Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die
Sitzung ist eröffnet.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 19 a bis 19 c auf:
a) Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und der FDP eingebrachten
Entwurfs eines Gesetzes zur Vorbeugung gegen
missbräuchliche Wertpapier- und Derivategeschäfte
- Drucksache 17/1952 Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses ({0})
- Drucksache 17/2336 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Ralph Brinkhaus
Björn Sänger
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Finanzausschusses ({1}) zu
dem Antrag der Abgeordneten Michael Schlecht,
Sahra Wagenknecht, Dr. Herbert Schui, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE
Banken regulieren - Spekulationsblasen ver-
hindern
- Drucksachen 17/1151, 17/2336 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Ralph Brinkhaus
Björn Sänger
c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Finanzausschusses ({2}) zu
dem Antrag der Abgeordneten Sahra
Wagenknecht, Michael Schlecht, Dr. Barbara
Höll, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
DIE LINKE
Kreditausfallversicherungen ({3}) und deren
Handel vollständig verbieten
- Drucksachen 17/1733, 17/2097 Berichterstattung:
Abgeordnete Ralph Brinkhaus
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen
Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Kollegen
Dautzenberg von der CDU/CSU-Fraktion das Wort.
({4})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Dieses Thema kommt
- wenn ich das etwas sarkastisch anmerken darf - offenbar für einige heute Morgen so überraschend, dass man
meinen könnte, das Verbot von Leerverkäufen hätte
nichts mit der Präsenz im Bundestag zu tun.
({0})
Es geht aber heute um ein sehr ernst zu nehmendes
Thema der Finanzmarktregulierung, bei dem die christlich-liberale Koalition
({1})
und die Regierung handeln und die notwendigen Maßnahmen auf den Weg bringen.
Wir beraten den Gesetzentwurf zur Vorbeugung gegen missbräuchliche Wertpapier- und Derivategeschäfte
heute abschließend in zweiter und dritter Lesung. Was
beinhaltet der Gesetzentwurf? Es geht darin um die sogenannten ungedeckten Leerverkäufe bei Aktien,
Staatspapieren im Euro-Raum und Derivategeschäften.
Bei ungedeckten Leerverkäufen wird etwas verkauft, das
man gar nicht besitzt, und dann auch noch vervielfältigt
in spekulativer Form. Das ist der Unterschied zu gedeckRedetext
ten Leerverkäufen, bei denen innerhalb einer bestimmten Frist von ein bis zwei Tagen die Deckung für das Geschäft erbracht werden muss. Das ist bei ungedeckten
Leerverkäufen nicht der Fall.
Sie dienen dazu, Krisensituationen und bestimmte
Bereiche, die durch den Markt nicht zum Ausdruck
kommen, spekulativ zu nutzen. Damit werden teilweise
bereits bestehende negative Auswirkungen weiter beschleunigt. Dem muss Einhalt geboten werden.
Von daher haben wir als Koalitionsfraktionen auch
auf Vorschlag der Regierung, die einen entsprechenden
Kabinettsbeschluss gefasst hat, parallel dazu diesen Gesetzentwurf eingebracht und damit auch zum Ausdruck
gebracht, dass wir die Inhalte dieses Gesetzentwurfs
grundsätzlich teilen. Durch die parallele Einbringung
wollen wir relativ zeitnah zu einer Regelung kommen,
um Verzögerungen zu vermeiden. Wir wollen also durch
unsere Beratungspraxis im Plenum dazu beitragen, das
Vorhaben zeitnah umzusetzen.
Die Anhörung hat gezeigt, dass der Weg, den wir auf
nationaler Ebene eingeschlagen haben, richtig ist.
({2})
- Scheinbar waren Sie in einer anderen Anhörung, Herr
Kollege. ({3})
Die Anhörung hat gezeigt, dass der Weg grundsätzlich
richtig ist. Herr Kollege Zöllmer, wenn Sie daraus den
Schluss ziehen, hier bestehe keine Notwendigkeit der
Regelung, dann verstehe ich im Grunde die Welt nicht
mehr; schließlich halten Sie uns immer vor, wir unternähmen hier nichts.
({4})
Anscheinend lassen Sie noch nicht einmal auf sich wirken, was hiermit erreicht werden soll.
({5})
Es geht also um ein Verbot ungedeckter Leerverkäufe
von Aktien, von Staatspapieren in der Euro-Zone und
darüber hinaus von bestimmten Derivaten bis hin zu
Währungsderivaten; dabei geht es um Devisen und Auslandswährungen.
Neben diesem grundsätzlichen Verbot war eine Verordnung vorgesehen, die der BaFin die Kompetenz verschafft hätte, in diese Bereiche selbstständig einzugreifen. Herr Kollege Zöllmer, die Anhörung hat gezeigt:
Wenn es bei einer undifferenzierten Verordnung bleibt,
dann würden wir einzelne Bereiche der Industrie, in denen es gewisse Formen von Absicherungsgeschäften bei
Währungen gibt, in die Gefahr bringen, dass längerfristige Absicherungsgeschäfte nicht mehr möglich wären.
Diese Einsicht hat dazu geführt, dass wir gemeinsam
diese Verordnung herausgenommen haben. Das ist ein
Ergebnis - Herr Zöllmer, wenn Sie zuhören würden der Anhörung. Damit ist einem berechtigten Petitum aus
der Industrie Rechnung getragen worden.
({6})
- Frau Kollegin, da Sie den BDI erwähnen: Vieles, was
gesagt wird, ist nicht nachvollziehbar. Nach der abschließenden Beratung im Finanzausschuss sind wir dem
Petitum aus der Industrie gefolgt. Spezielle Formen der
Absicherung für die Industrie - langfristige Lieferverträge, Stichworte: „Kerosin, Rohstoffe“, gebunden an
bestimmte Währungen - sind sinnvoll, wenn dafür die
entsprechenden Voraussetzungen geschaffen werden.
Angesichts dessen ist es umso unverständlicher, dass
alle Fraktionsvorsitzenden dieses Hauses gestern einen
Brief des BDI-Hauptgeschäftsführers bekamen, in dem
auf das Petitum abgestellt und gesagt wurde, das Begehren aus der Industrie gerade für diesen Bereich sei nicht
erfüllt. Anscheinend haben manche in diesem Verband
den Schuss nicht gehört. Sie scheinen nicht begriffen zu
haben, was wir in ihrem Sinne richtigerweise schon auf
den Weg gebracht haben. Ich glaube, zur Arbeit hier gehört, offensiv zu vertreten, dass wir gehandelt haben,
und das, was hier erfolgt, nicht infrage zu stellen.
An einem weiteren Punkt hat es Korrekturen gegeben
- das war ein wichtiges Petitum für den Börsenplatz und
für den Finanzstandort Deutschland -: Wir nehmen die
sogenannten Intraday-Geschäfte - das sind diejenigen
Geschäfte, die innerhalb eines Tages abgewickelt werden - von dem Verbot aus. Sie sind weiterhin möglich;
denn sie sind für die Liquidität des Marktes am jeweiligen Tag erforderlich. Im Grunde ist entscheidend, welche Nettopositionen am Abend noch offen sind. Deshalb
ist diesem Petitum des Finanzmarktes und des Finanzstandortes Deutschland Rechnung getragen worden.
Darüber hinaus haben wir auch Formen der Transparenz vorgesehen: Auch die Positionen, die offen sind,
müssen über den Bundesanzeiger namentlich bekannt
gegeben werden. Damit stellen wir die Transparenz her,
die für die Regulierung dieses Marktes und der Marktteilnehmer erforderlich ist. Somit führen wir diese Geschäfte aus der Anonymität heraus. Das ist die Zielsetzung der Transparenzplattformen, die wir hier vorsehen.
Damit leisten wir wiederum einen entscheidenden Beitrag zur Regulierung von Finanzmärkten. Ich kann auch
der Opposition nur dringend empfehlen, dem zuzustimmen.
Vielen Dank.
({7})
Das Wort hat nun Manfred Zöllmer für die SPD-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es
passiert nicht sehr häufig, dass sich Helmut Schmidt, unManfred Zöllmer
ser Altbundeskanzler, zu aktuellen Gesetzentwürfen zu
Wort meldet. Er hat im Cicero Folgendes gesagt:
Was dagegen Merkel macht - dass sie auf eigene
Faust nur für Deutschland Leerverkäufe verbietet -,
ist zum Schieflachen.
Daraufhin sagte der Journalist:
Sie dürfte das wissen und hat das Verbot als Beruhigungsmittel für die öffentliche Meinung in den
Raum gestellt.
Helmut Schmidt entgegnete daraufhin:
Ich hoffe, dass sie weiß, … dass es wirkungslos ist.
Warum hat Helmut Schmidt in diesem Fall leider, leider
recht?
Herr Dautzenberg, die Anhörung hat eines gezeigt:
Dieser Gesetzentwurf ist ein Placebo; er ist wirkungslos;
er ist reine Symbolpolitik.
({0})
Sie haben hier deutlich gemacht, wie die Geschichte dieses Entwurfs verlief und wie Sie von den Koalitionsfraktionen von Beratung zu Beratung zur Verwässerung dieses Gesetzentwurfs beigetragen haben.
({1})
Er ist ein reines Symbol.
Schauen wir uns einfach einmal an, wie das Gesetz
entstanden ist, welche Geschichte es hat. Die Finanzkrise ist zwei Jahre alt. Seitdem wurde immer wieder
deutlich, dass ungedeckte Leerverkäufe auf den Finanzmärkten zerstörerische Wirkungen entfalten können, zuletzt in der Krise um Griechenland.
({2})
- Nein, warten Sie ab! - Sie können Kursverzerrungen
auslösen und zu Zwecken des Insiderhandels und der
Marktmanipulation eingesetzt werden. Deshalb haben
wir Sozialdemokraten seit langem gefordert, ungedeckte
Leerverkäufe zu untersagen. Das ist ein ganz wichtiger
Punkt.
Am 9. März 2010 - also in diesem Jahr - gab es eine
Erklärung der Europäischen Kommission, dass sie erwäge, ungedeckte Leerverkäufe zu verbieten. Parallel
dazu gab es die Ankündigung eines gemeinsamen Vorgehens von Berlin und Paris in dieser Sache. Es war von
einem Brief von Merkel an Sarkozy die Rede. Danach
passierte jedoch nichts mehr. Dann kam über Nacht die
Mitteilung über den Ticker, Deutschland habe als erstes
europäisches Land ungedeckte Leerverkäufe verboten.
Das heißt also, man hat auf eine gemeinsame europäische Aktion verzichtet
({3})
und ein nationales Vorpreschen Deutschlands aus rein
innenpolitischen Gründen vorgezogen; der öffentliche
Druck auf die Regierung war inzwischen im Zusammenhang mit dem Euro-Rettungspaket zu groß geworden.
Man wollte Regierungs- und Handlungsfähigkeit in Sachen Finanzmarktregulierung demonstrieren, obwohl
„simulieren“ der richtige Ausdruck wäre. Dieses Gesetz
hat damit einen gravierenden Geburtsfehler: Es ist das
Ergebnis eines unabgestimmten Alleingangs.
Man kann so etwas machen, wenn man vorher alle
Möglichkeiten zum gemeinsamen Handeln ausgelotet
hat. Das haben Sie nicht gemacht, obwohl Sie wissen,
dass es um schädliche Aktivitäten geht, die nicht nur in
Deutschland stattfinden, sondern im gesamten EuroRaum, in ganz Europa und auf der ganzen Welt. Erst
wenn es sich als völlig unmöglich erweisen sollte, dass
sich eine abgestimmte Regelung durchsetzen kann, muss
man nationale Maßnahmen ins Auge fassen. Wer aber
so vorgeht, wie Sie es getan haben, der will nicht regulieren, sondern Regulierung nur vortäuschen. Es gibt in
dieser Regierung keinen Konsens zu Regulierungsfragen. Sie sind in Regulierungsfragen nach wie vor tief
zerstritten.
({4})
Herr Dautzenberg, lassen Sie uns doch einmal beleuchten, zu welchem Ergebnis die Expertenanhörung
wirklich geführt hat. Das Ergebnis war eindeutig: Dieser
Gesetzentwurf ist reine Symbolpolitik. Schauen Sie sich
das Ergebnis der Anhörung an: Dieser Gesetzentwurf
wurde von der überwältigenden Mehrheit der Sachverständigen regelrecht verrissen.
({5})
Er beschränkt sich auf ungedeckte Leerverkäufe von Aktien und Schuldtiteln von Staaten der Euro-Zone, die an einer inländischen Börse zum Handel am regulierten Markt
zugelassen sind. Warum - das war eine der Fragen - nur
Schuldtitel aus der Euro-Zone? Warum nur auf regulierten Märkten? Der überwiegende Teil des Handels findet
dort nicht statt.
({6})
Wichtig wäre ein Leerverkaufsverbot an außerbörslichen Plätzen; denn dort findet der relevante Teil des
Handels statt. Dieser Bereich wird vom vorliegenden
Gesetzentwurf überhaupt nicht erfasst. Auch hier zeigt
sich Ihre Unfähigkeit, etwas Wirksames koordiniert umzusetzen.
({7})
Ein Verbot muss etwas bewirken. Das von Ihnen vorgesehene Verbot bewirkt leider nichts.
({8})
- Ja, damit kann ich gut leben.
({9})
Ich zitiere Herrn Münchau von der Financial Times
Deutschland, einen Journalisten, der in der Anhörung als
Sachverständiger vertreten war. Er hat Folgendes formuliert:
Der einzige Grund für dieses Gesetz war dessen
Ankündigung. Die Regierung musste etwas tun, um
Deutschlands Journalisten von der Krise abzulenken.
Wohlgemerkt: Nicht die Opposition, sondern ein unabhängiger Journalist hat das formuliert.
Sie haben eben deutlich gemacht, wie stark dieses Gesetz bereits im Vorfeld beschnitten wurde und nun durch
weitere Änderungsanträge beschnitten werden soll; beispielsweise werden die Regelungen zum Intraday-Handel - Sie haben erläutert, was das ist - weiter verwässert.
({10})
- Verwässert.
Ich darf aus der Stellungnahme des BDI zitieren. Dort
heißt es:
Weil sich Kurseinbrüche, insbesondere in Kombination mit falschen, negativen Marktgerüchten häufig innerhalb eines Tages ereignen …, ist für das
Verbot auf die Einzeltransaktion und nicht auf den
Tagesendbestand abzustellen.
Die Fraktionen von CDU/CSU und FDP - Sie haben das
eben erläutert - wollen nun solche Leerverkäufe wieder
zulassen. Sie haben in einer Presseerklärung ausgeführt,
dass Sie zwischen Missbrauch und normalem Geschäft
unterscheiden wollen, aber in der Praxis lassen Sie möglichen Missbrauch wieder zu.
({11})
Darüber hinaus streichen die Koalitionsfraktionen die
Ermächtigung des Finanzministeriums, weitergehende
Verbotsverfügungen zu erlassen.
({12})
- Über eine Verordnung. - Sie wollen es dem Parlament
überlassen, aber auch damit verwässern Sie den Ursprungsentwurf; denn das Parlament kann natürlich jederzeit gesetzgeberisch tätig werden. In ihrem Vorgehen
zeigt sich die ganze Hilflosigkeit dieser Koalition gegenüber der Finanzmarktlobby.
({13})
Es gibt allerdings auch etwas Positives.
({14})
Der Gesetzentwurf verbessert die Transparenz auf bisher
völlig intransparenten Märkten,
({15})
aber leider nur ein wenig; denn das Gesetz eröffnet Umgehungsmöglichkeiten bei Meldeverpflichtungen, etwa
durch die Aufteilung von Leerverkäufen auf Konzerntöchter jeweils unterhalb der Meldeschwelle. Der Gesetzentwurf ist und bleibt Symbolpolitik. Er ist Stückwerk, Symbolpolitik, mit viel zu geringer Wirkung. Nun
scheint wieder eine europäische Lösung der Leerverkaufsproblematik möglich.
({16})
Die FDP hat im Übrigen erklärt: Sollten keine weiteren Länder folgen, werde das Gesetz in dieser Legislaturperiode noch einmal geändert. Liebe Kolleginnen und
Kollegen von der Regierungskoalition, Sie finden uns
Sozialdemokraten an Ihrer Seite, wenn es darum geht,
durchdachte und wirksame Maßnahmen zur Regulierung
der Finanzmärkte zu beschließen. Sie finden uns aber
nicht an Ihrer Seite, wenn Sie versuchen, Regulierung
nur vorzutäuschen wie beim vorliegenden Gesetzentwurf.
Vielen Dank.
({17})
Das Wort hat Kollege Björn Sänger für die FDP-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Lieber Kollege Zöllmer, Sie haben es offensichtlich
noch nicht verwunden, dass wir regulieren, nachdem Sie
elf Jahre lang nicht reguliert haben.
({0})
Wir täuschen auch nichts vor, genauso wie Sie keine Untätigkeit vorgetäuscht haben. Sie waren in diesem Bereich elf Jahre lang untätig.
Ich würde mich freuen, wenn Sie sich bei Ihrer Argumentation klar werden würden, was Sie denn nun eigentlich wollen.
({1})
- Ich wage zu bezweifeln, Frau Kollegin Kressl, dass Sie
was Vernünftiges wollen. - Zur Finanztransaktionsteuer
sagen Sie uns: Da müssen wir einen nationalen Alleingang machen.
({2})
Beim Leerverkaufsverbot sagen Sie: Es ist nicht europäisch abgestimmt. - Wir stellen fest - und jeder, der das
objektiv betrachtet, kommt zum gleichen Ergebnis -,
dass die Bundesregierung und die sie tragenden Fraktionen dieser christlich-liberalen Koalition handeln
({3})
und auf europäischer Ebene eine Abstimmung suchen,
weil die internationalen Themen der Finanzbranche danach verlangen. Die Bundesregierung bringt sich auf
EU-Ebene und auf G-20-Ebene ein, stimmt sich ab und
startet darüber hinaus nationale Initiativen, was außerordentlich zu begrüßen ist.
Es ist bereits eine effektive Regulierung sichtbar. Wir
haben das Ratinggesetz und kürzlich das Vergütungsgesetz für die Finanzbranche verabschiedet. Wir beschäftigen uns mit dem Anlegerschutz im grauen Kapitalmarkt,
und das Bankenrestrukturierungsgesetz erscheint auch
schon am Horizont.
Heute befassen wir uns mit dem Verbot missbräuchlicher Wertpapier- und Derivategeschäfte. Ich sage es
noch einmal: Wenn Sie das in den letzten elf Jahren gemacht hätten, wären wir schon ein ganzes Stück weiter.
Ich finde, in der kurzen Zeit, in der diese christlich-liberale Bundesregierung bislang amtiert, haben wir schon
einiges vorzuweisen.
({4})
Wir nehmen unter den wichtigen Finanzplätzen in Europa mit diesem Gesetz eine Vorreiterrolle ein. Es ist ja
nicht so, als ob es etwas Vergleichbares in anderen Ländern nicht gäbe. Denn in Irland, Schweden, Österreich
und Belgien - um nur einige zu nennen - gibt es ähnliche Regeln, wenngleich diese Finanzplätze sicherlich
nicht unbedingt mit Deutschland vergleichbar sind.
Worum geht es in diesem Gesetz? Es geht darum
- Kollege Dautzenberg hat schon darauf hingewiesen -,
ungedeckte Leerverkäufe in Aktien sowie in Schuldtiteln
von EU-Gebietskörperschaften sowie Währungsderivaten zu verbieten. Es handelt sich um ein grundsätzliches
Verbot. Darüber hinaus wird über den § 4 a Wertpapierhandelsgesetz Rechtssicherheit für die BaFin geschaffen,
die sie bisher nicht hatte.
Solch ein grundsätzliches Verbot ist für die Freie Demokratische Partei schon starker Tobak. Ein hessischer
Abgeordneter, der beispielsweise im Rhein-Main-Gebiet
herumfährt, wird von den Ortsverbänden schon gefragt:
Was macht ihr in Berlin da eigentlich?
({5})
Denn ein Nachweis für die Krisenursächlichkeit von
Leerverkäufen ist bislang noch nicht erbracht worden.
Leerverkäufe sind durchaus etwas Sinnvolles; denn
sie senden Informationen in den Markt. Sie verhindern
Bewertungsblasen, und sie sichern schlussendlich auch
die Liquidität im Markt. Deshalb fragen mich die Leute
im Rhein-Main-Gebiet - und sie fühlen mir den Puls -,
die am Finanzplatz Frankfurt arbeiten: Was macht ihr da
eigentlich? Warum wollt ihr dieses sinnvolle Instrument
eigentlich verbieten? - Darauf kann es nur eine ganz
klare Antwort geben: Weil mit diesem Instrument auch
Missbrauch getrieben werden kann. Eben diesen Missbrauch werden wir verhindern. Das werden wir mit diesem Gesetz auch erreichen; es geht, wie gesagt, um
missbräuchliche Geschäfte.
Ich möchte an ein Ziel dieser Koalition erinnern: dass
kein Finanzplatz, kein Akteur in der Finanzbranche und
kein Finanzprodukt zukünftig ohne klare Regeln sein
darf. Hinter diesem Grundsatz steht die Freie Demokratische Partei, weil wir aus der Krise gelernt haben.
({6})
Demzufolge werden wir versuchen, auch in diesem Bereich Schwarz und Weiß zu trennen. Ob das in der Klarheit geschieht, die wir uns vorstellen, wird die Erfahrung
zeigen. Wir haben dabei die Problemstellungen dieses
ganzen Bereichs aus meiner Sicht sehr gut berücksichtigt. Wir haben den Intradayhandel weiterhin ermöglicht,
weil Spekulanten eben Zeit brauchen, um sich Positionen aufzubauen, gegen bestimmte Titel oder Staaten zu
spekulieren. Das schaffen sie nicht an einem Tag. Andererseits brauchen die Börsenplätze genau diese Möglichkeit, um damit die Liquiditätsfunktion von Leerverkäufen sicherzustellen. Das ist für die Börsenplätze
- Frankfurt an der Spitze - ein ganz wichtiges Instrument.
({7})
Wir haben darüber hinaus den Bedenken der Realwirtschaft Rechnung getragen, unserer starken Exportwirtschaft, die ihre Währungsrisiken absichern will. Die
Unternehmen können nicht am 1. Januar eines Jahres sagen, was für ein Geschäft sie im Dezember des Jahres
machen, sondern sie sichern sich am Anfang eines Jahres ab und decken sich ein; das ist dann eben ungedeckt.
Wir haben diesen Umstand durch den Terminus „erwartete Währungsrisiken“ im Gesetzentwurf berücksichtigt.
Auch das ist für die Wettbewerbsfähigkeit unserer Wirtschaft ganz wichtig.
Wir haben ferner - das war für uns als Freidemokraten sehr wichtig - die Stellung der Bundesbank gestärkt.
Die BaFin muss sich in Zukunft mit der Bundesbank ins
Benehmen setzen, wenn es darum geht, dass die BaFin
bestimmte Verbote, die unter anderem die Währung betreffen, ausspricht. Über diesen Prozess wird die Bundesregierung - das ist freundlicherweise zugesagt - diesem Haus zukünftig berichten.
({8})
Wir haben darüber hinaus die Parlamentsrechte gestärkt - auch Kollege Dautzenberg hat schon darauf hingewiesen -, indem wir die Ermächtigungsgrundlage für
das BMF gestrichen haben. Denn wir finden, das muss
hier in diesem Parlament behandelt werden.
Außerdem haben wir die Möglichkeit der BaFin, Verbote auszusprechen, etwas genauer definiert. Auch
hierzu wird dem Parlament ein Bericht vorgelegt, in dem
die BaFin feststellen muss: Hier gibt es einen Missstand.
Wir haben ihn wie folgt abgestellt. Möglicherweise müssen wir über den Tag hinaus ein bestimmtes Verbot aussprechen. Beschäftigt euch doch bitte mit diesem
Thema. - Dann können wir das schlussendlich gesetzlich regeln. Damit haben wir auch diese Regelung auf
eine klare verfassungsmäßige Grundlage gestellt.
Und - das ist eigentlich der wichtigste Punkt -: Wir
haben in diesem sehr dunklen bzw. schummerig beleuchteten Umfeld Transparenz hergestellt. Spekulanten
scheuen das Tageslicht, so wie es auch Einbrecher tun.
Klare Transparenzregeln sind das beste marktwirtschaftliche Instrument. Dann gibt es nämlich keine Informationsdifferenzen, sondern dann weiß der Markt es ganz
klar: Wer etwas an Information hat, kann daraus Rückschlüsse ziehen und sich entsprechend verhalten.
Wir nehmen damit - ich sagte es bereits - eine Vorreiterrolle unter den wichtigen Finanzplätzen ein. Natürlich
müssen wir die Ergebnisse und Erfahrungen abwarten,
ob wirklich alle mitziehen. Es bringt ja nichts, wenn
Deutschland vorangaloppiert, während alle anderen
noch auf der Weide stehen und friedlich grasen. Das
bringt uns alle nicht weiter. Das würde in der Tat nicht
dazu führen, diese schädlichen Instrumente zu bannen.
({9})
Es ist vollkommen klar, dass der Finanzplatz Deutschland nicht zum Verlierer einer möglichen Regulierungsarbitrage werden darf.
({10})
Sollte dieses Gesetz nicht funktionieren - das gilt für alle
Gesetze und ist eine Selbstverständlichkeit -, muss es
geändert werden.
Ich denke, die Vorreiterrolle Deutschlands wird für
die EU an dieser Stelle vorbildlich sein. Es wird auf europäischer Ebene zu weiteren Erfolgen kommen, sodass
ich mir gar keine Gedanken darüber machen muss, dass
dieses Gesetz eventuell noch einmal geändert werden
müsste.
Unter dem Strich ist heute ein guter Tag, ein weiterer
guter Tag für die Regulierung der Finanzmärkte in
Deutschland. Es handelt sich um ein hervorragendes,
sinnvolles Gesetz, dem im Übrigen auch Sie zustimmen
können.
Herzlichen Dank.
({11})
Das Wort hat nun Barbara Höll für die Fraktion Die
Linke.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Chaos bei der Bundesregierung, Chaos bei der
Finanzmarktregulierung.
({0})
Aber Ihre Gratwanderung ist schon erstaunlich. Der Gesetzentwurf geht zwar in die richtige Richtung, aber
„vollkommen“ sieht wahrlich anders aus.
({1})
Wir werden uns enthalten, da wir grundlegende Nachbesserungen für nötig halten.
Wo liegt das Problem? Ich sage Ihnen: Der Euro hatte
von Anfang an einen Konstruktionsfehler. Griechenland,
Spanien und Portugal wirft man heute vor, dass diese
Länder über ihre Verhältnisse leben. Dabei wird eines
allzu gern übersehen; Sie erinnern sich vielleicht noch.
Ich zitiere mich ausnahmsweise einmal selbst. Am
23. April 1998 sagte ich:
Entscheidender als die Erfüllung der Konvergenzkriterien ist für uns …
- damals als PDS die Frage, ob die Grundlagen einer gemeinsamen
Währung tatsächlich gegeben sind. Die Grundlagen
müssen in der Angleichung der realwirtschaftlichen
und sozialen Entwicklung der Mitglieder einer
Währungsunion bestehen.
Wir wissen doch alle: Was damals galt, gilt heute
noch.
({2})
Nach wie vor existieren wesentliche Produktivitätsunterschiede zwischen einzelnen europäischen Staaten.
Das heißt, ohne eine abgestimmte Wirtschaftspolitik
kann eine Währungsunion keinen langfristigen Erfolg
haben. Sie haben damals nicht auf uns gehört, und heute
haben wir den Salat. Ich sage Ihnen: Diese Krise ist
keine kurzfristige Finanzkrise, sondern das Ergebnis Ihrer damaligen kurzsichtigen Politik.
({3})
Der Konstruktionsfehler des Euro schlägt hier mit voller
Wucht durch.
({4})
Nun zu Ihrem Gesetzentwurf. Sie haben seinerzeit
gierigen Bankern Tür und Tor geöffnet. Die haben mit
sogenannten innovativen Finanzprodukten freihändig
jongliert. Nun kommen Sie und wollen so ein bisschen
halbherzig regulieren. Ja, einige Produkte können durchaus ihren Sinn haben. Aber in der Anhörung ist ganz klar
geworden: Mit allen kann massiv spekuliert werden.
