Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Die Sitzung ist eröffnet.
Nehmen Sie bitte Platz. Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich begrüße Sie alle herzlich.
Wir können heute ohne zusätzliche Ankündigungen
oder Veränderungsmeldungen gleich in unsere Tagesordnung eintreten.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 26 auf:
Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/
CSU und der FDP eingebrachten Entwurfs eines
Gesetzes zur Änderung wehr- und zivildienstrechtlicher Vorschriften 2010 ({0})
- Drucksache 17/1953 Überweisungsvorschlag:
Verteidigungsausschuss ({1})
Innenausschuss
Rechtsausschuss
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit
Haushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 GO
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 75 Minuten vorgesehen. - Dazu gibt es
keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort erhält der
Bundesminister der Verteidigung, Dr. Freiherr zu
Guttenberg.
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Am 19. Mai dieses Jahres hat die Bundesregierung
den Entwurf eines Wehrrechtsänderungsgesetzes 2010
beschlossen, um den Wehrdienst und in dessen Folge
auch den Zivildienst auf sechs Monate zu verkürzen. Ich
bin dankbar, dass dieser Gesetzentwurf vonseiten der
Fraktionen der CDU/CSU und FDP aufgegriffen wurde
und jetzt auch aus der Mitte des Parlaments eingebracht
wird. Damit sind wir in der Lage, das Gesetzgebungsverfahren zu beschleunigen. Dies entsprach und entspricht
der Zielsetzung der Bundesregierung.
Bei dem Wehrrechtsänderungsgesetz ging es immer
auch um Planungssicherheit für die betroffenen jungen
Männer. Es ist mir daher besonders daran gelegen, dass
wir das Verfahren auch im Interesse der Betroffenen
möglichst rasch zum Abschluss bringen. Frühzeitige
Planungssicherheit ist für die von Wehrpflicht und Zivildienst betroffenen jungen Männer ungemein wichtig.
Mit dem Gesetzentwurf liegt zudem ein tragfähiges
Konzept zur Ausgestaltung des ambitionierten kürzeren
Wehrdienstes vor, das auch die Anliegen des Zivildienstes, wie insbesondere die vorgesehene Möglichkeit der
freiwilligen Verlängerung des Zivildienstes, entsprechend berücksichtigt. Das ist ein Anliegen, für das die
Frau Kollegin Schröder gekämpft hat, die sich dazu sicher auch noch äußern wird.
Ungeachtet der aktuellen Entwicklungen behält der
Gesetzentwurf seine Aktualität. Gerade angesichts der
anstehenden Reform der Bundeswehr, die zu einem gewissen Zeitpunkt auch einen Anpassungsbedarf bei der
Wehrform zur Folge haben kann, ist es wichtig, dass die
ab 1. Juli dieses Jahres Einberufenen auch für ihre private Lebensplanung jedenfalls Klarheit darüber haben,
wie lange sie zu dienen haben. Diese Klarheit und entsprechend auch diese Planungssicherheit sind wir unseren Wehrpflichtigen schuldig.
Allein deshalb hatten wir den Kompromiss zur Stichtagsregelung ab 1. Juli 2010 für die erstmalige Einberufung zu W 6 akzeptiert - wir haben das intensiv auch
zwischen und mit den Fraktionen diskutiert -, obwohl
hierdurch - das muss man sagen - auch die Anstrengungen für die Bundeswehr bei der Umsetzung spürbar erhöht werden; aber es ist machbar und durchführbar.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die allgemeine
Wehrpflicht war in der über 50-jährigen Geschichte der
Bundeswehr immer die richtige Wehrform und weitestgehend eine Erfolgsgeschichte. Die Zusammensetzung
unserer Streitkräfte aus Berufs- und Zeitsoldaten, Grundwehrdienst und freiwilligen zusätzlichen Wehrdienst
Leistenden sowie Reservisten hat entscheidend zu den
Redetext
beiden auch international anerkannten Markenzeichen
der Bundeswehr beigetragen: hohe Professionalität und
feste Verankerung in Volk und Staat.
Ich war und bin daher ein grundsätzlicher Befürworter der allgemeinen Wehrpflicht. Es ist gerade die Zielsetzung der Verkürzung des Grundwehrdienstes, die
allgemeine Wehrpflicht auch unter den modernen Rahmenbedingungen und einer möglichst geringen Belastung aufrechtzuerhalten.
Sie wissen aber auch, dass Grundlage für unsere bisherigen Planungen ein Streitkräfteumfang von insgesamt 225 000 Soldatinnen und Soldaten war.
Nun sind zwei Gesichtspunkte miteinander in Verbindung zu bringen: zum einen eine grundlegende Strukturreform, die bereits zu Beginn auch meiner Amtszeit in
ihrer Ausgestaltung und mit Blick auf die Einrichtung einer Kommission auf den Weg gebracht wurde - es ist
unbestritten, dass die Bundeswehr strukturell reformiert
werden muss -, und zum anderen der Umstand, dass
auch der Verteidigungshaushalt seinen Beitrag zur allgemeinen Haushaltskonsolidierung leisten muss. Auch
die Bundeswehr bleibt nicht von den gegebenen finanzpolitischen Zwängen und Entwicklungen unberührt.
Allerdings dürfen nicht die finanzpolitischen Zwänge
und Entwicklungen allein die künftige Struktur der Bundeswehr bestimmen, sondern die künftige Struktur der
Bundeswehr muss sich letztlich aus ihrem Auftrag, ihren
Zielsetzungen und den künftigen Herausforderungen definieren. Das ist der entscheidende Punkt.
({0})
Ich vertrete von daher die Position, dass letztendlich
der entscheidende Maßstab für die Bundeswehr erfüllbar
bleiben muss, nämlich die Fähigkeit zum Einsatz im
Rahmen des gegebenen und auch des künftigen Aufgabenspektrums. Ein Denken vom Einsatz her ist etwas,
was wir letztlich schon seit 20 Jahren als Realität begreifen müssen, auch wenn wir uns einige Male unglaublich
schwergetan haben, dieser Realität nachzukommen. Es
ist Realität, und es wird Realität bleiben.
Wenn ich von der Fähigkeit zum Einsatz spreche,
dann ist es für mich selbstverständlich, dass Einsätze unserer Soldatinnen und Soldaten nicht nur rechtlich und
politisch legitim, sondern immer auch militärisch vertretbar und verantwortbar sein müssen. Dies bedeutet
nicht allein eine angemessene Ausrüstung - das selbstverständlich in besonderer Weise -, sondern auch hinreichende Ausbildungs- und Trainingsmöglichkeiten,
richtige Laufbahn- und Personalstrukturen sowie bestmögliche soziale und materielle Rahmenbedingungen.
Gerade letztere haben eine bedeutende Auswirkung auf
die Sicherstellung der Motivation und damit auf die Fähigkeit, im Einsatz zu bestehen und richtig zu handeln.
Dies unter den gegebenen wie künftigen nicht nur finanziellen Bedingungen zu leisten, ist eine erhebliche Herausforderung.
Entsprechend der Beschlussfassung, die wir in der
Bundesregierung einvernehmlich getroffen haben, werden jetzt Konsequenzen und Auswirkungen von strukturellen Überlegungen und von Einsparleistungen im
Verteidigungsetat auf die sicherheitspolitische Handlungsfähigkeit unseres Landes, auf den möglichen Personalumfang der Bundeswehr, ihre Struktur und die
Wehrform geprüft und bewertet.
Feststellen kann ich schon jetzt, ohne hier ein endgültiges Ergebnis vorwegnehmen zu können, dass Einsparungen im Verteidigungsetat, die kurzfristig wirksam
werden, in nennenswertem Umfang kurzfristig nur im
Bereich des Personals zu erzielen sind. Von daher führt
aller Wahrscheinlichkeit nach an einer erheblichen Personalreduzierung kein Weg vorbei. Wenn wir über
künftige Strukturen nachdenken und eine entsprechend
gut ausgestattete, aber auch den Einsätzen nachkommende Bundeswehr haben wollen, ist es allerdings wichtig, dass der Weg in diese Richtung weist und wohl auch
weisen muss. Das kann durchaus zur Folge haben, dass
mit Blick auf das Gesamtpersonalgefüge sich der Grundwehrdienst nicht, jedenfalls nicht mehr in der jetzt vorgesehenen Form, aufrechterhalten lässt. Aber wir nehmen uns Zeit, die künftige Ausgestaltung entsprechend
ergebnisoffen zu diskutieren. Wir werden - das ist wichtig - dieses Thema in den nächsten Wochen und Monaten gemeinsam mit dem Parlament diskutieren.
({1})
Aber bei geringer werdendem Gesamtumfang und
gleichzeitig unverändertem Fortbestand der Wehrpflicht
muss berücksichtigt werden, dass möglicherweise zu
viele der länger dienenden Soldaten durch rein wehrpflichtspezifische Aufgaben wie Ausbildung und Führung der Rekruten gebunden wären. Die damit verbundene enorme Kraftanstrengung würde an die Grenze
ihrer Vertretbarkeit, aber auch ihrer Vermittelbarkeit in
der Truppe stoßen. Auch diese Diskussion ist zu führen.
Wir müssen aufpassen, dass wir keine Ressourcen blockieren. Wir müssen darauf achten, dass wir nicht solche
Ressourcen blockieren, die zwingend für kritische Einsätze oder deren Vorbereitung benötigt werden.
Ich habe daher in meinem Hause auch dazu eine ergebnisoffene Prüfung angewiesen, die aber auch keine
Tabus und Denkverbote enthält. Ich glaube, das ist wichtig und richtig. Von daher lässt sich zum jetzigen Zeitpunkt nicht voraussehen, für wie lange wir den heute
vorliegenden Gesetzentwurf wirklich in der Praxis umsetzen. Umso erforderlicher ist es aber, ihn zügig umzusetzen, gerade mit Blick auf die Planungssicherheit für
die betroffenen jungen Männer.
Ich bitte Sie, das Gesetzgebungsverfahren, wie vorgesehen, weiter zu betreiben. Wir entsprechen damit dem
Ziel der Rechts- und Planungssicherheit für diese jungen
Männer. Es steht dann in jedem Fall fest, dass die zum
1. Juli Einberufenen nur noch einen Grundwehrdienst
oder Zivildienst von sechs Monaten ableisten müssen.
Herzlichen Dank.
({2})
Nächster Redner ist der Kollege Rainer Arnold für die
SPD-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die
letzten paar Wochen, Herr Minister, haben gezeigt, dass
Sie ein vollwertiges Mitglied dieser Bundesregierung
sind. Sie haben das allgemeine Chaos in dieser Regierung endgültig auch in Ihr Ressort geholt.
({0})
Sie reden heute so, vorgestern anders. Sie irritieren die
Öffentlichkeit, das Parlament und vor allen Dingen die
Soldaten, die in diesen schwierigen Zeiten Orientierung
statt Irritation bräuchten.
In Ihrer heutigen Rede haben Sie viermal das Wort
„Planungssicherheit“ in den Mund genommen. Das
finde ich ziemlich abenteuerlich. Einerseits nehmen Sie
das Wort „Planungssicherheit“ in den Mund, andererseits wollen Sie ein Gesetz im Schweinsgalopp durch die
parlamentarischen Gremien peitschen. Das Wort
„Schweinsgalopp“ ist angesichts der Titulierungen, die
Sie inzwischen untereinander gebrauchen, durchaus
mehrdeutig.
({1})
Sie sprechen von Planungssicherheit, kündigen aber in
derselben Rede an, dass das, was wir heute beschließen
und was der Bundeswehr in der Umsetzung bis 1. Juli
große Mühe bereitet, im September möglicherweise
schon nicht mehr stimmt.
({2})
Was ist das für eine Planungssicherheit, meine Damen
und Herren von der Koalition?
({3})
Herr Minister, das, was in den letzten 14 Tagen abgelaufen ist, ist in Wirklichkeit eine Demütigung aller seriösen Außenpolitiker und Sicherheitspolitiker in der
Union. Dies finde ich unerträglich.
({4})
Sie haben das Parlament und sich selbst unabgestimmt unter Druck gesetzt. Warum? - Sie haben zwei
Gründe, dieses Gesetz durchzupeitschen. Erstens sagen
Sie, dass es so im Koalitionsvertrag steht. Darin steht
aber viel Unsinn, den Sie zwischenzeitlich korrigieren
mussten. Sie merken jeden Tag, dass das, was Kurt
Schumacher in den 50er-Jahren gesagt hat, auch heute
noch gilt: Nichts ist lehrreicher als die Wirklichkeit.
({5})
Deshalb sollte man sich nicht auf diesen Koalitionsvertrag berufen.
Der zweite Grund, aus dem Sie das Gesetz durchpeitschen wollen, sind Sie selbst. Sie haben beim Verbandstag der Reservisten - wieder einmal aus der Lamäng heraus, um Überschriften zu produzieren - den 1. Juli 2010
als Stichtag öffentlich versprochen, zu einem Zeitpunkt,
als dies weder in der Ausplanung der Bundeswehr geregelt war noch Klarheit mit Ihrer eigenen Ministerkollegin aus dem Familienministerium über die entsprechende Ausgestaltung des Zivildienstes bestand. Dies
nenne ich unverantwortlich. So dürfen wir mit den Ressourcen der Bundeswehr wirklich nicht umgehen.
({6})
Herr Minister, ich habe mir Ihre Hamburger Rede
sehr genau angeschaut. Ich finde es schon witzig. Über
zwanzigmal haben Sie sich in dieser Rede selbst gelobt
und über sich gesagt, dass Sie der Herr der klaren Worte
sind. Es ist sehr interessant, dass Sie sich so oft selbst loben. Vielleicht reicht es Ihnen auf Dauer doch nicht
mehr, dass nur noch die Zeitungen mit den großen bunten Bildern positiv über Sie berichten.
Aber leider stimmt dieses Selbstlob nicht. Klartext reden wäre etwas anderes. Klartext wäre, angesichts der finanziellen Debatte für Präzision zu sorgen. Dazu gehört:
Natürlich kann die Bundeswehr nicht von den Sparbemühungen ausgenommen werden; das würde auch gelten, wenn Sozialdemokraten die Regierung führten.
Aber zur Wahrheit gehört auch: Ein Teil der Schuldenkrise ist von Ihnen selbst verursacht.
Wenn Sie nicht bereit sind, für vernünftige Einnahmen zu sorgen, dann weinen Sie bitte auch keine Krokodilstränen vor den Soldaten und erklären Ihnen nicht, alles sei so schlimm, und Sie könnten nicht anders. Es ist
Ihre Partei, die CSU, die die Absenkung der Mehrwertsteuer für Hoteliers beschlossen hat, es ist Ihre Partei, die
dafür gesorgt hat, dass Erben weniger Steuern bezahlen
müssen. Auch diese Wirklichkeit müssen die Soldaten
kennen.
({7})
In der Debatte der letzten Tage habe ich gelernt, was
Sie unter intelligentem Sparen verstehen, Herr Minister.
Sie sparen über 8 Milliarden Euro im Bereich des Verteidigungshaushaltes. Wenn man das Kleingedruckte liest,
stellt man aber fest: Mehr als die Hälfte des Betrages soll
im Jahr 2014 aufgebracht werden, in einem Jahr, in dem
es zuvor eine Bundestagswahl gegeben hat, Sie wahrscheinlich nicht mehr Minister sind und diese Koalition
längst so deutlich abgewirtschaftet hat, dass sie kein Vertrauen mehr bei den Bürgern hat. Das heißt, intelligentes
Sparen ist für Sie, die Lösung der Probleme auf die
nächste Legislaturperiode und die nächste Bundesregierung zu schieben. Ich könnte auch sagen: Es ist eine
Luftnummer, eine Luftbuchung, die nur dazu da ist,
deutlich zu machen, dass Sie die 8 Milliarden Euro erreichen.
Mit der Wirklichkeit hat das alles nichts zu tun, und
zwar deshalb nicht, weil eine Absenkung des Personalumfangs bei der Bundeswehr um 40 000 Zeitsoldaten
nicht nur die Bundeswehr verändern würde - dazu sage
ich noch etwas -, sondern auch der Bedeutung und den
Interessen unseres Landes in Europa und innerhalb der
NATO in keiner Weise gerecht würde. Ich glaube schon,
dass es zu einer moderaten Absenkung des Personalumfangs kommen muss. Aber wer den Personalumfang um
40 000 auf 150 000 senken will, der muss eines wissen:
Ja, dies kann man machen. Die Briten machen es ähnlich. Es lohnt sich aber, genau zu schauen, was es für das
innere Gefüge einer Armee bedeutet, wenn Soldaten
häufig und langandauernd im Einsatz sind, herausgelöst
aus Familie, sozialem Umfeld, Elternbeirat, Kirche und
Verein. Dies ist dann eine Armee, die mit der deutschen
Tradition und Kultur, mit Staatsbürgern in Uniform und
innerer Führung, am Ende nichts mehr zu tun hat. Dies
alles haben Sie nicht abgewogen und nicht diskutiert.
({8})
Hinzu kommt: Selbst wenn Ihre Kommission am
Ende sagt, eine Absenkung um 40 000 Mann sei absurd,
und es zu einer moderaten Absenkung des Personalumfangs kommt, ist das in keiner Weise mit Ihrem vorgelegten Entwurf des Wehrrechtsänderungsgesetzes kompatibel. Wenn wir die Zahl der Zeit- und Berufssoldaten
senken, brauchen wir logischerweise auch weniger
Wehrpflichtige, damit es im Lot ist und keine zu großen
Ausbildungskapazitäten gebunden werden. Aber das
können Sie gar nicht. Das Bundesverfassungsgericht
wird Ihnen die Rote Karte zeigen, wenn Sie immer weniger junge Menschen einberufen. Wir haben schon jetzt
das Problem, dass ein einfaches „Weiter so“ bei der
Wehrpflicht - die Union wollte ursprünglich nach dem
Motto „Augen zu und durch“ verfahren - in keiner
Weise machbar ist, und zwar nicht nur in verfassungsrechtlicher Hinsicht.
({9})
Auch die veränderte Berufs-, Ausbildungs- und Studienwelt ist in keiner Weise mehr kompatibel mit der derzeitigen Einberufungspraxis.
Nun reden Sie häufig davon, dass Sie Gemeinsamkeit
und Konsens suchen. Die Wehrpflicht wäre ein Musterbeispiel für die Organisation eines Konsenses in der Gesellschaft. Sie ist mehr als eine Einzelentscheidung der
gerade vorhandenen Mehrheit. Vielmehr geht es um
Grundüberzeugungen vieler Menschen sowie die innere
Verfasstheit und Struktur der Bundeswehr. Herr Minister, wir bieten Ihnen nochmals an: Reden Sie mit uns
auch über den Vorschlag, den meine Partei seit langem
auf den Tisch gelegt hat! Dieser Vorschlag bedeutet im
Kern: Lasst uns in allen - in allen! - gesellschaftlichen
Bereichen die Freiwilligkeit stärken - das ist eine akzeptierte, positive Idee - und beruft diejenigen jungen
Männer zur Bundeswehr ein, die sich freiwillig entschieden haben, ihren Grundwehrdienst zu leisten. Das funktioniert in anderen Ländern im Norden Europas recht
gut. Darüber müssen wir reden; denn dieses Modell bietet die Chance, ohne Ärger mit den Gerichten weniger
junge Menschen einzuziehen. Das Modell bietet eine
weitere Chance. Die eigentlich richtige, gute Idee der
Wehrpflicht, die im Kern bedeutet, dass man in unserem
Land nicht alles kaufen kann und es eine gemeinsame,
kollektive Verantwortung der Gesellschaft zur Wahrung
der Sicherheit gibt, bliebe erhalten.
Es ist uns sehr ernst, und wir bitten Sie eindringlich:
Stoppen Sie den Schweinsgalopp! Reden Sie mit der Opposition und lassen Sie uns miteinander eine intelligente
und verträgliche Regelung suchen! Das heißt im Klartext: Nehmen Sie den vorliegenden Gesetzentwurf vom
Tisch! Wenn Sie, Herr Minister, nicht zur Einsicht kommen, hoffe ich sehr, dass die Bundeskanzlerin Sie stoppt,
so wie sie es in den letzten Tagen schon ein paar Mal
machen musste.
Herzlichen Dank.
({10})
Die Kollegin Elke Hoff erhält nun das Wort für die
FDP-Fraktion.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen
und Kollegen! Meine Damen und Herren! Herr Kollege
Arnold, ich schätze Sie sehr aus der Zusammenarbeit im
Verteidigungsausschuss. Sie reklamieren immer wieder
Seriosität bei der Beurteilung der Verteidigungspolitiker.
Das hätten Sie heute selbst an dieser Stelle, also in dieser
wirklich wichtigen Debatte, zum Ausdruck bringen können.
({0})
Die Diskussion der vergangenen Wochen in der Öffentlichkeit, aber auch unter den Kolleginnen und Kollegen des Deutschen Bundestages hat sehr deutlich gemacht, dass die Bundeswehr einen weiteren Schritt auf
einem sehr schwierigen Weg hin zu den Einsatzrealitäten
und den voraussichtlichen Sicherheitsszenarien der Zukunft eingeschlagen hat. Ich glaube, dass diese Diskussion trotz aller Kontroversität wichtig und richtig ist.
Den Menschen wird nämlich die Möglichkeit gegeben,
darüber nachzudenken, ob sich die zukünftigen Strukturen der Bundeswehr an Szenarien der Vergangenheit
oder an Szenarien der Zukunft orientieren sollten.
({1})
Viele Kolleginnen und Kollegen haben bei ihren Besuchen im Einsatz oder auch bei Standortbesuchen die Erfahrung machen können, dass die heutigen Anforderungen an die Bundeswehr die an eine professionelle Armee
sind. Bis heute hat mir noch niemand erklären können,
warum Grundwehrdienstleistende in diesem Kontext eine
derart wichtige Rolle spielen, dass die Einsatzfähigkeit
der Bundeswehr durch eine Verkürzung der Wehrdienstdauer beeinträchtigt wird.
({2})
Ich würde mich sehr freuen, wenn wir das, was bisher
Gültigkeit hatte, zur Kenntnis nähmen. Ich habe hohen
Respekt vor jedem Kollegen, der sagt, dass in seiner
Wahrnehmung, dass nach der Tradition, in der er aufgewachsen ist, in der er die Bundeswehr wahrgenommen
hat, in der er selber an der Bundeswehr teilgenommen
hat, es für ihn schwer ist, diesen Paradigmenwechsel zu
vollziehen. Wenn wir uns die Aufgaben anschauen, die
zurzeit nicht nur auf die Bundeswehr, sondern auch auf
andere nationale Armeen zukommen, dann können wir
feststellen, dass die Wehrpflicht den geringsten Anteil an
einer angemessenen Ausrichtung der Streitkräfte auf die
Zukunft hat.
({3})
Es ist bereits an vielen Stellen gesagt worden: Diese
Frage darf nicht vor dem Hintergrund der finanziellen
Zwänge und der Haushaltskonsolidierung betrachtet
werden. Ich möchte Sie an dieser Stelle gern an Art. 87 a
Abs. 1 des Grundgesetzes erinnern. Dort steht:
Der Bund stellt Streitkräfte zur Verteidigung auf.
Ihre zahlenmäßige Stärke und die Grundzüge ihrer
Organisation müssen sich aus dem Haushaltsplan
ergeben.
Insofern halte ich die Diskussion auch in der Verknüpfung mit dem, was wir für die Zukunft unserer Bundeswehr leisten können und wollen, für unabdingbar.
({4})
Selbst wenn man sich dazu entschließen würde, die
Bundeswehr um 40 000 Zeit- und Berufssoldaten zu reduzieren, ergäbe sich daraus zwingend, dass die Wehrpflicht nicht mehr zu erhalten ist,
({5})
weil die Möglichkeiten der Ausbildung von Grundwehrdienstleistenden nicht gegeben sind. Ich darf Ihnen dringend ein Gespräch mit dem Generalinspekteur und den
Inspekteuren der Bundeswehr empfehlen, damit Sie sich
einmal mit den Grundlagen für unsere Entscheidung sehr
intensiv und auch vertieft beschäftigen können.
Wir werden den heute von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf, der auf den Koalitionsvereinbarungen zwischen CDU/CSU und FDP fußt, verabschieden. Wir sind nämlich der Auffassung, dass es notwendig
ist - die Bundesregierung hat uns davon überzeugt -, den
jungen Männern Planungssicherheit zu gewährleisten.
Wir reden hier über eine Größenordnung von etwa 10 000
Grundwehrdienstleistenden, die am 1. Juli ihren Dienst
antreten. Auch von den Verantwortlichen in der Bundeswehr habe ich bis heute keine Signale bekommen, dass
man nicht in der Lage sei, die Verkürzung des Wehrdienstes zu bewältigen. Wir glauben, dass wir den jungen Männern diese Sicherheit einfach schuldig sind, bis innerhalb
der Regierung eine endgültige Vereinbarung, wie es mit
der Wehrpflicht in Zukunft weitergeht, gefunden ist.
Wir als FDP-Fraktion werden dem vorgelegten Gesetzentwurf deshalb zustimmen.
Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.
({6})
Das Wort erhält nun der Kollege Paul Schäfer für die
Fraktion Die Linke.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist
schon ein tolles Schauspiel, das diese schwarz-gelbe Koalition, eine Wunschkoalition, seit Beginn ihrer Regierungszeit bietet. Das Rad der Tollheiten dreht sich immer
schneller. Beispiel: Bundeswehrreform. Es wird eine
Strukturkommission eingesetzt. „Alles auf den Prüfstand“, heißt es. Später hört man nach dem Motto „Darf
es ein bisschen weniger sein?“: Es geht um die Optimierung der Führungsstrukturen. Jetzt, nach den Sparbeschlüssen, sieht alles schon wieder ganz anders aus.
Gleichzeitig wird ein wichtiger Bereich aus diesem Reformprojekt ausgegliedert, nämlich die Wehrpflicht, also
die Frage, ob man Zehntausende von jungen Männern
einrücken lässt. Das ist eine wichtige Stellschraube, wenn
es um den Personalumfang der Bundeswehr geht. Das
also wird herausgelöst, weil man sagt: Wir müssen ganz
schnell etwas präsentieren.
In dieser Frage ist die Koalition aber tief gespalten.
Die einen wollen aussetzen, und die anderen wollen aussitzen, das heißt, alles so lassen, wie es bisher ist. Was
kommt dabei heraus? Ein Gesetzentwurf, mit heißer Nadel gestrickt: drei Monate Verkürzung des Wehrdienstes
und des Zivildienstes. Der CDU-Finanzminister erhebt
Einspruch. Der FDP gefällt es nicht. Kaum liegt der Gesetzestext auf dem Tisch, kommt die Finanz- und EuroKrise über uns. Das kann man wirklich schon sagen: Der
vorliegende Gesetzentwurf ist bereits heute Makulatur,
und das ist ganz deutlich gesagt worden.
({0})
Besser gesagt: Die Finanzkrise ist nicht über uns gekommen; sie ist Ergebnis der falschen Politik der letzten
Jahrzehnte.
({1})
Weil man mit dreistelligen Milliardenbeträgen die Banken retten muss, Finanzmärkte stabilisieren muss, steigen die Staatsschulden exorbitant.
Jetzt heißt es: Sparen, bis die Schwarte kracht. Seitdem dämmert auch Ihnen die Erkenntnis, dass der Verteidigungsetat als drittgrößter Batzen im Bundeshaushalt
ebenfalls zur Ader gelassen werden muss. Es dämmert
auch Ihnen ein bisschen die Erkenntnis: Bei Beschaffung
und Personal kann man nur längerfristig Einsparungen
erzielen. Deshalb - das ist genau der Vorgang, mit dem
wir es zu tun haben - ist plötzlich die Wehrpflicht kein
Tabu mehr. Deshalb wird jetzt zart angedeutet: Wir werden uns zwar noch ein bisschen Zeit lassen, aber im
Grunde genommen - das pfeifen die Spatzen von den
Paul Schäfer ({2})
Dächern - wird das Gesetz, das uns jetzt vorliegt, eine
Halbwertszeit von einigen Monaten - nicht mehr! - haben, und dann wird etwas Neues kommen.
Was Sie produzieren, ist, finde ich, ein ziemliches
Durcheinander. Sie selber haben untereinander schon so
schöne Worte wie „Rumpelstilzchen“ und „Gurkentruppe“ gefunden. So weit muss man gar nicht gehen. So
scharf muss man das gar nicht formulieren. Aber „Chaotentruppe“ stimmt allemal.
({3})
Nun gibt sich der Minister sehr entscheidungsstark
und sagt: „Weiter so!“ kann es nicht geben. Folgt man
der Presse in den vergangenen Tagen, scheint er nicht
davor zurückzuschrecken, einer ganz beachtlichen
Herde heiliger Kühe die Schlachtbank zumindest zu zeigen. Das ist auch richtig. Das BMVg hat lange genug
über seine Verhältnisse gelebt. Da muss etwas geändert
werden. Herr Minister, solange Sie sich aber nicht von
solch heiligen Kühen verabschieden wie dem A400M,
dem Transportflugzeug, das viele Milliarden kosten
wird, oder dem Afghanistan-Einsatz, der, wie neue Berechnungen gezeigt haben, 3 Milliarden Euro im Jahr
verschlingt, wird es mit den großen Einsparungen
nichts.
({4})
Richtig ist, dass wir heute über die Beiträge des Wehretats zur Entlastung des Bundeshaushalts reden müssen.
Die Linke hat dazu schon bei den letzten Haushaltsberatungen Vorschläge unterbreitet und aufgezeigt, wo der Rotstift
angesetzt werden kann und muss und wie ein - das ist ein
wichtiger Punkt - sozialverträglicher Rückbau der Bundeswehr zu gestalten ist. Wir reden hier über die Beendigung der Auslandseinsätze, und wir reden über die Einstellung der großen Beschaffungsprojekte, mit denen
die Bundeswehr zur globalen Eingreifarmee umgerüstet
werden soll.
Die Abschaffung der Wehrpflicht steht auf der Liste
ziemlich oben; denn, wie gesagt, wenn man eine kurzfristige Entlastung will, dann ist das die Stellschraube,
an der man etwas verändern kann. Hierbei geht es um
über 1 Milliarde Euro, wenn man allein die Besoldungsgelder für die Wehr- und Zivildienstleistenden zusammennimmt.
Es geht aber nicht nur um Sparen. Die Wehrpflicht ist
sicherheitspolitisch überflüssig. Wenn sie sicherheitspolitisch nicht zu begründen ist oder nicht mehr zu begründen ist, dann darf nicht durch diese Art Zwangsdienst in elementare Rechte junger Staatsbürger
eingegriffen werden.
({5})
Auch an diesem heutigen Freitag werden mehr als
2 Millionen junge Männer der Wehrüberwachung unterworfen und dürfen, was viele gar nicht wissen, das
Land nicht einfach für mehr als drei Monate verlassen.
Das ist eine Konsequenz dieser Wehrüberwachung.
Ebenfalls heute hoffen mehrere Hunderttausend, dass
der Kelch der Wehrpflicht an ihnen vorübergeht und sie
ihr Leben, ihre Ausbildung und ihren Berufseinstieg
ohne große Unterbrechung vernünftig planen können.
Deshalb muss die Wehrpflicht fallen.
({6})
Wenn wir uns dem vorliegenden Gesetzentwurf zuwenden, der wahrscheinlich als letzter Versuch zur Rettung der Wehrpflicht in die Geschichte eingehen wird,
muss erstens gesagt werden: Der Gesetzentwurf liefert
keine Antwort darauf, wofür die Wehrpflichtigen überhaupt gebraucht werden. Für die Aufgaben der Einsatzarmee werden sie nicht gebraucht. Bewaffnete Einsätze
im Inneren sind zum Glück verboten. Für die Landesverteidigung braucht man sie - mangels realer militärischer
Bedrohung - auch nicht. Es bleibt nur die Verwendung
als billige Arbeits- und Servicekräfte für die professionellen Soldaten, zum Beispiel im Stabs- und Fahrdienst.
Zweitens. Die Verkürzung der Wehrdienstzeit auf
sechs Monate ändert nichts an der derzeitig schreienden
Wehrungerechtigkeit. Zurzeit leisten nur knapp 12 Prozent eines Altersjahrgangs den Wehrdienst. Sie wollen
dadurch mehr einziehen, dass Sie die Zeit verkürzen.
Nach der Reform werden es sage und schreibe 14 Prozent sein. Das ist wahrlich ein toller Zuwachs, der an der
Wehrungerechtigkeit aber nichts ändert.
Wenn die Wehrpflicht heute mit der Nachwuchswerbung bzw. Nachwuchsrekrutierung für die Bundeswehr
begründet wird, kann man dazu nur sagen: Das ist nicht
verfassungskonform, es ist unverhältnismäßig. Es können nicht mehrere Hunderttausend junge Männer nur um
der Begründung willen der Wehrpflicht unterworfen
werden, dass die Bundeswehr neue Männer braucht.
Es geht bei dem Gesetzentwurf aber nicht nur um die
Bundeswehr, sondern auch um den Zivildienst. Die
Hartnäckigkeit, mit der man lange Zeit an der Wehrpflicht festgehalten hat, erklärt sich nicht zuletzt daraus,
dass man auf die billige Arbeitskraft der Zivildienstleistenden nicht verzichten will. Dieser Zustand ist nicht
länger akzeptabel.
Es gibt die Situation, dass die sogenannten Zivis
schon lange als Minilöhner im sozialen und pflegerischen Bereich missbraucht werden. Das muss beendet
werden. Die Alternative ist klar: Es müssen neue reguläre, tariflich bezahlte Arbeitsplätze geschaffen werden.
({7})
Viele der Einrichtungen im Sozialbereich möchten
das auch, aber ihnen fehlen die Mittel, um entsprechend
bezahlen zu können. Daraus wird klar, wie fatal es in den
letzten Jahren war, den öffentlichen Dienst kaputtzusparen und auszutrocknen. Hier muss eine neue Politik
kommen, die diesen öffentlichen Dienst entsprechend
den gesellschaftlichen Notwendigkeiten wieder ausbaut.
Auch ein öffentlich geförderter Beschäftigungssektor im
Bereich Pflege könnte sehr hilfreich sein. Denn Menschen brauchen Arbeit, die tariflich und auskömmlich
bezahlt wird, ihnen ausreichende Sicherheit bietet und
Paul Schäfer ({8})
für die sie bestens ausgebildet sind. Das ist die Aufgabe,
die jetzt bei der Organisierung ansteht.
({9})
An dieser Stelle enthält der Gesetzentwurf geradezu
eine fatale sozialpolitische Weichenstellung. Mit diesem
Gesetz wird nämlich ein neues öffentlich-rechtliches
Dienstverhältnis begründet, das dem der Beamten auf
Zeit vergleichbar ist. Es geht hier um die freiwillig länger dienenden Zivildienstleistenden. Hier gibt es, wenn
man es sich genau ansieht, öffentlich-rechtliche Beschäftigungsverhältnisse mit Pflichtdienststrukturen, in denen weit unterhalb tariflich vereinbarter Löhne bzw. ausgehandelter Mindestlöhne gearbeitet werden muss. Im
Rahmen dieses Dienstverhältnisses sollen Leute mit einem Stundenlohn von 3,75 Euro beschäftigt werden. Der
Mindestlohn, den der Gesetzgeber im Bereich Pflegehilfskräfte für verbindlich erklärt hat, beträgt im Westen
8,50 Euro und im Osten 7,50 Euro. So viel zum Thema
Dumpinglöhne und zu dem, was Sie mit diesem Gesetz
mit den Zivildienstleistenden vorhaben. Das ist einfach
nicht zumutbar und nicht akzeptabel.
({10})
Mit der Freiwilligkeit wird es auch nicht weit her
sein. Das Gesetz liefert eher eine Steilvorlage dafür, dass
Zivildienstplätze nur vergeben werden, wenn sich die
Zivildienstleistenden von Anfang an länger - statt für
sechs für zwölf Monate - verpflichten. Auch das ist in
dieser Weise nicht hinnehmbar.
({11})
Zu diesem Gesetz ließe sich noch einiges sagen. Das
werden wir sicherlich noch in den Beratungen machen,
die Sie jetzt im Schweinsgalopp angesetzt haben. Das
gilt auch für die Anhörung am Montag. Auch in dieser
Anhörung wird man sich dazu noch äußern können.
Grundsätzlich stelle ich fest: Leider wird mit dem
vorliegenden Gesetzentwurf nicht damit gebrochen, dass
man junge Menschen - aufgrund des Versagens der Politik - weiter als Verschiebemasse behandelt. Die Aufhebung der Wehrpflicht wäre die konsequente Zäsur, die
jetzt fällig ist. Das wäre haushaltspolitisch vernünftig.
Das wäre gerecht, und das wäre ein guter Einstieg in
eine überfällige Abrüstung in diesem Land.
Danke.
({12})
Das Wort erhält nun die Kollegin Agnes Malczak für
die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Dieser
Tage muss die deutsche Politik den einen oder anderen
Rettungseinsatz durchführen. Auch die Verkürzung der
Dauer des Wehrdienstes auf sechs Monate ist so ein Rettungseinsatz, allerdings kein besonders geglückter. Mit
dieser Reform versuchen Sie, liebe Kolleginnen und
Kollegen von der Koalition, das marode Gebäude der
allgemeinen Wehrpflicht zu zementieren, obwohl es
längst nicht mehr von einem Fundament sicherheitspolitischer Begründungen getragen wird.
({0})
Auch einer der entscheidenden Grundpfeiler, die
Wehrgerechtigkeit, ist längst eingebrochen. Weniger
als 50 Prozent der jungen Männer eines Jahrgangs werden überhaupt zum Dienst herangezogen. Von einer allgemeinen Wehrpflicht kann also schon lange nicht mehr
die Rede sein.
({1})
Der vorgelegte Gesetzentwurf hat viele Irrungen und
Wirrungen hinter sich; das wissen Sie wahrscheinlich
noch viel besser als ich. Im Herbst letzten Jahres konnten Sie sich in fast allen Politikfeldern nicht einigen. So
endete die Liebesheirat in einem Koalitionsvertrag, der
ein Sammelsurium von 84 Prüfaufträgen ist.
Nur bei einigen wenigen Punkten bestand Einvernehmen zwischen Ihnen. So haben Sie sich auf einen durchsichtigen Kuhhandel verständigt. Beim Streitthema
Wehrpflicht sollte die Verkürzung der Dienstzeit auf
sechs Monate schwarz-gelbe Einigkeit und Koalitionsfrieden sicherstellen. Schon kurz darauf war aber von Einigkeit nichts mehr zu hören: Sagte der Verteidigungsminister: „Die Verkürzung der Wehrpflicht ist kein
Einstieg in den Ausstieg“, antwortete die Kollegin Hoff
von der FDP: „Unverändert halten wir als Partei daran
fest, dass die Wehrpflicht ausgesetzt werden sollte.“
({2})
Der eine sagt Hü, die andere sagt Hott. Mit dieser Hüund-Hott-Politik haben Sie das größtmögliche Maß an
Unsicherheit für alle Betroffenen hergestellt.
({3})
Aber damit nicht genug: Noch Ende März hat Verteidigungsminister zu Guttenberg kategorisch behauptet
- Zitat -: „Mit mir ist eine Abschaffung der Wehrpflicht
nicht zu machen.“ Dann kam die Kehrtwende. Jetzt hören wir auf einmal teilweise grüne Argumente aus dem
Munde des Ministers. Angesichts der Haushaltsnotlage
hatte endlich auch der Verteidigungsminister erkannt,
dass hohe Ausgaben für eine überkommene Wehrform
nicht mehr gerechtfertigt sind. Leider entfachte dieser
Geistesblitz bisher kaum mehr als ein Strohfeuer der
Vernunft, das ganz schnell von den Traditionsbataillonen
der Union gelöscht wurde. Die Wehrpflicht habe sich in
der Vergangenheit bewährt - dieses Argument war für
Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen der Union, offenbar
überzeugend genug, um die dringend notwendige und
wirklich zeitgemäße Weiterentwicklung der Bundeswehr
vorerst zu verhindern.
Während Sie auf der einen Seite Ihren W-6-Kompromiss durch das Parlament prügeln, soll jetzt bis September geprüft werden, ob die Wehrpflicht ausgesetzt wer4822
den soll. Damit ist einer der wenigen Punkte, auf die Sie
sich zu Beginn der Regierungszeit einigen konnten, nur
ein weiterer Prüfauftrag und ein weiterer Zankapfel von
Schwarz-Gelb.
({4})
Sicherheitspolitisch ist die Wehrpflicht schon lange
nicht mehr zu rechtfertigen. Es ist die reinste Verschwendung, die knappen Ressourcen für diesen konservativen Ladenhüter einzusetzen. Dabei wäre es schon
vor Jahren höchste Zeit gewesen, sich nicht nur aus
haushalterischen, sondern vor allem auch aus sicherheitspolitischen und militärischen Erfordernissen die
Frage zu stellen, wie die Bundeswehr heute aussehen
muss.
({5})
Bis zum September wollen Sie nun über die Wehrpflicht diskutieren. An dem vorliegenden Gesetzentwurf
halten Sie dennoch fest, angeblich - das wurde heute
mehrfach gesagt -, um Rechtssicherheit und Planungssicherheit für die Wehrpflichtigen herzustellen. Herr
Minister, es ist doch keine besonders kluge Herangehensweise an die Lösung politischer Probleme, erst eine
Reform zu verabschieden und sich danach zu fragen, ob
sie sinnvoll ist.
({6})
Welcher der jungen Männer wird durch dieses Hin und
Her nicht verunsichert werden? Auch die betroffenen
Organisationen - ob zivile oder militärische - müssen
noch lange auf einen klaren Weg warten. Ich bedauere
daher Ihren Mangel an Mut. Aber ich habe die Hoffnung
noch nicht aufgegeben, dass Sie am Ende vielleicht doch
noch die Struktur der Bundeswehr und ihre Wehrform
gestalten. Die hier vorgelegte Dienstzeitreform macht
aus dem Wehrdienst jedenfalls endgültig eine Aufbewahrungsstation für junge Männer und stellt für die Bundeswehr ein Problem und keine Lösung dar.
({7})
Für uns Grüne bleibt es dabei: Die Wehrpflicht muss
abgeschafft werden. Die Wehrform der Gegenwart und
der Zukunft ist eine Freiwilligenarmee.
Vielen Dank.
({8})
Nächste Rednerin ist die Bundesministerin Frau
Dr. Kristina Schröder.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In
einem Punkt halte ich es genauso wie meine Vorgängerinnen, unabhängig von ihrer Parteizugehörigkeit: Ob es
die Wehrpflicht gibt oder nicht und, wenn es sie gibt,
wie lange sie dauert oder ob sie verkürzt werden muss,
ist nicht mein Thema. Die Wehrpflicht muss allein verteidigungspolitisch begründet und allein aus verteidigungspolitischen Erwägungen abgeschafft oder verkürzt
werden.
({0})
An diesen Diskussionen beteilige ich mich als Abgeordnete oder als Staatsbürgerin, aber nicht als für den Zivildienst zuständige Ministerin.
({1})
- Ich bin eigentlich für alle zuständig, außer für mittelalte unverheiratete Männer.
({2})
Trotzdem muss die Wehrpflicht verteidigungspolitisch
und kann auch nicht jugendpolitisch begründet werden.
Ich stelle fest: Es gibt junge Männer, die von ihrem
Grundrecht, den Dienst an der Waffe zu verweigern,
Gebrauch machen. In diesem Fall bin ich gefordert. Solange es den Zivildienst zur Sicherung dieses Grundrechtes geben muss, so lange ist es meine und unsere
Aufgabe, allen Beteiligten einen qualitativ hochwertigen
Zivildienst anzubieten und zu ermöglichen.
Mit dieser Zielsetzung bin ich auch in die Verhandlungen zum Wehrrechtsänderungsgesetz gegangen. Weil
wir uns aus verteidigungspolitischen Gründen für die
Verkürzung des Wehrdienstes entschieden haben, vollzieht der Zivildienst diese Kürzung mit.
({3})
Dabei war und ist es mein Ziel, auch unter veränderten
Rahmenbedingungen die Qualität des Zivildienstes und
seiner in knapp 50 Jahren gewachsenen Strukturen zu sichern. Genau das ist nach meiner festen Überzeugung
mit der Einführung eines freiwilligen zusätzlichen
Dienstes im Wehrrechtsänderungsgesetz 2010 gelungen.
Im Sinne der etwa 90 000 jungen Männer, die Jahr für
Jahr Dienst an unserer Gesellschaft leisten, im Sinne der
rund 38 000 Zivildienststellen, die mit circa 111 000 Zivildienstplätzen bundesweit ein dichtes Netz der Fürsorge geknüpft haben,
({4})
und im Sinne der vielen hilfsbedürftigen Menschen, die
diese Fürsorge gern und dankbar annehmen, habe ich in
den letzten Monaten für die Möglichkeit der freiwilligen
Verlängerung der Zivildienstdauer gekämpft. Ich freue
mich, dass wir uns am Ende auf diese Option verständigen konnten.
({5})
Ich gehe davon aus, dass ich hier weder die bekannten
Fakten noch die bekannten Bewertungen wiederholen
muss. Stattdessen will ich die Gelegenheit nutzen, endlich einmal mit drei Mythen um den Zivildienst aufzuräumen, die aus meiner Sicht eine sachliche Diskussion
hin und wieder erschwert haben.
Zivildienst für Profit heißt der erste Mythos, den wir
zum Beispiel eben wieder von dem Redner der Linken
gehört haben.
({6})
Ich meine damit die Behauptung, 30 Prozent der Zivildienstleistenden, vor allen Dingen Zivis in Krankenhäusern, würden nicht für das Gemeinwohl, sondern für
den Profit privater Unternehmen arbeiten. Ich denke, Sie
alle wissen aus Ihren Wahlkreisen, dass es heute fast
keine Krankenhäuser mehr in der Trägerschaft einer
Kommune gibt.
({7})
Die meisten Kreiskrankenhäuser sind heute als eigenständige GmbH organisiert und landen in den Berechnungen schon deshalb in der Schublade mit dem Label
„gewinnorientierte Einrichtung“. Dadurch, dass rechtlich selbstständige Krankenhäuser und in diesem Zuge
ebenfalls der Zivildienst als profitorientiert eingeordnet
werden, kommen auch die genannten 30 Prozent zustande.
({8})
Diese Argumentation greift aber zu kurz.
({9})
Man kann über Trägerstrukturen lange streiten; das ist
eine gesundheitspolitische Diskussion. Aber die Praxis
im Zivildienst ist absolut klar und einfach und im Übrigen auch mehrfach gerichtlich bestätigt worden. Als Zivildienststellen werden nur Einrichtungen anerkannt, die
entweder vom Finanzamt von der Körperschaft- und
Umsatzsteuer befreit sind oder die in den Krankenhausbedarfsplan eines Landes aufgenommen wurden. Das
Bundesamt für den Zivildienst hält sich strikt an diese
vor Ort getroffenen Einschätzungen zur Förderungswürdigkeit einzelner Einrichtungen.
({10})
Dem zweiten Mythos will ich entgegenhalten: Realitätsfern ist auch die Diskussion um die Arbeitsmarktneutralität des Zivildienstes. Es ist natürlich ganz klar:
Wenn man von einem Tag auf den anderen diejenigen
aus dem Sozialbereich abziehen würde, die dort ohne
Planstelle beschäftigt sind, dann gäbe es in Deutschland
in der Tat ein ernstes Problem. Darüber kann man weitschweifig diskutieren, aber bitte im richtigen Zusammenhang.
