Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Die Sitzung ist eröffnet.
Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Es
gibt eine interfraktionelle Vereinbarung, den Tagesord-
nungspunkt 33 zur Deutschen Bahn und den Tagesord-
nungspunkt 34 zum privaten Waffenbesitz zu tauschen,
also die Reihenfolge umzukehren. Darüber ist gestern im
Ältestenrat gesprochen und Einvernehmen erzielt wor-
den. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist offenkun-
dig der Fall. Dann können wir so verfahren.
Ich rufe unsere Tagesordnungspunkte 30 a bis 30 d
auf:
a) - Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und der FDP eingebrachten
Entwurfs eines Dreiundzwanzigsten Gesetzes
zur Änderung des Bundesausbildungsförderungsgesetzes ({0})
- Drucksache 17/1551 - Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines
Dreiundzwanzigsten Gesetzes zur Änderung des Bundesausbildungsförderungsgesetzes ({1})
- Drucksache 17/1941 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung ({2})
- Drucksache 17/2196 ({3}) Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Stefan Kaufmann
Swen Schulz ({4})
Dr. Martin Neumann ({5})
Kai Gehring
- Bericht des Haushaltsausschusses ({6})
gemäß § 96 der Geschäftsordnung
- Drucksache 17/2210 Berichterstattung:
Abgeordnete Eckhardt Rehberg
Klaus Hagemann
Ulrike Flach
Michael Leutert
Priska Hinz ({7})
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Bildung, Forschung
und Technikfolgenabschätzung ({8})
- zu dem Antrag der Abgeordneten Swen Schulz
({9}), Dr. Ernst Dieter Rossmann, Dr. HansPeter Bartels, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der SPD
BAföG ausbauen und Chancengleichheit
stärken
- zu dem Antrag der Abgeordneten Nicole
Gohlke, Agnes Alpers, Dr. Rosemarie Hein,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE
LINKE
BAföG ausbauen - Gute Bildung für alle
- zu dem Antrag der Abgeordneten Kai Gehring,
Priska Hinz ({10}), Ekin Deligöz, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Sozial gerechtes Zwei-Säulen-Modell statt
elitärer Studienfinanzierung
- Drucksachen 17/884, 17/1558, 17/899, 17/2196
({11}) Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Stefan Kaufmann
Swen Schulz ({12})
Dr. Martin Neumann ({13})
Kai Gehring
c) - Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und der FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Schaffung
Redetext
Präsident Dr. Norbert Lammert
eines nationalen Stipendienprogramms ({14})
- Drucksache 17/1552 - Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines
Gesetzes zur Schaffung eines nationalen Stipendienprogramms ({15})
- Drucksache 17/1942 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung ({16})
- Drucksache 17/2194 ({17}) Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Stefan Kaufmann
Marianne Schieder ({18})
Dr. Martin Neumann ({19})
Kai Gehring
- Bericht des Haushaltsausschusses ({20}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung
- Drucksache 17/2195 Berichterstattung:
Abgeordnete Eckhardt Rehberg
Klaus Hagemann
Ulrike Flach
Michael Leutert
Priska Hinz ({21})
d) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts
des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung ({22}) zu dem
Antrag der Abgeordneten Kai Gehring, Priska
Hinz ({23}), Sylvia Kotting-Uhl, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN
Nein zum nationalen Stipendienprogramm
- Drucksachen 17/1570, 17/2194 ({24}) Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Stefan Kaufmann
Marianne Schieder ({25})
Dr. Martin Neumann ({26})
Kai Gehring
Dazu liegen ein Änderungsantrag und zwei Entschließungsanträge der Fraktion der SPD sowie ein Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache eineinviertel Stunden vorgesehen. - Ich
höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort zunächst der Bundesministerin Frau Dr. Annette Schavan.
({27})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine Damen und Herren! Heute Nachmittag lädt die
Bundeskanzlerin Vertreter der Wissenschaft, der Wirtschaft und der Zivilgesellschaft zu einem Zukunftsgipfel ein, an dem auch eine Reihe von Mitgliedern des
Bundeskabinetts teilnehmen wird. Eines der zentralen
Themen bei diesem Zukunftsgipfel wird die demografische Entwicklung in Deutschland sein, also die Frage:
Wo stehen wir 2020 mit Blick auf den Altersaufbau unserer Gesellschaft, mit Blick auf Rückgang und Zunahme der Zahl der Menschen in bestimmten Altersgruppen? Zu den zentralen Daten, die uns beschäftigen
werden, gehört die Tatsache, dass im Jahre 2020 rund
3,1 Millionen unter 25-Jährige weniger leben werden als
heute. Das ist ein Rückgang um 15 Prozent bei einem
sonstigen Rückgang der Bevölkerung um 2 Prozent.
Warum sage ich das? Weil sich aus solchen Fragen und
Diskussionen über die Zukunftsfähigkeit in Deutschland
und die besondere Situation, dass wir wie kaum ein anderes europäisches Land von der demografischen Entwicklung, von einer älter werdenden Gesellschaft betroffen
sind, eine besondere Verantwortung für alle Fragen, die
mit Bildung, Ausbildung, Wissenschaft und Forschung
zu tun haben, ergibt. Deshalb ist mit der Priorität für Bildung und Wissenschaft in dieser Bundesregierung auch
verbunden, dass wir alles tun wollen, um in der ganzen
Bandbreite unseres Bildungs- und Wissenschaftssystems
junge Leute zu ermutigen.
Das, worüber wir heute Morgen sprechen, gehört zu
den Maßnahmen, mit denen wir ein deutliches Signal an
diejenigen senden wollen, die sich für ein Studium entscheiden: Es ist dafür gesorgt, dass es eine breitere Vielfalt an Möglichkeiten der Studienfinanzierung gibt.
Dazu sagen wir: Wir wollen beides: die Weiterentwicklung des BAföG und den Aufbau eines nationalen Stipendiensystems. Wir wollen das klare Signal setzen: Wir
kümmern uns um eine bessere Studienfinanzierung in
Deutschland.
({0})
Der Rückblick zeigt, dass es über einen langen Zeitraum hinweg - übrigens auch in all den Zeiten, in denen
es überhaupt noch keine Studiengebühren, aber auch
überhaupt keine Stipendien gab - nicht gelungen ist, den
Zugang zum Studium für wirklich alle Gruppen in der
Bevölkerung, auch für jene aus einkommensschwachen
Familien, gut zu gestalten. Der Anteil der Studierenden
aus einkommensschwachen Familien ist zu gering.
Deshalb gehen wir bei der Studienfinanzierung neue
Wege. Das ist für uns auch mit dem Ziel verbunden,
mehr jungen Leuten aus einkommensschwachen Familien die Möglichkeit zu einem Studium zu geben.
({1})
Deshalb bringen wir das 23. BAföG-Änderungsgesetz
ein. Wir heben die Bedarfssätze an und erhöhen die Freibeträge. Künftig wird der Förderhöchstsatz für Studierende bei 670 Euro monatlich liegen. Wir können davon
ausgehen, dass die jährliche Zahl derer, die gefördert
werden, um 50 000 bis 60 000 erhöht werden wird.
({2})
Das ist ein erstes wichtiges Ziel: Wir wollen, dass künftig mehr Studierende die Möglichkeit haben, nach
BAföG gefördert zu werden.
({3})
Zweitens. Wir passen die Regelungen an neue Studienstrukturen an, Stichwort: Masterstruktur. Wir erhöhen für das Masterstudium die Altersgrenze auf 35 Jahre. Wir modernisieren - auch das ist ein wichtiges
Thema -, indem wir bei der Anerkennung von Kinderbetreuungszeiten im Hinblick auf die Altersgrenze flexibler werden. Das heißt, wir entwickeln das BAföG so
weiter, dass sich einerseits neue Studienstrukturen besser
abbilden und andererseits weitere Verbesserungen bei
der Vereinbarkeit von Familie und Studium erreicht werden. Auch das halte ich mit Blick auf die Entwicklungen
in den nächsten zehn Jahren für einen ganz wichtigen
Punkt: Wir geben jungen Familien, bei denen Vater,
Mutter oder beide im Studium sind, bessere Möglichkeiten, das Studium mit der Familie, mit den Kindern und
den Kinderbetreuungszeiten, zu verbinden.
({4})
Schließlich greifen wir auf, was bei der Begutachtung
bisheriger Verwaltungspraxis immer wieder angesprochen worden ist. Wir vereinfachen die Verwaltung, pauschalieren die Wohnkosten, vereinfachen das Verfahren
zur Anerkennung von Leistungen, verzichten auf den
Nachweis von Sprachkenntnissen bei Auslandsaufenthalten. Das, was sich in vielen Bereichen anbietet, soll
also auch hier geschehen: einfachere Verfahren bei der
Bearbeitung, Vereinfachung der Verwaltung.
({5})
- Genau, Herr Gehring, das ist Bürokratieabbau; da haben Sie völlig recht.
({6})
Man kann ihn weiter vorantreiben.
Ich glaube, dass wir damit einen wichtigen Schritt
machen; denn BAföG ist in dem Maße wirksam, in dem
es gelingt, eine vernünftige Verbindung zwischen der
Steigerung der Lebenshaltungskosten und den Frei- und
Förderbeträgen des Bundesausbildungsförderungsgesetzes herzustellen. Deshalb ist das ein klares Signal. Wir
halten Wort: Vor zwei Jahren, 2008, haben wir das
BAföG um 10 Prozent erhöht; jetzt erhöhen wir weiter.
Das muss ein kontinuierlicher Prozess sein.
Es muss ein bildungspolitisches Ziel sein - ich habe es
eben gesagt -, das wirklich für alle gilt: Der Geldbeutel
der Eltern ist nicht ausschlaggebend für die Aufnahme eines Studiums. Das ist nicht nur ein bildungspolitisches
Ziel, sondern auch eine Frage der Gerechtigkeit und des
klugen Umgangs mit Talenten.
Wir wollen auch deshalb ein zweites, neues Instrument
schaffen. Ein Förderhöchstsatz von 670 Euro monatlich
ist gut; aber künftig soll es möglich sein, zusätzlich zu den
670 Euro weitere 300 Euro elterneinkommensunabhängig zu bekommen, und zwar über ein Stipendium, das
sich aus Investitionen der öffentlichen Hand und der Zivilgesellschaft zusammensetzt. Das ist heftig diskutiert
worden, und wir werden es gleich wieder heftig diskutieren. Einige stehen schon in den Startlöchern, um loszulegen. Ich sage Ihnen: Das ist ein überfälliges Signal. Seit
zehn Jahren diskutieren wir in Deutschland über Stipendien. Wir bewundern die großen Wissenschaftsnationen,
({7})
bei denen sich deutsche Studenten um Stipendien bewerben. Es wird Zeit, dass es in Deutschland endlich Stipendien gibt. Deshalb wollen wir sie einführen.
({8})
Mit unserem Vorhaben ist noch etwas anderes als
Geld verbunden. Es wird Zeit, dass in Deutschland eine
größere Solidarität mit unserem Wissenschaftssystem, mit den Hochschulen möglich wird. Ein Wissenschaftssystem verdient es, dass die Zivilgesellschaft,
dass diejenigen, die studiert haben und heute gut verdienen, mit ihren Hochschulen solidarisch sind.
({9})
Das ist in anderen Ländern in den Ehemaligenvereinen
selbstverständlich. Deshalb müssen wir ein anderes System schaffen. Wir müssen einen Impuls setzen, der sich
nicht nur an die öffentliche Hand und ihre Investitionen
wendet, sondern der endlich die Verbindungen zwischen
den Ehemaligen und ihren Hochschulen verbessert. Eine
gemeinschaftliche Aktion von Zivilgesellschaft und öffentlicher Hand ist nötig, um Studierenden die Möglichkeit zu geben, in Deutschland ein Stipendium zu erhalten.
({10})
Wir erweitern das Spektrum. Auch das ist ein starkes Signal.
({11})
Der Präsident meldet sich bei mir. Also sage ich als
letzten Satz: Das, was unentwegt diskutiert wird -
Ich hatte gehofft, Sie wollten mir etwas Nettes sagen,
aber - ({0})
Ich habe Sie doch schon angestrahlt, als ich zum Rednerpult ging.
Die ganze Debatte über das Matthäus-Prinzip - was
ist mit den Starken, wo bleiben die Schwachen - ist
nichts weiter als die Fortsetzung einer alten, unergiebigen Debatte. Mit dieser Art von Debatte haben Sie nichts
erreicht. Sie haben niemanden aus einkommensschwachen Familien an die Hochschulen gebracht. Die ersten
Erfahrungen in NRW zeigen: Erst dort, wo Stipendien
zur Verfügung stehen, erreichen wir mehr Durchlässigkeit,
({0})
erreichen wir, dass mehr Menschen aus einkommensschwachen Familien an Hochschulen studieren. Das ist
das Ziel dieser Regierung. Diese Maßnahme ist wichtig.
Deshalb bitte ich um Zustimmung für diesen neuen Impuls.
({1})
Das Wort erhält der Kollege Swen Schulz für die
SPD-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das BAföG
ist das zentrale Instrument der Ausbildungsförderung. Es
geht darum, dass allen ein Studium, eine schulische Qualifikation auch dann ermöglicht wird, wenn sie es sich
allein eigentlich gar nicht leisten können. Das Entscheidende dabei ist der Rechtsanspruch. Alle können sich
darauf verlassen, dass sie etwas erhalten, und ausrechnen, was sie erhalten. Nur so kann man Gerechtigkeit organisieren. Das ist der entscheidende Unterschied zu
dem von der Regierungskoalition geplanten nationalen
Stipendienprogramm. Dazu wird die Kollegin Schieder
noch einiges sagen.
({0})
Die SPD hat das BAföG eingeführt,
({1})
und sie hat es immer nach Kräften weiterentwickelt und
verbessert. Beispielsweise hat Rot-Grün nach der Regierungszeit von Helmut Kohl mit der Verantwortung des
damaligen Ministers Rüttgers das BAföG wieder auf ein
solides Fundament gestellt. Ich will daran erinnern, Frau
Schavan - auch das muss man dürfen -, dass es notwendig war, dass wir Sozialdemokraten in Zeiten der Großen
Koalition das BAföG verteidigten. Es gab ganz andere
Pläne vonseiten der CDU/CSU.
({2})
Es hat Jahre gedauert, bis wir Sie überzeugen konnten,
das BAföG weiter zu verbessern.
Das BAföG muss immer weiter entwickelt und den jeweiligen gesellschaftlichen Bedingungen angepasst werden. So ist das auch heute. Das zeigen uns die Zahlen der
BAföG-Empfängerinnen und -Empfänger. Das zeigen auch
aktuelle Untersuchungen, die wir im Ausschuss diskutiert
haben. Es ist ganz klar, dass überwiegend finanzielle Probleme dazu führen, dass zum Beispiel Studierende ihr
Studium abbrechen oder Interessierte ein Studium gar
nicht erst aufnehmen.
Um dieses Problem zu beheben, muss das BAföG,
wie gesagt, modernisiert werden. Wir haben deswegen
ein entsprechendes Konzept vorgelegt. Ich möchte kurz
auf einige Punkte eingehen: Wir wollen, dass die Bedarfssätze um 3 Prozent erhöht werden, damit diejenigen, die eine Ausbildung machen, mehr Geld erhalten.
Wir wollen aber vor allem - das ist der Schwerpunkt,
den wir setzen - die Freibeträge um 10 Prozent erhöhen,
damit der Kreis derjenigen, die in den Genuss einer Förderung kommen können, auch entsprechend ausgeweitet
wird.
({3})
Darüber hinaus wollen wir etwas Neues einführen, nämlich eine zweite Einkommensgrenze. Wir wollen damit
das Mittelstandsloch, das wir sehen, schließen. Diejenigen, die kein BAföG bekommen können, aber trotzdem
Schwierigkeiten bei der Finanzierung der Ausbildung
haben, sollen zumindest ein zinsloses Darlehen erhalten.
Wir wollen die Förderhöchstdauer ausweiten, weil wir
sehen, dass viele ihr Studium in der geforderten Zeit
nicht abschließen können. Diese Studierenden sollen
weiterhin BAföG erhalten können. Wir wollen die Förderlücke zwischen dem Abschluss des Bachelorstudiums
und der Aufnahme des Masterstudiums, in der kein
BAföG gezahlt wird - sie kann bis zu vier Monate betragen -, schließen. Wir wollen die Teilzeitausbildung förderfähig machen, die Altersgrenzen deutlich anheben
und eine automatische Anpassung einführen. Es gibt
weitere Punkte in unserem Antrag, die ich aus Zeitgründen leider nicht ansprechen kann.
Nachdem wir diesen Antrag eingebracht haben, haben
wir gehofft, mit der Regierungskoalition in einen Dialog
darüber eintreten zu können. Aber diese Hoffnung war
leider trügerisch. Die Regierungskoalition hat einen Gesetzentwurf eingebracht. Im Ausschuss haben wir dann
eine Sachverständigenanhörung durchgeführt. Die Sachverständigen haben einhellig Folgendes gesagt:
Erstens. Die BAföG-Novelle der Regierungskoalition
geht in die richtige Richtung.
({4})
- Es ist schön, auch von Ihnen einmal Applaus zu bekommen.
Zweitens vertraten die Sachverständigen genauso einhellig die Meinung, dass mit diesem Gesetzentwurf zu
Swen Schulz ({5})
wenig Modernisierungen und Verbesserungen vorgeschlagen werden. Das reicht nicht aus. Das ist zu kurz
gesprungen.
({6})
Es gab eine Fülle von Hinweisen, Anregungen und
Kritik. Wir haben daraufhin ein ganzes Paket von Änderungsanträgen im Ausschuss zur Debatte gestellt. Die
Grünen und die Linken übrigens auch. Aber was hat die
Regierungskoalition in der Ausschusssitzung am vergangenen Mittwoch damit gemacht? Sie hat einfach alles
vom Tisch gewischt. Es gab eine Handvoll kleiner Änderungen - denen haben wir zugestimmt; so konstruktiv
können Ausschussberatungen sein, wenn man gutwillig
ist -, doch alle anderen Anträge wurden abgelehnt. Die
Hinweise der Sachverständigen, auch die Hinweise der
Sachverständigen, die von Ihnen eingeladen wurden, haben Sie ignoriert. So kann man das nicht machen.
({7})
Nun erwarte ich gar nicht, dass Sie unsere Anträge
1 : 1 übernehmen.
({8})
Natürlich kann man an verschiedenen Stellen unterschiedlicher Meinung sein - das ist völlig in Ordnung -,
aber man muss doch wenigstens diskutieren. Die Ignoranz, die Sie am Mittwoch an den Tag gelegt haben, verdient einfach nur die Note „mangelhaft“.
({9})
Ich habe mich gefragt: Warum ist das so? Warum verhalten Sie sich so starrsinnig? Es gibt zwei Möglichkeiten: Entweder haben die Parlamentarier von CDU/CSU
und FDP nicht den Mut und die Kraft, der Bundesregierung auch einmal entscheidende Änderungen abzutrotzen, oder - das ist die zweite Möglichkeit - es interessiert
sie nicht wirklich. Es geht Ihnen bei der BAföG-Novelle
nur darum, ein soziales Feigenblatt auf Ihr völlig verkorkstes und falsches nationales Stipendienprogramm zu
legen.
({10})
Wenn Sie die Energie und die Mittel, die Sie in das nationale Stipendienprogramm investieren, für das BAföG
aufgebracht hätten, dann hätte daraus eine wirklich
runde, vernünftige Sache werden können.
({11})
So kommt es zwar zu kleinen Verbesserungen, aber es ist
unter dem Strich letztlich enttäuschend.
Herzlichen Dank.
({12})
Dr. Martin Neumann ist der nächste Redner für die
FDP-Fraktion.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Heute ist ein wichtiger Tag in der Geschichte
deutscher Bildungspolitik. Denn trotz wirtschaftlich
schwieriger Zeiten und angesichts eines hohen Konsolidierungsdrucks für die öffentlichen Haushalte setzt diese
Koalition genau das um, was sie vor der Wahl versprochen und vor acht Monaten im Koalitionsvertrag zwischen Union und FDP vereinbart hat.
({0})
Damals haben wir uns zu unserem gemeinsamen Ziel
„Bildungsrepublik Deutschland“ bekannt und vereinbart, dieses Ziel im Bereich der Förderung der Studierenden durch einen Dreiklang aus BAföG, Stipendien
und Bildungsdarlehen zu erreichen, damit der Bildungsaufstieg in unserem Land nicht an finanziellen Hürden
scheitert.
({1})
Meine Fraktion ist der festen Überzeugung, dass wir
mit den vorliegenden Änderungen im Bereich des
BAföG spürbare Verbesserungen bei der individuellen
Bildungsfinanzierung auf dem Weg zu einer Bürgerund Verantwortungsgesellschaft erzielen und dabei
vor allem die soziale Komponente angemessen würdigen, da wir BAföG auch weiterhin nur denjenigen zugutekommen lassen, die auch tatsächlich bedürftig sind.
Die Vorwürfe der Opposition, Herr Schulz, man hätte
eine stärkere Anhebung der Freibeträge und Bedarfssätze anstreben müssen, halte ich angesichts der aktuellen finanzpolitischen Situation für ungerechtfertigt.
({2})
Vor allem aber ist der Hinweis, man könnte das Geld für
das nationale Stipendienprogramm in das BAföG stecken - das haben Sie eben so gesagt -, vollkommen unangebracht.
({3})
Denn bei diesem Hinweis wird vergessen, dass durch die
Kofinanzierung der Stipendien mit Mitteln Privater mehr
Geld in das Bildungssystem fließen wird, als wir es in
gleichem Maße nur über das BAföG erreichen würden.
Herr Präsident, Sie gestatten ein Zitat:
Natürlich wünscht sich die Opposition mehr, und
das sofort. Das ist ihr gutes Recht. Unsere Pflicht
als Regierungskoalition ist aber, aus dem Wün5184
Dr. Martin Neumann ({4})
schenswerten das Machbare zu machen und dies in
den finanziellen Kontext einzubetten.
Dies sagte Renate Schmidt hier am 16. November
2007.
({5})
Mit dem 23. BAföG-Änderungsgesetz, welches bereits zum Schuljahresbeginn bzw. zum Wintersemester
2010/2011 in Kraft tritt, werden drei Ziele verfolgt und
umgesetzt: erstens eine moderate, aber auch über dem
rechnerisch Erforderlichen liegende Anhebung der Bedarfssätze um 2 Prozent und der Freibeträge um
3 Prozent, zweitens wichtige strukturelle Verbesserungen im Zeichen einer Entbürokratisierung - das wurde
schon angesprochen -, zum Beispiel die Pauschalierung
der Wohnkosten, Leistungsnachweis mittels ECTS-Leistungspunkten, Streichung spezieller Teilerlasse, und drittens eine Ausgestaltung gemäß dem Bologna-Prozess,
nämlich die Anhebung der Altersgrenze beim Master auf
35 Jahre. Das zeigt, dass dieser Weg richtig ist.
Ab dem Jahr 2011 werden dem Bund dadurch jährliche Mehrausgaben in Höhe von etwa 200 Millionen
Euro entstehen. Es ist wichtig, an dieser Stelle hervorzuheben, dass wir das BAföG durch das nationale Stipendienprogramm für besondere Leistungen ergänzen und
dadurch sowohl eine Förderung in der Breite als auch in
der Spitze erreichen.
({6})
Heute fordert die Opposition, noch stärker an der Stellschraube Freibeträge und Bedarfssätze zu drehen, obwohl die Erfahrung aus der 22. Novelle gezeigt hat, dass
es keinen direkten Einfluss und keinen direkten Effekt
auf die Zahl der Geförderten gegeben hat. Jedem müsste
einleuchten: Wir brauchen nicht höhere Freibeträge, sondern deutlich unterschiedliche Förderinstrumente. Diesen Weg geht die Koalition.
({7})
Ihr plakativer Vorwurf, Herr Schulz, wir hätten die
Anregungen und Vorschläge des Bundesrates und der
Sachverständigen in der Anhörung in der vergangen Woche nicht aufgenommen, geht vollkommen ins Leere.
({8})
Nach sorgfältiger Abwägung aller Vor- und Nachteile
haben wir sehr wohl - das haben wir auch im Ausschuss
besprochen - die aus unserer Sicht sinnvollen und finanzierbaren Vorschläge aufgegriffen.
Wir machen das BAföG heute - das ist ganz wichtig;
deswegen will ich das hervorheben - fairer, transparenter, unbürokratischer und moderner. Vor allem setzen wir
zu diesem sozialpolitischen Instrument mit unserem nationalen Stipendienprogramm - beide Vorhaben bilden
ein ausgewogenes Paket - eine leistungsbezogene Komponente hinzu, um einen Beitrag zur Entwicklung einer
starken Verantwortungsgesellschaft in unserem Land zu
leisten.
Ich appelliere an Sie, meine Damen und Herren von
der SPD und den Grünen: Setzen Sie heute ein Zeichen
für Ihr Interesse an den jungen Menschen im Land, die
unsere Zukunft sind, und enthalten Sie sich nicht, sondern stimmen Sie unserem Gesetzentwurf zu!
({9})
Ich hoffe - das sage ich zum Schluss -, dass der Bundesrat am 9. Juli 2010 unser Studienfinanzierungspaket
aus BAföG und nationalem Stipendienprogramm auf
den Weg bringt. Nur durch diese gemeinsame Kraftanstrengung werden wir unserer politischen und moralischen Verantwortung für die junge Generation gerecht.
Ich bedanke mich.
({10})
Nicole Gohlke ist die nächste Rednerin für die Fraktion Die Linke.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Diese Regierung will ein nationales Stipendienprogramm, das den vermeintlich besten Studierenden monatlich 300 Euro spendiert, begründet dies aber damit,
die Studierneigung insgesamt fördern zu wollen. Frau
Schavan hat, wie ich glaube, gerade in diesem Zusammenhang die Formulierung „junge Leute ermutigen“ gebraucht.
({0})
Zu Recht hagelt es von allen Seiten Kritik an diesem
Gesetz, auch aus dem Kreis der Stipendiatinnen und Stipendiaten selbst, die übrigens in diesen Minuten vor dem
Bundestag demonstrieren. Sie kritisieren, dass durch dieses Programm wieder vor allem Jugendliche aus bessergestellten Elternhäusern gefördert werden. Sie verlangen
von einem Sozialstaat, dass öffentliche Gelder endlich
zur Studienförderung nach sozialen Gesichtspunkten
eingesetzt werden und nicht nach Noten. Dafür haben sie
die Unterstützung der Linken.
({1})
Die wenigen Fürsprecher dieses Gesetzes - ihre Zahl
ist wirklich sehr überschaubar - finden sich bei den Unternehmern. Diese allerdings versprechen sich davon
offenbar etwas ganz anderes und bewerten diese Stipendien auch ganz anders, als es die Regierung tut. Am
19. März erklärte die Bundesvereinigung der Deutschen
Arbeitgeberverbände in ihrer Stellungnahme zum Stipendiengesetz:
Zentrales Instrument zur sozial motivierten Studienförderung ist und bleibt das BAföG.
Die Liberale Hochschulgruppe stellte fest:
Ein Studium nach Neigung zu ermöglichen, ist alleine Aufgabe des BAföG.
Das heißt im Klartext: Das nationale Stipendienprogramm fördert offenbar nicht die allgemeine Studierneigung. Das haben die BDA und die Liberale Hochschulgruppe erkannt.
({2})
Jetzt frage ich Sie: Wenn viele Stipendiatinnen und
Stipendiaten das Gesetz nicht wollen, und wenn es gar
nicht, wie angegeben, dazu dient, die allgemeine Studierneigung zu fördern, was soll dieses Gesetz dann?
Die Arbeitgeber lassen die Katze aus dem Sack. Die Industrie- und Handelskammer formuliert sehr deutlich
ihre Korrekturwünsche an dem Gesetz. Sie fordert,
dass die privaten Geldgeber stärker am Prozess der Auswahl der Geförderten beteiligt werden, und will eine
- Zitat - „Gegenleistung“ von den Stipendiaten.
Den wunderbaren Begriff des „Mäzenatentums“ haben ja Sie, Frau Schavan, hier in die Debatte eingeführt:
reiche Gönner zur Finanzierung Ihres Stipendienprojekts. Mäzene sind aber meines Wissens Menschen, die
Geld geben, ohne eine direkte Gegenleistung zu verlangen. Unter „Mäzenatentum“ stelle ich mir also auf gar
keinen Fall die Schaffung neuer Abhängigkeiten vor.
({3})
Dieses Gesetz ermöglicht Dritten de facto einen Zugriff auf öffentliche Gelder. Von einer je hälftigen Finanzierung durch private und öffentliche Gelder, wie es im
Gesetzentwurf heißt, kann nicht die Rede sein. Die private Seite, die Unternehmen, übernehmen nur rund ein
Drittel der Kosten - den Rest ihrer Spende bekommen
sie über Steuerabschreibungen zurück -, und die immensen Verwaltungskosten für dieses Programm liegen einzig bei den Hochschulen.
Fakt ist aber, dass die privaten Mittelgeber bei zwei
Dritteln der Stipendien bei Studieninhalt und Studienfach mitentscheiden und insgesamt bei der Auswahl der
Bewerberinnen und Bewerber mitberaten.
({4})
Frau Schavan, das ist aus unserer Sicht nicht nur unsozial, sondern das ist auch völlig undemokratisch. So etwas ist mit uns nicht zu machen.
({5})
Die Ministerin redet bei dem Programm - das hat sie
auch gerade wieder getan - gerne von einem Projekt der
Zivilgesellschaft und erklärt die Zivilgesellschaft zum
Stipendienstifter. Aber es ist doch wohl klar, wer es sich
leisten kann, Stipendien zu stiften. Eine kleine Initiative
für Ökostrom hat doch nicht die gleichen finanziellen
Möglichkeiten wie der Energieriese RWE.
({6})
Das Stadttheater in Jena hat doch nicht annähernd so viel
Geld für Stipendien übrig wie der Axel-Springer-Verlag.
Tun Sie doch nicht so, als ob Sie das nicht wüssten!
({7})
Kolleginnen und Kollegen, aus Sicht der Linken muss
das dritte Kind einer alleinerziehenden Hartz-IV-Bezieherin die gleichen Chancen haben wie der Sohn eines
Rechtsanwaltes.
({8})
Wer wirklich die Studierneigung fördern will, der muss
in erster Linie soziale Hürden zum Studium beseitigen,
der muss das BAföG deutlich ausbauen.
({9})
In den letzten Tagen wurde deutlich, dass die Zustimmung zur Mini-BAföG-Erhöhung der Regierung im
Bundesrat keineswegs gesichert ist. Die Unionsministerpräsidenten Koch und Seehofer haben angekündigt, das
Gesetz zu blockieren. Sie wollen damit die Finanznot
der Länder auf dem Rücken der sozial Schwachen, der
Schülerinnen und Schüler und der Studierenden austragen. Wenn die Bundesregierung diese skandalösen Angriffe auf das BAföG zurückweisen will und wenn sie
wirklich möchte, dass die Länder mehr Geld für Bildung
ausgeben, muss sie die Länderfinanzen stärken, anstatt
sie weiter zu ruinieren.
Ein Anfang wäre, wenn Sie es uns und den Ländern
ersparen würden, auch nur einen Cent für dieses unsoziale und undemokratische Stipendienprogramm zu verschwenden. Wir brauchen stattdessen eine BAföG-Reform, die mehr ist als nur ein Tropfen auf den heißen
Stein.
Vielen Dank.
({10})
Das Wort hat nun der Kollege Kai Gehring, Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Schwarz-Gelb will heute ein Studienfinanzierungspaket
durch den Bundestag peitschen, obwohl es an den Bedürfnissen der allermeisten Studierenden ganz klar vorbeigeht.
({0})
Ihr Paket ist unausgewogen, es setzt falsche Prioritäten,
und es zementiert Bildungsblockaden, statt sie aufzubre5186
chen. Mit dem nationalen Stipendienprogramm begibt
sich Schwarz-Gelb auf einen bildungspolitischen Irrweg.
Wir sagen ganz klar: Statt Elitestipendien für wenige
brauchen wir Bildungsaufstieg durch ein besseres BAföG
für viele, meine Damen und Herren.
({1})
Ich frage mich immer wieder: Welches Gerechtigkeitsverständnis hat eigentlich diese schwarz-gelbe Koalition? Es ist ungerechte Klientelpolitik, wenn Sie das
Büchergeld für gutbetuchte Stipendiaten um überzogene
275 Prozent erhöhen, während Sie zugleich im Sparpaket das Elterngeld für Langzeitarbeitslose streichen. Das
ist schlichtweg ungerecht.
({2})
Sie setzen völlig falsche Prioritäten, wenn Sie 160 Millionen Euro Steuergelder ins Stipendienprogramm pumpen wollen, anstatt das BAföG viel deutlicher zu erhöhen und somit mehr zu tun für Bildungsgerechtigkeit.
Und es ist auch ein starkes Stück, dass Sie die einhellig
vernichtende Kritik der Fachwelt in der Anhörung des
Bildungsausschusses einfach ignorieren. Ihr Stipendienmurks ist bei den Sachverständigen durchgefallen.
Studierende, Stipendiaten, Hochschulen und die Wirtschaft lehnen es ab.
({3})
Deshalb lautet die Lehre: den nationalen Stipendienmurks zurückziehen statt durchziehen. Das sollten Sie
jetzt tun, meine Damen und Herren.
({4})
Drei Kritikpunkte will ich hervorheben. Erstens. Ihr
Stipendienprogramm bringt den Studierenden keinen
Gewinn, sondern ist unsicher, ungerecht und unattraktiv.
Die Stifter müssen sich nur für zwei Semester verpflichten, ein Stipendium zu finanzieren. Was will man eigentlich mit solchen Kurzzeitstipendien anfangen? Das hat
nichts zu tun mit Verlässlichkeit, mit sicherer Finanzierung und mit klaren Rechtsansprüchen wie beim BAföG.
Es ist übrigens auch völlig verrückt, dass man bei einem
Studienortwechsel dieses Stipendium verliert. Das ist
schlicht mobilitätsfeindlich und zeigt, dass Sie aus der
Bologna-Debatte nichts gelernt haben.
({5})
Die schwarz-gelben Stipendien kommen vor allem
chancenreichen Akademikerkindern zugute
({6})
- das zeigen alle Studien -, anstatt gezielt in die Bildungspotenziale von Nichtakademikerkindern zu investieren und diese Begabungsreserven zu heben. Fakt ist
doch, dass Habitus, Herkunft und Geldbeutel der Eltern
bei der Stipendienvergabe mit entscheiden. Damit verhindert Ihr Programm die soziale Öffnung der Hochschulen und überwindet eben nicht die soziale Schieflage beim Campuszugang. Deshalb geht es in die falsche
Richtung.
Zweiter Punkt. Die Hochschulen werden überlastet.
Die komplette Organisation des Programms wird ihnen
übergestülpt. Den Aufwand von Akquise bis Auswahl
müssen Universitäten und Fachhochschulen komplett alleine schultern. Die Verwaltungs- und Bürokratiekosten werden 25 bis 30 Prozent der Mittel auffressen; das
haben wir in der Anhörung erfahren. Deshalb kann man
nur sagen: Ihr Ziel, 8 Prozent der Studierenden zu Stipendiaten machen zu wollen, werden Sie nicht erreichen.
