die
Kommunen in diesem Land. Wir machen Ernst mit
Energieeffizienz in Deutschland. Das fängt jetzt erst
richtig an.
({5})
Das beschreibt unsere Ziele. Ich habe nicht alle
60 Maßnahmen vorgetragen, die dazu gehören, sondern
habe konkret einige Beispiele genannt.
Ich möchte noch auf zwei weitere Punkte eingehen:
die Finanzierung und die Sicherheit. All jene, denen etwas an Energieeffizienz, erneuerbaren Energien, Energieforschung und übrigens nationalem und internationalem Klimaschutz liegt und die nicht parteiisch denken,
müssten sich freuen, dass es uns, die wir dieses Ziel erreichen wollen, gelungen ist, eine verlässliche und seriöse Finanzierung für die Zukunft zu erreichen. Das ist
absoluter Fortschritt.
({6})
- Wir können über alles streiten, aber wenn wir für die
gemeinsame Sache Erfolg haben, dann können wir uns
alle darüber freuen. - Ich möchte einmal etwas darstellen, worüber wir uns alle freuen können, weil es ein Erfolg in der Sache ist: Wir haben mit dem Bundesfinanzminister in dieser Koalition verabredet, dass 100 Prozent
der zu erwartenden Zusatzerlöse aus dem CO2-Zertifikatehandel für internationalen und nationalen Klimaschutz, für erneuerbare Energien und für Energieeffizienz verwendet werden. Es handelt sich dabei im
Vergleich zu den bisherigen Erlösen um Zusatzerlöse im
Umfang von 2,5 Milliarden Euro. Selbst wenn es sehr
konservativ beim bisherigen Preis pro Tonne bleibt - er
könnte sich durchaus noch erhöhen -, sind es 100 Prozent. Das hat es überhaupt noch nie gegeben, dass diese
Bereiche auf Jahre und darüber hinaus verlässlich finanziert sind. Damit können wir jetzt Klimaschutzpolitik
und Energiepolitik machen und sind nicht mehr in der
Defensive. Wir müssen nicht mehr sagen: Wir können
viel beschließen, aber wir haben das Geld nicht. Das ist
ein Riesenfortschritt, der hier erreicht worden ist. Das
möchte ich gerade in der Haushaltsberatung betonen.
({7})
Nun komme ich zu einem weiteren Aspekt der Finanzierung. Zusätzlich gibt es noch die Beiträge der Kernenergiewirtschaft, die insgesamt einen zweistelligen
Milliardenbetrag ausmachen. Wir werden ab 2013 für
den Bereich Klima- und Energiepolitik rund 3 Milliarden Euro pro Jahr zur Verfügung haben. Das war noch
nie da und ist ein Erfolg, von dem alle profitieren werden.
({8})
Ich komme zu einem letzten Punkt: zur Sicherheit.
Ich schlage vor, dass wir auch mit diesem Thema sehr
sachlich und seriös umgehen.
({9})
Auch hier gibt es Veränderungen gegenüber der bisherigen Politik. Ich betone an dieser Stelle: Es ist ein anderer, ein besserer Kurs für mehr erneuerbare Energien
und für mehr Sicherheit bei den Kernkraftwerken, als es
bislang unter beiden Vorgängern der Fall war. Ich will es
ganz ruhig sagen. Ich möchte es in den verbleibenden
gut anderthalb Minuten in aller Ruhe ausführen.
({10})
Bei der Atomgesetznovelle, die ich einbringen werde,
wird selbstverständlich der bisherige technische und
rechtliche Stand der Anforderungen an die Sicherheit
von Kernkraftwerken uneingeschränkt erhalten bleiben.
({11})
Selbstverständlich bleibt es uneingeschränkt bei der Erhaltung des gegenwärtigen Sicherheitsstandes.
({12})
Aber wir werden uns damit nicht begnügen, sondern wir
werden technisch - das haben wir schon - in konkreten
Verabredungen mit den Ländern zusätzliche Maßnahmen durchsetzen. Wir werden weiter eine ganz neue zusätzliche Sicherheitsstufe in das Atomgesetz aufnehmen,
durch die endlich Konsequenzen gezogen werden: Dann,
wenn sich der Stand von Wissenschaft und Technik weiterentwickelt, muss sich das auch in neuen zusätzlichen
inhaltlichen Anforderungen an die Sicherheit von Kernkraftwerken niederschlagen. Das muss dann auch im
Einzelfall konkret durch die Aufsicht durchsetzbar sein.
({13})
Das ist eine neue zusätzliche Stufe in der Sicherheit, auf
die wir stolz sind; denn das, was technisch an Sicherheit
möglich ist, muss auch rechtlich umgesetzt werden. Das
ist unsere Philosophie.
({14})
Das ist eine komplett andere Philosophie - jetzt sollten Sie einmal einen Moment zuhören, Herr Trittin ({15})
als die, zu der Sie sich, Herr Trittin, in der rot-grünen
„Vereinbarung zwischen der Bundesregierung und den
Energieversorgungsunternehmen vom 14. Juni 2000“
bekannt haben. Dort ist nämlich damals von Ihnen - anders als jetzt - Sicherheit verhandelt worden. Ich habe
nicht über Sicherheit verhandelt.
({16})
Sicherheit ist die Vorbedingung für den wirtschaftlichen
Betrieb eines Kernkraftwerkes. Sicherheit ist unverhandelbar. Das ist die Bedingung, das hat Priorität und ist
nicht verhandelbar. Anders bei Herrn Trittin.
({17})
Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage der
Frau Kollegin Kotting-Uhl?
Ja.
Bitte sehr.
Herr Minister, um das einmal konkret werden zu lassen.
Ja, genau, ich werde jetzt konkret.
Was planen Sie konkret an Maßnahmen, an Sicherheitsauflagen gegen Flugzeugabstürze auf Atomkraftwerke?
Ich werde das gerne ausführen. Wir haben im Konkreten neue technische Maßnahmen zur Sicherheit verabredet,
({0})
und wir werden das Atomgesetz so verändern, dass dynamische Sicherheitsanforderungen im Gesetz abgebildet werden.
({1})
Das heißt, dass, so wie sich Wissenschaft und Technik
weiterentwickeln, diese Weiterentwicklung eine inhaltliche Anforderung an die Sicherheit von Kernkraftwerken
ist und damit auch rechtlich durchgesetzt werden kann.
({2})
Das ist ein Unterschied - ich möchte die Frage beantworten - zu dem, was Herr Trittin, als er Umweltminister war, verabredet hat. Herr Trittin hat im Unterschied
zu uns eine Verabredung über Sicherheit getroffen.
({3})
Er hat auch einen konkreten Inhalt vereinbart. Er hat
nämlich im Jahre 2000 Folgendes verabredet - wenn ich
Ihnen das noch zu Gehör bringen darf; ich zitiere aus
dem Vertrag -:
({4})
Während der Restlaufzeiten wird der von Recht und
Gesetz geforderte hohe Sicherheitsstandard weiter
gewährleistet;
- er sichert zu; jetzt zitiere ich wieder die Bundesregierung wird keine Initiative ergreifen,
um diesen Sicherheitsstandard … zu ändern.
Sie haben vertraglich garantiert, den Sicherheitsstandard 20 Jahre lang nicht zu verändern. Das haben Sie gemacht. Darum brauchen wir von Ihnen und von Rot und
Grün beim Thema Sicherheit keine Belehrung.
({5})
Es hat überhaupt nur einen Umweltminister gegeben,
der die Chuzpe hatte, Sicherheit in einem Vertrag zu verhandeln, der im Jahre 2000 für Kernkraftwerke, die noch
20 Jahre lang laufen, zugesagt hat: Es wird keine Initiative der Bundesregierung geben, sondern wir konservieren den einmal erreichten Sicherheitsstandard, den wir
haben.
({6})
Das ist ein grundsätzlicher Unterschied im Staatsverständnis und im Verständnis von Sicherheit; das unterscheidet uns. Wir sagen, wenn sich die Möglichkeiten
von Sicherheit erweitern, dann werden wir sie auch
durchsetzen.
({7})
Sie haben über Sicherheit verhandelt, und Sie haben zugesichert, dass bei der Sicherheit nichts passiert. Darum
ist das, was die Konkretheit der erneuerbaren Energien,
der Energieeffizienz, der Finanzierung und der Sicherheit angeht, ein grundlegender Unterschied, ein richtiger
Fortschritt, den diese Koalition macht.
({8})
Dass Ihnen der parteipolitisch nicht gefällt, kann ich verstehen. Aber in der Sache sollten Sie sich darüber sehr
freuen.
({9})
Nächster Redner ist der Kollege Dr. Matthias Miersch
für die SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Sehr verehrter Herr Bundesminister Röttgen, ich kann
mir vorstellen, es ist für Sie in diesen Wochen nicht einfach. Insofern nehme ich Ihnen ab, dass Sie hier sicherlich erregt sind. Ich finde es aber schon spannend, wie
Sie es hinbekommen, über 2050 und 2040 zu reden,
ohne mit einem Wort zu erwähnen, dass im aktuellen
Haushaltsentwurf genau das Gegenteil von dem passiert,
was Sie hier proklamieren:
({0})
nichts an Gebäudesanierung, Kürzung beim Marktanreizprogramm, Streichung von Mitteln für den internationalen Klimaschutz. Nichts von dem, was Sie hier gesagt haben, haben Sie tatsächlich umgesetzt. Das müssen
die Menschen draußen im Lande einmal wissen.
({1})
Wenn Sie sagen, es gehe um Grundsatzentscheidungen und um Glaubwürdigkeit, so will ich diese Situation
nutzen, um nun Ihre eigenen Ansagen, die Sie vor wenigen Wochen gemacht haben, an Ihren Taten zu messen.
Fangen wir einfach damit an, dass Sie den hohen Anspruch hatten, die Verlängerung der Laufzeiten der Kernkraftwerke an wissenschaftliche Studien zu koppeln.
Ich zitiere aus Ihrem Interview mit dem Spiegel:
In wenigen Tagen liegt uns der wissenschaftliche
Rat vor, um zu entscheiden, auf welchem Weg wir
bis 2050 zur Versorgung mit erneuerbaren Energien
kommen.
Nun lag der „wissenschaftliche Rat“ vor; wir wollen
an dieser Stelle nicht fragen, inwieweit das Gutachten
unabhängig war. Nachdem es aber vorlag, gab Ihr eigenes Haus Stellungnahmen heraus, in denen es zum einen
heißt:
Die Gutachter betrachten nicht ausreichend die tatsächlichen Kosten für die Verbraucher und ignorieren … den Nutzen einer ambitionierten Klimapolitik und der Entwicklung von zukunftsorientierten
Energierversorgungsstrukturen.
Zum anderen heißt es:
Das Gutachten zu den Energieszenarien bedarf daher aus den o. g. Gründen noch einer Reihe von
Nachberechnungen und der Berücksichtigung fehlender zentraler Aspekte, die auch Teil des Auftrags
waren.
Herr Minister, was haben Sie getan, um diesen Empfehlungen Ihres Hauses gerecht zu werden? Sie haben
nichts getan. Ich fordere Sie auf, morgen in der Sondersitzung des Umweltausschusses Stellung zu nehmen:
Welche wissenschaftliche Fundierung hat Ihr Vorschlag,
eine Verlängerung der Laufzeiten der Kernkraftwerke
von zwölf Jahren festzulegen? Ich behaupte: keine.
({2})
Sie setzen sich mit keinem Wort mit den Stellungnahmen des Gutachtens Ihres eigenen Sachverständigenrates auseinander, mit keinem Wort mit dem Gutachten des
Umweltbundesamtes. Herr Minister, warum verlassen
Sie den gesellschaftlichen Konsens, der 2000 gefunden
wurde, ohne wissenschaftliche Grundlage? Das müssen
Sie hier beantworten.
({3})
Es geht weiter. Im Spiegel vom 23. August führen Sie
aus:
Die Politik muss mächtige Unternehmen gerade
auch im Steuerrecht so wie die normalen Bürger behandeln. …
({4})
Deshalb darf der Staat grundsätzlich nicht mit einzelnen Unternehmen einen Deal machen.
({5})
Was haben Sie vor gut zwei Wochen am Wochenende
gemacht? Jetzt ist mir klar, warum Sie in keiner Weise
diesen Geheimvertrag erwähnt haben, als Sie mit Herrn
Brüderle in die Kameras lächelten. Das hat nämlich fundamental gegen Ihre Grundsätze verstoßen, Herr Bundesminister.
({6})
Aber es gehört zu einer glaubwürdigen Politik, dazu
Stellung zu nehmen, warum dieser Vertrag mit Ihrer Zustimmung geschlossen worden ist.
({7})
Herr Minister, auch Sie sind Jurist. Insofern freue ich
mich, in den nächsten Wochen und Monaten mit Ihnen
über die juristische Grundkonzeption des Geheimvertrags zu streiten. Was ist das eigentlich? Es ist ein QuasiKaufvertrag für längere Laufzeiten, mit der maximalen
Gewährleistung für vier große Konzerne, nichts anderes.
Wenn ich mir die einzelnen Bestimmungen ansehe, frage
ich mich: Mit welchen Einnahmen rechnen Sie? Durch
den Energiefonds, den Sie mit den ganzen Kreuz-undquer-Regelungen aufgenommen haben, wird es zu nichts,
zu gar nichts kommen. Im Gegenteil: Sie verbinden aus
meiner Sicht verfassungsrechtswidrig Sicherheitsinteressen mit Vorauszahlungen, lieber Herr Bundesminister.
Ihre verfassungsrechtlichen Zweifel konnten wir, zumindest in Ansätzen, zur Kenntnis nehmen.
({8})
Es geht noch weiter. Sie greifen aus meiner Sicht in unzulässiger Art und Weise in das Budgetrecht künftiger
Parlamente und Regierungen ein. Auch damit werden
wir uns auseinandersetzen.
Ich zitiere aus Ihrer Rede vom 19. Mai:
Unser Selbstverständnis als Gesetzgeber muss sein,
verfassungskonforme Gesetzgebung zu machen,
nicht aber, Risiken einzugehen und dann zu warten,
ob man von Karlsruhe korrigiert wird.
Herr Bundesminister, was machen Sie hier? Es ist spannend - man liest es in den Medien -, dass Sie manchem
Abgeordneten in NRW einen Maulkorb verpasst haben
sollen. Nun berufen Sie sich auf das Innenministerium,
auf das Innenressort. Ich kann Ihnen nur sagen: Sie haben den Eid auf die deutsche Verfassung geschworen.
Wenn Sie davon überzeugt sind, dass das verfassungswidrig ist, was hier passiert, dann müssen Sie deutlich
dazu Stellung nehmen. Dazu haben Sie heute nichts gesagt. Ich hätte das aber von Ihnen erwartet.
({9})
Sie gerieren sich als jemand, der endlich Verantwortung übernimmt, was Ihre Vorgänger alle nicht gemacht
haben, Stichwort Endlagersuche.
({10})
Wenn sich das im Jahr 2015 entscheiden wird, sind Sie
wahrscheinlich Oppositionsführer in NRW, sodass das
für Sie überhaupt kein Problem mehr ist.
({11})
Aber eines ist doch wohl richtig: Wer heute auf Gorleben
setzt, der riskiert, dass wir im Jahr 2015 mit nichts dastehen. Vielleicht glauben Sie nicht mir, aber selbst Ihr eigener CDU-Ministerpräsident in Niedersachsen fordert
von Ihnen, dass Sie alternative Standorte in Deutschland
suchen. Hören Sie bitte auf ihn, weil die Endlagerfrage
- das zeigt der Haushalt - diesen Haushalt zu einem
Atomhaushalt macht. Er katapultiert die Kosten nach
oben, die Sie mit Ihrer Brennelementesteuer - abzüglich
dessen, was an Körperschaftsteuer fehlt - abdecken wollen, die aber für die Asse-Sanierung und Morsleben etc.
draufgehen wird. Dann haben Sie nichts mehr für Ihren
Fonds, Herr Kollege Röttgen. Insofern glaube ich, das
Ganze ist eine Totgeburt.
Den Konzernen, die auf die Absprachen, die getroffen
worden sind, setzen, sage ich knallhart: Es bleibt beim
Atomausstieg. Wenn es einen Regierungswechsel gibt,
können sich diese Konzerne nicht auf Vertrauensschutz
berufen. Ich sage es abschließend mit Ihren Worten aus
der Süddeutschen Zeitung vom 29. Juli:
Dabei sollte Energiepolitik zu den Bereichen gehören, über die ein breiter ökonomischer, politischer
und gesellschaftlicher Konsens herrscht. Das ist
kein Thema, wo sich bei jeder Bundestagswahl der
Kurs um 180 Grad drehen sollte.
Ja, Herr Bundesminister, wir sollten die nächsten Wochen dafür nutzen, das zu verhindern; denn Sie haben
vor, den Kurs zu drehen. Wir werden das durch Proteste
auf der Straße, aber auch hier im Parlament verhindern.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
({12})
Für die FDP-Fraktion spricht nun der Kollege HeinzPeter Haustein.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten
Damen und Herren!
Wer hat dich, du schöner Wald,
Aufgebaut so hoch da droben?
Wohl den Meister will ich loben …
Mit diesen Versen von Joseph von Eichendorff stimme
ich auf den Einzelplan des BMU, des Ministeriums für
Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, ein.
({0})
Ich tue das deshalb, weil ich auch andere Zeiten kenne.
In der damaligen DDR war das Waldsterben in den Gebirgskämmen so extrem, dass dort keine Fichten standen, sondern nur noch Geisterbäume ohne Nadeln und
ohne Rinde. Deshalb bin ich froh, dass wir heute ein
Ministerium haben, ausgestattet mit viel Geld, mit kompetenten Menschen, unter einer christlich-liberalen Regierung, das etwas dafür tut, dass Umwelt Herzenssache
ist.
({1})
Den Menschen auf der Besuchertribüne und vor den
Fernsehgeräten sei gesagt: Ich bin der Berichterstatter,
der Haushälter, der gemeinsam mit meinen verehrten
Kollegen, besonders mit Herrn Bernhard SchulteDrüggelte, diesen Haushalt zahlenmäßig zusammenbastelt.
({2})
Zu den Zahlen. Es heißt, 1,64 Milliarden Euro stehen
in diesem Haushalt als Soll. Das sind ja nur 0,5 Prozent,
werden einige sagen. Von diesen 1,64 Milliarden Euro
entfallen auf den Endlagerbereich rund 500 Millionen
Euro und auf den Stammhaushalt 1,14 Milliarden Euro.
Das untergliedert sich wiederum in den Verwaltungsbereich mit 273 Millionen Euro und in den Programmhaushalt mit 884 Millionen Euro.
({3})
Das sind 9,6 Prozent weniger als im letzten Haushalt.
Doch das ist nicht alles; denn das ist kein Einzelhaushalt,
sondern es handelt sich um eine Querschnittsaufgabe.
Daher werde ich noch einige Positionen aus anderen
Ministerien nennen, die diesem Haushalt zuzurechnen
sind.
Da sind zunächst aus dem Haushalt des Wirtschaftsministeriums fast 450 Millionen Euro, die zum Beispiel
zur Förderung der rationellen und sparsamen Energienutzung
({4})
oder für neue Technologien zur Konsolidierung der Kohlendioxidspeicherung eingestellt werden.
Im Haushalt des BMZ, dem Ministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, werden
1,3 Milliarden Euro für Umweltschutz eingestellt. Auch
viele Projekte im Ausland müssen gefördert werden;
denn es gibt nur eine Welt, nur eine Erde. Auch dort werden wir unsere Prämissen setzen:
({5})
Der Waldschutz gehört dazu, ebenso der Wasser- und
Gewässerschutz. Beim Ministerium für Verkehr, Bau
und Stadtentwicklung steht das CO2-Gebäudesanierungsprogramm im Haushalt, und zwar nach wie vor mit
einem sehr hohen Betrag. Die Elektromobilität gehört
ebenfalls zu diesem Haushalt. Wir haben das BMF, das
Finanzministerium. Da gibt es noch die Sanierung der
alten Braunkohlestandorte im ehemaligen DDR-Gebiet.
Auch das muss zu Ende gebracht werden. Dafür werden
immerhin 259 Millionen Euro eingestellt. Nicht zu vergessen ist der Bereich Forschung und Bildung. Alles in
allem sind 827 Millionen Euro für Grundlagenforschung
im Umweltbereich vorgesehen. Dazu kommen noch
Kredite aus KfW- oder ERP-Programmen in Höhe von
ungefähr 2,5 Milliarden Euro.
Alles in allem sind das 6,5 Milliarden Euro. Das sind
200 Millionen Euro mehr für den Umweltbereich als im
letzten Haushaltsjahr.
({6})
Deshalb stimmt es nicht, wenn Sie sagen, wir würden im
Umweltbereich nichts tun und kein Geld ausgeben. Das
ist fundiert und solide. Das ist Herzenssache unserer Koalition.
({7})
Liebe Freunde, dieses Jahr gibt es eine Wende in unserer Politik in Deutschland. Es wird gespart, der Haushalt wird konsolidiert, und es wird nach vorne geschaut.
Schulden machen auf Kosten unserer Kinder, das ist vorbei.
({8})
Leider ist das in der Vergangenheit so gewesen. Über
300 Milliarden Euro sind allein von Rot-Grün aufgenommen worden. Das geht zulasten unserer Kinder. Wir
machen das nicht. Auch wenn wir dafür angegriffen
werden, dass manche Subventionen hier und da zurückgeführt werden, sagen wir: Subventionen auf Kosten unserer Kinder sind nicht zu verantworten.
({9})
Ich komme noch einmal kurz zum Marktanreizprogramm. 448 Millionen Euro waren es für dieses Jahr. Im
Ansatz für das nächste Jahr befinden sich 380 Millionen
Euro. Davon entfallen 312 Millionen Euro auf den Bereich der erneuerbaren Energien.
({10})
Das ist okay. Das ist ausreichend. Wir sagen: Auch dort
müssen Innovationen weiterentwickelt werden. Es bringt
nichts, den Status quo zu halten und immer das gleiche
Geld einzubringen. Man muss leicht herunterdrehen und
sagen: Kommt, lasst euch etwas Neues einfallen. Daher
sagen wir, dass diese 380 Millionen Euro in diesem einen Programm ausreichend und genug sind.
Zum Schluss: Wir machen eine solide Haushaltspolitik und eine solide Finanzpolitik. Das, was Rot-Grün in
NRW macht, nämlich 9 Milliarden Euro neue Schulden
aufnehmen, das ist unverantwortlich. Liebe Freunde, bei
uns ist Umweltpolitik Herzenssache. In diesem Sinne ein
herzliches Glückauf aus dem Erzgebirge!
({11})
Nächster Redner ist der Kollege Michael Leutert für
die Fraktion Die Linke.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Herr Minister, vor einem Jahr, während der Haushaltsberatungen 2010, haben Sie uns die Grundzüge Ihrer Energiepolitik hier schmackhaft machen wollen. Sie haben
damals den Papst bemüht und ihn zitiert. Ich möchte Ihnen heute einmal ein Zitat aus der Berliner Zeitung vorlesen:
Wenn nichts mehr hilft, dann vielleicht die Bibel.
„An ihren Taten, nicht an ihren Worten sollte ihr sie
erkennen“, empfiehlt sie - das fällt angesichts der
schwarz-gelben Umweltpolitik selbst dem tapfersten Atheisten ein.
({0})
Herr Minister, in Ihrer Rede vor einem halben Jahr
haben Sie hier von entschlossenem Klimaschutz gesprochen. Sie haben mit Blick auf den erfolglosen Klimaschutzgipfel in Kopenhagen gesagt: Jetzt erst recht. Sie
haben auch davon gesprochen, in die Offensive gehen zu
wollen und nicht unbedingt alte Strukturen zu erhalten.
Das waren zumindest Ihre Worte. Nun, im September,
beraten wir den Haushalt 2011 und müssen feststellen,
dass Sie von Ihren Ministerkollegen und von der Atomlobby, insbesondere von Herrn Brüderle - er ist jetzt
weg; er hat aufgepasst, dass Sie hier alles richtig sagen;
Aufgabe erfüllt -,
({1})
an der Nase herumgeführt wurden, dass Sie in der Öffentlichkeit vorgeführt wurden. Nicht Ihr Energiekonzept ist in Deutschland einmalig, sondern dass ein Umweltminister von seinen eigenen Kollegen so vorgeführt
worden ist.
({2})
Ein Blick in die Zahlen zeigt das ganz klar und deutlich. Seit Ihrem Amtsantritt wurden in Ihrem Ministerium die Gelder für erneuerbare Energien um 124 Millionen Euro - das sind minus 25 Prozent - gekürzt.
Allerdings wurden in Ihrem Ministerium die Gelder für
Kernenergie seit Ihrem Amtsantritt um 236 Millionen
aufgestockt; das ist ein Plus von 77 Prozent.
({3})
Wenn man sich die Ausgaben für Reaktorsicherheit,
Strahlenschutz und Kernenergie im Gesamthaushalt anschaut, dann sieht man, dass man mittlerweile fast an der
Grenze von 1 Milliarde Euro angekommen ist. Das kostet uns die Kernenergie. Darin sind noch nicht einmal die
derzeit noch nicht abschätzbaren Folgekosten - Asse ist
schon erwähnt worden - enthalten. Das hat sich im
Haushalt noch nicht niedergeschlagen. Uns ereilen immer wieder neue Hiobsbotschaften. Wir wissen mittlerweile, dass zehnmal mehr Atommüll in der Asse abgekippt worden ist als bisher bekannt. Bisher nicht bekannt
sind Pläne, wie die Probleme gelöst werden sollen. Auch
nicht bekannt - Sie sprachen von seriöser Ausfinanzierung dieser Energiepolitik - ist, wie zum Beispiel das
Problem Asse gelöst werden soll. Das sind - im Gegensatz zu Ihren schönen Worten - die Taten, die Ergebnisse
Ihrer Politik, an denen wir Sie messen müssen.
Im Energiekonzept finden Sie ebenfalls schöne
Worte. Davon in die Tat umgesetzt sind bisher zwei Sachen: erstens die radikale Kürzung der Solarförderung,
zweitens die Verlängerung der Laufzeiten für Kernkraftwerke. Sie haben einen Deal mit der Atomlobby geschlossen - das ist hier schon angesprochen worden -,
einen Vertrag, der im Übrigen nur bekannt geworden
ist, weil sich ein Vertreter von RWE gegenüber Pressevertretern versprochen hat. Das zeigt im Übrigen das
Demokratieverständnis dieser Regierung.
({4})
Sie wissen ganz genau, dass die Mehrheit der Bevölkerung gegen die Nutzung der Atomenergie ist, und weil
Sie das wissen, machen Sie die Deals abseits des Parlaments hinter verschlossenen Türen, um die Öffentlichkeit in die Irre zu führen.
({5})
Dieser Vertrag zeigt vor allem eines: Die Bezeichnung, die Sie Anfang des Jahres für die Kernkrafttechnik
eingeführt haben, nämlich „Brückentechnologie“, ist
eine Irreführung. In Wahrheit ist die Kernenergie der
Kern Ihrer Politik, die Sie hier betreiben. Dieser Vertrag
sichert in erster Linie den Energiekonzernen kräftige Extraprofite, geschätzt zwischen 5 und 10 Milliarden Euro
im Jahr, eventuell mehr. Dafür sollen sie wiederum pro
Jahr eine Brennelementesteuer zahlen und einen sogenannten Förderbeitrag von lächerlichen 300 Millionen
Euro in den Anfangsjahren. In dem Vertrag sind allerdings x Schlupflöcher, wie dieser Betrag gemindert werden kann. So können - das ist festgeschrieben - alle
zukünftigen Steuern, Abgaben und Beiträge für Kernenergie und sogar notwendige Investitionskosten, also
Nachrüstung in Sicherheitstechnik, die 500 Millionen
Euro überschreiten, davon abgezogen werden. All diese
Abgaben plus Kernbrennstoffsteuer sollen, wie es heißt,
unbeschränkt steuerlich abzugsfähige Betriebsausgaben
sein; wenn nicht, mindert sich wiederum der Förderbeitrag. Nicht zuletzt kündigen die Energieunternehmen
schriftlich fixiert in diesem sogenannten Geheimvertrag
an, dass sie, wenn die Kernbrennstoffsteuer kommt, gerichtlich dagegen vorgehen wollen. Das heißt, man kann
das Papier folgendermaßen zusammenfassen: Es ist das
Papier nicht wert, auf dem es steht, abgesehen natürlich
von der Verlängerung der Laufzeiten. Das ist letztendlich absurd.
Herr Minister Röttgen, ich denke, wenn dieser Haushalt so beschlossen wird, dann sind Sie nicht mehr Chef
des Umweltministeriums. Wenn dieser Haushalt so beschlossen wird, dann sind Sie Chef des Ministeriums für
Kernenergie.
({6})
- Das ist kein schwarzer Humor. Das ist die Aufzählung
der Fakten.
Das Ergebnis der von Ihnen mitgetragenen Politik ist,
dass die Gewinner die Atomkonzerne sind, die zusätzliche Profite abschöpfen. Die Verlierer dieser Politik sind
die Bürgerinnen und Bürger, die zum einen die Kosten
über ihre Steuergelder zu tragen haben und zum anderen
auch noch die Gefahren tragen müssen.
({7})
Ich habe in einer Rede gesagt, dass Sie die Kosten
und Konsequenzen Ihrer Politik nicht im Griff haben.
Ich hätte nicht gedacht, dass dies so schnell bestätigt
wird.
