Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Guten Tag, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Sitzung ist eröffnet.
Bei unserer heutigen Sitzung begrüße ich gerne Gäste
aus der Zentralafrikanischen Republik, die an der
15. Internationalen Berliner Begegnung teilnehmen.
Herzlich willkommen hier im Hohen Haus!
Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 1 auf:
Befragung der Bundesregierung
Die Bundesregierung hat als Thema der heutigen Kabinettssitzung mitgeteilt: Ergebnisse der Klausurtagung der Bundesregierung über den Haushalt 2011
und den Finanzplan 2010 bis 2014.
Das Wort für den einleitenden fünfminütigen Bericht
hat der Bundesminister der Finanzen, Herr Dr. Wolfgang
Schäuble.
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Die Bundesregierung hat sich auf ihrer Klausurtagung am vergangenen Sonntag und Montag zum einen
mit den Eckwerten bzw. dem Rahmen für die Aufstellung des Bundeshaushalts 2011, dessen Entwurf wir in
der Kabinettssitzung am 7. Juli beschließen wollen, zum
anderen mit der Fortschreibung der mittelfristigen Finanzplanung befasst. Wir haben, indem wir zunächst
einmal den Rahmen vorgeben, eine Art vorgezogenes
Top-down-Verfahren angewendet. Sie wissen, dass wir
uns im Rahmen des Koalitionsvertrags vorgenommen
haben, in Zukunft bei der Haushaltsaufstellung ein solches Top-down-Verfahren einzuführen. Dazu müssen
wir allerdings zunächst die Steuerschätztermine verändern, sodass wir das Verfahren in diesem Jahr noch nicht
anwenden konnten.
Die erste Entscheidung, die wir für die Aufstellung
des Haushalts 2011 und die Fortschreibung der mittelfristigen Finanzplanung und damit für die Umsetzung
der Schuldenbremse unseres Grundgesetzes getroffen
haben, lautet: Wir legen als Ausgangspunkt für die Reduzierung des strukturellen Defizits im Bundeshaushalt
nicht die Sollzahlen des Haushalts 2010 zugrunde - so
wie der Bundeshaushalt vom Parlament aufgestellt und
verabschiedet worden ist -, sondern im Lichte der Entwicklungen, die seitdem im Vollzug des Jahres 2010
stattgefunden haben, die gesichert zu erwartenden Entlastungen. Diese beruhen im Wesentlichen auf den Einnahmen aus der Versteigerung der UMTS-Lizenzen sowie auf einer weniger ungünstigen Entwicklung bei
Steuereinnahmen und am Arbeitsmarkt, als wir sie bei
der Aufstellung des Haushalts zugrunde gelegt haben.
Das führt dazu, dass wir in diesem Jahr damit rechnen
können, dass wir anstelle der noch im Haushaltsentwurf
vorgesehenen Neuverschuldung von knapp 80 Milliarden Euro am Ende des Jahres mit einer tatsächlichen
Nettokreditaufnahme in der Größenordnung von etwa
65 Milliarden Euro - knapp darüber - zurande kommen
werden. Das hat für die Rückführung der Neuverschuldung, des strukturellen Defizits, für die sogenannte
Schuldenbremse, folgende Konsequenz: Die Zahlen im
Haushalt beinhalteten ein strukturelles Defizit von
66,6 Milliarden Euro; wir gehen davon aus, dass wir bei
der positiveren Entwicklung, die wir bis zur Mitte dieses
Jahres als gesichert unterstellen können, mit einem
strukturellen Defizit von etwa 53,2 Milliarden Euro im
Jahr 2010 rechnen können. Das heißt: Damit können wir
die Abbauschritte bis zum Jahr 2016 - bis dann müssen
wir die Lücke zwischen Einnahmen und Ausgaben auf
0,35 Prozent der Wirtschaftsleistung zurückführen - in
etwas kleineren Stufen vollziehen. Allerdings ist damit
der Konsolidierungsbedarf gegenüber den Zahlen der
mittelfristigen Finanzplanung in all den Jahren erheblich
höher. Deswegen haben wir uns entschlossen, dass wir
das Defizit entsprechend der Schuldenbremse des
Grundgesetzes im Jahre 2011 um 11,1 Milliarden Euro
gegenüber der mittelfristigen Finanzplanung zurückführen, im Jahre 2012 um 17,1 Milliarden Euro, im Jahre
2013 um 25,7 Milliarden Euro und im Jahre 2014 gegenüber der sich aus der mittelfristigen Finanzplanung ergebenden Entwicklung - für 2014 haben wir in der mittelfristigen Finanzplanung noch keine Zahlen - um
32,4 Milliarden Euro.
Redetext
Mit den Beschlüssen vom vergangenen Wochenende
haben wir diesen Konsolidierungsbedarf erfüllt, wobei
wir, was ich von vornherein für vertretbar gehalten habe,
für das Jahr 2014, in dem die Ausgangslage für die Fortschreibung der mittelfristigen Finanzplanung nicht so
präzise ist, vorläufig mit einer sehr begrenzten globalen
Minderausgabe in der Größenordnung von etwa 5 Milliarden Euro operieren. Für die Jahre bis 2013 verzichten
wir zur Unterlegung der Rückführung des Defizits auf
jede globale Minderausgabe.
Wir haben dazu Maßnahmen getroffen. Sie sind Ihnen
im Wesentlichen bekannt. Ich möchte sie in der Größenordnung noch einmal darstellen. Wir haben uns um eine
ausgewogene Verteilung der Maßnahmen bemüht. Im
Jahre 2011 werden wir die Konsolidierung in der Größenordnung von 11,1 Milliarden Euro dadurch erreichen, dass wir für den Subventionsabbau und die ökologische Neujustierung einschließlich der Beteiligung von
Unternehmen insgesamt 4,8 Milliarden Euro angesetzt
haben; das sage ich für diejenigen, die sich mit der Ausgewogenheit unserer Planungen beschäftigen.
Zur Neujustierung von Sozialgesetzen: Man muss
hinzufügen, dass wir für das Jahr 2011 gegenüber der
mittelfristigen Finanzplanung einmalig einen zusätzlichen Zuschuss zur gesetzlichen Krankenversicherung in
Höhe von 2 Milliarden Euro vorsehen müssen - und wir
haben uns dafür entschieden -, sodass wir insgesamt auf
5 Milliarden Euro kommen. Davon gehen 2 Milliarden
Euro in den zusätzlichen Steuerzuschuss für die gesetzliche Krankenversicherung.
Wir haben im Verwaltungsbereich bei den flexibilisierten und den disponiblen Ausgaben - von den disponiblen Ausgaben hat im Übrigen der Verteidigungsetat
gut die Hälfte der Reduzierungen zu tragen - insgesamt,
einschließlich der Anpassung der Verwaltungsausgaben,
der Nichterhöhung des Weihnachtsgeldes für Beamte,
der Festlegung, dass in den Einzelplänen etwaige Besoldungserhöhungen aufgefangen werden müssen, vereinbart, dass es keine Steigerung der sachlichen Verwaltungsausgaben gibt und dass wir im Übrigen das
Fiskusprivileg im Insolvenzverfahren wieder einführen
wollen, weil es sich seit seiner Abschaffung im Wesentlichen in Richtung einer Begünstigung der Banken und
der Kreditinstitute ausgewirkt hat. Das halten wir angesichts der Notwendigkeiten des Fiskus für nicht angemessen. Damit kommen wir etwa auf 2,8 Milliarden
Euro. Wir haben die Planungen für den Aufbau des Berliner Schlosses verschoben, und wir können durch eine
geringere Neuverschuldung bei vorsichtiger, konservativer Planung eine Zinsersparnis unterstellen. Das alles
zusammen ergibt noch einmal 0,6 Milliarden Euro. Sie
sehen, dass es sich um ein ehrgeiziges, ausgewogenes
Programm handelt.
Zur öffentlichen Kritik: Die einen sagen, es seien
reine Luftbuchungen. Gegen Luftbuchungen muss man
übrigens keine Demonstration ankündigen. Dann demonstriert man gegen den Wind. Die anderen sagen, das
würde das Wachstum abwürgen. Die Dritten sagen dies,
und die Vierten sagen jenes. Ich glaube, wir haben einen
ausgewogenen, abgestimmten, ausbalancierten Pfad gefunden. Er ist ehrgeizig. Aber er ist im Vergleich zu den
Maßnahmen, die andere europäische Länder und auch
Länder außerhalb Europas ergreifen müssen, nicht dramatisch. Im Übrigen ist er unvermeidbar, wenn wir uns
daran erinnern, dass die Hauptursache der Krisen, die
wir in den letzten Jahren zunehmend erlitten haben und
mit denen wir uns auseinandersetzen, zu hohe öffentliche Defizite sind. Angesichts des Europäischen Stabilitäts- und Wachstumspaktes muss Deutschland seine
übernommenen Pflichten genauso erfüllen wie alle anderen Länder.
Die genannten Maßnahmen hat die Bundesregierung
beschlossen. Auf der Grundlage dieser Eckwerte können
wir nun den Haushalt 2011 aufstellen und die mittelfristige Finanzplanung bis zum 7. Juli entsprechend fortschreiben.
Vielen Dank.
({0})
Die erste Frage stellt der Abgeordnete Bonde.
Herr Finanzminister, bei der Priorisierung, die Sie auf
der Klausurtagung getroffen haben, fällt auf, dass in der
Krise einige Punkte von Ihnen offensichtlich für so prioritär gehalten wurden, dass sie in Ihr Sparpaket nicht
Eingang gefunden haben. Ich frage Sie: Aus welchen
Gründen spielt der Subventionsabbau beispielsweise bei
der Mehrwertsteuer - ich denke an den ermäßigten Steuersatz für nicht dem täglichen Gebrauch zugeordnete
Produkte, Hotelübernachtungen, Rennpferde, Überraschungseier, Schnittblumen und ähnliche Dinge - überhaupt keine Rolle? Vor welchem Hintergrund wurde all
das nicht angegangen und gegenüber anderen Dingen
mit einer offensichtlich wesentlich höheren Priorität seitens der Bundesregierung versehen?
Herr Kollege Bonde, mein Rat ist, dass Sie sich für
den Rest der Legislaturperiode vielleicht nicht ausschließlich auf die umstrittene Einführung eines ermäßigten Mehrwertsteuersatzes für Übernachtungsleistungen konzentrieren. Vier Jahre lang trägt dieses Argument
als kritischer Einwand gegen alle Entscheidungen nicht.
Das war aber nur ein Rat.
({0})
- Frau Kollegin Künast, das ist aber jetzt nicht Gegenstand der Berichterstattung aus der Kabinettssitzung. Mit dem Einwand haben wir gerechnet. Aber die erwähnte Entscheidung haben wir im vergangenen Jahr
getroffen. Sie war umstritten. Ich respektiere die Gegenargumente. Aber diese Entscheidung ist gefallen. Die
Bundesregierung macht doch nicht alle paar Monate das
Gegenteil von dem, was sie gerade entschieden hat.
({1})
Darüber hinaus haben wir uns den Katalog der Leistungen, die einem ermäßigten Mehrwertsteuersatz unterliegen, sehr genau angeschaut. Ich will Ihnen sagen:
Wenn Sie alle Leistungen, die dem ermäßigten Mehrwertsteuersatz unterliegen, mit dem Regelsteuersatz besteuern wollten, hätten Sie bei der Mehrwertsteuer ein
Mehraufkommen von etwa 23 Milliarden Euro. Aber der
Hauptposten mit 17 Milliarden Euro sind Nahrungsmittel, einschließlich Trinkwasser. Die Bundesregierung
war bei ihrer Kabinettsklausur der festen Überzeugung,
dass wir den Mehrwertsteuersatz für Nahrungsmittel und
auch für Trinkwasser nicht anheben sollten.
({2})
Damit ist der weitere Spielraum sehr begrenzt. Übrigens
ist der zweitgrößte Posten, wenn ich es richtig im Gedächtnis behalten habe, die sogenannten kulturellen
Leistungen, zu denen auch Zeitungen gehören. Sie wissen um die Schwierigkeiten des Zeitungsmarktes, auch
infolge der neuen Medien. Daher haben wir gesagt: Eine
Erhöhung des Mehrwertsteuersatzes macht keinen rechten Sinn. - Deswegen sind wir bei dem geblieben, was
wir im Koalitionsvertrag verabredet haben. Wir werden
uns mit den Ländern gemeinsam den Katalog der Leistungen, die einem unterschiedlichen Mehrwertsteuersatz unterliegen, anschauen. Aber ich warne vor jeder
Illusion: Solange es unterschiedliche Mehrwertsteuersätze gibt, wird es bei der Abgrenzung im Einzelnen immer Widersprüche geben. Die Bundesregierung ist aber
nicht der Meinung, dass wir den ermäßigten Mehrwertsteuersatz abschaffen sollten, insbesondere wegen der
Bedeutung für Grundnahrungsmittel und auch wegen der
sozialen Konsequenzen, die sich aus einer Abschaffung
ergeben würden.
Herr Schneider, bitte.
Herr Minister, ich würde gern zur Frage der Berechnung des strukturellen Defizits kommen. In der Antwort
auf eine Kleine Anfrage, die ich gestellt habe, hat Ihr
Haus vor nicht einmal einem Monat mitgeteilt: Das
Haushaltssoll 2010 ist Grundlage für die Berechnung des
strukturellen Defizits. - Sie haben hier vorgetragen, dass
Sie jetzt ein anderes Verfahren wählen. Die Frage ist:
Wie hat sich durch die Zugrundelegung anderer Annahmen die Einsparnotwendigkeit für die Jahre 2011, 2012,
2013 und 2014 verändert, und was wären die exakten
Zahlen bei Zugrundelegung der anderen Annahme gewesen?
Herr Kollege Schneider, die Antwort meines Hauses
auf die Kleine Anfrage war, wie Sie wissen, eine korrekte Interpretation des Gesetzes. Deswegen habe ich bei
meiner Berichterstattung relativ ausführlich gesagt, dass
die Bundesregierung angesichts der doch beachtlichen
Mehreinnahmen im Vollzug als Erstes entschieden hat,
die zum Zeitpunkt der Haushaltsaufstellung, also Mitte
des Jahres, tatsächlich absehbare Entwicklung der Nettokreditaufnahmen und insbesondere die Entwicklung des
strukturellen Defizits zugrunde zu legen. Auch das ist
eine rechtlich mögliche Interpretation, die dazu führt,
wie ich Ihnen dargelegt habe, dass der Konsolidierungsbedarf gegenüber den Zahlen der mittelfristigen Finanzplanung erheblich größer geworden ist.
Um es einmal für das Jahr 2011 zu sagen - ich habe
nicht alle Zahlen präzise im Kopf; wenn Sie wünschen,
kann ich sie in der Sitzung des Haushaltsausschusses oder
zur Aktuellen Stunde nachreichen -: Das strukturelle Defizit wird im Jahr 2010 - gemessen an der tatsächlichen
Entwicklung - niedriger sein, als es nach den Sollzahlen
der mittelfristigen Finanzplanung im Jahr 2011 sein
sollte.
Nun fragen Sie sich selbst, wie Ihre Reaktion gewesen wäre, wenn ich heute mit der Botschaft gekommen
wäre, dass die Bundesregierung die Schuldenbremse
ganz ernst nimmt, dass jetzt ganz ernsthaft gespart wird,
wir aber, weil wir in diesem Jahr eine günstige Entwicklung haben, im nächsten Jahr überhaupt nicht zu konsolidieren brauchen. Ich glaube, wir stimmen darin überein,
dass unser Vorgehen eine seriösere, realistischere und
damit vertrauenswürdigere und nachhaltigere Umsetzung der Schuldenbremse des Grundgesetzes bedeutet.
Wir haben es uns nicht leicht, sondern schwer gemacht.
Ich habe im Vorfeld immer gesagt: Wir werden keine
Tricks anwenden, sondern wir werden die notwendigen
Reduzierungen des Defizits auf seriöse Weise und
Schritt für Schritt vornehmen.
({0})
- 2011 wäre das strukturelle Defizit ohne die Veränderungen in diesem Jahr höher gewesen. Ich werde die
Zahlen hoffentlich irgendwo finden. Das können wir
jetzt rechnen: 2010 haben wir mit einem strukturellen
Defizit von 66 Milliarden Euro gerechnet. Ich rechne
das jetzt überschlägig, aber wir beide können ja Kopfrechnen. 2016 müssen wir auf etwa 10 Milliarden Euro
kommen. 56 Milliarden Euro geteilt durch 6 sind ungefähr 9 Milliarden Euro. Das heißt, wir hätten 2011 ein
strukturelles Defizit von 57 oder 56 Milliarden Euro gehabt. Jetzt rechnen wir für 2010 aber mit einem strukturellen Defizit von 53 Milliarden Euro. Daher hätten wir
im nächsten Jahr keinen Konsolidierungsbedarf beim
strukturellen Defizit gehabt. Das schien uns nicht verantwortbar zu sein.
({1})
Herr Kollege Fischer, bitte.
Herr Minister, die vorgelegten Eckwerte scheinen
eine gute Arbeitsgrundlage für die Aufstellung des
Haushalts zu sein.
({0})
Ich habe eine Frage an Sie: Können Sie uns sagen,
wie hoch der Anteil des Haushalts für Arbeit und Soziales am Gesamthaushalt ist und wie groß das Einsparvolumen des Bereichs Arbeit und Soziales am Gesamteinsparvolumen ist?
({1})
Der Anteil des Haushalts für Arbeit und Soziales am
Gesamthaushalt - die Zahl kenne ich ganz genau - beträgt ungefähr 50 Prozent. Dabei darf man allerdings
nicht vergessen, dass der größte Teil des Haushalts des
Bundesministeriums für Arbeit und Soziales mit annähernd 80 Milliarden Euro der Zuschuss zur gesetzlichen
Rentenversicherung ist. Der Anteil der Einsparungen im
Haushalt des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales an den geplanten Einsparungen im Bundeshaushalt
2011 von 11 Milliarden Euro beträgt - wenn ich das alles addiere - knapp über 4 Milliarden Euro. Das ist also
ein wesentlich geringerer Anteil als der Anteil, den das
Bundesministerium für Arbeit und Soziales am Gesamthaushalt ausmacht.
Im Übrigen haben wir uns im Hinblick auf die Maßnahmen, die den Haushalt des Bundesministeriums für
Arbeit und Soziales betreffen, gezielt auf die Bereiche
konzentriert, die im Zusammenhang mit Anreizen positiver und negativer Art zur Aufnahme regulärer Arbeit
stehen, während wir die Bereiche, die sich auf Menschen
beziehen, die im regulären Arbeitsmarkt keine Chance
mehr haben, praktisch unberührt gelassen haben.
In internationalen Debatten ist mir gelegentlich vorgehalten worden - auch von manchen Teilnehmern des
G-20-Gipfels der Finanzminister in Busan in Südkorea
am vergangenen Wochenende -, dass wir bei der Reduzierung unserer Defizite langsamer vorgehen und eher
die Wachstumskräfte stärken sollten. Daraufhin habe ich
immer gesagt, dass im Hinblick auf die demografische
Entwicklung Deutschlands die Steigerung der Ausschöpfung des Arbeitskräftepotenzials das wichtigste
Wachstumspotenzial ist. Darauf konzentrieren wir uns
auch bei der Adjustierung unserer sozialen Leistungen.
Herr Kollege Ulrich.
Herr Finanzminister, meine Frage bezieht sich auf die
soziale Schieflage. Der CDU-Wirtschaftsrat hat festgestellt, dass Ihre Pläne unausgegoren sind. Der CDUWirtschaftsrat hat den Vorschlag eingebracht, den Spitzensteuersatz zu erhöhen, um möglicherweise eine Gegenfinanzierung für den Abbau des Mittelstandsbauches
zu haben. War das im Kabinett ein Thema, und hat man
sich mit dieser Entscheidung von einer Finanztransaktionssteuer verabschiedet?
Herr Kollege Ulrich, ich werde im Anschluss an diese
Regierungsbefragung beim CDU-Wirtschaftsrat sprechen. Es würde mir ein gewisses Vergnügen bereiten,
wenn Sie mich begleiten würden, damit mein Freund
Kurt Lauk, der Vorsitzende des CDU-Wirtschaftsrates,
einmal sieht, welche Verbündete er bei seinen öffentlichen Äußerungen gelegentlich hat. Darüber kann er gar
nicht glücklich genug sein.
({0})
- Nein, Herr Kollege Poß. Aber Sie wissen, was ich seit
Beginn dieser Legislaturperiode gesagt habe. Sie haben
mich immer nach den Steuerentlastungen gefragt, die
wir im Koalitionsvertrag vereinbart haben. Ich habe immer gesagt: Wir werden den Haushalt aufstellen, sehen,
welchen Handlungsspielraum es gibt, und dann die notwendigen Entscheidungen treffen.
Ich habe heute eine Stellungnahme des Präsidenten
des Bundesverbandes der Deutschen Industrie gelesen.
Er hat gesagt, dass wir aufpassen müssten, die Wachstumskräfte nicht zu gefährden. Ich bin überzeugt, dass
wir dieser Mahnung schon im Voraus Rechnung getragen haben, weil wir die investiven Ausgaben im Bundeshaushalt in einem gegenüber früheren Sparaktionen ganz
ungewohnten Maße geschont haben. Außerdem haben
wir Fragen der sozialen Symmetrie und Ausgewogenheit
diskutiert. Was hätten wir auch zwei Tage lang machen
sollen, als uns ernsthaft mit allen Fragen zu beschäftigen?
({1})
Wir sind schließlich zu den Entscheidungen gekommen, die ich eben vorgetragen habe. Wir haben Maßnahmen verabschiedet, die sehr gezielt Ausnahmen bei
Energiebesteuerung und Subventionen betreffen. Außerdem haben wir uns auf Maßnahmen geeinigt, die den Finanzsektor zusätzlich zu der in den Grundzügen schon
beschlossenen Bankenabgabe betreffen sollen. Es wird
übrigens nicht ganz einfach sein, das umzusetzen; darüber werden wir bei Gelegenheit noch miteinander zu
diskutieren haben. Aber ich bin fest entschlossen, dies zu
erreichen.
Außerdem glaube ich, dass wir auch mit den Anreizen
zur Aufnahme regulärer Arbeit die Balance gewahrt haben. Es geht darum, zu konsolidieren und gleichzeitig
Zukunft zu gestalten. Deswegen haben wir alle Maßnahmen für Bildung und Forschung von jeder Kürzung ausgeschlossen. Das gilt auch für die Maßnahmen zur frühBundesminister Dr. Wolfgang Schäuble
kindlichen Integration; die Ausgaben dafür wollen wir
steigern.
({2})
- Ach, Herr Kollege Trittin, wir haben das 12-Milliarden-Euro-Programm, durch das die Ausgaben für Bildung und Forschung in dieser Legislaturperiode erhöht
werden, völlig unangetastet gelassen. Wir haben die Investitionshaushalte weitestgehend unangetastet gelassen.
({3})
Ich glaube, dass wir insgesamt die richtigen Entscheidungen getroffen haben. Aber ich war nicht überrascht,
dass manche gesagt haben, sie hätten sich anderes vorstellen können. Solche Kritik höre ich auch aus den Reihen meiner eigenen Partei. Das zeigt nur, dass wir eine
große, umfassende Volkspartei sind.
Herr Kollege Poß.
Herr Minister, ist es nicht Augenwischerei, wenn Sie
bei der Bewertung der sozialen Ausgewogenheit den von
Sozialkürzungen Betroffenen die Unternehmen - unabhängig vom Aufkommen und der Wahrscheinlichkeit
des zukünftigen Aufkommens - gegenüberstellen und
nicht die Vermögenden und Spitzenverdiener? Es geht
um die Frage der Individuen. Das ist doch eine vollkommen schräge Bewertung, die Sie hinsichtlich der Ausgewogenheit - nicht nur Sie persönlich, sondern auch andere Vertreter der Koalition - hier in die Debatte
einführen. Deswegen ist die Frage nach dem Spitzensteuersatz berechtigt.
Herr Kollege Poß, im parlamentarischen Verfahren
- das sage ich aus Respekt vor der parlamentarischen
Debatte - gibt es keine unberechtigten Fragen. Ich habe
gar nicht gesagt, dass die Frage nicht berechtigt sei. Ich
habe sie beantwortet und vorgetragen, warum die Bundesregierung sich so entschieden hat. Ich versuche immer, Fragen nicht zu sehr zu qualifizieren.
Zweite Bemerkung. Die Struktur des Bundeshaushalts - das muss man nicht Ihnen, aber gelegentlich in
der Öffentlichkeit und gegenüber ausländischen Partnern
erläutern - ist sehr spezifisch. Ich kann den Bundeshaushalt zum Beispiel nicht mit dem französischen Staatshaushalt vergleichen; denn Frankreich ist ein zentralistischer Staat, und wir sind ein Bundesstaat. Wir haben
geringe Personalausgaben. Wir können - im Vergleich
zu Frankreich - unser Defizit nicht über eine Senkung
der Personalausgaben reduzieren.
({0})
Denn gemäß Grundgesetz obliegt der Vollzug vieler Gesetze den Ländern, und somit fallen die wesentlichen
Personalkosten auf Länderebene an.
Die Gesamtausgaben des Bundeshaushalts 2010 betragen 319,5 Milliarden Euro. Davon sind allein
173,07 Milliarden Euro Sozialausgaben. Hinzu kommen 36,81 Milliarden Euro Zinsausgaben; das zeigt die
Notwendigkeit der Konsolidierung. Wenn man die Personalausgaben aus den einzelnen Etats zusammenrechnet, dann kommt man auf 27 Milliarden Euro Personalausgaben. Das muss man im Auge haben.
({1})
Wenn Sie nun das Defizit reduzieren wollen - dieser
Aufgabe fühlt sich die Bundesregierung verpflichtet,
nämlich zu konsolidieren und Wachstumskräfte zu stärken; denn die Stärkung von Wachstumskräften ist das
beste politische Instrument, das eine soziale Nachhaltigkeit von Regelungen gewährleistet -, dann können Sie
das im Wesentlichen nicht durch Maßnahmen auf der
Einnahmeseite erreichen, sondern Sie müssen zu einem
großen Teil auf der Ausgabenseite ansetzen.
Dies können Sie nur in einem sehr begrenzten Maße
sozial ausgewogen machen, weil Sozialleistungen in
Höhe von 173 Milliarden Euro bei einem Gesamthaushalt von nicht ganz 320 Milliarden Euro nicht allen Teilen der Bevölkerung unabhängig von Einkommen und
Vermögen in gleichem Maße zugutekommen. Deswegen
müssen Sie bei der Neuadjustierung im Bereich der Sozialleistungen schauen, wie Sie die Wachstumskräfte
stärken und wie Sie diejenigen, die keine Chance haben,
durch eine Veränderung des eigenen Verhaltens ihre Lebenssituation zu verbessern, möglichst unberührt von
den Maßnahmen lassen. Genau das war die Zielrichtung,
der sich die Bundesregierung bei diesen Maßnahmen
verschrieben hat. Das halten wir insgesamt für eine richtige, ausgewogene Strategie, um Konsolidierung und
Stärkung der Wachstumskräfte zu erreichen.
Kollege Koppelin.
Herr Minister, vor der Klausur der Bundesregierung
gab es ja keine Vorschläge seitens der Opposition dazu,
wo man etwas einsparen könnte; mir jedenfalls sind
keine bekannt. In diesen Tagen allerdings höre ich von
der SPD, sowohl von Herrn Wowereit als auch vom Kollegen Oppermann, den Vorschlag, man hätte das Wachstumsbeschleunigungsgesetz zurücknehmen sollen. Sind
Sie, Herr Minister, bereit, den Sozialdemokraten zu erklären, dass die Rücknahme des Wachstumsbeschleunigungsgesetzes unter anderem eine Reduzierung des Kindergeldes und des Steuerfreibetrages für Kinder
bedeuten würde, damit auch die Sozialdemokraten das
verstehen?
({0})
Die Reaktion, Herr Kollege Koppelin, beweist nur,
dass es notwendig ist,
({0})
dieses den Sozialdemokraten gelegentlich zu sagen: Von
den insgesamt 5 Milliarden Euro, mit denen das Wachstumsbeschleunigungsgesetz die Haushalte von Bund und
Ländern berührt, sind etwa 4 Milliarden Euro auf die
Verbesserung der familienpolitischen Leistungen zurückzuführen. In vielen öffentlichen Stellungnahmen
wird das nicht erwähnt; dort spielen meistens andere Aspekte eine Rolle. Die Bundesregierung hat nun ihren
Entscheidungen zugrunde gelegt, die familienpolitischen
Leistungen nicht zu kürzen.
({1})
Herr Schwanitz.
Herr Minister, ich möchte zu einem Bestandteil des
Pakets eine konkrete Frage stellen, und zwar zur Abschaffung des Zuschusses zur Rentenversicherung bei
ALG-II-Bezug. Durch diese Entscheidung entziehen Sie
der gesetzlichen Rentenversicherung Einnahmen in
Höhe von 1,8 Milliarden Euro pro Jahr. Mich würde interessieren, ob im Rahmen der Kabinettsberatungen eine
Prognoserechnung im Hinblick auf die Entwicklung des
allgemeinen Rentenversicherungsbeitragssatzes durchgeführt wurde und wie Sie die Entwicklung des Beitragssatzes mittel- und langfristig einschätzen.
Herr Kollege Schwanitz, wir haben die Auswirkungen dieser Maßnahme auf die Rentenversicherung in der
Tat sehr sorgfältig geprüft. Die Schwankungsreserve der
Rentenversicherung - Sie wissen das - bewegt sich derzeit in einem gesicherten Bereich. Diese Maßnahme
wird nicht dazu führen, dass sich die Schwankungsreserve auch nur annähernd einem kritischen Bereich nähert. Mit dieser Maßnahme, die wir aus Gründen, die ich
Ihnen gleich erläutern werde, für richtig halten, ist keine
Veränderung des Rentenversicherungsbeitragssatzes induziert. Die Folgen dieser Maßnahme werden, ohne dass
eine kritische Entwicklung zu befürchten ist, innerhalb
des gesicherten Bereichs der Schwankungsreserve aufgefangen. Sie wissen ja: Wenn die Schwankungsreserve
zu hoch wird, besteht sogar die Notwendigkeit einer Beitragssatzanpassung in die andere Richtung. Sie bewegt
sich derzeit allerdings in einem konsolidierten Bereich
bzw. im gesicherten Mittelfeld, um einen Begriff zu verwenden, der im deutschen Sprachgebrauch ab Freitag
dieser Woche wahrscheinlich eine größere Rolle spielen
wird.
Die Maßnahme, den Zuschuss zur Rentenversicherung bei ALG-II-Bezug abzuschaffen, bedeutet für einen
Betroffenen eine Minderung seines Rentenanspruchs in
Höhe von etwas mehr als 2 Euro pro Monat. Angesichts
dieser Dimension haben wir diesen Schritt für richtig gehalten. Denn - darauf habe ich bereits hingewiesen - wir
wollen die Leistungen möglichst so ausgestalten, dass
wir die Anreize zur Aufnahme regulärer Arbeit verstärken. Wir haben die Streichung dieses Zuschusses angesichts der relativ begrenzten Auswirkungen auf die Höhe
der Rentenansprüche für verantwortbar und vertretbar
gehalten.
({0})
Die Auswirkungen auf die Rentenversicherung sind
sorgfältig geprüft worden und verantwortbar.
({1})
Frau Haßelmann.
Herr Bundesminister, ich möchte bei diesem Thema
bleiben. Ich bin überrascht, dass Sie die Kürzung der
Rentenanwartschaften für Bezieherinnen und Bezieher
des ALG II ziemlich stark herunterspielen. Sie verlagern
hier nämlich ein Problem in die Zukunft und auf die
dritte Ebene, die sich an dieser Stelle nicht wehren kann,
nämlich auf die Kommunen. Wenn geringere Beiträge
gezahlt werden, produzieren wir aber mehr Altersarmut;
das ist klar.