Arbeitsmarktpolitische Diskussionen auf dem Rücken
des Zivildienstes auszutragen, ist weder fair noch sachgemäß.
({11})
Denn die Frage der Arbeitsmarktneutralität wird gerade
beim Zivildienst am schärfsten kontrolliert. Anders als
beim Freiwilligen Sozialen Jahr wird jeder einzelne
Platz streng auf seine Arbeitsmarktneutralität überprüft.
({12})
100 Außendienstmitarbeiter des Bundesamtes für den
Zivildienst sind ständig bundesweit unterwegs, um die
Einhaltung dieser strikten Vorgabe zu kontrollieren. Damit haben wir im Zivildienst das engmaschigste Netz an
Kontrollen, viel engmaschiger als bei jeder anderen
Engagementform in Deutschland.
({13})
Für sachlich unbegründet halte ich auch den dritten
Mythos, der in den Diskussionen der letzten Wochen immer wieder bemüht wurde. Es wurde teilweise der Eindruck erweckt, dass man junge Männer sozusagen vom
Joch des Zivildienstes befreien müsste. Da frage ich
mich schon, mit wie vielen Zivildienstleistenden diejenigen, die sich als Befreier der jungen Männer vom Joch
des Zivildienstes geben, eigentlich gesprochen haben.
Frau Ministerin, gestatten Sie eine Zwischenfrage der
Kollegin Vogler?
Ja.
Bitte schön.
Liebe Frau Ministerin, was Sie berichten, hört sich
sehr schön an. Aber Sie haben sicherlich genauso wie
ich diese Woche die Zeitschrift Der Zivildienst aus Ihrem Hause auf den Tisch gelegt bekommen. Wenn man
sie aufschlägt, dann findet man darin einen ausführlichen Artikel über einen Zivildienstleistenden, der den
größten Teil seines Zivildienstes mit Laubkehren,
Schneeschieben und Rasenmähen verbracht hat. Da
kann ich aber, ehrlich gesagt, die Arbeitsmarktneutralität nicht so richtig erkennen; denn auch dann, wenn es
keine Wehrpflicht gibt, muss eine Grünanlage von Laub
und die Wege von Schnee befreit werden und muss der
Rasen gemäht werden.
Ich möchte Sie bitten, mir folgende Fragen zu beantworten: Kennen Sie diese Publikation aus Ihrem Hause?
Haben Sie sie gelesen? Wie stehen Sie zu dieser Art von
Zivildienststellen?
({0})
Frau Kollegin, so ganz aufmerksam haben Sie die Publikation aus meinem Hause leider nicht gelesen, sonst
hätten Sie den Artikel anders zusammengefasst. Aber es
ändert nichts an der Tatsache, dass bei jedem einzelnen
Zivildienstplatz die Arbeitsmarktneutralität strikt überprüft wird.
({0})
Wenn die Arbeitsmarktneutralität verletzt wird, dann bekommt der Zivildienstträger seine Zulassung aberkannt.
Dieses Regime ist das strengste bei allen Engagementformen, die wir in Deutschland haben.
({1})
Sachlich unbegründet ist auch der dritte Mythos, der
immer wieder bemüht wird, dass man die Zivis sozusagen aus dem „Joch des Zivildienstes“ befreien müsste.
({2})
Wer da den Befreier gibt, den frage ich, ob er überhaupt
schon einmal mit Zivildienstleistenden gesprochen hat.
Wenn Sie mit Zivildienstleistenden am Ende ihres
Dienstes sprechen, dann wissen Sie, dass sie alle betonen, dass der verpflichtende Charakter des Zivildienstes
eher eine untergeordnete Rolle spielt. Für sie steht vielmehr die Prägung der eigenen Persönlichkeit durch den
Zivildienst im Zentrum.
Wichtig ist, dass jedem Zivildienstleistenden eine
Vielzahl unterschiedlicher Angebote offen steht. Rund
98 Prozent aller Zivildienstpflichtigen suchen sich selbst
ihre Dienststelle und vereinbaren die Einzelheiten des
Dienstes direkt mit der Einrichtung. Das ist eine Selbststeuerung, die hervorragend funktioniert. Das sorgt für
eine hohe Motivation der jungen Männer. Das sorgt auch
für einen Wettbewerb der Dienststellen um die jungen
Männer. Das führt dazu, dass fast alle Zivis am Ende ihres Dienstes ein ausgesprochen positives Fazit ziehen.
({3})
Deshalb sind auch die Unkenrufe zum freiwilligen
zusätzlichen Dienst fehl am Platz. Solange es einen
Wettbewerb der Einrichtungen um die jungen Männer
gibt, so lange müssen wir uns keine Sorgen machen, dass
an irgendeiner Stelle Zivis in größerer Zahl unbemerkt
unter Druck gesetzt werden.
Im Übrigen, meine Damen und Herren, gibt es viele
Personen des öffentlichen Lebens, die in jungen Jahren
Zivildienst geleistet haben. Wissen Sie zum Beispiel,
was an Jogi Löws Auswahl wirklich bemerkenswert ist?
({4})
Das ist nicht der hohe Anteil ganz junger Spieler im Kader, sondern der hohe Anteil ehemaliger Zivis im Kader.
Leider ist kein aktiver Zivi dabei. Ich hatte mich schon
darauf gefreut, in Zukunft einem Zivi gratulieren zu dürfen, so wie das der Kollege zu Guttenberg bei den Biathleten der Sportkompanien der Bundeswehr macht. Aber
der Zivildienst ist auch ohne Medaillengewinner eine
großartige Institution in unserer Gesellschaft.
({5})
Man kann zur Wehrpflicht stehen, wie man will. Aber
zwei Dinge müssen klar sein: Der Zivildienst kann und
darf die Wehrpflicht nicht begründen. Aber umgekehrt
darf derjenige, der sich über die Wehrpflicht ärgert, nicht
auf den Zivildienst einprügeln.
({6})
Im Interesse der jungen Männer, die so viel für unsere
Gesellschaft leisten und die auch künftig etwas von ihrem Zivildienst haben sollen, will ich die hohe Qualität
des Zivildienstes erhalten und den Zivis auch in Zukunft
gute und interessante Angebote machen. Ich bitte Sie,
unabhängig von Ihrer Haltung zur Wehrpflicht, mich dabei zu unterstützen.
({7})
Dr. Hans-Peter Bartels ist der nächste Redner für die
SPD-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe
Kolleginnen und Kollegen von den Koalitionsfraktionen, wir könnten es uns leicht machen, da Sie es schon
schwer genug haben.
({0})
Aber wir haben natürlich ein eigenes Interesse daran, zu
einer guten Lösung zu kommen. Wir erkennen Ihre
Zweifel an der vorliegenden Lösung und verfolgen mit
Interesse die öffentliche Auseinandersetzung über die
Vorschläge aus dem Verteidigungsministerium. Sie haben recht, Frau Ministerin: Das VerteidigungsministeDr. Hans-Peter Bartels
rium ist bei der Wehrpflicht federführend, der Zivildienst
ist davon abgeleitet.
Da wird die Wehrpflicht vor der Sparklausur der
Bundesregierung einfach so infrage gestellt. Daraufhin
muss die Bundeskanzlerin selbst sagen: Eine solche Entscheidung trifft man jetzt nicht hoppla-hopp in drei Tagen. Wenn man darüber reden will, dann muss man sich
Zeit nehmen - und gute Argumente bereithalten; aber
das hat sie so nicht gesagt.
({1})
Der Parteivorsitzende Seehofer muss darauf hinweisen, dass die CSU - das begrüßen wir - eine Partei der
Wehrpflicht ist und dass man die Wehrpflicht nicht mal
eben so abschafft. Auch der ehemalige Verteidigungsminister Jung hat in diesen Tagen Gelegenheit gefunden,
noch einmal darauf hinzuweisen, was für eine gute, bedeutende, traditionsreiche und erfolgreiche Errungenschaft die Wehrpflicht für unsere Armee in der Demokratie ist. Vielen Dank dafür! Dieser Konsens bestand
auch damals in der Großen Koalition.
Das, was wir jetzt von dieser Koalition erleben, ist
auch nach den Reden der beiden Minister, die wir gerade
gehört haben, der Einstieg in den Ausstieg aus der Wehrpflicht. Sie argumentieren schon so, dass Sie in einem
halben Jahr oder in neun Monaten daran anschließen
könnten und die Idee des Ausstiegs nicht vollständig dementieren müssten. Diese Reden sind schon der Einstieg
zur Abschaffung der Wehrpflicht. Ich hoffe, den Kolleginnen und Kollegen von den Koalitionsfraktionen ist
klar, wozu sie in der nächsten Woche - das ist ein Verfahren im Schweinsgalopp - die Hand heben wollen: um
eine Veränderung vorzunehmen, die nur ein Übergangsstadium sein soll.
Die Gründe für den Übergang sind in der Hamburger
Rede des Verteidigungsministers relativ deutlich geworden. Noch deutlicher als die Rede war die Punktation,
also das Thesenpapier, das das Verteidigungsministerium - das war offenbar hochoffiziell - danach verbreitet
hat. Da heißt es - ich zitiere das einmal; das muss man
sich auf der Zunge zergehen lassen -:
Der mittelfristig höchste strategische Parameter,
quasi als Conditio sine qua non,
- wir sprechen Latein! unter dem die Zukunft der Bundeswehr gestaltet
werden muss, … ist das globalökonomisch gebotene und im Verfassungsrang verankerte Staatsziel
der Haushaltskonsolidierung …
- Also die Schuldenbremse! Das heißt, entscheidend für
die Strategie der Bundeswehr ist die Schuldenbremse.
Das ist eine absurde Definition sicherheitspolitischer Interessen der Bundesrepublik Deutschland.
({2})
Warum halten wir an der Wehrpflicht fest; warum
glauben wir, dass die Wehrpflicht die bessere Wehrform
für unsere Armee ist?
({3})
- Nein. - Warum verweise ich darauf, dass wir in der
Großen Koalition gemeinsam festgestellt haben: „Wir
wollen daran festhalten“?
({4})
Das haben wir auf unserem Parteitag, der das Wahlprogramm für diese Wahlperiode beschlossen hat, erneut
festgestellt. Für die SPD gehört das zu den guten Errungenschaften der Bundesrepublik Deutschland, dass sich
die Wehrpflicht in der Demokratie bewährt hat, weil sie
die intelligentere Armee hervorbringt, weil sie die Armee in der ganzen Gesellschaft verankert und weil es darüber übrigens auch einen Konsens in der Bevölkerung
gibt. Die große Mehrheit der Bevölkerung, etwa Zweidrittel, unterstützt die Wehrpflicht. Das ist - zugegeben allerdings altersabhängig unterschiedlich.
Wer glaubt, dass die Aussetzung oder die Abschaffung der Wehrpflicht zu einer günstigeren Freiwilligenarmee führt, der möge sich anschauen, wie das in anderen Ländern, die die Wehrpflicht abgeschafft haben,
heute tatsächlich aussieht. Haben sie keine Budgetprobleme? Haben sie die bessere Armee? Bekommen sie
das Personal, das sie wirklich brauchen? Sind sie dort in
der Gesellschaft breit verankert? Wenn wir nach Spanien
oder Großbritannien schauen und hören, was uns die
dort Verantwortlichen sagen, dann sehen wir: Es gibt erhebliche Probleme, die wir bisher nicht hatten. Wir wollen aber offenbar experimentieren, also werden wir diese
Probleme sehenden Auges in Kauf nehmen.
Ich sage: Ja, wir brauchen eine Veränderung der gegenwärtigen Wehrpflichtpraxis. Wir brauchen dann auch
eine rechtliche Veränderung. Wir brauchen aber ganz bestimmt nicht diese Veränderung, die der Einstieg in den
Ausstieg sein soll; nicht diese Veränderung, die dazu
führt, dass in der Bundeswehr erst einmal die ganze Organisation umgebaut werden muss.
Sie müssen den Ausbildungsbetrieb verändern. Sie
brauchen mehr Ausbilder. Das wird dann sicherlich billiger, wenn Sie für einige Monate mehr Ausbildung
durchführen müssen. Die Wehrpflichtigen werden weniger einsetzbar sein. Wer für sechs Monate kommt, ist
nicht nur etwa zu einem Drittel weniger für die Bundeswehr einsetzbar als derjenige, der neun Monate da ist,
sondern er wird ja auch drei Monate ausgebildet. Danach
ist er aber nicht mehr sechs Monate, sondern nur noch
drei Monate in der Truppe. Das ist also kein Vorteil für
die Bundeswehr.
Wir sagen aber: Es braucht eine Veränderung, weil es
nicht sein kann - Kollegin Hoff hat darauf auch schon
hingewiesen -, dass mit der gegenwärtigen Praxis fast
die Hälfte der jungen Männer als untauglich ausgemustert wird. Ich glaube, das entspricht nicht dem Gemütsund Gesundheitszustand unserer Bevölkerung. Es ist
nicht die Hälfte für den Dienst in den Streitkräften untauglich. Das ist eher an den Bedarf der Streitkräfte an4826
gepasst, der geringer geworden ist. Wir brauchen also
Veränderungen.
Zum Zivildienst, Frau Ministerin. - Die ist jetzt gerade nicht mit dabei.
({5})
- Okay, sie ist anwesend und dabei.
Wir können uns beim Zivildienst auch nicht darauf
berufen, dass es bei den jungen Leuten populär sei, dass
sie etwa forderten, sie wollten nur noch sechs Monate
Zivildienst leisten. Der Bundesbeauftragte für den Zivildienst, Kreuter, der die Einrichtungen in der Bundesrepublik kennt, hat selbst darauf hingewiesen, dass es die
Forderung: „Macht das kürzer!“, gerade nicht gibt. Das
ist keine populäre Forderung aus den Reihen derer, die
betroffen sind, sondern das ist ein rein koalitionstaktischer Kompromiss.
Daneben steht unser Modell, das wir zur Diskussion
anbieten und von dem wir hoffen, dass wir darüber wirklich noch einmal reden können. Herr Minister, finden Sie
ein Format dafür. Debatten im Parlament kann man jederzeit führen. Im Ausschuss kann man darüber reden.
Das ist kein Zugeständnis von Ihnen, sondern so ist die
parlamentarische Demokratie konstruiert. Wir können
natürlich sagen, was wir meinen. Wenn Sie wirklich
wollen, dass es einen Austausch gibt und dass die Diskussion zu einem veränderten Ergebnis führt, müssen
Sie ein Format finden, in dem wir uns darüber austauschen können, in dem wir unsere und Ihre Vorschläge
nebeneinanderlegen und schauen können, was praktikabel ist.
In der heutigen Zeit, in der die Bundeswehr tatsächlich weniger junge Leute braucht - nicht mehr einen
ganzen Jahrgang von 400 000 jungen Leuten, nicht mehr
250 000 W-15er wie zur Zeit des Kalten Krieges, sondern sehr viel weniger -, haben wir die Möglichkeit, den
Ersatzbedarf der Bundeswehr über Freiwilligkeit zu decken, können aber die Grundlage der Wehrpflicht beibehalten. Von den tauglich Gemusterten werden dann diejenigen eingezogen, die sich bereit erklären, freiwillig
diesen Dienst zu leisten. So ist es schon bei den Reservisten: Obwohl Reservisten verpflichtet werden können,
Reserveübungen zu machen, wird heute keiner mehr gegen seinen Willen verpflichtet; sie kommen freiwillig.
Ähnlich ist es bei den freiwillig länger dienenden
Wehrdienstleistenden. Dieses Element der Freiwilligkeit
haben wir schon heute bei der Wehrpflicht eingeführt. So
wollen wir es auch für die Grundwehrdienstleistenden
haben: freiwilligen Grundwehrdienst. Das ist rechtlich
möglich; das wäre die Lösung des Problems, für das wir
- ich glaube, da sind wir einer Meinung - eine Lösung
brauchen. Dabei geht es um Wehrgerechtigkeit, aber
auch um den Nutzen für die Truppe. Der freiwillige
Grundwehrdienst muss für die jungen Männer und für
die Bundeswehr von Nutzen sein. Auch den jungen
Frauen soll der Grundwehrdienst nicht als Pflicht, sondern als Möglichkeit offenstehen.
Wir bieten Ihnen an, miteinander über dieses Modell
zu reden und zu einer vernünftigen gemeinsamen Lösung zu kommen. Es wird immer viel vom Sparen geredet: Sparen Sie sich diesen Gesetzentwurf jetzt!
({6})
Hinter dem Titel des Gesetzes, über das wir heute beraten, steht in Klammern „Wehrrechtsänderungsgesetz
2010“. Das weist auf eine gewisse Jährlichkeit hin, so als
ob wir auch ein Wehrrechtsänderungsgesetz 2011 zu erwarten hätten. Ich glaube, wenn wir ein Wehrrechtsänderungsgesetz beschließen, sollte seine Geltung von Dauer
sein. Wir sollten einen Konsens in diesem Haus finden.
Finden Sie ein Format dafür! Wir sind bereit.
Vielen Dank.
({7})
Der Kollege Florian Bernschneider hat das Wort für
die FDP-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Dauer der Wehrdienstzeit ist sicher seit jeher
eine Frage der Abwägung. Mit der Verkürzung der
Wehrdienstzeit um drei Monate trifft die Koalition aus
Union und FDP diese Abwägung im Sinne der individuellen Freiheit der jungen Männer. Dieser individuellen
Freiheit räumen wir einen größeren Stellenwert ein, als
es bisher der Fall war. Die Verkürzung der Dienstzeit gilt
nicht nur für den Wehrdienst, sondern in der Folge auch
für den Zivildienst als Ersatzdienst. Damit können sich
sowohl die jungen Wehrpflichtigen als auch die jungen
Zivildienstleistenden zukünftig über ein Mehr an individueller Freiheit freuen.
Es ist kein Geheimnis, dass wir Liberale uns bei diesem Thema durchaus mehr hätten vorstellen können.
Weil es im Kern der Debatte vor allem um die Interessen
der jungen Menschen in diesem Land geht, darf es in
dieser Frage kein Denkverbot geben. Deswegen freuen
mich natürlich die Signale des Bundesverteidigungsministers und der Unionsfraktion.
Solange es den Zivildienst gibt, stehen wir in der Verantwortung, ihn sinnstiftend auszufüllen. Uns als FDP
ging es in der Debatte deswegen auch darum, nicht nur
drei Monate Freiheit für die jungen Menschen zu gewinnen, sondern eben auch darum, sechs Monate sinnstiftenden Zivildienst für sie zu erhalten.
({0})
Es überrascht mich schon, wenn ich dann lese, dass in
Kreisen der Opposition behauptet wird, dies alles sei
nichts als ein fauler Kompromiss; in nur sechs Monaten
Zivildienst könne man gar nichts Vernünftiges lernen.
Ich möchte aus einer Statistik des Bundesarbeitsministeriums zitieren. In dieser Statistik geht es um Praktika in
Deutschland. Darin wird festgestellt, dass zwei Drittel
aller Praktikanten in Deutschland ein Praktikum absolvieren, das kürzer als sechs Monate ist. Die Hälfte der
Praktikanten absolviert sogar ein Praktikum, das kürzer
als drei Monate ist.
({1})
Ich bin schon gespannt, ob Sie bereit wären, diesen Praktikanten zu sagen, dass ein Einsatz, der kürzer als sechs
Monate dauert, nicht sinnstiftend ist.
({2})
Ich würde schon gerne sehen, dass Sie den Praktikanten
direkt ins Gesicht sagen, dass sie da nichts lernen können.
({3})
Eine Verkürzung des Zivildienstes auf sechs Monate
bedeutet sicherlich nicht, dass nicht einige Zivildienstleistende ein Interesse daran haben können, länger in einer Einrichtung tätig zu sein. Wir als FDP haben uns dieser Möglichkeit nie versperrt; aber Sie wissen: Es gab
kontroverse Diskussionen der Koalitionspartner darüber,
wie ein solch längerer Einsatz ausgestaltet wird. Für uns
als Liberale war immer klar: Wenn sich ein Zivildienstleistender nach seinem Zivildienst entscheidet, länger in
einer Einrichtung tätig zu sein, dann muss das freiwillig
sein. Mit den Regelungen, die wir in den Gesetzentwurf
aufgenommen haben, wird für Freiwilligkeit gesorgt. Ich
als Liberaler sage Ihnen: Das ist genau der richtige
Schritt.
Betrachtet man die Herausforderungen, vor denen wir
angesichts des demografischen Wandels stehen, wird
deutlich, dass das freiwillige Engagement in den kommenden Jahren immer wichtiger sein wird. Es ist beruhigend, schon heute zu sehen, dass sich viele junge Menschen freiwillig engagieren. Schon heute ist die Zahl der
Jugendlichen, die sich für den Freiwilligendienst bewerben, höher als die Zahl der Zivildienstleistenden im Einsatz. Ich mache kein Geheimnis daraus, dass wir als Liberale in den Freiwilligendiensten durchaus Potenzial
sehen, um den Zivildienst ablösen zu können.
({4})
Wir stellen in der Diskussion fest, dass es durchaus
sinnvoll ist, junge und engagierte Menschen als eine tragende Säule zu haben, und zwar unabhängig von der
Wehrpflicht. Deswegen haben wir in den Koalitionsverhandlungen, aber auch in den Verhandlungen über die
Verkürzung der Dauer der Wehrpflicht und damit des Zivildienstes deutlich festgehalten, dass wir die Freiwilligendienste in Zukunft quantitativ wie qualitativ stärken
wollen.
({5})
Ich glaube, das ist der richtige Schritt. Das brauchen wir.
Das werden wir in Angriff nehmen, genauso wie wir,
wie im Koalitionsvertrag vereinbart, die Verkürzung der
Dauer des Zivildienstes und der Wehrpflicht in Angriff
genommen haben. Ich freue mich auf die weiteren Beratungen im Interesse der jungen Menschen in unserem
Land.
({6})
Das Wort erhält der Kollege Kai Gehring, Bündnis 90/
Die Grünen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die
Verkürzung der Dauer von Wehr- und Zivildienst ist ein
weiteres Paradebeispiel dafür, dass die Bundesrepublik
Deutschland noch nie so schlecht regiert worden ist wie
heute.
({0})
In den Koalitionsverhandlungen präsentierten sich
CDU/CSU und FDP als allerletzte Verteidiger der völlig
antiquierten Wehrpflicht. Die FDP knickte ein und opferte den jahrelang geforderten Ausstieg aus der Wehrpflicht auf dem Koalitionsaltar. Dann folgte ein halbes
Jahr Koalitionskrach über die Verkürzung der Dauer der
Wehrpflicht und die Verlängerung der Dauer des Zivildienstes.
Um mit den Worten der Koalitionäre zu sprechen: Erst
zanken Union und FDP wie die Rumpelstilzchen, dann legen sie hoppladihopp - wohl nicht zufällig auf dem Höhepunkt der Guttenberger Kunduz-Affäre - den vermurksten
Gesetzentwurf einer Gurkentruppe vor, und wenige Tage
bevor die Dienstzeitverkürzung im Schweinsgalopp
- oder besser: im Wildsautempo - durchs Parlament gepeitscht werden soll, bringt zu Guttenberg die Aussetzung der Wehrpflicht ins Spiel. Das ist kein seriöses
Regierungshandeln. Das ist dreist und schlichtweg dilettantisch.
({1})
Das ist schlicht schlechtes Handwerk und Bad Governance.
({2})
Lieber Kollege Gehring, der Kollege Koppelin würde
Ihnen gern eine Zwischenfrage stellen.
Gern.
Herr Kollege, können Sie meine Erinnerung auffrischen? Ich erinnere daran: Als Sie mit der SPD in einer
Koalition regiert haben, waren Sie für die Abschaffung
der Wehrpflicht. Wir wollen sie lediglich aussetzen. Die
Sozialdemokraten sind für die Wehrpflicht. Können Sie
mir sagen, was die Grünen damals in der Koalition mit
der SPD beim Thema Wehrpflicht erreicht haben?
Darauf gebe ich Ihnen sehr gerne eine Antwort. Wir
haben intensiv dafür gekämpft, dass die Wehrpflicht aufgehoben wird. Sie wissen, dass es in diesem Hohen
Hause nach vielen Jahren der Diskussion einen großen
Konsens darüber gibt, dass wir die Wehrpflicht aussetzen können. Die Mehrheit des Hauses muss darum werben, um das gegen die CDU/CSU durchzusetzen.
({0})
Inzwischen gibt es entsprechende Beschlüsse von der
FDP, den Linken, den Grünen und der SPD. Man kann
also sagen: Wir haben erstmals die parlamentarische
Mehrheit, um den Ausstieg aus der Wehrpflicht hinzubekommen.
({1})
Wir debattieren heute über Ihre lausige Vorlage zur
Dienstzeitverkürzung.
({2})
Herr zu Guttenberg, Frau Schröder, ich fordere Sie auf,
diesen Gesetzentwurf zu stoppen.
({3})
Legen Sie dem Deutschen Bundestag lieber ein Konzept
vor, wie sich der Ausstieg aus der ungerechten Wehrpflicht tatsächlich organisieren lässt; denn sie ist sicherheitspolitisch längst überflüssig.
({4})
Ihr Vorschlag einer Dienstzeitverkürzung beruht auf
keinem Konzept. Es ist ein vermurkster Koalitionskompromiss, der niemandem etwas bringt. Das gilt auch für
die optionale Verlängerung des Zivildienstes. Das verschlimmert das Ganze nur noch.
Was richten Sie eigentlich damit an, Frau Schröder?
Sie sorgen dafür, dass der Zivildienst künftig in der Regel doppelt so lange dauert wie der Wehrdienst. Sie lassen zu, dass junge Zivildienstanwärter von Einrichtungen reihenweise Absagen kassieren, wenn sie sich nicht
für mehr als sechs Monate verpflichten wollen. Sie führen ein neues öffentlich-rechtliches Dienstverhältnis mit
Pflichtdienststrukturen im Sozialbereich ein. Diese optionalen Mitarbeiter werden einen Dumpinglohn von
3 bis 4 Euro pro Stunde erhalten. Das ist skandalös, weil
dieser Betrag deutlich unter dem Mindestlohn im Pflegebereich liegt. Sie riskieren im Übrigen auch die Verfassungswidrigkeit, da der Zivildienst laut Grundgesetz nur
Ersatz für nicht geleisteten Grundwehrdienst sein kann.
Deshalb ist Ihr Verlängerungskonstrukt rechtlich sehr
fragwürdig. Im Übrigen müssen die Länder hierbei über
den Bundesrat beteiligt werden. Es ist ein Unding, dass
der für den Zivildienst federführend zuständige Familienausschuss noch nicht einmal die Möglichkeit hat, darüber in einer eigenen Anhörung zu beraten.
({5})
Wenn man das alles zusammennimmt, dann ist das eine
verdammt lange Mängelliste für das erste Gesetz überhaupt, das Sie als Ministerin zu verantworten haben.
Wir Grüne wissen: Der Zivildienst ist untrennbar mit
der Wehrpflicht verbunden, weil er davon abgeleitet ist.
Wenn die Wehrpflicht fällt, dann muss man auch den Zivildienst verantwortungsvoll beenden. Deshalb lässt sich
der Zivildienst eben nicht, wie Sie das hier heute gemacht haben, sozialpolitisch begründen, sondern immer
nur auf der Basis der Wehrpflicht.
({6})
Deshalb denken wir weiter und zeigen Ihnen, wie der
Systemumbau geht. Wir wollen auch den Ausstieg aus
dem Zivildienst verantwortlich gestalten. Die Zivitätigkeiten, die dann wegfallen würden, können durch einen
Mix aus neuen, zusätzlichen sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplätzen, einem verlässlichen sozialen Arbeitsmarkt und einem massiven Ausbau der Freiwilligendienste ersetzt werden. Darum muss es jetzt gehen.
Die dafür notwendigen Mittel stehen im Übrigen zur
Verfügung, wenn man aus den Pflichtdiensten aussteigt.
Dieser Systemwechsel ist machbar. Man muss nur den
Mut dazu haben und eine langfristige Politik beschreiben. Das machen Sie eben gerade nicht.
({7})
Die Familienministerin ignoriert diese Notwendigkeit
und greift stattdessen zu verschiedenen Buchungstricks.
Sie haben vor ein paar Wochen sogar verkündet, dass es
angeblich zu einer Aufstockung der Freiwilligendienstmittel um 35 Millionen Euro gekommen wäre. Das ist
aber nichts anderes als das Umschichten von Geld. Dieses Geld wäre nach dem Zivildienstgesetz sowieso ausgegeben worden. Insofern ist das Gerede von einer Aufstockung blanker Hohn.
({8})
Sie haben noch nichts getan, um die Freiwilligendienste
in diesem Land zu stärken und auszubauen.
Herr Kollege.
Ich möchte abschließend betonen, dass Sie das Projekt der Großen Koalition - Zivildienst als Lerndienst mal eben nonchalant zur Seite geschoben haben. Die
Bildungsansprüche, die hier im letzten Jahr verabschiedet worden sind, werden nicht umgesetzt, sondern auf
den Sankt-Nimmerleins-Tag verschoben. Deshalb sage
ich noch einmal ganz klar: Ziehen Sie Ihren Gesetzentwurf zurück! Beenden Sie endlich den Eingriff in die
Grundrechte, Lebensplanungen und Bildungsbiografien
junger Männer! Organisieren Sie endlich den planvollen
Ausstieg aus den Pflichtdiensten und stärken Sie stattdessen die Jugendfreiwilligendienste! Denn in der Freiwilligkeit liegt die Zukunft und nicht in den antiquierten
Pflichtdiensten.
({0})
Dorothee Bär ist die nächste Rednerin für die CDU/
CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Koppelin, zunächst einmal möchte ich die Frage beantworten, die
Herr Gehring nicht beantworten konnte:
({0})
Die konnten an dieser Stelle nichts durchsetzen. So viel
dazu.
({1})
In den letzten Tagen wurde sehr viel und medial sehr
aufgeregt über den Wehrdienst debattiert.
({2})
In den Monaten zuvor haben wir - hauptsächlich leider
auch medial - eher über den Zivildienst gesprochen, da
die bevorstehende Verkürzung des Zivildienstes und die
Option einer freiwilligen Verlängerung in den letzten
Monaten für sehr viel Aufregung gesorgt haben.
({3})
- Es geht überhaupt nicht um die Aufregung in unseren
eigenen Reihen, Herr Kollege Rix. Wir müssen etwas
mehr an diejenigen denken, für die wir das Ganze hier
machen, und wir sollten etwas weniger auf unsere eigenen Empfindlichkeiten schauen.
({4})
Es geht um die Einrichtungen, besonders in pflegeund betreuungsintensiven Bereichen. Diese Einrichtungen haben befürchtet, dass sich eine intensive Einarbeitung der jungen Männer bei sechs Monaten Zivildienst
nicht mehr lohnt. Für viele junge Männer schien sich die
Gefahr einer biografischen Lücke zwischen dem Ende
des Zivildienstes und dem Beginn der Ausbildung zu
verschärfen. Besonders CDU und CSU haben immer für
eine freiwillige Anschlusslösung plädiert, um auch bei
einer Verkürzung die sinnvolle Durchführbarkeit des Zivildienstes sicherzustellen und den Interessen sowohl
der jungen Männer als auch der Einsatzstellen entgegenzukommen. Ich bin sehr froh, dass wir uns darauf einigen konnten.
Mich ärgert an den Reden der Opposition, dass hier
dauernd das Wort „Kompromiss“ madig gemacht wird.
({5})
Selbstverständlich muss man in einer Demokratie Kompromisse machen und kann nicht immer allein seine
Lehre durchsetzen. Ich finde, dass CDU/CSU und FDP
keinen faulen Kompromiss, wie Sie es nennen, sondern
einen sehr positiven Kompromiss ausgearbeitet haben;
denn die Verlängerungsoption dient sehr stark der Stabilität dieses Systems. Sie liegt im Interesse der Zivildienstleistenden, die so das Zeitfenster zwischen dem
Ende des Pflichtdienstes und dem Beginn der Ausbildung sinnvoll nutzen können.
Natürlich wollen auch die Betroffenen das. Reden Sie
einmal mit den jungen Männern und nicht nur hier untereinander. Diese sagen: Meine Biografie ist erst abgeschlossen, wenn ich die Möglichkeit habe, einen Dienst
im Sozialbereich ein Jahr lang durchzuführen. Sie fühlen
sich nach einem halben Jahr eben noch nicht sicher und
gefestigt. Diese jungen Männer gibt es zuhauf.
Die Option liegt auch im Interesse der zu betreuenden
Menschen, zum Beispiel im Interesse von Kindern mit
Behinderungen und älteren Menschen, die eine feste Bezugsperson haben wollen. Dort muss Vertrauen über längere Zeit entstehen und wachsen können.
Frau Kollegin Bär, darf der Kollege Bartels Ihnen
eine Zwischenfrage stellen?
Eigentlich habe ich meiner Kollegin versprochen,
keine zuzulassen, da sie früh heimfahren möchte.
({0})
Also, was nun?
Entschuldigung, Sibylle. - Bitte schön, Herr Bartels.
Frau Kollegin, Sie kennen den Bundesbeauftragten
für den Zivildienst, Jens Kreuter. Er musste sich in den
letzten Wochen mit den Fragen, ob die Zivildienstleistenden das angemessen finden, ob sie etwas davon haben
oder ob sie das fordern, auseinandersetzen, weil er bei
seinen Reisen ständig mit Zivildienstleistenden spricht.
Er hat in einem dpa-Gespräch gesagt, dass die geplante
Verkürzung des Zivildienstes wenig Rückhalt bei den
Betroffenen findet. Ich zitiere wörtlich:
Die große Mehrheit ist dagegen, weil ihnen der
Zeitgewinn nichts bringt.
Was halten Sie davon?
Das hat doch jetzt überhaupt nichts mit dem zu tun,
was ich hier gerade ausgeführt habe.
({0})
- Nein, überhaupt nicht. Wer zuhören kann, ist klar im
Vorteil, Herr Kollege.
Ich bin mit dem Herrn Kollegen Kreuter dauernd im
Gespräch. Ich empfehle Ihnen, das, was ich gerade ausgeführt habe, nachher im Protokoll nachzulesen; das
wird Sie weiterbilden.
({1})
Er sieht das an dieser Stelle überhaupt nicht so. Deswegen werde ich jetzt meine Rede weiterführen.
({2})
Die Verlängerungsmöglichkeit ist im Interesse der
Träger und der Einsatzstellen; denn so können sie den
Zivildienstleistenden endlich anspruchsvolle Tätigkeiten
anbieten. Das wird zu einer Akzeptanz führen. Deswegen war die Aufregung Ihrerseits bezüglich der Verlängerungsoption nicht nachvollziehbar.
Der Vorwurf, die Freiwilligkeit sei nicht sichergestellt, ist mehrfach gemacht worden. Die Unterstellung,
die Träger würden die Jugendlichen zwingen, sich zu
verpflichten, möchte ich zurückweisen. Das ist nicht fair
gegenüber denjenigen, die im karitativen Bereich großartige Arbeit leisten. Da sich an diesem Punkt die heftigste Kritik entzündet hat, möchte ich noch einmal
betonen, dass wir in unserem Gesetzentwurf alles Erforderliche vorgesehen haben, um die echte Freiwilligkeit
sicherzustellen. Auch wenn sich der junge Mann nach
zwei Monaten Pflichtdienst für die Verlängerung entschließt, kann er später nach sechs Monaten Pflichtdienst seinen Einsatz jederzeit beenden. Mehr Freiwilligkeit geht an dieser Stelle nicht.
({3})
Hinzu kommt: Wenn bekannt wird, dass Einsatzstellen den Zivildienstleistenden nur anstellen, wenn dieser
bereit ist, länger als sechs Monate zu bleiben, dann riskieren diese Träger die Anerkennung als Zivildienststelle durch das Bundesamt für den Zivildienst.
({4})
- Natürlich ist das nachweisbar, und das wird auch gemacht. Wissen Sie, man sollte nicht immer nur sagen:
Missbrauch, Missbrauch, Missbrauch. Wir müssen den
Menschen Vertrauen entgegenbringen. Dafür stehe zumindest ich.
({5})
Sie alle können die Augen vor der Realität verschließen, aber ich finde, dass die Regierungskoalition von
CDU/CSU und FDP hier einen ganz großartigen Entwurf vorgelegt hat. Wir werden in der nächsten Woche in
einer Anhörung weiter darüber sprechen.
Ich kann an dieser Stelle nur sagen: Erstens werden
sich die Zivildienstleistenden dafür bedanken.
({6})
Zweitens sind auch die Träger für die Lösung, die wir
gefunden haben, sehr dankbar. In diesem Sinne binde ich
die Opposition gerne konstruktiv ein, aber nicht mit diesem Affengebrüll wie heute.
Danke schön.
({7})
Letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der
Kollege Markus Grübel für die CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Vor 32 Jahren, am 1. Juli 1978, habe ich meinen
Wehrdienst bei der Bundeswehr angetreten. Ich habe
Wehrdienst aus Gewissensgründen geleistet. Andere haben sich für den Zivildienst entschieden. Ich glaube,
beide Positionen hatten und haben unser vollstes Verständnis verdient. Ob Wehr- oder Zivildienst, hier leisten
junge Männer einen wertvollen Beitrag für unsere Gesellschaft, und dies verdient unser aller Respekt.
({0})
Die Bundeswehr ist eine Wehrpflichtarmee. Wehrpflichtige prägen den Charakter unserer demokratischen
Streitkräfte seit ihrer Gründung. Zusammen mit dem Instrument der Inneren Führung, dem Staatsbürger in
Uniform, hat der beständige personelle Austausch zwischen Gesellschaft und Armee dafür gesorgt, dass unsere
Bundeswehr fest in der Mitte unserer demokratischen
Gesellschaft verankert ist.
({1})
Die Erfahrungen der Länder, die die Wehrpflicht abgeschafft haben, sind nicht so berauschend. In Frankreich zum Beispiel kann man beobachten, dass sich die
Armee stückweise von der Gesellschaft entfernt.
({2})
Das Kernargument für die Wehrpflicht und den Wehrdienst ist die Sicherstellung der Landesverteidigung. Zugleich ist die Wehrpflicht ein schwerer Eingriff in die
persönliche Freiheit junger Menschen und in die Lebensplanung der jungen Männer.
({3})
Daher müssen wir immer wieder aufs Neue abwägen,
wie weit und wie lange wir die Freiheit der jungen Männer einschränken. Dieser Grundfrage trägt die geplante
Verkürzung des Wehrdienstes Rechnung.
Die aktuell günstige Sicherheitslage in Europa erlaubt
den Schritt hin zu W 6. Dieser Schritt ist so maßvoll,
dass er die Vorzüge des Wehrdienstes nicht unverantwortlich gefährdet. Auch in sechs Monaten können
junge Männer einen sinnvollen Wehrdienst leisten und
militärische Grundfertigkeiten erlernen. Voraussetzung
ist, dass dieser Dienst sinnvoll ausgestaltet wird.
({4})
Wir wollen, dass W 6 und Z 6 ein Gewinn für den
einzelnen jungen Mann und für die Dienst- und Einsatzstellen ist. Die inhaltliche Ausgestaltung obliegt nun den
Praktikern und richtet sich nach den Bedürfnissen der
einzelnen Truppengattungen und Einsatzstellen. In jedem Fall muss der verkürzte Wehrdienst so strukturiert
werden, dass er attraktiv ist und auch die Bereitschaft
fördert, länger zu dienen.
Eine wichtige Voraussetzung dafür ist, dass unsere
Grundwehrdiensteinheiten nahe an den Einsatzeinheiten
angesiedelt werden. Dann kann die Bundeswehr auch
künftig die besten jungen Männer für einen längeren
Dienst gewinnen, und die jungen Männer wissen, auf
was sie sich einlassen, wenn sie den Soldatenberuf erlernen.
Gleiches gilt für den Zivildienst. Viele junge Männer
kommen erst durch den Zivildienst mit sozialen Berufen
wie Altenpfleger oder Krankenpfleger in Kontakt und
erlangen so eine hohe soziale Kompetenz, eine Kompetenz, die sie auch brauchen, wenn sie später einen technischen oder kaufmännischen Beruf ausüben. Gleichzeitig
stellen wir fest, dass der größte Teil der jungen Männer,
die sich zum Beispiel für den Beruf des Altenpflegers
oder Krankenpflegers entscheiden, durch ihren Zivildienst zu dieser Berufswahl gekommen ist. Bislang
konnten nur die Wehrdienstleistenden ihren Wehrdienst
freiwillig verlängern. Künftig können dies auch die Zivildienstleistenden tun. Hier haben wir eine Ungerechtigkeit gegenüber den Zivildienstleistenden abgebaut.
({5})
Herr Schäfer von den Linken, Ihre Anmerkung, hier
handele es sich um Dumpinglöhne, ist Unsinn. Nach dieser Argumentation müssten Sie das Freiwillige Soziale
Jahr von heute auf morgen abschaffen,
({6})
weil auch dies Ausbeutung wäre. Nein, das sind sinnvolle freiwillige Dienste. Ob ein junger Mann freiwillig
länger Zivildienst leistet oder ein freiwilliges soziales
Jahr macht,
({7})
beides sind sinnvolle Dienste.
({8})
Kollege Gehring, Ihnen darf ich sagen: Immer wieder
betonen Sie, dass junge Männer gezwungen werden
könnten, freiwillig länger zu dienen. Mindestens seit
dem 26. März dieses Jahres liegt den Grünen der Entwurf des Gesetzes vor. In § 43 Abs. 3 des Zivildienstgesetzes soll ausdrücklich geregelt werden, dass ein junger
Mann jederzeit sagen kann: „Die Weiterführung des Zivildienstes bedeutet für mich eine Härte“ und dass das
Bundesamt nicht das Recht hat, dies nachzuprüfen. Erzählen Sie diese Geschichte nicht immer weiter. Wenn
Sie es nicht glauben, dann schauen Sie in den Gesetzentwurf.
({9})
- Dann dürften Sie nicht so reden.
Durch die freiwillige Verlängerung können die jungen
Menschen jedenfalls ihre Lebensplanung besser ausgestalten und biografische Lücken schließen. Wir schaffen
künftig also mehr Freiheit als seither.
Die Regelung ist auch für die Dienststellen und Einsatzstellen ein Gewinn, weil sie zum Beispiel freiwillig
Längerdienende ins Ausland schicken können. Das gilt
zum Beispiel auch für die Marine. Wenn -
Sie müssen nicht erschrocken sein. Es gibt den
Wunsch einer Zwischenfrage des Kollegen Sönke Rix.
Ich wollte Sie fragen, ob Sie dem zustimmen.
Ja, gern.
Das ist offenkundig der Fall. - Bitte schön.
Herr Kollege Grübel, schönen Dank, dass Sie mir
eine Zwischenfrage erlauben.
Sie haben gerade darauf hingewiesen, dass die Tätigkeit nach dem Zivildienst - Sie nennen das den freiwillig
verlängerten Zivildienst - absolut freiwillig und anderen
Regeln unterstellt ist. Wie erklären Sie sich dann, dass
nach § 59 des Zivildienstgesetzes, in dem die Disziplinarmaßnahmen stehen, unter anderem Ausgehbeschränkungen und Geldbußen auch für diejenigen vorgesehen
sind, die den Zivildienst freiwillig verlängern? Hat das
etwas mit Freiwilligkeit zu tun? Ist das nicht eine Einschränkung?
Auch für diesen Dienst gelten bestimmte Regeln. Die
eigentlichen Zwangsregeln nach § 52 bis § 58 sind für
die freiwillig Längerdienenden aufgehoben.
({0})
- Ja, wenn es durch den aktuellen Dienst bzw. die aktuelle Tätigkeit zwingend ist, zum Beispiel durch eine Bereitschaft oder Ähnliches.
({1})
Ich fahre fort. - Die Wehrpflicht hat sich bewährt.
Wir schlagen heute eine praktikable und maßvolle Weiterentwicklung vor. Nun gilt es, W 6 erfolgreich in die
Praxis umzusetzen.
Meine Damen und Herren, die Wehrpflicht wurde im
Rahmen der Preußischen Heeresreform 1813 eingeführt.
Herr Kollege Grübel, ich fürchte, dass Sie diese ausführliche historische Darstellung der Entwicklung im
Rahmen der vereinbarten Redezeiten jetzt nicht mehr
werden bewältigen können.
Jawohl. - Schon damals war sie umstritten, und
200 Jahre später ist dies nicht anders.
Wir werden im Herbst sachlich, zügig und ohne Hetze
auf der Grundlage unserer Verfassung die weiteren Entscheidungen treffen. Darum ist es auch sinnvoll, dass wir
diesen Gesetzentwurf bald verabschieden. Damit wird
mittelfristig Planungssicherheit bestehen.
({0})
Herzlichen Dank.
({1})
Ich schließe die Aussprache.
Frau Kollegin Bär, wenn Sie nachher die Mitschrift
Ihrer Rede erhalten, dann werden Sie vermutlich in der
Schlusspassage auf eine Formulierung stoßen, von der
ich vermute, dass sie bei der Vorbereitung Ihrer Rede gar
nicht vorgesehen war, und zu der ich uns empfehlen
würde, sie auch bei temperamentvollen Auseinandersetzungen und heftigen Zwischenrufen im Interesse eines
wechselseitigen Respekts besser zu vermeiden.
({0})
Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzent-
wurfs auf der Drucksache 17/1953 an die in der Tages-
ordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt
es dazu andere Vorschläge? - Das ist nicht der Fall.
Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Ich bitte, den mit dem neuen Thema verbundenen
Schichtwechsel hier im Plenum zügig zum Abschluss zu
bringen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 27 a und 27 b auf:
a) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Anton Hofreiter, Winfried Hermann, Bettina
Herlitzius, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Durch eine neue Investitionspolitik zu mehr
Verkehr auf der Schiene
- Drucksache 17/1988 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ({1})
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Tourismus
Haushaltsausschuss
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Sabine
Leidig, Herbert Behrens, Thomas Lutze, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE
Grundlegende Neuausrichtung der Verkehrsinvestitionspolitik für Klima- und Umweltschutz, Barrierefreiheit, soziale Gerechtigkeit
und neue Arbeitsplätze
- Drucksache 17/1971 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ({2})
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Tourismus
Haushaltsausschuss
Auch diese Debatte soll nach einer interfraktionellen
Vereinbarung 75 Minuten dauern, was, wenn ich mir
diesen nachrichtlichen Hinweis erlauben darf, bei dem
vorherigen Punkt nicht ganz gelungen ist. - Dazu gibt es
offenkundig keinen Widerspruch. Dann können wir so
verfahren.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort erhält zunächst
der Kollege Dr. Anton Hofreiter für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Die Bahn ist der zweitwichtigste Verkehrsträger nach der Straße. Die Bahn ist gleichzeitig das klimaund umweltfreundlichste Verkehrsmittel. Des Weiteren
ist die Bundesrepublik als bedeutende Export- und Importnation und größte Handelsnation innerhalb Europas
zentral auf funktionierende Verkehrswege angewiesen.