Nehmen wir die CDS. Diese waren für den Zusammenbruch des Versicherers AIG verantwortlich. Was
verbirgt sich hinter den drei mysteriösen Buchstaben?
Das ist ziemlich einfach. Das wäre so, als ob ich eine Lebensversicherung auf jemand anderen abschließe, bei
der ich begünstigt bin, und dann die Person in den Herzinfarkt treibe. Mit anderen Worten: CDS ist ein Kreditderivat zum Handel mit Ausfallrisiken von Anleihen
oder Krediten. Das Kreditrisiko wird vom eigentlichen
Kredit getrennt und gehandelt.
Das Prinzip: Ein Versicherungsnehmer bezahlt eine
Gebühr und erhält dafür vom Versicherungsgeber eine
Ausgleichszahlung, falls ein vereinbartes Kreditereignis
eintritt. Hierbei ist es völlig egal, ob jemand abzusichernde Positionen, zum Beispiel Staatsanleihen, besitzt.
Das muss man sich einmal genau vorstellen. Das ist ein
innovatives Finanzprodukt? Es ist doch absurd, dass
man Geld mit Sachen verdienen kann, die nur auf dem
Papier stehen. Das ist ein Skandal.
Weder die EZB noch die Bank für Internationalen
Zahlungsausgleich haben überhaupt einen Durchblick,
was da in welchem Umfang abläuft. Für die Jahre 2007
und 2008 wurde der Markt für Finanzderivate auf
600 Billionen US-Dollar geschätzt. Einen genauen
Überblick haben lediglich Banken wie Goldman Sachs
oder die Deutsche Bank. Ich finde, das kann einfach
nicht wahr sein. Der Vertreter der Bundesbank sagte hier
in der Anhörung, es müsse erst einmal Transparenz geschaffen werden. Ja, wer soll das denn schaffen, wenn
nicht die Bundesbank, wo wohl viele - auch hoch bezahlte - Experten sitzen?
({5})
Für das Volumen von ausstehenden CDS gibt es etwas genauere Werte. Nach einer ISDA-Berechnung betrug es 2007 etwa 62 Billionen US-Dollar und war damit
größer als das Weltbruttoinlandsprodukt. Dieses betrug
damals 54 Billionen US-Dollar. Das CDS-Volumen stieg
von 2003 bis 2007 um über 2 000 Prozent. Hier wird
doch eindeutig auf Teufel komm raus spekuliert, was
- weil Sie sich für Ihre Schnelligkeit loben, füge ich das
hinzu - schon seit Jahren sichtbar ist. Wer zahlt die Zeche? Nicht Spekulanten und Banker, sondern wir alle.
Mit Ihrem Gesetz wollen Sie nun die Spekulation begrenzen. Sie wollen erstens ungedeckte Leerverkäufe
von Aktien und Schuldtiteln von Staaten der Euro-Zone,
die an einer inländischen Börse zum Handel im regulierten Markt zugelassen sind, verbieten. Zweitens. Auch
ein Verbot von ungedeckten CDS auf Verbindlichkeiten
von EU-Mitgliedstaaten, bei denen kein eigener Absicherungszweck besteht, ist geplant. Das heißt im Klartext: Spekulationen mit der eigenen Währung lehnen wir
ab, aber spekulative Angriffe auf andere Währungen
sind uns egal. Warum sind wir denn hier nicht einfach
einmal konsequent? Aber diese Halbherzigkeit sind wir
von Ihnen gewohnt.
({6})
Meine Damen und Herren, Fakt ist, dass wir mit einer
einfachen Bankenregulierung nicht viel erreichen werden. Wenn man das Problem wirklich angehen will, dann
muss man endlich ernsthaft regulieren. Das heißt erstens:
Transparenz muss her. Zweitens müssen alle Finanzinstrumente vor ihrer Zulassung einer vorherigen Prüfung unterzogen werden. Das könnte ein sogenannter Finanz-TÜV erledigen; denn es ist doch wohl vollkommen
unverständlich, dass man sich in der EU Gedanken über
die Krümmung von Salatgurken macht, Finanzprodukte
hingegen unbekümmert durch die Welt wandern,
({7})
obwohl diese die Stabilität der Finanzsysteme massiv
gefährden. Wenn wir die Macht der Spekulanten tatsächlich endlich brechen wollen, dann brauchen wir eine
Finanztransaktionsteuer, am besten natürlich weltweit,
aber es geht auch EU-weit, und es geht auch mit einer
nationalen Einführung. Der Nutzen liegt auf der Hand:
Mit der Steuer würde man alle Finanztransaktionen
erfassen, besonders Transaktionen, die - teils automatisiert - zigmal pro Minute und Stunde durchgeführt werden. Um genau diese geht es hier und nicht um kleine
Sparer.
Was bringt das? Selbst wenn sich die Banker immer
neue Finanzprodukte ausdenken würden - und das werden sie tun -, würden wir nur hinterherrennen. Mit dieser
Steuer erfassen wir eine der Wurzeln, denn diese Steuer
können sie nicht umgehen. Damit werden Spekulationen
unattraktiv gemacht.
Lassen Sie mich noch eines sagen: Wir haben den
G-20-Gipfel gehabt, bei dem 860 Millionen Euro für
nichts und wieder nichts verbraten wurden. Herausgekommen ist gar nichts. Wir haben weder die Finanztransaktionsteuer noch eine Bankenabgabe, wir haben
keinen Abbau der wirtschaftlichen Ungleichgewichte.
Stattdessen hat Frau Merkel auf einen harten Sparkurs
gepocht - zulasten der Bürgerinnen und Bürger, aber
nicht zulasten der Banken und Spekulanten. Wir brauchen doch das Geld. Wir brauchen das Geld für eine
Stärkung der Binnennachfrage. Hier muss jetzt etwas getan werden. Sie könnten endlich die richtigen Schritte
gehen durch eine konsequente Regulierung, durch die
Finanztransaktionsteuer und eine gerechte Steuerpolitik,
die bei den tatsächlich Vermögenden ansetzt, zum Beispiel mit einer Vermögensbesteuerung. Aber dazu sind
Sie bisher leider zu feige.
Frau Kollegin, Sie müssen zum Ende kommen.
Deshalb können wir Ihrem Gesetzentwurf nicht zustimmen.
Ich danke Ihnen.
({0})
Das Wort hat nun Kollege Gerhard Schick für die
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es
ist richtig, bei Leerverkäufen eine gesetzliche Einschränkung vorzunehmen und insbesondere die Leerverkäufe
zu verbieten, bei denen völlig frei ist, wie viel man verkaufen kann, ohne es zu haben. Deswegen ist es richtig,
nur noch gedeckte Leerverkäufe zuzulassen, bei denen
man sich das Produkt wenigstens geliehen hat, aber nicht
mehr völlig freie; denn damit schaffen wir es, die Spekulation und den Herdentrieb, die an den Märkten entstehen können, zu begrenzen. Das ist wichtig, und das ist
richtig.
({0})
Jetzt ist die Frage, was dieses Gesetz leistet. Zwei
Ziele sind im Ausschuss genannt worden. Das eine Ziel
ist, ein Zeichen für die Märkte zu setzen. Das zweite Ziel
ist, ein Zeichen für Europa zu setzen, weil wir das eigentlich europaweit einheitlich machen müssten.
Zuerst einmal zu den Zeichen für die Märkte: Wir
wollen kein Zeichen für die Märkte setzen, sondern wir
wollen Regeln für die Märkte setzen.
({1})
Da liegt das Problem dieses Gesetzes: Es sind so viele
Lücken enthalten, dass es im Kern das Problem nicht beseitigen wird.
({2})
Der erste Punkt ist, dass es eine Begrenzung der gesetzlichen Normen auf die börslichen Handelsplätze gibt
und wir den ganzen außerbörslichen Bereich nicht wirklich unter Kontrolle bekommen. Damit sind die Umgehungsmöglichkeiten offenkundig. Wir beschließen ein
Gesetz, bei dem wir uns alle schon heute ausrechnen
könnten, wie das Gesetz umgangen wird. Wenn wir es
- das ist schon von der Kollegin Höll gesagt worden nur auf Leerverkäufe von Wertpapieren begrenzen, die
in Euro notiert sind, wissen wir auch schon, dass dieses
Leerverkaufsverbot eine riesengroße Lücke aufweist,
weil es nicht nur den Euro und Wertpapiere in Euro gibt.
Das ist eine zweite große Lücke bei dem Verbot, das Sie
so groß öffentlich anpreisen.
({3})
Dann zu der Verordnung, die aus dem Gesetz gestrichen wurde: Zuerst war daran gedacht worden, im Derivatebereich - Derivate sind abgeleitete Produkte, mit denen man häufig etwas machen kann, was man mit dem
eigentlichen Produkt nicht machen kann - ein gesetzliches Verbot zu schaffen.
Dann hieß es: Wir erlassen eine Verordnungsermächtigung, sodass das Finanzministerium die Umgehung
über Derivate gegebenenfalls durch eine Verordnung
verhindern kann. - Jetzt fällt auch noch diese Verordnungsermächtigung heraus. Damit ist der Umgehung
über den Derivatemarkt Tür und Tor geöffnet.
({4})
- Die BaFin kann das für eine kurze Zeit tun, aber es
geht gerade darum, langfristig stabile Regelungen zu
schaffen.
({5})
Genau deswegen ist das richtig, was viele Sachverständige gesagt haben: Dieser Gesetzentwurf ist ein Zeichen der Handlungsfähigkeit der Bundesregierung - als
solches wollen Sie es präsentieren -, das Problem mit
den Leerverkäufen wird dadurch im Kern aber nicht gelöst.
({6})
Ich komme zu dem zweiten Ziel. Sie haben gesagt:
Wir senden ein Zeichen für Europa. - Das finden wir
richtig. Wir fordern, dass man auch einmal national vorangeht, um ein Zeichen für Europa zu setzen. Richtig!
So, wie Sie das gemacht haben, war das aber kein Zeichen, sondern eine Brüskierung der europäischen Partner. Die französische Finanzministerin hat sich doch empört gezeigt. Ich habe das in meiner Rede zur ersten
Lesung dieses Gesetzentwurfes zitiert. Als das Leerverkaufsverbot von der BaFin am 18. Mai 2010 bekannt gegeben wurde, herrschte auf den europäischen Finanzmärkten plötzlich Chaos, weil niemand wusste, was
genau gemeint ist. So brüskieren Sie die europäischen
Partner, und so gewinnen Sie sie nicht zum Mitmachen.
({7})
Mich hat - auch das möchte ich sagen - die Anhörung
sehr nachdenklich gemacht. Der Sachverständige Professor Schmelz hat auf die Frage, was denn sein Resümee nach den vielen Beiträgen der Sachverständigen
sei, gesagt:
Es ist tatsächlich so, dass im Moment auf der
Grundlage irgendwelcher Hypothesen, die politisch
genehm sind oder - mehr oder weniger aktuell - benötigt werden, eine Gesetzgebungsinitiative erbracht wird, die sich sicher gut anhört. … Nur, vor
dem Hintergrund, dass - möglicherweise auf etwas
anderem Niveau - eine europäische Regelung bevorsteht, fragt man sich wirklich, ob man für ein
halbes Jahr … einen Apparat anwirft, der … mit
Kosten verbunden ist …
Der Sachverständige Tänzler der Deutschen Bundesbank sagte, wir müssten erst einmal Transparenz schaffen.
Ich zitiere den Sachverständigen der BaFin:
Was das Zahlenmaterial angeht: Da haben wir keine
empirischen Erkenntnisse, wie die Leerverkäufe,
wie hoch die Anteile der Leerverkäufe sind. … Das
kann aufgrund der vorhandenen Datenlage in der
BaFin statistisch nicht erhoben werden.
({8})
Es zeigt sich: Ein wichtiger und wahrscheinlich der
einzig richtig gute Teil dieses Gesetzentwurfs ist, dass
Meldepflichten eingeführt werden.
({9})
Das ist ein wichtiger Schritt, um überhaupt erst einmal
Transparenz zu schaffen.
({10})
An dieser Stelle muss ich natürlich an den früheren
sozialdemokratischen Finanzminister die Frage stellen:
Warum haben wir diese Meldepflichten nicht längst eingeführt, obwohl es schon eine lange Diskussion über die
Leerverkäufe gab? Herr Zöllmer sagt, Sie hätten das seit
Jahren gefordert. Warum haben Sie nicht wenigstens die
Transparenz geschaffen, auf deren Grundlage man nun
für eine gute Regulierung sorgen könnte? Diesen Vorwurf müssen sich die Sozialdemokraten hier gefallen
lassen.
({11})
Der Applaus von der FDP an dieser Stelle ist natürlich
völlig heuchlerisch. Hier zu sagen: „Endlich wird eine
FDP-Position umgesetzt“, ist doch unverfroren. Sie haben in den letzten Jahren nie ein Verbot von Leerverkäufen gefordert, sondern Sie haben hier immer freie Fahrt
für die Finanzmärkte gefordert. Auch das muss einmal
gesagt werden.
({12})
Das Schlimme ist, dass das auch für diesen Gesetzentwurf wieder gilt. Ich höre aus der Branche: Mit diesem
Gesetzentwurf können wir gut leben. - Auf Deutsch
übersetzt heißt das: Wir können weitermachen wie bisher.
({13})
Dafür können wir nicht stimmen. Deswegen werden
wir uns heute enthalten. Die Richtung, Leerverkäufe zu
verbieten, stimmt, aber so erreichen Sie das nicht.
Danke.
({14})
Das Wort hat nun Hans Michelbach für die CDU/
CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Wir ziehen aus der Krise der Finanz- und Währungsmärkte klare Konsequenzen:
Erstens reduzieren wir die zu hohen öffentlichen
Defizite. Die Bundeskanzlerin hat am vergangenen
Wochenende auf dem G-20-Gipfel in Toronto ein Bekenntnis der Industriestaaten zum Schuldenabbau durchgesetzt. Das war eine Bestätigung unserer Konsolidierungspolitik.
Darauf können wir stolz sein. Das ist der richtige
Weg. Je rascher die öffentlichen Haushalte in Ordnung
gebracht werden, desto stärker verbessern wir die weltweite Zukunftsperspektive für Wachstum und Beschäftigung.
({0})
Zweitens beschließen wir für die Finanzmärkte Schritt
für Schritt strengere, konsequentere Regelungen, um eine
neue Finanzmarktordnung zu schaffen. Heute setzen
wir hierfür einen wichtigen neuen Baustein. Das ist ein
wesentlicher Punkt. Sie von Rot-Grün haben zwar oft und
viel über die Notwendigkeit geredet, aber - das ist doch
die Wahrheit - Sie haben niemals Richtfest gefeiert.
({1})
Heute wird in einem wichtigen Punkt Richtfest gefeiert.
Wir hatten doch drei große Probleme, die zur Finanzmarktkrise geführt haben. Das erste Problem: Wir hatten
eine Verknüpfung von einem Geschäftsbankensystem,
das eigentlich zur Kreditversorgung der Realwirtschaft
da ist, mit einem spekulativen Schattenbankensystem,
mit Zweckgesellschaften usw. Das zweite große Problem war, dass wir eine mangelnde Transparenz auf den
Finanzmärkten hatten. Das dritte Problem war, dass wir
exzessive Spekulationen in Verbindung mit sehr fragwürdigen Finanzprodukten hatten. Es gilt, Schritt für
Schritt diese Probleme zu lösen. Diese Probleme gehen
wir Schritt für Schritt an, und heute wird ein wesentlicher Schritt nach vorn getan.
({2})
Das heute zu beschließende Gesetz zur Vorbeugung
gegen missbräuchliche Wertpapier- und Derivategeschäfte reiht sich ein in erfolgreiche Initiativen zur Regulierung und zur Bekämpfung von Krisen und Missbrauch des Finanzmarkts. Es dürfen im Wesentlichen nur
noch gedeckte Geschäfte stattfinden. Da darf ich gleich
mit einer Mär aufräumen. Es gab keinen nationalen Alleingang.
({3})
Selbstverständlich haben wir als größte Wirtschaftsnation in Europa auch eine Vorreiterrolle, aber Tatsache ist,
dass die Bundeskanzlerin und der französische Staatspräsident Sarkozy gemeinsam beschlossen haben, diese
Maßnahmen auf den Weg zu bringen. Es entspricht nicht
der Wahrheit, dass dies ein Alleingang ist,
({4})
sondern dies ist in der deutsch-französischen Achse abgestimmt und beschlossen worden.
({5})
Wir täuschen also keine Regulierung vor, auch wenn es
hier vonseiten der SPD immer wieder die Vorhaltung
gibt, dass eine Täuschung stattfindet. Wenn es nur ein
Symbol wäre, dann könnten Sie eigentlich leicht zustimmen. Dann dürften Sie kein Problem haben. Wenn Sie
aber nicht zustimmen, dann zeigt das, dass Sie eigentlich
nichts verändern wollen. Wir sind auf der richtigen
Seite, weil wir etwas verändern.
({6})
Es gibt keinen Geburtsfehler, der in einem Alleingang
bestehen würde. Wenn man von den eigenen Argumenten überzeugt ist, dann kann man auch andere in Europa
überzeugen. Das tun wir.
({7})
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Zöllmer?
Selbstverständlich, Herr Präsident.
Herr Kollege Michelbach, Sie haben eben gesagt, es
handele sich hier nicht um einen deutschen Alleingang,
sondern um ein abgestimmtes Vorgehen zwischen
Deutschland und Frankreich. Ich habe hier Auszüge aus
der Presse, der Tagesschau und der Frankfurter Rundschau, mit den Überschriften „Deutscher Alleingang ärgert EU und Investoren“, „Frankreich folgt dem deutschen Vorbild nicht“ und „Deutscher Alleingang irritiert
Frankreich“. Ein wörtliches Zitat darf ich vorlesen:
„Ich finde, dass jemand bei einer solchen Maßnahme zumindest den Rat der anderen Mitgliedstaaten einholen sollte“, sagte die französische
Wirtschaftsministerin Christine Lagarde am Mittwoch. „Folglich erwägen wir dies nicht … Wir
haben nicht vor, dem Schritt zu folgen“, sagte
Lagarde.“
({0})
Halten Sie das für ein abgestimmtes Vorgehen zwischen
Deutschland und Frankreich?
({1})
Herr Kollege Zöllmer, ich kann die Presseberichte natürlich bestätigen. Das waren Presseberichte vom Mittwoch. Aber am Donnerstag
({0})
haben Frau Merkel und Herr Sarkozy das beschlossen,
und darauf kommt es an, Herr Zöllmer. Der Beschluss ist
gefasst worden.
({1})
Sie wissen doch, dass wesentlich ist, was am Ende herauskommt.
({2})
Meine Damen und Herren, ich darf Sie daran erinnern,
dass wir einen ganzen Maßnahmenkatalog haben. Wir haben die EU-Verordnung zur Regulierung und Aufsicht
von Ratingagenturen umgesetzt. Wir haben angemessene und transparente Vergütungssysteme im Finanzsektor beschlossen. Wir erarbeiten mit Basel III neue
Regulierungen. Wir haben in der nächsten Woche den
Gesetzentwurf zur Umsetzung der geänderten Bankenrichtlinie und der geänderten Kapitaladäquanzrichtlinie
zur Erhöhung der Widerstandsfähigkeit des Finanzsystems gegenüber Marktverwerfungen auf der Tagesordnung. Die Verbesserung von Finanzprodukten, zum Beispiel bei den offenen Immobilienfonds, steht unmittelbar
bevor. Ein Referentenentwurf zur Bankenabgabe für einen privatwirtschaftlichen Restrukturierungsfonds liegt
vor. Wir gehen ein Restrukturierungsgesetz mit einer Insolvenzordnung für den Finanzsektor an. Alles das sind
Maßnahmen, die in die richtige Richtung gehen. Wir ziehen Lehren aus der Finanzkrise.
({3})
Heute erreichen wir eine wichtige Etappe. Das vorliegende Gesetz ist erstens eine klare Botschaft an alle Finanzmarktteilnehmer, nämlich dass wir Ernst machen
und maßlose Spekulationsfreiflüge und zweifelhafte Geschäftsaktivitäten ganz konsequent beenden.
Zweitens ist damit eine klare Botschaft an Europa
verbunden, nämlich dass wir in Deutschland gewillt
sind, die Vorreiterrolle auch weiterhin zu übernehmen,
und darauf setzen, dass europaweit nachgezogen wird.
Ich glaube, das ist der richtige Weg.
Es ist drittens eine weitere klare Botschaft, nämlich
wie wir uns die neue Finanzmarktordnung in der Zukunft vorstellen. Das geht nicht mit Kahlschlägen, sondern nur mit ökonomischer Vernunft und Praxisnähe;
denn der Finanzmarkt - das darf nie vergessen werden Dr. h. c. Hans Michelbach
hat eine dienende Funktion für die Realwirtschaft in unserer Marktwirtschaft. Deswegen sind gute fachliche
Praxis und ökonomische Vernunft die wesentlichen Voraussetzungen. Das ist der richtige Weg für die Zukunft.
Wesentlich ist, dass wir in der Gesetzesarbeit auch die
Sorgen der Exportwirtschaft aufgenommen haben, die in
der Anhörung zum Ausdruck gekommen sind. Ich verstehe die Einlassungen des BDI wirklich nicht, weil wir
genau die Dinge korrigiert haben, die als problematisch
herausgearbeitet worden sind. Dass wir keine Freiflüge
einer Behörde genehmigen, ist doch schon vom Selbstverständnis des Parlaments her klar. Wir haben deutlich
gemacht: Wir wollen dann ein Gesetz machen, wenn es
zu langfristigen Veränderungen kommt.
Die reale Geschäftstätigkeit ist nicht gefährdet. Die
Auslastung der deutschen Standorte ist gegeben. Der Export, insbesondere im Bereich des Automobilbaus, ist
ein wesentlicher Faktor. Natürlich müssen Währungsrisiken abgedeckt werden können und muss auch bei
schwankenden Kursen eine stabile und berechenbare Ertragslage zu gewährleisten sein. Das erreichen wir, indem wir die notwendige finanzielle Unterlegung für die
reale Geschäftstätigkeit sicherstellen.
Eine internationale, jedenfalls europäische Regelung
in dieser Frage wird sicher folgen. Daran werden wir
weiter arbeiten. Ich bin ganz sicher, dass wir die Chancen, die mit einer neuen Finanzmarktordnung verbunden
sind, ganz konsequent wahrnehmen werden und so
Wohlfahrt für die Menschen in unserem Land erreichen.
Das ist wesentlich. Dazu gehört ein Finanzmarkt, der in
Ordnung ist. Dazu bedarf es einer Finanzmarktneuordnung. Das Ziel werden wir ganz konsequent Schritt für
Schritt weiter umsetzen. Ich bin sehr dankbar, dass dies
in der Koalition sehr effizient und geschlossen angegangen wird.
Vielen Dank.
({4})
Das Wort hat nun Kollege Lothar Binding für die
SPD-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Sehr verehrte Damen und Herren! Fehler zu machen, ist
kein Problem; denn Fehler kann man korrigieren. Was
uns an diesem Gesetzentwurf stört, hat auch damit zu
tun, was mit der Kanzlerin im Moment los ist. Von einem Politiker kann man eine Sache verlangen - nicht,
dass er keine Fehler macht, Fehler machen wir alle -,
nämlich dass er das einbringt, was er in seinem Leben
gelernt hat. Das ist das, was man von jedem von uns verlangen kann.
Die Kanzlerin hat Physik studiert. Stellen wir uns einmal vor, ein Physiker würde Antworten auf nicht gestellte
Fragen suchen oder Lösungen - vielleicht sogar durch
den Aufbau von Experimenten - für Probleme eruieren,
die er überhaupt nicht analysiert hat. So etwas endet im
Labor und auch in der Theorie im Chaos. Chaos ist sehr
gefährlich: Der Zufall dominiert, Führung geht verloren.
Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf - hier wurde von
einem Baustein gesprochen - wird genau das belegt.
Ich will noch etwas zu dem sagen, was ich eben im
Fernsehen gehört habe. Kollege Wissing hat erklärt, in
der Anhörung hätten einige Experten gesagt: Ihr macht
da viel zu viel. - Andere hätten gemeint: Ihr macht viel
zu wenig. - Daraus hat Kollege Wissing geschlossen:
Dann liegen wir genau richtig. - Die Schlussfolgerung
ist aber leider: Es geht nicht um viel oder wenig, sondern
um richtig oder falsch. Aber weil es falsch ist, ist es sowohl zu viel als auch zu wenig. Darin liegt das Problem.
({0})
Ich will einen kleinen Satz aus der Anhörung zitieren,
die Sie offensichtlich für sich als sehr positiv wahrgenommen haben. In der Anhörung hat jemand gesagt:
Besser umfassend und gut als schnell und fragmentarisch! - Fragmentarisch heißt bruchstückhaft. Genau das
ist dieser Gesetzentwurf. Er ist ein Baustein, der mit dem
Rechtssystem des Finanzplatzes insgesamt nicht verbunden ist. Deshalb hat auch von Ihnen jemand gesagt, dass
er den Gesetzentwurf eigentlich schon mit einem Verfallsdatum versehen könnte.
Warum sehen wir das so? Die Antwort möchte ich an
drei Parametern klarmachen: Der eine Parameter heißt
Produkt, der andere Zeit und der letzte Ort. Sie beschränken sich mit dem Gesetzentwurf auf ungedeckte Leerverkäufe von Aktien - das haben wir mehrfach gehört -,
auf Schuldtitel von Staaten der Euro-Zone, die an einer
inländischen Börse in regulierten Märkten gehandelt
werden - weil diese gefährlich sind.
Erstens. Was bedeutet das? Diese Regel bietet genügend Gestaltungsspielräume. Unser Kollege Carsten
Sieling hat diese Frage nach einer Begrenzung an Herrn
Frank Gerstenschläger von der Deutschen Börse gestellt,
der sich damit befasst. Er hat auf diese Frage geantwortet:
Ich kann nicht genau erklären, warum es diese Beschränkung gibt. Ich gehe aber davon aus, dass diese Beschränkung gemacht wurde, um nicht zu versuchen, den
Handel mit Werten, der im Ausland auf Primärmärkten
zugelassen ist und wahrscheinlich der deutschen Regulierung gar nicht unterliegt, irgendwie regeln zu wollen.
Das ist der eigentliche Grund. - Es ist viel wichtiger, zu
fragen, ob es eine nationale oder eine europäische Regelung gibt; denn sonst ist Regulierungsarbitrage unvermeidbar. Die wird immer dort ausgenutzt werden, wo
Handel möglich ist.
So weit das Zitat. Herr Gerstenschläger schreibt Ihnen
ins Stammbuch, dass Sie mit dieser Begrenzung sofort
Arbitragegewinne induzieren. Das ist aber genau das,
was Sie vermeiden wollen.
Lothar Binding ({1})
Zweitens. Ich komme zur Intraday-Regelung. Der
Gesetzentwurf, den Sie vorlegen, ist zeitlos schön, aber
er hat an einem Tag keine Gültigkeit, nämlich an jedem
Tag.
({2})
Sie konnten uns nicht erklären, wie Sie mit der Problematik der Zeitzonen in der Welt umgehen. Auch konnten
Sie nicht sagen, wie man Verkettungsgeschäfte vermeidet, bei denen ein Tag an den anderen gehängt wird.
({3})
Das ist eine sehr komplizierte Ausnahme. Ausnahmen
- das haben Sie im Zusammenhang mit der Mehrwertsteuer gelernt - sind immer sehr gefährlich.
({4})
Drittens. Ich komme zur Frage des Ortes. Die Begrenzung auf den Raum, den Sie wählen, erzeugt automatisch den Wunsch, sich außerhalb dieses Raumes zu
bewegen. Das Problem ist, dass Sie mit diesem Gesetzentwurf an der gewünschten Stelle keine Lösung anbieten. Deshalb kann ich nur sagen: Das belegt, dass diese
Art der politischen Vorgehensweise im Chaos endet. Das
macht uns große Sorgen.