Deshalb frage ich Sie an dieser Stelle: Welche Auswirkungen hat diese Maßnahme zahlenmäßig auf den
Bezug von Grundsicherung im Alter? Warum teilen Sie
an dieser Stelle nicht die Befürchtung der kommunalen
Spitzenverbände, dass das massive Auswirkungen hat,
also nicht nur hinsichtlich der Zahl der von Grundsicherung im Alter Betroffenen, sondern auch hinsichtlich der
Finanzsituation der Kommunen? Deswegen bitten sie
Sie ja seit vorgestern, seitdem sie von den Plänen wissen, darum bzw. fordern die Bundesregierung auf, von
dieser Maßnahme abzusehen.
Frau Kollegin, wie ich eben sagte, erwirbt jemand,
der Leistungen nach dem SGB II bezieht und ein Jahr arbeitslos ist, mit diesen Beiträgen einen zusätzlichen Rentenanspruch von rund 2,20 Euro.
({0})
Natürlich nehmen wir alle Einwendungen und Anmerkungen, die zu den Beschlüssen der Bundesregierung geäußert werden, sehr ernst, und wir werden sie
auch weiter prüfen. Gegenstand heute ist aber zunächst
einmal, dass ich Ihnen hier darüber berichte, welche Entscheidungen wir getroffen haben und warum. Die Anmerkungen dazu sollten notwendigerweise erst nach der
Entscheidung der Bundesregierung gemacht werden.
Das heißt, das sollten wir im weiteren Verfahren ein
Stück weit betrachten.
Ich bitte aber doch, mit in die Betrachtung aufzunehmen, dass wir in unserem Koalitionsvertrag - das hat
nicht jedes Mitglied des Hauses in gleicher Weise gefreut, aber ich habe gelegentlich darauf hingewiesen der Verbesserung der Finanzsituation der Kommunen
eine sehr prioritäre Bedeutung eingeräumt haben.
({1})
- Wir haben eine Kommission aus Vertretern des Bundes, der Länder und der kommunalen Spitzenverbände
eingesetzt, die sich dieser Frage widmet und mit Hochdruck arbeitet. Diese Kommission soll bis zur Jahresmitte - legen Sie mich jetzt nicht genau fest - entsprechende Vorschläge erarbeiten. Ich habe immer gesagt:
Das hat für mich prioritäre Bedeutung.
In diesem Rahmen werden wir natürlich auch die
Frage betrachten, ob das Auswirkungen auf die Altersarmut hat. Ich glaube, dass Auswirkungen in Höhe von
2,20 Euro relativ begrenzt sind, es sei denn, Sie unterstellen, dass die Leute dauerhaft Leistungen nach dem
SGB II beziehen. Genau das wollen wir nicht; denn wir
wollen das Anreizsystem ja so überprüfen und überarbeiten, dass die Anreize verstärkt werden, nicht dauerhaft im Bezug solcher Leistungen zu verbleiben.
Wir wissen, dass wir hier noch eine Menge Handlungsspielraum, aber auch Handlungsbedarf haben. So
steht eine Neuordnung von Hinzuverdienstregelungen
und Ähnlichem mehr ja noch bevor.
({2})
Dabei muss man aber auch auf das Lohnabstandsgebot
achten, also darauf, dass die Aufnahme einer regulären
Tätigkeit für die einzelnen Mitbürgerinnen und Mitbürger nicht dadurch weniger attraktiv wird, dass der Verzicht auf Sozialleistungen stärker wiegt als die Verbesserungen aufgrund regulärer Entlohnung.
In diesem schwierigen Bereich müssen wir uns klug
bewegen, aber eben immer auch das Ziel vor Augen haben, unser Arbeitskräftepotenzial möglichst vollständig
auszuschöpfen. Das ist das eigentlich Entscheidende,
wenn dieses Land mit seiner demografischen Entwicklung den Herausforderungen der Zukunft gerecht werden
will.
Frau Kollegin Kudla, bitte.
Herr Bundesfinanzminister, im Konsolidierungskonzept ist dargelegt, dass eine Zinsersparnis durch eine geringere Nettokreditaufnahme in Höhe von bis zu
2 Milliarden Euro bis zum Jahre 2014 vorgesehen ist.
Können Sie sagen, ob damit eine Trendwende erreicht
wird, also der Bürger zukünftig zumindest nicht mehr
durch einen Zinsanstieg zusätzlich belastet wird, und
können Sie ferner darlegen, inwieweit der Handlungsspielraum im Bundeshaushalt hinsichtlich der Einzeletats durch die Zinszahlungen eingeschränkt wird?
Frau Kollegin Kudla, ich hatte eben schon gesagt,
welch großen Anteil die Zinsausgaben schon heute am
Bundeshaushalt haben. Das ist einer der größten Ausgabenblöcke; ich glaube, der zweitgrößte unmittelbar nach
dem Sozialetat. Auch deswegen ist es richtig, dass wir
uns mit der Schuldenbremse des Grundgesetzes um eine
Reduzierung der Neuverschuldung bemühen; das haben
wir als Verfassungsgesetzgeber in der vergangenen Legislaturperiode beschlossen. Nur so können wir verhindern, dass das Problem immer weniger beherrschbar
wird.
Wenn wir in den nächsten vier Jahren die Neuverschuldung kumulativ in einer Größenordnung von etwas
über 80 Milliarden Euro reduzieren, hat das selbstverständlich auch Auswirkungen auf die Zinsbelastungen
der künftigen Haushalte. Wenn die Nettokreditaufnahme
in diesem Jahr, wie ich einleitend sagte, glücklicherweise nicht 80 Milliarden Euro beträgt, sondern circa
65 Milliarden Euro, dann hat das unter anderem die erfreuliche Folge, dass wir schon im nächsten Jahr mit
nicht ganz so hohen Steigerungen bei den Zinsbelastungen rechnen müssen. Wir haben dabei - das kann ich Ihnen versichern - übrigens sehr konservativ gerechnet.
Das heißt, wir haben nicht etwa ein sinkendes Zinsniveau oder dergleichen mehr unterstellt.
({0})
- Herr Kollege Bonde, Sie wissen, das wir immer vorsichtig sind. - Wir haben den gegebenen vorsichtigen
Annahmen lediglich die Auswirkungen einer höheren
Verschuldung gegenübergestellt. Das ist völlig seriös
und ergibt eine Reduzierung des strukturellen Defizits
im Sinne der Zahlen.
Den Bürgerinnen und Bürgern können wir sagen: Wir
machen das alles nicht, um die Menschen zu quälen, wie
es so oder ähnlich in den Medien dargestellt wird, sondern wir machen es, um der dringendsten Sorge der
meisten unserer Mitbürgerinnen und Mitbürger gerecht
zu werden, die wie wir sagen: Wir dürfen die öffentlichen Schulden nicht immer weiter ansteigen lassen.
Wenn wir davon überzeugt sind, dass sie zurückgeführt
werden müssen, dann müssen wir jetzt damit anfangen,
statt es auf den Sankt-Nimmerleins-Tag zu verschieben.
Genau das ist der Inhalt dessen, was wir entschieden haben.
({1})
Frau Kollegin Ferner, bitte.
Herr Minister Schäuble, Sie haben eben in Ihrer Einführung gesagt, dass Sie im Kabinett beschlossen haben,
im nächsten Jahr noch einmal einen Zuschuss von
2 Milliarden Euro zur Stabilisierung der gesetzlichen
Krankenversicherung zu zahlen. Ich schließe daraus,
dass diese 2 Milliarden Euro nicht für einen wie auch
immer gearteten Sozialausgleich genutzt werden können, sondern lediglich zur Reduzierung des Defizits beitragen sollen.
Das Defizit wird aber im nächsten Jahr etwa
10 Milliarden bis 15 Milliarden Euro betragen. Mit dem
von Ihnen erwähnten Zuschuss von 2 Milliarden Euro
würde das Defizit in der GKV also auf etwa 8 Milliarden
bis 13 Milliarden Euro reduziert. Inwieweit soll dieses
verbleibende Defizit von 8 Milliarden bis 13 Milliarden
Euro über Einsparungen gedeckt werden? Beitragssatzerhöhungen werden schließlich zumindest von Teilen der Koalition ausgeschlossen. Können Sie außerdem
ausschließen, dass diese Einsparungen zu Kürzungen im
Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung
führen?
Frau Präsidentin, ich bin davon ausgegangen, dass ich
über den Inhalt der Kabinettsberatungen am Sonntag und
Montag unterrichten soll.
({0})
Wir haben in der Kabinettssitzung nicht über die Reform
der gesetzlichen Krankenversicherung beraten. Ich habe
vielmehr zur Kenntnis gegeben, dass wir bis 2011 über
die mittelfristige Finanzplanung hinaus einen Zuschuss
zur gesetzlichen Krankenversicherung - in diesem Jahr
beträgt er einmalig 3,9 Milliarden Euro - in Höhe von
2 Milliarden Euro vorsehen.
Weitergehende Fragen müssten Sie an meinen Kollegen Rösler richten, der Ihnen vermutlich aber auch sagen
wird, dass wir darüber nicht entschieden haben, sondern
uns vorgenommen haben, in den nächsten Wochen zu
Entscheidungen zu kommen. So werden Sie noch ein
bisschen Geduld aufbringen müssen, wenn Sie uns nicht
unterstellen wollen, was wir angeblich alles falsch oder
richtig machen.
({1})
Ich kann Ihnen im Rahmen der Befragung der Bundesregierung Ihre Frage nicht beantworten.
Theoretisch gäbe es die Möglichkeit, weitere Fragen
an die Bundesregierung zu stellen. Praktisch ist das leider nicht möglich, weil die dafür vorgesehene Zeit abgelaufen ist. Ich beende deshalb die Befragung zum Themenbereich der heutigen Kabinettssitzung.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 2 auf:
Fragestunde
- Drucksachen 17/1917, 17/1951 Zu Beginn der Fragestunde rufe ich gemäß Nr. 10
Abs. 2 der Richtlinien für die Fragestunde die dringliche
Frage auf Drucksache 17/1951 der Abgeordneten Elvira
Drobinski-Weiß zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz auf:
Welche Konsequenzen zieht die Bundesregierung aus Verunreinigungen und Ausbringung von mit NK603 verunreinigtem Saatgut in sieben Bundesländern, bzw. wie will die Bundesregierung für den Schutz der gentechnikfreien
Landwirtschaft und Lebensmittelwirtschaft und eine effektive
Überwachung sorgen?
Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär Gerd Müller zur Verfügung.
Bitte, Herr Staatssekretär.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Für
mein Ministerium darf ich zum inhaltlichen Sachstand
und zur Frage Folgendes darlegen: Frau DrobinskiWeiß, am 30. April 2010 hat Niedersachsen das BMELV
und die anderen Länder darüber informiert, dass zwei
Maissaatgutchargen, bei denen im Rahmen der routinemäßigen Gentechniksaatgutbeprobung das Event NK603
festgestellt wurde, zur Aussaat gekommen sind, weil
dieser Fund offenbar aufgrund eines Versehens der zuständigen Vollzugsbehörde in Niedersachsen nicht rechtzeitig gemeldet wurde. Nach den dem BMELV vorliegenden Informationen ist das Maissaatgut bis zu
0,1 Prozent mit dem gentechnisch veränderten Mais
NK603, der nicht für den Anbau zugelassen ist, verunreinigt. Es geht also darum - ich sage es noch einmal mit
eigenen Worten -: Bei den Beprobungen wurde festgestellt, dass von 1 000 Körnern 1 Korn von einem Maissaatgut stammte, das in Deutschland als Lebens- und
Futtermittel zugelassen ist - man kann es also essen -,
aber nicht für die Aussaat genehmigt ist. Der Verunreinigungsgrad des Saatgutes liegt also bei 1 Korn von
1 000 Körnern. Darüber diskutieren wir nun, und darüber wollen Sie Aufklärung. Ich sage das, damit wir den
Gesamtzusammenhang und die Dimension dieser Problematik richtig sehen.
Ich möchte ganz klar feststellen, dass es selbstverständlich nicht zulässig war, dieses Maissaatgut auszubringen. Es ist nach derzeitigen Informationen auf einer
Fläche von insgesamt 2 000 bis 3 000 Hektar ausgesät
worden. Neben Niedersachsen wurde das Saatgut auch
in Baden-Württemberg, Bayern, Brandenburg, MecklenParl. Staatssekretär Dr. Gerd Müller
burg-Vorpommern, Nordrhein-Westfalen und Schleswig
Holstein verwendet. Zurzeit wird ermittelt, welche Flächen betroffen sind. Wir sind mit den Ländern, die heute
tagen, im Gespräch über Konsequenzen und Maßnahmen.
Eine Nachfrage.
Vielen Dank, Herr Staatssekretär. - Ich habe den Eindruck, dass Sie mit dem Hinweis darauf, dass nur 1 Korn
von 1 000 Körnern betroffen ist, versuchen, die Gefahr
zu relativieren, und so tun, als könnte das nichts ausmachen. Ich sehe das ganz und gar nicht so. Ich sehe sehr
wohl die Gefahr, die auch von diesem einen Korn ausgehen kann.
Mich interessiert Folgendes: Sie haben geschildert,
auf welchen Flächen das Saatgut ausgebracht wurde.
Verfügt die Bundesregierung über Zahlen, die in etwa
den Schaden beziffern?
Die betroffenen Länder wurden genannt. Ich möchte
im Übrigen verdeutlichen, dass ausschließlich die Überwachungsbehörden der Länder für die Saatgutkontrolle
zuständig sind. Die Haftungsfrage ist geregelt. Die Saatgutvertreiber werden dafür in Haftung genommen werden. Über die Höhe des Schadens kann ich derzeit keine
Aussage machen.
Vielen Dank. - Es handelt sich bei NK603 ja um ein
Konstrukt, das auf EU-Ebene nicht zugelassen ist. Da
ein Antrag auf Zulassung innerhalb der EU vorliegt, interessiert mich, wie sich die Bundesregierung positioniert, wenn über die Zulassung von NK603 entschieden
wird.
Frau Kollegin, ich darf ergänzen: Die Maissorte
NK603 ist seit 2004 in der EU zugelassen, und zwar als
Lebens- und Futtermittel. Theoretisch und praktisch
könnten sowohl Sie als auch ich solchen Mais heute früh
mit dem Frühstücksmüsli verzehrt haben und uns dennoch wohlfühlen. Das zeigt das Paradoxe in der Debatte,
die wir führen. Ein solches Maiskorn ist in Lebensmitteln und in Futtermitteln zugelassen. Nachdem aber die
Zulassungspraxis und das Zulassungsverfahren in Brüssel differenziert worden sind, ist diese Maissorte für den
Anbau in Deutschland derzeit noch nicht zugelassen.
Dieses Zulassungsverfahren läuft derzeit.
Ich gebe das Wort zu einer weiteren Frage jetzt der
Kollegin Happach-Kasan.
Herr Kollege, meine Vorrednerin hat von der Gefahr
gesprochen, die davon ausgehen könnte, dass 1 Maiskorn von 1 000 Maiskörnern verunreinigt ist. Ich bitte
Sie, mir die Frage zu beantworten, welche Auswirkungen 1 gv-positives Samenkorn unter 1 000 Samenkörnern auf die Qualität des geernteten Mais hat? Dabei ist
festzuhalten - Sie haben es dargestellt -, dass diese
Maissorte in der Europäischen Union als Ernährungsund Futtermittel zugelassen ist.
Frau Kollegin, ich möchte auch in dieser Debatte keinen Zweifel daran lassen: Rechtlich ist der Anbau dieser
Maissorte nicht zulässig. Bei Saatgut gilt in diesem Land
eine Verunreinigungsschwelle von 0,0 Prozent. Länderbehörden sind für die Überwachung zuständig. Die Länder beraten heute darüber, welche rechtlichen Konsequenzen sie daraus ziehen, dass bestimmtes Saatgut
unzulässigerweise ausgebracht worden ist. Aus meiner
Sicht hat Bayern recht, wenn es als eines der sieben betroffenen Bundesländer als Konsequenz ankündigt, unterzupflügen.
Frau Happach-Kasan hat das Wort zu einer Nachfrage.
Vielen Dank für diese rechtliche Bewertung. Ich hatte
allerdings nach einer Qualitätsbewertung gefragt. Ich
glaube schon, dass wir unser Handeln auch daran messen müssen, welche Auswirkungen ein gv-positives Samenkorn beispielsweise auf die Qualität dieses Maises
hätte, wenn er geerntet würde. Deswegen habe ich danach gefragt. Sie wollten meine Frage aber offensichtlich nicht beantworten.
Ich darf deswegen eine weitere Nachfrage an Sie richten. Mir ist die Nulltoleranzregelung, die nach wie vor in
der EU gilt, bekannt. Mir ist aber auch bekannt, dass es
bei solch geringfügigen Beimengungen oft zu Proben
kommt, die einmal positiv und einmal negativ sind. Wie
bewerten Sie vor dem Hintergrund des Gebotes der
Rechtssicherheit eine solche Nulltoleranzregelung? Kein
Unternehmen, das zehnmal negativ getestet wurde, kann
sicher sein, dass die elfte Probe nicht doch positiv ist.
Frau Kollegin, ich habe zur Qualität dieser Maissorte
deutliche Worte gefunden. Die EFSA sagt, dass es keine
wissenschaftlichen Bedenken gegen die Nutzung dieser
Maissorte als Lebens- und Futtermittel gibt. Das heißt,
wenn Sie mir jetzt zehn Maiskörner der Sorte NK603
bringen, dann nehme ich sie zu mir - unbedenklich. So
ist die Situation.
({0})
Wenn aber ein Landwirt 1 Korn dieser Maissorte unter
1 000 anderen Maiskörnern aussät, dann ist dies derzeit
rechtlich nicht zulässig. Es ist für den Normalbürger
kaum nachvollziehbar, dass ein Saatgut, das von der
EFSA als unbedenkliches Lebensmittel eingestuft ist, in
Deutschland nicht ausgesät bzw. angebaut werden darf.
({1})
Das Ganze ist ein Ergebnis der Splittung des Zulassungsverfahrens in Brüssel. Wir diskutieren ja darüber.
Ich möchte noch einmal ganz klar und unmissverständlich darlegen: Rechtlich gilt für den Anbau derzeit eine
Verunreinigungsschwelle von 0,0 Prozent. Das heißt natürlich auch, dass dann, wenn 1 Korn von 1 000 Körnern
verunreinigt ist, eine Verunreinigung vorliegt. Die
Rechtsposition ist eindeutig: Dieses Saatgut darf weder
in den Verkehr gebracht noch ausgesät werden. Die
Landwirte müssen darauf vertrauen können, dass sie reines Saatgut bekommen. Eine mögliche Weiterentwicklung dieser 0,0-Prozent-Grenze wird in Brüssel derzeit
diskutiert.
Herr Ostendorff.
Herr Staatssekretär, ich weiß nicht so recht, wie ich
meine Frage anfangen soll, weil ich spüre, dass Sie ein
bisschen der Gefahr der Verharmlosung erliegen. 1 Korn
pro 1 000 - das scheint so harmlos zu sein: 0,1 Prozent.
Meine Frage ist: Geben Sie mir recht darin, dass wir bei
vielen Wirkstoffen heute über 1 Korn pro 1 Million,
sprich: parts per million, ppm, reden und Grenzwerte
festgelegt haben, die im Bereich von ppm und noch darunter liegen?
Herr Ostendorff, ich habe das für den Bürger, glaube
ich, sehr eindrucksvoll und nachvollziehbar dargestellt.
Eine große deutsche Tageszeitung hat geschrieben: Hat
Deutschland keine anderen Probleme?
({0})
Es geht um dieses eine Maiskorn einer in Deutschland
für den Anbau nicht zugelassenen Sorte; Verunreinigung: 0,1 Prozent bei 6 Prozent der Proben.
Dieses eine Korn, woraus Sie die große Gefahr konstruieren - andere haben von „Skandal“ gesprochen -,
wird Ihnen aber als Lebensmittel serviert. In dem Bereich ist es zugelassen. Das ist die Situation. Diese kann
jeder, der sich diesen Sachverhalt einmal klarmacht, selber bewerten.
Sie haben eine Nachfrage, Herr Ostendorff. Bitte sehr.
Das bringt mich zu der folgenden Nachfrage, Herr
Staatssekretär: 10 Prozent des Maissaatgutes, wenn wir
es richtig wissen, werden heute in Deutschland auf gentechnische Verunreinigung getestet. Heute Morgen
wurde im Ausschuss davon gesprochen, dass 7 Prozent
- Sie sagen: 6 Prozent - dieser zu 10 Prozent genommenen Proben gentechnisch verunreinigt gewesen sind.
Herr Staatssekretär, was gedenkt die Bundesregierung
zu tun, damit auch die anderen 90 Prozent getestet werden? Ich denke, der Bürger hat einen Anspruch darauf,
dass 100 Prozent untersucht werden und auch diese
möglicherweise ebenfalls zu 7 Prozent verunreinigten
Proben - schlimm genug - aus dem Verkehr gezogen
werden.
Herr Kollege, ich möchte noch einmal ganz eindeutig
klarstellen: Diese Maissorte ist für den Lebensmittelund Futtermittelbereich zugelassen, allerdings nicht für
den Anbau in Deutschland. Wir diskutieren ja gemeinsam über die Frage der Zulassungsverfahren in den
27 Mitgliedstaaten der Europäischen Union, weil einiges
sicherlich nicht nachvollziehbar ist. Sie als Vertreter der
grünen Partei erinnere ich an die EG-Öko-Audit-Verordung. Als Lebens- und Futtermittel ist das zugelassen;
denn dort gelten andere Schwellen. Bei Saatgut gilt derzeit aber eine 0,0-Prozent-Grenze. Deshalb diskutieren
wir darüber, was für die Zukunft Sinn macht.
Nun zu den Konsequenzen: Damit keine Rechtsunsicherheit entsteht, will ich noch einmal betonen: Die Länder, nicht der Bund, sind für die Kontrollen vollkommen
selbstständig zuständig, und sie tagen heute. Es gab eine
Unzulänglichkeit. Niedersachsen hat dies offengelegt.
Transparenz und Offenheit bei der Weitergabe der Informationen sind ja auch wichtig. Die Kontrollen haben
aber funktioniert: Wenn es bei der Weitergabe der Information nicht zu der - ich sage mal - menschlich bedingten Verzögerung gekommen wäre, wäre es nicht zur
Aussaat gekommen; aber dort, wo ausgesät wurde, kann
jetzt reagiert werden. Der Mais ist nicht aufgegangen. In
Bayern wird die Aussaat umgepflügt. Die anderen sechs
Bundesländer haben zu entscheiden, ob sie spritzen oder
etwas anderes machen. Damit ist, glaube ich, das Problem nicht nur beherrschbar, sondern begrenzt.
Frau Tack, bitte.
Herr Staatssekretär, Sie stellen zwar auf der einen
Seite richtig dar, dass es hier um einen Rechtsverstoß
geht, erwähnen aber auf der anderen Seite in einem Nebensatz immer mit, dass das eigentlich absolut unbedenklich ist. Ich glaube, diese Betrachtungsweise birgt
eine ganz große Gefahr; denn es handelt sich um einen
rechtswidrigen Zustand. Hier ist in sieben BundeslänKerstin Tack
dern etwas passiert, was nicht rechtens ist. In etwa der
Hälfte aller Bundesländer haben wir verändertes Maisgut festgestellt, obwohl das gesetzlich untersagt ist.
Diese Dimension muss man in dieser Debatte deutlich
machen. Aus meiner Sicht kann man nicht ständig sagen: Aber das macht eigentlich nichts; denn der Verzehr
ist unbedenklich.
Diesen Umstand, dass es sich um einen rechtswidrigen Zustand handelt, muss man ernster nehmen, als es
die Bundesregierung scheinbar macht. Deshalb reicht es
aus meiner Sicht auch nicht aus, zu sagen: Heute tagen
die Bundesländer, die sollen mal gucken, ob sie miteinander eine Regelung hinkriegen. Der Bund hält sich
da komplett raus. Die Bundesregierung findet das für ihr
eigenes Handeln nicht weiter relevant.
Deshalb frage ich: Welche Kontrollen - insbesondere
auch eigene Kontrollen der Anbieter - wollen Sie in Anbetracht der gegebenen Situation verschärfen und ergänzen, um solche Situationen in Zukunft zu verhindern?
Die Zuständigkeit für die Kontrollen liegt bei den
Ländern. Es ist vollkommen klar, dass Transparenz notwendig ist. Wir appellieren selbstverständlich an die
Länder, die Kontrolldichte und die Kontrollergebnisse
offenzulegen. Die Kontrolllinie hat in diesem Fall auch
funktioniert, nicht funktioniert hat die Weitergabe der Informationen. Deshalb muss dort jetzt reagiert werden.
Das Saatgut, das ausgebracht ist, darf nicht aufgehen.
Das ist die rechtliche Situation, die bestimmt, wie die
Bundesländer jetzt zu handeln haben.
An dieser Stelle möchte ich noch einmal sagen: Die
Probeentnahme wurde - auch in Niedersachsen - frühzeitig vorgenommen. Die Aussaat hätte verhindert werden können. Es kann nie ausgeschlossen werden - so ist
es dort passiert -, dass ein Beamter so etwas drei oder
vier Tage lang nicht weitermeldet. Wichtig war, dass die
Behörden entschieden gehandelt und den Saatguthersteller nicht nur ausfindig gemacht, sondern auch die Vertriebswege offengelegt haben. Alle weiteren Lieferungen
wurden überprüft. Ich glaube, das ist sehr wichtig.
Ich stelle noch einmal abschließend fest: Wir sollten
die Kirche im Dorf lassen, wenn wir über dieses Problem diskutieren. Wir diskutieren hier über diese eine
Maissorte, deren Körner Sie Zuhause mit dem Müslibrei
zu sich nehmen und die jetzt in Bezug auf die Frage der
Aussaat problematisiert wird.
Rechtlich ist das klar. Ich möchte aber an der Stelle
darauf hinweisen: Bei Lebensmitteln mit einem Anteil
der Spuren von gentechnisch veränderten Organismen
von über 0,9 Prozent muss entsprechend gekennzeichnet
werden. Auch bei Futtermitteln und Ökoprodukten haben wir - Sie wissen das - eine Toleranzgrenze. Beim
Saatgut liegt diese Grenze bei 0,0 Prozent. Darüber wird
diskutiert.
Sie müssten sich fairerweise hinstellen und sagen: Ich
bin bei allen Produkten im Lebensmittelbereich - auch
bei Ökoprodukten - für 0,0 Prozent.
({0})
Entscheidend für den Bürger draußen ist, dass die unabhängige europäische Behörde EFSA festgestellt hat, dass
es keine wissenschaftlichen Bedenken gegen diese spezifische Maissorte als Futter- und Lebensmittel gibt. Die
0,0 Prozent bei der Aussaat sind rechtlich unstrittig. Ich
habe dargestellt, dass die Länder hier handeln müssen
und dass der derzeitige Zustand rechtlich nicht zulässig
ist.
Es gibt noch vier Fragesteller. Ich werde jeweils noch
eine Frage ohne Nachfrage zulassen, damit wir dann zu
den anderen Fragen kommen können, und gebe der Kollegin Behm das Wort.
Herr Staatssekretär, es freut mich, dass Sie geltendes
EU-Recht und in Deutschland geltendes Recht anerkennen und dass Sie akzeptieren, dass es für nicht zugelassene Konstrukte die Nulltoleranz gibt. Die Nulltoleranz
ist ja keine spinnerte Idee irgendwelcher grünen Politiker;
({0})
vielmehr hat man sich auch seitens der Wirtschaft Gedanken darüber gemacht. Sie wissen alle, dass wir uns
hier um Wahlfreiheit und eine friedliche Koexistenz gentechnisch veränderter und unveränderter Konstrukte bemühen. Die Bürgerinnen und Bürger müssen das Recht
haben, gentechnisch unveränderte Produkte zu kaufen.
In dem Rahmen spielt die Nulltoleranz eine ganz besondere Rolle; denn sie soll verhindern, dass andere Produkte ungewollt in den deutschen Markt einwandern.
Schauen Sie sich einmal einen Maiskolben an. Eine
Maispflanze wächst aus einem einzigen gentechnisch
veränderten Korn, und sie hat mehrere Kolben. Unter
günstigen Bedingungen fruchtet dieser Mais, und die
Maiskörner verbreiten sich. Dadurch könnte der hier
nicht für den Anbau zugelassene Mais - oder auch der
Reis, der vor kurzem einen Skandal verursacht hat
({1})
und zu Recht hier nicht zugelassen wird - schleichend
einwandern. In diesem Fall könnten wir weder die friedliche Koexistenz noch die Wahlfreiheit, die wir den Verbraucherinnen und Verbrauchern garantieren, sicherstellen.
Ich denke, Sie sind ein verantwortlich handelndes
Mitglied dieser Bundesregierung.
({2})
Deswegen frage ich Sie: Was wollen Sie als verantwortlich handelndes Regierungsmitglied tun, damit diese
Nulltoleranz ohne Fehl und Tadel eingehalten wird, um
das schleichende Unterwandern der deutschen Agrarproduktion mit nichtzugelassenen Konstrukten, sei es Mais
oder irgendetwas anderes, zu verhindern?
Es muss für alle im Lande klar sein, dass Sicherheit
für Mensch, Gesundheit und Umwelt das absolute Maß
ist. Das ist durch die derzeitige Gesetzgebung der Europäischen Union und der Mitgliedstaaten gewährleistet.
Die nächste Fragestellerin ist Frau Höhn.
Herr Staatssekretär, stimmen Sie mit mir überein,
dass wir bei Saatgut besonders sensibel sein müssen,
weil aus einem Saatkorn eine erhebliche Ernte entstehen
kann, und muss ich Ihre relativierenden Aussagen zur
Nulltoleranz so verstehen, dass Sie versuchen, den Wert
von 0,0 bei nichtzugelassenem Saatgut aufzuweichen,
also den Grenzwert, der jetzt rechtlich gilt, eigentlich
nicht akzeptieren wollen?
Die Antwort auf Ihre erste Frage lautet ja, die Antwort auf Ihre zweite Frage nein.
Herr Ott.
Danke, Frau Präsidentin. - Herr Staatssekretär, ich
muss gestehen, ich empfinde es als merkwürdig und Ihrer Rolle nicht angemessen, wie Sie hier mit geltendem
Recht umgehen. Da sitzt Ihr Kollege Stadler; vielleicht
können Sie sich von ihm in Bezug auf Recht und Gesetz
ein bisschen Nachhilfe geben lassen; denn wir haben die
Nulltoleranzgrenze gesetzlich festgelegt.
Vielleicht können Sie Folgendes aufklären: Ihr Kollege Uhlenberg bestreitet, dass in NRW ausgesät worden
sein soll. Auf der Liste, die Sie gerade genannt haben,
steht meines Wissens aber auch NRW.
({0})
Das lässt sich aufklären. Auf der Liste stehen sieben
Bundesländer. Es heißt hier: Nach vorliegenden Informationen wurde die positiv beprobte Saatgutpartie an
Landwirte in sieben Ländern - Niedersachsen, BadenWürttemberg, Bayern, Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein - geliefert. Es ist nicht in allen Bundesländern ausgesät worden. Ich kann aus dem Stand heraus nicht
sagen - dies ist noch ein offener Punkt -, wie die Lage in
NRW ist. Sie bekommen dazu noch alle Informationen
geliefert. Die Behörden arbeiten sehr gründlich.
Ich muss Ihre Bemerkung, die ich mit Erstaunen gehört habe, zurückweisen. Die Rechtslage ist eindeutig
und wurde von mir klar dargestellt. Es gibt keine Kompromisslinie. Derzeit gilt die Grenze von 0,0. Wer ausgesät hat, hat also gegen geltendes Recht verstoßen. Dieser
Verstoß kann nur durch Haftung und aus meiner Sicht
durch Umpflügen - es gibt auch andere Methoden - geheilt werden. Dies wird auch von den Bundesländern so
gesehen.