Unser Wohlstand und unsere Arbeitsplätze hängen von
einem funktionierenden Verkehrssystem ab. Zudem lässt
sich kein Verkehrsmittel leichter auf regenerative Energien umstellen und so umbauen, dass wir vom Öl wegkommen, als die Bahn.
({0})
Wird aber die Bahnpolitik der real existierenden
schwarz-gelben Koalition dieser Bedeutung gerecht?
Betrachten wir die Maßnahmen, die in den ersten Monaten der schwarz-gelben Koalition ergriffen wurden. Als
erste große Maßnahme im Bereich der Bahn ist wohl das
Angebot anzusehen, für 2,7 Milliarden Euro den britischen Verkehrskonzern Arriva zu übernehmen und damit zu verstaatlichen. Angesichts der Maßnahmen, die
die Schwarzen gegenüber den Banken ergriffen haben,
ist es nicht weiter erstaunlich, dass diese Verstaatlichungen für ein probates Mittel halten, um mit Problemen
fertig zu werden. Aber dass ausgerechnet die FDP der
größten Verstaatlichung der letzten 20 Jahre zustimmt,
ist absurd. Es wird noch absurder, wenn man sich daran
erinnert, wie Sie sich über das in der Tat etwas seltsame
Programm der NRW-Linken aufgeregt haben. Wenn Sie
noch einmal etwas gegen Verstaatlichung sagen, dann
haben Sie jede Glaubwürdigkeit verloren.
({1})
Was haben Sie als nächstes getan? Als nächstes wollen
Sie im Zuge des sogenannten Sparpaketes dem System
Bahn 500 Millionen Euro entziehen, die als sogenannte
Dividende an den Bund abgeführt werden sollen.
Selbstverständlich werden Sie jetzt einwenden, dass die
500 Millionen Euro aus dem Gewinn aufgebracht werden; aber wir alle wissen, wie die Bahn strukturiert ist.
({2})
Welche Folge wird es haben, wenn der Bahn in ihrer jetzigen Struktur 500 Millionen Euro entzogen werden?
Die Folge wird sein, dass die Töchter noch massiver ausgepresst werden. Die Berliner S-Bahn lässt grüßen.
({3})
Sie erhöhen mit Ihren Maßnahmen den Druck auf die
Bahn, ihre Konzerntöchter, die Infrastruktur und die Nahverkehrsgesellschaften noch stärker auszupressen. Wer
muss das ausbaden? Der Kunde.
Was haben Sie des Weiteren getan? Alles zusammen
- gerechnet - die Gatzer-Liste usw. - müssen Sie aufgrund des Sparpakets in Ihrem Ressort in diesem Jahr
über 400 Millionen Euro, im nächsten Jahr 700 Millionen Euro und im Jahr darauf fast 900 Millionen Euro
einsparen. Diese Einsparungen werden sicherlich bei
den Investitionen erfolgen; denn an die anderen Bereiche
trauen Sie sich bekanntermaßen nicht heran.
Schauen wir uns die Lage bei den Investitionen an:
Ihre Bundesregierung hat in ihrer Antwort auf unsere
Anfrage selbst zugestanden, dass allein für die Maßnahmen des vordringlichen Bedarfs im Bundesverkehrswegeplan 24 Milliarden Euro fehlen - und das schon bei
der alten Bundeshaushaltslinie und unter der Voraussetzung, dass Sie keinerlei Kostensteigerungen haben. In
der Vergangenheit war bei den Planansätzen in der Regel
mit Kostensteigerungen um den Faktor 2 zu rechnen.
Aber selbst ohne all dies zu berücksichtigen, fehlen Ihnen 24 Milliarden Euro.
Erst vorgestern hat uns der Beirat bei der Bundesnetzagentur der DB AG dargestellt, dass noch im Jahr 2008
90 Prozent der Mittel für sogenannte laufende Vorhaben
verausgabt wurden. Was heißt das? Was bedeuten laufende Vorhaben im Bahnbereich? Dabei handelt es
sich weitgehend um Maßnahmen aus dem Bundesverkehrswegeplan von 1992 oder früher. Das heißt: Fünf
Jahre nach der Verabschiedung des Bundesverkehrswegeplans 2003 stehen nur 10 Prozent der Mittel für diesen
Bundesverkehrswegeplan zur Verfügung. Wie wollen
Sie da auf Entwicklungen reagieren? - Sie tun es gar
nicht. Sie reagieren einfach nicht auf neue Entwicklungen. In den nächsten Jahren werden Sie nach Ihren Planungen einen Großteil der Gelder für ganz wenige
Großprojekte verausgaben, sodass für die wirklich
wichtigen Maßnahmen kein Geld mehr vorhanden sein
wird.
({4})
Der Minister führt gern das große Wort. Im letzten
Jahr hat er vor Weihnachten davon gesprochen, dass er
einen Großteil des Güterverkehrszuwachses auf die
Schiene verlegen will. Das sind schöne Worte. Ihre Taten sprechen aber eine andere Sprache. Sie entziehen
dem System Schiene Milliarden von Euro. Wie wollen
Sie da etwas erreichen? Nicht an Ihren Worten werden
wir Sie messen, sondern an Ihren Taten, wie es so schön
heißt. Jetzt erkennt man leider Ihre Taten.
Wie können Sie Ihren Ankündigungen Taten folgen
lassen? Wir haben Ihnen ein umfangreiches Maßnahmenpaket aufgeschrieben, mit dessen Umsetzung Sie Ihren Worten Taten folgen lassen könnten. Was sind die
wichtigsten Maßnahmen?
Die erste Maßnahme muss die Aufhebung der Beherrschungs- und Gewinnabführungsverträge zwischen den Töchtern der DB AG und der Holding sein,
({5})
damit der Anreiz entfällt, die Töchter - S-Bahn Berlin
usw. - auszuplündern. Das steht auch so in Ihrem Koalitionsvertrag. Aber das allein hilft nichts. Papier ist geduldig. Man muss die geplanten Maßnahmen auch umsetzen. Wir loben Sie sogar für diese eine sinnvolle
Passage in Ihrem Koalitionsvertrag. Aber bei der Umsetzung machen Sie genau das Falsche.
Des Weiteren ist nötig, die Planungen für den Personenverkehr am sogenannten Deutschland-Takt auszurichten.
({6})
Was bedeutet das? Wenn ich einen Zug benutze, müssen
die Anschlüsse funktionieren. Es hilft nämlich nichts,
Milliarden von Euro auszugeben, um mit einem ICE
20 Minuten schneller von A nach B fahren zu können,
wie jetzt vielfach geplant ist, wenn die Anschlüsse nicht
funktionieren und ich zwangsweise eine halbe Stunde
am Bahnhof verbummele.
Des Weiteren muss dringend für einen vernünftigen
und fairen Wettbewerb gesorgt werden. Wir verstehen
unter einem vernünftigen und fairen Wettbewerb, dass
gleiche und gerechte Zugangsbedingungen für jeden geschaffen werden, der Schienenverkehr organisieren
möchte. Für uns ist es nicht entscheidend, ob ein roter
oder ein gelber Zug fährt. Entscheidend für uns ist, dass
für die Kunden pünktliche und saubere Züge fahren.
({7})
Des Weiteren ist es nötig, die Investitionspolitik so zu
verändern, dass, statt Millionen zu versenken, nur noch
Maßnahmen ergriffen werden, die Engpässe beseitigen,
schnell wirken und sowohl den Kunden im Personenverkehr als auch den Kunden im Güterverkehr helfen.
Deshalb fordere ich Sie auf: Setzen Sie unsere Maßnahmen um! Wir haben sie Ihnen aufgeschrieben, weil
Sie selbst nur planlos und orientierungslos in der Gegend
herumirren. Wir haben Ihnen einen großen Gefallen getan. Wenn Sie unsere Maßnahmen umsetzen, dann haben
Sie die Chance, den Worten Ihres Ministers gerecht zu
werden.
Danke.
({8})
Das Wort erhält nun der Kollege Ulrich Lange für die
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!
Lieber Kollege Hofreiter, Sie fordern heute eine neue Investitionspolitik für mehr Verkehr auf der Schiene. Dieser Forderung in der Form, wie Sie sie gerade vorgetragen haben, werden wir uns nicht anschließen.
({0})
Nein. - Wir werden uns nicht anschließen, weil sich in
der Bahnpolitik seit der Übernahme des Verkehrsministeriums durch die CSU, durch Peter Ramsauer, bereits
sehr vieles zum Positiven verändert hat.
({1})
Wir wollen keine Wende rückwärts. Nein, wir wollen ein
Weiter-so, weil es noch viele Baustellen gibt und weil
wir davon überzeugt sind, dass wir diese mit unserem
Verkehrsminister erfolgreich abarbeiten werden.
({2})
- Ich habe es Ihnen schon vorgerechnet, Herr Pronold.
Ich muss nicht ständig darauf hinweisen, was Ihre Verkehrsminister uns nach 4 000 Tagen hinterlassen haben.
Es geht natürlich nicht an, nur die kaufmännischen
Zielsetzungen der Bahn im Auge zu haben. In diesem
Punkt, Herr Kollege Hofreiter, gebe ich Ihnen recht: Verkehrswege und insbesondere die Bahn sind Lebensadern unserer Volkswirtschaft. Diese Adern brauchen
wir in einem exportorientierten und von Wirtschaftskraft
geprägten Land wie Deutschland ganz besonders. Ich
gebe Ihnen noch ein zweites Mal recht: Die Bahn ist
- ich lasse das Fahrrad außen vor - eines der umweltfreundlichsten Verkehrsmittel, die wir haben.
({3})
- Danke. Heute wird es richtig schön. - Weder Pkw noch
Lkw noch Flugzeug sind so klimaschonend wie die
Bahn; denn sie weist unter dem Gesichtspunkt der Energieeffizienz eindeutige Vorteile auf. Das haben wir auch
im Sparpaket zum Ausdruck gebracht.
Lassen Sie mich auf die Gleichbehandlung des Flugverkehrs zu sprechen kommen. Im internationalen Flugverkehr war die Besteuerung von Flugbenzin kurzfristig
nicht durchsetzbar. Aber bis zur Einbeziehung des Luftverkehrs in den bereits vereinbarten CO2-Emissionshandel werden wir eine nationale ökologische Luftverkehrsabgabe für Passagiere erheben, die im Inland abfliegen.
Jetzt erwarte ich von den Grünen und insbesondere vom
Kollegen Hofreiter einen besonderen Applaus für uns.
({4})
- Schade.
Nun komme ich auf den zweiten Teil Ihres Antrags zu
sprechen. Ihre Argumentation ist in dem Bereich, wo Sie
über die Fortschreibung der Finanzierung von Schienenprojekten im Verkehrswegeplan bis 2040 reden, schlicht
und ergreifend scheinheilig und Ihre Kritik unehrlich;
denn die Neu- und Ausbauprojekte des vordringlichen Bedarfs hat die rot-grüne Bundesregierung 2004
im Bundesschienenwegeausbaugesetz auf den Weg gebracht und damals mit Finanzmitteln in Höhe von
1,5 Milliarden Euro pro Jahr unterlegt. Ich bin vielleicht
kein guter Rechner, aber über den Daumen gerechnet
würde man mit der von Ihnen beschlossenen Ausbaupolitik mit diesen Projekten 2035/2036 fertig. Damit wäre
man gerade einmal vier Jahre schneller. Ihre Kritik greift
hier also deutlich zu kurz. Zu diesem Schluss kommt
man insbesondere dann, wenn man die heutige Krise der
Finanzmärkte und des Euros mitberücksichtigt. Wir können jeden Euro nur einmal ausgeben. Auch Sie können
es nicht anders machen.
({5})
Ihr Antrag weist weitere Schwachpunkte auf. Sie haben - der Ideologie geschuldet - nur die Bahn im Blick.
Das ist ein Fehler. Zukunftsorientierte Verkehrspolitik bedeutet, alle Verkehrsträger im Blick zu haben und
diese optimal miteinander zu verzahnen. Natürlich liegt
es in unserem Interesse - das hat unser Verkehrsminister
bereits zu Beginn der neuen Koalition zum Ausdruck gebracht -, möglichst viel vom Verkehrszuwachs sowohl
im Güter- als auch im Personenverkehr auf die Bahn zu
verlagern. Aber es wird uns definitiv nicht gelingen, alles oder zumindest den größten Teil auf die Schiene zu
bringen. Deswegen sollten wir auch hier Realisten bleiben.
Mit unserer Investitionspolitik reagieren wir angemessen und bleiben auf dem Boden der Realität. Wir
spielen nicht das Spiel „Wünsch dir was“. Wir betreiben
keine Politik, wie Sie selbst sie in den Jahren Ihrer Regierungsverantwortung definitiv nie gemacht hätten. Ich
kann also auch Sie nur zu etwas mehr Realismus ermahnen.
Wer die Bedeutung der Schuldenbremse ab 2011 und
die Beratungen um den Bundeshaushalt 2011 aufmerksam verfolgt, weiß - das muss heute ebenfalls gesagt
werden -, dass auch auf den Verkehrshaushalt schwierigere Zeiten zukommen. Ich möchte unserem Verkehrsminister nochmals ausdrücklich dafür danken, dass die
Investitionen auf hohem Niveau verstetigt werden konnten. Das ist und war nicht selbstverständlich. Wir wissen,
dass Investitionen ein Teil der Wirtschaftsförderung, ein
Beitrag zur Mobilität in unserem Lande sind. Genau in
diesem Sinne haben wir bei der Aufstellung des Sparpakets gehandelt.
Auch uns ist daran gelegen, dass das Zugleit- und
Zugsicherungssystem ERTMS/ETCS in Europa so
schnell wie möglich weiter ausgebaut wird. Auch wir
wollen, dass Trassenerlöse und Stationsentgelte in die
Infrastruktur investiert werden. Auch wir wollen mehr
Gleisanschlüsse. Auch wir wollen mehr Güterverkehr
auf der Schiene und deswegen mehr Gleise.
({6})
Das Ganze muss aber - das festzustellen, gehört zu einer
ehrlichen Politik einfach dazu - im Rahmen des zeitlich
und finanziell Möglichen umgesetzt werden. Wie ich bereits gesagt habe, kann man den Verkehrshaushalt aufgrund der Verzahnung der verschiedenen Bereiche nicht
auf einen einzigen Verkehrsträger ausrichten.
Die Beseitigung von Engpässen, die Setzung von Prioritäten, all das werden wir auch in den nächsten Monaten erfolgreich vornehmen; da bin ich sicher. Es geht darum - das wurde ja gerade gesagt -, eine intelligente
Verkehrspolitik unter Einbeziehung der Bahn und der
Bahninfrastruktur zu machen. Ich kann Sie nur auffordern, auf dem Boden der Tatsachen daran mitzuarbeiten.
Herzlichen Dank.
({7})
Der Kollege Beckmeyer ist der nächste Redner für die
SPD-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Erst einmal möchte ich den Kollegen von den Grünen und der Linksfraktion dafür danken, dass wir heute
diese Debatte führen können. Wir müssen zu diesem
Zeitpunkt nämlich konstatieren, dass der Verkehrsbereich an den Sparbemühungen der Bundesregierung
in den nächsten vier Jahren mit gut 9 Milliarden Euro
beteiligt wird. Diese Größenordnung verblüfft und weist
darüber hinaus darauf hin, dass der Verkehrsbereich in
einem unerträglichen Ausmaß, in einer nicht akzeptablen Art und Weise und ohne erkennbaren Nutzen an
diesen Sparbemühungen beteiligt wird. Das ist etwas
Neues. Im Grunde signalisiert es, dass die Verkehrspolitik für diese Bundesregierung dramatisch an Bedeutung
verloren hat.
Nicht umsonst haben vor zwei Tagen ein wichtiger
Verband und ein wichtiges Unternehmen, nämlich der
VDA und die Deutsche Bahn AG, gemeinsam ein Thesenpapier - es klingt fast wie ein Pflichtenheft - für die
deutsche Verkehrspolitik erstellt. In diesem Papier
wurde wohl zum ersten Mal in dieser Form ein vermutlich auf uns niederkommendes Übel richtig beschrieben
und beklagt. Unter der Überschrift „Gemeinsam die
Rolle der Verkehrspolitik stärken“ wird ganz vorsichtig
formuliert:
Der Stellenwert der Verkehrspolitik muss gemäß ihrer zentralen Bedeutung für die Mobilität unserer
Gesellschaft sowie als zentrale Säule der Wirtschafts- und Standortpolitik weiter entwickelt werden. Die Zusammenarbeit der Verkehrspolitik mit
anderen Politikbereichen … ist gezielt auszubauen.
Infrastrukturpolitik ist als politische Querschnittsaufgabe zu verstehen. Anknüpfungspunkte zu anderen Politikbereichen müssen verdeutlicht und stärker vernetzt werden.
Eine engagierte Vertretung deutscher Interessen in
der EU-Verkehrspolitik ist dringend erforderlich.
Des Weiteren erfolgen Aussagen zur Höhe der Investitionen.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, das ist ein
Appell von einem Verband, der der Bundesregierung,
denke ich, gar nicht so fernsteht, und von der Deutschen
Bahn AG. Beide fragen sich: Oh Gott, was passiert da eigentlich in Berlin? - Das ist schon dramatisch.
Sie beschließen eine Luftverkehrsabgabe, eine Air
Traffic Tax, national, nicht europäisch. Dafür gibt es
vielleicht gute Gründe. Man könnte ja sagen: Das Geld,
das wir dadurch einsammeln, wollen wir dem Umweltschutz zur Verfügung stellen oder dem Bereich Luftverkehr zurückgeben oder, wie heute durchaus üblich, für
Entwicklungshilfeprojekte vorsehen. Aber was machen
Sie? Sie nehmen 2 Milliarden Euro ein - die Passagiere
bezahlen es - und schieben das Geld in den allgemeinen
Haushalt, den Sie vorher geschröpft haben, um Herrn
Mövenpick und anderen Hoteliers das Geld in den Hintern zu stecken. Das ist doch die aktuelle Situation.
({0})
Man kann durchaus der Meinung sein, dass die DB
AG als Aktiengesellschaft, die Dividendenfähigkeit besitzt, ihrem Eigentümer eine Dividende zu zahlen hat.
Diese Auffassung kann man vertreten. DAX-Unternehmen schütten regelmäßig Dividenden aus. Ich bitte Sie
aber, einmal zu überlegen, in welcher Größenordnung
DAX-Unternehmen dies tun. Sie zahlen nicht von jetzt
auf gleich 500 Millionen Euro pro Jahr, also eine halbe
Milliarde Euro, festgelegt für die nächsten vier Jahre,
sondern das wird nach und nach entschieden, maximal
übrigens 30 Prozent des Gewinns. Das sind die normalen
Größenordnungen, die für Ausschüttungen von DAXUnternehmen gelten. Was macht der Finanzminister? Er
fordert 500 Millionen Euro pro Jahr von jetzt bis 2014.
Sie, meine Damen und Herren, propagieren immer
verkehrsträgerimmanente Finanzierungskreisläufe.
Was bedeutet das nun für die Schiene? Das bedeutet,
dass Sie die Fähigkeit der DB AG, Investitionen in die
Schiene zu tätigen, für die Zukunft einschränken.
({1})
Auch da zeigt sich die Konzeptionslosigkeit Ihrer Verkehrspolitik. Ihnen fehlt der Kompass in der Verkehrspolitik. Die Situation kann dramatischer nicht sein.
Der Minister, Herr Dr. Ramsauer, wurde von uns im
Ausschuss befragt: Wo sparen Sie? Antwort: Bei den
disponiblen Mitteln. - Es war schon dramatisch, zu hören, welche Ansätze halbiert werden, vor allen Dingen in
Bereichen, die bisher, auch von der Großen Koalition,
konjunkturpolitisch als sehr wichtig eingestuft wurden
mit der Begründung: Wir brauchen in schwierigen Zeiten Impulse für das Handwerk. - Und jetzt: überall Halbierungen!
({2})
Also: Sie machen eine Politik gegen die Konjunktur,
Sie machen eine Politik gegen die Verkehrsträger, und
das alles in einer Situation, in der sich Deutschland gerade in diesen Bereichen - das ist eine gemeinsame Erkenntnis des Verkehrsausschusses - verstärkt engagieren
müsste. Ich muss ganz ehrlich sagen: Es ist gravierend,
was da momentan unter dem Strich alles zusammenkommt.
Da hilft auch nicht der Hinweis: „Wir haben
10 Milliarden Euro als Investitionslinie für die Verkehrsträger gerettet.“ - Diese 10 Milliarden Euro werden
überall angeknabbert, weil man in den nächsten Jahren
Geld beim Bundesfinanzminister abzuliefern hat.
Schließlich landet man - Anton Hofreiter hat das vorhin
gesagt - bei über 950 Millionen Euro. Das hat zur Konsequenz, dass uns dann fast 1 Milliarde Euro fehlt - mit
all den Konsequenzen, die wir zu gewärtigen haben.
Das ist auch noch vor dem Hintergrund zu sehen, dass
wir Priorisierungen vornehmen müssen. So wird es
überall in den Regionen Heulen und Zähneklappern geben. Wir als Sozialdemokraten werden deutlich machen,
dass Sie, die Liberalen und die Christdemokraten, dafür
die Verantwortung tragen, und zwar komplett. Der deutschen Öffentlichkeit muss klipp und klar gesagt werden:
Sie sind in der Verkehrspolitik auf der Versagerstraße.
Das ist bedauerlich.
Ich kann Ihnen nur zurufen: Nehmen Sie endlich Ihren Mut zusammen und versuchen Sie, in dem Bereich
einen Common Sense in Deutschland zu erzeugen, damit
Verkehrspolitik wieder eine höhere Priorität gewinnt.
Herzlichen Dank.
({3})
Als nächster Redner spricht der Kollege Werner
Simmling für die FDP-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen! Zu Beginn meiner Ausführungen möchte ich unserem Verkehrsminister Peter Raumsauer ausdrücklich
danken, dass er in einer solch schwierigen Situation eine
Verstetigung der Verkehrsinfrastrukturausgaben auf gutem Niveau erreicht hat.
({0})
Das muss man nach dieser Polemik einfach mal sagen.
Ich glaube, wir alle sind uns einig: Nicht die Mittel im
Verkehrsbereich wurden bisher verstetigt, sondern die
Unterfinanzierung. Das wissen wir zwar nicht erst seit
der Veröffentlichung des Verkehrsinvestitionsberichtes 2009; dass der Investitionsdruck aber eine solche
Qualität hat, ist erschreckend. Auch Sie von Bündnis 90/
Die Grünen sehen richtigerweise, dass die identifizierten
Engpässe nicht mit den Investitionsschwerpunkten übereinstimmen. Wir reden hier also in erster Linie über
strukturelle Probleme des rot-grünen Verkehrswegeplans, den wir geerbt haben.
Nun fordern Sie: Mehr Verkehr auf die Schiene!
- Schwarz-Gelb sagt deutlich Ja dazu - wo dies sinnvoll
ist.
({1})
Der Zusatz „Wo dies sinnvoll ist“ bedeutet keine A-priori-Einschränkung, es handelt sich vielmehr um eine
kluge Richtungsentscheidung schwarz-gelber Verkehrspolitik. Nehmen Sie aber bitte auch zur Kenntnis, dass
nicht jeder Verkehr von der Straße auf die Schiene verlagerbar ist.
Bei Veränderungen im Modal Split gibt es kein Entweder-oder. Nettovorteile ergeben sich, wenn ein Verkehrssystem im Ganzen effizienter, schneller und umWerner Simmling
weltfreundlicher wird, eben optimaler, um Wachstum
und Beschäftigung zu ermöglichen statt zu behindern.
Mit der Überarbeitung des Masterplanes „Güterverkehr und Logistik“ schwenken wir auf eine Infrastrukturpolitik um - auch und vor allem für die Schiene -, mit
der Güterverkehr und Logistik echte Angebote gemacht
werden. Bezüglich des Ausbaus von Schieneninfrastruktur besteht der wichtigste Schritt in der Neupriorisierung von Investitionsvorhaben. Im Koalitionsvertrag
ist dies vereinbart, aktuell befindet es sich in der Erarbeitung. Geplante Infrastrukturvorhaben werden nach den
Kriterien volkswirtschaftlicher Nutzen, Beseitigung von
Engpässen, Ausbau von Knoten und Hinterlandanbindungen etc. beurteilt. Bereits im Sommer bzw. im Herbst
werden uns hierzu entsprechende Vorschläge vorliegen.
Dieser Punkt ist auch eine zentrale Forderung des Antrags von Bündnis 90/Die Grünen. Damit zitieren Sie
aber nur ein weiteres Mal den Koalitionsvertrag.
Außerdem haben wir im Koalitionsvertrag die Anreizregulierung bei Trassen- und Stationspreisen vereinbart. Eine solche regulatorische Maßnahme wird sich
deutlich positiv auf den Netzbetrieb auswirken. Echte
Marktpreise entstehen nämlich dort, wo bisher wenig
Verkehre stattfinden. Durch niedrigere Preise wird eine
Stärkung des Angebotes ermöglicht. Der Wettbewerb
auf der Schiene wird damit gefördert. In unserem Koalitionsvertrag steht auch, dass wir im Zuge dieser Maßnahmen die Bundesnetzagentur stärken.
({2})
Was die Engpassbeseitigung im Bestandsnetz angeht, sollten wir darüber diskutieren, ob und wie wir die
Überlegungen des Netzbeirates aufgreifen, und die stärkere Kombination von Instandhaltung und punktuellem
Ausbau des Netzes in Aussicht stellen. Ziel muss es sein,
möglichst zügig zusätzliche Kapazitäten im Netz zu
schaffen - natürlich nur innerhalb des Finanzrahmens.
Mit weiteren Veränderungen in der DB Holding sichern wir eine größere Einflussnahme des Eigners Bund
im Hinblick auf die Infrastrukturmaßnahmen der DB
AG. Im Rahmen der Neuverhandlung der Gewinnabführungsverträge wollen wir, dass in Zukunft die Gewinne
aus dem Netz in den Eisenbahninfrastrukturunternehmen
bleiben, damit deren Investitionskraft gestärkt wird.
({3})
Um dem zukünftigen Verkehrsaufkommen nachhaltig
zu entsprechend und im europäischen Wettbewerb mithalten zu können, sind also Effizienzsteigerungen und
ein Mehr an Verkehrsleistung notwendig. Entscheidende
Schritte sind von uns bereits angestoßen. Weitere
Schritte werden folgen.
Herzlichen Dank.
({4})
Das Wort für die Fraktion Die Linke hat die Kollegin
Sabine Leidig.
({0})
Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Es
ist dringend notwendig, dass mit einer zielgerichteten
Politik die Weichen im Verkehrsbereich umgestellt werden. Vor zwei Tagen wurde im Ausschuss der Bericht
über die Verkehrsinvestitionen von 2003 bis 2008 präsentiert. Der Berichterstatter lobte, dass viele Milliarden
verbaut worden sind, und bedauerte, dass nicht alle
Töpfe ausgeschöpft werden konnten. Ich meinte, dass ja
nicht das Geldausgeben an sich von Vorteil sei, und
fragte nach den Zielen, worauf der zuständige Staatssekretär erwiderte, dass es die Leute, die bauen würden,
glücklich mache, wenn sie Beton in die Landschaft gießen könnten.
({0})
- Genau. Sie freuen sich ebenfalls. Ich dachte, ich höre
nicht recht. Aber tatsächlich hat diese Ziellosigkeit leider System.
Der Bedarfsplan für die Bundesfernstraßen beruht
auf einer Prognose, die das politische Nichtstun und einen viel zu niedrigen Ölpreis voraussetzt. Nach dieser
Prognose wird der Straßengüterverkehr bis 2025 um
80 Prozent steigen. Dies geschieht auf Kosten der Bahn.
({1})
Auch der motorisierte Individualverkehr werde wachsen
und die Eisenbahn bei einem Anteil von 7 Prozent stecken bleiben. Das kann doch nicht Ihr Ernst sein.
({2})
Wenn Sie diesem vermeintlichen Bedarf hinterherbetonieren, dann verschärfen Sie alle Krisen, mit denen wir
es derzeit zu tun haben, zuallererst und vor allem die
Umwelt- und Klimakrise, die für die Menschheit, für
uns alle, zur Überlebensfrage wird. Fakt ist, dass in den
vergangenen 20 Jahren die Klimabelastung durch den
Verkehr in Deutschland um 12 Prozent zugenommen
hat - und das, obwohl die Motoren viel effektiver und
schadstoffärmer sind. Das Problem ist: Der Lkw-Verkehr
hat sich seither fast verdoppelt. Es werden dreimal so
viele Güter durch die Luft geflogen. In einem Joghurtbecher stecken heute 50 Prozent mehr Transportkilometer
als vor 30 Jahren, und eine Person legt eine doppelt so
lange Wegstrecke zurück. Ist das ein Vorteil? Immer
mehr, immer höher, immer weiterer Verkehr? Das verbessert doch nicht die Lebensqualität.
({3})
- Das hat doch mit der Lebensqualität und dem Joghurt
nichts zu tun. Entschuldigung!
({4})
Die Lebensqualität wird nicht verbessert, eher das
Gegenteil ist der Fall: 44 Prozent der Menschen in Eu4838
ropa leiden unter zu viel Autoverkehr. Während sich die
Konzerne die Gewinne aufgrund der Globalisierung in
die Tasche stecken, muss die ganze Gesellschaft die Folgen von Luftverschmutzung, Lärm und Naturzerstörung
sowie die Folgen von Lohndumping tragen.
Nun hat die Bundesregierung im Kioto-Protokoll zugesagt, den CO2-Ausstoß bis 2020 um mindestens
40 Prozent zu reduzieren. Im Verkehrsbereich ist davon
überhaupt nicht die Rede. Eine Strategie aber zur Vermeidung von Verkehr ist längst überfällig und genauso
eine zur Verlagerung von Verkehr auf den Fußweg, auf
das Fahrrad, auf den öffentlichen Nahverkehr und auf
die Eisenbahn.
({5})
Allerdings muss man, wenn man dieses Ziel verfolgt,
wahrscheinlich erst das Führungspersonal der Deutschen Bahn AG austauschen.
({6})
Der Vorstand Herr Dr. Karl-Friedrich Rausch, der übrigens von der Lufthansa kommt, verlangt, die Veränderung des Modal Splits, also der Aufteilung zwischen den
Verkehrsträgern, zulasten eines Verkehrsträgers - in
Klammern: der Straße - zu vermeiden. Er will die gezielte Förderung des Güterverkehrs als Wachstumsmotor, übrigens gemeinsam mit dem Vorsitzenden des Verbandes der Automobilindustrie. Das heißt, er will in die
gleiche falsche Richtung weiterfahren. Herr Ramsauer,
Sie sollten dafür sorgen, dass dieser Herr zusammen mit
den anderen Vorstands- und Aufsichtsratsmitgliedern,
die Spitzenmanager von Beton-, Energie-, Auto- und
Flugzeugkonzernen waren oder sind, seinen Hut nimmt.
Denn wir brauchen an der Spitze des größten öffentlichen Unternehmens Leute, die das Gemeinwohl im Sinn
haben, mehr Verkehr auf die Schiene bringen und die
Bahn für alle weiterentwickeln.
({7})
Die Bahn hat schon heute - das haben wir gehört eine mit Abstand bessere Umweltbilanz als Kraftfahrzeuge oder Flieger, obwohl derzeit noch viel zu viel
Kohlestrom verfahren wird und es keine Abwrackprämie
für Diesellokomotiven gegeben hat. Aber Bahnstrom
könnte aus regenerativen Energiequellen kommen. Elektromobilität findet als Massenverkehr auf der Schiene
statt. Diese muss ausgebaut werden. Wenn man die Klimakrise entschärfen will, dann ist ziemlich klar, wohin
die Reise gehen muss. Das gilt auch für die schwelende
Krise im Hinblick auf die Verteilungsungerechtigkeit,
mit der die soziale Basis in den Gesellschaften weltweit,
aber auch hier untergraben wird.
Selbst im hochmotorisierten Deutschland besitzt ein
Viertel der Haushalte kein Auto, die meisten, weil sie es
sich nicht leisten können. Jetzt sehen wir, dass seit Wochen Millionen Liter Öl in den Golf von Mexiko ausströmen, weil BP das Risiko einer Tiefseebohrung eingegangen ist. Die vorhandenen Ölreserven auf diesem
Planeten werden immer schwerer zugänglich, die Förderung wird riskanter und teurer, und das wird sich unter
anderem in drastisch steigenden Spritpreisen bemerkbar
machen.
Alle, denen das Autofahren zu teuer ist oder die darauf verzichten wollen, sind auf ein gutes öffentliches
Nah- und Fernverkehrsangebot angewiesen.
({8})
Daran mangelt es vielerorts, vor allem im ländlichen
Raum.
({9})
Das wäre ein wichtiges Ziel der Verkehrspolitik: Sie
muss dafür Sorge tragen, dass in einer mobilen Gesellschaft niemand abgehängt wird.
Zurzeit stecken wir mitten in der Finanzmarkt- und
Schuldenkrise, in der jetzt sogenannte Sparprogramme
erzwungen werden. Diese Krise könnte im Verkehrsbereich als Chance genutzt werden, als Gelegenheit, auf
die Bremse zu treten, damit man wenden kann:
Verzichten Sie auf den Baubeginn von Autobahnabschnitten und auf fragwürdige Großprojekte, bevor nicht
ein Entwicklungsplan auf dem Tisch liegt, in dem die
ökologischen und sozialen Ziele der Verkehrspolitik
festgelegt sind! Bis dahin ist kleckern statt klotzen das
Gebot der Stunde.
({10})
Streichen Sie als Erstes die Straßenbauprojekte, die
am wenigsten Nutzen und am meisten ökologische Schäden bringen! Die Umweltverbände haben eine Liste erstellt. Damit würden in den nächsten Jahren 30 Milliarden Euro gespart.
Für den Neu- und Ausbau von Schienenwegen müssen jährlich mindestens 2,5 Milliarden Euro von der
Straße auf die Schiene umgeschichtet werden.
Stocken Sie die Regionalisierungsmittel auf, die den
Schienenpersonennahverkehr finanzieren,
({11})
und sorgen Sie dafür, dass in diesem Bereich mehr investiert wird!
({12})
Wir wissen, dass die Fahrgastzahlen um ein Vielfaches
steigen, wenn das Angebot gut und zuverlässig ist.
Legen Sie ein Sonderprogramm „Barrierefreiheit“
auf, damit in naher Zukunft tatsächlich alle die öffentlichen Bahnen und Busse nutzen können, auch diejenigen,
die alt sind, im Rollstuhl sitzen oder einen Kinderwagen
schieben!
({13})
Dazu gehört auch, dass an den 3 500 herrenlosen Bahnhöfen im Land wieder Menschen am Schalter sitzen.
Zu guter Letzt weise ich darauf hin: Es gibt keinen
Beweis dafür, dass hierzulande die wirtschaftliche Entwicklung zwangsläufig mit dem Bau von Straßen verSabine Leidig
bunden ist. Es gibt Beispiele dafür, und genauso gibt es
Gegenbeispiele. Aber es gibt eine aktuelle Studie der
Universität Wien, in der nachgewiesen wird, dass man,
wenn man 1 Milliarde Euro öffentlicher Investitionen
in die Schieneninfrastruktur steckt, eineinhalbmal so viel
Arbeitsplätze schafft, wie wenn man sie in den Autobahnbau steckt. Wenn man die gleiche Summe benutzt,
um Maßnahmen zur Verkehrsberuhigung zu organisieren, dann kann man sogar zweieinhalbmal so viel gute
und sinnvolle Arbeitsplätze schaffen.
({14})
Das Wort hat jetzt der Bundesminister Dr. Peter
Ramsauer.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Meine Damen und Herren! Die heutige Debatte über die beiden vorliegenden Anträge nutze ich
gerne, um die fundamentale Bedeutung von hinreichenden Investitionen in unsere Verkehrsinfrastruktur für
die gesamte Wirtschaft, aber auch für die gesamte Gesellschaft zu beleuchten.
Investitionen in unsere Straßen, in unsere Schienen, in
unsere Wasserstraßen und natürlich auch in einem gewissen Umfang in den Luftverkehr - er trägt sich weitestgehend selbst; das wird immer wieder übersehen sind Investitionen in die wichtigsten Lebensadern unserer Wirtschaft und unserer Gesellschaft und bilden die
bestmögliche Grundlage für Wachstum und für Arbeitsplätze.
({0})
Auf genau diese Aufgabe konzentriert sich die Bundesregierung mit aller Ernsthaftigkeit.
An die Adresse der Antragsteller, also der Grünen
und der Linken, möchte ich einige ganz kurze Bemerkungen machen. Sie listen - hier spreche ich die Grünen
an - in Ihrem Forderungskatalog zur Investitionspolitik
im Bereich Schiene durchaus einige Forderungen auf,
die wir jetzt mit allem Nachdruck angehen.
({1})
Ich nenne nur die geforderte Konzentration auf Investitionsschwerpunkte in Form von Projekten, die ein
möglichst hohes Nutzen-Kosten-Verhältnis aufweisen. Herr Hofreiter, wir haben uns erst vorgestern im
Ausschuss darüber unterhalten. Auch die Kollegin
Leidig hat dies angesprochen. Mir als Verkehrs- und
Bauminister und als gelerntem Ökonomen braucht doch
niemand die Erkenntnis als neu zu verkaufen, dass man
gefälligst nicht solche Investitionen tätigt, die hinterher
mehr Schaden als Nutzen bewirken. Für die Bewertung
von Projekten gibt es ein Instrument - das wissen Sie
doch alle -, nämlich die Nutzen-Kosten-Analyse.
({2})
Gemäß unserer Prioritätensetzung investieren wir nur in
solche Projekte, die mehr volkswirtschaftlichen Nutzen
bringen, als sie ursprünglich kosten. Das ist unsere klare
Marschrichtung. Danach handeln wir.
({3})
Noch eine Bemerkung sei erlaubt. Wir alle sind uns
schnell einig, wenn es um die Notwendigkeit der Verlagerung des Verkehrs von der Straße auf die Schiene geht.
Das ist heute schon einige Male angesprochen worden.
Aber wenn es dann bei den einzelnen Projekten ernst
wird, dann schlagen sich nicht wenige schlicht und
ergreifend in die Büsche. Ich kann einfach nur lapidar
feststellen, dass bei Protesten gegen viele Schieneninfrastrukturprojekte gerade auffallend viele Grüne in
der ersten Reihe der Protestierenden stehen.
({4})
Da kann ich nur sagen: Holen Sie, lieber Herr Hofreiter,
diese Streiter für falsche Ziele zurück.
({5})
Es geht nicht, dass Sie hier im Parlament dafür kämpfen,
etwas für die Schiene zu tun, aber dann bei den Protesten
in der ersten Reihe stehen, gegen die man sich nur mit
Hundertschaften der Polizei zur Wehr setzen kann.
({6})
Man tut etwas für die Schiene, aber Sie stehen mit anderen Grünen in der ersten Reihe der Protestierenden. Die
deutsche Öffentlichkeit muss wissen, was die Wahrheit
ist, was Ihre Worte und was Ihre Taten sind.
({7})
Zum Thema Worte und Taten kann ich nur sagen: Im
Bundestag sagen Sie das eine, aber draußen machen Sie
etwas ganz anderes. Das ist alles andere als überzeugend
und glaubwürdig.
({8})
An die Adresse der Linken: Ihre Vorstellungen kann
und will ich nur ganz kurz ansprechen. Was Sie in Ihrem
Antrag vorschlagen, ist ein Sammelsurium von staatsdi4840
rigistischen Eingriffen. Sie setzen - das ist von gesellschaftspolitischer Bedeutung - beim Thema Mobilität
schlicht und einfach auf die Bevormundung der Bürgerinnen und Bürger in unserem Lande.
({9})
Mobilität meint vor allen Dingen Bewegungsfreiheit.
Diese wollen wir sichern, anstatt sie mit lauter Auflagen,
wie Sie sie vorschlagen, ständig zu beschneiden. So viel
zu den vorliegenden Anträgen.
Ich möchte aber einiges von dem korrigieren, was
sich in die bisher gehaltenen Reden eingeschlichen hat,
aber so zum großen Teil nicht stimmt. Herr Hofreiter,
das Projekt Arriva als größte Verstaatlichung seit, ich
weiß nicht mehr, welchen Zeitraum Sie genannt haben,
zu bezeichnen, ist eine fundamentale Verkennung der
politischen und der ökonomischen Realitäten.
Ich erkläre heute noch einmal das, was ich schon einige Male hier an diesem Redepult erklärt habe: Ich
stehe voll und ganz hinter der Unternehmensstrategie der
Deutschen Bahn AG, unseres Unternehmens,
({10})
sich auf diese Weise im Ausland zu betätigen, denn
Schienenverkehre sind inzwischen ein europäisierter
Markt geworden. Wer die Deutsche Bahn AG dem Wettbewerb aussetzt, der muss auch zulassen, dass sich die
Deutsche Bahn AG auf dem europäisierten Verkehrsmarkt dem Wettbewerb stellt und die Chancen des Wettbewerbs nutzt. Dazu gehört auch eine solche Akquisition
wie Arriva.
({11})
Ließe man dies nicht zu, würde man unserem Unternehmen, der Deutschen Bahn AG, zumuten, zu schrumpfen. Die Deutsche Bahn AG hat in Deutschland bereits
320 Wettbewerber. Eine Schrumpfung der Deutschen
Bahn AG würde eine Vernichtung von Arbeitsplätzen
bedeuten: 250 000 gute Arbeitsplätze, davon 90 000 im
Ausland, 160 000 im Inland. Ich will, dass diese guten
Arbeitsplätze bei der Bahn AG erhalten bleiben. Das
schaffen wir nur, wenn wir der Bahn AG die Wahrnehmung der ökonomischen Chancen im Ausland garantieren und ihr Rückendeckung geben.
({12})
Sie kritisieren, dass eine Dividende von 500 Millionen Euro ausgeschüttet werden soll. Diese Vorgabe muss
natürlich vom Aufsichtsrat der Bahn bestätigt werden.
Für das Geschäftsjahr 2010 wird es haushaltswirksam
im Jahr 2011 ausgezahlt. Ich bin froh, dass die Bahn AG
Gewinne erwirtschaftet. Die Bilanz wird im Jahr 2010
noch einmal besser ausfallen, als dies im Jahr 2009 ohnehin der Fall war.
Im Grundgesetz ist festgehalten, dass die Bahn wirtschaftlich betrieben werden und den Erfordernissen des
Gemeinwohls folgen muss. Wirtschaftlich betreiben
heißt für den Verkehrsminister, dass er von der Bahn Gewinne erwarten kann. Dazu kursieren die unsinnigsten
Philosophien, nämlich dass es etwas Anrüchiges sei,
dass die Bahn AG Gewinne erwirtschaftet. Ich erwarte
das, und zwar nicht zuletzt aus zwei Gründen.
Erstens. Wir als Eigentümer sind es den Steuerzahlern, also all unseren Bürgerinnen und Bürgern in
Deutschland, schuldig, dass sich das im Unternehmen
Bahn AG gebundene Kapital hinreichend verzinst. Das
ist eine kaufmännische Binsenweisheit.
Zweitens. Ich erwarte, dass Gewinne erzielt werden,
damit die Gewinne ordentlich reinvestiert werden. Ohne
Gewinnerzielung gibt es keine Reinvestition. Das lernt
man in jeder kaufmännischen Lehre. Deswegen sind Gewinne nichts Unanständiges, sondern sie müssen erwirtschaftet werden. Genau das tun wir.
({13})
Einige finden es auch schon wieder anrüchig, dass
ausweislich der Investitionstableaus der Deutschen Bahn
AG in den kommenden fünf Jahren jedes Jahr etwa
2 Milliarden Euro mehr investiert werden sollen, als dies
im Durchschnitt der letzten fünf Jahre der Fall war.
Ich habe mich mit der neuen Führung der Bahn auf
eine Investitionsoffensive verständigt. Damit einher
geht beispielsweise eine Akquisition wie Arriva. Wir
bauen auf Qualität. Ich sage immer: Schnelligkeit, Sicherheit, Zuverlässigkeit. An all diesen Punkten arbeiten
wir. Die Bahn wird die Investitionen aus diesem Grund
deutlich erhöhen.
Diese zwei Dinge gehören zusammen. Wenn ich in
den eigenen Laden zu Hause investiere, dann kann ich
auch im Ausland unternehmerisch tätig werden. Das
eine und das andere gehören untrennbar zusammen.
({14})
An dieser Stelle greife ich die Forderung der Kollegin
Leidig auf, das Führungspersonal der DB AG auszuwechseln. Ist Ihnen denn entgangen, dass in den letzten
zwölf Monaten das Führungspersonal der Deutschen
Bahn AG praktisch komplett ausgewechselt wurde?
({15})
Wir haben dafür gesorgt - und ich an verantwortlicher
Stelle -, dass von den zehn Eigentümervertretern im
Aufsichtsrat der Bahn nur ganze vier geblieben sind und
die anderen sechs nach der Bundestagswahl ausgetauscht worden sind.
({16})
Das ist ein richtiger Schritt. Denn ich als Vertreter des
Eigentümers Bund will im Aufsichtsrat von Persönlichkeiten und Personen vertreten werden, die die NeuausBundesminister Dr. Peter Ramsauer
richtung der Bahnpolitik im Aufsichtsgremium genau so
vertreten.
({17})
Deswegen haben wir diesen Austausch vorgenommen.
Deshalb steht jetzt ein anderer an der Aufsichtsratsspitze. Deshalb steht auch seit dem 1. Mai des letzten
Jahres jemand anderer an der Spitze des Vorstandes, mit
dem ich mich blendend verstehe und in der Bahnpolitik
abspreche.
Ich kümmere mich auch ordentlich um dieses Unternehmen, zumindest mehr als dies in der Vergangenheit
der Fall war. Denn es ist für mich eine Selbstverständlichkeit, dass man sich dann, wenn einem ein Unternehmen gehört - jetzt amtlich - und man dafür federführend
zuständig ist, gefälligst auch darum zu kümmern hat.
Nicht miteinander zu reden, ist der falsche Weg, meine
Damen und Herren. Man muss sich um die Bahn kümmern!
Deshalb steht jetzt auch jemand anderes an der Spitze
des Vorstandes. Der Vorstand ist ein ganz anderer geworden. Das klappt gut, und wir arbeiten bestmöglich zusammen.
({18})
Zahlen zu den Einsparungen: Da hat sich eine falsche Zahl hineingefressen! Ich habe das doch vorgestern
im Ausschuss geklärt.
({19})
Es geht um die globale Einsparung von 200 Millionen
Euro: Irgendwer behauptet ständig, das seien 200 Millionen und 200 Millionen und dann ansteigende Zahlen. Da
hat sich eine falsche Zahl hineingefressen. Ich habe im
Ausschuss klargestellt, dass die korrekten Zahlen sind:
Jedes Jahr 200 Millionen Euro: 200, 200, 200 und 200.
({20})
- Sie schütteln schon wieder mit dem Kopf. Das ist aber
so, nehmen Sie mir das einfach ab. Wenn ein ehemaliger
SPD-Staatssekretär falsche Zahlen aufschreibt, kann ich
nichts dafür. Das ist inzwischen korrigiert. Ich habe das
im Ausschuss klargestellt.
