Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich
begrüße Sie herzlich. Die Sitzung ist eröffnet.
Es gibt eine interfraktionelle Vereinbarung, die heutige Tagesordnung um eine Regierungserklärung der
Bundeskanzlerin sowie den Antrag der Fraktion Die
Linke für ein Verbot von Kreditausfallversicherungen zu
erweitern. Beides soll jetzt gleich, zusammen mit der
ersten Lesung des Gesetzentwurfs der Koalitionsfraktionen zur Übernahme von Gewährleistungen im Rahmen
eines europäischen Stabilisierungsmechanismus, aufgerufen werden. Außerdem ist vorgesehen, nach der Unterbrechung der Sitzung um 13 Uhr zunächst mit der
Fragestunde zu beginnen, anschließend die von der
Fraktion der SPD verlangte Aktuelle Stunde zur Laufzeit
von Atomkraftwerken aufzurufen und erst danach die
Befragung der Bundesregierung durchzuführen. Sind Sie
mit diesen Änderungen einverstanden? - Das ist offensichtlich der Fall. Dann ist das so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 1 sowie die Zusatzpunkte 1 und 2 auf:
ZP 1 Abgabe einer Regierungserklärung durch die
Bundeskanzlerin
zu den Maßnahmen zur Stabilisierung des
Euro
1 Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/
CSU und der FDP eingebrachten Entwurfs eines
Gesetzes zur Übernahme von Gewährleistungen im Rahmen eines europäischen Stabilisierungsmechanismus
- Drucksache 17/1685 Überweisungsvorschlag:
Haushaltsausschuss ({0})
Innenausschuss
Rechtsausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
ZP 2 Beratung des Antrags der Abgeordneten Sahra
Wagenknecht, Michael Schlecht, Dr. Barbara
Höll, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
DIE LINKE
Kreditausfallversicherungen ({1}) und deren
Handel vollständig verbieten
- Drucksache 17/1733 Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss ({2})
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache im Anschluss an die Regierungserklärung zwei Stunden vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann können wir so verfahren.
Das Wort zur Abgabe einer Regierungserklärung hat
die Bundeskanzlerin Frau Dr. Angela Merkel.
({3})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist
keine zwei Wochen her, dass der Deutsche Bundestag
mit großer Mehrheit die Stabilisierungsmaßnahmen für
Griechenland beschlossen hat. Mit dem am 7. Mai verabschiedeten Paket haben wir ökonomisch genauso wie
politisch-rechtlich deutlich gemacht: Wir helfen Griechenland, weil wir so der Stabilität unserer gemeinsamen Währung insgesamt helfen. Wir schützen das Geld
der Bürgerinnen und Bürger unseres Landes - nicht
mehr und nicht weniger ist der Auftrag der Bundesregierung genauso wie des Hohen Hauses hier.
({0})
Heute sind wir zusammengekommen, um eine Entscheidung zu fällen, die für die Zukunft Deutschlands
und Europas noch bedeutender ist; denn jeder von uns
spürt: Die gegenwärtige Krise des Euro ist die größte
Bewährungsprobe, die Europa seit Jahrzehnten, ja wohl
seit Unterzeichnung der Römischen Verträge im Jahre
1957 zu bestehen hat. Diese Bewährungsprobe ist existenziell, und ich füge hinzu: Sie muss bestanden werden.
Bringen wir es auf den Punkt. Der Euro, der zusammen mit dem Binnenmarkt das Fundament für Wachstum und Wohlstand auch in Deutschland darstellt, ist in
Gefahr. Wenden wir diese Gefahr nicht ab, dann sind die
Folgen für Europa unabsehbar, und dann sind auch die
Redetext
Folgen über Europa hinaus unabsehbar. Eine Ahnung
von dem, was dann geschehen könnte, haben wir am
Donnerstagabend vor unserer Griechenland-Debatte mit
den schon fast hysterisch anmutenden Turbulenzen auf
den internationalen Märkten bekommen.
Was dort sichtbar wurde - Sie alle haben es mitverfolgt -, war dramatisch. Deshalb gab es zur Sicherung
der Stabilität des gesamten Euro-Finanzsystems wenige
Tage später keine vernünftige Alternative. Die Ultima
Ratio war erreicht; das heißt nichts anderes, als dass der
Euro insgesamt in Gefahr war. Aber das, was sich in jenen Tagen abspielte, war nur die ökonomische Ahnung
dessen, was auf Deutschland, Europa und die Welt zukäme, wenn nicht oder falsch gehandelt würde. Die politischen Folgen dagegen sind noch nicht einmal in Gedanken vorstellbar.
Legen wir deshalb einen Moment die technischen
Eckdaten des vorliegenden Gesetzentwurfs beiseite: die
Kredite in Höhe von 750 Milliarden Euro, die notfalls
zur Verfügung stehen, von denen 60 Milliarden Euro von
der Europäischen Union gedeckt werden, für die die
Euro-Staaten anteilig für bis zu 440 Milliarden Euro bürgen und Deutschland wiederum für 123 Milliarden Euro,
gegebenenfalls 20 Prozent mehr. Der Internationale
Währungsfonds will zusätzlich einen Betrag von mindestens der Hälfte des europäischen Anteils tragen. Das
wären bis zu 250 Milliarden Euro. Das sind die Zahlen
und Eckdaten. Aber legen wir sie kurz beiseite; denn wir
wissen: Es geht um viel mehr als um diese Zahlen; es
geht um viel mehr als um eine Währung. Die Währungsunion ist eine Schicksalsgemeinschaft. Es geht
deshalb um nicht mehr und nicht weniger als um die Bewahrung und Bewährung der europäischen Idee.
({1})
Das ist unsere historische Aufgabe; denn scheitert der
Euro, dann scheitert Europa. Wenden wir diese Gefahr
aber ab, dann werden der Euro und Europa stärker als
zuvor sein.
Wir müssen zweierlei schaffen: die Bewältigung der
akuten Krisensituation zum einen und die Vorsorge für
die Zukunft zum anderen.
({2})
Dazu will ich, dass wir erstens gemeinsam mit unseren
Partnern dafür sorgen, dass sich ganz Europa einer
neuen Stabilitätskultur verschreibt, einer Stabilitätskultur,
({3})
die für die Konsolidierung der Staatshaushalte und für
die langfristige Stabilität unserer gemeinsamen Währung
sorgt. Ich will zweitens, dass wir über Europa hinaus gemeinsam mit allen G-20-Staaten durch die Regulierung
der Finanzmärkte Vorsorge dafür treffen, die Weltwirtschaft vor einer erneuten Krise zu schützen. Ich will drittens, dass die Europäische Union ihre eigenen strukturellen Schwächen schonungslos aufdeckt und sich dann auf
die großen Aufgaben konzentriert, um unsere gemeinsame Zukunft zu gestalten.
Herr Präsident, meine Damen und Herren, in den Beratungen der Staats- und Regierungschefs am 7. Mai und
der Finanzminister der Europäischen Union am 9. Mai
bestand in Europa - zurückhaltend gesagt - nicht sofort
Einigkeit darüber, wie der Rettungsweg aus der aktuellen Krise aussehen könnte. Es wurden Vorschläge diskutiert, die ich als deutsche Bundeskanzlerin und die Bundesregierung insgesamt nicht bereit waren mitzutragen.
Konkret drohte der Weg zu einer Transferunion, in der
eine unmittelbare und verbindliche Haftung aller für
selbstverantwortete Entscheidungen einzelner Mitgliedstaaten eingeführt worden wäre. Das galt es zu verhindern.
({4})
Wäre das nicht gelungen, dann hätte Europa eine fatale Fehlentscheidung getroffen. Die Folgen lägen auf
der Hand: In einem solchen Modell wären die Anreize
für notwendige Eigenanstrengungen zur Haushaltskonsolidierung und zu Strukturreformen äußerst gering
gewesen. Wirtschaftlich erfolgreichere Mitgliedstaaten
wären geschwächt worden, ohne dass die schwächeren
wirklich stärker geworden wären. Das aber wäre weder
rechtlich haltbar noch ökonomisch vernünftig gewesen.
Von daher wäre es politisch unverantwortlich gewesen.
Deshalb war ein solcher Weg mit Deutschland zu keinem Zeitpunkt machbar, weder in der Frage Griechenland noch jetzt.
Der Preis für unsere Haltung war, als zögerlich oder
langsam gescholten zu werden. Aber diesen Preis, meine
Damen und Herren, zahlt die Bundesregierung gerne,
wenn am Ende die richtigen Entscheidungen stehen.
({5})
Eine andere Entscheidung hätte nie wieder gutgemacht
werden können. Deutschland hätte seine Zustimmung - ({6})
- Ich bin, ehrlich gesagt, baff.
({7})
Ich kann mir, ehrlich gesagt, nicht vorstellen, dass Sie,
wenn Sie in einer solchen Lage gewesen wären, sehenden Auges etwas gemacht hätten, was rechtlich nicht akzeptabel ist und gleichzeitig uns alle ökonomisch nicht
vorangebracht hätte.
({8})
Insofern hat Deutschland seine Zustimmung zum umfassenden Paket zur Wahrung der Finanzstabilität in
Europa in der Nacht vom 9. auf den 10. Mai erst gegeben, als das Paket so gestaltet war, dass es unseren ökonomischen wie rechtlichen Grundsätzen entspricht, und
zwar nicht, weil wir überheblich geworden wären, sondern weil wir überzeugt sind, dass es sich um Grundsätze handelt, die der Sache dienen.
({9})
Da lautet der erste Grundsatz: Wir helfen unter der
Bedingung, dass sich der betroffene Staat zu umfassenden Eigenanstrengungen verpflichtet. Damit leisten
wir Hilfe zur Stabilisierung unserer gemeinsamen Währung und nicht, um Defizitsünder aus der Pflicht zu
nehmen. Durch die Einbindung des Internationalen
Währungsfonds ist gewährleistet, dass die Länder, die
Kredite beantragen, ein wirkungsvolles Sanierungsprogramm anwenden. Damit haben wir die beste Gewähr,
dass sie bei der Umsetzung effektiv überwacht werden.
Zweiter Grundsatz. Wir helfen unter der Bedingung,
dass wir über jeden Einsatz der Mittel selbst entscheiden, soweit es um bilaterale Mittel der Staaten geht.
({10})
Es gibt keinen Automatismus europäischer Kredite. Für
den größeren Teil des Rettungspaketes bürgen anteilig
die Euro-Staaten. Sie behalten die volle Kontrolle. Die
Kredite der Eurostaaten werden über eine Zweckgesellschaft technisch abgewickelt. Die Eckpunkte dieser
Zweckgesellschaft kennen Sie: einstimmige Entscheidungen, Befristung, eine Gründung nach luxemburgischem Recht.
({11})
- An dem Vertrag - das wissen Sie; das haben wir Ihnen
in der Unterrichtung gesagt - wird gearbeitet. Er konnte
bis jetzt noch nicht fertiggestellt werden. Aber wenn es
gewünscht wird, werden wir Mittel und Wege finden,
dass kein Geld fließt, bevor der Vertrag über die Zweckgesellschaft nicht bekannt ist.
({12})
Das Parlament wird in die Entscheidungen eingebunden. Der Mechanismus für die Kredite der Euro-Staaten
ist somit so gestaltet, dass der Budgethoheit des Bundestages in vollem Umfang Rechnung getragen wird.
({13})
Grundlage und Voraussetzung für eine in Brüssel einstimmig zu treffende Entscheidung über die Vergabe eines Kredits ist eine Einschätzung des Internationalen
Währungsfonds, der Europäischen Zentralbank und der
Europäischen Kommission. Die Vergabe ist also an
strenge Konditionen geknüpft. Diese Kredite der EuroStaaten kommen aber erst zum Einsatz, wenn das neue
Gemeinschaftsinstrument nicht mehr ausreicht; denn für
Kredite im Umfang von insgesamt 60 Milliarden Euro
bürgt die Europäische Union selbst. Dabei handelt sie
auf Grundlage des Art. 122 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union. Unionshandeln auf
dieser Rechtsgrundlage ist jetzt möglich, weil einige
Mitgliedstaaten von einer sich ausbreitenden Kettenreaktion und damit von außergewöhnlichen Ereignissen,
die sich ihrer Kontrolle entziehen, ernstlich bedroht sind.
Dritter Grundsatz. Wir helfen unter der Bedingung,
dass die beschlossenen Maßnahmen für langfristige Stabilität sorgen. Deutschland tritt für dauerhafte Stabilität
in Europa ein. Das war so bei der Gründung der Wirtschafts- und Währungsunion, und das ist auch heute so
und wird in Zukunft so sein. Niemandem in Europa werden wir das ersparen. Ich sage: Im Kern der Auseinandersetzung, die wir um jedes Detail führen, geht es um
genau diese Stabilitätskultur. Ich glaube, es ist wichtig
und richtig, dass wir darum kämpfen, dass sich die Vorstellungen, die bei der Gründung des Euro angelegt waren, auch langfristig durchsetzen.
({14})
Dazu gehört natürlich auch die Verteidigung der
Unabhängigkeit der Europäischen Zentralbank. Sie
wurde nach dem Vorbild der Deutschen Bundesbank geschaffen und garantiert seitdem erfolgreich die Preisstabilität im Euro-Raum. Die Sicherung der Preisstabilität
ist und bleibt das oberste Gebot der Europäischen Zentralbank. Das macht den Kern ihrer Glaubwürdigkeit aus.
Ich habe daher keine Zweifel, dass sie diese Aufgabe weiterhin mit derselben Konsequenz wie bisher erfüllen
wird.
Mit unserem Paket zur Stabilisierung des Euro
({15})
und mit der Vereinbarung, die Staatsfinanzen entschlossen zu konsolidieren, erleichtern wir der Europäischen
Zentralbank ihre Rolle,
({16})
einen wichtigen Beitrag zur langfristigen Stabilität des
Euro-Raums zu leisten.
({17})
Langfristige Stabilität ist ohne gesunde Staatsfinanzen
undenkbar. So einfach ist das.
({18})
Zugleich ist es so schwer; denn wir alle kennen die Realität unserer Länder. - Es ist wirklich komisch, wie
schnell man in ein paar Monaten vergessen kann.
({19})
- Hören Sie doch einfach einmal zu.
Zu viele wettbewerbsschwache Mitglieder der EuroZone haben über ihre Verhältnisse gelebt und sind damit
den Weg in die Schuldenfalle gegangen. Das ist die eigentliche Ursache des Problems.
({20})
Deshalb müssen wir das Problem bei den Wurzeln packen. Auf meinen Vorschlag hin haben sich die Staatsund Regierungschefs am 7. Mai 2010 dazu verpflichtet,
ihre Haushalte im Rahmen des Stabilitätspaktes beschleunigt zu konsolidieren. Spanien und Portugal haben
dazu in der letzten Woche bereits zusätzliche Maßnahmen vorgestellt. Ich begrüße das, und ich ergänze, erstens: Das war unverzichtbar. Und zweitens: Die Maßnahmen müssen jetzt auch konsequent umgesetzt und
überprüft werden.
Es ist meine feste Überzeugung: Alle Mitgliedstaaten
müssen die Konsolidierung der nationalen Haushalte
beschleunigen. Erst dann können die Rettungsversuche
wirken. Denn die Fortsetzung der Verschleierung der
wahren Ursache der Krise würde Europa langfristig nicht
helfen. Das würde allen Mitgliedstaaten nur schaden. Damit muss Schluss sein. Ich will gar nicht darum herumreden: Auch wir Deutschen haben - im Übrigen nicht erst
seit gestern, sondern seit über 40 Jahren - mehr Schulden
gemacht, als uns guttut. Auch wir leben auf Pump.
({21})
Aber wir haben die Kraft gefunden, diesen Kreislauf zu
durchbrechen.
({22})
Wir haben die Schuldenbremse in die Verfassung aufgenommen. Genau das wird sich bei der Vorlage des
Haushaltes für 2011 niederschlagen.
({23})
Sie wissen ja, dass die Haushaltsberatungen im Parlament jährlich im September stattfinden. Der Haushalt
wird im Juni, Anfang Juli vorgelegt.
({24})
Wir werden genau das beherzigen. Wir werden dann,
wenn die Schuldenbremse umfassend wirkt, nur das ausgeben, was wir auch haben.
({25})
Das bedeutet: Wir müssen von 2011 an sparen, und zwar
mit Verstand
({26})
und so, dass wir solide Finanzen haben und gleichzeitig
die Zukunft unseres Landes gestalten können und
Wachstum erzeugen. Das wird der Grundsatz sein, nach
dem wir unsere Haushaltsberatungen führen.
({27})
All dies wird aber noch nicht ausreichen, um tatsächlich langfristige Stabilität zu sichern.
({28})
Ohne Maßnahmen, mit denen wir Vorsorge für die Zukunft treffen, werden wir keinen Erfolg haben. Mit solchen Maßnahmen wird der Euro nach der Krise aber
stärker sein als zuvor.
Europa braucht eine neue Stabilitätskultur. Erreichen
werden wir sie aber nur, wenn wir die wirtschafts- und
finanzpolitische Koordinierung und die gegenseitige
Überwachung verbessern, und zwar für alle Mitgliedstaaten. Ich will noch einmal daran erinnern, dass der
Stabilitäts- und Wachstumspakt nicht nur für die EuroStaaten gilt, sondern für alle Mitgliedstaaten. Deshalb
kommt der Verabschiedung der Wachstumsstrategie
EU 2020 im Juni dieses Jahres eine erhebliche Bedeutung zu. Es wird darum gehen, dass wir an dieser Stelle
deutlich machen, wohin wir dieses Europa entwickeln
wollen. Es versteht sich von selbst, dass wir natürlich darauf achten werden, dass der Grundsatz der Stabilität erst
einmal eingehalten wird. Deshalb finde ich die Vorschläge der Kommission, die eine frühzeitige Vorlage
der Haushaltsentwürfe auch in Brüssel vorsehen, richtig;
denn das schränkt nicht die Budgethoheit der nationalen
Parlamente ein, gibt der Europäischen Kommission aber
die Möglichkeit, Stellung zu nehmen.
Es bleibt unumgänglich: Wir müssen das nachholen,
und zwar endlich, was bislang versäumt wurde, was weder mit dem Maastricht-Vertrag noch mit dem LissabonVertrag geschafft wurde: die notwendige wirtschaftliche Verzahnung der Europäischen Union. Sie muss
der Währungsunion folgen. Ohne sie wird die Währungsunion auf Dauer nicht bestehen können.
({29})
Wenn ich das feststelle, ergänze ich aber auch unmissverständlich: Erfolgreich wird eine solche stärkere
Verzahnung nur sein, wenn die Bedingungen für diese
Verzahnung stimmen. Konkret: Die Regeln dürfen sich
nicht nach den Schwächsten richten, sondern sie müssen
sich nach den Starken richten. Ich weiß, dass das eine
harte Botschaft ist. Ökonomisch ist sie aber ein absolutes
Muss. Sonst kämen wir vom Regen in die Traufe. Das
wird auch Folgerungen für die Aufgaben der Europäischen Union insgesamt haben. Ich glaube, wir werden
weniger Richtlinien über den Salzgehalt im Brot, die
Umbenennung des Apfelweins oder die Obstverteilung
in Schulen haben und uns mehr mit einer vernünftigen
Infrastruktur, mit Forschungspolitik und der Zukunftsfähigkeit des europäischen Kontinents insgesamt befassen.
({30})
Ich sage Ihnen voraus, dass es auch bei dieser Frage
am Anfang wieder wenige Unterstützer geben wird und
wir uns wieder hart einsetzen werden. Doch weder kann
noch wird das das Kriterium für die Bundesregierung
sein, wenn es darum geht, zu entscheiden, ob wir unseBundeskanzlerin Dr. Angela Merkel
ren Grundsätzen folgen oder nicht. Dazu steht viel zu
viel auf dem Spiel, wie wir an der heutigen Debatte sehen.
Es ist nicht zuletzt die Stabilitätskultur der Währung
wie auch der Staatsfinanzen, die seit ihrer Gründung immer zum Selbstverständnis der Bundesrepublik Deutschland gehört hat und gehört. Das allein wäre aber noch
kein ausreichendes Argument. Viel wichtiger ist: Unsere
Stabilitätskultur hat sich mehr als bewährt, und weil sie
sich bewährt hat, werde ich davon, so zäh, so mühsam,
so langwierig und so zeitraubend die Debatten in Brüssel
auch immer sein mögen, kein Jota abweichen.
({31})
Deshalb brauchen wir auch eine umfassende Reform
des Stabilitäts- und Wachstumspakts. Die Verschärfung der Spielregeln muss vor allem einem Ziel dienen:
Die Mitgliedstaaten müssen ihrer Eigenverantwortung
für eine solide Haushaltsführung gerecht werden. Das ist
der Dreh- und Angelpunkt aller Anstrengungen und
kann gar nicht oft genug gesagt werden. Weil wir hier
schon ein wenig kontrovers diskutieren, will ich darauf
hinweisen: Die Veränderung und Abschwächung des
Stabilitätspakts im Jahr 2004 war ein großer Fehler.
Heute gilt es, auch das einmal zu sagen.
({32})
Ich messe daher der Gruppe der Finanzminister unter
dem Vorsitz von Präsident Van Rompuy große Bedeutung
zu. Bundesminister Schäuble wird bereits am Freitag, bei
der ersten Sitzung der Gruppe, umfangreiche deutsche
Vorschläge unterbreiten. Notwendig sind aus Sicht der
Bundesregierung unter anderem folgende Maßnahmen:
eine schnellere und straffere Anwendung von Sanktionen
gegen Euro-Mitgliedstaaten, die ihren Verpflichtungen
zur Senkung des Defizits nicht nachkommen. Zu diesen
Sanktionen zählt zum Beispiel, Strukturmittel aus dem
EU-Haushalt einzubehalten. Notwendig sind auch zusätzliche Konsolidierungsanstrengungen von Mitgliedstaaten mit hohen Schuldenständen; denn diese bergen
besondere Risiken für die Krisenanfälligkeit. Notwendig
ist ein vorübergehender Entzug des Stimmrechts von notorischen Defizitsündern,
({33})
und vor allem notwendig ist die Entwicklung eines Verfahrens für eine geordnete staatliche Insolvenz. Damit
würden wir einen wichtigen Anreiz für die Euro-Mitgliedstaaten schaffen, ihre Haushalte in Ordnung zu halten.
({34})
Wenn ich dies sage, bin ich mir natürlich bewusst:
Wirkliche Reformen hin zu einer neuen Stabilitätskultur
in ganz Europa erfordern Vertragsänderungen. Der Weg
dorthin wird - wie immer in Europa - nicht kurz sein;
aber das kann doch kein Argument sein, darauf zu verzichten, das Richtige zu tun. Deshalb wird sich die Bundesregierung weiter für Vertragsänderungen einsetzen.
Meine Damen und Herren, bei all den Maßnahmen
und Prinzipien, die wir anwenden müssen, geht es im
Grundsatz noch um etwas anderes, um etwas viel Wichtigeres. Bankenkrise, Wirtschaftseinbruch, Konjunkturprogramme und jetzt die Währungskrise, bei all dem
geht es im Grunde um die Frage: Wie können wir das
Primat der Politik durchsetzen?
({35})
Wir sehen nach der Bankenkrise von 2008 erneut, wie
durch das Fehlen von Grenzen und Regeln ein durch bloßes Gewinnstreben geprägtes Verhalten auf den Finanzmärkten zerstörerisch sein kann, wie es zu einer existenziellen Gefahr für die Finanzstabilität in Europa, ja
weltweit werden kann.
({36})
Der Markt allein - um das ganz klar zu sagen - wird
diese Fehlentwicklungen nicht korrigieren.
({37})
Es ist deshalb die Aufgabe der Politik - der Parlamente
und Regierungen -, einzugreifen, zu regeln, im Zweifel
zu verbieten, um die Risiken beherrschbar zu halten.
({38})
Noch einmal: Die Ursachen für die Finanzierungskrise liegen wahrlich nicht nur an den Finanzmärkten;
doch die Finanzmärkte haben wie ein Brandbeschleuniger gewirkt. Um Schlimmeres zu verhindern, um das
Funktionieren unserer arbeitsteiligen Wirtschaft zu sichern, mussten die Länder des Euro-Raums handeln.
Nutznießer dieses Handelns sind nicht nur die Bürgerinnen und Bürger, sondern alle Teilnehmer am Wirtschaftsleben, also auch jene Finanzmarktakteure, die
zur Verschärfung der Krise erst beigetragen haben.
Das mag ökonomisch alles erklärt werden können, für
die Bürger ist es jedoch kaum nachvollziehbar. Sie wollen schlichtweg eines - ich finde, da haben sie recht -:
Sie wollen, dass es gerecht zugeht. Genau das, meine
Damen und Herren, müssen wir erreichen.
({39})
Das macht den Geist und das Wesen der sozialen Marktwirtschaft aus: In der sozialen Marktwirtschaft ist der
Staat seit jeher der Hüter der Ordnung, und als solcher
greift er ein. Deshalb verfolgen wir zwei Ziele: erstens
eine schärfere Regulierung und Aufsicht und zweitens
eine verursachergerechte Lastenteilung, die den Finanzsektor an den Kosten der Krisenbewältigung beteiligt.
({40})
Den Worten zur Finanzmarktregulierung müssen Taten
folgen,
({41})
mehr Taten und entschlossenere Taten als bisher.
({42})
Es ist wahr: Wir haben bereits einiges erreicht - da
auch Vertreter von Ihnen, die Sie jetzt in der Opposition
sind, dabei waren, würde ich das an Ihrer Stelle nicht
diskreditieren -: Vergütungen im Finanzsektor werden
künftig stärker am langfristigen Erfolg des Unternehmens ausgerichtet. In Deutschland sind entsprechende
Regelungen schon seit dem vergangenen Jahr, zunächst
durch die Finanzaufsicht, vorgeschrieben.
Bundestag und Bundesrat werden ihre Beratungen
über den Gesetzentwurf der Bundesregierung vom Februar voraussichtlich im September abschließen. Ratingagenturen werden in Europa künftig der Finanzaufsicht
unterworfen. Es wird an einer europäischen Finanzaufsicht gearbeitet. Die Debatten finden im Augenblick im
Europäischen Parlament statt. Die Einlassungen des Europäischen Parlaments widersprechen leider in manchem
den Einlassungen der nationalen Parlamente. Deshalb
sind wir gefordert, hier schnell eine gemeinsame Regelung zu finden; denn die Ratingagenturen können keiner
Aufsicht unterstellt werden, sofern nicht eine europäische Finanzmarktaufsicht beschlossen ist. Das ist jetzt
die Hauptaufgabe auf diesem Gebiet.
({43})
Aber natürlich ist noch nicht genug erreicht. Deshalb
ist der wichtigste nächste Schritt die Vorlage einer Richtlinie, mit der wir eine verstärkte Transparenz und Beaufsichtigung der Derivatemärkte erreichen und durch die
die Rolle von Ratings und Ratingagenturen festgelegt
wird. Beim gestrigen Treffen des Finanzministerrats ist
der Zeitplan dafür von der Kommission vorgelegt worden.
In den Bereichen, in denen ein nationaler Alleingang
Deutschlands keinen Schaden hervorruft, werden wir
auch im nationalen Alleingang handeln. Sie haben das
daran gesehen, dass die BaFin durch eine Allgemeinverfügung seit heute Mitternacht bestimmte Geschäfte verboten hat: ungedeckte Leerverkäufe in Aktien der zehn
bedeutendsten deutschen Finanzunternehmen,
({44})
ungedeckte Leerverkäufe von Staatsanleihen der EuroZone, den Kauf von Credit Default Swaps auf Staatsanleihen des Euro-Raums, sofern der Käufer kein begründetes Absicherungsinteresse hat. - Dies alles wird so
lange in Kraft bleiben, bis anderweitige Regelungen auf
der europäischen Ebene gefunden wurden.
({45})
Dort, wo wir national nicht handeln können, brauchen
wir natürlich europäische oder internationale Regelungen. Es ist gestern durch einen Beschluss des Ecofin-Rates gelungen, eine strengere Kontrolle und mehr Transparenz bei Hedgefonds festzulegen. Der Rat der EUFinanzminister hat den Durchbruch erzielt und den Weg
für eine rasche Einigung mit dem Europäischen Parlament frei gemacht. Fondsmanager - nicht nur von
Hedgefonds, sondern auch von Private-Equity-Gesellschaften - werden künftig einer Aufsicht unterstellt und
bestimmten Verhaltensvorschriften unterliegen. Sie müssen vor allen Dingen ihre Anlagestrategien offenlegen,
was ein ganz wichtiger Schritt ist.
({46})
Außerdem müssen wir sicherstellen - auch dazu werden erste Überlegungen angestellt -, dass eine Abwicklung und Restrukturierung von Banken möglich wird.
Damit schließen wir aus, dass der Staat von großen Banken erpresst werden kann und der Steuerzahler in Zukunft wieder zur Kasse gebeten wird. Daneben brauchen
wir natürlich auch eine Beteiligung an den Kosten. Deshalb muss die Branche in Zukunft durch eigene risikobasierte Abgaben einen Fonds speisen, mit dem solche
Restrukturierungen von Banken finanziert werden können. Im März haben wir im Kabinett in Anwesenheit
auch der französischen Finanzministerin zu beidem Eckpunkte verabschiedet. Der Gesetzentwurf wird folgen,
und dann können wir hier darüber debattieren.
Darüber hinaus müssen die Finanzinstitute nach unserer Auffassung zur Bewältigung der Kosten der Krisenbewältigung beitragen.
({47})
Wir haben - ich hatte das schon dargestellt - den Internationalen Währungsfonds um Vorschläge dazu bis zum
nächsten Gipfel im Juni gebeten.
Ich will hier nicht wieder, wie in der letzten Debatte,
die Vorteile und Nachteile der Finanzaktivitätsteuer
und der Finanzmarkttransaktionsteuer beleuchten; sie
sind uns allen bekannt. Ich habe aber den Auftrag der
Koalitionsfraktionen sehr wohl wahrgenommen, die sagen: Wir brauchen eine Besteuerung der Finanzmärkte,
sei es durch eine Finanzmarkttransaktionsteuer, sei es
durch eine Finanzaktivitätsteuer.
({48})
Für eine solche Besteuerung der Finanzmärkte werden
wir uns europäisch und international einsetzen. Das sage
ich den Koalitionsfraktionen und hinsichtlich der
Finanzmarkttransaktionsteuer auch den Oppositionsfraktionen zu.
({49})
Wir wissen, dass es bei der Diskussion über die
Finanzmarkttransaktionsteuer schon lange nicht mehr
nur um die technischen Details der Steuer geht. Es geht
den Menschen vielmehr um die Frage, wie hier im Hinblick auf diejenigen, die bei all diesen Exzessen auf den
Märkten die großen Gewinne gemacht haben, Gerechtigkeit erreicht werden kann.
({50})
Wenn die Menschen um ihren Arbeitsplatz bangen,
wenn sie Sorgen um die Stabilität der Währung haben
und wenn sie natürlich auch Sparmaßnahmen ertragen
müssen,
({51})
dann fragen sie sich, was wir tun, um wenigstens ein
Stück Gerechtigkeit bei dieser Lastenteilung zu erreichen.
({52})
- Zu Recht fragen sie das, ganz genau.
({53})
Es nützt aber nichts, dass sie das zu Recht fragen.
Vielmehr müssen wir auch etwas tun, damit daraus etwas wird. Deshalb werde ich mich und wird sich die
ganze Bundesregierung auf dem G-20-Treffen dafür einsetzen, dass wir mit einer gemeinsamen europäischen
Haltung zu der Finanzmarktbesteuerung auftreten. Daher wurde die Finanzmarkttransaktionsteuer gestern unter den Finanzministern schon diskutiert. Wenn wir dort
keine Einigung über eine internationale Steuer erreichen
sollten - das wird nicht an Deutschland liegen -, dann
werden wir in Europa diese Diskussion führen: Wie können wir den Beitrag der Finanzbranche so gestalten, dass
die Menschen dieses Stück Gerechtigkeit auch empfinden?
({54})
Meine Damen und Herren, ich habe an dieser Stelle
vor nicht ganz zwei Wochen gesagt: Europa steht am
Scheideweg. - Das gilt unverändert. Europa steht am
Scheideweg, und es liegt jetzt an uns, den richtigen Weg
einzuschlagen, um die existenzielle Bewährungsprobe
zu bestehen, in der Europa sich befindet. Wir wissen,
dass wir Europa brauchen, um die großen Zukunftsaufgaben, die wir als Mitgliedstaaten nicht alleine bewältigen können, mit Erfolg anzugehen. Ein Weg zurück aus
Europa ist in Zeiten der Globalisierung kein Weg.
({55})
Die europäische Einigung war, ist und bleibt die bestechendste, die großartigste und die verheißungsvollste
Idee, die Europa je gesehen hat. Sie ist das Vermächtnis
der politischen Generationen vor uns. Der Auftrag unserer politischen Generation heute ist es, dieses Vermächtnis zu schützen und das 21. Jahrhundert zu Europas Jahrhundert zu machen.
Unsere heutige Entscheidung ist ein weiterer unabdingbarer Schritt auf diesem Weg, auf dem Weg zu einer
langfristig stabilen Europäischen Union, die den Menschen nicht nur eine sichere Währung, sondern auch
Wohlstand und Frieden garantieren kann.
Herzlichen Dank.
({56})
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem
Kollegen Dr. Frank-Walter Steinmeier für die SPD-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen
und Kollegen! Über einen Mangel an Regierungserklärungen kann sich die Opposition in diesen Tagen nicht
beklagen.
({0})
Das Problem ist nur - da mögen sich Bundeskanzlerin
und Vizekanzler in Blazer und Krawatte noch so sorgfältig abstimmen -:
({1})
Hinterher weiß man nicht recht, was erklärt worden ist.
Mir ist es jedenfalls nach der letzten Regierungserklärung, Frau Bundeskanzlerin, nicht ganz klar geworden,
an welcher Stelle Sie in Ihrer Regierungserklärung um
die Mehrheit in diesem Hause geworben haben.
({2})
Heute bin ich mir bei manchen Passagen Ihrer Regierungserklärung vorgekommen wie im falschen Film. Ich
kritisiere niemanden, der Einsicht zeigt - auch wenn Sie
die Regierungsfraktionen bei der Frage, ob Lehren aus
der Finanzkrise gezogen werden sollen, erst zum Beifall
auffordern mussten -;
({3})
aber vielleicht können Sie nachvollziehen, dass das für
die Opposition schwer auszuhalten ist: Wir haben vor
zwei Wochen in diesem Hause gefordert,
({4})
dass die Bewältigung der Finanzkrise nicht allein auf
den Schultern der kleinen Leute abgeladen wird und dass
die Finanzbranche einen substanziellen Beitrag zur Bewältigung der Kosten zu leisten hat. Sie haben uns von
diesem Pult aus - und in den Tagen danach Ihre Matadore aus den Regierungsfraktionen - Naivität und auch
Unverstand vorgeworfen,
({5})
und heute, zwei Wochen später, tun Sie so, als wären unsere Forderungen nahezu das Selbstverständlichste von
der Welt. Ich ahne schon, dass Sie, wenn Sie am Freitag
hier reden, am Ende so tun werden, als wären sie von Ihnen erfunden worden.
({6})
Das zieht einem die Schuhe aus, meine Damen und Herren.
({7})
Nun könnte ich es mir als Vertreter der Opposition
leicht machen
({8})
und mit Blick auf das, was Sie eben zu den Finanzmärkten und dem von ihnen zu leistenden Beitrag gesagt haben, sagen: Besser spät als nie.
({9})
- Ich weiß, dass das wehtut. - Aber was wir in den letzten sieben Monaten von dieser Regierung erlebt haben,
lässt kaum jemanden in Deutschland ruhig schlafen. Der
Verdacht, den wir anfangs geäußert hatten, wird von Tag
zu Tag zur Gewissheit, nämlich dass diese Regierung
weder Linie noch Richtung und vor allen Dingen keinen
Mut hat. Das kann nicht so weitergehen in Deutschland,
nicht in dieser schwierigen Situation, in der wir sind.
({10})
Frau Bundeskanzlerin, aus den letzten Wochen bleibt
der Eindruck, dass auch Sie selbst bei jeder der schwierigen Entscheidungen, die zu fällen waren, im Grunde genommen zum Jagen getragen werden mussten, am Ende
sogar, wie wir heute gemerkt haben, von der eigenen
Partei. Das wirkt ratlos; das wirkt kraftlos. Mitten in einer Krise, die der Präsident der EZB vor kurzem als die
größte Krise seit dem Zweiten Weltkrieg bezeichnet hat,
wirken Sie selbst eher wie eine Getriebene, wie eine Getriebene der Märkte, wie eine Getriebene von Europa,
wie eine Getriebene von der FDP und am Ende sogar
wie eine Getriebene von der eigenen Partei. Das könnte
einer Opposition egal sein. Aber so kommen wir aus der
Krise nicht heraus. Das ist dramatisch für unser Land.
({11})
Wir kommen so nicht nur nicht heraus; das ist nicht allein das Problem. Vielmehr haben wir in den letzten Wochen gesehen, dass man auf diese Weise noch tiefer in
die Krise hineingeraten kann. Herumlavieren, wie wir es
erlebt haben - darüber haben wir auch kritisch diskutiert -, das Taktieren mit Wahlterminen, mit dem in
Nordrhein-Westfalen, das alles hat uns doch in Wahrheit
in Europa ein Stückchen tiefer in die Krise hineingetragen.
({12})
Jeder Ökonom - auch der von Ihnen so sehr geschätzte
IWF erst am letzten Wochenende - sagt Ihnen, früheres
Handeln hätte ein Übergreifen der Krise auf die Nachbarstaaten verhindert. Sie haben seit fünf Wochen nichts
getan, geleugnet und verschleppt. Das ist der Fehler, den
wir Ihnen vorwerfen.
({13})
Am 22. März - ich darf das in Erinnerung rufen -,
drei Tage vor dem Grundsatzbeschluss der Europäischen
Union zur Griechenland-Hilfe, haben Sie, Frau Bundeskanzlerin, öffentlich erklärt, dass es nicht um aktuelle
Hilfen für Griechenland geht. Einen Tag vor der Sitzung
des Rates erklärt der Parlamentarische Staatssekretär
beim BMF, Herr Koschyk, hier im Parlament - ich zitiere -:
Der Präsident des Europäischen Rates, Herman Van
Rompuy, hat das von Ihnen genannte Thema nicht
für die Tagesordnung des Europäischen Rates am
25./26. März 2010 vorgesehen.
Es kam, wie wir alle wissen, völlig anders. Der Grundsatzbeschluss für die Griechenland-Hilfe wurde just auf
dieser Sitzung des Rates gefällt. Es ist immer dasselbe
Muster: Entscheidungen verschleppen, hier im Bundestag verschleiern, was genau verhandelt wird. Keiner
rückt mit der Sprache wirklich heraus. Stattdessen wurde
über Wochen der Boulevard munitioniert, mit den Folgen, die wir jetzt erleben.
({14})
Den vorläufigen Höhepunkt haben wir in der vorletzten
Woche erlebt. Da erklärte der Parlamentarische Geschäftsführer der FDP-Fraktion unmittelbar vor der Abstimmung und voller gespielter Empörung, wie ich in
Erinnerung habe - ich zitiere -: Es bleibt bei den
22,4 Milliarden Euro, die der Bundestag heute mit dem
Gesetzentwurf beschließen wird. Es wird kein einziger
Cent mehr.
({15})
Sie haben recht gehabt: Es ist kein Cent mehr geworden.
Allerdings sind 750 Milliarden Euro daraus geworden.
Das ist die ganze Wahrheit.
({16})
Herr Fricke, Sie wissen, dass ich Sie persönlich
schätze. Deshalb ein Wort dazu: Man muss vorsichtig
sein, wenn man sich in diesen bewegten Zeiten so festlegt, nur um kurzzeitig einmal Applaus von der eigenen
Fraktion zu bekommen. Man gefährdet so aber das Vertrauen des ganzen Parlamentes. Vertrauen werden Sie
von den Regierungsfraktionen zukünftig dringender
brauchen als in den vergangenen Monaten.
({17})
Wir reden uns hier im Parlament die Köpfe über die
22 Milliarden Euro heiß. Sie beschimpfen uns, als wir
sagen, das werde nicht das Ende der Fahnenstange sein.
Fünf Stunden später, am Nachmittag desselben Tages, ist
die Dimension der europäischen Rettungspakete dann
20-mal größer als das, was wir vormittags hier verhanDr. Frank-Walter Steinmeier
delt haben. Vielleicht begreifen Sie - wir alle haben einmal hier auf unterschiedlichen Stühlen gesessen -, dass
der Bundestag und vermutlich am Ende nicht nur die
Oppositionsfraktionen Vermutungen anstellen, wer was
gewusst und wer die Abgeordneten möglicherweise bewusst im Unklaren gelassen hat. Ich will gar nichts unterstellen.
({18})
- Passen Sie auf! - Ich will nicht unterstellen, dass hier
jemand bewusst die Unwahrheit gesagt hat; aber die andere Variante, die dann allerdings bleibt, ist nicht die
schönere für die Koalitionsfraktionen und die Regierung. Die andere Variante ist aus meiner Sicht die
schlimmere.
({19})
Vieles spricht doch in der Tat dafür, dass die Regierung,
die gesamte Mannschaft, nach Brüssel gefahren ist, ohne
zu wissen, was die Kommission möglicherweise im Verbund mit den Vertretern größerer Mitgliedstaaten bereits
vorbereitet hatte. Das müssen Sie sich einmal vorstellen:
Die fundamentale europäische Frage wird ohne Deutschland vorbereitet, vielleicht sogar an Deutschland vorbei
und am Ende gegen Deutschland. - Das hat sich in dieser Europäischen Union verändert, und das ist die Bilanz
nach sieben Monaten Ihrer Regierungszeit.
({20})
Damit wir uns richtig verstehen: Die Entscheidungen,
die am 8. oder 9. Mai gefallen sind - es waren weitreichende Entscheidungen zur Rettung des Euro -, waren
richtig. Es war richtig und notwendig, den Angriff der
Spekulanten auf den Euro abzuwehren; es war auch richtig, Tabus über Bord zu werfen. Aber seien Sie, meine
Damen und Herren, nicht zu stolz darauf. Diesen Mut
haben andere in Europa gehabt, nicht die deutsche Bundeskanzlerin und die deutsche Bundesregierung. Was ist
aus der deutschen Führungsrolle in Europa geworden?
Sie sind vom Führerstand in das Bremserhäuschen umgestiegen, aber das ist die falsche Richtung.
({21})
Das wären schon Probleme genug. Etwas anderes
- das kann ich Ihnen nicht ersparen - finde ich noch empörender als das eben Beschriebene, nämlich den Satz,
der in einer öffentlichen Rede der Frau Bundeskanzlerin
gefallen ist: Wir haben über unsere Verhältnisse gelebt. Frau Merkel, das ist ein verräterischer Satz, verräterisch
deshalb, weil dieser Satz belegt, woran diese Koalition
täglich scheitert, nämlich an der Realität,
({22})
und zwar nicht nur, weil sie nicht nach den Erfordernissen der Realität handelt, sondern weil sie sich sogar weigert, sie zu benennen.
({23})
Frau Merkel - das sage ich auch Ihnen, Frau Homburger -,
nicht wir alle haben über unsere Verhältnisse gelebt. Die
Wahrheit ist: Diejenigen, die über die Verhältnisse gelebt
haben, wissen nicht einmal, wie die Verhältnisse für die
Mehrzahl der Menschen in Deutschland sind.
({24})
Aber im Ernst: Auch Sie wollen doch nicht sagen,
dass der Wachmann, der jeden Morgen vor der Tür von
Frau Merkel steht, mit seinen 1 200 Euro im Monat über
seine Verhältnisse gelebt hat. Dasselbe gilt für die Verkäuferin in der Bäckerei oder in der Fleischerei, in denen
wir einkaufen, oder die bei Schlecker, Lidl oder Aldi.
({25})
- Ich habe den Satz nicht gesagt. Damit müssen Sie zurechtkommen. Ich habe nicht gesagt, dass wir über unsere Verhältnisse gelebt haben. - Aber dass die über ihre
Verhältnisse gelebt hätten, ist doch wirklich ein zynischer Satz. Man muss sich wirklich wundern, dass darüber nicht mehr Aufregung in diesem Lande herrscht.
({26})
Die Realität, der Sie auf der Regierungsseite sich verweigern, ist eine ganz andere, und das wissen die Menschen. Zum Zusammenbruch im September 2008 kam
es nicht deshalb,
({27})
weil wir über unsere Verhältnisse gelebt haben, sondern
weil die Akteure auf den Finanzmärkten in Unvernunft
und Verantwortungslosigkeit jedes Jahr das Rad noch ein
Stückchen weitergedreht haben. Dabei sind sie vom
Zeitgeist in den Wirtschaftsinstituten unterstützt und getrieben worden. Das ist die ganze Wahrheit.
({28})
Das ging so lange, bis es zum Knall kam und sich alle
vom Acker gemacht haben, was dazu führt, dass die
Kosten nun genau von denjenigen getragen werden müssen, von denen Sie sagen, sie hätten über ihre Verhältnisse gelebt. Das darf man nicht machen. Man muss sagen, was ist. Damit fängt jede Verantwortung in der
Politik an. Sie wollen nicht sehen und nicht sagen, was
ist. Das ist meine Bewertung Ihrer öffentlichen Reden
aus den letzten Tagen.
({29})
Indem Sie sich dieser Realität verweigern, werfen Sie
- das kann ich zumindest in Ihre Richtung sagen - gleich
auch noch ein Stück eigene Regierungsgeschichte mit
über Bord. Warum? Frau Merkel, Sie hatten in der Großen Koalition einen Finanzminister, der die Konsolidierung des Haushalts betrieben hat, was ihm ohne die
Pleite von Lehman Brothers und das, was danach passierte, auch gelungen wäre.
({30})
Ohne die Gier und die Maßlosigkeit auf den Finanzmärkten hätte es keine wachsende Neuverschuldung gegeben. Sie wissen das; Sie haben das doch mitgetragen.
Warum beschweren Sie sich also?
({31})
In anderen Zeiten haben Sie das gelobt. Eine Nettoneuverschuldung von null in 2011 wäre realistisch gewesen.
({32})
Dass es anders kam, werfe ich doch niemandem persönlich vor, auch der Bundeskanzlerin nicht.
({33})
Aber der von Peer Steinbrück beschrittene Pfad wurde
von denselben 82 Millionen Deutschen beschritten, von
denen Sie heute sagen, sie hätten über ihre Verhältnisse
gelebt. Da kann doch irgendetwas nicht stimmen.
({34})
Es ist doch ganz offenbar, dass nicht dieses abstrakte
„wir“, sondern nur einige, die wir benennen können, die
Verhältnisse ins Chaos gestürzt haben. Deshalb bleibt
nur ein einziger richtiger Schluss: Diejenigen dürfen
jetzt nicht ungeschoren davonkommen. Dafür müssen
wir in diesem Hause sorgen.
({35})
Zum Gesetzentwurf selbst und zu den Einzelheiten
wird Carsten Schneider gleich noch ein paar Worte sagen. Unser wichtigstes Anliegen - ({36})
- Wollen Sie unsere Zustimmung
({37})
möglicherweise erwerben oder nicht? ({38})
Die Geschäftsbedingungen haben wir in der vorvergangenen Woche geklärt. Das sind nicht nur unsere. Sie wissen: Bei einer reinen Kreditermächtigung kann es nicht
bleiben. Mit Blick auf die Regierungserklärung am heutigen Morgen sage ich: Ich erkenne an, dass es in einigen
Fragen offenbar Bewegung gibt, vielleicht sogar die Bereitschaft, sich Anliegen zu eigen zu machen, die wir in
der vorletzten Woche hier vorgetragen haben. Aber
ebenso klar muss für die nächsten Tage bis zur Abstimmung bleiben: Bloße Ankündigungen - auch das ist das
Ergebnis der letzten Woche und des verloren gegangenen Vertrauens - werden nicht ausreichen.
({39})
Der Bundestagspräsident hat erst vor wenigen Tagen
an das Recht des Parlaments erinnert, Gesetzesvorschläge zu sehen und klare Erwartungen an die Bundesregierung zu richten. Ein Verfahren wie das, das wir in
der vorletzten Woche hatten und in dieser Woche haben,
mag mit Blick auf die Krise notwendig und unvermeidlich sein. Aber dass ein Verfahren wie dieses - das ist
nicht nur die Auffassung der Opposition - am Selbstverständnis des Parlaments rührt, muss uns allen doch klar
sein.
({40})
Die Selbstachtung des Parlaments verlangt es, dass
wir hier nicht nur Reden austauschen, sondern dass wir
uns, wenn Sie wirklich die Erwartung haben, etwa bei
der Kontrolle der Finanzmärkte und auch bei der finanziellen Beteiligung der Finanzmärkte annähern. Wir
sollten uns darüber nicht nur in Reden austauschen, sondern wenn wir uns hinsichtlich einer effektiveren Aufsicht über die Finanzmärkte, der Notwendigkeit einer
Regulierung, der Einhegung der Hedgefonds, des Verbots schädlicher Finanzmarktprodukte sowie der Aufsicht über Ratingagenturen und erster Schritte hin zu
europäischen Ratingagenturen bis hin zur Frage der
Finanzmarkttransaktionsteuer einig sein sollten, dann
sollte dies auch schwarz auf weiß in einem Text stehen;
das ist geübtes parlamentarisches Verfahren. Das ist
keine Holschuld der Opposition, das ist eine Bringschuld
der Regierung. Ich fordere Sie auf, das zu erledigen.