Das ist illusionär, das ist überdimensioniert, das ist reines Wunschdenken von Schwarz-Gelb.
({7})
Selbst die Befürworter, die ja wirklich sehr spärlich gesät sind, sagen: Maximal 1 bis 2 Prozent sind machbar
und realistisch. Insofern können Sie das 8-Prozent-Ziel
wirklich streichen.
({8})
Im Übrigen frage ich mich auch: Welches Verständnis
von Hochschulautonomie haben Sie eigentlich, wenn
die Bundesregierung hehre Ziele vorgibt, die vor Ort
praktisch unerreichbar sind? Das ist nicht unser Verständnis von Hochschulautonomie.
Dritter Punkt. Studienort und Studienfach entscheiden
künftig maßgeblich über die Chance auf ein Stipendium.
Bei Eliteunis wird es sicherlich leichtfallen, solche Stipendien zu akquirieren, in wirtschaftlich schwachen Regionen und an kleinen Fachhochschulen und Universitäten wird es sich als schwierig bis aussichtslos erweisen.
({9})
Insofern vertiefen Sie damit regionale Unterschiede, und
auch deshalb ist das der falsche Weg.
({10})
Hinzu kommt, dass geistes- und sozialwissenschaftliche
Studiengänge hierdurch strukturell benachteiligt werden.
Übrigens: Diese Fehlentwicklungen, die ich Ihnen genannt habe, lassen sich bereits in Nordrhein-Westfalen
beobachten, obwohl nur 0,4 Prozent der Studierenden
dort ein Pinkwart-Stipendium erhalten. Was in Nordrhein-Westfalen schon nicht funktioniert, das sollte nicht
bundesweit eingeführt werden. Beim Stipendienprogramm muss also gelten: Zurückziehen statt Durchziehen!
Durch Ihr Stipendienprogramm werden wertvolle
Steuermittel gebunden, die Bund und Länder für einen
ambitionierten Ausbau des BAföGs fehlen. Schon
durch die letzte Novelle ist der Kreis der Geförderten leider kaum ausgeweitet worden, und auch das Mittelschichtsloch wurde nicht geschlossen. Ähnliches wird
Ihnen bei der 23. BAföG-Novelle jetzt auch passieren.
Sie weist zwar ein paar gute Ansätze auf - wir finden die
höhere Altersgrenze gut, und wir finden es gut, dass es
überhaupt zu einer Erhöhung kommt -, insgesamt kann
man aber nur sagen: halbherzig, mager, mutlos. - Hier
hätte mehr passieren müssen.
({11})
Wir als Grüne haben deshalb zahlreiche Änderungsanträge gestellt, die Schwarz-Gelb natürlich abgelehnt
hat, obwohl sie gut sind.
({12})
- Natürlich sind unsere Änderungsanträge gut; Sie sind
eine grottenschlechte Koalition. Darin sind die Bürgerinnen und Bürger mit uns ja einig.
({13})
Wir wollen eine kraftvolle Erhöhung der Freibeträge
und Fördersätze um 5 Prozent. Damit würden deutlich
mehr Studienberechtigte für ein Studium gewonnen, und
der Gefördertenkreis würde vergrößert. Wir wollen auch,
dass die Verschuldungsgrenze abgesenkt wird, weil
durch die Verschuldungsrisiken beim BAföG viel zu
viele Studierende aus bildungsfernen und finanzschwachen Familien vom Studium abschreckt werden. Die
Verschuldungsgrenze muss also gesenkt werden. Das,
was Sie jetzt als bundeseinheitliche Mietkostenpauschale vorsehen, haben wir kritisiert, da die Wohnkosten
für Studierende regional sehr unterschiedlich sind. Daher
wollen wir die im Wohngeldgesetz festgelegten Mietstufen gerne übernehmen. Das wäre deutlich gerechter und
auch bürokratieärmer als zurzeit.
({14})
Wir wollen darüber hinaus, dass das BAföG endlich
familienfreundlicher gestaltet wird. Jedes Kind studierender Eltern muss uns als Gesetzgeber gleich viel wert
sein, damit Studium und Familie besser miteinander vereinbart werden können. Im Übrigen kann ich es nach wie
vor nicht nachvollziehen, dass Sie es auch mit dieser
BAföG-Novelle nicht schaffen, eine völlige Gleichberechtigung von Ehepartnern und eingetragenen Lebenspartnern zu erreichen. Auch das müsste im Jahre 2010
ein Akt der Selbstverständlichkeit sein, weil jede Ungleichbehandlung Diskriminierung ist.
({15})
Wir wollen das BAföG Bologna-tauglicher machen
und es für ein Studium im gesamten Bologna-Raum gestalten. Auch eine ununterbrochene Förderung bei einem
unmittelbaren Übergang vom Bachelor- zum Masterstudiengang ist längst überfällig. Dafür, dass Sie als Koalition noch nicht einmal den Mut hatten, die Empfehlung
des Bundesrates in dem Gesetzentwurf zu berücksichtigen, haben wir wirklich überhaupt kein Verständnis. Mit
einem kleinen Spiegelstrich hätte man hier richtig viel
bewirken können. Auch hier haben Sie versagt.
Wenn man sich ein so verbessertes BAföG anguckt,
dann sieht man, dass das nur der Auftakt für eine mutige
Reform der Studienfinanzierung hin zu einem grünen
Zweisäulenmodell sein kann. Wir sagen: Wir wollen
eine erste Säule aus einem einheitlichen Sockelbetrag,
der allen Studierenden elternunabhängig zugutekommt,
und wir wollen eine zweite Säule, mit der eine starke soziale Komponente für Studierende aus einkommensarmen Elternhäusern garantiert wird.
Mit diesem grünen Zweisäulenmodell erreichen wir
zielgenau alle Studierenden mit Finanzierungssorgen
und bringen eine überfällige soziale Öffnung der Hochschulen in Gang. Deshalb ist das das bessere Modell.
({16})
- Nein, das ist kein Ladenhüter, sondern das ist machbar,
gerechter und gut. Wenn Sie sich noch einmal an die Anhörung erinnern, dann wissen Sie: Das bringt tatsächlich
deutlich mehr.
({17})
Nach dem gescheiterten Bildungsgipfel III ist festzustellen, dass nach einem Dreivierteljahr Schwarz-Gelb
offensichtlich nicht einmal mehr Selbstverständlichkeiten wie eine gemeinsam getragene Studienfinanzierung
bei den Ländern mehrheitsfähig ist.
({18})
Das ist eine Katastrophe.
Die eigenen Ministerpräsidenten lassen Schavan und
Merkel im Bundesrat im Regen stehen. Daher kann ich
Sie nur auffordern, Frau Schavan: Motten Sie Ihren nationalen Stipendienmurks ein, um wenigstens eine echte
BAföG-Erhöhung auf den Weg und durch den Bundesrat
zu bringen! Damit käme auch deutlich mehr Bewegung
in die festgefahrenen Bund-Länder-Streitigkeiten zur
Bildungsfinanzierung.
Herr Kollege.
Dann wäre der Anspruch der politischen Kunst, den
Sie, Frau Schavan, in der letzten Debatte für sich reklamiert haben, tatsächlich erfüllt. Den Nachweis, dass es
sich bei Ihrem Studienfinanzierungspaket um politische
Kunst handelt, haben Sie bisher definitiv nicht erbracht.
({0})
Das Wort erhält nun der Kollege Dr. Stefan Kaufmann,
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine Damen und Herren! Wir beraten und beschließen
heute mit der 23. Änderung des BAföG einen beachtlichen Wurf. Mit den vorgesehenen Verbesserungen sendet dieses Haus ein deutliches Signal an die Studierenden in unserem Land. Uns ist es ernst mit dem Thema
Aufstieg durch Bildung als Kernbotschaft dieser christlich-liberalen Koalition und der Bildungspolitik der
Union.
({0})
Warum ist das Gesetz ein beachtlicher Wurf? Bereits
zwei Jahre nach der letzten Erhöhung im Jahr 2008 passen wir das BAföG erneut den geänderten Rahmenbedingungen an. Wir machen das BAföG fit für die Herausforderungen des Bologna-Prozesses. Die Bedarfssätze und
Freibeträge werden entgegen der Behauptung der Grünen
in ihrem Antrag zum Stipendienprogramm mit 2 bzw.
3 Prozent deutlich stärker steigen als die Verbraucherpreise seit der letzten Anpassung.
Weitere Verbesserungen zum BAföG hat Frau Ministerin Schavan bereits ausgeführt. Aber es könnte immer
und überall noch ein wenig mehr sein, wie die Kolleginnen und Kollegen von der Opposition unisono fordern,
vom Vollzuschuss bis zur Senkung des Kostendeckels.
({1})
- Klar ist, Herr Schulz: Das BAföG ist und bleibt das
wesentliche breitenwirksame Instrument der individuellen Bildungsfinanzierung.
({2})
Es ist und bleibt aber auch eine Sozialleistung. Wir haben die Pflicht, die Ausgewogenheit sozialer Leistungen
sicherzustellen. Dies sind wir dem Steuerzahler schuldig, der die Kosten von knapp 2,5 Milliarden Euro jährlich für das BAföG trägt.
({3})
Lassen Sie mich daher an dieser Stelle mit einigen
falschen Grundannahmen der Oppositionsparteien aufräumen. In ihrem Antrag zum nationalen Stipendienprogramm schreiben die Grünen:
Finanzielle Gründe führen immer häufiger zu Studienverzicht und Studienabbruch.
({4})
Mit Verlaub, das ist ein Ammenmärchen.
({5})
Gerne wird in diesem Zusammenhang auf die oft,
aber leider genauso oft falsch zitierte HIS-Studie „Studienberechtigte 2008“ verwiesen. Diese besagt angeblich, dass 73 Prozent der Studienberechtigten, die ihre
Studienoption nicht einlösen, dies aus Angst vor Schulden aufgrund eines Studienkredits oder des BAföGRückzahlungsanteils tun. Doch hat der Anteil eines Jahrgangs, der nicht studiert, schon nach der HIS-Studie
viele - genauer: 13 - andere Gründe angegeben, die ihn
von einem Studium abhalten. So finden circa 75 Prozent
der Befragten eine berufliche Ausbildung attraktiver.
Anderen ist das Studium nach bisherigem Schema
schlicht zu lang.
({6})
- Schauen wir uns also besser an, Herr Schulz, wie sich
die Realität jenseits dieser 73-Prozent-Marke, welche
die Opposition gerne wie eine Monstranz vor sich herträgt, darstellt. Demnach haben im Jahr 2008 so viele
junge Menschen ein Studium begonnen wie noch nie:
330 000.
({7})
Das sind knapp 8 Prozent mehr als im Jahr 2006. Diesen
330 000 jungen Menschen ist klar, dass sich Investition
in Bildung lohnt.
({8})
Noch ein bemerkenswerter Befund: Dort, wo Studiengebühren erhoben werden, sind die Studienanfängerzahlen zuletzt sogar überproportional gestiegen. Ich nenne
nur die Länder Bayern und Baden-Württemberg.
Das angebliche Verschuldensrisiko taugt also nicht
wirklich zur Abschreckung und damit auch nur sehr eingeschränkt als Argument in einem ehrlichen politischen
Diskurs. Das sollten Sie bitte zur Kenntnis nehmen.
Damit komme ich zu einer weiteren Grundprämisse,
die das Handeln und Argumentieren der Opposition bestimmt: Das System sei hochselektiv, und es studierten
deutlich mehr Akademikerkinder als Arbeiterkinder.
Letzteres ist zwar richtig, aber das hat nichts mit der Studienfinanzierung zu tun, sondern schlicht damit, dass die
Zahl der Akademikerkinder mit Hochschulzugangsberechtigung fast doppelt so hoch ist wie die Zahl der Arbeiterkinder mit Abitur.
Lassen Sie uns also diese Fragen dort diskutieren, wo
sie hingehören: zum Thema Schulkarrieren und Bildungsbeteiligung. Das ist im Übrigen eine originäre
Aufgabe der Länder.
Ich komme zurück zum BAföG und zu den konkreten
Änderungsanträgen der Opposition. Um den Kreis der
Berechtigten zu verbreitern, fordern Sie eine drastische
Erhöhung der Freibeträge um 5 Prozent bzw. 10 Prozent.
Das mag populär sein. Dabei unterschlagen Sie jedoch,
dass die Förderberechtigung mit der vorliegenden
BAföG-Novelle bis zu einem Bruttofamilieneinkommen
von 7 180 Euro bei zwei Kindern reichen wird. Ich
meine, man wird angesichts dieser Zahlen nicht mehr
von sozialer Selektivität sprechen können.
({9})
Meine Damen und Herren, wer stehen bleibt, wird
überholt. Dies gilt auch im Bereich der Studienfinanzierung. Wir bleiben jedenfalls nicht stehen und werden daher auch in Zukunft weitere Verbesserungen am BAföG
vornehmen. Ich nenne nur die Möglichkeit, den Förderantrag bundesweit online zu stellen, und neue Wege bei
der Internationalisierung der Förderung.
Als neuer Weg der Studienfinanzierung ist auch unser
Entwurf für ein neues nationales Stipendienprogramm
zu sehen. Es ist der Einstieg in eine dritte Säule der Bildungsfinanzierung. Es ist der Einstieg in die Mobilisierung neuer Begabungsreserven und die Erschließung bisher unterrepräsentierter Studierendengruppen. Kurzum:
Es ist der Einstieg in ein international konkurrenzfähiges
System privater Bildungsfinanzierung.
Meine Damen und Herren, dies schlechtzureden, ist
kleinmütig. Wir sollten keine Chance auslassen, zusätzliche Mittel für Bildung zu akquirieren. Nur so wird es
uns am Ende gelingen, unseren Bildungsnachwuchs in
der Breite wie in der Spitze zu sichern.
({10})
Dieser duale Ansatz verdient unser aller Zustimmung.
Besten Dank.
({11})
Die Kollegin Marianne Schieder erhält nun das Wort.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Dinge, die die Welt nicht braucht. So könnte
man die Liste der Vorhaben überschreiben, die bislang
von der schwarz-gelben Regierungskoalition auf den
Weg gebracht wurden.
({0})
Eines davon, ein absolut unbrauchbares, ist das nationale Stipendienprogramm. In der dazu anberaumten Anhörung unseres Ausschusses bestätigten die Experten
nahezu einhellig und vollumfänglich unsere Kritik an
diesem völlig unausgegorenen Gesetzentwurf.
({1})
- Nein, Sie müssen bei einer anderen Veranstaltung gewesen sein. Das habe ich Ihnen gestern schon gesagt.
Die angestrebte Förderquote von 8 Prozent der Studierenden wurde als völlig überzogen und unerreichbar
eingeschätzt. Mehr als fraglich ist nämlich, ob die angestrebte Summe privater Gelder - immerhin 300 Millionen Euro jährlich - je erreicht werden kann. Die Mittel,
die die Hochschulen einwerben können, stagnieren nämlich schon seit Jahren bei circa 400 Millionen Euro. Für
dieses Stipendienprogramm bräuchte man also noch einmal Dreiviertel dieser Summe.
Frau Kollegin Schieder, gestatten Sie Zwischenfragen?
Ja, bitte.
Bitte sehr.
({0})
Wir hatten schon gestern -
Einen Augenblick noch, da offenkundig Spekulationen entstehen.
Es ist eine ständige Praxis, dass nach Ablauf der zugemessenen Redezeit natürlich keine zusätzlichen Zwischenfragen mehr zugelassen werden, weil wir auf diese
Weise den vereinbarten Zeitplan außer Kraft setzen würden. Wenn dies innerhalb der Redezeit erfolgt, haben wir
eine andere Lage.
Bitte schön.
({0})
Vielen Dank, Herr Präsident.
({0})
Nein. Es geht nach der Feststellung der Meldungen
bei mir. Sie müssen sich darauf verlassen können, dass
ich das nach sorgfältiger Beurteilung der tatsächlichen
Sachverhalte vornehme.
({0})
Frau Schieder, meine Frage richtet sich nicht nur an
Sie, sondern auch an die Vorredner der Opposition. Kann
es sein, dass wir eine unterschiedliche Wahrnehmung
von der gleichen Veranstaltung haben?
Ich möchte meine Frage noch begründen.
Die Tatsache, dass man mit unterschiedlicher Wahrnehmung aus einer Veranstaltung herausgeht, hat Antoine de Saint-Exupéry sehr schön in seinem Werk „Der
kleine Prinz“ beschrieben. Dieser hat gesagt: Du siehst
nur, was du kennst.
Vor diesem Hintergrund geht man natürlich auch mit
einer gewissen Erwartungshaltung in eine Ausschusssitzung.
In der Ausschusssitzung habe ich in der letzten Runde
an drei der anwesenden Experten die Frage gestellt:
Wenn Sie von der Richtung her einverstanden sind, welche Hinweise könnten Sie denn geben, um dieses nationale Stipendienprogramm auf den Weg zu bringen? Das
Ergebnis will ich hier nicht vortragen. Eines ist mir in
Erinnerung -
Nein, nein! Sie können jetzt ohnehin keine Ansprache
halten, sondern nur, wenn überhaupt, eine kurze, gezielte
Zwischenfrage stellen.
({0})
Dann komme ich auf die erste Frage zurück: Kann es
sein, dass wir eine unterschiedliche Wahrnehmung haben?
({0})
Wenn sich Ihre Wahrnehmung so darstellt wie die Art,
Fragen zu stellen,
({0})
um nach einem minutenlangen Vortrag wieder zum Anfang zurückzukommen, dann ja.
Sie waren dabei. Ich war dabei. Eine ganze Menge
der hier anwesenden Kolleginnen und Kollegen war dabei. Alle haben festgestellt, dass es ganz genau zwei Vertreter gab, nämlich den Vertreter der BDA und den
Vertreter des Stifterverbandes, die dem Ganzen etwas
Positives abgewinnen konnten. Alle anderen haben die
Kritik vorgetragen, die zu schildern ich begonnen habe.
({1})
Selbst bei der Frage „Werden wir 8 Prozent erreichen?“
haben BDA und Stifterverband nichts anderes gesagt, als
dass die Förderquote viel zu hoch angesetzt ist. So war
das.
({2})
Die Hochschulen und Universitäten sehen in dem für
die Umsetzung des Gesetzes notwendigen Verwaltungsaufwand eine ganz enorme Belastung. Laut Anhörung
sollen dafür immerhin schon 30 Prozent der Mittel aufgefressen werden. Zum Einwerben, Verwalten und Verteilen der Stipendien kommt noch die Betreuung der Stipendiaten; Lehre und Forschung natürlich sowieso. Die
im Gesetzentwurf dafür veranschlagten 30 Millionen
Euro jährlich werden niemals reichen - das sagt alle
Welt -, und es ist kein Wunder, dass die Länder sich auf
diese Milchmädchenrechnung nicht einlassen wollten
und deutlich ihre Kritik zum Ausdruck gebracht haben.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU,
selbst der RCDS - er steht Ihnen doch näher als mir kritisiert diesen enormen Verwaltungsaufwand. Er stellt
fest: Das ambitionierte Programm ist damit ernsthaft infrage gestellt.
In der Begründung des Gesetzentwurfs schreibt die
Bundesregierung, mit dem Vorhaben wolle man für
gleichwertige Lebensverhältnisse überall im Land sorgen. Ich bezweifle entschieden, dass das gelingt. Wie der
überwiegende Teil der Experten glaube auch ich, dass
die Hochschulen in den strukturschwachen Regionen
wesentlich größere Probleme haben werden als die
Hochschulen und Universitäten in wirtschaftlich starken
Regionen, die Gelder überhaupt aufzutreiben, die nötigen Finanzmittel einzuwerben.
({3})
So entstehen unnötige und absolut kontraproduktive
Wettbewerbsverzerrungen. Universitäten und Hochschulen in ländlichen und strukturell benachteiligten Gebieten unseres Landes werden die großen Verlierer sein.
Das wird ein Stipendienprogramm für Hamburg, Stuttgart und München, aber nicht für Nordostbayern oder
Mecklenburg-Vorpommern oder Sachsen, Brandenburg
und Thüringen.
({4})
Ihre Erfahrungen aus NRW zeigen doch, dass Studiengänge, die keinen unmittelbaren Nutzen für die
Wirtschaft bringen, über dieses Programm kaum gefördert werden. Es gibt eine ganz eindeutige Bevorzugung
der Naturwissenschaften, der Ingenieurwissenschaften
und der Medizin
({5})
und wenig Interesse beispielsweise an den Geistes- und
Sozialwissenschaften. Auch das stellt der RCDS fest und
nicht nur ich.
({6})
Marianne Schieder ({7})
Die Vorstellung, dass dieses Stipendienprogramm
junge Menschen, die bislang aus finanziellen Erwägungen sich nicht getraut haben, ein Studium aufzunehmen,
dazu bringen könnte, zu studieren, wurde von allen Experten klar als unrealistisch eingeschätzt, allen voran
von Frau Professor Dr. Wintermantel, die es eigentlich
wissen muss.
({8})
Die Aussicht auf ein Stipendium - das wissen doch auch
Sie - bietet nämlich viel zu wenig Verlässlichkeit, um finanzielle Sorgen wirklich zerstreuen zu können. Es werden also die sozialen Disparitäten noch verstärkt und
nicht, wie Sie behaupten, auch nur irgendwie abgemildert.
({9})
- Das glaube nicht nur ich; das haben die Experten gesagt, die bei der Anhörung anwesend waren, und es ist
so.
({10})
Sie wissen ganz genau, liebe Kolleginnen und Kollegen, die von Ihnen für das Stipendienprogramm vorgesehenen Gelder wären beim BAföG wesentlich besser und
sinnvoller angelegt. Es ist mir unerklärlich, warum Sie
aus der Anhörung nichts gelernt haben. Man muss sich
das einmal vorstellen: Es wurde ein einziger Satz übernommen. Es war der Wunsch der BDA, mitreden zu dürfen. Wenn man schon Geld gibt, dann will man auch
wissen, an wen es verteilt wird. - Das war die ganze
Ausbeute. Das war das, was Sie aus der Anhörung gelernt haben.
Sie präsentieren uns hier einen Gesetzentwurf, der
nicht mehr ist als Stückwerk und dessen Scheitern so sicher ist wie das Amen in der Kirche.
({11})
Die Zahl der Befürworter - das wissen Sie genauso gut
wie ich - packt nicht einmal die 5-Prozent-Hürde. So erbärmlich sieht es damit aus.
Liebe Kolleginnen und Kollegen der schwarz-gelben
Koalition, ich lade Sie ein: Beenden Sie Ihren Blindflug
in der Bildungspolitik! Diskutieren Sie mit uns tragfähige Konzepte, die für mehr Chancengerechtigkeit sorgen und nicht von Lobbyisten diktiert werden! Ziehen
Sie Ihren Gesetzentwurf zurück, und folgen Sie der Aufforderung, die wir in unserem Entschließungsantrag klar
formuliert haben! Stärken Sie mit uns das BAföG,
({12})
damit sich tatsächlich mehr junge Menschen trauen, ein
Studium aufzunehmen, und damit unser Land wieder sozial gerechter wird!
Herzlichen Dank.
({13})
Patrick Meinhardt ist der nächste Redner für die FDPFraktion.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen
und Kollegen! Ich freue mich darauf, dass Tausende von
jungen Menschen künftig zusätzlich ein Stipendium bekommen.
({0})
- Schön, das gebe ich gerne zurück. - Die Beschlüsse
des heutigen Tages zur BAföG-Modernisierung und zur
Schaffung eines nationalen Stipendienprogramms mit einer starken Förderung in der Breite und einer starken
Spitzenförderung bedeuten einen Fortschritt für die Bundesrepublik Deutschland. In diesem Land schlummern
so viele unentdeckte Talente, dass es eine der zentralen
Aufgaben der Bildungspolitik sein muss, diese zu heben,
({1})
und zwar vom ersten Tag an. Wir brauchen in Deutschland, nachdem wir viel Zeit verschlafen haben, eine
Trendwende in der Begabtenförderung. Diese leitet
die Bundesregierung heute ein.
({2})
Es gibt junge Menschen in diesem Land, die innovativ, tüchtig, fleißig und talentiert sind und einen ganz besonderen Weg zurückgelegt haben, bis sie ihr Studium
aufgenommen haben. Sie sind engagiert. Sie übernehmen Verantwortung in Vereinen, Verbänden und Kirchen, also ehrenamtliche Führungspositionen schon in
jungen Jahren. All diesen jungen Menschen wollen wir
die Möglichkeit geben, ein Stipendium zu erhalten und
somit eine zusätzliche Bildungsfinanzierung zu bekommen.
({3})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn es eine bildungspolitische Initiative gibt, die ein Zeichen für mehr
Bildungsgerechtigkeit setzt, dann ist das das vorliegende Stipendienprogramm.
(Lachen des Abg. Kai Gehring ({4})
Vergessen wir bitte nicht die Zielrichtung, die wir mit
diesem Stipendienprogramm verfolgen. Wir brauchen
es, weil wir die Denke in Deutschland ändern wollen.
Begabtenförderung muss raus aus dem Elfenbeinturm
und ganz selbstverständlich vom ersten Tag an mitten in
das Zentrum der bildungspolitischen Fragestellungen
und Herausforderungen. Das ist das bildungspolitische
Thema, mit dem wir uns hier auseinandersetzen müssen.
({5})
Die Zahl der Studierenden, die ein Stipendium bekommen, liegt in Deutschland bei unterirdischen 2 Prozent. Viel zu wenige junge Menschen, die aus sozialen,
kulturellen und finanziellen Risikogruppen, wie es im
Bildungsbericht heißt, kommen, nehmen ein Studium
auf. Die Stipendienkultur in diesem Land ist absolut unterentwickelt. Davor kann man doch nicht die Augen
verschließen! Vor allem diejenigen dürfen die Augen
nicht davor verschließen, in deren Regierungszeit sich
das Ganze so entwickelt hat. Hier muss jetzt endlich gehandelt werden.
({6})
Mit seinen Begabtenförderungswerken hat Deutschland bislang einen einzigartigen Weg eingeschlagen, indem Begabung anhand des Dreiklangs aus Leistung,
Persönlichkeit und gesellschaftlichem Engagement gemessen wird. Diese Begabten stärken wir mit der Anhebung des Büchergeldes auf 300 Euro. Dies ist eine richtige Entscheidung. Hier wurde ja immer wieder auf die
Petition hingewiesen, dass das Büchergeld bei 80 Euro
bleiben soll. Diese erhielt in drei Wochen 2 500 Unterschriften, während die Gegenpetition, die das höhere Büchergeld von 300 Euro befürwortet, in nicht einmal zwei
Tagen die 2 000er-Marke überschritten hat. Wir sollten
in dieser Diskussion nicht einseitige Darstellungen in
den Vordergrund rücken. Wenn es so weit ist und es zum
Schwur kommt, wird man sehen, ob die Studierenden
sich weiterhin mit 80 Euro zufrieden geben werden, sodass das dadurch übrig gebliebene Geld dazu genutzt
werden kann, weiteren Studierenden ein Stipendium zukommen zu lassen. Wenn die jungen Menschen so handelten, würden sie meinen Respekt verdienen und ein
gutes Zeichen in der bildungspolitischen Debatte setzen.
Frau Gohlke, Sie haben gerade eine Presseerklärung
des Bundesverbandes Liberaler Hochschulgruppen zitiert. Es ist natürlich nicht schön, wenn man nur einen
bestimmten Teil aus einer Presseerklärung zitiert. Ich
darf den zweiten Teil dieser Presseerklärung ergänzen:
Es ist absolut richtig, in Zeiten des Bolognaprozesses im Sinne der Hochschulautonomie ein klares
Zeichen zu Gunsten von regionalen Strukturen zu
setzen. Nur so ist ein funktionierendes, vielfältiges
und tragendes Stipendiensystem möglich und nur
so können Hochschulen in einen belebenden Wettbewerb um die besten Studenten treten!
Auch das hätten Sie noch dazusagen sollen.
({7})
Wir brauchen die zusätzlichen Anreize. Wir brauchen
Rahmenbedingungen, dass Netzwerke mit der Wirtschaft geschaffen werden.
({8})
Daran ist überhaupt nichts Schlechtes. Professor Radtke
von der Universität Duisburg-Essen hat in der Anhörung
klar gesagt, es mache ihm Freude, hinauszugehen und
für seine Studierenden Geld einzuwerben. Dann lassen
wir das doch auch zu und hören auf mit der Debatte über
eine angebliche soziale Ungerechtigkeit. Wer einen BAföGHöchstsatz von 670 Euro hat, also aus einer finanzschwachen Familie kommt, der bekommt die 300 Euro
obendrauf. Er erhält also eine doppelte Förderung. Das
ist sozial gerecht und nichts anderes.
({9})
Es ist richtig, wenn wir endlich ein Stipendienprogramm haben, bei dem die Fachhochschulen stärker in
den Fokus kommen. Nach den aktuellen Zahlen werden
bisher nur 9 Prozent der Studierenden an Fachhochschulen gefördert. Wir brauchen eine stärkere Förderung
auch für Studenten an Fachhochschulen auf der Basis einer Stipendienkultur.
Alles in allem wünsche ich mir, dass wir heute in einem breiten Konsens das nationale Stipendienprogramm
und die BAföG-Modernisierung auf den Weg bringen.
Das nationale Stipendienprogramm bietet die Chance,
einen neuen akademischen Generationenvertrag in der
Bundesrepublik Deutschland herzustellen. Damit besteht
die Chance, mehr Gerechtigkeit in der Bildungsfinanzierung sicherzustellen.
Herzlichen Dank.
({10})
Das Wort erhält nun die Kollegin Yvonne Ploetz für
die Fraktion Die Linke.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Frau Schavan, eine Bildungsrepublik sieht anders aus!
Als Studentin und ehemalige BAföG-Empfängerin
kann ich dies aus eigener Erfahrung sagen. Wenn man
teilweise bis zu zwei Jobs parallel zum Studium annehmen muss, um Essen, Miete, Bücher, Semesterbeitrag
usw. bezahlen zu können, geht das nicht selten zulasten
der Konzentrationsfähigkeit in Vorlesungen und Seminaren.
Die Studienbedingungen haben sich seit Ablauf meiner Förderung verschlechtert. In fünf Bundesländern
werden Studiengebühren fällig. Ich hätte also 80 Euro
im Monat mehr verdienen müssen. Da stellt sich nur die
Frage, wie das heute in einem starren System von Bachelor und Master möglich sein soll.
Gerade einmal 17 Prozent aller Studierenden erhalten
BAföG. Die durchschnittliche Förderhöhe liegt bei
398 Euro. Mehr als das Doppelte wird benötigt. Das
zeigt nicht zuletzt die jüngste Sozialerhebung des Deutschen Studentenwerks. Vor diesem gesamten Hintergrund ist die von Ihnen angestrebte Minierhöhung um
2 Prozent nicht mehr als ein Tropfen auf den heißen
Stein.
({0})
Ganz kurz zur HIS-Studie. Über die Fakten kann man
nicht einfach hinweggehen, nur weil es mehrere Items in
dieser Befragung gab. 77 Prozent der Studienberechtigten ohne Studienabsicht gaben das Fehlen finanzieller
Voraussetzungen als Grund für ihren Studienverzicht an.
73 Prozent wollen sich nicht verschulden. Solche Zahlen
lassen doch hellhörig werden, nicht zuletzt angesichts
des aufziehenden Akademikermangels. Für die Bundesregierung gilt das offensichtlich nicht!
Frau Schavan, Sie müssen gerade jetzt, in der Zeit eines sozial unausgewogenen Sparpakets, das Vertrauen
der Schüler und Schülerinnen und der Studierenden in
die Ausbildungsförderung stärken und positive Signale
senden. Zeigen Sie, dass Sie soziale Hürden zum Bildungszugang ernsthaft beseitigen wollen!
({1})
Des Weiteren müssen Sie bei der Finanzierung einen
Kompromiss mit den Bundesländern finden. Sie gehen
derzeit bewusst das Risiko ein, dass die Länder Ihnen die
Zustimmung zum Gesetz verweigern, nur weil Sie deren
Finanznöte einfach nicht ernst nehmen wollen. Dabei
senkt diese Regierung die Einnahmen der Länder und
fordert mehr Ausgaben für Bildung, und gleichzeitig sollen die Länder - siehe Schuldenbremse - auch noch ausgewogene Haushalte abliefern.
Insgesamt weist Ihr Gesetzentwurf in die richtige
Richtung. Sie haben anscheinend den Handlungsbedarf
erkannt. Leider bleiben Sie aber hinter dem Notwendigen zurück:
Erstens. Es ist ein Holzweg, auf dem sich die
schwarz-gelbe Regierung befindet, mit Elitestipendien
für wenige die eigene Klientel zu beglücken, anstatt Bildungsaufstieg für viele zu organisieren.
({2})
Ziehen Sie Ihr Gesetz zur Schaffung eines nationalen
Stipendiensystems zurück! Nutzen Sie die frei werdenden Haushaltsmittel, um die Bedarfssätze und Freibeträge um 10 Prozent anzuheben, und passen Sie das
BAföG jährlich an die Preisentwicklung an!
({3})
Zweitens. Mittelfristig soll eine elternunabhängige
Förderung dafür sorgen, dass wirklich niemand in seinem Bildungsweg von Dritten abhängig ist.
Drittens. Erarbeiten Sie einen Vorschlag, wie die Ausbildungsförderung wieder auf ein Vollzuschusssystem
umgestellt werden kann, wie es 1971 ursprünglich konzipiert war. Nur so ist dafür gesorgt, dass junge Menschen nicht mit einem Schuldenberg ins Berufsleben
starten müssen. Nur so ist dafür gesorgt, dass ihre gesellschaftlich notwendige und wertvolle Leistung entsprechend gewürdigt wird.
({4})
Viertens. Verzichten Sie auf Höchstaltersgrenzen, damit das BAföG bolognatauglich und dem festgeschriebenen Ziel des lebenslangen Lernens Rechnung getragen
wird.
Fünftens. Gewährleisten Sie, dass das Studium wieder
in allen Bundesländern gebührenfrei wird; denn Studiengebühren sind und bleiben Bildungskiller.
({5})
Nehmen Sie die Forderung der Linken für ein schlagkräftiges BAföG auf. So bieten Sie Anreize zur Studienaufnahme und verbessern die Lebensbedingungen der
Empfängerinnen und Empfänger entscheidend.
Ich danke Ihnen.
({6})
Liebe Frau Ploetz, zu Ihrer ersten Rede im Deutschen
Bundestag gratuliere ich Ihnen herzlich im Namen des
ganzen Hauses,
({0})
verbunden mit allen guten Wünschen für die weitere parlamentarische Arbeit.
Das Wort hat nun die Kollegin Monika Grütters für
die CDU/CSU-Fraktion.
({1})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir können mit Genugtuung feststellen, dass das Thema Bildung
nicht nur das Parlament, sondern auch die Republik bewegt. Wenn es dabei auch um Geldfragen geht, wird es
noch spannender. Wir kommen in dieser Woche - das
sage ich auch für unsere Gäste auf der Tribüne - auf drei
große Bildungsdebatten an zwei Plenartagen. Ich finde
das ziemlich beachtlich und auch gut; denn es geht uns
vor allen Dingen um die Verbesserung der Situation der
Studierenden. Das sollte man erst einmal beklatschen.
