Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Die Sitzung ist wieder eröffnet.
Dem Kollegen Hans-Ulrich Klose, der vor wenigen
Tagen seinen 73. Geburtstag beging, möchte ich auch
von dieser Stelle aus im Namen des ganzen Hauses herzlich gratulieren und alles Gute wünschen.
({0})
Interfraktionell ist vereinbart worden, die verbundene Tagesordnung um die in der Zusatzpunktliste aufgeführten Punkte zu erweitern:
ZP 1 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktionen
der CDU/CSU und der FDP:
Bedrohliches Anwachsen linksextremer Straftaten in Deutschland
({1})
ZP 2 Weitere Überweisungen im vereinfachten Verfahren
Ergänzung zu TOP 35
Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Martina
Bunge, Cornelia Möhring, Caren Lay, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE
Versorgung durch Hebammen und Entbindungshelfer sicherstellen
- Drucksache 17/2128 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Gesundheit ({2})
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Arbeit und Soziales
ZP 3 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion der
SPD:
Auswirkungen des gescheiterten Bildungsgipfels auf die gemeinsame Bildungspolitik von
Bund und Ländern
ZP 4 Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz ({3}) zu
dem Antrag der Abgeordneten Ulrike Höfken,
Nicole Maisch, Cornelia Behm, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN
zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates betreffend die „Information der Verbraucher über
Lebensmittel“ KOM({4}) 40
hier: Stellungnahme gegenüber der Bundesregierung gemäß Artikel 23 Absatz 3 des Grundgesetzes
Lebensmittelinformation verbessern - Verbindliche Ampelkennzeichnung einführen
- Drucksachen 17/1987, 17/2185 Berichterstattung:
Abgeordnete Carola Stauche
Dr. Christel Happach-Kasan
Ulrike Höfken
ZP 5 Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Bärbel
Kofler, Sören Bartol, Dirk Becker, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Marktanreizprogramm und nationale Klimaschutzinitiative fortsetzen
- Drucksache 17/2119 Überweisungsvorschlag:
Haushaltsausschuss ({5})
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Von der Frist für den Beginn der Beratungen soll, soweit erforderlich, abgewichen werden.
Die Tagesordnungspunkte 26, 28, 32 c, 35 n und 36 l
werden abgesetzt.
Die für morgen als letzter Tagesordnungspunkt angekündigte Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion
Die Linke wurde zurückgezogen und entfällt.
({6})
Redetext
Präsident Dr. Norbert Lammert
Das eröffnet die Möglichkeit zur Begleitung anderer bedeutender nationaler Ereignisse.
Außerdem mache ich auf mehrere nachträgliche Ausschussüberweisungen im Anhang zur Zusatzpunktliste
aufmerksam:
Der in der 46. Sitzung des Deutschen Bundestages
überwiesene nachfolgende Gesetzentwurf soll zusätzlich dem Ausschuss für Arbeit und Soziales ({7}) zur Mitberatung überwiesen werden.
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die
Verwendung von Verwaltungsdaten für Wirtschaftsstatistiken und zur Änderung von Statistikgesetzen
- Drucksache 17/1899 überwiesen:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie ({8})
Innenausschuss
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Der in der 46. Sitzung des Deutschen Bundestages
überwiesene nachfolgende Antrag soll zusätzlich dem
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie ({9}) zur Mitberatung überwiesen werden.
Beratung des Antrags der Abgeordneten Cornelia
Behm, Undine Kurth ({10}), Agnes Malczak,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Kyritz-Ruppiner Heide in ihrer Einheit erhalten - Voraussetzungen für eine chancenreiche
Regionalentwicklung
- Drucksache 17/1989 überwiesen:
Verteidigungsausschuss ({11})
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Tourismus
Haushaltsausschuss
Die in der 46. Sitzung des Deutschen Bundestages
überwiesenen nachfolgenden Anträge sollen zusätzlich
dem Ausschuss für Tourismus ({12}) zur Mitberatung überwiesen werden.
Beratung des Antrags der Fraktion der SPD
Die Fußball-Weltmeisterschaft - Eine Chance
für Südafrika
- Drucksache 17/1959 überwiesen:
Auswärtiger Ausschuss ({13})
Sportausschuss
Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Ausschuss für Tourismus
Beratung des Antrags der Abgeordneten Frank
Schwabe, Dirk Becker, Marco Bülow, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Unsere Meere brauchen Schutz
- Drucksache 17/1960 überwiesen:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({14})
Auswärtiger Ausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Ausschuss für Tourismus
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Sind Sie mit diesen Vereinbarungen einverstanden? -
Das ist der Fall. Damit ist das so beschlossen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 3 a und 3 b auf:
a) - Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines …
Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes
({15})
- Drucksache 17/1939 - Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU, SPD und FDP eingebrachten Entwurfs eines … Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes ({16})
- Drucksache 17/1554 Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses ({17})
- Drucksache 17/2183 Berichterstattung:
Abgeordnete Ingo Wellenreuther
Michael Hartmann ({18})
Gisela Piltz
Jan Korte
b) - Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines
Gesetzes zur Weiterentwicklung der Organisation der Grundsicherung für Arbeitsuchende
- Drucksachen 17/1940, 17/2057 - Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU, SPD und FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur
Weiterentwicklung der Organisation der
Grundsicherung für Arbeitsuchende
- Drucksache 17/1555 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales ({19})
- Drucksache 17/2188 Präsident Dr. Norbert Lammert
Berichterstattung:
Abgeordnete Angelika Krüger-Leißner
- Bericht des Haushaltsausschusses ({20}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung
- Drucksache 17/2190 Berichterstattung:
Abgeordnete Axel E. Fischer ({21})
Bettina Hagedorn
Dr. Claudia Winterstein
Roland Claus
Alexander Bonde
Über den Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des
Grundgesetzes werden wir später namentlich abstimmen.
Außerdem liegt zu diesem Gesetzentwurf ein Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU, SPD
und FDP vor. Weiterhin hat die Fraktion Die Linke zu
dem Entwurf eines Gesetzes zur Weiterentwicklung der
Organisation der Grundsicherung für Arbeitsuchende einen Entschließungsantrag eingebracht.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache eineinviertel Stunden vorgesehen. - Ich
höre keinen Widerspruch. Dann können wir so verfahren.
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort der
Bundesministerin Dr. Ursula von der Leyen.
({22})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Weg
hin zu der Gesetzesvorlage, die wir jetzt beschließen
werden, war nicht einfach. Er war steinig und schwierig.
Diese wichtige Reform stand mehr als einmal auf der
Kippe. Alle in diesem Raum wissen, dass die Schwarzmaler unter uns so manches Mal Konjunktur gehabt haben. Ich freue mich umso mehr, dass wir nach zweieinhalb Jahren fruchtloser Streitereien und dann einigen
Monaten sehr konstruktiver Arbeit jetzt eine sehr moderne und gute Lösung und vor allen Dingen eine Lösung im Sinne der Menschen, vor allem der Arbeitslosen, gefunden haben.
({0})
Ich freue mich nicht nur, dass es gelungen ist, eine
Lösung über die Grenzen des Föderalismus hinweg, also
für Bund, Länder und Kommunen als Einheit, zu finden,
sondern ich freue mich auch, dass wir jetzt trotz aller
Hakeleien über die Parteigrenzen hinweg eine gute Reform auf den Weg bringen. Das zeigt einmal mehr, dass
unsere Demokratie intakt ist - und das ist in diesen
schwierigen Zeiten viel wert.
({1})
Es gibt ein schönes Wort von Victor Hugo. Er hat gesagt:
Nichts ist mächtiger als eine Idee, deren Zeit gekommen ist.
Ein großes Wort. Aber wir können es vielleicht auch für
diese große Jobcenterreform anwenden. Denn die Idee,
die dahinter stand, war: Wir alle haben die Erfahrung gemacht, dass es wichtig ist, bei der Vermittlung von Arbeitslosen in Arbeit vor Ort Gestaltungsspielraum zu haben, die Hilfen schnell, effizient und passgenau
anzubieten und aus einem Bündel von Maßnahmen das
Richtige wählen zu können. Wir hatten aber auch die
Grundfrage zu lösen: Wie kann man es, wenn vonseiten
des Bundes Milliarden investiert werden, so steuern,
dass das Geld effizient eingesetzt ist? Ich glaube, hier ist
uns etwas Außergewöhnliches gelungen: einerseits ein
hohes Maß an Freiheit und Gestaltungsspielraum in den
Jobcentern, andererseits eine ganz moderne Steuerung
nach Zielen mit Vergleichbarkeit der Daten, der Erfolge.
Das zeigt, dass wir bei der Modernität ein großes Stück
vorangekommen sind.
({2})
Erstens. Wir wollen einerseits Leistung aus einer
Hand. Es war eine viel diskutierte Frage, ob das gelingt,
unabhängig davon, ob vor Ort die Kommune oder die
Bundesagentur für Arbeit zuständig ist oder beide zusammenarbeiten.
Zweitens. Wir haben es mit einer modernen Zielsteuerung und Transparenz bei den Erfolgsmessungen geschafft, dass die Mittel so wirkungsvoll wie möglich
eingesetzt werden. Nicht die Masse der Mittel macht es,
sondern die Qualität der eingesetzten Mittel ist entscheidend.
Drittens. Wir haben einen guten Weg gefunden und
sagen: Eine schnelle, passgenaue Vermittlung sorgt dafür, dass die Fähigkeiten von Arbeitslosen zum Tragen
gebracht werden, dass die Arbeitslosen so gefördert werden, dass sie diese Fähigkeiten auch einsetzen können.
Das ist vor allem im Sinne der Menschen, die unsere
Hilfe brauchen.
({3})
Das Ziel „Alle Leistungen aus einer Hand“ ist in diesen schwierigen Zeiten erfüllt: Uns war wichtig, eine
Hand auszustrecken, damit die Mittel nicht für Unwirksames verschwendet werden und sich die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Jobcentern nicht im Wirrwarr
der Instrumente verheddern. Wir wollten vielmehr eine
Hand, die im richtigen Moment den Gestaltungsspielraum hat, um die richtige Hilfe für die einzelne Person
zu finden. Das ist hier heute gelungen.
Mir ist nicht wichtig - das will ich vonseiten des Bundes sagen -, in welcher Konstellation vor Ort gearbeitet wird, ob in einem Jobcenter in einer Optionskommune oder in einer gemeinsamen Verwaltung von
Bundesagentur für Arbeit und kommunaler Verwaltung.
Das Entscheidende ist, dass die Leistung vor Ort nicht
mehr vom Zufall abhängt - ob da engagierte Menschen
arbeiten oder nicht -, sondern dass wir überall in
Deutschland gleich hohe, qualitativ hochwertige Maß4952
stäbe anlegen, sodass wir überall in Deutschland auf
Knopfdruck vergleichen können: Wie sind die Erfolge?
Wie setzt sich das Jobcenter ein? Wie setzt es seine
Möglichkeiten ein? Das schafft Wettbewerb, vor allem
aber die Möglichkeit, von den Besten zu lernen. So geht
Fortschritt; nur so werden wir besser.
({4})
Ich weiß, dass es Diskussionen über das Ausmaß der
Mittel gegeben hat, die eingesetzt werden. Aber gerade
angesichts der Spardiskussionen ist es wichtig, festzuhalten: In diesem Land wird inzwischen jeder fünfte
Euro für die Schuldentilgung ausgegeben. In diesem
Land wird im Bundeshaushalt inzwischen jeder vierte
Euro kreditfinanziert ausgegeben. Wir sind also in einer
Zeit, in der wir konsolidieren müssen.
({5})
Wir sind in einer Zeit, in der wir uns, wenn wir nicht wie
Spanien, Portugal oder Griechenland an unseren eigenen
Schulden ersticken wollen, der schmerzhaften Anstrengung unterziehen müssen, zu schauen: Welche Aufgaben
sind sinnvoll? Man muss die Maßnahmen auf den Prüfstand stellen und die weniger wirksamen streichen. Das
ist in den letzten Tagen geschehen. Ich weiß, dass es hier
viel Diskussionsbedarf gibt; aber keinem einzigen Arbeitslosen in diesem Land ist geholfen, wenn dieses
Land an seinen Schulden erstickt, wenn wir durch die
Verschuldungsspirale, die immer weiter angetrieben
wird, in einer Inflation landen - Länder wie Griechenland, Spanien und Portugal erleben das jetzt. Wenn der
Sozialstaat in sich zusammenbricht, dann müssten das
auf bittere Weise die Menschen ausbaden, die eigentlich
die Hilfe des Sozialstaates bräuchten.
Der Sozialetat nimmt 55 Prozent des Bundeshaushalts
ein. In den nächsten vier Jahren schaffen wir es, zu konsolidieren, indem ein Anteil von 3 Prozent des Sozialetats eingespart wird. Das ist meines Erachtens eine
Leistung, die deutlich macht: Dieser Sozialstaat steht auf
festen Füßen. Wir wollen, dass das auch in Zukunft so
ist. Deshalb sind diese Schritte für die Zukunft richtig.
Vielen Dank.
({6})
Das Wort erhält die Kollegin Anette Kramme für die
SPD-Fraktion.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Frau Bundesministerin, ich bin dankbar dafür,
dass Sie einen Konnex zwischen der Jobcenterreform
auf der einen Seite und dem Sparpaket, das Sie verabschieden wollen, auf der anderen Seite hergestellt haben.
Es gibt gewisse Zusammenhänge. Eine Jobcenterreform
muss man gut machen. Ich behaupte: Wir sind diejenigen gewesen, deretwegen das Gesetz überhaupt zustande
gekommen ist.
({0})
Wir haben bei Ihnen ein einzigartiges Hickhack beobachtet.
Lassen Sie mich zunächst auf das Sparpaket eingehen. Sie haben etwas vor, das im Prinzip unvorstellbar
ist. Sie streichen die Mittel für die Arbeitsmarktpolitik
zusammen. Sie wollen aus Pflichtleistungen Ermessensleistungen machen. Gleichzeitig sagen Ihre Kanzlerin
und Ihre Bundesbildungsministerin deutlich: Die Bildungspolitik soll nicht zusammengestrichen werden. Ich
frage mich an dieser Stelle: Was ist Arbeitsmarktpolitik?
Arbeitsmarktpolitik ist Chancenpolitik. Arbeitsmarktpolitik ist Bildungspolitik für normale Arbeitnehmer und
Arbeitnehmerinnen.
({1})
Was Sie tun, ist verantwortungslos. Wir werden die
Konstellation vorfinden, dass aktive Arbeitsmarktpolitik ab dem nächsten Jahr nicht mehr stattfindet. Wir werden die Situation haben, dass Optionskommunen mit
leeren Händen dastehen. Die Jobcenterreform wird letztlich ausgehöhlt. Wir werden auch vor der Situation stehen, dass gerade in den von Ihnen unter besonderer Beobachtung stehenden Gruppen, nämlich den der
Alleinerziehenden, der Älteren und der Jugendlichen,
nichts mehr stattfindet, weil die Programme zusammengestrichen oder gekürzt werden. Wir haben dies alles in
diesem Jahr schon einmal erlebt. Wir haben erlebt, dass
Sie eine Haushaltssperre in Höhe von 900 Millionen
Euro veranlasst haben. Hätte es nicht unsere Bemühungen gegeben, wäre die Arbeitsmarktpolitik bereits in diesem Jahr vernichtet worden.
Lassen Sie mich etwas zu den Jobcentern sagen. Es
gibt eine Erzählung von Margarete von Navarra - heutzutage kennt sie fast niemand mehr -, deren Titel wie
folgt lautet:
Schlauheit eines Verliebten, der bei einer Mailänder
Dame unter der Maske ihres getreuen Dieners dessen sauer verdienten Liebeslohn einheimst.
Ich mag mir nicht anmaßen, zu entscheiden, ob dieser
Titel schon zu den Verhandlungen über die Jobcenter
passt. Auf jeden Fall passt ein geflügeltes Wort aus dieser Erzählung: Was lange währt, wird endlich gut.
Ich bin sehr dankbar dafür, dass wir in der Arbeitsmarktpolitik nicht vor der Situation stehen, dass die Arbeitsgemeinschaften auseinandergerissen werden. Wir
hätten dort Umstrukturierungsprozesse gehabt, die dazu
geführt hätten, dass Arbeitsvermittlung, also das, was für
den Einzelnen so entscheidend ist, für mindestens ein
Jahr nicht stattfindet. Wir sind sehr dankbar dafür, dass
wir es erreichen konnten, dass die Betreuung aus einer
Hand weiterhin stattfindet. Für Langzeitarbeitslose ist es
gut, dass sie nicht von Pontius zu Pilatus geschickt werden, nicht von einer Behörde zur anderen gehen zu müssen, einen Bescheid zu haben, gegebenenfalls einen Widerspruch einzulegen, nur einmal klagen zu müssen und
vor allen Dingen - das ist das Entscheidende - bei der
Arbeitsvermittlung aus einer Hand betreut zu werden.
Ich bin sehr dankbar dafür, dass wir es als SPD erreicht haben, dass im Rahmen dieser neuen Jobcenter einiges besser wird. Wir haben eine verbesserte Betreuung, weil wir es entgegen dem erbitterten Widerstand
der FDP erreicht haben, dass 3 200 Stellen entfristet
werden konnten. Das ist gut. Wir brauchen personelle
Kontinuität.
({2})
Ohne personelle Kontinuität kann es keine guten Leistungen bei der Arbeitsvermittlung geben.
Wir sind auch glücklich darüber, dass wir es erreichen
konnten - ebenfalls gegen den erbitterten Widerstand
der Koalition -, dass ein Betreuungsschlüssel festgeschrieben wird. Das ist noch nicht der Betreuungsschlüssel, den wir uns in letzter Konsequenz und für alle Ewigkeit vorstellen. Es gibt mittlerweile eine Reihe von
Untersuchungen, die belegen, dass der Betreuungsschlüssel ein ganz wichtiger Punkt ist. Das ist leicht
nachzuvollziehen: Bei einem günstigeren Betreuungsschlüssel kann man sich um den Einzelnen besser kümmern. Dann kann man ihn in seiner Persönlichkeit erfassen, seine Ängste aufgreifen, ihn besser motivieren, ihm
Tipps geben usw. Nach unserer Vorstellung kann das
deshalb nur der Anfang sein. Wir wollen letztendlich zu
einem Betreuungsschlüssel in der Größenordnung 1 : 75
kommen. Dann stünde für jeden Arbeitsuchenden alle
zwei Wochen etwa eine Stunde für die Betreuung zur
Verfügung. Ich denke, das ist ein guter Ansatz für die
weitere Arbeitsmarktpolitik.
Wir haben in der letzten Besprechung nochmals versucht, das Thema „Alleinerziehende“ aufzugreifen. Wir
haben gesagt: Es ist wichtig, dass gerade die Alleinerziehenden einen Arbeitsplatz finden, weil sonst auch Kinderarmut droht. Aber leider konnten wir auch hierbei
kein Engagement seitens der Bundesministerin beobachten. Auch hier war tote Hose angesagt. Es gibt keinerlei
Arbeit oder Entgegenkommen in diesem Bereich, was
mich sehr wundert.
Letztlich sind wir aber doch froh, dass wir diesen
Kompromiss in dieser Art und Weise gestalten konnten.
Wir wünschen uns, dass die Jobcenter nunmehr auf
Dauer beharrlich und gut arbeiten können. Wir werden
uns in der nächsten Zeit noch mit einigen anderen Themen der Arbeitsmarktpolitik befassen müssen.
Herzlichen Dank.
({3})
Dr. Heinrich Kolb ist der nächste Redner für die FDPFraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der
Volksmund sagt: Was lange währt, wird endlich gut. Ich
weiß nicht, ob die Steigerung auch gilt: Was länger dauert, wird umso besser. Ich glaube aber, dass wir heute,
am Ende eines langen Weges, sagen können, dass das,
was wir heute hier gemeinsam beschließen wollen, ein
guter Kompromiss ist.
Frau Kramme, deswegen will ich heute einmal das
Verbindende herausstellen, den Erfolg, den wir gemeinsam erreicht haben.
({0})
An einem so besonderen Tag wie dem heutigen ist es
wichtig, den Menschen nicht die Fortsetzung des Streites
zu liefern, nach dem Motto: Was hätte man alles noch
machen können? Wer hat was gefordert, aber nicht erreicht? Ich glaube, wir müssen auch einmal sehr deutlich
sagen: Unsere Demokratie funktioniert. Unsere Demokratie ist kein Strom, der wie in Kanälen immer geradeaus fließt, sondern das ist ein Strom, der manchmal auch
mäanderförmig verläuft, der sich in Kurven durch die
Zeit bewegt. Unsere Demokratie ist ein Strom, der
manchmal scheinbar steht, sich in Stromschnellen aber
doch recht flott bewegen kann.
({1})
Wir müssen den Menschen heute sagen: Trotz aller Differenzen, trotz des tagespolitischen Streits, trotz des
Zähneknirschens bei allen Beteiligten - je nach Thema ist es am Ende gelungen, die in organisatorischer Hinsicht aktuell größte sozialpolitische Herausforderung
zum Wohle der Menschen, vor allen Dingen zum Wohl
der Langzeitarbeitslosen in unserem Land, die künftig
auf bessere Leistungen aus einer Hand hoffen dürfen, zu
meistern.
Deswegen gilt mein persönlicher Dank denen, die
dazu beigetragen haben. Allen voran möchte ich Herrn
Staatssekretär Hoofe aus dem BMAS nennen, der die
Verhandlungen in kritischen Situationen, wenn es mal
hakte, mit geschickter Hand, mit guten Ideen und viel
Kreativität vorangebracht hat. Auch Frau Neifer-Porsch
und der Geschäftsstelle im Ministerium, die eine gute
Arbeit geleistet haben und die für die Verständigung notwendigen Papiere immer zeitnah zur Hand hatten, danke
ich.
Ich bedanke mich bei den Verhandlungsteilnehmern
auf allen Seiten. Ich will mit der SPD beginnen. Herr
Heil, bei Ihnen ganz persönlich, aber auch bei den Landesministern, die Sie begleitet haben, Frau Dreyer und
Herr Baaske, bedanke ich mich. Es war sehr angenehm,
mit Ihnen zusammenzuarbeiten. Ich will das Lob nicht
überdehnen, sonst schlägt es möglicherweise ins Gegenteil um.
({2})
Ich bedanke mich auch bei den Vertretern der B-Seite,
Herrn Beermann, Frau Haderthauer, und den Kollegen
aus dem Bundestag in der Koalition, dem Kollegen
Schiewerling und dem Kollegen Straubinger, mit denen
wir täglich viel zu tun haben.
({3})
- Bitte? Das habe ich jetzt nicht ganz verstanden, Frau
Kollegin Kramme.
({4})
Ich muss sagen: Das war eine gute Zusammenarbeit,
die erfolgreich war.
({5})
Jetzt bin ich nicht jemand, der wie Sie, Frau Kramme,
sagt: Na ja, zwei Jahre lang ging es nicht voran, dann
kam die FDP, und binnen sieben Monaten war das Problem gelöst.
({6})
Das wäre sicherlich nicht die ganze Wahrheit. Man muss
sagen: Alle haben sich am Ende bewegt. Ich will festhalten, dass nach einer grundsätzlichen Entscheidung in
Wiesbaden - an dieser Stelle geht mein Dank an den hessischen Ministerpräsidenten und auch den stellvertretenden hessischen Ministerpräsidenten, Jörg-Uwe Hahn -,
({7})
einer klaren Ansage, sozusagen dem Aufstellen eines
Stoppschildes sehr schnell Bewegung in die richtige
Richtung kam, die sich zu einer gemeinsamen Bewegung entwickelt hat. Man hat gesehen, wie zügig und
konstruktiv die Verhandlungen dann gelaufen sind.
Ich glaube, die Lösung, die wir heute haben - Herr
Oppermann, Sie nicken schon; Sie wissen doch noch gar
nicht, was ich sagen will -,
({8})
nämlich die Leistungserbringung aus einer Hand sicherzustellen, kann sich sehen lassen. Künftig wird es in
ganz Deutschland heißen: ein Bürger, ein Bescheid, übrigens auch ein Name für die Einrichtung.
({9})
Es wird nicht mehr Argen und Optionskommunen geben, sondern es gibt überall in Deutschland Jobcenter, an
die sich die Menschen wenden, wenn sie Unterstützung
in ihrer schwierigen persönlichen Lebenslage, der Langzeitarbeitslosigkeit, benötigen.
({10})
Die Verfassungsänderung wird mein Kollege
Christian Ahrendt gleich noch im Detail beleuchten.
Aber ich will so viel sagen: Ich glaube, es ist zum einen
eine sichere Grundlage für die Änderungen, die wir einfachgesetzlich vornehmen wollen, und es ist zum anderen etwas, das sich vor den Augen von Verfassungsästheten sehen lassen kann. Es ist - anders als die Lyrik,
die sich in der jüngeren Vergangenheit an der einen oder
anderen Stelle ins Grundgesetz eingeschlichen hat - eine
kurze, knappe und klare Formulierung. Ich bin damit zufrieden.
Zu den Jobcentern. Wir machen die gute Zusammenarbeit der letzten Jahre verfassungssicher. Aber wir ziehen auch dort Konsequenzen, wo wir Reibungsverluste
in der Praxis festgestellt haben. Ich finde das kooperative Steuerungsmodell, auf das wir uns verständigt haben, besonders wichtig. Es wird künftig sowohl bei den
Optionskommunen als auch bei dem Zusammenwirken
von Bundesagentur und Kommunen sozusagen ein übergeordnetes Dach und übrigens auch die Vergleichbarkeit
zwischen den beiden Wegen der Leistungserbringung,
dem Regelfall und dem Ausnahmefall der Option, sicherstellen.
Wir haben vernünftige Lösungsmechanismen bei
Konfliktfällen. In der letzten Phase der Gesetzgebung
haben wir bei einem kritischen Punkt, der Feststellung
der Erwerbsfähigkeit, eine, wie ich finde, sehr weise
Entscheidung getroffen, indem wir den Sozialmedizinischen Dienst der Rentenversicherung in das Verfahren
eingebunden haben. Insgesamt bin ich also mit dem, was
wir hier auf den Weg bringen, sehr zufrieden.
({11})
Hinsichtlich der Optionskommunen - das will ich
hier noch sagen - ist für uns Liberale besonders erfreulich, dass die Entfristung gelungen ist. Es war für uns ein
zentraler Punkt, dass - jetzt nicht nervös werden,
Hubertus Heil - für 41 bis 43 neue Kommunen,
({12})
je nach dem, wie die Gebietsreform in Sachsen läuft - deswegen nenne ich die 43; ansonsten wird an der Zahl 110
nicht gerüttelt -, die Möglichkeit, zu optieren, besteht.
({13})
Das Regel-Ausnahme-Verhältnis bleibt gewahrt. Die
Länder haben großen Einfluss auf die Verteilung der Optionskommunen, aber - das sage ich auch - sie stehen
jetzt auch in der Verantwortung. Ich sage das vor dem
Hintergrund, dass man zuletzt einen gewissen Run auf
die Option feststellen konnte. Für mich ist wichtig: Wir
haben in einer diese Gesetzgebung begleitenden Verordnung klare Kriterien festgelegt, die sicherstellen, dass
die Optionen nach Befähigung und nicht nach politischer
Couleur vergeben werden. Das heißt für mich: Der Wettbewerb zwischen den Modellen der Leistungserbringung
ist mit dem heutigen Tag nicht zu Ende, sondern er besteht fort. Ich glaube, dass wir, gerade weil die besten
Kommunen optieren und als Leuchttürme in unserer arbeitsmarktpolitischen Landschaft stehen werden, auch
auf Dauer einen wohltuenden, einen effizienzsteigernden
Wettbewerb zwischen den Systemen werden beobachten
können.
Ganz wichtig ist: Es gibt endlich auch Sicherheit für
die Mitarbeiter in den Argen und in den Optionskommunen. Es ist wichtig, dass auch an dieser Front Ruhe einkehrt, dass keine unnötigen Personalbewegungen mehr
stattfinden. Insgesamt sind wir also auf einem guten
Wege.
Was die getrennte Trägerschaft anbelangt, muss
man sagen: Die getrennte Aufgabenwahrnehmung wird
in Zukunft nicht mehr möglich sein. Aber wir haben immerhin - das finde ich auch gut - eine längere Übergangsfrist für diejenigen Kommunen verabredet, die
möglicherweise eine Option anstreben, nämlich bis zum
Ende des Jahres 2011.
({14})
Das ist gut. Das eröffnet auch diesen Kommunen noch
die Möglichkeit, sich neu zu orientieren.
Insgesamt lässt sich feststellen - ich will das Verbindende hervorheben -: Alle von uns hätten weitere Wünsche gehabt, was man in diese Gesetzgebung noch hätte
einfließen lassen können. Am Ende bleibt: Wir haben
gemeinsam eine Lösung gefunden und vorgelegt, auf die
wir auch gemeinsam stolz sein dürfen; das sollten wir an
diesem Tag herausstellen. Auch wenn es manchmal hakt,
am Ende geht es doch.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({15})
Das Wort erhält nun die Kollegin Sabine
Zimmermann, Fraktion Die Linke.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr
Kolb, wenn Sie sagen: „Was länger dauert, wird umso
besser“, dann sagen wir: Was nicht passt, wird von Ihnen
passend gemacht. Denn das war der Grundsatz, nach
dem Sie in den letzten Jahren gehandelt haben.
Vor rund zweieinhalb Jahren hat das Bundesverfassungsgericht festgestellt, dass die Arbeitsgemeinschaften aus Bundesagentur und Kommunen nicht mit der
Verfassung vereinbar sind - ausreichend Zeit, um sich
Gedanken zu machen, welche Konsequenzen und
Schlüsse man aus dem Urteil ziehen sollte, um die Arbeitsverwaltung verfassungskonform zu gestalten, aber
auch bestehende Mängel in der Betreuung und Vermittlung von Langzeiterwerbslosen zu beseitigen.
Was ist stattdessen passiert? Weder die Vorgängerregierung noch die aktuelle Regierung hatten Interesse daran, sich ernsthaft mit inhaltlichen Fragen der Arbeitsmarktpolitik zu befassen bzw. die Personen in den
Mittelpunkt zu stellen, um die es eigentlich gehen sollte,
nämlich die vielen erwerbslosen Menschen, die es in unserem Land leider gibt.
Anstatt die Arbeitsverwaltung so zu organisieren,
dass sie dem Grundgesetz entspricht, hat man sich dafür
entschieden, das Grundgesetz an die Realität anzupassen. Ich frage Sie: Wo leben wir denn, dass wir das
Grundgesetz an all dies anpassen? Wenn man in einem
Spiel nicht gut genug ist oder es nicht richtig versteht
und nur selten oder nie gewinnt, ändert man einfach die
Spielregeln, und das Problem ist gelöst. So handeln Sie,
meine Damen und Herren.
Doch hier handelt es sich leider nicht um ein Spiel. Es
geht um das Schicksal und die bittere Realität von Millionen erwerbslosen Menschen. Durch die vorliegenden
Gesetzentwürfe werden die Strukturfehler des Systems
Hartz IV überhaupt nicht beseitigt.
({0})
Nach wie vor gibt es die Einteilung der arbeitslosen
Menschen in zwei Klassen, nämlich in die, die das Glück
haben, Anspruch auf Betreuung nach dem SGB III zu
haben, und die, die diesen Anspruch schon verbraucht
haben und in Hartz IV abrutschen. Diese Ungleichbehandlung, meine Damen und Herren, ist unerträglich.
Das nehmen wir als Linke nicht hin.
({1})
Auch Frau Ministerin von der Leyen hat dieses
Thema vorhin angesprochen. Ihr Slogan war: Hilfe aus
einer Hand. Derzeit und auch in Zukunft werden es aber
viele Hände sein, die ganz unterschiedlich geführt und
mit unterschiedlich viel Geld gefüllt werden. Es bestehen Strukturen, bei denen es schwerfällt, den Überblick
zu behalten, sowohl für die Erwerbslosen als auch für
die Beschäftigten der Argen und Kommunen, die im Übrigen nicht zu beneiden sind. Sie befinden sich nämlich
schon seit vielen Jahren in einem dauerhaften Reformund Experimentierprozess mit ungewissem Ausgang.
Das haben Sie in den letzten Jahren veranlasst, meine
Damen und Herren.
Diese unübersichtlichen Strukturen sollen nun durch
ein „Weiter so!“ aufrechterhalten oder sogar noch ausgebaut werden. Die Kommunen haben im Moment die
Euro-Zeichen in den Augen. Angesichts des bevorstehenden Streichkonzerts von Frau Ministerin von der
Leyen in der Arbeitsmarktspolitik werden es jedoch bald
Tränen sein.
Durch die Erhöhung der Zahl der kommunalen Träger
wird es für die betroffenen Menschen noch schwerer, das
System zu durchblicken, und es wird zunehmend ein
Glücksspiel werden, wie gut man betreut und beraten
wird, welche Leistung oder Förderung man erhält oder
auch nicht. Die Linke zweifelt daran, ob Sie diesen arbeitsmarktpolitischen Flickenteppich überhaupt noch im
Griff haben werden. Jeder erwerbslose Mensch in diesem Land, egal, wo er wohnt, ob im Norden oder im
Süden, muss durch die Arbeitsmarktpolitik dieselben
Möglichkeiten erhalten. Mit den vorliegenden Gesetzentwürfen wird der begonnene falsche Weg fortgeführt
und ausgebaut.
Ich will auf die örtlichen Beiräte eingehen. Die
Funktion der örtlichen Beiräte bleibt auf unverbindliche
und symbolische Beratung beschränkt. Die Beiräte sind
deshalb nicht in der Lage, gegen Missbrauch oder Verdrängungseffekte zum Beispiel im Rahmen der 1-EuroJobs vorzugehen, und sie haben kein Vetorecht. Zudem
ist auch keine Vertretung von Betroffenen vorgesehen.
Zusammenfassend muss man feststellen, dass durch
die vorliegenden Gesetzentwürfe die Einteilung von arbeitslosen Menschen in zwei Klassen Armut und Stigmatisierung im Bereich von Hartz IV ausgebaut werden
und dass nicht nach einer Lösung gesucht wurde, wie
eine sinnvolle und sachlich richtige Betreuung und Vermittlung aussehen könnte. Sinn und Zweck von Hartz IV
bleiben weiterhin die Drangsalierung von erwerbslosen
Menschen und die Disziplinierung von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern im Betrieb. Deshalb lehnt die
Linke die Entwürfe in Gänze ab.
Wir fordern, dass endlich über die inhaltlichen Probleme der Arbeitsmarktpolitik in Deutschland gesprochen wird und Sie eine bessere Arbeitsmarktpolitik für
die erwerbslosen Menschen in diesem Land machen.
({2})
Durch das jüngste Kahlschlagprogramm wird mir aber
gezeigt, dass das wahrscheinlich ein frommer Wunsch
bleiben wird.
Danke.
({3})
Das Wort erhält nun der Kollege Karl Schiewerling
für die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine Damen und Herren! Die Zusammenlegung von
Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe vor etwas mehr als
fünfeinhalb Jahren war die größte steuerfinanzierte Sozialleistung, und das war richtig. Ich sage Ihnen: Sie war
unter dem Strich unverzichtbar, und sie bleibt unverzichtbar.
({0})
Bezogen auf dieses System wurde in den letzten fünf
Jahren viel dazugelernt. Weil es völlig neu war, dass
Kommunen und die Agentur für Arbeit plötzlich in einer
gemeinsamen Trägerschaft zusammenarbeiten sollten,
musste viel hinzugelernt werden. Man hat sich sozusagen wie zwei Igel angenähert: ganz vorsichtig. - Vor allen Dingen hat man die gegenseitigen Defizite kennengelernt. Über die Chancen, die sich daraus ergeben und
die sich im Laufe der letzten Jahre immer mehr herausgestellt haben, hat man erst viel später gesprochen.
Dass wir heute überhaupt eine solche Debatte führen
und die Verfassung mit der notwendigen Mehrheit ändern wollen, verdanken wir dem Bundesverfassungsgericht, das am 20. Dezember 2007 in einem Urteil entschieden hat, dass genau diese Zusammenarbeit - so,
wie wir sie organisiert haben - offensichtlich nicht mit
dem Grundgesetz vereinbar ist. Nachdem viele unterschiedliche Lösungswege vorgeschlagen wurden, liegen
dem Deutschen Bundestag heute ein Gesetzentwurf von
CDU/CSU, FDP und SPD, mit dem die notwendige Verfassungsmäßigkeit hergestellt wird, und der Entwurf eines Begleitgesetzes vor, in dem die zukünftigen Regelungen der Zusammenarbeit beschrieben werden.
Diese Jobcenter-Reform - das sage ich sofort -, die
wir heute durchführen, ist ein erster Meilenstein auf dem
Weg zu einer noch effektiveren Arbeitsmarktpolitik und
die erste Etappe für eine inhaltliche Runderneuerung
der Grundsicherung. Mit dieser Jobcenter-Reform verfolgen wir nur ein Ziel: die Schaffung der Rahmenbedingungen dafür, dass Langzeitarbeitslose wieder in Beschäftigung kommen, und zwar möglichst in den ersten
Arbeitsmarkt.
Das, was wir heute machen, ist das Ergebnis einer
großen Kraftanstrengung; das ist richtig. Deswegen will
auch ich in meiner Eigenschaft als Verhandlungsführer
der CDU/CSU-Fraktion den Partnern und den Mitwirkenden, unserer Bundesministerin Frau Dr. Ursula von
der Leyen, ihrem Staatssekretär, Herrn Hoofe, und seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern danken. Ich
danke sehr herzlich den Kolleginnen und Kollegen der
FDP, Herrn Kolb, der SPD, Herrn Kollegen Heil, den
Mitstreitern aus den Bundesländern und nicht zuletzt
meinem Kollegen Max Straubinger.
Die große Verantwortung für die Menschen in der
Grundsicherung hat uns gemeinsam das wichtige Etappenziel erreichen lassen. Verwaltungen sind kein Selbstzweck; sie haben den Menschen zu dienen. Die Jobcenter-Reform richtet sich darum an den Bedürfnissen der
Menschen aus: Hilfe aus einer Hand, aber die Behörde
bleibt angebunden an ihre entsendenden Träger und an
diejenigen, die sie tragen. Sie bleibt angebunden an die
Kommune und an die BA.
In den letzten Jahren musste viel zu viel Energie aufgewandt werden, um behördeninterne Probleme lösen zu
können. Deswegen ist es, glaube ich, wichtig, dass wir
von jetzt an sehr konsequent die Menschen in den Mittelpunkt stellen. Die Grundvoraussetzungen dafür werden wir heute schaffen.
Erstens. Das Prinzip „Hilfe aus einer Hand“ bleibt der
bewährte und zielführende Weg. Sie wird durch die
Grundgesetzänderung ermöglicht.
Zweitens. Die optimale Hilfe durch Fördern und Fordern wird konsequent fortgeführt und rechtssicher
ausgestaltet. Wir setzen dabei klar auf die lokalen Kompetenzen vor Ort. Die bisherigen Optionskommunen
werden entfristet, und 41 weitere Optionskommunen
kommen hinzu. Ich halte das für einen wichtigen Schritt.
Lassen Sie mich sehr deutlich sagen: Das hat viel mit
unserem Föderalismus und dem Prinzip der Subsidiarität
zu tun; es hat nichts mit einem Flickenteppich zu tun.
Augenscheinlich ist die Option so interessant, dass selbst
Kommunen, in denen die Linken mitregieren, optieren
wollen. Ich empfehle Ihnen dringend, sich einmal die
Frage zu stellen, warum dies der Fall ist.
({1})
Drittens. Bund, Länder und Kommunen agieren in
Zukunft als verantwortliche Partner auf Augenhöhe. Das
ist ein wichtiger Punkt; denn es hat in den vergangenen
sechs Jahren immer wieder zu Problemen geführt, inwieweit man gleichberechtigt und auf Augenhöhe zusammenarbeitet. Das schaffen wir. Der Bund behält seine
Richtlinienkompetenz. Ich denke, dass einer der zentralen Punkte dieser Reform den Teil betrifft, der am ehesten unten wegbricht.
Wir werden eine völlig neue Steuerung schaffen. Wir
werden nicht mehr durch Detailvorgaben bis ins Letzte
steuern, sondern durch ein vernünftiges Benchmarking
mit vergleichbaren Zahlen. Damit beenden wir die Diskussion im Konkurrenzwettbewerb zwischen Optionskommunen und Jobcentern und ermöglichen damit
Vergleichbarkeit. Letztendlich dient sie allen als gemeinsamer Ansporn, die Dinge gut zu machen.
Ich denke, die Reform führt zu guten Ergebnissen. Ich
bin fest davon überzeugt, dass wir den Menschen damit
konkret helfen können. Dazu zählt auch, dass wir den
Betreuungsschlüssel verbessern. Ich halte die Entscheidung, die wir getroffen haben, für wichtig; denn eine
weitere Erfahrung der letzten fünf Jahre ist, dass es immer mehr darauf ankommt, den betroffenen Menschen
individuell zu helfen. Dabei helfen keine Pauschalprogramme; notwendig ist die unmittelbare, direkte Zuwendung zu den Menschen. Deswegen ist auch diese Entscheidung von zentraler Bedeutung.
Aber wie ich vorhin gesagt habe: Es ist die erste
Etappe. Die nächsten beiden Etappen werden so aussehen, dass wir uns im Herbst dieses Jahres mit den Regelsätzen und den Hinzuverdienstgrenzen zu beschäftigen
haben. Aufgrund des Bundesverfassungsgerichtsurteils
vom 9. Februar dieses Jahres stehen dabei die Interessen
und die Lebenssituation der Kinder und der Bildungsauftrag für die Kinder, die im Leistungsbezug der
Grundsicherung sind, im Mittelpunkt. Damit, liebe Frau
Kramme, geht es eben nicht um weniger Geld für Bildung, sondern um mehr.
({2})
Es wird genau zu prüfen sein, wie wir die Mittel, die
längst vorgesehen sind, an der richtigen Stelle einsetzen,
nämlich so, dass sie den Kindern im Leistungsbezug tatsächlich zugute kommen.
({3})
Wenn es um die Frage der Hinzuverdienstgrenzen
geht, werden wir auch darüber zu reden haben, wie wir
das Lohnabstandsgebot einhalten und sicherstellen, dass
diejenigen, die arbeiten, mehr haben, als diejenigen, die
nicht im Erwerb sind, damit die Leistungsbereitschaft in
Deutschland erhalten bleibt und die Erzieherinnen und
Kindertagesstättenleiterinnen ebenso wie die Krankenschwester und alle anderen merken, dass sich Arbeit
auch bei einem geringeren Einkommen lohnt.
Meine Damen und Herren, der dritte Baustein, den wir
im Frühjahr nächsten Jahres angehen werden, ist die Umstrukturierung der arbeitsmarktpolitischen Instrumente und damit der Hilfsmittel, die notwendig sind, um
Menschen in Beschäftigung zu bringen. An diesem zentralen Punkt wird deutlich, wofür das SGB II eigentlich
geschaffen wurde. Es wurde geschaffen, um den Menschen, die der besonderen Hilfe bedürfen, alle Hilfen an
die Hand geben zu können, damit sie wieder in den ersten
Arbeitsmarkt kommen. Aber wohlgemerkt: Die Grundsicherung nach dem SGB II schafft keine Arbeitsplätze,
sondern will helfen; sie fängt die Menschen in einer
Grundsicherung auf. Dann müssen wir ihnen mit aller
Kraft helfen, wieder in Beschäftigung zu kommen. Deswegen steht die Organisation dieser Hilfsmittel, dieser,
wie wir sagen, arbeitsmarktpolitischen Instrumente im
Mittelpunkt der nächsten Schritte, die wir gehen werden.
Meine Damen und Herren, ich bin fest davon überzeugt, dass wir mit der heutigen Entscheidung erreichen
werden, für Hartz IV, wenn ich das etwas vulgär so sagen darf, oder die Grundsicherung für Arbeitsuchende,
um es neutral auszudrücken, eine neue Perspektive zu
eröffnen. Ich bitte Sie deswegen sehr herzlich, dem Gesetzentwurf heute zuzustimmen, weil das Gesetz letztendlich den Menschen dienen wird.
({4})
Das Wort erhält nun die Kollegin Brigitte Pothmer für
die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich finde
es richtig schön und freue mich, dass die Einigung über
die Jobcenter heute parteiübergreifend gepriesen wird.
Es ist in der Sache auch eine gute Einigung, das will ich
gar nicht verhehlen. Die Einigung ist in der Sache vor allen Dingen für die Arbeitslosen gut, und deswegen ist sie
auch ein Erfolg.
({0})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn aber alle sich
heute zu Müttern und Vätern des Erfolgs aufschwingen
und so tun, als hätten sie so viel dazu beigetragen, dann
stellt sich doch die ganz schlichte, logische Frage: Warum sind wir nicht schon vor zwei Jahren durchs Ziel gegangen?
({1})
Selten ist eine Niederlage so euphorisch gefeiert worden,
wie es jetzt die Regierungskoalition tut; denn in ihrem
Koalitionsvertrag steht ja noch, dass ihr Ziel darin besteht, die Jobcenter zu zerschlagen.
({2})
Wirklich zu diesem Erfolg beigetragen haben die Ausdauer der Kommunen, der Länder und der Träger und
die Argumentation der Fachleute. Es gab nur wenige
Parlamentarierinnen und Parlamentarier, die diesen Erfolg wollten.
Wir unterstützen die Reform der Jobcenter, die von
Anfang an - Sie werden sich erinnern - das Ziel der
Grünen nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts
war. Deswegen werden wir dieser Grundgesetzänderung
auch zustimmen.
({3})
- Herr Kolb, cool down, Baby!
({4})
Ihrem Entwurf eines Begleitgesetzes werden wir aber
nicht zustimmen. Dieser ist von einem einzigen Wunsch
geprägt. Er ist von dem Wunsch geprägt, die politischen
Geländegewinne der jeweils anderen Seite so gering wie
möglich zu halten. Dieses Verhalten hat dazu geführt,
dass sehr viele Chancen für die Betroffenen vertan worden sind.
Warum - das frage ich Sie, Frau Kramme - konnte
Ihre Seite sich nicht dazu entscheiden, den Kommunen
Wahlfreiheit zu geben und sie selbst entscheiden zu lassen, in welcher Organisationsstruktur sie die Langzeitarbeitslosen betreuen wollen?
({5})
Stattdessen steht jetzt eine willkürlich gegriffene Zahl
im Entwurf Ihres Begleitgesetzes. Ich wünschte mir, Sie
würden einmal in der Sache begründen, warum Sie auf
110 Optionskommunen kommen. Das ist nichts anderes
als parteipolitische Gesichtswahrung. Dann machen Sie
auch noch ein Zweidrittelquorum zur Voraussetzung,
um sich überhaupt als Optionskommune bewerben zu
können. Das alles sind nichts als Verhinderungsinstrumente, und diese Verhinderungsinstrumente untergraben
die kommunale Entscheidungshoheit.
({6})
Aber nicht nur bei den Optionskommunen zeigen Sie
sich halbherzig, auch bei den Jobcentern werden dringend notwendige Korrekturen außen vor gelassen. Wir
wissen seit Jahren, dass die kommunalen Kompetenzen
dringend gestärkt werden müssen, wenn Agentur und
Kommunen tatsächlich auf Augenhöhe arbeiten sollen.
Was machen Sie stattdessen? Stattdessen reduzieren Sie
die kommunale Seite auf die Bereiche der Kosten der
Unterkunft und auf die flankierenden Sozialleistungen.
Das geht an den Erfordernissen - Stichwort: Hilfe aus einer Hand - vorbei.
Jetzt will ich etwas zu dem Betreuungsschlüssel sagen. Ja, ich finde es gut, dass der Betreuungsschlüssel
zum ersten Mal in einem Gesetzentwurf festgeschrieben
worden ist. Aber solange die Formulierung so offen
bleibt, wie sie jetzt im Gesetzentwurf steht, ist es ganz
einfach, auch anderes Personal mit einzurechnen.
({7})
Arbeitgeberservice, Empfangspersonal, Aktenboten sie alle können in die Berechnung des Betreuungsschlüssels einfließen. Solange dies so ist, wird sich qualitativ
an der Betreuung von Arbeitslosen nicht wirklich etwas
ändern. Wenn Sie bei den Ausschussanhörungen zugehört haben, dann wissen Sie, dass genau in dieser Frage
eine Präzisierung gefordert worden ist. Diese sind Sie
schuldig geblieben. Ich halte das nicht für einen Zufall.
Zusammengefasst: Ihre Reform ist mutlos und lückenhaft.
({8})
Deswegen, Herr Kolb, bei aller Liebe:
({9})
Wir werden ihr nicht zustimmen. Wir werden uns in dieser Frage enthalten.
Lassen Sie mich nun bitte etwas zu dem Sparpaket
sagen, weil dieses Sparpaket die Grundsicherung zusätzlich torpediert. Frau von der Leyen, Sie wollen die Mittel
für die Arbeitsmarktpolitik drastisch reduzieren, und
zwar auf das Niveau von 2006. Das heißt, dass zukünftig
nur noch 4,5 Milliarden Euro jährlich für Qualifizierung
und Integrationsarbeit zur Verfügung stehen werden.
Das ist eine satte Reduzierung, ein Minus von 30 Prozent. Es gibt wirklich keine andere Gruppe, die derartig
geschröpft worden ist wie die Arbeitsuchenden. Das ist
nicht nur ungerecht, Frau von der Leyen, das ist auch
eine volkswirtschaftliche Milchjungenrechnung;
({10})
denn Sie werden das Mehrfache der Mittel, die Sie jetzt
nicht in die Arbeitslosen investieren, für die Alimentierung der Arbeitslosen zahlen. Nichts ist teurer als Arbeitslosigkeit.
({11})
Sie haben immer betont, dass bei Bildung nicht gestrichen wird. Warum gilt das nicht für die Arbeitslosen?
({12})
Was ist denn Investition in Bildung anderes als Qualifizierung, Umschulung und Förderung von Arbeitslosen?
Sie selber haben immer vor dem Horrorszenario gewarnt, dass wir auf der einen Seite einen exorbitanten
Fachkräftemangel haben, auf der anderen Seite gleichzeitig eine hohe Arbeitslosigkeit. Ich frage Sie: Warum
unterlassen Sie es dann, die Arbeitslosen jetzt zu Fachkräften auszubilden? Sie haben immer die Ausgewogenheit des Sparpakets betont. Sie haben das Sparpaket damit verteidigt, dass Ihr Haushalt zwar die Hälfte des
Bundesetats ausmacht, aber Sie nur zu einem Drittel an
dem Sparpaket beteiligt sind. Die Frage der Gerechtigkeit, Frau von der Leyen, stellt sich aber nicht bei den
betroffenen Haushalten, die Frage der Gerechtigkeit
stellt sich bei den betroffenen Menschen. Auf diesem
Sparpaket klebt der kalte Stempel der FDP.
({13})
Sie hätten sich vor Ihre Schutzbefohlenen stellen müssen, Frau von der Leyen. Sie haben sie aber im Stich gelassen.
({14})
Ich frage Sie: Auf welches Alarmsignal warten Sie
noch, wenn sich jetzt schon Millionäre bei der Regierung darüber beschweren, dass sie nicht genug Steuern
bezahlen? Es war kein Linksradikaler, sondern Augustinus, der vor mehr als 1 000 Jahren gesagt hat, dass Staaten nichts als große Räuberbanden seien, wenn sie die
Gerechtigkeit preisgäben.
Ich kann nur sagen: Unter diesen Umständen wird für
uns Grüne die Grundsicherung ein politischer Dauerbrenner bleiben müssen.
Ich danke Ihnen.
({15})
Angelika Krüger-Leißner ist die nächste Rednerin für
die SPD-Fraktion.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Mit dem heutigen Beschluss zur Neuorganisation der Grundsicherung ist endlich der Knoten geplatzt,
der sich seit der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts um den Fortbestand der Argen und der Optionskommunen gelegt hatte.
Ich bin froh, dass wir dieses Ergebnis nach langem
Ringen heute vorlegen können. Froh sind im Übrigen
auch die vielen Betroffenen vor Ort, so die Mitarbeiter in
der Arge Havelland und in der Optionskommune Oberhavel bei mir zu Hause. Mit diesen bin ich mir einig,
dass dies ein guter Tag für die Beschäftigten ist. Vor allen Dingen ist dies ein guter Tag für alle erwerbsfähigen
Hilfeempfänger in der Grundsicherung.
Das Damoklesschwert der getrennten Aufgabenwahrnehmung schwebt nicht mehr über uns. Nach langem Zickzackkurs, den auch Sie mitgemacht haben,
Frau von der Leyen, gibt es nun das zukunftsfähige Modell der neuen Jobcenter. Schon der Name sagt, dass es
hierbei in erster Linie um gute Beratung und Vermittlung
geht, wobei alles unter einem Dach organisiert ist, also
alles aus einer Hand. Das Hin und Her für die Betroffenen hört auf. Es gibt einen Ansprechpartner, der den Arbeitsuchenden zur Seite steht. Das war immer das Ziel.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist klar, wenn
sich die Blockadehaltung von Teilen der Koalitionsfraktionen durchgesetzt hätte, dann läge heute ein Scherbenhaufen vor uns. Die schleichende Lähmung durch Verunsicherung und Orientierungslosigkeit hätte zu einem
Chaos im Bereich der Grundsicherung geführt. Stattdessen hat sich noch rechtzeitig - ich schaue nach rechts in den Koalitionsfraktionen die Vernunft durchgesetzt.
Ich will ganz deutlich sagen: Ohne die Entsperrung
der 900 Millionen Euro Eingliederungsmittel im Haushalt und ohne die Entfristung der 3 200 Stellen wäre es
mit uns nicht gegangen.
Heute liegt uns ein Konsensbeschluss zur neuen Organisation der Jobcenter und Optionskommunen vor,
den auch die Länder mittragen werden. Leider war das
2004 nicht der Fall. Das hätte uns so manches erspart.
({0})
Dass dieser Konsens möglich wurde, haben wir der
gemeinsamen Bund-Länder-Arbeitsgruppe zu verdanken
und auch dem Verhandlungsgeschick einzelner Akteure.
Einige wurden schon gelobt. Herr Kolb, es ist doch ganz
klar, dass ich an dieser Stelle unserem Verhandlungsführer, Hubertus Heil, ganz herzlich danke. Hubertus, ohne
dich wäre es nicht so erfolgreich verlaufen. Danke!
({1})
Wir konnten zwar nicht hundertprozentig unsere Vorschläge, die wir schon vor über einem Jahr mit dem
ZAK-Modell vorgelegt haben, umsetzen, aber vieles von
dem ist nun Bestandteil des Gesetzespaketes.
Was ist uns so wichtig an diesem Paket? Erstens haben
wir Entscheidendes für die Verbesserung der Vermittlung erreicht. Mit dem verbindlichen Betreuungsschlüssel von 1 : 75 bzw. 1 : 150 wird es den Fallmanagern - ich
verwende dieses Wort ganz bewusst, Frau Pothmer besser gelingen, individueller und passgenauer zu beraten, zu begleiten und zu vermitteln.
Ich mache kein Geheimnis daraus, dass wir dies auch
bei anderen Zielgruppen für erforderlich halten. Ich
nenne nur die 645 000 Bedarfsgemeinschaften bei den
Alleinerziehenden, die Ihnen, Frau Ministerin, doch immer so erwähnenswert sind, die älteren Langzeitarbeitslosen und die Schwerbehinderten.
Ohne Frage können wir mit dem neuen Betreuungsschlüssel ein Stück mehr Qualität in die Vermittlung
bringen. Aber zwei Dinge gehören noch dazu - das dürfen wir nicht vergessen -, zum einen eine Qualifizierungsoffensive für die Mitarbeiter in den Jobcentern und
in den Optionskommunen; denn nur wer gut ausgebildet
und motiviert ist, kann sich den Anforderungen stellen.
Zum anderen gehört zum Prinzip der Leistung aus einer
Hand auch eine volle Hand.
({2})
Da gehen Sie, Frau von der Leyen, mit Ihren Vorschlägen zum Sparpaket aber in die andere Richtung.
Sie wollen nämlich genau bei denjenigen einsparen, die
ohnehin schon nicht sehr viel haben und auf staatliche
Hilfe angewiesen sind. Mit einem Lächeln und Ihrem
Rotstift gehen Sie an die Rentenversicherungsbeiträge
und das Elterngeld heran und machen Pflicht- zu Ermes4960
sensleistungen, um in die aktive Arbeitsmarktpolitik ungehindert mit Kürzungen eingreifen zu können. Das ist
ziemlich schäbig; denn das wird gerade die Menschen
treffen, denen Sie schon vor Monaten eine Vermittlungsoffensive versprochen haben, nämlich jungen Menschen
und Alleinerziehenden.
({3})
Ich denke, das hat mit sozialer Gerechtigkeit nichts zu
tun. Diese Sparpläne zulasten der Schwachen in unserem
Land sind Kürzungspläne, und die müssen wir verhindern.
Zu den positiven Inhalten unseres Gesetzespakets
zähle ich weiter die Verständigung aller auf den Rentenversicherungsträger in der Frage der Zuständigkeit für
die Feststellung der Erwerbsfähigkeit - das ist sachgerecht -, aber auch die Verständigung auf die gemeinsame
Personalvertretung für die Mitarbeiter in den Jobcentern.
Gut ist, dass es uns gelungen ist, die Übergangsfrist für
die bisher getrennten Aufgabenträger zu verlängern. Das
ist besonders für Baden-Württemberg wichtig.
({4})
Meine Kollegin Katja Mast, die gerade „Genau!“ rief,
hat sich dafür stark gemacht, dass diese Träger keine Benachteiligung erfahren und nun frei entscheiden können.
Katja, ich danke dir.
({5})
Zum Letzten, zur Option, möchte ich noch einige
Worte verlieren. Mit unserer Grundgesetzänderung verankern wir auch das Regel-Ausnahme-Verhältnis. Der
Regelfall, nämlich mit 75 Prozent, bleibt die gemeinsame Aufgabenwahrnehmung im Jobcenter. Die 69 Optionskommunen werden nach der Entfristung auf Dauer
bestehen können. Zum Kompromiss gehört auch die Erhöhung der Zahl der Optionskommunen um 41. Damit
sind es 110, die - das zur Erklärung für Frau Pothmer 25 Prozent ausmachen. Das ist eben die Ausnahme.
({6})
Darauf machen wir heute auch verfassungsrechtlich den
Deckel. Mehr ist da nicht drin.
Alles in allem, denke ich, ist es ein Kompromiss, mit
dem wir zufrieden sein können. Viele Kinderkrankheiten
der Argen konnten wir heilen und mehr Transparenz in
die Organisation bringen. Wir haben eine Reform gestaltet, die den Namen „Reform“ verdient. Jetzt bringen wir
sie auf den Weg.
Danke.
({7})
Für die FDP-Fraktion erhält nun das Wort der Kollege
Christian Ahrendt.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Kolleginnen
und Kollegen! Wir ändern gleich die Verfassung. Die
Hinzufügung des Art. 91 e ist sicherlich zunächst einmal, einfach betrachtet, keine Besonderheit, weil das
Grundgesetz schon mehrfach Änderungen im Staatsorganisationsrecht hinter sich hat. Gleichwohl ist es eine
Besonderheit, weil wir das im Nachgang zu einer verfassungsgerichtlichen Entscheidung tun, mit der uns gesagt
worden ist, dass die Mischverwaltung, die auf den Weg
gebracht worden war, verfassungswidrig ist. Es ist zunächst einmal ein durchaus bemerkenswerter Vorgang,
wenn man sich dann nicht an eine solche Rechtsprechung hält, sondern im Nachgang dazu eine verfassungsrechtliche Änderung vornimmt. Deswegen muss klar
sein, dass dies die absolute Ausnahme bleiben muss.
Hier erfolgte sie für das Ziel, an der guten Idee der Arbeitsgemeinschaften und der Jobcenter auch in Zukunft
festhalten zu können.
Ein zweiter Punkt, den ich an dieser Stelle nennen
muss: Von dem eigentlichen Prinzip, das man in den
letzten Jahren bei der Organisation unseres Staatsrechts
verfolgt hat, weicht man natürlich ein Stück weit wieder
ab.
Ziel war es, eine klare Aufgabenzuständigkeit zu
schaffen. Das ist insbesondere ein Anliegen der Föderalismuskommission I gewesen. Der Bürger sollte wissen,
wer zuständig ist für welche Aufgaben. Mischverwaltung vermischt Zuständigkeiten und schafft hinsichtlich
der Zuordnung bzw. der Wahrnehmung, wer für das, was
zu tun ist, tatsächlich verantwortlich ist, eine gewisse
Unklarheit. Auch deswegen kann es nur eine Ausnahme
bleiben, eine solche Änderung, wie wir sie heute beschließen wollen, vorzunehmen.
Richtig ist die Änderung deswegen, weil ihr Vorzug
eben darin liegt, dass durch die Zusammenlegung von
Sozialhilfe und Arbeitslosengeld I Langzeitarbeitslosen
geholfen wird, aus Arbeitslosigkeit herauszukommen
- das war ja ursprünglich Ziel der Hartz-Reformen -,
und die Arbeitsverwaltung ein Stück weit näher an die
Menschen herangebracht wird. Von daher begrüße ich
es, dass wir 41 Optionskommunen dazubekommen,
wenn wir uns auch eine wesentlich stärkere Ausdehnung
dieser Möglichkeit gewünscht hätten. Ein Grund für den
Erfolg, den die Arbeitsgemeinschaften und die Optionskommunen in den letzten Jahren erzielen konnten, liegt
nämlich darin, dass die Arbeitsverwaltungen durch die
Reformen näher an die Menschen herangekommen sind.
Deswegen tragen wir die Verfassungsänderung mit.
Deswegen halten wir sie für richtig. Wir sagen aber ganz
deutlich: Dieser Weg muss die Ausnahme bleiben.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
({0})
Nächste Rednerin ist die Kollegin Katja Kipping für
die Fraktion Die Linke.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Damen und Herren! Mit diesem Gesetzentwurf bringen wir die Kommunen in eine
widersprüchliche Situation. Sie müssen sich entscheiden: Entweder werden sie Optionskommune, übernehmen also die Betreuung der Langzeiterwerbslosen in Eigenregie - und das in Zeiten, in denen der Bund immer
mehr Aufgaben auf die Kommunen abwälzt, gleichzeitig
aber die Steuereinnahmen der Kommunen deutlich sinken -, oder aber sie entscheiden sich für die Zusammenarbeit mit der real existierenden Bundesagentur, die
wahrlich nicht in bestem Zustand ist.
({0})
Vor solch eine Alternative gestellt, haben die Kommunen eigentlich keine richtige Wahl.
({1})
So, wie die Bundesagentur nach den Hartz-Reformen aufgestellt ist, die die meisten der hier vertretenen
Parteien zu verantworten haben, ist es, wie ich finde, sogar zutiefst verständlich, dass sich manche Kommune
dafür entscheidet, Optionskommune zu werden. Infolge
der Hartz-IV-Reform ist die Bundesagentur nämlich vor
allen Dingen betriebswirtschaftlich ausgerichtet worden.
Das heißt, jeder, der eine Dienststelle der BA betritt,
wird als Kunde in Kategorien eingeteilt, in seinen Rechten durch Sanktionen beschnitten, und die Mitarbeiter
der BA sind einer ständigen Evaluation unterworfen, stehen also unter Vergleichsdruck. Und wehe, sie sparen
nicht genauso viel durch Sanktionen ein wie das Nachbarjobcenter! All das ist Ausdruck einer betriebswirtschaftlichen Ausrichtung.
Wir Linke meinen jedoch: Die Bundesagentur muss
wieder einen sozialpolitischen Auftrag erhalten. Für uns
ist deswegen ganz klar: Es darf nicht mehr um Evaluationskerngrößen gehen, sondern darum, dass jeder, der
eine Erwerbsarbeit sucht, dabei auch bestmöglich unterstützt wird. Das heißt, dass wir sicherstellen müssen,
dass für jeden das Grundrecht auf ein Existenzminimum
gesichert wird, wie es uns ja auch das Bundesverfassungsgericht ins Stammbuch geschrieben hat.
({2})
Anders als die Kommunen könnten wir als Gesetzgeber sehr wohl die Ausrichtung der Bundesagentur verändern. Ich glaube, wenn Sie unsere Vorschläge aufgreifen
würden, würde es vielen Kommunen leichter fallen, sich
für die Zusammenarbeit mit der Bundesagentur zu entscheiden. Das ändert nun nichts an der grundsätzlichen
strukturellen Entscheidung, der wir uns heute stellen
müssen.
In diesem Zusammenhang möchte ich noch einmal
auf die Begleitforschung zurückkommen, die im Auftrag
der Bundesregierung jahrelang durchgeführt worden ist.
Durch sie kam schon sehr Kritisches zur realen Praxis
der Optionskommunen zum Vorschein. Im Abschlussbericht findet sich zum Beispiel eine entscheidende Zahl.
Da heißt es, wenn man sich deutschlandweit für eine
Strukturform, zum Beispiel für die Arge-Struktur entschiede, dann wären Einsparungen von bis zu 3,3 Milliarden Euro möglich. Das ist ein Einsparpotenzial, das
Sie sich entgehen lassen, weil Sie sich für das Modell
„Flickenteppich“ entscheiden. Ich finde, das ist eine falsche Entscheidung.
({3})
In den Anhörungen im Ausschuss wurden sehr viele
detaillierte Kritikpunkte angesprochen. Ich kann aus
Zeitgründen leider nur zwei kurz erwähnen.
Erster Kritikpunkt: Der vorliegende Gesetzentwurf
sieht keine Beschäftigungsgarantie für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter vor. Das heißt, es gibt für sie weiterhin eine unsichere Arbeitssituation. Sie glauben doch
nicht ernsthaft, dass das keine Auswirkungen auf die
Beratungsqualität hat. Die Unsicherheit für die Beschäftigten wird die Beratungsqualität natürlich deutlich verschlechtern. Ich finde, hier hätten Sie nachbessern müssen.
({4})
Zweiter Kritikpunkt: die vorgesehenen öffentlichen
Beiräte. Ich finde es sehr ärgerlich, dass in diesen Beiräten die Vertretung von Betroffenen nicht vorgesehen ist.
Auf die Expertise des Alltags und auf die Erfahrungen
von Menschen, die Hartz IV am eigenen Leib erfahren,
können wir nicht verzichten.
({5})
Um es zusammenzufassen: Die heutigen Reformen,
die die Mehrheit hier beschließen wird, gehen am eigentlich Notwendigen vorbei. Wir als Linke finden, Folgendes tut in der Auseinandersetzung mit der Erwerbslosigkeit not: erstens einen Mindestlohn einzuführen,
zweitens Sanktionen und Bedarfsgemeinschaften abzuschaffen und drittens den Regelsatz deutlich zu erhöhen.
Ferner brauchen wir mehr öffentliche Beschäftigung und
eine Umverteilung der vorhandenen Erwerbsarbeit durch
konsequente Arbeitszeitverkürzung.
Herzlichen Dank.
({6})
Das Wort hat nun für die CDU/CSU-Fraktion der
Kollege Thomas Dörflinger.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist gut,
wenn wir, von wenigen Ausnahmen abgesehen, die De4962
batte über die Organisationsreform im Bereich des
Sozialgesetzbuches II in einem Grundtenor führen, der
erkennen lässt, dass wir das Ergebnis gemeinsam über
Fraktionsgrenzen hinweg erreicht haben. Denn wir sollten schon den Mut haben - diesen Gedanken von Gesine
Schwan greife ich gerne auf -, einerseits zuzugeben,
dass die Verhandlungen nicht ganz einfach waren, und
andererseits diese Organisationsreform anschließend als
das darzustellen, was sie ist: ein fraktionsübergreifendes
Projekt.
({0})
Selbstverständlich musste jeder, Herr Kollege Kolb, von
seinen Vorstellungen Abstriche machen. Aber der Kompromiss zeigt letztlich, dass wir eine Lösung gefunden
haben, die von allen getragen wird und die den Problemen dieses Landes gerecht wird.
({1})
Ich will in diesem Zusammenhang bemerken, dass
der Beitrag von Frau Pothmer gestern im Ausschuss über
die Bewertung des Gesetzesvorhabens etwas konstruktiver ausgefallen ist als ihre Darstellung heute im Plenum,
({2})
nicht nur im Hinblick auf die Verfassungsänderung, sondern auch auf die Bewertung des SGB II.
({3})
Ich stelle fest: Es gibt zwischen Regierung und Opposition durchaus, auch wenn Sie sich nicht zu einer Zustimmung entschließen können, eine ganze Reihe von Gemeinsamkeiten. Das will ich durchaus anerkennen.
Ich will allerdings ebenfalls sagen, dass mir auch
nach dem Beitrag von Frau Kipping nach wie vor rätselhaft geblieben ist, wie sich die Linkspartei dieses Projekt
vorstellt. Ich will daran erinnern, dass uns vor einiger
Zeit in diesem Zusammenhang zwei Anträge vorgelegen
haben. In dem ersten wurde die Forderung „Hartz IV abschaffen“ und in dem zweiten die Forderung „Regelsätze
auf 500 Euro erhöhen“ erhoben. Ich frage mich mit
Blick auf den parlamentarischen Ablauf: In welcher Reihenfolge sollen wir das denn machen?
({4})
Sollen wir die Regelsätze erst erhöhen und dann das Sozialgesetzbuch II abschaffen, oder sollen wir erst das
Sozialgesetzbuch II abschaffen und dann die Regelsätze
erhöhen? Aus logischen Gesichtspunkten wird das Letztere ein bisschen schwierig.
({5})
Unser Ansatz war, Hilfe aus einer Hand und Hilfe
unter einem Dach zu ermöglichen. Mit der heute vorliegenden Reform wird dies erreicht. Es ist Anlass, die
fraktionsübergreifende Zusammenarbeit an dieser Stelle
noch einmal lobend hervorzuheben.
Der CDU/CSU-Fraktion war wichtig, dass wir nicht
nur die Zahl der bestehenden 69 Optionskommunen
entfristen und verfassungsrechtlich absichern, sondern
dass wir dem Wunsch vieler Landkreise entgegenkommen, von der Option zusätzlich Gebrauch zu machen.
Wir werden also die Zahl von 69 nach dem im Normtext
verankerten Regel-Ausnahme-Verhältnis von einem
Viertel zu drei Viertel nun auf 110 erhöhen.
Es war mir wichtig, dass wir die in der durchgeführten Anhörung geäußerte Anregung befolgt haben und
insbesondere die Übergangsfristen aus baden-württembergischer Sicht noch einmal unter die Lupe genommen
und den Gesetzentwurf dementsprechend verbessert haben. Ich habe mich gestern Abend mit den Landräten aus
Reutlingen und dem Alb-Donau-Kreis in BadenWürttemberg unterhalten, die beide vor der Frage stehen
- bei dem einen geht es um die Arge, bei dem anderen
um die getrennte Aufgabenwahrnehmung -, wie sie das
zukünftig organisieren. Sie haben beide bestätigt, dass es
der richtige Ansatz war, die Übergangsfristen auf den
31. Dezember des kommenden Jahres auszudehnen.
Denn wir müssen auch die Ferienregelung in BadenWürttemberg mit berücksichtigen. Es muss also einerseits für die Kolleginnen und Kollegen in den Kreistagen, die dort ehrenamtlich tätig sind, ausreichend Zeit
bleiben, um dieses Beratungsverfahren sinnvoll zu führen; andererseits muss natürlich auch für die Verwaltung
vor Ort ausreichend Zeit sein, das umzusetzen. Meines
Erachtens ist dem mit einem Korridor bis zum Jahresende 2011 nun ausreichend Rechnung getragen.
({6})
Es geht in diesem Zusammenhang auch nicht um einen Flickenteppich, sondern darum, dass wir durch die
Zielvereinbarung eines Landkreises bzw. einer kreisfreien Stadt Kooperationen mit dem jeweiligen Bundesland und mit dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales sicherstellen, dass wir passgenaue Lösungen
erarbeiten, die auf die Situation vor Ort zugeschnitten
sind.
Der Wahlkreis des Kollegen Peter Weiß und mein
Wahlkreis grenzen zwar aneinander, aber der Arbeitsmarkt im Wahlkreis Emmendingen-Lahr ist ein anderer
als der Arbeitsmarkt im Wahlkreis Waldshut-Hochschwarzwald. Deswegen ist es sinnvoll, wenn per Zielvereinbarung auf die je unterschiedliche Situation in
den jeweiligen Landkreisen eingegangen werden kann.
Deswegen bin ich zufrieden, dass dies im vorgelegten
Entwurf gelungen ist.
({7})
Ich spreche einen weiteren Punkt an, der ebenfalls zu
dem gehört, was uns in diesem Beratungsverfahren verband. Es sind mehrfach die 900 Millionen Euro für den
Eingliederungstitel und die 3 200 Stellen bei der BunThomas Dörflinger
desagentur für Arbeit angesprochen worden. Ich halte
vor dem Hintergrund der hinter uns liegenden Beratungen im Ausschuss für Arbeit und Soziales fest: Es gab
nach meiner Wahrnehmung unter den meisten Arbeitsmarktpolitikerinnen und Arbeitsmarktpolitikern in diesem Ausschuss keinen Dissens darüber, dass wir die
900 Millionen Euro freigeben und dass wir die
3 200 Stellen bei der Bundesagentur entfristen. Aber wir
müssen natürlich auch zur Kenntnis nehmen, dass unsere
Kolleginnen und Kollegen im Haushaltsausschuss, die
mit einem ähnlichen Verantwortungsbewusstsein, aber
vielleicht mit einem anderen Blickwinkel an die Dinge
herangehen, in diesem Fall zu einem anderen Urteil gekommen sind. Schlussendlich zählt aber, dass wir uns
auf eine vernünftige Lösung geeinigt haben. Deswegen
sage ich: Ende gut, alles gut.
({8})
Lassen Sie mich vor dem Hintergrund einer Debatte,
die wir in den vorangegangenen Wochen unter dem
Stichwort „Strategie EU 2020 für Wachstum und Beschäftigung“ geführt haben, einen letzten Gedanken anschließen. Dabei haben wir uns seitens der Bundesrepublik Deutschland zur Vermeidung von Altersarmut auf
einen Indikator verständigt, nämlich die Zahl der Langzeitarbeitslosen. Diese ist für uns ein wesentliches Kriterium, um Armut in unserem Lande zu messen. Deswegen ist es richtig und gut, wenn wir heute mit der
Organisationsreform des Sozialgesetzbuches II die Voraussetzungen schaffen, dass die zahlenmäßige Erfassung, die Betreuung sowie die Hilfe für die Integration
in den ersten Arbeitsmarkt in Zukunft besser organisiert
werden können als in der Vergangenheit. Ich bedanke
mich für ein konstruktives Beratungsverfahren und
werbe um Zustimmung zur Einfügung des Art. 91 e in
das Grundgesetz und um Zustimmung für unseren Gesetzentwurf zur Organisationsreform im Bereich des
Sozialgesetzbuches II.
Herzlichen Dank.
({9})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, auf der Ehrentribüne hat der Parlamentspräsident der Ukraine, der
Präsident der Werchowna Rada, Herr Wolodymyr
Lytwyn, mit seiner Delegation Platz genommen.
({0})
Im Namen aller Kolleginnen und Kollegen des Deutschen Bundestages begrüße ich Sie sehr herzlich und
wünsche Ihnen für Ihren Aufenthalt in Deutschland und
für Ihr weiteres politisches Wirken alles erdenklich
Gute.
Nächste Rednerin ist die Kollegin Gabriele LösekrugMöller für die SPD-Fraktion.
({1})
Frau Präsidentin! Herr Präsident! Meine Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Was haben
wir in dieser Debatte nicht schon alles gehört! Wir kennen jetzt alle Väter des Erfolges. Man darf mit Blick auf
das Ministerium, Frau Ministerin, sagen: Auch in Ihrem
Haus hat es einen Vater des Erfolges gegeben, nicht unbedingt eine Mutter.
Es waren kluge Verhandlungen. Wir haben ein Ergebnis vorliegen, dem die SPD gern zustimmt, hat sie es
doch durch ihre Aktivität und ihr Engagement ermöglicht, dass diese Lösung zustande kommt.
({0})
Ich habe mit großem Interesse, Frau Kollegin
Pothmer, gehört, wie Sie Liebe von Grün an Gelb adressieren.
({1})
Ich bin gespannt, was da noch kommt.
Diesem Familiensinn will auch ich entsprechen und
will heute über Ulla reden; denn Ulla arbeitet in einem
Jobcenter. Ulla ist die Gewinnerin des Tages. Warum ist
das so? Das will ich kurz erläutern. Ulla war befristet beschäftigt. Ulla gehört zu denen, die den Vorteil haben,
dass sie jetzt eine gute Perspektive haben, und sie und
ihr Team, das über viele Jahre in schwierigen Situationen arbeiten musste, wissen nun endlich, in welchem
Rahmen es weitergeht.
Deshalb ist dies ein guter Tag für Beschäftigte in Jobcentern. Ein bisschen schmunzeln muss ich schon darüber, dass zukünftig auch die Optierer Jobcenter heißen.
Das finde ich völlig in Ordnung, signalisiert es doch,
dass etwas eintritt, was wir wollen, nämlich dass die
Leistungen vergleichbar werden, dass Steuerung über alles möglich ist. Ich denke, dass damit ein Wettbewerb
aufhört, wie wir ihn sonst aus dem Märchen kennen; Sie
wissen das: „Spieglein, Spieglein, an der Wand …“. Ich
glaube, damit ist Schluss - und das ist auch gut so.
({2})
Warum freut sich meine Ulla darüber hinaus? Weil sie
sich sagt: Endlich können wir in einem ordentlichen
Rahmen arbeiten. - Das haben sie verdient; denn ihre
Arbeit ist schwierig. Ihre Arbeit ist deshalb schwierig,
weil wir in den letzten Jahren im Bereich des SGB II und
III kontinuierlich Veränderungen vorgenommen haben.
Eigentlich ist ihre Sorge, dass ihre Arbeit unter erschwerten Bedingungen weitergeht. Auf diese Sorge
komme ich gleich zu sprechen.
Was liegt hinter uns, wenn wir heute mit der Mehrheit
des Hauses Ja zur Verfassungsänderung sagen? Wenn
ich es recht erinnere, mussten weite Teile zum Jagen getragen werden. Ich kann mich noch erinnern, dass Anfang dieses Jahres schwerste Bedenken formuliert wurden, dass das alles nicht gehe. Bei manchen ist da
Erkenntnis zum Wohle der Sache eingezogen. Das finde
ich gut, und das ist in Ordnung. Die SPD hat dabei kräftig geholfen.
({3})
Was ist aber die Sorge von Ulla? Wir haben jetzt zwar
eine gute Organisationsstruktur. Aber ihre Sorge ist, dass
sie sich nicht mit guter Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik füllt. Diese Sorge muss ich leider teilen; denn sie ist
berechtigt. Im Übrigen haben nicht nur die Mitglieder
der SPD-Bundestagsfraktion diese Sorge. Auch die großen Kirchen, die Sozialverbände und die Wohlfahrtsverbände machen sich große Sorgen um die Schieflage in
unserer Gesellschaft, die durch die Kürzungen, die jetzt
ins Haus stehen, verschärft wird. Dazu will ich sagen:
Hoffen wir auf weitere Erkenntnisgewinne! Herr Kolb,
auch Sie haben das Hohelied gesungen, dass wir gemeinsam zu besseren Lösungen kommen. Dazu sage ich:
Bessere Lösungen sind nur möglich, wenn Sie sich an
dieser Stelle bewegen, und zwar auch im Hinblick auf
das materielle Recht und das Leistungsrecht. Denn die
Kürzungen, die geplant sind, bedeuten, dass jene, die nie
in ihrem Leben über ihre Verhältnisse gelebt haben, für
das zahlen müssen, was andere angerichtet haben. Das
geht nicht.
({4})
Ich mache mir auch Sorgen,
({5})
weil Strukturen wegbrechen könnten, die wir für gute
Arbeitsmarktpolitik brauchen. Wir brauchen stabile
Netzwerke über die Jobcenter hinaus. Wir brauchen eine
ordentliche Schuldnerberatung. Wir brauchen eine gute
Familienberatung. Wir müssen gute Bildungsträger haben, damit das klappt, was unser gemeinsames Ziel sein
muss, nämlich denjenigen - das sind Millionen -, die
Arbeit suchen und keine finden, zu helfen, dass sie in
Beschäftigung kommen.
Das, was ich zur Beschäftigung gesagt habe, verbinde
ich mit einem Vorschlag an die Ministerin: Frau von der
Leyen, Sie könnten sehr viele sogenannte Kunden in
Jobcentern schlagartig verlieren - im positiven Sinne -,
wenn zum Beispiel Aufstocken nicht mehr erforderlich
wird, weil man von dem Einkommen aus Arbeit leben
kann.
({6})
Wenn Arbeit in diesem Land endlich ordentlich bezahlt
würde, hätte man schlagartig Zeit und damit die Möglichkeit, sich um die zu kümmern, die Arbeit suchen.
Das wird ein großes Thema in diesem Haus bleiben.
Kollege Schiewerling, Sie werden uns, wenn es um
den zweiten Baustein, die Regelsätze, geht, konstruktiv
fordernd an Ihrer Seite haben. Beim geplanten dritten
Baustein - da geht es, wenn ich Sie richtig verstanden
habe, um die Reform der Instrumente - haben Sie uns
nur dann dabei, wenn es der Ulla, von der ich sprach,
hilft und sie ordentliche Rahmenbedingungen erhält. Die
Jobcenter haben nämlich von ständigen Änderungen die
Nase voll: Sie wollen nicht mehr ständig ihre EDV überfordert sehen und „zu Fuß“ rechnen müssen;
({7})
sie wollen klare und beständige Verhältnisse. Das sind
wir all denen, für die heute ein guter Tag ist, auch auf
Dauer schuldig.
Vielen Dank.
({8})
Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege Max
Straubinger für die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen!
Mit der anschließenden Abstimmung über die Änderung
des Grundgesetzes und die Regelungen zu den Jobcentern kommt heute ein langer Diskussionsprozess zum
Abschluss. Ich glaube, es ist für die Menschen ein guter
Tag, insbesondere für diejenigen, die vom Jobcenter betreut werden. Damit ist verbunden, dass Menschen gut in
den ersten Arbeitsmarkt eingegliedert werden können
und die Verwaltung zukünftig auf einer soliden rechtlichen Basis arbeiten kann. Insofern ist die erste Botschaft
des heutigen Tages an die Menschen: Wir legen heute
die Grundlage für einen weiteren Meilenstein in unserem
Sozialstaat.
Ich glaube, es hat sich gelohnt, diesen langen Diskussionsprozess auf sich zu nehmen. Natürlich gab es verschiedenste Vorstellungen, wie die Arbeitsmarktpolitik
nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts, das uns
ermahnt hat, dass Mischverwaltungen aufgrund unseres
Staatsaufbaus nicht zulässig sind, künftig organisiert
werden soll. Es ist sinnvoll, den Menschen die Hilfsmöglichkeiten, die in der Verantwortung der Kommunen, vor allem aber des Bundes liegen, aus einer Hand
anzubieten. Deshalb ist es gerechtfertigt, heute das
Grundgesetz zu ändern, um damit die rechtliche
Grundlage für die Organisation und Verwaltung zu
schaffen.
({0})
Natürlich haben sich heute alle Fraktionen, die für dieses Gesetzeswerk verantwortlich sind - SPD, CDU/CSU,
FDP -, einzelne Erfolge auf ihre Fahnen geschrieben.
Frau Lösekrug-Möller, ich möchte aber schon daran erinnern, dass es bei der SPD zur Zeit der Großen Koalition
eine Verweigerungshaltung gab: Eine sinnvolle Lösung
wurde seinerzeit immer verhindert, vor allen Dingen, als
es darum ging, dass die Kommunen stärker in die Vermittlung von Arbeitsstellen an arbeitslose Menschen
eingebunden werden. Die SPD konnte sich nicht damit
anfreunden, dass es in Deutschland mehr Optionskommunen gibt.
Auch die Optionskommunen sind für die Menschen
ein Erfolg; denn damit können angepasste Lösungen gefunden werden, nämlich - so ähnlich hat es mein KolMax Straubinger
lege vorhin ausgedrückt - zielgenaue Lösungen für jeden Landkreis, jeden Bereich und jede Kommune, ganz
im Sinne der betroffenen Menschen. Das ist meines Erachtens ein Erfolg, für den wir mit unserer Stimmabgabe
die Grundlage schaffen können.
({1})
Ich bin überzeugt, dass in dieser neuen, rechtssicheren Organisationsform der Optionskommune bzw. der
Jobcenter - sie heißen alle Jobcenter - die Vermittlung in
den ersten Arbeitsmarkt im Vordergrund steht.
Die Kollegen aus der linken Ecke haben heute vielfältig von Drangsalierung gesprochen. Das möchte ich
massiv zurückweisen. Es ist keine Drangsalierung, Menschen in Arbeit zu bringen, Frau Kollegin Kipping. Im
Gegenteil: Es ist eine gelebte Chance für die Menschen,
wenn sie Arbeit haben. Dafür zu sorgen, ist die Aufgabe
der Jobcenter. Das wird durch die vorliegende Änderung
umgesetzt.
({2})
Die linke Fraktion scheint es als Drangsalierung zu
verstehen, dass im Sozialgesetzbuch Sanktionen vorgesehen sind. Es handelt sich aber um ein Sozialstaatsgebot, weil es in unserer Gesellschaft nicht sein darf, dass
Millionen von Menschen tagtäglich früh aufstehen, den
ganzen Tag hart arbeiten, Beiträge an die Arbeitslosenversicherung abführen und Steuern zahlen, damit die Sozialleistungen erbracht werden können, und sich gleichzeitig wenige Einzelne vor der Arbeit drücken. Das darf
nicht sein. Es ist ein Sozialstaatsgebot: Wer zumutbare
Arbeit nicht annimmt, muss mit Sanktionen rechnen.
Das ist keine Drangsalierung, sondern oberstes Sozialstaatsgebot in unserer Gesellschaft.
({3})
Ich bin überzeugt, dass wir mit der heutigen Reform
den Grundstein dafür legen, dass 1,2 Millionen ältere
Arbeitslose schnell wieder in den ersten Arbeitsmarkt
vermittelt werden können. Wir legen besonderes Augenmerk darauf, dass 200 000 Jugendliche, wenn es sein
muss, das nötige Gerüst einer guten Berufsausbildung
erhalten und dass das durch die vorhandenen Instrumente erreicht wird. Zugegeben: Die SPD will einen besonderen Betreuungsschlüssel für Alleinerziehende. Wir
hingegen legen, auch ohne Betreuungsschlüssel, weiterhin großen Wert darauf, der besonderen Situation von
Alleinerziehenden gerecht zu werden. Das ist die Aufgabe, die wir zu erbringen haben.
({4})
Herr Kollege, darf ich Sie unterbrechen? Gestatten
Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Kipping?
Ja.
Bitte sehr.
Lieber Kollege, Sie haben in Ihren Ausführungen zu
den Sanktionen den Eindruck erweckt, dass es bei Sanktionen immer nur um Menschen gehe, die sich komplett
vor Arbeit drücken wollten. Ich persönlich habe eine andere Einschätzung, was den Stellenwert von Erwerbsarbeit anbelangt.
Ich lasse mich aber auf Ihre Logik ein und lege sie
meinen Überlegungen zugrunde. Ich möchte Sie fragen:
Ist Ihnen bekannt, dass ein Großteil der Sanktionen nicht
wegen Ablehnung eines zumutbaren Jobangebotes, sondern aufgrund von Meldeversäumnissen erfolgt, beispielsweise weil eine Unterlage später eingereicht worden ist?
Sanktionen greifen auch bei Fällen wie folgendem:
Einer Frau ist eine Arbeitsstelle vermittelt worden. Dort
hat sie erfahren, dass sie für einen Niedriglohn arbeiten
muss. Sie hat erschrocken festgestellt, dass der Lohn
deutlich unter dem Hartz-IV-Regelsatz liegt. Daraufhin
hat man ihr gesagt, sie könne ja aufstocken. Sie hat gesagt, dass sie diese Arbeit gerne übernehme. Leider hat
sie diese Stelle nicht bekommen. Das Jobcenter ist dann
zu folgendem Ergebnis gekommen: Weil sie festgestellt
habe, dass es sich um einen sittenwidrigen Lohn handele, sei sie selber schuld daran, dass sie den Arbeitsplatz nicht bekommen habe. Jetzt wird ihr gegenüber
eine Sanktion ausgesprochen. Glauben Sie wirklich, dass
es im Sinne eines Sozialstaatsgebots ist, dass man sich
nicht mal mehr gegen sittenwidriges Lohndumping zur
Wehr setzen darf?
({0})
Mir ist natürlich bekannt, dass die meisten Sanktionen
ausgesprochen werden, weil eine Mitwirkung nicht immer fristgerecht erfolgt ist. Es gehört auch zum Sozialstaat, dass jeder seine Mitwirkungspflicht wahrnehmen,
sich schnell in den Arbeitsmarkt einfügen und vor allen
Dingen Betreuungs- und Vermittlungsangebote annehmen muss.
({0})
Natürlich ist es mit entscheidend, dass entsprechende
Löhne gezahlt werden. Aber Löhne werden aufgrund
von Tarifverträgen gezahlt. Sittenwidrigkeit wird von
Gerichten festgestellt. Es ist nicht dem Einzelnen anheimgegeben, festzustellen, dass ein Lohn sittenwidrig
ist. Wenn nach Tarif gezahlt wird, ist die Arbeit anzunehmen. Selbst wenn der Lohn ungenügend ist, ist er zu
akzeptieren, weil mit der Aufnahme von Arbeit die
Chance auf einen besser bezahlten Arbeitsplatz verbunden ist, Frau Kollegin Kipping. Es geht nicht, dass man
das Angebot einfach ablehnt, zu Hause auf dem Kanapee
verweilt und wartet, bis man ein Topangebot bekommt.
Das kann es nicht sein, werte Kollegin.
({1})
Wir stehen kurz vor dem Abschluss eines sehr langen
Diskussionsprozesses, kurz vor der Abstimmung. Ich
darf mich ebenfalls sehr herzlich bei den Bundestagskollegen bedanken, beim Kollegen Heil, beim Kollegen
Kolb und beim Kollegen Schiewerling. Genauso herzlich bedanke ich mich natürlich bei den Vertretern der
Bundesländer und der Ministerien. Darüber hinaus bedanke ich mich bei Herrn Staatssekretär Hoofe für die
Leitung.
Ich glaube, dass wir deutlich gemacht haben, dass unsere Demokratie funktioniert, dass wir, wenn es sein
muss, gut zusammenarbeiten können und schlagkräftig
sind und dass unterschiedliche Konzepte und Vorstellungen zusammengeführt werden. Ich glaube, das ist der
große Erfolg dieses Gesetzgebungsverfahrens. Ich bitte
deshalb um Zustimmung zur Grundgesetzänderung und
zum Ausführungsgesetz.
Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
({2})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über die von der Bundesregierung sowie von den Fraktionen der CDU/CSU,
SPD und FDP eingebrachten Entwürfe eines Gesetzes
zur Änderung des Grundgesetzes, und zwar in
Art. 91 e. Der Innenausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/2183, die genannten Gesetzentwürfe auf den Drucksachen 17/1939
und 17/1554 zusammenzuführen und in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen,
um das Handzeichen. - Wer ist dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung
mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen, der SPDFraktion und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen bei
Gegenstimmen der Fraktion Die Linke angenommen.
Wir kommen zur
dritten Beratung
und Schlussabstimmung. Ich weise darauf hin, dass zur
Annahme des Gesetzentwurfs die Mehrheit von zwei
Dritteln der Mitglieder des Deutschen Bundestages erforderlich ist. Das sind mindestens 415 Stimmen.
Wir stimmen über den Gesetzentwurf auf Verlangen
der Fraktionen der CDU/CSU, der SPD und der FDP namentlich ab. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. - Sind die
Plätze an den Urnen besetzt? - Jetzt sind alle Plätze an
den Urnen besetzt. Ich eröffne die Abstimmung.
Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine
Stimmkarte nicht abgegeben hat? - Das ist nicht der
Fall. Dann schließe ich die Abstimmung und bitte die
Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen.
Bis zum Vorliegen des Ergebnisses der namentlichen
Abstimmung unterbreche ich die Sitzung.
Die Sitzung ist unterbrochen.
({0})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich darf Sie bitten,
Platz zu nehmen. Die unterbrochene Sitzung ist wieder
eröffnet.
Ich gebe Ihnen zunächst das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über die Änderung des Grundgesetzes bekannt: abgegebene Stimmen 586. Mit Ja haben
gestimmt 515, mit Nein 71, Enthaltungen gab es keine.
Der Gesetzentwurf ist damit mit der erforderlichen
Mehrheit angenommen.
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 586;
davon
ja: 515
nein: 71
Ja
CDU/CSU
Ilse Aigner
Peter Altmaier
Peter Aumer
Dorothee Bär
Thomas Bareiß
Norbert Barthle
Günter Baumann
Ernst-Reinhard Beck
({0})
Manfred Behrens ({1})
Dr. Christoph Bergner
Steffen Bilger
Clemens Binninger
Peter Bleser
Dr. Maria Böhmer
Wolfgang Börnsen
({2})
Wolfgang Bosbach
Norbert Brackmann
Klaus Brähmig
Michael Brand
Helmut Brandt
Dr. Ralf Brauksiepe
Dr. Helge Braun
Heike Brehmer
Gitta Connemann
Leo Dautzenberg
Alexander Dobrindt
Marie-Luise Dött
Enak Ferlemann
Ingrid Fischbach
Hartwig Fischer ({3})
Klaus-Peter Flosbach
Herbert Frankenhauser
Dr. Hans-Peter Friedrich
({4})
Michael Frieser
Dr. Michael Fuchs
Hans-Joachim Fuchtel
Alexander Funk
Dr. Peter Gauweiler
Dr. Thomas Gebhart
Alois Gerig
Eberhard Gienger
Michael Glos
Peter Götz
Dr. Wolfgang Götzer
Ute Granold
Reinhard Grindel
Hermann Gröhe
Michael Grosse-Brömer
Manfred Grund
Monika Grütters
Dr. Karl-Theodor Freiherr
zu Guttenberg
Olav Gutting
Holger Haibach
Dr. Stephan Harbarth
Jürgen Hardt
Dr. Matthias Heider
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt
Mechthild Heil
Ursula Heinen-Esser
Frank Heinrich
Rudolf Henke
Michael Hennrich
Jürgen Herrmann
Ansgar Heveling
Ernst Hinsken
Christian Hirte
Robert Hochbaum
Karl Holmeier
Franz-Josef Holzenkamp
Anette Hübinger
Thomas Jarzombek
Dieter Jasper
Dr. Franz Josef Jung
Andreas Jung ({5})
Dr. Egon Jüttner
Bartholomäus Kalb
Hans-Werner Kammer
Steffen Kampeter
Alois Karl
Bernhard Kaster
Siegfried Kauder ({6})
Volker Kauder
Dr. Stefan Kaufmann
Roderich Kiesewetter
Eckart von Klaeden
Ewa Klamt
Volkmar Klein
Jürgen Klimke
Julia Klöckner
Axel Knoerig
Jens Koeppen
Dr. Kristina Schröder
({7})
Manfred Kolbe
Dr. Rolf Koschorrek
Hartmut Koschyk
Thomas Kossendey
Michael Kretschmer
Gunther Krichbaum
Dr. Günter Krings
Rüdiger Kruse
Dr. Hermann Kues
Günter Lach
Dr. Karl A. Lamers
({8})
Andreas G. Lämmel
Katharina Landgraf
Dr. Max Lehmer
Dr. Ursula von der Leyen
Ingbert Liebing
Matthias Lietz
Patricia Lips
Dr. Jan-Marco Luczak
Dr. Michael Luther
Karin Maag
Dr. Thomas de Maizière
Hans-Georg von der Marwitz
Andreas Mattfeldt
Stephan Mayer ({9})
Dr. Michael Meister
Maria Michalk
Dr. h. c. Hans Michelbach
Dr. Mathias Middelberg
Dietrich Monstadt
Marlene Mortler
Dr. Gerd Müller
Stefan Müller ({10})
Nadine Müller ({11})
Dr. Philipp Murmann
Bernd Neumann ({12})
Michaela Noll
Dr. Georg Nüßlein
Franz Obermeier
Eduard Oswald
Henning Otte
Dr. Michael Paul
Rita Pawelski
Ulrich Petzold
Dr. Joachim Pfeiffer
Sibylle Pfeiffer
Beatrix Philipp
Ronald Pofalla
Christoph Poland
Eckhard Pols
Daniela Raab
Thomas Rachel
Lothar Riebsamen
Josef Rief
Klaus Riegert
Dr. Heinz Riesenhuber
Johannes Röring
Dr. Norbert Röttgen
Dr. Christian Ruck
Erwin Rüddel
Albert Rupprecht ({13})
Anita Schäfer ({14})
Dr. Wolfgang Schäuble
Dr. Andreas Scheuer
Norbert Schindler
Georg Schirmbeck
Christian Schmidt ({15})
Patrick Schnieder
Dr. Andreas Schockenhoff
Dr. Ole Schröder
Uwe Schummer
Armin Schuster ({16})
Detlef Seif
Reinhold Sendker
Dr. Patrick Sensburg
Thomas Silberhorn
Johannes Singhammer
Jens Spahn
Dr. Frank Steffel
Erika Steinbach
Christian Freiherr von Stetten
Dieter Stier
Gero Storjohann
Stephan Stracke
Karin Strenz
Thomas Strobl ({17})
Lena Strothmann
Michael Stübgen
Dr. Peter Tauber
Antje Tillmann
Dr. Hans-Peter Uhl
Volkmar Vogel ({18})
Stefanie Vogelsang
Dr. Johann Wadephul
Kai Wegner
Marcus Weinberg ({19})
Peter Weiß ({20})
Sabine Weiss ({21})
Ingo Wellenreuther
Karl-Georg Wellmann
Annette Widmann-Mauz
Klaus-Peter Willsch
Elisabeth WinkelmeierBecker
Dr. Matthias Zimmer
Wolfgang Zöller
Willi Zylajew
SPD
Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Heinz-Joachim Barchmann
Dr. Hans-Peter Bartels
Klaus Barthel
Bärbel Bas
Lothar Binding ({22})
Gerd Bollmann
Klaus Brandner
Willi Brase
Bernhard Brinkmann
({23})
Edelgard Bulmahn
Martin Burkert
Petra Crone
Dr. Peter Danckert
Martin Dörmann
Elvira Drobinski-Weiß
Garrelt Duin
Sebastian Edathy
Siegmund Ehrmann
Dr. h. c. Gernot Erler
Petra Ernstberger
Elke Ferner
Gabriele Fograscher
Dr. Edgar Franke
Dagmar Freitag
Peter Friedrich
Michael Gerdes
Martin Gerster
Günter Gloser
Ulrike Gottschalck
Angelika Graf ({24})
Michael Groß
Wolfgang Gunkel
Bettina Hagedorn
Michael Hartmann
({25})
Hubertus Heil ({26})
Dr. Barbara Hendricks
Gustav Herzog
Gabriele Hiller-Ohm
Petra Hinz ({27})
Frank Hofmann ({28})
Dr. Eva Högl
Josip Juratovic
Oliver Kaczmarek
Johannes Kahrs
Dr. h. c. Susanne Kastner
Ulrich Kelber
Hans-Ulrich Klose
Dr. Bärbel Kofler
Daniela Kolbe ({29})
Fritz Rudolf Körper
Nicolette Kressl
Ute Kumpf
Christine Lambrecht
Christian Lange ({30})
Dr. Karl Lauterbach
Steffen-Claudio Lemme
Burkhard Lischka
Kirsten Lühmann
Katja Mast
Hilde Mattheis
Petra Merkel ({31})
Ullrich Meßmer
Franz Müntefering
Dr. Rolf Mützenich
Manfred Nink
Thomas Oppermann
Holger Ortel
Aydan Özoğuz
Dr. Wilhelm Priesmeier
Florian Pronold
Mechthild Rawert
Gerold Reichenbach
Dr. Carola Reimann
René Röspel
Karin Roth ({32})
Michael Roth ({33})
({34})
Anton Schaaf
Axel Schäfer ({35})
Bernd Scheelen
({36})
Werner Schieder ({37})
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt
Ulla Schmidt ({38})
Carsten Schneider ({39})
Olaf Scholz
Swen Schulz ({40})
Ewald Schurer
Frank Schwabe
Dr. Angelica Schwall-Düren
Dr. Martin Schwanholz
Rolf Schwanitz
Stefan Schwartze
Dr. Carsten Sieling
Peer Steinbrück
Dr. Frank-Walter Steinmeier
Christoph Strässer
Kerstin Tack
Franz Thönnes
Wolfgang Tiefensee
Ute Vogt
Dr. Marlies Volkmer
Andrea Wicklein
Dr. Dieter Wiefelspütz
Dagmar Ziegler
Brigitte Zypries
FDP
Jens Ackermann
Christine AschenbergDugnus
Daniel Bahr ({41})
Florian Bernschneider
Claudia Bögel
Nicole Bracht-Bendt
Klaus Breil
Rainer Brüderle
Ernst Burgbacher
Sylvia Canel
Helga Daub
Reiner Deutschmann
Dr. Bijan Djir-Sarai
Patrick Döring
Mechthild Dyckmans
Rainer Erdel
Jörg van Essen
Ulrike Flach
Otto Fricke
Paul K. Friedhoff
Dr. Edmund Peter Geisen
Hans-Michael Goldmann
Heinz Golombeck
Joachim Günther ({42})
Heinz-Peter Haustein
Manuel Höferlin
Elke Hoff
Birgit Homburger
Dr. Werner Hoyer
Heiner Kamp
Dr. Lutz Knopek
Dr. Heinrich L. Kolb
Gudrun Kopp
Dr. h. c. Jürgen Koppelin
Sebastian Körber
Holger Krestel
Patrick Kurth ({43})
Heinz Lanfermann
Sibylle Laurischk
Harald Leibrecht
Sabine LeutheusserSchnarrenberger
Lars Lindemann
Christian Lindner
Dr. Martin Lindner ({44})
Michael Link ({45})
Dr. Erwin Lotter
Horst Meierhofer
Gabi Molitor
Jan Mücke
Petra Müller ({46})
Burkhardt Müller-Sönksen
({47})
Dirk Niebel
Hans-Joachim Otto
({48})
Cornelia Pieper
Gisela Piltz
Dr. Christiane RatjenDamerau
Dr. Birgit Reinemund
Dr. Peter Röhlinger
Dr. Stefan Ruppert
Frank Schäffler
Christoph Schnurr
Jimmy Schulz
Dr. Erik Schweickert
Werner Simmling
Judith Skudelny
Joachim Spatz
Torsten Staffeldt
Stephan Thomae
Florian Toncar
Serkan Tören
({49})
Dr. Daniel Volk
Dr. Guido Westerwelle
Dr. Claudia Winterstein
Dr. Volker Wissing
Hartfrid Wolff ({50})
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Kerstin Andreae
Marieluise Beck ({51})
Volker Beck ({52})
Cornelia Behm
Birgitt Bender
Alexander Bonde
Viola von Cramon-Taubadel
Katja Dörner
Dr. Thomas Gambke
Kai Gehring
Britta Haßelmann
Winfried Hermann
Priska Hinz ({53})
Dr. Anton Hofreiter
Bärbel Höhn
Ingrid Hönlinger
Thilo Hoppe
Katja Keul
Memet Kilic
Sven-Christian Kindler
Maria Anna Klein-Schmeink
Thomas Koenigs
Sylvia Kotting-Uhl
Agnes Krumwiede
Fritz Kuhn
Stephan Kühn
Renate Künast
Undine Kurth ({54})
Monika Lazar
Nicole Maisch
Jerzy Montag
Kerstin Müller ({55})
Ingrid Nestle
Dr. Konstantin von Notz
Friedrich Ostendorff
Dr. Hermann Ott
Elisabeth Paus
Tabea Rößner
Claudia Roth ({56})
Krista Sager
Manuel Sarrazin
Elisabeth Scharfenberg
Christine Scheel
Dr. Frithjof Schmidt
Dorothea Steiner
Dr. Wolfgang StrengmannKuhn
Hans-Christian Ströbele
Dr. Harald Terpe
Jürgen Trittin
Daniela Wagner
Dr. Valerie Wilms
Nein
DIE LINKE
Agnes Alpers
Herbert Behrens
Matthias W. Birkwald
Heidrun Bluhm
Steffen Bockhahn
Christine Buchholz
Dr. Martina Bunge
Roland Claus
Sevim Dağdelen
Dr. Diether Dehm
Heidrun Dittrich
Werner Dreibus
Dr. Dagmar Enkelmann
Klaus Ernst
Nicole Gohlke
Annette Groth
Dr. Gregor Gysi
Heike Hänsel
Inge Höger
Andrej Konstantin Hunko
Ulla Jelpke
Katja Kipping
Harald Koch
Jan Korte
Jutta Krellmann
Sabine Leidig
Ralph Lenkert
Stefan Liebich
Ulla Lötzer
Dr. Gesine Lötzsch
Dorothée Menzner
Cornelia Möhring
Kornelia Möller
Wolfgang Nešković
Thomas Nord
Jens Petermann
Richard Pitterle
Yvonne Ploetz
Ingrid Remmers
Paul Schäfer ({57})
Michael Schlecht
Dr. Herbert Schui
Dr. Ilja Seifert
Kathrin Senger-Schäfer
Raju Sharma
Dr. Petra Sitte
Alexander Süßmair
Frank Tempel
Dr. Axel Troost
Alexander Ulrich
Kathrin Vogler
Sahra Wagenknecht
Harald Weinberg
Katrin Werner
Jörn Wunderlich
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt
({58})
Wir setzen die Abstimmungen fort. Abstimmung über
den Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU,
SPD und FDP auf Drucksache 17/2192. Wer stimmt für
diesen Entschließungsantrag? - Wer ist dagegen? - Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag ist damit mit den
Stimmen der Koalitionsfraktionen und der SPD-Fraktion
bei Gegenstimmen der Fraktion Die Linke und Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen.
Wir kommen zum Tagesordnungspunkt 3 b. Abstimmung über die von der Bundesregierung sowie den Fraktionen der CDU/CSU, SPD und FDP eingebrachten Entwürfe eines Gesetzes zur Weiterentwicklung der
Organisation der Grundsicherung für Arbeitsuchende. Der
Ausschuss für Arbeit und Soziales empfiehlt in seiner
Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/2188, die genannten Gesetzentwürfe auf den Drucksachen 17/1940,
17/1555 und 17/2057 zusammenzuführen und in der
Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die
dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen
wollen, um das Handzeichen. - Wer ist dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und
der SPD-Fraktion bei Gegenstimmen der Fraktion Die
Linke und Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen.
Wir kommen zur
dritten Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Wer ist dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf
ist mit dem gleichen Stimmenverhältnis wie in der zweiten Beratung angenommen.
Wir stimmen nun über den Entschließungsantrag der
Fraktion Die Linke auf Drucksache 17/2193 ab. Wer
stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Wer ist dagegen? - Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag ist damit mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen, der SPDFraktion und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen abgelehnt.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 4 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Arbeit und Soziales
({59}) zu dem Antrag der Abgeordneten Klaus Ernst, Jutta Krellmann, Matthias W.
Birkwald, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE
Mit guter Arbeit aus der Krise
- Drucksachen 17/1396, 17/2069 Berichterstattung:
Abgeordnete Beate Müller-Gemmeke
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache eineinviertel Stunden vorgesehen. - Ich
sehe, Sie sind damit einverstanden. Dann werden wir so
verfahren.
Ich eröffne die Aussprache. Als erster Redner hat der
Kollege Paul Lehrieder für die CDU/CSU-Fraktion das
Wort.
({60})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen!
Liebe Kollegen! Mit dem gerade verkündeten Ergebnis
der namentlichen Abstimmung zur Reform der Jobcenter
hat Deutschland, haben auch die Arbeitslosen und die
Mitarbeiter in den Jobcentern eine gute Zukunft vor sich.
Wir haben jetzt Planungssicherheit, sowohl für die Mitarbeiter als auch für die zu betreuenden Langzeitarbeitslosen. Man könnte sagen: Wir begeben uns jetzt wieder
in das Tagesgeschäft.
Der hier vorliegende Antrag der Linken mit dem Titel
„Mit guter Arbeit aus der Krise“ ist aber weniger erfreulich. Die Überschrift ist gut; aber das ist leider auch das
Beste an diesem Antrag.
({0})
- Ich habe ihn ganz gelesen, Frau Kollegin Enkelmann.
Ich freue mich schon darauf, was Ihre Arbeitsmarktexpertin Luc Jochimsen, die nachher sprechen wird,
Sinngebendes dazu beitragen kann.
Es ist richtig: Arbeit ist mehr als nur Gelderwerb. Arbeit ist die Verkörperung von Menschenwürde; der
Schutz aus Art. 2 Abs. 1 und Art. 1 Abs. 1 Grundgesetz
gilt auch in Bezug auf die Arbeit, wie es bereits das Bundesarbeitsgericht in den 80er-Jahren ausgeführt hat. Das
heißt: Die Wertschätzung eines Menschen, eines Mitbürgers, ist natürlich auch durch seine Tätigkeit geprägt.
Auch das gehört zur Arbeit. Arbeit ist nicht Schikane,
Arbeit ist nicht Drangsalierung, wie es uns einige in diesem Hohen Hause glauben machen wollen. Arbeit trägt
vielmehr dazu bei, wieder Tritt zu fassen und sich selber
zu bestätigen, etwas schaffen zu können.
Meine Damen und Herren, wir sind auf einem guten
Weg. - Liebe Frau Präsidentin, Sie gestatten, dass ich
aus meiner Tageszeitung zitiere. - Die Würzburger
Main-Post hat gestern geschrieben: „Deutsche arbeiten
wieder länger“ und „Produktivität liegt über dem Vorjahreswert“. Von der Kurzarbeit sind derzeit noch
933 000 Mitbürgerinnen und Mitbürger betroffen. Im
dritten Quartal 2009 waren es 1,12 Millionen, im vierten
Quartal 984 000. Das heißt, die Kurzarbeit nimmt degressiv ab. Gleichzeitig nimmt die Zahl der Arbeitlosen
und - toi, toi, toi! - auch der Langzeitarbeitlosen ab.
Das in dem Antrag der Linken gezeichnete Horrorszenario - auf Seite 1 ist von einem „Klima der Angst“
die Rede - ist insofern nicht angebracht. Es liegen noch
sehr viele Aufgaben vor uns, die wir in den nächsten
Monaten und Jahren angehen werden. Wir müssen uns
aber auch nicht vor dem Problem verstecken. Es fragt
sich, wer hier tatsächlich ein Klima der Angst schürt. Ich
habe bereits darauf hingewiesen. Vor über einem Jahr,
am 23. April 2009, haben wir in diesem Haus einen
Antrag der Linken mit dem Titel „Gute Arbeit - gutes
Leben“ beraten. Das ist fast derselbe Titel wie heute.
Heißen Themen wird vonseiten der Linkspartei mit aufgewärmten Versatzstücken begegnet. Der inhaltliche
Stillstand der Linken löst aber kein Problem in Deutschland.
Es geht nicht darum, Menschen in Resignation zu
treiben, sondern darum, die Probleme anzupacken und
den Menschen Mut zu machen. Mit dem Entwurf des
Beschäftigungschancengesetzes, der heute Nachmittag
auf der Tagesordnung steht, wird die Verlängerung der
Kurzarbeiterregelung in erster Lesung auf den Weg gebracht, um damit den Unternehmen die Chance zu geben, qualifiziertes Personal auch über das Tal dieser
Krise hinweg zu halten.
Der vorliegende Antrag stammt aus der Mottenkiste.
Er ist ein „Worst of“ der Linkspartei. Die Vorschläge
sind unrealistisch und zum Teil politisch nicht durchsetzbar. Erlauben Sie mir, dass ich auf einige Ihrer Vorschläge im Einzelnen eingehe.
Die Linkspartei will keine Anreize für Erwerbslose
schaffen, sich um Arbeit zu bemühen. Stattdessen setzen
Sie schlicht auf einen weiteren Ausbau staatlicher Sozialleistungen.
Die Linken wollen den Eindruck vermitteln, der Staat
überlasse von Arbeitslosigkeit bedrohte Bürger ausschließlich sich selbst. Das Gegenteil ist der Fall: Wir
haben mit der Reform der Jobcenter und der Flexibilisierung der Instrumente der Jobvermittler viele richtige
Maßnahmen auf den Weg gebracht, um die Langzeitarbeitslosen noch besser zu betreuen, als es in den letzten Jahren der Fall war. An dieser Stelle besteht noch
Optimierungsbedarf; damit haben Sie sicherlich recht.
Ich glaube, dass mit dem vorhin beschlossenen Gesetz
zur Reform der Jobcenter das Richtige gemacht wird.
Im Haushalt 2010 bezieht sich etwa die Hälfte der
Ausgaben auf den Sozialetat; Frau Ministerin hat heute
Morgen bereits darauf hingewiesen. Die Arbeitnehmerüberlassung bzw. Leiharbeit, die Sie größtenteils reduzieren wollen, ist eine Arbeitsförderungsmaßnahme. Ein
großer Anteil derjenigen, die vermittelt werden, sind
Hilfskräfte und Geringqualifizierte. Es gibt auch Missbrauch; das will ich nicht verkennen. Der Fall Schlecker
ist bekannt. Es gibt etliche weitere Unternehmen. Wir
sind dabei, in Arbeitsgruppen zu klären, wie wir in Zukunft derartige Übergriffe und Methoden vermeiden
können. Ich glaube, dass wir hier mit unserem Koalitionspartner auf einem guten Weg sind. Ich hoffe, dass
wir in den nächsten Monaten auch dieses Problem in den
Griff bekommen.
Die Bundesregierung plant bereits ein Gesetz zur Änderung des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes bzw. des
Arbeitnehmer-Entsendegesetzes. Dazu müssen wir wissen, dass mit der Freizügigkeit im europäischen Raum
ab 1. Mai 2011 weitere Aufgaben vor uns liegen. Auch
darauf müssen wir uns rechtzeitig einstellen. Wir wollen
eine Lohnuntergrenze in der Zeitarbeit einziehen. Auf
welchem Weg wir das machen, diskutieren wir derzeit in
Arbeitsgruppen.
Die Forderung der Linken, eine sachgrundlose
Befristung von Arbeitsverträgen völlig abzuschaffen,
geht völlig ins Leere. Die Betriebe brauchen in bestimmten Situationen die Möglichkeit, Arbeitnehmer mit Sachgrund befristet einzustellen.
({1})
Man kann auch jemanden sachgrundlos einstellen, etwa
um ihn zu testen. Zu den klassischen Fällen der befristeten Einstellung gehören die Schwangerschaftsvertretung, ein hoher Auftragseingang mit der Folge, dass
Aufträge schnell abgearbeitet werden müssen, und eine
projektgebundene Einstellung von besonders qualifizierten Arbeitskräften. Sie erhalten durch die befristete Einstellung die Chance - das ist ein beiderseitiges Kennenlernen -, sich in den Arbeitsplatz einzufügen bzw. dem
Chef zu zeigen, dass sie für den Job auch dauerhaft geeignet sind, und möglicherweise anschließend in diesem
Job bleiben zu können.
Sie fordern einen Kündigungsschutz für alle, insbesondere für die Mitbürgerinnen und Mitbürger über
55 Jahre. Dieser umfassende Kündigungsschutz wird
- das ist die andere Seite der Medaille - dazu führen,
dass die Einstellungsbereitschaft der Unternehmen gerade älteren Mitbürgerinnen und Mitbürgern gegenüber
sicherlich nicht steigen wird. Der Chef sagt sich natürlich: Wenn ich einen 45-Jährigen einstelle, kann ich ihn
ganz normal kündigen, wenn ich aufgrund der Auftragslage dazu gezwungen bin, einen Älteren nicht. - Das
wäre ein Problem bei der Vermittlung unserer älteren
Mitbürgerinnen und Mitbürger, und das müssen wir den
Leuten fairerweise auch sagen. Es klingt toll, wenn man
sagt: „Du bist 55; wenn du eingestellt wirst, kann dir
nicht mehr gekündigt werden“, aber man muss dann
auch sagen, dass die Bereitschaft, solche Menschen einzustellen, im Gegenzug sinkt. Das wäre eine Hürde bei
Neueinstellungen; davon bin ich überzeugt.
Sie fordern ein politisches Streikrecht. Gut, mehr als
die Hälfte der Mitglieder der Linkspartei sind Gewerkschafter. Es ist verständlich, dass deshalb auch diese Forderung wieder aufgewärmt wird.
({2})
- Nein, ich habe nichts gegen Gewerkschaften. Ich bin
für Gewerkschaften. Ist der Klaus Ernst noch da? Ich
sehe ihn gar nicht.
({3})
- Ah, er ist in ein Gespräch vertieft. - Ich schätze ihn
ausdrücklich als Gewerkschafter aus meiner Nachbarschaft. Es sind sicher noch mehr Gewerkschafter da. Wir
schätzen starke Gewerkschaften, weil sie dazu beigetragen haben, dass mit der SPD in der letzten Legislaturperiode über das Arbeitnehmer-Entsendegesetz tariflich
vereinbarte Mindestlöhne überhaupt erst auf den Weg
gebracht werden konnten.
({4})
Mir ist es lieber, die an der Lohnfindung beteiligten Parteien - Arbeitgeber und Arbeitnehmer bzw. Gewerkschaften - finden einen Lohn, als dass der Lohn politisch
festgesetzt werden muss. Das ist der falsche Weg; der
führt in eine Sackgasse.
({5})
Ihr Einwand, Frau Enkelmann, bringt mich zu dem
nächsten Punkt in Ihrem Antrag: Mindestlohn. Ein flächendeckender gesetzlicher Mindestlohn ist das falsche
Rezept. Er löst unsere Probleme nicht, sondern verschärft die Situation nur.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage der
Kollegin Zimmermann?
Ja, ich bitte darum.
({0})
- Frau Pothmer, Sie können mich auch etwas fragen. Die
Uhr ist schon angehalten.
({1})
- Die Sympathien sind eindeutig verteilt, Herr Kolb.
({2})
Herr Kollege Lehrieder, stimmen Sie mir zu, dass wir
auf dem Arbeitsmarkt einen Wandel von guter, tariflich
entlohnter Arbeit zu Teilzeit, prekärer Beschäftigung,
Minijobs und Midijobs erleben? Stimmen Sie mir zu,
dass wir in diesem Bereich eine massive Zunahme haben?
({0})
Stimmen Sie mir zu, dass wir durch die Tatsache, dass in
den letzten fünf Jahren 655 000 Menschen in Rente gegangen sind und nicht so viele junge Leute nachkommen, einen statistischen Effekt in der Arbeitslosenstatistik haben? Stimmen Sie mir zu, dass wir einen weiteren
statistischen Effekt dadurch haben, dass 270 000 Menschen pro Jahr aus der Statistik herausfallen, weil sie
durch Dritte vermittelt werden?
Ich stimme Ihnen darin zu, dass der Bereich der Miniund Midijobs in den letzten Jahren angewachsen ist, aber
nicht nur wegen erzwungener Maßnahmen der Arbeitgeberseite, sondern auch, weil viele Mitbürgerinnen und
Mitbürger nur einen Teilzeitjob wollen, sei es wegen
Kindererziehung, sei es wegen der Berufstätigkeit des
Partners. Auch das muss man fairerweise sagen, wenn
wir die Statistiken vergleichen.
Es ist richtig, dass im Niedriglohnbereich in den letzten Jahren Bestimmungen umgangen worden sind. Dagegen gehen wir vor.
({0})
Wir müssen etwas tun, um Dumpinglöhne zu verhindern. Ich will Ihnen noch einige Zahlen aus dem Artikel
nennen, aus dem ich vorhin zitiert habe. - Bleiben Sie
ruhig stehen; das verlängert meine Redezeit. - Die Produktivität der Arbeitsstunde wurde im letzten Jahr gegenüber dem Vorjahreswert um 0,7 Prozent erhöht.
({1})
- Ich bin noch nicht fertig mit meiner Antwort. - Im ersten Quartal 2010 betrug die durchschnittliche Produktivität 358,5 Stunden. Das sind immerhin 1,3 Prozent bzw.
4,5 Stunden mehr als im Vorjahr. Das bedeutet, dass die
Zahl der Vollzeitbeschäftigten zugenommen hat, zwar
langsam, aber immerhin deutlich merkbar. Das ist eine
Chance, mit guter Arbeit aus der Krise zu kommen.