({41})
Sie können jedenfalls sicher sein - und das abschließend -: Meine Fraktion weiß um die politische Verantwortung für dieses Land wie für Europa. Wir wissen,
dass es um riesige, fast unvorstellbare Größenordnungen
geht: um 750 Milliarden Euro, davon 500 Milliarden
Euro von der EU, 440 Milliarden Euro von den EuroLändern. Wir wissen, dass es nicht nur um Kreditermächtigungen und Geld geht, sondern dass mehr auf
dem Spiel steht: der künftige Weg Europas und die Zukunft unserer Demokratie. Viel steht auf dem Spiel. Entweder gelingt es uns
({42})
- wartet ab -, die Verhältnisse wieder in Ordnung zu
bringen, die Märkte neu zu ordnen und die Lasten fair zu
verteilen, oder wir untergraben in der Tat das Vertrauen
in Europa und seine Mitgliedstaaten und auch das Vertrauen in die Politik und die Demokratie.
Weil am Ende sehr viel auf dem Spiel steht - wir wissen das -, erfordert das eine sehr sorgfältige und ernsthafte Debatte hier im Hause. Wir werden klar entscheiden; verlassen Sie sich darauf. Aber wie wir uns
entscheiden, hängt davon ab, ob die heutigen Ankündigungen wirklich ernst gemeint sind und ob, wie Sie verDr. Frank-Walter Steinmeier
sprochen haben, den Worten tatsächlich Taten folgen.
Die Regierung hat das in der Hand.
Herzlichen Dank.
({43})
Das Wort hat nun die Kollegin Birgit Homburger für
die FDP-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die
Lage ist ernst.
({0})
Es geht nicht um einzelne Länder. Es geht nicht um
Griechenland, es geht auch nicht um Spanien oder Portugal. Es geht um Europa insgesamt. Es geht um die EU
und damit um die Basis unseres Friedens und unseres
Wohlstands.
({1})
Als wir vor zwei Wochen erstmals über ein Hilfspaket
für die Stabilität des Euro diskutierten, hatten viele von
uns große Sorgen, wie sich die marode Haushaltssituation in vielen Ländern der Europäischen Union auf
Dauer entwickeln und auswirken würde. Wir haben deshalb klargemacht, dass man nicht bei einer Krisenbewältigung stehen bleiben kann, sondern dass es zu einer
Krisenprävention kommen muss. Wir haben in einem
umfangreichen Entschließungsantrag Vorschläge gemacht.
Die Lage hat sich in bis dahin unvorstellbarer rasanter
Geschwindigkeit weiterentwickelt und verschärft. Diese
Lage stellt Europa vor die größte Herausforderung in
seiner Geschichte. Es geht hier um Glaubwürdigkeit
und Vertrauen in die gemeinsame Währung. Diese
Glaubwürdigkeit und dieses Vertrauen sind der Lebensnerv des Euro. Das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger darf nicht verspielt werden. Ich sage an dieser Stelle:
Gegen das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger darf
nicht spekuliert werden.
({2})
Dafür werden wir sorgen.
Ich sage an dieser Stelle ebenfalls: Wir teilen die Sorgen der Bürgerinnen und Bürger, und wir nehmen sie
ernst. Herr Steinmeier, Sie haben in Ihrer Rede eben hier
Vorwürfe gemacht und Allgemeinplätze verkündet, aber
keinen einzigen Lösungsvorschlag genannt.
({3})
Das, was Sie hier abgeliefert haben, Herr Steinmeier,
war unterirdisch und der SPD schlicht nicht würdig.
({4})
Es geht um die Sicherung und Stabilisierung unserer
Währung. Es geht um die Sicherung und Stabilisierung
des Wirtschaftsraums, und es geht um die Sicherung des
Wohlstands. Darüber hinaus hat die Politik die Bewährungsprobe zu bestehen, ob sie das Heft des Handelns
zurückgewinnt. In drei Bereichen müssen Maßnahmen
durchgeführt werden: Erstens muss ein Sofortpaket geschnürt werden, zweitens müssen Regulierungen am Finanzmarkt durchgeführt werden, drittens braucht Europa
einen neuen Stabilitätspakt.
({5})
Wenn heute ein Stabilitätspaket mit einem riesigen
Umfang vorgelegt wird, dann wirkt dieses Paket wie ein
Schutzschirm für den Euro und für die Sparerinnen und
Sparer. Wir handeln im Interesse der Bürgerinnen und
Bürger unseres Landes. Ich sage ganz deutlich: Wir werden alles dafür tun, dass die Krise des Euro nicht zur
Vertrauenskrise im Hinblick auf das gesellschaftliche
und das politische System in Europa wird.
({6})
Europa und der Euro sind eine Erfolgsgeschichte. Der
gemeinsame Währungsraum hat für wirtschaftlichen Erfolg und Stabilität gesorgt. 63 Prozent unserer Exporte
gehen in europäische Länder, hängen also von Europa
ab.
({7})
Ein Viertel der Arbeitsplätze hängt vom Export ab. Deshalb ist die Stabilisierung des Euro von herausragender
Bedeutung, und deshalb haben wir dieses Sofortpaket
auf den Weg gebracht. Die Bundeskanzlerin hat es beschrieben.
({8})
Ich glaube, es ist ein starkes Signal an die Märkte.
Wir haben darüber hinaus deutlich gemacht, dass es
dieses Sofortpaket nicht ohne Bedingungen gibt. Diese
Bedingungen sind: dass die Hilfe kein Selbstläufer wird,
({9})
dass der IWF weiter eingebunden ist, dass es harte Sparauflagen für diejenigen gibt, die die Hilfe in Anspruch
nehmen,
({10})
dass Entscheidungen einstimmig getroffen werden müssen, dass die Existenz der Stabilitätsgesellschaft auf drei
Jahre befristet ist, dass es keine gesamtschuldnerische
Haftung gibt, dass es eine klare Einbeziehung des Parlaments gibt und dass präventive Maßnahmen auf den
Weg gebracht werden. Mit diesen Bedingungen gehen
wir in die Zukunft. Damit wird vermieden, dass es zukünftig erneut Situationen wie diese gibt.
({11})
Es geht um die Regulierung der Finanzmärkte. Es
geht darum, die Exzesse zu beseitigen.
({12})
Der Deutsche Bundestag hat in der letzten Woche einen
Entschließungsantrag beschlossen. Im Raum stand die
Frage, ob der Bundestag überhaupt die Möglichkeit hat,
Einfluss zu nehmen, und ob durch seine Einflussnahme
überhaupt etwas bewegt würde. Ich stelle fest: Es hat
sehr wohl etwas bewegt, dass wir, der Deutsche Bundestag, mit Blick auf das Hilfspaket für Griechenland klargemacht haben, dass wir erwarten, dass in Europa
weitere Schritte in Richtung einer entsprechenden Regulierung der Finanzmärkte gegangen werden.
Gestern ist - die Bundeskanzlerin hat darüber berichtet - die europäische Richtlinie zur Regulierung der
Hedgefonds auf den Weg gebracht worden. Ich will Ihnen jetzt etwas zitieren:
Hedgefonds sollen gegenüber herkömmlichen Investmentfonds nicht mehr diskriminiert werden.
Weiter:
Private Anleger werden von höheren Renditen der
Hedgefonds profitieren können.
- Dies sagte, meine sehr verehrten Damen und Herren,
am 6. März 2003 der damalige Bundesminister Eichel in
einer Rede an der Goethe-Universität in Frankfurt.
({13})
Er hat deutlich gemacht, dass man hier Hedgefonds
zulassen will. Am 1. Januar 2004 ist unter rot-grüner
Verantwortung das Investmentmodernisierungsgesetz in
Kraft getreten.
({14})
- Sie brauchen sich überhaupt nicht aufzuregen. Sie versuchen draußen den Eindruck zu erwecken, dass es das
alles, wenn es nach Ihnen gegangen wäre, überhaupt
nicht gegeben hätte, dass dann alles längst reguliert
wäre. Das ist aber überhaupt nicht der Fall. Es verhält
sich doch ganz anders: Sie tragen eine Mitverantwortung. Geben Sie das doch endlich zu!
({15})
Vor diesem Hintergrund sage ich ganz deutlich: Ich
begrüße die Entscheidung, die die BaFin getroffen hat,
nämlich ungedeckte Leerverkäufe zu verbieten. Wir
sind bereit, das gesetzlich abzudecken. Wir sind bereit,
alles zu tun, was diese hochspekulativen Geschäfte verhindert. Was wir national tun können, tun wir national.
Jetzt geht es tatsächlich darum, endlich zu handeln. Und
diese Regierung handelt.
({16})
Gegen die Spekulation mit Staatsanleihen werden allerdings nur europa- und weltweite Lösungen helfen.
({17})
Es ist ja angekündigt, dass die EU im Juli eine Regelung
zu Leerverkäufen und zu Derivaten treffen wird.
Was uns unterscheidet, Herr Steinmeier, ist: Wir haben in den letzten Wochen mehr erreicht als die SPD in
all den Jahren, in denen sie die Regierung stellte. Das ist
die Wahrheit, die Sie zur Kenntnis nehmen müssen.
({18})
Es braucht weitere Schritte: eine Regulierung des
grauen Kapitalmarkts, die Gründung einer europäischen
Ratingagentur und vor allen Dingen auch eine Kontrolle
der Ratingagenturen.
({19})
Es braucht außerdem auch eine klare Finanzmarktaufsicht. Wir wollen, dass all das auf den Weg gebracht und
europaweit umgesetzt wird. Wir erwarten auch, dass sich
in Europa etwas bewegt.
Wir haben noch einen weiteren Punkt - den will ich
hier ganz klar ansprechen -,
({20})
nämlich die Beteiligung der Finanzmärkte an den
Kosten der Krise. Das ist aus unserer Sicht eine Gerechtigkeitsfrage.
({21})
Wir haben seit langem deutlich gemacht: Wer in der
Hoffnung auf Absicherung der eigenen Ausfälle durch
die Steuerzahler spekuliert, muss an den Kosten der
Krise beteiligt werden. Diese Forderung setzen wir auch
um.
({22})
Im Übrigen werden wir dabei darauf achten, dass nicht
die kleinen Sparer belastet werden, sondern diejenigen,
die tatsächlich Anteil an der Krise haben.
({23})
Wir wollen ein Insolvenzrecht für Staaten. Das bedeutet Umschuldung. Umschuldung wiederum bedeutet,
dass zielgenau diejenigen zur Übernahme der Kosten herangezogen werden, die sie auch hervorgerufen haben.
Wir wollen uns in Europa und im Rahmen der G 20 für
ein abgestimmtes Vorgehen bei der Beteiligung des Finanzmarktsektors einsetzen. Auch das ist schon im
Deutschen Bundestag beschlossen worden. Wir haben
die Einführung einer Bankenabgabe in Deutschland auf
den Weg gebracht. Die SPD hat während ihrer Regierungszeit ({24})
da war im Übrigen die Finanzmarktkrise schon da, wenn
Sie das einmal zur Kenntnis nehmen wollen, Herr
Steinmeier - immer nur Konsequenzen gefordert. Wir
dagegen ziehen die Konsequenzen und handeln. Das ist
der Unterschied.
({25})
Wir brauchen eine neue Verantwortungsethik in der
Wirtschaft und auch auf den Finanzmärkten. Was in
vielen Familienbetrieben, was im Mittelstand Normalität
ist, dass man nämlich für Entscheidungen, die man trifft,
haftet, und zwar auch mit dem eigenen Vermögen, ist ein
ethisches Fundament der sozialen Marktwirtschaft. Die
Geltung dieses Prinzips wollen wir auch auf den Finanzmärkten und bei Kapitalgesellschaften um- und durchsetzen. Es muss so sein, dass Unternehmen und auch ihre
Manager für die Folgen ihrer Entscheidungen haften.
Nur das sorgt für verantwortliches Handeln. Haftung
und Risiko müssen zusammengebracht werden, Verantwortung muss gestärkt werden. Wir wollen, dass das
Bild eines ehrbaren Kaufmanns wieder Gültigkeit hat,
({26})
auch im Wirtschaftsbereich und auf den Finanzmärkten.
Wenn man das umsetzen will, dann muss man klar handeln. Auch das haben wir getan.
({27})
Wir haben eine Richtlinie umgesetzt, mit der wir dafür sorgen wollen, dass bei Managervergütungen andere
Maßstäbe angelegt werden,
({28})
dass mehr auf die Langfristigkeit geachtet wird
({29})
und dass nicht in jedem Fall Boni gezahlt werden dürfen,
({30})
sondern dass man auch mit einem Gehaltsabschlag zur
Verantwortung gezogen werden kann, wenn es schlecht
läuft;
({31})
auch das muss möglich sein. Wir werden darüber hinaus
die zivilrechtlichen Verjährungsfristen verlängern,
({32})
um zu erreichen, dass diejenigen, die Schuld haben, auch
zur Verantwortung gezogen werden können. All das haben wir in kurzer Zeit auf den Weg gebracht, meine sehr
verehrten Damen und Herren.
({33})
Daran wird deutlich, dass wir daran arbeiten, einen Rahmen zu setzen, der eine neue Verantwortungsethik in der
Wirtschaft möglich macht.
({34})
Jetzt ein Wort zur Finanzmarkttransaktionsteuer.
({35})
Sie, meine sehr verehrten Damen und Herren, tragen dieses Thema wie eine Monstranz vor sich her.
({36})
Das Einzige, was ich von Ihnen bisher zur Lösung der
Probleme gehört habe, ist, dass man angeblich eine solche Steuer braucht; das ist Ihre eierlegende Wollmilchsau. Wenn man diese Steuer einführte, dann sei alles in
Ordnung.
({37})
Das ist natürlich nicht so. Seit Wochen hören wir von Ihnen keinen vernünftigen Vorschlag. Ich sage Ihnen,
meine sehr verehrten Damen und Herren: Es ist ein Armutszeugnis, wie sich die SPD hier darstellt.
({38})
Sie sind zu einer Einthemenpartei verkommen.
({39})
Sie machen ganz kleines Karo. Ich fordere Sie auf: Kehren Sie endlich dazu zurück, Verantwortung in Deutschland zu übernehmen!
({40})
Dazu gehört eine klare Analyse der Ursachen. Zur
Analyse der Ursachen gehört auch Ehrlichkeit, Herr
Steinmeier.
({41})
Sie haben sich hier hingestellt und gesagt, verantwortlich seien die Finanzmärkte.
({42})
Verantwortlich für die Krise ist zuallererst die Tatsache,
({43})
dass Staaten über ihre Verhältnisse gelebt haben.
({44})
Zu dem, was Sie, Herr Steinmeier, vorhin ausgeführt haben, will ich Ihnen eines ganz klar sagen: Nicht der Bäcker und der Polizist haben über ihre Verhältnisse gelebt.
({45})
Nein, SPD-Finanzminister haben in den mehr als elf Jahren, in denen sie Verantwortung hatten, über ihre Verhältnisse gelebt.
({46})
Als der Euro eingeführt wurde, haben wir für den Stabilitäts- und Wachstumspakt gestritten. Wir haben
deshalb für ihn gestritten, weil wir wollten, dass die Bürgerinnen und Bürger Vertrauen in diese Währung haben.
({47})
Dieser Stabilitäts- und Wachstumspakt ist im Jahre 2005
auf Betreiben der rot-grünen Bundesregierung auf europäischer Ebene ausgehöhlt und verschlechtert worden.
Auch dies hat dazu beigetragen, dass jetzt nicht rechtzeitig in Europa gehandelt wurde und dass man die Situation der betroffenen Staaten nicht in den Griff bekommen hat.
({48})
Dies müssen Sie, meine sehr verehrten Damen und Herren, schlicht und ergreifend einmal zur Kenntnis nehmen.
({49})
- Nein, es ist genau anders herum: Wir wollen nicht
noch mehr Schulden machen; das, was Sie hier erzählen,
ist doch völliger Unsinn.
({50})
Wir haben deutlich gemacht, dass Haushaltskonsolidierung eine der zentralen Notwendigkeiten dieser Legislaturperiode ist.
({51})
Wir sind aber auch der Meinung, dass wir mit einer klugen liberalen Wirtschaftpolitik Impulse für Wachstum in
diesem Land setzen müssen; auch dies gehört dazu.
({52})
Meine Damen und Herren, ich möchte noch einige
wenige Punkte nennen,
({53})
die für uns auf dem Weg zu einer Stabilisierung der
Währungsunion von zentraler Bedeutung sind. Dazu gehört ein Frühwarnsystem. Falsche Angaben müssen
früher erkannt werden.
({54})
Eurostat, das europäische Amt für Statistik, und der
Europäische Rechnungshof müssen mehr Kompetenzen
bekommen. Die Zeit des Tricksens und Täuschens muss
in Europa beendet werden.
({55})
Wir werden uns dafür einsetzen, dass Sanktionen zukünftig früher greifen, dass Defizitverfahren beschleunigt werden. Länder, die eine krisenhafte Überschuldung
haben, müssen damit rechnen, dass man ihnen Vorgaben
macht.
({56})
Wir plädieren hier für einen EU-Sonderbeauftragten.
Wir wollen wirksamere Sanktionen einführen - auch
das ist ein zentraler Punkt -: Entzug der Stimmrechte,
Sperrung von EU-Direktzahlungen und automatische
Sanktionen. Wir wollen eine Insolvenzordnung für Staaten, sodass eine Umschuldung möglich ist und Hilfskräfte früher aktiviert werden können.
Wir wollen, dass die Währungsunion nicht zu einer
Transferunion wird. Dafür hat die Bundesregierung mit
Erfolg in Brüssel gestritten; aber wir müssen daran weiterarbeiten. Es ist dringend notwendig, die Entstehung
einer Transferunion zu verhindern. Meine sehr verehrten
Damen und Herren von der SPD, ich sage auch: Ihre
Politik, nach der man alles viel früher - ohne Sparzusagen der anderen - und umfassender hätte machen müssen,
({57})
hätte uns längst in eine Transferunion geführt, zulasten
der Bürgerinnen und Bürger in Deutschland.
({58})
Dieses Parlament wird die Bundesregierung bei der
weiteren Arbeit, vor allen Dingen auf europäischer
Ebene, intensiv begleiten.
({59})
- Herr Trittin, der Deutsche Bundestag wird nicht ausgeschaltet.
({60})
Der Deutsche Bundestag wird die Arbeit intensiv begleiten.
({61})
Die Tatsache, dass wir hier vor allen Dingen Bemühungen um eine Regulierung der Finanzmärkte und einen
Stabilisierungspakt gefordert haben, hat zu einer erheblichen Bewegung geführt. Wir werden dafür sorgen, dass
Druck auf Europa gemacht wird. Wir brauchen eine neue
Stabilitätskultur in Europa. Diese Koalition wird alles
dafür tun, dass das erreicht wird.
Vielen Dank.
({62})
Zu einer Kurzintervention erhält die Kollegin
Hendricks das Wort.
({0})
Frau Kollegin Homburger, es ist in der Tat schwierig,
sich ernsthaft und sachlich mit Ihnen auseinanderzusetzen.
({0})
Es gibt eine Vielzahl von Angriffspunkten, von denen
ich im Rahmen einer Kurzintervention natürlich nicht
alle ansprechen kann.
({1})
Ich muss aber bedauerlicherweise feststellen - ich
will das ganz bewusst zu Protokoll geben -: Sie haben
sich offenbar mit keinem Wort darum bemüht, um die
Gemeinsamkeit der Demokraten zu werben.
({2})
Jetzt will ich auf einen sachlichen Punkt eingehen,
den ich gerne richtigstellen möchte, zumal Sie sich bei
der Unrichtigkeit Ihrer Behauptungen zu diesem sachlichen Punkt mit der Fraktion der Linken treffen: die Zulassung von Hedgefonds. Ich war in der Tat dabei; es geschah in der Verantwortung von Rot-Grün.
({3})
Es gibt da nichts zuzugeben: Hier geht es nämlich
nicht um einen Straftatbestand, sondern um ein normales
Gesetzgebungsverfahren. Wir haben in der Tat - Sie haben das richtig zitiert - mit Wirkung zum 1. Januar 2004
Hedgefonds in Deutschland zugelassen, streng reguliert.
Dies hat bis heute dazu geführt, dass sich in Deutschland
25 Hedgefonds angemeldet haben; sie müssen sich nämlich anmelden und sind streng reguliert. In diesen
25 Hedgefonds sind 2 Milliarden Euro gesammelt. Das
ist viel Geld.
Zugleich ist aber in nichtregulierten Hedgefonds in
London deutsches Geld in einem Volumen von etwa
90 Milliarden Euro gesammelt. Menschen haben also ihr
Geld dorthin gegeben, wo Hedgefonds unreguliert sind.
Sie wollen ihr Geld also nicht den in Deutschland zugelassenen regulierten Hedgefonds geben; denn bei den
unregulierten Hedgefonds ist die Gewinnchance - natürlich auch das Risiko - selbstverständlich noch höher.
Das ist das Ergebnis der Regelung, die wir getroffen
haben. Wären alle Hedgefonds in Europa und in der Welt
so reguliert wie die deutschen, hätten wir weltweit kein
Problem mit den Hedgefonds.
({4})
Das, was gestern auf europäischer Ebene beschlossen
worden ist, erfüllt noch nicht einmal den Standard, der in
Deutschland für Hedgefonds schon immer gilt.
({5})
Nehmen Sie das bitte zur Kenntnis und hören Sie auf,
Rot-Grün - wie das die Linke ebenfalls macht - unter
Verdacht zu stellen!
({6})
Im Übrigen darf ich Ihnen aus dem Gesetzgebungsverfahren berichten - ich war neun Jahre lang Parlamentarische Staatssekretärin und habe an jeder Sitzung des
Finanzausschusses für die Bundesregierung teilgenommen -: Bei diesem Gesetz, wie praktisch bei allen Finanzmarktgesetzen, ging der FDP die Liberalisierung
nicht weit genug.
({7})
Frau Kollegin Hendricks, ich will Sie darauf aufmerksam machen, dass Sie die für Kurzinterventionen zulässige Zeit längst überschritten haben.
({0})
Ich möchte nur noch einen Satz sagen. - Alle Finanzmarktgesetze, die wir damals unter Rot-Grün und auch
in der Großen Koalition beschlossen haben, wurden von
der FDP im Regelfall abgelehnt, weil Ihnen die Regelungen zu streng waren. Nehmen Sie das bitte zur Kenntnis!
({0})
Zur Erwiderung, Frau Kollegin Homburger.
({0})
Frau Kollegin Hendricks, zunächst bedanke ich mich
bei Ihnen dafür, dass Sie meine Aussage bestätigt haben.
({0})
- Es ist so. - Sie haben darauf hingewiesen, dass Hedgefonds in Deutschland streng reguliert werden, aber nicht
in Europa.
({1})
Ich mache darauf aufmerksam - Sie haben selbst ausgeführt, dass Sie als Staatssekretärin dabei waren -, dass
Sie über Jahre hinweg die Möglichkeit gehabt hätten,
eine solche Regulierung auf europäischer Ebene auf den
Weg zu bringen.
({2})
Das haben wir jetzt getan. Sie sagen nun, dass das immer
noch nicht ausreicht. Man wird sich darüber unterhalten
müssen, ob man noch mehr tun muss oder mehr tun
kann. In diesem Punkt finden Sie uns an Ihrer Seite.
Aber Fakt ist, dass wir an dieser Stelle klar handeln. Das
kommt sehr deutlich zum Ausdruck.
({3})
Zum Schluss möchte ich sagen: Ich bedanke mich
ausdrücklich für Ihre Wortmeldung und dafür, dass Sie
im Gegensatz zu Ihrem Fraktionsvorsitzenden, Herrn
Steinmeier, der vorhin gesprochen hat, bereit waren, die
Verantwortung der SPD anzuerkennen. Es wäre gut gewesen, wenn das auch Herr Steinmeier getan hätte.
({4})
Die Kollegin Dr. Gesine Lötzsch ist die nächste Rednerin für die Fraktion Die Linke.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Immer mehr Menschen in Deutschland kommen zu
der Überzeugung, dass diese Bundesregierung nicht regierungsfähig ist, wir auch.
({0})
Regierungsfähig heißt, dass man in der Lage ist und
den Willen hat, die Interessen der Menschen in einem
Land mit demokratischen Mitteln in praktische Politik
umzusetzen. Doch Sie als Regierung kämpfen nur mit
Ihrer inneren Zerrissenheit und Orientierungslosigkeit.
Deshalb haben Banken, Spekulanten und Lobbyisten
auch so ein leichtes Spiel, die Regierung vor sich herzutreiben und ihr ihre Bedingungen zu diktieren. Ist das
etwa Ihr Verständnis von Demokratie, Frau Merkel?
({1})
Hinzu kommt, dass die Kanzlerin mit der FDP die
gleichen schrecklich teuren Fehler wiederholt, die sie
bereits 2008 mit einem anderen Partner gemacht hat.
Erstes Beispiel. Der damalige SPD-Finanzminister
ging davon aus, dass die Finanzkrise 2008 kein Problem
Deutschlands, sondern der USA sei. Er tat erst einmal
nichts, und das war falsch. Die Kanzlerin ging 2010 davon aus, dass die Euro-Krise kein Problem Deutschlands, sondern ausschließlich Griechenlands sei. Sie tat
erst einmal nichts, und auch das war falsch. Innerhalb
von zwei Jahren wurde zweimal der gleiche Fehler gemacht. Das zeugt von einer katastrophalen Lernunfähigkeit, Frau Merkel.
({2})
Zweites Beispiel. Der damalige Finanzminister ging
davon aus, dass die Finanzkrise 2008 auch ohne KonDr. Gesine Lötzsch
junkturpaket zu lösen wäre. Erst auf Druck der Linken
und der realen Verhältnisse wurde ein Konjunkturprogramm beschlossen, das allerdings unsinnigerweise in
diesem Jahr ausläuft. Die Kanzlerin ging 2010 davon
aus, dass die Euro-Krise alleine mit einem zweiten Bankenrettungsschirm und ohne ein Konjunkturpaket gelöst werden könne. Das ist doch abenteuerlich!
Sie, Frau Merkel, müssen sich einfach einmal die
Frage stellen, warum die Finanzkrise 2008 nicht zum
Kollaps der Realwirtschaft geführt hat. Es war doch die
Kombination mit dem Konjunkturprogramm, die den
ökonomischen Totalschaden verhindert hat. Aber Sie
haben wieder nichts aus Ihren alten Fehlern gelernt. Statt
Konjunkturprogrammen verlangen Sie Kürzungsprogramme. Damit drosseln Sie die Binnennachfrage und
schwächen Sie die Konjunktur in Europa. Das ist doch
ökonomischer Wahnsinn!
({3})
Schaut man sich die Entwicklung in Griechenland an,
dann weiß man, wie es in Portugal, Spanien, Frankreich,
Italien und auch in Deutschland in den nächsten Monaten weitergeht. Darum sagen wir als gute Europäer: Solidarität mit diesen Ländern ist auch Solidarität mit den
Lohnabhängigen, Rentnern und Arbeitslosen bei uns in
der Bundesrepublik Deutschland.
({4})
Frau Merkel, Sie wussten bereits vor der Wahl in
Nordrhein-Westfalen, dass Griechenland mit diesen Auflagen komplett überfordert sein wird, und hofften, dass
Sie mit dieser Strafaktion gegen Griechenland bei den
Wählerinnen und Wählern in Nordrhein-Westfalen
punkten könnten. Doch das ist Gott sei Dank gründlich
misslungen. Gut, dass diese Strategie nicht aufgegangen
ist.
({5})
Schon vor der Wahl war klar, dass die GriechenlandKrise eigentlich eine Euro-Krise ist. Sie haben überhaupt
keine Strategie zur Lösung dieser Euro-Krise. Sie mussten sich erst von den Vertretern der anderen EU-Länder
zwingen lassen, darüber etwas gründlicher nachzudenken.
Das gleiche neoliberale Rezept, das Griechenland
weiter in die Krise treibt, wurde jetzt Spanien und Portugal verschrieben. In Portugal wird das Rentenalter von
65 auf 67 Jahre sowie die Mehrwert- und Einkommensteuer erhöht. Spanien wird seine Ausgaben bis zum
Jahre 2011 um 15 Milliarden Euro kürzen. Dafür werden
in diesem Jahr die Gehälter im öffentlichen Dienst um
5 Prozent gekürzt und im nächsten Jahr eingefroren. Die
Renten werden nicht erhöht. Die Entwicklungshilfe wird
abgesenkt und der sogenannte Babyscheck von 2 500 Euro
pro Neugeborenen ersatzlos gestrichen. Die öffentlichen
Investitionen werden heruntergefahren. Allerdings erklärt niemand den Spaniern und den Portugiesen, wie sie
auf diese Weise aus der Krise kommen sollen. Angeblich
würden diese Kürzungen die Märkte beruhigen und Vertrauen bei Anlegern schaffen. Doch wie soll - das soll
mir einmal jemand erklären - durch diese Maßnahmen
wieder Wachstum entstehen?
({6})
Die Linke hat bereits vor der Wahl in NordrheinWestfalen darauf hingewiesen, dass die Kanzlerin in
Griechenland nur ihr neoliberales Waffenarsenal testen
wollte, um es dann in Deutschland einzusetzen. Bei Ihnen, meine Damen und Herren von CDU/CSU und FDP,
war damals die Empörung groß. Doch kaum waren die
Stimmen in Nordrhein-Westfalen ausgezählt, startete
Ministerpräsident Koch - der gehört ja wohl der CDU
an - den ersten Angriff auf Kinder, Jugendliche und
Familien. Sein Schlachtruf lautete - der Kollege
Steinmeier ist auch schon darauf eingegangen -: „Wir leben über unsere Verhältnisse!“
Diesen Schlachtruf hören wir nun schon seit 20 Jahren, und ich frage mich: Wer ist eigentlich „wir“? Wer
lebt hier über seine Verhältnisse? Das sind doch nicht die
Arbeitnehmer, Rentner, Familien und Arbeitslosen.
Diese Menschen, an denen die Bundesregierung überhaupt kein Interesse hat, leben nicht über ihre Verhältnisse. Es sind die Spekulanten, die Banker und auch
diese Bundesregierung, die an diesen Menschen überhaupt kein Interesse hat.
({7})
Herr Koch schlägt vor - das wird ja von der Bundesregierung wohlwollend geprüft -, weniger Geld für
Krippen und Kindergärten auszugeben. Das ist ein Frontalangriff auf die Generation, die einmal die hohe Beamtenrente von Herrn Koch erarbeiten soll. Das ist nicht
nur moralisch verwerflich, sondern auch absolut ökonomischer Unsinn!
({8})
Wir sollten hier nicht nur über die Regulierung des Finanzmarkts und über die Euro-Stabilisierung reden, sondern uns vor allen Dingen auch die Frage stellen, wie
hochverschuldete Länder aus der Finanz- und Wirtschaftskrise wieder herausgeführt werden können. Wir
brauchen, um Staatsbankrotte zu verhindern, jetzt keine
drakonischen Kürzungspläne, sondern wir brauchen, wie
es die Linke schon seit Jahren fordert, endlich ein europäisches Konjunkturprogramm, in dem sich jeder
Staat verpflichtet, mindestens 2 Prozent des Bruttosozialproduktes pro Jahr aufzuwenden, um den wirtschaftlichen Niedergang zu bremsen. Für dieses europäische Konjunkturprogramm sollten Sie sich in Brüssel
einsetzen und nicht für weitere drakonische Kürzungsmaßnahmen, Frau Merkel.
({9})
Ich gehe hier deshalb stark auf die ökonomische Bewältigung der Krise ein, weil wir uns im Augenblick
- das ist richtig - um die Regulierung der Finanzmärkte
kümmern. Wir müssen aber darüber hinaus auch darüber
reden, wie wir die gigantischen Staatsschulden endlich
loswerden und wie wir gleichzeitig die europäische
Wirtschaft stärken können. Das ist unsere Aufgabe.
Die Finanzmarkttransaktionsteuer wird ja nun augenscheinlich von allen unterstützt. Ich hoffe nur, dass sie
auch endlich umgesetzt wird.
({10})
Setzten wir sie um, dann hätten wir allein für Deutschland 12 Milliarden Euro mehr pro Jahr in der Kasse; das
ist mehr, als der Bund für Bildung und Forschung im
Jahr 2010 ausgeben wird. Ich frage Sie, meine lieben
Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU-Fraktion:
Warum ist Herr Koch eigentlich nicht auf die Idee gekommen, statt bei der Bildung zu sparen, die Finanzmarkttransaktionsteuer von der Kanzlerin zu fordern?
Vielleicht sollten Sie einmal mit ihm darüber diskutieren.
({11})
Die reale Gefahr besteht darin, dass für die Rettung
des Euro jetzt alles aufgegeben werden soll, was Europa
nach dem Zweiten Weltkrieg erreicht hat. Wer jetzt mit
drakonischen Kürzungsplänen den Arbeitnehmern, Familien und Rentnern die Luft zum Atmen nimmt, setzt
nicht nur die konjunkturelle Erholung aufs Spiel, sondern auch den sozialen Frieden in Europa. Wir als proeuropäische Partei sagen: Wir wollen ein friedliches, gerechtes und soziales Europa.
Vielen Dank.
({12})
Volker Kauder ist der nächste Redner für die CDU/
CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen!
Ich glaube, es muss noch einmal auf das hingewiesen
werden, was heute und am Freitag dieser Woche im
Deutschen Bundestag geschieht. Es geht darum, dass wir
in einer ernsten Situation für unsere Währung und für
Europa die richtigen Entscheidungen in diesem Haus zu
treffen haben.
({0})
Deswegen sollten wir uns miteinander darauf besinnen,
was notwendig ist und was gemacht werden muss. Ich
finde - an die Kolleginnen und Kollegen der SPD das
Wort gerichtet -,
({1})
dass es darauf ankommt, was wir vorhaben, was wir machen wollen. Wissen Sie, in einer Situation wie der jetzigen ist es richtig, miteinander darüber zu reden, was wir
machen müssen und können. Es kommt nicht darauf an,
den Blick zurückzuwerfen und kleinteilige Abrechnungen vornehmen zu wollen. Das führt uns überhaupt nicht
weiter.
({2})
Der Präsident der Europäischen Zentralbank hat in
mehreren dramatischen Sätzen darauf hingewiesen, in
welcher Situation wir sind. Ich finde, wir sollten in der
Debatte darüber und bei der Antwort darauf dieser dramatischen Situation gerecht werden.
({3})
Jetzt reden wir einmal darüber, was ansteht. Wir haben in der letzten Sitzungswoche am Freitag über ein
Rettungsprogramm für den Euro und damit auch für die
Stabilität des Euro und für die Sparguthaben der Menschen in unserem Land entschieden.
Es geht jetzt doch gar nicht um abstrakte Diskussionen.
Alles hat einen konkreten Hintergrund. So wie damals,
in der Zeit der Großen Koalition, als von der Regierung
der Satz gesagt wurde: „Wir garantieren die Spareinlagen der Menschen in unserem Land“,
({4})
so geht es auch jetzt darum, Zukunftschancen für unser
Land und die Menschen in unserem Land zu garantieren.
Um nicht mehr, aber auch um nicht weniger geht es.
({5})
Wir können in dieser schwierigen Situation tatsächlich handeln.
({6})
Die Bundesregierung hat klar und deutlich gesagt, was
sie tun wird. Die Regierungskoalition unterstützt die
Bundesregierung. Ich würde mich natürlich darüber
freuen, wenn dieses Parlament in einer so schwierigen
Situation - der Präsident der EZB, Trichet, sagt, es sei
die schwierigste Situation nach dem Zweiten Weltkrieg
in Deutschland - zeigen könnte, dass es gemeinsam die
Herausforderung annimmt.
({7})
Der Euro ist nicht der Euro der Regierungskoalition. Der
Euro ist unsere Währung, und wir tragen miteinander
Verantwortung dafür, dass dieser Euro stabil bleibt.
({8})
Es gibt Situationen in unserem Land, wo auch aus der
Opposition heraus Verantwortung übernommen werden
muss.
({9})
Wir haben in der Opposition, wenn es um Schicksalsfragen unseres Landes ging, beispielsweise beim Einsatz
der Bundeswehr, aus der Opposition heraus die Regierung unterstützt und diese Maßnahmen mitgetragen. Ich
würde mir wünschen, dass jetzt auch die SPD-Bundestagsfraktion diese Verantwortung wahrnehmen würde.
({10})
Wir wissen, dass dieses Programm ein ambitioniertes
Programm ist, und man kann natürlich darüber reden, ob
es eine Alternative dazu gibt. Aber wir sind felsenfest
davon überzeugt, dass eine Alternative zu dem, was wir
heute vorschlagen, eine schlechtere Lösung wäre. Herr
Kollege Steinmeier, Ihrer Rede habe ich entnommen,
dass Sie diese Aussage mittragen, dass auch Sie der Auffassung sind, dass das, was hier gemacht wird, richtig ist
und Sie nur um Zustimmung ringen, weil Sie erwarten,
dass das eine oder andere von der Regierung klar und
deutlich zugesagt wird. Ich sage Ihnen noch einmal, was
ich am Freitag der letzten Sitzungswoche schon einmal
gesagt habe: Wir werden Ihnen klar sagen, was wir machen.
({11})
Ich sage Ihnen aber auch: Wenn ich der Meinung bin,
dass das, was jetzt vorgeschlagen wird, richtig ist, dann
muss ich doch unabhängig von anderen Fragen die Zustimmung dazu geben. Wenn etwas richtig ist, dann ist es
richtig, dann muss man auch Ja sagen, Herr Steinmeier,
und Sie haben gesagt: Es ist richtig.
({12})
Wir wollen natürlich auch, dass die Bürgerinnen und
Bürger in unserem Land wissen, dass nicht ausschließlich der Staat und die Steuerzahler mit Bürgschaften für
die Stabilität eintreten, sondern auch diejenigen an den
Kosten beteiligt werden, die als Spekulanten mit dazu
beigetragen haben, dass die Situation so schwierig geworden ist. Deshalb sagen wir: Wir fordern die Bundesregierung auf, dass sie europaweit, am besten global eine
Finanzmarktsteuer einführt. Wir sagen: Die Transaktionsteuer oder die Finanzaktivitätsteuer, eine von beiden muss neben der von uns bereits beschlossenen Bankenabgabe kommen.
({13})
Herr Kollege Steinmeier, die Bundeskanzlerin hat an
diesem Rednerpult ausdrücklich gesagt, dass sie sich dafür einsetzen wird, dass dieses auch so geschieht, der
Bundesfinanzminister hat das ebenfalls zugesagt. Die
Bundesregierung hat eine klare Zusage gemacht; dafür
sagen wir herzlichen Dank.
({14})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir dürfen
aber nicht übersehen - ich glaube, da sind wir uns alle
einig -, dass die Ursache für diese schwierige Situation
nicht die Spekulanten sind. Aber die Spekulanten haben
an der Schraube gedreht. Deswegen müssen auch sie herangezogen werden, deswegen brauchen wir Kontrollen,
deswegen muss die Regulierung bei Hedgefonds intensiver und dichter werden als bisher. Man kann Wolfgang
Schäuble nur dafür danken, dass es gelungen ist, über
das Votum der Briten hinweg zu erreichen, dass auch
Hedgefonds reguliert werden. Das ist ein großartiger Erfolg.
({15})
Es ist auch richtig - und zeigt im Übrigen die Handlungsfähigkeit dieser Regierung -, dass die Leerverkäufe
seit Mitternacht verboten sind und damit ein Teil der Spekulationsmöglichkeiten abgeschafft worden ist. Diese Regierung und diese Koalition handeln, sie machen genau
das, was in der konkreten Situation richtig und möglich
ist.
({16})
Die Bundeskanzlerin hat zu Recht darauf hingewiesen, dass wir mit diesen ganzen Maßnahmen, die von
den Summen her nicht nur den Menschen in diesem
Land, sondern auch uns gigantisch erscheinen, nur dann
Erfolg haben werden, wenn wir das Übel an der Wurzel
packen: Das ist die hohe Staatsverschuldung, die wir
überall haben.
({17})
Auch wir in der Bundesrepublik Deutschland haben mit
der Neuverschuldung von über 80 Milliarden Euro, die
wir in diesem Jahr zu verantworten haben, ein schweres
Paket zu tragen. Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen,
wir wissen doch alle, warum wir das getan haben: Wir
mussten Schutzschirme für die Sparerinnen und Sparer,
für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und für die
mittelständische Wirtschaft aufspannen. Ich kann nur sagen: Am Aufspannen dieser Schutzschirme war die SPD
in der Großen Koalition beteiligt. Die neue Koalition hat
richtige Maßnahmen ergriffen und fortgeführt. Wir haben dadurch verhindert, dass aus Kurzarbeit Arbeitslosigkeit wird. Wir sind besser durch die Krise gekommen als viele andere in Europa. Dafür hat sich der
Einsatz dieser Mittel gelohnt.
({18})
Jetzt geht es darum, die Konsolidierung durchzuführen. Das wird kein einfacher Weg. Wir müssen den Menschen sagen, dass wir für die Zukunftsfähigkeit unseres
Landes, für die Zukunft der jungen Generation die Kon4144
solidierung durchführen müssen. Die Botschaft muss
sein - auch an viele draußen in der Welt, die uns manches gar nicht mehr zutrauen -, dass wir es organisieren
können und werden, dass auch in einer älter werdenden
Gesellschaft jugendliche Dynamik steckt. Das muss erreicht werden.
({19})
Deswegen bleiben Forschung, Bildung und Innovation
trotz Konsolidierung des Haushalts zentrale Themen.
({20})
Wir werden im weltweiten Wettbewerb getrieben
von Staaten wie China und Indien. Diesen Wettbewerb
werden wir bestehen. Wir brauchen dazu eine qualifiziert ausgebildete junge Generation. Wir brauchen dazu
jeden, der in diesem Land lebt. Deswegen geht es bei
Bildung auch um Integration. Wir haben in der Integration noch nicht das erreicht, was notwendig ist; aber wir
werden dies mit unseren Maßnahmen für Bildung, Innovation und Forschung vorantreiben.
({21})
Durch die Entscheidung, die wir in dieser Woche fällen, wird viel über die Zukunftsfähigkeit in diesem Land
ausgesagt werden. Wir wissen, dass diese für uns alle
nicht einfach ist, und wir wissen, dass wir den Bürgerinnen und Bürgern auch erklären müssen, warum wir so
handeln. Wir können das erklären: Es geht um die Stabilität unserer Währung, unserer Grundlage und unserer
Zukunft und auch um den Erhalt Europas.
Ich gehöre einer Generation an, die nach einem grässlichen Krieg und einer verbrecherischen Diktatur in
Deutschland zum ersten Mal in Frieden aufwachsen
durfte. Ich habe allen Grund, diesem Europa jenseits von
Angebot und Nachfrage, jenseits von Cent und Euro,
Dank dafür zu sagen, dass dieses Europa die größte Friedenssicherung nach dem Zweiten Weltkrieg geworden
ist.
({22})
Deshalb sollten wir alle miteinander Interesse daran haben, dieses Europa trotz der Schwierigkeiten, die wir
jetzt überwinden müssen, in eine gute Zukunft zu führen.
Es mag banal klingen, aber trotzdem ist es eine ganz
einfache Aussage: Jede Generation ist in eine bestimmte
Aufgabe hineingestellt. - Wir haben jetzt die Aufgabe,
den Euro zu stabilisieren und zu retten und die Zukunft
Europas zu gestalten. An der Bewältigung dieser Aufgabe sollten wir alle in diesem Haus uns beteiligen.
({23})
Nächster Redner ist der Kollege Jürgen Trittin für die
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe
Frau Bundeskanzlerin, hinsichtlich eines Befundes will
ich Ihnen zustimmen. Sie haben gesagt, die gegenwärtige Krise des Euro sei die größte Bewährungsprobe,
die Europa seit Jahrzehnten zu bestehen habe. - Das ist
richtig. Ich kann Ihnen deshalb aber eine einfache Frage
nicht ersparen: Warum musste erst der US-Präsident
Barack Obama am 7. Mai 2010 bei Ihnen anrufen, damit
Sie diese Krise bemerken?
({0})
Es wäre leicht, an dieser Stelle zu sagen, es habe vielleicht an der NRW-Wahl gelegen. Das wäre auch richtig,
aber der andere Teil der Wahrheit ist: Obama hat auch
bei Nicolas Sarkozy angerufen. - Deswegen stehen wir
vor einem, wie ich finde, erschreckenden Befund. Wir
sind nicht nur in einer großen Krise dieses Europas, sondern wir haben auch den Ausfall der klassischen Führungsmächte dieses Europas zu konstatieren: den Ausfall
Deutschlands und den Ausfall Frankreichs.
({1})
Was hätte es denn geheißen, dieser Krise entgegenzuwirken? Sie hätten all das machen müssen, wofür Sie
sich jetzt, Frau Homburger, Herr Kauder, beginnen, auf
die Schulter zu klopfen.
Seit gestern Nacht sind ungedeckte Leerverkäufe von
Staatsanleihen in Deutschland verboten. Warum erst seit
gestern? Warum haben Sie diese in unserem Land überhaupt wieder zugelassen?
({2})
Seit gestern liegt ein Regelungsvorschlag des Rates
zur Regelung von Hedgefonds vor, der mit Mehrheit im
Rat beschlossen wurde. Warum erst seit gestern? Die
Mehrheit, die es dafür gab, gab es auch schon vorher.
Aber bisher war Deutschland nicht bereit, sich an dieser
Mehrheit zu beteiligen. Das ist die Wahrheit.
({3})
Frau Bundeskanzlerin, ich wäre an Ihrer Stelle vorsichtig mit einem Zwischenruf, in dem jemand der Unwahrheit geziehen wird. Sie müssten dem Hohen Haus
dann auch erklären, worin in der Frage einer europäischen Finanzmarktaufsicht die Differenz besteht. Warum kommen der Rat, also die Regierung, und das Europäische Parlament hier nicht zu einer gemeinsamen
Schlussfolgerung?
Es gibt viele Gründe. Ein Grund soll aber sein, dass
die deutsche Bundesregierung im Rat Maßnahmen der
europäischen Finanzaufsicht gegenüber deutschen Behörden ablehnt. Das wäre aber eine zahnlose Finanzaufsicht. Deswegen sollten Sie sich an die eigene Nase fassen, bevor Sie in dieser Frage auf das Europäische
Parlament verweisen.
({4})
Das Ganze hat zu einem beispiellosen Schlingerkurs
geführt. Noch am 9. Mai haben Sie persönlich in diesem
Hause in namentlicher Abstimmung alle Anträge der
Grünen, der SPD und der Linken für die Einführung einer Finanzmarkttransaktionsteuer abgelehnt. Zwei
Tage später haben Sie in Brüssel einem Ratsbeschluss
zugestimmt, in dem es heißt, die Möglichkeiten einer
globalen Transaktionsteuer sollten nun geprüft werden.
Heute legt uns die Koalition einen Gesetzentwurf vor,
der besagt: Wir wissen nicht recht, ob wir eine neue Umsatzsteuer oder Einkommensteuer einführen wollen, aber
wir schreiben irgendwas hinein. - Das ist das Gegenteil
von Führung und Handeln.
({5})
Wenn Sie diese Krise bekämpfen wollen, dann brauchen Sie eine Finanzmarkttransaktionsteuer. Sie ist zielgenau, und anders als die Aktivitätsteuer ist sie auch in
der Lage, die Volumina zu generieren, die Sie brauchen,
um endlich mit solchen Krisen fertig zu werden. Hören
Sie auf, mit Peanuts auf Krisenfragen zu antworten!
({6})
Mag sein, dass Sie das nicht gerne von Grünen hören.
Aber Sie sind nicht einmal mehr in der eigenen konservativen Parteienfamilie wirklich in der Mehrheit. Hören
Sie doch auf Magister Josef Pröll, den österreichischen
Finanzminister, der sich für eine europäische Finanzmarkttransaktionsteuer einsetzt!
({7})
- Nein, er möchte eine europäische, und zwar klar und
deutlich.
Hören Sie doch auf Ihren christdemokratischen Parteifreund Jean-Claude Juncker, der als Vorsitzender der
Euro-Zone sagt: Wir brauchen diese europäische Finanzmarkttransaktionsteuer, weil ohne sie international
nichts geht! Fangen Sie also an, in Europa zu handeln,
damit sich auch international endlich etwas bewegt! Das
ist die richtige Reihenfolge.
({8})
Hören Sie auf, Deutschland permanent in eine Sonderrolle zu drängen! Da sind wir nämlich inzwischen.
Fragen Sie sich doch einmal, warum aus Europa 2020
nichts wird! Daraus wird nichts, weil diese Bundesregierung europäische Bildungsstandards europaweit blockiert. Das kann ich verstehen, wenn ich Herrn Koch in
meinen Reihen habe. Aber es ist nicht europäisch, und es
ist nicht zukunftsgewandt.
({9})
Es ist diese Bundesregierung, die bei Europa 2020
europäische Standards bei der Armutsbekämpfung blockiert. Auch das kann ich verstehen, wenn ich Menschen
wie die in der FDP in meinen Reihen habe, denen die
Hoteliers wichtiger sind als die Armen in diesem Lande.