({21})
Herr Beckmeyer, wo Sie Ihre 9 Milliarden Euro Beteiligung an den Sparbemühungen hernehmen, ist mir
völlig schleierhaft. Wie Sie auf 2 Milliarden aus der
Luftverkehrsabgabe kommen, ist mir auch schleierhaft.
Hier sehen wir ein Aufkommen von etwa 1 Milliarde.
({22})
- 2 Milliarden, hatten Sie gesagt, lieber Herr Beckmeyer.
({23})
- Nein. Ich rede jetzt von der Luftverkehrsabgabe. Sie
sprachen von 2 Milliarden Euro pro Jahr aus der Luftverkehrsabgabe. Es ist aber nur 1 Milliarde.
({24})
- Ich will Sie doch, wie Sie wissen, gar nicht kritisieren,
ich will das nur klarstellen. Man kann sich auch einmal
einen Versprecher leisten. Es ist also 1 Milliarde.
Und hier möchte ich auch noch eines klarstellen: Die
Abgabe ist ein Vorläufer zum Emissionshandel. Wenn
der Emissionshandel im Flugverkehr kommt, ist das
weg. Zur Klarstellung zitiere ich jetzt einmal aus dem
Papier, das in der Klausur der Bundesregierung beschlossen worden ist. Hier heißt es:
Bis zur Einbeziehung des Luftverkehrs in den bereits vereinbarten CO2-Emissionshandel wird eine
… ökologische Luftverkehrsabgabe … erhoben …
Nota bene: bis zur Einbeziehung und nicht länger! Damit
ist dies auch klargestellt.
({25})
Weil wir gerade bei dem Thema sind: Fachlich ist das
natürlich im Bereich des Verkehrsministeriums angesiedelt; aber das Bundesfinanzministerium ist federführend
zuständig. Damit sind die Zuständigkeiten klipp und
klar.
Ich appelliere an alle Verkehrspolitiker in diesem
Hause, sich bei der Klärung der materiellen Ausgestaltung dieser Luftverkehrsabgabe, die ökologisch orientiert ist, hinreichend einzubringen. Da sind natürlich
noch viele Details zu besprechen.
({26})
Herr Beckmeyer, Sie haben „Impulse für das Handwerk“ angesprochen. Ja, wir haben im Bereich des CO2Gebäudesanierungsprogramms gekürzt. Die Frage ist,
ob man das bei einem historisch niedrigen Zinsniveau
- die Zinsen liegen beim Baugeld unter 3 Prozent - oder
bei einem Zinsniveau von 6, 7 oder 8 Prozent beim Baugeld - das hat es auch schon gegeben - tut. Ich meine,
das historisch niedrige Zinsniveau ist der beste Impuls
für das Handwerk und die beteiligten Wirtschaftszweige.
Deswegen halte ich es für vertretbar, dass wir das Ausmaß der Zinssubventionen im Rahmen dieser Förderprogramme entsprechend dem extrem niedrigen Zinsniveau
an den Kapitalmärkten vermindern.
({27})
Eine Bemerkung zur Kollegin Leidig. Sie sind wieder
mit der Forderung gekommen - ich fasse es zusammen -:
Bildung statt Beton.
({28})
Jetzt sage ich Ihnen eines: Ich rede sehr viel mit jungen
Leuten. Junge Menschen haben ein fundamentales Anrecht auf bestmögliche Bildung, egal in welchem Be4842
reich: im beruflichen Bildungsbereich genauso wie im
akademischen. Beide Bereiche sind mir übrigens gleich
wichtig: Man kann nicht immer nur von der akademischen Bildung reden und so tun, als sei die berufliche
Bildung etwas Minderwertiges.
({29})
Dies nur als Nebenbemerkung; ich bin zufällig auf beiden Spuren groß geworden. Wenn aber bestausgebildete
junge Menschen eine verrottete Infrastruktur vorfinden,
dann können sie uns allen berechtigte Vorwürfe machen
und uns fragen, warum wir ihnen eine Infrastruktur servieren, mit der sie trotz bester Bildung nicht vernünftig
wirtschaften können.
({30})
Wir können und müssen Vorsorge tragen, dass bestmöglich ausgebildete junge Menschen auf eine exzellente Infrastruktur zugreifen können, mit der sie - auch
die nachfolgenden Generationen - in Deutschland als
exportorientiertem Land ihre Chancen in der weltweit
verflochtenen Wirtschaft bestmöglich nutzen können.
Deswegen gilt nicht: Bildung statt Beton. Vielmehr
brauchen wir beides: exzellente Bildung und eine exzellente Infrastruktur, also Straßen, Wasserstraßen, Schiene
und Luftverkehr. All das gehört zusammen. Unsere Leitlinie ist: super Bildung in einer super Infrastruktur.
Vielen herzlichen Dank.
({31})
Mir liegen drei Meldungen zu Kurzinterventionen
vor, und zwar vom Kollegen Dr. Anton Hofreiter, von
der Kollegin Sabine Leidig und vom Kollegen
Beckmeyer. Ich werde diese drei Kurzinterventionen
hintereinander aufrufen und dann dem Minister Gelegenheit geben, im Zusammenhang zu antworten, falls er
das möchte.
Herr Hofreiter, Sie haben als Erster das Wort.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Herr Minister, Sie haben den Einsatz, das massive Engagement für besseren
Lärmschutz - ich nehme an, Sie beziehen sich insbesondere auf das Engagement grüner Abgeordneter an der
Rheintalschiene ({0})
als Verhinderung von Schienenverkehr diskriminiert.
Damit irren Sie sich grundsätzlich. Sie können vernünftigen Schienenverkehr an Strecken, wo 300 Güterzüge
oder mehr pro Tag fahren sollen, nur mit einem vernünftigen Lärmschutz durchsetzen und umsetzen, und zwar
gemeinsam mit den Bürgern und nicht gegen sie.
({1})
Das als Verhinderung von Schienenverkehrsmaßnahmen
zu diskriminieren, ist nicht nur eine Unverschämtheit gegenüber den Bürgern, sondern Sie schaden damit auch
dem Schienenverkehr.
({2})
Ich erteile das Wort der Kollegin Sabine Leidig. Bitte
schön.
Herr Minister Ramsauer, ich habe verstanden, dass
Sie uns vorwerfen, wir wollten mit dirigistischen Maßnahmen die Menschen zwingen, in einer ganz bestimmten Art und Weise zu verkehren. Ich kann Ihnen versichern: Das Gegenteil ist der Fall.
({0})
Die Möglichkeiten, den öffentlichen Nahverkehr zu nutzen, sind in diesem Land vielerorts eingeschränkt.
({1})
Ich kann das aus meinem Wahlkreis berichten, der im
Odenwald liegt. Dort gibt es Ortschaften mit Tausenden
von Einwohnern, die nur durch die Schulbusse an den
öffentlichen Nahverkehr angeschlossen sind. Diese
Menschen haben nur zwei Möglichkeiten: Entweder sie
benutzen ein Auto, oder sie bleiben zu Hause. Das ist
Dirigismus, Herr Ramsauer.
Ich möchte ergänzen, dass es Ortschaften gibt, in denen die Eltern ihre Kinder zur Schule fahren. Warum? Es
ist zu gefährlich, die Kinder mit dem Fahrrad fahren zu
lassen, weil es keine Fahrradwege gibt.
({2})
Das ist Dirigismus. Die Menschen werden gezwungen,
mit dem Auto zu fahren. Die Freiheit, die Sie schaffen
wollen, nämlich zwischen Verkehrsträgern zu wählen,
bezieht sich lediglich auf die Konzerne und Unternehmen, die Güter transportieren, aber nicht auf die Menschen, denen wir diese Wahlfreiheit gewähren wollen.
({3})
Schließlich erteile ich das Wort dem Kollegen Uwe
Beckmeyer.
Herr Minister, Sie haben in Ihrem Vortrag eben pauschale Äußerungen gemacht, die möglicherweise von
80 Prozent dieses Hauses unterschrieben werden können, aber ich vermisse konkrete Aussagen von Ihnen.
Ich habe Sie vorhin in meiner Rede darauf angesprochen, was Sie zu dem Aufmerksamkeit erheischenden
Papier des VDR und der DB AG sagen. Es wurde doch
nicht umsonst zwei Tage, nachdem das Kabinett die entsprechenden Beschlüsse gefasst hat, geschrieben. In dem
Papier werden klare Forderungen an die Verkehrspolitiker der Bundesrepublik Deutschland gestellt. Von Ihnen
war dazu kein einziges Wort zu hören. Hier gibt es Klärungsbedarf. Wir erwarten von Ihnen, dass Sie als verantwortlicher Verkehrsminister zu solchen Forderungen
Stellung nehmen.
Herzlichen Dank.
({0})
Ihre Antwort, Herr Minister.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich
wäre gerne noch einmal ans Rednerpult gegangen, um
weiter auszuholen, aber die vorgetragenen Kurzinterventionen brauchen nicht mehr als eine kurze Erwiderung.
Herr Hofreiter, ich diskriminiere niemanden, garantiert nicht. Eines meiner interessantesten Erlebnisse in
den ersten acht Monaten als Bundesminister für Verkehr,
Bau und Stadtentwicklung war folgendes:
({0})
Ich habe eine Baumaßnahme für ein großes Schienenprojekt eröffnet. Diese Eröffnung konnte nur durchgeführt werden, weil vier Hundertschaften der Polizei uns
gegen Tausende von Randalierern und Demonstranten
schützten.
({1})
- Das ist die Realität.
({2})
Das passt schlicht und einfach nicht zusammen. Ich will
niemanden diskriminieren.
Würden Sie unsere Politik verfolgen, Herr Hofreiter,
wüssten Sie genau, dass wir uns dem Lärmschutz verschrieben haben. Es geht um den Abbau des Schienenbonus, das heißt, die Lärmschutzstandards sollen verbessert werden. Wir haben mit der Umrüstung von
5 000 Güterwaggons auf Flüstertechnik begonnen. Wir
investieren erhebliche Mittel in den Lärmschutz. Sie
wissen ganz genau - vielleicht so gut wie ich -, wo die
neuralgischen Punkte im Lärmbereich liegen. Fahren Sie
einmal in das obere oder mittlere Rheintal und verbringen Sie in den schönen Pensionen, die es dort gibt, die
eine oder andere Nacht als Tourist. Dann wissen Sie, wie
notwendig Lärmschutz ist.
Frau Leidig, Sie haben eine eigentümliche, geradezu
konträre Philosophie, was manches in der Verkehrspolitik anbelangt. Wissen Sie, Sie brauchen mir nicht zu erklären, wie wichtig bestmöglicher Nahverkehr ist. Ich
komme aus der Kommunalpolitik. Ich weiß das. Aber es
gibt schlicht und einfach Landesteile, in denen das nicht
funktioniert, egal wie viele Angebote im Bereich
Schiene Sie machen. Sie können die Menschen nicht hineinprügeln.
({3})
Ich kann Ihnen Regionen nennen, wo seit Jahren viele
Angebote im Bereich Schiene gemacht werden. Trotzdem verkehren dort Geisterzüge mit Sitzladefaktoren
von 1,4 Prozent. Da frage ich mich, ob das Geld des
Steuerzahlers dort tatsächlich bestmöglich und verantwortbar angelegt ist.
({4})
Noch ein Wort zu Herrn Beckmeyer: Das Papier, von
dem Sie sprechen, kenne ich schon lange. Ich habe mit
denjenigen, die es geschrieben haben, intensiv gesprochen. Mir ist das recht. Ich kenne aber nicht nur dieses
Papier, sondern viele Papiere. Wenn ich alle Papiere, die
ich seit Montagmittag, nach Abschluss der Klausur des
Kabinetts, gelesen habe - sie sind zum Teil von toller
Qualität -, hier kommentieren würde, dann würden wir
vor Mitternacht nicht fertig. Deshalb habe ich kein einzelnes herausgezogen. Ich hoffe, dass es mir abermals
gelungen ist, Sie von der Richtigkeit unserer neuen Verkehrs-, Infrastruktur- und Investitionspolitik zu überzeugen.
({5})
Das Wort hat der Kollege Martin Burkert von der
SPD-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine sehr verehrten Damen und Herren auf der Tribüne! Der Schiene kommt in der künftigen Verkehrspolitik eine immer bedeutendere Rolle zu. Die Eisenbahn ist
und bleibt der effektivste und klimafreundlichste Verkehrsträger, den wir haben. Es wird in Zukunft darum
gehen, trotz der immensen Staatsverschuldung, die wir
haben, durch eine vernünftige, intelligente Politik mehr
Verkehr auf die Schiene zu bringen. Ich finde, der Antrag der Grünen enthält hierzu einige gute Ansätze. Man
kann aber auch sagen: Licht und Schatten wechseln sich
ab, wie so oft bei den Grünen.
Ich möchte an dieser Stelle ein paar wichtige Punkte
aufgreifen. Die Schiene muss im Wettbewerb der Verkehrsträger endlich fair behandelt werden. Hier sind
die Bahnen im Augenblick vor allem hinsichtlich der
Steuern und der Abgaben gegenüber anderen Verkehrsträgern klar benachteiligt. Wir brauchen endlich die
volle Einbeziehung aller externen Kosten - Stichworte:
Klimaschäden, Luftschadstoffe oder Gesundheitskosten bei allen Verkehrsträgern. Auch hier sind die Bahnen aktuell klar benachteiligt.
Wir benötigen dringend wieder eine Aufstockung der
Mittel für den kombinierten Verkehr. Die Halbierung der
Gelder durch die Koalition konterkariert vollkommen
die Absicht des Ministers, mehr Güterverkehr auf
die Schiene zu verlagern. Ich sage Ihnen, Herr
Dr. Ramsauer: Das passt nicht zusammen. Dieser Widerspruch passt aber zu dem Bild, das die Bundesregierung
derzeit abgibt. Sie ist in der Verkehrspolitik völlig konzept- und planlos. Wenn die Bundesregierung überhaupt
eine Strategie verfolgt, dann die, einzig und allein auf
den Verkehrsträger Straße zu setzen. Auch die Pläne, die
Einnahmen der Lkw-Maut nur noch in den Straßenverkehr fließen zu lassen, sprechen eine deutliche Sprache.
Diesbezüglich teilen wir die Forderung der Grünen nach
einem bedeutenden Anteil für die Schiene.
Die Vertaktung des Schienenpersonenfernverkehrs in ganz Deutschland muss ebenfalls deutlich verbessert werden. Keine Frage - auch hier sind wir bei Ihnen -: Wir brauchen ein langfristiges Gesamtkonzept.
Um das Bahnfahren im Vergleich mit dem Autofahren
und vor allem im Vergleich mit dem Flugverkehr attraktiver zu machen - das möchte ich an dieser Stelle hinzufügen -, brauchen wir auch Hochgeschwindigkeitstrassen wie beispielsweise Stuttgart-Ulm-Wendlingen und
München-Nürnberg-Erfurt-Berlin. Ich teile Ihre Fundamentalkritik an dieser Stelle nicht.
Man muss sich das einmal vor Augen führen. München-Berlin in vier Stunden, München-Köln in dreieinhalb Stunden, das ist schon etwas. Das ist tatsächlich
eine Konkurrenz zum Flugzeug. Das ist attraktiv. So
kommen die Leute vom Flugzeug auf die Schiene. Das
ist sozialdemokratischer Verkehrspolitik geschuldet. Das
ist ökologisch sinnvolle Verkehrspolitik.
({0})
Um einen weiteren Punkt aufzugreifen: Sie reden genauso wie Teile der Union, aber vor allem wie die FDP
immer von dem Ziel, mehr Wettbewerb in Bezug auf die
Schiene zu schaffen. Sie sprechen dann immer von der
Einführung einer Anreizregulierung. Ich kann Ihnen
versichern: Auch wir sind für faire Chancen auf dem
Schienenmarkt. Auch wir sind nicht grundsätzlich gegen
eine Anreizregulierung.
({1})
Aber ich frage mich immer: Ist Deutschland in Sachen
Schienenwettbewerb wirklich so rückständig?
({2})
Schauen wir uns einmal den Liberalisierungsindex des
Schienenverkehrs der EU an. Da zeigt sich eindeutig,
dass Deutschland zu den Ländern gehört, in denen die
Liberalisierung am weitesten fortgeschritten ist.
Deutschland liegt hinter Großbritannien und Schweden
auf dem dritten Platz. Problematisch ist vielmehr, dass
unsere Nachbarländer, beispielsweise Frankreich, mit
der Öffnung der Schienennetze deutlich hinterher sind.
Hier brauchen wir endlich - auch für deutsche Unternehmen - faire Wettbewerbsbedingungen. Das ist aus meiner Sicht dringend erforderlich. Dafür muss die Bundesregierung sorgen. Es ist Ihre Aufgabe, Herr Minister, in
Europa tätig zu werden.
Ein letzter Punkt, der mir als Eisenbahner besonders
wichtig ist. Anreizregulierung hin oder her, wenn Sie
immer von mehr Wettbewerb sprechen, dann müssen Sie
auch endlich einmal sagen, wie Sie diesen Wettbewerb
sozial gestalten wollen. Hier habe ich sowohl von den
Grünen als auch von FDP und Union bis jetzt noch gar
nichts gehört. Fakt ist: Wir brauchen endlich europaweite Standards bei der Vergabe im Schienenpersonenverkehr. Gerade im Schienenpersonennahverkehr fordern die Auftraggeber für weniger Geld immer mehr
Leistung. Das führt zu einem enormen Unterbietungswettbewerb der Bahnunternehmen. Dieser Unterbietungswettbewerb zieht letztlich immer niedrigere Lohnund Sozialstandards für die Beschäftigten nach sich.
Ein Beispiel: Mecklenburg-Vorpommern schreibt im
Augenblick das sogenannte Warnow-Netz mit gut
3 Millionen Zugkilometern um Rostock aus. Hierauf bewirbt sich eine Tochtergesellschaft der DB Regio mit
Personalkosten, die 30 Prozent unter dem Tarifniveau
liegen. Die Begründung lautet: Sonst habe sie keine
Chance auf dem Markt. Gleichzeitig schreibt die DB Regio im Amtsblatt der Europäischen Union genau diese
Strecke aus und sucht ein Subunternehmen. Zu welchen
Lohnkosten das dann stattfindet, kann man sich vorstellen. Was sind wir für ein Land, das so etwas zulässt? Das
muss ich hier einmal deutlich sagen.
({3})
Ich will noch etwas sagen. Der soziale Schutz der Beschäftigten bleibt auf der Strecke. Ich habe heute gehört,
dass Sie, Herr Ramsauer, der neue Kümmerer sind. Hier
haben Sie sich zu kümmern. Das ist Aufgabe der Bundesregierung. Sie dürfen nicht nach dem Motto verfahren: Cash in the Täsch is the name of the game. So lautet
der Slogan der Union und der FDP. Wir Sozialdemokraten rufen den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern in
der Bahnbranche zu: You never walk alone.
({4})
Das ist dringend nötig angesichts der Sommersalattruppe, die wir hier haben.
Herzlichen Dank.
({5})
Das Wort hat jetzt der Kollege Patrick Döring von der
FDP-Fraktion.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Angesichts der englischsprachigen Debattenanteile des
Kollegen Burkert habe ich gerade überlegt, ob das eine
Bewerbung war, um Arbeitsdirektor bei Arriva zu werden, wenn dieses Unternehmen aus Großbritannien endlich zum Konzern gehört.
({0})
Ich nehme das einmal als Beweis dafür, dass diese
Debatte in gewisser Weise harmonisch und mit gemeinsamen Zielen geführt werden kann, auch wenn einige
Zwischenrufe zwischenzeitlich einen etwas anderen Eindruck erweckt haben.
Ich will bei dem bedauernswerten ökonomischen Romantizismus anfangen, den die Kollegin Leidig hier vorgetragen hat.
({1})
Es ist nun einmal so, dass die Bundesrepublik Deutschland als soziale Marktwirtschaft in besonderem Maße
von der Globalisierung profitiert. Es ist nun einmal so,
dass in diesem Land mehr Güter produziert werden, als
wir selbst verbrauchen, und dass viele Menschen in diesen exportorientierten Industrien arbeiten und davon leben.
({2})
Wenn Sie die Intensivierung des Güterverkehrs, die
boomenden Zeiten in unseren Seehäfen und das Wachstum des Güterverkehrs auf Straße und Schiene per se in
dieser Art und Weise verteufeln, dann ist das für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in diesem Land eine
Verelendungsstrategie, die wir ganz sicher nicht mittragen werden.
({3})
Zweite Bemerkung. Es ist nachgerade zynisch, geschätzte Frau Kollegin, dass Sie die gestiegenen individuellen Mobilitätswünsche der Menschen in dieser
Weise kritisieren und diffamieren.
({4})
Von jemandem, der 1982 Mitglied der DKP geworden
ist, kann ich vielleicht nichts anderes erwarten; aber wir
sind froh, dass sich die Menschen frei bewegen können,
meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen.
({5})
Herr Kollege Döring, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Lenkert?
Unbedingt. Ja, gerne.
Bitte.
Herr Kollege Döring, vielen Dank. - Ich habe eine
ganz kurze Frage an Sie. Sie sprachen gerade davon, dass
die Wirtschaftlichkeit der Regionen durch die Bahnpolitik der Bundesregierung erhalten werden soll. Ich komme
aus dem Wahlkreis Gera-Jena-Saale-Holzland-Kreis.
Durch die Neubaustrecke bzw. die ICE-Verbindung über
Erfurt wird der prosperierende Wirtschafts- und Forschungsstandort Jena von jeder Fernverkehrsverbindung
abgekoppelt. Die Bahn AG ist momentan nicht in der
Lage, auch nur einen Plan vorzulegen, wie der Anschluss
der Stadt Jena und der gesamten Region an den internationalen Verkehr gewährleistet werden kann.
Ich möchte Ihnen eine andere größere Stadt nennen,
in der Sie Ihre Politik schon erfolgreich praktiziert haben; sie heißt Chemnitz. Chemnitz hat keinerlei Fernverbindung mehr. Wenn Ihre Politik zum Schutz der Wirtschaft in der Bundesrepublik so aussieht - die Stadt Jena
hat übrigens eine Exportquote von über 60 Prozent -,
dann tut es mir um unsere Zukunft leid.
Das hat mit meinen Ausführungen von eben zwar
nichts zu tun. Ich will aber gerne darauf eingehen.
Mir ging es grundsätzlich um die Entwicklung der
Güterverkehrsintensität. Aber Sie haben natürlich
recht: Wenn neue Schnellbahnstrecken entstehen - der
Kollege Burkert hat in eindrucksvoller Weise dargestellt,
dass dies nötig ist, um die Schiene wettbewerbsfähig zu
machen -, werden bestimmte Zentren von den neuen
ICE-Strecken vielleicht nicht direkt und unmittelbar erreicht. Aber insbesondere im Regionalverkehr gibt es
andere Verkehre, die sinnvoll und gut vertaktet sind und
ein gutes Konzept verfolgen. Das wird überall in der Republik erfolgreich praktiziert, und das wird auch in Ihrer
Region gelingen.
Ich formuliere es einmal positiv: Bis zur Realisierung
der Fernverkehrsstrecke Nürnberg-Erfurt-Berlin dauert
es noch ein bisschen. Ich bin ganz sicher: Bis zur Fertigstellung dieser Strecke wird man zu einer Lösung kommen; denn wir alle wollen, dass mehr Menschen in
Deutschland Bahn fahren.
({0})
Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, es
ist nicht die Strategie dieser Koalition und der Bundesregierung, einseitige Politik für einen Verkehrsträger zu
machen, wie es uns immer wieder gerne vorgeworfen
wird. Übrigens kann man beiden Anträgen, sowohl dem
der Grünen als auch dem der Linken, vorhalten, dass darin gefordert wird, eine Politik ausschließlich und einseitig für einen Verkehrsträger zu machen.
Uns geht es darum, auch in der Bahnpolitik dort, wo
es sinnvoll ist, die richtigen Konzepte durchzusetzen. Jeder weiß - auch das hat der Kollege Burkert eben angesprochen -, dass man eine Diskussion über Investitionsprojekte nicht nach dem Motto führen kann: Was teuer
ist und den Verkehr schneller macht, ist böse. Wenn wir
innerhalb des Systems für Effizienzsteigerungen sorgen,
ist das allerdings per se gute Investitionspolitik. - Vielmehr gibt es sowohl in dem einen Topf als auch in dem
anderen Topf sehr gute Projekte. Das beweisen zum Beispiel die Verkehrsprojekte Hamburg-Berlin, Hannover-Berlin und Köln-Frankfurt. Auf allen drei Strecken
gibt es heute keinen innerdeutschen Luftverkehr mehr,
weil es leistungsfähige Eisenbahnangebote im Schnellbahnbereich gibt. Man kann beklagen, dass die Errichtung dieser Strecken teuer war. Aber der volkswirtschaftliche Nutzen ist immens, liebe Kolleginnen und
Kollegen. Dieses Thema ist nicht so einfach, wie es sich
einige, auch Sie in Ihren Anträgen, machen.
Zur Wahrheit gehört, dass wir bei der Investitionstätigkeit zumindest im Hinblick auf die Verkehrsanteile
keine Unterfinanzierung der Schiene zu verzeichnen haben. Seit der Organisationsprivatisierung der Deutschen
Bahn wird in diesem Land für den Sektor Schiene mehr
Geld aus dem Bundeshaushalt zur Verfügung gestellt als
in den Jahrzehnten zuvor. Neben den Mitteln für Investitionen müssen Sie nämlich natürlich auch den Zuschuss
des Bundeshaushalts zum Bundeseisenbahnvermögen
und die Regionalisierungsmittel, die zu über 80 Prozent
von Tochterunternehmen der DB Regio AG entgegengenommen werden, als Staatsaufwand für den Schienenverkehr hinzuzählen. Das alles kommt ja dem System
Schiene zugute.
Ich bin sehr froh, dass die Wettbewerbssituation im
Nahverkehr so ist, wie sie ist, weil es den vielen Wettbewerbern ebenso nützt, dass die Bundesrepublik Deutschland fast 8 Milliarden Euro aus Steuermitteln aufwendet,
um den von Frau Kollegin Leidig zu Recht eingeforderten Nahverkehr zu finanzieren und zu realisieren. Das ist
eine gewaltige Summe, die übrigens nicht eingespart
oder gekürzt wird.
({1})
In der Philippika des Kollegen Hofreiter - er hat auch
vieles Richtige gesagt; im Antrag steht ja auch vieles aus
dem Koalitionsvertrag - wurde das beliebte Thema Dividende - auch der Kollege Beckmeyer hat das angesprochen - noch einmal vertieft. Wie man hier ökonomische
Zusammenhänge in so krasser Weise falsch darstellen
kann, ist mir nachgerade ein Rätsel. Deshalb beziehe ich
mich jetzt ausschließlich auf den veröffentlichten Geschäftsbericht des Jahres 2009, um zu beweisen, wie die
Zusammenhänge sind.
In der Bilanz des Jahres 2009 findet sich ein Jahresüberschuss nach Steuern in Höhe von 830 Millionen
Euro. Das Unternehmen hat flüssige Mittel in Höhe von
1,47 Milliarden Euro und eine Ergebnisrücklage in Höhe
von 5,596 Milliarden Euro. Das ist der Vermögensstand
des Unternehmens.
Das Unternehmen hat im Jahre 2009, also bevor man
830 Millionen Euro Jahresüberschuss ausgewiesen hat,
1,813 Milliarden Euro in die Infrastruktur investiert. Das
sind die Komplementärmittel zu den öffentlichen Mitteln. Daneben hat es 932 Millionen Euro aufgewendet,
um seine Nettoschulden zu verringern. Es hat also insgesamt 2,745 Milliarden Euro aufgewendet, um investiv
tätig zu sein oder Schulden zu tilgen, und dennoch
830 Millionen Euro Jahresüberschuss nach Steuern in
der Bilanz ausgewiesen.
Dadurch wird eindeutig bewiesen, dass es keinen Zusammenhang zwischen der Investitionskraft des Unternehmens, der Kraft, Schulden zu tilgen, und der wirtschaftlichen Geschäftstätigkeit gibt, sondern dass die
Systeme entsprechend aufgestellt sind. Ich habe das
auch schon im Ausschuss gesagt und kann das hier nicht
vertiefen, weil das Unterlagen sind, die nicht veröffentlicht wurden. Diese Punkte - Investitionskraft und
Schuldentilgung - sind in der Bilanz auszuweisen und
werden bei der Ergebnisermittlung berücksichtigt.
({2})
- Ja, bitte sehr.
Ja, der Herr Kollege Beckmeyer möchte eine Zwischenfrage stellen. Der Herr Döring genehmigt das, wie
ich höre. - Bitte schön.
Erstens. Herr Döring, sind Sie mit mir der Meinung,
dass die von Ihnen angesprochene Reserve des Unternehmens von über 5 Milliarden Euro nicht durch Gewinne, sondern durch die Neubewertung von Grundstücken zustande gekommen ist?
Zweitens. Sind Sie mit mir der Meinung, dass normale DAX-Unternehmen zurzeit eine Dividendenausschüttung von durchschnittlich ungefähr 30 bis 35 Prozent des Jahresüberschusses vornehmen und dass nicht
schon im Vorwege bestimmt wird, dass auch die Ausschüttungen der nächsten Jahre zum Beispiel bei
500 Millionen Euro liegen werden, was ja außerordentlich ungewöhnlich ist?
Drittens. Ich darf feststellen - das darf man zitieren -,
dass der operative Cashflow im Jahre 2009 um 16,7 Prozent zurückgegangen ist. Wie bewerten Sie das?
Erstens. Zu den Rücklagen ist zu sagen, dass es in der
Tat auch eine Neubewertung der Grundstücke gab. Diese
hat allerdings keinen Einfluss auf die Ergebnisrücklage, sondern hat zu Veränderungen bei den materiellen
Vermögenswerten geführt. Die Ergebnisrücklage ist ja,
wie der Name schon sagt, eine Rücklage aus vorherigen
Ergebnissen.
({0})
Das kann man in den Bilanzunterlagen übrigens auch
nachverfolgen.
Zweitens. Der operative Cashflow ist zurückgegangen, weil in den Kennzahlen des Unternehmens für den
Umsatz ebenfalls eine Verringerung ausgewiesen wird.
Die reine prozentuale Verringerung des operativen Cashflows ist übrigens überhaupt gar kein Problem. Das Unternehmen muss nicht in dem Maße liquide sein - das ist
meine feste Überzeugung -, wie es das in der Vergangenheit war, weil es einen relativ stabilen Geschäftsgang
hat. Es kommt jeden Tag „Kohle“ rein und geht jeden
Tag „Kohle“ raus. Deshalb muss man keine großen Liquiditätsreserven vorsehen.
Drittens. Sie haben in der Tat recht: Es ist ungewöhnlich, dass der Eigentümer unabhängig von den Ergebnissen, die erzielt werden, eine Dividendenerwartung in einer solchen Klarheit formuliert. Ich habe aber schon im
Ausschuss darauf hingewiesen, dass es eine Ergebnisplanung gibt, die vom Aufsichtsrat - übrigens noch unter der alten Bundesregierung - beschlossen wurde.
Im Übrigen entscheidet nicht der Aufsichtsrat über
die Dividende, sondern es ist ausschließlich die Hauptversammlung, die über die Verwendung des Ergebnisses
entscheidet. Die Hauptversammlung besteht aus einer
Person: Bundesminister Peter Ramsauer. Insofern ist es
kein Widerspruch, wenn derjenige, der ohnehin entscheidet, im Vorfeld deutlich macht, wie er entscheiden
wird.
({1})
- Nein. Die Hauptversammlung entscheidet über die Ergebnisverwendung. In der Hauptversammlung entfallen
100 Prozent der Stimmen auf den Bund, und dieser wird
durch den Bundesminister oder einen seiner Staatssekretäre vertreten.
Abschließend kann man zu beiden Anträgen feststellen: Sie zeichnen ein Zerrbild von der Bahnpolitik dieser
Bundesregierung, und sie verkennen, dass wir uns insgesamt in einem marktwirtschaftlichen und arbeitsteiligen
System befinden und dass diese Bundesregierung keine
Politik gegen einzelne Verkehrsträger macht, sondern an
der Seite der Bahn steht und den Bahnverkehr fördern
wird, wo dies sinnvoll ist. Sie wird unser Netz auch weiterhin mit hohen Investitionen leistungsfähig halten.
Vielen Dank.
({2})
Das Wort hat jetzt der Kollege Gustav Herzog von der
SPD-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Lassen Sie mich um kurz vor 12 Uhr an diesem Freitag
am Ende einer bewegten Woche mit einem Kompliment
an die Koalition beginnen.
({0})
- Doch, ich beginne mit einem Kompliment an die Koalition. Denn Sie haben es geschafft, über eine Stunde
Ihre politischen Positionen zu präsentieren, ohne sich zu
hauen, zu stechen, zu treten oder zu kratzen. Ich finde
das erwähnenswert.
({1})
Das hat vielleicht etwas mit dem Thema Verkehrspolitik
zu tun, bei dem Sie sich, wie ich den Beiträgen entnehme, überwiegend als Nebelwerfer betätigen und auf
unsere konkreten Fragen sehr ausweichend antworten.
Ich habe nur die Bitte - das beziehe ich auf viele Reaktionen aus dem Wahlkreis und von Besuchern hier in
Berlin -: Dämpfen Sie sich bitte im Umgangston miteinander! Sich als „Wildsäue“ und „Gurkentruppe“ zu bezeichnen,
({2})
wirkt sich auf das Ansehen dieses Parlaments aus. Sie
diffamieren damit auch ein sehr wertvolles Tier und ein
wohlschmeckendes Gemüse.
Ich sage das nicht nur mit Ironie; denn ich habe selbst
einer Koalition angehört - in diesem Falle mit den Grünen -, in der es nicht immer ruhig zuging. Aber unser
damaliger Bundeskanzler hat diese Form der Auseinandersetzung Kakophonie genannt. Ich glaube, wir haben
uns in unserer Koalition nicht nur rhetorisch, sondern
auch intellektuell auf einem anderen Niveau bewegt als
Sie.
({3})
Zur Debatte will ich mit dem beginnen, was der Kollege Hofreiter gesagt hat. Sein leidenschaftliches Plädoyer für die Schiene kommt einem Rheinland-Pfälzer verständlicherweise sehr entgegen. Wir haben schließlich
den Rheinland-Pfalz-Takt - er wurde noch unter einem
FDP-Verkehrsminister eingeführt, Herr Kollege Döring,
der damals unter der Führung eines sozialdemokratischen Ministerpräsidenten gute Arbeit geleistet hat -,
der die bundesweit höchsten Steigerungsraten aufweist,
was das Angebot und auch die Nutzung des Angebots
angeht.
Wir verstehen durchaus etwas von Verkehr, Strukturpolitik und Mobilität. Wir wollen einen Quantensprung
machen und den Schienenverkehr erweitern. Wir wollen
nicht nur Hessen und Baden-Württemberg, sondern auch
das Saarland mit einbeziehen. Herr Kollege Hofreiter,
ich bitte Sie, noch einmal mit Ihren Kollegen Hermann
und Tressel zu reden. Denn uns fehlt noch ein Stückchen
Schiene im Saarland.
Die lauten Reden hier reichen nicht aus, wenn es Ihnen von den Grünen um Glaubwürdigkeit geht. Es geht
um Taten, die Sie in Regierungsverantwortung vollbringen. Darüber müssen Sie mit Ihrer Ministerin und Ihrem
Staatssekretär reden. Verstecken Sie sich nicht hinter betriebswirtschaftlichen Kennzahlen! Sorgen Sie dafür,
dass die S-Bahn Rhein-Neckar, eines der erfolgreichsten
Nahverkehrssysteme auf der Schiene, seine Anbindung
durch das Saarland nach Zweibrücken findet!
({4})
Sorgen Sie bitte dafür! Das wäre gut für die Schiene.
({5})
Ich will mich kurz mit dem Antrag der Linken auseinandersetzen. Allein seine Überschrift überfrachtet das
Thema Verkehrspolitik. Sie haben die eierlegende Wollmilchsau in der Verkehrsinvestitionspolitik entdeckt. Es
fehlt nur noch, dass Sie auch den Weltfrieden darin einbeziehen.
({6})
Kritik verdient aber vor allem die Arroganz, mit der
Sie sagen, in der früheren Verkehrspolitik und Verkehrsplanung habe es fragwürdige Grundannahmen gegeben
und seien fragwürdige Methoden angewandt worden.
Die Methodik des Bundesverkehrswegeplanes ist international zum Standard geworden. Wir haben diesbezüglich Maßstäbe gesetzt, und das sollten auch Sie zur
Kenntnis nehmen.
Wenn Ihnen ein Ergebnis nicht schmeckt, muss offenbar einfach die Mathematik geändert werden. Sie können sich darauf verlassen, dass sowohl unsere Annahmen als auch unsere Ableitungen richtig waren und dass
wir sehr genau darauf achten werden, ob die derzeitige
Koalition bei ihrer angekündigten, etwas ominösen Neubewertung auf einem sauberen Weg bleibt.
Schon meine Vorredner haben festgestellt, dass die
Intention Ihres Antrages ist, die Menschen im Hinblick
darauf zu erziehen, ob sie fahren wollen und wie sie fahren sollen. Das wird nicht funktionieren.
({7})
Frau Leidig, Sie wohnen in Heidelberg und haben einen
ländlichen Wahlkreis. Sie sollten wissen, dass die Menschen nicht nur in die Zentren, sondern auch in den ländlichen Raum fahren wollen. Überwiegend ist es aber
noch der Individualverkehr, mit dem dieses organisiert
wird.
({8})
Unter Punkt sechs im Feststellungsteil Ihres Antrags
schreiben Sie, dass Sie „eine weitgehende Abkehr vom
Neu- und Ausbau von Straßen“ wollen. Wissen Sie, was
das für eine Region bedeutet, in der die Menschen erst
einmal 30 Kilometer fahren müssen, um zu einem Verkehrsknoten oder zur Schiene zu kommen?
({9})
Sie verweigern diesen Menschen den entsprechenden
Fortschritt.
Ich halte ein klares Plädoyer für den ländlichen
Raum: Wir brauchen dort noch den Aus- und Neubau
von Straßen, allerdings auch den Erhalt der Schiene. Im
Übrigen fahren auch die Busse im ländlichen Raum über
Straßen. Deshalb sollten Sie den Straßenausbau nicht
verteufeln.
({10})
Ich bitte Sie, auf einer vernünftigen Basis für Investitionen in alle Verkehrsträger einzutreten.
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
({11})
Als letztem Redner zu diesem Tagesordnungspunkt
erteile ich dem Kollegen Matthias Lietz von der CDU/
CSU-Fraktion das Wort.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! „Grundlegende Neuausrichtung der Verkehrsinvestitionspolitik für Klima- und Umweltschutz, Barrierefreiheit, soziale Gerechtigkeit und
neue Arbeitsplätze“ lautet der Titel des Antrags der
Fraktion Die Linke. Die Kolleginnen und Kollegen erklären in ihrem Antrag die Verkehrspolitik der Bundesregierung für gescheitert und möchten einfach alles vom
Kopf auf die Füße stellen.
Frau Leidig, Sie erwähnen die Klimabelastung durch
den EU-weiten Verkehr, sprechen von einem unkoordinierten Ausbau von Regionalflughäfen, von einer Vernachlässigung bestimmter Personengruppen und bezeichnen die Verkehrsprognose 2025 als ungeeignet,
realitätsfremd und ohne Aussagekraft. Sie möchten auf
3 500 unbesetzten Bahnhöfen der Deutsche Bahn AG
Stellen schaffen und wollen Großprojekte infrage stellen, weil sie in der Regel erst nach mehreren Jahren eine
Verkehrswirkung erzielen. Diese und viele weitere
Punkte listen Sie auf, um dann die Forderung nach einer
„Neuausrichtung der Verkehrsinvestitionspolitik“ zu
stellen.
Wenn Sie die bisherige Politik der Bundesregierung
verfolgt haben, werden Sie feststellen: Seit Antritt der
christlich-liberalen Koalition verfolgen wir konsequent
eine neue nachhaltige Verkehrspolitik. Wir behalten
die Zukunftsfähigkeit, die Umwelt- und Klimafreundlichkeit, die Wahrnehmung sozialer Verantwortung sowie Wirtschaftlichkeit und Effizienz klar im Blick.
Künftig stehen wir vor der Herausforderung, eine
Verkehrspolitik zu gestalten, die den aktuellen und künftigen Erfordernissen unserer Gesellschaft gerecht wird,
die den zu erwartenden weiteren Anstieg der Verkehrsbelastung bewältigt und die auch die Auswirkungen auf
kommende Generationen einbezieht. Wir brauchen ein
Verkehrssystem, das keinen Verkehrsträger von vornherein ausschließt, sondern die verschiedenen Verkehrsträger optimal miteinander verknüpft und das darauf
setzt, die Bedürfnisse der Bürgerinnen und Bürger zu berücksichtigen.
Wir müssen weg von ideologischen Ansätzen und
stattdessen auf klare Umsetzung setzen. Wir sind in unserer Koalition daher nicht der Ansicht, dass wir den
Aus- und Neubau von Straßen verhindern müssen. Ich
mache Ihnen das am Beispiel meines Bundeslandes
deutlich. Wenn ich die Alleen in Mecklenburg-Vorpommern erhalten will, dann muss ich für den Ausbau größerer Straßensysteme sein, um die Verkehre dorthin zu lenken. Wir werden innerhalb der nächsten Jahre auf den
Bau neuer Autobahnabschnitte sowie auf größere Wasser- und Schienenprojekte nicht verzichten können. Aus
diesem Grund wollen wir nicht bestimmte Verkehrsträger durch unangemessene Umschichtungen benachteiligen. Genauso werden wir uns nicht von vornherein alternativen Finanzierungsmodellen wie den öffentlichprivaten Partnerschaften verweigern. Wir wollen den
Verkehr nicht verhindern, liebe Kolleginnen und Kollegen der Linksfraktion.
Uns geht es vielmehr darum, Verkehr als Voraussetzung für Wohlstand und Beschäftigung zu begreifen. Damit nehmen wir auch soziale Verantwortung wahr. Unsere Verkehrsinvestitionspolitik hat da klare Prioritäten:
Investitionen dort tätigen, wo sie die größten Impulse für
Wachstum und Beschäftigung bringen. Wir werden daher - das ist heute schon mehrmals deutlich gesagt worden - trotz Konsolidierungsprogramms keine Abstriche
bei zentralen Zukunftsinvestitionen machen. Die unterschiedlichen Verkehrsträger Wasser, Schiene und Straße
sind Grundlage für Wachstum und damit Grundlage für
Arbeitsplätze und soziale Sicherung in unserer Gesellschaft.
Mit den Umorganisationen im Verkehrsministerium
hat Minister Dr. Ramsauer klare organisatorische Voraussetzungen für diese Politik geschaffen. Ich erinnere
an die Umorganisation der Grundsatzabteilung, die Errichtung einer Unterabteilung „Klima- und Umweltschutzpolitik“ sowie die Schaffung einer EU-Direktion.
Der Minister hat eine Neuausrichtung der Verkehrspolitik vorgenommen, die darauf zielt, Mobilität zu ermöglichen, statt sie schlechtzureden oder zu behindern.
({0})
Natürlich wollen wir vor dem Hintergrund des zu erwartenden Verkehrswachstums den Verkehr auf die
Schiene und das Binnenschiff verlagern. Das werden wir
überall dort tun, wo es sinnvoll ist. Wir werden aber
nicht einzelne Verkehrsträger gegeneinander ausspielen
und den Verkehrsträger Straße mit Hinweis auf den Umwelt- und Klimaschutz verteufeln. Am Ende - das ist Ihnen allen sicherlich bewusst - müssen für alle Verkehrsträger umwelt- und klimafreundliche Ziele erreicht
werden. Jeder Verkehrsträger ist zu einem speziellen
Beitrag zum Schutz der Umwelt verpflichtet.
({1})
In ihrem Antrag, der die Verkehrsinvestitionspolitik
vom Kopf auf die Füße stellen will, verkennt die Linksfraktion sehr deutlich die Realitäten. So führt das Ministerium derzeit Gespräche mit dem Güterverkehrsgewerbe, um den Masterplan „Güterverkehr und Logistik“
neu auszurichten. Ich kann Ihnen versichern: Diese
Gespräche werden ergebnisoffen geführt. Um die Emissionen der Verkehrsträger zu senken, ist ein Innovationsprogramm zur Förderung der Anschaffung emissionsarmer schwerer Lkw in Angriff genommen. Ein weiteres
wesentliches Element zur Bewältigung der wachsenden
Verkehrsströme wird die Gestaltung integrierter Verkehrssysteme sein. Ein Schwerpunkt bisheriger christlich-liberaler Verkehrspolitik war von Anfang an der
Umwelt- und Klimaschutz. Das Ministerium hat sich
dieser Herausforderung gestellt. Ein kleiner Baustein ist
die Elektromobilität. Dies ist ein großes Projekt unserer
gemeinsamen Koalition.
({2})
Über die Bahnpolitik hat mein Kollege Lange bereits
ausführlich berichtet. Ich möchte in Anbetracht der Zeit
nur noch darauf hinweisen, dass sich unsere gemeinsame
Koalition auf eine ganze Reihe von Maßnahmen verständigt hat, die den Schienenverkehr und insbesondere den
öffentlichen Personennahverkehr stärken und attraktiver
machen werden. Ich verweise dabei auf die Stärkung der
Rechte des Bundes bei der Initiierung und Umsetzung
von Infrastrukturprojekten, die Einführung der Anreizregulierung für Trassen- und Stationspreise, die Prüfung,
ob ein integrierter Taktplan eingeführt werden kann, die
Erhöhung der Transparenz bei der Finanzierung des öffentlichen Personennahverkehrs, die Erprobung neuer
Betreibermodelle im öffentlichen Personennahverkehr
und die Zulassung von Buslinienfernverkehren.
Meine Damen und Herren, es bedarf der Anstrengung
aller. Ich rufe Sie auf, sich daran zu beteiligen. Unsere
Koalition wird alles Mögliche dafür tun.
({3})
Vielen Dank.
({4})
Herr Kollege Lietz, ich gratuliere Ihnen zu Ihrer ersten Rede im Deutschen Bundestag im Namen des ganzen
Hauses. Herzlichen Glückwunsch!
({0})
Ich schließe die Aussprache.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf
den Drucksachen 17/1988 und 17/1971 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen.
Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann
sind die Überweisungen so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 28 auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Sechsten
Gesetzes zur Änderung des Filmförderungsgesetzes
- Drucksache 17/1292 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Kultur und Medien ({1})
- Drucksache 17/1938 Berichterstattung:
Abgeordnete Marco Wanderwitz
Dr. Claudia Winterstein
Claudia Roth ({2})
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. Gibt es
Widerspruch dagegen? - Das ist nicht der Fall. Dann ist
das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner das Wort dem Kollegen Wolfgang Börnsen von der
CDU/CSU-Fraktion.
({3})
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!
Um die Filmrolle, die bald der Vergangenheit angehören
wird, geht es heute. Mit der heutigen Ergänzung des
Filmförderungsgesetzes geht es um die Zukunft der Faszination Film in den Kinos unseres Landes. Während der
Film boomt, kriselt es bei den Kinos. Die großen Ketten
bestimmen immer stärker den Markt. Das mittelständische Kino bleibt auf der Strecke, wenn wir nicht handeln. Deshalb sind wir von der Union für das Starkmachen des Films wie des Kinos. Fast 150 Millionen
Besucher pro Jahr belegen: Der Film als kulturelles Massenmedium bleibt auch im 21. Jahrhundert hochaktuell.
