Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Ich begrüße Sie alle herzlich. Die Sitzung ist eröffnet.
Nehmen Sie bitte Platz.
({0})
Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen, ich
freue mich über alle, die schon da sind.
({1})
Ich gebe Ihnen die beruhigende Mitteilung, dass die
Verschiebung des Beginns der Sitzung unter allen Fraktionen einvernehmlich vereinbart worden ist, sodass ich
jeden Augenblick auch mit der Vervollständigung um
noch fehlende, wichtige politische Gruppierungen dieses
Plenums rechne.
({2})
Wir beginnen wie immer mit einigen amtlichen Mitteilungen, von denen die erste die FDP-Fraktion betrifft und
deswegen von mir noch einen kleinen Augenblick zurückgestellt wird. Dagegen sehe ich kein Problem, darauf
hinzuweisen, dass die CDU/CSU-Fraktion vorschlägt,
die Kollegin Rita Pawelski als neues stellvertretendes
Mitglied in den Beirat der Bundesnetzagentur zu wählen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist offenkundig
der Fall. Damit ist die Kollegin Pawelski in den Beirat gewählt.
({3})
Interfraktionell ist vereinbart worden, die verbundene Tagesordnung um die in der Zusatzpunktliste aufgeführten Punkte zu erweitern:
ZP 1 Abgabe einer Regierungserklärung durch die
Bundeskanzlerin
zu den Maßnahmen zum Erhalt der Stabilität
der Währungsunion und zu dem bevorstehenden Sondergipfel der Euro-Länder am 7. Mai
2010 in Brüssel
({4})
ZP 2 Weitere abschließende Beratungen ohne Aus-
sprache
Ergänzung zu TOP 29
a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz ({5}) zu
dem Antrag der Abgeordneten Ulrike Höfken,
Cornelia Behm, Bärbel Höhn, weiterer Abgeord-
neter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN
Anbau von gentechnisch veränderter Kartof-
fel Amflora verhindern
- Drucksachen 17/1028, 17/1547 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Max Lehmer
Elvira Drobinski-Weiß
Dr. Christel Happach-Kasan
Dr. Kirsten Tackmann
Ulrike Höfken
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz ({6}) zu
dem Antrag der Abgeordneten Elvira DrobinskiWeiß, Dr. Wilhelm Priesmeier, Ulrich Kelber,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Gentechnisch veränderte Amflora-Kartoffel zuverlässig aus der Lebensmittel- und Futtermittelkette fernhalten
- Drucksachen 17/1410, 17/1603 Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Max Lehmer
Elvira Drobinski-Weiß
Dr. Christel Happach-Kasan
Dr. Kirsten Tackmann
Ulrike Höfken
Redetext
Präsident Dr. Norbert Lammert
ZP 3 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion der
SPD:
Konsequenzen aus dem Ergebnis der Steuerschätzung für die Steuersenkungspläne der
CDU/CSU-FDP-Koalition
ZP 4 Beratung des Antrags der Abgeordneten Josef
Philip Winkler, Volker Beck ({7}), Memet
Kilic, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Keine Zwangsrückführungen von Minderheitenangehörigen in das Kosovo
- Drucksache 17/1569 Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss ({8})
Auswärtiger Ausschuss
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
ZP 5 Beratung des Antrags der Abgeordneten Jan
Korte, Ulla Jelpke, Wolfgang Nešković, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE
Alle BND-Akten zum Thema NS-Vergangenheit offenlegen
- Drucksache 17/1556 Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss
ZP 6 Erste Beratung des von den Abgeordneten Jan
Korte, Sevim Dağdelen, Wolfgang Nešković und
weiteren Abgeordneten der Fraktion DIE LINKE
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Aufenthaltsgesetzes ({9})
- Drucksache 17/1557 Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss ({10})
Rechtsausschuss
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
ZP 7 Beratung des Antrags der Abgeordneten Josef
Philip Winkler, Memet Kilic, Volker Beck ({11}),
weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Für eine wirksame und stichtagsunabhängige
gesetzliche Bleiberechtsregelung im Aufenthaltsgesetz
- Drucksache 17/1571 Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss ({12})
Rechtsausschuss
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
ZP 8 Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Gesundheit ({13}) zu dem Antrag der Abgeordneten Harald
Weinberg, Dr. Martina Bunge, Dr. Dietmar Bartsch,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE
LINKE
Keine Kopfpauschale - Für eine solidarische
Krankenversicherung
- Drucksachen 17/240, 17/1605 Berichterstattung:
Abgeordneter Dr. Rolf Koschorrek
ZP 9 Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Gesundheit ({14}) zu dem Antrag der Abgeordneten Birgitt
Bender, Maria Anna Klein-Schmeink, Elisabeth
Scharfenberg, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Für eine solidarische und nachhaltige Finanzierung des Gesundheitswesens
- Drucksachen 17/258, 17/1606 Berichterstattung:
Abgeordneter Dr. Karl Lauterbach
ZP 10 Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Valerie
Wilms, Undine Kurth ({15}), Bärbel Höhn,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Ölkatastrophen vermeiden - Raubbau an
Mensch und Natur ausschließen
- Drucksache 17/1572 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({16})
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Haushaltsausschuss
Dabei soll von der Frist für den Beginn der Beratungen, soweit erforderlich, abgewichen werden.
Die Tagesordnungspunkte 9, 13, 20, 27 und 29 a werden abgesetzt.
({17})
- Ich hoffe, es wird hinterher aus dem Protokoll hinreichend deutlich, dass sich die Begeisterungsrufe links
vom Präsidium nicht auf die von mir angekündigte Absetzung der Tagesordnungspunkte beziehen, sondern auf
die spontane Freude um die Vervollständigung der Reihen rechts vom Präsidium.
({18})
Dass es durch die von mir vorgetragenen beabsichtigten Absetzungen der Tagesordnungspunkte zu Änderungen in der Reihenfolge unserer Tagesordnung kommt,
wird Sie nicht weiter überraschen: Der Tagesordnungspunkt 26 von Freitag wird bereits heute nach dem Tagesordnungspunkt 8 aufgerufen. Der Tagesordnungspunkt 15
wird auf morgen verschoben und folgt auf den TagesPräsident Dr. Norbert Lammert
ordnungspunkt 25. Die Tagesordnungspunkte 17 und 19
rücken dementsprechend vor und werden nach den Tagesordnungspunkten 12 bzw. 14 aufgerufen.
Ich darf noch auf zwei nachträgliche Ausschussüberweisungen im Anhang zur Zusatzpunktliste aufmerksam
machen:
Der in der 37. Sitzung des Deutschen Bundestages
überwiesene nachfolgende Antrag soll zusätzlich dem
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen
Union ({19}) zur Mitberatung überwiesen
werden. Die Überweisung an den Auswärtigen Ausschuss ({20}) zur Mitberatung soll entfallen.
Beratung des Antrags der Abgeordneten Viola
von Cramon-Taubadel, Winfried Hermann, Volker
Beck ({21}), weiterer Abgeordneter und der
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Sport in der Europäischen Union - Den Lissabon-Vertrag mit Leben füllen
- Drucksache 17/1420 überwiesen:
Sportausschuss ({22})
Innenausschuss
Rechtsausschuss
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Der in der 37. Sitzung des Deutschen Bundestages
überwiesene nachfolgende Gesetzentwurf soll zusätzlich
dem Innenausschuss ({23}) zur Mitberatung
überwiesen werden. Die Überweisung an den Finanzausschuss ({24}) zur Mitberatung soll entfallen.
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu den Änderungen vom 2. Oktober 2008 des Übereinkommens vom 3. September 1976 über die
Internationale Organisation für mobile Satellitenkommunikation ({25})
- Drucksache 17/1295 überwiesen:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie ({26})
Innenausschuss
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Ich frage Sie, ob Sie mit diesen Vereinbarungen einverstanden sind. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann
ist das so beschlossen.
Bevor ich die Tagesordnungspunkte 4 a und 4 b aufrufe, weise ich darauf hin, dass der Kollege Carl-Ludwig
Thiele auf seine Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag
verzichtet hat und wir als neues Mitglied die Kollegin
Dr. Christiane Ratjen-Damerau begrüßen können, die
offenkundig noch nicht da ist,
({27})
was aber ihrer Mandatsübernahme nicht rechtswirksam
im Wege steht. Die guten Wünsche kommen schon ein-
mal auf diesem Wege ins Protokoll.
Wir kommen zu den Tagesordnungspunkten 4 a und
4 b:
a) Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/
CSU, SPD und FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes
({28})
- Drucksache 17/1554 Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss ({29})
Rechtsausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Haushaltsausschuss
b) Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/
CSU, SPD und FDP eingebrachten Entwurfs eines
Gesetzes zur Weiterentwicklung der Organisation der Grundsicherung für Arbeitsuchende
- Drucksache 17/1555 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales ({30})
Innenausschuss
Rechtsausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Haushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 GO
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 90 Minuten vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann können wir so verfahren.
Ich eröffne die Aussprache und erteile zunächst der
Bundesministerin Frau Dr. Ursula von der Leyen das
Wort.
({31})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Vor einer
Woche haben wir aus Nürnberg die neuen Arbeitsmarktzahlen bekommen. Das sind erfreuliche Zahlen. Die Arbeitslosigkeit ist deutlicher gesunken, als das im Monat
April üblicherweise der Fall ist. Dies ist sicher eine
Folge der Frühjahrsbelebung nach einem langen und
harten Winter, aber auch ein Indiz dafür, dass wir langsam aus dem krisenbedingten Tief herauskommen.
Bei aller Freude über die sinkenden Arbeitslosenzahlen und die Arbeitsmarktzahlen: Wenn man genau hinschaut, dann findet man fast ausschließlich bei denjenigen eine Bewegung zum Besseren, die ganz kurz in
Arbeitslosigkeit sind. Im April sank die Arbeitslosigkeit
im Rechtskreis SGB III, also bei denen, die Leistungen
aus der Arbeitslosenversicherung beziehen, um 146 000,
aber im Rechtskreis SGB II, also bei den Langzeitar3808
beitslosen, gerade einmal um 16 000. Dieses Muster,
dass sich in der Krise keine deutliche Zunahme der
Langzeitarbeitslosigkeit zeigte, in der Erholung aber
auch keine deutliche Abnahme zeigt, ist ein Muster, das
wir schon lange beobachten können, schlicht und einfach auch deshalb, weil die Hürden, um aus der Langzeitarbeitslosigkeit wieder herauszukommen, höher und
die Probleme vielschichtiger sind.
Dennoch gilt: Wann, wenn nicht jetzt, da die Nachfrage nach Arbeitskräften wieder steigt und da durch den
demografischen Wandel sichtbar wird, dass die Zahl der
Erwerbstätigen sinkt und Fachkräfte gesucht werden,
müssen wir hier etwas verändern? Wann, wenn nicht
jetzt, müssen wir mit aller Kraft an die Lösung dieser
Probleme herangehen? Deshalb ist diese Jobcenter-Reform, die wir heute einbringen, die richtige Reform zum
richtigen Zeitpunkt.
({0})
Ich möchte gerne vier Punkte darstellen, die mir bei
dieser Reform wichtig sind:
Es geht erstens um eine Grundhaltung. Wir wollen
durch diese Jobcenter-Reform die Grundhaltung stärken
und verstetigen, dass der Weg aus der Langzeitarbeitslosigkeit nur durch ein Aktivieren beschritten werden
kann. Das heißt, die Kompetenzen und Potenziale, die
die Menschen haben und die oft unter einer dicken
Schicht von Unzulänglichkeiten oder objektiven Hürden
verborgen sind, müssen aktiviert werden. Wir wollen
nicht ein System haben, durch das verwahrt und verwaltet wird, sodass man zunehmend eine passive Haltung
einnimmt, wie das früher bei der Sozialhilfe der Fall gewesen ist, sondern wir wollen mit dieser Jobcenter-Reform gerade noch einmal stärken und verstetigen, dass
alle zusammenarbeiten, und zwar nicht nur die Langzeitarbeitslosen mit der Bundesagentur für Arbeit. Auch alle
Leistungen der Kommunen, die sie gemäß ihren Kompetenzen erbringen, und die sozialintegrativen Leistungen
müssen in einer Hand gebündelt zusammenkommen.
Das geht zweitens - das ist gerade auch angesichts
vielfältiger Kritik wichtig - nicht nach dem Lehrbuch
des Föderalismus; denn in diesem Lehrbuch des Föderalismus steht: Eine Ebene soll für eine Leistung sichtbar
zuständig sein. - Das kann man immer dann machen,
wenn es um Techniken geht, zum Beispiel um das Auszahlen des Kindergeldes. Man muss dazu wissen, wie
viele Kinder da sind und wie alt sie sind. Bei dieser Auszahlung einer Geldleistung geht es um Technik. Aber
hier, meine Damen und Herren, geht es um etwas sehr
viel Schwierigeres: Hier sind Menschen jahrelang ohne
Arbeit, hier haben sich Schwierigkeiten angehäuft. Und
diese Schwierigkeiten scheren sich keinen Deut darum,
ob wir verschiedene föderale Ebenen haben oder nicht;
sie sind da. Deshalb hilft eben auch nicht ein punktuelles
Angebot, sondern es hilft nur, die Menschen Schritt für
Schritt zu aktivieren und gebündelte Hilfe von verschiedenen Seiten für verschiedene Probleme anzubieten. Das
ist ein Schritt, den wir mit dieser Jobcenter-Reform gemeinsam gehen wollen.
({1})
Man muss sich anschauen, wer die Menschen sind,
die hinter diesen Zahlen der Langzeitarbeitslosigkeit stehen. Das kann zum Beispiel ein 48-jähriger Hilfsarbeiter
sein. Dieser braucht etwas vollständig anderes als eine
verheiratete Verkäuferin, als eine alleinerziehende Krankenschwester, als ein 22-Jähriger, der seine Lehre abgebrochen, dafür aber einen Berg Schulden angehäuft hat,
oder als ein 58-jähriger Ingenieur, der nach einem persönlichen Fiasko mehrere Jahre lang arbeitslos gewesen
ist. Allen ist gemeinsam, dass sie seit langer Zeit arbeitslos sind; aber um den Anschluss zu finden, brauchen sie
ganz unterschiedliche präzise, fördernde Hilfen.
Dafür brauchen wir drittens eine schlagkräftige Organisation. Wir wollen eine neue Qualität der Vermittlung, die es eben nicht dem Zufall überlässt, oder bestimmten Persönlichkeiten, die vor Ort da sind oder
nicht, dass passende Konzepte zur Integration in den Arbeitsmarkt vorgelegt werden, ob es der Eingliederungszuschuss ist, die sozialpädagogische Begleitung, die
Kinderbetreuung oder die Schuldnerberatung. Keiner
der Langzeitarbeitslosen braucht alles; aber wenn die
Langzeitarbeitslosen ins Jobcenter kommen, muss alles
im Hintergrund zur Verfügung stehen, damit man punktuell im richtigen Moment die richtige Hilfe anbieten
kann. Die Neuorganisation der Jobcenter lässt diesen
Gestaltungsspielraum zu, sie sichert ihn verfassungsmäßig ab. In Zukunft kann jemand den Arbeitslosen nicht
nur das anbieten, wofür er gerade zuständig ist, sondern
die Hilfe, die sie brauchen.
({2})
Eine besonders wichtige Rolle in diesem Prozess
spielen die Fallmanagerinnen und Fallmanager, die
Vermittler. Sie wissen, wo es welche Hilfen gibt. Sie putzen bei den Unternehmen die Klinken. Sie wissen, auf
welches mittelständische Unternehmen sie sich verlassen können, wenn es einen Jugendlichen gibt, der besondere Hilfe und Zuwendung braucht, um doch noch den
Einstieg in die Lehre zu schaffen. Sie kennen die vielen
verschiedenen - ein sperriges Wort - Arbeitsmarktinstrumente. Sie schaffen die Verlässlichkeit, weil sie das
Gesicht, der Ansprechpartner sind für die Unternehmen,
die Arbeitskräfte suchen, aber auch für die Arbeitslosen,
die Hilfe bei der Vermittlung eines Jobs suchen.
Deshalb möchte ich an diesem Punkt eines besonders
deutlich ansprechen: Im Augenblick befinden wir uns in
der Situation, dass wir uns kurzfristig verhakt haben, und
zwar bei dem Thema der 3 200 Stellen, die entfristet
werden sollen. Kompetente Menschen sitzen bereits auf
diesen Stellen, sie arbeiten in der Vermittlung. Das ist
wichtig und richtig; wir brauchen diese Menschen. Es
braucht Fachwissen, um diese Arbeit zu machen. Ich bin
fest entschlossen, dass wir gemeinsam die Kraft aufbringen, sicherzustellen, dass eine so große Reform wie
diese Jobcenter-Reform nicht daran scheitert, ob wir in
diesem Punkt eine Lösung finden oder nicht.