({10})
Aber eine vernünftige europäische Politik ist das
nicht. Mit dieser Haltung haben Sie sich mittlerweile in
dieselbe Situation gebracht wie ein Kind, das bockig in
der Ecke sitzt und regelmäßig dazu gebracht werden
muss, mitzuspielen. Ich finde, das ist der größten Nation,
dem größten Mitgliedsland innerhalb der Europäischen
Union nicht angemessen. Wir müssen endlich wieder gemeinsam mit den anderen Mitgliedstaaten Europa gestalten und aus der Ecke der Bockigkeit herauskommen.
({11})
Herr Kollege Trittin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Barthle?
Bitte.
Herr Kollege Trittin, Sie haben gerade mehrfach die
CDU/CSU-FDP-geführte Bundesregierung angegriffen,
zuerst mit der Aussage, dass eine Kontrolle der Finanzen
durch die Europäische Kommission von der Regierung
nicht zugelassen werde, danach sind Sie auf die europäischen Standards eingegangen. Gestehen Sie mir zu, dass
die Bundesregierung im Auftrag dieses Parlaments handelt und dass dieser Auftrag schon in den vergangenen
Legislaturperioden an die Regierung gerichtet wurde?
Lieber Herr Kollege Barthle, mir kommt es fast vor,
als hätten Sie den weiteren Verlauf meiner Rede antizipativ vorweggenommen. Das freut mich für Sie. Aber
es wird für Sie am Ende außerordentlich unangenehm.
({0})
Denn Sie haben Deutschland mittlerweile nicht nur in
der europäischen Politik in die Isolation geführt. Die
Bundesregierung hat mit dem Vorgehen, das sie an dieser Stelle praktiziert hat, nichts anderes gemacht, als gegen das Grundgesetz zu verstoßen.
({1})
- Lieber Herr Kollege, das Grundgesetz steht nie im Widerspruch zu deutschen Interessen. Es ist die Grundlage
deutscher Interessen, wenn ich mir diese Bemerkung erlauben darf.
({2})
Sie haben einfachgesetzliches Recht gebrochen, und
Sie haben sich auf eine Vertragsregelung der Europäischen Union berufen, auf die Sie sich nicht hätten berufen dürfen. Ich will Ihnen das gerne durchbuchstabieren,
wenn Sie wollen.
({3})
Ich verweise auf Art. 23 des Grundgesetzes. - Herr Kollege Barthle, ich bin noch immer bei der Beantwortung
Ihrer Frage. Sie haben gesagt, die Bundesregierung handele im Auftrag des Bundestages.
Herr Kollege Trittin, da Sie freundlicherweise darauf
hingewiesen hatten, dass das ohnehin ein Bestandteil Ihrer sorgfältig vorbereiteten Rede ist,
({0})
setze ich das Einvernehmen des Plenums voraus, dass
sich der Kollege Barthle setzen darf und Sie im Rahmen
Ihrer Redezeit Ihre Ausführungen vervollständigen.
({1})
Der Kollege Barthle geht also wieder in den Sitzstreik, okay.
Art. 23 des Grundgesetzes ist völlig eindeutig. Vor
dem Setzen von Rechtsakten im Rat ist der Deutsche
Bundestag zu befassen. Dies ist bei der infrage stehenden Rechtsverordnung nicht geschehen. Die nachträgliche Unterrichtung der Fraktionsvorsitzenden ist keine
Befassung des Deutschen Bundestages.
({0})
Daher sage ich Ihnen: Sie haben das Recht und die Verfassung mit Ihrem Vorgehen gebrochen. Sicherlich
musste man schnell handeln. Ich bin bereit, mit Ihnen
darüber zu diskutieren, wie man künftig mit solchen Fällen umgehen soll. Ich bin hier für jedes Gespräch zu haben. Aber es geht nicht, dass Sie, nachdem Sie diesen
Rechtsbruch begangen haben, dieses Hohe Haus, den
Deutschen Bundestag, mit weiteren Zumutungen belästigen. Sie erwarten von uns, dass wir eine Kreditermächtigung in Höhe von über 148 Milliarden Euro erteilen.
Das entspricht fast dem Volumen eines halben Bundeshaushaltes. Auf die Frage, wie dieses Geld ausgegeben
werden soll, haben wir gestern vom Bundesfinanzminister ein Term Sheet als Antwort bekommen, ein einseitiges Blatt Papier mit den geplanten Konditionen. Das ist
nichts anderes als eine unverbindliche Absichtserklärung, in der darauf verwiesen wird, dass man eine
Zweckgesellschaft nach luxemburgischem Recht gründen möchte. Ich bin froh, dass es wenigstens keine
Liechtensteiner Stiftung ist.
({1})
Aber ganz im Ernst - das sage ich besonders an die
Adresse der Parlamentarier auf der Regierungsseite -:
Können Sie sich ernsthaft vorstellen, 148 Milliarden
Euro auszugeben, ohne dass Sie das Vertragswerk kennen und geprüft haben? Ich kann mir das als Parlamentarier nicht vorstellen. Ich wünsche mir auch aufseiten der
Regierung Parlamentarier, die sich dies nicht vorstellen
können.
({2})
Das Parlament ernst zu nehmen, hieße, dies zusammen
mit dem Deutschen Bundestag zu machen, anstatt mit einem solchen Verfahren weiter fortzuschreiten.
Ich erwarte von Ihnen auch, dass bei der Freigabe der
einzelnen Mittel ein Missstand beseitigt wird, der geradezu absurd ist. Wenn Sie das Recht der Beteiligung
des Bundestages ernst nehmen, dann kann der Deutsche
Bundestag zu jeder Kreditermächtigung über die 60 Milliarden Euro EU-Mittel künftig einen Vorbehalt einlegen. Das haben wir gemeinsam so geregelt. Aber zu den
148 Milliarden Euro werden wir lediglich unterrichtet,
wenn nichts anderes dem entgegensteht. Alle Vierteljahre darf dann Alex Bonde prüfen, ob Sie das Ganze ordentlich rechnungsmäßig verbucht haben. Das, was Sie
uns mit diesem Vorschlag unterbreiten, ist eine Brüskierung des Bundestages. Diese Brüskierung des Bundestages kann auch von Ihnen nicht ernsthaft akzeptiert
werden.
({3})
Meine Damen und Herren, wenn Sie das tun wollen,
was die Bundeskanzlerin zu Recht gesagt hat, nämlich
dass Sie dieses Verfahren durchführen und dabei der
Budgethoheit des Bundestages in vollem Umfang Rechnung tragen wollen - so ist das gesagt worden -, dann
müssen Sie erstens dafür sorgen, dass uns vor der Entscheidung hier im Bundestag dieser Vertrag vorgelegt
wird, und Sie müssen zweitens dafür sorgen, dass der
Bundestag künftig entscheiden kann und nicht nur unterrichtet wird.
({4})
Erzählen Sie uns hier nicht, das sei wegen der Eilbedürftigkeit nicht machbar. Erstens. Die 60 Milliarden Euro
stehen schon jetzt zur Verfügung. Zweitens. Ohne
Zweckgesellschaft fließt sowieso kein Geld. Welchen
Grund gibt es also, uns, bevor dieser Vertrag vorliegt, zu
nötigen, hier einen Gesetzentwurf zu verabschieden? Einen solchen Grund vermag ich nicht zu erkennen. Deswegen sage ich Ihnen: Ändern Sie das, tun Sie etwas in
dieser Richtung!
({5})
Meine Damen und Herren, Europa muss zusammenstehen. Die überschuldeten Staaten müssen eine Chance
für eine nachhaltige und sozial ausgewogene Konsolidierung bekommen. Ja, wir brauchen Konsolidierung,
wir brauchen auch eine Koordinierung der Wirtschaftspolitik in Europa, wir brauchen streng regulierte Finanzmärkte, wir brauchen eine Finanztransaktionsteuer. Wir
müssen konsolidieren, koordinieren und regulieren, wollen wir aus dieser Krise heraus. Das geht aber nur mit
dem Deutschen Bundestag und nicht gegen den Deutschen Bundestag.
({6})
Zu einer Kurzintervention erteile ich dem Kollegen
Volker Wissing das Wort.
Herr Kollege Trittin, Sie haben viel gesagt, Sie haben
viel Klein-Klein gesagt, Sie haben auch über die Finanztransaktionsteuer gesprochen, aber leider haben Sie
nichts über die Ursache der gegenwärtigen Krise gesagt.
({0})
Diese Krise ist nämlich im Kern eine Schuldenkrise. Ich
will Ihnen etwas über die Ursache dieser Schuldenkrise sagen, was Sie ruhig hätten ansprechen können.
Ich will aus einem Antrag der Fraktionen der SPD und
des Bündnisses 90/Die Grünen aus dem Jahr 2004 auf
Drucksache 15/3957 zitieren. Darin haben Sie damals
festgestellt, dass die Erfahrung mit der Anwendung des
Stabilitäts- und Wachstumspaktes zeige, dass eine Anwendung der finanzpolitischen Regeln zu starr auf die
kurzfristige Einhaltung quantitativer Vorgaben ausgerichtet sei.
({1})
Das war der Bruch des Stabilitäts- und Wachstumspaktes.
({2})
Hätten wir eine Finanztransaktionsteuer gehabt, wir
stünden genau da, wo wir heute stehen.
({3})
Hätten wir diesen politischen Sündenfall von Rot-Grün
nicht gehabt, wir hätten keine Euro-Krise.
({4})
Deswegen können Sie sich, Herr Kollege Trittin, zwar in
Ihrem Klein-Klein verlieren; Sie können aber die Verantwortung der Grünen nicht loswerden.
({5})
Herr Kollege Trittin, nicht nur an dieser Stelle war auf
Sie kein Verlass. Als wir früh erkannt haben, dass wir
eine neue Schuldenregel brauchen, und die Verfassung
entsprechend geändert haben, haben die Grünen nicht
mitgestimmt.
({6})
Herr Steinmeier hat heute gesagt, er kritisiere niemanden, der Einsicht zeige. Es stünde den Grünen gut an,
einsichtig zu sein.
({7})
Zur Beantwortung Kollege Trittin.
Meine Damen und Herren! Lieber Herr Wissing, Sie
haben völlig richtig zitiert. Wenn Sie sich selbst gegenüber ehrlich sind, dann sind auch Sie ganz froh darüber,
dass wir damals so entschieden haben. Denn wo wären
Sie heute im Konflikt mit der Europäischen Kommission
bei einem Etat, der mit 80 Milliarden Euro plus ungefähr
50 Milliarden Euro verdeckten Schulden in Sondervermögen der BaFin finanziert ist? Ich finde, dass man, bei
aller Ernsthaftigkeit, nicht den Weg der Verschuldung
gehen kann, wie es in Griechenland, Portugal und anderswo - auch, füge ich hinzu, in Deutschland - geschehen ist. Dagegen haben Sie von mir eben nichts gehört.
Aber es gibt einen weiteren Punkt, in dem der Entschließungsantrag richtig ist
({0})
und bei dem wir immer noch nicht weiter sind. In einer
gemeinsamen Währungsunion kann es nicht unterschiedliche Wirtschaftspolitiken geben. Das ist der Kern.
Sie können doch nicht ernsthaft glauben, Deutschland
könne auf Dauer in Saus und Braus leben
({1})
- ja, so will auch ich es nicht formulieren -, davon profitieren, dass es Güter in Länder verkauft, in denen eine
überbordende Nachfrage kreditfinanziert vorhanden ist.
Das war jahrelang der Fall. Wir brauchen also nicht nur
eine Kultur der Stabilität, sondern wir brauchen auch
eine veränderte Wirtschaftspolitik in Europa. Wir
müssen endlich dahin kommen, dass die Ungleichgewichte in Europa abgebaut werden. Das wird nicht allein
mit bloßem Sparen gelingen - auch das ist notwendig -,
sondern es wird nur gelingen, wenn zum Beispiel auch
die viel zu niedrige Binnennachfrage in Deutschland
endlich behoben wird, indem Geringverdiener einen gesetzlichen Mindestlohn bekommen wie im Rest Europas,
({2})
und dafür gesorgt wird, dass die Kaufkraft hier gestärkt
wird. Das ist das beste Konsolidierungsprogramm, das
ich mir vorstellen kann. Es spart nämlich Steuern.
({3})
Das Wort hat der Kollege Carsten Schneider von der
SPD-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir
reden heute hier über ein sehr ernstes Thema. Ich hätte
mir gewünscht, dass die Bundeskanzlerin zu Beginn ihrer Regierungserklärung gesagt hätte, welche Erkenntnisse sie am Freitag vorletzter Woche vor der Abstimmung über die Griechenland-Hilfe hatte, die dazu
geführt haben, dass am Freitagnachmittag die Staatsund Regierungschefs das Paket, das wir in dieser Woche
beschließen sollen, vorgelegt haben. Denn Sie haben
nicht am Freitagmorgen im Bundestag das Wort ergriffen und uns an diesen Erkenntnissen teilhaben lassen. Im
Gegenteil, es war sogar so, dass Herr Fricke hier öffentlich der Vermutung, dass es eventuell mehr sein könne,
widersprochen hat - maximal 22,4 Milliarden Euro und
kein Cent mehr, hat er gesagt -, und Herr Bundesminister Schäuble in der Pressekonferenz am Donnerstag,
nachdem die Steuerschätzung veröffentlicht worden war,
mich mehr oder weniger als vaterlandslosen Gesellen
hingestellt hat, weil ich das infrage gestellt habe.
Frau Bundeskanzlerin, es geht bei diesem Gesetz um
die Euro-Stabilisierung. Das hat viel mit Vertrauen zu
tun. Vertrauen entsteht, glaube ich, nur, wenn die Regierung klar sagt, was ist, uns an ihren Erkenntnissen teilhaben lässt und auch klare Lösungsvorschläge macht.
({0})
All dies ist bisher nicht geschehen, im Gegenteil.
Wir haben hier viele Reden gehört. Die von Herrn
Kauder war die einzige seitens der Koalition, die werbend war. Die FDP hat klar gesagt, sie wolle keine Zustimmung der Opposition. Ich kann mir gut vorstellen,
warum. Weil sie sich nicht im Rahmen eines Entschließungsantrages an die Frage binden will, wer die Zeche
für die hohen Schulden, die wir jetzt aufnehmen müssen,
zahlt,
({1})
nämlich die Spekulanten über die Finanztransaktionsteuer. Das will sie nicht. Deshalb scheint sie unser
Angebot nicht annehmen zu wollen.
({2})
Man kann kein Vertrauen zu einer Regierung haben,
die heute hü und morgen hott sagt. Auf dem DGB-Bundeskongress am Sonntag haben Sie gesagt: Wenn der
DGB die Finanztransaktionsteuer durchsetzt, dann
werde ich mich dem nicht entgegenstellen. - Zwei Tage
später haben Sie gesagt: Ich werde natürlich dafür kämpfen. - Das ist doch nicht ernst zu nehmen.
({3})
Unser Fraktionsvorsitzender Frank-Walter Steinmeier
hat auf zwei Varianten hingewiesen, was das Geschehen
am Freitag, als es um Griechenland ging, betrifft: Entweder haben Sie nicht gewusst, was in Brüssel passiert, und
Herr Sarkozy hat die Agenda in Europa bestimmt, oder
Sie haben es gewusst und uns nicht die Wahrheit gesagt.
Welche Variante schlimmer ist, sei einmal dahingestellt.
Ich hätte aber schon erwartet, dass Sie darüber aufklären. Es ist richtig, dass es bei solch großen politischen
Entscheidungen gut ist, wenn man eine breite Mehrheit
im Parlament hat. Aber eine breite Mehrheit bedeutet,
dass man die Ideen der Opposition einbindet. Dies bedeutet, dass wir Vertrauen zu Ihrem Regierungshandeln
im Europäischen Rat, im Ecofin haben müssen. Ich muss
Ihnen ganz klar sagen: Ich habe kein Vertrauen zu mündlichen Zusagen, sondern nur zu Dingen, die schwarz auf
weiß auf dem Tisch liegen.
({4})
Das ist bisher nicht der Fall.
Ich sage Ihnen ganz klar: Wir stehen zur Verfügung,
wenn Sie sich dazu bekennen, schriftlich mit uns festzulegen, dass es neben dem Rettungsschirm für die Staaten
auch ein klares Bekenntnis dafür gibt, wer die Zeche
zahlt, nämlich die Spekulanten über eine Finanztransaktionsteuer. Es darf kein Oder und kein Ausweichen
geben. Nur dann sind wir bereit, mitzumachen. Anderenfalls ist das nicht zu akzeptieren.
({5})
Herr Kauder hat vorhin gesagt, es sollte nicht so viel
Nabelschau und rückwärtsgewandte Diskussionen geben. Das hat die FDP die ganze Zeit gemacht. Herr
Wissing hat in diesem Zusammenhang ein Argument
vorgebracht, das den Stabilitätspakt betrifft. Nicht nur,
dass Sie den heute mit einer Rekordneuverschuldung
von 80 Milliarden Euro brechen würden.
({6})
Ihre Position bei der Einführung der Schuldenbremse im
vorigen Jahr war: Nullverschuldung. Was würden Sie
denn eigentlich tun, wenn Sie sich mit Ihrer Position der
Carsten Schneider ({7})
Nullverschuldung durchgesetzt hätten? Hätten Sie dann
den Rentenzuschuss auf null gesetzt und die Beiträge zur
Sozialversicherung auf 30 Prozent erhöht? Das ist die
Wirtschaftspolitik der FDP.
({8})
Ich bin froh, dass wir damals im Rahmen des Stabilitäts- und Wachstumspaktes zu einer antizyklischen
Vorgehensweise gekommen sind. Dieser bildet im Übrigen sehr genau die Schuldenbremse ab, der Sie zugestimmt haben und die im Grundgesetz verankert wurde.
Es ist von Folgendem auszugehen: „close to balance or
surplus“, das heißt, in guten Zeiten einen ausgeglichenen
Haushalt zu schaffen und Überschüsse zu erwirtschaften.
Das ist europäisches Recht, das wir als Sozialdemokraten gemeinsam mit den Grünen durchgesetzt haben. So
funktioniert in etwa die Schuldenbremse in Deutschland.
Ist Ihnen das eigentlich bekannt, oder geht es Ihnen nur
darum, die Schuld für Ihre Positionen einer fatalen Finanz- und Steuerpolitik in den vergangenen Jahren bei
anderen zu suchen?
({9})
Ich finde, den Staaten an sich die Verantwortung für
die Finanzkrise und die Euro-Schwäche in die Schuhe zu
schieben, ist falsch.
({10})
Man muss sich die Frage stellen: Warum ist es überhaupt
dazu gekommen? Wir hatten 2008 keinen überschuldeten Haushalt in Deutschland. Wir hatten einen ausgeglichenen Staatshaushalt. Haben Sie das vergessen?
({11})
Wir haben eine Krise der Staatsfinanzen, weil wir uns
bereit erklärt haben, antizyklisch zu investieren, gegen
die Wirtschaftkrise nicht anzusparen und auf dem Finanzmarkt dafür zu sorgen, dass Stabilität herrscht und
nicht einzelne Banken zusammenbrechen. Das haben
wir gemeinsam - im Übrigen zusammen mit Ihnen - beschlossen.
Jetzt geht es darum, wieder langsam davon herunterzukommen. Ich finde es besonders dreist, dass Sie sich
hier als Hort der Stabilität darstellen.
({12})
Was an Gesetzentwürfen haben Sie bis jetzt im Bundestag vorgelegt? Es waren vier oder fünf. Einer betraf den
Bundeshaushalt 2010. Da haben Sie eine Rekordneuverschuldung beschlossen. Die hätte 10 Milliarden Euro
niedriger sein können,
({13})
wenn Sie nicht Ihr Wachstumsbeschleunigungsgesetz,
Ihr Klientelgeschenkegesetz, beschlossen hätten. Das ist
Fakt, und deswegen brauchen Sie sich gegenüber anderen Ländern nicht als Sittenwächter, was die Haushaltspolitik betrifft, aufzuspielen. Sie sind das Gegenteil.
({14})
Ich will auf ein weiteres Thema zu sprechen kommen.
Kollege Trittin hat, wenn ich ihn richtig verstanden
habe, vorgeschlagen, die Mittel in Höhe von 148 Milliarden Euro zu sperren. Wenn Herr Schäuble in der heutigen Ausgabe der FAZ richtig wiedergegeben ist, dann
hat auch er sich auf europäischer Ebene dafür eingesetzt,
dass der Bundestag bei jeder Entscheidung ein Vetorecht
bekommt. Ich greife diesen Vorschlag sehr gern auf. Ich
halte die jetzige Veranschlagung nämlich für nicht
etatreif, weil die Grundlage und die Bestimmtheit dieser
Gewährleistung nicht geklärt sind.
Es ist unverantwortlich, dieses Geld jetzt blanko zu
verteilen. Das geht meines Erachtens nicht. Deswegen
schlage ich Ihnen vor: Lassen Sie uns diese Mittel heute
im Haushaltsausschuss sperren. Sobald das Vehikel
steht, sobald die Verträge da sind und sobald die ersten
Anfragen vorliegen, sind wir bereit, die Mittel binnen
24 Stunden freizugeben; auch bei dem Vorgehen, das Sie
vorschlagen, wären wir nicht schneller. Dann hätte der
Bundestag ein Mitbestimmungsrecht. Das hielte ich für
richtig.
({15})
Ich will auf meinen letzten Punkt zu sprechen kommen: auf die Verunsicherung der Märkte hinsichtlich des
Euro. Retten wir hiermit eigentlich den Euro? Ich bin da
sehr skeptisch. Wie wir wissen, ist der Wert des Euro in
den letzten Wochen und Tagen gesunken. Ich glaube,
dass das Paket zwar eine Beruhigungswirkung hat, dass
es aber einen fatalen Fehler beinhaltet: den realen Angriff auf die Unabhängigkeit der Europäischen Zentralbank. Ich finde es bemerkenswert, dass die deutschen Vertreter dort, sowohl Herr Weber als auch Herr
Stark, überstimmt worden sind. Ich finde es auch bemerkenswert, dass das Ihnen, Frau Bundeskanzlerin, kein
Wort wert war. Ich denke, Sie als deutsche Bundeskanzlerin hätten am Freitag und am Sonntag letzter Woche
auftreten und die Unabhängigkeit der Europäischen Zentralbank vor dem Zugriff durch Präsidenten anderer großer Länder schützen müssen. Das ist offenbar nicht gelungen. Das ist bedauerlich.
({16})
Wenn es um Fragen der Stabilität geht, auf die Sie sich ja
gern berufen, ist das geradezu grotesk. Ich fordere Sie
auf: Sorgen Sie dafür, dass kein europäischer Nationalstaat Einfluss auf die Unabhängigkeit der Europäischen
Zentralbank ausübt! Denn dann wäre der Inflation Tür
und Tor geöffnet.
Vielen Dank.
({17})
Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Hans-Peter
Friedrich von der CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Ich möchte als Allererstes klarstellen: Herr
Trittin, zwei Behauptungen, die Sie hier aufgestellt haben, entsprechen nicht den Tatsachen.
Erstens haben Sie behauptet, die Verordnung der
Europäischen Union gemäß Art. 122 sei ohne die Zustimmung und Beteiligung des Deutschen Bundestages
in Kraft gesetzt worden. Das ist nicht wahr. Am letzten
Wochenende sind die Einzelheiten dieser Verordnung
besprochen und konzipiert worden.
({0})
Sie persönlich, Herr Trittin, wurden am Montagnachmittag über Einzelheiten dieser Verordnung in Kenntnis gesetzt.
({1})
Erst am Dienstag ist diese Verordnung in Kraft getreten.
Ich kann mich nicht erinnern, dass einer der Partei- oder
Fraktionsvorsitzenden bei der Erörterung dieser Verordnung oder bei der Besprechung von Einzelheiten dieser
Verordnung widersprochen hat.
({2})
Zweitens haben Sie behauptet, die deutsche Regierung habe die Hedgefonds-Richtlinie auf europäischer
Ebene verschoben, behindert und verzögert. Auch dies
entspricht nicht den Tatsachen. Tatsache ist, dass die britischen Sozialisten zusammen mit den spanischen Sozialisten diese Richtlinie von der Tagesordnung des EcofinRates genommen haben. Deswegen konnten wir nicht
zustimmen.
({3})
Meine Damen und Herren, ich glaube, wenn man
hört, was die Experten an den Finanzmärkten und in den
Zentralbanken sagen, kann man ohne Übertreibung sagen: Vor zwölf Tagen stand Europa, vielleicht die ganze
Welt, vor einer zweiten Finanzmarktkrise. Als an dem
Freitag, als wir im Bundestag über die Rettung Griechenlands bzw. über das Griechenland-Paket diskutiert
haben, die Börsen in den USA geöffnet haben, hat sich
herausgestellt, dass in Europa plötzlich keine Anleihen
der europäischen Nachbarländer mehr gekauft wurden
und dass es erste Störungen im Handel zwischen den
Banken gab, also genau das, was wir nach der Pleite von
Lehman Brothers im Jahre 2008 erlebt haben. Es gab
erste Symptome, die selbst nach Südamerika übergegriffen und darauf hingewiesen haben, dass über diese
Finanzmarktkrise hinaus möglicherweise ein völliger
Zusammenbruch der Finanzmärkte in Europa bevorsteht. Deswegen war es notwendig, dass Europa handelt,
und Europa hat gehandelt.
Nun wurde gesagt - Herr Steinmeier hat es vorhin in
seiner Rede angesprochen -: Noch als wir hier im Parlament waren, wurden draußen Dinge in die Wege geleitet.
Es wurde gefragt, was wir davon gewusst haben, ob es
einen Zusammenhang gab zwischen den Entscheidungen
zu Griechenland und dem, was die Märkte draußen gemacht haben. Ja, ich glaube, dass es einen solchen
Zusammenhang gibt. Unsere Antwort auf die über Wochen und Monate betriebenen Versuche der Spekulanten,
Griechenland aus dem Euro-Raum herauszubrechen,
war: Wir Europäer lassen es nicht zu, dass ein Land
- das schwächste - herausgebrochen wird. Das war eines
der wesentlichen Argumente: Wenn wir Griechenland
jetzt nicht helfen, dann werden die Märkte als Nächstes
gegen Portugal, Spanien und andere vorgehen. Es hat
sich bestätigt, dass es richtig war, klarzumachen, dass
Europa, die Euro-Zone, nicht bereit ist, die schwächeren Mitglieder auf der Strecke zu lassen und den Finanzmärkten auszusetzen.
Dann haben die Finanzmärkte etwas gemacht, was aus
ihrer Sicht logisch und konsequent war: Sie haben Europa
insgesamt - den gesamten Verbund - angegriffen. Das
nahm am Freitag seinen Anfang und hätte am Montag zur
Katastrophe geführt, wenn Europa nicht geantwortet
hätte. Europa hat geantwortet. Die Antwort lautet: Wir
stellen euch Spekulanten den kompletten Block der
volkswirtschaftlichen Kraft Europas entgegen. Diese
Antwort findet ihren Ausdruck im geplanten 750-Milliarden-Euro-Schutzschirm. Es ist die richtige Antwort
auf die Versuche der Spekulanten.
({4})
Meine Damen und Herren, jetzt ist es wichtig, dass
wir gemeinsam die Antwort geben: Wir sind bereit, unsere Währung, den Euro, zu verteidigen. Wir dürfen dabei die Grundprinzipien der Währungsunion, die Theo
Waigel und Helmut Kohl mit dem Stabilitätspakt konzipiert haben, nicht aufs Spiel setzen. Es gehört zu den
Grundprinzipien, mithilfe der Kriterien der Nettoneuverschuldung im Laufe eines Haushaltsjahres und der
Gesamtverschuldung die Stabilität unserer Volkswirtschaften insgesamt und die Seriosität der öffentlichen
Haushalte im Euro-Raum zu sichern.
({5})
Wir stellen fest, dass der Stabilitätspakt zwar auch in
seinen Einzelheiten richtig ist, aber bei der Frage der
Durchsetzung der einzelnen Aspekte noch keine ausreichend scharfen Regelungen getroffen sind. Das wird
nachgeholt; diesen Auftrag hat die Bundesregierung auf
den Weg nach Brüssel mitbekommen. Dort wird daran
gearbeitet, die Überwachung durch Eurostat und die
europäischen Aufsichtsbehörden zu verbessern sowie
ein Frühwarnsystem einzuführen. Zudem wird ein automatisches Defizitverfahren auf den Weg gebracht, das es
unmöglich macht, dass politisch Einfluss genommen
wird und Sanktionen abgewendet werden - das ist 2005
unter rot-grüner Regie geschehen; das muss in Zukunft
vermieden werden -, wenn ein Defizitsünder in Brüssel
auf die Anklagebank gesetzt wird.
Wir brauchen Sanktionen, die schon im Vorfeld
- nicht erst, wenn das Land schon völlig überschuldet ist Dr. Hans-Peter Friedrich ({6})
wirksam sind: Aussetzung von Stimmrechten oder Sperrung bestimmter europäischer Mittel und Zuschüsse,
wenn sich ein Land nicht ordentlich verhält.
({7})
Wir haben in diesem Haus mit der Unterstützung der
SPD und der FDP unter Federführung der Koalitionsfraktion der CDU/CSU die Schuldenbremse ins Grundgesetz geschrieben. Mit dieser Schuldenbremse haben
wir per Verfassung das Haushaltsrecht künftiger Parlamente auf Seriosität beschränkt. Das war ohne Frage ein
sehr weitgehender Schritt, der sich auf die strukturelle
Verschuldung richtet und zugleich Möglichkeiten lässt,
konjunkturell zu reagieren. Der Mechanismus, der jetzt
im Grundgesetz steht - Herr Poß, er wurde von uns
gemeinsam vereinbart -, nimmt die Kriterien des europäischen Stabilitätspakts in unser Grundgesetz auf. Deswegen ist die deutsche Schuldenbremse sofort, unverzüglich auf andere Länder in Europa übertragbar. Ich
denke, das ist ein wichtiges Thema, über das wir reden
müssen; denn - es wurde hier mehrfach angesprochen das Grundübel, mit dem wir es zu tun haben, ist doch die
Verschuldung der öffentlichen Haushalte in ganz Europa
und darüber hinaus.
Jeder weiß: Wer Schulden macht, macht sich von denjenigen abhängig, die das Geld verleihen. Man macht
sich von Geldgebern abhängig, die Bedingungen stellen. Das ist das Problem, vor dem wir stehen. Die Geldgeber, die Finanzmärkte, stellen den Staaten jetzt Bedingungen, so wie jeder Geldgeber seinem Schuldner
Bedingungen stellt. Deswegen ändern wir als europäische Staaten die Bedingungen und machen deutlich: Wir
geben euch als europäischen Partnern Kredite, die euch
die Finanzmärkte zu unzumutbaren Bedingungen geben
würden, aber wir knüpfen das an politische Bedingungen.
Was sind diese politischen Bedingungen? Erstens.
Wir wollen, dass der IWF - der weiß, wie man mit Staaten umgeht, wenn ein Staat Geld braucht - ein Sanierungsprogramm vorlegt, das auch durchgesetzt wird.
Kredite dürfen nur dann Zug um Zug bereitgestellt werden, wenn es Fortschritte bei der Sanierung gibt. Lassen
Sie mich ein Beispiel vom Wochenende nennen. Spanien
und Portugal wurde deutlich gemacht: Sie müssen sofort
handeln, sonst kommen sie nicht unter den Schirm. Was
war das Ergebnis? Die Spanier haben sofort gehandelt
und ein Sanierungsprogramm in Höhe von 15 Milliarden
Euro auf den Weg gebracht. Ich habe großen Respekt vor
den Regierungen, die diese Maßnahmen durchsetzen
müssen. Wir sollten sie in diesem Punkt unterstützen.
({8})
Wir brauchen einen Sonderbeauftragten für jedes
Land, das Kredite in Anspruch nimmt. Er muss den nationalen Parlamenten, uns und auch dem Haushaltsausschuss über den Fortschritt berichten, der in den jeweiligen Regionen erreicht wird.
Warum machen wir das? Warum zwingen wir insbesondere unsere südeuropäischen Nachbarn dazu, Sanierungen durchzuführen? Warum zwingen wir sie zur Einhaltung der Stabilitätskriterien? Doch nicht nur, weil wir
unsere Kredite, falls sie in Anspruch genommen werden,
zurückgezahlt bekommen wollen, sondern weil die Leistungsfähigkeit jeder einzelnen Volkswirtschaft in Europa
- der griechischen, spanischen, italienischen usw. - den
Wert unserer Währung, des Euro, bestimmt. Deswegen
müssen wir gemeinsam die betroffenen Länder stabilisieren. Das ist unsere Aufgabe. Das macht diese Bundesregierung.
Meine Damen und Herren, es wird viel über die Einbeziehung der Finanzmärkte gesprochen, weil die Akteure auf den Finanzmärkten durch eine undurchsichtige
Verschleierung von Risiken dazu beigetragen haben,
dass 2008 die Finanzmarktkrise mit allen Konsequenzen
für die Realwirtschaft eintreten konnte. Deswegen muss
man auf den Finanzmärkten für Ordnung sorgen. Man
muss den internationalen Finanzmärkten die Ordnung
geben, die auf nationalen Märkten vorhanden ist. Dieser
Aufgabe stellen wir uns. Die Ratingrichtlinie und die
Derivaterichtlinie sind bereits auf dem Weg. Europa handelt also auch in dieser Hinsicht.
Wir haben in Deutschland beschlossen, eine Bankenabgabe zu erheben.
({9})
Sie dient dazu, insolvente Banken zu sanieren und künftig dafür zu sorgen, dass durch Sanierungsprogramme
eine Systemgefährdung vermieden werden kann. Dafür
wollen wir keine Steuermittel verwenden, sondern Geld,
das die Banken vorher in einen Fonds einzahlen. Ich
halte das für die richtige Maßnahme.
Es ist wichtig, dass wir uns überlegen, wie wir auf internationaler Ebene den Risikohunger der Spekulanten
eindämmen können. Was passiert? Es gibt dort Derivate
im Wert von mehreren Hundert Milliarden Euro, die mit
relativ geringen Renditen von einem Kontinent zum anderen überwiesen werden: von den USA nach Asien,
von Asien nach Afrika, von Afrika nach Südamerika und
wieder zurück an die Wall Street. Wenn wir nur eine minimale Transaktionsteuer für diesen Transfer von Hunderten von Milliarden Euro erheben, dann haben wir den
Risikohunger gehemmt, weil bereits ein minimaler Steuersatz ausreichen würde, all diese Transaktionen unrentabel zu machen.
({10})
Aber hören Sie bitte auf, den Menschen in unserem
Lande weismachen zu wollen, dass wir mit dieser Steuer
deutsche Steuerkassen füllen könnten.
Die Transaktionen von der Wall Street nach Tokio,
Südamerika und sonst wohin finden doch nicht in
Deutschland statt. Erzählen Sie also den Leuten nicht,
dass sich bei uns die Kassen füllen. Wir müssen versu4152
Dr. Hans-Peter Friedrich ({11})
chen, die Finanzhaie und die Spekulanten einzudämmen,
und dürfen den Leuten nicht erzählen, dass dort die eierlegende Wollmilchsau gefunden wäre, die man anzapfen
könnte, sodass dann alle Probleme gelöst wären.
({12})
Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Schluss.
Ich komme zum Schluss, Herr Präsident.
Wir spannen einen Euroschutzschirm über unsere
Währung,
({0})
aber auch über unsere Arbeitsplätze in Deutschland.
Diese Regierung ist dabei, eine dauerhafte Stabilität unseres Euros sicherzustellen.
({1})
Darüber hinaus werden wir die Verschuldung in
Deutschland und in Europa beenden.
Vielen Dank.
({2})
Das Wort hat der Kollege Klaus Ernst von der Fraktion Die Linke.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Ein wenig reibe ich mir bei dieser Debatte die
Augen. Am 17. Mai 2010 sagte unser Bundestagspräsident:
Spätestens vor anderthalb Jahren haben wir beim
drohenden Kollaps der internationalen Finanzmärkte erkannt, dass wir Regelungen für zulässige
internationale Finanzgeschäfte durchsetzen müssen.
„Vor anderthalb Jahren haben wir … erkannt“! Wen
meint der Präsident des Deutschen Bundestages mit
„wir“? Offensichtlich nicht Sie von der Koalition, denn
Sie haben es nicht erkannt,
({0})
sonst hätten wir heute nicht die Situation, dass wir immer noch darüber reden: Gibt es jetzt eine Finanzmarkttransaktionsteuer oder nicht? Müssen wir regeln oder
nicht? - Die FDP würde am liebsten überhaupt nicht regeln. Die schwimmt ja nur mit dem allgemeinen Mainstream mit. Das ist doch die Realität.
Herr Köhler sagte am 29. April:
Die Politik muss ihr Primat über die Finanzmärkte
zurückgewinnen. Sie hat den Interessen der Finanzmarktakteure zu viel Raum ohne Regeln überlassen.
Als Oskar Lafontaine das an diesem Tisch vor zwei
Jahren gesagt hat, hat sich hier keine Hand gerührt. Sie
haben darüber nur den Kopf geschüttelt.
({1})
Ich reibe mir auch deshalb die Augen, weil vor zwölf
Jahren der Rücktritt von Lafontaine auch damit zusammenhing, dass nicht einmal seine eigene Partei die Regulierung der Finanzmärkte mitmachen wollte. Das ist die
Realität! Und jetzt diskutieren wir endlich über das, was
notwendig ist.
({2})
Herr Friedrich, ich stimme Ihnen ausdrücklich zu.
Am 12. Mai haben Sie in der Süddeutschen Zeitung gesagt:
Wir verlangen harte und umgehende Konsequenzen
für die Regulierung der Finanzmärkte.
Da stimmen wir Ihnen zu. Aber Sie sind eine Regierung und keine Appellierung. Sie müssen handeln und
nicht nur immer fordern, was die anderen zu tun haben.
({3})
Vollkommen zu kurz in dieser Debatte kommt die
Frage nach den Ursachen für diese Krise. Da wird natürlich von den Finanzmärkten gesprochen. Aber ich
sage Ihnen: Die eigentlichen Probleme haben wir als
Bundesrepublik Deutschland zum großen Teil mitverursacht. Wir haben ein Gesetz zur Förderung der Stabilität
und des Wachstums der Wirtschaft von 1967. In diesem
Gesetz steht, dass wir Maßnahmen zur Erhaltung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts zu organisieren haben, vor allem der Bund und die Länder. Dort heißt es:
Die Maßnahmen sind so zu treffen, daß sie im Rahmen der marktwirtschaftlichen Ordnung gleichzeitig zur Stabilität des Preisniveaus, zu einem hohen
Beschäftigungsstand und außenwirtschaftlichem
Gleichgewicht bei stetigem und angemessenem
Wirtschaftswachstum beitragen.
Wo ist eigentlich das „außenwirtschaftliche Gleichgewicht“? Ist Ihnen entgangen, dass wir von 2000 bis 2008
Außenhandelsüberschüsse von circa 1,3 Billionen
Euro gegenüber anderen Ländern angehäuft haben? Was
heißt das? Das heißt, wir verkaufen viel mehr, als wir
importieren. Das bedeutet natürlich, dass den Ländern,
die bei uns kaufen, irgendwann das Geld ausgeht, wenn
sie nicht gleichzeitig ihre Waren oder Dienstleistungen
an uns verkaufen können. Warum können sie nicht an uns
verkaufen? Weil Sie diese Außenhandelsorientierung damit durchgesetzt haben, dass Sie bei uns permanent die
Löhne gedrückt haben, dass Sie bei uns permanent die
Arbeitsbedingungen so verschlechtert haben, dass die
Löhne billiger wurden. Im Ergebnis ist die bundesrepublikanische Nachfrage natürlich nicht mehr so hoch,
um die Importe entsprechend gewährleisten zu können.
Das ist unser Problem. Das nehmen Sie nicht einmal zur
Kenntnis.
Das Ganze hätte nur funktioniert, wenn die Löhne bei
uns mit der wirtschaftlichen Entwicklung mitgehalten
hätten und wir aufgrund dieser Tatsache zum Beispiel
mehr griechischen Wein, spanische Oliven oder portugiesische Sardinen gekauft hätten, wenn wir also
tatsächlich dazu beigetragen hätten, mit unserer Kaufkraft Importe zu fördern. Das konnten wir nicht. Ihre
Lohnsenkungspolitik in der Bundesrepublik Deutschland ist eine Ursache dafür.
({4})
Die sinkenden Löhne sind verantwortlich für die Ungleichgewichte in Europa. Die deutschen Arbeitnehmer,
die deutschen Rentner, die deutschen Studenten und
auch die deutschen Arbeitslosen haben letztendlich das
finanziert, was bei den Exporteuren, bei den Unternehmen gelandet ist. Das ist unter anderem die Ursache für
die Ungleichgewichte in Europa.
Was machen Sie jetzt? Jetzt schlagen Sie vor, dass die
Länder bitte schön mehr sparen sollen als bisher. Wie
sollen die das machen? Jeder weiß, dass die Maßnahmen, die Griechenland ergreifen muss, zusammen mit
unseren Forderungen dazu führen, dass das Wachstum in
Griechenland abstürzen wird. Jeder weiß, dass das, was
wir von Portugal und von Spanien fordern, dazu führen
wird, dass das Wirtschaftswachstum dort abstürzen
wird. Ebenso weiß jeder, dass das, was Sie den Griechen, den Portugiesen und den Spaniern zumuten, auch
bei uns in der Bundesrepublik geplant ist. Auch bei uns
wollen Sie die Sanierung letztendlich auf diese Art und
Weise durchsetzen.
({5})
Deshalb fordere ich an dieser Stelle von der Bundesregierung eine ganz klare Aussage zu folgendem Punkt:
Geben Sie eine Garantie ab, dass die Milliarden von Geldern, die wir für die Rettung des Euro bereitstellen, nicht
durch Kürzungen bei den Sozialhaushalten in der Bundesrepublik Deutschland finanziert werden.
({6})
Diese Garantie fordern wir von Ihnen. Geben Sie die Garantie nicht ab, dann wird offensichtlich das zur Realität,
was einige von Ihnen - zumindest sind sie ehrlich schon sagen. Herr Seehofer in Bayern sagt zum Beispiel,
eine Kürzung der Haushalte um 10 Prozent sei gar nicht
so schlecht. Herr Koch sagt: Gehen wir halt an die Bildung oder an die Anzahl der Plätze in Kindertagesstätten. Wenn Sie diese Garantie nicht abgeben, heißt das,
dass die Bürger Deutschlands zweimal für die Ungleichgewichte, die wir in Europa haben, zahlen. Sie zahlen
zum einen durch sinkende Löhne, durch sinkende Renten, durch sinkende Transfereinkommen, und sie zahlen
zum anderen durch die Zerstörung ihres Sozialstaates.
Da werden wir Linken nicht mitspielen.
({7})
Das Wort hat jetzt der Kollege Leo Dautzenberg von
der CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit dem
Entwurf eines Gesetzes zur Übernahme von Gewährleistungen im Rahmen eines europäischen Stabilisierungsmechanismus leisten wir den notwendigen Beitrag, den
Euro zu stabilisieren und vor allen Dingen auch ein klares Signal zu senden, dass die Euro-Länder gemeinsam
mit der EZB den Euro gegen Angriffe verteidigen und
bereit sind, den Euro zu stabilisieren; denn er ist eine
wichtige Grundlage gerade für uns in Europa und für die
europäische Zusammenarbeit.
Was die haushaltsmäßigen Implikationen anbelangt,
ist schon vieles gesagt worden. Deshalb möchte ich mich
auf einige Bereiche des Finanzmarktes, auf die Regulierung des Finanzmarktes und die Regulierung von
Finanzprodukten konzentrieren. Herr Kollege Trittin,
das, was Sie eben zum Verbot von Leerverkäufen ausgeführt haben, stimmt natürlich nicht. Die BaFin hat ungedeckte Leerverkäufe in Aktien bei einigen wenigen
Finanzinstituten im DAX verboten. Bisher hat es kein
Verbot von Leerverkäufen für Staatspapiere gegeben.
Dies ist jetzt mit der Veranlassung durch die BaFin seit
Mitternacht im Grunde zum ersten Mal auf den Weg gebracht worden, weil man erkannt hat, dass die Hebelwirkung in diesem Bereich gerade durch Leerverkäufe
Druck auf den Euro ausgeübt hat. Das war die erste
wichtige Maßnahme, die, getragen von den Bundestagsfraktionen, durch das Finanzministerium veranlasst worden ist.
({0})
Von daher geht Ihr Vorwurf fehl, dass es falsch war, dies
aufzuheben. Die Aufhebung hing damals ausschließlich
mit wenigen DAX-Werten von Finanzinstituten zusammen und stand nicht mit dem in Zusammenhang, was
wir jetzt betrachten.
Es ist unser Grundsatz, dass innerhalb der sozialen
Marktwirtschaft Finanzmärkte und Finanzprodukte eine
dienende Funktion für die Wirtschaft, für die Volkswirtschaft und damit für die Menschen haben müssen. Auf
diesen Ursprung müssen wir vieles von dem zurückführen, was wir in der jüngeren Vergangenheit an angelsächsischen Finanzierungskulturen und Finanzprodukten manchmal unreflektiert übernommen haben. Das
muss teilweise wieder geradegerückt werden. Damit fangen wir auf nationaler Ebene an.
Hier geht es um die Frage, wo die Ursachen für die
Euro-Schwäche und für die Angriffe auf den Euro
liegen. Sie liegen im Grunde in der unsoliden Haushaltspolitik vieler, fast aller Euro-Staaten. Das ist die eigentliche Ursache. Unsicherheiten sind auf den Finanzmärkten natürlich als Beschleuniger der Krise genutzt
worden. Das ist aber nicht die eigentliche Ursache. Im
Zuge der Ursachenbekämpfung müssen wir natürlich
auch darangehen, den Finanzmarkt stärker zu regulieren.
Hierzu hat es in der Vergangenheit durch die Große Koalition Maßnahmen gegeben. Diese Arbeit haben wir im
letzten halben Jahr in der christlich-liberalen Koalition
fortgesetzt.
({1})
- Sie müssen unser Eckpunktepapier zur Bankenregulierung, zur Aufsicht, zur Bankenabgabe und zur Restrukturierung von Banken betrachten.
({2})
- Kollege Poß, Sie werden sehen, dass Mitte des Jahres
schnellstmöglich die Gesetzentwürfe dazu vorliegen und
dann auch umgesetzt werden.
({3})
Das ist das Handeln dieser Regierung und dieser Koalition.
({4})
Es war ein Erfolg unseres Finanzministers - Sie haben immer nur darüber geredet -, bei den Verhandlungen
in Brüssel am Montag einen Beschluss des Ecofin-Rates
zur Regulierung von Hedgefonds zu erreichen.
({5})
Frau Kollegin Hendricks, Ihr Beitrag war der schlagende
Beweis dafür. Sie haben natürlich recht, dass wir in
Deutschland enge Normen haben. Wir haben das damals
gemeinsam getragen. Aber Sie sehen daran auch, dass
Alleingänge nicht zum Erfolg führen, weil diese Umsätze jetzt in London gemacht werden.
({6})
Wir müssen zumindest dahin kommen, dass diese Regulierungsmaßnahmen auf europäischer Ebene stattfinden.
({7})
Es war ein erster Erfolg unseres Finanzministers, dass er
gestern erreicht hat, dass die Hedgefondsregelung von
der Kommission jetzt im Grunde für alle europäischen
Staaten auf den Weg gebracht wird.
Gleichzeitig hat er erreicht, dass die ursprüngliche
Absicht der Kommission, bezüglich der CDS-Produkte
auf europäischer Ebene erst im Herbst Vorschläge zu unterbreiten, überdacht wurde und das Vorhaben auf Juni
vorgezogen wird. Auch bei diesen Finanzprodukten, bei
dieser Problematik dürfen wir das Kind natürlich nicht
mit dem Bade ausschütten, sondern wir müssen sehen,
dass die Volumina, die rein spekulativ sind und keine
Beziehung mehr zum Grundgeschäft haben, eingedämmt
werden. Von daher kann das, was der Koalitionsausschuss gestern beschlossen hat, der Auftrag an die Bundesregierung, sich jetzt auch auf europäischer und internationaler Ebene für Finanzmarktsteuern auszusprechen,
durchaus ein sinnvoller Beitrag sein.
({8})
Es geht darum, dass wir keine nationalen Alleingänge
machen. Das muss zumindest im europäischen Konzert
abgestimmt werden; denn sonst haben Sie wiederum in
allen Bereichen Verwerfungen, die uns keinen sinnvollen Weg in die Zukunft zeigen.
({9})
Vieles befindet sich also schon in der Pipeline. Was
Ratingagenturen anbelangt, haben wir vonseiten der
Union die Umsetzung der Richtlinie in der letzten Sitzungswoche beschlossen. Das ist ein erster Baustein,
von der europäischen Ebene aus Regulierung von Ratingagenturen zu betreiben. Von daher sage ich: Viele
Punkte, die hier kritisch angemerkt worden sind, haben
wir schon umgesetzt.
Was den gesamten Bereich der Regulierung - auch
das, was noch international abzustimmen ist - angeht, so
kam eben der Vorwurf, mit diesen Maßnahmen würden
wir die Unabhängigkeit der EZB gefährden; das sei ein
Angriff auf die EZB.
({10})
Das Gegenteil ist der Fall: Wenn Sie das geschichtlich
sehen, werden Sie feststellen, dass es, als jedes Land
eine eigene Währung und eine eigene Notenbank hatte,
grundsätzliches Prinzip war, dass Angriffe, die auf das
Land gerichtet waren, immer auch mit Notenbankpolitik
abgewehrt wurden. Deshalb ist es selbstverständlich,
dass auch die EZB den eigenen Währungsraum mit eigenen Maßnahmen verteidigt. Das ist kein Sündenfall.