({0})
Ich finde es verwunderlich, dass die Opposition, die
selbst nichts tut, geradezu reflexartig reagiert und sagt:
Was ihr tut, ist zu wenig. - Ein weiterer Punkt ist: Wenn
wir den Hochschulen mit Ideen wie BAföG-Erhöhung,
nationales Stipendienprogramm und Förderung der
Lehre in einer dritten Säule kommen, weichen diese erst
einmal zurück und sagen: Hilfe, damit haben wir am
Ende noch mehr Arbeit. Jetzt sollen wir leistungsstarke
Studierende identifizieren und mehr Geld einwerben.
Das alles können wir nicht leisten.
Ich gebe zu, dass an dem nationalen Stipendienprogramm einige Punkte verbesserungsbedürftig sind, zum
Beispiel der Punkt Mobilitätshemmnisse.
({1})
Das habe ich nie bestritten. In dieser Hinsicht muss man
nacharbeiten.
({2})
Aber all die kleinliche Kritik reicht doch wohl nicht aus,
um das Geld für die Studierenden gleich wieder abzuschaffen.
({3})
Hier in Deutschland ist die Stipendienkultur, weil das
Studium für den Einzelnen wesentlich günstiger ist als
sonst wo auf der Welt, noch verdammt unterentwickelt.
Gerade einmal 1 Prozent der Studierenden bekommt
Geld von den Begabtenförderungswerken, die vom
BMBF finanziert werden.
({4})
Ein weiteres Prozent bekommt Stipendien aus privater
Hand. Wir zumindest wollen - ich weiß nicht, wie Sie
darüber denken; nach Ihrem heutigen Verhalten zu urteilen, muss ich in Zweifel ziehen, das auch Sie das wollen - mittelfristig auf 10 Prozent Stipendiaten kommen.
Auch dafür ist dieses Programm geeignet. Ministerin
Schavan hat in der letzten Legislaturperiode die Zuschüsse des BMBF an die zwölf Begabtenförderungswerke von 80 Millionen Euro auf 132 Millionen Euro
erhöht. Wir hatten damals 13 000, jetzt haben wir
21 000 Geförderte. Ebenso wichtig ist, finde ich, dass
der Anteil privater Finanzierung für die Hochschulen erhöht wird. Deutschland liegt im OECD-Durchschnitt - da
sind es 27 Prozent - mit 15 Prozent weit zurück. Das
meiste Geld davon geht in die Forschung. Wir müssen
also etwas tun, damit sich die Wirtschaft mehr für die
Studierenden und die Unis interessiert.
({5})
Auch in dieser Hinsicht wäre ich mit Kritik an Ihrer
Stelle, Frau Gohlke, sehr vorsichtig; denn Sie verlieren
mit Ihrer Detailkritik den Zusammenhang aus den Augen.
({6})
Was die Angst der Hochschulen angeht, sie könnten
die Auswahlarbeit nicht leisten, kann ich nur sagen: So
viel Betreuungsaufwand kann ein Student verdammt
noch mal von seinen Professoren erwarten. Sie müssen
als Erste wissen, wer von den Studierenden leistungsstark ist und wer weniger leistungsstark ist. Das wäre ein
Weg, um der viel beklagten Anonymität an den Hochschulen entgegenzuwirken.
({7})
Dass es für die Unis nicht einfach ist, zusätzliches
Geld einzuwerben, und dass das mit Mehraufwand verbunden ist, verstehe ich. Andererseits ist auch die
Fundraising-Kultur hier unterentwickelt. Wo, wenn
nicht bei solch einem kleinen, überschaubaren, sehr konkreten Programm sollen wir anfangen, solche Defizite
aufzuarbeiten?
({8})
Es ist noch viel zu tun an den Unis, auch in diesem
Punkt, Frau Schieder. Ich finde, das sollten wir alle gemeinsam anpacken.
Last, but not least: Aus meiner Sicht ist die
schlimmste Kritik an diesem Programm die von einigen
geäußerte Klage, es gehe in erster Linie um Leistungsstipendien. Auch der Mut zur Betonung der Leistung,
und zwar unabhängig vom Elterneinkommen, ist in
Deutschland verdammt unterentwickelt,
({9})
genauso unterentwickelt wie die Stipendienkultur und
das professionelle Fundraising. Übrigens, keiner von uns
bestreitet den Zusammenhang zwischen Bildung und
Herkunft. Natürlich muss man im frühkindlichen Alter
ansetzen. Man darf aber nicht 22-Jährige dafür bestrafen,
dass sie aus einem bildungsnahen Elternhaus kommen.
({10})
Herr Gehring, Sie haben eben von Ungerechtigkeit gesprochen. Ungerecht ist es, wenn sich ein begabter Student dafür entschuldigen muss, dass seine Mutter Apothekerin oder Lehrerin ist.
({11})
Eine echte Benachteiligung wäre es, Herr Gehring, wenn
dieser Student nur wegen des Berufes seiner Mutter für
seine Leistung nicht belohnt würde.
({12})
Das können wir uns hier jedenfalls nicht leisten.
Ich finde es entzückend, dass inzwischen auch die
Grünen der Hochschulautonomie das Wort reden; daran
haben wir lange gearbeitet. Schauen Sie einmal zur Uni
Duisburg: Sie hat sich - ganz autonom - dafür entschieden, Leistungsstipendien an leistungsstarke Studierende
mit Migrationshintergrund zu vergeben. Genau in diesem Punkt ist genug Spielraum für autonomes Handeln.
Ein allerletztes Wort. Wir haben zwar kein Oxford,
kein Princeton, kein Cambridge, keine ENA, kein MIT
und kein Harvard. So etwas einzurichten, trauen wir uns
nicht. Aber ein klitzekleines, ein bescheidenes Stipendienprogramm für besonders leistungsstarke Studierende, die sich weder in der einen noch in der anderen
Hinsicht für ihr Elternhaus entschuldigen müssen,
({13})
das müssen wir uns leisten können.
Vielen Dank.
({14})
Nun hat der Kollege Dr. Ernst Dieter Rossmann das
Wort für die SPD-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich
möchte an den ersten Beitrag der heutigen Debatte anknüpfen, also an den der Ministerin. Frau Ministerin, mir
ist aufgefallen: Als Sie über das BAföG sprachen, waren
Sie sehr konkret, und als es um das Stipendium ging, waren Sie wie so oft „Schavan-wolkig“.
Wir erkennen positiv an, dass sich auch bei Ihnen offensichtlich die Vorstellung herausgebildet hat, dass das
BAföG das Fundament der Studienförderung ist. Tatsächlich wissen wir alle, was sich in der sogenannten
bürgerlich-rechtsliberalen Koalition hier abgespielt hat.
({0})
Denn auch in dieser Debatte merkt man, dass die FDP
die eigentlichen Initiatoren des nationalen Stipendienprogramms sind. Nur befinden Sie sich, Frau Ministerin
Schavan, nun in dem Dilemma, sich als Ministerin auch
damit identifizieren zu müssen, demnächst hier 160 000 Stipendien vorzeigen zu können. Außerdem müssen Sie
sich als Ministerin daran messen lassen, ob tatsächlich
das alles eintritt, was Sie hier immer wieder insinuieren,
nämlich dass die Schaffung des nationalen Stipendienprogramms zu mehr sozialer Gerechtigkeit und mehr sozialer Zugänglichkeit führen werde. Und da wird es
schwierig. Man merkt im Übrigen auch, dass Sie sich bei
der Argumentation sehr verrenken müssen, um die Balance zu halten. Teilweise müssen Sie sogar einen Perspektivwechsel vornehmen, der dem eigentlichen Problem nicht gerecht wird.
Der Kollege Kaufmann von der CDU hat gesagt, auch
wenn das Haushaltseinkommen der Eltern bei circa
7 200 Euro brutto liege, sei man BAföG-berechtigt. Herr
Kollege, Sie wissen, dass man dann Anspruch auf
1 Euro BAföG hat. Wenn es aber darum geht, BAföG in
Höhe von maximal 670 Euro zu erhalten, dann ist der
Richtwert 2 500 Euro brutto. Das ist es, worum es eigentlich geht.
({1})
In diese Debatte die Zahl 7 200 Euro einzuführen, ist
nicht in Ordnung.
Damit fallen Sie hinter das zurück, was Sie eigentlich
begriffen haben sollten: Wir wollen, dass mehr Menschen eine auskömmliche und motivierende Förderung
erhalten. Auch über die Erhöhung der Freibeträge sollen
die unteren Mittelschichten - deren Angehörige sollten
eigentlich auch Ihnen am Herzen liegen; Sie isolieren
sie; Sie lassen sie allein - ebenfalls gefördert werden.
Frau Ministerin, da hilft es nichts, zu sagen, über das geplante nationale Stipendienprogramm würden diejenigen
zu einem Studium motiviert, die sich davon jetzt noch
fernhielten. Sie werden darüber natürlich nicht motiviert,
weil sie vor der Studienentscheidung bzw. am Anfang
des Studiums gar nicht wissen, ob sie überhaupt in die
Stipendienlotterie hineinkommen oder nicht.
({2})
Herr Kollege.
Das motiviert doch nicht. Aber zu wissen, dass man,
wenn das Familieneinkommen 3 000 Euro brutto pro
Monat beträgt, den klaren, vorher ablesbaren Rechtsanspruch hat, sozial, finanziell und materiell unterstützt zu
werden, bewirkt zusätzliche Studienbereitschaft, Studiensicherheit und Studienperspektive. Die Argumente
derart zu verdrehen, ist nicht in Ordnung!
Herr Kollege Rossmann, darf ich den vorsichtigen
Versuch unternehmen, Sie leise zu fragen, ob Sie sich
vorstellen könnten, eine Zwischenfrage des Kollegen
Rupprecht zu beantworten?
Herr Präsident, manchmal bin ich in Fahrt; aber es ist
immer gut, einen Tempowechsel zu machen. Herzlich
gern.
Sehr gut.
Herr Kollege Rossmann, wir sind der Ansicht, dass
das Leitmotiv für die Gewährung von BAföG Bedürftigkeit und nicht die Beschaffung eines allgemeinen Studenteneinkommens ist. In diesem Zusammenhang ist die
Aussage des Kollegen Kaufmann, dass einer Familie mit
zwei Kindern bis zu einem Einkommen in Höhe von
7 200 Euro BAföG gezahlt wird, richtig.
({0})
Ihr Vorschlag ist, die Bemessungsgrundlage substanziell
zu erweitern. Das heißt, Ihr Ansatz, wenn ich Sie richtig
verstehe, ist, dass auch bei einem Familieneinkommen
von über 8 000 Euro BAföG bezogen werden kann. Das
heißt, Bedürftigkeit ist Ihrer Meinung nach auch bei einem Einkommen von über 8 000 Euro gegeben. Ich
stelle Ihnen die Frage, ob das Ihr Verständnis von Sozialpolitik und Bedürftigkeit ist.
Unser Verständnis ist, dass diejenigen, die zwischen
3 000 und 3 500 Euro brutto verdienen und sich die
Frage stellen, ob sie ihrem Kind ein Studium garantieren
können, wissen sollen, dass ein auskömmlicher BAföGSatz eine stabile, berechenbare Studienförderung garantiert. Es geht uns nicht um das abstrakte Problem, ob
auch bei einem Einkommen von 7 000 oder 8 000 Euro
ein BAföG-Euro gezahlt wird. Das bewegt die Menschen nicht. Die prekäre Schicht, die untere Mittelschicht bewegt vielmehr, ob sie für ein Studium finanziell in Vorlage gehen können oder nicht. Da haben Sie
einen blinden Fleck. Diesen blinden Fleck hätten Sie
ausräumen können.
({0})
Den sind wir in der letzten Legislaturperiode doch nicht
aus Daffke zusammen mit Ihnen angegangen, indem wir
die Freibeträge um 10 Prozent erhöht haben. Weshalb
verlassen Sie jetzt diesen Pfad der Einsicht? Weshalb
machen Sie jetzt eine krumme Lösung über ein Stipendienprogramm
({1})
und legen etwas nahe, was so gar nicht eintreten wird?
Hinzu kommen merkwürdige Argumente. Es wird unter anderem das Argument angeführt, dass man endlich
soziale Gerechtigkeit darüber schaffen könne, dass Stipendienempfänger, wenn sie BAföG beziehen, das Stipendium obendrauf bekommen können. Damit erreichen
Sie doch nicht die Hauptzielgruppe. Sie bedienen damit
doch sozusagen die Apothekerfamilien und andere.
({2})
Denn Sie hatten immer die Sorge, dass diese nicht ausreichend an der Förderung beteiligt werden. Für sie wollen Sie zusätzlich 300 Millionen Euro mobilisieren,
wobei 200 Millionen Euro aus öffentlichen Geldern
kommen. Das ist Ihr Interesse. Aber das sollte nicht das
Interesse der CDU/CSU sein, wenn es darum geht, die
Studienberechtigung und die Studienfähigkeit zu erhöhen und dies sozial gerecht auszugestalten. Dieser sozialen Spannung, diesem Junktim, dieser Verquickung einer
guten BAföG-Reform
({3})
und eines schlechten Stipendienprogramms, sind Sie in
Ihrer Koalition ausgeliefert, und die Ministerin muss
dies gegen bessere Einsicht leider mitexekutieren, weil
das Ihre FDP-Bedingung im Bildungsbereich im Rahmen des Koalitionsvertrages war.
({4})
Ich komme zu einem nächsten Punkt. Dabei geht es
um die Frage, ob die Sozialdemokratie grundsätzlich gegen Stipendien ist. Nein! Deshalb haben wir, Frau Ministerin, in der letzten Legislaturperiode auf Ihre Initiative
hin zusammen die Mittel für die zwölf Träger im Rahmen des Begabtenförderwerkes erhöht. Mittlerweile
werden etwa 22 000 Menschen gefördert; Frau Grütters
hat dies positiv hervorgehoben. Es gibt Steuerentlastungen. Es sollten in knappen finanziellen Zeiten aber keine
falschen Prioritäten gesetzt werden.
Ich möchte in diesem Zusammenhang auf das zu
sprechen kommen, worum es jetzt eigentlich geht: Die
Ministerin hat ihre Rede mit dem Datum 2020 begonnen. Wir sind ja sehr für Langfristigkeit; aber dafür müssen als Erstes doch auch die nächsten Hürden übersprungen werden. Frau Grütters, es reicht nicht, dass wir beide
im Bundestag über Bildung reden. Es muss auch etwas
herauskommen, es muss für die Familien und die Studierenden etwas bewirkt werden.
({5})
Denn heute geht es nur um den ersten Teil. Der zweite,
wichtigere Teil findet dann im Bundesrat und gegebenenfalls im Vermittlungsausschuss statt. Da jetzt noch
zwei Redner - einer von der CDU und einer von der
CSU - sprechen, fragen wir: Können Sie garantieren,
dass Herr Seehofer nicht querschießt, sondern dass Bayern die Beschlüsse stützt, obwohl Bayern etwas anderes
angedeutet hat? Können Sie garantieren, dass der ungute
Geist von Herrn Koch nicht auch noch diese bescheidene
BAföG-Reform kaputtmacht? Können Sie das in Bezug
auf Schleswig-Holstein bzw. Herrn Carstensen garantieren, der schon Einrede erhoben und gesagt hat: „Wir tragen die BAföG-Reform nicht mit, weil wir das Geld dafür nicht einsetzen wollen“? Es wird entscheidend sein,
ob die Vertreter von CDU und CSU das im Bundesrat
absichern und unterstützen. Deshalb machen Sie es sich
an der Stelle so schwer.
({6})
- Nein, gehen Sie die Ministerpräsidenten von der SPD
durch! Sie werden am Ende im Bundesrat nicht erleben,
dass es bei der BAföG-Erhöhung - dem Schritt, den die
Regierung hier vorsieht - zu Einrede und Gegenrede
vonseiten der SPD kommt. In Bezug auf das Stipendiensystem kommt es zu Gegenrede, aber nicht in Bezug auf
die BAföG-Erhöhung. Da haben Sie Ihre Probleme.
Bringen Sie da Ordnung in Ihre Reihen, damit es am
Ende im Juli ein Ergebnis gibt!
({7})
Wenn es nämlich bis dahin kein Ergebnis gibt, dann haben Sie Ihr erstes Versprechen schon gebrochen, nämlich
dass dieses Gesetz im August in Kraft tritt, damit die
Studierenden im Wintersemester dieses Jahres davon
profitieren.
Frau Grütters, so wird Bildungsbewusstsein, eine Bildungsrepublik geschaffen: konkrete Verbesserungen, die
so eintreten, dass man mit ihnen rechnen kann. Wir können am heutigen Tag noch nicht mit ihnen rechnen. Deshalb täten Sie gut daran, im Gesetzentwurf BAföG und
Stipendiensystem zu entkoppeln; das macht es im Bundesrat viel leichter. Sie täten gut daran, festzuhalten, dass
das BAföG finanziell immer noch eine Gemeinschaftsleistung ist. Am Ende sind hier schließlich die Vertreter
aller Parteien gefordert; denn im Bundesrat sitzen die
Vertreter aller Landesregierungen, aller Farben.
Herr Kollege.
Das Problem ist, dass Schwarz-Gelb in Bezug auf das
BAföG noch nicht die Konsistenz zeigt, noch nicht die
Unterstützung gibt, die wir brauchen, damit die Roten,
die Sozialdemokraten, und die Grünen ihren Beitrag
dazu leisten können, dass diese Verbesserung des Zugangs
zum Bildungswesen, zur Hochschule endlich vollzogen
wird, damit es bei der Herstellung von Chancengleichheit in Deutschland endlich einen Schritt vorangeht.
Es ist nur ein Schritt. Deshalb enthalten wir uns.
Herr Kollege, Sie müssen nun wirklich zum Schluss
kommen.
Wir sagen Nein zum Stipendiensystem, aber werben
dafür, dass Sie in Zukunft die größeren Schritte mit uns
gemeinsam tun: Erhöhung der Freibeträge, Schaffung einer besseren Zugänglichkeit, Gewährleistung sozialer
Gerechtigkeit in Bezug auf die Unter- und Mittelschicht.
Herr Kollege, Sie müssen nun wirklich zum Schluss
kommen!
Das sind unsere Anliegen. Dafür bitten wir um Ihre
Unterstützung.
Vielen Dank.
({0})
Dr. Reinhard Brandl ist der nächste Redner für die
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!
In diesen Wochen werden entscheidende Weichen für die
Zukunft unseres Landes gestellt.
({0})
Die übergeordnete Aufgabe ist die Konsolidierung unserer Staatsfinanzen. Wir stehen hier gegenüber der nächsten Generation in einer besonderen Verantwortung. Aber
genauso verantwortungslos, wie unseren Kindern nur
Schulden zu hinterlassen, wäre es, wenn wir an ihrer Bildung und im Bereich der Forschung sparen.
({1})
Denn Bildung und Forschung sind die Grundlage für
langfristiges Wachstum und Wohlstand in unserem
Land.
Dass wir heute, in einer Phase, in der sich alles ums
Sparen dreht, das BAföG erhöhen und den Kreis der Bezugsberechtigten ausweiten, zeigt doch, wie ernst es uns
mit diesem Thema ist.
({2})
Man kann sich natürlich immer hinstellen und nach jeder
Erhöhung eine noch stärkere Erhöhung fordern. Aber
dabei dürfen wir eines nicht übersehen: Das BAföG ist
eine Sozialleistung; es besteht nur Anspruch darauf,
wenn die für den Lebensunterhalt und die Ausbildung
notwendigen Mittel nicht anderweitig zur Verfügung stehen.
Hinzu kommt beim BAföG die Sondersituation, dass
die Finanzierung eines Studiums für jeden Einzelnen
eine Investition darstellt, die sich im Durchschnitt durch
ein deutlich niedrigeres Risiko, arbeitslos zu werden,
und ein deutlich höheres Einkommen mehr als bezahlt
macht. Im Sinne einer Gleichbehandlung mit Empfängern anderer Sozialleistungen sind wir auch beim
BAföG angehalten, regelmäßig zu überprüfen, wie sich
Einkommen und Verbrauchspreise entwickeln, und auf
dieser sachlichen Basis die Bedarfssätze und Freibeträge
anzupassen. Das sind wir im Übrigen auch denjenigen
schuldig, die durch ihre Steuern diese Leistung finanzieren, obwohl sie selbst oder ihre Kinder sie nie in Anspruch nehmen.
({3})
Das BAföG ist - das ist heute mehrfach angesprochen
worden - die wichtigste Säule der staatlichen Ausbildungsförderung. Daneben haben wir bereits die weitere
Säule der Studienkredite. Heute bauen wir eine dritte
Säule, die der leistungsabhängigen Stipendien, auf. Leistungsstipendien führen im Moment in unserem Land
ein Schattendasein: Nur etwa 2 Prozent der Studentinnen
und Studenten werden mit Stipendien gefördert. Für die
Zukunft unseres Landes brauchen wir aber auch junge
Menschen, die bereit sind, mehr zu leisten als der Durchschnitt. Mit mehr Leistung meine ich nicht nur bessere
Noten, sondern auch den ehrenamtlichen und sozialen
Bereich. Diese Leistungen müssen wir in unserer Gesellschaft besonders honorieren.
({4})
Mit dem nationalen Stipendienprogramm wollen wir ein
Zeichen der Anerkennung und Wertschätzung besonderer Leistungen setzen, und zwar unabhängig vom Einkommen der Eltern.
({5})
Das Stipendienprogramm bietet außerdem zusätzlich
zu der staatlichen Förderung die Chance, den Anteil von
privaten Geldern an der Ausbildungsfinanzierung weiter
zu erhöhen, um mehr Geld ins System zu bringen. Warum sollen Alumni nicht im Sinne eines Generationenvertrages die Chance erhalten, ihrer Hochschule freiwillig etwas zurückzugeben oder einen Studenten finanziell
zu unterstützen? Für die soziale Ausgewogenheit ist es
wichtig, dass wir das Stipendiensystem zusätzlich zum
BAföG einführen. Zusätzlich bedeutet explizit, dass ein
BAföG-Bezieher das neue Stipendium zusätzlich zum
BAföG bekommt.
Mit diesen zentralen Weichenstellungen - der Konsolidierung der Staatshaushalte auf der einen Seite und den
Investitionen in Bildung und Forschung auf der anderen
Seite - legen wir als christlich-liberale Koalition in diesen Wochen den Grundstein für langfristiges Wachstum
und Wohlstand in unserem Land.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({6})
Letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der
Kollege Michael Kretschmer, CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Liste
der Projekte unserer christlich-liberalen Koalition im
Bereich Bildung ist gewaltig:
({0})
BAföG-Erhöhung, Stipendienprogramm, Bildungslotsen
und Ausbau der Krippenplätze. All diese Dinge tun wir
bewusst, um in Bildung und Chancengerechtigkeit zu investieren.
({1})
Wir werden in dieser Legislaturperiode 12 Milliarden
Euro zusätzlich für Bildung und Forschung ausgeben.
Ich glaube, das ist ein tolles Signal für unser Land.
({2})
Die Diskussion über mehr Bildung und Prioritäten für
die Bildung wird natürlich auch mit den Ländern geführt. Gestern hatten wir dazu eine Aktuelle Stunde.
Mehr Geld für Bildung ist richtig. Wir brauchen diese
Priorität; aber Bildung darf nicht mit Schulden finanziert
werden, sondern muss durch Einsparungen an anderer
Stelle möglich gemacht werden.
({3})
Denn wir tun der jungen Generation keinen Gefallen,
wenn wir ihnen einen Trümmerhaufen aus Staatsschulden hinterlassen. Nein, dieses Land muss raus aus der
Schuldenfalle. Deswegen sind Konsolidierung und
Investition in Bildung die zwei Seiten einer Medaille,
wenn es um die Zukunftsfähigkeit geht.
({4})
Das BAföG wird in diesem Jahr 40 Jahre alt. Wir beraten heute die 23. BAföG-Novelle. Es ist vermutlich
immer so gewesen, dass die Regierenden stolz auf das
waren, was sie an BAföG-Reformen auf den Weg gebracht haben. Der Opposition hingegen hat es meistens
nicht gereicht. Nur dieses Mal ist es besonders bitter,
wenn man sich die Bilanz anschaut: In der Zeit von RotGrün ist das BAföG um 33 Euro gestiegen, in der Zeit
von Bundesministerin Annette Schavan innerhalb von
fünf Jahren um 108 Euro.
({5})
Wir haben heute einen BAföG-Höchstsatz von 670 Euro.
({6})
Das ist ein großer Erfolg und Ergebnis einer kontinuierlichen Prioritätensetzung für Bildung und Forschung.
({7})
Bei der heutigen Diskussion über das BAföG ist festzustellen, dass konkrete Änderungen vorgenommen
wurden: Die Altersgrenze wird auf 35 Jahre angehoben.
Bei den Sprachnachweisen bauen wir Bürokratie ab. Wir
kommen den Vorschlägen des Normenkontrollrats nach.
Bei den Wohnkostennachweisen gehen wir in die richtige Richtung. Bei der Anrechnung der Kindererziehungszeiten sind wir ein ganzes Stück weitergekommen.
Im BAföG-Bericht wird eine Anhebung der Sätze um
0,5 Prozent vorgeschlagen. Wir sagen klar: Nein, wir heben die Sätze deutlich höher an, und zwar um 2 Prozent.
Bei den Freibeträgen wird vorgeschlagen, dass eine ErMichael Kretschmer
höhung um 1 Prozent angemessen wäre. Wir erhöhen
um 3 Prozent.
Wenn Sie das addieren, kommen Sie auf eine Gesamtsumme von 600 Millionen Euro für den Bund und auf
noch einmal 500 Millionen Euro für die Länder bis
2013. Das ist eine große und keine kleine BAföG-Reform.
({8})
In Zeiten, in denen an jeder Ecke über Einsparungen in
Höhe von 100 000 Euro gesprochen wird, geben wir an
dieser Stelle zusätzlich 1 Milliarde Euro aus.
({9})
Am Ende werden zwischen 50 000 und 60 000 Studierende zusätzlich in den Genuss von BAföG-Leistungen
kommen. Ich glaube, das ist das richtige Signal. Darüber
sollten wir uns gemeinsam freuen. Darauf sollten wir gemeinsam stolz sein.
({10})
Wir wollen jetzt ein nationales Stipendienprogramm auf den Weg bringen; denn der internationale
Vergleich hat gezeigt, dass wir in diesem Land keine Stipendienkultur haben. Das haben wir in den letzten Jahren - ich bin seit acht Jahren Mitglied des Deutschen
Bundestages - immer wieder beklagt und analysiert. Es
gab verschiedene Anläufe, das zu ändern. Die deutsche
Wirtschaft hat, was sehr verdienstvoll ist, einen Fonds
eingerichtet, in den zum Teil auch größere Beträge eingezahlt wurden.
({11})
Trotzdem gab es keine große Bewegung.
Die Zahl der Stipendiaten, die von der freien Wirtschaft finanziert werden, ist viel zu gering. Deswegen ist
es richtig, dass man sich Gedanken darüber macht, was
man anders machen kann. Der Vorschlag, den wir heute
zur Abstimmung stellen, wird an vielen Punkten der Realität in diesem Land gerecht.
({12})
Wenn man weiß, dass man keine Stipendientradition
hat, muss man sich überlegen, wie man das richtig machen kann.
({13})
Wir haben gesagt: Wenn die Wirtschaft oder eine Privatperson 150 Euro in eine Stiftung einzahlt, dann soll sich
der Staat ebenfalls mit 150 Euro engagieren - 75 Euro
vom Land und 75 Euro vom Bund -, damit wir am Ende
auf 300 Euro kommen.
Wir sind auf die Argumente eingegangen. Da wurde
gefragt: Ist das denn eigentlich sozial gerecht? - Dazu
muss man zunächst einmal sagen: Das BAföG ist eine
Sozialleistung. Beim nationalen Stipendienprogramm
geht es um Studienleistungen.
({14})
Es ist aber richtig, dass man auch für Migranten und
diejenigen, die sich sozial engagieren, etwas tun soll.
Aus diesem Grund ist die Frage, ob man sich sozial engagiert, ein Auswahlkriterium für das nationale Stipendienprogramm geworden.
({15})
Ich halte das für richtig.
Ein weiteres Argument war die regionale Verteilung,
die heute häufig angesprochen wurde. Ich komme auseiner Gegend, die wirtschaftlich wirklich schlecht dran ist,
aus Görlitz. Deswegen halte ich die Lösung, die wir gefunden haben, für richtig: Wir beziehen den Wert von
8 Prozent der Studierenden auf die jeweilige Hochschule. Das heißt, wenn man in München beispielsweise
schnell vorankommt, sind dort diese 8 Prozent schnell
erreicht. Aber auch für andere Teile des Landes, etwa
Cottbus, Bochum oder wo auch immer, wo man etwas
länger dafür braucht, ist gewährleistet, dass es an diesen
Standorten eine Chance auf Förderung gibt. Wir haben
mit den Ländern vereinbart, dass nach vier Jahren geschaut wird, was wir erreicht haben und wie das funktioniert, damit gegebenenfalls nachgesteuert werden kann.
({16})
Ich glaube, dass wir mit dem nationalen Stipendienprogramm einen richtigen Schritt unternehmen. Deswegen kann ich nur um Zustimmung bitten.
Die billigen Klassenkampfparolen, die wir in den
letzten anderthalb Stunden in diesem Raum von der linken Seite des Hauses gehört haben, machen keinen Mut,
vor allen Dingen nicht den jungen Leuten.
({17})
Ich habe in meiner Studienzeit viele junge Leute aus
schwierigen Verhältnissen getroffen. Die haben mit mir
studiert und sich durchgekämpft. Unsere Aufgabe im
Deutschen Bundestag muss es sein, diese Menschen zu
ermutigen, ein Studium zu beginnen.
({18})
Wir dürfen ihnen nicht immer nur sagen, dass alles
furchtbar ist.
({19})
Nein, wir haben in den vergangenen Jahren viel erreicht.
Wir setzen die richtigen Akzente. Deswegen kann man
den jungen Leuten Mut machen und ihnen sagen: Nehmt
ein Studium auf, nehmt eure Zukunft in die Hand!
Herzlichen Dank.
({20})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den von den
Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung des Bundesausbildungsförderungsgesetzes. Der Ausschuss für Bildung, Forschung
und Technikfolgenabschätzung empfiehlt unter Nr. 1 seiner Beschlussempfehlung auf der Drucksache 17/2196
({0}), den Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU
und FDP auf der Drucksache 17/1551 in der Ausschussfassung anzunehmen.
Hierzu liegt ein Änderungsantrag der SPD-Fraktion
vor, über den wir zuerst abstimmen. Wer stimmt für diesen Änderungsantrag auf der Drucksache 17/2216? Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Damit ist der
Änderungsantrag mit den Stimmen der Koalition mehrheitlich abgelehnt.
Ich bitte nun diejenigen, die dem Gesetzentwurf in
der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung angenommen.
Wir kommen zur
dritten Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Damit ist der
Gesetzentwurf mit den Stimmen der Koalition und der
Fraktion Die Linke bei Stimmenthaltung von SPD und
Bündnis 90/Die Grünen angenommen.
Wir kommen jetzt zu zwei Entschließungsanträgen.
Zunächst zum Entschließungsantrag der SPD-Fraktion auf Drucksache 17/2217. Wer stimmt für diesen
Entschließungsantrag? - Wer stimmt dagegen? - Wer
enthält sich? - Der Entschließungsantrag ist mehrheitlich abgelehnt.
Wir kommen zum Entschließungsantrag der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/2198. Wer
stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Wer stimmt
dagegen? - Wer enthält sich? - Auch für diesen Entschließungsantrag gibt es keine Mehrheit.
Wir setzen die Abstimmungen zu der Beschlussempfehlung des Ausschusses für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung auf Drucksache 17/2196
({1}) fort.
Der Ausschuss empfiehlt unter Nr. 2 seiner Beschlussempfehlung, den Entwurf eines Gesetzes der
Bundesregierung auf Drucksache 17/1941 zur Änderung
des Bundesausbildungsförderungsgesetzes für erledigt zu
erklären. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Es gibt eine
überwältigende Zustimmung zu der Einschätzung, diesen Gesetzentwurf für erledigt zu erklären.
Unter Nr. 3 seiner Beschlussempfehlung empfiehlt
der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der SPDFraktion auf Drucksache 17/884 mit dem Titel „BAföG
ausbauen und Chancengleichheit stärken“. Wer stimmt
für diese Beschlussempfehlung des Ausschusses? - Wer
stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Damit ist die Beschlussempfehlung mehrheitlich angenommen.
Unter Nr. 4 empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung
des Antrags der Fraktion Die Linke auf Drucksache
17/1558 mit dem Titel „BAföG ausbauen - Gute Bildung für alle“. Wer stimmt dieser Beschlussempfehlung
zu? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Damit
ist auch diese Beschlussempfehlung mehrheitlich angenommen.
Schließlich empfiehlt der Ausschuss unter Nr. 5 seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags
der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache
17/899 mit dem Titel „Sozial gerechtes Zwei-SäulenModell statt elitärer Studienfinanzierung“. Wer stimmt
für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen?
- Wer enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist mit
Mehrheit angenommen.
Tagesordnungspunkt 30 c. Wir stimmen ab über den
von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Schaffung eines nationalen Stipendienprogramms. Der Ausschuss für Bildung,
Forschung und Technikfolgenabschätzung empfiehlt unter Nr. 1 seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache
17/2194 ({2}), den Gesetzentwurf der Fraktionen der
CDU/CSU und FDP auf Drucksache 17/1552 in der
Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die
dem Gesetzentwurf in dieser Fassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Wer
enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung mit der Mehrheit der Koalition angenommen.
Wir kommen zur
dritten Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich von ihren Plätzen
zu erheben. - Diejenigen, die dagegen stimmen wollen,
bitte ich ebenfalls, sich von ihren Plätzen zu erheben. Enthaltungen gibt es offenkundig nicht. Damit ist der
Gesetzentwurf mit den Stimmen der Koalition angenommen.
Wir stimmen nun über einen Entschließungsantrag
der Fraktion der SPD auf Drucksache 17/2199 ab. Wer
stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Wer stimmt
dagegen? - Wer enthält sich? - Der Entschließungsantrag ist mehrheitlich abgelehnt.
Wir setzen die Abstimmungen zur Beschlussempfehlung des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung fort. Unter Nr. 2 seiner Beschlussempfehlung empfiehlt der Ausschuss, den Entwurf eines
Gesetzes der Bundesregierung auf Drucksache 17/1942
zur Schaffung eines nationalen Stipendienprogramms
für erledigt zu erklären. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Großes Einvernehmen im Hause. Diese Beschlussempfehlung ist einstimmig angenommen.
Tagesordnungspunkt 30 d. Hier geht es um die Beschlussempfehlung des Ausschusses zum Antrag der
Präsident Dr. Norbert Lammert
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit dem Titel „Nein
zum nationalen Stipendienprogramm“. Der Ausschuss
empfiehlt unter Nr. 3 seiner Beschlussempfehlung auf
der mehrfach zitierten Drucksache, den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf deren Drucksache
17/1570 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich?
- Mit Mehrheit ist die Beschlussempfehlung angenommen.