({5})
Als letztem Redner in dieser Debatte gebe ich Kollegen Ralph Brinkhaus für die CDU/CSU-Fraktion das
Wort.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich
möchte meinen Ausführungen eines voranstellen, weil
das in allen politischen Lagern gerne vergessen wird:
Spekulation ist in der Regel krisenverschärfend, aber
nicht krisenverursachend. Spekulation kann nur dort ansetzen, wo wirtschaftliche und politische Fehler gemacht
worden sind.
({0})
Aber zum Gesetzentwurf. Meine Damen und Herren
von der Opposition, Sie haben den Gesetzentwurf in Ihren Debattenbeiträgen teilweise kritisiert. Herr Binding,
Ihr physikalisch-semantischer Ausflug durch die Zeitzonen diente vielleicht mehr der Heiterkeit.
({1})
Frau Höll, Sie haben im Grunde genommen fast ein Plädoyer für diesen Gesetzentwurf gehalten. Er geht Ihnen
nur nicht weit genug; so habe ich es verstanden. Herr
Schick hat gelobt, dass jetzt die nötige Transparenz geschaffen wird. Das nehmen wir positiv zur Kenntnis.
Herr Zöllmer, von Ihnen würde ich mir wünschen, dass
Sie ein bisschen mehr in den technischen Diskurs einsteigen und auch konstruktive Vorschläge unterbreiten,
wie ein solcher Entwurf besser gemacht werden kann.
({2})
Aber als Opposition ist es Ihr gutes Recht, zu kritisieren.
Deswegen werde ich versuchen, auf den einen oder anderen Punkt einzugehen, Ihre Kritik zu entkräften und
Sie zu bewegen, diesem Gesetzentwurf vielleicht doch
noch zuzustimmen.
Erstens. Sie haben kritisiert, dass der Gesetzentwurf
sehr schnell auf den Weg gebracht worden ist.
({3})
Ich habe bereits im Ausschuss gesagt, dass das nicht
Standard werden soll. Ich denke, dass wir das bei anderer Gelegenheit besser machen werden. Aber es ist auch
der Situation geschuldet gewesen, dass man schnell handelt.
Zweitens. Von mehreren Rednern ist kritisiert worden, dass wir einen deutschen Alleingang gemacht haben. Das ist nicht ganz falsch. Ich würde es allerdings
nicht als Alleingang bezeichnen, sondern als Vorweggehen.
({4})
Es gibt Situationen, in denen ein solches Vorweggehen
notwendig ist. Wir alle haben in Toronto gesehen, wie
schwierig es ist, einen internationalen Konsens zu erzielen. Ich befürchte, das wird auch auf europäischer Ebene
so sein. Deswegen haben die Bundesregierung und die
Koalitionsfraktionen die Initiative ergriffen und sind an
dieser Stelle vorweg gegangen. Wir haben gesehen, dass
das ein wichtiger Impuls für die europäische Diskussion
war; der Kollege Michelbach ist bereits darauf eingegangen. Ich denke, dieser Diskurs auf europäischer Ebene
wird auch Ergebnisse zeitigen.
Wir haben trotz dieses nationalen Alleingangs versucht, die Balance zu halten und den Finanzplatz
Deutschland nicht zu beschädigen. Das ist ein Drahtseilakt; aber ich glaube, er ist uns mit diesem Gesetzentwurf gelungen. Insofern kann ich es gar nicht als negativ
einschätzen, Herr Schick, wenn die Branche sagt, dass
sie mit diesem Gesetz leben könne. Am Ende des Tages
leben wir nämlich auch von dieser Branche, von den
Steuern, die von dieser Branche gezahlt werden, und von
den Arbeitsplätzen, die von dieser Branche geschaffen
werden.
({5})
Wir sollten deswegen immer sehr vorsichtig sein und
nicht mit dem Knüppel auf die Menschen schlagen, die
uns am Ende des Tages finanzieren.
({6})
Zum Thema „nationaler Alleingang“ vielleicht noch
eine Bemerkung: Ich bin davon überzeugt, dass wir, um
Bewegung in die Diskussion über die Regulierung der
Finanzmärkte zu bringen, noch sehr viel mehr nationale
Alleingänge machen müssen, vorangehen müssen; denn
das ist unsere Aufgabe als große, verlässliche, starke
europäische Volkswirtschaft. Diesen Weg werden wir als
christlich-liberale Koalition weitergehen.
({7})
- Das ist eine gute Bemerkung, Herr Troost. Finanzmarkttransaktionsteuer - schön, dass Sie mir dieses
Stichwort geben. In dem Fall fordern Sie ein Vorweggehen; hier kritisieren Sie es. Damit wird das Thema doch
auch zu einer Frage der Glaubwürdigkeit der Opposition.
({8})
Drittens ist die Herausnahme der IntradayGeschäfte, der untertägigen Geschäfte, kritisiert worden. Da ist der BDI als Kronzeuge genannt worden. Sie
müssen allerdings fairerweise dazusagen, dass alle anderen Experten anderer Meinung waren. Wenn Sie die
Herausnahme kritisieren, stehen Sie in der Pflicht, nachzuweisen, dass diese Intraday-Geschäfte tatsächlich
schädlich sind. Das können Sie nicht nachweisen. Insofern ist diese Kritik haltlos. Ohne die Herausnahme
schaffen wir vielmehr Probleme, wenn Liquidität in die
Märkte gebracht werden soll. Deswegen ist es richtig,
dass wir die Intraday-Geschäfte herausgenommen haben.
({9})
Viertens. Herr Schick, Sie kritisieren, dass die Ermächtigung an das BMF, bestimmte Geschäfte durch
Verordnungen zu verbieten, weggefallen ist. Ich glaube
- bei allem Respekt -, Sie haben diese Thematik nicht
ganz verstanden. Es gibt einen zweistufigen Mechanismus. Die BaFin kann schnell, hart und durchschlagskräftig reagieren. Sie kann bestimmte Geschäfte verbieten, wenn die Marktstabilität gefährdet ist. In der ersten
Stufe kann sie das über zwölf Monate tun und dies noch
einmal um zwölf Monate verlängern. Wenn das nicht
reicht und wir feststellen, dass eine bestimmte Geschäftsart nachhaltig schädlich ist, dann sind wir in der
zweiten Stufe als Parlament am Zug. Ich kann nicht verstehen, dass gerade Sie von den Grünen das dem Ministerium ohne parlamentarische Kontrolle überlassen
wollen. Es ist schon verwunderlich, dass wir als Regierungsfraktion das einfordern müssen.
({10})
Es ist weiterhin kritisiert worden, dass bestimmte
Dinge - andere Währungen, ausländische Börsenplätze,
nichtregulierte Produkte - nicht einbezogen werden. Wir
können nur das regeln, was tatsächlich unserer Regelungsmacht unterliegt. Das muss man an dieser Stelle
ganz klar sagen. Es steht auch im Koalitionsvertrag
({11})
- vielleicht können Sie das noch einmal nachlesen -,
dass wir nichtregulierte Produkte in regulierte Märkte
überführen wollen.
({12})
Ein letzter Kritikpunkt, der allenthalben laut wurde,
war, dass es sich bei diesem Gesetzentwurf um Symbolpolitik handele. Ich glaube, Sie sagten das, Herr
Zöllmer.
({13})
Natürlich handelt es sich um Symbolpolitik. Es ist
manchmal wichtig, nicht nur Fakten zu schaffen, sondern auch Symbole und Zeichen zu setzen.
({14})
Wir wissen sehr gut, dass es noch Geschäfte gibt, die wir
mit diesem Gesetz nicht erschlagen. Ja, wir wissen, dass
es viele Geschäfte gibt, die wir noch gar nicht kennen
und die vielleicht erst im nächsten oder übernächsten
Jahr die Stabilität der Finanzmärkte beschädigen. Wir
müssen aber doch jetzt das tun, was uns möglich ist. Was
uns jetzt möglich ist, ist, bestimmte Geschäfte zu verbieten, der BaFin ein scharfes Schwert in die Hand zu geben, um schnell zu reagieren, und insbesondere - Herr
Schick, Sie haben das ausgeführt - Transparenz zu
schaffen, damit wir wissen, wo wir zukünftig regulieren
müssen.
Ich fasse zusammen: Wir haben auf europäischer
Ebene Bewegung in die Regulierung von Leerverkäufen
gebracht; das ist ohne Zweifel richtig. Wir haben gegenüber den Finanzmärkten Handlungsfähigkeit gezeigt,
und wir werden aufgrund der strengeren Transparenzund Meldevorschriften mehr über die Märkte wissen und
können von daher besser reagieren.
Meine Damen und Herren, dieser Gesetzentwurf
orientiert sich wie alle Maßnahmen, die wir bisher auf
den Weg gebracht haben - der Kollege Michelbach hat
dazu eben umfangreich ausgeführt -, an vier grundsätzlichen Eckpfeilern der neuen, besseren Finanzmarktarchitektur, die wir in dieser Welt brauchen. Wir brauchen
erstens Transparenz, zweitens eine Kopplung von Haftung und Risiko, drittens starke Aufsichtsbehörden und
viertens eine Beteiligung des Finanzsektors an den Kosten der Krise. Der vorliegende Gesetzentwurf fügt sich
perfekt in diese Architektur ein. Deswegen können Sie
diesem Gesetzentwurf eigentlich nur zustimmen.
Danke schön.
({15})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Vorbeugung gegen missbräuchliche
Wertpapier- und Derivategeschäfte. Der Finanzausschuss
empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/2336, den Gesetzentwurf der
Fraktionen der CDU/CSU und der FDP auf Drucksache
17/1952 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte
diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer
stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf
ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen von
CDU/CSU und FDP gegen die Stimmen der SPD bei
Enthaltung der Linken und der Grünen angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit mit den gleichen Mehrheitsverhältnissen
wie zuvor angenommen.
Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Finanzausschusses zu dem Antrag der Fraktion Die Linke mit dem
Titel „Banken regulieren - Spekulationsblasen verhindern“. Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe b seiner
Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/2336, den Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 17/1151 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen von CDU/CSU, FDP
und Grünen gegen die Stimmen der Linken bei Enthaltung der SPD angenommen.
Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Finanzausschusses zu dem Antrag der Fraktion Die Linke mit dem
Titel „Kreditausfallversicherungen ({0}) und deren Han-
del vollständig verbieten“. Der Ausschuss empfiehlt in sei-
ner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/2097, den
Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 17/1733
abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfeh-
lung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Be-
schlussempfehlung ist mit den Stimmen von CDU/CSU,
SPD und FDP gegen die Stimmen der Linken bei Enthal-
tung der Grünen angenommen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich rufe die Tages-
ordnungspunkte 20 a und 20 b auf:
a) Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten
Garrelt Duin, Carsten Schneider ({1}),
Hubertus Heil ({2}), weiterer Abgeordneter
und der Fraktion der SPD
Umsetzung der Ergebnisse im Bereich der
Wirtschafts- und Finanzpolitik der G-8- und
G-20-Gipfel durch die Bundesregierung
- Drucksachen 17/1796, 17/2295 -
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulla
Lötzer, Dr. Barbara Höll, Eva Bulling-Schröter,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE
LINKE
G-20-Gipfel in Toronto für eine demokratische
Kontrolle der Finanzmärkte und eine Wende
zur nachhaltigen Regulierung der Weltwirtschaft nutzen
- Drucksache 17/2232 Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss ({3})
Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen
Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Kollegen
Garrelt Duin für die SPD-Fraktion das Wort.
({4})
Vielen Dank, Herr Präsident. - Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Ich habe bereits gestern im Anschluss an
die Regierungserklärung von Minister Brüderle darauf
hingewiesen, dass wir erwartet haben, zu den Gipfeln
von G 8 und G 20 in Toronto eine Regierungserklärung
der Kanzlerin zu hören. Das wäre der Tragweite angemessen gewesen. Wir haben zumindest eine Regierungserklärung des Bundesfinanzministers erwartet. Er wird
sich immerhin, da wir zu diesem Thema eine Große Anfrage gestellt haben, in der Debatte gleich zu Wort melden.
Welche Erwartungen hat die weltweite Öffentlichkeit
mit diesen Gipfeln von G 8 und G 20 verbunden? Nicht
erst seit dem 15. September 2008, aber seitdem verschärft, haben die Menschen weltweit das Gefühl, dass
wegen mangelnder Regulierung etwas aus dem Ruder
gelaufen ist. In vielen Ländern der Erde haben die Menschen konkret gespürt - davor haben sie von Anfang an
Angst gehabt -, dass nicht diejenigen, die das Chaos auf
den Finanzmärkten verursacht und die entsprechenden
Auswirkungen auf die Realwirtschaft zu verantworten
haben, die Zeche dafür zahlen, sondern dass sie selbst
die Zeche dafür zahlen. Deswegen waren die Erwartungen so groß, und deswegen war nach dem Gipfel in
Pittsburgh im September des Jahres 2009 Erleichterung
zu spüren. Dort sind Vereinbarungen getroffen worden,
mit denen das richtige Ziel verfolgt wurde. Diese Vereinbarungen bezogen sich auf eine Koordinierung der Wirtschaftspolitiken der beteiligten Länder weltweit, beinhalteten aber auch klare Verabredungen für neue Regeln
auf den Finanzmärkten.
Das, was damals auf den Weg gebracht worden ist,
hätte jetzt in Toronto zu Ende gebracht werden sollen. Es
ging darum, feste Regeln zu vereinbaren. Nichts davon
ist in Toronto Realität geworden, und das wirkt weit über
die betroffene Branche hinaus. Das lässt Menschen an
den Institutionen der Demokratie und an der HandlungsGarrelt Duin
fähigkeit der Politik zweifeln. Das ist das schlimme Ergebnis dieser Gipfel.
({0})
Sehr geehrter Herr Bundesfinanzminister, ich will als
Beispiel die Finanzmarkttransaktionsteuer herausgreifen. Als wir zu Beginn dieses Jahres hier über Griechenland und die Euro-Stabilisierung gesprochen haben,
gab es ein klares Nein. Man sagte, die Bundesregierung
wolle dieses Instrument nicht. Danach hörte man ein
Vielleicht. Dann hat die Bundeskanzlerin erklärt, ja, man
könne dieses Instrument ins Auge fassen; wenn alle dafür seien, wolle sie sich dem nicht verweigern. Der Höhepunkt war der Auftritt der Bundeskanzlerin beim
DGB, als sie gesagt hat, wenn die Gewerkschaften das in
allen G-20-Ländern organisiert hätten, würde sie das
eventuell mittragen. Wie glaubwürdig ist das eigentlich?
Mit welcher Kraft kann man auf einem solchen Gipfel
dann noch auftreten? Das Ergebnis ist natürlich das
Scheitern in dieser Frage: Man verzagt und vertagt. Jetzt
sagt man: In Seoul wollen wir noch einmal darüber sprechen.
Das ist die falsche Strategie, und die hat eine Ursache:
Diese Bundesregierung und insbesondere diese Bundeskanzlerin werden ihrer Führungsaufgabe innerhalb der
Europäischen Union nicht gerecht. Das ist ein großes
Drama.
({1})
Stattdessen sagen Sie - das steht in Ihrer Antwort auf die
Frage 17; diese Antwort kam zwei Tage vor dem Gipfel -:
Die Bundesregierung nimmt dabei eine aktive Rolle
ein.
Herzlichen Glückwunsch! Weiter heißt es: Aus Sicht der
Bundesregierung ist es von zentraler Bedeutung, dass
ein starkes, nachhaltiges und ausgeglichenes Wachstum
berücksichtigt wird, insbesondere durch Verfolgung einer nachhaltigen Konsolidierungsstrategie. - Wir haben
gestern über Nachhaltigkeit diskutiert. Allein durch Sparen, und erst recht nicht durch Sparen an der falschen
Stelle, werden Sie weder in Deutschland noch in Europa
noch in der Welt ein nachhaltiges Wachstum generieren
können. Der Weg, auf den Sie sich gemacht haben, ist
der falsche Weg.
({2})
Es geht im Übrigen nicht darum - Sie sollten diesen
Pappkameraden gar nicht erst aufbauen -,
({3})
durch neue Verschuldung Exporte aus den USA zu finanzieren. Es kann doch nicht angehen, dass wir hier
über Wachstum reden, und das Einzige, das Ihnen einfällt, ist ein Konsolidierungspaket, durch das Sie bei den
Schwächsten unserer Gesellschaft sparen. Wie soll dadurch Wachstum generiert werden? Das funktioniert weder in Deutschland noch in Europa oder weltweit.
({4})
Um von den Sparvorschlägen, die Sie gemacht haben,
wegzukommen: Das Dramatische ist, dass Ihr Scheitern
in Toronto kein Einzelfall ist. Wenn wir uns Kopenhagen
in Erinnerung rufen - dort ging es um den Klimaschutz -, sehen wir, dass diese Bundesregierung auch
dort nichts auf die Reihe bekommen hat. Es geht ja nicht
nur um den Klimawandel im engeren Sinne, sondern es
geht auch darum, intelligente Lösungen zu finden, um
ein nachhaltiges Wachstum durch einen verstärkten
Einsatz von erneuerbaren Energien, von Effizienztechnologien zu bewerkstelligen. In beiden Fällen - in Kopenhagen wie in Toronto - gab es keine Einigung, keine
klare Linie der deutschen Bundesregierung. Es kann sehr
hilfreich sein, wenn ein Christdemokrat wie Jean-Claude
Juncker in manchen Fragen vorangeht. Aber wir wissen
aus der Geschichte, dass es notwendig ist, dass die Führung der deutschen Bundesregierung, dass die Bundeskanzlerin gemeinsam mit Franzosen, Briten und anderen
auf dieser Ebene stärker auftritt, als das zuletzt der Fall
gewesen ist.
Ich möchte deutlich betonen: Die Enttäuschung der
Menschen über die Nichtergebnisse dieses Gipfels ist
eine riesige Gefahr für das Vertrauen in die Demokratie, in die Handlungsfähigkeit unserer Institutionen.
Wenn Sie sich im Internet ein bisschen umschauen - Sie
müssen gar nicht erst auf die Seiten von Attac gehen,
sondern Sie können sich von der Mitte der Gesellschaft
besuchte Seiten anschauen -, wenn Sie sich die Kommentare zu den Ergebnissen dieses Gipfels ansehen,
dann erkennen Sie eine Radikalisierung außerhalb der
gewohnten parlamentarischen Strukturen. Die Menschen
werden verzweifelter.
({5})
Das Problem besteht nicht nur in Deutschland, sondern
weltweit. Wir erleben nicht nur Menschen, die bei Gipfeln Randale machen - denen möchte ich hier als Allerletzter das Wort reden; davon bin ich weit entfernt -,
sondern wir erleben auch, dass Menschen sich überlegen, ob unsere Institutionen und Strukturen eigentlich
noch in der Lage sind, dieses riesige Problem in den
Griff zu bekommen. Wenn wir dieser Radikalisierung etwas entgegensetzen wollen, dann brauchen wir klarere,
verbindlichere Entscheidungen.
Sehr geehrter Herr Bundesminister Schäuble, Sie haben von Ihrem Vorgänger im Amt, Peer Steinbrück, nach
Pittsburgh ein ausgezeichnet bestelltes Feld internationaler Zusammenarbeit übernommen.
({6})
Jetzt finden wir eine Brache vor. Das ist ein wirkliches
Drama; das habe ich hier beschrieben. Hoffentlich ändern Sie das bald.
Herzlichen Dank.
({7})
Das Wort hat nun Bundesminister Wolfgang
Schäuble.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Duin, um die Prozesse, die Sie beschrieben haben,
nicht zu befördern, sollten wir uns darauf verständigen,
dass Global Governance, also eine Welt, die immer
stärker vernetzt ist, in der sich Entwicklungen, Entscheidungen und Probleme in einem Teil der Welt in allen
anderen Teilen der Welt auswirken, von einer ungeheuren Komplexität ist. Diese Probleme können von keinem
Land allein gelöst werden. Die Bundeskanzlerin der
Bundesrepublik Deutschland ist eine der wichtigsten
politischen Führungsfiguren in der Welt, aber nicht sie
allein trifft die Entscheidungen für die 7 Milliarden
Menschen auf dieser Welt.
Die Verhandlungen der G 20 sind außergewöhnlich
schwierig. Ich habe großen Respekt; aber wenn Sie sagen, nach dem Ende der Amtszeit meines geschätzten
Vorgängers sei alles gut gewesen und seitdem sei alles
schlechter geworden, machen Sie sich eher lächerlich.
({0})
Lassen Sie einen Moment die Liste der Teilnehmer eines
G-20-Gipfels auf sich wirken: ein paar europäische Länder wie Frankreich, Großbritannien, die Bundesrepublik
Deutschland, Italien, die Präsidentschaft, die Europäische Union - auch die Niederlande sind als Gäste dabei -, die Vereinigten Staaten von Amerika, Kanada,
Australien, Japan, Brasilien, Mexiko, Argentinien, Südafrika, die Afrikanische Union, Indonesien, Vietnam,
Türkei, Saudi-Arabien und viele andere. Sie stellen sicher schnell fest, dass die Kritik, die Sie hier an der Bundesrepublik Deutschland geäußert haben, kein angemessener Diskussionsbeitrag ist.
({1})
Wir müssen in diesem Prozess mit großer Verantwortung, aber auch mit Ernsthaftigkeit darüber reden, wie
wir angesichts der Probleme und der Erfahrungen, die
wir gemacht haben, Schritt für Schritt vorankommen
können.
Im Vordergrund des Gipfels in Toronto standen im
Wesentlichen zwei Themen - ich bleibe dabei, dass es
die Bereiche sind, die die Hauptursachen für die Krise
waren -, nämlich auf der einen Seite die zu hohe Verschuldung in einem großen Teil der Länder, insbesondere der hoch entwickelten Industrieländer - da sind die
Europäer nicht an der Spitze; es gibt andere, die eine
noch höhere Neuverschuldung haben -, die völlig unterschiedlichen Probleme in Indien, in der Volksrepublik
China oder in Brasilien und auf der anderen Seite der
Mangel an Regelungen in einer Welt global vernetzter
Finanzmärkte, die zu diesen desaströsen Entwicklungen
geführt haben.
Die Verschuldung, die eine der Hauptursachen der
Krise ist - das ist bisher unbestritten gewesen -, war ein
Hauptthema vor Toronto. In diesem wichtigen Bereich
sind die Europäer - das nennt man Exit-Strategie - mit
einer selten einmütigen und einheitlichen Position in Toronto aufgetreten. Die europäische Position hat sich in
Toronto vollständig durchgesetzt,
({2})
nämlich maßvolle Zurückführung der zu hohen Defizite,
aber zugleich in einer Weise, die wachstumsfreundlich
ist und das Wachstum nicht beschädigt.
Wenn man über Wachstumsraten redet, dann gebietet
es die Ehrlichkeit, darauf hinzuweisen, dass wir in
Deutschland ein anderes Wachstumspotenzial haben, als
es Indien oder China brauchen. Wir werden mit 1,5 Prozent nachhaltigem Wachstum auskommen müssen, während Schwellen- und Entwicklungsländer Wachstumsraten brauchen, die eher gegen 10 Prozent gehen. Wenn
wir das nicht offen aussprechen, können wir auf internationalen Konferenzen überhaupt nicht sinnvoll zusammenarbeiten.
({3})
Im Übrigen hat der Bundeswirtschaftsminister in seiner Regierungserklärung gezeigt, dass wir mit unserer
Exit-Strategie - vom Bundeshaushalt 2010 über das
Zukunftspaket bis hin zu unseren Maßnahmen im europäischen und globalen Bereich - vonseiten der konjunkturellen Entwicklung in Deutschland her außergewöhnlich erfolgreich sind. Deswegen haben wir selbst im
Abschlusskommuniqué von Toronto mit der Zustimmung der Vereinigten Staaten von Amerika - da klang es
vorher ein bisschen anders; das ist wahr - ein klares
Bekenntnis zu dem Weg einer maßvollen und wachstumsfreundlichen Reduzierung der zu hohen Defizite
- unterschiedlich in der Einzelsituation, aber insgesamt
richtig - abgelegt. Niemand hat die Europäer kritisiert.
Wir alle sind in dieser Frage mit einer gemeinsamen
Position aufgetreten. Diese besteht in der Stärkung des
europäischen Stabilitäts- und Wachstumspakts. Wir haben daran in Europa noch intensiv zu arbeiten. Aber wir
sind sehr engagiert dabei.
({4})
Nun zur Frage einer besseren Regulierung der Finanzmärkte. Es ist wahr, dass wir alle unter dem hier
vorhandenen Mangel leiden. Wir alle wünschen uns,
dass es schneller geht. Ich habe es übrigens oft genug
hier gesagt und will es nicht wiederholen. In Toronto
standen hier im Wesentlichen zwei Punkte im Vordergrund; sie waren vorher hinreichend öffentlich diskutiert. Der eine Punkt ist: Wie können wir Eigenkapital,
Liquiditätsmanagement und Risikovorsorge im Finanzsektor verbessern? Das ist im Wesentlichen der BaselProzess. Wir sind in diesem Prozess. Die Amerikaner
wollen im nächsten Jahr Basel II implementieren. Bisher
haben sie es nicht gemacht; das muss man in allen Debatten sagen. Aber sie wollen es nun. Mit dem Entwurf
für Basel III vom Ende vergangenen Jahres liegen uns
weitreichende und weiterführende Vorschläge vor, die in
ihren Auswirkungen aber genau geprüft werden müssen.
Dafür haben wir eine Quantitative Impact Study in Auftrag gegeben, die im Juli hinsichtlich der Auswirkungen
ausgewertet wird. Danach wird entschieden. In Seoul
wird entschieden; es gibt keinen Zweifel daran, dass wir
alle diese Fragen in Seoul entscheiden werden. Jetzt
wäre es zu früh gewesen; denn wir kennen noch nicht die
Auswirkungen auf die einzelnen Institute.
Ich sage Ihnen vorher: Wir werden noch eine Menge
arbeiten müssen - das sollten wir möglichst gemeinsam
tun -, um zum Beispiel die Besonderheiten des deutschen Finanzsektors - ich nenne nur das Stichwort
„Sparkassen und Genossenschaftsbanken“ - im BaselProzess angemessen zu berücksichtigen und darauf zu
achten, dass nichts entschieden wird, was wachstumsfeindlich wäre.
({5})
Daran müssen wir arbeiten, und das tun wir, so wie wir
daran arbeiten, in Bezug auf die europäische Finanzaufsicht in den Verhandlungen mit dem Europäischen Parlament zu einem erfolgreichen Ergebnis zu kommen.
Wir sind auf einem guten Weg, der aber anstrengend
und ungeheuer schwierig ist. Wir haben übrigens in
Toronto Einvernehmen darüber erzielt, dass für alle
relevanten Finanzinstitute Restrukturierungsverfahren in
den einzelnen Mitgliedsländern eingeführt werden müssen, die sicherstellen, dass die Institute beim nächsten
Mal nicht auf Kosten der Steuerzahler gerettet werden
müssen. So weit sind wir auf der G-20-Ebene. Das ist
nicht schlecht. Damit sind wir nicht am Ziel, aber auf einem guten Weg.
Ich habe das übrigens von diesem Pult aus schon so
oft gesagt, dass ich Sie darum bitte, nicht immer so zu
tun, als hätten wir das Gegenteil gesagt. Wir haben es
sehr klar gesagt, unter anderem im Wahlprogramm. Wir
haben, übrigens damals noch gemeinsam mit der SPD,
eine Finanztransaktionsteuer gefordert, unter der Voraussetzung, dass eine globale Vereinbarung möglich ist.
Frau Merkel hat ihre Position in dieser Frage also überhaupt nicht geändert. Sie haben ein bisschen Kabarett
gemacht, aber mit der Wirklichkeit hat das nichts zu tun.
({6})
- Das war die Position.
Anfang des Jahres haben wir eine Debatte geführt.
Dann haben wir uns, auch nach dem G-7-Finanzministertreffen Anfang Februar in Kanada, gemeinsam mit
Frankreich entschieden, den Weg einer Restrukturierung des Bankenwesens einzuschlagen. Der Gesetzentwurf ist gerade in der Abstimmung. Er wird in der Sommerpause vorgelegt. Die Eckpunkte haben wir in
Anwesenheit meiner Kollegin Lagarde beschlossen. Wir
wollen das Vorhaben gemeinsam umsetzen. Inzwischen
hat auch die Europäische Union eine entsprechende
Richtung eingeschlagen. Das zeigt übrigens, dass wir,
wenn wir auf nationaler Ebene vorangehen, Europa nicht
spalten, sondern voranbringen. So viel zu der Debatte,
die Sie gerade geführt haben.