({11})
Was jetzt über den Ankauf von Staatsanleihen vom
sogenannten Sekundärmarkt bei der EZB vollzogen
wird, schafft zunächst einmal mehr Liquidität auf dieser
Ebene. Auf der anderen Seite schöpft die EZB diese Liquidität durch die Ausgabe von Papieren wieder ab, sodass der inflationäre Effekt, der hier vielleicht unterstellt
wird, im Grunde gar nicht entsteht.
({12})
Wir haben mit diesem Gesetzentwurf eine Grundlage,
um den Euro kurzfristig zu stabilisieren.
({13})
Zu dieser Verantwortung müssen wir stehen. Auf der anderen Seite haben wir unsere Regierung aufgefordert,
Maßnahmen, die auf dem Gesetzesweg direkt umsetzbar
sind, jetzt umzusetzen. Von daher haben wir entscheidende Grundlagen, um diesem Gesetzentwurf nach unLeo Dautzenberg
seren Beratungen zuzustimmen und damit einen wesentlichen Beitrag zur Stabilisierung von Europa zu leisten.
Vielen Dank.
({14})
Jetzt erteile ich dem Kollegen Norbert Barthle von
der CDU/CSU-Fraktion das Wort.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Wir haben in der letzten Sitzungswoche an dieser Stelle über das Rettungspaket für Griechenland
gesprochen und darüber abgestimmt. Die Koalitionsfraktionen haben dem natürlich zugestimmt. Angeschlossen haben sich die Grünen; das ist aller Ehren
wert. Die SPD konnte sich nicht entscheiden, ob sie dem
zustimmen oder es ablehnen sollte; sie hat sich, wahrscheinlich mangels Führung, enthalten. Ich hoffe, am
Ende dieser Debatte kommt eine klare Richtung heraus.
({0})
Ich habe damals gesagt: Wenn wir dem Rettungspaket
für Griechenland nicht zustimmten, würden wir an dieser Stelle schon bald über Hilfsmaßnahmen mit noch
viel größeren Volumina zu entscheiden haben. Keiner
von uns hat geahnt, dass trotz der Zustimmung zum Rettungspaket für Griechenland dieser Fall schon kurze Zeit
später eintreten würde.
({1})
Wir diskutieren über eine Kreditlinie von insgesamt
440 Milliarden Euro, mit einem deutschen Gewährleistungsanteil von maximal 123 Milliarden Euro. Nur im
Worst Case, Herr Trittin, kann sich der deutsche Anteil
auf 148 Milliarden Euro erhöhen: wenn - darauf wird in
§ 1 Abs. 5 des Gesetzentwurfs verwiesen - ein unvorhergesehener und unabweisbarer Bedarf besteht. Erforderlich ist dann aber die Einwilligung des Haushaltsausschusses des Deutschen Bundestages.
Wir haben am Ende dieser Debatte darauf zu achten,
dass wir nicht zu viel über die Finanzmärkte reden. Das
würde die Kausalitäten auf den Kopf stellen, und damit
würden wir auch die Prioritäten nicht richtig setzen. Ich
denke, es geht bei dieser Debatte um die Finanzstabilität
der Währungsunion als Ganzes und damit im Kern um
Europa als Ganzes. Wir müssen in dieser Debatte in den
Vordergrund rücken, dass der Grundgedanke der europäischen Integration auf dem Spiel steht.
({2})
Wesentliche Triebkräfte für die europäische Einigung
waren immer die Zugehörigkeit zu einer Wertegemeinschaft, Friedenssicherung, Stärkung der nachbarschaftlichen Beziehungen, mehr Einfluss in der Außenpolitik,
mehr Einfluss in der Sicherheitspolitik. Das sind die
Grundkomponenten. Die europäische Gemeinschaftswährung sollte dann der krönende Abschluss des gemeinsamen Marktes sein.
Hier und heute entscheiden wir über nicht mehr, aber
auch nicht weniger als genau über die Frage, ob wir
diese Grundidee von Europa aufgeben oder ob wir sie
mit aller Entschlusskraft verteidigen wollen.
({3})
Ich denke, Europa und unsere gemeinsame Währung
sind es wert, mit aller Kraft verteidigt zu werden.
Der Euro ist neben dem US-Dollar die wichtigste
Währung der Welt. Der Euro bedeutet die Vollendung
des europäischen Binnenmarktes, und dank des Euro hat
sich auch der Handel innerhalb der Euro-Zone bis zum
Jahr 2007 um nahezu 15 Prozent gesteigert. Der Euro ist
also die Hauptquelle ökonomischen Wachstums - und
das auch bei uns; denn wir als Exportnation profitieren
in erster Linie davon: 60 Prozent unserer Exporte gehen
in den Euro-Raum.
Was wäre die europäische Integration wert, wenn wir
jetzt, bei der ersten wirklich grundlegenden, risikoreichen Debatte und den Problemen, sofort die Flinte ins
Korn werfen und alles hinschmeißen würden? Das kann
nicht sein.
({4})
Wie im sonstigen Leben auch zeigen sich die Qualität
einer Beziehung und ihre wahre Stärke gerade in
schlechten Zeiten und in Zeiten der Bedrohung von außen. Eine solche Bedrohung von außen erleben wir derzeit. Deshalb gilt es, die Reihen zu schließen und sich
entschlossen gegen Spekulanten und Zockerwetten zur
Wehr zu setzen, mit denen weltweit auf den Untergang
des Euro gesetzt wird.
Eines ist dabei - mir jedenfalls - sonnenklar: Entweder schaffen wir es gemeinsam oder gar nicht. Dabei
kann sich Deutschland nicht einfach ausnehmen. Wir
sind keine Insel der Seligen, sondern wir leben in dieser
Wertegemeinschaft. Durch einen Alleingang Deutschlands würden wir letztlich selbst getroffen werden. Deshalb wäre das der völlig falsche Weg.
({5})
Aufgrund der Höhe unseres Beitrags sind wir sicher
einer der zentralen Träger dieses Schutzschirmes. Wenn
wir diesen Schutzschirm jetzt aber loslassen und wegwerfen würden, dann stünden wir selbst im Regen. Im
Übrigen: Wir beklagen doch immer wieder die starke
Vereinzelung auf allen gesellschaftlichen Ebenen, die
Partikularisierung der Gesellschaft und den Egoismus,
und wir kritisieren das Zockertum und die einseitig ausgerichtete Gewinnmaximierung. Gerade hier und jetzt,
bei diesem Thema, stehen wir selbst vor der Nagelprobe.
Wenn wir jetzt aus dem Rettungspaket für den Euro aussteigen würden, dann verhielten wir uns im Grunde genau so, wie wir es den Spekulanten vorwerfen. Dieses
Bild darf Deutschland nicht abgeben.
({6})
Selbstverständlich weiß ich, dass Deutschland derzeit
schon vorgeworfen wird, dass wir mit unseren Exportüberschüssen quasi auf Kosten anderer Euro-Länder leben würden, weil wir eben durch unsere wirtschaftliche
Stärke in der entsprechenden Lage sind. Herr Kollege
Ernst, diese Betrachtung ist aber ausgesprochen eindimensional und vor allem auch interessengesteuert.
({7})
Wahr ist: Wir müssen uns zu dieser Wertegemeinschaft
der Europäischen Union insgesamt bekennen - auch in
schwierigen Zeiten. Die europäische Wertegemeinschaft
bedeutet eben auch Stärkung der nachbarschaftlichen
Beziehungen, Lösung grenzüberschreitender Probleme
und letztendlich auch Solidarität.
Die Kollegin Künast hat noch vor zwei Wochen an
dieser Stelle das Hohelied der internationalen Solidarität
gesungen.
({8})
Ich hoffe, sie erinnert sich auch am Freitag noch daran;
denn es ist jetzt eben Solidarität nicht nur durch Worte,
sondern auch durch Taten gefordert. Um es mit den Worten unseres Fraktionsvorsitzenden Volker Kauder zu formulieren: Wir handeln mit Verstand und mit Herz - oder
mit Herz und Verstand.
({9})
Eines ist doch sicher: Europa war und ist ein Kernprojekt der Union. Wir dürfen dieses Kernprojekt nicht infrage stellen.
({10})
- Auch der FDP; das gestehe ich selbstverständlich zu.
({11})
Eines ist auch klar: Diesem Kernprojekt haben wir nicht
zuletzt auch die deutsche Wiedervereinigung zu verdanken. Um es mit Wolfgang Schäuble zu formulieren:
Nach der Wiedervereinigung gibt es für uns nichts Besseres, als in die Europäische Gemeinschaft eingebunden
zu sein. - Das ist wahr.
({12})
In den letzten Wochen haben wir einige Erkenntnisse
gewonnen, sodass wir nun entsprechende Maßnahmen
umsetzen. Das bedeutet zunächst eine umfassende Neustrukturierung der Finanzkoordination in der Europäischen Gemeinschaft. Dabei gilt es einiges nachzuholen,
was bei Grundlegung dieser Gemeinschaft offensichtlich
versäumt worden ist. Es gilt auch, ein deutliches Zeichen
in die Welt zu senden, dass die Euro-Länder miteinander
im Verbund bereit sind, den Euro zu stützen. Das ist die
Grundlage, um den Spekulationen an den Märkten die
Basis zu entziehen. Diese Botschaft wird ausgesandt,
wenn wir dieses Paket am Freitag abschließend beraten.
({13})
Das Paket enthält einige Wirkmechanismen, die wir
der erfolgreichen Verhandlung unserer Bundeskanzlerin
und unseres Bundesfinanzministers verdanken. Das will
ich hervorheben. Bei der Übernahme einer Gewährleistung in jedem Einzelfall entscheiden die Euro-Staaten
einstimmig. Das heißt, Deutschland hat immer ein Vetorecht.
Die gesamtschuldnerische Haftung konnte verhindert
werden. Das halte ich für ganz essenziell. IWF und EZB
sind mit im Boot. Auch das ist aus meiner Sicht ausgesprochen wichtig. Außerdem wird bei der Übernahme
der Gewährleistungen immer Voraussetzung sein, dass
ein Konsolidierungsprogramm des jeweiligen zahlungsunfähigen Landes realisiert wird. Das ist als Kondition
daran geknüpft.
({14})
- Darauf komme ich noch zurück. - Außerdem wird der
Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestages bei jeder Gewährleistungsübernahme in die Entscheidung eingebunden.
Ich will noch einmal betonen, was schon ausführlich
zur Sprache kam: Die Bundesregierung hat sich bereit
erklärt, sich für eine Finanzmarktsteuer einzusetzen.
Damit werden auch die Finanzakteure, die an den Spekulationen mitverdient haben, zur Kasse gebeten. Sie
werden an den Kosten dieses Rettungspaketes beteiligt.
Auch das ist eine überzeugende Botschaft, die ihre Wirkung nicht verfehlt.
Selbstverständlich werden wir schon in den nächsten
Wochen und Monaten die Beratungen des Bundeshaushalts 2011 und die Finanzplanung bis 2014 auf die Tagesordnung setzen.
({15})
Ich bin überzeugt, dass nicht nur in die europäischen
Nachbarländer hinein, sondern auch für uns selber eine
positive Wirkung von diesen Ereignissen ausgeht. Die
Schuldenbremse wird einzuhalten sein. Wir begeben uns
auf den Weg, dies auch umzusetzen.
({16})
Deshalb hoffe ich, dass nicht nur in dieser Frage, sondern auch in der Frage der Rettung unserer Währung alle
Fraktionen dieses Hauses die Debatte zustimmend begleiten. Wer seine Zustimmung in dieser Debatte an Bedingungen knüpft, bringt damit zum Ausdruck, dass er
bei Nichteinhaltung dieser Bedingungen bereit wäre, den
Euro aufs Spiel zu setzen.
({17})
Ich bitte darum, diesen Mechanismus in der SPD-Fraktion noch einmal ausführlich zu beraten.
Lassen Sie mich abschließend noch ein Bild aus der
griechischen Mythologie in Erinnerung rufen, bei dem
es um den Ursprung Europas geht. Europa war demnach eine phönizische Prinzessin, die von dem in Liebe
entbrannten Zeus in Gestalt eines Stieres verführt wurde.
Im Börsengeschäft steht der Stier auch für Hausse, also
für steigende Aktienkurse. Lassen Sie uns aus Europa
eine wehrhafte Amazone machen, die den Stier bei den
Hörnern packt und ihm zeigt, wo es langgeht.
Danke.
({18})
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf
den Drucksachen 17/1685 und 17/1733 an die in der
Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen.
Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann
sind die Überweisungen so beschlossen.
Ich unterbreche nun die Sitzung bis 13 Uhr. Der Wiederbeginn der Sitzung wird rechtzeitig durch ein Klingelsignal bekannt gegeben.
Die Sitzung ist unterbrochen.
({0})
Die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 3 auf:
Fragestunde
- Drucksachen 17/1694, 17/1738 Zu Beginn der Fragestunde rufe ich gemäß Nr. 10 der
Richtlinien für die Fragestunde die dringlichen Fragen
auf. Wir kommen zusätzlich zur dringlichen Frage 1 des
Kollegen Anton Hofreiter:
Inwieweit kann die Bundesregierung bestätigen, dass die
dem Aufsichtsrat der Deutschen Bahn AG am 21. April 2010
bei der Entscheidung für die Übernahme des britischen Verkehrskonzerns Arriva vorgelegten Informationen zu einem
Großteil nur auf mündlichen Aussagen des Managements basierten, dass die Arriva-Führung gleich mit drei Bonusprogrammen ausgestattet ist und der Vorstand das Recht hat, nach
Belieben zu kündigen, wie auch Bonuszahlungen zu bestätigen, beispielsweise allein für den Unternehmenschef David
Martin 8,6 Millionen Euro ({0}), und inwieweit haftet der Bund für mögliche
Verluste aus der Arriva-Übernahme?
Die dringliche Frage fällt in den Geschäftsbereich des
Bundesministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung. Zur Beantwortung steht der Parlamentarische
Staatssekretär Enak Ferlemann zur Verfügung. Bitte
schön, Herr Staatssekretär.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Ich beantworte die dringliche Frage des Kollegen Hofreiter wie folgt:
Der Vorstand der Deutschen Bahn AG bzw. der DB
Mobility Logistics AG hat zur Vorbereitung der Entscheidung der Aufsichtsräte von DB AG und DB ML
AG über das Übernahmeangebot für Arriva eine umfangreiche und detaillierte schriftliche Unterlage über
die Chancen und Risiken des Kaufs vorgelegt. In diese
Unterlage gingen auch mündliche Informationen des
Arriva-Managements ein. Weiterhin wurden die Aktienoptionsprogramme für das Management dargestellt.
Auf der Grundlage dieser Informationen haben die
Kontrollgremien die Offerte gründlich diskutiert, und sie
haben die Unternehmensbewertung durch ein unabhängiges Wertgutachten einer Bank überprüfen lassen. In
die Unternehmensbewertung sind auch die oben angegebenen Bonusprogramme eingeflossen.
Vor dem Hintergrund all dieser Informationen haben
die Aufsichtsräte der DB AG und der DB ML AG am
21. April 2010 dem Übernahmeangebot für Arriva zugestimmt. Sollte es zu einer Übernahme von Arriva durch
die DB AG kommen, haftet die DB AG bzw. die DB ML
AG als Alleineigentümerin für mögliche Verluste im Zusammenhang mit der Arriva-Übernahme.
Kollege Hofreiter, Gelegenheit zur Nachfrage.
Bei einem Übernahmeangebot in der Form muss auch
eine Prüfung nach § 65 Bundeshaushaltsordnung stattfinden. Meine Frage dazu lautet: Hat diese Prüfung vor
dem Beschluss des Aufsichtsrats oder nach dem Beschluss des Aufsichtsrats stattgefunden?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Die Frage beantworte ich wie folgt: Da es sich um ein
privatrechtlich geführtes Unternehmen handelt, ist eine
solche Prüfung nicht erforderlich.
Herr Staatssekretär, ich an Ihrer Stelle wäre sehr vorsichtig mit dieser Antwort. Mir liegen nämlich Informationen darüber vor, dass es diese Prüfung in Ihrem
Ministerium, in der Fachabteilung, durchaus gegeben hat
und dass massiver Druck auf die Fachbeamten ausgeübt
worden ist - namentlich durch die Staatssekretäre
Scheurle und Beus -, dem zuzustimmen. Außerdem liegen mir Informationen darüber vor, dass diese Prüfung
nach der Aufsichtsratsentscheidung stattgefunden hat
und das Prüfungsergebnis unter massivem Druck zustande gekommen ist. Deswegen wäre ich an Ihrer Stelle
sehr vorsichtig; ich würde mir die Antwort noch einmal
gut überlegen.
Sehr geehrter Herr Kollege, herzlichen Dank für die
freundlichen Hinweise. - Es ist mir nicht bekannt, dass
es bei uns im Hause Diskussionen gegeben hat, die auf
Druck oder Ähnliches hinausgelaufen wären. Dass sich
die Staatssekretäre, die für uns die Beteiligungen steuern, natürlich vorbereiten und beraten lassen - im Vorfeld der Aufsichtsratssitzung und auch in der Nachbereitung -, ist überhaupt keine Frage; das ist ein übliches
Verfahren.
Kollege Beck, bitte.
Herr Staatssekretär, wenn Sie sagen, es sei Ihnen
nicht bekannt, frage ich Sie: Sind Sie bereit, dem Hohen
Hause in schriftlicher Form eine umfassende und wahrheitsgemäße Auskunft darüber zuzuleiten, ob und, wenn
ja, wann diese Prüfung stattgefunden hat und was die näheren Umstände gewesen sind? Ich möchte Sie darauf
hinweisen, dass Sie dem Parlament zu wahrheitsgemäßer und umfassender Auskunft verpflichtet sind. Das ist
der Sinn der Fragestunde. Hier kontrollieren wir die Regierung. Wenn Sie Auskünfte verweigern, dann beschränken Sie unser Interpellationsrecht.
Herr Staatssekretär, bitte.
Sehr geehrter Herr Kollege, herzlichen Dank für diese
freundlichen Hinweise. Wenn das Hohe Haus einen
schriftlichen Bericht wünscht, dann werden wir selbstverständlich einen solchen liefern. Das ist für uns überhaupt keine Frage. Aber dass wir nicht wahrheitsgemäß
antworten, weise ich natürlich mit aller Schärfe zurück.
({0})
Herr Beck, Sie stellen fest, dass der Bericht kommt.
({0})
Herr Staatssekretär?
Das habe ich hiermit zugesagt.
Dann ist es in Ordnung. - Gibt es weitere Nachfragen
dazu? - Das ist nicht der Fall.
Dann kommen wir zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Bildung und Forschung. Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär Helge
Braun zur Verfügung.
Ich rufe die dringlichen Fragen 2 und 3 der Kollegin
Dagmar Ziegler auf:
Wie sieht das Konzept der Bundesregierung zu einem
Qualitätspakt für die Hochschullehre - insbesondere hinsichtlich der erstmals genannten Rolle „Stiftungen“ und einer zu
schaffenden „Akademie für die Lehre“ als Förderinstitution konkret aus, über das die Bundesministerin Dr. Annette
Schavan auf der gestrigen Nationalen Bologna-Konferenz laut
Pressemitteilung vom 17. Mai 2010 ({0}) die Öffentlichkeit informierte, zu dem die
Bundesregierung aber in der Fragestunde vom 21. April 2010
noch keine Angaben machen konnte?
Aus welchen Überlegungen heraus setzt die Bundesregierung - wie den Pressemeldungen zu entnehmen ist und entgegen den Forderungen der Hochschulen und vieler Länder hierbei weiterhin allein auf wettbewerbliche Vergabeverfahren bei der Förderung qualitativer Lehre?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Ich beantworte die Fragen wie folgt: Auf Vorschlag
der Bundesministerin Schavan beraten Bund und Länder
in der Gemeinsamen Wissenschaftskonferenz derzeit
über die Erweiterung des Hochschulpakts um eine dritte
Säule für bessere Studienbedingungen und mehr Qualität
in der Lehre. Gefördert werden sollen insbesondere eine
bessere Personalausstattung der Hochschulen für die
Lehre, für die Beratung und für die Betreuung der Studierenden sowie Maßnahmen zur Qualifizierung des
Lehrpersonals. In diesem Zusammenhang wird die Gemeinsame Wissenschaftskonferenz auch den Vorschlag
der Einrichtung einer Akademie für die Lehre als Einrichtung der Hochschulen erörtern. Die Beratungen über
die weitere Ausgestaltung der dritten Säule des Hochschulpakts dauern derzeit noch an. Ein Ergebnis soll zur
Besprechung der Regierungschefs von Bund und Ländern am 10. Juni vorliegen.
Bitte schön, Frau Kollegin. Haben Sie Nachfragen? Das scheint nicht der Fall zu sein. Halten Sie auch Ihre
zweite dringliche Frage für beantwortet? - Gut, dann hat
Kollege Rossmann eine Nachfrage.
Herr Staatssekretär, die Ministerin hat anklingen lassen, dass speziell das Projekt einer Akademie in Stiftungsform oder in einer anderen Form im Rahmen einer
90/10-Finanzierung von Bund und Ländern gestaltet
werden soll. Darf man aufgrund dessen annehmen, dass
sich dieser 90/10-Schlüssel auf den gesamten Pakt für
die Lehre bezieht und dass Sie, obwohl der Wissenschaftsrat 1,3 Milliarden Euro jährlich gefordert hat, für
Bund und Länder zusammen rund 230 Millionen Euro
jährlich für eine gute Lehre für notwendig erachten?
Nein, das können Sie daraus nicht schlussfolgern.
Dass der Bund bereit ist, über zehn Jahre jährlich
200 Millionen Euro, also insgesamt 2 Milliarden Euro,
in die Hand zu nehmen, ist die größte Offensive seitens
des Bundes für die Verbesserung der Qualität der Lehre,
die es jemals in Deutschland gegeben hat. Die Frage
nach der Beteiligung der Länder ist momentan Gegenstand der Diskussion im Vorfeld der Konferenz der Regierungschefs. Wir wünschen natürlich, dass jeder Euro,
den der Bund an dieser Stelle investiert, eine entsprechend hohe Finanzierung der Länder zur Folge hat. Aber
den Ergebnissen des Gipfels der Regierungschefs wollen
wir nicht vorgreifen. Genau darüber wird dort verhandelt. Vorfestlegungen, wie Sie sie gerade genannt haben,
gibt es nicht.
Eine weitere Nachfrage? - Bitte schön, Herr Kollege.
Bisher war - nicht zuletzt durch den Wissenschaftsrat die Einrichtung von hochschuldidaktischen Zentren als
Unterstützung der Lehre an mehreren Standorten in der
Diskussion. Muss man die Äußerungen der Ministerin so
verstehen, dass das alternativ ist, oder verfolgt die Regierung weiter eine Strategie, die darauf abzielt, hochschuldidaktische Zentren in intensiver Weise mit aufzubauen, zu unterstützen und zu finanzieren?
Auch das wird Gegenstand der Diskussion über die
konkrete Ausgestaltung der Akademie sein. Wir befinden uns in intensiven Gesprächen mit den Ländern.
Beide Lösungen sind heute noch denkbar.
Danke schön. - Weitere Nachfragen hierzu gibt es
nicht. Damit sind die dringlichen Fragen aufgerufen und
beantwortet.
Wir kommen nun zu den Fragen auf Drucksache
17/1694 in der üblichen Reihenfolge. Es geht los mit
dem Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Justiz. Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär Max Stadler zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 1 des Kollegen Volker Beck auf:
Wann beabsichtigt die Bundesregierung die Zeichnung des
revidierten Europäischen Übereinkommens über die Adoption
von Kindern vom 27. November 2008 - SEV 202 -, und wie
begründet die Bundesregierung, dass eine Zeichnung anderthalb Jahre nach Auflegung noch immer nicht erfolgt ist?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Herr Kollege Beck, die Bundesregierung prüft die
Zeichnung des revidierten Europäischen Übereinkommens über die Adoption von Kindern. Für die Zeichnung
sind ein Beschluss des Bundeskabinetts sowie eine Abstimmung mit der Ständigen Vertragskommission der
Länder erforderlich. Die Prüfungen der Bundesregierung
sind noch nicht abgeschlossen.
Eine Nachfrage? - Bitte.
Können Sie mir erklären, warum bereits 14 Länder
dieses Übereinkommen unterzeichnet haben, aber die
Bundesrepublik Deutschland nicht, obwohl wir eines der
Länder waren, die - damals war Frau Zypries Bundesjustizministerin - den Anstoß zur Überarbeitung dieser
Konvention gegeben haben, damit wir die alte Forderung der FDP, die auch wir immer erhoben haben, die
gemeinschaftliche Adoption von Lebenspartnerschaften
zu ermöglichen, ohne die Konvention zu verlassen, endlich hinbekommen? Ich bin ganz erstaunt, dass das Engagement Ihres Hauses in Ihrer Eingangsantwort so zurückhaltend formuliert war.
Herr Kollege Beck, wie Sie wissen, dauerte die Regierungszeit der früheren Bundesregierung noch fast ein
Jahr an, nachdem im Europarat dieses Übereinkommen
beschlossen worden war. Ich bin natürlich nicht in der
Lage, Auskunft darüber zu geben, warum die Große Koalition die Zeichnung dieses Übereinkommens nicht veranlasst hat. Seit der Bildung der christlich-liberalen Koalition ist nunmehr etwas mehr als ein halbes Jahr
vergangen. Wie ich schon erwähnt habe, dauern die Prüfungen innerhalb der Bundesregierung, ob man das
Übereinkommen zeichnet und, wenn ja, gegebenenfalls
wann, noch an.
Eine weitere Nachfrage? - Bitte schön.
Gibt es denn in der Bundesregierung Überlegungen
und, wenn ja, von welcher Seite, der Konvention womöglich nicht beizutreten?
Herr Kollege Beck, Ihnen ist sicherlich der Koalitionsvertrag zwischen CDU/CSU und FDP bekannt.
({0})
Darin sind eine Reihe von Verbesserungen für eingetragene Lebenspartnerschaften vereinbart. Es sind übrigens
auch Verbesserungen im Jahressteuergesetz hinsichtlich
der Erbschaftsteuer und der Grunderwerbsteuer vereinbart.
({1})
Das ist also eine Thematik, mit der wir sehr wohl befasst
sind. Ihnen ist aber auch geläufig, dass genau zu der
Frage, die Sie gestellt haben, der Bundesregierung im
Koalitionsvertrag kein Auftrag erteilt worden ist.
({2})
Danke schön.
Wir kommen damit zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Finanzen. Zur Beantwortung steht
Herr Staatssekretär Steffen Kampeter zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 2 des Kollegen Hans-Christian
Ströbele auf:
Welche Angaben macht die Bundesregierung über die
Höhe und die konkreten Bedingungen - Zinshöhe, Rückzahlung und deren Rang - der durch staatliche deutsche Garantien abgesicherten Kredite, die im Rahmen der am 7. Mai
2010 vom Deutschen Bundestag beschlossenen „Griechenlandhilfe“ bis zum 19. Mai 2010 ausgezahlt werden, und warum stehen diese Kredite im Rang nicht vor den bisherigen
Krediten privater Gläubiger?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Die Frage des Kollegen Ströbele möchte ich gerne wie
folgt beantworten: Am 18. Mai wurde die erste Tranche
des finanziellen Hilfsprogramms für Griechenland vonseiten der Euro-Mitgliedstaaten mit einem Nennbetrag
von 14,5 Milliarden Euro ausgezahlt. Auf Deutschland,
für das die Kreditanstalt für Wiederaufbau die Ausreichung vornimmt, entfällt ein Betrag von 4,43 Milliarden
Euro. Generell wurden für jedes Jahr als Zinstermine der
15. März, der 15. Juni, der 15. September und der 15. Dezember festgelegt. Der Zinssatz wird generell auf der
Grundlage des Drei-Monats-EURIBOR ermittelt. Das ist
der Zinssatz, zu dem die Banken sich untereinander innerhalb der Euro-Zone Kredite gewähren. Für die erste sogenannte unterbrochene Zinsperiode, die den Zeitraum vom
Auszahlungsdatum, also dem 18. Mai, bis zum 15. Juni,
dem ersten regulären Zinstermin, umfasst, wurde hiervon
abweichend der Ein-Monats-EURIBOR vom 14. Mai
2010 als maßgeblicher Zinssatz bestimmt. Dazu kommt
ein Aufschlag von 300 Basispunkten. Dies ergibt einen
Zinssatz von 3,42 Prozent.
Darüber hinaus wird vom Auszahlungsbetrag eine
Verwaltungsgebühr von einem halben Prozent für die
beim Kreditgeber anfallenden Kosten einbehalten. Die
Zinszahlungen werden anteilig an die beteiligten Darlehensgeber verteilt. Nach einer tilgungsfreien Zeit von
drei Jahren, Herr Kollege Ströbele, wird das Darlehen in
acht vierteljährlichen Zahlungen in Höhe von jeweils
1,8125 Milliarden Euro getilgt. Die erste Tilgung wird
zum 15. Juni 2013 erfolgen, die letzte zum 15. März
2015. Das heißt, dass die Tilgung in einem Zeitraum von
weniger als zwei Jahren nach Ablauf der tilgungsfreien
Zeit erfolgen wird.
Laut Darlehensvertrag begründet jedes Darlehen eine
ungedeckte, direkte, bedingungslose, nicht nachrangige
und allgemeine Verbindlichkeitserklärung des Darlehensnehmers und ist mindestens gleichgestellt mit allen
anderen gegenwärtigen und zukünftigen ungedeckten
und nicht nachrangigen Darlehen und Verbindlichkeiten
des Darlehensnehmers.
Die Darlehensgeber im Rahmen des finanziellen
Hilfsprogramms für Griechenland sind untereinander
gleichrangig. Lediglich die Darlehen des Internationalen
Währungsfonds haben eine vorrangige Sicherung. Dies
entspricht dem seit Gründung des Internationalen Währungsfonds weltweit üblichen Verfahren bei ähnlichen
Unterstützungen durch den Internationalen Währungsfonds. Dieser bevorrechtigte Gläubigerstatus wird Einzelstaaten oder einer Gruppe von Einzelstaaten in der
bisherigen Rechts- und Kreditpraxis globaler Finanzierungen nicht zugesprochen.
Kollege Ströbele, bitte.
Danke, Herr Präsident. - Das leuchtet mir nicht so
ganz ein, Herr Staatssekretär. Die Situation ist doch folgende: Griechenland ist pleite, könnte also die Gläubiger, insbesondere die Großbanken - die deutschen sollen
mit über 30 Milliarden Euro beteiligt sein -, nicht bedienen. Wenn die Kredite jetzt also nicht fließen würden,
würden sie nichts bzw. im Falle eines Insolvenzverfahrens das bekommen, was noch im Korb ist: 20, 40 oder
50 Prozent. Jetzt springt, nachdem das Parlament das so
beschlossen hat, der deutsche Steuerzahler ein, und die
Bundesregierung reicht das Geld aus. Dann werden wiederum die Großbanken bedient, mit Rückzahlungen bzw.
mit Zinsen, möglicherweise mit Boni oder was auch immer da vereinbart wurde. Halten Sie das für eine gegenüber dem Steuerzahler zu rechtfertigende Lösung? Der
Steuerzahler hat ja eigentlich mit der ganzen Geschichte
nichts zu tun. Er will auch keine Geschäfte mit Griechenland machen. Eigentlich hätte er, wenn überhaupt,
das Geld lieber für andere Zwecke in Deutschland ausgegeben. Nun wird er in die Position eines Gläubigers
gebracht und ins Obligo genommen; aber die Großbanken, die volles Risiko gefahren sind und möglicherweise
viel Geld damit verdient haben, werden nicht entsprechend zur Verantwortung gezogen.
Herr Kollege Ströbele, die Bundesregierung ist der
Auffassung, dass der hier gewählte Weg die für den
Steuerzahler angemessene Lösung ist, weil es vermutlich
die preiswerteste Möglichkeit der Stabilisierung der
Euro-Zone insgesamt ist. Der von Ihnen angesprochene
Alternativweg, nämlich die Staatsinsolvenz Griechenlands und damit Vergleichsverhandlungen über die Verbindlichkeiten gegenüber der hellenischen Republik,
würde über die beteiligten Banken, von denen einige unmittelbar oder indirekt in staatlichem Besitz sind, zu unmittelbaren Nachschusspflichten für den Steuerzahler
und die Steuerzahlerin bzw. zur Bilanzbereinigung führen. Die Behauptung, dass die Staatsinsolvenz Griechenlands eine im Vergleich zum gewählten Weg für den
Steuerzahler vertretbare Lösung ist, teilt die Bundesregierung nach Abwägung aller Sachargumente nicht.
Herr Kollege, bitte schön.
Da kann ich Ihnen immer noch nicht folgen. Sie haben selber gesagt, es gebe durchaus vorrangig zu bedienende Gläubiger; Sie haben den IWF erwähnt. Können
Sie sagen, warum der IWF vorrangig bedient wird und
der deutsche, der niederländische oder der französische
Steuerzahler nicht?
Herr Kollege Ströbele, um noch einige ergänzende
Hinweise zum Verständnis des Sachverhalts zu geben:
Grundsätzlich gilt, dass alle Gläubiger gleich bedient
werden.
({0})
Das ist eine Regelung, die ausgehandelt wurde und Bestandteil des Kreditvertrags ist. Das heißt, wir als europäische Beteiligte zahlen den Kredit gemeinsam mit dem
IWF aus, und die Rückzahlung dieses bei der Europäischen Union gepoolten Kredits erfolgt entsprechend der
Einzahlung. Wenn Sie den Prozess der regulären Bedienung des Kredites betrachten, werden Sie feststellen,
dass es zu keiner Benachteiligung des deutschen Steuerzahlers gegenüber den Leistungen, die der Internationale
Währungsfonds erhält, kommt.
Kollegin Paus, Sie wollten eine Nachfrage stellen.
Herr Staatssekretär Kampeter, Sie haben gesagt, die
Bundesregierung habe in Bezug auf die Kosten für den
deutschen Steuerzahler Alternativen abgewogen. Außerdem haben Sie implizit angedeutet, dass die Kosten,
wenn deutsche Banken betroffen wären, eventuell höher
hätten ausfallen können. Ich nehme an, Sie rekurrieren
darauf, dass es den SoFFin gibt und dass betroffene
deutsche Banken die Möglichkeit hätten, den SoFFin in
Anspruch zu nehmen. Gibt es konkrete, bezifferbare
Zahlen, die Sie in der Bundesregierung erörtert haben,
was möglicherweise auf den SoFFin zugekommen wäre,
wäre es zu einem Staatsbankrott Griechenlands gekommen?
Frau Kollegin, nach Ermittlungen der BaFin würden
im Rahmen einer Staatsinsolvenz, was die Verbindlichkeiten deutscher Banken und Versicherungen gegenüber
Griechenland betrifft, ungefähr 41 bis 42 Milliarden
Euro streitig gestellt. Die direkten finanziellen Folgerungen lassen sich nicht beziffern, und zwar deswegen, weil
für eine Staatsinsolvenz innerhalb der Währungsunion
keine Vergleichswerte vorliegen. Darüber hinaus kann
man keine Angaben machen, auf welcher Vergleichsquote etwas gemacht werden könnte. Das maximale Risiko ist mit der Obergrenze beschrieben. Wir gehen davon aus, dass bei einer ordnungsgemäßen Bedienung des
Kredits in dem von mir beschriebenen Tilgungszyklus
für den deutschen Steuerzahler keine Nachteile entstehen.
({0})
Danke schön. - Die beide nächsten Fragen, die
Fragen 3 und 4 des Kollegen Rolf Mützenich, werden
schriftlich beantwortet.
Damit kommen wir zu den Fragen 5 und 6 der Kollegin Lisa Paus:
Beabsichtigt die Bundesregierung, den Bundesbankpräsidenten Axel Weber als Nachfolger für Jean-Claude Trichet für
den Vorsitz der Europäischen Zentralbank vorzuschlagen, und
hat sie dazu bereits Absprachen mit anderen europäischen
Staaten getroffen?
Wie schätzt die Bundesregierung die Eignung von Axel
Weber als Präsident der Europäischen Zentralbank ein angesichts der Tatsache, dass er als Präsident der Bundesbank im
Rahmen der laufenden Aufsicht nicht verhindert hat, dass die
deutschen Landesbanken zu den weltweit größten Abnehmern
von drittklassigen Verbriefungsprodukten gehörten und im
Zuge der Krise daher HSH Nordbank, SachsenLB, LBBW
und Bayern LB nur mithilfe staatlicher Unterstützungen überleben konnten?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Kollegin Paus, die Bundesregierung möchte Ihre erste
Frage wie folgt beantworten: Die Amtszeit des Präsidenten der Europäischen Zentralbank läuft noch bis
Oktober 2011. Aus Sicht der Bundesregierung ist es jetzt
viel zu früh für eine Nachfolgediskussion. Dies gebietet
auch der Respekt gegenüber dem Amtsinhaber und seiner erfolgreichen Arbeit. Wir schätzen Jean-Claude
Trichet sehr.
Wenn Sie Nachfragen haben, bitte.
Herr Kampeter, wie erklärt sich die Bundesregierung
dann die Berichterstattung im Handelsblatt vom 12. Mai
2010, nach der dies der Preis der Zustimmung zum
Euro-Rettungsschirm seitens der deutschen Bundesregierung gewesen sein soll?
Frau Kollegin Paus, manchmal wundert sich auch die
Regierung, was deutsche Zeitungen über die Regierung
schreiben.
({0})
Von daher kann ich Ihnen keine näheren Erkenntnisse
über den Inhalt der Recherche des von Ihnen genannten
Publikationsorgans geben. Richtig ist, dass in den deutschen Medien zweifelsohne eine informelle Diskussion
über die Nachfolge stattfindet. Aber die Bundesregierung beabsichtigt nicht, sich an dieser Nachfolgediskussion öffentlich zu beteiligen. Wir werden zu einem gegebenen Zeitpunkt - der jetzige wäre zu früh - unsere
Gedanken über die Nachfolge und gegebenenfalls auch
unsere Vorschläge zur Nachfolge des derzeitigen Präsidenten der Europäischen Zentralbank einbringen.
Haben Sie eine weitere Nachfrage? - Bitte schön,
Kollegin Paus.
Habe ich Sie richtig verstanden, dass es an diesem
Wochenende keine Nebenabsprachen der Bundesregierung gegeben hat?
Frau Kollegin, ich war zwar nicht dabei; aber mir sind
keine Nebenabsprachen bekannt bzw. bekannt gemacht
worden.
Kollege Beck, bitte.
Ich muss unangenehmerweise nachfassen. Es ist uns
in Fragestunden hin und wieder aufgefallen, dass den
Staatssekretären manches nicht bekannt ist. Können Sie
der Kollegin Paus im Nachgang schriftlich mitteilen, ob
es tatsächlich keine Gespräche der Bundesregierung mit
anderen Staaten der Europäischen Union über eine
Nachfolgeregelung gegeben hat? Können Sie, falls, wie
es die Kollegin in ihrer Frage formuliert, „bereits Absprachen mit anderen europäischen Staaten getroffen“
wurden, schriftlich mitteilen, welche Gespräche dazu
mit welchem Staat, bei welcher Gelegenheit und mit
welchem Ergebnis geführt wurden?
Herr Kollege Beck, ich glaube, dass die Bundesregierung in umfassender Art und Weise auf die Frage geantwortet hat. Ich will mich selbstverständlich gerne bemühen, der Kollegin Paus in schriftlicher Form ergänzende
Hinweise zu geben.
({0})
- Wahrheitsgemäß und umfassend. Im Übrigen können
Sie mich alles fragen, was Sie wollen; ich freue mich jederzeit, Sie zu sehen und zu sprechen.
({1})
Danke schön, Herr Staatssekretär. - Die Frage 7 des
Abgeordneten Günter Gloser wird schriftlich beantwortet.
Damit kommen wir zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie. Zur
Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär
Ernst Burgbacher zur Verfügung.
Wir kommen zur Frage 8 des Kollegen Hans-Joachim
Hacker:
Beabsichtigt die Bundesregierung nach dem Urteil des
Oberverwaltungsgerichts Greifswald über die Aufhebung der
„Bäderregelung“ zur Sonntags-Ladenöffnung in Mecklenburg-Vorpommern ein konzertiertes Vorgehen mit den Ländern, um im Interesse der Tourismusbranche und der Beschäftigten dauerhafte gerichtsfeste Regelungen zu schaffen?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Sehr geehrter Herr Kollege Hacker, mit dem Inkrafttreten der Föderalismusreform zum 1. September 2006
haben die Länder die ausschließliche Gesetzgebungskompetenz für das Ladenschlussrecht erhalten. Die Länder können daher jetzt die gesetzlichen Ladenöffnungszeiten in eigener Zuständigkeit regeln. Dies umfasst
auch die Frage der Sonntagsöffnungen. Die Länder und
Kommunen können unter Berücksichtigung des vom
Bundesverfassungsgericht mit seiner Entscheidung vom
1. Dezember 2009 gesetzten Rahmens in eigener Verantwortung entscheiden, wie sie das gesetzliche Schutzkonzept zur Gewährleistung der Sonn- und Feiertagsruhe
erfüllen. Der Bund hält es für richtig, diesen Handlungsspielraum in vollem Umfang bei den Ländern zu belassen.
Herr Kollege, haben Sie eine Nachfrage?
Ja.
Bitte schön.
Vielen Dank. - Sehr geehrter Herr Burgbacher, die
verfassungsrechtlichen Grundlagen waren mir natürlich
bekannt, als ich die Frage stellte.
({0})
Meine Frage richtete sich eigentlich darauf, ob die Bundesregierung im Sinne des Mittelstandes, der gerade für
den Bereich der Tourismuswirtschaft prägend ist, einen
Aktionsplan entwickeln könnte. Vor dem Hintergrund eines sich breitmachenden Wettbewerbsföderalismus in
der Tourismusbranche leite ich daraus folgende Frage
ab: Wie will die Bundesregierung darauf Einfluss
nehmen, dass es bei Fortbestehen unterschiedlicher Regelungen zu den Sonntags-Ladenöffnungszeiten, der sogenannten Bäderregelung, zu keinen weiteren Wettbewerbsverzerrungen zwischen den Ländern kommt, unter
denen insbesondere kleinere Gewerbetreibende zu leiden
hätten?
Ich stelle die Frage, weil die Bundesregierung in der
Vergangenheit und auch gegenwärtig in anderen Bereichen eine Koordinierungsfunktion übernommen hat. Ich
nenne nur das Thema DZT, wo klare verfassungsrechtliche Regelungen bestehen, aber trotzdem seitens der
Bundesregierung Handlungsbedarf gesehen wird. Herr
Staatssekretär, ein solcher Handlungsbedarf müsste doch
eigentlich auch hier bestehen.
Sehr geehrter Herr Kollege Hacker, bei der DZT liegt
der Sachverhalt anders. Dort wurde versucht, ein gemeinsames Marketing der Länder einzuführen, das von
den Ländern getragen wird. Dies wurde damals eingerichtet. Die Regelung der von Ihnen angesprochenen
Frage basiert auf der Föderalismusreform. In diesem
Hause bestand breiter Konsens darüber, hier zu mehr
Wettbewerb zu kommen. Das Recht zur Regelung der
Öffnungszeiten wurde ausdrücklich den Ländern übergeben. Deshalb müssen die Länder dies regeln.
Sie beklagen, dass hier ein Wettbewerb besteht, unter
dem kleine und mittlere Unternehmen leiden. Wenn Sie
daran etwas ändern wollen, müssen Sie auf die Landesregierung zugehen; entsprechende Regelungen müssen
in den Ländern getroffen werden. Der Bund hält es für
falsch, hier von sich aus Vorgaben zu machen.
Eine weitere Nachfrage? - Das ist nicht der Fall.
Die Fragen 9 und 10 des Kollegen Heinz Paula werden schriftlich beantwortet.
Wir kommen zur Frage 11 des Kollegen Manfred
Nink:
Welche Vorschläge und Konzepte hat die Bundesregierung
hinsichtlich einer stärkeren Koordinierung und Steuerung der
Wirtschaftspolitik zur Umsetzung der vom Europäischen Rat
in der neuen Strategie für die Europäische Union beschlossenen Leitziele, und wann beabsichtigt sie, mit der Umsetzung
ihres Konzeptes zu beginnen?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Herr Kollege Nink, die Antwort auf die Frage 11 lautet: Die Bundesregierung hat sich bereits seit Beginn des
Diskussionsprozesses zur Lissabon-Nachfolgestrategie
für eine stärkere Rolle des Europäischen Rates zur stärkeren Koordinierung und Steuerung der Wirtschaftspolitik eingesetzt. Dazu liegt eine entsprechende Beschlussfassung - Sie kennen sie sicher - des Europäischen
Rates vom 25./26. März dieses Jahres vor.
Die Bundesregierung wird bei den anstehenden
Treffen des Europäischen Rates - das nächste findet am
17./18. Juni 2010 statt - ihren Beitrag zur Ausfüllung
der dem Europäischen Rat zugewiesenen wichtigen
Rolle leisten. Die Bundesregierung hält es darüber
hinaus für dringlich, Gewicht und die politische Sichtbarkeit der Überwachung von strukturpolitischen Fehlentwicklungen durch ein eigenständiges Verfahren zu
erhöhen. Die EU-Kommission hat hierzu in ihrer Mitteilung vom 12. Mai 2010 erste Vorschläge gemacht. Sie
werden intensiv zu diskutieren und weiter auszubauen
sein. Wir haben schon in der Debatte am Freitag und
auch heute wieder erlebt, dass wir über genau diese
Dinge sehr intensiv diskutieren.
Herr Kollege, bitte schön.
Herr Staatssekretär, ich habe noch eine Nachfrage.
Wie sehen Sie die zukünftige Beteiligung des Parlamentes an der Meinungsfindung und an der Umsetzung der
Ziele?
Wir müssen zwei Ebenen unterscheiden. Selbstverständlich muss der deutsche Bundestag in alle Schritte
weiter eingebunden werden. Wir wollen keine europäische Wirtschaftspolitik mit Kompetenzen bei der EU,
sondern wir wollen, wie ich das ausgeführt habe, eine
stärkere Koordinierung, teilweise auch Steuerung.
Selbstverständlich aber bleibt Wirtschaftspolitik mit allen Rechten und Pflichten des Parlaments in nationaler
Kompetenz. Eine ganz andere Frage, über die wir heute
aber nicht reden, ist natürlich die Beteiligung des Europäischen Parlaments.
Wir kommen zur Frage 12 des Kollegen Nink:
Welche Möglichkeiten sieht die Bundesregierung, die Mitgliedstaaten der EU zur Umsetzung der Leitziele zu bewegen,
und wie bewertet sie die von EU-Ratspräsident Herman Van
Rompuy vorgeschlagenen Sanktionsmaßnahmen bei Zielverfehlung bzw. Belohnungssysteme bei Zielerreichung?
Bitte schön.
Herr Kollege Nink, die Antwort auf diese Frage ist:
Die stärkere Rolle des Europäischen Rates zur stärkeren
Koordinierung und Steuerung zielt darauf ab, die erfolgreiche Umsetzung der Ziele der neuen Strategie zu
befördern. Die Bundesregierung hält sowohl Sanktionsmaßnahmen bei Zielverfehlungen als auch Belohnungs4164
systeme bei Erreichung der quantitativen Oberziele der
Strategie Europa 2020 für ungeeignet, da sie dem Charakter des partnerschaftlichen Dialoges zwischen den
Mitgliedstaaten und der Europäischen Kommission widersprechen.
Herr Kollege, bitte schön.
Sehen Sie keinen Widerspruch darin, dass wir jetzt
beim Schnüren des neuen Finanzpaketes doch Sanktionen verhängen wollen?
Herr Kollege, wir wollen Sanktionen dann verhängen,
wenn Länder den Stabilitäts- und Wachstumspakt verletzen. Wir arbeiten darauf hin, ihn eventuell neu zu formulieren. Das ist aber etwas anderes als die Strategie 2020,
bei der wir erst dabei sind, quantitative Ziele zu formulieren.
Es geht zum Beispiel darum, welchen Prozentsatz die
Bildungsausgaben am Haushalt ausmachen oder wie
hoch der Beschäftigungsgrad der Personen zwischen 20
und 65 Jahren sein muss. Hierbei können Sie schlecht
mit Sanktionen oder Belohnungen arbeiten. Das wäre
ein Stück weit Aufgabe unserer Politik und widerspräche, wie gesagt, dem partnerschaftlichen Ansatz, den wir
in der Union verfolgen.
({0})
Eine weitere Nachfrage?
Nein, danke.
Das ist nicht der Fall.
Die Frage 13 des Kollegen Michael Groß und die
Frage 14 der Kollegin Katja Keul werden schriftlich beantwortet.
Ich rufe die Frage 15 der Kollegin Doris Barnett auf:
In welchem Rahmen plant die Bundesregierung bezüglich
des gerade eingeführten Gesetzes über das Verfahren des elektronischen Entgeltnachweises, ELENA, kleine und mittelständische Unternehmen, KMU, zu bevorzugen und von der Meldeverpflichtung zu entbinden, und welche Auswirkungen
hätte das Herauslösen von KMU aus dem ELENA-Verfahren
auf das System insgesamt?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Frau Kollegin Barnett, ich beantworte die Frage 15
wie folgt: Die Bundesregierung wird eine mögliche Belastung von Kleinst- und Kleinunternehmen durch das
ELENA-Verfahren sowie gegebenenfalls geeignete
Maßnahmen zur Abhilfe prüfen. Die rechtlichen und
faktischen Prüfungen, insbesondere der Auswirkungen
auf das Gesamtverfahren, sind hierzu noch nicht abgeschlossen. Ich bitte Sie um Verständnis, dass ich das Ergebnis der Prüfung nicht vorwegnehmen kann, zumal an
dem Verfahren drei Häuser beteiligt sind und es dadurch
ein Stück komplizierter ist.