Sie können sich setzen. Jetzt rede ich nach meinem
Manuskript weiter. - Ich komme zum nächsten Punkt:
500 000 öffentlich geförderte Arbeitsplätze. Meine
Güte, das ist ein ganz altes Modell! Das hat früher bei
der SED funktioniert; da hat der Staat die Arbeitsplätze
angeboten. Wenn der Staat alle Arbeitsplätze anbietet
und auch den Lohn bezahlen muss, dann werden wir irgendwann da landen, wo Länder im südlichen Europa
leider jetzt schon stehen. Dann werden wir mit Staatsschulden diese Ihrer Meinung nach Heil bringende Arbeit finanzieren, was zu noch höherer Verschuldung und
einem noch höheren Defizit führen wird. Unsere Kinder
müssen Ihre ungeeigneten, deplatzierten Rezepte dann
irgendwann ausbaden. Das kann es nicht sein.
({2})
- Natürlich, mit Steuern machen Sie das auch. Ich nenne
hier nur Ihre Reichensteuer. Aber
({3})
so hoch können Sie die Steuer gar nicht ansetzen, dass
Ihr Wunschkonzert damit finanziert werden könnte. Ich
freue mich auf die noch folgende Begründung Ihrer Arbeitsmarktexpertin Jochimsen.
Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit und wünsche Ihnen noch einen schönen Tag. Danke.
({4})
- Das war die Klammer, Frau Pothmer.
({5})
Nächster Redner ist der Kollege Ottmar Schreiner für
die SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ich hatte schon in der ersten Lesung zu dem Antrag der
Linkspartei gesprochen und darauf hingewiesen, dass es
ein Kernanliegen auch der Sozialdemokraten ist, gute
Arbeit in unserem Land durchzusetzen, und dass der Antrag der Linkspartei eine Reihe von brauchbaren Ansätzen enthält, aber auch eine Reihe von Übertreibungen,
etwa in Sachen Mindestlöhne. Die entscheidende Frage,
wenn wir heute diesen Antrag diskutieren, ist, ob die
Realpolitik - Realpolitik ist vor allen Dingen das von
der Koalition vorgelegte Sparprogramm - gute Arbeit
fördert oder das Gegenteil bewirkt. Ein Autor des vom
Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung in dieser
Woche vorgelegten Gutachtens zur Einkommensentwicklung sagt dazu:
Bei all den Vorschlägen der Bundesregierung zum
sogenannten Sparpaket ist kritisch zu beurteilen,
dass die bisherigen konkreten Vorschläge … nur die
unteren Einkommensbereiche betreffen.
Das gilt vor allen Dingen für Arbeitslose. Es herrscht
eine völlig einseitige Schlagseite, nur die unteren Einkommensbereiche sind betroffen, die Angst vor dem
Verlust des Arbeitsplatzes muss unter diesen Bedingungen weiter zunehmen. Mit dieser Angst steigen der
Druck und die Bereitschaft, auch Verschlechterungen
der Arbeitsbedingungen hinzunehmen, um den Arbeitsplatz nicht zu verlieren. Die von der Bundesregierung
gebetsmühlenhaft vorgetragene Behauptung, die Einschnitte bei den Arbeitslosen erhöhten die Beschäftigungsanreize, ist in Wahrheit eine zynische Formel.
({0})
Der Druck auf die Arbeitslosen, Arbeit um jeden Preis,
aber wirklich um jeden Preis, zu noch so niedrigen Löhnen anzunehmen, wird nochmals erhöht. Mit einem Anteil von jetzt 23 Prozent haben wir im europäischen Vergleich bereits den größten Niedriglohnsektor. Die
prekären Beschäftigungsverhältnisse steigen ständig. Im
letzten Jahr, 2009, waren bei allen Neuarbeitsverhältnissen 48 Prozent der Beschäftigungsverhältnisse zeitlich
befristet. Die Ausnahme ist zur Normalität geworden.
Der Druck auf die Arbeitslosen wird also zunehmen. Es
wird noch mehr Niedriglöhne und noch mehr prekäre
Beschäftigung geben. Insofern ist das Sparprogramm der
Bundesregierung auch ein Generalangriff auf das Ziel
„gute Arbeit“.
Wer gute Arbeit für die Beschäftigten will, muss Alternativen zum Sparwahn der Bundesregierung aufzeigen. Ich will auf einen Sachverhalt hinweisen, der wenig
bekannt ist. Der hohen Staatsverschuldung - die Staatsschulden belaufen sich in Deutschland zurzeit auf circa
1,7 Billionen Euro - steht ein um ein Vielfaches höheres
Reinvermögen der privaten Haushalte gegenüber, nämlich nach den Daten der Bundesbank und des Statistischen Bundesamtes circa 8 Billionen Euro. Diese Vermögen konzentrieren sich in immer weniger privaten
Händen. Circa 10 Prozent der Bevölkerung verfügen
über knapp 70 Prozent des gesamten privaten Vermögens. Dem privaten Reichtum entspricht eine wachsende
öffentliche Armut. Die Welt - das ist eine Zeitung, die
eher Ihnen nahesteht, meine Damen und Herren von der
Koalition - schreibt gestern unter der Überschrift „In
den Städten verfällt die Infrastruktur - Klamme Kommunen haben einen Investitionsstau von 75 Milliarden
Euro“:
Marode Straßen, verfallende Häuser, leckende Abwasserleitungen: Deutschlands Infrastruktur verfällt. Denn Städten und Gemeinden fehlen seit Jahren die Mittel, um Verkehrswege, Krankenhäuser,
Kindergärten, Schulen und Klärwerke zu unterhalten. „Bei den Kommunen hat sich ein Investitionsstau von 75 Mrd. Euro aufgetürmt“, hat Busso
Grabow vom Deutschen Institut für Urbanistik
({1}) errechnet. …
Usw. usf. Also, auf der einen Seite finden wir einen ungeheuren privaten Reichtum, konzentriert in immer weniger Händen, auf der anderen Seite wachsende öffentliche Armut, die den Staat nicht mehr in die Lage versetzt,
die notwendigen strukturellen Aufgaben im Bereich der
Kindergärten, der Schulen und der Krankenhäuser hinreichend zu realisieren. Die Tatsache, dass diese hochkonzentrierten Vermögen nicht stärker für die Finanzierung unseres Gemeinwesens herangezogen werden und
so gleichsam unproduktiv brachliegen, verhindert mehr
Wachstum, mehr Beschäftigung und gute Arbeit. Dieser
Sachverhalt wird systematisch verschwiegen.
Die Alternative ist klar: Würde ein Teil der in privaten Haushalten konzentrierten Vermögen abgeschöpft
und investiert, würde sich die Verschuldungslage des
Staates deutlich verbessern. Die dadurch entstehende zusätzliche Nachfrage könnte Unternehmen und Arbeitnehmern zugutekommen. Wachstum und Beschäftigung
würden zunehmen, ebenso die Produktivität und der damit verbundene Verteilungsspielraum. Die Voraussetzungen für die Durchsetzung guter Arbeit würden sich
deutlich verbessern. Das ist die eigentliche Alternative.
({2})
Es geht kein Weg daran vorbei, aus ökonomischen
und sozialen Gründen große Vermögen in Deutschland
stärker zur Finanzierung öffentlicher Aufgaben heranzuziehen. Eine zusätzliche Finanztransaktionsteuer
würde ebenfalls hauptsächlich große Vermögen belasten.
Sie würde sinnlose Spekulationen verteuern und helfen,
Ersparnisse in Realinvestitionen umzulenken.
Da immer von Sozialneid gesprochen wird, wenn wir
auf diese extremen Ungleichheiten hinweisen, will ich
Ihnen zum Schluss ein Zitat aus dem Handelsblatt vom
26. Mai dieses Jahres vortragen.
Die Frage lautet:
Die Schuldenkrise des Staates ist aus der privaten
Finanzkrise entstanden. Wäre es da nicht gerechtOttmar Schreiner
fertigt, die heranzuziehen, die vorher sehr gut verdient haben?
Die Antwort lautet:
Unbedingt, das ist absolut notwendig. Das Gerechtigkeitsempfinden der Menschen ist verletzt, und
das kann die Demokratie gefährden.
In einer anderen Antwort heißt es:
Ich denke, dass vor allem die Einkommen aus Vermögen stark zugenommen haben. … Ich habe
durchaus Sympathie für eine erneuerte Vermögensteuer, über die man intensiv nachdenken sollte.
Dieses Zitat stammt weder vom Fraktionsvorsitzenden der SPD noch von dem der Linken oder der der Grünen. Dieses Zitat stammt von Herrn Reinhard Marx, Erzbischof von München.
Meine Damen und Herren von der Koalition, zumindest von der christdemokratischen Union, Sie sollten die
Aufforderung von Herrn Reinhard Marx ernst nehmen.
Das wäre die schmerzfreie Alternative zu einem Sparkurs der Bundesregierung, der wieder ausschließlich auf
dem Rücken der kleinen Leute stattfindet.
({3})
Das wäre dann auch sozial ausgewogen und ökonomisch
vernünftig, und es wäre, meine Damen und Herren von
der CDU/CSU, dann sogar christliche Politik.
Schönen Dank.
({4})
Für die FDP-Fraktion hat nun Herr Kollege Pascal
Kober das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Der Antrag „Mit guter Arbeit aus der Krise“, den wir
heute beraten, enthält eine große Ansammlung sozialpolitischer und arbeitsmarktpolitischer Forderungen der
Linken.
Frau Kollegin Krellmann, in der Ausschusssitzung
am 9. Juni haben Sie dazu sinngemäß gesagt, der Antrag
enthalte jede Menge Forderungen der Linken, deshalb
würden Sie nicht mit der Zustimmung anderer Fraktionen zu Ihrem Antrag rechnen. Frau Kollegin Krellmann,
ich kann Ihnen für die FDP versichern: Damit liegen Sie
richtig.
({0})
Wir werden Ihren Antrag ablehnen, und das aus einem übergeordneten Grund. Zusammengefasst gesagt
enthält Ihr Antrag eine Ansammlung von Forderungen,
die in ihrer Umsetzung eine Konsequenz haben würde:
Sie würden um den Arbeitsmarkt herum eine Mauer errichten, die für diejenigen, die sich außerhalb des Arbeitsmarkts befinden, weil sie keine Arbeit haben, unüberwindlich sein würde.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Linken, Sie
wollen vielleicht den Menschen helfen. In Wahrheit aber
berauben Sie sie ihrer Chancen. Wir hingegen wollen
mit unserer Politik den Menschen Chancen auf dem Arbeitsmarkt geben. Wir wollen sie zur Teilhabe an der Gesellschaft befähigen. Wir wollen ihnen den Einstieg bzw.
die Rückkehr in den Arbeitsmarkt erleichtern.
({1})
Auf jeden einzelnen Ihrer Vorschläge einzugehen,
verbietet die Kürze der Zeit.
({2})
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage der
Kollegin Zimmermann?
Sehr gerne.
Danke schön, Frau Präsidentin. - Herr Kober, Sie
wissen sicherlich, dass wir eine Unterbeschäftigung von
4,4 Millionen Menschen haben. Diese 4,4 Millionen
Menschen suchen einen guten Arbeitsplatz, auf dem sie
einen ausreichenden Lohn bekommen, von dem sie leben und ihre Familie ernähren können. Sie wissen aber
auch, dass es laut Stellenstatistik 813 000 offene Stellen
gibt.
({0})
Von diesen 813 000 offenen Stellen sind ein Drittel in
Leiharbeit. Jetzt frage ich Sie: Wo ist dieser Arbeitsmarkt, von dem Sie reden? Wohin können diese Menschen vermittelt werden, und zwar schnell und besser,
wie Sie es mit dem Jobcenter ohnehin wollen?
({1})
Frau Kollegin, wenn der Arbeitsmarkt so statisch
wäre, wie Sie ihn jetzt beschreiben, dann hätten auch Sie
mit Ihrer Politik Schwierigkeiten, die Menschen in Arbeit zu vermitteln. Zunächst einmal gilt, dass nicht alle
offenen Stellen gemeldet werden.
({0})
Zum Zweiten müssen wir durch eine kluge Bildungspolitik sowie durch eine kluge Finanz- und Wirtschaftspolitik natürlich dafür sorgen, dass zum einen die Menschen gestärkt werden und zum anderen die Wirtschaft
gestärkt wird, damit Arbeitsplätze entstehen. Mit unserer
Politik sind wir auf einem guten Weg dahin, dass mehr
Arbeitsplätze entstehen. Das ist unsere Hoffnung, und
daran arbeiten wir mit voller Kraft. - Vielen Dank.
({1})
In der Kürze der Zeit möchte ich nicht auf alle Ihre
Forderungen eingehen. Ich möchte aber ein Beispiel hervorheben, um meine These zu bestätigen. Im Grunde genommen möchten Sie die Zeitarbeit abschaffen.
({2})
Sie fordern gleichen Lohn für gleiche Arbeit ab dem ersten Arbeitstag, ohne jegliche Ausnahme. Sie fordern,
dass die Verleihdauer auf maximal drei Monate beschränkt wird. Zudem wollen Sie nicht nur gleichen
Lohn für gleiche Arbeit; Sie wollen darüber hinaus, dass
Leiharbeitskräfte zusätzlich eine Flexibilitätsprämie erhalten. Im Ergebnis würde das dazu führen, dass die
Zeitarbeit beerdigt wird.
({3})
Wir wissen, dass die Zeitarbeit für viele Menschen
durchaus eine Möglichkeit ist, in den Arbeitsmarkt zu
kommen und dort Fuß zu fassen.
({4})
Wir wissen aufgrund von Statistiken, Herr Kollege, dass
62,2 Prozent der Menschen, die in Zeitarbeitsunternehmen eingestellt werden, vorher nicht gearbeitet haben.
({5})
Wir wissen, dass 11,4 Prozent der Menschen vorher sogar überhaupt noch nie gearbeitet haben. Wir wissen,
dass ein Fünftel bis ein Viertel der Personen, die in Zeitarbeitsunternehmen arbeiten, in den Unternehmen, in die
sie entliehen werden, dann auch Fuß fassen und dort
bleiben.
({6})
Wir wissen, dass es etwa einem Fünftel der Menschen,
die in Zeitarbeit arbeiten, gelingt, nach einem gewissen
Zeitraum in anderen Unternehmen dauerhaft in eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung zu kommen.
({7})
Es ist klar, dass wir den Missbrauch in der Zeitarbeit
angehen werden. Das haben wir als Koalition hier einmütig schon gesagt. Das Bundesarbeitsministerium ist
dabei, mit den Regierungsfraktionen entsprechende Lösungen zu erarbeiten. Insofern, glaube ich, ist es ein Fehler von Ihnen, dass Sie die Zeitarbeit in der Form, wie
Sie es machen, beerdigen wollen.
Einen zweiten Aspekt des Antrags möchte ich noch
ansprechen. Sie sprechen sich für die Abschaffung der
sachgrundlos befristeten Arbeitsverhältnisse aus, mit
dem Argument, dass Menschen mit befristeten Arbeitsverträgen keine Lebensplanung vornehmen können. Ich
möchte Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen der Linkspartei, an das erinnern, was mein Kollege Kolb in der
letzten Woche hier im Hohen Hause dargelegt hat, dass
nämlich auch all unsere Mitarbeiter, die Mitarbeiter von
uns Bundestagsabgeordneten, befristete Arbeitsverträge
haben
({8})
und dennoch viele Familien gründen und Kinder bekommen. Es ist eine befristete Arbeit,
({9})
und die Zukunft ist über die vier Jahre hinaus nicht zu
planen. Insofern ist Ihr Argument nicht richtig.
({10})
Viele Unternehmen können die wirtschaftliche Entwicklung nicht abschätzen und müssen auf die Flexibilität, die ihnen befristete Arbeitsverhältnisse ermöglichen,
zurückgreifen. Ich möchte Sie nur darauf aufmerksam
machen, dass auch beim DGB, beim Deutschen Gewerkschaftsbund, 17 Prozent der Arbeitsverhältnisse befristet
sind.
({11})
Was für den DGB vielleicht richtig ist, kann doch auch für
andere gelten. Ich sage Ihnen, wie er argumentiert - ich
zitiere -:
Um langfristig Personalüberhänge zu vermeiden,
werden seit 2004 Beschäftigte grundsätzlich nur
noch befristet eingestellt.
So der DGB zu seiner eigenen Arbeitsmarktpolitik.
({12})
Ich möchte den DGB da nicht kritisieren, aber darauf
hinweisen, dass auch andere diese Notwendigkeit so sehen wie wir.
Vielen Dank.
({13})
Nächste Rednerin ist die Kollegin Dr. Lukrezia
Jochimsen für die Fraktion Die Linke.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine Damen und Herren! Die Fraktion Die Linke stellt
heute den Antrag „Mit guter Arbeit aus der Krise“ zur
Abstimmung, weil wir in der Tat der Meinung sind, dass
sich unser Land nur durch Arbeit aus der Krise, in der es
sich jetzt befindet, wird befreien können, und zwar durch
gute Arbeit. „Gute Arbeit“ bedeutet nicht Niedriglohnarbeit, wie sie heute von 6,5 Millionen Beschäftigten geleistet werden muss, für 3,06 Euro in der Friseurbranche
oder für 4,50 Euro in der Fleischbranche. „Gute Arbeit“
heißt auch nicht: Leiharbeit, Teilzeitarbeit, Minijobs, sogenannte Solo-Selbstständigkeit. Das sind die uns allen
bekannten prekären Beschäftigungsformen, deren Zahl
immer mehr zunimmt.
Wir wissen auch genau, wozu sie geführt haben. Eine
ganz aktuelle Erhebung des Thüringer Landesamtes für
Statistik weist aus: In einem Drittel aller Thüringer Haushalte hat der Hauptverdiener - der Hauptverdiener! - am
Monatsende weniger als 1 300 Euro netto für die Familie,
inklusive BAföG und Kindergeld.
Hochqualifizierte Künstler und Kreative mit einem
14-Stunden-Arbeitstag haben am Ende des Jahres durchschnittlich ein Einkommen von 11 000 Euro, das nichts
übrig lässt für Krankheits- und Altersvorsorge. So darf
es doch nicht weitergehen.
({0})
Diese Entwicklung, immer tiefer hinein in einen Teufelskreis aus Armut und Ängsten in der Bevölkerung,
muss jetzt endlich aufgehalten werden.
({1})
Daher fordern wir eine Rückkehr zu guter Arbeit, die es
schließlich einmal gab in unserem Land und die das
Land insgesamt auch wohlhabend gemacht und befriedet
hat. Das ist ja nichts Unbekanntes für uns. Wir hatten
dieses Gut „gute Arbeit“ in unserer Gesellschaft.
Aber was geschieht jetzt mitten in dieser schwersten
wirtschaftlichen Krise? Wird den Menschen herausgeholfen aus dem Teufelskreis? Nein, und nochmals Nein!
Ein Sparpaket wird geschnürt, das nur die sozial
Schwachen heranzieht, die Arbeitslosen, die Alleinerziehenden. Für meine Fraktion sage ich hier: Das ist gewissermaßen eine Kampfansage an die Menschen, die am
wenigsten zum Leben haben. Diese Kampfansage werden wir annehmen. Damit lassen wir Sie nicht durchkommen! Auf gar keinen Fall!
({2})
Auch die Betroffenen werden das nicht einfach hinnehmen. Es gibt so viele Menschen, die diese soziale
Schieflage des Sparpakets als absolut ungerecht empfinden: Gewerkschaften, Kirchen, Sozialverbände formulieren diese Ablehnung bereits massiv. Das Volk hält
vom Sparpaket nichts. Weil sich auch immer mehr Menschen aus der sogenannten bürgerlichen Mitte der Gesellschaft - da könnten die Kollegen von der FDP einmal
zuhören - Sorgen um das Ganze machen, irren Sie nämlich doppelt, wenn Sie glauben, Sie werden à la longue
damit durchkommen.
Das Bürgertum hat über Generationen ein paar
Grundsätze bewahrt. Dazu gehören das Streben nach
Ausgleich in der Gesellschaft, nach Hebung des allgemeinen Wohlstands und, wie Heribert Prantl unlängst in
der Süddeutschen schrieb, das Verursacherprinzip, also
der Gedanke, dass die Suppe auszulöffeln hat, wer sie
eingebrockt hat.
({3})
Sie aber, meine Damen und Herren von der Regierung,
handeln längst nach einem anderen Prinzip, dass nämlich diejenigen die Suppe auszulöffeln haben, denen sie
eingebrockt worden ist. Das wird nicht hingenommen,
auch vom Bürgertum nicht.
({4})
Ihre eigenen Ministerpräsidenten melden sich kritisch zu
Wort. So hat zum Beispiel die thüringische Ministerpräsidentin Lieberknecht die Streichung des Elterngeldes
für Hartz-IV-Empfänger mit den Worten abgelehnt: „Das
Schicksal der meisten Hartz-IV-Empfänger ist schon
schwer genug.“ Die Regierung „sollte nicht auch noch
den Eindruck erwecken, sie seien nicht in der Lage, ihre
Kinder selbst zu erziehen“, indem sie sage, das eingesparte Elterngeld werde für Bildungsangebote ausgegeben. Worte einer CDU-Ministerpräsidentin. Man kann
Frau Merkel nur raten: Bitte hören Sie doch darauf,
wenn Sie schon nicht auf die Linke hören wollen.
({5})
Heute ist der 17. Juni. Ich bin alt genug, mich an die
Ereignisse zu erinnern, und es ist gut, dass wir ihrer
gedenken. Gesine Schwan hat heute Morgen hier im
Parlament eine bemerkenswerte Gedenkrede gehalten
und den Appell an uns gerichtet, Lehren aus der
Geschichte zu ziehen - wohl wahr! Eine der Lehren der
Geschichte ist, dass sich die Arroganz der Mächtigen,
selbst der Regierenden, böse rächen kann.
({6})
Als Mahnung darf ich Ihnen einige Zeilen von Bertolt
Brecht zitieren:
Nach dem Aufstand des 17. Juni
Ließ der Sekretär des Schriftstellerverbandes
In der Stalinallee Flugblätter verteilen
Auf denen zu lesen war, daß das Volk
Das Vertrauen der Regierung verscherzt habe
Und es nur durch verdoppelte Arbeit
Zurückerobern könne. Wäre es da
Nicht einfacher, die Regierung
Löste das Volk auf
Und wählte ein anderes?
Bertolt Brecht, 1953.
({7})
Es gibt einen untrüglichen Indikator dafür, wie eine
Gesellschaft verfasst ist: Das ist die Art und Weise, wie
sie mit ihren Künstlerinnen und Künstlern, den kreativen
Menschen umgeht. Wer vor Jahren, nach dem Zusammenbruch des Ostblocks, die Konzertgeiger von daher
auf unseren Straßen um Almosen spielen sah und hörte,
der wusste genug über das Elend in deren Heimat. Und
bei uns? Da haben es die Regierungen, nicht nur die jetzige, so weit gebracht, ein beachtliches Kultur- und
Kunstprekariat hervorzubringen. Wir werden alle dafür
zahlen müssen: die für ein Butterbrot arbeitenden Kreativen als Erste und wir durch einen Kulturverlust, einen
Verlust an Lebensqualität. Am Ende aber werden auch
die, die dafür die Verantwortung tragen, die Rechnung
präsentiert bekommen. Da bin ich ganz sicher.
({8})
Wie heißt es, wenn es um die Banken geht? Too big to
fail - zu groß, um sie untergehen zu lassen - oder, wie es
begründet wurde, die Banken seien systemimmanent.
Das war und ist Ihre Wahrheit in der Krise. Meine Wahrheit, meine Maxime ist eine andere: Ich sehe die Menschen in unserem Land und sage über jeden Einzelnen:
zu wertvoll, um auf sie oder auf ihn zu verzichten.
({9})
Ihre oder seine Teilhabe - sei es durch Lohnarbeit oder
soziales Tun in der Familie, durch kulturelle Beiträge
oder politisches Engagement oder einfach nur durch ihr
oder sein Dasein in Würde, als stolzer Mitmensch - ist
für mich zu wertvoll, als dass wir darauf einfach verzichten könnten.
Wir sind nichts mehr, wenn wir diesen Impuls verlieren. Darum stellen wir heute einen Antrag, der gute Arbeit zum Ziel politischen Handelns macht und damit ein
gutes Leben in dieser Gesellschaft ermöglicht, gutes Leben anstelle wachsender Armut einerseits und schwindelerregender Zunahme von Reichtum andererseits. Ich
frage: Wer will eigentlich in einem so in Reich und Arm
auseinanderklaffenden Land leben? Sie hier doch sicherlich nicht. Davon gehe ich aus.
({10})
Dann setzen Sie doch einmal ein kleines Zeichen und
stimmen für gute Arbeit, damit gutes Leben wieder ins
Land kommt und damit die Menschen sehen: Angesichts
der Krise und der Nöte so vieler Menschen im Land geht
es uns hier im Bundestag nicht nur um die Ausgrenzung
der Linken, um Fraktionsdisziplin und Rituale. Das wäre
systemimmanent, und das wäre jetzt angebracht.
Ich danke Ihnen.
({11})
Nächste Rednerin ist die Kollegin Beate Müller-Gemmeke für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich habe schon in der ersten Lesung
gesagt, dass uns das Thema „gute Arbeit“ wichtig ist. Es
ist mir so wichtig, dass ich es hier nicht wie ein Kapitel
aus einem Wahlprogramm behandeln möchte.
An manchen Stellen ist der Antrag der Linken überzogen, beispielsweise bei der Mitbestimmung. Auch wir
wollen die Mitbestimmung stärken. Aber uns geht es um
gleiche Augenhöhe und um einen Interessensausgleich
zwischen Unternehmen und Beschäftigten. Kritisiert
habe ich an dem Antrag auch schon, dass ein Überbietungswettbewerb bei der Höhe des gesetzlichen Mindestlohns stattfindet. Im Moment geht es aber erst einmal darum, dass überhaupt ein Mindestlohn eingeführt
wird. Wir brauchen ein starkes, breit aufgestelltes Bündnis, um Druck machen zu können. Wir sollten an einem
Strang ziehen.
({0})
Kurzum: Der Antrag beinhaltet einige Forderungen,
die wir nicht mittragen können. Es gibt aber auch viele
Forderungen, denen wir zustimmen. Deshalb werden wir
den Antrag nicht ablehnen, sondern werden uns enthalten.
Zu den Regierungsfraktionen. Ich appelliere an Sie,
nicht weiter die Augen vor der Realität zu verschließen.
Herr Lehrieder, der Wandel in der Arbeitswelt ist unübersehbar. Die Arbeit wird nun zunehmend atypisch,
prekäre Beschäftigung nimmt zu. Viele Menschen erleben tagtäglich eine Arbeitswelt, die aufreibender und unsicherer wird, und viel zu viele Menschen arbeiten und
können dennoch nicht von ihrem Lohn leben oder müssen jeden Euro dreimal umdrehen.
({1})
Dennoch vertreten viele aus den Regierungsfraktionen noch immer die Meinung, dass sozial ist, was Arbeit
schafft; aber damit sind Sie schlichtweg auf dem Holzweg.
({2})
Sozial ist nur, was gute Arbeit schafft, und für uns Grüne
ist gute Arbeit untrennbar mit Anerkennung, Respekt
und Wertschätzung verbunden. Gute Arbeit bedeutet
Mitbestimmung, Teilhabe, faire Löhne, Arbeits- und Gesundheitsschutz, Entgeltgleichheit, familienfreundliche
Bedingungen und vor allem soziale Sicherheit.
({3})
Sie aber nehmen die Sorgen der Beschäftigten nicht
ernst. Sie sind bei diesen Themen taub und reden in der
Regel der Wirtschaft das Wort. Sie haben schlichtweg
keine Vision von guter Arbeit.
Dies möchte ich an einigen Beispielen ausführen:
47 Prozent der neuen Beschäftigungsverhältnisse sind
befristet. Das erschwert die Lebensplanung der betroffenen Menschen erheblich. Sie aber ignorieren das. Sie
wollen den Arbeitsmarkt sogar noch weiter flexibilisieren. Dagegen kann ich heute schon Widerstand ankündigen. Wir wollen die befristete Beschäftigung reduzieren,
indem wir die sachgrundlose Befristung abschaffen und
den Katalog der Befristungsgründe auf den Prüfstand
stellen. Befristete Beschäftigungsverhältnisse halten wir
ebenfalls für problematisch, weil damit der Kündigungsschutz umgangen wird. Wir wollen eine Balance zwischen den Interessen der Arbeitnehmer und denen der
Arbeitgeber. Deswegen ist der Kündigungsschutz untrennbar mit dem Thema gute Arbeit verbunden.
({4})
In diesem Sinne kann es auch nicht sein, dass Beschäftigte wegen sogenannter Bagatelldelikte einfach
gekündigt werden. Wir fordern deswegen in unserem
Antrag, dass endlich die Abmahnungspflicht bei Bagatelldelikten eingeführt wird. Dies würde Beschäftigte gerade jetzt in der Krise schützen, denn bei diesen Fällen
geht es für die Betriebe um Bagatellbeträge; aber für die
Menschen geht es um ihre Existenz.
({5})
Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Lehrieder?
Ja.
Bitte sehr.
Frau Kollegin Müller-Gemmeke, Sie haben gerade
ausgeführt, dass wir nur die Interessen der Wirtschaft im
Hinterkopf haben, Sie aber die Interessen der Arbeitnehmer.
({0})
Teilen Sie die Auffassung, dass in der Wirtschaft - ich verstehe jetzt unter der Wirtschaft auch die kleinen mittelständischen Unternehmen oder die Unternehmen schlechthin zuerst ein Unternehmen vorhanden sein muss, bevor
man überhaupt erst einmal Arbeit bekommen kann, dass
auch die Arbeitgeber hierbei mit ins Boot genommen
werden müssen, die die Arbeit bereitstellen können, damit der Arbeitnehmer überhaupt eine Chance hat, einen
Job zu bekommen?
({1})
Oder wie sehen Sie das? Wer gibt bei Ihnen die Arbeit,
wenn nicht die Wirtschaft?
Ich verstehe, ehrlich gesagt, Ihre Frage nicht ganz.
({0})
- Ich habe eben auch „in der Regel“ gesagt, und ich habe
vorhin auf die Mitbestimmung verwiesen. Es geht immer um eine Balance zwischen den Unternehmen und
den Arbeitnehmern, es geht immer um Balance beim
Kündigungsschutz, und das sehe ich bei den Bagatellkündigungen durchaus so, denn da ist die Balance auf jeden Fall nicht gegeben, wenn man wegen 80 Cent oder
1,30 Euro eine Arbeit verlieren kann, nachdem man
30 Jahre dort gearbeitet hat.
({1})
Das Bundesarbeitsgericht hat uns momentan bei dem
Fall Emmely recht gegeben. Von daher geht es um Balance, und ich denke nicht, dass wir mit unserer Haltung
die kleinen Unternehmen oder auch größere Unternehmen wirklich schädigen können.
({2})
Um gute Arbeit geht es natürlich auch bei der Leiharbeit. Der Missbrauch bei der Leiharbeit ist ja bekannt.
Bekannt ist auch, dass Stammbelegschaften durch Leiharbeitskräfte ersetzt werden. Das Instrument Leiharbeit
wird auch für Lohndumping benutzt.
Lange, viel zu lange hat das Ministerium geprüft. Wie
man jetzt hört, sollen wieder einmal nur kosmetische
Korrekturen vorgenommen werden. Das reicht uns nicht
aus. Wir wollen die Leiharbeit wirklich regulieren. Das
Prinzip „gleicher Lohn für gleiche Arbeit“ muss endlich
umgesetzt werden.
({3})
In Bezug auf den Niedriglohnbereich muss ebenfalls
endlich etwas getan werden. Sie wissen es: 5 Millionen
Menschen arbeiten für weniger als 8 Euro, 1 Million sogar für weniger als 5 Euro pro Stunde. Und was macht
die FDP? Sie versucht sogar noch, hart verhandelte Mindestlöhne zu blockieren und zu befristen. Stellen Sie sich
endlich der Realität und führen Sie endlich einen gesetzlichen Mindestlohn und mehr branchenspezifische Mindestlöhne ein!
({4})
Damit würden Sie mehr als zwei Fliegen mit einer
Klappe schlagen: Die Beschäftigten hätten endlich einen
auskömmlichen Lohn, der Staat weniger Sozialausgaben, die Sozialversicherungen mehr Einnahmen.
({5})
Herr Schäuble hätte mehr Geld in der Kasse, und Sie
könnten die unsozialen Einsparungen bei den Schwachen in der Gesellschaft aussetzen, was Sie übrigens auf
jeden Fall tun sollten.
({6})
Ich komme nochmals auf das Thema „Sozial ist, was
Arbeitsplätze schafft“ zu sprechen. Das impliziert, dass
Arbeitsplätze entstehen sollen. Das wollen auch wir. Arbeitsplätze entstehen aber nicht durch mehr Flexibilisierung. Sie entstehen nicht durch ein Weniger an Kündi4978
gungsschutz oder ein Mehr an Leiharbeit. Arbeitsplätze
entstehen, wenn die Rahmenbedingungen stimmen.
({7})
In diesem Sinne empfehle ich Ihnen: Verbinden Sie endlich Beschäftigung mit Ökologie, und zwar nicht nur in
Sonntagsreden! Machen Sie endlich eine konsequente
Klimaschutzpolitik! Dann entstehen in der Folge überall
im Land neue und sichere Arbeitsplätze in den Bereichen Energie und Mobilität und auch im Bausektor.
({8})
Mein Fazit ist also: Machen Sie endlich eine Politik
für die Beschäftigten und nicht nur für diejenigen, die
sich sowieso auf der Sonnenseite des Lebens befinden.
Auch in der neuen DIW-Studie zeigt sich der Trend
- Kollege Schreiner hat es gerade ausgeführt -: Unsicherheit und Angst breiten sich immer weiter aus. Diese
Unsicherheit wird durch Ihr ungerechtes Sparpaket natürlich noch verschärft.
Umso wichtiger ist es jetzt für die Menschen, dass
Beschäftigung ein Mindestmaß an Sicherheit bietet und
Arbeit fair entlohnt wird. Beschäftigte, die gut behandelt
und wertgeschätzt werden und die ihre Stellung im Betrieb als sicher ansehen, sind übrigens motivierter und
engagierter. Sie identifizieren sich mit ihrer Arbeit, und
das kann eigentlich nur gut für unsere Wirtschaft sein.
({9})
Gerade jetzt, in der Krise, kann das gemeinsame Projekt „Gute Arbeit“ Orientierung geben und einen solidarischen Ausweg aus der Krise aufzeigen. Was aber
machen Sie? Sie streiten sich in der Koalition mittlerweile um fast jedes Thema schrill und öffentlich, als
drehe sich die Welt momentan nur um Ihre Koalition.
Für Sie steht momentan nicht der Zusammenhalt in der
Gesellschaft im Mittelpunkt, sondern ausschließlich der
Zusammenhalt in der Koalition.
({10})
Dazu kann ich nur sagen: Noch nie war die Empathie der
Verantwortlichen einer Regierung für das Land und die
Menschen so gering.
Vielen Dank.
({11})
Für die CDU/CSU-Fraktion hat nun das Wort die Kollegin Gitta Connemann.
({0})
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Frau Dr. Jochimsen,
wenn dieser Auftritt gerade Ihre Bewerbungsrede für das
Amt der Bundespräsidentin gewesen sein sollte,
({0})
stelle ich fest: Sie haben Ihr Ziel verfehlt.
({1})
Denn spätestens nach diesem Beitrag sollte dem Letzten
in diesem Haus bewusst sein, dass Ihre Bewerbung eines
nicht ist: ernst gemeint.
({2})
Sie haben einen einzigen Satz gesagt, den ich absolut
unterstreichen kann - er stammt aus Ihrem Antrag; ich
zitiere -: „Gute Arbeit muss das Ziel politischen Handelns sein.“ Wer von uns wollte dieser Feststellung widersprechen?
({3})
Niemand! Denn wir alle wünschen uns genau das. Die
Menschen sollen eine aus ihrer Perspektive möglichst
gute Arbeit haben.
({4})
Die entscheidende Frage lautet aber: Was ist eine gute
Arbeit?
({5})
Ihre Antwort, meine Damen und Herren von der Linken:
Nur die unbefristete Vollzeitarbeit ist eine gute Arbeit.
({6})
Erkennen Sie eigentlich, was Sie damit tun? Damit kanzeln Sie die Arbeit von Teilzeitbeschäftigten, Selbstständigen, befristet Beschäftigten und auch Zeitarbeitnehmern ab.
({7})
Diese alle haben, ginge es nach Ihnen, schlechte Arbeit.
({8})
Haben Sie sich einmal Gedanken darüber gemacht, wie
sich diese Beschäftigten bei Ihrer Wortwahl - „atypisch“
oder gar „prekär“ - fühlen müssen? Ich frage Sie: Was
ist an einer Teilzeitkraft atypisch oder prekär, wenn sie
sich für Familie und Beruf entscheidet?
({9})
Was ist an einer Selbstständigen atypisch oder prekär,
wenn sie hoffnungsvoll eine neue Existenz gründet?
({10})
Was ist an einer Zeitarbeitnehmerin atypisch oder prekär, wenn sie wechselnde Arbeitsorte in Kauf nimmt, um
einen Vollzeitjob zu haben? Was sagen eigentlich Ihre
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, meine Damen und
Herren von den Linken? Sie haben nämlich - wie all unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter - befristete Arbeitsverträge bis zur nächsten Wahl, also nach Ihrer
Wortwahl „schlechte Arbeit“.
({11})
Meine Damen und Herren von der Linken, Ihre Klassifizierung ist ein Schlag ins Gesicht der Betroffenen; sie
ist ein Zeichen von Arroganz und fehlender Sachkenntnis.
({12})
Anstatt in Kategorien des Klassenkampfs zu denken,
sollten Sie sich der Wirklichkeit stellen. Sprechen Sie
nicht über die Beschäftigten, sondern sprechen Sie mit
den Beschäftigten!
({13})
Dann würden Sie erfahren: Gute und schlechte Arbeit
lassen sich nicht an Kategorien wie „typisch“ oder „atypisch“, „Vollzeit“ oder „Teilzeit“, „selbstständig“ oder
„angestellt“, „befristet“ oder „unbefristet“ festmachen.
Frau Kollegin, Herr Kollege Schreiner würde gerne
eine Zwischenfrage stellen.
Sehr gerne.
Bitte sehr.
({0})
Nach dieser „lichtvollen Bemerkung“ des bayerischen Kollegen wollte ich Sie fragen, ob Sie erstens bereit sind, zur Kenntnis zu nehmen, dass der Deutsche
Gewerkschaftsbund seit drei Jahren Untersuchungen zu
der Frage veröffentlicht, was Menschen unter guter
Arbeit verstehen, und dass laut Ergebnis dieser Untersuchungen 98 Prozent von vielen Tausend Befragten
sagen: Gute Arbeit ist ein auf Dauer angelegtes Vollzeitbeschäftigungsverhältnis mit einem möglichst existenzsichernden Einkommen.
Sind Sie zweitens bereit, zur Kenntnis zu nehmen, dass
es eine Reihe von Untersuchungen gibt, wonach viele
Menschen, die Teilzeit arbeiten, eigentlich einen Vollzeiterwerbsplatz anstreben, notgedrungen aber auf Teilzeit
gehen, weil sie keinen Vollzeitarbeitsplatz bekommen?
Natürlich gibt es auch Menschen - das ist zugestanden -,
die, meistens vorübergehend, einen Teilzeitarbeitsplatz
beanspruchen, um die Vereinbarkeit von familiären und
beruflichen Lasten besser zu koordinieren.
Nein, Herr Kollege Schreiner, ich bin nicht bereit, das
zur Kenntnis zu nehmen.
({0})
Ich darf Ihnen auch die Begründung geben. Sie haben
sehr pauschal Untersuchungen zum Thema Teilzeitbeschäftigung zitiert.
({1})
Ich kann Ihnen demgegenüber eine sehr konkrete Zahl
des Instituts der deutschen Wirtschaft Köln nennen, das
festgestellt hat: Von 9 Millionen Teilzeitbeschäftigten
wünschen 7 Millionen genau diese Teilzeitbeschäftigung;
({2})
nur 2 Millionen Menschen weichen auf Teilzeit aus, weil
sie keine Vollzeitstelle finden. Das heißt, 7 Millionen
von 9 Millionen Menschen wünschen sich dieses Modell, um ihren eigenen Lebensentwurf verwirklichen zu
können. Ich bitte Sie, das zur Kenntnis zu nehmen. Es
hilft, mit den Menschen zu sprechen. Das würde ich Ihnen empfehlen.
({3})
Sie sollten sich nicht auf Untersuchungen zurückziehen;
denn sie bestätigen Ihre Aussagen nicht.
Zum Beispiel ist die soziale Absicherung von Selbstständigen nicht minderwertig, nur weil Selbstständige
keine Pflichtmitglieder der gesetzlichen Sozialversicherung sind. Ebenso haben Zeitarbeitnehmer in der Regel
einen unbefristeten Vollzeitvertrag mit dem vollen gesetzlichen Kündigungsschutz, allen Arbeitnehmerschutzrechten und allen vier Zweigen der Sozialversicherung. Auch
können Teilzeitkräfte durch eine Reduzierung ihrer Arbeitszeit ihre Lebensentwürfe verwirklichen, weil sie so
zum Beispiel mehr Zeit mit Kindern verbringen können.
Gerade diese Erwerbsformen haben den Arbeitsmarkt in den letzten Jahren aus der Krise geführt; denn
in der Regel heißt die Alternative in der Praxis: Arbeit
oder Arbeitslosigkeit. Da fällt unsere Antwort, die Antwort der christlich-liberalen Koalition, sehr deutlich aus:
Vorfahrt für Arbeit.
({4})
Hier sind wir erkennbar auf dem richtigen Weg. 2005 lag
die Zahl der Arbeitslosen noch über der 5-MillionenMarke; heute, einige Jahre später, liegt die Marke trotz
der schlimmsten Wirtschaftskrise, die unser Land je erlebt hat, bei 3,2 Millionen Arbeitslosen. Das heißt,
1,8 Millionen Menschen haben Arbeit gefunden und damit eine Perspektive.
({5})
Einer der Gründe für diese positive Entwicklung waren
die Reformen der Agenda 2010.
({6})
Damals haben Rot und Grün die Weichen für mehr Beschäftigung gestellt; denn sie haben die flexiblen Erwerbsformen, wie wir sie heute haben - mehr Selbstständigkeit, mehr Teilzeit, mehr Befristung und mehr
Zeitarbeit -, erst ermöglicht.
({7})
Verteidigen Sie diese Erfolge mit uns, meine Damen und
Herren von Rot und Grün; denn die Linken wollen jetzt
eine Abschaffung all Ihrer Errungenschaften immer wieder mit derselben Behauptung, es seien massenhaft Vollzeitarbeitsstellen in Billigjobs umgewandelt worden.
({8})
Das Gegenteil ist richtig.
Ich habe bereits in der letzten Woche darauf hingewiesen: Schauen Sie sich die Zahlen des Statistischen
Bundesamtes an!
({9})
Die Zahl der unbefristeten Vollzeitjobs hat sich in den
letzten zehn Jahren bei rund 20 Millionen eingependelt.
In derselben Zeit ist die Zahl der Erwerbstätigen aber um
2,7 Millionen angestiegen. Es wurde also zusätzliche
Arbeit geschaffen, weil viele flexible Stellen entstanden
sind.
({10})
Diese Stellen sind ein Sprungbrett, zuerst in Arbeit, dann
in eine unbefristete Ganztagsbeschäftigung. Davon haben insbesondere Geringqualifizierte profitiert: Das sind
Menschen ohne Schulabschluss, ohne Ausbildung und
damit eigentlich ohne Chance. Wenn wir Ihrem Antrag
folgen würden, meine Damen und Herren von der Linken, würden wir diesen Menschen jede Chance rauben.
Das ist eine zutiefst unsoziale Politik. Eine solche Politik
ist mit uns nicht zu machen. Deshalb werden wir Ihren
Antrag ablehnen.
({11})
Für die SPD-Fraktion spricht nun der Kollege Josip
Juratovic.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten
Kolleginnen und Kollegen! Die Überschrift des Antrags,
über den hier diskutiert wird, lautet „Mit guter Arbeit
aus der Krise“. Es werden verschiedene Lösungsangebote aufgezeigt, die Beiträge zu mehr sozialer Gerechtigkeit leisten sollen, allerdings alle auf der Basis der
Umverteilung.
Doch um aus der gegenwärtigen Krise zu finden, gehört mehr dazu. Mehr Umverteilung ist noch lange nicht
Gerechtigkeit.
({0})
So wird zum Beispiel auch bei den Linken die Zeitarbeit hingenommen. Ja, Herr Kober, auch ich bin der
Meinung, dass die Zeitarbeit an sich für die Betroffenen
eine Chance sein kann. Jedoch ist die Zeitarbeit im Vergleich zur Festanstellung eine Ungerechtigkeit. Das gilt
nicht nur für die Entlohnung. Zeitarbeiter werden auch
außerhalb des Arbeitslebens stigmatisiert. Wenn beispielsweise jemand einen Kredit haben möchte, wird
ihm dieser verwehrt, wenn er als Zeitarbeiter keine unbefristete Anstellung vorweisen kann. Frau Connemann,
Sie wollen die Partei der Familienfreundlichkeit sein.
Ich denke, mit dieser Perspektive ist es nicht gerade ermutigend, eine Familie zu gründen.
Ja, wir befinden uns in einer Krise. Mehr soziale Gerechtigkeit kann die Auswirkungen der Krise bei den Betroffenen schmerzlindernd gestalten. Um jedoch aus der
gegenwärtigen Krise zu kommen, müssen wir neue Antworten auf die Frage finden, wie wir den Menschen eine
Zukunft bieten. Die Menschen sind verunsichert. Zwar
haben die meisten Menschen das Gefühl, dass es ihnen
aktuell gut geht, aber keiner weiß, wie lange noch. Vor
allem junge Menschen haben die Sorge, ob sie Arbeit
bekommen und unter welchen Bedingungen sie arbeiten
müssen. Es herrscht Orientierungslosigkeit, und vor allem schwindet das Vertrauen in den Zusammenhalt der
Gesellschaft und auch in die Politik.
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, wir haben
verschiedene Krisen zu bewältigen, und wir müssen dafür sorgen, das Vertrauen bei den Menschen, dass es in
unserer Gesellschaft gerecht zugeht, wieder herzustellen.
Da ist einerseits die Wirtschafts- und Finanzkrise,
aber es gibt auch eine Krise in der Arbeitswelt, und
zwar nicht nur hinsichtlich des Umgangs mit Umwelt
und Ressourcen, sondern auch hinsichtlich der betrieblichen Strukturen. So haben wir in zahlreichen Betrieben
zum Beispiel vier Klassen von Arbeitnehmern: Da sind
erstens die Festangestellten, da sind zweitens die Neueinsteiger, da sind drittens die Beschäftigten im indirekten Bereich, und da sind viertens die Zeitarbeiter, die
befristet Beschäftigten und die Praktikanten. Das ist gelebte Entsolidarisierung in den Betrieben. Natürlich
müssen wir schauen, wie wir die Leistungsfähigkeit der
Beschäftigten steigern können. Leistungsdruck und Entsolidarisierung führen allerdings nur zu kurzfristigem
Profit. Für nachhaltiges Wirtschaftswachstum, das auch
unserer Gesellschaft Nutzen bringt, benötigen die Beschäftigten in erster Linie Motivation und Sicherheit.
Doch wir haben auch eine Gesellschaftskrise. Unsere
Gesellschaft, die auf Solidarität und Zusammenhalt aufgebaut ist, leidet zunehmend darunter, dass bei vielen
Menschen der Ellenbogen zum wichtigsten Körperteil
geworden ist. Die Werte, die unsere Gesellschaft lange
Zeit ausgemacht haben, werden zunehmend ignoriert.
({1})
Es besteht der Eindruck, dass Fleiß, Ehrlichkeit und Anstand sich nicht mehr lohnen. Der Ellenbogen hingegen
ist salonfähig geworden.
Leider muss ich feststellen, dass die Regierungspolitik das Spiegelbild einer Ellenbogengesellschaft geworden ist. Wenn ich das sogenannte Sparpaket betrachte,
stelle ich fest, dass dabei sehr viel Ellenbogen im Spiel
ist. Ich habe den Eindruck, dass die Regierung nach betriebswirtschaftlichen Maßstäben handelt und vergisst,
dass es die ureigene Aufgabe der Politik ist, für alle Bürgerinnen und Bürger da zu sein.
({2})
Die vermeintlichen Einsparungen gehen ausschließlich
auf Kosten der Schwächsten in unserer Gesellschaft.
Dieses sogenannte Sparpaket ist Ausdruck der Unfähigkeit und Ideenlosigkeit der gegenwärtigen Regierung.
({3})
Es führt dazu, dass die Politik zunehmend das Vertrauen
der Menschen verliert, und es bringt die ganze Gesellschaft in die Gefahr, nach irgendwelchen Heilsbringern
zu rufen.
Der Staat muss das Vertrauen und die Handlungsfähigkeit zurückgewinnen. Um die Zukunft zu gestalten,
brauchen wir einen offenen Dialog auf allen Ebenen unserer Gesellschaft. Nur so finden wir den Weg aus der
Krise. Wir Sozialdemokraten laden dazu ein, diesen Dialog über die Zukunft des Arbeitslebens und der Gesellschaft in Deutschland, in Europa und in der Welt zu
führen. Wir wollen keine voreiligen und von oben aufgesetzten Scheinlösungen, sondern wir wollen aus der
Mitte der Gesellschaft neue und tragfähige Antworten
finden, um den Zusammenhalt unserer Gesellschaft wiederherzustellen. Damit werden wir auch wieder Vertrauen in die Handlungsfähigkeit der Politik schaffen.
Der Antrag der Linken bringt zwar den Wunsch nach
mehr Gerechtigkeit zum Ausdruck, dem ich mich anschließe, jedoch wird er seinem Anspruch, Wege aus der
Krise zu finden, nicht gerecht. Deswegen können wir
Sozialdemokraten dem Antrag diesmal nicht zustimmen.
Danke schön.
({4})
Für die FDP-Fraktion hat das Wort der Kollege
Sebastian Blumenthal.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe
Kollegen von der Fraktion Die Linke, Sie bieten in Ihrem Antrag einen famosen Gemischtwarenladen an. Da
ist eigentlich alles drin. Sie haben gesetzliche Mindestlöhne, Generalstreiks und das Verbot der geringfügigen
Beschäftigung aufgeführt. Meine Vorredner haben die
Widersprüche und fachlichen Defizite in Ihrem Antrag
schon mehrfach dargestellt. Ich möchte Ihre Aufmerksamkeit auf ein anderes Thema lenken. Ich möchte auf
Anspruch und Wirklichkeit zu sprechen kommen.
In der Bundeshauptstadt Berlin regieren Sie seit dem
Jahr 2001 mit. Sie stellen auch die Senatorin für Soziales. Ich finde es interessant, zu schauen, wie die Regierungspolitik der Linken in der Praxis aussieht. Wir können außerhalb des Reichstags sehen, was passiert, wenn
Sie in der Regierungsverantwortung sind und sich mit
der Realität beschäftigen müssen; dann reicht es nicht,
nur wohlfeile Anträge einreichen. Ich gehe einmal auf
ein Zitat aus Ihrem Antrag ein. Sie fordern ein sicheres,
geregeltes und geschütztes Arbeitsverhältnis, das den
Menschen ein verlässliches Einkommen ermöglicht, und
dass Arbeitnehmerrechte gestärkt werden. Was machen
Sie in Berlin? Hier sieht es völlig anders aus. Im Jahre
2003 haben Sie in Ihrer Regierungsverantwortung beschlossen, den Arbeitgeberverband der Länder zu verlassen. Sie sind ausgetreten.
({0})
Als direkte Folge durch die Aufkündigung des Tarifvertrags für die Angestellten im öffentlichen Dienst hier in
Berlin kam es zu einer Kürzung der Reallöhne um bis
zu 14 Prozent.
({1})
Sie beklagen sich zum Beispiel, dass die Reallöhne in
der freien Wirtschaft um 0,4 Prozent gesunken sind, setzen hier aber eine Kürzung um 14 Prozent durch. Da
kann ich nur sagen: Konsequenz zeigt sich im Handeln.
({2})
Sie fahren in Ihrem Antrag weiter fort: „Menschen,
die erwerbslos sind, müssen … am gesellschaftlichen
Leben teilhaben können.“ Die Praxis hier in Berlin sieht
so aus, dass Sie zum Beispiel zunächst das ÖPNV-Sozialticket gestrichen haben, dann auch das Arbeitslosenticket.
({3})
Später haben Sie dann wieder ein Sozialticket eingeführt, aber da war es auf einmal fast doppelt so teuer wie
vorher.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Liebich?
Nein, ich möchte den Gedanken zu Ende führen und
keine Zwischenfrage zulassen. - Ist das „Teilhabe am
gesellschaftlichen Leben“, wenn Sie ein Sozialticket offensichtlich erst streichen und dann doppelt so teuer wieder einführen? Das ist keine verantwortungsvolle Politik. Das zeigt auch, dass Sie überhaupt nicht in der Lage
sind, die Forderungen, die Sie in Ihrem Antrag aufstellen, in der Praxis umzusetzen. Sie schaffen das gar nicht.
({0})
Eine andere Zielgruppe, die Sie im Antrag ansprechen, sind junge Menschen; deren dramatische Situation
beklagen Sie zu Recht. Wie sind Sie in Berlin mit dieser
Herausforderung umgegangen? Seit 2002 haben Sie als
Linke in Berlin im Bereich der Jugendhilfe mehr als
30 Millionen Euro pro Jahr gestrichen.
({1})
- Richtig, Herr Kolb, und die wollen uns belehren. Noch härter als junge Menschen trifft es die Kinder in
der Stadt. Seitdem Sie mitregieren, ist die Kinderarmut
in Berlin um 32 Prozent gestiegen. Jedes dritte Berliner
Kind lebt in Armut. Das ist die größte Kinderarmut in
ganz Deutschland. Dazu kann ich nur sagen: Hervorragende Bilanz.
({2})
Das Fazit, das ich ziehen möchte, ist folgendes - ich
möchte da keine Missverständnisse aufkommen lassen -:
Das Sparpaket der Bundesregierung hat natürlich zur
Folge, dass wir harte Einschnitte vornehmen und dass wir
auch unpopuläre Maßnahmen treffen. Aber der Unterschied zwischen uns von der Koalition und Ihnen bei den
Linken ist folgender: Wir sagen das den Menschen vorher, und wir erklären den Menschen die Notwendigkeit
dieser Sparbeschlüsse.
({3})
Sie beschränken sich darauf, hier Schaufensteranträge
mit Forderungen einzubringen, obwohl Sie selbst nicht
in der Lage sind, diese in der Praxis umzusetzen. Die
FDP-Fraktion wird diesen Antrag ablehnen.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({4})
Das Wort zu einer Kurzintervention erteile ich dem
Kollegen Liebich.
({0})
Kurzinterventionen werden vom Platz aus gemacht.
Ich bitte um Nachsicht. Ich war ja länger im Berliner
Abgeordnetenhaus; dort ist das anders. Das passt aber
ganz gut zum Thema, während Ihre Rede nicht zum
Thema gepasst hat. Es ist doch so, dass sich das Land
Berlin gerade zum Thema „gute Arbeit“ im Bundesrat
sehr engagiert hat. Das Land Berlin und einige weitere
Bundesländer haben im Bundesrat für einen gesetzlichen
Mindestlohn gestritten. Die FDP-mitregierten Länder
haben das natürlich abgelehnt und somit verhindert. Das
Land Berlin und das Land Brandenburg haben ein Vergabegesetz verabschiedet, bei dem wir darauf setzen,
dass Mindestlöhne und Tarife, soweit es europarechtlich
möglich ist, gezahlt werden. Wir kämpfen also für gute
Arbeit.
Sie haben hier ein paar Beispiele genannt; daher will
ich kurz darauf eingehen. Das Sozialticket in Berlin ist
nie gestrichen worden. Der Zuschuss an die BVG für
dieses Sozialticket - die BVG ist ein großes staatliches
Unternehmen, das 500 Millionen Euro pro Jahr erhält ist gestrichen worden. Die BVG ist aufgefordert worden,
aus eigenen Kräften - diese hat sie - eines aufzulegen.
({0})
- Hören Sie zu. - Sie wissen, dass alle der Auffassung
waren, dass das Land Berlin in Saus und Braus lebt. Es
gab eine Einschätzung; niemand wollte das Land Berlin
weiter unterstützen. Wir mussten einen Sparhaushalt
auflegen.
({1})
Als das schiefging, haben wir uns entschieden, ein Sozialticket aufzulegen, wie es in keinem anderen Bundesland existiert. Arbeitslosenhilfeempfänger, ALG-II-Empfänger, Asylbewerber, Seniorinnen und Senioren erhalten
ein Ticket zum halben Preis der Umweltkarte, mit dem
man in der ganzen Stadt fahren darf.
({2})
Das wird massiv angenommen. Wenn Sie das in den
Ländern, in denen Sie mitregieren, ansatzweise umsetzen würden, dann könnten Sie sich zu diesem Thema
wieder melden.
({3})
Das Nächste: zur Jugendhilfe. Sie glauben doch
nicht, dass das Land Berlin aus Spaß bei der Jugendhilfe
streicht. Die Situation ist, dass eine Steuerpolitik geStefan Liebich
macht wurde - Sie wollen diese Politik übrigens nicht
verhindern, sondern forcieren -, durch die die Steuereinnahmen zusammengebrochen sind.
({4})
Wir mussten darüber diskutieren, wie wir damit im Land
Berlin umgehen.
Die Kinderarmut ist in Berlin doch nicht wegen der
Berliner Landespolitik gestiegen. Wir haben versucht,
gegenzusteuern, wo wir konnten. Wir haben für die Eltern kostenfreie Kitas eingeführt. Führen Sie das doch
auch in den Ländern ein, in denen Sie mitregieren!
({5})
Wir kämpfen, wir ringen, und diejenigen, die bei den
Steuereinnahmen der Länder streichen wollen, stellen
sich hier hin und werfen den Ländern, die sich bemühen,
mit ihren wenigen Mitteln das Beste zu machen, vor,
dass sie unsozial sind. So etwas ist heuchlerisch. Das hat
nicht nur nichts mit guter Arbeit zu tun, sondern das hat
auch nichts mit guter Politik zu tun.
({6})
Zur Erwiderung Herr Kollege Blumenthal.
Ich bedanke mich natürlich für die wertvollen Hinweise, die der Kollege gerade dargeboten hat. Dass Sie
im Bundesrat Absichtserklärungen postulieren, ist sehr
schön.
({0})
- Ich bin jetzt darauf eingegangen, was Sie hier in Berlin
in der Praxis konkret umgesetzt haben.
Ich möchte Sie auf einen weiteren Punkt hinweisen
- das habe ich eben bereits in meiner Rede gesagt -: Ich
möchte nicht in Abrede stellen, dass es hier wirkliche
große Anstrengungen gab. Dass die Finanzsituation des
Landes Berlin natürlich eine sehr schwierige ist, wissen
wir alle. Der Unterschied zwischen uns und Ihnen ist nur
folgender: Sie legen hier Anträge vor, bei denen von
vornherein klar ist, dass sie nicht in die Praxis umgesetzt
werden können. Ihre Anträge sind nur Schaufensteranträge.
({1})
Ich allerdings möchte Sie mit der Realität konfrontieren.
Das ist der Unterschied.
({2})
Genau darauf bin ich auch in meiner Rede eingegangen.
Insofern kann ich das nur zurückweisen.
Vielen Dank.
({3})
Nächster Redner ist der Kollege Dr. Carsten
Linnemann für die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Vielen Dank. - Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Ich habe Ihren Antrag einmal mitgebracht; das ist ja
auch ganz interessant.
({0})
- Auch gelesen, ja; bis zur letzten Seite.
({1})
- Richtig. Der Frustrationsgrad geht auf 100 Prozent zu.
({2})
Sie treffen in Ihrem Antrag zwei falsche Grundannahmen: Erstens. Sie sprechen von einer - ich zitiere - „katastrophalen Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt“.
({3})
Frau Connemann und Herr Lehrieder haben gar nicht in
Abrede gestellt, dass es bestimmte Bereiche gibt
({4})
- die wird es übrigens immer geben -, in denen wir anpacken müssen. Solche Bereiche gibt es übrigens auch
dann, wenn man Vollbeschäftigung hat. Es gibt in der
Arbeitsmarktpolitik immer Bereiche, die man angehen
muss.
Da Sie schreiben, es gebe eine katastrophale Entwicklung auf dem gesamten Arbeitsmarkt, empfehle ich Ihnen, sich die Zahlen einmal anzusehen.
({5})
Das europäische Statistikamt hat in allen 27 EU-Staaten
die Entwicklung der Arbeitslosigkeit vom Frühjahr dieses Jahres im Vergleich zum Frühjahr des vergangenen
Jahres untersucht. Es gab nur ein Land, in dem die Ar4984
beitslosigkeit gesenkt wurde: Deutschland. Das ist der
erste Punkt.
Der zweite Punkt ist: Sogar auf dem Höhepunkt der
Krise war Deutschland das Land mit dem geringsten Anstieg der Arbeitslosigkeit. Aktuell konnte die Arbeitslosigkeit im Vergleich zum Vorjahr um 215 000 Menschen
abgebaut werden. In dieser Situation von einer katastrophalen Entwicklung am Arbeitsmarkt zu sprechen, halte
ich für nicht tragbar.
({6})
Zweitens. Sie skizzieren in Ihrem Antrag ein Gesellschaftsbild, das es in der Realität nicht gibt.
({7})
Sie sagen, der Staat muss es richten, muss Arbeitsplätze
usw. schaffen, aber die Eigenverantwortung des Einzelnen spielt keine Rolle mehr. Dabei ist die Eigenverantwortung des Einzelnen, eingebettet in die Soziale
Marktwirtschaft, eigentlich das Erfolgsmodell, das dieses Land groß gemacht hat. So ist es.
({8})
Wir sagen: Der Staat schafft keine Arbeitsplätze, sondern der Staat ist derjenige, der Schiedsrichter ist und
aufpasst, dass die Regeln eingehalten werden.
({9})
Diese Spielregeln haben wir in den 50er-Jahren übrigens
selbst definiert, sogar gegen Teile unserer Partei und
auch gegen Teile der Wirtschaft. Diese Spielregeln hat
damals Ludwig Erhard auf den Weg gebracht,
({10})
und dieses Gesellschaftsmodell lassen wir uns von Ihnen
nicht kaputtmachen.
({11})
- Sie brauchen jetzt gar nicht so unqualifizierte Äußerungen zu machen.
({12})
Melden Sie sich, stellen Sie mir Ihre Frage, dann gehe
ich auch gerne konkret darauf ein.
({13})
Eigenverantwortung ist für uns wichtig. Da Sie beispielsweise die wöchentliche Höchstarbeitszeit auf
40 Stunden und im zweiten Schritt auf 35 Stunden reduzieren möchten, sage ich Ihnen: Es gibt viele Menschen,
die gerne 36 oder mehr Stunden pro Woche arbeiten
wollen. Wollen Sie denen dann sagen: „Stellen Sie jetzt
den Computer ab“? Sie wollen die Kündigungsschutzregeln ändern und die Schwelle von zehn Mitarbeitern
komplett abschaffen. Ich frage Sie: Gibt es dann noch
Unternehmensgründungen? - Die Menschen gehen ein
Risiko ein, wenn sie sich selbstständig machen. Wir
brauchen Unternehmensgründungen; denn dadurch entstehen Arbeitsplätze. Aus den Gründungen kleiner Unternehmen entsteht der Mittelstand. Der Mittelstand
schafft Arbeitsplätze und nicht der Staat. Übrigens sind
es nicht in erster Linie die großen Unternehmen, die Arbeitsplätze schaffen, sondern die kleinen und mittleren
Unternehmen.
({14})
Das ist der Unterschied zwischen Ihrer und unserer Politik. Das Erfolgsmodell „Mittelstand“ haben wir in der
gesamten Welt verbreitet, und das lassen wir uns von Ihnen nicht kaputtmachen.
({15})
- Nein.
({16})
Wenn Sie sich die Geschichte der sozialen Marktwirtschaft und die Geschichte der marktwirtschaftlichen
Ordnung ansehen, dann sehen Sie, dass es in der Regel
Erfolge gibt. Es gibt auch Misserfolge - das will ich gar
nicht abstreiten -, wie jetzt in der Finanzkrise, weil Regeln nicht eingehalten oder nicht definiert wurden. Eines
kann ich Ihnen aber sagen: Staatlich gelenkte Wirtschaft,
Staatswirtschaft, Kommandowirtschaft, Zentralverwaltungswirtschaft - das alles ist immer und überall auf diesem Globus mit Pauken und Trompeten gescheitert. Deshalb lehnen wir den Antrag ab.
Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.
({17})
Das Wort hat jetzt die Kollegin Katja Mast von der
SPD-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!
Der Antrag, über den wir hier diskutieren, trägt den Titel
„Mit guter Arbeit aus der Krise“. Ich habe das Gefühl,
dass wir in der Debatte doch noch einmal eine gemeinsame Definition von guter Arbeit brauchen, um zu wissen, über was wir uns überhaupt streiten. Der KernkonKatja Mast
flikt zwischen den Fraktionen auf der rechten und der
linken Seite ist, dass wir eine Vision von guter Arbeit haben, während Sie keine davon haben und deshalb auch
nicht an dem Erreichen des Ziels arbeiten, gute Arbeit in
Deutschland zu schaffen. Das ist das Problem dieser Regierungskoalition.
({0})
Ich sage Ihnen: Es ist eben nicht so, dass sozial ist, was
Arbeit in Deutschland schafft. Sozial ist ausschließlich,
was gute Arbeit in Deutschland schafft.
({1}) - Dr. Heinrich L. Kolb ({2}): Das
hat die SPD aber lange anders gesehen!)
Die Menschen erwarten, dass wir für gute Arbeit in
Deutschland sorgen.
({3})
Ich will Ihnen mit einem Beispiel aus meinem Wahlkreis Pforzheim deutlich machen, welche Menschen das
sind. Es geht vor allen Dingen um junge und ältere Menschen, weil das genau diejenigen sind, die bei Ihrer Politik durch den Rost fallen. Ich war kürzlich im Rahmen
meines Schulprojekts „Junger Rat für Mast“ in der
9. Klasse des Kepler-Gymnasiums in Pforzheim. Die
Schüler haben mich zum Thema Berufsperspektiven beraten. Als ich zum zweiten Mal in die Schulklasse kam,
haben mir die Neuntklässler dieses Gymnasiums in Baden-Württemberg - wohl bemerkt, bei uns ist die Welt
noch in Ordnung ({4})
gesagt: Frau Mast, wir wollen einen Mindestlohn, Sicherheit am Arbeitsplatz, eine unbefristete Beschäftigung etc. pp. - Das ist all das, was Sie nicht wollen. Sie
machen Politik gegen die junge Generation, wenn Sie
gute Arbeit nicht in den Mittelpunkt Ihrer Politik stellen.
({5})
Lassen Sie mich „gute Arbeit“ definieren; denn im
Gegensatz zu Ihnen hat sich meine Partei, die SPD, mit
dem Thema sehr intensiv auseinandergesetzt, und sie
weiß, was gute Arbeit ist. Für uns ist gute Arbeit zuerst
Arbeit, die die Würde schützt.
({6})
Das ist Arbeit, mit der ich mir aufgrund eines Mindestlohns wenigstens meine Existenz sichern kann und die
mir die soziale Teilhabe und die Teilhabe an den sozialen
Sicherungssystemen ermöglicht; denn gute Arbeit bedeutet nicht nur Broterwerb, sondern ermöglicht auch
die soziale Teilhabe in dieser Gesellschaft. Das macht
gute Arbeit aus.
({7})
Außerdem wird durch gute Arbeit die Vereinbarkeit
von Familie und Beruf ermöglicht. Es bringt uns hier
nicht weiter, wenn künstliche Konflikte zwischen den
Teilzeitarbeitenden und den Vollzeitbeschäftigten heraufbeschworen werden, weil sowohl für die Teilzeitbeschäftigten als auch für die Vollzeitbeschäftigten der
Grundsatz der Würde der Arbeit gilt. Es geht darum,
dass man seine menschlichen und familiären Bedürfnisse mit der Erwerbstätigkeit vereinbaren kann. Dafür
kämpft die Sozialdemokratische Partei Deutschlands.
Das wird immer wieder vergessen: Bei guter Arbeit
geht es nicht nur um die Vereinbarkeit von Familie und
Beruf, die Würde der Arbeit, Perspektiven sowie die soziale und demokratische Teilhabe, sondern vor allen
Dingen auch um die Weiterentwicklung der eigenen
Qualifikation. Dazu zählt erstens, dass die eigene Qualifikation erhalten bleibt, wenn man ins Erwerbsleben eintritt, und zweitens, dass man sie weiterentwickeln kann
und damit durch Arbeit auch Chancen für den sozialen
Aufstieg in dieser Gesellschaft eröffnet werden.
Gegen all diese Punkte machen Sie aktuell Politik.
Deshalb diskutieren wir heute so engagiert. Meine Kollegen aus dem Ausschuss und der Staatssekretär können
es vielleicht nicht mehr hören, aber Ihre Kürzungsvorschläge im Bereich Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik des
Bundeshaushalts sind unsozial. Dazu wurde schon viel
gesagt. Sie klauen durch Ihre Politik vor allen Dingen
jungen Generationen Bildungschancen. Für uns besteht
eine sehr wichtige Voraussetzung für gute Arbeit darin,
dass in Bildung investiert wird. Sie wollen Rechtsansprüche in Ermessensleistungen umwandeln und gleichzeitig die Haushaltstitel kürzen.
({8})
Damit schaffen Sie alles ab, was jungen Menschen hilft,
die durch den Rost gefallen sind. Vergessen Sie nicht,
dass 70 000 Jugendliche in Deutschland die Schule ohne
einen Abschluss verlassen! Heute war schon vom Bildungsbericht die Rede. Jeder sechste Jugendliche in
Deutschland zwischen 20 und 30 Jahren hat keinen Berufsabschluss. Diese Zahlen machen mir Angst; denn es
bedeutet, dass wir auch in puncto sozialen Zusammenhalt ein Problem bekommen. Sie wollen einfach Rechtsansprüche auf Bildung in Ermessensleistungen umwandeln, ohne dafür vor Ort Geld zur Verfügung zu stellen.
Das ist doch im Kern Ihre Politik, mit der Sie der Gesellschaft Chancen nehmen. Mein Vorredner hat von Eigenverantwortung gesprochen. Woher soll sie denn kommen, wenn man den Menschen keine zweite Chance auf
dem Arbeitsmarkt gibt?
({9})
Das sind die Probleme, um die es heute geht. Deshalb
fordere ich Sie auf: Denken Sie darüber nach und erinnern Sie sich auch an die Politik, die wir gemeinsam gemacht haben! Wir und auf jeden Fall auch die Sozialpolitiker in der Union - das haben wir nämlich in der
Großen Koalition gemeinsam hinbekommen - wissen
doch, dass es nicht darum geht, nachzusorgen, sondern
darum, vorzusorgen. Es geht darum, den Menschen Perspektiven und Wege zu eröffnen, statt sie ihnen zu verschließen. Das ist das Problem bei Ihren Kürzungsvorschlägen. Ich verstehe nicht, warum gerade Ursula von
der Leyen, die sich in der Großen Koalition damit hervorgetan hat, Maßnahmen wie das Elterngeld und die
Familienförderung mit unserer Unterstützung und unserer Konzeption im Vorfeld umzusetzen, jetzt in der vorsorgenden Sozialpolitik eine Rolle rückwärts macht.
Kehren Sie um! Nur dann können wir in Deutschland
gute Arbeit durchsetzen, von der Menschen leben können, wenn sie eine Vollzeitbeschäftigung haben.
Vielen Dank.
({10})
Das Wort hat die Kollegin Gabriele Molitor von der
FDP-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In Deutschland sind gegenwärtig etwa 3,2 Millionen Menschen ohne
Arbeit.
({0})
Die erste Sorge dieser Menschen ist sicherlich nicht, ob
Mitbestimmung in einem Betrieb möglich ist oder wie
das Streikrecht gestaltet ist. Diese Dinge sind ohne Frage
wichtig. Aber die größte Sorge der Menschen ohne Arbeit ist, überhaupt Arbeit zu bekommen. Die Arbeitslosigkeit ist schließlich das Problem, dessen Ursache wir
bekämpfen müssen. Damit müssen wir beginnen. Sie
machen aber den zweiten Schritt vor dem ersten und
kommen deshalb gewaltig ins Stolpern. Zugegeben, die
Zeiten haben sich geändert, die Arbeitsbedingungen und
die Erwerbsbiografien auch. Es gibt heutzutage kaum
noch Arbeitnehmer, die 25 Jahre in einem Betrieb beschäftigt sind. Das war einmal. Heutzutage ist es entscheidend, flexibel und wettbewerbsfähig zu sein. Das
sind die Menschen in aller Regel auch. Das, meine Damen und Herren von den Linken, scheinen Sie noch
nicht begriffen zu haben. Das hat die Diskussion heute
deutlich gezeigt. Sie haben auch nicht begriffen, dass
zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber ein Vertrag
über den Faktor Arbeit geschlossen wird. Wenn die Forderungen dazu überzogen werden, kommt es gar nicht
erst zur Einstellung. Das ist der Hintergrund.
({1})
Ein Prinzip unserer sozialen Marktwirtschaft ist, dass
Politik den Rahmen für unternehmerisches Handeln vorgibt. Diese Praxis hat sich bewährt.
({2})
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Fraktion
Die Linke, Sie malen das Bild einer Arbeitswelt, die es
so nicht gibt, und Sie wollen die Menschen glauben machen, die Politik müsse nur die entsprechenden Gesetze
ändern bzw. erlassen und die Arbeitswelt werde so, wie
Sie sie gerne hätten. Das ist eine ideale Wunschwelt, die
meilenweit von der Realität entfernt ist. Sie wird auch
nicht realisierbar sein, weil die Rahmenbedingungen
ganz anders sind.
({3})
Ihr Antrag ist ein Sammelsurium; alle möglichen Forderungen sind darin vereint. Natürlich fehlt auch nicht
die obligatorische Forderung nach einem gesetzlichen
Mindestlohn in astronomischer Höhe von 10 Euro.
({4})
Sie sind offensichtlich davon überzeugt, dass Ihre Forderung zu guter Arbeit führen wird. Ich sage Ihnen: Das ist
ganz und gar nicht so.
({5})
Dies haben meine Kollegen und Vorredner bereits deutlich herausgestellt.
({6})
Frau Kollegin Molitor, erlauben Sie eine Zwischenfrage?
Nein, ich erlaube keine Zwischenfrage mehr. Ich
denke, es sind schon genügend Argumente genannt worden.
Wir Liberalen haben ein klares Ziel: Obere Priorität
ist, Menschen wieder in Arbeit zu bringen. Wir Liberalen wollen eine Politik, die den Menschen in den Mittelpunkt stellt. Es gilt, die Ursachen von Arbeitslosigkeit zu
bekämpfen, indem wir die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen verbessern und auf eine Beschäftigungspolitik setzen, die sich am Wachstum orientiert. Das ist die
Politik der FDP, und dafür machen wir uns stark.
Vielen Dank.
({0})
Das Wort hat der Kollege Dr. Matthias Zimmer von
der CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nachdem
die Kollegin Mast eben in ihrer Rede zusätzliche Reflexionstiefe bei der Behandlung des Themas angemahnt
hat, will ich dies gerne aufnehmen und mit einigen nachdenklichen Bemerkungen über das Thema „gute Arbeit“
zusätzliche Argumente bringen, die mir wichtig sind.
Zunächst einmal ist der Begriff der Arbeit aus christlich-demokratischer, aus biblischer Sicht ausgesprochen
ambivalent. Die Arbeit gehört zum einen zur Conditio
humana, also zur Identität des Menschen schlechthin.
Deswegen haben auch die Apostel und Jesus selbst gearbeitet. Arbeit ist zum anderen seit der Vertreibung aus
dem Paradies auch mit Schmerzen, mit Last, mit den
Tränen, die die Arbeit mit sich bringt, belastet. Das Paradies ist nicht mehr erreichbar.
Ich möchte aus der Deutschen Ideologie von Karl
Marx zitieren, der das „Reich der Freiheit“ damit beschrieben hat, dass man morgens jagt, mittags fischt,
abends Viehzucht betreibt und nach dem Essen kritisiert.
Dies ist sicherlich eine sehr paradiesische Vorstellung
vom Reich der Freiheit. Für mich wäre zumindest wichtig, dass aus diesem Reich der Freiheit keine Notwendigkeit wird, dass der Mensch also nicht gezwungen werde,
morgens zu jagen, mittags zu fischen, abends Viehzucht
zu betreiben und nach dem Essen zu kritisieren, damit er
überhaupt seinen Lebensunterhalt verdienen kann. Gute
Arbeit ist nach meinem Dafürhalten die Möglichkeit,
sich auf einem Gebiet Anerkennung zu verschaffen und
nicht aufgespalten zu werden.
({0})
Gute Arbeit ist des Weiteren nicht antagonistisch. Sie
steht nicht in der Auseinandersetzung von Arbeit und
Kapital. Deswegen wollen wir die Mitarbeiterkapitalbeteiligung ausbauen, um Brücken zwischen Arbeit und
Kapital zu schlagen und dem Arbeitnehmer eine zusätzliche Möglichkeit zu geben, sich mit dem Betrieb zu
identifizieren. Gute Arbeit ist nach meinem Dafürhalten
dann gegeben, wenn die Arbeit als etwas Eigenes empfunden wird. Gute Arbeit ist also eine inklusive Arbeit.
Dazu gehört die Mitarbeiterbeteiligung.
Ich betrachte mit großer Sorge die Zunahme von Mobbing- und Bossing-Fällen in der Arbeitswelt, mit Folgekosten in Höhe von bis zu 6,5 Milliarden Euro pro Jahr,
die zum großen Teil von Rentenversicherern getragen
werden müssen, weil sie die Rehabilitationsmaßnahmen
finanzieren. Davon sind alle Berufe betroffen. Erstaunt
hat mich aber, dass soziale Berufe überproportional von
Mobbing- und Bossing-Prozessen betroffen sind, im Übrigen auch Gewerkschaften. Das heißt, dass dies kein individuelles Problem, sondern ein institutionelles Problem
der Arbeitsorganisation ist. Deswegen handelt es sich für
mich dann um gute Arbeit, wenn Arbeitsstrukturen nicht
ausgrenzen, sondern eingrenzen.
({1})
Dazu gehört aber auch, dass wir uns mit der Frage
nach der Beschleunigung und Verdichtung von Arbeitsinhalten, mit der Ausfransung der Grenze von Arbeit
und Leben auseinandersetzen. Das ist für mich eine
ernste Angelegenheit. Wenn ich in die Runde der Kollegen schaue, dann sehe ich, dass viele von ihnen ein
Handy dabeihaben. Das Handy ist mittlerweile nicht
mehr Mittel, sondern schon fast Zweck. Es signalisiert
die allgemeine Erreichbarkeit. Wir werden im Grunde
genommen auf Relaisstationen der Informationsgesellschaft reduziert. Auch Arbeitnehmer sind allgemein verfügbar. Ich weiß, dass keiner der Kollegen im Bundestag
das macht, aber es soll durchaus vorkommen, dass Arbeitgeber ihre Mitarbeiter auch weit nach dem Arbeitsende auf dem Handy anrufen - weil jederzeit jemand
verfügbar ist - und mit Arbeitsaufträgen behelligen.
Nach meinem Dafürhalten ist gute Arbeit dann gegeben,
wenn Leben und Arbeit, Arbeit und Freizeit voneinander
abgegrenzt sind und nicht unterschiedslos ineinander
verschwimmen.
Gute Arbeit verweist also auf eine Werthaltung; sie
basiert auf einem Verhalten jenseits von Angebot und
Nachfrage, über das wir nachdenken müssen. Der Ökonom Wilhelm Röpke hat gesagt, sie habe etwas mit den
sittlichen Reserven zu tun. Er benennt sie wie folgt:
Selbstdisziplin, Gerechtigkeitssinn, Ehrlichkeit, Fairness, Ritterlichkeit, Maßhalten, Gemeinsinn, Achtung
vor der Menschenwürde des anderen. Das alles ist sicherlich richtig. Wir brauchen nicht unbedingt einen
neuen Grundkonsens, wie Gesine Schwan es heute Morgen beschrieben hat. Diese sittlichen Reserven sind nicht
alles. Aber ich bin davon überzeugt: Wenn wir sie nicht
haben, ist alles nichts.
({2})
Die Grundlage guter Arbeit ist, glaube ich, etwas
komplexer, als es im Antrag der Linken zum Ausdruck
kommt. Sie hat sehr viel mit Werthaltung zu tun. Darüber zu diskutieren, lohnt sich.
Ich danke Ihnen.
({3})
Als letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt hat
der Kollege Ulrich Lange von der CDU/CSU-Fraktion
das Wort.
({0})
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen,
insbesondere der Linksfraktion! Ich habe eigentlich gedacht, dass wir, nachdem wir uns Ende April mit diesem
Thema hier im Hause befasst haben, ein Ende dieses unseriösen Sammelsuriums erreicht hätten. Aber es hat
sich im Ausschuss und auch heute wieder gezeigt: Sie
sind beratungsresistent, Sie sind und bleiben die Partei
des Populismus, des sozialistischen Märchenlands. Man
kann Ihnen einfach nicht folgen.
({0})
Meine Damen und Herren von den Linken, das zeigen
auch Ihr Antrag und insbesondere die Rede der Präsidentschaftskandidatin, die Sie aufgestellt haben. Sie
wollen eigentlich keine Verbesserung, nein, Sie wollen
Unruhe in die Bevölkerung bringen.
({1})
Ich habe vorhin das Wort „Kampfansage“ mitgeschrieben. Wer Präsidentschaftskandidat ist, sollte sich überle4988
gen, ob er in Debatten über die Arbeitsmarktpolitik
Worte wie „Kampfansage“ verwenden will. Ich glaube,
eine Präsidentschaftskandidatin sollte integrieren, die
Bevölkerung mitnehmen und hier zeigen, was man für
dieses Land leisten möchte. Das haben Sie heute nicht
gezeigt.
({2})
Sie müssen im Brecht’schen Sinne das Volk erst suchen,
das Sie wählt. Mit Ihrem Antrag sorgen Sie vor allem für
Verunsicherung in der Bevölkerung. Sie tragen mit Ihrem klassenkämpferischen Ton dazu bei, Investoren vor
diesem Land abzuschrecken. So werden keine Arbeitsplätze geschaffen; davon sind wir überzeugt.
({3})
Eines ist auch richtig: Wir haben - ich möchte die
Kolleginnen und Kollegen der SPD einbeziehen - in der
Krise gezeigt, wie man Arbeitsplätze erhält und Arbeitsplätze für die Zeit bereitstellt, wenn die Krise vorbei ist
und die Konjunktur wieder anspringt. Durch das Kurzarbeitergeld können viele Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in den Betrieben bleiben.
({4})
- Die Konjunktur wird natürlich wieder anspringen.
Die Bilanz zeigt, dass wir seit dem Jahr 2003, als wir
noch 5 Millionen Arbeitslose hatten, sehr viele gute Arbeitsplätze in diesem Land geschaffen haben, sodass
Menschen wieder in Lohn und Brot gekommen sind.
Das sollte man an dieser Stelle feststellen.
({5})
Es nutzt gar nichts, wenn man wie mit einer Walze
über den konjunkturellen Aufschwung, der jetzt beginnt,
hinwegzieht und völlig unrealistische Forderungen stellt
wie die nach Abschaffung unbefristeter Arbeitsverhältnisse. Frau Müller-Gemmeke, darüber waren wir uns
schon in der vergangenen Woche nicht einig. Darüber
werden wir uns auch nicht einig werden, weil ich weiterhin glaube, dass befristete Arbeitsverhältnisse ein wesentlicher Motor für unseren Arbeitsmarkt sind.
({6})
Gleiches gilt für seriöse Zeitarbeit. Hier kämpfen wir gegen den Drehtüreffekt. Sie von der SPD - ich habe es
schon in der vergangenen Woche gesagt - sollten sich
nicht von all dem Guten und Sinnvollen verabschieden,
das in den vergangenen Jahren für den Arbeitsmarkt in
diesem Land getan worden ist. Ich will nicht auf den
Kündigungsschutz, auf das Überbieten beim Mindestlohn oder auf den öffentlichen Beschäftigungssektor eingehen. Will denn tatsächlich jemand von uns nochmals
einen bankrotten Staat mit einem bankrotten Beschäftigungssektor und bankrotten Staatsbetrieben? Am 17. Juni sollten wir doch eigentlich geistig weiter sein.
({7})
Die Liste Ihrer arbeitsplatzvernichtenden Forderungen ist lang. Ich kann Sie nur auffordern: Nehmen Sie
die ideologische Brille ab! Versuchen Sie zu begreifen,
was soziale Marktwirtschaft bedeutet! Versuchen Sie es
endlich! Lesen Sie nicht Marx! Herr Schreiner, Sie können den Bischof Marx gern weiter lesen; das gestehe ich
Ihnen zu. Lesen Sie aber nicht Marx und Engels! Lesen
Sie nicht Lafontaine! Lesen Sie Ludwig Erhard! Dann
wissen Sie, wie es geht.
({8})
Lesen Sie und schauen Sie, was wir in der Regierung
leisten! Ich nenne als Beispiele nur das Beschäftigungschancengesetz und die Verlängerung der Dauer des
Kurzarbeitergeldes in der Krise. Führen Sie nicht weiter
eine Neidkampagne! Stellen Sie nicht den Arbeitgeber
als böse und den Arbeitnehmer als gut dar! Beide arbeiten in den Betrieben gut und fair zusammen. Hetzen Sie
sie nicht gegenseitig auf! Sorgen Sie für den sozialen
Frieden, den es in den Unternehmen als Partnerschaft
zwischen den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern einerseits und den Arbeitgebern andererseits gibt! Unterstützen Sie das Erfolgskonzept der sozialen Marktwirtschaft! Das ist gute Arbeit.
Herzlichen Dank.
({9})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussemp-
fehlung des Ausschusses für Arbeit und Soziales zu dem
Antrag der Fraktion Die Linke mit dem Titel „Mit guter
Arbeit aus der Krise“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner
Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/2069, den An-
trag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 17/1396 ab-
zulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? -
Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlussemp-
fehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen bei
Gegenstimmen der Fraktion Die Linke und Enthaltung
der SPD-Fraktion und der Fraktion Bündnis 90/Die Grü-
nen angenommen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 35 a bis 35 m so-
wie Zusatzpunkt 2 auf - es handelt sich um Überwei-
sungen im vereinfachten Verfahren ohne Debatte -:
35 a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Protokoll vom 15. Mai 2003 zur Änderung des Europäischen Übereinkommens vom 27. Januar
1977 zur Bekämpfung des Terrorismus
- Drucksache 17/2067 Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss ({0})
Auswärtiger Ausschuss
Innenausschuss
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem
Übereinkommen vom 9. Juni 2006 zwischen
der Europäischen Gemeinschaft und ihren
Mitgliedstaaten, der Republik Albanien, Bosnien und Herzegowina, der Republik BulgaVizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
rien, der ehemaligen jugoslawischen Republik
Mazedonien, der Republik Island, der Republik Kroatien, der Republik Montenegro, dem
Königreich Norwegen, Rumänien, der Republik Serbien und der Übergangsverwaltung
der Vereinten Nationen in Kosovo zur Schaffung eines gemeinsamen europäischen Luftverkehrsraums ({1})
- Drucksache 17/2068 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ({2})
Auswärtiger Ausschuss
Innenausschuss
Rechtsausschuss
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
c) Beratung des Antrags der Abgeordneten René
Röspel, Dr. Marlies Volkmer, Dr. Ernst Dieter
Rossmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Öffentlichen Zugang zu Informationen über
klinische Studien umfassend sicherstellen
- Drucksache 17/1768 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Gesundheit ({3})
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
d) Beratung des Antrags der Abgeordneten Heinz
Paula, Dr. Wilhelm Priesmeier, Petra Crone, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Bessere Haltung von Kaninchen zu Erwerbszwecken - Konkrete Haltungsbedingungen in die
Tierschutz-Nutztierhaltungsverordnung aufnehmen
- Drucksache 17/2017 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz ({4})
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
e) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Kirsten Tackmann, Karin Binder, Alexander
Süßmair, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
DIE LINKE
Die Haltung von Mast- und Zuchtkaninchen
in Deutschland und der Europäischen Union
tiergerechter regeln - Mindestanforderungen
unverzüglich auf den Weg bringen
- Drucksache 17/1601 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz ({5})
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
f) Beratung des Antrags der Abgeordneten Friedrich
Ostendorff, Undine Kurth ({6}), Bärbel
Höhn, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Die gewerbliche Haltung von Mast- und
Zuchtkaninchen in Deutschland und der Europäischen Union deutlich verbessern
- Drucksache 17/2006 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz ({7})
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
g) Beratung des Antrags der Abgeordneten Klaus
Riegert, Eberhard Gienger, Stephan Mayer ({8}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion
der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Joachim
Günther ({9}), Dr. Lutz Knopek, Gisela Piltz,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Europa in Bewegung - Mit Kompetenz und
Verantwortung für einen europäischen Mehrwert im Sport
- Drucksache 17/2129 Überweisungsvorschlag:
Sportausschuss ({10})
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
h) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dorothea Steiner, Sylvia Kotting-Uhl, Hans-Josef
Fell, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Bürgerfreundliches Rücknahmesystem für gebrauchte Energiesparlampen im Handel einrichten
- Drucksache 17/1583 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({11})
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
i) Beratung des Antrags der Abgeordneten Elvira
Drobinski-Weiß, Petra Crone, Petra Ernstberger,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Verbraucherinformationsgesetz zügig reformieren
- Drucksache 17/2116 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz ({12})
Petitionsausschuss
Innenausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
j) Beratung des Antrags der Abgeordneten Ute
Kumpf, Sönke Rix, Petra Crone, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Stärkung der Jugendfreiwilligendienste - Platzangebot ausbauen, Qualität erhöhen, Rechtssicherheit schaffen
- Drucksache 17/2117 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ({13})
Sportausschuss
Rechtsausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Ausschuss für Kultur und Medien
Haushaltsausschuss
k) Beratung des Antrags der Abgeordneten Ottmar
Schreiner, Anette Kramme, Petra Ernstberger,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Demokratische Teilhabe von Belegschaften
und ihren Vertretern an unternehmerischen
Entscheidungen stärken
- Drucksache 17/2122 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales ({14})
Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
l) Beratung des Antrags der Abgeordneten Heinz
Paula, Dr. Wilhelm Priesmeier, Petra Crone, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Obligatorische Prüf- und Zulassungsverfahren für Haltungseinrichtungen für Nutztiere Tierschutz-TÜV zügig einführen
- Drucksache 17/2143 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz ({15})
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
m) Beratung des Antrags der Abgeordneten Karin
Binder, Ralph Lenkert, Caren Lay, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE
Verbraucherfreundliche Rücknahmepflicht des
Einzelhandels für Energiesparlampen durchsetzen
- Drucksache 17/2121 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz ({16})
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
ZP 2 a)Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Martina Bunge, Cornelia Möhring, Caren
Lay, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE
LINKE
Versorgung durch Hebammen und Entbindungshelfer sicherstellen
- Drucksache 17/2128 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Gesundheit ({17})
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an
die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu
überweisen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist offenkundig der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 36 a bis 36 k sowie
36 m bis 36 v auf. Es handelt sich um die Beschlussfassung zu Vorlagen, zu denen keine Aussprache vorgesehen ist.
Tagesordnungspunkt 36 a:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Einführung einer Musterwiderrufsinformation für Verbraucherdarlehensverträge, zur
Änderung der Vorschriften über das Widerrufsrecht bei Verbraucherdarlehensverträgen
und zur Änderung des Darlehensvermittlungsrechts
- Drucksachen 17/1394, 17/1802 Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses ({18})
- Drucksache 17/2095 Berichterstattung:
Abgeordnete Marco Wanderwitz
Marianne Schieder ({19})
Jens Petermann
Ingrid Hönlinger
Der Rechtsausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/2095, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf den Drucksachen 17/1394
und 17/1802 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich
bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf
ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen bei Enthaltung der Oppositionsfraktionen angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf
ist mit dem gleichen Stimmenverhältnis wie zuvor angenommen.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
Tagesordnungspunkt 36 b:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Änderung des Güterkraftverkehrsgesetzes
und des Fahrpersonalgesetzes
- Drucksachen 17/1395, 17/1903 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ({20})
- Drucksache 17/1835 Berichterstattung:
Abgeordnete Kirsten Lühmann
Der Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 17/1835, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf den Drucksachen 17/1395 und 17/1903 anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf
zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen
und der SPD-Fraktion bei Enthaltung der Fraktion Die
Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf
ist in dritter Lesung mit gleichem Stimmenverhältnis wie
in der zweiten Lesung angenommen.
Tagesordnungspunkt 36 c:
- Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zu dem Staatsvertrag vom 16. Dezember 2009
und 26. Januar 2010 über die Verteilung von
Versorgungslasten bei bund- und länderübergreifenden Dienstherrenwechseln
- Drucksache 17/1696 Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses ({21})
- Drucksache 17/2014 Berichterstattung:
Abgeordnete Armin Schuster ({22})
Michael Hartmann ({23})
Dr. Stefan Ruppert
Dr. Konstantin von Notz
- Bericht des Haushaltsausschusses ({24})
gemäß § 96 der Geschäftsordnung
- Drucksache 17/2048 Berichterstattung:
Abgeordnete Jürgen Herrmann
Dr. Peter Danckert
Florian Toncar
Steffen Bockhahn
Stephan Kühn
Der Innenausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/2014, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 17/1696 anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf
zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen
und der SPD-Fraktion bei Gegenstimmen der Fraktion
Die Linke und Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf
ist mit gleichen Stimmenverhältnis wie zuvor angenommen.
Tagesordnungspunkt 36 d:
Zweite Beratung und Schlussabstimmung des
von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs
eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 27. November 2008 über die Änderung des Vertrags vom
11. April 1996 über die Internationale Kommission zum Schutz der Oder gegen Verunreinigung
- Drucksache 17/1702 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({25})
- Drucksache 17/2144 Berichterstattung:
Abgeordnete Ingbert Liebing
Oliver Kaczmarek
Horst Meierhofer
Dorothea Steiner
Der Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 17/2144, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 17/1702 anzunehmen.
Zweite Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf
ist einstimmig angenommen.
Tagesordnungspunkt 36 e:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Umsetzung der Dienstleistungsrichtlinie
auf dem Gebiet des Umweltrechts sowie zur
Änderung umweltrechtlicher Vorschriften
- Drucksachen 17/1393, 17/1904 4992
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({26})
- Drucksache 17/2148 Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Thomas Gebhart
Judith Skudelny
Ralph Lenkert
Dorothea Steiner
Der Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 17/2148, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf den Drucksachen 17/1393 und 17/1904 in
der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen,
die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um ihr Handzeichen. - Gegenstimmen? Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen bei Gegenstimmen der Fraktion Die Linke und Enthaltung von
SPD und Bündnis 90/Die Grünen angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Wer zustimmen will, möge
sich bitte erheben. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? Der Gesetzentwurf ist mit dem gleichen Stimmenverhältnis wie zuvor angenommen.
Tagesordnungspunkt 36 f:
- Zweite Beratung und Schlussabstimmung des
von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs
eines Gesetzes zu dem Abkommen vom
2. März 2009 zwischen der Regierung der
Bundesrepublik Deutschland und der Regierung der Insel Man über die Unterstützung in
Steuer- und Steuerstrafsachen durch Auskunftsaustausch
- Drucksache 17/1698 - Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zu dem Abkommen vom 2. März 2009 zwischen der Regierung der Bundesrepublik
Deutschland und der Regierung der Insel Man
zur Vermeidung der Doppelbesteuerung von
im internationalen Verkehr tätigen Schifffahrtsunternehmen
- Drucksache 17/1697 Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses ({27})
- Drucksache 17/2168 Berichterstattung:
Abgeordnete Manfred Kolbe
Lothar Binding ({28})
Dr. Birgit Reinemund
Der Finanzausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/2168, den
Gesetzentwurf der Bundesregierung zu dem Abkommen
mit der Regierung der Insel Man über die Unterstützung
in Steuer- und Steuerstrafsachen durch Auskunftsaustausch auf Drucksache 17/1698 anzunehmen. Wir kommen auch hier direkt zur
zweiten Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die zustimmen wollen, sich zu erheben. - Gegenstimmen? Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist mit den Stimmen
der Koalitionsfraktionen und der SPD-Fraktion bei Gegenstimmen von Bündnis 90/Die Grünen und Enthaltung der Fraktion Die Linke angenommen.
Der Finanzausschuss empfiehlt unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/2168, den
Gesetzentwurf der Bundesregierung zu dem Abkommen
mit der Regierung der Insel Man zur Vermeidung der
Doppelbesteuerung von im internationalen Verkehr tätigen Schifffahrtsunternehmen auf Drucksache 17/1697
anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um
das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den
Stimmen der Koalitionsfraktionen und der SPD-Fraktion
bei Gegenstimmen von Bündnis 90/Die Grünen und Enthaltung der Fraktion Die Linke angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Wer zustimmen will, möge
sich erheben. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der
Gesetzentwurf ist mit dem gleichen Stimmenverhältnis
wie zuvor angenommen.
Tagesordnungspunkt 36 g:
- Zweite Beratung und Schlussabstimmung des
von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs
eines Gesetzes zu dem Abkommen vom
26. März 2009 zwischen der Regierung der
Bundesrepublik Deutschland und der Regierung von Guernsey über den Auskunftsaustausch in Steuersachen
- Drucksache 17/1699 - Zweite Beratung und Schlussabstimmung des
von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs
eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 13. August 2009 zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung von
Gibraltar über die Unterstützung in Steuerund Steuerstrafsachen durch Auskunftsaustausch
- Drucksache 17/1700 - Zweite Beratung und Schlussabstimmung des
von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs
eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 2. September 2009 zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung
des Fürstentums Liechtenstein über die Zusammenarbeit und den Informationsaustausch
in Steuersachen
- Drucksache 17/1701 Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses ({29})
- Drucksache 17/2090 Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Birgit Reinemund
Der Finanzausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/2090, den
Gesetzentwurf der Bundesregierung zu dem Abkommen
mit der Regierung von Guernsey über den Auskunftsaustausch in Steuersachen auf Drucksache 17/1699 anzunehmen. Wir kommen auch hier direkt zur
zweiten Beratung
und Schlussabstimmung. Auch hier mögen sich diejenigen, die zustimmen wollen, erheben. - Gegenstimmen?
- Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der SPD-Fraktion bei
Enthaltung der Fraktion Die Linke und von Bündnis 90/
Die Grünen angenommen.
Der Finanzausschuss empfiehlt unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/2090, den
Gesetzentwurf der Bundesregierung zu dem Abkommen
mit der Regierung von Gibraltar über die Unterstützung
in Steuer- und Steuerstrafsachen durch Auskunftsaustausch auf Drucksache 17/1700 anzunehmen. Auch hier
kommen wir direkt zur
zweiten Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die zustimmen wollen, sich zu erheben. - Gegenstimmen? Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist mit den Stimmen
der Koalitionsfraktionen, der SPD-Fraktion bei Enthaltung der Fraktion Die Linke und von Bündnis 90/Die
Grünen angenommen.
Der Finanzausschuss empfiehlt unter Buchstabe c seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/2090, den
Gesetzentwurf der Bundesregierung zu dem Abkommen
mit der Regierung des Fürstentums Liechtenstein über
die Zusammenarbeit und den Informationsaustausch in
Steuersachen auf Drucksache 17/1701 anzunehmen.
Auch hier kommen wir direkt zur
zweiten Beratung
und Schlussabstimmung. Wer zustimmen möchte, den
bitte ich, sich zu erheben. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist wiederum mit den
Stimmen der Koalitionsfraktionen und der SPD-Fraktion
bei Enthaltung der Fraktionen Die Linke und Bündnis 90/
Die Grünen angenommen.
Tagesordnungspunkt 36 h:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Änderung des Betriebsprämiendurchführungsgesetzes und des Agrarstatistikgesetzes
- Drucksache 17/1703 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz ({30})
- Drucksache 17/2109 Berichterstattung:
Abgeordnete Franz-Josef Holzenkamp
Dr. Wilhelm Priesmeier
Dr. Edmund Peter Geisen
Dr. Kirsten Tackmann
Friedrich Ostendorff
Der Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/2109, den Gesetzentwurf der
Bundesregierung auf Drucksache 17/1703 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die
dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen
wollen, um ihr Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung
einstimmig angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die zustimmen wollen, sich zu erheben. - Gegenstimmen? Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist einstimmig angenommen.
Tagesordnungspunkt 36 i:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Änderung des Katzen- und Hundefell-Einfuhr-Verbotsgesetzes und zur Änderung des
Seefischereigesetzes
- Drucksache 17/1704 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz ({31})
- Drucksache 17/2110 ({32}) Berichterstattung:
Abgeordnete Dieter Stier
Dr. Christel Happach-Kasan
Alexander Süßmair
Cornelia Behm
Der Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/2110 ({33}), den Gesetzentwurf
der Bundesregierung auf Drucksache 17/1704 anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die zustimmen wollen, um das
Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der
Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung bei Enthaltung der
Fraktion Die Linke mit den Stimmen aller übrigen Fraktionen angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf
ist mit dem gleichen Stimmenverhältnis wie zuvor angenommen.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
Tagesordnungspunkt 36 j:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz
und Reaktorsicherheit ({34}) zu der
Verordnung der Bundesregierung
Neununddreißigste Verordnung zur Durchführung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes
({35})
- Drucksachen 17/1900, 17/2175 Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Michael Paul
Ute Vogt
Dr. Lutz Knopek
Ralph Lenkert
Dorothea Steiner
Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/2175, der Verordnung der Bundesregierung auf Drucksache 17/1900 zuzustimmen. Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist
mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen bei Gegenstimmen der Fraktionen Die Linke und Bündnis 90/Die
Grünen und bei Enthaltung der SPD-Fraktion angenommen.
Tagesordnungspunkt 36 k:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr, Bau und
Stadtentwicklung ({36}) zu dem Antrag
der Fraktionen der CDU/CSU und der FDP
Modellversuch „Begleitetes Fahren mit 17“ in
das Dauerrecht überführen
- Drucksachen 17/1573, 17/2147 Berichterstattung:
Abgeordnete Kirsten Lühmann
Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/2147, den Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und FDP auf Drucksache 17/1573
anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist einstimmig angenommen.
Tagesordnungspunkt 36 m:
Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/
CSU und der FDP
Herstellung des Einvernehmens zu den erwarteten Ergebnissen der Regierungskonferenz
im Hinblick auf die Zusammensetzung des
Europäischen Parlaments nach Inkrafttreten
des Vertrages von Lissabon
hier: Erklärung des Deutschen Bundestages
nach § 10 des Gesetzes über die Zusammenarbeit von Bundesregierung und
Deutschem Bundestag in Angelegenheiten der Europäischen Union
- Drucksache 17/2127 Wer stimmt für diesen Antrag? - Gegenstimmen? Enthaltungen? - Der Antrag ist mit den Stimmen der
Koalitionsfraktionen bei Gegenstimmen der SPD-Fraktion und der Fraktion Die Linke und bei Enthaltung der
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen.
Tagesordnungspunkt 36 n:
Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Diether Dehm, Alexander Ulrich, Andrej
Hunko, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
DIE LINKE
Veränderung der Zusammensetzung des Europäischen Parlaments in der laufenden Wahlperiode
- Drucksache 17/2049 Wer stimmt für diesen Antrag? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Antrag ist bei Zustimmung der Fraktion Die Linke von allen anderen Fraktionen abgelehnt.
Tagesordnungspunkt 36 o:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Dietmar
Nietan, Axel Schäfer ({37}), Dr. Rolf
Mützenich, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Den Europäischen Auswärtigen Dienst im
Dienste aller EU-Institutionen handlungsfähig
und wirkungsvoll ausgestalten
- Drucksache 17/2118 Wer stimmt für diesen Antrag? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Antrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der Fraktion Die
Linke bei Zustimmung der SPD-Fraktion und bei Enthaltung von Bündnis 90/Die Grünen abgelehnt.
Wir kommen zu den Beschlussempfehlungen des Petitionsausschusses.
Tagesordnungspunkt 36 p:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({38})
Sammelübersicht 97 zu Petitionen
- Drucksache 17/1990 Wer stimmt dafür? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Sammelübersicht 97 ist einstimmig angenommen.
Tagesordnungspunkt 36 q:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({39})
Sammelübersicht 98 zu Petitionen
- Drucksache 17/1991 Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
Wer stimmt dafür? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Sammelübersicht 98 ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der SPD-Fraktion bei Gegenstimmen der Fraktion Die Linke und bei Enthaltung der
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen.
Tagesordnungspunkt 36 r:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({40})
Sammelübersicht 99 zu Petitionen
- Drucksache 17/1992 Wer stimmt dafür? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Sammelübersicht 99 ist einstimmig angenommen.
Tagesordnungspunkt 36 s:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({41})
Sammelübersicht 100 zu Petitionen
- Drucksache 17/1993 Wer stimmt dafür? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Sammelübersicht 100 ist mit den Stimmen aller
Fraktionen bei Gegenstimmen der Fraktion Die Linke
angenommen.
Tagesordnungspunkt 36 t:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({42})
Sammelübersicht 101 zu Petitionen
- Drucksache 17/1994 Wer stimmt dafür? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Sammelübersicht 101 ist mit den Stimmen der
Koalitionsfraktionen und der SPD-Fraktion bei Gegenstimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und Enthaltung der Fraktion Die Linke angenommen.
Tagesordnungspunkt 36 u:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({43})
Sammelübersicht 102 zu Petitionen
- Drucksache 17/1995 Wer stimmt dafür? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Sammelübersicht 102 ist mit den Stimmen der
Koalitionsfraktionen und der Fraktion Die Linke bei Gegenstimmen der SPD-Fraktion und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen.
Tagesordnungspunkt 36 v:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({44})
Sammelübersicht 103 zu Petitionen
- Drucksache 17/1996 Wer stimmt dafür? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Sammelübersicht 103 ist mit den Stimmen der
Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Oppositionsfraktionen angenommen.
Ich rufe den Zusatzpunkt 3 auf:
Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktion der SPD
Auswirkungen des gescheiterten Bildungsgipfels auf die gemeinsame Bildungspolitik von
Bund und Ländern
Ich eröffne die Aussprache und erteile als erster Rednerin der Kollegin Ulla Burchardt von der SPD-Fraktion
das Wort.
({45})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es geschah im Jahr
2008: Ein Jahr vor der Bundestagswahl versprach eine
Bundeskanzlerin den Menschen die Bildungsrepublik.
Sie machte Bildung zur Chefsache, traf sich im herbstlichen Dresden mit den Ministerpräsidenten und verkündete, gemeinsam mit den Ländern bis 2015 10 Prozent
des Bruttoinlandsprodukts für Bildung ausgeben zu wollen. Das wären nach damaliger Rechnung 40 Milliarden
Euro mehr für Bildung gewesen. Es wurden zwei Arbeitsgruppen eingerichtet, um die Einlösung dieses Versprechens vorzubereiten.
Es zog ein weiteres Jahr ins Land. Der nächste Bildungsgipfel fand im Jahr 2009 statt. Die Erwartungen
waren groß, das Ergebnis mager. Vor allen Dingen
wurde eine neue Bildungsfinanzstatistik vorgelegt, in
der man wundersamerweise zu dem Ergebnis kam, dass
die Lücke zum 10-Prozent-Ziel nur noch 13 Milliarden
Euro betrage. Davon wolle der Bund 40 Prozent übernehmen, versprach die Kanzlerin. Doch, Fehlanzeige für
den, der auf konkrete Entscheidungen für mehr und bessere Bildung in diesem Land gewartet hatte. Stattdessen
hatten die Ministerpräsidenten schon zu diesem Zeitpunkt ganz deutlich gesagt: Wir brauchen angesichts der
katastrophalen Lage der öffentlichen Haushalte eine bessere Finanzausstattung, bevor ihr Bundespolitiker sagt,
dass wir noch mehr Geld für Bildung ausgeben sollen.
({0})
Aber diese Botschaft war offensichtlich nicht angekommen. Darüber waren die Ministerpräsidenten sehr verärgert.
Letzte Woche, im Juni 2010, fand der dritte Bildungsgipfel statt. Das 10-Prozent-Ziel sei, so vermerkt das
vorläufige Protokoll, finanzpolitisch nicht darstellbar.
Das heißt, all die schönen Versprechen sind geplatzt. Die
erwartungsvolle Öffentlichkeit erlebte den dritten und
hoffentlich letzten Akt des Dramas vom Scheitern der
Bildungskanzlerin und ihrer Ministerin.
({1})
Das einzig konkrete Ergebnis - 200 Millionen Euro pro
Jahr für die dritte Säule des Hochschulpaktes bis 2020 4996
ist mehr als nichts, aber bei weitem zu wenig angesichts
des vom Wissenschaftsrats geforderten Bedarfs von
1,1 Milliarden Euro pro Jahr.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Koalition,
Frau Ministerin, das Scheitern ist verhängnisvoll und offenbart einmal mehr die Unfähigkeit der Regierung und
der sie tragenden Fraktionen, ihre Gestaltungsmehrheit
zum Wohle der Menschen und zum Wohle des gesamten
Landes zu nutzen. Mit Ihrer Unfähigkeit gefährden Sie
in der Krise zusätzlich die Basis für Wachstum
({2})
und den Ausbau dieser Basis, nämlich den Ausbau eines
guten Bildungssystems in der ganzen Republik.
({3})
Die Unionsministerpräsidenten Koch und Carstensen
haben schon vor Wochen angekündigt und damit begonnen, den Bildungskahlschlag zu betreiben. Sie haben sich
schon deutlich vorher vom 10-Prozent-Ziel verabschiedet. - So viel zu Ihrer Einigkeit und zur Abstimmung innerhalb der Union, was Mehrausgaben für Bildung angeht. Wenn man dann noch Ihren haushaltspolitischen
Sprecher hört, der seit Wochen entgegen allen anderen
Bekundungen sagt, Bildung sei kein Bereich, der vom
Sparen ausgeschlossen werden müsse, dann hat man
große Befürchtungen, was noch auf diese Republik zukommt.
Davon kann auch nicht die Pauschalattacke von Frau
Schavan ablenken, die sie gegen die Länder gerichtet
hat, indem sie ihnen kleinkarierten Föderalismus und das
Umfunktionieren des Bildungsgipfels in einen Steuergipfel vorwirft.
({4})
Frau Ministerin, Sie selbst haben die Messlatte für einen
Erfolg in den Bund-Länder-Verhandlungen gelegt. Ich
zitiere aus Ihrer Plenarrede vom 26. November 2009:
… die Frage, wer welchen Pakt mit den Ländern
umsetzt, ist eine Frage der politischen Kunst.
Recht haben Sie mit dem, was Sie da gesagt haben.
Sportlich formuliert kann man anschließen: Sie haben
die Latte auf dem letzten Bildungsgipfel gerissen.
({5})
Es reicht eben nicht, sich auf den Machtworten von
Frau Merkel auszuruhen. Da muss etwas mehr Handwerkszeug und Verhandlungskunst her, und da müssen
die Grundrechenarten beherrscht werden. Wenn die Länder nun zu Recht auf die prekäre Finanzsituation hinweisen, dann kann man ihnen nicht sehenden Auges
4 Milliarden Euro zugunsten von Steuergeschenken für
Hoteliers und Erben entziehen. Diese Rechnung kann
nicht aufgehen; das haben Ihnen die Länder aber schon
vorher gesagt.
({6})
Da hilft es auch nichts, wenn Sie ihnen 5,7 Milliarden
Euro, also die versprochene 40-Prozent-Finanzierung,
anbieten und Sie mit der Gießkanne durch das Land gehen und ihnen Modellprojekte und ähnliche Dinge in
Aussicht stellen. Davon haben die Länder nichts; davon
hat die Bildung nichts. Da kann man höchstens sagen:
Wir haben an der Stelle irgendetwas getan. Das aber
glauben Ihnen noch nicht einmal die Haushälter Ihrer eigenen Fraktionen; denn viele der Maßnahmen, die Sie
öffentlich verkündet haben, sind bis heute mit Sperrvermerken versehen. Also kann man den Ländern an der
Stelle nichts nachsehen.
({7})
Seit den Sparbeschlüssen dieser Koalition, die in der
letzten Woche getroffen wurden, gibt es wirklich einen
noch größeren Grund zur Sorge. Sie alle haben mitbekommen, dass es beim Arbeits- und Sozialministerium
einen großen Kahlschlag geben wird. Die Umsetzung
des Bundesverfassungsgerichtsurteils zu den Zahlungen
für Kinder von Hartz-IV-Beziehern steht an. Frau Ministerin, wir haben die große Sorge, dass der Haushalt des
Bundesbildungsministeriums dazu dienen muss, die Lücken, die die Koalition in den Haushalt des Arbeitsministeriums geschlagen hat, zu schließen. Davor können
wir Sie jetzt nur warnen.
({8})
Angesichts dessen kann ich nur an Sie appellieren:
Wenden Sie doch einfach einmal die vier Grundrechenarten an! Wer mehr Geld für Bildung ausgeben will, der
muss auch für höhere Steuereinnahmen sorgen. Wir haben den Bildungssoli vorgeschlagen. Es wird Zeit, dass
Sie auf dieses Angebot eingehen.
({9})
Das Wort hat der Kollege Dr. Thomas Feist von der
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte an
dieser Stelle auch einmal Danke sagen: Danke, liebe
Kolleginnen und Kollegen von der SPD, dass Sie - zwar
aus einer anderen Motivation heraus - das Bemühen der
Bundesregierung und der christlich-liberalen Koalition
unterstützen, Bildung dort zu verhandeln, wo sie hingehört, nämlich an zentraler Stelle, hier im Parlament. Vielen Dank!
({0})
- Klatschen Sie ruhig einmal!
Nicht nur Sie, sondern auch die Medien spekulieren
darüber, ob der Bildungsgipfel gescheitert ist oder aber
ein Erfolg war.
({1})
Die Frage ist, ob das Glas halb voll oder halb leer ist. Ich
kann mich erinnern: Als Sie noch in der Regierungsverantwortung standen, war die Kritik an den Bildungsgipfeln weitaus verhaltener als jetzt. Das bekommen auch
die Wähler mit. Was Sie machen, das ist einfach nur Parteipolitik, nicht mehr und nicht weniger.
({2})
Für uns ist es ein Erfolg, dass Bildung als zentrales
Thema unserer Politik auf höchster Ebene diskutiert
wird; denn dort gehört sie hin. Wir sind überzeugt: Bildung ist die beste Sozialpolitik. Deswegen stellen wir
12 Milliarden Euro mehr für Bildung und Forschung zur
Verfügung, davon 6 Milliarden Euro nur für die Bildung,
({3})
und dies, obwohl Bildungspolitik originäre Ländersache
ist. Es grenzt schon an Blindheit, hier dem Bund Versagen vorzuwerfen.
({4})
Der Bund und die Regierungskoalition nehmen den
Begriff Bildungsrepublik ernst und engagieren sich über
die Maße hinaus für gute Bildung in unserem Land. Das
beste Beispiel dafür sind Initiativen zur Schaffung von
Bildungsketten, bei denen zentrale Kriterien für gute
Bildung - frühkindliche Bildung und der Übergang von
der Schule ins Berufsleben - in den Blick genommen
werden.
Der Bildungsgipfel zeigt als Plattform für Gespräche
zwischen dem Bund auf höchster Ebene und den Ländern - so viel soll festgehalten werden -, dass sich die
christlich-liberale Koalition ihrer Verantwortung hier
nicht nur bewusst ist, sondern sich dieser auch konsequent stellt. Diese Konsequenz hätten wir uns - da sind
wir uns in einigen Punkten sicher einig - auch bei den
Ländern in größerem Maße gewünscht. Allerdings gilt
nach wie vor unsere Zusage: Wir werden die Länder
über das eigentliche Maß hinaus unterstützen und stellen
dafür Mittel zur Verfügung.
({5})
Wir werden auch weiterhin dafür sorgen, dass das
Thema Bildung in den höchsten Gremien dieses Landes
zur Sprache kommt. Wir werden es nicht zulassen, dass
man unsere Anstrengungen schlechtredet. Man kann
auch durch Schlechtreden Politik gestalten; das ist aber
nicht unsere Art und Weise.
Wo es noch Verbesserungsbedarf gibt - vor allen Dingen bei der Frage der Zuständigkeit des Bundes und der
Länder -, werden wir uns für Veränderungen einsetzen,
ohne bisherige Vereinbarungen von vornherein infrage
zu stellen. Wir setzen uns deswegen dafür ein, dass aus
dem Kooperationsverbot ein Kooperationsgebot werden
kann.
({6})
Wir wollen, dass der Bund die Leistungsfähigkeit der
Bildung nicht nur feststellen kann, sondern sie auch sicherzustellen hat.
({7})
Während der erste Bildungsgipfel auf bedarfsgerechten Ausbau von Studienmöglichkeiten abzielte und der
zweite Bildungsgipfel wesentliche Impulse für die Forschung an den Hochschulen gab, wurden auf dem dritten
Bildungsgipfel konkrete und verbindliche Verbesserungen von Studienbedingungen und Lehre vereinbart. Das
kann man nicht wegdiskutieren.
({8})
Der Bund unterstützt das Programm mit zusätzlich
2 Milliarden Euro. Das ist eine beachtliche Summe, die
ohne Beispiel ist.
({9})
Nehmen Sie das bitte zur Kenntnis. Diesen wichtigen
Teilerfolg lassen wir uns von der Opposition weder
kleinreden noch wegjammern.
({10})
Wir, die christlich-liberale Koalition, bleiben dabei:
Bildung hat für uns Vorfahrt. Das 10-Prozent-Ziel bleibt
klar im Blick. Es ist ein verlässliches Angebot des Bundes, und es bleibt Aufgabe der Länder, sich diesem anzuschließen. Wir bleiben dabei: Der Bildungsgipfel war ein
wichtiger Schritt auf dem Weg zur Bildungsrepublik
Deutschland. Darauf können Sie sich verlassen.
Vielen Dank.
({11})
Dr. Rosemarie Hein hat jetzt das Wort für die Fraktion
Die Linke.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Verehrter Herr Dr. Feist,
man kann herumreden, wie man will: Der Bildungsgipfel ist gescheitert. Dass er gescheitert ist, ist eine mittlere
Katastrophe. Auch das dort beschlossene Qualitätsprogramm als dritte Säule des Hochschulpaktes hilft nicht
darüber hinweg. Es ist zwar notwendig, aber es ist viel
zu gering ausgestattet. Es sind viel mehr und ganz andere Aufgaben in anderen Dimensionen nötig. Deshalb
sind auch meine starken Worte nötig.
Mit einer solchen Art Abstimmung zwischen Bund
und Ländern in Bildungsfragen macht sich die Politik in
diesem Lande in der Öffentlichkeit vollständig lächerlich. Bund und Länder müssen endlich begreifen: So
kann man nicht weitermachen. Die Bildungsrepublik
und vor allem die Bildungschancen junger Menschen in
diesem Land bleiben dabei auf der Strecke.
({0})
Es ist schon ein Kreuz mit der Bildung. Die Länder
haben sich in den allermeisten Bildungsfragen die alleinige Zuständigkeit erkämpft, und nun stellen alle fest,
dass es an allen Ecken und Enden hapert. Deutschland
schneidet bei den Bildungsstudien nach wie vor wenig
berauschend ab. Die Hauptschulen geraten immer mehr
in die Kritik. Die soziale Schere bei der Bildungsbeteiligung geht weiter auseinander. Es gibt zu wenig Ausbildungsplätze auf der einen Seite und zu wenig Fachkräfte
auf der anderen Seite. Bis in Regierungskreise hinein
führte das zu der Einsicht, dass es eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe ist, gute Bildung zu garantieren.
Das stimmt. Wir meinen, es ist eine Gemeinschaftsaufgabe von Bund, Ländern und Kommunen.