({7})
Übrigens ist es wahr: Am ersten Tag nach unserem
Alleingang bei den ungedeckten Leerverkäufen hat Frau
Lagarde in der Presse eine mangelnde Abstimmung kritisiert. Sie hat aber später gesagt, sie werde die Kritik
nicht aufrechterhalten. In der Tat haben zwei Tage später
der französische Staatspräsident und die Bundeskanzlerin die Europäische Kommission in einem gemeinsamen
Brief aufgefordert, eine europäische Regelung für ungedeckte Leerverkäufe vorzuschlagen. Das heißt, wir
sind genau auf dem richtigen Weg.
({8})
- So bringt man es voran, Herr Poß. Sie haben als Sprecher der Opposition wieder und wieder gefordert, national voranzugehen, notfalls mit nationalen Alleingängen.
Wechseln Sie doch die Argumente nicht so häufig, wie
Sie es bei diesen heißen Temperaturen hoffentlich mit
Ihren Hemden tun!
({9})
Zu der Frage Finanztransaktionsteuer will ich
schlicht und einfach wiederholen, was ich in der letzten
Debatte an diesem Pult gesagt habe. Ich habe gesagt:
Wir wollen zunächst einmal feststellen, ob es eine
Chance auf eine globale Regelung gibt, und das muss
spätestens auf dem Gipfel in Toronto geklärt werden.
({10})
In Toronto hat sich für niemanden überraschend herausgestellt, dass es keine Chance auf eine globale Finanztransaktionsteuer gibt. Das interessiert China, Brasilien,
Argentinien oder Südafrika überhaupt nicht, und auch
innerhalb der Industrieländer gibt es da keine gemeinsame Position.
Dann habe ich als Finanzminister gesagt - dazu stehe
ich auch, oder besser gesagt: Ich sitze dazu; denn stehen
kann ich ja nicht -: Wir werden uns, wenn wir nach
Toronto wissen, dass es nicht zu einer internationalen
Finanztransaktionsteuer kommt, für eine europäische
Regelung einsetzen.
({11})
Ich werde in diesen Tagen gemeinsam mit meiner französischen Kollegin - das habe ich schon mit ihr besprochen - die Kommission auffordern, Vorschläge für eine
europäische Finanztransaktionsteuer zu erarbeiten. Wir
werden in diesem Zusammenhang auch die belgische
Präsidentschaft anschreiben.
({12})
- Auch Sie haben gerade nicht geklatscht. Es hat niemand geklatscht. Warum soll sich Herr Solms nicht genauso verhalten, wie ich es mir eigentlich wünsche,
nämlich dass wir uns gegenseitig zuhören, damit wir
vernünftig und sachlich diskutieren können?
({13})
Dann werden wir daran arbeiten - es wird nicht leicht -,
eine europäische Regelung zustande zu bringen. Wir
werden gemeinsam mit Frankreich vorgehen. Ich hoffe,
dass wir es schaffen.
Wenn wir es nicht schaffen sollten, müssen wir uns
noch einmal der Frage nähern, ob wir es notfalls im Rahmen der Europäischen Währungsunion versuchen, und
zwar auch dann, wenn andere europäische Staaten dabei
nicht mitmachen. Aber das ist die nächste Sorge. Der
bessere Weg wäre eine europäische Regelung, und genau
dafür treten wir nach Toronto ein. In Toronto haben die
Bundeskanzlerin, Präsident Sarkozy, die französische Finanzministerin Lagarde und ich verabredet, dass wir
noch in dieser Woche die Initiative ergreifen.
({14})
Genau das habe ich Ihnen gesagt. Genau diesen Weg gehen wir.
Ich komme zum Schluss. Wenn wir in diesem schwierigen Feld vorankommen wollen, dann müssen wir
schauen, dass wir so viele globale Absprachen wie
möglich treffen; aber wir können uns darauf nicht verlassen. Wir brauchen ein stärkeres Europa. Deswegen muss
Europa möglichst mit einer einzigen Stimme sprechen.
Was die Finanzpolitik angeht, ist dies in Toronto sehr gut
gelungen. Was die Finanzmarktbesteuerung angeht,
müssen wir abwarten; daran arbeiten wir.
Gelegentlich werden wir auch national vorausgehen
müssen, um andere zu einer anderen Haltung zu bewegen. Das ist uns bei der Bankenrestrukturierung gelungen, und das wird uns bei der Finanztransaktionsteuer
genauso gelingen. Ich lade dazu ein, darüber gemeinsam
ernsthaft zu diskutieren und nicht jedes Mal hinterher die
Wahrheit völlig zu verzerren. So werden wir mehr Erfolg
haben, und so werden wir, Herr Kollege Duin, eher eine
Chance haben, dass nicht eintritt - ({15})
- Ach, Herr Heil, dieser Zuruf ist zu dümmlich, als dass
ich darauf eingehen möchte.
({16})
Wir werden am ehesten mit einer der Verantwortung
gerecht werdenden wie auch die Schwierigkeiten benennenden Diskussion eine Chance haben, zu vermeiden,
was unsere gemeinsame Sorge ist: dass aufgrund der Unfähigkeit dieser globalen Welt mit 7 Milliarden Menschen, diese Probleme besser zu lösen, das Vertrauen in
die demokratischen Institutionen geschwächt wird. Denn
längst stehen nicht nur die finanzielle und die wirtschaftliche Stabilität auf dem Spiel, sondern auch die demokratische Stabilität insgesamt. Dem müssen wir uns
alle verpflichtet fühlen.
Herzlichen Dank.
({17})
Das Wort hat nun Ulla Lötzer für die Fraktion Die
Linke.
Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Herr
Schäuble, dann müssen sich die G 20 aber auch daran
messen lassen, was sie effektiv zur Lösung der Probleme
leisten. Sie als Bundesregierung müssen sich daran messen lassen, was Sie für eine Rolle dabei spielen. Sie,
Herr Schäuble, haben hier versucht, den Eindruck zu erwecken, dass die Bundesregierung auf der Ebene der
G 20 die Rolle eines Problemlösers, eines Vorantreibers
spielt. Das sehe ich nicht so. Ich werde das an einigen
Beispielen darstellen.
Die G 20 versagt angesichts der Krise erbärmlich; das
muss man feststellen. Die Bundesregierung ist einer der
Hauptverursacher des Versagens und kein Vertreter des
Lösens der Probleme.
({0})
Schon 2009 in Washington haben Sie zum Beispiel
verkündet, Sie wollten die Ratingagenturen besser
überwachen.
({1})
Was ist seither passiert? Auch da nichts!
({2})
Im Gegenteil: Die europäische Lösung erweist sich in
der europäischen Krise die ganze Zeit als nicht wirkungsvoll, als Flickenteppich, durch den überhaupt kein
Problem gelöst wird. Gerade Griechenland beweist, dass
die Ratingagenturen nach wie vor Öl ins Feuer gießen.
Sie sind Brandbeschleuniger bei der Krise und nicht
Feuerwehr.
({3})
Sie haben dafür gesorgt, dass die Spekulationen auf
Staatsanleihen im Rahmen der Griechenland-Krise angeheizt wurden. Sie haben dafür gesorgt, dass der Zugang
zu Kreditmärkten für Griechenland verteuert wurde. Im
Ergebnis zahlt Griechenland heute 8 Prozentpunkte
mehr Zinsen auf seine Staatsschulden als Deutschland.
({4})
Dafür zahlen sollen die sozial Benachteiligten. In jeder
Finanzmarktkrise der letzten 15 bis 20 Jahre haben die
Ratingagenturen diese Rolle gespielt. Wir brauchen eine
europäische Ratingagentur, die dem Treiben dieses
Machtkartells endlich ein Ende gebietet. Die Schaffung
einer solchen Agentur verweigern Sie bisher. Auf globaler Ebene sind Sie in dieser Frage keinen Schritt vorangekommen.
({5})
Die Liste lässt sich leider endlos verlängern: die Fragen der Einführung einer Bankenabgabe - sie wurde auf
Seoul verschoben - sowie der Beschränkung von Spekulationen auf Rohstoffe, Nahrungsmittel und Währungen
und selbst die zaghaften Versuche, die Eigenkapitalhinterlegung von Banken zu verschärfen. Bei alldem wird
die Liste der Arbeitsaufträge immer länger; es gibt keinen Schritt zu einer Lösung.
Frau Merkel und Sie, Herr Schäuble, erzählen uns seit
anderthalb Jahren - auch heute Morgen -, wie schwierig
es sei, dass aufs Schwerste daran gearbeitet werde; aber
bei der Verkündung der Ergebnisse werden Sie immer
kleinlauter. Herr Schäuble, Sie haben erneut auf die
Beteiligung des Finanzsektors an den Krisenkosten
hingewiesen. Sie haben jetzt angekündigt, Vorschläge
für eine europäische Lösung einzuholen und dort mit
Frankreich die Initiative zu ergreifen, aufbauend auf dem
Ergebnis von Toronto. Das begrüßen wir.
Das Beste wäre aber, wenn wir hier im Parlament einen Vorratsbeschluss fassen würden, wie es andere
europäische Parlamente längst getan haben. Es wäre ein
guter Schritt; das hat der österreichische Staatssekretär
im Finanzministerium in der Anhörung gegenüber meinem Kollegen Troost glaubhaft dargelegt.
({6})
Er hat gesagt, es wäre extrem positiv, wenn das deutsche
Parlament einen solchen Beschluss fassen würde: Wahrscheinlich „wäre das der Durchbruch“ auf europäischer
Ebene. Sie verweigern jedoch nach wie vor einen solchen Beschluss. Wenn Sie es mit dem, was Sie eben gesagt haben, ernst meinen, lassen Sie uns in der nächsten
Sitzungswoche einen entsprechenden Vorratsbeschluss
fassen. Wir werden Ihnen dazu Gelegenheit geben.
({7})
Das wäre tatsächlich ein Schritt, um auf globaler Ebene
voranzukommen.
Herr Schäuble, allen Schönredereien gestern von
Herrn Brüderle und heute auch von Ihnen zum Trotz:
Die globale wirtschaftliche Erholung steht auf tönernen
Füßen. Deshalb hat Präsident Obama die G 20 angeschrieben und sie gebeten, die Weltkonjunktur zu stützen. Er kritisierte Länder wie Deutschland, die sich nur
auf ihre Exportstärke verließen und mit ihren Kürzungsprogrammen die Binnennachfrage abwürgten. Das ist
- zu Recht - eine schallende Ohrfeige für das, was Sie
hier eben wieder dargestellt haben. Umso schlimmer ist
es, dass Sie sich ausgerechnet bei diesem Punkt mit einer
Schuldenbremse durchsetzen konnten. In England rechnen
die Regierungsstellen aufgrund des Kürzungspakets
mit dem Wegfall von 600 000 Stellen im öffentlichen
Dienst und weiteren 600 000 Stellen im Privatsektor.
Das wird in der Abschlusserklärung als intelligentes
Sparen bezeichnet. Ich frage Sie allerdings, was daran
intelligent ist, die sozial Benachteiligten, die Ärmsten
der Armen und die Beschäftigten zur Kasse zu bitten, ob
hier, in Griechenland oder in England.
({8})
Die Sparpakete werden die Binnenmärkte weiter abwürgen, ob hier, in Europa oder den USA. Die Gefahr ist
groß, dass die Exporte Deutschlands in die Europäische
Union einbrechen. Ihr Glaube, China und die anderen
Schwellenländer würden längerfristig diese Ausfälle
ausgleichen und Staubsauger für die deutschen Exporte
sein, wird sich als Irrtum herausstellen. Ihre Kürzungsprogramme sind nicht intelligent; sie sind sozial untragbar und ökonomischer Selbstmord.
({9})
Herr Schäuble, ich frage Sie: Warum verpflichten die
G 20 nicht die Länder mit Exportüberschüssen zu Maßnahmen zur Stärkung der Binnennachfrage? Warum
verpflichten Sie nicht die Notenbanken dazu, in Krisenzeiten Staatsanleihen zu kaufen?
({10})
Warum verpflichten Sie nicht Banken und Fonds, die auf
Preisentwicklungen bei Nahrungsmitteln spekulieren,
die Nahrungsmittel nach Ablauf der Verträge zu kaufen? Warum lassen Sie nicht Zielkorridore für die Währung festlegen, um damit der Spekulation auf Währungen
entgegenzuwirken und ihr die Grundlage zu entziehen?
All dies tun Sie nicht; aber es würde die Defizite verringern.
({11})
So würde das Kasinogeld herausgezogen. Damit würden die weltwirtschaftlichen Ungleichgewichte abgebaut
und auch hier nachhaltiges Wachstum ermöglicht.
({12})
All diese Vorschläge stammen von der UN, der
UNCTAD. Sie umzusetzen, wäre der richtige Weg.
Die G 20 wollen sich nicht mit den Finanzmarktakteuren anlegen. Deshalb versagen sie. Wir sagen Ihnen:
Machen Sie den Weg frei für einen Neuanfang, zur demokratischen Regulierung der Finanzmärkte im Rahmen
der UN! Dann kommt dabei etwas heraus.
Danke.
({13})
Das Wort hat nun Volker Wissing für die FDP-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Was Sie hier abgeliefert haben, Frau Kollegin, ist schon
bemerkenswert.
({0})
Sie beklagen die hohen Refinanzierungskosten Griechenlands und werfen der Regierung gleichzeitig vor,
dass sie eine Schuldenbremse durchgesetzt hat.
({1})
Sie stellen ernsthaft die Frage, weshalb wir die Notenbanken nicht verpflichten, Staatsanleihen zu kaufen.
Die Antwort ist einfach: Die Notenbanken sind unabhängig, und wir wollen in diese Unabhängigkeit nicht eingreifen.
({2})
Wir wollen die Kleinanleger und die Menschen mit niedrigem Einkommen vor Hyperinflation schützen. Das ist
soziale Politik.
({3})
Was Sie tun, ist unverantwortlich.
({4})
Der G-20-Gipfel war ein großer Erfolg für die deutsche
Bundesregierung. Das können Sie, Herr Kollege Duin,
auch nicht kleinreden.
Nach dem Gipfel ist eines klar: Die Kritik an der
Konsolidierungspolitik ist verstummt.
({5})
Der spürbare Gegenwind ist jetzt Rückenwind für die
Konsolidierungspolitik dieser Koalition. Das ist die gute
Botschaft von Toronto.
({6})
Das ist ein beachtlicher Erfolg für die Bundeskanzlerin,
aber auch für den Bundesfinanzminister. Herr Schäuble,
Sie haben die Politik der Koalition nicht nur überzeugend dargelegt, Sie haben auch in Toronto überzeugt.
Das ist ein guter, erfolgreicher Schritt für unser Land.
({7})
Die Politik grenzenloser Staatsverschuldung, wie sie
von weiten Teilen des linken Flügels gefordert wird
- Sie haben eben ein Paradebeispiel dafür abgegeben -,
wurde auf dem G-20-Gipfel in Toronto ad acta gelegt.
Das ist eine überzeugende Botschaft. Das Rahmenwerk
für ein starkes, nachhaltiges und ausgeglichenes Wachstum setzen wir nicht gegen unsere Partner in der Welt
um, sondern mit unseren Partnern in der Welt. Deswegen
wird dieser Weg erfolgreich sein.
Mit unserer wachstumsorientierten Politik, mit den
ersten Entlastungsgesetzen für Menschen mit mittleren
Einkommen und Familien, haben wir eine Grundlage für
starkes und nachhaltiges Wachstum in Deutschland gelegt. Die Horrorszenarien, die uns viele Ökonomen zu
Beginn der Krise angekündigt haben - Arbeitslosenzahlen von bis zu 5 Millionen, derzeit nähern wir uns der
3-Millionen-Grenze -, haben sich nicht bewahrheitet.
Damit steht fest: Die wachstumsorientierte Politik der
christlich-liberalen Koalition trägt erste Früchte.
({8})
Was haben wir uns für Kritik von Ihnen anhören müssen.
Heute wird deutlich: CDU/CSU und FDP haben es geschafft, die Arbeitsplätze von Millionen von Menschen
zu sichern. Das ist die sozialste Politik überhaupt.
({9})
Mit dem Sparpaket setzen wir wachstumsorientiertes
Sparen um. Nach der Euro-Krise müsste auch der Opposition klar geworden sein: Die Politik grenzenloser
Staatsverschuldung ist gescheitert. International wurde
das erkannt. Die ganze Welt versteht es, aber die Linke
in diesem Haus tut sich schwer damit. Auch die Sozialdemokraten sind mit ihrer finanzpolitischen Agenda am
Ende. Ihre Idee, Schulden zu machen, um Wachstum zu
schaffen, ist grandios gescheitert. Sie hat ausgedient. Sie
brauchen ein neues Konzept. Das ist die Wahrheit.
({10})
Wir können in Europa, aber auch darüber hinaus auf
finanz- und haushaltspolitischer Bühne weltweit eine
politische Neuausrichtung - weg von immer größerer
Verschuldung, hin zu wachstumsorientierter Konsolidierung - beobachten. Das Sparpaket der Bundesregierung
ist ein Vorgriff auf diese Entwicklung. Wir sparen, ohne
Wachstum zu schwächen. Sie wollen die Notwendigkeit
der Ausgabenkürzung nicht akzeptieren und erklären
uns immer wieder krampfhaft, wir müssten die Steuern
erhöhen, um die Probleme unseres Landes zu lösen.
Ich möchte Sie an eines erinnern: Wir konsolidieren
in Deutschland nicht nur wegen der Euro-Krise. Wir
müssen auch aufgrund unserer demografischen Entwicklung konsolidieren. Wenn wir die Wettbewerbsfähigkeit
unseres Landes erhalten wollen, dann müssen wir Ausgaben reduzieren. Ihre Steuererhöhungsvorschläge sind
keine Lösung, weil immer weniger Deutsche nicht immer höhere Steuern bezahlen können. Deswegen ist
wachstumsorientierte Konsolidierung durch Kürzung
der Ausgaben die einzige Alternative.
({11})
Das ist Sozialpolitik. Das ist nachhaltige Politik, weil
wir zukünftigen Generationen damit eine Chance geben,
die Sie ihr mit Ihrer Steuererhöhungspolitik nehmen
würden.
Was haben Sie denn erreicht? Sie haben die Rekordsteuererhöhung in dieser Republik beschlossen, weil Sie
nicht den Mut hatten, sich auf den unbequemen Weg der
Ausgabenreduzierung zu begeben. Sie haben die Mehrwertsteuer um 3 Prozentpunkte erhöht. Selbst einen
Wahlbetrug gegenüber Ihren Wählerinnen und Wählern
haben Sie begangen, weil es für Sie einfacher war, sich
bequem mit Steuererhöhungen auf Kosten der Bürgerinnen und Bürger einzurichten, anstatt den Mut aufzubringen und auch den Gegenwind zu ertragen, den nun mal
Ausgabenkürzungen mit sich bringen. Aber was richtig
ist, bleibt richtig und muss jetzt endlich in Angriff genommen werden.
({12})
Es gehört zu den Aufgaben der Opposition, die Regierung kritisch zu begleiten; aber dass wir heute den Mut
aufbringen, den Haushalt auf der Ausgabenseite zu reduzieren, sollte auch Ihnen ein Lob wert sein.
G 20 hat auch auf anderen Ebenen Klarheit gebracht.
Der Bundesfinanzminister hat das angesprochen: Eine internationale Finanztransaktionsteuer ist endgültig gescheitert, sie ist nicht konsensfähig. Es wäre im Interesse
einer sachlichen Diskussion hilfreich, wenn die Opposition das endlich einsehen würde. Wie war das noch unter
Peer Steinbrück: „Der Welt ist es egal“, hat er damals gesagt, „was der SPD-Ortsverein Kessenich beschließt.“
Toronto war es auch egal, was der SPD-Ortsverein in
Kessenich beschlossen hat.
({13})
International ist eine solche Steuer nicht gewollt, deswegen sollten Sie es endlich einsehen.
({14})
Eines ist doch klar: Wir können nicht - auch das
müsste der sozialdemokratischen Fraktion deutlich sein eine solche Steuer national einführen und Ausweichbewegungen um unser Land herum riskieren, weil damit die
Finanzmärkte hier geschwächt werden würden und das
Kapital auf unregulierte Märkte abwandern würde. Was
das zur Stabilität der Finanzmärkte weltweit beitragen
soll, ist nun wirklich völlig unklar.
({15})
Deswegen sind wir auch skeptisch, was eine Finanztransaktionsteuer nur innerhalb der Euro-Gruppe angeht.
({16})
Es ist niemandem geholfen, wenn die Finanzmärkte um
die Euro-Zone einen Bogen machen und wir dann an unregulierten Märkten, etwa London, eine Ausweichbewegung erleben. Wenn wir Finanzmärkte regulieren, muss
es zu einer echten Stabilisierung kommen. Alles andere
führt uns international nicht weiter.
({17})
Nach dem Gipfel von Toronto ist klar, wohin der Weg
führt. Wir werden wachstumsorientiert Haushaltskonsolidierung betreiben. Schritt für Schritt werden wir
die Finanzmärkte dort regulieren, wo Regulierungsbedarf besteht. Wir werden in den Bereichen, wo es möglich ist, auch ein Zeichen setzen und einen eigenen Weg
gehen. Das haben wir heute mit dem Verbot von Leerverkäufen gezeigt. Wir werden dort, wo es notwendig
ist, auch schnell vorgehen. Und dort, wo es notwendig
ist, sich international abzustimmen, werden wir uns auch
die notwendige Zeit nehmen, um Ausweichbewegungen um unser Land herum zu vermeiden und um die Finanzmärkte in Deutschland, die im Übrigen in vielen
Bereichen schon regulierter sind als anderenorts in dieser Welt, nicht zu gefährden.
Was wir hier betreiben, ist eine nachhaltige Politik zur
Stabilisierung der Finanzmärkte und zum Schutz der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler in Deutschland. Was unter
der Verantwortung sozialdemokratischer Finanzminister
passiert ist, darf sich nicht wiederholen. Und ich gebe
dem Finanzminister recht: Hier ist viel Vertrauen - auch
durch Nachlässigkeit in der Finanzpolitik unter Hans
Eichel und unter Peer Steinbrück - verspielt worden. Jetzt
muss nachhaltige Finanzpolitik ohne Hektik, aber mit
dem nötigen Nachdruck betrieben werden.
Diese Regierung ist auf dem richtigen Weg. Deswegen, sehr geehrter Herr Finanzminister, Glückwunsch zu
den Erfolgen in Toronto. Wir sind froh, dass die Politik,
die die christlich-liberale Bundesregierung auf den Weg
gebracht hat, international durchsetzungsfähig ist.
({18})
Wir haben bewiesen: Wir sind eine handlungsfähige Regierung.
({19})
Und wir werden unserer Verantwortung international gerecht.
Herzlichen Dank.
({20})
Das Wort hat nun Kollegin Christine Scheel, Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Herr Kollege Wissing, mit Selbstbeschwörung allein
kann man noch keine gute Politik machen.
({0})
Herr Minister Schäuble, Sie haben recht, wenn Sie sagen, es gilt, dass wir unsere Demokratien stärken und dass
wir Vertrauen in die Institutionen und in die Politik wiederaufbauen, das in der Bevölkerung notwendig ist. Aber
ich finde, wir müssen es sehr ernst nehmen, wenn Men5476
schen in der Zeitung lesen, dass ein Gipfel 1 Milliarde
Euro gekostet hat und wie wenig dabei herausgekommen
ist. Dann muss man auch sagen: Das steht in keinem Verhältnis zu den Ergebnissen.
({1})
Es gehört zur Offenheit und zur Klarheit dazu, auch zur
Kenntnis zu nehmen, dass es diese Enttäuschung bei
den Menschen gibt.
Herr Minister Schäuble, es ist zu begrüßen, dass die
Exit-Strategie beschlossen worden ist; das ist ganz klar.
Es ist wichtig, dass wir gegen die ausufernden Verschuldungsentwicklungen insgesamt weltweit vorgehen.
({2})
Es ist aber auch notwendig, dass wir Kriterien entwickeln, wie die Konsolidierung der Haushalte international gehen soll. Unser Eindruck ist, dass hier der Kompass fehlt, dass es keine tragfähigen Vereinbarungen und
keine nachhaltigen Wachstumsideen gibt.
Wenn Sie sagen, die Defizite sollen abgebaut werden,
bis 2013 sollen sie halbiert werden, und bis 2016 sollen
die Schuldenquoten stabilisiert werden, dann ist das
zwar richtig. Aber wo ist die Ausrichtung auf die soziale
und auf die ökologische Nachhaltigkeit?
({3})
Diese Ausrichtung fehlt.
Es reicht auch nicht, dass die Bundeskanzlerin dann international sagt: „Supertoll, wir haben jetzt eine ExitStrategie durchgesetzt“, wenn gleichzeitig in Deutschland ganz anders diskutiert wird: 2010 beträgt die Neuverschuldung 65 Milliarden Euro, es gibt ein strukturelles Defizit, und das strukturelle Defizit des Jahres 2013
hat immer noch eine Größenordnung von 32 Milliarden
Euro. Jetzt sehen wir auch, wie ungerecht das Sparpaket
ist, welche Luftbuchungen es beinhaltet, welche Schattenhaushalte Sie vorlegen und dass das, was dort eingebucht ist, zum Beispiel eine Brennelementesteuer, gesetzgeberisch immer noch nicht auf den Weg gebracht
worden ist.
({4})
Es gab in Toronto auch eine positive Entscheidung,
die da heißt: Fossile Rohstoffe sollen nach Meinung der
G 20 besteuert werden. Wir Grünen weisen seit Jahren
darauf hin, dass eine solche CO2-Besteuerung vorzunehmen ist. Das ist bislang von der Koalition abgelehnt
worden. Ich bin gespannt, ob Sie das, was Sie in Toronto
mitverhandelt und letztendlich mitbeschlossen haben,
auch im eigenen Land durchsetzen und ob Sie den Mut
haben, auch in Sachen Ökologie und vernünftige Klimaschutzpolitik, die international von erheblicher Bedeutung ist, endlich voranzukommen.
({5})
Es ist schon schade, dass die Kanzlerin die Chance verpasst hat, in Toronto über Klimaschutz und Zukunftsinvestitionen zu reden. Wenn man sieht, was alles in der
Deklaration von Pittsburgh gestanden hat - von Green
Recovery, von Energieeffizienz, von erneuerbaren Energien -, und wenn man jetzt feststellt, dass all das unter
„Other Issues“ auftaucht, dass diese wichtigen Themen
also nur noch unter „Sonstiges“ abgehandelt worden sind,
dann sagen wir: Das ist ein Rückfall in alte Muster. Hier
muss man gegensteuern. Dieses Gegensteuern haben wir
nicht feststellen können.
({6})
Letzte Bemerkung - weil Herr Wissing ja wieder so
toll ausgeführt hat,
({7})
was sich die FDP bei der Nichtregulierung vorstellt -:
Die Finanzmarktreform ist jetzt gescheitert, was die internationale Frage anbelangt.
({8})
Es gibt weder eine internationale Bankenabgabe, noch
gibt es eine internationale Finanztransaktionsteuer.
Herr Schäuble, Sie haben darauf hingewiesen und gesagt: Dann machen wir das mit den Franzosen und mit
einigen anderen, die sich daran beteiligen.
({9})
Das ist ein Schritt in die richtige Richtung, selbstverständlich. Aber Herr Niebel hat klipp und klar gesagt:
Mit der FDP wird das auf keinen Fall gehen. Ich wünsche gute Verrichtung! Wir hoffen, Sie setzen sich in diesem Punkt durch. Dann werden wir weitersehen. Unsere
Unterstützung haben Sie, jedenfalls bei der Finanztransaktionsteuer.
Danke schön.
({10})
Das Wort hat nun Mathias Middelberg für die CDU/
CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Kollegin Scheel, wir kommen, was die Bilanz des Gipfels in
Toronto angeht, zu einer anderen Einschätzung. Ich habe
überhaupt nicht den Eindruck, dass die Bundesregierung
oder der Gipfel insgesamt gescheitert wäre, sondern ich
habe den Eindruck, dass er an wesentlichen Punkten
weitergekommen ist, wenn auch nicht an allen Punkten.