Für uns von der Union ist er Kultur- wie Wirtschaftsgut.
Für den Film in Deutschland gilt nicht die flotte Bemerkung: Wenn er Erfolg hat, ist er ein Geschäft; wenn er
ein Flop ist, wird er der Kunst zugerechnet.
Der Film in Deutschland schreibt Rekordzahlen. Unsere nationale Filmwirtschaft befindet sich im stetigen
Aufwind. Wir sind auf dem Weg, zum Spitzenland des
Films in Europa zu werden. Das ist imposant und hat
Anerkennung verdient.
({0})
- Von allen Beifall, bitte.
({1})
Bereits 2009 war ein Filmjahr im Hollywood-Format.
Zehn Merkmale, Trends, Tendenzen sind dafür kennzeichnend:
Erstens: 146 Millionen Kinobesuche - so viel wie seit
20 Jahren nicht mehr.
Zweitens: ein Marktanteil des deutschen Films von
27,4 Prozent - so hoch wie seit 40 Jahren nicht mehr.
Fast jeder dritte Film ist eine Eigenproduktion.
Drittens: eine Umsatzentwicklung an den Kinokassen
mit 976 Millionen Euro - ein Plus von 22,8 Prozent in
einem Jahr. Vermutlich geht dies darauf zurück, dass 3D
das neue Interesse am Film mitbestimmt.
Viertens: eine neue Filmbegeisterung in unserem
Land. Man geht bewusst wieder in den deutschen Film.
Das gilt gerade für die junge Generation, so eine Imagestudie der FFA. Trotz Fernsehen, Handy und Internet der Film in der Sprache unseres Landes boomt.
Fünftens: eine noch nie dagewesene Vielfalt an spannenden Themen, eine Breite an renommierten Regisseuren und eine Vielzahl großartiger Schauspieler. Der deutsche Film ist zu einem Gesellschaftsereignis geworden;
er ist ein Kulturerlebnis, ohne zu belehren.
Sechstens. So viel Weltoffenheit im deutschen Film
hat es noch nie gegeben. Filme aus unserem Land und
Drehbuchprojekte, die vom BKM aktuell gefördert worden sind, befassen sich mit Liebesgeschichten aus der
kasachischen Steppe, mit der argentinischen Militärdiktatur in den 50er-Jahren, mit Kuba, dem Kosovo und Korea. Weitsichtige Produzenten und Verleiher setzen auf
Internationalität.
Innerhalb unseres Landes leisten deutsche Filme einen immer wichtigeren Beitrag zur Praxis der Integration und zur interkulturellen Verständigung. Denken Sie
nur an Fatih Akins Gegen die Wand, an Protagonisten
wie Züli Aladag, an Sibel Kekilli und viele andere mehr!
Der Film setzt Zeichen für Vernunft und Verständigung.
Siebtens. So viele Besuchermillionäre unter den Produktionen aus unserem Land, nämlich 14, gab es noch
nie.
Achtens. Es gab auch noch nie so viele neue Filme in
unseren Kinos insgesamt, nämlich 513, Kurzfilme und
Dokumentarfilme eingerechnet. Spitzenleistung im Rekordjahr 2009!
Neuntens. Noch nie war die Anzahl von Arbeitsplätzen in der Filmwirtschaft so hoch wie jetzt mit 56 000 15 000 mehr innerhalb von zehn Jahren.
Und zehntens. Zu nennen sind die vielen Erfolge für
Filme aus Deutschland auf den internationalen Festivals,
ob in Cannes oder Venedig, ob der Oscar für Christoph
Waltz oder der Silberne Bär der Berlinale. Können, Qualität, Klasse - „Made in Germany“ ist für Filme international längst ein Gütesiegel geworden.
({2})
Wolfgang Börnsen ({3})
Verantwortlich für diese Trümpfe sind natürlich vorrangig erstklassige Schauspieler, Autoren, Regisseure
und Produzenten, eine hochmotivierte Könnerschaft.
Auch das Filmförderungsgesetz, das wir heute novellieren, gehört dazu, ganz besonders der von Staatsminister
Bernd Neumann initiierte Deutsche Filmförderfonds sowie die Filmförderung der Länder und der FFA. Sie alle
haben zu diesem Erfolg geführt.
„Kooperation von Film und Politik“ ist das Schlüsselwort - bei absoluter Achtung der Freiheit von Kunst und
Kultur. Unser Land praktiziert eine öffentliche Filmförderung aus einem Guss als gesellschaftliche Aufgabe.
Die Filmbranche anerkennt ohne Wenn und Aber die
neue Filmpolitik von Bernd Neumann und weiß es zu
schätzen, dass fast alle Fraktionen des Deutschen Bundestages dessen Konzept stützen und stärken.
Ganz wesentlich hat zu diesem rasanten Aufstieg der
DFFF, der Deutsche Filmförderfonds, beigetragen.
302 Filmproduktionen wurden in drei Jahren mit insgesamt rund 178 Millionen Euro gefördert. Sie haben einen
Wertzuwachs von rund 1 Milliarde Euro ausgelöst - eine
fünffache Veredelung von klug eingesetztem Steuergeld.
Während der Film blüht, welken die Kinos. Erstmals
seit 40 Jahren liegt die Anzahl der Kinostandorte, also
der Städte und Gemeinden mit Kinos, unter 1 000.
170 Schließungen gab es in den vergangenen Monaten.
Besonders im ländlichen Raum hat ein Kinosterben eingesetzt. Extrem gefährdet sind Kulturkinos sowie Programm- und Filmkunstkinos, besonders die, die den
Jungfilmern, dem experimentellen Film Vorführchancen
bieten.
Während die großen Ketten die digitale Umstellung
problemlos leisten, ist das mittelständische Kino durch
die hohen Kosten existenziell betroffen. Eine brancheninterne Lösung, mit der man es seit Jahren versucht hat,
hat versagt.
Alle Kompromissvorschläge, ob vom Staatsminister
oder vom Filmpräsidenten Eberhard Junkersdorf, sind an
der Unnachgiebigkeit der großen Ketten gescheitert, so
die Kenner der Szene. Die Ketten wollen eine Marktbereinigung, sagen die Beobachter.
Das Neumann-Modell kann jetzt die Rettung der kleinen Kinos bedeuten. Eine Anstoßfinanzierung von uns
sowie die Förderung durch die FFA, durch Verleiher und
Länder bei einem Eigenanteil durch die Betreiber bieten
die Gewähr, dass der Sprung in das digitale Zeitalter geschafft werden kann; denn die Epoche der Filmrolle ist
vorbei.
Mit diesem Konzept machen wir unsere Kinokultur
zukunftsfähig, sichern wir die Vielfalt unserer Kinolandschaft und sorgen dafür, dass der Filmerfolg weiter von
fast 150 Millionen Besuchern ortsnah erlebt werden
kann. Die Faszination Film stärkt nicht nur das Wir-Gefühl der Menschen und ist nicht nur ein Freizeitvergnügen. Der Film ist und bleibt ein Kulturerlebnis besonderer Art.
Zum Schluss möchte ich eine Sorge loswerden. Eine
Lösung im Rahmen der kleinen Novellierung ist die
letzte Chance für alle Beteiligten - von den Verleihern
bis hin zur Kinowirtschaft. Aber wenn das nicht geschieht, müssen wir bei der großen Novellierung des
Filmförderungsgesetzes mit den Beteiligten ganz anders
über die Zukunft sprechen.
Herzlichen Dank.
({4})
Das Wort hat die Kollegin Angelika Krüger-Leißner
von der SPD-Fraktion.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Wir beraten heute abschließend den Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Änderung des Filmförderungsgesetzes, die sogenannte kleine Novelle. Ich
hoffe, dass wir heute einen wichtigen Schritt hin zur Stabilisierung der Filmförderungsanstalt machen; denn für
sie stehen die Zeiger inzwischen auf fünf vor zwölf.
Meine Fraktion - das will ich vorweg sagen - trägt den
vorliegenden Gesetzentwurf aus guten Gründen mit. Darauf komme ich zurück.
Lassen Sie mich aus aktuellem Anlass zunächst auf
eine andere Vorlage Bezug nehmen, die auch für die
Filmförderung von Bedeutung ist. Ich meine das Sparpaket der Koalition, das wir aus ebenfalls guten Gründen
als völlig unzureichend und sozial unausgewogen ablehnen. Wir wissen, dass viele Kritiker auch aus den Reihen
der Koalition kommen. Was den Kulturbereich angeht,
verweise ich nur auf die Debatte um das Humboldt-Forum.
Ich möchte den ermäßigten Mehrwertsteuersatz für
kulturelle Leistungen - und damit auch für die Kinos ansprechen. Hier wird es keine Änderung geben. Das ist
auch angesichts der großen Herausforderungen, vor denen die Kinobetreiber stehen, in Ordnung. Allerdings
schießt der Hauptverband Deutscher Filmtheater in seiner Schlussfolgerung über das Ziel hinaus, wenn er dies
als eine grundsätzliche Bestätigung des reduzierten
Mehrwertsteuersatzes für die Kinos wertet. Denn diese
Vergünstigung ist nicht nur ein erhebliches Zugeständnis, sondern zugleich eine Erwartung. Es ist nicht in
Stein gemeißelt, dass alle Kinos nur 7 Prozent statt
19 Prozent abführen müssen.
Der ermäßigte Umsatzsteuersatz gilt für kulturelle
Angebote, die die kulturelle Vielfalt in unserem Lande
sicherstellen. Das könnte man zum Beispiel an der Programmgestaltung der Kinos festmachen. Da müssen wir
noch genauer hinschauen. Es ist nämlich vorstellbar,
dass die Steuerreduzierung an einen bestimmten Anteil
deutscher und europäischer Filme beim Abspiel gebunden wird.
({0})
Das haben wir aber heute nicht zu beantworten. Wir sollten erst einmal die Finanzierung der Filmförderungsanstalt auf sichere Füße stellen, um dann die Digitalisierung der Kinos über die Bühne zu bringen. Wie die
Kinos sich bei der Stabilisierung der FFA einbringen,
wird ganz entscheidend dafür sein, welche Kinos weiterhin den Steuervorteil genießen können.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist kein Geheimnis: Die Filmförderung auf der Grundlage des Filmförderungsgesetzes ist maßgeblich am Erfolg des deutschen
Films im In- und Ausland beteiligt. Ich wirke im Vergabegremium der Filmförderungsanstalt mit, und es erfüllt
mich mit Stolz, zu verfolgen, wie erfolgreich die Filme
sind, die wir mit dem FFG fördern. Herausragendes
Beispiel ist Das weiße Band von Regisseur Michael
Haneke und dem deutschen Koproduzenten Stefan Arndt
von X-Filme. Dieser Film wurde im Ausland hochdekoriert, und zwar mit der Goldenen Palme in Cannes. Der
Oscar wurde nur ganz knapp verpasst. Beim Deutschen
Filmpreis wurde er mit Lolas überschüttet. Mit
640 000 Besuchern war dieser Film auch ein Erfolg an
der Kinokasse. Ohne die FFA wäre das so nicht möglich
gewesen.
Die FFA fördert auch die Produktion von Filmen, die
von vornherein auf gute Unterhaltung und hohe Besucherzahlen setzen. Wir fördern ebenso Projekte mit
künstlerischem Anspruch. Der Nachwuchs findet ebenfalls Berücksichtigung. Und wir fördern internationale
Koproduktionen mit deutscher Beteiligung, wie zum
Beispiel den mit vielen Preisen ausgezeichneten Vorleser. Wir haben eine wirklich gute Zusammenarbeit mit
den Franzosen, den Österreichern und den Schweizern
aufgebaut. Ich hoffe sehr stark, dass wir das auch mit
den Russen schaffen.
All das zusammen macht den deutschen Film in seiner ganzen Breite und Vielfalt aus. Ich wiederhole: Ohne
die Förderung auf der Grundlage des Filmförderungsgesetzes wäre das so nicht möglich. Deshalb haben wir als
Gesetzgeber das FFG im Laufe von inzwischen über vier
Jahrzehnten weiterentwickelt und immer wieder an die
veränderten Rahmenbedingungen angepasst. Beachtlich
dabei sind die Kontinuität und die Gemeinsamkeit über
die Fraktionen hinweg; das passiert - das wissen wir nicht so oft in diesem Haus. Gemeinsam haben wir so
der Branche den Rücken gestärkt.
Es ist noch gar nicht so lange her: Ende 2008 haben
wir die fünfte Novelle beschlossen. Damals sind wir alle
davon ausgegangen, dass sie wie vorgesehen für fünf
Jahre Bestand hat. Aber es kam anders. Im Februar 2009
hat das Bundesverwaltungsgericht einen Beschluss gefasst, der auch mich überrascht hat. Das Gericht wertete
es als mit der Verfassung nicht vereinbar, dass die Zahlergruppen ihre Beiträge auf unterschiedlicher Grundlage leisten, dass die Sender ihre Leistung vertraglich
geregelt erbringen und die Kino- und Videowirtschaft
dazu gesetzlich verpflichtet ist. Ich kann den Gerechtigkeitssinn der Einzahler, die eine gesetzliche Grundlage
für alle verlangen, durchaus nachvollziehen. Die Kinos
fordern seit Jahren Gleichbehandlung in dieser Frage.
Wegen der föderal geordneten Zuständigkeit der Länder
für die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten war das
nicht so einfach zu erreichen. Also klagten einige Kinoketten seit 2004. Das Urteil des Bundesverwaltungsgerichtes liegt seit 2009 vor. Ich finde, wir müssen nun
endlich handeln, wenn wir die Filmförderungsanstalt
nicht gefährden wollen. Mit der Einführung eines gesetzlichen Abgabemaßstabs für die Fernsehveranstalter
schaffen wir Rechtssicherheit für die FFA, und das rückwirkend.
Die Bundesregierung hat mit dem vorliegenden Gesetzentwurf einen Vorschlag gemacht, der mit den Beteiligten weitgehend abgestimmt ist. Das ist auch gut so. So
komme ich gemeinsam mit meiner Fraktion zu dem Ergebnis, dass dieser Vorschlag geeignet ist, die Beanstandungen des Bundesverwaltungsgerichtes aus der Welt zu
schaffen. Allerdings hätten wir diese Novelle schon vor
einem Jahr haben können; ich habe darauf gedrängt.
Heute zeigt sich leider auch, dass die Verknüpfung der
FFG-Problematik mit der Finanzierung der Kinodigitalisierung offensichtlich ein falsches Vorgehen war. Es hat
uns zähe und fruchtlose Verhandlungen mit den Kinos
gebracht, die am Ende gescheitert sind, übrigens auch
zum Nachteil der Kinodigitalisierung, die sich damit
weiter verzögert hat. Allerdings ist es immer leicht, im
Nachhinein klüger zu sein. Wir sollten dies aber bei den
nächsten Schritten beachten.
Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf wird das Junktim im sogenannten Gesamtpaket des Kulturstaatsministers aufgelöst. So können wir heute das FFG novellieren,
und morgen - vielleicht auch erst ein paar Tage später geht es an die Kinodigitalisierung.
Die aktuellen Urteile der Verwaltungsgerichte zur
Filmabgabe geben klare Hinweise, dass die Rechtsprechung unsere Bemühungen als Gesetzgeber zunehmend
würdigt, indem die Anträge der Kinobetreiber auf Aussetzung der Abgabezahlungen an die FFA abgewiesen
werden. Das stimmt mich zuversichtlich mit Blick auf
das Bundesverfassungsgericht. Möglicherweise - das ist
mein Wunsch - wird die Vorlage schon im Vorfeld einer
Befassung zurückgezogen. Das wäre die beste Anerkennung für unser Bemühen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich will Ihnen nicht
verschweigen, was mir große Sorgen macht. Ich fürchte,
dass mit der kleinen Novelle nicht alle Probleme gelöst
werden. Ich habe die Ahnung, dass dafür die eigentlichen Motive der klagenden Kinos verantwortlich sind:
Sie wollen sich der Abgabe entledigen. Deshalb haben
sie zusätzlich zu ihrer Klage in Brüssel Beschwerde wegen des Verstoßes des FFG gegen das Beihilferecht eingelegt. Ich möchte betonen, dass das nicht von allen Kinoketten betrieben wird. Mir ist durchaus bewusst, dass ein
Teil der Multiplexe begriffen hat, dass auch sie von der
Förderung des deutschen Films profitieren. Solange aber
das solidarische System der Filmförderung mit Klagen,
Beschwerden und Vorbehalten torpediert wird, wird der
Konflikt weiter schwelen. Die Klagen haben sich übrigens bis heute sehr zersetzend auf die Arbeit der Filmförderungsanstalt ausgewirkt. Greifbar wird das insbesondere an den in der Folge der Klage zunehmenden
Vorbehaltszahlungen, die das Aufstellen eines HaushalAngelika Krüger-Leißner
tes für die FFA immer schwieriger machen. Über die
Hälfte der Filmabgabe wird inzwischen unter Vorbehalt
gezahlt. Dabei war es aus meiner Sicht sehr bedauerlich,
dass der HDF und die anderen Kinos sich nicht entschieden von der Klage distanziert haben. Zum Teil wurde
das mitgetragen. Das verstehe ich übrigens bis heute
nicht. Welche Interessen werden da eigentlich vertreten?
({1})
Ich gebe zu bedenken, dass die wirtschaftliche Lage
der Kinos bei der Novelle 2004 möglicherweise nicht
angemessen berücksichtigt worden war. Daraus jedoch
die Konsequenz zu ziehen, das Filmförderungsgesetz
und die Filmförderungsanstalt selbst zur Disposition zu
stellen, halte ich für total überzogen und verantwortungslos. Ich bin jedenfalls bereit, die Lage auch der Kinoketten genauer unter die Lupe zu nehmen. Ich möchte
wegkommen vom Schwarz-Weiß-Denken, von der Einteilung in „gute“ und „böse“ Kinos.
Lassen Sie mich prognostizieren, dass die heutige
kleine Novelle sehr schnell zeigen wird, wie sich die Kinos verhalten werden, die sich bisher verweigern: Entweder verharren sie in ihrer Verweigerungshaltung, oder
sie kommen zurück zur Geschäftsgrundlage der Filmförderung in Deutschland. Wir jedenfalls haben heute unsere Hausaufgaben erledigt. Was beanstandet worden ist,
ist geheilt. Entweder kommen alle wieder zurück ins
Boot, oder wir müssen einen klaren Schnitt machen. Ich
werde nicht um Solidarität betteln. Solidarisch ist man
aus Überzeugung und Verantwortung für das Ganze.
Ein klarer Schnitt würde nicht etwa heißen, dass wir
die Filmförderung in Deutschland einstampfen; nein, auf
keinen Fall. Aber dann müssen wir einen anderen Weg
finden. Ich hoffe sehr, dass es nicht so weit kommt. Mit
der heutigen Verabschiedung des Gesetzentwurfes kommen wir unserer Pflicht nach. Jetzt sind die anderen am
Zug.
Ich danke Ihnen.
({2})
Das Wort hat jetzt die Kollegin Dr. Claudia
Winterstein.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Mit 27 Prozent Marktanteil feierten deutsche
Filme 2009 ein Rekordergebnis an den Kinokassen. Im
gleichen Jahr gewann der Film Das weiße Band die Goldene Palme in Cannes, und erst vor kurzem wurde der
deutsche Film Die Fremde bei dem renommierten
Tribeca-Filmfestival in New York als bester Spielfilm
ausgezeichnet. Der deutsche Film schwimmt national
und international auf einer Erfolgswelle, und das ist auch
ein Ergebnis der Filmförderung in Deutschland.
({0})
Das Filmglück wäre fast perfekt, wäre da nicht der
seit Jahren währende Streit um die Filmabgabe an die
Filmförderungsanstalt, die FFA. Ich bin froh, dass wir
nun eine Kleine Novelle zum Filmförderungsgesetz vorliegen haben, die diese Problematik aufgreift und feste
Abgabesätze auch für die Fernsehsender vorsieht. Ich
verbinde damit die Hoffnung, dass auch jene Kinoketten,
die ihre Zahlungen an die FFA bislang unter Vorbehalt
geleistet haben, nun wieder in vollem Umfang zur Filmförderung beitragen.
Wir brauchen eine arbeitsfähige und effektive FFA,
um die erfolgreiche Entwicklung des deutschen Films
weiter unterstützen zu können. Denn neben der klassischen Filmförderung spielt die FFA auch bei dem aktuell
wichtigsten Thema der Filmpolitik eine zentrale Rolle,
nämlich bei der Digitalisierung der Kinos in Deutschland. Es ist unausweichlich, dass, wie bereits in anderen
Medienformaten geschehen, auch das Abspielen von Filmen im Kinosaal zukünftig mit digitaler Technik erfolgt.
In wenigen Jahren werden Filmkopien nur noch in digitaler Form verbreitet werden. Die Digitalisierung bietet
zudem große Chancen für die Kinos, ihr Angebot zu erweitern, etwa durch die Präsentation von Sportveranstaltungen oder großen kulturellen Ereignissen.
In Deutschland gibt es etwa 3 700 Kinoleinwände.
1 200 Leinwände gehören zu kleineren Kinos im ländlichen Raum oder zu Programm- und Arthouse-Kinos.
Diese sind aufgrund ihrer schwachen Umsätze nicht in
der Lage, die Umstellung auf den digitalen Standard
selbst zu finanzieren. Ohne eine Unterstützung dieser
Häuser würden wir in den nächsten Jahren ein Kinosterben erleben, das äußerst negative Auswirkungen auf den
Kultur- und Filmstandort Deutschland hätte.
Ich bin Ihnen, Herr Staatsminister Neumann, dankbar
für die Eckpunkte eines Konzeptes, das zeigt, wie die
Umstellung auf digitale Technik in den Kinos organisiert
und finanziert werden kann. Das Konzept trägt mit seiner Zwei-Säulen-Struktur auch dem Umstand Rechnung,
dass nur ein Teil der Kinos - nämlich genau diese 1 200
Leinwände -, die dies nicht aus eigener Tasche zahlen
können, von der Förderung profitieren. Ich halte es auch
für wichtig, dass der Finanzierungsanteil des Bundes auf
ein Viertel der Kosten begrenzt ist. Weitere Mittel sollen
von den Ländern, den Verleihern und der FFA kommen,
sodass die Kinos insgesamt bis zu 80 Prozent der Kosten
erstattet bekommen.
({1})
An dieser Stelle sehe ich aber den entscheidenden
Kritikpunkt an dem jetzt vorliegenden Konzept. Es fehlt
bisher an konkreten Vereinbarungen, in welcher Höhe
sich die Filmwirtschaft und die Länder an den Kosten
der Digitalisierung beteiligen und wie die einzelnen Fördermaßnahmen miteinander wirken. Der Deutsche Bundestag hat in den Beratungen zum Haushalt 2010
4 Millionen Euro bereitgestellt. Wir haben die Freigabe
dieser Mittel aber unter den Vorbehalt gestellt, dass sich
die Länder und die Filmwirtschaft an den Kosten beteiligen.
Ich gehe davon aus, dass wir von Herrn Staatsminister
Neumann ein konkretes Konzept zur Umsetzung der Digitalisierung vorgelegt bekommen. Die Digitalisierung
muss in allen Kinos Einzug halten - im Interesse des Filmes und der kulturellen Vielfalt in Deutschland.
({2})
Das Wort hat jetzt die Kollegin Kathrin SengerSchäfer von der Fraktion Die Linke.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten
Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Als Filmkritikerin habe ich die Möglichkeit, viele neue
deutsche Filmproduktionen zu sehen, was eine hoch
spannende Aufgabe darstellt. Auch für die Linke ist der
deutsche Film ein wertvolles Kulturgut, dessen finanzielle Förderung wir ausdrücklich begrüßen; denn allein
auf marktwirtschaftlicher Grundlage ist heute keine Produktion von Qualitätsfilmen mehr denkbar. Die Filmförderung des Bundes und der Länder hat sich durchaus bewährt.
Der deutsche Film hat sich in den letzten Jahren national und international einen Namen gemacht. Von den
Oscar gekrönten Verfilmungen wie Die Blechtrommel
oder Das Leben der anderen bis zu unterhaltsamen Publikumsrennern wie Der Schuh des Manitu oder Keinohrhasen - keiner dieser Filme wäre denkbar ohne das
Instrument Filmförderung.
({0})
Das Filmförderungsgesetz wird regelmäßig den aktuellen Gegebenheiten angepasst. Dabei geht es um die
grundlegenden Rahmenbedingungen der Filmproduktion
in den kommenden fünf Jahren. Die nächste Novelle
wäre eigentlich erst 2014 erforderlich geworden. Doch
heute beraten wir über eine Novellierung aus besonderem Anlass. Es gibt eine Klage. Bislang wird die Filmförderung zu etwa einem Drittel durch die sogenannte
Filmabgabe der Kinobetreiber und Videotheken finanziert, eine gesetzliche Pflichtabgabe. Die anderen zwei
Drittel der Finanzierung kommen von den öffentlichrechtlichen und den privaten Fernsehanbietern. Dies
aber sind bisher freiwillige Beiträge auf Vertragsbasis.
Pflichtabgaben standen also freiwilligen Abgaben gegenüber. Die Kinobetreiber empfanden das als ungerecht. Genau deshalb klagten sie gegen das Gesetz und
bekamen im Februar vergangenen Jahres vom Bundesverwaltungsgericht recht. Daraufhin brachte die Bundesregierung nach erfolglosen Zwischenschritten die sogenannte Kleine Novelle zum Filmförderungsgesetz auf
den Weg, um die es hier geht. Dadurch werden erstmals
gesetzlich festgeschriebene Abgaben auch für die Fernsehveranstalter beabsichtigt, sprich: Auch sie sollen
fortan Pflichtbeiträge leisten.
Die Linke hält dies durchaus für einen richtigen Weg;
aber wir sehen in dieser Gesetzesnovelle eine Reihe
handwerklicher Fehler und rechtlicher Probleme. So kritisieren wir vor allem die Ungleichbehandlung von öffentlich-rechtlichen und privaten Fernsehsendern. Die
Regelungen des sogenannten Abgabenmaßstabes sind
schon erstaunlich. Zwar werden Prozentsätze an den Realkosten bzw. Nettowerbeumsätzen für die Ausstrahlung
von Kinofilmen festgelegt. Aber es gibt als Grundlage
weder Modellrechnungen noch kalkulatorische Annahmen. So lautete zumindest die Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der Linken mit dem Titel
„Zukunft der Filmförderung und Digitalisierung der Kinos“.
Angesichts der nunmehr vorgeschlagenen Abgabesätze für die Fernsehanstalten dürfte der Ertrag aber erheblich unter ihren freiwilligen Zahlungen liegen. Damit
stünden der Filmförderung künftig sogar weniger Mittel
zur Verfügung. Für den Vergleichszeitraum 2004 bis
2008 wären das nach dem neuen Abgabenmaßstab über
25 Millionen Euro weniger.
Es gibt ein weiteres Problem: Während bei privaten
Free-TV-Anbietern Abgabenstufen nach tatsächlicher
Nutzung von Kinofilmen berechnet werden, erfolgt im
Pay-TV - bisher nur der Murdoch-Sender Sky - eine ungerechtfertigte Pauschalisierung der Abgaben. Diese basiert nicht einmal auf empirischen Untersuchungen, sondern auf Befragungen des Programmanbieters. Das wäre
so, als ob der Herr Staatsminister seinen privaten Steuersatz selber festlegen könnte.
({1})
Durch weitere geschickte Rechenmodelle dürfte er sogar
verschiedene Einnahmen gegenrechnen.
Wie gesagt, die Linke begrüßt zwar die gesetzlich
verankerte Filmförderung. Wegen der dargestellten erheblichen Mängel der vorliegenden Novelle zum Filmförderungsgesetz können wir aber leider nicht zustimmen.
({2})
Aus unserer Sicht besteht noch erheblicher Nachbesserungsbedarf.
({3})
Auch wir würden uns freuen, wenn es künftig statt „Wo
bitte geht’s nach Hollywood?“ noch öfter hieße: „Wo
bitte geht’s nach Babelsberg?“.
Vielen Dank.
({4})
Das Wort hat die Kollegin Claudia Roth von
Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zuallererst möchte ich sagen: Wir freuen uns, dass die Beratungen zur vorliegenden Novelle zum Filmförderungsgesetz in einem, wie ich finde, vertrauensvollen Klima
zwischen den Fraktionen und auch mit dem BKM, Herrn
Neumann, stattgefunden haben. Das ist ein gutes Signal
dafür, dass man in der Politik an einem Strang ziehen
kann. Das passiert in der Tat nicht allzu oft.
({0})
Wir Grüne - das ist in dieser Frage klar - wollen unseren Beitrag leisten, damit eine sehr breite und ganz
deutliche Mehrheit im Bundestag diese Novelle mitträgt;
denn es ist sehr wichtig, dass wir gemeinsam signalisieren, welche Bedeutung die FFA hat. Die Botschaft dieses
Tages von dieser Stelle aus muss sein: Erstens. Der Erhalt und die Entwicklung der FFA sind wirklich zentrale
Grundlagen für den kulturell anspruchsvollen Kinofilm
in Deutschland. Zweitens. Die Sicherung der FFA hat für
uns hier im Bundestag eine hohe kulturpolitische Priorität, und zwar über die Fraktionsgrenzen hinweg.
({1})
Wir wissen doch, was los war. Wir alle wissen, dass
große Kinobetreiber ihre Beitragszahlungen an die FFA
nur noch unter Vorbehalt geleistet haben. Dabei haben
sie das Argument der Ungleichbehandlung vorgebracht,
weil die Beitragsordnung für Fernsehveranstalter und
Vermarkter von Pay-TV-Programmen bisher nicht gesetzlich fixiert war. Das Bundesverwaltungsgericht hat
dem entsprochen. Mit dieser Novelle wird eine klare Regelung vorgelegt, die wir unterstützen. Wir gehen davon
aus - darum geht es; darauf haben die Kolleginnen und
Kollegen schon hingewiesen -, dass die Finanzsicherheit
der FFA damit wiederhergestellt ist und eines der wichtigsten Filmförderinstrumente im Sinne der Filmproduktion in Deutschland gesichert wird.
Ich möchte aber darauf hinweisen, dass uns das nicht
ausreicht. Wir sehen bei der FFA einen deutlich größeren
Reformbedarf, nicht zuletzt - Sie wissen, was kommt hinsichtlich der Rolle der Kreativen in der FFA. Nun
will ich nicht sagen, dass die Film- und Kinowirtschaft
und alle übrigen Beteiligten nicht kreativ sind. Herr
Neumann ist nun definitiv ein kreativer Mensch.
({2})
- Doch, schon. - Wenn er es will, dann ist er es.
({3})
Das wollte ich aber gar nicht sagen.
Die Film- und Kinowirtschaft und alle übrigen Beteiligten sind ein ganz wichtiger Teil der Kreativwirtschaft,
über die zu Recht viel gesprochen wird. Aber die Kreativen im engeren Sinne, die Künstlerinnen und Künstler,
brauchen endlich ein deutlich größeres Gewicht in der
FFA. Ihre Beteiligung muss weiter aufgewertet werden.
Wir finden, dass ein Sitz für einen Kreativen-Vertreter
oder eine Kreativen-Vertreterin im FFA-Präsidium definitiv überfällig ist.
({4})
Sie machen schließlich die Filme; sie schaffen die großen Bilder, über die einige Kollegen schon richtig ins
Schwärmen geraten sind.
Es gibt noch weitere Unterstützungsmaßnahmen für
Kreative, über die wir konstruktiv nachdenken sollten,
zum Beispiel die Förderung von Regisseurinnen und Regisseuren aus der Referenzmittelförderung. Wir haben
dazu ein Modell vorgelegt, das kostenneutral ist und der
Produktion von Filmen keine Fördermittel entzieht, Regisseurinnen und Regisseuren aber in der sehr schwierigen Phase der Pre-Production, bevor es also überhaupt
losgeht, hilft.
Ich gebe jetzt sehr diplomatisch nachdrücklich unserer Hoffnung Ausdruck, dass diese Punkte bei der nächsten, großen FFG-Novelle mit realisiert werden. Wir haben schon oft darüber geredet. Ich hoffe sehr, dass das
umgesetzt werden kann - auch für die Macherinnen und
Macher der Filme, die im eigentlich kreativen Bereich
tätig sind.
({5})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir wollen das Signal setzen, dass wir sehr entschlossen sind, die Filmund Kinolandschaft unseres Landes gerade in den gegenwärtigen technischen und wirtschaftlichen Umbrüchen
zu verteidigen. Wer glaubt, dass er die anstehende Kinodigitalisierung für eine Schwächung des kulturell anspruchsvollen Films aus Deutschland und Europa und
für eine Marktbereinigung der Kinolandschaft im Sinne
eines einseitig profitorientierten Mainstreamkinos nutzen kann, der hat uns Grüne als Gegner und muss sich
- das kündige ich an - warm anziehen
({6})
und der sollte im Übrigen uns alle als Gegner haben. Das
gilt auch für Versuche, die FFA juristisch und verbändepolitisch zu schwächen.
Wir Grüne kämpfen entschlossen dafür, dass das Kino
im Dorf bleibt. Ich komme vom Dorf und weiß, wie
wichtig das war - zwar nicht unbedingt, Winnetou sterben zu sehen, und im ersten Teil ist Nscho-tschi gestorben. Aber für meine politische Entwicklung war es
wichtig, dass es bei uns im Dorf ein Kino gab. - Wir
wollen also, dass das Kino im Dorf bleibt, dass eine
breite Kinoinfrastruktur in unserem Land erhalten bleibt
ebenso wie Filmförderstrukturen, auf die kulturell anspruchsvoller Film angewiesen ist - und um den geht es
uns vor allem.
Vielen herzlichen Dank.
Claudia Roth ({7})
({8})
Das Wort hat jetzt die Kollegin Dorothee Bär von der
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Herr Präsident, ich hoffe, dass Sie mit mir zufriedener
sein werden als Ihr Kollege heute Morgen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir beraten heute
über das Sechste Gesetz zur Änderung des Filmförderungsgesetzes. Das ist notwendig geworden, weil die
obersten Gerichte entschieden haben, dass die bisherige
Filmabgabenregelung eine Ungleichbehandlung darstellt. Das heute zur Abstimmung stehende Änderungsgesetz soll diese Abgabengerechtigkeit wiederherstellen.
Grundsätzlich orientieren sich die Abgaben der Fernsehveranstalter wie bisher bei den Kinobetreibern zu einem festen Prozentsatz an der Höhe der jeweiligen Einnahmen. Sender mit einem Spielfilmanteil von unter
2 Prozent oder einem Gesamtumsatz mit Programmen,
die auch Spielfilme enthalten, von unter 750 000 Euro
im Jahr sind von der Abgabe befreit.
Wir müssen jetzt Änderungen vornehmen, damit wir
auf diesem Gebiet weiterhin so erfolgreich sein können,
wie es meine Vorrednerinnen und Vorredner schon betont haben. Ich glaube, wir alle konnten in den letzten
Jahren feststellen, dass der deutsche Film nicht nur erfolgreich ist - die Zahlen sind vom Kollegen Börnsen
genannt worden -, sondern auch cool geworden ist.
({0})
Die Verleihungen sind besser geworden, nicht nur beim
Deutschen Filmpreis, sondern auch beim Bayerischen
Filmpreis und bei allen anderen. Das sind coole Veranstaltungen mit Glamour. Man kann mit Fug und Recht
sagen, dass wir uns hier in Deutschland nicht hinter
Hollywood verstecken müssen.
({1})
Auch die Themen der Filme wurden angesprochen.
Sie sind nicht nur bildend, sondern auch gesellschaftsabbildend. Das weiße Band wurde schon mehrfach angesprochen; auch ich möchte den Film hervorheben. Ich
glaube, dass viele in diesem Land, denen ein solches
Drehbuch vorgelegt worden wäre, erst einmal überlegt
hätten, ob man so etwas machen kann, ob so etwas Erfolg haben kann. Ich finde es absolut beeindruckend, wie
ein in Schwarz-Weiß gedrehter Film uns alle begeistert
hat.
({2})
Wir blicken hier auch dank des fraktionsübergreifenden Engagements, aber vor allem dank des BKM, Bernd
Neumann, und des DFFF auf eine großartige Erfolgsgeschichte zurück. Eine Erfolgsgeschichte drückt sich immer in vielen Zahlen, auch in Euro aus. 2009 wurden
alle Mittel ausgeschöpft; seit 2007 konnten wir über
300 Projekte ganz unterschiedlicher Art realisieren, mit
Mitteln in Höhe von über 178 Millionen Euro. Die daraus hervorgegangenen Filmproduktionen haben allein
in der deutschen Filmwirtschaft Investitionen in Höhe
von 1,1 Milliarden Euro ausgelöst. Darauf kann man
sehr stolz sein.
({3})
Ich bedanke mich bei der Kollegin Claudia Roth für
den schönen Ausdruck, den sie gerade gewählt hat - besser kann man es eigentlich nicht in einem Satz zusammenfassen -: Das Kino soll im Dorf bleiben. - Mir gefällt der Satz sehr gut, weil er genau zu unserem
Anspruch passt. Wir wollen die kulturelle Grundversorgung flächendeckend gewährleisten, nicht nur in den
Großstädten, sondern, wo es möglich ist, wirklich in jedem einzelnen Dorf. Jetzt kann man sagen, dass die Romantik durch die Digitalisierung etwas verloren geht,
weil es keine zerrissenen Filmrollen mehr gibt und es
nicht mehr vorkommt, dass die Spulen nicht rechtzeitig
gewechselt werden, weil der Vorführer anderweitig beschäftigt ist. Das finde ich persönlich ein bisschen
schade. Trotzdem ist es ein großes Anliegen, das wir alle
unterstützen, dafür zu sorgen, dass diejenigen, die viel
Geld und Leidenschaft in den Betrieb eines kleinen oder
mittleren Kinos stecken, weiterhin vertreten sein können.
({4})
Ich möchte meinen Beitrag dazu leisten - ich hoffe,
das tun Sie auch -: Ich schenke Ihnen die letzte Minute
meiner Redezeit, damit wir früher nach Hause kommen
und wir alle heute Abend, wenn möglich, in ein ländliches Kino gehen.
Vielen Dank.
({5})
Das Wort hat der Kollege Burkhardt Müller-Sönksen
von der FDP-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Jetzt hat Kollegin Bär natürlich Zeitdruck ausgelöst.
Auch ich will Sie nicht davon abhalten, heute Abend in
Ihr ländliches Kino zu gehen.
Mit der vorliegenden Novelle ist unter der Moderation von Staatsminister Neumann ein richtungsweisender Kompromiss gelungen, der die deutsche Filmwirtschaft in die Lage versetzt, die Filmförderung vor allem
aus eigenen Mitteln - das unterscheidet uns von den Linken - voranzutreiben. Diesen Kompromiss begrüßen wir
ausdrücklich. Wir freuen uns auch darüber, dass gemeinsam mit der SPD und den Grünen die breite Mehrheit
dieses Hauses dem Gesetzentwurf zustimmen wird. Das
ist ein deutliches Signal in Richtung Karlsruhe: Nicht die
Gerichte, sondern wir hier im Parlament machen Filmpolitik in Deutschland.
({0})
Um aber den Film zu fördern - ich möchte einen anderen Bereich ansprechen und mich den vielen Gedanken der anderen anschließen -, bedarf es aus unserer
Sicht weiterer Maßnahmen. Der Schaden durch Raubkopien und illegale Downloads betrifft nicht, wie häufig
angenommen, nur die großen Produktionen aus den
USA, sondern schadet auch den deutschen Produktionen
und damit dem Mittelstand immens. Hier ist neben dem
Engagement der Branche in jedem Fall auch die Politik
gefragt.
Für uns Liberale ist die Wahrung des Urheberrechts
eine staatspolitische Aufgabe.
({1})
Wir beobachten daher seit einigen Monaten die Gründungsbemühungen einer Partei, die das Urheberrecht
gänzlich infrage stellt, mit großer Sorge. Wer den Schutz
geistigen Eigentums nicht anerkennt, der wird auch in
anderen Bereichen vor Rechtsbrüchen nicht haltmachen.
({2})
Wir ermutigen die Branche, auch im Kampf gegen die
Piraterie an einem Strang zu ziehen. Ein zentrales Mittel
zur Bekämpfung der Piraterie ist aus unserer Sicht die
Entwicklung attraktiver Geschäftsmodelle, die den Nutzerinnen und Nutzern interessante Alternativen zu illegalen Downloads bieten.
({3})
Ebenso wie wir die Bekämpfung der Piraterie als gemeinsame Aufgabe mit der Privatwirtschaft begreifen,
müssen wir die Zusammenarbeit mit der Filmwirtschaft
intensivieren, um die Filmförderungsanstalt an die Bedingungen einer modernen Mediengesellschaft anzupassen. In Deutschland wird großes Kino geboten. Sorgen
wir dafür, dass das so bleibt.
({4})
Wie Sie wissen, schlägt mein Herz für alle Medien
gleichermaßen, also nicht nur für das Kino. Ich schließe
mich den Grünen und hier Claudia Roth gerne an: Die
immer noch sogenannten neuen Medien entwickeln sich
rasant, und der Prozess der Medienkonvergenz schreitet
unaufhaltsam voran. Weil die Grenzen zwischen den einzelnen Medien verwischen, ist es im Sinne einer konsequenten Weiterentwicklung nur zeitgemäß, auch über die
Möglichkeit einer übergreifenden Förderung für die gesamte deutsche Kreativwirtschaft im Bereich der Content-Erstellung nachzudenken. Besonders im Blick habe
ich dabei die Herstellung und den Vertrieb von Computerspielen - auch andere Medien sind in diesem Zusammenhang gefragt -, die vielfach Vorbild für die Digitalproduktionen im Kino gewesen sind. Hier könnte die
FFA weitere Einzahlergruppen gewinnen, die sie, wie
das laufende Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht zeigt, dringend benötigt.
Abschließend wünsche ich mir daher, dass wir gemeinsam die FFA als wichtigste bundesweite Förderungsanstalt für die Kreativwirtschaft zukunftsfähig machen. Gehen Sie heute Abend ins Kino um die Ecke!
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({5})
Als letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt hat
nun der Kollege Marco Wanderwitz von der CDU/CSUFraktion das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In
unserem täglichen Leben sind Medien im Allgemeinen
und Filme im Besonderen so präsent, dass sie die Gesellschaft ein ganzes Stück weit beeinflussen. So weit kann
man, glaube ich, gehen. Unser Bild von der Welt wird
durch das Medium Film, besonders durch die großen Kinofilme, geprägt.
Ich finde es toll, dass der Film - das ist schon angesprochen worden - immer neue Rekordzahlen erreicht.
Im letzten Jahr gab es 146 Millionen Kinobesucher; das
ist die höchste Besucherzahl seit 20 Jahren. Fast ein
Drittel der Produktionen sind deutsche Produktionen; so
viele waren es noch nie. 14 der in Deutschland produzierten Filme haben es im letzten Jahr geschafft, ein Millionenpublikum zu erreichen. Das ist großes Kino.
Einen wesentlichen Beitrag zu diesem erfreulichen
Aufstieg des Kultur- und Wirtschaftsgutes Film hat der
in der vergangenen Legislaturperiode von Kulturstaatsminister Bernd Neumann initiierte Deutsche Filmförderfonds geleistet. Das war eine große Erfolgsgeschichte,
die auch in der Breite anerkannt wird. Die wichtigste
Säule für die Filmförderung in Deutschland ist jedoch
die Filmförderungsanstalt, die FFA, ein Eigenentwicklungsinstrument der Filmwirtschaft. Die Mittel werden
eben nicht aus dem Staatshaushalt, sondern durch Beitragszahlungen der Verwerter von Kinofilmen aufgebracht, also von den Kinos, der Videowirtschaft, den öffentlichen und privaten Fernsehveranstaltern sowie den
Vermarktern von Bezahlfernsehen. Als Gesetzgeber haben wir lediglich den gesetzlichen Regelungsrahmen
vorgegeben, und zwar deshalb, weil die Branche uns darum gebeten hat.
Weil der Kino- und Videosektor seine Abgaben bisher
auf gesetzlich festgeschriebener Grundlage leisten
musste und die Fernsehveranstalter freiwillige Abgaben
auf vertraglicher Basis geleistet haben, sah das Bundesverwaltungsgericht hier ein verfassungsrechtliches Problem. Wir haben uns entschlossen, vorbeugend tätig zu
werden. Das heißt nicht - das sage ich bewusst für das
Protokoll -, dass wir uns der Meinung des Bundesverwaltungsgerichts anschließen. Wir wollen vielmehr
Rechtssicherheit schaffen und die FFA - die Problematik
wurde schon beschrieben - schnell vollständig handlungsfähig machen. Eine grundsätzliche Veränderung
der Finanzierungssystematik, an die man in diesem Zusammenhang denken könnte, lehnen wir aber ganz bewusst ab.
Wir glauben, dass durch die Einführung des neuen gesetzlichen, vorteilsgerechten Abgabemaßstabes Abgabengerechtigkeit für die Fernsehveranstalter und die Anbieter von Bezahlfernsehprogrammen gewährleistet
wird. Auch die rückwirkende Geltung ab dem 1. Januar
2010 halten wir für verfassungsrechtlich einwandfrei.
Die Kläger gegen das derzeitige FFG hätten somit das
von Ihnen vorgegebene Ziel der Einzahlergerechtigkeit
theoretisch erreicht. Dennoch wird die Klage aufrechterhalten, dennoch werden ständig neue Forderungen und
Begründungen nachgeschoben. Für mich ist der Eindruck ganz klar: Es geht um mehr als das, was jetzt vorgetragen wird. Das System der Filmwirtschaft wird ein
Stück weit infrage gestellt. Dazu passt es, dass sich die
großen Kinos gar nicht auf unser Angebot zur Kinodigitalisierung eingelassen haben.
Frau Kollegin Krüger-Leißner, sicherlich sind wir
hinterher ein Stück schlauer, aber ich glaube trotzdem,
dass es richtig war, noch einmal ein Angebot vonseiten
der Politik, vonseiten der Bundesregierung zu unterbreiten. Wir haben gesagt: Wir versuchen es mit einer Verhandlungsrunde. Das wird die letzte gewesen sein. Ich
glaube, darüber sind wir uns alle einig. Aber zumindest
haben wir noch einmal den Versuch gemacht. Das war
richtig, auch wenn er nicht fruchtbar war.
({0})
- Wir haben ein bisschen Zeit verloren, zweifellos.
An dieser Stelle möchte ich eine andere Replik bringen. Frau Kollegin Senger-Schäfer, es gibt durchaus
Filme - so war das vielleicht gemeint -, die sich refinanzieren. Sprich: Es ist schwer, fast unmöglich, ohne Förderung zu produzieren. Es sollte aber nicht der Eindruck
entstehen, dass es keine Filme gebe, die sich rechnen. Es
gibt durchaus eine ganze Menge Filme, die sich rechnen.
Da wir gerade dabei sind, will ich noch einen Satz dazu
sagen: Das Beispiel mit dem Steuersatz des Ministers
hielt ich in diesem Zusammenhang für zumindest nicht
angebracht.