({3})
Am Ende des Jahres stehen da rund 6,9 Millionen Menschen in der Grundsicherung für Arbeitsuchende. Wenn
wir jetzt nicht gemeinsam die Kraft aufbringen, das, was
wir auf einen guten Weg gebracht haben, zu Ende zu
bringen, dann sprengt das die Jobcenter am Ende des
Jahres - sie zerfallen wieder in ihre Einzelteile -,
({4})
dann sind die 69 Optionskommunen von der Landkarte
gewischt. Es ist eine Frage unseres gemeinsamen Gestaltungswillens und unserer Verantwortung für dieses Land
mitten in der Krise, dass wir hier eine Lösung hinbekommen.
({5})
Auch der vierte Punkt ist mir wichtig: Die Reform
schafft an einer Stelle, wo es in der Vergangenheit immer
gehakt hat, etwas ganz Neues. Wir schaffen tatsächlich
ein lernendes System, also kein System, in dem man
erst nach Jahren Bilanz zieht und rückwärtsgewandt
schaut, ob es funktioniert hat oder nicht, und sich vor
Gericht streitet, ob das Geld sinnvoll eingesetzt worden
ist oder nicht. Wir wollen stattdessen gemeinsam Ziele
definieren: Wie viele Alleinerziehende, Jugendliche, Ältere, Facharbeiter in strukturstarken Regionen, die jetzt
arbeitslos geworden sind für eine längere Zeit, sollen
wieder in den Arbeitsmarkt integriert werden? Wir wollen laufend vergleichen und feinjustieren können: Was
machen andere besser? Warum ist die eine Region erfolgreicher als die andere mit denselben Strukturen? Wer
schafft es, Menschen schneller in Arbeit zu bringen?
Dies ist unerlässlich, um im Jobcenter oder in der Optionskommune die eigene Arbeit zu spiegeln. Wir werden die Daten bundesweit einheitlich erheben, zeitnah
erfassen und vergleichen können. Das tun wir nicht, weil
wir aus Berlin bis in den hintersten Winkel eines Jobcenters oder einer Optionskommune hineinregieren und sie
kontrollieren wollen. Nein, das können wir nicht, das
wollen wir auch gar nicht. Aber wir wollen die Sachkenntnis und die Kreativität vor Ort so gestalten, dass
man zügig, transparent und zeitnah sehen kann: Wer ist
erfolgreich? Was wirkt? Wie wird das Geld eingesetzt?
Wie wird den Menschen geholfen?
Ich möchte vor allem, dass der Schleier des Nichtwissens, der Schleier der Intransparenz, der zum Teil bisher
über dem System lag - man wusste nicht genau, warum
die Unterschiede in der Arbeit so groß sind -, weggezogen wird. Ich möchte vor allem, dass die Diskussion
über die beste Arbeit bei der Vermittlung dort geführt
wird, wo sie hingehört, nämlich in die Kreistage, in die
Kommunen, in die Unternehmen, in die Kammern und
in die Gewerkschaften vor Ort. Letztendlich sind sie es,
die gelobt werden, wenn etwas gelungen ist, oder die dafür geradestehen müssen, wenn es Defizite gibt.
({6})
Wir berichten jeden Monat in den Lokalzeitungen
über die Entwicklung der Arbeitslosenzahlen in der jeweiligen Region. Ich wünsche mir, dass in Zukunft zum
Beispiel vierteljährlich in den Lokalzeitungen über die
Erfolge und die Entwicklung der Jobcenter bzw. der Optionskommunen berichtet wird und wir nachlesen können, wie Langzeitarbeitslose in einer Region mit ihren
spezifischen Problemen wieder in Arbeit vermittelt worden sind. Das kann sich ändern. Das soll sich ändern. Ich
bin sicher, dass dieser Wettbewerb um die besten Ideen
motivieren wird.
({7})
Ich will noch einen Satz dazu sagen, dass die Reform
angeblich teurer werden würde. Ich kann denjenigen, die
Zahlenspielereien betreiben - ich habe mir genau angesehen, wie das entstanden ist -, nur zurufen: Sie blicken
auf das zurück, was war. Ihr Denken ist statisch. Wir
müssen handeln, weil wir die Veränderungen durch die
Jobcenter-Reform brauchen; denn sonst müssten wir sie
nicht machen. Sie sind unfähig, dynamisch zu denken, in
die Zukunft zu blicken und zu sagen: Da wollen wir hin.
Diese Veränderungen wollen wir. Deshalb sind die genannten Zahlen von gestern.
Wir sprechen über eine Jobcenter-Reform, die unser
Land auch in Zukunft bestimmen wird. Ich möchte trotz
aller Hakeleien, die wir noch haben, denjenigen von
Herzen danken, die parteiübergreifend eine Koalition der
Vernunft geschlossen haben. Ich will mich bei all denjenigen bedanken, die das ermöglicht haben. Die Gesetze,
die wir heute auf den Weg bringen, schaffen nicht nur Sicherheit für die Jobcenter und die Optionskommunen,
sondern vor allem auch für die Langzeitarbeitslosen, die
unsere Hilfe brauchen.
Vielen Dank.
({8})
Das Wort erhält der Kollege Hubertus Heil für die
SPD-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Was brauchen langzeitarbeitslose Menschen in unserem Land?
Das ist die Frage, die uns bewegen muss. Es ist die Verantwortung aller Parlamentarier, aber auch der Bundesregierung, sich gerade in der momentanen Phase der
Entwicklung am Arbeitsmarkt zu überlegen, was getan
werden kann und getan werden muss, um langzeitarbeitslosen Menschen effektiv zu helfen. Ich will niemandem absprechen, egal welcher Couleur, zu erkennen,
dass das ein gemeinsames Ziel sein muss.
Das Wichtigste ist - das fängt schon mit der Organisationsform der Arbeitsverwaltung an -, dass wir langzeitarbeitslose Menschen nicht nur mühsam verwalten,
sondern ihnen Betreuung, Hilfe und vor allem eine Vermittlung aus einer Hand anbieten und dass nicht wieder
Hubertus Heil ({0})
Pingpong zwischen den verschiedenen Bürokratien gespielt wird.
Ich bin froh, dass die Chance besteht, das zu verhindern, was CDU, CSU und FDP in ihrem Koalitionsvertrag vereinbart haben. Wir müssen trotz all der notwendigen Veränderungen dafür sorgen, dass die Jobcenter in
Deutschland am 1. Januar 2011 nicht zerschlagen werden. Genau das war es aber, was CDU, CSU und FDP in
ihrem Koalitionsvertrag vorgesehen haben:
({1})
getrennte Aufgabenwahrnehmung und Zerschlagung der
Jobcenter.
Dass wir die Möglichkeit haben, das abzuwenden, ist
eine große Chance. Dazu braucht es eine Koalition der
Vernunft über die Regierungsmehrheit hinaus, weil es
eine verfassungsgemäße Lösung, eine grundgesetzliche
Absicherung geben muss. Wir als Sozialdemokraten in
der Opposition haben deshalb die Hand gereicht und das
Angebot gemacht, im Interesse langzeitarbeitsloser
Menschen und auch derjenigen, die in der Arbeitsvermittlung einen harten Job erledigen, dafür zu sorgen,
dass die Organisationsreform stattfinden kann, dass die
Jobcenter in Zukunft besser arbeiten können und vor allen Dingen, dass sie nicht zerschlagen werden.
Diese Lösung wäre schon früher möglich gewesen.
Die Verunsicherung der letzten Jahre war unnötig. Das
hat viele kommunale Träger und viele in der Arbeitsverwaltung der Bundesagentur für Arbeit, aber auch viele
langzeitarbeitslose Menschen über Monate, wenn nicht
sogar über Jahre verunsichert. Weil Herr Laumann
damals am Zustandekommen eines Kompromisses beteiligt war - an den aktuellen Verhandlungen war er allerdings nicht beteiligt -, sei daran erinnert: Es gab zu Zeiten von Olaf Scholz, Ihres Amtsvorgängers, Frau von
der Leyen, einen Kompromiss zwischen 16 Bundesländern, der Bundesregierung und der SPD-Bundestagsfraktion, der damals in der Großen Koalition mutwillig
von CDU/CSU und FDP zerschlagen wurde.
({2})
Deshalb war es nicht ganz einfach, zu sagen: Wir machen jetzt einen zweiten, dritten Versuch. Aber wir haben das aus Verantwortung getan.
Es handelt sich um einen guten Kompromiss. Auch
wir mussten in ein paar Punkten nachgeben. Aber das ist
das Wesen parlamentarischer Kompromisse. Es wird nun
dafür gesorgt, dass das Regelmodell, die Zusammenarbeit zwischen Bundesagentur für Arbeit und Kommunen bei der Betreuung und Vermittlung von Langzeitarbeitslosen aus einer Hand, besser umgesetzt werden
kann und dass es mehr Stabilität gibt. Wir haben ein Gesamtpaket geschnürt, zu dem unter anderem gehört, dass
es sich bei der Hilfe aus einer Hand nicht um eine leere
Hand handeln darf. Mit der Entsperrung von 900 Millionen Euro, die Schwarz-Gelb im Haushaltsausschuss gesperrt hatte, können zumindest in diesem Jahr die Mittel
für eine aktive Arbeitsmarktpolitik ausgereicht werden.
Frau von der Leyen, ich kann Ihnen nicht ersparen
- weil Sie das nur in einem Nebensatz erwähnt haben -,
darauf hinzuweisen, dass die Entfristung von 3 200 Stellen für Arbeitsvermittler Teil dieser Einigung ist.
({3})
Ihre Rede diente an dieser Stelle eher der Aufklärung der
FDP-Fraktion.
({4})
Im Verhältnis zur Gesamtreform klingt die Zahl von
3 200 Jobvermittlern wenig. Wenn wir uns aber anschauen, was wir alles im Gesetzentwurf mit Leben erfüllen müssen, nämlich verbindliche Schlüssel für das
Verhältnis von Jobvermittlern zu Langzeitarbeitslosen
einzuführen - 1 : 75 bei den unter 25-Jährigen, 1 : 150
bei den über 25-Jährigen -, wenn all das, was Sie vorhaben, Frau von der Leyen, nicht heiße Luft sein soll - ich
spreche Ihnen nicht ab, dass Sie es ernsthaft wollen -,
wenn vor allen Dingen Alleinerziehende und Jugendliche besser betreut werden sollen und nicht in der Arbeitslosigkeit verwaltet werden sollen sowie Eingliederungsvereinbarungen getroffen werden sollen, um
Menschen aus der Situation der Arbeitslosigkeit herauszuführen, dann muss man sagen: Es braucht mehr Jobvermittler, damit nicht nur Akten bewegt werden, sondern damit Menschen eine Chance bekommen. Das ist
das, was die FDP nicht begriffen hat. Das sage ich hier
ganz deutlich.
({5})
Ich kann diesem Parlament nicht ersparen, zu schildern, was in den letzten Wochen, nachdem wir einen
Kompromiss, abgestimmt mit den Fraktionsvorsitzenden
und der Ministerin, geschlossen hatten, passiert ist. Ja,
nach viel Gezeter bei CDU/CSU- und FDP-Haushältern
sind die 900 Millionen Euro vereinbarungsgemäß entsperrt worden; das ist auch gut so. Wir wissen, dass vor
Ort auf ein solches Signal gewartet wurde. Aber nein,
die Entfristung von 3 200 Stellen für Jobvermittler ist
weder in der letzten noch in der vorletzten Sitzung geschehen. Nachdem es in der vorletzten Sitzung nicht
passiert war, habe ich Frau von der Leyen einen Brief
geschrieben und in freundlichem Ton daran erinnert,
dass man sich an Vereinbarungen zu halten habe. Sie hat
mich daraufhin angerufen - ich erkenne ihr Bemühen
auch an - und hat mir versichert, dass das nun mit Herrn
Schäuble geklärt und auch mit den Haushältern von CDU/
CSU und FDP abgestimmt sei. Daraufhin hat die Ministerin zum 5. Mai, zum gestrigen Tag, im Haushaltsausschuss die Entfristung von 3 200 Stellen wie vereinbart
beantragt. Es war ein Amoklauf von FDP-Haushaltspolitikern, der die Ministerin gestern desavouiert hat. Sie haben das von der Tagesordnung gewischt. Wir wollen das
Zustandekommen der Jobcenter-Reform. Aber ich warne
die FDP, diesen Kompromiss, der die letzte Möglichkeit
darstellt, die Zerschlagung der Jobcenter zum 1. Januar
2011 aufzuhalten, aufzuschnüren und zu gefährden. Sie
verunsichern die Menschen vor Ort. Wir dürfen das nicht
zulassen. Deshalb müssen Sie, bevor es die zweite und
dritte Lesung in diesem Haus gibt, dafür sorgen, dass die
3 200 Stellen wie besprochen entfristet werden.
Hubertus Heil ({6})
({7})
Es waren stets die Sozialdemokraten und die Grünen
in diesem Haus, die darauf hingewiesen haben, dass eine
Zerschlagung der Jobcenter das Schlimmste ist, was man
in dieser Phase tun kann. Die Organisationsreform allein
reicht aber nicht aus, um auf dem Arbeitsmarkt besser zu
werden. Hinzu kommen müssen - auch das ist eine Aufgabe in diesem Jahr - eine Veränderung im Bereich des
Leistungsrechts, die Umsetzung des Bundesverfassungsgerichtsurteils sowie bessere Hilfen für Kinder und Jugendliche, aber auch für Erwachsene. Ferner ist es nach
wie vor wichtig, die Arbeitsmarktpolitik nicht nur in
warme Worte zu packen, Frau Ministerin. Vielmehr
müssen gerade angesichts einer noch nicht durchgestandenen Wirtschaftskrise die entsprechenden Mittel für
eine aktive Arbeitsmarktpolitik auch bereitgestellt werden.
Viele bei Schwarz und Gelb machen sich große Illusionen, was die Möglichkeit betrifft, nach der nordrheinwestfälischen Landtagswahl, wenn Sie, Herr Laumann,
nicht mehr im Amt sind,
({8})
die aktive Arbeitsmarktpolitik zum Steinbruch für Ihre
verfehlte Wirtschafts-, Finanz- und Haushaltspolitik zu
machen. Ich will Herrn Barthle zitieren, den haushaltspolitischen Sprecher der CDU - Frau von der Leyen, Sie
haben das mitbekommen -, der angekündigt hat, dass Ihr
Haus zur notwendigen Haushaltskonsolidierung im Jahr
2011 - strukturell 10 Milliarden Euro - ein Drittel bis
die Hälfte beitragen soll. Wenn man sich Ihren Haushalt
anschaut, stellt man fest, dass er sehr groß ist. Es ist naheliegend, sich den größten Haushalt anzuschauen. Aber
wenn man genau hinschaut, fragt man: Wo soll denn da
gekürzt werden? Beim Zuschuss für die Rentenversicherung doch wohl nicht. Bei der Unterstützung für Langzeitarbeitslose, was Leistungen betrifft, doch wohl auch
nicht. Das können Sie nach dem Verfassungsgerichtsurteil auch gar nicht. Es bleibt der Titel für Eingliederungshilfen im Bereich der aktiven Arbeitsmarktpolitik.
Wenn man ein Drittel oder die Hälfte von 10 Milliarden
Euro nimmt, dann sind das 3 bzw. 5 Milliarden Euro. Ihr
Haushaltstitel im Bereich der Eingliederungshilfen beträgt, glaube ich, 5 Milliarden Euro. Eine Kürzung in
diesem Bereich wäre eine Katastrophe für die aktive Arbeitsmarktpolitik.
Deshalb sage ich Ihnen: Wir wollen Hilfe und Betreuung von langzeitarbeitslosen Menschen aus einer Hand.
Das darf aber keine leere Hand sein, sondern wir brauchen diese Mittel für die aktive Arbeitsmarktpolitik, um
gerade denen, die es schwer haben, effektiv helfen zu
können.
({9})
Wir stehen zu diesem Kompromiss, und ich habe den
Eindruck, die Kolleginnen und Kollegen der CDU/CSU
auch. Herr Kolb, ich habe sogar den Eindruck, dass auch
die Arbeitsmarktpolitiker der FDP dazu stehen. Frau
Homburger, ich freue mich, dass Sie jetzt anwesend
sind, weil Sie Zeugin der Besprechung der Ministerin
mit den Fraktionsvorsitzenden sind. Herr Kauder war
auch dabei. Er hat daran erinnert, dass wir das Gesamtpaket umzusetzen haben, und dazu gehören eben auch
die Punkte, die wir bezüglich der Jobvermittler miteinander vereinbart haben. Ich kann die FDP nur warnen:
Nichtregierungsorganisationen sind im sozialen Bereich
für unsere Zivilgesellschaft eine unerlässliche Größe.