Die letzte Frage stellt der Kollege Paula.
Herr Staatssekretär, Sie, die Frau Ministerin und ich
selbst kommen aus Bayern, dem Bundesland, welches
sich mit größtem Nachdruck gegen jegliches Ausbringen
von genverändertem Saatgut ausspricht. Sie haben der
Presse entnommen, dass der Präsident des Deutschen
Bauernverbandes, Herr Sonnleitner, von einem Vorgang
spricht, auf den er nur noch mit Entsetzen reagieren
kann. Auch ich reagiere etwas mit Entsetzen darauf, wie
Sie versuchen, das Ganze nach dem Motto „Ein Korn
von Tausend“ zu relativieren, und auf die Länderzuständigkeit verweisen.
Sie sind sicherlich mit mir der Meinung, dass es hier
ein eklatantes Kommunikationsversagen gegeben hat.
Meine Frage an Sie: Wann geht die Bundesregierung in
die Offensive und versucht, diesen Informations-GAU
durch eine qualifizierte Öffentlichkeitsarbeit zu ersetzen? In diesem Zusammenhang müssen folgende Fragen
beantwortet werden: Welche Flächen sind betroffen?
Was wird unternommen? Wie werden die entsprechenden Schäden beseitigt? Es handelt sich nämlich um erhebliche Schäden. In Bayern sind 800 Hektar betroffen.
Das ist eine unvorstellbar große Zahl. Sehen Sie also
nicht auch die Notwendigkeit, dass in Anbetracht eines
solchen GAUs eine zentrale Stelle die Informationen
qualifiziert und rechtzeitig liefert?
({0})
Ich will es für diejenigen Verbraucherinnen und Verbraucher, die sich für dieses Thema interessieren, noch
einmal deutlich machen. Es geht um eine Maislinie, die
für Lebensmittel zugelassen ist. Es besteht aus dieser
Sicht keine Gefährdung für Mensch und Tier. Das müssen wir einmal klarstellen. Die Rechtslage in Bezug auf
das Saatgut ist eindeutig. Alle Informationen werden in
voller Offenheit und Transparenz dargelegt.
Der Saatguthersteller ist öffentlich bekannt. Alle Vertriebswege in die Bundesländer hinein sind kontrolliert
worden. Die Flächen sind bekannt. Bayern hat sehr entschieden, schnell und richtig gehandelt. Die betroffenen
Flächen werden umgepflügt. Damit dürfte das Problem
für den Anbauer behoben sein. Daneben stellen sich natürlich Haftungsfragen an den Saatgutvertreiber.
Es gibt noch eine andere Frage, die Sie richtigerweise
ansprechen: Woher kommt das Saatgut, und wo ist die
Stelle der Verunreinigung? Auch eine Verunreinigung
mit einem Anteil von 0,1 Prozent ist nicht tolerabel. Dies
gilt vor allen Dingen für den Landwirt. Eine entsprechende Frage meinerseits konnte heute früh nicht präzise
beantwortet werden. Die betroffene Firma hat sich bis
jetzt nicht eindeutig dazu geäußert. 70 bis 75 Prozent des
Saatgutes werden aus dem Ausland importiert. Bei der
betroffenen Linie handelt es sich offensichtlich um eine
Linie aus Ungarn. Man wird natürlich bis zum Produzenten zurückgehen müssen.
Für die Saatgutfirmen ist entscheidend, mit welcher
Präzision und Seriosität sie dieses Thema behandeln. Für
die betroffene Firma wird es - Stichwort Haftung enorme Auswirkungen haben. Die Behörden, die Betroffenen und alle Bundesländer haben eindeutig dargelegt
- ich denke, das ist mehr als nur ein Signal an die Saatguthersteller -, dass diese Firmen in Bezug auf den Anbau in europäischen und außereuropäischen Ländern ihr
Kontrollsystem und ihr Qualitätssicherungssystem wesentlich verbessern müssen.
Das Zweite ist - Herr Ostendorff, das nehmen wir natürlich für die Bundesländer auf -: Genügt eine Testung
von 10 Prozent des Maissaatgutes? Testet jedes Bundesland 10 Prozent? Ist die Risikokontrolle ausreichend?
Mit einer Verunreinigung von 7 oder 6 Prozent dieser
10 Prozent können wir nicht zufrieden sein; das ist
selbstverständlich.
Das sind die Themen, die heute Nachmittag mit den
Ländern besprochen werden.
Nachdem die Dringliche Frage aufgerufen und ausführlich beantwortet und diskutiert worden ist, rufe ich
jetzt die Fragen auf Drucksache 17/1917 in der üblichen
Reihenfolge auf.
Wir kommen zunächst zum Geschäftsbereich des
Bundesministeriums des Innern. Hier steht zur Beantwortung der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Christoph
Bergner zur Verfügung.
Schriftlich beantwortet werden die Fragen 1 und 2 des
Kollegen Kilic, die Frage 3 des Kollegen Volker Beck
sowie die Fragen 4 und 5 des Kollegen Nouripour.
Damit kommen wir zur Frage 6 des Kollegen
Montag:
Welche Maßnahmen sind nach Auffassung der Bundesregierung erforderlich, um ein drohendes Vertragsverletzungsverfahren der EU-Kommission mit einer Geldstrafe von mindestens 12,7 Millionen Euro gegen Deutschland wegen
mangelhafter Umsetzung der 3. EU-Geldwäscherichtlinie,
2005/60/EG, abzuwehren?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Herr Kollege Montag, zur Abwehr eines drohenden
Vertragsverletzungsverfahrens, wonach Sie fragen, ist es
erforderlich, dass die Länder baldmöglichst die in ihrer
Zuständigkeit liegenden Aufsichtsbehörden nach § 16
Abs. 2 Nr. 9 des Geldwäschegesetzes vollständig benennen.
Der Bund hat die 3. EG-Geldwäscherichtlinie mit
Inkraftsetzen des Gesetzes zur Ergänzung der Bekämpfung der Geldwäsche und der Terrorismusfinanzierung,
des Geldwäschebekämpfungsergänzungsgesetzes, am
21. August 2008 umgesetzt. Anhaltspunkte, dass das Gesetz den Anforderungen der 3. EG-Geldwäscherichtlinie
nicht genüge, gibt es nicht. Das Geldwäschegesetz enthält in § 16 Abs. 2 Nr. 9 einen beanstandungsfreien Verweis auf die jeweils nach Landesrecht zuständigen Landesbehörden.
Die Wahrnehmung der Zuständigkeiten für die Aufsicht über Kasinos sowie sonstige zu beaufsichtigende
Berufsgruppen, namentlich Güterhändler, Immobilienmakler und Versicherungsvermittler, fällt in die ausschließliche Regelungskompetenz der Länder. Während
die Zuständigkeiten für die Aufsicht über Kasinos vollständig benannt sind, stehen Benennungen von Aufsichtsbehörden für die sogenannten sonstigen Berufsgruppen, also Güterhändler, Immobilienmakler und
Versicherungsvermittler, teilweise in den Ländern noch
aus.
Eine Nachfrage, Herr Montag? - Bitte.
Danke, Frau Präsidentin. - Herr Staatssekretär, ich
danke Ihnen für Ihre Antwort. Meine Nachfrage bezieht
sich auf eine Veröffentlichung im Handelsblatt vom
1. Juni dieses Jahres. In diesem Artikel des Handelsblatts zu dem Thema, über das wir gerade reden, wird
das Bundesinnenministerium mit der Behauptung zitiert
- ich zitiere wörtlich -:
Das Bundesinnenministerium sei nicht der richtige
Adressat, hieß es gestern zu den Vorwürfen in der
Berliner Behörde. Ein „blauer Brief aus Brüssel“
müsste an die zuständigen Bundesländer weitergeleitet werden.
Ich frage Sie: Sind Sie der Auffassung, dass sich in all
den Fällen, in denen der Bundesgesetzgeber wie in § 16
Abs. 2 GwG Aufgaben an die Bundesländer delegiert
hat, die Europäische Kommission direkt an die deutschen Bundesländer zu halten habe, und zwar ohne Einschaltung der Bundesregierung und der Bundesebene?
Sind Sie der Auffassung, dass Sie, das Bundesinnenministerium als Behörde, in diesem Fall nicht zuständig
für das Anliegen der Kommission sind?
Meine zweite Nachfrage auf Ihre Antwort lautet:
Wenn dem so ist, dass die Bundesländer zum Teil noch
nicht vollständig Benennungen von Aufsichtsbehörden
geliefert haben, was haben Sie dann unternommen, um
die Länder dazu zu bringen? Immerhin heißt es in dem
Artikel im Handelsblatt, dass die Kommission es abgelehnt habe, Ihnen eine Fristverlängerung zu gewähren,
mit der Erklärung, Deutschland habe bereits mehrere
Monate zur Übermittlung vollständiger Informationen
zur Verfügung gehabt und die Kommission sehe nicht
ein, warum sie länger zuwarten solle.
Herr Kollege Montag, ich will zunächst einmal festhalten, dass es im Interesse des Bundesinnenministeriums ist, dass die einschlägige EU-Richtlinie tatsächlich
umgesetzt wird. Wir haben es hier allerdings mit einer
Situation zu tun, die aus unserer Sicht auch europarechtlich hinreichend definiert ist: Wenn die entsprechende
Zuständigkeit bei den Ländern liegt, muss auch die Verpflichtung von den Ländern wahrgenommen werden.
Wir haben uns auf unterschiedlichen Wegen bemüht,
die Länder auf diese Verantwortung hinzuweisen, und
müssen bedauerlicherweise zur Kenntnis nehmen, dass
die Angelegenheit im Hinblick auf die Ressortzuständigkeit - im Regelfall ist der Innenminister oder der Wirtschaftsminister zuständig - zu einem Streitfall geworden
ist. Das äußert sich unter anderem darin, dass die Innenministerkonferenz und die Wirtschaftsministerkonferenz der Länder jeweils einstimmig einander ausschließende Beschlüsse gefasst haben. Vor diesem
Hintergrund bitte ich um Verständnis, dass wir in diesem
Punkt die Verantwortung für die erforderliche Umsetzung der Richtlinie, die wir für außerordentlich wichtig
halten, bei den Ländern suchen. Die föderale Zuständigkeit würde aus meiner Sicht falsch verstanden, wenn wir
die Verantwortung nicht so eindeutig benennen würden.
Dann kommen wir zur Frage 7 des Kollegen Montag
zum gleichen Thema:
Was gedenkt die Bundesregierung zu tun, damit die in
§ 16 des Geldwäschegesetzes genannten Aufsichtsbehörden
der Kontrolle der in der Richtlinie genannten Berufsgruppen
- unter anderem Steuerberater, Versicherungsvermittler, Immobilienmakler, Kasinobetreiber, Gold- und Devisenhändler,
Juweliere - in ausreichendem Maße nachkommen - vergleiche Handelsblatt vom 31. Mai 2010?
Die Bundesregierung wird die Länder wie bisher bei
ihren Bemühungen um die Benennung der zuständigen
Aufsichtsbehörden unterstützen und die Thematik weiterhin in den geeigneten Bund-Länder-Gremien zur
Sprache bringen. - Dies ist im Wesentlichen das, was ich
schon auf Ihre Nachfrage zu antworten versucht habe.
Gibt es noch eine weitere Nachfrage, Herr Montag?
Ja.
Bitte schön.
Herr Staatssekretär, nachdem Sie auf die Zuständigkeit der Länder verweisen und sagen, dass Sie nicht
müde werden, die Länder zu bitten, doch zu liefern, habe
ich an Sie die Frage: Können Sie mir sagen, welche Bundesländer ihre Verpflichtungen in dieser Hinsicht erfüllt
haben? Bei welchen Ländern haben Sie bisher keinen
Erfolg gehabt?
Herr Kollege Montag, wenn Sie einverstanden sind,
würde ich Ihnen die Auskunft hierzu gern schriftlich geben. Da ich davon ausgehen muss, dass die Dinge im
Fluss sind, will ich jetzt keinen Stand wiedergeben, der
nicht mehr aktuell ist.
Der Kollege Ströbele hat sich zu einer Nachfrage gemeldet. Bitte schön.
Herr Staatssekretär, wer soll Ihrer Meinung nach die
drohende Geldstrafe in Höhe von 12,7 Millionen Euro
bezahlen: der Bund, welche Länder, mit welcher Beschlusslage?
Herr Kollege Ströbele, ich verweise auf das Gesetz
zur Lastentragung im Bund-Länder-Verhältnis bei Verletzung von supranationalen oder völkerrechtlichen Verpflichtungen, wo es in § 1 - Grundsätze der Lastentragung - aus unserer Sicht eindeutig geregelt ist, dass
hierfür die entsprechenden Länder aufkommen müssen.
({0})
Dann kommen wir jetzt zur Frage 8 des Abgeordneten Lars Klingbeil:
In wie vielen Fällen konnte seit Inkrafttreten des Zugangserschwerungsgesetzes bei einem vom Bundeskriminalamt
oder von anderen Einrichtungen wie Inhope beanstandeten
Angebot mit kinderpornografischen Inhalten eine Löschung
nicht zeitnah erreicht werden, und welche Erkenntnisse liegen
der Bundesregierung hierzu zu den Serverstandorten und den
Gründen dazu vor?
Herr Kollege Klingbeil, alle dem Bundeskriminalamt
bekannt werdenden Hinweise auf kinderpornografische
Webseiten werden durch das Bundeskriminalamt überprüft. Bei Feststellung von auf ausländischen Servern
gehosteten kinderpornografischen Inhalten werden diese
auf dem Interpol-Weg unmittelbar an den betreffenden
Staat gemeldet. Dabei wird um zeitnahe Löschung, Identifizierung der Verantwortlichen sowie um Rückmeldung
zu den veranlassten Maßnahmen gebeten. In den Monaten nach Inkrafttreten des Zugangserschwerungsgesetzes, also März und April 2010, konnte in Bezug auf gemeldete Inhalte - insgesamt wurden in diesem Zeitraum
304 Fälle gemeldet - in 174 Fällen festgestellt werden,
dass diese eine Woche nach erfolgter Meldung weiterhin
verfügbar waren.
Die Zahlen für den Mai 2010 liegen derzeit noch
nicht vor. Mehrheitlich betrafen die im März und April
2010 bekannt gewordenen Fälle Server aus den USA,
Russland und den Niederlanden, ich füge hinzu: ohne
dass bereits jetzt eine belastbare Grundlage für eine abschließende Analyse gegeben wäre. In welchem Umfang
die Arbeit der im Inhope-Netzwerk zusammengeschlossenen weltweiten Beschwerdestellen zum Löschen von
kinderpornografischen Inhalten geführt hat, ist der Bundesregierung gegenwärtig nicht bekannt.
Haben Sie eine Nachfrage, Herr Klingbeil?
Zunächst vielen Dank für die Antwort, Herr Staatssekretär. - Sie haben im Koalitionsvertrag vereinbart,
dass zunächst ein Jahr lang auf Grundlage des Zugangserschwerungsgesetzes nicht gesperrt wird. Vielmehr soll
das Löschen intensiviert werden. Es wird darauf gesetzt,
dass es nach einem Jahr eine Evaluierung gibt und die
Wirksamkeit und die Erfolge des Löschens geprüft werden. Ich habe folgende Frage: Wann ist das Jahr vorbei
bzw. wann hat es begonnen? Hat es mit der Vereinbarung des Koalitionsvertrages begonnen? Hat es mit der
Einsetzung des Zugangserschwerungsgesetzes begonnen? Infolgedessen stellt sich die Frage: Wann haben wir
mit der Evaluierung zu rechnen?
Nach meinem Verständnis hat es mit dem Inkrafttreten des Zugangserschwerungsgesetzes und der damit
beim Bundeskriminalamt auflaufenden Daten begonnen.
Diese - ich habe Ihnen die Vorabmeldung für die Monate März und April gegeben - werden dort in angemessener Zeit ausgewertet.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Justiz. Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Max Stadler zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 9 des Kollegen Lars Klingbeil auf:
Wann beabsichtigt die Bundesregierung, das bei der Einbringung der Gesetzentwürfe zur Aufhebung des Gesetzes zur
Bekämpfung der Kinderpornografie in Kommunikationsnetzen im Februar 2010 angekündigte Löschgesetz vorzulegen,
und was soll konkret in diesem Gesetz geregelt werden?
Herr Kollege Klingbeil, wie Sie gerade selbst erwähnt
haben, ist im Koalitionsvertrag selbstverständlich festgehalten, dass es notwendig ist, gegen kinderpornografische Angebote im Internet intensiv vorzugehen und
diese schnellstmöglich zu löschen, statt sie zu sperren.
Sie haben zu Recht erwähnt, dass für ein Jahr kinderpornografische Inhalte auf der Grundlage des Zugangserschwerungsgesetzes nicht gesperrt werden. Stattdessen
betreiben die Polizeibehörden in enger Zusammenarbeit
mit den Selbstregulierungskräften der Internetwirtschaft
die Löschung kinderpornografischer Seiten. Bei der Beantwortung der vorherigen Frage ist bereits deutlich geworden, dass diese Bemühungen nach einem Jahr in
Hinblick auf Erfolg und Wirksamkeit evaluiert werden
und aufgrund der gewonnenen Erkenntnisse eine ergebnisoffene Neubewertung vorgenommen werden soll. Das
ist der Stand der Dinge.
Haben Sie eine Nachfrage, Herr Klingbeil?
Vielen Dank für die Antwort. - Teilen Sie die Einschätzung namhafter Rechtsexperten, die sagen, dass wir
kein Löschgesetz, wie von der Regierung angekündigt,
brauchen, weil wir keine rechtlichen Lücken haben, sondern Lücken bei der Durchsetzung von bestehenden
Rechten? Meine zweite Frage schließt sich daran an:
Falls Sie das anders sehen, würde ich gerne wissen, wo
Sie gesetzgeberische Lücken, die mit dem Löschgesetz
geschlossen werden müssen, sehen.
Tatsache ist, dass wir ein Gesetz vorgefunden haben,
das noch von der alten Bundesregierung und der damaligen Koalitionsmehrheit kurz vor der Bundestagswahl
gegen den Widerstand aller Oppositionsfraktionen beschlossen worden ist. Es sollte mit der sogenannten
Sperrung der Zugang zu kinderpornografischen Inhalten
erschwert werden. In Wahrheit ist das aber keine echte
Sperrung. Deswegen haben wir in der neuen Koalition
vereinbart, uns auf das Wesentliche, Erfolgversprechende und Notwendige zu konzentrieren, nämlich die
Löschung vorzunehmen.
Auf der Grundlage des derzeit geltenden Rechts sind
Maßnahmen zur Durchsetzung dieses Vorhabens, also
zur Löschung solcher Inhalte, ins Werk gesetzt worden.
Der Kollege vom Innenministerium hatte gerade nicht
erwähnt, dass am 19. Februar 2010 ein Anwendungserlass des Bundesinnenministeriums an das Bundeskriminalamt gegangen ist, mit dem sichergestellt wurde, dass
die kritisierte sogenannte Sperrinfrastruktur nicht ins
Werk gesetzt wird. Seither wird auf der Grundlage der
bestehenden Gesetze das Löschen vorgenommen. Die
Zahlen dazu wurden gerade von Herrn Bergner vorgetragen.
Es ist aber vielleicht noch zu ergänzen, dass mit den
Selbstregulierungskräften der Internetwirtschaft gerade
kürzlich vereinbart worden ist, die Zusammenarbeit mit
dem Bundeskriminalamt noch zu verstärken. Insbesondere das Bundeskriminalamt - das ist eine wichtige Information - hat etwa seit Mai die Zusammenarbeit mit
den USA deutlich verstärkt; denn aus den vorgetragenen
Zahlen ist hervorgegangen, dass von dort besonders
viele solcher Inhalte ins Netz gestellt werden.
Dies geschieht in der Tat alles, ohne dass dafür eine
neue gesetzliche Grundlage geschaffen worden wäre.
Nach Ablauf von einem Jahr wird dann zu evaluieren
sein, ob diese Maßnahmen ausreichen. Abschließend bewerten - da schließe ich mich Herrn Kollegen Bergner
an - kann man das aufgrund der jetzt vorliegenden Zahlen noch nicht. Wir glauben, dass die Zahl der Löscherfolge steigen wird.
Eine weitere Nachfrage kommt vom Kollegen
Montag.
Danke, Frau Präsidentin. - Ihre Erklärung, Herr
Staatssekretär, veranlasst mich dazu, kurz nachzufragen.
Habe ich Ihre letzten Ausführungen so zu verstehen,
dass die Frage, ob es überhaupt ein Löschgesetz geben
wird, offen ist? Ist also gar nicht sichergestellt, dass Sie
einen Entwurf für ein Löschgesetz vorlegen werden,
sondern ist es so, dass Sie erst abwarten, wie die Praxis
funktioniert, und erst danach entscheiden wollen, ob Sie
überhaupt einen entsprechenden Gesetzentwurf vorlegen
wollen?
Sie haben es nicht ganz genau so verstanden, wie ich
es gemeint habe, oder ich habe es nicht präzise genug
ausgedrückt. Klar ist, dass nach einem Jahr evaluiert
wird, wie man weiter vorgeht, insbesondere ob es bei
dem von der neuen Bundesregierung favorisierten
Grundsatz „Löschen statt Sperren“ bleibt oder ob es zu
einer Rückkehr zu den Zugangserschwernisregelungen
der früheren Koalition aus CDU/CSU und SPD kommen
wird. Das war damit gemeint.
Sie haben meinen Ausführungen entnommen, dass
dem Bundestag von der Bundesregierung derzeit kein
Entwurf für ein eigenes Löschgesetz vorgelegt worden
ist. Ich verrate kein Geheimnis, wenn ich sage: Darüber
gibt es interne Gespräche, die aber bisher nicht zu dem
Ergebnis geführt haben, dass wir Ihnen einen solchen
Gesetzentwurf hätten vorlegen können.
Dann kann jetzt der Kollege Klingbeil seine zweite
Nachfrage stellen. Es gab hier gerade etwas Konfusion.
Vielen Dank. - Ich wollte genau den Punkt aufgreifen, den auch der Kollege Montag angesprochen hat. Er
hat übrigens genauso wie ich verstanden, dass Sie gesagt
haben: Wir evaluieren, und am Ende steht die Frage:
Brauchen wir überhaupt ein Löschgesetz?
Zwischendurch gab es Pressemeldungen, in denen
verbreitet wurde, der Entwurf für ein Löschgesetz sei
jetzt fertig und werde zwischen den Ministerien abgestimmt. Meine kurze Frage ist: Stimmen diese Presseartikel also nicht, dass an einem solchen Gesetzentwurf
bereits gearbeitet wird?
Noch einmal, Herr Kollege Klingbeil: Nach Ablauf
des einen Jahres - ich habe es präzisiert - wird entschieden, wie weiter verfahren wird. Dass es innerhalb der
Bundesregierung schon jetzt Überlegungen gibt, dem
Bundestag einen eigenen Gesetzentwurf für ein Löschgesetz vorzulegen, haben Sie den Pressemeldungen richtig entnommen. Diese Überlegungen sind aber noch
nicht zu einem Ergebnis gekommen, sodass Ihnen bisher
ein solcher Gesetzentwurf, wie Sie unschwer feststellen
konnten, noch nicht vorgelegt worden ist.
Ich rufe die Frage 10 der Kollegin Höhn auf:
Kann die Bundesministerin der Justiz in der Frage etwaiger Verlängerungen der Laufzeit von Atomkraftwerken ein
Vorgehen mittragen, das nach gutachterlicher Einschätzung
ihres eigenen Hauses „mit einem nicht unerheblichen verfassungsrechtlichen Risiko verbunden wäre“, weil „nicht sicher
davon ausgegangen werden“ kann, „dass das Bundesverfassungsgericht im Streitfall die Zustimmungsbedürftigkeit verneint“ ({0})?
Frau Kollegin Höhn, wie Sie wissen, ist die politische
Meinungsbildung innerhalb der Bundesregierung über
eine Laufzeitverlängerung der Atomkraftwerke in
Deutschland und gegebenenfalls deren Ausgestaltung
noch nicht abgeschlossen. Das in Ihrer Frage zitierte gemeinsame Gutachten des Bundesministeriums der Justiz
und des Bundesinnenministeriums zur Frage der Zustimmungsbedürftigkeit einer etwaigen Änderung des Atomgesetzes zur Verlängerung der Laufzeit wird natürlich in
den Meinungsbildungsprozess der Bundesregierung einfließen und berücksichtigt werden.
Das Gutachten kommt zu einer differenzierten Betrachtung. Es stellt fest, dass eine zustimmungsfreie
Ausgestaltung eines solchen Gesetzes unter bestimmten
Bedingungen noch vertretbar erscheint, sieht aber ein
nicht unerhebliches verfassungsrechtliches Risiko als
gegeben an, weil die Prüfung der Zustimmungsbedürftigkeit sich in dieser Frage auf rechtlichem Neuland bewegt. Verfassungsgerichtliche Entscheidungen zur Fragestellung gibt es bisher nämlich noch nicht. Es liegen
mehrere Rechtsgutachten vor, die aber zu unterschiedlichen, konträren Ergebnissen kommen. Eine endgültige
verfassungsrechtliche Bewertung der Frage der ZustimParl. Staatssekretär Dr. Max Stadler
mungsbedürftigkeit ist erst nach Vorlage eines ausformulierten Gesetzentwurfs möglich.
Frau Höhn, bitte.
Herr Staatssekretär, heute Mittag, 11.46 Uhr, ist über
Reuters die Meldung verbreitet worden, dass eine Vorentscheidung gefallen sei und der Bundesrat bei der Verlängerung der Laufzeiten der Atomkraftwerke kein Vetorecht haben solle.
Der Weg über ein zustimmungsfreies Gesetz werde
von allen maßgeblichen Personen in der Regierung
und den Regierungsfraktionen bis auf Umweltminister Norbert Röttgen favorisiert.
Zu den Befürwortern eines zustimmungsfreien Gesetzes
„gehörten das Kanzleramt, Innen-, Finanz- und Justizministerium“ und die beiden Koalitionsfraktionen. Können Sie bestätigen, dass Sie zu den nicht unerheblichen
Befürwortern gehören, die der Meinung sind, dass man
ein Gesetz machen soll, das der Zustimmung des Bundesrates nicht bedarf, obwohl Ihnen ein Gutachten vom
Anfang dieses Monats vorliegt, das also noch sehr jung
ist, nach dem nicht unerhebliche verfassungsrechtliche
Risiken damit verbunden sind und man nicht sicher davon ausgehen kann, dass das Bundesverfassungsgericht
im Streitfall die Zustimmungsbedürftigkeit verneint?
Frau Höhn, wie ich in der Antwort auf Ihre schriftliche Frage schon ausgeführt habe, ist die Frage der Zustimmungsbedürftigkeit erst dann endgültig zu beantworten, wenn ein ausformulierter Gesetzentwurf
vorliegt, sodass dessen Inhalt bewertet werden kann. Ich
glaube, ich habe deutlich genug vorgetragen, dass es
Ausgestaltungen eines solchen Gesetzes gibt, die nach
der im Gutachten von BMJ und BMI vertretenen Auffassung zustimmungsfrei sind, es aber auch andere Ausgestaltungen eines solchen Gesetzes geben kann, die der
Zustimmung bedürfen. Leider ist es in der Juristerei oft
so, dass man eine Frage nicht einfach mit Ja oder Nein
beantworten kann, sondern mit dem berühmten Juristensatz „Es kommt darauf an …“ beantworten muss.
Vielleicht darf ich das verfassungsrechtliche Problem
ganz kurz erläutern. Es handelt sich um Art. 87 c des
Grundgesetzes. Nach dieser Vorschrift können Gesetze
- ich verkürze einmal -, die die friedliche Nutzung der
Kernenergie betreffen, wofür der Bund die ausschließliche Gesetzgebungskompetenz besitzt, „mit Zustimmung des Bundesrates bestimmen, dass sie von den Ländern im Auftrag des Bundes ausgeführt werden.“ Das
Gutachten, das BMJ und BMI vorgelegt haben, geht davon aus, dass der Maßstab für die Anwendung des
Art. 87 c Grundgesetz ist, ob in einer Laufzeitverlängerung eine neue Übertragung dieser Aufgabe an die Länder als Bundesauftragsverwaltung liegen würde oder
nicht. Das ist der entscheidende Maßstab. Je nachdem,
wie das Gesetz ausgestaltet ist, kann diese Voraussetzung erfüllt sein oder auch nicht.
Ich bitte daher noch einmal um Verständnis, wenn ich
hier vortrage, dass für uns beide Möglichkeiten rechtlich
denkbar sind. Auf das Risiko, das damit zusammenhängt, dass bisher keine Entscheidung zu Art. 87 c des
Grundgesetzes vorliegt, habe ich hingewiesen. Es gibt
eine Entscheidung - 48. Band - zu einer Parallelvorschrift - Art. 87 b Grundgesetz -, der wir bei unserem
Gutachten den Prüfungsmaßstab entnommen haben.
Frau Höhn.
Heißt das, dass die Meldung von Reuters nicht stimmt
und dass Sie sich zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht im
Sinne einer Zustimmungsfreiheit des Gesetzes entschieden haben? So interpretiere ich Ihre Antwort einmal,
denn ich wollte ja keine juristische Antwort haben.
Frau Höhn, ich habe mich am heutigen Vormittag in
Gremien des Deutschen Bundestages bewegt und diese
Meldung von Reuters jetzt erstmals zur Kenntnis genommen.
Okay, danke schön. Ich dachte nur, dass Sie als
Staatssekretär eine solche Meldung, die von Ihrem
Ministerium ausgeht, auch kennen.
Ich weiß nicht, ob sie von unserem Ministerium ausgeht; das hatten Sie vorhin nicht so vorgetragen.
Doch, hatte ich schon. Ich dachte nur, dass Sie über
die Entscheidung Ihres Ministeriums informiert sind.
Aber gut.
Frau Kollegin Höhn, das bin ich durchaus, und die
Entscheidung unseres Ministeriums lautet folgendermaßen: Man kann eine endgültige verfassungsrechtliche
Bewertung der Frage, ob dieser Vorgang im Bundesrat
zustimmungsbedürftig ist, erst dann abgeben, wenn der
Gesetzestext ausformuliert vorliegt.
So, jetzt meine zweite Nachfrage.
Das war schon die zweite Nachfrage.
Nein, ich habe doch gar keine Frage gestellt.
Sie sagten, Sie dachten, dass diese Meldung vom
Ministerium ausging, und der Herr Staatssekretär hat darauf geantwortet. Deswegen würde ich jetzt gern Herrn
Montag die Möglichkeit zu einer weiteren Nachfrage geben.
Danke schön, Frau Präsidentin. - Herr Staatssekretär
Stadler, Sie haben schön geantwortet, und die von Ihnen
zitierte Verfassungslage ist mir bekannt. Aber ich will
noch einmal hinsichtlich des politischen Inhalts Ihrer
Antwort nachfassen.
Habe ich diese so zu verstehen, dass das Bundesjustizministerium ein Laufzeitenverlängerungsgesetz für
verfassungsrechtlich unbedenklich halten würde, wenn
den Bundesländern in diesem Gesetz die Verwaltungskompetenz für den Atombereich genommen und die
gesamte Verwaltung der Atomkraftwerke in die Zuständigkeit des Bundes überführt würde? Ist das die Quintessenz Ihrer Antwort?
Nicht ganz, Herr Kollege Montag. Sie haben ein Szenario formuliert, bei dem der Art. 87 c Grundgesetz tatsächlich nicht einschlägig wäre und sich demgemäß
keine Zustimmungsbedürftigkeit nach dieser Vorschrift
ergeben würde. Mir ist allerdings bisher nicht bekannt,
dass das möglicherweise beabsichtigte Gesetz diesen
Weg gehen soll.