({1})
Mit dem nun geplanten Förderkonzept „Digitalisierung der deutschen Kinos“ schaffen wir es, unter Einbindung der Länder und der FFA mit aufeinander abgestimmten Fördermaßnahmen bis zu 80 Prozent der
Digitalisierungskosten für die kleinen und mittelständischen Kinos abzubilden. Das ist ein Vorhaben aus unserem Koalitionsvertrag, das wir damit umsetzen. Im Bundeshaushalt 2010 stehen dafür bereits 4 Millionen Euro
zur Verfügung.
Die Politik - wie wir vorhin gehört haben, ist die Zustimmung in diesem Haus breit verteilt - übernimmt mit
der heutigen Novelle und dem Förderkonzept Verantwortung für die Zukunftsfähigkeit der deutschen Kinound Filmwirtschaft. Wir verbinden damit die eindringliche Hoffnung und Erwartung, dass auch die großen
Kinoketten dieser Verantwortung wieder nachkommen.
({2})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun-
desregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Ände-
rung des Filmförderungsgesetzes. Der Ausschuss für
Kultur und Medien empfiehlt in seiner Beschlussemp-
fehlung auf Drucksache 17/1938, den Gesetzentwurf der
Bundesregierung auf Drucksache 17/1292 in der Aus-
schussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die
dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen
wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? -
Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist damit in zwei-
ter Beratung bei Enthaltung der Fraktion Die Linke und
Zustimmung der übrigen Fraktionen des Hauses ange-
nommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. -
Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetz-
entwurf ist mit den Stimmen der Unionsfraktion, der
SPD-Fraktion, der FDP-Fraktion und der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Fraktion Die
Linke angenommen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 29 a und 29 b auf:
a) Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten
Ulrich Kelber, Marco Bülow, Rolf Hempelmann,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Verlängerung von Restlaufzeiten von Atom-
kraftwerken - Auswirkungen auf die Entwick-
lung des Wettbewerbs auf dem Strommarkt
und auf den Ausbau der Erneuerbaren Ener-
gien
- Drucksache 17/832 -
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulrich
Kelber, Marco Bülow, Rolf Hempelmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Laufzeitverlängerung nicht mehr durchsetzbar - Energiekonzept neu justieren - Energiepolitische Bremse lösen
- Drucksache 17/1980 Vizepräsidentin Petra Pau
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. - Ich
höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege
Ulrich Kelber für die SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Schwarz-Gelb hat sich in eine atomare Wagenburg geflüchtet. Wenn sich die Anführer dieser schwarzgelben Truppe umsehen, sehen sie, dass sie ein kleines,
verlorenes Häuflein geworden sind. Um die Wagenburg
herum sind längst nicht mehr nur die Rothäute, die Indianer,
({0})
nein, auch die eigene Kavallerie ist schon auf der anderen Seite, und bei einem der eigenen Anführer, dem
Umweltminister, weiß man nie, ob er innerhalb oder außerhalb der Wagenburg ist. Das scheint sich im Stundenrhythmus zu ändern.
({1})
Wie damals bei Cowboys und Indianern sind auch hier
diejenigen in der Wagenburg die Friedensbrecher, die
Eindringlinge, die ihre eigenen Interessen brutal durchsetzen wollen.
Das Interessante ist: Seit Beginn der Diskussion haben sich die Warnungen an dieses schwarz-gelbe Häuflein in der Wagenburg massiv verstärkt. Allein schon die
Debatte über eine Verlängerung der Laufzeiten von
Atomkraftwerken und die Verzögerung der Entscheidungen führt zu einem Zusammenbruch der Investitionen.
Es sind Ihre eigenen Bürgermeister und Kommunalräte,
die Sie auffordern, diesen Unsinn zu unterlassen,
({2})
der Deutsche Städtetag mit einer CDU-Oberbürgermeisterin an der Spitze. Die kommunalen Stadtwerke machen
deutlich, welche Verluste es für Stadtwerke in Bürgerhand geben würde, wenn die Laufzeiten der Atomkraftwerke der großen Energiekonzerne verlängert würden.
All diese Warnungen aus der Praxis interessieren die
schwarz-gelbe Atomwagenburg nicht.
Vor der Zementierung der Monopole wird gewarnt.
Jeder weiß, was Monopole bedeuten: ungerechtfertigt
hohe Preise und geringe Innovationen. Gibt es Ihnen
nicht zu denken, dass die letzten drei Präsidenten des
Bundeskartellamts unisono vor der Verlängerung der
Laufzeiten warnen? Herr Böge warnt in einem Gutachten für die Stadtwerke. Der frühere Chef, Herr Heitzer,
warnt in seinem letzten Interview in diesem Amt vor einer Verlängerung der Laufzeiten, bevor er als Staatssekretär im Wirtschaftsministerium in diese Regierung
wechselt. Auch der aktuelle Präsident - er wurde auf
Ticket der FDP dorthin geschickt - warnt vor einer Verlängerung der Laufzeiten. Wenn Sie nicht auf die Opposition hören, dann hören Sie an dieser Stelle zumindest auf die eigenen Leute.
({3})
Vor einigen Wochen mussten Sie feststellen, dass aus
der Wagenburg wieder ein Wagen herausgebrochen
wurde, nämlich der nordrhein-westfälische Wagen. Statt
die Wagenburg zu öffnen, wurde sie noch kleiner zusammengefasst. Jetzt hat man sich entschieden: Wir umgehen die verlorene Bundesratsmehrheit, obwohl es einen
Brief der Ministerpräsidenten Koch und Oettinger gibt,
in dem steht, dass dies verfassungsrechtlich nicht möglich ist, obwohl das Umweltministerium ein Gutachten
des bisherigen Verfassungsgerichtspräsidenten Papier in
die Hand bekommen hat, in dem steht, dass das nicht
geht, obwohl BMI und BMJ als Verfassungsressorts
- sie haben sie geradezu gezwungen, Ihnen eine Stellungnahme zu liefern, in der steht, dass man ohne Bundesratszustimmung verlängern kann - zu dem Ergebnis
kommen, dass eine solche Entscheidung mit einem nicht
unerheblichen verfassungsrechtlichen Risiko verbunden
wäre.
Das heißt, Sie wollen bewusst die Verfassung brechen, um dann auf Zeit zu spielen. Sie hoffen, dass die
Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes nicht sofort fällt, sondern erst nach einigen Jahren. Ich sage Ihnen: Wir bekämpfen das politisch, wir engagieren uns in
der Zivilgesellschaft, die dagegen aufsteht, wir werden
dagegen klagen, und wir werden eine Eilentscheidung
des Bundesverfassungsgerichtes beantragen. Wir lassen
Ihnen das nicht durchgehen.
({4})
Herr Kauch, ich bin insbesondere verwundert, wie die
FDP im Widerspruch zu den eigenen Werten steht.
({5})
Warum schützen Sie einen Verfassungsbruch? Sie waren
einmal eine Rechtsstaatspartei. Warum schützen Sie die
zentrale Energieerzeugung, anstatt den Bürgerinnen und
Bürgern Freiheit mit dezentraler Energieerzeugung zurückzugeben? Warum schützen Sie Monopole, statt den
Wettbewerb zu fördern? Hören Sie denen zu, die Sie
warnen!
Die hohen Preise kann man ablesen. Ich habe mir die
Werte noch einmal besorgt. Allein die Gewinne der beiden größten Energiekonzerne betragen über 16 Milliarden im Jahr.
({6})
Das sind mehr als 200 Euro pro Bürgerin und Bürger.
Die beiden zusammen haben wohl mehr verdient als alle
anderen börsennotierten deutschen Unternehmen gemeinsam. Das ist die Größenordnung, in der diese Mo4860
nopole, deren Kraftwerke Sie jetzt über den bisherigen
gesetzlichen Rahmen hinaus verlängern wollen, übermäßige Preise von den Privathaushalten und unserer Wirtschaft - zulasten der Wettbewerber und zulasten der Verbraucherinnen und Verbraucher - verlangen.
Ich hoffe, dass Sie mit dem Atomausstieg endlich Ihren Frieden machen. Irgendwann muss man einsehen,
dass die Wagenburg so klein geworden ist, dass man
nicht mehr lange durchhalten kann. Jeder Tag, den Sie in
der Wagenburg verbringen, ist nicht nur ein parteitaktisches Problem für Schwarz-Gelb, sondern auch ein Problem für Deutschland; denn solange Sie auf dieser
Bremse stehen, wird nicht investiert. Selbst die Großen
wie RWE stellen andere Investitionen zurück. Die Stadtwerke schreiben Ihnen doch: Wir investieren nicht, bevor wir wissen, wie das Umfeld ist, und wir werden
nicht investieren, wenn Sie die Atomkraftwerkslaufzeiten verlängern. - Andere Länder investieren jetzt in
diese Zukunftstechnologien und beginnen, uns zu überholen. Aber Sie stehen in Sachen Technologieentwicklung auf der Bremse und sorgen so dafür, dass Deutschland seine Technologieführerschaft verliert. Das
erkennen immer mehr Menschen in unserer Gesellschaft.
({7})
Ich will Ihnen ein letztes Beispiel nennen. Auf meine
Initiative hin wurde in den Bonner Stadtrat der Antrag
eingebracht, die Abgeordneten der Region aufzufordern,
wegen der Verluste für die Städte nicht für eine Laufzeitverlängerung zu stimmen; zu den Abgeordneten in der
Region gehören neben mir unter anderem Norbert
Röttgen und Guido Westerwelle.
({8})
Über diesen Antrag wurde mit den Stimmen von SPD,
Grünen, Linkspartei und CDU Beschluss gefasst. Das
heißt, Sie werden Post von Ihren eigenen Leuten bekommen und aufgefordert, diesen Unsinn zu lassen.
({9})
Das Wort hat der Kollege Thomas Bareiß für die
Unionsfraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen!
Meine Herren! Lieber Herr Kelber, ich rate Ihnen, etwas
weniger Bonanza zu schauen und vielleicht einmal die
Realität anzuerkennen.
({0})
Wenn Sie heute Mittag wirklich ernsthaft die Frage
aufwerfen wollen, woran es liegt, dass wir in Deutschland weniger in die Energiewirtschaft investieren als
notwendig wäre, dann rate ich Ihnen: Fragen Sie Herrn
Trittin, warum er in NRW gegen eine der modernsten
KWK-Anlagen in Europa eintritt und sagt, Datteln muss
gestoppt werden. Fragen Sie 50Hertz, einen der Übertragungsnetzbetreiber in den neuen Ländern, warum das
Unternehmen beim dringend notwendigen Leitungsausbau in Thüringen nicht vorankommt.
({1})
Fragen Sie RWE und EnBW, warum sie es nicht schaffen, im Schwarzwald ein großes Projekt, das notwendig
ist, um die erneuerbaren Energien auszubauen, nämlich
das Schluchseeprojekt, das Pumpspeicherkraftwerk, voranzubringen. Es sind überall rot-grüne Allianzen, die
gegen diese Investitionen stimmen. Überall versuchen
Sie, diese Investitionen zu verhindern. Das ist das Problem, das wir in unserem Land haben.
({2})
Sie haben die Frage gestellt: Brauchen wir die Laufzeitverlängerung? Ich möchte ganz kurz grundsätzlich
auf diesen Punkt eingehen. Meine Damen und Herren,
das ist mir sehr ernst: Wir sind seit zwei Jahren in der
schlimmsten Finanz- und Wirtschaftskrise in der jüngsten Geschichte unseres Landes.
({3})
Diese Finanz- und Wirtschaftskrise hat einen Ursprung.
Im Kern ist sie eine Verschuldungskrise.
({4})
- Ein Hauptbestandteil der Finanzkrise ist die Verschuldungskrise.
Wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass weltweit ein
Großteil unseres Wachstums und unseres Wohlstands in
den letzten Jahren auf Schulden basierte. Die große Herausforderung der nächsten drei bis fünf Jahre wird sein,
unsere Wachstums- und Wohlstandsimpulse aus anderen
Motoren zu bekommen. Hier wird unter anderem die
Energiepolitik ein ganz zentraler Bestandteil sein. Ein
wesentlicher Punkt wird sein, dass wir die erneuerbaren
Energien ressourcenschonend und effizient ausbauen
({5})
und dass wir zu einer klimafreundlichen Energiepolitik
übergehen. Aber das schaffen wir nicht so schnell, wie
wir es bräuchten.
({6})
Die Kernfrage bei der Laufzeitverlängerung ist, ob
wir es schaffen, die Kernenergie bis 2022, wie Rot-Grün
beschlossen hat, durch erneuerbare Energien zu ersetzen.
Wir werden das bis 2022 nicht schaffen, weil wir enorme
Herausforderungen zu bewältigen haben; das müssen
auch Sie einmal anerkennen. Wir müssen das Netz ausbauen, und wir müssen Speichertechnologien aufbauen;
sonst werden wir die erneuerbaren Energien gar nicht ins
Netz integrieren können. Das sind die Themen, die wir
angehen müssen.
({7})
Wir müssen uns jetzt die Frage stellen, wie lange wir dafür brauchen, auch unter Berücksichtigung des Zieldreiecks, dass wir auch zukünftig saubere, günstige und sichere Energie bereitstellen.
Unter diesen Prämissen müssen wir schauen, wie wir
bis zu dem Zeitpunkt, an dem wir die Kernenergie durch
die erneuerbaren Energien ersetzen, diese Brücke gestalten können.
({8})
Über diese Frage werden wir in den nächsten Wochen
diskutieren. Es geht nicht um Zahlenspielereien, ob das
also noch 4, 8, 12 oder 16 Jahre dauert, sondern wir werden diese Frage in den nächsten Monaten fundiert und
sachgerecht beantworten.
({9})
Es wird dann auch darum gehen, wie wir die Bundesländer einbeziehen und wie wir vielleicht auch mehr Gewinne abschöpfen können, um in erneuerbare Energien
und auch in Netze zu investieren, und es wird auch um
die Sicherheit gehen. Über all diese Fragen werden wir
in den nächsten Wochen zielgerichtet diskutieren, und
wir werden sie beantworten, um relativ schnell zu einer
Entscheidung darüber zu kommen, wie lange wir die
Kernenergie noch brauchen.
Im Herbst werden wir uns dann mit den wirklich
wichtigen Themen beschäftigen, nämlich mit der Frage,
wie wir es schaffen, die Herausforderungen, die ich eben
beschrieben habe - Netzausbau, Speichertechnologien,
Gestaltung des Mix aus erneuerbaren Energien -, zu bewältigen. Diese Frage, über die wir hoffentlich sachgerecht mit Ihnen diskutieren können, werden wir in den
nächsten Monaten beantworten.
Insofern freue ich mich auf die Diskussion über den
zukünftigen Energiemix. Ich glaube, die Kernenergie
wird und muss dabei eine wichtige Rolle spielen, auch
über die nächsten zehn Jahre hinaus.
Herzlichen Dank.
({10})
Das Wort hat die Kollegin Dorothée Menzner für die
Fraktion Die Linke.
({0})
Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen!
Herr Kollege Bareiß, ich fürchte ja fast, dass Sie das,
was Sie hier erzählen, wirklich selber glauben.
({0})
Ich frage mich dann allerdings, wieso sich die Bundesregierung einen Sachverständigenrat für Umweltfragen
leistet,
({1})
der vor wenigen Wochen ein umfangreiches Gutachten
vorgelegt hat, wenn Sie noch nicht einmal dort hineinschauen, geschweige denn einmal darüber nachdenken.
Dieser Sachverständigenrat legt dezidiert klar, dass
eine Laufzeitverlängerung nicht notwendig, sondern
kontraproduktiv ist, und zwar sowohl ökologisch als
auch ökonomisch. Dieser Sachverständigenrat bestätigt
das, wofür die Mehrheit der Bevölkerung längst ist und
was sie fordert, nämlich den schnellstmöglichen Atomausstieg. Dieser ist sehr wohl unter Beibehaltung der
Energiesicherheit und unter Gewährung einer sicheren
Versorgung zu machen.
({2})
Wir haben nicht das Problem, dass die Grundlast
nicht erreicht werden könnte, wir haben vielmehr das
Problem, dass Sie immer noch in Richtung der Grundlast
denken und glauben, die Atomkraft sei bei dem Umfang,
den die erneuerbaren Energien inzwischen angenommen
haben, mit ihnen zu kombinieren.
({3})
Die Realität ist doch, dass Windanlagen und andere Anlagen für erneuerbare Energien inzwischen häufig abgeschaltet werden, weil zu viel Strom vorhanden ist. Atomkraftwerke sind dagegen - wir alle wissen das - nicht so
schnell und leicht regelbar.
({4})
Folglich besteht hier ein Systemkonflikt zwischen den
Anlagen für erneuerbare Energien und den Grundlastkraftwerken, die Sie weiterlaufen lassen wollen.
Ich komme noch einmal zu dem Märchen, Atomstrom
sei so billig. Natürlich ist die Erzeugung von Atomstrom
in alten, abgeschriebenen Kraftwerken, bei denen man
darauf verzichtet hat, sie auf die neuesten Sicherheitsstandards nachzurüsten, billig. Sie vergessen daneben
immer wieder, dass der Steuerzahler seit Jahrzehnten
Abermilliarden Euro für diese Hochrisikotechnologie
gezahlt hat.
175 Milliarden Euro an Subventionen sind in den
letzten Jahren für die Atomenergie geflossen. Das sind
über 2 000 Euro je Bürger, vom Baby bis zum Greis.
Hierbei ist zum Beispiel das, was uns das Desaster der
Asse kosten wird, noch gar nicht eingerechnet. Das ist
also überhaupt nicht billig für die Bürgerinnen und Bürger, von den Unsicherheiten und Gefahren einmal ganz
zu schweigen.
({5})
In den 17 Reaktoren sind in den letzten Jahren im
Schnitt 140 meldepflichtige Ereignisse und Störfälle aufgetreten. Je älter ein Reaktor ist, desto mehr Risiken gibt
es; das ist nachgewiesen. Bei einer Laufzeit von über
20 Jahren steigt die Kurve exponentiell.
Es wird auch immer wieder das Märchen erzählt, wir
bräuchten die Atomkraft, weil wir CO2 sparen und angesichts des Klimawandels dort aktiv werden müssten.
Wenn man die Gesamtbilanz berücksichtigt und die Gewinnung und den Transport der benötigten Rohstoffe mit
einbezieht, dann hat ein Atomkraftwerk eine schlechtere
CO2-Bilanz als jedes fossile Erdgas-Blockheizkraftwerk.
({6})
- Nein, das sind ganz normale Grundrechenarten.
({7})
Ich werde Sie an dieser Stelle nicht noch einmal auf
die Gefahrenpotenziale im laufenden Betrieb hinweisen.
Ich werde auch nicht über die Gefahren der Endlagerung
sprechen, auch wenn wir das immer wieder ausgiebig
tun müssen. Aber jede Bürgerin und jeder Bürger weiß
genau, mit welchen Gefahren die Endlagerung verbunden ist. Es zeigt sich tagtäglich im Asse-Untersuchungsausschuss, welche Desaster mit ungewissem Ausgang
und vor allem mit ungewissen Kosten dadurch verursacht werden.
Eine Laufzeitverlängerung ist nicht nur ökologisch
Schwachsinn, sondern auch ökonomisch. Sie behindert
den Ausbau erneuerbarer Energien und ist eine Rolle
rückwärts.
Sie können gerne Politik gegen die Mehrheit der Bevölkerung machen. Das machen Sie in vielen Bereichen.
Aber ich prophezeie Ihnen, das wird Ihnen nicht besonders gut bekommen. Das, was wir in den letzten Wochen
und Monaten in Berlin oder mit der Menschenkette erlebt haben, war nur ein sanfter Auftakt. Das können wir
gerne weiterführen, und das werden die Menschen auch
weiterführen; denn sie lassen sich nicht für dumm verkaufen.
({8})
Von daher unterstützen wir den SPD-Antrag. Wir hätten ihn gerne im Ausschuss noch etwas ausführlicher beraten, aber es ist auch in Ordnung, wenn Sie ihn heute
zur Abstimmung stellen wollen. Ich gebe aber die Hoffnung nicht auf, dass auch die Kolleginnen und Kollegen
der Union und der FDP noch dazulernen. Von daher
wäre die Debatte hilfreich gewesen. Zumindest zum
Thema Biosprit als Ersatz für fossile Brennstoffe hätten
wir noch Diskussionsbedarf. Dennoch werden wir zustimmen.
({9})
Lassen Sie mich aber noch eine Bemerkung machen.
Sosehr ich Ihre Forderung unterstütze, die Gewinne der
AKW-Betreiber abzuschöpfen, müssen Sie doch die
Frage erlauben, warum das nicht schon in den elf Jahren
Ihrer Regierungszeit passiert ist.
Ich danke.
({10})
Das Wort hat der Kollege Michael Kauch für die
FDP-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Diese
Koalition will den Weg in das regenerative Zeitalter gehen,
({0})
und wir werden diesen Weg auch gehen. Ich glaube, dass
es möglich ist, bis zum Jahr 2050 tatsächlich zu einer
Vollversorgung mit erneuerbaren Energien zu kommen.
Aber: Bis 2050 ist es noch 40 Jahre hin. Wir müssen uns
überlegen, wie wir in der Zwischenzeit die Energieversorgung sichern können. Darauf gibt die Opposition
keine Antwort, und wenn ein Vorschlag kommt wie von
den Grünen, dann der, als Puffer noch ein paar Gaskraftwerke zu bauen. Damit machen wir uns weiter von Russland abhängig. Das ist keine verantwortbare Energiepolitik.
({1})
Auch die SPD sollte sich zurückhalten. Sie haben es
in elf Jahren Regierungszeit nicht geschafft, ein Energiekonzept vorzulegen,
({2})
und jetzt wollen Sie uns sozusagen in der Endphase des
Erstellens unserer Energiekonzeption Vorgaben machen,
wie wir das Energiekonzept ausgestalten und rechnen
lassen sollen. Wir als Koalition haben den Auftrag gegeben, verschiedene Varianten, beispielsweise mit mehr
oder weniger Atomenergie, berechnen zu lassen.
({3})
Dann werden wir sehen, was das für die Versorgungssicherheit bedeutet und welche Kosten für die Bürgerinnen und Bürger entstehen.
({4})
Uns geht es darum, einen Weg in das regenerative
Zeitalter zu finden, durch den wir die Bürgerinnen und
Bürger mit sicherer und bezahlbarer Energie versorgen
und dabei die Klimaschutzziele erfüllen. Das wird dieses
Energieprogramm leisten.
({5})
Meine Damen und Herren von der SPD, wir brauchen
keine Nachhilfe zur Verfassungsmäßigkeit. Unsere Justizministerin, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, steht
für die Verfassung. Sie wird dafür sorgen, dass es in dieser Frage eine verfassungsfeste Lösung geben wird, Herr
Kelber.
({6})
Die Regierungsentscheidung, auf welchem Wege und
ob eine Lösung mit oder ohne Zustimmung des Bundesrates herbeigeführt wird, ist noch nicht gefallen. Das
Gutachten zeigt auf, dass eine maßvolle Laufzeitverlängerung eine Möglichkeit ist.
({7})
Es ist die Frage, was eine maßvolle Erhöhung der Laufzeiten ist. Die Bundesjustizministerin wird dafür sorgen,
dass dieses Gesetz verfassungsfest sein wird. Im Gegensatz zu Ihnen werden wir nicht ein Scheitern vor dem
Bundesverfassungsgericht in Kauf nehmen.
({8})
Bei der Pendlerpauschale, bei den Hartz-IV-Sätzen für
Kinder und als Sie Passagierflugzeuge abschießen lassen
wollten, haben Sie die Verfassung gebrochen. Das hat
das Bundesverfassungsgericht Ihnen bescheinigt.
({9})
Wir raten der Bundesregierung, die Koalitionsfraktionen
frühzeitig in die Entscheidung zur Laufzeitverlängerung
einzubeziehen. Es geht um die Dauer der Laufzeitverlängerung sowie zusätzliche Sicherheitsanforderungen.
Genauso deutlich, wie Herr Bareiß es getan hat, sage
ich: Die Brennelementesteuer leistet einen Beitrag zur
Sanierung des Haushalts. Das ist die Begründung, mit
der sie im Kabinett beschlossen wurde. Sie kann allerdings nicht das letzte Wort zur Abschöpfung der Gewinne sein. Wir stehen dazu, dass die erneuerbaren
Energien Mittel aus diesem Bereich bekommen müssen.
All diese Fragen müssen im Zusammenhang mit dem
Energiekonzept entschieden werden.
Vielen Dank.
({10})
Das Wort hat die Kollegin Sylvia Kotting-Uhl für die
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Präsidentin!
Laufzeitverlängerungen sind schlecht für den Ausbau
der erneuerbaren Energien und der Kraft-Wärme-Kopplung, für die Entwicklung fairer Wettbewerbsbedingungen, für die Dezentralisierung der Stromversorgung und
für die Sicherheit vor Atomunfällen und Störfällen, deren Risiko mit dem Alter der Atomanlagen steigt.
Gut sind sie für die Taschen der Konzerne. Vielleicht
sind sie auch gut für das Klima innerhalb der Koalition
oder zumindest der Union. Schlecht sind sie für das
Klima im eigentlichen Wortsinn, weil sie den Umbau zu
einer nachhaltigen, effizienten Energieversorgung aufhalten.
({0})
Herr Kauch, vom Ziel her denken ist die Maßgabe,
die nicht nur die Bundeskanzlerin immer vorgibt, sondern die uns auch alle Wissenschaftler vorgeben, wenn
es um Energie und Klimaschutz geht. Das bedeutet, eben
keine falschen Wege einzuschlagen. Das hat uns das
letzte Gutachten des SRU noch einmal eindringlich vor
Augen geführt.
Ich war immer der Meinung, der Kalte Krieg sei vorüber. Wer von uns hat eigentlich jahrzehntelang geschlafen? Deshalb erscheint mir die immer wieder beschworene Abhängigkeit von Russland als deutlich weniger
gespenstisch als die Abhängigkeit von einer Risikotechnologie und die unendliche Vermehrung des Atommülls
bei einer völlig ungelösten Endlagerungsfrage.
({1})
- Uran kommt übrigens - völlig richtig; danke schön,
mein Fraktionsvorsitzender - zum großen Teil auch aus
Russland.
({2})
- Habe ich einen Fehler gemacht?
({3})
Die Redezeit ist knapp. - Zum Thema: Wir haben
heute bereits 5 800 Tonnen hochradioaktiven Atommüll.
4 800 Tonnen werden bis zum Ende des Atomausstiegs
dazukommen. Die bis zum Ende des Atomausstiegs prognostizierte Menge werden Sie bei einer Laufzeitverlänge4864
rung um 28 Jahre, die immer noch als Wunsch bei Ihnen
herumgeistert, verdoppeln, und das bei einer ungelösten
Frage der Endlagerung und einer dadurch provozierten
ungelösten Frage der Zwischenlagerung. Denn die Zwischenlagerkapazitäten reichen schon bei einer Laufzeitverlängerung um zehn Jahre nicht aus; das müssten Sie eigentlich wissen.
Nach der Vermehrung des Atommülls will ich noch
zur Vermehrung der Konzerngewinne kommen. Auch
das ist nicht ganz unwichtig.
({4})
Die Landesbank Baden-Württemberg - die BadenWürttemberger sind immer sehr interessiert am Rechnen;
ich komme auch aus Baden-Württemberg - hat ausgerechnet, dass bei einer Laufzeitverlängerung um 10 Jahre
76 Milliarden Euro zusätzliche Gewinne bei den Konzernen anfallen. Bei 25 Jahren sind es 201 Milliarden Euro
zusätzliche Gewinne. Sie haben sich überlegt, wie Sie einen Teil davon bekommen können; das haben Sie bereits
im Koalitionsvertrag so festgelegt.
Die Landesbank Baden-Württemberg hat das übrigens deshalb ausrechnen lassen, weil sie ihren Kunden
empfehlen möchte, Aktien von EVU zu erwerben, weil
bei Laufzeitverlängerungen hohe Renditen zu erwarten
sind. Sie rechnen also völlig richtig. Es gibt Geld, und
die entscheidende Frage lautet: Wie kommt man daran?
Nun ist Ihnen die Brennelementesteuer eingefallen.
Diese wurde schon von anderen ins Spiel gebracht, wenn
auch aus anderen Gründen. Inzwischen gibt es wunderbare neue Entwicklungen. Das Handelsblatt berichtet
heute - ich zitiere -:
Im Kampf gegen die geplante Brennelementesteuer
sehen sich die Kernkraftwerksbetreiber gut gerüstet. Sie verweisen auf die Atomausstiegsvereinbarung, die die rot-grüne Bundesregierung im Juni
2000 mit den Unternehmen geschlossen hat.
({5})
Aus ihrer Sicht schließt sie eine Besteuerung der
Brennelemente aus. Branchenmanager sagten dem
Handelsblatt, man werde notfalls gegen die Einführung der Steuer klagen.
({6})
Das muss man sich wirklich auf der Zunge zergehen
lassen: Diejenigen, die seit der erhofften Übernahme der
Bundesregierung durch Sie nichts anderes zu tun haben,
als den Atomkonsens mit allen Mitteln, die ihnen zur
Verfügung stehen, zu brechen, berufen sich nun auf den
Atomkonsens. Dazu kann ich nur sagen: Wunderbar!
Welcome! Endlich erkannt, dass der Atomkonsens sein
Gutes hat!
Ich will Ihnen unsere Position zu einer Brennelementesteuer darlegen. Selbstverständlich haben Sie recht,
wenn Sie behaupten, dass diese Steuer nicht in Zusammenhang mit einer Laufzeitverlängerung steht.
({7})
Wer käme auch auf eine solche Idee? Das steht ja nur im
Koalitionsvertrag, der, wie wir wissen, in weiten Teilen
nicht mehr gültig ist. Eine Brennelementesteuer ist sicherlich richtig und hat in der Tat nichts mit einer Laufzeitverlängerung zu tun. Eine solche Steuer dient dazu,
die immensen volkswirtschaftlichen Gewinne, die die
Atomkraftwerksbetreiber inzwischen angehäuft haben,
abzuschöpfen. Das muss der Sinn einer Brennelementesteuer sein.
({8})
Frau Präsidentin, Herr Kauch meldet sich zu einer
Zwischenfrage. Zu spät?
Richtig, zu spät. Beachten Sie bitte das Signal an Ihrem Rednerpult! Ihre Redezeit ist abgelaufen.
Dann müssen Sie mich an anderer Stelle fragen, Herr
Kauch. Ich werde Ihnen gerne antworten.
Ich hoffe, dass Sie alle Warnungen, die Sie sowohl
von Ihren eigenen Gutachtern als auch aus allen anderen
Kreisen bekommen, ernst nehmen, dass Sie realisieren,
dass niemand in der Bevölkerung - außer Ihren Konzernfreunden - eine Laufzeitverlängerung will, und dass
Sie endlich richtig reagieren.
({0})
Zu einer Kurzintervention hat der Kollege Kauch das
Wort.
Frau Kollegin, Sie haben gesagt, dass im Koalitionsvertrag die Einführung einer Brennelementesteuer zur
Abschöpfung der Gewinne vorgesehen sei. Ich möchte
Sie darauf hinweisen, dass diese Aussage falsch ist. Im
Koalitionsvertrag steht, dass wir die Gewinne bei einer
Laufzeitverlängerung abschöpfen wollen. Unabhängig
von dieser Frage hat das Kabinett die Einführung einer
Brennelementesteuer im Zusammenhang mit dem Sparpaket beschlossen.
Ich möchte Sie ausdrücklich darauf hinweisen, dass
die Grünen in sieben Jahren Regierungszeit die anfallenden Gewinne der Atomwirtschaft - um in Ihrem Sprachduktus zu bleiben - nicht mit einer Brennelementesteuer
abgeschöpft haben. Wir haben im Koalitionsvertrag vereinbart, dass beispielsweise die Kosten der Asse-Sanierung von den Kernkraftwerksbetreibern mitzutragen
sind. Genau das ist unter anderem die Begründung für
die Brennelementesteuer, die das Kabinett beschlossen
hat. Es sind deshalb nicht unsere „Freunde in den Konzernen“. Vielmehr haben Sie - die SPD elf Jahre und die
Grünen sieben Jahre - deren Gewinne geschützt; denn
Sie haben diese Gewinne zum Beispiel dadurch produziert, dass man im Emissionshandel erst sehr spät zu
Versteigerungen übergegangen ist und dass dann Emissionsrechte dort eingepreist wurden, wo es - beispielsweise für die Kernkraftwerke - gar keine einzupreisen
gab.
({0})
Es ist diese Koalition - und nicht die jetzigen Oppositionsfraktionen -, die an die Zusatzgewinne der Unternehmen herangeht, die diese auf Kosten der Stromverbraucherinnen und -verbraucher erzielt haben.
({1})
Herr Kauch, die Vorgaben der EU kennen Sie als erklärter Europäer sicherlich mindestens genauso gut wie
ich; diese muss ich also jetzt nicht erklären. Natürlich ist
in Ihrem Koalitionsvertrag nicht von einer Brennelementesteuer die Rede. Ihr Denken war damals weit entfernt
von einem solchen Begriff. Aber Sie haben gesagt: Die
Zusatzgewinne sollen abgeschöpft werden. Richtig! Abgeschöpft werden sollen diejenigen Gewinne, die durch
die Laufzeitverlängerung zusätzlich erzielt werden.
Selbstverständlich hat Rot-Grün keine „Zusatzgewinne“ abgeschöpft; schließlich war von einer Laufzeitverlängerung überhaupt nicht die Rede. Ich darf daran
erinnern: Wir wollten die Laufzeiten nicht verlängern.
Wir wollen das auch heute nicht, und wir werden gemeinsam in diesem Haus gegen eine Laufzeitverlängerung eintreten. Ich gebe Ihnen Brief und Siegel darauf,
dass Sie mit Ihrer Absicht, die Laufzeiten zu verlängern,
nicht durchkommen.
({0})
Die Notwendigkeit der Einführung einer Brennelementesteuer ergibt sich für mich daraus - ich sage es Ihnen noch einmal -, dass die Atomwirtschaft auch in den
letzten zehn Jahren bis heute - Stichworte: Morsleben,
Asse, Wiederaufbereitungsanlage Karlsruhe; es gab auch
andere enorme Kostensteigerungen - immense Schulden
bei der Bevölkerung aufgehäuft hat. Damit diese Schulden nicht von den Steuerzahlerinnen und Steuerzahlern,
sondern von den eigentlichen Verursachern getilgt werden, wollen wir die Brennelementesteuer. Sie haben
richtig benannt: Es geht darum, die Privilegien der
Atomwirtschaft und ihre durch den CO2-Emissionshandel erzielten ungerechtfertigten Gewinne abzuschöpfen.
({1})
Das hat aber überhaupt nichts mit den Laufzeitverlängerungen zu tun.
Dass Sie gestern auf die Idee kamen, jeglichen Zusammenhang zu bestreiten, das mag Ihnen glauben, wer
will. Ich tue es, mit Verlaub, Herr Kauch, nicht.
({2})
Für die Unionsfraktion hat nun der Kollege Franz
Obermeier das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Wir
müssen uns darauf einstellen, dass uns in der vor uns liegenden Zeit jede Woche irgendein Antrag aus der rotgrünen Ecke vorgelegt wird, der sich mit dem Thema
Laufzeitverlängerung auseinandersetzt.
({0})
Die gesamte Debatte, auch die erste Halbzeit dieser Aussprache, wird mit wenig faktenreichen und nur mit ideologischen, nicht sachgerechten Argumenten geführt.
({1})
Ich möchte Beweise dafür liefern, dass die SPD im
Prinzip völlig unfähig ist, die Probleme unseres Landes
in der Stromversorgung von der Priorität her richtig einzuordnen. Wenn wir gemeinsam das Ziel verfolgen wollen, in den nächsten Jahren die erneuerbaren Energien
vernünftig voranzubringen, dann wäre es wesentlich
spannender, darüber zu debattieren, wie wir die Probleme in unserem Land, die sich aus dem Zusammenwirken der erneuerbaren Energien insgesamt ergeben,
lösen. Wir alle miteinander haben in den zurückliegenden Jahren den Fehler gemacht, dass wir die Volatilität
wesentlicher Formen der erneuerbaren Stromerzeugung
viel zu wenig gewürdigt haben.
({2})
Jetzt haben wir das Problem, dass wir bei der Forschung und bei den Methoden hinsichtlich moderner und
effizienter Speichertechnologien weit hintenanstehen
und dass wir Jahre brauchen, um unsere Probleme so zu
lösen, dass wir die erneuerbaren Energien in ihrer Volatilität an die Grundlast heranführen können.
({3})
Das einzig Sinnvolle im SPD-Antrag ist die Behandlung der Frage - sie wurde im Übrigen bis jetzt noch gar
nicht diskutiert; schließlich ist sie für Sie als Linke unbedeutend -,
({4})
wie wir im Falle einer Laufzeitverlängerung Wettbewerbsverzerrungen für die anderen Betreiber im Hinblick auf Mittel- und Grundlast vermeiden können.
({5})
Jetzt komme ich darauf zu sprechen, dass wir mit den
Atomstromerzeugern darüber verhandeln müssen, wie
wir die sich aus einer Laufzeitverlängerung ergebenden
Vorteile so nutzen können, dass auf der einen Seite keine
Nachteile für die sonstigen Produzenten entstehen und
dass auf der anderen Seite eine vernünftige und zu rechtfertigende Abschöpfung des zusätzlichen Gewinns erfolgt, ohne dass es zu erhöhten Strompreisen kommt.
({6})
Liebe Koleginnen und Kollegen, der von SPD und
Grünen immer wieder erhobene Vorwurf, dass wir der
Stromwirtschaft mit der Laufzeitverlängerung den Zugang zu den erneuerbaren Energien erschweren, geht
völlig an der Sache vorbei.
({7})
Wir haben die erneuerbaren Energien bis zum heutigen
Tag nicht dem Markt und Wettbewerb ausgesetzt. Sie
sind Markt und Wettbewerb nicht unterworfen. Wir haben per Gesetz die Preise festgelegt, und wir haben per
Gesetz festgelegt, dass es einen Einspeisezwang für erneuerbare Energien gibt. Wer hier mit Blick auf herkömmliche Stromerzeugungsarten von Wettbewerbsverzerrung spricht, betreibt pure Volksverdummung.
({8})
Die Leute müssen wissen: Auch die christlich-liberale
Regierung will es dabei belassen, dass die Stromerzeugungsformen auf der Basis erneuerbarer Energien den
Vorzug des Einspeisevorrangs behalten, bis wir sie an
die Marktfähigkeit herangeführt haben.
({9})
Jetzt reden wir noch über die Preisgestaltung. Der beschleunigte Ausbau der erneuerbaren Energien wird
auch dazu führen - darüber müssen wir alle uns im Klaren sein -, dass der Preisaufschlag auf den Strom durch
die erneuerbaren Energien, der bis jetzt einigermaßen
marginal war, für die kleinen Haushalte eher zu vernachlässigen war, in den nächsten Jahren in eine Größenordnung kommt, die wir beachten müssen, insbesondere für
die mittelständische Wirtschaft.
Ich habe das einmal ein bisschen nachgerechnet. Wir
werden im laufenden Jahr beim Aufschlag in die Größenordnung von 2 Cent für die Kilowattstunde kommen.
Im Laufe der nächsten paar Jahre wird es zu einem Aufschlag von 3 Cent kommen.
({10})
Das ist der Zuschlag, zu dem es kommen wird, wenn wir
den Ausbau wie geplant weiterbetreiben.
Jetzt bitte ich Sie, zu bedenken, dass das für unsere
mittelständische Wirtschaft, die auch Strom verbraucht
- da gibt es Branchen, die viel Strom verbrauchen -, zu
einer Größenordnung wird, die uns zu Reaktionen veranlassen könnte; ich bin da noch recht vorsichtig. Es wird
eine relevante Größe werden, und dann müssen wir uns
überlegen, wie wir Wettbewerbsnachteile, beispielsweise in der Nahrungsmittelindustrie, ausgleichen können.
Ich rate uns allen, dass wir die Diskussion über die
Frage, wie wir die Stromwirtschaft gesetzlich begleiten,
sachlicher führen als in den zurückliegenden Wochen
und Monaten und dass wir alles im Auge haben, auch die
berechtigten Sorgen der Kernkraftgegner; denn das ist
geboten und angezeigt. Wir von der christlich-liberalen
Koalition jedenfalls werden alles tun, dass wir diese Diskussion auf sachlicher Ebene führen können.
Herzlichen Dank.
({11})
Das Wort hat der Kollege Marco Bülow für die SPDFraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren!
„Die Laufzeitverlängerung als Brücke ins Solarzeitalter“, so titeln Sie. Aber die Brücke ist eine Krücke, nämlich eine Krücke, um die alte Atompolitik noch irgendwie zu rechtfertigen, ihr irgendeinen modernen Touch zu
geben, um an ihr festhalten zu können. Das ist es: keine
Brücke, sondern eindeutig eine Krücke.
({0})
Genau diese Krücke sollten wir uns einmal anschauen. Es wird ja immer gesagt: Wenn die Atomkraftwerke jetzt nacheinander abgeschaltet werden müssen,
gehen bei uns die Lichter aus. Es wird von der sogenannten Stromlücke gesprochen. Schauen wir uns doch einmal an, wie viel Strom die AKWs überhaupt produzieren!
Die sieben ältesten AKWs haben in den letzten vier
Jahren zusammen 6,9 Prozent unseres Stroms produziert; im Jahr 2007 waren es sogar nur 4,8 Prozent, weil
eine Vielzahl der Atomreaktoren gar nicht in Betrieb
war, weil AKWs wegen Pannen abgeschaltet worden
waren. Sie tragen also nicht zu einer sicheren Versorgung bei, sondern bringen nur 4,8 Prozent. Das ist exakt
die Menge an Strom, die wir schon heute, ohne den Zubau von erneuerbaren Energien, ohne weitere Effizienzgewinne, exportieren. Diese Atomkraftwerke gehören
endlich abgeschaltet!
({1})
In der Diskussion wird als zweites Argument angebracht: Die Erneuerbaren sind noch nicht so weit. Wir
brauchen noch viel Zeit, damit die Erneuerbaren in den
Markt integriert werden. - Herr Obermeier, Sie haben
gerade dazu Stellung genommen. Ich frage mich nur,
warum die CDU/CSU seit Jahren blockiert hat, dass die
Markt- und Netzintegration eingeführt wird. Warum sind
Sie überhaupt erst in den letzten Jahren auf den Zug aufgesprungen und haben gesagt: „Das EEG bzw. die Erneuerbaren sind der richtige Weg“? Wenn wir die Diskussion vor zehn Jahren geführt hätten, wären wir mit
der Markt- und Netzintegration schon deutlich weiter.
({2})
Wir als SPD-Fraktion sprechen nicht nur über den Ersatz durch Erneuerbare, sondern auch darüber, dass wir
die Effizienz steigern müssen. In Bezug auf Effizienz haben wir vier Jahre mit Ihren Wirtschaftsministern - es
waren zwei - gerungen, dass überhaupt einmal ein Effizienzgesetz auf den Tisch gelegt wurde, das diesen
Namen überhaupt verdient. Es gab da kein bisschen Effizienz.
In Ihrem neuen Koalitionsvertrag ist das Wort „KraftWärme-Kopplung“ noch nicht einmal enthalten. Auch
das ist ein Symptom, das deutlich macht, dass wir die
Lücke füllen können, die durch fehlende Atomkraftwerke entstehen würde. Das wird sehr, sehr schnell gehen. Man muss nur die richtigen Maßstäbe setzen.
({3})
Als ich anfing, mich mit den Erneuerbaren zu beschäftigen - daran kann ich mich gut erinnern, ich war
damals noch nicht im Bundestag -, hatte ich eine Diskussion mit einem Landtagsabgeordneten der FDP, einem Vertreter der großen Stromkonzerne sowie einem
Kommunalpolitiker der CDU. Die waren alle 20 oder
30 Jahre älter als ich. Sie haben mich ausgelacht, als ich
sagte, man könne mit den Erneuerbaren die Strommenge
in einigen Jahren verdoppeln und ihren Anteil deutlich
über 10 Prozent bringen. Sie alle haben mir mit der
Weisheit ihres Alters erklärt: Das wird niemals gelingen,
technisch ist es überhaupt nicht möglich, die Erneuerbaren über 10 Prozent zu bringen.
Heute haben wir einen Anteil von über 16 Prozent.
Mittlerweile lacht niemand mehr darüber. Jetzt versuchen Sie, neue Ausreden zu finden, warum wir die
Atomenergie noch brauchen und Erneuerbare auf die
lange Bank schieben sollten. Das ist die Realität. Außerdem manifestiert und festigt das Weiterlaufen der Atomkraftwerke - Herr Kelber hat das schon angesprochen die Monopolstruktur. Gerade der Städtetag bzw. viele
Kommunen und kommunale Versorger regen sich darüber auf, dass die Atomkraftwerkslaufzeit verlängert
werden soll. Sie wollten nämlich in kleinere, effizientere
Kraftwerke bzw. in erneuerbare Energien investieren.
Diese Investitionen werden jetzt nicht stattfinden. Und
genau das verhindert den Ausbau der erneuerbaren Energien. Deswegen passt es nicht zusammen, zu sagen: Wir
wollen die Laufzeitverlängerung, aber trotzdem die Erneuerbaren fördern. Beides geht nicht.
({4})
Es wäre wenigstens ehrlich, wenn Sie sagen würden:
Das ist keine Brücke für uns, sondern für uns ist die
Atomenergie die wichtigste Energiequelle. Dann könnten wir uns wenigstens auseinandersetzen. Sie tun immer
so, als ob Sie irgendwie noch für Atomenergie sind, aber
nur noch während einer Übergangszeit. In Wirklichkeit
sind Sie weiter große Freunde der Atomenergie. Es liegt
auf der Hand, warum. Denn jedes Atomkraftwerk, das
abgeschrieben ist, bringt täglich 1 Million Euro. Bei
17 Atomkraftwerken bedeutet das über 6 Milliarden
Euro Reingewinn im Jahr. Damit ist klar, warum Sie
aufseiten der Lobby stehen und mit aller Macht versuchen, eine Verlängerung zu erreichen, obwohl der größte
Teil der Bevölkerung dagegen ist.
Dass Sie jetzt mit dem Pflaster Brennelementesteuer
kommen - das ist unsere Idee, die Sie kopiert haben; wir
wollten sie aber einführen, ohne dass die Laufzeiten verlängert werden -, wird im Endeffekt nicht viel ändern.
Vor allen Dingen deshalb wird sich nicht viel ändern,
weil Sie - das habe ich jetzt gehört, Herr Kauch - das
Geld für den Haushalt benutzen und nicht für erneuerbare Energien einspeisen wollen. Insofern frage ich
mich, wo das Geld herkommen soll, mit dem die Erneuerbaren gefördert werden sollen.
Zum Schluss: Wir brauchen keine Krücke, sondern
eine solide und starke Brücke ins Solarzeitalter. Dazu
gehört, aus der Atomenergie auszusteigen, die fossilen
Kraftwerke langsam zurückzufahren und vor allem die
Erneuerbaren massiv auszubauen und die Energieeffizienz zu steigern. Das ist die Brücke, die wir brauchen,
und daran sollten wir gemeinsam arbeiten.