Nachfrage? - Bitte.
Bedenken Sie bei Ihren Prüfungen, dass die Datenübertragung an die anderen sozialen Sicherungssysteme
bis hin zur Finanzverwaltung möglicherweise ebenfalls
betroffen sein könnte? Wären sie ebenfalls aus dem Verfahren herausgelöst, dann müsste das finanziell in irgendeiner Weise abgegolten werden, weil die Daten benötigt werden.
Frau Kollegin, wir sprechen ausschließlich über das
ELENA-Verfahren. Wir haben das schon immer isoliert,
also ausdrücklich von anderen Verfahren losgelöst,
durchgeführt. Das scheint mir auch unter datenschutzrechtlichen Bestimmung sehr wichtig zu sein. Wir übertragen Daten an eine zentrale Speichereinheit zur Erstellung der Nachweise. Darum geht es.
Wir wissen - im Ausschuss haben wir das mehrfach
diskutiert -, dass es im Augenblick gerade bei kleinen
und mittleren Unternehmen große Probleme gibt. Wir
beide bekommen wahrscheinlich eine Menge Briefe zu
diesem Thema. Wir prüfen zusammen mit den anderen
beteiligten Häusern - BMJ, BMAS und BMI -, ob es
weitere Möglichkeiten gibt. Wir befinden uns noch in
der Prüfung.
Ich habe noch eine Verständnisfrage. Sie haben gesagt, dass Sie ELENA auf mögliche datenschutzrechtliche Probleme prüfen. Habe ich Sie richtig verstanden,
dass Sie das hingegen nicht prüfen, wenn es um die Massenübermittlung von Daten an die sozialen Sicherungssysteme und an das Finanzamt geht?
Nein, wir haben nicht über das Datenschutzrecht, sondern ich habe über das System ELENA gesprochen. Darüber diskutieren wir. Wir prüfen, ob man kleine und
mittlere Unternehmen von der Übermittlung von Daten
an die zentrale Speicherstelle ausnehmen kann.
Es gibt eine Nachfrage der Kollegin Zypries. Bitte
schön.
Herr Burgbacher, mich würde interessieren, was genau Sie in diesem Zusammenhang prüfen. Mir scheint es
so zu sein, dass es vor allen Dingen einer politischen
Entscheidung bedarf, ob man kleine und mittlere Unternehmen von der Meldepflicht entbindet.
Frau Kollegin Zypries, Sie wissen sicherlich, dass es
aufgrund des Urteils des Bundesverfassungsgerichts eine
juristische Bewertung hinsichtlich des Datenschutzes geben muss. Wir prüfen ernsthafte Einwendungen verschiedener Unternehmen, die darauf aufmerksam gemacht haben, dass sie mit der derzeitigen Regelung nicht
klarkommen. Sie müssen beachten, dass die Übermittlung für große Unternehmen in der Regel kein Problem
ist, weil sie die Software haben, um die Daten per
Knopfdruck zu übermitteln. Aber viele kleine und mittlere Unternehmen teilen uns mit, dass die Übermittlung
der Daten ein hoher Kostenfaktor für sie ist, weil sie es
selbst nicht machen können, sondern einen Steuerberater
einschalten müssen. Ihre Kosten steigen deshalb.
Ich als Mittelstandsbeauftragter der Bundesregierung
nehme das besonders ernst. Wir prüfen, wie sich das auf
das gesamte System auswirken würde. Das kann man
nicht ohne Weiteres vorhersehen. Ich kann Ihnen so viel
sagen: Ich habe mit meinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern darüber gesprochen, dass es einige Probleme
gibt. Ich bitte Sie um Verständnis; denn es macht nicht
viel Sinn, während eines Prüfungsprozesses Zwischenergebnisse herauszugeben, die es im Übrigen auch noch
nicht gibt.
Gibt es einen Zeithorizont?
Das Gesetz ist zum 1. Januar in Kraft getreten. Daten
werden bereits übermittelt. Das alles wurde vor unserer
Zeit verabschiedet. Zum Thema Bürokratieabbau muss
man deutlich sagen: Bei kleineren Unternehmen zeigt
sich keine entsprechende Wirkung. Wir werden das Herauslösen von KMU so schnell wie möglich prüfen, aber
der Vorgang muss mit weiteren Häusern abgestimmt
werden.
Ich rufe die Frage 16 der Kollegin Barnett auf:
Welcher datenschutzrechtlichen Vorkehrungen bedarf es
hinsichtlich der Übertragung und Verwaltung von Arbeitnehmerdaten an Dritte, die die Datenverwaltung für den Arbeitgeber übernommen haben - zum Beispiel Steuerbüros -, und
in welchem Umfang können Arbeitnehmer eine Dateneinsicht
dort vornehmen?
Der Arbeitgeber hat bei der Übermittlung von Arbeitnehmerdaten an Dritte, zum Beispiel - ich habe es eben
ausgeführt - an seinen Steuerberater, unterschiedliche
datenschutzrechtliche Anforderungen zu erfüllen. Sofern
im konkreten Einzelfall keine bereichsspezifischen Datenschutzvorschriften anzuwenden sind, kommen die
Anforderungen des Bundesdatenschutzgesetzes zur Anwendung. Ich möchte an dieser Stelle noch einmal darauf hinweisen, dass es sich hierbei um keine spezifisch
das ELENA-Verfahren betreffende Datenübermittlung
handelt.
Ihre Nachfrage, bitte.
Aber Sie geben mir doch Recht, Herr Staatssekretär,
dass die Daten, die an ELENA übermittelt werden, die
gleichen sind wie die, die an die Steuerberaterbüros
übermittelt werden, die dann die Daten wieder herausrücken müssen?
Darüber hinaus haben Sie noch nicht die Frage beantwortet, wie die Arbeitnehmer, anders als bei ELENA,
wenn die Daten einmal abgespeichert sind, Einsicht nehmen können, was alles beim Steuerberater abgespeichert
ist.
Frau Kollegin Barnett, in Ihrer Frage liegt eigentlich
schon ein Teil der Antwort. Dadurch, dass die kleinen
Unternehmen Daten an den Steuerberater geben, der
diese aufarbeitet, wird deutlich, dass dies andere Daten
mit einem anderen Informationsgehalt sind. Es sind ja
nicht diese Daten, die weitergeleitet werden, sondern die
vom Steuerberater aufgearbeiteten werden an ELENA
weitergeleitet. Deshalb macht es keinen Sinn, das zu
übertragen.
Wir haben - eigentlich müsste man sagen: Sie
haben - für ELENA ein sehr striktes Datenregime beschlossen. Für alle anderen Datenübertragungen gibt es
das Bundesdatenschutzgesetz mit all seinen Auswirkungen. Wenn es da Bereiche gibt, mit denen Sie nicht einverstanden sind, dann müssen die ganz konkret benannt
und dann muss das Bundesdatenschutzgesetz geändert
werden.
Eine weitere Nachfrage.
Die Frage bezüglich der Arbeitnehmer haben Sie immer noch nicht beantwortet.
Ich glaube, ab 1. Januar 2012 - das kann ich Ihnen
aber gerne noch genauer sagen - hat der Arbeitnehmer
im Rahmen von ELENA das Recht, auf seine Daten zuzugreifen. Was die anderen Datenübermittlungen angeht,
so gilt das Bundesdatenschutzgesetz, nicht das strengere
Regime von ELENA.
Es gibt keine weiteren Nachfragen dazu.
Dann kommen wir zur Frage 17 des Kollegen Garrelt
Duin:
Sind Medienberichte zutreffend, dass bis Ende April 2010
mehr als 206 Millionen Euro für rund 75 000 Prämienberechtigte der Umweltprämie noch nicht ausgezahlt worden sind,
obwohl der Fördertopf seit September 2009 leer ist, und wie
will die Bundesregierung eine ordnungsgemäße Abwicklung
im Hinblick auf die Vorgabe der entsprechenden Richtlinie,
dass die Frist für die Einreichung der vollständigen Unterlagen am 31. Juli 2010 endet, sicherstellen?
Herr Kollege Duin, Sie bezweifeln, dass das Geld
reicht, um die Umweltprämie komplett auszuzahlen. Die
Antwort: Medienberichte sind zutreffend, wonach das
Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle zum
7. Mai 2010 gut 1,92 Millionen Anträge auf Erhalt einer
Umweltprämie bearbeitet und die Prämie ausgezahlt hat.
Ein Großteil dieser Anträge wurde nach dem zuletzt gültigen zweistufigen Reservierungsverfahren administriert.
Hierbei haben Antragsteller ab Erhalt der Reservierungszusage eine neunmonatige Frist für die Zulassung des
Neufahrzeugs und die Verschrottung des Altfahrzeugs.
Seit 3. September 2009 nimmt das Bundesamt für
Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle keine neuen Anträge
auf Erhalt einer Umweltprämie mehr entgegen, weil alle
Finanzmittel für zuvor beantragte Umweltprämien gebunden sind. Fahrzeuge müssen spätestens bis zum
30. Juni 2010 zugelassen werden. Die Frist für die Einreichung der vollständigen Unterlagen endet am 31. Juli
2010. Auszahlungszeitpunkt und Ende der gesamten
Maßnahme hängen nunmehr wesentlich vom Rücklauf
der Reservierungen und damit dem Verhalten der Antragsteller, den Lieferfristen der Hersteller und Ähnlichem ab. Dem BAFA liegt somit der korrekte Umfang
gebundener Finanzmittel vor, um die verbleibende Anzahl von unter 80 000 Antragstellern fristgerecht bis spätestens 31. Juli 2010 zu bedienen.
Nachfrage bitte.
Vom Verständnis her, Herr Staatssekretär: Wir können
also davon ausgehen, es liegt nicht daran, dass es beim
BAFA sozusagen eine Überlastung gibt, sondern dass
dort alles seinen geregelten bürokratischen Gang läuft?
Es läuft alles seinen geregelten Gang.
Gut.
Haben Sie Erkenntnisse darüber, dass eines der Probleme darin besteht, dass die Verwertung des Altautos
nicht nachgewiesen wird, wenn zum Beispiel Unterlagen
nicht vollständig eingereicht worden sind? Oder ist der
Grund dafür, dass es zu dieser Verzögerung kommt, in
der Tat nur der Lieferzeitpunkt der bestellten Neufahrzeuge?
Herr Kollege Duin, nach meinen augenblicklichen Informationen ist tatsächlich der Lieferzeitpunkt der neuen
Autos das Problem. Aber es ist selbstverständlich gewährleistet, dass bei allen genehmigten Anträgen eine
Auszahlung erfolgt.
({0})
Die Frage 18 der Kollegin Sylvia Kotting-Uhl wird
schriftlich beantwortet.
Wir kommen damit zur Frage 19 der Kollegin Sevim
Dağdelen:
Inwieweit trifft es nach Kenntnis der Bundesregierung zu,
dass die European Free Trade Association - europäische Freihandelszone, EFTA - im Gegensatz zur EU erneut klargestellt
hat, dass Produkte aus den besetzten Gebieten der Westsahara
nicht unter das Freihandelsabkommen zwischen der EFTA
und Marokko fallen, www.wsrw.org, und inwieweit wird sich
die Bundesregierung für eine entsprechende Klarstellung in
den Verhandlungen über eine mögliche Verlängerung des laufenden Fischereipartnerschaftsabkommens zwischen der EU
und dem Königreich Marokko einsetzen?
Liebe Kollegin Dağdelen, Deutschland ist nicht Mitglied der europäischen Freihandelszone. Daher sind solche Klarstellungen in Verträgen, die die EFTA abschließt, hier nicht bekannt.
Zur Frage einer entsprechenden Klarstellung im Zusammenhang mit möglichen Verhandlungen über eine
Verlängerung des Fischereiabkommens der EU mit
Marokko ist darauf hinzuweisen, dass Handelsfragen
nicht Gegenstand des Fischereipartnerschaftsabkommens sind. Außerdem gilt das bestehende Fischereiabkommen bis zum 27. Februar 2011 und verlängert sich
automatisch um vier Jahre, wenn es nicht vorher gekündigt wird. Es bezieht sich auf das Gebiet Marokkos und
die Gebiete unter der Gerichtsbarkeit Marokkos. Es enthält keine Definition des Rechtsstatus der Meeresgewässer der Westsahara und greift einer Festlegung des Status
somit nicht vor.
Darüber hinaus verweise ich auf die Antwort der
Bundesregierung, übermittelt am 22. April dieses Jahres,
auf die Kleine Anfrage, die Sie und Kolleginnen und Kollegen Ihrer Fraktion auf Bundestagsdrucksache 17/1329 gestellt haben.
Nachfrage? - Bitte schön.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Ich habe natürlich ein
paar Nachfragen. Sie sagten, dass die Handelsfragen
nicht Bestandteil des Fischereiabkommens sind. Es geht
doch hier um Folgendes: Marokko plündert seit Jahren
die fischreichen Fanggründe vor der Westsahara. Nicht
nur die European Free Trade Association ist der Auffassung, dass die Produkte aus den besetzten Gebieten der
Westsahara nicht unter dieses Freihandelsabkommen fallen, das als Begründung für das Fischereiabkommen herangezogen wird, sondern auch der UNO-Rechtsberater
Hans Corell hat festgestellt, dass dieses Fischereiabkommen eigentlich rechtswidrig ist.
Meine Frage ist: Es geht bei diesem Fischereiabkommen darum, dass jegliche Nutzung von Ressourcen im
Einverständnis mit dem Volk der Westsahara und zu dessen Nutzen erfolgen muss. Das Einverständnis hat die
Polisario bisher nicht gegeben. Inwieweit sieht die Bundesregierung hier einen Nutzen für die Bevölkerung im
völkerrechtswidrig besetzten Teil der Westsahara? Teilt
sie sozusagen die Auffassung der Marokkanerinnen und
Marokkaner, dass es hier einen Nutzen gibt und damit
eine Verlängerung dieses Fischereiabkommens ab Februar 2011 eine Option darstellt?
Frau Kollegin Dağdelen, in der Kleinen Anfrage, die
ich erwähnt haben, haben Sie dieselben Fragen gestellt.
Diese wurden ausführlich beantwortet. Wir alle hoffen,
dass es eine Lösung des Westsahara-Konfliktes geben
wird. In der Antwort wurde auch geschrieben, dass in
dem Gutachten des Europäischen Parlaments die Auffassung vertreten wird, dass Aktivitäten zur Ausbeutung
natürlicher Ressourcen in Gebieten ohne Selbstregierung
nur dann im Einklang mit dem Völkerrecht stehen, wenn
diese Aktivitäten zum Wohle der Einwohner dieser Gebiete führen oder in Konsultationen mit ihren Vertretern
unternommen werden. In diesem Zusammenhang haben
wir eine Antwort der Europäischen Kommission auf die
Frage der Abgeordneten des Europäischen Parlaments
Isabella Lövin zitiert, in der steht, dass dies der Fall ist.
Sie haben ausführliche Antworten bekommen. Wir
sind mit allen Stellen ständig im Gespräch. Die Europäische Union ist im Gespräch. Das Abkommen gilt, wie
ich Ihnen gesagt habe, bis 2011.
Haben Sie eine weitere Nachfrage?
Ja, das habe ich. - Sie erklärten in den Antworten auf
meine Kleine Anfrage, die im Gegensatz zu Ihrer Behauptung meiner Ansicht nach völlig unzureichend sind,
dass Deutschland und die EU darauf achten, dass die unveräußerlichen Rechte der Völker der Gebiete ohne
Selbstregierung auf ihre natürlichen Ressourcen durch
die Abkommen gesichert und garantiert sind. Deshalb
möchte ich Sie jetzt fragen: Haben Sie zur Kenntnis genommen, dass der Juristische Dienst des Europaparlaments dem widersprochen hat und die Auffassung vertritt, dass die unveräußerlichen Rechte der Völker der
Gebiete ohne Selbstregierung, also der Sahrauis, nicht
garantiert werden, dass sie missachtet werden? Nehmen
Sie das zur Kenntnis, und was ist die Schlussfolgerung
der Bundesregierung?
Frau Dağdelen, ich nehme das so nicht zur Kenntnis,
sondern bitte Sie, zur Kenntnis zu nehmen, dass in der
Antwort auf Ihre Kleine Anfrage deutlich wird, worauf
das basiert; Sie haben das ja gelesen. Sie greifen jetzt einen Punkt heraus. Ich habe Ihnen gegenteilige Äußerungen gerade schon genannt.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales. Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär Ralf
Brauksiepe zur Verfügung.
Die Fragen 20 und 21 der Kollegin Silvia Schmidt
werden schriftlich beantwortet.
Ich rufe die Frage 22 des Kollegen Markus Kurth auf:
Inwiefern erkennt die Bundesregierung an, dass die Situation von Frauen mit Behinderungen auf dem Arbeitsmarkt im
Vergleich zur Situation von Männern mit Behinderungen - sowohl bezüglich der Arbeitslosen- als auch bezüglich der Erwerbsquote - schlechter ist, und inwiefern widerspricht die
Bundesregierung den Informationen der Bundesagentur für
Arbeit, BA, die ebendiesen Umstand verneint ({0})?
Bitte schön.
Vielen Dank. - Herr Kollege Kurth, ich beantworte
Ihre Frage wie folgt: Die aktuellsten verfügbaren Daten
zur Erwerbsquote von Menschen mit Behinderungen ergeben sich aus den Erhebungen des Mikrozensus 2005.
Danach liegt, bezogen auf die Altersgruppe der 15- bis
65-Jährigen, die Erwerbsquote der Frauen mit Behinderungen bei 45,9 Prozent. Die vergleichbare Erwerbsquote der Männer mit Behinderungen liegt bei
53,3 Prozent. Dies spiegelt im Wesentlichen die generelle geschlechterungleiche Verteilung zur Erwerbstätigkeit wider. Bei nichtbehinderten Menschen liegt die vergleichbare Erwerbsquote der Frauen nach den Daten des
Mikrozensus 2005 bei 68,6 Prozent und die Erwerbsquote der Männer bei 83,2 Prozent. Setzt man die geschlechtsspezifischen Quoten zueinander in Relation, so
fällt die Erwerbsquote von Frauen mit Behinderungen
gegenüber der von Männern mit Behinderungen weniger
stark ab, als dies bei den Nichtbehinderten der Fall ist.
Sie erreicht bei Frauen mit Behinderungen eine Größe
von 86,1 Prozent der Erwerbsquote der männlichen Bezugsgruppe. Bei Nichtbehinderten liegt der Wert bei
82,5 Prozent.
Zur Arbeitslosenquote von Frauen mit Behinderungen ist festzustellen, dass nach den aktuellen Daten der
Bundesagentur für Arbeit schwerbehinderte Frauen im
April 2010 einen Anteil von 39,9 Prozent an allen
schwerbehinderten Arbeitslosen ausmachten. Das entSevim DaðdelenSevim Dağdelen
spricht nach den Daten des Mikrozensus 2005 dem Anteil weiblicher Erwerbspersonen mit Behinderungen an
allen Erwerbspersonen zwischen 15 und 65 Jahren mit
Behinderungen.
Nach diesem Datenvergleich ergibt sich für Frauen
mit Behinderungen eine gleiche Betroffenheit von Arbeitslosigkeit wie für Männer mit Behinderungen unter
Berücksichtigung der jeweiligen Erwerbsbeteiligung.
Eine strukturell schlechtere Situation im Vergleich zu
Männern besteht insoweit nicht.
Bitte schön, Herr Kollege Kurth.
Sind der Bundesregierung denn auch neuere Zahlen
als die aus dem Mikrozensus 2005 bekannt? Und wie bewertet die Bundesregierung die Aussage der Bundesagentur für Arbeit? Ich habe Sie ja auch diesbezüglich
nach Ihrer Einschätzung gefragt.
Herr Kollege Kurth, ich habe darauf hingewiesen,
dass ich Ihnen die aktuellsten verfügbaren Daten vorgetragen habe. Anhand dieser Daten habe ich deutlich gemacht, dass die Bundesregierung Ihre Darstellung der
Situation - Sie weisen darauf hin, dass ein Widerspruch
zu den Daten der Bundesagentur für Arbeit besteht nicht teilt. Von daher gibt es auch keinen Widerspruch
zwischen der Position der Bundesregierung und dem,
was die Bundesagentur für Arbeit an Informationen herausgegeben hat.
Eine weitere Frage? - Das ist nicht der Fall.
Dann kommen wir zur nächsten Frage, zur Frage 23
des Kollegen Kurth:
Inwiefern sieht die Bundesregierung durch Art. 6 in Verbindung mit Art. 31 der UN-Behindertenrechtskonvention
eine Chance, die geschlechtsspezifische Differenzierung der
Statistikdaten nicht mehr als unnötige Bürokratie ({0}), sondern als Umsetzung der Konvention in nationales Recht zu betrachten, und
inwiefern wird die Bundesregierung darauf hinwirken, dass
die monatliche geschlechtsspezifische Arbeitslosenzahl
schwerbehinderter Menschen, die von der BA erhoben wird
({1}), auch im
aktuellen monatlichen Arbeitsmarktbericht der BA Niederschlag findet?
Herr Kollege Kurth, ich antworte Ihnen wie folgt: Die
derzeit von der Bundesagentur für Arbeit erhobenen Daten zur Arbeitsmarktsituation schwerbehinderter Menschen bieten eine differenzierte, geschlechtsspezifische
Datenbasis zur beruflichen Lage der Betroffenen und
eine gute Informationsgrundlage für Maßnahmen zur
Verbesserung der Teilhabe schwerbehinderter Menschen am Arbeitsleben. Damit wird auch den Forderungen aus Art. 6 und Art. 31 der UN-Behindertenrechtskonvention entsprochen.
Unabhängig davon wird die Bundesregierung bei der
Entwicklung des Nationalen Aktionsplans und unter
Einbeziehung der Verbände von Behinderten und für behinderte Menschen prüfen, welche Maßnahmen zu einer
weitergehenden, noch umfassenderen Umsetzung der
Art. 6 und 31 der UN-Behindertenrechtskonvention ergriffen werden können.
Die Bundesagentur für Arbeit berichtet monatlich
über die Arbeitslosigkeit von schwerbehinderten Menschen in verschiedenen Berichten und Statistikheften.
Der monatliche Bericht über den Arbeits- und Ausbildungsmarkt in Deutschland orientiert sich an dem Berichtsziel, die allgemeine Entwicklung des Arbeits- und
Ausbildungsmarktes darzustellen. Gruppenspezifische
Analysen und Daten zur Arbeitsmarktlage werden in ergänzenden Berichten und Statistikheften angeboten. Angaben zu schwerbehinderten Arbeitslosen nach Geschlecht finden sich zum Beispiel in dem Statistikheft
„Frauen und Männer“, das monatlich für das Bundesgebiet, für die Länder und die Kreise im Internet angeboten
wird.
Bitte schön.
Hält die Bundesregierung es für notwendig, geschlechtsspezifische Daten, etwa zum Zugang zu Arbeitsmarktinstrumenten, zu erfassen?
In der Anhörung zum Bericht der Bundesregierung
zur Lage der Menschen mit Behinderungen in Deutschland hat eine Sachverständige festgestellt, dass Frauen
mit Behinderung weitaus seltener Zugang zu hochwertigen Qualifizierungen haben und auch beim Zugang zu
anderen Instrumenten der aktiven Arbeitsmarktpolitik
gegenüber Männern benachteiligt sind. Diesen gesamten
Komplex greift auch die UN-Behindertenrechtskonvention auf.
Insofern frage ich: Besteht nicht das Interesse der
Bundesregierung, diese Zusammenhänge durch eine entsprechende statistische Erfassung besser zu beleuchten,
auch um im Sinne von Good Governance bessere Maßnahmen ergreifen zu können?
Herr Kollege Kurth, ich habe darauf hingewiesen,
dass geschlechtsspezifische Daten sehr wohl erhoben
und auch veröffentlicht werden. Sie wissen, dass wir
- unter Beteiligung aller zuständigen Verbände - mit der
Erstellung des Nationalen Aktionsplanes beschäftigt
sind. In diesem Zusammenhang wird zu prüfen sein, ob
die statistische Berichterstattung noch umfassender sein
sollte. Den Ergebnissen dieses Abstimmungsprozesses
kann und will ich an dieser Stelle nicht vorgreifen.
Eine Nachfrage.
Wann könnte eine solche Prüfung abgeschlossen sein,
bzw. wann erwartet die Bundesregierung Ergebnisse?
Der Abstimmungsprozess zum Nationalen Aktionsplan soll im Herbst dieses Jahres stattfinden. Entsprechend ist mit Ergebnissen zu rechnen.
Danke schön.
Die Frage 24 der Kollegin Pothmer wird schriftlich
beantwortet, ebenso die Fragen 25 und 26 der Kollegin
Zimmermann.
Wir sind damit beim Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz. Auch die beiden Fragen der Kollegin
Ulrike Höfken - Frage 27 und 28 - werden schriftlich
beantwortet.
Damit sind wir beim Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Verteidigung. Zur Beantwortung steht
der Parlamentarische Staatssekretär Christian Schmidt
zur Verfügung.
Wir kommen zur Frage 29 der Kollegin Katja Keul:
Warum sieht sich die Bundesregierung erst jetzt und nicht
direkt nach dem Luftschlag vom 4. September 2009 dazu in
der Lage, dessen Opfer und Verletzte gemeinsam mit einer
Versammlung der Dorfältesten zu identifizieren, um im Anschluss deren Angehörige zu entschädigen ({0})?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Frau Kollegin Keul,
ich beantworte Ihre Frage wie folgt: Die Bundesregierung hat nie einen Zweifel daran gelassen, aus Anlass
des Luftangriffs der NATO vom 4. September 2009
schnell und unbürokratisch zu helfen.
In Abstimmung mit den örtlichen afghanischen Autoritäten gliedern sich die rechtlich freiwilligen Unterstützungsleistungen in zwei Stufen, und zwar in eine bereits
im Februar 2010 geleistete Wintersoforthilfe und sodann
in mittel- und langfristige Maßnahmen. Da sich Wiederaufbau- und Entwicklungsprojekte in der Region derzeit
aufgrund der Sicherheitslage nicht zügig umsetzen lassen, wird Opfern und Hinterbliebenen flankierend durch
landestypische Geld- und Sachleistungen geholfen.
Nach unseren Informationen sind bereits vor einiger Zeit
von afghanischer Seite Entschädigungsleistungen an
Einzelpersonen - nach unserer Kenntnis allerdings nicht
an die gesamte Zahl der möglicherweise Betroffenen geleistet worden. Die Einbindung der örtlichen Autoritäten und unabhängiger afghanischer Organisationen stellt
sicher, dass die flankierenden Leistungen in die richtigen
Hände kommen und nicht zu Unfrieden führen.
Bei der Feststellung des Kreises der Betroffenen, die
unsere Leistungen in Anspruch nehmen wollen, ist es zu
unterschiedlichen Daten gekommen; dies hat sich im
Laufe der letzten Monate von einer bloßen Vermutung
zu einer Vermutung mit hoher Wahrscheinlichkeit entwickelt. Das hat uns dazu veranlasst, in der von Ihnen in
der Frage angesprochenen Schura eine Identifizierung
sowohl der Maßnahmen als auch der betroffenen Personen vorzunehmen.
Frau Kollegin, ich darf darauf hinweisen, dass wir
auch aus Kreisen des Parlaments in unseren Zweifeln, ob
wir über die Daten umfassend informiert wurden, bestärkt worden sind. Ich selbst hatte vor wenigen Wochen
die Möglichkeit, mit dem stellvertretenden Leiter des
unabhängigen afghanischen Komitees für Menschenrechte ein Gespräch zu führen, wodurch wir letztendlich
den Abgleich der Listen in dieser Schura vorbereiten
konnten. Diese Schura hat wiederum gezeigt, dass das
ein durchaus delikates und sehr schwieriges Unterfangen
ist. Man konnte den Eindruck haben, dass eine Parallelveranstaltung eines zeitweise mit der Vertretung einiger
der Betroffenen mandatierten Anwalts stattfinden sollte.
Nachdem diese Probleme gelöst werden konnten,
wurden, so glaube ich, in der Schura aufgrund der vereinbarten bzw. angekündigten Regelungen sowohl hinsichtlich der längerfristigen Leistungen als auch der individuellen Ex-gratia-Leistungen alle wesentlichen Fragen
beantwortet.
Nachfrage? - Bitte schön, Frau Kollegin.
Vielen Dank. - Herr Staatssekretär, nun ist es ja so,
dass die Betroffenen, die Opfer und die Angehörigen, in
den letzten neun Monaten von verschiedensten Seiten
- von afghanischen Stellen, von Nichtregierungsorganisationen und auch vom Roten Kreuz - immer wieder befragt worden sind. Verspricht sich die Bundesregierung
durch diese nochmalige Befragung nach über neun Monaten neue Erkenntnisse hinsichtlich der Identifizierung
der Toten und Verletzten?
Wir haben sehr viel Hilfe und Unterstützung bei der
Identifizierung sowohl der Toten und Verletzten als auch
ihrer Angehörigen und bei der Aufklärung der Hintergründe der Betroffenen erhalten. Allerdings wurde die
Identifizierung durch die Vielzahl der Informationen in
der Tat teilweise erschwert.
Ich sage nicht kritisierend, sondern feststellend und
eher beschreibend, dass wohl nicht alle Listen übereingestimmt haben. Deswegen war es unsere Intention, sowohl anhand der Listen des IKRK als auch anhand der
Listen des AIHRC, des unabhängigen Menschenrechtskomitees, eine Revision durchzuführen, wenn Sie so
wollen, um zu sehen, inwieweit wir zielgerichtet an die
richtigen Betroffenen herangetreten sind. Dabei ging es
uns vor allem um die Betroffenen, die bei den Intentionen, die mit der Zivilbevölkerung nichts zu tun haben,
nicht berücksichtigt wurden.
Vielen Dank. - Herr Staatssekretär, ich möchte Sie
abschließend fragen, ob Sie mir recht geben, dass es,
wenn diese Befragung seitens der Bundesregierung zeitnah nach dem Vorfall erfolgt wäre, möglicherweise einfacher gewesen wäre, zuverlässige Listen zu erstellen
und die Toten zu identifizieren.
Frau Kollegin, eine zeitnahe Entscheidung ist immer
die beste. Mir liegt aber doch daran, deutlich zu machen,
dass das kein schuldhaftes Versäumnis war.
Unter Bezugnahme - wenn Sie das gestatten - auf
Ihre und meine Profession als Anwalt sage ich, dass der
Umstand, dass anwaltliche Vertretungen mit eingeschaltet sind, nicht immer zu einer Beschleunigung von Entscheidungen führt; ich lasse diese allgemeine Beobachtung einmal so im Raume stehen.
Wir hatten auch mit Fragen zu kämpfen, die nicht unmittelbar mit der Identifizierung der Einzelnen zu tun
hatten.
Danke schön. - Eine Nachfrage der Kollegin Beck.
Herr Staatssekretär, es ist in dieser langen Arie immer
wieder hin- und hergegangen, ob die Betroffenen vor Ort
Geldleistungen oder Projekte begrüßen würden. Konnte
diese Frage in der Schura mit den Betroffenen und ihren
Vertretern geklärt werden?
Die Abstimmung über die geplanten Verfahren wird
in einer Fortsetzung der Schura am 22. Mai stattfinden.
Soweit es sich bisher abzeichnet, geht es dabei sowohl
um individuelle Ex-gratia-Zahlungen und -Leistungen
als auch um mittel- und langfristige Projekte, die dann in
der Bundesregierung unter Federführung des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung und des Auswärtigen Amtes angesiedelt
sein sollen. Beides soll das Ziel sein.
Wir legen nach all den Erfahrungen, die wir in den
letzten neun Monaten sammeln konnten, großen Wert
darauf, dass die lokalen afghanischen Autoritäten mit
einbezogen werden. Das ist auch Gegenstand der Beratungen in der Schura gewesen. Die individuellen Zahlungen werden allerdings auf Wunsch der Betroffenen
teilweise in direkter Abwicklung ohne Einschaltung afghanischer Autoritäten erfolgen.
Weitere Nachfrage.
Herr Staatssekretär, ich würde außerdem gerne wissen, ob es auch eine Kooperation mit IOM geben wird,
die familienbezogene Sachleistungen an betroffene Familien liefert.
Daran ist gedacht. Die IOM ist in die Schura mit einbezogen gewesen. Das halten wir für einen Weg, der
Zielsicherheit gewährleistet, damit die Leistungen auch
diejenigen erreichen, für die sie gedacht sind. Das ist ein
sehr großes Pfund, mit dem wir wuchern könnten und
sollten. Über die genaue Ausgestaltung ließe sich, wie
gesagt, erst nach dem 22. Mai berichten.
Herr Präsident, wenn es gestattet ist, möchte ich, ohne
eine Zusatzfrage zu beantworten, die Gelegenheit wahrnehmen, mich für das sehr intensive Engagement von
Frau Kollegin Beck in der Verfolgung dieser Angelegenheit, die uns in der Tat vor manche ungeahnten Schwierigkeiten gestellt hat, zu bedanken. Das ist eine dem
Haus, dem Parlament und der Bundesregierung und damit auch unserem Lande sehr förderliche Tätigkeit gewesen.
Herr Präsident, darf ich kurz antworten, dass ich zwar
nicht für dieses Lob in die Fragestunde gekommen bin,
mich aber trotzdem bedanke.
Das nehmen wir mit Fassung hin.
Damit ist dieser Geschäftsbereich beendet. Die
Frage 30 des Kollegen Kai Gehring wird schriftlich beantwortet.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend.
Die Frage 31 des Kollegen Kai Gehring, die Frage 32
der Kollegin Caren Marks, die Fragen 33 und 34 der
Kollegin Britta Haßelmann und die Frage 35 des Kollegen Christian Lange werden schriftlich beantwortet.
Damit kommen wir zu Frage 36 des Kollegen Ilja
Seifert:
Warum hat die Bundesregierung nicht dafür gesorgt, dass
mit der mit Bundesmitteln erfolgten Restaurierung sowjetischer Gedenkstätten in Berlin-Tiergarten und Berlin-Treptow
gleichzeitig Barrierefreiheit geschaffen wurde ({0}), und was wird
die Bundesregierung tun, um in diesen und gegebenenfalls
weiteren sowjetischen Gedenkstätten in Deutschland künftig
auch Menschen mit Behinderungen zu ermöglichen, den für
die Befreiung Deutschlands vom Faschismus gefallenen
Sowjetsoldaten zu gedenken?
Bitte schön, Herr Staatssekretär Kues.
Die Errichtung und Pflege von Gedenkstätten und
Denkmalen fallen in die Kulturhoheit der Bundesländer.
In Art. 18 des deutsch-sowjetischen Nachbarschaftsvertrages vom 9. November 1990 ist allerdings vereinbart
worden, dass die auf deutschem Boden errichteten
Denkmale, die den sowjetischen Opfern des Krieges und
der Gewaltherrschaft gewidmet sind, geachtet, erhalten
und gepflegt werden. Auch wenn das primär eine Aufgabe der Bundesländer ist, ist in diesem Fall wegen der
herausragenden Bedeutung dieser Ehrenmale in der
deutschen Hauptstadt der Bund für die bauliche Grundsanierung der Gedenkstätten Berlin-Treptow und BerlinTiergarten verantwortlich und hat hierfür auch Fördergelder zur Verfügung gestellt. Diese Baumaßnahmen
werden allerdings von Berlin nach Landesbaurecht und
unter Berücksichtigung der denkmalpflegerischen Aspekte geplant und durchgeführt. Darauf nimmt die Bundesregierung nicht unmittelbar Einfluss, auch nicht darauf, inwieweit die beiden hier in Rede stehenden
Denkmale für das Publikum zugänglich sind.
Ich sage Ihnen allerdings zu, Herr Kollege Seifert, dass
wir das zum Anlass nehmen werden, bei der nächsten
Bund-Länder-Besprechung zur Kriegsgräberfinanzierung
das Thema „Barrierefreiheit bei Kriegsgräbergedenkstätten und Ehrenmalen“ als eigenen Tagesordnungspunkt
vorzusehen.
Nachfrage? - Bitte, Kollege Seifert.
Herr Staatssekretär, erst einmal vielen Dank für die
Zusage. Ich würde mich freuen, wenn daraus auch
Schlussfolgerungen gezogen würden.
Ich danke Ihnen übrigens besonders dafür, dass Sie
im Namen der Bundesregierung antworten. Ich habe
nämlich vermutet, dass das Thema in den Geschäftsbereich des Beauftragten der Bundesregierung für Kultur
und Medien fällt und dass dieser antwortet.
Da Sie nun namens der Bundesregierung antworten,
möchte ich Sie fragen, wie das denn sein kann; denn
auch nach Landesbaurecht ist Barrierefreiheit vorgeschrieben. Wir brauchen von hier aus nur fünf Minuten
bis zum Sowjetischen Ehrenmal. Zum 65. Jahrestag der
Befreiung vom Faschismus am 7. Mai dieses Jahres wurden dort wieder Kränze niedergelegt. Auch ich hätte
gern eine Blume niedergelegt. Ich konnte das nicht tun,
weil dort Treppen sind. Leider war kein einziges Mitglied der Bundesregierung dort, das die fehlende Barrierefreiheit hätte feststellen können.
Ich finde schon, dass die Antwort auf meine vorhergehende Frage - Sie sagten, das sei sozusagen nicht nötig - anders hätte ausfallen können.
Ich kann nur wiederholen: Wir stehen ausdrücklich
dazu, dass diese Gedenkstätten in besonderer Weise auch
in der Verantwortung des Bundes sind. Aber es ist so,
dass das jeweilige Bundesland - in diesem Fall das Bundesland Berlin - für die Umgestaltung zuständig und
verantwortlich ist. Ich sage ausdrücklich zu, dass wir das
bei der nächsten Sitzung ansprechen werden. Ich nehme
an, dass das Thema nicht richtig berücksichtigt worden
ist. Anders kann ich mir das nicht erklären.
Darf ich, Herr Staatssekretär, wenn Sie das ansprechen, davon ausgehen, dass das dann auch für alle weiteren Ehrenmale und Gedenkstätten für die Alliierten des
Zweiten Weltkrieges gilt?
Ich kann Ihnen nur zusagen, dass wir es ansprechen
werden. Ich kann Ihnen nicht zusagen, dass das auch eingehalten wird, weil nicht wir es konkret sind, die dafür
verantwortlich sind. Insofern würde ich Ihnen etwas versprechen, was ich Ihnen gar nicht versprechen kann.
Wir kommen zur Frage 37 - sie wird auch vom Kollegen Seifert gestellt -:
Welche Regelungen gibt es hinsichtlich der Aufbewahrung sowie der Zugänglichkeit der Akten und elektronischen
Daten von/über Contergangeschädigte sowie der Stiftung
selbst bei der Conterganstiftung für die Betroffenen, die Mitglieder von Gremien der Stiftung sowie für die Firma Grünenthal GmbH?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Ich will darauf gern antworten. - Der Stiftungsvorstand hat bereits im Jahr 2006 Richtlinien zur Aufbewahrung von Akten und sonstigem Schriftgut der Conterganstiftung beschlossen. Man hat also Regelungen
vereinbart. Sie gelten auch für die elektronischen Datenbestände. Sie orientieren sich im Wesentlichen am Bundesdatenschutzgesetz.
Bislang wurden noch keine Unterlagen vernichtet.
Unterlagen, die die Stiftung selbst betreffen, zum Beispiel zur Errichtung der Stiftung, Vorstands- und Stiftungsprotokolle usw., werden ohne Frist aufbewahrt.
Der Zugang zu den Akten und zu den elektronischen
Daten ist reglementiert. Zunächst einmal hat jeder Leistungsberechtigte das Recht auf Einsicht in seine eigene
Akte. Außerdem haben Aktenzugriff sowohl das Familienministerium im Rahmen der Rechtsaufsicht als auch
der Bundesrechnungshof im Rahmen von Prüfungen.
Auf Akten und Daten Leistungsberechtigter haben Mit4172
arbeiter der Geschäftsstelle sowie mit der Verwahrung
beauftragte Personen Zugriff. Weiterhin erhält der Vorstand im Rahmen seiner Geschäftsführung personenbezogene Informationen. Im Fall von Neu- und Revisionsanträgen erhält die medizinische Kommission auch
personenbezogene Informationen. Sofern Unterlagen
von Antragstellern oder Leistungsberechtigten aus dem
Ausland zu übersetzen sind, werden diese Dokumente an
den Sprachendienst der KfW gegeben.
Die Firma Grünenthal hat weder zu den Akten noch
zu den elektronischen Daten Zugang.
Die Protokolle der Sitzungen des Stiftungsrats sind für
die Gremienmitglieder zugänglich und, soweit kein anderer Beschluss des Stiftungsrats vorliegt, grundsätzlich öffentlich. Der Status der Vorstandsprotokolle unterliegt
zurzeit noch einer rechtlichen Prüfung. Die Überwachung
der Einhaltung datenschutzrechtlicher Anforderungen erfolgt durch den Datenschutzbeauftragten der Stiftung.
Nachfrage? - Bitte.
Erst einmal vielen Dank für die Antwort. - Ich will die
Frage der Vorstandsprotokolle jetzt einmal außer Acht
lassen. Mir geht es insbesondere um die persönlichen
bzw. personenbezogenen Daten zu Behinderungen oder
Krankheiten der einzelnen betroffenen Conterganopfer.
Es ist sehr stark zu vermuten, dass die Firma Grünenthal
bzw. eine Tochter- oder eine Nachfolgefirma und deren
Wissenschaftler Zugang zu den personenbezogenen Daten haben oder zumindest hatten; ich meine nicht nur die
elektronisch verfügbaren Daten, sondern auch das, was
früher auf Papier festgehalten wurde. Können Sie das
ausschließen?
Ich kann das grundsätzlich ausschließen, was die
Firma Grünenthal angeht. Ich habe eben gesagt, wer aus
welchen Gründen Zugriff hat: Behörden, bestimmte Einrichtungen, der Bundesrechnungshof und natürlich die
medizinische Kommission, die sich gegebenenfalls personenbezogene Daten ansehen muss, weil sie zu entscheiden hat. Die Firma Grünenthal hat - das sage ich
ausdrücklich - keinen Zugang zu diesen Daten.
Ist es auch garantiert, dass niemand von der Firma
Grünenthal in der medizinischen Kommission sitzt?
Herr Kollege Seifert, Informationen, die an einen begrenzten Personenkreis gegeben werden, unterliegen natürlich der Vertraulichkeit. Ich gehe davon aus, dass die
Vertraulichkeit eingehalten wird. Wenn Sie anderer Auffassung sind, müsste man das an geeigneter Stelle thematisieren. Prinzipiell ist die Firma Grünenthal davon
ausgeschlossen.
Danke schön.
Die Fragen 38 und 39 der Kollegin Erika Steinbach
werden schriftlich beantwortet, genauso wie die Fragen
40 und 41 der Kollegin Marlies Volkmer zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Gesundheit.
Damit kommen wir zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung.
Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär Enak Ferlemann zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 42 des Kollegen Friedrich
Ostendorff auf:
Ist es richtig, dass es sich bei § 35 Abs. 1 Nr. 4 des Baugesetzbuchs, BauGB, um einen Auffangtatbestand für atypische
Fälle handelt, die in § 35 Abs. 1 Nr. 1 BauGB nicht erfasst
sind?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Geschätzter Kollege Ostendorff, Ihre Frage nach
der Privilegierung gemäß § 35 und danach, ob es sich
dabei um einen Auffangtatbestand für atypische Fälle
handelt, beantworte ich wie folgt: Anders als die Privilegierungstatbestände nach Nrn. 1 bis 3 und 5 bis 7 des
§ 35 Abs. 1 des Baugesetzbuches, in denen jeweils eine
bestimmte Funktion des Vorhabens bezeichnet wird,
zum Beispiel einem land- oder forstwirtschaftlichen Betrieb oder der energetischen Nutzung von Biomasse dienend, stellt Nr. 4 darauf ab, ob die Verwirklichung des
Vorhabens im Außenbereich geboten ist. Im Hinblick
auf das gesetzgeberische Ziel des § 35 des Baugesetzbuches, den Außenbereich vor einer unangemessenen
Inanspruchnahme zu schützen, ist Nr. 4 nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts eher eng auszulegen.
Herr Kollege.
Angesichts von 62 000 schweinehaltenden Betrieben
und 9 000 Geflügelmastbetrieben, die die Statistik 2007
ausweist, stellt sich die Frage: Was heißt „eng auszulegen“, wenn 80 Prozent der Geflügelmastbetriebe nach
§ 35 Abs. 1 Nr. 4 - das ist der Auffangtatbestand für atypische Fälle - genehmigt werden, und zwar gerade in
den westlichen Bundesländern? Ich darf das eben erklären: Es geht um die Flächenknappheit der Betriebe. Normalerweise gilt eine Flächenbindung in der Tierhaltung.
Aber in den westlichen Bundesländern, in denen Flächen
eher knapp sind, genehmigt man sehr häufig nach § 35
Abs. 1 Nr. 4. Wie bewertet die Bundesregierung das?
Beobachten Sie das mit Sorge, oder sehen Sie dieses Geschehen gelassen?
Das beantworte ich wie folgt: Wir sehen dieses Geschehen nicht gelassen. Wir beobachten das sehr genau
und sehen auch die Probleme, die damit verbunden sind.
Allerdings ist die Rechtsprechung in dieser Frage bisher
sehr eindeutig. In der juristischen Fachliteratur wird das
sehr differenziert gesehen, wie Sie sicherlich wissen. Die
entscheidende Frage ist, wann die Gerichte gegebenenfalls ihre Rechtsprechung verändern. Derzeit ist es obergerichtlich so entschieden. Wir sehen das Ganze aber mit
einer gewissen Sorge und beobachten sehr genau.
Eine weitere Nachfrage.
Dies können wir nun abschließen; denn dazu haben
wir eine Gesetzesnovelle in das Hohe Haus eingebracht,
über die wir beraten werden.
Meine zweite Nachfrage lautet: Wie schätzt die Bundesregierung es ein, dass diese neuen „Massentierhaltungsstallungen“, die in der Praxis üblicherweise mit
Sondergenehmigungen errichtet werden, sehr häufig
weit weg von den eigentlichen landwirtschaftlichen
Betrieben im Außenbereich, mitten in der Landschaft
- 500 bis 1 000 Meter sind keine Seltenheit -, stehen?
Wird auch dieses Geschehen von Ihnen mit Sorge beobachtet?
Das kann ich bestätigen. Auch das sehen wir so. Allerdings haben wir mit der letzten Novellierung des Baugesetzbuches Tatbestände eingeführt, die den Gemeinden Handlungsfreiheit geben. Das heißt: Über die
Erstellung von Flächennutzungsplänen kann man sogenannte besondere Gebiete ausweisen, in denen solche
Stallanlagen möglich sind, die den Ausschlusscharakter
für alle anderen Gebiete in der Gemeindefläche haben.
Damit haben die Kommunen nach unserer Auffassung
- das kam damals in der Gesetzesberatung zum Ausdruck - eine gute Steuerungsmöglichkeit erhalten.
Gleichwohl ist uns bekannt, dass viele Kommunen trotzdem Schwierigkeiten haben, das anzuwenden. Wir werden das bei der neuen Novelle des Baugesetzbuches beraten und überprüfen.
Gibt es noch eine Nachfrage? - Bitte schön.
Es ist oft so, dass diese Betriebe nicht von den Kommunen gewollt werden. Ich kann das von meinem Wahlkreis sagen. Es sind landwirtschaftliche Betriebe, die
dort bauen. Ich bitte Sie um eine klare Auskunft darüber,
wie Sie die Entwicklung zu steuern gedenken, gerade
weil die Kommunen diese Entwicklung nicht befördern.
Natürlich bauen die Kommunen nicht die Stallungen.
Es wäre ein tolles Ding, wenn die Kommunen in der
Landwirtschaft aktiv werden würden. Die Kommunen
können über die Bauleitplanung steuern. Das Baugesetzbuch bietet die Möglichkeit, bestimmte Flächen für eine
solche intensive Nutzung festzusetzen, die dann Ausschlusscharakter für den Rest des Gemeindegebietes haben. Die Kommunen tun sich naturgemäß schwer, bestimmte Flächen dafür festzusetzen, was dazu führt, dass
es keinen Ausschlusscharakter gibt. Damit hat man praktisch die Privilegierung. Dann wird nach dem BundesImmissionsschutzgesetz und anderen rechtlichen Regelungen entschieden.
Das Problem ist uns bekannt, übrigens auch mir selber aus meinem eigenen Wahlkreis. Deswegen werden
wir bei der Novellierung des Baugesetzbuches auch prüfen, ob wir hier die rechtlichen Rahmenbedingungen ändern müssen; denn auch wir sehen diese Entwicklung
mit Sorge. Uns sind die Berichte nicht unbekannt, die
besagen, wie in einzelnen Gemeinden zum Teil die gesamte Dorfgemeinschaft über die Frage gespalten wird,
ob, wie und wo man ansiedeln soll.