Wenn es bei der bisherigen Rechtslage, dass nämlich
das Atomgesetz von den Ländern in Auftragsverwaltung
des Bundes vollzogen wird, bleibt, dann kommt es darauf an, ob mit der Gesetzesänderung eine neue Auftragsverwaltung geschaffen wird - dann wäre der
Art. 87 c Grundgesetz einschlägig - oder ob dies nicht
der Fall ist. Dies wiederum hängt davon ab, welchen Inhalt das Gesetz haben wird.
Sie haben ein Szenario beschrieben, das man theoretisch betrachten kann, das uns praktisch aber in dieser
Form nicht vorgelegt worden ist.
Frau Steiner.
Herr Staatssekretär, es gibt ein Rechtsgutachten des
Landes Schleswig-Holstein, das zu dem Ergebnis
kommt, dass die Aufspaltung der geplanten Atomrechtsänderungen in ein Gesetz, das die Laufzeiten verlängert,
und in ein Gesetz, das Sicherheitsbestimmungen enthält,
im Lichte der staatlichen Schutzpflichten gemäß Art. 1
und 2 Grundgesetz verfassungswidrig sein könnte. Ist
dies auch aus Sicht des Bundesministeriums der Justiz
eine ernst zu nehmende rechtliche Argumentation?
Frau Kollegin, wie ich schon bei meiner allerersten
Antwort ausgeführt habe, nehmen wir die Gutachten, die
es zu dieser nicht einfachen Thematik gibt, selbstverständlich alle sehr ernst. Gerade weil es unterschiedliche
Gutachten durchaus beachtlichen Inhalts gibt, ist eine
eindeutige Vorhersage, wie das Bundesverfassungsgericht, das diese Frage bisher noch nicht entschieden hat,
in einem etwaigen Streitfalle entscheiden würde, unserer
Ansicht nach derzeit schwer möglich.
Sie haben eine spezielle Frage gestellt, die ich nur in
abstrakter Form beantworten kann. Diesbezüglich ist die
Rechtslage allerdings völlig klar. Entgegen Auffassungen, die in der Frühzeit der Bundesrepublik Deutschland
in der Kommentarliteratur vertreten worden sind, ist seit
langem völlig eindeutig geklärt, dass eine Aufspaltung
von Gesetzen in einen zustimmungsfreien Inhalt und in
einen zustimmungspflichtigen Inhalt möglich ist. Ich
möchte jetzt nicht bewerten, ob dies in der von Ihnen geschilderten konkreten Konstellation der Fall ist. Dazu
müsste man einen ausformulierten Gesetzesvorschlag
kennen.
Ich sage damit auch nicht - ich betone das, damit ich
nicht missverstanden werde -, dass eine Entscheidung
getroffen ist, eine solche Aufspaltung vorzunehmen. Ich
sage nur: Sie ist in früheren Fällen vorgenommen und
nicht beanstandet worden. Ich möchte also nur abstrakt
auf die Frage nach der Rechtslage antworten, die Sie
aufgeworfen haben.
Eine Nachfrage des Kollegen Ott.
Vielen Dank. - Herr Staatssekretär, ich mache mir
langsam Sorgen um den Zustand des Konservatismus in
Deutschland. Konservative Spitzenpolitiker - meistens
fangen ihre Namen mit K an - pfeifen auf die Pflichterfüllung, die wesentlicher Bestandteil konservativen Denkens und konservativer Ethik ist. Jetzt bringen Sie etwas
auf den Weg, bei dem ich mich frage, wann es so etwas
zum letzten Mal gegeben hat. Wann hat die Bundesregierung ein Gesetz auf den Weg gebracht, bei dem das Bundesjustizministerium nicht unbedeutende verfassungsrechtliche Risiken gesehen hat? Wie vereinbaren Sie das
mit Ihrem Job als Staatssekretär im Verfassungsschutzministerium?
Ich will jetzt nicht oberlehrerhaft sein, aber ich
glaube, dass die Frage nach dem Zustand des Konservatismus - ich bevorzuge das Wort Konservativismus; aber
das ist nur eine semantische Kleinigkeit am Rande ({0})
nicht ausgerechnet von mir als liberalem Politiker hier in
der Fragestunde zu beantworten ist.
Ich habe, glaube ich, als Parlamentarischer Staatssekretär auch keinen Job, sondern eine Aufgabe. Diese
Aufgabe nehmen wir als Bundesjustizministerium in der
Weise wahr, dass wir die bestehende Rechtslage dargestellt haben.
Ich darf versuchen, ein Missverständnis, das in Ihrer
Frage durchzuklingen schien, auszuräumen. Ich habe
nicht gesagt, dass ein Gesetz zur Laufzeitverlängerung
zustimmungsfrei ist. Ich habe gesagt, dass Gestaltungen
denkbar sind, in denen es zustimmungsfrei ist, dass aber
auch andere Gestaltungen denkbar sind, in denen es
- nach unserem Maßstab, den wir einer Parallelentscheidung des Bundesverfassungsgerichts gemeinsam mit
dem Innenministerium entnehmen - zustimmungspflichtig ist. Insofern war in Ihrer Frage eine Annahme enthalten, die nicht zutrifft. Wir können eine endgültige
Bewertung nur vornehmen, wenn ein konkreter Gesetzestext vorliegt.
Die nächste Frage stellt der Kollege Krischer.
Danke schön. - Meine Frage zielt in die Richtung, ob
Ihr Ministerium ein Gesetz auf den Weg bringen wird,
auch wenn es Gutachten, Expertisen namhafter Experten
geben wird, die von einem Scheitern vor dem Bundesverfassungsgericht ausgehen. Wird Ihr Haus, wird das
Justizministerium, ein Gesetz mittragen, auch wenn es
deutliche Anhaltspunkte für ein Scheitern vor dem Bundesverfassungsgericht - Stichwort Zustimmungspflichtigkeit - gibt?
Die erste Frage kann ich mit einem klaren Nein beantworten. Unser Ministerium wird ein solches Gesetz
überhaupt nicht auf den Weg bringen; denn es ist nicht
federführend zuständig. Wenn, dann bringt die Bundesregierung das Gesetz auf den Weg.
Inhaltlich bezog sich Ihre Frage auf verfassungsrechtliche Bedenken. Das Bundesjustizministerium und das
Bundesinnenministerium sind um eine gutachterliche
Stellungnahme zur Verfassungsrechtslage gebeten worden. Diese haben wir abgegeben. Ich glaube, es ist
selbstverständlich, dass das Gutachten in die weitere
Meinungsbildung der Bundesregierung einfließt. Diese
ist, wie Sie wissen, noch nicht abgeschlossen.
Herr Ströbele.
Danke. - Herr Kollege Stadler, kennt der Staatssekretär im Justizministerium oder das Justizministerium oder
kennen beide eine Gesetzesformulierung zur Verlängerung der Laufzeiten von Atomkraftwerken, in der keine
neue Auftragsverwaltung vorgesehen ist und die deshalb
nach Auffassung des Bundesjustizministeriums auch
keiner Zustimmung der Länderkammer, also des Bundesrates, bedarf? Wenn ja, ist der Staatssekretär bereit,
uns diese Formulierung mitzuteilen?
Herr Kollege Ströbele, vorhin habe ich auf eine andere Frage geantwortet, dass ich das eine oder andere in
der Fragestunde von der Regierungsbank aus nicht tun
darf. Vermutlich darf ich Ihnen auch nicht zu Ihrem Geburtstag gratulieren, den Sie in dieser Woche feiern
konnten.
({0})
Ich beschränke mich daher auf die Beantwortung Ihrer Frage und sage: Einen solchen Gesetzestext kenne
ich bisher nicht, weil unserem Haus noch kein Gesetzestext vorgelegt worden ist. Ich habe abstrakt dargestellt,
was aufgrund einer Entscheidung, die das Bundesverfassungsgericht zu einer anderen Vorschrift gefällt hat, der
Prüfungsmaßstab sein wird.
Ich darf wiederholen: Die entscheidende Frage ist, ob
in einer Laufzeitverlängerung die Übertragung einer
neuen Aufgabe liegt. Die Laufzeitverlängerung als solche ist keine verfahrensrechtliche Vorschrift, die die
Länder betreffen würde, sondern eine materiell-rechtliche. Dennoch ist die Fragestellung richtig.
Um vollständig vorzutragen, nehme ich Ihre Frage
zum Anlass, noch etwas anderes deutlich zu machen
- vielleicht wollte Frau Höhn mich danach fragen; dann
kann ich ihre Frage beantworten, ohne dass sie mich gefragt hat -: In anderen Rechtsgutachten gibt es bekanntlich andere Ansatzpunkte. All dies wird bei der endgültigen Bewertung zu berücksichtigen sein.
Eine weitere Frage, diesmal von der Kollegin
Herlitzius.
Danke. - Auch ich habe eine Frage, Herr Staatssekretär. Der FDP-Bundestagsabgeordnete Horst Meierhofer
hat erklärt, um eine Laufzeitverlängerung durchzuführen, müsse diese - jetzt folgt das Zitat - „rechtlich wasserdicht sein.“ Teilen Sie diese Auffassung?
Ich teile in der Regel alle Auffassungen meines geschätzten Kollegen Horst Meierhofer aus Regenburg.
({0})
Ich habe deutlich gemacht, dass das Bundesinnenministerium und das Bundesjustizministerium gemeinsam auf verfassungsrechtliche Risiken bei bestimmten
Ausgestaltungen eines etwaigen Gesetzes hingewiesen
haben. Dies wird sicherlich in die Meinungsbildung der
Bundesregierung einfließen.
Wir bleiben beim Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Justiz und kommen zur Frage 11 der Abgeordneten Sonja Steffen:
Wird die Bundesregierung einen Gesetzentwurf zur Änderung des § 522 der Zivilprozessordnung vorlegen?
Frau Kollegin Steffen, vielleicht darf ich kurz erläutern, dass es bei § 522 Abs. 2 ZPO darum geht, dass Berufungen in Zivilsachen per Beschluss verworfen werden können, ohne mündliche Verhandlung, allerdings
nach einem Hinweis des Gerichts. An dieser Regelung
wird in der Praxis vielfach Kritik geübt. Deswegen sollte
diese Vorschrift so geändert werden, dass bei ihrer Anwendung insbesondere eine einheitliche Rechtsprechungspraxis erreicht wird. Zu diesem Zweck ist insbesondere die Einführung eines Rechtsmittels gegen den
Zurückweisungsbeschluss ins Auge zu fassen. Man
muss auch darüber nachdenken, die mündliche Verhandlung wieder zu stärken oder vielleicht die tatbestandlichen Voraussetzungen für einen solchen Zurückweisungsbeschluss nach § 522 Abs. 2 ZPO zu verschärfen.
Das ist die eine Seite.
Auf der anderen Seite ist in die Überlegungen allerdings auch einzubeziehen, welche Folgen dies für die
Justiz und insbesondere welche finanziellen Auswirkungen eine Gesetzesänderung auf die Haushalte von Bund
und Ländern hätte. Insofern handelt es sich um keine
ganz einfache Thematik. Auch hier ist die Meinungsbildung innerhalb der Bundesregierung noch nicht abgeschlossen.
Eine Nachfrage? - Bitte schön.
Vielen Dank. - Ich möchte Sie an den Gesetzentwurf
erinnern, der 2008 seitens der FDP-Fraktion eingebracht
worden ist. Sie werden wissen, dass die gesamte Anwaltschaft im Grunde genommen dafür plädiert, dass § 522
Abs. 2 ZPO abgeschafft wird. Ich hätte gerne gewusst:
Sprechen tatsächlich nur finanzielle Gründe dagegen?
Denn ich glaube, jeder Jurist plädiert dafür, diese Vorschrift abzuschaffen; es sei denn, er ist Richter und hat
aus dieser Perspektive damit zu tun. Aus meiner Sicht
stellt sie einen Verstoß gegen das Rechtsstaatsprinzip
dar.
Frau Kollegin Steffen, Sie haben zu Recht Kritik aus
der Anwaltschaft an dieser Vorschrift zitiert, aber es gibt
auch eine erhebliche Kritik von Bürgerinnen und Bürgern, die persönlich davon betroffen gewesen sind. Ihre
Kritik geht vor allem dahin, dass man auch bei bedeutsamen Rechtstreitigkeiten und durchaus erheblichen Streitwerten keine weitere Instanz zur Verfügung hat und dass
es im Falle eines solchen Zurückweisungsbeschlusses
nicht möglich ist, dem Gericht in mündlicher Verhandlung sein Anliegen persönlich vorzutragen. Deswegen
habe ich die Punkte dargelegt, bei denen wir Änderungen ins Auge fassen.
Wir gehen in unseren Überlegungen allerdings nicht
so weit, die Vorschrift gänzlich abzuschaffen. Dazu
muss man vielleicht erläutern, dass dem Zurückweisungsbeschluss eine begründete Darlegung des Gerichts
vorausgeht, warum eine Berufung nicht für aussichtsreich gehalten wird. Zumindest von Teilen der Anwaltschaft wird gesagt, solche Hinweise seien durchaus nützlich, um die Prozessrisiken und die Chancen eines
Rechtsmittels einschätzen zu können. Diese Hinweise
führen dann vielleicht auch dazu, dass eben doch eine
Reihe von Fällen auf diesem schnelleren und kostengünstigeren Weg erledigt werden kann. Diese Möglichkeit wollen wir eben nicht völlig abschneiden, aber wir
haben Änderungen ins Auge gefasst, die ich Ihnen geschildert habe.
Ein hauptsächliches Gegenargument ist in der Tat,
dass man die finanziellen Auswirkungen noch genau untersuchen muss. Danach müssen wir eine Entscheidung
treffen, die wir Ihnen vorlegen, und dann werden wir sehen, wie Sie dazu stehen.
Haben Sie eine zweite Nachfrage? - Das ist nicht der
Fall.
Ich rufe die Frage 12 auf:
Wann wird die Bundesregierung die im Koalitionsvertrag
zwischen CDU, CSU und FDP angekündigte Regelung, zum
Schutz von Immobiliendarlehen eine Abtretung der Darlehensforderung oder die Übertragung des Kreditverhältnisses
an ein Unternehmen ohne Banklizenz zukünftig von der Genehmigung des Darlehensnehmers abhängig zu machen, vorlegen, und auf welcher Daten- oder Faktengrundlage beruht
der Regelungsentwurf?
Frau Kollegin Steffen, Ihre Frage beruht darauf, dass
es in der Vergangenheit Berichterstattungen darüber gegeben hat, dass etwa bei Baudarlehen der Gläubiger gewechselt hat und sich jemand, der sein Darlehen völlig
korrekt bedient und die Monatsraten bezahlt hat, plötzlich womöglich sogar einer Zwangsvollstreckung gegenübersah.
Aus diesem Grund werden innerhalb der Bundesregierung verschiedene Möglichkeiten geprüft, wie man
hier Abhilfe schaffen kann. Das Bundesministerium der
Justiz geht davon aus, dass noch im Jahre 2010 ein erster
Regelungsentwurf zur Umsetzung dessen, was in der
Koalitionsvereinbarung dazu ohnehin vorgesehen ist,
vorgelegt wird.
Sie haben auch danach gefragt, welches Daten- und
Faktenmaterial vorliegt. Das wird dann im Zusammenhang mit diesem Regelungsentwurf von uns dargestellt
werden.
Haben Sie eine Nachfrage? - Bitte schön.
Wie wird man mit Unternehmen umgehen, die, wie
beispielsweise Lone Star, über eigene Banken verfügen?
Im Koalitionsvertrag steht ja, dass es bei dem Schutz,
den Sie gewährleisten wollen, hauptsächlich um Unternehmen geht, die die Forderung übernehmen, ohne eine
Banklizenz zu haben. Wie geht man dann also mit Unternehmen um, die sich ein bisschen trickreich einer eigenen Bank bedienen?
Sie haben zu Recht aus dem Koalitionsvertrag zitiert,
in dem gewissermaßen ein Teilausschnitt der Problematik angesprochen wird. Wir sind dabei, das Thema umfassender zu diskutieren.
Es gehört allerdings auch dazu, dass man die Refinanzierungsmöglichkeiten der Banken nicht abschneiden
darf; auch das muss man im Auge behalten. Das Ziel ist
aber, insbesondere Schuldner, die sich selber vertragsgemäß verhalten, davor zu schützen, dass sie plötzlich einem anderen Vertragspartner gegenüberstehen, der das
Recht hat, Verträge zu ändern oder eine Zwangsvollstreckung durchführen zu lassen, obwohl es dafür keinen
Anlass gibt, den der Schuldner zu vertreten hat.
Auch diese Materie ist insgesamt etwas komplizierter,
als es vielleicht auf den ersten Blick aussieht. Deswegen
dauern die Arbeiten bei uns im Haus noch an. Wir werden im Laufe des Jahres mit einem Regelungsentwurf
auf Sie zukommen.
Haben Sie eine weitere Nachfrage? - Nein.
Ich rufe Frage 13 auf:
Inwieweit ist das Ermittlungsverfahren hinsichtlich der
Tötung eines Hamas-Führers am 20. Januar 2010 in einem
Luxushotel in Dubai abgeschlossen, bei dem über den beschuldigten israelischen Geheimdienst Mossad mehr als
20 Verdächtige für den Anschlag mit Pässen westlicher Staaten nach Dubai eingereist sein sollen, von denen zwölf von ihnen über britische, vier über französische Pässe und einer über
einen deutschen Pass verfügt haben sollen, und, wenn es abgeschlossen ist, zu welchem Ergebnis ist die Bundesregierung
hinsichtlich der Beteiligung des Mossad bzw. anderer israelischer Stellen an der Fälschung deutscher Pässe im Zusammenhang mit der Tötung gekommen?
Frau Kollegin Dağdelen, der Generalbundesanwalt
führt hinsichtlich der Tötung des Hamas-Funktionärs
Mahmud al-Mabhuh am 20. Januar 2010 in einem Hotel
in Dubai kein Ermittlungsverfahren. Eine Bundeszuständigkeit zur Verfolgung dieser Tat ergibt sich aus dem
Gerichtsverfassungsgesetz nicht. Vielmehr werden die
Ermittlungen von der Staatsanwaltschaft Köln geführt.
Allerdings möchte ich in diesem Zusammenhang darauf hinweisen, dass sorgfältig zu prüfen sein dürfte, ob
es überhaupt eine Zuständigkeit für eine Strafverfolgung
in Deutschland gibt. Eine solche Zuständigkeit gäbe es
dann, wenn die Tat in Deutschland begangen worden
wäre - das ist offenbar nicht der Fall -, wenn das Tatopfer deutscher Staatsangehöriger wäre oder wenn es
sonst Bezüge zu Deutschland gäbe, wenn ich es einmal
so allgemein formulieren darf. Eine Zuständigkeit des
Generalbundesanwalts würde sich daraus jedenfalls
nicht ergeben.
Der Generalbundesanwalt führt jedoch in diesem
Zusammenhang ein anderes Ermittlungsverfahren, nämlich wegen des Verdachts der geheimdienstlichen Agententätigkeit in Tateinheit mit mittelbarer Falschbeurkundung. Diesem Verfahren liegt zugrunde, dass sich ein
unbekannter Tatverdächtiger unter dem Namen Michael
Bodenheimer eines deutschen Reisepasses bedient hat,
welcher möglicherweise durch eine nachrichtendienstliche Beschaffungsoperation erlangt wurde. Die Ermittlungen dauern noch an.
Haben Sie eine Nachfrage, Frau Kollegin? - Bitte.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Lieber Staatssekretär Stadler, inwieweit ist der Bundesregierung bekannt,
dass Ermittlungsverfahren in Großbritannien und Australien zu dem Ergebnis geführt haben, dass die originalgetreue Fälschung der im Zusammenhang mit dem Anschlag in dem Hotel in Dubai verwendeten britischen
und australischen Pässe - es waren mehrere Pässe im
Spiel - auf eine Verwicklung des israelischen Geheimdienstes Mossad hindeutet, und deshalb jeweils ein israelischer Diplomat aus Großbritannien und Australien
ausgewiesen wurde? Inwieweit ist Ihnen das bekannt?
Sie haben ausgeführt, dass der Generalbundesanwalt und
die Staatsanwaltschaft Köln Ermittlungen führen. Inwieweit werden in diesem Zusammenhang seitens der Bundesregierung auch politische Maßnahmen unternommen?
Frau Kollegin Dağdelen, ich schlage vor, dass wir die
Ermittlungen des Generalbundesanwalts abwarten. Erst
wenn Ermittlungsergebnisse vorliegen, kann man die
Entscheidung treffen, ob bzw. welche Konsequenzen zu
ziehen sind.
Haben Sie eine weitere Nachfrage?
Ich habe noch eine weitere Nachfrage, aber meine
erste Nachfrage, inwieweit der Bundesregierung die Ergebnisse der Ermittlungen in Australien und Großbritannien bekannt sind, wurde nicht beantwortet. In diesem
Zusammenhang wiederhole ich meine erste Nachfrage
und verbinde sie mit der weiteren Frage, inwieweit der
Bundesregierung bekannt ist, ob die Ermittlungsverfahren in Frankreich und Österreich abgeschlossen sind,
und, sofern dies der Fall ist, mit welchem Ergebnis.
Frau Kollegin Dağdelen, ich gehe davon aus, dass der
Generalbundesanwalt, soweit er ein Ermittlungsverfahren führt - ich habe den eingeschränkten Gegenstand des
Verfahrens bereits dargestellt -, alle Erkenntnisse, auch
solche, die sich aus Ermittlungen in anderen Ländern ergeben, einbeziehen und ein Ergebnis vorlegen wird, über
das dann diskutiert werden kann.
Damit sind wir am Ende dieses Geschäftsbereichs.
Herr Staatssekretär, ich danke Ihnen für die Beantwortung der Fragen.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Finanzen. Die Frage 14 des Kollegen
René Röspel wird schriftlich beantwortet. Die Frage 15
der Kollegin Lisa Paus wird gemäß Nr. 2 Abs. 2 der
Richtlinien für die Fragestunde schriftlich beantwortet.
Die Fragen 16 und 17 der Kollegin Dr. Barbara Höll
werden ebenfalls schriftlich beantwortet.
Damit kommen wir zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie. Zur
Beantwortung der Fragen steht der Parlamentarische
Staatssekretär Hans-Joachim Otto zur Verfügung.
Hier werden die Frage 18 der Kollegin Dagmar
Ziegler, die Frage 19 des Kollegen Hans-Joachim
Hacker sowie die Fragen 20 und 21 der Kollegin
Gabriele Hiller-Ohm schriftlich beantwortet.
Wir kommen damit zur Frage 22 der Kollegin
Cornelia Behm:
Welche Ziele zum Ausbau der Offshorewindkraft bis 2020
und 2030 wurden den Gutachtern, die die Energieszenarien
der Bundesregierung erstellen, vom Bundesministerium für
Wirtschaft und Technologie vorgegeben?
Herr Staatssekretär, bitte.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Sehr geehrte Frau
Kollegin Behm, Grundlage der Energieszenarien ist,
dass die in der Koalitionsvereinbarung formulierten
Zielsetzungen der Bundesregierung für die Jahre 2020
und 2050 erfüllt werden. Demgemäß wurden dem Auftragnehmer der Studie folgende Vorgaben gemacht - ich
zitiere -:
Der Anteil der erneuerbaren Energien an der Stromversorgung erreicht im Jahr 2020 mindestens
30 Prozent und am Bruttoendenergieverbrauch …
mindestens 18 Prozent. Die Treibhausgasemissionen werden bis zum Jahr 2020 um 40 Prozent und
bis 2050 um mindestens 80 Prozent reduziert. Die
erneuerbaren Energien sollen den Hauptanteil an
der Energieversorgung übernehmen. Dabei sollen
in einem dynamischen Energiemix und unter Berücksichtigung von Energieeffizienzsteigerungen
die konventionellen Energieträger kontinuierlich
durch alternative Energien ersetzt werden.
So weit das Zitat aus den Vorgaben.
Die Gutachter wurden im Rahmen eines Ausschreibungsverfahrens - so ist es üblich - ausgewählt. Die Bewerber um diesen Forschungsauftrag sollten - so die
Vorgabe - umfangreiche Erfahrungen mit komplexen
energiewirtschaftlichen und klimapolitischen Szenarienrechnungen nachweisen können sowie ein hohes Maß an
wissenschaftlicher Reputation genießen. Um die Konsistenz der Modellergebnisse nicht zu gefährden, hat die
Bundesregierung zwar die oben genannten Ziele vorgegeben, aber auf eine umfassende Vorgabe von Annahmen bewusst verzichtet. Demgemäß wurden auch Ziele
zum Ausbau der Offshorewindkraft bis 2020 und 2030
den Gutachtern nicht vorgegeben.
Ihre Nachfrage, bitte.
Vielen Dank, Herr Staatssekretär, für die Beantwortung meiner Frage, obwohl ich natürlich nicht ganz
glücklich bin, keine Zahl gehört zu haben. - Sie haben
die Auftragserteilung angesprochen. Es war vereinbart,
dass der Zwischenbericht zu den Energieszenarien ursprünglich Mitte Mai bzw. dann Ende Mai fertiggestellt
werden sollte. Ich frage Sie: Ist der Zwischenbericht
mittlerweile bei der Bundesregierung eingegangen?
Frau Kollegin Behm, ich kann Ihnen mitteilen, dass
die Gutachter am 27. Mai einen ausdrücklich als vorläufig gekennzeichneten Zwischenbericht vorgelegt haben.
Die Gutachter haben hierin die bisher vorgelegten Ergebnisse ausdrücklich als noch nicht endgültig abgestimmte Werte charakterisiert und den vorläufigen Charakter ihrer Ergebnisse - das Ganze geschieht unter
einem hohen Zeitdruck, wie wir alle wissen - betont.
Der Hauptbericht der Gutachter soll nach derzeitiger
Planung Ende Juli 2010 fertiggestellt werden. Erst der
Hauptbericht wird wirklich konsistente Ergebnisse und
Annahmen enthalten. Deswegen hat die Bundesregierung entschieden - damit die Konsistenz gewahrt ist und
nicht irgendwelche Zwischenergebnisse, die dann möglicherweise zu korrigieren sind, veröffentlich werden -,
auf eine Veröffentlichung dieses ausdrücklich als vorläufig gekennzeichneten Zwischenberichts zu verzichten.
Eine weitere Nachfrage.
Da die Ergebnisse noch so unsicher sind, gehe ich davon aus, dass Sie jetzt nicht unbedingt etwas zu den Ergebnissen sagen wollen. - Sie nicken. Dann formuliere
ich meine zweite Nachfrage wie folgt: Wie viel Geld bekommen die Gutachter für die Erhebung der Daten bzw.
das Erstellen der Szenarien?
Frau Kollegin Behm, ich bin mir gar nicht bewusst,
ob ich Ihnen darauf eine Antwort geben darf. Möglicherweise gibt es rechtliche Gründe, die eine Antwort verbieten. Ich werde dies klären lassen. Wenn die Zulässigkeit der Antwort auf die Frage nach der Vergütung der
Gutachter
({0})
- ja, das ist klar - bejaht wird, werden Sie die Antwort
unverzüglich schriftlich bekommen.
Eine Zusatzfrage hat Frau Kollegin Höhn.
Herr Staatssekretär, Sie haben gesagt, dass der Zwischenbericht mittlerweile vorliegt. Wurde dieser Zwischenbericht von der Bundesregierung schon abgenommen?
Nein. Dieser Zwischenbericht ist von den Gutachtern
ausdrücklich als vorläufig gekennzeichnet. Es gibt während der gesamten Zeit der Beauftragung eine ständige
Kommunikation zwischen verschiedenen Häusern der
Regierung und den Gutachtern. Es gibt keine Veranlassung, einen vorläufigen Zwischenbericht abzunehmen.
Dieser Zwischenbericht ist eine vorläufige Information
an die Bundesregierung, auf deren Grundlage die bereits
begonnene Kommunikation mit den Gutachtern intensiviert werden kann.
Zum selben Sachverhalt rufe ich nun die Frage 23 des
Kollegen Friedrich Ostendorff auf:
Hat das Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie den Gutachtern, die die Energieszenarien der Bundesregierung erstellen, das Ziel der Gasnetzzugangsverordnung zur
Vorgabe gemacht, bis 2020 6 Milliarden Kubikmeter Biomethananteil am Gasverbrauch zu erreichen und 10 Milliarden
Kubikmeter im Jahr 2030?
Herr Kollege Ostendorff, es wird Sie nach der Antwort, die ich eben der Kollegin Behm gegeben habe,
nicht überraschen, dass ich Ihnen mitteile, dass eine Vorgabe, bis 2020 6 Milliarden Kubikmeter Biomethananteil am Gasverbrauch und 10 Milliarden Kubikmeter im
Jahre 2030 zu erreichen, nicht gemacht wurde, und zwar
bewusst. Frau Präsidentin, damit gehe ich indirekt schon
auf die folgenden Fragen ein, in denen es jeweils um detaillierte Vorgaben geht.
Herr Otto, mit Ihrem Einverständnis rufe ich dann
auch Frage 24 auf:
Welche Ziele für den Ausbau der Fotovoltaik bis 2030 und
2050 sollen die Gutachter den Energieszenarien nach den Vorgaben des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie zugrunde legen?
Diese Vorgaben wurden ausdrücklich deswegen nicht
gemacht, weil die Bundesregierung der Auffassung war,
dass man das Urteil der Gutachter nicht präjudizieren
sollte. Entscheidend ist das Ergebnis, das hinten herauskommt; das ist ja ein Zitat eines großen deutschen Bundeskanzlers. Dies ist die Haltung der Bundesregierung.
Wir wollten die Gutachter nicht determinieren, damit sie
innerhalb der verschiedenen Felder nicht eingeengt sind.
Wir wollten ihnen in Bezug auf die einzelnen Energieträger keinerlei Leitplanken geben. Das war, ist und bleibt
die grundsätzliche Ausrichtung der Bundesregierung.
Herr Kollege Ostendorff, ich muss Ihnen mitteilen, dass
wir hier Vorgaben weder zum Biomethananteil am Gasverbrauch noch bezüglich anderer Punkte gemacht haben. Das sage ich all denen, die mich womöglich fragen
möchten, welche sonstigen Vorgaben die Bundesregierung gemacht hat.
Allzu überraschend kann es für Sie nicht sein, Herr
Kollege Ostendorff. Es gibt seit Wochen und Monaten
einen Kommunikationsprozess zwischen Ihnen, vielen
Kolleginnen und Kollegen Ihrer Fraktion und meinem
Hause. Ihnen wurde in Antworten auf Kleine Anfragen
und ähnlichen Reaktionen schon mehrfach erläutert,
dass wir bewusst darauf verzichtet haben, solche präzisen Vorgaben zu machen.
({0})
Das Wort zu einer Nachfrage hat Herr Kollege
Ostendorff.
Schönen Dank, Herr Staatssekretär. - Sie haben deutlich gemacht, dass, was die Ergebnisse angeht, keine
Vorgaben gemacht worden sind.
Ich möchte zu den Grundlagen nachfragen. Mich interessiert, auf der Grundlage welcher Annahmen hier vorgegangen worden ist. Man muss das Wirtschaftswachstum, die Ölpreisentwicklung und möglicherweise andere
Vorgaben berücksichtigen, um zu gesicherten Ergebnissen zu kommen. Können Sie uns Aussagen dazu machen, welche Annahmen dort getroffen worden sind?