Viele Menschen, die sich in Nichtregierungsorganisationen, in NGOs, engagieren, leisten Wertvolles im sozialen Bereich, aber eine NGO namens FDP in der Regierung ist eine Zumutung, gerade im sozialen Bereich, in
der aktiven Arbeitsmarktpolitik.
({10})
An dieser Stelle sollten Sie sich regierungsfähig zeigen, sich vertragstreu verhalten und nicht zu Verunsicherung beitragen. Wir dürfen nicht zulassen, dass durch die
Nervosität der FDP diese wichtige Reform, die im Interesse von langzeitarbeitslosen Menschen in Deutschland
ist, erneut gefährdet wird oder dadurch sogar scheitert.
Im Interesse der Stabilität vor Ort, aufgrund der Zeit, die
uns bei der Umsetzung dieser Reform wegläuft, sage
ich: Machen Sie Ihre Hausaufgaben, halten Sie sich an
Vereinbarungen, und wir werden es schaffen, die Organisationsreform, die zumindest wir immer wollten, auch
tatsächlich umzusetzen.
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({11})
Der Kollege Dr. Heinrich Kolb ist der nächste Redner
für die FDP-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bei
Erich Kästner gab es mal Das doppelte Lottchen. In den
letzten Wochen - Herr Heil, nach Ihrer Rede muss ich
das so sagen - habe ich einen „doppelten Heil“ kennengelernt.
({0})
Herr Heil, in den Beratungen haben Sie sich sehr konstruktiv - das will ich hier ausdrücklich sagen -, sehr
sachkompetent, auch sehr kompromissfähig gezeigt.
Heute Morgen geben Sie hier aber den Scharfmacher. Ich
verstehe überhaupt nicht - das muss ich für meine Fraktion sehr deutlich sagen -, dass Sie sich heute Morgen
hier so gerieren.
({1})
Ich will das, was Sie hier gesagt haben, zurückweisen.
Das war eine Schuldzuweisung an die Adresse der FDP.
Im Haushaltsausschuss gab es gestern die Absetzung dieses Tagesordnungspunktes, übrigens nicht nur dieses, sondern mehrerer Tagesordnungspunkte. Dem Vernehmen
nach hat das im Ausschuss keine große Rolle gespielt,
Frau Hagedorn. Deswegen, Herr Heil, habe ich mit Verwunderung Ihre Wortmeldung in der Rheinischen Post
gelesen: SPD droht mit Nein zu der Reform.
Dazu will ich hier sehr klar sagen - Herr Heil, ich bitte
Sie, mir zuzuhören, weil das für Sie offensichtlich ein
ganz entscheidender Punkt ist -: Wir haben in der Verhandlungsgruppe eine Reform erarbeitet. Am Schluss haben wir sie mit drei verschiedenen Rahmenbedingungen
garniert. Eine Rahmenbedingung war: Entsperrung von
Haushaltsmitteln in Höhe von 900 Millionen Euro. Das
ist erfolgt. Eine weitere Rahmenbedingung war: Entschließungsantrag zur Änderung des Art. 91 e Grundgesetz, durch den ohne Angabe einer Zahl im Grundgesetz
klargestellt wird, wie viele Optionskommunen es geben
darf, in welcher Größenordnung wir uns bewegen. Das
wird kommen.
Wir haben außerdem sehr klar gesagt: Wir wollen
eine Verstetigung der Mittel. Darauf haben wir uns verständigt. Die Hand, von der Sie sprachen, ist nicht leer.
Ich möchte, damit sich in der Öffentlichkeit kein falscher Eindruck festsetzt, die Zahlen nennen: In 2006 betrugen die aus dem Bundeshaushalt getätigten IstGesamtausgaben für die Betreuung Langzeitarbeitsloser,
also Eingliederungsmaßnahmen und Verwaltung, 8,07 Milliarden Euro. In 2010 haben wir für diesen Bereich
11 Milliarden Euro zur Verfügung. Die Hand, von der
Sie sprachen, ist nicht leer, sondern sie wurde in den
letzten Jahren zunehmend gut gefüllt. Das, meine Damen und Herren, will ich sehr deutlich festhalten.
({2})
Herr Heil, ich muss Ihnen sagen: Es gab in der Verhandlungsgruppe keine explizite Verständigung auf die
Entsperrung der genannten 3 200 Stellen.
({3})
- Es gab in der Verhandlungsgruppe keine Vereinbarung.
Es gab nach allem, was ich weiß, auch in der Spitzenrunde keine solche Verständigung.
({4})
Deswegen mahne ich hier zur Ruhe. Ich bitte Sie, die Sache nicht zu hoch zu hängen. Erinnern Sie sich an
Herbert Wehner: Wer rausgeht, muss auch wieder reinkommen.
({5})
Ich glaube nicht, dass Sie am Ende einem Ihrer SPDLandräte, den vielen Mitarbeitern in den Argen und vor
allem den vielen betroffenen Langzeitarbeitslosen erklären können, warum Sie eine so bedeutende Reform wie
die, um die es hier geht, an dieser Frage hätten scheitern
lassen.
({6})
Das sollten Sie nicht tun. Sie sollten außerdem von Anfang an jeden Eindruck vermeiden, dass sich die SPD
gegen diese Reform sperren könnte.
({7})
Ich will noch eine zweite Anmerkung machen. Aus
Nürnberg erreicht uns heute die Nachricht, dass die
Jobcenter-Reform 500 Millionen Euro mehr kosten
wird.
({8})
Ich muss sagen: Eine solche Meldung finde ich ärgerlich
und unverantwortlich zugleich.
({9})
Das sind meines Erachtens Rückzugsgefechte einiger
Ideologen in Nürnberg, die sich nicht damit abfinden
können, dass die ungeliebte Option jetzt entfristet und
der Deckel deutlich angehoben wird. Hierzu muss man
sagen: Zukunft ist nicht einfach verlängerte Gegenwart.
Man kann das, was in der Vergangenheit gewesen ist,
nicht einfach für die Zukunft hochrechnen.
Durch die Optimierung der Arbeit der Jobcenter, aber
auch der Optionskommunen wollen wir eine Effizienzsteigerung erreichen. Wir wollen dafür sorgen, dass die
Mittel besser genutzt werden, sodass wir im Ergebnis
trotz besserer Betreuung und trotz besserer Angebote an
die Langzeitarbeitslosen vielleicht - warum nicht? - mit
geringeren Mitteln auskommen, ohne dass dies zulasten
des Einzelnen geht. Das muss unser gemeinsames Ziel
sein.
Vor diesem Hintergrund ärgert mich diese Meldung
sehr. Sie hat uns in letzter Minute erreicht und basiert auf
einem Gutachten, das im Dezember 2008 in Auftrag gegeben wurde. Wer es damals in Auftrag gegeben hat und
mit welcher Zielrichtung es damals vermutlich in Auftrag gegeben wurde, ist jedenfalls mir sehr klar.
Ich will noch etwas sagen: Was die Performance, die
Leistung und die Abwicklung, anbelangt, sehe ich die
Argen, auch in ihrer bisherigen Form, und die Optionskommunen sehr wohl auf Augenhöhe. Ich glaube, dass
es aufgrund der neuen Organisation, die wir schaffen
wollen, und des transparenten Steuerungsmodells, mit
dem sehr zeitnah nachgeregelt werden kann, dazu kommen wird, dass sich diese gleiche Augenhöhe erst recht
einstellen wird und die Optionskommunen ihre Vorteile,
nämlich die größere Nähe zum Arbeitsmarkt, die dort
zweifelsohne gegeben ist, ausspielen können. Deswegen
ärgert mich diese Nachricht, wie gesagt, sehr.
Beides sollte uns aber nicht davon abhalten, den Blick
auf die Ergebnisse dieser Reform zu richten. Ich hätte
mir erhofft, dass in der heutigen Debatte deutlich wird,
was wir mit dieser Reform erreicht haben - nach zwei
Jahren Großer Koalition, in denen nichts passiert ist,
({10})
nach einem Regierungswechsel im Bund und nach einem harten Einspruch aus Hessen;
({11})
das will ich sehr deutlich sagen.
({12})
Das ist nämlich eine wesentliche Voraussetzung dafür,
dass wir dieses Thema heute überhaupt behandeln können.
({13})
Herr Kollege Kolb, eigentlich ist Ihre Redezeit zu
Umso mehr freue ich mich über eine Zwischenfrage,
Herr Präsident.
- aber Frau Hagedorn würde Ihnen gerne eine Frage
stellen. Ich lasse das zu. Lassen Sie es auch zu?
Ja, sicher; klar.
Bitte schön.
Herr Kollege Kolb, ich glaube, es wäre nicht verantwortbar, wenn Sie als Redner der FDP gleich das Mikrofon verlassen würden, ohne dem Hohen Haus eine klare
Antwort auf die Frage gegeben zu haben, wie die FDP
mit der Entsperrung der 3 200 Stellen umgehen will.
({0})
Sie waren diejenigen, die dieses Thema gestern im
Haushaltsausschuss gemeinsam mit Ihrem Koalitionspartner von der Tagesordnung genommen haben. Sie
können nur gemeinsam handeln; das wissen wir. Aber
wir wissen auch, dass Sie die Initiatoren waren. Dem
Haushaltsausschuss liegt ein Antrag der Bundesagentur
für Arbeit auf Entsperrung vor, der vom Arbeits- und Sozialministerium befürwortet wird. Frau von der Leyen
hat bereits in der letzten Sitzung des Haushaltsausschusses bestätigt, dass sie mit ihrem Haus die Entfristung der
Stellen befürwortet. Auch vom Finanzminister haben
wir die Bestätigung, dass er die Entfristung der Stellen
befürwortet.
Wir sparen nicht einen Cent, wenn diese Stellen nicht
entfristet werden; denn die 3 200 Mitarbeiterinnen und
Mitarbeiter sind ja schon da. Im März erging ein Arbeitsgerichtsurteil, mit dem sich nach Aussage von
Herrn Weise 500 befristet Beschäftigte in eine entfristete
Beschäftigung einklagen mussten. Was da geschieht
- knapp 10 000 Menschen haben noch befristete Arbeitsverträge -, ist nicht in Ordnung.
Kommen Sie bitte zur Frage.
Vor diesem sachlichen Hintergrund und nicht nur vor
dem Hintergrund von Protokollnotizen von Verabredungen muss die FDP eine Antwort darauf geben, wie sie
die Reform der Jobcenter mit Leben erfüllen will. Ein
Betreuungsverhältnis von 1:75 bzw. 1:150 war verabredet. Wenn Sie diesen gut eingearbeiteten 3 200 Mitarbeitern keine berufliche Perspektive geben, riskieren Sie,
dass diese Mitarbeiter die BA verlassen und durch uneingearbeitete ersetzt werden müssen.
Darum sind Sie diesem Parlament bei der Einbringung dieses Gesetzentwurfs eine Antwort schuldig, wie
Sie sich hierzu in der nächsten Sitzung des Haushaltsausschusses verhalten werden.
({0})
Vielen Dank, Frau Kollegin Hagedorn, auch dafür,
dass ich noch ein bisschen länger am Rednerpult verweilen darf. Ich will Ihre Frage gerne beantworten: Zunächst einmal sollten wir Stellen, die mit Sachgrund befristet waren, und Stellen, die ohne Sachgrund befristet
waren, auseinanderhalten. Wir reden über ursprünglich
10 000 Stellen, die rollierend sozusagen immer wieder
befristet besetzt wurden. Von diesen 10 000 Stellen sind
6 800 entfristet worden; damit bleiben nur noch 3 200 Stellen.
({0})
Jeweils nach sachlichen Beratungen im Haushaltsausschuss ist in zwei Tranchen die Entsperrung vorgenommen worden. Die 3 200 Stellen, über die wir jetzt reden,
sollten eigentlich erst 2011 an die Reihe kommen. Jetzt
sollen sie schon im Haushalt 2010 berücksichtigt werden.
({1})
- Die sind schon im Haushalt, aber noch gesperrt. Deswegen, Frau Hagedorn, haben Sie sich die Antwort eigentlich selbst gegeben.
({2})
Mir ging es darum, festzustellen, dass in der Verhandlungsgruppe, Herr Heil - anders als Sie es dargestellt haben -, keine Zusage gemacht worden ist.
({3})
Ich gehe davon aus, dass man sich im Haushaltsausschuss wie bei den ersten beiden Tranchen zusammensetzt, sachlich erwägt und nach der Klärung offener Fragen - offensichtlich gibt es offene Fragen; ich habe mir
das von der Kollegin Winterstein erläutern lassen; das
hat also einen Hintergrund - sachlich entscheidet. Der
Haushaltsausschuss ist in seiner Entscheidung, wie er
das handhabt, vollkommen frei, Frau Hagedorn; das wissen Sie als Mitglied dieses Gremiums selbst am besten.
Was gestern dargestellt worden ist - da seien Zusagen
gegeben worden, und weil die nicht eingehalten würden,
scheitere die Reform -, ist in dieser Form nicht haltbar,
Herr Heil; das will ich sehr deutlich sagen.
({4})
- Das rechtfertigt keine Schuldzuweisung an die FDP.
({5})
Ihr Verhalten von gestern kommt mir vor wie das eines
Kleinkindes, das sagt: Wenn du mir mein Spielzeug
nicht gibst, dann greife ich auf die heiße Herdplatte!
({6})
- Sie sollten die heiße Herdplatte nicht anfassen! Diese
Reform ist wichtig für unser Land und sollte nicht mit
vorgeschobenen, fadenscheinigen Erwägungen in Gefahr gebracht werden.
({7})
Diese Reform ist wichtig, weil sie gut ist für die Menschen in diesem Land, die von Langzeitarbeitslosigkeit
betroffen sind, aber auch weil sie dazu beiträgt, dass die
Verwaltung der Langzeitarbeitslosigkeit effizienter wird,
damit diejenigen, die keinen Arbeitsplatz haben, bessere
Chancen bekommen, wieder einen Arbeitsplatz zu finden. Das ist uns wichtig, das ist die Leitlinie unserer
Politik. Deswegen, Herr Heil, werden wir so handeln,
wie ich es dargestellt habe.
Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
({8})
Das Wort hat jetzt die Kollegin Katja Kipping von der
Fraktion Die Linke.
({0})
Herr Präsident! Werte Damen und Herren! Wenn man
die Debatte verfolgt, dann könnte man den Eindruck gewinnen, dass in den Fragen, die wir heute behandeln,
zwischen SPD und Schwarz-Gelb extreme politische
Unterschiede bestehen. Aber ich finde, an dieser Stelle
muss man daran erinnern, dass die Beratungsgrundlage
ein Gesetzentwurf ist, den SPD, CDU/CSU und FDP gemeinsam eingebracht haben, und dass es diese Parteien
waren, die gemeinsam den Geist von Hartz IV mitgetragen und sich davon noch nicht wirklich verabschiedet
haben.
({0})
Der vorliegende Gesetzentwurf sieht eine Ausweitung der Optionskommunen vor, also jener Gemeinden, die die Betreuung der Langzeitarbeitslosen in Eigenregie übernommen haben. Diese Ausweitung ist zu
kritisieren und wird von den Linken so nicht mitgetragen.
Mir ist bewusst, dass in mancher Kommune die Auffassung herrscht, die Sache lieber vor Ort selber in die
Hand zu nehmen, um nicht der Spitze der Bundesagentur
in Nürnberg ausgeliefert zu sein. Angesichts der real
existierenden Verhältnisse in der Bundesagentur ist eine
solche Einstellung sogar nachvollziehbar. Diese Kritik
bezieht sich ausdrücklich nicht auf die Mitarbeiterinnen
und Mitarbeiter.
({1})
Die Linke kritisiert vielmehr, dass im Zuge der HartzGesetze die Bundesagentur allein auf einen betriebswirtschaftlichen Auftrag verpflichtet worden ist und dass dabei der sozialpolitische Auftrag und die innerbetriebliche
Demokratie auf der Strecke geblieben sind. Deswegen
sagen wir ganz deutlich - egal, wie wir heute entscheiden -: Die Bundesagentur kann nicht so weiteragieren
wie bisher.