Danke. - Wir kommen damit zur Frage 43 des Kollegen Anton Hofreiter:
Wie beurteilt die Bundesregierung die von der DFS Deutschen Flugsicherung GmbH wie auch von Piloten der Lufthansa geäußerten erheblichen Sicherheitsbedenken gegen die
Genehmigung von Sichtflügen Mitte April dieses Jahres
durch die Flugaufsicht, und wer trägt die Verantwortung für
Schadensfälle bei den genehmigten Sichtflügen, beispielsweise aufgrund sehr geringer Flughöhen?
Herr Staatssekretär.
Herr Kollege Hofreiter, ich beantworte Ihre Frage wie
folgt: Flüge nach Sichtflugregeln sind grundsätzlich zulässig. Sie setzen jedoch voraus, dass die Bestimmungen
der Luftverkehrs-Ordnung hinsichtlich der Sichtflugbedingungen, der Einhaltung der Sicherheitsmindestflughöhen und der anzuwendenden Betriebsvorschriften der
EU-OPS 1 eingehalten sind. Sichtflüge im kontrollierten
Luftraum setzen daher gute Sichtverhältnisse sowie eine
geringe Inanspruchnahme des Luftraums voraus. Sollte
die Verkehrssituation es nicht zulassen, kann die Flugsicherung Freigaben für entsprechende Flüge verweigern.
Die Verantwortung für die sichere Durchführung des
Fluges sowie die Einhaltung der Sicherheitsmindesthöhen bzw. der Mindesthöhe bei Überlandflügen nach
Sichtflugregeln trägt nach § 6 der Luftverkehrs-Ordnung
der Luftfahrzeugführer bzw. der Pilot.
Gegenüber einem Dritten haftet im konkreten Schadensfall grundsätzlich der Halter des Luftfahrzeugs gemäß §§ 33 ff. Luftverkehrsgesetz für den angerichteten
Schaden. Für Personen und Sachen an Bord des Luftfahrzeugs haftet der jeweilige Luftfrachtführer gemäß
§§ 44 ff. Luftverkehrsgesetz. Halter und Luftfrachtführer sind zumeist eine Person. Sie können jedoch auch
auseinanderfallen. Regelmäßig ist es aber das Luftfahrtunternehmen, das für den Schaden einzutreten hat. Ein
möglicher Regress des Luftfahrtunternehmens gegenüber dem Luftfahrzeugführer bzw. dem Piloten unterliegt keinen besonderen gesetzlichen Regelungen.
Ein Anspruch gegen die Bundesrepublik Deutschland
im Hinblick auf die Zulassung von Sichtflugverkehr für
Luftfahrzeuge mit Strahltriebwerken in niedrigen Flughöhen käme nur dann in Betracht, wenn hierin eine
Amtspflichtverletzung nach § 839 BGB in Verbindung
mit Art. 34 des Grundgesetzes zu sehen wäre.
Nachfrage?
Vielen Dank, Herr Präsident. Vielen Dank, Herr
Staatssekretär, für die Beantwortung. - Meine erste
Nachfrage ist: Wie kam es während des Ausstoßes der
Vulkanasche oder der Verunreinigung im Luftraum, wie
auch immer man es nennen mag, zu der massenhaften
Genehmigung von Sichtflügen? Wer hat da jeweils die
Verantwortung übernommen?
Ich habe in meiner Antwort auf Ihre Frage bereits auf
die Verantwortlichkeiten hingewiesen. Wenn der Luftraum so weit frei ist, dass Flüge verantwortbar sind,
dann sagt unsere Luftverkehrsbehörde, dass sie zulässig
sind. Die Entscheidung darüber, ob geflogen wird, treffen aber letztendlich nicht unsere Behörden, sondern unter anderem der Pilot.
Meine Frage war vielleicht nicht präzise genug. Wer
hat letztendlich die Verantwortung für die Ausnahmegenehmigungen übernommen? Es ist ja eine große Anzahl
gewerblicher Flugzeuge über 14 Tonnen unterwegs gewesen, für die eine Sichtfluggenehmigung nicht erteilt
werden durfte; dafür ist eine Ausnahmegenehmigung erforderlich.
Das ist mir so im Einzelnen nicht bekannt. Ich würde
die Frage gerne schriftlich beantworten, um die Antwort
korrekt geben zu können.
Danke schön. - Die Frage 44 des Kollegen Hofreiter
wurde zurückgezogen.
Damit sind wir beim Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit. Zur Beantwortung steht Kollegin Parlamentarische Staatssekretärin Katherina Reiche zur Verfügung.
Die Frage 45 des Kollegen Michael Groß und die Fragen 46 und 47 des Kollegen Ulrich Kelber werden
schriftlich beantwortet.
Damit sind wir bei den Fragen des Kollegen Oliver
Krischer. Ich rufe die Frage 48 auf:
Befürwortet die Bundesregierung die Forderungen vom
Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, Dr. Norbert Röttgen, und dem Vizevorsitzenden der
CDU/CSU-Bundestagsfraktion Dr. Christian Ruck - die letzte
Woche in der Presse zu lesen waren - zur Aufhebung der
Haushaltssperre für das Marktanreizprogramm für erneuerbare Energien, und, falls nicht, mit welchen alternativen Instrumenten will sie das im IEKP - Integriertes Energie- und Klimaprogramm - formulierte Ziel erreichen, bis zum Jahr 2020
14 Prozent des Wärmebedarfs aus erneuerbaren Energien zu
decken?
Bitte schön, Frau Staatssekretärin.
Danke, Herr Präsident! - Herr Kollege Krischer, das
Bundesumweltministerium hat am 26. April dieses Jahres beim Bundesministerium der Finanzen einen Antrag
auf Entsperrung der Haushaltsmittel gestellt. Die dafür
im Rahmen der parlamentarischen Beratungen zum
Haushalt 2010 formulierte Voraussetzung, wonach die
erwarteten Einnahmen des Bundes aus dem Handel mit
CO2-Emissionszertifikaten realisierbar sein müssen,
liegt derzeit nicht vor. Überlegungen zu alternativen Instrumenten zur Erhöhung des Anteils erneuerbarer Energien im Wärmemarkt existieren derzeit nicht.
Herr Kollege, bitte.
Die Situation ist ja so, dass der gesamte Bereich erneuerbarer Wärme durch den vollständigen Stopp des
Marktanreizprogramms im Moment stillsteht. Nach meinen Informationen aus der Branche und auch von Antragstellern gibt es praktisch keine Investitionen mehr in
diesem Bereich, weil niemand weiß, ob die Förderung irgendwann fortgeführt wird oder ob sie dauerhaft eingestellt ist. Meine Frage ist: Was tun Sie, um diese - ich
glaube, das ist völlig unstrittig - missliche Situation in
irgendeiner Weise aufzulösen, damit hier nicht eine
komplette Branche vor die Wand gefahren wird?
Wir werben nach wie vor beim Bundesfinanzministerium darum, die Mittel zu entsperren, weil wir in der Tat
der Auffassung sind, dass das Programm sehr erfolgreich ist. Beim BAFA wurden mittlerweile 22 000 Anträge eingereicht, die wir momentan nicht bedienen
können. Weil wir davon überzeugt sind, dass das Marktanreizprogramm das Herzstück unserer Strategie für erneuerbare Wärme ist, werden wir unsere Verhandlungen
mit dem Bundesfinanzministerium fortsetzen.
Eine weitere Nachfrage? - Bitte schön.
Ich wünsche Ihnen viel Erfolg bei diesen Verhandlungen im Sinne der Sache, damit wir da zu einem Ergebnis
kommen. - Sie sprachen eben von alternativen Finanzierungsinstrumenten, über die nachgedacht werde für den
Fall, dass man mit den Einnahmen aus dem Emissionshandel nicht vorankommt. Welche Instrumente könnten
das sein?
Ich habe nichts von alternativen Finanzierungselementen gesagt. Klar ist, dass wir das Marktanreizprogramm aus den Einnahmen des Zertifikatehandels finanzieren. Das ist unsere Einnahmequelle. Die Mittel sind
im Vergleich zum Vorjahr zurückgegangen. Gleichwohl
sind wir überzeugt, dass das Programm ausfinanziert
werden muss. Deshalb sind wir in Verhandlungen mit
dem Bundesfinanzministerium und werden von Fachpolitikern - weit über die Kreise der Koalition hinaus; da
können Sie unbesorgt sein - unterstützt.
Wir kommen damit zur Frage 49 des Kollegen Oliver
Krischer:
Wann plant die Bundesregierung, ein CCS-Gesetz - Carbon Dioxide Capture and Storage - im Kabinett zu beschließen bzw. in den Bundestag einzubringen, und handelt es sich
dabei um ein Gesetz für einzelne Demonstrationsprojekte
- bitte aufschlüsseln nach Anlagen - oder um einen allgemeinen gesetzlichen Rahmen für den Einsatz von CCS?
Bitte schön.
Herr Kollege Krischer, ich beantworte Ihre Frage wie
folgt: Die Bundesregierung plant, das Gesetzgebungsverfahren im Hinblick auf ein Gesetz zur Regelung von
Abscheidung, Transport und dauerhafter Speicherung
von Kohlendioxid, kurz CCS-Gesetz, noch in diesem
Jahr abzuschließen.
Eine Nachfrage? - Bitte.
Sie sagten gerade: noch in diesem Jahr abzuschließen.
Ich hatte Sie allerdings nach der Einbringung gefragt.
Wann können wir mit einem Kabinettsbeschluss bzw.
einem in der Bundesregierung abgestimmten Gesetzentwurf rechnen? Ich entnehme der Presse, dass es entsprechende Gespräche und Diskussionen gibt. Die Verabschiedung eines solchen Gesetzentwurfes wäre Sache
dieses Hauses. Vor diesem Hintergrund wiederhole ich
meine Frage: Wann können wir mit der Einbringung eines solches Gesetzentwurfes bzw. mit einer Beschlussfassung im Kabinett rechnen?
Sie haben völlig richtig dargestellt, dass zurzeit Gespräche zwischen den beiden federführenden Ressorts,
dem Bundesumweltministerium und dem Bundeswirtschaftsministerium, stattfinden. Wir wollen allerdings
sorgfältig vorgehen, weil wir in der letzten Legislaturperiode die Erfahrung gemacht haben, dass unser Gesetzentwurf nicht die notwendige Akzeptanz in der Bevölkerung gefunden hat und dass Fragen offengeblieben sind.
Deshalb nehmen wir uns jetzt die notwendige Zeit.
Wir wissen allerdings auch, dass wir die EU-Richtlinie in einem bestimmten Zeitrahmen umsetzen müssen.
Deshalb wollen wir zügig, aber sorgfältig vorgehen.
Dazu zählt, dass wir alle einzelnen Schritte - die Frage,
wann sie im Kabinett behandelt werden, kann ich Ihnen
jetzt seriöserweise nicht beantworten - noch in diesem
Jahr abschließen. Dabei den Deutschen Bundestag einzubeziehen, heißt auch, dass man Fristen beachten muss.
Insofern wissen wir, dass wir zügig arbeiten müssen.
Das tun wir auch.
Bitte schön.
Treffen Informationen, die ich der Presse entnommen
habe, zu, dass die Bundesregierung plant, um die Akzeptanz in betroffenen Regionen und Ländern zu erhöhen,
dort Ausgleichszahlungen, in welcher Form auch immer,
zu leisten? Ist das Gegenstand der Diskussionen innerhalb der Bundesregierung im Rahmen der Erarbeitung
dieses Gesetzentwurfes?
Da wir uns mitten in der Erarbeitung des Gesetzentwurfes befinden, kann ich Ihnen nicht konkret sagen, ob
diese Frage überhaupt und, wenn ja, wie sie beantwortet
werden kann. Fakt ist aber - das entnehme ich Ihrer
Frage -, dass wir ein derartiges Vorhaben nicht ohne die
Akzeptanz vor Ort umsetzen können; in diesem Fall bedeutet „wir“ nicht die Bundesregierung oder das Parlament, sondern Unternehmen, die ein solches Vorhaben
planen.
Insofern ist es wichtig, mit größtmöglicher Transparenz vorzugehen und das Vorhaben zu erklären. Dieser
Beitrag kann und muss insbesondere seitens der Politik
geleistet werden, aber nicht nur. Dazu müssen auch die
Unternehmen, die daran Interesse haben - das sind nicht
nur Energieversorger, sondern auch Unternehmen des
produzierenden Gewerbes -, ihren Beitrag leisten. Wir
sind sehr froh, dass auch die wissenschaftlichen Erkenntnisse, die im Geoforschungszentrum in Ketzin gewonnen werden, einen Beitrag leisten, Fragen, die die
Bürgerinnen und Bürger haben, wissenschaftlich fundiert zu beantworten.
Danke schön.
Die Fragen 50 und 51 des Hollegen Hermann Scheer
werden schriftlich beantwortet, ebenso die Frage 52 der
Kollegin Sylvia Kotting-Uhl und auch die Fragen 53 und
54 des Kollegen Hans-Josef Fell.
Damit kommen wir zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Bildung und Forschung. Der Parlamentarische Staatssekretär Helge Braun steht für die Beantwortung der Fragen zur Verfügung.
Die Fragen 55 und 56 des Kollegen René Röspel werden schriftlich beantwortet, ebenso die Frage 57 des
Kollegen Christian Lange.
Damit kommen wir zur Frage 58 der Kollegin
Daniela Kolbe:
Wie viele Hauptschüler/-innen plant die Bundesregierung
in ihrem angekündigten Bildungslotsenprogramm einem einzelnen ehrenamtlich tätigen Lotsen zur Betreuung anheimzugeben?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Sehr geehrte Frau Kollegin Kolbe, neben dem Einsatz
hauptamtlicher, pädagogisch qualifizierter Mitarbeiter
ist im Zuge dieser Initiative auch vorgesehen, weitere
1 000 sogenannter Senior Experts zur Betreuung einzusetzen. Diese sind bedarfsorientiert insbesondere zur Betreuung von Jugendlichen, die in eine Ausbildung übergegangen sind, vorgesehen, und zwar mit dem Ziel einer
Stabilisierung des Ausbildungsverhältnisses, wenn dieses bedroht sein sollte. Vorgesehen ist hier ein Betreuungsschlüssel von eins zu eins.
Ich diesem Zusammenhang würde ich gerne auch die
Frage 59 der Kollegin Kolbe beantworten.
Dann rufe ich auch die Frage 59 der Kollegin Daniela
Kolbe auf:
Welche pädagogischen Anforderungen sollen der Bundesregierung zufolge die angekündigten Bildungslotsen erfüllen,
um zur Betreuung von Hauptschülern/-schülerinnen zugelassen zu werden?
Die Voraussetzung für den Erfolg von Berufseinstiegsbegleitung ist fachlich qualifiziertes Personal. Unsere Berufseinstiegsbegleiter sollten daher fest angestellte Arbeitnehmer sein, die aufgrund ihrer Berufs- und
Lebenserfahrung für die Begleitung förderungsbedürftiger Jugendlicher besonders geeignet sind. Für den Berufseinstiegsbegleiter sollte ein Berufs- oder Studienabschluss erforderlich sein. Deshalb kämen insbesondere
folgende Personengruppen in Betracht:
Erstens Personen, die eine Qualifikation als Meister,
Techniker oder Fachwirt mit Ausbildereignungsprüfung
ausweisen und innerhalb der letzten fünf Jahre über eine
mindestens zweijährige Berufserfahrung in der Arbeit
mit Jugendlichen verfügen. Darüber hinaus muss innerhalb der letzten fünf Jahre eine praktische Erfahrung in
den dualen Ausbildungsberufen und eine mindestens
einjährige Führungserfahrung bzw. Ausbildungserfahrung nachgewiesen werden.
Zweitens Personen, die eine Qualifikation als Sozialpädagoge bzw. ein abgeschlossenes Studium der Sozialpädagogik oder der Sozialarbeit nachweisen und innerhalb der letzten fünf Jahre über eine mindestens
einjährige Berufserfahrung mit der Zielgruppe verfügen.
Drittens Fach- und Führungskräfte, die aufgrund ihrer
Berufserfahrung, ihrer guten Kontakte zur regionalen
Wirtschaft und ihrer langjährigen Erfahrungen mit der
ehrenamtlichen Arbeit mit Jugendlichen besonders geeignet erscheinen, im Einvernehmen mit dem Auftraggeber solch eine Aufgabe wahrzunehmen.
Für die ehrenamtlichen Tätigkeiten wird insbesondere
eine lange Erfahrung mit der gewerblich-technischen
Wirtschaft erwartet. Hier sind Meister und Ingenieure
aus Handwerks- und Industrieunternehmen besonders zu
berücksichtigen. Die ehrenamtlich Tätigen werden allerdings zunächst im Rahmen einer Weiterbildung mit einem spezifisch auf die Aufgabe ausgerichteten Curriculum gezielt für die Mentorenaufgabe geschult.
Bitte schön, Frau Kollegin.
Vielen Dank für die Beantwortung der Frage. - Zunächst einmal möchte ich sagen: Ich begrüße es sehr,
dass die Bundesregierung diese Schritte macht. Insbesondere halte ich das Betreuungsverhältnis von eins zu
eins bei den Ehrenamtlichen für bemerkenswert. Wenn
ich Sie richtig verstehe, bedeutet das: Jeder Ehrenamtliche betreut eine Person.
Sie haben konkrete Zahlen dazu genannt, wie viele
junge Menschen Sie insgesamt betreuen lassen wollen.
Das Betreuungsverhältnis bei den Ehrenamtlichen hat
natürlich Auswirkungen auf das Betreuungsverhältnis
bei den Hauptamtlichen. Können Sie Aussagen dazu machen, wie viele Berufseinsteiger ein hauptamtlich Tätiger zu betreuen hat und wie die Zusammenarbeit ablaufen soll?
Bei den hauptamtlichen Betreuern gehen wir derzeit
von einem Betreuungsschlüssel von etwa eins zu zwanzig aus. Die Arbeit soll so aussehen, dass es quasi vom
Abschluss der Schule bis zu einem stabilen, funktionierenden Ausbildungsverhältnis zu regelmäßigen Kontakten zwischen dem zu Betreuenden und dem Betreuer und
zu Sachstandsabfragen kommt.
Weitere Nachfrage dazu?
Ja.
Bitte.
Können Sie vielleicht sagen, wie Sie es schaffen wollen, 1 000 Ehrenamtliche zu gewinnen? Die regionale
Verteilung der 1 000 Ehrenamtlichen wird Sie vor eine
logistische Herausforderung stellen; denn es gibt mehr
als 1 000 Hauptschüler, die eine solche Betreuung nötig
hätten. Wie wollen Sie also eine gerechte Verteilung der
Ehrenamtlichen im Bundesgebiet sicherstellen? Wie
wollen Sie dafür sorgen, dass die Ehrenamtlichen entsprechend geschult werden können?
Wir haben dazu intensive Gespräche mit den Kammern und verschiedenen Einrichtungen geführt. Dabei
haben wir aus den Bereichen, wo solche Dinge schon
modellhaft angeboten werden, gehört, dass es gerade bei
pensionierten Handwerksmeistern und bei den übrigen
gerade von mir angesprochenen Personengruppen eine
große Bereitschaft und ein großes Interesse gibt, so etwas umzusetzen. Uns ist von den betreffenden Kammern
signalisiert worden, dass sie davon ausgehen, dass sie
Betreuer in dieser Anzahl, vielleicht sogar noch mehr,
relativ leicht rekrutieren können. Da wir hier auf Strukturen zurückgreifen, die bundesweit vorhanden sind,
sollte uns das flächendeckend gelingen.
Die Kollegin Kumpf hat dazu noch eine Nachfrage.
Die Projekte mit Bildungslotsen sind keine neuen
Projekte. In meinem Wahlkreis, der sehr von Migranten
geprägt ist - 39 Prozent der Menschen haben einen Migrationshintergrund -, gibt es diese Form der Begleitung, vor allem beim Übergang von der Hauptschule in
den Beruf, schon lange. Ich habe aus vielen Gesprächen
mit den Bildungslotsen erfahren, dass sie manchmal sehr
frustriert sind, weil ihre Arbeit von den hauptamtlichen
Mitarbeitern und vor allem von der Kultusbürokratie
nicht die Wertschätzung erfährt, die sie sich wünschen
würden.
Haben Sie sichergestellt, dass vonseiten der zuständigen Kultusministerien diese Arbeit positiv begleitet wird
- ich kann Ihnen den Briefwechsel mit Herrn Kultusminister Rau aus Baden-Württemberg zukommen lassen und zugleich die Anregungen und die Kritik der Bildungslotsen, die nicht die Ausputzer für eine verfehlte
Bildungspolitik sein wollen, in die politische Debatte vor
Frau Kollegin, das Thema Bildungslotsen ist in dem
Programm „Bildungsketten“, das wir als Bundesregierung auf den Weg bringen, nur ein Baustein. Unsere Vorstellung ist nicht, dass die Bildungslotsen alle Probleme
im Bildungssystem und bei den Bildungsbiografien von
Benachteiligten lösen. Vielmehr wollen wir bereits im
Grundschulalter mit den lokalen Bildungsbündnissen beginnen. Wir wollen durch eine Potenzialanalyse in der
7. Klasse und eine Berufsorientierung in der 8. Klasse
viele Maßnahmen vorschalten, sodass die Gruppe derer,
die Schwierigkeiten haben, einen Abschluss zu erringen
und eine entsprechende Ausbildungsreife zu erhalten,
möglichst klein ist.
Aber da es diese Gruppe gibt, ist es unsere Aufgabe,
ihr mit einem wirksamen Instrument zu helfen. Insofern
soll auf keinen Fall der Eindruck entstehen, dass Bildungslotsen die ganze Last des Bildungssystems zu tragen haben. Vielmehr befindet sich ihre Aufgabe in einem
guten Kontext mit anderen Maßnahmen. Es ist so - das
merke ich auch in den Diskussionen, die ich führe -, dass
die Anerkennung und die Wertschätzung der Bildungslotsen sowie die Bedeutung des Themas, junge Menschen
erfolgreich in Ausbildung zu bringen, steigen.
In den letzten Jahren gab es zum Teil einen Mangel an
Ausbildungsplätzen. Wir haben festgestellt, dass im letzten Jahr die Jugendarbeitslosigkeit in Deutschland trotz
der Wirtschaftskrise um 11 Prozent gesunken ist. Das
heißt, der demografische Wandel führt dazu, dass wir in
Zukunft keinen Mangel an Ausbildungsplätzen haben,
sondern dass es eher einen hohen Bedarf an Bewerbern
geben wird. Deshalb hoffe ich, dass alle Beteiligten, einschließlich der öffentlichen Hand, und die gesamte Zivilgesellschaft ein gemeinsames Interesse daran haben,
möglichst allen Jugendlichen zu einem entsprechendem
Ausbildungsplatz zu verhelfen. Jeder, der sich dieser
Aufgabe verschreibt - insbesondere diejenigen, die das
ehrenamtlich tun -, verdient hohe Wertschätzung.
In der Schule würde man sagen: Thema verfehlt! Ich
habe gefragt, wie die Ehrenamtlichen, also diejenigen,
die das gerne tun - ich erlebe viele Betriebsräte, die ihre
Kompetenz an junge Menschen, die vielleicht einen anderen Bildungshintergrund haben, weitergeben wollen -,
in dieser Beratungskette durch die Institutionen die
Wertschätzung erfahren, die sie brauchen. Die Menschen
haben keine Lust, Ausfallbürgen für eine verfehlte Bildungspolitik zu werden. Darum geht es.
Ich bin Mitglied des Unterausschusses „Bürgerschaftliches Engagement“. Alle Parteien haben in der Debatte
immer darauf geachtet, dass dieses Engagement aus der
Bürgerschaft die notwendige Anerkennung findet. Wichtig ist auch, dass es eine Rückmeldung des entsprechenden Institutes oder des Ministeriums gibt, und zwar nicht
nur in Form von warmen Worten. Die strukturellen Erfordernisse von Projekten müssen mitberücksichtigt werden.
Ein Schulterklopfen für die Ehrenamtlichen reicht nicht,
sondern hier müssen auch die Weiterbildung und die finanziellen Ausstattungen eine Rolle spielen.
Die Menschen wollen, dass ihr Engagement richtig
wahrgenommen wird und dass ihre Arbeit, vor allem
wenn es um die Vermittlung geht, wertgeschätzt wird.
Wie wollen Sie das sicherstellen?
Wir legen Wert darauf - das habe ich gerade gesagt -,
dass eine entsprechende Aus- und Weiterbildung der Bildungslotsen erfolgt. Wir wollen die Menschen mit Berufserfahrung, die aber eine solche Tätigkeit noch nicht
ausgeübt haben, nicht einfach alleine lassen, sondern
weiterbilden.
Ich habe auch deutlich gemacht - insofern habe ich
das Thema doch ganz gut getroffen -, dass gesellschaftliche Wertschätzung von der Bundesregierung nicht per
Gesetz beschlossen werden kann. Deshalb ist es unsere
Aufgabe, klarzumachen, dass die Bildungslotsen hier
eine wichtige Funktion erfüllen. Ich sehe, dass dieses Instrument seitens der Kultusministerien, seitens der Kammern und seitens aller Akteure im Bereich der beruflichen Bildung unglaublich positiv aufgenommen wird.
Aus meiner Sicht bekommen die Bildungslotsen diese
Wertschätzung, weil ihre Bedeutung immens hoch ist.
Ich kann es nicht verordnen, aber ich kann von meiner
Seite aus damit beginnen, diese Wertschätzung zu bezeugen.
Dürfte ich kurz noch die Empfehlung aussprechen,
sich mit dem Nationalen Forum für Engagement und
Partizipation in Verbindung zu setzen? Dort gibt es einen
Arbeitskreis zum Thema Bildung und ehrenamtliches
Engagement. Es wäre gut, wenn Ihr Haus eine einheitliche Strategie im Sinne der ehrenamtlich und bürgerschaftlich Engagierten entwickelt würde.
Die Bundesregierung bedankt sich wie immer für
Hinweise dieser Art.
Danke schön.
Ist damit die Frage 59 erledigt? - Das ist der Fall.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung.
Die Frage 60 des Kollegen Uwe Kekeritz wird
schriftlich beantwortet.
Wir kommen damit zum Geschäftsbereich des Auswärtigen Amts.
Ich rufe die Frage 61 des Kollegen Volker Beck auf:
Welche Zusicherungen - Pledges -, in denen sie konkrete
Aktionen zur Stärkung der Arbeit des Internationalen Strafgerichtshofs, IStGH, in Aussicht stellen wird, beabsichtigt die
Bundesregierung im Rahmen der Überprüfungskonferenz zur
Prüfung etwaiger Änderungen des Römischen Statuts des
IStGH vom 31. Mai bis 11. Juni 2010 in Kampala, Uganda,
abzugeben, und beabsichtigt die Bundesregierung, die EU bei
der Erarbeitung und Abgabe einer oder mehrerer Zusicherungen - Pledges - zu unterstützen?
Die Frage wird durch Staatsministerin Cornelia Pieper
beantwortet. Bitte schön.
Vielen Dank, Herr Präsident! - Sehr geehrter Herr
Abgeordneter, die Bundesregierung unterstützt die
Pledges, welche die EU auf der Überprüfungskonferenz
von Kampala einbringen will. Dabei geht es um folgende Punkte:
Erstens. Die EU will ihre Bemühungen fortsetzen, die
Universalität des Römischen Statuts zu fördern und
seine Integrität zu bewahren. Hierzu gehören beispielsweise EU-Demarchen, um in Drittstaaten für den Beitritt
zum Römischen Statut zu werben.
Zweitens. Die EU will in ihren Abkommen mit Drittstaaten Klauseln zum Internationalen Strafgerichtshof
aufnehmen. Damit bekennen sich die EU-Partner auch in
ihren vertraglichen Beziehungen nach außen zum Kampf
gegen die Straflosigkeit bei schwersten Verbrechen, welche die internationale Gemeinschaft als Ganzes berühren.
Drittens. Die EU will ihre finanzielle Unterstützung
für diejenigen Zivilgesellschaften und Drittstaaten fortsetzen, die Hilfestellung beim Beitritt zum Römischen
Statut oder bei seiner Umsetzung wünschen.
Viertens. Die Europäische Union will ihre Instrumente zur Unterstützung des Internationalen Strafgerichtshofs auf eventuellen Anpassungsbedarf überprüfen. Dies betrifft in erster Linie den Gemeinsamen
Standpunkt zum Internationalen Strafgerichtshof aus
dem Jahre 2003 sowie den Aktionsplan aus dem Jahre
2004.
Zusätzlich zu den Zusicherungen der EU wird
Deutschland auf der Überprüfungskonferenz folgende
Zusagen machen: Erstens. Deutschland wird an den
Opferschutzfonds des Internationalen Strafgerichtshofs
im Jahre 2010 einen freiwilligen Beitrag in Höhe von
300 000 Euro leisten. Zweitens. Deutschland wird in den
Jahren 2010 und 2011 die Stelle einer juristischen Fachkraft beim Opferschutzfonds des Internationalen Strafgerichtshofs finanzieren. Drittens. Deutschland plant, im
Haushaltsjahr 2010 Mittel in Höhe von 250 000 Euro für
Projekte zur Förderung des Beitritts zum Römischen
Statut und seiner Umsetzung bereitzustellen.
Die Bundesregierung ist davon überzeugt, dass von
diesen Zusagen ein deutliches Signal der Stärkung des
Internationalen Strafgerichtshofs und seiner Arbeit ausgeht.
Bitte schön, Kollege Beck.
Ich bin etwas erstaunt, dass Sie ein Thema nicht angesprochen haben. Das zentrale Thema in Kampala wird
sein, ob der Tatbestand des Aggressionsverbrechens anerkannt wird. Er ist im Statut eigentlich enthalten, wurde
aber mit dem Hinweis, dass sich die Vertragsstaaten
noch auf eine Definition verständigen müssen, außer
Kraft gesetzt. Dazu haben Sie nichts gesagt. Im Menschenrechtsausschuss hatten wir in der letzten Woche
eine Anhörung. Die Sachverständigen haben sich durch
die Bank dafür ausgesprochen, dass man diesen Schritt
endlich machen soll. Deshalb frage ich Sie, ob die Bundesregierung hier entsprechend tätig geworden ist und
solche Forderungen für die Konferenz in Kampala vorbereitet hat.
Zunächst können Sie davon ausgehen, dass die Bundesregierung dieser Überprüfungskonferenz grundsätzlich große Bedeutung beimisst. Wenn das Thema in der
Sitzung des Menschenrechtsausschusses, an der ich
nicht teilnehmen konnte, behandelt worden ist, dann
wird die Bundesregierung sicher die Vorschläge der Abgeordneten berücksichtigen.
Darüber hinaus wissen Sie, dass die Bundesregierung
kein Relocation Agreement mit dem Internationalen
Strafgerichtshof in Bezug auf den Opfer- und Zeugenschutz abgeschlossen hat, weil sie der Auffassung ist,
dass sie den Opferschutz derzeit ohne ein solches Abkommen gewährleisten kann, sodass sich diese Frage
nicht stellt.
Sie haben mich verwirrt, weil Sie einen Sprechzettel
zum falschen Thema vorgelesen haben. Wenn Sie darüber nicht Bescheid wissen, dann können Sie die Antwort ja im Nachgang der Fragestunde liefern. Wir hatten
es heute schon ein paar Mal, dass die Staatssekretäre - in
dem Fall die Staatsministerin - bekennen mussten, dass
sie nicht wissen, was ihr Haus vertritt.
Ich frage Sie, ob sich die Bundesregierung aktiv dafür
einsetzt - das wird wahrscheinlich für längere Zeit die
letzte Gelegenheit sein; dann schließt sich wahrscheinlich das Zeitfenster dafür -, dass der Tatbestand des
Aggressionsverbrechens künftig der Gerichtsbarkeit des
Internationalen Strafgerichtshofs unterliegen wird, wie
es bei der Verabschiedung des Statuts beabsichtigt war,
aber nicht erreicht worden ist.
Herr Abgeordneter, ich bin darauf nicht eingegangen,
weil das nicht der Hintergrund Ihrer ursprünglichen Fragestellung war.
({0})
Die ursprüngliche Frage war eine andere als die, die Sie
gestellt haben.
Sie können davon ausgehen, dass der Menschenrechtsbeauftragte, Herr Löning, der die Leitung der Delegation hat, die Vorschläge des Menschenrechtsausschusses mitnehmen und dort zur Sprache bringen wird.
Was die Position des Ausschusses anbelangt, bin ich
gerne bereit, auch die Position unseres Hauses nachzuliefern. Ich sagte ja schon, dass ich an der Diskussion
leider nicht teilnehmen konnte. Im Moment kann ich sie
auch nicht nachvollziehen.
Dieser Punkt ist der zentrale Gegenstand in Kampala.
Dass Sie darüber nicht Bescheid wissen!
Danke schön.
Die Fragen 62 und 63 des Kollegen Tom Koenigs, die
Frage 64 des Kollegen Ströbele, die Frage 65 der Kollegin Höger und die Frage 66 der Kollegin Dağdelen werden schriftlich beantwortet.
Damit sind wir am Schluss unserer Fragestunde. Da
der Beginn der Aktuellen Stunde für 15.00 Uhr angesetzt
ist und noch nicht alle Kollegen eingetroffen sind, unterbreche ich bis dahin die Sitzung.
({0})
Die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet.
Ich rufe den Zusatzpunkt 3 auf:
Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktion der SPD
Unterschiedliche verfassungsrechtliche Auffassungen in der Bundesregierung zur Verlängerung von Atomkraftwerkslaufzeiten
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege
Ulrich Kelber für die SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Wieder wird Lobbyistenbedienung zum Zentralgestirn schwarz-gelber Politik:
({0})
zu Beginn das sogenannte Mövenpick-Gesetz, Herr
Kauch, jetzt der Versuch, Milliardengeschenke an die
Atomlobby zu verteilen, sogar indem man windige, verfassungswidrige Konstruktionen in den Gesetzen anstrebt,
und das trotz klar erkannter negativer wirtschaftlicher Effekte auf große Teile der restlichen Energiewirtschaft.
({1})
Die Liebe zu den Lobbyisten geht so weit, dass aus
den Reihen der Union, aus den Reihen der CDU, sogar
der eigene Umweltminister zum Rücktritt aufgefordert
wird, weil er der Atomlobby nur einen zweistelligen
Milliardenbetrag anstatt eines dreistelligen Milliardenbetrages schenken möchte. So weit ist die Verbrüderung
an der Stelle schon gegangen.
Minister Pofalla hat öffentlich verkündet, er möchte
die Gesetzgebung zur Verlängerung der Laufzeiten von
Atomkraftwerken ohne eine Beteiligung des Bundesrates machen, also eine windige verfassungsrechtliche
Konstruktion zur Lobbyistenbedienung finden; so kann
man das Ganze auch nennen. Heute erfahren wir per
Tickermeldung, dass die Bundeskanzlerin sich gegenüber der CDU/CSU-Fraktion geäußert hat. Man will
dazu jetzt doch bis zum 4. Juni eine Rechtsexpertise von
Umweltministerium, Justizministerium und Innenministerium einholen. Da frage ich mich: Hat sich der Minister im Kanzleramt, Pofalla, erst einmal eine Meinung
gebildet, und will er sich jetzt die dazu passende Rechtsexpertise einholen? Hat er das also ohne Rechtsexpertise
gemacht? Ist die Tatsache, dass Herr Pofalla Jurist ist,
vielleicht keine ausreichende Qualifikation mehr, wenn
es um entsprechende Gesetzesvorhaben geht?
Man muss gar nicht die Opposition oder die Medien
zu diesem Vorgehen der schwarz-gelben Koalition befragen, sondern nur die eigenen Leute: Die Ministerpräsidentin von Thüringen nennt den Vorschlag Pofallas ein
- Zitat - „Mogelgesetz“. Die schleswig-holsteinische
Regierung - schwarz-gelb - sagt, dass das so nicht geht.
Die saarländische Regierung, auch mit Schwarzen und
Gelben in der Regierung, widerspricht; Niedersachsen
ebenso. Die abgewählte schwarz-gelbe Landesregierung
in Nordrhein-Westfalen widerspricht, und am 30. September 2009, also drei Tage nach der Bundestagswahl,
schrieben der damalige baden-württembergische Ministerpräsident Oettinger und der hessische Ministerpräsident Koch Bundeskanzlerin Merkel einen Brief, in dem
sie darauf verwiesen, dass eine Nichtbeteiligung des
Bundesrates an dieser Stelle höchst strittig ist. Das ist
übrigens derselbe Herr Koch, der gestern gesagt hat, er
habe gar keine Zweifel, dass die Nichtbeteiligung des
Bundesrates in dieser Frage machbar sei. Eine Wahlniederlage in Nordrhein-Westfalen ändert also Ihre Auffassung darüber, was verfassungsgemäß ist. Auch das ist
bezeichnend für Ihre Politik.
Über die Frage, ob leichtfertig mit der Verfassung
umgegangen wird, hinaus hat das Ganze zusätzliche Implikationen. Sie haben zugesichert, Sie würden eine Verlängerung der Laufzeiten nur unter höchsten Sicherheitsanforderungen anstreben, also unter der Voraussetzung,
dass die Atomkraftwerke entsprechend nachgerüstet
werden. Sie wissen genau, dass in dem Augenblick, wo
der Bund zusätzliche Sicherheitsanforderungen stellt,
die Atomaufsicht der Länder berührt ist und damit die
Zustimmungspflicht gilt. Das heißt, wer die Zustimmungspflicht umgehen will, muss auf Sicherheitsauflagen für die Atomkraftwerke verzichten. Das ist Wortbruch Nummer eins, den Sie planen.
Wortbruch Nummer zwei. Sie haben gesagt, Sie werden die Gewinne, die die Atomkonzerne machen, zum
größten Teil - andere sagen: zur Hälfte - abschöpfen.
Wir sind gespannt darauf, wie Ihr Vorschlag aussehen
wird - wenn Sie sich am Ende noch trauen. In dem Augenblick, in dem Sie das gesetzlich regeln, sind aber
wieder die Länder betroffen, sodass Sie über den Bundesrat gehen müssten. Wenn Sie darauf verzichten wollen, können Sie nur eine freiwillige Vereinbarung mit
den Konzernen machen. Das Vorgehen, zu sagen: „Ich
mache ein Gesetz zu deinem Vorteil, wenn du mir vorher
Geld gibst“, nennt man außerhalb dieses direkten Zusammenhangs Korruption und nicht Gesetzgebung.
({2})
- Sie haben es ja noch nicht gemacht. Vermeiden Sie
doch, dass es am Ende als Korruption bezeichnet werden
kann!
Damit das auch klar ist: Bundesminister Röttgen ist in
dieser Frage keine grüne Lichtgestalt, sondern allerhöchstens das beste Fußballteam Grönlands: Auch er
will eine windige, verfassungswidrige Konstruktion,
auch er versucht den Bundesrat zu umgehen, auch er will
den Lobbyisten Milliarden schenken, auch er will
Schrottreaktoren wie Biblis A länger laufen lassen, ohne
zusätzliche Sicherheitsmaßnahmen zur Auflage zu machen.
Sie müssen die Wahrheit sagen, Herr Röttgen: Auch
eine um „nur“ acht Jahre längere Laufzeit bedeutet mehr
Atommüll. Die Zwischenlager an den Reaktoren sind
aber nur für die Menge Atommüll, die der im Atomkonsens vereinbarten Restlaufzeit entspricht, zugelassen.
Für eine neue atomrechtliche Genehmigung dieser Zwischenlager bräuchten Sie die Bundesländer. Wenn Sie
das umgehen wollen, wollen Sie in diesen acht Jahren
zusätzliche Atommülltransporte quer durch Deutschland
von jedem der 17 Reaktoren. Das müssen Sie hier sagen.
Sie können nicht Sonntagsredenminister sein. Sie sind
noch nicht einmal Alltagsminister. In dieser Frage sind
Sie wirklich ein Trauerstundenminister.
Vielen Dank.
({3})
Das Wort hat Bundesminister Dr. Norbert Röttgen.
({0})
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte mich zunächst bei der SPD-Fraktion
für die Beantragung der Aktuellen Stunde bedanken; sie
gibt nämlich die Gelegenheit zu einer Versachlichung
der Debatte. Dass der erste Redner der SPD diese
Chance nicht voll ergriffen hat, ist bedauerlich; aber es
gibt ja auch noch Redner der CDU/CSU- und der FDPFraktion, die die Chance, die Sie eröffnet haben, dann
auch nutzen.
({0})
Ich will zunächst einmal auf das Thema der Aktuellen
Stunde eingehen; es liegt ja nicht so fern, dass man auf
das Thema der Debatte eingeht. Die verfassungsrechtliche Frage, um die es geht, lautet: Benötigt eine Bundesgesetzgebung - dass der Bundesgesetzgeber zuständig
ist, ist unstrittig - zu einer Verlängerung der Laufzeit
von Atomkraftwerken die Zustimmung des Bundesrates?
Meine erste Anmerkung dazu ist: Das ist eine rein verfassungsrechtliche Frage. Nicht nur als Minister, auch als
Abgeordneter des Deutschen Bundestages, das heißt, als
Teil des Gesetzgebers, plädiere ich ausdrücklich dafür,
dass wir diese Frage rein verfassungsrechtlich, so gut wir
können, beantworten und sie nicht politisieren. Wir alle
haben keinen Vorteil davon, verfassungsrechtliche Fragen zu politisieren. Unser Selbstverständnis als Gesetzgeber muss sein, verfassungskonforme Gesetzgebung zu
machen, nicht aber, Risiken einzugehen und dann zu
warten, ob man von Karlsruhe korrigiert wird. Unser
Selbstverständnis muss sein, die verfassungsrechtliche
Frage korrekt zu beantworten.
Darum will ich hier auch darlegen, was überhaupt der
inhaltliche Gesichtspunkt in diesem Zusammenhang ist.
Warum könnte überhaupt eine Zustimmungsbedürftigkeit der Länder, des Bundesrates, vorliegen? Darüber
muss man dann doch auch hier debattieren, weil das
nicht nur eine Frage ist, deren Beantwortung wir von Experten entgegennehmen, sondern das Parlament muss
sich sein Urteil auch selber bilden.
Es geht darum, dass das Atomgesetz in einer besonderen Form durch die Länder vollzogen wird, und zwar
nicht in der Normalform der Landeseigenverwaltung
- das ist die normale Form, in der die Länder Bundesgesetze vollziehen -, sondern in der Sonderform der sogenannten Bundesauftragsverwaltung. Durch diese Bundesauftragsverwaltung erfolgt ein besonderer Eingriff
des Bundes in die Vollzugshoheit bzw. die Staatshoheit
der Länder, weil dem Bund, dem zuständigen Minister,
ein Weisungsrecht gegenüber den Landesministern und
den Ländern beim Vollzug von Bundesgesetzen eingeräumt wird. Es ist also ein Eingriff in die Staatshoheit
bzw. Staatsqualität der Länder.
Das Atomgesetz bedurfte bei seiner Verabschiedung
der Zustimmung des Bundesrates, weil mit diesem
Atomgesetz und der Aufgabe, Kernkraftwerke zu beaufsichtigen, dieser Eingriff des Bundes in die Verwaltungszuständigkeit der Länder verbunden war. Darum bedurfte der Ausstieg aus dieser Aufgabe nach meiner
Auffassung konsequenterweise auch nicht der Zustimmung des Bundesrates, weil der Eingriff ja gerade beendet wurde.
({1})
Jetzt stellt sich die Frage, ob eine Zustimmungsbedürftigkeit dadurch ausgelöst wird, dass der Eingriff
durch eine Laufzeitverlängerung fortgesetzt, zumindest
aber verlängert wird, weil ja ein an sich schon beendeter
Eingriff verlängert und quasi neu begründet wird. Diese
verfassungsrechtliche Frage stellt sich. Wir sollten sie so
gut wir können beantworten, und zwar nicht politisch,
sondern verfassungsrechtlich, weil vom Verfassungsgericht keine politischen Vorstellungen und Argumente gewichtet werden.
({2})
- Das ist unser Selbstverständnis. Ich rate als Jurist, aber
auch als Parlamentarier dazu, bei verfassungsrechtlichen
Fragen nicht zu eifern und zu geifern, sondern sie nach
bestem Gewissen und Wissen zu beantworten. Das ist
mein Rat dafür, wie wir mit verfassungsrechtlichen Fragen umgehen sollten.
({3})
Die Bundesregierung wird das tun. Sie haben darauf
hingewiesen: Die Verfassungsressorts und die beteiligten
Fachressorts werden ihre Auffassung dazu bis Anfang
des nächsten Monats darlegen. Dann ist die Position der
Bundesregierung klar.
Das war meine verfassungsrechtliche Anmerkung zu
dem Thema. Ich möchte aber auch noch zwei politische
Anmerkungen machen:
Erste politische Anmerkung. Die Energiepolitik wird
in Zukunft noch mehr, als das in der Vergangenheit auch
schon der Fall war, nur dann erfolgreich sein können,
wenn eine enge Abstimmung zwischen dem Bund und
den Ländern erfolgt. Der Umbau von der bisherigen
Energieversorgung zur Energieversorgung mittels erneuerbarer Energien mit den dazu notwendigen Veränderungen - ich nenne nur einmal den Netzausbau - bedarf einer engen Abstimmung und auch einer Kongruenz von
Bund und Ländern. Darum ist der faire Umgang zwischen dem Bund und den Ländern an dieser Stelle Voraussetzung für den Erfolg der Energiepolitik für
Deutschland.
Deshalb lege ich Wert darauf, dass wir die Energiepolitik gemeinsam mit den Ländern gestalten, und zwar,
wenn es nach mir geht, auch über parteipolitische Grenzen hinweg, weil es eine grundlegende Aufgabe in Bezug auf die Infrastruktur und entscheidend für die Zukunft unseres Landes ist, die Energieversorgung sicher,
klimaverträglich und wettbewerbsfähig zu realisieren.
Wir sollten uns diesen Konsens und das Bemühen darum
erhalten, bei einigen wichtigen Zukunftsfragen dieses
Landes über Parteigrenzen hinweg konsensfähig zu bleiben.
({4})
Zweite politische Anmerkung. Die Energiewirtschaft
hat durchaus unterschiedliche Interessen - legitimerweise übrigens. Die kommunalen Unternehmen suchen
ihre Chance im Markt und sagen: Durch eine Laufzeitverlängerung wird eine Wettbewerbssituation zementiert, in der wir keine Chance haben. - Andere sagen:
Wir stehen gerade vor dem Markteintritt und hätten mit
Laufzeitverlängerungen die Chance, so viel Gewinne
wie noch nie zuvor zu machen. - Andererseits besteht
die Notwendigkeit, auf die Energieversorgung mittels erneuerbarer Energien umzusteuern bzw. umzuschalten.
Das heißt, in der Energiewirtschaft, die hinsichtlich
der erneuerbaren Energien eine mittelständische Branche und hinsichtlich der traditionellen Energieträger
oligopolistisch geprägt ist - daneben wird es zu einem
Wettbewerbseintritt der kommunalen Unternehmen
kommen -, gibt es eine sehr heterogene Interessenlage.
Es gibt aber ein gemeinsames Interesse der gesamten
Energiewirtschaft. Das ist das Interesse an Klarheit
durch die Politik.
({5})
Die Energiewirtschaft hat ein berechtigtes Interesse
an Klarheit und Sicherheit. Diese müssen wir ihnen bieten, weil das Maß an Unsicherheit, das wir auch durch
verfassungsrechtliche Risiken produzieren, zu einer
Investitionszurückhaltung der Energiewirtschaft führen
würde.
({6})
Die können wir uns nicht leisten. Darum werden wir als
Koalition diese Klarheit schaffen, damit die Energieversorgungswirtschaft das bekommt, was sie in jedem Fall
berechtigterweise erwartet: Klarheit der politischen Entscheidungen, damit Investitionen erfolgen.
Wir brauchen in jedem Fall Investitionen. Unklarheit,
auch die Belastung mit verfassungsrechtlichen Risiken,
bedeutet Investitionszurückhaltung, die sich Deutschland nicht leisten kann.
({7})
Sie werden die Klarheit bekommen, und zwar in dem
verfassungsrechtlichen Bemühen, diese herzustellen.
Eine letzte Bemerkung: Nach meinem Urteil diskutieren wir zu viel über Ausstieg und zu wenig über Einstieg. Das ist das Thema. Ich möchte noch einmal betonen, was der Koalitionsvertrag an dieser Stelle sagt. Das
Ziel ist eindeutig definiert. Erneuerbare Energien sind
die Energieversorgung der Zukunft: weder atomare noch
fossile, sondern erneuerbare Energien. Die wollen wir.
({8})
Wir wollen sie auch aus einer immanenten Notwendigkeit, die gar nicht bestritten wird. In dem Zeitraum
von 40 Jahren - das ist der Zeitraum, den wir betrachten muss das Ziel am Ende in einer zukunftsfähigen Energieversorgung für die nächsten Generationen bestehen.
Die Entscheidungen dafür müssen aber heute getroffen
werden; denn wir, auch diese Koalition, haben entschieden: Es wird keine neuen Atomkraftwerke geben. Im
Koalitionsvertrag steht: Das Verbot, neue Atomkraftwerke zu bauen und zu betreiben, wird aufrechterhalten.
({9})
Wir können zwar über Laufzeitverlängerung reden, es
wird aber kein neues Kernkraftwerk geben. Darum ist
Kernenergieversorgung keine Option der Zukunft. Das
ist ausdrücklich Inhalt des Koalitionsvertrages.
Des Weiteren wird - das habe ich schon mehrfach
dargelegt - aus klimapolitischen Gründen jedes Industrieland und damit auch Deutschland im Interesse der eigenen Zukunftsfähigkeit und Entwicklungsfähigkeit CO2Emissionen um 80 bis 95 Prozent reduzieren müssen.