Herr Kollege Ostendorff, die einzigen Vorgaben, die
gemacht worden sind - es sind verbindliche Vorgaben
und keine Annahmen -, sind diejenigen, die ich der Kollegin Behm eben in der Beantwortung der Frage 22 genannt habe. Weder die Bundesregierung noch Sie noch
die Gutachter können nämlich mit Sicherheit davon aus4540
gehen, wie sich beispielsweise die wirtschaftliche Entwicklung in Deutschland in den nächsten Jahren darstellen wird. Vorgegeben sind nur die Ziele. Die
Wissenschaftler der beauftragten Institute sind frei darin,
auf Grundlage der unterschiedlichen Annahmen, die sie
selbst für realistisch halten, Szenarien zu entwickeln. Es
ist auch durchaus nachvollziehbar und plausibel, dass
man Wissenschaftlern, wenn man schon welche beauftragt, eine möglichst große wissenschaftliche Freiheit
gibt, die Szenarien durchzurechnen. Je mehr Vorgaben
wir machen, desto mehr engen wir die Wissenschaftler
bei der Erstellung ihrer Gutachten ein. Wir haben darüber diskutiert - das ist kein Geheimnis -, und es wurde
abgewogen, ob man präzisere, weitergehende Vorgaben
macht. Wir haben schließlich bewusst - auch in Übereinstimmung mit dem BMU, mit dem Bundesministerium
für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit - auf
solche Vorgaben verzichtet.
Haben Sie eine weitere Nachfrage?
Ja, ich habe noch eine kurze weitere Nachfrage, da
Sie die Frage zur Fotovoltaik ja mitbeantwortet haben:
Ist das Ziel, das Bundesminister Röttgen vorgegeben hat,
nämlich den Anteil der Fotovoltaik bis 2020 auf 5 Prozent zu steigern, in den Energieszenarien berücksichtigt
worden?
Herr Kollege Ostendorff, ich wiederhole mich. Es
sind den Gutachtern jedenfalls keine weitergehenden
Vorgaben gemacht worden als diejenigen, die ich Ihnen
eben mitgeteilt habe. Den Gutachtern ist es natürlich unbenommen, bei der Erstellung der Szenarien zu berücksichtigen, welche Zielvorstellungen die Bundesregierung hat. Sie können sie berücksichtigen. Sie können
Alternativvorschläge machen. Aber wir haben bewusst
darauf verzichtet, innerhalb des bewusst sehr knapp gehaltenen Rahmenwerks noch weitere Vorgaben zu machen.
Mir ist bewusst, Herr Kollege Ostendorff, dass Sie
eher dazu tendiert hätten und es eher befürwortet hätten,
solche weiteren Vorgaben zu machen; das kommt durch
die Vielzahl Ihrer Fragen zum Ausdruck. Ich möchte Ihnen jedoch entgegenhalten, dass wir uns nach reiflicher
Überlegung, auch in Abstimmung mit den anderen beteiligten Ressorts, insbesondere mit dem BMU, dazu entschlossen haben, den Gutachtern die Freiheit zu lassen
und ihnen bis auf den wirklichen Kernrahmen keine weiteren Vorgaben zu machen.
Frau Kollegin Höhn, bitte.
Herr Staatssekretär, Sie haben vorhin gesagt, die alleinigen Vorgaben seien gewesen: 30 Prozent Erneuerbare bis
2020, 40 Prozent CO2-Reduktion bis 2020 und 80 Prozent
CO2-Reduktion bis 2050. Nun spukt immer herum - Hans-Joachim Otto, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft und Technologie:
Nicht ganz, Frau Kollegin. Ich sage es noch einmal:
Die erneuerbaren Energien sollen den Hauptanteil an der
Energieversorgung übernehmen. Dabei sollen in einem
dynamischen Energiemix und unter Berücksichtigung
von Energieeffizienzsteigerungen die konventionellen
Energieträger kontinuierlich durch alternative Energien
ersetzt werden.
Ich sage das noch einmal ausdrücklich, weil manche
der Vorgaben, nach denen Sie jetzt fragen, immerhin in
einer Zielbeschreibung enthalten sind. Es ist also nicht
so, dass wir nur die reinen Zahlen - 30 Prozent, 40 Prozent und 80 Prozent - vorgegeben haben, sondern wir
haben schon eine gewisse Richtung vorgezeichnet. Die
beauftragten Institute werden das bei der Errechnung der
Szenarien sicherlich einbeziehen.
Frau Präsidentin, darf ich jetzt zu meiner Frage kommen? Er hat mich einfach unterbrochen. Es war sehr
lieb, dass ich die Auskunft bekommen habe. Aber darf
ich ihm auch noch eine Frage stellen?
Wenn Sie es kurz machen.
Das mache ich doch.
Auf Kosten der anderen gestatte ich es.
Herr Staatssekretär, vielen Dank für die Auskunft. Ich
habe dreimal eine Frage gestellt und nie eine Auskunft
bekommen. Es ist schon mal ein erster Schritt, dass Sie
wenigstens Kleinigkeiten sagen.
Nun geistert ja immer herum, dass diese Bundesregierung Laufzeitverlängerungen für Atomkraftwerke will.
Haben Sie bei den Energieszenarien, die Sie in Auftrag
gegeben haben, keinerlei Vorgaben über Laufzeitverlängerungen für Atomkraftwerke gemacht?
Ich kann diese Frage mit einem klaren Nein beantworten.
Sehen Sie, es geht doch flott.
({0})
Die nächste Frage stellt die Frau Steiner.
Herr Staatssekretär, ich komme auf die Offenheit der
Vorgaben zurück. Das hört sich ja fast so an wie: Wir haben ganz lose, weiträumig formulierte Ziele, und jetzt
entwickeln Sie mal ein, zwei, drei bzw. viele Energieszenarien; mal gucken, was rauskommt. - Ich kann mir
nicht vorstellen, dass Sie das so gemacht haben; denn
daraus kann überhaupt kein solides und gutes Konzept
entwickelt werden.
Kann es denn sein, dass Sie den Gutachtern nicht in
irgendeiner Weise vorgegeben haben, die Verringerung
des Energie- bzw. des Stromverbrauchs mit einem nennenswerten Anteil zu berücksichtigen? Wenn das Gutachten dies nicht beinhalten würde, wäre es nur halb so
viel wert. Haben Sie dazu Vorgaben gemacht? Oder haben Sie nicht einmal das hineingeschrieben?
Frau Kollegin, ich hatte Ihnen die kompletten Vorgaben mitgeteilt. Daraus ergibt sich, dass es weitere Vorgaben nicht gibt. Ich kann Ihnen aber verraten, dass die Erstellung der Szenarien in den Gutachten im Rahmen
eines kontinuierlichen Kommunikationsprozesses stattfindet. Es ist völlig klar, dass die Gutachter - auch wenn
wir keine verbindlichen Vorgaben gemacht haben - mutmaßlich auch die politische Landschaft berücksichtigen.
Sie haben nach Energieeffizienzen gefragt. Die sind
ausdrücklich angesprochen worden, aber nicht im Sinne
einer verbindlichen Vorgabe, sondern einer Zielbeschreibung. Deswegen dürfen Sie - ohne dass ich dem Ergebnis vorgreife - davon ausgehen, dass das endgültige Gutachten, das im Juli vorgelegt und dann selbstverständlich
auch mit Ihnen diskutiert wird, verschiedene Alternativszenarien enthält, die nicht wirklichkeitsfremd sind.
Das heißt, die Gutachter, die in einem sorgfältigen Vergabeverfahren ausgesucht worden sind, werden die politischen Realitäten, die Sie eben zum Teil beschrieben haben, mit einbeziehen. Wir haben nur darauf verzichtet,
sie als verbindliche Vorgaben für das Gutachten zu formulieren. Trotzdem befinden sich die Institute nicht in
einem politikfreien Raum. Die Gutachter werden selbstverständlich die Diskussionen und Überlegungen sowie
auch viele der Vorgaben, die Sie in Ihren Fragen formuliert haben, mit berücksichtigen.
Herr Kollege Krischer, bitte.
Herr Staatssekretär, ich bin einigermaßen überrascht.
Ein solches Verfahren zur Erstellung von Energieszenarien - in dem man Dinge, die politischen Entscheidungen unterliegen, der Wissenschaft nach dem Motto
überlässt: Die sollen sich mal was überlegen - dürfte sicherlich sehr ungewöhnlich sein.
({0})
Sie sprachen eben von einem Hauptanteil erneuerbarer Energien. Was habe ich mir unter einem „Hauptanteil
erneuerbarer Energien“ im Strom- bzw. Wärmebereich
vorzustellen? Um welche Spannbreite von Prozenten
geht es? Was habe ich mir darunter vorzustellen? Ist ein
Anteil von über 50 Prozent ein Hauptanteil? Ich möchte
ein Gefühl für diesen Begriff bekommen. Insofern
würde mich eine Erläuterung Ihrerseits interessieren,
was Sie mit einer solchen Vokabel meinen.
Herr Kollege Krischer, zunächst einmal heißt „Hauptanteil“ von der Logik her und in Bezug auf das, was Ihnen jeder sagen wird, dass der Anteil der erneuerbaren
Energien größer als jeder Anteil anderer Energieträger
bzw. Energieträgerstoffe sein muss. Der Anteil muss
nicht unbedingt über 50 Prozent sein, aber er muss größer sein als jeder andere Anteil von Energieträgern, die
an der Endenergieerzeugung beteiligt sind.
Wenn Sie behaupten, dass das völlig ungewöhnlich
ist, muss ich Ihnen sagen: Wir haben ein sehr ambitioniertes Vorhaben in Auftrag gegeben. Sicherlich muss
man manchmal auch Neuland betreten. Es geht hier
nicht um eine Detailfrage, wie sie manchmal in Gutachten mit sehr engen Vorgaben zu berücksichtigen ist.
Ich nehme zur Kenntnis, dass offensichtlich jedenfalls
die Kolleginnen und Kollegen, die diese Fragen gestellt
haben, befürwortet hätten, nähere Vorgaben zu machen.
Das nehme ich zur Kenntnis. Ich möchte Sie darum bitten, die wenigen Wochen - es ist ja nicht mehr lange hin
bis zum Juli - abzuwarten, bis die Ergebnisse vorliegen.
Sie sind dann immer noch in der Lage, Herr Kollege
Krischer, zu sagen: Das ist alles Mist, was da gemacht
worden ist. Oder Sie sagen: Es war doch ein angemessener Weg. - Der Kritik, wie diese Gutachten, die errechneten Szenarien letztendlich zu bewerten sind, haben wir
uns ohnehin zu stellen.
Ich gestehe Ihnen zu, dass man das auch hätte anders
machen können. Sicherlich wären auch präzise Vorgaben
möglich gewesen. Aber der Weg, den wir gewählt haben,
lässt immerhin - das mögen Sie doch bitte anerkennen den Instituten einen gewissen Spielraum. Die Politik hat
bewusst darauf verzichtet, den beauftragten Instituten zu
enge Grenzen zu setzen. Ich glaube, dass wir alle davon
profitieren, nicht zuletzt die Fraktion von Bündnis 90/
Die Grünen, die sich besonders gerne um umweltpolitische Ziele kümmert.
({0})
Das lässt uns später einen größeren Spielraum, die Dinge
zu bewerten.
Sie stehen dieser Regierung ja ohnehin kritisch gegenüber. Wenn wir zu viele Vorgaben gemacht hätten,
hätten Sie, Frau Kollegin Höhn, wahrscheinlich gesagt,
diese Vorgaben seien Ihnen nicht ambitioniert genug, sie
reichten Ihnen nicht. Wir haben das offengelassen. Wir
haben das vorgegeben, was wir im Koalitionsvertrag
vereinbart haben, woran wir uns messen lassen müssen
und wozu wir uns zum Teil auch auf europäischer Ebene
verpflichtet haben. Ob die von Ihnen genannten Vorgaben in den Teilbereichen realistisch sind oder ob sie vielleicht nicht ambitioniert genug sind, wird später möglicherweise auch anhand des Gutachtens zu beurteilen
sein.
Wenn ich Oppositionsabgeordneter wäre, hielte ich es
für eine zu akzeptierende Maßnahme, dass die Bundesregierung darauf verzichtet hat, den Gutachtern einen
allzu engen Rahmen vorzugeben. Wir haben die wissenschaftliche Freiheit, die Freiheit der Institute höher eingeschätzt als politische Vorgaben. Wenn wir zu viele
politische Vorgaben gemacht hätten, hätten Sie das
wahrscheinlich kritisiert und gesagt: Ihr müsst die mal
rechnen lassen. - Jetzt machen wir das so, Herr Krischer,
und wir werden am Ende sehen, ob die Ergebnisse aussagefähig sind, ob wir auf der Basis weiterkommen.
Wenn die Ergebnisse nicht tragfähig sind, wird entsprechende Kritik von Ihnen kommen, und die müssen wir
dann aushalten.
({1})
- Das mag sein, dass Sie das nicht glauben.
({2})
Aber wir sind hier nicht in der Kirche. Wir haben nach
sorgfältiger Prüfung entschieden, wie wir vorgehen. Ich
habe Ihnen auch die Hintergründe erläutert. Nach der
Veröffentlichung, die ja schon in relativ kurzer Zeit ansteht, werden wir uns in diesem Hohen Hause sicherlich
darüber unterhalten, ob die Grundlage für die Vergabe
der Gutachten und die Errechnung der Szenarien sinnvoll war. Ich ahne, dass Sie damit nicht zufrieden sein
werden. Aber dann werden wir darüber diskutieren. Jedenfalls: Sie mögen so viel fragen, wie Sie wollen, wir
werden den Weg nicht mehr ändern können. Die Gutachter sind an der Arbeit. Lassen Sie uns die Ergebnisse abwarten! Ich freue mich auf die weitere Diskussion mit
Ihnen spätestens ab Juli.
Nächster Fragesteller ist der Kollege Dr. Ott.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Herr Kollege, das ist
offensichtlich Filibustern, was Sie hier machen. Ich bitte
Sie, meine nächste Frage kurz zu beantworten, damit
noch mehr Fragen gestellt werden können.
Ihre Reaktion provoziert folgende Nachfrage: Das,
was Sie unter Freiheit der Wissenschaft verstehen, ist
doch nicht der Kern der Sache; vielmehr geht es darum,
dass die Politik den Wissenschaftlern Vorgaben für die
Berechnung der Szenarien machen muss. Es geht nicht
darum, die Wissenschaft zu beschneiden, sondern es
geht darum, zu sagen: Wo geht es hin? Das ist der Mangel Ihrer Regierung, dass Sie keinen Plan haben, wo Sie
hinwollen. Wenn Sie zum Beispiel den Plan hätten, dass
unser Energiesystem 2050 diese und jene Anforderungen erfüllen soll, dann könnten Sie den Wissenschaftlern
sagen: Packen Sie das in Ihre Computermodelle und sagen Sie uns, wie wir das erreichen können! - Das ist Ihre
Aufgabe. Die Aufgabe ist nicht, der Wissenschaft die
Frage zu stellen, wie ein Energiesystem im Jahr 2050
aussehen könnte. Vielmehr ist Ihre Aufgabe, bei aller
Unsicherheit festzulegen, wie dieses Energiesystem aussehen soll, und dann die Wissenschaftler zu fragen, wie
das erreicht werden kann.
Sie haben ja anscheinend einige Vorgaben gemacht,
zumindest was die Laufzeiten der Atomkraftwerke betrifft. Deshalb empfinde ich das, was Sie hier sagen, als
Nebelkerzenwerferei.
Sehr geehrter Herr Kollege, Sie haben mir Filibusterei
vorgeworfen und mich gebeten, präzise zu antworten.
Ich muss Ihnen ganz offen sagen: Ich kann Ihre Frage
nicht erkennen. Ich weise auch den Vorwurf der Filibusterei zurück. Ich habe Ihnen genau gesagt, was ist. Es
mag Ihnen nicht gefallen. Ich habe Ihnen die Vorgaben
vorgelesen und habe Ihnen klar gesagt, dass es darüber
hinaus keine weiteren Vorgaben gibt. Präziser kann ich
nicht sein, und präziser waren Sie, mit Verlaub, auch
nicht.
({0})
Frau Paus, bitte.
Herr Staatssekretär, Sie haben noch einmal deutlich
gemacht, wie Sie dieses Gutachten vergeben haben. Sie
sind der Vertreter des Wirtschaftsministeriums und haben in dieser Funktion dargestellt, dass das, was Sie in
Auftrag gegeben haben, eigentlich eine technische
Machbarkeitsstudie mit nur sehr wenigen Vorgaben ist.
Darüber haben wir schon intensiv gesprochen. Sie haben
bewusst auf wirtschaftspolitische, auf makroökonomische Annahmen verzichtet.
Meine Frage ist: Warum hat das Wirtschaftsministerium die Federführung bei diesem Gutachten, das offenbar eine reine Machbarkeitsstudie ist und damit in die
Zuständigkeit des Umweltministeriums fallen würde?
Worin liegt der Beitrag des Wirtschaftsministeriums zu
diesem Gutachten?
Frau Kollegin, ich darf Sie darauf hinweisen, dass das
Bundeswirtschaftsministerium federführend bei Energiefragen ist. Dass wir uns in dieser Frage mit dem Umweltministerium abstimmen, ist völlig klar. Die Zusammenarbeit klappt besser, als es manchmal in der
Öffentlichkeit dargestellt wird.
({0})
Aber da seit Jahrzehnten das BMWi das Energieministerium ist, ist es nahe liegend, dass das Energieministerium die Federführung in dieser Angelegenheit hat.
Die nächste Frage stellt die Frau Kollegin Wagner.
Herr Staatssekretär, Sie sagten vorhin, dass solche
Szenarien nicht ganz fern von Politik entworfen würden.
Deswegen lautet meine Frage: Wird die von der Bundesregierung nunmehr geplante Brennelementesteuer in die
Berechnungen von EWI/Prognos zur Wirtschaftlichkeit
der Atomkraft einbezogen?
Frau Kollegin Wagner, nicht im Sinne von Vorgaben.
Aber dass die Institute zur Kenntnis nehmen, dass es am
vergangenen Wochenende Überlegungen in Richtung einer Brennelementesteuer gegeben hat, ist doch klar.
Diese Steuer haben wir aber noch längst nicht. Es wurden noch keine Details geklärt.
Wenn die Institute gut arbeiten, dann werden sie die
politische und gesellschaftliche Realität im Auge behalten. Ob die Brennelementesteuer überhaupt zu einer Veränderung der Annahmen, die den Szenarienberechnungen zugrunde liegen, führt und in welchem Umfang sich
diese ergeben, vermag ich nicht zu beurteilen. Aber ich
gehe davon aus, dass die Institute nicht in einem abgeschlossenen Raum arbeiten, sondern dass sie die Beschlüsse, die in der Klausurtagung der Bundesregierung
am vergangenen Wochenende getroffen wurden, zur
Kenntnis genommen haben und dass sie sich überlegen,
inwieweit diese Beschlüsse bei den Berechnungen einzubeziehen sind.
Die Fragen 25 und 26 der Kollegin Ingrid Nestle werden schriftlich beantwortet.
Es liegt zu demselben Sachverhalt noch eine Reihe
von Fragen vor. Da der Herr Staatssekretär schon viele
Fragen beantwortet hat, frage ich Sie, ob Sie noch Wert
auf die Beantwortung dieser Fragen legen.
({0})
- Sie legen also Wert auf eine Beantwortung.
Ich rufe somit die Frage 27 der Kollegin Herlitzius
auf:
Hat das Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie den Gutachtern, die die Energieszenarien der Bundesregierung erstellen, die Erreichung des Ziels der Bundesregierung, den Anteil der Kraft-Wärme-Kopplung bis 2020 auf
25 Prozent zu verdoppeln, zur Vorgabe gemacht?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Liebe Frau Kollegin Herlitzius, ich werde Sie jetzt
nicht überraschen können, wenn ich Ihnen mitteile, dass
die Gutachter keine explizite Vorgabe zur Verdoppelung
des Anteils der Kraft-Wärme-Kopplung bis zum Jahre
2020 auf 25 Prozent haben. Ich füge aber hinzu, dass den
Gutachtern durchaus bewusst ist - so weit kann ich mich
schon jetzt äußern -, dass der Anteil der Kraft-WärmeKopplung ein Bestandteil des Integrierten Energie- und
Klimaprogramms der Bundesregierung ist, das nach wie
vor gilt. Gehen Sie also davon aus, dass den Gutachtern
und den Instituten die Vorgaben des IEKP bestens bekannt sind.
Ihre Nachfrage, bitte.
Haben Sie bei Ihrem Gutachten berücksichtigt, dass
gerade in den letzten Jahren die Fotovoltaik ganz besonders stark ausgebaut worden ist, woraus sich natürlich
Auswirkungen auf ein Energieszenarium ergeben?
Der Bundesregierung ist nicht zuletzt durch die Diskussionen, die wir ganz aktuell über die Senkung der
EEG-Abgabe führen, bestens bekannt, dass die Nutzung
der Fotovoltaik in den letzten Jahren sehr viel stärker als
erwartet gestiegen ist. Das hat aber nicht nur die Bundesregierung zu berücksichtigen. Sie können mit Sicherheit
davon ausgehen, dass das natürlich auch die Institute, die
das Gutachten erstellen, zur Kenntnis nehmen. Wir erstellen ja nicht das Gutachten, sondern wir haben die Institute mit der Erstellung des Gutachtens beauftragt. Es
wäre sicherlich kein mangelfreies Gutachten, wenn die
Entwicklung, die Sie eben zu Recht beschrieben haben,
in dem Gutachten nicht berücksichtigt würde.
Ihre zweite Nachfrage.
Danke schön. - Haben Sie überhaupt eine Vorgabe
bezüglich der Kraft-Wärme-Kopplung gemacht?
({0})
Dasselbe gilt natürlich für die Fotovoltaik.
Sie mögen mich noch ein paar Mal fragen, und ich
werde das, was ich am Anfang gesagt habe, immer wieder sagen. Das ist die komplette verbindliche Vorgabe.
Frau Kollegin Herlitzius, das bedeutet nicht, dass die
Gutachter bzw. die Institute im luftleeren Raum arbeiten.
Ihnen sind erstens die wirtschaftlichen Gegebenheiten,
zum Beispiel die Entwicklung im Bereich der Fotovoltaik, und zweitens das Integrierte Energie- und Klimaprogramm der Bundesregierung und einige andere Dinge
bekannt. Wir haben nur darauf verzichtet - um das noch
einmal zu präzisieren -, dies zur zwingenden Vorgabe
für das Gutachten zu machen. Aber dass das Tatsachen
sind - wir Juristen sprechen von Rechtstatsachen -, die
die Gutachter tunlichst berücksichtigen sollten, ist völlig
klar.
Frau Kollegin Höhn, bitte.
Herr Staatssekretär, ich war lange an der Universität.
({0})
Schön.
Deshalb kenne ich mich relativ gut darin aus, wie
Gutachten erstellt werden. Ich selber habe auch eine
Menge Gutachten in Auftrag gegeben. Das heißt, zum
einen war ich auf der Seite derjenigen, die sich mit Gutachten beschäftigen mussten, und zum anderen war ich
auf der Seite derjenigen, die Vorgaben gemacht haben.
Normalerweise macht man Vorgaben und legt Rahmenbedingungen fest, und dann wird ein Endergebnis errechnet. Sie wählen jetzt ein ganz seltsames Verfahren.
Sie geben bestimmte Rahmenbedingungen vor. Die haben Sie genannt; es sind sehr wenige. Jetzt verfahren Sie
so, dass Sie sich immer wieder mit den Gutachtern absprechen, wie die Rahmenbedingungen und die Vorgaben noch geändert werden sollen. Dadurch wird doch offenkundig, dass Sie das Ergebnis des Gutachtens
beeinflussen. Wie wollen Sie dem Eindruck entgegentreten, dass Sie mit diesem ungewöhnlichen Verfahren in
Bezug auf das Gutachten, das Sie in Auftrag gegeben haben, das Ergebnis dieses Gutachtens kontrollieren und
am Ende ein bestimmtes Ergebnis herbeiführen?
Liebe Frau Kollegin Höhn, erstens möchte ich Ihnen
mitteilen, dass auch ich einige Jahre an der Universität
gearbeitet und Gutachten erstellt habe. Auch mir liegt
das nicht fern.
Zweitens verstehe ich nicht, dass Sie der Bundesregierung, der Sie als Opposition gegenüberstehen, vorwerfen, dass sie den Instituten nicht präzisere Vorgaben
macht. Es müsste doch ganz im Sinne der Opposition
sein, dass die Regierung auf ihre politischen Möglichkeiten verzichtet, den Gutachtern präzisere Vorgaben als
bisher zu machen.
Drittens möchte ich Ihnen sagen: Nicht nur als Mitglied dieser Bundesregierung, sondern auch stellvertretend für die beteiligten Institute würde ich es weit von
mir weisen, wenn Sie den Eindruck zu erwecken versuchten, dass die Gespräche zwischen dem Auftraggeber
und dem Beauftragten, die völlig üblich sind, nur dazu
dienten, ein von der Bundesregierung sozusagen erwartetes, erkauftes oder abhängiges Ergebnis herbeizuführen. Das Gegenteil ist der Fall. Wir haben den Instituten
mehr Freiheit gelassen, als das den Grünen recht ist.
Ich mache Ihnen einen Vorschlag: Wir werden hier
noch stundenlang diskutieren können. Selbst wenn Sie
mich überzeugt hätten - das haben Sie nicht -, könnte
ich den Prozess nicht mehr ändern und keine Vorgaben
mehr machen. Warten Sie doch ab, bis das Ergebnis im
Juli vorliegt. Dann werden wir in den Ausschüssen dezidiert über die Szenarien und die politischen Schlussfolgerungen diskutieren, die daraus zu ziehen sind.
Ihre Kaskade von Fragen könnte ich besser verstehen,
wenn wir noch sechs oder acht Monate Zeit hätten, bis
das Gutachten erstellt ist. Da wir aber kurz vor der Ablieferung des Gutachtens im Juli sind,
({0})
bin ich doch überrascht, mit welcher Hartnäckigkeit Sie
hier fragen, zumal Sie, liebe Frau Kollegin Höhn, wissen
- ich will Ihre wissenschaftliche Erfahrung ausdrücklich
anerkennen -, dass man mitten im Strom nicht mehr die
Pferde wechseln kann. Es wäre auf keinen Fall möglich,
jetzt noch irgendwelche verbindlichen Vorgaben zu machen. Die Fragekaskade mag berechtigt sein; aber sie ist
nicht sehr sinnvoll, weil sie nichts mehr am Ergebnis ändern kann.
Herr Kollege Krischer.
Herr Staatssekretär, Sie werfen uns jetzt vor, Hans-Joachim Otto, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft und Technologie:
Ich werfe Ihnen gar nichts vor.
- dass hier kurz vor Ende der Erstellung des Gutachtens Fragen gestellt werden. Ich darf Sie fragen: Haben
Sie zur Kenntnis genommen, dass wir diese Fragen über
Monate hinweg gestellt haben und die Bundesregierung
sie über Monate hinweg nicht beantwortet hat? Sie kommen erst heute in dieser Deutlichkeit mit diesen Informationen. Deshalb die Frage: Warum haben Sie diese Informationen nicht früher dem Parlament zur Verfügung
gestellt?
({0})
Herr Kollege, erstens mache ich darauf aufmerksam,
dass ich überhaupt nichts vorgeworfen habe. Ich habe
ausdrücklich darauf hingewiesen, dass es völlig legitim
ist, wenn Sie fragen. Eine andere Frage ist, ob das sinnvoll ist.
Zweitens. Ihr Kollege hat mir vorhin Filibusterei vorgeworfen. Sie sagen, ich sei der Erste, der präzise Antworten gebe. Vielleicht stimmen Sie sich einmal in Ihrer
Fraktion ab.
({0})
Drittens. Es hilft nichts: Die Verantwortung liegt bei
der Bundesregierung. Wir werden uns den kritischen
Fragen von Ihnen, Ihrer Fraktion und den anderen Fraktionen stellen, wenn das Gutachten vorliegt.
Mir ist bekannt, dass Sie seit Monaten danach fragen.
Mir ist übrigens nicht bekannt, dass Ihnen das, was ich
jetzt gesagt habe, nicht schon längst bekannt ist.
({1})
- Dann bin ich glücklich, dass ich nun eine präzise Antwort filibustert habe. Ich habe Ihnen ganz präzise gesagt,
worum es geht.
Noch einmal: Da wir uns in einer fortgeschrittenen
Phase des Verfahrens befinden - das räumen Sie selbst
ein -, kann ich Ihnen heute die klare Antwort geben,
welche Vorgaben gemacht worden sind und welche
nicht. Wir alle hoffen, dass wir noch im Monat Juli die
endgültigen Berechnungen erhalten. Angesichts der Zeit
und der Tatsache, dass hier noch andere Kollegen Fragen
stellen wollen, schlage ich vor: Setzen wir die Diskussion fort, sobald uns die Ergebnisse der Institute vorliegen!
Wir sind immer noch beim Themenkomplex „Vorgaben für die Gutachter“. Dazu rufe ich nun die Frage 28
der Kollegin Herlitzius auf:
Welche Vorgaben zu den spezifischen CO2-Vermeidungskosten verschiedener Technologien - Windkraft, CCS, Atomkraft etc. - hat es bisher seitens des Bundesministeriums für
Wirtschaft und Technologie an die Gutachter gegeben?
Frau Herlitzius, komplette Überraschung: Die Gutachter haben keine Vorgaben zu den spezifischen CO2Vermeidungskosten verschiedener Technologien erhalten.
Frau Kollegin, haben Sie dazu eine Nachfrage?
Nein, ich denke, das ist umfassend beantwortet. Das
heißt, Sie haben das Gutachten frei vergeben Hans-Joachim Otto, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft und Technologie:
Nein, haben wir nicht.
- und hoffen, dass es ein schönes Gutachten wird. Wir
lassen uns von den Zahlen überraschen. Für die Zukunft
fordern wir mehr Transparenz; denn es ist die Aufgabe
der Regierung, uns, das Parlament, an der entsprechenden Stelle richtig zu informieren. Das Gutachten ist nicht
billig - auch das haben wir heute schon gehört -, also
muss es auch von Qualität sein.
Sie haben also keine Nachfrage?
Nein.
Frau Kollegin Herlitzius, ich nehme den Wunsch
nach erhöhter Transparenz zur Kenntnis, ohne das zu
kommentieren. Ich lasse aber Ihre Bemerkung, wir hätten keine Vorgaben gemacht, nicht stehen. Ich habe
Ihnen die Vorgaben vorgelesen. Diese Vorgaben sind
präzise und entsprechen der Zielsetzung der Bundesregierung. Ich möchte nicht im Raum stehen lassen, dass
das Gutachten völlig frei vergeben worden sei. Wir haben uns mit den Vorgaben viel Mühe gemacht. Sie sind
so formuliert, wie ich es Ihnen vorgelesen habe. Ich
möchte Sie bitten, dass Sie zukünftig, wenn Sie Vorwürfe erheben, meine Ausführungen korrekt wiedergeben und nicht behaupten, das Gutachten sei völlig frei
vergeben worden.
Frau Kollegin Höhn hat eine Nachfrage.
Ich habe eine letzte Nachfrage. Können Sie, nachdem
Sie jetzt alles so präzise beantwortet haben, auch präzise
sagen: Bis wann muss dieses Gutachten abgegeben werden? Wann ist der Abgabetermin? Wann können wir damit rechnen? Bisher haben Sie von Juli gesprochen; das
ist sehr vage.
Mit den Instituten ist der Abgabetermin für Mitte bis
Ende Juli vereinbart. Ein genaues Datum, zum Beispiel
31. Juli, wurde nicht vereinbart.
({0})
Die bisherigen Absprachen mit den Instituten laufen darauf hinaus, dass das Gutachten noch im Juli vorgelegt
wird.
({1})
- Ja, 2010. Ich bin präzise.
({2})
Damit haben wir den zeitlichen Rahmen der Fragestunde ausgeschöpft. Herr Staatssekretär, ich bedanke
mich bei Ihnen für die Beantwortung der Fragen.
Die Fragen 40 bis 46 wurden zurückgezogen. Die aufgrund des Zeitablaufs der Fragestunde nicht beantworteten Fragen werden, wie in unserer Geschäftsordnung
vorgesehen, schriftlich beantwortet.