({2})
So verständlich der Ärger in mancher Kommune über
die Bundesagentur ist, so wenig ist die Ausweitung der
Optionskommunen die Lösung dieses Problems. Wir alle
sollten uns vielmehr fragen: Droht nicht bei einer weiteren Kommunalisierung eine noch stärkere Kannibalisierung, das heißt ein Überbietungswettbewerb zwischen
den Kommunen? Droht nicht am Ende sogar eine finanzielle Mehrbelastung für die Kommunen, weil sie innerhalb der Argen nur einen kleinen Teil der Verwaltungskosten tragen mussten? Ist es wirklich sachgerecht, dass
wir im Fall der Optionskommunen zwar als Bund zahlen, aber weder die Fach- noch die Rechtsaufsicht haben,
also im Klartext nichts zu sagen haben?
Ich meine, Erwerbslosigkeit ist ein gesamtgesellschaftliches Problem, das nicht auf die Kommunen abgewälzt werden darf. Sie können doch nicht ernsthaft
wollen, dass in der Arbeitsmarktpolitik das Prinzip
Flickenteppich herrscht.
({3})
Sie sprechen sich aber offensichtlich für die Etablierung
des Modells Flickenteppich aus. Gegen dieses Modell
gibt es Kritik aus ganz unterschiedlichen Richtungen,
die ich Ihnen nicht vorenthalten möchte.
Frau Kollegin Kipping, darf ich Sie kurz unterbrechen? Der Kollege Grund würde Ihnen gerne eine Zwischenfrage stellen.
Ich freue mich immer über eine Verlängerung meiner
Redezeit. Bitte schön.
Herr Grund, bitte schön.
Vielleicht ist es nicht nur eine Verlängerung Ihrer Redezeit, sondern auch eine Klarstellung, Frau Kollegin.
Sie sprechen sich für Ihre Fraktion und damit für die
Linke gegen eine Ausweitung der Kommunalisierung
aus, wie sie im Gesetzentwurf angelegt ist. Können Sie
bestätigen, dass es Kreistage gibt, in denen sich die Fraktion Die Linke ausdrücklich dafür ausgesprochen hat,
dass ihr Landkreis, der bisher einer Arbeitsgemeinschaft
angehört hat, aus sehr nachvollziehbaren Gründen zur
Optionskommune wird? Können Sie bestätigen, dass die
Linke, die Sie hier vertreten, bei weitem nicht die Linke
ist, die sich für die Kommunalisierung ausgesprochen
hat?
Danke schön. Das gibt mir die Gelegenheit, näher auf
den Punkt einzugehen, den ich gerade angesprochen
hatte. Die Kommunalpolitiker vor Ort sind in der misslichen Situation, die Suppe auslöffeln zu müssen, die ihnen zum Beispiel im Zuge der Hartz-Gesetze eingebrockt worden ist
({0})
und die dazu geführt hat, dass wir mit einer Bundesagentur konfrontiert sind, die nur noch nach irgendwelchen
betriebswirtschaftlichen Zahlen funktioniert und eine
Arbeitsmarktpolitik macht, von der so manche Kommunalpolitiker glauben, dass sie das besser machen könnten. Dass man das vor Ort so sieht, finde ich zutiefst verständlich.
({1})
Aber wir als Bundespolitiker haben die Verantwortung, das, was wir wollen, auch konzeptionell umzusetzen. Wir als Bund hätten im Gegensatz zu den Kommunalpolitikern die Möglichkeit, der Bundesagentur
endlich wieder einen sozialpolitischen Auftrag zu geben. Wir als Bund hätten die Möglichkeit, ein repressives Arbeitslosengeld II durch eine sanktionsfreie Mindestsicherung zu ersetzen. Wenn wir das so durchgesetzt
hätten, dann könnten die Kommunalpolitiker vor Ort
möglicherweise anders entscheiden.
({2})
Es gibt aus ganz verschiedenen Richtungen Kritik an
den Optionskommunen. Im Beschluss des DGB-Vorstandes beispielsweise heißt es:
Der einheitliche Arbeitsmarkt darf nicht aus dem
Blick geraten … Eine Ausweitung des Optionsmodells ist problematisch und würde die Strukturprobleme weiter verschärfen.
Die Bundesarbeitsgemeinschaft der Erwerbslosenund Sozialhilfeinitiativen lehnt ebenfalls die Kommunalisierung ab mit der Begründung, eine Kommunalisierung
der Arbeitsmarktpolitik verstärke die Rechtsunsicherheit
der Betroffenen, was wiederum die Rechtsposition von
Erwerbslosen verschlechtere.
Auch der Bundesrechnungshof kritisiert:
Mit der … Erweiterung des kommunalen Optionsmodells wird ein mögliches einheitliches System
der Grundsicherung dauerhaft aufgegeben.
Dies führt zu heterogenen Strukturen im Bereich der
Grundsicherung und birgt das Risiko der Entstehung
zweier Klassen erwerbsfähiger Hilfebedürftiger. Fassen
wir zusammen: Erwerbslose, Gewerkschaften und der
Bundesrechnungshof kritisieren die Optionskommunen.
Deswegen mein Appell an Sie: Überlegen Sie sich noch
einmal, ob wir nicht die Erweiterung der Optionskommunen aus dem Gesetzentwurf herausstreichen können.
({3})
Wir als Bund tragen nicht nur die Verantwortung für
Strukturen, sondern wir tragen auch die Verantwortung
für die Beratungsqualität und die Arbeitssituation des
Personals. Beides muss deutlich verbessert werden;
denn wenn zu wenig Personal auf zu viele Erwerbslose
trifft, dann bedeutet das nicht nur für die Mitarbeiter eine
Überarbeitung, sondern das bedeutet auch für die Erwerbslosen, dass die Beratungsqualität notwendigerweise schlechter wird. So führt der Personalmangel in so
manchem Jobcenter zum Beispiel dazu, dass inzwischen
viele auf die Bearbeitung ihres Widerspruchs zwölf Monate warten müssen. Nur zur Erinnerung: Im Gesetz
steht, dass jeder einen Anspruch darauf hat, dass der Widerspruch nach drei Monaten bearbeitet ist. Aber die
Mitarbeiter kommen gar nicht mehr hinterher.
Jetzt verweist die SPD ganz gerne darauf, dass man
sich im Gesetzentwurf zu Betreuungsschlüsseln äußert.
Betreuungsschlüssel meint die Anzahl der Arbeitsuchenden, die von einem Fallmanager zu betreuen sind. Doch
was im Gesetz steht, sind nur unverbindliche Orientierungszahlen. Das kritisiert auch der Hauptpersonalrat
der Bundesagentur für Arbeit zu Recht. Ich finde, das
muss sich ändern. Wir als Linke schlagen zur Verbesserung der Beratungsqualität vor: Wir brauchen eine bessere Personalausstattung, und wir brauchen vor allen
Dingen verbindliche Betreuungsschlüssel.
({4})
Wir brauchen eine regelmäßige Weiterbildung der Beschäftigten. Die unabhängigen Beratungen müssen deutlich unterstützt werden. Unabhängige Beratung meint,
dass Erwerbslose Erwerbslose beraten; denn eine gute
Beratung bedeutet sowohl eine bestmögliche Unterstützung bei der Arbeitsplatzsuche als auch eine weitgehende Aufklärung über die Rechte. Es geht nicht darum,
immer nur danach zu suchen, wo man Sanktionen ver3816
hängen kann. Insofern ist grundsätzlich zu sagen: Wenn
wir wollen, dass es eine wirklich gute Beratung gibt
- viele haben heute hier gesagt, dass es auch um die Inhalte geht -, dann muss sich einiges grundsätzlich ändern. Statt der 1-Euro-Jobs und des Arbeitszwangs brauchen wir öffentliche Beschäftigung in sinnvollen
Tätigkeiten.
({5})
Statt des repressiven Arbeitslosengeldes II brauchen wir
eine sanktionsfreie Mindestsicherung.
({6})
Jetzt habe ich eine gute Nachricht für Sie. Sie brauchen
gar nicht Ihre kleinen Unterschiede untereinander zu betonen. Sie haben heute und hier die Möglichkeit, für einen grundlegend anderen Ansatz zu stimmen. Die Linke
wird heute Abend einen Antrag zur Abstimmung stellen,
in dem wir deutlich machen, was unsere Alternativen zu
Hartz IV sind. Diesem Antrag können Sie zustimmen,
und dann hätten wir eine deutlich bessere Situation bei
den Jobcentern oder wie immer diese dann heißen werden.
Danke schön.
({7})
Das Wort hat jetzt die Kollegin Brigitte Pothmer vom
Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr
Kolb, ich kann Ihren Redebeitrag und insbesondere die
Beantwortung der Frage von Frau Hagedorn wirklich
nicht anders verstehen, als dass Sie bereit sind, diesen
Kompromiss wieder aufzuschnüren.
({0})
Ganz offensichtlich sind Sie nicht vertragstreu.
({1})
Es ist für mich eine etwas schwierige Situation, jetzt
Herrn Heil verteidigen zu müssen und mich schützend
vor ihn zu stellen.
({2})
Aber mit meinem breiten Kreuz wird das schon gehen.
Wenn Sie sich jetzt hier hinstellen und Herrn Heil vorwerfen, er würde den Kompromiss infrage stellen, dann
verkehren Sie wirklich Ursache und Wirkung.
({3})
Ich will es deutlich sagen: Die Frage, ob Jobcenter
und die Optionskommunen vernünftig mit Personal
ausgestattet sind, ist keine Petitesse. Zu Recht hat die
Ministerin darauf hingewiesen, dass die Qualität der Beratung der Arbeitslosen natürlich von der Organisationsstruktur abhängt, also davon, was überhaupt möglich ist;
aber im Kern hängt sie doch davon ab, ob qualifiziertes
Personal da ist, um die Arbeitslosen tatsächlich zu fördern und zu fordern.
({4})
Deswegen sagen auch wir: Die Entfristung muss her.
Wir haben von Anfang an für eine Grundgesetzänderung
gekämpft. Wir haben von Anfang an eine Hilfe aus einer
Hand gefordert. Uns war immer vollkommen klar, dass
eine vernünftige Personalausstattung her muss. Sonst ist
das eine leere Hülle, die wir nicht akzeptieren können.
({5})
Frau Ministerin, ich habe mich sehr gefreut, mit wie
viel Engagement Sie heute hier diesen Kompromiss verteidigt und für ihn gekämpft haben. Aber nehmen Sie es
mir nicht übel: Ich finde ganz ehrlich, Sie haben sich relativ spät dazu entschieden, auch eine Mutter des Erfolgs
der Grundgesetzänderung zu werden.
({6})
Ein bisschen befremdlich ist das für mich schon,
wenn Sie sich jetzt als heilige Ursula der modernen Arbeitsverwaltung präsentieren, wo Sie doch bei Ihrem
Amtsantritt - so viel zu der historischen Wirklichkeit diese Idee zum völligen Scheitern erklärt haben.
({7})
Im Januar haben Sie im Bundestag noch gesagt, jetzt sei
Pragmatismus angesagt, und haben sich hinter Ihren
Rechtspolitikern versteckt. Auf Sie konnten wir uns damals in dieser Frage nicht verlassen.
Sie hätten keinen Finger für dieses Projekt gerührt,
wenn es nicht die Palastrevolte von Roland Koch gegeben und er Sie dazu gezwungen hätte.
({8})
Ich muss sagen: Für mich wäre das auch ein bisschen ehrenrührig, von jemandem wie Herrn Koch, der die Arbeitslosen beschimpft und sie in Zwangsarbeit drängen
will,
({9})
den Sie selber zurückgepfiffen haben, jetzt auf Kurs gebracht werden zu müssen. Das war sicherlich keine
schöne Situation für Sie.
({10})
Hoffen wir, dass das zukünftig anders wird.
({11})
Aber Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von CDU/
CSU- und FDP-Fraktion, stehen heute hier und tun so,
als seien Sie die Väter dieses Kompromisses gewesen.
Sie haben in Ihrem Koalitionsvertrag genau das Gegenteil vereinbart. Sie haben in Ihrem Koalitionsvertrag als
Ziel die Zerschlagung der Jobcenter vereinbart, und jetzt
stellen Sie sich hier hin und sagen, Sie seien die Helden
und hätten die Lösung vorangebracht.
Die Betroffenen sind die Gewinner, die schwarzgelbe Bundesregierung ist zum Glück die Verliererin.
({12})
Dass jetzt insbesondere die CDU/CSU-Bundestagsfraktion, an deren Widerstand die Pläne vor zwei Jahren
schon einmal gescheitert sind, korrigiert worden ist, ist
wirklich eine Genugtuung für viele, die dafür gekämpft
haben, aber insbesondere für die Arbeitslosen.
({13})
Wir haben schon im April 2008 die Grundgesetzänderung gefordert. Ich kann mich noch gut daran erinnern: Da haben Sie uns für verrückt erklärt. Sie haben
gesagt: Da sind sie wieder, die grünen Spinner. Ich kann
nur sagen: Willkommen im Klub!
Ich freue mich jedenfalls, dass wir heute über die Umsetzung genau unseres Vorschlags reden. Aber ich will
auch kein Geheimnis daraus machen, dass wir uns mehr
gewünscht hätten. Wir hätten uns gewünscht, dass die
Kommunen tatsächlich Wahlfreiheit haben. Was
spricht dagegen, wenn vor Ort darüber entschieden wird,
({14})
welche Organisation mit welcher Organisationsstruktur
die Langzeitarbeitslosen fördert? Jetzt haben wir eine
Begrenzung auf 110 Optionskommunen. Es gibt in der
Sache nicht eine einzige Begründung dafür. Diese Zahl
ist ausschließlich parteipolitischer Gesichtswahrung geschuldet. Die Beschränkung auf diese Zahl - das sieht
man jetzt schon - wird weitere Konflikte hervorrufen.
({15})
Der Landkreistag hat bereits jetzt 100 Kommunen
ausgemacht, die gern optieren wollen. Egal, wie objektiv
Sie das Auswahlverfahren zu gestalten versuchen, die
Konflikte sind vorprogrammiert. Es wird wieder Kommunen geben, die eine Zwangsehe mit der Bundesagentur für Arbeit eingehen müssen. Das sind keine guten
Voraussetzungen dafür, Langzeitarbeitslose gut zu betreuen, meine Damen und Herren.
({16})
Ich finde übrigens auch, dass das Zweidrittelquorum
für die Kreistage und für die Stadträte ein Fehler ist. Sie
greifen damit tief in die kommunale Selbstverwaltung
ein. Ich sage Ihnen, dieses Quorum wird am Ende auch
ein Verhinderungsinstrument sein.
({17})
Ich weiß natürlich, lieber Herr Heil, dass dies alles
auf dem Mist der SPD gewachsen ist.
({18})
Daran zeigt sich, dass Ihre Wandlung vom Saulus zum
Paulus nicht ganz so geschmeidig verlaufen ist, wie Sie
jetzt tun. Im Herzen sind Sie einfach Zentralisten.
({19})
Da beißt die Maus keinen Faden ab. In Wirklichkeit
trauen Sie den Kommunen nicht über den Weg.
({20})
Ich will jetzt nicht im Detail auf die Entwürfe eingehen. Das werden wir bei der Anhörung und in den Ausschussberatungen machen. Aber ich will hier sehr deutlich sagen: Ich freue mich, dass in dem Gesetzentwurf
der Gedanke angelegt ist, dass es in der Arbeitsmarktpolitik zukünftig dezentraler zugehen wird. Aber das ist
nur der erste Schritt. Ich verspreche Ihnen, wir werden
ein Augenmerk darauf richten, ob sich das tatsächlich erfüllt.
Vorhin ist gesagt worden: Die Organisationsstruktur
muss gefüllt werden, man darf nicht mit leeren Händen
dastehen. Frau Ministerin, aber wenn ich mir Ihre Vermittlungsoffensive, zu der ich noch einen Satz sagen
will, anschaue, dann kann ich nur sagen: In Wirklichkeit
ist das kalter Kaffee und Propaganda. Sie versuchen, die
geltende Gesetzeslage als Neuheit zu verkaufen. Damit
sind Sie an der Stelle - ich finde, wirklich zu Recht - auf
die Nase gefallen. Eine echte Verbesserung für die Arbeitsuchenden ist dabei nicht herausgekommen.
Herr Heil hat schon darauf hingewiesen: Es droht
noch Schlimmeres. Die Haushälter der CDU/CSU-Fraktion haben angekündigt, den Etat des Arbeitsministers
als Steinbruch für die Haushaltskonsolidierung zu nutzen. Ich kann Ihnen sagen: Wenn in den nächsten Jahren
3 bis 5 Millionen Euro in diesem Bereich eingespart
werden,
({21})
dann nutzt die Organisationsstruktur den Arbeitslosen
letztlich nicht viel.