Weil wir ein Industrieland sind und dies, wenn es nach
dieser Koalition geht, auch bleiben wollen, heißt das, wir
müssen das kleine Budget an CO2-Emissionen für industrielle CO2-Emissionen reservieren und deshalb die
Energieversorgung praktisch CO2-frei machen.
Aus diesen beiden Gründen - weil wir alle gemeinsam politisch entschieden haben, dass Kernkraftwerke
keine Option für die Zukunft sind und weil fossile Energieversorgung wegen der CO2-Emissionen nicht zukunftsfähig ist - können wir schon heute die Knappheit
erkennen, die in 30 bis 40 Jahren eintreten wird. Sie ist
eindeutig. Unsere Verantwortung besteht nicht darin, abzuwarten, bis die Knappheit eintritt - dann können wir
nämlich nicht mehr handeln -, sondern wir müssen die
Knappheit gewissermaßen antizipieren, vorwegnehmen
und schon heute in eine Wachstumsstrategie integrieren.
Wir müssen es schaffen, die Weichen für den Umstieg
von den traditionellen Energieversorgungsquellen über
einen sich dynamisch verändernden Energiemix hin zu
den Erneuerbaren zu stellen. Das ist die entscheidende
Aufgabe.
({10})
Darum sollten wir über die Frage des Einstiegs reden.
Ich möchte diese Koalition damit qualifizieren, diesen
Einstieg zu schaffen, weil er die Bedingung für Zukunftsfähigkeit ist und weil er mit neuen Technologien,
Märkten und weltweiten Absatzchancen verbunden ist.
Das ist die Wachstums- und Sicherheitsstrategie, die
diese Koalition verfolgt.
({11})
Das Wort hat die Kollegin Dorothée Menzner für die
Fraktion Die Linke.
({0})
Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen! Werte Kollegen! Sehr geehrter Herr Minister, ich fand es bezeichnend, dass Sie den Mut hatten, von Klarheit der Politik
in Bezug auf Energiepolitik zu reden. Was wir seit Monaten erleben und was die Bürgerinnen und Bürger
wahrnehmen, sind ein Schlingerkurs, Chaos und große
Verunsicherung. Nicht umsonst machen auch Menschen
gegen die Laufzeitverlängerung Stimmung, die dies bisDorothée Menzner
her nicht so deutlich getan haben. Ich erinnere nur an
den Deutschen Städtetag und an die Stadtwerke.
Wenn Sie den Einstieg in die Erneuerbaren ernst meinen, dann müssen Sie sich an dieser Stelle die Frage gefallen lassen, ob die unverhältnismäßig starke Kürzung
der Förderung durch das EEG hilfreich war.
({0})
Insgesamt kann man nur feststellen: Die Koalition arbeitet zielstrebig an der nächsten Wahlniederlage. Alle
Umfragen belegen: Die Mehrheit der Bürgerinnen und
Bürger ist gegen eine Laufzeitverlängerung. Es sind
nicht nur die Wählerinnen und Wähler der Parteien, die
jetzt in der Opposition sind; auch 52 Prozent der Wählerinnen und Wähler von CDU und CSU sowie 54 Prozent
der FDP-Wählerinnen und -Wähler sind gegen längere
Laufzeiten.
({1})
Wir kennen das. Diese Koalition macht ja in vielen
Bereichen Politik gegen die Mehrheit der Bevölkerung.
Das ist nicht nur beim Atomausstieg so. Ich erinnere nur
an die Themen „Rente erst mit 67“, „Mindestlohn“ oder
auch „Kriegseinsatz in Afghanistan“. Ich weiß nicht, wie
Sie das auf Dauer durchstehen wollen, aber das soll dann
Ihr Problem sein.
Die Kritik von uns als damals noch PDS an dem sogenannten Atomkonsens war, dass er nicht unumkehrbar
ist - das ist das Problem, das wir jetzt haben - und dass
große Zugeständnisse an die Konzerne gemacht wurden.
Es war ja nicht so, dass die Konzerne ohne Gegenleistung verzichtet und der Laufzeitbegrenzung zugestimmt
haben. Ihnen sind zum Beispiel sicherheitstechnische
Nachrüstungen erlassen worden. Sie haben bessere Standards für die steuerfreien Rückstellungen bekommen.
Weiterhin wurde eine Eignungshöffigkeit von Gorleben
attestiert.
Jetzt haben wir das Problem. Die Mehrheiten haben
sich geändert, und die Konzerne hoffen, dass ihnen - ähnlich wie anderen Sparten oder Konzernen oder Bereichen Zugeständnisse gemacht werden.
Die Laufzeitverlängerung ist nach übereinstimmender
Meinung vieler juristischer Gutachten ohne eine Zustimmung des Bundesrates nicht möglich, weil die Länder im
Vollzug des Atomgesetzes ganz andere und viel umfangreichere Aufgaben haben würden als jetzt. Aber kurz
nach der Nordrhein-Westfalen-Wahl, als die Mehrheit im
Bundesrat dahin war, hörten wir andere Stimmen aus der
Koalition. Merkwürdigerweise sagen genau die Länder,
die seinerzeit beim Atomkonsens der Meinung waren, es
sei eine Bundesratszustimmung nötig, jetzt, es sei keine
Bundesratszustimmung nötig. Beim Atomkonsens damals haben Baden-Württemberg, Bayern und Hessen darauf gedrängt, dass der Bundesrat zustimmen müsse.
Jetzt, wo es in eine Richtung geht, die ihnen gefällt, die
sie befürworten, sagen sie: Das interessiert den Bundesrat gar nicht.
({2})
Da scheinen Länder das Grundgesetz irgendwie nach
Lage der Dinge auszulegen. Sie scheinen das Grundgesetz nicht als gemeinsame Grundlage und Basis des gesellschaftlichen Zusammenlebens zu begreifen, das auch
in allen Fällen anzuwenden ist, sondern wollen es nach
Lage der Dinge und politischer Opportunität auslegen.
Das muss man noch einmal Revue passieren lassen:
Schon drei Tage nach der Wahl kam - übrigens aus
Ministerien genau der Länder Hessen und BadenWürttemberg - das Papier, das der Kanzlerin deutlich
machte: Es geht ohne den Bundesrat. - Ich frage mich:
Wieso produzieren Landesumweltministerien Papiere
für die Bundesregierung, machen Rechtsgutachten und
erstellen ein Strategie- und Schrittfolgepapier, um der
Kanzlerin zu sagen, welchen Weg sie zu gehen hat? Das
ist meiner Ansicht nach eine deutliche Überschreitung
ihrer Kompetenz.
({3})
Wie dreist muss man eigentlich sein, wenn man in
diesem Papier eine Laufzeitverlängerung, die weitere
Vermehrung von Atommüll, Milliardenprofite der Konzerne und die Sicherheitsrisiken gegenüber den Menschen als „Signalwirkung Atomausstieg“ benennt? Das
kann ich nur als Wählerinnen- und Wählerverdummung
begreifen, und genau so verstehen die Menschen das
auch. Genau dagegen wehren sie sich - zu Recht laut,
bunt und vielfältig. Das werden wir weiterhin unterstützen. Mit dem Vorhaben werden Sie nicht durchkommen.
Wenn die Konzerne jetzt den Atomkompromiss von damals aufkündigen, dann brauchen Sie nicht zu glauben,
dass die Antiatombewegung nicht zu der alten Forderung zurückkommt: Sofortiger Atomausstieg!
Ich danke.
({4})
Das Wort hat der Kollege Michael Kauch für die
FDP-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es ist
schon bemerkenswert, wenn sich hier eine Vertreterin
der Linken als Hüterin der Verfassung aufspielt - eine
Vertreterin der Partei, deren Landtagsabgeordnete in
NRW vom Verfassungsschutz überprüft werden, weil sie
genau diese verfassungsmäßige Ordnung abschaffen
wollen,
({0})
weil sich eine Abgeordnete Ihrer Partei in NRW nicht
dazu durchringen kann, zu sagen, dass die Diktatur Ihrer
Vorgängerpartei Unrecht war. Das ist doch die Wahrheit.
Deshalb sollten Sie hier schweigen.
({1})
- Herr Kelber, Sie sind für solche Fragen eigentlich ungeeignet.
Ich komme zur SPD, die uns ein verfassungsrechtliches Seminar halten will. Ich weise darauf hin, dass die
SPD an Regierungen beteiligt war, denen vom Bundesverfassungsgericht bescheinigt wurde, dass das Gesetz
zur Pendlerpauschale verfassungswidrig ist, dass das
Gesetz zum Abschuss von Passagierflugzeugen verfassungswidrig ist, dass die Hartz-IV-Kinderregelsätze verfassungswidrig sind und dass die Vorratsdatenspeicherung verfassungswidrig ist. Wir, die FDP, brauchen von
der SPD, die in den letzten elf Jahren Schindluder mit
der Verfassung getrieben hat, keine Nachhilfe, wie man
verfassungsfeste Gesetze macht.
({2})
Die Botschaft lautet klar: Die FDP wird dafür sorgen,
dass es eine verfassungsfeste Lösung bei den Laufzeiten
von Kernkraftwerken geben wird. Das ist unsere Maßgabe. Das wird diese Bundesregierung sicherstellen,
meine Damen und Herren von der SPD. Die Verlängerung der Laufzeiten ist keineswegs - das suggerieren Sie
mit dem Titel dieser Aktuellen Stunde - nicht verfassungsgemäß. Der Bund hat die Gesetzgebungskompetenz. Das Einzige, worüber man diskutieren muss - das
ist in der Tat eine komplexe juristische Frage -, ist die
Zustimmungsbedürftigkeit durch den Bundesrat. Wir
wollen festhalten: Keiner hat eine klare Mehrheit im
Bundesrat, weder Sie noch wir. Deshalb müssen wir uns
anschauen, wie es verfassungsmäßig aussieht.
({3})
- Herr Trittin, ich wüsste nicht, dass die Grünen die
Mehrheit im Bundesrat haben. Das wäre eine spannende
Interpretation.
({4})
Wir sollten hier nicht nach politischer Opportunität
argumentieren.
({5})
Sie führen die Diskussion über die Verfassungsmäßigkeit erst, nachdem klar ist, dass wir keine eigene Mehrheit für ein zustimmungspflichtiges Gesetz im Bundesrat
mehr haben.
({6})
- Herr Kelber, wir haben unsere Meinung überhaupt nicht
geändert. - Wir gehen nicht mit verfassungsmäßigen Einschätzungen an die Öffentlichkeit. Die FDP wird diese
Frage seriös prüfen. Dafür ist beispielsweise das Bundesministerium der Justiz zuständig. Sabine LeutheusserSchnarrenberger ist dafür bekannt, dass sie die Verfassung verteidigt. Sie hat oft genug gegen Ihre Gesetze erfolgreich geklagt, Herr Kelber.
({7})
Wie gesagt, es handelt sich hier um eine komplexe juristische Frage. Ich sage insbesondere an die Adresse der
sogenannten Südländer: Eine reine Umkehrung der Argumentation - da es damals zustimmungsfrei war, gilt
das auch für die Laufzeitverlängerung - reicht als Begründung nicht aus. Es gilt aber auch nicht die Logik,
dass es sich um ein zustimmungspflichtiges Gesetz handelt, sobald ein bisschen Verwaltungsarbeit auf die Länder zukommt. Beide Argumentationen sind eindeutig
nicht tragfähig, wie die Gutachten zeigen, die beispielsweise vom Wissenschaftlichen Dienst des Bundestages
erstellt worden sind. Dementsprechend liegt es an der
Ausgestaltung des Gesetzes, ob eine Zustimmungspflicht ausgelöst wird.
Ich möchte Ihnen deutlich machen, dass ein Reststrommengenansatz geradezu ungeeignet ist, Ihre juristische Position zu unterstützen, Herr Kelber; denn wenn
Reststrommengen gesetzlich vorgegeben sind, weiß man
nicht genau, wie lange ein Land seine Verwaltungstätigkeit ausüben muss. Ein Kernkraftwerk kann beispielsweise zwei Jahre stillstehen, weil es abgeschaltet wurde;
das ist in der Vergangenheit vorgekommen. Vor diesem
Hintergrund bedeutet eine Erhöhung der Reststrommenge nicht automatisch eine Verlängerung der Verwaltungstätigkeit der Länder. Herr Kelber, es ist alles nicht
so einfach, wie Sie es der deutschen Öffentlichkeit weismachen wollen.
Wir begrüßen, dass die Bundesregierung beschlossen
hat, eine einheitliche Haltung herbeizuführen, und zwar
zusammen mit den Ministerien, die für die Verfassung
zuständig sind, nämlich dem Justiz- und dem Innenministerium. Das ist der richtige Weg und nicht die
populistische Debatte, die Sie heute im Deutschen Bundestag anzetteln.
({8})
Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat nun die
Kollegin Sylvia Kotting-Uhl das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Herr Umweltminister, Herr Kauch, wenn ein Atomkraftwerk zwei Jahre stillsteht, ist das im Allgemeinen kein
Anlass für die Atomaufsicht, sich ins Bett zu legen; ganz
im Gegenteil: Es hat meistens seine Gründe, wenn ein
Atomkraftwerk stillsteht. Die NRW-Wahl ist vorbei.
Man merkt, wie sie schmerzt. Schwarz-Gelb ist abgewählt worden,
({0})
und Ministerpräsident Mappus von Baden-Württemberg
eröffnet schon einmal den Wahlkampf in BadenWürttemberg, indem er glaubt, er könnte das Rezept von
Herrn Röttgen fortführen: Du verlierst einen Wahlkampf
dadurch am besten, indem du die Defizite der Bundesregierung aufzeigst. Das ist besonders sinnvoll, wenn sie
deine eigene Regierung ist. ({1})
- Entschuldigung, NRW und das R haben mich verwirrt.
Was nicht ist, kann noch werden. - Es muss jetzt nicht
meine Sorge sein, wie man nach Meinung von Herrn
Mappus am besten eine Wahl verlieren kann.
({2})
Es muss auch nicht meine Sorge sein, wenn Ministerpräsidenten plötzlich nichts Besseres zu tun haben, als sich
mächtig dafür ins Zeug zu legen, dass man die Zustimmungspflicht der Länder beschneidet. Ich bin aber schon
besorgt, wenn ich Argumentationen wie die von Herrn
Pofalla höre, die rot-grüne Regierung unter Kanzler
Schröder habe den Ausstieg ohne den Bundesrat beschlossen und daher sei eine Verlängerung der Laufzeiten jetzt auch nicht an die Zustimmung der Länder gebunden. Das ist, als würde ich eine Autobahnausfahrt
nehmen, mich dann entschließen, wieder auf die Autobahn zu fahren, und über dieselbe Ausfahrt wieder auf
die Autobahn fahren. Was dabei herauskommt, wissen
wir: Geisterfahrten.
({3})
Kommen wir zum eigentlichen Thema, zur Auftragsverwaltung der Länder. Diejenigen, die jetzt glauben, es
gäbe keine Zustimmungspflicht der Länder, gehen davon
aus, dass die Auftragsverwaltung lediglich verlängert
wird und keine neuen Aufgaben entstehen. Das funktioniert aber nur, wenn man außer Acht lässt, was zumindest Herr Röttgen immer betont hat, nämlich dass es
Laufzeitverlängerungen nur unter massiven Sicherheitsauflagen gibt. Diese Sicherheitsauflagen bringen durchaus neue Aufgaben für die Atomaufsicht und damit für
die Länder mit sich. Schon daraus ergibt sich, dass eine
Zustimmungspflicht der Länder zwingend ist; denn sie
werden belastet werden, wenn die Sicherheitsauflagen
ernst gemeint sind.
Man darf inzwischen wieder zweifeln, wenn man die
neuesten Botschaften hört. Ob sich die Summen für die
Sicherheitsauflagen eher bei 11 Milliarden Euro, wie
Herr Brüderle meint, oder bei bis zu 50 Milliarden Euro
bewegen, wie Herr Röttgen meint, ist ungewiss. Ich zumindest habe bisher noch nicht gehört, dass man davon
ausgeht, dass man gar keine Sicherheitsauflagen braucht.
Wir können gespannt sein, wie weit sie reduziert werden. Eine Möglichkeit, den Bundesrat zu umgehen, besteht darin, dass man die eventuellen Mehrkosten von
Bundesseite aus kompensiert. Ich rate nicht, diesen Weg
zu gehen. Ich glaube, auf diese öffentliche und auch parlamentarische Debatte kann sich die Opposition freuen.
Sie sollten sie eher scheuen.
({4})
Herr Röttgen, Sie sagten vorhin, es gehe um eine rein
verfassungsrechtliche Frage, die man nicht politisieren
sollte. Ich zitiere die Bundeskanzlerin, die sagte: Wir
werden unsere politische Überzeugung durchsetzen. Das wird als klare Ansage interpretiert, dass es zu einer
Verlängerung kommen werde. Da frage ich mich: Ist es
egal, wie die Rechtslage aussieht? Sie scheint in diesem
Fall nicht ganz mit Ihnen übereinzustimmen. Aber die
Klärung ist ja innerhalb der Koalitionsfraktionen und vor
allem innerhalb der Union auf der Tagesordnung.
Nichtsdestoweniger - ich will Sie, Herr Umweltminister Röttgen, nicht in Schutz nehmen - wollen auch
Sie die Laufzeiten verlängern. Die Frage, ob es acht
Jahre, zwölf Jahre oder 28 Jahre sind, ist eigentlich
nachrangig. Wir wissen, dass es für den Klimaschutz,
den Aufbau einer neuen Energiestruktur und den Umbau
hin zu den erneuerbaren Energien wichtig ist, dass es
beim Atomausstieg bleibt. Deswegen möchte ich noch
einmal ein Zitat von Ihnen, Herr Röttgen, aufgreifen. Sie
sagten vorhin: Die Konzerne sehnen sich nach Klarheit. Ich rate Ihnen: Geben Sie den Konzernen die Klarheit
zurück. Hören Sie auf, sich mit der Laufzeitverlängerung
ein Verliererthema ans Bein zu binden, das Ihnen weiterhin Ärger mit den Länderregierungen einbringen wird!
Bleiben Sie beim Atomausstieg! Dieses Gesetz war gut
und richtig.
({5})
Für die Unionsfraktion spricht nun der Kollege
Dr. Georg Nüßlein.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen! Meine Herren! Zunächst einmal möchte ich festhalten: Es ist legitim, sich
die Frage zu stellen, ob eine so wichtige Entscheidung
mit oder ohne Zustimmung des Bundesrates erfolgen
kann. Das sagt erst einmal nichts über die politische Umsetzung aus.
Wenn Sie heute einen Juristen fragen, wie die Rechtslage ist, dann wird er Ihnen entweder beschreiben, wie es
grundsätzlich ist, oder er wird sagen: Es kommt darauf
an. Auf dieses „Es kommt darauf an“ kommt es an dieser
Stelle ausnahmsweise wirklich an. Die Mehrheit der
Gutachten, die mir vorliegen, unter anderem eines des
Wissenschaftlichen Dienstes, das ich selber in Auftrag
gegeben habe, spricht ganz klar von Gestaltungsspielräumen.
({0})
Es kommt also auf die Ausgestaltung durch den Deutschen Bundestag an, ob die Zustimmung des Bundesrates erforderlich ist oder nicht.
({1})
Mehr sagt das zunächst einmal nicht aus.
({2})
Wir müssen also überlegen, wie wir damit umgehen. Für
den Bundestag ist es zunächst eine wichtige Botschaft,
dass es Gestaltungsspielräume gibt.
Da der Kollege Kelber von windigen Konstruktionen
sprach, obwohl er noch gar nicht weiß, was da im Raum
steht, sage ich Ihnen einmal, was eine windige Konstruktion ist, nämlich das, was in dem Zusammenhang im
Nordrhein-Westfalen-Wahlkampf gelaufen ist. Da ist
Folgendes passiert: Da hat doch tatsächlich ein Sekretär
unseres Umweltausschusses unter dem Label des Wissenschaftlichen Dienstes - was ein Skandal an sich ist publiziert, diese Entscheidung sei zustimmungspflichtig.
Das hat er gemeinsam mit einer Rechtsreferendarin gemacht, und es sieht aus wie ein Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes. Nun wurde es natürlich fleißig
von den Grünen im Wahlkampf instrumentalisiert. Das
ist windig.
({3})
- Das muss man noch dazusagen: Der Sekretär des Umweltausschusses hat für die SPD im Bundestag kandidiert, allerdings erfolglos, darum ist er jetzt immer noch
Sekretär.
({4})
Diese Parteizugehörigkeit macht deutlich, dass meine
Worte keine leeren Worte sind, sondern dass es sich tatsächlich um eine Instrumentalisierung des Themas handelt. Das werden wir auch noch - da gibt mir der Kollege Kauch sicher recht - thematisieren.
({5})
Es bringt nichts, in einer Aktuellen Stunde innerhalb
weniger Minuten in einen Gutachterstreit einzutreten
und Juristisches taktisch gegeneinander abzuwägen. Wir
müssen uns Folgendes vor Augen halten:
Erstens ist es richtig, dass unser Energiekonzept deutlich macht, wie wir das Energiethema ökonomisch und
ökologisch sinnvoll gestalten wollen.
Zweitens ist es richtig, dass der Vorrang erneuerbarer
Energien im Gesetz steht. Damit ist es falsch, wenn hier
behauptet wird, mögliche Laufzeitverlängerungen gingen zulasten der erneuerbaren Energien. Das ist falsch;
denn es steht etwas anderes im Gesetz.
({6})
- Wenn Sie sagen, das Gesetz sei nicht die Realität, dann
sage ich Ihnen ganz offen: Bei uns sind die Gesetze, die
wir machen, durchaus Realität.
({7})
Wenn Sie das anders sehen, dann tut es mir leid.
Drittens ist richtig, dass mit Blick auf das Thema Klimaschutz der Aufwuchs der erneuerbaren Energien zuerst die Energiequellen ersetzt, die CO2 produzieren, und
erst danach die Kernenergie. Es macht Sinn, so vorzugehen. Das war mit Blick auf den Klimaschutz erforderlich.
Weil Sie vorhin immer von Klientelpolitik und Lobbyismus gesprochen haben, sage ich: Das ist falsch. Wir
wollen im Falle einer Laufzeitverlängerung eine Ökodividende abschöpfen und das Geld, das hier zusätzlich
generiert wird, in die dringend notwendige Erforschung
erneuerbarer Energien stecken. Das hat nichts mit Klientelpolitik zu tun. Ganz im Gegenteil: Wir bringen das
Thema voran; das halte ich für ganz entscheidend.
Grundfalsch ist, Ideologie vor Realität zu stellen.
({8})
Ich erspare Ihnen nicht das übliche ceterum censeo an
dieser Stelle: Die Grünen haben von Anfang an immer
gesagt, Kernenergie sei unverantwortlich,
({9})
eine brandgefährliche Technologie, und man müsse sofort aussteigen. Aber was haben Sie im Jahr 2000
gemacht? Sie haben die Laufzeit dieser „unverantwortlichen Technologie“ um 20 Jahre verlängert. Das ist unverantwortliche und inkonsequente Politik, meine Damen und Herren. Das müssen Sie sich hier noch lange,
lange vorhalten lassen.
Vielen herzlichen Dank.
({10})
Der Kollege Rolf Hempelmann spricht nun für die
SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr
Kollege Nüßlein, jetzt habe ich Ihre Logik, warum dieses Mal, genau wie im Jahre 2000, keine Länderbeteiligung notwendig ist, endlich verstanden: weil wir, wie
Sie gerade gesagt haben, schon damals eine Verlängerung der Laufzeit um 20 Jahre beschlossen haben.
({0})
Zumindest wenn man in Ihrer Logik bleibt, ist das nachvollziehbar. Sie gestatten uns aber, dass wir das ein bisschen anders sehen.
({1})
Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, wenn man sich
anschaut, was im letzten guten halben Jahr im Bereich
der Energiepolitik dieser Regierungskoalition passiert
ist, dann fällt einem eigentlich nur eines auf, nämlich die
Ankündigung eines Energiekonzeptes für den Herbst
2010. Das Einzige, was darüber hinaus konkret gesagt
worden ist, lautet: Wir wollen die Verlängerung der
Laufzeit von Atomkraftwerken. - Ansonsten: Funkstille.
({2})
Wenn man sich die Praxis ansieht, also das, was zwischenzeitlich passiert ist, dann stellt man fest: All das,
was erfolgreich durchgeführt worden ist, ist mittlerweile
in Gefahr. Beispielsweise läuft das erfolgreiche Marktanreizprogramm für erneuerbare Energien im Wärmebereich jetzt aus; der Finanzminister ist in einem heftigen
Streit mit dem Umweltminister. Die Mittel für das CO2Gebäudesanierungsprogramm werden nur bis etwa Mitte
dieses Jahres ausreichen; anschließend wird auch dieses
Programm, jedenfalls zunächst einmal, unterbrochen.
Das bedeutet, die Strukturen, die aufgebaut worden sind,
die Märkte und Arbeitsplätze, die entstanden sind, werden wieder verloren gehen. Tolle Bilanz nach einem halben Jahr!
({3})
Was das Thema Laufzeitverlängerung angeht, hat es
von Anfang an innerhalb der Union und innerhalb der
Koalition eine Dissonanz der Stimmen gegeben. Es hat
immer wieder Stimmen gegeben, die darauf aufmerksam
gemacht haben, welche Folgen man sich damit eigentlich einkauft. Es wurden, zum Beispiel von den neuen
Energieanbietern, Gutachten in Auftrag gegeben, in denen darauf hingewiesen wurde, dass schon getätigte Investitionen gefährdet sind und geplante Investitionen zurückgestellt werden, dass also genau das, was Sie, Herr
Minister, eingefordert haben, nämlich Planbarkeit und
Zuverlässigkeit, verloren gegangen ist und deshalb Investitionen, die dringend notwendig sind, zurzeit unterbleiben und vermutlich auch in der Perspektive nicht getätigt werden.
In den Gutachten wurden auch die wettbewerblichen
Folgen einer Laufzeitverlängerung thematisiert. Hier
werden Strukturen zementiert, die wir eigentlich zurückbauen wollen. Wir werden nämlich erleben, dass insbesondere die großen Vier gestärkt werden, weil sie die
Kernkraftwerke haben, und die anderen ihre Marktposition letztlich nicht werden ausbauen können. Vor diesem
Hintergrund und insbesondere in Anbetracht der Ziele,
die Sie gerade selbst genannt haben - Klarheit und Investitionssicherheit -, kann man nur an Sie appellieren:
Rücken Sie von diesem Kurs ab, der auch in Ihren eigenen Reihen höchst umstritten ist.
({4})
Das Tüpfelchen auf dem i ist die Frage der Länderbeteiligung. Natürlich kann man hier einen Vortrag halten,
wie es der Minister gerade getan hat, und suggerieren,
dass jetzt alles sauber und ergebnisoffen geprüft wird.
Nur, wie wollen Sie dann erklären, was zurzeit in Ihren
eigenen Reihen öffentlich geschieht? Erklären Sie doch
dann einmal die Äußerungen der Ministerpräsidenten, in
deren Ländern Kernkraftwerke stehen, gleichen Sie
diese Aussagen mit den Äußerungen der Ministerpräsidenten ab, die auch betroffen sind, in deren Verantwortungsbereich es aber keine Kernkraftwerke gibt, und
kommentieren Sie dann die unterschiedlichen Äußerungen auch von Teilen der Bundesregierung. Wenn das alles so harmlos ist, wenn es hier nur um eine ergebnisoffene Prüfung geht, dann würde mich wirklich
interessieren, wie diese Dissonanzen tatsächlich zu erklären sind.
Ich will es Ihnen sagen: Es ist nicht nur eine verfassungsrechtliche, sondern durchaus auch eine moralische
Frage, ob man die Länder, die eindeutig betroffen sind,
beteiligt. Experten sagen sogar: Wenn nur Unklarheit besteht, ob es Konsequenzen für die Länder gibt - zum
Beispiel finanzielle Folgen -, löst das automatisch eine
Zustimmungspflicht aus. Orientieren Sie sich bitte an
diesem Grundsatz! Am besten aber: Kommen Sie von einer falschen Energiepolitik ab! Versuchen Sie, wieder in
der Kontinuität dessen zu handeln, was in den elf Jahren
zuvor aufgebaut worden ist!
Vielen Dank.
({5})
Das Wort hat der Kollege Klaus Breil für die FDPFraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Diese Aktuelle Stunde ist fehl am Platze, weil sie
nicht aktuell ist, sondern gezielt irreführend.
({0})
Sie führt in die Irre, weil dabei bewusst mit falschen Begriffen hantiert wird. Wenn überhaupt, können wir über
eine Normalisierung der Laufzeiten reden.
({1})
Es handelt sich um eine Normalisierung, weil es hier um
international übliche Normen geht, um weltweit Normales und Anerkanntes.
({2})
Ich will Ihnen das einmal bildlich erklären; dann ist es
für Sie einfacher zu verstehen. Vor einigen Jahren hat ein
rot-grünes Ehepaar noch in den Flitterwochen dem ungeliebten Stiefkind Leonie aus Missmut das Taschengeld
gekürzt. Heute, nachdem die rot-grüne Ehe erfolgreich
geschieden ist, will Leonie das Taschengeld natürlich
wieder in gewohnter Höhe erhalten, und zwar so, wie es
alle Geschwister schon immer bekommen haben. Die
Stiefmutter ist ja weg. So weit ist es einleuchtend.
({3})
Doch auf einmal soll nun Leonie alle ihre Tanten und
Onkel um Zustimmung für ein vernünftiges Anliegen
bitten, und das, obwohl die Familie bei der Kürzung gar
nicht gefragt wurde.
({4})
Diese Logik ist mehr als schräg; sie ist widersinnig.
Ihre Kollegin, die Sozialdemokratin und rheinlandpfälzische Umweltministerin Margit Conrad, hat dies
eingesehen: Vor drei Monaten beschied ihr Ministerium,
dass die Neuordnung der Laufzeiten keiner Zustimmung
des Bundesrates bedürfe. Natürlich muss man das genau
prüfen.
Ich zitiere aus der Zusammenfassung eines Gutachtens des Wissenschaftlichen Dienstes vom 5. Mai dieses
Jahres:
Es liegt weitgehend beim Bundestag, ein Gesetz so
zu beschließen, dass die Zustimmung des Bundesrates nicht erforderlich ist.
({5})
Mit deutlicher Mehrheit haben sich die Wählerinnen
und Wähler bei der Bundestagswahl für eine sinnvolle
und kontrollierte Harmonisierung der Laufzeiten von
Kernkraftwerken entschieden.
({6})
Sie haben sich so entschieden, weil ein weiterer Betrieb
der nach internationalem Standard sichersten Kernkraftwerke unsere ökonomisch und ökologisch sinnvollste
Option ist.
Mit einer Normalisierung der Laufzeiten schaffen wir
die Voraussetzung für den in der Geschichte Deutschlands größten Umbau der Energieversorgung: Wir werden die regenerativen Energien in Deutschland zum tragenden Pfeiler unserer Energieversorgung machen.
({7})
In diesem Wandlungsprozess entsteht in Deutschland
eine gewaltige Großbaustelle in Sachen Energieinfrastruktur, ein energetischer Eurotunnel in Richtung Zukunft.
Das bedeutet 1 000 Kilometer neue Energieautobahnen, die den Strom großer Windanlagen von der Küste
quer durch ganz Deutschland transportieren. Investitionsbedarf hier: 40 Milliarden Euro. Das bedeutet die
Bereitstellung intelligenter Netze, die Stromeinspeisung
und Stromverbrauch intelligent regeln. Das bedeutet innovative Speichertechnologien, um regenerative Energie
zwischenzulagern, bis sie gebraucht wird.
Bei diesem Drahtseilakt bilden unsere Kernkraftwerke das Netz, das uns absichert, bis der Wandel erfolgreich abgeschlossen ist.
({8})
Erst wenn die regenerativen Energien genauso verlässlich Strom liefern wie heute die konventionellen Energieträger, können wir auf Kernenergie und Kohle verzichten. Alles andere ist gegenüber den Bürgerinnen und
Bürgern nicht zu verantworten.
Vielen Dank.
({9})
Das Wort hat der Kollege Dr. Michael Paul für die
Unionsfraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Gestatten Sie mir, dass ich zur Sache spreche, nämlich zum
Thema der Aktuellen Stunde: Ist ein Gesetz zustimmungspflichtig, in dem die Laufzeiten der Kernkraftwerke verlängert werden?
Das hängt natürlich davon ab, was der genaue Inhalt
des Gesetzes ist. Wer von vornherein sagt: „Ein solches
Gesetz ist immer zustimmungspflichtig“, der liegt genauso falsch wie jemand, der sagt: „Ein solches Gesetz
ist nie zustimmungsbedürftig“. - Auf den Inhalt kommt
es an.
({0})
Das sieht im Übrigen auch das Bundesverfassungsgericht so. Wie sieht es bei einem Gesetz aus, das eine
reine Laufzeitverlängerung beinhaltet? Beim Atomrecht
führen die Bundesländer das Gesetz im Auftrag des Bundes aus. Es handelt sich also um eine Bundesauftragsverwaltung; Norbert Röttgen hat bereits darauf hingewiesen. In diesem Bereich der Bundesauftragsverwaltung
unterscheidet das Bundesverfassungsgericht drei Fälle
von Gesetzen.
Im ersten Fall ist ein Gesetz zustimmungsbedürftig,
wenn der Bund darin den Ländern erstmals eine neue
Aufgabe überträgt. Eine neue Aufgabe wird den Ländern
aber bei einer Laufzeitverlängerung sicherlich nicht
übertragen. Schließlich üben sie bereits seit Beginn der
Nutzung der Kernenergie in Deutschland die Aufgabe
aus, den Betrieb der Kernkraftwerke zu beaufsichtigen.
Das wird auch in der Zukunft so sein.
Im zweiten Fall ist ein Gesetz zustimmungsbedürftig,
wenn dadurch den Aufgaben der Landesbehörden „eine
wesentlich andere Bedeutung und Tragweite“ verliehen
wird, so das Bundesverfassungsgericht. Bei einer Laufzeitverlängerung ändern sich die Aufgaben der Behörden aber nicht. Schon gar nicht bekommen die Aufgaben
eine andere Bedeutung oder Tragweite. Vielmehr beaufsichtigen die Landesbehörden die Kernkraftwerke auch
in der Zukunft so, wie sie es bereits schon heute tun
müssen.
({1})
Sie beaufsichtigen die Kraftwerke zwar zeitlich länger; das ist richtig. Diese zusätzliche Dauer der Verwaltungstätigkeit ist aber rein quantitativ und hat keine neue
Qualität. Das Bundesverfassungsgericht hat schon festgelegt, dass eine solche rein quantitative Mehrung von
Verwaltungsaufgaben gerade nicht zur Zustimmungsbedürftigkeit führt.
({2})
- Zu Ihrem Einwand mit den Sicherheitsanforderungen,
Frau Kotting-Uhl, komme ich gleich.
({3})
Es handelt sich bei einem Gesetz, in dem die bloße
Laufzeitverlängerung geregelt wird, vielmehr um den
dritten Fall. Hier werden keine neuen Aufgaben übertragen oder bereits übertragene Aufgaben qualitativ verändert. Die Verlängerung der Laufzeiten, also, um es präzise zu sagen, die Erhöhung der Reststrommengen,
verändert bloß den Zeitraum, in dem die Landesbehörden die Aufsicht führen müssen. Ein solches reines
Laufzeitverlängerungsgesetz ist nach diesen Kriterien
des Bundesverfassungsgerichts deshalb nicht zustimmungsbedürftig.
Wenn Sie darauf nun entgegnen, dass sich die Länder
darauf eingestellt hätten, die Aufgaben nur zeitlich befristet auszuüben, so kann ich dem Kollegen Kauch an
dieser Stelle nur zustimmen: Auch bisher konnten sich
die Länder gerade nicht auf ein bestimmtes Enddatum
einstellen, an dem die Kraftwerke vom Netz gehen. Sie,
die Damen und Herren von SPD und Grünen, haben
doch in Ihrer Regierungszeit im Jahr 2002 beschlossen,
dass die Betriebszeiten nicht befristet, also mit einem
festen Enddatum versehen werden, sondern dass eine
Reststrommenge abhängig vom Betrieb der Anlage aufgebraucht werden darf. Damit stand für die Länder nicht
fest, wann ihre Aufgabe, nämlich über den Betrieb der
Kernkraftwerke die Aufsicht auszuüben, endet.
Da ich schon beim Ausstiegsgesetz von 2002 bin: Damals musste der Bundesrat dem Gesetz nicht zustimmen;
das haben Sie von SPD und Grünen gesagt. Dabei wurden dort nicht nur die Reststrommengen geregelt. Vielmehr haben Sie neue Pflichten eingeführt, auch bei den
Sicherheitsauflagen. Jetzt bin ich bei Ihnen, Frau
Kotting-Uhl. Sie haben festgeschrieben, dass Kernkraftwerksbetreiber eine periodische Sicherheitsüberprüfung
verbindlich durchführen müssen und diese den Landesaufsichtsbehörden vorzulegen sind.
({4})
Die Behörden müssen zusätzlich zu ihren bisherigen
Aufgaben genau dies prüfen.
Das heißt, all das ist doch viel eher eine Änderung
von Vorschriften, durch die die Qualität der Aufgabe
verändert wird, als es bei einer bloßen Laufzeitverlängerung sein würde. Trotzdem haben Sie damals erklärt, das
Gesetz sei nicht zustimmungsbedürftig. Heute dagegen
sagen Sie, ein Gesetz mit einer reinen Laufzeitverlängerung müsse auf jeden Fall zustimmungsbedürftig sein.
Das nimmt Ihnen nun wirklich niemand ab.
({5})
- Ich habe sehr genau zugehört. Ich sehe auch keinen
Widerspruch.
Das Grundgesetz gibt nicht vor, dass Laufzeiten in jedem Fall nur mit Zustimmung des Bundesrates verlängert werden können. Ob die konkreten Regelungen eines
vorzulegenden Gesetzes zustimmungsbedürftig sind,
wird die Bundesregierung sehr genau prüfen. Unabhängig davon, ob der Bundesrat zustimmen muss oder nicht,
gilt: Auch in Zukunft werden wir in Deutschland die
weltweit strengsten Sicherheitsstandards für Kernkraftwerke haben. Bei der Sicherheit von Kernkraftwerken
wird es keine Kompromisse geben.
Vielen Dank.
({6})
Das Wort hat die Kollegin Christine Lambrecht für
die SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Die Rede meines Vorredners
im Zusammenhang mit der Rede des Ministers gesehen,
zeigt wunderbar die Unstimmigkeiten auf, die bezüglich
der Einschätzung der hier anstehenden Frage herrschen.
Herr Röttgen sagt, tendenziell müsse man die Länder beteiligen. „Tendenziell“ - das ist für mich ein neuer
Rechtsbegriff. Sie sagen: Das ist völlig unproblematisch,
man muss die Länder nicht beteiligen. Ich glaube, das
zeigt deutlich, was für ein Tohuwabohu bei Ihnen in der
Koalition herrscht. Ich finde, das sollten Sie einmal klären.
({0})
Herr Röttgen, Sie haben uns aufgefordert, diese Frage
verfassungsrechtlich und nicht politisch zu prüfen. Man
muss sich überlegen, wie Sie auf diese für mich als Juristin hochspannende Frage gekommen sind. Haben Sie innerhalb der Koalition ein rechtspolitisches Seminar besucht und sich diese Frage vorgenommen? Das war es
doch wohl nicht. Ich glaube, die Frage, ob der Bundesrat
an der Entscheidung zu Laufzeitverlängerungen beteiligt
werden soll, wird erst seit einem politischen Ereignis intensiv diskutiert, nämlich ab dem Moment, ab dem Sie
durch die Wahlschlappe in NRW die Mehrheit im Bundesrat verloren haben. Das ist der Hintergrund und nicht
Ihr Interesse am Verfassungsrecht.
({1})
Es ist sehr wohl eine politische Fragestellung. Sie sagen, wir alle müssten ein Interesse daran haben, dass
eine Laufzeitverlängerung verfassungskonform beschlossen werden muss, um nicht angreifbar zu sein. Ich
sage Ihnen: Daran haben wir kein Interesse.
({2})
Wir haben weder ein Interesse daran, dass eine Laufzeitverlängerung mit Beteiligung des Bundesrates beschlossen wird, noch haben wir ein Interesse an dem Beschluss
einer Laufzeitverlängerung ohne Beteiligung des Bundesrates. Wir wollen überhaupt keine Laufzeitverlängerung in diesem Bundestag beschließen.
({3})
Sie haben gesagt: Die Konzerne brauchen Klarheit.
Das zeigt, dass Sie noch nicht lange in diesem Ressort
tätig sind. Ich komme aus dem Wahlkreis Bergstraße. In
der Nähe liegt das Kernkraftwerk Biblis. Es gibt regelmäßig Gespräche über die Kernkraft. Für mich als bekennende AKW-Gegnerin sind das nicht immer vergnügungsteuerpflichtige Veranstaltungen gewesen. Als wir
im Deutschen Bundestag den Atomkompromiss verabschiedet haben, war ich dort zu Gast. Ich habe mich auf
einiges eingestellt und mich gefragt, was wohl kommen
wird. Herr Röttgen, wissen Sie, was passiert ist? Ein
Kraftwerksbetreiber hat mir sehr zur Überraschung einiger quer durch den ganzen Saal ausdrücklich dafür gedankt - hören Sie gut zu, das können Sie überall nachlesen -, dass jetzt endlich Klarheit darüber herrsche, wie
es mit den Kraftwerken weitergehe, dass sie endlich Planungssicherheit hätten.
({4})
Dafür hat er mir gedankt. Die Klarheit besteht also
längst, und zwar durch den Atomkompromiss. Diese
Klarheit heben Sie durch das derzeit von Ihnen veranstaltete Tohuwabohu auf. Wenn Sie Klarheit wollen,
dann machen Sie endlich Schluss mit den Debatten über
die Verlängerung der Laufzeiten von Atomkraftwerken.
Dann haben die Kraftwerksbetreiber endlich wieder die
Planungssicherheit, die sie vorher schon hatten.
({5})
Sie haben uns aufgefordert, dass wir bitte nicht geifern sollen. Ich glaube, Sie haben nicht uns gemeint. Das
ging eher in eine andere Richtung. Sie haben wohl den
CDU-Ministerpräsidenten von Baden-Württemberg gemeint, der Sie zum Rücktritt aufgefordert hat. Ich kann
mir vorstellen, dass er der Adressat war. Leider sitzt er
nicht hier. Er hat sich wahrscheinlich nicht getraut, an
der Debatte teilzunehmen.
Ich muss Ihnen sagen: Das ist schon ein unglaublicher
Vorgang. Ich bin seit elf Jahren in diesem Parlament.
Aber damit, dass ein CDU-Ministerpräsident einen
CDU-Umweltminister zum Rücktritt auffordert, weil
dieser in einer Angelegenheit, die die Länder betrifft, die
Länder gerne mit beteiligen möchte, haben Sie zwar
keine Verfassungsgeschichte, aber wenigstens Geschichte geschrieben. Das ist schon ein toller Vorgang.
Ich muss sagen: Respekt!
({6})
Man könnte sich in der Opposition eigentlich zurücklehnen und zuschauen, wie Sie sich zerfleischen. Aber
das wäre unverantwortlich; denn es geht nicht darum, irgendetwas komisch zu finden - das ist es nämlich schon
lange nicht mehr -, sondern es geht unter anderem um
das Sicherheitsbedürfnis der Menschen. Ich habe bereits
gesagt, dass in meinem Wahlkreis das Atomkraftwerk
Biblis steht. Das ist einer der ältesten Meiler. Die Menschen dort haben sehr große Befürchtungen, was die Sicherheit angeht.
({7})
Darüber hinaus besteht ein großes Problem in Bezug auf
Terrorangriffe. Auch das ist aufgrund der Dicke der Betondecke mittlerweile festgestellt. Dort sehen die Menschen die Verlängerung der Laufzeiten ganz anders. Bei
der Großdemonstration am 24. April waren mehr als
20 000 Menschen auf den Beinen, nicht weil sie eine
Verlängerung der Laufzeiten wollen, sondern weil sie
wollen, dass dieser alte Meiler endlich abgeschaltet wird
und nicht noch länger am Netz bleibt, weil diese Unsicherheit nicht noch länger zu akzeptieren ist.
({8})
Ich finde es unglaublich, mit welcher Arroganz Sie
über die Interessen der Menschen vor Ort hinweggehen
und sie einfach nicht wahrnehmen. Aber das ist anscheinend Ihre Politik. Sie haben aus der Schlappe bei der
Wahl in NRW am 9. Mai nichts gelernt. Sie regieren an
den Interessen der Menschen vorbei. Dafür werden Sie
auch auf Bundesebene die Quittung bekommen.
Vielen Dank.
({9})
Das Wort hat der Kollege Thomas Bareiß für die
Unionsfraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Erlauben Sie mir eine kurze Vorbemerkung: Wir
diskutieren bereits eine Stunde lang über die Mitbestimmung des Bundesrates. Der Bundesrat scheint aber gar
kein Interesse daran zu haben. Es ist kein Vertreter eines
Landes außer von Baden-Württemberg da, und BadenWürttembergs Meinung ist ja bekannt. Insofern ist dies
ein klares Signal des heutigen Tages.
({0})
Nächster Punkt - das passt gut zu Ihren Einlassungen -:
Die Debatte, die Sie heute führen, und die Aktuelle
Stunde, die Sie beantragt haben, zeigen nichts anderes,
als dass Sie sich in Ihre ideologischen Schützengräben
der letzten Jahre zurückgezogen haben und nicht an einer sachlichen Diskussion interessiert sind.
({1})
Ein Ziel der nächsten Monate sollte sein, dass wir über
dieses Thema sachlich diskutieren. Genauso wenig wie
vor einem Jahr, als Ihr damaliger Umweltminister
Sigmar Gabriel mit seinem gelben Bauhelm in jede Kamera gelächelt und versucht hat, das Thema hochzuziehen
({2})
- das Thema Kernenergie - und die Menschen zu verunsichern, werden Sie es heute schaffen, die Menschen zu
verunsichern; denn die Menschen sind schon viel weiter
und sehen dieses Thema schon viel pragmatischer.
({3})
70 Prozent - es wurden ja schon viele Umfragen zitiert der Menschen sagen, dass sie davon überzeugt sind, dass
wir auch in den nächsten zehn Jahren Kernenergie in
Deutschland brauchen.
({4})
Und mehr als die Hälfte der Menschen in Deutschland
sagt, dass wir es ohne Kernenergie gar nicht schaffen,
den Beschluss, den Sie vor acht Jahren gefasst haben,
umzusetzen.
({5})
Ich meine, dass wir Ihre ideologischen Beschlüsse,
die Sie vor acht Jahren gefasst und die keine realistische
Grundlage haben, in den nächsten Monaten prüfen müssen. Auf einer sachlichen Grundlage werden wir im
Herbst ein Energiekonzept vorlegen, das mit dem Thema
Laufzeitverlängerung der Kernkraftwerke objektiv umgeht und die Kernenergie als Brücke zu einem Zeitalter
der regenerativen Energie sieht.
({6})
Hier sind noch viele Fragen offen.
({7})
An dieser Stelle sage ich klar und deutlich: Die Kernenergie hat für uns keinen Selbstzweck, sondern sie ist
dazu da, die Brücke zu einer bezahlbaren, sauberen und
sicheren Energieversorgung für die nächsten Jahrzehnte
zu bauen.
({8})
Darum sollte es auch in den nächsten Monaten gehen:
Wir müssen die Debatte versachlichen. Uns geht es auf
alle Fälle um die Sache. Es ist richtig und wichtig, dass
wir in den nächsten zwei Wochen noch einmal die fachliche und rechtliche Grundlage überprüfen, damit in
zwei Wochen Klarheit herrscht, wenn es geht, auch über
die Handlungsfähigkeit des Bundes und der Bundesregierung, gerade bezüglich der Frage, wie wir die Energieversorgung nicht der nächsten zwei, drei Jahre, sondern der nächsten 40 Jahre sicherstellen wollen. Das ist,
glaube ich, ein Thema, das uns allen sehr wichtig sein
sollte, weil wir große Ziele haben. Wir haben das Ziel,
dass wir in den nächsten zehn Jahren 30 Prozent der
Energie aus regenerativen Energien erzeugen wollen.
({9})
Dazu gehört auch, dass wir in den nächsten Jahren die
Grundlast sicherstellen müssen. Die Kollegen, die vor
mir gesprochen haben, haben es schon dargelegt: Wir
brauchen nach wie vor eine Grundlast, die sicher ist.
({10})
Wir haben einen enormen Anstieg der Energieerzeugung
mit fluktuierenden Energieträgern, zum Beispiel Wind.
Wir brauchen - das ist ebenfalls eine große Herausforderung - erneuerbare Energie, die grundlastfähig ist.
({11})
Auch das ist ein Punkt, den wir noch gemeinsam besprechen müssen. Wir werden trotzdem auf grundlastfähige
Großkraftwerke nicht verzichten können.
Deshalb müssen wir die Frage stellen, wie wir die ambitionierten Klimaschutzziele, die wir uns für die nächsten zehn Jahre vorgenommen haben, erreichen wollen.
Eine Reduktion der CO2-Emissionen um 40 Prozent ist
ein Ziel, das sogar Ihre Erwartungen bei weitem über4192
trifft. Das können wir nur dann schaffen, wenn wir die
nächsten Jahre auf Kernenergie bauen und damit zu
CO2-Minderungen beitragen.