Damit sind wir mit den Abstimmungen zu diesem Tagesordnungspunkt durch.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 31 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Finanzausschusses ({3})
- zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Carsten
Sieling, Nicolette Kressl, Joachim Poß, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Die Lasten der Krise gerecht verteilen,
Spekulation eindämmen - Internationale
Finanztransaktionssteuer einführen
- zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Axel
Troost, Dr. Barbara Höll, Eva Bulling-Schröter,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE
LINKE
Finanztransaktionssteuer international vorantreiben und national einführen
- zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Gregor
Gysi, Dr. Barbara Höll, Dr. Axel Troost, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE
Die Banken sollen für die Krise zahlen
- zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Gerhard
Schick, Lisa Paus, Dr. Thomas Gambke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Finanzumsatzsteuer auf EU-Ebene einführen
- Drucksachen 17/527, 17/518, 17/471, 17/1422,
17/2133, 17/2187 Berichterstattung:
Abgeordnete Ralph Brinkhaus
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind auch
für diese Aussprache 75 Minuten vorgesehen. - Ich höre
keinen Widerspruch. Dann können wir so verfahren.
({4})
Sobald sich all diejenigen, die jedenfalls nicht gleichzeitig reden können, gesetzt haben, erhält als Erster der
Kollege Hans Michelbach für die CDU/CSU-Fraktion
das Wort.
({5})
Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Die Finanz- und Währungskrise hat offengelegt,
dass bei Kreditinstituten grob fahrlässig gehandelt wurde
und bestimmte Transaktionen Turbulenzen auf den
Märkten für Staatsanleihen hervorgerufen haben. Dies
alles stellte eine Bedrohung der Stabilität der Finanzmärkte dar, mit großen, krisenverschärfenden Auswirkungen auf unsere Realwirtschaft.
Es galt für uns hier im Deutschen Bundestag, neues
Vertrauen zu schaffen
({0})
und einen neuen, ganzheitlichen Ordnungsrahmen für
die Zukunft zu erreichen. In Form von Finanzmarktstabilisierungsgesetzen, neuen Regulierungen und Aufsichtsmaßnahmen haben wir schnell reagiert, um weiteren Schaden vom Gemeinwohl abzuwenden. Dabei ist
zu Recht der Ruf nach einer Beteiligung des Finanzmarktes an den Stabilisierungskosten immer lauter geworden. Die Verursacher sollen stärker herangezogen
werden. Das war in diesem Hause Konsens.
Zunächst hat für uns eine risikoadjustierte Bankenabgabe im Vordergrund gestanden, damit eine systemische
Gefährdung durch neue Krisen von den Finanzinstituten
selbst abgedeckt wird.
({1})
Die Erhebung einer Bankenabgabe zur Errichtung eines
Stabilitätsfonds zur Finanzierung künftiger Restrukturierungsmaßnahmen bei Banken ist der sinnvolle Weg, damit der Finanzsektor bei zukünftigen Krisen selbst reagieren kann. Der Steuerzahler darf nicht länger die
Zeche zahlen, und die Zeit der kostenlosen Staatsgarantien für Banken ist beendet.
({2})
Deswegen wollen wir jetzt, auch über diese Bankenabgabe hinaus, in Verbindung mit dem Sparpaket eine
Besteuerung des Finanzmarktes vornehmen. In Form
einer Finanzmarkttransaktionsteuer sollen ab 2012
Haushaltseinnahmen von 2 Milliarden Euro pro Jahr erzielt werden. Bei allem fiskalischen Denken muss jedoch in erster Linie - das ist ganz wichtig - die Funktionsfähigkeit der Finanzwirtschaft im Hinblick auf die
Realwirtschaft gewahrt bleiben. Das heißt, man darf fiskalisches Denken nicht über alles stellen. Wie bei jeder
Besteuerung sind Maß, Ziel und Lenkungswirkung zu
beachten.
Es ist kein Geheimnis, dass das Kapitalpolster der
Banken ausgesprochen dünn und darüber hinaus der Kapitalbedarf für das Kreditgeschäft natürlich entsprechend
groß ist. Wir diskutieren ja im Rahmen von Basel III
über die Frage der Kernkapitalquote. Hier sagen die einen: 10 Prozent ist zu wenig, es muss mehr sein. - Aber
man muss auch hier die Auswirkungen auf die Kreditfinanzierung für die Realwirtschaft sehen.
Bei den Entscheidungen müssen natürlich auch die
jetzt international diskutierten Bankenstresstests berücksichtigt werden. Wir wollen eine Balance zwischen der
Sicherung der Marktstabilität auf der einen und der
Bewahrung des Nutzens dynamischer Märkte auf der
anderen Seite. Wir befinden uns in der Finanzwirtschaft
in einem globalen Markt, und gerade wir in Deutschland
profitieren von diesem globalen Markt. Deswegen müssen wir insbesondere bei unseren Finanzmarktentscheidungen global denken und global handeln.
({3})
Es liegt im Wesen von marktwirtschaftlichen Prozessen, dass sie nicht endgültiger Natur, dass sie keine letzten Wahrheiten sind. Marktwirtschaft fördert aber immer
Wohlstandzuwachs, auch beim dienenden Faktor des Finanzmarktes. Wir in Deutschland sind auf die Wettbewerbsfähigkeit in der globalen Wirtschaft angewiesen.
Deshalb bin ich dankbar für die Initiative der Bundesregierung, durch die erreicht wurde, dass die Europäische
Union auf dem G-20-Gipfel in Toronto gemeinsam eine
internationale endgültige Klärung für eine Finanzmarkttransaktionsteuer anstrebt. Das ist der richtige Weg. Herr
Staatssekretär, herzlichen Dank für diese Initiative des
Ministers und der Bundesregierung in Abstimmung mit
dem französischen Staatspräsidenten.
({4})
Sie haben richtig gehört: Deutschland hat gemeinsam
mit Frankreich beim EU-Gipfel in dieser Woche eine
Vorreiterrolle eingenommen.
({5})
Sie können sagen, was Sie wollen; das ist Tatsache.
({6})
Sie hingegen legen inhaltlich und technisch äußerst
schwache Papiere und Anträge vor und leisten nichts
Substanzielles. Das muss man hier einmal deutlich ansprechen.
({7})
Die Europäische Union will jetzt die Finanzbranche
einheitlich an den Kosten der Wirtschaftskrise beteiligen. Dazu soll es künftig in den Mitgliedstaaten eine Mischung aus Bankenabgabe und Steuern geben. Einheitlicher Tenor in der Europäischen Union ist, die
Verursacher der Finanzkrise in Europa stärker zur Kasse
zu bitten. Ich hoffe, dass Großbritannien jetzt nicht quasi
wie bei einem Versteckspiel mitgemacht hat, sondern
auch beim G-20-Gipfel Ende dieses Monats gemeinsam
mit den anderen Mitgliedstaaten der Europäischen
Union agiert und nicht wieder ausschert.
({8})
Denn Alleingänge halte ich aufgrund der Umgehungstatbestände für einen großen Schaden für den Finanzplatz und Wirtschaftsstandort Europa und insbesondere Deutschland. Hier müssen wir immer wieder
mahnen, dass letzten Endes Wettbewerbsverzerrungen
nicht eintreten dürfen. Wir müssen dabei auch die Lenkungswirkung intensiv prüfen. Das ist ein entscheidender Punkt.
Wir wollen die zügige Entscheidung für die Einführung einer Finanzmarktsteuer nicht nur begleiten,
sondern auch unsere fachlichen Überlegungen dazu einbringen. In Ihren Anträgen bleiben alle inhaltlichen und
technischen Fragen unbeantwortet; es werden nur plakativ Einfachvorschläge dargestellt, die weder verfassungsgemäß noch zumutbar und realisierbar sind. Die
Anträge sind undifferenziert und geradezu populistisch.
Sie befürworten ja sogar nationale Alleingänge. Meine
Damen und Herren, das ist absolute Voodoo-Ökonomie,
das schadet dem Wirtschaftsstandort Deutschland. Nationale Alleingänge am Finanzmarkt sind absolut abzulehnen und werden mit uns auch nicht stattfinden.
({9})
Kollege Michelbach, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Schick?
Ja.
Herr Kollege, würden Sie mir zustimmen, dass hinter
den Anträgen der Opposition ein wissenschaftliches Gutachten steht, während hinter der Forderung nach einer
Financial Activities Tax, die aus Ihrer Koalition kommt,
außer zwei dürren Seiten vom Internationalen Währungsfonds ohne wissenschaftlichen Rückhalt nichts steht und
außerdem der Staatssekretär auf unsere Frage, ob das
Ministerium geprüft hat, wie eine solche Steuer, die Sie ja
propagieren, in Deutschland umgesetzt werden könnte
und welches Aufkommen sie bringen könnte, uns keine
Auskunft geben konnte, dass also die Anträge der Opposition wesentlich besser fundiert sind als das, was Sie hier
vortragen?
({0})
Herr Kollege Dr. Schick, wenn Sie von den Anträgen
der Opposition sprechen, dann stellen Sie Ihr eigenes
Licht unter den Scheffel, weil der Antrag, den Sie von
den Grünen gestellt haben, weitaus differenzierter und
besser als alle anderen ist.
({0})
Die anderen wollen nationale Alleingänge, Sie haben zumindest die europäische Ebene angesprochen.
Ein Webfehler dabei ist ganz klar, dass Sie die TobinSteuer als Maß aller Dinge nehmen. Der Nobelpreisträger James Tobin hat die nach ihm benannte Steuer eigentlich nur für Devisentransaktionen vorgesehen. Sie
wollen das aber erweitern.
({1})
Deswegen können Sie den Nobelpreisträger, der ja der
Spiritus Rector einer solchen Steuer ist, letzten Endes
nicht völlig vereinnahmen, weil er der Meinung war,
dass diese Dinge sehr differenziert zu sehen sind, und
deutlich gemacht hat, dass er nicht alle Produkte besteuern will. Er sieht die Devisentransaktionsgeschäfte differenziert. Er hat festgestellt, dass Geschäfte und Spekulationen durch einen niedrigen Satz, den Sie ja gewählt
haben, durchaus eingedämmt werden, sodass die wissenschaftliche Begründung in diesem Falle gegeben ist.
({2})
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zusammenfassend deutlich machen: Wir wollen internationale Lösungen. Nationale Lösungen hätten von wenig
ökonomischer Vernunft gezeugt, und nationale Besteuerungen greifen zu kurz. Eine Finanztransaktionsteuer
könnte zu einer fairen Verteilung der Lasten der Krise
führen und so wirken, dass es zu einer Lenkung der Risiken kommt, wenn sie von den Banken nicht unmittelbar
auf die Kunden übergewälzt wird.
Auch bei dieser Gesetzgebung müssen wir im Finanzausschuss, gemeinsam mit dem Bundesfinanzministerium und insbesondere auf internationaler Ebene, nämlich
gemeinsam mit dem IWF und den G-20-Verantwortlichen, inhaltlich und technisch sauber arbeiten; denn es
darf nicht dazu kommen, dass die Zeche der Krise wieder
durch Anleger und Kleinanleger - insbesondere auch mit
Blick auf die Altersvorsorge - bezahlt wird und dass sich
diejenigen, die die Krise verursacht haben und die wir
treffen wollen, letzten Endes einen „schlanken Fuß“ machen können. Deswegen darf dies nur punktgenau auf die
Finanzmarktteilnehmer, die großen Player, ausgerichtet
sein.
Wir als CDU/CSU-Fraktion, als Koalition, stehen
auch bei dem Thema „Beteiligung der Finanzmärkte an
den Kosten der Krise“ für die ökonomische Vernunft.
Lassen Sie uns bei dieser Arbeit gemeinsam die richtigen Entscheidungen treffen!
Herzlichen Dank.
({3})
Nächster Redner ist Dr. Carsten Sieling für die SPDFraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Kollege
Michelbach, wenn wir alle bei diesem Thema eine Politik der Vernunft betreiben wollen, dann muss klar sein:
Heute ist ein Tag, an dem das durchaus möglich ist.
Zum Ersten. Uns liegen hier drei Anträge vor. Durch
die Annahme dieser Anträge würde ein deutliches Zeichen für die Beteiligung des Finanzsektors gegeben werden.
Zum Zweiten. Sie haben den gestrigen Gipfel erwähnt. Durch eine Beschlussfassung des Deutschen
Bundestages könnte durchaus ein deutliches Zeichen für
die Unterstützung dessen gesetzt werden, was die Staatsund Regierungschefs gestern versucht haben auf den
Weg zu bringen.
Zum Dritten darf ich sagen: Wir als SPD sind hier und
heute, in diesem Deutschen Bundestag, bereit - ich
glaube, das gilt für die anderen beiden Oppositionsfraktionen auch -, mit unserem Vorschlag unsere Unterstützung für die Äußerungen der Bundeskanzlerin in den
Gesprächen, die sie führt, deutlich zu machen.
Wir sind bereit, dass der Bundestag heute diesen Pfad
verstärkt. Jetzt muss die Koalition kommen. Herr
Michelbach, meine Damen und Herren, wo bleibt Ihre
Bereitschaft, die Vorschläge mit einer eindeutigen Beschlussfassung zu unterstützen? Drei gute Anträge liegen vor. Sie könnten Ihrer Regierung drei deutliche Zeichen geben. Sie scheinen dies nicht zu wollen. Das zeigt
die Ehrlichkeit Ihrer Herangehensweise.
({0})
Wir haben einen Antrag vorgelegt, der in der Tat gut
durchdacht ist. Viele anwesende Kolleginnen und Kollegen haben an der Anhörung im Finanzausschuss teilgenommen. Ich glaube, wir hätten gar nicht die ganzen vier
Stunden gebraucht, die diese Anhörung gedauert hat;
denn schon nach gut drei Stunden sind alle Gegenargumente der Regierungskoalition in sich zusammengebrochen. Es ist deutlich geworden: Die Finanztransaktionsteuer ist ein Weg, der gangbar ist und der auch
gegangen werden muss. Deshalb hat sich die Regierung
nach vielem Hin und Her endlich dazu entschlossen, sich
dafür einzusetzen.
Gehen Sie also den nächsten Schritt, und unterstützen
Sie das, was wir Ihnen vorgelegt haben! Unser Vorschlag
hat einen Steuerungseffekt. Er will die starken Schwankungen einschränken, und er sieht eine Einnahmeseite
vor.
Die Finanztransaktionsteuer wäre eine Steuer auf
alle Umsätze innerhalb und außerhalb der Börsen in
Höhe von 0,01 bis 0,05 Prozent und würde damit gerade
kurzfristige schädliche Spekulationen und Anlagen einschränken und verhindern. Zudem würde sie einen starken fiskalischen Effekt haben.
Ich weiß nicht, woher die 2 Milliarden Euro kommen,
die Sie bescheiden in Ihrem Sparkonzept vorsehen. Ich
kenne nur Studien, die von 12 Milliarden bis 20 Milliarden Euro ausgehen.
({1})
Ich habe allerdings den Verdacht, dass Sie, wenn Sie
2 Milliarden Euro hineinschreiben, die Finanztransaktionsteuer als Sparnummer vorsehen.
({2})
Das wird nicht reichen. Legen Sie uns lieber dar, was Sie
sich vorstellen und wie Ihr Konzept aussieht, statt hier
eine technische Debatte zu fordern!
({3})
Legen Sie etwas vor! Denn es kann doch nicht so weitergehen, dass wir Babywindeln, Schwarzbrot und anderes
mit 19 Prozent besteuern und an den Märkten täglich
Milliardenbeträge hin- und hergehen, ohne auch nur mit
einem Cent belastet zu werden. Dem wollen wir entgegentreten, und dem muss entgegengetreten werden.
Ich habe die Rede verfolgt, und ich habe vernommen,
was gestern ausgeführt worden ist. So stolz Sie auf das
sind, was gestern erreicht worden ist, Herr Michelbach es war doch in den letzten Wochen und Monaten ein ständiges Hin und Her. Die Kanzlerin hat am Ende des Gipfels gesagt, die Finanztransaktionsteuer solle erforscht
und entwickelt werden. Ich fühlte mich an ihre berufliche
Biografie erinnert und habe gedacht: Da kommt die Physikerin, die Wissenschaftlerin, zum Vorschein, die so an
einen wichtigen Vorschlag herangeht. Ich glaube, das
sollte man getrost James Tobin, dem Träger des Nobelpreises für Wirtschaftswissenschaft, überlassen, vor allem aber auch den vielen Ökonomen, die sich qualifiziert
damit befasst haben.
Die Aufgabe der Kanzlerin ist nicht, ein Thema zu erforschen. Sie muss vielmehr etwas durchsetzen und sich
dafür einsetzen. Das war gestern noch viel zu wenig der
Fall. Die Sorge über das Wegtauchen der Engländer ist
in der Tat berechtigt.
Deshalb müssen wir weiter Druck machen. Diese
Möglichkeit hat der Deutsche Bundestag: die Vorreiterrolle, die Deutschland in der Tat gemeinsam mit Frankreich endlich eingenommen hat, fortzusetzen. Apropos
„endlich“: Was haben Sie an Zeit verschwendet!
({4})
Die Forderung liegt seit langem vor.
({5})
Wir haben den Antrag im Januar eingebracht. Sie haben
dafür und dagegen geredet; es war ein Hin und Her.
({6})
Herr Michelbach, wenn man im Protokoll der ersten Beratung Ihren Namen verdecken und Ihre heutige Rede
mit der im Januar vergleichen würde, dann würde man
sich fragen, welche beiden verschiedenen Abgeordneten
aus zwei verschiedenen Fraktionen geredet haben.
({7})
Das ist ein Hin und Her. Sie bieten uns von Woche zu
Woche andere Richtungen.
Ich will noch einmal an die Debatte im Januar erinnern. Damals hat der Kollege Sänger - ich bin gespannt,
wie sich die FDP heute dazu verhält - von der Finanztransaktionsteuer als einer ziemlich angegammelten Kamelle gesprochen.
({8})
Kollege Schäffler - damals noch in Amt und Würden hat es als völlig absurd bezeichnet. Da hat sich zumindest etwas geändert; aber er kann und wird hier vielleicht
nicht entsprechend handeln. Herr Kollege Michelbach,
Sie haben damals gesagt:
Was wir aber nicht brauchen …, sind Einzelmaßnahmen, Placebos, nationale Alleingänge und unqualifizierte Schnellschüsse, wie dies in den Anträgen der Opposition zum Ausdruck kommt.
Sie wollten das nicht, Sie haben das blockiert. Sie mussten erst von Ihrer eigenen CSU-Zentrale getrieben werden.
({9})
Herr Seehofer ist irgendwann zu der Einsicht gekommen
und hat sehr deutlich gesagt, dass wir eine Finanztransaktionsteuer brauchen, ohne Wenn und Aber. Recht hat
der Mann. Es ist gut, dass Sie diese Einsicht gewonnen
haben.
({10})
- Glauben Sie nicht, dass ich mit der Position der englischen Sozialdemokraten zufrieden war. Ich habe sehr
wohl Ihre Mahnungen gehört. Sie haben immer gesagt:
Ihr Sozialdemokraten, geht doch einmal zu den englischen Sozialdemokraten und sagt denen, was sie machen
sollen.
({11})
Das war nicht ganz falsch. Jetzt haben wir aber die Situation, dass England nicht mehr von Sozialdemokraten
regiert wird. Jetzt kann ich das nur zurückgeben und sagen: Gehen Sie zu Ihren konservativen und liberalen
Freunden, und sorgen Sie dafür, dass die Engländer dies
im Rahmen der Euro-Zone mitmachen werden.
({12})
Herr Kollege Steffel, bevor Sie sich nachher verrennen: Die Österreicher haben einen Vorratsbeschluss für
eine Finanztransaktionsteuer gefasst mit Sozialdemokraten und der Österreichischen Volkspartei. Zu nichts anderem fordere ich Sie hier auf. Gehen Sie den Weg, den
die Österreicher schon beschritten haben.
({13})
Dann kommen wir deutlich weiter und werden Unterstützung leisten.
Ich möchte zum Schluss Bezug nehmend auf die Anhörung und die bisher verlaufene Debatte sagen, dass
jetzt zwar gut geredet worden ist und die Kanzlerin
forscht und untersucht. Hat dies aber Bestand, wenn - so
ist die allgemeine Einschätzung - es auf dem G-20-Gipfel in Toronto richtig schwierig wird und wir einen europäischen Weg durchsetzen müssen? Dann möchte ich,
dass der Bundestag und hoffentlich auch die Koalition
bei der wichtigen Frage der Beherrschung der Finanzmärkte mit einer Stimme sprechen und dies unterstützt
wird. Die Gegenargumente - und das alarmiert mich sind hier wieder angewärmt worden.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, in der Anhörung ist im Zusammenhang mit den Riester-Sparern
die Wahnsinnszahl von 4 700 Euro genannt worden. Kollege Schäffler hat sich dabei auf das bayerische Finanzministerium bezogen; das bayerische Finanzministerium
hat diese Zahlen Gott sei Dank aber nie bestätigt. Der
Riester-Sparer solle mit 4 700 Euro belastet werden.
Das ist barer Unsinn und in der Anhörung widerlegt
worden.
({14})
Wenn es eine Belastung gibt, dann beläuft sich diese
nach den uns vorgelegten Berechnungen, denen kein
Vertreter der Banken widersprochen hat, auf maximal
3,50 Euro pro Jahr. Schauen Sie sich einmal an, wie viel
Kontoführungsgebühren und andere Gebühren Sie an
Ihre Bank entrichten. Dann wissen Sie, dass dies eine zu
vernachlässigende Größe ist. Reden Sie doch nicht der
Gefahr der Überwälzung auf die kleinen Sparer das
Wort. Das ist nicht so.
({15})
Dieses Märchen sollte man nicht erzählen, genauso wie
man nicht das Märchen erzählen sollte, dass alle Anleger
in die Karibik flüchten. Die Finanzstandorte bzw. die Finanzplätze sind stark. Dort werden die Sachen auch
überwiegend ablaufen.
In diesem Sinne erhoffe ich mir, dass Sie den guten
Worten wenigstens eine kleine gute Tat folgen lassen,
und bestünde die gute Tat nur darin, dass Sie für die richtigen Anträge den Arm heben. Der Antrag der SPD legt
sehr umfassend dar, wie erfolgversprechend eine Finanztransaktionsteuer ist. Hier können Sie die Oppositionsfraktionen auch nicht auseinandertreiben; denn bei eigenständigen Entwicklungsprozessen gibt es doch sehr
gleichgerichtete Anträge, die auch durch eine Petition in
diesem unserem Lande gestützt werden. Meine Damen
und Herren, heute ist der Tag, an dem Sie springen können. Tun Sie das im Sinne der Beherrschung der Finanzmärkte.
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
({16})
Das Wort hat nun Volker Wissing für die FDP-Fraktion.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Es ist die Fortsetzung einer bereits mehrfach
geführten Debatte. Wir erleben ein klassisches Bild:
Wenn es um höhere Steuern und Abgaben geht - große
Geschlossenheit der Opposition, ein Überbietungswettbewerb. Die SPD will eine breit angelegte Finanztransaktionsteuer, die Linken wollen zusätzlich eine Finanzkrisenverantwortungsgebühr, und die Grünen setzen die
Finanzmarktumsatzsteuer obendrauf. Meine Damen und
Herren, wenn wir das umsetzen würden, dann würden
wir die Kuh mit der SPD-Steuer aushungern. Mit der Zusatzgebühr der Linken würden wir sie schlachten. Die
Grünen würden sagen: Mit unserer Umsatzsteuer könnt
ihr sie melken. - So kann man keine erfolgreiche Finanzpolitik machen.
({0})
Es ist völlig unbestritten, dass Banken und Finanzmärkte eine ganz wichtige Funktion für diese Gesellschaft haben. Es ist auch völlig unbestritten, dass sie ihrer Verantwortung in der Vergangenheit nicht immer
gerecht geworden sind. Deshalb brauchen wir neue Regeln. Wir brauchen auch eine Finanzmarktbesteuerung,
mit der die notwendigen Schlüsse aus den jüngsten Krisen gezogen werden.
Aber es ist schon bemerkenswert, dass die Grünen
uns immer wieder sagen: Wir wollen keine internationale Abstimmung. Deutschland muss vorpreschen.
Deutschland muss der Welt mal zeigen, wie das gemacht
wird. Ihr müsst Druck auf die anderen ausüben! - Das ist
eine bemerkenswerte Form grüner Politik. Die lehnen
wir ab. Wir wollen nämlich keinen nationalstaatlichen
Aktionismus. Wir wollen eine internationale Abstimmung mit unseren Bündnispartnern.
({1})
Jetzt fragen Sie: Warum haben Sie das alles noch
nicht gemacht? - Wir haben bereits bei der Bankenabgabe gezeigt, wie wir das machen. Wir haben bereits
gezeigt, dass man so erfolgreich sein kann. Das werden
wir in den anderen Bereichen fortsetzen.
({2})
Nun ist die Vorgehensweise der Sozialdemokraten ja
besonders interessant. Als Sie von den Sozialdemokraten den Bundesfinanzminister gestellt haben, haben wir
hier keine Anträge zur Finanzmarktbesteuerung bekommen.
({3})
Kaum sind Sie in der Opposition, fallen Ihnen all die
Dinge ein, die Sie in elf Jahren der Verantwortung für
das Finanzministerium nicht umgesetzt haben.
({4})
Und da stellen Sie, Herr Kollege Sieling, sich hier hin
und fragen die Regierungsfraktionen: Was haben Sie für
Zeit verschenkt? - Ich frage Sie: Wieso haben Sie elf
Jahre verschenkt, liebe Sozialdemokraten?
({5})
Es war doch Ihre Schuldenpolitik, die unser Land
immer tiefer in die Abhängigkeit von den Finanzmärkten
geführt hat.
({6})
Sie haben die Maastricht-Kriterien aufgeweicht - zusammen mit den Grünen.
({7})
Das war der erste Schlag mit der Axt an den Stamm der
Stabilität unserer Währung.
({8})
Die Verantwortung werden Sie nicht los. Sie haben damit den Grundstein dafür gelegt, dass sich der EuroRaum so entwickelt hat, wie er sich entwickelt hat. Als
Partei der Finanzmarktregulierung waren Sie in elf Jahren Regierungsverantwortung ein Totalausfall. Deswegen: Stellen Sie sich doch hier bitte nicht hin und fragen
Sie uns von den Regierungsfraktionen nicht: Warum haben Sie so lange gewartet?
Wir haben uns unserer Verantwortung gestellt. Wir
haben als christlich-liberale Koalition ein einmaliges
und ehrgeiziges Sparpaket geschnürt, um die Neuverschuldung zu reduzieren und um unser Land wieder aus
der Abhängigkeit von den Finanzmärkten herauszuführen, in die Sie unser Land hineingeführt haben.
({9})
Dass Sie dieses Konsolidierungspaket der Koalitionsfraktionen kritisieren, zeigt, wie wenig Einsicht Sie in
die eigenen Fehler der Vergangenheit haben.
Meine Damen und Herren, Sie schreiben, dass eine
Finanztransaktionsteuer die Profitabilität kurzfristiger
Finanzgeschäfte mindert. Es mag sein, dass sich das für
einige positiv anhört. Aber ist das wirklich der richtige
Weg? Es stabilisiert doch den Markt, wenn er auf kleine
Schwankungen gezielt reagieren kann und nicht massiv
auf große Trends setzen muss. Es sind doch wichtige
Signale, wenn wir früh Warnhinweise des Marktes bekommen. Die Spreads für die Anleihen im Euro-Raum
beispielsweise - ich erinnere nur an Griechenland - hatten sich schon frühzeitig auseinanderentwickelt, und Ihr
Finanzminister, Peer Steinbrück, hatte schon in der letzten Legislaturperiode rumschwadroniert, dass man den
Euro-Staaten helfen muss, dass man sie vielleicht retten
muss. Nur, Sie haben nichts unternommen. Sie haben
mit falscher Finanzpolitik die falsche Entwicklung auch
noch verschärft.
Wenn Sie immer von einem so hohen Aufkommen
aus der Finanztransaktionsteuer sprechen, dann will
ich Ihnen sagen: Das ist eine reine Spekulation. Nicht jeden Fisch, den man im Teich sieht, hat man auch im
Netz. Ihre einfache Rechnung - man nehme das derzeitige Transaktionsvolumen in Deutschland, multipliziere es mit dem SPD-Steuersatz und schon erhält man
20 Milliarden Euro - ist eine Milchmädchenrechnung.
Das wissen Sie auch. Deswegen sollten Sie nicht mit
diesen Zahlen argumentieren. Ihr Vorschlag zur Einführung einer Finanztransaktionsteuer ist ein politisch inhaltsloser Leerverkauf. So können wir es nicht machen,
und so werden wir es auch nicht machen.
({10})
Ich glaube, die Menschen sehen ganz klar, wie Sie
sich von einer Regierungspartei zu einer Oppositionspartei gewandelt haben.
({11})
Sie von der SPD machen eine Karussellpolitik: Im Wahlkampf oder in der Opposition lehnen Sie Mehrwertsteuererhöhungen ab, fordern die Erhebung der Vermögensteuer, die Einführung der Finanztransaktionsteuer und
einen höheren Spitzensteuersatz. Wenn Sie jedoch in
Regierungsverantwortung sind - so haben Sie ja gehandelt -, erhöhen Sie die Mehrwertsteuer, senken den
Spitzensteuersatz und lehnen die Erhebung der Vermögensteuer genauso ab wie die Einführung einer Finanztransaktionsteuer. Ihre früheren Finanzminister haben
den SPD-Antrag nicht einmal unterschrieben. Ist Ihnen
das überhaupt aufgefallen?
({12})
Meine Damen und Herren von der SPD, man kann
über Sie nur den Kopf schütteln. Wir jedenfalls werden
diesen Weg nicht mitgehen. Wir werden sinnvoll regulieren, wo es notwendig ist. Wir werden uns international abstimmen. Wir werden die Branche in vertretbarem
Umfang an den Kosten beteiligen. Wir werden unseren
Haushalt konsolidieren, um das Land wieder unabhängiger von den Finanzmärkten zu machen. Das ist der Weg,
den wir gehen werden, und zwar im internationalen
Kontext. Mit aller Entschlossenheit werden wir daran arbeiten. Wir haben schon vieles auf den Weg gebracht
und werden den eingeschlagenen Weg konsequent fortsetzen. Wir werden die Probleme lösen, die uns die Sozialdemokraten, nachdem sie elf Jahre Verantwortung
für das Finanzministerium getragen haben, hinterlassen
haben.
Herzlichen Dank.
({13})
Das Wort hat nun Kollege Axel Troost für die Fraktion Die Linke.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich
möchte zu insgesamt fünf Punkten etwas sagen.
Erstens. Es ist hier wieder davon die Rede gewesen,
dass auch die Sparerinnen und Sparer, die nur kleine
Vermögen besitzen, von der Finanztransaktionsteuer
massiv betroffen wären. Die Anhörung hat gezeigt, dass
das Gegenteil der Fall ist. Wenn man wirklich einmal
unterstellt - diese Werte legt auch die Finanzbranche ihren Berechnungen zugrunde -, dass 200 Euro pro Monat
über 30 Jahre gespart werden und einmal im Jahr der gesamte Bestand umgeschichtet wird, dann kommt man
über einen Zeitraum von 30 Jahren zu einer Gesamtbelastung der Sparerinnen und Sparer in Höhe von
1,2 bis 1,5 Prozent des Gesamtvolumens - wohlgemerkt
für einen Zeitraum von 30 Jahren, während gleichzeitig
jedes Jahr Fondsgebühren in Höhe von 1,5 Prozent und
Bankengebühren in Höhe von 1 Prozent anfallen. Hier
von einer übermäßigen Belastung zu sprechen, ist einfach lächerlich. Es bleibt dabei: Die Finanztransaktionsteuer trifft die großen Spekulanten und nicht die
Sparerinnen und Sparer mit kleinem Vermögen.
({0})
Zweitens. Es wird immer wieder gesagt - wir haben
das gerade wieder gehört -: Ihr müsst euch entscheiden.
Wollt ihr Lenkung, dann bekommt ihr keine Einnahmen,
oder wollt ihr Einnahmen, dann gibt es keine Lenkung. Diese Aussage ist in diesem Fall schlichtweg falsch. Es
ist schon erwähnt worden, dass es eine Studie gibt, wohlgemerkt nicht von Herrn Tobin - man hatte eben ja das
Gefühl, dass so etwas suggeriert werden sollte -, sondern vom Österreichischen Institut für Wirtschaftsforschung, in der eine Folgenabschätzung versucht wurde.
Die Studie kommt zu dem Ergebnis: Bei einem Steuersatz von 0,05 Prozent, wie wir ihn in unseren Anträgen
fordern, wird es an den Börsen vermutlich zu einem
Umsatzrückgang bei den börsengehandelten Aktien um
3 bis 8 Prozent, bei den börsengehandelten Derivaten um
10 bis 40 Prozent und bei den außerbörslichen Geschäften um 50 bis 70 Prozent kommen. Trotz dieser Rückgänge gibt es Mehreinnahmen allein in Deutschland aus
diesem Bereich zwischen 12 und 26 Milliarden Euro, je
nach Ausgangswert. Dazu kommen europaweit noch
einmal Steuereinnahmen aus Devisenumsätzen in einer
Größenordnung von 20 bis 27 Milliarden Euro. Es bleibt
dabei: Die Finanztransaktionsteuer hat steuernde Wirkung und bringt dennoch massive Einnahmen mit sich.
({1})
Drittens kommt immer wieder das Totschlagargument, dass die Finanztransaktionsteuer keine Wunderwaffe sei und selbst dann, wenn es sie gegeben hätte, die
Finanzmarktkrise nicht verhindert worden wäre. Darauf
muss man klar sagen: Nein, sie ist nicht die Wunderwaffe. Natürlich brauchen wir ergänzende Maßnahmen. Mit einem solch minimalen Steuersatz allein kann
man Exzesse auf den Finanzmärkten nicht verhindern.
Deswegen müssen wir die gegenwärtige Praxis ändern.
Wir müssen Veränderungen bei den Kreditverbriefungen
und bei den Leerverkäufen erreichen. Wir müssen die
gegenwärtige Praxis bei den Kreditausfallversicherungen beenden und vieles andere mehr. Aber die Finanztransaktionsteuer ist ein wichtiger Schritt, ein wichtiger
Bestandteil. Deswegen muss sie umgesetzt werden.
({2})
Viertens. Es wird immer wieder gesagt, es müsse international gehandelt werden. Im Augenblick wird die
Hoffnung verbreitet, dass wir mit den gestrigen Beschlüssen auf dem besten Wege sind. Aber insbesondere
nach der Rede von Herrn Wissing ist das wieder völlig
unklar.
({3})
Innerhalb einer Rede wird mal von Finanzsteuer, mal
von Finanztransaktionsteuer und zum Schluss wieder
von der Bankenabgabe geredet. Niemand weiß, was Sie
wirklich wollen. Deswegen muss es an dieser Stelle eine
Entscheidung geben, und zwar eine Entscheidung, die
vom Bundestag gefällt wird.