Ich kann Sie heute nur noch einmal auffordern: Befreien Sie sich von der Atomlobby, und kehren Sie
zurück zu einer Politik der Vernunft! Lassen Sie Ihren
vollmundigen Ankündigungen endlich Taten folgen, und
kümmern Sie sich tatsächlich um den Klimaschutz!
Danke.
({8})
Das Wort hat nun der Kollege Sven-Christian Kindler
für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen
und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Angesichts der Entwicklungen der vergangenen Wochen
stelle ich mir zunehmend die Frage: Wer regiert eigentlich in diesem Land, bzw. für wen wird hier regiert?
Schwarz-Gelb kürzt brutal bei Arbeitslosen und armen
Familien. Das ist auch klar; denn diese Menschen haben
keine finanzstarke Lobby und finden deshalb bei dieser
Regierung kein Gehör.
Stattdessen können die Atomkonzerne millionenschwere Anzeigenkampagnen auflegen. 40 ältere Männer stehen mit ihrem Namen hierfür bereit. Großmann
und Co. gehen ein und aus im Kanzleramt, und die Regierung springt nachts aus dem Bett, wenn um 5.23 Uhr
die Atomlobby in Geheimverträgen ihre Bedingungen
diktieren will.
({0})
Die Frage ist also: Wer regiert in diesem Land? Angesichts dieser skandalösen Vorgänge ist doch offensichtlich, dass Merkel, Westerwelle und Röttgen nur die
Profitinteressen der Atomkonzerne durchsetzen. Diese
Regierung ist nicht mehr als ein Marionettenkabinett im
Dienste der Atomkonzerne.
({1})
Herr Röttgen hat betont, sein Energiekonzept und
diese Vereinbarungen seien eine grandiose Förderung
erneuerbarer Energien. Wenn man aber die Betreiber erneuerbarer Energien befragt, dann sagen diese: Das ist
eine Katastrophe für den Weiterbetrieb und für den Ausbau erneuerbarer Energien. Auch die Stadtwerke haben
das scharf kritisiert. Die Betreiber erneuerbarer Energien
haben diesen Ablassfonds als ein vergiftetes Geschenk
bezeichnet, weil damit Milliardeninvestitionen in erneuerbare Energien verhindert werden. Zudem wird die
Marktmacht der vier großen Energiekonzerne zementiert
und Wettbewerb verhindert. Für die Betreiber erneuerbarer Energien ist langfristige Investitionssicherheit extrem
wichtig, die jetzt aber massiv gefährdet ist, weil der
hochsubventionierte Atomstrom die Netze vollstopft.
So wird die Energiewende von Schwarz-Gelb verhindert. Wir haben damals unter Rot-Grün die Energierevolution für erneuerbare Energien eingeleitet, und zwar mit
dem Atomkonsens und mit dem EEG. Jetzt geht es aber
zurück, zurück in die nuklearen 80er-Jahre, zurück zu
Kohl. Was wir derzeit erleben, ist eine Konterrevolution
im Dienste des Atomkapitals und gegen die erneuerbaren Energien.
({2})
- Das Wort „Revolution“, Herr Kauch, habe nicht ich
benutzt, sondern hat die Kanzlerin benutzt, die diese
Konterrevolution im Dienste des Atomkapitals eingeleitet hat.
Diese Atomlobbypolitik zeigt sich auch deutlich im
Umwelthaushalt. Das Haushaltsvolumen wächst. Das ist
auf den ersten Blick sehr erfreulich. Es wird aber vor allen Dingen gekürzt, und zwar im Umweltschutzbereich,
im Klimaschutzbereich und im Naturschutzbereich. Hier
wird um 10 Prozent gekürzt.
Besonders drastisch ist die brutale Kürzung beim
Marktanreizprogramm für erneuerbare Wärme. Das
ist ein besonders gutes Programm, mit dem nicht nur das
Klima geschützt wird, sondern das auch für Kleinunternehmen und Handwerksbetriebe besonders wichtig ist
und konjunkturelle Entwicklungen fördert, weil jeder
Förder-Euro 7 bis 8 Euro privates Kapital mobilisiert.
Das bedeutet vielfache Gewinne für das Klima, für die
Gesellschaft und für die Ökonomie. Bei dieser brutalen
Kürzung zeigt sich ganz klar: Statt mehr erneuerbarer
Wärme gibt es bei Norbert Röttgen wie so oft vor allen
Dingen heiße Luft.
({3})
Stattdessen wächst im Umwelthaushalt vor allen Dingen der Atomendlagerbereich an. Dieser wächst um
mehr als 35 Prozent an. Mit knapp 500 Millionen Euro
ist dies fast ein Drittel des gesamten Umweltetats. Die
Gelder zum Beispiel für den Schwarzbau in Gorleben
werden sogar verdoppelt. Parallel dazu ist jetzt geplant,
in Gorleben atomkritische Landwirte und Eigentümer zu
enteignen. Dies halte ich für besonders bemerkenswert,
da diese Maßnahme von einer angeblich bürgerlichen
Regierung geplant wird. Das alles nur, weil Sie, Herr
Röttgen, sich nicht trauen, in anderen Regionen nach alternativen Standorten und Endlagermedien zu suchen,
weil Sie sich nicht trauen, sich mit Herrn Mappus und
Herrn Seehofer anzulegen.
({4})
- Vor Herrn Brüderle hat er natürlich auch Angst; da
kann er sich auch nicht durchsetzen.
Stattdessen wollen Sie den ungeeigneten und unsicheren Standort in Gorleben gegen den Willen der Bevölkerung und gegen die Expertise der wissenschaftlichen
Gutachten durchboxen. Das zeigt deutlich: Herr Röttgen,
Sie sind ein eiskalter Atompolitiker und bauen diesen
Umwelthaushalt schleichend zum Atometat um.
({5})
Doch das lassen wir uns nicht gefallen. Das lassen
sich die Stadtwerke nicht gefallen, das lassen sich die
Betreiber erneuerbarer Energien nicht gefallen, und das
lässt sich vor allen Dingen die sehr große Mehrheit der
Bevölkerung nicht gefallen. Deswegen werden wir das
Regierungsviertel am nächsten Samstag umzingeln und
Ihnen mit Zehntausenden Menschen klarmachen, dass
wir diesen Atomwahnsinn ablehnen. Deswegen werden
wir auch im November wieder auf die Straße gehen und
uns gegen ein Atomklo in Gorleben querstellen. Wir
wollen so schnell wie möglich eine erneuerbare Zukunft
und keine strahlende Zukunft. 100 Prozent erneuerbare
Energien sind möglich, und das geht ohne Kohle und
Atom.
Vielen Dank.
({6})
Nächste Rednerin ist die Kollegin Marie-Luise Dött
für die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Das Gesamtvolumen des Haushaltsansatzes des BMU ist um
3,1 Prozent höher als im Jahr 2010. Richtig ist, dass der
Programmhaushalt des BMU um 9,6 Prozent gesunken
ist; Herr Haustein hat schon darauf hingewiesen. Das ist
unserem zentralen Ziel, der Haushaltskonsolidierung,
geschuldet. Hierzu müssen alle Ministerien ihren Beitrag
leisten, auch das BMU.
Richtig ist aber auch, dass zusätzliche Mittel in den
Endlagerbereich fließen. Nach Aufhebung des Erkundungsmoratoriums setzen wir die Erkundungsarbeiten
am potenziellen Endlager Gorleben fort. Die Zeit des
verantwortungslosen rot-grünen Aussitzens eines drängenden Problems ist vorbei. Wir übernehmen Verantwortung und stellen uns dieser Aufgabe. Wir überlassen
sie nicht kommenden Generationen.
({0})
Meine Damen und Herren, wir übernehmen Verantwortung für unser Land, wir übernehmen Verantwortung
für Klimaschutz, für eine sichere, bezahlbare Energieversorgung, für Arbeitsplätze und Wohlstand. Wir haben
im Koalitionsvertrag eindeutige und sehr konkrete Aussagen zur Klima- und Energiepolitik gemacht. Klimaschutz, Energiemix, erneuerbare Energien, Energieeffizienz, Gebäudesanierung, Kohle und CCS, Kernenergie,
Energieinfrastruktur und Energieforschung sind die
Handlungsfelder, die im Koalitionsvertrag erwähnt sind.
Genau diese Themen sind, untersetzt mit über 60 Einzelmaßnahmen, im Energiekonzept der Bundesregierung
enthalten. Diese Maßnahmen werden wir Schritt für
Schritt umsetzen. Das Konzept sichert das Erreichen unserer sehr ambitionierten Klimaziele. Das Konzept berücksichtigt aber auch, dass Energieversorgung mehr ist
als Klimapolitik. Es geht auch um den Wirtschaftsstandort und um Arbeitsplätze.
({1})
Wir wollen den Umbau unserer Energieversorgung
möglichst wirtschaftlich erreichen, gerade um bezahlbaren Strom für alle sicherzustellen. Energieeffizienz ist
ein zentraler Ansatz unserer Politik. Wir stärken die erneuerbaren Energien. Die Kernenergie ist eine Brücke,
die wir nutzen. Sicherheit hat höchste Priorität. Die Gewinne kommen allen zugute.
({2})
Wir setzen auf Forschung und Technologieoffenheit.
({3})
Meine Damen und Herren von der Opposition, ich
verstehe Ihre Aufgeregtheit und Ihre zum Teil unrichtige
bis unsachliche Diskussion. Es ist natürlich ein harter
Schlag,
({4})
dass diese Bundesregierung ein klima-, wirtschafts- und
sozialverträgliches Energiekonzept vorlegt. Das ist Ihnen nie gelungen.
Das ist und bleibt der Unterschied zwischen unseren
Politikansätzen: Sie wissen vor allen Dingen, was Sie
nicht wollen. Sie drücken sich vor Antworten auf
schwierige Fragen. Sie haben nie Antworten gegeben
auf die wichtigen Fragen der Energie- und Klimapolitik,
nicht auf die Herausforderungen der Entwicklung der
Energieeffizienz, nicht auf die Erfordernisse des Netzausbaus, nicht auf die Frage der Endlagerung radioaktiver Abfälle, nicht auf die erforderliche Entwicklung von
Speicherkapazitäten und nicht auf die komplexen Herausforderungen zur Sicherung des Erreichens unserer
Klimaziele.
({5})
Sie versuchen, den Bürgern weiszumachen, dass erneuerbare Energien umsonst zu haben sind und dass der
Umstieg auf erneuerbare Energien von heute auf morgen
ohne Probleme machbar ist. Das ist keine Realpolitik,
das ist eine Mischung aus Wunschdenken, Opportunismus und Klientelpolitik.
Es ist Wunschdenken, weil Sie weder Lösungen für
die Netzanbindung noch für die Speicherung des fluktuierenden Stroms aus Erneuerbaren haben.
({6})
Es ist Opportunismus mit Blick auf die potenziellen
Wähler in den Bürgerbewegungen vor Ort, wenn es um
die Verhinderung des Netzausbaus zum Anschluss der
erneuerbaren Energien geht.
({7})
Last, but not least ist es Klientelpolitik für die gutverdienende Lobby der erneuerbaren Energien in Ihren eigenen
Reihen, wenn es um möglichst hohe Vergütungen für
den Solarstrom geht, die die Bürger zu bezahlen haben.
({8})
Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage der
Kollegin Bulling-Schröter?
Jederzeit.
Bitte sehr.
Vielen Dank, Frau Dött. - Ich habe jetzt die Anschuldigungen gehört und so aufgefasst, dass Sie die ganze
Opposition damit meinten. Jetzt frage ich Sie - Sie waren ja in der letzten Legislatur gemeinsam mit der SPD
an der Regierung -: Konnten Sie sich hier denn nicht
durchsetzen?
({0})
Waren die so schlecht, oder haben Sie sich von uns nicht
unterstützt gefühlt? Ich für meine Fraktion kann sagen,
dass wir uns wirklich sehr darum bemüht haben, die
CO2-Reduzierung um 40 Prozent bis 2020 und um
90 Prozent bis 2040 durchzusetzen. Ich denke, auch
beim Verkauf der CO2-Klimazertifikate ist uns gemeinsam etwas gelungen.
Ich verstehe jetzt diese Anschuldigungen nicht; denn
Sie waren ja wirklich gemeinsam in der Regierung.
({1})
Vielen Dank für diese Frage, Frau Bulling-Schröter,
weil ich jetzt auch der Öffentlichkeit erklären kann, dass
man Regierungspolitik in einer Koalition nur gemeinsam
machen kann. In unserer Großen Koalition waren die Interessen genau in diesem Bereich sehr, sehr unterschiedlich, sodass wir alles nur auf dem kleinsten gemeinsamen Nenner verwirklichen konnten.
({0})
Ich bin sehr froh, dass wir jetzt eine Koalition mit der
FDP haben; denn in dieser christlich-liberalen Koalition
können wir unsere Ziele verwirklichen.
({1})
Meine Damen und Herren Oppositionspolitiker, ich
fahre fort. Ich finde es absolut unakzeptabel, dass Ihr
Frust über Ihr eigenes politisches Versagen jetzt darin
mündet, dass Sie die Bürger gegen das Energiekonzept
der Bundesregierung und gegen eine rationale Klimaund Energiepolitik förmlich aufhetzen.
({2})
Durch eine Rhetorik mit Begriffen wie „heißer Herbst“
und „schmutziger Deal“
({3})
zeigen Sie, wo Sie geistig angekommen sind. Hier findet
eine verbale Hetze statt, die abstoßend ist.
({4})
Eine politische Auseinandersetzung wollen Sie gar
nicht. Sie wollen die Politik vom Parlament auf die
Straße tragen. Passen Sie auf, wen Sie dort treffen und
wer plötzlich Ihre Verbündeten sind!
({5})
Noch eines, Herr Trittin - dort hinten sitzen Sie -:
Ihre Meinungswandlung ist ja schon sagenhaft. Im Jahr
2001 haben Sie als Bundesumweltminister Ihre eigenen
Parteimitglieder schriftlich dazu aufgerufen, sich nicht
an Protesten gegen Castortransporte zu beteiligen. Heute
gehören Sie erneut zu den Scharfmachern, die die Energiepolitik auf die Straße bringen wollen.
({6})
Herr Trittin, vor der Regierungsverantwortung rauf auf
die Straße gegen Atom, als Umweltminister runter von
der Straße und jetzt wieder rauf auf die Straße.
({7})
Als Mitglied Ihrer Partei muss man da wirklich höllisch
aufpassen, um nicht den Anschluss zu verlieren.
({8})
Meine Damen und Herren, für eine Reihe der Maßnahmen gemäß dem Energiekonzept braucht man Zeit
für die Umsetzung, wie etwa für das EEG, dessen Novelle erst im nächsten Jahr ansteht. Auch die Maßnahmen zur Entwicklung der Netzinfrastruktur und -speicher brauchen sicher noch einen Vorlauf. Umso
wichtiger ist es, dass wir dort, wo es möglich ist, schnell
mit konkreten Initiativen und Gesetzesvorhaben starten.
Beispielsweise sollte eine Aufstockung der Mittel für
das Gebäudesanierungsprogramm, die nationale Klimaschutzinitiative, mit dem Marktanreizprogramm erfolgen. Das ist nicht nur sachlich geboten. Die Bürger erwarten zu Recht, dass Teile der Gewinne aus der
Laufzeitverlängerung für solche Maßnahmen eingesetzt
werden.
({9})
Meine Damen und Herren, auch im Bereich der Energieeffizienz bei Unternehmen können wir schnell handeln. Die aufgrund von Haushaltskonsolidierungsmaßnahmen vorgesehenen Kürzungen der Energie- und
Stromsteuerausnahmen für die energieintensiven Unternehmen sind, so wie sie jetzt konzipiert sind, allerdings
nicht der richtige Weg.
({10})
Es ist richtig, sogenannte Schein-Contracting-Lösungen nicht mehr zu belohnen. Es ist auch richtig, ungerechtfertigte Steuernachlässe für Unternehmen abzustellen. Es ist aber auch zu prüfen - das werden wir tun -,
welche Wirkungen die Kürzungen auf das wichtige Instrument des Energiespar-Contracting, auch im Wärmebereich, haben. Eine undifferenzierte Kürzung der Steuernachlässe ist nicht nur angesichts der Bedeutung
energieintensiver Unternehmen für Wachstum und Beschäftigung in Deutschland sehr genau zu prüfen, sondern
auch hinsichtlich der Wirkungen für Klima und Umwelt.
({11})
Recycling von Abfällen ist eine wichtige Rohstoffquelle für unsere Volkswirtschaft, und es ist umweltpolitisch höchst sinnvoll. Um das Recycling weiter zu stärken,
werden wir das Kreislaufwirtschaftsgesetz novellieren.
Wir müssen aber auch sicherstellen, dass wir die Recyclingunternehmen zum Beispiel bei der Rückgewinnung
von Metallen durch den Wegfall der Strom- und Energiesteuerausnahmen nicht in wettbewerbliche Schwierigkeiten bringen. Wir müssen aufpassen, dass es nicht zu Produktionsverlagerungen ins Ausland kommt, wo bei sehr
viel niedrigeren Umweltstandards Anlagen betrieben
werden müssen.
({12})
Meine Damen und Herren, wir wollen auch, dass das
CCS-Gesetz schnell kommt. Hier geht es nicht nur um
die Kohleverstromung, sondern vor allem auch um die
Nutzung von CCS für die energieintensive Industrie. Es
gibt also eine Reihe von Maßnahmen aus dem Energiekonzept, die schnell angegangen werden können und
müssen.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({13})
Nächster Redner ist der Kollege Ulrich Kelber für die
SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren!
Das ökonomische Konzept der konventionellen Energieerzeugung, insbesondere durch Kernenergie, ist
ökonomisch nur schwer mit dem Ausbau der erneuerbaren Energien vereinbar.
Dieser Satz bekam im Februar 2010 in der HumboldtUniversität massiv Beifall, wie das Protokoll vermerkt,
als ihn Bundesumweltminister Norbert Röttgen aussprach.
({0})
Es ist auch kein Wunder, für diese Aussage Beifall in
einer Bevölkerung zu bekommen, die nach den neuesten
Umfragen - ZDF-Politbarometer - zu zwei Dritteln gegen längere Laufzeiten ist. Herr Röttgen, können Sie
sich eigentlich vorstellen, dass sich die Menschen, die
im letzten Jahr solche Reden von Ihnen gehört haben,
persönlich durch Sie getäuscht fühlen, durch einen
Minister, der wider besseres Wissen ein sogenanntes
Energiekonzept unterstützt, das inhaltlich falsch und verfassungswidrig ist? Sie schaden damit der Glaubwürdigkeit der parlamentarischen Demokratie in Deutschland.
({1})
Das gleiche ZDF-Politbarometer hat ergeben, dass
65 Prozent der deutschen Bevölkerung das Energiekonzept für eine einseitige Bevorzugung der Atomkonzerne
halten, übrigens auch die Mehrheit der Anhängerinnen
und Anhänger von Schwarz-Gelb. Die Menschen spüren
doch, dass das eine Reihe darstellt: Mit den Hotelsteuerermäßigungen hat es angefangen. Jetzt kommt die Bedienung der Atomlobby. Die ersten Menschen haben
mitbekommen, dass in dem Windschatten der Atomlobbybedienung jetzt auch versucht werden soll, die Pharmakonzerne und die Versicherungskonzerne durch Herrn
Rösler zu bedienen.
({2})
Was für ein Verständnis parlamentarischer Demokratie hat eine Regierung, bei der zwei Beamte unter Mitwirkung von vier Konzernen, unter Ausschaltung ihrer
Fachabteilungen, unter Ausschaltung der Zivilgesellschaft,
unter Ausschaltung selbst der Abgeordneten der eigenen
Koalition, zementiert durch eine Geheimvereinbarung,
ein Energiekonzept festschreiben sollen, von dem einmal
vollmundig versprochen wurde, es solle bis zum Jahr
2050 halten?
({3})
Schwarz-Gelb treibt damit immer mehr Bürgerinnen und
Bürger in Demokratiemüdigkeit.
Vorhin hat der Kollege der Grünen gesagt, das sei
keine Revolution, sondern eine Konterrevolution gewesen. Falsch, das war ein Putsch. Es war ein Putsch gegen
Wettbewerb, indem die vier großen Energiekonzerne
ihre Monopole zementiert bekommen, obwohl wir eigentlich Stadtwerke und neue Wettbewerber fördern
müssten.
Es ist ein Putsch gegen den Ausbau der erneuerbaren Energien. Herr Fell hat das vorhin schon angesprochen. Aber du hättest noch die nächste Stufe nennen sollen, Hans-Josef. Denn in den Gutachten, die Sie selber
als wissenschaftliche Grundlage für Ihr Energiekonzept
ausgewiesen haben - man muss schließlich zu dem stehen, was man sagt -, wird für das Jahr 2020 ein Rückgang des Ausbaus der Windenergie gegenüber heute von
98 Prozent und der Fotovoltaik von 94 Prozent als Folge
der Maßnahmen vorausgesagt, die Sie im Energiekonzept ergreifen wollen. Sie wollen also den Ausbau der
erneuerbaren Energie deutlich verlangsamen. Auch das
kann man in Ihren eigenen Unterlagen nachlesen.
Es ist ein Putsch gegen die Sicherheit in der Atomenergie. Wie kann man alte Atomkraftwerke mit ihren
Sicherheitsdefiziten noch jahrelang weiterlaufen lassen?
Wir sind gespannt auf den Inhalt der Atomgesetznovelle,
wenn wir hören, dass darin Atomkraftwerken, die nur
noch acht Jahre länger laufen sollen, eine Nachrüstfrist
von zehn Jahren eingeräumt werden soll.
Es ist zuletzt ein Putsch gegen den gesellschaftlichen
Konsens. Wenn Sie nicht auf die Opposition hören, dann
hören Sie doch zum Beispiel auf die Kritik der Gewerkschaft der Polizei, die sich in den letzten Tagen dazu geäußert hat.
Herr Röttgen - Frau Dött, Sie haben es wiederholt -,
Sie haben gefragt: Warum sind die anderen nie mit einem solchen Energiekonzept gekommen? Wir hätten uns
nicht getraut, mit so etwas, das Sie gemeinsam mit den
Energiekonzernen entwickelt haben, vor die Öffentlichkeit zu treten. Das ist der Grund, warum wir so etwas nie
vorgelegt haben.
({4})
Zum Atomdeal selbst: Sie versuchen, den Bundesrat
zu umgehen. Darum ging es bei der gesamten Operation:
Was kann man maximal versuchen, um den Bundesrat
nicht beteiligen zu müssen?
({5})
Wie kann eine Bundesregierung erwarten, dass sich die
Bürgerinnen und Bürger im Land gesetzestreu verhalten,
wenn sie selber versucht, die Gesetze zu umgehen?
Wenn der ehemalige Präsident des Bundesverfassungsgerichtes Herr Papier, CSU-Mitglied, sagt: „Das ist
verfassungswidrig“, dann greift ihn der CDU/CSU-Fraktionsvorsitzende Kauder in unerträglicher Weise persönlich an, weil hier einer offengelegt hat, wie Sie handeln.
({6})
Die Geheimniskrämerei war eindeutig. Sie wollten
das Ganze nicht veröffentlichen. Dann hat sich Herr
Schmitz von RWE verplappert. Frau Homburger hat
dann gesagt: Wir legen alles offen, was nicht die Betriebsgeheimnisse der Atomkonzerne betrifft. Haben Sie
jetzt alles offengelegt, oder gibt es noch etwas, das Sie
nicht offengelegt haben? Auch das wäre interessant
heute zu hören.
Sie bereiten eine Atomgesetznovelle vor, die eine
Klagerechtseinschränkung, die Verlängerung der Nachrüstfristen, weniger Möglichkeiten an verschiedenen
Stellen für die Anliegerinnen und Anlieger und mehr
Möglichkeiten für die Atomkonzerne enthalten soll. Legen Sie auch das bereits jetzt offen!
An die Abgeordneten der Koalition habe ich eine
Bitte. Auch wir haben eine Regierung gestellt, die versucht hat, selbst etwas auf den Weg zu bringen. Aber wir
haben ab und zu den Stopper gespielt und gesagt: Das
Parlament hat Rechte; hier endet das, was die Regierung
tun darf. Das erwarte ich jetzt auch von den Abgeordneten aus CDU/CSU und FDP.
Schauen Sie doch in die Vereinbarung hinein! Man
hat das Gefühl, dass nicht die Regierung, sondern die
Atomkonzerne am längeren Hebel gesessen haben, obwohl sie die Verlängerung wollten. Was haben sie sich alles gesichert: Gerichtsvorbehalt, Klagevorbehalt, Kostenvorbehalt, Inflationsvorbehalt, Wettbewerbsvorbehalt,
und 2019 - wenn der Fördertopf zwei Jahre besteht - wird
wieder verhandelt, und zwar unter Berücksichtigung aller
Kosten der Atomkraftwerke. Für zwei Jahre Sicherheit in
der Finanzierung haben Sie das alles nach außen an die
Atomkonzerne übergeben. Das haben wir als Verscherbeln bezeichnet.
Bei der Sicherheit gibt es - das muss man in der Tat
ansprechen - keine Obergrenze von 500 Millionen Euro
für die Sicherheitsnachrüstung. Wenn das jemand öffentlich sagt, dann ist das falsch. Aber ab einer Höhe von
500 Millionen Euro kommt das Geld nicht mehr von den
Konzernen, sondern aus einem öffentlichen Topf, nämlich aus dem Förderfonds für erneuerbare Energien. Die
Bundesregierung wird versuchen, Finanzzusagen aus
diesem Topf zu machen. Alle Nachrüstkosten über
500 Millionen Euro können von den Zahlungen in den
Förderfonds abgezogen werden. Das heißt, hinter dem
Sicherheitsingenieur wird demnächst der Finanzminister
stehen und ihm sagen: Schau nicht so genau hin! Das
kostet mein Geld; das zahlen nicht mehr die Konzerne.
({7})
Wer gefährliche Kraftwerke betreibt, muss alleine für die
Sicherheit zahlen, nicht die Öffentlichkeit.
Die Gutachten wurden verschleppt und manipuliert.
Die Gutachter wurden selektiert und am Ende missinterpretiert. Das steht selbst in den Vermerken des Umweltministeriums. Sie lassen sehr viele Menschen desillusioniert über die parlamentarische Demokratie zurück.
Unsere Aufgabe wird nicht nur sein, uns politisch gegen
Ihre Ziele zu stellen; die Aufgabe der Opposition ist auch,
möglichst viele dieser Menschen wieder für die parlaUlrich Kelber
mentarische Demokratie zurückzugewinnen. Das gibt
uns Kraft für die nächsten Monate.
Vielen Dank.
({8})
Für die FDP-Fraktion spricht nun der Kollege
Michael Kauch.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Dieser
Bundeshaushalt stellt neben der viel diskutierten Energiepolitik einen großen Fortschritt dar, der hier erwähnt
werden sollte; denn Umweltpolitik ist mehr als nur Energiepolitik. Wir haben als christlich-liberale Koalition ein
Anliegen im Bereich des Naturschutzes. Wir haben im
Verkehrshaushalt Mittel zur Wiedervernetzung von Biotopen bereitgestellt. Wir haben im Umwelthaushalt 15 Millionen Euro zusätzlich für das Bundesprogramm für die
biologische Vielfalt und den Naturschutz im nächsten
Jahr eingestellt. Wir geben insgesamt 14 Milliarden Euro
für Naturschutzgroßprojekte aus. Das heißt, wir verdoppeln die Projektmittel für den Naturschutz. Unsere Politik dient der biologischen Vielfalt. Wir haben die Hausaufgaben für die Konferenz für biologische Vielfalt
gemacht und setzen das nun um.
({0})
Wenn wir über das Energiekonzept sprechen, dann
dürfen wir nicht vergessen, dass es gleichzeitig um eine
Festlegung der Klimapolitik in Deutschland geht. Mit
unserer Klimapolitik sind wir vorbildlich für die internationalen Verhandlungen. Erstmals besagt das Energiekonzept - damit setzen wir die Koalitionsvereinbarung
um -, auf welchen Zwischenstufen wir bis 2050 Stück
für Stück zu einer Einsparung bei den klimaschädlichen
Gasen um mindestens 80 Prozent kommen wollen. Im
Jahr 2020 sollen es bereits 40 Prozent sein. Das Ziel
wird mit planbaren und nachprüfbaren Schritten erreicht.
Darauf kann sich jeder einstellen: die Industrie, die Verbraucher und die Hausbesitzer. Niemand kann mehr sagen, er wusste nicht, was wir wollen. Wir machen eine
klare Politik für das Klima, planbar für alle Beteiligten.
({1})
Wir haben das alles durchgerechnet und zeigen: Das ist
kein Wunschdenken irgendwelcher Grünen. Vielmehr
werden Maßnahmen beschlossen.
Das Kontrastprogramm ist das, was die rot-grüne
Minderheitsregierung in Nordrhein-Westfalen macht.
({2})
Wir haben im Bund eine Minderung der CO2-Emissionen um 40 Prozent bis 2020 beschlossen.
({3})
Die CDU/FDP-Regierung in Nordrhein-Westfalen hatte
eine Reduzierung um 33 Prozent bis 2020 als Ziel.
({4})
Aber Sie haben die Klimaschutzziele in NordrheinWestfalen auf 25 Prozent gesenkt. Die grüne Partei sollte
sich schämen, wenn sie sich den dortigen Koalitionsvertrag anschaut.