({1})
Nun kann die Bundesregierung bei der Bildung aber
nicht mehr viel bestellen, und sie kann nicht einmal
mehr viel bezahlen, selbst wenn sie es möchte. Darum
hat die Kanzlerin den Bildungsgipfel erfunden. Ich
fürchte, dass der Bildungsgipfel zum neuen Steuerungsinstrument der Bildungspolitik zwischen Bund, Ländern
und Kommunen wird. Die Kultusminister haben dann
kaum noch etwas zu sagen, sondern es wird auf der
Ebene der Finanzminister und Ministerpräsidenten entschieden. Das halte ich für ein großes Problem, wenn es
um bildungspolitische Entscheidungen geht. Das kann
der Weg nicht sein.
Allerdings können wir auch die Länder verstehen.
Angesichts der Finanzpolitik des Bundes - ich muss das
nicht wiederholen; meine Kollegin Burchardt hat es eben
gesagt - fehlt an allen Ecken und Enden das Geld. Der
Grund ist die verfehlte Steuerpolitik des Bundes. Darum
wird es schwierig werden, und darum erfindet die Bundesregierung dauernd Hilfsprogramme - wie jüngst das
mit den Bildungsbegleitern -, die ausgebaut werden sollen. Ich kann mir momentan nicht vorstellen, dass durch
die Bildungsbegleiter die Defizite ausgeglichen werden
können, die es im Bildungsbereich landauf, landab gibt.
({2})
Der Bildungsforscher Klemm stellt fest, dass die vollmundigen Ziele, die vor fast zwei Jahren in Dresden
zwischen Bund und Ländern vereinbart worden sind,
nicht einmal im Ansatz erfüllt werden. In der frühkindlichen Bildung geht der Ausbau der Plätze nur schleppend
voran, und noch problematischer ist es bei der Ausbildung des dafür notwendigen Fachpersonals. Darum wird
die Linke im Übrigen heute zu später Stunde einen Antrag für ein Fachkräfteprogramm „Bildung und Erziehung“ einbringen.
Die Zahl der Jugendlichen ohne Schulabschluss ist
immer noch dramatisch hoch. Nun sollen es Bildungsbegleiter richten. Ich glaube, wie gesagt, nicht daran, dass
sie das ausbügeln können, was in der Schule nicht mehr
geleistet werden kann. Wir brauchen nämlich eine bessere Schule. Dafür brauchen wir mehr Lehrerinnen und
Lehrer, die allerdings erst noch ausgebildet werden müssen; aber auch dafür fehlt den Ländern derzeit das Geld.
Darum fordern wir mit unserem Antrag zum Fachkräfteprogramm einen weiteren Hochschulpakt für die Ausbildung der Lehrerinnen und Lehrer.
({3})
Bei den Ausbildungsplätzen redet man sich die Statistik schön. Die Zahl der Ausbildungsplätze geht insbesondere bei den größeren Unternehmen weiter zurück.
Die Zahl der Jugendlichen, die trotz Schulabschluss keinen Ausbildungsplatz im dualen System bekommen, ist
nach wie vor groß. Die Beteiligung an Maßnahmen der
beruflichen Weiterbildung stagniert. Sie haben gerade
ein Sparpaket aufgelegt, wodurch diese Situation weiter
verschlechtert wird.
Das Einzige, was etwas besser geworden zu sein
scheint, ist die Zahl der Studienanfänger. Aber Professor
Klemm warnt und fordert dazu auf, nachzurechnen, wie
sie berechnet wird. Ich habe das Gefühl, dass wir weniger Abiturienten als Studienanfänger haben. Die Zahl
kann irgendwie nicht stimmen. Deswegen finde ich, wir
sollten einmal nachrechnen.
Zurück zum Gipfel. 10 Prozent des Bruttoinlandsproduktes sollen im Bereich Bildung und Forschung investiert werden. Darüber ist man sich zwar einig, aber man
konnte sich nicht darauf einigen, wer das bezahlt. Also
ist der Bildungsgipfel ausgegangen wie das berühmte
Hornberger Schießen. Das ist eine Pleite. Anders kann
man das nicht bezeichnen.
({4})
Auf einen Betreuungsplatz in Krippe oder Kindergarten gibt es ab 2013 für alle Kinder vom ersten Geburtstag an einen Rechtsanspruch. Die Kommunen können es
sich dann nicht mehr aussuchen, ob sie es machen oder
nicht. Von da an ist es eine Pflichtaufgabe. Man kann
sich auch nicht aussuchen, wie vielen Kindern man einen Platz in der Schule anbieten möchte. Es besteht
Schulpflicht, und die gilt für jedes Kind. Wenn man da
nachsteuern muss, kann das durchaus bedeuten, dass bei
den Schwächsten gespart wird, dass die Konditionen für
die Schulen schlechter werden. Das können wir nicht
hinnehmen. Wer dabei tatenlos zusieht, handelt verantwortungslos. Hilfsprogramme nützen an dieser Stelle
überhaupt nichts.
Ich finde, Sie sollten über Ihre Steuerpolitik noch einmal nachdenken. So wie sie jetzt läuft, bluten Länder
und Kommunen finanziell immer mehr aus. Darum
scheitern Bildungsgipfel immer wieder. Wer Bildungsföderalismus will, muss dafür sorgen, dass die mit den
Ländern getroffenen Vereinbarungen auch mit dem nötigen Geld unterfüttert werden. Dann wird es auch etwas
mit dem Kooperationsgebot. Ich höre das mit einigem
Interesse. Ich finde auch die Idee der Sicherstellung gut.
Wie es momentan läuft, brauchen Sie aber noch viel
Überzeugungskraft, damit in den Ländern etwas passiert.
Aber fangen Sie endlich einmal an. Die Anträge aus der
Opposition liegen vor. Machen Sie endlich einmal eigene daraus.
Danke schön.
({5})
Das Wort hat der Kollege Patrick Meinhardt von der
FDP-Fraktion.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten
Damen und Herren! Wissen Sie, mir geht dieses Geschacher bei der Bildungspolitik so was von gegen den
Strich. Wo leben wir eigentlich? Es darf hier nicht um
parteipolitisches Taktieren gehen.
({0})
Ich erwarte ernsthafte Lösungsvorschläge zum wichtigsten Innovationsthema, das wir in der Bundesrepublik
Deutschland überhaupt haben. Es geht um eine Politik
für bestmögliche Kindergärten, um eine Politik für bestmögliche Schulen und um eine Politik für bestmögliche
Hochschulen. Darum hat es zu gehen und um nichts anderes.
({1})
Die Blockadehaltung der Länder, wenn es um die Erreichung des 10-Prozent-Ziels bis 2015 mit einem verbindlichen Fahrplan geht, ist aus meiner Sicht unverantwortlich. Diese Bundesregierung der Mitte setzt einen
ganz klaren, einen anderen Akzent.
({2})
Unser Ziel ist unmissverständlich formuliert: Wir wollen, dass bis zum Jahr 2015 10 Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Bildung und Forschung aufgewendet werden. Dazu ist in Zeiten knapper Kassen eine
große Kraftanstrengung notwendig und eine klare politische Haltung gefragt. Zu diesem Ziel stehen wir. Dieses
Ziel wollen wir erreichen. Dieses Ziel müssen wir bis
2015 erreichen.
({3})
Diese Bundesregierung der Mitte wird bis 2013
12 Milliarden Euro mehr im Bereich Bildung und Forschung investieren. Im Kampf gegen Bildungsarmut und
für mehr Bildungsgerechtigkeit in Deutschland ist das
ein klares politisches Signal. Das ist eine sehr bewusste
politische Entscheidung dieser Bundesregierung. Ich bin
froh, dass es uns gelungen ist, den „Qualitätspakt Lehre“
auf den Weg zu bringen - das ist ja fast untergegangen -:
2 Milliarden Euro bis 2020, 200 Millionen Euro jedes
Jahr, zu 90 Prozent vom Bund finanziert. Das ist ein
wichtiges politisches Zeichen für die Hochschulen. Wir
stehen zu unserer Bildungsverantwortung.
Nach drei Bildungsgipfeln muss jetzt ein bisschen an
Tempo zugelegt werden.
({4})
Ein wesentlicher, zentraler nächster Schritt ist jetzt die
zügige Umsetzung der BAföG-Modernisierung und die
Einführung des nationalen Stipendienprogramms. Bewusst sage ich, dass dies ein Schritt ist. Allzu lange sind
in diesem Land Breitenförderung und Spitzenförderung
in der Bildung gegeneinander ausgespielt worden. Beide
Maßnahmen gehören zusammen, und beide Maßnahmen
tragen dazu bei, Bildungsungerechtigkeiten gerade bei
jungen Menschen aus Familien mit sehr schmalen Geldbeuteln in Deutschland abzubauen. Das darf nicht weiter
hinausgezögert werden.
({5})
Was ist die Antwort der Ministerpräsidenten, was ist
die Antwort von Ministerpräsident Beck als Länderkoordinator zu allen Vorschlägen? Mehr Umsatzsteuerpunkte
für die Länder.
({6})
Was ist die Antwort auf das Angebot des Bundes, die
Bundesbeteiligung an der Schließung der Finanzierungslücke zu vervierfachen? Das reiche nicht aus, sagt Herr
Beck. Er fordert mehr Umsatzsteuerpunkte.
({7})
Was ist die Antwort auf das Programm zur Förderung
von Bildungslotsen und Fördervereinen in den Grundschulen? Herr Beck sagt: Nein, mehr Umsatzsteuerpunkte. Ist das wirklich alles, was die Ministerpräsidenten und vor allem Herr Beck in diesem Land sagen
können?
({8})
In jedem unserer Landesparlamente gibt es bei den
Bildungspolitikern die Forderung nach mehr Umsatzsteuerpunkten. Aber hier in dieser Debatte wird nicht mit
offenen Karten gespielt. Zu denken, dass es hilft, einfach
so Umsatzsteuerpunkte zu geben ohne Bedingungen,
ohne die Verpflichtung, dass diese für bildungspolitische
Maßnahmen, und zwar zusätzlich, eingesetzt werden, ist
illusorisch. Wir werden doch nicht Umsatzsteuerpunkte
umverteilen, und gleichzeitig kürzen Landesregierungen bei ihren Bildungs- und Forschungsausgaben und
wollen dann diese Kürzungen mit Bundesgeld kompensieren. Nicht mit uns!
({9})
Wir brauchen keine Einheitsprogramme von oben,
sondern Maßnahmen mit höchster regionaler Treffsicherheit und regionale Bündnisse. Das darf aber nicht
heißen, dass wir mit Bundesmitteln jede bildungspolitische Verirrung vor Ort mitfinanzieren. Sie glauben doch
wohl nicht, dass wir auch nur einen Cent in die rot-rote
Bildungspolitik in Berlin stecken
({10})
und dann auch noch Gymnasialempfehlungen per Zufallsentscheid mitfinanzieren.
({11})
Am meisten ärgert mich, dass die sozialdemokratisch
regierten Länder am lautesten brüllen, die am Tropf des
Länderfinanzausgleichs hängen, die in einer generösen
Haltung die Kindergartenbeiträge abgeschafft haben, die
Studiengebühren für unsozial halten und die sich jetzt
auch noch zurücklehnen und mehr Umsatzsteuerpunkte
fordern; das ist unverschämt. Da schlägt es wirklich 13.
({12})
Wir brauchen jetzt ein klares Ziel, eine klare Vorgehensweise und verbindliche Schritte, um das 10-ProzentZiel bis 2015 zu erreichen. Diese Bundesregierung ist in
Vorleistung gegangen. Jetzt sind die Länderchefs und
ihre Finanzminister dran. Sehr bewusst sage ich als bekennender Bildungsföderalist:
({13})
Wer die Bildungsverantwortung für Schulpolitik will,
muss zeigen, dass er die Finanzverantwortung dafür beherrscht. Das können die Länder jetzt zeigen.
Vielen Dank.
({14})
Das Wort hat jetzt die Kollegin Ekin Deligöz von
Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Liebe Kollegen und Kolleginnen!
Selbst wenn der Kollege hier herumbrüllt, in der Bundesrepublik ist es merklich still geworden um die Bildungsrepublik. Die Kanzlerin und die Bildungsministerin wollten Gipfel erstürmen. Sie sind letztendlich im Tal
stecken geblieben. Dies wurde am 12. Juni 2010 in der
Süddeutschen Zeitung ganz gut auf den Punkt gebracht:
Die Geschichte der Bildungsgipfel … hat drei
Teile: einen schlechten Start, einen überflüssigen
Mittelteil und einen katastrophalen Schluss.
({0})
Man kann hinzufügen: Eine Erfolg versprechende
Fortsetzung ist weit und breit nicht in Sicht. Das bestätigen die Reden hier und heute. Es hilft nicht, das alles
schönzureden. Der Aufbruch in die Bildungsrepublik,
das, was Sie auf Bildungsgipfeln mit vielen Bildern, auf
zahlreichen Veranstaltungen usw. versprochen haben, ist
gescheitert. Ihr Einfluss auf die Länder, etwas gestalten
zu können, hat sich als gleich null erwiesen. Das hat sich
hier manifestiert.
({1})
Die Umverteilung von Umsatzsteuerpunkten kann
man durchaus kritisch sehen, Herr Kollege.
({2})
Ich fand das, was Sie gesagt haben, ein bisschen zu polemisch. Es gibt auch stichhaltige Argumente für die
Frage: Wie stellen wir sicher, dass umgeschichtete Mittel
im Bildungsbereich wirklich dort ankommen, wo wir sie
brauchen? Das Beispiel der Kinderbetreuung macht das
deutlich. Wir müssen uns fragen: Wie kommt das Geld
in den Krippenausbau? Die Kommunen können ein Lied
davon singen, wie lax die Zahlungsmoral der Länder
sein kann.
Gleichzeitig ist es aber so, dass auch die Länder unter
finanzieller Knappheit leiden, dass auch dort die Kassen
leer sind;
({3})
das muss man zur Kenntnis nehmen. Ein Auftrag des
Bildungsgipfels, sozusagen die Hausaufgabe, die zu erledigen gewesen wäre, war die Frage: Wie kommen wir
an einen Tisch? An diesem Punkt haben Sie außer Polemik nichts zu bieten. Das ist sehr bedauerlich, zumal ich
zwei Bundesländer kenne, die im Moment ordentlich
kürzen; das sind Hessen und Schleswig-Holstein. Auch
hier sollten Sie zu Ihrer Verantwortung stehen.
({4})
Herr Dr. Feist hat wieder einmal gesagt, der Bildungsbereich bleibe von den Sparbeschlüssen ausgespart, und
dort würden keine Abstriche gemacht. Wenn Sie die
Realität in Deutschland, die Tatsache, dass wir Bildung
brauchen und dass wir im europäischen Vergleich sehr
weit hinten liegen, ernst nehmen, dann ist es beschämend, dass Sie sich hier hinstellen und sagen: Im Bildungsbereich kürzen wir nicht.
({5})
Das ist zu wenig. Die Investitionen müssen klar gesteigert werden.
Jetzt sagen Sie recht hilflos: Am Erreichen des 10-Prozent-Ziels in den nächsten fünf Jahren wollen wir festhalten. Sagen Sie uns, wie. Verraten Sie uns einmal, wie
Sie das schaffen wollen. Sie wissen es selber nicht; das
ist offensichtlich. Sie haben dazu keinen einzigen konkreten Punkt genannt. Auch die Bundesregierung kann
nicht erklären, wie dieses Ziel erreicht werden soll.
BAföG und Stipendienprogramme stehen im Moment,
gelinde gesagt, auf der Kippe. Zur Kindersprachförderung
- groß angekündigt - liegt nichts Konzeptionelles vor.
Zum Thema Bildungsketten hat die Ministerin gestern in
der Befragung der Bundesregierung selber gesagt: Strukturelle Probleme werden damit nicht gelöst, bestenfalls
leicht abgemildert. - Von einer Qualitätsoffensive im
Kitabereich ist nichts zu hören und nichts zu spüren. Die
Frühförderung steht mit dem Rücken zur Wand. Nicht
einmal die groß angekündigten Zukunftskonten sind im
Moment noch im Gespräch. Wo ist dieses Thema in Ihren Debatten geblieben? Als Masterplan kann man das,
was Sie veranstalten, nicht bezeichnen.
({6})
Ein weiterer Grund für die Strukturkrise ist das Kooperationsverbot in der Bildungspolitik; das haben Sie
richtig erfasst. Es ist richtig: Das Kooperationsverbot ist
die Entwicklungsbremse in diesem Bereich, und es blockiert den Aufbruch in die Bildungsrepublik. Das zu erkennen, reicht aber nicht aus. Ändern Sie es! Sie haben
es festgeschrieben, Sie können es rückgängig machen.
Wenn die Einsicht bei Ihnen vorhanden ist, müssen Sie
jetzt nur noch handeln. Schönen guten Tag! Schön, dass
auch Sie dort angekommen sind, wo alle anderen schon
längst sind!
({7})
Was wir brauchen, ist eigentlich sehr klar. Wir brauchen die Ganztagsschulen. Wir brauchen eine gute Kinderbetreuung. Wir brauchen ein inklusives Schulsystem;
hier sind wir noch in den Anfängen. Der Vorschlag, das
Ganze im Rahmen der Gemeindefinanzreform zu klären,
macht mir, ehrlich gesagt, überhaupt keine Hoffnung.
Sie wollen ein enorm schwieriges Unterfangen zusätzlich mit diesem Thema belasten, aber es ist fraglich, ob
dabei überhaupt etwas herauskommt.
Richtig in der Klemme sitzen in dieser Zeit ganz andere. Das sind die Kinder und die Jugendlichen, die
diese Förderung brauchen, das sind die Schulen, das sind
die Kindergärten, und das sind die Menschen, die dort
arbeiten. Der heute veröffentlichte Nationale Bildungsbericht dokumentiert: Die Zahl der Bildungsverlierer in
diesem Land nimmt zu. Für diese Personen Verantwortung zu übernehmen, das geht anders.
({8})
Das Wort hat jetzt die Bundesministerin Dr. Annette
Schavan.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine Damen und Herren! Wer zum Bildungsgipfel
fährt und dort eine heimliche Steuerdebatte führt, wird
dem Thema Bildung nicht gerecht.
({0})
Wer schon am Vorabend des Bildungsgipfels verbreitet,
dass der morgige Bildungsgipfel schiefgehen wird, und
mit dem man dann auch überhaupt nicht über Bildung,
sondern immer nur über das Thema Steuern sprechen
kann - übrigens nicht allein über die Verteilung von
Steuerpunkten, sondern natürlich auch über die Frage
von Steuererhöhungen -, dem geht es nicht um Bildung.
Dem geht es darum, dieses Thema auf dem Rücken der
Schüler und Studenten für parteipolitische Polemik zu
missbrauchen.
({1})
Ich war ja dabei, und deshalb finde ich es ein bisschen
doppelzüngig, als Klub der SPD-regierten Länder
({2})
- jetzt lassen Sie mich; Sie sind doch gleich dran - ganz
klipp und klar zu sagen: Uns interessiert jetzt nicht die
Debatte über Maßnahmen, uns interessiert das Thema
Steuern. - In der Tat haben sich dann alle anderen Länder angeschlossen,
({3})
aber wer der Sprecher des Ganzen war, war während der
gesamten Konferenz doch völlig klar.
({4})
Deshalb sage ich hier: Die Verantwortung dieses Parlamentes und der Bundesregierung besteht jetzt darin,
genau das zu tun, was wir mit 16 Ländern vereinbart haben, nämlich entscheidende Maßnahmen auf dem Weg
zur Bildungsrepublik Deutschland zu konkretisieren und
umzusetzen. Genau das werden wir in den nächsten Wochen und Monaten tun.
({5})
Ich sage das hier ganz klar: Es kann nicht die Rolle des
Bundes sein, Geld zu geben und am Ende nicht zu
wissen, was mit diesem Geld geschieht. Wir reden über
Bildungspolitik und nicht über Sparkassen.
({6})
Deshalb ist es doch interessant: Im Zusammenhang
mit dem Bildungsgipfel wurden Vereinbarungen zwischen 16 Ministern der Länder und der Bundesministerin getroffen. Wir haben einen Katalog gemeinsamer
Maßnahmen des Bundes und der Länder erstellt, den es
so noch nie gegeben hat. Das ist ein überwältigender
Konsens in der Sache quer durch die Länder, in denen
unterschiedliche Akzente gesetzt werden. Dahinter
steckt viel Tatkraft aufseiten der Länder und des Bundes,
die sich von der öffentlichen Debatte über Steuern und
davon, dass in jeder Rede die Hoteliers vorkommen,
nicht haben verrückt machen lassen, sondern die dafür
sorgen werden, dass das, was wir in der Sache vereinbart
haben, umgesetzt wird. Darin sind sich alle einig, und es
wird geschehen.
({7})
Ich glaube deshalb übrigens auch, dass die Länder
beim Bildungsgipfel ihr Licht unter den Scheffel gestellt
haben - das ist das eigentlich Ärgerliche -, da es in nahezu allen Ländern Mehrausgaben geben wird. Dennoch
wurde dieses Ziel gefürchtet. Das 10-Prozent-Ziel steht
übrigens fest,
({8})
und ich bin mir ziemlich sicher: Jetzt beginnt der Wettbewerb der Länder um die Erreichung dieses Ziels.
({9})
- Ja, das stimmt übrigens auch.
Durch ein solches Ziel - das haben wir zum Beispiel
beim 3-Prozent-Ziel hinsichtlich der Ausgaben für Forschung und Entwicklung sehr genau gesehen - werden
Finanzmittel in einem Ausmaß mobilisiert, wie das vorher nie der Fall war, was mit bildungs- und wissenschaftspolitischen Möglichkeiten verbunden ist, wie wir
sie vorher nie hatten.
Deshalb sage ich: Ein Land wie Hamburg wird die
Mittel in den nächsten Jahren verdreifachen.
({10})
Ein Land wie Baden-Württemberg wird in den nächsten
Jahren eine halbe Milliarde Euro zusätzlich investieren.
Es gibt auch welche, die kürzen. Ich kenne bislang allerdings kein SPD-regiertes Bundesland, das schon einen
großen Plan für deutliche Erhöhungen der Bildungsinvestitionen hat.
({11})
Deshalb rate ich uns: Lassen Sie uns jetzt doch in diesen Wettbewerb einsteigen, und lassen Sie uns dafür sorgen - ({12})
- Ich sage Ihnen: Das wird ein spannender Wettbewerb.
({13})
Die Rolle des Bundes ist klar: Es wird nicht nur nicht
gekürzt, sondern der Bund investiert plus 12 Milliarden
Euro für Bildung und Forschung. Das ist die größte Investition, die es je gegeben hat. Diese werden wir auch
nicht kleinreden lassen, sondern sie wird genau so umgesetzt, wie es im Masterplan vorgesehen ist: für Maßnahmen der frühkindlichen Bildung über Maßnahmen für
die einzelnen Übergänge bis hin zu den Maßnahmen,
über die wir hier zum Teil schon gesprochen haben oder
in den nächsten Monaten noch sprechen werden.
({14})
Interessant finde ich, dass Sie den Hochschulpakt in
einem Nebensatz ansprechen. Wann ist in Deutschland je
ein Hochschulpakt mit 275 000 zusätzlichen Studienplätzen, der vollständigen Übernahme der Programmkostenpauschale durch den Bund und 2 Milliarden Euro
für die Lehre zustande gekommen?
({15})
- Das andere ist uns gemeinsam gelungen. Das, was wir
jetzt vorhaben, ist uns in der letzten Legislaturperiode
nicht gelungen. Das kommt hinzu. Ich sage das nicht als
Vorwurf, aber man kann doch nicht im Ernst sagen, dass
2 Milliarden Euro für die Lehre Peanuts sind. Auch das
ist die größte Investition zugunsten der Lehre, die es je
gegeben hat. Die Universitäten wissen genau, dass das
für sie einen großen Schub bedeuten wird. Das gilt auch
für die Wertschätzung der Lehre. Es ist ein deutliches
Zeichen, das auch die Studierenden in ihrem Studienalltag spüren werden.
({16})
Deshalb ist es jetzt neben dem, was wir ausschließlich
aufseiten des Bundes leisten, unsere Aufgabe, die neuen
Maßnahmen gemeinsam mit den Ländern peu à peu abzuarbeiten. Zu der gemeinsamen Bildungspolitik, die wir
vereinbart haben, zählen die Weiterentwicklung des
BAföG, das Nationale Stipendienprogramm, die dritte
Säule des Hochschulpaktes, die übrigens allein in der
Ausfinanzierung ein Plus von 400 Millionen Euro gegenüber der zweiten Phase des Hochschulpaktes bedeutet, der Wettbewerb „Aufstieg durch Bildung: Offene
Hochschulen“, die Förderung der frühkindlichen Bildung, die Initiative „Abschluss und Anschluss“, die Weiterbildungsallianz und schließlich die Anerkennung und
Bewertung von im Ausland erworbenen beruflichen
Qualifikationen.
Wenn man allein diese Punkte auf der Landkarte von
Bildung und Hochschule systematisieren wollte, dann
wird sehr deutlich, was bei all dem der Schwerpunkt unserer gemeinsamen Bildungspolitik ist: mehr BildungsBundesministerin Dr. Annette Schavan
gerechtigkeit, mehr Durchlässigkeit im Bildungssystem
und mehr finanzielle Anreize für junge Leute, die in
Ausbildung und Studium gehen.
Der Bildungsbericht, der heute vorgestellt worden ist,
zeigt neben Problemzonen sehr deutlich, dass das, was
an Maßnahmen geplant ist, die richtige Antwort in der
Bildungsrepublik Deutschland sein wird.
Vielen Dank.
({17})
Das Wort hat jetzt der Kollege Marcus Weinberg von
der CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Vielen Dank, Herr Präsident. - Ich darf vielleicht mit
einer Vorbemerkung da weitermachen, wo die Ministerin
aufgehört hat: Ich verstehe, dass die Opposition plakativ
redet. Aber völlig auf eine inhaltliche Argumentation zu
verzichten, wie es bei einigen Rednern der Opposition,
insbesondere der SPD und der Linken, der Fall war,
halte ich für sehr unangenehm. Ich wollte jetzt gerne
Ulla Burchardt einiges deutlich machen und ihre Äußerungen widerlegen, aber sie hat die Debatte verlassen.
Das ist schon merkwürdig, wenn man erst plakativ redet
und dann verschwindet.
({0})
- Das entschuldige ich gerne, okay.
Aber kommen wir zu den Kolleginnen und Kollegen.
Man kann, wie die Kollegin der Grünen, gerne die Süddeutsche Zeitung zitieren. Aber warum zitieren Sie nicht
aus dem dritten Bildungsbericht, der zwar noch viele
Herausforderungen beschreibt und feststellt, dass wir in
vielen Bereichen der Bildung noch nicht so weit sind,
wie wir sein müssten, der aber bestätigt, dass die Politik
in den letzten Jahren im Bildungsbereich in weiten Teilen richtig gewesen ist und mittlerweile auch erste Erfolge zeigt? Ich will einige Beispiele nennen, die Sie
völlig falsch dargestellt haben.
Sie haben gesagt, dass es in der vorschulischen und
frühkindlichen Bildung an Fachkräften fehlt und dass
keine Fachkräfte ausgebildet werden. Nein, in den letzten drei Jahren haben 42 000 Mitarbeiter mehr in den Kitas die Arbeit aufgenommen. Das ist ein deutliches Zeichen dafür, dass die Kitas in diesem Bereich deutlich
investiert haben.
Ein weiteres Beispiel ist die Erwerbsquote von
Frauen. Sie ist in den letzten Jahren um 6 Prozent gestiegen und liegt mittlerweile bei über 60 Prozent.
Die Herausforderung Schule: Natürlich ist der Anteil
von Schulabgängern ohne Hauptschulabschluss mit
7,5 Prozent noch viel zu hoch. Aber auch hier ist ein
deutlicher Rückgang zu verzeichnen. Die Länder investieren tatsächlich. Mein Bundesland wird in den nächsten drei Jahren tatsächlich 1 000 Lehrer mehr ausbilden,
weil wir gesagt haben: Wenn wir eine Schulreform
durchführen, müssen wir dafür auch die Voraussetzungen schaffen.
Der nationale Bildungsbericht hat gezeigt, dass es
deutliche Fortschritte gibt, insbesondere bei den einzelnen Maßnahmen, die in Kooperation zwischen Bund und
Ländern vollzogen werden. Wir streiten uns seit langem
über Kooperationsverbot oder -gebot. Aber im Kern haben wir in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland noch nie so viele kooperative Vorhaben umgesetzt.
Als Beispiel nenne ich, weil dies hier im Hause immer
wieder diskutiert wurde, nur die Frage der Studienanfänger. Von 2006 auf 2009 ist deren Anzahl um 23 Prozent
gestiegen. Wir hatten aus der Wissenschaft das 40-Prozent-Ziel übernommen; mittlerweile liegen wir bei
43 Prozent. Das heißt, die Zielmarke ist deutlich überschritten worden.
Durch die Äußerungen der Ministerin ist klar geworden, dass wir hier in weiten Teilen sehr erfolgreich agiert
haben. Zurückblickend kann man sagen, dass viele Maßnahmen in Kooperation zwischen Bund und Ländern
oder mit weiteren Partnern - Stichwort Ausbildungspakt - Erfolge erzielt haben. 2007 gab es zum ersten Mal
seit 2001 mehr Ausbildungsplätze als Bewerber.
Dann kann man auch leicht zu einer Kernaussage
kommen, wenn es darum geht, ob der Bildungsgipfel gescheitert ist. Es stellt sich doch folgende Frage: Finanzkrise, Finanzmarktstabilisierungsgesetz, Hilfspakete für
Länder, Wirtschaftskrise, Konjunkturpakete, Konsolidierungsprogramm, all dies - mit einem Volumen allein des
Konsolidierungsprogramms von 80 Milliarden Euro muss diese Republik im Moment tragen.
({1})
Trotzdem hält diese Bundesregierung an dem 10-Prozent-Ziel fest. Dies ist der eigentliche Erfolg des Bildungsgipfels: dass hier nichts eingespart wird, sondern
12 Milliarden Euro zusätzlich investiert werden. Das
muss man auch einmal deutlich unterstreichen.
({2})
Kollege Feist hat schon darauf aufmerksam gemacht,
dass wir den Ländern angeboten haben, ihnen bei der
Frage der Finanzierung entgegenzukommen. Die Äußerung von Frau Ziegler in der letzten Woche, am 10. Juni
getroffen, die Bundesregierung sei am Scheitern des
Gipfels schuld
({3})
und „trägt eine große Mitschuld an dieser Schieflage“,
stimmt einfach nicht, weil der Bund zu seinen Versprechen steht und Finanzierungsvorschläge eingebracht hat.
Noch einmal zurück zu der Frage, was sich an Maßnahmen in den nächsten Jahren noch entwickeln wird
und welche Maßnahmen hier abgeschlossen wurden:
Den Hochschulpakt haben wir bereits besprochen, den
Ausbildungspakt ebenfalls. Morgen werden wir über
BAföG und Stipendienprogramm diskutieren. Ich erin5004
Marcus Weinberg ({4})
nere diejenigen, die immer mehr für die Studierenden
verlangen, nur einmal daran: Als Sie aufhörten, waren
wir beim BAföG bei einem Höchstsatz von 585 Euro,
und jetzt sind wir bei 670 Euro. Es gibt also auch deutliche Steigerungen bei denen, die betroffen sind.
({5})
Nun zu dem, was der Kollege Meinhardt angesprochen hat: Es gibt mehrere Säulen. Dies haben Sie anscheinend noch nicht verstanden. Ich will auf der einen
Seite Chancengerechtigkeit, also das BAföG netto steigern - in dieser schwierigen Zeit, in der wir überall über
Kürzungen reden, steigern wir das Nettoeinkommen der
Studierenden -, auf der anderen Seite geht es mir natürlich im Zusammenhang mit dem Nationalen Stipendienprogramm auch um die Begrifflichkeit Leistung, wobei
sich Leistung nicht nur in Fachleistung widerspiegelt,
sondern damit auch gesellschaftliches Engagement gemeint ist.
({6})
Das heißt, wir haben drei Säulen der Finanzierung für
Studierende: BAföG für die Breite, das Stipendienprogramm und das Bildungsdarlehen.
Noch wenige Sätze zum Kooperationsverbot oder
-gebot: Hochschulpakt und Ausbildungspakt sind angesprochen; sie haben auch gut gewirkt. Natürlich haben
wir die Verantwortung, die Leistungsfähigkeit nicht nur
zu überprüfen, sondern auch sicherzustellen. Dies wird
in den nächsten Jahren tatsächlich die weitere Aufgabe
derjenigen sein, die in den Ländern und im Bund Verantwortung tragen.
Trotzdem ist es im Kern so, dass sich der Bildungsföderalismus rentiert hat, weil wir in Hamburg im Vergleich
zu Nordrhein-Westfalen oder Bayern ein anderes, nicht
vergleichbares System haben. Wir müssen dazu kommen,
dass wir Standards setzen. Der Abiturient in Hamburg,
am Tegernsee oder in Berlin muss gleiche Standards erfüllen; aber der Weg dahin - das sagte vorhin schon ein
Kollege der SPD - ist in diesem Fall tatsächlich das Ziel.
Deswegen ist Kooperation im Föderalismus auch so angelegt, dass sie die Vielfalt widerspiegelt und wir Reformen und Umsetzungsmaßnahmen je nach Bundesland
einzeln beschließen können.
Dass sich dabei - bei allem Respekt - SPD-Ministerpräsidenten in den letzten Tagen und Wochen nicht gerade als diejenigen herausgetraut haben, die den Föderalismus auflösen wollen, muss man doch auch deutlich
sagen. Schon beim letzten Mal wurde zitiert -
Kommen Sie bitte zum Schluss.
Ich komme zum Schluss. - Mir geht es um das Zitat
von Herrn Beck, in dem er deutlich macht:
… dass erkannt wird, die Bundesrepublik Deutschland hat als föderaler Staat die gute Entwicklung
genommen in Jahrzehnten, der Föderalismus hat
zur Dynamik, zum Erfolg unseres Landes geführt.
Wir werden auf Bundesseite weiterhin in dieser Kooperationsfrage Druck machen. Aber es muss auch einmal
klargestellt werden, dass wir im Bildungsbereich riesige
Fortschritte gemacht haben, die sich auch im Dritten
Nationalen Bildungsbericht widerspiegeln. Deswegen
sollte man auch einmal sachlich argumentieren und nicht
nur plakativ reden.
Herzlichen Dank.
({0})
Das Wort hat der Kollege Swen Schulz von der SPDFraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Regierungskoalition kann herumreden, wie sie will: Der Bildungsgipfel ist beim dritten Anlauf zum dritten Mal gescheitert. Das berühmte 10-Prozent-Ziel ist auf den
Sankt-Nimmerleins-Tag verschoben worden. Das ist
keine Lappalie. Der Bildungsbericht, der hier schon angesprochen und der heute veröffentlicht wurde, zeigt,
vor welchen Herausforderungen wir im Bereich Bildung
stehen. Bildung und Forschung - das sind die zentralen
Themen für die Zukunftsfähigkeit dieser Gesellschaft.
Es stellt sich jetzt die Frage: Warum ist der Bildungsgipfel gescheitert? Warum hat es wieder nicht mit verbindlichen Absprachen zwischen Bund und Ländern geklappt?
Wir sollten ein Stück weit innehalten und nachdenken,
um Lehren zu ziehen und um es künftig besser zu machen.
Was ist auf dem Bildungsgipfel passiert? Es gibt im
Wesentlichen zwei Seiten, die miteinander verhandelt
haben. Das eine sind die Landesregierungen, die Mitverantwortung für das Scheitern haben, zumal es unter ihnen notorische Quertreiber gibt wie die Landesregierungen von Hessen, Bayern und Baden-Württemberg, ohne
Frage. Die andere Seite ist die Bundesregierung. Ich
sage ausdrücklich: Sie hat nicht die alleinige Verantwortung, aber doch ein gerüttelt Maß an Mitschuld am
Scheitern des Bildungsgipfels. Das müssen wir hier einmal festhalten.
({0})
Das Hauptproblem ist und bleibt die finanzielle Lage der
Länder und Kommunen. Dafür trägt die Regierungskoalition, dafür tragen CDU, CSU und FDP die Verantwortung.
({1})
- Sie regen sich jetzt auf. Sie von der Regierungskoalition beklagen das Scheitern des Bildungsgipfels. Sie haben doch die Steuergeschenke in Milliardenhöhe für Hoteliers und andere beschlossen.
({2})
Swen Schulz ({3})
Das hat die Länder und die Kommunen in die Knie gezwungen. ({4})
Die Länder wollen mehr in Bildung und Forschung investieren, aber sie können es nicht. Sie stöhnen so auf,
weil Sie das nicht hören können. Das tut ein Stück weit
weh. Wenn Sie mir nicht glauben, dann glauben Sie wenigstens das, was ich Ihnen jetzt vorlese.
({5})
Es ist aus dem vorläufigen Ergebnisprotokoll des Bildungsgipfels. Da steht, „dass zur Erreichung des 10-Prozent-Ziels in erheblichem Umfang bis 2015 zusätzliche
Mehrausgaben für Bildung und Forschung erforderlich
sind, deren Finanzierung durch die Länder … unter den
aktuellen finanz- und wirtschaftspolitischen Gegebenheiten … nicht sichergestellt werden kann.“ Wer ist denn
verantwortlich für die aktuellen finanz- und wirtschaftspolitischen Gegebenheiten? Das sind doch wohl Sie von
der Regierungskoalition.
({6})
Sie haben die Verantwortung. Darin sind sich alle Bundesländer einig - 16 : 0 -, von Schleswig-Holstein bis
Bayern, um auch das einmal festzuhalten.
({7})
Dieses Protokoll ist eine schallende Ohrfeige für die Regierungspolitik, und die haben Sie zu Recht kassiert.
({8})
Es hilft nicht, zu sagen, wie Sie, Herr Kollege
Weinberg, das eben in Ihrem Debattenbeitrag getan haben, dass die Koalition zu ihren Zusagen gestanden hat.
Sie haben ganz großzügig den Ländern gewissermaßen
die Möhre vor die Nase gehalten, aber ihnen vorher Ketten angelegt. Das funktioniert natürlich nicht. Vor diesem Hintergrund ist es schon ein starkes Stück, mit dem
Finger auf die Länder zu zeigen und ihnen die Schuld
zuzuweisen. Frau Schavan, Sie haben eben den Ländern
eine heimliche Steuerdebatte vorgeworfen. Doch ursächlich sind Ihre unheimlichen Steuerbeschlüsse. Das muss
man doch einmal festhalten.
({9})
Ich finde, es ist ganz schlechter Stil, Frau Bundesministerin, erst bei den Steuerdebatten, die wir vor einigen
Monaten hier geführt hatten, den Mund zu halten, sich
nicht für die Interessen der Länder und Kommunen, die
die Bildung zu finanzieren haben, einzusetzen und hinterher die leidtragenden Länder und Kommunen anzuklagen. Das macht man nicht, Frau Schavan. An dieser
Stelle hätten Sie lieber den Mund halten sollen, wie Sie
es vorher getan haben, liebe Kolleginnen und Kollegen.
({10})
Was ich hier vortrage, ist im Übrigen nicht etwa Oppositionsgerede im Nachhinein, wie man möglicherweise denken könnte. Nein, wir haben das schon immer
gesagt. Auch hier im Deutschen Bundestag haben wir
vor diesem falschen Kurs gewarnt. Mehr noch, wir haben nicht nur darüber geredet, sondern wir haben auch
Anträge im Deutschen Bundestag vorgelegt, um einen
Kurswechsel einzuleiten, um den Bildungsgipfel zu retten. Herr Weinberg, Sie wollten eine inhaltliche Debatte.
Wir haben versucht, mit Ihnen eine solche zu führen.
Wir haben einen Gesetzentwurf zur Änderung des
Umsatzsteuergesetzes - also gegen die Milliardengeschenke - eingereicht. Dieser wurde von der Koalition
abgelehnt. Wir haben einen Rettungsschirm für Kommunen beantragt. Abgelehnt von der Koalition. Wir haben
einen Antrag für den Nationalen Bildungspakt gestellt,
der darauf abzielte, starke Bildungsinfrastrukturen zu
schaffen. Abgelehnt von der Regierungskoalition.
Das Resultat dieser starrsinnigen Politik sehen wir
jetzt. Jetzt stehen Sie, jetzt stehen vor allem die Bürgerinnen und Bürger vor dem Scherbenhaufen Ihrer falschen Politik. Auf diese Art und Weise können Sie niemals einen Bildungsgipfel oder sonst irgendeinen Gipfel
erklimmen. Auf diese Art und Weise graben Sie sich immer tiefer ein. Ich bitte Sie: Kehren Sie um, zeigen Sie
endlich Einsicht!
Herzlichen Dank.
({11})
Das Wort hat der Kollege Dr. Martin Neumann von
der FDP-Fraktion.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Meine geschätzten Kollegen von der SPDFraktion, Sie haben diese Aktuelle Stunde beantragt unter der dramatisierenden und auch etwas hämischen
Überschrift, der Bildungsgipfel vor einer Woche sei gescheitert. Nun stellen Sie die Frage, wie es mit der Bildungspolitik in Deutschland weitergeht.
Ich sage es vorweg: Für mich ist kein Scheitern der
Bemühungen von Bund und Ländern um eine bessere
Bildungspolitik in unserem Land erkennbar. Scheitern
hätte bedeutet, dass es keine Ergebnisse gegeben hätte,
was aber überhaupt nicht der Wahrheit entspricht.
Liebe Kollegen der SPD und auch der Grünen-Fraktion, Sie wollen eben nicht begreifen, dass sich die Bildungsstreiks im vergangenen Jahr gegen die Folgen Ihrer verkorksten rot-grünen Bildungspolitik gerichtet
haben.
({0})
Dr. Martin Neumann ({1})
Sie haben Bologna auf den Weg gebracht, ohne die
Rahmenbedingungen für eine erfolgreiche Reform der
Bildungslandschaft zu schaffen. In Ihrer Regierungszeit
haben Sie es offensichtlich versäumt, das BAföG anzupassen und ausreichend Mittel für die Hochschulen insbesondere im Bereich der Lehre und Beratung bzw. Betreuung der Studierenden bereitzustellen.
Außerdem haben Sie überhaupt noch nicht begriffen,
was uns die OECD seit Jahren deutlich macht, nämlich,
dass unser Bildungssystem unterfinanziert ist, da nicht
private Mittelgeber in ausreichendem Ausmaß mit ins
Boot genommen werden. Mit der 23. BAföG-Novelle
sorgen wir für die Anpassung des Gesetzes an die Lebenswirklichkeit der Studierenden nach der Bologna-Reform. Ferner sorgen wir mit dem Nationalen Stipendienprogramm dafür, dass endlich mehr private Mittel für die
Bildung akquiriert werden. Genau dagegen sind Sie aber.
({2})
Ich sage Ihnen an dieser Stelle: Nur mit unserer Politik wird Bologna schließlich gelingen.
({3})
Zwei wesentliche Aussagen wurden getroffen, die ich
wiederholt deutlich machen möchte. Der christlich-liberalen Koalition ist es ernst mit dem Ziel, Deutschland
zur Bildungsrepublik zu machen. Dazu gehört das ganz
klare Bekenntnis von Bund und Ländern, grundsätzlich
am 10-Prozent-Ziel bis zum Jahr 2015 festzuhalten.
Meine Damen und Herren, das ist angesichts der finanzwirtschaftlichen Rahmenbedingungen nicht selbstverständlich.
Das macht aber auch deutlich, dass Bildung eine nationale Aufgabe ist, die von den Beteiligten ernst genommen wird. Insofern ist dieser Bildungsgipfel eben
nicht gescheitert.
Ich begrüße ausdrücklich, dass der Forderung der
Länder nach frei verfügbaren Mitteln ohne Zweckbindung in Form von Umsatzsteuerpunkten, also quasi nach
einem Blankoscheck, nicht nachgegeben wurde.
({4})
Meine Damen und Herren, es kann nicht sein, dass
der Bund den Ländern finanzielle Mittel durchreicht,
ohne Einfluss auf deren Verwendung nehmen zu können,
und somit deren Kernaufgaben finanziert; schließlich
fordern die Länder diese immer wieder lautstark für sich
ein.
Ich begrüße natürlich das Ergebnis zur dritten Säule
des Hochschulpakts, dem Qualitätspakt für eine verbesserte Lehre. Dieses Programm wird deutlich zu einer
Verbesserung der Studienbedingungen, zur Weiterentwicklung guter Lehre und damit zur Sicherung der Erfolge der Bologna-Reform beitragen, und genau darum
geht es an dieser Stelle.
Der Bund wird bis zum Jahr 2020 insgesamt 2 Milliarden Euro bereitstellen und in eine verbesserte Hochschullehre investieren. Ich erwarte aber auch, dass die
Länder endlich ihre Hausaufgaben machen. Jeder Haushalt hat Potenzial und Gestaltungsspielraum. Die Regierungen sind daher gefordert, zukunftsfähig zu haushalten. Im Bund beweisen wir doch gerade, dass wir sowohl
konsolidieren als auch weiter in Bildung investieren
können.
Sie sehen: Koalition und Bundesregierung setzen ihre
Prioritäten bei Bildung und Forschung. Die Länder, aber
auch die Hochschulen haben in uns einen verlässlichen
Partner. An ihnen selbst ist es aber auch, mit eigenen
Anstrengungen ihren Beitrag dazu zu leisten, dass wir
unserem gemeinsamen Ziel noch näher kommen.
({5})
Der Bund jedenfalls - da sind wir uns sicher - wird seinen Beitrag dazu leisten.
Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, Sie haben
morgen die Gelegenheit, bei der Abstimmung über die
BAföG-Novelle und das Nationale Stipendienprogramm
Ihrer Verantwortung für eine bessere Bildungspolitik in
Deutschland gerecht zu werden.
Ich bedanke mich.
({6})
Das Wort hat jetzt der Kollege Klaus Hagemann von
der SPD-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In der Süddeutschen Zeitung vom Wochenende ist Frau Schavan
als die - Zitat - „glücklichste Ministerin“ bezeichnet
worden. Heute vor einer Woche, wenn ich richtig rechne,
war Ihr halbrunder Geburtstag, Frau Ministerin. Das war
am Tag des Bildungsgipfels. Nachträglich meine und unsere herzlichen Glückwünsche! - Es heißt, Sie hätten
sich auch bei der Sparklausur des Kabinetts durchgesetzt; 12 Milliarden Euro sind ja versprochen worden.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich hoffe, dass die
Versprechen auch eingehalten werden. Wenn ich die Debatte jetzt verfolge, dann beschleicht mich die Sorge,
dass Frau Schavan irgendwann in den nächsten Jahren
mal als Kaiserin ohne Kleider dastehen könnte wie jener
Kaiser in dem Märchen „Des Kaisers neue Kleider“. Die
Gefahr besteht; denn Sie müssen das, was Sie hier aufgeschrieben haben, auch in die Realität umsetzen, und dafür brauchen Sie die Länder, auf die Sie alle jetzt so geschimpft haben, meine Damen und Herren.
Es geht hier nicht um wenig Geld. 8,6 Prozent des
Bruttoinlandsprodukts werden zurzeit für Bildung und
Forschung ausgegeben; 10 Prozent sollen erreicht werden. Das sind fast 40 Milliarden Euro zusätzlich - per
annum, pro Jahr. Sie sind auf die Kofinanzierung der
Länder angewiesen. Sie sind auf die Zustimmung der
Länder bei Bundesprojekten angewiesen.
Wenn ich mir anschaue, was beim Hochschulpakt geschehen ist, den wir noch in Zeiten der Großen Koalition
gemeinsam durchgesetzt haben, Frau Ministerin, dann
stelle ich fest: In Rheinland-Pfalz ist er vorbildlich umgesetzt worden. Es sind mehr Studienplätze geschaffen
worden, als in der Vereinbarung vorgesehen war.
({0})
Da ist ein Pakt mit dem Titel „Wissen schafft Zukunft“
aufgestellt worden, in dessen Rahmen mehr als 200 Millionen Euro für das kleine Rheinland-Pfalz zur Verfügung gestellt worden sind. Deswegen stimmt Ihre Aussage nicht ganz, es stehe bei SPD-regierten Ländern
nicht mehr Geld zur Verfügung.
In Nordrhein-Westfalen ist der Pakt unter SchwarzGelb nicht vollständig umgesetzt worden. Ich hoffe, dass
das dann unter der neuen Koalition geschieht.
Wenn Sie nach Schleswig-Holstein blicken, dann sehen Sie: In Schleswig-Holstein, schwarz-gelb regiert,
liebe Kolleginnen und Kollegen der FDP, werden sogar
Studienplatzangebote zurückgegeben. Man will die medizinische Abteilung der Universität Lübeck schließen.
Das ist ein Skandal. Das ist so nicht hinnehmbar.
({1})
Das hat Auswirkungen. Man will 1 500 Studienplätze
streichen, weil man sie nicht mehr finanzieren kann. Da
kann ich nur sagen: Herr Carstensen hat dem Steuerkompromiss zugestimmt. Er hätte es nicht tun sollen. Wenn
er es nicht getan hätte, dann hätte er mehr Geld und hätte
vielleicht auch die medizinische Abteilung der Universität Lübeck erhalten können. Noch einmal: Das hat auch
Auswirkungen auf die Wissenschaftsorganisationen. Ich
habe mich mit Vertretern der Leibniz-Gemeinschaft und
der Fraunhofer-Gesellschaft gestern unterhalten. Die
Fraunhofer-Gesellschaft überlegt, ob sie überhaupt ein
zusätzlich geplantes Institut einrichten kann, das sich mit
Meeresbiologie beschäftigt. Das müssen wir hier noch
einmal deutlich in Erinnerung rufen und bedenken, dass
so die Gefahr besteht, dass Fach- und Forschungskompetenz abwandert.
Nachdem hier eben der Wettbewerbsföderalismus so
gelobt wurde, möchte ich noch einmal an die Anhörung
zum Nationalen Stipendienprogramm erinnern. Da hat
der Vertreter der Fachhochschule Magdeburg - ich
glaube, er war es gewesen - deutlich gemacht, dass in
seiner Region gar keine Chance besteht, dass die Wirtschaft den von ihr geforderten Anteil aufbringt.
({2})
Die Zustimmung der Länder wird für die BAföG-Reform gebraucht; ich weiß nicht, ob sie wie geplant ins
Gesetzblatt kommt. Die Zustimmung der Länder wird
für das Nationale Stipendienprogramm gebraucht; ich
weiß nicht, ob es überhaupt ins Gesetzblatt kommt. Dafür muss noch einiges getan werden. Dem Ministerpräsidenten Beck, der als Vertreter der Länder sagte, es reiche
nicht aus, über zusätzliche Programme Geld vom Bund
zu bekommen, aber für die Kernaufgaben keine finanzielle Unterstützung zu bekommen, kann ich nur recht
geben.
Man kann zwar auf die Länder einprügeln, meine Damen und Herren von der Koalition; das nützt aber nichts.
Man muss jetzt einen Kompromiss finden. Sie müssen
mit den Vertretern der Länder reden. Sie müssen die gesamte Finanzarchitektur zwischen Bund, Ländern und
Gemeinden überprüfen. Es sind ja nicht nur die Länder
betroffen, sondern auch die Kommunen. Auch diese klagen, ob sie schwarz, ob sie rot, ob sie grün oder gelb
regiert werden - und das zu Recht. Einfach „Madame
Non“ zu spielen, einfach Nein zu sagen, ohne Gesprächsbereitschaft zu zeigen, führt dazu, dass wir das
10-Prozent-Ziel nicht erreichen und Deutschland nicht
zu einer Bildungsrepublik umbauen können. Deswegen
müssen Sie kompromissbereit sein. Wir sind es. Wir haben Vorschläge gemacht. Darauf möchte ich noch einmal hingewiesen haben.
Im Interesse der Sache, im Interesse der vielen jungen
Leute, die uns hier besuchen - nebenbei gesagt: Herzlich
willkommen! -, und stellvertretend für die ganze junge
Generation, für die Kinder, die Schülerinnen und Schüler und die Studierenden, fordere ich Sie auf: Seien Sie
bereit, Kompromisse mit den Ländern einzugehen. Dann
erreichen wir hier auch noch etwas.
Sorgen Sie bitte dafür, dass der Haushalt 2010 auch
vollzogen wird, damit die Gelder, die der Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestages zur Verfügung gestellt hat, auch umgesetzt werden. Ich sage das vor dem
Hintergrund, dass zum Beispiel Geld zur Verfügung
steht, um Forschungsschiffe zu bauen, aber es geht einfach nicht voran. Es stehen Hochschulbaumittel zur Verfügung, die aber nicht schnell genug verausgabt werden.
Reden Sie mit den Ländern, damit diese Gelder abgerufen werden! Bringen Sie das in Ordnung, auch im Interesse der Arbeitsplätze!
Vielen Dank.
({3})
Das Wort hat jetzt der Kollege Eckhardt Rehberg von
der CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren Abgeordnete! Bei dem einen oder anderen kann man hier den
Eindruck gewinnen, so zum Beispiel beim Kollegen
Schulz, dass man mit einer gewissen Süffisanz die Ergebnisse des Bildungsgipfels am 10. Juni, also vor einer
Woche, betrachtet. Kollege Schulz, ich habe es Ihnen
schon in der letzten Woche gesagt: Wer im Glashaus
sitzt, sollte nicht mit Steinen werfen.
Wir können gerne eine steuerpolitische Debatte führen. Da müssten wir uns fragen, wie viel es denn sein
soll: Ein Mehrwertsteuerpunkt mehr bringt 8 Milliarden
Euro, zwei Mehrwertsteuerpunkte mehr bringen 16 Milliarden Euro. Vielleicht sollten die Ministerpräsidenten
aller 16 Länder aber erst einmal darüber nachdenken,
vor welchen Herausforderungen wir stehen. Wir stehen
doch vor der Herausforderung, dass die Zahl der unter
30-Jährigen bis zum Jahr 2025 um 4,2 Millionen Personen abnehmen wird, dass die Zahl der über 60-Jährigen
um 3,5 Millionen zunehmen und dass die Zahl der Bildungsteilnehmer um 2,7 Millionen abnehmen wird. Vor
diesen Herausforderungen stehen wir doch in den nächsten zwei Jahrzehnten. Jetzt aber so kurzsichtig zu sein
und zu handeln, dass man, diese Herausforderung vor
Augen, an diesem 10. Juni nur eine steuerpolitische Debatte führt, macht doch deutlich, dass die 16 Ministerpräsidenten ihrer Verantwortung nicht gerecht geworden
sind.
({0})
Ein zweiter Punkt. Steuerpolitik ist langfristig angelegt. Ich habe es nachgeschaut, meine sehr verehrten Damen und Herren von SPD und Grünen: Sie sind dafür
verantwortlich, dass der Spitzensteuersatz von 53 Prozent im Jahr 1999 über 48,5 Prozent im Jahr 2003 auf
42 Prozent zum 1. Januar 2005 gesenkt worden ist.
({1})
Der Verteilungsschlüssel für diese Einnahmen sieht folgendermaßen aus: 42,5 Prozent gehen an den Bund,
42,5 Prozent gehen an die Länder und 15 Prozent gehen
an die Kommunen. Wenn wir also zurückschauen und
uns fragen, wer dafür verantwortlich ist, dass heute
Bund, Länder und Kommunen finanziell nicht so ausgestattet sind, wie sie es sein könnten, dann muss man sagen, dass Sie dafür verantwortlich sind.
({2})
Ich will noch einen anderen Punkt ansprechen. Für
den größten Sündenfall, was die Steuerpolitik der letzten
Jahrzehnte betrifft, sind die Linken, damals PDS, SPD
und Grüne verantwortlich. Ich meine den Rückgang bei
den Einnahmen aus der Körperschaftsteuer zwischen
den Jahren 2001 und 2007. Sie haben dafür gesorgt, dass
120 Milliarden Euro, wenn man einen linearen Anstieg
der Einnahmen des Jahres 2000 zugrunde legt, Bund,
Ländern und Kommunen verloren gegangen sind. Das
wurde damals für die Aktionäre von großen Kapitalgesellschaften gemacht.
Sie weinen hier ständig Krokodilstränen wegen der
Absenkung der Umsatzsteuer für Hotels von 19 auf
7 Prozent, was Mindereinnahmen von 1 Milliarde Euro
zur Folge hat. Es gibt in Deutschland große Hotelketten.
Aber es gibt auch diejenigen, die zum Beispiel in Mecklenburg-Vorpommern 1990 ihr Geld in ein Hotel gesteckt haben oder die Mitte der 90er-Jahre unter vielen
Mühen in ländlichen und strukturschwachen Räumen
eine kleine Pension aufgebaut haben. Diesen Unternehmen kommt heute der höhere Gewinn zugute. Sie können investieren und steigende Kosten ausgleichen. Was
Steuerpolitik betrifft, machen Sie eine reine Neidkampagne.
({3})
Lassen Sie mich noch eine letzte Anmerkung machen.
Herr Kollege Schulz, ich bin stolz auf den „Scherbenhaufen“, den CDU/CSU und FDP in der Steuerpolitik
angerichtet haben.
({4})
Denn das IWH prognostiziert - hören Sie ganz genau
zu -, dass entgegen der Steuerschätzung vom 6. Mai zusätzliche Steuereinnahmen von mindestens 5 bis
7 Milliarden Euro für dieses Jahr zu erwarten sind, die
auf Bund, Länder und Kommunen aufgeteilt werden.
Die eine Hälfte geht an die Länder und die andere an die
Kommunen. Ich sage Ihnen daher ganz offen: Die Politik, die wir gemacht haben, ist eine gute Politik für Länder und Kommunen und eine gute Politik für die Menschen in Deutschland.
({5})
Es ist insbesondere eine gute Politik für diejenigen, die
mehr Geld für Bildung ausgeben wollen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren von SPD,
Grünen und Linken, der Bund wird hier seiner Verantwortung gerecht und er stellt sich den Herausforderungen. Man kann Politik natürlich auch so gestalten wie
letzten Donnerstag: Poker spielen und die Rommé- und
Skatkarten beiseite legen.
Herzlichen Dank.
({6})
Das Wort hat der Kollege Ernst Dieter Rossmann von
der SPD-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Um
es vorwegzusagen: Es besteht keine Freude aufseiten der
Sozialdemokraten, dass es am letzten Donnerstag nicht
zu einem guten Ergebnis gekommen ist.
Wir hatten erstens den gemeinsamen Bezugspunkt,
dass die Ausgaben für Bildung in Deutschland um der
Bildungsgerechtigkeit, um der Chancen für junge Leute
und um der ökonomischen Leistungsfähigkeit willen
deutlich aufwachsen müssen.
({0})
Wir hatten zweitens alle zusammen begriffen, dass unser
Handeln in der Bildungspolitik langfristig angelegt und
unterlegt sein muss. Denn wer nur auf das nächste Jahr
schaut, wird nicht dem gerecht, was in fünf, zehn oder
15 Jahren notwendig ist.
Wir hatten drittens zusammen erkannt, dass wir es
uns in Deutschland nicht leisten können, dass es bildungsstarke und bildungsschwache Regionen gibt.
Aufgrund dieser drei Erkenntnisse haben die Ministerpräsidenten, egal welcher Couleur, und die Bundesregierung versucht, etwas Großes aufzubauen. Es liegt
nicht im Interesse von Bildung und Bildungschancen,
wenn es nun nur sehr magere und nicht erklärbare Ergebnisse wie die vom Donnerstag gibt.
Frau Schavan, da es nicht nur um Finanzen, sondern
auch um das Kooperationsverständnis geht, möchte ich
eine dringliche Bitte an Sie richten: Die Sorgen der Länder dürfen nicht einfach als Parteipolitik und Finanzgeschacher abgetan werden. Die Länder sorgen sich
schließlich darum, unter welchen Voraussetzungen sie
ihren im Vergleich zum Bund weit überproportionalen
Anteil für die Bildungsabsicherung finanzieren können.
Vorausschauende Ministerpräsidenten haben in diesem
Zusammenhang nicht nur das Haushaltsjahr 2011/2012,
sondern auch die Schuldenbremse im Auge. Sie haben
auch die strukturelle Unterfinanzierung ihrer Haushalte
im Auge. Sie fragen sich, wie sie den Korridor freibekommen, um sowohl die schon jetzt aufzubringenden
Regelleistungen für Hochschulen und Schulen als auch
die Aufwüchse zu finanzieren. Wenn der Bund den Ländern keine Refinanzierungsmöglichkeiten über entsprechende Einnahmeerhöhungen gibt, dann muss der Bund
selbst die Einnahmeverbesserung für die Bildung langfristig im Auge behalten. Dafür werben wir.
Der eigentliche Konflikt im Rahmen des Bildungsgipfels war, dass man sich nicht eingestanden hat, dass
der Aufwuchs der Bildungsmittel für die öffentliche Finanzierung in Bund, Ländern und Kommunen durch natürliches Wachstum und durch Einsparungen nicht mehr
zu realisieren ist. Je früher dieses Bewusstsein durch die
Autorität der Bundesbildungsministerin sowie der Kanzlerin und durch die Einsicht der Ministerpräsidenten
wächst, desto eher nähert man sich einem erfolgreichen
Bildungspfad für die Jahre 2015 bis 2020.
({1})
Je früher diese Einsicht auch bei den Liberalen
wächst, desto eher wird man erfolgreich sein. Es gibt
auch liberale Politiker wie zum Beispiel Herrn Kubicki
und andere, die aufgrund ihres analytischen Verständnisses erkannt haben, dass Folgendes nicht gleichzeitig
funktionieren kann: Bildungspriorität, Schuldenbremse,
Steuersenkung und Einsparung. Das muss man begreifen, um zukünftige Gipfel zum Erfolg zu führen.
({2})
Ich komme zu meinem zweiten Punkt: Er betrifft die
Strategie. In Bezug auf das Bund-Länder-Verhältnis bei
der Gestaltung von Bildung haben wir unsere Meinungen in Sachen „Pakt für die gute Lehre“ ausgetauscht.
Wir sagen: Das Strecken auf zehn Jahre hat einerseits etwas Gutes, indem es zehn Jahre vorausplant, und gleichzeitig etwas Ernüchterndes, denn 2 Milliarden Euro sind
dann eine nicht mehr ganz so bombastische Summe. Der
Bund finanziert allerdings eine Sache zu 100 Prozent,
die eigentlich in der Zuständigkeit der Länder liegt.
Wenn die Länder nicht einmal mehr die 10 Prozent finanzieren können, die der Bund eigentlich von ihnen erwartet, dann zerbricht die finanzielle Kooperation.
In diesem Fall ist die finanzielle Kooperation indirekt
zerbrochen, weil der Bund den Ländern zum ersten Mal
das knallharte Angebot gemacht hat, alles allein zu finanzieren. Wollen wir dahin? Müssen nicht auch die
Länder finanziell in der Lage sein, im Rahmen der
Bund-Länder-Kooperation zumindest 10 Prozent für die
Bildung zu leisten? Es gibt Bundesländer, die sagen: Wir
können nicht einmal diese 10 Prozent finanzieren. Nicht
einmal die 12 Millionen Euro für das BAföG in Schleswig-Holstein können wir mitfinanzieren. Wir haben es
hier mit einem strukturellen Ungleichgewicht zu tun.
Dieses Ungleichgewicht wird in Zukunft jede Bildungskooperation kaputtmachen. Meine zweite Bitte ist
also, dass Sie rechtzeitig erkennen, dass die Mindestfinanzierung durch die Länder funktionieren muss. Ansonsten wird es keine strukturelle Bildungskooperation
geben. Diese brauchen wir aber. Und zum Inhaltlichen,
um auf Herrn Weinberg einzugehen:
Ich kann in Bezug auf unsere Agenda viele Dinge
nennen, die wir brauchen. Dazu gehören die frühkindliche Bildung, Ganztagsschulen und die Brücke - nicht
die Kette - im Übergang von der Schule ins Berufsleben.
Auch im Hochschulbereich dauert es aber nicht mehr
lange und es wird eine Forderung nach einem zusätzlichen Medizinerprogramm geben, weil die Medizinerausbildung teuer ist und es in diesem Bereich nicht genügend Studienanfänger gibt. Wer soll das mitmachen?
Wenn es darauf hinausläuft, dass der Bund alles zu
100 Prozent finanziert, dann zerbricht die Struktur der
Zuständigkeiten und der Verantwortlichkeiten langsam;
die Weiterbildung habe ich noch nicht einmal angesprochen.
Ich komme zu meinem letzten Punkt: Frau Ministerin,
es ist wahrscheinlich aus Frustration erwachsen, dass gesagt wird: Es geht um Wettbewerb. Damit fallen Sie wieder auf Ihre alten Ansichten zurück. Am Anfang des Bildungsgipfels stand die Vorstellung: Wir kommen nur
kooperativ voran.
({3})
Dies sollten Sie beibehalten. Sie sollten das Kooperative,
das Ausgleichende und das Zusammenführende betonen.
Da ist ein guter Ansatz beim Grundgesetz - in Bezug
nicht nur auf das Feststellen, sondern auch auf das Sicherstellen - in die Diskussion gebracht worden.
Ich will einen Gedanken hinzufügen. Wir brauchen
diese Kooperation auch in Bezug auf das, was von der
Kultusministerkonferenz geleistet werden kann. Denn
wenn die Kultusminister in einen Wettbewerb gegeneinander geschickt werden, dann gibt es keine Stärkung der
Bildung, der Mobilität und dessen, was ein Bedürfnis
von Eltern und Kindern ist: überall in Deutschland den
gleichen Zugang zu Bildung zu haben. Im Gegenteil:
Man kommt zu Kooperation nur, wenn es einen inhaltlichen Konsens gibt.
Herr Kollege Rossmann, Sie wissen doch, dass Sie
die Redezeit längst überzogen haben.
Ich werbe mit Zustimmung des Präsidenten dafür,
dass die Kooperation dadurch zunimmt, dass wir uns
auch im Bundestag um mehr Konsens bemühen. Das
müsste ganz im Interesse des Präsidenten sein.
Danke schön.
({0})
Als letztem Redner in dieser Aktuellen Stunde erteile
ich das Wort dem Kollegen Albert Rupprecht von der
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren!
Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Der Bildungsgipfel
ist eine gemeinsame Sache. Erfolg kann es nur geben,
wenn alle 16 Ministerpräsidenten zustimmen. Alle sitzen
im selben Boot. Im Übrigen sind alle im Deutschen Bundestag vertretenen Parteien - auch die Linken, auch die
Grünen, auch die SPD - an Landesregierungen beteiligt.
Ich glaube, Kritik ist am allerwenigsten gegenüber der
Bundesregierung angebracht; denn die Bundesregierung
steht zu dem, was sie gesagt hat. Diskussionsbedarf und
Kritik gibt es in den Landesregierungen. Jede Partei und
jede Fraktion ist gefordert, das in den eigenen Gruppierungen und mit der eigenen Landesregierung zu besprechen.
Der Qualitätspakt Lehre mit zusätzlichen stattlichen
Mitteln von 2 Milliarden Euro für die Hochschulen ist
ein wichtiges Ergebnis des Gipfels. Richtig ist aber
auch: Wir wollten weitere konkrete Beschlüsse. Dass es
dazu nicht gekommen ist, lag nicht am Bund. Ganz im
Gegenteil: Die Bundesregierung und die christlich-liberale Koalition stehen zu den 12 Milliarden Euro mehr für
Forschung und Bildung in dieser Legislaturperiode. Wir
stehen zur Umsetzung des 10-Prozent-Ziels bis 2015.
Wir stehen zu all diesen Zielen und Zahlen, weil wir
vom Ziel der Bildungsrepublik Deutschland überzeugt
sind.
({0})
Deswegen ist es vollkommen falsch, wenn Sie heute
primär die Bundesregierung kritisieren. Es lag an den
Bundesländern; die Länder waren leider nicht zu mehr
bereit. Um es auf den Punkt zu bringen - Ministerin
Schavan war sehr zurückhaltend -: Es lag vor allem an
den SPD-Ministerpräsidenten.
({1})
Am Gipfel waren die wesentlichen Führungspersonen
der SPD beteiligt. Wowereit, stellvertretender Parteivorsitzender, Platzeck und Kurt Beck als vormalige Parteivorsitzende waren bei diesem Bildungsgipfel anwesend.
({2})
Beck hat nach diesem Gipfel die gemeinsame Position
der SPD zusammengefasst: Er war nicht bereit, weitere
konkrete Maßnahmen zu beschließen. Noch schlimmer:
Er war nicht einmal bereit, über eine einzelne bildungspolitische Maßnahme zu diskutieren. Das Einzige, was
ihn interessiert hat, war mehr Geld vom Bund, waren
mehr und höhere Umsatzsteuerpunkte für die Länder,
({3})
und zwar ohne jegliche verbindliche Verpflichtung, dass
das Geld zusätzlich in Bildung fließt. Und das geht
nicht.
({4})
Es geht nicht, dass das Geld, das für Bildung gedacht ist,
für marode Landeshaushalte, für Straßen oder für Spaßbäder verwendet wird. Das ist vollkommen unakzeptabel. Die Bundeskanzlerin hat dieses Ansinnen zu Recht
abgelehnt. Dies sollte von diesem Hause unterstützt werden.
Herr Kollege Schulz, zu Ihrer Argumentation, die Sie
immer wieder anführen, dass es die Beschlüsse der Bundesregierung seien, die die Länder handlungsunfähig
machten, und dass deswegen nicht mehr Geld für Bildung zur Verfügung gestellt werden könne. Kollege
Eckhardt Rehberg hat ausreichend darauf geantwortet.
({5})
Nichtsdestotrotz ist es falsch, wenn behauptet wird, dass
es keine Länder gebe, die mehr Geld zur Verfügung
stellten. Bayern beispielsweise stellt im Haushalt 2010
4 Prozent mehr für Bildung zur Verfügung. BadenWürttemberg stellt 4,7 Prozent mehr für Bildung zur
Verfügung. In Bayern sind das über 300 Millionen Euro,
in Baden-Württemberg 380 Millionen Euro pro Jahr.
({6})
Albert Rupprecht ({7})
Das Ergebnis ist letztendlich, dass Bundesländer, die
über Jahre hinweg wirtschaftspolitisch gut gearbeitet
und klare Prioritäten gesetzt haben - insbesondere Bundesländer, die über Jahre hinweg unionsgeführt waren -,
schon die Kraft haben, für Bildung Gelder freizumachen.
({8})
Die Bundesregierung und die christlich-liberale Koalition stehen klar zur Priorität von Bildung und Forschung. Wir werden in den nächsten Wochen und Monaten jede Maßnahme einzeln aufrufen und unseren Weg
unbeirrt weitergehen. Wir sind die treibende Kraft und
der stabile Faktor in der bildungspolitischen Debatte in
Deutschland. Das Angebot an die Länder steht nach wie
vor. Wir bitten die Bundesländer, diesen Weg mitzugehen.
Herzlichen Dank.
({9})
Die Aktuelle Stunde ist beendet.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 5 auf:
Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten
Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des
Strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetzes
- Drucksache 17/1215 Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss ({0})
Innenausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Kultur und Medien
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. - Ich
höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Kollegen
Marco Buschmann für die FDP-Fraktion das Wort.
({1})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen
und Kollegen! Der Titel unserer heutigen Debatte mutet
technisch an; aber bei der Diskussion um die Änderung
des Strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetzes geht es um
weit mehr als um Rechtstechnik. Es darf nicht nur um
Rechtstechnik gehen, wenn wir diese Frage wie heute an
einem 17. Juni behandeln; denn dieses Datum muss uns
mit Blick auf den menschenverachtenden Totalitarismus
der DDR und ihres Unterdrückungsapparates stets Mahnung und Warnung sein.
Dieser Unterdrückungsapparat offenbarte sich schon
in der Vorgeschichte des 17. Juni 1953; denn die willkürliche Erhöhung der Arbeitsnormen anlässlich des
60. Geburtstags von Walter Ulbricht zeigte: Unsere soziale Marktwirtschaft mit Tarifautonomie und Gewerkschaften unter dem grundgesetzlichen Schutz der Koalitionsfreiheit ist das weitaus menschlichere System, und
nicht die zentralistische Kommandowirtschaft.
Dieser Unterdrückungsapparat zeigte sich noch deutlicher, als die Arbeiterinnen und Arbeiter auf die Straße
gingen und klar wurde, wie die DDR-Führung darauf reagierte. Am 17. Juni 1953 setzte der selbsternannte Arbeiterstaat Panzer gegen seine Arbeiterinnen und Arbeiter ein. Diese Panzer waren die Verkörperung dessen,
was Hannah Arendt das „eiserne Band des Terrors“
nannte, mit dem ein jeder Totalitarismus den Raum der
Freiheit zu unterdrücken sucht. Dieses „eiserne Band des
Terrors“ fand seine Opfer: Über 50 Menschen starben
unmittelbar; anschließend wurden mehr als 13 000 Menschen verhaftet, mehr als 2 000 zu Gefängnisstrafen verurteilt und mindestens 20 Todesurteile vollstreckt. Diese
Strafurteile zeigen eines ganz deutlich: In den formalen
Mantel des DDR-Rechts wurde SED-Unrecht gehüllt;
denn die brutale Unterdrückung des Willens der Menschen nach freien Wahlen und politischer Freiheit ist
nichts anderes als Unrecht.
({0})
Gestatten Sie mir diese Anmerkung: Diese Erkenntnis
sollte für uns selbstverständlich sein. Ich finde es im
Umfeld des heutigen Datums schon irritierend, wenn
eine Bewerberin um das höchste Staatsamt öffentlich
diese Erkenntnis infrage stellt, weil sie der Ansicht ist,
sie könne mithilfe eines formaljuristischen Arguments
leugnen, dass die DDR ein Unrechtsstaat war. Das halte
ich im Umfeld dieses Datums für nicht akzeptabel.
({1})
Der 17. Juni war nur die Spitze eines Eisbergs der
Unmenschlichkeit im SED- und Stasistaat. Die formale
Ummantelung von SED-Unrecht, insbesondere durch
das Strafrecht der DDR, hatte Methode. Tausende von
Menschen landeten über Jahrzehnte zu Unrecht in den
Gefängnissen der DDR. Daher ist es eine wichtige politische Aufgabe, den formalen Mantel des DDR-Rechts zu
lüften und Straftäter von denjenigen zu unterscheiden,
die nichts Strafwürdiges getan haben, sondern SEDRecht erleiden mussten. Den Opfern muss Rehabilitierung und Hilfe zuteil werden. Der FDP war und ist die
Würdigung der Menschen, die Opfer des SED-Unrechtsstaates wurden und sich gegen ihn erhoben, stets ein
wichtiges Anliegen.
Aus diesem Grund begrüßen wir ausdrücklich die
Bundesratsinitiative der Länder Sachsen, MecklenburgVorpommern und Niedersachsen zur Änderung des
Strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetzes. Die Erfahrungen mit dem Vollzug des Dritten SED-Unrechtsbereinigungsgesetzes haben uns gezeigt, dass an verschiedenen
Stellen Nachbesserungsbedarf besteht. Diesem wollen
wir zügig nachkommen.
Darüber hinaus gibt es Forderungen aus den Reihen
der Opferverbände, die über die vereinbarten Maßnahmen hinausgehen. Das haben wir im Blick. Ich glaube,
auch im Interesse der Opfer sagen zu können: Wir sollten jetzt zügig zuerst jene Maßnahmen angehen, über die
weitgehend Einigkeit besteht; denn nicht wenige Opfer
haben ein Alter erreicht, das eine schnelle Entscheidung
erfordert. Das Zögern bis zum großen Wurf könnte die
ungewollte Folge haben, dass für viele der Opfer die
Hilfe, die wir hoffentlich alle wollen, zu spät kommt.
({2})
Was alle weiteren Vorschläge angeht, so kann ich Ihnen versichern: Wir werden ausloten, was möglich ist.
({3})
Das ist wichtig und richtig; denn der mutige Einsatz der
Menschen für Freiheit, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit muss anerkannt und gewürdigt werden. Es darf nicht
sein, dass Menschen, die Opfer systematischer Bespitzelung wurden, mit einer bestimmten Verwaltungspraxis
konfrontiert werden - einige Landesbehörden verstoßen
unter Verweis auf den Amtsermittlungsgrundsatz gegen
das Gesetz - und den Eindruck bekommen, sie wären
wieder Gegenstand von permanenter Überwachung, anstatt rehabilitiert zu werden. Das ist eines der vielen Beispiele für die sinnvollen Maßnahmen, die wir im Paket
finden. Deshalb sind das gute Vorschläge. Der mutige
Einsatz der Menschen muss geachtet werden. Sie müssen rehabilitiert werden. Sie brauchen Hilfe, und zwar
nicht nur am 17. Juni.
Herzlichen Dank.
({4})
Das Wort hat nun Sonja Steffen für die SPD-Fraktion.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Gesine Schwan hat heute Morgen eine eindrucksvolle Rede zum 17. Juni 1953 gehalten, dem Tag,
an dem in der DDR mehr als eine halbe Million Menschen gegen die SED-Politik auf die Straße gingen und
über 6 000 Protestierende inhaftiert wurden. Dieser Gedenktag ist ein guter Tag, um hier im Deutschen Bundestag erneut über die Entschädigung für die Opfer der anschließenden politischen Verfolgungen zu diskutieren.
Im Juni 2007 hat der Deutsche Bundestag die Einfügung der Vorschrift des § 17 a in das Strafrechtliche Rehabilitierungsgesetz beschlossen. Sie trägt die Überschrift „Besondere Zuwendung für Haftopfer“. Seitdem
erhalten politisch Verfolgte, die in der DDR mindestens
ein halbes Jahr in Gefängnissen wie Hohenschönhausen
oder Bautzen inhaftiert gewesen sind, monatlich bis zu
250 Euro als sogenannte Opferrente. Heute, 20 Jahre
nach der deutschen Einheit, wird die Rente an ungefähr
42 000 frühere politische DDR-Häftlinge gezahlt. Schon
kurz nach der Umsetzung des Gesetzes wurden Forderungen laut, es nachzubessern. Beim Vollzug des Gesetzes hat sich nämlich herausgestellt, dass die Berechnung
des anzurechnenden Einkommens der Opfer in der Praxis zu Ungleichbehandlungen führt.
Ich möchte in diesem Zusammenhang auf einige Aspekte hinweisen.
Der erste Aspekt betrifft die Einkommensgrenzen. Es
hat sich bei der Anwendung des Gesetzes gezeigt, dass
die Festlegung der Einkommensgrenzen unzureichend
ist. Gegenwärtig wird die Opferrente nach pauschalen
Einkommensgrenzen berechnet.
Wer als alleinstehende Person mehr als 1 077 Euro
netto monatlich verdient, erhält die Opferrente nicht. Bei
einer in Partnerschaft lebenden Person liegt die Einkommensgrenze bei 1 436 Euro ohne Berücksichtigung des
Partnereinkommens. § 17 a des Strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetzes sieht also lediglich zwei unterschiedliche Einkommensgrenzen vor. Einen besonderen Freibetrag für den Unterhalt eigener Kinder gibt es für die
Opfer gegenwärtig nicht.
Der zweite Aspekt betrifft das staatliche Kindergeld.
Nach dem bestehenden Gesetz wird das Kindergeld als
Einkommen der Antragsteller angerechnet. Es handelt
sich beim Kindergeld jedoch um eine Leistung, die ausschließlich zur Deckung des notwendigen Lebensbedarfs
der Kinder vorgesehen ist.
Was bedeuten die beiden vorgenannten Aspekte für
die Berechnung der Opferrente? Familien mit Kindern
erhalten im Falle eines geringen Einkommens und bei
Bezug von Kindergeld oftmals keine Entschädigung.
Die Alleinerziehenden, die ohnehin häufig am Rand der
Gesellschaft stehen, sind hiervon besonders betroffen.
Dies stellt eine nicht hinzunehmende Benachteiligung
dar, die beseitigt werden muss.
Der Änderungsentwurf sieht Folgendes vor: Zum einen sollen Freibeträge für unterhaltsberechtigte Kinder
in Höhe von derzeit 359 Euro je Kind berücksichtigt
werden. Zum anderen soll das staatliche Kindergeld als
Einkommen nicht mehr angerechnet werden. Diese vorgesehenen Änderungen sind grundsätzlich zu begrüßen,
ebenso der beabsichtigte Abzug der angemessenen betrieblichen Altersvorsorge vom Einkommen.
Aus meiner Sicht ist es bei der Diskussion über den
Änderungsentwurf allerdings erforderlich, auch über die
gegenwärtig unterschiedlich hohen Einkommensgrenzen
bei Alleinstehenden und bei Opfern, die in einer Paarbeziehung sind, noch einmal nachzudenken. Es mutet ungerecht an, dass das Gesetz die in Partnerschaft lebenden
Opfer mit höheren Freibeträgen versieht als die alleinstehenden Opfer. Der Bundestag hat die unterschiedlichen
Freibeträge im Jahr 2007 festgelegt, weil man davon
ausging, dass die meisten Anspruchsteller, die mit einem
Partner zusammenleben, diesen regelmäßig finanziell
unterhalten müssen. Um diese fiktive Belastung aufzufangen, wurde die Einkommensgrenze für die Opfer in
Paarbeziehungen erhöht. Hier wird die Bundesregierung
aufgefordert, zu ermitteln, ob die in Partnerschaft lebenden Berechtigten tatsächlich Unterhaltsverpflichtungen
gegenüber ihren Partnern haben, die diese Ungleichbehandlung gegenüber Alleinstehenden rechtfertigen.
Nun zu einem letzten Aspekt der vorgesehenen Änderung des Gesetzes. Die Opferrente soll zukünftig nicht
mehr Personen gewährt werden, die zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren wegen einer vorsätzlichen Straftat rechtskräftig verurteilt worden sind. Herauszuheben ist in diesem Zusammenhang der Fall eines
Straftäters, der wegen schwerster Sexualdelikte und wegen Mordes zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt wurde und nun Anspruch auf die Opferrente erhebt.
Die Opferrente dient der besonderen Anerkennung und
Würdigung der Opfer politischer Verfolgung in der ehemaligen DDR. Deshalb wird sie häufig auch als Ehrenrente bezeichnet. Sie soll daher nach dem Änderungsentwurf nicht Straftätern gewährt werden, deren Taten auch
nach bundesdeutschem Recht strafwürdig sind.
Dieses Vorhaben verdient grundsätzlich Anerkennung. Jedoch ist bei der Umsetzung Sensibilität gefragt
und das Augenmerk auf den Einzelfall zu richten. Häufig waren es sehr junge Menschen, die wegen unvorsichtiger Äußerungen und Handlungen für Jahre in Stasigefängnissen unter widrigsten Umständen inhaftiert waren.
Zurück blieben nach dem Verbüßen der Strafen oftmals
gebrochene Personen mit psychischen Schäden, die im
normalen Leben nicht mehr Fuß fassen konnten.
Wir sollten die beabsichtigte Änderung des Gesetzes
zum Anlass nehmen, die sozialen Ungerechtigkeiten aus
dem Weg zu schaffen und die Opferrente denjenigen zuzuerkennen, die sie aufgrund erlittenen Unrechts verdient haben.
Vielen Dank.
({0})
Das Wort hat nun Andrea Voßhoff für die CDU/CSUFraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Heute, am 17. Juni 2010, diskutieren wir in diesem Hohen Hause wieder einmal über Vorschläge zur Verbesserung des Strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetzes und
damit der SED-Unrechtsbereinigung, in diesem Fall
über Vorschläge des Bundesrates. Das historische Datum
heute ist nicht zufällig das Datum dieser ersten Lesung,
sondern wurde von der christlich-liberalen Koalition bewusst so gewählt. Auch wenn die Tagesordnung des
heutigen Plenums schier endlos erscheint und die Themen unterschiedlicher nicht sein könnten, erlaube ich
mir die Anmerkung, dass dieser Tagesordnungspunkt im
Nachgang zur Gedenkstunde heute gut, richtig und
wichtig ist.
Warum sage ich das? Die Feierstunde heute früh hat
uns allen nochmals die Bedeutung der Ereignisse des
17. Juni 1953 und den Freiheitswillen der mutigen
Bürgerinnen und Bürger in Ostberlin und der gesamten
sowjetischen Besatzungszone vor Augen geführt. Es waren damals der Wunsch und die Hoffnung der Arbeiter
und der Studenten, der Hunderttausenden Demonstranten in Ostberlin, in Magdeburg, Merseburg, Halle, Bitterfeld, Leipzig, Jena und Brandenburg an der Havel:
Mit dem Deutschlandlied auf den Lippen trugen sie Plakate mit der Aufschrift: „Wir wollen freie Menschen
sein! Wir wollen freie Wahlen!“
1989 haben die Montagsdemonstrationen diese Forderungen unter dem Banner „Einigkeit und Recht und
Freiheit“ wieder aufgenommen. Mutige Bürger in den
Städten Ostdeutschlands haben mit diesem Leitspruch
friedlich die Einheit in Freiheit erkämpft. Der 17. Juni
1953 - wir haben es heute Morgen gehört - und der
3. Oktober 1990 gehören deshalb historisch untrennbar
zusammen.
Ich muss das Gedenken an den 17. Juni hier jetzt
nicht weiter fortführen; das haben wir bereits heute Morgen getan. Ein Volk gedenkt, um nicht zu vergessen. Zur
Erinnerung gehört auch die Aufarbeitung. Das sind wir
den Opfern und einer verantwortungsvollen Zukunftsgestaltung schuldig. Deshalb kann und darf die Aufarbeitung des SED-Unrechts nicht beendet sein.
({0})
Das gilt im Bereich der Rechtspolitik, auch im Besonderen bei den Rehabilitierungs- und Entschädigungsgesetzen. Deshalb hat die christlich-liberale Koalition in ihrem Koalitionsvertrag vereinbart, das System der
Rehabilitierung und Entschädigung laufend zu überprüfen und offenbarem Regelungsbedarf zur Verbesserung
der rehabilitierungsrechtlichen Situation von Betroffenen Rechnung zu tragen.
({1})
Um diese Aufarbeitung haben sich fast alle Regierungsfraktionen dieses Parlaments in den vergangenen
20 Jahren in unterschiedlichen Koalitionen immer wieder bemüht. Ich sehe in allen Fraktionen viele Kollegen,
mit denen wir schon häufig konstruktiv, wie ich denke,
über das Thema diskutiert haben. Bei den Linken muss
man bis heute ja die Aufrichtigkeit der Aufarbeitung der
SED-Diktatur bezweifeln. Wenn zuletzt im Mai dieses
Jahres die innenpolitische Sprecherin der Linken in einem Grußwort zur jährlichen Tagung ehemaliger hauptamtlicher Mitarbeiter des Stasiauslandsgeheimdienstes
diese für ihren - ich zitiere - „mutigen Einsatz“ lobt und
dann noch - ich zitiere weiter - „das himmelschreiende
Unrecht“ gegenüber diesen Stasileuten beklagt, dann
muss man sich schon fragen, wie ernst bei den Linken
die kritische Aufarbeitung gesehen wird.
({2})
Kollege Buschmann hat es schon erwähnt, auch die
Äußerungen Ihrer Kandidatin von den Linken, Frau
Jochimsen, schreien zum Himmel. Ich darf - ich denke,
das ist hier angemessen - aus einer Rede des ehemaligen
Bundespräsidenten Roman Herzog, eines ausgewiesenen
Verfassungsexperten, zu dem Thema etwas vorlesen:
Die DDR war natürlich mehr als eine Diktatur. Sie
war auch der Lebensrahmen für Menschen, die sich
mit Fleiß und Energie engagierten: am Arbeitsplatz,
im privaten Umfeld, in der Familie, in den Kirchen.
Viele Hemmnisse des Systems wurden durch Improvisation und bewundernswertes Geschick überwunden. … Das kann und darf freilich nicht Grund
für eine nachträgliche Verklärung der DDR sein.
Die DDR verweigerte ihren Bürgern die grundlegenden demokratischen Rechte, sie machte Oppositionelle mundtot und schreckte in Einzelfällen nicht
einmal vor Mord oder Verschleppung zurück. Sie
war ein Unrechtsstaat!
({3})
Seit dem Ersten SED-Unrechtsbereinigungsgesetz
aus dem Jahr 1992 haben wir in fast 20 Jahren in dieser
Frage, wie ich finde, einen durchaus erfolgreichen Weg
zurückgelegt, auch wenn es noch viele Probleme in dem
Bereich gibt. Wir alle, die wir uns mit dieser Thematik
beschäftigen, wissen das. Ich denke, wir haben viel erreicht. Lassen Sie mich ein paar Punkte dazu sagen.
Die Stiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur hat
seit ihrer Gründung über 1 700 Projekte vor allem in der
Arbeit mit jungen Menschen gefördert, um über das
DDR-Unrechtssystem aufzuklären. Über 1,7 Millionen
Besucher haben sich seit 1994 in der Gedenkstätte Hohenschönhausen einen Eindruck über die perfiden Foltermethoden der Stasi verschaffen können. Durch das
Bundesamt für offene Vermögensfragen sind für rechtsstaatswidrige Enteignungen in fast 500 000 Fällen Entschädigungen geleistet worden. Bei der BStU sind seit
Inkrafttreten des Stasi-Unterlagen-Gesetzes über 6 Millionen Anträge auf Auskunft und Akteneinsicht gestellt
worden, davon allein 2,6 Millionen von Privatpersonen.
Seit 1990 sind allein im Bereich des Strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetzes in den ostdeutschen Ländern etwa
180 000 Anträge auf gerichtliche Rehabilitierung gestellt worden. Seit Einführung der Opferpension im September 2007 sind 68 000 Anträge auf Erhalt der Opferpension gestellt und 48 000 auch bewilligt worden. Ich
finde schon, dass dies im Lichte der Diskussionen, die
wir in diesen Fragen immer wieder führen, eine sehr
gute Bilanz ist, auch wenn ich weiß, dass es in dem Bereich noch vieles zu klären gilt.
Ich darf an dieser Stelle darüber hinaus auch den vielen ehrenamtlichen Helfern der Opferhilfe, denjenigen,
die in Opferverbänden tätig sind, den Opfern zur Seite
stehen und so eine wichtige Arbeit leisten, ganz herzlich
Dank sagen.
({4})
Meine Damen und Herren, ich erwähnte es: Jeder von
Ihnen, der sich mit dem Thema befasst, kennt aus vielen
Schilderungen der Opfer die Problemfälle, die Schicksale, die Schwierigkeiten, die die Opfer in ihrem Umfeld
und bei der Geltendmachung ihrer Ansprüche haben. Ich
freue mich, dass es uns in der letzten Legislaturperiode
wirklich gelungen ist - ich darf an dieser Stelle von meiner Fraktion den Kollegen Arnold Vaatz nennen -, die
SED-Opferpension in Höhe von 250 Euro im Strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetz zu verankern. Ich denke,
das ist ein Erfolg; das darf man auch einmal sagen.
({5})
Die Opferpension ist nämlich ein wichtiger Baustein der
rechtsstaatlichen Wiedergutmachung geworden; die Antragszahlen hatte ich in diesem Zusammenhang genannt.
Jetzt komme ich zu der Initiative des Bundesrates; die
einzelnen Bestandteile sind hier und heute schon genannt worden. Es gibt eine Vielzahl von Punkten, an denen wir - ich denke, das ist Konsens - bei den bestehenden Regelungen Korrekturbedarf sehen. Ich freue mich,
dass in dieser Frage auch Konsens mit der Opposition
besteht. Die Details werden wir in den Beratungen sicherlich noch besprechen können.
Die Klarstellung, wie die Berechnung der Mindesthaftzeit zu erfolgen hat, halte ich für einen wichtigen
Punkt, ebenso die Verbesserungen für Familien mit Kindern, dass Betroffene mit Kindern finanziell nicht
schlechter gestellt werden dürfen als Betroffene, die
keine Kinder haben und die Rente beantragen. Es gibt
eine Vielzahl weiterer Punkte, bei denen wir sagen: Hier
besteht Handlungsbedarf. - Die christlich-liberale Koalition ist hier übrigens schon bei der Arbeit.
Natürlich können wir die fiskalischen Zwänge nicht
ignorieren. Aber im Rahmen unserer Möglichkeiten
werden wir diesem Korrekturbedarf, den auch die Bundesländer angemahnt haben, nachkommen und schauen,
was wir in diesem Bereich umsetzen können. Ich denke,
das kommt den Opfern und denjenigen, die in besonderer Weise gelitten haben, zugute.
Lassen Sie mich zum Schluss kommen. Seit dem
friedlichen Erreichen der deutschen Wiedervereinigung
am 3. Oktober 1990 sind wir in Deutschland in den letzten 20 Jahren gemeinsam und mit ganzer Kraft auf dem
Weg nach Einheit in Freiheit, wie ich glaube, ein Stückchen vorangekommen. Die christlich-liberale Koalition
wird es nicht zulassen, dass ein dunkelrotes Tuch über
die Vergangenheit gelegt wird.
({6})
Wir können das jahrzehntelange Unrecht nicht rückabwickeln. Wir können mit den Bestandteilen dieser Initiative des Bundesrates aber weiter dafür Sorge tragen,
das Unrecht etwas abzumildern, und den Opfern in Teilbereichen ein Stück weit entgegenkommen.
In diesem Sinne freue ich mich auf die anstehenden
Beratungen und bedanke mich fürs Zuhören.
({7})
Das Wort hat nun Halina Wawzyniak für die Fraktion
Die Linke.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Kolleginnen und
Kollegen! Das Strafrechtliche Rehabilitierungsgesetz
soll erneut geändert werden. Der in der letzten Wahlperiode neu eingeführte § 17 a soll umfangreiche Änderungen erfahren, Änderungen, die zumindest die handwerklich groben Unzulänglichkeiten des bisherigen Gesetzes
beseitigen und damit die Zahl der Berechtigten, die eine
monatliche Opferrente erhalten sollen, erhöhen. Deshalb
- jetzt ist Ihre Aufmerksamkeit gefragt - wird meine
Fraktion dem Gesetz auch zustimmen. Denn die Verbesserungen, die die bundesweit geschätzten 3 000 Anspruchsberechtigten erfahren, sind zu begrüßen.
({0})
Insgesamt aber bleiben das Gesetz und insbesondere
der § 17 a weit hinter den Anforderungen an ein gerechtes Opferrentengesetz zurück. Die Fraktion Die Linke
hatte bereits in der 16. Wahlperiode einen Gesetzentwurf
vorgelegt, der solchen Anforderungen standhalten
würde.
Die Linke fordert eine Opferrente, unabhängig von
dem aktuellen Einkommen der Betroffenen, in Höhe von
511 Euro. Wir wollen, dass weitere Personengruppen,
die in der DDR politisch verfolgt wurden, Anspruch auf
eine solche Rente erhalten; dabei handelt es sich beispielsweise um Schülerinnen und Schüler, denen aus
politischen Gründen ein Bildungsweg versagt wurde,
oder um Bürgerinnen und Bürger, die Opfer von Zersetzungsmaßnahmen wurden. Wir wollen, dass ehemals Inhaftierte nicht bürokratisch nachweisen müssen, dass sie
gesundheitliche Schäden erlitten haben. Wir plädieren
dafür, dass es keine Befristung für Anträge auf Opferrenten gibt.
Bedauerlich ist, dass die Nutznießer des neuen § 17 a
nur jene Opfer von DDR-Unrecht werden, die mittlerweile zu den Ärmsten zählen. Das wirkt so, als ginge es
weniger um eine Opferrente denn um einen Sozialausgleich, der Armut lindern soll. Die Botschaft dabei ist:
Gewürdigt wird nicht mehr das Engagement der Betroffenen für Demokratie, Bürgerrechte und Freiheit zu
DDR-Zeiten. Gewürdigt wird lediglich die aktuelle Bedürftigkeit der Anspruchsberechtigten im heutigen Alltag. Genau das ist zu wenig.
({1})
Das in Art. 17 des Einigungsvertrages formulierte
Ziel einer unverzüglichen und angemessenen Entschädigung der Opfer von politischem Unrecht in der DDR
wird auch mit dieser Änderung nicht erreicht. Mit den
bestehenden Gesetzen zur berufsrechtlichen Rehabilitation und auch mit der hier und heute zu beratenden Gesetzesänderung wird dieses Ziel bedauerlicherweise
nicht verfolgt. Lassen Sie mich in Kürze nochmals unsere Kritikpunkte zusammenfassen:
Es ist für uns nicht nachvollziehbar, warum an der hohen Mindesthaftdauer von sechs Monaten - nunmehr
präzisiert: 180 Tage - festgehalten wird. Auch durch
eine Haft von unter sechs Monaten können Inhaftierte in
ihrer Menschenwürde grob verletzt werden. Der Einsatz
für die Grundwerte der Demokratie und des Rechtsstaates sollte unabhängig von der Haftdauer prämiert werden.
Wir fordern, alle Antragsfristen in den Rehabilitierungsgesetzen komplett zu streichen. Oftmals brauchen
die Opfer längere Zeit, um die für sie negativen und zum
Teil auch sehr traumatischen Erfahrungen verarbeiten zu
können. Der Gesetzgeber hat zu respektieren, dass sich
die Betroffenen beim Umgang mit ihrer Biografie von
höchstpersönlichen Grundsätzen leiten lassen. Das Bedürfnis der Verwaltungen, Vorgänge in begrenzter Zeit
abschließen zu wollen, muss hinter dem Anspruch der
Betroffenen zurückstehen.
({2})
Wir sind der Ansicht, dass die den Opfern auferlegte
Beweislast hinsichtlich der Kausalität zwischen der freiheitsentziehenden Maßnahme und der infolge dieser
Freiheitsentziehung erlittenen Schädigung zumindest in
eine Beweisvermutung umgewandelt werden sollte. Dies
erspart den Betroffenen neues Leid durch die aufwendige und langwierige Anerkennung der Folgeschäden.
Es ist demütigend und ungerecht, für einen Anspruch auf
Haftfolgeschäden entwürdigende Gesundheitsprüfungen über sich ergehen lassen zu müssen.
Ich habe bereits darauf hingewiesen, dass es auch an
Ihren eigenen Ansprüchen vorbeigeht, dass die Unterstützungsleistung in Abhängigkeit vom Einkommen gewährt
wird. Ich frage Sie: Welchen Status hat eine Anerkennung durchlittenen Unrechts, die vom Einkommensniveau der Bezugsberechtigten abhängig gemacht wird?
Wollen Sie den Mut dieser Menschen ehren, oder wollen
Sie eine bisweilen demütigende Offenlegung ihrer Einkommensverhältnisse?
Es bleibt zum Schluss nur festzustellen, dass auch
durch diese Gesetzesänderung keines der benannten Probleme gelöst wird. Trotzdem gebieten es der Respekt
und die Achtung vor den Leistungen der in der DDR
politisch Verfolgten, dieser Gesetzesänderung zuzustimmen. Wir als die Fraktion Die Linke und auch wir als
Partei sind uns unserer Verantwortung in dieser Frage
sehr bewusst.
({3})
Das Wort hat nun Kollege Wolfgang Wieland für die
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe
Kolleginnen und Kollegen der CDU/CSU-Fraktion, vielleicht können wir uns ja darauf einigen, dass jedenfalls
der Schlusssatz von Gesine Schwan, wonach wir alle uns
die Frage stellen müssen, ob wir uns der Opfer des
17. Juni immer würdig erweisen, von uns allen unterstützt werden kann.
({0})
Wenn es so ist - es fällt Ihnen schwer, das anzuerkennen;
ich sehe das, aber denken Sie darüber nach -, muss ich
das Wort zunächst natürlich an die Linksfraktion richten.
Frau Kollegin Wawzyniak, ich muss Ihnen sagen, was
ich in der Vergangenheit auch Ihrem Kollegen Schneider
immer gesagt habe: Sie sagen hier, Sie übernähmen die
Verantwortung. Wir haben wieder kein Wort der Entschuldigung gehört, wir haben kein Wort der Reue gehört, und vor allen Dingen fehlt nach wie vor jede finanzielle Geste Ihrer Partei.
({1})
Ich habe es schon einmal gesagt: Sie benehmen sich wie
ein Angeklagter, der sich seinen Taten nicht stellt, der
nicht um Entschuldigung bittet und der keine Reue zeigt,
({2})
sondern sagt: Der Hauptskandal ist, dass dieser Staat
meine Opfer nicht richtig entschädigt. - Das halten wir
für nicht glaubwürdig, um das hier noch einmal ganz
deutlich zu sagen.
({3})
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage der
Kollegin Wawzyniak?
Ich gestatte gerne eine Zwischenfrage.
Herr Kollege Wieland, würden Sie zur Kenntnis nehmen, dass bereits auf dem Sonderparteitag der SED/PDS
eine Entschuldigung der SED an das Volk der DDR erfolgt ist? Würden Sie zur Kenntnis nehmen, dass es diverse Erklärungen gibt, in denen die Vorgängerpartei der
Linken, die PDS, sich beim Volk der DDR für das begangene Unrecht entschuldigt hat? Würden Sie zur
Kenntnis nehmen, dass es bei uns einen jahrelangen Prozess der intensiven Auseinandersetzung mit unserer eigenen Vergangenheit gegeben hat?
({0})
Ich habe gerne zur Kenntnis genommen, Frau Kollegin Wawzyniak, dass es diese Erklärungen gab, aber uns
reichen papierene Erklärungen nicht aus. Wir wollen
auch Handlungen sehen. Wir wollen nicht sehen, dass
Ihre gerade gewählte Parteivorsitzende beispielsweise zu
Versammlungen früherer Tschekisten geht und dort
Grußbotschaften ausrichtet. Wir wollen nicht hören, dass
Ihre gerade gewählte stellvertretende Parteivorsitzende
uns unentwegt erklärt, wir sollten auch die guten Seiten
an Stalin sehen, wir sollten in Walter Ulbricht den großen Staatsmann sehen usw. usf.
({0})
Ihr Kollege Dietmar Bartsch gibt uns gerade die Ehre
seiner Anwesenheit. Er könnte wie kein Zweiter sagen,
wo das Parteivermögen der SED geblieben ist.
({1})
Gerade hat die Bundesrepublik einen Prozess in der
Schweiz gewonnen. Vor dem Obergericht des Kantons
Zürich ging es um 230 Millionen Euro. Es ging um Gelder, die Ihre Partei auf dem Umweg über Novum bzw.
über die sogenannte rote Fini hinter die sieben Berge in
die Schweiz geschafft hat, nach dem Vorbild der kapitalistischen Steuerhinterziehung. Von denen zu lernen, haben Sie sich vermutlich gesagt, heißt, überleben zu lernen.
Das ist der Umgang Ihrer Partei mit der Vergangenheit in
der Praxis. Der Kollege Bartsch hat dazu laut Focus gesagt: „Das ist eine Geschichte aus dem vorigen Jahrhundert“. Sagen Sie bitte nicht, dass Sie mit Ihrer Vergangenheit ernsthaft abgerechnet hätten.
({2})
Wir haben vor drei Jahren das Gesetz zur Zahlung einer Opferpension beschlossen. Rot-Grün hatte es nicht
geschafft; auch Schwarz-Gelb hatte es nicht geschafft.
Die Große Koalition hat es gemacht. Wir haben es seinerzeit anerkannt, weil es immerhin ein erster Schritt
war. Wir haben aber auch darauf hingewiesen, welche
Mängel noch bestehen. Ich erinnere mich lebhaft an die
Diskussionen mit den Opferverbänden in Görlitz, Herr
Kollege Vaatz. Man kann zwar nicht jedem Wunsch
nachgeben; aber man muss gerade bei diesem Thema, zu
dem sozusagen eine Mängelrüge gekommen ist und uns
gesagt wurde, was wir als Gesetzgeber schlecht geregelt
haben - Frau Kollegin Steffen hat darauf hingewiesen -,
ernsthaft darüber diskutieren, welche Änderungen man
vornimmt, beispielsweise bei den Kinderfreibeträgen.
Wir dürfen angesichts der kleinen Änderungen nicht
vergessen, dass die großen Schritte tatsächlich ausbleiben. Ich will nur die wichtigsten Mängel benennen. Wir
haben keine echte Ehrenpension, sondern nach wie vor
nur eine Haftentschädigung. Immerhin gibt es sie, aber
es ist nur eine Haftentschädigung. Eine Entschädigung
für alle Opfer und Verfolgten fehlt nach wie vor.
Es bleibt auch bei dem Erfordernis von sechs Monaten Haft, auch wenn es jetzt 180 Tage sind. Die Formulierung „180 Tage“ ist sicherlich richtig; aber es stellt
sich die Frage, was mit denen ist, die kürzer in Haft waren. Wie wir wissen, gab es nach der Schlussakte von
Helsinki kürzere Strafen. Dieses Problem muss gelöst
werden.
Wir haben die große Frage der Einbeziehung des sogenannten rentenrechtlichen Nachteilsausgleichs zu beantworten. Dass gerade diejenigen, die besonders gelitten haben und besonders verfolgt wurden, nunmehr eine
Anrechnung des Nachteilsausgleichs auf die Opferpension erleiden, erscheint uns widersinnig. Das hat der
Bundesrat bisher nicht bedacht; es ist nicht berücksichtigt worden.
Es gibt, wie Sie wissen, keine Entschädigung für Opfer von Zersetzungsmaßnahmen, die beispielsweise in
die Zwangspsychiatrie eingewiesen wurden, und es gibt
keine Entschädigungen für verfolgte Schülerinnen und
Schüler. Wer in den 50er-Jahren aus politischen Gründen
seinen Schulabschluss nicht machen durfte und bis 1969
nur auf niedrigster Stufe am Erwerbsleben teilhaben
durfte, erhält bisher nichts. Hier sind bedeutende Gruppen nicht bedacht und teilweise auch ausgegrenzt worden.
Wir werden diesem Gesetzentwurf, wenn er im Verfahren noch stimmiger gemacht werden wird, zustimmen. Wir sind uns aber bewusst, dass dies nur ein kleiner
Schritt ist. Wir haben mit Interesse vernommen, dass der
Koalitionsarbeitskreis daran arbeitet; dies hat der Kollege Buschmann ja gesagt. Vielleicht wird an dieser
Stelle etwas daraus; richtig hoffen tut man es nicht mehr.
Aber wir werden uns dies alles mit Interesse ansehen
und warten mit Spannung auch auf diese Ergebnisse;
denn es gilt leider heute noch: Zu viele Opfer sind ausgegrenzt, zu viele Opfer sind vergessen. Wir meinen: So
darf es nicht bleiben.
Vielen Dank.
({3})
Eine Kurzintervention des Kollegen Dietmar Bartsch.
Herr Kollege Wieland, es ist günstig, dass es sich so
trifft, dass ich auf Sie sofort Bezug nehmen und den Unsinn, der immer wieder gern behauptet wird, hier noch
einmal klarstellen kann. Ich will dies politisch überhaupt
nicht werten, sondern nur die sachlichen Fakten nennen.
Erstens. Wir, die PDS, haben notariell auf sämtliches
Auslandsvermögen verzichtet.
({0})
- Notariell! Wer da lacht, sollte wirklich das erste Semester Jura nachmachen. - Wir haben notariell auf sämtliches Auslandsvermögen verzichtet.
Zweitens. Wir haben vor dem Oberverwaltungsgericht in Berlin einen Vergleich zu sämtlichem SED-Vermögen abgeschlossen. Nach diesem Vergleich ist weder
vom Geldvermögen noch von anderem Vermögen etwas
übrig geblieben, abgesehen von ausschließlich vier Immobilien, die bekannt sind. Wir haben uns in diesem
Vertrag gleichzeitig dazu verpflichtet, das Dreifache an
Strafe zu zahlen, sollte irgendein Vermögensgegenstand
auftauchen, von dem auch nur irgendeiner aus der Führung der Partei etwas weiß. Das sind die sachlichen Fakten.
Es ist nie etwas aufgetaucht,
({1})
was unserem Vermögen zugeordnet werden konnte und
was zu einer Strafzahlung geführt hätte. - Wollen Sie
Rechtsstaatlichkeit oder nicht? Die gesamten Vermögensfragen sind rechtsstaatlich abgewickelt worden.
({2})
Das Vermögen ist für den Aufbau in den neuen Ländern
zur Verfügung gestellt worden. Tun Sie in der Öffentlichkeit nicht immer so, als hätte die Linke in irgendeiner Weise irgendetwas vom Vermögensbestand der
SED übernommen. Es ist schlicht die Unwahrheit, und
sie wird auch durch ständige Wiederholung nicht besser.
({3})
Kollege Wieland, bitte schön.
Lieber Herr Kollege Bartsch, die Realität ist, dass die
eigens vom Bundestag dafür eingerichtete Kommission,
die das Parteivermögen aufspüren sollte, in ihrem Schlussbericht festgestellt hat, dass dies trotz Einsatzes von Detektiven nur zu einem kleinen Teil möglich gewesen sei
und dass das Geld beiseitegeschafft und versteckt worden
sei. Sie können uns hier doch nicht ernsthaft erzählen,
dass wir arglos auf notarielle Versicherungen von Ihnen
vertrauen sollen, dass dieses Geld nicht an Sie zurückfließt, wie auch immer. Nun sollen wir denen, die es beiseitegeschafft haben - Sie wissen doch genau, wovon ich
rede, Herr Kollege; die Strafprozesse haben doch seinerzeit auch stattgefunden - vertrauen, dass sie es melden,
sobald sie es wieder in die Hände bekommen? Dies tun
wir ausdrücklich nicht.
({0})
Nun haben Sie, lieber Kollege Vaatz, das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Zunächst einmal muss man sagen: Dass die Opferpension schließlich gekommen ist, nach so vielen Jahren, ist ein großer Erfolg gewesen. Wir sollten das im
Nachhinein auch nicht grundsätzlich zerreden.
({0})
Wir haben insgesamt für 50 000 Menschen - das
muss man sich einfach einmal auf der Zunge zergehen
lassen -, von denen jeder Einzelne länger als ein halbes
Jahr in Haft gesessen hat, eine Anerkennung zustande
gebracht, die sie regelmäßig auf ihrem Konto sehen und
die ihnen ein Stück ihres Vertrauens darauf zurückgibt,
dass der Rechtsstaat seine Vorkämpfer nicht vergisst.
Dies halte ich für ein ganz wichtiges Signal.
({1})
Herr Wieland, Sie haben vollkommen recht, wenn Sie
sagen, auch dieses Gesetz habe wie viele Gesetze einige
Mängel gehabt. Wenn Sie allerdings aufrichtig sind,
dann müssen Sie feststellen, dass die Mängel genau an
den Stellen zutagegetreten sind - das gilt jedenfalls für
die, die mit dem vorliegenden Gesetzentwurf beseitigt
werden sollen -, über die wir in unseren Ausschüssen eigentlich gar nicht diskutiert hatten. Wir haben uns im
Wesentlichen um andere Punkte gekümmert als die, die
wir jetzt verbessern wollen. Es ist meines Erachtens
dringend notwendig, dass wir das tun, und wir tun es an
den richtigen Stellen. Das Kindergeld ist für die Kinder
da und darf nicht auf das Gesamteinkommen angerechnet werden. Das ist der erste Punkt. Der zweite Punkt ist:
Die technischen Dinge, die bei der Entlassung eines
Strafgefangenen in der DDR eine Rolle gespielt haben,
dürfen sich nicht zufällig gegen den auswirken, der aus
rein logistischen Gründen eine Woche eher entlassen
worden ist. Das darf nicht dazu führen, dass er die ihm
zustehende Opferpension nicht erhält. Deswegen werden
wir das korrigieren.
({2})
Auf die Unwürdigkeit von schweren Straftätern einzugehen, die allerdings auf der anderen Seite die Kriterien für die Opferpension erfüllen, erspare ich mir; denn
dazu ist schon etwas gesagt worden. Ich lehne es ab, dass
die vielen Menschen, die unschuldig eingesperrt worden
sind, in einen Zusammenhang mit solchen Menschen
gebracht werden. Das darf nicht sein. Dem müssen wir
einen Riegel vorschieben, und das werden wir tun.
({3})
Frau Wawzyniak, ich hatte bei Ihrer Rede den Eindruck, dass sich so, wie Sie sich verhalten, ein Versicherungsbetrüger verhält, der bewusst einen riesigen Schaden anrichtet und dann von der Gemeinschaft fordert,
dass sie für diesen Schaden aufkommt, und die Kosten
noch hochrechnet, um die Gemeinschaft möglichst stark
zu schädigen. Das war Ihre prinzipielle Herangehensweise. Das darf bei uns nicht verfangen. Ich bin nicht der
Meinung, dass das aus Ihrer Sicht in erster Linie eine
Geste gegenüber den Opfern ist. Sie gehören zu einem
Jahrgang, der dafür sicher nicht verantwortlich zu machen ist; aber diejenigen, die Ihre Partei in Ostdeutschland hauptsächlich tragen, sind sehr wohl damit in Zusammenhang zu bringen. Ich bin nicht der Meinung,
dass Sie in erster Linie für die Opfer plädiert haben. Was
Sie machen, folgt einer allgemeinen Logik, die Sie seit
1990 verfolgen. Sie haben nämlich die Absicht, die Ihnen verhasste bürgerliche Gesellschaft durch Überforderung zu zerstören. Das ist das Ziel.
({4})
Bei allen Punkten, bei denen Sie in der Lage sind, das zu
tun, schrauben Sie Ihre Forderungen ins Unermessliche
und gerieren sich dann als ein Streiter für die Schwachen.
({5})
Was wirklich dabei herauskommt, ist genau das Gegenteil. Sie überfordern die Gesellschaft und stellen
neue Ungleichheiten her. Ich muss in diesem Zusammenhang an die Diskussion erinnern, die wir bei der Einführung der Opferpensionen hatten. Da ging es darum
- das haben im Wesentlichen unsere sozialdemokratischen Freunde thematisiert -, dass wir SED-Opfer nicht
schlechter und vor allen Dingen nicht besser als Naziopfer behandeln sollen. Daran kann ich mich noch ganz genau erinnern.
({6})
Genau nach diesen Kriterien haben wir uns gerichtet.
Auf dieser Basis wurden letztlich die Höhe der Pensionen festgelegt und die Regelungen über die Voraussetzung der Haftzeit und den Bedürftigkeitsnachweis getroffen.
Wir wissen alle, dass wir mit Geld die Zerstörungen,
die Menschen in der DDR erlitten haben, nicht wiedergutmachen können. Wir können weder zerstörte Biografien noch zerstörte Ehen oder eine zerstörte Gesundheit
mit Geld kompensieren. Das ist nicht möglich. Diese unkompensierbaren Spätfolgen sind es, die nach wie vor an
den Betroffenen fressen und die ihnen schlaflose Nächte
bereiten. Diese Schäden sind aber nicht das Einzige, was
die meisten beschwert. Viele - auch ich - leiden unter
dem allgemeinen Klima der Rehabilitation der DDR, das
sich großer Teile unserer Gesellschaft bemächtigt hat.
Zum heutigen Tage passt, was auf der Website einer
Kollegin der Linken zu lesen ist. Es gehe ihr nicht darum, schreibt sie, von Angehörigen des MfS begangene
Verfehlungen oder sogar Verbrechen zu verharmlosen.
Schließlich hätten sich solche Handlungen oft genug gegen subjektiv überzeugte Sozialisten und linke Oppositionelle gerichtet und schließlich in erster Linie dem Sozialismus geschadet. So schreibt die innenpolitische
Sprecherin der Linken auf ihrer Website.
Verehrte Kolleginnen und Kollegen von der Linken,
nach welchen Regeln Sie innerhalb Ihres Vereins miteinander umgegangen sind, das ist zwar nicht ganz, aber
doch eher Ihre Sache. Studenten, die sich freiwillig
schlagenden Verbindungen anschließen, müssen sich
nachher nicht über ihre zerschnittenen Gesichter beklagen.
Ernst wird es allerdings dann, wenn Sie über Unbeteiligte herfallen. Die Kernfrage an Sie ist, mit welchem
Recht Sie über wehrlose Menschen hergefallen sind, die
nicht zu Ihrem Verein gehört haben und die nicht Ihre
Utopien geteilt haben.
({7})
Das hat Ihre Kollegin in keiner Weise erwähnt. Ganz im
Gegenteil, Ihren heutigen Verlautbarungen ist immer
noch zu entnehmen, dass Sie wie eh und je unter den Opfern zwischen besonders hervorhebenswerten wertvollen
Menschen, nämlich den Linken und den subjektiv überzeugten Sozialisten, und dem nicht besonders hervorhebungswürdigen Rest unterscheiden. Das macht Ihre Argumentation gespenstisch, meine Damen und Herren.
({8})
Das Ministerium für Staatssicherheit war kein vermeidbarer Makel des sozialistischen Staates. Die Existenz eines so brutalen und jeder öffentlichen Kontrolle
entzogenen Unterdrückungsinstruments war vielmehr
eine notwendige Bedingung für den Fortbestand des sozialistischen Experiments. Für das, was die SED wirklich unter dem Aufbau des Sozialismus verstand, wurde
niemals das Einverständnis der Bevölkerung eingeholt.
Auf demokratische Zustimmung zu diesem Experiment
konnte man aber verzichten, weil mit dem MfS ein Instrument zur Hand war, mit dem man die Uneinsichtigen, die Abweichler und alle Feinde des Sozialismus
auch so niederhalten konnte.
Wenn Sie in Ihrem Programm schreiben, dass Sie „in
einem großen transformatorischen Prozess gesellschaftlicher Umgestaltung für den demokratischen Sozialismus des 21. Jahrhunderts“ kämpfen, und hinzufügen,
dass dieser Prozess „von Brüchen und Umwälzungen
mit revolutionärer Tiefe“ gekennzeichnet sei, und andererseits fortwährend Terrorinstrumente wie das Ministerium für Staatssicherheit reinwaschen und verharmlosen,
dann ahnt man, was Sie mit dieser Ankündigung wirklich meinen. Wenn Sie die Macht dazu hätten, wären Sie
sofort bereit, die Einschüchterungs-, Gleichschaltungsund Unterdrückungsmechanismen der DDR zu Ihrer
Machtsicherung wieder zu verwenden.
({9})
Ihre fortwährende Verteidigung von politischen Systemen wie beispielsweise in Kuba, wo genau diese Systeme noch völlig unversehrt arbeiten, zeigt das doch,
meine Damen und Herren. Wenn Sie dieses Land verteidigen, dann denken Sie in denselben Kategorien. Dann
schwebt Ihnen ein genauso geartetes Staatsgebilde vor.
Ein solches lehnen wir aber ab. Das ist für uns vorbei.
Aus diesem Grunde müssen wir Ihnen widersprechen.
Es gehört zur Rehabilitierung der Opfer, dass wir Ihnen
das regelmäßig ins Gesicht sagen, bis Sie Ihre Meinung
ändern.
({10})
Das Wort hat nun Hans-Joachim Hacker für die SPDFraktion.
({0})
Vielen Dank. - Herr Präsident! Meine sehr verehrten
Damen und Herren! Auch wenn andere an dieser Stelle
schon an den 17. Juni erinnert haben, will ich es ebenfalls tun, weil mir das am Herzen liegt; denn eine Diskussion im Deutschen Bundestag am 17. Juni zur Rehabilitierung von Opfern der SED-Diktatur und zur
Verbesserung ihrer sozialen Lage kann nicht geführt
werden, ohne an die Ereignisse vor 57 Jahren in Ostberlin und in der DDR zu erinnern.
Am 17. Juni 1953 streikten und demonstrierten über
1 Million Menschen in der DDR. Die Protestbewegung
wurde von angekündigten Normerhöhungen ausgelöst.
Auf dem Höhepunkt der Demonstrationen wurden die
Forderungen nach freien Wahlen, nach Demokratie und
nach staatlicher Einheit der deutschen Nation erhoben.
Sowjetpanzer und DDR-Organe walzten den Volksaufstand nieder und retteten damit das SED-Regime. - Den
historischen Auftrag des gescheiterten Volksaufstandes
1953 haben die Demonstranten im Herbst 1989 erfüllt.
Er findet in der deutschen Einheit seine Vollendung.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Erinnerung an
diese geschichtlichen Ereignisse erfasst auch die Schicksale jener Frauen und Männer, die in der sowjetischen
Besatzungszone und in der DDR aus politischen Gründen verfolgt wurden, die im Gefängnis saßen, die Verwaltungsunrecht erlitten haben und die beruflich diskriminiert wurden. Das Ende der SED-Diktatur hat die
Chance eröffnet, politisch Verfolgte zu rehabilitieren und
Regelungen für Kapitalentschädigungen und soziale
Ausgleichsleistungen zu treffen.
Wir diskutieren heute, 20 Jahre nach Wiederherstellung der deutschen Einheit, immer noch dieses Thema.