Ich rufe nun den Zusatzpunkt 1 auf:
Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktionen SPD und
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Abbau der Neuverschuldung durch sozial gerechte Belastung auch der starken Schultern
statt massiver Kürzungen bei Arbeitslosen
und jungen Eltern
Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner das Wort dem Kollegen Carsten Schneider für die
SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Mit großen Worten haben die Bundeskanzlerin und der
Bundesaußenminister am Montag ein angeblich historisches Sparpaket vorgelegt. Als geneigter Beobachter
fragt man sich: Warum erst jetzt? Sind die Defizite der
öffentlichen Haushalte erst seit dem vergangenen Wochenende bekannt? Ich frage Sie das so offen. Oder haben Sie die Finanzplanung des Bundesfinanzministeriums bzw. des Kabinetts nicht gelesen, bevor Sie den
Koalitionsvertrag geschlossen haben, der noch von Steuersenkungsutopien ausgegangen ist? Ich muss sagen:
Entweder Sie wollten die Realität nicht akzeptieren, oder
Sie haben bewusst gewartet, bis die Wahl in NordrheinWestfalen vorbei ist, um erst danach die Karten offen auf
den Tisch zu legen.
({0})
Das ist Wahlbetrug und Volksverdummung, zumindest
der Versuch der Volksverdummung.
({1})
Das Ergebnis in NRW hat gezeigt: So dumm ist das Volk
nicht.
Man fragt sich: Ist das, was Sie mit diesen Entwürfen
vorgelegt haben - vieles ist noch unklar -, eine angemessene Antwort auf die Wirtschafts- und Finanzkrise?
Man muss sich auch die Frage stellen: Ist das gerecht?
Wir als SPD sind der Auffassung: Wir müssen die Schulden, das Defizit deutlich reduzieren. Deswegen haben
wir in der vergangenen Legislaturperiode unter Federführung von Peer Steinbrück die Schuldenbremse im
Grundgesetz verankert. Das war richtig. Nun stellt sich
die Frage: Wie schließt man die Lücke?
({2})
Ich glaube, dass man sich vor allem die Frage stellen
muss: Wer hat eigentlich dafür gesorgt, dass wir ein so
hohes Defizit haben, und wer trägt das Risiko dafür?
({3})
Wenn ich diese Frage mit der Antwort, die Sie vorlegen,
vergleiche, dann kann ich nur sagen: Es waren nicht die
Arbeitslosen, die spekuliert haben. Es waren nicht die
jungen Eltern, die weiterhin Elterngeld bekommen sollten, die dafür gesorgt haben, dass wir eine Wirtschaftsund Finanzkrise haben. Im Gegenteil: Es waren die Spekulanten. Sie geben keine Antwort darauf, wie diejenigen, die viel Geld haben, die Reichen und Wohlhabenden in unserem Lande, zu diesem Paket beitragen
können.
({4})
Man muss immer überlegen, ob es ökonomisch sinnvoll ist, in der jetzigen Situation zu sparen; das ist die
Kernfrage. Ich glaube: ja. Es wurden 2 Prozent Wachstum prognostiziert; es ist also der richtige Zeitpunkt.
Aber die Frage ist: Darf man nur die Ausgabenseite heranziehen? Das betrifft natürlich immer den Sozialhaushalt, weil 50 Prozent der Staatsausgaben Sozialausgaben
sind. Genau das tun Sie aber. Im Sozialbereich verwenden Sie keine Nagelschere, wie Herr Westerwelle es
genannt hat, sondern veranstalten fast ein Kettensägenmassaker.
({5})
Die Kürzungen betreffen fast nur den Sozialbereich: Arbeitslose, zukünftige Rentner, junge Familien. Sie zeigen
jetzt Ihr wahres Gesicht.
({6})
Aber das ist okay; damit kann man umgehen.
Sie wollen zum Beispiel den Rentenanspruch, den
Langzeitarbeitslose erwerben und den Sie als Bund bisher zahlen, streichen. Was hat das für Auswirkungen? Es
sind drei.
Erstens. Sie plündern die Rentenkasse.
({7})
Carsten Schneider ({8})
- Natürlich. Der Rentenkasse werden etwa 2 Milliarden
Euro fehlen. Das ist Fakt.
Zweitens. Den Langzeitarbeitslosen, die bisher durch
die Rentenbeitragszahlungen des Bundes einen Rentenanspruch hatten
({9})
- er war nicht hoch, das ist keine Frage; aber sie hatten
wenigstens einen -, wird dieser Anspruch vollkommen
gestrichen. Er ist komplett weg.
Drittens. Was passiert denn dann mit diesen Menschen? Sie rutschen gnadenlos in die Grundsicherung.
Das heißt, die Kommunen werden letztendlich dafür bluten, dass Sie sich als Bund sanieren und die Rentenkasse
plündern. Das bewirkt, was Sie als Entwurf vorgelegt
haben.
({10})
- Ja, Frau Enkelmann, das kann man schon als „Sauerei“
bezeichnen.
({11})
Vor allen Dingen aber ist dieses Paket unausgewogen.
Sie belasten in keiner Art und Weise die Besserverdienenden. Die Bevölkerung ist durchaus bereit, zu sparen,
({12})
aber es muss gerecht zugehen. Nirgendwo werde beispielsweise ich belastet oder werden wir alle belastet, die
wir alle einigermaßen gut verdienen. Nichts, aber auch
gar nichts! Keine Belastung! Keine höhere Steuer! Kein
Verzicht! Null! Das ist einfach nicht akzeptabel. Das ist
sozial ungerecht.
({13})
Hinzu kommt, dass in Ihrem Paket sehr viele Luftbuchungen enthalten sind. Haushalterisch werden Sie
dem Ganzen nicht gerecht. Das Haushaltsjahr 2011
schaffen Sie so gerade. Aber das, was Sie zu den Jahren
2013 und 2014 vorgelegt haben, besteht zu 50 Prozent
aus Luftbuchungen. Ich nenne hier nur als Stichworte
die Globale Minderausgabe von 5 Milliarden Euro und
die Finanztransaktionsteuer, die Sie angeblich gar nicht
einführen wollten, nun aber doch einführen wollen, für
die Sie 6 Milliarden Euro eingerechnet haben. Das, was
Sie bisher im Regierungsentwurf vorgesehen haben, ist
jedoch eine Abgabe, und diese Abgabe ist nicht für den
Bundeshaushalt bestimmt. Die Streitkräftereform soll
4 Milliarden Euro einsparen; aber dieser Idee liegt kein
Konzept zugrunde. - All diese Luftbuchungen summieren sich auf etwa 40 Milliarden Euro.
Sie werden der Aufgabe, die Deutschland als Kernland im Euro-Raum gerade im Bereich der Stabilisierung
zukommt, überhaupt nicht gerecht. Wer in Europa als
Zuchtmeister auftritt, kann sich vor Ort nicht wie eine
Schulklasse außer Rand und Band aufführen. Sie haben
sich diese Woche schon selbst richtig beschrieben: Wildsäue treffen auf Gurkentruppe. Herzlichen Glückwunsch
für diese Koalition!
({14})
Nächster Redner ist der Kollege Norbert Barthle für
die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Solide Staatsfinanzen, das ist und bleibt ein
Markenzeichen der christlich-liberalen Koalition.
({0})
Daran führt kein Weg vorbei. Deshalb unternehmen wir
alle Anstrengungen, um dies möglichst schnell wieder
zu erreichen. Konsolidierte Staatshaushalte sind die
Grundlage für eine Zukunft in unserem Lande, für erfolgreiches Wirtschaften, für Sicherheit. Deshalb ist das
Sparpaket, das die Bundesregierung vorgelegt hat, eine
große, um nicht zu sagen: wirklich historische Leistung.
({1})
Das ist eine große Leistung, weil mit diesem Paket klipp
und klar zum Ausdruck kommt,
({2})
dass wir gewillt sind, mit einem ausgewogenen, fairen
Vorgehen
({3})
ernsthaft zu sparen, um diesen Staat wieder auf solide
Grundlagen zu stellen.
({4})
Herr Kollege Schneider, nicht die Griechenland-Krise
oder die Euro-Krise sind die Ursachen. Ursache ist die
exorbitant hohe Staatsverschuldung.
({5})
Die exorbitant hohe Staatsverschuldung hat diese Koalition von der Großen Koalition übernommen. Ihr Finanzminister Peer Steinbrück hätte die Möglichkeit gehabt,
umzusetzen, was Sie vorschlagen. Hat er es denn gemacht? Ich jedenfalls habe nichts Derartiges gesehen.
Sie geißeln uns für etwas, was Sie versäumt haben. So
geht das nicht.
({6})
Das ist Fundamentalopposition der billigsten Natur.
Setzen Sie sich mit dem Konzept ernsthaft auseinander. Dann werden Sie feststellen: Die Bundesregierung
gibt mit diesem Paket ein klares Bekenntnis zum Stabilitätspakt, zu den Maastricht-Kriterien und zur Schuldenbremse ab.
({7})
Dieses Bekenntnis ist mehr als klar. Daran ändert auch
Ihr Lachen nichts, Herr Trittin. Die Schuldenbremse
wird von dieser Bundesregierung sogar übererfüllt.
Durch die Tatsache, dass man nicht vom Sollansatz, sondern vom Istansatz ausgegangen ist, übererfüllen wir die
Anforderungen der Schuldenbremse. Das ist eine große
Leistung dieser Regierung. Dazu gehört viel Mut. Dieser
Leistung zolle ich hohen Respekt.
({8})
Jetzt kommen wir zum Vorwurf der sozialen Unausgewogenheit. Das Paket - schauen Sie es sich genau an ist in drei gleiche Teile aufgeteilt: Ein Drittel betrifft die
Unternehmen und die Subventionen, ein Drittel den sozialen Bereich und ein Drittel uns selbst.
({9})
Schauen Sie sich das an. Schon deshalb ist dieses Paket
ausgewogen.
Ich will noch etwas hervorheben - das ist etwas, das
bisher noch keine Regierung geleistet hat -: Wir sparen
nicht bei den Investitionen. Ich nehme das Prestigeprojekt „Berliner Schloss“ aus; ansonsten wird nicht bei den
Investitionen gespart, sondern einzig und allein im konsumtiven Bereich. Das ist ein großartiger Schritt. Wir
wissen doch alle, wohin sich dieser Sozialstaat entwickelt hat. Noch vor zehn Jahren hatten die Sozialausgaben einen Anteil am Bundeshaushalt von etwa 35 Prozent. Die Investitionen lagen bei knapp 13 Prozent.
Heute haben wir gerade noch 8 Prozent Investitionen
und einen Anteil der Sozialausgaben von rund 54 Prozent. Wenn wir nicht den Mut haben, das in ein ausgeglichenes Verhältnis zu bringen, dann fahren wir diesen
Staat, um es mit den Worten von Kollege Westerwelle zu
sagen, an die Wand. Das dürfen wir nicht zulassen; das
Gegenteil muss passieren. Wir handeln verantwortungsvoll für die Menschen, die in Lohn und Brot sind, und
für diejenigen, die wir wieder in Lohn und Brot bringen
wollen.
({10})
Das ist auch das Entscheidende bei den Einsparungen im
Sozialbereich. Wir tun alles, damit diejenigen, die arbeitslos sind, wieder in Lohn und Brot kommen.
({11})
Schauen Sie sich die Maßnahmen genau an. Dann stellen
Sie das sehr schnell fest.
Ich will ein Beispiel herausgreifen, und zwar die
Streichung des Elterngeldes für ALG-II-Empfänger.
Man muss sich klar vor Augen führen, dass Leistungen
nach dem SGB II dazu dienen, das Existenzminimum
abzusichern. Zusätzliche Einkünfte werden angerechnet.
In dieser Systematik ist das Elterngeld ein zusätzliches
Einkommen. Deshalb ist es absolut systemgerecht, die
Gewährung dieser Leistung wieder zurückzunehmen.
({12})
Im Übrigen kommt ein Paar mit zwei Kindern, das
ALG II bezieht, mit 300 Euro Elterngeld zusätzlich pro
Kind auf ein monatliches Haushaltseinkommen von sage
und schreibe 1 885 Euro netto. Sagen Sie das einmal einem Handwerker, einem Arbeiter, der morgens aufsteht
und abends nach Hause kommt, der für sein Einkommen
arbeitet.
({13})
Wir sorgen dafür, dass das Lohnabstandsgebot gewahrt
bleibt, dass ein Anreiz besteht, Arbeit aufzunehmen, und
dafür, dass diejenigen, die arbeiten, tatsächlich ein kleines bisschen mehr in der Tasche haben als diejenigen,
die nicht arbeiten. Das ist für uns eine wichtige Devise.
({14})
Lassen Sie mich abschließend ein zweites Beispiel
benennen, den Heizkostenzuschuss für Wohngeldbezieher. Was soll daran falsch sein, wenn man eine Unterstützungsleistung, die eingeführt wurde, als der Heizölpreis mehr als doppelt so hoch war wie heute, wieder
einsammelt, sobald die Berechtigungsgrundlage entfallen ist? Wohin führt es, wenn wir diesen Mut nicht aufbringen können? Hätten wir diesen Heizkostenzuschuss
für alle eingeführt, also auch für die Arbeitnehmerinnen
und Arbeitnehmer, die ihre Unterkunft selbst bezahlen
müssen, dann hätten wir ihn auch bei allen wieder einsammeln müssen. So sammeln wir ihn nur bei denen ein,
denen wir den Zuschuss in einer besonderen Situation
gewährt haben.
({15})
Wenn die Situation nicht mehr so schlimm ist, muss man
das auch wieder beenden können. Nichts anderes machen wir.
Danke.
({16})
Nächster Redner ist für die Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen der Kollege Jürgen Trittin.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr
Kollege Barthle, wenn Ihnen die Arbeitnehmer mit geringen Gehältern ein wirkliches Anliegen wären, dann
müssten Sie hier eigentlich lautstark für einen Mindestlohn streiten und dürften nicht Arbeitslose gegen Arbeitende ausspielen.
({0})
Meine Damen und Herren, Sie bezeichnen sich selber
als „bürgerliche Koalition“. Werfen wir doch einmal einen Blick auf die bürgerlichen Umgangsformen dieser
Tage - Frau Präsidentin, ich entschuldige mich, weil ich
das zitiere -: Da laufen „kleine Kinder“, von „Gurkentruppen“ bedrängt, ein „Rumpelstilzchen“ springt hervor, und plötzlich droht ein Überfall von „Wildsäuen“.
({1})
Das ist der Ton dieser angeblich bürgerlichen Koalition.
Lieber Herr Schäuble, nach dieser Logik wären Sie der
Schatzmeister einer „Gurkentruppe“. Dagegen würde
ich mich an Ihrer Stelle wehren. Das sollte Ihnen als seriösem Politiker zu weit gehen.
({2})
Der bürgerliche Diskurs ist bei Schwarz-Gelb schlicht
und ergreifend zum Türsteherjargon verkommen. Sie benehmen sich wie eine Koalition der Kesselflicker. Eine
Koalition der Kesselflicker ist aber nicht in der Lage, die
öffentlichen Haushalte zu sanieren.
({3})
- Das ist genau zur Sache. - Eine Koalition, die sich so
aufführt, wird niemanden in diesem Lande davon überzeugen können, dass es seriöser Anstrengungen bedarf,
um die öffentlichen Haushalte in Ordnung zu bringen.
Wer selber nicht seriös ist, kann keine seriöse Haushaltspolitik machen.
({4})
Wie unseriös Sie sind, das können Sie in Ihrem eigenen Katalog nachlesen. Ihre gesamte eigene Klientel
kommt völlig ungeschoren davon. Das Einzige, was Sie
machen, ist, dass Sie sich mit präzisen Beiträgen an denjenigen schadlos halten, die sich nicht wehren können,
nämlich den sozial Schwächsten.
({5})
Da werden 30 Milliarden Euro bei den sozial Schwächsten gekürzt. Dies begleitet der Fünf-Prozent-HerrWesterwelle mit der Ansage, alles andere wäre Freibier
für alle. Nun will ich nicht bestreiten, dass Herr
Westerwelle sich mit Freibier auskennt. Allerdings gilt
das nicht für Freibier für alle. Er war es doch, der zu Beginn dieses Jahres Freibier für die Mövenpicks dieser
Republik durchgesetzt hat.
({6})
Jede seriöse Haushaltssanierung in diesem Lande beginnt mit einem ganz einfachen Schritt: Beenden Sie die
Subvention bei der Mehrwertsteuer für die Mövenpicks!
Das bringt 1 Milliarde Euro in den Haushalt zurück, und
das ist ein vernünftiger und seriöser Beitrag zu einer Sanierung der Haushalte.
({7})
Sie sagen, dass Sie jetzt versuchen wollen, Mitnahmeeffekte zu verhindern. Mitnahmeeffekte zu bekämpfen ist aber das alltägliche Geschäft jeder vernünftigen
Regierung. Das können Sie sich nicht als besondere
Leistung anrechnen lassen.
Beim Subventionsabbau aber kneifen Sie.
({8})
Das Umweltbundesamt hat die Summe der ökologisch
kontraproduktiven Subventionen auf 48 Milliarden Euro
taxiert. Durch die Abschaffung der Ausnahmen bei der
Ökosteuer könnten Sie relativ schnell 5 bis 7 Milliarden
Euro einsparen. Das wäre ein Signal für eine Beteiligung
der Wirtschaft und für den Willen gewesen, diese Gesellschaft auf einen ökologischen Modernisierungskurs zu
bringen.
({9})
Schließlich tischen Sie uns ein Linsengericht auf und
wollen sich für die Laufzeitverlängerung der störanfälligsten Pannen- und Altreaktoren dieser Republik bezahlen lassen.
({10})
Sie müssen sich einmal die Dimensionen vor Augen halten: Die Landesbank Baden-Württemberg, nicht die Grünen, hat ausgerechnet, dass eine Laufzeitverlängerung
um 25 Jahre bis zu 230 Milliarden Euro zusätzliche Pro4550
fite in die Kassen der Energiekonzerne bringt. Das behaupten nicht die Grünen, sondern das behauptet die
Landesbank Ihres Heimatlandes, Herr Barthle.
Sie kommen uns jetzt mit 2,3 Milliarden Euro pro
Jahr. Damit bieten Sie uns aber nichts anderes als einen
Ablasshandel zulasten der Sicherheit der Bevölkerung
an.
({11})
Mit der Bankenabgabe wollen Sie 1 Milliarde Euro
einnehmen. Hätten Sie das Modell von Obama übernommen, hätten Sie das Zehnfache eingenommen.
So geht das durch die Bank. Ich stehe mit meiner Auffassung in dieser Frage nicht alleine da. Schauen Sie sich
einmal, was Herr Laumann und was Peter Müller sagen:
Dieses Paket hat eine soziale Schieflage, weil Sie es versäumen, die Menschen mit starken Schultern einzubeziehen. Sie machen nichts beim Ehegattensplitting. Sie führen keine Vermögensabgabe zum Abbau der Altschulden
ein. Sie tasten noch nicht einmal das Steuerprivileg für
schwere Dienstwagen an; das würde übrigens auch
1 Milliarde Euro bringen. Anders, als Herr Laumann und
Herr Müller es gesagt haben, gehen Sie nicht an den
Spitzensteuersatz heran.
Herr Kollege, denken Sie bitte an die Redezeit.
Meine Damen und Herren, dieses Paket besteht aus
Feigheit und sozialem Zynismus.
({0})
Herr Kollege, denken Sie bitte an die Redezeit.
Ich sage Ihnen: Die Bürgerinnen und Bürger haben
von Feigheit und Zynismus die Nase voll.
({0})
Sie wollen Verantwortung und Gerechtigkeit. Das übrigens sind bürgerliche Tugenden.
({1})
Nächster Redner ist der Kollege Dr. Jürgen Koppelin
für die FDP-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Lieber Kollege Trittin, Sie haben Ihre Rede mit Zitaten
begonnen, die auch ich nicht so witzig finde. Darüber
kann man streiten. Aber ich muss Ihnen eines sagen
- Frau Künast hört vielleicht auch zu -: Von Ihnen lassen wir uns solche Zitate hier nicht bieten. Für jemanden
wie Sie, der einen amtierenden Bundespräsidenten derart
angepöbelt hat, verbietet es sich, uns hier so zu zitieren.
({0})
Sie sind in diesen Dingen kein Schulmeister für uns. Ich
nehme gerne Rat entgegen, aber in Fragen von Anstand
und Stil nicht von Ihnen, Herr Trittin.
Lieber Carsten Schneider, nun auch ein Wort zu dir.
Von Volksverdummung vor der Wahl in NRW zu reden,
das kann man in der politischen Auseinandersetzung machen, aber ich denke, die Sozialdemokraten sollten die
letzten Jahre ihrer Geschichte, als sie an der Regierung
waren, nicht vergessen. Ich erinnere mich an Sozialdemokraten, die im Wahlkampf sagten, mit ihnen gebe es
keine Mehrwertsteuererhöhung, und anschließend machten sie die größte Steuererhöhung, die wir je in Deutschland hatten.
({1})
Das war sicherlich ehrliche Politik und keine Volksverdummung, oder? Das war totale Volksverdummung.
Auch so etwas lassen wir uns von euch nicht vorhalten.
({2})
Ich bin froh, dass es nach vielen Jahren endlich eine
Bundesregierung gibt, die sich den Bundshaushalt vorgenommen hat und auf die Ausgabenseite schaut. Da
mag man durchaus das eine oder andere kritisieren, aber
die Richtung insgesamt stimmt. Ich fordere jeden auf,
der Kritik daran übt, sich zu beteiligen und Vorschläge
zu machen, wo wir Ausgaben kürzen können.
({3})
Wobei ich als Haushälter sage, dass dies für mich kein
Sparprogramm ist. Vielmehr versuchen wir mit aller
Macht, die Schulden, die wir aufnehmen müssen, zu reduzieren, damit wir endlich zu einem ausgeglichenen
Haushalt kommen.
({4})
Diese Schulden - das kann ich für die FDP sagen - haben doch nicht wir gemacht, die haben überwiegend Sie
gemacht.
({5})
Sie haben in Ihrer Regierungszeit pro Jahr 50 Milliarden
Euro mehr eingenommen und trotzdem mehr Schulden
gemacht. Wo haben Sie denn das Geld gelassen?
({6})
Der Kollege Carsten Schneider sprach von den Spekulanten. Das ist wunderbar, darüber können wir uns unterhalten. Zu den Spekulanten haben auch die Sozialdemokraten und teilweise die Grünen, Herr Trittin, gehört,
die uns an die IKB verkauft haben. Anschließend haben
die Steuerzahler ordentlich blechen müssen. Die Spekulationen bei der IKB haben CDU/CSU und FDP massiv
abgelehnt. Das ist dem deutschen Steuerzahler teuer zu
stehen gekommen. Das waren allein Ihre Spekulationen.
({7})
Es gibt tolle Ideen. Man muss ja die Opposition auffordern, Alternativen vorzulegen. Plötzlich lese ich, dass
Herr Wowereit und Kollege Oppermann, den ich jetzt
herzlich begrüße, sagen, man müsste das Wachstumsbeschleunigungsgesetz zurücknehmen.
({8})
- Ich höre gerade: „Gute Idee!“ Daraufhin würde ich als
Journalist - so etwas habe ich früher einmal beruflich
gemacht - heute oder morgen schreiben: Die Linken und
auch die Sozialdemokraten wollen das Kindergeld reduzieren. Das wollen Sie doch; denn im Wachstumsbeschleunigungsgesetz haben wir etwas für die Kinder getan: 20 Euro pro Kind mehr. Das wollen Sie anscheinend
reduzieren.
({9})
Wir haben die Steuerfreibeträge angehoben; das wollen Sie anscheinend reduzieren. 4,6 Milliarden Euro
mehr für Familien und Kinder haben wir Anfang des
Jahres beschlossen. Wollen Sie das reduzieren, ja oder
nein? Stellen Sie sich hin und sagen Sie, was sie wollen,
aber kommen Sie nicht mit so einem Gerede, Sie wollten
das Wachstumsbeschleunigungsgesetz zurückziehen.
Für uns ist wichtig - das ist das Entscheidende -: Sie
wollen nur Arbeitslosigkeit verwalten, wir wollen Arbeitsplätze schaffen und sichern, damit die Menschen,
die keine Arbeit haben, endlich wieder Lohn und Brot
bekommen. Das ist unsere Politik.
({10})
Natürlich kann man das, was die Bundesregierung gemacht hat, noch ergänzen.
({11})
- Frau Künast, ich habe gesagt, das ist unsere Aufgabe.
Hören Sie doch zu, statt Kaugummi im Parlament zu
kauen!
({12})
Jetzt sage ich Ihnen Folgendes. Sie alle können sich
beteiligen. Ich mache Ihnen Vorschläge. Ich bin zum
Beispiel Hauptberichterstatter für den Etat des Deutschen Bundestages. Ich habe nichts dagegen, wenn sich
auch die Abgeordneten des Deutschen Bundestages zukünftig beteiligen, indem wir vielleicht unsere Büropauschale etwas senken, indem wir das eine oder andere
kürzen, vielleicht Baumaßnahmen genauso verschieben
wie das Schloss. Ich bin dabei. Machen Sie mit! Ich lade
Sie ganz herzlich dazu ein.
({13})
Das Wort hat der Kollege Klaus Ernst für die Fraktion
Die Linke.
({0})
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das, was
wir in dem von der Bundesregierung vorgelegten Konzept erkennen, ist ein Schutzschirm, aber ein Schutzschirm für die Reichen. Das haben wir offensichtlich Ihnen von der FDP zu verdanken. Ich möchte Ihnen eines
sagen: Inzwischen läuft Ihnen Ihre eigene Klientel davon. Es gibt fast keinen Menschen mehr, der die Politik,
die Sie machen, noch will.
({0})
Sogar der Vorsitzende des Wirtschaftsrates der CDU hat
erklärt,
({1})
er sei für eine Senkung des Spitzensteuersatzes.
({2})
Aber in dem gesamten Programm, das Sie uns vorlegen,
ist kein einziger Punkt enthalten, durch den diejenigen
belastet werden, die in den letzten Jahren ganz besonders
viel verdient haben. Das, was Sie vorgelegt haben, ist
schofelig, meine Damen und Herren.
({3})
- Ich meinte die Erhöhung des Spitzensteuersatzes. Das
wäre allerdings eine Forderung, die Sie einmal ernst
nehmen sollten.
({4})
- Meine Damen und Herren, Sie können dazwischenrufen, bis Sie schwarz werden.
({5})
- Ja, das sind sie schon.
Ich sage Ihnen: Die Bürger haben das Gefühl, dass
Sie Ihre Finger inzwischen bis zum Anschlag in ihren
Geldbeuteln haben, und zwar vor allem bei denen, die
schon fast nichts mehr haben. Dass Sie ausgerechnet bei
den Kindern von Hartz-IV-Empfängern sparen wollen
- hier wollen Sie 300 Euro pro Monat einsparen -,
({6})
zeigt eindeutig: Sie behandeln die Kinder in diesem
Lande nach ganz unterschiedlichen Maßstäben.
({7})
Wenn die Leute Ihre Vorschläge hören, halten sie ihre
Geldbörse fest. Das ist inzwischen die Realität.
({8})
Diejenigen, die eigentlich zur Kasse gebeten werden
müssten, werden aber nicht zur Kasse gebeten.
Von wegen „ausgewogenes Konzept“. Meine Damen
und Herren, wenn ich die Zahlen lese, die Sie uns vorlegen, dann stelle ich fest, dass im Jahr 2011 bei Unternehmen 3,3 Milliarden Euro eingesammelt werden sollen.
2,3 Milliarden Euro davon sind aber ein steuerlicher
Ausgleich der Kernenergiewirtschaft. Das heißt, dieses
Geld gibt es nur, wenn wir eine längere Laufzeit von
Kernkraftwerken akzeptieren. Wo kommen wir denn da
hin? Das sind doch Luftnummern, die Sie uns hier vorlegen!
Bei der Neujustierung von Sozialgesetzen rechnen
Sie im Jahr 2011 mit einer Zwischensumme von
3 Milliarden Euro, weil Sie von einem zusätzlichen
Steuerzuschuss für die gesetzliche Krankenversicherung
in Höhe von 2 Milliarden Euro ausgehen. Das, was Sie
uns hier vorlegen, ist eine Rosstäuscherei, die nicht zu
überbieten ist. Glauben Sie ernsthaft, dass die Bürger
dieses Landes sagen: „Das ist sozial ausgewogen“?
Glauben Sie ernsthaft, dass die Bürger nicht merken,
was Sie hier treiben?
Wir hatten einen sogenannten Aufschwung. Daran
waren die Rentner nicht beteiligt, daran waren die Arbeitnehmer nicht beteiligt, und die Menschen, die Arbeitslosengeld II beziehen, waren daran sowieso nicht
beteiligt. Jetzt sagt uns die Kanzlerin: Wir haben alle
über unsere Verhältnisse gelebt. - Ich frage Sie: Wer
denn? Waren es die Arbeitnehmer, die über ihre Verhältnisse gelebt haben? Hat der Hartz-IV-Bezieher über
seine Verhältnisse gelebt? Haben möglicherweise die,
die im Niedriglohnbereich beschäftigt sind, über ihre
Verhältnisse gelebt? Haben all die Menschen, die in
Leiharbeit beschäftigt sind, über ihre Verhältnisse gelebt? Ich sage Ihnen, wer über seine Verhältnisse gelebt
hat.
({9})
Über ihre Verhältnisse haben diejenigen gelebt, die in
den letzten Jahren abgezockt und an der Börse Geld verspekuliert haben. In Ihrem Konzept sehe ich nichts, wodurch die Verursacher dieser Krise zur Kasse gebeten
werden. Sie liefern hierzu keinen einzigen vernünftigen
Vorschlag.
({10})
Deshalb sage ich Ihnen, meine Damen und Herren: Es ist
absolut unakzeptabel, was Sie uns vorlegen.
Ich habe das Argument gehört, Ihre Vorschläge seien
ganz besonders mutig. Wissen Sie, in der Schule gab es
früher immer den einen oder anderen ganz Großen. Ich
habe damals auch die Erfahrung gemacht, mit wem sich
die Großen am liebsten angelegt haben: mit den Kleinen,
die sich nicht wehren konnten. Andere sind dann dazwischengegangen. Das, was Sie machen, ist nicht mutig.
Sie haben nämlich nicht den Mut, Ihre eigene Klientel
und diejenigen zur Kasse zu bitten, die eigentlich zur
Kasse gebeten werden müssten. Deshalb ist das, was Sie
dem Deutschen Bundestag vorlegen, nicht mutig, sondern äußerst feige.
({11})
Sie können natürlich so weitermachen und sagen: Wir
wollen weiterhin eine Steueroase für Reiche sein, die die
Bundesrepublik ja schon darstellt. Es wäre allerdings
sinnvoll, stattdessen zu überlegen: Was ist eigentlich in
den letzten Jahren passiert? Allein seit dem Jahr 2000
summieren sich die Steuerausfälle aufgrund der Steuersenkungen bei Bund, Ländern und Gemeinden auf
300 Milliarden Euro. Hätten wir diese Steuersenkungen
in diesem Bereich nicht, dann hätten wir jetzt überhaupt
nicht das Problem, über ein solches Sparpaket diskutieren zu müssen.
Nehmen Sie doch bitte einfach einmal das zurück,
was die Leute, denen Sie es geben, teilweise gar nicht
wollen, und nehmen Sie vor allem das zurück, worüber
sich die Bürger dieses Landes nach wie vor berechtigt
aufregen. Ihre Klientel, die Hoteliers, behält das, was sie
vom Steuerzahler bekommen hat. Gleichzeitig holen Sie
sich das Geld bei denen, die sich wirklich nicht mehr
wehren können. Das, was Sie hier treiben, ist - damit
höre ich auf - absolut schofelig.