({5})
Meine Damen und Herren, das alles ist aber kein
Wunder; denn wenn man gegen jeden Kraftwerksneubau
ist, dann werden die Dreckschleudern in NordrheinWestfalen weiter betrieben. Das bedeutet doch nichts anderes, als dass Sie sich einen schlanken Fuß machen.
Eine Reduzierung um nur 25 Prozent in NordrheinWestfalen bedeutet, dass die anderen Bundesländer etwa
50 Prozent erreichen müssen. Das ist zutiefst unsolidarisch. Ich schäme mich, dass die Regierung meines Bundeslandes so mit dem Bund und den anderen Ländern
umgeht.
({6})
Herr Kollege Kauch, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Höhn?
Gerne.
Bitte sehr, Frau Höhn.
Herr Kollege Kauch, können Sie bestätigen, dass ein
Unterschied zwischen Zielen und Taten besteht und dass
Schwarz-Gelb in Nordrhein-Westfalen zwar hohe Klimaschutzziele gesetzt hat, aber gleichzeitig eine Politik gemacht hat, die zur Genehmigung neuer Kohlekraftwerke
führte - das reichte bis zur Änderung des Landesplanungsrechts, damit in Datteln gebaut werden konnte -,
was zur Folge hat, dass mehr CO2 ausgestoßen wird als
zuvor? Die Taten bedeuten also mehr CO2, egal welche
Ziele Sie sich setzen; denn diese können Sie nie und nimmer erreichen. Können Sie bestätigen, dass das Landesplanungsrecht geändert worden ist, damit weiterhin Kohlekraftwerke in Nordrhein-Westfalen gebaut werden
können?
({0})
Liebe Frau Kollegin Höhn, Sie haben es offensichtlich bis heute nicht verstanden.
({0})
Herr Gabriel, der nun SPD-Vorsitzender ist, hat Ihnen als
Umweltminister auf die gleichen Einwürfe immer wieder erklärt, wie der Emissionshandel in Europa funktioniert. Wir haben bis 2020 ein festgelegtes Emissionsbudget. Das heißt, ein neues Kohlekraftwerk erhöht die
CO2-Emissionen nicht.
Im Übrigen sage ich Ihnen ganz klar: Mir ist ein
hocheffizientes Kohlekraftwerk in Datteln lieber als eine
Dreckschleuder wie die Braunkohlekraftwerke von vorgestern. Sie sorgen dafür, dass diese Dreckschleudern
weiterlaufen werden.
({1})
Herr Kollege Kauch, nun möchte der Herr Kelber
auch eine Zwischenfrage stellen.
Ich möchte mich jetzt nicht mehr mit der Vergangenheit beschäftigen, sondern in die Zukunft schauen.
({0})
Deshalb schauen wir jetzt in das Zeitalter der erneuerbaren Energien, denn dorthin gehen wir als christlichliberale Koalition. Noch nie hat eine Bundesregierung in
diesem Land so hohe Erneuerbare-Energien-Ziele beschlossen, und zwar verbindlich und mit Perspektiven:
Beim Strom sind es 80 Prozent, bei der Primärenergie
sind es 50 Prozent. Das sind keine Wolkenkuckucksheime, sondern wir haben das durchgerechnet.
({1})
Das geht ohne unangemessene Belastungen der Verbraucher. Es geht ohne Einbußen beim Bruttoinlandsprodukt,
aber eben nur dann, wenn man es klug macht und nicht
Ihren ideologischen Wegen folgt.
({2})
Meine Damen und Herren, Sie reden, wir handeln.
Wir gehen den notwendigen Umbau im Energiebereich
an. Wir gehen den Netzausbau innerhalb unseres Landes
und an den Kuppelstellen zu den anderen Ländern an.
Frau Höhn, ich sehe schon, Sie werden die Erste sein,
die die Bürgerinitiativen gegen den Bau der Netze für
die Weiterleitung von Strom aus erneuerbaren Energien
unterstützt. Sie sind bei jeder Bürgerinitiative: gegen
Kernkraft, gegen Kohle, gegen Biogasanlagen und jetzt
wahrscheinlich auch gegen die Netze. Das ist Ihre Politik: Immer das Kirchturmdenken vorantreiben.
({3})
Meine Damen und Herren, wir werden in die Speichertechnologien investieren, und wir werden die Gebäudesanierung vorantreiben. Das sind nicht nur schöne
Worte, sondern die Maßnahmen, die der Herr Umweltminister eben vorgetragen hat, sind auch seriös finanziert. Das ist das, was Ihnen immer gefehlt hat. Sie
mussten immer beim Finanzminister betteln gehen. Der
Umweltminister muss das künftig nicht mehr tun,
({4})
denn wir werden ein Sondervermögen schaffen, durch
das das Wirtschafts- und das Umweltministerium ihre
Projekte entsprechend durchführen können.
Wir belasten die Konzerne.
({5})
Das rot-grüne Atomgesetz sieht in § 18 vor, dass die
Nachrüstung von Sicherheitstechnik nur gegen Entschädigung möglich ist. Das bedeutet, dass wir dem
Steuerzahler aufgrund der 500-Millionen-Euro-Grenze,
bis zu der die Konzerne keinen Abzug bei der Gewinnabschöpfung geltend machen können, 8,5 Milliarden
Euro ersparen. Wir schöpfen zusätzlich etwa 16 Milliarden Euro an Gewinnen ab. Zusätzlich dazu schöpfen wir
etwa 15 Milliarden Euro durch die Brennstoffsteuer ab.
Sie können noch so sehr behaupten, wir würden denen
Geschenke machen: Wir kassieren die mehr ab, als Sie
sich das jemals getraut haben.
({6})
Das, was Sie auch hier wieder vorgetragen haben, ist
nichts anderes als Verhetzung. Herr Kelber, wenn Sie sagen, das sei ein Putsch, dann sage ich Ihnen, dass das antidemokratische Rhetorik ist.
({7})
Die Opfer von Putschen in Griechenland, in Argentinien
und in Chile werden sich angesichts der Rhetorik, die
Sie gegen eine demokratisch gewählte Regierung fahren,
im Grabe umdrehen. Wir haben vor der Wahl gesagt,
was wir nach der Wahl tun; denn wir setzen unser Wahlprogramm um. Das wusste jeder, wir haben das vorher
auf jedem Marktplatz gesagt.
({8})
Meine Damen und Herren, Sie werfen uns vor, dass
wir einen Deal machen.
({9})
Rot-Grün hat einen Vertrag mit den Energiekonzernen
geschlossen. War das kein Deal? Sie sagen, wir dealen
Sicherheit weg. Ich sage, wir erhöhen mit unserem Vertrag und mit gesetzlichen Maßnahmen die Sicherheit.
Wir machen es per Gesetz erforderlich, Nachrüsttechnik
einzusetzen, und wir begrenzen das nicht auf irgendeine
Summe, während Sie zur Durchsetzung Ihres Atomkompromisses dafür gesorgt haben, dass es keine Steuern für
die Konzerne, keine Steuern auf die Brennstoffe und
keine zusätzliche Sicherheit sowie Nachrüsttechnik nur
gegen Entschädigung gibt. Sie hätten sich für den Vertrag schämen sollen und nicht wir.
({10})
Meine Damen und Herren, ich sage ganz klar: Wir
sorgen für ein Endlager.
({11})
Als Sie für die Atomaufsicht verantwortlich waren, haben Sie die Betreiber der Asse zehn Jahre lang gewähren
lassen und geschlampt. Sie haben zehn Jahre die Hände
in den Schoß gelegt und in Gorleben nichts gemacht,
weil Sie Angst vor Ihrer Klientel hatten. Sie haben
Klientelpolitik betrieben, weil Sie Angst vor der nächsten Wahl hatten.
({12})
Wir betreiben verantwortliche Politik für künftige Generationen, weil wir endlich eine Lösung für die Atombrennstäbe finden, die längst schon in Deutschland produziert worden sind.
Vielen Dank.
({13})
Das Wort zu einer Kurzintervention hat nun der Kollege Kelber.
Herr Kollege Kauch, Sie haben die neue nordrheinwestfälische Landesregierung angegriffen und auf die
Nachfrage nicht reagiert. Sie haben gesagt, die alte
schwarz-gelbe Landesregierung habe weitreichende Klimaschutzplanungen für NRW gehabt und den CO2-Ausstoß um 33 Prozent verringern wollen. Die Quelle für
folgende Zahl ist übrigens die Westdeutsche Allgemeine
Zeitung, die sich wiederum auf den Umweltbericht der
schwarz-gelben Landesregierung bezieht: Der CO2-Ausstoß in der Zeit der schwarz-gelben Landesregierung ist
in NRW von 280 Millionen Tonnen auf 290 Millionen
Tonnen gestiegen. - Ist Ihnen die Zahl bekannt? Wie
wollten Sie die nächsten 150 Millionen Tonnen einsparen?
Herr Kollege Kauch, bitte sehr.
Lieber Herr Kelber, Sie zitieren einen Bericht, den ich
hier nicht verifizieren kann. Ich kann Ihnen nur sagen:
Die schwarz-gelbe Landesregierung hat ein Kraftwerkerneuerungsprogramm auf den Weg gebracht, mit dem
wir bis 2020 die Klimaschutzziele, die wir uns gesetzt
haben, erreicht hätten. Sie werden das Programm jetzt
stoppen. Die Investitionen, die wir anstoßen, können
nicht von heute auf morgen wirken. Deshalb legen wir
langfristige Klimaprogramme auf. Wir schauen nicht darauf, wie sich die Konjunktur in einem Industrieland wie
Nordrhein-Westfalen entwickelt, wo die Emissionen
ausgesprochen konjunkturabhängig sind.
({0})
Nun hat die Kollegin Dorothée Menzner für die Fraktion Die Linke das Wort.
({0})
Dorothée Menzner ({1}):
Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen!
Seit rund einem Jahr wird uns das Energiekonzept angepriesen, aber bisher wurden wir vertröstet. Jetzt liegt es
vor. Je genauer man es sich anschaut, desto mehr entpuppt es sich als Scheinriese. Je näher man hinschaut,
desto mickriger stellt es sich dar. Es ist unambitioniert in
Bezug auf die CO2-Reduktion. Sie bleiben weit hinter
dem zurück, was Ihre eigenen Wissenschaftler für möglich halten. Es gibt keinen Fahrplan, keine Zwischenziele, keine Richtlinienvorschläge, keine Ansätze für ein
Monitoring und keine konkreten Gesetzesvorschläge.
Das Konzept ist eine Aneinanderreihung von Floskeln,
und Sie erzählen hier wieder das Märchen von der
Selbstverpflichtung.
Den Geist, den dieses Konzept ausatmet, erkennt
man, wenn man das Konzept nach sprachlichen Kriterien untersucht. Ich habe mir die Mühe gemacht und die
Wörter gezählt. Der Wortstamm „Markt“ kommt 80-mal
vor, der Wortstamm „Klima“ noch 30-mal und der Wortstamm „Umwelt“ nur noch 20-mal. Daran wird deutlich,
dass das ganze Papier offensichtlich nur die Petersilie für
die Laufzeitverlängerung sein soll.
Bleiben wir beim Stichwort Brennelementesteuer.
Es sollen zukünftig 145 Euro je Gramm Plutonium oder
Uran befristet auf sechs Jahre gezahlt werden. Die Zahlungen sind als Betriebsausgabe abzugsfähig, was bedeutet, dass das zulasten der Länder und der Kommunen
geht. In einem Geheimvertrag wird den Energieversorgern ausdrücklich die Klagemöglichkeit zugestanden.
Letztendlich werden die Konzerne höchstwahrscheinlich
klagen und längere Laufzeiten realisieren können - und
das Ganze zum Nulltarif.
Dorothée Menzner
Stichwort Energiefonds, für den ab 2017 Zahlungen
zu leisten sind. Es sind 9 Euro je Megawattstunde vorgesehen. Gekoppelt ist das an den Index der allgemeinen
Verbraucherpreise. Was ist das denn für ein Bezug? Es
tut mir herzlich leid, aber das erschließt sich mir überhaupt nicht. Dieser Fonds soll helfen, Maßnahmen zur
Förderung erneuerbarer Energien zu finanzieren. Sonderprogramm Offshore-Windenergie. Was wird da gefördert? Da werden nicht dezentrale erneuerbare Energien gefördert, sondern wieder Großprojekte. Die
Konzerne, die jetzt Atomkraftwerke betreiben, haben
sich die Baugenehmigung für genau diese OffshoreWindparks gesichert. Sie sponsern oder unterstützen da
sozusagen sich selber.
Stichwort Nachrüstung der AKWs. In einem
Sonderparagrafen 7 d des Atomgesetzes senken Sie die
Sicherheitsanforderungen deutlich. Für wesentliche sicherheitsrelevante Bereiche werden demnach keine
Nachrüstungen mehr gefordert, die dem Stand von Wissenschaft und Technik genügen. Sie führen das Wort der
Sorgepflicht ein. „Sorgepflicht“ ist aber sehr viel weniger als das, was bisher Stand der Gesetze ist.
({2})
Anträge zur Wiederaufnahme des Betriebs der Pannenreaktoren Krümmel und Brunsbüttel sind angekündigt. Da bleibt abzuwarten, was passiert. Ich ahne
Schlimmes.
Sie haben mehrfach davon gesprochen, es sei doch so
toll, dass Sie endlich in Netzausbau investieren würden
und da vorankämen. Zu welchem Preis denn bitte schön?
Sie wollen die Beteiligungsrechte der Bürger einschränken. Sie wollen Planungsverfahren beschränken. Sie beschränken Möglichkeiten, die in Ländergesetzen gegeben sind.
Es ist insgesamt ein abenteuerliches Konzept, dessen
Details sich auch im Haushalt ablesen lassen. Ein Drittel
des Umweltetats von 1,6 Milliarden Euro sind Kosten
für Atomkraftnutzung. Eine weitere Milliarde findet sich
noch in anderen Haushalten. Für Natur-, Umwelt- und
Klimaschutz: minus ein Zehntel. 2009 haben Sie in Kopenhagen Mittel für den globalen Klimaschutz zugesagt.
Im neuen Haushalt findet sich nicht eine Rate davon.
Sie führen das Parlament und die Öffentlichkeit an
der Nase herum.
({3})
Ungeniert schanzen Sie den Atomkonzernen Milliardengewinne zu. Damit nicht genug: Sie lassen sich von denen auch noch die Verträge und die Gesetze schreiben unter Umgehung des Parlaments, unter Umgehung der
Öffentlichkeit, ohne demokratisch legitimierte Entscheidung und Transparenz, die die Bürger aber mit Fug und
Recht erwarten können.
Ich sage mit vielen Tausenden am kommenden Samstag: „Atomkraft: Schluss jetzt!“ Ich bin sehr sicher, dass
das nicht die letzte Aktion sein wird, wenn Sie so weitermachen. Wir müssen raus aus der Atomenergie, und
zwar unverzüglich und unumkehrbar.
Ich danke.
({4})
Nächste Rednerin ist die Kollegin Bärbel Höhn für
die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Wir haben von Herrn Kauch heute ein seltsames Schauspiel erlebt. Er hat Lautstärke statt Argumente vorgetragen.
({0})
Vom Umweltminister haben wir ein trauriges Schauspiel
erlebt. Wir haben die Rede eines Umweltministers gehört, der vor der Atomlobby eingeknickt ist und jetzt
hier wider besseres Wissen einen schmutzigen Deal vertritt und schönredet.
({1})
Herr Röttgen, ich schätze Sie persönlich, aber einen
Vorwurf muss ich Ihnen nach diesem Geheimdeal leider
machen, und der Vorwurf lautet: Sie haben die Sicherheit der Bevölkerung verraten und verkauft.
({2})
Das ist ein harter Vorwurf, und deshalb will ich ihn gern
belegen.
Sie haben in der Süddeutschen Zeitung vom
6. Februar gesagt:
Der Wunsch, staatliche Einnahmen zu erzielen,
kann kein tragender Gedanke eines energiepolitischen Konzeptes sein. Das wäre eine Form von
Deal-Politik, die ich ablehne.
Was haben Sie gemacht? Genau diesen Deal, einen
schmutzigen Deal, einen heimlichen Deal, einen gefährlichen Deal, tragen Sie mit und verteidigen Sie hier im
Parlament. Das ist die Politik, die Sie hier machen, Herr
Röttgen.
({3})
Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Kauch?
Aber gern, sicher.
Der Minister hat sich gerade auf einen Abgeordnetenplatz gesetzt. Da hätte ich mich gar nicht zu einer Zwischenfrage melden müssen. Aber ich stelle die Frage
jetzt trotzdem: Sind Sie bereit, das zur Kenntnis zu nehmen, was beispielsweise der Kollege Kelber richtigerweise dargestellt hat, dass es nämlich keine Begrenzung
zur Höhe der Nachrüstung pro Kernkraftwerk durch irgendwelche vertraglichen oder gesetzlichen Regelungen
gibt,
({0})
dass nach dem Entwurf des Vertrages ausschließlich die
Gewinnabschöpfung reduziert wird, wenn eine bestimmte Schwelle überschritten wird?
Im Atomgesetz werden wir eine unlimitierte Risikovorsorge vorsehen, und ich weise nochmals darauf hin,
dass nach dem geltenden § 18 des Atomgesetzes, den
Rot-Grün zu verantworten hat, jede nachträgliche Auflage eine Pflicht zur Entschädigung durch das Bundesland auslöst, das diese Auflage erlässt. Deshalb ist es in
dieser Republik noch nie dazu gekommen, dass einem
Kernkraftwerk eine technische Nachrüstung auferlegt
wurde. Sind Sie bereit, diese Fakten aus dem Atomrecht
zur Kenntnis zu nehmen?
Herr Kauch, ich bin bereit, die Zahlen, die der Minister selbst genannt hat, zur Kenntnis zu nehmen. Der
Minister sagte vor den Verhandlungen mit den Atomkonzernen, dass eine zwölfjährige Laufzeitverlängerung
- das war ja seine Vorgabe an die Studien - Nachrüstungskosten in Höhe von 20 Milliarden Euro nach sich
zieht. Der geheime Deal, der jetzt vereinbart wurde, hat
zur Folge, dass bei Kosten für Nachrüstungen, die über
500 Millionen Euro pro Kraftwerk hinausgehen - bei
17 Kraftwerken macht das 8,5 Milliarden Euro -,
({0})
der Minister bei seinem Finanzminister betteln gehen
muss, um für die Sicherheit weitere Millionen, die ansonsten für andere Dinge vorgesehen werden könnten,
zu bekommen. Das ist die Folge der Vereinbarung mit
den Atomkonzernen. Das ist nichts anderes als ein Deal
„Sicherheit gegen Geld“ bzw. ein Verkauf von Sicherheit.
({1})
Ich will noch ein Zitat des Ministers anführen. Gegenüber dem Kölner Stadt-Anzeiger hat er am 20. Februar
dieses Jahres gesagt:
Es darf nicht einmal der Verdacht aufkommen, dass
der Staat in einen Konflikt geraten könnte zwischen
dem Interesse, Gewinne zu erzielen, und jenem, Sicherheit zu gewährleisten.
Mit dem Geheimdeal ist nicht nur dieser Verdacht aufgekommen, sondern Sie kommen tatsächlich in einen realen Interessenkonflikt. Exakt dann, wenn die Sicherheit
mehr als diese 500 Millionen Euro kostet, entsteht dieser
Interessenkonflikt; denn dann müssen Sie zum Finanzminister gehen und ihn um Gelder für die Sicherheit der
Atomkraftwerke anbetteln. So etwas haben Sie mitgetragen, Herr Röttgen. Damit habe ich ein Problem.
({2})
Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Röttgen?
Ja, bitte.
Wir haben ja bei einer solchen Frage auch eine Verpflichtung, hier sachlich und seriös zu debattieren und
Klarheit über den Sachverhalt zu erreichen.
({0})
Bewerten können wir ihn dann unterschiedlich. Wenn es
aber um Sicherheit geht, stehen wir alle in der Verpflichtung, nicht für Verwirrung, sondern für Klarheit zu sorgen.
In diesem Sinne möchte ich an Sie die Frage stellen,
ob Sie meiner Behauptung zustimmen, dass in der rotgrünen Vereinbarung vom Jahre 2000 die Zusage, dass
die Sicherheitsanforderungen nicht erhöht werden, direkt im Vertrag mit der Kernenergiewirtschaft geregelt
wurde, und dass das in der Vereinbarung, die jetzt vorab
geschlossen wurde, nicht der Fall ist - das ist eine reine
Regelung zur Gewinnabschöpfung. Stimmen Sie mir
auch zu, dass sich die Notwendigkeit der Erfüllung zusätzlicher Sicherheitsanforderungen alleine aus dem Gesetz ergibt und diese nicht limitiert sind? Wenn aber Sicherheit mehr Geld kostet, und zwar mehr Geld, als
kalkuliert worden ist, dann mindert das den Gewinn und
reduziert auch die Gewinnabschöpfung. Das ist ein klarer Mechanismus, der immer dann greift, wenn von Gewinnabschöpfung ausgegangen wird. Aber all das drückt
geradezu aus, dass es einen Vorrang, und zwar einen rein
gesetzlichen, für Sicherheit gibt, anders als in dem Vertrag von Rot-Grün. Können Sie es also bestätigen, dass
es jetzt einen im Gesetz verankerten Vorrang von Sicherheit gegenüber vertraglich geregelten Gewinnabschöpfungen gibt?
({1})
Herr Kollege - das muss ich ja in diesem Fall sagen Röttgen, vielen Dank, dass Sie mir die Möglichkeit geben, genau aus diesem Vertrag noch einmal zu zitieren.
({0})
- Nein, nein, wenn Sie zitieren - das haben Sie ja vorhin
gemacht -, dann zitieren Sie bitte alles. Das, was Sie zitiert haben, war der Satz:
die Bundesregierung wird keine Initiative ergreifen,
um diesen Sicherheitsstandard und die diesem zugrunde liegende Sicherheitsphilosophie zu ändern.
Genau diesen Satz haben Sie zitiert. Nun müssen Sie mir
aber einmal sagen: Was ist der Sicherheitsstandard?
Dieser wird danach definiert. Dieser ist keineswegs so
statisch, wie Sie ihn darzustellen versucht haben. Vielmehr steht im Vertrag auch drin, dass Sicherheitsüberprüfungen stattfinden. Da wird aufgelistet, dass alle zehn
Jahre Sicherheitsüberprüfungen gemacht werden müssen.
({1})
Und außerdem wird ein neues technisches Regelwerk
entwickelt. Dieses neue technische Regelwerk, das
Jürgen Trittin auf den Weg gebracht hat, könnten Sie mit
einem Federstrich in Kraft setzen. Dann hätten wir mehr
Sicherheit. Aber Sie tun es nicht. Deshalb sage ich: Sie
bieten weniger Sicherheit.
({2})
Im Übrigen, Herr Minister Röttgen: Die beste Sicherheit für alte Pannenreaktoren ist, sie abzuschalten.
({3})
Einige der problematischsten AKW würden abgeschaltet, wenn Sie ihnen nicht acht Jahre mehr Laufzeit geben
würden. Sie machen die Sicherheit gerade kaputt.
({4})
Frau Kollegin Höhn, der Kollege Kauch möchte noch
einmal fragen.
Bitte.
({0})
Frau Kollegin Höhn, hier geht es um Fragen, die für
die Bürgerinnen und Bürger wirklich von existenzieller
Bedeutung sind.
({0})
Die Bürgerinnen und Bürger haben es verdient, dass man
hier nicht bewusst Dinge miteinander vermengt. Es ist
so, dass das geltende Atomgesetz den Kraftwerksbetreibern auferlegt, ihre genehmigten Systeme nach dem
Stand von Technik und Wissenschaft weiterzuentwickeln. Das haben Sie in Ihrem Atomgesetz beibehalten,
und das werden auch wir in unserem Atomgesetz beibehalten.
({1})
- Herr Trittin, Sie müssten es eigentlich besser wissen.
({2})
Die Volksverdummung, die Sie hier betreiben, ist wirklich unerträglich.
({3})
Was das Atomgesetz heute nicht regelt, ist beispielsweise die Frage des Vorgehens in einzelnen Kraftwerken. Wenn Block I drei Kühlsysteme und Block II vier
Kühlsysteme als Redundanz hat, dann fällt die Anordnung des vierten Kühlsystems auch für den ersten Block
unter Nachrüsttechnik. Das können Sie heute nur gegen
Entschädigung durch die Bundesländer anordnen. Das
ist der Punkt, über den wir hier reden. Eine weitere Verringerung der Wahrscheinlichkeit von irgendwelchen
Störfällen bedeutet zusätzliche Sicherheit.
Ich muss Ihnen schon sagen: Wenn Sie von Pannenreaktoren sprechen, die abgeschaltet werden müssen,
dann frage ich mich, warum die rot-grüne Regierung unter einem Umweltminister Trittin sie nicht von heute auf
morgen abgeschaltet hat, wenn sie sie doch für so gefährlich hielt. Ich frage mich, warum zum Beispiel der
Atomreaktor Krümmel, der mittlerweile seit zwei Jahren
stillsteht, nach Ihren Plänen ohne jede weitere Sicherheitsmaßnahme noch bis 2018 hätte laufen dürfen.
({4})
Herr Kauch, ich habe hier einige Teile aus der Vereinbarung der rot-grünen Regierung zitiert. Dahinter kommen weitere Passagen. Da geht es zum Beispiel um
Biblis A. Da wird genau festgelegt, wie ein Nachrüstprogramm für Biblis A aussehen soll. Interessanterweise
steht darin, dass es natürlich zum Verhältnis der Restnutzung angemessen sein muss. Sie aber packen noch acht
Jahre drauf. Damals waren es zehn Jahre. Die sind jetzt
abgelaufen.
({0})
Damals - vor dem 11. September - wusste man aber
noch gar nichts von der Gefahr gezielter Flugzeugabstürze durch Terroristen. Selbst atompolitische Hardliner
in der CDU wie Koch und Oettinger haben nach der
Bundestagswahl von der Kanzlerin eine bauliche Nachrüstung gefordert, um die Reaktoren vor Terrorangriffen zu schützen. Was aber machen Sie? Diese Forderungen sind in der Vereinbarung nicht zu finden. Frau
Kotting-Uhl hat doch gefragt: Was machen Sie denn,
Herr Umweltminister? Was machen Sie mit Biblis A?
Was machen Sie mit den anderen Reaktoren? Schützen
Sie sie gegen Terrorangriffe aus der Luft? Ja oder Nein?
Das wollen wir heute hier wissen. Die Bevölkerung hat
das Recht, noch heute zu erfahren, wann und mit welchen Methoden dies geschehen soll.
({1})
Wir haben eben über die Sicherheit geredet. Es gibt
aber noch andere Sachen, die hier unter die Räder kommen. Dazu gehört zum Beispiel das Ziel des Wettbewerbs. Auch hierzu zitiere ich den Bundesumweltminister. Im Handelsblatt vom 16. März 2010 hat er von der
„Dominanz der Großen“ gesprochen. Er sagte, dass das
ein Grund dafür ist, warum wir so hohe Preise haben.
Die Dominanz der Großen ist gegen den Wettbewerb gerichtet, und das führt zu überhöhten Strompreisen. Genau diese Dominanz der Großen ist aber in Ihrer Vereinbarung festgelegt und zementiert worden. Das heißt: Der
Bundesumweltminister macht jetzt genau das, was er vor
der Vereinbarung beklagt hat. Genau dem stimmt er zu.
Am Ende werden es die Verbraucher sein, die dafür die
Zeche zu zahlen haben. Das wollen wir nicht. Deshalb
werden wir gegen die Vereinbarung, die Sie gemacht haben, ankämpfen.
Ein drittes Opfer dieser Atompolitik ist das Grundgesetz. Herr Röttgen, ich will gar nicht darüber spekulieren, was Sie da in Nordrhein-Westfalen gesagt haben. Es
ist ja schon genug darüber geredet worden. Ich will gar
nicht fragen: Was haben Sie Ihren Kollegen da wirklich
gesagt? Gibt es da wirklich einen Maulkorb? Was war
das für eine Rechtsauffassung?
Ich will hier nur zwei Gutachter zitieren, die Ihr
Ministerium beauftragt hat, die Frage einer Beteiligung
des Bundesrates zu untersuchen. Professor Papier
kommt zu dem Ergebnis, dass man den Bundesrat nicht
nur beteiligen muss, sondern dass Laufzeitverlängerungen zustimmungspflichtig sind. Macht man das nicht, ist
es verfassungswidrig. Professor Wieland kommt zu genau derselben Position. Professor Wieland sagt heute sogar in der Zeitung, es wäre ein fahrlässiger Umgang mit
dem Grundgesetz, würde man Laufzeitverlängerungen
am Bundesrat vorbei beschließen. Das sind zwei Professoren, zwei Gutachter, die von Ihnen, von Ihrem Haus,
beauftragt worden sind. Das interessiert Sie jedoch überhaupt nicht. Das heißt, Sie begehen sehenden Auges einen Verfassungsbruch. Das werfen wir Ihnen vor.
({2})
Aber, meine Damen und Herren, Sie werden damit
nicht durchkommen; denn die Mehrheit der Bevölkerung
teilt Ihre Position nicht. Die Opposition ist geschlossen
dagegen, und auch das Grundgesetz haben Sie gegen
sich. Deshalb werden wir hier im Parlament und auf der
Straße, auch am 18. September, also am kommenden
Samstag, Widerstand leisten. Wir werden vor das Bundesverfassungsgericht ziehen, wenn Sie den Bundesrat
nicht beteiligen. Wir sind sehr sicher und sehr optimistisch, dass wir diesen schmutzigen Atomdeal noch stoppen können. Wir werden alles tun, um das hinzubekommen.