Danke schön.
({5})
Der Kollege Klaus Breil hat für die FDP-Fraktion das
Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Das Heraufsteigen einer Leiter geht nur Stufe um
Stufe, so sagt es ein Sprichwort. Sie hingegen wollen aus
dem Stand auf die oberste Sprosse springen. Dieser
Sprung wird - ebenso wie Ihre Forderungen - ins Leere
gehen.
Zu Ihrer Forderung 3 Prozent mehr Energieproduktivität pro Jahr von 1990 bis 2020. Schon 20 dieser
30 Jahre sind ohne große Erfolge vorbei. 11 Jahre davon
hat die SPD regiert. Erreicht hat sie nur einen Bruchteil.
Jetzt sollen wir in 10 Jahren alles richten. Ich danke für
Ihr Vertrauen; denn Sie wissen, dass nur wir das geregelt
bekommen.
({0})
Bis 2020 sollen 35 Prozent des Stroms aus erneuerbaren Energien erzeugt werden. Ihr früherer Umweltminister Gabriel hat immer 30 Prozent vorgegeben. Es ist ein
typischer Oppositionsreflex: Bei den anderen darf es immer etwas mehr sein. So gehen Sie in Ihrem Antrag vor.
Im Vergleich zu Ihren Meseberg-Beschlüssen aus der
Regierungszeit wird immer etwas draufgesattelt. Das
hört sich gut an, ist aber fern der Realität. Für Sie scheint
Deutschland eine Insel, eingebettet in ein Meer der energetischen Glückseligkeit, zu sein. Sie meinen, Deutschland müsse bei dem bedingungslosen Ausstieg vorangehen, egal was der Rest der Welt macht.
({1})
Aus meiner Sicht ist das gefährlich. Historisch sind wir
mit solchen Ansichten nie gut gefahren. Tatsachen scheinen Sie zudem völlig auszublenden: 129 Kernkraftwerke
werden um Deutschland herum betrieben, 25 weitere
sind im Bau.
({2})
Weltweit sind derzeit 438 Kernkraftwerke in Betrieb. In
absehbarer Zeit werden es über 600 sein,
({3})
nur nicht in Deutschland, wenn es nach Ihnen ginge. Es
mag klappen, bei der Energieerzeugung bis 2050 auf
100 Prozent erneuerbare Energien zu kommen. Aber wir
brauchen verantwortbare Übergangsszenarien. Die
Kernkraft ist eine CO2-freie und kostengünstige Brücke
zu den erneuerbaren Energien in der Übergangszeit.
({4})
Um die Brückenfunktion zu erreichen, müssen aber einige Anforderungen erfüllt werden, um zu 100 Prozent
erneuerbare Energien zu kommen.
Sie verschweigen vor allem zwei Pferdefüße: Sie setzen ein funktionierendes und intelligentes Stromnetz voraus. Doch dies benötigt europaweit Investitionen von
circa 1 000 Milliarden Dollar allein bis zum Jahr 2020,
so die Zahlen der Internationalen Energie-Agentur. Deshalb brauchen wir ein klares Bekenntnis zu einem massiven Netzausbau, und dies sowohl qualitativ als auch
quantitativ.
({5})
Sie ignorieren, dass die vorausgesetzten Speichermöglichkeiten für Strom bisher nur als Utopie existieren.
Deshalb brauchen wir eine nationale Offensive für die
Speicherforschung.
({6})
Denn der Sachverständigenrat für Umweltfragen, auf
den Sie sich beziehen, rechnet sich einiges schön: Man
könne in Deutschland unter Zuhilfenahme von Druckluftspeichern zu jeder Stunde des Jahres die Stromnachfrage decken, und das, ohne auch nur eine Kilowattstunde Strom zu importieren. Der Sachverständigenrat
setzt dabei in seinen Darstellungen Druckluftspeicherkapazitäten von 32 bzw. 37 Gigawatt in Deutschland als
gegeben voraus. Darstellbar ist das derzeit nicht, glaubwürdig noch weniger. Denn der einzige in Deutschland
existierende Druckluftspeicher hat eine Leistung von
0,3 Gigawatt, also von gerade einmal 1 Prozent des geforderten Volumens.
({7})
- Hören Sie zu. - So schreibt das Gutachten wörtlich:
Die bisher in Deutschland vorhandenen Druckluftspeicherkapazitäten sind damit im Vergleich zum
erforderlichen Speicherbedarf in der Größenordnung von Terawattstunden praktisch unbedeutend.
Wir hingegen erarbeiten ein Energiekonzept, das
mehr ist als ein Wunschzettel zum Klimaschutz. Unser
Konzept hat die ökonomischen Wirkungen verschiedener Handlungsoptionen fest im Blick und macht diese
berechenbar.
({8})
Wir hängen Preisschilder an unsere politischen Ziele. Jeder soll wissen, was ihn erwartet. Deshalb beziehen wir
Atomenergie in unsere Rechnungen mit ein. Das fordert
die Verantwortung, das verlangt die Vernunft.
({9})
Vernunft ist im Übrigen ein Aspekt, der mir in dieser
Diskussion bei Ihnen am meisten fehlt. Vernünftig wäre
es von Ihnen, allen Bürgern zu sagen, was sie ein starres
Festhalten am Atomausstieg kosten wird.
Vielen Dank.
({10})
Das Wort hat der Kollege Jens Koeppen für die
Unionsfraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Wir leisten uns in Deutschland immer noch eine völlig
irrationale Technikfeindlichkeit, und Sie leisten sich immer noch eine Ignoranz der Realität,
({0})
und das in einem Industrieland, in dem Ingenieurswesen,
Handwerkskunst, Technologieoffenheit und Innovationsfreude uns zu Wohlstand und Ansehen gebracht haben.
({1})
- Das können Sie nicht wissen; Sie sind Journalist, Herr
Bülow.
({2})
Die Technikfeindlichkeit zieht sich durch alle Bereiche: Die Gentechnik, ob es die rote, grüne oder weiße
ist, wird verteufelt.
({3})
Die ganz neue Nanotechnologie wird verteufelt. Gestern
hatten wir die Debatte über ITER. Auch dieses Projekt
wird verteufelt, ohne zu forschen, ohne zu überlegen,
({4})
ohne zu schauen, was es für uns bringen könnte. Die
chemische Industrie wird verteufelt, die Automobilindustrie wird verteufelt
({5})
und letztendlich auch zum Beispiel der Transrapid. Wir
sind nicht einmal in der Lage, ein paar Kilometer Transrapid-Strecke zu bauen, wollen diese Technologie aber
in die Welt exportieren.
({6})
Das setzt sich fort bei der Energie. Sie sind gegen
Kernenergie.
({7})
- Blasen Sie sich doch nicht so auf! - Sie sind gegen
Kohleenergie. Teilweise sind Sie sogar gegen die Windenergie. Ihre Kollegen in der Uckermark, in meinem
Wahlkreis, wo es sehr viel Windenergie gibt, haben Bürgerinitiativen gegen die Windkraftanlagen ins Leben gerufen, weil diese nicht so gut aussehen und nachts blinken. Was ist das denn?
({8})
Auch gegen die Solarenergie sind Sie; denn auch dadurch könnten ja „Tank oder Teller“-Diskussionen hervorgerufen werden. Sie sind gegen Biomasse, gegen
CCS und gegen Netzausbau, wodurch letztendlich
Windenergie in den Süden transportiert werden soll.
({9})
Wenn sich diese Verteufelung vor dem Hintergrund
der jeweiligen Ideologie und ohne Sachverstand, gepaart
mit Unwissenheit sowie Falsch- und Fehlinformationen
so fortsetzt, ist das ein Zeichen von partikularem Egoismus. Das können wir uns in Deutschland nicht leisten.
({10})
Dieses Szenario findet sich überall: Man will die Produktion, aber nicht die Produkte. Im Falle der Energie ist
es so, dass man die Energie will, aber nicht die Produktion. Sie wollen den Strom aus der Steckdose, sagen aber
nicht, wie er dorthin gelangen soll.
({11})
Das ist der typische NIMBY-Effekt: Not in my back
yard, nicht in meinem Hinterhof! Das weitet sich immer
mehr aus. Setzt sich dieser Trend fort, werden wir in
Deutschland weder industriepolitisch vorankommen
noch unsere Klimaschutzziele erreichen.
({12})
Nun zu Ihrer Anfrage. Sie haben 38 Fragen gestellt.
Ich fasse sie einmal zu einer Frage zusammen: Soll
Deutschland Industrieland bleiben, ja oder nein?
({13})
Leisten wir uns eine Deindustrialisierung mit allen Konsequenzen im Wirtschaftsbereich,
({14})
dem Verlust von Arbeitsplätzen, Herr Trittin, weniger
Wohlstand und - das dürfte auch Sie interessieren - weniger Umwelt- und Naturschutz in den Ländern, wo die
Energie dann erbracht wird? Das wollen wir nicht.
({15})
Lassen Sie mich zum Kern der Anfrage kommen. Ich
akzeptiere ja, wenn Sie in Bezug auf eine bestimmte
Technologie besonders skeptisch sind. Ich akzeptiere
aber nicht, wenn Sie die Notwendigkeit eines Energiemixes leugnen. Richtig ist: Wir wollen erneuerbare
Energien. Aber in Ihrem Antrag steht, dass der Anteil
der erneuerbaren Energien bis zum Jahr 2020 wahrscheinlich 35 Prozent beträgt. Jetzt müssen Sie mir einmal sagen, wie Sie die Stromlücke von 65 Prozent innerhalb der nächsten zehn Jahre schließen wollen. Wollen
Sie das mit russischem Erdgas erreichen? Russland verstromt dann mit seiner eigenen Kohle bei einem Wirkungsgrad der Kraftwerke von 34 Prozent; bei uns liegt
der Wirkungsgrad bei 44 bis 47 Prozent. Das hätte mit
Umwelt- und Klimaschutz nichts, aber auch gar nichts
zu tun.
({16})
Wollen Sie die Stromlücke mit polnischem Kohlestrom
oder mit der Kernenergie aus Frankreich oder Tschechien schließen?
Ich habe mir den Energiemix anders vorgestellt. Wir
brauchen mindestens bis zum Jahre 2020 noch Alternativen. Denn wenn es beim Atomausstieg bliebe, dann würden wir nicht aus der Kernenergie aussteigen, sondern
aus der Kernenergieerzeugung. Das ist ein himmelweiter
Unterschied. Wir kaufen fleißig weiter Strom aus Frankreich
({17})
und Polen ein. Das ist typisch für die „Käseglocke
Deutschland“. Wir haben dann zwar keine Kernkraftwerke mehr, aber wir kaufen fleißig Kernenergie ein.
({18})
Ich will nicht, dass Energie zum Luxusgut wird, dass
wir unsere Kraftwerke abschalten und dann die Auslastung veralteter, unsicherer Anlagen in den osteuropäischen Ländern erhöhen. Meine Bitte ist: Warten wir die
Studie mit der Szenarienrechnung ab! Dann können wir
realistisch über Restlaufzeiten sprechen.
Meine Damen und Herren, wir brauchen dringend einen ideologiefreien Energiemix,
({19})
und zwar im Zieldreieck, Herr Kelber, von Versorgungssicherheit, von Wettbewerbsfähigkeit und von Klimaschutz. Wenn wir dies beachten, dann sind wir erfolgreich.
({20})
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
({21})
Zu einer Kurzintervention hat der Kollege Ott das
Wort.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Herr Kollege
Koeppen, das war eine wirklich „fortschrittliche“ Rede,
die Sie hier gehalten haben. Sie hätte vielleicht ins vorletzte Jahrhundert gepasst angesichts der Dinosauriertechnologien, die Sie uns hier als Hochtechnologie empfehlen.
({0})
Ich möchte Sie daran erinnern: Obwohl im Jahre 2008
mindestens vier bis zeitweise sieben Atomkraftwerke
abgeschaltet waren, war Deutschland dennoch Stromexporteur. Unter anderem wurde Strom nach Frankreich
exportiert.
({1})
Das heißt also, wir brauchen die Atomkraftwerke nicht.
Im Gegenteil: Wir können es uns leisten, alle Atomkraftwerke bis 2020/21 abzuschalten.
Wir kennen die Vorhersagen des Sachverständigenrates für Umweltfragen. Sie waren bei der Präsentation im
Umweltausschuss anwesend. Ich weiß nicht, was Sie da
gemacht haben. Wahrscheinlich haben Sie die gesamte
Zeit in irgendwelchen Unterlagen geblättert. Es gibt die
Projektionen des Sachverständigenrates für Umweltfragen, und es gibt die Projektionen der Branche selber, die
vorgerechnet hat, dass sie bis zum Jahr 2020 47 Prozent
des deutschen Stromverbrauchs mit erneuerbaren Energien decken kann. Andere Vorhersagen gehen noch darüber hinaus.
Ich bitte Sie also, sich das nächste Mal etwas besser
zu informieren, bevor Sie hier solche Wahrheiten aus
dem vorletzten Jahrhundert präsentieren.
({2})
Sie haben das Wort zur Erwiderung.
Lieber Herr Ott, ich habe die Projektionen im Umweltausschuss sehr wohl zur Kenntnis genommen und
festgestellt, dass sie interessant sein können. Aber Sie
kennen sicherlich das Märchen „Drei Haselnüsse für
Aschenbrödel“.
({0})
Sie verhalten sich ähnlich wie Aschenbrödel. Sie nehmen eine Haselnuss, wünschen sich etwas, aber um Mitternacht sind Sie wieder verschwunden.
({1})
In zehn Jahren einen Anteil der erneuerbaren Energien in Höhe von 47 Prozent zu haben, wird nicht möglich sein. Nehmen Sie doch einfach einmal zur Kenntnis:
Selbst wenn wir das schaffen würden, was sollen wir
dann im Hinblick auf die restlichen 50 Prozent machen?
Es gäbe in zehn Jahren immer noch eine Stromlücke von
50 Prozent. Würden Sie einmal die Frage beantworten,
wie Sie diese Lücke schließen wollen?
({2})
Wenn Sie diese Frage nicht beantworten, dann bleibt es
bei meiner Einschätzung, dass Sie technikfeindlich und
realitätsfern sind. So kommen wir industriepolitisch und
klimapolitisch nicht weiter.
Vielen Dank.
({3})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der
Fraktion der SPD auf Drucksache 17/1980 mit dem Titel
„Laufzeitverlängerung nicht mehr durchsetzbar - Energiekonzept neu justieren - Energiepolitische Bremse lösen“. Wer stimmt für diesen Antrag? - Wer stimmt dagegen? - Der Antrag ist abgelehnt.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 30 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Arbeit und Soziales
({0}) zu dem Antrag der Abgeordneten Matthias W. Birkwald, Klaus Ernst, Heidrun
Dittrich, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
DIE LINKE
Zur Stabilisierung des Rentenniveaus: RiesterFaktor streichen - Keine nachholenden Rentendämpfungen vornehmen
- Drucksachen 17/1145, 17/1804 Berichterstattung:
Abgeordneter Anton Schaaf
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege
Peter Weiß für die Unionsfraktion.
({1})
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Die gesetzliche Rentenversicherung in Deutschland
basiert auf einem sehr wichtigen Prinzip, nämlich auf
dem Prinzip der Solidarität der Generationen untereinander. Deswegen sage ich mit großem Ernst: Wer diese Solidarität unter den Generationen zerstört, der zerstört
auch das Rentenversicherungssystem.
({0})
Die Linken wollen mit ihrem Antrag, der heute beraten wird, ein Stück aus dem solidarischen System der
Rentenversicherung herausreißen und damit Solidarität
zerstören. Deswegen gibt es darauf von uns eine klare
Antwort: Nein zur Entsolidarisierung im deutschen Rentenversicherungssystem.
({1})
Richtig ist, dass sich wegen der vor allen Dingen in
rot-grüner Regierungszeit in das Rentensystem eingefügten sogenannten Dämpfungsfaktoren eine Erhöhung
der durchschnittlichen Löhne nicht mehr in vollem Umfang auf die Erhöhung der Renten auswirkt. Das hat einen einzigen Grund: Die Rente muss für diejenigen, die
heute, und erst recht für diejenigen, die morgen und
übermorgen in die Rentenversicherung einzahlen, finanzierbar bleiben. Die Beitragssätze dürfen nicht ins Unermessliche steigen, sondern werden auf 20, maximal
22 Prozent begrenzt, damit es jungen Menschen noch
Spaß macht, arbeiten zu gehen und Rentenversicherungsbeiträge zu zahlen.
({2})
Das ist der einzige Grund.
Peter Weiß ({3})
({4})
Solidarität ist eben keine Einbahnstraße. Das Prinzip der
Solidarität fußt darauf, dass diejenigen, die ein Leben
lang gearbeitet haben, durch eine angemessene Rentenzahlung eine Anerkennung dieser lebenslangen Leistung
erhalten und denjenigen, die fleißig Steuern und Beiträge zahlen, genug zum Leben übrig bleibt, gleichzeitig
aber die Finanzierung der solidarischen Rentenversicherung wie auch der anderen Sozialversicherungssysteme
leistbar bleibt. An dieser Solidarität wollen wir festhalten.
({5})
Im Übrigen müssen - das ist jetzt nur ein freundlicher
Hinweis - die sogenannten Dämpfungsfaktoren der Rentenformel nicht immer zu einer Verminderung bei der
Rentenanpassung führen. Ich darf daran erinnern, dass
der sogenannte Nachhaltigkeitsfaktor - so heißt einer
dieser Dämpfungsfaktoren - in den Jahren 2007 und
2008 angesichts der guten Entwicklung auf dem deutschen Arbeitsmarkt dazu geführt hat, dass die Renten
leicht gestiegen sind.
({6})
Deswegen ist es eine falsche Behauptung, die Dämpfungsfaktoren würden bei einer möglichen Rentenanpassung immer zu einer Senkung führen.
Der Antrag, den die Linke vorlegt, ist aktuell-populistisch auf dieses Jahr gemünzt, ein Jahr, in dem wir die
Krise zu spüren bekommen. Wenn der Antrag angenommen würde, würde das bedeuten, dass sich bei der Rentenanpassung dieses Jahr rein gar nichts ändern würde.
Es handelt sich also um einen sogenannten Nullantrag.
Eine großartige Leistung der Linken! Auch deswegen
werden wir ihn ablehnen.
({7})
Die wichtigste Botschaft heute ist: Der 1. Juli, von
dem wir nur noch wenige Tage entfernt sind, ist immer
der Tag, an dem die Rentenanpassung durchgeführt
wird, also die Veränderung beim Zahlbetrag der Renten
eingeleitet wird. Die krisenhafte Entwicklung, ausgelöst
durch die Finanz- und Kapitalmarktkrise, hat dazu geführt, dass in Deutschland im vergangenen Jahr das
durchschnittliche Lohnniveau leider nicht gestiegen,
sondern gesunken ist. Das würde nach der schon seit
Jahrzehnten geltenden Rentenformel bedeuten, dass wir
am 1. Juli dieses Jahres zum ersten Mal in der Geschichte unseres Landes die Zahlungen an die Rentnerinnen und Rentner nicht nur nicht erhöhen könnten, sondern wir sie senken müssten. Für genau diesen
Augenblick haben wir bereits in Zeiten der Großen Koalition vorgesorgt, und zwar mit der sogenannten Rentengarantie. Obwohl das sinkende Lohneinkommen der
Deutschen im vergangenen Jahr nach der Logik unseres
Rentensystems, das seit Jahrzehnten gilt, dazu führen
würde, dass man die Rente absenken müsste, wird es am
1. Juli eine Nullrunde geben. Eine Nullrunde ist nicht
toll. Aber eine Nullrunde ist besser als eine Absenkung.
Deswegen ist das eine großartige Leistung.
({8})
Die großartige Solidarität unter den Generationen besteht darin, dass die Beitragszahlerinnen und Beitragszahler, die selber wenig in der Tasche haben, und der
Staat mit seiner Unterstützung dafür sorgen, dass die
Rentnerinnen und Rentner vor den negativen Auswirkungen der Krise geschützt werden und wissen, dass an
ihrer Rente nicht herumgedoktert wird, obwohl wir in
Deutschland schwere Zeiten durchmachen. Das ist Solidarität mit den Rentnerinnen und Rentnern, mit den älteren Menschen in unserem Land. Das bedeutet aber auch
umgekehrt, dass die Rentnerinnen und Rentner die notwendige Solidarität mit den Jungen zeigen müssen, damit es denen in Zukunft wieder besser geht und sie von
dem, was sie erarbeiten, zukünftig auch wieder mehr haben.
({9})
Ich finde, heute ist nicht der Tag, um irgendwelche
leeren Versprechungen zu machen. Wir sollten vielmehr
festhalten: Die großartige Stabilisierung der Sozialversicherungssysteme, die uns in dieser Krise mit massiver
staatlicher Unterstützung gelungen ist, hat dazu geführt,
dass wir in diesem Jahr in Deutschland einen Rückgang
der Arbeitslosigkeit erleben, wogegen es in allen anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union einen Zuwachs an Arbeitslosigkeit gibt. Diese großartige Solidarität der Beitragszahlerinnen und Beitragszahler und des
Staates führt dazu, dass die Renterinnen und Rentner in
Deutschland zwar keine großen Sprünge machen können
- das ist wahr
Herr Kollege Weiß, achten Sie bitte auf die Zeit und
das Signal!
- jawohl. Ich bin doch schon beim Schlussakkord -,
Ja, aber das schon seit über einer Minute.
({0})
- aber dass sie auch keinen Verlust erleiden. Ich finde,
auf diese großartige Leistung können wir zu Recht stolz
sein.
Vielen Dank.
({0})
Das Wort hat die Kollegin Katja Mast für die SPDFraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Der Kollege Peter Weiß hat vieles gesagt, was richtig ist. Ich glaube aber, dass wir die unsozialen Kürzungsvorschläge, die uns die Bundesregierung in dieser
Woche vorgelegt hat und die letztendlich im Kern den
Generationenvertrag an ganz anderer Stelle aufkündigen,
nicht außer Acht lassen dürfen. Es schreit deshalb geradezu danach, dass ich im Hinblick auf die Generationengerechtigkeit etwas zu diesen Kürzungsvorschlägen
sage.
({0})
Nach vier Tagen, seitdem das Sparpaket von
Schwarz-Gelb bekannt ist, weiß jeder in Deutschland:
Gekürzt wird bei den kleinen Leuten, und die Gutverdiener verdienen weiter gut. Selbst aus Ihrer Fraktion
schallt ein Chor von Stimmen: So nicht! - Der Sozialund Bildungspolitik, also unser aller Zukunft, ziehen die
Streichungen von Schwarz-Gelb den Boden unter den
Füßen weg. Frau Merkel verspricht - wir alle haben es
gehört -: Bei der Bildungspolitik wird nicht gekürzt.
({1})
- Es wird sogar angehoben, sagt der Kollege.
({2})
Es freut mich, wenn wir in die Zukunft investieren. Aber
bei dieser Kürzungsdiskussion wird vergessen, dass der
wirkliche Bildungshaushalt im Bund nicht das Ministerium von Annette Schavan betrifft, sondern das Ministerium für Arbeit und Soziales; denn dort wird über die
tatsächlichen Bildungsinvestitionen entschieden.
({3})
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Union, es
werden bis zu 20 Milliarden Euro im Bereich der aktiven
Arbeitsmarktpolitik eingespart. Das betrifft den Haushalt
von Bundesministerin von der Leyen. Ich frage mich,
warum sie das zulässt. Gerade sie müsste doch wissen,
dass wir am Arbeitsmarkt das Fordern und Fördern brauchen. Das gehört zusammen.
Wir haben in der Großen Koalition gemeinsam im
Bereich der Arbeitsmarktpolitik viele Rechtsansprüche
auf Bildung geschaffen. Wir haben den Rechtsanspruch
auf den Hauptschulabschluss geschaffen. Wir haben den
Rechtsanspruch auf Spracherwerb geschaffen. Wir haben den Rechtsanspruch von Altbewerbern auf Ausbildung geschaffen. Vor diesem Hintergrund muss man die
Formulierung verstehen, dass Pflicht- in Ermessensleistungen umgewandelt werden. Das sind Kürzungen im
Bildungsbereich. Da nehme ich Sie beim Wort: Sie begehen mit diesen Kürzungen Wortbruch; denn obwohl Sie
gesagt haben, dass Sie nicht bei der Bildung kürzen, tun
Sie das sehr wohl, und zwar im Haushalt für Arbeit- und
Soziales. Dazu sage ich Ihnen: Nein.
Im Ausschuss sagten Sie - wir haben in dieser Woche
schon darüber diskutiert; der Staatssekretär sitzt auf der
Regierungsbank -, dass Sie die Pflichtleistungen, das
Recht auf Bildung, in Ermessensleistungen umwandeln.
Das hört sich zunächst einmal gut an: Vor Ort kann nach
Ermessen entschieden werden. Schauen wir uns das aber
genau an: Wenn Sie 20 Milliarden Euro sparen möchten,
dann führt das Ermessen zu einem Nein zum Recht auf
Bildung, Ausbildung und Weiterbildung. Sie wollen
nicht mehr fördern, sondern nur noch fordern: Das ist
der Kern Ihrer Kürzung. Insofern begehen Sie mit Ihren
Haushaltskürzungen einen Wortbruch.
({4})
Diese Kürzungen gehen zulasten von Jugendlichen,
Frauen, Migrantinnen und Migranten sowie Arbeitslosen.
Der Wortbruch führt auch dazu, dass Menschen weniger
gut Arbeit finden. Letztendlich führt er dazu, dass - das
betrifft die Rente - weniger Menschen ihren Beitrag zum
Generationenvertrag leisten können.
Damit sind wir wieder bei unserem Thema.
({5})
Wir von der SPD-Bundestagsfraktion lehnen den Antrag
der Linksfraktion ab, und zwar deshalb, weil wir ein Gesamtkonzept zur Stabilisierung der Rente wollen; wir
wollen nicht an Einzelfaktoren herumdoktern. Man kann
im Zusammenhang mit einem Gesamtkonzept darüber
diskutieren, ob man etwas am Riester-Faktor ändert.
Aber das muss eben im Rahmen eines Gesamtkonzepts
geschehen, nicht als Einzelmaßnahme. Deshalb lehnen
wir Ihren Antrag ab.
({6})
Uns geht es in der gesamten Debatte - das ist ein
wichtiger Hinweis an die Koalition - um die Generationengerechtigkeit. Wir wollen Generationengerechtigkeit,
damit die Jungen die gleichen Möglichkeiten zum Einstieg in den Beruf und die gleichen Möglichkeiten, durch
ihrer Hände Arbeit ihr Leben zu finanzieren, wie diejenigen erhalten, die heute in Rente sind. Wir wollen es den
Jungen genauso ermöglichen, ihren Beitrag zum Generationenvertrag zu leisten.
Ich weiß, dass viele Rentnerinnen und Rentner einen
aktiven Beitrag dazu geleistet haben und weiterhin leisten, indem sie jungen Menschen helfen, einen Ausbildungsplatz zu finden, ihre Enkel unterstützen oder in der
Nachbarschaftshilfe aktiv sind. Dafür möchte ich von
dieser Stelle für meine Fraktion, die SPD-Bundestagsfraktion, ein herzliches Dankeschön sagen. Wir vergessen viel zu oft, dass sich gerade die Älteren in unserer
Gesellschaft um die Jungen kümmern und dafür sorgen,
dass sie einen Ausbildungsplatz bekommen.
Ich finde, die jungen Menschen sollten ein Recht auf
Ausbildung haben; auch das wollen Sie natürlich nicht.
({7})
Sie wollen den Rechtsanspruch zugunsten des Ermessens aufgeben und keine Haushaltsgrundlage dafür
schaffen, dass ein Ermessensspielraum wahrgenommen
werden kann. Das ist Ihre Politik; damit begehen Sie
Wortbruch. Ich will Sie an unsere Tradition in der Großen Koalition erinnern: Denken Sie noch einmal darüber
nach, was Sie mit diesen Sparbeschlüssen auf den Tisch
gelegt haben! Denken Sie darüber nach, ob es wirklich
falsch ist, den Menschen im Bereich der Arbeitsmarktpolitik ein Recht auf Bildung zu gewähren! Treiben Sie
Ihre Ministerin Frau von der Leyen, die diesen Kürzungsvorschlägen zugestimmt hat, vor sich her!
({8})
Sie machen falsche Politik. Sie kündigen den Generationenvertrag. Sie nehmen den Menschen die Chance auf
Bildung. Denken Sie um! Kehren Sie um! Vielleicht fallen dann die Kürzungen nicht so unsozial aus, wie es
heute geplant ist. Ich habe nicht viel Hoffnung; aber ich
weiß, dass es einige von Ihnen so sehen wie ich. Ich
hoffe, dass diese sich in ihren Fraktionen durchsetzen.
Vielen Dank.
({9})
Für die FDP-Fraktion hat der Kollege Dr. Heinrich
Kolb das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ich will gern auf die Anregung der Kollegin Mast eingehen, uns noch ein paar Gedanken zum Thema der Woche
zu machen. Ich halte das für einen verantwortlichen
Weg; der Antrag, über den wir heute diskutieren, lag uns
hier schon so oft vor - mit leichten Modifikationen -,
({0})
dass absehbar ist, dass wir uns auch in nicht allzu ferner
Zukunft bei einer Debatte zu diesem Thema wiedersehen
werden.
Frau Kollegin Mast, wenn Sie sagen, in Deutschland
breche jetzt der Sozialstaat zusammen, dann wirkt das
auf mich aus zweierlei Gründen wie aufgesetzt.
({1})
- Sie haben den Eindruck erweckt, als sei in dieser Woche alles furchtbar. Jetzt werde so gespart, dass kein
Stein mehr auf dem anderen bleibe.
Erstens. Ich will Ihnen die Fakten nennen: In
Deutschland wurden im Jahre 1991, im Jahr nach der
deutschen Einheit, von Bund, Ländern und Kommunen,
im Bereich der Sozialversicherung insgesamt 423 Milliarden Euro für soziale Zwecke ausgegeben. Im Jahr 2009
waren es 750 Milliarden Euro. Das ist ein Plus von rund
70 Prozent. Die Istzahlen für dieses Jahr kennen wir
noch nicht - sie können erst Ende des Jahres ermittelt
werden -, aber es spricht vieles dafür, dass wir Ende dieses Jahres wegen der großzügigen Förderung beispielsweise der Kurzarbeit rund 765 Milliarden Euro aufbringen müssen. Frau Kollegin Mast, Sie wollen den
Sparbetrag von 5 Milliarden Euro im sozialen System
als sozialen Kahlschlag verkaufen. Das glauben Sie doch
selbst nicht. Deswegen ist es heuchlerisch, was Sie eben
vortragen haben.
({2})
Zweitens. Es ist umso aufgesetzter und heuchlerischer, als von den 5 Milliarden Euro, die im Bereich Soziales gespart werden, der größte Teilbetrag in Höhe von
1,8 Milliarden Euro auf die Einsparungen für die Rentenbeiträge für die Bezieher von Arbeitslosengeld II entfällt.
({3})
- Frau Kollegin Hagedorn, Ihr Zwischenruf wundert
mich, weil man der SPD im Jahr 2006 in der Großen Koalition die gleiche Maßnahme mit dem gleichen Betrag
verkauft hat, was dann offensichtlich die Zustimmung
der Mehrheit in der SPD gefunden hat. Sonst hätte das
nicht geschehen können.
({4})
- „Das ist wahr“, sagt der Kollege Kurth. - Das darf
auch nicht vergessen werden. Ich sage das vor dem Hintergrund, dass Sie sich daranmachen, Punkt für Punkt
hinter Ihre eigene politische Vergangenheit in diesem
Haus einen Haken zu machen. Sie machen die Rolle
rückwärts. Aber, Frau Kollegin Hagedorn, Sie kommen
da nicht heraus.
({5})
Sie haben das Gleiche vor vier Jahren auf den Weg gebracht. Sie wollen doch nicht behaupten, dass das, was
Sie damals beschlossen haben, heute absolut unsozial
sei. Das glaubt Ihnen niemand.
({6})
Ich denke, dass wir mit Augenmaß handeln. Ich
glaube, dass genau das, was in den vergangenen Jahren
in der Rentenpolitik geschehen ist, ein Handeln mit Außenmaß war. Die Linke will mit der Streichung des
Riester-Faktors und des Nachhaltigkeitsfaktors erreichen, dass dämpfende Wirkungen entfallen und Nullrunden verhindert werden. Sie wollen - das ist der Duktus
Ihres Antrags - ein ausreichendes Versorgungsniveau im
Alter, unabhängig von den eigenen Beitragsleistungen.
Wie so oft bei Ihren Anträgen stellt sich die Frage: Wie
soll das am Ende finanziert werden?
({7})
Am Ende läuft es auf eine steuerfinanzierte Grundsicherung auf höherem Niveau hinaus, was aber schlicht und
einfach nicht finanzierbar ist.
({8})
Deswegen plädiere ich sehr dafür, dass wir weiter an unserer gut konstruierten Altersversorgung mit einer starken gesetzlichen Säule der gesetzlichen Rentenversicherung sowie privater und betrieblicher Vorsorge festhalten.
({9})
Alle drei Faktoren zusammengenommen müssen den
Lebensstandard im Alter sichern.
({10})
- Das funktioniert sehr gut, Herr Birkwald. Ich stehe
völlig zu dem, was in der Vergangenheit auf den Weg gebracht wurde.
Die Aussetzung der Dämpfungsfaktoren hat zu dem
Ergebnis geführt, dass Rentenkürzungen in der Vergangenheit vermieden wurden. Eine solche Maßnahme ist
nicht einfach - das will ich sagen -, aber sie hat dazu beigetragen, dass die Kaufkraft der Rentner in einer wirtschaftlich schwierigen Situation stabilisiert wurde. Dadurch wurde die Konjunktur insgesamt stabilisiert. Wenn
man eine ausgewogene, nachhaltige Rentenfinanzierung
im Blick hat, muss man auch dafür eintreten, und wir tun
das. Wir sind dafür, dass nachholend Dämpfungen vorgenommen werden, wenn sich neue Spielräume ergeben.
Ansonsten gerät eines aus dem Blickwinkel, Herr Kollege Birkwald, nämlich die Generationengerechtigkeit.
Das ist das, was ich Ihnen vorwerfe. Sie argumentieren immer vom kurzen Ende her und treten mit entsprechenden Anträgen an. Sie wollen am liebsten jetzt und
hier und gleich Sozialleistungen verbessern. Dabei übersehen Sie, dass das, was heute nicht nachhaltig finanziert
wird, in 20, 30 Jahren von der dann steuer- und beitragzahlenden Generation getragen werden muss.
({11})
Diese Generationengerechtigkeit im Auge zu behalten,
ist aus unserer Sicht wichtig. Deswegen lehnen wir Ihren
Antrag ab. Ich hoffe ein Stück weit auf Ihre Einsicht und
darauf, dass Sie uns künftig nicht im vierwöchigen
Rhythmus mit Anträgen dieser Art überziehen. Dafür
wäre ich Ihnen dankbar.
({12})
Das Wort hat der Kollege Matthias W. Birkwald für
die Fraktion Die Linke.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten
Damen und Herren! Im Gegensatz zu den beiden Kollegen möchte ich heute nicht über das unsägliche Kürzungspaket der Bundesregierung sprechen - um Sparen
geht es dabei ja nicht -, das bar jeder sozialen Balance
ist; dafür gibt es andere Gelegenheiten.
Ja, wir Linken wollen den Riester-Faktor, also den
privaten Altersvorsorgefaktor aus der Rentenformel
streichen. Ich weiß, dass Ihnen das nicht gefällt. Aber
fragen Sie doch einmal diejenigen, die sich tagtäglich
um die Sorgen und Nöte der Menschen kümmern, die
von Erwerbslosigkeit und Armut betroffen sind und
Angst um ihre Zukunft haben: die Sozialverbände und
die Gewerkschaften. Die fordern nämlich ebenfalls, den
Riester-Faktor zu streichen.
({0})
Das gilt für den Sozialverband Deutschland, SoVD, die
Volkssolidarität, die Gewerkschaft Verdi und den Sozialverband VdK.
Bleiben wir doch einmal beim VdK. Der Sozialverband VdK ist ein wichtiger und starker Verband mit eineinhalb Millionen Mitgliedern. Seine Präsidentin, Ulrike
Mascher, wurde kürzlich mit 90 Prozent der Stimmen
wiedergewählt. Auf der Festveranstaltung zum 60-jährigen Bestehen des VdK sprach sie deutlich an, worum es
geht. Herr Kolb, Sie waren dabei. Ich zitiere Frau
Mascher, die sagte: Wir brauchen
eine Rückbesinnung auf die ‚dynamische Rente‘.
Durch viele Eingriffe in die Rentenformel und die
Einführung diverser Kürzungsfaktoren ist die dynamische Rente nämlich still und heimlich unter Ausschluss der Öffentlichkeit zu Grabe getragen worden. … Wir jedenfalls fordern die Abschaffung des
Riester-Faktors, des Nachhaltigkeits- und des Ausgleichsfaktors und damit die Rückkehr zur dynamischen Rente.
Recht hat sie, die Frau Mascher.
({1})
- So ist es.
Armut, auch Altersarmut, fällt nicht vom Himmel. Sie
ist politisch gemacht. Das hat auch das Deutsche Institut
für Altersvorsorge, DIA, in seiner neuesten Studie über
die Kaufkraft der Renten in der Zukunft eindrucksvoll
dargelegt. Das Deutsche Institut für Altersvorsorge ist
übrigens jeder Nähe zur Linken völlig unverdächtig. Die
Finanzbranche, die Deutsche Bank AG und andere, tragen dieses Institut. In dieser Studie wird von Kaufkraftverlust gesprochen. Das klingt harmlos. Dabei bedeutet
es nichts anderes als drohende Altersarmut und sozialen
Abstieg; denn es geht um Summen von bis zu rund
500 Euro für ein typisches Rentnerpaar. Die beiden Autoren reden von einer Einkommenslücke im Alter.
Sprich: Das Geld ist schneller zu Ende als der Monat.
Das hat zwei zentrale Ursachen:
Erstens. Die Preise für alltägliche Dinge - das bezieht
sich zum Beispiel auf die Bereiche Gesundheit, Pflege
und Freizeit - steigen schneller als die durchschnittlichen Preise. Genau dafür müssen aber insbesondere
Rentnerinnen und Rentner ihr Geld ausgeben. Zweitens.
Die Rentenpolitik der vergangenen zehn Jahre - das gilt
für alle Bundesregierungen dieser Zeit - hat wesentlich
dazu beigetragen, diese Einkommenslücke zu vergrößern. Die DIA-Studie zeigt deutlich, dass die Riester-Reform und alle nachfolgenden Einschnitte in die Rente
eine verheerende Wirkung haben. Diese Diagnose teilen
wir Linken.
({2})
Doch die Therapie, die das Bankeninstitut empfiehlt
- noch mehr private Altersvorsorge -, teilen wir ausdrücklich nicht. Das Deutsche Institut für Altersvorsorge
handelt aus unserer Sicht wie ein Arzt, der die falsche
Medizin verschrieben hat und meint, die Dosis sei zu
klein. Das ist aus unserer Sicht eine verhängnisvolle
Suchtlogik. Die erhoffte Wirkung der Riester-Reform
bleibt aus. Die Einkommenslücke wird dank Riester sogar größer. Umgekehrt wird ein Schuh daraus: Wir haben kein Problem mit der Dosierung. Nein, die Therapie
ist schlicht falsch.
({3})
Eines ist klar: Die private Altersvorsorge nützt vor allem der Versicherungswirtschaft, aber nicht den Menschen, die nach langjähriger Erwerbstätigkeit ein gutes
Leben im Alter führen wollen. So sieht es aus. Darum
müssen wir den Riester-Faktor streichen, die Rentengarantie zu einem echten Schutz vor Rentenkürzungen machen und nicht nur die Kürzungen in die Zukunft verlagern, Herr Weiß, und wir müssen uns auf das besinnen,
was die gesetzliche Rente leisten soll: Armut vermeiden
und vor sozialem Abstieg schützen. Darum geht es.
Vielen Dank.
({4})
Das Wort hat der Kollege Dr. Wolfgang StrengmannKuhn für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Peter Weiß hat gerade von der Solidarität in der Rentenversicherung gesprochen. Ihm persönlich nehme ich das
ab. Ich glaube auch, dass es in der CDU/CSU-Fraktion
eine Gruppe gibt, die das so sieht wie er. Aber die Politik
der Bundesregierung ist eine völlig andere. Das sieht
man gerade in dieser Woche.
Die Streichung der Rentenbeiträge für die Langzeitarbeitslosen ist schon erwähnt worden. Diese führt nicht
nur dazu, dass Kosten von heute in die Zukunft - da hat
die Kollegin Hagedorn völlig recht - und wegen höherer
Grundsicherungszahlungen Kosten vom Bundesetat auf
die Kommunen verlagert werden, sondern es ist darüber
hinaus auch ein Griff in die Rentenversicherungskassen;
denn über 2 Milliarden Euro - neben den Rentenversicherungsbeiträgen für Langzeitarbeitslose in Höhe von
1,8 Milliarden Euro sollen jetzt ja auch noch 0,3 Milliarden Euro für ehemalige Ostreichsbahner nicht mehr aus
Steuermitteln finanziert werden - fehlen den Rentenkassen ab sofort.
Nun hat Herr Brauksiepe im Ausschuss gesagt: Dann
reduzieren wir einfach die Monatsrücklagen der Rentenversicherung.
({0})
Das ist ein beliebter Trick in der Politik. Das Problem
ist, dass es sich hier um dauerhafte Kürzungen handelt.
Das heißt, jedes Jahr muss man erneut 2 Milliarden Euro
aus dieser Rücklage nehmen, und sie wird dann bald
nicht mehr vorhanden sein. Wer muss dann zahlen? Die
Beitragszahlerinnen und Beitragszahler. Das ist keine
gerechte Lösung und vermindert die Solidarität zwischen den beiden Gruppen.
({1})
Es gibt eine gewisse Einigkeit zwischen dem, was Sie
auf der Regierungsbank vorschlagen, und dem, was die
Linke vorschlägt. Die Linke schlägt in ihrem Antrag vor,
die Ziele der Beitragssatzdeckelung aus dem Sozialgesetzbuch VI zu streichen.
({2})
Außerdem - Herr Birkwald sagte das eben - sollen keine
nachholenden Rentendämpfungen vorgenommen werden. Zudem soll der Riester-Faktor aus der Rentenanpassungsformel gestrichen werden. Gerade eben haben Sie
darüber hinaus auch die Forderung von Frau Mascher
unterstützt, alle Rentenkürzungsfaktoren zu streichen. Sie nicken. Das heißt, alles soll gestrichen werden. Das
hätte zur Folge, dass alle zukünftigen Lasten auf die Beitragszahlerinnen und Beitragszahler geschoben werden.
Diese Position teilen wir nicht.
({3})
Die Position von Bündnis 90/Die Grünen ist, dass wir
einen gerechten Ausgleich zwischen Rentnerinnen und
Rentnern auf der einen Seite und Beitragszahlerinnen
und Beitragszahlern auf der anderen Seite brauchen. Wir
haben deswegen unter Rot-Grün den Nachhaltigkeitsfaktor eingeführt, der genau das leistet: in guten und auch in
schlechten Zeiten einen gerechten Ausgleich zwischen
den beiden Gruppen. Peter Weiß hat eben und Kollege
Schaaf hat in der letzten Debatte deutlich gemacht, dass
das in den letzten Jahren dazu geführt hat, dass die Renten stärker gestiegen sind, als sie ohne Nachhaltigkeitsfaktor gestiegen wären.
({4})
Vor dem Hintergrund dieser unserer Position könnte
man tatsächlich über die Streichung des Riester-Faktors
reden. Das würde zu einer Vereinfachung der Rentenformel führen. Man müsste schauen, ob man allein mit dem
Nachhaltigkeitsfaktor die Beitragssatzziele einhalten
kann. In dieser Frage unterscheiden wir uns fundamental. Sie wollen auf die Beitragssatzziele komplett verzichten. Das ist nicht unsere Position. Wir wollen stabile
Beitragssätze und einen gerechten Ausgleich zwischen
den Beitragszahlerinnen und Beitragszahlern und Rentnerinnen und Rentnern. Deswegen werden wir Ihren Antrag ablehnen.
({5})
Für die Unionsfraktion hat der Kollege Paul
Lehrieder nun das Wort.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen!
Liebe Kollegen! Liebe Kollegen von der Linken, was
Sie in Ihrem Antrag fordern - ich habe ihn genau durchgelesen - ist ein rentenpolitischer Blindflug zurück in
die Zeiten der - Frau Präsidentin, Sie mögen entschuldigen - SED, der alten Ostrente,
({0})
die im Durchschnitt 270 Ostmark betrug; davon konnte
man sich nichts kaufen. Das können wir gern machen.
({1})
- Sie wissen, dass ich Ihren historischen Ursprung nicht
ganz ignorieren kann. In Ihren Anträgen sieht man es ja
auch immer wieder: Es geht um Sozialisierung und darum, dass alles der Staat regeln soll.
Wir sollen den Riester-Faktor und den Nachhaltigkeitsfaktor aussetzen, um den Bestandsrentnern ein
Stück weit eine bessere Zukunft vorzugaukeln. Aber die
Zukunft der jetzigen Beitragszahler, unserer Kinder und
unserer zukünftigen Enkel ist Ihnen eigentlich wurscht.
({2})
Mit Blick auf diese müssen wir aber - nolens volens - an
diesen Faktoren festhalten. Ich bin sehr dankbar und
froh, dass auch die SPD diese in den letzten Jahren mit
uns gemeinsam betriebene Politik weiterhin mitträgt.
({3})
Frau Kollegin Mast, Sie haben kritisiert, dass wir im
Rahmen des Sparpakets die Beitragszahlungen für Rentenanwartschaften von Hartz-IV-Empfängern kappen
wollen.
({4})
Darauf entgegne ich - auch der Kollege Kolb hat darauf
bereits hingewiesen -: Die SPD leidet an kollektiver
Amnesie.
({5})
Sie haben wohl vergessen, dass wir die erste Kürzung
bereits in der Großen Koalition vorgenommen haben,
weil es damals nicht anders ging.
Man muss den Zuschauerinnen und Zuschauern auf
der Besuchertribüne und vor den Fernsehgeräten auch
verdeutlichen, was es damit auf sich hat. Ein Jahr
Hartz-IV-Bezug führt derzeit zu einer monatlichen
Rentenanwartschaft von 2,19 Euro. Von einer Rente in
dieser Höhe wird ein Hartz-IV-Empfänger sich auch in
10, 20 oder 30 Jahren nicht autonom ernähren können.
Eine Rente in dieser Höhe wird auch nicht zur Folge haben, dass das Niveau des SGB XII überschritten wird.
Das muss man den Leuten sagen.
Wir haben deshalb entschieden, in diesem Bereich zu
kürzen. Es wäre natürlich populärer gewesen, Steuern zu
erhöhen.
({6})
Es wäre auch populärer gewesen, wenn alle Ministerien
geplante Investitionen gestrichen hätten. Aber wir haben
das Gegenteil getan. Wir haben die Mittel für Bildung
und Forschung erhöht. Zukunftsbereiche haben wir vom
Sparen bewusst ausgenommen, um in Zukunft Gestaltungschancen zu haben.