Ich komme zum Schluss. Die Süddeutsche Zeitung
hat getitelt: „Dämpfer für Frau von der Leyen“, als klar
wurde, dass sich doch eine Einigung auf die Grundgesetzänderung abzeichnet. Darunter heißt es, dass dies für
die Arbeitsministerin vor allen Dingen eines bedeuten
würde: Sie ist angeschlagen. - Wir Grüne hoffen im Interesse der Arbeitslosen, dass Sie sich von diesem Angeschlagensein schnell wieder erholen. Aber dafür brauchen Sie mehr Courage als Camouflage.
Ich danke Ihnen.
({22})
Das Wort hat jetzt der Minister für Arbeit, Gesundheit
und Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen, KarlJosef Laumann.
({0})
Karl-Josef Laumann, Minister ({1}):
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zunächst einmal möchte ich sagen, dass im Bundestag die Rechtfertigung für die gesamte SGB-II-Gesetzgebung vor allen Dingen war, dass wir wollten, dass die
Menschen, die in der Sozialhilfe sind, und dass die Menschen, die in der Arbeitslosenhilfe sind, Betreuung und
Begleitung aus einer Hand erfahren.
({2})
Ich bin deswegen sehr froh, dass es nach dem vielen
Hin und Her seit dem 20. Dezember 2007, als das Bundesverfassungsgericht in einem Urteil die jetzige Form
der Argen mit dem Grundgesetz als nicht vereinbar erklärt hat, jetzt so aussieht, als ob wir jetzt die rechtlichen Grundlagen in unserer Verfassung dafür schaffen könnten, in der Bundesrepublik Deutschland bei der
Hilfestellung aus einer Hand zu bleiben. Ich bin im Übrigen der Meinung und habe das oft gesagt, dass die Legitimation des SGB II wegfällt, wenn wir diese Hilfe nicht
mehr aus einer Hand geben können.
({3})
Zweiter Punkt. Wir haben allen Grund, auch einmal
kritisch über die Organisation des SGB II zu reden.
Wir haben nämlich zurzeit die Situation, dass in vielen
Regionen unseres Landes jeder zweite Bescheid einer
Arge oder einer Optionskommune einer Überprüfung
durch das Sozialgericht oder das Verwaltungsgericht
- das ist in den Ländern unterschiedlich geregelt - am
Ende nicht standhält. Eine Behörde, die fast jeden zweiten Prozess verliert, hat ein erhebliches Problem, auch
wenn die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sowohl in
den Optionskommunen als auch in den Argen sicherlich
sehr engagiert sind. Aber wenn man rechtssichere
Bescheide will, dann hat das auch etwas mit dem
Rechtsstaat zu tun, und wenn der Rechtsstaat Bundesrepublik Deutschland gegenüber den Schwächsten in unserer Gesellschaft so schwach dasteht, dass sich in diesem
Klientel herumspricht: „Wenn du gegen die Behörde
klagst, gewinnst du mit 50-prozentiger Wahrscheinlichkeit“, dann ist das eine Katastrophe.
({4})
Deswegen gehört dazu, dass man ein Gesetz braucht,
das klar strukturiert ist und administrierbar ist. Ich sehe,
dass der Vorschlag, der hier heute gemacht wird, ein
Weg in diese Richtung ist.
Zweitens brauchen Sie eine fachlich versierte Verwaltung. Jetzt schauen Sie sich einmal an, wie die Verwaltung zusammengesetzt worden ist: Bei der Gründung
des SGB II gab es erst einmal einen kommunalen Teil,
der sich früher in der Sozialhilfe auskannte. Dann ist mit
der Bundesagentur und den Arbeitsämtern der Teil des
Bundes hinzugefügt worden. Außerdem ist relativ viel
Personal von vielen Personalserviceagenturen rund um
den öffentlichen Dienst in Deutschland aufgenommen
worden. Wir haben Argen, bei denen es zwischenzeitlich
mehrere Personalräte gab. Dieser Gesetzentwurf hat im
Übrigen die einheitliche Personalführung in Argen nicht
geregelt. Der damalige Vorschlag von Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz, der hier keine Mehrheit gefunden hat, hatte das geregelt. Jetzt werden auf jeden
Fall zwei Personalkörper beibehalten.
Ich kann Ihnen nur sagen: Wenn man ein versierteres
Personal will, muss man zu mehr Stammpersonal kommen.
({5})
In den Argen und Arbeitsgemeinschaften mit getrennter
Aufgabenwahrnehmung ist die Situation zurzeit so, dass
26 Prozent des Teils, der vom Bund gestellt wird, befristete Arbeitsverhältnisse haben. Wenn ein Privatunternehmen 26 Prozent befristete Arbeitsverhältnisse hätte, stünde
es wahrscheinlich im Fokus der Kritik, zumindest des einen oder anderen Politikers in der Bundesrepublik
Deutschland.
({6})
Selbst wenn jetzt die Entfristung durchgeführt wird, haben wir immer noch zwischen 16 und 18 Prozent befristete Arbeitsverhältnisse. Wenn man wirklich will, dass
das Personal rechtssicher arbeiten kann, dann brauchen
wir eine stärkere Entfristung, gemeinsame Schulungen
und sehr viel anderes, um das hinzubekommen.
({7})
Jetzt kommt ein weiterer Punkt, der mir sehr wichtig
ist. Ich habe mich sehr darüber gefreut, dass in diesem
Gesetzentwurf steht, dass man einen Betreuungsschlüssel bei den Jugendlichen von 1 : 75 und bei den Erwachsenen von 1 : 150 anstrebt. Ich persönlich bin nämlich
nach vielen Jahren Arbeit in diesen Bereichen eindeutig
zu dem Ergebnis gekommen, dass wir den Menschen,
die unter das SGB II fallen, nur dann helfen können,
wenn wir nicht nur eine Akte kennen, sondern wenn derjenige, der für die Zuteilung der Maßnahmen verantwortlich ist, auch den betreffenden Menschen kennt.
Wenn ein Fallmanager 75 Jugendliche begleiten soll,
dann erwarte ich schlicht und ergreifend, dass er nicht
nur deren Namen kennt, sondern auch deren Vornamen.
Bei 75 Leuten ist das machbar; jeder Lehrer muss sich
mehr als 75 Namen merken.
Das Zweite ist: Bei 150 will ich das auch. Denn wir haben in der Arbeitsmarktpolitik in Wahrheit doch folgendes Problem: Wir können heute nicht jedem Langzeitarbeitslosen eine Stelle anbieten. Wir haben in NordrheinWestfalen zurzeit 500 000 arbeitslose Menschen, die unMinister Karl-Josef Laumann ({8})
ter das SGB II fallen, die nach der Statistik arbeitsfähig
sind. Es gibt in Nordrhein-Westfalen aber keine 500 000
Stellen, zu denen man sie schicken könnte.
({9})
Das ist ein Stück Wahrheit.
Aber ich erlebe auf der anderen Seite als Sozialminister in einem so großen Land, dass manchmal Kinder aus
SGB-II-Familien morgens in die Schule kommen und
kein Butterbrot dabeihaben. Was nützt mir da eine Arge,
die eine Akte verwaltet? Ich möchte gerne eine Arge haben, die die Leute nicht nur zu sich einbestellt, sondern
auch wieder ein bisschen Geh-hin-Struktur schafft und
bei einem Betreuungsschlüssel von 1 : 75 bzw. 1 : 150
zum Beispiel auch weiß, wo die Menschen wohnen, wie
ihre Lebensverhältnisse sind und welche Probleme sie
neben der Arbeitslosigkeit noch haben.
({10})
Weil sie nun einmal unterschiedlich sind, meine ich,
dass man die arbeitslosen Menschen individuell betreuen
muss, damit man ihnen überhaupt eine faire Chance zur
Teilhabe am gesellschaftlichen Leben ermöglicht, auch in
der Zeit, in der wir ihnen eben noch keine Erwerbsarbeit
anbieten können. Aber Arbeitsmarktpolitik ist spätestens
dann gescheitert, wenn sie im nächsten Aufschwung
nicht in der Lage ist, mit den Langzeitarbeitslosen das Arbeitskräftepotenzial zur Verfügung zu stellen, das ein solcher Aufschwung benötigt.
({11})
Da kann ich nur sagen: An dieser Stelle muss man
jetzt vorbeugen; aber dies muss gleichzeitig in der Form
geschehen, dass die Familienstrukturen stabilisiert
werden, sodass die Kinder eine faire Chance haben,
durch die Schule zu gehen, weil sie ein Elternhaus haben, das sie dabei begleitet. Auch in diesem Bereich bedürfen manche Leute der Begleitung und der Betreuung.
Das müssen wir meines Erachtens über diesen Schlüssel
ebenfalls in stärkerem Maße sicherstellen.
({12})
Wenn dies aber die dort Tätigen machen sollen, dann
brauchen wir nicht nur klasse Verwaltungspersonal, sondern auch Personal, das in der Menschenführung, der
Begleitung von Menschen und vielen anderen Fragen
klasse ist. Das heißt, wir brauchen da Menschen, die eine
hohe menschliche Kompetenz haben, wenn sich die
ganze Sache am Ende rechnen und lohnen soll. Diese
Menschen wachsen nun einmal nicht auf Bäumen; vielmehr muss man mit den in den Strukturen vorhandenen
Menschen über einen bestimmten Prozess organisieren,
dass sie diese Kompetenzen besitzen. Deswegen brauchen wir da dringend eine Verstetigung.
Einen weiteren Gedanken will ich heute Morgen gern
ansprechen: Der Arbeitsmarkt in Deutschland ist nicht
gleich. Selbst in einem Bundesland ist er nicht gleich. Die
Struktur der Arbeitslosigkeit in einer Stadt wie Gelsenkirchen ist mit der Struktur der Arbeitslosigkeit etwa in
meiner münsterländischen Heimat überhaupt nicht vergleichbar. Deswegen müssen wir im Münsterland eine
andere Arbeitsmarktpolitik als in Gelsenkirchen betreiben. Das ist selbst innerhalb eines Bundeslandes so. In
Köln gibt es sogar innerhalb der Stadt Unterschiede hinsichtlich der Arbeitslosigkeit. Die Struktur der Arbeitslosen unterscheidet sich selbst in den Stadtteilen von Köln,
selbst innerhalb einer Stadt erheblich.
All das spricht dafür, dass in der Bekämpfung der
Langzeitarbeitslosigkeit auf der einen Seite zentralistische Instrumente - egal, von wem verantwortet - am
Ende teuer sind und immer scheitern werden.
({13})
Auf der anderen Seite - ich war ja nun auch 15 Jahre
Mitglied des Bundestages - haben wir nun einmal in Bezug auf das SGB II entschieden, dass der Bund die gesamte finanzielle Verantwortung für den Bereich der
Langzeitarbeitslosigkeit in Deutschland hat. Dass ein
Parlament da sagt, es kann nicht sein, dass die Kommunen das dann bestimmen und wir zahlen, das verstehe
ich auf der anderen Seite auch. Deswegen muss man versuchen, die Aspekte der dezentralen Entscheidungen
und einer Steuerung des Gesamthaushaltes irgendwie
zusammenzubekommen. Damit haben wir uns in den
vergangenen Jahren, weil das auch nicht einfach zu lösen war, in der Tat sehr schwergetan.
Ich habe den Eindruck, dass mit diesem Gesetzentwurf - auch damit, wie man die Fragen der Aufsicht hinsichtlich der Trägerversammlung geregelt hat - auf jeden Fall etwas aus meiner Sicht sehr Vernünftiges auf
den Tisch gelegt wurde, um diesen gordischen Knoten
der politischen Finanzverantwortung des Bundes auf der
einen Seite, aber einer Tausendfüßlerei in den arbeitsmarktpolitischen Instrumenten auf der anderen Seite zu
zerschlagen und beide Seiten verwaltungstechnisch wieder ein Stück weit zusammenzufügen, worüber ich mich
freue.
Ich freue mich darüber, dass dies damit eine Grundlage
hat, mit der wir das vernünftig hinbekommen können;
denn die Kommunen sitzen in diesen Trägerversammlungen, so wie ich sie verstehe, nicht am Katzentisch, sondern sollen sich mit ihrer gesamten Kompetenz und ihrer
Kenntnis der örtlichen Verhältnisse einbringen. Die Bundesagentur ist nicht der Pascha, der alles zu sagen hat. Daran werden sich noch einige Herren in Nürnberg gewöhnen müssen. Ich kenne sie lange; denen war ja manchmal
egal, wer unter ihnen Arbeitsminister ist. Auch das ist
nicht in Ordnung. Von daher halte ich es für völlig in Ordnung, dass die Bundesagentur sich hier auch einmal eingliedern muss.
({14})
- Die Agentur für Arbeit ist noch nie mein großer
Freund gewesen. Ich war immer der Meinung, dass man
Minister Karl-Josef Laumann ({15})
das nichtzentralistisch lösen kann und über Verordnungen Arbeitsmarktpolitik in den Ämtern nicht steuern
kann.
({16})
Wenn wir sagen, wir haben hier den Fallmanager,
dann muss man dem Fallmanager trauen. Er muss Kompetenzen haben
({17})
und darf nicht durch immer mehr Verordnungen eingeengt werden. Wir hatten Jahre, in denen jeden Tag Hunderte von Verordnungen von dieser Bundesagentur ausgingen. Deswegen, finde ich, bietet das, was Sie hier im
Deutschen Bundestag zusammengebracht haben, jetzt
eine große Chance. Der Bundesrat beurteilt das genauso.
Dadurch haben wir die verfassungsrechtlichen Mehrheiten, um dieses durchzusetzen. Darüber freue ich mich.
({18})
Ich würde mir sehr wünschen, dass wir in der nächsten Zeit gemeinsam dafür sorgen, dass wir den Fallmanagern ausreichend Kompetenz geben.
({19})
Fragen wie zum Beispiel die, ob für Kinder Sachleistungen oder Geldleistungen benötigt werden, kann man entscheiden, wenn man die Familie kennt. Ich finde, es ist
eine Entmündigung, jemandem, der sich für seine Kinder, auf Deutsch gesagt, aufreibt, vom Staat alles in
Sachleistungen vorzuschreiben. Dafür bin ich nicht vor
etwa 35 Jahren CDU-Mitglied geworden.
({20})
Herr Kollege Laumann.
Karl-Josef Laumann, Minister ({0}):
Sofort, ich komme zum Schluss. - Auf der anderen
Seite müssen wir darauf achten, dass die Leistungen bei
den Kindern ankommen. Aber das kann man nur entscheiden, wenn der Fallmanager weiß, wie es in diesen
Familien aussieht.
Ich wollte Sie nicht zum Schluss auffordern, Herr
Laumann.
Karl-Josef Laumann, Minister ({0}):
Sie können ganz sicher sein, dass Nordrhein-Westfalen diesen Weg mit Kompetenz begleiten wird.
Schönen Dank.
({1})
Eigentlich wollte noch jemand eine Zwischenfrage
stellen; das geht nun nicht mehr.
Das Wort hat die Kollegin Anette Kramme von der
SPD-Fraktion. Bitte schön.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Frau von der Leyen, Sie haben in der letzten
Sitzungswoche Folgendes gesagt: Es sei nicht eine Zeit
des Zauderns und Zurückblickens, sondern es sei eine
Zeit des Vorwärtsschauens. Das hört sich natürlich tatkräftig und bestimmt an; aber das Ganze beinhaltet zwei
logische Fehler. Zum einen kann man gleichzeitig vorwärtsschauen und zaudern. Schwarz-Gelb hat dieses
Kunststück über mindestens ein halbes Jahr in Perfektion betrieben. Wir hatten den Eindruck, dass die Regierung nach vorne schauen muss, weil sie diese Reform
der Jobcenter umsetzen muss, und gleichzeitig zauderte
sie, ist in eine Schockstarre verfallen und hat nichts getan. Zum anderen - das ist der zweite logische Fehler hängen Zaudern und Zurückblicken nicht zwangsläufig
miteinander zusammen. Im Gegenteil: Man kann durchaus zurückblicken und dabei manches Erhellende und
Erleuchtende erkennen. Denn Rückblick ermöglicht
auch oft Überblick.
Was sehen wir bei diesem Rückblick? Wir sehen einen Bundesarbeitsminister Olaf Scholz, der sich verantwortungsvoll und in Abstimmung mit der Kanzlerin ans
Werk gemacht hat.
({0})
Im Frühjahr 2009 hat es einen abgestimmten Kompromiss zwischen den Ministerpräsidenten dieses Landes
und dem BMAS gegeben. Es war nicht nur ein Eckpunktepapier, sondern ein vollständiger Gesetzesentwurf.
({1})
Dann kam das enttäuschende Verhalten der Unionsfraktion. Tatsächlich ist gesagt worden, man mache dort nicht
mit. Ein vermeintlich gewichtiges Argument wurde vorgetragen: Man könne doch nicht einfach das Grundgesetz ändern, wenn das Bundesverfassungsgericht gesagt
hat, die Jobcenter seien verfassungswidrig. Aber, meine
Damen und Herren, wir haben das Grundgesetz schon aus
weitaus nichtigerem Anlass in diesem Hause geändert.