Danke schön.
({3})
Nächster Redner ist der Kollege Dr. Georg Nüßlein
für die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen! Meine Herren! Wir
sind mit der klaren Aussage in den Bundestagswahlkampf gezogen, dass wir die Laufzeiten der Kernkraftwerke verlängern müssen, um die Wende in der Energiepolitik gegenfinanzieren zu können, um die Nutzung
erneuerbarer Energien, deren Ausbau teuer ist, ausbauen
zu können. Genau das setzen wir jetzt um. Geschätzter
Kollege Kelber, da kommt es nicht auf die Umfragen an,
({0})
sondern auf das, was von den Bürgerinnen und Bürgern
in Wahlen entschieden wird. Ich würde mir nur wünschen, dass diejenigen, die hier mit uns diskutieren, wenigstens bei der Wahrheit bleiben.
({1})
Liebe Frau Höhn, Sie haben von einem geheimen
Deal gesprochen.
({2})
Das wird schon dadurch widerlegt, dass wir hier darüber
diskutieren. Dadurch wird klar, dass das nicht geheim
sein kann.
({3})
Es steht ja auch im Internet, was da vereinbart worden
ist. Das widerspricht dem komplett.
Andererseits entspricht es komplett der Absicht, die
wir vorher hatten, nämlich zu sagen: Wir schöpfen die
Hälfte der durch die Laufzeitverlängerung erzielten Zusatzgewinne im Sinne einer Ökodividende ab. Jetzt kommen welche, die sagen, es sei ganz ungewöhnlich, dass
es da eine Anrechnung gibt. Ja, Entschuldigung, diese
Gewinne muss man doch berechnen. Auch die vielgescholtenen Versorger können einen Euro nur einmal ausgeben. Wenn an der Steuerschraube gedreht wird und die
Brennelementesteuer von einer Nachfolgeregierung erhöht wird, dann muss das, was anschließend in den
Fonds eingezahlt wird, auch angerechnet werden.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage der
Kollegin Höhn?
Ja, gern.
Herr Kollege Nüßlein, können Sie bestätigen, dass
dieser Vertrag, bevor er ins Internet gestellt wurde, überhaupt nicht bekannt war,
({0})
sondern dass er erst bekannt geworden ist, weil ein Vorstandsmitglied von RWE auf einer Veranstaltung in
München auf die Frage von Herrn Münchmeyer von
Greenpeace gesagt hat: Im Übrigen haben wir um
5.28 Uhr oder 5.23 Uhr noch einen Vertrag paraphiert,
und der Staatsminister des Umweltministeriums musste
dafür noch aus dem Bett geholt werden? Erst danach haben wir angefragt, was das für ein Vertrag ist. Erst danach haben wir die Kanzlerin und die Bundesregierung
gebeten, uns diesen Vertrag zur Verfügung zu stellen.
Erst danach haben wir diesen Vertrag erhalten. Erst jetzt
steht der Vertrag in der Tat im Internet, nachdem wir aufgrund der Frage von Herrn Münchmeyer von Greenpeace diesen angefordert haben. Was ist das anderes als
geheim?
Liebe Frau Höhn, Sie bestätigen damit doch nur, dass
Sie die Energiepolitik dieser Regierung nicht mitverfolgt
haben.
({0})
Wir haben im Vorfeld und auch bei den Verhandlungen
klipp und klar gesagt,
({1})
dass wir im Sinne dessen, was auch Sie unter Rot-Grün
gemacht haben, eine Vereinbarung mit den Versorgern
schließen wollen, in der steht, dass wir mindestens die
Hälfte der Zusatzgewinne abschöpfen werden. Was soll
denn an diesem Vertrag geheim sein? Er musste natürlich erst einmal erstellt werden und auf den Tisch kommen; dann kann man darüber diskutieren. Das ist doch
ganz klar.
({2})
Letztendlich haben wir damit auf Punkt und Komma das
eingehalten, wovon wir vorher gesagt haben, dass wir es
tun wollen. Mir erschließt sich überhaupt nicht, warum
das verwerflich sein soll.
({3})
Ich weiß natürlich, dass Sie ein Interesse daran haben,
von dem abzulenken, was Sie seinerzeit vereinbart haben; der Minister hat Ihnen das heute eindrucksvoll vorgeführt. Ich sage ganz offen, dass ich mir dieselbe Stelle
im Vertrag markiert habe; denn wenn der Minister es
nicht gemacht hätte, hätte ich sie Ihnen vorgetragen.
({4})
Das ist nämlich spannend, insbesondere weil Sie vor der
damaligen Bundestagswahl durch die Lande gezogen
sind und gesagt haben, Kernenergie sei unverantwortlich, die Sicherheit könne nicht gewährleistet werden.
Dann gehen Sie her, schreiben eine Vereinbarung auf Papier, paraphieren das Ganze und sprechen von den hohen
internationalen Sicherheitsstandards der deutschen Kernenergie. Das ist doch ein Widerspruch. Sie hätten damals, nachdem Sie bis 1998 vom sofortigen Ausstieg aus
dieser nicht zu verantwortenden Technologie gesprochen
hatten, in der Tat sofort aussteigen können. Da waren Ihnen offenbar der Dienstwagen und das Amt wichtiger als
diese existenzielle Frage.
({5}))
Technologien, die angeblich so unverantwortlich sind,
muss man aufgeben. Man kann doch nicht sagen: Na ja,
es ist nicht zu verantworten; aber die nächsten 20 Jahre
können wir das in Kauf nehmen. Ich sage Ihnen ganz offen: Wer wie Sie im Glashaus sitzt, sollte mit etwas kleineren Steinen werfen. Seien Sie an dieser Stelle vorsichtig. Wir werden Ihnen das immer wieder vorhalten, weil
ein unglaublich großer Widerspruch zwischen dem besteht, was Sie damals, als Sie in die Wahlen gezogen
sind, behauptet haben, und dem, was Sie am Ende des
Tages realisiert haben.
Ich will noch auf ein paar andere Verlogenheiten eingehen, die in dieser Debatte immer wieder auftauchen.
Erstens. Herr Kindler weiß jetzt schon, dass Gorleben
als Endlager nicht geeignet ist. Ich empfehle ihm, sich
einmal mit den Experten auseinanderzusetzen, die etwas
anderes sagen.
Zweitens. Es kommt dann immer der Hinweis, die
Kostenbeteiligung der Konzerne sei nicht gegeben. Ich
möchte an der Stelle deutlich sagen, dass sich die Versorger am Schacht Konrad mit 64,4 Prozent und in Gorleben mit 96,5 Prozent beteiligen. Auch das muss man
einmal ehrlich feststellen.
({6})
Drittens. Kollege Kelber hat heute wieder einmal die
Mär vorgetragen, die Kernenergie blockiere die erneuerbaren Energien.
Herr Kollege Nüßlein, der Kollege Lenkert würde Ihnen gerne eine Zwischenfrage stellen. Sind Sie einverstanden?
Ja, gern.
Bitte schön.
Herr Kollege Nüßlein, Sie haben gerade die Frage der
Endlager angesprochen. Ist Ihnen bekannt, dass 3 Kilometer nördlich von dem Salzstock, der das Endlager in
Gorleben beherbergen soll, Erdgas gefunden worden ist,
das explodiert ist, was bei einem Atommüllendlager gewisse Risiken hervorrufen könnte?
Des Weiteren ist die Entsorgungsfrage an die Betriebserlaubnis der Kernkraftwerke gekoppelt. Würden
Sie mir zustimmen, wenn ich sage, dass die Bundesländer, die Verlängerungen der Laufzeiten von Kernkraftwerken wünschen, in ihrem Territorium Endlagerkapazitäten zur Verfügung stellen sollten?
({0})
Ich möchte an der Stelle feststellen, dass eine Vorgängerregierung dafür verantwortlich war, dass die Erforschung in Gorleben zehn Jahre lang nicht weiterging.
Das ist kein Beitrag zur Lösung einer politischen Aufgabe, die wir unabhängig von der Frage, ob man für oder
gegen Kernenergie ist, national lösen müssen.
Ich unterstreiche aber auch, dass ich mir im Unterschied zu etlichen Kolleginnen und Kollegen hier nicht
anmaße - ich habe das vorhin gesagt -, ein Expertenurteil über die Frage der Geeignetheit abzugeben.
({0})
Ich würde Sie bitten, das der Erforschung zu überlassen.
So viel Mut muss man an dieser Stelle haben.
Sie haben offenkundig die Sorge, dass der von Ihnen
viel gescholtene Flieger ohne Landebahn irgendwann
eine Landebahn bekommt und dass dieses Thema weiterhin auf der Tagesordnung steht. Ich kann Ihnen offen
sagen: Das wird nicht der Fall sein. Uns geht es wirklich
darum, eine Brückentechnologie zu nutzen, um den Ausbau der erneuerbaren Energien voranzubringen.
({1})
Zur Thematik Blockade der erneuerbaren Energien:
Ich bin ein glühender Verfechter der erneuerbaren Energien; das wissen Sie. Ich würde Sie bitten, mit ein bisschen mehr Mut und Zuversicht an dieses Thema heranzugehen und nicht so zu argumentieren, dass man die
Atomkraftwerke abschalten muss, weil der Strompreis
höher werden muss, mit der Folge, dass die erneuerbaren
Energien konkurrenzfähig sind. Das ist eigentlich der
Kern Ihrer Argumentation.
Von einer Blockade kann nicht die Rede sein. Wir fördern in dieser Republik nichts so sehr wie die erneuerbaren Energien. Im Jahr 2009 betrugen die Differenzkosten
5,3 Milliarden Euro. Das heißt, jeder Durchschnittshaushalt hat 3,82 Euro pro Monat oder 45,84 Euro pro Jahr
für die Markteinführung und den Ausbau erneuerbarer
Energien aufgewendet. Daran wird sich in dem Sinne etwas ändern, dass die Belastung von Jahr zu Jahr zunehmen wird. Wir werden darüber diskutieren, wie weit wir
die Haushalte belasten können.
Herr Kollege Nüßlein, jetzt würde gerne Herr Kelber
eine Zwischenfrage stellen.
Von mir aus.
Vielen Dank, Herr Kollege. - Sie haben gerade gesagt, ich hätte von einer Blockade der erneuerbaren
Energien durch die Atomindustrie gesprochen. Das ist in
der Tat meine Meinung. Sind Sie bereit, zu akzeptieren,
dass ich dies in meiner Rede vorhin anhand von zwei Zitaten deutlich gemacht habe? Zum einen habe ich die Ergebnisse der Gutachten und Prognosen herangezogen,
von denen Sie und Herr Kauch gesagt haben, sie seien
die durchgerechnete Grundlage Ihrer Politik. Es handelt
sich, wie Sie sehen, um Balkendiagramme, die den
Rückgang des Zubaus bei erneuerbaren Energien aufgrund der Laufzeitverlängerung belegen. Zum anderen
habe ich ein Zitat aus einer Rede von Herrn Röttgen vom
Februar 2010 herangezogen, in der er über die schwierige Vereinbarkeit der beiden Energien gesprochen hat.
Haben Sie das mitbekommen?
Das habe ich selbstverständlich mitbekommen.
({0})
Sie sprechen so nett vom Rückgang des Zubaus. Im
Grunde sagen Sie: Das Wachstum, das wir zu Beginn
hatten und das in der Tat sehr steil war, wird flacher werden. Das ist nichts, was unmittelbar mit der Politik zu
tun hat. Vielmehr hat bereits in den letzten Jahren der
Zubau bei der Windkraft standortbedingt nicht in solchem Umfang zugenommen, wie das der eine oder andere erwartet hat. Diese Kurve wird nun einmal flacher,
weil wir bei den erneuerbaren Energien bestimmte Voraussetzungen zu erfüllen haben: Man braucht windreiche Standorte. Bei der Wasserkraft - sie ist ein gutes
Beispiel - braucht man die Möglichkeit, in die Wasserläufe bzw. das Gefälle einzugreifen. Bei der Solarenergie
stehen Sie vor der Problematik, dass man an verschiedenen Stellen allmählich Akzeptanzprobleme bekommt.
Ich erhalte im Übrigen vielfach Post von grüner Seite.
Darin steht: Man verschandelt mir meine Gemeinde mit
Flächen aus Fotovoltaik usw. All das sind hochspannende Themen. Es geht auch darum, die Vorhaben allmählich umzusetzen.
Was das Zitat von Herrn Röttgen angeht, so kann ich
dazu unmittelbar nur so viel sagen: Es muss unsere Aufgabe sein, die beiden Energiearten ökonomisch miteinander zu vereinen. Lieber Herr Kollege Kelber, wir
bringen an dieser Stelle den Beweis, dass die Nutzung
der Kernenergie uns in die Lage versetzt, die erneuerbaren Energien doppelt gegenzufinanzieren, nämlich zum
einen durch die preisdämpfenden Effekte am Markt und
zum anderen dadurch, dass wir einen Fonds auflegen,
durch den in Forschung und Entwicklung erneuerbarer
Energien und Speichertechnologien investiert wird. Damit leisten wir zu dem eigentlichen Thema - Engpass
beim Ausbau der Netze und bei der Speicherung - einen
Beitrag.
Herr Kollege Nüßlein, nun möchte gerne auch der
Kollege Fell eine Zwischenfrage stellen. Erstens ist das
die letzte Zwischenfrage bei Ihrer Rede, und zweitens ist
Ihre Redezeit schon abgelaufen. Sie könnten also gleich
zum Ende kommen.
Wunderbar. Dann lasse ich die Zwischenfrage des
Kollegen Fell noch zu.
Herr Kollege Nüßlein, Sie haben gerade behauptet,
dass der Ausbau erneuerbarer Energien geringfügig verändert auf hohem Niveau weitergeht. So habe ich Ihre
Aussage interpretiert. Ich möchte Ihnen anhand der Zahlen aus dem Gutachten, das Ihrem Energiekonzept zugrunde liegt, deutlich machen, dass es sich nicht um eine
geringfügige Veränderung, sondern um einen drastischen Einbruch der Neuinvestition in erneuerbare Energien handelt. 2009 wurden in Deutschland gut 1,8 Gigawatt Windkraft installiert. Nach EWI sollen in den
kommenden Jahren nur noch 0,6 Gigawatt Windkraft installiert werden. Das ist nur ein Drittel des heutigen Ausbaus. Das heißt, allein in der Windenergiebranche und
bei den Zuliefererbetrieben wird es massive Arbeitsplatzverluste und Konkurse geben.
Bei der Fotovoltaik sieht es noch viel schlimmer aus.
Wir werden in diesem Jahr im Bereich Fotovoltaik einen
Zuwachs von 6 bis 7 Gigawatt haben. Laut EWI sollen
es im nächsten Jahr und in den Folgejahren nur noch
1,6 Gigawatt sein. Wie können Sie angesichts dessen
von einem geringfügigen Rückgang reden?
Ich war am letzten Dienstag auf der Konferenz des
VKU, des Verbandes kommunaler Unternehmen. Dort
hat man das bestätigt und ganz klar gesagt, dass sie die
Investitionen mit einem Volumen von 10 Milliarden
Euro, die sie für die nächsten Jahre in den Bereichen erneuerbare Energien und Kraft-Wärme-Kopplung geplant
haben, bei dieser Laufzeitverlängerung nicht tätigen
können. Wie können Sie behaupten, dass es nur einen
marginalen Einschnitt gäbe? Sie sorgen für einen dramatischen Einbruch zum Schaden dieser Branche. Sie werden diesen großen Erfolg in der Wirtschaftsgeschichte
Deutschlands mit der Laufzeitverlängerung beenden.
({0})
Lieber Kollege, mit Verlaub: Sie verknüpfen hier
Dinge, die nichts, aber auch gar nichts miteinander zu
tun haben.
Eines ist doch entscheidend - nehmen wir einmal das
Beispiel Windkraft, das Sie herausgegriffen haben -: Die
Große Koalition hat damals im Rahmen der Verhandlungen über das Erneuerbare-Energien-Gesetz bei der Vergütung deutlich aufgesattelt.
({0})
Daran können Sie sich vermutlich noch erinnern. Wenn
unter dem Umstand höherer Vergütungssätze der jährliche Ausbau und Zuwachs im Bereich der Windkraft
schon jetzt zurückgeht, wie Sie es gerade beschrieben
haben, dann kann das weder an der Laufzeitverlängerung liegen - die kommt erst 2017 - noch an irgendwelchen Veränderungen, die wir am EEG vorgenommen haben.
({1})
Das ist ein Beleg dafür, dass es auf die Standorte ankommen wird und dass die Potenziale, von denen hier gesprochen wird, in der Realität nicht in der Form existieren, wie Sie es sich in Ihrem Wolkenkuckucksheim
immer wieder einbilden. Das muss ich an dieser Stelle
klipp und klar sagen. Der Vorrang der erneuerbaren
Energien bleibt so, wie wir ihn gemeinsam im EEG definiert und beschlossen haben, erhalten. Deshalb gibt es
keinen Grund, die Dinge in unzulässiger Weise zu verknüpfen.
Vielen herzlichen Dank.
({2})
Das Wort hat jetzt die Kollegin Dr. Bärbel Kofler von
der SPD-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!
Ich habe geglaubt, ich müsste die E-Mail, die ich heute
von einem Bürger bekommen habe, nicht mehr vorlesen.
Es geht um die Frage radioaktiver Abfälle. Ich habe gedacht: Ich bin die vorletzte Rednerin, irgendeine geschätzte Kollegin oder irgendein geschätzter Kollege,
vielleicht sogar der Umweltminister wird diese einfache
Frage in ihrem oder seinem Beitrag beantworten.
Nach dem Beitrag des Kollegen Nüßlein, der auf eine
konkrete Nachfrage zu dem Thema Endlager ebenfalls
nichts gesagt hat - übrigens auch nicht zu einem Endlager in Bayern; unter uns Bayern wollen wir doch ehrlich
diskutieren -, möchte ich diese Frage doch einmal vorlesen. Vielleicht kann der Kollege von der Union, der als
letzter Redner spricht, eine Antwort darauf geben. Ein
Bürger aus meinem Wahlkreis schrieb mir: Mit jedem
Tag Verlängerung der Laufzeit von Atomkraftwerken
vergrößert sich die Menge der radioaktiven Abfälle. Fragen Sie doch bitte die CDU/CSU und die FDP im Bundestag, wo es ein sicheres Endlager gibt. Ab wann und
wo werden welche Mengen strahlendes Material sicher
eingelagert? - Dann möchte der Bürger noch gerne wissen, wie und von wem die Kosten für diese Endlager
übernommen werden.
({0})
Ich würde diese einfache Frage eines Bürgers hier
gerne einmal beantwortet haben. Wir wollen keine Laufzeitverlängerung für die Atomkraftwerke.
({1})
Sie wollen das. Sie machen das. Sie haben das in den
letzten Tagen in einem Deal eingefädelt. Beantworten
Sie bitte auch die Fragen der Bürger zu diesem Thema.
({2})
Heute führen wir eine Haushaltsdebatte. Wenn man
die blumigen Ausführungen über die vielen Ausgaben,
die man in Zukunft im Bereich erneuerbarer Energien tätigen möchte, und die vielen tollen Programme zur CO2Einsparung, die man in Zukunft umsetzen möchte, hört,
dann stellt man fest: Es lohnt sich, den Haushaltsentwurf
für 2011, über den wir heute beraten, anzuschauen. Einer
der Kollegen hat es gesagt: An ihren Taten sollt ihr sie
erkennen. Ja, das ist wohl wahr: An ihren Taten sollt ihr
sie erkennen. Die Folgekosten der Atomenergie - Stichwort „Atommüll“ - steigen um 35 Prozent - dabei ist die
Laufzeitverlängerung noch nicht eingerechnet -, und das
Erneuerbare-Energien-Programm wird um knapp 10 Prozent gekürzt. Das soll mit diesem Haushalt beschlossen
werden.
({3})
Frau Kollegin Kofler, erlauben Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Flachsbarth?
Ja, gerne.
Frau Kollegin, könnten Sie mir bitte zustimmen, dass
die Debatte, die wir hier über Endlager führen, eine gewisse Scheinheiligkeit in sich trägt? Könnten Sie mir zustimmen, dass die Suche nach einem Endlager in der
Realität betrieben werden muss, wenn man denn eines
finden will? Könnten Sie mir zustimmen, dass das Moratorium allerspätestens 2005 hätte ausgelaufen sein können, als der Synthesebericht des BfS vorgelegt worden
ist? Könnten Sie mir zustimmen, dass die Union in der
Großen Koalition alles, aber auch alles - leider vergeblich - unternommen hat, dieses Moratorium zu beenden?
Könnten Sie mir dann bitte auch noch sagen, ob die
niedersächsischen Ministerpräsidenten Schröder,
Glogowski und Gabriel jemals den Versuch unternommen
haben, der Bundesregierung einen alternativen Standort
zur Erkundung vorzuschlagen, alldieweil Niedersachsen
geschlagen oder gesegnet ist - man kann das so oder so
sehen - mit den entsprechenden geologischen Strukturen? Wenn das denn alles so ist, muss man doch tatsächlich sagen - ich hoffe, Sie können mir zustimmen -, dass
diese Debatte in hohem Maße scheinheilige Züge trägt.
({0})
Wissen Sie, bezüglich der Scheinheiligkeit in der Debatte kann ich Ihnen zustimmen. Da gibt es eine ganze
Menge Scheinheiligkeit. Der Untersuchungsausschuss
zum Thema Gorleben wird noch viel Klarheit in die Debatte bringen.
({0})
- Ja, das ist mir schon klar. - Ich glaube, zum Thema
Scheinheiligkeit kann man auch aus bayerischer Sicht an
der Stelle einiges sagen. Wenn die CSU in Bayern durch
die Lande zieht, für die Verlängerung der Laufzeiten der
Atomkraftwerke wirbt und gleichzeitig sagt: „Heiliger
Sankt Florian, verschon‘ mein Haus, zünd‘ andre an“,
dann nenne ich das scheinheilig.
({1})
Ich wollte aber auch etwas zu diesem Haushaltsentwurf sagen. Wir befinden uns ja in der Haushaltsdebatte;
der Haushalt wird eingebracht. Ich habe einige Kollegen
gehört, die zum Thema „erneuerbare Energien“, die sie
voranbringen wollen, etwas gesagt haben, die die Herzen
der Menschen mit diesem Haushalt erreichen wollten,
({2})
die aber suggerieren, es gehe leider nicht mehr, sie hätten so gern mehr in erneuerbare Energien investiert, aber
die böse Wirtschaftskrise verhindere das. Wenn man sich
nicht ernsthaft damit auseinandersetzt, wie man zu Einnahmeverbesserungen in diesem Haushalt insgesamt,
aber auch für den Umwelthaushalt kommt, wenn man
sich nicht ernsthaft damit auseinandersetzt, wie man
über Investitionen in ökologisch sinnvolle Maßnahmen
zu mehr Beschäftigung, mehr Steuereinnahmen und weniger Sozialversicherungsausfällen kommt, dann, finde
ich, hat man das Recht verwirkt, über die angeblich so
schwierigen wirtschaftlichen Zeiten zu jammern.
({3})
Wenn Frau Dött insbesondere beklagt, dass der Programmhaushalt um 94 Millionen Euro - die zitierten
10 Prozent - sinkt, aber leider nicht mehr drin gewesen
sei, das müsse doch auch die Opposition kapieren, dann
muss ich schon sagen: Wenn über Nacht über Verrech6004
nungen von Steuermöglichkeiten, zum Beispiel im Zusammenhang mit der Gewerbesteuer, Pi mal Daumen
800 Millionen Euro dem Haushalt einfach entzogen werden, dann frage ich mich, warum ein Zehntel dieser
Summe ein großes Problem für diesen Bundeshaushalt
darstellt. Das ist mir völlig schleierhaft.
({4})
Sie haben in diesem Haushalt wesentliche Programme, die einen Beitrag zum Klimaschutz auf nationaler und internationaler Ebene leisten, gekürzt. Alles,
was wir heute über die hehren Einsparziele gehört haben, findet sich in diesem Haushalt nicht wieder. Ich
nenne das Marktanreizprogramm. Ich glaube, das ist
heute zu Unrecht etwas zu kurz gekommen. Dies ist ein
Programm, das wirklich in Effizienz investiert, das in
Energieeinsparung investiert, das im Bereich der
Wärme, in dem wir großen Nachholbedarf für die Zukunft haben, wichtige Anreize setzt. Da sind wir noch
nicht weit. Was höre ich dann bei den Klimazielen?
Schöne Worte! Aber genau hier werden in diesem Haushalt 68 Millionen Euro gekürzt. Das ist völlig unverständlich. Es ist ökologisch unverständlich und - ich
sage es noch einmal - ökonomisch unverständlich.
Ich habe am 1. Juli dieses Jahres in der Fragestunde
der Bundesregierung die Frage gestellt, was volkswirtschaftlich damit erreicht werden soll, wie denn die volkswirtschaftlichen Wirkungen dieser Kürzungen sind. Wir
alle kennen die Proteste aus dem Handwerk, aus den Regionen, der Verbände, der Bürger und der Kirchen.
Es gibt ein Schreiben der evangelischen Kirchen, die
händeringend um den Erhalt dieses Programms auf
entsprechendem Niveau bitten. Die Antwort von Staatssekretärin Reiche war, Zahlen über volkswirtschaftliche
Zusammenhänge lägen ihr nicht vor. Sie sagte, die Berechnungen des Ifo-Instituts, wonach der Einsatz von
1 Euro zu 8 Euro Umsatz führe, seien ihr nicht bekannt.
Ich sage es noch einmal: Das war am 1. Juli. Meines
Wissens wurde am 8. Juli der Haushalt ins Kabinett eingebracht. Auf welcher Basis wurde dieser Haushalt in
das Kabinett eingebracht? Diese Frage möchte ich an
dieser Stelle einmal beantwortet haben.
({5})
Ähnliches gilt für den Bereich der CO2-Gebäudesanierung. Ich weiß, das betrifft ein anderes Ressort. Ich
weiß, hierfür ist das Verkehrsministerium zuständig.
Beim Kürzen sind sich die verschiedenen Ressorts in
diesem Kabinett offensichtlich einig, auch wenn sie sich
ansonsten weniger einig sind.
Heute habe ich mit großer Freude gehört, diese Kürzungen würden eventuell zurückgenommen. Noch steht
für mich die Hälfte der CO2-Gebäudesanierungsprogramme zur Kürzung an. Dies ist genauso wie bei den
Marktanreizprogrammen ökologisch und ökonomisch
sinnlos.
Sie sprachen außerdem von internationaler Glaubwürdigkeit. Ich glaube, Herr Kauch hat in der heutigen
Diskussion irgendetwas von der Vorbildlichkeit für internationale Verhandlungen gesagt. Es ist schön, wenn
man hier über zukünftige Ziele spekuliert. Ganz konkrete Zusagen dieser Bundesregierung von Dezember
2009 bzw. Januar 2010 - sie wurden also auch in Kopenhagen gegeben - wurden mit dem vergangenen Haushalt
gebrochen und werden mit diesem Haushalt völlig eliminiert.
({6})
Wer in der Welt 1,2 Milliarden Euro zusagt, um die
Folgen des Klimawandels für die ärmsten Länder abmildern zu können, wer in drei Haushalten jeweils 420 Millionen Euro jährlich verspricht, wer 70 Millionen Euro
in den Haushalt 2010 einstellt, diese Mittel für den
Haushalt 2011 streicht und dann irgendwelche zinsvergünstigten Darlehen, die auf dieser Welt herumschwirren, als die Rettung des Weltklimas bezeichnet, der ist
nicht von dieser Welt und hat Vertrauen auf internationaler Ebene völlig verspielt.
({7})
Kommen Sie bitte zum Schluss.
Ich komme zum Schluss.
Zusammenfassend kann man sagen: Dieser Haushalt
hat Vertrauen bei den Bürgern verspielt, die in erneuerbare Energien investieren wollten. Er hat Vertrauen bei
den Handwerkern verspielt, die ihre Kalkulationen und
Angebote in diesem Bereich im Vertrauen auf die Zusagen dieser Regierung ausgerichtet haben. Er hat Vertrauen bei internationalen Partnern verspielt, die sich
bisher auf die Zusagen der Regierung verlassen konnten.
Er hat Vertrauen bei allen verspielt, nur nicht bei denen,
die am vergangenen Sonntag den schönen Deal mit Ihnen ausgemacht haben. Die Energiekonzerne konnten
sich auf Ihre Milliardengeschenke verlassen.
Herzlichen Dank.
({0})
Als letzter Redner zu diesem Einzelplan hat der Kollege Bernhard Schulte-Drüggelte von der CDU/CSUFraktion das Wort.
({0})
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Vorab möchte ich sagen, dass es sich hierbei um ein
emotionales Thema handelt. Man kann sich wunderbar
darüber aufregen. Es ist schön, dass Sie am Schluss noch
einmal den Begriff „Haushalt“ eingeführt und darauf
hingewiesen haben, dass wir eine Haushaltsdebatte führen. Ich würde mich freuen, wenn es möglich wäre, die
Auseinandersetzung einigermaßen sachlich zu führen.
Den ersten Vertrag hat Rot-Grün geschlossen. Zum
zweiten Vertrag muss man sagen, dass die Sicherheit an
allererster Stelle steht, und zwar ohne Kompromisse.