Ich kann mich entsinnen: Im Jahr 1992 habe ich im
Deutschen Bundestag zum Ersten SED-Unrechtsbereinigungsgesetz gesprochen, dessen Kern das Strafrechtliche
Rehabilitierungsgesetz ist. Ich habe von den Vorrednern
die Vorstellung gehört, dass wir jetzt noch mehr machen,
als im Entwurf steht.
Ich glaube, es ist jetzt der Zeitpunkt gekommen, dass
wir wirklich eine Abschlussgesetzgebung machen. Es
kann hierbei, Herr Kollege Vaatz, nicht darum gehen,
wieder das Argument „Überforderung des Staates“ anzuführen. Das ist eine Diskussion, die ich seit 1990 kenne.
Es waren immer fiskalische Gründe, meist vom BMF
vorgebracht, die dazu geführt haben, dass wir keine ausreichenden Regelungen getroffen haben. Frau Voßhoff,
Sie wissen das so gut wie ich. Ich denke, wir sollten jetzt
einen solchen Versuch unternehmen.
Bereits im Sommer 1990 hatte die Volkskammer einen entsprechenden Gesetzentwurf verabschiedet. Wir
haben mit dem Bundesratsentwurf jetzt die Chance, ein
Abschlussgesetz zu verabschieden. Ich will noch einmal
an die Geschichte der Rehabilitierungsgesetzgebung sowie an die Schwachpunkte erinnern, die damals unter
Schwarz-Gelb in das Gesetz Eingang gefunden haben.
Nach dem Strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetz
1992 wurden ehemalige Häftlinge in Ost und West unterschiedlich entschädigt. Die Angehörigen der in politischer Haft, an der Mauer und an der innerdeutschen
Grenze Umgekommenen fanden keinen Platz in den Entschädigungsregelungen.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Vaatz?
Bitte schön, Herr Kollege Vaatz.
Herr Kollege Hacker, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu
nehmen, dass ich die Wendung mit der Zerstörung der
Gemeinschaft durch Überforderung nur zur Charakterisierung der Motivlage für die Einwendungen der Linken
benutzt habe, aber als Motiv für die Bemessung der Opferpensionen unsere gemeinsame Vereinbarung genannt
habe, nach der wir Opfer des SED-Regimes nicht
schlechter und nicht besser behandeln wollen als Opfer
des Nazi-Regimes?
Kollege Vaatz, wenn Sie das so meinen, kann ich das
mittragen. Ich denke aber, diese Verbindung von „Überforderung des Staates“ und „Leistungen für politisch
Verfolgte in der DDR“ musste zu der Klarstellung führen. Das war etwas missverständlich formuliert.
Ich will all die Gruppen, die in der ersten Runde der
Rehabilitierungsgesetzgebung nicht erfasst worden sind,
nicht aufzählen. Ich finde, ein markantes Beispiel war
die ursprünglich nicht geplante Einbeziehung der
Zwangsausgesiedelten, die im Rahmen der „Aktion Ungeziefer“ und der „Aktion Kornblume“ ihr Vermögen
verloren hatten. Dass sie es nicht wiederbekommen sollten, war für mich völlig unverständlich. Erst durch den
Druck der Betroffenen und auch der SPD ist es gelungen, für sie eine Entschädigungsregelung zu finden.
Wir haben unter Rot-Grün - Herr Wieland, das will
ich noch einmal ins Gedächtnis rufen - die gravierenden
Fehler der Vorgängerregierung aufgegriffen und beseitigt.
({0})
Wir haben damals die Angleichung der Entschädigungsbeträge geregelt: Alle haben den gleichen Anspruch auf
Haftentschädigung. Wir haben Leistungen für die Angehörigen eingeführt. Wir haben für die Zivildeportierten
- sie haben in der Diskussion heute bislang keine Rolle
gespielt - die Stiftungsleistungen verfünffacht.
Was wir nicht regeln konnten - das lag aber daran,
dass das in die Zuständigkeit der Länder fällt -, war die
Frage der gerechten Bewertung verfolgungsbedingter
Gesundheitsschäden. Das ist ein Makel, der auch heute
noch im Raume steht. Ich denke, die Diskussion um den
vorgelegten Gesetzentwurf muss diese Thematik noch
einmal aufnehmen, Herr Kollege Vaatz. Wir waren im
Jahre 2005 schon einmal kurz vor einer Lösung. Ich bedaure, dass diese Idee nicht weiter verfolgt worden ist.
Mediziner selbst sagen, dass bei der Begutachtung oft
die Fachkompetenz für die speziellen Fragen wie Brückenschäden und Posttraumata fehlt. Ich denke, das darf
nicht aus dem Blick geraten.
({1})
- Das hatte ich gesagt.
Der vom Bundesrat vorgelegte Entwurf beinhaltet im
Wesentlichen ja eine Änderung des § 17 a des Strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetzes. Meine Kollegin
Sonja Steffen ist darauf eingegangen. Ich will das hier
nicht weiter vertiefen. Wir haben jetzt die Chance, statt
einen Schlussstrich unter die Rehabilitierung zu ziehen,
wie das wohl mancher auch in diesem Hause gerne
möchte, die Vorschläge der Opferverbände und die Vorschläge aus der Konferenz der Landesbeauftragten für
die Stasi-Unterlagen noch einmal zu bewerten und auf
ihre Umsetzung hin zu prüfen. Diese Chance sollten wir
nutzen.
Der Deutsche Bundestag, denke ich, ist sich in seiner
Mehrheit der politischen und moralischen Verantwortung gegenüber allen Menschen bewusst, die sich in der
Sowjetischen Besatzungszone und in der DDR für Freiheit, Demokratie, Menschenrechte und Menschenwürde
eingesetzt haben. Dies ist und dies bleibt weiterhin eine
gesamtgesellschaftliche Aufgabe.
Vielen Dank.
({2})
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzent-
wurfs auf Drucksache 17/1215 an die in der Tagesord-
nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es
dazu anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht der Fall.
Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 6 a bis 6 c auf:
a) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Sascha Raabe, Lothar Binding ({0}),
Dr. h. c. Gernot Erler, weiterer Abgeordneter und
der Fraktion der SPD
Herausforderung Millenniums-Entwicklungsziele
- Drucksache 17/2018 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung ({1})
Auswärtiger Ausschuss
Innenausschuss
Rechtsausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse
Technikfolgenabschätzung
Ausschuss für Tourismus
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Haushaltsausschuss
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Niema
Movassat, Heike Hänsel, Annette Groth, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE
Steigerung der Entwicklungshilfequote auf
0,7 Prozent gesetzlich festlegen
- Drucksache 17/2024 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung ({2})
Haushaltsausschuss
c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Thilo
Hoppe, Uwe Kekeritz, Ute Koczy, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN
Mit dem Global Green New Deal die Millenniumsentwicklungsziele erreichen
- Drucksache 17/2132 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung ({3})
Auswärtiger Ausschuss
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. - Ich
höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Kollegen
Sascha Raabe für die SPD-Fraktion das Wort.
({4})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Es ist fünf vor zwölf - und es ist fünf Jahre vor
2015 -, wenn wir noch die Millenniumsentwicklungsziele erreichen wollen, die sich im Jahr 2000 189 Staatsund Regierungschefs dieser Welt zum Ziel gesetzt haben, nämlich die Armut in der Welt bis zum Jahr 2015 zu
halbieren, allen Kindern eine Grundschulbildung zu ermöglichen, die Kinder- und Müttersterblichkeit drastisch
zu reduzieren sowie eine gerechte Weltwirtschaftsordnung zu schaffen, um nur einige der acht Millenniumsentwicklungsziele, abgekürzt: MDGs, zu nennen.
Im September dieses Jahres findet eine Überprüfungskonferenz der Vereinten Nationen statt, um zu
schauen, wo man im Jahre 2010, fünf Jahre vor dem
Stichjahr 2015, steht. Nachdem es 2000 bis 2005 Fortschritte gegeben hat, ist nun leider festzustellen, dass es
in den letzten Jahren wieder Rückschritte gibt. So liegt
die Zahl der Hungernden, die bis 2005 auf 850 Millionen
gesunken war, nun wieder bei über 1 Milliarde Menschen. Täglich sterben nach wie vor etwa 25 000 Menschen an den Folgen von Hunger und Armut.
Wir sehen, dass die Erreichung der MDGs in den
nächsten fünf Jahren nur schwer möglich ist. Wir als
SPD-Fraktion sagen aber auch: Sie ist nicht unmöglich.
Deshalb legt die SPD-Fraktion heute in ihrem Antrag einen umfassenden Aktionsplan vor, dessen Umsetzung
die Erreichung dieser Ziele in den nächsten fünf Jahren
noch möglich machen würde, und wir bitten um Ihre Unterstützung.
({0})
Wir fordern die Bundesregierung auf, endlich mehr in
die Schlüsselbereiche ländliche Entwicklung, Bildung,
Gesundheit und in den Aufbau sozialer Sicherungssysteme zu investieren. Wir fordern die Bundesregierung
auch auf, in Ergänzung zu dem 12-Punkte-Aktionsplan
der EU eigene Vorschläge zu machen, einen eigenen Aktionsplan vorzulegen und dann auf der Konferenz der
Vereinten Nationen im September maßgeblich einen Aktionsplan mitzugestalten, mit dem dafür gesorgt wird,
dass die in 2000 gefassten Ziele in den nächsten Jahren
noch erreicht werden. Es steht viel auf dem Spiel. Es stehen Millionen Menschenleben auf dem Spiel. Deshalb
müssen wir jetzt handeln.
({1})
Um der Bundesregierung Arbeit zu ersparen, haben
wir in unserem Antrag einen Aktionsplan erstellt, den sie
gerne übernehmen darf. Allerdings ist eine ausreichende
Finanzierung die Voraussetzung für diesen Aktionsplan
und auch für die Erreichung der MDGs insgesamt.
In der Anhörung unseres Ausschusses, die wir diese
Woche hatten, hat Herr Stelzer von den Vereinten Nationen den Generalsekretär der Vereinten Nationen mit den
Worten zitiert: Wir brauchen nicht neues, zusätzliches
Geld, um die Ziele zu erreichen, sondern wir brauchen
die Einhaltung der Zusagen und der Versprechen, die die
Industrieländer bereits gemacht haben. - Aber diese Versprechen wurden von Deutschland und dieser Regierung
eiskalt gebrochen.
({2})
Deutschland hat sich im Jahre 2005 dank des Engagements unserer damaligen Entwicklungsministerin
Heidemarie Wieczorek-Zeul verpflichtet, im Jahr 2010
0,51 Prozent des Bruttonationaleinkommens für die Entwicklungszusammenarbeit zur Verfügung zu stellen. Die
Kanzlerin hat dies immer wieder zugesagt. Aber sie hat
zusammen mit Entwicklungsminister Niebel dieses Versprechen gebrochen. In diesem Jahr stehen nämlich lediglich 0,4 Prozent zur Verfügung.
Wer glaubt noch daran, dass diese Regierung das Versprechen einhält, bis zum Jahre 2015 0,7 Prozent zur
Verfügung zu stellen angesichts der Tatsache, dass Entwicklungsminister Niebel vor wenigen Tagen in einem
Schreiben zwar geäußert hat, dass er zu diesem Ziel
steht, aber der stellvertretende Vorsitzende der FDP5022
Fraktion und Haushälter Koppelin öffentlich bekundet,
dass das alles Unsinn ist und dass wir die 0,7 Prozent nie
erreichen werden? Was diese Regierung da tut, ist doch
Heuchelei. Es ist schäbig, mit den ärmsten Menschen
dieser Welt so umzugehen.
({3})
Ich höre vom Entwicklungsminister immer, dass es
ihm um mehr Effizienz geht. Damit will er natürlich dem
Fall vorbeugen, dass die finanziellen Zusagen nicht eingehalten werden. Wenn ich entsprechende Aussagen
höre nach dem Motto „Mit weniger Geld schaffen wir
mehr“, dann könnte ich vor Wut durch die Decke,
sprich: durch die Kuppel, springen.
({4})
Sie sprechen zwar von Effizienz, aber tun genau das
Gegenteil. Um mehr Effizienz in der Entwicklungszusammenarbeit zu erreichen, hat man sich in Paris und in
Acera auf internationalen Konferenzen darauf verständigt, dass nicht jedes Land sozusagen nationale Fahnen
auf die Projekte steckt und nicht Tausende von unabgestimmten Projekten in Entwicklungsländern initiiert
werden. Man hat sich vielmehr auf eine international abgestimmte Zusammenarbeit geeinigt. Was macht aber
dieser Entwicklungsminister? Er sagt, dass nur ein Drittel der Mittel für multilaterale Projekte, also für mit anderen Nationen abgestimmte Projekte, ausgegeben werden. Er will zwei Drittel der Mittel für Maßnahmen
ausgeben, damit Deutschland auf Projekte die deutsche
Fahne setzen kann. Ich sage Ihnen, Herr Niebel: Ihnen
geht es nicht um eine Verbesserung der Effizienz im Interesse der Ärmsten der Armen, sondern Sie verstehen
unter Effizienz eine Steigerung bei den Aufträgen für die
deutsche Wirtschaft. Das ist mit uns nicht zu machen,
Herr Minister.
({5})
Der Vorsitzende des Entwicklungsausschusses der
OECD - DAC -, Eckhard Deutscher, der für uns dort
seit zweieinhalb Jahren tätig ist, mahnt natürlich an, dass
Deutschland seine finanziellen Zusagen einhält. Er beklagt auch, wenn Deutschland seine Zusagen zur multinationalen Zusammenarbeit zugunsten nationaler Projekte zurückzieht. Herr Niebel, das hat der Vorgänger
von Herrn Deutscher auch schon gemacht. Der Nachfolger wird dies ebenfalls tun. Deshalb werden Sie mit Ihrem Versuch, aus parteipolitischen Gründen internationale Experten wie Herrn Deutscher, der ein SPDParteibuch hat, in die Wüste zu schicken, kläglich scheitern. Das ist ein Skandal, Herr Minister. Damit kommen
Sie bei uns nicht durch.
({6})
Nachdem Sie in Ihrem Ministerium in den letzten
Monaten Experten geschasst und durch Parteifunktionäre der FDP ersetzt haben, wollen Sie das auch auf internationaler Ebene tun. Ich sage Ihnen, Herr Minister:
Wir haben nur ganz wenige Deutsche in Spitzenpositionen bei internationalen Organisationen. Ich appelliere an
Sie: Nehmen Sie diese Entscheidung zurück! Lassen Sie
Herrn Deutscher dort seinen Job machen! Er hat das immer parteiübergreifend gemacht, und er hat es im Interesse Deutschlands und der Ärmsten dieser Welt gut gemacht.
Hören Sie auf damit, die Millenniumsziele so umzusetzen, dass Sie die Anzahl der FDP-Mitglieder im
Ministerium verdoppeln, aber nicht die Anzahl der
Ärmsten halbieren. Setzen Sie sich endlich mit Ihren Experten, unabhängig vom Parteibuch, an einen Tisch, und
sorgen Sie dafür, dass wir mit unserem Aktionsplan, den
wir heute vorlegen, bis zum Jahr 2015 die Millenniumsziele noch erreichen! Das wären meine herzliche Bitte
und meine Aufforderung an Sie.
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
({7})
Das Wort hat nun die Kollegin Dagmar Wöhrl für die
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Kollege Raabe, ich gestehe Ihnen wirklich zu,
dass Sie in diesem Bereich einen großen Sachverstand
haben; das kennen wir von Ihnen aus dem Ausschuss.
Die Rede, die Sie soeben gehalten haben, ist Ihrer aber
bestimmt nicht würdig.
({0})
Diese Polemik ist angesichts des Ernstes der Lage wirklich nicht angebracht. Und die Lage ist ernst.
Im Jahr 2000 setzten sich 180 Nationen zusammen,
um ihre Millenniumsziele festzuschreiben. Man kann sagen: Es war ein historischer Tag. Es war ein wichtiger
Tag. Ich bin froh, dass wir im September bei der Konferenz der Nationen in New York analysieren können: Wie
weit sind wir gekommen, und was ist noch zu tun? Es ist
noch viel zu tun. Zehn Jahre sind vergangen. Fünf Jahre
haben wir noch vor uns. Ich muss eines sagen: Wir werden hart daran arbeiten, die Ziele, die wir uns gesetzt haben, zu erreichen. Wir werden in diesem Jahr mit der
ODA-Quote 0,4 Prozent erreichen. Das ist nicht das gewünschte Ziel von 0,51 Prozent; das muss man klar und
deutlich sagen. Wir fühlen uns auch nicht wohl dabei;
das muss man auch sagen. Man muss aber auch sehen,
dass zusätzliche 3 Milliarden Euro aus dem Haushalt
notwendig gewesen wären, um diese 0,51 Prozent zu erreichen.
({1})
Bei einem Sparpaket von 80 Milliarden Euro bin ich
persönlich wie auch viele meiner Kollegen froh, dass wir
keine Federn lassen mussten und unseren Etat weiter
fortschreiben konnten. An dieser Stelle gilt mein Dank
dem Finanzminister und unseren Haushältern.
({2})
Haushaltskonsolidierungen sind wichtig. Wir müssen
unser Haus in Ordnung bringen. Denn wenn wir schwächeln, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Opposition, können wir auch anderen nicht mehr helfen.
({3})
Das wollen wir nicht. Sie müssen auch sehen, was alles
passiert ist, seit im Jahr 2000 die Verträge unterschrieben
worden sind. Wir haben eine Finanzmarktkrise, wir haben eine Weltwirtschaftskrise, wir haben eine Nahrungsmittelpreiskrise, eine Ressourcen- und Energiekrise und
leider auch verschiedene Naturkatastrophen.
({4})
Das heißt: Viele Geberländer sind mit Dingen konfrontiert worden, die nicht vorhersehbar waren.
Das Schlimme an der Geschichte ist: Nicht nur die Industrieländer, sondern auch die Entwicklungsländer sind
sehr stark davon betroffen. 1 Prozent weniger Wachstum
bedeutet, dass 20 Millionen Menschen zusätzlich in Armut abrutschen. Das heißt, allein durch die Finanzkrise
werden 90 Millionen Menschen in Armut geraten. Die
Nahrungsmittelpreiskrise im Jahre 2008 hat dazu geführt, dass wir 1 Prozent mehr Hungernde auf der Welt
haben. Wir haben 1,1 Milliarden Unterernährte auf der
Welt. All das sind Probleme, mit denen wir uns intensiv
auseinandersetzen müssen.
Die Probleme werden nicht weniger. Wir haben ein
explosionsartiges Bevölkerungswachstum. Im Jahr 2050
werden wir auf der Welt 9 Milliarden Menschen haben.
Das sind per annum 80 Millionen Menschen mehr. Die
meisten davon leben in den Entwicklungsländern. Sie
brauchen Essen, sie brauchen Gesundheitsversorgung,
sie brauchen Arbeitsplätze und vieles andere mehr. Die
vorhandenen Ressourcen werden immer knapper. Es
steht immer weniger Land zur Verfügung. Fruchtbares
Land wird knapp. Die Nachfrage nach Biosprit steigt.
Die Schwellenländer haben neue Ernährungsgewohnheiten. Es wird nicht mehr nur Reis gegessen. Fleisch ist
angesagt. Zur Erzeugung von 1 Kilogramm Fleisch
braucht man 10 Kilogramm Getreide. In der Zukunft
werden also andere Prioritäten gesetzt.
Dazu kommt das sogenannte „Land Grabbing“; das
wird uns im Ausschuss noch sehr stark beschäftigen. Die
Afrikaner spielen dabei teilweise keine sehr schöne
Rolle, sie spielen bei diesem Monopoly mit; das muss
man klar und deutlich sagen. Deswegen ist es richtig,
dass der Entwicklungsminister mit seinem Hause die
landwirtschaftliche Entwicklung zu einem Schwerpunkt
gemacht hat. Er wird ein entsprechendes Konzept entwickeln und es uns in Kürze vorlegen.
Der Prozess, dass Länder weniger Mittel für die ländliche Entwicklung ausgeben, muss umgekehrt werden.
In einigen Ländern wurden dafür in den letzten Jahren
teilweise bis zu 58 Prozent weniger Mittel ausgegeben.
An dieser Stelle muss ein Umdenken stattfinden. Denn
Armutsbekämpfung ist untrennbar mit ländlicher Entwicklung verbunden. Das darf man in diesem Zusammenhang nicht vergessen.
({5})
Eines muss man aber auch sagen: Es sind nicht nur
die Geberländer gefordert. Auch die Entwicklungsländer, die Nehmerländer, müssen viel mehr in die Pflicht
genommen werden, als dies in der Vergangenheit der
Fall gewesen ist. Sie haben ihren Agrarbereich über
Jahrzehnte sträflich vernachlässigt. Wir selber können
nur Impulse setzen. Aber die schöpferische Kraft, das,
was daraus gemacht wird, müssen die Länder in diesem
Zusammenhang selbst auf den Weg bringen.
({6})
Man sagt im Allgemeinen: Eine Krise auch eine
Chance. Ich glaube, dass wir diese Chance nutzen. Wir
wollen den Weg nicht so weitergehen, wie es in der Vergangenheit der Fall war. Viele Dinge sind gut auf den
Weg gebracht worden. Es gibt aber auch viele Dinge, bei
denen man überlegen muss: Waren sie effektiv? Waren
sie effizient? Sind sie auch bei der Bevölkerung angekommen? Wir haben bei der Evaluierung festgestellt,
dass dem nicht so ist. Deswegen muss man schnell umdenken. Sicher sind öffentliche Gelder wichtig. Aber das
darf nicht alles sein. Wir müssen versuchen, öffentliche
Gelder auch in den Entwicklungsländern zu mobilisieren. Wir müssen versuchen, mehr Geld in der Wirtschaft
zu mobilisieren. Die Wirtschaft tut in vielen Bereichen
sehr viel - das ist oft nicht bekannt -, beispielweise über
das Instrument CSR. Aber hier kann noch viel mehr getan werden! Wenn man sich mit der Wirtschaft an einen
Tisch setzt, ist sie für Kooperationen mit dem Ziel der
Entwicklung offen.
Wir haben noch einen weiten Weg vor uns. Vieles ist
bereits auf den Weg gebracht worden. Viele Ziele werden wir erreichen. Bei vielen Zielen hoffen wir, dass wir
sie erreichen. Wir haben Fortschritte in der Grundschulbildung gemacht. Das ist ein ganz wichtiger Punkt; denn
gerade die Bildung ist ein Querschnittsbereich, der auf
die meisten Ziele einwirkt. Inzwischen können 88 Prozent der Kinder die Schule abschließen. Aber noch immer gibt es 72 Millionen Kinder, die kein Recht auf Bildung haben, die nicht die Möglichkeit haben, in die
Schule zu gehen. Wir dürfen auch nicht nur bei der
Grundschulbildung ansetzen. Wir müssen sehen: Wie ist
die Weiterbildung? Wie ist die duale Ausbildung? Wie
ist die universitäre Ausbildung?
Wir haben Fortschritte bei der Bekämpfung von HIV/
Aids und Malaria gemacht. Es gibt weniger Neuinfektionen als in der Vergangenheit. Aber noch immer leben
33 Millionen Kinder und Erwachsene mit dem HI-Virus.
Noch immer sterben 2 Millionen Menschen im Jahr an
diesen Erkrankungen. Wir wissen, dass es noch viel zu
tun gibt, vor allem wenn ich die Frauen betrachte. Die
Müttergesundheit ist ein schwarzes Kapitel im Rahmen
der Millenniumsziele. Hier sind nur 3 Prozent des Ziels
erreicht worden. Es sterben jährlich 530 000 Frauen
während der Schwangerschaft oder der Entbindung, weil
sie allein sind, weil keine Voruntersuchungen möglich
sind und ihnen niemand während der Geburt hilft. Bei
diesen Themen müssen wir in den nächsten fünf Jahren
Prioritäten setzen.
Viel Geld ist von den Geberländern in die Hand genommen worden. Allein im Jahr 2008 waren es
120 Milliarden Euro in diesem Bereich. Es wird gesagt,
es müsse mehr werden. Es wird schwierig sein. Viele
Länder werden aufgrund der Krisen Schwierigkeiten haben, das Geld, wie versprochen, überhaupt noch zur Verfügung zu stellen.
({7})
Deswegen müssen wir in diesem Bereich effizienter
werden. Aber dies betrifft nicht nur die ODA-Quote;
auch darauf sollte man ein Augenmerk legen.
Wir müssen sehen, dass wir die Doha-Runde zu Ende
führen, dass wir handelsverzerrende Maßnahmen beseitigen. Die Entwicklungsländer haben allein aufgrund
von handelsverzerrenden Maßnahmen einen Schaden
von 700 Milliarden Euro. Das ist sechsmal mehr, als für
die gesamte Entwicklungshilfe der Welt zur Verfügung
gestellt wird. Das können die Geberländer nicht aus ihren Steuergeldern bezahlen. Deswegen ist es wichtig,
dass wir vorangehen. Deswegen ist wichtig, dass die
Agrarsubventionen abgebaut werden.
Ich freue mich sehr - wir sind gestern im Ministerium
zusammengekommen -, dass in diesem Zusammenhang
das Landwirtschaftsministerium und das Entwicklungshilfeministerium nun an einem Tisch sitzen. Das ist ein
Novum. Ich bedanke mich ganz herzlich bei den beiden
Ministern, die das möglich machen.
({8})
Denn nur gemeinsam werden wir die Probleme bewältigen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir dürfen nicht
starr auf 2015 schauen. Wir müssen darüber hinausschauen. Die Probleme werden nicht weniger, die Probleme werden mehr. Wir werden mit dem Klimawandel
zu kämpfen haben. Wir werden mit der Biodiversität zu
kämpfen haben. Es wird eine sehr große Desertifikation
und einen dramatischen Wassermangel geben. Hier
denke ich an Jemen: In zehn Jahren wird das Land kein
Wasser mehr zur Verfügung haben. Es wird nicht das
einzige Land sein. Es wird zu einer Erosion, einer Verödung landwirtschaftlicher Flächen kommen.
Frau Kollegin, Sie müssen bitte zum Ende kommen.
Ja. - Es wird einen Trend zur Abwanderung in die
Megacitys geben. Wir werden Probleme haben, an die
wir momentan überhaupt noch nicht denken. Hier können wir nur gemeinsam helfen; das kann keine Partei
und kein Land allein tun. Wir können international nur
gemeinsam helfen. Hier hat jeder seine Aufgabe zu erledigen.
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
({0})
Das Wort hat nun Kollege Niema Movassat für die
Fraktion Die Linke.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren!
Denn die einen sind im Dunkeln
Und die andern sind im Licht.
Und man siehet die im Lichte
Die im Dunkeln sieht man nicht.
Diese Worte von Brecht sind heute aktueller denn je;
denn im Dunkeln sind die 1 Milliarde Menschen, die
hungern; auch in den Medien sieht man sie nicht. Alle
fünf Sekunden verhungert ein Kind; bis zum Ende meiner Rede werden es 60 tote Kinder sein. Das ist eine Tragödie.
({0})
Erinnern Sie sich? 1970 hat Deutschland das Versprechen abgegeben, 0,7 Prozent seines Bruttonationaleinkommens für die öffentliche Entwicklungszusammenarbeit zur Verfügung zu stellen. Heute, 40 Jahre nach
Abgabe des Versprechens, sind wir davon weit entfernt;
2010 werden es vermutlich nur 0,4 Prozent sein. Nach
dem EU-Stufenplan müsste das Zwischenziel einer
Quote von 0,51 Prozent erreicht werden.
Dass die Bundesrepublik ihrer Verpflichtung bisher
nicht nachgekommen ist, liegt nicht nur an der aktuellen
Regierung, sondern auch an der politischen Tatenlosigkeit von Rot-Grün und der Großen Koalition.
({1})
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, Sie müssen sich, wenn Sie in Ihrem Antrag von einer „engagierten Entwicklungspolitik der Jahre 1998 bis 2009“ sprechen, schon fragen lassen, warum die größte Diskrepanz
zwischen Anspruch und Wirklichkeit bei der Steigerung
der Entwicklungsgelder gerade in Ihre Regierungszeit
fällt, warum also solch ein großer Unterschied zwischen
den Forderungen in Ihrem Antrag und Ihrem Regierungshandeln besteht.
Unter Schwarz-Gelb wird diese Pflichtverletzung
aber zum System. Die Merkel-Westerwelle-Regierung
hat ein klares politisches Muster: Gespart wird bei den
Ärmsten, in Deutschland bei den Hartz-IV-Empfängern,
in der Welt bei den Menschen in den Entwicklungsländern. Immer neue Äußerungen aus der Koalition legen
den Verdacht nahe, dass diese Regierung das 0,7-Prozent-Ziel gar nicht erreichen will. Kommen Sie mir nicht
mit der Wirtschaftskrise als Ausrede; denn Deutschland
hat dieses Ziel auch in wirtschaftlich guten Zeiten nie
auch nur annähernd erreicht. Das zeigt, dass der politische Wille fehlt.
({2})
Andere Länder erreichen das Ziel, etwa die Skandinavier und die Niederlande. Auch Großbritannien wird mit
einem Anteil von 0,56 Prozent deutlich über dem Soll
des EU-Stufenplans liegen, obwohl das Land besonders
stark von der Krise betroffen ist.
Die Botschaft von Schwarz-Gelb an die Menschen in
den Entwicklungsländern ist: Leider müssen wir Sie mit
Ihren Problemen alleinlassen; denn wir brauchen unser
Geld für Hotels, Reiche und Banken; sie sind uns wichtiger. Das ist der Kern Ihrer unsozialen Politik.
({3})
Wenn ich mich täuschen sollte und Sie das 0,7-Prozent-Ziel erreichen wollen, können Sie unserem Antrag
zustimmen; denn mit unserem Antrag wird das 0,7-Prozent-Ziel gesetzlich verankert und erhält damit einen höheren Verpflichtungsgrad. Außerdem schlagen wir vor,
einen Stufenplan zu erstellen, wie dies auch viele entwicklungspolitische Organisationen fordern. So kann
man entwicklungspolitische Arbeit vernünftig planen.
({4})
Auch muss klar festgelegt werden, was Entwicklungshilfe eigentlich ist. So darf es nicht sein, dass Entschuldungen, der Bau von Bundeswehrunterkünften in
Afghanistan oder sogar die Abschiebung von Asylbewerbern als Entwicklungshilfe angerechnet werden. Wo
bitte findet denn Entwicklungshilfe statt, wenn jemand
abgeschoben wird? Das ist doch zynisch. Unser Antrag
macht Schluss damit.
({5})
Auch mit der Anrechnung von Klimaschutzgeldern
bei der Entwicklungshilfequote muss Schluss sein.
NGOs und Partnerländer widersprechen dieser Anrechnung zu Recht; denn der Klimawandel ist Resultat der
Wirtschafts- und Lebensweise der Industrieländer. Die
Menschen in den Entwicklungsländern, die am stärksten
unter den Auswirkungen des Klimawandels leiden, haben einen Anspruch auf Wiedergutmachung. Das ist daher keine Entwicklungshilfe.
({6})
Sie werden fragen, wie die Linke das 0,7-Prozent-Ziel
finanzieren will. Wir haben dafür hier im Bundestag die
Einführung einer Flugticketabgabe und einer Finanztransaktionsteuer vorgeschlagen, die 15 bis 20 Milliarden Euro bringen würde. Auch die SPD fordert in ihrem
Antrag innovative Finanzierungsinstrumente. Schade
nur, dass die SPD in ihrer Regierungszeit gegen diese Instrumente gestimmt hat.
({7})
Es geht um die Glaubwürdigkeit der deutschen
Entwicklungszusammenarbeit. Sorgen Sie dafür, dass
Deutschland nicht Weltmeister im Brechen von Versprechen ist, sonst erreichen wir die UN-Millenniumsentwicklungsziele erst recht nicht. Denken Sie daran: Jede
Sekunde, die wir hier zögern, bedeutet Elend, Armut und
Tod für Millionen Menschen auf dieser Welt.
Danke für die Aufmerksamkeit.
({8})
Das Wort hat nun Kollegin Christiane RatjenDamerau für die FDP-Fraktion.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten
Damen und Herren! Liebe Kollegen! Liebe Kolleginnen!
Die zentralen Herausforderungen unserer Zeit in einer
globalen Welt sind der Klimawandel und die in großen
Teilen dieser Welt zunehmende Armut. Durch die Armut,
die Unterernährung und den Wassermangel sind Menschen verletzlicher gegenüber verschiedensten Umwelteinflüssen. Insbesondere mangelnde Bildung, Krankheit
und die Missachtung der Rechte der Frauen verhindern
die Entfaltung einer Gesellschaftsform in den Entwicklungsländern.
Das Ziel in den 70er-Jahren ist gewesen, dass jedes
Kind abends satt schlafen geht und dass die Menschen
keine Angst haben müssen, weil sie nicht wissen, wovon
sie sich am nächsten Tag ernähren sollen. Diese Ziele
sind bisher nicht erreicht worden. Im Jahre 2000 haben
die reichen Länder dieser Welt mit den Millenniumsentwicklungszielen erneut Verantwortung gegenüber jenen
Ländern übernommen, die sich nicht selbst versorgen
können. Wir alle haben zugesagt, dafür zu sorgen, dass
die schlimmsten Auswirkungen von Armut mit unserer
Hilfe kleiner werden. Allein die Bilder kleiner Kinder
mit aufgeblähten Hungerbäuchen oder Mädchen mit
Traumata von Genitalverstümmelung verpflichten uns
zu diesem Kampf gegen Armut und für Bildung und Gesundheit.
({0})
Denn Sie glauben doch wohl nicht, dass eine Mutter in
Afrika weniger um ihr totes Kind trauert, als es eine
westliche Mutter tut.
Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, wo stehen
wir heute? Die aktuelle Bilanz zu den verschiedenen
MDGs ist gemischt. In einigen Bereichen und Regionen gibt es positive Entwicklungen, in anderen herrscht
Stagnation, im schlimmsten Fall gibt es Rückschläge. So
gab es bereits größere Erfolge in der allgemeinen Grundschulausbildung, doch gerade bei der Sekundärbildung
werden Mädchen gegenüber den Jungen immer noch
stärker benachteiligt.
({1})
Die Zahl der Kinder, die vor ihrem fünften Geburtstag
sterben, ist mit fast 9 Millionen nach wie vor untragbar
hoch. Früher waren es fast 12 Millionen.
Dennoch gibt es auch positive Entwicklungen. Die
Zahl der Aids-Toten konnte gesenkt und die Ausbreitung
des Virus verlangsamt werden. Auch wurde eine deutliche Verbesserung der Trinkwasserversorgung erreicht.
Insgesamt ist der Fortschritt in Richtung unserer Ziele
jedoch viel zu langsam und in einigen grundlegenden
Bereichen, wie der Gesundheit der Mütter, viel zu gering.
Das größte Sorgenkind bei der Entwicklung bleibt
Subsahara-Afrika. Während vor allem ostasiatische Länder bei der Reduzierung der Einkommensarmut große
Erfolge erzielten, konnte für die Länder südlich der Sahelzone trotz stetigem Wirtschaftswachstum die Armutsquote nur wenig gesenkt werden. Die absolute Zahl der
Armen ist aufgrund des Bevölkerungswachstums sogar
gestiegen. Dies liegt sowohl an den Auswirkungen der
Finanz- und Wirtschaftskrise als auch an den steigenden
Nahrungsmittelpreisen im Jahre 2008. Auch muss beachtet werden, dass ein Drittel aller Menschen in absoluter Armut lebt, und dies in besonders fragilen Staaten.
Krieg und Zerstörung und die damit verbundene Missachtung der Menschenrechte gehen mit der Armut Hand
in Hand.
Die Evaluierung der MDGs zeigt aber auch eine klare
Fehlpolitik der vergangenen Jahre auf.
({2})
Viel zu lange wurde einzig und allein auf finanzielle
Mittel gebaut. Zusammenhänge innerhalb der Entwicklungsarbeit wurden dabei völlig ignoriert. Weniger Armut korrespondiert nicht zwingend mit einer besseren
Gesundheitsversorgung, mit besserer Bildung oder Geschlechtergerechtigkeit.
Wirtschaftswachstum reduziert nicht automatisch die
Einkommensarmut, sondern muss „pro poor“ gestaltet
werden.
Klimawandel, Frieden und Sicherheit, Menschenrechte, Good Governance und Demokratie haben wesentlichen Einfluss auf die Erreichung der MDGs. Die
Koalition und an erster Stelle der Entwicklungshilfeminister Dirk Niebel stehen zu den von der Bundesregierung gemachten Zusagen.
({3})
Auf dem Millennium-plus-Zehn-Gipfel im kommenden September in New York werden wir uns unserer gemeinsamen Verantwortung bewusst sein. Wir werden
uns dafür stark machen, die MDGs als ganzheitliches
Konzept zu betrachten und Katalysatoren wie Gleichberechtigung und Menschenrechte besonders zu fördern.
Eigenverantwortung und Eigeninitiative der Partnerländer sowie Politikkohärenz für Entwicklung sind von
kaum zu überschätzender Bedeutung. Auch muss es eine
breite Beteiligung des privaten Sektors und der Zivilgesellschaft geben; denn nur der Glaube an die Macht des
Staates und an das Geld allein hilft hier nicht.
({4})
Die schwarz-gelbe Koalition und der Bundesminister
Niebel gehen einen neuen Weg, einen Weg, der frei ist
von den bisherigen ideologischen Scheuklappen und der
stetigen Wiederkehr alter Fehler. Entwicklungspolitik
darf keine Frage der Ideologie sein.
({5})
Unser Ziel muss es sein, dass die betroffenen Länder
mehr Verantwortung für sich übernehmen. Das müssen
wir initiieren und weiterentwickeln. Unsere Aufgabe ist
es, diese Länder zu unterstützen. Das seit 25 Jahren bestehende entwicklungspolitische Ziel der Hilfe zur
Selbsthilfe muss jetzt realisiert werden.
({6})
Entwicklungspolitik ist eben nicht nur eine Frage des
großzügigen Gebens, sondern bedeutet auch echte Partnerschaft. Die entwicklungspolitischen Ziele sind nicht
ein Akt der Barmherzigkeit der Reichen gegenüber den
Armen, sondern eine selbstverständliche Geste der weltweiten Solidarität und Gerechtigkeit.
({7})
Frau Kollegin, dies war Ihre erste Rede im Deutschen
Bundestag. Herzlichen Glückwunsch und alles Gute für
die weitere Zusammenarbeit!
({0})
Das Wort hat nun Kollege Uwe Kekeritz für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Kolleginnen und
Kollegen! Die Bürgerinnen und Bürger werden seit langem sehr ausführlich über die Hilflosigkeit dieser Koalition informiert. Wirklich „Neues aus der Anstalt“ war
kaum mehr zu erwarten. Doch Herr Koppelin hat die
Chance erkannt und für Überraschung gesorgt. Er unterstellt dem Minister einfach, die Unwahrheit zu sagen.
Warum? Herr Minister Niebel verkündet immer noch,
das 0,7-Prozent-Ziel erreichen zu wollen. Das ist verständlich. Schließlich hat er ebenso wie die Bundeskanzlerin von dieser Stelle aus des Öfteren immer wieder betont, dass er dieses Ziel verfolgen wird.
({0})
- Natürlich wollen wir das auch, selbstverständlich.
({1})
Kollege Koppelin dagegen meint - ich zitiere aus der
taz vom 12. Juni 2010 -:
Wenn die Leute die Wahrheit wissen sollen,
- ich betone: sollen dann müssen wir ihnen klarmachen: Nein, das Ziel
ist nicht zu erreichen.
Herr Minister, ich meine, Sie sollten sich einmal hier
hinstellen und das mit Herrn Koppelin öffentlich austragen und klären.
({2})
Trotzdem gehe ich freudig davon aus, dass diese Regierung das 0,7-Prozent-Ziel erreichen möchte. Wir werden Sie dabei natürlich tatkräftig unterstützen.
({3})
Allerdings müssen Sie uns schon erklären, wie Sie das
machen möchten, und das müssen Sie glaubwürdig belegen.
({4})
Da gibt es einen ganz einfachen Trick: Legen Sie einen
Finanzstufenplan bis 2015 vor. Dann können wir diese
Aussage ernst nehmen. Dass das schwierig sein wird,
Herr Niebel, das wissen auch wir. Herr Schäuble wird
Ihnen das Geld nicht so einfach geben, weil er es nicht
hat. Da haben wir tatsächlich ein Problem. Wir haben Ihnen aber schon mehrmals eine Lösung angeboten. Diese
Lösung heißt Finanztransaktionsteuer. Die Bankenabgabe ist dafür kein Ersatz.
({5})
Schön, dass das BMZ in seinem Reformkonzept „Die
neue Effizienz in der deutschen Entwicklungspolitik“
darauf hinweist, dass es nicht nur um Quantität, sondern
auch um Qualität geht. Sie sprechen damit das Thema
der Inkohärenzen an. Inkohärenzen gibt es in Deutschland, in Europa, in den Partnerländern, überall. Wir müssen uns darüber im Klaren sein, dass das größte Problem
der Inkohärenzen in der Tatsache begründet liegt, dass
viele EZ-Maßnahmen durch unfaire Weltwirtschaftsstrukturen konterkariert werden.
Ein Beispiel: US-amerikanische Baumwollsubventionen haben den Baumwollmarkt in West- und Zentralafrika ruiniert und bedrohen massiv den indischen
Markt. US-Baumwolle ist aufgrund der hohen Subventionen - nicht Exportsubventionen, Frau Wöhrl, sondern
Agrarsubventionen - 30 bis 40 Prozent billiger. Damit
wird natürlich die Lebensgrundlage kleiner Baumwollproduzenten zerstört. Die Familien müssen oftmals ihr
Land verlassen. Sie gehen in die Städte und landen in
den Slums. Der gleiche traurige elende Mechanismus
wird durch die EU-Agrarsubventionen - nicht nur Exportsubventionen - in Gang gesetzt.
Wir alle wissen, wie die Hähnchenmast in Ghana zerstört worden ist und wie eine kamerunische Molkerei
durch billiges europäisches Milchpulver vom Markt geschossen wurde. Wie läuft das? Zunächst vernichtet industrielle Politik die Lebensgrundlage der Menschen,
und dann versuchen wir, die negativen Folgen der international organisierten Ungerechtigkeiten über die MDGs
auszugleichen. Das kann doch nur als absurd bezeichnet
werden. So etwas kann natürlich nicht funktionieren.
In diesem Zusammenhang muss man die TRIPS-plusVerhandlungen der EU mit Indien sehen. Wir alle wissen, dass die Verringerung der Kindersterblichkeit, die
Verbesserung der Gesundheit von Müttern, die Bekämpfung von HIV/Aids, Tuberkulose und Malaria, also die
drei Gesundheits-MDGs, nur erreicht werden können,
wenn günstige hochwertige Generika zur Verfügung stehen. Das ist heute noch möglich, weil 2001 in Doha Sonderregelungen zur Produktion von Generika völkerrechtlich verbindlich festgelegt wurden. Das muss auch so
bleiben. Dass die Pharmaindustrie diese Sonderregelungen abschaffen will, kann ich ja noch nachvollziehen.
Dass aber die EU als Hilfssheriff für die Pharmaindustrie
die Verschärfung der TRIPS-Abkommen vorantreibt, ist
unerträglich.
({6})
Das Nichteinhalten der finanziellen Zusagen mit dem
Argument der Wirtschafts- und Finanzkrise zu rechtfertigen, ist moralisch erbärmlich.
({7})
Die Länder haben diese Krise nicht verursacht. Sie jetzt
mit haftbar zu machen, kann nicht akzeptiert werden.
Eine Steigerung unserer Anstrengungen ist auch aufgrund des Klimawandels nur als gerecht anzusehen.
Auch diesen haben die ärmsten Länder nicht verursacht.
Eine Verrechnung der ODA-Mittel mit Geldern, die in
Kopenhagen zugesagt wurden, könnte nur als heuchlerisch bezeichnet werden.
Deutsche Politik muss ihre seit Jahrzehnten bestehenden Verpflichtungen erfüllen und als Mitglied der Europäischen Union darauf hinwirken, dass die EU, die WTO
und der IWF die Entwicklungsziele nicht aufgrund der
Wirtschaftsziele von Konzernen und der Agrarlobby ins
Leere laufen lassen. Ich spreche mich nicht gegen wirtschaftliche Zusammenarbeit aus. Allerdings müssen
wirtschaftliche Interessen an den Menschenrechten und
den ökologischen Notwendigkeiten ausgerichtet werden,
die durch die Indikatoren der MDGs klar definiert sind.
Ich danke Ihnen.
({8})
Herr Kollege, dies war Ihre erste Rede im Deutschen
Bundestag. Herzliche Gratulation und alle guten Wünsche für die weitere Arbeit!
({0})
Das Wort hat nun Johannes Selle für die CDU/CSUFraktion.
({1})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die
Millenniumsentwicklungsziele stellen eine Herausforderung dar. Das war schon bei ihrem Zustandekommen im
Jahre 2000 klar. Aber gibt es in der Geschichte ein weiteres Beispiel, dass sich nahezu die gesamte Menschheit
auf ein langfristiges gemeinsames Ziel festgelegt hat,
dass nahezu die gesamte Menschheit quälende Mängel
durch gemeinsame Anstrengungen beseitigen möchte?
Ich glaube, nicht.
Anstrengungen zur Überwindung der weltweiten Ungleichgewichte gab es viele. Die vier vorangegangenen
Entwicklungsdekaden von 1960 bis 2000 waren nicht erfolgreich. Dabei wurden Ziele und Strategien immer
wieder modifiziert. Die Beschlüsse, die von 189 Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen im Jahre 2000 unter
Einbeziehung dieser Erfahrungen gefasst wurden, gliedern sich nun in 8 Hauptziele und 18 Teilziele bzw. Kriterien - sehr konkret und sehr anspruchsvoll.
Die Länder mit Entwicklungsdefiziten werden in die
Pflicht genommen. Sie sollen vorhandene Mittel in ein
eigenes Programm zur Armutsbekämpfung stecken,
Korruption eindämmen, Schulbildung für Jungen und
Mädchen ermöglichen, Gleichberechtigung der Geschlechter herstellen, Gesundheitsversorgung verbessern
und ihre Entwicklung ökologisch nachhaltig gestalten.
Die Industrieländer werden ebenfalls in die Pflicht
genommen, sich dem Schuldenproblem zu widmen, sich
mit geeigneten Strategien den am wenigsten entwickelten Ländern zuzuwenden, zusammen mit dem privaten
Sektor Handelshemmnisse zu beseitigen und neue Technologien bereitzustellen.
Aus wichtigem Grund erhöhen sich in diesem Jahr die
Aktivitäten, die das Erreichen der Ziele in den Mittelpunkt rücken. Zwei Drittel der Zeit sind vergangen, und
die Frage ist berechtigt, ob auch zwei Drittel der Ziele
erreicht sind. Das Bild ist uneinheitlich, wie wir auch der
Anhörung zum Thema „Umsetzung der Millenniumsentwicklungsziele“ in dieser Woche entnehmen konnten.
Es gibt Erfolge, es gibt Teilerfolge, es gibt offensichtliche Defizite, und es gibt Rückschläge. Selbst in den
Bereichen, in denen prozentual Fortschritte gemeldet
werden, zum Beispiel bei der Armutsbekämpfung, stagniert die absolute Zahl der Betroffenen bei circa 1 Milliarde Menschen. Die gewachsene Bevölkerung insgesamt kann dafür zwar eine plausible Erklärung liefern,
die dahinterstehenden Einzelschicksale bleiben aber erschütternd.
Herr Movassat hat recht, aber nur mit der traurigen
Zahl, dass alle fünf Sekunden ein Kind stirbt. Das Ziel,
die Kindersterblichkeit bis 2015 um zwei Drittel zu verringern, ist in weite Ferne gerückt. Zwar sank die Zahl
der unter Fünfjährigen, die jährlich sterben, 2006 erstmals unter die 10-Millionen-Marke. Dennoch ist das Risiko eines Kindes, in seinen ersten fünf Lebensjahren zu
sterben, in einem Entwicklungsland 13-mal höher als in
einem Industrieland.
Die Hälfte der Todesfälle ereignet sich in SubsaharaAfrika. Die meisten Kinder sterben an leicht zu vermeidenden oder zu behandelnden Krankheiten wie Lungenentzündung, Durchfall, Malaria und Masern. 2005 starben
mehr als 500 000 Frauen während Schwangerschaften
und Geburten oder im Kindbett. 99 Prozent dieser
Frauen stammen aus Entwicklungsländern, 86 Prozent
aus Subsahara-Afrika und Südasien. Damit sank die
Müttersterblichkeit global jährlich um weniger als 1 Prozent. Um das Millenniumsziel der Senkung der Müttersterblichkeit um drei Viertel zu erreichen, wäre eine
jährliche Rate von 5,5 Prozent erforderlich. Als Vater
stehe ich fassungslos vor diesem Elend und dieser Traurigkeit und werde an dieser Stelle nicht auf Teilerfolge
verweisen.
({0})
Ich fühle mich verpflichtet, politisch konstruktiv an dieser Stelle mitzuhelfen.
Für die Erreichung der Ziele war ein Zeitraum von
15 Jahren, von 2000 bis 2015, vorgesehen. Selbst bei
ungetrübtem Gang der Weltgeschichte wären große
Anstrengungen erforderlich gewesen. Nun verpassen
Weltwirtschaftskrise, Euro-Krise, die angespannte Sicherheitslage durch Terrorismus und die Schuldenproblematik in den Industriestaaten dem Erreichen der Ziele
einen zusätzlichen Dämpfer.
Trotz aller Widrigkeiten: Wir sollten alles dafür tun,
dass die weltweiten gemeinsamen Anstrengungen erfolgreich sind. Wir sollten auch alles dafür tun, dass wir
als Bundesrepublik Deutschland dabei als einer der
wichtigsten Partner wahrgenommen werden.
({1})
Die Bundeskanzlerin Angela Merkel und der Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Dirk Niebel haben wiederholt betont, sich dieser Aufgabe zu stellen. Das sollten alle anerkennen, die
mit daran arbeiten, dass wir bei der Beseitigung der
schlimmsten Armut vorankommen.
({2})
Wir als Parlamentarier wissen genauso gut wie Kanzlerin und Minister, welche Herausforderungen das an unseren Haushalt stellt. Die finanzpolitischen Diskussionen der letzten Wochen sind noch nicht verklungen. Wer
in letzter Zeit Kontakte zu Ländern hatte, die um die Erreichung der Millenniumsziele ringen, der weiß, dass
Deutschland ein geschätzter Partner ist, und der weiß,
dass sich viele dieser Länder eine engere Bindung an
Deutschland wünschen.
Deutschland muss es deshalb gelingen, vorbildlich in
Haushaltsdingen zu sein; denn was wir in den Partnerländern erreichen wollen, zum Beispiel Good Governance, solide Haushaltsführung und dadurch verlässliche
und dauerhafte Partnerschaft auf hohem Niveau, müssen
wir glaubwürdig vormachen. Wer sich für Budgethilfe
einsetzt, der begründet die Vorteile damit, dass die Regierungen vor dem Volk vertreten sollen, wofür sie das
Geld ausgeben wollen und wofür sie das Geld ausgegeben haben. Genau diese Begründung sind wir auch in
Deutschland den Bürgern schuldig.
Die Entwicklungshilfe muss weiterhin an ihrer Effizienz arbeiten und nachweisen, dass sie Effizienz einfordert und der sich breitmachenden Subventionsmentalität
entgegentritt. Gute Entwicklungszusammenarbeit kann
endogenes Wirtschaftswachstum nicht ersetzen, aber sie
kann einen entscheidenden Beitrag dazu leisten, die Basis für Wirtschaftswachstum überhaupt erst zu schaffen.
In der Anhörung zur Umsetzung der Millenniumsziele in dieser Woche wurde darauf verwiesen, wie wichtig Arbeitsplätze für Fortschritte auf allen Gebieten in einer sich entwickelnden Wirtschaft sind. Armut wird am
besten durch bezahlte Arbeit in einer funktionierenden
Wirtschaft überwunden. Deshalb ist entscheidend, dass
das Bundesministerium den Schwerpunkt auf die wirtschaftliche Zusammenarbeit unter Einbeziehung des privaten Sektors legt. Arbeitsplätze in der Wirtschaft führen
zu gefragten Dienstleistungen und Produkten, die man
handeln kann und in deren Gefolge weitere Arbeitsplätze
entstehen. In der Anhörung haben wir von dem bedrückenden Beispiel der fehlenden Toiletten gehört. Millionen Menschen können tagsüber nicht zur Toilette gehen,
weil es keine geschützten Räume gibt. Armut kann
schneller überwunden werden, wenn die Menschen
durch eigenes Einkommen ihre Toiletten selbst herstellen können.
Alle notwendigen Investitionen in Gesundheit, in Infrastruktur und insbesondere in Bildung müssen zu
einem wachsenden Teil aus den Partnerländern selbst getragen werden können. Erst dann sind die Millenniumsziele nachhaltig erreicht worden. Wir wollen deshalb die
ganze Gesellschaft mitnehmen, kirchliche Institutionen
und auch privatwirtschaftliche Initiativen. Wir fördern
das, weil wir damit viel mehr Geld freimachen können
und auch schneller Ergebnisse erzielen.
In 15 Jahren sollten die Millenniumsziele verwirklicht werden. Bei der bekannten Dauer von Legislaturperioden hat man nicht allein auf das bei der Beschlussfassung vorhandene Parteienspektrum setzen können.
Wir sind deshalb gut beraten, in dieser Debatte parteipolitische Vorwürfe zu vermeiden. Denn in dem Anliegen sind wir uns sehr nahe, Herr Kollege Raabe; das will
ich an dieser Stelle einmal sagen. Der Hinweis, dass die
große Differenz zu den Planzahlen nicht erst in den letzten Monaten entstanden ist, ist ja auch nicht unberechtigt.
Herr Kollege, Sie müssen zum Schluss kommen.
Ich komme zum Schluss. - Minister Niebel hat in dieser wirklich schwierigen Zeit für die Entwicklungsziele
viel erreicht
({0})
und auch die Frage nach der Effizienz der deutschen
Entwicklungsinstitutionen mutig aufgegriffen. Ein Antrag von CDU/CSU und FDP zu den Millenniumszielen
befindet sich in der letzten Abstimmung.
Herr Kollege!
Vielleicht gelingt ja ein fraktionsübergreifender Antrag. Das wäre dem Thema angemessen.
({0})
Das Wort hat nun Karin Roth für die SPD-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Die Situation ist dramatisch; das ist wahr. Wir reden
hier in diesem Plenum leidenschaftlich über Millionen
von Toten, über Kinder, über Menschen, die erkrankt sind
an Aids, Malaria, Tuberkulose und anderen Krankheiten.
Wir wissen auch, dass die im Rahmen der Staatengemeinschaft gemeinsam verabredeten Millenniumsziele
verbindlich sein sollen für die Industrienationen, vor allen Dingen deshalb, weil damals klar erkannt worden ist:
Ohne Hilfe der Industrienationen ist eine Entwicklung
nicht möglich. Dazu gehört aber nicht nur die Entwicklungshilfe, sondern dazu gehören zum Beispiel auch
Entschuldung sowie wirtschaftliche Zusammenarbeit;
das ist gar keine Frage. Die Frage ist nur: Sind wir angesichts der Zahlen und Fakten, die Sie, liebe Kolleginnen
und Kollegen, hier unterschiedlich prononciert dargelegt
haben, glaubwürdig? Ist das ein Erfolg? Wir müssen hier
doch sagen: Es ist kein Erfolg, wir haben es noch nicht
geschafft.
Jetzt haben wir fünf Jahre Zeit, Herr Minister Niebel,
in denen man natürlich darüber hinausgehende Maßnahmen fördern, vor allen Dingen aber die Erreichung der
Millenniumsziele organisieren kann. Die SPD-Fraktion
hat dazu einen Antrag vorgelegt. Wenn man genau hinschaut - Herr Selle, ich nehme Ihren Vorschlag auf -,
dann sieht man, dass natürlich auch die Koalition vieles
von dem, was wir beschrieben haben, unterschreiben
kann.
An dieser Stelle sei einmal ganz kurz gesagt: Ich bin
froh darüber, dass es im Bundestag auch eine gemeinsame Erklärung von Kollegen gibt, die im Rahmen der
Arbeit des Unterausschusses „Vereinte Nationen, internationale Organisationen und Globalisierung“ zu dem
Thema Millenniumsziele Stellung genommen haben, um
deutlich zu machen, dass wir auch gemeinsame Positionen dazu haben. Ich finde, das ist ein gutes Vorgehen
- Frau Ministerin a. D. Wieczorek-Zeul, ich denke, Sie
Karin Roth ({0})
haben das auch mit organisiert -, weil es natürlich richtig ist, dass wir auf der Ebene der UN eine gemeinsame
Sprache sprechen sollen und müssen.
Bei dieser Gelegenheit möchte ich jetzt einige Worte
an den Minister richten. Vor drei Tagen gab es in Brüssel
eine Konferenz, bei der Sie hoffentlich anwesend waren.
Es wurde dort verabredet - ich habe das Protokoll und
auch das entsprechende Dokument -, besonders die
Finanzierung der entwicklungsförderlichen Rahmenbedingungen zu gewährleisten und einen entsprechenden
Stufenplan vorzulegen. Das heißt für dieses Parlament
und für diese Regierung konkret, dass die Koalition jetzt
natürlich auch einen entsprechenden Quotenvorschlag
machen muss, um das 0,7-Prozent-Ziel zu erreichen.
Ich wäre sehr froh, wenn wir das im September, wenn
die Bundeskanzlerin nach New York reist, mit einer entsprechenden Autorität vorlegen könnten; denn einmal
Kopenhagen reicht. Wir brauchen kein zweites Kopenhagen.
({1})
Wenn die Bundeskanzlerin nach New York reist, sollten
wir eine wirkliche Verbindlichkeit der Zusagen der
Deutschen erreicht haben.
Apropos: Auch andere europäische Staaten leiden unter der Finanz- und Wirtschaftskrise - das gilt auch für
Großbritannien - und haben ihr Ziel erreicht und sogar
übererfüllt. Wenn ich es richtig gehört habe, dann wird
auch die neue britische Regierung an diesem Ziel festhalten. Kurzum: Wir brauchen einen Aktionsplan, wie
ihn Ban Ki-moon vorgeschlagen hat, für die ganze Welt
und insbesondere für die UNO. Dazu brauchen wir flankierend die europäische und natürlich auch die nationale
Komponente.
Ich gehe davon aus, dass gerade wir, die Deutschen,
die Glaubwürdigkeit nicht nur von anderen einfordern,
zum Beispiel hinsichtlich der Effizienz der Verteilung
der Mittel und der Übernahme der Mittel, sondern dass
wir sie auch selber gewährleisten, indem wir das, was
wir versprochen haben, auch halten. Daran misst man
uns in der Welt genauso wie in Deutschland.
Es wäre schade - hier stimme ich Ihnen zu, Herr
Selle -, wenn es nicht gelingen würde, dieses Ziel zu erreichen. Deshalb brauchen wir eine gemeinsame Anstrengung. Auch Herr Koppelin, der ja bekannt für besondere Vorschläge im Haushaltsausschuss ist, sollte
von der FDP überzeugt werden, dass auch und gerade
unserem Ansehen in der Welt durch Ihr Vorgehen in diesem Zusammenhang sonst geschadet wird.
({2})
Ich erwarte also, dass die Bundesregierung insbesondere auch beim jetzigen G-8-Gipfel das Thema Müttersterblichkeit anspricht und Maßnahmen zu deren Beseitigung unterstützt sowie die Initiative voranbringt. Das
ist die erste Nagelprobe für Sie, Herr Niebel, und die
zweite folgt sogleich, nämlich im September gemeinsam
mit der Kanzlerin. Dann können Sie zeigen, was Sie
können. Vor allen Dingen können Sie zeigen, was Sie
zahlen.
({3})
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf
den Drucksachen 17/2018, 17/2024 und 17/2132 an die
in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der
Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 7 auf:
- Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses ({0}) zu dem Antrag der Bundesregierung
Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der United Nations
Interim Force in Lebanon ({1}) auf
Grundlage der Resolution 1701 ({2}) vom
11. August 2006 und folgender Resolutionen,
zuletzt 1884 ({3}) vom 27. August 2009 des
Sicherheitsrates der Vereinten Nationen
- Drucksachen 17/1905, 17/2171 Berichterstattung:
Abgeordnete Philipp Mißfelder
Dr. Rolf Mützenich
Wolfgang Gehrcke
Kerstin Müller ({4})
- Bericht des Haushaltsausschusses ({5})
gemäß § 96 der Geschäftsordnung
- Drucksache 17/2177 Berichterstattung:
Abgeordnete Herbert Frankenhauser
Petra Merkel ({6})
Dr. h. c. Jürgen Koppelin
Sven-Christian Kindler
Hierzu liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen vor.
Über die Beschlussempfehlung werden wir später namentlich abstimmen.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. - Ich
höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Kollegen
Rainer Stinner für die FDP-Fraktion das Wort.
({7})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die
Stabilisierung der Region Naher Osten liegt ohne jeden
Zweifel im deutschen und selbstverständlich auch im
europäischen Interesse. Wie fragil die Situation ist, müssen wir leider im Wochenrhythmus immer wieder neu
erleben. Wir haben uns damit erst letzte Woche beschäftigt.
Im Prinzip geht es um einen Dreiklang. Es geht erstens darum, das Existenzrecht Israels in sicheren Grenzen zu gewährleisten, was Deutschland immer sehr stark
am Herzen gelegen hat und liegen wird. Es geht zweitens darum, einen lebensfähigen palästinensischen Staat
aufzubauen. Drittens geht es um die Stabilisierung des
Staates Libanon.
Da wir ein Interesse an der Situation haben, müssen
wir als Deutsche einen Beitrag leisten. Dieser Beitrag
kann verschiedene Facetten haben. Am 18. Januar dieses
Jahres zum Beispiel ist es gelungen, dass deutsch-israelische Regierungskonsultationen stattgefunden haben, in
einem Umfang, wie wir es vor einigen Jahren nie für
möglich gehalten hätten. Am 18. Mai ist der DeutschPalästinensische Lenkungsausschuss zusammengekommen, in dem auch Konsultationen quasi auf Regierungsebene stattgefunden haben. Auch das ist historisch von
ungeheurer Bedeutung und war vor einigen Jahren nicht
vorstellbar.
({0})
Ein weiterer Beitrag zur Stabilisierung dieser Region
ist der UNIFIL-Einsatz, den Deutschland seit 2006 begleitet. UNIFIL war notwendig, um die Resolution 1701
durchzusetzen und das Land zu stabilisieren. Zunächst
war es ein Feuerwehreinsatz; denn es musste in der Tat
Feuer gelöscht werden. Aber seit 2006 hat sich die Situation im Nahen Osten geändert, wie wir alle wissen. Von
daher ist es richtig, heute, im Jahre 2010, darüber nachzudenken, ob es bei UNIFIL Umsteuerungsbedarf gibt
und wie man UNIFIL in Zukunft gestalten kann.
Die Zustimmung zu UNIFIL hier im Hause war immer mit der Forderung verbunden, dass parallel dazu die
beteiligten Länder in einen politischen Lösungsprozess
eintreten. Ich sage unverblümt, dass ich mit den diesbezüglichen Bemühungen nicht sehr zufrieden bin. Da
hätte mehr geschehen können und müssen.
Die Vereinten Nationen haben im Frühjahr dieses Jahres eine Evaluation dieses UNIFIL-Einsatzes vorgenommen. Diese Evaluation war für unsere Fraktion sehr
wichtig; sie war ein sehr wichtiger Meilenstein zur Beurteilung unseres eigenen Handelns. Die Vereinten Nationen sind ohne jeden Zweifel sehr deutlich zu der Überzeugung gekommen, dass ein weiterer UNIFIL-Einsatz
gegenwärtig noch unbedingt notwendig ist.
Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, ich teile auch
ausdrücklich das Statement des Generalsekretärs der
Vereinten Nationen. Selbstverständlich kann die Beteiligung an UNIFIL keine Never ending Story sein und bis
zum Sankt-Nimmerleins-Tag erfolgen. Nein, wir müssen
bei UNIFIL wie bei anderen Mandaten auch darüber
nachdenken, unter welchen Bedingungen ein Abschmelzen oder ein Auslaufen solcher Mandate erfolgen kann.
Das ist richtig. Das ist genau die Position der FDP-Fraktion.
({1})
Man muss Änderungen vornehmen und ein solches
Mandat den Realitäten anpassen, aber ausdrücklich die
Auslaufperspektive im Auge behalten; denn das ist
wichtig.
Wir wissen aber auch, dass an ein Auslaufen des
UNIFIL-Mandates nicht zu denken ist, wenn die libanesische Marine nicht in der Lage ist, die Sicherungsaufgaben dort selbst wahrzunehmen. Deshalb ist in dem vorliegenden Mandat eine Umorientierung primär in der
Ausbildung und Unterstützung der libanesischen Marine
vorgenommen worden. Das Wichtige ist, dass wir die libanesische Marine in die Lage versetzen, diese Aufgabe
mittelfristig selbst zu übernehmen. Ich bin sehr froh darüber, dass die Bundesrepublik Deutschland nicht nur im
Rahmen von UNIFIL, sondern auch in bilateralen Projekten den Libanon unterstützt, etwa mit der Lieferung
von Schiffen und Ausrüstung. Das ist genau der richtige
Weg. Die Beendigungsperspektive kann also erst dann
am Horizont erscheinen, wenn die Befähigung der libanesischen Marine aufgewachsen sein wird. Dazu leisten
wir unseren Beitrag.
Wir begrüßen sehr, dass sich die neue Bundesregierung beim Umfang des Mandates den Realitäten angepasst hat. Realität vor Ort ist Folgendes: Gegenwärtig
sind 237 deutsche Soldaten vor Ort. Es ist sinnvoll und
richtig, im Rahmen der Neuorientierung dieses Mandates eine Reduzierung vorzunehmen. Dies dient der
Wahrheit und Klarheit von Mandaten, der wir uns als
FDP-Fraktion deutlich verschrieben haben.
({2})
Wir begrüßen auch, dass die neue Bundesregierung
bei jedem einzelnen Mandat eine genaue Überprüfung
vorgenommen hat. Wir haben gegenwärtig acht Auslandsmandate. Von denen hat die neue Bundesregierung
eines ausgeweitet: Afghanistan. Sie alle wissen, warum
und wie. Bei zweien ist die Zahl gleich geblieben, und
bei fünf Mandaten sind seit Antritt der neuen Bundesregierung sowohl die Obergrenze des Mandates als auch
die Ausschöpfung zurückgenommen worden. Dies
nenne ich verantwortliche deutsche Außenpolitik, und
ich bedanke mich beim Herrn Außenminister, dass er
diese Politik von sich aus mit Impetus vorangetrieben
hat.
({3})
Das Ganze in Zahlen ausgedrückt: Die kumulierte Obergrenze ist seit Regierungsantritt am 27. Oktober letzten
Jahres um sage und schreibe 20 Prozent gesunken, und
auch die aktuelle Präsenz vor Ort ist um 18 Prozent gesunken. Das ist der Weg in die richtige Richtung.
Im Zusammenhang mit den Auslandsmandaten - dies
hebe ich für meine Fraktion deutlich hervor - brauchen
wir nach wie vor an manchen Orten in dieser Welt militärischen Einsatz. Wir alle wissen zwar, dass wir mit Militär nie ein Problem lösen werden. Aber der militärische
Einsatz dient dazu, politische Lösungen zu ermöglichen.
Dies gilt insbesondere bei UNIFIL. Wir können auch in
diesem Fall - ich bin mehrmals im UNIFIL-Gebiet gewesen - mit Stolz auf das zurückblicken, was unsere
Soldaten dort geleistet haben. Sie haben einen Beitrag
zum Frieden im Nahen Osten geleistet, und dafür sollten
wir ihnen Dank und Anerkennung zollen.
({4})
Die Stabilisierung der Region liegt in unserem deutschen Interesse. Wir sollten uns als Deutsche nicht überheben. Wir allein können nicht den gordischen Knoten
durchhauen; aber wir können gerade aufgrund der exzellenten Arbeit der Bundesregierung - ich hatte Israel und
Palästina genannt - im Rahmen der Europäischen Union
einen vehementen Beitrag dazu leisten. Ich bin sehr
dankbar, dass die Bundesregierung das manchmal etwas
schläfrige Quartett revitalisiert und erklärt hat, das Quartett müsse eine tragende Rolle spielen, was auch für den
anderen Zusammenhang gilt, über den wir in der letzten
Woche diskutiert haben. Wir unterstützen die Bundesregierung nachhaltig bei ihrem Bemühen, den deutschen
Beitrag zur Stabilisierung dieser Region deutlich zu machen. Deshalb werden wir mit sehr großer Mehrheit dem
geänderten neuen Mandat zustimmen.
Vielen Dank.
({5})
Nächster Redner ist der Kollege Günter Gloser für die
SPD-Fraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Die heutige Debatte wäre gar nicht nötig gewesen, wenn das UNIFIL-Mandat im letzten Dezember
turnusgemäß gleich um ein Jahr verlängert worden wäre.
({0})
Nun haben wir die Debatte, in der ich drei Punkte hervorheben möchte:
Erstens. Die SPD unterstützt natürlich die Verlängerung des UNIFIL-Mandats,
({1})
weil UNIFIL eine erfolgreiche Mission ist.
Zweitens trägt UNIFIL zur Stabilisierung der Region
bei, da sowohl Israel als auch der Libanon der Mission
ausdrücklich zugestimmt haben.
Drittens schließe ich mich - hier gibt es sicherlich Einigkeit - dem Dank an unsere Soldatinnen und Soldaten
in dieser Region an, die dort wirklich hervorragende Arbeit geleistet haben.
Nun möchte ich erläutern, warum diese Mission in
mehrfacher Hinsicht beispielhaft für die Art der deutschen Außenpolitik ist. Sie ist beispielhaft für die Durchführung und die Begrenzung von Auslandseinsätzen.
Unzureichend ist bislang aber leider die politische Flankierung des militärischen Einsatzes. Beispielhaft im negativen Sinne - das kann ich Ihnen nicht ersparen, lieber
Kollege Stinner - ist diese Mission für eine schlechte
Außenpolitik insbesondere der Freien Demokratischen
Partei, die in der Vergangenheit aus parteitaktischen
Gründen bei diesem wichtigen Mandat schwankte und
zauderte.
({2})
Die FDP hatte im Dezember 2009 argumentiert, man
müsse bei der Verlängerung abwarten, wie die Evaluierung der Mission durch die Vereinten Nationen ausfalle.
Das war und ist ein vorgeschobenes und falsches Argument; denn jeder derartige Einsatz der Vereinten Nationen wird regelmäßig evaluiert. Das ist also kein Grund,
ein Mandat künstlich zu begrenzen sowie Enttäuschung
und Irritation bei wichtigen Partnern, bei den Vereinten
Nationen, in der Region sowie bei den Soldatinnen und
Soldaten hervorzurufen.
Was erwarten die Bürgerinnen und Bürger von uns im
Umgang mit derartigen Einsätzen? Sie erwarten eine
einwandfreie Mandatierung, eine professionelle Umsetzung und, soweit möglich und sinnvoll, die Reduzierung
oder Beendigung eines Einsatzes; das ist unbestritten.
Aber es geht nicht um einen Wettbewerb der Exit-Strategien,
({3})
sondern um einen verantwortungsvollen Ausstieg aus einem Mandat.
({4})
Schließlich erwarten die Menschen eine politische Flankierung des Einsatzes. Diese erwarten auch die Soldatinnen und Soldaten, wenn sie in so schwierige und gefährliche Einsätze geschickt werden. Wenn wir es mit dem
erweiterten Sicherheitsbegriff und dem Vorrang ziviler
Mittel in der Außenpolitik ernst meinen, dann müssen
wir auch fragen, was die Bundesregierung getan hat, um
die militärische Arbeit der UNIFIL-Mission politisch zu
begleiten, ob sie alles getan hat, damit die Wirkung des
Einsatzes nachhaltig ist.
Ihre Reise in die Region vor einigen Wochen, sehr geehrter Herr Außenminister, war in dieser Hinsicht richtig
und wichtig.
({5})
Ein solches Engagement habe ich im Namen der SPDFraktion schon bei der letzten Mandatsverlängerung im
Dezember 2009 angemahnt. Leider blieb die Reise bisher aber eine Einzelmaßnahme. Wünschenswert wäre
eine weitere Initiative zur Verbesserung der Sicherheit
an der Landgrenze. Hier läuft ein erfolgreiches Modellprojekt zur Unterstützung des libanesischen Zolls. Es
wäre gut, solche Initiativen weiterzuführen und auszubauen. Noch ein Beispiel: Die syrische Haltung zum
Waffenschmuggel über die syrisch-libanesische Landgrenze hat sich nicht verändert. Deutschland hat leider
nicht den Einfluss, den es bräuchte, um diesbezüglich etwas zu bewegen. Deshalb appelliere ich an Sie, die Gespräche und Verhandlungen mit Syrien zu intensivieren,
so wie Ihre Vorgänger es schon getan haben.
Sehr geehrter Herr Außenminister, Sie haben ausdrücklich erwähnt, dass Sie damals keine Kritik an
Frank-Walter Steinmeier geübt haben, als er in seiner Eigenschaft als Außenminister in der Großen Koalition
nach Amman gereist ist und dafür von Kollegen Ihres
heutigen Koalitionspartners kritisiert wurde. Ich hoffe
nur, dass nicht wieder dieselben Bremser auftreten und
Sie an Aktivitäten im Nahen und Mittleren Osten, insbesondere in Syrien, hindern werden. Es geht nicht darum,
Syrien den roten Teppich auszurollen, sondern darum,
Syrien klarzumachen, dass es in Deutschland einen starken und entschlossenen Partner hat, wenn es im Libanon, gegenüber Israel und im Verhältnis zum Iran eine
konstruktive Rolle einnimmt. Das sind hohe Anforderungen an Syrien, und entsprechend groß muss der Anreiz in wirtschaftlicher, kultureller und politischer Hinsicht sein.
Im Nahen Osten ist vieles in Bewegung, aber leider
nicht immer zum Positiven. Deswegen brauchen wir einen adäquaten, allumfassenden Politikansatz. Das liegt
in unserem Interesse und wird vor dem Hintergrund der
deutschen Verantwortung für die Sicherheit Israels und
der gesamten Region von uns erwartet. Herr Außenminister, wenn Sie diesen Weg ernsthaft beschreiten,
werden Sie in der SPD-Fraktion einen kritischen, aber
konstruktiven Partner haben.
Vielen Dank.
({6})
Für die CDU/CSU-Fraktion hat der Kollege Peter
Beyer das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Ereignisse vor
Gaza im östlichen Mittelmeer am Morgen des 31. Mai
- Stichwort sogenannte Friedensflottille - haben der
Welt erneut deutlich vor Augen gehalten, wie angespannt die Lage im Nahen Osten noch ist. Sie haben darüber hinaus die Sorge vor einer weiteren Eskalation
wachgerufen. Umso wichtiger sind für uns gerade heute
deutliche Signale, dass im Nahen Osten auch eine
schwierige Situation verbessert werden kann. Die United
Nations Interim Force in Lebanon sendet ein solches
kraftvolles Signal. Es ist möglich, auch eine schwere
Krise zu entspannen, wenn man sich entschlossen dafür
einsetzt.
2006 befürchteten nicht wenige, der Libanon-Konflikt könnte der entscheidende Funken sein, der in der
Region einen Flächenbrand auslöst. Dazu ist es glücklicherweise nicht gekommen. Die UNIFIL-Mission hat
maßgeblichen Anteil daran, dass sich vier Jahre später,
also zum heutigen Zeitpunkt, die innenpolitische Lage
im Libanon bis zu einem gewissen Punkt stabilisiert hat.
Es wurden geordnete Parlaments- und Kommunalwahlen durchgeführt. Die Regierung der nationalen Einheit
unter Ministerpräsident al-Hariri hat die Arbeit aufgenommen. Trotz aller Probleme, die es noch gibt, besteht
die begründete Perspektive, den im Oktober 2006 begonnenen Einsatz in absehbarer Zeit beenden zu können.
Das macht deutlich, wie viel in den vergangenen Jahren
geleistet und erreicht worden ist.
Der Libanon ist bereits heute wieder in Teilbereichen
zur selbstständigen Kontrolle seiner Hoheitsgewässer in
der Lage. Deshalb sage ich: Wenn wir jetzt beschließen,
die personelle Obergrenze für die deutsche Beteiligung
von 800 auf 300 Soldaten zu reduzieren, dann ist das nur
konsequent. Das gilt übrigens nicht zuletzt vor dem Hintergrund, dass sich die Qualität der Mission verändert
hat. Ging es damals verstärkt um militärischen Schutz,
liegt die Betonung heute auf der Ausbildung der libanesischen Kräfte. Wir unterstützen das Land beim Aufbau
eigener Kapazitäten und Fähigkeiten. Darüber hinaus
hilft Deutschland auch beim zivilen Aufbau des Landes,
um langfristige innenpolitische Stabilität im Libanon
und letztlich in der gesamten Region zu erreichen.
Frieden ist möglich, wenn alle Beteiligten dies wollen
und die Unterstützung der internationalen Gemeinschaft
vorhanden ist. Das ist die Botschaft von UNIFIL. Weit
über 200 Frauen und Männer der Bundesmarine leisten
dafür momentan vor der Küste Libanons einen wichtigen
Beitrag zur Stärkung von Stabilität und Souveränität des
Landes. Sie nehmen dafür die Trennung von Familie und
Freunden auf sich. Die Besatzungen der „Kulmbach“,
der „Auerbach“ und der „Main“ gewährleisten, dass
diese Küste kein Einfallstor für Waffen ist, die den Libanon und die Region destabilisieren sowie das Leben der
Menschen - auch in Israel - bedrohen könnten. Diese erfolgreiche Mission zeigt, dass diejenigen recht behalten,
die nicht bereit sind, angesichts der Schwierigkeiten im
Nahen Osten zu resignieren.
Wie wichtig den Menschen vor Ort dabei gerade die
deutsche Beteiligung ist, zeigt sich auch daran, dass sowohl die libanesische Regierung als auch die israelische
Regierung ausdrücklich um ein weiteres deutsches Engagement gebeten haben. Das sind die Motivation und
die Anerkennung für die Leistung unserer Soldatinnen
und Soldaten. Gleichzeitig hat Deutschland ein eigenes
strategisches Interesse an einem dauerhaften Frieden und
an Stabilität im Nahen Osten. Für ihren unermüdlichen
Einsatz, den sie oft unter schwierigsten Bedingungen
leisten, verdienen alle eingesetzten Soldatinnen und Soldaten unsere Wertschätzung und unseren Dank.
({0})
Die ermutigende Entwicklung von UNIFIL bestärkt
uns darin, weiter nicht nur an die Möglichkeit von Frieden für alle Menschen in dieser Region zu glauben, sondern auch weiter dafür zu arbeiten. Die Schwierigkeit
des Einsatzes ist dadurch bedingt, dass der Libanon
schon historisch Schnittstelle vieler regionaler Konfliktlinien ist. Wir dürfen die immer noch jederzeit präsente
Gefahr für das Land, zum Spielball fremder Interessen
zu werden, nicht in Abrede stellen. Am Beispiel der extremistischen Hisbollah, die innerhalb des Libanons aktiv ist und sich auch an den Wahlen beteiligt, wird das
besonders deutlich. Sie ist ein Grund dafür, warum die
im Libanon seit 2006 erreichte innenpolitische Stabilität
nach wie vor fragil bleiben muss. Es wird die große Aufgabe der Politik sein, den Frieden, den UNIFIL derzeit
sichert, langfristig zu erhalten.
Deshalb gilt: Wo wir den demokratischen Kräften im
Libanon bei der Stabilisierung des Landes helfen können, sowohl im Rahmen von UNIFIL als auch auf zivilem Gebiet, da sollten, ja müssen wir unserer Pflicht
nachkommen.
Der deutsche UNIFIL-Einsatz ist durch das Völkerrecht legitimiert. Er ist vom UN-Sicherheitsrat mandatiert und von beiden Konfliktparteien ausdrücklich gewünscht. Wer trotzdem sagt: „Auslandseinsätze machen
wir aus Prinzip nicht mit“ oder: „Wir unternehmen
nichts, dann machen wir auch nichts falsch“, der macht
es sich gerade bei dieser Sachlage zu einfach.
({1})
Wer es sich bei der außenpolitischen Verantwortung aber
so leicht macht, der verlängert Konflikte, der lässt Menschen unnötig leiden, der verweigert sich letztlich der
ihm übertragenen Verantwortung. Wer sich dann auch
noch auf vordergründig humanitäre Aktionen einlässt,
auch, wie es die Kollegin Kerstin Müller in der GazaDebatte in der letzten Woche sinngemäß zutreffend formulierte, auf die Gefahr hin, sich vor den Karren von
Extremisten und Fundamentalisten spannen zu lassen,
der erweist den Menschen im Nahen und Mittleren Osten einen schlechten Dienst.
({2})
Lassen Sie uns das Thema „Friedenseinsatz im Libanon“ entschlossen und geschlossen angehen, gepaart mit
Verantwortung und Vernunft. Die Menschen brauchen
konkrete Maßnahmen zur Verbesserung ihrer Situation.
Was sie nicht brauchen, sind ideologisch gefärbte Debatten, die letztlich nur der Durchsetzung eigener politischer Interessen dienen sollen. Machen Sie sich die Ihnen übertragene politische Verantwortung bewusst! Die
Beteiligung an UNIFIL ist Einsatz für den Frieden in der
Welt durch Deutschland im besten Sinne des Wortes.
Tragen Sie mit Ihrer Entscheidung dazu bei, dass den
Menschen im Libanon der erforderliche Schutz weiter
zur Verfügung gestellt wird und sie beim Aufbau ihres
Landes weiter tatkräftig unterstützt werden! Das ist konkret. Das hilft vor Ort. Deshalb wird die CDU/CSUFraktion dem Antrag zustimmen.
Ich danke Ihnen.
({3})
Nächste Rednerin ist die Kollegin Inge Höger für die
Fraktion Die Linke.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die
Lage im Libanon hat sich im letzten halben Jahr nicht
wesentlich verändert. Trotzdem erleben wir gerade eine
erstaunliche Kehrtwende bei der FDP. Nachdem die FDP
diesen ersten Einsatz der Bundeswehr im Nahen Osten
bisher immer abgelehnt hat, ist sie nun dafür. Woher dieses Umdenken kommt, bleibt offen. Die immer wieder
bemühte Evaluation durch die Vereinten Nationen kann
es nicht gewesen sein. Sie hat nichts wirklich Neues ans
Tageslicht gebracht. Die UN haben darauf hingewiesen,
dass es Hunderte von Zwischenfällen gab und gibt, in
denen die israelische Armee die Souveränität des Libanons verletzt hat. Gleichzeitig findet, so wird vermutet,
Waffenschmuggel an die Hisbollah statt, allerdings auf
dem Landweg und nicht auf hoher See. Daraus lässt sich
weder ein Erfolg noch ein militärischer Sinn deutscher
Präsenz ableiten.
({0})
Gerade nach der Ankündigung von Minister zu
Guttenberg, auch alle Auslandseinsätze im Rahmen des
Sparpakets auf den Prüfstand zu stellen, wäre ein Umdenken angebracht gewesen. Die vorgesehene Verlängerung
des UNIFIL-Einsatzes im Mittelmeer kostet 32,6 Millionen Euro.
({1})
Das ist Verschwendung von Steuergeldern.
({2})
Meine Kolleginnen und Kollegen von den anderen
Fraktionen, Sie haben es bis jetzt versäumt, auch nur annähernd stichhaltige Argumente für die deutsche Beteiligung an dieser Kapitel-VII-Mission vorzubringen. Sie
sprechen von internationaler Präsenz mit dem Ziel, eine
Eskalation zu vermeiden. Doch warum braucht man dafür Militär? Für diese Aufgabe würden internationale
Beobachter mit einem starken politischen Mandat ausreichen.
({3})
Selbst wenn Sie davon ausgehen, dass nur Militär durch
seine Präsenz die Aktionen anderer Militäreinheiten
überwachen kann: Warum braucht diese Mission dann
eine Lizenz zum Schießen? Warum soll eine robuste Kapitel-VII-Mission zur Stabilisierung beitragen? So wird
vielmehr der weiteren Konflikteskalation Tür und Tor
geöffnet,
({4})
und zwar spätestens dann, wenn es tatsächlich zu militärischen Auseinandersetzungen zwischen der UNIFILTruppe und einer der Konfliktparteien kommt.
Sie alle reden hier von der neuen Qualität des Einsatzes. Sie erwähnen die Ausbildung für den libanesischen
Küstenschutz sowie die Einrichtung und Optimierung
von Küstenradarstationen. Seit wann gehört es zu den
Aufgaben der deutschen Marine, sich um die Ausbildung von Sicherheitskräften und Ingenieuren zu kümmern?
({5})
Ich gehe auf jeden Fall davon aus, dass Sie keine libanesische Kriegsmarine aufbauen wollen, sondern faktisch
eine Art Küstenwache.
({6})
Wenn das jedoch die Absicht ist: Wozu brauchen Sie
dann Soldaten? Wäre eine solche Ausbildung nicht deutlich besser in zivilen Händen aufgehoben?
({7})
Herr Minister zu Guttenberg hat in der letzten Woche
erklärt:
Die auf Konfrontation ausgerichtete Anhäufung
von Waffenarsenalen dient nicht dem friedlichen
Interessenausgleich.
Ja, dem kann ich nur zustimmen. Was aber für die vermuteten Waffenlieferungen an die Hisbollah gilt, muss
doch genauso für die in wesentlich größerem Umfang
stattfindenden Waffenlieferungen nach Israel gelten.
({8})
Friedlicher Ausgleich von Interessen bei gleichzeitiger
Aufrüstung - das funktioniert schlicht nicht. Gerade in
den letzten Wochen war Israel mit deutschen U-Booten,
die atomar bewaffnet werden können, im Persischen Golf
unterwegs. Das zeigt doch, wie gefährlich die deutsche
Exportpolitik für die gesamte Region des Nahen und
Mittleren Ostens ist.
({9})
Deutsche Verantwortung für diese Region bedeutet
doch wohl zunächst einmal, nicht weiter Öl ins Feuer zu
gießen. Die Waffenlieferungen an Israel, aber auch an
andere Länder dieser Region, müssen sofort beendet
werden.
({10})
Es ist einfach absurd, Waffen zu liefern und dadurch seit
Jahrzehnten die regionale Eskalation mitzubefördern, um
dann wiederum mit Waffen zu versuchen, die Eskalation
in den Griff zu bekommen. Einer solchen deutschen Außenpolitik kann und wird die Linke nicht zustimmen.
({11})
Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat die Kollegin Kerstin Müller das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Frau Höger, um Ihnen zumindest einen Grund zu nennen, warum die UNIFIL-Mission und auch die deutsche
Beteiligung daran so wichtig sind, möchte ich hier direkt
am Anfang eine Passage aus einem Gespräch mit dem libanesischen Ministerpräsidenten, Herrn al-Hariri, zitieren,
der im März hier in Berlin zu Besuch war. Im Gespräch
mit den Obleuten - Herr Gehrcke nickt; er war auch dabei - hat er gesagt: UNIFIL hat „zur stabilsten Periode
geführt, die der Libanon je erlebt hat“, und trägt zur Stabilität in der gesamten Region bei.
({0})
Deshalb haben sowohl die libanesische Regierung einschließlich der Hisbollah - das heißt, diese hat kein Veto
eingelegt - als auch die israelische Seite um Fortsetzung
des Einsatzes gebeten. Und nicht nur das: Beide Seiten
befürworten ausdrücklich eine Beteiligung Deutschlands
an der Mission und können sich sogar ein stärkeres deutsches Engagement vorstellen.
Wenn das nicht Gründe genug für Sie sind, um zu erkennen, dass diese Mission wirklich zu Stabilität und
Frieden beiträgt - wobei sie natürlich nicht alleine genommen werden darf, sondern immer nur einen Baustein
darstellt -, kann ich Ihnen nicht helfen. Wir meinen auf
jeden Fall, dass es deshalb richtig ist, das Mandat um ein
Jahr zu verlängern. Meine Fraktion wird dieser Mandatsverlängerung mit großer Mehrheit zustimmen.
({1})
- Wir sind nicht immer für Einsätze, aber dann, wenn sie
sinnvoll sind, schon.
Meine Damen und Herren von der Koalition, Herr
Außenminister, allerdings kann ich mich den Aussagen
einiger Kolleginnen und Kollegen nur anschließen.
Auch ich meine, dass wir uns die Pirouette, die wir mit
der halbjährlichen Verlängerung im Dezember gedreht
haben, wirklich hätten sparen können. Denn all das, was
Sie bei der Einbringung und im Ausschuss dazu berichtet haben, war auch schon im Dezember bekannt. Das
Problem war nur, dass Sie, meine Damen und Herren
von der FDP, sich noch nicht von Ihrer Position als Opposition verabschiedet hatten. Damals waren Sie noch
gegen eine deutsche Beteiligung an UNIFIL.
Nun könnte man sagen, dass Reisen bildet. Auch dem
Außenminister haben bei seinen Reisen in der Region,
so vermute ich, alle Konfliktparteien bestätigt, dass sie
eine deutsche Beteiligung ausdrücklich wünschen. Das
Problem ist nur - diesen Punkt will ich hier schon ansprechen -, dass sechs Monate lang falsche Signale in
Kerstin Müller ({2})
die Region gesendet wurden und dass sechs Monate lang
rumgeeiert wurde. Denn die Befristung war - Sie haben
es heute noch einmal gesagt - als Einstieg in den Ausstieg gedacht, zum Leidwesen der CDU. Erst einmal hat
die deutsche Außenpolitik also sechs Monate diese fragile Region verunsichert, statt mit klarem Kurs den Friedensprozess im Nahen Osten zu unterstützen. Das ist
nicht sehr verantwortlich.
({3})
Damit setzen wir nicht nur unsere Rolle bei den Vereinten Nationen aufs Spiel, sondern laufen wir auch Gefahr,
unsere Rolle im Nahen Osten insgesamt zu schwächen.
Aber damit nicht genug - Sie haben es schon dargestellt -: Gleichzeitig wird weiter drastisch reduziert, von
800 auf 300 Soldaten schon nach einem halben Jahr. Erst
im Dezember hatten wir von 1 200 auf 800 Soldaten reduziert. Dieses Ergebnis wird stolz präsentiert. Die FDP
ist quasi die neue Vorkämpferin für den Pazifismus. Ich
weiß nicht, warum die Linke heute dazu nicht geklatscht
hat. Auch wir freuen uns, wenn eine Evaluierung ergibt,
dass Mandate reduziert und perspektivisch sogar beendet
werden können.
Aber: Ich meine, Sie machen es sich hier zu einfach.
Der Umsetzungsbericht des UN-Generalsekretärs zur
Resolution 1701 und sein Brief vom Februar dieses Jahres - Sie zitieren ihn ständig als Kronzeugen, so auch in
Ihrem Antrag - geben das nicht her. Der Generalsekretär
schreibt zwar, dass „das aktuelle Engagement nicht
unbegrenzt aufrechterhalten werden kann“ - das ist
richtig -, aber er kommt an keiner Stelle zu dem Schluss,
dass der Umfang der Mission jetzt reduziert werden
kann. Im Gegenteil - das müssten Sie eigentlich wissen;
denn angeblich haben Sie den Bericht gelesen -: Im Hinblick auf den maritimen Teil der Taskforce spricht der
Bericht sogar ausdrücklich davon, dass die Stärke nicht
ausreichend ist, sie sei „less than sufficient“. Der Bericht
zeigt sich besorgt über Verletzungen der Resolution 1701.
Er stellt fest, dass zwar eine Stabilisierung eingetreten
ist, aber die Situation nach wie vor fragil ist, dass Rückschritte die Waffenruhe gefährden können und dass es
wenige Fortschritte bei der Umsetzung der Kernforderungen der Resolution 1701 gibt. Ich frage mich, wie
man angesichts einer solchen Lagebeschreibung eine
derart massive Reduzierung vorschlagen kann.
Zur Lage. Die größte Herausforderung bleibt die ungesicherte syrisch-libanesische Grenze und damit verbunden der vermutlich ungehinderte Waffenschmuggel
an die Hisbollah. Nach Berichten soll sie inzwischen
über 40 000 Raketen verfügen, was eine Verzehnfachung
der Anzahl der Raketen wäre, die im Krieg 2006 dort abgefeuert wurden. Darunter befinden sich möglicherweise
auch Scud-Raketen, die israelische Städte erreichen können. Das empfinden Israel und auch die libanesische
Regierung zu Recht als Bedrohung. Herr Siniora, der
ehemalige Ministerpräsident, hat es diese Woche noch
einmal gesagt: „Die Hisbollah ist ein Staat im Staate.“ Die Hisbollah schwächt massiv das Gewaltmonopol im
Libanon. Auch der UNO-Bericht ist in diesem Punkt
eindeutig: Erst in dem Maße, in dem der Libanon seine
staatliche Souveränität aufbauen und stärken kann, kann
UNIFIL in verantwortlicher Weise reduziert werden.
Das ist das Ergebnis des Evaluierungsberichtes der
UNO. Ich muss sagen: Ich finde es unverantwortlich,
dass Sie uns und sich selbst die Lage schönreden. Sogar
UNO-Berichte müssen dazu herhalten, um hier die Gesichtswahrungsnummer der FDP durchziehen zu können. Das ist nach meiner Meinung das Gegenteil von seriöser Außenpolitik.
({4})
Frau Kollegin, kommen Sie bitte zum Schluss.
Ich fordere Sie auf: Wenn wir dauerhaft Frieden und
Stabilität in der Region wollen, dann muss Deutschland
ein verlässlicher Partner für die libanesische Regierung
und für Israel bleiben. Dann sollten wir uns solche Spielchen nicht leisten.
({0})
Nächster Redner ist der Kollege Holger Haibach für
die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Dass UNIFIL
in den letzten Jahren einen wichtigen Beitrag zur Stabilisierung in der Region geleistet hat, wird von fast niemandem mehr bestritten. Ein Beweis dafür ist, dass
UNIFIL eine erneute Verschärfung der Spannungen zwischen Israel und der Hisbollah verhindert hat, indem sie
Gerüchten entgegengetreten ist, die Hisbollah habe
Langstreckenraketen in den Libanon geschmuggelt. Sie
konnte sogar beweisen, dass dies nicht der Fall war. Ein
solches Gerücht allein - das wissen wir alle - kann in
dieser Region der Funke zu einer noch größeren Explosion sein. Schon allein deswegen ist UNIFIL sinnvoll
gewesen.
Frau Höger, Kollegin Müller hat schon darauf hingewiesen: Man muss sich immer wieder darüber im Klaren
sein, wer dieses Mandat gewollt hat. Es ist nicht etwas,
was sich die internationale Staatengemeinschaft ausgedacht hat. Es ist etwas, was sowohl von der libanesischen als auch von der israelischen Regierung ausdrücklich gewünscht war; das gilt auch für den deutschen
Beitrag. Deswegen ist dieser Einsatz richtig.
({0})
Natürlich ist der Einsatz nur Teil eines Gesamtkonzeptes; das ist bereits deutlich geworden. Natürlich
muss es darum gehen, politische Lösungen für diese
Region zu finden. Wir reden über eine Region, die viele
Roadmaps, viele große Pläne und viele große Friedenskonferenzen erlebt hat. Erwarten wir wirklich, dass
UNIFIL durch politisches Engagement in kürzester Zeit
Probleme lösen kann, die seit Jahrzehnten existieren?
Ich halte das für einigermaßen unrealistisch. Das enthebt
uns nicht davon - das will ich ausdrücklich sagen -, unseren Beitrag dazu zu leisten. Darüber gibt es überhaupt
keine Diskussion.
Wenn ich den Entschließungsantrag der Grünen zu
diesem Debattenpunkt lese, stelle ich fest, dass ich vielen Punkten zustimmen kann. Ich möchte aber dem Eindruck entgegentreten, diese Bundesregierung und die sie
tragenden Fraktionen hätten an der Stelle nichts getan.
Es ist gute Tradition, dass Deutschland die militärischen
Auslandsmissionen der Bundeswehr mit entsprechendem entwicklungspolitischen und zivilen Engagement
flankiert. So ist es auch hier. Es wird zu Recht angemahnt, dass der Libanon selbst in der Lage sein muss,
sein Territorium zu verteidigen und an den Grenzen abzusichern. Deswegen führt die GTZ ein Projekt zur
Grenzsicherung durch. Es ist zugegebenermaßen nur ein
Modellprojekt, bringt aber wichtige Expertise, damit die
libanesische Führung in der Lage ist, ihr Land zu verteidigen.
Darüber hinaus leisten wir einen großen Beitrag dazu,
dass im Libanon eine Infrastruktur entsteht, die es dem
Staat ermöglicht, seine Aufgaben wahrzunehmen; das ist
sehr wichtig. Eines der größten Probleme ist, dass die
Hisbollah einen Rückhalt in der Bevölkerung hat. Die
Menschen versprechen sich davon nämlich soziale Leistungen, Sicherheit und vieles mehr. Dem tritt Deutschland durch seine Entwicklungsarbeit entgegen. Wir haben in den Jahren 2006 bis 2009 in den Bereichen
Aufbau von Infrastruktur, Aufbau von kleiner und mittelständischer Wirtschaft, Wasserver- und -entsorgung
insgesamt 85,2 Millionen Euro zur Verfügung gestellt.
Ähnliches werden wir auch in Zukunft tun. Wir sehen
nämlich, dass das wichtig und notwendig ist. Ihr Bild,
Deutschland beteilige sich nur an einer Militärmission,
ist vollkommen falsch und geht absolut an der Realität
vorbei.
({1})
Der guten Ordnung halber: Der Begriff der vernetzten
Sicherheit, also des Comprehensive Approach, den wir
auch an anderen Stellen diskutieren, ist, mit Verlaub,
eine deutsche Erfindung. Insofern glaube ich, dass man
uns nicht vorwerfen kann, wir engagierten uns nicht entsprechend.
Alles in allem bin ich der Meinung, dass es sich bei
dem neuen Mandat um eine wirklich vernünftige Angelegenheit handelt. Es ist auf jeden Fall klar, dass die
deutsche Marine dazu beiträgt, den Waffenschmuggel
über den Seeweg zu verhindern. Wenn wir gleichzeitig
noch einen Beitrag zum Aufbau libanesischer Staatlichkeit leisten, sollte das uns allen recht sein. Wir sollten
das nach Kräften unterstützen.
Danke sehr.
({2})
Das Wort hat die Kollegin Karin Evers-Meyer für die
SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Wir beraten zum fünften Mal über ein neues
Mandat für die Bundeswehr zur Teilnahme am UNIFILEinsatz vor der libanesischen Küste. Meine Fraktion unterstützt diese Marinemission nach wie vor. Wir halten
den Einsatz auch im fünften Jahr für richtig und notwendig.
Die deutsche Marine leistet vor der libanesischen
Küste hervorragende Arbeit. Deswegen danke auch ich
für meine Fraktion an dieser Stelle zuallererst den Soldatinnen und Soldaten, die in diesem schwierigen Umfeld
ihren Dienst leisten.
({0})
Ich weiß, dass dieser Einsatz in der Öffentlichkeit
wenig Aufsehen erregt. Das spricht nicht zuletzt dafür,
dass dort gute Arbeit geleistet wird. Das sollte uns
nicht davon abhalten, den Einsatz unserer Marinesoldatinnen und -soldaten als wichtigen Beitrag zur Stabilisierung in dieser Region immer wieder hervorzuheben.
Der UNIFIL-Einsatz der deutschen Marine ist ein Erfolg. Seit Beginn der Mission im Sommer 2006 hat sich
die Lage im Libanon stabilisiert. Die Überwachung der
libanesischen Küstengewässer durch die deutsche Marine hat dazu einen ganz zentralen Beitrag geleistet.
Im vergangenen Jahr hat sich die Situation im Libanon weiter verbessert. Eine dauerhafte Waffenruhe ist
nach Ansicht internationaler Beobachter vielleicht in
greifbarer Nähe. Es ist völlig klar und absolut geboten,
dass wir in dieser wichtigen Phase die Verantwortlichen
vor Ort weiterhin unterstützen. Insofern freue ich mich,
dass sich die Kolleginnen und Kollegen der FDP nun
auch diesem Einsatz anschließen, auch wenn das wohl
eher der Gesichtswahrung als einer ernstzunehmenden
Linie in der Außenpolitik geschuldet ist.
Aber die Aufgabe der internationalen Gemeinschaft
umfasst natürlich mehr, als den Waffenschmuggel über
See zu verhindern. Unsere Aufgabe lautet, die Verantwortlichen vor Ort in die Lage zu versetzen, selber für
Sicherheit und Stabilität in ihrem Land zu sorgen. Für
den Küstenraum bedeutet das: Wir wollen, dass sie in die
Lage versetzt werden, ihre Küste selbst zu überwachen
und abzusichern. Deshalb unterstützen wir die Ausgestaltung des erneuten Mandats. Die libanesischen Behörden werden darin noch stärker dazu angehalten, eigene
und vor allem - das ist meiner Meinung nach der entscheidende Punkt - funktionierende Sicherheitsorgane
aufzubauen. Es ist uns wichtig, dass die Bundesregierung den Ansatz zu mehr Eigenverantwortung viel deutlicher als bisher einfordert. Bisher ist die Bilanz auf diesem Gebiet nicht nur unzureichend; Fortschritte sind
eigentlich gar nicht wahrnehmbar. Das müsste sich innerhalb der nächsten zwölf Monate ändern.
Das deutsche Engagement wird sowohl vom Libanon
als auch von Israel unterstützt. Das zeigt, dass uns beide
Seiten großes Vertrauen entgegenbringen, vor allen Dingen in die Arbeit unserer Soldatinnen und Soldaten. Das
können wir nutzen. Deshalb noch einmal: Wir fordern
deutlichere Anstrengungen der Bundesregierung.
({1})
Sorgen Sie bei den libanesischen Partnern für einen
schnelleren Aufbau der eigenen Kräfte für den Küstenschutz. Es gibt nach wie vor große Lücken bei der Überwachung der Küstengewässer durch libanesische Kräfte.
Die personelle Durchhaltefähigkeit ist nicht ausreichend,
und nicht zuletzt ist auch die Ausrüstung alles andere als
alltagstauglich.
Mir ist es deswegen wichtig, festzuhalten: Wenn der
deutsche Marineeinsatz bei UNIFIL in absehbarer Zeit
beendet werden soll, müssen im kommenden Jahr bei
der Ausbildung und Befähigung der libanesischen Kräfte
deutlich größere Anstrengungen unternommen werden.
In den kommenden zwölf Monaten hat die Bundesregierung Zeit, uns davon zu überzeugen, dass sie die Situation ernst nimmt. Dabei hat sie unsere Unterstützung. Es
reicht aber nicht aus, allein auf die gute Arbeit unserer
Marineeinheiten zu vertrauen. Fürs Zuschauen bekommt
man unsere Unterstützung nicht.
Sie wissen so gut wie wir, dass jede militärische Hilfe
nur Erfolg haben kann, wenn Deutschland aktiv politischen Einfluss auf die Akteure in der Region ausübt.
Leider hat die Regierung auch hier in den vergangenen
acht Monaten Vertrauen verspielt. Wenn Sie den deutschen Einsatz im Nahen Osten in absehbarer Zeit wirklich beenden wollen, dann müssen Sie endlich aktiver
werden.
({2})
Sonst ist die Präsenz der deutschen Marine vor der libanesischen Küste in der Tat sinnlos.
Vielen Dank.
({3})
Ich bitte jetzt um Aufmerksamkeit für den letzten
Redner in dieser Debatte. Es ist seine erste Rede.
({0})
Das Wort hat der Kollege Ingo Gädechens.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich bin - wenn
ich vom Wortbeitrag von Frau Höger absehe - hocherfreut, dass sich hier im Parlament eine breite Mehrheit
für die Verlängerung des UNIFIL-Einsatzes abzeichnet.
({0})
Zum Thema. Begibt man sich in die Themenbereiche
NATO und UN, stößt man auf die allseits beliebten Abkürzungen und führt insbesondere die Kolleginnen und
Kollegen, die sich etwas weniger mit sicherheits- und
verteidigungspolitischen Fragen beschäftigen, in einen
sprachlichen Irrgarten. Wichtige Debatten wurden über
das ISAF- und das KFOR-Mandat in Afghanistan und
im Kosovo geführt. Für die Außen- und Verteidigungspolitiker sind darüber hinaus Begriffe wie UNAMA,
EUFOR, EUSEC, OEF, Atalanta, OAE, UNMIK und
EULEX gängige Abkürzungen von Bezeichnungen für
internationale Einsätze.
({1})
Gleich werden wir noch über UNMIS und UNAMID
diskutieren.
Hinter jeder Abkürzung verbirgt sich einer der Einsätze, in die das deutsche Parlament mehrheitlich zurzeit
insgesamt 6 666 Bundeswehrsoldatinnen und -soldaten
entsandt hat. Es handelt sich um Einsätze mit Verbündeten, in denen teilweise gekämpft werden muss, in denen
manchmal nur beobachtet wird, oder um Einsätze, bei
denen wir anderen Nationen in unterschiedlichster Weise
hilfreich zur Seite stehen. Jeder Auftrag, jedes Mandat
für sich betrachtet, ist es selbstverständlich wert, immer
wieder überprüft, diskutiert und gegebenenfalls - so wie
heute - neu mandatiert zu werden.
Wie bereits gehört, geht es in dieser Beratung um die
Fortführung der Mission UNIFIL, der sogenannten United
Nations Interim Force in Lebanon. Ausgangspunkt unseres Engagements war die Resolution, die der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen erlassen hat, nachdem es
zuvor zu teilweise schwer bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen libanesischen Truppen und Israel gekommen war.
Es würde zu weit führen - meine Vorrednerinnen und
Vorredner sind schon darauf eingegangen -, das über
viele Jahre vorherrschende Konfliktpotenzial zu beschreiben. Dass es sich um einen seit Jahrzehnten währenden Konflikt handelt, wird unter anderem dadurch
deutlich, dass UNIFIL eine der ältesten UN-Missionen
ist und seit 1978 unterschiedliche Kräfte versuchen, einen Waffenstillstand zwischen dem Libanon und Israel
herbeizuführen. Bis heute bleiben die Aktivitäten der
Hisbollah im Süden unberechenbar. Zurückliegende Angriffe deuten auf die reale Existenz erheblicher Waffenbestände außerhalb der Kontrolle libanesischer Streitkräfte hin.
Eigentlich liegt es in der originären Verantwortung eines jeden Staates - auch das hörten wir -, unerlaubte
Waffenlieferungen und -transporte zu verhindern. Da
sich die libanesische Regierung dazu nicht imstande sah
und leider immer noch nicht sieht, befinden sich seit Oktober 2006 Einheiten der deutschen Marine im Einsatz
vor der Küste des Libanons, mit dem Auftrag, genau diesen Waffenschmuggel zu verhindern und darüber hinaus
libanesische Kräfte in die Lage zu versetzen, selber hoheitliche Aufgaben zu übernehmen.
Bis heute wurden weit über 31 000 Schiffe durch
UNIFIL-Einheiten abgefragt; 460 verdächtige Schiffe
wurden von libanesischen Behörden untersucht. Während der Erfolg bei den Einsätzen der Verbände der Mission Atalanta oftmals durch das Aufbringen von Skibs
und die Beschlagnahmung der Waffen sichtbar wird,
liegt der Erfolg der UNIFIL-Mission in der Präsenz, die
zur Abschreckung und Verhinderung illegaler Waffentransporte führt.
({2})
In den vergangenen Jahren haben circa 5 900 deutsche Soldatinnen und Soldaten und zivile Mitarbeiter am
UNIFIL-Einsatz mitgewirkt. Nach anfänglich starker
Präsenz durch zwei Fregatten, einen Einsatzgruppenversorger, vier Patrouillenboote und einen Tender konnte
die deutsche Marine den Umfang auf aktuell nur noch einen Tender und zwei Patrouillenboote reduzieren.
In Bezug auf den KFOR-Einsatz hat der Bundesminister der Verteidigung von einem teilweise vergessenen Mandat gesprochen. Ich möchte nicht vergessen, zu
erwähnen, dass unsere Marinesoldaten vor der Küste des
Libanons einen hervorragenden Job geleistet haben und
bis heute leisten.
({3})
Während die größeren Einheiten wie Fregatten, Versorger und Tender für die Weltmeere konzipiert und baulich den Anforderungen der Seelagen angepasst sind,
stellte dieser Einsatz die Besatzung der eigentlich für
Nord- und Ostsee konzipierten Schnellboote und Minensucher vor ungeahnte Herausforderungen. Nur durch
Einsatzwillen, großes Engagement und Kreativität hat
die Besatzung der Bootseinheiten gewährleistet, dass der
vom Deutschen Bundestag erteilte Auftrag UNIFIL bis
heute erfolgreich durchgeführt werden konnte.
Die libanesische Marine ist auf dem Weg, die Eigensicherung der Seegrenze zu übernehmen. Auch hier gilt
es, lobend hervorzuheben, dass wir nicht nur Material
und Ausrüstung zur Verfügung gestellt haben, sondern
dass es durch Schulung und Kooperation eine funktionierende Küstenradarorganisation gibt und die von uns
zur Verfügung gestellten Behördenschiffe tatsächlich geführt werden können.
Die Beziehung zwischen dem Libanon und Israel
bleibt fragil, man könnte sagen: traditionell angespannt.
Die Situation vor Ort ist nach wie vor kritisch. Deshalb
haben sowohl die libanesische als auch die israelische Regierung - das haben wir gehört - ausdrücklich um die Aufrechterhaltung einer deutschen Beteiligung am UNIFILFlottenverband gebeten. Lassen Sie uns auch weiterhin
einen Beitrag zur Sicherung des Friedens an dieser Stelle
der Welt leisten.
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({4})
Herr Kollege Gädechens, das war Ihre erste Rede im
Deutschen Bundestag, und dies unmittelbar vor einer namentlichen Abstimmung. Ich gratuliere Ihnen sehr herzlich und wünsche Ihnen weiterhin viel Erfolg.
({0})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen nun zur Abstimmung über die Be-
schlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses auf
Drucksache 17/2171 zu dem Antrag der Bundesregie-
rung auf Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deut-
scher Streitkräfte an der United Nations Interim Force in
Lebanon. Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf
Drucksache 17/1905 anzunehmen. Es ist namentliche Ab-
stimmung verlangt. Ich bitte die Schriftführerinnen und
Schriftführer, die Plätze an den Urnen einzunehmen. -
Sind die Plätze an den Urnen besetzt? - Das ist der Fall.
Ich eröffne die Abstimmung.
Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine
Stimmkarte nicht abgegeben hat? - Das ist nicht der
Fall. Dann schließe ich die Abstimmung und bitte die
Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszäh-
lung zu beginnen. Das Ergebnis der namentlichen Ab-
stimmung wird Ihnen später bekannt gegeben.1)
Wir haben vor der nächsten Debatte noch eine Ab-
stimmung zu absolvieren. Damit ich einen Überblick
über das Abstimmungsverhalten bekomme, bitte ich die
Kolleginnen und Kollegen, die hierbleiben wollen, Platz
zu nehmen, und die anderen, den Saal zu verlassen.
Wir kommen zur Abstimmung über den Entschlie-
ßungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf
Drucksache 17/2186. Wer stimmt für diesen Entschlie-
ßungsantrag? - Wer ist dagegen? - Enthaltung? - Der
Entschließungsantrag ist mit den Stimmen der Koali-
tionsfraktionen und der Fraktion Die Linke gegen die
Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der
SPD-Fraktion abgelehnt.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 8 auf:
Erste Beratung des von den Abgeordneten Katja
Dörner, Ekin Deligöz, Kai Gehring, weiteren Ab-
geordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Dritten
Gesetzes zur Änderung des Achten Buches So-
zialgesetzbuch - Aufhebung der Ankündigung
eines Betreuungsgeldes
- Drucksache 17/1579 -
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich sehe,
damit sind Sie einverstanden. Dann werden wir so ver-
fahren.
Ich eröffne die Aussprache und erteile als erster Red-
nerin das Wort der Kollegin Katja Dörner für die Frak-
tion Bündnis 90/Die Grünen.
1) Ergebnis Seite 5044 C
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen!
Liebe Kollegen! Das geplante Betreuungsgeld hat in diesem Haus keine Mehrheit. Ich finde, das ist eine sehr
gute Nachricht.
({0})
Wir Grünen haben jetzt einen Gesetzentwurf vorgelegt, um das geplante Betreuungsgeld kurz und schmerzlos wieder loszuwerden.
({1})
Damit ersparen wir uns und der Öffentlichkeit weitere
sinnlose Auseinandersetzungen zu diesem Thema, unter
anderem über die Frage: Barauszahlung oder Gutscheinlösung? Die ehemalige Bundesfamilienministerin von
der Leyen hat schon 2007 sehr treffend gesagt, das geplante Betreuungsgeld sei eine bildungspolitische Katastrophe. Dem ist eigentlich nicht mehr viel hinzuzufügen.
({2})
Klar ist: Mit dem Betreuungsgeld würden Anreize gesetzt, Kinder nicht in Einrichtungen frühkindlicher Bildung zu geben. Das würde vor allem Kindern schaden,
die eine frühe Förderung besonders nötig hätten, beispielsweise weil sie dergleichen in ihren eigenen Familien nicht mitbekommen. Das wollen wir Grüne auf gar
keinen Fall.
Das Betreuungsgeld wäre nicht nur eine bildungspolitische, sondern auch eine gleichstellungspolitische Katastrophe; denn es sendet das fatale Signal: Mütter, bleibt
zu Hause, geht nicht in euren Beruf zurück!
({3})
Mütter verlieren dann im Job den Anschluss, was Folgen
für ihre Löhne, für ihre berufliche Entwicklung, für ihre
finanzielle Unabhängigkeit und auch für ihre Rentenansprüche hat. Der vernünftige Weg, der zum einen mit
dem Elterngeld und zum anderen mit dem Rechtsanspruch auf Betreuung für Kinder ab einem Jahr - diese
beiden Sachen haben aus meiner Sicht zusammen Sinn eingeschlagen wurde, wird mit dem Betreuungsgeld ad
absurdum geführt.
({4})
Die Nichtinanspruchnahme einer öffentlichen Einrichtung in geldwerter Form ausgleichen zu wollen, ist
eine historisch einmalige Fehlleistung. Ebenso könnte
man die Nichtinanspruchnahme von Autobahnen durch
Radfahrer finanziell honorieren.
({5})
Vor diesem Hintergrund frage ich ganz ernsthaft, wie
man das Betreuungsgeld so ausgestalten möchte, dass es
verfassungsgemäß ist. Darauf bin ich gespannt.
Man hört immer wieder den Einwand „Wahlfreiheit“.
Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, insbesondere von der
CSU, Wahlfreiheit besteht. Niemand wird gezwungen,
sein Kind in einer Kita anzumelden. Kinder komplett zu
Hause zu erziehen, wird schon heute durch viele familienpolitische Leistungen unterstützt, durch zu viele,
würde ich fast sagen.
({6})
Nein, Wahlfreiheit bedeutet Auswahlfreiheit. Diese Auswahlfreiheit wird nur dadurch hergestellt, dass ausreichend qualitativ gute und möglichst gebührenfreie Ganztagsplätze in den Kindertagesstätten zur Verfügung
stehen. Dem steht das Betreuungsgeld faktisch im Wege.
Das Betreuungsgeld würde jährlich rund 2 Milliarden
Euro kosten. Das ist Geld, das wir angesichts von Sparpaketen und Rettungsschirmen, von denen wir jetzt diverse haben, an anderen Stellen viel dringender brauchen, vor allem - ich erwähne das noch einmal - für den
qualitativen und quantitativen Ausbau der Kinderbetreuung.
({7})
Viele Kolleginnen und Kollegen - nicht nur, aber
auch von der FDP - haben Kluges zum Betreuungsgeld
gesagt. Ich möchte Frau Gruß zitieren, die in einer Rede
im November 2009 sagte: „Meine Kritik am Betreuungsgeld gilt weiterhin.“
({8})
Ich hoffe, das ist auch heute noch der Fall. In der BildZeitung stand ein Satz von Minister Brüderle zum Betreuungsgeld: „Ich mache kein Geheimnis daraus, dass
ich davon nicht viel halte.“
({9})
Ich möchte hier die Kolleginnen und Kollegen aller
Fraktionen, die um die schädlichen Folgen eines Betreuungsgeldes wissen, auffordern: Machen auch Sie kein
Geheimnis daraus, dass Sie nichts davon halten. Setzen
Sie sich mit uns dafür ein, dass die gesetzliche Grundlage für dieses Betreuungsgeld so schnell wie möglich
aus dem KJHG verschwindet.
Vielen Dank.
({10})
Das Wort hat der Kollege Norbert Geis für die CDU/
CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Ob das Betreuungsgeld eine Mehrheit bekommt,
das warten wir erst einmal ab. Ganz sicher ist, dass Ihr
Gesetzentwurf hier keine Mehrheit bekommen wird; davon können Sie ausgehen.
({0})
Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Parolen, die in
Ihrem Gesetzentwurf stehen, tatsächlich ernst gemeint
sind.
({1})
Wenn Sie das tatsächlich ernst meinten, dann müssten
Sie die Kitabetreuung vom Tag der Geburt an fordern.
Dann müssten Sie eigentlich auch gegen das Elterngeld
sein. Dann hätten Sie gegen das Mutterschaftsgeld sein
müssen. Vor allen Dingen hätten Sie gegen das Erziehungsgeld, das wir seit 1986 hatten, sein müssen. Dann
müssten Sie die skandinavischen Länder, Frankreich und
Italien vorwurfsvoll fragen: Warum habt ihr das Betreuungsgeld? Sie sagen: „Wir wollen es nicht“, und zwar
aus den - in Anführungszeichen - „wohl erwogenen
Gründen“, die in Ihrem Antrag stehen.
({2})
Warum sollten wir im Vergleich zu den Skandinaviern
gescheiter sein?
({3})
In Dänemark, in Schweden, in Norwegen und in Finnland gibt es ein Betreuungsgeld. Warum glauben Sie,
dass die Menschen und die Parlamente dort völlig danebenliegen?
({4})
- Vielleicht könnten Sie mir einmal zuhören;
({5})
das wäre ab und zu ganz gut. Aber das Zuhören scheinen
Sie nicht gelernt zu haben.
({6})
Vielleicht waren Sie nicht in der Kita; das kann ja sein.
({7})
Vielleicht hätten Sie früher in die Kita gehen müssen;
dann könnten Sie jetzt eventuell ein bisschen besser zuhören.
({8})
Vielleicht fehlt es Ihnen aber auch an der Kinderstube.
({9})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, das Elterngeld bevorzugt nur die Eltern, die zur Arbeit gehen; es
ist gut, dass wir es eingeführt haben. Aber es ist nicht gerecht gegenüber den Eltern, die nicht zur Arbeit gehen,
die sich sagen: Ich möchte mein Kind lieber daheim behalten, es lieber daheim erziehen und ihm die Wärme der
Eltern, von Vater und Mutter, möglichst lange zuteil
werden lassen.
({10})
Was ist daran falsch?
Herr Kollege Geis, gestatten Sie eine Zwischenfrage
der Kollegin Golze?
Wo ist sie?
({0})
- Ja, bitte sehr.
Vielen Dank, dass Sie mir die Zwischenfrage erlauben.
Sehen Sie, ich war aber nicht in der Kita.
({0})
Mein etwas erzürnter Zwischenruf bezog sich darauf,
dass Sie für das Betreuungsgeld das Argument angeführt
haben, dass es in vielen anderen europäischen Staaten
auch ein Betreuungsgeld gibt. Dann stellten Sie die
Frage: Warum sollten wir klüger sein und es nicht einführen? Ich frage Sie: Warum gilt dieses von Ihnen vorgetragene Argument nicht auch für den Mindestlohn,
den es auch in vielen anderen europäischen Staaten gibt?
({0})
Warum wollen wir gerade bei diesem Thema klüger sein,
indem wir ihn nicht einführen? Das gilt auch, wenn es
darum geht, Familien und Alleinerziehende bei der Kindererziehung zu unterstützen.
({1})
Wenn Ihnen nichts Besseres einfällt, kommen Sie immer auf den Mindestlohn zu sprechen. Dieses Thema hat
hier und heute in dieser Debatte nun wirklich nichts zu
suchen.