Sie haben einige Fragen zu Recht kritisch benannt.
Aber in den wesentlichen Fragen - diese hat Wolfgang
Schäuble eben herausgestellt; das sind auch die Kernfragen des Gipfels, nämlich bei der Finanzmarktordnung
und vor allen Dingen bei der Ausrichtung der internationalen Wirtschaftspolitik, der Ökonomie - ist die Bundesregierung einen ganz entscheidenden Schritt weitergekommen; denn die Diskussionen im Vorfeld des Gipfels
und das Drängen der USA - die USA und Obama sind ja
nicht irgendwer - waren ja, mit dem Kurs kreditfinanzierter, schuldenfinanzierter Investitions- und Konjunkturpolitik weiterzumachen. Dass die Bundesregierung,
dass Angela Merkel und Wolfgang Schäuble es geschafft
haben, diesen Kurs von mehr Verschuldung umzudrehen
in mehr Konsolidierung, halte ich für einen Kernerfolg.
Das sollte man auch so deutlich und klar sagen.
({0})
Die Diskussionen vor dem Gipfel und die Beiträge,
gerade auch von Obama, gingen in eine völlig andere
Richtung. Die USA in diesem Punkt umgedreht zu haben und sie zu diesem Gipfelbeschluss bewegt zu haben,
ist ein Kernerfolg für diese Bundesregierung, für Angela
Merkel und für Wolfgang Schäuble.
({1})
Ich würde den Beschluss, die Haushaltsdefizite bis
2013 zu halbieren, auch nicht kleinreden, selbst wenn es
nicht sanktionsbewehrt ist. Aber man muss schon sagen,
es ist ein entscheidender Unterschied, ob wir mit noch
mehr Verschuldung weiter in Richtung Abgrund fahren
- Herr Wissing hat eben zu Recht auf das Beispiel Griechenland verwiesen, das ja eine Finanzkrise ausgelöst
hat - oder ob wir es geschafft haben, diesen verfehlten
Kurs zu drehen, und jetzt in die richtige Richtung unterwegs sind.
({2})
Ich sage zum Thema Finanztransaktionsteuer: Natürlich hätten wir uns gewünscht, wenn wir da international eine Vereinbarung zustande bekommen hätten; das
muss man ganz klar sagen. Ich hätte mich auch persönlich darüber gefreut. Aber wir müssen auch zur Kenntnis
nehmen - das hat Herr Bundesminister Schäuble sehr
nachvollziehbar dargelegt -, dass wir nicht allein auf der
Welt sind, sondern dass es noch andere gibt, darunter
viele, die mit dem Thema Finanz- und Wirtschaftskrise
keine Probleme haben, die ganz andere Fragen stellen
und ganz andere Interessen haben, die kein Interesse an
einer Finanztransaktionsteuer haben. Das muss man als
Realität zur Kenntnis nehmen, wenn man Politik verantwortlich gestaltet.
Wolfgang Schäuble hat zu Recht gesagt, wir konzentrieren uns jetzt auf die europäische Ebene und verfolgen
dieses Thema dort konsequent weiter. Aber ich sage
auch, wir sollten den Menschen nichts vormachen und
ihnen keinen Sand in die Augen streuen. Die Finanztransaktionsteuer kann ein Beitrag sein, die Verursacher
an den Kosten der Krise zu beteiligen.
({3})
Sie wird aber nicht der entscheidende Beitrag dafür sein,
künftige Krisen zu vermeiden.
({4})
Darüber müssen wir uns im Klaren sein; denn die Krisen, die wir gehabt haben, die Subprimekrise aus den
USA oder die Verschuldungskrise aus Griechenland, wären nicht verhindert worden, wenn wir eine Finanztransaktionsteuer gehabt hätten.
({5})
- Ich will nur die Schwerpunkte betonen. Dass Sie das
nicht behauptet haben, ist eine ganz andere Frage. Zu
den Schwerpunkten gehört die Regulierung des Finanzmarkts im Hinblick auf vorbeugende Mechanismen.
Über einen dieser Mechanismen haben wir heute Morgen gesprochen, nämlich das Verbot ungedeckter Leerverkäufe und das Verbot ungedeckter Kreditausfallversicherungen, der Spekulationen damit. Das ist schon ein
wichtiger Beitrag.
Wir haben eben auch über das Thema Ratingagenturen gesprochen. Das ist Ihnen irgendwie durchgerutscht,
Frau Lötzer.
({6})
Zu dem Thema haben wir hier nämlich schon einen Beschluss gefasst. Das Thema Ratingagenturen und verschärfte Aufsicht über die Ratingagenturen ist hier bereits geklärt worden und durch.
({7})
Der nächste Punkt ist das Restrukturierungsgesetz,
was die mögliche Insolvenz, die Abwicklung von Banken angeht, die damit verbundene Bankenabgabe, der
Selbstbehalt bei Verbriefungen, die Anhebung der Eigenkapitalanforderungen nach Basel II+ oder Basel III.
Wichtig finde ich auch, dass wir ein Gesetz zur Vergütung für Manager in Banken und Versicherungen beschlossen haben. Auch das ist ein Punkt, den man hier
betonen sollte, gerade gegenüber den Zuschauern. Es
sind zwar im Moment leider keine hier; aber sicherlich
sitzen Zuschauer zu Hause an den Fernsehschirmen. So
haben wir in diesem Vergütungsgesetz zum Beispiel
festgeschrieben, dass es demnächst höchstens 50 Prozent
flexible Vergütung geben darf. Ferner darf es nicht nur
eine Bonusvergütung geben, sondern in Zukunft muss es
auch Malusregelungen geben. All diese Dinge werden
demnächst in Vorstandsverträgen, in Managerverträgen
festgelegt sein müssen. Dafür stehen die Aufsichtsräte
ein. Aufsichtsräte, die demnächst andere Verträge beschließen, die diese Punkte nicht enthalten, haften. Das
sind ganz wichtige Punkte, um auch menschliche Re5478
gungen wie Gier und Gewinnstreben am Kapitalmarkt
einzuschränken. Das sind wichtige Beiträge, um im Vorfeld - vorbeugend - den Finanzmarkt zu regulieren. Da
sind wir wesentlich weiter gekommen, als Sie das hier
dargestellt haben.
Herr Kollege Wissing hat auf die übrigen Erfolge dieser Bundesregierung verwiesen, mit einer soliden und
eben nicht schuldengetriebenen Wachstumspolitik dieses
Land auf einen vernünftigen Kurs zu bringen. Sie sehen,
dass die Zahl der Arbeitslosen von Monat zu Monat immer mehr sinkt. Sie wird unter die 3-Millionen-Grenze
fallen. Das ist der entscheidende Beitrag. 100 000 Arbeitslose weniger in diesem Land entlasten unsere Sozialkassen um 1,8 Milliarden Euro. Wenn wir es schaffen, durch unsere solide Politik 500 000 Menschen mehr
in diesem Jahr in Beschäftigung zu bekommen, dann haben wir alleine dadurch schon fast 10 Milliarden Euro
Sparleistung erbracht. Das ist die Politik, für die diese
Regierung steht. Dafür kann man eigentlich nur um Unterstützung bitten.
Danke.
({8})
Das Wort hat die Kollegin Nicolette Kressl von der
SPD-Fraktion.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! In der Regel lohnt es ja nicht, Reden von
Herrn Wissing zu kommentieren.
({0})
Aber heute war das die entlarvendste Rede, die ich seit
langem hier gehört habe. Ich will Ihnen das deutlich machen: Herr Wissing hat sich hier hingestellt - nachdem
Bundesminister Schäuble gesagt hat, die Regierung sei
mit dem festen Vorsatz nach Toronto gefahren, die Finanztransaktionsteuer durchzusetzen ({1})
und gesagt, es würde hier niemanden interessieren, was
ein sozialdemokratischer Ortsverein beschließt. Uns interessiert das übrigens. Aber bemerkenswert ist der Vergleich: Das hat kein sozialdemokratischer Ortsverein
beschlossen, sondern das hat die Bundesregierung beschlossen, und Sie haben diesen Beschluss hier diskreditiert.
({2})
Sie haben gesagt, das sei völlig unerheblich. Sie haben
es als Erfolg beschrieben, dass sie in Toronto nicht beschlossen worden ist.
({3})
Herr Minister, ich will Sie fragen: Warum wundern
Sie sich noch, dass wir hier konstatieren - und das hat
Herr Duin vorhin auch getan -, dass die Bundesregierung ihre Durchsetzungskraft auf internationalen Konferenzen - sie war nicht plötzlich schlecht - Stück für
Stück verloren hat, dass alle international nachlesen können, dass Sie mit einer Position zu den Konferenzen fahren, die national von den Sie tragenden Fraktionen gar
nicht mitgetragen wird? Dann ist es doch logisch, dass
da keine Durchsetzungskraft mehr da ist.
({4})
Ich will einen zweiten Punkt nennen und kann Ihnen,
Herr Wissing, die Frage nicht ersparen: Welchen Neuanfang müssen wir machen? Ich glaube, es wäre an der
Zeit, sich in Sachen Neuanfänge und Neustarts klar und
deutlich zu äußern.
({5})
Lassen Sie mich eine dritte Bemerkung machen: Ich
halte es für eine Unverschämtheit, hier nicht die Wahrheit zu sagen. Mit Minister Steinbrück wären wir 2011 in
einen Haushalt ohne Neuverschuldung gegangen. Das
ist völlig klar.
({6})
Wir mussten uns wegen der konjunkturellen Lage stärker verschulden. Wir müssen da wieder zurück, darüber
sind wir uns einig. Aber hier die Unwahrheit darzustellen, zeugt nicht von ernsthaftem Arbeiten, und darum
geht es, nicht um Fairness. Diesen Grundregeln sollten
Sie als Ausschussvorsitzender sich eigentlich auch unterwerfen.
({7})
Dann will ich Ihnen noch einen Punkt im Zusammenhang mit Toronto deutlich machen. Die Jahre 2008 und
2009 waren von großen Rettungspaketen geprägt. Das
haben wir für die Menschen und ihre Arbeitsplätze gemacht, das will ich deutlich sagen, und nicht für die Banken. Dennoch ist es eine Tatsache, dass bisher ausschließlich die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler an den
Kosten beteiligt werden. Deshalb wäre es auch so wichtig
gewesen, aus Toronto ein weiteres Signal dafür zu bekommen, die Steuerzahler nicht alleinzulassen, sondern
die Verursacher der Krise mitzubeteiligen.
({8})
Ich will Ihnen sagen: Die Bankenabgabe, die Sie hier
immer wieder nennen, führt nicht dazu, dass sich die
Verursacher auch nur mit einem einzigen Cent an den
Kosten der Krise beteiligen. Das ist ein Vorsorgetopf. Ich habe interessiert gelesen, dass Sie auch noch darüber
diskutieren, dass diese Ausgaben, anders als im Regierungsentwurf vorgesehen, womöglich bei der Steuer geltend gemacht werden können.
({9})
Dadurch wollen Sie die Steuerzahler noch einmal an den
Kosten beteiligen. Das, was Sie hier machen, ist doch
absurd.
({10})
Es ist völlig klar: Für die Märkte müssen Regeln erlassen werden, durch die wir weitere Barrieren gegen die
Spekulation auf Kosten anderer erhalten. - Ich persönlich und viele andere, wie ich glaube, sind bestürzt. Eigentlich konnten wir davon ausgehen, dass international
ein Zeitfenster vereinbart wird, innerhalb dessen man
diese Regeln vereinbaren kann, aber wir mussten feststellen: Dieses Zeitfenster schließt sich schneller, als wir
uns das erhofft haben.
Damit komme ich zur Durchsetzungsfähigkeit zurück. Eine gewichtige deutsche Stimme wäre gut, um
dieses Zeitfenster länger offen zu halten. Diese haben
wir aber, wie gesagt, leider nicht mehr.
Wenn Sie es sich genau anschauen, dann sehen Sie:
Der G-20-Gipfel in Toronto war für die Finanzmarktregulierung ein Rückschlag. Ich habe die Befürchtung,
dass wir, wenn wir auf diesem Weg weitergehen, den
Menschen nicht mehr erklären können, warum diejenigen, die in Regierungsverantwortung stehen, zwar immer sagen: „Wir müssen das tun“, hinterher aber nichts
passiert.
({11})
Schauen Sie sich einmal genau an, was in Toronto beschlossen worden ist. Es gab keine konkreten Festlegungen im Hinblick auf die Eigenkapitalregeln. Statt der
bisherigen Umsetzungsfrist - bis Ende 2012 - wird eine
reine Zielsetzung formuliert. Das ist keine Verstärkung
der Regulierung, sondern eine Abschwächung der Regulierung.
Wir haben das vorhin besprochen: Hinsichtlich der
Verbesserung des außerbörslichen Handels halten wir
alle die Transparenz für außerordentlich wichtig. Bis
2012 sollten - das ist in Pittsburgh beschlossen worden alle standardisierten Derivate über Börsen- oder Handelsplattformen gehandelt werden. Hierzu gab es in Toronto keinen Fortschritt und keinerlei konkrete Festlegung. Ich habe es schon erwähnt: In Toronto wurden
keinerlei Beschlüsse über eine internationale Finanztransaktionsteuer oder über eine Bankenabgabe gefasst.
Ich will hier noch einmal auf die Einigkeit und
Durchsetzungskraft zurückkommen. Sie haben hier über
Monate hinweg nicht einmal genau gewusst, ob wir über
eine Finanzaktivitätsteuer, eine Finanztransaktionsteuer
oder eine Bankenabgabe als Vorsorge sprechen. Bei dieser Bankenabgabe können sich die Banken sicher sein,
dass die Steuerzahler wieder ergänzend zahlen müssen,
wenn das Gesammelte nicht ausreicht; dafür gibt es ja
auch nette Formulierungen in dem Referentenentwurf.
Wenn Sie sich dieses Hin und Her über Wochen hinweg anschauen, dann ist völlig klar: Wir werden international nicht durchsetzungsfähig, wenn Sie sich nicht
endlich dazu entschließen, klare und überzeugende Linien zu entwickeln. - Ich sage Ihnen: Wenn wir erkennen könnten, dass Sie das auf den Weg bringen, und
wenn die FDP nicht wieder alles relativieren würde, was
der andere Teil der Regierungskoalition sagt, dann würden wir Sie unterstützen.
({12})
Bei diesem Rumgeeiere, das uns national und international schadet, können wir aber leider nicht mitmachen.
Vielen Dank.
({13})
Das Wort hat der Kollege Thilo Hoppe von Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich
möchte gerne einen Aspekt ansprechen, der in der Debatte bisher zu kurz gekommen ist. Wenn man nämlich
einen Perspektivwechsel vornimmt und auf die Ergebnisse der beiden Gipfel der G 8 und der G 20 aus Sicht
der Entwicklungsländer schaut, dann kann man das nur
mit der Schlagzeile der taz vom Montag zusammenfassen: „Krümel für die Welt“.
Die Ankündigung der G-8-Staaten, im Kampf gegen
Kinder- und Müttersterblichkeit etwas mehr als
5 Milliarden US-Dollar zur Verfügung zu stellen, klingt
erst einmal gut, aber angesichts der 30 Milliarden USDollar, die nach Berechnungen der UNO notwendig wären, ist das doch ein sehr bescheidener Betrag. Ganz besonders bescheiden hat sich Deutschland gezeigt, das
pro Jahr 80 Millionen Euro geben will. Das ist deutlich
weniger als das, was die ganze Konferenz in Toronto gekostet hat.
Aber das, was noch schwerer wiegt als diese „Geizist-geil“-Mentalität, ist der Abschied von den Versprechungen von Gleneagles. Können Sie sich noch erinnern: großes Kino Gleneagles, Tony Blair, umrahmt von
Bob Geldof und Bono, und das großartige Versprechen,
50 Milliarden Euro mehr bis 2010? - Versprochen, gebrochen!
Maximal zwei Drittel dieser Beträge, die versprochen
wurden, feierlich zugesagt worden sind, sind überhaupt
gezahlt worden. Nach Berechnungen von ONE, einer
Entwicklungshilfeorganisation, hat Deutschland gerade
mal 25 Prozent seiner Versprechungen auch wirklich
eingehalten und umgesetzt.
In Heiligendamm hat die Kanzlerin noch die anderen
ermahnt, die Ärmsten der Armen nicht im Stich zu lassen und die Versprechungen einzuhalten. Jetzt braucht
sie nur in den Spiegel zu schauen, um festzustellen, wer
nicht Wort gehalten hat.
({0})
Wie gesagt, bisher hat man immer noch beteuert, das
ist unsere Verpflichtung. Das ist jetzt im Schatten der anderen Krisen heimlich, still und leise aus den Dokumenten verschwunden.
Noch etwas fehlt in den Abschlusskommuniqués der
beiden Gipfeltreffen. Es gab immer so eine Stereotype:
Die WTO-Welthandelsrunde muss auch im Sinne der
Entwicklungsländer zum Erfolg führen. Die fehlt diesmal völlig. Die Entwicklungsländer sind außen vor. Jetzt
setzt man auf bilaterale Freihandelsabkommen. Bei
diesen bilateralen Freihandelsabkommen werden die
Schwächsten natürlich wieder unter die Räder kommen.
Auch dort gibt es eine Rückkehr zum Egoismus.
G 8 und G 20 sind diesen Krisen nicht gewachsen, sie
können diesen Krisen nicht wirklich begegnen. Das haben schon einige gesagt. Die Vereinten Nationen müssen
stärker an Bedeutung gewinnen. In diesem Zusammenhang - das wird Sie vielleicht wundern - möchte ich einmal die Kanzlerin loben, nicht für ihr jetziges Auftreten,
sondern für das, was sie vor zwei Jahren zur großen
Überraschung in Davos gesagt hat. Da hat sie eine UNCharta für nachhaltiges Wirtschaften gefordert und
eine starke Rolle der Vereinten Nationen.
({1})
Da haben viele Zeitungen getitelt:
Merkel fordert eine „Wirtschafts-UN“.
Doch leider sind diesen großen Worten keine Taten gefolgt. Wir haben viele Anfragen gestellt. - Nichts, aber
auch gar nichts.
({2})
G 8 und G 20 sind gescheitert. Aber diese Ankündigung „Was nicht ist, kann ja noch werden“ bringt uns
dazu, die Kanzlerin zu ermutigen, die Papiere, die Herr
Weidmann damals geschrieben hat, endlich mit Leben zu
erfüllen, ihnen endlich zum Durchbruch zu verhelfen.
({3})
G 20 muss sich reformieren! G 20 ist in der Krise,
und ein Herauskommen ist nur denkbar, wenn G 20 näher an die Vereinten Nationen heranrückt, wenn beide
Reformprozesse zusammengeführt werden. Zeigen Sie
uns, dass diese Äußerungen von Davos nicht nur ein Mediengag waren!
Danke.
({4})
Als letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt hat
jetzt der Kollege Peter Aumer von der CDU/CSU-Fraktion das Wort.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! „Merkel setzt sich gegen Obama durch“,
({0})
so titelte das Handelsblatt am vergangenen Montag über
das Verhandlungsergebnis von Toronto. - Das Lachen
der Opposition, denke ich, kommt an einigen Stellen zu
Recht, aber insgesamt sollte man doch die Ergebnisse
wahrnehmen, die erzielt worden sind. Ich denke, diese
sind richtig und wertvoll.
Wesentliche Themenfelder standen im Mittelpunkt
des Treffens der G-20-Länder.
({1})
- Ja, heute. Das war am Montag, kurz nach dem Gipfel.
Ich denke, dass das doch das Entscheidende ist, oder?
({2})
Die Frage des Wachstums und des gleichzeitigen
Schuldenabbaus war ein wesentlicher - ({3})
- Ja, dann schauen Sie bitte auf Seite eins. Da steht genau das, was ich Ihnen vorher zitiert habe.
({4})
Vor allem auf Drängen der Bundeskanzlerin wurde beschlossen, dass die Haushaltsdefizite der Industrieländer bis 2013 halbiert und ab 2016 abgebaut werden sollen. Dieser Beschluss hat gezeigt, dass sich Deutschland
mit dem Wesenskern unserer deutschen Politik der nachhaltigen Haushaltsführung bei den wichtigsten Ländern
dieser Erde durchgesetzt hat.
Die Kanzlerin hat vor kurzem gesagt, das, was unsere
Zeit heute braucht, sind „Solidarität und Solidität“.
Wir Deutschen und die Bundeskanzlerin haben unseren
Beitrag dazu geleistet, dass Solidität der öffentlichen Finanzen weltweit einen wichtigen Stellenwert erfährt.
({5})
Solidität bedeutet Nachhaltigkeit. Ziel unseres Handelns muss sein, der Verantwortung für die künftigen
Generationen gerecht zu werden.
„Wachstumsfreundlicher Defizitabbau“ ist die Zusammenfassung des in diesem Punkt Erreichten. Wenn
nun die Antragsteller diesen Weg der Solidität infrage
stellen, dann verstehe ich die Welt nicht mehr. Meine
sehr geehrten Damen und Herren der Linken, diesen
Weg der Konsolidierung und Nachhaltigkeit, der sich auf
G-20-Ebene durchgesetzt hat, als schädliche Sanierung
der öffentlichen Haushalte zu bezeichnen, wie Sie das in
Ihrem Antrag tun, ist das einzig Schädliche in dieser Debatte heute
({6})
und zeigt, dass Sie nicht verstehen wollen, warum diese
Maßnahmen ergriffen wurden.
Neben diesem wichtigen Punkt der Konsolidierung
der öffentlichen Haushalte stand auch die Frage der Finanzmarktarchitektur auf der Tagesordnung der G 20.
In einigen Punkten konnte ein Durchbruch errungen
werden. Eine abschließende Verhandlung wird beim
nächsten G-20-Treffen im Herbst stattfinden.
Wenn Sie, sehr geehrte Damen und Herren der SPD,
in Ihrer Großen Anfrage, über die wir heute auch diskutieren, bei den Verhandlungen durch die Bundesregierung die notwendige Intensität vermissen, dann schauen
Sie doch bitte auch auf die internationale Situation, so
wie sie der Bundesfinanzminister in seiner Rede aufgezeigt hat. Selbstverständlich ergeben sich bei Verhandlungen zwischen Nationen unterschiedliche Ansätze, die
angeglichen werden müssen und die zum Teil verzögernd wirken.
Bundeskanzlerin Merkel hat bei einer Pressekonferenz nach dem Gipfel Folgendes gesagt:
Ich glaube, wir werden auch als G 20 Schritt für
Schritt zusammenwachsen müssen, und wir werden
gleiche und dennoch unterschiedliche Verantwortungen haben.
Die Kanzlerin und der Bundesfinanzminister handeln
mit dem nötigen Nachdruck aus der Verantwortung für
unser Land und arbeiten deswegen für die Stabilität der
internationalen Finanzarchitektur und für die Solidität
der internationalen Haushalte - aus der Verantwortung
heraus, die wir Deutschen in dieser Welt und für diese
Welt haben.
Danke für Ihre Aufmerksamkeit.
({7})
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 17/2232 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-
verstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung
so beschlossen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 21 a und 21 b auf:
a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Finanzausschusses ({0}) zu
dem Antrag der Abgeordneten Caren Lay,
Dr. Axel Troost, Karin Binder, weiterer Abgeord-
neter und der Fraktion DIE LINKE
Finanziellen Verbraucherschutz stärken - Fi-
nanzmärkte verbrauchergerecht regulieren
- Drucksachen 17/887, 17/1782 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Klaus-Peter Flosbach
Harald Koch
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Finanzausschusses ({1}) zu
dem Antrag der Abgeordneten Dr. Gerhard
Schick, Dr. Thomas Gambke, Lisa Paus, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Grauen Kapitalmarkt durch einheitliches Anlegerschutzniveau überwinden
- Drucksachen 17/284, 17/2335 Berichterstattung:
Abgeordneter Dr. Gerhard Schick
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall.
Dann eröffne ich die Aussprache und erteile als erster
Rednerin das Wort der Kollegin Lucia Puttrich von der
CDU/CSU-Fraktion.
({2})
Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Uns liegen heute zwei Anträge vor, je einer von der
Fraktion der Linken und von der Fraktion der Grünen.
Sie haben das Ziel, den finanziellen Verbraucherschutz
zu stärken. Das klingt erst einmal gut. Die Anträge enthalten Ansätze, die man durchaus teilen kann. Wenn
man sich mit den Anträgen aber intensiver beschäftigt,
stellt man fest, dass Sie, meine Damen und Herren, doch
sehr viele populistische Forderungen aufgenommen haben und dass Ihnen die öffentliche Wirkung offensichtlich wichtiger ist als die tatsächliche Umsetzbarkeit.
({0})
Der finanzielle Verbraucherschutz ist uns, der christlich-liberalen Koalition, ein sehr wichtiges Anliegen. Es
ist für uns vollkommen inakzeptabel, dass in Deutschland rund 20 Milliarden Euro durch Falschberatung oder
Fehlberatung verloren gehen. Wir werden handeln. Deshalb arbeiten wir daran, dass Verbraucher vor vermeidbaren Verlusten besser geschützt werden.
({1})
Wir wollen, dass Verbraucher das Vertrauen in den Finanzmarkt und seine Produkte wieder zurückgewinnen.
Aber, meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen,
das werden Sie mit Ihren Anträgen und der Strangulation
von Finanzmärkten mit Sicherheit nicht erreichen. Wir
setzen auf Transparenz, gezielte Regulierung und Kontrolle.
Sie, meine Kolleginnen und Kollegen der Linken, fordern zum Beispiel eine eigene Verbraucherschutzbehörde, finanziert durch die Finanzbranche. Ebenso fordern Sie die Möglichkeit von Sammelklagen und die
Einrichtung eines Finanz-TÜVs.
Lassen Sie mich auf einzelne Dinge eingehen. Es ist
ein vollkommener Trugschluss, zu glauben, dass eine
neue Behörde einen höheren Verbraucherschutz bedingen
würde. Das Gegenteil ist der Fall. Eine neue Behörde
schafft mehr Bürokratie. Eine neue Behörde verursacht
mehr Kosten. Letztendlich werden es die Verbraucherinnen und Verbraucher sein, die diese Kosten zu tragen haben. Deshalb lehnen wir die Einrichtung einer solchen
Behörde ab.
({2})
Wir wollen statt einer neuen Behörde mehr Verantwortlichkeit und eine stärkere Haftung.
Ich komme nun zu Ihrer Forderung, Sammelklagen
zuzulassen. Sammelklagen sind erst einmal nur ein Konjunkturprogramm für rührige Anwaltkanzleien. Sie bringen keinen erhöhten Verbraucherschutz. Wir lehnen deshalb Sammelklagen ab.
({3})
Wir sind der Meinung, dass es andere Mittel gibt, die
sich in anderen Ländern bewährt haben. Man kann
durchaus über Beschwerdeverfahren, wie etwa der Super
Complaint in Großbritannien, nachdenken, bei dem Verbraucherschutzverbände die Möglichkeit haben, die Finanzaufsicht aufzufordern, in bestimmten Fällen einzuschreiten. Das halten wir für einen tatsächlichen
Fortschritt.
({4})
Sie fordern von Ihrer Seite einen nationalen oder europäischen Finanz-TÜV. Das klingt erst einmal gut, weil
der Begriff „TÜV“ positiv behaftet ist. Wenn man sich
das aber genauer anguckt, dann kann man nur sagen:
Das ist völlig unrealistisch. Damit fordern Sie, dass rund
800 000 Finanzprodukte, allein 350 000 Zertifikate auf
dem deutschen Markt, geprüft werden, und zwar inhaltlich und seriös. Angesichts dieser Zahlen kann man nur
sagen: Der Begriff ist schön, die Umsetzung ist schlicht
und einfach nicht möglich.
({5})
Erlauben Sie mir die Bemerkung: Ihre Anträge sind
populistisch. Sie sind nicht umsetzbar. Realistische Forderungen finden Sie wiederum in dem Koalitionsvertrag
der christlich-liberalen Koalition.