({0})
Zudem ist zu sagen, dass die Sicherheitskonzeption
dynamisch ist, angepasst an künftige technische Entwicklungen. Ich finde, das ist der höchste Standard, den
man erreichen kann. Das ist etwas, was ich persönlich
für richtig halte. Wenn ein fachlich begründeter Zweifel
- Frau Höhn hat auch sonst Zweifel - an der Sicherheit
eines Kernkraftwerkes besteht, dann gibt es doch nur einen Weg: Dann wird dieses Kraftwerk abgeschaltet, und
zwar sofort.
({1})
Ich habe gesagt: Wenn ein sachlich begründeter Zweifel besteht. Das ist ein kleiner Unterschied, auch nach
der emotionalen Debatte, die hier gerade stattgefunden
hat.
Als Mitglied des Haushaltsausschusses möchte ich
auch etwas zum Haushalt sagen. Erst einmal freue ich
mich darüber, dass die Mittel dieses Haushalts auf
1,6 Milliarden Euro steigen. Das zeigt, dass die Regierung wichtige Vorhaben voranbringt.
Ich möchte einen Punkt ansprechen, der in der Debatte
gerade schon erwähnt wurde: den Schacht Konrad. Er
ist ein ehemaliges Eisenerzbergwerk, das seit 2007 in ein
Endlager für radioaktive Abfälle umgebaut wird, und
zwar für radioaktive Abfälle mit vernachlässigbarer Wärmeentwicklung. Das war ein wichtiger Schritt, den die
Große Koalition gemacht hat; das muss man einmal festhalten. Beim Schacht Konrad gehen die Umrüstungsarbeiten weiter. Dabei geht es nicht nur um Planungs- und
Genehmigungsverfahren, sondern es wird auch gebaut,
zum Beispiel an Gebäudezufahrten, und die Anlage wird
gesichert. Das ist der Grund für die Erhöhung der Mittel
in diesem Haushalt um 100 Millionen Euro.
Da diese Frage vorhin gestellt wurde - gleich komme
ich auch auf Gorleben zu sprechen -, sage ich: Das sind
refinanzierte Mittel, es ist eine gute Maßnahme, und die
Fertigstellung dieses Endlagers ist für 2014 geplant. Das
ist erfreulich.
Für das Projekt Gorleben - Frau Dr. Kofler, Sie hatten danach gefragt - waren bisher 21 Millionen Euro bereitgestellt. Diese Mittel werden auf 47 Millionen Euro
erhöht. Die Erkundung des Salzstockes soll ergebnisoffen fortgesetzt werden. Die Frage in der von Ihnen erwähnten E-Mail war: Warum wird das gemacht?
({2})
- Ja, ich erzähle es gerade. - Das wird gemacht, damit
festgestellt werden kann, ob dieser Salzstock als Endlager geeignet ist.
({3})
Meine Antwort auf die zweite Frage, die der Absender der E-Mail gestellt hat, lautet: Das wird genauso refinanziert wie der Schacht Konrad.
Das waren meine Antworten auf die beiden Fragen.
Ich habe mich bemüht, sie einigermaßen sachlich zu beantworten.
({4})
Was steckt dahinter? Dahinter steckt doch, dass diese
Regierung entschlossen ist, das Problem der Endlagerung, auch der hochradioaktiven Stoffe, zu lösen und die
Lösung dieses Problems nicht auf die nächste Generation zu verlagern. Ich meine, das ist eine wirklich verantwortungsvolle Maßnahme und Zielsetzung dieser Regierung.
({5})
Der Kollege Kauch hat vorhin angesprochen, dass
auch im Naturschutz besondere Maßnahmen gefördert
werden. Dabei geht es insbesondere um das Bundesprogramm Biologische Vielfalt; auch dies ist eine sehr sinnvolle Maßnahme. In diesem Rahmen sind jährlich 15 Millionen Euro für Demonstrationsmaßnahmen vorgesehen.
Aber eines sollte man in der gesamten Diskussion,
auch in dieser Haushaltsdebatte, nicht vergessen: dass
die oberste Priorität der Koalition die nachhaltige Konsolidierung des Haushaltes ist;
({6})
das ist doch völlig klar. Es geht um die dauerhafte Sicherstellung der Tragfähigkeit der öffentlichen Finanzen
auch in Deutschland.
({7})
Wir müssen sicherstellen, dass wir nicht in die gleichen
Schwierigkeiten kommen, wie es anderen Ländern in
Europa passiert ist. Dieser Konsolidierung kann sich natürlich auch das Umweltministerium nicht entziehen; das
ist völlig klar.
({8})
Ich will Ihnen ein Beispiel nennen. Der Anteil des Verwaltungshaushalts des Ministeriums am Einzelplan 16
beträgt im Jahre 2011 nur noch 16,7 Prozent. Im Jahre 2005 lag er noch bei 28 Prozent.
({9})
Auch das ist eine Leistung, die deutlich macht, wie man
vernünftig vorgehen kann.
Es gibt auch andere Bereiche, in denen eine Mittelverstärkung zu verzeichnen ist, zum Beispiel bei Forschung und Entwicklung.
Auch bei den erneuerbaren Energien kommt es zu
einer Steigerung. Im Haushalt 2010 werden die Mittel um
10 Millionen Euro und 2011 um weitere 8,5 Millionen
Euro erhöht. Für das kommende Jahr stehen insgesamt
129 Millionen Euro zur Verfügung. Das sind Maßnahmen, die zeigen, dass ein großes Interesse an erneuerbaren Energien besteht und ihr Ausbau eine klare Zielsetzung ist.
({10})
Die Umweltforschungsmittel werden gesteigert. Die
Naturschutzforschungsmittel werden ebenfalls gesteigert. Minister Röttgen hat es ganz klar auf den Punkt gebracht: Die Forschungsförderung ist der Schlüssel für
den Markterfolg von morgen. Das zeigt, wie zukunftsgewandt diese Regierung arbeitet und wie erfolgreich wir
in Zukunft sein werden. Im Energiemix der Zukunft sollen die erneuerbaren Energien die Hauptrolle spielen
bzw. den größten Anteil ausmachen.
Jetzt komme ich zu dem, was vorhin zum Thema Gutachten gesagt wurde. Herr Fell, es geht nicht nur um
Gutachten.
({11})
Der Minister hat vorhin ganz klar gesagt: Es geht auch
um den politischen Willen, den man hat. Dieser politische Wille ist vorhin ganz eindeutig dargestellt worden:
vom Minister, von den Kollegen der CDU/CSU und von
den Kollegen der FDP. Das war ein deutliches Signal.
({12})
- Nein, du hast es ja gerade gehört.
({13})
Ich möchte eben noch einen Punkt ansprechen - ich
habe noch drei Sekunden -, den mein Kollege Haustein
vorhin dargestellt hat, nämlich das Marktanreizprogramm.
({14})
Das war 2010 ja auch umstritten. Ich meine, trotz der
Absenkung ist es ein Erfolg, und zwar deshalb, weil es
jetzt losgelöst von den Emissionserlösen ist. Das ist das,
was der Kollege Kelber vorher auch immer gefordert hat
- alle haben das gefordert -: Es soll zu einer Verstetigung kommen. Diese Verstetigung ist jetzt für die nächsten Jahre gegeben,
({15})
zwar auf einem niedrigen Niveau, aber mit einer klaren
Richtung. Jeder Marktbeteiligte kann sich daran ausrichten, um zu sehen, wie es in Zukunft weitergeht. Das ist
eine sehr gute Entwicklung, der ich klar zugestimmt
habe.
({16})
Zum Schluss möchte ich sagen, dass die erneuerbaren
Energien durch diesen Haushalt gefördert werden, aber
- der Minister hat es gerade gesagt - auch außerhalb des
Haushaltes. Der Minister hat die Fonds und die KfW angesprochen, die das mit unterstützen sollen. Das Ziel,
das wir damit erreichen wollen, nämlich die erneuerbaren Energien zu einer tragenden Säule der künftigen
Energieversorgung zu machen, kann mit diesem Konzept erreicht werden.
Herzlichen Dank.
({17})
Weitere Wortmeldungen zu diesem Einzelplan liegen
nicht vor.
Wir kommen deshalb zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz, Einzelplan 10.
Als erste Rednerin hat die Bundesministerin Ilse
Aigner das Wort.
({0})
- Ich bitte die Kollegen, die dieser Aussprache nicht beiwohnen wollen, den Saal zu verlassen, damit wir zügig
beginnen können; denn viele haben heute Abend noch
weitere Termine. - Wenn der Herr Kollege Goldmann
Platz genommen hat, dann können wir anfangen; dann
sitzen die wichtigsten Leute. - Frau Aigner, bitte, Sie haben das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Auch mein Haus, das Ministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz, leistet seinen Beitrag zur Konsolidierung des Haushaltes. An der
gemeinsamen Kraftanstrengung arbeiten wir aktiv mit,
weil wir wissen, dass die Schulden und Zinsen von heute
die Steuern von morgen sind.
({0})
Ich persönlich bin der festen Überzeugung, dass wir
mit der Schuldenbremse das richtige Instrument verankert haben. Die Neuverschuldung zu reduzieren ist nicht
nur eine rechtliche Verpflichtung, sondern vor allem
auch eine moralische Verpflichtung.
Das Prinzip der Nachhaltigkeit kommt, wie Sie vielleicht wissen, aus der Forstwirtschaft. Deshalb ist es
auch nicht verwunderlich, dass gerade mein Haus das
nachhaltige Regierungshandeln ganz extrem unterstützt.
({1})
Der Haushaltsentwurf für 2011 ist mit erheblichen
Einsparungen verbunden. Wir haben im Einzelplan 10
Ausgaben in Höhe von 5,48 Milliarden Euro veranschlagt. Das sind 354 Millionen Euro weniger als in diesem Jahr. Ich sage ganz offen und ehrlich: Das ist uns
nicht leichtgefallen, und das tut natürlich auch weh.
Doch zugleich bin ich mir sicher: Wenn wir die richtigen
Schwerpunkte setzen, dann haben wir weiterhin eine solide Basis für eine zuverlässige Ernährungs-, Agrar- und
Verbraucherpolitik.
Ich danke den Koalitionsfraktionen ganz herzlich für
ihre konstruktive Mitarbeit; denn wir sind zu Einsparungen gezwungen. Dies trifft die Gemeinschaftsaufgabe
„Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes“ besonders hart, für die im nächsten Jahr 600 Millionen Euro veranschlagt sind. Das sind 100 Millionen
Euro weniger als 2010. Wir, der Bund und die Länder,
stehen nun gemeinsam vor der Herausforderung, die
Maßnahmen der GAK zu überdenken, damit wir auch
künftig wichtige Prioritätensetzungen zugunsten einer
nachhaltigen Bewirtschaftung, einer wettbewerbsfähigen Landwirtschaft und zugleich von Arbeitsplätzen im
ländlichen Raum vornehmen können.
Auch andere Bereiche sind leider betroffen, etwa die
zinsverbilligten Kredite zur Liquiditätssicherung. Das ist
aber meines Erachtens im Moment vertretbar, weil das
Zinsniveau extrem niedrig ist.
Mit dem Regierungsentwurf haben wir vieles erreicht.
Der Koalitionsvertrag hat die Richtung vorgegeben, und
wir setzen diesen Koalitionsvertrag um, Punkt für Punkt.
({2})
Vier wesentliche Punkte will ich Ihnen nennen, mit denen wir Akzente gesetzt haben:
Erstens. In der Agrarsozialpolitik setzen wir auf Verlässlichkeit. Sie ist und bleibt der Schwerpunkt in unserem Haushalt. Das ist die Unterstützung, die direkt vor
Ort bei den Arbeitskräften ankommt.
Zweitens: Verlässlichkeit beim Sonderprogramm
Landwirtschaft. Der Zuschuss für die landwirtschaftliche Unfallversicherung wird in 2011 noch einmal erhöht, und zwar von 100 auf 200 Millionen Euro. Daran
wird nicht gerüttelt. Auch das ist Verlässlichkeit.
Drittens: Verlässlichkeit beim Agrardiesel. Den
Selbstbehalt von 350 Euro pro Betrieb und die Obergrenze von 10 000 Litern haben wir nun auf Dauer gestrichen; denn unsere Landwirte stehen im Wettbewerb
auch über die Grenzen unseres Landes hinweg. Deshalb
war dies ein wichtiger Schritt in Richtung Angleichung
der Wettbewerbsbedingungen.
({3})
Viertens nenne ich den Bereich Forschung und Innovation. Da wir an die Zukunft denken, sind rund
10 Prozent dieses Haushaltes für Forschung, Entwicklung und Innovation eingeplant. Das ist ungefähr eine
halbe Milliarde Euro in diesem Bereich. Ich sage Ihnen:
Bei allen Sparanstrengungen im Zuge der Schuldenbremse war und ist es mir ein besonderes Anliegen, hier
auch künftig Zeichen zu setzen. Die Forschungsausgaben insgesamt werden von Einsparungen ausgenommen.
Auch das ist Verlässlichkeit.
({4})
Sogar mehr Forschungsmittel kommen den nachwachsenden Rohstoffen und der Innovationsförderung in
diesem Bereich zugute. Im Haushaltsentwurf haben wir
die Mittel dafür erhöht. Das kommt der biobasierten
Wirtschaft zugute, deren Grundlage die Land- und Forstwirtschaft ist. Konzentration auf biobasierte Wirtschaft
ist wichtig, um die Klimaschutzziele der Bundesregierung zu erreichen, um erneuerbare Energien voranzubringen und nicht zuletzt, um dem Nachhaltigkeitsgedanken Rechnung zu tragen. Damit ist eines ganz klar:
Wir sparen nicht an der Zukunft.
({5})
Im Frühjahr wurde in meinem Haus eine Organisationsreform durchgeführt. Die Struktur wurde an den
neuen Herausforderungen ausgerichtet. Ich habe extra
eine Abteilung für die biobasierte Wirtschaft etabliert.
Außerdem habe ich die Verbraucherpolitik weiter gestärkt. Auch das war mir ein persönliches Anliegen;
denn Politik für die Verbraucher ist Politik unmittelbar
für die Bürgerinnen und Bürger. Verbraucherpolitik ist
mehr als nur Verbraucherschutz. Verbraucherpolitik bedeutet auch Information des Verbrauchers - hierzu ist
wissenschaftlicher Sachverstand erforderlich, der das
begleitet - und ebenso Verbraucherbildung. Mit insgesamt 150 Millionen Euro schafft der Haushalt 2011 dafür die Voraussetzungen. Damit ist die finanzielle Basis
stabil. Auch das ist Verlässlichkeit.
Ich will Verbraucherpolitik gestalten, nicht bevormundend und nicht überregulierend. Mein Leitsatz ist:
Moderne Verbraucherpolitik gewährleistet Sicherheit
und Selbstbestimmung.
({6})
In unserer komplexen Wirtschaftswelt sollen die Verbraucherinnen und Verbraucher ihren Konsum eigenverantwortlich gestalten können. Deshalb mache ich mich
stark für Sicherheit, für Transparenz und für die Entscheidungskompetenz der Verbraucherinnen und Verbraucher - soweit es geht, im Dialog, und wenn es nicht
geht, auch mit Druck.
({7})
Ich möchte Ihnen einige Beispiele nennen: Im Rahmen der Qualitätsoffensive Verbraucherfinanzen bieten wir den Verbrauchern nutzvolle Hilfestellungen. Wir
führen einen Dialog mit allen beteiligten Kreisen und er6008
arbeiten Lösungen, die wir Schritt für Schritt umsetzen.
Wir sind mittendrin.
Zweitens. Wir stärken auch die Rechte der Verbraucher im Internet. Dabei gilt es, die richtige Balance
zwischen den neuen Technologien einerseits, die auch
vielen Verbraucherinnen und Verbrauchern nutzen, und
dem Schutz der Privatsphäre des Einzelnen andererseits
zu finden. Das betrifft auch, aber eben nicht nur Google
Street View.
({8})
Deshalb werden wir die Diskussion über notwendige
Rechtsänderungen bei den Geodaten in einem größeren
Zusammenhang führen müssen, als es der Bundesrat zuletzt vorgeschlagen hat.
({9})
Drittens. Zum Schutz vor Kostenfallen im Internet
brauchen wir eine europäische Regelung. Vor Abschluss
eines Vertrages muss über einen Button deutlich auf den
Preis hingewiesen werden.
({10})
Wenn die EU nicht, wie angekündigt, handelt, werden
wir auch hier national tätig werden. Aber erst einmal
werden wir auf europäischer Ebene darauf drängen.
({11})
Viertens. Wir werden das Problem der belästigenden
und unerlaubten Telefonwerbung angehen. Die im letzten Jahr in Kraft getretenen Verbesserungen werden wir
bis zum Ende dieses Jahres evaluieren.
({12})
Wenn sich daraus Nachbesserungsbedarf ergibt, werden
wir auch handeln.
Fünftens. Die Evaluierung des Verbraucherinformationsgesetzes werden wir zum Abschluss bringen. Die
derzeit laufende Anhörung wird intensiv genutzt. Es sind
schon viele konstruktive Vorschläge bei uns eingegangen.
({13})
Im Winter werden wir Vorschläge zu einer Verbesserung
der Verbraucherinformation in Deutschland vorlegen.
Sechstens. Ich werde im Frühjahr eine Initiative
„Klarheit und Wahrheit“ starten. Damit will ich das Verständnis und die Verständlichkeit der Kennzeichnung
und Aufmachung von Lebensmitteln weiter fördern.
Kern ist, den Dialog zwischen Verbraucherinnen und
Verbrauchern und der Wirtschaft zu fördern und dort, wo
es nötig ist, Verbesserungen durchzusetzen.
({14})
Das ist nur ein Auszug aus meinem Programm für die
Verbraucherinnen und Verbraucher. Zu meinem Programm zählt aber ebenso, die Gemeinsame Agrarpolitik nach 2013 zu verhandeln. Wir arbeiten an einem Gesamtkonzept. Ich habe deshalb sehr viele konstruktive
Gespräche gesucht und geführt. Das erste Ergebnis
stimmt: Bund und Länder sprechen mit einer Stimme
Richtung Brüssel. Das ist ein entscheidender Vorteil.
({15})
Ganz oben auf unserer Liste steht, dass wir auf der einen Seite den Markt im Blick haben, aber auf der anderen Seite auch die Ressourcen schonen. Außerdem haben wir drei klare Ziele im Blick:
Erstens. Unsere Landwirte stehen im Wettbewerb.
Wenn wir mehr von ihnen verlangen als international üblich, dann brauchen sie auch Unterstützung. Wir wollen
eine angemessene finanzielle Ausstattung, die die Leistungen widerspiegelt, die unsere Landwirte für uns erbringen.
Zweitens. Bis 2013 werden bei uns die letzten Prämien komplett von der Produktion entkoppelt sein. Wir
sind damit Vorreiter, und wir erwarten, dass unsere Partner in Europa auch die Zielsetzung aus 2003 jetzt umsetzen.
({16})
Drittens. Wir wollen sicherstellen, dass Landwirtschaft bei uns auch künftig flächendeckend betrieben
werden kann, nicht nur auf Gunstlagen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ein deutscher Alleingang in den Verhandlungen - das weiß jeder - kann
nicht erfolgreich sein. Ich bin deshalb ständig in Gesprächen. Ich besuche gerade in diesem Jahr viele der kleineren Mitgliedstaaten. Es ist aber auch wichtig, den Schulterschluss zwischen Deutschland und Frankreich zu
suchen. Wir sind uns einig: Wir brauchen eine starke Gemeinsame Agrarpolitik. Genau vor zwei Stunden haben
wir dazu eine gemeinsame Position der deutschen und
französischen Regierung unterzeichnet.
({17})
Differenzierte Direktzahlungen und die ländliche Entwicklung müssen zentrale Elemente der europäischen
Agrarpolitik bleiben, und das alles, nebenbei bemerkt, in
Verbindung mit der Daueraufgabe Bürokratieabbau.
Darüber hinaus teilen Deutschland und Frankreich die
Sorge um Lebensmittelspekulationen. Dabei wollen wir
nicht zu den alten Marktregulierungen zurückkehren;
aber es geht auch nicht an, dass Nahrungsmittel zu reinen Spekulationsobjekten werden, während 1 Milliarde
Menschen auf der Welt hungern.
Der Haushaltsentwurf für das Jahr 2011 macht deutlich: Wir übernehmen Verantwortung und erbringen unseren Beitrag zur Konsolidierung des Haushalts. Wir
übernehmen Verantwortung und stehen unseren Landwirten verlässlich zur Seite. Wir übernehmen Verantwortung und bieten den Verbraucherinnen und Verbrauchern
wichtige Orientierung. Schließlich übernehmen wir Verantwortung und investieren weiter in die Forschung und
die Zukunft. Wir stehen in den nächsten Jahren vor großen Herausforderungen. Wir werden uns nach der Decke
strecken müssen, um unsere Ziele zu erreichen. Wer
hoch hinauswill, braucht immer ein festes Fundament.
Aber ich bin mir sicher: Mit diesem Haushaltsentwurf
haben wir ein gutes Fundament.
Herzlichen Dank.
({18})
Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Wilhelm
Priesmeier von der SPD-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Verehrte Frau Ministerin, im Haushalt ist ein
wenig Licht, aber auch viel Schatten. Selbstlob ist nicht
immer angezeigt. Zu loben ist: Sie bekennen sich zum
Bestand der agrarsozialen Sicherung, genauso wie wir.
Das ist immer ein Kernthema der deutschen Agrarpolitik
gewesen. Ich glaube, in diesem Bereich gibt es keine andere Themensetzung. Die entscheidende Frage ist aber,
ob das, was Sie der Unfallversicherung zuführen, wirklich so nachhaltig ist. Ich glaube, das Heulen und Zähneklappern kommt spätestens 2012, wenn die Bescheide
auf dem Tisch liegen.
Ich freue mich über die positive wirtschaftliche Entwicklung unserer Agrar- und Landwirtschaft. Die deutschen Agrarexporte boomen wieder. Im ersten Halbjahr
hatten sie ein Volumen von insgesamt 24,5 Milliarden
Euro. Wenn das so weitergeht, werden wir vermutlich
2010 das bisherige Spitzenjahr 2008 übertreffen.
({0})
- Das ist mit Sicherheit die Leistung all derer, die im
landwirtschaftlichen Bereich tätig sind, also der vielen
Bauern und Bäuerinnen, und weniger die Leistung dieser
Bundesregierung.
({1})
Ich kann eher eine rückwärtsgewandte als eine vorwärtsgewandte, an der Zukunft orientierte Politik erkennen. Das Instrumentarium, das im letzten Haushalt aus
der Mottenkiste der Agrarpolitik aus den 60er-Jahren des
letzten Jahrhunderts geholt wurde, nämlich schuldenfinanzierte Zahlungen und Subventionen, wird weiter angewendet. Nichts anderes steckt hinter dem 750-Millionen-Euro-Paket. Das kommt bisher nur in Teilen an.
Ein großer Teil ist noch gar nicht da. Trotzdem geht es
mit der Landwirtschaft bergauf. Das zeigt: Sie kommen
mit diesem Programm genau zum falschen Zeitpunkt. Es
verhält sich damit wie bei der Ernte: Wenn es regnet, ist
das Mist. Was Sie in Ihrem Haushalt eingeplant haben,
ist nichts anderes. Angesichts der aufgrund der jetzigen
Preisentwicklung wahrscheinlich weiter steigenden Einkommen in der Landwirtschaft werden Ihre Hilfen, die
einkommens- und steuerwirksam sind, genau dann in
den Betrieben eintreffen, wenn Sie unter Umständen die
Steuerlast erhöhen.
Für die an sich berechtigte Forderung der betroffenen
Landwirte nach einer steuerfreien Ausgleichsrücklage,
um das Einkommen in krisenhaften Situationen, mit denen wir auch in Zukunft zu rechnen haben, zu glätten, ist
nach Auskunft der Ministerin offensichtlich kein Geld
da. Geld für eine Anschubfinanzierung wäre da gewesen, wenn man den Haushalt ordentlich aufgestellt und
die Ressourcen dafür eingeplant hätte.
({2})
Das kann man aber nicht, wenn man das in 2010 entfachte Strohfeuer mit neuen, in die gleiche Richtung zielenden Mitteln weiter anheizt, die die Betriebe zum gegenwärtigen Zeitpunkt gar nicht mehr brauchen. Es ist
absehbar, dass das kein vernünftiger, tragfähiger Ansatz
für die Zukunft ist.
Wir Sozialdemokraten waren nie besondere Freunde
der Agrardieselsubvention. Aber in diesem Zusammenhang muss man sich fragen, ob wir, wenn unsere Landwirtschaft bereits wettbewerbsfähig ist, die Entfristung
in Gänze brauchen und ob dort nicht Haushaltsmittel
gebunden werden, die Sie vielleicht für die nächsten
Sparhaushalte, die Sie in 2012 und 2013 vorzulegen haben, noch bitter gebrauchen können. Auch da wird finanzieller Spielraum verschenkt, der im Sinne einer strukturierten Agrarpolitik vielleicht besser angelegt worden
wäre.
Die Verteilungswirkung dieser Subvention ist äußerst fragwürdig. Die flächenstarken Agrar- und Ackerbaubetriebe profitieren davon. Was hat der bayrische
Durchschnittsmilchbetrieb davon? Relativ wenig.
({3})
- Wollen Sie eine Zwischenfrage stellen? - Nicht?
({4})
- Ja, der Durchschnittsbetrieb hat 16 000 Liter Diesel
verbraucht. In diesem Zusammenhang hat aber der größere Agrar- und Ackerbaubetrieb erheblich mehr von
dieser Subvention als der kleine Milchviehbetrieb. Dem
werden Sie doch wohl nicht widersprechen. Ich will jetzt
nicht den größeren Betrieb in den neuen Bundesländern
als Beispiel nehmen. Ein Betrieb mit 1 000 Hektar hat
ungefähr 20 000 Euro mehr. Okay, ich gönne es ihm. Ob
das aber zielgerichtet ist, stelle ich hier sehr infrage.
({5})
Ebenso stelle ich infrage, ob das Strukturen sind, die wir
in der gegenwärtigen Situation, in der die Agrarrohstoffpreise steigen, in besonderer Weise durch entsprechende
Förderungen zu unterstützen haben. Sie müssen einmal
klar und deutlich sagen, wie Sie das dem deutschen
Steuerbürger vermitteln wollen.
({6})
Als teilweise Gegenfinanzierung brechen Sie aus der
Gemeinschaftsaufgabe 100 Millionen Euro hinaus. Das
ist keine Heldentat, das ist ein Armutszeugnis.
({7})
In diesem Zusammenhang bleiben all die Bekenntnisse
zum ländlichen Raum Lippenbekenntnisse. Den Bundeswettbewerb „Unser Dorf hat Zukunft“ - das ist ein schöner Wettbewerb - haben Sie damit eröffnet, dass das Leben auf dem Dorf nicht rückständig sei und schon gar
nicht konventionell. Darin kann ich Ihnen zustimmen.
Sie präsentieren sich als Sachwalterin des ländlichen
Raumes, aber letztendlich bleiben das Lippenbekenntnisse; dafür sorgen Sie durch die entscheidende Schwächung der GAK und auch durch andere Maßnahmen in
diesem Haushalt. Die Städtebauförderung wird gekürzt;
auch das wirkt sich unmittelbar auf den ländlichen Raum
aus. Sie beginnen eine Diskussion über die Frage der
Gewerbesteuer; auch das wirkt sich nicht positiv auf den
ländlichen Raum aus. All das sind Faktoren, die letztendlich die Politik für den ländlichen Raum mitbestimmen und die man mitberücksichtigen müsste. Normalerweise müssten Sie am Kabinettstisch sofort Ihr Veto für
den ländlichen Raum einlegen; aber das tun Sie nicht.
({8})
In dem Brief, den der Kommissar Ciolos zusammen
mit drei anderen Kommissaren an Herrn Barroso geschrieben hat, wird deutlich, welche Strukturveränderungen in den großen Töpfen im Bereich der Agrar-, der Regional- und der Kohäsionspolitik demnächst anstehen.
Dort wird ganz klar gesagt, dass man diese Töpfe in einen gemeinsamen strategischen Rahmen einbinden will.
Machen Sie doch endlich den Versuch, aus der GAK
eine Gemeinschaftsaufgabe für den ländlichen Raum zu
entwickeln! Das wäre ein positiver Ansatz, der auch
dazu dienen würde, dieser Politik das notwendige Kofinanzierungsinstrument zu geben. Ich fordere Sie dazu
auf. Unsere Unterstützung dafür haben Sie.
Ich glaube, dass wir auch in anderen Bereichen entsprechende Regionalisierungen und Kofinanzierungsinstrumente schaffen müssen. Dafür muss die Gemeinschaftsaufgabe „Ländlicher Raum“ nach den Vorstellungen der Sozialdemokraten und nach meinen Vorstellungen die entsprechenden Kofinanzierungsinstrumente liefern. Dadurch wird eine Agrarpolitik der Zukunft unterstützt. In diesem Sinne kann ich Sie nur auffordern:
Handeln Sie, und erweisen Sie der deutschen Landwirtschaft keinen Bärendienst wie mit diesem Haushalt!
Vielen Dank.
({9})
Das Wort hat jetzt der Kollege Peter Haustein von der
FDP-Fraktion.