({0})
Das sind weit hergeholte Argumente. Jetzt dürfen Sie
sich wieder setzen, Frau Kollegin. Auf diese Frage gehe
ich nämlich gar nicht ein.
({1})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, das Elterngeld ist eine einseitige Maßnahme, die notwendig und
richtig ist. Wir müssen aber auch an die Eltern denken,
die das Betreuungsgeld in Höhe von 150 Euro bekommen wollen - das ist nicht viel -, damit sie wenigstens
einen kleinen Ausgleich dafür haben, dass sie ihre Kinder daheim erziehen.
({2})
Was soll daran falsch sein? Ich wiederhole diese Frage:
Was soll falsch daran sein, dass Kinder bis zum dritten
Lebensjahr, bis sie in den Kindergarten gehen, daheim
erzogen werden,
({3})
wenn die Eltern das wollen?
({4})
Wenn Vater und Mutter zu dem Ergebnis kommen:
„Es ist besser für unser Kind, wenn wir es daheim behalten“, und wenn Mutter oder Vater bereit sind, dafür auf
die Ausübung des eigenen Berufs zu verzichten, warum
sollten wir das nicht anerkennen? Woher nehmen wir die
Arroganz, dies nicht anzuerkennen? Warum sollten diese
Eltern, wie es in Ihrem Antrag steht, nicht in der Lage
sein, ihre Kinder ordnungsgemäß zu erziehen? Warum
soll das der Fall sein? Generationen von Menschen sind
so erzogen worden. Warum soll das auf einmal nicht
mehr gelten?
Ich habe nichts gegen Kitas. Dort, wo Kitas sinnvoll
sind und von Eltern genutzt werden, sollen sie auch in
Anspruch genommen werden.
Herr Kollege, ich muss Sie noch einmal unterbrechen.
Die Kollegin Deligöz möchte Ihnen eine Frage stellen.
Nur unter der Voraussetzung, dass sie nicht mit dem
Mindestlohn kommt.
({0})
- Gut. Dann bitte.
Herr Kollege Geis, ich frage Sie nicht zum Mindestlohn, sondern zum Elterngeld. Das Elterngeld hat bekanntlich zwei Komponenten. Die eine Komponente ist
die Lohnersatzleistung. Ich gebe zu: Die CSU war
eigentlich dagegen, hat die Entscheidung aber mitgetragen. Der zweite Bereich ist ein durchaus sozialer Aspekt.
Die Leute, die keine Lohnersatzleistung bekommen, erhalten einen Grundbetrag, den Sockelbetrag in Höhe von
300 Euro. Genau diesen Sockelbetrag möchte Ihre Regierung jetzt aber abschaffen, insbesondere für ALG-IIEmpfänger, für Empfänger von Transferleistungen.
({0})
Wären Sie konsequent, müssten Sie diesen Schritt eigentlich ablehnen, wenn ich Sie richtig verstehe, weil
Sie genau dieses Instrument bei diesem Thema fordern.
Sie wollen, dass es nicht nur eine Lohnersatzleistung
gibt, sondern daneben auch einen Sockelbetrag. Ist das
richtig?
({1})
Die 300 Euro sind die Fortsetzung des Erziehungsgeldes, das seit 1986 zunächst für zwei Jahre gezahlt wurde
und jetzt, nach Einführung des Elterngeldes, nur noch
für ein Jahr gezahlt wird. Das Elterngeld auf der einen
Seite wird als Ausgleich an Männer oder Frauen gezahlt,
die erwerbstätig waren und dann daheim geblieben sind,
um ihr Kind im ersten Jahr zu versorgen, und jetzt eine
Lohnersatzleistung in Form des Elterngeldes bekommen. Das Erziehungsgeld auf der anderen Seite ist auch
eine Anerkennung der Leistung der Mutter oder des Vaters, die vorher nicht erwerbstätig waren und deswegen
keinen Anspruch auf Elterngeld haben. Diese Mütter
oder Väter können jetzt auf dieses Erziehungsgeld zurückgreifen. Dieses Erziehungsgeld bleibt selbstverständlich erhalten.
Eine ganz andere Debatte gibt es darüber, ob es auch
bei Hartz-IV-Empfängern erhalten bleiben soll. Darauf
bezieht sich nämlich Ihre Frage. Die 300 Euro werden
nicht abgeschafft.
({0})
- Ach ja, das ist Polemik: immer nur die Reichen. Darauf kann ich gar nicht eingehen. Diese Debatte können
wir führen, Frau Deligöz, wenn es um Hartz IV und um
die Sparmaßnahmen geht.
({1})
An dem Grundsatz, dass die 300 Euro Erziehungsgeld
gezahlt werden, wird sich nichts ändern.
Herr Kollege Geis, auch die Kollegin Marks möchte
Ihre Redezeit noch durch eine Zwischenfrage verlängern.
Die letzte Frage, bitte! Danach lasse ich keine Fragen
mehr zu.
Herr Kollege, Ihrer Argumentation folgend ist das
Betreuungsgeld eine Ersatzleistung für Eltern, die ihre
Kinder eben nicht in eine Krippe geben, die ja mit öffentlichen Mitteln - so Ihre Argumentation - subventioniert ist oder sich auch aus öffentlichen Mitteln speist.
({0})
Geben Sie mir recht, dass dieser Argumentation zufolge
das Prinzip auch für Bibliotheken, öffentliche Theater
und kommunale Schwimmbäder gelten müsste?
({1})
Setzen Sie sich dann auch dafür ein, dass alle Menschen,
die diese Einrichtungen nicht nutzen, die also keine Bibliothek aufsuchen, nicht ins Theater gehen - es geht um
öffentlich geförderte Einrichtungen, egal, ob vom Bund,
vom Land oder von der Kommune; das ist ja sehr unterschiedlich -, sich demnächst irgendwo, von welcher
Stelle auch immer, Barleistungen abholen können?
({2})
Ihrer Argumentation zufolge wäre das logisch.
Danke schön. Ich habe Ihre Frage verstanden. - Ich
habe ja gar nicht gesagt, dass es eine Ersatzleistung ist.
Für mich ist das Betreuungsgeld eine Anerkennung, die
der Staat leistet für die Erziehungsleistung von Vater
oder Mutter, je nachdem, wer die Erziehung des Kindes
daheim übernimmt. Wenn das Kind in die Kita geht,
zahlt der Staat das Gehalt der Betreuerin, die keine andere Leistung erbringt als eben auch eine Erziehungsleistung. Warum soll die Erziehungsleistung der Mutter
gar nicht oder schlechter bewertet werden als die Erziehungsleistung der Betreuerin? Es geht um die Anerkennung, und es ist natürlich auch eine Frage der Gerechtigkeit. Auf der einen Seite erhält der Lehrer, der die
Kinder erzieht, natürlich zu Recht ein hohes Gehalt und
damit eine Anerkennung seiner Leistung. Auf der anderen Seite soll ich die Leistung der Mutter, die ihr Kind
daheim erzieht, die ihren Beruf eine Zeit lang an den
Nagel hängt und ihre volle Kraft für das Kind aufbringt,
nicht anerkennen? Das halte ich für einen Akt der Ungerechtigkeit. Das kann man so nicht stehen lassen.
Vorhin wurde gesagt, es gäbe verfassungsrechtliche
Probleme. Die gibt es, wenn das Betreuungsgeld nicht
eingeführt wird.
({0})
- Ich weiß nicht, wo Sie Verfassungsrecht studiert haben. Es tut mir furchtbar leid. Immer wird gleich die
Verfassung herangezogen.
({1})
- Ja, gut. Vielleicht haben Sie es nicht richtig gemacht. Man sollte nicht immer gleich die Verfassung anführen
und immer gleich sagen, das sei verfassungsrechtlich bedenklich. Das ist kein brauchbares Argument.
Lassen Sie mich meine Gedanken weiter ausführen.
Ich habe bereits gesagt, was das Betreuungsgeld bedeutet. Es bedeutet zum einen eine Anerkennung der Leistung, die die Mutter oder der Vater erbringt. Diese Anerkennung darf die Gesellschaft auch nicht versagen; denn
sie erbringen eine große Leistung.
Es ist doch gar nicht gesagt, dass das Kind, das daheim erzogen wird, das die Wärme und die Kinderstube
der Heimat erfährt, das daheim bleibt und das von der
Mutter und dem Vater das Reden beigebracht bekommt,
schlechter als in der Kita erzogen wird.
({2})
Wir reden ja von der Muttersprache. Warum reden wir
eigentlich von der Muttersprache? - Das tun wir doch,
weil die Mutter und der Vater die Ersten sind, die unmittelbaren Kontakt mit dem Kind haben.
({3})
Wie können Sie sich in Ihrem Antrag so versteigen
- ich könnte es Ihnen ja wörtlich vorlesen -, zu schreiben, dass nur in der Kita eine ordentliche Erziehung
möglich ist? Das kann doch nicht ernst gemeint sein.
({4})
Ziehen Sie also Ihren Antrag zurück, bevor es zu spät ist.
({5})
Zum Zweiten ist das Betreuungsgeld ein Ausgleich.
Auf der einen Seite wird viel Geld für die Kitas ausgegeben, und auf der anderen Seite soll, obwohl die gleiche
Leistung erbracht wird, kein Geld bezahlt werden - nicht
einmal Betreuungsgeld, was ja ein minimaler Betrag ist?
Das ist sicherlich nicht gerecht.
({6})
Deswegen muss die Gesellschaft hier für Gerechtigkeit
sorgen, weswegen wir die Forderung gestellt haben, ein
Betreuungsgeld zu zahlen.
Drittens. Natürlich wird auch dieser geringe Betrag
von 150 Euro gebraucht werden. Es ist nicht so, dass die
Mutter auf die 150 Euro gern verzichtet.
({7})
Nein, diese 150 Euro werden gebraucht. Die Mutter
muss dann abends nicht an die Kasse gehen und keinen
Dienst nebenher tun, sondern sie kann diese 150 Euro
für sich in Anspruch nehmen. Gleiches gilt für den Vater,
der die Kinder daheim erzieht.
Ich meine, Sie sollten das Für und Wider wirklich einmal abwägen.
({8})
Betrachten Sie einmal die Beispiele aus Skandinavien
- die Frage von Ihnen war ja keine Antwort darauf -,
Frankreich, Spanien und Italien: Warum soll es bei uns
nicht möglich sein, eine solche Leistung des Staates für
eine Leistung einzuführen, die gesamtgesellschaftliche
Bedeutung hat? Wir dürfen die Erziehungsleistung der
Eltern nicht bagatellisieren. Sie reden gegen 70 Prozent
der Eltern. Sie dürfen diese Leistung der Eltern nicht
einfach mit der Erklärung abtun: Nur in der Kita kann
richtige Erziehung erfolgen.
({9})
Deswegen meine ich: Ihr Antrag ist einfach nicht ausgewogen, er ist rechtlich nicht fundiert, und deshalb ist
er auch abzulehnen.
Danke schön.
({10})
Bevor ich der nächsten Rednerin das Wort erteile, will
ich Ihnen gerne das von den Schriftführerinnen und
Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen
Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Bundesregierung bezüglich des UNIFIL-Einsatzes bekanntgeben:
({0})
abgegebene Stimmen 571. Mit Ja haben gestimmt 486,
mit Nein 76, und es gab 9 Enthaltungen. Die Beschlussempfehlung ist damit angenommen.
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 571;
davon
ja: 486
nein: 76
enthalten: 9
Ja
CDU/CSU
Ilse Aigner
Peter Altmaier
Peter Aumer
Dorothee Bär
Thomas Bareiß
Norbert Barthle
Günter Baumann
Ernst-Reinhard Beck
({1})
Manfred Behrens ({2})
Dr. Christoph Bergner
Steffen Bilger
Clemens Binninger
Peter Bleser
Dr. Maria Böhmer
Wolfgang Börnsen
({3})
Wolfgang Bosbach
Norbert Brackmann
Klaus Brähmig
Michael Brand
Helmut Brandt
Dr. Ralf Brauksiepe
Dr. Helge Braun
Heike Brehmer
Gitta Connemann
Leo Dautzenberg
Alexander Dobrindt
Marie-Luise Dött
Enak Ferlemann
Ingrid Fischbach
Hartwig Fischer ({4})
Axel E. Fischer ({5})
Klaus-Peter Flosbach
Herbert Frankenhauser
Dr. Hans-Peter Friedrich
({6})
Michael Frieser
Dr. Michael Fuchs
Hans-Joachim Fuchtel
Alexander Funk
Dr. Peter Gauweiler
Dr. Thomas Gebhart
Alois Gerig
Eberhard Gienger
Michael Glos
Peter Götz
Dr. Wolfgang Götzer
Ute Granold
Reinhard Grindel
Hermann Gröhe
Michael Grosse-Brömer
Manfred Grund
Monika Grütters
Dr. Karl-Theodor Freiherr
zu Guttenberg
Olav Gutting
Holger Haibach
Dr. Stephan Harbarth
Jürgen Hardt
Dr. Matthias Heider
Mechthild Heil
Ursula Heinen-Esser
Frank Heinrich
Rudolf Henke
Michael Hennrich
Jürgen Herrmann
Ansgar Heveling
Ernst Hinsken
Peter Hintze
Christian Hirte
Robert Hochbaum
Karl Holmeier
Franz-Josef Holzenkamp
Anette Hübinger
Thomas Jarzombek
Dieter Jasper
Dr. Franz Josef Jung
Andreas Jung ({7})
Dr. Egon Jüttner
Bartholomäus Kalb
Hans-Werner Kammer
Steffen Kampeter
Alois Karl
Bernhard Kaster
Siegfried Kauder ({8})
Volker Kauder
Dr. Stefan Kaufmann
Roderich Kiesewetter
Eckart von Klaeden
Ewa Klamt
Volkmar Klein
Jürgen Klimke
Julia Klöckner
Axel Knoerig
Jens Koeppen
Manfred Kolbe
Dr. Rolf Koschorrek
Hartmut Koschyk
Thomas Kossendey
Michael Kretschmer
Gunther Krichbaum
Dr. Günter Krings
Rüdiger Kruse
Dr. Hermann Kues
Dr. Karl A. Lamers
({9})
Andreas G. Lämmel
Katharina Landgraf
Dr. Max Lehmer
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt
Dr. Ursula von der Leyen
Ingbert Liebing
Matthias Lietz
Patricia Lips
Dr. Jan-Marco Luczak
Dr. Michael Luther
Karin Maag
Dr. Thomas de Maizière
Hans-Georg von der Marwitz
Andreas Mattfeldt
Stephan Mayer ({10})
Dr. Michael Meister
Maria Michalk
Dr. h. c. Hans Michelbach
Dr. Mathias Middelberg
Dietrich Monstadt
Marlene Mortler
Dr. Gerd Müller
Stefan Müller ({11})
Nadine Müller ({12})
Dr. Philipp Murmann
Michaela Noll
Dr. Georg Nüßlein
Franz Obermeier
Eduard Oswald
Henning Otte
Dr. Michael Paul
Rita Pawelski
Ulrich Petzold
Dr. Joachim Pfeiffer
Sibylle Pfeiffer
Beatrix Philipp
Ronald Pofalla
Christoph Poland
Eckhard Pols
Daniela Raab
Thomas Rachel
Dr. Peter Ramsauer
Katherina Reiche ({13})
Lothar Riebsamen
Josef Rief
Klaus Riegert
Dr. Heinz Riesenhuber
Johannes Röring
Dr. Norbert Röttgen
Dr. Christian Ruck
Erwin Rüddel
Albert Rupprecht ({14})
Anita Schäfer ({15})
Dr. Andreas Scheuer
Norbert Schindler
Georg Schirmbeck
Christian Schmidt ({16})
Patrick Schnieder
Dr. Andreas Schockenhoff
Dr. Ole Schröder
Uwe Schummer
Armin Schuster ({17})
Detlef Seif
Reinhold Sendker
Dr. Patrick Sensburg
Thomas Silberhorn
Johannes Singhammer
Jens Spahn
Erika Steinbach
Christian Freiherr von Stetten
Dieter Stier
Gero Storjohann
Stephan Stracke
Karin Strenz
Thomas Strobl ({18})
Lena Strothmann
Michael Stübgen
Dr. Peter Tauber
Antje Tillmann
Volkmar Vogel ({19})
Stefanie Vogelsang
Dr. Johann Wadephul
Kai Wegner
Marcus Weinberg ({20})
Peter Weiß ({21})
Sabine Weiss ({22})
Ingo Wellenreuther
Karl-Georg Wellmann
Annette Widmann-Mauz
Klaus-Peter Willsch
Elisabeth WinkelmeierBecker
Dr. Matthias Zimmer
Wolfgang Zöller
Willi Zylajew
SPD
Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Heinz-Joachim Barchmann
Dr. Hans-Peter Bartels
Bärbel Bas
Lothar Binding ({23})
Gerd Bollmann
Klaus Brandner
Bernhard Brinkmann
({24})
Edelgard Bulmahn
Petra Crone
Dr. Peter Danckert
Martin Dörmann
Elvira Drobinski-Weiß
Garrelt Duin
Sebastian Edathy
Siegmund Ehrmann
Petra Ernstberger
Elke Ferner
Gabriele Fograscher
Dr. Edgar Franke
Dagmar Freitag
Peter Friedrich
Michael Gerdes
Martin Gerster
Günter Gloser
Ulrike Gottschalck
Angelika Graf ({25})
Michael Groß
Wolfgang Gunkel
Bettina Hagedorn
Michael Hartmann
({26})
Hubertus Heil ({27})
Dr. Barbara Hendricks
Gustav Herzog
Frank Hofmann ({28})
Dr. Eva Högl
Josip Juratovic
Oliver Kaczmarek
Johannes Kahrs
Dr. h. c. Susanne Kastner
Ulrich Kelber
Hans-Ulrich Klose
Dr. Bärbel Kofler
Daniela Kolbe ({29})
Fritz Rudolf Körper
Nicolette Kressl
Ute Kumpf
Christine Lambrecht
Christian Lange ({30})
Dr. Karl Lauterbach
Steffen-Claudio Lemme
Burkhard Lischka
Kirsten Lühmann
Katja Mast
Petra Merkel ({31})
Ullrich Meßmer
Franz Müntefering
Dr. Rolf Mützenich
Manfred Nink
Thomas Oppermann
Holger Ortel
Aydan Özoğuz
Joachim Poß
Dr. Wilhelm Priesmeier
Florian Pronold
Mechthild Rawert
Dr. Carola Reimann
René Röspel
Karin Roth ({32})
Michael Roth ({33})
({34})
Anton Schaaf
Axel Schäfer ({35})
Bernd Scheelen
({36})
Werner Schieder ({37})
Ulla Schmidt ({38})
Carsten Schneider ({39})
Olaf Scholz
Swen Schulz ({40})
Frank Schwabe
Dr. Angelica Schwall-Düren
Dr. Martin Schwanholz
Rolf Schwanitz
Stefan Schwartze
Dr. Carsten Sieling
Dr. Frank-Walter Steinmeier
Christoph Strässer
Kerstin Tack
Franz Thönnes
Wolfgang Tiefensee
Ute Vogt
Dr. Marlies Volkmer
Andrea Wicklein
Dr. Dieter Wiefelspütz
Dagmar Ziegler
Brigitte Zypries
FDP
Jens Ackermann
Christine AschenbergDugnus
Daniel Bahr ({41})
Florian Bernschneider
Claudia Bögel
Nicole Bracht-Bendt
Klaus Breil
Ernst Burgbacher
Sylvia Canel
Reiner Deutschmann
Dr. Bijan Djir-Sarai
Patrick Döring
Mechthild Dyckmans
Rainer Erdel
Jörg van Essen
Ulrike Flach
Otto Fricke
Paul K. Friedhoff
Dr. Edmund Peter Geisen
Hans-Michael Goldmann
Heinz Golombeck
Dr. Christel Happach-Kasan
Manuel Höferlin
Birgit Homburger
Dr. Werner Hoyer
Heiner Kamp
Dr. Lutz Knopek
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt
Gudrun Kopp
Dr. h. c. Jürgen Koppelin
Sebastian Körber
Holger Krestel
Patrick Kurth ({42})
Heinz Lanfermann
Sibylle Laurischk
Harald Leibrecht
Sabine LeutheusserSchnarrenberger
Lars Lindemann
Dr. Martin Lindner ({43})
Michael Link ({44})
Dr. Erwin Lotter
Patrick Meinhardt
Jan Mücke
Petra Müller ({45})
Burkhardt Müller-Sönksen
({46})
Dirk Niebel
Hans-Joachim Otto
({47})
Cornelia Pieper
Gisela Piltz
Dr. Christiane RatjenDamerau
Dr. Birgit Reinemund
Dr. Peter Röhlinger
Dr. Stefan Ruppert
Christoph Schnurr
Jimmy Schulz
Dr. Erik Schweickert
Werner Simmling
Judith Skudelny
Joachim Spatz
Torsten Staffeldt
Stephan Thomae
Florian Toncar
Serkan Tören
({48})
Dr. Daniel Volk
Dr. Guido Westerwelle
Dr. Claudia Winterstein
Dr. Volker Wissing
Hartfrid Wolff ({49})
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Marieluise Beck ({50})
Volker Beck ({51})
Cornelia Behm
Birgitt Bender
Alexander Bonde
Viola von Cramon-Taubadel
Katja Dörner
Dr. Thomas Gambke
Kai Gehring
Britta Haßelmann
Priska Hinz ({52})
Dr. Anton Hofreiter
Bärbel Höhn
Ingrid Hönlinger
Thilo Hoppe
Katja Keul
Memet Kilic
Sven-Christian Kindler
Maria Anna Klein-Schmeink
Tom Koenigs
Agnes Krumwiede
Fritz Kuhn
Stephan Kühn
Undine Kurth ({53})
Nicole Maisch
Jerzy Montag
Kerstin Müller ({54})
Ingrid Nestle
Dr. Konstantin von Notz
Friedrich Ostendorff
Dr. Hermann Ott
Tabea Rößner
Claudia Roth ({55})
Manuel Sarrazin
Elisabeth Scharfenberg
Christine Scheel
Dr. Frithjof Schmidt
Dorothea Steiner
Jürgen Trittin
Daniela Wagner
Dr. Valerie Wilms
Josef Philip Winkler
Nein
SPD
Willi Brase
Gabriele Hiller-Ohm
Petra Hinz ({56})
Rüdiger Veit
FDP
Helga Daub
Joachim Günther ({57})
DIE LINKE
Agnes Alpers
Herbert Behrens
Matthias W. Birkwald
Heidrun Bluhm
Steffen Bockhahn
Christine Buchholz
Dr. Martina Bunge
Roland Claus
Sevim Dağdelen
Dr. Diether Dehm
Heidrun Dittrich
Werner Dreibus
Dr. Dagmar Enkelmann
Klaus Ernst
Nicole Gohlke
Annette Groth
Dr. Gregor Gysi
Heike Hänsel
Inge Höger
Andrej Konstantin Hunko
Ulla Jelpke
Katja Kipping
Harald Koch
Jan Korte
Jutta Krellmann
Ralph Lenkert
Stefan Liebich
Ulla Lötzer
Dr. Gesine Lötzsch
Dorothée Menzner
Cornelia Möhring
Kornelia Möller
Wolfgang Nešković
Thomas Nord
Richard Pitterle
Yvonne Ploetz
Ingrid Remmers
Paul Schäfer ({58})
Dr. Herbert Schui
Dr. Ilja Seifert
Kathrin Senger-Schäfer
Raju Sharma
Dr. Petra Sitte
Alexander Süßmair
Frank Tempel
Dr. Axel Troost
Alexander Ulrich
Kathrin Vogler
Sahra Wagenknecht
Harald Weinberg
Katrin Werner
Jörn Wunderlich
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Monika Lazar
Dr. Harald Terpe
Enthalten
SPD
Klaus Barthel
Dr. Hermann Scheer
Ewald Schurer
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Winfried Hermann
Sylvia Kotting-Uhl
Lisa Paus
Dr. Wolfgang StrengmannKuhn
Hans-Christian Ströbele
Nun hat die Kollegin Marlene Rupprecht für die SPDFraktion das Wort.
({59})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Das Parlament muss die Realität wahrnehmen, was die Bürger von uns auch erwarten. Realität ist:
Wir haben jungen Familien, die aus Müttern, Vätern und
Kindern bestehen. Wenn das Parlament für diese etwas
tut, dann hat es die Verpflichtung, ganz klar zu sagen:
Wir stellen einen Rahmen zur Verfügung und haben
euch nicht vorzuschreiben, wie ihr zu leben habt.
({0})
Marlene Rupprecht ({1})
Uns liegt ein Gesetzentwurf zur Änderung des Achten
Buches Sozialgesetzbuch - Kinder- und Jugendhilfe vor. § 16 Abs. 4 soll gestrichen werden. Das klingt für
andere sehr technokratisch. Als wir die Kinderbetreuung
der unter Dreijährigen gesetzlich festgeschrieben haben,
ist darin die Option verankert worden, dass ab 2013
eventuell ein Betreuungsgeld gezahlt wird.
Das ist damals gegen den Willen vieler Frauen geschehen. Hierbei schließe ich viele hier im Parlament
quer durch alle Fraktionen mit ein, weil sie alle selber
entsprechende Erfahrungen haben: ob Frau Bär - sie hat
ein Kind und ist hier -, Frau Golze oder Frau Gruß.
({2})
- Moment. Diese ganz persönliche Gestaltung des Lebens schreiben
wir niemandem vor. Wir müssen aber den Rahmen dafür
schaffen, dass alle ihr Leben so gestalten können, wie sie
es möchten.
Es gibt Studien zum Betreuungsgeld. Eine Studie ist
vom Finanzministerium in Auftrag gegeben worden,
eine andere von der Bertelsmann-Stiftung. Beide Studien
kommen zu dem Ergebnis, dass das geplante Betreuungsgeld Mitnahmeeffekte verursacht, die den Eltern zugute kommen, die nicht berufstätig sind und ohnehin
keinen Betreuungsbedarf haben, aber das Geld gerne
entgegennehmen würden.
({3})
Derzeit wird etwas diskutiert, das ich den Müttern
und Vätern gegenüber für fatal halte, die ihr Leben nicht
an einer Ideologie ausrichten, sondern aus der Lebenswirklichkeit heraus gestalten. Eltern tragen 24 Stunden
an sieben Tagen in der Woche Verantwortung. Dies ist
nicht mit einem drei- oder vierstündigen Kinderbetreuungsangebot abgedeckt.
({4})
Die Verantwortung wird nicht abgegeben. Das heißt, wir
können die Betreuungsformen und damit die Eltern nicht
gegeneinander ausspielen.
({5})
Die Frage muss lauten: Was brauchen Kinder? Nur
das ist ausschlaggebend für unser Handeln. Kinder brauchen Eltern. Darin gebe ich Ihnen recht. Sie brauchen
Personen, die sie für das Leben emotional stark machen.
Das ist entscheidend. Kinder brauchen aber, wie wir wissen, noch andere Kinder zum Aufwachsen.
({6})
- In den wenigsten Familien gibt es Geschwisterkinder.
Das wissen Sie. Frauen in Deutschland bekommen im
Durchschnitt 1,3 Kinder. Ein Kind kann schlecht mit den
übrigen 0,3 spielen. Deshalb brauchen sie andere Kinder
zum sozialen Lernen, was Kinder unter Erwachsenen
kaum so lernen können wie im Umgang mit anderen
Kindern.
Kinder brauchen andere Kinder nicht nur zum sozialen Lernen, sondern auch, um Anregungen zu bekommen, die Welt zu entdecken. Wir wissen, dass die Kinderbetreuung unseren Kindern nutzt. 100 Prozent der
Kinder, die Eltern mit Hauptschulabschluss haben und in
einer Betreuungseinrichtung waren, besuchen später
weiterführende Schulen. Ich glaube, es ist durch nichts
gerechtfertigt und durch nichts zu begründen, Kindern
diese Chance zu nehmen.
Wir wollen, dass Eltern Wahlfreiheit haben. Deshalb
müssen wir für die notwendige Infrastruktur sorgen. Wir
müssen dafür sorgen, dass sie ihre Erziehungsarbeit
leisten können. Alles, was darüber hinausgeht, ist Ideologie, und die lehne ich in diesem Fall rigoros ab, weil
auch wir im Parlament niemandem seine Lebensplanung und -gestaltung vorzuschreiben haben.
In diesem Sinne stimmen wir vehement der Forderung zu, dass das Betreuungsgeld ausgesetzt wird. Die
dafür notwendigen 1,4 Milliarden bis 1,9 Milliarden
Euro können sinnvoller angelegt werden.
Danke.
({7})
Nächste Rednerin ist die Kollegin Miriam Gruß für
die FDP-Fraktion.
({0})
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich kann die
Katze gleich aus dem Sack lassen: Liebe Katja Dörner,
meine Kritik am Betreuungsgeld besteht weiterhin.
({0})
Wir haben den Koalitionsvertrag vereinbart. Ein Koalitionsvertrag ist ein Kompromiss zwischen den Positionen. Deswegen ist in diesen Koalitionsvertrag auch das
Betreuungsgeld aufgenommen worden. Es ist kein Geheimnis, dass die FDP-Fraktion über das Betreuungsgeld
nicht glücklich ist. Allerdings steht es auch erst 2013 an.
Ich finde es viel wichtiger, darüber zu reden, was wir
jetzt für Familien tun und getan haben. Wir befinden uns
haushalterisch in absolut kritischen Zeiten. Eine haushalterische Krise belastet auch uns. Deswegen müssen
wir sparen. Wir sind die erste Bundesregierung, die massiv spart und an dem Ziel der Schuldenbremse festhält,
das wir im Grundgesetz festgeschrieben haben.
Auf Schuldenbergen, lieber Otto, können keine Kinder spielen und erst recht nicht lernen. Man kann diesen
Satz nicht oft genug sagen.
({1})
Deshalb haben wir uns auf den Weg gemacht, tatsächlich
zu sparen. Das ist nicht leicht, und wir nehmen Einschnitte vor. Wir haben aber auch Bereiche ausgelassen,
in denen wir weiter investieren müssen. Beispielsweise
halten wir an dem Ziel fest, den Ausbau der Betreuungsplätze bis 2013 zu gewährleisten, damit jede Mutter und
jeder Vater einen Rechtsanspruch auf einen Betreuungsplatz erhalten.
({2})
Wir halten weiterhin an dem Ziel fest, Vereinbarkeit von
Beruf und Familie zu ermöglichen.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Dörner?
Ja.
Bitte.
Sehr geehrte Frau Gruß, Sie weisen völlig zu Recht
auf die schwierige Haushaltslage hin. Sollte man gerade
angesichts dieser Haushaltslage nicht jetzt schon Nägel
mit Köpfen machen, auch für 2013 ganz klar sagen, dass
wir die 2 Milliarden Euro nicht haben, die man für das
Betreuungsgeld künftig ausgeben muss, und es deshalb
jetzt schon aus dem Gesetz streichen? Ich habe einen
sehr interessanten Leserbrief Ihres Generalsekretärs
Christian Lindner im aktuellen Spiegel gefunden, in dem
er schreibt:
Einsparungen für den Staat ergeben sich schließlich
nicht nur aus der Kürzung bestehender Ausgabenpositionen, sondern vor allem durch den Verzicht
auf künftige Projekte.
Wäre nicht das Betreuungsgeld eines dieser künftigen
Projekte, das direkt gestrichen werden sollte?
({0})
Wir schreiben das Jahr 2010. Das Betreuungsgeld
steht nicht in diesem Haushalt. Deshalb brauchen wir in
diesem Jahr 2010 auch nicht darüber zu sprechen.
({0})
Diese Koalition steht für eine Familienpolitik, die
Freiheit ermöglicht, Freiheit für die Familien gewährt,
aber natürlich auch Familien stärken will. Auf welche
Weise man dies macht, werden wir miteinander noch besprechen. Auf jeden Fall haben wir viel für die Familien
getan. Wir haben beispielsweise das Kindergeld und den
Grundfreibetrag für Familien erhöht. Dies entlastet Familien und gibt ihnen Chancen. Auf dieser Grundlage arbeiten wir sehr gut zusammen. Damit nicht gleich wieder Gerüchte gestreut werden, was hier los sei, bedanke
ich mich an dieser Stelle bei dir, liebe Dorothee Bär, und
bei dir, liebe Ingrid Fischbach, für die hervorragende Zusammenarbeit. Unsere Koalition funktioniert.
Vielen Dank.
({1})
Für die Fraktion Die Linke hat nun die Kollegin
Diana Golze das Wort.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte wieder zu dem Gegenstand zurückkommen, um den es eigentlich gehen sollte,
nämlich das Wohl von Kindern. Dafür zitiere ich den
ersten Satz aus dem Kinder- und Jugendhilfegesetz:
Jeder junge Mensch hat ein Recht auf Förderung
seiner Entwicklung und auf Erziehung zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit.
An dieses Gesetz sind wir alle gebunden, und ich fordere
seinen Erhalt. Deshalb empfand ich es als einen Fehler,
das Betreuungsgeld in § 16 dieses Gesetzes aufzunehmen, auch wenn es nur irgendwann einmal gelten soll.
Wir müssen schon heute diesen Wahnsinn verhindern; da
gebe ich den Grünen durchaus recht.
({0})
Sowohl die Vorgängerregierung als auch die jetzige
haben immer wieder betont, dass Bildung ganz oben auf
ihrer Agenda stehe. Dann verstehe ich aber erst recht
nicht, warum man mit dem Betreuungsgeld einen Anreiz
dafür schafft, dass Kinder nicht in den Genuss frühkindlicher Bildung und Erziehung kommen. Dies passt für
mich nicht zusammen.
Auch das Spiel, immer wieder öffentliche Kindertagesbetreuung auf die eine Seite und die Erziehung und
Betreuung durch die Eltern auf die andere Seite zu stellen, ist von Anfang an ein Griff in die Mottenkiste gewesen, Herr Geis.
({1})
Ich lasse mir auch als Mutter von zwei Kindern, die
beide in eine öffentliche Kindertagesstätte gehen, von
Ihnen nicht sagen, dass ich meine Kinder nicht erzöge
und nicht ausreichend betreute.
({2})
Was dabei herauskommt, wenn zu wenige Mütter mit
Kindern im Bundestag sitzen, das sieht man sehr deutlich.
({3})
Wem oder wozu soll also dieses Betreuungsgeld dienen? Eltern, die finanziell bessergestellt sind, werden
sich von 150 Euro nicht davon abhalten lassen, ihr Kind
in eine Krippe zu geben. Welchen Zweck hat es also
dann?
Ich möchte dies noch von einer anderen Seite beleuchten: In den letzten Wochen haben uns zahlreiche
Hilferufe von Städten und Gemeinden erreicht, die in
Anbetracht der angekündigten sogenannten Sparpakete
und der im Koalitionsvertrag vereinbarten Steuersenkungen gesagt haben, sie seien am Ende der Fahnenstange,
sie seien finanziell handlungsunfähig. Als eine der ersten
Maßnahmen, die sie deshalb zur Disposition gestellt haben, wurde der Ausbau der Kindertagesbetreuung für die
unter Dreijährigen genannt. Dieser ist zeitlich und finanziell nicht zu stemmen.
Meine Fraktion wurde 2008 verhöhnt, als wir gesagt
haben, der Anteil des Bundes bei der Realisierung des
Ziels, einen Betreuungsplatz für 35 Prozent der Kinder
unter drei Jahren anzubieten, sei zu gering. Damals
wurde mir hier im Bundestag entgegengehalten, mehr
könne die Bundesregierung nicht beisteuern. Die Realität hat aber nicht meine Fraktion und mich Lügen gestraft, sondern diejenigen, die es anders entschieden haben.
({4})
Das Tragische an der Situation ist aber, dass nicht die
Bundesregierung die Rechnung für die sträfliche Ignoranz gegenüber der Situation unserer Städte und Gemeinden zahlen muss, sondern die Kinder, die 2013 keinen Kitaplatz haben werden, und deren Eltern, die Beruf
und Familie dann immer noch nicht miteinander vereinbaren können.
Für die Berufstätigen ist das Betreuungsgeld kein
Fortschritt, weil die Kitaplätze nicht für alle ausreichen
werden. Oder ist das Betreuungsgeld für diejenigen gedacht, die schon jetzt von Armutslöhnen und Hartz IV
leben und jeden Euro zweimal umdrehen müssen? Diese
Eltern werden geradezu gezwungen, ihr Kind zu Hause
zu behalten und das Betreuungsgeld in Anspruch zu nehmen, weil sie sich damit das neue Fahrrad für den Kleinen vielleicht schon in drei statt erst in fünf Jahren oder
auch den Schulausflug für die Tochter leisten können.
Das kann es doch wohl nicht sein! Ich bitte Sie, noch
einmal darüber nachzudenken, ob Sie es mit dem Betreuungsgeld ernst meinen.
Unsere Arbeitsministerin, Frau von der Leyen, wird
am 8. Juni 2010 von der FAZ zitiert:
Aber bei denen, die ihr Leben noch in die Hand
nehmen können, da wollen wir Anreize geben für
Arbeit.
Was ist das denn für ein Anreiz, zu arbeiten, wenn
man den Leuten Geld dafür gibt, mit ihrem Kind zu
Hause zu bleiben? Herr Geis hat immer nur von Frauen
gesprochen, zum Beispiel davon, dass sie mit dem Betreuungsgeld abends nicht mehr an der Kasse sitzen
müssen.
({5})
Das Betreuungsgeld ist kein Anreiz, zu arbeiten, und
es ist nicht gut für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Es ist ein Griff in die Mottenkiste. Deshalb werden
wir dem Antrag der Grünen sehr gerne zustimmen.
Vielen Dank.
({6})
Zu einer Kurzintervention erhält der Kollege Norbert
Geis das Wort.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Frau Golze,
nichts von dem, was Sie behauptet haben, habe ich gesagt. Es ist nie über meine Lippen gekommen, dass Sie
Ihre Kinder nicht richtig erziehen; das weise ich ausdrücklich zurück. Sie sagen, ich würde in die Mottenkiste greifen. Ich weiß aber gar nicht, welche Mottenkiste Sie meinen. Meines Erachtens kommt es aus der
Mottenkiste der DDR, ein allzu großes Gewicht auf die
Erziehung in der Kita zu legen.
({0})
Zur Erwiderung hat Frau Golze das Wort.
({0})
Eigentlich könnte man das so stehen lassen; es spricht
für sich.
({0})
Ich möchte Ihnen aber noch ein anderes Beispiel nennen. Ich hatte gestern in meinem Büro Besuch von einer
jungen Frau, die in München geboren und aufgewachsen
ist. Für ihre Eltern war ein Kindergartenplatz für sie wie
ein Hauptgewinn im Lotto. Sie hat es dazu gebracht, Beamtin zu werden und einer großen Organisation in
Deutschland vorzustehen, die jungen Menschen hilft, für
ihre Rechte zu streiten. Allein dieses Beispiel zeigt, dass
es auch in den alten Bundesländern Menschen gab, die
es als richtig empfunden haben, Kinder frühzeitig zu fördern und miteinander aufwachsen zu lassen.
Ich könnte Ihnen jetzt noch viele weitere Argumente
nennen, will aber nur Folgendes sagen: Kommen Sie aus
der Mottenkiste heraus; es würde Ihnen guttun!
({1})
Nun hat der Kollege Marco Wanderwitz für CDU/
CSU das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen!
Das Betreuungsgeld konterkariert zentrale bildungsund sozialpolitische Zielstellungen. Qualitativ hochwertige frühkindliche Betreuung und Bildung sind
der Schlüssel zu lebenslangem Bildungserfolg …
Dieses Zitat stammt aus dem Antrag der Grünen.
Der zweite Satz ist zweifellos richtig; den wird jeder
in diesem Hause unterschreiben.
Beim ersten Satz war ich mir anfänglich nicht sicher,
ob ich Sie falsch verstanden habe. Jetzt weiß ich aber,
dass ich Sie richtig verstanden habe. Mit dem ersten Satz
machen Sie nichts anderes, als den Eltern, die ihre Kinder zu Hause erziehen, die Kompetenz abzusprechen,
dies mindestens genauso gut zu können, wie dies bei
Einrichtungen der Fall ist. Nichts anderes meinten Sie.
({0})
Ich sage Ihnen ganz offen, dass ich das für eine unglaubliche Unterstellung halte.
({1})
Ehrlich gesagt, ich glaube, Sie träumen immer noch
von der Lufthoheit über den Kinderbetten, von der Herr
Scholz einmal gesprochen hat. Um nichts anderes
scheint es Ihnen hierbei zu gehen.
({2})
- Schreien Sie nur. Zuhören wäre auch nicht schlecht.
Fünf Minuten lang müssen Sie das ertragen. Ich glaube,
das ist nicht zu viel verlangt. Wenn Sie einen Antrag einbringen, dann müssen Sie damit leben, dass Sie sich
auch die Argumente der anderen anhören müssen.
Deshalb möchte ich mich nicht nur mit Ihrem Antrag
befassen, sondern auch für unser Betreuungsgeld werben. Unsere zentralen Ziele sind im Grunde die gleichen
wie Ihre Ziele. Auch wir wollen die Vereinbarkeit von
Familie und Beruf für diejenigen Eltern, die das möchten. Wir wollen keine Zwangsbeglückung für alle. Auch
wir wollen eine bestmögliche frühkindliche Bildung.
Wir sind aber offensichtlich im Gegensatz zu Ihnen der
Meinung, dass auch Eltern das leisten können. Wir wollen echte Wahlfreiheit für Familien.
({3})
Außerdem sind wir der Meinung, dass Eltern einen
Ausgleich erhalten müssen, wenn sie sich gegen eine
subventionierte Fremdbetreuung entscheiden.
({4})
Die 150 Euro - das sage ich ganz offen - sind für uns
ein erster Schritt, nicht mehr und nicht weniger. Der
Rechtsanspruch auf Betreuung wird dann zum Thema,
wenn genügend Plätze vorhanden sind. Unser Ziel ist,
ihn zu dem gesetzten Zeitpunkt umzusetzen. Den
Rechtsanspruch auf Betreuung und das Betreuungsgeld
sehen wir als zwei untrennbare Seiten einer Medaille an.
Das eine zu tun und das andere zu lassen, wäre nichts anderes als eine Diskriminierung derjenigen, die sich mit
Herz und Seele der vollhäuslichen Erziehung und Betreuung ihrer Kinder widmen.
({5})
- Frau Schieder, schreien Sie nur.
Wir reden hier über nichts anderes als über das zweite
und dritte Lebensjahr, also über die Zeit nach dem Elterngeld, wenn man sich für dieses entscheidet. Danach
reden wir über den Kindergarten, dann vielleicht über
die Vorschule, dann über die Schule, dann über die Ausbildung und dann möglicherweise noch über ein Studium. Ich bin fast geneigt zu sagen: Lassen Sie doch bei
den ersten drei Jahren die Kirche im Dorf.
({6})
Ich fürchte, dass ich Sie damit zum nächsten Widerspruch provoziere, weil ich alles andere als der Meinung
bin, dass Ihre Positionen ideologiefrei sind, Frau Kollegin Rupprecht. Im Gegenteil, Ihre Ideologie zieht sich
von vorne bis hinten durch. Sie vertreten eine Gesellschaftspolitik, die Sie auch in jedem anderen Politikfeld
vertreten.
({7})
Nun zu den Gutscheinen, die auch in Ihrem Antrag
eine Rolle spielen. Ich sage ganz offen, dass wir sehr für
Gutscheine sind, allerdings neben dem Betreuungsgeld.
Lassen Sie uns darüber reden, welche Gutscheinmodelle
umsetzbar sind. In manchen Ländern und Kommunen
werden diese bereits umgesetzt.
Ich möchte einen weiteren Punkt ansprechen. In der
gesetzlichen Rentenversicherung honorieren wir Erziehungszeiten von Eltern. Diese Regelung haben wir
mehrmals verbessert. Ich glaube, die Honorierung von
Erziehungsleistungen innerhalb der gesetzlichen Rentenversicherung ist bei weitem noch nicht ausreichend.
({8})
Ich glaube, dass die zweite Säule unseres Generationenvertrags in den Gesetzlichkeiten unterbelichtet ist.
Beitragszahler mit Kindern werden dreifach belastet.
Erstens zahlen sie Beiträge für die Rente ihrer Eltern und
Großeltern. Das trifft alle. Zweitens tragen sie nicht unerhebliche Kosten für das Großziehen der künftigen Beitragszahler. Das sind Kosten, die nicht bei allen anfallen.
Diese werden bei weitem nicht ausgeglichen. Drittens
verzichten sie durch Schwangerschaft, Geburt, Erziehungszeiten und Teilzeitarbeit auf Einkommen und Karrieresprünge und nehmen daraus resultierende niedrigere
künftige Rentenzahlungen in Kauf. Das alles nehmen sie
in Kauf. Ihre Kinder finanzieren dann später alle künftigen Rentenbezieher.
Diese Konstruktion halte ich schlicht für nicht gerecht. Die Gesellschaft honoriert die Leistungen der
Menschen, die in diesem Land Kinder bekommen, nicht
ausreichend. Man könnte das auch stärker über die Steuern machen; man muss es jedenfalls machen.
({9})
Die Bilanz von uns als Union in der Familienpolitik
der letzten Jahre kann sich sehen lassen: Kindergelderhöhungen, Elterngeld. Wir werden diesen Weg weitergehen, ob mit Ihnen oder ohne Sie.
({10})
Die Mehrheit sitzt auf dieser Seite des Hauses.
Vielen Dank.
({11})
Letzte Rednerin in dieser Debatte ist die Kollegin
Christel Humme für die SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kollegen! Liebe Kolleginnen!
Das
- nämlich das Betreuungsgeld ist eine der törichsten Maßnahmen, die man überhaupt vorschlagen kann.
({0})
Sie hält die Kinder von den Betreuungseinrichtungen fern, finanziert Betreuung durch ältere Geschwister oder unterstützt Familien, die diese Maßnahme nicht benötigen.
Das ist nicht meine Meinung - ich könnte das allerdings unterstreichen -, sondern die Meinung eines Professors, die dieser in einem Spiegel-Gespräch - nachzulesen in der Spiegel-Ausgabe vom Montag dieser Woche geäußert hat. Ich gebe diesem Professor völlig recht: Das
Betreuungsgeld bleibt eindeutig eine Antibildungsprämie, und das Betreuungsgeld ist unsozial; denn es
schränkt die Zukunftschancen unserer Kinder ein.
({1})
Das Betreuungsgeld geistert nun schon seit drei Jahren durch die politische Debatte, eine Debatte, in der
sehr polarisiert wird; das erleben wir ja auch heute. Es
ist eine Debatte zwischen denen, die die Politik der
50er-Jahre, Herr Geis, fortsetzen wollen, und denen, die
eine zeitgemäße Familienpolitik vertreten, eine Politik
für mehr Betreuungsplätze und eine bessere Vereinbarkeit - das ist entscheidend - von Familie und Beruf für
Männer und Frauen.
Das Betreuungsgeld ist genau das Gegenteil einer
zeitgemäßen Politik. Es ist und bleibt eine Zuhausebleibprämie für die Frauen. Das Betreuungsgeld ist ein
gleichstellungspolitischer Rückschritt.
Herr Geis und auch Herr Wanderwitz, Sie sprechen
von der Wahlfreiheit, haben die Wahlfreiheit auch wunderbar in Ihrem Koalitionsvertrag verankert.
Frau Kollegin Humme, gestatten Sie denn eine Zwischenfrage des Kollegen Geis?
Ja gern, natürlich.
({0})
Frau Kollegin, wenn Sie sagen, das Betreuungsgeld
sei ein Rückschritt Christel Humme ({0}):
Natürlich!
- und sei aus den 50er-Jahren - damals gab es das übrigens noch gar nicht; das Erziehungsgeld gibt es erst
seit 1986 -, dann frage ich Sie: Können Sie mir sagen,
warum dieses Betreuungsgeld in anderen Staaten, in allen skandinavischen Staaten, aber auch in Frankreich, in
Spanien und in Italien, begrüßt wird, bei uns aber so
schlecht dargestellt wird, wie Sie das eben getan haben?
Weil diese Länder einen Vorteil haben: Dort gibt es
nämlich schon einen Rechtsanspruch auf Betreuung.
Dort können über 90 Prozent der Kinder einen Betreuungsplatz in Anspruch nehmen. Das ist echte Wahlfreiheit, die wir noch gar nicht erreicht haben. Darum ist das
an dieser Stelle sicherlich noch etwas anders zu bewerten.
({0})
Es gibt noch einen Unterschied, auf den ich Sie einmal hinweisen darf. Sowohl Herr Wanderwitz als auch
Sie, Herr Geis, haben gesagt, so sei es unsozial, wir hätten keine Wertschätzung für die Erziehungsleistung der
Frauen. Wissen Sie denn nicht, dass der Staat Jahr für
Jahr zweistellige Millionenbeträge zahlt, nämlich für
das Ehegattensplitting - ich erwähne hier die Steuerklasse V - und für die Mitversicherung in der Krankenversicherung? Er unterstützt damit genau die Familien,
in denen die Frauen zu Hause bleiben und die Kinder erziehen. Das ist schon eine ganze Menge mehr!
({1})
Da kann man mit Fug und Recht fordern: Wir müssen so
viel Geld und noch mehr in die Kinderbetreuung stecken;
({2})
dann hätten wir echte Wahlfreiheit.
({3})
Frau Kollegin, der Herr Geis möchte noch eine Frage
stellen.
Wir wollen nicht in einen Dialog eintreten, aber das
ist natürlich ganz spannend. Warum also nicht?
Einmal noch, Herr Geis.
Sie sagten eben, dass es in diesen Ländern sowohl einen Anspruch auf einen Kitaplatz als auch einen Anspruch auf Betreuungsgeld gibt. Ist Ihnen völlig entgangen, dass wir das ab 2013 ebenfalls so wollen, nämlich
Kitaplatz und Betreuungsgeld? Angesichts dessen müssten Sie eigentlich Ja dazu sagen.
({0})
„Ihr Wort in Gottes Gehörgang“, würde ich jetzt mal
sagen.
({0})
Frau Schröder, die Ministerin, hat heute an die Länder
appelliert, etwas mehr in Sachen Betreuung zu tun, weil
sie genau weiß, dass sie eigentlich handeln müsste. Sie
ist in der Verantwortung. Sie müsste einen Krippengipfel
veranstalten.
({1})
Sie müsste sich mit den Ländern verständigen. Sie sollte
zum Beispiel lieber auch die 1,9 Milliarden Euro, die das
Betreuungsgeld kostet, in die Hand nehmen und in mehr
und bessere Betreuungsangebote stecken. Ich glaube,
das wäre der richtige Weg für Deutschland; wir sind
nämlich in Deutschland und nicht in Norwegen.
({2})
Last not least: Sie haben in Ihrem Koalitionsvertrag
etwas festgelegt, was auch ich ganz interessant finde. Sie
sagen, das Betreuungsgeld kann „gegebenenfalls als
Gutschein“ ausgezahlt werden. Jetzt habe ich mich gefragt: Was heißt denn „gegebenenfalls“? Bekommen
dann in Zukunft die einkommensschwachen Familien einen Gutschein und die reichen Familien die 150 Euro in
bar? Misstrauen Sie vielleicht den Eltern, die weniger
Geld haben, und unterstellen ihnen, nicht genug für ihre
Kinder zu tun?
({3})
Ich bin sehr gespannt auf die Antwort von Ihnen, was
Sie unter Gutscheinlösung tatsächlich verstehen.
Genau das passt aber in Ihr unsoziales, diskriminierendes Politikbild. Das ist eine Grundhaltung von Ihnen.
Frau Deligöz hat vorhin schon gesagt, Sie haben vor, zu
sparen, und Sie sparen natürlich bei den Familien.
({4})
Sie haben ja den reichen Familien über die Freibeträge
bis zu 90 Euro mehr Kindergeld gegeben. Bis zu 90 Euro
pro Monat haben reiche Familien aufgrund der Erhöhung des Freibetrags nämlich mehr zur Verfügung; das
ist viel mehr als diejenigen bekommen, die ein geringes
Einkommen haben. Das darf man nicht vergessen. Was
machen Sie jetzt? Jetzt wollen Sie das Mindestelterngeld
von 300 Euro, das alle erhalten, das auch diejenigen, die
nicht berufstätig sind, für ihre Erziehungsleistung bekommen, gerade den Einkommensschwächsten, den
Hartz-IV-Empfängerinnen und Alleinerziehenden, wegnehmen. Das verstehe, wer will. Ich verstehe das nicht.
({5})
- Was heißt „angerechnet“? Sie kürzen es, Sie nehmen
es ihnen weg.
({6})
Verkleistern Sie doch die Tatsache nicht durch Ihre
Wortwahl! Sie nehmen den Frauen und den Männern,
die in Hartz-IV-Bezug sind, die 300 Euro Elterngeld, die
sie jetzt noch bekommen, weg. Das nenne ich unsoziale
Klientelpolitik.
({7})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung hat festgestellt - Sie konnten das in dieser Woche alle lesen -, dass die Spaltung
der Gesellschaft vorangeht, dass es immer mehr Reiche
und ebenfalls immer mehr Arme gibt. Das heißt, die Lücke zwischen Arm und Reich wird immer größer. Wenn
Sie die Politik, die Sie jetzt angestoßen haben, so, wie
Sie gerade in Ihrer Rede angedroht haben, fortsetzen
wollen, dann sind Sie verantwortlich für die weitere
Spaltung unserer Gesellschaft. Darum bitte ich Sie herzlich: Verzichten Sie auf die Einführung des Betreuungsgeldes! Es ist unsozial, es ist bildungspolitisch eine Katastrophe und gleichstellungs- und familienpolitisch ein
Rückschritt. Nehmen Sie dieses Geld für den Ausbau
von Betreuungsplätzen, die wir händeringend brauchen.
Damit würden Sie sicherlich etwas tun, um die Wahlfreiheit zu stärken.
Danke schön.
({8})
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzent-
wurfs auf Drucksache 17/1579 an den in der Tagesord-
nung aufgeführten Ausschuss vorgeschlagen. Sind Sie
damit einverstanden? - Ich sehe, das ist der Fall. Dann
ist die Überweisung so beschlossen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 9 a und 9 b auf:
a) - Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses ({0}) zu dem Antrag der Bundesregierung
Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der Friedensmission der
Vereinten Nationen im Sudan ({1}) auf
Grundlage der Resolution 1590 ({2}) des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen vom
24. März 2005 und Folgeresolutionen
- Drucksachen 17/1902, 17/2172 Berichterstattung:
Abgeordnete Philipp Mißfelder
Marina Schuster
Jan van Aken
Kerstin Müller ({3})
- Bericht des Haushaltsausschusses ({4})
gemäß § 96 der Geschäftsordnung
- Drucksache 17/2178 Berichterstattung:
Abgeordnete Herbert Frankenhauser
Petra Merkel ({5})
Dr. h. c. Jürgen Koppelin
Sven-Christian Kindler
b) - Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses ({6}) zu dem Antrag der Bundesregierung
Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der AU/UN-Hybrid-Operation in Darfur ({7}) auf Grundlage
der Resolution 1769 ({8}) des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen vom 31. Juli 2007
und Folgeresolutionen
- Drucksachen 17/1901, 17/2173 Berichterstattung:
Abgeordnete Philipp Mißfelder
Marina Schuster
Jan van Aken
Kerstin Müller ({9})
- Bericht des Haushaltsausschusses ({10})
gemäß § 96 der Geschäftsordnung
- Drucksache 17/2179 Berichterstattung:
Abgeordnete Herbert Frankenhauser
Petra Merkel ({11})
Dr. h. c. Jürgen Koppelin
Sven-Christian Kindler
Über beide Beschlussempfehlungen werden wir später namentlich abstimmen.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Damit sind
Sie einverstanden, wie ich sehe. Dann werden wir so
verfahren.
Ich eröffne die Aussprache und erteile als erster Rednerin der Kollegin Marina Schuster von der FDP-Fraktion das Wort.
({12})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Wir beraten heute die deutsche Beteiligung an
den beiden UN-Mandaten im Sudan, UNMIS und UNAMID. Ich schicke eines gleich vorweg: Ich wünsche und
hoffe, dass es unverändert eine große Mehrheit hier im
Haus für die beiden Mandate geben wird.
({0})
Denn immer wieder kommt es in verschiedenen Regionen des Sudans zu Gewaltausbrüchen. Auch das belegt:
Die beiden Mandate sind nach wie vor dringend notwendig.
Wir wissen: Der Sudan befindet sich in einer sehr kritischen, wahrscheinlich in seiner fragilsten Phase. Im Januar wird in einem Referendum über die Abspaltung des
Südsudans entschieden. Viele Experten halten es für
wahrscheinlich, dass die Südsudanesen für eine Abspaltung votieren. Wir greifen hier nicht dem Votum der
Bürger vor. Aber eines ist auch klar: Für den Fall, dass es
zu einer Abspaltung kommt, muss es Regelungen und
Vorkehrungen geben, damit es nicht zu einem neuen
Bürgerkrieg kommt.
({1})
Das heißt, es muss geregelt werden, wie die Öleinnahmen aufgeteilt werden und wie es mit dem Staatsangehörigkeitsrecht und dem Schutz von Minderheiten
weitergeht. Aber auch zukünftige Sicherheitsabkommen
müssen beraten und erarbeitet werden. Das alles soll im
Rahmen einer VN-Konferenz geschehen, die wir in unserem interfraktionellen Sudanantrag gefordert haben.
Ich bin sehr froh, dass die Bundesregierung diesen Antrag unterstützt und dass sie sich im internationalen Rahmen für diese Konferenz einsetzt.
Wir wissen: Der Schlüssel für einen tragfähigen Frieden liegt im politischen Prozess. UNMIS und UNAMID
sind wichtige, aber eben keine ausreichenden Beiträge
der internationalen Gemeinschaft, um diesen dauerhaften Frieden zu gewährleisten. Das kann nur durch einen
Waffenstillstand und durch einen umfassenden Friedensprozess erreicht werden.
({2})
Das haben wir in dem interfraktionellen Antrag verankert. Ich begrüße, dass dieser Antrag vom März mit seinen über 30 Forderungen Grundlage für das weitere Engagement der Bundesregierung ist. Das ist ein ganz
wichtiges Signal.
Ich möchte noch speziell auf Darfur eingehen. Es gibt
Gott sei Dank auch erfreuliche Entwicklungen bei den
Friedensverhandlungen, die mir persönlich ein bisschen
Hoffnung machen. Herr Professor Wolfrum vom MaxPlanck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und
Völkerrecht in Heidelberg hat in einem langen Prozess
ein Heidelberg-Darfur-Outcome-Document mit den Vertretern vor Ort erarbeitet. Er ist jetzt von Herrn Bassolé
zu den Friedensverhandlungen in Doha eingeladen worden. Das heißt, dieses Dokument wird offiziell in die
Friedensverhandlungen eingeführt. Es verlässt die akademische und erreicht nun die politische Ebene. Ich
freue mich, dass Herr Bassolé die Expertise von Herrn
Professor Wolfrum angenommen hat und den Inhalt des
Dokumentes unterstützt.
Wir haben jetzt eine juristische Grundlage, die alle
Parteien einbezieht. Dies ist sehr wichtig, weil wir in
Darfur bereits ein Friedensabkommen, das DPA, hatten,
das aber - das war ein wesentliches Problem - nur von
einer Rebellenfraktion unterzeichnet wurde. Es war also
von Anfang an ein brüchiger Friedensvertrag.
Ich möchte noch kurz auf das Mandat selbst eingehen.
Ich habe schon die Kritik von SPD und Grünen im Rahmen der Ausschussberatungen gehört. Sie kritisieren
beim UNAMID-Mandat die Reduzierung der personellen Obergrenze. Ihre Kritik teile ich eindeutig nicht.
Denn wir müssen sehen, dass sich die Mandatsreduzierung an der Wahrheit vor Ort orientiert. Sie können daraus nicht auf ein schwindendes Interesse der Bundesregierung schließen. Zwei Jahre wurden die Kapazitäten
für Lufttransporte bereitgehalten, aber nicht benötigt.
Deswegen ist es nur richtig, dass wir die Mandatsobergrenze reduzieren. Das heißt aber nicht, dass wir die
Zahl der tatsächlich eingesetzten Kräfte vor Ort reduzieren.
({3})
Auch da müssen wir bei der Wahrheit bleiben, liebe Kolleginnen und Kollegen von SPD und Grünen: Die tatsächliche Truppenanzahl war unter Schwarz-Rot, also
unter der Vorgängerregierung, auch nicht höher.
({4})
Ich freue mich, dass die Bundesregierung flankierende Maßnahmen unterstützt. Es gibt viele Bereiche, in
denen sie sich engagiert. Ich nenne in diesem Zusammenhang: den Aufbau der Polizei im Südsudan mit über
1 Million Euro und das humanitäre Minenräumen mit
fast 1 Million Euro. Hinzu kommen die humanitäre Hilfe
im Sudan, die nach wie vor so dringend notwendig ist,
aber auch die Hilfe für die Flüchtlinge im Tschad und die
Demokratisierungshilfe, die über das Carter Center geleistet wird. Darüber hinaus unterstützt die Bundesregierung eine Radiostation, das Radio Miraya, die zur Wähleraufklärung beiträgt, und eine Radiostation in Darfur.
Ich könnte noch viele weitere Einzelmaßnahmen aufzählen. Das beweist: Die Bundesregierung misst dem Sudan
weiterhin ein besonderes Gewicht im Rahmen der deutschen Außen- und Menschenrechtspolitik bei. Diesen
Kurs begrüßen und unterstützen wir ausdrücklich.
Vielen Dank.
({5})
Für die SPD-Fraktion hat die Kollegin Heidemarie
Wieczorek-Zeul das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Es ist wichtig, dass wir uns einmal die Größe des Sudans
vor Augen führen. Der Sudan ist siebenmal so groß wie
die Bundesrepublik Deutschland. Er ist das größte Land
auf dem afrikanischen Kontinent. Der südlichste Teil
Europas liegt nur 2 500 Kilometer vom Sudan entfernt.
Wenn wir also über UNMIS und UNAMID reden und
diese Begriffe verwenden, muss uns einfach klar sein,
dass die Frage, wie die Entwicklung in dieser Region
verläuft, für die Stabilität Afrikas und die Millionen
Menschen in dieser Region von zentraler Bedeutung ist.
Ich möchte auch an die Opfer erinnern; denn sie werden in dieser Diskussion häufig vergessen. Allein der
Konflikt im südlichen Sudan hat 2 Millionen Tote gefordert. In Darfur selbst sind es mindestens 300 000 Tote
und 2,6 Millionen Binnenvertriebene. Trotz der humanitären Hilfe müssen 250 000 Flüchtlinge in Flüchtlingslagern im Tschad ausharren, Gewalt ertragen und unter
elenden Bedingungen leben. Es kann uns im Deutschen
Bundestag und den Menschen in unserem Land deshalb
nicht gleichgültig sein, welche Entwicklung der Sudan
weiter nimmt, und zwar um der Entwicklung der Stabilität, aber auch um der Millionen Menschenleben willen,
um die es in dieser Region geht.
({0})
Mit dieser Grundhaltung hat der Deutsche Bundestag
über die Jahre hinweg - im Jahr 2004, im Jahr 2005 und
zuletzt im März dieses Jahres - fraktionsübergreifend
Stellung bezogen. In dieser Grundhaltung werden wir als
SPD-Bundestagsfraktion den beiden Mandaten zur Verlängerung von UNMIS und UNAMID zustimmen, auch
wenn wir dagegen sind, dass die Reduzierung des Umfangs von UNAMID im Sinne dessen, was hier vorgetragen worden ist, vollzogen wird. Wir sind der Meinung,
dass eine Reduzierung des Umfangs ein falsches politisches Signal ist. Insgesamt werden wir den entsprechenden Mandaten aber zustimmen.
Es ist schon gesagt worden, dass es bei UNMIS um
den Schutz vor Gewalt und um die Demobilisierung von
Rebellengruppen und Menschen geht, die diese Gewalt
ausüben. Es geht darum, Friedensabkommen wie das
Comprehensive Peace Agreement tatsächlich zu begleiten, zivile Polizei auszubilden und die Voraussetzungen
für das Referendum zu schaffen. Dazu ist noch vieles
notwendig, unter anderem die genaue Grenzziehung. Ich
bin manchmal ein bisschen erstaunt, dass an dieser Stelle
so wenig Leidenschaft sichtbar wird. Denn die Grenzziehung und die Verteilung der Ressourcen kann für die
Frage, welche Entwicklungen nach dem Referendum
stattfinden, von zentraler Bedeutung sein.
Bei dem Referendum und der Phase danach sind meines Erachtens zwei völlig unterschiedliche Szenarien
denkbar. Das eine Szenario ist weiteres Blutvergießen
und eine mögliche völlige Fragmentierung des Landes
selbst. Das zweite Szenario - das ist der positivste Fall ist eine Transformation mit dem Ziel einer guten Nachbarschaft. Ich bin der Meinung, dass wir alles tun müssen, damit es eine Transformation ohne Gewalt und
einen Übergang zu gutnachbarlichen Beziehungen gibt.
({1})
Das haben wir mit in der Hand. Denn die internationale
Gemeinschaft hat seit dem Jahr 2005 ihren Beitrag zur
Beendigung des Konfliktes geleistet.
Ich möchte aber auch auf Folgendes hinweisen: Die
Zahl der UNMIS-Soldaten - die gesamte Mission macht
etwa 10 000 Militärs und 715 Polizisten aus - zeigt, um
welche Aufgabe es geht, um eine Aufgabe, angesichts
derer die europäische und auch die deutsche Beteiligung
- ich sage es jetzt sehr vorsichtig - eher unterdimensioniert erscheint. Afrika sollte uns mehr Beteiligung wert
sein.
({2})
Diese Position habe ich schon, als damals das ursprüngliche Mandat entschieden worden ist, mit dem Verteidigungsminister diskutiert - mit etwas unterschiedlichen
Fronten, um es so auszudrücken. Unsere Beteiligung ist
wirklich nicht ausreichend; das muss man ausdrücklich
sagen.
Natürlich geht es jetzt darum, dass der politische Prozess begleitend in Gang kommt und eine UN-Konferenz
einberufen wird, die wir bereits im März fraktionsübergreifend gefordert haben. In diesem Zusammenhang
muss dazu beigetragen werden, dass es Regelungen zur
Teilung der Öleinnahmen, zum Minderheitenschutz und
zu Überprüfungsmechanismen gibt, und vor allen Dingen ein Konsens unter allen beteiligten Konfliktparteien
im Sudan hergestellt wird. Dies umfasst natürlich die
Afrikanische Union, die Arabische Liga und China. Eine
solche internationale Konferenz muss einen Abstimmungsmechanismus und die Einbeziehung in eine friedliche Entwicklung voranbringen.
Ich will hinzufügen: Im Vorfeld des Referendums ist
die deutsche und europäische Präsenz vor Ort dringend
notwendig, nicht nur in Khartoum. Denn es ist Hilfe bei
der Erstellung der Wahllisten erforderlich. Dies wäre
aber auch ein Signal für die Notwendigkeit einer Monitoringmission, die dafür sorgen sollte, dass das Referendum unter fairen Bedingungen stattfinden kann.
Bezogen auf das UNAMID-Mandat - das wurde vorhin von Frau Schuster angesprochen - geht es vor allen
Dingen darum, dass diese Mission tatsächlich gut ausgerüstet und ausgestattet ist. Für diese Mission - sie ist die
größte der UN - wird eine Zahl von insgesamt
26 000 Soldaten benötigt. Bisher sind überhaupt nur
22 000 Soldaten - das ist schon hoch gegriffen - im Einsatz. Das ist nicht hinnehmbar, wenn wir bedenken, wie
katastrophal die Situation nach wie vor in Darfur ist. Der
UN-Sicherheitsrat hat am 14. Juni 2010 eine Diskussion
zu Sudan geführt. Dabei hat der UNAMID-Vertreter
Ibrahim Gambari darauf hingewiesen, dass allein im Mai
447 Menschen im Sudan bzw. in Darfur umgebracht
worden sind, dass 50 000 Menschen daraufhin die
Flucht angetreten haben und dass nach wie vor sexuelle
Gewalt gegenüber Frauen ausgeübt wird. Das können
wir nicht hinnehmen. Deshalb ist aus unserer Sicht mehr
politisches Engagement, aber auch mehr Engagement in
Bezug auf die Beteiligung an einem solchen Mandat notwendig.
({3})
Ich will auf ein Argument eingehen: Die Bundesregierung sagt, die 200 Soldaten, die den Transport von
Truppen der Afrikanischen Union organisieren, würden
nicht mehr gebraucht. Natürlich werden diese nicht
mehr gebraucht. Aber, liebe Frau Kollegin Schuster,
noch im Februar hat die UNAMID gesagt, dass man
18 Hubschrauber brauche, damit Überwachungsflüge
und die Versorgung im humanitären Bereich möglich
seien. Angesichts der dortigen Katastrophe bin ich der
Meinung, dass dies eine Aufgabe wäre, die von uns
erfüllt werden müsste und die wir nicht beiseiteschieben
dürfen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich komme zum
Schluss. Ich denke, unser Engagement im Rahmen der
politischen Aufgabe und der militärischen Mission kann
ausschlaggebend dafür sein, entweder das Aufflammen
eines Bürgerkriegs zu verhindern oder dazu beizutragen,
ihn erneut anzufachen.
Ich möchte dazu aufrufen, mit dem Engagement, das
wir im Bundestag jedenfalls bei diesen Fragen immer
gezeigt haben, dazu beizutragen, dass kein Bürgerkrieg
entsteht und die Menschen in dieser Region Afrikas endlich in Frieden und Nachbarschaft leben können.
Vielen Dank.
({4})
Nächster Redner ist der Kollege Florian Hahn für die
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Im Mai dieses Jahres erlebte die westsudanesische Krisenregion den blutigsten Monat seit
mehr als zwei Jahren. Nach Angaben der Vereinten Nationen kamen in Darfur in nur einem Monat fast 600 Menschen ums Leben. Der Mai war damit einer der folgenschwersten Monate seit Entsendung der gemeinsamen
Friedensmission von UNO und Afrikanischer Union im
Januar 2008.
Die Zahlen, die man da hört, sind traurig und erschreckend. Sie unterstreichen jedoch die Notwendigkeit des
Engagements der Vereinten Nationen und rechtfertigen
unsere Hilfe. Wir müssen uns bei derartigen Einsätzen
immer wieder bewusst machen, dass wir unsere Soldatinnen und Soldaten 4 000 Kilometer entfernt von Freunden und Familie großen Anstrengungen und Gefahren
aussetzen. Es ist daher sehr wichtig und richtig, die Mandate immer wieder neu im Parlament zu debattieren.
({0})
Es ist selbstverständlich, dass wir das Mandat der Situation entsprechend anpassen. So sieht der Antrag der
Bundesregierung vor, die personelle Obergrenze des
deutschen Beitrags von 250 auf 50 Soldatinnen und Soldaten zu reduzieren. Die Lufttransportunterstützung wurde
in der Vergangenheit nicht nachgefragt. Weil auch kein
zukünftiger Bedarf absehbar ist, ist es nur richtig, dass
die bislang hierfür vorgesehenen Kräfte und Fähigkeiten
nicht noch einmal mandatiert werden.
Die Mission der Vereinten Nationen, in deren Rahmen unsere Soldaten einen beachtenswerten Beitrag leisten, dient als rahmengebendes Element der Verbesserung
der Sicherheitslage in Darfur und begleitet die politischen Bemühungen um ein Ende der dortigen Krise.
Auch die UNMIS ist als stabilisierendes Element zur
Wahrung der Sicherheit der Zivilbevölkerung im Sudan
unverzichtbar. Die personelle Obergrenze des deutschen
Beitrags von 75 Soldaten und Soldatinnen soll bestehen
bleiben. Sie haben ihren Schwerpunkt bei der Wahrnehmung von Militärbeobachtungsaufgaben sowie in den
von UNMIS gebildeten Stäben und Hauptquartieren.
Ich meine, dass es eine der Hauptaufgaben von
UNMIS sein muss, das Referendum im kommenden Jahr
vorzubereiten. Angesichts der Erfahrungen mit den
Wahlen im April dieses Jahres halte ich es für unerlässlich, dass eine unabhängige Wahlkommission das Referendum so transparent und fair wie nur irgend möglich
begleitet. Wenn auch beim Referendum nachträglich
eklatante Fehler sichtbar würden - wir alle wissen, dass
dies beispielsweise bei den Wahlen im April der Fall
war -, so würden wir das Kind mit dem Bade ausschütten.
Außerdem müssen sich die Menschen in Zukunft
trauen, in ihre Heimatregionen zurückzukommen. Wir
brauchen die Rückkehrer; denn ohne eine breite Bevölkerung wird es dort keine Stabilität geben. Ich brauche
Ihnen nicht zu sagen, dass die Situation für die Bevölkerung im Südsudan katastrophal ist; wir dürfen nicht erst
hellhörig werden, wenn uns unsere Nachbarländer in Europa bei der Flüchtlingsproblematik um Hilfe bitten.
({1})
Es ist deshalb richtig, auch in wirtschaftlich schwierigen Zeiten an den mittel- und langfristigen Schwerpunkten der Entwicklungszusammenarbeit nachhaltig festzuhalten. Die bilateralen Schwerpunkte der deutschen
Entwicklungspolitik im Südsudan sowohl in der technischen als auch der finanziellen Zusammenarbeit liegen
auf der Entwicklung des städtischen Wassersektors, der
Dezentralisierung und der Verwaltungsreform. Die entwicklungsorientierte Not- und Übergangshilfe hat sich
zum Ziel gesetzt, Rückkehrer nachhaltig in die Lage zu
versetzen, ihre Lebensgrundlage zu sichern. Die Ernährungssicherung im Gesamtsudan ist ein weiterer Baustein der Entwicklungshilfe. Ich freue mich darüber, dass
die politischen Stiftungen, die kirchlichen Organisationen sowie der Deutsche Entwicklungsdienst das zivilgesellschaftliche Engagement im Gesamtsudan kräftig unterstützen. Die Beteiligung der Bundeswehr an UNMIS
und UNAMID ist ein wichtiger Bestandteil der Anstrengungen der Bundesregierung zur Friedenskonsolidierung
im Sudan.
({2})
Um diese Anstrengungen zu untermauern und unseren Soldatinnen und Soldaten für ihren schwierigen Einsatz den Rücken zu stärken, ist eine breite Unterstützung
für die Fortsetzung der Mandate notwendig. Ich danke
allen Soldatinnen und Soldaten, aber auch den Polizisten, den Diplomaten und den zivilen Aufbauhelfern und
wünsche ihnen auf diesem Weg weiterhin Gottes Segen
für ihre Aufgabe. Im Interesse der Menschen im Sudan
und in der Region bitte ich Sie um Ihre Zustimmung für
die vorliegenden Anträge.
Herzlichen Dank.
({3})
Für die Fraktion Die Linke hat das Wort der Kollege
Wolfgang Gehrcke.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Glücklich, wer von sich behaupten kann: Für mich ist alles klar, ich habe alles analysiert, ich habe eine feste
Meinung, und so werden wir die Sache machen.
({0})
Glücklich ist, wer sagen kann: Wir danken unseren Soldatinnen und Soldaten. - All das kann ich für mich und
auch für meine Fraktion nicht in Anspruch nehmen.
({1})
Ganz im Gegenteil: Mir sind viele Sachen völlig unklar.
Ich will einige davon ansprechen.
Ein Teil der Fraktion Die Linke wird sich zu beiden
Mandaten der Stimme enthalten, ein größerer Teil wird
gegen die Mandate stimmen;
({2})
zu denen gehöre ich. Wir nehmen für uns in Anspruch,
dass wir versuchen, uns ernsthaft mit den Problemen
auseinanderzusetzen. Wir wollen das, was man erkennen
kann, was man lesen kann, was man in Gesprächen mit
Betroffenen und NGOs analysieren kann, gründlich betrachten und dann eine Abwägung vornehmen.
Ich will Ihnen einige Punkte vortragen. Aus meiner
Sicht gelten zwei Argumente mit Sicherheit nicht. Erstens. Man darf nicht zulassen, dass gesagt wird: Das geht
uns nichts an.
({3})
Alles, was in dieser Welt passiert, betrifft uns und geht
uns in dem Sinne etwas an, dass man die Welt nicht
mehr in einzelne Schubladen einteilen kann. Vielmehr
muss man endlich begreifen: Man lebt in einer gemeinsamen Welt.
({4})
Entweder man gestaltet sie gemeinsam, oder man lässt
es bleiben. Ich glaube, das kann man für sich in Anspruch nehmen.
({5})
Zweitens. Ich möchte auf Folgendes aufmerksam machen: Ich vergleiche den Einsatz der Bundeswehr im Sudan nicht mit dem Einsatz in Afghanistan. Es sind unterschiedliche Motive, unterschiedliche Kräftekonstellationen, und es ist ein ganz unterschiedlicher Umfang der
Mandate.
({6})
Das alles können wir abhaken.
({7})
Ich komme nun zu einem Problem. Ich habe nie verstanden, warum Menschen, die lange relativ vernünftig
zusammengelebt haben, plötzlich übereinander herfallen
und sich abschlachten. Was ist passiert, dass eine solche
Kälte und eine solche Brutalität bei den Menschen eingezogen sind? Über diese Frage muss man doch zumindest einmal nachdenken.
Ich möchte, dass wir darüber nachdenken, welche Interessen hier aufeinandertreffen: Interessen von örtlichen
Machthabern, regionale Interessen und Interessen wirtschaftspolitischer Vorteile, die man daraus ziehen kann.
Es ist doch bekannt, dass das Elend des Sudan auch in
seinem Reichtum an Naturressourcen begründet ist. In
diesem Zusammenhang ist China zu nennen, das in hohem Maße Ölausbeutung betreibt. Auch die USA wollen
in das Geschäft einsteigen. Sie kooperieren mit einzelnen Kräftegruppierungen und einzelnen Formationen im
Sudan selbst. Daraus resultiert ein Teil der Spannungen,
nicht alle. Ich sage Ihnen ehrlich: Ich habe die große
Sorge - das sagt jeder -, dass das Referendum zu einer
Abtrennung des Südsudan führt. Daran gibt es eigentlich
keinen Zweifel. Ich habe die große Sorge, dass die
Abspaltung des Südsudan, die Auflösung des Gesamtsudan, die Konflikte nicht entschärft, sondern verschärft.
({8})
Wir haben darüber diskutiert, ob die Stationierung von
Soldaten bei der Entschärfung der Konflikte helfen
kann, wie einige sagen, oder ob sie die Konflikte verschärft. Die Soldaten können sie zumindest nicht lösen.
Ich möchte, dass man sich in diesem Haus zumindest
auf zwei Punkte einigt:
Erstens. Kein Mitglied des Deutschen Bundestages
sollte für eine Verschärfung der Konflikte im Sudan eintreten. Wir müssen mäßigen und das herunterfahren.
({9})
Zweitens, und dann würde ich auch schon Schluss
machen wollen. Stellen Sie sich einmal die Frage, ob wir
nicht einen Beitrag dazu leisten können, dass Waffenlieferungen in diese Region unterbleiben und unterbunden
werden!
({10})
- Jetzt will Herr Ströbele mich fragen, ob ich weiß, dass
die Entwaffnung Teil des Programms ist. Das weiß ich,
Christian. Aber frage, was du möchtest, wenn die Frau
Präsidentin es zulässt.
Ihre Redezeit ist schon abgelaufen, Herr Gehrcke.
Schade. Ich hätte die Frage gerne beantwortet und mir
auf diese Art und Weise etwas mehr Redezeit verschafft.
({0})
Also komme ich zu meinem letzten Satz: Bitte lassen
Sie uns dazu beitragen, dass gegen Waffenlieferungen in
Spannungsgebiete vorgegangen wird! Damit leisten wir
einen Beitrag zur Entspannung und möglicherweise auch
dazu, dass Gewalt vermieden wird.
Vielleicht ist es etwas ungewöhnlich, dass man nicht
sagt: Wir wissen alles.
Vielen Dank.
({1})
Nächster Redner ist der Kollege Omid Nouripour für
die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr
Gehrcke, ich frage mich, was passieren muss, welche
Konditionen vorliegen müssen, damit Sie zustimmen.
Wenn ein UN-Mandat, eine humanitäre Katastrophe, ein
expliziter Friedensansatz und eine geringe militärische
Potenz nicht reichen, was muss vorliegen, damit Sie einmal sagen: „Okay, wir sind bereit, zuzustimmen“?
({0})
Ich sehe nichts. Ich habe nicht den Eindruck, dass Ihre
Entscheidung irgendetwas mit dem Sachverhalt zu tun
hat. Ich habe den Eindruck, dass Sie zu allem, was auf
den Tisch kommt, kategorisch Nein sagen.
({1})
Die Welt schaut zurzeit nach Afrika, nach Südafrika.
Leider wird der Blick in wenigen Wochen wieder abgewendet. Deswegen ist es umso wichtiger, dass wir nicht
nur auf die bunten Bilder von den schönen Festen
schauen, die derzeit stattfinden, sondern auch auf das
große Leid und die vielen Konflikte, die es in Afrika, auf
diesem leidgeprüften Kontinent, gibt. Das ist der Grund,
warum wir uns weiterhin engagieren müssen, gerade im
Sudan.
Die Lage in diesem Land ist konfliktträchtig. Die
Spannungen haben seit der Wahl alles andere als abgenommen. Die Wahl war selbstverständlich nicht frei, und
sie war auch nicht fair. Deshalb ist es umso wichtiger,
dass wir gerade jetzt unser Augenmerk und unsere Konzentration darauf richten, dass das Referendum über die
Unabhängigkeit im Süden des Landes frei und fair ablaufen wird.
Der Friedensprozess im Sudan ist noch lange nicht an
seinem Ende und bedarf einer erhöhten internationalen
Kraftanstrengung. Dabei kommt es besonders auf die
Afrikanische Union an. Ich freue mich, zu sehen, dass es
in den letzten Monaten einige Anzeichen dafür gegeben
hat, dass die Afrikanische Union auf einem besseren
Weg ist. Ich meine beispielsweise die Arbeit und die Ergebnisse des Mbeki-Panels. Das ist ein guter Weg, ein
gutes Zeichen. Möge es so weitergehen.
({2})
Erlauben Sie mir, etwas zu den Mandanten zu sagen,
die heute zur Abstimmung stehen, zu UNMIS und zu
UNAMID. Herr Außenminister, wir hören immer wieder, dass mehr Hilfe gar nicht nachgefragt wird. Wir haben einen interfraktionellen Antrag, aus dem mehrfach
zitiert worden ist - auch von der Kollegin Schuster - und
in dem steht, dass die Absenkung der personellen Obergrenze eigentlich nur eine Anpassung an die Realität
darstellt. Wenn Sie sich aber den Bericht des UN-Generalsekretärs und den interfraktionellen Antrag anschauen, stellen Sie fest, dass darin nicht steht: Wir
schauen, wie viele Leute wir tatsächlich haben, und passen das Mandat dann an. - Wir wollten alle gemeinsam
- das ist auch das, was der UN-Generalsekretär will unser Mandat den Gegebenheiten vor Ort anpassen. Das
ist aber genau das, was mit diesem Mandat leider Gottes
nicht passiert.
({3})
Die Gegebenheiten vor Ort sind eindeutig. Wir brauchen - das sagt auch die UN-Transporteinheit - Helikopter und Luftraumüberwachung. Vor allem muss man Folgendes sehen: Es gibt einen neuen Kommandeur bei
UNAMID. Dadurch ist jetzt deutlich mehr Dynamik
vorhanden.
Der Einsatz im Rahmen von UNAMID wird effizienter. In dieser Situation zu reduzieren und das, was
UNAMID braucht, nicht bereitzustellen, ist leider zu wenig und in erster Linie nur passive Außenpolitik.
({4})
Genauso passiv ist man bei der Frage eines Sonderbeauftragten. Wir haben einige Male danach gefragt. Wir
haben immer wieder gehört, es werde geprüft, ob ein
Sonderbeauftragter eingesetzt wird. Wir haben jetzt in
den Ausschussberatungen leider erfahren, dass es keinen
Sonderbeauftragten geben wird und dass man keinen
Grund sieht, einen einzusetzen.
Um ehrlich zu sein, ich finde es ein wenig peinlich,
wenn es Konferenzen gibt, bei denen die Deutschen
nicht dabei sind, weil es keinen zentralen Ansprechpartner gibt, beispielsweise in Addis Abeba im April 2009.
Das wird der Tradition, der Kontinuität der deutschen
Außenpolitik mitnichten gerecht. Deshalb wäre es zwingend notwendig, so schnell wie möglich einen Sonderbeauftragten einzusetzen.
({5})
- Die Konferenz war im April 2009, Herr Außenminister. Da waren Sie noch nicht im Amt, aber Sie haben es
jetzt in der Hand, diese Fehler zu korrigieren. Verdammt
noch mal, machen Sie das endlich!
({6})
Wir müssen einen weiten Weg gehen, wenn wir Frieden im Sudan wollen. Es lohnt sich, den Friedensprozess
zu unterstützen. Das sollten wir verstärkt tun.
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({7})
Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege
Hartwig Fischer für die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Es zeugt von einer unglaublichen Ignoranz, wenn man
eine solche Rede hält wie Sie, Herr Gehrcke.
({0})
Wenn wir hier im Bundestag zu wichtigen Themen Entscheidungen fällen, haben wir die Verantwortung, uns
vorher zu informieren. Ihre Fraktion hat eine Kleine Anfrage mit 31 Fragen gestellt. Diese Anfrage ist am 4. Juni
2010 beantwortet worden. In dieser Antwort auf die Anfrage ist vom Auswärtigen Amt im Detail genau aufgezeigt worden, was in der Vergangenheit gemacht worden
ist, wie in der Gegenwart gehandelt wird und welche Entscheidungen für die Zukunft getroffen werden. Ihre Fragen zu den Einsatzmitteln und Einsatzzahlen sind im Detail beantwortet worden. Ihnen ist gesagt worden, wie die
Bundesregierung mit unseren Durchführungsorganisationen, auch gemeinsam mit den NGOs, dort Krisenprävention betreibt.
Nun stellen Sie sich hin und sagen, für Sie sei alles
klar, für Sie sei alles erledigt, Sie hätten sich mit einigen
NGOs unterhalten. Wären Sie wie Herr Strässer, Frau
Müller und Marina Schuster einmal in das Krisengebiet
gereist, hätten sich in den Flüchtlingslagern informiert,
hätten mit Müttern gesprochen, die ihre Kinder verloren
haben, weil die Ernährung nicht mehr gewährleistet werden kann,
({1})
dann würde sich gleich nicht ein Teil Ihrer Fraktion bei
dieser Abstimmung enthalten und ein Großteil gegen
diesen Einsatz stimmen.
Dieser Einsatz wird von Ihnen nicht gewünscht. An
diesem Einsatz im Südsudan beteiligen sich jedoch
67 Nationen mit 10 000 Einsatzkräften und bei
UNAMID in Darfur 48 Nationen mit 22 000 Einsatzkräften. Das heißt, die Weltgemeinschaft sieht, welches
Risiko dort besteht und was geleistet werden muss. Herr
Außenminister und Herr Minister Niebel, Sie haben das
Thema hier und auch bei Ihrer gemeinsamen Reise in
diese Länder angesprochen; das müsste hier noch deutlicher werden. Sie haben dort um eine gemeinsame Unterstützung der Afrikanischen Union gebeten, die jetzt in
weiten Bereichen auf Grundlage des Prinzips „Ownership“ erfolgt.
Sie haben in Frage 11 gefragt, wer die Teilnehmer einer möglichen Sudan-Konferenz sind und wie die Programme unterstützt werden sollen. Wir haben uns speziell
im Bereich der Entwaffnung, Demobilisierung und Reintegration ehemaliger Kombattanten eingesetzt. Trotzdem machen Sie hier im Parlament die Aussage, dass Sie
erwarten, dass niemand sich konfliktverschärfend betätigt. Es ist ein Hohn, so etwas vor dem Hintergrund der Situation, wie wir sie dort im Land erleben, zu sagen.
({2})
Meine Damen und Herren, wir haben eine Reihe von
Konfliktpräventionsmaßnahmen zur Verfügung. Es gibt
keinen Zweifel - nach den Gesprächen, die wir geführt
haben, bin ich davon fest überzeugt -, dass die Frage des
Sonderbeauftragten ernsthaft angegangen wird. Mittel
dafür stehen im Bundeshaushalt zur Verfügung. Wir haben auch stellenmäßig die Chance, dort zur Unterstützung zusätzlich jemanden einzubringen. All dies ist in
Vorbereitung.
Es gibt allerdings auch keinen Zweifel, dass die Fragen der Grenzziehung in den nächsten sechs Monaten
Hartwig Fischer ({3})
entschieden werden müssen, weil es, wenn im Referendum für eine Abspaltung gestimmt wird, in diesem gemeinsamen Prozess nur so die Chance auf Frieden gibt.
Ohne Grenzziehung wäre das in keinem Falle gewährleistet.
Ich will jetzt noch einmal auf Sie zurückkommen,
Herr Gehrcke. Was ist passiert? Es ist auch Ihre Aufgabe, sich zu informieren, wie vielschichtig die Probleme sind. Es geht eben nicht nur um Rohstoffe. Wir
wissen, dass China noch 2007 und 2008 für 69 Millionen
Dollar Waffen geliefert hat. Wir sind inzwischen Gott sei
Dank in der Situation, dass, wenn es um den Sudan geht,
in Teilbereichen auch gemeinsam mit Russland und
China Lösungen gefunden werden können. Sie haben
gesagt, dass im ganzen Sudan die Rohstofffrage die entscheidende Frage ist. Sie haben recht: Im Südsudan ist
das wichtig. In Darfur spielen Rohstoffe aber überhaupt
keine Rolle. Dort geht es um ethnische Fragen und Fragen der Landverteilung, die schon in früheren Zeiten
entstanden sind. Auch diesen Hintergrund des Konfliktes muss man kennen.
Ich sage ausdrücklich: Ich erwarte, dass die Politik,
die im Bereich der Entwicklungszusammenarbeit gerade
in den letzten Monaten gemacht wurde, fortgesetzt wird,
weil sie gewährleistet, dass unsere Durchführungsorganisationen in einem einigermaßen abgesicherten Umfeld
dafür sorgen können, dass den Menschen dort geholfen
wird.
({4})
Ein letzter Punkt von meiner Seite. Als ich vor einigen Jahren hier gestanden habe, habe ich das Gleiche gefordert, Frau Wieczorek-Zeul, was wir auch heute fordern, nämlich Hubschrauber. Wir haben uns gemeinsam
sehr ausführlich informiert und wissen, dass die Kapazitäten in diesem Bereich und das Spezialmaterial bei unserer Bundeswehr nicht vorhanden sind. Sonst wäre dieser Einsatz mit Sicherheit auch entsprechend unterstützt
worden.
Ich finde, wir müssen uns, wie wir es auch mit Blick
auf andere Krisenherde tun, in der internationalen Gemeinschaft darauf verständigen, dass diejenigen, die dieses Material zur Verfügung stellen könnten, es auch zur
Verfügung stellen. Dann müssen wir überlegen, wie wir
die personellen Kapazitäten zur Bedienung zur Verfügung stellen können. Dazu müssen wir sicherlich auch
Beschlüsse fassen. Wir brauchen keine weiße Salbe. Davon hatten die Menschen in der Vergangenheit genug.
Ich bin darüber froh, dass die große Mehrheit in diesem Parlament auch im März dieses Jahres wieder einen
Antrag für die Menschen unterstützt hat, mit dem die
Bundesregierung in ihrem Bemühen, diesen Friedensprozess abzusichern, begleitet wird.
({5})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen nun zu den Abstimmungen.
Zunächst zur Beschlussempfehlung des Auswärtigen
Ausschusses zu dem Antrag der Bundesregierung zur
Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streit-
kräfte an der Friedensmission der Vereinten Nationen im
Sudan. Es geht dabei um das UNMIS-Mandat.
Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfeh-
lung auf Drucksache 17/2172, den Antrag der Bundesre-
gierung auf Drucksache 17/1902 anzunehmen.
Wir stimmen nun über diese Beschlussempfehlung
namentlich ab. Ich weise schon jetzt darauf hin, dass wir
anschließend über einen weiteren Bundeswehreinsatz
ebenfalls namentlich abstimmen werden.
Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, nun
die vorgesehenen Plätze an den Urnen einzunehmen. - Hier
vorne bei mir fehlt ein Schriftführer von den Koalitions-
fraktionen. - Sind die Plätze der Schriftführer an den Ur-
nen mittlerweile überall besetzt? - Das ist der Fall. Dann
eröffne ich die Abstimmung.
Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine
Stimme nicht abgegeben hat? - Das ist nicht der Fall.
Dann ist die Abstimmung geschlossen. Ich bitte die
Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Das Er-
gebnis der Abstimmung wird Ihnen später bekannt gege-
ben.1)
Wir setzen nun die Abstimmungen fort.
Tagesordnungspunkt 9 b. Beschlussempfehlung des
Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Bundesre-
gierung zur Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter
deutscher Streitkräfte an der AU/UN-Hybrid-Operation
in Darfur; das ist das UNAMID-Mandat.
Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfeh-
lung auf Drucksache 17/2173, den Antrag der Bundesre-
gierung auf Drucksache 17/1901 anzunehmen.
Wir stimmen auch über diese Beschlussempfehlung
namentlich ab.
Ich bitte die Schriftführer, ihre Plätze an den Urnen
wieder einzunehmen. - Sind alle Plätze besetzt? - Das
ist der Fall. Dann eröffne ich die Abstimmung.
Ist ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine
Stimme noch nicht abgegeben hat? - Das ist nicht der
Fall. Dann ist die Abstimmung geschlossen. Ich bitte die
Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszäh-
lung zu beginnen. Auch dieses Ergebnis wird Ihnen spä-
ter bekannt gegeben.2)
Wir könnten jetzt die Beratungen fortsetzen, wenn
wir alle die Gelegenheit hätten, uns darauf zu konzen-
trieren. Deshalb bitte ich die Kolleginnen und Kollegen,
die den weiteren Beratungen folgen wollen, Platz zu
nehmen.
1) Ergebnis Seite 5063 D
2) Ergebnis Seite 5066 C
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 10 auf:
Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten
Ute Kumpf, Ingrid Arndt-Brauer, Doris Barnett,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Sicherung der Technologieführerschaft Deutschlands im Verkehrs- und Baubereich
- Drucksache 17/931 Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Reden zu
diesem Tagesordnungspunkt zu Protokoll zu geben. Ich sehe, damit sind Sie einverstanden. Es handelt sich
um die Reden folgender Kolleginnen und Kollegen:
Steffen Bilger, Karl Holmeier, Ute Kumpf, Wolfgang
Tiefensee, Petra Müller ({0}), Herbert Behrens und
Winfried Hermann.1)
Ich rufe nun die Tagesordnungspunkte 11 a und 11 b
auf:
a) - Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und der FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung
wehr- und zivildienstrechtlicher Vorschriften 2010 ({1})
- Drucksache 17/1953 Beschlussempfehlung und Bericht des Verteidigungsausschusses ({2})
- Drucksache 17/2174 Berichterstattung:
Abgeordnete Ernst-Reinhard Beck ({3})
Dr. Hans-Peter Bartels
Elke Hoff
Paul Schäfer ({4})
- Bericht des Haushaltsausschusses ({5}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung
- Drucksache 17/2180 Berichterstattung:
Abgeordnete Klaus-Peter Willsch
Bernhard Brinkmann ({6})
Dr. h. c. Jürgen Koppelin
Alexander Bonde
Roland Claus
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Verteidigungsausschusses ({7})
- zu dem Antrag der Abgeordneten Paul Schäfer
({8}), Jan van Aken, Matthias W. Birkwald,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE
LINKE
Abschaffung der Wehrpflicht
- zu dem Antrag der Abgeordneten Agnes
Malczak, Omid Nouripour, Kai Gehring, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Wehrpflicht beenden
- Drucksachen 17/1736, 17/1431, 17/2174 Berichterstattung:
Abgeordnete Ernst-Reinhard Beck ({9})
Dr. Hans-Peter Bartels
Elke Hoff
Paul Schäfer ({10})
Zu dem Entwurf eines Gesetzes zur Änderung wehrund zivildienstrechtlicher Vorschriften 2010 der Fraktionen der CDU/CSU und der FDP liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor.
Über den Gesetzentwurf und über den Entschließungsantrag werden wir später namentlich abstimmen.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich sehe,
damit sind Sie einverstanden. Dann können wir so verfahren.
Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner dem Kollegen Markus Grübel für die CDU/CSUFraktion das Wort.
({11})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Ich bin heute wohl in der eher seltenen Situation, zum Wehrrechtsänderungsgesetz 2010 als Mitglied
des Verteidigungsausschusses und gleichzeitig als Mitglied des Familienausschusses reden zu können.
Wir haben den Sachverhalt lange diskutiert. Er war
im Koalitionsvertrag angekündigt, und am 26. März
2010 haben die Bundesminister zu Guttenberg und
Schröder den Fraktionen den entsprechenden Gesetzentwurf vorgestellt. Die Minister hatten auch in der Regierungsbefragung jedermann die Möglichkeit gegeben,
Fragen zum Gesetzentwurf zu stellen. - Ich möchte noch
anmerken: Frau Bundesministerin Schröder ist gerade
bei der Jugend- und Familienministerkonferenz, und ich
denke, es ist wichtig, dass sie dort ist.
Wie ist die Ausgangslage? - Die aktuell günstige Sicherheitslage in Europa erlaubt eine Verkürzung des
Wehrdienstes von neun auf sechs Monate.
({0})
Diese Reduzierung ist so maßvoll, dass sie die Vorzüge
des Wehrdienstes nicht unverantwortlich gefährdet.
Auch in sechs Monaten können Wehrdienstleistende die
militärischen Grundfertigkeiten erlernen, wenn der
Dienst sinnvoll ausgestaltet wird. Die Verkürzung des
Grundwehrdienstes um ein Drittel hat auch die Reduzie-
rung der Dienstzeit beim Zivildienst zur Folge. Dabei
werden ähnliche Fragen zu beantworten sein: Wie kön-
nen wir weiterhin einen qualitativ hochwertigen Zivil-1) Anlage 5
dienst anbieten, und wie können wir verhindern, dass bei
einer kürzeren Dienstzeit bei jungen Männern biografische Lücken entstehen?
Mit der Verkürzung auf sechs Monate haben auch
viele Verbände, Einsatzstellen und Träger die Befürchtung verbunden, dass der Zivildienst in wichtigen Bereichen, zum Beispiel bei der Betreuung Behinderter und
Pflegebedürftiger und bei den Rettungsdiensten, negative Folgen haben könnte und nicht mehr durchführbar
ist. Die Einführung eines freiwilligen zusätzlichen Zivildienstes ist deshalb das geeignete und richtige Instrument. Das hat auch die Anhörung ergeben.
({1})
Die Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege, der Caritas, Diakonie, der Deutsche Paritätische
Wohlfahrtsverband, das Rote Kreuz und andere angehören, hat sich im April in einem Schreiben für die freiwillige Verlängerung ausgesprochen. Nur eine kleine Minderheit lehnt die freiwillige Verlängerung ab, und zwar
aufgrund einer grundsätzlichen Ablehnung der Wehrpflicht und des Zivildienstes. Viele Zivildienstleistende haben sich eine solche freiwillige Verlängerung gewünscht.
Es gibt empirische Erhebungen, die diese Forderungen bestätigen. Das hat Professor Becker in der Anhörung vorgetragen. Wir gehen davon aus, dass rund ein Drittel der Zivildienstleistenden, also rund 30 000 junge Männer,
künftig von dieser Möglichkeit Gebrauch machen wird.
Künftig wird es also möglich sein, im Anschluss an
den Pflichtzivildienst einen freiwilligen zusätzlichen Zivildienst von drei bis sechs Monaten zu leisten. Es gibt
also Z 6, 9, 10, 11 und 12. Im freiwilligen zusätzlichen
Zivildienst hat der junge Mann weitgehend die Rechtsstellung eines Zivildienstleistenden, das heißt, er ist
ebenso gut versichert, arbeitsrechtlich geschützt und sozial abgefedert. Andererseits haben wir durch den Wegfall der Strafvorschriften den freiwilligen Charakter dieses Dienstes hervorgehoben.
Wir haben nach den Ausschussberatungen und der
Anhörung noch eine Änderung vorgenommen und die
sogenannten Ausgangsbeschränkungen als Disziplinarmaßnahmen aus dem Gesetzentwurf herausgenommen.
Es ist schön, dass diesem Änderungsantrag alle Fraktionen, auch die Linken, zugestimmt haben. Das ist in diesem Hohen Hause nicht oft der Fall. In der Anhörung,
im Ausschuss und im Plenum hat insbesondere die SPD
immer wieder auf diesen Punkt hingewiesen. Vielleicht
ist es der SPD jetzt möglich, dem Gesetzentwurf insgesamt zuzustimmen.
Die absolute Freiwilligkeit ist also gewährleistet. Wir
haben das noch unterstrichen, indem die Verlängerung
jederzeit beendet werden kann. Die Lebenshilfe hat uns
darauf hingewiesen, dass eine Kündigungsfrist von zwei
Wochen für organisatorische Maßnahmen sinnvoll wäre.
Wir wollen aber die Freiwilligkeit so beibehalten wie
vorgesehen.
Wir haben das Ganze auch sehr bürokratiearm umgesetzt; denn für einen jungen Mann im Zivildienstverhältnis ist keine Abmeldung bei den Sozialversicherungen
oder eine Neuanmeldung nötig. Im Grunde bleibt es
beim Zivildienst.
Ich möchte noch einen Punkt ansprechen. Die Opposition hat immer wieder gesagt, dass wir einen neuen Bereich von Lohndumping schaffen oder die Ausbeutung
von jungen Männern fördern, die den freiwilligen zusätzlichen Zivildienst leisten. Es wurde darauf hingewiesen, dass Stundenlöhne von 3 bis 4 Euro gezahlt werden.
Diese Zahl ist falsch. Ich weiß nicht, woher Sie diese
Zahl haben. Unter Berücksichtigung aller Punkte, zum
Beispiel der Beiträge zur Sozialversicherung, der Heilfürsorge und des Mobilitätszuschlags, kommen wir auf
5,80 Euro pro Stunde. Ich denke, das ist ein durchaus angemessener Sold für einen Freiwilligendienst.
Nun gilt es, den verkürzten Wehr- und Zivildienst erfolgreich in die Praxis umzusetzen. Die Diskussion über
die Wehrpflicht und damit auch über die Zukunft des Zivildienstes wird uns erhalten bleiben. Unsere Verfassung, das Grundgesetz, begründet die Wehrpflicht und
räumt das Recht auf den Zivildienst ein. Sie sieht die Beteiligung an kollektiven Sicherheitssystemen zur Wahrung des Friedens vor; zu nennen sind UN- oder NATOEinsätze. Des Weiteren regelt sie die Aufstellung von
Streitkräften. Sie gibt uns aber auch die Vorgabe, die
Schulden zu begrenzen. Wir müssen künftig für einen
schonenden Ausgleich zwischen den verschiedenen Anforderungen unserer Verfassung sorgen.
Für uns ist die Wehrpflicht ein hohes Gut. Die Entscheidung, die wir zu treffen haben, hat sicherheitspolitische, gesellschaftspolitische und haushaltspolitische Aspekte. Diese Diskussion werden wir nun ergebnisoffen
auf der Grundlage unserer Verfassung, unserer Werte
und Grundsätze sowie unter Berücksichtigung der Ergebnisse der Strukturkommission führen. Darum ist es
auch sinnvoll, jetzt das Wehrrechtsänderungsgesetz zu
verabschieden. Damit besteht kurz- und mittelfristig Planungssicherheit.
Herzlichen Dank.
({2})
Das Wort hat der Kollege Sönke Rix für die SPDFraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Uns liegt der Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des
Wehrrechts einschließlich der Vorschriften für den Zivildienst auf dem Tisch. Er ist ein Kompromiss, der, wenn
ich die Äußerungen aus der Koalition richtig verstanden
und den Koalitionsvertrag richtig gelesen habe, entstanden ist, weil der eine Koalitionspartner gerne die Aussetzung oder Abschaffung der Wehrpflicht hätte und der
andere an der Wehrpflicht - zumindest damals noch gerne festgehalten hätte. Das Resultat ist nun, dass der
Wehrdienst und damit auch die Dauer des Zivildienstes
von neun auf sechs Monate verkürzt werden. Diesem
Gesetzentwurf liegt also keine fachliche, geschweige
denn eine verteidigungspolitische Grundlage zugrunde,
sondern einfach nur ein Kompromiss. Dazu sage ich: Ich
glaube, dabei ist ein fauler Kompromiss zustande gekommen.
({0})
Sämtliche Fachleute haben in der Anhörung, die wir
als Familienausschuss unter der Federführung des Verteidigungsausschusses durchgeführt haben, Kritik an
dem Gesetz geäußert, sowohl auf der verteidigungspolitischen Seite als auch beim Thema Zivildienst. Man verkürzt auf sechs Monate und entwickelt nun eine Krücke,
um wieder zu verlängern. Erst verkürzt man auf sechs
Monate, und dann führt man wieder eine freiwillige Verlängerung ein. Grundsätzlich ist der Zivildienst ein Ersatzdienst für den Wehrdienst. Wenn die Dauer des
Wehrdienstes neun Monate oder sechs Monate beträgt,
dann hat auch der Zivildienst neun Monate oder sechs
Monate zu dauern. Da braucht man keine künstliche freiwillige Verlängerung eines Pflichtdienstes.
Die Probleme, die durch diese Krücke nun wieder
entschärft werden sollen, haben Sie sich durch Ihre Gesetzesvorlage zuvor selbst geschaffen. Die Planungssicherheit, die Sie jetzt als Grund anführen, machen Sie
selbst wieder kaputt. Dieses Gesetz wird hier im Eiltempo vom Bundestag beschlossen. Wir haben erst in
der letzten Woche die Beratung begonnen, die Anhörung
dazwischengepackt, und jetzt sollen wir es schon verabschieden. Warum dieses Eiltempo? Was noch viel
schlimmer ist: Während wir diesen Gesetzentwurf beraten, wird aufseiten der Koalition schon wieder über neue
Modelle zum Wehrdienst nachgedacht, nämlich über
eine Aussetzung. Dies schafft absolut keine Planungssicherheit.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, was müssen wir
stattdessen tun? Wir haben ein alternatives Modell auf
den Tisch gelegt, über das wir gerne mit Ihnen ins Gespräch kommen wollen. Wenn Sie Ihre eigene Kommission zur Reform der Bundeswehr ernst nehmen, dann
warten Sie deren Vorschläge ab, doktern jetzt nicht am
Wehr- und Zivildienst herum und machen dann ein langfristiges Konzept.
({1})
Statt eine freiwillige Verlängerung beim Zivildienst
einzuführen, zumal Sie zugleich darüber nachdenken,
die Wehrpflicht auszusetzen, benötigen wir ganz dringend einen anderen wichtigen Schritt: den Ausbau der
Freiwilligendienste. Natürlich sind die sozialen Einrichtungen darauf angewiesen, auch mit jungen Menschen
zusammenzuarbeiten und ihnen Felder für ein Engagement zu bieten, aber nur auf wirklich freiwilliger Basis.
Daher fordern wir an dieser Stelle: Nehmen Sie mehr
Geld in die Hand, und bauen Sie die Freiwilligendienste
massiv aus.
({2})
Abschließend: Nehmen Sie Ihre eigene Kommission
ernst, warten Sie deren Vorschläge ab, und diskutieren
Sie auch über unseren Vorschlag, der, wie ich weiß, auch
in der Kommission eine Rolle spielen wird. Dabei geht
es darum, nur diejenigen einzuziehen, die es tatsächlich
wollen. Diskutieren Sie darüber ernsthaft, und machen
Sie jetzt keine Schnellschüsse, die nur zu Unsicherheit
und vor allen Dingen zu Planungsunsicherheit sowohl
bei der Bundeswehr als auch bei Zivildienstträgern führen.
Schönen Dank.
({3})
Bevor wir in der Debatte fortfahren, komme ich zu
den Ergebnissen der gerade erfolgten namentlichen Abstimmungen.
Das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über
die Beschlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses
zu dem Antrag der Bundesregierung Fortsetzung der
Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der
Friedensmission der Vereinten Nationen im Sudan
({0}): abgegebene Stimmen 563. Mit Ja haben gestimmt 493 Kolleginnen und Kollegen, mit Nein haben
44 gestimmt, und 26 haben sich enthalten. Die Beschlussempfehlung ist angenommen.
Endgültiges Ergebnis
Abgegebenen Stimmen: 562;
davon
ja: 492
nein: 44
enthalten: 26
Ja
CDU/CSU
Ilse Aigner
Peter Altmaier
Peter Aumer
Dorothee Bär
Thomas Bareiß
Norbert Barthle
Günter Baumann
Ernst-Reinhard Beck
({1})
Manfred Behrens ({2})
Dr. Christoph Bergner
Steffen Bilger
Clemens Binninger
Peter Bleser
Dr. Maria Böhmer
Wolfgang Börnsen
({3})
Wolfgang Bosbach
Norbert Brackmann
Klaus Brähmig
Michael Brand
Helmut Brandt
Dr. Ralf Brauksiepe
Dr. Helge Braun
Heike Brehmer
Gitta Connemann
Leo Dautzenberg
Alexander Dobrindt
Marie-Luise Dött
Enak Ferlemann
Ingrid Fischbach
Hartwig Fischer ({4})
Axel E. Fischer ({5})
Vizepräsidentin Petra Pau
Klaus-Peter Flosbach
Herbert Frankenhauser
Dr. Hans-Peter Friedrich
({6})
Michael Frieser
Dr. Michael Fuchs
Hans-Joachim Fuchtel
Alexander Funk
Dr. Peter Gauweiler
Dr. Thomas Gebhart
Alois Gerig
Eberhard Gienger
Michael Glos
Peter Götz
Dr. Wolfgang Götzer
Ute Granold
Reinhard Grindel
Hermann Gröhe
Michael Grosse-Brömer
Manfred Grund
Monika Grütters
Dr. Karl-Theodor Freiherr
zu Guttenberg
Olav Gutting
Holger Haibach
Dr. Stephan Harbarth
Jürgen Hardt
Dr. Matthias Heider
Mechthild Heil
Ursula Heinen-Esser
Frank Heinrich
Rudolf Henke
Michael Hennrich
Jürgen Herrmann
Ansgar Heveling
Ernst Hinsken
Peter Hintze
Christian Hirte
Robert Hochbaum
Karl Holmeier
Franz-Josef Holzenkamp
Anette Hübinger
Thomas Jarzombek
Dieter Jasper
Dr. Franz Josef Jung
Andreas Jung ({7})
Dr. Egon Jüttner
Bartholomäus Kalb
Hans-Werner Kammer
Steffen Kampeter
Alois Karl
Bernhard Kaster
Volker Kauder
Dr. Stefan Kaufmann
Roderich Kiesewetter
Eckart von Klaeden
Ewa Klamt
Volkmar Klein
Jürgen Klimke
Julia Klöckner
Axel Knoerig
Jens Koeppen
Manfred Kolbe
Dr. Rolf Koschorrek
Hartmut Koschyk
Thomas Kossendey
Michael Kretschmer
Gunther Krichbaum
Dr. Günter Krings
Rüdiger Kruse
Dr. Hermann Kues
Dr. Karl A. Lamers
({8})
Andreas G. Lämmel
Katharina Landgraf
Dr. Max Lehmer
Dr. Ursula von der Leyen
Ingbert Liebing
Matthias Lietz
Patricia Lips
Dr. Jan-Marco Luczak
Dr. Michael Luther
Karin Maag
Dr. Thomas de Maizière
Hans-Georg von der Marwitz
Andreas Mattfeldt
Stephan Mayer ({9})
Dr. Michael Meister
Maria Michalk
Dr. h. c. Hans Michelbach
Dr. Mathias Middelberg
Dietrich Monstadt
Marlene Mortler
Dr. Gerd Müller
Stefan Müller ({10})
Nadine Müller ({11})
Dr. Philipp Murmann
Michaela Noll
Dr. Georg Nüßlein
Franz Obermeier
Eduard Oswald
Henning Otte
Dr. Michael Paul
Rita Pawelski
Ulrich Petzold
Dr. Joachim Pfeiffer
Sibylle Pfeiffer
Beatrix Philipp
Ronald Pofalla
Christoph Poland
Eckhard Pols
Daniela Raab
Thomas Rachel
Katherina Reiche ({12})
Lothar Riebsamen
Josef Rief
Klaus Riegert
Dr. Heinz Riesenhuber
Johannes Röring
Dr. Norbert Röttgen
Dr. Christian Ruck
Erwin Rüddel
Albert Rupprecht ({13})
Anita Schäfer ({14})
Dr. Andreas Scheuer
Norbert Schindler
Georg Schirmbeck
Christian Schmidt ({15})
Patrick Schnieder
Dr. Andreas Schockenhoff
Dr. Ole Schröder
Uwe Schummer
Armin Schuster ({16})
Detlef Seif
Reinhold Sendker
Dr. Patrick Sensburg
Thomas Silberhorn
Johannes Singhammer
Jens Spahn
Christian Freiherr von Stetten
Dieter Stier
Gero Storjohann
Stephan Stracke
Karin Strenz
Thomas Strobl ({17})
Lena Strothmann
Michael Stübgen
Dr. Peter Tauber
Antje Tillmann
Volkmar Vogel ({18})
Stefanie Vogelsang
Dr. Johann Wadephul
Kai Wegner
Marcus Weinberg ({19})
Peter Weiß ({20})
Sabine Weiss ({21})
Ingo Wellenreuther
Karl-Georg Wellmann
Annette Widmann-Mauz
Klaus-Peter Willsch
Elisabeth WinkelmeierBecker
Dr. Matthias Zimmer
Wolfgang Zöller
Willi Zylajew
SPD
Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Heinz-Joachim Barchmann
Dr. Hans-Peter Bartels
Klaus Barthel
Bärbel Bas
Lothar Binding ({22})
Gerd Bollmann
Klaus Brandner
Willi Brase
Bernhard Brinkmann
({23})
Edelgard Bulmahn
Petra Crone
Dr. Peter Danckert
Martin Dörmann
Elvira Drobinski-Weiß
Garrelt Duin
Sebastian Edathy
Siegmund Ehrmann
Dr. h. c. Gernot Erler
Petra Ernstberger
Elke Ferner
Gabriele Fograscher
Dr. Edgar Franke
Peter Friedrich
Michael Gerdes
Martin Gerster
Günter Gloser
Ulrike Gottschalck
Angelika Graf ({24})
Michael Groß
Wolfgang Gunkel
Bettina Hagedorn
Michael Hartmann
({25})
Hubertus Heil ({26})
Dr. Barbara Hendricks
Gustav Herzog
Gabriele Hiller-Ohm
Frank Hofmann ({27})
Dr. Eva Högl
Josip Juratovic
Oliver Kaczmarek
Johannes Kahrs
Dr. h. c. Susanne Kastner
Ulrich Kelber
Hans-Ulrich Klose
Dr. Bärbel Kofler
Daniela Kolbe ({28})
Fritz Rudolf Körper
Nicolette Kressl
Ute Kumpf
Christine Lambrecht
Christian Lange ({29})
Dr. Karl Lauterbach
Steffen-Claudio Lemme
Burkhard Lischka
Kirsten Lühmann
Katja Mast
Petra Merkel ({30})
Ullrich Meßmer
Franz Müntefering
Dr. Rolf Mützenich
Manfred Nink
Thomas Oppermann
Vizepräsidentin Petra Pau
Holger Ortel
Aydan Özoğuz
Joachim Poß
Dr. Wilhelm Priesmeier
Florian Pronold
Mechthild Rawert
Dr. Carola Reimann
René Röspel
Karin Roth ({31})
Michael Roth ({32})
({33})
Anton Schaaf
Axel Schäfer ({34})
Bernd Scheelen
Dr. Hermann Scheer
({35})
Ulla Schmidt ({36})
Carsten Schneider ({37})
Olaf Scholz
Swen Schulz ({38})
Ewald Schurer
Frank Schwabe
Dr. Angelica Schwall-Düren
Dr. Martin Schwanholz
Rolf Schwanitz
Stefan Schwartze
Dr. Carsten Sieling
Dr. Frank-Walter Steinmeier
Christoph Strässer
Kerstin Tack
Franz Thönnes
Wolfgang Tiefensee
Rüdiger Veit
Ute Vogt
Dr. Marlies Volkmer
Andrea Wicklein
Dr. Dieter Wiefelspütz
Dagmar Ziegler
Brigitte Zypries
FDP
Jens Ackermann
Christine AschenbergDugnus
Daniel Bahr ({39})
Florian Bernschneider
Claudia Bögel
Nicole Bracht-Bendt
Klaus Breil
Ernst Burgbacher
Sylvia Canel
Helga Daub
Reiner Deutschmann
Dr. Bijan Djir-Sarai
Patrick Döring
Mechthild Dyckmans
Rainer Erdel
Jörg van Essen
Ulrike Flach
Otto Fricke
Paul K. Friedhoff
Dr. Edmund Peter Geisen
Hans-Michael Goldmann
Heinz Golombeck
Joachim Günther ({40})
Heinz-Peter Haustein
Manuel Höferlin
Birgit Homburger
Dr. Werner Hoyer
Heiner Kamp
Dr. Lutz Knopek
Dr. Heinrich L. Kolb
Gudrun Kopp
Sebastian Körber
Holger Krestel
Patrick Kurth ({41})
Heinz Lanfermann
Sibylle Laurischk
Harald Leibrecht
Sabine LeutheusserSchnarrenberger
Lars Lindemann
Dr. Martin Lindner ({42})
Michael Link ({43})
Dr. Erwin Lotter
Patrick Meinhardt
Gabi Molitor
Jan Mücke
Petra Müller ({44})
Burkhardt Müller-Sönksen
({45})
Dirk Niebel
Cornelia Pieper
Gisela Piltz
Dr. Christiane RatjenDamerau
Dr. Birgit Reinemund
Dr. Peter Röhlinger
Dr. Stefan Ruppert
Christoph Schnurr
Jimmy Schulz
Dr. Erik Schweickert
Werner Simmling
Judith Skudelny
Torsten Staffeldt
Stephan Thomae
Florian Toncar
Serkan Tören
({46})
Dr. Daniel Volk
Dr. Guido Westerwelle
Dr. Claudia Winterstein
Dr. Volker Wissing
Hartfrid Wolff ({47})
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Marieluise Beck ({48})
Volker Beck ({49})
Cornelia Behm
Birgitt Bender
Alexander Bonde
Viola von Cramon-Taubadel
Katja Dörner
Dr. Thomas Gambke
Kai Gehring
Britta Haßelmann
Winfried Hermann
Priska Hinz ({50})
Dr. Anton Hofreiter
Bärbel Höhn
Ingrid Hönlinger
Katja Keul
Memet Kilic
Sven-Christian Kindler
Maria Anna Klein-Schmeink
Tom Koenigs
Sylvia Kotting-Uhl
Agnes Krumwiede
Stephan Kühn
Undine Kurth ({51})
Monika Lazar
Nicole Maisch
Jerzy Montag
Kerstin Müller ({52})
Ingrid Nestle
Dr. Konstantin von Notz
Friedrich Ostendorff
Dr. Hermann Ott
Elisabeth Paus
Tabea Rößner
Claudia Roth ({53})
Manuel Sarrazin
Elisabeth Scharfenberg
Christine Scheel
Dr. Frithjof Schmidt
Dorothea Steiner
Dr. Wolfgang StrengmannKuhn
Hans-Christian Ströbele
Dr. Harald Terpe
Jürgen Trittin
Daniela Wagner
Dr. Valerie Wilms
Josef Philip Winkler
Nein
FDP
Dr. h. c. Jürgen Koppelin
DIE LINKE
Agnes Alpers
Herbert Behrens
Matthias W. Birkwald
Heidrun Bluhm
Christine Buchholz
Sevim Dağdelen
Dr. Diether Dehm
Heidrun Dittrich
Werner Dreibus
Dr. Dagmar Enkelmann
Klaus Ernst
Nicole Gohlke
Annette Groth
Heike Hänsel
Andrej Konstantin Hunko
Ulla Jelpke
Harald Koch
Jutta Krellmann
Ulla Lötzer
Dr. Gesine Lötzsch
Dorothée Menzner
Kornelia Möller
Yvonne Ploetz
Ingrid Remmers
Dr. Herbert Schui
Dr. Ilja Seifert
Kathrin Senger-Schäfer
Raju Sharma
Alexander Süßmair
Kathrin Vogler
Sahra Wagenknecht
Harald Weinberg
Katrin Werner
Jörn Wunderlich
Enthalten
SPD
Petra Hinz ({54})
DIE LINKE
Steffen Bockhahn
Dr. Martina Bunge
Roland Claus
Dr. Gregor Gysi
Vizepräsidentin Petra Pau
Dr. Barbara Höll
Jan Korte
Ralph Lenkert
Stefan Liebich
Cornelia Möhring
Wolfgang Nešković
Thomas Nord
Richard Pitterle
Paul Schäfer ({55})
Dr. Petra Sitte
Frank Tempel
Dr. Axel Troost
Alexander Ulrich
Das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über
die Beschlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses
zu dem Antrag der Bundesregierung Fortsetzung der
Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der
AU/UN-Hybrid-Operation in Darfur ({56}): abgegebene Stimmen 557. Mit Ja haben gestimmt 487, mit
Nein haben 69 Kolleginnen und Kollegen gestimmt, und
es gab eine Enthaltung. Die Beschlussempfehlung ist angenommen.