({4})
Ich habe in der Anhörung den Staatssekretär im österreichischen Finanzministerium gefragt:
Wie würden Sie denn die Chancen zur Umsetzung
auf europäischer Ebene sehen, wenn der Deutsche
Bundestag in der Tat auch so einen Vorratsbeschluss für eine Finanztransaktionsteuer fassen
würde? Ist dann möglicherweise der Durchbruch zu
erwarten …?
Der Staatssekretär hat darauf geantwortet - ich zitiere
aus dem Protokoll -:
Um das ganz kurz zu sagen: Ich glaube, dass ein
deutscher Vorratsbeschluss, ein Signal des Deutschen Bundestages extrem positiv wäre und höchstwahrscheinlich der entscheidende Durchbruch in
dieser Frage ist, denn wir kennen die Position in
Österreich, wir kennen die Diskussion in Frankreich, wir kennen die Diskussion in Belgien. Solch
ein deutscher Beschluss wäre mehr als Rückenwind, höchstwahrscheinlich wirklich der Durchbruch in dieser wichtigen Frage.
({5})
Uns nutzt es nichts, wenn nur auf Regierungsebene
geredet wird. Wir brauchen einen solchen Beschluss des
Deutschen Bundestages. Um es in der Sprache zu sagen,
die gegenwärtig vorherrscht: Der Ball liegt auf dem Elfmeterpunkt. Er muss jetzt endlich ins Tor geschossen
werden.
({6})
Fünftens. Es wird immer wieder ein Gegensatz zwischen einer Bankenabgabe und der Finanztransaktionsteuer hergestellt. Nach meiner Meinung ist das völlig unsinnig. Die Bankenabgabe hat ihre Berechtigung
als zweckgebundene Einnahme, um einen Teil der Kosten, die durch die Finanzmarktkrise entstanden sind, zu
decken. Ich möchte nur in Erinnerung rufen, dass der
SoFFin, der für die Abwicklung verantwortlich ist, im
Jahr 2009 einen Verlust von 4 Milliarden Euro ausgewiesen hat. Es liegt aus meiner Sicht ganz nahe - wir haben dazu einen entsprechenden Antrag eingebracht -,
die Banken als wesentliche Verursacher der Krise an diesen Kosten zu beteiligen. Wir brauchen daher auch die
Bankenabgabe.
({7})
Die Finanztransaktionsteuer soll dagegen Sand ins
Getriebe streuen, den Devisenmarkt entschleunigen,
Spekulationen bremsen und Einnahmen vor allem bei
den Akteuren abschöpfen, die offensichtlich genug Geld
für internationale Kapitalgeschäfte haben. Es geht also
um einen Einstieg in eine gewisse Entwaffnung der Finanzmärkte und um die verteilungsgerechte Erhöhung
der Steuern, auch und gerade zur Finanzierung von internationaler Entwicklung, von Umwelt- und Klimaschutz.
Dies haben - es ist schon angesprochen worden - über
50 Organisationen im Bündnis „Steuer gegen Armut“
und über 66 000 Bürger - es werden immer mehr -, die
dieses Bündnis unterstützen, eingefordert.
Die Doppelgleisigkeit, also Bankenabgabe und Finanztransaktionsteuer, ist sinnvoll. Denn die Finanztransaktionsteuer wird gar nicht in erster Linie von den
Banken gezahlt.
({8})
Die Banken müssen diese Steuer nur im Rahmen ihrer
eigenen Geschäfte zahlen. Sie wird gezahlt von denjenigen, die die Transaktionen in Auftrag geben.
({9})
- Das sind nicht die Anleger, sondern es sind die großen,
international tätigen Spekulanten; das sind die institutionellen Einrichtungen, die mehrmals in der Stunde Milliardenbeträge hin- und herschaufeln. Das ist genau das
Volumen, um das es geht.
Fassen wir zusammen: Uns war klar, dass Sie von der
CDU/CSU unseren Anträgen heute nicht zustimmen.
Wir haben es aber für sinnvoll erachtet, diese zur Abstimmung zu stellen, damit die alten Anträge erledigt
sind. Wir erwarten von Ihnen, dass Sie ohne Ihren Partner FDP - mit dem wird es keine Finanztransaktionsteuer geben - einen Vorratsbeschluss in den Bundestag einbringen. Wir gehen davon aus, dass eine breite
Mehrheit diesen bestätigt. Dann haben wir die besten
Möglichkeiten, noch in diesem Jahr die Finanztransaktionsteuer europaweit, vielleicht sogar weltweit einzuführen.
Danke schön.
({10})
Das Wort hat nun Gerhard Schick für die Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die
Reden der Vertreter der Koalition waren wieder einmal
({0})
ein starkes Stück. Von der FDP haben wir in dieser Diskussion - Sie haben darauf hingewiesen, dass es nicht
die erste Debatte zu dem Thema ist - als Erstes gehört,
die Zahlen, die in unseren Anträgen stünden, seien
falsch. Peinlich für Sie - die Zahlen waren richtig gewesen, und das mussten Sie nachher zugeben.
({1})
Zweitens haben Sie gesagt, der Kleinsparer würde mit
mehreren Tausend Euro belastet. Ihre Zahlen sind jedoch
in der Anhörung eindeutig widerlegt worden. Sie lagen
falsch.
({2})
Dann arbeiten Sie sich hier an dem ehemaligen Finanzminister Steinbrück ab. Ich möchte Ihnen sagen: Wir haben einen neuen Finanzminister seit September. Haben
Sie das eigentlich mitbekommen? Da stellt sich die
Frage: Warum lassen Sie ihn eigentlich so allein stehen?
({3})
Der Finanzminister soll sich in Toronto und in Brüssel für eine Finanztransaktionsteuer einsetzen. Das war
sein Wort. Warum haben wir hier von Ihnen nicht ein
einziges Mal ein klares Wort der Unterstützung für die
Position des Finanzministers gehört?
({4})
Glauben Sie denn, dass das in internationalen Verhandlungen niemandem auffällt? - Herr Michelbach,
Sie haben doch selber zu dem Chaos beigetragen. Vor
der Anhörung stehen Sie vor der Fernsehkamera und sagen, dass diese Steuer nichts taugt,
({5})
während Ihr eigener Parteichef aus München fordert,
ohne diese Finanztransaktionsteuer dürfe es keine Zustimmung zum Euro-Rettungspaket geben.
({6})
Genauso wenig glaubwürdig wie die CSU an dieser
Stelle ist die Position der Bundesregierung, wenn es
keine Unterstützung aus dem Parlament gibt. Meinen Sie
denn, das fällt den Kollegen aus den anderen Staaten
nicht auf? Was ist das für ein Zustand, wenn die einzige
Unterstützung, die der Finanzminister offensichtlich für
diese Forderung bekommt, von den Oppositionsparteien
kommt? Legen Sie doch endlich einen Antrag vor, der
deutlich macht, dass Sie für eine Finanztransaktionsteuer
auf europäischer Ebene sind. Damit könnten Sie den
Finanzminister hier glaubwürdig unterstützen.
({7})
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen
Michelbach?
Herr Kollege Dr. Schick, würden Sie zur Kenntnis
nehmen, dass wir immer gesagt haben, dass wir eine rein
nationale Finanztransaktionsteuer nicht für zielführend
und nicht für richtig halten? Der Diskussionsprozess hat
letzten Endes dazu geführt, dass wir uns für eine Lösung
auf G-20-Ebene, zumindest aber für eine Lösung auf europäischer Ebene ausgesprochen haben. Würden Sie zur
Kenntnis nehmen, dass die wesentlichen Anträge hier
die Lösung in einem nationalen Alleingang sehen? Das
ist die Situation.
({0})
Deswegen müssen Sie differenzieren. Würden Sie unabhängig davon zur Kenntnis nehmen, dass wir eine bescheidene Anfangslösung auch wegen der Lenkungswirkung anstreben und nicht wie Sie gleich ein
Großmodell mit zweistelligen Milliardensummen einführen wollen? Wir haben 2 Milliarden Euro vorgesehen.
({1})
Herr Kollege Michelbach, als Erstes hat der Finanzminister nach dem Treffen in Kanada gesagt, die Finanztransaktionsteuer sei tot. Inzwischen setzt er sich dafür
ein. Das ist gut, das begrüßen wir. Aber die Positionsveränderung gab es nicht bei uns, sondern bei Ihnen, und
das ist gut so.
Wenn Sie unseren Antrag richtig gelesen haben, dann
haben Sie festgestellt, dass darin steht: Wir fordern die
Bundesregierung auf, sich auf europäischer Ebene für
die Einführung einer Finanzumsatzsteuer einzusetzen. Wenn Ihre Worte ernst gemeint sind und wenn Sie den
Bundesfinanzminister, der gesagt hat, er werde auf europäischer Ebene in diesem Sinne agieren, wirklich unterstützen, dann können Sie unserem Antrag zustimmen.
Wir werden nachher genau schauen, wie Sie sich verhalten.
({0})
Warum wollen wir eine Finanztransaktionsteuer? Ich
glaube, dass Sie mit den Argumenten, die Sie häufig vortragen, von einer zentralen Problematik ablenken. In
Deutschland ist es doch so, dass die Besteuerung der
Umsätze aller Branchen dazu beiträgt, dass wir öffentliche Leistungen finanzieren können. Die dadurch erzielten Einnahmen machen einen großen Teil des Budgets
des Bundes und der Länder aus. Dadurch werden viele
öffentliche Aufgaben finanziert. Ausgerechnet die Finanzbranche trägt nicht zu dieser Finanzierung bei.
({1})
Warum soll das richtig sein? Wenn Sie dieser systematischen Privilegierung etwas entgegensetzen wollen, dann
sollte dies das von uns vorgeschlagene Instrument der
Finanztransaktionsteuer sein.
Man könnte nun sagen: In anderen Steuerbereichen
wird der Kapitalmarkt doch abgeschöpft. Das stimmt
aber nicht. Auch bei der Einkommensteuer gibt es eine
Privilegierung von Kapitalerträgen. Zu Zeiten der Großen Koalition ist die Besteuerung von Kapitalerträgen
doch auf 25 Prozent heruntergesetzt worden. Es gibt also
auch da eine Privilegierung.
({2})
Dazu sagen wir Grünen: In einer Zeit, in der es dringend notwendig ist, die öffentlichen Haushalte zu sanieren, schauen wir, wo es Privilegien gibt, die abgebaut
werden können. Ein zentrales Privileg ist, dass die Finanzbranche bei der Umsatzbesteuerung außen vor
bleibt, sich also nicht an der Finanzierung öffentlicher
Güter beteiligt. Wir sagen ganz klar: Dieses Privileg der
Finanzbranche ist nicht gerechtfertigt. Wir wollen es abbauen. Dazu dient die Finanztransaktionsteuer.
({3})
- Ihre umfangreichen Sparvorschläge haben wir in dem
vorgelegten Paket gesehen. Es enthält viele Luftbuchungen.
Sie haben heute versucht, den großen Rahmen Ihrer
Finanzmarktpolitik zu zeichnen.
({4})
- Wenn es den gäbe! Es gibt ihn aber nicht. - Sie haben
in den letzten Wochen und Monaten an verschiedenen
Stellen immer reagiert. Erst gestern hieß es: Stresstests
für europäische Banken sollen jetzt veröffentlicht werden. Das haben Sie über Monate abgelehnt. Weil Spanien unter Druck ist, müssen Sie darauf reagieren. Daher
kommen Sie plötzlich der Forderung nach Transparenz
nach, was Sie eigentlich nie machen wollten, weil Sie
die deutschen Banken vor der Wahrheit schützen wollten. Gut, dass Sie Ihre Haltung korrigieren. Aber das ist
doch keine klare Linie.
({5})
Zu den Leerverkäufen. Sie haben die Regelung der
BaFin im Januar auslaufen lassen. Im März haben Sie im
Zusammenhang mit den Eckpunkten eine gesetzliche
Regelung angekündigt. Dann haben Sie hektisch für die
Ausgliederung in ein neues Gesetz gesorgt. Über Nacht
haben Sie dann plötzlich das Verbot der Leerverkäufe
beschlossen, was an den Finanzmärkten ein großes
Chaos ausgelöst hat. Wie wollen Sie mit dieser wackeligen Position Finanzmärkte regulieren?
Zur Aufsichtsreform. Sie sind mit großen Worten gestartet: Das Wichtige ist, die Aufsicht zu reformieren. Inzwischen ist dieses Thema auf die lange Bank geschoben
worden. Ich sage Ihnen ganz deutlich: Wenn Sie klare
Regeln setzen wollen, dann werden Sie mit dieser Wackelpolitik keinen Meter weiterkommen. Wer etwas kontrollieren will, muss den Knoten festziehen und darf
keine Wackelpolitik betreiben, wie Sie es tun.
({6})
Ich will noch darauf eingehen - Sie haben das angedeutet, Herr Michelbach -, dass es Unterschiede zwischen den Anträgen der Oppositionsfraktionen gibt. Wir
haben an dieser Stelle von Anfang an ganz klar auf die
europäische Ebene gesetzt. Wir waren nämlich skeptisch, ob es möglich ist, eine Lösung auf internationaler
Ebene zustande zu bringen. Außerdem halten wir die
Einführung einer Finanzumsatzsteuer auf EU-Ebene für
ein Instrument, die Einnahmeseite der Europäischen
Union auf eine stabile Grundlage zu stellen.
Wir werden den anderen Anträgen heute ebenfalls zustimmen, auch wenn wir nicht sicher sind, ob die darin
enthaltenen Vorschläge für die nationale Ebene wirklich
tragfähig sind.
({7})
Aber vielleicht lässt sich unser Zweifel überzeugend
ausräumen. Wir wollen vor allem, dass der Bundestag
unsere Grundposition unterstützt und dass die Finanztransaktionsteuer endlich eingeführt wird. Dadurch
würde ein wichtiges Privileg der Finanzbranche abgeschafft.
Wenn Sie sagen: „Wir machen alles in internationaler
Abstimmung“, dann möchte ich Sie fragen: Was erzählen Sie uns hier eigentlich? Das ist doch völliger Mumpitz. Gerade bei den zentralen Fragen stimmen Sie sich
international nicht ab. Barack Obama und seine Regierung wollen, dass die Bundesregierung etwas mehr Konjunkturstimulus macht. Gerade da machen Sie nicht mit.
Die Frage einer europäischen Wirtschaftsregierung: Wer
steht in der Europäischen Union denn auf der Bremse?
Von wegen internationale Abstimmung! Da könnten Sie
einmal mitmachen. Wer blockiert, dass es eine wirklich
effektive europäische Bankenaufsicht gibt? Die deutsche
Bundesregierung. Wenn Sie die internationale Koordinierung ernst nehmen, dann picken Sie nicht nur ein
paar Punkte heraus, die Ihnen genehm sind, sondern
dann sorgen Sie dafür, dass wir auf europäischer und internationaler Ebene endlich eine richtige und konsequente Antwort auf die Finanzmarktkrise finden.
({8})
Da versagt Ihre Regierung kläglich.
({9})
Das Wort hat nun Frank Steffel für die CDU/CSUFraktion.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Herr Kollege Schick, ich fand weite Teile Ihrer Rede in Ordnung,
auch wenn ich nicht alles teile. Aber am Ende Ihrer Rede
die Conclusio zu ziehen, dass wir uns der Schuldenpolitik des amerikanischen Präsidenten anschließen und in
Deutschland nicht zum Wohle unserer Mitbürgerinnen
und Mitbürger sparen sollten, halte ich für wirklich sehr
weit hergeholt. Ich halte es auch politisch für verheerend.
({0})
Die Debatte heute enthält nichts Neues. Ich verhehle
nicht, dass ich aufgrund der, wie zumindest ich finde,
sehr erfreulichen Entwicklungen gestern auf der Tagung
der EU-Staats- und Regierungschefs gehofft hatte,
dass es einige neue Erkenntnisse, einige neue Debattenbeiträge gibt. Man kann Ihnen nicht vorwerfen - so ist
das parlamentarische Verfahren -, dass Ihre Anträge
vom Januar stammen; der jüngste ist, so glaube ich, vom
April. Von Januar bis Juni 2010 ist in dieser Welt, in
Europa gerade in der Finanz- und Wirtschaftsentwicklung unglaublich viel geschehen. Man kann Ihnen aber
sehr wohl vorhalten, dass Sie heute, wie ich finde, viel
Kritik geäußert haben, aber Ihr Lob äußerst dünn war für
den wesentlichen Fortschritt, den wir gestern insbesondere dank der Aktivitäten der Frau Bundeskanzlerin und
des französischen Staatspräsidenten in Europa erreicht
haben.
({1})
Hier wäre auch einmal Lob angemessen gewesen, und
zwar Lob dafür, dass Deutschland wieder einmal bei diesem schwierigen Thema Motor der europäischen Position und hoffentlich Motor der weltweiten Position sein
kann und sein wird. Denn das muss unser Ziel als große
Exportnation sein.
({2})
- Herr Kollege Sieling, ich komme gleich zu Ihnen.
Es ist natürlich ein großer Fortschritt - lassen Sie uns
das doch gemeinsam an diesem Tag feststellen -, dass
die EU und insbesondere die neue britische Regierung
bereit waren, die Bankenabgabe und Stresstests für
Banken zu akzeptieren und eine Finanztransaktionsteuer
„zu erkunden und zu entwickeln“. Das ist ein Riesenfortschritt. Die Worte „erkunden“ und „entwickeln“ hat sich
nicht die Frau Bundeskanzlerin als Physikerin ausgedacht, sondern sie sind Bestandteil der Beschlusslage der
EU-Staats- und Regierungschefs vom gestrigen Abend.
Meine Damen und Herren, die vier Anträge der Opposition sind heute, um es klar zu sagen, schon aufgrund
der gestrigen Entwicklung eigentlich überflüssig. Man
kann ihnen gar nicht mehr zustimmen, weil sie die europäische Entwicklung geradezu konterkarieren. Das
Beste wäre, Sie ziehen sie zurück.
({3})
Meine Damen und Herren, ich möchte das EuropaThema noch einmal ganz bewusst aufgreifen. Ich glaube,
wir sind gut beraten, nicht nur in schweren Zeiten
- Griechenland, die folgenden Entwicklungen und die
schwierigen Entschlüsse sind uns allen noch gegenwärtig -, sondern auch in der Perspektive einer weltweiten
Finanzpolitik den Versuch zu machen, die Einheit des
Euro-Raums und der Europäischen Union zum wesentlichen Maßstab deutscher Außen- und Finanzpolitik zu
machen. Es ist auch richtig, dass wir insbesondere bei
der Finanzpolitik sehr intensiv auf den Finanzplatz
London blicken. Ich will keine Bilder erzeugen, die sind
immer falsch. Aber eine europäische Finanzpolitik ohne
Beteiligung Londons würde dazu führen, dass der Wettbewerbsnachteil für Frankfurt, Luxemburg und viele andere größer würde und sich noch mehr in London konzentrieren würde, was wir nicht wollen, zumal wir die
dortigen Spielregeln auch nicht für richtig halten.
({4})
Natürlich hätten wir uns gewünscht, dass uns alle EUPartner begeistert folgen. Das sind aber 27 Länder, übrigens sehr unterschiedliche. Das sind sehr heterogene Regierungen, von ganz weit auf der einen Seite bis ganz
weit auf der anderen Seite. Auch in den ost- und mitteleuropäischen Ländern gibt es sehr unterschiedliche Interessenlagen. Natürlich würden wir uns wünschen, dass
es schneller geht. Es liegt einem fast auf der Zunge, zu
sagen: Wie immer in Europa wünschte man sich, dass es
etwas schneller geht. Es ist aber gut, dass wir jetzt, etwa
14 Tage vor den G-20-Verhandlungen, einen klaren Beschluss der EU haben und die Bundeskanzlerin und der
Finanzminister Zeit haben, diesen EU-Beschluss bei den
G 20 mehrheitsfähig zu machen; denn das muss unser
gemeinsames Ziel sein.
Herr Kollege Sieling, ich teile Ihre Sorge, dass das ein
ganz schwieriger Weg wird. Wir können uns nämlich die
Interessenlage der Vereinigten Staaten von Amerika lebhaft vorstellen. Wir wissen, dass die Kanadier eine ganz
andere Position vertreten, übrigens weil sie von weiten
Teilen der Krise fast gar nicht betroffen waren.
({5})
Wir wissen, dass beispielsweise die Brasilianer der Auffassung sind: Hier macht Europa wieder einmal Politik
gegen die Entwicklungs- und Schwellenländer, um seine
eigenen Probleme zu lösen. Wir wissen, dass die Milliardenvölker der Chinesen und Inder wegen der großen
Bevölkerungszahlen möglicherweise ganz andere Interessen haben als ein kleines Land in Europa wie
Luxemburg. Es ist hohe politische Kunst, all das unter
einen Hut zu bringen. Ich habe den Eindruck und das
Gefühl, dass diese Aufgabe bei der Bundeskanzlerin und
vielen anderen in Europa in guten Händen ist und versucht wird, das gemeinsam auf dem G-20-Gipfel umzusetzen.
({6})
Es ist deshalb richtig, dass es erst dann um einen nationalen Alleingang, um nationale Regelungen gehen
kann, wenn diese Bemühungen gescheitert sind. Die Regelungen dürfen natürlich nicht den deutschen Mittelstand und insbesondere die deutschen Kleinanleger
treffen. Sie dürfen nicht zu einer Kreditklemme führen.
Denn wir wissen, dass die Bankenabgabe, die Erhöhung
des Eigenkapitals der Banken und nun die Finanztransaktionsteuer natürlich auch die ganz normalen Geschäftsbanken, die wir für unseren Mittelstand so dringend brauchen, in den kommenden zwei bis fünf Jahren
vor ganz große, wesentliche Herausforderungen stellt.
Deshalb ist es richtig, dass die EU darauf hinweist, dass
die kumulativen Auswirkungen untersucht werden müssen und auch hier auf wettbewerbsverzerrende Elemente
geachtet werden sollte.
Ich habe den Eindruck, dass es uns im Bundestag zumindest teilweise nicht nur um die Sache geht. Liebe
Kolleginnen und Kollegen von der Linksfraktion, es erhöht die Glaubwürdigkeit in der Debatte nicht wirklich,
erst die Verstaatlichung der Banken zu fordern und im
nächsten Zug zu sagen: Jetzt erhöhen wir alle möglichen
Gebühren und Abgaben. Es ist dem Thema nicht angemessen, zuallererst ideologisch zu argumentieren. Denn
auch das ist eine Lehre der letzten zwei Jahre: Es ist
nicht die Zeit der Ideologien, die Zeit für populistische
Schnellschüsse und nationale Alleingänge. Es ist die
Zeit für international verantwortungsvoll abgestimmtes
Handeln.
In diesem Bereich ist sehr viel erreicht worden: Wir
haben auf nationaler, europäischer und internationaler
Ebene fast 30 Gesetze und Verordnungen zur Regulierung des Bankenbereichs und zur Beteiligung an den
Kosten der Krise eingeführt, mit dem Ziel, dass sich eine
solche Krise möglichst nie mehr wiederholt.
Wir müssen vor allen Dingen auf eines achten: Wir
müssen darauf achten, dass der verheerende Eindruck
widerlegt wird, dass man mit Geld und Spekulation
mehr verdient als mit ordentlicher Arbeit.
({7})
Herr Kollege, Sie müssen bitte zum Ende kommen.
Wenn sich nämlich dieser Eindruck in den Köpfen
und Herzen verfestigen würde, wäre die Motivation des
Mittelstandes genauso beschädigt wie die Motivation der
deutschen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer,
({0})
die auch in dieser Krise vorbildlich dafür gesorgt haben,
dass die Auswirkungen der Krise in Deutschland relativ
gering gewesen sind und dieses Land noch immer stark
dasteht.
Herzlichen Dank.
({1})
Das Wort hat nun Kollegin Barbara Hendricks für die
SPD-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Der Eindruck ist nicht falsch: Man kann in diesem
Land und der ganzen Welt mit Spekulation mehr Geld
verdienen als mit ehrlicher Arbeit. Das ist bedauerlicherweise so; gerade dem müssen wir entgegenwirken.
({0})
Das ist jedenfalls für uns keine neue Erkenntnis.
Lassen Sie uns doch die Debatte auf die Füße stellen.
Was ist wirklich los? Es wurde eine Bankenabgabe gefordert, die jetzt in Deutschland eingeführt wird. Sie
wird in der Größenordnung von 1,2 Milliarden Euro pro
Jahr liegen.
({1})
Sie wird von Banken für zukünftige Krisen angesammelt. Sie geht also nicht in den Staatshaushalt. Damit sie
helfen kann, wenn etwas passiert, müssen wir 50 bis
100 Jahre lang sammeln, um eine Bank zu retten.
({2})
Erst dann hilft es etwas. Das sei vorweggeschickt.
({3})
Gleichwohl habe ich nichts dagegen, die Bankenabgabe einzuführen. In der Tat belastet sie das Eigenkapital
der Banken, das ist so, aber in überschaubarem Rahmen.
Kommen wir zur Transaktionsteuer, Herr Steffel.
Sie ist, wie Sie vielleicht noch nicht gemerkt haben, eine
Umsatzsteuer. Eine Umsatzsteuer belastet nicht das Institut, also nicht die Banken, sondern eine Umsatzsteuer
belastet diejenigen, die handeln. Deswegen ist es gerade
kein Problem, dass damit etwa die Kreditversorgung des
Mittelstandes eingeschränkt werden könnte. Gerade das
trifft nicht zu,
({4})
aber bei der Bankenabgabe trifft das wohl zu. Das würde
auch bei der Finanzaktivitätsteuer zutreffen, die Sie noch
vor drei Wochen propagiert haben - heute redet keiner
mehr davon -, die in der Tat gerade das deutsche DreiSäulen-System besonders belastet hätte.
({5})
- Nein, wir wollen nicht die Banken verschonen. - Wir
wollen diejenigen belasten, die mit ihren hochspekulativen Geschäften eben jene leistungslosen Gewinne einstreichen, die Sie eben vermeintlich gegeißelt haben,
({6})
die für die Unordnung im Finanzsystem doch erst die
Grundlage gelegt haben. Darum geht es doch.
({7})
Die Banken sollen Steuern zahlen. Sie sollen meinetwegen eine Bankenabgabe zahlen.
({8})
Aber es geht darum, die hochspekulativen Geschäfte mit
einer Umsatzsteuer zu belegen, um damit Finanzmittel
zu generieren und die Folgen der Krise im nationalen
Haushalt und auch in den Ländern des Südens abzumildern, um das einmal deutlich zu sagen. Ich komme darauf gleich noch zurück.
({9})
Wir haben heute eine seltsame Geschichte erlebt.
Herr Wissing, der Finanzausschuss des Deutschen Bundestages, der gewöhnlich aus sachkundigen Menschen
besteht, hat es eigentlich nicht verdient, Sie als Vorsitzenden zu haben.
({10})
Die Art und Weise, wie Sie heute wieder polemisiert haben und an der Wahrheit vorbeigegangen sind, hat das
gezeigt.
({11})
- Ja, sicher, das müssen Sie auch. Das kann ich nicht ändern.
({12})
- Nein, das tut man nicht, aber nehmen Sie einfach das
Protokoll der Rede von Herrn Wissing zur Hand. Dann
fragen wir uns, was man unter Kollegen tut oder auch
nicht tut. Ich bin dann gerne bereit, darüber zu reden.
({13})
Herr Kollege Wissing, die höchste Neuverschuldung, die es bisher in der Bundesrepublik Deutschland
gab, gab es im Jahr 1996 unter einer schwarz-gelben Regierung. Aktuell haben wir die allerhöchste Neuverschuldung, die es je gab, wieder unter einer schwarz-gelben Regierung. Wenn Sie schon so plakativ und einfach
reden, dann mache ich das auch. Hören Sie auf, und
schieben Sie nicht immer den Sozialdemokraten in die
Schuhe, was Sie in schwarz-gelben Regierungen zu verantworten haben!
({14})
- Wir haben den Stabilitätspakt nicht aufgeweicht, sondern wir haben ihn fortentwickelt. Sie sind immer so
stolz auf die Schuldenbremse, die wir gemeinsam in die
Verfassung geschrieben haben.
({15})
Die Schuldenbremse ist dem europäischen Stabilitätspakt identisch nachgebildet, so wie wir ihn fortentwickelt haben.
({16})
Entweder sind Sie stolz auf die Schuldenbremse, oder
Sie werfen uns vor, wir hätten in Europa etwas Falsches
gemacht. Beides zusammen geht nicht.
({17})
Man sollte kurz erzählen,
({18})
wie das aktuell im internationalen Handel läuft. Eine
Transaktion in möglicherweise Milliardenumfang wird
in 15 Mikrosekunden ausgelöst. 15 Millionstel Sekunden reichen aus, um elektronisch eine Transaktion auszulösen. Es gibt einzelne Händler, zum Beispiel in New
York, die elektronisch bis zu 60 Millionen Transaktionen
auslösen, und das an einem einzigen Tag. Jede dieser
Transaktionen kann einen Milliardenwert haben. Sie
kann sogar einen Umfang von mehreren Milliarden
Euro, sogar von Hunderten Milliarden Euro haben.
Diese Geschäfte kann man in der Tat problemlos mit
einer Transaktionssteuer in Höhe von 0,05 Prozent belegen. Es erschließt sich von alleine, dass das sozusagen
bürokratiefrei geschehen kann. Ich will das einmal vereinfacht ausdrücken: Man kann quasi eine elektronische
Leitung zum zuständigen Finanzamt legen. Das ist nur
ein zusätzlicher Parameter bei der Programmierung des
Computers, der das Geschäft abwickelt. Etwas anderes
ist das nicht.
({19})
- Sie sind besonders klug, stelle ich fest. Hören Sie doch
einfach einmal zu!
({20})
Man muss sich vor Augen führen, dass elektronischer
Handel dazu führt - das ist logisch -, dass sich selbst
verstärkende Instrumente in Gang gesetzt werden. Die
Tatsache, dass am 6./7. Mai dieses Jahres in New York
der Dow Jones um mehr als 1 000 Indexpunkte gesunken ist, hatte ganz offenbar mit einem Programmierfehler zu tun; ganz genau weiß man das noch nicht. Die Programmierung des elektronischen Handels basiert auf
Wenn-dann. Wenn A ausgelöst wird, dann folgt B, und
dann folgt überall B. Das verstärkt sich dann natürlich in
die angezeigte Richtung, gewöhnlich nach unten,
manchmal auch nach oben. Auf der anderen Seite gibt es
einige, die auf diese Entwicklung gewettet haben, und irgendwo wieder andere, die auf das Gegenteil gewettet
haben.
Diese elektronisch ablaufenden Transaktionen - 60 Prozent aller Transaktionen in den Vereinigten Staaten erfolgen elektronisch - kann man mit einer klassischen Aufsicht überhaupt nicht beaufsichtigen. Wie denn auch?
Also wird man sie nicht verhindern können. Aber man
muss sie doch wenigstens entschleunigen, zum Beispiel,
indem man einen kleinen Teil, 0,05 Prozent, davon
nimmt. Wenn man darüber, wenn möglich in allen Ländern der Welt, zusätzliche Einnahmen generiert, dann
kann das nicht schädlich sein. Das behindert die Finanzierung des Mittelstands in keiner Weise.
Ich möchte kurz aus dem Protokoll des Hearings, das
am 17. Mai 2010 im Finanzausschuss stattgefunden hat,
zitieren. Professor Dr. Otte sagte:
Die Transaktionssteuer hat genau die Lenkungswirkung …, die wir haben wollen. Sie belastet die spekulativen Geschäfte, die schnell drehenden Geschäfte, die stark gehebelten Geschäfte. Und wenn
man Over-the-Counter-Geschäfte macht, also Sachen, die nicht über Börsen laufen, dann kann man
auch dafür Steuern erheben.
Ja, so ist das. Natürlich ist das noch nicht technisch ausgestaltet, aber es ist auszugestalten. Es ist überhaupt
nicht unmöglich, dies auszugestalten. Im Gegenteil: Man
kann das sogar mit verschiedenen Steuersätzen belegen,
je nachdem, um welche Art von Geschäft es sich handelt. Wir haben dazu noch keine abschließende Meinung.
Die Folgen der Finanzkrise haben laut Berichten der
Internationalen Arbeitsorganisation dazu geführt, dass
weltweit 34 Millionen Menschen arbeitslos geworden
sind, viele auch bei uns. Von diesen 34 Millionen Menschen lebten ganz viele schon vor der Finanzkrise in bitterer Armut. Sie wurden ihrer Lebensperspektive beraubt.
Wir haben die Verantwortung, unsere Verpflichtungen, die wir zur Bekämpfung von Hunger und Armutsfolgen gegenüber den Ländern des Südens eingegangen
sind, einzuhalten. Darum brauchen wir die „Steuer gegen Armut“, wie diese Steuer in der Petition genannt
worden ist. Das Geld, das wir durch die Finanztransaktionsteuer einnehmen können, wird unsere nationalen
Haushalte entlasten und uns in die Lage versetzen, die
Verpflichtungen, die wir international eingegangen sind,
einzuhalten, denn danach sieht es zurzeit überhaupt nicht
aus.
({21})
Das Wort hat nun Kollege Björn Sänger für die FDPFraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Kollege Dr. Troost, Sie haben eben die Frage
aufgeworfen, was die Koalition will.
({0})
Diese Frage möchte ich gerne beantworten.
({1})
Diese christlich-liberale Koalition will die Finanzbranche an den Kosten der Krise beteiligen und, dass die Finanzbranche für eine mögliche künftige Krise Vorsorge
trifft. Das ist unser Ziel.
({2})
Viele Wege führen nach Rom. Das ist kein digitales
Thema, über das wir hier reden, sondern es ist sehr analog. Es gibt da ganz viele Graubereiche. Es ist keine 0/1Entscheidung - das eine ist richtig, das andere ist falsch -,
sondern man muss sehr differenziert überlegen, welche
Instrumente man wie einsetzt.
Beim Thema Bankenabgabe hat die Koalition reagiert. Wir haben ein Eckpunktepapier für eine risikoadjustierte Bankenabgabe vorliegen. Dieses Eckpunktepapier wird in einen Gesetzentwurf einfließen. Wir
haben dazu eine ganz intensive Abstimmung auf EUEbene. Das ist bei diesem Thema wichtig und macht es
- Kollege Steffel hat es erwähnt - sehr langwierig. Aber
diese internationale Koordinierung ist eminent wichtig, um Wettbewerbsnachteile zu vermeiden.
Diesen Weg müssen wir an drei Punkten festmachen.
Zum einen muss die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands
unter allen Umständen gewahrt bleiben. Zweitens - das
ist ganz wichtig - müssen die Verursacher zur Kasse gebeten werden und nicht diejenigen, die zum Beispiel nur
beteiligt sind, weil sie eine Dienstleistung in Anspruch
genommen haben. Drittens müssen diese Regelungen
das Verhalten steuern. Wenn das Verhalten nicht gesteuert wird, dann haben wir mit Zitronen gehandelt.
Kommen wir zur Wettbewerbsfähigkeit. Kapital ist
ein außerordentlich scheues Reh. Es reagiert sehr empfindlich, wenn man mit einer abgesägten Schrotflinte auf
der Lichtung herumballert.