({2})
Genau deswegen ist die erwähnte Rückschau erhellend. Denn wir sehen Folgendes: eine SPD, die sich um
eine konstruktive Lösung bemüht, um die Arbeitsvermittlung in Deutschland auch künftig zuverlässig weiterführen zu können, und eine Unionsfraktion, die mitten in
der Wirtschaftskrise nichts Besseres zu tun hat, als jeden
Vorschlag rüde wegzugrätschen. Frau von der Leyen, Sie
hatten anlässlich des endlich gefundenen Kompromisses
- das haben Sie heute noch einmal getan - die Allianz
der Vernünftigen gelobt. Doch Ihre Fraktion war über
zwei Jahre hinweg leider nie Mitglied dieser Allianz.
Ich sage Ihnen und Herrn Laumann: Bringen Sie die
FDP auf die Reihe. Die FDP ist ein schwerer Belastungsfaktor für die Arbeitsmarktpolitik in diesem Lande.
({3})
Dass wir wahrscheinlich endlich eine Lösung haben, ist
maßgeblich der SPD zu verdanken.
({4})
SPD rettet zaudernde Regierung - diese Schlagzeile
hätte sie nach dem dreizehnstündigen Verhandlungsmarathon Ende März eigentlich verdient. Nun bleibt zu hoffen, dass Ihre Fraktion nicht in letzter Sekunde wieder
einen Rückzieher macht. Wir nehmen das mit der Entfristung der 3 200 Stellen sehr ernst.
Dennoch ist bislang insgesamt ein gutes Ergebnis erzielt worden. Die Arbeitsverwaltung ist nicht lahmgelegt. Frau von der Leyen, das hätten Sie mit Ihrem ursprünglichen Vorschlag bewirkt. Wir hätten ein bis
eineinhalb Jahre der Stagnation in diesem Land gehabt.
Wir haben sichergestellt, dass es die Betreuung aus einer
Hand gibt, sodass Arbeitsuchende nicht von Pontius zu
Pilatus laufen müssen. Die Optionskommunen können
weitermachen, der Bund gibt aber nicht die Verantwortung für die Arbeitsmarktpolitik an Dritte ab, sondern
nimmt diese weiterhin wahr.
Zum Betreuungsschlüssel, Herr Kolb: Offensichtlich
verstehen Sie Arbeitsmarktpolitik nicht. Wir machen
keine Reformen l’art pour l’art. Eine Reform der Jobcenter ist kein Selbstzweck. Ich bin der festen Überzeugung,
dass eine vernünftige Betreuung für Menschen, für Arbeitsuchende ganz essenziell ist. Häufig, praktisch immer befinden sie sich in einer existenziellen Situation.
Da einen Ansprechpartner zu haben, der Tipps gibt, der
sich genügend Zeit nimmt, um zu recherchieren, wo die
individuellen Stärken und die individuellen Schwächen
liegen,
({5})
einen Ansprechpartner zu haben, der sich dafür Zeit
nimmt, die Person sauber in ein Arbeitsmarktprogramm
einzugruppieren und zu sagen, das ist das Beste für dich,
ist sehr wichtig. Der momentane Betreuungsschlüssel ist
bei weitem noch nicht ausreichend.
({6})
Olaf Scholz ist derjenige, der damit begonnen hat. Aber
Olaf Scholz hat auch gesagt, dass wir an dieser Stelle
nicht stehen bleiben dürfen. Mittlerweile gibt es Untersuchungen zu diesem Thema. Es gibt Argen, die mit einem Betreuungsschlüssel von 1:70 gearbeitet haben. Das
Ergebnis ist exzellent, weil man sich damit ausrechnen
kann, wie viel Zeit für Arbeitsuchende in diesem Land
bleibt.
Wichtig ist auch, dass die SPD etwas ausgehandelt
hat, was ein pures Chaos in der Arbeitsmarktpolitik in
diesem Jahr vermieden hat,
({7})
nämlich die Entsperrung von 900 Millionen Euro an
Arbeitsmarktmitteln. 300 000 bis 400 000 Arbeitsuchende hätte es in diesem Lande zusätzlich gegeben,
wenn diese Arbeitsmarktmittel nicht entsperrt worden
wären.
({8})
Liebe Frau von der Leyen, was Sie uns in der Arbeitsmarktpolitik präsentieren, ist schwierig. Man kann es damit umschreiben, dass es ein ständiges Hü und Hott bzw.
Hott und Hü gibt. Zunächst werden Haushaltsmittel gesperrt, dann entsperrt. Im Bereich der Kurzarbeit werden
die Regelungen erst verschlechtert und jetzt offensichtlich wieder verbessert. Bezüglich der Jobcenter haben
Sie zunächst im Jahre 2009 eine Zustimmung angedeutet. Dann gab es eine Phase des neuen Nachdenkens über
die getrennte Aufgabenträgerschaft. Und jetzt sind Sie
wieder auf Linie. Bringen Sie Klarheit in Ihre Reihen!
Bringen Sie Klarheit aufseiten der FDP!
({9})
Mit Ihren Reden haben Sie und Herr Laumann sich ja
offensichtlich ganz flehentlich an die FDP gewandt. Setzen Sie sich endlich durch, damit wir Arbeitsmarktpolitik in diesem Lande im Sinne der Menschen betreiben!
Im Interesse der Menschen wollen wir nicht, dass sich
eine Reform nach der anderen, die Sie ankündigen, als
bloßer Wahlkampfgag zur Steuerung eines Wahlergebnisses in Nordrhein-Westfalen herausstellt. Offensichtlich haben Sie bei der Leiharbeit wieder einen Rückzieher gemacht. Das wollen wir nicht, sondern wir denken
an die Menschen in diesem Lande.
Herzlichen Dank.
({10})
Das Wort hat jetzt der Kollege Pascal Kober von der
FDP-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Liebe Frau Kramme, gehen Sie einmal in sich und überlegen sich, warum die von Ihnen genannte Schlagzeile
nie gedruckt worden ist. Vielleicht hängt es ja damit zusammen, dass sie der Wahrheit einfach nicht entsprochen
hat. So schlicht ist manchmal die Realität.
({0})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, mit der heutigen
ersten Beratung zur Änderung des Grundgesetzes sowie
des Gesetzes zur Weiterentwicklung der Organisation
der Grundsicherung für Arbeitsuchende gelingt uns allen
miteinander ein großer Schritt.
Seit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts am
20. Dezember 2007 ist einige Zeit ins Land gegangen.
Doch mit den heutigen parlamentarischen Beratungen
können wir sagen, dass die Angelegenheit ein gutes
Ende nehmen wird. Das ist ein großer Erfolg der Politik.
({1})
Liebe Frau Kramme, vielleicht hängt es mit der Beteiligung der FDP in dieser Regierung zusammen, dass der
heutige Tag zu einem Erfolg wird.
({2})
Ich möchte meine Redezeit nutzen, um auf einen besonderen Aspekt des Kompromisses einzugehen, der gerade uns als FDP besonders am Herzen liegt, und zwar
auf den Erhalt und den Ausbau der Optionskommunen.
Wir Liberale haben uns in der Vergangenheit stets für die
Optionskommunen eingesetzt; denn wir sind der Überzeugung, dass die Betreuung und Vermittlung vor Ort
zum Wohle der Arbeitsuchenden besondere Kompetenzen bietet. Für die meisten Langzeitarbeitslosen bietet
eben der lokale Arbeitsmarkt die besten Chancen zur
Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt. Hier haben
die Optionskommunen durch ihre spezifischen Kenntnisse des örtlichen Arbeitsmarktes große Sachkompetenz. Gleiches gilt für die Kompetenz der Kommunen im
psychosozialen Bereich.
Es gibt noch einen anderen Aspekt, der uns dazu
führt, die Optionskommunen so nachhaltig zu unterstützen. Generell gilt: Wettbewerb ist häufig die effizienteste Methode, Qualität zu verbessern und zu sichern.
Deshalb ist es richtig, dass wir auch dieses Element in
der Arbeitsvermittlung erhalten und sogar ausbauen. Der
Erhalt und der Ausbau der Optionskommunen garantieren den Wettbewerb um die Suche nach der besten Vermittlung und der besten Betreuung. Der Erhalt und die
Ausweitung der Optionskommunen versprechen Kreativität und Vielfalt der Lösungsansätze in diesem schwierigen und zugleich so bedeutenden Aufgabenbereich.
Niemand wird behaupten, dass wir das Patentrezept
für die Vermittlung, Qualifizierung und Betreuung von
Langzeitarbeitslosen schon gefunden hätten. Aus diesen
Gründen ist es für die FDP ein richtiger Schritt, dass das
Modell der Optionskommunen jetzt entfristet und ihre
Zahl ausgeweitet wird. Insbesondere bei Ihnen, liebe
Kolleginnen und Kollegen von der SPD, aber auch von
der Linkspartei, gab es Vorbehalte gegen die Optionskommunen. Aber ich bin mir sicher, dass wir durch die
nun größere Zahl an Optionskommunen und die längere
Dauer ihres Bestehens die Vorbehalte gegen sie überzeugend werden abbauen können.
({3})
Vielfach wurde in den vergangenen Jahren die Qualität der Arbeit der Optionskommunen angezweifelt. Studien, die dies angeblich belegen sollten, waren jedoch
auf fragwürdiger Datenbasis erhoben worden oder stark
interessengeleitet erstellt worden. Deshalb ist es ein weiterer Erfolg der vorliegenden Verständigung, dass nun
zentral die Qualität der Arbeit bewertet und dann transparent dargestellt wird. Ich bin mir sicher, dass dies die
Zweifel beseitigen wird.
({4})
Heute ist mit der Beratung über die Gesetzentwürfe
ein guter Tag für die Arbeitsuchenden in unserem Land,
aber auch für die Beschäftigten der Bundesagentur und
der kommunalen Seite im Bereich des SGB II. Wir geben den Beschäftigten Sicherheit und den Arbeitsuchenden die Gewissheit, dass sie weiterhin Hilfe aus einer
Hand und unter optimierten Bedingungen erhalten werden. Das ist verantwortungsvolle Politik, die wir hier gemeinsam machen.
({5})
Was die Entfristung der 3 200 Stellen in der BA angeht, so kann ich Ihnen versichern, dass wir in gewohnt
überzeugender Sachkompetenz eine Lösung finden werden.
Vielen Dank.
({6})
Das Wort hat jetzt die Kollegin Sabine Zimmermann
von der Fraktion Die Linke.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lieber Herr Pascal! Ist er denn da?
({0})
- Entschuldigung. Ich muss Sie aber in einem Punkt korrigieren, das ist leider nicht ganz so lustig. Ein Ende dieses Themas sehe ich erst, wenn alle Erwerbslosen in einen Job vermittelt sind, von dem sie und ihre Familien in
Würde leben können. Erst dann können wir über ein
Ende dieses Themas reden, lieber Herr Kollege.
({1})
Jetzt komme ich zur SPD. Wenn jetzt am Sonntag
nicht Wahlen in Nordrhein-Westfalen wären, dann,
liebe Kolleginnen und Kollegen der SPD, wären Sie
doch heute nicht die großen Kämpfer für die Beschäftigten der Arbeitsgemeinschaften und der Bundesagentur
für Arbeit.
({2})
Ich muss Ihnen sagen: Seit Einführung von Hartz IV gab
es noch nie eine vernünftige Personalausstattung, auch
nicht unter Ihrer Regierung.
({3})
- Ich weiß, wovon ich rede, Frau Kramme. Sagen wir es
doch einmal ganz deutlich: Die sogenannte JobcenterReform, die wir heute beraten, ist das Ergebnis eines
politischen Kuhhandels von Union und SPD. Dieser
wird auf dem Rücken der Erwerbslosen, auf dem Rücken der Beschäftigten der Agentur für Arbeit und auf
dem Rücken der Beschäftigten der Kommunen ausgetragen. Das ist unerträglich.
({4})
Sie haben es geschafft, größere Teile der Arbeitsvermittlung und -verwaltung auf die Kommunen zu übertragen. Das eigentliche Problem bei dieser Reform ist aber,
dass die Erwerbslosen mit ihren Interessen und ihren
Problemen auf der Strecke geblieben sind; denn Bezieher von Arbeitslosengeld I oder Arbeitslosengeld II
werden weiterhin getrennt verwaltet, und die Zweiklassengesellschaft der Erwerbslosen bleibt weiterhin bestehen und wird von Ihnen festzementiert. Es ist für die
Linke unerträglich, wie Menschen durch Hartz IV tyrannisiert werden. Das machen wir hier nicht mit.
({5})
Es gibt ein weiteres großes Problem in Ihrem Gesetzentwurf: Die Arbeitsvermittlung wird immer mehr den
Kommunen übertragen - künftig an bis zu einem Viertel aller Landkreise und kreisfreien Städte. So entsteht,
wie meine Kollegin Katja Kipping schon gesagt hat, ein
arbeitsmarktpolitischer Flickenteppich, den Sie nicht
mehr im Griff haben werden. Das ist ein historischer
Rückschritt.
Kennen Sie überhaupt die Geschichte der bundeseinheitlichen Vermittlung und Verwaltung? Vor bald 100 Jahren wurde diese in Deutschland für Arbeitsuchende eingeführt. Das war ein Zugeständnis dafür, dass die
Kommunen mit dieser Aufgabe überfordert waren. Nun
machen Sie hier wieder eine Rolle rückwärts. Es ist traurig und eigentlich schon fast Normalität, dass die Kollegen der SPD wieder einmal eine Kröte schlucken - diesmal vom hessischen Ministerpräsidenten, Herrn Koch.
({6})
Es gibt ganz konkrete Belege dafür, dass es auch
heute besser wäre, die Arbeitsvermittlung und -verwaltung bundeseinheitlich zu organisieren. Das belegen
Überprüfungen der letzten Jahre. Danach vermitteln
kommunale Träger deutlich öfter als Arbeitsgemeinschaften auf Arbeitsplätze, von deren Lohn die Menschen nicht leben können, oder auf befristete Arbeitsplätze, sodass sie nach einiger Zeit wieder in der
Arbeitslosigkeit enden. Das ist schlimm für die Betroffenen, aber auch eine Belastung für die Gemeinschaft. Daraus ergeben sich Mindereinnahmen bei den Steuern und
der Sozialversicherung oder Mehrausgaben bei den Sozialleistungen.
Der Bundesrechnungshof, der heute schon mehrfach
zitiert wurde, ist bestimmt kein Freund der Linken. Er
kritisiert in seiner Stellungnahme: Das Modell der Bundesregierung gibt ein einheitliches System zur Grundsicherung für Arbeitsuchende dauerhaft auf und führt zu
einem unnötigen Verwaltungsaufwand mit entsprechenden finanziellen Ausgaben. - Hierin, Frau Ministerin
von der Leyen, muss ich dem Herrn Weise heute schon
recht geben.
Das alles sind stichhaltige Argumente gegen den sogenannten pragmatischen Kompromiss von Union und
SPD, aber Sie machen mit dieser Mogelpackung wider
besseres Wissen trotzdem weiter.
Ich will noch etwas aus kommunaler Sicht sagen. Es
gibt ganz handfeste Gründe dafür, dass nun einige Kommunen die Arbeitsvermittlung in Eigenregie übernehmen wollen. Manche erhoffen sich kurzfristig finanzielle
Vorteile. Sie müssen nicht das gesamte Personal der Bundesagentur übernehmen, wodurch sie auch Personalkosten
einsparen können. Manche sind mit dem gegenwärtig geringen Einfluss der Kommunen auf die Bundesagentur
unzufrieden. Hierauf hat die Bundesregierung keine Antwort gegeben. Es ist aber noch schlimmer: Statt die
Kommunen finanziell besser auszustatten, bluten Sie deren Haushalte weiter aus. Das ist unerträglich.
({7})
Die Linke bleibt dabei: Es ist falsch, die Arbeitsvermittlung und -verwaltung auf die Kommunen zu übertragen. Arbeitslosigkeit ist ein gesamtgesellschaftliches
Problem und darf nicht auf die Kommunen abgewälzt
werden.
Danke.
({8})
Das Wort hat der Kollege Max Straubinger von der
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!