Endgültiges Ergebnis
Abgegebenen Stimmen: 556;
davon
ja: 486
nein: 69
enthalten: 1
Ja
CDU/CSU
Ilse Aigner
Peter Altmaier
Peter Aumer
Dorothee Bär
Thomas Bareiß
Norbert Barthle
Günter Baumann
Ernst-Reinhard Beck
({57})
Manfred Behrens ({58})
Dr. Christoph Bergner
Steffen Bilger
Clemens Binninger
Peter Bleser
Dr. Maria Böhmer
Wolfgang Börnsen
({59})
Wolfgang Bosbach
Norbert Brackmann
Klaus Brähmig
Michael Brand
Helmut Brandt
Dr. Ralf Brauksiepe
Dr. Helge Braun
Heike Brehmer
Gitta Connemann
Leo Dautzenberg
Alexander Dobrindt
Marie-Luise Dött
Enak Ferlemann
Ingrid Fischbach
Hartwig Fischer ({60})
Axel E. Fischer ({61})
Klaus-Peter Flosbach
Herbert Frankenhauser
Dr. Hans-Peter Friedrich
({62})
Michael Frieser
Dr. Michael Fuchs
Hans-Joachim Fuchtel
Alexander Funk
Dr. Peter Gauweiler
Dr. Thomas Gebhart
Alois Gerig
Eberhard Gienger
Michael Glos
Peter Götz
Dr. Wolfgang Götzer
Ute Granold
Reinhard Grindel
Hermann Gröhe
Michael Grosse-Brömer
Manfred Grund
Monika Grütters
Dr. Karl-Theodor Freiherr
zu Guttenberg
Olav Gutting
Holger Haibach
Dr. Stephan Harbarth
Jürgen Hardt
Dr. Matthias Heider
Mechthild Heil
Ursula Heinen-Esser
Frank Heinrich
Rudolf Henke
Michael Hennrich
Jürgen Herrmann
Ansgar Heveling
Ernst Hinsken
Peter Hintze
Christian Hirte
Robert Hochbaum
Karl Holmeier
Franz-Josef Holzenkamp
Anette Hübinger
Thomas Jarzombek
Dieter Jasper
Dr. Franz Josef Jung
Andreas Jung ({63})
Dr. Egon Jüttner
Bartholomäus Kalb
Hans-Werner Kammer
Steffen Kampeter
Alois Karl
Bernhard Kaster
Volker Kauder
Dr. Stefan Kaufmann
Roderich Kiesewetter
Eckart von Klaeden
Ewa Klamt
Volkmar Klein
Jürgen Klimke
Julia Klöckner
Axel Knoerig
Jens Koeppen
Dr. Rolf Koschorrek
Hartmut Koschyk
Thomas Kossendey
Michael Kretschmer
Gunther Krichbaum
Dr. Günter Krings
Rüdiger Kruse
Dr. Hermann Kues
Dr. Karl A. Lamers
({64})
Andreas G. Lämmel
Katharina Landgraf
Dr. Max Lehmer
Dr. Ursula von der Leyen
Ingbert Liebing
Matthias Lietz
Patricia Lips
Dr. Jan-Marco Luczak
Dr. Michael Luther
Karin Maag
Dr. Thomas de Maizière
Hans-Georg von der Marwitz
Andreas Mattfeldt
Stephan Mayer ({65})
Dr. Michael Meister
Maria Michalk
Dr. h. c. Hans Michelbach
Dr. Mathias Middelberg
Dietrich Monstadt
Marlene Mortler
Dr. Gerd Müller
Stefan Müller ({66})
Nadine Müller ({67})
Dr. Philipp Murmann
Michaela Noll
Dr. Georg Nüßlein
Franz Obermeier
Eduard Oswald
Henning Otte
Dr. Michael Paul
Rita Pawelski
Ulrich Petzold
Dr. Joachim Pfeiffer
Sibylle Pfeiffer
Beatrix Philipp
Ronald Pofalla
Christoph Poland
Eckhard Pols
Daniela Raab
Thomas Rachel
Katherina Reiche ({68})
Lothar Riebsamen
Josef Rief
Klaus Riegert
Dr. Heinz Riesenhuber
Johannes Röring
Dr. Norbert Röttgen
Dr. Christian Ruck
Erwin Rüddel
Albert Rupprecht ({69})
Anita Schäfer ({70})
Dr. Andreas Scheuer
Norbert Schindler
Georg Schirmbeck
Christian Schmidt ({71})
Patrick Schnieder
Dr. Andreas Schockenhoff
Dr. Ole Schröder
Uwe Schummer
Armin Schuster ({72})
Vizepräsidentin Petra Pau
Detlef Seif
Reinhold Sendker
Dr. Patrick Sensburg
Thomas Silberhorn
Johannes Singhammer
Jens Spahn
Christian Freiherr von Stetten
Dieter Stier
Gero Storjohann
Stephan Stracke
Karin Strenz
Thomas Strobl ({73})
Lena Strothmann
Michael Stübgen
Dr. Peter Tauber
Antje Tillmann
Volkmar Vogel ({74})
Stefanie Vogelsang
Dr. Johann Wadephul
Kai Wegner
Marcus Weinberg ({75})
Peter Weiß ({76})
Sabine Weiss ({77})
Ingo Wellenreuther
Karl-Georg Wellmann
Annette Widmann-Mauz
Klaus-Peter Willsch
Elisabeth WinkelmeierBecker
Dr. Matthias Zimmer
Wolfgang Zöller
Willi Zylajew
SPD
Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Heinz-Joachim Barchmann
Dr. Hans-Peter Bartels
Klaus Barthel
Bärbel Bas
Lothar Binding ({78})
Gerd Bollmann
Klaus Brandner
Willi Brase
Bernhard Brinkmann
({79})
Edelgard Bulmahn
Petra Crone
Dr. Peter Danckert
Martin Dörmann
Elvira Drobinski-Weiß
Garrelt Duin
Sebastian Edathy
Siegmund Ehrmann
Dr. h. c. Gernot Erler
Petra Ernstberger
Elke Ferner
Gabriele Fograscher
Dr. Edgar Franke
Peter Friedrich
Michael Gerdes
Martin Gerster
Günter Gloser
Ulrike Gottschalck
Angelika Graf ({80})
Michael Groß
Wolfgang Gunkel
Bettina Hagedorn
Michael Hartmann
({81})
Hubertus Heil ({82})
Dr. Barbara Hendricks
Gustav Herzog
Gabriele Hiller-Ohm
Frank Hofmann ({83})
Dr. Eva Högl
Josip Juratovic
Oliver Kaczmarek
Johannes Kahrs
Dr. h. c. Susanne Kastner
Ulrich Kelber
Hans-Ulrich Klose
Dr. Bärbel Kofler
Daniela Kolbe ({84})
Fritz Rudolf Körper
Nicolette Kressl
Ute Kumpf
Christine Lambrecht
Christian Lange ({85})
Dr. Karl Lauterbach
Steffen-Claudio Lemme
Burkhard Lischka
Kirsten Lühmann
Katja Mast
Petra Merkel ({86})
Ullrich Meßmer
Franz Müntefering
Dr. Rolf Mützenich
Manfred Nink
Thomas Oppermann
Holger Ortel
Aydan Özoğuz
Joachim Poß
Dr. Wilhelm Priesmeier
Florian Pronold
Mechthild Rawert
Dr. Carola Reimann
René Röspel
Karin Roth ({87})
Michael Roth ({88})
({89})
Anton Schaaf
Axel Schäfer ({90})
Bernd Scheelen
({91})
Ulla Schmidt ({92})
Carsten Schneider ({93})
Olaf Scholz
Swen Schulz ({94})
Ewald Schurer
Frank Schwabe
Dr. Angelica Schwall-Düren
Dr. Martin Schwanholz
Rolf Schwanitz
Stefan Schwartze
Dr. Carsten Sieling
Dr. Frank-Walter Steinmeier
Christoph Strässer
Kerstin Tack
Franz Thönnes
Wolfgang Tiefensee
Rüdiger Veit
Ute Vogt
Dr. Marlies Volkmer
Andrea Wicklein
Dr. Dieter Wiefelspütz
Dagmar Ziegler
Brigitte Zypries
FDP
Jens Ackermann
Christine AschenbergDugnus
Daniel Bahr ({95})
Florian Bernschneider
Claudia Bögel
Nicole Bracht-Bendt
Klaus Breil
Ernst Burgbacher
Sylvia Canel
Helga Daub
Reiner Deutschmann
Dr. Bijan Djir-Sarai
Patrick Döring
Mechthild Dyckmans
Rainer Erdel
Jörg van Essen
Ulrike Flach
Otto Fricke
Paul K. Friedhoff
Dr. Edmund Peter Geisen
Hans-Michael Goldmann
Heinz Golombeck
Joachim Günther ({96})
Heinz-Peter Haustein
Manuel Höferlin
Birgit Homburger
Dr. Werner Hoyer
Heiner Kamp
Dr. Lutz Knopek
Dr. Heinrich L. Kolb
Gudrun Kopp
Sebastian Körber
Holger Krestel
Patrick Kurth ({97})
Heinz Lanfermann
Sibylle Laurischk
Harald Leibrecht
Sabine LeutheusserSchnarrenberger
Lars Lindemann
Dr. Martin Lindner ({98})
Michael Link ({99})
Dr. Erwin Lotter
Patrick Meinhardt
Jan Mücke
Petra Müller ({100})
Burkhardt Müller-Sönksen
({101})
Dirk Niebel
Cornelia Pieper
Gisela Piltz
Dr. Christiane RatjenDamerau
Dr. Birgit Reinemund
Dr. Peter Röhlinger
Dr. Stefan Ruppert
Christoph Schnurr
Jimmy Schulz
Dr. Erik Schweickert
Werner Simmling
Judith Skudelny
Torsten Staffeldt
Stephan Thomae
Florian Toncar
Serkan Tören
({102})
Dr. Daniel Volk
Dr. Guido Westerwelle
Dr. Claudia Winterstein
Dr. Volker Wissing
Hartfrid Wolff ({103})
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Volker Beck ({104})
Cornelia Behm
Birgitt Bender
Alexander Bonde
Viola von Cramon-Taubadel
Katja Dörner
Vizepräsidentin Petra Pau
Kai Gehring
Britta Haßelmann
Winfried Hermann
Priska Hinz ({105})
Dr. Anton Hofreiter
Bärbel Höhn
Ingrid Hönlinger
Katja Keul
Memet Kilic
Sven-Christian Kindler
Maria Anna Klein-Schmeink
Tom Koenigs
Sylvia Kotting-Uhl
Agnes Krumwiede
Stephan Kühn
Undine Kurth ({106})
Monika Lazar
Nicole Maisch
Jerzy Montag
Kerstin Müller ({107})
Ingrid Nestle
Friedrich Ostendorff
Dr. Hermann Ott
Lisa Paus
Tabea Rößner
Claudia Roth ({108})
Manuel Sarrazin
Elisabeth Scharfenberg
Christine Scheel
Dr. Frithjof Schmidt
Dorothea Steiner
Dr. Wolfgang StrengmannKuhn
Hans-Christian Ströbele
Dr. Harald Terpe
Jürgen Trittin
Daniela Wagner
Dr. Valerie Wilms
Josef Philip Winkler
Nein
FDP
Dr. h. c. Jürgen Koppelin
DIE LINKE
Agnes Alpers
Herbert Behrens
Matthias W. Birkwald
Heidrun Bluhm
Steffen Bockhahn
Christine Buchholz
Dr. Martina Bunge
Roland Claus
Sevim Dağdelen
Dr. Diether Dehm
Heidrun Dittrich
Werner Dreibus
Dr. Dagmar Enkelmann
Klaus Ernst
Nicole Gohlke
Annette Groth
Dr. Gregor Gysi
Heike Hänsel
Inge Höger
Andrej Konstantin Hunko
Ulla Jelpke
Katja Kipping
Harald Koch
Jan Korte
Jutta Krellmann
Ralph Lenkert
Stefan Liebich
Ulla Lötzer
Dr. Gesine Lötzsch
Dorothée Menzner
Cornelia Möhring
Kornelia Möller
Wolfgang Nešković
Thomas Nord
Richard Pitterle
Yvonne Ploetz
Ingrid Remmers
Paul Schäfer ({109})
Dr. Herbert Schui
Dr. Ilja Seifert
Kathrin Senger-Schäfer
Raju Sharma
Dr. Petra Sitte
Alexander Süßmair
Frank Tempel
Dr. Axel Troost
Alexander Ulrich
Kathrin Vogler
Sahra Wagenknecht
Harald Weinberg
Katrin Werner
Jörn Wunderlich
Enthalten
SPD
Petra Hinz ({110})
Wir fahren in der Debatte fort. Das Wort hat der Kollege Joachim Spatz für die FDP-Fraktion.
({111})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Mit dem
vorliegenden Gesetzentwurf wird der Grundwehrdienst
von neun auf sechs Monate verkürzt und damit ein Beitrag zu mehr Wehrgerechtigkeit geleistet.
({0})
Der vorliegende Gesetzentwurf ist unabhängig von der
aktuellen Diskussion über die Wehrpflicht notwendig, damit die jungen Männer, die ab dem 1. Juli ihren Dienst antreten sollen, Rechts- und Planungssicherheit haben.
Wenn wir von Rechts- und Planungssicherheit sprechen,
meinen wir also nicht in erster Linie die eigenen Regierungseinheiten - die sich allerdings zum Beispiel im Rahmen der Kommission auch beteiligen sollen -, sondern
die Betroffenen. Damit ist ein Schritt in die richtige Richtung getan.
({1})
Die Wehrrechtsänderung betrifft auch den Ersatzdienst, weshalb ich dazu ebenfalls ein paar Worte sagen
möchte. Wie schon ausgeführt wurde, folgt der Ersatzdienst dem Wehrdienst. Es sollte in der politischen Diskussion nicht zugelassen werden, dass die Notwendigkeiten, die der eine oder andere vielleicht im sozialen
Bereich sieht, als Ersatzbegründung für die Aufrechterhaltung der Wehrpflicht herhalten müssen.
({2})
Kollege Spatz, erlauben Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Nouripour?
Wenn das nicht angerechnet wird, ja.
Die Uhr ist schon angehalten.
Herr Kollege Spatz, als Grund, dieses Gesetz heute zu
verabschieden, haben Sie gerade die Planungssicherheit
der jungen Männer, die eingezogen werden, angeführt.
Was ist aber mit der Planungssicherheit einer Truppe, die
die Ausbilder stellen muss und der in zwei Monaten
schon wieder ein komplett anderes Modell vorgelegt
werden wird?
({0})
Wir sind davon überzeugt, dass die Bundeswehr das
hinbekommen wird.
({0})
Die laufenden Diskussionen sind schon seit einiger Zeit
bekannt. Jetzt wird das umgesetzt, was auf Koalitionsebene vereinbart worden ist. Wir wissen heute noch
nicht, was die Zukunft in der Diskussion um die Wehrpflicht bringt und wann Alternativkonzepte tatsächlich
zu Beschlüssen führen werden. Ich halte es für nicht hinnehmbar, in der Zwischenzeit bei neun Monaten zu bleiben.
({1})
Deswegen setzen wir jetzt das um, was bereits umgesetzt
werden kann. Im Übrigen kommen auf 26 000 Plätze bei
den sozialen Freiwilligendiensten 85 000 Bewerber.
Man darf also nicht so tun, als würde im sozialen Bereich die Welt zusammenberechen, wenn wir nicht mehr
auf verpflichtende Dienste setzen.
Wie Sie schon gesagt haben, werden wir in den bewegten Zeiten, in denen wir leben, weiter über die Zukunft der Wehrpflicht diskutieren können; denn die sicherheitspolitische Situation hat sich im Einsatzjahr
2009 dramatisch weiterentwickelt. Auch auf der Kostenseite gibt es mittlerweile erheblichen Druck. Deshalb
werden wir, wenn im Herbst die Ergebnisse der Kommission vorliegen, erneut über eine Gesamtumstrukturierung nachdenken müssen.
({2})
Die Kommission arbeitet ergebnisoffen, wobei ich
mir, offen gestanden, nicht vorstellen kann, dass etwas
anderes als die Empfehlung, die Wehrpflicht ganz auszusetzen, dabei herauskommen wird.
({3})
Im Übrigen ist nach unserem Dafürhalten die sicherheitspolitische Begründung entfallen. Die Gegner der
Aussetzung führen sehr viel häufiger und fast ausschließlich gesellschaftspolitische Gründe an.
({4})
Ich denke, die große Einschränkung, die das für die Betroffenen bedeutet, ist als Begründung zu wenig.
Wir brauchen die Ressourcen, die freigesetzt werden,
dringend für die Aufgabenstellungen einer Armee im
Einsatz. Die Erfahrungen der vergangenen Jahre haben
deutlich gemacht, dass diese Mittel ganz dringend gebraucht werden. Wir brauchen Längerdiener. Außerdem
brauchen wir hinsichtlich der Ausrüstung, des Materials
und Ähnlichem entsprechende Möglichkeiten.
({5})
Wir brauchen eine Attraktivitätssteigerung. Dafür brauchen wir die freien Mittel.
({6})
Wie gesagt, all dies sind Dinge, die wir in aller
Gründlichkeit diskutieren müssen. Deswegen lehnen wir
die Anträge der Grünen und der Linken ab. Es wäre ein
Schnellschuss, jetzt die Wehrpflicht auszusetzen, ohne
dass wir heute wissen, wie die Antworten auf die Fragen
lauten, wie wir die Attraktivität steigern und wie wir
gewährleisten, dass wir nicht irgendwelche Bewerber
bekommen, sondern Bewerber, die über bestimmte Qualifikationen verfügen. All diese Fragen sind mit einer
Grundsatzentscheidung noch nicht beantwortet. Hier
geht Sorgfalt vor Schnelligkeit.
({7})
Das heißt, wir müssen erst die Antworten im Detail finden und können dann vielleicht dem großen Schritt näherkommen.
({8})
Alles in allem ist das, was wir jetzt verabschieden, ein
Schritt in die richtige Richtung, ein Schritt zu mehr
Wehrgerechtigkeit. Wir setzen das um, was im Moment
umgesetzt werden kann. Wir greifen nicht Ergebnissen
vor, die erst im Herbst erreicht werden können.
Danke schön.
({9})
Das Wort hat der Kollege Paul Schäfer für die Fraktion Die Linke.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Eine beliebte Redewendung des Ministers der Verteidigung in
diesen Tagen lautet: Man muss die Dinge vom Ende her
denken.
({0})
Dieser Gesetzentwurf ist aber nicht vom Ende her gedacht.
({1})
Paul Schäfer ({2})
Das Ende der Wehrpflicht ist absehbar und von ihm
selbst angekündigt worden. Mit anderen Worten: Was
Sie hier vorlegen, ist Makulatur. Ein Gesetzentwurf, der
Makulatur ist, ist nicht nur Murks, sondern verdient es,
abgelehnt zu werden.
({3})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, dass die öffentliche
Anhörung in dieser Woche bei den Sachverständigen
und den Verbandsvertretern Begeisterungsstürme ausgelöst habe, fällt wohl eher unter die Rubrik der selektiven
Wahrnehmung.
({4})
Natürlich gab es eine gewisse Erleichterung angesichts
der Verkürzung der Pflichtdienstzeit von neun auf sechs
Monate. Das ist zunächst einmal positiv. Wenn aber zugleich die Zahl der Betroffenen erhöht wird, die dann
eingezogen werden, dann ist das schon mehr als ein Wermutstropfen und löst deutliche Kritik aus.
({5})
Diese wurde auch klar formuliert. Die Unsicherheit, die
Sie mit Ihren ständigen Ankündigungen auslösen, ist
weit verbreitet, und man fragt sich, was als Nächstes
kommt.
Die Fraktion Die Linke wird diesen Gesetzentwurf
ablehnen, weil wir grundsätzlich gegen Zwangsdienste
sind, weil der Gesetzentwurf ungerecht ist, weil er nicht
sozial ist und weil wir uns die Wehrpflicht nicht länger
leisten können.
({6})
Der Gesetzentwurf ist ungerecht, weil damit eine Situation fortgeschrieben wird. Nicht einmal mehr
15 Prozent eines Jahrgangs der männlichen Jugend leisten den Wehrdienst. Die Bundeswehr ist längst eine
Berufs- und Freiwilligenarmee, die sich des Instruments
der Wehrpflicht bedient, um Nachwuchs zu rekrutieren.
Das ist verfassungsrechtlich nicht in Ordnung und im
Übrigen ungerecht. Deshalb lehnen wir das ab.
({7})
Der Gesetzentwurf ist nicht nur deshalb nicht sozial,
weil man den Wehrpflichtigen und Zivildienstleistenden
Urlaubstage klaut, sondern vor allem deshalb nicht sozial, weil man ein neues öffentlich-rechtliches Dienstverhältnis bei den freiwillig länger Dienenden konstruiert. Einer der Sachverständigen sprach von
„Bundespflegebeamten“. Das Interessante ist - ich habe
das das letzte Mal schon gesagt -: Diese Bundespflegebeamten, also die Zivis, arbeiten für einen Stundenlohn
von 3,75 Euro, Zuschläge inbegriffen.
({8})
Der Mindestlohn, den der Gesetzgeber für den Pflegebereich festgelegt hat - das sei Ihnen noch einmal ins
Stammbuch geschrieben -, beträgt 8,50 Euro im Westen
und 7,50 Euro im Osten. Das ist sozusagen ein
Niedrigstlohnsektor im Niedriglohnsektor, und das ist
für uns völlig inakzeptabel.
({9})
Stattdessen wäre es nötig, in diesem Bereich ausreichend Beschäftigungsverhältnisse zu schaffen - das
wäre doch eine Herausforderung -, die tariflich entlohnt
sind, die langfristig abgesichert sind und für die die
Leute auch wirklich qualifiziert sein müssen. Ausbau
des öffentlichen Dienstes und in bestimmten Bereichen
öffentlich geförderte Beschäftigungsverhältnisse, das
wäre die Antwort auf die Pflegeprobleme und den Pflegenotstand.
({10})
Nun noch ein Wort zu dem Argument: zu teuer; kostet
zu viel. Das kostet nicht nur über 1 Milliarde Euro. Es
gibt eine neue wissenschaftliche Studie, in der die volkswirtschaftlichen Kosten einer Wehrpflichtarmee berechnet worden sind. Dadurch, dass die jungen Männer dem
Arbeitsmarkt entzogen sind, aus dem Produktionsprozess herausgenommen werden, entstehen Kosten von,
auf die Bundesrepublik bezogen, 6 Milliarden Euro jährlich. Welch ein Unsinn!
Ich stelle zum Schluss fest: Die Bundesregierung hat
kein Konzept für die Zukunft der Bundeswehr. Ein Konzept muss auf alle Fälle ohne Wehrpflichtige auskommen, weil Wehrpflichtige für die Landesverteidigung
nicht mehr gebraucht werden, nicht einmal für Ihre Auslandseinsätze. Die Fragen, die sich dadurch aufdrängen,
lauten: Was ist mit der gesellschaftlichen Einbindung der
Streitkräfte? Wie kann man die Kritikfähigkeit gegenüber nicht völkerrechtskonformen Militäreinsätzen aufrechterhalten? Diese Fragen müssen beantwortet werden.
Die Antwort lautet: parlamentarisch kontrollierte
Streitkräfte, Leitbild des Staatsbürgers in Uniform - statt
dienstbeflissener Untertanen -, statt des Auftrags, weltweit militärisch einzugreifen, wenn es der NATO gefällt,
Rückbesinnung auf den Kernauftrag „Verteidigung des
Landes“. Das ist das, was getan werden muss. Hören Sie
auf mit dem Stückwerk! Machen Sie jetzt etwas Gescheites, eine klare Zäsur, das heißt Aufhebung der
Wehrpflicht!
Vielen Dank.
({11})
Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat nun die
Kollegin Agnes Malczak das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Meistens bin ich ja heilfroh, dass Sie, liebe Kolleginnen und
Kollegen von der Union, die FDP in fast jedem Punkt
ausbremsen und kleinhalten: ob bei den Steuersenkungsfantasien oder der weder finanzierbaren noch gerechten
Kopfprämie in der Gesundheitspolitik.
({0})
Bei der Frage der Wehrform aber würde ich Ihnen ausnahmsweise doch empfehlen, auf Ihren kleinen Koalitionspartner zu hören. Nicht alles, was die FDP sagt,
muss ja automatisch falsch sein.
({1})
Herr Minister, bei diesem Zankapfel der Koalition
haben Sie sich selbst für Ihre Fans entzaubert: Vom Ende
her denken, eine Aufgabenkritik wagen, kluge Analysen,
mutige Antworten statt Festhalten an Traditionsargumenten - das sollte nach Ihren eigenen Aussagen Ihr
Amtsverständnis ausmachen.
({2})
Doch was haben Sie in Wirklichkeit getan? Nach langem
Hin und Her wollen Sie fürs Erste doch an der Verkürzung des Wehrdienstes festhalten.
({3})
Die Wehrpflicht habe sich ja schließlich bewährt, so
heißt es. Hektisch, aber ohne jeden Sinn und Verstand jagen Sie den Gesetzentwurf zur Wehrdienstverkürzung
durch das Parlament. Damit wollen Sie heute etwas beschließen lassen, das Sie längst schon wieder infrage
stellen;
({4})
schließlich haben Sie selbst die Aussetzung der Wehrpflicht ins Spiel gebracht. Eine Entscheidung treffen
wollen Sie aber erst später. Herr Minister, wo bitte haben
Sie hier vom Ende her gedacht? Wo bitte sind bei dieser
ganzen Reform die klugen Analysen geblieben? Vielleicht reden Sie heute nicht im Parlament, weil Ihnen das
schon selbst aufgefallen ist.
({5})
So gut wie niemand in der Truppe kann der sechsmonatigen Wehrpflicht etwas abgewinnen.
({6})
Die Wehrpflicht bindet Personal und Geld und blockiert
die dringend notwendige Reform der Bundeswehr. Auch
unter den jungen Männern in unserer Gesellschaft findet
sich kaum jemand, der von dieser Reform überzeugt ist.
Ob neun oder sechs Monate, die Wehrpflicht bleibt ein
ungerechter Einschnitt in die Lebensplanung junger
Männer.
({7})
Da Sie ein überzeugendes Konzept für die Ausgestaltung des verkürzten Wehrdienstes bis heute nicht vorgelegt haben, erwartet die jungen Männer eine sinnlose
Warteschleife und die Bundeswehr eine enorme zusätzliche Belastung. Diese Reform schafft mehr Probleme, als
bestehende zu lösen.
({8})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, vom Ende her denken heißt, Reformen der Bundeswehr in eine sicherheitspolitische Gesamtkonzeption einzubinden. Der Vorsitzende des Bundeswehrverbandes, Oberst Kirsch, hatte
aber in der Expertenanhörung zum Gesetz am Montag
kritisiert, dass er noch heute auf eine Antwort auf seine
Frage nach der sicherheitspolitischen Begründung dieser
Wehrdienstreform wartet. Und nicht nur ihm, sondern
diesem Hohen Hause und auch den Bürgerinnen und
Bürgern sind Sie genau diese Begründung bisher schuldig geblieben.
({9})
Und warum bleiben Sie uns das schuldig? Weil nicht nur
diese Reform, sondern auch die Wehrpflicht an sich sicherheitspolitisch nicht mehr begründbar sind.
Der einzige Grund für diese Reform, den Sie bisher
genannt haben, ist der Koalitionsvertrag. Das ist doch
nicht hin- und nicht ausreichend. In Ihrem Koalitionsvertrag steht schließlich viel Unsinn.
({10})
Kippen Sie doch diese Reform aus dem gleichen Grund,
aus dem Sie sich auch von dem Ziel der Steuersenkungen verabschiedet haben: weil beides einfach schlichtweg falsch ist.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, es wird höchste
Zeit, dass wir uns ehrlich machen und die richtigen Fragen stellen. Was soll die Bundeswehr wirklich können,
und welche Wehrform ist dafür wirklich notwendig?
({11})
Die strukturbestimmende Aufgabe der Bundeswehr ist die
multilaterale UN-mandatierte Konfliktlösung und -vermeidung.
({12})
Dafür muss die Bundeswehr ausgebildet, ausgerüstet
und strukturiert werden.
({13})
Wenn wir so vom Ende her denken, wird deutlich, dass
nur mit der Freiwilligenarmee der notwendige Umbau
der Bundeswehr gelingen kann.
({14})
Liebe Kolleginnen und Kollegen der Koalition, abschließend möchte ich Sie deshalb darauf hinweisen,
dass es auch jetzt noch eine Möglichkeit gibt, Ihren langen Weg der Irrungen und Wirrungen bei der Wehrrechtsreform endlich zu verlassen: Sie wollen hier ein
Gesetz beschließen, das Sie selbst nicht für überzeugend
halten und dem auch Sie selbst nur eine begrenzte Haltbarkeitsdauer zuschreiben.
({15})
Sie haben aber die Möglichkeit, einen geraden Weg - weg
von der Wehrpflicht hin zur Freiwilligenarmee - einzuschlagen. Dafür sollten Sie unserem Antrag, dem Antrag
der Grünen, zustimmen.
Vielen Dank.
({16})
Für die Unionsfraktion hat nun der Kollege
Dr. Reinhard Brandl das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Wir haben als christlich-liberale Koalition in unserem Koalitionsvertrag festgelegt - damit haben Sie
recht, Frau Malczak -, dass wir angesichts grundlegender Veränderungen in der sicherheitspolitischen Lage sowie im Auftrag und im Aufgabenspektrum der Bundeswehr die Wehrpflicht auf sechs Monate verkürzen.
Dieses Vorhaben setzen wir heute in die Tat um. Es ist
ein Signal an die jungen Männer, dass wir sorgsam mit
ihrer Lebenszeit umgehen und die Länge des Pflichtdienstes auf ein Mindestmaß reduzieren.
Es ist aber auch ein Auftrag vor allem an die Bundeswehr, in sechs Monaten eine komprimierte Form des
Dienstes anzubieten, der sowohl für den Einzelnen als
auch für die Bundeswehr selbst sinnvoll ausgestaltet ist.
Nur wenn uns das gelingt, werden wir auch mit dieser
verkürzten Form der Wehrpflicht langfristig Akzeptanz
in der Gesellschaft finden.
Auch die zweite große Aufgabe aus unserem Koalitionsvertrag ist Minister Guttenberg gleich nach der
Wahl angegangen: die dringend notwendige Reform der
Strukturen der Bundeswehr. Die Organisation heute
passt nicht zu den Anforderungen einer Armee in permanentem Auslandseinsatz.
Verschärfend kommt hinzu, dass auch das Bundesministerium der Verteidigung einen Teil zur Konsolidierung der Staatsfinanzen beisteuern muss. Es wird langfristig also weniger Geld zur Verfügung stehen. Es ist in
dieser Situation keine Lösung, an all dem, was wir uns
heute an Strukturen leisten, einfach festzuhalten und nur
mit der Rasenmähermethode im Budget zu kürzen. Damit werden wir unserer Verantwortung für die Soldaten
nicht gerecht.
Das Kabinett hat deswegen letzte Woche dem Bundesministerium der Verteidigung den Auftrag erteilt, in
Zusammenarbeit mit der Strukturkommission zu prüfen,
welche Folgen unter anderem eine deutliche Reduzierung des Personals der Streitkräfte für die sicherheitspolitische Handlungsfähigkeit Deutschlands hätte. Es
macht jetzt keinen Sinn, dem Ergebnis dieser Arbeit vorzugreifen und Tabus in Bezug auf die Wehrpflicht aufzustellen. Im Gegenteil: Wir sind es den jungen Männern,
die ihren Wehr- oder ihren Ersatzdienst für unser Land
ableisten, sogar schuldig, regelmäßig zu überprüfen, ob
ihr Dienst sicherheitspolitisch weiterhin begründbar ist
oder nicht.
({0})
Dieser Debatte müssen wir uns immer wieder stellen
und sie auch offen und ehrlich führen. Denn auch das ist
Grundlage für die Akzeptanz der Wehrpflicht in unserer
Gesellschaft. Ausschlaggebend können in einer solch
grundsätzlichen Debatte aber nicht nur die momentanen
Einsatzanforderungen oder gar die Kassenlage sein.
({1})
Ein Blick in unsere jüngere Geschichte zeigt doch, wie
schnell sich Bedrohungslagen und Einsatzszenarien verändern können.
In den 80er-Jahren war die Bundeswehr noch voll auf
den Ost-West-Konflikt ausgerichtet. Dann kam für viele
überraschend der 9. November 1989 und der Fall des Eisernen Vorhangs. Kurz darauf begann der Krieg auf dem
Balkan. Es entstand eine vollkommen neue sicherheitspolitische Lage in Europa, verbunden mit ganz neuen
Einsatzaufgaben für die Bundeswehr. Dann kam, wieder
überraschend, der 11. September 2001, der uns in
schrecklicher Art und Weise die Bedrohung durch den
internationalen Terrorismus vor Augen geführt hat.
Diese Bedrohung bestimmt unsere Einsätze heute.
Wenn wir uns jetzt im Zuge einer Reformdebatte über
die Wehrform der Zukunft unterhalten, müssen wir uns
folgende Fragen stellen: Was sind die wahrscheinlichen
Einsatzszenarien der Zukunft? Was sind unwahrscheinliche Szenarien - Stichwort Landes- und Bündnisverteidigung -, und bis zu welchem Grad wollen wir uns auch
dafür wappnen? Wie muss die Bundeswehr für diese
Szenarien aufgestellt sein? Daraus abgeleitet: Brauchen
wir in diesen Szenarien die Wehrpflicht zum Beispiel als
Grundlage für die Aufwuchsfähigkeit der Bundeswehr
im Krisenfall, ja oder nein?
Wir begründen die Wehrpflicht sicherheitspolitisch.
Die Wehrpflicht hat aber auch zu einer tiefen Verankerung der Bundeswehr in unserer Gesellschaft geführt.
Das ist nicht der Grund für die Wehrpflicht, aber es ist
für mich ein Wert an sich.
({2})
Eine grundsätzliche Debatte werden wir in den nächsten Monaten intensiv führen. Sie ist aber zu trennen von
dem Gesetzentwurf, über den wir heute hier diskutieren.
Wir haben auch eine Verantwortung für diejenigen
Wehrpflichtigen, die jetzt kurz vor ihrer Einberufung stehen. Diesen jungen Menschen geben wir mit diesem Gesetzentwurf Planungssicherheit. Deshalb bitte ich Sie um
Zustimmung zu unserem Gesetzentwurf.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({3})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, bevor ich als letztem Redner in dieser Debatte dem Kollegen Lars
Klingbeil
({0})
das Wort gebe, bitte ich Sie um die notwendige Aufmerksamkeit. Wir haben genügend Sitzgelegenheiten,
sodass Sie der Debatte bis zum Schluss folgen können.
Bevor wir namentlich abstimmen, haben wir noch einige
einfache Abstimmungen durchzuführen. Ich bitte Sie
also auch für den letzten Redner um den notwendigen
Respekt.
Das Wort hat nun der Kollege Lars Klingbeil für die
SPD-Fraktion.
({1})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen
und Herren! Seit ihrer Einführung haben mehr als
8 Millionen junge Männer Wehrdienst in Deutschland
geleistet. Mehr als 50 Jahre hat die Wehrpflicht unsere
Gesellschaft geprägt. Aber es sind Zweifel am bestehenden System der Wehrpflicht gewachsen. Es ist unsere
Aufgabe als Politiker, sicherheitspolitisch zu begründen,
ob wir noch eine Wehrpflicht in Deutschland brauchen.
Es ist jetzt an uns, auf der Höhe der Zeit zu sein und den
sicherheitspolitischen Herausforderungen gerecht zu
werden. Dies ist unsere Pflicht, und hieran werden wir
gemessen.
Die Diskussion über die Wehrpflicht gehört nicht in
das politische Hinterzimmer.
({0})
Diese Debatte bewegt unsere Gesellschaft. Im Parlament
wird deutlich: FDP, Grüne und Linkspartei sind sich einig, wenn es darum geht, die Wehrpflicht abzuschaffen.
In der SPD gibt es Befürworter und Kritiker. Wir haben
uns nach einer langen Debatte auf ein Modell verständigt, das auf mehr Freiwilligkeit setzt und vor allem einen gesellschaftlichen Konsens sucht. Selbst in der
Union, die bisher aus ideologischen Gründen an der
Wehrpflicht festgehalten hat, ist die Aussetzung der
Wehrpflicht kein Tabuthema mehr.
({1})
Der CSU-Verteidigungsminister, der vor kurzem noch
verkündete, eine Abschaffung sei mit ihm nicht zu machen, gehört nun zur Speerspitze der Wehrpflichtkritiker.
({2})
All dies zeigt, wie verschieden die Positionen zur
Wehrpflicht sind. Auch durch Umfragen wird belegt,
dass unser Land in dieser Frage gespalten ist. Wir haben
nun gemeinsam die Herausforderung zu bewältigen, eine
politische Reform zu suchen, die für einen breiten gesellschaftlichen Konsens steht.
Was aber ist die Antwort der Regierung auf diese Herausforderung? „W6“. Sie lassen die Wehrpflicht zu einem sechsmonatigen Praktikum bei der Bundeswehr
verkommen. Ich sage Ihnen: Sicherheitspolitisch macht
das keinen Sinn. Die Gerechtigkeitsfrage wird nicht gelöst. Der Zivildienst wird in seiner jetzigen Form massiv
unter Druck gesetzt. Zu allem Überfluss steigen auch
noch die Kosten.
({3})
Ich habe bisher niemanden getroffen, der ernsthaft die
Meinung vertreten hat, dass ein Wehrdienst von sechs
Monaten einen erhöhten Nutzen für unsere Streitkräfte,
geschweige denn für unsere Gesellschaft hat. Auch Sie
sind heute wieder jede Erklärung schuldig geblieben,
worin eigentlich der Sinn einer sechsmonatigen Wehrpflicht liegen soll.
({4})
Wenn Sie ehrlich sind, geht es doch nur darum, endlich
einmal ein schwarz-gelbes Projekt aus dem Koalitionsvertrag zu verabschieden. Mit dem Kopf durch die
Wand, das ist das Motto der heutigen Abstimmung.
({5})
Das Schlimmste ist, dass dieser Gesetzentwurf das
Papier nicht wert ist, auf dem er gedruckt wurde. Noch
vor der Verabschiedung hier im Parlament hören wir,
dass Teile der Union nun für eine komplette Abschaffung der Wehrpflicht plädieren. Herr Minister, ich will
Ihnen sagen: Als Neuling im Deutschen Bundestag habe
ich aufgehorcht, als Sie von einem Höchstmaß an Transparenz und Zusammenarbeit sowie von Wahrheit und
Klarheit gesprochen haben. Nach sieben Monaten muss
ich Ihnen aber leider sagen: Es waren nur leere Worte.
Wir von der Opposition haben fast damit gerechnet.
Aber auch gegenüber Ihren eigenen Reihen haben Sie
nicht das eingehalten, was Sie angekündigt haben.
({6})
Erst schließen Sie eine Abschaffung der Wehrpflicht
aus. Dann wird im Eiltempo eine Verkürzung auf sechs
Monate durch das Parlament gejagt. Sie setzen eine unabhängige Strukturkommission ein, die ohne Tabus tagen soll, und dann preschen Sie als Antwort auf das
Spardiktat mit der Forderung nach Abschaffung der
Wehrpflicht vor, noch bevor die Verkürzung der Wehrpflicht hier im Parlament beschlossen wurde. Diese
schwarz-gelbe Logik erschließt sich mir nicht. Ich sage:
Auch draußen versteht niemand, was wir hier heute diskutieren und beschließen. In der Truppe versteht das erst
recht keiner.
({7})
Unser Angebot gilt weiterhin. Wir sind zu einer konstruktiven Zusammenarbeit bereit. Nutzen Sie nicht politische Mehrheiten, sondern suchen Sie gesellschaftliche
Mehrheiten. Ich bin davon überzeugt, dass wir mit den
richtigen Maßnahmen diejenigen für die Bundeswehr
gewinnen können, die wir brauchen, und zwar auf freiwilliger Basis. Ich fordere Sie also noch einmal auf: Verzichten Sie auf W6! Zeigen Sie heute Stärke und Klarheit! Ich garantiere Ihnen: Es wird keine Häme von
unserer Seite geben,
({8})
wenn Sie ein weiteres Vorhaben Ihres Koalitionsvertrages abräumen. Wir wissen, dass die sicherheitspolitischen Herausforderungen unserer Zeit größere Antworten brauchen als W6. Herr zu Guttenberg, es liegt an
Ihnen.
Herzlichen Dank für das Zuhören.
({9})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den von den
Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Ge-
setzentwurf zur Änderung wehr- und zivildienstrechtli-
cher Vorschriften 2010. Mir liegen mehrere Erklärungen
nach § 31 Abs. 1 und eine Erklärung des Kollegen Hans-
Ulrich Klose nach § 31 Abs. 2 unserer Geschäftsord-
nung vor1). Der Verteidigungsausschuss empfiehlt unter
Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf Drucksa-
che 17/2174, den Gesetzentwurf der Fraktionen der
CDU/CSU und FDP auf Drucksache 17/1953 in der
Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die
dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen
wollen, um das Handzeichen. Wer stimmt dagegen? -
Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist damit in zwei-
ter Beratung angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Wir stimmen nun über den Ge-
setzentwurf auf Verlangen der Fraktionen der SPD und
Bündnis 90/Die Grünen namentlich ab. Ich möchte da-
rauf hinweisen, dass wir im Anschluss eine weitere na-
mentliche Abstimmung durchführen werden.
Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die
vorgesehenen Plätze einzunehmen, und ich bitte die Kol-
leginnen und Kollegen, zu überprüfen, ob ihr Name auf
ihrer Abstimmungskarte steht. Sind alle Schriftführerin-
nen und Schriftführer an den vorgesehenen Plätzen? -
Das ist der Fall. Ich eröffne die Abstimmung.
Gibt es noch ein Mitglied des Hauses, das seine
Stimme nicht abgegeben hat? - Das ist nicht der Fall. Ich
schließe die Abstimmung und bitte die Schriftführerin-
nen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen.
Das Ergebnis der Abstimmung wird Ihnen später be-
kannt gegeben.2)
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich würde gern die
Abstimmungen fortsetzen, vorausgesetzt, jede Kollegin
und jeder Kollege kann hören, worum es gerade geht
und sich dann entsprechend sachgerecht verhalten. Tun
Sie mir den Gefallen und unterstützen Sie mich dabei.
Wir setzen die Abstimmungen mit dem Entschlie-
ßungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf
Drucksache 17/2197 fort. Auf Verlangen der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen stimmen wir über den Ent-
schließungsantrag namentlich ab.
Ich bitte wiederum die Schriftführerinnen und
Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen.
Sind die Plätze an den Wahlurnen besetzt? - Ich eröffne
die Abstimmung.
Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine
Stimme nicht abgeben konnte? - Das ist nicht der Fall.
Ich schließe die Abstimmung. Ich bitte die Schriftführe-
rinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu begin-
nen. Das Ergebnis der Abstimmung wird Ihnen später
bekannt gegeben.3)
Wir setzen die Abstimmung über die Beschlussemp-
fehlung des Verteidigungsausschusses auf Drucksache
17/2174 fort.
Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe b seiner
Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der
Fraktion Die Linke auf Drucksache 17/1736 mit dem Ti-
tel „Abschaffung der Wehrpflicht“. Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer
enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist mit den
Stimmen der Unionsfraktion, der SPD-Fraktion und der
FDP-Fraktion gegen die Stimmen der Fraktion Die
Linke bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grü-
nen angenommen.
1) Anlagen 2 bis 4
2) Ergebnis Seite 5078 D
3) Ergebnis Seite 5081 C
Vizepräsidentin Petra Pau
Unter Buchstabe c seiner Beschlussempfehlung emp-
fiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Frak-
tion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/1431 mit
dem Titel „Wehrpflicht beenden“. Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer
enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist mit den
Stimmen der Unionsfraktion, der SPD-Fraktion und der
FDP-Fraktion gegen die Stimmen der Fraktion Bünd-
nis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Fraktion Die
Linke angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 12 a und 12 b auf:
a) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Christine Lambrecht, Petra Crone, Dr. Peter
Danckert, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Gleichstellung eingetragener Lebenspartnerschaften
- Drucksache 17/2113 Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss ({0})
Innenausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Barbara Höll, Jan Korte, Cornelia Möhring,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE
LINKE
Öffnung der Ehe
- Drucksache 17/2023 Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss ({1})
Innenausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Reden zu
diesem Tagesordnungspunkt zu Protokoll zu geben. -
Ich sehe, Sie sind damit einverstanden. Es handelt sich
um die Reden folgender Kolleginnen und Kollegen: Ute
Granold für die Unionsfraktion, Christine Lambrecht für
die SPD-Fraktion, Stephan Thomae und Michael Kauch
für die FDP-Fraktion, Dr. Barbara Höll für die Fraktion
Die Linke und Volker Beck für die Fraktion Bündnis 90/
Die Grünen.1)
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf
den Drucksachen 17/2113 und 17/2023 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen.
Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann
sind die Überweisungen so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 13 auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes für bessere
Beschäftigungschancen am Arbeitsmarkt Beschäftigungschancengesetz
- Drucksache 17/1945 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales ({2})
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Haushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 GO
Auch hier wurde interfraktionell vorgeschlagen, die
Reden zu diesem Tagesordnungspunkt zu Protokoll zu
geben. - Ich sehe, Sie sind auch hier einverstanden. Es
handelt sich um die Reden folgender Kolleginnen und
Kollegen: Paul Lehrieder für die Unionsfraktion,
Gabriele Lösekrug-Möller für die SPD-Fraktion,
Dr. Heinrich L. Kolb und Johannes Vogel ({3})
für die FDP, Sabine Zimmermann für die Fraktion Die
Linke, Brigitte Pothmer für die Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen und Parlamentarischer Staatssekretär Dr. Ralf
Brauksiepe für die Bundesregierung.2)
Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 17/1945 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es
dazu anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht der Fall.
Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 14 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Rosemarie Hein, Diana Golze, Dr. Petra Sitte,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE
LINKE
Fachkräfteprogramm - Bildung und Erziehung - unverzüglich auf den Weg bringen
- Drucksache 17/2019 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung ({4})
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Haushaltsausschuss
Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Reden zu
diesem Tagesordnungspunkt zu Protokoll zu geben. Ich sehe, Sie sind damit einverstanden. Es handelt sich
um die Reden folgender Kolleginnen und Kollegen:
Marcus Weinberg ({5}), Ewa Klamt für die
Unionsfraktion, Marianne Schieder ({6}), Caren
Marks für die SPD-Fraktion, Sylvia Canel für die FDPFraktion, Dr. Rosemarie Hein für die Fraktion Die Linke
und Priska Hinz ({7}) für die Fraktion Bündnis 90/
Die Grünen.3)
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 17/2019 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-
verstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung
so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 15 a und 15 b auf:
a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-
gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
über die aufsichtsrechtlichen Anforderungen
an die Vergütungssysteme von Instituten und
Versicherungsunternehmen
- Drucksachen 17/1291, 17/1457 -
1) Anlage 6
2) Anlage 7
3) Anlage 8
Vizepräsidentin Petra Pau
Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses ({8})
- Drucksache 17/2181 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Ralph Brinkhaus
Björn Sänger
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Finanzausschusses ({9})
- zu dem Antrag der Abgeordneten Nicolette
Kressl, Joachim Poß, Ingrid Arndt-Brauer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Maßnahmenbündel gegen Spekulationen
auf den Finanzmärkten und ungerechtfertigte Banker-Boni
- zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Barbara
Höll, Dr. Axel Troost, Richard Pitterle, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE
Dem Vorbild Großbritanniens und Frankreichs folgen - Boni-Steuer für die Finanzbranche einführen
- zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Gerhard
Schick, Fritz Kuhn, Kerstin Andreae, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Gehaltsexzesse nicht länger auf Kosten der
Allgemeinheit
- Drucksachen 17/526, 17/452, 17/794, 17/2181 Berichterstattung:
Abgeordnete Ralph Brinkhaus
Björn Sänger
Der Finanzausschuss hat in diese Beschlussempfehlung den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
auf Drucksache 17/794 einbezogen. Über diese Vorlage
soll jetzt ebenfalls abschließend beraten werden. - Ich
sehe, Sie sind damit einverstanden. Dann ist so beschlossen.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat für die
Unionsfraktion der Kollege Ralph Brinkhaus.
({10})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir haben im Mai das Ausführungsgesetz zur EU-Ratingverordnung verabschiedet. Heute beschließen wir in dritter
Lesung ein zweites Gesetz zur Regulierung der Kapitalmärkte, das Gesetz über die aufsichtsrechtlichen Anforderungen an Vergütungssysteme von Finanzinstituten.
Wir werden mit diesem Gesetz Banken und Versicherungen dazu verpflichten, ihre Vergütungssysteme angemessen, transparent und nachhaltig zu gestalten. Sollte ein
Institut in eine ernsthafte Schieflage geraten, wird es den
Aufsichtsbehörden ermöglicht, einzugreifen und die
Auszahlung von variablen Vergütungsbestandteilen zu
verbieten. Der vorliegende Gesetzentwurf ist notwendig
geworden, weil durch unangemessen hohe, auf kurzfristige Gewinne ausgerichtete Boni eine Risikobereitschaft
gefördert wurde, die letztlich zur Finanzkrise beigetragen hat.
In den letzten Wochen haben wir uns alle sehr intensiv mit diesem Gesetzentwurf beschäftigt: in vielen Einzelgesprächen mit Gewerkschaften und Verbänden, in
unseren Arbeitsgruppen, in Ausschüssen, in einer öffentlichen Anhörung und natürlich auch hier im Plenum. Die
Diskussionen waren fair, sachlich und konstruktiv. Dafür
möchte ich mich bei allen Beteiligten bedanken, ganz
besonders bei meinem Berichterstatterkollegen von der
FDP. Die Zusammenarbeit war wie immer sehr gut.
({0})
Der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht
wird, wie bereits erläutert, durch das Gesetz ermöglicht,
in Vergütungssysteme einzugreifen. Im Rahmen unserer
Beratungen haben wir alle sehr intensiv diskutiert, ob
das Gesetz in die im Grundgesetz festgeschriebene Tarifautonomie eingreift. Um klarzustellen, dass wir diesen
Eingriff nicht wollen, haben wir zusätzliche Formulierungen in den Gesetzentwurf eingefügt. Wir haben damit
den Bedenken und Änderungswünschen von Gewerkschaften, aber auch von Verbänden Rechnung getragen.
Insofern zeigt sich, dass die gerne geschmähten Interessenvertreter oder Lobbyisten hin und wieder auch dazu
beitragen, dass ein Gesetz besser wird.
Wir haben auch darüber beraten, was passiert, wenn
die BaFin die Auszahlung von variablen Vergütungsbestandteilen aufgrund einer Schieflage untersagt. Vom Finanzministerium wurde klargestellt: Wenn sich das Unternehmen wieder erholt, dann kann der Manager oder
Anspruchsberechtigte die Auszahlung der einbehaltenen
Boni einfordern. Sollte das Institut zum Überleben aber
dauerhaft Staatshilfen benötigen, dann ist es wohl nicht
fair, dass diese Ansprüche bestehen bleiben. Dies ist
bislang allerdings noch nicht geregelt. Die Regierungsfraktionen haben die Regierung daher gebeten, diesen
Sachverhalt in ihrem Entwurf eines Restrukturierungsgesetzes, der im Sommer kommen wird, zu berücksichtigen.
({1})
Meine Damen und Herren, im Zusammenhang mit
dem Gesetzentwurf haben wir auch darüber gesprochen,
inwieweit sich das Gesetz mit der gleichen Vergütung
von Mann und Frau sowie der Ausrichtung der Vergütungssysteme an der Kundenzufriedenheit beschäftigen
sollte. Wir haben in diesem Fall der Schnelligkeit, das
heißt, dem Bestreben, das Gesetz zügig zu verabschieden, Vorrang gegeben. Aufgrund der Bedeutung für die
Stabilität der Finanzmärkte wollen wir noch vor der
Sommerpause eine Entscheidung treffen. Deswegen haben wir dieses Gesetz nicht überfrachten wollen. Das
heißt allerdings nicht, dass wir uns mit diesen wichtigen
Themen nicht weiter beschäftigen werden.
Auch heute hat sich die alte Regel bewahrheitet - ich
glaube, sie stammt von der SPD, von Herrn Struck -:
Kein Gesetz verlässt das Parlament so, wie es hineingekommen ist. Das ist auch gut so. Es ist unsere Aufgabe,
zu prüfen und gegebenenfalls zu ändern. Dem einen oder
anderen mag die Regulierungsdichte in diesem Gesetz
nicht weit genug gehen. Aber ich glaube, wir sind uns
alle darüber einig, dass dieses Gesetz nach dem Gesetz
zu den Vorstandsvergütungen ein weiterer Schritt in
Richtung einer guten und nachhaltigen Vergütungsstruktur bei Banken und Versicherungen ist. Ich möchte daher
bei allen Beteiligten um Zustimmung für dieses Gesetz
werben.
Dieses Gesetz ist aber nur ein kleiner Bestandteil eines umfangreichen Maßnahmenpaketes, das die Stabilität und Sicherheit der Finanzmärkte erhöhen soll. Das ist
ein Paket, das von der alten und von der neuen Bundesregierung, von europäischen Institutionen und der G-20Gruppe auf den Weg gebracht worden ist. Ich möchte
uns allen noch einmal die wichtigen Elemente vor Augen führen:
Wir haben ein europaweites Risikofrühwarnsystem
für Finanzkrisen entwickelt. Im nächsten Jahr wird der
Europäische Ausschuss für Systemrisiken an den Start
gehen. Seine Aufgabe ist es, in enger Zusammenarbeit
mit der EZB frühzeitig Probleme zu identifizieren und
Handlungsempfehlungen zu geben. Ziel ist es, dass wir
Krisen früher erkennen. Besser als eine rechtzeitig erkannte Krise ist es aber, keine Krise zu haben. Deswegen
werden wir dafür eintreten, dass solche Krisen unwahrscheinlicher werden. Auch dafür gibt es ein umfangreiches Maßnahmenbündel.
Um Krisen frühzeitig verhindern zu können, müssen
wir erst einmal wissen, was auf den Finanzmärkten passiert. Das heißt, wir brauchen Transparenz. Diese Transparenz gab es in der Vergangenheit nicht. Wir hatten
zum Beispiel keine harten Fakten darüber, ob gegen
Griechenland oder den Euro tatsächlich spekuliert worden ist. Deswegen wollen wir den Handel mit Derivaten
über Börsen oder einsehbare Handelsplätze abwickeln.
Darüber hinaus werden wir für bestimmte Geschäfte wie
Leerverkäufe Meldepflichten einführen. Auch das haben
wir in dieser Woche auf den Weg gebracht.
Um Krisen zu vermeiden, meine Damen und Herren,
brauchen wir stabile Finanzinstitute. Je mehr Eigenkapital eine Bank hat, umso stabiler ist sie. Wir haben hierzu
in dieser Woche zum Beispiel die Umsetzung einer EURichtlinie, der Kapitaladäquanzrichtlinie, beraten. Wir werden zum Thema Eigenkapital im sogenannten Basel-IIIProzess weitere Festlegungen treffen. Die Akteure auf
dem Finanzmarkt müssen zudem für ihr Tun haften, das
heißt, Verantwortung übernehmen. Deswegen wollen wir
es verbieten, dass derjenige, der ein Risiko eingeht, dieses
Risiko ohne Eigenbehalt weitergibt. Deswegen beschäftigen wir uns mit den Verbriefungsregeln. Auch das haben wir in dieser Woche auf den Weg gebracht. Außerdem brauchen wir Regelungen für die
Vergütungssysteme. Diese werden wir hoffentlich heute
Abend verabschieden.
Wir sind uns aber darüber im Klaren, dass es trotz all
dieser Sicherungsmaßnahmen keine hundertprozentige
Sicherheit gibt, dass eine Bank nicht in Schieflage gerät.
Das hat viel damit zu tun, dass wir auch weiterhin wollen, dass in der Marktwirtschaft Entscheidungen getroffen werden. Das beinhaltet, dass man auch Fehler machen kann, dass man gegebenenfalls auch vom Markt
verschwinden kann. Wir wollen nur eines: dass die Institute, die vom Markt verschwinden, nicht andere Institute
mitreißen. Deswegen werden wir ein neues Insolvenzund Restrukturierungsregime für Finanzinstitute auf den
Weg bringen. Im Sommer werden wir hierzu die ersten
Vorschläge von der Regierung erhalten.
In der Vergangenheit haben wir viel Steuergeld in das
Finanzsystem gesteckt. Deswegen werden wir das Bankensystem daran beteiligen, die Haushalte zu konsolidieren. Im Eckpunktepapier zum Sparpaket der Bundesregierung ist dies ausgeführt.
({2})
Wir wollen, dass Krisen vom Finanzsystem zukünftig
selbst reguliert werden. Deswegen werden wir einen
Rettungsfonds einrichten, der durch eine Bankenabgabe
gespeist wird. Auch hierzu hat das Bundeskabinett die
Eckpunkte bereits festgelegt.
Das sind nur einige Bestandteile eines umfassenden
Systems, das die Finanzwelt ein wenig sicherer machen
soll. Das heute zu verabschiedende Gesetz ist ein Bestandteil dieses Systems und daher sehr wichtig. Wir alle
wissen um die internationale Vernetzung in der Finanzwelt. Wir müssen international und europäisch abgestimmte Lösungen finden.
({3})
Beim vorliegenden Gesetzentwurf ist uns das im
Wesentlichen gelungen. In vielen anderen Bereichen
herrscht aber leider Stillstand. Deswegen ist es richtig,
dass Deutschland als stärkste europäische Volkswirtschaft gegebenenfalls alleine vorangeht und Zeichen
setzt. Die Bundesregierung hat dies mit dem Verbot von
bestimmten Leerverkäufen getan. Auch das ist gut so.
Ich bin mir sicher, dass andere EU-Staaten folgen werden.
({4})
In schwierigen Zeiten ist es wichtig, Führung zu übernehmen. Die christlich-liberale Koalition zeigt mit ihren
Gesetzesvorhaben zur Finanzmarktregulierung, dass sie
führen kann und will. Wir haben gute Dinge auf den
Weg gebracht. Weitere Vorhaben werden folgen.
({5})
Meine Damen und Herren, zu diesem Tagesordnungspunkt liegen noch Anträge von SPD, Grünen und Linken
vor. In diesen etwas älteren Anträgen werden viele wichtige Probleme angesprochen und Lösungen vorgeschlagen. Wir stimmen, wie nicht anders zu erwarten, nicht in
allen Punkten überein; aber wenn Sie das betrachten,
was die Bundesregierung in den vergangenen Wochen
und Monaten umgesetzt hat, dann sehen Sie, dass sich
viele Ihrer Vorschläge erledigt haben. Insofern möchte
ich die Übereinstimmungen und nicht den Dissens betonen.
Ich möchte das an einigen Beispielen erläutern. Sie
von den Linken und auch von den Grünen haben sich
sehr stark damit beschäftigt, eine Bonibesteuerung auf
den Weg zu bringen. Auch wir sind mit den Bonistrukturen unzufrieden. Deswegen haben wir das Vorstandsvergütungsgesetz beschlossen und beschließen heute das
Aufsichtsvergütungsgesetz. Wir werden auch weiterhin
die mögliche Einführung einer Financial Activities Tax
prüfen, die genau bei diesen Boni ansetzen soll. Sie von
der SPD haben unter anderem beantragt - alles auszuführen würde jetzt zu weit führen -,
({6})
dass die öffentlichen Lasten aus der Krisenbekämpfung
angemessen verteilt werden. Wir haben hierzu bereits
eine risikoadjustierte Bankenabgabe angekündigt.
({7})
Wir werden dies umsetzen. Insofern kommen wir auch
dieser Sache nach.
Wir bleiben trotz vieler Übereinstimmungen bei unserem Weg - das ist jetzt kein mangelnder Respekt für Ihre
Vorschläge - und werden Ihre Anträge ablehnen. Ich
denke, dass uns das nicht daran hindern sollte, weiter
vernünftig zusammenzuarbeiten; denn das ist nötig. Einige wichtige Fragen zur Zukunft der Finanzmärkte sind
noch nicht beantwortet. Ich möchte hierzu Überlegungen
anstellen. Wie soll der Finanzplatz Europa, der Finanzplatz Deutschland in der Zukunft aussehen? Welches
Bild haben wir von diesem Finanzplatz?
Hierzu stellen sich einige Fragen. Ganz pragmatisch:
Wie werden es die deutschen Finanzinstitute in den
nächsten Monaten und Jahren schaffen, die notwendigen
Eigenkapitalanforderungen zu erfüllen? Sehr grundsätzlich: Welche Wettbewerbsstrukturen möchten wir auf
dem Finanzmarkt in Deutschland, in Europa und in der
Welt haben? Akzeptieren wir weiterhin oligopolistische
Strukturen mit wenigen Global Playern, oder wollen wir
einen Mittelstand haben, oder wollen wir beides haben?
Was müssen wir dafür tun? Sehr wichtig ist auch die
Frage: Wie gehen wir mit den Teilen des Finanzmarktes
um, die nicht reguliert sind, zum Beispiel die Hedgefonds? Lassen wir es zu, dass aus dem regulierten Teil
Liquidität, das heißt Risiko, in den unregulierten Teil
geht, oder wollen wir die Verbindung kappen? Auch das
ist eine Frage, die wir beantworten müssen.
({8})
Eine Frage, die für die Menschen in diesem Land sehr
entscheidend ist und für die wir noch keine überzeugende Antwort gefunden haben, lautet: Ist es möglich,
die wesentlichen Akteure auf den Finanzmärkten für ihr
Tun in die persönliche Haftung zu nehmen?
({9})
Es gibt durchaus noch mehr Fragen. Die gerade genannten erscheinen mir besonders wichtig. Lassen Sie
uns Antworten darauf finden, und zwar so fair und konstruktiv, wie wir diesen Gesetzgebungsprozess durchgeführt haben. Wir müssen am Ende des Tages nicht einer
Meinung sein - ich befürchte, das werden wir auch heute
Abend nicht sein -, aber es lohnt sich, zusammenzuarbeiten und aus dem einen oder anderen politischen oder
taktischen Graben zu steigen. Das würde den Finanzmärkten und dem Land an der einen oder anderen Stelle
guttun.
Danke schön.
({10})
Ich komme zurück zu den namentlichen Abstimmungen.
Zuerst das Ergebnis der namentlichen Abstimmung
über den von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP
eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Änderung
wehr- und zivildienstrechtlicher Vorschriften 2010. Ich
gebe das von den Schriftführerinnen und Schriftführern
ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung
bekannt: abgegebene Stimmen 554. Mit Ja haben gestimmt 303, mit Nein 250 Kolleginnen und Kollegen. Es
gab eine Enthaltung. Der Gesetzentwurf ist angenommen.
Endgültiges Ergebnis
Abgegebenen Stimmen: 552;
davon
ja: 303
nein: 248
enthalten: 1
Ja
CDU/CSU
Ilse Aigner
Peter Altmaier
Peter Aumer
Dorothee Bär
Thomas Bareiß
Norbert Barthle
Günter Baumann
Ernst-Reinhard Beck
({0})
Manfred Behrens ({1})
Dr. Christoph Bergner
Steffen Bilger
Clemens Binninger
Peter Bleser
Dr. Maria Böhmer
Wolfgang Börnsen
({2})
Wolfgang Bosbach
Vizepräsidentin Petra Pau
Norbert Brackmann
Klaus Brähmig
Michael Brand
Helmut Brandt
Dr. Ralf Brauksiepe
Dr. Helge Braun
Heike Brehmer
Gitta Connemann
Leo Dautzenberg
Alexander Dobrindt
Marie-Luise Dött
Enak Ferlemann
Ingrid Fischbach
Hartwig Fischer ({3})
Axel E. Fischer ({4})
Klaus-Peter Flosbach
Herbert Frankenhauser
Dr. Hans-Peter Friedrich
({5})
Michael Frieser
Dr. Michael Fuchs
Hans-Joachim Fuchtel
Alexander Funk
Dr. Peter Gauweiler
Dr. Thomas Gebhart
Alois Gerig
Eberhard Gienger
Michael Glos
Peter Götz
Dr. Wolfgang Götzer
Ute Granold
Reinhard Grindel
Hermann Gröhe
Michael Grosse-Brömer
Manfred Grund
Monika Grütters
Dr. Karl-Theodor Freiherr
zu Guttenberg
Olav Gutting
Holger Haibach
Dr. Stephan Harbarth
Jürgen Hardt
Dr. Matthias Heider
Mechthild Heil
Ursula Heinen-Esser
Frank Heinrich
Rudolf Henke
Michael Hennrich
Jürgen Herrmann
Ansgar Heveling
Ernst Hinsken
Peter Hintze
Christian Hirte
Robert Hochbaum
Karl Holmeier
Franz-Josef Holzenkamp
Anette Hübinger
Thomas Jarzombek
Dieter Jasper
Dr. Franz Josef Jung
Andreas Jung ({6})
Dr. Egon Jüttner
Bartholomäus Kalb
Hans-Werner Kammer
Alois Karl
Bernhard Kaster
Volker Kauder
Dr. Stefan Kaufmann
Roderich Kiesewetter
Eckart von Klaeden
Ewa Klamt
Volkmar Klein
Jürgen Klimke
Julia Klöckner
Axel Knoerig
Jens Koeppen
Manfred Kolbe
Dr. Rolf Koschorrek
Hartmut Koschyk
Thomas Kossendey
Michael Kretschmer
Gunther Krichbaum
Dr. Günter Krings
Rüdiger Kruse
Dr. Hermann Kues
Dr. Karl A. Lamers
({7})
Andreas G. Lämmel
Katharina Landgraf
Dr. Max Lehmer
Dr. Ursula von der Leyen
Ingbert Liebing
Matthias Lietz
Patricia Lips
Dr. Jan-Marco Luczak
Dr. Michael Luther
Karin Maag
Dr. Thomas de Maizière
Hans-Georg von der Marwitz
Andreas Mattfeldt
Stephan Mayer ({8})
Dr. Michael Meister
Maria Michalk
Dr. h. c. Hans Michelbach
Dr. Mathias Middelberg
Dietrich Monstadt
Marlene Mortler
Dr. Gerd Müller
Stefan Müller ({9})
Nadine Müller ({10})
Dr. Philipp Murmann
Michaela Noll
Dr. Georg Nüßlein
Franz Obermeier
Eduard Oswald
Henning Otte
Dr. Michael Paul
Rita Pawelski
Ulrich Petzold
Dr. Joachim Pfeiffer
Sibylle Pfeiffer
Beatrix Philipp
Ronald Pofalla
Christoph Poland
Eckhard Pols
Daniela Raab
Thomas Rachel
Katherina Reiche ({11})
Lothar Riebsamen
Josef Rief
Klaus Riegert
Dr. Heinz Riesenhuber
Johannes Röring
Dr. Norbert Röttgen
Dr. Christian Ruck
Erwin Rüddel
Albert Rupprecht ({12})
Anita Schäfer ({13})
Dr. Andreas Scheuer
Norbert Schindler
Georg Schirmbeck
Christian Schmidt ({14})
Patrick Schnieder
Dr. Andreas Schockenhoff
Dr. Ole Schröder
Uwe Schummer
Armin Schuster ({15})
Detlef Seif
Reinhold Sendker
Dr. Patrick Sensburg
Thomas Silberhorn
Johannes Singhammer
Jens Spahn
Christian Freiherr von Stetten
Dieter Stier
Gero Storjohann
Stephan Stracke
Karin Strenz
Thomas Strobl ({16})
Lena Strothmann
Michael Stübgen
Dr. Peter Tauber
Antje Tillmann
Volkmar Vogel ({17})
Stefanie Vogelsang
Dr. Johann Wadephul
Kai Wegner
Marcus Weinberg ({18})
Peter Weiß ({19})
Sabine Weiss ({20})
Ingo Wellenreuther
Karl-Georg Wellmann
Annette Widmann-Mauz
Klaus-Peter Willsch
Elisabeth WinkelmeierBecker
Dr. Matthias Zimmer
Wolfgang Zöller
Willi Zylajew
FDP
Jens Ackermann
Christine AschenbergDugnus
Daniel Bahr ({21})
Florian Bernschneider
Claudia Bögel
Nicole Bracht-Bendt
Klaus Breil
Ernst Burgbacher
Sylvia Canel
Helga Daub
Reiner Deutschmann
Dr. Bijan Djir-Sarai
Patrick Döring
Mechthild Dyckmans
Rainer Erdel
Jörg van Essen
Ulrike Flach
Otto Fricke
Paul K. Friedhoff
Hans-Michael Goldmann
Heinz Golombeck
Joachim Günther ({22})
Heinz-Peter Haustein
Manuel Höferlin
Birgit Homburger
Dr. Werner Hoyer
Heiner Kamp
Dr. Lutz Knopek
Dr. Heinrich L. Kolb
Gudrun Kopp
Dr. h. c. Jürgen Koppelin
Sebastian Körber
Holger Krestel
Patrick Kurth ({23})
Heinz Lanfermann
Sibylle Laurischk
Harald Leibrecht
Lars Lindemann
Dr. Martin Lindner ({24})
Michael Link ({25})
Dr. Erwin Lotter
Patrick Meinhardt
Gabi Molitor
Jan Mücke
Petra Müller ({26})
Burkhardt Müller-Sönksen
({27})
Dirk Niebel
Vizepräsidentin Petra Pau
Hans-Joachim Otto
({28})
Cornelia Pieper
Gisela Piltz
Dr. Christiane RatjenDamerau
Dr. Birgit Reinemund
Dr. Peter Röhlinger
Dr. Stefan Ruppert
Christoph Schnurr
Dr. Erik Schweickert
Werner Simmling
Judith Skudelny
Torsten Staffeldt
Stephan Thomae
Florian Toncar
Serkan Tören
({29})
Dr. Daniel Volk
Dr. Guido Westerwelle
Dr. Claudia Winterstein
Dr. Volker Wissing
Hartfrid Wolff ({30})
Nein
SPD
Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Heinz-Joachim Barchmann
Dr. Hans-Peter Bartels
Klaus Barthel
Bärbel Bas
Lothar Binding ({31})
Gerd Bollmann
Klaus Brandner
Willi Brase
Bernhard Brinkmann
({32})
Edelgard Bulmahn
Petra Crone
Dr. Peter Danckert
Martin Dörmann
Elvira Drobinski-Weiß
Garrelt Duin
Sebastian Edathy
Siegmund Ehrmann
Dr. h. c. Gernot Erler
Petra Ernstberger
Elke Ferner
Gabriele Fograscher
Dr. Edgar Franke
Peter Friedrich
Michael Gerdes
Martin Gerster
Günter Gloser
Ulrike Gottschalck
Angelika Graf ({33})
Michael Groß
Wolfgang Gunkel
Bettina Hagedorn
Michael Hartmann
({34})
Hubertus Heil ({35})
Dr. Barbara Hendricks
Gustav Herzog
Gabriele Hiller-Ohm
Petra Hinz ({36})
Frank Hofmann ({37})
Dr. Eva Högl
Josip Juratovic
Oliver Kaczmarek
Johannes Kahrs
Dr. h. c. Susanne Kastner
Ulrich Kelber
Dr. Bärbel Kofler
Fritz Rudolf Körper
Nicolette Kressl
Ute Kumpf
Christine Lambrecht
Christian Lange ({38})
Dr. Karl Lauterbach
Steffen-Claudio Lemme
Burkhard Lischka
Kirsten Lühmann
Katja Mast
Petra Merkel ({39})
Ullrich Meßmer
Franz Müntefering
Dr. Rolf Mützenich
Manfred Nink
Thomas Oppermann
Holger Ortel
Aydan Özoğuz
Joachim Poß
Dr. Wilhelm Priesmeier
Florian Pronold
Mechthild Rawert
Dr. Carola Reimann
René Röspel
Karin Roth ({40})
Michael Roth ({41})
({42})
Anton Schaaf
Axel Schäfer ({43})
Bernd Scheelen
Dr. Hermann Scheer
({44})
Ulla Schmidt ({45})
Carsten Schneider ({46})
Olaf Scholz
Swen Schulz ({47})
Ewald Schurer
Frank Schwabe
Dr. Angelica Schwall-Düren
Dr. Martin Schwanholz
Rolf Schwanitz
Stefan Schwartze
Dr. Carsten Sieling
Peer Steinbrück
Christoph Strässer
Kerstin Tack
Franz Thönnes
Wolfgang Tiefensee
Rüdiger Veit
Ute Vogt
Dr. Marlies Volkmer
Andrea Wicklein
Dagmar Ziegler
Brigitte Zypries
DIE LINKE
Agnes Alpers
Herbert Behrens
Matthias W. Birkwald
Heidrun Bluhm
Steffen Bockhahn
Christine Buchholz
Dr. Martina Bunge
Roland Claus
Sevim Dağdelen
Dr. Diether Dehm
Heidrun Dittrich
Werner Dreibus
Dr. Dagmar Enkelmann
Klaus Ernst
Nicole Gohlke
Dr. Gregor Gysi
Heike Hänsel
Dr. Barbara Höll
Andrej Konstantin Hunko
Ulla Jelpke
Katja Kipping
Harald Koch
Jan Korte
Jutta Krellmann
Ralph Lenkert
Stefan Liebich
Ulla Lötzer
Dr. Gesine Lötzsch
Dorothée Menzner
Cornelia Möhring
Kornelia Möller
Wolfgang Nešković
Thomas Nord
Richard Pitterle
Yvonne Ploetz
Ingrid Remmers
Paul Schäfer ({48})
Dr. Herbert Schui
Dr. Ilja Seifert
Kathrin Senger-Schäfer
Raju Sharma
Dr. Petra Sitte
Alexander Süßmair
Frank Tempel
Dr. Axel Troost
Alexander Ulrich
Kathrin Vogler
Sahra Wagenknecht
Harald Weinberg
Katrin Werner
Jörn Wunderlich
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Marieluise Beck ({49})
Volker Beck ({50})
Cornelia Behm
Alexander Bonde
Viola von Cramon-Taubadel
Katja Dörner
Dr. Thomas Gambke
Kai Gehring
Britta Haßelmann
Winfried Hermann
Priska Hinz ({51})
Dr. Anton Hofreiter
Bärbel Höhn
Ingrid Hönlinger
Katja Keul
Memet Kilic
Sven-Christian Kindler
Maria Anna Klein-Schmeink
Tom Koenigs
Sylvia Kotting-Uhl
Agnes Krumwiede
Stephan Kühn
Undine Kurth ({52})
Monika Lazar
Nicole Maisch
Jerzy Montag
Kerstin Müller ({53})
Ingrid Nestle
Vizepräsidentin Petra Pau
Dr. Konstantin von Notz
Friedrich Ostendorff
Dr. Hermann Ott
Elisabeth Paus
Tabea Rößner
Claudia Roth ({54})
Manuel Sarrazin
Elisabeth Scharfenberg
Christine Scheel
Dr. Frithjof Schmidt
Dorothea Steiner
Dr. Wolfgang StrengmannKuhn
Hans-Christian Ströbele
Dr. Harald Terpe
Jürgen Trittin
Dr. Valerie Wilms
Enthalten
FDP
Jimmy Schulz
Wir kommen zum Ergebnis der zweiten namentlichen
Abstimmung. Hier geht es um den Entschließungsantrag
der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zu diesem Gesetzentwurf. Ich gebe das von den Schriftführerinnen und
Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen
Abstimmung bekannt: abgegebene Stimmen 553. Mit
Ja haben gestimmt 111 Kolleginnen und Kollegen, mit
Nein 310. Es gab 132 Enthaltungen. Der Antrag ist abgelehnt.
Endgültiges Ergebnis
Abgegebenen Stimmen: 552;
davon
ja: 110
nein: 310
enthalten: 132
Ja
SPD
Gabriele Hiller-Ohm
Swen Schulz ({55})
DIE LINKE
Agnes Alpers
Matthias W. Birkwald
Heidrun Bluhm
Steffen Bockhahn
Dr. Martina Bunge
Roland Claus
Heidrun Dittrich
Werner Dreibus
Dr. Dagmar Enkelmann
Klaus Ernst
Diana Golze
Dr. Gregor Gysi
Dr. Barbara Höll
Harald Koch
Jan Korte
Jutta Krellmann
Ralph Lenkert
Stefan Liebich
Ulla Lötzer
Dorothée Menzner
Cornelia Möhring
Thomas Nord
Richard Pitterle
Yvonne Ploetz
Ingrid Remmers
Paul Schäfer ({56})
Dr. Herbert Schui
Dr. Ilja Seifert
Kathrin Senger-Schäfer
Raju Sharma
Dr. Petra Sitte
Frank Tempel
Dr. Axel Troost
Alexander Ulrich
Harald Weinberg
Katrin Werner
Jörn Wunderlich
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Marieluise Beck ({57})
Volker Beck ({58})
Cornelia Behm
Alexander Bonde
Viola von Cramon-Taubadel
Katja Dörner
Dr. Thomas Gambke
Kai Gehring
Britta Haßelmann
Winfried Hermann
Priska Hinz ({59})
Dr. Anton Hofreiter
Bärbel Höhn
Ingrid Hönlinger
Katja Keul
Memet Kilic
Sven-Christian Kindler
Maria Anna Klein-Schmeink
Tom Koenigs
Sylvia Kotting-Uhl
Agnes Krumwiede
Stephan Kühn
Undine Kurth ({60})
Monika Lazar
Nicole Maisch
Jerzy Montag
Kerstin Müller ({61})
Ingrid Nestle
Dr. Konstantin von Notz
Friedrich Ostendorff
Dr. Hermann Ott
Lisa Paus
Tabea Rößner
Claudia Roth ({62})
Manuel Sarrazin
Elisabeth Scharfenberg
Christine Scheel
Dr. Frithjof Schmidt
Dorothea Steiner
Dr. Wolfgang StrengmannKuhn
Hans-Christian Ströbele
Dr. Harald Terpe
Jürgen Trittin
Daniela Wagner
Dr. Valerie Wilms
Nein
CDU/CSU
Ilse Aigner
Peter Altmaier
Peter Aumer
Dorothee Bär
Thomas Bareiß
Norbert Barthle
Günter Baumann
Ernst-Reinhard Beck
({63})
Manfred Behrens ({64})
Dr. Christoph Bergner
Steffen Bilger
Clemens Binninger
Peter Bleser
Dr. Maria Böhmer
Wolfgang Börnsen
({65})
Wolfgang Bosbach
Norbert Brackmann
Klaus Brähmig
Michael Brand
Helmut Brandt
Dr. Ralf Brauksiepe
Dr. Helge Braun
Heike Brehmer
Gitta Connemann
Leo Dautzenberg
Alexander Dobrindt
Marie-Luise Dött
Enak Ferlemann
Ingrid Fischbach
Hartwig Fischer ({66})
Axel E. Fischer ({67})
Klaus-Peter Flosbach
Herbert Frankenhauser
Dr. Hans-Peter Friedrich
({68})
Michael Frieser
Dr. Michael Fuchs
Hans-Joachim Fuchtel
Alexander Funk
Dr. Peter Gauweiler
Dr. Thomas Gebhart
Alois Gerig
Eberhard Gienger
Michael Glos
Vizepräsidentin Petra Pau
Peter Götz
Dr. Wolfgang Götzer
Ute Granold
Reinhard Grindel
Hermann Gröhe
Michael Grosse-Brömer
Manfred Grund
Monika Grütters
Dr. Karl-Theodor Freiherr zu
Guttenberg
Olav Gutting
Holger Haibach
Dr. Stephan Harbarth
Jürgen Hardt
Dr. Matthias Heider
Mechthild Heil
Ursula Heinen-Esser
Frank Heinrich
Rudolf Henke
Michael Hennrich
Jürgen Herrmann
Ansgar Heveling
Ernst Hinsken
Peter Hintze
Christian Hirte
Robert Hochbaum
Karl Holmeier
Franz-Josef Holzenkamp
Anette Hübinger
Thomas Jarzombek
Dieter Jasper
Dr. Franz Josef Jung
Andreas Jung ({69})
Dr. Egon Jüttner
Bartholomäus Kalb
Hans-Werner Kammer
Alois Karl
Bernhard Kaster
Volker Kauder
Dr. Stefan Kaufmann
Roderich Kiesewetter
Eckart von Klaeden
Ewa Klamt
Volkmar Klein
Jürgen Klimke
Julia Klöckner
Axel Knoerig
Jens Koeppen
Manfred Kolbe
Dr. Rolf Koschorrek
Hartmut Koschyk
Thomas Kossendey
Michael Kretschmer
Gunther Krichbaum
Dr. Günter Krings
Rüdiger Kruse
Dr. Hermann Kues
Dr. Karl A. Lamers
({70})
Andreas G. Lämmel
Katharina Landgraf
Dr. Max Lehmer
Dr. Ursula von der Leyen
Ingbert Liebing
Matthias Lietz
Patricia Lips
Dr. Jan-Marco Luczak
Dr. Michael Luther
Karin Maag
Dr. Thomas de Maizière
Hans-Georg von der Marwitz
Andreas Mattfeldt
Stephan Mayer ({71})
Dr. Michael Meister
Maria Michalk
Dr. h. c. Hans Michelbach
Dr. Mathias Middelberg
Dietrich Monstadt
Marlene Mortler
Dr. Gerd Müller
Stefan Müller ({72})
Nadine Müller ({73})
Dr. Philipp Murmann
Michaela Noll
Dr. Georg Nüßlein
Franz Obermeier
Eduard Oswald
Henning Otte
Dr. Michael Paul
Rita Pawelski
Ulrich Petzold
Dr. Joachim Pfeiffer
Sibylle Pfeiffer
Beatrix Philipp
Ronald Pofalla
Christoph Poland
Eckhard Pols
Daniela Raab
Thomas Rachel
Katherina Reiche ({74})
Lothar Riebsamen
Josef Rief
Klaus Riegert
Dr. Heinz Riesenhuber
Johannes Röring
Dr. Norbert Röttgen
Dr. Christian Ruck
Erwin Rüddel
Albert Rupprecht ({75})
Anita Schäfer ({76})
Dr. Andreas Scheuer
Norbert Schindler
Georg Schirmbeck
Christian Schmidt ({77})
Patrick Schnieder
Dr. Andreas Schockenhoff
Dr. Ole Schröder
Uwe Schummer
Armin Schuster ({78})
Detlef Seif
Reinhold Sendker
Dr. Patrick Sensburg
Thomas Silberhorn
Johannes Singhammer
Jens Spahn
Christian Freiherr von Stetten
Dieter Stier
Gero Storjohann
Stephan Stracke
Karin Strenz
Thomas Strobl ({79})
Lena Strothmann
Michael Stübgen
Dr. Peter Tauber
Antje Tillmann
Volkmar Vogel ({80})
Stefanie Vogelsang
Dr. Johann Wadephul
Kai Wegner
Marcus Weinberg ({81})
Peter Weiß ({82})
Sabine Weiss ({83})
Ingo Wellenreuther
Karl-Georg Wellmann
Annette Widmann-Mauz
Klaus-Peter Willsch
Elisabeth WinkelmeierBecker
Dr. Matthias Zimmer
Wolfgang Zöller
Willi Zylajew
SPD
Dr. Hans-Peter Bartels
Garrelt Duin
Johannes Kahrs
Kirsten Lühmann
Michael Roth ({84})
Bernd Scheelen
FDP
Jens Ackermann
Christine AschenbergDugnus
Daniel Bahr ({85})
Florian Bernschneider
Claudia Bögel
Nicole Bracht-Bendt
Klaus Breil
Ernst Burgbacher
Sylvia Canel
Helga Daub
Reiner Deutschmann
Dr. Bijan Djir-Sarai
Patrick Döring
Mechthild Dyckmans
Rainer Erdel
Jörg van Essen
Ulrike Flach
Otto Fricke
Paul K. Friedhoff
Hans-Michael Goldmann
Heinz Golombeck
Joachim Günther ({86})
Heinz-Peter Haustein
Manuel Höferlin
Birgit Homburger
Dr. Werner Hoyer
Heiner Kamp
Dr. Lutz Knopek
Dr. Heinrich L. Kolb
Gudrun Kopp
Dr. h. c. Jürgen Koppelin
Sebastian Körber
Holger Krestel
Patrick Kurth ({87})
Heinz Lanfermann
Sibylle Laurischk
Harald Leibrecht
Lars Lindemann
Dr. Martin Lindner ({88})
Michael Link ({89})
Dr. Erwin Lotter
Patrick Meinhardt
Jan Mücke
Petra Müller ({90})
Burkhardt Müller-Sönksen
({91})
Dirk Niebel
Hans-Joachim Otto
({92})
Cornelia Pieper
Gisela Piltz
Dr. Christiane RatjenDamerau
Dr. Birgit Reinemund
Dr. Peter Röhlinger
Dr. Stefan Ruppert
Christoph Schnurr
Jimmy Schulz
Dr. Erik Schweickert
Werner Simmling
Judith Skudelny
Torsten Staffeldt
Stephan Thomae
Florian Toncar
Serkan Tören
({93})
Dr. Daniel Volk
Dr. Guido Westerwelle
Dr. Claudia Winterstein
Dr. Volker Wissing
Hartfrid Wolff ({94})
Vizepräsidentin Petra Pau
Enthalten
SPD
Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Heinz-Joachim Barchmann
Klaus Barthel
Bärbel Bas
Lothar Binding ({95})
Gerd Bollmann
Klaus Brandner
Willi Brase
Bernhard Brinkmann
({96})
Edelgard Bulmahn
Petra Crone
Dr. Peter Danckert
Martin Dörmann
Elvira Drobinski-Weiß
Sebastian Edathy
Siegmund Ehrmann
Dr. h. c. Gernot Erler
Petra Ernstberger
Elke Ferner
Gabriele Fograscher
Dr. Edgar Franke
Peter Friedrich
Michael Gerdes
Martin Gerster
Günter Gloser
Ulrike Gottschalck
Angelika Graf ({97})
Michael Groß
Wolfgang Gunkel
Bettina Hagedorn
Michael Hartmann
({98})
Hubertus Heil ({99})
Dr. Barbara Hendricks
Gustav Herzog
Petra Hinz ({100})
Frank Hofmann ({101})
Dr. Eva Högl
Josip Juratovic
Oliver Kaczmarek
Dr. h. c. Susanne Kastner
Ulrich Kelber
Dr. Bärbel Kofler
Fritz Rudolf Körper
Nicolette Kressl
Ute Kumpf
Christine Lambrecht
Christian Lange ({102})
Dr. Karl Lauterbach
Steffen-Claudio Lemme
Burkhard Lischka
Caren Marks
Petra Merkel ({103})
Ullrich Meßmer
Franz Müntefering
Dr. Rolf Mützenich
Manfred Nink
Thomas Oppermann
Holger Ortel
Aydan Özoğuz
Joachim Poß
Dr. Wilhelm Priesmeier
Florian Pronold
Mechthild Rawert
Dr. Carola Reimann
René Röspel
Karin Roth ({104})
({105})
Anton Schaaf
Axel Schäfer ({106})
Dr. Hermann Scheer
({107})
Ulla Schmidt ({108})
Carsten Schneider ({109})
Olaf Scholz
Ewald Schurer
Frank Schwabe
Dr. Angelica Schwall-Düren
Dr. Martin Schwanholz
Rolf Schwanitz
Stefan Schwartze
Dr. Carsten Sieling
Dr. Frank-Walter Steinmeier
Christoph Strässer
Kerstin Tack
Franz Thönnes
Wolfgang Tiefensee
Rüdiger Veit
Ute Vogt
Dr. Marlies Volkmer
Andrea Wicklein
Dagmar Ziegler
Brigitte Zypries
DIE LINKE
Herbert Behrens
Christine Buchholz
Sevim Dağdelen
Dr. Diether Dehm
Nicole Gohlke
Heike Hänsel
Andrej Konstantin Hunko
Ulla Jelpke
Dr. Gesine Lötzsch
Kornelia Möller
Wolfgang Nešković
Alexander Süßmair
Kathrin Vogler
Sahra Wagenknecht
Wir fahren in der Debatte fort. Das Wort hat der Kollege Manfred Zöllmer für die SPD-Fraktion.
({110})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Herr Brinkhaus, es ist schön, dass Sie noch einmal betont haben, dass die Koalitionspartner in diesem Fall
nicht über Wildsäue und Gurkentruppen gestritten haben, sondern offenkundig an der Sache gearbeitet haben.
Wie das Ergebnis ausgefallen ist, ist eine andere Frage.
Das werden wir jetzt bewerten.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, bis zur Finanzkrise
waren Banker diejenige Berufsgruppe, die mit großem
Abstand am besten bezahlt wurde. Es waren wahre Gehaltsexzesse. Sie waren eine wichtige Ursache für das finanzmarktpolitische Desaster.
({0})
In den Finanzmärkten wurden nicht Millionen verteilt, es
wurden Milliarden verteilt, lieber Herr Kollege - Summen jenseits jedes Vorstellungsvermögens. Es herrschte
nackte Gier.
Die Profiteure dieser Exzesse lebten auf einem anderen Stern. Das Geld ging im Übrigen auch an Manager,
deren Institute heute entweder nicht mehr existieren oder
nur noch mit umfassender staatlicher Hilfe weiter existieren. Die Vergütungsmodelle boten Managern einen
Anreiz, mehr auf kurzfristige Erträge zu setzen und die
langfristige Entwicklung außer Acht zu lassen; dies hat
die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich festgestellt. Die Gehaltsexzesse wurden damit zu einer der
zentralen, der wesentlichen Ursachen der Finanzkrise.
Im Ergebnis wurden immer abenteuerlichere Konstruktionen im Finanzbereich auf den Markt gebracht, bis das
System kollabierte.
Jetzt hat sich auch die Wissenschaft mit diesen Fragen
beschäftigt. Es ist ein ganz eindeutiger Zusammenhang
zwischen Vergütungssystemen auf der einen Seite und
der Verursachung der Finanzkrise auf der anderen Seite
festgestellt worden. Es stellt sich allerdings die Frage,
warum sich die Wissenschaft erst jetzt mit diesem
Thema beschäftigt.
({1})
- Herr Michelbach, ich spreche von der Wissenschaft.
Es war im Übrigen der Finanzminister, der dieses Gesetz
auf den Weg gebracht hat, von dem Sie eben so lobend
gesprochen haben, nur damit wir uns richtig verstehen.
({2})
- Ja, er ist ein guter Mann.
Mit dem vorliegenden Entwurf eines Gesetzes über die
aufsichtsrechtlichen Anforderungen an die Vergütungssysteme von Instituten und Versicherungsunternehmen
will die Bundesregierung nunmehr gegen eine wesentliche Ursache, nämlich solche verfehlten Vergütungsanreize, vorgehen. Damit setzt sie den Weg fort, den der
eben von mir angesprochene Finanzminister in der Großen Koalition mit dem Gesetz zur Angemessenheit der
Vorstandsvergütung auf den Weg gebracht hatte.
Es geht um die Frage, wie Vergütungssysteme ausgestaltet, überwacht und weiterentwickelt werden können.
Ähnlich wie das Gesetz zur Angemessenheit der Vorstandsvergütung verfolgt auch dieses Gesetz das Ziel, die
Vergütung stärker auf den langfristigen Erfolg eines Unternehmens auszurichten. Vergütungssysteme sollen angemessen, transparent und auf eine nachhaltige Entwicklung des Unternehmens ausgerichtet sein. Das ist im Kern
völlig richtig. Die Details der Ausgestaltung - wie sich
etwa die Vergütung zusammensetzt und wie die Leistungszeiträume aussehen sollen - wird das Bundesfinanzministerium in nachfolgenden Rechtsverordnungen regeln.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ein weiteres wichtiges Ziel ist es, zu verhindern, dass vor dem Hintergrund
einer schwierigen wirtschaftlichen Situation eines Unternehmens unangemessen hohe Bonuszahlungen erfolgen. Deshalb wird die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht mit entsprechenden Eingriffsrechten
ausgestattet. Sie kann die Auszahlung variabler Vergütungsbestandteile untersagen oder auf einen bestimmten
Anteil des Jahresergebnisses beschränken.
Mit dem Gesetz über die aufsichtsrechtlichen Anforderungen an die Vergütungssysteme von Instituten und
Versicherungsunternehmen setzt die Bundesregierung
im Wesentlichen die internationalen Vereinbarungen um,
die auf dem G-20-Treffen des vergangenen Jahres besprochen und vom Rat für Finanzstabilität als Standards
entwickelt wurden. Aber wieder einmal gibt es keine eigenen Initiativen der Bundesregierung, die über solche
Vorgaben hinausgehen. Die Ergebnisse der Anhörung
zeigen, dass mit dem Gesetzentwurf nur Mindestanforderungen gesetzlich umgesetzt werden.
Die Anhörung hat darüber hinaus deutlich gemacht,
dass es möglicherweise einen Konflikt zwischen tariflich
vereinbarten Entlohnungsbestandteilen und Eingriffen
der Aufsichtsbehörde gibt. Wir haben auf dieses Problem aufmerksam gemacht und begrüßen und unterstützen den Änderungsantrag der Koalitionsfraktionen, mit
dem sie klarstellen, dass tarifvertragliche Regelungen
von den gesetzlichen Vorschriften nicht betroffen sind.
Die Tarifautonomie bleibt also gewahrt, und das ist auch
gut so.
({3})
Die SPD-Fraktion hatte darüber hinaus einen Entschließungsantrag eingebracht, weil die Anhörung gezeigt hat, dass es wenig Sinn macht, auch bei Aufsichtsratsmitgliedern Boni als Vergütung zuzulassen. Ein
solches Vergütungssystem kann erhebliche Fehlanreize
setzen und die Kontrollfunktion des Aufsichtsrates gegenüber dem Vorstand untergraben. Aber - Herr
Brinkhaus hat darauf hingewiesen - unsere Anträge werden von der Koalition generell abgelehnt.
({4})
Auf der anderen Seite will man mit uns fröhlich zusammenarbeiten. Irgendwie passt das nicht. Auch dieser Antrag ist abgelehnt worden.
({5})
Sie waren noch nicht einmal bereit, einen Prüfungsauftrag an die Bundesregierung zu unterstützen.
({6})
- Lieber Herr Brinkhaus, wer so agiert, zeigt, dass er
kein Interesse an einer Zusammenarbeit mit der Opposition in wichtigen Fragen der Finanzmarktregulierung
hat. Wir bedauern das ausdrücklich.
Wir vermissen eine Begrenzung der steuerlichen Absetzbarkeit von Gehältern und Boni. Wir sind der Meinung, eine solche Begrenzung würde einen gewissen Automatismus schaffen, um Gehaltsexzesse zu begrenzen.
({7})
Die Koalitionsfraktionen waren leider nicht bereit, eine
solche Regelung in das Gesetz aufzunehmen.
Es wäre auch durchaus sinnvoll gewesen, über Malusregeln nachzudenken. Wer durch Fehlspekulation ein
Kreditinstitut an die Wand fährt, dem sollte nicht nur der
Bonus gestrichen werden - das ist logisch -, der sollte
für sein Missmanagement auch finanziell bestraft werden.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, der vorliegende Antrag ist ein Schritt in die richtige Richtung, aber er bleibt
auf halbem Wege stehen. Ein Schritt in die richtige Richtung ist zu wenig. Sie tun nicht das, was möglich ist, Sie
tun nur gerade das, was zur Umsetzung von Vorgaben
nötig ist. Wir werden uns deshalb bei diesem Gesetzentwurf der Stimme enthalten.
({8})
Wenn wir uns die Anträge der anderen Fraktionen,
hier den Antrag der Linken mit der Forderung nach Einführung einer Bonisteuer, ansehen, dann müssen wir
feststellen: Eine Bonisteuer kann das zugrunde liegende
Problem nicht lösen, da es sehr einfach ist, eine solche
Besteuerung zu unterlaufen. Damit wäre dieses Instrument wirkungslos.
Wir haben als Sozialdemokraten einen eigenen Antrag eingebracht, der umfassend beschreibt, wie wir auf
die Finanzkrise reagieren. Über bestimmte Aspekte dieses Antrages werden wir morgen intensiv diskutieren.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir brauchen ein umfassendes Konzept und wirksame Maßnahmen. Wir wollen keine Politik, die nur an Symbolen herumdoktert und
Handeln nur simuliert.
Herzlichen Dank.
({9})
Das Wort hat der Kollege Björn Sänger für die FDPFraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Lieber Kollege Brinkhaus, vor uns liegt ein weiterer Mosaikstein in dem Bild, das später, wenn alle Mosaiksteinchen eingefügt sind, die Reform der Finanzmärkte durch diese christlich-liberale Bundesregierung
und die sie tragenden Fraktionen darstellen wird.
({0})
Wir haben als weiteres Steinchen bereits das Ratinggesetz beschlossen.
({1})
Momentan ist die Umsetzung der Kapitaladäquanzrichtlinie in der parlamentarischen Beratung. Wir beraten das
Derivatemissbrauchsgesetz, um die Leerverkäufe zu regulieren; Kollege Brinkhaus hat schon darauf hingewiesen. Das Eckpunktepapier zur Bankenabgabe liegt vor;
es wird noch ausformuliert und in einen Gesetzentwurf
gegossen werden.
({2})
Nicht zuletzt nenne ich das Engagement von Staatssekretär Koschyk und die Initiative der Bundesregierung
auf europäischer und internationaler Ebene, um zu einem international abgestimmten Verhalten bei der Regulierung der Finanzmärkte und auch bei der Beteiligung
des Finanzsektors an den Kosten dieser Krise zu kommen.
({3})
Dieses Bild fügt sich Stück für Stück zusammen und
ist in sich schlüssig. Schon vor der Sommerpause wird
man einen großen Teil dieses Bildes sehen können. Wir
legen dieses Bild sorgfältig; denn wenn man es möglicherweise etwas zu schnell legt, dann kann man es am
Ende nicht richtig erkennen.
({4})
Um was geht es beim vorliegenden Gesetzentwurf? Kollege Zöllmer, es geht nicht unbedingt um Gehaltsexzesse,
sondern es geht darum, die Fehlanreize, die durch Vergütungssysteme ausgelöst werden können - kurzfristig orientiertes Handeln -, zu erkennen und zu beseitigen. Darüber
hinaus muss in den Vergütungssystemen auch eine Malusregelung enthalten sein. Darüber hinausgehend kann
man, Kollege Zöllmer, in der Tat darüber nachdenken, inwieweit man Malusregeln sozusagen auch im laufenden
Prozess einfügt. Dazu sage ich aber - darin sind wir uns
auch einig -, dass wir dies über eine verstärkte Haftung
von Vorständen regeln können, sodass an dieser Stelle
viel stärker auch mit dem Privatvermögen gehaftet wird.
({5})
Ich denke, alles in allem ist dieser Gesetzentwurf eine
sachgerechte Lösung für die Probleme, die wir haben. Er
wird eine disziplinierende Wirkung haben, weil kein Unternehmen sein eigenes Vergütungssystem von der BaFin
beanstandet haben möchte. Das wäre ein riesiger Imageverlust und wird keiner riskieren.
Wir haben - auch darauf hat der Kollege Brinkhaus
hingewiesen - im parlamentarischen Prozess die bestehenden Probleme, ich sage einmal: an der einen oder anderen Stelle, an der der Gesetzentwurf nicht ganz rund
war, gelöst und die Anregungen nicht nur aufgenommen,
sondern wir haben auch gehandelt. Darin unterscheiden
wir uns von denjenigen, die nur Anregungen geben können.
({6})
Wir haben keinen Eingriff in die Tarifautonomie zugelassen - es ist mir wichtig, das an dieser Stelle zu sagen -, weil wir eben nicht glauben, dass die Probleme in
der „Schalterhalle“ angesiedelt sind, sondern diese Probleme treten oberhalb der Ebene der Schalterhalle auf;
denn in der Schalterhalle arbeiten schlussendlich die
Leistungsträger, die durch eine Mehrleistung und besondere Anstrengungen zusätzlich einen variablen Vergütungsbestandteil verdienen. Die Produkte, die dort unter
Umständen auch gegen Provisionierung verkauft werden, dienen zunächst einmal dazu, dass ein Deckungsbeitrag für das Unternehmen geliefert wird. Das ist per
se nichts, was in irgendeiner Art und Weise für das Unternehmen risikoreich ist.
Man kann natürlich - auch darüber müssen wir nachdenken; das wird die Bundesregierung - einen weiteren
Mosaikstein für den Anlegerschutz erarbeiten bzw. meißeln, was gerade auch geschieht. Es geht um das Thema
Verbraucherschutz. Kollege Schick, Sie haben das sehr
stark diskutiert. Das ist in der Tat etwas, was man sich
anschauen muss. Wir sind aber der Meinung, dass wir
das nicht in diesem Gesetzentwurf regeln, weil man auch
alles überfrachten kann.
({7})
Da sich die BaFin diesen Teil auch noch anschauen soll,
sind die personellen Ressourcen möglicherweise besser
eingesetzt, wenn man sich um andere Probleme des Finanzmarkts kümmert.
({8})
Wir haben ein weiteres Problem erkannt und einer
Lösung zugeführt. Es geht um die Frage, was ist, wenn
ein Unternehmen in Schieflage geraten ist und gestützt
werden muss. Hinsichtlich des Anspruchs auf einen variablen Vergütungsanteil, der derzeit bei Auszahlungsuntersagung durch die BaFin nur suspendiert ist - das
heißt, der Anspruch besteht fort -, sind wir der Auffassung: Wenn das Unternehmen in eine Schieflage gerät,
sodass es staatlich gestützt werden muss, dann verfällt
auch dieser Anspruch.
Das werden wir im Restrukturierungsgesetz mit einem zweistufigen Verfahren regeln. Gerät das Unternehmen in schweres Fahrwasser und kommt es ins Schlingern, dann wird der variable Vergütungsanteil aufgrund
eines Dekrets der BaFin zunächst nicht ausgezahlt. Ist in
einem Zeitraum von zwei Jahren wieder alles in Ordnung und das Unternehmen wieder profitabel, dann kann
er ausgezahlt werden. Ist das Unternehmen dann nicht
mehr im schweren Fahrwasser, sondern schlussendlich
gekentert, und muss es gestützt werden - auch durch
Steuergelder -, dann verfällt dieser Anspruch.
Schlussendlich: Dieser Mosaikstein ist in sich rund.
Er kann in das Bild eingefügt werden.
Kollege Zöllmer, selbst wenn man sich auf den Standpunkt stellt, dass es sich um einen zu kleinen Schritt handelt, handeln Sie mit Ihrer Enthaltung ein bisschen so
wie der Anhalter, der den Golf vorbeifahren lässt, weil er
auf einen Porsche wartet.
({9})
Meine sehr geehrten Damen und Herren, das ist unverantwortlich. Den Schritt können Sie doch mit uns mitgehen.
Herzlichen Dank.
({10})
Das Wort hat die Kollegin Dr. Barbara Höll für die
Fraktion Die Linke.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Die Vergütungsstruktur, insbesondere die
massiven Bonuszahlungen in der Finanzbranche, sind
auch ein Element in der Fehlentwicklung auf den Finanzmärkten, weil hier nicht langfristige Interessen, sondern kurzfristige Renditeziele im Vordergrund stehen.
Daher bestand und besteht die Notwendigkeit, Regelungen vorzunehmen, spätestens seit dem Ausbruch der
weltweiten Finanzkrise vor knapp zwei Jahren. Die Finanzbranche selbst ist dazu weder gewillt noch in der
Lage. Sie als Koalition haben viel zu lange gewartet.
({0})
Die drei wesentlichen Gründe zur Notwendigkeit der
Regulierung der Vergütungsstrukturen in der Finanzbranche sind offenkundig.
Erstens werden durch massive Bonuszahlungen ökonomische Fehlanreize gesetzt. So stehen oft nicht der
langfristige Erfolg eines Unternehmens, sondern kurzfristige Ziele wie hohe Aktienkurse und Umsätze im
Vordergrund. Dies hat auch zur Folge, dass oftmals nicht
im Interesse der Kunden gehandelt wird, zum Beispiel
bei Beratungen. Letztendlich sind solche fatalen Anreizwirkungen für eine Volkswirtschaft schädlich und
können langfristig sogar dem Fortbestand eines Unternehmens schaden. Damit kann eine weitere Destabilisierung des Finanzsektors einhergehen, die sich dann wieder auf die Realwirtschaft auswirkt. Das haben gerade
alle unmittelbar erfahren. Der Begriff der Nachhaltigkeit
ist zwar gut gemeint, aber inzwischen so schwammig,
dass er trotzdem kein richtiges Instrument ist und dies
auch mit dem vorliegenden Gesetzentwurf nicht sein
wird.
Zweitens geht es eindeutig um die Durchsetzung von
Verantwortungsübernahme. Wer überproportional von
den Gewinnen von Finanzinstituten profitiert, sollte
schließlich auch für Verluste, die aus eigenen Entscheidungen resultieren, einstehen und haftbar gemacht werden.
Drittens - das möchte ich dick unterstreichen - ist es
eine Frage der sozialen Gerechtigkeit. Es kann nicht angehen, dass Gewinne privatisiert und Verluste sozialisiert
werden. Im Übrigen sind die massiven Bonuszahlungen
weder ethisch noch moralisch, noch betriebswirtschaftlich zu rechtfertigen.
({1})
Hier waren Sie über zwei Jahre lang inkonsequent und
untätig.
({2})
Die mit dem Finanzmarktstabilisierungsgesetz beschlossene Regelung zum Beispiel war eine Kannregelung. Bei Instituten, die Geld oder Bürgschaften vom
Staat erhalten, sollte eine Begrenzung der Geschäftsführergehälter auf 500 000 Euro erfolgen. Das war aber nur
eine Kannbestimmung, die zudem beschränkt war. Nicht
einmal die Investmentbanker wurden mit erfasst.
Wenn Herr Ackermann als Chef der Deutschen Bank
2009 bereits wieder 9,6 Millionen Euro verdient hat, von
denen 1,3 Millionen Euro fix und der Rest Bonuszahlungen waren, dann ist das ungerecht. Denn die Deutsche
Bank hat indirekt massiv von der Rettung der HRE profitiert. Diese hohen Zahlungen werden de facto schon
jetzt vergesellschaftet, weil sie in voller Höhe als Betriebskosten abzugsfähig sind. Das ist grob ungerecht.
({3})
Vor einem halben Jahr bezeichnete die Bundeskanzlerin die Bonisteuer als eine interessante Aktivität. Sie haben in diesem Bereich jedoch nichts getan. Andere europäische Staaten sind aktiv geworden. Ich verweise auf
Großbritannien und Frankreich.
({4})
Sie haben jetzt einen Gesetzentwurf vorgelegt, und
zwar nicht zur Besteuerung von Bonuszahlungen, sondern zur Regulierung der Vergütungssysteme von Instituten und Versicherungen. Das ist aber leider eher ein
Symbolgesetz. Diese Symbolik mag richtig und wichtig
sein. Deswegen stimmen wir auch nicht gegen den Gesetzentwurf, sondern werden uns enthalten.
Aber es ist gleichzeitig Zeugnis Ihrer Mutlosigkeit
und Feigheit; denn Sie delegieren die Entscheidungen an
die Verwaltung und an die BaFin, anstelle selbst festzulegen, wo Grenzen sind. Sie können immer noch nicht
über Ihren Schatten springen und die Vorschläge aufnehmen, die von der anderen Seite des Hauses gemacht wurden: von uns unter anderem die Bonisteuer und die Forderung nach einer steuerlichen Begrenzung bei den
Betriebsausgaben.
Wir halten Ihren Gesetzentwurf tatsächlich für ein
Symbol - das Symbol unterstützen wir mit der Enthaltung -, ansonsten aber für völlig unzureichend und hoffen, dass Sie sich in der nächsten Zeit schnell und ein
bisschen machtvoller bewegen.
Ich danke Ihnen.
({5})
Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat nun der
Kollege Dr. Gerhard Schick das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Das Bild von dem Mosaik erweckt den Eindruck, als
liege ein klares Bild vor uns,
({0})
in das wir heute den einen Stein präzise hineinsetzen;
wer diesen ablehnt, hat offensichtlich den Charme des
ganzen Bildes missverstanden.
({1})
Mit Verlaub, Sie überzeichnen. Es wäre gut, etwas bescheidener an das jetzige Gesetz heranzugehen und vor
allem darüber nachzudenken, ob Sie überhaupt das Bild
wollen, das wir wollen. Wir wollen ein anderes Bild - das
ist der Punkt -, weil Sie heute nur einen bestimmten
Teilbereich klären wollen, indem Sie einen Mosaikstein
setzen, aber zentrale Mosaiksteine, die ebenfalls dazugehören, nicht setzen wollen. Das eine ist, dass der Gesetzgeber natürlich statt der generellen Ermächtigung an die
Aufsichtsbehörden oder das Finanzministerium, etwas
zu erlassen, ganz konkrete Regeln festsetzen könnte. Das
Europäische Parlament - konkret: sein Wirtschaftausschuss - hat am Montag dieser Woche genau dies beschlossen; interessanterweise gibt es dort eine konservative Mehrheit. Ich glaube, es wird von der europäischen
Ebene bald noch ein weitergehender Schritt kommen,
der uns zeigen wird, dass das, was wir heute machen,
noch nicht ausreichend gewesen ist.
Die zweite Lücke - das habe ich im Ausschuss deutlich angesprochen - ist, dass Sie die Frage, wie die Vergütungssysteme in Banken auf das Verhältnis von Bank
zu Kunden wirken, nicht aufgreifen wollen. Das Argument, dies sei jetzt eine Überfrachtung dieses Gesetzes,
ist nicht überzeugend. Jetzt geht es um die aufsichtsrechtliche Kontrolle, und genau dorthin gehört dieser
Punkt. Dies hat übrigens auch der Bundesrat so gesehen.
Wir haben dies aber in modifizierter Form noch einmal
eingebracht, weil der Vorschlag des Bundesrates Schwächen hat.
Ich halte es für nicht hinnehmbar, dass es in den Instituten Vergütungssysteme gibt, die dazu führen, dass die
Verbraucherschutzregelungen, die im Gesetzblatt stehen,
systematisch verletzt werden.
({2})
Am Bankschalter erfolgt eine systematische Fehlberatung. Dies müssen wir, wie ich finde, korrigieren, da wir
wissen, dass dies etwas mit den Provisionen zu tun hat.
Deswegen können wir einem Gesetz, das dieses Thema
nicht angeht, obwohl es hineingehörte, nicht einfach zustimmen.
({3})
Die weitere große Lücke, die Sie lassen - das ist
schon angeklungen -, ist die Frage der Besteuerung. Das
Problem bei diesen 9,6 Millionen Euro für Herrn
Ackermann ist nicht nur, dass dies einen Einfluss auf das
Vermögen der Aktionäre hat, die dann weniger Dividende bekommen, sondern auch, dass der Steuerzahler
das alles mitträgt, weil es Betriebskosten sind. Auch das
wollen wir korrigieren.
({4})
Weil wir meinen, dass es ein Limit dafür gibt, was betriebsnotwendige Ausgaben sind, wie wir es in anderen
Bereichen auch haben, müssen wir die Abzugsfähigkeit
bei exzessiven Managergehältern begrenzen. Das ist unsere Forderung; Sie aber wollen dies nicht tun.
({5})
Deswegen ist das Mosaikbild, das Sie entwerfen, leider
nicht richtig. Vielmehr kommt ein Bild heraus, das nicht
für stabile Finanzmärkte sorgt, das immer noch nicht die
Fehler im Verhältnis zwischen Kunde und Bank korrigiert und das das Problem nicht löst, dass die soziale
Schieflage in diesem Land auch wegen exzessiver Gehälter in manchen Branchen zunimmt. Dies wollen wir
korrigieren. Sie haben es nicht vor, und deswegen werden wir diesem Gesetzentwurf nicht zustimmen.
Danke schön.
({6})
Damit ist die Aussprache geschlossen, und wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurf eines Gesetzes über die aufsichtsrechtlichen Anforderungen an die Vergütungssysteme von Instituten und Versicherungsunternehmen. Der
Finanzausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/2181, den Gesetzentwurf der
Bundesregierung auf Drucksachen 17/1291 und 17/1457
in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Damit ist der Gesetzentwurf
in zweiter Beratung angenommen. Zugestimmt haben
die Koalitionsfraktionen. Bündnis 90/Die Grünen waren
dagegen. SPD und Linke haben sich enthalten.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Wer für den Gesetzentwurf
stimmt, den bitte ich, sich von seinem Platz zu erheben. Wer ist dagegen? - Enthaltungen? - Damit ist der Gesetzentwurf in dritter Beratung mit dem gleichen Stimmenverhältnis wie zuvor angenommen.
Wir setzen die Abstimmungen zu der Beschlussempfehlung des Finanzausschusses auf Drucksache 17/2181
fort. Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe b seiner
Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der
Fraktion der SPD auf Drucksache 17/526 mit dem Titel
„Maßnahmenbündel gegen Spekulationen auf den Finanzmärkten und ungerechtfertigte Banker-Boni“. Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist
bei Zustimmung der Koalitionsfraktionen angenommen.
Die SPD-Fraktion war dagegen. Die Fraktionen von
Bündnis 90/Die Grünen und die Linke haben sich enthalten.
Unter Buchstabe c empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion Die Linke auf Drucksache 17/452 mit dem Titel „Dem Vorbild Großbritanniens und Frankreichs folgen - Boni-Steuer für die Finanzbranche einführen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? Damit ist die Beschlussempfehlung angenommen. Zugestimmt haben CDU/CSU, FDP und Bündnis 90/Die Grünen. Dagegen gestimmt hat die Fraktion Die Linke. Die
SPD hat sich enthalten.
Schließlich empfiehlt der Ausschuss unter
Buchstabe d seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung
des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf
Drucksache 17/794 mit dem Titel „Gehaltsexzesse nicht
länger auf Kosten der Allgemeinheit“. Wer stimmt für
diese Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist angenommen. Zugestimmt haben die Koalitionsfraktionen.
Bündnis 90/Die Grünen waren dagegen. Enthalten haben
sich SPD und die Linke.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 16 auf:
Erste Beratung des von den Abgeordneten
Markus Kurth, Josef Philip Winkler, Fritz Kuhn,
weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs
eines Gesetzes zur Aufhebung des Asylbewerberleistungsgesetzes
- Drucksache 17/1428 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales ({0})
Innenausschuss
Rechtsausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Ihre Reden zu Protokoll gegeben haben die Kolle-
ginnen und Kollegen Mechthild Heil, Dr. Johann
Wadephul, Gabriele Hiller-Ohm, Miriam Gruß, Ulla
Jelpke und Markus Kurth.1) Ich gehe davon aus, dass Sie
damit einverstanden sind. - Das ist der Fall.
Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzent-
wurfs auf Drucksache 17/1428 an die in der Tagesord-
nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es
dazu anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht der Fall.
Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 17 a und 17 b auf:
a) Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat
eingebrachten Entwurfs eines … Gesetzes zur
Änderung des Bundeswaldgesetzes
- Drucksache 17/1220 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz ({1})
- Drucksache 17/2184 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Alois Gerig
Petra Crone
Dr. Kirsten Tackmann
Cornelia Behm
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz ({2})
- zu dem Antrag der Abgeordneten Petra Crone,
Dirk Becker, Gerd Bollmann, weiterer Abge-
ordneter und der Fraktion der SPD
Bundeswaldgesetz nachhaltig gestalten -
Schutz und Pflege des Ökosystems für heu-
tige und künftige Generationen
1) Anlage 9
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt
- zu dem Antrag der Abgeordneten Cornelia
Behm, Undine Kurth ({3}), Ulrike
Höfken, weiterer Abgeordneter und der Frak-
tion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Das Bundeswaldgesetz novellieren und öko-
logische Mindeststandards für die Waldbe-
wirtschaftung einführen
- zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Kirsten
Tackmann, Dr. Gesine Lötzsch, Dr. Dietmar
Bartsch, weiterer Abgeordneter und der Frak-
tion DIE LINKE
Bundeswaldgesetz ändern - Naturnahe
Waldbewirtschaftung fördern
- zu der Unterrichtung durch die Bundesregie-
rung
Waldbericht der Bundesregierung 2009
- Drucksachen 17/1050, 17/1586, 17/1743,
16/13350, 17/2184 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Alois Gerig
Petra Crone
Dr. Kirsten Tackmann
Cornelia Behm
Der Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz hat in seiner Beschlussempfehlung
den Waldbericht der Bundesregierung 2009 auf
Drucksache 16/13350 mit einbezogen. Über diese Vor-
lage soll jetzt ebenfalls abschließend beraten werden. -
Ich sehe, dass Sie damit einverstanden sind. Dann ist das
so beschlossen.
Ihre Reden zu Protokoll gegeben haben die Kolle-
ginnen und Kollegen Alois Gerig, Petra Crone,
Dr. Christel Happach-Kasan, Alexander Süßmair und
Cornelia Behm.1) - Damit sind Sie ebenfalls einverstanden.
Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den vom
Bundesrat eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur
Änderung des Bundeswaldgesetzes. Der Ausschuss für
Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 17/2184, in Kenntnis des Waldberichts 2009
auf Drucksache 16/13350 den Gesetzentwurf des Bundesrates auf Drucksache 17/1220 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um
das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Damit ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung
angenommen. Zugestimmt haben die Koalitionsfraktionen. Dagegen gestimmt haben Bündnis 90/Die Grünen
und die SPD-Fraktion. Die Linke hat sich enthalten.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Diejenigen erheben sich bitte,
die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen. - Wer ist dagegen? - Enthaltungen? - Damit ist der Gesetzentwurf
in dritter Beratung mit dem gleichen Stimmenverhältnis
wie zuvor angenommen.
Tagesordnungspunkt 17 b: Wir setzen die Abstimmung zu der Beschlussempfehlung des Ausschusses für
Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz auf
Drucksache 17/2184 fort. Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion der SPD auf Drucksache 17/1050 mit dem Titel „Bundeswaldgesetz
nachhaltig gestalten - Schutz und Pflege des Ökosystems für heutige und künftige Generationen“. Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Damit ist die Beschlussempfehlung bei Zustimmung durch die Koalition angenommen.
Dagegen hat die Opposition gestimmt.
Unter Buchstabe c empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
auf Drucksache 17/1586 mit dem Titel „Das Bundeswaldgesetz novellieren und ökologische Mindeststandards für
die Waldbewirtschaftung einführen“. Wer stimmt für
diese Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist angenommen. Dafür gestimmt haben CDU/CSU und FDP. Bündnis 90/Die Grünen und Linke waren dagegen. Enthalten
hat sich die Fraktion der SPD.
Schließlich empfiehlt der Ausschuss unter Buchstabe d seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des
Antrags der Fraktion Die Linke auf Drucksache 17/1743
mit dem Titel „Bundeswaldgesetz ändern - Naturnahe
Waldbewirtschaftung fördern“. Wer stimmt für die Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Damit ist die Beschlussempfehlung angenommen. Zugestimmt haben CDU/CSU und FDP. Dagegen
gestimmt haben die Fraktion Die Linke und Bündnis 90/
Die Grünen. Die SPD hat sich enthalten.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 18 auf:
Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und der FDP eingebrachten
Entwurfs eines Gesetzes zur Vermeidung kurzfristiger Marktengpässe bei flüssiger Biomasse
- Drucksache 17/1750 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({4})
- Drucksache 17/2182 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Maria Flachsbarth
Michael Kauch
Hans-Josef Fell
Hierzu liegt ein Entschließungsantrag von Bünd-
nis 90/Die Grünen vor.