({6})
Wir werden ein Finanzdienstleistungsrecht schaffen, das
die Anleger wirkungsvoll und angemessen vor unseriösen Anbietern und Produkten schützt. Wir werden die
Haftung für Vertriebe und Produkte verschärfen. Unser
Ziel ist es auch, die Anforderungen an Berater und Vermittler bezüglich deren Qualifikation und Registrierung
zu standardisieren.
Wir sind uns alle einig, dass die Reform der Finanzaufsicht ein wichtiger Bestandteil bei der Verbesserung
des Anlegerschutzes ist. Deshalb müssen Anbieter und
Produkte künftig hinsichtlich der Verbraucherbelange
kontrolliert werden. Wir haben hierzu ein entsprechendes Maßnahmenpaket vorgelegt. Dazu gehören zum Beispiel die gesetzliche Verankerung des Verbraucherschutzes bei der Finanzaufsicht. Dazu gehört ein geregelter
und ständiger Dialog zwischen Verbraucherschutzverbänden und Verbraucherschutzministerium. Dazu gehört die Einführung einer Beschwerdeservicenummer
und standardisierte Beschwerdeverfahren für Verbraucher. Dazu gehört auch die Möglichkeit der Warnung vor
unseriösen Finanzprodukten und deren Anbietern, so
wie es im Lebensmittelsektor schon geübte Praxis ist.
({7})
Lassen Sie mich nur einige wenige Bemerkungen zu
dem Antrag der Grünen sagen. Sie fordern, den Schutz
der Anleger speziell auf dem grauen Kapitalmarkt zu
verbessern und ein einheitliches Schutzniveau zu schaffen. Hierzu kann ich nur sagen: Sehr gut! Das wollen wir
auch. Regelung und Kontrolle müssen auch auf dem
grauen Kapitalmarkt eintreten.
({8})
Der Entwurf des Finanzministeriums beinhaltet zahlreiche Änderungen im Hinblick auf den grauen Kapitalmarkt. Die Eckpunkte sind bekannt. Ich kann aus Zeitgründen nicht auf Einzelheiten eingehen.
Ihr Antrag wiederum schießt weit über das Ziel hinaus. Ihre Forderung, das Wertpapierdienstleistungsrecht zu einem ganzheitlichen Kapitalanlagerecht weiterzuentwickeln, zeigt, dass Sie die Vielfältigkeit des
Finanzmarktes offensichtlich nicht verstanden haben.
({9})
Ungleiches kann man nicht gleich behandeln. Zielgerichtete, individuelle Maßnahmen sind hier angebracht,
nicht Ihre Rasenmähermethode. Sie wollen den grauen
Kapitalmarkt überwinden. Wir wollen Auswüchse verhindern und ihn deshalb kontrollieren und beaufsichtigen.
({10})
Wir wollen ein stabiles, erfolgreiches und faires Finanzsystem. Banken müssen ihrer Aufgabe als Dienstleister für Unternehmer und Privatpersonen wieder verLucia Puttrich
stärkt nachkommen. Bei Ihnen dreht sich beinahe alles
um staatliche Reglementierung und Bevormundung. Ein
Rundum-sorglos-Paket für die Verbraucher ist in der
Realität schlichtweg nicht möglich. Das ist eine populistische Täuschung.
({11})
Wir werden mit schlüssigen und durchgreifenden Einzelmaßnahmen den finanziellen Verbraucherschutz dauerhaft verbessern. Damit garantieren wir Freiheit und
Verantwortung als Grundprinzipien des Finanzmarktes
und letztlich auch unserer sozialen Marktwirtschaft.
Deshalb lehnen wir die Anträge der Linken und der Grünen ab.
Besten Dank.
({12})
Das Wort hat jetzt die Kollegin Elvira DrobinskiWeiß von der SPD-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Dass wir hier zum
wiederholten Male über das Thema Finanzmarkt diskutieren - das letzte Mal gestern Abend -, zeigt, dass der
Markt gerade für Finanzdienstleistungen überhaupt nicht
funktioniert.
({0})
Bei vielen Anlageprodukten sind weder Risiken noch
Kosten für den Normalverbraucher - ich denke, um den
geht es hier in erster Linie - durchschaubar. Viele Produkte sind so komplex, dass oft auch Finanzvermittler
sie nicht verstehen. Das heißt, die Nachfrageseite kann
ihre Aufgabe, gute Angebote von schlechten zu unterscheiden, nicht wahrnehmen.
In der Praxis, so haben wir erfahren, ist die Höhe der
Provision oft viel wichtiger, als etwa die Risikobereitschaft des Kunden oder dessen Lebenssituation zu berücksichtigen. So bekommen etwa Rentner mit geringem
Vermögen Anlagen aufgeschwatzt, die nicht einmal vermögende Kunden in ihrem Portfolio haben. Als Folge
wird nicht nur der sprichwörtlich kleine Mann um seine
Ersparnisse gebracht; vielmehr sind auch die volkswirtschaftlichen Schäden immens. Hinzu kommt eine Finanzaufsicht, die mangels Kompetenzen oft tatenlos
usehen musste, wie windige Anlagebetrüger Schrottimmobilien an den Mann gebracht oder einen finanziellen Giftcocktail angerührt haben.
Hiermit ist klar: Wir brauchen einen wirklichen Ausbau des Verbraucherschutzes im Bereich der Finanzdienstleistungen.
({1})
Wir, die SPD, haben gestern Abend mit unserem Antrag
die Bundesregierung aufgefordert, ein schlüssiges - ich
betone: schlüssiges - Gesamtkonzept für einen verbrauchergerechten Finanzmarkt vorzulegen. Denn Anleger
wollen, einfach gesagt, über Produkte verständlich informiert und ihrer Lebenssituation entsprechend beraten
werden. Dazu sollten Standards für die Qualifizierung
der Berater ebenso selbstverständlich sein wie korrekte,
vollständige und vor allem miteinander vergleichbare
Produktinformationsblätter. Die Vorschläge der Bundesregierung hierzu reichen keinesfalls aus. Wir brauchen
verbindliche Muster.
({2})
Anleger wollen sicher sein, dass alle für Investitionsund Anlagezwecke infrage kommenden Produkte und
ihre Vertriebswege gleichen Anforderungen entsprechen
müssen. Anleger erwarten eine funktionierende Finanzaufsicht, die Missstände sowohl bei den Unternehmen
und den Produkten als auch bei der Beratung aufdeckt,
verfolgt und sanktioniert. Anleger wünschen sich eine
starke, unabhängige Verbraucherorganisation, die entsprechende Kapazitäten sowohl personell als auch finanziell aufweist, um ihrerseits den Markt zu beobachten,
schwarze Schafe mit Abmahnungen und Klagen vom
Markt zu drängen und unabhängig beraten zu können.
Eine Stärkung der Verbraucherorganisationen ist aber in
den Plänen von Frau Aigner nicht vorgesehen.
Die Verbraucherschutzministerin Frau Aigner hatte
schon vor anderthalb Jahren den Anlegerschutz zur
Chefsache erklärt und kündigt seitdem regelmäßig gesetzliche Maßnahmen an. Leider ist es wie so oft bei diesen Ankündigungen geblieben. Auch an Finanzminister
Schäubles unzureichendem Arbeitsentwurf zur Stärkung des Anlegerschutzes wurde das Ministerium, also
das BMELV, mit einer Frist zur Stellungnahme von gerade einmal drei Stunden beteiligt. Inzwischen ist der
Entwurf, der ursprünglich am 23. Juni im Kabinett vorgelegt werden sollte, auf die lange Bank geschoben worden. Wir wissen, warum: damit Lobbyisten diesem Entwurf, der kein guter ist, auch noch die letzten Zähne
ziehen können.
({3})
Wie viele Studien und Erhebungen, die auf die problematische Situation auf dem Finanzmarkt aufmerksam
machen, brauchen wir noch, damit die Regierung aktiv
wird?
Frau Aigner, die leider auch heute wieder nicht da ist
- das Thema scheint ihr also doch nicht so wichtig zu
sein ({4})
- ganz genau, dann spreche ich eben Frau Klöckner an -,
möchte ich fragen: Verstehen denn Sie die von Ihnen
vorgeschlagenen Formulierungen für die Produktinformationsblätter? Gestatten Sie mir ein Zitat:
Die Kursentwicklung des Zertifikats sowie die
Höhe der Auszahlung hängen von der Entwicklung
des Basiswertes ab. Der Anleger erwirbt das Zertifikat am Emissionstag zu einem Preis, der niedriger
ist als der Kurswert des Basiswertes am Emissionstag ({5}).
({6})
Im Gegenzug kann er nur begrenzt ({7}) an einer Wertsteigerung des Basiswertes partizipieren.
Ich gehe davon aus, dass Sie alle das verstanden haben
({8})
und natürlich auch die Verbraucherinnen und Verbraucher.
({9})
Dieses Beispiel macht doch deutlich: Wir brauchen einen entsprechenden Schutz für die Verbraucherinnen und
Verbraucher. Wir haben in unserem gestern debattierten
soliden und umfassenden Antrag deutlich gemacht, wie
wir uns diesen vorstellen. Ich kann Sie nur auffordern,
sich in diesem Sinne weiter einzubringen. Echter verständlicher Verbraucherschutz ist nämlich wahrlich wichtig.
Vielen Dank.
({10})
Das Wort hat der Kollege Frank Schäffler von der
FDP-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die beiden vorliegenden Anträge sind unterschiedlich zu beurteilen. Ich will mich zuerst mit dem Antrag
der Linken beschäftigen. Was die Linken hier vorgeschlagen haben, ist, wie ich glaube, ein Schnellschuss.
({0})
Damit wird man den Problemen, die wir in der Finanzberatung und bei der Vermittlung von Finanzprodukten
in Deutschland haben, nicht gerecht. Sie werden dem
deshalb nicht gerecht, weil Sie hier Instrumente erwähnen, die Sie ansonsten an anderer Stelle ablehnen.
Ich will Ihnen ein Beispiel nennen: Der Finanz-TÜV
ist Ihre Allzweckwaffe, um die Qualität der Finanzprodukte in Deutschland zu verbessern. Ich weiß nicht, ob
Sie schon einmal beim TÜV waren, aber eine Untersuchung beim TÜV zeichnet sich dadurch aus, dass ein
Auto formal geprüft wird, ob es den technischen Normen entspricht, wofür, anders als Sie es vielleicht erwarten, die Kunden, also die Auftraggeber, den TÜV bezahlen. Genau das kritisieren Sie aber an anderer Stelle
immer wieder: Denn auch Ratingagenturen werden von
den Auftraggebern faktisch dafür bezahlt, dass sie Ratings über bestimmte Finanzprodukte erstellen. Das, was
Sie hier fordern, entspricht also genau dem Ablauf, wie
er sich aktuell am Markt bei Ratings darstellt. Doch genau diesen Ablauf kritisieren Sie.
Wir müssen uns sicherlich intensiv über den Missbrauch am Finanzmarkt unterhalten. Hierfür gibt es viele
historische Beispiele.
Über Phoenix haben wir nicht nur gestern Abend im
Parlament diskutiert, sondern schon des Öfteren seit
2005, also faktisch noch zur rot-grünen Regierungszeit,
({1})
hat dieses Thema dieses Haus beschäftigt. Das sind Vorgänge, die auf dem regulierten Markt passiert sind und
die von der BaFin sowie der Entschädigungseinrichtung
der Wertpapierhandelsunternehmen hätten kontrolliert
werden müssen. Hier haben allerdings die Institutionen,
die wir dafür geschaffen haben, deutlich versagt, obwohl
sich das Ganze nicht einmal in einem unregulierten Bereich abgespielt hat. Im regulierten Bereich hat sich also
einer der größten Betrugsskandale in Deutschland abgespielt. Nach wie vor warten 20 000 Anleger auf einen
Großteil ihres Geldes. Zugleich müssen die Zwangsmitglieder der EdW, obwohl sie diesen Schaden nicht mitverursacht haben, dafür bezahlen. All das hat in einem
sehr stark regulierten Bereich stattgefunden.
Ein weiteres aktuelles Beispiel ist der Fall Kiener.
Auch hier spielte sich alles im regulierten Investmentfondsbereich ab.
Daran sehen Sie, dass es nicht reicht, neue Behörden
oder neue Institutionen bzw. neue Aufgabenfelder zu
schaffen. Entscheidend ist vielmehr, dass die materielle
Regulierung verbessert wird, dass tatsächlich die Qualität der Regulierung verbessert wird. Daran hapert es in
Deutschland. Deshalb sollte man aus meiner Sicht zwei
Dinge anpacken:
Wir müssen zum einen dafür sorgen, dass schwarze
Schafe vom Markt entfernt werden. Das erreicht man am
ehesten, indem man einen konsistenten Finanzdienstleistungsmarkt schafft, auf dem es keine Arbitrageeffekte
gibt, auf dem es keine Möglichkeit zum Ausweichen auf
andere Bereiche gibt, zum Beispiel zu den geschlossenen Fonds. Diese Lücke wollen wir - wir sind gerade dabei - mit dem Gesetz zur Stärkung des Anlegerschutzes
schließen. Wir wollen, dass es keine Ausweichmöglichkeiten am Markt gibt. Wir wollen, dass es einheitliche
Standards gibt, was die Haftung betrifft, dass es einheitliche Standards gibt, was die Ausbildung betrifft, und
dass es einheitliche Standards gibt, was die Versicherungen betrifft. Diese Standards sind notwendig, damit es
diese Arbitrageeffekte am Markt nicht gibt. Nach der
Sommerpause werden wir Vorschläge zur politischen
Umsetzung vorlegen.
Mir ist zum anderen wichtig, dass uns klar wird, dass
nicht nur die schwarzen Schafe das Problem in Deutschland sind. Ganz entscheidend ist, dass wir die Qualität
der Produkte und der Produktvermittlung verbessern.
Natürlich kann man in diesem Zusammenhang noch
mehr Dokumentation und noch mehr Produktinformationen fordern. Man kann noch mehr Papier produzieren.
Bei Verbraucherzentralen und anderen Institutionen
kommt das sicher gut an, ist aber keine Gewähr dafür,
dass die Kunden bessere Produkte bekommen.
Ich glaube, es gibt zwei Wege, die man einschlagen
kann:
Wir müssen auf der einen Seite, was die Vermittlung
betrifft, die Haftungsregeln verbessern und die Haftung
verschärfen; das haben wir im letzten Jahr gemacht.
Wir müssen aber auf der anderen Seite auch eine Regelung für die Produktebene schaffen. Das, was der Vermittler oder Berater seinem Kunden am Ende empfiehlt,
muss das beste Produkt sein, und zwar unabhängig davon, welcher Vertriebsweg gewählt wird, ob über die
Bank, über freie Vermittler, über Makler oder über Honorarberater. Am Ende muss der Kunde das beste Produkt erhalten. Das ist in Deutschland leider nicht gewährleistet. Das hat sehr viel mit den Vertriebswegen zu
tun. Das hat aber auch sehr viel damit zu tun, welchem
Bankensektor der jeweilige Berater angehört. Ich glaube,
es ist entscheidend, dass wir diesen Punkt angehen.
Wir unterhalten uns zu oft über die grauen und
schwarzen Schafe auf dem Markt. Wir sollten uns auch
darüber unterhalten, wie die Qualität am Markt insgesamt verbessert werden kann. Dazu werden wir Vorschläge vorlegen.
Vielen Dank.
({2})
Das Wort hat die Kollegin Caren Lay von der Fraktion Die Linke.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich muss mich schon sehr darüber wundern, dass
die Vertreterinnen und Vertreter der Koalition heute der
Linken einen Schnellschuss vorwerfen. Wie lange wollen Sie eigentlich noch warten, bis Sie endlich handeln?
Die Lehman-Pleite ist zwei Jahre her, und die zweite Finanzkrise liegt mehrere Monate zurück. Expertinnen und
Experten sprechen von der größten Wirtschafts- und Finanzkrise nach dem Zweiten Weltkrieg. Da muss ich
mich fragen: Wie lange will die Koalition noch warten,
bis sie endlich handelt?
({0})
Die Menschen erwarten von uns als Politikerinnen
und Politikern, dass wir die Finanzmärkte regulieren und
uns mit der Finanzlobby anlegen. Ich bin froh, dass wir,
die Linke, die Initiative ergriffen haben.
Alle Fraktionen haben inzwischen Anträge und Vorschläge auf den Tisch gelegt, nur die Koalition lässt auf
sich warten. Ich muss Ihnen ganz ehrlich sagen: Ich bin
es leid, zum wiederholten Male zu hören, dass ein
Antrag kommt - entweder vor oder nach der Sommerpause - und Gesetzentwürfe in irgendwelchen Schubladen herumliegen. So lange können wir nicht warten. In
der Politik zählen nicht Ankündigungen, sondern Taten.
({1})
Wir sind es in vielen Bereichen gewohnt, dass die Regierung Murks macht und nicht regiert. Aber die Menschen leiden unter Ihrer Untätigkeit. Viele verlieren ihre
Arbeit. Viele verlieren ihr Vermögen, so sie welches haben. Allein durch schlechte Finanzberatung werden Verbraucherinnen und Verbraucher jährlich um 20 bis
30 Milliarden Euro geprellt.
Intransparente Finanzprodukte überschwemmen die
Märkte ungehindert, und das immer wieder aufs Neue.
Banker kassieren Provisionen, wenn sie unbedarften Anlegern riskante Finanzanlagen aufschwatzen können.
Versteckte Kosten machen nicht einmal vor staatlich geförderten Riester-Renten halt. Überhöhte Zinsen bei Dispokrediten treiben Menschen zunehmend in die Überschuldung. Schwarz-Gelb schaut sich das alles tatenlos
an und schiebt die vielen versprochenen Reformen vor
sich her.
Der Nachholbedarf beim Verbraucherschutz im Finanzbereich ist enorm. Die USA haben bereits beschlossen, eine eigene Verbraucherbehörde einzurichten. Ich
betone: die USA, nicht die Sowjetunion.
({2})
Schweden und Großbritannien haben den Verbraucherschutz ebenfalls längst wirksam in der Finanzaufsicht
verankert. Warum soll das in Deutschland nicht möglich
sein? Auch wir brauchen eine effektive Verbraucherbehörde für die Finanzmärkte. Es gibt in Deutschland für
fast alles eine öffentliche Kontrolle; an Ämtern mangelt
es uns nun wirklich nicht. Aber gerade an der Stelle, wo
es dringend nötig wäre, die Märkte im Interesse der Verbraucherinnen und Verbraucher zu regulieren, tun Sie
nichts. Sie wollen die Verantwortung auf die Bürgerinnen und Bürger abwälzen, weil Sie Angst haben, sich
mit der Finanzlobby anzulegen. So sieht es aus.
({3})
Meine Damen und Herren, wir brauchen nicht nur einen Schutzschirm für die Banken, sondern auch einen
Schutzschirm für die Verbraucherinnen und Verbraucher.
({4})
Deshalb sagen wir als Linke: Der Verbraucherschutz gehört gesetzlich verankert in die Finanzaufsicht. Wir als
Linke haben einige gute Vorschläge gemacht, an denen
sich die Koalition vielleicht ein Beispiel nehmen könnte.
Erstens. Wir wollen eine gute, unabhängige Finanzberatung durch professionell ausgebildete Berater.
Zweitens. Wir wollen einen Ausbau der Finanzberatung bei den Verbraucherzentralen, damit gute Beratung
kein Privileg der Reichen ist.
Drittens. Wir wollen einen TÜV für Finanzprodukte;
denn Schrottpapiere gehören nicht auf den Markt. Ich
weiß nicht, was an dieser Forderung unrealistisch sein
soll. Auch die FDP hat sie bislang erhoben.
Über drei Viertel aller Wahlberechtigten sind der Ansicht, dass die Bundesregierung zu wenig für den Verbraucherschutz im Finanzbereich tut. Ich frage mich: Worauf wartet die schwarz-gelbe Bundesregierung noch?
Gefragt sind nicht Zögerlichkeit und Klein-Klein, sondern entschlossenes Handeln mit Konzept.
({5})
Ich erwarte von der Bundesregierung wesentlich mehr
Mut, Entschlossenheit und vor allen Dingen endlich
Handlungen.
Vielen Dank.
({6})
Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Gerhard Schick
von Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich
muss sagen: Ich bin es langsam leid, dass in dieser unaufrichtigen Art und Weise über dieses Thema geredet
wird.
({0})
Jetzt geben Sie doch einmal zu, dass die Große Koalition
die entscheidenden Problemfelder bei den Anlegerschutzgesetzen immer ausgespart hat. Deswegen haben
die Menschen die Probleme bekommen, über die wir
jetzt jeden Tag in der Zeitung lesen. Tun Sie nicht so, als
sei es nicht bekannt gewesen, dass den Menschen mit
den Zertifikaten völlig intransparente Produkte verkauft
werden und dass der Staat hier regulieren muss. Wir haben das schon 2006, also vor der Finanzkrise, angesprochen.
({1})
Heute tun Sie so, als seien Sie die ganz tollen Anlegerschutzparteien. Sie selber haben es damals abgelehnt, etwas zu tun. Heute hört man: Ja, wir müssen die Anleger
schützen. Geben Sie es zu: Es war bekannt, Sie wollten
es nicht regulieren, und Sie haben die Leute ins finanzielle Verderben laufen lassen.
({2})
Auch die Sozialdemokraten haben mitgemacht, zum
Beispiel bei der Umsetzung der VersicherungsvermittlerRichtlinie. 70 Prozent der Vermittler unterliegen nicht
den Qualifkationsanforderungen. Sie haben diese 70 Prozent damals bewusst ausgespart, weil Sie daran nichts ändern wollten. Jetzt beklagen Sie lautstark, dass so viele
Menschen eine Fehlberatung erhalten. Daran haben Sie
selber Schuld. Geben Sie das zu, und ändern Sie etwas!
({3})
Ich bin es leid: Wir haben seit eineinhalb Jahren eine
neue Verbraucherministerin. Ankündigungen hier, Ankündigungen dort - Verbraucherpolitik ist doch kein
Showbusiness. Das gilt auch für Sie, Frau Klöckner.
({4})
Verbraucherpolitik hat etwas mit dem Setzen von Regeln
zu tun. Das, was Sie machen, ist eine reine Blubb-Veranstaltung; Sie sind wandelnde Sprechblasen. Ich bin bei
dem Thema inzwischen wirklich empört.
({5})
Das gilt auch für das, was Sie ankündigen.
Herr Flosbach hat gestern angekündigt: Wir setzen ein
großes Anlegerschutzkonzept um. - Der zentrale Problembereich der Zertifikate taucht aber nicht auf. Die
Menschen werden weiter mit Hunderttausenden schlechten Zertifikaten überfordert sein und schlechte Produkte
vorfinden, genauso wie es heute der Fall ist.
Zweite Leerstelle. Sie machen nichts bei den gebundenen Vermittlern. Der Fehler der Großen Koalition
wird nicht korrigiert. Das hat mir gerade die Bundesregierung in ihrer Antwort auf eine Kleine Anfrage bestätigt. Sie werden es dabei belassen, dass 70 Prozent
des Vermittlermarktes aus unqualifizierten Leuten bestehen. Das ist so, als ob Menschen mit Zahnproblemen
zum Schmied anstatt zum Zahnarzt gingen. Sie belassen
es bei diesem Zustand. Das ist fatal.
({6})
Die Beratungsprotokolle dienen mehr dazu, die Haftungsfreistellung für den Berater sicherzustellen. Das,
was Sie im Verbraucherministerium bisher gemacht haben, ist nicht kundenorientiert. Das ist einfach skandalös.
Ein weiterer Punkt ist der graue Kapitalmarkt. Wir
haben uns darüber viele Gedanken gemacht. Schon in
der letzten Legislaturperiode haben wir einen Anstoß gegeben. Es ist gut, dass Sie nun unsere Initiative aufgreifen. Aber warum lassen Sie wieder die entscheidenden
Lücken offen? So geht es weiter wie bisher. Solange Sie
die Platzierungsgarantie und die Treuhänder nicht einbeziehen, muss man sich auf eine Garantie verlassen, von
der nachher nichts mehr da ist. Sie wissen doch, wo die
Probleme sind. Das ist doch marktbekannt und politisch
bekannt. Warum tun Sie nichts dagegen?
Es ist wirklich empörend, dass Sie hier eine Show abziehen, anstatt wirklich etwas gegen die Kernprobleme
zu tun. Sie haben von einem angemessenen Schutz vor
unseriösen Beratern gesprochen. Genau das wird nicht
erreicht. Wir fordern Sie auf: Tun Sie endlich etwas!
Vom Showbusiness haben die Menschen genug, wenn
sie Zehntausende Euro verlieren, weil die Politik ihre
Hausaufgaben nicht macht. Daran muss sich endlich etwas ändern.
Danke.
({7})
Das Wort hat der Kollege Ralph Brinkhaus von der
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das war
ein ganz wilder Vortrag, Herr Schick. Ich möchte wieder
ein bisschen Ruhe in die Debatte bringen.
({0})
Wir sind uns doch einig, dass bis vor wenigen Jahren im
Bereich des Verbraucherschutzes, insbesondere im Finanzdienstleistungsbereich, zu wenig getan worden ist.
Da beißt die Maus keinen Faden ab; das ist so. Es muss
etwas getan werden. Die Tatsache, dass wir uns in dieser
Woche das zweite Mal mit diesem Thema befassen und
dass die Regierung in Bälde einen Kabinettsentwurf zum
Anlegerschutz vorlegen wird, zeigt, dass alle Beteiligten
das Thema trotz aller inhaltlichen Differenzen sehr
wichtig nehmen; das ist auch gut so.
Ich möchte mir ersparen, jetzt alle Einzelmaßnahmen
und alle Einzelvorschläge durchzugehen. Ich möchte
vielmehr die Debatte an dieser Stelle nutzen, um einige
grundlegende Dinge zum Verbraucherschutz im Finanzbereich mit auf den Weg zu geben.
Verbraucherschutz ist in vielerlei Hinsicht eine Gratwanderung.
Er ist zum Ersten eine Gratwanderung zwischen notwendiger Regulierung auf der einen Seite und unnötiger
Bürokratisierung auf der anderen Seite. Das Beratungsprotokoll ist ein schönes Beispiel dafür. Auf der einen
Seite ist es ein sehr nützliches Instrument. Wenn es gut
gemacht wird, schafft es Transparenz für den Anleger
und für den Verkäufer des Produktes. Auf der anderen
Seite hören wir täglich Klagen über den hohen administrativen Aufwand. Ein anderes Beispiel ist die Einrichtung neuer Institutionen wie eines Finanz-TÜVs. Auf
der einen Seite ist er eine gute Idee. Auf der anderen
Seite habe ich immer ein tiefes Misstrauen, wenn wir
eine neue Behörde oder eine neue Institution aufbauen,
weil das Ganze durchaus eine Eigendynamik entwickeln
kann.
({1})
Zweite Gratwanderung. Auf der einen Seite produzieren wir durch Verbraucherschutz die Erwartungshaltung
bei den Verbrauchern, es gebe hundertprozentige Sicherheit. Auf der anderen Seite haben wir eine große Unsicherheit aufgrund der Komplexität der Welt und der
Produkte, die verkauft werden. Eine Lehre aus der Finanzkrise ist doch gerade, dass wir hundertprozentige
Sicherheit nicht garantieren können. Wer hätte vor drei
oder vier Jahren gedacht, dass Staatsanleihen von Spanien, Italien und anderen Ländern zum Problem werden
könnten? Wir müssen aufpassen, dass wir dem Verbraucher nicht etwas versprechen, das wir am Ende nicht halten können.
({2})
Ein schönes Beispiel für die Erwartungshaltung des
Verbrauchers: Ich hatte neulich jemanden in der Sprechstunde, der in ein Hochrisikoprodukt investiert hatte. Ob er
gut oder schlecht beraten war, weiß ich nicht. Er sagte jedenfalls: Das hätte die BaFin doch sehen müssen; da hätte
die doch etwas tun müssen. Ich verklage die BaFin. - Damit sind wir bei der Vielzahl der Finanzprodukte, die auf
dem Markt sind, und der Tatsache, dass man alle diese
Produkte einordnen und kontrollieren müsste. Wir müssen uns dieser Gratwanderung bewusst sein und uns fragen: Was versprechen wir durch den Verbraucherschutz,
und was können wir halten?