({12})
Alles andere wäre aus meiner Sicht ein klimapolitischer
Irrflug.
Letzter Punkt. Beim Thema Kernenergie ist die
Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands entscheidend. Ich
glaube, die Debatten, die wir heute Morgen hier im Hohen Hause geführt haben, haben gezeigt, dass es im Kern
um die Frage geht, wie wir in den nächsten Jahren nicht
nur in Deutschland, sondern auch in Europa die Wettbewerbsfähigkeit unserer Wirtschaft sicherstellen, wie wir
Wohlstand und Wachstum sowie Arbeitsplätze generieren können.
({13})
Auch in diesem Kontext ist die Energiepolitik ein entscheidender Baustein. Es geht darum, den Übergang zu
regenerativen Energien sicherzustellen, aber auch darum, bezahlbare und saubere Grundlast für die Zukunft
zu gewährleisten.
({14})
Ich kann Ihnen nur raten, einmal Ihre Kollegen in
Frankreich, Großbritannien, den Niederlanden und
Skandinavien zu fragen. All diese Länder bauen die
Kernenergie in den nächsten Jahren sogar aus und generieren daraus entsprechende Wettbewerbsfähigkeit.
({15})
In diesem Sinne werden wir ohne große Ideologie und
ohne große Verunsicherung in den nächsten Monaten
Energiepolitik aus einem Guss machen und an dem
Thema weiter arbeiten.
Herzlichen Dank.
({16})
Der Kollege Marco Bülow hat nun für die SPD-Fraktion das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr
Röttgen ruft zur Versachlichung der Diskussion auf, und
auch mein Vorredner aus Baden-Württemberg macht
das. Ich finde das gut, aber dann fangen Sie doch einmal
in der Union mit der sachlichen Diskussion an. Ich finde
es komisch, es sachlich zu nennen, dass ein Unionsministerpräsident einen Unionsumweltminister zum Rücktritt auffordert. Wenn das eine sachliche Diskussion ist,
dann können wir gern auf dem Niveau weiterdiskutieren.
({0})
Herr Mappus möchte in die Fußstapfen von Franz Josef
Strauß steigen. Da braucht man natürlich eine gewisse
Rabulistik; das kann ich gut verstehen. Ich glaube aber,
dass es der Debatte insgesamt nicht weiterhilft.
Schauen wir uns das Demokratieverständnis einmal
genauer an. Es gibt drei Bundesländer, die alles tun, damit sie selbst nicht mehr mitreden können, damit sie
selbst keinen Einfluss mehr auf eine Diskussion haben
können. Das heißt, sie wollen sich selbst entmachten.
Das ist im Augenblick das Demokratieverständnis von
Bayern, Hessen und Baden-Württemberg; diese Landesregierungen sind unionsdominiert. Ausgerechnet diese
drei Länder entdecken auf einmal, dass sie zu dem
Thema eigentlich nichts mehr sagen wollen und sich da
heraushalten wollen. Gut, wenn sie das wollen, dann
können sie sich insgesamt gern aus der Diskussion zurückziehen und auch in Zukunft über alle Angelegenheiten, die mit Atomenergie zu tun haben, schweigen. Ich
glaube, wenn sie das bereits früher getan hätten, dann
wären wir in der gesamten Diskussion schon einen
Schritt weiter.
({1})
Die Lobbyisten haben es geschafft - sie haben in diesem Bereich ganze Arbeit geleistet -, dass es sogar so
weit kommt, dass sich diese drei Länder zurückziehen
wollen. Ich frage mich allerdings, warum diese drei Länder - sie haben immer noch die gleichen Regierungskonstellationen - gefordert haben, dass sie bei der Atomgesetzgebung, bei der Verlängerung der Laufzeiten im
Bundesrat mitbestimmen wollen. Das können Sie sich
auf Drucksache 7/1/02 genau anschauen. Diese drei Länder wollten vor acht Jahren genau das Gegenteil von
dem, was sie im Augenblick vorbringen. Schauen Sie
von der Union sich diese Drucksache einmal genauer an.
Dann erklären Sie uns bitte, wie es zu diesem Sinneswandel gekommen ist. Meine Kollegin Frau Lambrecht
hat darauf hingewiesen, dass es nur daran liegen kann,
dass man nach der NRW-Wahl festgestellt hat, dass das
nicht mehr so einfach wird im Bundesrat und man deswegen auf einmal eine andere politische Diskussion herbeiführen und den Bundesrat nicht mehr beteiligen
möchte. Aber so einfach wird das nicht sein. Dafür werden wir schon sorgen.
({2})
Zu den Gutachten - korrigieren Sie mich gegebenenfalls -: Wir haben zwei Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes. Scherzhaft könnte man sagen, dass wir
noch ein drittes Gutachten machen könnten. Wir könnten
den Wissenschaftlichen Dienst beauftragen, zu sondieren, was die Union überhaupt will.
({3})
Das ist mir auch in der Diskussion heute nicht klar geworden. Vielleicht sollte man den Wissenschaftlichen
Dienst auch da einmal dransetzen.
({4})
Im Prinzip geht es Ihnen wie bei allen Diskussionen,
die wir in den letzten Jahren hier über Atompolitik geführt haben, nur um Tricksen, Täuschen und Tarnen. Wie
bei Gorleben geht es auch bei der Laufzeitverlängerung
nur darum: Augen zu und schnell durch, damit Sie Ihre
Laufzeitverlängerung bekommen und der Atommüll
möglichst schnell weg ist, egal was danach passiert, egal
was die nächsten Generationen aufgrund Ihrer Politik
ausbaden müssen. Darum geht es Ihnen. Sie wollen das
Ganze gegen die Interessen der Menschen durchsetzen.
Sie wollen das möglichst intransparent haben und jetzt
auch noch ohne Mitbestimmung und Einmischung der
Länder.
Ich sage Ihnen: Man kann sich ja darüber streiten und
zu unterschiedlichen Auffassungen kommen, aber Sie
hätten die Chance gehabt, zumindest die Minderheit der
Bevölkerung auf eine seriöse Art und Weise mitzunehmen. Sie hätten fernab von juristischen Entscheidungen
sagen können: Wir machen das transparent; wir lassen
die Länder natürlich mitentscheiden und mitbestimmen;
wir diskutieren öffentlich darüber, wie mit der Laufzeit
verfahren werden soll und was mit den Gewinnen und
der Gewinnabschöpfung geschehen soll. Wenn Sie das
gemacht hätten - einige aus der Union wollen das anscheinend -, hätten Sie unsere Zustimmung zwar trotzdem nicht bekommen, aber Sie hätten die Chance auf
eine sachliche Diskussion gehabt und zumindest eine
Minderheit in diesem Land mitnehmen können.
So aber werden Sie genau das Gegenteil von dem erreichen, was wir durch den Konsens erreicht haben. Wir
haben eine Befriedung dieser Republik erreicht. Die
Menschen waren unglaublich aufgestachelt, bevor es
den Atomkonsens gab.
({5})
Sie stacheln die Leute wieder auf. Die Leute werden
noch öfter, als das in den letzten Monaten der Fall war,
auf die Straße gehen. Den Konflikt werden Sie in dieser
Republik sehen. Sie sind dafür verantwortlich, dass er da
ist. Wir werden politisch alles tun, damit Sie die Laufzeitverlängerung weder über den Bundesrat noch hier im
Bundestag durchsetzen können. Diese Kampfansage
können Sie von uns heute bekommen.
Sie von der CDU haben vor der NRW-Wahl gesagt:
Das ist auch eine Probeabstimmung über die Atompolitik. Die Bürgerinnen und Bürger haben sich am Sonntag,
den 9. Mai 2010, entschieden, der Atomenergie keine
Zukunft zu geben. Das wird Sie auch im Bund ereilen,
wenn Sie nicht umdenken.
Vielen Dank.
({6})
Der Kollege Thomas Gebhart hat nun für die Unionsfraktion das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Zu Beginn will ich ganz offen sagen: Manche Äußerung, die
ich in den letzten Tagen in den Zeitungen gelesen habe,
hat mich nicht begeistert.
({0})
Ich sage auch: Dieser Streit, den die Opposition jetzt zu
schüren versucht - das ist völlig klar -,
({1})
ist in dieser Form überflüssig und bringt uns in der Sache am Ende nicht weiter.
({2})
Lassen Sie uns lieber über die Sache diskutieren. Lassen
Sie uns über die eigentlich wichtige Sache diskutieren,
nämlich über die Frage, wie es mit der Energieversorgung in unserem Land weitergeht. Wie schaffen wir es,
die erneuerbaren Energien voranzubringen? Wie geht es
weiter, und was macht Sinn im Hinblick auf die Frage
der Kernenergie?
Wenn es um diese Fragen geht, haben wir eine klare
Zielsetzung. Wir haben ein ganz klares Leitbild: Uns
geht es um eine nachhaltige Entwicklung. Wir wollen
eine Politik betreiben, die über den Tag hinausgeht. Wir
wollen Umweltschutz, die wirtschaftlichen Ziele und die
sozialen Aspekte in Einklang bringen. Das ist die große
Herausforderung. Darum geht es. Zugleich ist das eine
große Chance für unser Land.
({3})
Ich will an dieser Stelle ausdrücklich hinzufügen: Wir
können froh sein, dass wir mit Norbert Röttgen einen
Umweltminister haben, der diese Themen richtig anpackt und nach vorne bringt. Die Politik, die dieser Minister betreibt und verantwortet, schafft am Ende ein gutes Stück Zukunft für unser Land, und darum geht es.
({4})
Wir werden in diesem Jahr ein Energiekonzept vorlegen. Es wird darum gehen, eine Energieversorgung zu
schaffen, die verlässlich ist, die sauber ist, die aber auch
bezahlbar bleibt. Dies dürfen wir nie vergessen.
({5})
Ich will an dieser Stelle nur ganz kurz wenige, aber
wichtige Eckpunkte nennen, um die es am Ende geht:
Erster Punkt. Wir werden weiterhin auf Energieeffizienz setzen; das ist völlig klar.
({6})
Zweiter Punkt. Wir werden weiterhin auf Forschung
und Entwicklung setzen. Forschung und Entwicklung
sind der Schlüssel zur Lösung der Probleme. Wir müssen
insbesondere auf Speichertechnologien setzen, wenn wir
die Erneuerbaren voranbringen wollen. Auch im Hinblick auf die Elektromobilität müssen wir bei den Speichertechnologien entscheidend vorankommen.
({7})
Mein dritter Punkt hängt mit den ersten beiden eng
zusammen: Wir wollen und werden die erneuerbaren
Energien voranbringen. Wir wollen, dass der Anteil der
erneuerbaren Energien Schritt für Schritt ausgebaut
wird. Zu dieser Politik stehen wir, und dies werden wir
auch umsetzen.
({8})
Aber auch hier gilt: Lassen Sie uns mit ökonomischer
Vernunft an die Sache herangehen; denn auch beim Ausbau der erneuerbaren Energien gilt es auf die Effizienz
zu achten.
Ich komme zu meinem vierten Punkt. Es macht aus
unserer Sicht keinen Sinn, wenn wir bei uns Kernkraftwerke abschalten und den Strom, den diese Kernkraftwerke erzeugt haben, durch Importe ersetzen oder ihn in
zusätzlichen Kohlekraftwerken erzeugen. Ihr Parteichef
Gabriel hat noch vor einem Jahr überall gesagt: Wenn
wir aus der Kernkraft jetzt aussteigen, brauchen wir als
Ersatz acht bis zwölf neue Kohlekraftwerke.
({9})
Meine Damen und Herren, das macht keinen Sinn, das
wäre ein Rückschritt, und zwar in jeder Hinsicht. Wir
würden die Klimaschutzziele in unserem Land mit Sicherheit nicht erreichen.
({10})
Deswegen sagen wir ganz klar: Die Kernkraft hat eine
Brückenfunktion, sie ist eine Brücke hin zu den erneuerbaren Energien. Wir sind uns in dieser Frage völlig einig; das ist im Koalitionsvertrag entsprechend verankert.
Wir brauchen die Kernkraft, bis sie verlässlich durch erneuerbare Energien ersetzt werden kann. Das ist unser
Ziel. Das ist, denke ich, insgesamt ein vernünftiger Weg,
wesentlich vernünftiger als das, was ich hier an manchen
Stellen von Ihnen gehört habe.
({11})
Deswegen brauchen wir eine Laufzeitverlängerung.
Wir müssen die Laufzeiten um ein paar Jahre verlängern.
({12})
Klar ist - auch dies wurde deutlich gesagt -: Die Sicherheit hat dabei Priorität.
({13})
Wenn es uns am Ende gelingt, die Laufzeiten zu verlängern und gleichzeitig einen guten Teil der Zusatzerlöse
in die Forschung und in erneuerbare Energien zu stecken, haben am Ende alle gewonnen; denn dann können
wir den Weg zu einer neuen, nachhaltigen Energieversorgung mit einem hohen Anteil Erneuerbarer schneller
gehen. Das, meine Damen und Herren, macht insgesamt
Sinn und ist Teil einer verantwortbaren nachhaltigen
Politik. Dies ist und bleibt unser Maßstab.
Danke schön.
({14})
Die Aktuelle Stunde ist beendet.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 2 auf:
Befragung der Bundesregierung
Die Bundesregierung hat als Thema der heutigen Kabinettssitzung mitgeteilt: Gesetzentwurf zur Änderung
wehr- und zivildienstrechtlicher Vorschriften.
Das Wort für den einleitenden fünfminütigen Bericht
hat der Bundesminister der Verteidigung, Herr Dr. KarlTheodor Freiherr zu Guttenberg. Bitte, Herr Minister.
Vielen Dank. - Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Meine Damen und Herren! Mit der heutigen Beschlussfassung des Kabinetts zum Wehrrechtsänderungsgesetz 2010 haben wir einen wichtigen Schritt
zu dem im Koalitionsvertrag festgehaltenen Ziel, den
Wehrdienst und in der Folge auch den Zivildienst bis
zum 1. Januar 2011 auf sechs Monate zu verkürzen, umgesetzt.
({0})
- Für Befragungen stehe ich gerne zur Verfügung. Für
Fragen, die mit dem Zivildienst im Zusammenhang stehen mögen, ist die Frau Kollegin Schröder zugegen;
auch sie ist gerne bereit, entsprechende Fragen zu beantworten.
Die getroffene Regelung gilt erstmals für Wehr- und
Zivildienstleistende, die ihren Dienst ab dem 1. Juli
2010 antreten werden.
Von Beginn an habe ich deutlich gemacht, dass die
Verkürzung des Wehrdienstes nicht als Einstieg in den
Ausstieg aus der Wehrpflicht missverstanden werden
darf. Vielmehr geht es darum, die Wehrpflicht zu erhalten und angemessen fortzuentwickeln. Die Anforderungen der Streitkräfte und die berechtigten Bedürfnisse der
jungen Wehrpflichtigen waren hier zu einem Ausgleich
zu bringen, und gleichzeitig war der Zivildienst mit seinen Besonderheiten zu berücksichtigen.
Wir haben unser Konzept daher von Anfang an eng
und vertrauensvoll mit dem Familienministerium abgestimmt, und mit dem Gesetzentwurf liegt nun ein tragfähiges Konzept zur Ausgestaltung des kürzeren Wehrdienstes vor, das auch die Anliegen des Zivildienstes
berücksichtigt. Damit haben wir insgesamt eine gute,
eine zielführende Lösung gefunden, eine Lösung, zu der
ich sagen kann, dass es mich freut, dass wir hinsichtlich
des Vorhabens des Familienministeriums, die Möglichkeit der freiwilligen Verlängerung des Zivildienstes zu
schaffen, zu einem abgestimmten Vorgehen gelangt sind.
Wir tragen damit auch dem Gedanken Rechnung, dass
sich die Struktur der Wehrpflicht auch beim Zivildienst
widerspiegeln soll.
Ich will, dass dieser Wehrdienst der Zukunft als Angebot verstanden wird. Die jungen Männer von heute
sollen die Zeit bei der Bundeswehr in kompakter Form
als eine sinnvolle, eine fordernde und damit auch eine attraktive Zeit erleben. Gleichzeitig stellt der Wehrdienst
der Zukunft ein Angebot dar, noch schneller ins Berufsleben, ins Studium oder in die weiterführende Ausbildung zu gehen bzw. zurückzukehren. Er soll zum einen
zur Verklammerung zwischen der Bundeswehr und der
Gesellschaft beitragen und zum anderen den in der Gesellschaft vorhandenen breiten Konsens über die allgemeine Wehrpflicht bekräftigen.
Bei der Ausplanung habe ich mich von folgenden
Überlegungen leiten lassen:
Zum Ersten wird es flexible Einberufungstermine geben, acht pro Jahr. Dadurch wird die Möglichkeit geschaffen, die vorhandene Infrastruktur ohne zusätzlichen
finanziellen Aufwand zu nutzen und besser auf die individuelle Lebensplanung einzugehen.
Zum Zweiten. Die Möglichkeit der flexiblen Anpassung der allgemeinen Grundausbildung hat das Ziel,
zivilberufliche Qualifikationen zu nutzen und die Grundwehrdienstleistenden bis zu vier Monate auf Funktionsdienstposten einzusetzen.
Drittens muss sichergestellt sein, dass jederzeit ein
problemloser Statuswechsel zum freiwilligen zusätzlichen Wehrdienst Leistenden oder Soldaten auf Zeit möglich ist.
Viertens. Mit einem Grundumfang von 25 000 Grundwehrdienstleistenden erreichen wir durch die Verkürzung eine höhere Einberufungsquote - zukünftig werden
50 000 Grundwehrdienstleistende im Jahr anstatt 40 000
wie derzeit bei W 9 einberufen - und eine Erhöhung der
Ausschöpfungsquote, und wir können den Bedarf über
2012 hinaus decken. Bei einem Umfang von 30 000 Grundwehrdienstleistenden aufgrund der demografischen Entwicklung und der Zahl heranziehbarer junger Männer
wäre das andernfalls nicht möglich.
Wir schaffen damit wesentliche Voraussetzungen für
die Umsetzung des verkürzten Wehrdienstes der Zukunft.
Dieser muss den sicherheitspolitischen Erfordernissen
und den Interessen der Bundesrepublik gerecht werden
und im Einklang mit der zunehmenden Einsatzorientierung der Bundeswehr sein. Mit dem Wehrrechtsänderungsgesetz wird der Rahmen gesetzt, und es kommt nun
darauf an, dass die Teilstreitkräfte, die Organisationsbereiche und die Vorgesetzten vor Ort ihren Handlungsspielraum mit Kreativität und Engagement im Sinne des
genannten Ziels umsetzen.
Eine frühzeitige Planungssicherheit ist für die Streitkräfte genauso wichtig wie für die von der Wehrpflicht
betroffenen jungen Männer. Deshalb werbe ich um Ihre
Zustimmung zu dem vorliegenden Gesetzentwurf der
Bundesregierung.
Herzlichen Dank.
Danke, Herr Minister. - Die erste Frage stellt die Kollegin Heidrun Dittrich.
Sehr geehrter Herr Minister, da ich zum Zivildienst
frage, möchte ich mich an die Familienministerin Frau
Schröder wenden.
Hat Ihrer Auffassung nach der Zivildienst die Funktion eines Ersatzdienstes für den Wehrdienst, oder
könnte der Zivildienst auch einen Versorgungsauftrag im
Sozialbereich beinhalten? Denn aufgrund der zahlreichen Klagen der Sozialverbände über bevorstehende
Engpässe im Gesundheits- und Pflegebereich muss sich
die Regierung fragen, ob der Zivildienst wirklich arbeitsmarktneutral eingesetzt wurde oder Arbeitsplätze
vernichtet hat.
Bitte, Frau Ministerin.
Frau Kollegin, das ist eindeutig geregelt: Der Zivildienst ist Wehrersatzdienst. All das, was wir über die
große Bedeutung des Zivildienstes für die Träger wie
auch für die Betreuten in den verschiedenen Einrichtungen wissen, ist nicht ausreichend, um den Zivildienst zu
begründen. Der Zivildienst ist nichts anderes als Wehrersatzdienst.
Die von Ihnen angesprochene Arbeitsmarktneutralität
wird vom Bundesamt für den Zivildienst akribisch überprüft. Jede Stelle, die als Zivildienstträger anerkannt
werden will, wird sehr genau auf Arbeitsmarktneutralität
überprüft, um sicherzustellen, dass keine bestehende Arbeitsstelle ersetzt wird oder wegfällt und kein Einsatz
dort stattfindet, wo es sonst eine Arbeitsstelle gäbe. Das
wird nicht nur am Anfang, sondern durch Außendienstmitarbeiter des Bundesamtes für den Zivildienst immer
wieder überprüft. In Fällen, wo das nicht gegeben ist,
wird die Anerkennung als Zivildienstträger aberkannt.
Dass es trotzdem Klagen der Zivildienstträger darüber gibt, dass der Zivildienst de facto um ein Drittel
verkürzt wird, zeigt, dass die Zivildienstleistenden in
den Einsatzstellen eine wichtige Funktion haben; denn
sie leisten die Dinge, für die sonst nicht immer Zeit ist,
und werden unterstützend tätig. Insofern zeigt es die Bedeutung des Zivildienstes, aber es ändert nichts an dem
Charakter des Wehrersatzdienstes und der Arbeitsmarktneutralität.
Ein kurzer Hinweis, bevor ich die nächste Frage aufrufe: Wie Sie alle erkannt haben, stehen aufgrund der Thematik Ministerin Schröder und Minister zu Guttenberg
zur Beantwortung der Fragen zu diesem Gegenstand der
heutigen Kabinettsitzung zur Verfügung.
Das Wort zur nächsten Frage hat der Kollege
Dr. Hans-Peter Bartels.
Diese Frage richtet sich an den Minister. Sie haben
ausgeführt, dass in Zukunft auf 25 000 Dienstposten
W 6 die Möglichkeit der Einberufung von 50 000 Wehrpflichtigen besteht. Das sind 10 000 Wehrpflichtige
mehr als nach dem alten Modell der 30 000 Dienstposten
W 9 mit 40 000 Einberufungsmöglichkeiten. Das heißt
aber, dass Sie in der Struktur der Bundeswehr mit
252 000 Uniformierten 5 000 Dienstposten nicht mehr
besetzt haben. Es gibt nicht mehr 30 000, sondern nur
noch 25 000 Dienstposten für Grundwehrdienstleistende.
Soll das kompensiert werden? Wird an anderer Stelle
in diesem Umfang Kapazität aufgebaut? Oder ist das der
Einstieg in die Verringerung des Umfangs der Bundeswehr aus Haushaltsgründen?
Herr Kollege Dr. Bartels, Haushaltsgründe dürfen nicht
maßgeblich sein, um eine Entscheidung dieser Tragweite
zu treffen. Diese Entscheidung hat andere Gründe, die ich
auch versucht habe darzulegen. Es ist richtig, dass wir im
Rahmen einer solchen Zahl etwas aufzufangen haben. Da
geht der erste Versuch - das ist auch der naheliegendste zunächst einmal dahin, dass wir dies über jene, die ihren
Dienst freiwillig länger leisten, bzw. über Soldaten auf
Zeit aufzufangen wissen. Es hat wiederum haushalterische Auswirkungen, wenn man dann einen gewissen Betrag auffangen muss. Das ist in einigen Bereichen auch
unzweifelhaft teurer. Derzeit findet noch eine genaue
Überprüfung statt, in welchen Bereichen das über einen
gewissen Dienstpostenansatz hinaus darzustellen ist.
Es sind aber keine haushalterischen Gründe. Vielmehr
muss es aufgefangen werden, und es wird aufgefangen
werden. Gleichzeitig befasst sich, wie wir wissen, in diesem Jahr eine Strukturkommission mit den künftigen
Strukturen der Bundeswehr. Sie hat den Gesetzentwurf
zur Verringerung der Wehrpflicht auf sechs Monate zur
Grundlage und kann sicherlich im Hinblick darauf noch
an der einen oder anderen Stelle daran feilen.
Die nächste Frage stellt der Kollege Kai Gehring.
Danke, Frau Präsidentin. - Frau Ministerin, ich würde
Ihnen gerne eine Frage zur optionalen Verlängerung des
Zivildienstes stellen, die wir politisch und fachlich für
falsch, für zustimmungspflichtig im Bundesrat und verfassungsrechtlich sehr fragwürdig erachten. Dazu wären
meine Fragen: Welche Kosten werden durch die optionale Verlängerung konkret anfallen - es ist die Rede von
rund 75 Millionen Euro im Haushalt -, an welcher Stelle
im Familienhaushalt wollen Sie diese Mittel einsparen
- das muss ja sozusagen gegenfinanziert werden -, und
woher sollen angesichts der aktuellen Haushaltslage die
Haushaltsmittel für den Ausbau der Freiwilligendienste
kommen, den Sie und andere Regierungsmitglieder seit
Monaten ankündigen?
Herr Kollege Gehring, zunächst eine Bemerkung zu
Ihrer Aussage, unsere freiwillige Verlängerung sei verfassungswidrig, weil der Bund gar nicht zuständig sei.
Der Bund ist zuständig für die Verteidigung, damit für
die Wehrpflicht und damit auch für den Zivildienst. Der
Bund ist auch dann zuständig, wenn es um ein öffentlich-rechtliches Dienstverhältnis des Bundes geht. Beides ist hier der Fall.
Zu den Kosten; Sie haben den Betrag von 75 Millionen Euro angesprochen. Das ist eine Schätzung. Sie geht
davon aus, dass 30 Prozent der Zivildienstleistenden die
Möglichkeit einer freiwilligen Verlängerung ergreifen
würden. Wir haben unterschiedliche Umfragen gemacht.
Bei diesen Umfragen haben sogar 50 Prozent der Zivildienstleistenden erklärt, an einer solchen freiwilligen
Verlängerung interessiert zu sein. Aber da es doch immer einen Unterschied zwischen Absicht und Praxis
gibt, halten wir den Wert von 30 Prozent für eine ganz
realistische Grundlage.
Woher kommt das Geld? Durch die Verkürzung des
Zivildienstes fallen zunächst einmal 180 Millionen Euro
weniger an Kosten an. Dadurch, dass die Zivildienstzeit
ein Drittel kürzer wird, fallen entsprechend weniger
Kosten an, nämlich 180 Millionen Euro weniger. Die
freiwillige Verlängerung würde, wenn sich ein Drittel
dazu entschließt, rund 75 Millionen Euro kosten. Diese
Mittel würden wir gern in den Haushalt einstellen. Es ist
dann die Entscheidung des Haushaltsgesetzgebers, ob er
sie uns auch gewährt. Also: 180 Millionen Euro weniger
an Kosten, davon 75 Millionen für die freiwillige Verlängerung.
Wir sind uns einig, dass es einer Stärkung der Freiwilligendienste bedarf; denn um den Wegfall an Zivildienstzeit aufzufangen, bedarf es schon zweierlei, einerseits
der Möglichkeit der freiwilligen Verlängerung des Zivildienstes und andererseits der Stärkung der Freiwilligendienste. Deswegen sagen wir, dass mindestens die Mittel, die durch die Streichung des § 14 c Abs. 4 ZDG frei
werden, den Freiwilligendiensten direkt zur Verfügung
gestellt werden sollten. Wir sind uns einig, dass es darüber hinaus noch einer Stärkung bedarf. Deshalb wird
Mitte Juni ein Konzept zur Stärkung der Freiwilligendienste vorgelegt.
Die nächste Frage stellt der Kollege Markus Grübel.
Frau Bundesministerin, können Sie uns sagen, wie die
großen Träger des Zivildienstes - Caritas, Diakonie, Parität, Deutsches Rotes Kreuz - auf die geplante freiwillige Verlängerung, so wie sie jetzt im Gesetzentwurf ausgestaltet ist, reagiert haben?
Dann noch eine Frage zu den Übergangsregelungen,
die viele interessieren. Ich weiß nicht, ob die Bundeswehr zum 1. Mai einberufen hat, aber zum Zivildienst
wurde zum 1. Mai einberufen. Was passiert mit denen,
die am 1. Mai ihren Dienst begonnen haben, mit denen,
die am 1. Juni, am 1. Juli oder am 1. August ihren Dienst
beginnen werden? Können Sie, Herr Bundesminister zu
Guttenberg, oder Sie, Frau Bundesministerin Schröder,
diese Frage kurz beantworten?
Zunächst zur Reaktion der Träger des Zivildienstes.
Sie haben fast ausnahmslos positiv reagiert. Sie haben
uns in den letzten Monaten auch sehr deutlich gemacht,
dass die Möglichkeit der freiwilligen Verlängerung ihnen ein großes und wichtiges Anliegen ist. Deswegen
war die Reaktion von Caritas, Diakonie und Parität gestern auch uneingeschränkt positiv.
Zur Frage der Übergangsregelungen. Zunächst gilt
ganz klar: Wer ab dem 1. Januar 2011 seinen Zivildienst
antritt, hat nur noch ein halbes Jahr abzuleisten. Der Zivildienst von jemandem, der zum 31. Dezember 2010 im
Minimum sechs Monate abgeleistet hat, endet auch. Das
heißt: Wer zum 1. Mai anfängt, hat noch acht Monate Zivildienst zu leisten. Zum 1. Juni sind es entsprechend
sieben Monate, und zum 1. Juli sind es sechs Monate,
die noch abzuleisten sind.
Das gilt - große Überraschung - analog auch für die
Bundeswehr. Zum 1. Mai ist allerdings nicht eingezogen
worden.
Aber um noch einmal den Grundgedanken zu erläutern: Der 1. Januar 2011 ist der Stichtag. Es soll gewährleistet werden, dass jemand, der am 1. Juli einberufen
wird, sechs Monate abzuleisten hat. Wir mussten seitens
der Bundeswehr genau überprüfen, ob das leistbar ist;
denn man ist in den Planungen noch von einem drei Monate längeren Grundwehrdienst ausgegangen. Diese Verkürzung ist aber zu handhaben und abzufedern. Insofern
können wir mit dem 1. Juli gut leben.
Das Wort für die nächste Frage hat der Kollege
Harald Koch.
Meine Frage richtet sich an den Herrn Verteidigungsminister. Die Bundesregierung begründet die Notwendigkeit dieser Gesetzesreform damit, dass die Wehrgerechtigkeit verbessert, der Wehrdienst sinnvoller
ausgestaltet und die zivile Qualifikation der Wehrpflichtigen besser genutzt werden sollen. Wie soll eine bessere
Berücksichtigung der zivilen Qualifikationen der Wehrpflichtigen gewährleistet werden? - Danke schön.
Vielen Dank für die Frage, Kollege Koch. - In den
letzten Jahren und Jahrzehnten gab es diesbezüglich Defizite. Man hat manchmal nicht ausreichend nach den zivilen Fähigkeiten und der Ausbildung der jungen Menschen gefragt, um sie in der Bundeswehr zielgerichtet
einzusetzen. Die erste Möglichkeit, nach Fähigkeiten
und Qualifikationen zu fragen sowie die Dienstposten
entsprechend einzuteilen, haben die Kreiswehrersatzämter. Dafür ist das Wechselspiel zwischen Kreiswehrersatzämtern und den verschiedenen Truppenteilen zu
verbessern. Auf Funktionsdienstposten und in bestimmten Teilbereichen gereicht eine gewisse Vorausbildung
zum Nutzen beider Seiten, sowohl zum Nutzen der Bundeswehr als auch zum Nutzen des jungen Menschen, der
entsprechend seinen Fähigkeiten eingesetzt wird; das ist
ein wesentlicher Punkt. Das ist ein sehr sinnvoller Ansatz; denn damit kann einer gewissen Neigung zur Willkür entgegengewirkt und eine entsprechende Begabung
genutzt werden.
Da Sie auch auf die Wehrgerechtigkeit abgehoben haben, möchte ich ergänzend hinzufügen: Ich erinnere daran, dass sich das Prinzip des Wehrdienstes und der
Wehrpflicht in Deutschland nicht auf dem Gedanken der
Wehrgerechtigkeit gründet, wiewohl wir bei der Ausschöpfungsquote durch das jetzige Konzept ein wenig
weiterkommen.
Die nächste Frage stellt die Kollegin Agnes Malczak.
Vielen Dank, Frau Präsidentin! - Herr Minister, der
Wehrdienst stellt einen sehr extremen Eingriff in das Leben und die Lebensplanung junger Männer dar und muss
eigentlich immer wieder legitimiert werden. Deshalb
möchte ich Sie gern mit einem Zitat von Roman Herzog
konfrontieren:
Die Wehrpflicht ist ein so tiefer Eingriff in die individuelle Freiheit des jungen Bürgers, dass ihn der
demokratische Rechtsstaat nur fordern darf, wenn
es die äußere Sicherheit des Staates wirklich gebietet. … Ihre Beibehaltung, Aussetzung oder Abschaffung und ebenso die Dauer des Grundwehrdienstes müssen sicherheitspolitisch begründet
werden können.
Ich habe in den Monaten, in denen über diese Reform intensiv diskutiert wurde, eine fundierte sicherheitspolitische Begründung vermisst. Vielleicht können Sie mir
heute eine geben. - Vielen Dank.
Herzlichen Dank, Frau Kollegin. - Zu einer sicherheitspolitischen Begründung zählt natürlich weiterhin
die Funktionsfähigkeit der Armee, auch im Hinblick auf
die Betriebs- und Schutzfunktionen im Inland. Das ist
Grundvoraussetzung dafür, dass Einsätze auch im Ausland funktionieren. Um diese Funktionsfähigkeit zu gewährleisten, sind wir weiterhin darauf angewiesen, zielgerichtet auf Wehrpflichtige zurückzugreifen. Das passt
sehr wohl zum großen Bogen der sicherheitspolitischen
Herausforderungen und damit zur Begründung.
Die nächste Frage stellt der Kollege Ralph Lenkert.
Frau Ministerin Schröder, die Bezahlung, die finanzielle Entschädigung der Zivildienstleistenden ist nicht
unbedingt üppig. Wenn ein Zivildienstleistender freiwillig seinen Zivildienst verlängert, kann er dann wenigstens mit Kündigungsschutz für diese Zeit rechnen?
Ja, denn es handelt sich um ein öffentlich-rechtliches
Dienstverhältnis des Bundes. Hier gelten die gleichen
Kündigungsvorschriften.
Die nächste Frage stellt der Kollege Rainer Arnold.
Herr Minister, Sie sprachen vorhin von der Reduzierung der Zahl der Dienstposten bei den Wehrpflichtigen
auf 25 000. Können Sie uns den Gesamtumfang der
Bundeswehr nennen und sagen, wie er sich in Wehrpflichtige, freiwillig länger Wehrdienst Leistende und
Zeit- und Berufssoldaten aufgliedert? Können Sie uns
die Kosten in direkte Kosten und die notwendige Erhöhung der Regiekosten durch die Erhöhung der Einberufungstermine aufgliedern?
Das ist eine fordernde Frage. Herr Kollege Arnold,
ich habe die Zahlen jetzt hier nicht vorliegen. Wenn es
machbar ist, würde ich die Zahlen gerne schriftlich
nachreichen. Ich will nur sagen: Die Zahl unserer Soldatinnen und Soldaten beträgt weiterhin 250 000. Die entsprechende Aufgliederung lasse ich Ihnen gerne zukommen, auch mit Blick auf diese Gestaltung und mit Blick
auf die künftig neu einzuberufenden Wehrdienstleistenden.
Wir halten fest: Die Angaben erfolgen schriftlich.
Die nächste Frage stellt die Kollegin Dagmar
Enkelmann.
Meine Frage geht an die Kollegin Schröder. Es geht
um die Möglichkeit der freiwilligen Verlängerung des
Zivildienstes. Sind Sie nicht mit mir der Auffassung,
dass Menschen, die sich bereit erklären, freiwillig den
Zivildienst zu verlängern, statt eines Stundenlohns von
1,12 Euro, die sie in dem halben Jahr bekommen, in der
Verlängerung wenigstens den Mindestlohn bekommen
sollten, der in der Pflege gezahlt wird, nämlich
7,50 Euro im Osten und 8,50 Euro im Westen?
Der Vergleich mit dem Mindestlohn in der Pflege
führt insofern vollkommen in die Irre, weil er suggeriert,
es gehe hier um normale Pflegekräfte. Es ist gerade das
Wesen des Zivildienstes, dass er kein Ersatz für normale
Pflegekräfte ist, sondern dass er arbeitsmarktneutral ist
und dass keine regulären Arbeitsverhältnisse ersetzt werden.
({0})
Ich kann Ihnen keine Gegenfrage stellen, aber ich kann
rhetorisch fragen, ob Sie auf die Idee kommen würden,
zu fordern, dass auch bei Freiwilligendiensten, beispielsweise beim Freiwilligen Sozialen Jahr, ein Mindestlohn
gezahlt wird.
({1})
Vielleicht fordern Sie auch dies. Das zeigt aber doch,
dass es um eine andere Kategorie geht und es deswegen
ein Systemfehler wäre, beides gleichzusetzen. Insofern
führt dieser Vergleich in die Irre.
Gut, das lässt sich durch weitere Nachfragen noch
auflösen, wenn gewünscht.
Jetzt hat der Kollege Sönke Rix zu einer Frage das
Wort.
Frau Ministerin, schönen Dank, dass auch Sie zur
Verfügung stehen, um Fragen zu beantworten. - Ich
möchte an das anknüpfen, was Frau Enkelmann gesagt
hat. Sie haben vorhin klargestellt, dass der Zivildienst
ein Wehrersatzdienst ist. Aber bei einer freiwilligen Verlängerung ist er eigentlich kein Wehrersatzdienst mehr,
weil er dem Wehrdienst nicht mehr entspricht. Es handelt sich vielmehr um ein öffentlich-rechtliches Dienstverhältnis. Daher stellt sich schon die Frage, warum nur
3,50 Euro für eine Tätigkeit gezahlt werden.
Wenn er tatsächlich ein anderer Dienst ist, dann stellt
sich auch die Frage, was mit dem Zivildienst als Lerndienst in dieser Zeit geschieht. Gibt es Bildungsangebote
auch für die Zeit der Verlängerung, oder sind solche Angebote nur für sechs Monate vorgesehen?
Was den besonderen Charakter der freiwilligen Verlängerung angeht: In der Tat ist der Dienst bei einer freiwilligen Verlängerung kein Wehrersatzdienst, sondern es
ist ein öffentlich-rechtliches Dienstverhältnis eigener
Art, wie wir es übrigens auch bei der freiwilligen Verlängerung des Wehrdienstes haben.
({0})
Auch das ist kein Wehrdienst mehr.
({1})
Was die Frage des Zivildienstes als Lerndienst angeht, will ich erst einmal grundsätzlich sagen, dass auch
durch die Verkürzung der Dauer des Zivildienstes der Zivildienst als Lerndienst unberührt bleibt. Wir wollen die
Seminarangebote, die es im Rahmen des Zivildienstes
als Lerndienst gibt, vollkommen beibehalten, jedoch mit
einer einzigen Ausnahme, nämlich dass wir die Teilnahme an den Seminaren zur Sozialkompetenz, die 2011
angeboten werden sollten, nicht mehr obligatorisch, sondern freiwillig machen wollen. Aber es besteht ein
Rechtsanspruch auf diese Seminare. Ansonsten bleibt
der Zivildienst als Lerndienst unberührt. Entsprechend
wird es auch bei einer freiwilligen Verlängerung die
Möglichkeit geben, solche Seminarangebote wahrzunehmen.
Bevor wir zu weiteren Nachfragen kommen, kommen
wir zurück zur Frage des Kollegen Rainer Arnold. Der
Herr Bundesminister kann jetzt die Zahlen vortragen. So
sind sie dann Bestandteil des Protokolls unserer heutigen
Sitzung und damit für alle nachzulesen.
Bitte, Herr Minister.
Herr Kollege Arnold, das Haus arbeitet schnell. Ich
freue mich, Ihnen die Zahlen vortragen zu dürfen.
Zunächst zu den Zahlen nach dem Personalstrukturmodell 2010: Berufssoldaten: 57 725, Soldaten auf Zeit:
137 275, freiwillig länger Dienende: 25 000, Grundwehrdienstleistende: 30 000 - das ist bekannt -; in der
Summe: 250 000.
Die Iststärke Stand April sieht folgendermaßen aus:
Berufssoldaten: 55 973, Soldaten auf Zeit: 132 524, freiwillig länger Dienende: 27 940, Grundwehrdienstleistende: 37 729; in der Summe: 254 166.
Jetzt kommen wir zur Planung; das war ja der wesentliche Punkt: Berufssoldaten: 57 725, Soldaten auf Zeit:
139 633, freiwillig länger Dienende: 27 000, Grundwehrdienstleistende, wie bereits gesagt: 25 000; in der
Summe sind das 249 358.
Danke. - Die nächste Frage stellt die Kollegin
Heidrun Dittrich.
Frau Ministerin, ich habe noch eine Frage zur Klarstellung. Sie haben erklärt, es handele sich um ein öffentlich-rechtliches Dienstverhältnis. Welchen Status haben denn die Zivildienstleistenden nach ihren sechs
Pflichtmonaten? Besteht nach der freiwilligen Verlängerung des Zivildienstes weiterhin die Möglichkeit einer
Disziplinarstrafe bei unentschuldigtem Fernbleiben?
Nach § 43 Zivildienstgesetz hat die Dienststelle die
Möglichkeit, einen Zivildienstleistenden bei Krankheit
zu entlassen. Insofern hat er keinen Kündigungsschutz;
den gibt es nur bei Arbeitnehmern in einem tariflichen
und gesetzlichen Arbeitsverhältnis. Soll der Zivildienstleistende also seine Zivildienstzeit freiwillig verlängern,
oder wollen Sie ein neues öffentlich-rechtliches Arbeitsverhältnis schaffen, das aber genauso strukturiert ist wie
die Zivildienstzeit, und soll dieses neue öffentlich-rechtliche Arbeitsverhältnis vielleicht später auch auf die Jugendfreiwilligendienste, das Freiwillige Soziale Jahr, wo
auch junge Frauen arbeiten, übertragen werden können?
Wir haben uns bemüht, die freiwillige Verlängerung
des Zivildienstes möglichst unbürokratisch und einfach
zu gestalten. Aus unserer Sicht ist es am besten, wenn
die äußeren Rahmenbedingungen in Bezug auf die Vergütung und die sozialversicherungsrechtliche Absicherung für den Zivildienstleistenden, der freiwillig verlängert, weitestgehend beibehalten werden. Es ist wichtig,
das niedrigschwellig zu gestalten. Aber sozusagen die
besonderen Zwangsmaßnahmen, die Sie angesprochen
haben, die mit dem Zivildienst als Pflichtdienst verknüpft sind, laufen selbstverständlich nicht weiter. Klar
ist: Es handelt sich um ein öffentlich-rechtliches Dienstverhältnis, und deshalb gilt das Disziplinarrecht wie in
jedem öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis. Das ist
quasi das Pendant zur Privatwirtschaft, wo es entsprechend Konventionalstrafen gibt. Aber der besondere
Zwangscharakter ist bei der freiwilligen Verlängerung
selbstverständlich nicht mehr vorhanden.
Der zweite Unterschied zum Zivildienst ist, dass die
freiwillige Verlängerung jederzeit abgebrochen werden
kann. Aufgrund persönlicher, beruflicher oder anderer
Gründe kann jederzeit ein Antrag auf Entlassung gestellt
werden. Diese Gründe werden explizit nicht nachgeprüft. Das heißt de facto, die freiwillige Verlängerung
des Zivildienstes kann jederzeit beendet werden.
Die nächste Frage stellt der Kollege Kai Gehring.
Vielen Dank. - Frau Ministerin, ich würde Sie als Kabinettskollegin von Herrn Minister zu Guttenberg gerne
fragen, wie Ihre Auffassung war, als der Minister laut
darüber nachgedacht hat, künftig auch Frauen in die
Wehrpflicht einzubeziehen. Das war ja ein Vorschlag,
der offen in den Raum gestellt wurde. Wie ist dazu Ihre
Auffassung als Kabinettskollegin?
Ich möchte außerdem explizit nachfragen: Stimmen
Sie mir zu, dass, wenn es sich tatsächlich um ein öffentlich-rechtliches Dienstverhältnis handelt, eine Zustimmungspflichtigkeit im Bundesrat besteht? Wenn das der
Fall ist, was meinen Sie, wann sich der Bundesrat damit
beschäftigen wird?
Zum Ersten. Da der Kollege zu Guttenberg, wie er
mir gegenüber sehr überzeugend bekundet hat, gar nicht
laut darüber nachgedacht hat, auch Frauen in die Wehrpflicht einzubeziehen, kann ich mich dazu leider nicht
äußern.
Zum Zweiten. Wir gehen davon aus, dass keine Zustimmungspflichtigkeit vorliegt, sodass eine Antwort
entsprechend entfällt.
Die nächste Frage stellt die Kollegin Agnes Malczak.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Die Bundeswehr
muss eine Menge leisten; denken wir zum Beispiel an
den Transformationsprozess und an die Anforderungen
in den Einsätzen. Deshalb möchte ich die Frage stellen,
wie gewährleistet wird, dass die Verkürzung des Wehrdienstes und die Flexibilität bei den Einberufungsterminen nicht zu einer Belastung der Einsatzfähigkeit führen.
Außerdem würde mich interessieren, warum dieser
Punkt aus dem Koalitionsvertrag, der im Hinblick auf
die Struktur der Bundeswehr meiner Meinung nach essenziell ist, schon im Vorfeld beschlossen wurde und
nicht Teil der Arbeit der Bundeswehrstrukturkommission ist, die evaluieren soll.
Vielen Dank, Frau Kollegin. - Die Strukturkommission wird, wie ich vorhin schon angedeutet habe, auf der
Entscheidung, den Wehrdienst zu verkürzen, aufbauen.
Sie wird diese Entscheidung in ihre eigenen Überlegungen aufnehmen. Das traue ich dieser Strukturkommission aufgrund ihrer Zusammensetzung auch zu. Das ist
etwas, was sie tatsächlich tun wird.
Die Entscheidung des Koalitionsvertrages wurde so
getroffen, wie sie getroffen wurde. Sie liegt uns vor und
ist die Grundlage, auf der wir, die wir Regierungsverantwortung tragen, zu arbeiten haben.
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Wir haben die Entscheidung so umzusetzen, wie sie getroffen wurde.
Zu Ihrer ersten Frage. Es wäre letztlich natürlich fatal,
wenn keine Einsatzfähigkeit gewährleistet wäre und
wenn auch die Möglichkeit des Einsetzens auf dem jeweiligen Dienstposten nicht dargestellt würde. Wäre das
der Fall, hätte man das so nicht umsetzen können. Das
ist eine Aufgabe der Ausplanung, allerdings in den jeweiligen Truppenteilen. Die jeweiligen Truppenteile und
Teilstreitkräfte haben deutlich gemacht, dass das möglich ist und dass ihnen die Flexibilität sogar entgegenkommt. Die Flexibilität der Einberufungstermine ermöglicht nämlich, in gewissen Bereichen, in denen teilweise
auch starre Defizite herrschen, gezielt etwas mehr vorzuhalten und somit Möglichkeiten zu haben, auf den Funktionsdienstposten an der einen oder anderen Stelle Lücken zu schließen, die man bislang nicht schließen
konnte.
Das Wort zu einer weiteren Nachfrage hat der Kollege
Sönke Rix.
Frau Ministerin, Sie gehen davon aus, dass wohl ein
Drittel der Zivildienstleistenden freiwillig verlängert.
Meine Fragen: Wie kommen Sie auf dieses Drittel, und
wie gehen wir in der weiteren Haushaltsplanung damit
um? Woher sollen die Mittel dafür kommen, da die Tendenz jetzt doch eher dahin geht, Dinge einzusparen?
Wir haben Befragungen von Zivildienstleistenden
durchgeführt. Wir haben sie gefragt, ob sie sich, wenn
sie eine solche Möglichkeit hätten, vorstellen könnten,
den Dienst freiwillig zu verlängern. Teilweise haben sogar bis zu 50 Prozent der Befragten geantwortet, sie
könnten sich das vorstellen. Da man aber mit Sicherheit
davon ausgehen kann, dass es einen Unterschied zwischen „sich etwas vorstellen können“ und „etwas tatsächlich tun“ gibt, halten wir 30 Prozent für realistisch.
Garantieren können wir das natürlich nicht. Denn das
sind nun einmal keine Erfahrungswerte, die wir haben,
sondern diese Zahlen basieren auf Studien.
Was die Haushaltsmittel angeht, habe ich bereits ausgeführt, dass die Verkürzung des Zivildienstes zunächst
einmal dazu führt, dass 180 Millionen Euro Haushaltsmittel weniger benötigt werden. Wir gehen davon aus,
dass die freiwillige Verlängerung eines Drittels der Zivildienstleistenden 75 Millionen Euro kosten wird. Insofern würden wir vorschlagen, wenn der Haushaltsgesetzgeber dem zustimmt - er hat das letzte Wort -, 75 der
180 Millionen Euro für die freiwillige Verlängerung zu
verwenden.
Danke, Frau Ministerin und Herr Minister.
Gibt es weitere Fragen zur heutigen Kabinettsitzung? - Das ist nicht der Fall. Gibt es darüber hinaus
Fragen an die Bundesregierung? - Das ist auch nicht der
Fall.
Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bitte Sie, zu beachten: Entgegen der Amtlichen Mitteilung berufe ich
die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Donnerstag, den 20. Mai 2010, 9 Uhr, ein.
Die Sitzung ist geschlossen.