({0})
Sehr verehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten
Damen und Herren! In wenigen Wochen werden wir das
Erntedankfest feiern. In den Kirchen wird gesungen
„Wir pflügen, und wir streuen den Samen auf das Land“.
Dann freuen wir uns, wenn die Früchte auf dem Tisch
liegen. Wir können glücklich sein, wenn es genug zu essen und zu trinken gibt. Das ist nicht so selbstverständlich, wie allgemein angenommen wird.
({0})
Ich bin Haushälter, und ich bedanke mich bei meinen
Kollegen im Haushaltsausschuss, besonders bei meinem
Freund Georg Schirmbeck, dafür, dass es uns gelungen
ist, ein so solides Zahlenwerk aufzustellen. Ehe ich aber
zu diesen Zahlen komme, möchte ich grundsätzlich die
neue Richtung unserer Finanzpolitik klarstellen. Wir als
christlich-liberale Koalition schlagen einen neuen Weg
ein: Wir senken die Schulden; wir kürzen dort, wo es
geht, zwangsläufig auch die Ausgaben und belasten damit die zukünftigen Generationen nicht mehr so stark.
({1})
Niemand, der einzelne Punkte herausgreift und kritisiert, dass wir hier und da etwas gekürzt haben, spricht
davon, wie im anderen Fall gegenfinanziert werden soll.
Deshalb ist die solide Politik, die wir als christlich-liberale Koalition machen, recht und billig. Natürlich ist das
ein Paradigmenwechsel. Manche müssen sich erst daran
gewöhnen. Ich merke ganz deutlich, dass die linke Ecke
des Saales einfach nicht begreifen will, dass wir nicht so
wie Nordrhein-Westfalen handeln: einfach 9 Milliarden
Euro Schulden machen, aber nicht fragen, wer das zurückzahlen soll. Das machen wir nicht mit.
({2})
Nun hat sich ein Haushälter um die Zahlen zu kümmern. Das werde ich jetzt tun. Der Haushalt umfasst
5,4 Milliarden Euro. Das ist eine Absenkung um
355 Millionen Euro. Das war ein harter Kampf, aber wir
haben die Eckwerte erhalten. Ein Großteil, nämlich
3,74 Milliarden Euro, geht dabei in den sozialen Teil des
Haushalts. Für die Alterssicherung für Landwirte stehen
2,2 Milliarden Euro zur Verfügung, die Unfallkassen
werden mit 200 Millionen Euro bezuschusst, die Renten
der Kleinlandwirte mit 42 Millionen Euro, der Zuschuss
für die Krankenkassen beträgt 1,25 Milliarden Euro und
der Zuschuss zur Zusatzaltersversorgung für Arbeitnehmer 24 Millionen Euro. 68 Prozent des Haushalts entfallen auf den Bereich Soziales.
Der Haushalt des Ministeriums für Arbeit und Soziales umfasst 143 Milliarden Euro. Rechnet man den Anteil des Sozialen an allen Haushalten zusammen, dann
kommt man auf einen Betrag von 777 Milliarden Euro.
Daran sehen Sie, wie sozial dieses Land ist, wie sozial
diese Regierung denkt und handelt.
({3})
Es ist nicht recht, immer nur über Hartz-IV-Sätze zu
sprechen. Man muss auch einmal fragen, woher das Geld
kommen soll.
Von diesen 5,4 Milliarden Euro entfallen 74,5 Millionen Euro auf die Verwaltung. Es bleiben nur 1,66 Milliarden Euro für die Gestaltung, für Programme. Es bedarf schon einer dynamischen Ministerin, einer guten
Regierung und einer ordentlichen Koalition, um aus diesen 1,66 Milliarden Euro etwas zu machen. Wir tun es.
({4})
Ich möchte einige wenige Beispiele herausgreifen.
Ich freue mich ganz besonders, dass es uns gelungen ist,
den Zuschuss für den Agrardiesel zu erhalten.
({5})
Agrardiesel ist der Treibstoff, den die Landwirte und
Forstleute für ihre Arbeit brauchen. Wir haben den Zuschuss von 21,48 Cent pro Liter erhalten; denn ein Landwirt ist auch Unternehmer, der sich dem Wettbewerb
stellen muss, und das weltweit. Wir haben mit den Zuschüssen zu den Sozialsystemen die Lohnnebenkosten
konstant gehalten und den Agrardiesel bezuschusst, damit die Landwirte wettbewerbsfähig bleiben.
({6})
Ein weiterer kleiner Beitrag: Dieses Jahr ist das von
der UNESCO proklamierte Jahr des Waldes. Für die
Wälder stellen wir 2 Millionen Euro zur Verfügung. Auf
den Ökolandbau entfallen 16 Millionen Euro, auf die
Exportförderung 5 Millionen Euro. Sie sehen: In die Bereiche, auf die es ankommt, stecken wir Geld hinein. Es
ist ein guter Haushalt, der solide finanziert ist.
Liebe Freunde, die Landwirte sind bei unserer Koalition gut aufgehoben;
({7})
denn Bauernstand ist Ehrenstand.
In diesem Sinne ein herzliches Glückauf aus dem Erzgebirge.
({8})
Das Wort hat jetzt der Kollege Roland Claus von der
Fraktion Die Linke.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Linke
steht für eine Agrar- und Verbraucherschutzpolitik, die
den Konsumenten eine gesunde und bezahlbare Ernährung und den Produzenten ein nachhaltiges und angstfreies Wirtschaften sichert.
({0})
Soziale Gerechtigkeit und ökologische Verantwortung
gegenüber Erzeugern und Verbraucherinnen und Verbrauchern ist unsere Richtschnur.
Wenn man Ihren Etat, Frau Ministerin, an diesem
Maßstab misst, dann ist er nichts als eine Enttäuschung.
Der Etat des Bundesministeriums - den Sozialanteil einmal herausgerechnet - macht etwa ein halbes Prozent
des gesamten Bundesetats aus. Aber, so wird uns gesagt,
40 Prozent der Ausgaben der Europäischen Union gehen
in die Landwirtschaft. Auch wenn man das einmal umrechnet, vor allem deshalb, weil den Landwirten mitunter vorgehalten wird, sie würden immer nur mit der offenen Hand dastehen, kommt heraus, dass wir nur
1 Prozent der öffentlichen Haushalte in der gesamten
Europäischen Union für die Landwirtschaft einsetzen.
Deshalb geht der Vorwurf der Subventionierung der
Landwirtschaft fehl.
({1})
Die Wahrheit sind niedrige Löhne und Selbstausbeutung
in kleinen Unternehmen. Deshalb wäre auch hier ein gesetzlicher Mindestlohn eine wirkliche Hilfe.
({2})
Die Frau Ministerin hat in ihrer Rede Probleme weitgehend ausgeblendet. Deshalb muss ich einige hier nennen:
Gemeinsame Agrarpolitik der Europäischen
Union ab 2013. Die Haltung der Bundesregierung ist
trotz der Beschwörungen, zu Lösungen kommen zu wollen, eine völlig diffuse. Sie sondern ständig widersprüchliche Nachrichten ab, und das bringt keine Zukunftssicherheit für Agrarunternehmen.
Die Linke wird ein eigenes Konzept zur Gemeinsamen Agrarpolitik vorlegen und demnächst hier im
Bundestag vorstellen. Der Kerngedanke ist dabei die
Bindung der Fördermittelzahlungen an soziale und ökologische Kriterien.
({3})
Wir haben diesen Ansatz im Juni bei einer umfangreichen Agrartour in Thüringen und Sachsen-Anhalt einmal
getestet. Wir waren durchaus auf Widerspruch gefasst,
aber wir können sagen: Dieser Ansatz hat den Praxistest
bei den Genossenschaften und den anderen Agrarbetrieben bestanden.
Das nächste Problem: Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes“, 100 Millionen Euro weniger als in diesem Haushaltsjahr. Das ist die falsche Politik. Das sind keine
Wege aus der Krise, zumal im nächsten Jahr die Sonderprogramme auslaufen.
Sie können mir nicht dauernd damit kommen, das sei
ein Beitrag zur Konsolidierung, und Sie würden die
Schulden bremsen. Herrgott noch mal, mit diesem Haushalt sparen Sie etwas über 10 Milliarden Euro. Am
Freitag der vergangenen Woche haben Sie 40 Milliarden
Euro an Garantien für die kaputte HRE nachgeschossen,
übrigens auch zum Entsetzen der Kolleginnen und Kollegen aus der Union.
Ich will ein Wort zu den Agrarbetrieben im Osten sagen, und das im 20. Jahr der deutschen Einheit, weil es
nur wenige wirtschaftliche Sektoren in der Bundesrepublik gibt, wo die Art des Wirtschaftens in Ost und West
noch so unterschiedlich ist. Jetzt kann man darüber klagen oder irgendwelche Angleichungen versuchen; unser
Ansatz ist ein anderer. Wir meinen: Die Agrarunternehmen im Osten haben inzwischen einen Erfahrungsvorsprung bei der Bewältigung wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Umbrüche. Wenn wir in dieser Republik
etwas Gescheites machen wollen, dann nutzen wir diesen Erfahrungsvorsprung bundesweit, um die Landwirtschaft zukunftsfähiger zu machen. Das wäre ein Weg,
liebe Kolleginnen und Kollegen.
({4})
Nächstes Problem: weitergehende Verkäufe von Boden und Seen im Osten. Nun haben Sie mit den Ländern
gewissermaßen einen Kompromiss geschlossen und
diese einigermaßen ruhiggestellt, aber das Grundproblem bleibt. Die Linke will langfristige Pachtverträge
statt weiterer Privatisierung. Privatisierung brauchen wir
überhaupt nicht.
({5})
Nächstes Problem. Uns wird seit langem vorgeschlagen, eine steuerfreie Risikorücklage für Agrarbetriebe
einzuführen.
({6})
Das ist eine Forderung des Bauernverbandes, die Sie alle
kennen. Das wäre ein Weg in eine zukunftssichere und
angstfreie Unternehmensentwicklung. Warum setzt sich
die Ministerin nicht dafür ein?
Das nächste Problem: die Exportorientierung, die
Sie hier zum Teil abfeiern. Ich will mich nicht damit abfinden,
({7})
dass Schweine nach Asien verkauft werden, die vorher
in Deutschland mit amerikanischem Futter gemästet
wurden. Das ist antiökologisch. Das ist antisozial. Das
ist einfach Unsinn, den wir überwinden müssen.
({8})
Was die Spekulation mit Nahrungsgütern anbetrifft,
Frau Ministerin, reicht es nicht aus, hier - folgenlos - zu
klagen. Es muss etwas getan werden, um diese Spekulation zu unterbinden. Hier wirken die internationalen
Agrarrohstoffbörsen in den ärmsten Ländern der Welt
wirklich lebensbedrohend. Ich finde das pervers. Das ist
ein Zustand, den sich diese Welt nicht leisten sollte.
({9})
Zum Schluss, Frau Ministerin, will ich Sie noch mit
einem letzten Problem konfrontieren. Sie haben noch
immer ein zweigeteiltes Ministerium mit einem Standort in Bonn und einem Standort in Berlin. Sie kennen unseren Vorschlag der Wiedervereinigung der Bundesregierung hier in Berlin. Packen Sie es an! Es sind viele
Probleme zu lösen. Über all diese ungelösten Probleme
ist von Ihnen hier nicht geredet worden; im Haushalt ist
auch keine Vorsorge dafür getroffen worden. Ihr Haushalt braucht eine soziale und ökologische Neuorientierung. Daran würde die Linke gern mitwirken, aber nicht
an einem Weiter-so.
({10})
Das Wort hat jetzt der Kollege Friedrich Ostendorff
von den Grünen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Diese Koalition hat in einem Jahr schwarz-gelber Agrarpolitik
nichts zustande gebracht.
({0})
Zum Glück möchte man sagen, angesichts des ideologischen Eifers, mit dem einige von Ihnen an die Agrarpolitik
herangegangen sind: Deutschland als Billigfleischweltmeister und die gentechnische Zwangsbeglückung der
immer noch uneinsichtigen Deutschen - so lautet Ihr
ganzes Programm.
({1})
Zum Glück hat Sie Ihre eigene Regierungsunfähigkeit
bislang davon abgehalten, das in die Tat umzusetzen.
Aber angesichts der Lage der Bäuerinnen und Bauern,
der Ernährung, des Klimas und der natürlichen Umwelt
ist Ihr Nichtstun unverantwortlich und sind Ihre privaten
Google-Scheingefechte zu wenig, Frau Aigner.
({2})
Haben Sie eigentlich noch mehr zum Klimaschutz
auf Lager als die stereotype Verweigerungshaltung,
wenn es um den Beitrag der Landwirtschaft geht? Wo
bleiben zum Beispiel Ihre Maßnahmen zur Verbesserung
der Humusbilanz wie die Festmistwirtschaft?
Ist von Ihnen bei der anstehenden Reform der gemeinsamen EU-Agrarpolitik noch etwas Schlaueres zu
erwarten als Ihre derzeitige Wir-machen-einfach-garnichts-Strategie?
({3})
Geben Sie doch endlich zu, was in den Nonpapers Ihres
Hauses längst überall zu lesen ist: Der einzige Ausweg,
das Agrarbudget zu halten, ist die ökologische QualifiFriedrich Ostendorff
zierung der Zahlungen. - Wer sich diesem Schritt verweigert, wird den harten Kampf um die EU-Gelder verlieren.
Haben Sie, Frau Ministerin, zu dem heftigen Widerstand der ländlichen Bevölkerung gegen immer größere
Massentierhaltungsanlagen mit Millionen gequälter
Kreaturen noch mehr beizutragen als das, was Sie uns
schriftlich mitgeteilt haben, nämlich dass Sie auf diese
Entwicklungen keinen Einfluss nehmen wollen?
({4})
Da ist Ihre niedersächsische Kollegin Grotelüschen weniger zurückhaltend, die in dem Geschäft ja bekannterweise kräftig mitmischt, auch wenn sie das eine oder andere Detail schon mal vergisst.
({5})
Frau Ministerin, haben Sie eigentlich vor, im derzeitigen Internationalen Jahr der biologischen Vielfalt wirksame Maßnahmen zu ergreifen, um das Artensterben zu
stoppen, oder wollen Sie es bei ein paar Broschüren bewenden lassen?
Selbst die Initiative zur Eindämmung der exzessiven
Spekulationen an den Agrarmärkten kam wieder einmal
nicht aus Berlin, sondern aus Paris. Wo sind denn Ihre
konkreten Vorschläge für mehr Transparenz, die klaren
Regeln für Warenterminmärkte, Frau Aigner? Wo sind
sie?
Sind Sie wirklich der Meinung, Frau Aigner, dass die
bäuerliche Milcherzeugung in Deutschland gerettet sein
wird, nachdem Sie Ihr letztes Strohfeuer gezündet und
den Rest der Kuhschwanzprämie verjubelt haben?
({6})
Kommt noch irgendetwas von Ihnen, um die Pioniere
unter den BDM-Milchbäuerinnen und -Milchbauern zu
unterstützen, die sich mit ihrer fairen Milch einen Markt
aufbauen wollen?
({7})
Zu all dem kommt von Ihnen bisher herzlich wenig,
und das ist ein Skandal, Frau Ministerin. Im Einzelplan 10 müssen wir schon lange suchen, bis man Ansätze von Aktivität findet.
Wenn man den Verlautbarungen des Ministeriums
folgt, dann ist das wichtigste Vorhaben derzeit die
Exportstrategie,
({8})
vom eigens ernannten Exportbeauftragten betrieben und
im Haushalt 2011 mit immerhin 5 Millionen Euro ausgestattet.
({9})
Man kann doch nicht ernsthaft von einer Strategie sprechen, wenn Staatssekretär Müller monatelang für viel
Geld zwischen Peking und Berlin hin- und herreist, um
den Schweineexport anzukurbeln, auf mehrfache Nachfragen hier im Parlament aber nicht einmal eine grobe
Einschätzung der ungefähr zu erwartenden Exportmengen geben kann.
({10})
Ich nenne es peinlich dünn und eine Frechheit gegenüber
dem Parlament, was Sie hier vorgelegt haben, Herr
Müller.
({11})
Entweder reisen Sie auf blauen Dunst durch die Welt
oder Sie verheimlichen uns die Zahlen. Herr
Dr. Exportbeauftragter, Sie wollen von uns als Parlament
Steuergelder für ein Fleischexportprogramm genehmigt
haben, sind aber nicht einmal in der Lage, uns mitzuteilen, welche wirtschaftspolitische Logik Sie damit verfolgen, einen boomenden Markt mit Steuergeldern weiter
anzuheizen.
({12})
Es ist ja putzig, zu erfahren, dass Sie in den Ferien im
Rahmen des Projektes „Deutsche Küche in Indien“ in
Neu Delhi aufgetreten sind; aber wir hätten doch gerne
Fakten statt Anekdoten, Herr Staatssekretär.
Es ist auch keine Strategie, wenn man einerseits den
Export und damit die Produktion von Fleisch bei uns ankurbeln will, auf der anderen Seite aber schon jetzt nicht
weiß, wie man ein EU-Vertragsverletzungsverfahren wegen Überschreitung der Ammoniakemissionen aus der
Tierhaltung verhindern soll, Frau Ministerin. Was wollen
Sie denn Ende dieses Monats der Kommission in Brüssel
auf den blauen Brief antworten, der ja schon lange bei
Ihnen auf dem Tisch liegt und den Sie uns hier im Parlament verheimlicht haben? Stehen Sie doch endlich zu
den Konsequenzen dieser Politik. Sagen Sie den Menschen auf dem Land, wie viele zusätzliche Mastfabriken,
wie viele Gülleseen, welche Emissionen und wie viele
zusammengepferchte Tiere Ihre Exportstrategie nach
sich zieht.
({13})
Während Sie noch „Unser-Dorf-hat-Zukunft“-Wettbewerbe ausrufen, läuft doch längst der von Ihrem Staatssekretär angeführte Wettbewerb „Wie versauen wir unsere Dörfer am schnellsten“.
({14})
Der Haushalt ist der Spiegel des Gestaltungswillens
einer Regierung. Wer wie Sie es fertigbringt, ausgerechnet sein wichtigstes Gestaltungsinstrument, die GAK,
um 100 Millionen Euro zu kürzen, nur um den Agrardieselverbrauch weiter zu subventionieren, hat keinen Gestaltungswillen. Wir könnten ja über sinnvolle Einsparungen bei der GAK sprechen, Frau Aigner. Zum
Beispiel könnten wir über die überfällige Streichung der
Investitionszuschüsse von bis zu 40 Prozent aus Steuermitteln für Großstallbauten reden. So ließe sich in der
GAK viel Geld sparen und gleichzeitig Tierschutz betreiben.
({15})
Diese Fehlinvestitionen wollen Sie sogar noch verstärken und stellen sich damit wieder auf die Seite der
Agrarindustrie und gegen die bäuerliche Landwirtschaft.
Sie haben in Brüssel bei der High Level Group on
Milk für die eigenen Milchbauern nichts erreicht und
sind mit leeren Händen nach Hause gekommen, wollen
aber 2011 erneut mit vollen Händen 200 Millionen Euro
Kuhschwanzprämie ausschütten. Dumm zahlen statt
klug verhandeln: Das ist das Motto Ihrer Agrarpolitik.
({16})
Es ist an der Zeit, Frau Ministerin, Farbe zu bekennen, Antworten zu geben, Verantwortung zu übernehmen. Weisen Sie Ihren gelben Koalitionspartner in die
Schranken. Verhindern Sie, dass Herr Bleser wie im letzten Jahr wieder versucht, das Bundesprogramm Ökologischer Landbau zu schleifen, um die globale Minderausgabe von 50 Millionen Euro zusammenzukriegen.
Hören Sie auf mit den halben Sachen und vertreten Sie
endlich konsequent in Berlin das, was Sie in Bayern so
lauthals verkünden: keine Gentechnik in der Landwirtschaft, Erhalt und Förderung der bäuerlichen Landwirtschaft, Unterstützung von Regionalität und Qualität,
Schluss mit der Tierquälerei in der Massentierhaltung.
Schönen Dank.
({17})
Das Wort hat jetzt der Kollege Peter Bleser von der
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Fügung hat es gewollt, dass ich nach Friedrich Ostendorff
sprechen darf. Es ist kein krasserer Gegensatz möglich.
Ich kann nur sagen: Lieber Kollege, was Sie hier geboten haben, ist rückwärtsgerichtet, wirklichkeitsfremd
und Nostalgie.
({0})
Herr Kollege, Sie verkennen die Wirklichkeit. Sie leben in einer agrarpolitischen Traumwelt, die in der Realität nirgendwo vermittelbar ist. Mich wundert es, dass
die Fraktionen auf der linken Seite dieses Hauses immer
wieder versuchen, sich an Sie anzudocken. Das hilft den
Grünen, aber nicht den anderen Fraktionen. Das sollten
Sie, lieber Herr Kollege Priesmeier, auch einmal bedenken.
({1})
Haushaltsdebatte heißt Generaldebatte, Situationsbeschreibung und das Aufzeigen von Linien in die Zukunft. Zu dieser Situationsbeschreibung gehört auch,
dass wir die Landwirtschaft, die in und mit der Natur arbeitet, in diesem Jahr einmal besonders betrachten. Wir
haben eine lange Trockenphase erlebt. Ein Großteil der
Ernte ist verdorrt. Es gibt Ertragsrückgänge von
12 Prozent, in einigen Regionen sogar bis zu einem Drittel. Dann ist durch eine lange Regenperiode auch noch
vieles auf den Feldern verfault. Ich habe heute Morgen
gehört, dass in Brandenburg noch Getreide auf dem
Acker steht, das vor den Augen der Bauern verrottet. Ich
möchte den Betroffenen mein Mitgefühl aussprechen;
denn es ist schon eine besonders schwierige Situation,
mitzuerleben, wie ein ganzer Jahresertrag vernichtet
wird.
({2})
Deswegen ist es so wichtig, dass wir uns auf die
Märkte konzentrieren, Frau Ministerin Aigner. Es ist in
Ordnung, dass die Preise für landwirtschaftliche Produkte wie Getreide gestiegen sind. Sie sind übrigens
heute nicht höher als 1982. Es ist auch in Ordnung, dass
man über die Warenterminbörse Preise und Erträge absichern kann. Aber - da sind wir einer Meinung - Spekulanten, die nur Finanzgeschäfte machen und auf sinkende bzw. steigende Kurse wetten, müssen wir genauso
wie Spekulanten in den übrigen Märkten bekämpfen.
Das wird auch geschehen.
({3})
Die Haushaltsdebatte ist für uns natürlich auch ein
Spiegelbild der an unseren Werten und unserem Menschenbild orientierten langfristigen Strategie in der
Landwirtschafts- und Verbraucherpolitik.
({4})
- Ich habe mir Mühe gegeben, und es ist mir gelungen.
Wir haben in den letzten Jahren zwei Grundsätze immer als unabdingbar angesehen. Das ist erstens die Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit unserer Betriebe und
zweitens die wissenschaftsbasierte Bewertung neuer innovativer Technologien. Das hört sich banal an. Aber
nur dann, wenn wir diese beiden Grundsätze beherzigen,
werden wir in der Lage sein, nach unseren Vorstellungen
gesunde Lebensmittel zu erzeugen; wir haben eine eigene Produktion, die dort auch die Maßstäbe setzen
kann. Nur dann, wenn wir die Wirtschaftlichkeit in Zukunft erhalten und verbessern, werden wir die von uns
gewünschten Tierschutz- und Umweltstandards und unsere Wünsche in Bezug auf die Kulturlandschaft in der
Realität umsetzen können.
({5})
Nur dann, wenn wir die Wirtschaftlichkeit erhalten
und stärken, werden wir auch einen Beitrag zum Klimaschutz und zur Welternährung leisten können. Ohne
diese Basis, Herr Kollege Ostendorff, werden wir auf
Dauer keinen Erfolg haben können; denn die Gesellschaft wird nicht bereit sein, auf Dauer immer höhere
Subventionen zum Erhalt der Landwirtschaft aufzubringen. Das ist eine Realität, die wir nicht aus den Augen
verlieren dürfen.
({6})
Deswegen wollen wir nicht beim Status quo stehen bleiben, sondern die Landwirtschaft stärken und die Ernährungswirtschaft insgesamt nach vorne bringen.
Meine Damen und Herren, ich muss hier noch einmal
feststellen: Wir haben vor einem Jahr, vor zwei Jahren
Kurs gehalten, als wir uns in der Weltfinanz- und Wirtschaftskrise hier in diesem Raum Zweifel an der sozialen
Marktwirtschaft anhören mussten. Da haben wir gestanden bei stürmischer See und im harten Wind. Wir haben
uns nicht den Versuchungen derjenigen hingegeben, die
meinten, man müsse eine staatliche Regulierung, insbesondere im Milchmarkt, auf den Weg bringen. Wir sind
gegen härtesten Widerstand draußen bei unserer Position
geblieben.
({7})
Deswegen - da bin ich sehr froh - können wir heute
auch den Erfolg für uns in Anspruch nehmen. Wir haben
Gott sei Dank wieder einen Milchpreis, der die 30-CentGrenze übersteigt. Das ist nicht unser Verdienst.
({8})
Es ist das Verdienst der Bauern, der am Milchmarkt Beteiligten und auch der Marktsituation. Wir können aber
für uns in Anspruch nehmen, dass wir die Produktion in
Deutschland nicht zurückgefahren haben, wie viele es
wollten.
({9})
Die Wertschöpfung ist so wesentlich höher. Es waren
neidvolle Blicke aus den mit uns befreundeten europäischen Staaten auf uns gerichtet, die unseren Produktionsanstieg in einer Zeit, in der andere zurückgefallen
sind, gerne auch für sich gesehen hätten. Das ist ein Erfolg unserer Politik. Deswegen, Frau Ministerin, können
wir uns glücklich schätzen, dass wir auf einem guten
Weg sind. Wir sind noch längst nicht am Ziel. Ich sage
allen in der Koalition ein Dankeschön, dass wir hier in
schwieriger Zeit zusammengestanden haben. Wir haben
die Betroffenen in dieser schwierigen Zeit nicht im Stich
gelassen; denn wir haben mit dem Milchhilfsfonds, der
nicht nur für die Milcherzeuger gegolten hat, in der
schwierigen Zeit ein Zeichen der Solidarität dieser Gesellschaft gesetzt. Das hat seine Wirkung gehabt.
({10})
Man kann auch ruhig zugeben, dass die Liquiditätshilfe in Höhe von 25 Millionen Euro nicht die Zielgenauigkeit erreicht hat, die wir erreichen wollten. Deswegen ist es auch keine Schande einzugestehen, dass wir
die zweite Tranche gestoppt haben, weil die Notwendigkeit dafür einfach nicht mehr gegeben war. Wir haben
damit auch einen Teil der von uns doch noch durchgesetzten weiteren Verbilligung des Agrardiesels finanzieren können.
Da wir angesichts der notwendigen Haushaltssanierung in unserem Fachbereich einen sehr harten Kampf
führen mussten, um Verlässlichkeit zu zeigen und unsere
Koalitionsaussage und die Aussage in unserem Wahlprogramm umzusetzen, will ich neben unserer Ministerin
unsere Bundeskanzlerin und auch Herrn Westerwelle
nennen, die sich in dieser Frage am Schluss für Verlässlichkeit und Vertrauensschutz ausgesprochen haben.
({11})
Auch das ist in der heutigen Zeit noch möglich. In der
Landwirtschaft ist damit endlich wenigstens ein Teil der
Wettbewerbsgleichheit erreicht, was jedoch längst nicht
ausreicht.
Es wurde von dir, lieber Wilhelm Priesmeier, die Exportförderung beanstandet. Herr Ostendorff hat sie ins
Lächerliche gezogen.
({12})
- Du hast sie nicht kritisiert, Entschuldigung. Du hast sie
sogar als Erfolg dargestellt; das ist korrekt.
({13})
Wir haben sie zusammen auf den Weg gebracht: 2005
haben wir die Exportinitiative ergriffen; wir führen sie
jetzt verstärkt fort.
Es ist keine Selbstverständlichkeit, dass wir in der
Wirtschaftskrise beim Export im Agrarbereich am allerwenigsten zurückgefallen sind. Deshalb ist der relative
Anstieg im ersten Halbjahr um 7 Prozent noch bedeutender, als er im Verhältnis zu anderen Branchen erscheint.
Das ist ein Riesenerfolg. Die Ursache dafür liegt in unserer verstärkten Wettbewerbsfähigkeit, vor allem aber
auch, liebe Frau Ministerin, in den großen Aktivitäten
des Staatssekretärs Dr. Müller, der sich hier für unsere
Landwirtschaft verdient macht. Das will ich hier in aller
Deutlichkeit sagen.
({14})
Ich will das Verbraucherschutzthema nicht zu kurz
kommen lassen. Vorher noch einige Sätze zu den Tierschützern. Lieber Kollege Ostendorff, es gibt solche
und solche Tierschutzverbände. Ich möchte den Deutschen Tierschutzbund und die Stiftung Vier Pfoten ausdrücklich ausnehmen. Es gibt aber einen Verband, der
bei der Wahl seiner Mittel vor nichts zurückscheut.
({15})
Ich will das hier in aller Deutlichkeit ansprechen: Die
Landwirtschaft lebt mit den Tieren und von den Tieren.
Uns braucht niemand zu erklären, was Tierschutz ist.
Gerade die Investitionen der letzten Jahre in neue Stallanlagen haben hier eine erhebliche Verbesserung gebracht.