Sie gehen in ein Gesetzgebungsverfahren, das meines
Erachtens als historisch zu bezeichnen ist. Es geht nämlich um eine Änderung des Grundgesetzes, um damit die
optimale Verwaltung und vor allen Dingen die optimale
Grundlage zu schaffen, um den Menschen zu helfen, die
von Langzeitarbeitslosigkeit betroffen sind. Dieser Weg
wurde bereits im Jahr 2005 beschritten, als die Argen gebildet wurden und befristet zugelassen wurde, dass
Kommunen die Verantwortung für die Arbeitsvermittlung übernehmen. Ich glaube, dass die letzten fünf Jahre
von guten Erfolgen gekennzeichnet sind, etwa beim Abbau der Langzeitarbeitslosigkeit in unserem Land. Damit
leisten wir den Menschen in unserem Land einen beson3824
deren Dienst. Deshalb ist es für uns entscheidend, weiterhin auf diesen Grundlagen aufbauen zu können.
Das Bundesverfassungsgericht hat am 20. Dezember
2007 festgestellt, dass die entsprechende Regelung mit
unserem Grundgesetz nicht vereinbar ist. Deshalb muss
man darüber nachdenken, wie wir die Zusammenführung der Arbeitslosenhilfe und der Sozialhilfe zukünftig
auf ein gutes verwaltungsrechtliches Fundament stellen.
({0})
Der heute eingebrachte Gesetzentwurf, der eine Konsensarbeit von CDU/CSU, FDP und SPD ist, wird dieser
Aufgabe gerecht.
({1})
Wir sollten uns meines Erachtens zuerst darüber
freuen, dass eine Einigung zwischen den Koalitionsfraktionen und der größten Oppositionsfraktion ermöglicht
worden ist. Ich danke herzlich für die konstruktive Zusammenarbeit in der Arbeitsgruppe. Die konstruktive
Zusammenarbeit kam in der heutigen Debatte leider
nicht zum Ausdruck. Stattdessen wurde vielfältig über
Klein-Klein gestritten. Für dieses Klein-Klein lässt sich
aber eine Lösung finden; wir werden dies tun.
Ich möchte dem Vorwurf begegnen, dass die CDU/
CSU in der Großen Koalition eine Einigung torpediert
habe. Beileibe nicht!
({2})
Die Umsetzung des vorgeschlagenen Modells eines Zentrums für Arbeit und Grundsicherung hätte einen gewaltigen bürokratischen Aufbau bedeutet und wäre der Zielstellung, schnelle und zielorientierte Hilfe zu leisten,
nicht gerecht geworden.
({3})
Vor allen Dingen lag es an der Unbeweglichkeit der
SPD, dass wir zu diesem Zeitpunkt keine Einigung zustande gebracht haben:
({4})
Bundesminister Scholz war nicht bereit, über eine Ausweitung der Zahl der Optionskommunen und ihre rechtliche Absicherung auch nur zu reden. Das Äußerste, zu
dem die SPD damals bereit war, war eine weitere zeitliche Befristung für die 69 Optionskommunen.
({5})
Damit war die CDU/CSU nicht einverstanden; denn wir
sind davon überzeugt, dass die Kommunalisierung eine
große Chance für die arbeitslosen Menschen in unserem
Land bedeutet.
({6})
Landesminister Karl-Josef Laumann hat es auf den
Punkt gebracht: Eine zentrale Ausrichtung der Arbeitsmarktpolitik kann nicht von Erfolg gekrönt sein, weil die
Verhältnisse in unserem Land so unterschiedlich sind.
Das gilt nicht nur für einzelne Städte Nordrhein-Westfalens, sondern genauso für Bayern: In der Stadt München
und im Landkreis Dingolfing-Landau sind aufgrund
niedriger Arbeitslosenzahlen möglicherweise ganz andere Probleme zu bewältigen als in einem Brennpunkt
mit einer gewaltig hohen Arbeitslosigkeit.
Werte Kolleginnen und Kollegen der Linken, deshalb
ist es entscheidend, dass die Kommunen eingebunden
sind. Frau Kollegin Zimmermann, Sie haben gerade ausgeführt, die Vermittlung durch kommunale Träger sei
„schlimm für die Betroffenen“. Dabei zeigt sich hier
deutlich, dass Kommunalpolitiker bereit sind, Verantwortung zu übernehmen, um so gute Erfolge für die
Menschen zu erzielen, und zwar mit einer schnellen,
sachorientierten Eingliederung in das Arbeitsleben.
({7})
Dies gilt es zu stärken.
Der vorliegende Gesetzentwurf entspricht dieser Zielstellung: entweder in der Zusammenarbeit der Argen,
wo in der Trägerversammlung jedes Jahr die Ziele gemeinsam mit den Kommunen diskutiert und dann festgesetzt werden, oder in der Optionskommune. Wir als
CDU/CSU haben durch diesen Kompromiss erreicht,
dass es eine Ausweitung der Optionskommunen gibt.
Wir hätten uns mehr gewünscht - keine Frage -; aber
wir stehen zu diesem Kompromiss. Der Gesetzentwurf,
der heute ins Gesetzgebungsverfahren eingebracht worden ist, ist eine gute Grundlage für die Bewältigung der
Probleme in unserem Land.
Ich möchte kurz zwei Punkte ansprechen.
Erstens. Vor allem in juristischer Hinsicht ist kritisiert
worden, dass es einer Zweidrittelmehrheit eines kommunalen Gremiums bedarf, um eine Optionskommune einzurichten. Ich glaube, dass das sachlich gerechtfertigt ist.
Gerade unter dem Gesichtspunkt, dass die Zielstellungen
zur Bekämpfung der Langzeitarbeitslosigkeit jedes Jahr
neu überarbeitet werden müssen, darf der eingeschlagene Weg nicht ständig in einem kommunalpolitisch
parteimotivierten Klein-Klein zerredet werden. Eine
breite Unterstützung in einem Landkreisgremium ist von
Vorteil.
({8})
Deshalb begrüße ich ausdrücklich die Regelung, dass die
Entscheidung für eine Optionskommune nur mit breiter
Mehrheit der kommunalen Gremien getroffen werden
kann.
({9})
Zweitens. Es wurde vielfältig über die Entfristung der
3 200 Stellen bei der Bundesagentur für Arbeit gesprochen. Ich möchte betonen: Die Arbeit wird getan, und
zwar unabhängig davon, ob es sich um eine befristete
oder um eine unbefristete Stelle handelt. Wir wünschen
uns, dass die Stellen entfristet werden. Ich bin überzeugt
davon, dass knapp 5 000 befristete Stellen - derzeit sind
es 8 000 befristete Stellen - genügen, um zu gewährleisten, dass der Personalkörper der BA flexibel auf neue
Entwicklungen reagieren kann. Diese Frage werden wir
in den kommenden Wochen klären, damit alle der
Grundgesetzänderung und den daraus folgenden gesetzlichen Regelungen mit gutem Gewissen zustimmen können.
Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
({10})
Das Wort hat der Kollege Bernd Scheelen von der
SPD-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir
sind eben Zeuge eines Versuchs der Geschichtsklitterung
geworden. Herr Kollege Straubinger, zu behaupten, eine
Einigung sei an der SPD gescheitert, ist ziemlicher
Hohn. Wir und auch die Ländervertreter haben Ihnen
Vorschläge unterbreitet. Es handelte sich um ein Modell,
das zwischen den Ländern Nordrhein-Westfalen und
Rheinland-Pfalz und dem Bundesarbeitsministerium erarbeitet wurde. Es lag auf dem Tisch. Sie haben es wider
Erwarten in Ihrer Fraktion zum Kippen gebracht. Deswegen müssen wir uns heute wieder über dieses Thema
unterhalten.
({0})
Wir diskutieren heute, weil es im Dezember 2007 ein
Urteil des Bundesverfassungsgerichts gegeben hat.
Ohne dieses Urteil würden wir gar nicht darüber reden,
sondern die erfolgreiche Organisation in den Arbeitsgemeinschaften und in den Optionskommunen würde fortgesetzt.
Ich muss kurz darauf eingehen, warum Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe zu Recht zusammengeführt worden
sind. Diese Zusammenführung war schon lange ein
Wunsch der Kommunen, weil sie festgestellt haben, dass
mit dem Anstieg der Arbeitslosigkeit in den 70er-Jahren
viele Menschen Sozialhilfe beziehen mussten. Die Bekämpfung von Arbeitslosigkeit sei aber keine kommunale Aufgabe - so war damals die Argumentation -, sondern eine staatliche Aufgabe. In der Eichel-Kommission
ist man zu dem Ergebnis gekommen, dass die Kommunen recht haben. Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe wurden daraufhin zusammengeführt. Das war richtig.
Wenn man ganz genau hinschaut, stellt man fest: Die
Optionskommune ist eigentlich ein Widerspruch, weil es
der Wunsch der Kommunen war, die entsprechende Aufgabe an den Bund abzugeben. Die Kommunen haben damit nicht ganz unrecht. Aber Sie, meine Damen und Herren von der Regierung, haben uns die Optionskommune
sozusagen durch die Hintertür aufgedrückt. Wir haben
das auch akzeptiert. Politik besteht schließlich aus Kompromissen. Die Optionskommunen leisten erfolgreiche
Arbeit; das ist in Ordnung.
Ihrer Behauptung, Sie hätten vor einem Jahr dem
Kompromiss nicht zugestimmt, weil wir eine ausreichende Zahl an zusätzlichen Optionskommunen nicht
mitgetragen hätten, widersprechen Sie aber selber. Um
das zu erkennen, müssen Sie nur in Ihren Koalitionsvertrag schauen: Dort ist von zusätzlichen Optionskommunen keine Rede. Dort steht lediglich etwas von einer getrennten Aufgabenwahrnehmung. Sie wollten das
Optionsmodell entfristen. Nachdem Frau von der Leyen
ihren Gesetzentwurf im Januar auf den Tisch gelegt
hatte, haben Sie festgestellt, dass Ihr Vorhaben möglicherweise auf verfassungsrechtliche Bedenken stößt. Sie
haben sich von drei Ministern erklären lassen müssen,
dass das alles verfassungsrechtlich ganz schwierig ist.
So ganz ernst können Sie Ihren Vorschlag nicht gemeint
haben; sonst hätten Sie in Ihren Koalitionsvertrag etwas
völlig anderes hineingeschrieben.
Frau Ministerin von der Leyen hat ihre Rede mit der
Aussage begonnen, es sei die richtige Reform zum richtigen Zeitpunkt. Dem ersten Teil stimme ich zu. Es ist in
der Tat eine richtige Reform. Wir hätten das Modell von
vor einem Jahr noch besser gefunden. Aber die Welt besteht nun einmal aus Kompromissen. Wir können mit
diesem Kompromiss leben. Der Zeitpunkt ist allerdings
ziemlich spät. Gott sei Dank ist es noch nicht zu spät.
Die Tatsache, dass es jetzt schon wieder von der gelben
Seite Störfeuer im Hinblick auf die Entfristung bzw. die
Nichtentfristung der 3 200 Stellen für Jobvermittler
gibt, lässt nichts Gutes vermuten. Wir hätten das vor einem Jahr machen können. Aber damals sind alle auf
Tauchstation gegangen.
Herr Laumann - bleiben Sie noch einen Moment hier -,
teilen Sie dem Kollegen Rüttgers Folgendes mit: Ich
habe eigentlich erwartet, dass sich der Vorkämpfer für
eine Generalrevision von Hartz IV, der Arbeiterführer
aus Nordrhein-Westfalen,
({1})
an die Spitze der Bewegung setzt und für seine Vorstellungen kämpft,
({2})
nachdem der mit seiner Zustimmung ausgehandelte
Kompromiss von seiner Fraktion gekippt worden ist.
({3})
Wir haben davon nichts gesehen. Er beschränkt sich auf
Ankündigungen, und sonst kommt nichts.
Der Kollege Kolb hat in einem Punkt völlig recht: Es
bedurfte erst eines Briefes des hessischen Ministerpräsidenten. Dieser hat Ihnen allen, die Sie an der Verzögerungstaktik beteiligt waren, die Rote Karte gezeigt. Herr
Koch hat Ihnen gesagt: Ohne Grundgesetzänderung
geht das alles nicht. Allein darauf beruht das Umdenken
auf der schwarz-gelben Seite. Herr Laumann, teilen Sie
dem Kollegen Rüttgers mit, dass er sich dafür in Zukunft
nicht mehr einzusetzen braucht. Das werden dann andere
machen.
({4})
Herr Kollege Laumann, Sie haben zu Recht auf das
viele Hin und Her verwiesen. Man könnte nun chronologisch aufschreiben, wer wann was vorgeschlagen hat
und wer wann was abgelehnt hat. Es gab tatsächlich viel
Hin und Her. Wir sind nun an dem Punkt, an dem wir gemeinsam sagen: Wir wollen eine Grundgesetzänderung.
Das ist der einzig verlässliche Weg, damit in den Kommunen vor Ort, und zwar sowohl in den Arbeitsgemeinschaften als auch in den Optionskommunen, endlich Sicherheit herrscht.
Das Problem mit der Nichtentfristung der 3 200 Stellen ist symptomatisch für das, was Sie vorhin gesagt haben, Herr Laumann. Sie haben ein Plädoyer für Hilfe aus
einer Hand gehalten und bekommen von den Regierungsfraktionen Applaus. Das hat mich wirklich verwundert. Wie kann jemand, der die getrennte Aufgabenwahrnehmung in den Koalitionsvertrag hineinschreibt
({5})
und sich diesen absegnen und noch von Herrn Rüttgers
unterschreiben lässt, sagen: „Wir wollen Hilfe aus einer
Hand“, und dafür Applaus bekommen? Das hat offenbar
etwas mit retrograder Amnesie zu tun.
({6})
Das ist aber nicht der erste Fall retrograder Amnesie, den
wir bei Schwarz-Gelb erleben.
Der vorliegende Kompromiss findet unsere Zustimmung; denn wir hoffen, dass danach endlich Ruhe einkehrt. Die 26 Prozent befristete Arbeitsverträge spiegeln
sich in 20 Prozent Fluktuation bei den Arbeitsgemeinschaften wider. Das ist kein hinnehmbarer Zustand. Stellen Sie sich einen Betrieb vor, bei dem jährlich
20 Prozent des Personals fluktuieren! Ein solcher Betrieb kann nicht richtig arbeiten; er kann nicht richtig
funktionieren. Deswegen muss dieser Punkt vor der
zweiten und dritten Lesung geklärt sein. Sonst könnte es
sein, dass wir heute die erste und zugleich die letzte Lesung hatten.
Vielen Dank.
({7})
Das Wort hat der Kollege Johannes Vogel von der
FDP-Fraktion.
({0})
Vielen Dank. - Herr Präsident! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Den Regierungsfraktionen, der SPD und
der Ministerin ist hier zu Recht umfassend gedankt worden für die sehr gute Lösung, die wir heute beraten.
Ich will auf einen Punkt eingehen, der am Ende der
Rede des Kollegen von der SPD aufkam. Es wurde behauptet, die Lösung, die wir jetzt haben, sei nicht im Interesse der Regierungsfraktionen gewesen. Der Kollege
Straubinger hat das eben für die Union ausgeführt. Für
die FDP kann ich hier ganz klar sagen: Betreuung aus einer Hand, das war immer genau das, was wir, die FDP,
wollten, weil es eine der Grundlagen liberaler Sozialpolitik ist.
({0})
- Frau Kramme, hören Sie doch erst einmal zu. - Deshalb ist es gut, dass wir jetzt sowohl die Fortschreibung
des Modells der Argen als auch die Erhöhung der Zahl
der Optionskommunen als auch - endlich - ein faires,
einheitliches und transparentes System erreicht haben.
Ich glaube, nur dadurch kann ein echter Systemwettbewerb ablaufen, der im Interesse der Menschen liegt.
({1})
Wir werden diesen Kurs fortsetzen. Das passt sehr gut
zu dem - Frau Kramme, Sie haben den Koalitionsvertrag
angesprochen -, was wir sonst im Koalitionsvertrag vereinbart haben. Wir haben dort zum Beispiel festgehalten,
dass wir darüber hinausgehend prüfen wollen, inwiefern
wir Stellen, die Sozialleistungen auszahlen, zusammenlegen können. Im Koalitionsvertrag ist von einer Prüfung des Konzepts des liberalen Bürgergeldes die Rede.
Wir wollen auch prüfen, wie wir die Kosten der Unterkunft pauschalieren können, um so die Würde und Eigenverantwortung der Menschen stärker zu wahren. Das
zeigt sehr gut: Betreuung aus einer Hand, damit die
Menschen nicht von Amt zu Amt rennen müssen, ist das,
was diese Koalition will. Für die FDP kann ich sagen:
Das ist der Weg, den wir als Liberale immer gewollt haben. Insofern ist das wirklich ein sehr guter Kompromiss.