Ich glaube, in diesen beiden Punkten sind wir uns alle
in diesem Haus durchaus einig. Aber es gibt noch einen
dritten Unterschied. Es ist ein großer, fundamentaler Unterschied, der, glaube ich, bei aller Leidenschaft, die Sie
gerade für dieses Thema gezeigt haben, Herr Schick,
zwischen uns besteht.
Herr Kollege Brinkhaus, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Koch von den Linken?
Aber gerne.
Bitte schön.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Herr Brinkhaus, Sie
wissen, dass es bei Medikamenten einen Beipackzettel
gibt.
({0})
Wieso soll es nicht möglich sein, ähnlich wie bei Medikamenten, die durch eine Aufsichtsbehörde geprüft und
zugelassen werden, auch für Finanzprodukte eine solche
Liste vorzugeben?
({1})
War das die Frage?
Das war die Frage, ja.
Vielen Dank. - Wir werden einen solchen Beipackzettel - so nennen wir es tatsächlich - im Finanzdienstleistungsbereich auf den Weg bringen und abwarten, welchen Erfolg das zeitigt. Wenn es keinen Erfolg zeitigt,
dann müssen wir irgendwie regulieren. Darin gebe ich
Ihnen recht.
Ich möchte noch einmal auf den fundamentalen Unterschied zurückkommen, und zwar den Unterschied
zwischen Schutz auf der einen Seite und Bevormundung
auf der anderen Seite. Das ist die Gratwanderung beim
Verbraucherschutz.
Meine Damen und Herren, wir von der Union und
auch unsere Freunde von den Liberalen - deswegen stehen wir bei allen hin und wieder auftretenden Differenzen den Liberalen viel näher als Ihnen - haben ein freiheitliches Menschenbild, das von einem Menschen
ausgeht, dessen Wesen es ist, Entscheidungen zu treffen,
der dann aber auch die Konsequenzen dieser Entscheidungen trägt und verantwortet, im Guten und im
Schlechten. Das ist im Übrigen auch der Kern der
Marktwirtschaft, zu der wir stehen.
({0})
Verbraucherschutz kann, wenn er gut gemacht ist,
dazu beitragen, diese Entscheidungen zu verbessern. Er
kann dazu beitragen, dass Märkte funktionieren, indem
er vor allen Dingen zwei Punkte einfordert: Transparenz
und faire Regeln.
({1})
Wenn Verbraucherschutz allerdings in Entscheidungen
eingreift, indem er den Menschen sagt, was sie zu tun
haben, dann lehnen wir das ab. Denn das ist Bevormundung. Wir Politiker haben nicht das Recht, aus Verbraucherschutzgründen zu sagen: Das ist ein gutes Produkt,
und dies ist ein schlechtes Produkt. Diese Zeiten sind in
Deutschland Gott sei Dank vorbei.
({2})
Wir haben diese Diskussion geführt, als es um die
ethische und ökologische Ausrichtung der Finanzmärkte
gegangen ist. Damals habe ich ausführlich dargelegt,
dass wir es uns nicht anmaßen werden, zwischen guten
und schlechten Produkten zu unterscheiden.
({3})
Das soll der Markt machen. Der Markt soll diese Entscheidungen treffen.
Für den Verbraucher muss eines gelten, nämlich dass
derjenige, der die Chancen hat, auch die Risiken tragen
muss. Wir alle kennen die Beispiele eines Bankkunden
oder eines Kunden eines freien Versicherungs- und Anlagenvermittlers, der immer wieder bei seinem Vermittler nach höheren Zinsen gefragt hat, aber dann, wenn es
schiefgegangen ist, nach jemandem sucht, der in Haftung genommen werden kann.
Verbraucherschutz ist notwendig. Wir müssen etwas
tun. Wir müssen mehr tun als in der Vergangenheit. Es
bringt überhaupt nichts, Schuldzuweisungen vorzunehmen, wer wie lange nichts gemacht hat. Wir müssen
nach vorne schauen. Wir werden als Regierung und Regierungsfraktionen handeln.
Ich hoffe, dass wir einen Weg finden, der die Gratwanderung erfolgreich meistert, sodass wir einen fairen
und transparenten Markt haben, wo Menschen in freier
Entscheidung bestimmen können, was sie kaufen. Dann,
meine Damen und Herren, haben wir viel gewonnen.
Danke schön.
({4})
Als letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt hat
der Kollege Carsten Sieling von der SPD-Fraktion das
Wort.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine Damen und Herren! Herr Kollege Brinkhaus, die
Verbraucherpolitik braucht in der Tat ein freiheitliches
Menschenbild. Dieser Auffassung sind auch wir als Sozialdemokraten. Ich vermute, die meisten im Hause sind
dieser Auffassung.
({0})
Der Unterschied ist aber, glaube ich, was wir unter Freiheit verstehen und was die Freiheit ausmacht.
({1})
Wenn Sie hier sagen - Herr Brinkhaus hat leider genauso
argumentiert, wie auch Sie es hätten ausführen können,
Herr Schäffler -, die Freiheit bestehe darin, dass sich alle
Produkte auf dem Markt entwickeln können, dann ist das
eine einseitige Freiheit.
({2})
Hier fehlt es an Freiheit. Es fehlt nämlich an der Möglichkeit - das ist der Mangel -, dass die Verbraucherinnen und Verbraucher die gleichen Informationen erhalten.
Nur dann, wenn die Gleichheit der Ausgangsbedingungen gegeben ist, ist wahre Freiheit möglich. Das müssen
wir reparieren.
({3})
Der Widerspruch besteht darin, zu sagen, man dürfe
keine weiteren Beaufsichtigungen durchführen, es bedürfe keiner behördlichen Blicke darauf.
({4})
- Ich bin froh, wenn ich von Ihnen an dieser Stelle so
viel Zustimmung bekomme.
({5})
Ich verstehe dann allerdings nicht, warum Kollege
Brinkhaus hier den Gegensatz zwischen Freiheit und
dem, was in den Vorschlägen der Verbraucherpolitik
zum Ausdruck kam, beschrieben hat; das ist an dieser
Stelle nicht sachgerecht.
({6})
Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, ich kann ja
verstehen,
({7})
dass Sie als regierende Koalition, die hier ein Jahr lang
Ankündigungen gemacht hat - ich verweise auf Verbraucherschutzministerin Aigner; Herr Schäuble hat schon
etwas zu Papier gebracht; ich komme darauf gleich -,
hier mit Zwischenrufen agieren müssen; schließlich haben sie nichts vorgelegt und nichts zustande gebracht.
({8})
Herr Schick hat recht: Wir haben große Eile; es ist alles viel zu spät. Die Resonanz der Debatte heute Morgen
ist: Handeln Sie und bringen Sie endlich etwas auf den
Weg! Darauf kommt es uns an.
({9})
Da es mir wichtig ist, möchte ich an dieser Stelle noch
einmal deutlich machen: Wir brauchen einen FinanzTÜV. Das heißt aber nicht, dass wir - das ist der Unterschied zu dem, was im vorliegenden Antrag der Linken
gefordert wird - eine neue Behörde brauchen. Wir unterscheiden uns von den USA auch dadurch, dass wir
Strukturen haben, die man für einen Finanz-TÜV nutzen
kann. Finanz-TÜV heißt vor allem, dass man von Beginn an - vom Produkt über Beratungsprozesse, übrigens auch über Qualifizierung der Beraterinnen und Berater, bis zum Verkauf, inklusive der Haftung; auch Herr
Frank Schäffler hat das hier angesprochen; dem stimme
ich ausdrücklich zu - für deutliche Veränderungen und
klare Regeln sorgt.
({10})
Ich will gerne sagen, dass ich in den Diskussionsentwürfen - heutzutage heißen Gesetzentwürfe in einem
frühen Stadium nicht mehr Referentenentwürfe, sondern
Diskussionsentwürfe - viele gute Ansätze gesehen habe.
({11})
Was ich in dem Entwurf des Bundesfinanzministers gesehen habe, finde ich sehr gut. Umso bedauerlicher ist es
allerdings, dass dieser Entwurf wieder in der Schublade
verschwinden musste.
({12})
Wie ich in der Debatte hier gestern Abend schon gesagt
habe, musste dieser Entwurf offensichtlich erst einmal
mit Minister Brüderle, FDP, abgestimmt werden.
({13})
Innerhalb der Koalition werden die notwendigen verbraucherpolitischen Maßnahmen wieder blockiert.
Ich fordere Sie auf: Beeilen Sie sich! Geben Sie richtig Gas! Wir müssen schnell zu Ergebnissen kommen. In
diesem Sinne haben wir hier gestern Abend und heute
eine gute Diskussion geführt. Jetzt muss nur noch die
Koalition endlich einmal handeln. Aber das muss sie auf
vielen Feldern.
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
({14})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Finanzausschusses zum Antrag der Fraktion Die Linke mit dem
Titel „Finanziellen Verbraucherschutz stärken - Finanzmärkte verbrauchergerecht regulieren“. Der Ausschuss
empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/1782, den Antrag der Fraktion Die Linke auf
Drucksache 17/887 abzulehnen. Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist angenommen mit
den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der Fraktion
der SPD gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke bei
Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Beschlussempfehlung des Finanzausschusses zu dem
Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit dem Titel „Grauen Kapitalmarkt durch einheitliches Anlegerschutzniveau überwinden“. Der Ausschuss empfiehlt in
seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/2335,
den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf
Drucksache 17/284 abzulehnen. Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer
enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist angenommen mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen
die Stimmen der Fraktion Die Linke und der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der SPD-Fraktion.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 22 auf:
Erste Beratung des von den Abgeordneten Memet
Kilic, Josef Philip Winkler, Katja Dörner, weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs
eines Gesetzes zur Änderung des Aufenthaltsgesetzes ({0})
- Drucksache 17/1626 Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss ({1})
Rechtsausschuss
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. Gibt es Widerspruch? - Das ist nicht der Fall. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner das Wort dem Kollegen Memet Kilic von
Bündnis 90/Die Grünen.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen!
Die Familie ist die natürliche Grundeinheit der Gesellschaft und hat Anspruch auf Schutz durch Gesellschaft und Staat.
So steht es in Art. 16 der Allgemeinen Erklärung der
Menschenrechte.
Wir haben einen Gesetzentwurf zum Ehegattennachzug eingereicht, um die im Jahr 2007 eingeführten Verschärfungen aufzuheben. Insbesondere geht es uns um
die Aufhebung des sogenannten Spracherfordernisses
sowie der Lebensunterhaltssicherungspflicht beim Nachzug zu Deutschen. Beide Regelungen greifen unverhältnismäßig in das Recht auf eheliches Zusammenleben
ein. Darüber hinaus sind sie diskriminierend. Sie benachteiligen nicht nur sozial Schwache sowie solche mit
wenig Bildungserfahrung, sondern auch deutsche Staatsangehörige.
Für viele Ehegatten ist der Spracherwerb im Ausland
kaum möglich, da es etwa an Schulungsmöglichkeiten
fehlt oder sie die Kosten für Sprachkurse nicht aufbringen können. Die Neuregelung führt in einigen Fällen
dazu, dass Eheleute jahrelang voneinander getrennt leben müssen; bei anderen kann das Spracherfordernis sogar ein dauerhaftes Einreisehindernis darstellen.
Die Verpflichtung zum Sprachnachweis wurde von
der Großen Koalition damit begründet, dass Sprachkurse
Zwangsehen verhinderten. Belege dafür kann aber nicht
einmal die Regierung vorlegen.
({0})
Die Eingriffe in das Recht auf familiäres Zusammenleben in Deutschland werden auch durch das Ziel der Integration nicht gerechtfertigt. Sprachen lernt man am
besten dort, wo sie gesprochen werden. Der Spracherwerb in Deutschland ist für die betroffenen Familien viel
leichter, schneller, günstiger und weniger belastend als
im Ausland. Grundsätzlich ist die Teilnahme an Integrationskursen in Deutschland seit 2005 sogar verpflichtend.
Ohnehin waren die Verhinderung von Zwangsehen
und die nachgeschobene Begründung der Förderung von
Integration nur vorgeschobene Gründe. Tatsächlich ging
und geht es der Bundesregierung darum, den Ehegattennachzug, insbesondere aus bestimmten Staaten, einzuschränken. Das Recht auf Zusammenleben von Familien
vom Bildungsniveau der Betroffenen abhängig zu machen, verstößt gegen alle geltenden Grundrechtsregelungen dieser Welt.
({1})
Das Spracherfordernis ist auch im Hinblick auf den
Gleichheitsgrundsatz problematisch. Ausgenommen von
der Nachweispflicht sind unter anderem Ehegatten von
Unionsbürgern sowie Ehegatten von Hochqualifizierten,
Selbstständigen und Forschern. Benachteiligt werden
also Ehegatten von deutschen und ausgewählten ausländischen Staatsangehörigen.
Auch die FDP ist der Ansicht, die Regelung sei problematisch, weil sie auf die Staatsangehörigkeit des
Stammberechtigten und nicht des nachziehenden Ehegatten abstelle. Darüber hinaus ist auch sie der Meinung,
dass die Regelung unverhältnismäßig sei, weil der Erwerb von Sprachkenntnissen für die Ehegatten im Ausland oft unzumutbar sei. Diese Meinung teilen wir.
Die zweite Regelung, die wir aufheben möchten, unterteilt Deutsche in Bürgerinnen und Bürger erster und
zweiter Klasse. Heute können die Behörden bei mangelnder selbstständiger Lebensunterhaltssicherung den
Ehegattennachzug zu Deutschen versagen, wenn die Begründung der ehelichen Lebensgemeinschaft im Ausland
zumutbar ist. Dies soll insbesondere bei Doppelstaatlern
oder bei Deutschen in Betracht kommen, die geraume
Zeit im Herkunftsland des Ehegatten gelebt und gearbeitet haben und die Sprache dieses Staates beherrschen.
Das heißt, die uneingeschränkte Wahrnehmung des
Rechts auf familiäres Zusammenleben in Deutschland ist
heute allein den Deutschen möglich, die es sich finanziell leisten können oder keinen interkulturellen Hintergrund haben. Mit scheinbar neutralen Vorschriften werden insbesondere Deutsche, die nicht ethnisch deutsch
sind, benachteiligt. Das ist nicht hinnehmbar.
({2})
Die unterschiedliche Behandlung von deutschen Staatsbürgerinnen und -bürgern nach ethnischer Herkunft und
vorhergehendem Wohnsitz widerspricht dem Prinzip der
einheitlichen deutschen Staatsangehörigkeit.
Wir sollten nicht warten, bis das Bundesverfassungsgericht oder der Europäische Gerichtshof uns aufgeben,
die geltenden Regelungen aufzuheben. Ich bitte Sie, unserem Gesetzentwurf zuzustimmen, um die Regelungen
zum Ehegattennachzug wieder mit unseren Grundrechten in Einklang zu bringen.
Vielen herzlichen Dank.
({3})
Das Wort hat der Kollege Reinhard Grindel von der
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich
will nicht bestreiten, dass es in den Kommunen eine
Reihe von Grünen gibt, die in den letzten Jahren in Sachen Integrationspolitik realistische Positionen bezogen
haben. Herr Kollege Kilic, was Sie aber eben geboten
haben, ist altes Multikultidenken.
({0})
Das ist eine Politik, die dazu geführt hat, dass Kinder
nicht ausreichend Deutsch sprechen, jugendliche Migranten überdurchschnittlich arbeitslos sind und nichts
wirklich Wirksames gegen Zwangsehen unternommen
wird. Mit dieser Ideologie können wir Parallelgesellschaften nicht überwinden. Es ist eine Politik, die das
Nebeneinander zementiert. Das ist eine Politik, die keine
Brücken zum Miteinander baut, so wie wir das wollen.
Sie helfen nicht, sondern in Wahrheit schaden Sie den
Interessen unserer ausländischen Mitbürger.
({1})
Es geht um eine schlichte Frage: Was ist eigentlich
falsch daran, wenn ein Ausländer, der nach Deutschland
kommen will, vorher ein klein wenig Deutsch lernt? Was
ist so falsch daran, wenn ein Ausländer ein klein wenig
über unsere Kultur, unsere Gesetze und unseren Lebensalltag erfährt?
({2})
Es ist nicht so, dass bei den Sprachkursen, etwa in der
Türkei, nur Deutschkenntnisse vermittelt werden. Nein,
die Zuwanderer werden auf ein Leben in Deutschland
vorbereitet.
Was ist falsch daran, wenn eine junge Frau, die in
Deutschland in einer arrangierten Ehe leben soll, neben
der deutschen Sprache auch lernt, dass sie sich gegen ihren Mann wehren kann und es vielfältige Hilfsangebote
gibt? Mit Ihrer Politik erreichen Sie nur, dass die zum
Teil hochgeförderten Frauenberatungsstellen und Zufluchtsorte einer ausländischen Migrantin kaum nutzen,
weil sie der deutschen Sprache nicht mächtig ist, was sie
daran hindert, die Hilfsangebote in Anspruch zu nehmen. Mit Ihrer Politik helfen Sie den Migrantinnen
nicht, sondern Sie schaden ihnen.
({3})
Die Zahlen im Rahmen des Ehegattennachzugs sind
im Übrigen nicht so dramatisch eingebrochen, wie die
Opposition das immer behauptet hat. Selbst wenn es einen gewissen Rückgang geben sollte: Sollte sich darin
ausdrücken - daran glauben wir zutiefst -, dass wir die
eine oder andere Zwangsehe haben verhindern können,
dann steckt in dem Rückgang der Zahlen auch ein Rückgang des Leids junger Frauen, deren Selbstbestimmungsrecht durch unsere Politik gestärkt wird. Wir helfen den Frauen. Sie schaden den Frauen.
({4})
Niemand sollte glauben, dass es beim Ehegattennachzug keine problematischen Konstellationen gibt. Anstatt
nur vom grünen Tisch aus Ihre Politik zu machen, sollten
Sie, wie ich das vor drei Wochen gemacht habe, die Visastelle unseres Generalkonsulats in Istanbul besuchen,
wo hochprofessionelle Mitarbeiter des Auswärtigen Amtes über Jahre hinweg eine ausgesprochen schwere Aufgabe hervorragend meistern. Reden Sie mit den vorwiegend weiblichen Mitarbeitern des Auswärtigen Amtes;
es sind meistens Frauen, die diese Aufgabe erfüllen. Sie
werden Ihnen sagen, dass es bei 30 Prozent der Anträge
auf Ehegattennachzug keinerlei Bedenken gibt und diese
bewilligt werden. In 70 Prozent der Fälle sehen diese
hochprofessionell arbeitenden Mitarbeiterinnen einen
Anlass für eine intensive Nachprüfung, ob es sich um einen korrekten Visaantrag handelt.
({5})
Erkundigen Sie sich, mit welchen Fällen diese Mitarbeiterinnen zu tun haben. Es kommen 14-jährige Mädchen an, deren Eltern kurz zuvor beim örtlichen Gericht
eine Korrektur der Angaben erwirkt haben, was das Geburtsdatum anbelangt. Diese Mädchen sind völlig verängstigt. Sie können keine Auskünfte über ihren zukünftigen
Ehemann geben. Sie brauchen Hilfe. Die Mitarbeiterinnen der Visastelle haben mir gesagt, das Einzige, was
helfe, seien ein Altersbestimmungstest durch eine Fingerknochenanalyse und der Nachweis von Deutschkenntnissen vor dem Ehegattennachzug. Angesichts eines zutiefst
menschlichen Problems klingt das ausgesprochen bürokratisch - das ist wahr -, aber es hilft den jungen Frauen,
und darauf kommt es an.
({6})
Herr Grindel, erlauben Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Kilic?
Selbstverständlich.
Bitte schön.
Herr Kollege Grindel, stimmen Sie mir zu, dass es bereits seit 1996 auf europäischer Ebene eine Regelung
gibt, die besagt, dass Verlobte oder frisch verheiratete
Menschen getrennt voneinander angehört werden, um zu
überprüfen, ob eine richtige Ehe vorliegt oder nicht?
Was wollen Sie, auch wenn es solche dramatischen Fälle
gibt, mit zusätzlichen Regelungen erreichen? Es gibt
diese dramatischen Fälle, und auch wir wollen helfen.
Aber ein vorheriger Sprachkurs ist nicht das richtige
Mittel. Das führt dazu, dass Menschen, die nicht in der
Lage sind, die Sprache zu erlernen, außen vor bleiben
und leiden.
In diesem Sommer habe ich in Ankara eine Frau begleitet. Sie hat ein minderjähriges Kind. Dieses Kind
stand in der Nacht auf und schrie nach dem Papa. Der
Papa will eine Familienzusammenführung, die Mama
auch. Die Mama ist langsam am Ende ihrer psychischen
Kraft. Diese Fälle gibt es auch.
Ja, diese Fälle gibt es. Aber wenn das so dramatisch
ist, kann Papa ja auch zu Mama ziehen. Es muss ja nicht
umgekehrt sein. Damit fängt es schon mal an.
({0})
- Das ist nicht zynisch, Frau Haßelmann. Man kann ja
auch, wenn man die Frau bei ihrem Umzug nach
Deutschland unterstützen möchte, dafür sorgen, dass sie
in einem Goethe-Institut Deutschkenntnisse vermittelt
bekommt. Es ist nicht so, wie Herr Kilic sagt, dass, etwa
in der Türkei, Sprachkurse nicht flächendeckend angeboten werden. Genau das Gegenteil ist der Fall. Wenn
Sie, wie ich es vor drei Wochen getan habe, mit Mitarbeitern der Goethe-Institute sprechen würden, dann
wüssten Sie das ganz genau.
Aber Ihre Frage zielte ja auf einen anderen Punkt. Wir
haben natürlich - das ist doch die Erfahrung - große
Nachweisschwierigkeiten, wenn es um Zwangsehen
geht. Es gelingt manchmal, insbesondere durch engagierte Mitarbeiter der hiesigen Ausländerbehörden in
Deutschland; aber es ist schwer. Es macht großen Sinn,
wenn Sie einmal zum Beispiel mit den Experten in Neukölln sprechen würden. Die sagen Ihnen, dass es für
viele sehr islamistisch und konservativ geprägte Familien ein Problem ist, zu wissen, dass die junge Frau, die
nach Deutschland kommt, potenziell in der Lage ist, sich
zu wehren, weil sie einigermaßen Deutsch beherrscht
und um ihre Rechte weiß. So kann sie nicht in eine Parallelgesellschaft eingesperrt werden. Wenn wir eine
Zwangsehe nicht schon vorher verhindern können, weil
wir Nachweisprobleme haben, dann geben Sie doch bitte
den Frauen zumindest ein bisschen Rüstzeug, damit sie
sich, wenn sie schon nach Deutschland kommen müssen,
wehren können. Das ist es, was wir mit unserer Politik
verfolgen.
({1})
Dann haben Sie gesagt - das wurde vorhin angedeutet -:
Sie können doch hier in den Integrationskursen Deutsch
lernen. Herr Kilic, Sie wissen, das ist graue Theorie. Die
Erfahrung zeigt doch, dass gerade diejenigen, die es am
nötigsten hätten, nicht in unseren Integrationskursen landen. Wir können aufgrund der europäischen Rechtslage
auch niemanden in sein Heimatland zurückführen, wenn
er der Pflicht, einen Integrationskurs zu besuchen, nicht
nachkommt. Genau das sind die Familien, in denen Kinder aufwachsen, ohne dass zu Hause deutsch gesprochen
wird. Dass da eine schwierige Schulkarriere geradezu
vorprogrammiert ist, ist doch klar.
In diesem Zusammenhang sagen gerade die Oppositionsparteien: Unser knöchriges, gegliedertes Schulwesen gibt Ausländerkindern keine Chance. Das ist nicht
richtig. Die Ausländer selber - die ausländischen Väter
und Mütter - müssen ihren Kindern eine Chance geben.
Dafür müssen sie Deutsch können. Diese Botschaft senden wir seit 2007 mit unserer gesetzlichen Regelung aus.
Das ist vor dem Hintergrund der Integrationspolitik auch
richtig.
Es ist nicht in Ordnung, wenn Sie hier den Eindruck
erwecken, die Pflicht, Deutschkenntnisse zu erwerben,
verstieße gegen deutsches oder europäisches Verfassungsrecht. Genau das Gegenteil ist der Fall. Es liegt
mittlerweile die erste höchstrichterliche Entscheidung
dazu vor. Der Fall, Herr Kilic, betraf eine Ausländerin,
Analphabetin, mit fünf Kindern. Auch in so einem Fall
hat es das Bundesverwaltungsgericht im Lichte des
Art. 6 des Grundgesetzes für zumutbar erklärt, dass die
Frau eine Wartezeit von einem Jahr in Kauf nehmen
muss, um entsprechende Sprachkenntnisse zu erwerben.
Eine allgemeine Härtefallregelung sei nicht erforderlich,
unsere Regelung sei auch mit europäischem Recht vereinbar. Das Gegenteil von dem, was Sie hier behauptet
haben, ist richtig. Der Staat darf, wenn es um Integration
geht, den Grundsatz „Fördern und Fordern“ anwenden,
weil er im Ergebnis im Interesse der Betroffenen ist.
Lassen Sie mich zum Schluss kommen. Unser neuer
Bundespräsident Christian Wulff, der gleich in diesem
Hohen Hause vereidigt wird, hat unmittelbar nach seiner
Wahl gesagt:
Parallelgesellschaften in unserem Land verhindern
wir am ehesten dadurch, dass wir aufeinander zugehen und nicht aneinander vorbeileben.
Wer die Sprache des anderen nicht spricht, der wird
immer aneinander vorbeigehen. Das Aufeinanderzugehen wird noch schwer genug, wenn es um kulturelle, religiöse und andere Lebensunterschiede geht. Aber Voraussetzung für einen Dialog ist, dass wir zumindest
dieselbe Sprache sprechen. Sonst wird dieser Dialog im
Keim erstickt.
Die Grünen zementieren die Parallelgesellschaft.
Herr Grindel, kommen Sie zum Schluss.
Wir bauen Brücken der Verständigung, und diese
Politik werden wir fortsetzen, weil sie im Sinne der Integration richtig ist.
Herzlichen Dank.
({0})
Das Wort hat der Kollege Rüdiger Veit von der SPDFraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren Kollegen! Herr Grindel, Sie haben recht: Wir
sollten aufeinander zugehen. Das vermeidet Missverständnisse, trägt zur Klärung bei und liegt nicht nur im
Interesse des Verhältnisses zwischen deutschen und ausländischen Mitbürgerinnen und Mitbürgern, sondern gelegentlich vielleicht auch im Interesse von Abgeordneten
dieses Hauses, wenn sie unterschiedlichen Fraktionen
angehören.
({0})
Um das Ergebnis vorwegzunehmen: Der Gesetzentwurf der Grünen deckt sich sowohl in seinen gesetzlichen Implikationen als auch in seiner Begründung - das
gilt auch für das, was der Kollege Kilic gesagt hat - vollinhaltlich mit meinen persönlichen Vorstellungen; um
das klar und deutlich am Anfang zu sagen. Die SPDFraktion beurteilt einen Punkt - Stichwort: Spracherwerb im Ausland vor Ehegattennachzug - ein bisschen
differenzierter; darauf komme ich vielleicht noch zurück, wenn meine Redezeit reicht.
Ich möchte bestätigen, und zwar in etwas drastischeren Worten, als es der Kollege Kilic getan hat: Unser Familienzusammenführungsrecht ist mit Wertungswidersprüchen behaftet und zum Teil diskriminierenden
Inhalts. Diese Widersprüche müssen endlich einer Überprüfung unterzogen und ausgeräumt werden.
({1})
Nicht nur Sie, Herr Kollege Grindel, sondern auch die
Abgeordneten der Oppositionsfraktionen werden wahrscheinlich jetzt wie damals sagen
({2})
- ich komme noch dazu -:
({3})
Warum habt ihr dem Richtlinienumsetzungsgesetz 2007
zugestimmt?
({4})
- Herr Kollege Wolff, die Wiederholung ist ein wichtiges pädagogisches Instrument.