Hier haben ihre Reden, wie in der Tagesordnung aus-
gewiesen, zu Protokoll gegeben: Dr. Maria Flachsbarth,
Josef Göppel, Dirk Becker, Michael Kauch, Eva
Bulling-Schröter und Hans-Josef Fell.1) Anlage 10
Biomasse ist als nachwachsender Rohstoff einer der
wichtigsten und vielseitigsten regenerativen Energieträger in Deutschland. Er ist zum Erreichen der ehrgeizigen Klimaschutzziele der Bundesregierung unverzichtbar.
Die Ölkatastrophe im Golf von Mexiko führt wieder
einmal anschaulich vor Augen, wie wichtig es ist, die
Abhängigkeit vom Erdöl zu verringern. Da diese Abhängigkeit beispielsweise im Verkehr besonders hoch ist,
muss hier übergangsweise Ersatz durch Biokraftstoffe
und in Zukunft durch Elektroautos geschaffen werden.
Doch beim Einsatz von Biomasse zur Energieerzeugung
muss die ökologische Sinnhaftigkeit und ethische Vertretbarkeit gewährleistet sein. Die Ökobilanz für Anbau,
Ernte und Transport ist daher kritisch zu hinterfragen;
der Erhalt wertvoller Naturräume und zumindest die
Einhaltung internationaler Mindestarbeitsbedingungen
sind zu gewährleisten.
Deshalb muss nach geltender Rechtslage ab dem
1. Juli 2010 für die EEG-Vergütung nachgewiesen werden, dass flüssige Biomasse, wie zum Beispiel Palmöl,
nachhaltig hergestellt worden ist und nicht etwa Regenwaldflächen für seine Produktion zerstört wurden.
Um die erforderliche Zeit für den Aufbau von Zertifizierungsstrukturen zu gewährleisten, sieht die geltende
Biomassestrom-Nachhaltigkeitsverordnung eine Übergangsregelung vor, mit der die nachhaltige Herstellung
nicht bei flüssiger Biomasse nachgewiesen werden
muss, die bis zum 30. Juni 2010 zur Stromerzeugung eingesetzt wird. Dieser Nachweis ist mithilfe privatwirtschaftlich organisierter Zertifizierungsstrukturen zu erbringen.
Diese Übergangsregelung erweist sich nun aufgrund
des umfassenderen Zeitbedarfs für den Aufbau von Zertifizierungsstrukturen allerdings als nicht ausreichend.
Ohne eine Verschiebung dieses Stichtages sind Marktengpässe zu befürchten, die vor allem bestehende kleine
und mittelständische EEG-Anlagen stark treffen würden,
die in der Regel mehrmonatige Vertrags- und Lieferzeiten benötigen. Für den Bereich der Biokraftstoffe hat die
Bundesregierung durch Kabinettsbeschluss am 2. Juni
2010 die Biokraftstoff-Nachhaltigkeitsverordnung geändert und damit für den Verkehrssektor das „Scharfstellen“ der Verordnung ebenfalls auf den 1. Januar 2011
verschoben.
Die Anhörung im Ausschuss zur BiomassestromNachhaltigkeitsverordnung hat gezeigt, dass insbesondere nicht genügend Mengen zertifizierter Biomasse
vorhanden sind, die auch den Nachweis der Reduzierung von Treibhausgasen erfüllen. Das genau verlangt
aber die deutsche Biomassestrom-Nachhaltigkeitsverordnung. Deshalb lehnt die Union den Entschließungsantrag von Bündnis 90/Die Grünen vom 17. Juni 2010
ab. Die Zahl der bisherigen Anerkennungen ist nicht
hoch genug, um die gesamte für eine Vergütung nach
EEG erforderliche flüssige Biomasse zu zertifizieren.
Von der Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung, BLE, wurden bis jetzt vorläufig zwei Zertifizierungssysteme und elf Zertifizierungsstellen anerkannt.
Durch den vorliegenden Gesetzentwurf wird daher
die Nachweispflicht vom 1. Juli 2010 auf den 1. Januar
2011 verschoben. Durch diese Verschiebung des
„Scharfstellens“ der Nachhaltigkeitsverordnung wird
verhindert, dass kurzfristig nicht genügend flüssige Biomasse auf dem deutschen Markt verfügbar ist und dadurch den Betreibern solcher EEG-Anlagen, meistens
kleine und mittlere Unternehmen, ein wirtschaftlicher
Schaden droht. Ein unter Umständen existenzbedrohender wirtschaftlicher Totalschaden ist aufgrund des Ausschließlichkeitsprinzips des EEG möglich. Diese Regelung besagt, dass schon ein einmaliger Verstoß gegen
die Regeln des EEG den endgültigen Verlust des Bonus
für nachwachsende Rohstoffe, Nawaro-Bonus, für den
Anlagenbetreiber nach sich zieht.
Wir zerstören das Vertrauen in die Verlässlichkeit der
Politik, wenn der Gesetzgeber Anforderungen an den
Anlagenbetreiber stellt, die aufgrund von ihm nicht zu
vertretender Umstände objektiv nicht erfüllbar sind. Mit
der Verschiebung des Scharfstellens der Regelung ermöglichen wir den Anlagenbetreibern, unseren Anforderungen auch nachkommen zu können.
Die Zeit bis zum Ende des Jahres muss nun dazu genutzt werden, den Aufbau wirksamer Zertifizierungsstrukturen sicherzustellen. So kann Deutschland seiner
europaweiten Vorrangstellung beim Einsatz nachwachsender Rohstoffe im Energiesektor weiter gerecht werden.
Marktengpass für Bioöle zur Verstromung in Blockheizkraftwerken. Euphorie verspüre ich bei der Verschiebung des „Scharfstellens“ der Nachhaltigkeitsordnung nicht. Es hat sich aber in der Praxis gezeigt, dass
die Zertifizierungsstellen für nachhaltiges Pflanzenöl
nicht schnell genug aufgebaut werden konnten, um die
Versorgung der bestehenden Pflanzenöl-Blockheizkraftwerke zu sichern. Das hat auch die gestrige Expertenanhörung bestätigt. Besonders kleine Pflanzenölmühlen in
Deutschland brauchen mehr Zeit für die aufwendige
Zertifizierung. Für diese Unternehmen sind die Blockheizkraftwerke der wichtigste Absatzmarkt. Wir können
ihnen nicht die wirtschaftliche Grundlage entziehen.
Insbesondere die Treibhausgasbilanzierung über die
gesamte Wertschöpfungskette erweist sich als echte Herausforderung. Für mich geht hier Gründlichkeit vor
Schnelligkeit. Ein wesentliches Element einer sauberen
Bilanzierung ist nämlich, die Vorgeschichte jeder
Anbaufläche zu klären. Wenn für eine Palmölplantage
Regenwald gerodet oder für ein Sojafeld Moore trockengelegt wurden, sind dort angebaute Pflanzenöle nicht
nur ein Schlag gegen die Artenvielfalt, sondern echte
Klimakiller. Durch Landnutzungsänderungen wird über
Jahre hinweg im Bodenhumus gespeicherter Kohlenstoff
abgebaut und in die Atmosphäre abgegeben. Dies gilt im
Übrigen auch für den Grünlandumbruch in der heimischen Landwirtschaft. Die gesamte Treibhausgasbilanz
der Pflanzentreibstoffe ist in diesen Fällen sogar
schlechter als bei Treibstoffen auf Erdölbasis.
Zu Protokoll gegebene Reden
Deshalb haben wir die Nachhaltigkeitsverordnung im
vergangenen Jahr verabschiedet. Die Sanktionen bei einer Verletzung sind hart. Im EEG ist festgelegt, dass der
Betreiber eines Pflanzenöl-Blockheizkraftwerks auf
Dauer den Anspruch auf die EEG-Vergütung verliert,
wenn er nichtnachhaltige Pflanzenöle einsetzt. Die Anlage steht damit vor dem sicheren wirtschaftlichen Aus.
Wenn nun aber noch nicht genügend zertifiziertes Pflanzenöl zur Verfügung steht, gebietet es der Vertrauensschutz für die Betreiber der Blockheizkraftwerke, dass
wir diese Tatsache angemessen berücksichtigen. In der
Gesamtschau ist die Verschiebung um ein halbes Jahr
deshalb gerechtfertigt.
In gewisser Weise beweist diese Verknappung sogar,
dass wir bei der Verwendung von Biomasse zur Energieerzeugung eine wirksame Kontrollmöglichkeit für den
Klimaschutzbeitrag gefunden haben.
Ich möchte an dieser Stelle aber auch darauf hinweisen, dass wir damit noch nicht am Ende unserer Aufgabe
stehen. Bei der Verabschiedung der Nachhaltigkeitskriterien auf europäischer Ebene wurde eine Ausdehnung
auf Pflanzölimporte in anderen Anwendungsbereichen
bereits debattiert. Leider konnte sich dieser umfassende
Ansatz nicht durchsetzen. Noch immer aber werden
weltweit etwa 90 Prozent der Palmölproduktion für
Nahrungsmittel und 5 Prozent für Nichtnahrungszwecke
wie Reinigungsmittel oder Kosmetika eingesetzt. Nur
etwa 5 Prozent werden für Biokraftstoffe verwendet.
Eine rasche Einbeziehung dieser Bereiche ist für einen wirksamen Regenwaldschutz also unerlässlich. Im
energetischen Bereich haben wir nun den Beweis, dass
der schlüssige Nachweis eines nachhaltigen Anbaus
möglich ist. Ich möchte deshalb zum Schluss meiner
Rede an die Bundesregierung appellieren, auf europäischer Ebene einen neuen Anlauf für eine Ausdehnung
der Nachhaltigkeitskriterien auf Pflanzenölimporte in
allen Anwendungsbereichen zu unternehmen. Das
schützt unser Klima und beseitigt nebenbei noch eine
Wettbewerbsverzerrung zuungunsten unserer heimischen Landwirtschaft.
Für eine Verschiebung der Frist zur Zertifizierung
von nachhaltig produzierter Biomasse auf den 1. Januar
2010 gibt es keinen plausiblen Grund. Sowohl Zertifizierungssysteme als auch -stellen wurden eingerichtet und
sind funktionstüchtig. Zudem enthält die Biomassestrom-Nachhaltigkeitsverordnung dezidierte Übergangsregeln, die die Zertifizierung der Ernte von 2009 erleichtern sollen. Ausreichende Mengen an nachhaltig
produziertem, bereits nach RSPO zertifiziertem Palmöl
stehen zur Verfügung, wie die Vertreterin des WWF während der Expertenanhörung bestätigte. Das notwendige
ISCC-Zertifikat kann dem WWF zufolge binnen weniger
Tage ausgestellt werden.
Ich kritisiere diese Verschiebetaktik auf das
Schärfste. Die Bundesregierung muss damit aufhören,
ihre Klientel auf Kosten von Umwelt- und Naturschutz
zu bedienen. Ich hege schlimmste Befürchtungen, dass
die Zertifizierungsfrist zu einem Verschiebebahnhof der
Bundesregierung wird und durch die voranschreitende,
nicht nachhaltige Palmölgewinnung weiterhin Regenwälder zerstört und die Bestände bedrohter Tierarten
dezimiert werden.
Die SPD-Bundestagsfraktion fordert daher, die in der
Biomassestrom-Nachhaltigkeitsverordnung genannte
Frist vom 1. Juli 2010 einzuhalten. Aus diesem Grund
wird sie dem Gesetzesentwurf in seiner vorliegenden
Fassung nicht zustimmen.
Die Fraktion von Bündnis 90/Die Grünen hat einen
Entschließungsantrag gestellt, indem eine Sonderstellung für die heimischen Pflanzenölmühlen gefordert
wird. Dieses Antrags wird sich die SPD-Fraktion enthalten.
Hocherstaunt nehme ich außerdem zur Kenntnis,
dass, während die Regierungskoalition bei der Biomasse
Schreckensbilder an die Wand malt, sie den wahren
Nachbesserungsbedarf im EEG nicht erkennt oder zumindest nicht anpackt: Wir benötigen dringend eine Änderung der Systemdienstleistungsverordnung, da sich
die Frist für die Nachrüstung von bestehenden Windkraftanlagen als unzureichend erwiesen hat. Nach
aktuellem Recht erhalten nur diejenigen Betreiber von
Windkraftanlagen einen Bonus, deren Anlagen vor dem
1. Januar 2011 Systemdienstleistungen zur Stützung des
Stromnetzes bereitstellen können.
Während die Bundesregierung plant, die Frist für
Neuanlagen um ein Vierteljahr zu verlängern, gerät jedoch das Potenzial von Altanlagen in Vergessenheit:
Insgesamt bis zu 5 000 Altanlagen könnten für eine bessere Netzintegration und -sicherheit umgerüstet werden - bisher ist dies lediglich bei rund 3 000 geschehen.
Angesichts der wachsenden Herausforderungen an unsere Leitungsnetze können wir es uns keinesfalls erlauben, auf eine Umrüstung der restlichen 2 000 Altanlagen
zu verzichten. Deshalb wollen wir den Zeitraum zur
Nachrüstung von bestehenden Windkraftanlagen um ein
Jahr verlängern.
Der Änderungsantrag der SPD-Bundestagsfraktion
beinhaltet daher neben der Rücknahme der Fristverlängerung bei der Biomassestrom-Nachhaltigkeitsverordnung auch eine Änderung der Systemdienstleistungsverordnung. Damit ist sowohl dem Umweltschutz als auch
der Netzsicherheit gedient.
Die FDP-Bundestagsfraktion hat sich in der vergangenen Wahlperiode sehr nachdrücklich dafür eingesetzt,
dass flüssige Biomasse, die in Deutschland energetisch
verwendet wird, ein Zertifizierungsverfahren durchlaufen muss. Damit soll gewährleistet werden, dass bei der
Herstellung dieser Biomasse Nachhaltigkeitsstandards
eingehalten wurden. Der Grund hierfür ist, dass in der
Vergangenheit die Herstellung von flüssiger Biomasse
teilweise mit erheblichen Umweltzerstörungen, wie zum
Beispiel Brandrodung von Regenwäldern und Zerstörung der Artenvielfalt, einherging. Zudem soll ein Mindestmaß an Treibhausgaseinsparung abgesichert werden. Die Biomassestrom-Nachhaltigkeitsverordnung,
Zu Protokoll gegebene Reden
deren „Scharfstellen“ mit dem vorliegenden Gesetzentwurf um ein halbes Jahr verschoben wird, soll sicherzustellen, dass flüssige Biomasse, die zur Stromerzeugung eingesetzt wird, nur unter Beachtung verbindlicher
Nachhaltigkeitsstandards hergestellt wird. Damit wird
eine Regelung geschaffen, die Klarheit darüber bringt,
wann Biomasse nach dem EEG vergütet werden soll.
Zu dem Inhalt der Verordnung stehen wir nach wie
vor. Allerdings müssen wir auch anerkennen, dass es bei
dem Aufbau von Zertifizierungskapazitäten in Deutschland zu erheblichen Verzögerungen kam, die dazu führen, dass die hier in Deutschland produzierte Biomasse
nur zum Teil zertifiziert werden kann. Die Folge ist ein
Lieferengpass, den die gesamte Wertschöpfungskette zu
spüren bekäme. Für die Betreiber von Blockheizkraftwerken und für kleine Ölmühlen hätte die sofortige Zertifizierungspflicht gar existenzbedrohende Folgen.
Der Vorwurf, der nun laut wird, dass die Betriebe nur
auf eine Verschiebung der Zertifizierungspflicht spekuliert hätten und sich daher auch nicht besonders angestrengt hätten, rechtzeitig zertifiziert zu werden, ist nicht
richtig. Das Zertifizierungssystem ISCC wurde erst im
Januar dieses Jahres von der Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung zugelassen. Seit Juni gibt es
mit REDcert das zweite System. Mit der Zulassung von
Systemen sind allerdings natürlich noch keine Kapazitäten geschaffen. Bis Zertifizierungsstellen zugelassen und
Mitarbeiter geschult sind, vergeht naturgemäß Zeit.
Für die Verzögerungen beim Aufbau von Zertifizierungskapazitäten tragen weder die Anlagenbetreiber,
die Biomasse verstromen, noch die Ölmühlen oder die
Landwirte Schuld. Aber insbesondere die Anlagenbetreiber würden hart getroffen, wenn wir den Termin für
die Zertifizierungspflicht nicht verschieben würden. Sie
würden nämlich ihre Förderung auf Dauer verlieren,
wenn sie einmal nichtzertifizierte Biomasse verwenden.
Dies würde das Aus für viele Anlagen bedeuten und
wäre unverantwortlich.
Allerdings möchte ich auch betonen, dass dies die
letzte Verschiebung der Zertifizierungspflicht sein wird.
Das Instrumentarium zur Zertifizierung von flüssiger
Biomasse ist nun vorhanden. Die Zertifizierungspflicht
wird ab 1. Januar kommen. Andernfalls machen wir uns
unglaubwürdig, was unser Ziel angeht, den Regenwald
und andere sensible Ökosysteme vor Raubbau zu schützen. Hierauf sollten sich alle Akteure einstellen.
Wir lehnen den Koalitionsentwurf ab; denn hier sollen Ausnahmen zu einem Zertifizierungssystem verlängert werden, welches die Linke ohnehin nicht mitträgt.
Es ist doch so. Schon längst übernutzen die Industriestaaten die Umwelt. Das geht nur dadurch, dass auch
Deutschland immer mehr Rohstoffe importiert, darunter
Rohstoffe, deren Gewinnung im globalen Süden zur Abholzung von Tropenwäldern führt oder zur Vertreibung
von Kleinbauern und indigenen Völkern. Die Importe
der Pflanzenöle, um die es hier geht, sind beispielhaft
dafür. Bei Agrokraftstoffen läuft es nicht anders.
Die enorme Nachfrage nach Soja für Futtermittel hat
in den vergangenen Jahrzehnten weite Landstriche Brasiliens in eine Wüste von Monokulturen verwandelt. In
Asien war es früher vor allem der große Bedarf der Lebensmittelindustrie an Palmöl, der zu Abholzungen
wertvollster Wälder führte. Das meiste davon wandert
nach Europa und in die USA. Seit einigen Jahren kommt
nun noch die Nachfrage nach Soja- und Palmölen für
Blockheizkraftwerke und nach Agrokraftstoffen hinzu.
Sie kommt zur katastrophalen Bilanz hinzu. Ich hab
nichts gegen BHKWs. Aber wir sollten zum Klimaschutz
lieber ein großes Kohlekraftwerk abschalten als versuchen, mit solchen Ölen die CO2-Bilanz zu schönen.
Es hat sich inzwischen herumgesprochen: Der Sog
nach Agrokraft- und Brennstoffen führt zu immer neuen
Plantagen. Direkt oder indirekt wird dafür fast immer
Dschungel vernichtet. Dann aber ist die schöne Klimabilanz im Eimer.
Man müsste solch ein Kraftwerk mehr als 100 Jahre
betreiben, damit das bei der Abholzung freiwerdende
Kohlendioxid ausgeglichen wird. Aber selbst dann
bleiben die anderen Folgen, und das für die Ewigkeit,
nämlich die Zerstörung der Lebensgrundlagen für die
Menschen, die in den Wäldern leben, und der unwiederbringliche Verlust an Tieren und Pflanzen. Die OrangUtans sind nur ein Beispiel dafür. Weil es deswegen massive Proteste gab, sind EU und Bundesregierung auf den
Trichter gekommen, Zertifizierungssysteme für die Nutzung von Biomasse einzuführen. Aber diese Systeme sind
Augenwischerei. Ehrlich gesagt betrübt es mich, dass
der WWF da aktiv mitmacht.
Das Hauptproblem ist doch Folgendes: Schalten wir
hier in Europa den Staubsauger auf eine höhere Stufe, so
wird beispielsweise in Indonesien zusätzlich Palmöl abgesaugt. Da können sie tausendmal zertifizieren. Das
wird wohl nichts nützen. Dann werden eben alte Plantagen für den neuen „grünen“ Export genutzt. Gleichzeitig werden aber Flächen gerodet, um die alte Palmölnachfrage der Nahrungsmittelindustrie zu bedienen.
Das liegt doch auf der Hand, wenn man eins und eins zusammen zählt. Das ist auch die Erfahrung der NGOs aus
den betroffenen Ländern.
Darüber hinaus ist das Zertifizierungssystem in seinen Details ein Witz. Großflächige Monokulturen etwa
sind in der Biomassestrom-Nachhaltigkeitsverordnung
nicht verboten. Das Treibhausgas-Minderungspotenzial
der Agro-Öle soll zunächst nur 35 Prozent gegenüber
mineralischen Kraftstoffen betragen. Wie der Nachweis
dafür erbracht werden soll, ist völlig unklar.
Vor allem aber gibt es keinerlei Sozialstandards. Das
Verbot der Vertreibung oder anderer Verletzungen von
Menschenrechten ist nicht verankert, nicht einmal das
Recht auf Nahrung. Denken wir an den Tortillakrieg in
Mexiko, also an die Debatte „Tank oder Teller“, so ist
das unverständlich. Zudem werden nach der deutschen
Verordnung auch andere Zertifizierungssysteme anerkannt, etwa osteuropäische und von einigen im Schnellverfahren zertifiziert. Mauscheleien und Zerstörung sind
also auf allen Ebenen vorprogrammiert. Darum wird die
Linke bei diesem System nicht mitmachen.
Zu Protokoll gegebene Reden
Der weitere Ausbau der Nutzung von Bioenergien ist
erforderlich, um den ökonomischen Problemen der Res-
sourcenverknappung, der zunehmenden Erderwärmung
und der Verarmung weiter Bevölkerungsschichten ent-
gegenwirken zu können.
Wir sehen aber leider eine zunehmend negative Ent-
wicklung wie Urwaldabholzung, intensive Monokultu-
ren und Sozialdumping. Diese Entwicklung behindert
die Chancen, die in einer nachhaltigen Nutzung und Er-
zeugung von Bioenergien liegen.
Eine schnell realisierte, verlässliche und weltweite
Zertifizierung für die nachhaltige Erzeugung ist daher
unerlässlich für die weitere Nutzung von Bioenergien.
Die Bundesregierung hat unnötig viel Zeit verstreichen
lassen, um klare Vorgaben für die Zertifizierung nach-
haltig erzeugter Bioenergien festzulegen. Damit ist sie
mitverantwortlich dafür, dass der Zertifizierungsprozess
nicht ausreichend fortgeschritten ist.
Der Markt für die Verstromung flüssiger Bioenergien
nach dem EEG zeigt ein differenziertes Bild. Für Palm-
und Sojaöl stehen ausreichende Mengen an zertifizierter
Produktion bereit. Beispielsweise sind 600 000 Tonnen
nach den Kriterien des RSPO bereits zertifiziert und
könnten binnen weniger Tage auch das in Deutschland
anerkannte ISCC-Zertifikat erhalten, sofern die Krite-
rien erfüllt werden. Die Kriterien des ISCC haben hö-
here und umfassendere Standards als RSPO und umfas-
sen auch soziale Aspekte. Eine wie im Gesetzentwurf der
Koalition vorgesehene Verschiebung des Inkrafttretens
der Biomassestrom-Nachhaltigkeitsverordnung für Palm-
und Sojaöl ist daher nicht notwendig und kontraproduk-
tiv für die schnelle Realisierung von nachhaltiger Pro-
duktion.
Ganz anders ist die Situation im Bereich der heimi-
schen dezentralen Pflanzenölmühlen. Von den bundes-
weit etwa 300 Ölmühlen konnte erst eine zertifiziert wer-
den. Alle anderen können den dezentralen BHKWs kein
zertifiziertes Pflanzenöl zur Verfügung stellen, obwohl
ausreichend Pflanzenöl zur Verfügung stünde, das ei-
gentlich zertifiziert werden könnte. Da das Zertifikat
aber nicht ausgestellt werden kann, könnten viele dezen-
trale BHKW-Betreiber grundlos in Konkurs gehen, da
sie ohne Zertifikat keinen EEG-Bonus für nachwach-
sende Rohstoffe erhalten würden. Hier macht in der Tat
die vorgesehene Verschiebung Sinn, löst aber nicht das
gesamte Problem. Zu Recht klagen die dezentralen Öl-
mühlen über kaum mehr verkraftbaren Bürokratieauf-
wand und finanzielle Lasten. Wir fordern mit unserem
Entschließungsantrag die Bundesregierung daher auf,
für die heimischen Ölmühlen eine Übergangsregelung in
Verbindung mit einem Förderprogramm zu schaffen,
welche die betroffenen Unternehmen beim Vollzug der
Zertifizierung unterstützt. Zudem fordern wir, dass der
Bürokratieaufwand in akzeptablem Rahmen gehalten
wird.
Um das Überleben der dezentralen Pflanzenölerzeu-
gung zu sichern, sind beide Maßnahmen unverzichtbar.
Die heimische Pflanzenölerzeugung, die meist sehr
nachhaltig organisiert ist, wurde durch die von der Gro-
ßen Koalition beschlossene, verfehlte Besteuerung der
reinen Biokraftstoffe bereits stark gebeutelt. Es muss
verhindert werden, sie auch noch mit hohen Bürokratie-
lasten direkt in den Ruin zu schicken.
Kein Verständnis haben wir Grünen für die schwarz-
gelbe Ablehnung des Änderungsantrags der SPD, auch
den Stichtag für den Systemdienstleitungsbonus für die
Windkraftindustrie zu verschieben. Diese Verschiebung
ist sinnvoll, damit noch viele alte Windkraftanlagen die
Chance bekommen, Nachrüstungen für eine bessere
Netzintegration zu schaffen. Alle Fraktionen im Bundes-
tag fordern zu Recht, dass die fluktuierenden Wind-
strommengen nach Möglichkeit auch einen Beitrag zur
Netzstabilität leisten. Die technologischen Möglichkei-
ten dafür sind vorhanden und durch Nachrüstungen
auch erfüllbar. Solche Nachrüstungen werden die Strom-
versorgung schneller von den großen Atomkraftwerken
und Kohleblöcken unabhängig machen. Die heutige Ab-
lehnung des SPD-Antrags ist erneut Beleg dafür, dass
Schwarz-Gelb den eigenen Koalitionsvertrag nicht ernst
nimmt. Dort haben Sie festgelegt, dass die erneuerbaren
Energien Zug um Zug die konventionellen ersetzen sol-
len. In Wirklichkeit geht es Ihnen um den Bestandsschutz
der konventionellen Stromerzeugung mit Laufzeitverlän-
gerungen für Kernreaktoren und den Neubau von Kohle-
kraftwerken. Wir Grünen stimmen deshalb dem SPD-
Antrag zu und kritisieren erneut die rückwärtsgewandte
atomare und fossile Energiepolitik der schwarz-gelben
Koalition.
Wir kommen jetzt zur Abstimmung. Der Ausschuss für
Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit empfiehlt in
seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/2182,
den Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und
der FDP auf Drucksache 17/1750 anzunehmen. Ich bitte
diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen,
um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltun-
gen? - Der Gesetzentwurf ist bei Zustimmung durch die
Koalition angenommen. Dagegen haben SPD und Linke
gestimmt. Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat sich
der Stimme enthalten.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Wer für den Gesetzentwurf ist,
der erhebe sich bitte. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? -
Der Gesetzentwurf ist in dritter Beratung mit dem glei-
chen Stimmenverhältnis wie zuvor angenommen.
Wir kommen nunmehr zur Abstimmung über den
Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grü-
nen auf Drucksache 17/2209. Wer stimmt für den Ent-
schließungsantrag? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? -
Der Entschließungsantrag ist abgelehnt. Zugestimmt hat
die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Dagegen haben die
Koalitionsfraktionen gestimmt. Enthalten haben sich
SPD und Linke.
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 19 a bis c auf:
a) Beratung des Antrags der Fraktionen SPD und
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Todesstrafe weltweit abschaffen
- Drucksache 17/2114 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe ({0})
Auswärtiger Ausschuss
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
b) Beratung des Antrags der Fraktion der SPD
Folter bekämpfen und Folteropfer unterstützen
- Drucksache 17/2115 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe ({1})
Auswärtiger Ausschuss
Innenausschuss
Rechtsausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Annette
Groth, Katrin Werner, Jan van Aken, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE
Abschaffung der Todesstrafe weltweit
- Drucksache 17/2131 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe ({2})
Auswärtiger Ausschuss
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Interfraktionell ist vorgeschlagen, die Reden zu Protokoll zu geben. - Damit sind Sie wiederum einverstanden. Ihre Reden zu Protokoll gegeben haben Frank
Heinrich, Angelika Graf ({3}), Marina Schuster,
Annette Groth und Volker Beck ({4}).1)
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf
Drucksachen 17/2114, 17/2115 und 17/2131 an die in
der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. - Damit sind Sie einverstanden. Dann ist das so beschlossen.
Wir kommen zu Tagesordnungspunkt 20:
Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen CDU/CSU, SPD, FDP und BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines
Sechsten Gesetzes zur Änderung des Weingesetzes
- Drucksache 17/1749 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz ({5})
- Drucksache 17/2108 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Alois Gerig
Gustav Herzog
Alexander Süßmair
Nach einer interfraktionellen Verabredung ist vorge-
sehen, hierzu eine halbe Stunde zu debattieren. - Dazu
sehe und höre ich keinen Widerspruch. Ihre Reden zu
Protokoll gegeben haben die Kollegen Norbert
Schindler und Gustav Herzog.2)
Jetzt gebe ich dem Kollegen Dr. Erik Schweickert das
Wort.
({6})
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bevor sich vielleicht
der eine oder andere von Ihnen heute Abend das Objekt
des Beschlusses zu Gemüte führt, müssen wir noch
arbeiten, schließlich auch ein Gesetz verabschieden. Von
daher müssen wir uns noch ein paar Minuten gedulden.
Für die Zuschauer: Es ist so, dass hier fraktionsübergreifend zu einem großen Teil Einigkeit besteht. Deswegen
ist es nicht verwunderlich, dass ich als Einziger rede.
In der Weinwirtschaft befinden wir uns in einem sehr
stark regulierten Bereich. Der Staat schreibt vor, auf welcher Fläche der Winzer welche Rebsorte anbauen darf.
Er sagt ihm, wie viel er ernten darf und wie viel davon
zur Vermarktung freigegeben ist, um ihm dann zu sagen,
wie ein Wein zu schmecken hat und welche Regelungen
er bei der Bezeichnung beachten muss. Freie Entfaltungsmöglichkeiten sehen für mich etwas anders aus.
Für mich als Liberalen sind das eindeutig zu viele Staatseingriffe.
({0})
- Zum guten Wein kommen wir gleich.
Aus dieser Situation heraus sind trotz guten Weines,
Herr Kollege, Winzer auf die Idee gekommen, die Hek-
tarhöchstertragsregelungen zu umgehen. Es wurden
Gesetzeslücken genutzt. Von daher war es an uns, die
wir die Regelungszuständigkeit haben, nachzubessern.
Wir korrigieren mit dem Gesetz die Fehlentwicklungen
und sorgen dafür, dass nicht von schlitzohrigen Winzern
Geschäftsmodelle entwickelt werden, mit denen Geset-
zeslücken ausgenutzt werden. Die Wettbewerbsverzer-
rung beheben wir. Das ist aber nur ein erster Schritt. In
einem zweiten Schritt müssen wir auch noch an die Um-
rechnungsfaktoren wie den Umrechnungsfaktor von
Most zu Wein oder auch von Traube zu Wein herange-
hen. Wir dürfen nicht vergessen: Hier hat der technische
Fortschritt Einzug gehalten. Heute ist mit einem Trau-
benvollernter entrapptes Lesegut Grundlage des Wie-
gens. Von daher sind höhere Faktoren einschlägig.
Wenn Sie es durchrechnen, dann kommen Sie zu dem
Ergebnis, dass man bei der Weinherstellung durch Flota-
tion oder Sedimentation 2 bis 3 Prozent Mosttrub hat.
1) Anlage 11 2) Anlage 12
Bei der Gärung verliert man noch einmal 2 Prozent.
Dann muss man das Ganze schönen. Das ergibt einen
Verlust von noch einmal 1 bis 2 Prozent. Wenn Sie das
zusammenrechnen, dann kommen Sie zu dem Ergebnis:
Aus 100 Litern Most entstehen 94 Liter Wein. Die meisten Fassweine werden angereichert, sind QbA-Qualitäten. Dabei kommen noch einmal 1 bis 2 Prozent heraus.
Wenn es ein RTK, ein rektifiziertes Traubenmostkonzentrat, ist, ist es etwas höher. So kommt man auf
97 Prozent. Deswegen ändern wir mit dieser Novelle des
Weingesetzes auch gleich die Umrechnungsfaktoren.
({1})
- Das ist das, was wir beschließen.
Aber wir beschließen eigentlich noch viel mehr. Das
ist untergegangen. Es ist aber für die Branche wichtig,
hier ein Zeichen zu setzen. Als wir uns die Hektarerträge
angeschaut haben, ist den Juristen aus dem Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz, aber auch aus dem Justizministerium aufgefallen, dass wir in der Weingesetzgebung unverhältnismäßig hohe Strafen haben. Wenn sich ein Winzer verrechnet, kann er dafür - das steht im Gesetz - mit bis zu
drei Jahren Freiheitsentzug bestraft werden. Das gibt es
in keinem anderen Bereich. Wenn sich jemand bei der
Milchquote verrechnet, ist das eine Ordnungswidrigkeit.
Deswegen war es folgerichtig, dass wir uns entschlossen
haben, an diese Regelung heranzugehen. Wir kommen
hier zu einer Gesetzesentschärfung, weil nur dann, wenn
eine Gesundheitsgefährdung vorliegt, solche Strafen verhängt werden sollten. Ich habe meinen Studenten immer
gesagt: Wenn ihr in der Weinwirtschaft tätig seid, dann
steht ihr aufgrund dieser Regelung immer mit einem
Bein im Kittchen. - Jetzt sorgen wir dafür, dass die Verhältnismäßigkeit der Mittel wieder gewahrt wird und
dass wir zu einem im Lebensmittelbereich üblichen
Strafmaß kommen.
({2})
Wir haben die Strafen nur da angepasst, wo es um den
Hektarertrag, um die Auspressquote geht. Es hat sich
aber gezeigt, dass hier noch viele Sachen im Argen liegen. Von daher ist es sicherlich nicht das letzte Mal, dass
wir über das Weingesetz diskutieren.
Jetzt möchte ich zu Ihrer Frage kommen: Warum tun
wir das? Wir haben es hier mit einem regulierten Bereich
zu tun. Dazu müssen wir wissen, dass nur 40 Prozent der
in Deutschland getrunkenen Weine aus Deutschland
kommen. 60 Prozent werden importiert. Gerade einmal
20 Prozent werden beim Winzer gekauft. Allein der Discount, also Aldi, Lidl und Norma, setzt 44 Prozent des
deutschen Weins ab. Da können Sie sich vorstellen, in
welchem Wettbewerb ein hiesiger Winzer steht. Da gibt
es Regale mit 100 Weinen zur Auswahl. In dem Wettbewerb muss er sich behaupten können. Es liegt an uns als
Parlament, als Gesetzgeber, der Branche die Möglichkeit
zu eröffnen, auch im internationalen Wettbewerb zu bestehen. Von daher bin ich mir sicher, dass das Thema
Wein nicht nur bezüglich der Gesetzgebung, sondern
auch bezüglich dessen, was an dem einen oder anderen
parlamentarischen Abend getrunken wird, den richtigen
Stellenwert genießt. Ich hoffe, dass es sich um einen
deutschen Wein handelt, der zu diesen Veranstaltungen
gereicht wird.
In diesem Sinne wünsche ich uns allen, dass wir die
richtigen Entscheidungen treffen, damit die Branche
dann auch sagen kann: Zum Wohl! Das Parlament hat
gute Entscheidungen für uns getroffen, sodass wir auch
in Zukunft wettbewerbsfähig sind.
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({3})
Zu Protokoll gegeben haben ihre Reden außerdem
der Kollege Alexander Süßmair und die Kollegin Ulrike
Höfken.1)
Damit schließe ich die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den von den
Fraktionen CDU/CSU, SPD, FDP und Bündnis 90/Die
Grünen eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Weingesetzes. Der Ausschuss für Ernährung,
Landwirtschaft und Verbraucherschutz empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/2108, den
Gesetzentwurf auf Drucksache 17/1749 in der Ausschussfassung anzunehmen. Diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen,
bitte ich um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Damit ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung bei Zustimmung durch die Koalitionsfraktionen
und die SPD angenommen. Es gab keine Gegenstimmen.
Linke und Bündnis 90/Die Grünen haben sich enthalten.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Diejenigen, die zustimmen
wollen, mögen sich bitte erheben. - Gegenstimmen? Enthaltungen? - Damit ist der Gesetzentwurf mit dem
gleichen Stimmenverhältnis wie vorher angenommen.
Ich komme zu Tagesordnungspunkt 21:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz
und Reaktorsicherheit ({0})
- zu dem Antrag der Abgeordneten Oliver
Kaczmarek, Dirk Becker, Marco Bülow, weite-
rer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Hochwasserschutz europäisch und ökolo-
gisch nachhaltig umsetzen - Für ein inte-
griertes Hochwasserschutzkonzept
- zu dem Antrag der Abgeordneten Oliver
Kaczmarek, Dirk Becker, Marco Bülow, weite-
rer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Naturnahen Wasserhaushalt durch Schutz
und Renaturierung von Nass- und Feuchtge-
bieten fördern - Hochwassergefahren min-
dern, Klima schützen
1) Anlage 12
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt
- zu dem Antrag der Abgeordneten Nicole
Maisch, Undine Kurth ({1}),
Dorothea Steiner, weiterer Abgeordneter und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Auenschutzprogramm vorlegen
- Drucksachen 17/1974, 17/1748, 17/1760,
17/ 2176 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Ingbert Liebing
Oliver Kaczmarek
Horst Meierhofer
Dorothea Steiner
Zu diesem Punkt haben ihre Reden zu Protokoll ge-
geben: Ingbert Liebing, Josef Göppel, Oliver
Kaczmarek, Horst Meierhofer, Sabine Stüber und Nicole
Maisch.1)
Wir kommen zur Abstimmung.
Der Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/2176 die Ablehnung des
Antrags der Fraktion der SPD auf Drucksache 17/1974
mit dem Titel „Hochwasserschutz europäisch und ökologisch nachhaltig umsetzen - Für ein integriertes Hochwasserschutzkonzept“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? Damit ist die Beschlussempfehlung angenommen. Zugestimmt haben die Koalitionsfraktionen. Dagegen gestimmt haben die Oppositionsfraktionen.
Unter Buchstabe b empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion der SPD auf Drucksache 17/1748 mit dem Titel „Naturnahen Wasserhaushalt
durch Schutz und Renaturierung von Nass- und Feuchtgebieten fördern - Hochwassergefahren mindern, Klima
schützen“. Wer stimmt für die Beschlussempfehlung? Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist angenommen. Zugestimmt haben die Koalitionsfraktionen. Dagegen gestimmt hat die SPD. Enthalten haben sich Bündnis 90/Die Grünen und die Linke.
Schließlich empfiehlt der Ausschuss unter Buchstabe c
seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags
der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache
17/1760 mit dem Titel „Auenschutzprogramm vorlegen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Zugestimmt hat
die Koalition. Dagegen gestimmt hat die Opposition. Die
Beschlussempfehlung ist somit angenommen.
Tagesordnungspunkt 22:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Dritten
Gesetzes zur Änderung des Vierten Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze
- Drucksache 17/1684 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales ({2})
- Drucksache 17/2169 Berichterstattung:
Abgeordneter Max Straubinger
Hierzu liegt ein Änderungsantrag der Fraktionen der
CDU/CSU und der FDP vor.
Zu Protokoll genommen wurden die Reden von
Peter Wichtel, Max Straubinger, Anette Kramme,
Johannes Vogel ({3}), Matthias W. Birkwald
und Markus Kurth.
Die soziale Sicherung der Menschen und deren Ver-
trauen in den Sozialstaat ist und bleibt eines der zentra-
len Vorhaben der Bundesregierung. Die seit Beginn der
Legislaturperiode gesetzlich verankerten arbeitsmarkt-
und sozialpolitischen Instrumente und insbesondere der
weiter anhaltende positive Trend auf dem Arbeitsmarkt
verdeutlichen, dass das Engagement der Regierung auf
diesem Gebiet ebenso nachhaltig wie erfolgreich ist. Vor
diesem Hintergrund ist es überaus erfreulich, dass mit
dem heute vorliegenden Antrag ein weiterer Schritt ge-
tan wird, um unser Modell der sozialen Sicherung deut-
lich zu stärken. Mit dem Entwurf eines Dritten Gesetzes
zur Änderung des Vierten Buches Sozialgesetzbuch kom-
men wir dem Änderungsbedarf nach, der sich in der So-
zialgesetzgebung an mehreren Stellen ergeben hat. Ne-
ben zahlreichen redaktionellen Anpassungen gibt es
dabei mehrere Punkte, die es gesondert hervorzuheben
lohnt.
Wie bereits in der ersten Lesung vor wenigen Wochen
verdeutlicht, ermöglicht der Gesetzentwurf die Teilhabe
des Deutschen Gewerkschaftsbundes am elektronischen
Entgeltnachweisverfahren ELENA. War bisher bei der
Meldepflicht im Rahmen der Sozialversicherung neben
diversen Akteuren auch die Bundesvereinigung der
Deutschen Arbeitgeberverbände involviert, so ist es
durchaus sachgemäß und angebracht, zukünftig auch
den DGB einzubeziehen. Das von der Bundesregierung
vorgesehene Anhörungsrecht zur Genehmigung der ge-
meinsamen Grundsätze im ELENA-Verfahren soll so-
wohl auf den Vertreter der Arbeitgeber als auch auf den
der Arbeitnehmer erstreckt sein.
Auch auf dem Feld der gesetzlichen Unfallversiche-
rung sieht der Entwurf mehrere Änderungen vor. Zu-
nächst sollen die Unfallversicherungsträger nach In-
krafttreten des Gesetzes verpflichtet sein, eine Regelung
zur Verletztengeldberechnung bei nicht kontinuierlicher
Arbeitsverrichtung in ihre Satzungen aufzunehmen.
Dieser Ansatz ist zwar nicht neu, war aber bisher nur
optional und somit nicht verpflichtend. Als ebenso obli-
gatorisch soll zukünftig die Berücksichtigung von Ar-
beitseinkommen aus selbstständiger Tätigkeit verankert
werden, sodass das Verletztengeld auch in atypischen
Fällen bei selbstständigen Tätigkeiten seine Funktion
als Entgeltersatz erfüllen kann. 1) Anlage 13
Besonders zu betonen gilt es zudem die endgültige
Umsetzung der Neuorganisation der gewerblichen Berufsgenossenschaften, die im vorliegenden Gesetzentwurf verankert ist. Nach dem im Oktober 2008 verabschiedeten Unfallversicherungsmodernisierungsgesetz
konnte die beabsichtigte Straffung der Organisation
durch eine Reduzierung der gewerblichen Berufsgenossenschaften auf freiwilliger Basis nicht vollständig
erreicht werden. Die Umsetzung der im UVMG formulierten Zielvorgabe, die Versicherungsträger durch freiwillige Fusionen bis zum 31. Dezember des vergangenen
Jahres auf neun zu reduzieren, wurde nicht vollständig
erreicht. So ist die logische Folge, dass es nun eine
Rechtsgrundlage zu verabschieden gilt, die - wie im Übrigen bereits im UVMG festgeschrieben - die Straffung
der Organisation des Systems erfolgreich abschließt.
Wir haben mit Freude zur Kenntnis genommen, dass es
in diesem Punkt einen parteiübergreifenden Konsens zu
geben scheint.
Keine Einstimmigkeit herrscht dagegen zu unserem
Bedauern bei der vorgesehenen Frist der verbleibenden
Fusionen. So sprechen sich einige der noch nicht fusionierten Berufsgenossenschaften und auch die SPDFraktion in einem vorliegenden Änderungsantrag für
eine zusätzliche Verlängerung der gesetzlichen Frist
aus. Dabei ist ein Bedarf für einen weiteren Aufschub
nicht erkennbar. Wir sind davon überzeugt, dass die Fusionshindernisse nicht im zeitlichen Bereich zu suchen
sind. Es ist daher ebenso notwendig wie zielführend, den
Fusionsprozess mit der Beibehaltung der geplanten
Frist weiter voranzutreiben.
Eine Verabschiedung des Dritten Gesetzes zur Änderung des Vierten Buches Sozialgesetzbuch und anderer
Gesetze wird nicht nur unnötige Bürokratiekosten einsparen und eine effektivere Gestaltung unseres Modells
der sozialen Sicherung ermöglichen. Wir werden insbesondere das Vertrauen der Bevölkerung in das Sozialsystem steigern und die soziale Sicherheit der Menschen weiter ausbauen können. Wir bitten Sie vor
diesem Hintergrund um Zustimmung zum vorliegenden
Gesetzentwurf und somit zur Beteiligung an der verantwortungsvollen Aufgabe, unsere Sozialgesetzgebung
den wirtschaftlichen Strukturen anzupassen.
Mit dem Dritten Gesetz zur Änderung des Vierten Buches Sozialgesetzbuch werden zahlreiche technische Änderungen sowie neue Rechtsprechung umgesetzt.
Aufgrund der Stellungnahme des Bundesrates und
zahlreicher weiterer Anregungen, die im Laufe des Beratungsverfahrens erfolgten, wurde ein Änderungsantrag eingebracht. Von besonderer Bedeutung sind folgende Änderungen:
Der bisherige Ausschluss von der Berechtigung zur
freiwilligen Versicherung für versicherungsfreie und von
der Versicherung befreite Personen wegen Nichterfüllung der Mindestversicherungszeit von fünf Jahren wird
aufgegeben. Dadurch wird künftig auch zum Beispiel
Beamten und Angehörigen von berufsständischen Versorgungswerken die Möglichkeit eröffnet, freiwillige
Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung zu zahlen.
Mit der Erweiterung der freiwilligen Versicherung wird
einem Anliegen des Petitionsausschusses des Deutschen
Bundestages Rechnung getragen.
Es werden für die Zahlung des erhöhten Übergangsgeldes von 75 vom Hundert neben Pflegekindern und
Kindern, die mit dem Übergangsgeldberechtigten im
ersten Grad verwandt sind, künftig bei der Bemessung
dieser Leistung auch Stiefkinder des Übergangsgeldberechtigten berücksichtigt. Mit der Gleichstellung von
Stiefkindern mit leiblichen Kindern bei der Bemessung
des Übergangsgeldes wird ebenfalls einem Wunsch des
Petitionsausschusses des Deutschen Bundestages entsprochen.
Aussetzung der Kürzung von Krankengeld, Versorgungskrankengeld, Verletztengeld und Übergangsgeld
nach dem SGB IX. Die diesen Entgeltersatzleistungen
zugrunde liegende Berechnungsgrundlage wird normalerweise jeweils nach Ablauf eines Jahres seit dem Ende
des Bemessungszeitraums entsprechend der Veränderung der Bruttolöhne und -gehälter je Arbeitnehmer
vom vorvergangenen zum vergangenen Kalenderjahr an
die Entwicklung der Bruttoarbeitsentgelte angepasst.
Der Änderungsantrag enthält eine Schutzklausel, mit
der eine Minderung der genannten Entgeltersatzleistungen für den Fall einer negativen Lohnentwicklung ausgeschlossen wird.
Schließlich ist eine Verschiebung des Inkrafttretens
der Regelung über die Weiterleitungsstellen um ein Jahr
auf 2012 vorgesehen, also die Einrichtungen, an die Arbeitgeber auf Antrag die Meldungen zur Sozialversicherung, Beitragsnachweise und sämtliche Zahlungen einreichen können sollen. Das Inkrafttreten der Regelung
wurde um ein Jahr zeitlich aufgeschoben, um zunächst
weitere Erfahrungen in der Praxis zu sammeln und die
Option für eine Weiterentwicklung des Gesamtkonzepts
für den Beitragseinzug offenzuhalten.
Von politischer Bedeutung ist insbesondere die Umsetzung der Neuorganisation der gewerblichen Berufsgenossenschaften.
Das noch von der Großen Koalition beschlossene Gesetz zur Modernisierung der gesetzlichen Unfallversicherung, UVMG, vom 30. Oktober 2008 sah vor, dass die
26 gewerblichen Berufsgenossenschaften bis zum 1. Januar 2010 zu neun Trägern fusionieren sollen. Dieser
freiwillige Fusionsprozess ist erfolgreich verlaufen. Allerdings wurde die Zahl von neun Trägern nicht ganz erreicht, gegenwärtig existieren noch 13 Träger.
Die Reduzierung der Anzahl der Berufsgenossenschaften beruht auf einem Beschluss der Mitglieder des
Hauptverbandes der gewerblichen Berufsgenossenschaften vom 1. Dezember 2006. Um diesem Beschluss
Nachdruck zu verleihen, ist es daher sachgerecht, dass
- wie bereits mit dem UVMG angekündigt - eine gesetzliche Vorgabe erfolgt, welche Berufsgenossenschaften
zum 1. Januar 2011 zu gemeinsamen Trägern fusionieren
sollen. Der Bundesrat hatte zwar für eine Verlängerung
der Frist für die Fusion der Berufsgenossenschaften um
neun Monate auf den 1. Oktober 2011 plädiert. Es wird
Zu Protokoll gegebene Reden
jedoch an den bisherigen Planungen zur Reduzierung
der Unfallversicherungsträger und dem Fusionstermin
1. Januar 2011 festgehalten. Würden die Vorstellungen
des Bundesrates Gesetz, könnten sich die Verhandlungen weitere neun Monate lang nutzlos hinziehen. Dieses
Vorgehen macht keinen Sinn; denn es würde sich nichts
am Verhandlungsfortschritt ändern. Die vermeintlichen
Fusionshindernisse sind lange bekannt und werden
nicht durch noch längere Verhandlungen ausgeräumt.
Es fehlt nicht an der Zeit, es fehlt am Willen zur Fusionsentscheidung.
Sinn macht es vielmehr, jetzt an dem Termin 1. Januar
2011 für die Fusionen festzuhalten und auf diese Weise
den Fusionsdruck aufrechtzuerhalten. Andernfalls würde
keine Einigung erzielt. Der Hauptverband der gewerblichen Berufsgenossenschaften und die Deutsche gesetzliche Unfallversicherung fordern die Verlässlichkeit für
die mit dem UVMG getroffenen Entscheidungen ein.
Liegen dem Bundesversicherungsamt am 1. Oktober
2010 keine übereinstimmenden Vereinigungsbeschlüsse
vor, vereinigt das Bundesversicherungsamt die Berufsgenossenschaften zum 1. Januar 2011. Mit diesen klaren
Fristen wird der Verwaltungsvollzug durch die Aufsichtsbehörde vereinfacht und beschleunigt.
Wir erwarten, dass die Selbstverwaltungen der betroffenen Berufsgenossenschaften die Fusionen fristgerecht in eigener Verantwortung abschließen werden. Bei
den derzeit noch laufenden Verhandlungen im Bereich
Metall/Holz wird erwartet, dass ein Interessenausgleich
erfolgt.
Mit einer in ihrer bisherigen Amtszeit unbekannten
Liebe zum Detail formuliert die Regierung im dritten
SGB-IV-Änderungsgesetz diverse Änderungen zu einer
Vielzahl sozialpolitischer Regelungen. Zu loben ist,
dass neben Anregungen vom Bundesrechnungshof, der
Sozialversicherungsträger und der Gewerkschaften
auch die in etlichen Bereichen inzwischen veränderte
Rechtsprechung berücksichtigt wird. Zu kritisieren ist,
dass bei genauem Hinsehen erkennbar ist, dass in der
Menge der kleinteiligen Änderungen auch einige Absätze versteckt sind, die durchaus von politischer Brisanz sind.
Nicht umsonst haben uns in den letzten Wochen so
viele Stellungnahmen von Verbänden und betroffenen
Organisationen erreicht, die ihre skeptische Einschätzung kundtaten. Zum einen ging es da um den Datenschutz. Der Gesetzentwurf sieht einiges vor, das wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten - und mit uns
die Gewerkschaften - sehr kritisch bewerten. Aber Datenschutz ist offenbar eh nicht die große Stärke der Regierung, was man auch daran sieht, dass bis heute ein
eigenständiges Arbeitnehmerdatenschutzgesetz nicht
verabschiedet ist. Beim Thema Datenschutz muss noch
viel passieren in dieser Legislaturperiode. Ein weiterer
wichtiger Punkt, auf den in vielen Stellungnahmen eingegangen wurde, sind die sogenannten Weiterleitungsstellen. Hier hat die Bundesregierung auf dem Weg vom
Referenten- zum Gesetzentwurf offenbar der Mut verlassen. Während ursprünglich geplant war, die Weiterleitungsstellen komplett zu streichen, wird nunmehr - quasi
als Begräbnis zweiter Klasse - eine Verschiebung der
Einführung um ein Jahr mit der Begründung formuliert,
dass das Konzept „weiterentwickelt“ werden solle. Hintergrund ist eine Regelung, die auf Wunsch der Union in
das „Gesetz zur Stärkung des Wettbewerbs in der gesetzlichen Krankenversicherung“ aufgenommen wurde.
Demnach können Arbeitgeber ab dem 1. Januar 2011
für ihre Beschäftigten Beitragsnachweise, Meldungen
zur Sozialversicherung etc. an eine Weiterleitungsstelle
ihrer Wahl richten. Wir als SPD-Bundestagsfraktion teilen zwar das Ziel, Arbeitgeber vom Verwaltungsaufwand
zu entlasten. Ob Weiterleitungsstellen dafür der richtige
Weg sind, bezweifele ich jedoch. Schließlich unterscheiden sich die Umlagesätze für Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, U1, und bei Mutterschaft, U2, bei den einzelnen
Krankenkassen. Arbeitnehmerbezogene Stammdaten
müssen deshalb auch weiterhin geführt werden. Einen
Abbau von Verwaltungsaufwand kann ich da kaum erkennen.
Diese Einschätzung teilt übrigens auch die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände, mit
der wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten
nicht so häufig einer Meinung sind. Diese Einschätzung
teilen aber auch die Krankenkassen, die Rentenversicherung, die Unfallversicherung sowie der DGB. Alle
erachten die Einrichtung von Weiterleitungsstellen für
überflüssig. Dass die Regierung hier nicht über ihren
Schatten springt und statt einer kompletten Streichung
nur eine Verschiebung um ein Jahr anstrebt, ist halbherzig und ein klein wenig jämmerlich. Wir als SPD-Bundestagsfraktion fordern die Bundesregierung auf, dem
Votum des Bundesrates zu folgen und die ursprünglich
im Referentenentwurf vorgesehene vollständige Streichung vorzunehmen.
Das dritte Thema im vorliegenden Gesetzentwurf ist
natürlich die neue Formulierung des § 225 SGB VII, der
die Neuorganisation der gewerblichen Berufsgenossenschaften regelt. Diese ist noch zu Zeiten der Großen Koalition im Oktober 2008 auf den Weg gebracht worden.
Ziel war es, dass die gewerblichen Unfallversicherungsträger bis zum 1. Januar 2010 durch Fusionen die Zahl
von damals 26 auf neun Berufsgenossenschaften reduzieren. Durch die Reduzierung auf insgesamt nur noch
neun Träger sollten leistungsfähigere und ausgewogenere Organisationen entstehen, die mit höherer Effizienz
und hoffentlich auch einigen Einsparungen bei den Verwaltungskosten agieren können. Dass solche Fusionen
Schwierigkeiten mit sich bringen, ist wohl normal. Aber
im Vergleich zu Daimler-Chrysler und anderen Beispielen aus der Wirtschaft kann man definitiv festhalten,
dass die Berufsgenossenschaften sich geschickt angestellt und die ihnen gebotene Chance zur freiwilligen
Fusion fast alle gut genutzt haben. Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten finden: Dies ist gut, und es
ist auch ein Beleg für die funktionierende Selbstverwaltung in der Sozialversicherung. Ganz wurde die angestrebte Zahl von nur noch neun Trägern bisher jedoch
leider nicht erreicht. Im Moment existieren im Bundesgebiet 13 Unfallversicherungsträger. Auch für mich als
Zu Protokoll gegebene Reden
nicht abergläubischen Menschen ist das natürlich keine
schöne Zahl. Unser Ziel war neun, unser Ziel bleibt
neun. Natürlich kann ich nachvollziehen, dass bei den
Beteiligten auch Bedenken gegenüber Fusionen bestehen - nicht nur, weil man sich an Strukturen gewöhnt
hat, sondern auch, weil die Sorgen existieren, als kleines
Rädchen innerhalb eines größeren Trägers branchenspezifische Belange nicht mehr so gut vertreten zu können.
Wir haben hierzu den Vorschlag unterbreitet, bei Fusionen von mehr als vier Trägern für einen befristeten
Zeitraum die Vertreterversammlung auf bis zu 76 Personen vergrößern zu können. Hierdurch wären Vertreterinnen und Vertreter aus den verschiedenen Branchen angemessen repräsentiert, und die branchenspezifischen
Erfahrungen und Anforderungen könnten gerade bei einer Fusion unterschiedlich großer Träger angemessen
artikuliert werden. Die Träger der Sozialversicherungen
sind durch staatliche Hoheitsakte geschaffen worden,
um die im öffentlichen Interesse liegenden Aufgaben des
sozialen Schutzes zu organisieren. Sie können daher
auch durch das Parlament neu organisiert werden, was
auch Fusionen einschließt. Und: Bereits mit dem
Unfallversicherungsmodernisierungsgesetz war angekündigt, dass gesetzliche Vorgaben erfolgen werden,
wenn die Reduzierung auf neun Träger nicht auf freiwilliger Basis gelingt. Die übrigen Unfallversicherungsträger, die teilweise mit großen Mühen Fusionen durchgeführt haben, erwarten jetzt zu Recht, dass wir uns an
diese Vorgabe halten.
Wenn wir uns jetzt das Votum des Bundesrates, die
Frist zur Fusion um neun Monate zu verlängern, zu eigen machen, dann geschieht dies nur in der Absicht, den
noch nicht fusionierten Berufsgenossenschaften eine
Brücke zu bauen, damit sie bis zum Abschluss der Sozialwahlperiode die Fusion in die Wege leiten können.
Keinesfalls darf dies so verstanden werden, dass wir die
gesetzgeberische Kompetenz zur Reduzierung der Zahl
der Träger infrage stellen, oder gar die Zielzahl von
neun Berufsgenossenschaften für falsch halten. Da weder dieser Vorschlag noch unsere anderen Änderungsanträge von den die Regierung tragenden Koalitionsfraktionen angenommen worden sind und auch unseren
Bedenken bezüglich des Datenschutzes nicht ausreichend Rechnung getragen wurde, werden wir uns bei
der heutigen Abstimmung enthalten.
Heute beraten wir abschließend das dritte SGB-IVÄnderungsgesetz. Ich freue mich, dass wir nun die vielen
Anregungen, die uns im Lauf des Jahres 2009 erreicht
haben, sinnvoll und nach eingehender Beratung zuletzt
in eine umfangreiche Gesetzesänderung münden lassen
können. Ich möchte noch einmal ein paar Punkte herausgreifen, um unsere Überlegungen zu illustrieren:
Ein Beispiel ist die Einfügung in den § 28 b SGB IV. Das
damit geschaffene Anhörungsrecht für den Deutschen
Gewerkschaftsbund halte ich nach wie vor für eine gute
Sache. So stellen wir sicher, dass bei der Meldepflicht im
Rahmen der Sozialversicherungspflicht Arbeitgeberund Arbeitnehmerseite jeweils Berücksichtigung finden
und keine Perspektive außen vor gelassen wird. Ich freue
mich übrigens besonders, dass wir dadurch auch den
Datenschutz der Arbeitnehmer mit einem tatkräftigen
Anwalt, nämlich dem DGB, ausstatten. Gerade mit Blick
auf die Datenerfassung, die im Zusammenhang mit dem
ELENA-Verfahren ansteht, ist es gut, dass hier in gewissem Maße „Vorsorge“ getroffen wird. Dazu zählt im
weiteren Sinne auch, dass wir eine Informationspflicht
bei der unrechtmäßigen Kenntniserlangung von Sozialdaten begründen - etwas, das uns Liberalen sehr wichtig
gewesen ist; denn hiermit gelingt uns eine substanzielle
Verbesserung beim Datenschutz. Gerade für den sensiblen Bereich der Sozialversicherungsdaten begrüße ich
das ausdrücklich.
Die Beratungen im Ausschuss haben außerdem gezeigt, dass wir uns in vielerlei Hinsicht einig sind, so
etwa mit Blick auf die vorzunehmenden Fusionen der
Berufsgenossenschaften. Ich hatte schon in der ersten
Beratung ausgeführt, dass das System der Berufsgenossenschaften von einem Anpassungsprozess profitieren
würde, auch um solche Probleme wie Beitragsspreizung
oder eine überproportionale Beitragssteigerung. Deswegen ist es sinnvoll, die Trägerlandschaft zu einer
übersichtlicheren Gliederung zu bringen. Die im Gesetz
vorgesehenen Fusionsverpflichtungen werden ohne
Frage zu einer Kräftigung der Organisationsstruktur
und zu Effizienzgewinnen führen. Insofern ist es auch
richtig, dass die Fristen, die für die Fusionen gesetzt
wurden, keinen Änderungen unterworfen wurden. Dies
ist auch im Ausschuss von Teilen der Opposition so gesehen worden. Dass wir hier nur Rahmenbedingungen
setzen und ansonsten den Akteuren die Ausgestaltung
überlassen, halte ich für die richtige Vorgehensweise so wie ich dies grundsätzlich für die richtige Vorgehensweise halte, wenn wir gesetzgeberisch tätig werden.
Unter diesem grundsätzlichen Aspekt halten wir von
der FDP es auch für absolut richtig, die Möglichkeit der
gesetzlichen Rentenversicherung auch für diejenigen zu
öffnen, die von der Versicherungspflicht befreit sind. So
gelingt es uns, ein Anliegen des Petitionsausschusses
aufzugreifen, also unmittelbar auf ein Anliegen der Bürger einzugehen. Ähnlich sinnvoll erscheint die Änderung
des Gesetzes über die Alterssicherung der Landwirte.
Auch darauf hatte ich schon hingewiesen: Hier vereinfachen wir eine Informationspflicht und vereinfachen so
unmittelbar das Leben der betroffenen Bürgerinnen und
Bürger. Die widerlegbare Fingierung der Fortgeltung
des Befreiungsantrags von der Versicherungspflicht bei
einer Wiederaufnahme der einschlägigen sozialversicherungspflichtigen Tätigkeit halte ich für eine intelligente und schlanke Lösung, die den Aufwand für die Betroffenen erheblich zurückführt. Das Problem, dass aus
Unkenntnis kein neuer Befreiungsantrag gestellt wird
und somit Beitragsrückstände entstehen, erledigt sich
damit.
Die Beratungen im Ausschuss haben gezeigt, dass
über das dritte SGB-IV-Änderungsgesetz weitgehende
Einigkeit herrscht. Dass die Fraktion von Bündnis 90/
Die Grünen im Ausschuss mit uns gestimmt hat, zeigt in
meinen Augen auch die qualitative Güte des ganzen Pakets - auch die anderen Oppositionsfraktionen haben
Zu Protokoll gegebene Reden
Johannes Vogel ({0})
sich lediglich enthalten. Ich werbe nun nochmals um
breite Zustimmung und danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit!
Seine Rede zur ersten Lesung zum vorliegenden Gesetzentwurf, mit dem verschiedene Bücher des Sozialgesetzbuches geändert werden, leitete Peter Wichtel, CDU,
mit einem Lob der Bundesregierung ein. Er rühmte die
Koalition aus CDU, CSU und FDP einer Sozialpolitik,
die auch „in wirtschaftlich herausfordernder Zeit“ die
soziale Sicherung der Menschen gewährleiste. Mit dem
vorliegenden Gesetz setze die schwarz-gelbe Koalition
seines Erachtens nur einen weiteren Schritt auf einem
erfolgreichen Pfad. Das ist eine grandiose Fehleinschätzung. Die hier zur Diskussion stehenden Maßnahmen
stehen im Kontext einer Politik der Bundesregierung,
die unten kürzt und drangsaliert und oben verteilt und
tätschelt. Während Vermögende geschont werden, werden insbesondere mit den Kürzungen bei der Arbeitsförderung die Zukunftsperspektiven von Hartz-IV-Betroffenen zunichte gemacht. Mit dem jüngst beschlossenen
Kürzungspaket betreiben Bundeskanzlerin Merkel und
ihr Vizekanzler Westerwelle eine Streichungspolitik in
einem Ausmaß und in einer Art und Weise, die sie nicht
einmal mehr in den eigenen Reihen als gerecht vermitteln können.
Aus der Perspektive der Linken ist das vorliegende
Gesetz jedoch weitgehend unproblematisch. Zahlreiche
einzelne Aspekte - wie ein Anhörungsrecht für die Gewerkschaften zum ELENA-Datensatz - werden geregelt,
die nicht zu kritisieren sind. Auf zwei Punkte möchte ich
genauer eingehen. Der erste Aspekt betrifft das Ziel, die
Anzahl der Berufsgenossenschaften zu verringern. In
der Tat gilt es, die Struktur der Berufsgenossenschaften
zu erneuern. Die Vorgabe von Fristen für die Fusion einiger Berufsgenossenschaften entspricht den Plänen des
Unfallversicherungsmodernisierungsgesetzes. Die Fristen waren insofern allen Beteiligten rechtzeitig bekannt.
Mit dem Änderungsantrag der Regierungskoalition ist
nunmehr einer Zwangsvereinigung durch das Bundesversicherungsamt der Weg geebnet worden. Hier ist jetzt
von allen Seiten darauf hinzuwirken, dass mit einer
rechtzeitigen Vorlage von Vereinigungsbeschlüssen
keine Zwangsmaßnahmen greifen.
Der Grund, warum die Linke nicht zustimmen wird,
geht auf eine von vielen Fehlentscheidungen zurück, die
die Große Koalition aus CDU/CSU und SPD getroffen
hat. Diese Fehlentscheidung trägt den Namen „Gesetz
zur Stärkung des Wettbewerbs in der gesetzlichen Krankenversicherung, GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz GKV-WSG“. Das GKV-WSG war und ist in toto falsch.
Dazu hat Gregor Gysi in den damaligen Beratungen alles gesagt, was nötig ist. Mit dem GKV-WSG führte die
Union unter Angela Merkel bei tätiger Mithilfe der SPD
unter Franz Müntefering eine Regelung zu zentralen
Weiterleitungsstellen ein, die zum 1. Januar 2011 in
Kraft treten sollte. Die Vorstellung „einer Beitragseinzugsstelle“ für alle Sozialversicherungsbeiträge stand
bei dieser Regelung Pate - egal bei welchen Kassen die
Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen versichert sind.
Der Vorteil für die Arbeitgeber und Arbeitgeberinnen
liegt scheinbar auf der Hand. Unabhängig von der
Krankenkasse könnten Arbeitgeber sich fortan an eine
Stelle wenden, wenn denn die Weiterleitungsstellen im
gesamten Umfang die Aufgaben der vielzähligen Einzugsstellen übernähmen. Das ist jedoch nicht der Fall.
Die Bundesvereinigung der Arbeitgeberverbände, BDA,
erklärt nunmehr ebenso wie die Krankenkassen, dass die
Weiterleitungsstellen überflüssig sind und lediglich zusätzliche Bürokratie schaffen.
Wir Linken sagen: Statt die endgültige Entscheidung
nur um ein Jahr aufzuschieben, wie die Bundesregierung
dies plant, sollte die Einführung von Weiterleitungsstellen schlicht und einfach gestrichen werden.
Am 20. Mai habe in der ersten Lesung zu diesem Gesetzentwurf festgestellt, dass es gut und notwendig ist,
dass man sich neben der Rettung der Finanzmärkte vor
Spekulanten und Scharlatanen auch einmal wieder der
Fortentwicklung der Sozialversicherungssysteme widmet. Das war da richtig. Heute muss ich sagen, ich bin
froh, dass sich diese schwarz-gelbe Koalition überhaupt
mal wieder den politischen Inhalten widmet und nicht
„Wildsäue“ und „Gurkentruppen“ durch den Blätterwald treibt; denn um die armen Säue und die wohlschmeckenden Gurken, mit denen da Vergleiche angestellt werden, tut es einem ja schon leid.
Zur Sache: Die Anpassungen in diesem Gesetz, die
redaktioneller Natur sind und großteils auf Anmerkungen von Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden zurückgehen, sind notwendig und vollziehen häufig einfach nur das nach, was durch Gesetzgebung andernorts
notwendigerweise nachvollzogen werden muss. Die
Bundesregierungen haben in den letzten Jahren zur Verbesserung der Risikostruktur, zur besseren Verteilung
von Altlasten und aus Kostengründen die Fusion unterschiedlicher Berufsgenossenschaften auf freiwilliger
Basis vorangetrieben. Viele sinnvolle Fusionen sind auf
freiwilliger Basis erfolgt. Das ist begrüßenswert und erspart uns eine Menge Bürokratie. Allerdings hat es mit
der Fusion noch nicht überall geklappt. Das Fleischereihandwerk, Nahrung und Gaststätten, aber auch Holz,
Metall, Hütten- und Walzwerke haben noch nicht fusioniert. Das soll aber jetzt erfolgen. Deshalb bestimmt der
Gesetzentwurf nun eine Frist, innerhalb derer die Fusionen erfolgt sein sollen. Allerdings bleibt der Vorrang der
Selbstverwaltung in der Unfallversicherung generell garantiert, und ich bin sicher, dass die Selbstverwaltung
sachgerechte Lösungen zur Verteilung von fusionsbedingten Härten und Anpassungsnotwendigkeiten finden
wird.
Datenschutz ist ein hohes Gut, gerade Sozialdatenschutz. Denn es geht hier nicht um Daten, die freiwillig
weitergegeben werden. Vielmehr handelt es sich um solche Daten, die durch die Eingehung eines Arbeitsverhältnisses als Arbeitnehmer anfallen. Deshalb muss hier
eine besondere Sorgfaltspflicht gelten. Die Übertragung
allgemeiner datenschutzrechtlicher Grundsätze in den
Sozialdatenschutz ist zu begrüßen. Inwieweit allerdings
Zu Protokoll gegebene Reden
die Beschränkungen sinnvoll sind, ist fraglich. Der
Schutz der Informationspflicht sollte sich jedenfalls
auch erstrecken auf erstens Berufsgeheimnisse, zweitens
auf Daten, die sich auf Ordnungswidrigkeiten beziehen,
und drittens auf Daten zu Bankkonten und Kreditkartendaten, sofern sie erhoben werden. Zwar wollen wir
Grüne die Hofabgabe als Rentenvoraussetzung komplett
abschaffen. Allerdings bedeuten die Vorschläge des
Bauernverbands auf Drucksache 17/1684 fast alle einen
Schritt in die richtige Richtung und können somit mitgetragen werden. Kleine landwirtschaftliche Betriebe werden nämlich jetzt zur Stilllegung gezwungen, weil ein
Landwirt seine Altersrente nur bekommt, wenn er den eigenen Bauernhof nicht mehr selbst bewirtschaftet.
Es ist gut und richtig, dass wir hier und heute Verbesserungen an unserem sozialen Sicherungssystem vornehmen. Denn dadurch, dass wir es immer wieder der
Zeit anpassen, es sozusagen warten wie eine Maschine,
die gut geölt werden muss, machen wir es sogar zu einem internationalen Exportschlager, der auch Krisen
aushält.
Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuss für
Arbeit und Soziales empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/2169, den Gesetzentwurf der
Bundesregierung auf Drucksache 17/1684 in der Ausschussfassung anzunehmen. Wir kommen zunächst zur
Abstimmung über den Änderungsantrag der Abgeordneten Max Straubinger und Dr. Heinrich Kolb auf Drucksache 17/2191. Wer stimmt für den Änderungsantrag? Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist angenommen. Zugestimmt haben CDU/
CSU, FDP und Linke. Dagegen hat niemand gestimmt.
SPD und Bündnis 90/Die Grünen haben sich enthalten.
Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der
Ausschussfassung und mit der eben beschlossenen Änderung zustimmen wollen, sich zu erheben. - Wer ist dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist in
dritter Beratung angenommen, nachdem wir die zweite
Beratung nur mental durchgeführt haben. - Zugestimmt
haben CDU/CSU, FDP und Bündnis 90/Die Grünen. Gegenstimmen gab es nicht. Enthalten haben sich SPD und
Linke.
Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 23 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Caren
Lay, Herbert Behrens, Dr. Ilja Seifert, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE
Fluggastrechte stärken
- Drucksache 17/2021 Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss ({0})
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz ({1})
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Ausschuss für Tourismus
Federführung strittig
Wie in der Tagesordnung ausgewiesen, werden die
Reden von Marco Wanderwitz, Lucia Puttrich,
Marianne Schieder, Heinz Paula, Marco Buschmann,
Caren Lay und Markus Tressel zu Protokoll genommen.
Die isländische Aschewolke hat vielen auf den Flughäfen dieser Welt gestrandeten Reisenden nicht nur viel
immateriellen Ärger beschert, sondern auch Geld gekostet. Höhere Gewalt aber kennt keinen Schuldigen. Die
PDS sucht dennoch einen. Diese Hybris muss misslingen.
Fluggastrechte sind im europäischen Gemeinschaftsrecht bereits in erheblichem Umfang geregelt. Die Fortschreibung hat sich die Koalition auf ihre Fahnen
geschrieben. Wer die bestehenden Verordnungen überblickt, wird aber feststellen, dass es für den Großteil der
heute zu diskutierenden Forderungen an der Notwendigkeit einer weitergehenden Regelung fehlt.
Die Verordnung 1008/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 28. September 2008 hat die gemeinsamen Vorschriften 2407, 2408, 2409/1992 über
den Zugang und die Durchführung von Luftverkehrsdiensten in der Gemeinschaft bereits neu gefasst und erheblich verschärft. Mit der Verordnung wurden die
Durchgriffsrechte der Behörden gestärkt, die Europäische Kommission kann zudem nationale Behörden zur
Überprüfung einzelner Fluggesellschaften auffordern.
Die nationalen Handlungsspielräume sind umfangreich genutzt. Wer in Deutschland fliegen möchte, benötigt eine Betriebsgenehmigung. Von der deutschen Luftfahrtbehörde werden solche Genehmigungen nur
denjenigen Fluglinien erteilt, die einen regelmäßigen
Nachweis der aktuellen und künftigen Finanzlage sowie
Geschäftstätigkeit erbringen. In Deutschland beispielsweise haben diese verschärften Regelungen bereits
Früchte getragen. Im Frühjahr 2009 wurde einer Fluggesellschaft vom Luftfahrt-Bundesamt die Betriebsgenehmigung erst nach Erbringung bestimmter Sicherheiten wieder erteilt. Dadurch konnte eine kurzfristige
Insolvenz ausgeschlossen bzw. abgesichert werden.
Wie von den Antragstellern selbst vorgetragen, waren
von November 2005 bis September 2008 29 Fluggesellschaften von Insolvenz betroffen. Diese lagen aber eben
vor der Verschärfung der Verordnung. Die Regelungen
sind demnach dem Grunde nach vorhanden. Entscheidend ist es, für eine einheitliche und konsequente
Anwendung der Verordnung in den Mitgliedstaaten als
Absicherungsregelung zu sorgen. Dies ist unser vorrangiges Bestreben.
Eine dennoch nicht komplett auszuschließende Insolvenz von Reiseanbietern und speziell Fluggesellschaften
durch europäische Fondslösungen oder Versicherungspflichten zum Schutz der Verbraucher abzusichern, ist
grundsätzlich überlegenswert, jedoch belasten solche
Instrumente in erster Linie europäische bzw. deutsche
Fluglinien und provozieren damit globale Wettbewerbsverzerrungen. Außereuropäische Fluggesellschaften
hätten mangels einer Kostenbelastung einen Vorteil,
könnten mit preiswerteren Angeboten den europäischen
Verbraucher locken. Die damit einhergehende Gefahr,
Fluglinien zu nutzen, die nicht der Betriebs- und Finanzaufsicht der europäischen Luftfahrtbehörde gemäß der
Verordnung 1008/2008 unterliegen, konterkariert die
Forderung nach verstärktem Verbraucherschutz.
Grundsätzlich besteht auch keine besondere Notwendigkeit für solch eine umfassende Insolvenzabsicherung
zugunsten Individualreisender. Wo der Pauschalreisende mangels Vertragsbeziehungen zu Hotel und Fluggesellschaft vor deren Insolvenz geschützt werden soll,
hat der Individualreisende doch seinen unmittelbaren
Anspruch und zudem im Vorhinein die Möglichkeit, sich
den Vertragspartner selbst auszusuchen. Als mündiger
Verbraucher hat er aber auch gleichzeitig die Pflicht,
sich vorher ausreichend über die Seriosität und Liquidität seines individuellen Vertragspartners zu informieren.
Einer Absicherung der gesamten Leistungskette vor einer Insolvenz des Mittlers wie im Pauschalreiserecht bedarf es daher nicht.
Dennoch sehen wir längerfristig eine weitere Harmonisierung von Individual- und Pauschalreisen gerade aus Einheitlichkeitsgründen der Rechtsordnung
als erstrebenswert. Der in einer Insolvenzabsicherung
auch bei Pauschalreisen bislang nicht erfasste Rückbeförderungsanspruch steht zur Prüfung. Während wir
auch hier zunächst eine konsequente Umsetzung und
einheitliche Interpretation der bestehenden Regelungen
in den jeweiligen Mitgliedsländern vorantreiben wollen, gleichzeitig die Mündigkeit der Bürger zur Informationsbeschaffung einfordern, erwarten wir natürlich
auch eine verbraucherfreundliche Mitwirkung der Fluggesellschaften. Das beginnt und endet nicht mit der aktiven Teilnahme an der verkehrsträgerübergreifenden
Schlichtungsstelle. Notfalls werden wir die Fluggesellschaften verpflichten müssen.
Die Fluggastrechte insgesamt sind umfangreich ausgestaltet, jedenfalls nicht offensichtlich unzureichend.
Der EuGH hat diese mit seinem Urteil vom 19. November 2009 weiter gestärkt, indem er bei Verspätungen von
drei oder mehr Stunden einen Anspruch auf Zahlung einer Ausgleichsleistung gewährt. Damit hat er diese Fluggäste denjenigen gleich stellt, die von einer Annullierung
oder Nichtbeförderung betroffen sind und nach der Verordnung 261/2004 ausdrücklich Anspruch auf Ausgleichsleistungen in Höhe von - je nach Flugdistanz 250 bis 600 Euro haben.
Es ist letztlich alles hier keine Frage der Rechtssicherheit oder der fehlenden Regelungen, sondern vielmehr eine der Informationsverschaffung und damit der
Umsetzung bestehender Regelungen. Damit sind einerseits die Fluglinien gemeint, denen es schlichtweg an
Verantwortungsbewusstsein fehlt, wie nicht nur das Beispiel Schlichtungsstelle aufzeigt. Artikel 14 der Verordnung 261/2004 vom 11. Februar 2004 regelt nämlich
bereits einige der hier geforderten Punkte der Informationspflichten, es fehlt nur hier und da an der Umsetzung.
Wer nun - und damit möchte ich auf den Anfang meiner Rede zurückkommen - allerdings Opfer eines Naturereignisses geworden ist und mit den Mehrkosten eines
Zwangsurlaubes konfrontiert ist, der wird keinen Schuldigen finden, auch nicht mithilfe der PDS. Die rechtliche
Lage ist angesichts des Verschuldensprinzips des Schadensersatzrechts eineindeutig. Ohne Verschulden kein
Anspruch. Wenn „ein von außen kommendes und keinen
betrieblichen Zusammenhang aufweisendes, nicht vorhersehbares, auch durch die äußerste vernünftigerweise
zu erwartende Sorgfalt nicht abwendbares Ereignis“
eintritt, trifft schon denklogisch schlichtweg niemanden
ein Verschulden. Da die PDS am Pauschalreiserecht Gefallen zu finden scheint, möchte ich Ihnen die Lektüre
des § 651 j Abs. 2 Satz 3 BGB empfehlen. Den Fluggesellschaften das alleinige Risiko und die Kosten aufbürden zu wollen, ist absurd. Eine solche Vollkaskomentalität letztlich zu Lasten der Allgemeinheit, wie sie
offensichtlich von der PDS gedacht wird, wird es in unserem Rechtssystem nicht geben.
Ein zentrales Thema des Verbraucherschutzes sind die
Fluggastrechte. Mit steigender Mobilität der Bürgerinnen und Bürger war es konsequent und richtig, die
Rechte der Fluggäste stetig auszubauen; denn ob Vulkanasche, Streiks oder technische Probleme - Flugverspätungen oder Flugausfälle sind unvermeidbar. Aus
diesem Grund gibt es von der EU und Deutschland klar
beschriebene Fluggastrechte. Denn Mobilität ist eine
Schlüsselfunktion unserer Gesellschaft.
Schon heute gilt: Die Fluggesellschaften müssen jederzeit ihrer Pflicht nachkommen und die Fluggastrechte einhalten. Sie, werte Kolleginnen und Kollegen
von der Linken, haben nun einen Antrag vorgelegt, der
sich mit der „Stärkung der Fluggastrechte“ befasst.
Nur leider stellt Ihr Antrag einen Katalog überzogener
Forderungen dar. Die Rechte der Fahr- und Fluggäste
sind uns in der Union bereits seit langem ein zentrales
Anliegen und wurden von uns - auch auf europäischer
Ebene - massiv vorangetrieben. Unser Ziel, die Rechte
von Fluggästen zu überprüfen und dort, wo es nötig ist,
zu verbessern, haben wir daher auch im Koalitionsvertrag festgehalten, mit Blick für das Machbare wohlgemerkt.
Bereits heute gelten klar beschriebene Fluggastrechte: 2005 ist die EU-Fahrgastrechteregelung in Kraft
getreten. Wer stundenlang am Flughafen warten muss,
hat seitdem Anspruch auf Verpflegung und Unterkunft.
Auch wurde hier bereits geregelt, dass Fluggäste bei
Nichtbeförderung oder bei Annullierung die Betreuung
der Fluggäste, das Angebot einer anderweitigen Beförderung und Ausgleichszahlungen bis zu 600 Euro erhalten können. Auch ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs von November 2009 stärkt die Fluggastrechte:
Künftig werden erhebliche Verspätungen den Annullierungen gleichgesetzt. Somit können auch hier gegebenenfalls Ausgleichszahlungen fällig werden. Auch technische Probleme entbinden übrigens nicht mehr von
einer Ausgleichzahlung. Darüber hinaus sprach sich der
Bundesgerichtshof im März dieses Jahres in einem Urteil dafür aus, dass Fluggesellschaften ihren Fluggästen
nicht mehr vorschreiben dürfen, ob und in welcher Reihenfolge sie ihre Flüge antreten. Das heißt: Flugtickets
bleiben auch dann gültig, wenn der Reisende den HinZu Protokoll gegebene Reden
flug oder eine Teilstrecke nicht antritt. Sie sehen, die
Fluggastrechte sind auf einem guten Weg. Dennoch gilt
es weiterhin, die Rechte der Verbraucherinnen und Verbraucher im Flugverkehr beständig voranzubringen.
Sie, werte Kolleginnen und Kollegen von der Linken,
helfen mit Ihrem Antrag wenig weiter; denn er schießt
weit über das Ziel hinaus. Sie fordern, Fluggäste gegen
die Insolvenz von Fluggesellschaften per Versicherung
abzusichern. Auch schlagen Sie vor, einen Fonds zur
Rückabsicherung für Fluggäste einzurichten. Einen
Rechtsanspruch auf Rückbeförderung gesetzlich zu verankern, ist praxisfern, ein Fonds nicht zielführend. Mein
Kollege Marco Wanderwitz hat in seiner Rede schon
hinreichend darauf hingewiesen.
Sie fordern, die Beteiligung von Fluggesellschaften
an der Schlichtungsstelle gesetzlich festzuschreiben.
Dazu kann ich nur sagen: Guten Morgen, auch schon
wach. Es stimmt, dass der Handlungsbedarf besonders
im Bereich der Schlichtung gegeben ist. Bereits in unserem Koalitionsvertrag fordern wir daher richtigerweise:
Die Einrichtung einer unabhängigen, übergreifenden Schlichtungsstelle für die Verkehrsträger Bus,
Bahn, Flug und Schiff wird gesetzlich verankert.
Die Schlichtungsstelle öffentlicher Personenverkehr,
söp, hat am 1. Dezember 2009 ihre Arbeit aufgenommen. Der Verein, der von den beteiligten Verkehrsträgern finanziert wird, leistet gute Arbeit. Derzeit beteiligen sich acht Unternehmen an der Schlichtung, wobei
der Großteil der Finanzierung durch die Deutsche Bahn
AG erbracht wird.
Leider sind die Fluggesellschaften nach wie vor nicht
bereit, sich an einer freiwilligen Schlichtung zu beteiligen. Die Fluggesellschaften verweisen bei Beschwerdefällen gerne auf das Luftfahrt-Bundesamt als zuständige
Beschwerdestelle.
Das Luftfahrt-Bundesamt ist jedoch nicht ermächtigt,
etwaige zivilrechtliche Ansprüche des Fluggastes wie
beispielsweise Ausgleichs- und Erstattungsleistungen
oder Schadensersatz durchzusetzen. Im Gegenteil:
Durch das Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom
November 2009 ist eine weitere Zunahme zivilrechtlicher Streitigkeiten um Entschädigungsansprüche zu erwarten. Es liegt nun an den Fluggesellschaften, sich aktiv an der Schlichtungsstelle zu beteiligen. Geschieht
dies nicht, werden wir die Fluggesellschaften zeitnah
dazu verpflichten.
Das Anliegen von Bundesverbraucherministerin Ilse
Aigner, die Schlichtungsstelle als verkehrsträgerübergreifende Institution gesetzlich zu verankern, unterstützen wir daher nachdrücklich. Denn diese schnelle
nationale Lösung ist richtig und realisierbar. Außergerichtliche Streitschlichtungen sind absolut Gerichtsverfahren vorzuziehen. Sie, werte Kolleginnen und Kollegen von den Linken, schießen aber auch hier wieder
über das Ziel hinaus: Sie fordern, die Streitschlichtung
durch Gebühren der Fluggesellschaften zu finanzieren.
Höhere Ticketpreise wären die Folge. Das widerspricht
jedoch unserem Grundsatz, dass Mobilität für die Verbraucherinnen und Verbraucher auch bezahlbar bleiben
muss.
Schließlich schreiben Sie in Ihrem Antrag, dass die
Fluggesellschaften ihren Fluggästen den Erhalt klar erkennbarer Informationen über deren Rechte am Schalter
und auf jedem Ticket garantieren. Sie hätten es am liebsten, dass Informationen über Schadensersatzansprüche
und Ausgleichsleistungen beim Buchungsvorgang an die
Fluggäste ausgehändigt werden. Solche bürokratischen
Informationsfluten haben keinerlei Mehrwert für den
Verbraucher. Das sind Forderungen, die weder verbraucherfreundlich noch zu Ende gedacht sind.
Die christlich-liberale Koalition ist bei den Fluggastrechten auf dem richtigen Weg. Wir wollen die außergerichtliche Streitbeilegung im öffentlichen Personenverkehr voranbringen. Das geht jedoch nur zusammen mit
den Fluggesellschaften und nicht ohne sie. Wir sind deshalb entschlossen, im Interesse des Verbraucherschutzes und der Wettbewerbsgleichheit der Verkehrsträger
für jeden Fahr- und Fluggast den Zugang zu einem
Schlichtungsverfahren notfalls durch eine entsprechende Mitwirkungspflicht der Verkehrsunternehmen
sicherzustellen. Denn unterschiedliche Anlaufstellen im
Verkehrsbereich sind für die Verbraucherinnen und Verbraucher nicht nachvollziehbar.
Für die Verbraucherpolitiker der CDU/CSU-Bundestagsfraktion steht fest: Wer in Deutschland startet oder
landet, muss sich an unsere Standards halten. Dies gilt
auch für Billigflieger. Sicherlich: Manche Fluggesellschaften agieren vorbildlich und andere machen von alleine gar nichts. Aber es ist doch zu einfach gedacht,
wieder einmal nur nach dem alles regelnden Staat zu rufen. Wir in der Union gestehen den Verbraucherinnen
und Verbrauchern zu, proaktiv ihre Rechte einzufordern.
Wir gehen von einem mündigen Verbraucher aus. Ein
Verbraucher, der gut informiert ist, kann selbstbestimmt
handeln. Wir stehen für Transparenz, Aufklärung und
Rechtsdurchsetzung - und wo nötig, auch mehr Rechte -,
ohne gleich die gesetzliche Regelungswut die Oberhand
gewinnen zu lassen. Bürokratische Ungetüme haben
beim Verbraucherschutz nichts zu suchen. Fahrgastrechte sind für die Verbraucher nur dann von Nutzen,
wenn sie durchgesetzt werden können. Unerreichbare
Luftschlösser sind wenig hilfreich. Deshalb lehnen wir
den Antrag der Linken ab.
Wir haben im letzten Jahr nach langen und intensiven
Diskussionen die Rechte von Bahnkunden gestärkt. Wir
haben dafür gesorgt, dass Kundinnen und Kunden der
Bahn auf klar geregelte Fahrgastrechte bauen können
und nicht mehr als Bittstellerinnen und Bittsteller auf
die Kulanz der Bahn hoffen müssen.
Bereits seit Februar 2005 ist die EU-FluggastrechteVerordnung 261/2004 in Kraft. Auf dieser Grundlage
könnten die Fluggäste ihre Rechtsansprüche gegenüber
den Fluggesellschaften geltend machen. Eigentlich! Seit
Jahren zeigt sich aber, dass die Fluggesellschaften mit
allen möglichen Tricks versuchen, sich um die Zahlungsverpflichtungen zu drücken. Aktuellstes Beispiel ist
Zu Protokoll gegebene Reden
Marianne Schieder ({0})
natürlich der Vulkanausbruch in Island und die damit
einhergehenden Einschränkungen und massiven Probleme, gegen die Fluggäste anzukämpfen hatten.
Zwar haben die meisten Fluggesellschaften auf ihren
Internetseiten Hinweise und Möglichkeiten der kostenlosen Stornierung und Umbuchung von Flügen aufgezeigt. Doch nutzte dies den vielen Passagieren, die auf
europäischen Flughäfen festsaßen, nichts. Auch das Krisenmanagement der Bundesregierung ließ viel zu wünschen übrig, um nicht zu sagen: Es war katastrophal.
Dass sich in vielen Fällen auch die Deutschen Botschaften nicht für zuständig erklärten, ist bis heute nicht
nachvollziehbar.
Von daher geht der Antrag der Fraktion Die Linke in
die richtige Richtung. Allerdings macht sie wieder mal
den zweiten vor dem ersten Schritt.
Die SPD-Bundestagsfraktion hat einen 27 Punkte
umfassenden Fragenkatalog erarbeitet, in dem die Bundesregierung Stellung nehmen muss zum ungenügenden
Krisenmanagement und der mangelhaften Umsetzung
von Passagierrechten. Wir werden die Antworten genau
prüfen und daraus die notwendigen Forderungen ableiten. Das ist die richtige Vorgehensweise, sehr geehrte
Kolleginnen und Kollegen der Fraktion Die Linke.
Das Europäische Parlament hat in seiner Entschließung vom 25. November 2009 zur Entschädigung von
Fluggästen im Falle einer Insolvenz der Fluggesellschaft der Kommission entsprechende Vorschläge unterbreitet. Die Kommission ist darin aufgefordert, einen
Legislativvorschlag vorzulegen. Wir setzen voraus, dass
hier die Bundesregierung im Sinne der Verbraucherinnen und Verbraucher verhandelt.
Meine Fraktion wird, wie auch bei der Fluggastrechte-Verordnung, die derzeit in der EU auf dem Prüfstand steht, die Verhandlungsergebnisse analysieren und
den Handlungsbedarf prüfen.
Eine Schlichtungsstelle ist wichtig und notwendig,
eine Beteiligung der Luftverkehrsunternehmen ebenso.
Es würde ihnen die Chance eröffnen, ihr Verhältnis zu
ihren Kundinnen und Kunden zu verbessern, neues Vertrauen aufzubauen und damit den entstandenen Imageschaden zu heilen. Dies gilt vor allem mit Blick auf
diejenigen Airlines, die bis heute über kein Beschwerdemanagement verfügen und deren Ziel bisher nur die Abwehr von Verbraucheransprüchen ist.
Um es ganz klar zu sagen: Schlichtung ersetzt nicht
das Beschwerdemanagement bei den Verkehrsunternehmen. Schlichtung stellt vielmehr eine unverzichtbare Ergänzung zu einem guten Beschwerdemanagement dar.
Zuständiger Ansprechpartner für Beschwerden von
Fluggästen ist das Luftfahrt-Bundesamt in Braunschweig. Ihm obliegt es allerdings nicht, den Verbraucherinnen und Verbrauchern bei der Durchsetzung ihrer
privatrechtlichen Ansprüche behilflich zu sein, das ist
Aufgabe der Zivilgerichte.
Die Informationspflicht der Fluggesellschaften ist
klar in Art. 14 der EU-Verordnung geregelt:
Das ausführende Luftfahrtunternehmen stellt sicher, dass bei der Abfertigung ein klar lesbarer
Hinweis mit folgendem Wortlaut für die Fluggäste
deutlich sichtbar angebracht wird: „Wenn Ihnen
die Beförderung verweigert wird oder wenn Ihr
Flug annulliert wird oder um mindestens zwei Stunden verspätet ist, verlangen Sie am Abfertigungsschalter oder am Flugsteig schriftliche Auskunft
über ihre Rechte, insbesondere über Ausgleichsund Unterstützungsleistungen.“
Der Bundesregierung sind seit langem Verstöße gegen Art. 14 der Verordnung bekannt. Ich fordere sie deshalb auf, endlich entsprechende ordnungsrechtliche
Maßnahmen zu ergreifen.
Seit dem Ausbruch des Eyjafjallajökull sind die Fluggastrechte wieder in aller Munde. Medienberichten zufolge wurden aufgrund des Flugverbotes 95 000 Flüge
gestrichen; 10 Millionen Passagiere konnten ihren ursprünglich gebuchten Flug nicht antreten. Es herrschte
Chaos auf europäischen und internationalen Flughäfen.
Gestrandete Passagiere in Übersee mussten auf die
Freigabe des europäischen Luftraumes warten und waren ungenügend informiert. Keiner wusste zunächst,
wann und wie es weitergeht.
Es herrschte auch Unklarheit darüber, ob die geltende EU-Verordnung für Fluggastrechte aus dem
Jahre 2004 auch einen Anspruch der Passagiere bei
Annullierung der Flüge durch Naturkatastrophen bzw.
höhere Gewalt abdeckt. Herr Kallas, EU-Kommissar
für Verkehr, hat jedoch ziemlich schnell klargestellt,
dass jeder Reisende das Recht hat, das Geld für den
ausgefallenen Flug erstattet zu bekommen. Dies gelte,
so der Kommissar, ohne Ausnahme für Flüge mit allen
europäischen Airlines und für alle Flüge mit „ausländischen“ Airlines, wenn die ausgefallenen Verbindungen in der Europäischen Union hätte starten sollen.
Das Chaos auf den Flughäfen hat jedoch trotz der raschen Klarstellung auf EU-Ebene Defizite sowohl bei
den Fluggastrechten als auch in der Informationspolitik
der Fluggesellschaften und der Bundesregierung offenbart. Es blieben und bleiben zahlreiche Fragen offen:
Wer zahlt die Kosten, die durch einen verlängerten Aufenthalt entstanden sind? Sind die Passagiere ausreichend über ihre Rechte informiert, wie es die europäische Fluggastverordnung vorschreibt? Was hat die
Bundesregierung getan, um die gestrandeten Passagiere
zu informieren? Gab es Probleme bei der Umbuchung?
Haben die Fluggesellschaften sich ihren Pflichten gemäß verhalten? Fragen zur Schlichtungsstelle und zu
den Beschwerdeeingängen beim Luftfahrt-Bundesamt,
zu den Leistungen der Fluggesellschaften bei Naturkatastrophen schließen sich an. All diese Fragen haben
wir - ungefähr zeitgleich mit dem vorliegenden Antrag in einer Kleinen Anfrage an die Bundesregierung gerichtet. Wir sind gespannt auf die Antworten.
Eines jedoch können wir jetzt schon sagen: Das Krisenmanagement der Bundesregierung war mangelhaft.
Auf der Grundlage dieser neuen und aktuellen Daten
Zu Protokoll gegebene Reden
werden wir dann die entsprechenden Handlungsschritte
einleiten. Besonders in der Frage der Beteiligung der
Fluggesellschaften an der Schlichtungsstelle herrscht
dringender Handlungsbedarf.
Ihr Antrag greift viele wichtige Punkte auf, Punkte,
die auch in unserer Fraktion als problematisch erkannt
werden. Insolvenzabsicherung, Benachteiligung der Individualreisenden bei Flugausfällen aufgrund von Insolvenz und Naturkatastrophen, mangelnde Information
der Fluggesellschaften über ihre Rechte - dies sind nur
einige davon. Auch hinsichtlich der Beteiligung der
Fluggesellschaften an der Schlichtungsstelle sehen wir,
wie erwähnt, Handlungsbedarf. Eine gesetzliche Festschreibung allerdings muss aus rechtlicher Sicht unangreifbar und wasserdicht sein. Dies muss sehr genau geprüft werden. Erst dann können wir über das weitere
Vorgehen entscheiden und fundierte Forderungen stellen. Daher lehnen wir Ihren Antrag in vorliegender
Form ab.
Der Verbraucherschutz ist ein wichtiges Anliegen der
FDP. Das hat erst jüngst wieder mein ausgezeichneter
Kollege Professor Schweickert mit seinem Konzept gegen Abzocke bei Telefonwarteschleifen gezeigt. Liberale
Verbraucherpolitik setzt auf eine Stärkung des Verbrauchers im Markt. Unser Leitbild ist der gut informierte
und mündige Verbraucher.
Auch die Stärkung von Rechten der Fluggäste hat die
FDP stets im Blick: Denken Sie nur an unseren Antrag
vom 13. Mai 2009 mit dem Titel „Rechte der Fluggäste
stärken“. Im Ziel sind wir uns hier im Hause also weitgehend einig. Nur unterschiedliche Wege sind es, die wir
beschreiten wollen.
Die Fraktion Die Linke bemängelt in ihrem Antrag
etwa die unzureichenden Möglichkeiten einer außergerichtlichen Streitschlichtung. Daran muss man uns nicht
erinnern. Denn wir waren hier Vorreiter: Im Koalitionsvertrag legte die christlich-liberale Koalition die Einrichtung einer unabhängigen, übergreifenden Schlichtungsstelle für die Verkehrsträger Bus, Bahn, Flugzeug
und Schiff fest. Bereits am 1. Dezember 2009 hat die
„Schlichtungsstelle für den öffentlichen Personenverkehr e. V.“ ihre Arbeit aufgenommen. Sie ist eine unabhängige Einrichtung der Unternehmen des öffentlichen
Verkehrs in Deutschland zur Schlichtung von Streitigkeiten im Zusammenhang mit Beförderungsverträgen. Die
Schlichtung wird allen Kunden von Unternehmen im
Bahn-, Bus-, Flug- und Schiffsverkehr angeboten, die
sich an dem Schlichtungsverfahren beteiligen. Die Koalition hat hier schnell und entschieden gehandelt.
Zwar ist es richtig, dass sich Luftverkehrsunternehmen bisher noch nicht an dieser neuen Schlichtung beteiligen. Gleichwohl war die Bundesregierung bereits
aktiv: Die Luftfahrtgesellschaften sind nun durch das
Bundesministerium der Justiz angehalten worden, sich
in einer Arbeitsgruppe zu treffen, um einen Modus zur
Beteiligung an der Schlichtung zu finden. Ein erstes
Treffen dieser Arbeitsgruppe wird noch vor der Sommerpause stattfinden. Neben den Fluggesellschaften werden
auch das Bundesministerium der Justiz und das Bundesministerium für Verbraucherschutz in der Arbeitsgruppe
vertreten sein.
Wie im Koalitionsvertrag festgeschrieben, werden die
Rechte von Fluggästen laufend evaluiert und gegebenenfalls verbessert. In einem ersten Schritt wurde erst
vor wenigen Monaten das freiwillige Instrument der
„Schlichtungsstelle für den öffentlichen Personenverkehr e. V.“ eingerichtet. Man sollte also der „Schlichtungsstelle für den öffentlichen Personenverkehr e. V.“
schon noch die Chance geben, sich zu entwickeln, bevor
man voreilig nach weiterer staatlicher Regulierung ruft,
wie es die Linke auch in diesem Antrag wieder einmal
macht.
Auch in diesem Sommer buchen Verbraucherinnen
und Verbraucher ihre Reisen zunehmend über das Internet. Doch anders als Pauschalreisende bleiben sie auf
den Kosten sitzen, wenn die Fluggesellschaft in die Insolvenz schlittert. Der Grund ist die uneinheitliche
Rechtslage bei Pauschalreisenden einerseits und im
Flugverkehr andererseits. In Streitfällen haben Fluggäste ebenfalls schlechte Karten. Zusätzliche Gebühren,
horrende Umbuchungskosten oder verweigerter Schadensersatz bei Ausfällen - es gibt viele Gründe, sich
über Fluggesellschaften zu ärgern. Allerdings birgt der
Rechtsweg stets das Risiko unverhältnismäßiger Kosten.
Aber die Möglichkeit der außergerichtlichen Streitschlichtung bleibt Flugpassagieren verwehrt; denn die
Beteiligung an der „Schlichtungsstelle für den öffentlichen Personenverkehr e. V.“ ist für Fluggesellschaften
freiwillig. Das bescheidene Ergebnis: Kein einziges
Flugunternehmen ist Mitglied. Hinzu kommt: 86 Prozent
der Fluggäste erhalten von den Airlines keinerlei Hinweise über ihre Rechte. Das ergab eine Untersuchung
der Stiftung Warentest im Mai 2009. Dabei nutzen Fluggesellschaften es kräftig aus, dass Fluggäste ihre Rechte
nicht kennen.
Im Ergebnis sind Fluggäste den Fluggesellschaften
immer unterlegen. Das muss sich ändern. Die fortdauernde Wirtschaftskrise und das Flugchaos durch den
Ausbruch des isländischen Vulkans haben nicht nur das
Insolvenzrisiko für Fluggesellschaften erhöht. Es besteht auch die Gefahr, dass Ausfälle und Kosten, die den
Airlines entstehen, auf dem Rücken von Fluggästen ausgetragen werden. Die unterschiedliche Rechtslage und
Rechtsauslegung ist vielen Passagieren bereits auf die
Füße gefallen. Viele Reisende saßen wegen der Vulkanasche fest und wussten nicht, wer die zusätzlich entstandenen Kosten übernimmt, sei es für zwangsweise verlängerte Aufenthalte und Übernachtungen oder teurere alternative Rücktransporte mit Schiff oder Bahn. Deshalb
müssen wir die Rechte von Fluggästen stärken.
Die Linke fordert, alle Fluggäste wirksam gegen die
Insolvenz von Fluggesellschaften abzusichern: nicht nur
Pauschalreisende, sondern auch Individualreisende.
Eine solche Absicherung muss im Bedarfsfall natürlich
auch zahlungsfähig sein. Das kann ein Fonds gewährleisten, in den Fluggesellschaften gemeinsam einzahlen,
Zu Protokoll gegebene Reden
um im Notfall ungedeckte Ansprüche zu bedienen. Österreich hat dieses Modell erfolgreich erprobt. Leider
hat die Bundesregierung europäische Initiativen zur
besseren Insolvenzabsicherung von Flugpassagieren
bisher blockiert. Diese einseitige Blockadehaltung muss
sie überwinden - im Interesse der Verbraucherinnen und
Verbraucher.
Damit Fluggäste ihre Rechte im Zweifelsfall auch
durchsetzen können, ist eine unabhängige Schlichtungsstelle unabdingbar. Fluggesellschaften müssen sich
selbstverständlich an der Schlichtungsstelle beteiligen.
Die freiwillige Teilnahme für Flugunternehmen hat sich
als Irrweg zulasten der Flugpassagiere erwiesen.
Schließlich kann es nicht sein, dass Flugunternehmen
wichtige Informationen vor ihren Fluggästen verstecken. Wir fordern klar erkennbare und verständliche Informationen: auf jedem Ticket, beim Buchungsvorgang
am Schalter ebenso wie im Internet und im Wartebereich
auf dem Flughafen.
Die Bundesregierung muss jetzt handeln - auf nationaler Ebene und europäisch. Der Handlungsbedarf ist
offensichtlich. Jeder Aufschub, jede Blockade, jedes Zögern überlässt Fluggäste weiterhin der Willkür der Unternehmen.
Das Verkehrschaos infolge des Vulkanausbruchs des
Eyjafjallajökull in Island hat eines offenbart: Das Reiserecht in der derzeitigen Form gibt weder Verbrauchern
noch Unternehmen wirklich Klarheit über ihre Rechte.
Anders als beim Antrag der Linken sehen wir jedoch
„den“ Grund dafür in vielen nebeneinander wirkenden
gesetzlichen Regelungen. Mehr als ein halbes Dutzend
Rechtsakte sollen dem Verbraucher auf seiner Reise
Rechtssicherheit geben. Das Resultat: Der Unterschied
zwischen Pauschalreisendem und Individualreisendem
ist unzulänglich geklärt, Unternehmen flüchten teilweise
in Rechtslücken, und dem Verbraucher gelingt es häufig
nur über juristischen Beistand, an seine Rechte zu gelangen. Das darf nicht sein.
Deshalb begrüße ich die Initiative der Linken. Sowohl die Prosa als auch die Begründung sind sehr schön
zu lesen. Die Schlussfolgerungen, in die dieser Antrag
mündet, sind aber leider nicht konsequent „zu Ende“
gedacht. Vielleicht liegt das ja an dem fehlendem europäischen Verständnis, das wir gerne - als mittlerweile
wohl einzige proeuropäische Partei - ergänzen wollen.
Denn: In vielen Punkten sind wir uns einig.
Erstens. Das Insolvenz- und Folgerecht, das im Pauschalreisebereich national sehr gut geregelt ist, sollte
auch auf die Individualreisen mit dem Flugzeug ausgeweitet werden.
Zweitens. Die Schlichtungsstellen müssen ausgebaut
werden. Die Fluglinien müssen sich darin einbringen.
Eine Verweigerungshaltung ist hier nicht zu akzeptieren.
Gerade an Verkehrsknotenpunkten wie internationalen
Flughäfen und Hauptbahnhöfen sollte Personal vor Ort
sein. Denn hier ist Schlichtung - im wahrsten Sinne des
Wortes - nötig, wenn Blockadehaltung der Unternehmen
auf wütende Verbraucherinteressen stößt. Es muss gelingen, dem Verbraucher konkret zu helfen.
Drittens. Die Informationspflicht der Unternehmen
funktioniert nicht. Die Ansätze der Linken halten wir jedoch für Ergebniskosmetik. Sie packen das Problem
nicht an der Wurzel.
Viertens. Auch die einheitliche Klärung von Rechtsfragen klingt zunächst lobenswert, halten wir aber letztlich für nicht lösungsorientiert.
Lassen Sie mich eines kurz festhalten: Der Theorie
und der Rechtslage nach sind die Verbraucher gut geschützt. Das betont auch der Bundesverband der Verbraucherzentralen. Insbesondere der deutsche Rechtsrahmen mit den §§ 651 a bis m BGB ist hier
hervorzuheben. Es gibt jedoch ein Defizit in den Möglichkeiten zur Geltendmachung beziehungsweise Durchsetzung. Wir - als nationales Parlament und insbesondere die Bundesregierung - sollten in den nächsten
Monaten allerdings sehr aufmerksam sein. Bundesminister Ramsauer wirkte auf der außerordentlichen Sitzung des Europäischen Rates am 4. Mai mit dem Thema
Verbraucherrechte überfordert. Von der Kommission
wurde das als prioritäres Thema in Folge des Vulkanausbruchs genannt. Herr Ramsauer hielt es jedoch nicht
für nötig, sich zu diesem Feld zu äußern. Erstaunlich,
wenn Sie mich fragen. Denn sowohl die Fluggastrechteverordnung als auch die Pauschalreiserichtlinie werden
gerade von der Europäischen Kommission evaluiert und
vermutlich überarbeitet. Wir sind uns einig - das hat der
Tourismusausschuss gezeigt -, dass eine Vollharmonisierung der Pauschalreiserichtlinie für die deutschen
Reisenden einen erheblichen Einschnitt bedeuten
könnte. Deshalb lassen sie uns kooperieren!
Lassen sie uns gemeinsam auf die Europäische Kommission zugehen und auf europäischer Ebene eine einheitliche Regelung zum Reiserecht durchsetzen, in der
der Wust von Verordnungen in einer Regelung für den
Verbraucher klar und einfach zusammengefasst wird.
Liebe Kollegen der Koalition: Sie wollen doch entbürokratisieren. Hier können sie das zum Wohle aller tun.
Denn daran möchte ich an dieser Stelle auch noch einmal hinweisen: Wir haben es zwar zum großen Teil mit
EU-Recht zu tun, dennoch haben wir als nationales Parlament einen Handlungsspielraum, den es zu nutzen gilt,
und zwar nicht erst dann, wenn die Vorlagen fertig auf
unseren Tischen zur Abstimmung im Ausschuss sind.
An dieser Stelle möchte ich eigene Vorstellungen ergänzen. Denn was wir neben einem Schadensersatzanspruch benötigen, ist eine klare Regelung von Sanktionen bei Verstoß gegen das Gemeinschafts- oder
nationale Recht. Wie kann es sein, dass Italien Ryanair
zu einer Millionenstrafe verdonnert, in Deutschland
aber nichts dergleichen passiert? Auch kostenlose Warteschleifen bei Hotlines im Falle von außerordentlichen
Umständen sind zwingend notwendig, um den ohnehin
schon gebeutelten Verbraucher nicht noch weiter zu belasten. Auch die Haftungsgrenze für Gepäck muss angehoben, die Informationspflichten ausgebaut werden.
Und noch eines: Wir haben uns wiederholt für die Einführung einer kollektiven Rechtsdurchsetzung in Form
Zu Protokoll gegebene Reden
der Sammelklagen ausgesprochen. Gerade ein voll besetztes oder ausgebuchtes Flugzeug - aber auch ein Bus
oder eine Bahn - mit unzufriedenen Passagieren böte
dazu doch wahrlich eine gute Möglichkeit.
Es besteht Handlungsbedarf im Reiserecht. Der Verbraucher muss besser geschützt werden. Das betrifft
aber nicht nur den Flugreisenden. Es ist Zeit für eine
konzertierte Aktion. Der Antrag fügt sich dabei leider in
das Bild des gesamten Reiserechts. Viel Stückwerk mit
dem fehlenden Blick fürs große Ganze. Dafür stehen
weiterhin nur wir Grüne: Denn uns geht es um das
Ganze.
Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 17/2021 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Die Federführung ist
jedoch strittig. Die Fraktionen der CDU/CSU und der
FDP wünschen Federführung beim Rechtsausschuss.
Die Fraktion Die Linke wünscht Federführung beim
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz.
Ich lasse zuerst über den Überweisungsvorschlag der
Fraktion Die Linke abstimmen. Wer stimmt für diesen
Überweisungsvorschlag? - Wer ist dagegen? - Enthaltungen? - Damit ist dieser Überweisungsvorschlag abgelehnt. Dafür haben gestimmt die Fraktionen Bündnis 90/
Die Grünen und die Linke. Dagegen haben die anderen
Fraktionen des Hauses gestimmt.
Jetzt lasse ich über den Überweisungsvorschlag der
Fraktionen der CDU/CSU und der FDP abstimmen, also
Federführung beim Rechtsausschuss. Wer stimmt für
diesen Überweisungsvorschlag? - Gegenstimmen? Enthaltungen? - Der Überweisungsvorschlag ist angenommen. Zugestimmt haben CDU/CSU, FDP und SPD.
Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen haben dagegen
gestimmt.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 24 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr, Bau und
Stadtentwicklung ({0}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen
Wirtschafts- und Sozialausschuss und den
Ausschuss der Regionen
Aktionsplan urbane Mobilität ({1}) ({2})
KOM({3}) 490 endg.; Ratsdok. 14030/09
- Drucksachen 17/136 Nr. A.92, 17/815 Berichterstattung:
Abgeordneter Sören Bartol
Die Reden werden zu Protokoll genommen. Es handelt sich um die Reden der Kolleginnen und Kollegen
Veronika Bellmann, Sören Bartol, Oliver Luksic,
Thomas Lutze und Bettina Herlitzius.
Es ist keine Übertreibung, zu sagen, dass wir im Zeitalter der Urbanisierung leben. Dieser seit dem Beginn
der Industrialisierung andauernde Prozess hat sich in
den vergangenen Jahrzehnten noch einmal enorm beschleunigt. Während 1950 nur knapp 30 Prozent der
Weltbevölkerung in Städten lebte, sind es gegenwärtig
schon 50 Prozent. Bis 2050 wird sich der Anteil nach
Schätzungen der Vereinten Nationen auf knapp 69 Prozent weiter erhöhen. In Europa haben wir diese Marke
bereits heute überschritten. Im Jahr 2007 lebten 72 Prozent der europäischen Bevölkerung in Stadtgebieten.
Die Urbanisierung stellt Politik, Wirtschaft und Gesellschaft vor gewaltige Herausforderungen. Wie in einem Brennglas bündeln sich in den Städten die drängenden Probleme unserer Zeit: demografischer Wandel,
öffentliche Gesundheit und sozialer Zusammenhalt, Umwelt- und Klimaschutz, nachhaltiges Wirtschaftswachstum und Wettbewerbsfähigkeit.
Trotz der unbestreitbaren Schwierigkeiten, die diese
Entwicklung mit sich bringt, dürfen wir dabei nicht die
ökonomischen und ökologischen Vorteile der Urbanisierung übersehen. So lässt sich der Zugang der Menschen
zu moderner Infrastruktur in Ballungsgebieten einfacher, kostengünstiger und häufig sogar umweltschonender organisieren als in dünn besiedelten Gebieten.
Unternehmen profitieren vom guten Arbeitskräfteangebot, kürzeren Wegen und höherer Nachfrage.
Um diese Potenziale auszuschöpfen, bedarf es der
richtigen politischen Weichenstellungen - nicht zuletzt
im Bereich der urbanen Mobilität. Vor diesem Hintergrund hat die Europäische Kommission im Jahr 2007
ein Grünbuch mit dem Titel „Hin zu einer neuen Kultur
der Mobilität in der Stadt“ vorgelegt und ein öffentliches Konsultationsverfahren eingeleitet. Auf diesem
Weg konnten sich Bürger und Verbände sowie europäische Institutionen und Gremien zu den Vorschlägen äußern.
Der im September 2009 vorgelegte Aktionsplan zur
urbanen Mobilität basiert auf den eingegangenen Stellungnahmen der Beteiligten. Dass er keine konkreten
Gesetzgebungsvorschläge, also keine legislativen Maßnahmen, enthält, ist ein Gebot der Subsidiarität, auf das
ich in diesem Zusammenhang später noch einmal zurückkommen werde.
Der Aktionsplan benennt 20 Einzelmaßnahmen für
eine integrierte Stadtverkehrspolitik. Einige davon will
ich kurz ansprechen: Die Europäische Kommission will
lokale Behörden bei der Aufstellung von Plänen unterstützen, die die nachhaltige Mobilität für den Personenund Güterverkehr in städtischen und stadtnahen Gebieten zum Gegenstand haben. Sie will Informationsmaterial zur Verfügung stellen, den Austausch bewährter
Verfahren, Best Practice, unterstützen, Maßstäbe,
Benchmarks, ermitteln und Fortbildungsmaßnahmen für
Fachleute auf dem Gebiet der urbanen Mobilität fördern.
Forschungs- und Demonstrationsprojekte sollen
auch in Zukunft über das siebte Rahmenprogramm für
Forschung und technologische Entwicklung, RP7, unterstützt werden, um die Markteinführung von emissionsarmen und emissionslosen Fahrzeugen sowie von
alternativen Kraftstoffen zu erleichtern und die Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen zu verringern. Geholfen werden soll bei der Optimierung der Effizienz im Bereich Logistik, etwa zur Verbesserung der Verbindungen
zwischen dem Fernverkehr, den innerstädtischen Verbindungen und dem urbanen Güterverkehr, um die „letzte
Meile“ bei der Zustellung möglichst effizient zu gestalten.
Angeboten wird die Unterstützung in Bezug auf ITSAnwendungen, also intelligente Verkehrssysteme für die
urbane Mobilität in Ergänzung des Aktionsplans zur
Einführung intelligenter Verkehrssysteme in Europa.
Hierbei geht es beispielsweise um elektronische Ticketing- und Bezahlsysteme, Reiseinformationen, Zugangskontrolle und Nachfragemanagement sowie um die
Möglichkeiten, die sich mit dem europäischen GalileoGNSS-System eröffnen.
Eine Studie soll sich mit Verbesserungen bei der Interoperabilität von dienste- und verkehrsträgerunabhängigen Ticketing- und Bezahlsystemen befassen sowie mit
dem Einsatz sogenannter Smart Cards im Stadtverkehr.
Darüber hinaus werden weitere Studien zu einzelnen
Themen angekündigt, wie zum Beispiel eine Untersuchung zu den verschiedenen Zugangsvorschriften für
unterschiedliche Arten von Umweltzonen in der EU oder
zu urbanen Aspekten der Internalisierung externer Kosten.
Mit dem Aktionsplan zur urbanen Mobilität werden
also vor allem zwei Ziele angestrebt: Zum einen sollen
Städte, regionale und nationale Behörden Impulse und
Unterstützung bei der Entwicklung und Umsetzung von
sinnvollen Strategien für die urbane Mobilität erhalten.
Zum anderen soll die Wissensgrundlage für Entscheidungsträger auf allen Ebenen im Hinblick auf die Entwicklung und Umsetzung solcher Strategien vergrößert
werden.
Wir als CDU/CSU-Bundestagsfraktion begrüßen den
Aktionsplan, sofern die vorgeschlagenen Maßnahmen
einen echten europäischen Mehrwert aufweisen. Insbesondere die neu beigetretenen Mitglieder der Europäischen Union können von einem grenzüberschreitenden
Erfahrungs- und Informationsaustausch über bewährte
Konzepte urbaner Mobilität profitieren.
Die EU kann den nationalen Behörden einen „Werkzeugkasten“ mit bewährten Lösungen anbieten, um den
Risiken fragmentierter lokaler, regionaler und nationaler Konzepte zu begegnen. Dies sind sinnvolle Konzepte,
die unsere Unterstützung finden. Gleichzeitig halten wir
gerade im Bereich des städtischen Verkehrs zentrale Regelungen aus Brüssel für problematisch. Aus unserer
Sicht sollte sich die europäische Verkehrspolitik auf binnenmarktrelevante und grenzüberschreitende Verkehrsprojekte - wie das Transeuropäische Verkehrsnetz konzentrieren.
Zu Recht stellt die Europäische Kommission in ihrer
Mitteilung fest, dass „die urbane Mobilität vor allem in
der Verantwortung der lokalen, regionalen und nationalen Behörden liegt“. Dies entspricht im Übrigen dem
grundgesetzlich verbürgten Selbstverwaltungsrecht unserer Städte und Gemeinden.
Auf den ersten Blick wird der Aktionsplan mit seinen
Aktionsvorschlägen den Grundsätzen der Subsidiarität
und der Verhältnismäßigkeit auch gerecht. Bei näherer
Betrachtung allerdings sieht das ein wenig anders aus.
Ich will das gerne erläutern. Ein Blick in die den Aktionsplan begleitenden Dokumente zur Folgenabschätzung lässt den Eindruck entstehen, die Kommission
plane mittelfristig eben doch legislative Maßnahmen für
den Stadtverkehr. Dies gilt beispielsweise für das Thema
Umweltzonen.
Im Anhang, der die Politikoptionen auflistet, wird explizit gesagt, dass die EU ein regulatorisches Instrument
nutzen könnte, um die Regeln zur Zulassung und Identifikation von Fahrzeugen in Umweltzonen zu harmonisieren. Gleichzeitig wird darauf hingewiesen, dass dies
vermutlich ein langwieriger Prozess sei und nicht klar
sei, ob alle Mitgliedstaaten ein Interesse an einer Harmonisierung hätten. Man gewinnt den Eindruck, die
Kommission versucht, einzelne besonders umstrittene
Vorschläge des Grünbuchs von 2007 nun einfach in den
Anhängen des Aktionsplans unterzubringen. Hier gilt es,
wachsam zu sein.