({3})
Die technische Infrastruktur - Frau Kollegin Hendricks
hat sehr eindrucksvoll auf die Leistungsfähigkeit moderner Informationstechnologie hingewiesen - lässt nicht
nur zu, dass man in Mikrosekunden handelt, sondern sie
lässt auch zu, dass man diesen Handel innerhalb von Mikrosekunden verlagert. Das sage ich als hessischer Abgeordneter mit Blick auf den Standort Frankfurt; Frankfurt liegt bekanntlich in Hessen. Das ist der größte
Börsenplatz in Deutschland; es gibt natürlich auch andere wichtige, aber Frankfurt ist mit Sicherheit der wichtigste. Wenn man eine Finanztransaktionsteuer in der
Euro-Zone einführt und London dabei außen vor lässt,
dann kann man ab dem Tag, an dem das in Kraft tritt, in
Frankfurt den Schlüssel herumdrehen. Dann findet dort
nichts mehr statt.
({4})
Das gefährdet in unverantwortlicher Art und Weise die
Arbeitsplätze. Umso wichtiger ist hier eine internationale Abstimmung.
({5})
Der zweite Punkt. Wie erreiche ich diejenigen, die an
der Krise schuld sind? Wie steuere ich es so, dass die
Verursacher zahlen? Frau Kollegin Hendricks hat die
Spekulanten angesprochen; genau die müssen getroffen
werden. Aber mit einer Finanztransaktionsteuer treffe
ich nicht nur die Spekulanten. Auch der IWF sagt, dass
man gar nicht genau differenzieren kann, wen man damit
trifft. Die Frage ist: Wer ist denn der Anleger? Es freut
mich, dass Sie eingesehen haben, dass auch der RiesterBjörn Sänger
Sparer belastet wird. Über die Höhe der Belastung will
ich mich jetzt gar nicht auslassen.
({6})
Sie haben auf jeden Fall festgestellt, dass Sie die Kleinanleger an dieser Stelle belasten wollen, und das - das
sage ich ganz ehrlich - wollen wir nicht, egal in welcher
Größenordnung.
({7})
Das nächste Problem ist die Steuerungswirkung. Es
gibt Ökonomen, die sagen: Da ist gar keine Steuerungswirkung vorhanden. Man sagt sogar, es sei eher schädlich, weil die Liquidität sinkt, die Märkte volatiler werden und größeren Schwankungen ausgesetzt sind. Das
wirke eher krisenverschärfend als kriseneindämmend.
({8})
Aus diesem Grunde schreibt zum Beispiel der IWF in
seinem Gutachten, dass er die Transaktionsteuer für
nicht geeignet hält.
({9})
Kollege Schick, ich gehe einmal davon aus, dass der
IWF entsprechende wissenschaftliche Gutachten herangezogen hat. Von daher diskutiert die G-20-Runde vollkommen richtig über eine mögliche Einführung einer Finanzaktivitätensteuer,
({10})
durch die die Finanzinstitute und auch die Boni besteuert
werden.
({11})
- Ich habe grundsätzlich darüber nachgedacht.
({12})
Abschließend möchte ich sagen: Die Bundesregierung befindet sich international auf einem guten Weg.
({13})
Sie erliegt nicht dem Populismus, den Sie hier ganz
gerne anführen. Es ist eben keine einfache Entscheidung; Sie brauchen diese offensichtlich. Wir nehmen uns
das große Ganze vor.
({14})
Herr Kollege, Sie müssen bitte zum Ende kommen.
Selbstverständlich. - Wenn es einfach wäre, dann hätten Sie einfach weiterregieren können.
Danke.
({0})
Das Wort hat nun Kollege Norbert Schindler für die
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Verehrte
Gäste auf den Tribünen! Über was reden wir heute?
Über eine Tatsache, die gestern Abend von Sarkozy, dem
französischen Staatspräsidenten, und unserer Bundeskanzlerin auf europäischer Ebene geschaffen wurde.
Wenn im Kontext der internationalen Finanzwelt allein
Deutschland ein Gesetz beschließt, so wissen wir alle:
Geld ist ein scheues Reh und flüchtet woanders hin. Es
ist genauso wie bei einer Hochwasserflut. Wenn ich meinen eigenen Garten vorne an der Mauer schütze, läuft
das Wasser hinten in den Garten. Man muss die gesamte
Front schützen, damit alle geschützt sind. Das gilt auch
für die Finanzmärkte im europäischen Raum. Da wir das
letztendlich gemeinsam wollen, verstehe ich manche
Punkte in der Debatte nicht.
Da gibt es die Vorwürfe, die Bundesregierung hätte da
oder dort versagt, hätte nichts getan, hätte gezweifelt und
hätte gezaudert.
({0})
Liebe Frau Hendricks, auch Sie haben sich vorhin kritisch geäußert. Liebe Barbara, du warst lange genug Parlamentarische Staatssekretärin. Sie, Frau Staatssekretärin a. D., haben erlebt, dass es in Heiligendamm einen
Kampf gegen das angloamerikanische Steuerrecht gegeben hat. Wir haben auch gemeinsam die Niederlagen von
Hans Eichel erlebt, nicht nur die von Finanzminister
Steinbrück; bleiben wir doch einmal ganz gelassen und
realistisch. Auch damals war der eine oder andere in der
Großen Koalition und davor der eine oder andere in der
rot-grünen Koalition dafür, vernünftige Regeln international umzusetzen. Habt ihr Erfolg gehabt?
({1})
Merkel hatte gestern Abend Erfolg. Es gibt eine gemeinsame Erklärung, der sogar die Briten bzw. Herr
Cameron zugestimmt haben, in der mit Blick auf den
G-20-Gipfel in Kanada gesagt wird: Wir wollen eine
Finanztransaktionsteuer.
({2})
- Was heißt „zum Jagen tragen“?
({3})
Von Frau Merkel wurde beim ersten Aufflackern der
Probleme in Griechenland gefordert: Wir müssen schnell
etwas tun! Dann gab es die Hetze in den griechischen
Zeitungen.
({4})
Alle haben sich etwas gescheut, unter deutscher Regie
die harten Auflagen in Athen umzusetzen. Das Herbeirufen des IWF war eine vernünftige Maßnahme;
({5})
heute wissen wir das.
({6})
Der Vorwurf des Zauderns hat sich erledigt. Die Dinge
haben sich in die richtige Richtig entwickelt. Hätten wir
damals die ersten 10 Milliarden Euro nach Athen gegeben, hätten uns die gleichen Leute auf den Oppositionsbänken vorgeworfen: Das ist verbranntes Geld, und es
gibt keine Auflagen!
Jetzt sind sie da. Es geht letztendlich um die Sicherung des Vertrauens in den Euro. Aus der Erfahrung
mit Rot-Grün in der Vergangenheit sage ich: Damals
wurden schnell und schlampig Gesetze gemacht oder
Forderungen erfüllt, die auf Dauer keine Tragfähigkeit
hatten. Die Konsolidierung des Vertrauens in das EuroSystem war weiß Gott nicht über Nacht zu machen.
({7})
Zum Euro-System, liebe Freunde. Wer hat denn 2004
die Kriterien gelockert? Wer hat denn mit aller Gewalt
dafür gesorgt, dass Griechenland ab 2000/2001 in den
Euro-Raum gekommen ist, obwohl die Union und die
FDP damals mit dem Hinweis „Die sind noch nicht reif“
dagegen gestimmt haben?
({8})
Man könnte all diese Entscheidungen der Vergangenheit
kritisch hinterfragen. Fest steht: Das Aufweichen der
Kriterien hat uns diese Probleme gebracht.
Herr Schick, Sie halten uns vor, wir unterstützten
Herrn Schäuble nicht. Alle wissen, dass wir die Probleme in Europa gemeinsam formulieren und Lösungen
gemeinsam umsetzen müssen. Aber alle wissen auch,
wie schwierig es mit den Briten manchmal noch wird.
Ja, wir, die Union - die Europäische Union und nicht nur
die Union in Deutschland -, wollen diese besondere
Steuer. Dabei muss man aber unterscheiden zwischen
der Bankenabgabe, die eine Sache der Banken ist,
({9})
und der Steuer. Es handelt sich um einen steuerlichen
Eingriff, wie mit Recht gesagt wird. Es ist eine Umsatzsteuer.
({10})
- Ja, es soll eine sein.
({11})
Die Experten vertreten allerdings unterschiedliche
Meinungen zu der Frage: Soll die Steuer für alle Geschäfte innerhalb eines Tages oder für jedes einzelne Geschäft erhoben werden?
({12})
In der Anhörung, die in den letzten Tagen stattgefunden
hat, wurde auf einige Problempunkte hingewiesen.
Trotzdem finden wir alle es richtig, dem internationalen
Spekulantentum ein Ende zu setzen. Es kann nicht sein,
dass wenige das Vertrauen in das gesamte Währungssystem durcheinanderbringen.
({13})
Auf dem Weg dahin hätten wir Zeit verschwendet, sagen
Sie, Herr Dr. Sieling. Wir schwierig es ist, auf europäischer Ebene Maßnahmen zu bündeln, haben Sie doch in
der Vergangenheit unter einem eigentlich guten Finanzminister Steinbrück selbst erlebt. Wenn man uns jetzt
vorwirft, das alles gehe nicht schnell genug, während
man vor Wahlen in Anträgen populistisch den Fokus nur
auf bestimmte Dinge setzt,
({14})
verspielt man damit Vertrauen in einem für die Bevölkerung wichtigen Punkt. Schließlich haben die Menschen
in Deutschland schon zweimal bei Währungsreformen
ihr Geld verloren. Wahltaktisch haben Sie sich geschickt
aufgestellt, aber es war zum Teil verantwortungslos, weil
es um dauerhaftes Vertrauen in die notwendigen Maßnahmen geht.
({15})
In der Frage des europäischen Rettungsschirms kamen
unqualifizierte Vorschläge oder Forderungen seitens der
Opposition. Ich will die Griechenland-Hilfe in Erinnerung rufen. Was hätten wir anders machen sollen?
Deutschland gibt fast 23 Milliarden Euro diesen Schirm.
Wären wir der Forderung der Opposition gefolgt, dann
hätten wir die Griechen nach dem klassischen Insolvenzverfahren bluten lassen und einen Schnitt gemacht; auch
einige in der Union waren dieser Auffassung. Das hätte
- Finanzminister Schäuble hat es durchgerechnet - Steuermindereinnahmen in Höhe von 10 bis 15 Milliarden Euro
zur Folge gehabt, weil neben französischen Banken auch
deutsche Banken in den Vergleich einbezogen worden
wären und ihre Verluste anschließend direkt an der deutschen Steuerkasse abgerechnet hätten.
Wenn ich Finanzpolitik mache, liebe Freunde von der
Opposition, muss ich auch das Ende bedenken
({16})
und darf keine unqualifizierten und schlechten Vorschläge machen, nur um populistisch für drei Tage die
Themen in den Zeitungen zu besetzen.
({17})
Was sind die eigentlichen Ursachen? Zum einen sind
es Hebelgeschäfte, die ohne Eigenkapitalhinterlegung getätigt werden. Zum anderen sind die Ursachen zu große
Institute, die systemrelevant werden könnten - das sind ja
unser aller Sorgen -, und ungeeignete Instrumente. Die
Instrumente waren in der Vergangenheit nicht gut genug,
und Instrumente, die nur in Deutschland eingesetzt werden, nützen nichts. Das weiß jeder Vernünftige, der diese
Finanzströme beobachtet.
Sie legen heute Ihre Anträge vor, aber Frau Merkel
und Herr Sarkozy sind schon weiter als Ihre Anträge.
({18})
Wir bringen das Thema in Kanada zur Sprache. Wird die
internationale Gemeinschaft den europäischen Vorschlägen nicht folgen, werden wir die beschlossenen
Maßnahmen in Europa umsetzen.
({19})
Europa ist unser elementarer Wirtschaftsraum. Sie fordern Ergebnisse. Warten Sie noch eine Weile ab; in zehn
Tagen in Kanada werden sich die ersten Ergebnisse zeigen.
Herr Kollege, Sie müssen zum Ende kommen.
Im Notfall machen die Europäer ihre Hausaufgaben
allein. Das haben sie bei der Einführung des Katalysators in den Jahren 1993/94 auch getan, und später sind
die anderen gefolgt. Es gibt genügend positive Beispiele
für ein solches Vorgehen. Aber zu schnell und zu
schlampig war noch nie gut, gerade nicht im Zusammenhang mit der Währung, bei der Vertrauen oberstes Gebot
ist.
({0})
Das Wort hat nun Kollegin Bettina Kudla für die
CDU/CSU-Fraktion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen
und Herren! Wir beraten heute vier Anträge der Opposition zum Thema Finanztransaktionsteuer. Positiv möchte
ich unterstellen, dass es allen Fraktionen darum geht,
Spekulationen auf den Finanzmärkten und die unter
Umständen gravierenden negativen Folgen abzuwenden.
Gleichwohl ist in den Anträgen die Analyse, wo die Ursachen der Spekulation liegen und wie man Spekulanten
wirkungsvoll begegnen kann, nicht umfassend.
Eines vorweg: Spekulationen, so negativ man sie
auch betrachten mag, hat es schon immer gegeben. Das
war vor 3 000 Jahren nicht anders als im Mittelalter und
vor 100 Jahren nicht anders als heute. Nur hat die Spekulation im 21. Jahrhundert, auch bedingt durch die modernen Kommunikationstechniken und die globalisierte
Wirtschaft, eine völlig andere Dimension angenommen.
({0})
Aber zurück zur Analyse. Es stellen sich drei Fragen.
Erstens. Wann wird spekuliert? Spekuliert wird immer dann, wenn erhebliche Preissprünge am Markt zu
erwarten sind, sei es nun nach oben, sei es nach unten. In
den letzten Monaten wurde verstärkt gegen die Währung
der Euro-Staaten spekuliert.
Zweitens. Wann kann solch eine Währungsspekulation überhaupt Erfolg haben? Erfolg hat man mit einer
Spekulation immer dann, wenn instabile Verhältnisse zu
erwarten sind.
({1})
Ganz konkret: Die Spekulanten erwarten instabile Verhältnisse hinsichtlich der Finanzierung staatlicher Haushalte im Euro-Raum.
Daher drittens. Wie kommt es zu einer solchen Erwartung? Spekulanten erwarten, dass einzelne Staaten
aufgrund ihrer hohen Verschuldung ihren finanziellen
Verpflichtungen nicht mehr nachkommen können. Das
ist die eigentliche Ursache der Spekulation gegen Währungen.
Eine solche Betrachtung fehlt in den Anträgen der
Opposition völlig. Die Ursachen der Krise werden
nicht beleuchtet. Dies ist Kurpfuscherei.
({2})
Eine Arznei kann erst nach einer eingehenden Diagnose
verabreicht werden. Erst dann kann man die Symptome
nachhaltig behandeln.
Viele Staaten in Europa und der Welt haben seit Jahrzehnten mehr ausgegeben, als sie eingenommen haben.
Die Staaten haben folglich über ihre Verhältnisse gelebt - wohl gemerkt: die Staaten und nicht die Bürger.
({3})
Dadurch wird Instabilität in den Staatsfinanzen geschaffen, und daher ist das ein Nährboden für Spekulationen.
Insofern sind wir sehr wohl beim Thema.
Folglich sind zwei Dinge zu tun:
Erstens. Die Staatsverschuldung der einzelnen Staaten ist abzubauen.
({4})
Zweitens. Wir müssen ein wirksames Regulierungssystem für die Finanzmärkte schaffen.
Hier zeigt sich die Komplexität des Themas. Es ist
eben nicht so einfach, mal schnell einen Antrag zu beschließen.
({5})
Dies wäre vordergründig. Damit würde man der Komplexität nicht gerecht und hätte man die Probleme nicht
gelöst. Bei der Opposition sehe ich diesen Problemlösungswillen nicht.
({6})
Wenn sie die Spekulationen wirklich hätte eindämmen wollen, dann wäre es die logische Folge gewesen,
das vorige Woche vorgelegte Sparpaket der Bundesregierung positiv zu begleiten;
({7})
denn eines muss uns bewusst sein: Die Konsolidierung
der öffentlichen Haushalte in Deutschland wird nur gelingen, wenn man die Ausgaben reduziert.
({8})
Alles andere ist völlig unrealistisch.
Durch eine Konsolidierung ausschließlich über die
Einnahmen, wie es der Opposition vorschwebt, trägt
man nicht zur Gesundung der öffentlichen Finanzen bei.
Dies führt vielmehr zu einer Aufwärtsspirale von Einnahmen und Ausgaben. Die Bundesregierung beschränkt
sich in ihrem Sparpaket nicht auf Ausgabenkürzungen,
({9})
sondern sie betrachtet in ausgewogener Weise durchaus
auch die Einnahmeseite.
({10})
In der Finanzplanung sind ab dem Jahre 2012 Einnahmen aus einer noch zu beschließenden Finanzmarktsteuer in Höhe von 2 Milliarden Euro jährlich vorgesehen. Selbstverständlich muss die Finanzplanung weiter
konkretisiert werden. Mit dieser Konkretisierung sollte
man aber in erster Linie das Ziel haben, einen wirksamen Rahmen für den Finanzmarkt zu schaffen, damit Finanzgeschäfte transparenter werden. Nur so können systemische Risiken erkannt und damit verhindert werden.
Die Erhebung einer entsprechenden Steuer kann und
sollte hier ein wirksames Instrument sein.
Gerade weil man auf dem Finanzmarkt weltweit tätig
ist, ist es erforderlich, international politisch abgestimmt
vorzugehen. Mit einem deutschen Alleingang wäre hier
nichts gewonnen.
({11})
Im Gegenteil: Die Verhandlungsbasis der Bundesregierung würde geschwächt. Daher müssen nach Auffassung
der Bundesregierung in erster Linie auf internationaler
Ebene und erst in zweiter Linie auf europäischer Ebene
wirksame Möglichkeiten geschaffen werden.
Es muss uns bewusst sein, dass staatliche Entscheidungen, die vordergründig vielleicht gut gemeint sind,
aber nicht wirklich abschließend durchdacht sind, unter
Umständen langfristig gravierende negative Folgen haben. Dies gilt übrigens auch für das Thema europäische
Wirtschaftsregierung, Herr Kollege Schick.
({12})
Eine Finanzmarktsteuer macht nur Sinn, wenn der
Steuerpflichtige diese nicht umgehen kann. Dies hat die
Bundeskanzlerin bereits im Vorjahr und jetzt auch aktuell auf dem EU-Gipfel gefordert. Die CDU/CSU-Fraktion unterstützt die Bundesregierung bei der Einführung
einer wirkungsvollen Finanzmarktsteuer auf internationaler Ebene und bei der Umsetzung des Sparpakets.
Vielen Dank.
({13})
Frau Kollegin, dies war Ihre erste Rede im Deutschen
Bundestag. Herzliche Gratulation und alle guten Wünsche für die weitere Arbeit in diesem Hause!
({0})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Finanz-
ausschusses auf Drucksachen 17/2133 und 17/2187. Der
Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Be-
schlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Frak-
tion der SPD auf Drucksache 17/527 mit dem Titel „Die
Lasten der Krise gerecht verteilen, Spekulation eindäm-
men - Internationale Finanztransaktionssteuer einfüh-
ren“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer
stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussemp-
fehlung ist mit den Stimmen der Regierungskoalition ge-
gen die Stimmen der Oppositionsfraktionen angenom-
men.
Unter Buchstabe b empfiehlt der Ausschuss die Ab-
lehnung des Antrags der Fraktion Die Linke auf Druck-
sache 17/518 mit dem Titel „Finanztransaktionssteuer
international vorantreiben und national einführen“. Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt
dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung
ist mit den Stimmen der beiden Regierungsfraktionen
gegen die Stimmen der Linken und der Grünen bei
Stimmenthaltung der SPD-Fraktion angenommen.
Weiterhin empfiehlt der Finanzausschuss unter
Buchstabe c seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung
des Antrags der Fraktion Die Linke auf Drucksache
17/471 mit dem Titel „Die Banken sollen für die Krise
zahlen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? -
Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschluss-
empfehlung ist mit den Stimmen der beiden Koalitions-
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse
fraktionen gegen die Stimmen der Linken bei Enthaltung
der SPD und der Grünen angenommen.
Schließlich empfiehlt der Ausschuss unter Buch-
stabe d seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des
Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Druck-
sache 17/1422 mit dem Titel „Finanzumsatzsteuer auf
EU-Ebene einführen“. Wer stimmt für diese Beschluss-
empfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? -
Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der bei-
den Regierungsfraktionen gegen die Stimmen der drei
Oppositionsfraktionen angenommen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 32 a und 32 b auf:
a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Änderung krankenversicherungsrechtlicher und anderer Vorschriften
- Drucksache 17/1297 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Gesundheit ({1})
- Drucksache 17/2170 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Birgitt Bender
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Gesundheit ({2}) zu dem Antrag der Abgeordneten Kathrin
Vogler, Dr. Martina Bunge, Dr. Ilja Seifert, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE
Faire Preise für wirksame und sichere Arzneimittel - Einfluss der Pharmaindustrie begrenzen
- Drucksachen 17/1206, 17/2170 Berichterstattung:
Abgeordnete Birgitt Bender
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. - Ich
höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne damit die Aussprache und erteile dem
Bundesminister Philipp Rösler das Wort.
({3})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Der vorliegende Gesetzentwurf zur Änderung
krankenversicherungsrechtlicher und anderer Vorschriften ist ein Artikelgesetz. Aber hinter jedem einzelnen
Artikel steht immer auch eine politische Botschaft.
Die erste politische Botschaft ist einfach zu beschreiben: Mit diesem Gesetzentwurf holen wir Versäumnisse
der alten SPD-Führung nach und müssen teilweise sogar
handwerkliche Fehler korrigieren. In einem Satz gesagt:
Wir alle sind heute hier, weil die Sozialdemokraten einmal mehr ihre Hausaufgaben schlichtweg nicht gemacht
haben.
({0})
Bestes Beispiel sind die Regeln zur Datenweitergabe
im Rahmen der Hausarztverträge.
Das Bundessozialgericht fordert hier eine klare gesetzliche Grundlage im Interesse des Datenschutzes. Obwohl Sie wissen, dass diese Übergangsregelung zum
30. Juni 2010 ausläuft, haben Sie keinen Handschlag getan, um zu Neuerungen, zu Besserungen zu kommen.
({1})
Meine Damen und Herren, deswegen ist es richtig,
dass die Regierungskoalition diese Frist bis zum 30. Juni
2011 verlängert und wir gemeinsam, CDU/CSU und
FDP, eine vernünftige gesetzliche Grundlage dafür
schaffen, dass die Datenweitergabe im Rahmen der
Hausarztverträge möglich ist; denn ohne eine solche Datenweitergabe wären die Hausarztverträge gar nicht
möglich. Deswegen brauchen wir ein gemeinsames Handeln. Wir sind in jedem Fall dazu bereit.
({2})
In Bezug auf den Datenschutz gibt es ein weiteres
wichtiges Thema in diesem Gesetzentwurf. Hierbei geht
es um nicht mehr und nicht weniger als um den Ausbau
der Telematikinfrastruktur im deutschen Gesundheitswesen. Sie alle wissen, dass dies ein klares Ziel der christlich-liberalen Regierungskoalition ist. Wir haben uns darauf verständigt, dass wir alle bisherigen Schritte - Ihre
kleinen Trippelschritte - überprüfen wollen und selbstverständlich auch klare Kriterien für die Weiterentwicklung vorgeben möchten. Diese klaren Kriterien lassen
sich wie folgt zusammenfassen.
Erstens muss jede Maßnahme einen Nutzen für die
Patientinnen und Patienten stiften. Zweitens müssen alle
Maßnahmen praktikabel sein. Sie müssen in den Arbeitsalltag zu integrieren sein. Sonst macht es keinen
Sinn, solche Maßnahmen auf den Weg zu bringen. Drittens - das ist Bürgerrechtlern besonders wichtig - geht
es vor allem um die Datensicherheit; denn es gibt keine
sensibleren Daten als die Gesundheitsdaten von Patientinnen und Patienten, meine Damen und Herren. Genau
diese gilt es zu schützen.
({3})
Deswegen wird es künftig einen Notfalldatensatz geben,
der sicherstellt, dass jedem sofort geholfen werden kann.
Ich wünsche mir übrigens, dass man möglichst schnell
auch andere Instrumente mit aufnimmt, wie zum Beispiel die Frage der Organspende.
Des Weiteren wird es eine sichere Arzt-zu-Arzt-Kommunikation geben, damit wir unbürokratisch und schnell
Informationen von einem Leistungserbringer zum nächsten Leistungserbringer übermitteln können.
Ferner haben wir uns gegen die von Ihnen geplante
Onlineanbindung ausgesprochen. Dafür gibt es künftig
einen automatischen Datenabgleich von Versicherungs5220
stammdaten. Damit können wir gewährleisten, dass die
Daten immer bei den Medizinern bleiben und nicht an
die Krankenversicherungen weitergegeben werden. Darüber hinaus haben wir gesagt: Das elektronische Rezept
wird bis auf Weiteres gestoppt, bis es praktikabel ist.
({4})
Ebenso brauchen wir zum jetzigen Zeitpunkt keine elektronische Patientenakte, weil die Datensicherheit letztlich nicht gewährleistet werden kann.
({5})
Mit diesem Weg haben wir die richtige Balance geschaffen zwischen Innovation und Ausbau der Telematikinfrastruktur auf der einen Seite sowie Sicherheit,
Praktikabilität und Nutzen für die Patientinnen und Patienten auf der anderen Seite.
({6})
Sie können sicher sein, dass allein schon die Einführung
dazu führen wird, dass wir zu Kosteneinsparungen kommen. Missbrauch wird künftig verhindert werden.
Das ist übrigens die dritte große Botschaft dieses
Artikelgesetzes, die sich auf das Thema Einsparungen
bezieht. Sie alle wissen, dass einer der größten Ausgabenblöcke der gesetzlichen Krankenversicherung die
Arzneimittel sind. Deswegen ist es richtig, dass wir als
Regierungskoalition hier den Hebel ansetzen, um zu garantieren, dass die Versichertengelder vernünftig verwaltet werden.
Ich wundere mich ein bisschen über die Ablehnung
insbesondere vonseiten der SPD; denn diese Ziele haben
Sie früher auch einmal verfolgt. Wir werden den Arzneimittelmarkt neu ordnen. Um dieses Ziel zu erreichen,
wird ein neues Gesetz auf den Weg gebracht werden, das
dieses Haus noch vor der Sommerpause erreichen wird.
({7})
Mit dem vorliegenden Artikelgesetz werden wir aber
schon jetzt sicherstellen, dass Einsparungen in Höhe von
500 Millionen Euro für die Versicherten im Jahre 2010
möglich sind. Diese Forderung haben früher übrigens
auch die Grünen und die SPD erhoben. Sie sind aber damals mit ihren Ministerinnen an der Pharmaindustrie gescheitert. Es musste sich erst eine christlich-liberale
Koalition auf den Weg machen, um Ihnen vor Augen zu
führen, dass Sie längst nicht mehr die Partei der kleinen
Leute sind. Ich dachte jedenfalls eine Zeit lang, dass Sie
die Partei der kleinen Leute sind. Offensichtlich haben
die Lobbyisten bei Ihnen längst eine stärkere Position
eingenommen, als dies für die Interessen der kleinen
Leute gilt.
({8})
Sie brauchen dem Gesetzentwurf nur zuzustimmen.
Wir können ja noch einmal erklären, welche Briefe auch
uns erreicht haben. Darin haben Sie uns darum gebeten,
diese oder jene Lobbyistengruppe vom Gesetz auszunehmen. Das Einzige, wozu wir, finde ich, zu Recht bereit
sind, ist, dass man zum Beispiel bei seltenen Krankheiten eine Ausnahme macht; da geht es nämlich um den
Schutz von Patientinnen und Patienten.
({9})
Halten wir also fest: Mit diesem Gesetzentwurf bügeln wir die Fehler der alten sozialdemokratischen Führung an dieser Stelle aus. Wir sorgen für Innovation im
Gesundheitswesen. Gleichzeitig gelingt es, für die soziale Balance alle im Gesundheitssystem an den Kosten
zu beteiligen.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({10})
Das Wort hat nun Karl Lauterbach für die SPD-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Nach neun Monaten sehen wir jetzt das erste
Spargesetz im Gesundheitssystem. Neun Monate fruchtlose Diskussion um kleine Kopfpauschalen und große
Kopfpauschalen, aber nichts ist passiert!
Es gab einen beispiellosen internen Streit, in dem das
Niveau der Diskussion heruntergezogen wurde wie nie.
Um nur Stichworte zu nennen: „Wildsau“, „Gurkentruppe“. Aber nichts ist passiert. Wir haben seit Monaten
Stillstand.
Was uns jetzt geboten wird, ist ein, sagen wir einmal,
banales Kleinstgesetz
({0})
zur Onlineverbindung zur Arztpraxis, das noch nicht
einmal gut gemacht ist, und ein Rabattvertrag. Neun Monate Stillstand in der Gesundheitspolitik - inhaltlich im
Prinzip eine Tragödie, in der Auseinandersetzung mittlerweile zur Komödie verkommen. Nichts ist passiert.
Herr Minister, was wir von Ihnen bisher zu sehen bekommen haben, ist ein Armutszeugnis.
({1})
Herr Minister, Sie haben sich selbst als Bambus im
Sturm bezeichnet. Wir haben im Moment keinen Sturm,
wir haben Windstille. Seit neun Monaten ist dieses Spargesetz das Erste, was wir sehen. Bei dem einzigen Vorschlag, der in der Substanz diskutiert wurde, beim Hin
und Her um die Kopfpauschale, sind Sie schon bei leichtem Gegenwind aus dem Süden eingeknickt, eher - bei
aller Wertschätzung - wie ein Schilfrohr. Ein Bambus
hätte gegen Minister Söder anders gestanden, als Sie das
getan haben. Ich kann nur warnen. Ich würde dieses Bild
vom Bambus nicht überziehen; sonst muss sich Ihre
Politik ändern, sodass Sie dem Bild auch gerecht werden.
({2})
Der Zwangsrabatt von 16 Prozent ist ohne Wenn und
Aber richtig; das muss man hier ganz klar sagen.
({3})
Wir haben im Ausschuss dem Vorschlag nicht zugestimmt.
({4})
Was sich hier erneut zeigt, ist, dass es keinen Vorschlag
gibt, der so einfach ist, dass er in der Umsetzung von Ihnen nicht noch verpfuscht werden könnte, meine sehr
verehrten Damen und Herren.
({5})
Was haben Sie denn gemacht? Sie rechnen zunächst
einmal die Rabattverträge an. Die jetzt funktionierenden
Rabattverträge werden also auf den Zwangsrabatt angerechnet. Somit wird das Rabattvolumen gesenkt, und
zwar ohne Not. Das ist der erste Fehler.
Der zweite Fehler: Sie haben zuerst die EU-Transparenzrichtlinie gar nicht bedacht. Dann haben Sie Ausnahmeregelungen formuliert, nach denen jedes Unternehmen eine Ausnahme von der Rabattierung
beantragen darf. Jetzt hat Herr Spahn schon ausgeführt,
er rechne nicht damit, dass börsennotierte Unternehmen
sich die Blöße geben, zu sagen: Wir können uns den Rabatt nicht leisten. - Ich sage Ihnen, Herr Spahn - bei allem Respekt -: Da kennen Sie die Börse nicht.
({6})
- Ja, genau so ist es.
({7})
- Man muss nicht Professor sein, um etwas zu wissen;
davon sind wir noch weit entfernt. Herr Spahn, es gibt
hier vieles, was man wissen kann, ohne dass man Professor ist. - Dazu gehört: Ein börsennotiertes Unternehmen
wird an der Börse höher gehandelt, wenn es sich einem
Zwangsrabatt zu entziehen versucht. Das wird jeder machen. Das wird auch jeder Mittelständler machen. Jeder
wird versuchen, in den Genuss einer solchen Ausnahmeregelung zu kommen. Von daher wird von den
16 Prozent längst nicht das übrig bleiben, was Sie planen. Das ist handwerklicher Pfusch.
({8})
Für den Bereich der Krankenhausapotheken haben
Sie die Regelung so modifiziert, dass der Rabatt, der dort
abgeführt werden muss, zum Teil höher ist als der Abgabepreis, den das Krankenhaus für das Arzneimittel bisher bezahlen muss. Ich nenne einmal ein Beispiel: Bei
einem Arzneimittel, das im Krankenhaus einen Abgabepreis von 1 000 Euro hat - Herr Henke, das wird auch
Sie interessieren -, muss zum Teil ein Rabatt von mehr
als 2 000 Euro abgeführt werden. Der Rabatt ist höher
als der Abgabepreis. Das ist natürlich eine deutliche Vorlage dafür, dass die Arzneimittelpreise im Krankenhaussektor steigen.
Ich bleibe somit dabei: Ein Zwangsrabatt in Höhe von
16 Prozent wäre richtig; aber die Umsetzung ist enttäuschend. Sie haben das Ganze vermurkst. Wir haben
lange überlegt, ob wir uns wenigstens enthalten sollten.
Aber selbst dazu konnten wir uns nicht durchringen,
({9})
weil der Gesetzentwurf dafür schlicht und ergreifend
nicht gut genug gemacht ist. Das war unser Problem.
Wir wären bereit gewesen, uns zu enthalten, wenn der
Gesetzentwurf handwerklich ein bisschen besser gemacht gewesen wäre.
Selbst wenn Sie Einsparungen in Höhe von 500 Millionen Euro erreichen, wird damit in Bezug auf das gesamte Ausgabenniveau nur ein Einspareffekt erreicht,
der sich im Promillebereich bewegt. Nachdem Sie nun
schon neun Monate Regierungsverantwortung tragen, legen Sie hier einen Gesetzentwurf vor, der handwerklich
zumindest sehr bedenklich ist und durch den es gerade
einmal gelingt, die Kosten im Promillebereich zu senken. Entspricht das Ihrer Vorstellung von „Bambus im
Sturm“? Die Kosten laufen uns davon, nichts passiert,
und wir sprechen hier über mögliche Einsparungen in
Höhe von 500 Millionen Euro. Sie, Herr Minister, sprechen von Trippelschritten. In meinen Augen ist das, was
Sie hier vorlegen, nichts.
({10})
- Wir sind ja noch nicht an der Regierung, Herr Spahn.
Ich sage aber bei jeder Gelegenheit: Wir sind jederzeit
bereit, Einsparungen vorzunehmen.
({11})
Wir sind jederzeit bereit, inhaltlich zuzuarbeiten und die
Verantwortung zu übernehmen, wenn Sie uns um unsere
Hilfe bitten. Seien Sie aber vorsichtig mit dem Ausdruck
„Trippelschritte“; denn die Trippelschritte, die wir damals als Große Koalition gemacht haben - hier sollten
auch Sie sich von der CDU/CSU angesprochen fühlen -,
waren allesamt besser als der Stillstand und die heiße
Luft, die derzeit Ihre Politik bestimmen.
({12})
- Außer Diffamierung kommt nichts von Ihnen.
Der nächste Pfusch soll schon am Wochenende besprochen werden. Da geht es um das sogenannte SpahnKoschorrek-Papier. Darin wird darüber nachgedacht,
wie 4 Milliarden Euro im Gesundheitssystem gespart
werden können, damit die CSU befriedet werden kann.