({12})
Nun hat der Bundesminister der Finanzen,
Dr. Wolfgang Schäuble, das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Meine verehrten Kolleginnen und
Kollegen! Herr Trittin hat ja gemeint, wir sollten eine
seriöse Debatte führen.
({0})
Ich bin wirklich dafür, wir tun es. Deswegen will ich der
Versuchung widerstehen, auf alles einzugehen, was hier
unsachlich gesagt worden ist.
Meine Damen und Herren, machen Sie sich keine
Illusionen: Die große Mehrzahl unserer Bürgerinnen und
Bürger ist von einer wachsenden Besorgnis erfüllt, ob
wir, die politische Klasse, in der Lage sind, die wachsenden Defizite der öffentlichen Haushalte noch zu beherrschen und zurückzuführen und auch vor dem Hintergrund unserer demografischen Entwicklung eine
Perspektive aufzuzeigen, dass wir diese hohe Verschuldung irgendwann wieder zurückführen.
Man muss hinzufügen - das wird vergessen -: Nach
der mittelfristigen Finanzplanung vor der Finanz- und
Bankenkrise hätten wir 2011 im Bundeshaushalt eine
Nullverschuldung ausgewiesen.
({1})
- Herr Heil, wenn der Herr Steinbrück dafür verantwortlich ist, dann ist er auch für die Bankenkrise verantwortlich. Das ist ein so unsinniger Zwischenruf. Lassen Sie
es doch einfach!
({2})
Wir haben das einfach gemeinsam gemacht, aber die
Krise ist über uns gekommen. Es war auch eine richtige
Entscheidung, in dieser dramatischen Krise nicht prozyklisch zu reagieren,
({3})
sondern die automatischen Stabilisatoren wirken zu lassen. Ich habe das bei der Präsentation des Entwurfs für
den Haushalt 2010 gesagt.
Damit ist aber unausweichlich die Notwendigkeit verbunden, die Defizite zurückzuführen, sobald wir das
Gröbste hinter uns haben und bevor die nächste Krise
kommt. Es gibt darüber auch eine internationale Debatte,
die sehr kompliziert ist. Ich habe meinem amerikanischen Kollegen gesagt: Es mag sein, dass ihr glaubt, ihr
könntet eure Defizite, die ja viel höher als unsere sind, in
den kommenden Jahren über Wachstum reduzieren. Bei
der Dynamik der Vereinigten Staaten von Amerika und
der ganz anderen demografischen Entwicklung mag das
so sein. Wir in Kontinentaleuropa und wir in Deutschland können es nicht.
Deswegen müssen wir realistisch sein. Wir haben ein
längerfristiges Potenzialwachstum von anderthalb Prozent, aber nicht mehr, und das weiß die Bevölkerung.
Deswegen müssen wir diesen Weg gehen. Das besorgt
die Menschen, aber es führt kein Weg daran vorbei.
Nun sage ich Ihnen: Angesichts der prekären wirtschaftlichen Lage ist es bei solchen Defiziten klar - wir
stehen international eher in der Kritik, dass wir zu viel
und zu schnell als zu wenig sparen, was ich für falsch
halte; ich habe gerade versucht, das anzudeuten -, dass
ein ganz wesentlicher Teil unserer Operationen auf der
Ausgabenseite des Bundeshaushaltes, der seine ganz eigene Struktur hat, erfolgen muss.
({4})
Deswegen ist es wichtig, dass wir uns darauf konzentrieren, die Dinge zu stärken, die bei diesen begrenzenden
Rahmenbedingungen dazu beitragen, unsere Wettbewerbsfähigkeit zu steigern und unsere Perspektiven zu
verbessern, auch in Zukunft zu wachsen.
Aus diesem Grund haben wir die Ausgaben für Bildung und Forschung überhaupt nicht angefasst, sondern
wir haben gesagt: Nein, diese Priorität bleibt.
({5})
Wir haben gesagt - das sage ich wieder und wieder -:
Aufgrund unserer demografischen Entwicklung müssen
wir alle Menschen so gut wie möglich ausbilden und für
den Arbeitsmarkt gewinnen. Die Partizipationsrate muss
gesteigert werden. Darauf konzentrieren sich die Maßnahmen.
({6})
- Nein, überhaupt nicht.
({7})
- Herr Kollege Heil, wenn Sie etwas genauer hinschauen, dann werden Sie sehen, dass an den Maßnahmen im Bereich des Ministeriums für Arbeit und Soziales bei der relativen Bedeutung dieses Einzeletats
gemessen am Gesamthaushalt kein Weg vorbeiführt.
Frau von der Leyen hat selbst darauf hingewiesen, dass
ihr Etat mehr als die Hälfte des Bundeshaushalts ausmacht, aber nur zu knapp einem Drittel an den Maßnahmen beteiligt ist. Das heißt, dieser Bereich ist wesentlich
weniger stark betroffen.
({8})
- Mit Lachen können Sie die Zahlen nicht ändern. Herr
Heil, so wie Sie sich aufführen, würden Sie wahrscheinlich noch lachen, wenn man sagt: Zwei plus zwei ist vier.
Damit kann man Sie leicht in Freude versetzen. Aber
bleiben Sie doch ernst.
({9})
Wir haben die Maßnahmen in diesem Bereich sehr
genau überprüft und erarbeitet. Die Debatten gehen im
Übrigen weiter. Die Bundesregierung hat die Rahmenbedingungen beschlossen. Sie wird in diesem Rahmen den
Haushaltsentwurf erarbeiten, und dann wird das Parlament ausführlich beraten und entscheiden.
Unser Leitmaßstab dabei war, alles außen vor zu lassen, was Menschen betrifft, die nicht mehr für den Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen können. Bei den Hinzuverdienstregelungen gehört es aber zur Ehrlichkeit dazu,
zu sagen, dass manche konkrete Einzelheit unserer Programme im Bereich des Bundesministeriums für Finanzen wie auch beim Bundesministerium für Arbeit und
Soziales dazu führt, dass das Lohnabstandsgebot nicht
eingehalten wird und die Anreize für die Aufnahme einer regulären Tätigkeit schwach sind.
({10})
- Es ist klar: Wenn Sie meinen, das Geld kommt irgendwie von oben, und wir müssen nur über die Verteilung
reden, dann haben Sie kein Problem.
({11})
- Ich rede schon zum Thema. - Wir haben nicht nur
Konsolidierungsbedarf, sondern auch die Aufgabe, die
Voraussetzungen so zu gestalten, dass wir auch in der
Zukunft wettbewerbsfähig sind und eine maßvoll wachsende Wirtschaft haben. Dazu müssen wir diesen Weg
gehen.
Ich möchte noch zwei Bemerkungen zu Punkten machen, die erwähnt worden sind, weil es dazu vielleicht
noch Informationsbedarf gibt. Wir bleiben bei der Bankenabgabe.
({12})
- Langsam. Damit das völlig klar ist, Herr Kollege
Schneider: Was wir vorgesehen haben, ist nicht alternativ geplant, sondern zusätzlich. - Darüber werden wir
morgen früh im Bundestag diskutieren, wenn die Bundesregierung ihren Gesetzesentwurf einbringt.
({13})
- Darüber können wir diskutieren, Herr Kollege Poß. Aber zunächst einmal will ich dem Kollegen Schneider
sagen, dass das, was wir vorhaben, nicht alternativ, sondern zusätzlich ist. Wir müssen ein insolvenzähnliches
Verfahren für Banken schaffen. Dafür brauchen wir einen Restrukturierungsfonds und eine Abgabe, die ihn
allmählich und maßvoll speist.
Die Chancen, dass wir global zu einer Finanztransaktionsteuer kommen, sind sehr gering. Das habe ich an
dieser Stelle schon ein paar Mal gesagt. Ich habe in
Pusan beim Treffen der Finanzminister zumindest darüber Klarheit gefordert, dass sie auf absehbare Zeit
nicht eingeführt wird. Dann werde ich mit aller Kraft dafür eintreten, dass wir zu einer europäischen Lösung
kommen.
({14})
- Ja, das ist in der Koalition verabredet.
({15})
Ich nenne auch gleich den nächsten Schritt. Er wird
noch schwieriger, und es wird vor allem schwierig, europaweit einen Konsens hinzukriegen. Selbstverständlich
wäre es besser, wenn alle Europäer mitmachen, auch UK
und die Schweiz. Für den Fall aber, dass nicht alle in Europa mitmachen sollten, würde ich auch dafür werben,
dass wir das zur Not im europäischen Währungsverbund
machen. Deswegen war ich bereit, die 2 Milliarden Euro
einzusetzen. Wenn es mehr werden, Herr Poß: à la bonne
heure!
Bisher würde ich eher sagen: Ich wäre froh, wenn wir
sie schon hätten. Denn ich brauche auch dafür einen Beschluss innerhalb der Euro-Zone. Alleine, auf nationaler
Ebene, können wir das nicht machen.
Wir haben auch geprüft, ob wir die Börsenumsatzsteuer wieder einführen sollen. Aber das würden sicherlich auch Sie nicht empfehlen; denn Sie wissen, dass die
Voraussetzung für die Börsenumsatzsteuer seinerzeit
war, dass wir eine eigene Währung hatten. Da wir inzwischen Teil einer Währungsgemeinschaft sind, wären die
Ausweicheffekte so groß, dass wir allenfalls eine Lachnummer bieten würden. Deswegen haben wir uns für
diesen Weg entschieden. Er ist ehrgeizig.
Frau Kollegin Künast, zu Ihrem Zwischenruf: Was
das Elterngeld für Hartz-IV-Empfänger angeht, besteht
ein Unterschied zu den Hausfrauen darin, dass Hartz-IVEmpfängern ihr Existenzminimum garantiert wird. Sie
haben einen Rechtsanspruch darauf; das ist unser Sozialstaat. Die Hausfrau bekommt nichts. Deswegen ist die
Gleichsetzung von Hausfrauen und Hartz-IV-Empfängern völlig falsch. Das genaue Gegenteil ist richtig.
({16})
Das muss man sehen. Das Prinzip von Hartz IV ist die
Existenzsicherung. Das wirkt sich vor allen Dingen bei
Wohngeld und Kosten der Unterkunft in einem dramatischen Maße aus; das alles muss man im Auge haben.
Unsere Entscheidungen sind maßvoll. Sie sind sozial
verantwortbar. Sie stärken unsere Chancen auf künftiges
Wachstum. Wir sparen nicht kaputt. Aber wir führen die
Defizite zurück. Damit legen wir die Grundlagen dafür,
dass das Vertrauen unserer Bevölkerung in die Nachhaltigkeit unseres demokratischen, wirtschaftlichen und sozialen Systems auch in Zukunft erhalten und weiter gestärkt werden kann.
Herzlichen Dank.
({17})
Nächster Redner ist der Kollege Hubertus Heil für die
SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Sehr geehrter Herr Schäuble, bei Bildung wollten Sie nicht sparen, haben Sie gesagt. Das ist auch die
Parole der letzten Tage gewesen. Ich sage Ihnen: Sie
sparen bei Bildung, und zwar in zweierlei Hinsicht. Zum
einen haben Sie vor Weihnachten durch das sogenannte
Wachstumsbeschleunigungsgesetz Löcher in die Haushalte von Kommunen und Ländern gerissen, was zulasten der Schulpolitik geht. Zum anderen verstehen Sie offenbar nur Schulpolitik als Bildung. Sie haben von der
demografischen Entwicklung gesprochen. In Deutschland verlassen Jahr für Jahr 60 000 junge Menschen unsere Schulen ohne Schulabschluss. Jeder Mensch weiß,
wie schwierig es heute im Gegensatz zu früher ist, mit
einem einfachen Hauptschulabschluss eine Ausbildungsstelle zu finden. Man weiß, dass es fast unmöglich ist,
ohne Schulabschluss Zugang zu Ausbildung und geregelter Arbeit zu finden. Hier geht es um Bildung und
Qualifizierung. Diesen jungen Menschen rauben Sie
durch den Kahlschlag in der aktiven Arbeitsmarktpolitik
die Chancen. Am Ende wird es für den Staat teurer, weil
diese jungen Menschen die Arbeitslosen und die Langzeitarbeitslosen von morgen sind. Sie versündigen sich
an den jungen Leuten und ihren Chancen, Herr
Schäuble.
({0})
Schauen wir uns die Zahlen einmal an. Sie können
uns doch nicht erzählen, das alles bleibe ohne Effekte für
den Bereich des Förderns. „Fordern und fördern“ ist einmal das Prinzip der Arbeitsmarktpolitik gewesen. Sie
wollen im Jahre 2011 Einschnitte mit einem Volumen
von 2 Milliarden Euro im Bereich der aktiven Arbeitsmarktpolitik vornehmen. Im Jahre 2012 sollen es 4 Milliarden Euro sein. Ab 2013 sollen es jährlich 5 Milliarden Euro sein. Das heißt, allein bis 2014 wollen Sie
16 Milliarden Euro im Bereich der aktiven Arbeitsmarktpolitik einsparen. Wer hier kurzfristig spart, wird
langfristig die Langzeitarbeitslosigkeit in diesem Land
verfestigen. Das kostet die Gesellschaft Geld und zerstört die Chancen von Menschen auf ein selbstbestimmtes Leben durch Erwerbsarbeit. Das ist das, was Sie machen.
({1})
- Herr Barthle, da Sie so lautstark dazwischenrufen:
Wenn Sie zuhören, können Sie vielleicht etwas lernen.
Wenn Sie so schreien, bekommt der Begriff „Primat der
Politik“ eine ganz neue Bedeutung. Was Sie hier aufführen, ist tatsächlich erstaunlich.
Ihre Kürzungen im Bereich der Qualifizierung und
insbesondere Ihr Kahlschlag bei den Weiterbildungsmaßnahmen gehen zulasten junger Menschen, die Qualifikation brauchen, zulasten alleinerziehender Langzeitarbeitsloser und zulasten älterer Langzeitarbeitsloser.
Das ist nicht nur unfair gegenüber den betroffenen Menschen. Es ist auch ökonomischer Unfug. Sie können
nicht - wie Frau von der Leyen - von einer Vermittlungsoffensive sprechen, wenn Sie keine Maßnahmen
zur Qualifizierung und Eingliederung von Langzeitarbeitslosen ergreifen. Es ist hirnlos, bei Bildung und Qualifikation zu kürzen. Hinzu kommt, dass das, was Sie
machen, herzlos ist. Sie kürzen nämlich bei den
Schwächsten. Da Sie sich das von Herrn Trittin nicht anhören wollen, sage ich Ihnen: Die Art und Weise, wie
Sie diejenigen schonen, die breite Schultern haben und
mehr schultern könnten, und sich an den Schwächsten
vergreifen, kann nur als feige bezeichnet werden. Damit
hat Jürgen Trittin vollkommen recht.
({2})
Da Sie, Herr Schäuble, dazu aufgefordert haben, andere Vorschläge zu machen, präsentiere ich Ihnen ein
paar:
Fangen wir an, einmal darüber zu reden - die FDP
schweigt dazu inzwischen; die CDU auch; Sie auch, weil
es Ihnen vielleicht ein bisschen peinlich ist -, was Sie für
Geschenke ausgegeben haben. Herr Koppelin, das, was
Sie uns unterstellt haben, stimmt übrigens nicht. Aus den
5,6 Milliarden Euro, die dem Staatshaushalt aufgrund
Ihres sogenannten Wachstumsbeschleunigungsgesetzes
fehlen - von diesem Geld reden wir; wir wollen, dass der
Staat es zurückbekommt -, sind das Kindergeld und andere Leistungen im Bereich Familien herausgerechnet.
({3})
- Herr Fricke, Sie haben gleich die Gelegenheit, hier das
zu sagen, was Sie in Talkshows hin und wieder kokett
angedeutet haben.
Nehmen Sie den reduzierten Mehrwertsteuersatz zugunsten von Hoteliers zurück! Allein durch diese Maßnahme hätten wir über 1,6 Milliarden Euro mehr zur
Verfügung. Dann müssten wir nicht zulasten von Familien, von älteren Langzeitarbeitslosen und von Jugendlichen sparen. Das wäre mutig: sich selbst zu korrigieren
und auch Ihre Klientel zu belasten und heranzuziehen.
Ihr Vorgehen untergräbt das Vertrauen von Menschen in
demokratische Politik, weil die Gerechtigkeit fehlt. Das
ist Ihr Problem.
({4})
Ich sage Ihnen noch etwas: Wir könnten durch den
Abbau umweltschädlicher Subventionen, durch den Abbau von Privilegien der Atomwirtschaft, etwa durch einen Verzicht auf die Verlängerung der Restlaufzeiten,
und die Einführung einer Brennelementesteuer das Geld
einnehmen, das wir brauchen, um die Asse in Niedersachsen zu sanieren. Das ist notwendig; denn es kostet
über 1,5 Milliarden Euro, diesen abgesoffenen Atomtopf
in Ordnung zu bringen. Daran müssen Sie die Atomwirtschaft beteiligen. Das tun Sie aber nicht, indem Sie ihr
etwas schenken, nämlich längere Restlaufzeiten und damit größere Profite.
Sie lehnen den Mindestlohn ab, Herr Schäuble. Beim
Mindestlohn geht es nicht um Geld von oben, wie Sie
Hubertus Heil ({5})
gesagt haben, sondern um Geld von unten, um es einmal
klar zu sagen. Das Bundesarbeitsministerium, das
BMAS, hat die Aussage getroffen: Durch die Einführung eines flächendeckenden Mindestlohns könnten im
Bundeshaushalt Ausgaben in Höhe von 1,5 Milliarden
Euro eingespart werden, weil die Aufstockergelder dann
unnötig wären. Im Moment muss Steuergeld ausgegeben
werden, weil Dumpinglöhne gezahlt werden. Nutzen Sie
diese Gelegenheit, um diese Ausgaben einzusparen.
({6})
Last, but not least geht es darum, diejenigen, die diese
Krise verursacht haben, und auch die mit den breiteren
Schultern stärker zu beteiligen. Ich sage Ihnen: Die
Selbsttitulierung dieser Koalition von „Gurkentruppe“
über „Wildsau“ und all das, was man noch so hört,
spricht für sich selbst. Es wäre nicht schlimm, wenn es
nicht die Zukunftsfähigkeit dieses Landes gefährden
würde.
Sie sparen nicht wirklich, sondern Sie kürzen kurzfristig. Langfristig werden diese Gesellschaft, der Staat,
unsere Demokratie die Zeche zahlen. Deshalb kann ich
Ihnen nur eines sagen: Sie müssen umkehren. Wenn Sie
es nicht freiwillig tun, dann werden wir nicht nur in diesem Hause, sondern zusammen mit Gewerkschaften, mit
klugen Unternehmerinnen und Unternehmern und mit
gesellschaftlichen Gruppen Widerstand gegen das organisieren, was Sie da machen. Wir werden nicht zulassen,
dass Sie das Vertrauen der Menschen in den sozialen und
demokratischen Rechtsstaat durch eine irregeleitete
Klientelpolitik, von der diese schwarz-gelbe Regierung
offensichtlich geleitet ist, untergraben.
({7})
Herr Kollege, denken Sie an die Redezeit.
Sie machen eine Politik, die würdelos ist, die herzlos
ist und feige. Sie müssen damit aufhören. Wir werden
Ihnen das deutlich machen.
Herzlichen Dank.
({0})
Nächster Redner ist der Kollege Otto Fricke für die
FDP-Fraktion.
({0})
Geschätzte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten
Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Heil, auch mit
Blick auf den Kollegen Trittin möchte ich kurz die Zahlen klären - es geht nur darum, dass Sie das einmal zur
Kenntnis nehmen -: Der ermäßigte Mehrwertsteuersatz
im Hotelbereich bedeutet eine gesamtstaatliche Belastung von 800 Millionen Euro.
({0})
3 Prozent dieser Belastung entfallen auf die Kommunen.
Das heißt, die Kommunen in Deutschland haben dadurch insgesamt eine Belastung von 24 Millionen Euro
zu verkraften. Auf den Bund entfällt eine Belastung von
400 Millionen Euro. Ihr Vorschlag, diese Maßnahme
rückgängig zu machen, brächte also 400 Millionen Euro
mehr für den Bundeshaushalt, und das bei einem Einsparbedarf allein in diesem Jahr von 12 Milliarden Euro.
({1})
Herr Heil, daran wird der Unterschied zwischen Ihnen
und uns klar: Sie versuchen, einen Popanz aufzubauen,
und sehen nicht, wie die Zahlen sind.
({2})
Das ist Ihr eigentliches Problem in der Opposition:
Wenn Sie verantwortungsvoll agieren wollen,
({3})
müssen Sie die Macht der Zahlen einfach irgendwann
einmal akzeptieren.
({4})
Ich kann Ihnen wirklich nur anraten: Machen Sie einen Gegenhaushalt auf, und zwar so konkret und nachrechenbar wie der Haushalt, der am 7. Juli vom Kabinett
beschlossen wird.
({5})
- Ich weiß, getroffene Hunde bellen.
({6})
Ich will Ihnen noch eine zweite Zahl nennen. Sie sagen, Sie wollen im Jahre 2013 einen Schuldenabbau in
Höhe von 24 Milliarden Euro möglichst durch Steuereinnahmen finanzieren. Ich weiß genau, woran Sie dabei
denken. Wenn Sie Schulden in Höhe von 24 Milliarden
Euro abbauen wollen, dann müssen Sie als Sozialdemokraten - die Grünen müssten das gegebenenfalls mitmachen - genau das machen, was Sie zu Beginn der Großen
Koalition getan haben: einfach nur die Mehrwertsteuer
um 3 Prozentpunkte erhöhen. Das brächte Mehreinnahmen in Höhe von 24 Milliarden Euro. Ich glaube, das ist
das, was Sie tief in Ihrem Innern wollen und was Herr
Ernst „Abkassieren“ nennt.
({7})
Meine Damen und Herren, warum machen wir es so,
dass wir an die Ausgaben herangehen? Sie sagen, wir
seien feige, oder Ähnliches mehr. Was von Ihnen
kommt, Herr Kollege Trittin - im Ton vergriffen, in der
Zahlenwahl vergriffen -, was auch vonseiten der Linken
kommt - in anderen Dingen sowieso vergriffen -, ist etwas ganz anderes. Sie versuchen, genau hier den Angriff
zu starten, und sagen, Sie hätten es gern anders.
({8})
Wir stellen uns aber dem Konflikt, Herr Kollege Heil,
weil wir davon überzeugt sind, dass das, was wir vorlegen, ausgeglichen ist,
({9})
weil es berücksichtigt, wer in welchem Maße Geld aus
dem Haushalt bekommt, und weil wir immer noch in Erinnerung haben, wer zu wie viel Prozent die Steuern
zahlt, die wir für den Haushalt brauchen, damit der Staat
seinen sozialstaatlichen Aufgaben gerecht werden kann.
Das, Herr Heil, ist der Grund dafür, dass wir hier mutig
sind.
({10})
Sie haben das in der Vergangenheit anders gemacht.
Sie haben immer wieder festgestellt: „Wir müssen hier
eine Ausgabe erhöhen, wir müssen dort eine Ausgabe erhöhen“, und nach vier Jahren haben Sie gesagt: Es tut
uns leid, liebe Bürger; wir müssen die Steuern erhöhen. Dieses Prinzip durchbricht diese Koalition. Es ist das
erste Mal seit Jahrzehnten, dass einer Koalition das gelingt. Ich bin froh darüber, dass das Kabinett das bei aller
Schwere der Arbeit geschafft hat.
({11})
Sie hatten in elf Jahren sozialdemokratischer Regierungsbeteiligung nie den Mut, diese Arbeit zu machen.
Unseren Mut kann man beschimpfen, aber er wird am
Ende belohnt werden.
({12})
Wenn wir im November den Haushalt beschließen werden, sicherlich noch mit Veränderungen, dann werden
Sie diejenigen sein, die an dieser Stelle blank dastehen;
es sei denn, Sie kommen jetzt wirklich mal mit konkreten Einsparvorschlägen rüber statt mit falschen Zahlen.
({13})
- Ich weiß, Sie wollen das immer nur über Einnahmen
machen. Ich kann den Bürgern draußen nur sagen: Jeder
Politiker, der Ihnen erzählt, er wolle mehr Einnahmen,
will am Ende an alle Leute ran.
({14})
Wenn Sie meinen, man könnte Einzelne ausnehmen und
könnte das vielleicht nur auf eine kleine Gruppe beziehen, halte ich Ihnen entgegen: Ich bin gespannt, wie Sie
mit Ihrem Vorschlag einer Reichensteuer 11 Milliarden
Euro in diesem Jahr oder 24 Milliarden Euro im nächsten Jahr erwirtschaften wollen. Das können Sie gar
nicht! Aber bitte! Ich freue mich sehr, wenn Sie diese
Rechnung aufmachen können. Allen Bürgern, die den
Spitzensteuersatz zahlen, also 53 000 Euro brutto haben,
kann ich nur empfehlen: Fragt euch mal, was die wohl
mit euch beim Thema Steuererhöhungen machen!
({15})
Dann kam der Vorwurf, es sei unsozial. Woran kann
man eigentlich merken, wie sozial eine Bundesregierung
ist?
({16})
Das kann man nicht an absoluten Zahlen festmachen,
sondern man kann es feststellen, indem man prüft - der
Kollege Barthle hat es gesagt -:
({17})
Wie viel Prozent der Ausgaben des Haushalts entfallen
auf den Bereich „Arbeit und Soziales“? 2002, am Ende
von Rot-Grün, die angeblich so sozial waren, waren es
nach den Zahlen des Rechnungshofs 44,9 Prozent. Der
Haushalt 2010 der christlich-liberalen Regierung weist
aus: 54 Prozent, also 10 Prozentpunkte mehr.
({18})
Wer da behauptet, Rot-Grün sei sozial - Frau Kollegin
Hagedorn, Zwischenfrage ist nicht! -, verweigert sich
erneut der Macht der Zahlen.
Sie können nicht nach dem Motto verfahren: Hauptsache, man schreit am lautesten. - Wir sind nicht beim
Fußball, wo das mit den Vuvuzelas geht. Da gilt das
Motto: Wer am lautesten ist, hat gewonnen. - Wir aber
sind bei den Zahlen. Wir sind beim Haushalt.
({19})
Sie müssen diese Zahlen erst liefern; denn - das ist der
letzte Satz - das Unsozialste, was wir machen können,
ist die Verschiebung von Schuldenbergen, auf denen
Kinder, wie wir alle wissen, weder spielen noch lernen
können.
Herzlichen Dank.
({20})
Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat nun das
Wort der Kollege Alexander Bonde.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir reden hier über ein Sparpaket in einer schwierigen Situation. Das billige ich Ihnen als Bundeskabinett, die Sie
das verabschiedet haben, ausdrücklich zu. Sie versuchen, hier aufzuzeigen, Sie seien die Einzigen, denen das
Thema „Haushalt und Generationengerechtigkeit“ ein
Anliegen ist. Das ist aber nicht richtig. Im Kern streiten
wir hier nicht über die Frage des Ob, sondern über die
Frage des Wie, und dieser Auseinandersetzung müssen
Sie sich mit Ihrem Paket stellen.
({0})
Herr Schäuble, Sie haben einen sehr bemerkenswerten Satz gesagt, den wir alle uns merken müssen, weil er
richtig ist. Nämlich: Wir können in Deutschland die Probleme nicht über Wachstum lösen. - Sie haben zu Recht
darauf hingewiesen, wo das deutsche Potenzialwachstum in den nächsten Jahren liegt. Ich halte es für wichtig,
dass diese Bundesregierung endlich bei der Erkenntnis
angekommen ist, dass Wachstumsträumereien die Probleme nicht lösen.
({1})
Ihre Erklärung steht dem diametral entgegen, was uns
bisher als Regierungserklärung der Kanzlerin entgegengehalten worden ist und bis vor kurzem die Linie in Sachen „Finanzierung von Steuersenkungen“ war. Das will
ich in dieser Debatte noch einmal mit aller Ernsthaftigkeit, die sie verdient, festhalten.
Sie reden hier immer über ein „mutiges Paket“. Ich
frage mich schon, worin der Mut besteht, wenn Sie immer dort zugreifen, wo Sie wissen, dass es einem als Koalition am wenigsten schadet. Sie haben in Bezug auf
dieses Paket massiv Chancen verpasst. Die gesamte
Frage des Subventionsabbaus - insbesondere die Frage
des Abbaus ökologisch schädlicher Subventionen - ist
von Ihnen nicht angegangen worden.
({2})
Das findet sich im Prosatext Ihrer Koalitionserklärung
wieder. Es gibt 48 Milliarden Euro umweltschädlicher
Subventionen im Bundeshaushalt; an 1 Milliarde Euro
wollen Sie jetzt herangehen.
({3})
Kollege Fricke, wenn Sie ausmisten wollen, sind Sie
nicht glaubwürdig, wenn Sie mit der Pinzette daherkommen. Das ist das, was Sie hinsichtlich der ökologisch
schädlichen Subventionen machen.
({4})
Sie sind nicht mutig in der Frage des Subventionsabbaus.
({5})
Das tut Ihnen von der FDP weh; ich verstehe das. Aber
da kneifen Sie. Sie stellen sich nicht der Frage: Was ist
eigentlich in solch einer Krise wirklich wichtig, und wo
müssen wir die Gelder einsetzen, die wir haben?
Damit sind wir bei der Mehrwertsteuer. In der Frage
des ermäßigten Satzes geht es darum, den täglichen
Grundbedarf aus einer sozialen Verantwortung heraus
kostengünstiger zu halten. Was haben die Hotelübernachtung, das Rennpferd, die Schnittblume, die Überraschungseier und die Skilifte mit der Frage des täglichen
Bedarfs zu tun? In dieser Frage kneifen Sie. Das hat
nichts mit einem mutigen Akt zu tun.
({6})
Ich rede jetzt einmal über Ihre Zahlen. Sie haben sich
hier hingestellt und gesagt, dieses Paket sei ausgewogen,
weil der Anteil des Haushalts des Arbeits- und Sozialministeriums am Gesamthaushalt größer sei als der Anteil seiner Einsparungen in Bezug auf die Einsparungen
im Gesamthaushalt. Der Minister hat in der Regierungsbefragung heute Mittag ehrlicher argumentiert. Er hat
nämlich gesagt, eigentlich müsse man den Anteil der
Rente - 80 Milliarden Euro, das ist der größte Einzeltitel herausrechnen. Wenn Sie die Rente herausrechnen, beträgt der Anteil des Arbeits- und Sozialministeriums
20 Prozent des Bundeshaushalts. Bei Ihren Ausgabenkürzungen aber macht der Bereich Arbeit und Soziales
60 Prozent aus. Das ist mehr als eine Schieflage. Es ist
völlig klar, wer da das Ziel Ihrer einseitigen Einsparungen ist.
({7})
Es gibt keinen Beitrag der Besserverdienenden.
Starke Schultern tragen zu diesem von Ihnen als historisch erklärten Sanierungsprojekt nichts bei, nicht einen
Cent. Das macht überhaupt keinen Sinn. Es ist eine vergebene Chance. Wenn man Konsolidierung ernst nimmt
und diesen Haushalt wirklich sanieren will, braucht man
eine faire Verteilung der Lasten. Dann müssen auch diejenigen in diesem Land, die es können, einen Beitrag
dazu leisten. Auch diese Chance haben Sie fahrlässig
verpasst.
({8})
In der Regierungspressekonferenz wurde die Kanzlerin gefragt, weshalb das denn sozial ausgewogen sei. Darauf hat sie geantwortet: Weil sich auch die Wirtschaft
mit der Brennelementesteuer beteiligt. Man muss der
Kanzlerin lassen, dass sie da viel Humor gezeigt hat. Die
Brennelementesteuer ist in Kombination mit dem Versprechen der Laufzeitverlängerung zu sehen. Diese Art
Belastung, wo jemandem Milliarden geschenkt werden,
ist, mit Verlaub, nichts, womit eine soziale Symmetrie in
so einem Paket begründet werden kann.