({7})
- Die Mittel für Bildung haben wir erhöht, Frau Kollegin. - Ich finde, jetzt kann man auch einmal klatschen.
({8})
Herr Kollege Birkwald, aufgrund der Vorlagen meiner Vorredner fühlte ich mich zu dieser Bemerkung geradezu herausgefordert. Sie war nicht nötig. Denn wir reden nicht über das Sparpaket - das ist völlig richtig -,
sondern über die Stabilisierung des Rentenniveaus.
Lieber Herr Birkwald, eigentlich sollten Sie die mathematischen Grundrechenarten beherrschen.
({9})
- Das, was in Ihrem Antrag steht, erweckt aber nicht diesen Eindruck. - Es ist so, dass sich die Rente des Folgejahres an den Abschlüssen des Vorjahres orientiert. Sie
werden mir recht geben - hier werden Sie mir nicht
ernsthaft widersprechen wollen -, dass die Lohnabschlüsse des Jahres 2009 an und für sich zu einer Rentenkürzung hätten führen müssen. Wir haben die Rentengarantie ganz bewusst zusammen mit der SPD auf den
Weg gebracht, um den Rentnern, auch den Bestandsrentnern, Planungssicherheit zu geben. Auch sie müssen
wissen, wovon sie ihre Miete und ihre sonstigen Ausgaben im nächsten Jahr bezahlen.
Aus Gründen der Generationengerechtigkeit muss
man aber auch dafür sorgen, dass dieses zinsfreie Darlehen mit möglichen Rentensteigerungen in der Zukunft
ein Stück weit verrechnet wird. Nicht mehr und nicht
weniger haben wir in der Großen Koalition mit der Rentengarantie getan.
({10})
- Ja. Sie haben dazu sogar etwas Positives gesagt. Eine
Absenkung des Rentenniveaus in der Krise zu verhindern, war richtig. Sonst wäre die Kaufkraft und damit die
Binnennachfrage weiter geschwächt worden. In manchen Bereichen sind Sie ja gar nicht so weit weg von
uns. Aber das, was in Ihrem Antrag steht, ist so weit
weg, dass ich nur den Kopf schütteln kann.
Meine Damen und Herren, meine Fraktion kritisiert,
dass die Arbeitnehmer die Aussetzung der Dämpfungsfaktoren in der Rentenanpassungsformel durch höhere
Beiträge finanzieren müssten. Das ist richtig. Die jetzige
Rentenformel ist der Versuch eines vernünftigen und gerechten Ausgleichs zwischen den Rentenerwartungen
der Bestandsrentner, die, weil sie schon Rente beziehen,
an ihrem Lebensstandard im Alter nichts mehr ändern
können, und der Belastung zukünftiger Generationen.
Deshalb wurden verschiedene Faktoren eingeführt, die
in Zukunft allerdings auch einmal ausgesetzt werden
müssen.
Wir werden das Thema „Demografie und Rentenentwicklung“ auch in den nächsten Jahren in kurzen Abständen immer wieder auf dem Schirm haben. Wir wissen noch nicht, wie sich die Arbeitsmarktsituation in den
nächsten Monaten und Jahren entwickeln wird. Wir wissen auch nicht, wie sich die Geburtenzahlen in den
nächsten Jahren und Jahrzehnten entwickeln werden.
Was das Thema Rente angeht, werden wir auf diese Entwicklungen reagieren müssen. Sich nun festzulegen und
zu sagen: „Wir geben das Geld jetzt aus, sodass es zukünftige Generationen nicht mehr zur Verfügung haben“, wäre fahrlässig. Deshalb lehnen wir Ihren Antrag,
zum Glück gemeinsam mit allen Fraktionen außer der
antragstellenden Fraktion, ab.
Die letzte Minute meiner Redezeit schenke ich Ihnen
im Hinblick auf das heute Nachmittag beginnende Eröffnungsspiel der Fußball-WM.
Danke schön.
({11})
Damit haben Sie das Redekonto innerhalb Ihrer Fraktion wieder ausgeglichen.
({0})
Ich bedanke mich recht herzlich und schließe die Aus-
sprache.
Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Aus-
schusses für Arbeit und Soziales zu dem Antrag der
Fraktion Die Linke mit dem Titel „Zur Stabilisierung des
Rentenniveaus: Riester-Faktor streichen - Keine nach-
holenden Rentendämpfungen vornehmen“. Der Aus-
schuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 17/1804, den Antrag der Fraktion Die Linke
auf Drucksache 17/1145 abzulehnen. Wer stimmt für
diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? -
Wer enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist mit den
Stimmen der Unionsfraktion, der FDP-Fraktion, der
SPD-Fraktion und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
gegen die Stimmen der antragstellenden Fraktion Die
Linke angenommen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 31 a und 31 b auf:
a) Beratung des Antrags der Fraktionen SPD und
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Evaluierung der deutschen Beteiligung an
ISAF und des deutschen und internationalen
Engagements für den Wiederaufbau Afghanis-
tans seit 2001
- Drucksache 17/1964 -
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Burkhard Lischka, Karin Roth ({1}),
Dr. Sascha Raabe, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der SPD
Stärkung der humanitären Lage in Afghanistan und der partnerschaftlichen Kooperation
mit Nichtregierungsorganisationen
- Drucksache 17/1965 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung ({2})
Auswärtiger Ausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Haushaltsausschuss
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege
Dr. h. c. Gernot Erler für die SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Vor dreieinhalb Monaten, am 26. Februar 2010, hat der
Deutsche Bundestag einem neuen Afghanistan-Mandat
zugestimmt. Vorausgegangen war ein intensiver Diskussionsprozess - ganz besonders auch bei den Sozialdemokraten. Unsere Vorschläge sind damals von der Regierungskoalition weitgehend übernommen worden und in
das neue Afghanistan-Mandat eingeflossen.
Wichtigste Punkte waren dabei: Neufestsetzung der
Prioritäten auf die Ausbildung von afghanischen Sicherheitskräften - sowohl Polizei als auch Soldaten - durch
eine Erhöhung der Ausbildungskapazitäten mit dem
Ziel, dass die afghanischen Sicherheitskräfte so rasch
wie möglich selber in den Stand versetzt werden, sich
gegen die Aufständischen zu verteidigen; Erstellung eines Stufenplans zum Abzug aus Afghanistan mit einer
ersten Übergabe von einzelnen Distrikten in die Verantwortung Afghanistans ab 2011 und einem Abschluss
möglichst in einem Zeitkorridor zwischen 2013 und
2015; Verdoppelung der zivilen Anstrengungen für den
Aufbau, damit die Bevölkerung mehr Vertrauen in die
eigene Zukunft gewinnt; Verbesserung der Regierungsführung in Kabul, um eine größere Zustimmung der eigenen Bevölkerung zu erreichen - nach der Londoner
Afghanistan-Konferenz sollte eine Afghanistan-Konferenz in Kabul stattfinden, auf der entsprechende Kriterien und Zwischenschritte verbindlich vereinbart werden
sollten -; schließlich verstärkte Unterstützung des internen Versöhnungs- und Wiedereingliederungsprozesses,
für den auch erhebliche finanzielle Mittel zur Verfügung
gestellt werden und wozu die Ende Mai in Kabul stattgefundene Friedensjirga einen entsprechenden Beitrag geleistet hat.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, diese erheblichen
Veränderungen des Einsatzkonzeptes sind auf der Londoner Afghanistan-Konferenz auf breite Zustimmung
gestoßen. Parallel dazu hat auch die amerikanische Regierung erhebliche Veränderungen an ihrem Afghanistan-Konzept vorgenommen. All das kommt aber nicht
von ungefähr. So viel ändert man nur, wenn das bisherige Konzept zu wenig erfolgreich war, wenn also ein
entsprechender Druck entstanden ist, das eigene Vorgehen kritisch zu überprüfen. Das war in der Tat der Fall
und sichtbar an der erschreckenden Zunahme von sogenannten sicherheitsrelevanten Zwischenfällen, deren
Anzahl allein im Jahr 2009 im ganzen Land um
80 Prozent gestiegen ist - in den Nordprovinzen in
Afghanistan sogar um 300 Prozent -, sichtbar an den zunehmenden Verlusten von afghanischen und internationalen Sicherheitskräften, aber auch sichtbar an den
wachsenden Vertrauenslücken zwischen der afghanischen Bevölkerung und der afghanischen Führung; diese
erkennt man insbesondere an der Tatsache, dass die Unterstützung für die Aufständischen leider nicht abnimmt,
sondern in bestimmten Regionen sogar zunimmt.
Das ist nach der Afghanistan-Konferenz in London
aufgrund der zögerlichen Regierungsbildung von Präsident Karzai und der mehrfachen Verschiebung dieser
wichtigen Afghanistan-Konferenz in Kabul auch nicht
besser geworden. Sie sollte erst im Mai und dann im Juni
stattfinden. Jetzt können wir nur hoffen, dass sie im Juli
tatsächlich stattfinden wird.
Ausbleibende Erfolge des Afghanistan-Einsatzes erhöhen auch die Kritik und Skepsis im eigenen Land. Das
wird in den Umfragen in der deutschen Öffentlichkeit
deutlich sichtbar.
All das muss uns klarmachen, worin in dieser Situation unsere Verantwortung liegt. Wir haben im Februar
konzeptionelle Veränderungen und neue Prioritätensetzungen vorgenommen. Wir haben aber in der Vergangenheit die Erfahrung gemacht, dass viele gute Ansätze
und Pläne an mangelnder oder fehlerhafter Umsetzung
vor Ort gescheitert sind. Wir wissen, dass der Preis sehr
hoch wäre, wenn uns das im Rahmen des Neuansatzes
erneut passieren würde.
Die Konsequenz daraus ist, dass wir nicht einfach abwarten können, was am Ende bei den von uns gefassten
Beschlüssen zur Veränderung des Mandates herauskommt. Wir müssen vielmehr seitens des Bundestages
den gesamten Afghanistan-Einsatz einer systematischen
und regelmäßigen Untersuchung unterziehen. Genau das
hat der SPD-Fraktionsvorsitzende Frank-Walter Steinmeier
in unserer Debatte am 26. Februar hier gefordert und angekündigt, dass wir dazu einen entsprechenden Vorschlag vorlegen werden.
Mit dem gemeinsamen Antrag von SPD und
Bündnis 90/Die Grünen zur Evaluierung der deutschen
Beteiligung an ISAF und des deutschen und internationalen Engagements für den Wiederaufbau Afghanistans
seit 2001 haben wir diese Ankündigung wahrgemacht.
Dieser Antrag zielt auf eine wissenschaftlich fundierte
Evaluierung der Umsetzung unserer eigenen Beschlüsse,
bei der wir auch auf Expertise von außen angewiesen
sind. Diese Expertise gibt es. Sie ist wertvoll und wichtig für uns. Sie besteht in den Erfahrungen und vor Ort
gewonnenen Erkenntnissen von Experten, Aktivisten
und Mitgliedern engagierter Nichtregierungsorganisationen und der Zivilgesellschaft.
Wir müssen so vorgehen, damit wir nicht in einigen
Monaten womöglich erneut und ohne Vorwarnung vor
vollendeten bzw. nicht vollendeten Tatsachen stehen und
damit wir jederzeit die Möglichkeit zur Nachsteuerung
und Feinjustierung unserer eigenen Beschlüsse haben,
wenn rote Lampen aufleuchten, was die Umsetzung angeht, und damit wir eine sichere Grundlage für eine neuerliche Debatte über dieses Mandat haben, welche ohne
Zweifel kommen wird - vielleicht schneller als erwartet.
Deshalb wollen wir nicht auf ein irgendwann vorzulegendes Gutachten warten; vielmehr fordern wir in unserem Antrag, dass der Deutsche Bundestag eine Kommission einsetzt, die die gesamte Evaluierungsaufgabe
begleitet. Sie soll den Kontakt mit den Experten und engagierten Truppen von außen halten und im Abstand von
drei bis vier Monaten Zwischenergebnisse vorlegen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Koalitionsfraktionen, es ist bedauerlich, dass Sie die Möglichkeit,
auf der Basis dieses Antrags zügig zu einem gemeinsamen Ergebnis zu kommen, nicht genutzt haben. Wir haben Ihnen das alles am 18. Mai zugeleitet. Es ist schade,
weil dadurch die Chance, dass wir weiter gemeinsam die
Verantwortung tragen, nicht in dem Maße genutzt wird,
wie es möglich gewesen wäre.
Aber wir haben quasi unmittelbar vor unserer Debatte
erfahren, dass Sie sich einer intensiven und wissenschaftlich fundierten Begleitung des Strategiewechsels
im Afghanistan-Einsatz nicht völlig versperren wollen.
Das begrüßen wir selbstverständlich. Allerdings helfen
uns dabei Hinweise auf die ohnehin bestehenden Berichtspflichten der Bundesregierung und Kontrollrechte
des Bundestages nicht wirklich weiter. Für uns ist es
wichtig, dass wir bei der Bewertung und Begleitung der
Umsetzung der neuen Strategie zu belastbaren Kriterien,
sogenannten Benchmarks, kommen. Dabei brauchen wir
auch die wissenschaftliche Expertise von außen.
({0})
Darüber sollten wir in allernächster Zeit reden. Wir
haben Ihr Angebot so verstanden, dass Sie dazu bereit
sind. Deswegen macht es Sinn, dass wir jetzt die beiden
Anträge an die Ausschüsse überweisen, damit wir die
Zeit dort nutzen können, um zu prüfen, ob wir zu gemeinsamen Ergebnissen kommen können. Ich glaube,
das wäre im Sinn der Sache.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({1})
Das Wort hat der Kollege Roderich Kiesewetter für
die Unionsfraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Es ist schon erfreulich, wenn ein Brückenschlag stattfindet, auch wenn
er etwas verklausuliert formuliert wurde. Nicht nur, weil
wir als Bundestag den ISAF-Einsatz unserer Streitkräfte
zum zehnten Mal nacheinander verlängert haben, sind
wir uns einig, was die Bilanzierung der deutschen ISAFBeteiligung angeht. Wir brauchen dazu die vor Ort vorliegenden Informationen. Auch in London sind die Bewertungen des COMISAF und ziviler Organisationen
mit eingeflossen. Wir müssen wissen, was die internationale Gemeinschaft sagt. Wir wollen einen ganzheitlichen
sicherheitspolitischen Ansatz, also zivile und militärische Erkenntnisse vor Ort mitverwerten.
Aber eine Evaluierung ist nur eine Entscheidungshilfe. Sie nimmt uns die politische Entscheidung nicht
ab. Evaluierung ist nie ein Selbstzweck, sondern es geht
um die Umsetzung unserer zentralen Sicherheitsinteressen. Wir sollten deshalb erst einmal die Auswirkungen
der Umsetzung der in London beschlossenen neuen Strategie abwarten. Dabei dürfen wir unser Ziel nicht außer
Acht lassen, nämlich die Übergabe in Verantwortung.
Diese kann nur stattfinden, wenn die Sicherheit und Stabilität vor Ort selbsttragend sind.
Nebenbei gesagt, es hilft nichts, mit mathematischem
Kalkül geostrategische und regionale Kontexte außer
Acht zu lassen. Der wesentliche Unterschied zwischen
unserer Auffassung und der in Ihrem Antrag vertretenen,
Herr Kollege Erler, liegt darin, dass wir glauben, dass
der Bundestag nicht die Aufgabe der Exekutive leisten
darf und leisten kann.
({0})
Es ist Aufgabe der Bundesregierung, die wesentlichen
Benchmarks vorzustellen. Wir als Bundestag wollen die
entsprechenden Informationen. Die Evaluierung kostet
aber Zeit und Geld, wenn sie solide und aussagekräftig
sein soll.
({1})
Ich möchte zwei Beispiele nennen. In der Entwicklungszusammenarbeit - der Kollege Haibach wird das
noch ansprechen - haben wir zwei Jahre gebraucht, um
zu einem sinnvollen Ergebnis zu kommen. Im Einsatzhauptquartier SHAPE der NATO wurde über anderthalb
Jahre an Evaluationskriterien gearbeitet, um dann festzustellen, was das für Konsequenzen hat. Nun ist diese
Aufgabe nach Afghanistan delegiert worden. Von der
Evaluierung dürfen wir uns daher nur Entscheidungshilfen erwarten; wir können uns die Entscheidung aber
nicht abnehmen lassen.
Für uns als Regierungskoalition ist es wichtig, dass
wir ressortübergreifende Benchmarks für die Umsetzung
des aktuellen Mandats entwickeln. Dabei geht es um die
afghanische Armee, aber auch um die afghanische Polizei und den Fortschritt in anderen Bereichen. Wir sind
gerne zu einer öffentlichen Anhörung unter Beteiligung
wissenschaftlicher Experten bereit. Wir bauen aber auch
darauf, dass die bewährte jährliche Unterrichtung des
Bundestags über die Entwicklung in Afghanistan fortgesetzt wird. Das betrifft Regierungsführung, Innenpolitik,
Justiz, Entwicklung und vor allen Dingen Sicherheit als
Voraussetzung für die Übergabe in Verantwortung.
Ich möchte aber auch einen Punkt ansprechen, den
wir Abgeordnete sicher etwas anders sehen als die Regierung. Die wöchentliche Unterrichtung des Parlaments
durch das Verteidigungsministerium - eine sehr fleißige
Arbeit - könnte auf eine breitere Basis gestellt werden.
Wir könnten uns durchaus vorstellen, dass unter Beteiligung von AA, BMI und BMZ ein etwas weiter ausgreifender Bericht vorgelegt wird.
({2})
- Herr Ströbele, als Anfänger ehrt mich ein Zwischenruf
von Ihnen.
Die Bundesregierung wird vor Februar 2011 einen
Bericht über die Umsetzung des laufenden Mandats vorlegen. Daraus können wir auch den Änderungsbedarf bei
künftigen Mandaten entwickeln.
Aber wir sehen auch Ihren Brückenschlag, und gerade
bei Auslandseinsätzen sollten wir die Gemeinsamkeiten
im Bundestag betonen. Wir sind deshalb sehr dankbar
für den Briefaustausch zwischen den Koalitionsfraktionen und den Fraktionen der Antragsteller. Wir stellen es
uns so vor, dass uns im Sommer 2011, 18 Monate nach
London, eine Wirkungsanalyse, gerne mit wissenschaftlicher Expertise, vorgelegt wird. Zunächst einmal müssen wir aber die Auswirkungen der Umsetzung der Beschlüsse von London abwarten.
({3})
Ihr Vorschlag, einen solchen Bericht bereits Ende des
Jahres vorzulegen, ist sehr ehrgeizig. Aber das ist so
kurzfristig nicht wissenschaftlich vernünftig machbar.
({4})
Sie wecken damit überzogene Erwartungen.
Ich möchte gerne, dass wir eine wissenschaftlich valide und ressortübergreifende Benchmark-Diskussion
führen. Wir können uns darüber in den anstehenden Gesprächen verständigen. Unser Angebot, bis zum Sommer
2011 eine wissenschaftlich begleitete und geprüfte Analyse erstellen zu lassen, ist, glaube ich, zielführend. Unser Interesse besteht darin, dass wir in Vorbereitung der
Übergabe in Verantwortung, die nächstes Jahr beginnen
soll, klare Vorgaben haben. Wir laden Sie ein, diesen
Weg einer systematischen Wirksamkeitsanalyse mitzugehen. Wir setzen dabei allerdings auf eine bessere, umfassendere und vor allen Dingen ganzheitlichere Unterrichtung des Bundestages. Hilfreich wäre auch ein
Fortschritts- und Mängelbericht. Daneben ist es wichtig,
dass wir in die Öffentlichkeit wirken. Wir brauchen Akzeptanz in der Bevölkerung; wir alle wissen, worum es
geht. Deshalb ist entscheidend, dass wir unsere Kommunikationsstrategie entsprechend anpassen.
({5})
Ich fasse zusammen. Evaluierung kann nur begleiten.
Sie kann uns die Verantwortung nicht abnehmen. Entscheidend ist, dass wir unsere politische Verantwortung
behalten und wahrnehmen, aber nicht die Aufgabe der
Exekutive übernehmen; das ist Sache der Regierung.
Wir müssen auch auf Kompetenzen vor Ort zurückgreifen. Wir müssen uns darüber austauschen: Was wollen
die Afghanen, und was erwarten die Afghanen von uns?
Lassen Sie uns also gemeinsam für eine parlamentarische Kontrolle durch unser Parlament arbeiten, aber
nicht für eine exekutivische Durchführung, die wir nicht
leisten können.
Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
({6})
Das Wort hat der Kollege Wolfgang Gehrcke für die
Fraktion Die Linke.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Man kann feststellen, dass die Tonalität der Debatten
hier im Plenum anders geworden ist, dass eine größere
Nachdenklichkeit eingezogen ist - das kann ich nur begrüßen - und dass etwas mehr geprüft wird,
({0})
welche Grundlagen wir uns als Parlament wirklich verschaffen können. Sie brauchen keine Angst zu haben,
dass sich das Parlament anmaßt, etwas zu übernehmen,
das die Regierung leisten müsste. Das Parlament muss
aber in die Lage versetzt werden, seine Rechte wahrzunehmen.
Wir hatten im Auswärtigen Ausschuss vorgeschlagen,
dass der Außenminister bis zum Ende des Jahres eine
Bilanz vorlegt. Ich finde den Vorschlag von SPD und
Grünen, eine Überprüfungskommission einzusetzen,
entschieden besser, weil dadurch das Parlament der Akteur wird und wir dann hier entscheiden, was passiert.
Das finde ich außerordentlich vernünftig.
({1})
Sehen Sie, Herr Kiesewetter! Ein paar Ihrer Argumente ziehen einfach nicht; sie tragen nicht. Wir können
doch nicht fortwährend Soldaten in solche Einsätze schicken und gleichzeitig sagen: Ob die Einsätze erfolgreich
und richtig sind, klären wir später. - Entweder das eine
oder das andere. Ich finde, es ist höchste Zeit, dass dem
Deutschen Bundestag eine solche kritische Bilanz vorgelegt wird, die er selber miterarbeitet und im Zuge dessen
dann darüber vor allen Dingen mit Nichtregierungsorganisationen debattiert.
({2})
Ich lese, was beispielsweise VENRO und medico schreiben; diese teilen auch nicht immer die Positionen der
Linken. Ich habe auch das neue Buch von Frau
Käßmann mit außerordentlichem Interesse gelesen. Ich
möchte, dass solche Positionen in eine gründliche Bewertung miteinfließen.
Ich will Ihnen ehrlich sagen - man soll sich ja immer
eine Option offenhalten -: Ich denke seit längerer Zeit
darüber nach, ob das Parlament nicht erstmalig von § 8
des Parlamentsbeteiligungsgesetzes Gebrauch machen
und sich anmaßen sollte, was ihm zusteht, nämlich zu
prüfen, ob es notwendig ist, die Bundeswehrtruppen zurückzuholen, weil das bisherige Mandat nicht mehr den
Einsatz in Afghanistan abdeckt. Meine Auffassung ist,
dass das ISAF-Mandat nicht mehr die neue Strategie in
Afghanistan abdeckt. Wenn das der Fall ist, dann hat der
Bundestag das Recht und, wie ich meine, auch die
Pflicht, einen Rückholantrag gemäß § 8 zu stellen. Das
hätte eine interessante juristische und politische Debatte
zur Folge.
({3})
Mir geht es um politische Bewegung.
Ich kann das, was ich für Afghanistan möchte, relativ
einfach in ein, zwei Sätzen auf den Punkt bringen. Ich
bitte darum, sich gegenseitig Zweifel zuzugestehen. Keiner von uns wird garantieren können, dass Frieden und
Stabilität in Afghanistan einziehen, wenn das, was er
sich selber vorstellt, gemacht wird. Aber sicher ist:
Wenn man in der Sackgasse ist, hat es keinen Sinn, einfach die Losung „Weiterso“ auszugeben. Vielmehr muss
man sich dann zurückbewegen und neue Überlegungen
anstellen.
({4})
Ich möchte gern, dass darüber nachgedacht wird, wie
wir dafür sorgen können, dass das sinnlose Töten und
Morden in Afghanistan - und nicht nur dort - endlich
aufhören, dass keine Bundeswehrsoldaten mehr ihre Gesundheit oder ihr Leben in einem solchen Krieg riskieren
und dass die Menschen in Afghanistan, soweit es überhaupt möglich ist, in Sicherheit leben können. Das ist
das, was wir erreichen müssen. In diese Richtung müssen wir Überlegungen anstellen. Dazu brauchen wir eine
politische Grundlage. Wir müssen kritisch all das überprüfen, was bisher gemacht worden ist. Wenn das geschehen ist, kommt man zu einem Urteil. Man muss die
Courage haben, die Konsequenzen aus diesem Urteil zu
ziehen. Ich finde, das sollte der Bundestag machen.
Ich bedauere, dass die SPD beim Schreiben ihrer Anträge - darin steht durchaus Vernünftiges geschrieben immer auf einem Auge blind ist. Reden Sie nicht von interfraktionellen Anträgen, wenn eine wirkliche interfraktionelle Zusammenarbeit zwar möglich wäre, Sie sie
aber nur aus ideologischen und Konkurrenzgründen
nicht eingehen. Sie verbauen sich selber Zugänge.
Zum Schluss. Ich will Sie gern noch dazu auffordern,
das vorliegende Friedensgutachten 2010 zu lesen. Man
kann dem Gutachten der Friedensforschungsinstitute
eine ganze Menge neuer Ideen für Afghanistan entnehmen. Wir werden sehen, was sich in den Ausschüssen
durchsetzt.
Herzlichen Dank.
({5})
Das Wort hat der Kollege Dr. Djir-Sarai für die FDPFraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Seit
2001 engagiert sich Deutschland in Afghanistan. Dort
gibt es Erfolge, und dort gibt es auch Misserfolge. Es
liegt in der Natur der Sache, dass wir als Parlamentarier
uns sehr intensiv und sachlich mit diesem Einsatz beschäftigen müssen. Wenn ich mir die Stimmung in der
Bevölkerung anschaue, dann erkenne ich, dass sie, was
den Einsatz in Afghanistan betrifft - das ist hier vorhin
angesprochen worden -, alles andere als positiv ist. Die
damalige Unterstützung unserer Bevölkerung für diesen
Einsatz ist seitdem zurückgegangen.
({0})
Laut FAZ waren im Juni 2010 nur noch 22 Prozent
der Bevölkerung in Deutschland für die Beteiligung unseres Landes am internationalen Afghanistan-Einsatz.
Das liegt auch daran, dass wir als Politiker die Notwendigkeit des Einsatzes in der Vergangenheit nicht immer
ausreichend erklärt haben.
({1})
Wir als Parlamentarier und die Bundesregierung müssen
diesen Einsatz in der Öffentlichkeit besser kommunizieren.
({2})
Viele unserer Bundeswehrsoldaten haben mir vor Ort gesagt - ich war in Afghanistan und habe mir die Mühe gemacht, ihre Meinung anzuhören -, dass sie darüber enttäuscht sind, dass der Wert ihres Einsatzes in der Heimat
in Deutschland nicht verstanden wird. Unsere Aufgabe
als Parlament ist es, die Menschen in diesem Land bei
einem so wichtigen Thema gut zu informieren. Um diese
Aufgabe erfolgreich zu erfüllen, müssen wir selbst über
den Einsatz umfassend informiert sein.
Es ist völlig richtig, dass wir uns anschauen, was wir
mit unserem Einsatz bisher erreicht haben. Dies ist auch
Teil der Fürsorgepflicht gegenüber den Soldatinnen und
Soldaten und notwendig, wenn wir über das Mandat zu
entscheiden haben.
({3})
Diese Fürsorgepflicht gilt übrigens für alle in diesem
Haus - unabhängig vom parteipolitischen Hintergrund.
Daher ist es grundsätzlich richtig, den Einsatz sachlich
und nüchtern zu bewerten. Dabei muss diese Bewertung
vor allem frei von Polemik und Parteitaktik durchgeführt
werden. Ich bin mir nicht bei allen Vorschlägen in diesem Antrag sicher, ob sie zielführend sind. Die im Antrag aufgezeigten Zeitvorgaben sind von vornherein
nicht einzuhalten. Das gesamte hier vorgestellte Zeitkonzept ist absolut nicht realistisch.
({4})
Nach den Aussagen des Ministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, das eine Evaluierung für seinen Bereich schon einmal durchgeführt
hat, wird allein für die Ausschreibung einer solchen externen Evaluierung ein Zeitrahmen von bis zu einem
Jahr benötigt.
({5})
Wir halten uns durch die vierteljährliche Unterrichtung
über die Entwicklung in Afghanistan und die erweiterte
wöchentliche Unterrichtung des Parlaments über die
Auslandseinsätze der deutschen Bundeswehr bereits für
gut informiert. Es ist ja nicht so, als ob nichts passieren
würde. Hier wurde die Informationslage schon ausgeweitet.
Dass weiter gehandelt werden sollte, steht außer
Frage. Eine parlamentarische Begleitung dieses Einsatzes ist nach wie vor notwendig, damit das Ziel der
schrittweisen Übergabe der Verantwortung erfolgen
kann.
({6})
Wir sind in eine neue und entscheidende Phase des
Einsatzes gekommen. Dafür brauchen wir eine erweiterte Unterrichtung des Deutschen Bundestages. Das
machbare Maß einer Unterrichtung sieht unserer Meinung nach allerdings anders aus, als es die beiden Oppositionsfraktionen in ihrem Antrag skizzieren.
Wir müssen uns als Parlamentarier ein Bild der Situation im Istzustand machen. Daher sind wir der Meinung,
dass eine Überweisung des hier vorliegenden Antrages
in den Ausschuss sinnvoll ist. So können wir schon in
dieser Sitzung von der Bundesregierung umfassender
unterrichtet werden. Das Thema ist jetzt auf der Agenda.
Wir sagen klar: Wir wollen den Einstieg in den Ausstieg. Wir wollen einen ressortvernetzenden Ansatz.
Wenn Ergebnisse da sind, wenn sich Wirkungen zeigen,
werden diese natürlich geliefert und kommuniziert. Wir
sehen in den konkreten Vereinbarungen der Londoner
Konferenz auch die Kriterien für eine Bewertung des
Einsatzes, allerdings nicht in der Rückschau für den Einsatz ab 2001.
Nach der Kabuler Konferenz im Herbst dieses Jahres
ist es dann an der Zeit, dass ressortübergreifende Benchmarks für die Umsetzung des aktuellen Mandats vorgelegt werden. Nach der Kabuler Konferenz möchten wir
in einer öffentlichen Veranstaltung aller damit befassten
Ausschüsse die vorgelegten Benchmarks diskutieren,
auch unter einer möglichen Einbeziehung wissenschaftlicher Experten. Das ist unser Ansatz einer Evaluation.
Er hat den großen Vorteil, dass wir unsere Verantwortung nicht outsourcen. Der Deutsche Bundestag führt
diese Aufgabe durch und handelt damit.
({7})
Ende des Jahres sollte dann die Bundesregierung einen Bericht für die kommende Mandatsverlängerung
vorlegen. Darin sollen Ergebnisse zur Umsetzung des
aktuellen Mandates aufgeführt sein. Darin sollen notwendige Änderungen im neuen Mandat ebenfalls dargestellt werden.
Es muss schlussendlich deutlich werden, welche Veränderungen der Neuansatz in Afghanistan erbracht hat
und welche weitere Anpassung der Strategie für erforderlich erachtet wird. Dies, meine Damen und Herren,
sind realistische Ziele.
Wir sollten im Rahmen dieser Diskussion nicht den
Fehler machen, die Glaubwürdigkeit dieses Einsatzes
durch ein Hin und Her bei der Bewertung einzelner Einsatzfragen zu gefährden. Die Mehrheit in diesem Hause
weiß, dass wir aus den Fehlern der Vergangenheit lernen
und besser werden müssen. Deshalb ist eine parteipolitische Diskussion an der Stelle absolut nicht zielführend.
({8})
Wir haben schon eine gute Vorstellung davon, wie die
Information der Bundesregierung über den Einsatz aussehen sollte, vom Umfang her und mit realistischen Zeitvorgaben.
Meine Damen und Herren, ich danke Ihnen für Ihre
Aufmerksamkeit.
({9})
Das Wort hat der Kollege Frithjof Schmidt für die
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Seit über acht Jahren ist die Bundeswehr Teil eines Stabilisierungseinsatzes in Afghanistan. Es sind acht Jahre,
in denen wir gemeinsam mit unseren internationalen
Partnern und gemeinsam mit den Afghanen gerade auch
beim zivilen Aufbau einiges erreicht haben, acht Jahre,
in denen aber leider nicht erreicht wurde, den Schwerpunkt vom militärischen Engagement auf das zivile zu
verlagern, acht Jahre, in denen auch die Zustimmung
zum Einsatz in der Öffentlichkeit immer weiter gesunken ist. Eine Evaluierung dieses Einsatzes ist also wirklich überfällig. Wer jetzt sagt: „Damit fangen wir mal in
einem Jahr an“, der verkennt, ehrlich gesagt, den Ernst
der Situation.
({0})
Eine Evaluierung soll helfen, Konsequenzen aus dem
bisherigen Engagement zu ziehen, damit die letzte
Chance auf Erfolg - die letzte Chance auf Erfolg! - auch
wirklich genutzt wird. Da kann man doch nicht ein Jahr
warten!
Ich hätte mir gewünscht, dass wir heute einen gemeinsamen Antrag aller Fraktionen dazu beschließen,
auch weil die Evaluierung von vielen Politikern aus der
Koalition immer wieder gefordert wurde. Einen möchte
ich hier besonders hervorheben. Er hat in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung im Juni 2008 gefordert,
… nach kanadischem Vorbild eine unabhängige
Kommission über Deutschlands - nicht nur militärisches - Gesamtengagement und seine künftige
Rolle in Afghanistan einzurichten.
Dieser Satz stammt nicht etwa von dem Grünen
Winni Nachtwei. Nein, er stammt von unserem heutigen
Verteidigungsminister Herrn zu Guttenberg. Insofern
habe ich gehofft, dass unser Vorschlag auf offene Türen
trifft. Denn Herr zu Guttenberg weiß schon seit zwei
Jahren, dass das sinnvoll wäre. Wir wundern uns, dass
Sie, nachdem wir einen Vorschlag gemacht haben, wochenlang geschwiegen haben. Wir hatten schon befürchtet, dass Sie jetzt in dieser ernsten Frage völlig mauern.
Insofern hat es mich gefreut - allerdings hat es mich
auch überrascht, dass es so lange gedauert hat; immerhin, besser spät als gar nicht -, dass sich gestern die
Fraktionsvorsitzenden der Regierungskoalition endlich
mit Vorschlägen gemeldet haben. Wir sind gerne bereit,
darüber zu reden, damit wir vielleicht doch noch zu einer
gemeinsamen Position kommen. Es wäre dem Ernst der
Lage angemessen, dass wir das hinkriegen.
Allerdings reichen Ihre Vorschläge so noch nicht aus.
Ich glaube, Sie wissen das auch. Sie beinhalten keine
Evaluierung des bisherigen Engagements, sondern bestehen zum größten Teil aus parlamentarischen Selbstverständlichkeiten - aus Dingen, die die Opposition sowieso durchsetzen kann oder die Regierung sowieso tun
muss - wie Anhörungen und Berichten der Regierung.
Wir nehmen das als Signal des guten Willens wahr.
Lassen Sie mich auch das klar sagen: Uns ging es nie darum, einseitig die zweifellos auch vorhandenen Defizite
in der Afghanistan-Politik der aktuellen Regierung herauszuarbeiten. Wir wollen die Afghanistan-Politik aus
den Jahren 2001 bis 2005, also aus der rot-grünen Regierungszeit, ebenso einbeziehen wie die der Jahre 2005 bis
2009, also der Zeit der Großen Koalition.
Es geht um den ernsthaften Versuch, aus der Geschichte unseres Engagements Lehren für die Zukunft zu
ziehen. Ich finde, das sind wir alle, die diesen Einsatz
mit verantwortet haben, der deutschen Öffentlichkeit,
vor allem aber auch den deutschen Soldatinnen und Soldaten sowie den zivilen Helfern in Afghanistan schuldig.
({1})
Meine Damen und Herren von der Koalition, Sie haben es in der Hand. Werden Sie Ihrer Verantwortung gerecht. Machen Sie das möglich, machen Sie mit bei dem,
was wir Ihnen vorschlagen.
Danke.
({2})
Das Wort hat der Kollege Holger Haibach für die
Unionsfraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte an
das anknüpfen, was Herr Schmidt zum Schluss gesagt
hat. Insofern greife ich die Frage der Evaluation sowie
die Frage auf, was da wann und wie sinnvoll ist. Ich
finde, es reicht allein ein Blick auf die Zeitschiene, um
festzustellen, dass ein Bericht in diesem Jahr zumindest
die aktuellen Entwicklungen nicht wird abbilden können.
Die Londoner Konferenz, die zu Recht den von Herrn
Erler dargestellten Wechsel sowohl der Zielsetzung als
auch der Methodik beim Afghanistan-Einsatz gebracht
hat, fand am 28. Januar statt. Die Kabuler Folgekonferenz wird in einigen Wochen stattfinden. Was für Veränderungen soll es denn in drei oder vier Monaten geben?
Es ist nicht sehr sinnvoll, einen Prozess, der gerade erst
angelaufen ist, zu evaluieren und zu glauben, man käme
zu wirklich belastbaren Ergebnissen.
Deswegen sagen wir Ihnen: Wir sind überhaupt nicht
dagegen, zu evaluieren. Aber lassen Sie uns das zu einem Zeitpunkt machen, der richtig und sinnvoll ist und
an dem wir sehen können, ob das neue Konzept bzw. die
neue Strategie, die sowohl in der internationalen Gemeinschaft als auch von der Bundesregierung verfolgt
wird, wirklich trägt.
({0})
Sie haben das Beispiel Kanada gebracht. Ich habe damals mit Herrn zu Guttenberg und vielen anderen das
Gespräch mit den Kanadiern, die diese Kommission eingesetzt haben, gesucht. Wir haben uns sehr intensiv informiert. Der Kollege Kiesewetter hat vorhin darauf hingewiesen, dass das eine Entscheidung nicht ersetzt. Ich
finde es sehr spannend - das gilt auch für den Kollegen
Nouripour -, dass die Kanadier diese Kommission zwar
eingesetzt haben, aber am Ende des Tages doch etwas
anderes gemacht haben.
Das bedeutet für uns: Evaluation ist kein Selbstzweck; es ist ein Prozess. Dies betrifft übrigens auch das
für die Beendigung der Evaluation vorgesehene Datum.
Es ist ja nicht so, als würde jetzt nichts passieren. Selbst
wenn wir sagten: „Wir setzen das Ende der Evaluation
zu einem anderen Zeitpunkt an“, würde dies trotzdem
bedeuten, dass wir jetzt damit anfangen müssten. Dies
wird ja auch gemacht. Insofern liegen wir gar nicht so
weit auseinander. Aber dies enthebt uns am Ende des Tages nicht einer politischen Entscheidung.
({1})
Wir haben es heute mit zwei verschiedenen Anträgen
zu tun. Es geht zum einen um die Frage der Evaluation
und zum anderen um die Frage, was getan werden kann,
um die humanitäre Situation in Afghanistan zu verbessern.
({2})
Ich habe mir den Antrag der SPD angesehen. Ich sage
von vornherein: Ich kann vielem von dem, was darin
steht, zustimmen.
({3})
Aber vieles ist auch nicht neu. Wenn man sich das
Afghanistan-Konzept der Bundesregierung anschaut,
wird man vieles von dem, was dort gefordert wird, wiederfinden.
Ich will einen Gedanken herausgreifen: den Gedanken der Kooperation mit den Nachbarstaaten, den Gesichtspunkt, wie wir zum Beispiel Pakistan mit in den
Prozess integrieren. Diesen Aspekt führen wir alle seit
Jahren im Mund. Ich habe dies gemacht; viele von denen, die auf der anderen Seite dieses Hauses sitzen, tun
das. Ich frage Sie: Was - außer dass wir sagen, es sei
notwendig - ist unser Beitrag dazu? Wir alle haben uns
sehr viele Gedanken darüber gemacht. Aber am Ende
müssen wir uns über eines im Klaren sein: Unser Einfluss an dieser Stelle ist begrenzt. Der Schlüssel, was
Pakistan betrifft, liegt woanders. Wir alle wissen ganz
genau, wo er liegt. Insofern ist es richtig, darauf hinzuweisen, dass man die regionale Kooperation braucht. Sie
hätten auch etwas über den Iran, über China oder Indien
sagen können. Aber nichtsdestoweniger ist dies kein
wirklich neuer, origineller Gedanke.
Genauso wenig neu und originell ist der Gedanke,
man möge sich in der Entwicklungszusammenarbeit besonders um die ländlichen Regionen kümmern. Als wir
hier über eine neue Afghanistan-Strategie gesprochen
haben, haben wir gesagt: Es ist ein besonderes Zeichen
der neuen Strategie der Bundesregierung, die ländlichen
Räume stärker in Betracht zu ziehen.
Ich will eines darüber hinaus ansprechen - dies ist
wichtig -: Es ist gut, dass wir mehr Geld für den Aufbau
in Afghanistan zur Verfügung haben. Aber das bringt
nichts, wenn es nicht die entsprechenden Strukturen gibt,
die das tatsächlich implementieren können. Eines der
größten Probleme in Afghanistan ist, dass man aufgrund
der Strukturen vor Ort offensichtlich nicht in der Lage
ist, das Geld unterzubringen.
Kollege Haibach, gestatten Sie eine Zwischenfrage
des Kollegen Nouripour?
Mit großer Freude.
Herzlichen Dank. - Herr Kollege Haibach, sind Sie
imstande, der deutschen Bevölkerung, deren Akzeptanz
für den Einsatz sinkt - damit sind wir alle konfrontiert -,
zu erklären, welche zivilen Projekte, finanziert durch
deutsche Steuermittel, in den letzten zwei Jahren beispielsweise im Raum Kunduz erfolgreich abgeschlossen
worden sind, vor dem Hintergrund, dass wir nicht nur
schlechte, sondern auch gute Nachrichten verbreiten
sollten, wenn wir die Akzeptanz der deutschen Bevölkerung für den Einsatz gewinnen wollen?
Herr Kollege Nouripour, es kommt ganz darauf an, ob
Sie das Eröffnungsspiel der Fußballweltmeisterschaft sehen wollen oder nicht.
({0})
Es gibt durchaus sehr viele erfolgreiche Projekte. Mir
ging es eben darum - ich kann Ihnen eine entsprechende
Auflistung liefern, wenn Sie das möchten -,
({1})
darauf hinzuweisen, wo in Zukunft Notwendigkeiten für
neue Aufgaben liegen. Ich habe nicht so sehr über das
gesprochen, was wir gemacht haben, sondern darüber,
was in Zukunft vor uns liegt. Ich sehe durchaus viele
Aufgaben, die bis jetzt noch nicht hinreichend angegangen worden sind. Das wird auch keiner bestreiten.
Einer der Punkte ist: Es gibt zum Beispiel Untersuchungen darüber, wie die Ministerien in Kabul internationale Hilfsgelder einsetzen. Das Spannende ist, dass
der durchschnittliche Mittelabfluss bei etwa 40 Prozent
liegt. Das ist eines der größten Probleme. Es nützt nichts,
auf der einen Seite Geld zur Verfügung zu stellen, wenn
man auf der anderen Seite vor Ort nicht in der Lage ist,
das Geld entsprechend einzusetzen. Aber auch das
- wenn ich das in aller Freundlichkeit sagen darf - ist
kein wirklich origineller, neuer Gedanke.
Ich kann vieles von dem unterstützen, was im Antrag
steht; aber ich sehe nicht, wo er einen entscheidenden
neuen Akzent setzt. Über die vorgelegten Punkte haben
wir alle schon einmal diskutiert oder sie angesprochen.
Kollege Haibach, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage, dieses Mal vom Kollegen Raabe?
Aber klar.
Herr Kollege Haibach, Sie sagten, dass es nicht neu
sei, dass es in den ländlichen Regionen Entwicklungszusammenarbeit gebe, und taten so, als sei das auch die
Position des Entwicklungsministers. Wie verträgt sich
das aber mit der Aussage des Entwicklungsministers,
dass Entwicklungszusammenarbeit nur noch dort gefördert werden soll, wo die Bundeswehr stationiert ist? Und
halten Sie es eigentlich für richtig, dass die Nichtregierungsorganisationen nur noch dort tätig sein dürfen, wo
die Bundeswehr ist? Bedeutet das in Ihren Augen nicht
eine Militarisierung der Entwicklungszusammenarbeit?
({0})
Ich habe Herrn Niebel nicht so verstanden, dass Entwicklungshilfeorganisationen und Bundeswehr sozusagen Seit an Seit tätig sein sollen. Vielmehr geht es um
die Frage der Koordination und Abstimmung. Aber ich
danke Ihnen für die Zwischenfrage; sie bringt mich nämlich zu dem Punkt der Evaluierung des Einsatzes.
Da gibt es keinen Widerspruch: Der Norden von
Afghanistan besteht nicht nur aus städtischen Gebieten,
sondern ebenso aus ländlichen Regionen, wie es auch im
Süden der Fall ist. Damit sind Militär und Nichtregierungsorganisationen durchaus in derselben Region im
Einsatz. Es gibt schon eine Evaluierung, die das BMZ
gemeinsam mit der Wissenschaft, mit der FU in Berlin,
erstellt hat. Darin finden sich vier wichtige Punkte:
Erstens muss man anerkennen, dass das, was die
Menschen in Afghanistan am meisten wollen, physische
Sicherheit ist.
Zweitens soll man die Entwicklungszusammenarbeit
auf sichere Regionen konzentrieren.
({0})
- Sie wollten eine wissenschaftliche Evaluation, und
jetzt sind Sie mit den Ergebnissen nicht zufrieden.
Drittens sollen zivile und militärische Akteure gemeinsam Regionen der Zusammenarbeit identifizieren.
Viertens sollte man anerkennen, dass diese Zusammenarbeit von zivilen und militärischen Akteuren im
Zweifelsfall am ehesten dazu geeignet ist, die Glaubwürdigkeit insgesamt zu erhöhen.
Insofern sehe ich da keinen Widerspruch. Ich bin
auch gar nicht gegen Ihren Antrag. Ich finde nur, er
bringt nicht viele neue Aspekte. Was die Frage der Evaluierung betrifft, so sind wir gerne bereit, weiter darüber
zu diskutieren.
Danke.
({1})
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlage auf
Drucksache 17/1964 zu überweisen: zur federführenden
Beratung an den Auswärtigen Ausschuss und zur Mitberatung an den Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, den Ausschuss für Menschenrechte
und humanitäre Hilfe und den Verteidigungsausschuss.
Die Vorlage auf Drucksache 17/1965 soll an die in der
Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse überwiesen
werden. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? - Das ist
nicht der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind damit am
Schluss unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, den 16. Juni 2010, 13 Uhr, ein.
Die Sitzung ist geschlossen. Ich wünsche Ihnen trotz
aller Wahlkreisaktivitäten genügend Muße für Fußball,
Sommerwetter und andere Dinge.