Der wichtigste Vorschlag in diesem Papier lautet, es
soll eine Nullrunde im Krankenhausbereich geben. Der
Vorschlag einer Nullrunde im Krankenhausbereich ist,
bei allem Respekt, der dümmste Sparvorschlag, den es
gibt.
({13})
Das bedeutet ja im Prinzip, nach der Rasenmähermethode wird bei allen Krankenhäusern, guten wie schlechten, ohne Berücksichtigung der Qualität ihrer Leistungen
und ihrer Investitionen gespart.
({14})
Das ist ein Vorschlag, der weder dem Wettbewerb dient
noch zu mehr Qualität führt. Das Einzige, was Ihnen
nach neun Monaten Stillstand im Krankenhausbereich
einfällt, ist eine fantasielose Nullrunde!
({15})
Wohin wird das führen? Das wird natürlich zulasten
der Pflege gehen. Die Pflegekräfte werden nämlich am
Ende diejenigen sein, die für diese Nullrunde bezahlen.
Die Ärzte haben ja schon ihre Honorarverhandlungen
geführt und abgeschlossen. In diesem Bereich wird es zu
Mehrausgaben von 2 bis 5 Prozent kommen. Somit handelt es sich ja nur noch indirekt um eine Nullrunde; und
am Ende werden hierfür die Pflegekräfte zahlen müssen.
Das halten wir für unsozial und ungerecht. Sie sparen
hier an der falschen Stelle, meine sehr verehrten Damen
und Herren.
({16})
- Eine Zwischenfrage lasse ich gerne zu, Herr Präsident.
Mir wurde gesagt, dass die Parlamentarischen Geschäftsführer die Vereinbarung getroffen haben, Zwischenfragen nicht mehr zuzulassen, damit wir im Zeitrahmen bleiben. Sie wissen, weshalb.
({0})
Bitte schön, Herr Lauterbach.
Ich kann nur sagen: Ich hätte nichts dagegen gehabt.
Nun zum nächsten Bereich, in dem gespart werden
soll: Bei den Ärzten soll dem Vernehmen nach gespart
werden, indem die derzeit zwangsweise vorgeschriebenen Verträge mit den Hausärzten gekippt werden. Wie
verträgt sich das, Herr Minister, mit Ihrem Engagement
für die Hausärzte? Sie haben ja noch vor Wochen den
peinlichen Vorschlag vorgetragen, man solle die Zahl der
Hausärzte dadurch erhöhen, dass man den Numerus
clausus für Medizinstudenten senkt, die Hausärzte werden wollen.
Weil Sie den Hausarztvertrag in dieser Form nicht
aufrechterhalten wollen - das besagt zumindest der Vorschlag der Union -, wird der Hausarztberuf unattraktiver
werden. Sie schwächen die Hausärzte, die Sie vor Wochen noch stärken wollten. Wenn Sie die Hausarztverträge in dieser Art und Weise einsacken, dann wird der
Hausarztberuf noch unattraktiver werden, als er jetzt
schon ist. Das ist eine Schwächung und keine Stärkung
der Hausärzte.
({0})
Man hört, dass Sie auch bei den Verwaltungskosten
der Krankenkassen ansetzen wollen. Die Programme für
chronisch Kranke, die beispielsweise zuckerkrank oder
herzkrank sind, sollen ebenfalls abgewrackt werden, indem man an der Stelle die Managementpauschale für die
Schulungen und für die Dokumentation nicht mehr zahlt.
Dies würde zulasten von Millionen diabeteskranker
Patienten in Deutschland gehen. In diesen Programmen
sind mehr als 4 Millionen Menschen eingeschrieben.
Durch sie werden jedes Jahr Zehntausende Herzinfarkte,
Schlaganfälle, Erblindungen und Amputationen verhindert. Um ein paar Hundert Millionen Euro bei der Vorbeugung für Menschen, die chronisch krank sind, einzusparen, nehmen Sie die Mehrkosten für die Behandlung
von Schlaganfällen, Herzinfarkten, Amputationen und
Erblindungen offensichtlich in Kauf.
({1})
- Das ist die Wahrheit. Das ist nicht unverschämt. Unverschämt ist Ihr Vorschlag.
({2})
- Das steht im Spahn-Koschorrek-Papier. Wir werden es
noch am Wochenende erleben: Sie planen, bei den Chronikerprogrammen die Managementpauschale zu kappen.
Sie sind allerdings noch nicht bereit, dies jetzt zum Ausdruck zu bringen. Das würde Tausende Schlaganfälle
und Herzinfarkte zur Folge haben.
({3})
Weil Sie nicht in der Lage sind, sinnvolle Sparvorschläge vorzulegen, sparen Sie - ich bringe es auf den
Punkt - bei den chronisch Kranken, bei den Pflegekräften und bei den Hausärzten. Das können wir hier sehen.
({4})
- Das ist die Wahrheit, Herr Zöller.
Zum Abschluss. Sie machen sich darüber Sorgen,
dass wir nicht mehr die Partei der kleinen Leute sind.
Die SPD ist immer noch genug Partei der kleinen Leute,
um Folgendes vorzuschlagen: Wenn Sie Geld brauchen,
dann binden Sie endlich die Privatversicherten in den
unbeliebten Gesundheitsfonds ein, damit auch von der
Seite ein Solidarbeitrag geleistet wird.
({5})
Ergreifen Sie diese Gelegenheit! Wann hat es das einmal
gegeben, dass die FDP oder die Union einen Vorschlag
gemacht hat, der nicht zulasten der kleinen Leute gegangen ist? Sie machen nur Vorschläge zulasten der Kranken und der kleinen Leute. Auf der anderen Seite machen Sie sich Sorgen darüber, dass wir nicht mehr die
Partei der kleinen Leute sind. Wir sind nach wie vor die
Partei der kleinen Leute, und wir werden zurückkommen.
({6})
Das Wort für die CDU/CSU-Fraktion hat nun Kollege
Johannes Singhammer.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die christlich-liberale Koalition redet nicht nur über
Ausgabenkürzungen in der gesetzlichen Krankenversicherung, sondern sie meißelt sie in Gesetzestafeln, und
zwar hier und heute am 18. Juni 2010.
Mit 16 Prozent Abschlag, gesetzlich vorgeschriebenem Rabatt, werden die Patienten und Versicherten in
Deutschland nachprüfbar entlastet. Gleichzeitig verschließen wir die Umgehungs- und Ausweichmöglichkeiten durch den Preisstopp; denn die Preisbasis ist rückwirkend der 1. August 2009. Mindestens 1,2 Milliarden
Euro, wahrscheinlich aber 1,5 Milliarden Euro, bleiben
bei den Patienten im Geldbeutel. Der scheinbar unaufhaltsame Anstieg der Kosten vor allem bei den teuren
Spezialpräparaten wird abrupt gebremst.
An die Adresse der Opposition sage ich: Herr
Lauterbauch, Sie sollten Ihre Propaganda, die Regierungsfraktionen seien nicht in der Lage, mit der
Pharmalobby umzugehen, vielleicht ein bisschen „renovieren“. Ihren Vorwurf, wir würden auf dem Rücken des
kleinen Mannes sparen, kann nun wirklich niemand verstehen.
({0})
Haben Sie einmal ausgerechnet, wie viele Versicherte
und in welcher Größenordnung durch diese Sparmaßnahmen betroffen sind?
({1})
Es gibt 51,3 Millionen Versicherte. Eine ganz einfache
Rechnung zeigt, dass pro Versichertem im Durchschnitt
30 Euro eingespart werden.
Wissen Sie, wie hoch der Durchschnittslohn von
manchem Versicherten ist, zum Beispiel von Gebäudereinigern in Mecklenburg-Vorpommern, die im Innenbereich eingesetzt werden? Er beträgt 6,83 Euro.
({2})
- Ja, wir beklagen uns über den Mindestlohn. Deshalb
habe ich dieses Beispiel aus dem Bereich der tariflichen
Entlohnung herausgegriffen.
({3})
Sie bringen diese Klagen immer wieder vor. Der
Stundenlohn der Beschäftigten im Sicherheitsgewerbe
beträgt 4,51 Euro. Sie sagen, wir bewegten uns im Promillebereich. Sie haben doch die Maßstäbe verloren. Das
ist eine ganz klare Erleichterung gerade für Geringverdiener.
({4})
Diese Koalition muss ihre Handlungsfähigkeit in dem
Bereich überhaupt nicht beweisen. Wir haben am
12. März dieses Jahres die Reduzierung der Arzneimittelkosten angekündigt. Wir haben am 26. März dieses
Jahres die Eckpunkte vorgelegt. Wir gießen diese Eckpunkte hier und heute in Gesetzesform. Dabei haben wir
aber nicht nur das Ziel der Kosteneinsparung verfolgt
- auch das sage ich hier -, sondern ganz wichtig waren
für uns noch zwei weitere Ziele. Wir wollen den Patienten im Krankheitsfall die besten Medikamente garantieren und nicht die zweitbesten, und wir wollen, dass sich
Deutschland wieder zur Apotheke der Welt entwickelt.
Deshalb wollen wir die Arbeitsplätze in der Arzneimittelindustrie sichern. Aus diesen Gründen haben wir Ausnahmen in zwei Bereichen zugelassen. Der eine Bereich
betrifft die Arzneimittel, die für die Behandlung von seltenen Leiden zugelassen sind. Wir wollen, dass die Produktion dieser Arzneimittel profitabel bleibt. Natürlich
soll sie profitabel bleiben, auch wenn es nur eine kleine
Gruppe von Patienten gibt, die diese Arzneimittel benötigt. Wir lassen niemanden allein, auch wenn er eine seltene Krankheit hat.
({5})
Wir wollen sicherstellen, dass mittelständische Unternehmen, die oft nur ein einziges Medikament produzieren, nicht in eine wirtschaftliche Schieflage geraten und
damit die Arbeitsplätze gefährdet werden; denn die
Maßnahme des Zwangsrabatts ist eine harte Maßnahme.
Wir regeln mit dem Gesetz - auch das hat der Minister angekündigt - noch mehr. Wir nutzen die Möglichkeiten der neuen Gesundheitskarte für weniger Bürokratie und bessere Betrugsbekämpfung. Wenn wir heute
beschließen, dass dann, wenn ein Patient erstmals im
Quartal einen Arzt besucht, die Leistungspflicht der
Krankenkasse elektronisch abgeprüft wird, dann hat das
einen ganz wichtigen Effekt.
({6})
Die Identität des Versicherten wird damit leichter festgestellt. Das ist gerecht. Ungerecht ist Schummelei, die leider auch vorkommt. Wer selbst nicht versichert ist, aber
mit falscher Identität eine Leistung der Versichertengemeinschaft, die ehrlich ist, erschleicht, handelt nicht
richtig, sondern falsch. Die Schummelei werden wir mit
dieser Maßnahme begrenzen.
({7})
Weitere Ausgabenkürzungen in der gesetzlichen
Krankenversicherung sind unzweifelhaft nötig. Bei
Ärztehonoraren und Krankenhäusern geht es nicht um
Zwangsrabatte und -moratorien wie im Arzneimittelbereich. Es geht aber sehr wohl darum, dass klar wird, dass
sich die Zuwächse der letzten Jahre im Jahr 2011 nicht
mehr in der bisherigen Höhe fortsetzen werden. Deshalb
haben wir ein glasklares Ziel in der Koalition vereinbart:
Es wird nicht dazu kommen, dass das prognostizierte
Defizit von nahezu 11 Milliarden Euro im kommenden
Jahr entsteht; wir werden vielmehr das Gleichgewicht
von Einnahmen und Ausgaben wiederherstellen. Dazu
werden wir bis zur Sommerpause Eckpunkte vorlegen.
Wir werden darüber hinaus die Strukturen nachhaltiger
und zukunftsfester gestalten und dazu drei Wege beschreiten: erstens Prävention - diese wirkt nicht sofort,
sondern nachhaltig -, zweitens Eigenverantwortung und
drittens Einsatz modernster Medizintechnologien.
Nach dem Weltmeisterschaftsspiel Deutschland gegen Serbien wird die Klausurtagung der Gesundheitspolitiker der Koalition beginnen. Wir werden dabei den
gepflegten Doppelpass spielen, so wie ihn auch die deutsche Nationalmannschaft spielt, auf die wir uns freuen.
({8})
Das Wort hat die Kollegin Kathrin Vogler für die
Fraktion Die Linke.
({0})
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren!
Chaos in der Gesundheitspolitik, das ist das, was diese
Regierung seit einem Dreivierteljahr veranstaltet. Jetzt
legen Sie uns hier diesen Flickenteppich von Maßnahmen vor - Herr Singhammer meißelt weitere Löcher hinein -, in der Hoffnung, dass niemand genau hinschaut,
was sich da alles verbirgt. Zwar könnte auch die Linke
einem Teil dieser Maßnahmen zustimmen - das haben
wir auch gesagt -, nämlich Ihren Plänen, die Arzneimittelausgaben der gesetzlichen Krankenkassen wenigstens
kurzfristig zu begrenzen. Doch Ihre Konzepte sind, wie
übrigens die gesamte Arbeit dieser Regierung, kurzatmig und halbherzig, und deshalb lehnen wir diesen Gesetzentwurf ab.
({0})
Sie haben die überflüssigen Scheininnovationen, also
neue Präparate ohne jeden Zusatznutzen für die Patientinnen und Patienten, wohl schlicht übersehen. Damit belohnen Sie noch diejenigen Firmen, die mit geringstem Aufwand alten Wein in teure neue Schläuche füllen - zulasten
der Beitragszahlerinnen und Beitragszahler. Sie hätten
doch nur einmal über Ihren Schatten springen und dem
Änderungsantrag der Linken zustimmen können. Patentschutz für gute Ideen gibt es in der Politik zum Glück
nämlich nicht; denn es geht doch uns allen in erster Linie
um die Menschen.
Die teilweise horrenden Gewinne der Pharmaindustrie bezahlen letztlich die Versicherten über ihren Krankenkassenbeitrag. Weil Ihre Vorschläge, dem entgegenzuwirken, nicht ausreichen, hat die Linke einen eigenen
Antrag eingebracht. Machen Sie endlich Schluss mit den
Mondpreisen der Pharmakonzerne und begrenzen Sie
deren Einfluss auf Patienten und Ärzte!
({1})
Wenn Sie das jetzt verschlafen, dann wird die Industrie
versuchen, Ihre höheren Abschläge, Herr Rösler, über einen höheren Umsatz auszugleichen. Dann sparen wir
nicht nur nichts, sondern riskieren auch, dass die Patientinnen und Patienten durch unnötige und möglicherweise
unsichere Medikamente belastet werden.
Ein Skandal ist auch, wie Sie hier nun alle Ärztinnen
und Ärzte zum Onlineabgleich der Patientendaten zwingen wollen.
({2})
Datenschützer, Ärzte und Patientenorganisationen laufen
dagegen berechtigterweise schon Sturm. Auch in der
FDP-Fraktion gibt es erhebliche Bedenken gegen diesen
Schritt zum gläsernen Patienten.
({3})
- Ich habe das sehr wohl verstanden. Sie können mir das
nachher, nach dem Fußballspiel, erklären. ({4})
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der FDP, zeigen
Sie hier doch einmal etwas Courage, auch gegenüber
dem eigenen Ministerium.
Obwohl durch dieses Gesetz so viele verschiedene
Dinge geregelt werden, bleibt manches offen; denn Sie
stellen die Interessen der Wirtschaft über die der Allgemeinheit.
({5})
Ich meine, wir müssen Versicherungen endlich verpflichten, rechtzeitig die Erstattung der Behandlungskosten zuzusagen. Es darf nicht sein, dass Menschen unbehandelt bleiben und sogar in Lebensgefahr geraten
können, nur weil sich ihre Krankenversicherung vor der
Rechnung drücken will. Dem Petitionsausschuss liegen
mehrere Fälle vor, in denen die Verzögerung der Kostenzusage Betroffene fast das Leben gekostet hätte und bleibende gesundheitliche Schäden hinterlassen hat. Ich
finde, damit dürfen wir uns nicht abfinden. Die Linke
will die Versicherer verpflichten, dringliche Anträge unverzüglich zu bearbeiten. Wer krank ist, braucht schnelle
medizinische Hilfe. Doch das will die schwarz-gelbe
Koalition der Versicherungswirtschaft nicht zumuten,
und auch die SPD war im Ausschuss dagegen. Ich stelle
hier noch einmal die Frage: Wie hoch waren die Spenden der Allianz-Versicherung an Ihre Parteien?
Ich erinnere Sie alle auch an Ihr Versprechen, noch
vor der Sommerpause die unabhängige Patientenberatung, deren Förderung zum Ende des Jahres ausläuft,
dauerhaft zu sichern. Im Ausschuss haben Sie, werter
Herr Bahr, uns schon wieder keinen Termin nennen wollen, wann Sie das in den noch folgenden zwei Sitzungswochen vorhaben. Damit nehmen Sie die dort Beschäftigten sowie die Patientinnen und Patienten in Haftung
für Ihr Koalitionschaos. Das darf doch wohl nicht wahr
sein.
({6})
Herr Spahn, wenn Sie sich noch nicht einmal über die
5 bis 7 Millionen Euro für die Beratungsstellen einigen
können, dann sehe ich auch schwarz für Ihren „Gesundheitskuschelworkshop“, den Sie nach dem Fußballspiel
beginnen wollen. Woher wollen Sie eigentlich die
11 Milliarden Euro bekommen, die 2011 im Gesundheitsfonds fehlen werden?
Vielleicht sollten Sie sich einfach von bestimmten
ideologischen Tabus freimachen.
({7})
Dabei hilft manchmal schlichte Mathematik. Wenn Sie
zum Beispiel bei den Beiträgen den Arbeitgeberanteil
wieder an den der Arbeitnehmer angleichen, hätten wir
schon 9 Milliarden Euro mehr, und das würde die Probleme ziemlich entschärfen.
({8})
Sie aber glauben der Schwarzmalerei der Unternehmerverbände mehr, für die in diesem Fall der Untergang des
Abendlandes oder zumindest der der deutschen Exportwirtschaft unmittelbar vor der Tür stehen würde. Die
Folge Ihres Nichtstuns ist: Die ersten Krankenkassen
stehen vor der Pleite. Die Versicherten bzw. die Patientinnen und Patienten wissen noch gar nicht, was das für
sie bedeutet.
Kollegin Vogler, Sie müssen bitte zum Schluss kommen.
Herr Minister Rösler, ich kann Ihnen nur raten: Beenden Sie das Chaos! Machen Sie stattdessen Ihre Mathematikhausaufgaben! Dabei würde die Linke Sie unterstützen,
({0})
aber nicht bei diesem Gesetz.
({1})
Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat nun die
Kollegin Maria Klein-Schmeink das Wort.
Sehr geehrte Präsidentin! Sehr geehrter Minister! Wir
haben heute erneut eine besondere Situation in der Gesundheitspolitik. Wir haben einen Minister, der über ein
eher kleineres, eher handwerklich ausgerichtetes Gesetz
berichtet, das dann als Notlösung von den Fraktionen
aufgebläht bzw. um ein Sparpaket ergänzt wurde, und
das kurz vor einer Klausur heute Nachmittag - ich habe
gehört, direkt nach dem Fußballspiel -, in der Sie die eigentlichen strittigen Fragen Ihrer Gesundheitsreform
klären wollen.
({0})
Im Vorfeld dieser Klärung, die immerhin schon ein halbes Jahr auf sich warten lässt, haben Sie die Situation erzeugt, dass wir auf ein großes Defizit in der GKV zulaufen, weshalb Sie zu einem Sparpaket greifen mussten.
({1})
Herr Rösler, Herr Bahr, ich erinnere mich gut an den
Wahlkampf. Damals habe ich am allerhäufigsten gehört:
Wir werden keine kurzfristigen Sparpakete machen. Wir
werden grundlegende Strukturreformen vornehmen. Gleichzeitig habe ich dies sehr oft in gesundheitswirtschaftlichen Diskussionsrunden als Message an die Arzneimittelbranche gehört, die wiederum dasaß und gedacht
hat: Mit der FDP kommt jetzt eine Gesundheitsreform,
die bewirkt, dass wir sämtliche Kostensteigerungen, die
denkbar sind, auf die Versicherten abladen können. Der
Versicherte muss sich dann, ergänzend zur Grundversicherung, privat versichern und kann somit alles zahlen.
Das war die Message, die Sie an die Arzneiunternehmen
gesandt haben. Dafür haben Sie jetzt die Quittung bekommen.
({2})
Nicht umsonst ist der ganze Blätterwald und sind die Zuschriften voller Klagen der Pharmaindustrie, die sich
verraten fühlt
({3})
und sagt, man habe ihr im Vorfeld etwas ganz anderes
versprochen und jetzt gebe es nur ein kurzfristiges Sparpaket mit Herstellerrabatten.
({4})
Herr Minister Rösler, jetzt sind Sie genau da, wo Ministerin Schmidt und viele andere Minister davor gewesen sind. Der Unterschied zu den Ministern davor ist,
dass Sie sich im Vorfeld angemaßt haben, zu sagen, Sie
hätten deren Vorgehensweise nicht nötig. Es zeigt sich:
Die Gesundheitspolitik sämtlicher Regierungen hat es
bislang nicht schaffen können, die Kostenentwicklung
nur durch strukturelle Maßnahmen in den Griff zu bekommen oder nur darüber, kurzzeitige Maßnahmen zu
ergreifen, wie man dies oft zwangweise tun musste. Es
wird immer ein Mischpaket sein müssen. Das haben Sie
jetzt ganz schmerzlich erfahren müssen.
({5})
- Die Wirklichkeit ist in der Tat hart. Da sind Sie jetzt
zwangsweise angekommen, und zwar deshalb, weil Sie
überhaupt kein Konzept haben, wie Sie das aufgelaufene
Defizit beseitigen können. Das werden Sie an diesem
Wochenende angehen. Sie werden feststellen müssen,
dass die größten Gegner Ihrer wechselseitigen Ideen in
den eigenen Reihen sitzen.
({6})
Sie haben wiederum noch kein Konzept, wie Sie damit
umgehen wollen.
Frau Flach, ich habe gelesen, Sie haben die Erwartungen an dieses Wochenende vorsorglich heruntergeschraubt, indem Sie gesagt haben, dass eine grundlegende Lösung der Probleme nicht zu erwarten sei. Das
haben Sie getan, weil Sie sich nicht sicher sind, ob Sie
zu einer Einigung kommen. Das, muss man sagen, hat
die Wählerschaft, die Sie gewählt hat, eigentlich nicht
verdient.
({7})
Sie hat es nicht verdient, dass Sie neun Monate lang kein
einziges Problem wirklich gelöst haben und auch keine
Perspektive aufzeigen können, sondern stattdessen auf
kleine Sparpakete ausweichen müssen.
({8})
Wir werden diesem Sparpaket nicht zustimmen können, weil es von der Ausführung her nicht besonders gelungen ist. Hier erinnere ich insbesondere an die Belastung für die Krankenhäuser; die Einsparungen bei den
Krankenhäusern, die Sie an diesem Wochenende beschließen wollen, werden noch hinzuaddiert.
({9})
- Sie haben die Krankenhausapotheken beim Herstellerrabatt nicht ausgenommen.
({10})
- Nein, das geht aus den Papieren, die wir gelesen haben, nicht hervor.
({11})
- Richtig, in der ambulanten Versorgung, aber nicht in
der stationären. - Das wird die Krankenhäuser natürlich
weiter belasten.
({12})
Wir werden dem Gesetzentwurf in der vorgelegten Form
jedenfalls nicht zustimmen; wir werden uns enthalten.
({13})
Nach der Sommerpause, wenn wir die grundlegenden
Reformen im Arzneimittelbereich angehen, werden wir
uns massiv in die Debatte einbringen. Ich hoffe, dass Sie
in der Zwischenzeit zumindest eine Lösung für die unabhängigen Beratungsstellen finden; denn auch da haben
Sie sämtliche Erwartungen enttäuscht und geweckte
Hoffnungen nicht erfüllt.
({14})
Vielen Dank.
({15})
Für die Unionsfraktion hat nun der Kollege Jens
Spahn das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Die christlich-liberale Koalition beweist mit dem Gesetz,
das wir heute in zweiter und dritter Lesung verabschieden, Handlungsfähigkeit. Herr Kollege Lauterbach, Sie
können es abtun, wie Sie wollen; aber hier geht es für die
Betroffenen um wichtige Themenfelder. Es geht um die
Berufsanerkennungsrichtlinie, die für viele Heilberufe in
Deutschland gilt. Es geht um datenschutzrechtliche Fragen im Zusammenhang mit Versorgungsverträgen, von
denen viele Millionen Menschen in Deutschland betroffen sind. Es geht darum, bei der Versicherungskarte eine
Angleichung der Standards vorzunehmen; denn bis heute
gibt es zigtausendfachen Missbrauch mit Krankenversichertenkarten. Sie werden - man muss es fast so sagen hinter Hauptbahnhöfen gedealt.
({0})
Es wird nämlich nicht abgeglichen, ob die Karte noch
gültig ist oder nicht. Das wird seit Monaten und Jahren
beklagt; das regeln wir nun endlich.
({1})
Bei den patentgeschützten Arzneimitteln sparen wir
durch die Senkung der Herstellerabgabepreise per Gesetz letztendlich etwa 10 Prozent. Durch das Preismoratorium sparen wir zusätzlich bis zu 1,5 Milliarden Euro
ein. Ich finde, das ist ein großer Betrag. Dazu waren Sie
früher über einen langen Zeitraum hinweg nicht in der
Lage. Herr Kollege Lauterbach, ich finde, es gehört zur
Ehrlichkeit dazu, zumindest das anzuerkennen, anstatt
sich hier so hinzustellen, wie Sie es getan haben.
Herr Lauterbach, es mag sein, dass Sie zu allem bereit
sind - ich kann Ihnen da nicht ganz folgen -, aber im Ergebnis sind Sie zu nichts imstande. Zu diesem Schluss
kommt man, wenn man Ihre Rede gehört hat. Im Übrigen war Ihre Rede auch inhaltlich völlig daneben. Ich
will Ihnen, weil ich diese Leier so satt habe, eines sagen:
Privat Krankenversicherte sind nicht per definitionem
Gutverdiener. Fragen Sie einmal all die Polizeibeamten
und Pensionäre, die draußen Dienst tun oder hier zu den
Besuchergruppen gehören, ob sie sich als Gutverdiener
verstehen!
({2})
Sie sind doch die Sozialdemokratische Partei Deutschlands. Dennoch tun Sie fortwährend so, als wären Privatversicherte per definitionem Gutverdiener. Das ist ein
Schlag ins Gesicht dieser Menschen, Herr Kollege
Lauterbach.
({3})
Seit Monaten stellen Sie sich hierhin und sagen, diese
Regierung solle endlich sparen, um Zusatzbeiträge zu
vermeiden. Im März haben Sie einen Antrag in den
Deutschen Bundestag eingebracht, der vorsah, den gesetzlichen Herstellerrabatt auf Arzneimittel auf 16 Prozent zu erhöhen. Herr Lauterbach, Sie haben hier in Ihrer
Rede am 22. April erklärt:
Der einzige brauchbare Vorschlag ist die Einführung eines Zwangsrabattes von 16 Prozent.
Genau das machen wir heute.
({4})
Genau darüber haben wir am Mittwoch im Gesundheitsausschuss des Bundestages abgestimmt; die SPD hat aber
als einzige Fraktion des Deutschen Bundestages zum entsprechenden Antrag Nein gesagt. Ich verstehe das jedenfalls nicht: Sie fordern etwas ein, wir setzen es um, aber
Sie stimmen dagegen. Herr Kollege Lauterbach, wer soll
das denn verstehen?
({5})
- „Das Handwerk stimmt nicht“? Entschuldigung, Ihr
einziger konstruktiver Beitrag dazu, der Änderungsantrag, bezog sich auf Importarzneimittel. Ich möchte gar
nicht auf Gutachten zu sprechen kommen, die Sie bzw.
Ihr Institut schon zu diesem Thema geschrieben haben.
Aber die Tatsache, dass die Kollegin Ferner aus dem
Saarland in dieser Frage so aktiv war, sollte Sie davon
abhalten, uns jemals wieder mit dem Vorwurf einer
Klientel- und Lobbypolitik zu begegnen. Der Änderungsantrag, den Sie eingebracht haben, war doch reine
Klientelpolitik; er war das Einzige, was Sie überhaupt zu
diesem Thema beigetragen haben.
({6})
Wir nehmen andere Bereiche mit in den Blick: Krankenhäuser, Ärzte, Zahnärzte und auch die Verwaltungskosten der Krankenkassen. Wenn es ein Gefühl bei den
Beteiligten geben soll, dass es gerecht zugeht, dann muss
in allen Bereichen gespart werden, insbesondere bei den
Verwaltungskosten der Krankenkassen. Es geht im Übrigen nicht darum, in die derzeitigen Budgets einzugreifen, sondern es geht darum, die Zuwächse im nächsten
Jahr zu begrenzen.
Wenn wir konkret über Vorschläge diskutieren, wie
man den Zuwachs begrenzen kann, dann sind Sie doch
der Erste, der schreit - ich will Ihr Aufsichtsratsmandat
bei Klinikkonzernen gar nicht erwähnen -, dass das so
nicht ginge. Sie sind der Erste, der schreit, dass man im
Krankenhausbereich nicht sparen darf. Wer soll das noch
verstehen? Monatelang schreien Sie nach Sparvorschlägen, jetzt diskutieren wir über Sparvorschläge, und Sie
schreien, dass das alles nicht geht. Machen Sie endlich
Vorschläge, wo gespart werden soll, Herr Kollege
Lauterbach! Aber so einfach kommen Sie aus der Sache
nicht mehr heraus.
({7})
Frau Kollegin Klein-Schmeink, der Unterschied zu
den stumpfen Spargesetzen der Vergangenheit ist, dass
unsere Zusage steht, nach den kurzfristigen Sparmaßnahmen - wir setzen sie übrigens auch im Arzneimittelbereich um -, die notwendig sind, weil wir im nächsten
Jahr das größte Defizit in der Geschichte der gesetzlichen Krankenversicherung erwarten - die Farbenlehre
ist dabei egal; um das Defizit geht es - langfristige
Strukturveränderungen vorzunehmen.
({8})
Das zeigt sich bei den Arzneimitteln. Wir werden noch
vor der Sommerpause in erster Lesung den Teil des Arzneimittelpakets verabschieden, der langfristig die Preisentwicklung in Deutschland verändert. Sie haben jahrelang davon geredet, dass endlich damit Schluss sein
müsse, dass die Arzneimittelindustrie in Deutschland die
Preise nach der Zulassung einseitig festlegen kann. Wir
regeln das endlich.
({9})
Wir sind gespannt, wie konstruktiv Sie sich an diesem
Verfahren beteiligen werden, Herr Kollege Lauterbach.
({10})
Wir setzen im Umgang mit dem Defizit auf eine Kombination aus notwendigem Sparen und einer breiteren Bemessungsgrundlage. Alles andere würde im Übrigen bei
den Beteiligten keine Akzeptanz finden. Natürlich muss
jeder angesichts des großen Defizits die Bereitschaft haben, seinen Teil beizutragen. Die Menschen - besonders
die, die im Gesundheitssystem arbeiten - brauchen eine
Perspektive, wenn es darum geht, eine langfristig stabilere Finanzierung zu gewährleisten.
Seien wir ehrlich miteinander.
({11})
Ich bin seit acht Jahren im Deutschen Bundestag. Der
eine oder andere von Ihnen macht schon länger Gesundheitspolitik. Gesundheitspolitik ist seit Jahren eines der
zentralen und strittigen Politikfelder, weil es wahnsinnig
schwierig ist, die vor uns liegenden Probleme zu lösen.
Jetzt tun Sie doch nicht so, als ob die Lösung der Probleme so einfach wäre. Wir warten seit acht Jahren auf
Ihr Bürgerversicherungskonzept, das Sie immer wieder
ankündigen.
({12})
Ob der schwierigen Frage, wie wir eine breitere Finanzierungsgrundlage hinbekommen - dies wollen wir
alle im Übrigen trotz intensiver interner Debatten innerhalb der Koalition -, ist es doch das Selbstverständlichste der Welt, dass man innerhalb der Koalition bei einer Frage, die seit Jahren in Deutschland strittig
diskutiert wird, auf der Suche nach der richtigen Lösung
miteinander ringt.
({13})
Geben Sie uns die Zeit, die wir - wie zugesagt - bis zur
Sommerpause noch brauchen. Dann werden wir Lösungen vorlegen, die über das hinausweisen, was Sie bis
jetzt getan haben. Sie sagen nämlich nichts dazu, wie es
weitergehen soll, lieber Herr Kollege Lauterbach.
({14})
Bevor ich schließe, möchte ich auf das eingehen, was
zwei Vorredner erwähnt haben - ich möchte das nicht so
stehen lassen -: Seien Sie versichert, für die unabhängige Patientenberatung werden wir noch vor der Sommerpause
({15})
- bis dahin sind es gut zwei Wochen; das ist zeitlich relativ genau bemessen, liebe Frau Kollegin Vogler - einen
entsprechenden Entwurf auf den Weg bringen. Wir werden diese Frage regeln.
Die christlich-liberale Koalition wird bei der unabhängigen Patientenberatung und bei der künftigen Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung Handlungsfähigkeit beweisen. Vor allem werden wir heute
das tun, wovon Sie lange geredet haben, nämlich Sparen
im Sinne der Versicherten der gesetzlichen Krankenversicherung. Deswegen wäre es gut, wenn Sie zustimmen
würden. Wir tun es jedenfalls.
({16})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung krankenversicherungsrechtlicher und anderer Vorschriften. Der Ausschuss für Gesundheit empfiehlt unter
Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/2170, den Gesetzentwurf der Bundesregierung
auf Drucksache 17/1297 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in
der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Lesung in der
Ausschussfassung durch die Unionsfraktion und die
FDP-Fraktion gegen die Stimmen der SPD-Fraktion und
der Fraktion Die Linke bei Enthaltung der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist mit den Stimmen der Unionsfraktion und der
FDP-Fraktion gegen die Stimmen der SPD-Fraktion und
der Fraktion Die Linke bei Enthaltung der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen angenommen.
Tagesordnungspunkt 32 b: Beschlussempfehlung des
Ausschusses für Gesundheit zu dem Antrag der Fraktion
Die Linke mit dem Titel „Faire Preise für wirksame und
sichere Arzneimittel - Einfluss der Pharmaindustrie begrenzen“. Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe b
seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/2170,
den Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache
17/1206 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält
sich? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen
der Unionsfraktion, der SPD-Fraktion und der FDPFraktion gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke bei
Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 34 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten
Wolfgang Wieland, Volker Beck ({0}), Kai
Gehring, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Mehr öffentliche Sicherheit durch weniger
private Waffen
- Drucksache 17/2130 Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss ({1})
Rechtsausschuss
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, bevor ich die Debatte eröffne, möchte ich darauf hinweisen, dass Bürgerinnen und Bürger des „Aktionsbündnis Amoklauf
Winnenden“ und der Initiative „Keine Mordwaffen als
Vizepräsidentin Petra Pau
Sportwaffen“ diese Debatte hier heute verfolgen. - Ich
begrüße Sie!