({9})
Sie richten mit diesem Haushalt Verschiebebahnhöfe
ein. Damit, dass keine Rentenversicherungsbeiträge für
die Arbeitslosengeld-II-Empfänger eingezahlt werden,
verschieben Sie bewusst Kosten in die Zukunft. Und Sie
verschieben bewusst Kosten auf die Träger der Grundsicherung im Alter, also die Kommunen.
Das ist die Art von Tricks, die uns allen gemeinsam
nicht weiterhilft, den Haushalt ehrlich auf die Schiene zu
bringen. Es bringt nichts, sich auf Kosten der Kommunen gesundstoßen zu wollen. Lassen Sie es doch einfach,
solche Pakete zu schaffen, mit denen Sie es sich einfach
machen, bei denen Sie keinen Mut haben, an Subventionen heranzugehen, die nur zulasten sozial Schwacher gehen und die dort, wo es ernst wird, im Vagen bleiben.
Nichts von dem, was Sie hier vorgeschlagen haben,
ist schon Gesetz. Wir werden Sie im Herbst in den Ausschüssen zwingen, Flagge zu zeigen. Es gibt viele kluge
Vorschläge aus der Koalition, wie das Paket sozialer und
ökologischer gemacht werden kann. Wenn es darum
geht, sind wir dabei. Aber wenn mit dem Paket nur auf
billige Weise versucht werden soll, auf Kosten der
Ärmsten und der Umwelt eine Pseudokonsolidierung zu
machen, dann können Sie zu Recht harten Widerstand
von uns und der restlichen Opposition erwarten.
({10})
Nächster Redner ist der Kollege Axel Fischer für die
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Forderung
nach einer stärkeren Belastung sogenannter starker
Schultern zum Tragen der Soziallast in unserem Land ist
nicht neu und auch wenig originell oder zukunftsweisend.
({0})
Aber sie wird nach wie vor von vielen sehr gerne gehört.
Sie klingt nämlich in den Ohren derjenigen gut, die von
der umfassenden Umverteilung über den Sozialstaat in
unserem Land profitieren oder sogar leben.
({1})
Doch welches Bild haben wir von unserem Sozialstaat, der von starken Schultern getragen wird? Ist dieser
unser Sozialstaat ein Schmuckstück gelebter gesellschaftlicher Solidarität, die wie ein diamantenbesetzter
Gelbgoldanhänger an einer goldenen Kette um den Hals
getragen wird? Oder haben wir bei mehr als 50 Prozent
staatlicher Umverteilung einen Punkt erreicht, an dem
eher das Bild einer Bleikugel an einer eisernen Fußkette
passt, die die Aktiven, Kreativen und Fleißigen im
Lande belastet, lähmt und ihre Entwicklung und Entfaltung hemmt? Diese Frage kann jeder für sich selbst beantworten.
Der Erfindungsreichtum in Bezug auf die Erschließung neuer Staatseinkünfte war schon immer groß. Sexsteuer, Solidaritätszuschlag, ein höherer Spitzensteuersatz oder Brennelementesteuer sind heute aber nicht
unser Thema. Es geht beim Sparen nämlich in erster
Linie darum, weniger Geld auszugeben. Seit Jahrzehnten
ist es doch immer dasselbe Spiel: Sparen und Schuldenabbau ja; aber wenn es konkret wird, ist das unsozial,
und dann soll bei anderen der Gürtel enger geschnallt
werden. Am Ende trifft es häufig die Millionen fleißigen
Facharbeiter, Angestellten, Handwerker, Lehrer und
viele mehr, die stärker belastet werden und unseren Sozialstaat im Wesentlichen tragen.
Hieran wollen wir etwas ändern. Wir wollen einen
finanziell gesunden Staat. Angesichts verwendeter
Schlagworte vonseiten interessierter Verbände, aber
auch Vertretern vermeintlich honoriger Parteien könnte
man aber den Eindruck gewinnen, Bedürftige oder
Hartz-IV-Empfänger hätten zukünftig nicht mehr genug
zu essen, müssten im Winter frieren und würden jetzt
von Staats wegen von allen Bildungschancen abgekoppelt. Würde man Sie ernst nehmen, könnte man meinen,
Familien und ihre Kinder müssten zukünftig am Rande
der Gesellschaft perspektiv- und mittellos und ohne Zukunftschancen verkümmern.
({2})
Diese Zerrbilder entsprechen jedoch keinesfalls der
Realität. Sie belegen nur das Ausmaß an Verantwortungslosigkeit, mit der Sie Ängste schüren, um auf Kosten der Schwachen Ihr politisches Süppchen zu kochen.
({3})
Das ist unverantwortlich.
Als konkretes Beispiel nenne ich die Kritik an der
Hartz-IV-Regelung. Was wollen wir? Wir wollen, dass
die staatlichen Mittel zum Beispiel für die Qualifikation
von Hartz-IV-Empfängern und deren Eingliederung in
den Arbeitsmarkt genau für diese Zwecke und auch und
vor allem erfolgreich verwendet werden.
({4})
Unser Ziel ist es, Arbeitsuchende wieder in den Arbeitsmarkt zu integrieren.
({5})
Dazu brauchen wir sinnvolle Maßnahmen, die den Arbeitsuchenden mit seiner individuellen Persönlichkeit,
Schaffenskraft und Qualifikation in den Arbeitsmarkt
vor Ort mit dessen einzigartiger Wirtschaftsstruktur integrieren.
({6})
Axel E. Fischer ({7})
Weil die Mitarbeiter in der Arbeitsverwaltung vor Ort
das beste Bild von beidem haben, wollen wir dorthin
auch die Verantwortung und Entscheidungsbefugnis bezüglich der Auswahl und Durchführung der eigenen
Maßnahmen verlagern.
({8})
Damit setzen wir die knappen Steuermittel zielgerichtet
ein und vermeiden zugleich die erheblichen Mitnahmeeffekte, die unter anderem im Existenzgründungsbereich
in der Vergangenheit aufgetreten sind.
({9})
Wer sich - wie Sie, Herr Heil - dafür einsetzt, dass weiterhin und in verstärktem Umfang Steuermittel für Maßnahmen verwendet werden, die den Arbeitsuchenden
überhaupt nicht weiterhelfen, der muss darlegen, wen er
mit diesen Mitteln eigentlich beglücken möchte.
Weil es darum geht, den Staatshaushalt in verantwortlicher Weise wieder ins Lot zu bringen, ist es richtig und
wichtig, dass die Rentner von Einsparungen ausgenommen werden.
({10})
Es wäre nicht richtig, die Renten für notwendige Rückschnitte im Sozialstaat haftbar zu machen. Die solidarische Finanzierung des Alterslohns bleibt daher unangetastet. Gleichwohl wird die Rentenversicherung einen
Solidarbeitrag zur Einsparung leisten.
({11})
Mit Streichung der Rentenversicherungsbeiträge für
Hartz-IV-Empfänger wird eine erhebliche Einsparung
im Bundeshaushalt möglich.
({12})
Der Verlust von Rentenansprüchen in Höhe von etwa
2 Euro erscheint im Gegenzug individuell zumutbar.
Meine Damen und Herren, wir sehen, die Bundesregierung hat Eckpunkte vorgelegt, die in die richtige
Richtung zeigen. Es ist unsere Aufgabe als Parlamentarier, in den nächsten Monaten in den Debatten und in den
Haushaltsberatungen das auf einen guten Weg zu bringen.
({13})
Für die SPD-Fraktion spricht nun die Kollegin
Bettina Hagedorn.
({0})
Herr Kollege Fischer, mit Ihrem Urteil, dass das vorgelegte Sparpaket in die richtige Richtung zeigt, stehen
Sie relativ alleine da. Dies ist nicht nur die Auffassung
der Opposition. Ein Blick auf die aktuellen Schlagzeilen
zeigt Ihnen, dass jeder in der Republik dieser Meinung
ist. Dazu zählen die großen Verbände und auch die großen Wohlfahrtsverbände. Sie müssen also nicht auf das
hören, was die Gewerkschaften sagen.
Sie haben gesagt, das Ungerechteste sei der große
Schuldenberg und darum müsse man daran. Das ist ja
unbestritten.
({0})
Dem hat hier niemand widersprochen. Der Kollege
Bonde hat zu Recht gesagt, es gehe nicht darum, dass
gespart wird, sondern darum, wie gespart wird. Es geht
außerdem um die soziale Schieflage, die Ihr Paket aufweist.
Sie haben bestritten, dass man auch einmal auf die
Einnahmeseite schauen muss - Sie lehnen dies ab -,
wenn man über Ausgaben und Einnahmen spricht.
({1})
- Nicht nur auf die Einnahmeseite, aber auch. Sie
schauen überhaupt nicht darauf.
({2})
Wir haben heute im Rahmen eines Berichterstattergesprächs mit dem Bundesarbeits- und Sozialministerium
über diese Fragen gesprochen. Da hieß es, man denke
jetzt nicht über die Einnahmeseite nach, weil man nicht
wisse, wie sich die Länder verhielten, die ja mitmachen
müssten. Ich als Schleswig-Holsteinerin habe mich vorhin mit anderen Kollegen mit dem Ministerpräsidenten
von Schleswig-Holstein getroffen, wo jetzt ebenfalls ein
Sparpaket auf den Weg gebracht worden ist, das zum
Beispiel dazu führt, dass das beitragsfreie Kindergartenjahr abgeschafft wird. Ich habe den Ministerpräsidenten
nach der Einnahmeseite gefragt. Er sagte dazu, dass die
Bundesländer entsprechende Maßnahmen alleine nicht
initiieren könnten, weil man dabei auf den Bund angewiesen sei. Ich sage Ihnen: Solange Schwarz-Gelb im
Bund und in den Ländern mit diesem Schwarze-PeterSpiel, mit diesem Hin und Her versucht, die Menschen
und die Opposition an der Nase herumzuführen - denn
an notwendige Steuererhöhungen da, wo sie sozial verträglich sind, wollen Sie nicht heran, und Sie wollen die
Hoteliersteuer nicht rückgängig machen, mit der Sie
dem Staat in die Tasche fassen -, so lange wird Ihr Paket
sozial unausgewogen bleiben.
({3})
Ich komme zum Thema Sparen. Sie sagen, dass Sie
sparen wollen. Aber auch das ist Trickserei. Denn in
weiten Bereichen verschieben Sie Dinge lediglich in die
Zukunft. Ich nenne als Beispiel den Zuschuss an die
Rentenversicherung für die Arbeitslosengeld-II-Empfänger in Höhe von 1,8 Milliarden Euro. Was bedeutet das?
Was weniger an Zuschüssen fließt, fehlt doch im Etat der
Rentenversicherung. Die Schwankungsreserve, die wir
gemeinsam mit ungefähr 16 Milliarden Euro auf eine
stabile Grundlage gestellt haben, wird von Ihnen angefasst. Wozu wird das in der Zukunft führen? Natürlich zu
einer Erhöhung der Beiträge. Das wiederum ist Gift für
die Konjunktur und außerdem unsozial. Das ist kein
Sparen.
({4})
Es gibt Aussagen von Herrn Weise im Haushaltsausschuss zu der Frage, wie hoch der erforderliche Arbeitslosenversicherungsbeitrag sei. Herr Weise hat im Dezember letzten Jahres gesagt, der Beitragssatz im Jahre
2010 müsse bei 4,8 Prozent liegen, wenn man das Defizit allein decken wolle. Dabei ist also der Zuschuss aus
Steuermitteln herausgerechnet, den die Bundesagentur
für Arbeit in diesem Jahr erhält.
Nun sagen Sie aber, ab 2011 solle die Bundesagentur
für Arbeit ohne Zuschuss und ohne Darlehen auskommen. Aktuell ist für 2011 ein Beitragssatz von 3 Prozent
vorgesehen. Was bedeutet das Ganze denn? Das bedeutet
im Endeffekt, dass Sie den Beitragssatz für die Arbeitslosenversicherung wieder werden anheben müssen. Es
gibt nur noch eine Möglichkeit, wie Sie das eventuell
vermeiden könnten; dann müssten Sie allerdings bei der
aktiven Arbeitsmarktpolitik einen wirklichen Kahlschlag
vornehmen. Ansätze dazu gibt es bereits. Da machen Sie
nämlich das, was Sie vorgeben nicht zu tun. Sie sparen
bei der Bildung. Sie sparen nicht nur beim Hauptschulabschluss, sondern auch bei weiteren Qualifizierungen.
Sie sparen bei den Integrationschancen von jungen Menschen, Frauen, Behinderten und Migranten. Damit produzieren Sie das, was das Gegenteil von vernünftig ist:
Sie verlagern die Kosten lediglich in die Zukunft und
rauben den Menschen Chancen.
Für das vermeintliche Sparpaket, das Sie vorgelegt
haben, sollten Sie sich schämen. Von der FDP habe ich
nichts anderes erwartet.
({5})
Aber dass die Partei mit dem „C“ in ihrem Namen das
mitmacht, das ist furchtbar.
({6})
Nächster Redner ist der Kollege Max Straubinger für
die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen!
Kollegin Hagedorn und auch Kollege Bonde haben
heute verdeutlicht, dass es nicht darum geht, ob Defizite
reduziert werden, sondern wie Defizite reduziert werden.
Dies wird auch deutlich, wenn man sich den Titel der
heutigen Aktuellen Stunde, beantragt von SPD und
Bündnis 90/Die Grünen, zu Gemüte führt. Er lautet nämlich: „Abbau der Neuverschuldung durch sozial gerechte
Belastung auch der starken Schultern statt massiver Kürzungen bei Arbeitslosen und jungen Eltern“. Das zeigt
sehr deutlich: Sie wollen nicht sparen, sondern
Bündnis 90/Die Grünen und die linke Seite in unserem
Haus wollen nur Belastungen der Bürgerinnen und Bürger, und das lehnen wir ab.
({0})
Wir lehnen dies deshalb ab, weil dies nicht zielführend
für den wirtschaftlichen Aufwuchs in unserem Land ist,
der letztendlich die Grundlage für die Gewährung sozialer Leistungen für in Not geratene bzw. hilfebedürftige
Menschen ist.
Heute wurde fabuliert, dass die starken Schultern zu
gering belastet werden. Dazu möchte anfügen: 8 Prozent
der Steuerzahler in unserem Land erbringen 50 Prozent
des Aufkommens aus der Einkommensteuer. Ich glaube,
das ist genug. Auch die damalige rot-grüne Bundesregierung unter Kanzler Schröder, Außenminister Fischer und
Bundesumweltminister Trittin hatte dies erkannt. Sie hat
den Spitzensteuersatz von 53 auf 45 Prozent gesenkt, um
die wirtschaftlichen Kräfte in unserem Land zu stärken.
({1})
- Das war nicht falsch, verehrte Kolleginnen und Kollegen von der Linken; denn damit ist bei Eintritt der CDU/
CSU in die Bundesregierung wirtschaftlicher Fortschritt
ermöglicht worden. Damit sind 1,2 Millionen mehr sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse
geschaffen worden und ist eine Rücklage in der gesetzlichen Rentenversicherung erwirtschaftet worden.
Heute wurde viel über Ausfälle bei der Rentenversicherung fabuliert. Dazu möchte ich anfügen, dass zum
Ende der Regierungszeit von Rot-Grün nicht einmal eine
Rücklage von 1 Cent in der gesetzlichen Rentenversicherung zu verzeichnen war.
({2})
Erst mit Bundeskanzlerin Merkel an der Spitze ist es gelungen, eine Rücklage von knapp einer Monatsausgabe
zu erwirtschaften.
({3})
Diese Erfolge haben wir zwar unter der Großen Koalition erzielt. Aber diese Erfolge werden wir mit der FDP
in der bürgerlich-liberalen Koalition nicht nur fortsetzen,
sondern auch verstärken.
({4})
Wir verstärken sie, weil wir sozial ausgewogen sparen,
({5})
und zwar dahin gehend, dass wir die wirtschaftlichen
Kräfte sowie Bildung und Forschung in unserem Land
stärken. Das ist letztendlich die Grundlage für zukunftsorientierte Produkte aus unserem Land.
Wir sorgen dafür, dass es bei der Bildung nicht wie
unter dem linken Senat in Berlin zugeht: Der Senat kann
nicht einmal genügend Plätze an den Gymnasien anbieten. Damit werden die Chancen der jungen Menschen in
Berlin zerstört; denn sie müssen sich einem Losverfahren unterziehen, um überhaupt zum Abitur gelangen zu
können.
({6})
Das ist das Ergebnis linker Politik hier in Berlin.
Es ist entscheidend, dass Investitionen gestärkt werden. Deshalb sind Investitionen von den Maßnahmen
dieses Sparpakets ausgenommen. Wir investieren weiterhin in die Infrastruktur unseres Landes, darüber hinaus in die Bildung und damit in die Zukunft. Das bedeutet auch: Wir schaffen weiterhin die Grundlage für
eine starke und gute Sozialpolitik, die Grundlage für den
Wohlstand der Menschen.
({7})
Heute wurde nebenbei vielfältig kritisiert, dass mit
dem Sparpaket der Beschluss der Koalitionsfraktionen
verbunden ist, die Laufzeiten der Atomkraftwerke zu
verlängern. Es ist richtig und wichtig, die Laufzeiten zu
verlängern. Ich möchte es am Beispiel Bayerns darstellen: 60 Prozent der Stromproduktion in Bayern stammen
aus Kernkraftwerken, und zwar aus sicheren Kernkraftwerken.
({8})
Die Kernkraftwerke haben aufgrund der niedrigen
Stromkosten die Grundlage dafür geschaffen, dass es
überhaupt einen industriellen, wirtschaftlichen Aufschwung in Bayern gab.
({9})
- Gerade Herr Ernst, der Betriebsrat ist, sollte an die Arbeitsplätze auch in diesen Kraftwerken denken,
(Beifall des Abg. Paul Lehrieder ({10})
anstatt dagegen zu polemisieren und damit letztendlich
die Arbeitsplätze der Bediensteten zu gefährden.
({11})
- Wenn man ein richtiger Arbeitnehmervertreter ist,
muss man für Arbeitsplätze kämpfen. Die bayerischen
Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in diesen Kraftwerken haben nichts davon, wenn unsere Kernkraftwerke abgeschaltet werden und dann der Strom aus dem
möglicherweise nicht so sicheren Kernkraftwerk in Temelin nach Bayern geliefert wird, weil der Strom aus
Offshoreanlagen in Schleswig-Holstein nicht nach Bayern transportiert werden kann.
({12})
Hier geht es letztendlich um die wirtschaftlichen Grundlagen, die es zu stärken gilt. Wenn wir für die Verlängerung der Laufzeiten von Atomkraftwerken eintreten,
dann ist das auch ein Beitrag zur Sicherung der Arbeitsplätze und damit des Wohlstandes der Menschen in unserem Land.
({13})
Sie alle sind aufgefordert, bei den kommenden Beratungen nützliche Vorschläge zu machen. Darauf sind wir
gespannt. Die Vorschläge dürfen sich nicht nur darin erschöpfen, weitere Belastungen für die Bürgerinnen und
Bürger zu fordern, die tagtäglich frühmorgens aufstehen
und den ganzen Tag arbeiten. Herr Kollege Heil, Sie
wollen diese Bürger belasten; wir werden sie entlasten,
damit es in Deutschland wirtschaftlich aufwärts geht.
Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
({14})
Nächste Rednerin ist die Kollegin Caren Marks für
die SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Jetzt, erst recht nach
all Ihren Reden, wissen wir, wie die angeblich moderne
Familienpolitik der schwarz-gelben Regierung wirklich
aussieht: alles Fassade. Es ist eine Fassade, bei der der
Putz in wirklich großen Stücken von der Wand fällt. Es
ist reine Fassade, weil Sie das Elterngeld, ein Konzept
der SPD, das Sie damals gemeinsam mit uns als großen
Erfolg gefeiert haben, nun demontieren und dadurch
eine soziale Schieflage schaffen.
Die Sparvorschläge in der Familienpolitik bedeuten
definitiv weniger Geld für junge Familien.
({0})
Die krasseste Kürzung nimmt Schwarz-Gelb bei denjenigen vor, die am wenigsten haben: bei den Empfängerinnen und Empfängern von Arbeitslosengeld II.
({1})
Das ist alles andere als christlich und liberal.
({2})
Ich möchte insbesondere die Kollegen von der Union daran erinnern: Das Elterngeld ist entweder eine Einkommensersatzleistung oder ein Mindestelterngeld.
({3})
- Auch wenn Sie damals noch nicht dabei waren: Lesen
lohnt sich manchmal! - Das Elterngeld ist eine Einkommensersatzleistung oder ein Mindestelterngeld von
300 Euro für alle, die kein Einkommen haben. Dazu gehören Hartz-IV-Empfängerinnen und -Empfänger, Schülerinnen und Schüler, Studierende sowie Hausfrauen und
Hausmänner.
({4})
Ich möchte auch daran erinnern, dass es insbesondere
die Union war, die darauf Wert gelegt hat, dass das Mindestelterngeld eine Anerkennung für die Erziehungsleistung im ersten Jahr darstellt. Den Hartz-IV-Beziehern
werden als einziger Gruppe die 300 Euro Mindestelterngeld ersatzlos gestrichen. Deren Erziehungsleistung wird
von Schwarz-Gelb also nicht mehr anerkannt. Das ist
mehr als interessant.
({5})
Rund 130 000 Familien sind davon betroffen, darunter viele Alleinerziehende, die Frau Schröder und auch
Frau von der Leyen angeblich so sehr am Herzen liegen.
Hier werden die sozial Schwächsten am stärksten benachteiligt, Kinderarmut wird verfestigt.
({6})
Ich finde, dass die heute bei uns im Ausschuss von Frau
Ministerin Schröder vorgetragene Begründung, dass bei
Eltern im ALG-II-Bezug der Grundbedarf bereits gesichert sei, mehr als zynisch ist.
({7})
Das sieht insbesondere im ersten Lebensjahr eines Kindes wirklich anders aus. Vielleicht schauen Sie sich in
unserer Republik etwas um.
({8})
Das Mindestelterngeld von Hausfrauen hingegen, die
mit Spitzenverdienern verheiratet sind, lassen Sie unangetastet.
({9})
Hier passiert nichts. Es wird deutlich, dass die Ministerin
entgegen einer Pressemitteilung weder intelligent noch
sozial ausgewogen spart.
({10})
Das ist nicht nur die Meinung der SPD, sondern einer
großen Mehrheit von Gewerkschaften, Verbänden und
der Gesellschaft. Der Familienbund der Katholiken hat
die Vorschläge, das Elterngeld zu kürzen, als „Schwarzen Montag“ für Familien bezeichnet, und auch Bundestagspräsident Professor Lammert kritisiert die soziale
Schieflage Ihrer Sparvorschläge.
({11})
Die Kürzungen beim Elterngeld werden sich auch bei
Eltern mit kleinem und mittlerem Einkommen auswirken; denn es wird künftig nur noch 65 Prozent statt bisher 67 Prozent des Nettoerwerbseinkommens betragen.
Die spürbaren Einbußen bewegen sich je nach Einkommen zwischen 25 und 54 Euro im Monat. Die jüngste
Kindergelderhöhung ist für diese Familien damit sogar
aufgebraucht. Auch das sollten Sie wissen. Es ist klar,
dass entgegen den Aussagen der Regierung auch Familien mit kleinem Einkommen, die auf jeden Euro angewiesen sind, von den Kürzungen des Elterngeldes betroffen sind. Für Eltern mit Einkommen über 2 700 Euro
netto ändert sich allerdings nichts, der Höchstbetrag von
1 800 Euro Elterngeld wird nicht angetastet. Beim Griff
ins Elternportemonnaie ist nichts sozial ausgewogen.
({12})
Die Kürzungen beim Elterngeld sind auch kontraproduktiv für mehr gelebte Partnerschaft von Müttern und
Vätern; denn gerade für viele Väter wird der Bezug von
Elterngeld unattraktiver werden, da sie häufig das höhere Einkommen beziehen. Die von der Ministerin angekündigte Weiterentwicklung des Elterngeldes mit mehr
Partnermonaten war reine Fassade, geschehen wird
nichts. Sie haben die Familien getäuscht und im Stich
gelassen. Das werden die Familien im Gedächtnis behalten.
Schwarz-Gelb hat kein Konzept, um die Rahmenbedingungen für Familien wirklich zu verbessern, und unternimmt nichts, um die frühkindliche Bildung und Betreuung voranzubringen. Dass sich Ministerin Schröder
in einer Pressemitteilung selbst dafür lobt, dass das Sondervermögen im Zusammenhang mit dem Betreuungsausbau und dem Rechtsanspruch auf einen Krippenplatz
nicht angetastet wird, ist ein Armutszeugnis. Das infrage
zu stellen, wäre dreist, ein bildungspolitischer Offenbarungseid und gegen die Absprachen mit Ländern und
Kommunen.
({13})
Sie lobt sich - das muss man der Ministerin sagen, auch
wenn sie leider nicht da ist - für Selbstverständlichkeiten.
Das Sparpaket richtet sich nicht gegen die Verursacher der Finanzkrise, sondern vor allem gegen sozial
schwache Familien.
({14})
Sie streichen Hartz-IV-Empfängern das Mindestelterngeld, Wohngeldempfängern die Heizkostenzuschüsse
und begründen dies damit, dass keiner länger über seine
Verhältnisse leben dürfe.
({15})
Nicht in Sozialwohnungen wurde über die Verhältnisse
gelebt. Vielmehr haben viele Banker und Finanzjongleure
auf den Finanzmärkten über ihre Verhältnisse gelebt.
Hier gilt es zu handeln, und man darf nicht bei Ankündigungen stehenbleiben.
Wir, die SPD, sagen den Familien: Allein die Rücknahme der Senkung der Mehrwertsteuer für Hotelübernachtungen, beschlossen von der Regierung Anfang dieses Jahres, würde all die Sparvorschläge und die Politik,
die auf dem Rücken der Familien ausgetragen wird,
überflüssig machen.
({16})
Doch es wird deutlich, meine Damen und Herren von
Schwarz-Gelb: Dieser Regierung sind Hoteliers deutlich
mehr wert als Familien in unserem Land.
Herzlichen Dank.
({17})
Letzter Redner in dieser Debatte ist nun der Kollege
Andreas Mattfeldt für die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir
erleben hier und heute Debattenbeiträge der Opposition
zum Thema Sparpaket, wie ich sie erwartet habe. Ich bin
sicher, selbst wenn wir die Überschriften der Parteiprogramme der Linken, der Grünen und der SPD zitiert hätten, hätten wir dasselbe Gezeter gehört.
({0})
Das passt absolut zu dem, was ich in den letzten Wochen von Ihnen in diesem Haus gesehen habe. Das hat
mit einer verantwortungsvollen und zukunftsorientierten
Oppositionsarbeit überhaupt nichts zu tun. Das ist eine
populistische Show. Wie ernst gerade die Grünen diese
Show nehmen, sehen wir daran, dass ihre Spitze den
Raum nach kurzer Zeit schon wieder verlassen hat.
({1})
Es ist immer einfach, zu sagen, wo überall nicht gespart werden soll. Ich höre das immer wieder von unterschiedlichen Seiten, da die Interessen verschieden sind:
Bei den Familien, bei den Arbeitslosen, in den Bereichen
Gesundheit, Verteidigung oder auch Wirtschaft, nirgendwo darf gespart werden. Diese Liste lässt sich unendlich fortführen. Wir verfahren in diesem Haus seit
Jahren nach der Devise: Mir ist kein Opfer, das mein
Nachbar für mich erbringen kann, zu groß. Deshalb erinnere ich gerade Sie, lieber Kollege Hubertus Heil, daran,
dass Sie mit uns gemeinsam die Schuldenbremse verabschiedet haben, auch wenn Sie das heute nicht mehr wissen wollen.
Ich sage deutlich: Wenn wir die Chance, den Staatshaushalt zu konsolidieren, jetzt nicht nutzen, hinterlassen wir unseren Kindern ein verdammt schweres Erbe.
Unsere Kinder werden, wenn wir wie bisher weitermachen, keinerlei Perspektive haben und nicht mehr tun
können, als die Schulden, die wir ihnen aufgebürdet haben, abzubezahlen. Das ist mit mir nicht zu machen.
({2})
Wir konsolidieren in allen Bereichen, damit unsere Kinder ihre Zukunft gestalten können. Mit soliden Staatsfinanzen tun wir unseren Kindern einen größeren Gefallen als mit dem einen oder anderen Euro, den wir dem
Einzelnen zum Beispiel beim Elterngeld geben.
Als Berichterstatter für den Etat des Bundesfamilienministeriums fällt es mir zugegebenermaßen nicht leicht,
im eigenen Etat Einsparungen vorzunehmen. Dem Familienvater, der morgens um 5 Uhr aufsteht und dann
100 Kilometer zur Arbeit fährt, kann ich aber beim besten Willen nicht erklären, dass sein langzeitarbeitsloser
Nachbar genau dasselbe bekommt wie er, zum Teil sogar
noch 300 Euro Elterngeld obendrauf erhält. Das ist nicht
zu erklären. Das funktioniert nicht, und das hat mit Gerechtigkeit überhaupt nichts zu tun.
({3})
- Ihre populistischen Schreie zeigen mir, dass Sie von
Populismus eine ganze Menge verstehen. Von Finanzpolitik verstehen Sie aber überhaupt nichts.
({4})
Weil Sie es anscheinend vergessen haben, möchte ich
an die Grundkonstruktion des Elterngeldes erinnern: Das
Elterngeld wurde als Lohnersatzleistung konzipiert.
({5})
- Herr Heil, bitte beantworten Sie mir die Frage: Wie
rechtfertigen Sie vor dem Hintergrund des Lohnersatzes
eine pauschale Zahlung von 300 Euro an den Langzeitarbeitslosen, der keinen Lohn, sondern Leistung vom
Staat empfängt?
({6})
Wir wollen hier auch einmal ganz deutlich der Legendenbildung vorbeugen: Der Grundbedarf der Empfänger
von SGB-II-Leistungen wird bereits durch die Regelsätze und durch die entsprechenden Zusatzleistungen,
die gerade für Kinder gewährt werden, gesichert.
({7})
Das Existenzminimum der Familien wird weiterhin gesichert sein. Auch für das Neugeborene erhalten die Eltern
den Regelsatz. Eine Gewährung von Elterngeld in Höhe
von 300 Euro zusätzlich zum SGB-II-Leistungsbezug
verringert für mich seit dessen Einführung zu sehr den
Abstand zwischen dem, der arbeitet, und dem, der keiner
Arbeit nachgeht. Das ist den Fleißigen in unserer Gesellschaft nicht zu vermitteln. Wer morgens früh aufsteht
und arbeiten geht, der darf dafür nicht bestraft werden.
({8})
Das Elterngeld ist ein Erfolgsmodell. Damit das auch
so bleibt und damit das Elterngeld vor allen Dingen
langfristig finanzierbar ist, müssen wir, auch wenn es
schwerfällt, eine weitere Veränderung in diesem Bereich
vornehmen. Wir tun dies, um die zukünftige Finanzierung des Elterngeldes zu sichern. Deshalb ist es notwendig, die Lohnersatzrate bei einem Nettoeinkommen von
über 1 240 Euro im Monat moderat von 67 Prozent auf
65 Prozent abzusenken. Damit ist auch langfristig die
Unterstützung von Erwerbstätigen im unteren und mittleren Einkommensbereich gewährleistet.
Es geht in diesen Tagen nicht um Gezeter, sondern um
die Zukunft unseres Landes und um die Zukunft unserer
Kinder.
({9})
Arbeiten Sie konstruktiv daran mit und unterlassen Sie
Veranstaltungen wie die heutige populistische Show!
Herzlichen Dank.
({10})
Die Aktuelle Stunde ist beendet.
Damit sind wir am Schluss unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Donnerstag, 10. Juni 2010, 9 Uhr,
ein.
Ich wünsche Ihnen noch einen schönen Abend.
Ich schließe die Sitzung.