({16})
Das, was dort einige zur Requirierung von Spenden aufbieten, ist für diese Gesellschaft nicht hinnehmbar. Ich
bitte uns alle, gemeinsam dagegen anzugehen.
({17})
Herr Präsident, das Blinklicht leuchtet schon wieder.
Ich hätte noch viel zu sagen. Ich will aber nur einige
Sätze zum Verbraucherschutz loswerden. Frau Aigner
hat es zu Recht angesprochen: Wir werden dafür sorgen
- das ist nur ein Aspekt -, dass wir wieder ein sauberes
Telefon bekommen.
({18})
Ich werde mit meinen Kollegen dafür kämpfen, dass die
Abzocke am Telefon endlich beendet wird.
({19})
- Frau Kollegin Wolff, dazu nur ein Satz: Wir hätten
beim Telefonwerbeverbot gern die schriftliche Bestätigung als eine Regelung ins Gesetz aufgenommen, Sie
von der SPD haben das damals verhindert.
({20})
Wir werden es jetzt verbessern.
({21})
Ich will zum Schluss kommen. Die Koalition hat gute
Arbeit geleistet. Die Kritik der Opposition ist pflichtgemäß; sie ist eine Bestätigung.
Herzlichen Dank.
({22})
Das Wort hat der Kollege Rolf Schwanitz von der
SPD-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Ich möchte mich bei meiner Rede in der ersten
Lesung auf die nach meinem Empfinden drei größten
Schwachstellen im Einzelplan 10, dem Haushalt des
Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz, konzentrieren.
Die erste Schwachstelle dieses Einzelplanes: Der Einzelplan 10 mutiert unter Frau Ministerin Aigner immer
mehr zu einem Haushalt dauerhafter Subventionen. Ich
erinnere mich noch sehr gut - ich denke, viele andere
auch - an die Debatte zum Haushalt 2010. Dort wurden
unter Hinweis auf die Krisenhilfe für die Milchbauern in
2010 insgesamt 400 Millionen Euro Agrarsubventionen
zusätzlich in den Bundeshaushalt eingestellt.
Nun, im Haushalt 2011, wird im Ministerium quasi die
zweite Stufe der Subventionsrakete gezündet. Es kommen noch einmal 300 Millionen Euro für die Klientel der
Mitglieder des Bauernverbandes obendrauf: 200 Millionen Euro über das Grünlandmilchprogramm - die berühmte Kuhschwanzprämie ist schon angesprochen
worden -, zusätzlich 100 Millionen Euro für die landwirtschaftliche Unfallversicherung.
({0})
Erneut gibt es hier eine Gießkannenförderung, anstatt
dort, wo Hilfen notwendig sind, gezielt und problembezogen unter die Arme zu greifen. Erneut wird der Marktentwicklung, die sich heute anders als noch vor einem
Jahr darstellt, rein konsumtiv und passiv hinterhersubventioniert, und das im Jahr der allgemeinen Kürzungen.
Es handelt sich um Mehrausgaben für ein Weiter-so, anstatt gezielte Programme für eine nachhaltige Landwirtschaft aufzulegen. Das ist ein schweres Versäumnis in
diesem Einzelplan.
({1})
Damit natürlich nicht genug: Zu den 300 Millionen
Euro sollen ab 2011 neue Dauersubventionen hinzukommen. Es geht um die bisher befristeten Erleichterungen
im Bereich Agrardiesel, die in diesem Einzelplan ab
2011 zur Dauersubvention werden.
({2})
Das sind 260 Millionen Euro - man darf das noch einmal sagen -, die erneut mit der Gießkanne ausgeteilt
werden. Alles in allem werden 560 Millionen Euro an
Agrarsubventionen auf diesen Einzelhaushalt obendrauf
gepackt.
({3})
- Ich weiß, es tut weh, und das in einer Zeit, in der
Schwarz-Gelb in diesem Bundeshaushalt an anderer
Stelle die schwersten Belastungen austeilt, zulasten von
Familien, Kindern und Arbeitslosen. Das ist ein Missverhältnis, das man der Öffentlichkeit mitteilen muss.
({4})
Dass die Bauern das differenziert sehen, ist übrigens
nachzulesen. In der letzten Woche hat der Chef des Bundesverbandes Deutscher Milchviehhalter klargemacht
- ich zitiere -: „Das ist viel Geld … Aber es war das völlig falsche Signal.“ Recht hat der Mann.
({5})
Die zweite große Schwachstelle dieser Subventionsstrategie ist, dass sie in Wahrheit den Interessen der
Landwirtschaft und der Bauern zuwiderläuft. Sie dient
nicht deren Interessen, das sieht man nicht zuletzt an der
Gegenfinanzierung, die vorgenommen werden muss.
Das ist verschiedentlich angesprochen worden; denn die
260 Millionen Euro, die im Bereich Agrardiesel zusätzlich vorgesehen sind, gibt es nicht zum Nulltarif. Vielmehr erwartet das Bundesministerium der Finanzen dafür Kürzungen im Einzelplan 10 in der Größenordnung
von 170 Millionen Euro. Frau Aigner kürzt die Ausgaben für die Gemeinschaftsaufgabe Agrarstruktur und
Küstenschutz um 100 Millionen Euro, und sie streicht
das Liquiditätshilfeprogramm in Höhe von 25 Millionen
Euro. Das war übrigens das Einzige, was in seiner
Grundstruktur wirklich problemorientiert gewesen ist.
Es wird eine globale Minderausgabe in der Größenordnung von 50 Millionen Euro in den Einzelplan eingestellt, um dann beim Haushaltsvollzug am Parlament
vorbei, also ohne parlamentarische Kontrolle, die 50 Millionen Euro nach Hause zu bringen.
({6})
Ich erinnere mich: Als Sie vor sechs Monaten angefangen haben, den Umfang der Gemeinschaftsaufgabe
Agrarstruktur und Küstenschutz zu kürzen, haben Sie
gesagt: Das alles ist nicht so schlimm, es ist eine große
Nichtausschöpfung der Mittel beim Titelansatz vorgesehen. Ich will ausdrücklich darauf hinweisen: Was Sie
jetzt machen, bewegt sich insbesondere im Investitionsbereich tief unter dem Niveau der Ist-Zahlen des Jahres
2009. Diese Begründung können Sie also nicht mehr
bringen. Damit schlagen Sie, Frau Ministerin Aigner, Ihren Kollegen Agrarministern der 16 Bundesländer die
Füße weg; denn dass sie in den Haushaltsberatungen ihrer Landeshaushalte keine Argumente mehr haben, wenn
der Bund die Kofinanzierung streicht, ist völlig klar.
({7})
Die Mittelkürzung, die bei der Gemeinschaftsaufgabe
Agrar- und Küstenschutz vorgesehen ist, macht 100 Millionen Euro aus, dazu kommt die Kürzung bei den Landesmitteln in Höhe von 65 Millionen. Wir reden also
von Kürzungen in Höhe von 165 Millionen Euro.
Im Rahmenplan sind Maßnahmen für den Bereich des
Küstenschutzes in Höhe von 123 Millionen Euro vorgesehen. In diesem Zusammenhang fällt mir ein, dass im
Paul-Löbe-Haus eine wunderbare Ausstellung zu dem
Thema Klimaschutz und Ozeane zu sehen ist. Frau
Aigner, ich weiß nicht, ob Sie die Ausstellung schon besucht haben. Ich kann sie nur empfehlen. Es ist eine sehr
gute Ausstellung. Wenn sie sich der eine oder andere
einmal anschauen würde, würden vielleicht auch andere
Vorschläge gemacht werden.
({8})
Zum Schluss möchte ich zwei Bemerkungen zur Verbraucherpolitik machen.
Herr Kollege Schwanitz, erlauben Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Happach-Kasan?
({0})
Frau Kollegin, ich würde gerne zum Schluss kommen. - Dort ist nichts von einer Stiftung für unabhängige Verbraucherarbeit zu finden. Dort ist nichts zu
finden von einer Stiftung, die sich verursachergemäß aus
den zusätzlichen Belastungen finanziert, die das Bundeskartellamt bei der Industrie einsammelt. Das war übrigens einmal Ihr Vorschlag.
({0})
Es würde mich interessieren, ob Sie das bei der Haushaltsaufstellung gegenüber dem Finanzminister nicht
vorgeschlagen oder nicht durchgebracht haben. Es wäre
einfach wichtig, das zu hören.
Auch die Erhöhung des Stiftungskapitals der Stiftung
Warentest entpuppt sich nach nur einem Jahr als Kürzung des Bundeszuschusses. Wir haben damals immer
- leider als einzige Fraktion - davor gewarnt. Nun
kommt an dieser Stelle eine klare Kürzung. Das ist etwas, was man in der Verbraucherpolitik normalerweise
schlicht und einfach als Mogelpackung bezeichnet. Dies
ist allerdings keine Mogelpackung der Industrie, sondern
der Verbraucherschutzministerin selbst. Darüber und
über vieles andere mehr werden wir in den Ausschüssen
intensiv zu reden haben.
Herzlichen Dank.
({1})
Das Wort hat jetzt der Kollege Professor Dr. Erik
Schweickert von der FDP-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Auch ich freue mich,
Sie alle nach der Sommerpause hier wieder frisch und
munter zu sehen. Wir widmen uns einer wichtigen Sache, nämlich dem Haushalt für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz. Wir alle wissen, dass wir
in fast jeder Lebenssituation Verbraucher sind. Uns Liberalen ist klar: Verbraucherschutz ist Bürgerrecht.
Deshalb hat die Verbraucherpolitik bei uns einen sehr
hohen Stellenwert.
({0})
Dieser Stellenwert wird auch im Haushalt deutlich,
und zwar, indem wir sinnvoll sparen;
({1})
denn auf dem Schuldenberg, den wir aufhäufen, werden
die Kinder nicht spielen können.
({2})
- Hören Sie genau zu! - Wir sparen nicht bei der Verbraucherpolitik. Wir setzen ganz klare Schwerpunkte.
Trotz einer schwierigen Finanzlage haben wir die Mittel
in diesem Bereich erhöht, weil wir uns sicher sind, dass
diese Mittel gut angelegt sind.
({3})
Statt eine Politik zu betreiben, bei der das Geld mit dem
Füllhorn ausgeschüttet wird, wie die rot-grüne Landesregierung in Nordrhein-Westfalen das macht, setzen wir
ganz klare Akzente und hinterlassen keine Schuldenberge.
({4})
Wir leisten uns mehr, zum Beispiel mehr Sicherheit
für die Verbraucher durch erhöhte Zuweisungen an das
Bundesinstitut für Risikobewertung. Wir schaffen auch
mehr Transparenz und Information, indem wir das Stiftungskapital der Stiftung Warentest erhöhen, Kollege
Schwanitz. Wenn wir sagen, dass wir eine unabhängige
Institution wollen, die den Finger in die Wunde legt,
dann müssen wir sie auch unabhängig machen. Aus diesem Grund haben wir das Stiftungskapital erhöht. Dass
sie danach nicht länger am Tropf des Staates hängen soll,
war abgemacht. Das war das Ziel. Wir verfolgen stringent diesen Weg. Ich bin mir sicher, dass er in anderen
Bereichen genauso richtig wäre.
({5})
Nur ein informierter Verbraucher kann seine Rechte
wahrnehmen. Ich bin mir sicher, dass wir die richtigen
Eckpunkte setzen, auch ohne dass es viel Geld kostet.
Das haben wir bereits bewiesen, auch wenn es der Opposition vielleicht wehtut, dass die christlich-liberale Koalition bei diesem Thema nicht streitet, sondern an einem Strang zieht.
({6})
Wir haben klar gezeigt, wo der Hase läuft.
({7})
Bezüglich der Abzocke mit den Telefonwarteschleifen möchte ich das, was Kollege Bleser gesagt hat, ergänzen: Wir werden verhindern, dass in Zukunft weiter
mit Telefonwarteschleifen abgezockt wird. Die Antwort
auf die Frage der Kollegin Wolff, die uns leider schon verlassen hat - ich hätte ihr die Antwort gerne gegeben -, ist
ganz einfach: Wir machen das, indem wir das Telekommunikationsgesetz novellieren. Wir machen Gesetze,
wenn sie notwendig sind, und führen nicht populistische
politische Scheingefechte.
({8})
Wir werden weiterhin die Gesundheit unserer Kinder
schützen, indem wir uns auf europäischer Ebene dafür
einsetzen, dass die Grenzwerte für gefährliche Chemikalien und krebserregende Weichmacher abgesenkt werden. Da bin ich mir auch mit Bundeswirtschaftsminister
Rainer Brüderle einig. Wir werden die Außenkontrollen
und die Marktaufsicht verbessern, um auf dem Markt für
mehr Transparenz zu sorgen und den Eltern Sicherheit
zu geben. Wir werden beim Kinderspielzeug vorankommen. Das ist mehr, als Sie in elf Jahren hinbekommen
haben.
({9})
Zum Schluss: der Anlegerschutz. Wir waren es, die
die Qualifikation der Berater vorangebracht haben. Wir
werden den grauen Kapitalmarkt regulieren und unter
die Regelungen des Wertpapierhandelsgesetzes bringen.
Wir sprechen auch offen aus, wenn etwas nicht funktioniert.
Ich möchte zu einem ganz aktuellen Thema kommen:
20 Prozent Dispozinsen sind in meinen Augen ein Unding. Das hat zum Beispiel die Verbraucherzentrale Bremen aufgedeckt. Es kann nicht sein, dass die Banken auf
der einen Seite den Verbraucher abzocken und sich auf
der anderen Seite fast „für umme“ refinanzieren. Aber
der Oberhammer in dem Bereich ist: Die Commerzbank
ist da ganz vorne mit dabei. Man kommt schon ins Überlegen, ob die 18,2 Milliarden Euro, die der SoFFin gebraucht hat, um die Commerzbank zu retten, richtig angelegt waren. Deswegen ist es richtig, dass wir sagen:
Der Staat ist nicht der bessere Banker.
({10})
Hier müssen wir herausgehen. Dann wird auch diese
Marktverzerrung abgebaut werden.
({11})
Sie sehen, die christlich-liberale Koalition bringt den
Verbraucherschutz voran. Wir machen das mit mehr
Schutz, mit mehr Rechten, ohne den Verbraucher dabei
zu bevormunden oder mit Bürokratie zu überfrachten.
Sie sehen also: Christlich-liberale Verbraucherpolitik ist
effiziente Verbraucherpolitik.
({12})
Von daher freue ich mich auf die Debatten mit Ihnen in
den Ausschüssen und auf den Kampf um die beste Verbraucherpolitik für Deutschland, für die uns so wichtige
Klientel, die Verbraucher, die uns allen am Herzen liegen sollten.
Vielen Dank, meine Damen und Herren.
({13})
Zu einer Kurzintervention erteile ich das Wort dem
Kollegen Ulrich Kelber von der SPD-Fraktion.
({0})
Man muss als Redner aufpassen, wenn man aus Baden-Württemberg kommt und versucht, Geschichtsklitterung über Nordrhein-Westfalen zu machen. Sie haben
ja von einigen Ihrer Kollegen die Aussage abgeschrieben, die böse rot-grüne Minderheitsregierung in Nordrhein-Westfalen würde das Gegenteil von Sparen, würde
neue Schulden machen. Seien Sie doch so freundlich,
wenn Sie das öffentlich im Plenum sagen, jetzt in Ihrer
Erwiderung auf meine Kurzintervention ein Beispiel aus
dem Nachtragshaushalt 2010 zu nennen, der auf eine Initiative von Rot-Grün zurückgeht und nicht die Finanzierung von Projekten ist, die die schwarz-gelbe Landesregierung begonnen hat, für die sie aber nicht genug Geld
in den Haushalt eingestellt hat, zum Beispiel die Sanierung der WestLB. Ein Beispiel reicht mir. Haben Sie eines?
({0})
Zur Erwiderung, Herr Schweickert.
Herr Kollege, ich finde es schon interessant, dass Sie
sich als Mitglied einer Partei, die sich nicht innerhalb
weniger Wochen, sondern innerhalb weniger Tage aus
der Regierungsverantwortung verabschiedet hat und mit
alledem, was sie vorher beschlossen hat, nichts mehr zu
tun haben wollte,
({0})
hier hinstellen und sagen, wie es in dem Einzelplan eines
Landes aussieht. Kommen Sie her, und wir zeigen Ihnen,
was Sie vorgelegt haben und was wir jetzt für Sie ausbaden müssen. Dann können wir die Diskussion hier im
Bundestag führen. Wir sollten sie aber nicht über das
führen, was im Landtag in Nordrhein-Westfalen in Einzelplänen steht. Das Wichtige ist, dass wir hier im Deutschen Bundestag dafür sorgen, dass der Schuldenberg
verringert wird. Hier kann ich damit anfangen. Ich finde
es falsch, dass im Land Nordrhein-Westfalen der andere
Weg gegangen wird.
({1})
Entschuldigen Sie. - Das Wort hat jetzt - ({0})
Das Wort hat jetzt die Kollegin Caren Lay von der
Fraktion Die Linke.
({1})
Das Wort hat jetzt die Kollegin Lay. Bitte schön.
Vielen Dank. - Herr Präsident! Meine sehr verehrten
Damen und Herren! Den überaus geringen Stellenwert,
den die Verbraucherpolitik bei der Koalition hat, können wir sehr schön an dieser Debatte ablesen.
({0})
Der Kollege Bleser von der CDU/CSU-Fraktion spricht
neun Minuten zur Landwirtschaft und sagt dann, nachdem die Redezeit abgelaufen ist, zur Verbraucherpolitik
noch wenige Sätze.
({1})
- Ich bin sehr gespannt, ob noch etwas nachkommt. Das
wäre ja auch notwendig, auch beim Haushalt.
({2})
Dieser Ansatz hat sich beim Haushalt - über diesen
sprechen wir heute - durchgesetzt. Von dem Gesamtvolumen, das wir im Haushalt dieses Ministeriums haben,
sind gerade einmal 3 Prozent für die Verbraucherpolitik
vorgesehen.
({3})
Wenn wir berücksichtigen, dass ein Großteil der Mittel
im Grunde für Bundeseinrichtungen fest gebunden ist,
dann bleibt gerade einmal 1 Prozent übrig, das für die
unmittelbare Verbraucherarbeit ausgegeben werden
kann.
({4})
Die FDP hat sich offensichtlich zum Ziel gesetzt: Verbraucherpolitik ist gut, darf aber nichts kosten. Sie ist
dann effektiv, wenn die Mittel dafür besonders gering
sind.
({5})
- So habe ich Sie verstanden. - Damit haben Sie sich im
Prinzip durchgesetzt; denn es bleiben gerade einmal
schlappe 50 Millionen Euro für verbraucherpolitische
Maßnahmen und die Förderung der Verbraucherorganisationen. 50 Millionen Euro stehen in gar keinem Verhältnis zu den Milliarden, die Sie ganz schnell lockermachen können, wenn es darum geht, Bürgschaften zur
Bankenrettung auszusprechen.
({6})
Ich sage Ihnen ganz klar: Das ist ein Missverhältnis. Das
wollen wir angehen. Das können wir als Linke so auch
nicht stehen lassen. Jeder Euro, den Sie an der falschen
Stelle sparen, müssen die Verbraucherinnen und Verbraucher in Milliardenhöhe bezahlen.
Die Verbraucherinnen und Verbraucher verlieren pro
Jahr 20 bis 30 Milliarden Euro alleine durch Falschberatung in der Geldanlage. Das sollte für uns Anlass sein,
endlich für eine bessere Finanzberatung einzutreten. Wir
als Linke fordern seit langem Mittel für den Ausbau der
finanziellen Verbraucherberatung. Das ist in der Tat
notwendig, und das wäre auch gut eingesetztes Geld.
({7})
Frau Ministerin Aigner, ich muss Ihnen leider sagen:
Ihren Ruf als Ankündigungsministerin werden Sie mit
dieser Rede und auch mit diesem Haushalt leider nicht
loswerden.
({8})
Die Frage ist, wann Ihren ganzen Ankündigungen, Ihren ganzen Sprechblasen nun endlich Taten folgen werden. Sie wollten beispielsweise die Bundesanstalt für
Finanzdienstleistungsaufsicht zur Verbraucherschutzbehörde ausbauen.
({9})
Damit haben Sie sogar Wahlkampf gemacht. Das ist übrigens eine Forderung, der wir uns als Linke anschließen
können. Es müsste aber irgendwann auch etwas daraus
werden. Zwei Jahre nach der Lehman-Pleite kann man
doch wohl erwarten, dass endlich die Finanzmärkte im
Interesse der Verbraucherinnen und Verbraucher reguliert werden.
Ein anderes Beispiel. Sie wollten durch die Verhängung von Kartellstrafen vereinnahmte Mittel für den
Aufbau einer Stiftung für Verbraucherarbeit verwenden.
Im März stimmte jedoch im Haushaltsausschuss Ihre eigene Partei dagegen. Da fragt man sich natürlich, ob die
Kolleginnen und Kollegen der CDU die Pressemitteilungen der eigenen Ministerin lesen. Ansonsten könnte man
sich nämlich diesen Widerspruch in der Tat nicht erklären.
({10})
Viele Menschen fragen sich nach einem Jahr
schwarz-gelber Koalition, was diese Regierung zusammenhält. Mir fällt nur eine Antwort dazu ein, nämlich
eine konsequente Klientel- und Lobbypolitik. Das zeigt
sich auch in diesem Haushalt, und das zeigt sich in der
Verbraucherpolitik. Selbst im Verbraucherschutzministerium macht sich offensichtlich regelmäßig die Industrielobby stark, anstatt dass die Interessen der Verbraucherinnen und Verbraucher konsequent verfolgt werden.
Ein prominentes Beispiel ist die Nährwertampel bei
Lebensmitteln. Das ist eine wichtige Maßnahme, um das
Problem des Übergewichts bei Kindern zu bekämpfen.
({11})
Die Expertinnen und Experten sind dafür. Auch die
Kinderärzte haben sich dafür ausgesprochen. Die Industrie möchte das aber nicht. Deswegen macht es SchwarzGelb nicht.
Nehmen wir als ein weiteres Beispiel das Verbraucherinformationsgesetz. Auch in diesem Fall liegt ein Missverhältnis vor. Dieses Gesetz schützt letztendlich an vielen Stellen eher die Industrie vor den Nachfragen der
Bürgerinnen und Bürger, als dass es Nachfragen ermöglicht. Ich bin sehr gespannt, wann Sie einen entsprechenden Gesetzentwurf hierzu vorlegen und ob Sie den Mut
haben, das endlich umzukehren. Die Vorlage des Haushalts hätte die Möglichkeit geboten, eine entsprechende
Informationskampagne durchzuführen.
Medienpräsenz allein macht noch keine gute Politik.
Es wäre wichtig gewesen, auch die Themen, Frau Ministerin, die Ihnen offensichtlich am Herzen liegen
- Google Street View, Facebook etc. -, in diesem Haushalt zu verankern. Ein entsprechender Gesetzentwurf
hierzu ist notwendig. Wenn man sich das nicht traut, so
ist zumindest eine Aufklärungskampagne geboten, damit
junge und alte Internetnutzer lernen können, wie sie sich
und ihre Daten bei Facebook und Co. schützen können.
Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluss.
Verbraucherpolitik können wir nicht nur im Interesse der
Wohlhabenden machen. Wir sollten insbesondere diejenigen in den Blick nehmen, die sich keinen Anwalt leisten können und für die beispielsweise eine unabhängige
und kostenfreie Beratung viel wert ist.
({12})
Wenn jeder Haushalt nur ein einziges Mal eine finanzpolitische Beratung in den Verbraucherzentralen in
Anspruch nehmen wollte, würde es nach der bisherigen
Finanzausstattung 30 Jahre dauern, bis er an die Reihe
kommt. Das ist eine Situation, die wir nicht länger
akzeptieren können. In diesem Bereich müssen wir dringend nachbessern. Wir brauchen mehr Geld für die Verbraucherpolitik und insbesondere auch für den finanziellen Verbraucherschutz. Das werden wir im Ausschuss
diskutieren. Ich bin sehr gespannt, wie Sie sich dazu verhalten werden.
Vielen Dank.
({13})
Das Wort hat jetzt die Kollegin Nicole Maisch von
den Grünen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der
Haushalt 2011 bietet in Sachen Verbraucherschutz leider
wenig Neues. Wie schon in den vergangenen Jahren verharren die Mittel auf niedrigem Niveau. Wenn man sich
den Gesamtetat von über 5 Milliarden Euro anschaut,
dann muss man sagen: 150 Millionen Euro für die Verbraucherarbeit sind doch recht wenig.
({0})
Während im Landwirtschaftsbereich genug Mittel für
Wohltaten zugunsten der konventionellen Agrarlobby
vorhanden sind,
({1})
hinkt die Verbraucherpolitik insbesondere beim wichtigen wirtschaftlichen Verbraucherschutz immer noch
hinterher. Dabei besteht gerade hier großer Handlungsbedarf. Herr Schweickert hat darauf hingewiesen: Auf
den Finanzmärkten werden die Kunden immer noch abgezockt. Mit überhöhten Dispozinsen, mit unpassenden
Finanzprodukten, mit überhöhten EC-Karten-Abhebegebühren werden sie über den Tisch gezogen. Wir finden,
dass hier dringend Maßnahmen notwendig sind.
({2})
Trotzdem sind für diesen Bereich des Verbraucherschutzes nur 5,1 Millionen Euro in den Haushalt eingestellt.
Ich will Ihnen ein Beispiel nennen, das besonders deutlich zeigt, wie das Missverhältnis zwischen Lobbybedienung und Verbraucherarbeit ist. Der Bereich Finanzdienstleistungen ist Ihnen 200 000 Euro wert, die Ausrichtung
der Welt-Schweinefleisch-Konferenz 400 000 Euro. Ich
finde, wem die Wohlfahrt des deutschen Koteletts so viel
wert ist, der sollte auch bei den Anlegerinnen und Anlegern etwas zubuttern.
({3})
Im Ernährungsbereich fördern Sie eine Reihe teurer
Programme. Einige davon sind sicher sinnvoll. Aber wir
fordern schon seit langer Zeit auch ein Bundesprogramm
zur finanziellen Verbraucherbildung.
Genauso wie im letzten Jahr stagnieren die Mittel für
die Förderung des nachhaltigen Konsums. Gerade noch
eine halbe Million Euro ist Ihnen dieses Thema wert.
Unter Rot-Grün waren es noch 2,75 Millionen Euro.
In der Umweltdebatte haben wir vorhin sehr viel von
Nachhaltigkeit gehört. Ohne die Nachfragemacht der
Verbraucherinnen und Verbraucher werden die Märkte
nicht ökologischer und gerechter. Ohne die Konsumenten
können Sie jede Nachhaltigkeitsstrategie von politischer Seite vergessen. Wir sagen: Fair Trade, nachhaltige
Geldanlagen, ökologische Nahrungsmittelproduktion verdienen es, politisch flankiert zu werden.
({4})
Aber dafür braucht man die notwendigen Mittel im
Haushalt und auch Leidenschaft für das Thema. Bei Ihnen bleibt neben dem zusammengestrichenen Haushaltstitel leider nur die Überschrift. Unter dieser Überschrift
steht nämlich kein einziges Projekt, keine einzige Kampagne.
Zur Ausstattung der Verbraucherarbeit. Hier vermissen wir zum Beispiel eine Erhöhung der Mittel für die
Verbrauchervertretungen auf europäischer Ebene. Wir
denken, dass das meiste bzw. sehr viel von dem, was wir
in Deutschland an Verbraucherpolitik machen, auf europäischer Ebene vorbestimmt oder mitbestimmt wird.
Deshalb ist es wichtig, dass die deutschen Verbraucher
auch auf europäischer Ebene präsent sind.
({5})
Meine Damen und Herren, viele Probleme im Verbraucherschutz lassen sich ohne Geld lösen, durch vernünftige Regulierungen und durch hartes Durchgreifen
gegenüber schwarzen Schafen. Aber dazu müssten Sie
Ihren Ankündigungen auch Taten folgen lassen. Pressemitteilungen sind zwar preisgünstig, aber keine besonders effektiven Mittel des Verbraucherschutzes.
Man muss auch wissen: Aufklärung, Information und
Beratungsangebote gibt es nicht zum Nulltarif. In den
Haushaltsberatungen können Sie jetzt zeigen, dass Sie
mehr können, als Lobbyinteressen zu bedienen, und dass
Ihnen auch gut funktionierende Märkte und starke Verbraucherinnen und Verbraucher wichtig sind.
({6})
Das Wort hat jetzt die Kollegin Julia Klöckner von
der CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Verehrte Ministerin! Kollege Gerd
Müller! Liebe Kolleginnen und Kollegen und alle, die
uns heute zuschauen und Gäste sind! Es ist sehr einfach,
Geld auszugeben. Deshalb macht die Opposition nur
Vorschläge, wie man Geld ausgeben kann.
({0})
Es ist schwieriger - hier geht es auch darum, wer die Regierungsverantwortung hat -, Geld einzusparen und ein
solides Konzept vorzulegen; denn es geht um die Zukunft.
({1})
Es geht nicht nur um unsere Zukunft, sondern es geht
auch um die Zukunft unserer Kinder und um die Nachhaltigkeit unseres Landes. Das kann man letztlich auch
als Schöpfungsbewahrung oder Landbewirtschaftung
bezeichnen.