Ich eröffne die Debatte. Das Wort hat Wolfgang
Wieland für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Meine Damen und
Herren! Der heutige Morgen war selbst für einen alten
Fahrensmann wie mich kein normaler Morgen. Vertreter
der beiden genannten Initiativen waren da. Es waren Eltern von ermordeten Schülerinnen und Schülern da, es
waren Lehrer da, es waren aber auch Menschen da, die
sich engagieren, zum Beispiel Autoren und Schauspieler
aus Erfurt, die sagen: Das geht auch uns etwas an; das
geht die ganze Gesellschaft an. Im Erfurter Appell haben
sie Folgendes formuliert - ich möchte daraus vortragen -:
Neun Schüler, drei Lehrerinnen und drei Passanten
sind am 11. März 2009 beim Winnender Schulmassaker erschossen worden, mit einer Sportwaffe.
Schon nach dem Schulmassaker in Erfurt ({0})
hatten Bundesregierung und Bundestag ausreichend
Zeit, den Besitz von tödlichen Waffen für den
Schießsport zu unterbinden. Wir brauchen kein
halbherzig geändertes Waffengesetz. Wir wollen
ein Verbot von Mordwaffen als Sportwaffen - sofort.
({1})
Die Winnender haben das präzisiert:
Unser Appell lautet:
Generelles Verbot großkalibriger Waffen für Privatpersonen
Verbot für Faustfeuerwaffen in privaten Haushalten
Ich weiß, wie groß die Betroffenheit in diesem Haus
nach Winnenden war; ich habe es selbst erlebt. Ich weiß,
dass das Entsetzen bei allen Fraktionen echt und ungekünstelt war. Ich sage aber auch, und das meine ich ganz
ernst: Wir sind hier nicht primär eine Versammlung von
Trauernden. Wir sind der Gesetzgeber. Gerade die Eltern
haben sofort und seitdem unermüdlich an uns appelliert
und uns gemahnt. Sie haben gesagt: Wir wollen Handlung sehen, wir wollen Taten sehen,
({2})
wir wollen die größtmögliche menschenmögliche Sicherheit haben, dass es nach Erfurt und Winnenden nicht
einen dritten entsprechenden Amoklauf gibt. Ich denke,
das alles sind wir ihnen schuldig. Wir müssen handeln.
({3})
Wir als Grüne haben hier einige Vorschläge vorgelegt,
über die wir, denke ich, gründlich debattieren werden.
Wir fordern als Sofortmaßnahme, dass in einem Haushalt nicht mehr Waffen und Munition gleichzeitig vorhanden sein dürfen. Es ist ein kleiner Schritt, das zu trennen, aber wenn nicht beides im Haushalt ist, kann der
Täter nicht damit losstürmen.
Wir fordern vor allem, dass der Besitz bestimmter
Waffen, von denen wir der Ansicht sind, dass sie eigentlich nicht zum Schießsport gehören, nämlich großkalibrige Kurzwaffen und halbautomatische Waffen, verboten wird. Mit diesem Verbot würden wir niemanden
diskriminieren, da diese Waffen nicht zum Schießsport
gehören. Wir freuen uns, dass eine Organisation wie der
Bund Deutscher Kriminalbeamter dies genauso sieht und
den Erfurter Appell mit unterschrieben hat.
({4})
Schließlich und endlich: Bei geschätzten 12 Millionen Waffen in Privathänden, davon circa 10 Millionen
legal - die Dunkelziffer kann man nur schätzen -, muss
es so etwas wie eine allgemeine Volksentwaffnung geben. Wo leben wir denn, dass so viele Waffen in unseren
Wohnungen, in unseren Häusern sind? Die zum Jahresende abgelaufene Amnestie war richtig. Wir fordern ihre
Verlängerung. Wir wollen mehr Kontrollen. Wir sagen:
Ohne Kontrollen geht es nicht. Das müssen die Länder
bewerkstelligen. Wir wollen aber auch deutliche Maßnahmen des Gesetzgebers.
Für mich ist das alles eigentlich keine Frage der Innenpolitik, schon gar nicht des Waffenrechts. Für mich
ist es schlicht eine ethische Frage, wie viel Sicherheit
wir unseren Kindern bieten wollen. Deswegen hoffe ich,
dass der Appell der Eltern, der Appell der Initiativen hier
weite Kreise zieht, auch über uns Innenpolitikerinnen
und Innenpolitiker hinaus, und dass sich das ganze Haus
ernsthaft und gewissenhaft mit dieser Frage befassen
wird.
Vielen Dank.
({5})
Das Wort hat der Kollege Günter Lach für die
Unionsfraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich habe
erfahren, dass heute an dieser Sitzung auch Angehörige
der Opfer aus Winnenden teilnehmen. Ich möchte diese
Gelegenheit nutzen, um Ihnen auch heute noch, über ein
Jahr nach der Tat, mein tiefes Mitgefühl auszusprechen.
Ich wünsche Ihnen weiterhin viel Kraft und Stärke, um
diese Geschehnisse zu verkraften. Vergessen wird man
sie nie.
Sehr geehrte Damen und Herren, der Deutsche Bundestag hat im Februar 2008 eine Novelle des Waffengesetzes verabschiedet, die einen wichtigen Beitrag zur
Verbesserung der inneren Sicherheit geleistet hat. Insbesondere die schrecklichen Vorfälle von Winnenden und
Erfurt wurden zum Anlass genommen, mit der Änderung des Waffengesetzes einen Beitrag zur Eindämmung
der Gewaltkriminalität zu leisten. Hier wurde besonders
deutlich, wie verheerend die Auswirkungen sein können,
wenn Waffen und Munition durch unsachgemäße Aufbewahrung in gewaltbereite Hände gelangen. Daher unterstütze ich als aktiver Sportschütze die getroffenen Maßnahmen ausdrücklich.
Mit den Änderungen des Waffengesetzes wird insbesondere Jugendlichen der Zugang zu Waffen erschwert.
Ebenso stellen sie sicher, dass nur Berechtigte Zugang
zu Waffen haben. Mit der Novelle des Waffenrechts
kann vor Ort bei privaten Waffenbesitzern nun verdachtsunabhängig überprüft werden, ob die sichere Aufbewahrung von Waffen und Munition gewährleistet ist.
Künftig muss die sichere Aufbewahrung bereits bei der
Antragstellung für eine Besitzerlaubniskarte nachgewiesen werden. Damit hat der Waffenbesitzer jetzt eine
Bringschuld gegenüber der Waffenbehörde. Er muss
vorher anzeigen, dass die Waffen ordnungsgemäß gelagert werden. Das ist gut und richtig so.
Dabei gilt weiterhin der Grundsatz, dass gegen den
Willen des Waffenbesitzers die Wohnung nur bei Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung betreten
werden darf. Jeder verantwortungsbewusste Sportschütze und Jäger wird die Prüfung vor Ort gern unterstützen und den Zugang zu den Aufbewahrungsräumen
ermöglichen. Denn eine mehrfache Verweigerung der
Kontrolle entspricht nicht dem Wesen der meisten Waffenbesitzer, Sportschützen und Jäger. Die zuständige Behörde kann dann von seiner Unverlässlichkeit ausgehen,
wenn die Verweigerung mehrfach wiederholt wird, sodass die waffenrechtliche Erlaubnis widerrufen wird.
Die Waffen können eingezogen und auch der Vernichtung zugeführt werden.
Ein weiterer wichtiger Baustein zur Gewährleistung
der Sicherheit ist die Umsetzung der EU-Vorgabe zur Errichtung eines zentralen elektronischen Waffenregisters.
Ich befürworte ausdrücklich, dass die Bundesregierung
dieses Register bis Ende des Jahres 2012 einführen will,
zwei Jahre vor Ablauf der in der EU-Waffenrichtlinie
vorgegebenen Frist. Das computergestützte Waffenregister vernetzt zukünftig die Informationen der 577 Waffenerlaubnisbehörden in den Ländern und kann genaue Informationen über die Anzahl der Besitzer von legalen
Waffen und Schusswaffen in Deutschland bereithalten.
Diese Information ist besonders für die Arbeit der
Polizei von großer Bedeutung. Bei Amoklagen, in Einsätzen und zur Gefahrenabwehr kann sie so wichtige Informationen über möglichen Waffenbesitz gewinnen und
entsprechende Maßnahmen ergreifen. Dies sind gute
Gründe, die Einführung eines nationalen Waffenregisters
voranzutreiben. Ich kann Ihnen versichern, dass Sie bei
den Sportschützen und Jägern in unserem Land große
Unterstützung finden werden.
({0})
Seit Einführung des kleinen Waffenscheins ist die
Zahl der im Zusammenhang mit strafrechtlichen Delikten sichergestellten Schreckschuss-, Reizstoff- und
Signalwaffen um mehr als die Hälfte zurückgegangen.
({1})
Die Notwendigkeit zur Einführung der Erlaubnispflicht
auch für diese Waffen ist daher nicht offensichtlich.
({2})
In der Vergangenheit kam es immer wieder zu Polizeieinsätzen, weil Anscheinswaffen für echte Schusswaffen gehalten wurden. Mit dem Verbot des Führens
von Anscheinswaffen wurde auch im Waffengesetz darauf reagiert. Dies betrifft sämtliche Schusswaffen, die
nach ihrer äußeren Form den Anschein von Feuerwaffen
hervorrufen. Ausgenommen sind solche Gegenstände,
die erkennbar zum Spiel oder für Brauchtumsveranstaltungen Verwendung finden oder bestimmte Teile historischer Sammlungen sind. Auch die Verwendung bei
Foto-, Film- und Fernsehaufnahmen sowie bei Theateraufführungen bleibt weiterhin erlaubt. Um eine Umgehung dieser Vorschrift zu unterbinden, ist der Transport
von Anscheinswaffen künftig nur in einem verschlossenen Behältnis erlaubt.
Als langjähriger Kreisvorsitzender der Kyffhäuser
Sportschützen in meiner Heimat weiß ich aus eigener Erfahrung,
({3})
wie umsichtig und verantwortungsbewusst die Sportschützen mit ihren Waffen umgehen. Ebenso wie die Jäger werden die Schützen in Deutschland eingehend geschult und geprüft. Sie kennen die Gefährlichkeit ihres
Sportgeräts und pflegen einen entsprechend aufmerksamen Umgang damit.
({4})
Wofür Sie keine Unterstützung bekommen werden,
sind die Vorschläge des vorliegenden Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Sie schießen über das Ziel
hinaus
({5})
und stellen Schützen und Jäger unter Generalverdacht.
({6})
Ich kann nur davor warnen, bei den Schützen und Jägern weitere Einschränkungen vorzunehmen. Insbesondere Bestrebungen, eine Waffenlagerung an zentralen
Stellen einzuführen, sind eine Einladung zum Diebstahl.
Einen praktikablen und der Sicherheit dienenden VorGünter Lach
schlag, wo die Waffen von Privatbesitzern gelagert werden können, bleibt dieser Antrag allerdings schuldig.
Die von den Grünen geforderte Verbannung von Waffen aus privaten Haushalten ist kein Allheilmittel. Es
kann nicht darum gehen, einen Sport zu unterbinden,
({7})
der in unserer Tradition fest verankert ist und durch ehrenamtliche Arbeit getragen wird.
({8})
Dabei denke ich besonders an die großen internationalen
Erfolge im Schießsport. Deswegen verwahre ich mich in
aller Deutlichkeit gegen eine Vorverurteilung. Für mich
geht es vielmehr darum, die steigende Gewaltbereitschaft in unserer Gesellschaft unter die Lupe zu nehmen.
({9})
Es scheint ganz normal zu sein, wenn das Eigentum
anderer beschädigt wird. Es ist fast alltäglich, dass Konflikte nicht mehr verbal geregelt werden, sondern immer
häufiger mit Gewalt als Mittel zur Verdeutlichung des eigenen Standpunktes.
({10})
Besonders deutlich zeigt dies auch die Zunahme von
Gewalt gegenüber unserer Polizei. Erst am letzten Wochenende kam es bei einer Demonstration in Berlin zu
Verletzungen durch Sprengsätze.
({11})
Die Beamten kamen nur mit Glück glimpflich davon.
({12})
Die Täter haben mit selbstgebauten Sprengsätzen die
Tötung von Polizeibeamten billigend in Kauf genommen. Wenn darunter die Ausübung des Demonstrationsrechts verstanden wird, sehe ich eine erhebliche Schieflage in unserer Gesellschaft.
({13})
Jeder Einzelne von uns ist gefordert, die Unversehrtheit eines jeden zu achten und damit für öffentliche Sicherheit zu sorgen und sie zu gewährleisten.
({14})
Es gilt, in unserer Gesellschaft Werte wie Respekt und
Toleranz wieder in den Vordergrund zu stellen. Dazu
müssen wir alle beitragen.
Herzlichen Dank.
({15})
Kollege Lach, das war Ihre erste Rede im Deutschen
Bundestag, und Sie haben es geschafft, sofort Kontroversen hervorzurufen. Für die weitere Arbeit wünschen
wir Ihnen Erfolg.
({0})
Das Wort hat die Kollegin Gabriele Fograscher für die
SPD-Fraktion.
({1})
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Vor mehr als einem Jahr tötete ein 17-Jähriger in einer Schule in Winnenden und später auf der Flucht in
Wendlingen insgesamt 15 Menschen und dann sich
selbst. Nach den polizeilichen Ermittlungen gehörte die
halbautomatische großkalibrige Kurzwaffe, die für diese
grausame Tat verwendet wurde, dem Vater des Täters,
der diese Waffe als Sportschütze legal besaß. Der Vater
hatte die Waffe nicht ordnungsgemäß und nicht entsprechend den Vorschriften des damals schon gültigen Waffenrechts verwahrt.
Dieser schreckliche Amoklauf war Anlass für uns, damals in der Großen Koalition, über Änderungen des
Waffenrechts nachzudenken, aber uns war bei allen Diskussionen auch damals klar: Allein mit gesetzlichen Regelungen im Waffenrecht können wir Amokläufe nicht
verhindern; wir können und müssen alles versuchen, sie
zu erschweren.
({0})
Die Motive, die den Täter in Winnenden zu seiner entsetzlichen Tat gebracht haben, werden wohl nie ganz aufgeklärt werden. Fahrlässigkeit und Verantwortungslosigkeit im Umgang mit Waffen, das familiäre und soziale
Umfeld des Täters, Gewaltfantasien, gespeist durch Medienkonsum, und psychosoziale Gründe wie vermeintliche Kränkungen und Frustrationen kommen zusammen.
Der Griff zur Waffe ist der letzte schreckliche Akt einer
verstörenden Vorgeschichte.
Wir haben im Bundestag, in den Landesregierungen
und in den Landesparlamenten intensiv über zahlreiche
Vorschläge und mögliche Änderungen im Waffenrecht
diskutiert. Wir haben Sachverständige angehört, unter
ihnen Staatsanwälte, Vertreter von Verbänden und auch
Vertreter des „Aktionsbündnis Amoklauf Winnenden“.
Wir haben nach eingehenden Beratungen sinnvolle
Änderungen vorgenommen, die - und das ist wahr - das
berechtigte Interesse der Bevölkerung an Sicherheit,
aber auch das berechtigte Interesse von legalen Waffenbesitzern wie Sportschützen und Jägern berücksichtigen.
Bereits im März letzten Jahres haben Sie von
Bündnis 90/Die Grünen einen Antrag mit dem Titel
„Abrüstung in Privatwohnungen - Maßnahmen gegen
Waffenmissbrauch“ eingebracht. Der heute von Ihnen
vorgelegte Antrag ist nahezu inhaltsgleich. Sie fordern,
dass Waffen und Munition nicht mehr in Privathaushalten aufbewahrt, sondern zentral zum Beispiel in Schützenhäusern gelagert werden sollen.
Diese vermeintlich einfache Lösung ist diskutiert und
verworfen worden, weil sie neue Sicherheitsrisiken in
sich birgt.
({1})
Das bestätigte auch der Sachverständige Oberstaatsanwalt Hofius in der Anhörung im Innenausschuss im
letzten Jahr. Ich zitiere:
Insgesamt überwiegt das Risiko für die öffentliche
Sicherheit und Ordnung bei einer zentralen Aufbewahrung von Schusswaffen gegenüber der gesetzmäßigen Verwahrung in Privathaushalten aus meiner Sicht deutlich.
Die Ansammlung einer großen Anzahl von Waffen und
Munition an einem Ort könnte und wird ein Anreiz für
Straftäter sein, an Waffen zu kommen. Ich erinnere nur
daran, dass bereits in gut gesicherte Munitionsdepots der
Bundeswehr eingebrochen wurde.
In meiner Region gibt es in nahezu jeder Gemeinde
einen Schützenverein. Das Schützenhaus steht meist am
Rand eines Ortes, und niemand kann die Überwachung
und Sicherung eines solchen Waffendepots garantieren
und sicherstellen.
({2})
Mit Ihrem Vorschlag würden Sie die Verantwortung
für die sichere Verwahrung von Waffen von jedem einzelnen Waffenbesitzer auf jemand anderen verlagern, der
dafür zu sorgen hätte, dass nach Schießübungen und
Wettkämpfen alle Waffen wieder abgegeben und ordnungsgemäß verwahrt werden. Wer soll solch eine Verantwortung übernehmen? Ehrenamtliche in Schützenvereinen, oder wer soll das sein? Welche Ausnahmen
soll es geben, und wie wollen Sie sie - zum Beispiel für
Jäger - regeln? Ich halte diesen Vorschlag nach wie vor
für nicht organisierbar und auch nicht für praktikabel.
({3})
Sie wollen großkalibrige Waffen und Halbautomaten
verbieten. Auch das haben wir bei der letzten Novelle intensiv diskutiert, und wir haben uns dafür entschieden,
das Mindestalter für das Schießen mit diesen Waffen von
14 auf 18 Jahre zu erhöhen. Die Bundesregierung hat in
ihrer Antwort auf eine Kleine Anfrage der SPD zu diesem Thema ausgeführt - ich zitiere -:
Selbst eine Reduzierung des Waffenbestandes im
Schießsport auf sogenannte Kleinkaliberwaffen
brächte keinen tatsächlichen Sicherheitsgewinn, da
auch mit diesen Waffen tödliche Verletzungen herbeigeführt werden können.
({4})
Ich teile diese Einschätzung.
({5})
Auch die Begrenzung der Anzahl der Waffen in Privatbesitz ist intensiv diskutiert worden. Es ist eine
Scheinlösung; denn auch mit nur einer Waffe kann ein
Täter, der zu einem Mord entschlossen ist, seine entsetzliche Tat ausführen.
Die Europäische Union verlangt die Einführung des
zentralen elektronischen Waffenregisters bis 2014. Wir
haben bei der letzten Novellierung im vergangenen Jahr
festgeschrieben, dass wir dieses Register bis Ende 2012
einführen wollen, und damit wird auch eine langjährige
Forderung der Gewerkschaft der Polizei erfüllt.
Sie fordern in Ihrem Antrag auch einen besseren Vollzug des Waffenrechts. Diese Forderung ist mit der Einführung verdachtsunabhängiger Kontrollen gesetzlich
erfüllt; dies muss aber in den Ländern und den zuständigen Waffenbehörden umgesetzt werden. Hier besteht
meines Erachtens noch Verbesserungsbedarf.
({6})
Unter Punkt 7 Ihres Antrags fordern Sie den „kleinen
Waffenschein … für Kauf und Besitz von Schreckschuss-, Reizstoff- und Signalwaffen“. Für das Führen
dieser Waffen ist bereits jetzt der kleine Waffenschein
erforderlich, für den eine Zuverlässigkeitsprüfung und
die persönliche Eignung erforderlich sind.
Wir gehen mit Ihnen in dem Punkt überein, dass Sie
eine Neuauflage der am 31. Dezember 2009 ausgelaufenen Amnestieregelung fordern. Wir halten das für richtig. Bis Ende letzten Jahres sind bundesweit mehr als
200 000 Waffen abgegeben worden. Jede Waffe weniger
in unbefugten Händen ist ein wirklicher Sicherheitsgewinn, und jede legal in Besitz befindliche Waffe, die
nicht im illegalen Milieu auftaucht, ist ebenfalls ein Sicherheitsgewinn; denn auch das ist Realität in unserem
Land: Neben den 10 Millionen legal in Besitz befindlichen Waffen sind vermutlich ebenso viele illegal besessene Waffen im Umlauf.
Die letzte Änderung des Waffenrechts liegt gerade
einmal ein Jahr zurück. Vollzugsdefizite sind nicht mit
neuen gesetzlichen Regelungen zu beseitigen.
({7})
Es gibt technische Entwicklungen und Fortschritte bei
Sicherungssystemen für Waffenschränke und Waffen.
Wenn diese ausgereift sind, werden wir erneut darüber
beraten, ob die Standards im Waffenrecht angepasst werden müssen.
Wir als Politikerinnen und Politiker, aber auch Verbände und Vereine müssen immer wieder an Waffenbesitzer appellieren, sich an die Aufbewahrungsvorschriften des Waffenrechts zu halten, und Verstöße müssen
sanktioniert werden.
({8})
1997 wurde in Großbritannien ein generelles Verbot
von Schusswaffen in Privathand eingeführt. Dadurch
konnte nicht verhindert werden, dass Kriminelle in den
Besitz von Schusswaffen gelangten und dass vor wenigen Wochen in Whitehaven in Nordengland bei einem
Amoklauf 12 Menschen getötet und 25 Menschen verletzt wurden.
Meine Fraktion und ich werden zunächst die Evaluierung der Neuregelungen abwarten, wir werden die technischen Entwicklungen beobachten und alle seriösen
Vorschläge prüfen, aber wir werden den Menschen nicht
vormachen, dass allein mit gesetzlichen Regelungen im
Waffenrecht mehr Sicherheit garantiert werden kann und
Amokläufe nicht mehr vorkommen.
Vielen Dank.
({9})
Das Wort hat der Kollege Serkan Tören für die FDPFraktion.
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Die schockierenden tödlichen Gewaltverbrechen an
deutschen Schulen machen immer wieder betroffen. Gerade an einem solchen Tag, an dem Betroffene aus Winnenden dem Bundestag ihre Petition überreicht haben,
wird vieles wieder wachgerufen. Ob die Täter nun
Schusswaffen oder Messer verwenden, man fragt sich
immer wieder: Warum? Was ist in einem jungen Menschen vorgegangen, dass er zu einer solchen Tat fähig
war?
Meiner Ansicht nach werden diese Fragen zwar
gestellt, aber wir gehen ihnen nicht richtig nach. Wir finden schnell vermeintlich einfache Antworten auf
komplizierte Sachverhalte. Statt einer wirklichen Beschäftigung mit der Problematik wird sehr schnell als
vermeintliche Lösung eine Verschärfung des Waffenrechts gefordert.
({0})
Genauso ist es mit dem von Ihnen vorgelegten Antrag, meine Damen und Herren von den Grünen. Sie
schreiben zwar - ich darf zitieren -:
Die Prävention von Amokläufen bedarf einer umfassenden Strategie, die der Komplexität des Phänomens gerecht wird.
Allerdings gehen Sie auf diese richtige und wichtige Erkenntnis mit keinem Wort weiter ein. Der Rest Ihres Antrags besteht nur aus Verboten und Geboten.
Was ist mit den gesellschaftspolitischen Fragen? Wie
lautet Ihr Lösungsvorschlag dafür, dass Amokläufer den
einzigen Ausweg aus ihrer scheinbar ausweglosen Situation in der Gewalttat sehen? Ich vermisse in Ihrem Antrag die Antworten darauf.
({1})
Mit dem von Ihnen vorgelegten Antrag werden Sportschützen, Waffensammler und Jäger einem Generalverdacht ausgesetzt.
({2})
- Genau das ist der Fall, Herr Wieland. - Aus Sicht der
FDP ist das weder gerechtfertigt, noch kann es eine
breite und ehrliche Diskussion über die Ursachen von
gewalttätigen Handlungen ersetzen, die wir dringend benötigen.
({3})
Frau Künast, mit Ihren Bemerkungen helfen Sie den
Betroffenen aus Winnenden nicht weiter.
({4})
Nicht die Waffe ist das Problem, sondern der Mensch,
der sie einsetzt, Frau Künast.
({5})
Wir Liberalen fordern daher eine Kultur des Hinsehens. In allen Fällen haben Amokläufer ihre Tat angekündigt.
({6})
Allerdings hat niemand etwas bemerkt, oder die vorhandenen Hinweise wurden nicht ernst genommen. Hier gilt
es anzusetzen. Eltern, Lehrer und Mitschüler müssen
sich kümmern.
(Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Warum haben wir dann überhaupt ein
Waffenrecht, wenn nur der Mensch das Problem ist?
Die Frage ist, warum Jugendliche in eine solche Situation geraten. Bitte verstehen Sie meine Ausführungen
zum gesellschaftlichen Aspekt einer solchen Gewalttat
nicht falsch. Auch wir Liberalen halten gesetzliche Regelungen für den Umgang mit Waffen für richtig. Allerdings darf hierbei eines nicht außer Acht gelassen werden: Deutschland hat schon heute eines der schärfsten
Waffengesetze. Sicherlich kann man noch das eine oder
andere daran verbessern. Sie, meine Damen und Herren
von den Grünen, wollen aus unserer Sicht aber nicht das
Waffenrecht verbessern; vielmehr wollen Sie die
Schraube noch weiter andrehen. Allerdings stellt sich
mir die Frage der Wirksamkeit weiterer Verschärfungen
im Waffenrecht.
Gerade in Großbritannien hat sich gezeigt - das hat
die Kollegin schon angesprochen -, dass schärfere Waffengesetze nicht dazu geführt haben, dass die Zahl der
Straftaten mit Waffen gesunken ist. Im Gegenteil, sie ist
sogar angestiegen.
({7})
- Genau das ist der Fall. Das müssen Sie sich vor Augen
führen. Sie sind scheinbar ohne Kenntnis der Statistik in
die Diskussion hineingegangen.
Wir als FDP treten dafür ein, dass der Fokus auf dem
Vollzug des bestehenden Waffenrechts liegen muss.
Denn das beste Gesetz ist ohne entsprechenden Vollzug
nutzlos. Was dies angeht, ist die Bundesregierung derzeit
dabei, deutschlandweit einheitliche Verwaltungsvorschriften zur Umsetzung des Waffenrechts mit den Ländern zu erarbeiten. Ich möchte ausdrücklich festhalten,
dass die Regierungskoalition viel für die Sicherheit unserer Bürgerinnen und Bürger tut.
Allerdings lehnen wir symbolische Maßnahmen ab.
Vorhaben, die entweder zusätzliches Geld kosten oder
die Freiheit der Bürger einschränken, ohne einen echten
Zusatznutzen zu bringen, sind mit der FDP bzw. der Regierung nicht zu machen.
Leider bringt Ihr Antrag für einen zusätzlichen Sicherheitsgewinn nichts Neues. So fordern Sie unter anderem eine zentrale Aufbewahrung von Waffen, um einen möglichen Missbrauch zu verhindern. Selbst mit
vielleicht besserer Sicherheitstechnik wären solche zentralen Waffendepots in Randlagen ein verlockendes Ziel
für Kriminelle. Dies zeigt gerade die Tat von Eislingen,
bei der ins dortige Schützenheim eingebrochen wurde.
Sie fordern Verbote im Bereich des Waffenrechts. Ob
dies eine Lösung ist, bezweifele ich ebenfalls stark. Ein
Verbot von Munition mit besonderer Durchschlagskraft
würde den Besitz dieser zwar illegal machen, aber glauben Sie wirklich, dass diese Munition in Deutschland
dann nicht mehr zu haben wäre?
({8})
Das erscheint mir als Symbolpolitik ohne wirklichen Sicherheitsgewinn.
({9})
Das Hauptanliegen der FDP ist stattdessen, wahrhaftig und aufrichtig etwas gegen zukünftige Amokläufe zu
unternehmen.
Das Waffenrecht - das hat die Vergangenheit deutlich
gezeigt - ist dazu kaum geeignet. Gewaltprävention und
-forschung müssen im Vordergrund stehen. Wir brauchen einen nachhaltigen Sicherheitsgewinn, aber keinen
puren Aktionismus, wie Sie ihn heute an den Tag gelegt
haben.
Vielen Dank.
({10})
Das Wort hat der Kollege Frank Tempel für die Fraktion Die Linke.
({0})
Sehr geehrte Präsidentin! Sehr geehrte Damen und
Herren! Beim Thema Waffenrecht gilt abzuwägen, wie
man das berechtigte Interesse der Bürgerinnen und Bürger am Schutz auf Leben und auf Unversehrtheit einerseits sowie das Interesse von Waffeninhabern und -nutzern andererseits in Übereinstimmung bringt.
Die ehrenamtliche Arbeit der Sportschützengruppen
und Schützenvereine ist ein wichtiger Beitrag zum Leben der Städte und Gemeinden. Jugendarbeit, sportliche
Wettbewerbe sowie die Unterstützung und Ausrichtung
von Volksfesten sind auch in unseren Augen ein wichtiger Beitrag für die Gesellschaft. Ebenso wissen wir den
aktiven Beitrag der Jäger zum Umweltschutz zu würdigen. Aber: Der Schutz des Lebens wiegt immer schwerer.
({0})
Die Nutzer von Waffen müssen sich dieser Verantwortung stellen. Wir wissen, die meisten Besitzer legaler
Waffen machen das auch.
Zunächst einmal haben wir das Problem, dass 10 Millionen legale Waffen unzähliger illegaler Waffen gegenüberstehen. Aktionen zur straffreien Abgabe illegaler
Waffen sollten daher unbedingt fortgesetzt und auch entsprechend beworben werden.
({1})
Vielschichtiger und daher auch schwieriger ist der
Umgang mit legalen Waffen. Dazu gibt es unterschiedliche Auffassungen. Die getrennte Lagerung von Waffen
und Munition ist eine Forderung, die auch die Linke hier
schon gestellt hat. Die Verhältnismäßigkeit von dafür
notwendigen Investitionen und höheren Kosten in Bezug
auf die potenzielle Gefahr einer gebrauchsfähigen
Schusswaffe ist absolut gegeben.
Inwieweit der Staat Maßnahmen für mehr Sicherheit
fördern und diese unterstützen kann, muss untersucht
werden. Die Verbände der Waffenbesitzer sollten sich
aber weniger über eine steigende Belastung ärgern, als
lieber entsprechend ihrer Verantwortung aktiv und demokratisch an Vorschlägen zu Konzeptionen mitarbeiten.
Das Thema der Erbwaffen ist im Antrag der Grünen
noch ein bisschen nachzuarbeiten. Waffen im Besitz von
Menschen, die keine genehmigte Nutzung beabsichtigen, müssen durch Blockiersysteme oder Abzugsschlösser gesichert werden. Die Waffen werden dadurch nicht
zerstört, aber ihre unbefugte Nutzung wird eingeschränkt.
Ein großes Problem ist nach wie vor die unzureichende Kontrolle von legalem Waffenbesitz. Die verantwortlichen Kommunen haben aufgrund ihrer finanziellen Situation doch kaum die Möglichkeit, die
notwendigen unangemeldeten Kontrollen in ausreichendem Maße durchzuführen. Diese Kontrollen sind aber
notwendig, um Sorglosigkeit und Fahrlässigkeit - Sie
werden nicht abstreiten können, dass es das gibt - vorzubeugen.
Nicht zuletzt aufgrund eigenen Erlebens möchte ich
deutlich daran erinnern, dass wir endlich ein zentrales
Waffenregister brauchen, so wie es auch die Grünen in
ihrem Antrag richtigerweise fordern.
({2})
Ein Beispiel aus der Praxis, um dies zu verdeutlichen:
Aufgrund eines Korruptionsverdachtes fand gegen einen
bisher unbescholtenen Geschäftsmann eine Durchsuchung in dessen Wohnhaus statt. Der Betroffene war naturgemäß sehr verärgert über die polizeiliche Maßnahme. Dass er zu cholerischen Reaktionen neigte, war
den Einsatzkräften vorher bekannt. Nicht bekannt aber
war, dass dieser Bürger Waffenbesitzer ist. Erst als im
Nachtschrank des Beschuldigten eine geladene Handfeuerwaffe gefunden wurde, war allen die potenzielle
Gefahr klar.
Meine Damen und Herren, ich selbst war der Durchsuchungsführer vor Ort und kann Ihnen deshalb versichern, dass es ein sehr bescheidenes Gefühl ist, wenn
man erkennt, dass diese Aktion durchaus auch anders
hätte enden können.
Für den Beschuldigten ging es an diesem Tag durchaus um seine wirtschaftliche Existenz. Kurzschlussreaktion und Gelegenheit in Kombination sind gefährlich.
Darüber dürften wir uns einig sein.
Im Übrigen ist es auch bei Bedrohungslagen enorm
wichtig, dass Einsatzkräfte sehr schnell wissen, ob Gefährder an Waffen kommen können - zum Beispiel
durch das Elternhaus oder Großeltern - und um welche
Waffen es sich dabei handelt.
Legale Waffen sind in Deutschland in 570 Regionalbehörden registriert. Nicht überall hat die Polizei direkten Zugriff darauf. Dieser Unsinn muss beendet werden.
Deshalb noch einmal: Wir brauchen endlich ein zentrales Waffenregister, und zwar nicht erst im Jahr 2012,
sondern so schnell wie möglich.
({3})
Im Großen und Ganzen weist der Antrag der Grünen
also in die richtige Richtung. Es gilt der Satz: Der Worte
sind genug gewechselt, lasst uns nun endlich Taten sehen. - Dies möchte ich auch an die SPD richten.
({4})
Zu einer Erklärung hat der Kollege Scheer das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich will nur kurz etwas sagen, damit hier kein falscher Eindruck entsteht.
Es gibt in der SPD-Fraktion nicht nur mich, sondern
auch viele andere, die mit dem, was der Kollege der Grünen zu dieser Frage hier ausführlich dargelegt hat, mehr
übereinstimmen. - Ich denke, das sollte hier festgestellt
werden.
Danke schön.
({0})
Wir halten jetzt einfach fest, dass das unsere Kriterien
für eine Erklärung zur Aussprache nicht erfüllt hat. Wir
werten das als Kurzintervention und beenden damit die
Debatte.
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 17/2130 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-
verstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung
so beschlossen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 33 a und b auf:
a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Sabine
Leidig, Herbert Behrens, Thomas Lutze, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE
Zukunft der Bahn - Bürgerbahn statt Börsenbahn
- Drucksache 17/652 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ({0})
Haushaltsausschuss
Vizepräsidentin Petra Pau
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Sabine
Leidig, Heidrun Bluhm, Herbert Behrens, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE
Den Aufsichtsrat der Deutschen Bahn AG
kompetent und demokratisch besetzen
- Drucksache 17/2189 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ({1})
Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Reden zu
diesem Tagesordnungspunkt zu Protokoll zu nehmen. Ich sehe, Sie sind damit einverstanden. Es handelt sich
um die Reden folgender Kolleginnen und Kollegen:
Ulrich Lange und Hans-Werner Kammer für die Unionsfraktion, Uwe Beckmeyer für die SPD-Fraktion, Patrick
Döring für die FDP-Fraktion, Sabine Leidig für die
Fraktion Die Linke und Dr. Anton Hofreiter für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen auf
den Drucksachen 17/652 und 17/2189 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen.
Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann
sind die Überweisungen so beschlossen.
Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Donnerstag, den 1. Juli 2010, 9 Uhr, ein.
Die Sitzung ist geschlossen.