({5})
Deswegen wiederhole ich es für Sie gerne noch einmal:
Wir haben immer gesagt: Im Zuge einer Gesamteinigung
und vor allen Dingen im Rahmen einer gesetzlichen Altfallregelung, die vielen langjährig hier Geduldeten eine
sichere Perspektive geboten hat, sind wir bereit, diesen
für uns in diesem Punkt sogar sehr schwierigen Kompromiss mitzutragen. Es gab damals aus unseren Reihen
viele Erklärungen zur Geschäftsordnung, Stimmenthaltungen, Gegenstimmen und Redner, die gesagt haben:
Den Punkt des Spracherwerbs vor dem Ehegattennachzug halten wir für falsch. - Das ist aber nicht der einzige
Wertungswiderspruch.
Lassen Sie mich die Widersprüche einmal aufzählen.
Zunächst einmal gibt es Deutsche zweierlei Klassen: die,
die Geld haben, und die, die kein Geld haben.
({6})
Denen, die kein Geld haben oder die für die Bestreitung
ihres Lebensunterhalts auf staatliche Unterstützung angewiesen sind, kann im Ausnahmefall gesagt werden:
Familienzusammenführung nicht hier in Deutschland.
Macht das woanders. Wir machen das nicht mit. - Das
gibt es.
Zweiter Widerspruch. Von bestimmten Staatsangehörigen verlangen wir keinen Spracherwerb im Ausland.
({7})
Ich bezeichne das immer gerne als die sogenannte Japaner-Klausel. Aber es geht nicht nur um Japaner. Eine
ganze Reihe anderer Nationen ist davon ebenfalls betroffen: Israelis, Australier, Neuseeländer, Südkoreaner
usw., usf. Kurzum, es gibt eine sehr große Gruppe von
Menschen, denen gesagt wird: Bei euch spielt die Staatsangehörigkeit desjenigen, den ihr nach Deutschland holen wollt, im Hinblick auf die Frage, ob er vorher
Deutsch können muss oder nicht, keine entscheidende
Rolle.
({8})
Das ist die zweite Diskriminierung, die wir immer wieder festgestellt haben und die nach wie vor nicht überwunden ist.
Jetzt komme ich zum dritten Fall von Diskriminierung - er ist noch nicht der letzte -: zur Inländerdiskriminierung. Erklären Sie einmal einem Deutschen, der
seinen Ehegatten nach Deutschland holen will, dass dieser hier erst nach 24 Monaten arbeiten darf, während
sein italienischer Nachbar - der Nachbar könnte auch
eine andere EU-Staatsbürgerschaft haben - dieses Vorhaben problemlos sofort ins Werk setzen kann, spätestens jedenfalls nach 12 Monaten. Erklären Sie doch einmal deutschen Staatsbürgern, die davon betroffen sind,
warum für sie eine Frist von 24 Monaten gilt, für andere
EU-Staatsbürger aber eine Frist von nur 12 Monaten.
Letzter Widerspruch. Erklären Sie bitte einmal einem
deutschen Staatsangehörigen, der eine Familienzusammenführung anstrebt, dass er erst einmal dafür sorgen
muss, dass sein Ehegatte, der nach Deutschland einreisen möchte, zuvor im Ausland zumindest rudimentäres
Deutsch erlernt, während ein EU-Staatsbürger, der sich
bei uns in Deutschland aufhält, von solchen Erfordernissen völlig befreit ist.
({9})
Nach dem sogenannten Metock-Urteil, das auch Ihrer
Aufmerksamkeit nicht entgangen sein dürfte, ist das so.
({10})
Deswegen, Herr Kollege Grindel, haben wir zu Zeiten
der Großen Koalition - ich weiß noch genau, in welchem Raum wir gesessen haben - zum damaligen Innenminister Wolfgang Schäuble und zu Ihnen gesagt: Was
machen wir jetzt eigentlich? Spätestens nach dieser
Rechtsprechung des EuGH müssen wir unser deutsches
Recht doch endlich ändern. Diese Form der Inländerdiskriminierung darf nicht fortbestehen. Ihre Antwort damals war: Dann müssen wir dafür Sorge tragen, dass die
Vorschriften auf europäischer Ebene so geändert werden,
dass der EuGH gezwungen ist, anders zu entscheiden.
({11})
Die Antwort kann und muss man eigentlich ganz anders geben. Man muss klar und deutlich sagen: Diese besondere Form der Inländerdiskriminierung gehört endlich aufgehoben.
({12})
Nun will ich Ihnen sagen - ich habe das angedeutet -:
Es gibt auch in unseren Reihen Kollegen, die sagen, unter Integrationsgesichtspunkten ist an dem vorherigen
Spracherwerb im Ausland vielleicht sogar etwas dran.
Das ist nicht meine Position. Ich glaube auch nicht, dass
dies die Position der Mehrheit meiner Fraktion ist. Aber
es gibt durchaus ehrenwerte Gründe.
Eines jedoch, Herr Kollege Grindel, gilt mit Sicherheit nicht - das war 2007 falsch; das war 2008 falsch, als
wir darüber geredet haben; das war 2009 falsch, und das
ist 2010 falsch -: Ich kenne keinen einzigen Beleg, noch
nicht einmal eine Andeutung in einer wissenschaftlichen
Untersuchung mit empirischem Material, dass vorheriger Spracherwerb im Ausland ein sicheres Mittel gegen
arrangierte und Zwangsehen, insbesondere mit Türkinnen, sei. Das gibt es nach meiner Kenntnis nicht.
({13})
Es wird ausgesprochen spannend sein, sich den Evaluierungsbericht der Bundesregierung in dieser Hinsicht
näher anzuschauen. Ich hätte von Ihnen erwartet - vielleicht kann das noch auf andere Art und Weise geschehen -, dass mitgeteilt wird, wann dieser Evaluierungsbericht vorliegt. Denn wenn er da ist, werden wir
einschätzen können, ob das Material, die Erfahrungen
und die Schlussfolgerungen zutreffend sind, ob sie uns
ausreichen, um gesetzliche Änderungen ins Werk zu setzen. Ich würde mir das jedenfalls wünschen.
Wenn das nicht der Fall sein sollte, dann sollten wir
überlegen, ergänzend dazu eine Sachverständigenanhörung im Innenausschuss durchzuführen, was den Komplex Familienzusammenführung angeht. Sinnvollerweise warten wir aber zunächst den Evaluierungsbericht
ab. Daraus ist dann der gesetzgeberische Handlungsbedarf abzuleiten - hoffentlich auch mit Ihrer Hilfe. Denn
in erster Linie erhoffe ich mir von einer fachlichen Diskussion, von dem Evaluierungsbericht und der gegebenenfalls dann noch durchzuführenden Anhörung, dass
auch Sie, die Sie bisher Anhänger der unbelegten These
sind, Spracherwerb im Ausland vor dem Ehegattennachzug sei ein Mittel gegen Zwangsehe, einsehen werden,
dass es sich dabei um einen Fehler, um einen Irrglauben
handelt.
Dann muss aber gelten, dass Regelungen, die bestenfalls überflüssig sind - ich sage, sie sind auch diskriminierend -, abgeschafft werden sollten. In diesem Zusammenhang erinnere ich an Ihr Schlusswort, in dem Sie den
Bundespräsidenten mit den Worten zitiert haben, es sei
gut, aufeinander zuzugehen. Ich jedenfalls werde die
Hoffnung darauf nicht aufgeben.
Danke sehr.
({14})
Das Wort hat jetzt Herr Kollege Hartfrid Wolff von
der FDP-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Seit der
Änderung des Aufenthaltsgesetzes 2007 durch die Koalition aus Union und SPD wird von Personen, die ein
Visum zum Zwecke des Ehegattennachzugs nach
Deutschland beantragen, die Fähigkeit zur Verständigung in deutscher Sprache auf einfache Art verlangt.
Bei der Umsetzung der gesetzlichen Vorgaben hat
sich hinsichtlich des Erwerbs und des Nachweises der
erforderlichen Sprachkenntnisse allerdings eine Praxis
herausgebildet, die die Antragsteller vor zusätzliche, in
Einzelfällen auch unzumutbare Härten stellt. Dazu gehörte nach Berichten vieler Organisationen zum Nachweis von Sprachkenntnissen der ausschließliche Verweis
auf Kurse und Prüfungen der Goethe-Institute. Noch zu
Hartfrid Wolff ({0})
Zeiten der SPD-CDU/CSU-Regierung wurden nur in
Ausnahmefällen auch andere Sprachzertifikate als das
Sprachzertifikat Start Deutsch 1 des Goethe-Instituts anerkannt.
Die FDP hat diese Regelung auch deshalb kritisiert,
weil nicht in allen Ländern Goethe-Institute existieren
und es auch nicht zumutbar ist, dass Antragsteller Hunderte von Kilometern von ihrem Wohnort entfernt bis zu
drei Monate dauernde Sprachkurse absolvieren müssen.
Sie können in dieser Zeit weder ihrer Erwerbstätigkeit
nachgehen noch verfügen sie dort, wo der langmonatige
Sprachkurs stattfindet, über eine ständige Unterkunft.
({1})
Eine regelmäßige Teilnahme an einem Sprachkurs
kann unter solchen Umständen unzumutbar sein. Eine
einmalige Teilnahme an einer Sprachstandserhebung
kann dagegen auch bei einem gewissen Aufwand durchaus zumutbar sein, weil dadurch die Erlaubnis der Einreise nach Deutschland im Rahmen des Ehegattennachzugs erworben wird. Deshalb muss es möglich sein,
einen entsprechenden Sprachnachweis auch ohne Kursteilnahme, dann, wenn die Sprachkenntnisse auf anderem Weg erworben wurden, zu erbringen. Wichtig ist,
dass die sprachliche Qualifikation verlässlich erhoben
wird.
({2})
- Wir sind ja gerade in Gesprächen in dieser Richtung,
lieber Kollege, und das wissen Sie auch.
Ein Problem entstand zudem - darauf haben einige
Vorredner durchaus richtig hingewiesen - aus der Privilegierung nichtdeutscher Bürger. Unionsbürger müssen
keine Sprachkenntnisse vorweisen - so weit okay. Auch
möglicherweise vorhandene Familienangehörige aus
Nicht-EU-Staaten benötigen beim Familiennachzug zu
in Deutschland lebenden Unionsbürgern keine Sprachkenntnisse. Diese Ungleichbehandlung zu Deutschen
führt im Ergebnis zu Ehen erster und zweiter Klasse. Die
Ehen zweiter Klasse sind übrigens diejenigen von hier
lebenden Deutschen.
({3})
Anstatt beim Nachweis der Deutschkenntnisse auf die
Staatsangehörigkeit desjenigen abzuheben, der seinen
Ehegatten in die Bundesrepublik nachholen möchte, haben wir 2007 vorgeschlagen, im Sinne der Gleichbehandlung unter Berücksichtigung der Rechtsprechung
des Europäischen Gerichtshofs auf die Staatsangehörigkeit des nachziehenden Ehegatten abzuheben. Ebenso
fehlt in der jetzigen Regelung eine allgemeine Härtefallregelung.
In der Koalitionsvereinbarung ist aber festgelegt, dass
der grundsätzliche Ansatz, den Beginn des Spracherwerbs für Ehegatten schon vor Zuzug hierher starten zu
lassen, beibehalten wird. Zuwanderer sind in Deutschland willkommen. Sie sind aber auch selbst klar gefordert. Die deutsche Sprache, die Grund- und Menschenrechte sowie Demokratie und Rechtsstaat sind ein für
alle geltendes Fundament unserer Gesellschaft.
Die Grünen wollen, wie sich dies auch in ihrem Gesetzentwurf zeigt, etwas anderes: Sie wollen die Abschaffung der Nachzugsregelung in dieser Form.
({4})
Damit werden Sie - wie immer bei solchen Vorschlägen
zur Migrationspolitik - die Akzeptanz von Ausländern
in Deutschland erschweren, indem Sie falsche Erwartungen wecken und statt Engagement nur Anspruchsdenken
fördern.
({5})
Die FDP hat hingegen mit der Union vereinbart, dass
die Probleme, die aus der Nachzugsregelung von 2007
entstanden sind, behoben werden sollen. Wir wollen die
Möglichkeiten verbessern, im Ausland Deutsch zu lernen,
({6})
und wir wollen den Sprachnachweis organisatorisch vereinfachen. Dabei soll vor allem auch das Monopol der
Goethe-Institute hinterfragt werden.
Lieber Herr Kollege Kilic, weil Sie immer wieder das
Grundgesetz bemühen, noch ein Wort zu Ihrem Verweis
auf Art. 6 Grundgesetz: Auch wenn es die Grünen nicht
wirklich wahrhaben wollen, ist Art. 6 des Grundgesetzes
von den Vätern und Müttern des Grundgesetzes nie als
Freibrief für unkontrollierte und bedingungslose Zuwanderung nach Deutschland gedacht gewesen. Bis heute
wird er von der Rechtsprechung auch nicht so interpretiert.
Familiennachzug sollte zudem vor allem bedeuten,
dass im Rahmen der Zuwanderung bestehender Familien
bei Integrationsbereitschaft eine Zuzugsmöglichkeit erhalten bleiben soll.
({7})
Der Familiennachzug greift nicht für die systematische
und von Großfamilienclans organisierte Verheiratung
von Zuwanderern oder Zuwandererkindern mit Partnern
aus dem Herkunftsland. Dies ist auch mit dem Grundanliegen von Art. 6 Grundgesetz nicht vereinbar.
Hartfrid Wolff ({8})
Die Grünen verwenden jeden beliebigen Vorgang aus
der Zuwanderungspolitik als Vorwand, um einer ungesteuerten Zuwanderung das Wort zu reden.
({9})
Wachsende Belastungen für die sozialen Sicherungssysteme - Sie fordern ja noch nicht einmal eigenständige
Lebensverhältnisse - und ansteigende Ausländerfeindlichkeit scheinen Sie nicht wirklich zu berühren, Sie
nehmen sie sogar billigend in Kauf.
({10})
Wir Liberale haben mit der Union eine Steuerung der
Zuwanderung nach zusammenhängenden, klaren, transparenten und gewichteten Kriterien vereinbart.
({11})
Wir wollen eine Kultur des Willkommens, die keine falschen Versprechungen auf Kosten anderer Leute macht,
sondern Chancen und Perspektiven für diejenigen eröffnet, die eben nicht nur, territorial betrachtet, nach
Deutschland kommen, sondern auch mit ihrer Kultur in
unserem Land und unserer Gesellschaft mit unseren
Grundwerten ankommen wollen.
Wir halten es nicht für unzumutbar, Deutsch zu lernen. Anders als Grüne oder Linke halten wir Zuwanderer nicht für bemitleidenswerte und unfähige Menschen,
denen nur mit Nachsicht oder Sozialhilfe begegnet werden kann und die auf Generationen hinaus mit dem Makel des Migrationshintergrunds stigmatisiert werden.
({12})
Positives Denken ist an dieser Stelle erforderlich. Wir
brauchen eine Kultur der Anerkennung für diejenigen,
die es geschafft haben. Wir halten integrierte Zuwanderer mit ihren Erfahrungen und ihrer Kultur für eine große
Bereicherung unserer Gesellschaft. Wir beglückwünschen diejenigen, die dies erfolgreich geschafft und sich
hier integriert haben. Sie können stolz auf ihre Leistung
sein, und wir sind dankbar und stolz, dass sie sich für
Deutschland entschieden haben.
({13})
Das Wort hat die Kollegin Ulla Jelpke von der Fraktion Die Linke.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine Damen und Herren! Herr Wolff, ich muss schon
sagen: Es ist ziemlich zynisch, dass Sie ausgerechnet
den Grünen und den Linken unterstellen, sie wollten die
Migrantinnen und Migranten hier diskriminieren.
({0})
Ich will Ihnen ganz deutlich sagen: Natürlich ist die
Linke dafür, dass die deutsche Sprache erlernt wird, aber
wir sagen genauso wie die Grünen in ihrem Gesetzentwurf, dass das viel besser und leichter in Deutschland
geschehen kann. Deswegen treten wir dafür ein, dass die
Regelung, dass man die deutsche Sprache erlernen muss,
bevor man hier einreisen kann, schnellstens aufgehoben
wird; denn das ist in der Tat eine Schikane für die Betroffenen insgesamt.
({1})
Die Linke hatte bereits zu diesem Thema einen Antrag eingebracht. Wir begrüßen den Gesetzentwurf der
Grünen, der in die richtige Richtung geht. Die Fraktion
Die Linke hat damals wie heute gesagt - ich wiederhole
das hier -, dass diese Regelung zutiefst familien- und
ausländerfeindlich ist und deswegen abgeschafft werden
muss.
({2})
Die Folgen des Gesetzes, das die Union und leider
auch die SPD 2007 beschlossen haben, sind für die Betroffenen in der Tat spürbar. Unmittelbar nach dem Inkrafttreten dieser Neuregelung ist die Zahl der Visa für
eine Familienzusammenführung erheblich gesunken. An
die CDU gerichtet, die den Begriff der Familie ja immer
hochhält: Man wundert sich wirklich sehr über das „C“
in Ihrem Namen, wenn man beobachten muss, wie die
Familienpolitik in diesem Bereich auf den Hund gekommen ist.
Auch aufgrund der letzten Zahlen muss man deutlich
sagen, dass sich der Abwärtstrend nicht verändert hat.
Die Zahl der Familienzusammenführungen liegt heute
noch immer unter der von 2006, obwohl die CDU/CSU
immer behauptet hat, das werde sich schnell wieder einpendeln.
Dass Sprachkenntnisse nachgewiesen werden müssen, bedeutet im günstigsten Fall, dass der im Ausland
lebende Partner erhebliche Mühen und vor allen Dingen
auch Kosten - das ist hier noch gar nicht genannt worden - auf sich nehmen muss, um diesen Sprachtest ablegen zu können.
({3})
Es stimmt eben nicht, dass es überall Goethe-Institute
gibt. Ich kenne Menschen, die wochenlang Hunderte von
Kilometern fahren und übrigens auch viel Fahrgeld aufbringen mussten, um diesen Sprachtest absolvieren zu
können.
Die Analphabeten sind hier schon angesprochen worden. Man muss hier meiner Meinung nach sehr deutlich
machen - das wurde ja auch im Gesetzentwurf der Grünen berücksichtigt -: Es reicht eben nicht aus, nur auf
eine Härtefallregelung zu setzen, Herr Wolff. - Ich habe
in der Tat die Hoffnung, dass das Bundesverfassungsgericht und der Europäische Gerichtshof eine Rechtsprechung finden, mit der sie den Betroffenen gerecht werden; denn im Grunde genommen machen Sie es den
betroffenen Menschen unmöglich, in Deutschland eine
Ehe zu führen oder ein glückliches Familienleben zu haben.
Mit dem Gesetz von 2007 zielten Sie von Anfang an
darauf ab, bestimmte soziale Schichten möglichst auszuschließen. Wie sollen Menschen mit einem nur geringen Einkommen, die womöglich in Gegenden leben, in
denen sie keine Arbeit finden und in denen es keine
Schulen gibt, überhaupt einen Deutschkurs besuchen
und absolvieren? Es sollen nur noch Besserbetuchte
kommen dürfen, die eine höhere Bildung haben und den
hiesigen Arbeitsmarktbedürfnissen entsprechen.
Herr Grindel, Sie sprechen immer davon, dass dadurch Zwangsehen bzw. Zwangsverheiratungen verhindert werden. Dafür haben Sie heute wieder keinen Beleg
gebracht.
({4})
Ich sage Ihnen: Sie können es allenfalls erschweren, dass
Menschen, die zwangsverheiratet wurden, nach Deutschland kommen, verhindert haben Sie Zwangsheirat dadurch aber nicht.
({5})
Wie gesagt: Den Beweis sind Sie schuldig geblieben.
Eines noch zum Schluss. Ich finde es wirklich erschütternd, wie hier mit dem Thema Familienzusammenführung umgegangen wird. Ich hoffe nur, dass der
Europäische Gerichtshof und das Bundesverfassungsgericht diese Regelung, die wir für verfassungswidrig halten, endgültig zu Fall bringen.
Danke.
({6})
Als letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt hat
der Kollege Stephan Mayer von der CDU/CSU-Fraktion
das Wort.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen!
Sehr geehrte Kollegen! Die Fußballweltmeisterschaft
tritt in die heiße Phase ein, und ich persönlich finde es
sehr erfreulich, dass man, wenn man in Deutschland
durch die Städte geht, an immer mehr Fahrzeugen die
deutsche Flagge sieht. Dies zeugt von einem aufgeklärten, von einem modernen Patriotismus: Man ist auf das
eigene Land stolz, aber würdigt andere Länder, andere
Nationen nicht herab.
Ich sage aber auch ganz offen, ich finde es persönlich
noch schöner, wenn an den Fahrzeugen neben der deutschen Flagge noch die portugiesische, die brasilianische,
die spanische, die französische und auch, obwohl die
Mannschaft der Türkei diesmal gar nicht dabei war, auch
die türkische Flagge mit angebracht ist. Dies zeugt davon, dass Deutschland ein weltoffenes Land ist, ein gastfreundliches Land ist und dass es mittlerweile in vielen
Bereichen ein wunderbares Miteinander zwischen Deutschen und Ausländern oder zwischen Deutschen und
Menschen mit sogenanntem Migrationshintergrund gibt.
({0})
Ich bin dem neugewählten Bundespräsidenten
Christian Wulff sehr dankbar, dass er hier vorgestern an
dieser Stelle kurz nach seiner Wahl auch deutlich darauf
hingewiesen hat, dass es eines seiner Hauptanliegen ist,
alles dafür zu tun, dass Parallelgesellschaften in
Deutschland verhindert werden, dass man, wie heute
auch schon erwähnt wurde, aufeinander zugeht.
Persönlich bedauere ich es aber durchaus, dass leider
Gottes der Gesetzentwurf der Grünen, den wir heute debattieren, genau dem Gegenteil Vorschub leistet. Der
Gesetzentwurf der Grünen ist sowohl integrationsfeindlich als auch frauenfeindlich.
({1})
Weshalb ist der Gesetzentwurf integrationsfeindlich?
Es ist, glaube ich, nicht zu bestreiten, dass das Erlernen
der deutschen Sprache die Grundvoraussetzung dafür ist,
in Deutschland Fuß fassen zu können, sich in die deutsche Gesellschaft integrieren zu können. Das Erlernen
der deutschen Sprache ist die entscheidende Stellschraube bei der Frage,
({2})
ob es gelingt, sich in Deutschland beruflich und auch
privat etablieren zu können, auch sozial aufsteigen zu
können. Deswegen ist es gerade nicht integrationsfeindlich, sondern integrationsfördernd, dass von nachzugswilligen Ehegatten erwartet wird, dass sie zumindest
Grundkenntnisse der deutschen Sprache nachweisen
können, bevor sie nach Deutschland einreisen.
({3})
Es wird ja von den nachzugswilligen Ehegatten nicht
verlangt, dass sie perfekt Deutsch können, sondern es
wird erwartet, dass sie sich in einfacher Art und Weise
auf Deutsch artikulieren können und in Deutsch ausdrücken können. Das ist nun einmal die Grundvoraussetzung dafür, in Deutschland einkaufen gehen zu können,
sich mit Freunden unterhalten zu können und natürlich
auch beruflich in Deutschland Fuß fassen zu können.
Deswegen war es richtig, meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, dass diese Regelung 2007 aufgenommen wurde. Herr Kollege Veit, ich bedauere es persönlich, dass Sie sich jetzt hier wieder vom Acker
machen, indem Sie hier behaupten - ich persönlich
Stephan Mayer ({4})
glaube das gar nicht -, dass mittlerweile der Großteil Ihrer Fraktion diese Regelung so nicht mehr unterstützt.
Sie sind hier 2007 wirklich über Ihren Schatten gesprungen und haben einer meines Erachtens außerordentlich
vernünftigen und sachgerechten Lösung zugestimmt. Ich
würde mich wirklich freuen, wenn sich die Fraktion der
Sozialdemokraten auch in Zukunft weiterhin dieser vernünftigen Regelung anschließt und hier weiterhin bei der
Stange bleibt.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, weshalb ist
diese Regelung frauenfeindlich? Sie ist deshalb frauenfeindlich, weil es unser aller Anliegen sein muss, dass
nachzugswillige Ehegatten, die nach Deutschland kommen wollen, so gestellt werden, dass sie selbstbewusst,
eigenständig ihr Leben in Deutschland gestalten können.
Ich sage ganz offen: Was bringt es uns, dass wir Sorgentelefone eingerichtet haben, dass wir Bürgersprechstunden anbieten für Frauen mit Migrationshintergrund, die
in ihrer Familie geknechtet werden, die zum Teil übel
behandelt werden, die einfach ihre Freiheitsrechte nicht
wahrnehmen können? Es bringt alles nichts, wenn es
nicht gelingt, diese Frauen so zu stellen, dass sie sich in
Deutschland ausdrücken können, dass sie in Deutschland auch Sorgentelefone anrufen können, Bürgersprechstunden aufsuchen können, um ihre Probleme darstellen zu können.
({5})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich bin sehr
froh, dass das Bundesverwaltungsgericht mit seinem Urteil vom 30. März dieses Jahres deutlich gemacht hat,
dass die Regelung, die wir zusammen mit den Sozialdemokraten 2007 getroffen haben, sowohl verfassungsgemäß als auch europarechtskonform ist. Ich möchte nicht
negieren, dass es durchaus Verbesserungsbedarf gibt. Ich
bin dem Kollegen Wolff auch für seinen Hinweis dankbar, dass wir uns im Koalitionsvertrag darauf verständigt
haben, die Sprachtests und die Sprachkurse nicht nur zu
evaluieren, sondern auch auf Defizite hin zu untersuchen.
Ich möchte es gar nicht negieren: Es gibt Defizite. Es
ist teilweise wirklich zu bürokratisch, im Ausland
Deutsch zu lernen. Teilweise sind die Hürden zu hoch,
wenn es darum geht, einen Sprachtest ablegen zu können. Die Monopolstellung, die das Goethe-Institut hat,
ist schon angesprochen worden. Ich sage Ihnen an dieser
Stelle zu: Wir werden alles dafür tun, dass es in Zukunft
organisatorisch einfacher wird, den Nachweis der
Deutschkenntnisse im Ausland zu erbringen. Dies ist ein
Anliegen der christlich-liberalen Koalition, und dem
werden wir auch gerecht werden.
({6})
Mit dem Gesetzentwurf der Grünen soll auch die Lebensunterhaltssicherungsklausel zur Disposition gestellt
werden. Darauf möchte ich eines ganz deutlich entgegnen: Deutschland ist ein weltoffenes Land. Deutschland
ist ein gastfreundliches Land. Aber es kann nicht in unserem Interesse sein, dass wir einem Zuzug in unsere sozialen Sicherungssysteme Vorschub leisten. Deswegen
ist es richtig, dass im Jahr 2007 eine Klausel aufgenommen wurde, die fordert, dass der Ehegatte, der sich schon
in Deutschland befindet, auch über die notwendigen materiellen Voraussetzungen verfügt, um seine Familie und
den nachzugswilligen Ehegatten ernähren zu können.
Wir wollen keinen Zuzug in unsere sozialen Sicherungssysteme und in die soziale Hängematte.
Wir würden den Millionen von Ausländern in
Deutschland, die sich schon hervorragend in die deutsche Gesellschaft integriert haben, die beruflich Fuß gefasst haben, die Steuern zahlen, einen Bärendienst erweisen, wenn wir diese Regelungen jetzt abschaffen
würden. Wir werden an der Lebensunterhaltssicherungsklausel festhalten.
Kommen Sie bitte zum Schluss, Herr Kollege.
Wir stehen als christlich-liberale Koalition zu den Gesetzesregelungen, die 2007 verabschiedet worden sind.
Ich kann Ihnen an der Stelle nur noch einmal sagen: Der
Gesetzentwurf der Grünen ist sowohl integrationsfeindlich als auch frauenfeindlich.
({0})
Deswegen wird ihm Ablehnung zuteilwerden.
Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
({1})
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 17/1626 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es
anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Dann
ist die Überweisung so beschlossen.
Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung.
Die gemeinsame Sitzung des Deutschen Bundestages
und des Bundesrates gemäß Art. 56 des Grundgesetzes
der Bundesrepublik Deutschland zur Vereidigung des
Bundespräsidenten findet um 13 Uhr statt.
Schon jetzt weise ich darauf hin, dass die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages am Mittwoch, dem
7. Juli 2010, 13 Uhr, stattfindet.
Die Sitzung ist geschlossen.