Ich wundere mich sehr, liebe Frau Lay, dass Sie dem
Kollegen Bleser vorgeworfen haben, seine Rede sei unausgewogen gewesen und er habe nur über Landwirtschaft und nicht über Verbraucherschutz geredet. Er zumindest hat über Verbraucherschutz geredet. Aber Sie
haben nicht ein einziges Wort zum Thema Landwirtschaft gesagt. Ihnen sind die Bauern in Deutschland
nämlich gar nichts wert.
({2})
Ich möchte die vielen redlich wirtschaftenden Landwirte, Bauern und Winzer vor diesen pauschalen Beschimpfungen der Opposition in Schutz nehmen, wonach das alles eine geldgierige Agrarlobby sei. Wir sind
an der Seite der bäuerlichen Landwirtschaft, das heißt
redlich wirtschaftender Familien in verschiedenen Regionen in Deutschland. Sie sind für unsere Kulturlandschaft zuständig.
({3})
Ich lasse nicht zu, dass diejenigen, die nicht Ihrem
Bild oder Ihren Lobbyinteressen entsprechen, hier beschimpft werden. Sie sorgen für unsere täglichen Nahrungsmittel, für gesunde Nahrungsmittel und für eine
verlässliche Produktion. Sie haben die Unterstützung der
CDU, der CSU und der FDP auf ihrer Seite - auch in Zukunft. Das heißt Nachhaltigkeit.
({4})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie mich eines noch einmal verdeutlichen: Es geht in solchen Debatten natürlich immer heiß her. Es ist klar, dass Opposition und Koalition unterschiedliche Standpunkte haben,
aber man sollte schon zumindest bei den Fakten bleiben,
wenn man Zwischenrufe macht oder versucht, die Regierung zu attackieren. Ich helfe Ihnen ja auch gerne und
nenne noch einmal zwei, drei Punkte.
Stichwort GAK-Mittel. Von der SPD wurde hier
mehrfach kritisiert, dass die GAK-Mittel gekürzt würden. Jetzt schaue ich mir das kurz an und frage mich,
warum Rot-Rot in Brandenburg über 20 Millionen Euro
an GAK-Mitteln nicht abgerufen hat.
({5})
Es scheint denen auch nicht wehzutun.
Als Nächstes schaue ich mir Rot-Grün an. Der Kollege von den Grünen sagte uns gerade, wir würden das
Ganze dramatisch auf 600 Millionen Euro kürzen. Ich
habe mir einmal angeschaut, wie das unter Rot-Grün
war, unter Ihrer großen
({6})
Superministerin Frau Künast. Sie hat das Ganze ohne Finanzkrise auf 615 Millionen Euro gekürzt. Wir haben
das danach sofort erhöht. Dafür haben wir keine Glückwunschschreiben von Ihnen bekommen. Sie suchen sich
halt nur das heraus, was Sie gerade brauchen.
({7})
Zur Ehrlichkeit gehört dazu, zu sagen: Wir haben die
Landwirtschaft und den ländlichen Raum erst wieder gestärkt. Er wurde unter Rot-Grün ausgetrocknet.
({8})
Lassen Sie mich noch eines sagen: Auch beim Thema
biologische Vielfalt wurden wir hier kritisiert. Ich greife
das deshalb auf, weil das auch ein Schlag ins Gesicht der
vielen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bei uns im
Haus, im BMELV, ist. Sie arbeiten redlich und mit guten
Ansätzen, guten Ideen und guten Ergebnissen. Wenn Sie
behaupten, die biologische Vielfalt würde bei uns keine
Rolle spielen, dann schauen Sie bitte einmal in den
Haushaltsplan. Weil wir hier vorangehen und Vorbild
sind, haben wir über 2 Millionen Euro für ein Modellprojekt ausgegeben, das andere Länder kopieren, weil es
so gut ist.
Wir sind für die biologische Vielfalt. Wir in unserem
Haus und CDU, CSU und auch FDP legen Wert darauf,
dass bei den Themen „Bewahrung der Schöpfung“ und
„Biopatente“ ganz klar ist: Die Natur, die Schöpfung,
gehört allen Menschen, Tieren und Pflanzen. - Auf diese
achten wir, sodass Biopatente auf europäischer Ebene
nicht für Individualinteressen verramscht und verscherbelt werden. Dazu habe ich von Ihnen kein einziges Wort
gehört.
({9})
Zum Thema Telefonwerbung. Die Kollegin von der
SPD hat einige Zwischenrufe gemacht. Ich weiß, es tut
weh. Deshalb sind gerade von der SPD - und übrigens
auch von den Grünen - viele über dieses Thema hinweggehuscht.
({10})
- Herr Kelber, das ist nicht ganz gut für den Blutdruck.
Vielleicht ärgert es Sie noch immer, dass Sie kein Minister in Nordrhein-Westfalen geworden sind; in Rheinland-Pfalz werden Sie es wahrscheinlich auch nicht.
({11})
Das ärgert ihn wahrscheinlich, und deshalb bekommt er
Temperatur, wenn es um NRW geht.
Lieber Herr Kelber, Sie selber waren mit dabei,
({12})
und viele andere waren auch mit dabei.
({13})
Sie und ich wissen, dass die Bestätigungslösung hinsichtlich der Telefonwerbung damals an Ihrer Ministerin, Frau Zypries, gescheitert ist, und zwar mit dem banalen Argument, sonst müsse sie ja, wenn sie sich eine
Pizza bestellt, vorher schriftlich unterschreiben.
({14})
Es war die SPD, die das verhindert hat, und Sie selbst
wissen auch: Die Telekom sitzt bei Frau Zypries in
Darmstadt, und das war nicht ganz hilfreich, weil die Telekom gegen eine Bestätigungslösung war. Auch das gehört zur Wahrheit. Wir setzen uns für saubere Telefone
ein.
({15})
Erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen
Kelber?
Ja, auch wenn das wahrscheinlich eher ein Zwischenschrei wird, aber bitte.
({0})
Machen wir doch eine kurze Frage und eine kurze
Antwort: Können Sie bestätigen, dass der Wirtschaftsflügel der CDU jede Form einer Bestätigungslösung abgelehnt hat und Sie damit zu mir gekommen sind?
Das kann ich nicht bestätigen. Ich kann Ihnen allerdings bestätigen, dass Ihre Ministerin, Frau Zypries, als
ich zusammen mit Frau Aigner und dem agrarpolitischen
Sprecher, Herrn Bleser, bei ihr war, ganz klar gesagt hat,
sie mache es nicht. Das kann ich Ihnen bestätigen.
({0})
- Ich habe Ihnen gerade eine Antwort zu Ihrer Partei gegeben.
({1})
Lassen Sie mich noch auf zwei, drei Aspekte eingehen, die für die Verbraucherinnen und Verbraucher wichtig sind: In den Supermarktregalen in Stadt und Land
gibt es eine große Auswahl. Die Herausforderung ist
aber, dass wir Verbraucherinnen und Verbraucher bei ihrer Auswahl und bei der Möglichkeit begleiten, sich souverän zu verhalten. Deshalb werden wir - lassen Sie
mich das abschließend sagen - ganz klar beim Datenschutz, bei der Verbraucherbildung und bei der Souveränität Flagge zeigen, wenn es darum geht, Verträge abzuschließen, aber auch wenn es darum geht, ältere
Menschen zu begleiten und sie eben nicht als Verbraucherinnen und Verbraucher links oder rechts liegen zu
lassen. Wir haben dort nicht gekürzt. Wir haben uns darum gekümmert, dass letztlich auch das Thema Pflege
endlich in den Bereich des Verbraucherschutzes kommen konnte.
Lieber Herr Kollege Kelber und auch alle anderen
Kollegen, ich bin der Ministerin sehr dankbar dafür, dass
sie zusammen mit anderen Experten etwas auf den Weg
gebracht hat, was es vorher so noch nie gegeben hat.
({2})
Wir haben Pflegeheime auf der Internetseite www.heim
verzeichnis.de nach Lebensqualität bewertet. Uns geht
es nicht darum, populistische Forderungen zu stellen,
sondern wir wollen das Leben lebenswert machen und
den Bürgerinnen und Bürgern nicht Angst machen, sie
würden ständig vergiftet oder über den Tisch gezogen.
Die Mehrheit der Deutschen lebt gerne in unserem Land.
Dieses Gefühl will ich ihnen nicht nehmen. Ich will eine
flächendeckende Landwirtschaft.
Frau Klöckner, bitte kommen Sie zum Schluss.
Ich möchte zufriedene, souveräne Verbraucherinnen
und Verbraucher und keine Hetze der Opposition.
Frau Klöckner.
Deshalb bin ich sehr dankbar, dass wir das gemeinsam geschafft haben.
({0})
Das Wort hat die Kollegin Elvira Drobinski-Weiß von
der SPD-Fraktion.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Ich meine, das Wahlkampfgetöse sollten wir
jetzt beiseiteschieben und wieder sachlicher werden.
In der letzten Woche hat der Bioökonomierat sein
Gutachten zur künftigen Agrarforschung vorgelegt.
({0})
- Nein, der war noch nicht dran. - Es soll die Grundlage
bilden für eine neue Forschungsstrategie der Bundesregierung. Es ist abzusehen, dass sowohl das BMBF als
auch Frau Ministerin Aigner in Zukunft noch mehr Geld
- Sie werden es ahnen - in die Gentechnik stecken wollen.
({1})
Hunger und Klimawandel sind keine rein technologischen Probleme, sondern haben mit vielen verschiedenen Faktoren zu tun, nämlich mit der Verteilungsungerechtigkeit, mit dem verschwenderischen Umgang mit
natürlichen Ressourcen, mit dem Lebensstil in den Industrienationen und mit Landnutzungskonflikten.
Wir fordern die Bundesregierung auf, sich endlich
von rein technologiefixierten Ansätzen zu verabschieden
und Forschung und Förderung auf Lösungen auszurichten. Wir fordern stattdessen die Bereitstellung von Mitteln für die Fortführung des Weltagrarberichts.
({2})
Ich weiß, dass das hier etlichen nicht passt, dennoch fordere ich es; denn gerade der Weltagrarbericht sucht auf
breiter gesellschaftlicher Basis unter Einbeziehung der
Betroffenen in einem transparenten und nicht an der Gewinnoptimierung Einzelner orientierten Prozess nach
Lösungen.
Noch einmal zur Agrogentechnik. Frau Aigner, wir
fordern, dass die zugesagte Informationskampagne zur
Ohne-Gentechnik-Kennzeichnung endlich realisiert wird
und die entsprechenden Mittel bereitgestellt werden.
({3})
Immer wieder betreiben gerade auch die Mitglieder der
Koalitionsfraktionen gezielte Desinformation. Die Bundesregierung steht hier im Wort und in der Verantwortung.
({4})
In den nächsten Jahren wird die Bundesregierung die
Ausgaben für Forschung und Bildung stark ausweiten.
In 2012 sollen hierfür zusätzlich 22 Millionen Euro im
Einzelplan 10 ausgegeben werden. Das hört sich gut an.
Wir, die SPD, wollen, dass auch die Verbraucherpolitik
davon profitiert. Wir fordern ein Gesamtkonzept - ich
betone: ein Gesamtkonzept - zum Ausbau der modernen
verbraucherbezogenen Forschung. Neue wissenschaftliche Ansätze in der Verhaltensökonomik sollten aufgegriffen werden. Es sollte systematisch erforscht werden,
wie das tatsächliche Verhalten von Verbrauchern durch
gesetzliche Regelungen beeinflusst wird.
({5})
Denn durch die Liberalisierung von Märkten, den technologischen Fortschritt und eine zunehmende Innovationsgeschwindigkeit hat sich die Verbraucherwelt stark
verändert. Die Wahlmöglichkeiten haben zugenommen.
Gleichzeitig sind Tarifstrukturen und Angebotsbedingungen komplexer und schier unüberschaubar geworden. Möglicherweise versteht das der Herr Kollege
Bleser nicht; deswegen muss er quatschen. Ich will es
ihm gerne in einem Privatissimum erklären.
({6})
Empirische Untersuchungen zeigen, dass Verbraucher
oft mehr für Produkte ausgeben, als nötig ist, und dass
sie die Produkte oft gar nicht brauchen.
({7})
Sie sind von dem vielfältigen Angebot überfordert und
treffen aus dieser Überforderung heraus auch oft gar
keine Entscheidungen, zum Beispiel wenn es darum
geht, ausreichend für ihr Alter vorzusorgen.
Die Verbraucherpolitik der Bundesregierung ist nicht
an der Realität der Verbraucher ausgerichtet, auch wenn
das heute schon mehrfach gesagt wurde. Sie reagiert auf
Probleme wie die Marktstörungen im Bereich der Geldanlage meist nur mit zusätzlichen Informationsangeboten. Aber sind die zur Verfügung gestellten Informationen überhaupt verständlich? Verstehen das die
Verbraucherinnen und Verbraucher? Haben sie die Zeit,
die Informationsflut zu verarbeiten? Woran orientieren
sich Verbraucherinnen und Verbraucher bei ihren Entscheidungen tatsächlich? Bisher bleiben solche Fragen
bei den Vorhaben der Bundesregierung völlig unberücksichtigt.
Wenn sich Informationspflichten nicht an den Bedürfnissen der Verbraucher orientieren, wird die Wirtschaft
möglicherweise mit Verpflichtungen belastet, die Verbrauchern gar nicht helfen. Wenn aber die Nachfrageseite in einer Volkswirtschaft nicht funktioniert, kann
das ganze System Schaden nehmen. Die Finanzkrise, die
im Kern mit einer unverantwortlichen Kreditvergabe an
US-Verbraucher begonnen hat, hat das deutlich gezeigt.
Die SPD fordert daher den Ausbau der verbraucherbezogenen Forschung. Unsere Fraktion hat dazu
bereits im Juli einen Antrag verabschiedet. Wenn wir
gute Gesetze machen wollen, brauchen wir mehr empirisches Wissen über das tatsächliche Verhalten der Verbraucher. Die Verhaltensökonomie hat gezeigt, dass sie
hierzu einen Beitrag leisten kann. Wir fordern die Einführung eines wissenschaftsbasierten Verbraucherchecks
bei der Gesetzgebung. Davon würden nicht nur Verbraucher profitieren, sondern auch Regulierungen würden
insgesamt effektiver werden.
({8})
Wir wollen Informationen und Kennzeichnungen, die
alltagstauglich sind und Verbrauchern wirklich nutzen.
Wir wollen zum Beispiel die Smiley-Kennzeichnung
für Gastronomie und Lebensmittelbetriebe, die Verbraucher auf einen Blick und vor Ort zeigen, wo Hygiene stattfindet und wo nicht.
({9})
Bei CDU/CSU stieß dies bisher auf taube Ohren. Nun signalisieren einige Offenheit,
({10})
und Frau Ministerin Aigner kündigt in den Medien an,
dass sie sich für eine Smiley-Kennzeichnung einsetzen
will. Wir sind da misstrauisch. Zu oft haben wir Frau
Ministerin Aigner als Ankündigungsministerin erlebt:
viel versprochen, nichts erreicht.
Wo sind die Mittel für die Deutsche Stiftung Verbraucherschutz? Danach wurde heute schon einmal gefragt. Angekündigt hatte Frau Aigner hierfür die Verwendung von Kartellbußgeldern; Kollege Schwanitz hat
darauf hingewiesen. Wir fordern Finanzmittel für die
Stiftung und für einen Marktwächter Finanzen.
Ein anderes Beispiel ist die Stiftung Warentest. Frau
Aigner lässt sich für zusätzliches Stiftungskapital feiern;
auch darauf hat Herr Schwanitz hingewiesen. Tatsächlich stehen der Stiftung aber in diesem Haushaltsjahr real
weniger Mittel zur Verfügung.
Eine schwache Leistung sind auch die Beipackzettel
für Finanzprodukte. Ein verbindliches Muster, das die
Angebote unterschiedlicher Kreditinstitute für den Verbraucher vergleichbar macht, fehlt.
Zum Schutz von Verbraucherdaten hatte Frau
Aigner vor der Sommerpause ein Eckpunktepapier angekündigt. Leider Fehlanzeige, da von Minister de Maizière
ausgebremst.
Den Referentenentwurf zum Telekommunikationsgesetz hatte Frau Aigner wiederum bis zur Sommerpause angekündigt; das scheint ein beliebter Zeitpunkt zu sein. - Ich komme zum Schluss, Herr
Präsident. - Warteschleifen endlich kostenlos und eine
Preisansagepflicht bei Call-by-call-Anrufen, aber wann
bitte kommt der Entwurf? Vielleicht zur nächsten Sommerpause?
Genug der Beispiele! Genug des Wartens! Wir fordern Taten statt Worte.
Vielen Dank.
({11})
Jetzt hat das Wort der Kollege Rainer Erdel von der
FDP-Fraktion.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Frau
Ministerin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vor knapp
einem Jahr haben wir über den Haushalt 2010 beraten.
Damals hatten wir ganz andere Ausgangsvoraussetzungen. Wir waren damit befasst, über eine Krise hinwegzukommen. Deswegen haben wir damals das Sofortprogramm „Landwirtschaft“ beschlossen. Es hat Wirkung
gezeigt.
Heute stehen wir vor einer anderen Herausforderung.
Heute sind wir gefordert, den Haushalt zu konsolidieren
und zu sparen. Ich bedanke mich ganz besonders bei
Ihnen, Frau Ministerin, für den Entwurf des Einzelplans 10; denn Ihnen ist es gelungen, ein intelligente Lösung zu entwickeln, aufbauend auf dem Spardruck. Sie
ist sozial ausgewogen, richtungsweisend - ich verweise
nur auf die Mittel für Bildung, Innovation und Forschung - und ist auf Nachhaltigkeit ausgelegt. Unsere
Landwirtschaft in Deutschland braucht Nachhaltigkeit.
({0})
Wir stärken die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Landwirtschaft, indem wir auf eine Besteuerung
von Diesel verzichten. Wir gehen nicht mit der Gießkanne über das Land, Herr Schwanitz, und verteilen
Subventionen. Da Sie die Steuerermäßigungen beim
Agrardiesel angesprochen haben, verweise ich darauf,
dass es andere Bereiche gibt, in denen ähnlich agiert
wird. Ich nenne als Beispiele nur die Binnenschifffahrt
und die Transportfahrzeuge für Container in unseren
Containerhäfen. Auch dort geht es um die Wettbewerbsfähigkeit innerhalb Europas.
({1})
Es gilt die Wettbewerbsfähigkeit unserer Landwirtschaft
zu erhalten.
Wir werden seitens der liberalen Agrarpolitiker im
Hinblick auf die Wettbewerbsfähigkeit aber auch ein
sehr waches Auge auf all das haben, was in nächster Zeit
aus Brüssel kommt. Wir stellen eine überbordende Bürokratie fest. Wenn mich Landwirte anrufen und mir erzählen, dass sie zum Ausfüllen eines siebenseitigen Antrags eine vierseitige, eng beschriebene Ausfüllanleitung
bekommen, in der auch noch auf Paragrafen im Einkommensteuergesetz, im Energiesteuergesetz und in irgendwelchen EU-Abgabeverordnungen verwiesen wird, dann
muss ich sagen, dass wir eine bestimmte Schwelle überschritten haben. Hier besteht Nachsteuerungsbedarf.
({2})
Wir haben beim Einzelplan 16 sehr viel über Energie
und insbesondere über erneuerbare Energien gesprochen. Zu den erneuerbaren Energien gehören nicht nur
Sonne, Wind und Wasser, sondern auch der grüne Riese.
Ich meine damit nicht Politiker einer bestimmten Partei,
({3})
sondern die Biomasse. Da sie zum landwirtschaftlichen
Bereich gehört, fordern wir liberale Agrarpolitiker einen
Anteil aus dem Fonds, der nun aufgrund des neuen Atomgesetzes aus den Erlösen gebildet wird, für die Erforschung und die Förderung der erneuerbaren Energien;
denn mit den nachwachsenden Rohstoffen in der Landwirtschaft wird es uns gelingen, eine zusätzliche Einkommensmöglichkeit für unsere deutsche Landwirtschaft
zu schaffen.
({4})
Herr Erdel, kommen Sie bitte zum Schluss.
Ja, vielen Dank, Herr Präsident.
Heute wurde schon vieles gesagt, nur noch nicht von
jedem.
({0})
Deshalb gebe ich jetzt dem Kollegen Schirmbeck das
Wort.
({1})
Sie sehen an meinen Äußerungen, dass wir in der Koalition sehr eng zusammenarbeiten.
Vielen Dank.
({2})
Ich erteile dem Kollegen Georg Schirmbeck von der
CDU/CSU-Fraktion das Wort.
Ich will nur den Kollegen Erdel darauf hinweisen,
dass der Präsident das Wort erteilt und nicht der Vorredner.
({0})
Bitte schön, Herr Schirmbeck.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Als Nachhut in der heutigen Debatte habe ich es
ganz gut. Es kann einem nicht mehr widersprochen werden; man kann fast alles behaupten.
({0})
Ich finde es gut, dass hier heute so große Tafeln sind.
Wir sollten in Zukunft weitere Tafeln hinzufügen. Wenn
jemand spricht, dann sollten wir immer deutlich machen,
welcher Lobbyist oder Oberlobbyist gerade spricht.
Wenn Herr Kelber spricht, sollte man auch noch die
Euro-Beträge dazuschreiben.
({1})
Ich betrachte mich als Anwalt oder, wenn Sie so wollen,
als Lobbyist des ländlichen Raumes, aber ich habe dafür
noch keinen Euro bekommen, auch nicht 100 000 Euro
von der Solarindustrie. Andere hier als Lobbyisten abzuqualifizieren, selber aber still und heimlich zu kassieren,
ist zumindest unredlich. Wenn die FDP und andere immer beschimpft werden, dann darf man das in diese
Richtung auch einmal sagen.
({2})
Viel nicht vorhandenes Geld auf Kosten zukünftiger
Generationen mit vollen Händen wenig zielgerichtet
ausgeben, das kann jeder. Das vorhandene Geld zukunftsgerichtet für zukünftige Generationen ausgeben,
das können nur wenige. Deshalb hat das Volk gesagt:
Wir sind die Regierung, und ihr seid die Opposition.
({3})
Sie können es nachlesen, oder vielleicht haben Sie
auch in Erinnerung, was wir bei der zweiten und dritten
Beratung zum Einzelplan 10 des Bundeshaushalts 2010
gesagt haben. Ich habe beispielsweise angekündigt, dass
es unwahrscheinlich ist, dass wir die Ansätze für die
GAK an der einen oder anderen Stelle halten können,
weil wir wussten, welche haushaltspolitische Herausforderung auf uns zukommt. Ich habe aber auch gesagt,
dass für das Grünlandmilchprogramm die zweite Rate
kommt; die zweite Rate ist jetzt im Entwurf des Bundeshaushalts enthalten, und sie wird dort bleiben. Wir halten
Wort. Das, was wir hier sagen, das gilt. Wir sprechen
nicht irgendetwas aus, von dem wir wissen, dass es nicht
eingehalten wird.
({4})
Ich sage Ihnen ganz deutlich: Als wir den Einzelplan 10 in der Nachfolge der rot-grünen Regierung übernommen haben, hatten wir die Idee, das eine oder andere
mit dem zu finanzieren, was in den schönen bunten Dosen drin ist, die uns Frau Künast gezeigt hat. Als wir selber in die Küche konnten und die Dosen aufgemacht haben, da war nicht einmal heiße Luft drin. Wenn Sie also
heute unsere Ansätze, beispielsweise bei der GAK, kritisieren, dann schauen Sie einmal, welche Ansätze Sie damals hatten. Da brauchen wir uns überhaupt nicht zu
schämen.
({5})
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich eines sagen: Ich bin wirklich kein Verbraucherschutzpolitiker.
({6})
Aber was habe ich da eben gehört? Verehrte Kollegin
Drobinski-Weiß, Sie sind ja ansonsten eine sehr angenehme Frau.
({7})
Aber welches Menschenbild haben Sie eigentlich? Sie
wollen den Verbraucher erforschen. Was wollen Sie bewirken? Soll der Bürger bei den unterschiedlichen Informationen, die er hat, selber entscheiden können?
({8})
Wir haben heute doch nicht zu wenig Informationen. Wir
haben eine Informationsflut. Es ist die Pflicht eines jeden Bürgers, sich zu informieren und sich zu entscheiden. Das kann der Staat doch nicht vorgeben. Was wollen Sie mit diesem Bürger machen?
({9})
Meine Damen und Herren, ich glaube, wir sind auf
dem richtigen Weg, und wir werden uns auch nicht beirren lassen. Politik fängt im Übrigen dort an, wo wir über
die Wirklichkeit reden. Ich habe gesagt, dass ich Abgeordneter des ländlichen Raums bin. Wenn ich durch
meine Dörfer gehe, dann sehe ich blitzblanke Dörfer. In
unserem Bereich wird investiert wie niemals vorher; der
Kollege Holzenkamp wird das bestätigen. Dort gibt es
unternehmerische Landwirtschaft, und unternehmerische Landwirtschaft etwas unternehmen zu lassen und
nicht zu gängeln, ist Aufgabe des Deutschen Bundestages.
({10})
Frau Ministerin, ich möchte mich ganz herzlich bei
Ihnen dafür bedanken, dass Sie sich zusammen mit Ihrem Staatssekretär Dr. Gerd Müller um die Absatzförderung kümmern. Ich bin der Letzte, der alles nur
schwarz oder weiß malt. Ich sehe auch die Schwachstellen einer gewissen Entwicklung. Wir haben ein Urteil
des Bundesverfassungsgerichts, das ich jetzt scharf kritisieren könnte, was die Situation aber nicht ändern
würde. Es verbietet zukünftig eine gesetzliche Absatzförderung. Das heißt, dass für die Absatzförderung deutscher Produkte aus Land- und Forstwirtschaft oder dem
Gartenbau - wie immer Sie wollen - keine Mittel mehr
zur Verfügung stehen. Eigentlich ist die Wirtschaft aufgefordert, hier ein eigenes System aufzubauen.
Wir stellen aber fest, dass die Egoismen in der Wirtschaft - die sind einfach vorhanden, und über die muss
man sprechen - eine Lösung in nennenswerter Größenordnung verhindern. Ich kann an dieser Stelle die Wirtschaft nur auffordern, ihre Pflicht zu tun und ihrer Verantwortung gerecht zu werden. Wenn sie das aber trotz
aller Appelle nicht tut, dann müssen wir uns fragen, ob
wir als Staat nicht eine Gesamtverantwortung haben.
Herr Staatssekretär Müller, die Absatzförderung, für die
Sie sich persönlich engagieren, ist unterstützenswert.
Wir werden diese Unterstützung im Haushalt mit Zahlen
dokumentieren. Wir müssen diese Absatzförderung gegebenenfalls weiter ausbauen. Wenn ein Betrieb aus
Russland bei uns 1 000 schwarzbunte Kühe kauft oder
sonstige Betriebe in der Welt bei uns Nahrungsmittel
kaufen, dann kann man davon ausgehen, dass in diesen
Produkten eine hohe Wertschöpfung ist. Diese Wertschöpfung kommt dem ländlichen Raum zugute. Daher
ist es von zentraler Bedeutung, dass Wirtschaft und Politik in Zukunft für eine neue Absatzförderung sorgen.
({11})
Eines ist hier noch nicht angesprochen worden, worüber ich mich wundere. Man darf doch hier auch über
Dinge sprechen, bei denen wir weltklasse sind. Ich
nenne die Lebensmittelkontrolle und die Tiergesundheitsforschung. Was wir auf der Insel Riems machen,
ist absolut klasse. Die ganze Welt staunt über das, was
wir dort machen. Dafür nehmen wir 300 Millionen Euro
in die Hand. Diese Insel ist quasi der Olymp der Seuchenbekämpfung. Davon spricht hier keiner, aber das
dient der Sicherung der Zukunft jedes einzelnen Betriebs. Die Arbeit, die dort geleistet wird, ist auch für die
Gesundheit unserer Bevölkerung von ganz entscheidender Bedeutung.
Sie hingegen sprechen von peb, Plattform Ernährung
und Bewegung. Jeder weiß, dass man weniger essen und
trinken und sich mehr bewegen soll. Braucht man dafür
Geld? Wir müssen dem Bürger sagen, dass wir nicht für
alles zuständig sind und dass der Bürger Eigenverantwortung hat. Wenn er sich vor den Spiegel stellt und
Mängel bei sich feststellt, dann möge er diese Mängel
abstellen.
({12})
Gehen Sie davon aus, dass wir die Mittel für das, was
für den ländlichen Raum notwendig ist, was den ländlichen Raum zukunftsfähig macht, was im ländlichen
Raum Wertschöpfung schafft und was das Leben im
ländlichen Raum lebenswert macht, zur Verfügung stellen. Wir werden das wenige Geld, das wir zur Verfügung
haben, sinnvoll ausgeben. Unsere Aufgabe ist es, zukunftsfähige Investitionen zu tätigen. Mein lieber Peter,
ich bin ganz sicher, dass wir mit Unterstützung der zuständigen Leute aus dem Haushaltsausschuss und dem
Ministerium in der zweiten und dritten Lesung einen ordentlichen Einzelplan vorlegen werden.
Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren, ich entschuldige mich dafür, dass ich Ihre Abendzeit
etwas gestört habe. Ich wünsche uns allen einen schönen
Abend, vielleicht auf der Geburtstagsfeier eines FDPKollegen.
Herzlichen Dank.
({13})
Das war die letzte Rede zu diesem Einzelplan.
Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Mittwoch, den 15. September
2010, 9 Uhr, ein.
Die Sitzung ist geschlossen.