Wachsam im Sinne der Subsidiarität sollten wir als
Deutscher Bundestag auch sein im Hinblick auf die
Frage der Finanzierung von Infrastruktur.
Die Kommission kommt hier zu der zutreffenden Einschätzung, dass der Finanzbedarf für Infrastruktur,
Fahrzeuge und neue Technologien steigen wird, gleichzeitig aber immer weniger öffentliche Mittel zur Verfügung stehen werden. Die Kommission will deshalb unter
anderem im Rahmen der Überlegungen zum nächsten
mehrjährigen Finanzrahmen prüfen, wie hoch der künftige Finanzbedarf zur Verbesserung der urbanen Mobilität ist. Außerdem will sie in 2011 über bestehende Fördermöglichkeiten von Strukturfonds, Kohäsionsfonds
und Europäischer Investitionsbank informieren.
Dazu will sie den Zusammenhang von Stadtverkehr
und transeuropäischem Verkehrsnetz darlegen. Dagegen ist grundsätzlich nichts einzuwenden. Die Vergabe
von Fördermitteln darf aber in Zeiten knapper Kassen
nicht zum Hebel der EU werden, um direkten Einfluss
auf die Gestaltung der städtischen Verkehrspolitik zu
nehmen.
Um in dieser grundsätzlichen Frage der Kompetenzen Klarheit zu schaffen, haben wir als christlich-liberale Koalition eine Entschließung im Verkehrsausschuss
eingebracht, die in der vorliegenden Beschlussempfehlung enthalten ist. Darin fordern wir die Bundesregierung auf, bei Verhandlungen auf europäischer Ebene die
deutsche Position unter drei Leitlinien zu stellen:
Erstens. Die Rolle der Kommission ist darauf beschränkt, den Austausch von Erfahrungen und Beispielen bewährter Verfahren, Best Practice, unter den Städten zu unterstützen.
Zu Protokoll gegebene Reden
Zweitens. Die Wahrung der Subsidiarität und des
kommunalen Selbstverwaltungsrechts ist strikt zu beachten.
Drittens. Städtische Gebührensysteme sind auch mit
Nachteilen verbunden, die regional verschieden sein
können. Hier bestehen aufgrund der jeweiligen Gegebenheiten unterschiedliche Voraussetzungen für Stadtmautsysteme.
Dies spricht gegen eine europaweit einheitliche Regelung. Unsere Bedenken werden von den Bundesländern geteilt. In seiner Stellungnahme zum Aktionsplan
hat der Bundesrat seine Auffassung bekräftigt, wonach
eine EU-Zuständigkeit für den Stadtverkehr im Grundsatz nicht besteht und Eingriffe in die Kompetenzen der
Mitgliedstaaten, Länder und Kommunen abzulehnen
sind. Die Rolle der Kommmission sei darauf beschränkt,
den Austausch von Erfahrungen und Beispielen bewährter Verfahren, Best Practice, unter den Städten zu unterstützen. Hier könnten gerade die in deutschen Städten
bereits erarbeiteten Lösungsansätze zur Bewältigung
der Verkehrsprobleme für andere Städte Europas von Interesse sein.
Das bedeutet aus meiner Sicht auch, dass die Vergabe
von Studien - etwa zu Stadtmautsystemen oder zu Umweltzonen - nicht als ein erster Schritt zur Vorbereitung
legislativer Maßnahmen angesehen werden darf. Auch
hier gilt der Satz von Montesquieu: „Wenn es nicht notwendig ist, ein Gesetz zu machen, dann ist es notwendig,
kein Gesetz zu machen.“ In diesem Zusammenhang ist
auch die angekündigte Einrichtung eines europäischen
Beobachtungszentrums für urbane Mobilität in Form einer virtuellen Plattform kritisch zu bewerten. Selbst der
Bundesrat kann keinen Mehrwert erkennen, weder in einer Studie zur Verbesserung der Datenerhebung noch in
der Einrichtung eines solchen Beobachtungszentrums.
Vor Einleitung dieser Maßnahmen sollten Kosten und
Nutzen daher noch einmal kritisch abgewogen werden.
Aus Erfahrung wissen wir, wie schnell aus einem
scheinbar bescheidenen Beobachtungszentrum eine Europäische Agentur mit sehr vielen Mitarbeitern und entsprechend hohem Finanzbedarf werden kann. Was wir in
der gegenwärtigen Situation aber wirklich nicht brauchen, das sind zusätzliche europäische Bürokratie durch
neue Mitteilungspflichten und Institutionen, die viel kosten, aber von geringem Nutzen sind.
Ein letzter wichtiger Punkt, der im Aktionsplan leider
zu kurz kommt, ist die Anbindung ländlicher Räume,
zum Beispiel über Nahverkehrssysteme. Nur so kann die
Mobilität in der Fläche gewährleistet werden. Wenn wir
der Abwanderung aus den ländlichen Räumen etwas
entgegensetzen wollen, dann müssen die Städte, das
städtische Umland und die ländlichen Räume gleichwertig entwickelt werden.
Der EU-Verkehrsministerrat wird sich in der nächsten Woche mit dem Aktionsplan zur urbanen Mobilität
befassen. Ich bin zuversichtlich, dass der Rat in seinen
Schlussfolgerungen unseren begründeten Bedenken
Rechnung tragen wird und sich nicht nur für eine strikte
Einhaltung der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit im Bereich der urbanen Mobilität aussprechen wird,
sondern auch hinweisen wird auf die wichtige Funktion
von Nahverkehrssystemen bei der Sicherung der Mobilität in der Fläche. Auch hier gilt als Binsenweisheit: Die
Stadt lebt von ihrem Umland und das Umland lebt von
der Stadt.
Mit „Balancity“, einer Vision einer lebenswerten
Stadt, präsentiert sich Deutschland auf der Expo in
Shanghai. Verkehrslärm und Abgase, verstopfte und unfallträchtige Straßen stören diese heile Welt nicht.
Wunsch und Wirklichkeit liegen noch weit auseinander.
Von stadtverträglicher Mobilität sind wir auch in
Deutschland an etlichen Stellen noch ein gutes Stück
entfernt.
Ja, es gibt sie, die vielen positiven - auch deutschen Beispiele für nachhaltigen Stadtverkehr: Bremen zeigt
auf der Expo, wie es gehen kann: Es wurde von UN-Habitat als eines von weltweit drei Beispielen ausgewählt,
die sich im Bereich Mobilität präsentieren dürfen, und
zwar mit seinem wegweisenden Carsharing-Projekt, das
nachweisbar Verkehr reduziert und Parkraum entlastet.
Damit alle Städte in Europa von solchen guten Beispielen profitieren können, brauchen wir einen europaweiten Erfahrungsaustausch - aber nicht nur das. Wir
brauchen Unterstützung und Anreize auch vonseiten der
EU für die Städte und Gemeinden bei der Entwicklung
und Umsetzung nachhaltiger Stadtverkehrskonzepte und
eine konsequente Berücksichtigung des Themas „Urbane Mobilität“ in der EU-Förderpolitik. Die SPD begrüßt deshalb ausdrücklich, dass die EU-Kommission
2007 das Thema „Urbane Mobilität“ auf die Tagesordnung gesetzt hat und jetzt einen Aktionsplan dazu vorgelegt hat.
Das Grünbuch „Hin zu einer neuen Kultur der Mobilität“ in der Stadt war der Auftakt zu einem Konsultationsprozess, als dessen Ergebnis die Kommission nun
ihren „Aktionsplan Urbane Mobilität“ vorgelegt hat.
2008 hat sich der Bundestag mit einem gemeinsamen
Antrag von SPD und CDU/CSU in die Beratungen zum
Grünbuch eingebracht. Auch Sie, meine Damen und
Herren von der CDU/CSU, haben damals ausdrücklich
begrüßt, dass sich die EU des Themas annimmt - selbstverständlich unter Einhaltung des Subsidiaritätsprinzips.
Mit dem nun vorliegenden Aktionsplan hat die EUKommission genau das getan: Der Aktionsplan berücksichtigt durchgehend die Vielfalt der Städte und das Subsidiaritätsprinzip. Die Kommission spricht sich eindeutig gegen Top-down-Maßnahmen aus. Stattdessen setzt
sie auf weiche Maßnahmen wie Erfahrungsaustausch,
Fortbildung und Förderung nachhaltiger Stadtverkehrskonzepte.
Schade, meine Damen und Herren von den Regierungsfraktionen, dass Ihnen das offenbar entgangen ist
und Sie sich in Ihrer Entschließung auf drei magere
Punkte beschränken: die Einhaltung des Subsidiaritätsprinzips, die Ablehnung einer City-Maut und die BeZu Protokoll gegebene Reden
schränkung der Kommission auf die Organisation eines
Erfahrungsaustausches. Der Bundesrat hat sich in seiner Entschließung deutlich ausführlicher geäußert.
Der Deutsche Städte- und Gemeindebund - und der
muss es ja wissen - sieht das Subsidiaritätsprinzip eingehalten. Ich zitiere: „In vielen europäischen Ländern
gibt es keine kommunale Selbstverwaltung. Dort sind
die Städte oft nicht in der Lage, selbst auf Probleme zu
reagieren. Das ist in Deutschland anders. Der jetzt vorgelegte Aktionsplan geht darauf ein. Kommunen können
vorgeschlagene Maßnahmen umsetzen, müssen es aber
nicht, wenn sie selbst andere Maßnahmen in ihrer Verkehrspolitik treffen können.“
Vor diesem Hintergrund haben wir im Ausschuss versucht, Sie davon zu überzeugen, dass das Thema „Städtische Mobilität“ und die Aktivitäten der EU mehr Beachtung verdienen als dürftige drei Spiegelstriche. Mit
unserer - von der Ausschussmehrheit leider abgelehnten - Entschließung begrüßen wir die Maßnahmen zu
besserem Informationsaustausch und Förderung nachhaltiger Stadtverkehrskonzepte, insbesondere die Fortführung und Ausweitung des Programms Civitas. Wir
unterstützen die Kommission in ihrer Sichtweise, dass
der ÖPNV das Rückgrat des städtischen Verkehrssystems bildet und die Nutzersicht und Zugänglichkeit auch
für mobilitätseingeschränkte Menschen im Mittelpunkt
stehen muss. Wir begrüßen die Vorhaben, Fahrgastrechte auf freiwilliger Basis zu verbessern und ein EUweites Reiseportal für den Nahverkehr einzuführen. Und
was ist einzuwenden gegen eine Auswertung der Erfahrungen auch zu intelligenten Verkehrs- und Gebührensystemen, die eine sachliche Diskussion der Vor- und
Nachteile unterschiedlicher Modelle der Stadtverkehrspolitik in Europa ermöglicht? EU-Politik ist doch nicht
Politik für Deutschland allein, sondern für ganz Europa.
Deswegen ist Offenheit für ganz unterschiedliche Ansätze der Stadtverkehrspolitik gefragt. Ich empfehle Ihnen einen Blick über den Tellerrand!
Die SPD fordert eine stärkere Berücksichtigung von
städtischer Mobilität in der EU-Strukturfondsförderung
mit besonderem Augenmerk auf umweltfreundliche Verkehrsmittel und deren intermodale Verknüpfung. Denn
in der Strukturfondsperiode 2007 bis 2013 fließen - das
kritisiert auch das EU-Parlament - nur 9 Prozent der
Strukturfondsmittel im Verkehrsbereich in den städtischen Verkehr.
Aber nicht nur die EU ist gefordert, ihr im Grünbuch
formuliertes Ziel einer neuen Mobilitätskultur weiterzuverfolgen, sondern allen voran die Bundesregierung.
Leider wird der Spielraum, sozial- und umweltverträgliche städtische Mobilität als Teil einer integrierten Stadtentwicklungspolitik umzusetzen, durch den Raubbau bei
der Städtebauförderung verschwindend gering: Mobilität wäre ein wichtiges Thema im Rahmen des ökologischen Stadtumbaus, insbesondere unter den Vorzeichen
des demografischen Wandels.
Wenn Minister Ramsauer meint, allein mit Elektromobilität alle städtischen Verkehrsprobleme lösen zu
können, täuscht er sich gewaltig. Auch Elektroautos
brauchen Straßenfläche und Parkplätze. Den Anspruch
bezahlbarer Mobilität auch für untere Einkommensschichten können sie absehbar nicht erfüllen. Wir fordern deshalb von Herrn Ramsauer: Setzen Sie klare
Prioritäten für den Umweltverbund, für ÖPNV, Fahrrad
und Zu-Fuß-Gehen! Sagen Sie endlich, wie Sie die Finanzierung des öffentlichen Nahverkehrs in Zukunft sichern wollen! Unterstützen Sie neue Formen der Autonutzung wie Carsharing durch die überfällige Änderung
der Straßenverkehrs-Ordnung!
All das wäre ein Beitrag zu sozial- und umweltverträglicher Mobilität, zum Klimaschutz und zu besserer
Lebensqualität in Städten. Unterstützung auch vonseiten
der EU sollte Ihnen dabei willkommen sein.
Wir widmen uns heute mit dem Aktionsplan zur urbanen Mobilität der EU-Kommission, einem Thema, das
bereits in der letzten Legislaturperiode auf der Agenda
des Bundestages stand. Damals hatte sich der Bundestag mit dem Grünbuch der Kommission „Hin zu einer
neuen Kultur der Mobilität in der Stadt“ zu beschäftigen. Auch die FDP-Fraktion hatte sich bereits dort sowohl in der Plenardebatte als auch im Zusammenhang
mit einem Entschließungsantrag im Ausschuss intensiv
mit dem damaligen Grünbuch beschäftigt.
Wenn man sich noch einmal durchliest, was die Kommission in diesem Papier an verkehrspolitischen Maßnahmen gefordert hat, so kann man mit dem jetzt vorliegenden
Aktionsplan zur urbanen Mobilität vergleichsweise zufrieden sein. Der Grundsatz muss sein: Grenzüberschreitende Verkehre sind Aufgabe der EU, der regionale Verkehr nicht. Das verstehen wir unter Subsidiarität. Ich
darf an Vorschläge im Grünbuch wie die Einrichtung eines zentralen Registers für die europäischen Fahrzeuge
und einer europäischen Beobachtungsstelle für städtischen Verkehr erinnern. Das wären Maßnahmen gewesen, für die der Begriff „bürokratische Monster“ noch
milde ausgedrückt ist. Falls solche dirigistischen Maßnahmen, die tief und unnötig in einen der Kernbereiche
der persönlichen Freiheit, nämlich der individuellen
Mobilität eindringen, wieder in Vorschlägen der EUKommission auftauchen sollten, wird sich die FDPFraktion dem genauso entschieden entgegenstellen.
Das gilt vor allem auch für Maßnahmen wie die umfassende Videoüberwachung von Bussen und öffentlichen
Plätzen. Es gibt für uns auch weiterhin keine Einteilung
in guten oder schlechten Verkehr, keine Einteilung in
Verkehr, der vermieden werden muss und solchen, der
gefördert werden sollte. Verkehrspolitik mit ideologischem Schaum vor dem Mund nützt niemandem, am wenigsten der Umwelt. Intelligente Strategien zur Verkehrslenkung sind die Lösung, nicht solche, die Verkehr
vermeiden wollen. Wir wollen dem Bürger nicht vorschreiben, wie er sich fortzubewegen hat. Das ist seine
ureigenste Entscheidung. Auf erzieherische Maßnahmen
der Politik kann der Bürger gut verzichten.
Daher ist es positiv zu bewerten, dass sich viele der
ursprünglichen Maßnahmen nicht mehr im Aktionsplan
finden. Dies unterstützt die Leitlinie der christlich-liberalen Koalition, die die Subsidiarität in allen PolitikfelZu Protokoll gegebene Reden
dern stärken will, gerade auch durch die verbesserten
Mitwirkungsrechte der nationalen Parlamente. Wir werden also auch in Zukunft gerade bei solchen Ideen der
Kommission äußerst wachsam sein; das kann ich versprechen.
Dies gilt insbesondere bei Eingriffen in den kommunalen Bereich. Wir haben in Deutschland ein grundgesetzlich verankertes Selbstverwaltungsrecht der Kommunen. Dies hat sich in der Vergangenheit bewährt und
wird es auch in Zukunft tun. Ich sage das auch als engagierter Kommunalpolitiker. Daher muss unter allen Umständen vermieden werden, dass die Kommunen über
die europäische Ebene gegängelt und bevormundet werden. Der Kommunalpolitiker vor Ort weiß am besten,
was für seinen Ort, seine Gemeinde, seine Stadt die sinnvollen Lösungen sind. Am aktuellen Beispiel der Diskussion um die Passagierrechte im Kraftomnibusverkehr
wird deutlich, dass die Kommission gelegentlich über
das Ziel hinausschießt und auch Dinge regeln möchte,
die wie der Stadt- und Regionalverkehr auf nationaler
bzw. regionaler Ebene bleiben sollten.
Daher begrüße ich auch die Idee des Werkzeugkastens mit verschiedenen verkehrspolitischen Instrumenten, aus dem sich die Kommunen bedienen können. Kein
noch so guter Kommunalpolitiker kann auf alle Ideen alleine kommen. Von daher ist es gut, wenn sie sich durch
die Kenntnis vorbildlicher Lösungen für städtische Verkehrsprobleme in anderen Ländern inspirieren lassen
können. Und ich betone hier: können. Wir sagen ganz
grundlegend: Der Austausch von Best-Practice-Modellen
sollte Vorrang vor legislativen Maßnahmen haben. Allerdings muss auch hier darauf geachtet werden, dass
durch die Herausstellung geeigneter Modelle keine faktische Bindungswirkung für die Mitgliedstaaten bzw. deren
Untergliederungen entfaltet wird.
Daher muss die Bundesregierung bei der Umsetzung
des Aktionsplans darauf achten, dass durch die Vergabe
von Studien zu Themenfeldern wie City-Maut, Umweltzonen, Datenerhebung im Straßenverkehr etc. keine legislativen Maßnahmen vorbereitet werden. Das Gleiche
gilt für Maßnahmen, bei denen der Aufbau zusätzlicher
Bürokratie notwendig wäre; das muss vermieden werden. Die Kommission soll stärker in der Rolle des Organisators von Prozessen des Best-Practice-Austauschs
wirken, anstatt legislative Maßnahmen vorzuschlagen.
Ich habe Vertrauen in die Bundesregierung, dass sie
auch weiterhin der Wahrung der Subsidiarität einen hohen Stellenwert einräumt. Der Entwurf der Schlussfolgerungen des Rates, die beim nächsten Verkehrsministerrat
in Luxemburg beschlossen werden sollen, geht in die
richtige Richtung. Wenn das auch bei der Umsetzung beachtet wird, gilt weiterhin die Marschroute: europäische
Probleme in Brüssel lösen, kommunale Probleme vor
Ort klären.
Mit dem Aktionsplan „Urbane Mobilität“ hat sich die
EU ein lobenswertes Ziel auf die Fahnen geschrieben:
Die Förderung des öffentlichen Personennahverkehrs.
Die Europäische Kommission betont hierbei völlig richtig: „Ein qualitativ hochwertiger und bezahlbarer öffentlicher Nahverkehr ist das Rückgrat eines nachhaltigen städtischen Verkehrssystems.“ Der sich aus dieser
Feststellung ergebenden Zielsetzung eines massiven
Ausbaus des ÖPNV wird der Aktionsplan leider nicht
gerecht.
Mangels EU-Zuständigkeit beschränkt sich der Plan
auf Maßnahmen wie die Erstellung von Ratgebern oder
die Verbesserung des Informationsaustausches. Diese
Vorhaben können wir zwar vorbehaltlos begrüßen, halten sie allerdings für nicht ausreichend. Das Pochen der
Bundesregierung auf die strikte Durchsetzung des Subsidiaritätsprinzips hat an dieser Stelle Weitergehendes
verhindert.
Unabhängig des Streites um Zuständigkeiten gilt es
nun, das Beste aus dem Vorliegenden zu machen und die
durch den Aktionsplan zur Verfügung gestellten Instrumente zur Verbesserung des Nahverkehrsangebotes zu
nutzen. Und eben hier kommen uns Zweifel, ob die Bundesregierung dieses Ziel überhaupt verfolgt: Mit dem
Kaputtsparen von Kommunen, der Novellierung des
Personenbeförderungsgesetzes und der Festschreibung
einer Vergabepraxis, die kommunale Eigenbetriebe
schlechter stellt, unternimmt diese Bundesregierung
Schritte, die zu einer Schwächung eines attraktiven Nahverkehrsangebotes führen werden.
Für die Linke ist die schwarz-gelbe Politik eines forcierten Wettbewerbs zulasten von Fahrgästen und Beschäftigten nicht tragbar. Wir setzen auf eine bedarfsgerechte Finanzierung, soziale und ökologische Standards
und die Vergabe an kommunale Eigenbetriebe. Denn
Mobilität ist gesellschaftliche Teilhabe, muss allen zugänglich sein und darf nicht vom Geldbeutel abhängen.
Ein Großteil der Bürgerinnen und Bürger in Deutschland lebt in Städten. Sie alle bewegen sich im öffentlichen Raum der Stadt, und sie alle haben ein Interesse
daran, in einer schönen, lebenswerten Stadt mit einer
guten Infrastruktur zu leben.
Unsere Realität sieht in vielen Fällen leider anders
aus: Die Stadt wird vom Autoverkehr dominiert. Das ist
nicht immer nur praktisch, sondern verursacht auch
eine ganze Menge Lärm, Staub und CO2-Emissionen.
Der öffentliche Raum wird auch durch den ruhenden
Verkehr deutlich beeinträchtigt, zugeparkte Straßen und
Plätze sind an der Tagesordnung. Andere Verkehrsteilnehmer, insbesondere Fußgänger und Radfahrer, müssen hinter dem motorisierten Individualverkehr zurückstecken. Lebensqualität im städtischen Raum geht
verloren.
Für die Zukunft unserer Städte und für die Zukunft
der Bürgerinnen und Bürger müssen wir alles daransetzen, eine neue Mobilitätskultur zu schaffen. In diesem
Zusammenhang begrüßen wir grundsätzlich das Grünbuch der EU und auch den aktuell vorliegenden Aktionsplan. Nur leider wird der Aktionsplan diesem Ansinnen
in keinster Weise gerecht. Denn anstatt den Städten wenigstens einen Rahmen zu setzen oder durch gezielte
Zu Protokoll gegebene Reden
Förderpolitik eine nachhaltige und umweltfreundliche
Verkehrspolitik zu unterstützen, verstecken sich die EU
und - wie die Beratungen im Ausschuss für Verkehr, Bau
und Stadtentwicklung gezeigt haben - auch unsere Bundesregierung hinter dem Subsidiaritätsprinzip. Auf konkrete Initiativen im Bereich Mobilität in der Stadt wird
verzichtet. Somit bleibt es einzig bei freiwilligen Aktionen der Mitgliedstaaten. Es werden weder die Fahrgastrechte im öffentlichen Verkehr gestärkt - es bleibt bei
freiwilligen Zugeständnissen - noch geht die Kommission konkret das Problem der zahlreichen Verkehrstoten
auf innerstädtischen Straßen oder aber die urbanen Umweltprobleme an. Dabei spielt im Kontext des Klimawandels der städtische Verkehr eine zentrale Rolle. Er
ist in den Städten für 70 Prozent aller Treibhausgase
verantwortlich. 90 Prozent aller dort zurückgelegten
Autofahrten sind kürzer als sechs Kilometer. Entfernungen, die bestens geeignet sind, um auf Bahn, Bus, Rad
oder Fußweg umzusteigen. Hier liegt das größte CO2Einsparpotenzial. An dieser Stelle ist der Aktionsplan
„Urbane Mobilität“ allerdings ernüchternd.
Auch zur Gestaltung des öffentlichen Raums werden
keine Aussagen gemacht. Eine nachhaltige, urbane Mobilität kann nur stattfinden, wenn die Verkehrsflächen
anders aufgeteilt werden und attraktive, sichere Flächen
für nichtmotorisierte Verkehrsteilnehmer ausgewiesen
werden. Neue Nutzungskonzepte wie „Shared Space“
und Instrumente wie die „City-Maut“ brauchen dringend einheitliche rechtliche Rahmenvorgaben auf europäischer Ebene. Nur mit einer anderen Verkehrspolitik
wird es uns in der EU gelingen, die eigenen Klimaschutzziele zu erreichen, zugleich die Verkehrssicherheit
zu verbessern und den öffentlichen Raum als Lebensund Bewegungsraum für alle aufzuwerten. Die Forderungen der Grünen nach einem generellen Tempolimit
und einem Ausbau des ÖPNV sowie der Car-SharingAngebote wären hier ein richtiger Schritt in die richtige
Richtung. Unser Leitbild dabei sollte die Stadt der kurzen Wege sein, davon würde auch die Lebensqualität der
Menschen in Deutschland profitieren!
Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuss für
Verkehr, Bau und Stadtentwicklung empfiehlt in seiner
Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/815, in Kenntnis der Unterrichtung eine Entschließung anzunehmen.
Wer stimmt für die Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist
angenommen. Zugestimmt haben CDU/CSU und FDP.
Dagegen gestimmt haben Bündnis 90/Die Grünen und
SPD. Die Linke hat sich enthalten.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 25 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Undine
Kurth ({0}), Ulrike Höfken, Thilo
Hoppe, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Biodiversität national und international konsequent schützen
- Drucksache 17/2005 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({1})
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Ausschuss für Tourismus
Haushaltsausschuss
Wie in der Tagesordnung ausgewiesen, werden die
Reden zu Protokoll genommen. Es handelt sich um die
Reden der Kolleginnen und Kollegen Josef Göppel,
Dr. Matthias Miersch, Angelika Brunkhorst, Sabine
Stüber und Undine Kurth.
Der Verlust der biologischen Vielfalt ist neben dem
Klimawandel die größte globale politische Herausforderung unserer Zeit. Die Natur ist unsere Existenzgrundlage. Wir wissen, dass wir global, EU-weit und in
Deutschland das gesetzte 2010-Ziel nicht erreicht haben.
Phasen des massiven Artensterbens hat es im Lauf
der Erdgeschichte immer wieder gegeben. Seit dem
18. Jahrhundert jedoch wird der Rückgang der biologischen Vielfalt maßgeblich durch menschliches Handeln
verursacht. Die Hauptursachen sind bekannt: allen voran Lebensraumzerstörung und Übernutzung von Ökosystemen, das Einbringen und Verschleppen von gebietsfremden Tier- und Pflanzenarten. Auch die vom Mensch
verursachte Klimaveränderung trägt zum Artenschwund
bei.
Der Verlust der Arten ist kein Problem entfernter tropischer Länder. Der Artenverlust ist bei uns zu Hause vor
der eigenen Türe angekommen. Dazu möchte ich nur ein
Beispiel nennen: eine der bekanntesten Vogelarten der
offenen Kulturlandschaft, die Feldlerche. In Deutschland ging der Feldlerchenbestand von 1980 bis 2004 um
mehr als 50 Prozent zurück. Heute steht die Feldlerche
auf der Roten Liste. Der Artenverlust spielt sich mittlerweile nicht nur bei uns im eigenen Land ab; er geschieht
auch im Rahmen geltender Gesetze. Das bedeutet, dass
die bestehenden gesetzlichen Rahmenbedingungen derzeit noch nicht ausreichen. Wir sind gefordert, politisch
aktiv zu bleiben und nach neuen Wegen zur Bekämpfung
des Artenschwundes zu suchen. Wir brauchen dabei
nicht nur den politischen Willen, sondern auch geeignete Instrumente, um dem Verlust der Artenvielfalt entgegenzuwirken.
Gerade in der Agrarlandschaft ist der Artenverlust
am deutlichsten. Bei der Neuregelung der gemeinsamen
Agrarpolitik müssen deshalb der Artenschutz und die
Landschaftspflege berücksichtigt und honoriert werden.
Wer Leistungen für die Gesellschaft erbringt, muss dafür
besser gestellt sein als derjenige, der nur die gesetzlichen Mindestanforderungen erfüllt.
Am 1. März ist das neue Bundesnaturschutzgesetz in
Kraft getreten. Damit sind Landschaftspflegeverbände
als gleichwertige und freiwillige Zusammenschlüsse von
Kommunen, Landwirten und Naturschützern im Naturschutzrecht verankert. Diese Zusammenschlüsse sind
ein Zukunftsmodell.
Landschaftspflegeverbände und vergleichbare Organisationen wie biologische Stationen in NordrheinWestfalen, lokale Aktionen in Schleswig-Holstein und
Landschaftserhaltungsverbände in Baden-Württemberg
gestalten und pflegen hochbedrohte Lebensräume und
sind maßgeblich an der Umsetzung des europäischen
Biotopverbundes Natura 2000 beteiligt. Gewässerrenaturierung im Zuge der Europäischen Wasserrahmenrichtlinie ist ebenso Arbeitsschwerpunkt wie der aktive
Klimaschutz. Sie arbeiten mit neuartigen Konzepten an
der Verwertung von Biomasse aus der Landschaftspflege
oder am naturverträglichen Anbau von Energiepflanzen.
Darüber hinaus setzen Landschaftspflegeverbände
Natur und Landschaft wieder in Wert, indem sie regionale Wirtschaftskreisläufe fördern. Projekte zur regionalen Vermarktung verbinden wichtige ökologische Aspekte mit ökonomischem Nutzen. Mit dem kooperativen
Naturschutz, wie er mit den Landschaftspflegeverbänden heute schon praktiziert wird, haben wir ein brauchbares Instrument, um die biologische Vielfalt in
Deutschland zu stabilisieren.
Um die Biodiversität ist es weltweit, in Europa und
auch in Deutschland nicht gut bestellt. Allen internationalen Verträgen, europäischen Biodiversitätszielen und
nationalen Biodiversitätsstrategien zum Trotz nimmt
überall - auch in Deutschland - die Artenvielfalt ab; Lebensräume sind bedroht, und die genetische Vielfalt reduziert sich. Das Ziel, bis 2010 den Verlust an biologischer Vielfalt zu stoppen oder zumindest signifikant zu
verlangsamen, wurde weder weltweit noch auf europäischer Ebene erreicht.
Das ist ein, übrigens überparteilich anerkanntes,
Faktum. Leider ist zwischen den handelnden Parteien
ein großer Unterschied im Einsatz zur Beseitigung dieses untragbaren Zustandes zu beobachten. Es besteht
also nicht nur dringender Handlungsbedarf; es besteht
zudem Bedarf an Erkenntnis.
Aus diesen Gründen ist der vorliegende Antrag von
Bündnis 90/Die Grünen grundsätzlich zu begrüßen. In
weiten Teilen treffen und überschneiden sich die Positionen der Grünen und meiner Fraktion, wenn es um den
Erhalt der Lebensumwelt geht. Trotz begründeter Kritik
darf man nicht vergessen: Es ist bisher in Sachen Naturschutz und Schutz der biologischen Vielfalt durchaus einiges passiert. So wurde die nationale Strategie zur biologischen Vielfalt mit langfristig angelegten Zielen
verabschiedet. Sie ist eine Strategie aller Ressorts, bindet alle gesellschaftlichen Akteure ein und nimmt Länder und Kommunen in die Verantwortung.
Mit dem Nationalen Naturerbe sichern wir bereits auf
100 000 Hektar naturschutzfachlich besonders wertvolle Biotope. Die restlichen 25 000 Hektar werden
noch in dieser Legislaturperiode als Schutzgebiete ausgewiesen. Außerdem wurde das Grüne Band an der ehemaligen innerdeutschen Grenze gesichert. In diesem
Raum konnten sich über 40 Jahre Flora und Fauna ungehindert entwickeln. Die zumeist bereits in der rot-grünen Regierungszeit getroffenen Maßnahmen haben also
durchaus einiges bewirkt.
Mit der Novelle des Bundesnaturschutzgesetzes wurden nun die in der Föderalismusreform beschlossenen
Änderungen umgesetzt. Hier hätte man aus meiner Sicht
die Gelegenheit nutzen müssen, den Naturschutz in
Deutschland nachhaltig gesetzlich besserzustellen, als
es bisher der Fall ist. Eine solche Naturschutzpoltik war
aber mit der Union leider nicht machbar.
Ein stärkeres Naturschutzrecht haben die Agrarpolitiker der Union verhindert; ihnen war und ist Klientelpolitik wichtiger als Naturschutz. Diese Klientelpolitik
wird besonders offensichtlich, wenn man sich die vorgeschlagenen Änderungen bei der „Eingriffsregelung“,
dem Herzstück des Naturschutzes, im Koalitionsvertrag
zu Gemüte führt. Laut Koalitionsvertrag wird den Bundesländern die Kompetenz gegeben, Eingriffe in Natur
und Landschaft mit der Zahlung von Ersatzgeld anderen
Kompensationsmaßnahmen gleichzustellen. Damit kann
sich jeder Investor „freikaufen“, sollten seine Vorhaben
in schützenswerte Bereiche eingreifen.
Hier kommt zum Vorschein, was ich eingangs angesprochen habe: Es mangelt nicht nur an der Umsetzung;
es mangelt vor allem an Einsicht. Die schwarz-gelbe
Bundesregierung wird letztlich schmerzlich feststellen
müssen, dass man einmal ausgestorbene Arten auch mit
Milliarden Euro nicht mehr wird zurückbringen können.
Hier offenbart sich einer der vielen blinden Flecken der
aktuellen Bundesregierung. Die Flächeninanspruchnahme und die Flächenversiegelung werden zunehmen;
das Nachhaltigkeitsziel zur Reduzierung des Flächenverbrauches wird nicht erreicht, und dem Naturschutz
wird damit ein Bärendienst erwiesen.
International fand unter deutschem Vorsitz vor zwei
Jahren die Konferenz über die biologische Vielfalt statt.
Es wurden Meeresschutzgebiete geschaffen und der
Schutz der Wälder vorangetrieben.
Auch in diesem Zusammenhang zeigt sich, dass bei
Schwarz-Gelb Worte und Taten auseinanderklaffen. Leider hat die Bundesregierung ihre auf der Klimakonferenz in Kopenhagen gemachte Zusage, jährlich zusätzliche Mittel in Höhe von 420 Millionen Euro für den
Waldschutz in Entwicklungsländern bereitzustellen,
nicht eingehalten. In diesem Jahr wurden lediglich
70 Millionen Euro in den Haushalt eingestellt; ob es im
Jahr 2011 überhaupt Mittel für den Waldschutz geben
wird, ist fraglich.
Es ist offensichtlich, dass für diese Bundesregierung
internationale Zusagen nichts wert sind. Dies zeigt sich
beim Schutz der biologischen Vielfalt, beim Klimaschutz, aber auch in andern Politikfeldern, wie zum Beispiel bei der Armuts- und Hungerbekämpfung. Die Bundesregierung ist gerade dabei, die deutsche Reputation
zu verspielen. Es bleibt nur zu hoffen, dass unsere internationalen Partner auch ohne uns in diesem Feld weiterarbeiten werden.
Bei allen bisher angestrengten Bemühungen für den
Naturschutz ist es für den Naturschutz überlebenswichtig, auch andere Politikbereiche mit einzubeziehen. NaZu Protokoll gegebene Reden
turschutz ist ein Thema, das fachübergreifend andere
Politikbereiche berührt. Insbesondere ist hier die Landwirtschaft gefordert. Vor allem der zunehmende Anbau
von Biomasse geht zulasten des Grünlandes und damit
beispielsweise der Wiesenbrüter. Bei diesen Arten verzeichnen wir bereits einen rapiden Rückgang. Dies betrifft aber auch den Erhalt der Moore und Auen. Wir
brauchen gerade zum Schutz dieser Lebensräume eine
neue Agrarpolitik, die den Erhalt unserer Lebensgrundlage finanziell unterstützt und eben nicht Geld dafür
zahlt, dass sich die Landwirte an die gute fachliche Praxis halten.
Die herkömmliche Agrarpolitik hat den Artenrückgang in unserer Agrarlandschaft nicht stoppen können.
Es bräuchte eine viel stärkere bundesgesetzliche Regulierung, die auf Basis des neuen Naturschutzrechtes
durchaus denkbar wäre, um den Erhalt der biologischen
Vielfalt zu einer Selbstverständlichkeit zu machen. Aber
auch hier ist leider von der Bundesregierung kein Umdenken zu erwarten.
Die von mir zuletzt erwähnten Aspekte kommen leider
im Antrag von Bündnis 90/Die Grünen noch zu kurz.
Sich nur auf den Naturschutz als singuläres Feld zu beziehen ist schön und richtig. Eine größere Gefahr droht
der Biodiversität jedoch aus anderen Politikfeldern, deren Regelungen zum Erhalt der biologischen Vielfalt
häufig kaum wirksam, schlimmstenfalls jedoch nicht
existent sind. Hier muss in Zukunft dafür gekämpft werden, der aktuellen Bundesregierung auf die Sprünge zu
helfen.
Wir stehen unverändert in der Pflicht, entschlossen
und umsichtig die natürlichen Lebensgrundlagen zu
schützen und die Lebensqualität nachfolgender Generationen in ökologischer, ökonomischer und sozialer Hinsicht zu bewahren und weiterzuentwickeln. Wir müssen
auch unseren Kindern eine artenreiche Natur hinterlassen, sodass auch sie von den Ökosystemdienstleistungen
der Natur profitieren können. Die Natur ist unser größter Schatz.
Gerade in diesem Jahr - dem Jahr der biologischen
Vielfalt - müssen wir mit Entschlossenheit praktikable
Wege finden, um den Verlust der Artenvielfalt zu stoppen. Viele Pflanzen- und Tierarten sind in ihrer Existenz
massiv bedroht, und nur wir Menschen können etwas dafür tun, diese zu schützen.
Rückblickend hat es in Bezug auf die Biodiversität
stets gravierende Veränderungen gegeben - auch ohne
menschliches Zutun. Dabei sind neue Arten entstanden
und alte verschwunden. Beim Schutz der Biodiversität
geht es also nicht darum, bestimmte Arten in diesem Moment zu konservieren, sondern entscheidend ist, dass die
Fähigkeit von Ökosystemen zur Anpassung an sich verändernde Gegebenheiten erhalten bleibt. Der Erhalt der
Biodiversität und der Schutz gefährdeter Arten sind
Ziele, dem die FDP hohe Aufmerksamkeit widmet.
Die nationale Strategie zur biologischen Vielfalt ist
eine klare Basis für eine langfristige Politik. Die Strategie enthält Ziele für dieses Jahr, aber auch zum Beispiel
für 2015 oder 2020, und Ziele ohne Zieljahr. Diese Strategie samt ihren Zielen soll mithilfe des Bundesprogramms umgesetzt werden. Momentan wird intensiv daran gearbeitet, dieses Bundesprogramm mit konkreten
Maßnahmen auszugestalten.
Das alles geschieht vor der Erkenntnis, dass das allgemeine Ziel verfehlt wurde, bis 2010 den Verlust an
biologischer Vielfalt zu stoppen oder zumindest zu verlangsamen. Erfreulicherweise gab es bei der Bewahrung der biologischen Vielfalt auch einige wichtige
Teilerfolge. Viele Bürger zeigten großes Interesse an
dem Thema der biologischen Vielfalt und nahmen am
22. Mai 2010, am Internationalen Tag der biologischen
Vielfalt, an den bundesweiten Wanderungen teil.
Liebe Kollegen der Fraktion der Grünen, in Ihrem
Antrag zum Schutz der Biodiversität stellen Sie Forderungen, die zum Teil schon umgesetzt sind oder schon in
der Beratungsphase sind. Sie fordern, dass eine Vereinbarung eines verbindlichen europäischen Post-2010Ziels mit konkreten Unterzielen aufgestellt wird. Die
EU-Kommission hat schon Vorschläge für neue EUZielsetzungen zur Biodiversitätspolitik, insbesondere für
die Zeit nach 2010, gemacht.
Es sind ein langfristiges Biodiversitätsziel der EU bis
2050 und vier Optionen für ein mittelfristiges Ziel für
2020 aufgestellt worden. Die Optionen unterscheiden
sich in ihrem Ambitionsniveau: Während die erste lediglich anstrebt, den Verlust an Biodiversität zu verlangsamen, hält die zweite Option am bestehenden Ziel der
Eindämmung fest, verlängert aber die Frist für sein Erreichen. Die dritte Option zielt nicht nur auf die Eindämmung des Verlusts, sondern auch auf die Wiedernutzbarmachung von Ökosystemen und deren Dienstleistungen.
In der vierten Option wird darüber hinaus ein verbesserter finanzieller Beitrag der EU zur Vermeidung globaler
Biodiversitätsverluste angestrebt.
Diese Vorschläge müssen nun überprüft werden. Auf
dieser Grundlage will die Kommission bis Ende des Jahres eine EU-Strategie für Biodiversität vorlegen. Erste
Schritte bei der Vereinbarung eines europäischen Post2010-Ziels sind schon auf bestem Wege.
Liebe Kollegen der Fraktion der Grünen, Sie fordern
eine nationale Studie zur ökonomischen Bedeutung von
Ökosystemdienstleistungen und biologischer Vielfalt,
um die ausreichende Berücksichtigung in allen Politikfeldern gewährleisten zu können. Eine übergreifende internationale Studie über den „Ökonomischen Wert von
Ökosystemen und biologischer Vielfalt“ - TEEB-Bericht - ist von Deutschland und der EU-Kommission
lanciert und erstellt worden. Man wird sicherlich Ergebnisse aus dieser Studie auf Deutschland übertragen können. Somit wäre eine weitere nationale Studie nicht
zwingend notwendig.
Als zusätzliche Informationsquelle ist gerade der Atlas der Biodiversitätsrisiken auf der Green Week 2010 in
Brüssel vorgestellt worden. Er kombiniert die Hauptergebnisse des großen EU-Forschungsprojektes ALARM
mit einigen Kernergebnissen aus zahlreichen anderen
Zu Protokoll gegebene Reden
Forschungsnetzwerken. Der neue Atlas der Biodiversitätsrisiken ist der erste seiner Art, der die Hauptfaktoren
zusammenfasst, die zum Verlust der Artenvielfalt auf europäischer und globaler Ebene führen.
Auf UN-Ebene ist gerade ein neues internationales
Wissenschaftlergremium für Biodiversität IPBES - Intergovernmental Science-Policy Platform on Biodiversity and Ecosystem Services - nach dem Vorbild des
Weltklimarats IPCC von der internationalen Gemeinschaft auf einer Konferenz in Südkorea beschlossen worden. Weltweit sollen wissenschaftliche Daten gesammelt,
analysiert und anschließend verschiedene Handlungsoptionen angeboten werden.
Die Daten sollen als zusätzliche, unabhängige und
glaubwürdige Informationen als Entscheidungshilfe
genutzt werden. Regierungen in Schwellen- und Entwicklungsländern wird geholfen, eigene Kapazitäten
aufzubauen, beispielsweise durch den Aufbau wissenschaftlicher Kooperationen und den vereinfachten Zugang zu Fachliteratur. IPBES soll dazu beitragen, dass
Fragen der biologischen Vielfalt sektorübergreifend bei
politischen Maßnahmen, Strategien und Programmen
berücksichtigt werden, und damit auch einen Bewusstseinswandel der Gesellschaft herbeizuführen.
Es ist offensichtlich, dass nicht nur eine einzelne politische Maßnahme die Artenvielfalt retten wird, sondern
dass eine systematische Überprüfung aller Politikfelder
bzw. Ressorts notwendig ist. Nur durch ein international
abgestimmtes Vorgehen kann dem rasanten Verlust an
Biodiversität Einhalt geboten werden.
Als großes Ereignis im Jahr der biologischen Vielfalt
tagt die 10. Vertragsstaatenkonferenz - COP 10 - der
Konvention über die biologische Vielfalt - CBD - in Nagoya/Japan. Die deutsche Bundesregierung gibt dann
ihre Präsidentschaft nach zweieinhalb Jahren ab. Der
Fahrplan, ein Post-2010-Ziel im Herbst festzusetzen, ist
schon auf der COP 9 beschlossen worden. Darin wurden
konkrete Ziele und Vereinbarungen formuliert.
Wir sehen als Hauptaufgabe der deutschen CBD-Präsidentschaft den Beschluss der international verbindlichen Vereinbarung zur gerechten Aufteilung der Vorteile
der Nutzung der biologischen Vielfalt - ABS-Regime - im
Oktober auf der Konferenz in Japan. Mit einem ABS-Regime haben die Herkunftsländer biologischer Ressourcen endlich die Chance auf einen gerechten Vorteilsausgleich und sie können gegen Biopiraterie vorgehen.
Wir hoffen, dass im Oktober ein gutes Ergebnis der
10. Vertragsstaatenkonferenz im Sinne der Erhaltung
der Artenvielfalt erreicht wird.
In Vorbereitung dieser Rede blätterte ich durch verschiedene Zeitschriften, Broschüren und recherchierte
im Internet. In themenspezifischen Beiträgen wird immer wieder Alarm geschlagen, ob von Fachbehörden
aus Bund und Ländern oder den verschiedenen Umweltund Naturschutzverbänden in unserem Land: „Für Fledermäuse geht es ums Überleben“, so die Deutsche Umwelthilfe; „Deadline - die Zeit läuft für die letzten 3 200
Tiger“, schreibt der WWF; „30 Vogelarten, mehr als je
zuvor, sind in Deutschland vom Aussterben bedroht“,
warnt der NABU; „Rette die Wale“, fordert der WWF.
Die Liste könnte ich fortführen, aber eigentlich war
ich auf der Suche nach einigen guten Beispielen zum
Schutz der biologischen Vielfalt. Ich meine nicht die vielen kleinen punktuell wirkenden und gut gemeinten Projekte. Sie sind immens wichtig. Wo wären wir ohne sie?
Aber ich suchte nicht nur einen Ansatz zur Rettung einer
Art. Denn es sind die Lebensräume, die nicht weiter zerstört werden dürfen - die Meere, die Wälder weltweit,
auch die Tropenwälder, die Mangrovensümpfe, die
Moore, die Kulturlandschaften. Die Wirkung einer Zerstörung von Lebensräumen ist überregional, ja global.
Die Ergebnisse haben mich ebenso deprimiert wie die
Beschreibung der Defizite beim Schutz der biologischen
Vielfalt im Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen,
um den es heute geht: „Biodiversität national und international konsequent schützen“. Im Januar haben wir es
alle schon gesagt: Das Ziel, den Verlust der biologischen Vielfalt umzukehren, wird weit verfehlt. Wir schaffen es nicht einmal, ihn zu stoppen. Das war ernüchternd. Nun ist die Hälfte des Jahres um, und wir sind
insgesamt nicht sehr viel weitergekommen. Genau das
ist unser Dilemma, und genau das ist das Thema des Antrages.
Die im Antrag genannten Forderungen an die Bundesregierung benennen treffend die Defizite beim Schutz
der Funktionsfähigkeit des Naturhaushaltes, unserer Lebensgrundlage. Es geht um viel, um nicht gleich zu sagen, es geht um alles. Ich will jetzt nicht mit Zitaten aus
dem 1972 erschienen Bericht des Club of Rome „Die
Grenzen des Wachstums“ anfangen. Aber die gleichen
Autoren haben 1992 ein weiteres Buch geschrieben:
„Die neuen Grenzen des Wachstums“. Sie kommen zu
keinem anderen Ergebnis: Es geht um ein generelles
Umdenken. Einer der Autoren, Stewart Udall, beschreibt
es so: „Alles deutet darauf hin, dass wir ständig die
Rolle unserer technologischen Schöpferkraft überbewerten und die Bedeutung unserer natürlichen Ressourcen unterschätzen. Uns fehlt der Sinn für die Grenzen
und das Bewusstsein für die Bedeutung der Ressourcen
dieser Erde ...“.
Jetzt, nach wiederum 20 Jahren, sage ich, dass uns
vielleicht der Sinn für die Grenzen immer noch fehlt,
aber die Bedeutung der natürlichen Ressourcen dringt
langsam doch in unser Bewusstsein. Die Fakten sind
lange genug bekannt; auch, was getan werden muss.
Der Schutz der Lebensräume ist heute die Aufgabe weltweit. Aber lassen Sie uns benennen, was Deutschland leisten kann. Der sozial-ökologische Umbau der
Gesellschaft ist zu schaffen, und das wäre schon die
halbe Miete.
Dass wir mit unserer Art zu wirtschaften dabei sind,
weltweit die biologische Vielfalt zu vernichten, unterstreicht nichts mehr als die Ölkatastrophe im Golf von
Mexiko. Wir sind in rasantem Tempo unterwegs, wenn es
Zu Protokoll gegebene Reden
Undine Kurth ({0})
darum geht, Natur zu zerstören, biologische Vielfalt zu
verringern und Lebensräume zu vernichten. Von den im
April 2002 von den Vertragsstaaten des UN-Übereinkommens über die biologische Vielfalt für das Jahr 2010
formulierten 21 Teilzielen wurde kein einziges erreicht.
Im 3. Globalen Ausblick der CBD, der gerade veröffentlicht wurde, beginnt jede - wirklich jede - Zielbewertung mit der Formulierung „In globalem Maßstab nicht
erreicht …“. Das kann und darf so nicht bleiben.
Die bevorstehende 10. Vertragsstaatenkonferenz ist
eine Chance, neue Ziele und neue Maßnahmen für den
weltweiten Schutz unserer Lebensgrundlagen zu vereinbaren. Der von uns heute vorgelegte Antrag richtet sich
an die Bundesregierung insbesondere in ihrer Eigenschaft als amtierende Präsidentschaft der CBD, die sie
noch bis zur 10. Vertragsstaatenkonferenz in Japan innehaben wird. Dass es eine besonders erfolgreiche Präsidentschaft war, wird nicht einmal die Bundesregierung
zu behaupten wagen; denn bei keinem der wichtigen
Verhandlungspunkte sind bislang Durchbrüche erzielt
worden. Deshalb kommt es darauf an, die verbleibende
Zeit zu nutzen - national und international.
Beispiel Biosicherheit. Nicht abschätzbare Risiken
drohen uns durch den Anbau von gentechnisch veränderten Pflanzen. Diese Risikotechnologie ist geeignet,
größte Schäden in unseren Ökosystemen anzurichten.
Deshalb sollte auf ihre Anwendung verzichtet werden.
Zumindest brauchen wir dringend eine Regelung der
Haftungsfragen. Es muss ein rechtlich bindendes Haftungssystem für alle Vertragsstaaten vereinbart werden.
Bislang: Fehlanzeige!
Beispiel gerechter Vorteilsausgleich. Wenn es weltweit bei der wirtschaftlichen Nutzung der biologischen
Vielfalt gerecht zugehen soll, dann muss endlich eine Regelung getroffen werden zum Zugang und zum gerechten
Vorteilsausgleich bei der Nutzung genetischer Ressourcen. Bisher: Wieder Fehlanzeige!
Beispiel Schutzgebiete. Die vereinbarten internationalen Schutzgebiete zu Wasser und zu Land bedürfen
dringend einer soliden Finanzierung, hier muss auch die
Bundesregierung ihren Anteil leisten - nicht nur bei der
Rettung der Banken. Was wir hier bislang erlebt haben,
ist eine Mehrfachanrechnung zugesagter Mittel - einmal
als Klimaschutz, dann als Biodiversitätsschutz und dann
als Entwicklungshilfe. So werden zwar aus 1 Million
Euro schnell 3 Millionen Euro; ein redliches Vorgehen
ist das aber nicht. Gemeinhin nennt man das Taschenspielertricks. Also: wieder Fehlanzeige!
Im Biodiversitätsschutz - also beim Schutz von Pflanzen und Tieren, Lebensräumen und genetischer Vielfalt geht es aber nicht nur um ferne Regenwälder oder Korallenriffe, sondern auch um konkrete Maßnahmen hier
vor Ort. Auch bei uns in Deutschland treiben Flächenverbrauch, Zerschneidung, intensive Landwirtschaft,
Verschmutzung und Übernutzung die Natur in immer engere Nischen. Die Ökosysteme verarmen und werden instabil. Intakte Ökosysteme sind aber nicht nur für den
Tourismus gut. Wir erhalten von ihnen Nahrung, Baustoffe, Fasern, Energie, Arzneimittel, sauberes Wasser
und saubere Luft. Sie dienen als technische Vorbilder,
stabilisieren das Klima, schützen vor Extremereignissen
und dienen sogar noch der Entsorgung vieler unserer
Abfälle. Deshalb geht es nicht nur um das eine oder andere possierliche Tierchen oder die eine oder andere
exotisch-schöne Pflanze. Es geht um unsere Lebensgrundlagen und die der Generationen nach uns.
Wir alle sollten wissen: Der so wichtige Schutz der
biologischen Vielfalt kann nicht Aufgabe nur eines Ressorts sein. Das geht an der Realität der Ursachen des
Biodiversitätsverlustes völlig vorbei. Biodiversitätsschutz ist eine klassische Querschnittsaufgabe. Als solche sollte sie in Deutschland endlich begriffen werden.
Ich kann Umweltminister Röttgen daher nur auffordern, die Chance zu nutzen und mit dem für dieses Jahr
angekündigten Bundesprogramm zur biologischen Vielfalt einen großen Schritt nach vorne zu machen und dabei insbesondere seine Ellenbogen gegenüber seinen
Kollegen im Landwirtschafts- und im Verkehrsministerium zu nutzen.
Orientieren Sie sich auf keinen Fall an dem hessischen Verkehrs- und Wirtschaftsminister Dieter Posch,
FDP, der Denken von vorgestern bietet, wenn er ankündigt, er wolle den Naturschutz „auf ein volkswirtschaftlich akzeptables Niveau bringen“. Da hat jemand die
Zusammenhänge ganz gewaltig nicht begriffen; denn
weniger Naturschutz heute bedeutet mehr volkswirtschaftliche Kosten morgen.
Nehmen Sie sich lieber noch einmal die Rechnung des
Umweltbundesamtes zur Hand, das Ihnen vorrechnet,
dass in unseren Haushalten umweltschädliche Subventionen stecken, die uns jährlich 48 Milliarden Euro kosten. Packen Sie hier an; das ist dann wirklich „intelligentes Sparen“.
Um meine Rede optimistisch zu beschließen, möchte
ich an dieser Stelle ausdrücklich begrüßen, dass die
UNEP, das Umweltprogramm der Vereinten Nationen,
vor wenigen Tagen beschlossen hat, ein internationales
Wissenschaftlergremium für Biodiversität einzurichten.
Damit wird für politische Entscheidungsträger ein zuverlässiges und glaubwürdiges Gremium eingerichtet,
das Zustand und Entwicklung der weltweiten Biodiversität beobachtet, analysiert und bewertet. Neben der Klimafrage ist die Frage der biologischen Vielfalt eine der
elementaren Herausforderungen unserer Zeit, und dafür
muss entsprechendes gesellschaftliches und politisches
Bewusstsein geschaffen werden. Das IPBES - so der
Name des neuen Gremiums - wird dazu sicherlich einen
guten Beitrag leisten. Wir Grünen können uns auch sehr
gut mit dem Gedanken anfreunden, dass dieses Gremium
in Deutschland angesiedelt wird. Entscheidend wird
aber bleiben, dass wir handeln; denn wir haben schon
heute kein Erkenntnisdefizit, sondern ein Handlungsdefizit.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 17/2005 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. - Damit sind Sie einverstanden. Dann ist das so beschlossen.
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 27 sowie Zusatzpunkt 4 auf:
27 Beratung des Antrags der Abgeordneten Karin
Binder, Caren Lay, Dr. Martina Bunge, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE
Nährwert-Ampel bundesweit einführen
- Drucksache 17/2120 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz ({0})
Ausschuss für Gesundheit
ZP 4 Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz ({1}) zu
dem Antrag der Abgeordneten Ulrike Höfken,
Nicole Maisch, Cornelia Behm, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN
zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates betreffend die „Information der Verbraucher über
Lebensmittel“ KOM({2}) 40
hier: Stellungnahme gegenüber der Bundesregierung gemäß Artikel 23 Absatz 3 des Grundgesetzes
Lebensmittelinformation verbessern - Verbindliche Ampelkennzeichnung einführen
- Drucksachen 17/1987, 17/2185 Berichterstattung:
Abgeordnete Carola Stauche
Dr. Christel Happach-Kasan
Ulrike Höfken
Hier werden zu Protokoll gegeben die Reden von
Carola Stauche, Iris Gleicke, Dr. Christel HappachKasan, Karin Binder und Ulrike Höfken.
Wir diskutieren heute wieder über ein Thema, das uns
schon seit geraumer Zeit beschäftigt, und die Meinung
der Union in dieser Frage hat sich nicht geändert. Im
Land des Autos sind wir uns der Bedeutung von Ampeln
durchaus bewusst, allerdings gehören diese an Kreuzungen und nicht auf Lebensmittel. Auf der Straße helfen
sie, den Verkehr zu regeln; auf Lebensmitteln führen sie
dazu, den Verbraucher zu verwirren. Es mag schön aussehen, wenn alle Lebensmittel mit grünen, gelben oder
roten Punkten gekennzeichnet sind. Aber ist das nicht zu
kurz gedacht? Sollen wir den Bürgern durch eine Ampelkennzeichnung die Entscheidung leicht machen, keine
Margarine mehr zu kaufen, weil diese mit einem roten
Punkt gekennzeichnet ist? Das klingt polemisch, aber
genau das ist die Ampelkennzeichnung auch - Polemik
oder vielmehr Aktionismus und Alibipolitik.
Nicht die Lebensmittelwirtschaft ist schuld, wenn unsere Bäuche wachsen, sondern unser Verhalten. Es gibt
Kinder, die ständig Süßigkeiten essen können, ohne dick
zu werden, während sich andere Schwimmringe anfuttern. Warum? Die schlanken Kinder bewegen sich mehr.
Der Energieumsatz des Körpers ist außerdem nicht bei
jedem Menschen gleich.
Statt sich vernünftig zu ernähren oder mehr Sport zu
treiben, sollen wir, wenn es nach den Vorstellungen der
Opposition geht, jetzt farbigen Punkten unsere Gesundheit anvertrauen. Das ist nicht unser Verständnis von
Verbraucherpolitik. Verstehen Sie mich bitte nicht
falsch. Es ist unbestritten, dass Verbraucherinnen und
Verbraucher über den Energiegehalt und die Gehalte an
Nährstoffen in Lebensmitteln auf der Verpackung informiert werden müssen. Nur so ist durch die Lebensmittelauswahl eine ausgewogene und gesunde Ernährung
möglich.
Lassen Sie mich nur ein Argument hervorheben, welches meiner Meinung nach gegen eine Ampelkennzeichnung spricht: Die Ampelkennzeichnung bezieht sich auf
100 Gramm. Viele Lebensmittel würden damit als „rot“
klassifiziert, zum Beispiel Nüsse, obwohl sie gar nicht in
diesen Mengen verzehrt werden. Die Frage, ob ein Lebensmittel ernährungsphysiologisch günstiger oder ungünstiger ist, hängt aber entscheidend von der verzehrten Menge und vor allem von der Gesamternährung ab.
Bei der Ausarbeitung des „1 plus 4 Modells“ hat sich
die Bundesregierung deshalb bewusst gegen das Ampelmodell entschieden. Die Union unterstützt das Modell
von Bundesministerin Aigner: Wir wollen eine klare und
informative Lebensmittelkennzeichnung mit übersichtlichen Informationen auf der Verpackung über Nährwerte, Inhaltsstoffe und Abdeckung des Tagesbedarfs
auf der Grundlage einheitlicher, vergleichbarer Bezugsgrößen. Die Kalorienzahl in Bezug auf die empfohlene
Tageszufuhr muss auf die Vorderseite. Der Rest - also
Zucker, Salz, ungesättigte Fettsäuren und Fett - soll auf
die Rückseite.
Die Entscheidung des BMELV für dieses Modell ist
auch aufgrund der Bedenken, die seitens der Wissenschaft gegenüber der Ampelkennzeichnung geäußert
wurden und immer noch geäußert werden, getroffen
worden. So hat die Deutsche Gesellschaft für Ernährung deutlich gezeigt, dass die wissenschaftliche Eindeutigkeit der international vorgeschlagenen Bezugsgrößen wenig überzeugend ist. Sie kritisiert unter
anderem die Spannen der im Ampelsystem vorhandenen
Farben. Bei einer Bezugsgröße von 100 Gramm führen
3 bis 20 Gramm Fettanteil zu einem gelben Ampelpunkt. Was das in dieser Größenordnung für ein Unterschied ist, muss ich niemandem näher erläutern. Auch
das Beispiel des Cola-Getränks macht deutlich, dass die
Ampelkennzeichnung deutliche Schwächen hat. Aufgrund des Fehlens von gesättigten Fettsäuren, von Fett
und Salz erhält es drei grüne Punkte und nur für den Zuckergehalt einen roten. Sehr übersichtlich auf der Verpackung angebracht deutet es auf ein gesundes Lebensmittel hin: „Dreimal grün und nur einmal rot, was soll’s,
das nehm’ ich mit, ist doch völlig ungefährlich.“ Und
auch wer glaubt, dass er sich ausgewogen ernährt, wenn
er nur noch Produkte mit grünen Punkten, zum Beispiel
Äpfel, in seinem Warenkorb hat, liegt falsch. Eine solche
Kennzeichnung ist doch total verwirrend.
Die eben genannten kleinen Beispiele zeigen doch
deutlich, zu welcher Irritation es bei der Ampel kommen
kann. Das kann doch nicht im Sinn von verantwortungsvoller Verbraucherpolitik sein. Kurzum: Simplifizierende Farbpunkte, wie die reine Ampelkennzeichnung
sie vorsieht, bedeuten schlichtweg irreführende Informationen. Nahrungsmittel werden hier in gut und
schlecht eingeteilt. Auch nationale Alleingänge, wie
von SPD und Linken gefordert, helfen uns wenig. Sowohl für die Verbraucher wie auch für die Wirtschaft ist
vielmehr eine einheitliche europäische Regelung wichtig. Hohe Produktions- und Logistikkosten für die Wirtschaft und Verwirrung für die Verbraucher wären die
Folgen eines nationalen Alleingangs. Eines muss uns
doch aber auch klar sein: Eine Kennzeichnung ist letztlich nur eine zusätzliche Hilfestellung für den Verbraucher. Die Linke und die SPD versteifen sich mal wieder
in der Fehlernährungsdebatte auf Kennzeichnungsregelungen. Doch das Problem wird nicht mit bunten Farben
gelöst, sondern mit Verbraucherbildung an Schulen, in
Kantinen und im Elternhaus.
Ich möchte noch einmal darauf hinweisen: Wer sich
bis heute nicht über seine Ernährung informiert hat,
wird dies auch in Zukunft nicht tun. Da muss verantwortungsvolle Verbraucherpolitik ansetzen. Informieren,
aufklären, behilflich sein statt bevormunden - das ist
das Credo der Union. Das ist der Weg, den wir alle einschlagen müssen. Diesen Weg müssen alle gemeinsam
gehen, Verbraucherinnen und Verbraucher gemeinsam
mit Erzeugern, Händlern, Verbraucherschützern und
auch der Politik. Bei Bedürfnissen der Verbraucher und
Verbraucherinnen müssen Informationsangebote durch
Erzeuger, Händler und Politik gemacht werden. Die
Politik muss ihrer Sorgfaltspflicht den Bürgerinnen und
Bürgern gegenüber nachkommen und Erzeugern und
Händlern bei ihrer Tätigkeit auf die Finger schauen,
ohne ihnen dabei die Hände festzubinden.
Dass wir in Europa nicht allein stehen mit dieser
Meinung, hat die gestrige Abstimmung im Europäischen
Parlament gezeigt. Auch hier stimmte man gegen eine
verpflichtende Ampelkennzeichnung, übrigens mit den
gleichen Argumenten, die wir in dieser Diskussion seit
Jahren vorbringen. Die Unionsfraktion begrüßt die Entscheidung des Europäischen Parlamentes ausdrücklich,
sich erneut gegen eine stigmatisierende farbliche Ampelkennzeichnung auf europäischer Ebene auszusprechen. Einmal mehr ist deutlich geworden, dass es in Europa keine Mehrheit für eine solche Kennzeichnung gibt.
Ein großes Lob sprechen wir der CDU-Europaabgeordneten und Berichterstatterin Renate Sommer für die konsequente und gute Verhandlungsführung aus.
Auch die Befürworter einer solchen stigmatisierenden Kennzeichnung sollten die Zeichen der Zeit endlich
erkennen und ihren Glaubenskrieg beenden. Was der
Verbraucher braucht, sind vergleichende und übersichtliche Informationen, ohne Wertung.
An die Kolleginnen und Kollegen der Linken gerichtet: Jetzt werden Sie einen Satz hören, den Sie selten von
mir zu hören bekommen. Ich bin Ihrer Meinung, dass
Deutschland eine Vorreiterrolle bei der Einführung einer nachvollziehbaren Lebensmittelkennzeichnung einnehmen sollte. Das ist allerdings mit der Ampelkennzeichnung, wie sie von Ihnen gefordert wird, nicht
gewährleistet. Das und die oben genannten Gründe sind
der Grund dafür, dass wir den Antrag ablehnen.
Die Anträge für die Ampelkennzeichnung können nur
unterstützt werden.
Seit Monaten diskutieren Politik, Wirtschaft und Verbraucherschützer über die Frage der Nährwertkennzeichnung auf Lebensmitteln; und das europaweit.
Bei dieser Diskussion sollte das Ziel ganz klar sein,
allen Verbrauchern die Wahl der richtigen Produkte für
eine gesunde und ausgewogene Ernährung zu erleichtern, und zwar so leicht verständlich, dass in Zukunft
niemand mit dem Taschenrechner den Supermarkt betreten muss.
Wir brauchen eine klare Kennzeichnungspflicht, damit Verbraucherinnen und Verbraucher einfach vergleichen und bewusst entscheiden können, was sie essen und
trinken. Sie müssen endlich auch ohne ein ernährungswissenschaftliches Studium verstehen können, was gesund ist und was nicht. Das ist heute leider gar nicht
mehr so leicht, da viele Produkte, die in der Werbung als
gesund gepriesen werden, versteckte Fette und Zucker
beinhalten.
Der Bundesverband der Kinder- und Jugendärzte, die
Bundesärztekammer und auch die gesetzlichen Krankenkassen fordern seit langem die Einführung der Ampelkennzeichnung, die auch schon in Großbritannien zu
großem Erfolg geführt hat. Dort ist der Absatz ausgewogener Produkte seit Einführung der Ampelkennzeichnung
signifikant gestiegen. Diese Verbände haben meiner
Meinung nach ein wesentlich fundierteres Fachwissen
zum Thema ernährungsbedingte Krankheiten als die
Lobbymaschinerie der Lebensmittelwirtschaft, die sich
- aus ihrer Sicht verständlicherweise - gegen die Ampelkennzeichnung ausspricht.
Die Einführung des „Nährwertkästchens“, also der sogenannten GDA-Kennzeichnung, oder des „1 plus 4 Modells“ reicht zur Aufklärung nicht aus und ist irreführend.
Die Nährwertangaben, die für frei variable Portionsgrößen angegeben werden können, bieten nur eine abstrakte
Vergleichsmöglichkeit. 15 Gramm Schokolade haben
weniger Zucker und Kalorien als ein Liter Bioapfelsaft.
Da wird der Einkauf schnell zur Mathestunde, und die
Verbraucher werden schlichtweg verunsichert.
Die Angaben auf dem Etikett müssen einfach, vergleichbar, überschaubar und leicht verständlich sein
und dürfen keinen Teil unserer Bevölkerung ausgrenzen.
Die farbliche Kennzeichnung der Ampel würde all diese
Anforderungen erfüllen. Sie würde insbesondere bei zusammengesetzten Produkten wie Tiefkühlpizza, Müsli
oder Fertiggerichten Aufklärungsarbeit leisten.
Zu Protokoll gegebene Reden
Nicht nur die SPD ist seit langem für die Einführung
der Ampel. Bereits im Juli 2009 hat es eine Emnid-Umfrage gegeben, in der sich 69 Prozent der Verbraucher
für eine Ampelkennzeichnung ausgesprochen haben. Die
Menschen wollen eine einfache Kennzeichnung, die sie
auch lesen können, wenn sie einmal ihre Brille vergessen haben, und die sie auch ihren Kindern verständlich
machen können.
In Großbritannien sprechen sich sogar die Supermärkte selber für eine klare Kennzeichnung aus, da sich
Transparenz und Offenlegung auszahlen.
Auch wenn sich die Europäische Union am Mittwoch
erneut gegen die verpflichtende Ampelkennzeichnung
ausgesprochen hat, so brauchen wir wenigstens auf nationaler Ebene diese verständliche Lösung.
Die Nährwertampel ist gestern im Europaparlament
mehrheitlich abgelehnt worden. Es hat sich die Vernunft
durchgesetzt, und das ist gut. Die vorliegenden Anträge
von den Grünen und der Linken haben sich damit erledigt.
Bereits jetzt sind auf den meisten Lebensmittelverpackungen Angaben über den Gehalt des Lebensmittels an
Kalorien, Fett, gesättigten Fettsäuren, Zucker und Salz
zu lesen. Die freiwillige Kennzeichnung hat sich weitgehend durchgesetzt. Die Unternehmen der Lebensmittelwirtschaft haben zumeist sehr zügig auf die Forderungen
nach solchen Informationen reagiert und damit akzeptiert, dass selbstverständlich die Verbraucherinnen und
Verbraucher einen Anspruch auf diese Informationen
haben.
Die Unterlegung dieser Informationen mit Farben
bedeutet jedoch eine nicht sachgerechte Emotionalisierung. Die Warnfarbe Rot steht für einen hohen Gehalt.
Grün für einen niedrigen Gehalt. Es gibt viele Beispiele,
die zeigen, dass mit diesem einfachen Schema von Gut
und Böse keine sachgerechte und den Lebenssituationen
der einzelnen Verbraucher entsprechende Verbraucherinformation möglich ist.
Wenn die Ampel an der Kreuzung Rot zeigt, sagt die
Straßenverkehrs-Ordnung, dass jeder stehen bleiben
muss. Die Nährwertampel ist gerade nicht so eindeutig
wie die Verkehrsampel. Die Ampelkennzeichnung bei
Lebensmitteln ist anders als im Straßenverkehr nicht
klar: Rot, Gelb und Grün auf Lebensmitteln würde im
Straßenverkehr gleichzeitiges Bremsen, Kuppeln und
Gasgeben bedeuten. Und sollte etwa das Matjesfilet, das
wegen des hohen Fett- und Kaloriengehalts zwei rote
Punkte tragen würde, im Regal liegen bleiben? Wo
bleibt die Information, dass der hohe Gehalt an ungesättigten Fettsäuren Matjes als ein besonders gesundes
Produkt auszeichnet? Wer nur als Grün gekennzeichnete
Lebensmittel zu sich nehmen wollte, würde schwere
Mangelerscheinungen in Kauf nehmen. Das kann doch
niemand wollen.
Als Motivation für die Nährwertampel wird immer
wieder genannt, dass zunehmend mehr Menschen und
gerade auch Kinder Übergewicht haben. Das ist in der
Tat ein Problem. Aber wir beobachten nicht nur eine Gewichtszunahme. Essstörungen wie Bulimie und Magersucht sind vor allem bei jungen Frauen, mittlerweile
aber auch bei jungen Männern weit verbreitet. Nach einer Studie des Robert-Koch-Instituts aus dem Jahr 2006
hat jedes dritte Mädchen von 11 bis 17 Jahren Essstörungen und Krankheiten wie Magersucht, Ess-BrechSucht oder Fettsucht. Bei Jungen im gleichen Alter sind
es immerhin 15,2 Prozent. Dieses gesamtgesellschaftliche Problem ist nicht durch eine mit Farben unterlegte
Kennzeichnung, die die rationale Information über
Nährwertgehalte durch farbliche Unterlegung emotionalisiert, in den Griff zu bekommen. Im Gegenteil, gerade für Menschen mit krankhaften Essstörungen birgt
die Nährwertampel eine erhebliche Gefahr der Fehlorientierung. Eine Nährwertkennzeichnung muss jedoch
allen Menschen Information und Orientierung geben.
Nicht nur die Deutsche Gesellschaft für Ernährung
hat sich gegen die Nährwertampel ausgesprochen, sondern auch die Lebensmittelwirtschaft. Dies wurde von
den Befürwortern der Nährwertampel sogleich als Lobbyismus gebrandmarkt. Zwei plus zwei ist vier, jeder
weiß das. Ist diese wahre Aussage automatisch dann
falsch, wenn ein Lobbyist sie bestätigt? Mir haben die
von mir persönlich angeschriebenen Krankenkassen
keine wissenschaftliche Studie nennen können, die belegt, dass die Nährwertampel die Gesundheit fördert.
Die Tatsache, dass Verbraucherverbände sich für die
Nährwertampel ausgesprochen haben, ist kein wissenschaftlicher Beleg dafür, dass sie die angesprochenen
Probleme lösen hilft.
In den beiden letzten Jahrzehnten ist das Durchschnittsgewicht der Kinder, der Anteil zu dicker Kinder
gestiegen. Besorgniserregend ist das Auftreten von Diabetes-Typ-2 bei Kindern, der früher erst im Alter auftrat.
Ändern wir dies durch rote Punkte auf der Bonbonpackung? Garantiert nicht. Das Bewegungsverhalten der
Menschen hat sich in den letzten Jahren verändert. Kinder spielen weniger draußen, sitzen mehr am Computer,
und auch Erwachsene bewegen sich wesentlich weniger
als früher. Ich habe vor wenigen Tagen einen Hundebesitzer gesehen, der im Auto vorneweg fuhr und seine
Hunde hinterherlaufen ließ. Die Menschen bewegen sich
zu wenig. Dies hat erhebliche negative Auswirkungen
auf ihre Gesundheit. Hier ist jeder Einzelne gefragt, umzudenken. Die negativen Folgen von Bewegungsmangel
können nur durch mehr Bewegung gemindert werden.
Deswegen verfolgt beispielsweise die Plattform „Ernährung und Bewegung“ den richtigen Ansatz.
Die polarisierte Diskussion um die Nährwertampel
verdrängt völlig, dass der Bewegungsmangel für sehr
viele gesundheitliche Probleme verantwortlich ist. Die
gesundheitlichen Folgen der Bewegungsarmut vieler
Menschen können nur zu einem sehr geringen Teil durch
eine angepasste, das heißt energieärmere Ernährung
aufgefangen werden. Es ist bedauerlich, dass viele Verbände, die es besser wissen müssten, zur Durchsetzung
einer populistischen Position eine solche Fehlorientierung zum Schaden der Menschen in Kauf nehmen.
Zu Protokoll gegebene Reden
Die FDP tritt ein für eine sachliche Nährwertkennzeichnung ohne farbliche Bewertung, wie sie inzwischen
auf sehr vielen Lebensmitteln zu finden ist. Für eine
wirksame Bekämpfung von Fehlernährung sind zudem
Ernährungswissen und Ernährungsbildung, eine ausgewogene Ernährung sowie ausreichende Bewegung und
Sport notwendig. Initiativen wie das Schulobstprogramm
oder der „Ernährungsführerschein“ der Landfrauen
helfen dabei.
Im Übrigen sollte nicht vergessen werden: Wir essen
nicht nur, um die notwendige Kalorienaufnahme zu tätigen. Essen ist Kultur. Freude über ein gutes Essen stärkt
das Wohlbefinden, ist also gesund. Rote Punkte auf der
Verpackung leisten hierzu keinen Beitrag.
Die Absage des EU-Parlaments an eine verpflichtende Nährwertampel steht im Widerspruch zu den Wünschen der Verbraucherinnen und Verbraucher. Diese
wollen Nährwertangaben, die mit den Farben Grün,
Gelb oder Rot unterlegt sind, um auf den ersten Blick
versteckte Dickmacher und Schummelwerbung entlarven zu können.
Ohne Frage: Die Lebensmittellobby hat sich gegen
die Interessen der Menschen durchgesetzt. Dazu war ihr
fast jedes Mittel recht: Verbraucherinnen und Verbraucher wurden für dumm verkauft, Öffentlichkeit und Politik mit einer beispiellosen Gegenkampagne überzogen.
Geradezu unerträglich ist es aber, dass an Magersucht
leidende Menschen herhalten mussten, um gegen eine
nachvollziehbare Kennzeichnung von Lebensmitteln
Stimmung zu machen.
Bemerkenswert ist auch die Rolle der Bundesregierung. Sie gibt die Parolen der Ernährungsindustrie
teilweise im Wortlaut wieder - nachzulesen in den Sitzungsprotokollen des Ausschusses und den Antworten
auf Anfragen aus dem Parlament. Frau Aigner hat sich
nicht einmal die Mühe gemacht, sich mit den Argumenten der zahlreichen Gesundheitsexperten, Ärzten, Verbraucherschützern und der überwältigenden Mehrheit
in der Bevölkerung auseinanderzusetzen. Eine derart
schamlose Klientelpolitik lassen wir Schwarz-Gelb nicht
durchgehen. Dass die Bundesregierung mit ihrer Haltung gegen die Interessen der Verbraucherinnen und
Verbraucher handelt, möchte ich hier noch einmal verdeutlichen:
Diabetes, Herz-Kreislauf-Erkrankungen und vorzeitiger Gelenkverschleiß sind unter anderem häufige Folgen von Übergewicht. Nach Ansicht von Gesundheitsexperten, Ärzte- und Patientenverbänden, Krankenkassen
und Verbraucherschutzorganisationen ist fett- und zuckerreiche Ernährung neben Bewegungsmangel eine
Hauptursache.
Schlecht lesbare und unübersichtliche Angaben, insbesondere bei kalorienreichen Fertiglebensmitteln, sowie eine damit einhergehende, oft irreführende Werbung
der Hersteller tragen ihren Teil dazu bei. Ein Zuviel an
Fett, Zucker und Salz muss häufig ausgleichen, was andere Bestandteile im Fertiglebensmittel vermissen lassen: mehr Geschmack. Von der Lebensmittelindustrie
werden die Dickmacher also gezielt zur Absatzförderung
eingesetzt, da sie eine geschmacksanregende Wirkung
haben. Dem gilt es etwas entgegenzusetzen.
Zahlreiche wissenschaftliche Untersuchungen belegen nun, dass die Nährwertampel am besten zu einer raschen und richtigen Beurteilung von Produkten und
damit zu einer ausgewogenen und gesunden Ernährung
beiträgt. Die Angaben beziehen sich einheitlich auf
100 Gramm oder 100 Milliliter, damit alle Produkte miteinander vergleichbar sind. Mithilfe des Ampelmodells
können Verbraucherinnen und Verbraucher die Zusammensetzung der Nährwerte eines Lebensmittels auf den
ersten Blick richtig einschätzen und auch irreführende
Werbung umgehen.
Die Mehrheit der Deutschen spricht sich für eine
farbliche Gestaltung von Nährwertangaben aus, wie
eine Meinungsumfrage im Auftrag des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz zeigt. Nach einer repräsentativen Umfrage des
AOK-Bundesverbandes und des Berufsverbands der
Kinder- und Jugendärzte wollen über 90 Prozent der Eltern die Nährwertampel. Eine aktuelle Studie der Fachhochschule Münster verdeutlicht: Eine Ampelkennzeichnung führt zu einer besseren Einschätzung des Zuckerund Kaloriengehaltes und zu richtigen Produktvergleichen.
Die Nährwertampel trägt demnach am besten zu einer richtigen und raschen Beurteilung von Produkten
durch die Verbraucherinnen und Verbraucher bei. Die
Gehalte von Fett, gesättigten Fettsäuren, Zucker und
Salz werden dabei auf der Vorderseite der Lebensmittelverpackung angegeben und entsprechend der Menge
jeweils farblich unterlegt: grün für „gering“, gelb für
„mittel“ und rot für „hoch“.
Die Linke fordert deshalb zusätzlich zur unbefriedigenden EU-Entscheidung in Deutschland die Einführung der Nährwertampel. Die Brüsseler Regelung gesteht den Einzelstaaten weitere Kennzeichnungen bei
Lebensmitteln zu, sofern diese den EU-Vorgaben nicht
widersprechen. Die Bundesregierung kann der Lebensmittelindustrie dazu Vorgaben machen. Verbraucherministerin Aigner hat damit die Möglichkeit, sich aus
der Umarmung der Lebensmittellobby zu lösen. Mit der
Ampelkennzeichnung würde sie den Verbraucherinnen
und Verbrauchern beim Einkauf eine klare und nachvollziehbare Information an die Hand geben.
Gegen jede gesundheits- und ernährungspolitische
Vernunft lehnt die schwarz-gelbe Koalition die Ampelkennzeichnung weiter ab. Die Haltung von CDU, CSU
und FDP hier wie im Europäischen Parlament zeigt:
Die 1 Milliarde Euro, die sich die Lebensmittellobby
ihre Kampagne für ihr Kennzeichnungsmodell hat kosten lassen, war aus Sicht der Industrie gut investiertes
Geld. Die Abgeordneten haben sich dem Druck von
Kellogg’s, Nestlé und Co. gebeugt. Das Nachsehen haben die Verbraucherinnen und Verbraucher.
Zu Protokoll gegebene Reden
Die Entscheidung wird sich als ernährungspolitischer Bumerang erweisen. Die dramatische Zunahme
der Zahl ernährungsbedingter Krankheiten, die uns inzwischen 100 Milliarden Euro jährlich kostet, wird sich
fortsetzen. Die Hersteller schmeißen weiter ihre Kalorienbomben auf den Markt und tun so, als seien dies sportliche Fitnessprodukte. Besonders gut zu beobachten ist
das gerade jetzt zur Fußballweltmeisterschaft. Da wird
zum Beispiel die Milka Alpenmilch-Haselnuss-Schokolade in einer zweigeteilten Packung - 1. Halbzeit und
2. Halbzeit - verkauft. In 90 Minuten verzehrt der
Zuschauer 80 Gramm Schokolade. Die Nährwertangaben beziehen sich jedoch auf eine Miniportion von
25 Gramm, wodurch der Nährwertgehalt entsprechend
niedrig erscheinen soll. Ohnehin wird kaum ein Fan neben dem Spiel das Kleingedruckte lesen.
Wir fordern - wieder und immer noch, zusammen mit
Krankenkassen, Ärzten und Elternverbänden - die Einführung der Lebensmittelampel als einfaches, verbraucherfreundliches Kennzeichnungssystem. Noch steht die
Abstimmung im Ministerrat an. Das Argument, die Ampel verwirre die Menschen, ist fadenscheinig. Seit Jahren macht die englische Kette Sainsbury’s vor, wie es
funktionieren kann. Alle Eigenprodukte sind dort mit der
Ampel gekennzeichnet. Das Einkaufsverhalten der Leute
hat sich nachweislich hin zu gesünderen Produkten
geändert. Und nicht nur das: Mittlerweile nutzt die Supermarktkette diese Erkenntnis auch umgekehrt für die
Produktion, das heißt, die Produktentwicklung prüft, ob
nicht der Salz-, Zucker- oder Fettgehalt in Produkten reduziert werden kann. Dies ist für uns ein Effekt, der besonders wünschenswert ist. Die Produkte werden besser.
Der Trend zum Übergewicht konnte mit einem Bündel
an ernährungspolitischen Maßnahmen inzwischen nicht
nur in England, sondern zum Beispiel auch in den USA
gestoppt werden. Nur in Deutschland geht die Fehlentwicklung munter weiter, weil die geeigneten politischen
Maßnahmen fehlen. Die Ministerin belässt es bei Appellen. Frau Aigner, haben Sie den Supermarkt gesehen,
der nach Ihrer Aufforderung die Süßigkeiten von den
Kassen weggeräumt hat und jetzt die Gurken und Tomaten dort auftürmt?
Wir fordern die Bundesregierung auf, endlich eine
Ernährungs- und Verbraucherpolitik zu machen, die ihren Namen verdient: Setzen Sie sich im Ministerrat für
die verbindliche Ampelkennzeichnung und Werbeverbote für Süßigkeiten im Umfeld von Kindersendungen
und einen Verkaufsstopp von Softdrinks in Schulen ein.
Wälzen Sie den flächendeckenden Ausbau der Kindergarten- und Schulernährung nicht auf die Länder ab,
sondern gehen sie über ein Bund-Länder-Aktionsprogramm mit in die Verantwortung und Finanzierung.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 17/2120 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. - Damit sind Sie einverstanden. Dann ist das so beschlossen.
Zusatzpunkt 4: Der Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz empfiehlt in seiner
Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/2185, den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/1987 abzulehnen. Wer stimmt für die Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? Die Beschlussempfehlung ist bei Zustimmung durch die
Koalitionsfraktionen und Ablehnung der Oppositionsfraktionen angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 29 sowie Zusatzpunkt 5 auf:
29 Beratung des Antrags der Abgeordneten Oliver
Krischer, Sven-Christian Kindler, Hans-Josef
Fell, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Aufhebung der Haushaltssperre und Weiterführung des Marktanreizprogramms und der
nationalen Klimaschutzinitiative zur Förderung erneuerbarer Energien
- Drucksache 17/2007 Überweisungsvorschlag:
Haushaltsausschuss ({0})
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
ZP 5 Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Bärbel Kofler, Sören Bartol, Dirk Becker,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Marktanreizprogramm und nationale Klimaschutzinitiative fortsetzen
- Drucksache 17/2119 Überweisungsvorschlag:
Haushaltsausschuss ({1})
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Die folgenden Kolleginnen und Kollegen haben ihre
Reden zu Protokoll gereicht: Bernhard SchulteDrüggelte, Bettina Kudla, Sören Bartol, Heinz-Peter
Haustein, Michael Leutert und Oliver Krischer.
Mit dem Marktanreizprogramm werden Anlagen zur
Gewinnung erneuerbarer Energien zur Wärmenutzung
gefördert. Dies ist im Interesse einer zukunftsfähigen
und nachhaltigen Energieversorgung und des Klimaschutzes. Es werden Investitionskostenzuschüsse für Solarkollektoranlagen zur Warmwasserbereitung und Heizungsunterstützung, kleinere Anlagen zur Verbrennung
fester Biomasse und effiziente Wärmepumpen gewährt.
Das Marktanreizprogramm ist eine Erfolgsgeschichte.
Allein im Jahr 2009 wurden gut 253 000 Investitionszuschüsse vergeben. Die Bundesregierung hat dafür
374 Millionen Euro aufgewendet. Des Weiteren wurden
2 100 Förderkredite in Höhe von 300 Millionen Euro zugesagt. Mit diesen Darlehen und Zuschüssen wurden
insgesamt 3 Milliarden Euro Investitionen ausgelöst.
Bundesumweltminister Röttgen hat im Berichterstattergespräch am 17. Mai 2010 noch einmal auf den Erfolg
des Marktsanreizprogramms hingewiesen. Mit jedem
staatlich geförderten Euro werden circa 8 Euro private
Investitionen ausgelöst. Damit ist dieses Programm das
erfolgreichste Investitionsprogramm der Bundesregie5122
rung. Zudem erfolgen nahezu 90 Prozent der Wertschöpfung in Deutschland.
Die Berichterstatter des Einzelplans 16 im Haushaltsausschuss setzen sich für eine Fortführung und Verstetigung dieses Programms ein. In den letzten Jahren
ist in vielen Bereichen eine Verstetigung von klimaschützenden Programmen gelungen. Dazu zählt auch das
Marktanreizprogramm. Die Mittel für die Förderung der
erneuerbaren Energien wurden kontinuierlich aufgestockt. Damit wurde deutlich: Die Investoren und Handwerksbetriebe haben Planungssicherheit. Planungssicherheit bedeutet aber nicht, dass dieses Programm bei
der anstehenden Konsolidierung des Bundeshaushalts
unangetastet bleiben soll. Wichtig ist allerdings ein eindeutiges und klares Signal über die Höhe der Förderung
in den folgenden Jahren.
Das Programm ist gut für den Klimaschutz, es schafft
Arbeitsplätze in Deutschland und hilft unserem Land,
die internationale Vorreiterrolle im Bereich der erneuerbaren Energietechnik zu sichern und auszubauen.
Aus diesem Grund hatte ich bereits in der Debatte
zum Haushalt 2010 Bedenken hinsichtlich einer Sperre
und der Verknüpfung mit den Erlösen aus dem CO2-Zertifikateverkauf. Im Zuge der Beratungen konnte erfreulicherweise eine Veranschlagung der Einnahmen aus dem
Verkauf der Emissionszertifikate im allgemeinen Haushalt erreicht werden. Alle Einnahmen aus dem Handel
mit CO2-Emissionszertifikaten stehen nun dem Gesamthaushalt zur Verfügung. Das ist eine gute Vorbedingung
für nachhaltigen Klimaschutz, unabhängig von kurzfristigen Preisschwankungen an den Emissionshandelsbörsen.
Aus diesem Grund befürworte ich nun auch die Aufhebung der Sperre beim Titel „Förderung von Einzelmaßnahmen zur Nutzung erneuerbarer Energien“. Hier
sind Ausgaben in Höhe von 115 Millionen Euro für das
laufende Jahr gesperrt.
Laut Auskunft des Bundesministeriums für Umwelt,
Naturschutz und Reaktorsicherheit sind schon jetzt von
den verfügbaren rund 333 Millionen Euro, die auf das
Marktanreizprogramm entfallen, circa 265 Millionen
Euro gebunden.
Es wird deutlich, dass zur Sicherstellung einer kontinuierlichen Bewirtschaftung des Marktanreizprogramms
die Aufhebung der Sperre angezeigt ist. Investitionszuschüsse für Solarkollektoren, Anlagen zur Verfeuerung
fester Biomasse und effizienter Wärmepumpen sind gefährdet. Die Sperre steht einer kontinuierlichen Verausgabung der Mittel entgegen und führt zur Verunsicherung bei geplanten Investitionen. Daher hoffe ich sehr,
dass das Bundesministerium der Finanzen dem Haushaltsausschuss noch vor der parlamentarischen Sommerpause eine entsprechende Vorlage zur Entsperrung
der Mittel vorlegt.
Zum Sachverhalt: Der Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestages hat im Rahmen der Haushaltsberatungen 2010 im März 2010 eine Haushaltssperre über
das Marktanreizprogramm und die nationale Klimaschutzinitiative zur Förderung erneuerbarer Energien
verhängt. Von der Sperre betroffen sind 115 Millionen
Euro des Bundeshaushaltes 2010. Der Haushaltsansatz
für dieses Programm insgesamt beträgt 448 Millionen
Euro. Aufgrund der mehreren Tausend Anträge sind bereits 333 Millionen Euro an Fördergeldern gebunden.
Diese generieren ein Investitionsvolumen von rund
1 Milliarde Euro bis April 2010. Mit dem vorliegenden
Antrag fordert die Fraktion der Grünen, dass der Bundestag sich grundsätzlich zu dem Marktanreizprogramm
und der nationalen Klimaschutzinitiative bekennt und
dass die Haushaltssperre umgehend wieder aufgehoben
wird. Hierzu ist Folgendes zu sagen: Die christlich-liberale Koalition steht zu ihren im Koalitionsvertrag
festgelegten, ehrgeizigen Klimazielen. Zur Umsetzung
dieser Klimaziele sind regenerative Energien unverzichtbar. Diese sollten auch gefördert werden. Gleichwohl ist die Bundesregierung in der Verantwortung, mit
den öffentlichen Mitteln sparsam und wirtschaftlich umzugehen. Insofern ist jeweils eine Abwägung zu treffen
zwischen dem, was gesetzlich notwendig ist, und dem,
was wünschenswerte Projekte sind. Der Haushalt 2010
weist eine Nettoneuverschuldung von über 80 Milliarden Euro aus. Dies ist eine bisher nie dagewesene
Größe. Das heißt, der Bund gibt über 80 Milliarden
Euro mehr aus, als er einnimmt. Aufgrund der Finanzund Wirtschaftskrise sind erhöhte Unsicherheiten entstanden, was die Prognose der Einnahmen und auch der
Ausgaben betrifft. Hinzu kommt, dass im Währungsraum
des Euro aufgrund der hohen Verschuldung der europäischen Staaten zusätzliche Unsicherheiten im Hinblick
auf die Stabilität der Währung des Euro zu verzeichnen
sind. Im Mai 2010 wurde ein umfangreiches Rettungspaket
sowohl für den griechischen Staat als auch für die gesamte Euro-Zone beschlossen. Die europäischen Staaten
sind daher ganz besonders gefragt, ihre öffentlichen
Haushalte zu konsolidieren. Dies bedeutet, dass die
Bundesregierung und sämtliche Fachministerien im
Haushaltsvollzug darauf achten müssen, dass möglichst
wenig Geld der entsprechenden, im Haushalt vorgesehenen Ausgaben verbraucht wird. Diesem Zweck dient
eine Haushaltssperre. Die Haushaltssperre hat zur
Folge, dass das Bundesfinanzministerium die Ausgaben
nochmals einer exakteren Überprüfung hinsichtlich ihrer Notwendigkeit unterzieht. Öffentliche Haushalte,
über die eine Haushaltssperre verhängt wurde, geben in
der Regel wesentlich weniger aus als geplant. Die Haushaltssperre ist also ein Instrument, die Ausgaben zu senken. Im Hinblick auf eine hohe Verschuldung ist daher
eine Haushaltssperre notwendig und gerechtfertigt. Der
Haushaltsausschuss hat auch deshalb die Haushaltssperre verhängt, weil bereits zu Beginn des Jahres 2010
erkennbar war, dass die Planansätze der Einnahmen
nicht erfüllt werden können. Ursache dafür sind Einnahmeausfälle für den Bund aus dem Handel mit CO2-Zertifikaten. Es ist daher vernünftig, auf diese Einnahmeausfälle auch entsprechend zu reagieren. Zu beachten ist
jedoch ein Vertrauensschutz gegenüber den Bürgern.
Auf die Erfüllung gesetzlicher Pflichtaufgaben hat der
Bürger einen Anspruch. Diese Ausgaben müssen auch
jeweils bei einer Haushaltssperre geleistet werden. Bei
Zu Protokoll gegebene Reden
freiwilligen Aufgaben, wie zum Beispiel bestimmten
Förderprogrammen oder -initiativen, besteht diese gesetzliche Verpflichtung nicht. Folglich besteht ein Spielraum, diese Ausgaben zu kürzen. Bei einer möglichen
Kürzung sollte berücksichtigt werden, welchen Mehrwert diese Ausgabe hat. Damit meine ich den entsprechenden Multiplikatoreffekt für Investitionen.
Auch sollte Bürgern und Unternehmen möglichst Planungssicherheit gegeben werden, das heißt, entsprechende Förderprogramme sollten nicht kurzfristig wegfallen, was bei einer Haushaltssperre unter Umständen
gegeben ist. Allerdings ist allgemein bekannt, dass bei
Förderprogrammen, die auf ein bestimmtes Volumen begrenzt sind, die Antragssteller keine Sicherheit haben,
ob ihrem Antrag wirklich stattgegeben wird. Kritiker an
dem Instrument der Haushaltssperre sollten daher in
Zeiten hoher Verschuldung auch akzeptieren, dass
Haushaltsansätze bei Aufstellen neuer Haushalte verringert werden. Hiermit richte ich meinen Blick insbesondere auf das Haushaltsjahr 2011 und auf das von der
Bundesregierung vorgelegte Sparpaket. Dies sollten wir
uns alle vor Augen führen. Es ist immer eine Abwägung
zu treffen, ob es vertretbar ist, eine Ausgabe auf Kosten
der nachfolgenden Generationen zu finanzieren und
Schulden aufzunehmen, oder ob man nicht andere Wege
suchen muss, den gewünschten Förderzweck zu erreichen, aber ohne sich zu verschulden. Diese Möglichkeit
sehe ich bei dem vorliegenden Marktanreizprogramm
und der Klimaschutzinitiative durchaus. In den ersten
vier Monaten dieses Jahres wurden allein 82 000 Förderanträge bewilligt, für Solarkollektoren, Biomasseheizungen, Wärmepumpen und Kraft-Wärme-Kopplung.
Das Förderprogramm hat also bereits erheblich dazu
beigetragen, Privatpersonen und Unternehmen zu Investitionen in den Klimaschutz zu veranlassen. Es besteht für die Bürger selbst ein Anreiz, entsprechende klimaschutzfreundliche Investitionen vorzunehmen, sie
sparen dann langfristig Energiekosten. Dies sollte man
im Blick haben bevor man Geld des Steuerzahlers ausgibt, das eigentlich gar nicht vorhanden ist. Vor dem
Hintergrund der hohen Verschuldung des Bundes und
der Möglichkeit, entsprechende Investitionen durch Private selbst vorzunehmen, würde ich das Beibehalten der
Haushaltssperre begrüßen. Geld, das nicht vorhanden
ist, kann auch nicht mit vollen Händen ausgegeben werden. Ich wünsche der Bundesregierung weiterhin viel
Mut bei der Kürzung von Ausgaben und bei der Aufstellung des Bundeshaushaltes 2011.
Das Marktanreizprogramm und die nationale Klimaschutzinitiative: Man muss kein Prophet sein, um vorherzusagen, dass diese Themen uns immer wieder beschäftigen werden, bis in der Sache die richtige
Entscheidung getroffen ist; denn mittlerweile dürfte es
allen hier im Hause klar sein: Die Auswirkungen der
Haushaltssperre für das Marktanreizprogramm sind so
weitreichend und negativ, dass wir im Bundestag die
Sperre nicht einfach so stehen lassen und zur Tagesordnung übergehen können. Wir alle haben eine große
Anzahl an Schreiben von den von den Auswirkungen Betroffenen erhalten. Da sind die Antragsteller von Förderungen: In laufenden Maßnahmen werden ihnen unvermittelt Finanzierungsanteile gestrichen. Der Fortgang
und die Vollendung ganzer Baumaßnahmen sind dadurch infrage gestellt. Sie sehen ihr Vertrauen in die
Maßnahmen des Bundes zutiefst verletzt. Da sind die
Handwerker und kleinen Firmen, die fest mit Aufträgen
und Lieferungen gerechnet haben, und denen diese von
jetzt auf gleich wegen der fehlenden Förderung wegbrechen und deren Betriebspersonal dadurch plötzlich nicht
mehr ausgelastet ist. Auch hier: Vertrauen zerstört,
Existenzen bedroht.
Genauso stark betroffen: die Umwelt. Hier kann man
die Hoffnung auf einen raschen, nachhaltigen Umstieg
mit wirksamer Veränderung der CO2-Bilanz begraben.
Und das, da wir alle wissen, dass es in Sachen Klimaveränderung ab einem gewissen Punkt keine Möglichkeit mehr gibt, die Dinge umzukehren und Schäden zu
reparieren. Dies alles wissen wir. Wir wissen es jetzt,
nach dem Wirksamwerden der Haushaltssperre beim
Marktanreizprogramm. Wir alle wussten es aber bereits
vorher. Schon in der ersten Lesung des Bundeshaushalts
2010 haben wir das hier in diesem Hause angesprochen,
auch die verehrten Kollegen aus den Reihen der Koalition, mit dem Ergebnis, dass wir gemeinsam die vorgesehene Haushaltssperre nicht beschlossen haben. Wir haben bei der zweiten Lesung des Haushalts versucht, eine
erneute Sperrung zu verhindern. Dabei waren sich die
mit der Sache Betrauten fraktionsübergreifend einig,
wie kontraproduktiv eine solche Haushaltssperre ist.
Durchgesetzt haben sich andere mit anderen Motivationen. Und ausgelöst hat es die eben angeführten Auswirkungen destruktiver Art.
Im Haushaltsausschuss haben die Vertreter von SPD,
Grünen und Linken am 29. April 2010 umgehend einen
gemeinsamen Antrag gestellt und die Bundesregierung
aufgefordert, die Aufhebung der Haushaltssperre zu beantragen. Zur Begründung haben wir bereits dort ausgeführt, dass eine Unterbrechung der Programme der
Bedarfssituation und den Zielen der Klimaschutzinitiative nicht gerecht würde. Denn durch die Sperre sind
unter anderem die Investitionszuschüsse für Solarkollektoren, Anlagen zur Verfeuerung fester Biomasse bis
100 Kilowatt und effiziente Wärmepumpen gefährdet, da
schon der ursprüngliche Ansatz mit 291,3 Millionen
Euro um fast ein Viertel unter dem Betrag lag, der 2009
in Höhe von 374,3 Millionen Euro nachgefragt und bewilligt wurde. Sie sehen, es waren und sind die gleichen
Argumente, die auch heute in der Debatte von Bedeutung sind und die den Bundesrat zu seiner Entscheidung
bewogen haben.
Darüber hinaus haben wir in dem Antrag vom
29. April 2010 auch darauf hingewiesen, dass die Bindung der Haushaltssperre an das Erreichen der Zielmarke von Einnahmen aus der Veräußerung von Emissionszertifikaten in Höhe von 815 Millionen Euro mit
dem Haushaltsgrundsatz der Bruttoveranschlagung und
dem Prinzip der Gesamtdeckung nicht vereinbar ist.
Dies ist ein haushaltssystematischer Beleg dafür, dass
die Haushaltssperre nicht begründet und deshalb aufzuheben ist. Dieser Antrag ist bis heute im Haushaltsausschuss nicht abschließend behandelt, da die Koalition
Zu Protokoll gegebene Reden
mit den unterschiedlichsten Begründungen eine Verschiebung durchgesetzt hat. Wohl will sie damit warten
bis zu dem fernen Tag, an dem die Vertreterinnen und
Vertreter der Koalition wissen, was sie dazu meinen.
Wenn wir uns heute im Bundestagsplenum auf der Basis der Entschließung des Bundesrates erneut mit dem
Thema befassen, dann ist dabei zu konstatieren, dass der
Bundesrat sich mehrheitlich den Argumenten der Gegner der Haushaltssperre angeschlossen hat, wie auch
ich sie in den Beratungen zum Haushalt vorgetragen
habe. Das belegt erneut die Stichhaltigkeit dieser Argumente ebenso wie die Notwendigkeit zur Aufhebung der
Haushaltssperre. Heute, nach den Beschlüssen der Bundesregierung zum Sparen bei künftigen Haushalten,
müssen wir den Argumenten zur Aufhebung der Haushaltssperre noch ein weiteres hinzufügen: In der „Süddeutschen Zeitung“ vom 8. Juni 2010 wird in dem Artikel „Schlechtes Klima“ ein Gutachten zitiert, nach dem
jeder Euro Förderung aus dem Programm 6 Euro Investitionen bewirkt. Das zeigt, dass das Marktanreizprogramm wirksamer als manch ein Konjunkturförderungsprogramm ist.
Allein durch die Mehrwertsteuer nimmt der Herr Finanzminister für jeden ausgegebenen Euro bei den resultierenden Investitionen 1,04 Euro ein. Dazu kommen
Steuereinnahmen an anderer Stelle im Steuersystem wie
bei der Einkommensteuer oder der Gewerbesteuer. Damit sind diese resultierenden Einnahmen höher als das
eingesetzte Förderkapital. Womit die Aufhebung der
Haushaltssperre ein aktiver Beitrag zum Verringern des
Haushaltsdefizits ist. Deshalb ist dieser Schritt umgehend geboten: aus den dargelegten fiskalischen Überlegungen, aus den bekannten umweltpolitischen Beweggründen und nicht zuletzt aus dem angesprochenen
Vertrauensschutz für die Investoren und Gewerbetreibenden. Und deshalb haben wir Sozialdemokraten einen
Antrag vorgelegt, in dem wir zum wiederholten Male die
Aufhebung der Sperre fordern. Wir hoffen, dass die Bundesregierung sich umgehend zu seiner Umsetzung entschließt.
Ich könnte es mir leicht machen und zu Protokoll geben, dass der Antrag der Grünen, der hier zur Debatte
steht, bereits erledigt sei; denn die Grünen sind wieder
einmal nicht auf der Höhe der Zeit. Doch lassen Sie
mich an dieser Stelle noch einmal darstellen, worum es
in den letzten Wochen ging, als die Aufhebung der Haushaltssperre diskutiert wurde, und warum die Haltung
meiner Fraktion die einzig richtige war und ist; denn so
einfach, wie es sich die Grünen hier machen, ist staatliche Verantwortung nicht! Es gibt einen Zusammenhang
zwischen Ausgaben des Marktanreizprogramms ({0})
und den Einnahmen des Zertifikatehandels. Die Einnahmen aus dem Zertifikatehandel sollten für das MAP verwendet werden. Ziel und Zweck beim Marktanreizprogramm während der Beratungen zum Bundeshaushalt
2010 war es, einen Teil der Haushaltsmittel zu sperren,
bis man die Einnahmesituation beim Emissionszertifikatehandel im Jahresverlauf besser beurteilen kann. Hier
bestanden aufgrund der wirtschaftlichen Entwicklungen
- vor allem im Zuge der Wirtschaftskrise - noch große
Unwägbarkeiten, und sie bestehen auch weiterhin. Angesichts der auch heute noch herrschenden extremen
Prognoseunsicherheit über die Erlösentwicklung bei der
Veräußerung der Emissionszertifikate konnte nicht ausgeschlossen werden, dass im schlechtesten Fall eine um
den entsprechenden Betrag höhere Verschuldung eintritt, was angesichts der Staatsverschuldung unbedingt
zu vermeiden ist. Insofern wäre die Sperre aus haushaltspolitischer Sicht nach wie vor aufrechtzuerhalten.
Und nichts, gar nichts wäre daran falsch. Das muss ich
als Haushälter hier auch in aller Deutlichkeit sagen;
denn bei den Mitteln für das Marktanreizprogramm handelt es sich um eine Subvention. Und bei Subventionen
reichen die zur Verfügung gestellten Mittel ohnehin niemals aus, um die Nachfrage, die besteht, oder die Nachfrage, die überhaupt erst durch die Subvention entsteht,
zu befriedigen. Das war beim MAP auch im vergangenen Jahr schon so. Nur durch Verwendung anderer
Haushaltsmittel konnten weitere Anträge genehmigt
werden. Wenn nun in diesem Jahr die verfügbaren Mittel
aufgrund der Antragsflut erschöpft sind, dann ist das
nur der Eintritt des Falls, der bereits im vergangenen
Jahr absehbar war. Im Übrigen werden die Mittel nach
Einschätzung der Experten im BMU auch nach Aufhebung der Sperre absehbar im Jahresverlauf nicht reichen, um die Nachfrage nach Förderung zu stillen.
Insofern werden diejenigen, die schon immer verantwortungslos nach Aufhebung der Haushaltssperre verlangt haben, ohne zu erklären, woher die Mittel kommen
sollen, wenn eine höhere Staatsverschuldung ausgeschlossen ist, auch jetzt nicht zufrieden sein. Sie werden
verantwortungslos noch mehr Subventionen fordern und
bereitwillig eine höhere Verschuldung in Kauf nehmen.
Auf der einen Seite die hohe Verschuldung des Bundes
kritisieren, gleichzeitig aber sehenden Auges ohne Gegenfinanzierung beim MAP in eine höhere Verschuldung
laufen - das sage ich in Richtung von SPD und Grünen -,
ist widersprüchlich. Diesen Widerspruch sollten Sie in
Ihren eigenen Reihen klären. Wer derartig agiert, betreibt keine verantwortungsvolle und vor allem keine
nachhaltige Politik, wie Sie es gerade von den Grünen
gerne für sich reklamieren. Trotz der haushaltspolitischen Notwendigkeiten und unter Berücksichtigung der
schwierigen Finanzlage infolge der größten Finanzkrise
in der Geschichte der Bundesrepublik hat sich die FDP
von Anfang an um eine sachgerechte Lösung in der
Frage bemüht. Die Vorlage zur Entsperrung der Haushaltsmittel lag einige Zeit beim Bundesministerium der
Finanzen. Verantwortlich für die Verzögerung bei der
Zuleitung der Vorlage an den Bundestag war die Suche
nach einer Gegenfinanzierung für die Mittel, da, wie geschildert, auch derzeit die Einnahmesituation beim Zertifikatehandel kaum seriös prognostizierbar ist. Wir als
FDP haben immer wieder darauf hingewiesen, dass die
betroffenen Programme insbesondere für das Handwerk
die Grundlage für Auftragsvergaben in erheblichem
Umfang sind, was angesichts der wirtschaftlichen Lage
besondere Bedeutung gewinnt. Die nachgewiesenen
Multiplikatoreneffekte erreichen gerade im Marktanreizprogramm eine Größenordnung von 1 : 7, was
eine exzellente Multiplikatorwirkung ist. Nicht vergesZu Protokoll gegebene Reden
sen werden sollte, dass es der frühere SPD-Umweltminister Sigmar Gabriel gewesen ist, der die Keimzelle
für die aktuellen Probleme gelegt hat. Es war seine Entscheidung, die Ausgaben des Marktanreizprogramms an
die Versteigerungserlöse des CO2-Emissionshandels zu
koppeln. Diese Erlöse brechen in der Wirtschaftskrise
nun ein. Dass der Mittelstand einer solchen Planungsunsicherheit mit all den jetzt zu besichtigenden Folgen
unterworfen ist, ist von Herrn Gabriel zu verantworten.
Dass das BMF die Vorlage zur Entsperrung der Haushaltsmittel in voller Höhe nun dem Parlament zuleiten
und der Haushaltsausschuss Anfang Juli darüber entscheiden und die Aufhebung der Sperre beschließen
wird, ist aus wirtschaftspolitischer und mittelstandspolitischer Sicht richtig, um Investitionen zu ermöglichen
und Arbeitsplätze zu sichern. Dass die Entsperrung erst
nach erfolgter Gegenfinanzierung der Ausgaben in Verantwortung für dieses Land erfolgt, ist Verdienst und
Kennzeichen dieser Bundesregierung.
Das Marktanreizprogramm für erneuerbare Energien, über das wir heute reden, und die nationale Klimaschutzinitiative stehen für die wenigen Beispiele, bei denen ökologische und ökonomische Ziele zusammen
erfolgreich angestrebt und erreicht werden. Dies belegen die Zahlen. Allein im Jahr 2009 wurde über eine
viertel Million Investitionszuschüsse mit einem Gesamtumfang von über 374 Millionen Euro gewährt und damit
Gesamtinvestitionen von circa 3 Milliarden Euro ausgelöst.
Besonders für die ostdeutschen Bundesländer, in denen von einem selbsttragenden Aufschwung nicht die
Rede sein kann, haben die Zukunftsindustrien auf diesem Sektor eine große Bedeutung. Die erneuerbaren
Energien sind einer der ganz wenigen Wachstumsbereiche, in dem sowohl technisches Know-how als auch Arbeitsplätze neu und dauerhaft entstanden sind. Insofern
sind das Marktanreizprogramm und die Klimaschutzinitiative insgesamt auch ein Wirtschaftsförderprogramm,
welches nicht wie viele andere kurzlebige Subventionsgräber geschaffen hat, sondern im Gegenteil zum Aufbau nachhaltiger Wirtschaftsstrukturen beigetragen hat.
Ausgerechnet das Marktanreizprogramm mit einer
Haushaltssperre zu belegen, ist deshalb ökologischer
und ökonomischer Unfug. Es ist schlicht politisch falsch.
Die Linke wird aus diesem Grund dem Antrag der Grünen zustimmen.
Zuletzt war zu hören, dass die Bundesregierung doch
noch vor der Sommerpause die Haushaltssperre für das
Marktanreizprogramm aufheben will. Einen solchen
Schritt würden wir natürlich begrüßen. Allerdings frage
ich mich, wie es um die Nachhaltigkeit des ganzen Programmes bestellt ist, wenn, wie ebenfalls zu hören war,
dafür einfach Mittel aus dem nächsten Haushalt vorgezogen werden. Dies ist nichts anderes als eine vorweggenommene Kürzung. Es bliebe damit bei der grundsätzlichen Infragestellung des Programms und zögert
dessen Abwürgen nur um ein paar Monate hinaus.
Um sowohl eine verlässliche Wirtschaftspolitik als
auch einen langfristigen Beitrag zum Klimaschutz zu
leisten, muss diese Politik der Ungewissheit, des Aufschiebens und Abwürgens erfolgreicher Programme ein
Ende haben. Neben der Senkung der Einspeisevergütung
für Solarstrom und den Kürzungen im Bereich der energetischen Gebäudesanierung ist dies bereits der dritte
wichtige klimapolitische Bereich, welcher der Politik
der Regierung von CDU/CSU und FDP zum Opfer fällt
oder zu fallen droht. Doch auch der wirtschaftpolitische
Bereich hat erhebliche Dimensionen. Jeder Förder-Euro
mobilisiert 7 bis 10 weitere Euro, welche in die Anlageninvestitionen fließen. Direkt oder indirekt sichert das
Programm bis zu 10 000 Arbeitsplätze. Dies sind Zahlen, an denen eine verantwortungsvolle und soziale
Politik, vor allem auch in Zeiten einer akuten Wirtschaftskrise, nicht einfach vorübergehen darf.
Das Marktanreizprogramm, MAP, ist - oder war,
muss man inzwischen wohl eher sagen - das Instrument
zur Förderung der erneuerbaren Energien im Wärmebereich und für Mini-KWK und kommunale Klimaschutzprojekte. Das MAP dient nicht nur dem Klimaschutz und
dem Aufbau einer nachhaltigen Energieversorgung,
sondern hat die Technologienentwicklung einer ganzen
Branche vorangebracht und Zehntausende Arbeitsplätze
in Deutschland geschaffen und gesichert.
Damit ein solches Programm auf Dauer erfolgreich
sein kann ist es wichtig, dass es zuverlässig für alle Beteiligten läuft. Denn nur stabile Rahmenbedingungen
schaffen Investitionssicherheit und damit Arbeitsplätze
in der heimischen Industrie und im Handwerk. Aber bereits seit Monaten verunsichert die schwarz-gelbe Bundesregierung die gesamte Branche, indem sie Antragsteller und Unternehmen über die Zukunft des MAP im
Unklaren lässt.
Das seit Monaten andauernde Hick-Hack um die Zukunft des MAP - Finanzminister gegen Umweltminister,
CDU gegen FDP, CSU gegen CDU, alle gegen alle - ist
wie vieles andere auch sinnbildlich für den Zustand dieser Koalition. Man könnte sich amüsiert zurücklehnen,
wenn nicht die Zukunft einer ganzen Branche auf dem
Spiel stände; denn die verhängte Haushaltssperre in
Höhe von 115 Millionen Euro und die bereits erfolgten
Kürzungen der Mittel haben dazu geführt, dass seit geraumer Zeit keine neuen Anträge mehr bewilligt werden. Im Bereich der Mini-KWK erhalten Antragsteller
zum Teil jetzt die Ablehnung ihres Antrags, den sie im
August ({0}) 2009 gestellt haben. So stehen Zehntausende
von Investitionsvorhaben vor dem Aus. Handwerksbetriebe und Industrieunternehmen, die sich auf diese Bereiche spezialisiert haben, haben keine Aufträge mehr.
Dabei sollte die wirtschaftliche Bedeutung des MAP
eigentlich allen Beteiligten klar sein: Verschiedene Gutachten, auch des Bundesumweltministeriums, BMU, haben eindrucksvoll dargelegt, dass bis zu 8 Euro Investitionen pro Förder-Euro ausgelöst werden. Es ist
schlichtweg nicht nachvollziehbar, dass das so erfolgreiche MAP gestoppt wird. Denn durch das FörderproZu Protokoll gegebene Reden
gramm kommen erhebliche Steuereinnahmen zurück in
den Bundeshaushalt.
Die eingesetzten Haushaltsmittel bringen also einen
doppelten Gewinn: zum einen setzen sie nachhaltige Anreize, einen Betrag zum Klimaschutz zu leisten. Zum anderen werden Arbeitsplätze im Handwerk und im Mittelstand geschaffen und nachhaltig gesichert. Angesichts
der im Koalitionsvertrag festgeschriebenen Ziele zum
Klimaschutz, zum Ausbau der erneuerbaren Energien
und der wirtschaftlichen Entwicklung in Deutschland
benötigt die Branche bei der erneuerbaren Wärme und
der Mini-KWK nachhaltige Anreize wie das MAP.
Die von Ihnen erlassene Haushaltssperre, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen aus der CDU/CSU- und
FDP-Fraktion, konterkariert diese Bemühungen. Sie
blenden offensichtlich aus, dass das MAP und die NKI
zusammengenommen in 2009 Investitionen in Höhe von
circa 3,75 Milliarden Euro ausgelöst haben. Diese Investitionen fehlen in Deutschland jetzt und in Zeiten der
Wirtschafts- und Finanzkrise und kosten Zehntausende
Arbeitsplätze.
Die Auswirkungen dieser Politik bekommen auch die
Kommunen zu spüren. Zum Beispiel die NRW-Klimaschutzkommune Saerbeck kann ihre ehrgeizigen Ziele
hin zu einer erneuerbare Energien und energieeffiziente
Verfahren nutzenden Gemeinde aufgrund des Förderstopps kaum noch verwirklichen. Diese Auswirkungen
für den Mittelstand und das Handwerk vor Ort sind verheerend.
Seit mehreren Monaten haben wir immer wieder Anfragen zur Zukunft des MAP an die Bundesregierung
gestellt. Doch klare Aussagen sind Sie uns und den Antragstellern und Unternehmen bis heute schuldig geblieben. Es wird sich entweder hinter dem zu erarbeitenden Energiekonzept, den Mindereinnahmen durch die
CO2-Emissionszertifikate oder noch nicht abgeschlossenen Beratungen - wahrscheinlich sind es eher Querelen,
was ja in Ihrer Regierung nichts Neues ist - zwischen
den einzelnen Bundesministerien und den Regierungsfraktionen versteckt. Diese fehlende Planungssicherheit
hat eine gesamte Branche stark verunsichert und ihr
Vertrauen in die Verlässlichkeit der Politik tief erschüttert.
Das muss ein Ende haben, besser spät als nie. Selbst
Teile Ihrer eigenen Parteien auf Bundes- und Landesebene stellen sich gegen Sie und fordern, dass die Hängepartei beim MAP eine Ende hat. So haben im Mai dieses
Jahres acht Landesumweltminister - auch der CDU - in
einem Brandbrief an Finanzminister Schäuble eine Aufhebung der Haushaltssperre für das MAP gefordert.
Das BMU hat sich ebenfalls in einem Brandbrief vor
wenigen Wochen an das BMF gewandt mit der Forderung nach Freigabe der gesperrten Mittel. Auch von Abgeordneten der schwarz-gelben Koalition vernehme ich
immer wieder die Bereitschaft, sich für eine Aufhebung
der Sperre einzusetzen.
Nur fehlt uns bis jetzt der Glaube, dass es dazu demnächst auch kommen wird. Ich kann mich noch sehr gut
an die Beteuerungen von Herrn Pfeiffer aus der CDU
oder Herrn Breil von der FDP auf verschiedenen Veranstaltungen am Anfang dieses Jahres erinnern, dass das
Impulsprogramm zur Förderung von Mini-KWK fortgeführt werde. Doch nur wenige Wochen später wurde das
Programm eingestellt.
Schließlich hat sich zudem der Bundesrat in seiner
Sitzung am 4. Juni 2010 nachdrücklich für eine Aufhebung der Haushaltssperre beim MAP ausgesprochen.
Diesen Entschließungsantrag des Bundesrates, von
ihren Parteifreundinnen und -freunden mit verfasst und
beschlossen, stellen wir heute zur Abstimmung, um Ihnen gesichtswahrend eine Zustimmung und damit eine
Aufhebung der Haushaltssperre zu ermöglichen. Denn
den durch Ihr Regierungshandeln entstandenen Missstand wollen wir korrigieren, und wir begrüßen die Entschließung des Bundesrats zur weiteren Förderung erneuerbarer Energien aus dem MAP und der NKI.
Wir fordern Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen der
Koalition, auf, der Entschließung des Bundesrates, die
wir hier zur Abstimmung stellen, zuzustimmen und die
Haushaltssperre beim MAP unverzüglich aufzuheben,
auch wenn der Kollateralschaden durch die in den letzten Monaten entstandene Verunsicherung von Investoren und Unternehmen schon nicht mehr zu reparieren
sein wird.
Das MAP nützt nicht nur Handwerk und Mittelstand,
sondern hilft dem Klima und schafft nachhaltige Anreize
Energie zu sparen. Wachstumsbranchen wie die der erneuerbaren Energien benötigen Investitionssicherheit
und keine Hängepartien.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf
den Drucksachen 17/2007 und 17/2119 an die Ausschüsse vorgeschlagen, die Sie in der Tagesordnung finden, wobei die Vorlage auf Drucksache 17/2007 federführend beim Haushaltsausschuss beraten werden soll. Damit sind Sie einverstanden. Dann ist das so beschlossen.
Damit sind wir am Ende der heutigen Tagesordnung.
Ich wünsche Ihnen einen schönen Abend und den Genuss der gewonnenen Einsichten.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Freitag, den 18. Juni 2010, 9 Uhr, ein.
Die Sitzung ist geschlossen.