({2})
Ich glaube, wir müssen unsere Überlegungen zu der
Frage, wie wir eine möglichst individuelle Betreuung
der Menschen aus einer Hand zustande bringen, ausdehnen, auch über den Bürgergeldprüfauftrag hinaus. Ich
will auf das Beispiel einer Optionskommune hinweisen.
Mein Kollege Pascal Kober hat eben schon ausgeführt,
dass das grundsätzlich ein sehr sinnvolles Instrument ist.
In der Optionskommune Osnabrück im Osnabrücker
Land, die schon vor Jahren die sogenannte MaßArbeit
begründet hat, gibt es ein Konzept, bei dem Jugendhilfe
und Jugendsozialarbeit in den Jobcentern zusätzlich angeboten werden, wodurch Familien, vor allem Problemfamilien, wirklich eine Betreuung aus einer Hand erhalten. Kinder und Jugendliche haben dadurch auf ihrem
Weg ins Erwerbsleben, bis sie also erwachsen sind, immer einen Ansprechpartner. Ich glaube, das ist genau der
Kurs, den wir fortsetzen müssen.
({3})
Johannes Vogel ({4})
Ich will noch etwas zu den Kritikpunkten sagen, die
wir hier verschiedentlich gehört haben. Frau Kollegin
Pothmer und Frau Kramme haben eben schon ausgeführt, das sei gar nicht im Interesse der Koalition gewesen. Ich glaube, wir konnten deutlich machen, dass das
nicht der Fall ist. Freuen Sie sich doch, dass wir eine so
schöne Lösung gefunden haben, die auch dem entspricht, was Sie wollten.
({5})
Da wir aus vielen Mündern, aus Ihrem, Frau Pothmer,
und aus den Mündern der Kollegen von der SPD, gehört
haben, die FDP wolle hier irgendetwas torpedieren, muss
ich sagen: Ich habe - auch nach dem, was der Kollege
Kolb hier ausgeführt hat - das Gefühl, dass Sie, möglicherweise bewusst vor dem kommenden Wochenende,
die ganze Sache hochziehen, um einen Dissens zu konstruieren, den es gar nicht gibt. Da ist ein Punkt von den
Haushältern nicht abgelehnt, sondern einfach nur abgesetzt worden, und zwar in einer Woche, in der sie nun
wirklich genug andere Themen haben, Frau Kramme.
({6})
Ich habe großes Vertrauen in unsere Haushälter - ich
habe gerade den Kollegen Heil im vertraulichen Gespräch mit unseren Haushältern gesehen -, dass sie dafür
sorgen, dass es eine gute Lösung im Interesse der Menschen geben wird. Dieses Vertrauen könnten Sie eigentlich auch haben.
({7})
Insofern appelliere ich ganz ernsthaft an Sie: Ziehen
Sie den Punkt nicht hoch. Hängen Sie es ein bisschen tiefer; denn sonst müssen Sie, Herr Heil, sich fragen lassen,
ob Sie den Geist, der uns zu dieser wirklich guten Lösung,
die im Interesse der Menschen ist, gebracht hat, aufgrund
kurzfristiger parteipolitischer Profilierung missachten.
Ich glaube, eine solche Missachtung haben die Menschen
nicht verdient. Das haben wir nicht nötig. Halten Sie einfach einmal die Hufe still; dann werden wir alle eine gute
Lösung bekommen.
In diesem Jahr werden wir auch noch an die anderen
Aufgaben herangehen. Ich sage ganz klar: Es geht hier
nicht nur um Strukturen. Das ist nur der Anfang. Das ist
sozusagen nur die Pflicht. Die Kür müssen wir durch
eine bessere Betreuung und durch eine schnellere Vermittlung sowie durch andere Maßnahmen wie bessere
Zuverdienstmechanismen und faire Regelsätze im Laufe
dieses Jahres erbringen. Ich habe großes Vertrauen, dass
wir als Koalition das schaffen werden. Sie können sich
dabei konstruktiv einbringen.
Vielen herzlichen Dank.
({8})
Als letzte Rednerin zu diesem Tagesordnungspunkt
hat nun die Kollegin Ingrid Fischbach von der CDU/
CSU-Fraktion das Wort.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich
habe mich in dieser Debatte zwischendurch gefragt, worum es eigentlich geht. Ich bin davon ausgegangen, dass
es um nicht weniger als 6,5 Millionen Menschen geht,
für die wir den bestmöglichen Weg finden müssen und
sollen, wie sie schnellstmöglich, problemlos und ohne
viel Bürokratie zurück in die Arbeit kommen.
({0})
Ich habe nicht gedacht, Herr Scheelen - ich habe Sie in
den Debatten in den letzten Jahren anders kennengelernt -, dass wir über den Wahlkampf in NRW reden.
({1})
Dazu könnten wir eine ganze Menge sagen, aber nicht an
dieser Stelle. Ich fand es schade, dass Sie nicht auf die
positiven Folgen eingegangen sind, die dieser Gesetzentwurf mit sich bringt.
Ich möchte Sie, Herr Heil, und Ihre Fraktion ausdrücklich dafür loben, dass Sie dieses Angebot gemacht
haben. Allerdings - Sie wissen, dass ich mein Lob sofort
ein bisschen abschwächen muss - hätten auch Sie allein
es nicht geschafft;
({2})
auch Sie haben sich bewegt. Wenn Sie, Frau Kramme,
jetzt sagen, Sie hätten für die Rettung gesorgt, dann
muss man auch diese Aussage etwas relativieren. Herr
Heil weiß, dass auch er Kompromisse eingehen musste
({3})
und dass unsere Fraktion die drei Forderungen, die uns
wichtig waren und die wir übrigens schon im letzten Jahr
erhoben haben, umsetzen konnte.
({4})
An dieser Stelle sind Sie uns entgegengekommen.
Ich muss sagen: Wenn es um die Menschen geht, ist
es doch gut, wenn wir Kompromisse finden.
({5})
Es würde niemand verstehen, würden wir an dieser
Stelle zerren und zanken. Es geht darum, den Menschen
zu helfen, Verbesserungen auf den Weg zu bringen und
bestmögliche Lösungen zu finden.
({6})
Dabei haben wir teilweise unterschiedliche Auffassungen, gar keine Frage. Da Frau Kramme sagte, es gehe
mal hin und mal her,
({7})
stelle ich fest: Letzten Endes gehen wir natürlich den
Weg, der für die Menschen am besten ist.
Denken Sie nur einmal an die Anfänge Ihrer Regierungszeit. Damals gab es Ministerwechsel en masse. Das
war schlimm. Daran will ich eigentlich gar nicht erinnern.
({8})
Uns geht es darum, Lösungen zu finden. Wir haben Lösungen gefunden. Es ist wichtig, den Menschen zu helfen, und zwar so, dass sie eine schnelle Hilfe und Hilfe
aus einer Hand bekommen. Das war uns wichtig.
({9})
- Herr Heil, Sie wissen doch, wie es bei den Koalitionsverträgen, die wir miteinander geschlossen haben, war.
Sie haben beim letzten Mal Dinge unterschreiben müssen, die Sie nicht wollten; wir übrigens auch.
({10})
So ist es bei einem Koalitionsvertrag. Herr Heil, das ist
wie in einer Familie: Man muss Kompromisse eingehen.
({11})
Wir wollen Hilfen aus einer Hand; das ist uns wichtig. Wir wollen nicht, dass die Menschen hin- und herlaufen, ständig neue Formulare ausfüllen und immer
wieder das Gleiche sagen müssen. Dass das nicht geschieht, haben wir hiermit vorbereitet; das wird nun auf
den Weg gebracht. Das ist wichtig. Das ist ein Erfolg.
Dafür haben wir uns als CDU/CSU-Fraktion eingesetzt,
und das haben wir auch durchgesetzt.
Wir wollen - hier sind wir unterschiedlicher Meinung -, dass die Kommunen beteiligt werden, das heißt,
dass die Kommunen, die schon optiert haben, entfristet
werden und dass weitere Kommunen die Möglichkeit
bekommen, ihre Aufgaben selber wahrzunehmen. Hier
gibt es sehr gute Erfahrungen, allerdings auch schlechte.
Es ist wie bei den Argen: Es gibt gute, und es gibt weniger gute. Uns ist wichtig, die Möglichkeiten der Optionskommunen zu erweitern. Dies haben wir getan. Es ist
auch ein Erfolg der CDU/CSU-Fraktion und ihrer Verhandlungsführer, dass diese Regelung Bestandteil des
Gesetzentwurfes ist.
({12})
Auf die Kompetenzen und Erfahrungen der Kommunen
wollen und werden wir nicht verzichten.
Der dritte Punkt, der uns wichtig war, ist die Bundesaufsicht. Wir wollen eine einheitliche Bundesaufsicht.
Derjenige, der bezahlt, muss auch die Möglichkeit haben,
zu kontrollieren. Bei den Argen bzw. Jobcentern ist dies
durch die BA gewährleistet. Was die Optionskommunen
betrifft, haben wir diese Kompetenz auf die Länder übertragen. Aber auch hier hat der Bund die Möglichkeit, auf
die Länder einzuwirken und zu kontrollieren, sodass unser Anliegen, dass es eine einheitliche Bundesaufsicht
gibt, erfüllt wird.
Frau Kipping, Sie sollten das eine oder andere Mal
({13})
auf Ihre Basis hören. Es war ja nicht das erste Mal, dass
Sie von diesem Pult aus Forderungen erhoben haben, die
an der Basis ganz anders gesehen werden, auch an Ihrer
Basis.
({14})
Das sollte Sie ermutigen, auch einmal darüber nachzudenken, ob Ihre Kollegen in den Kommunalparlamenten
vielleicht gar nicht so falsch liegen. Auch Sie sollten einmal die Meinungen und Forderungen Ihrer Kollegen unterstützen. Das wäre nicht verkehrt. Das sollten Sie tun.
Das würde Sie an der einen oder anderen Stelle vielleicht
in die Lage versetzen, politisch zu agieren, statt immer
nur aus der Opposition Forderungen zu erheben, die von
der Basis gar nicht unterstützt werden.
({15})
Ich möchte mich nicht ständig wiederholen. Ich
glaube, es ist dennoch wichtig, noch einmal hervorzuheben - Kollege Straubinger hat das bereits deutlich gemacht -, warum wir dem Vorschlag von Minister Scholz
beim letzten Mal nicht gefolgt sind.
({16})
- Aber in diesem Haus entscheiden die Mitglieder des
Parlaments. In meiner Fraktion, Herr Heil, ist es so, dass
wir diskutieren.
({17})
Wenn wir der Meinung sind, dass Ihre Vorschläge nicht
unseren Anliegen entsprechen, dann machen wir das
deutlich.
({18})
Der Vorschlag von Minister Scholz lief darauf hinaus,
dass Sie eine neue Körperschaft öffentlichen Rechts einführen wollten,
({19})
was einen Riesenverwaltungsaufwand zur Folge hätte.
Unsere Fraktion wollte das nicht. Wir wollten ebenso
eine Ausweitung der Zahl der Optionskommunen. Da
sind Sie uns - das muss man leider feststellen - nicht
entgegengekommen. Diesmal waren Sie entgegenkommend und zuvorkommend; deswegen finden wir diesmal
einen Kompromiss.
Wenn man sich die Rückmeldung der beteiligten Verbände, überhaupt der beteiligten Personen ansieht, kann
man feststellen, dass dieser Kompromiss ein sehr guter
Kompromiss ist; denn die Zustimmung ist sehr groß.
Nur ein großer Gewerkschaftsverband, der DGB, hat
noch etwas zu kritisieren. Verdi unterstützt den Kompromiss. Es gibt also große Zustimmung. Was wir heute in
erster Lesung auf den Weg bringen, ist, glaube ich, eine
gute Möglichkeit, diejenigen Dinge zu verändern, die
wir verändern wollen.
Ich möchte zum Schluss auf einen Punkt eingehen, der
meiner Fraktion und mir wichtig ist: Wir verändern auch
den Betreuungsschlüssel. Bei den unter 25-Jährigen verbessern wir den Betreuungsschlüssel auf 1:75; bei den anderen liegt er bei 1:150. Zur Verbesserung der Betreuung
gehört natürlich, dass das Personal den Aufgaben gewachsen ist. Wir brauchen keine neuen Mitarbeiter; wir
haben gute Mitarbeiter, die eingearbeitet sind. Deswegen
sollten wir versuchen, bis zur zweiten und dritten Lesung
zu erreichen - das wird die Beratung bringen -, dass die
Stellen entfristet werden. Das ist nämlich ein wichtiges
Zeichen an diejenigen, die agieren, aber auch an die Menschen, die Beratung und Förderung brauchen. Daran werden wir arbeiten. Ich glaube, wir sind auf einem guten
Weg.
Ich möchte an dieser Stelle noch einmal ganz herzlich
denjenigen danken, die diesen Kompromiss in vielen
Stunden ausgehandelt haben - Herrn Heil habe ich schon
erwähnt -: Karl Schiewerling, Max Straubinger, Heinz
Kolb, aber auch Staatssekretär Hoofe. Trotz allem, Herr
Heil, müssten Sie auch anerkennen: Ohne die Ministerin,
die so beherzt und tatkräftig in der Lage ist - ({20})
- Herr Heil, Sie wissen doch: Wenn Ihre Untergebenen
in Ihrer Fraktion ({21})
- wenn Ihre Mitarbeiter, Ihre Kollegen - etwas erarbeiten, halten Sie doch immer das Zepter in der Hand, führen Sie doch die Feder.
Wir haben eine Ministerin, die sehr beherzt und sehr
kraftvoll an die Arbeit geht. Wir werden sie dabei unterstützen. Ich bin dankbar, Frau Ministerin, dass Sie das in
die Hand nehmen, und bin sicher, Sie werden es zu einem guten Ende führen.
({22})
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Gesetzent-
würfe auf den Drucksachen 17/1554 und 17/1555 an die
in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorge-
schlagen. Gibt es anderweitige Vorschläge? - Das ist
nicht der Fall. Dann sind die Überweisungen so be-
schlossen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 5 a und 5 b auf:
a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Bärbel
Höhn, Oliver Krischer, Hans-Josef Fell, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Gleichklang von Bund und Ländern beim Kli-
maschutz sicherstellen
- Drucksache 17/1430 -
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Eva
Bulling-Schröter, Dorothée Menzner, Sabine
Stüber, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
DIE LINKE
Klimaschutzziele gesetzlich verankern
- Drucksache 17/1475 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({0})
Auswärtiger Ausschuss
Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Ausschuss für Tourismus
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Haushaltsausschuss
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache anderthalb Stunden vorgesehen. Gibt es
Widerspruch dagegen? - Das ist nicht der Fall. Dann ist
das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile als erster Rednerin der Kollegin Bärbel Höhn von Bündnis 90/Die
Grünen das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Wenn es um den Klimaschutz geht, spielt diese Bundesregierung ein doppeltes Spiel.
({0})
Das ist selten so deutlich geworden wie in dieser Woche: Auf dem Petersberg erklärt der Bundesumweltminister, nach dem Scheitern der Klimakonferenz von
Kopenhagen müsse man jetzt auf konkrete Klimaschutzprojekte setzen. Zur gleichen Zeit stoppt diese Bundesregierung Tausende von konkreten Klimaschutzprojekten
in Deutschland, und zwar indem sie die Förderung von
Ökoheizungen, nämlich von Holzpelletanlagen, von
Wärmepumpen, von Solaranlagen und von Mini-KWKAnlagen sperrt. Meine Damen und Herren, entsperren
Sie die Mittel für diese Anlagen; denn das sind konkrete
Klimaschutzprojekte.
({1})
Auf dem Petersberg beschwört der Bundesumweltminister die zentrale Rolle der erneuerbaren Energien für
Klimaschutz und neue Jobs. Damit hat er recht. Aber
gleichzeitig steht heute ein Gesetzentwurf zur Änderung
des Erneuerbare-Energien-Gesetzes im Bundestag zur
Abstimmung, der eine Absenkung der Förderung für
die Fotovoltaik um 30 Prozent in 13 Monaten vorsieht.
Das ist zu viel. Das gefährdet die Arbeitsplätze in diesem Bereich, und deshalb sagen wir: So geht es nicht.
Diese Kürzung können Sie nicht vornehmen.
({2})
Auf dem Petersberg plädiert der Bundesumweltminister für neue Partnerschaften mit anderen Staaten, um die
Energieeffizienz voranzubringen. Gleichzeitig haben wir
gerade in diesem Monat einen traurigen Rekord zu verzeichnen. Denn die Umsetzung der EnergieeffizienzRichtlinie der EU ist schon zwei Jahre überfällig. Deshalb warten in Deutschland Unternehmer und Verbraucher auf genau diese Effizienzpartnerschaften des Bundesumweltministers. Hic Rhodus, hic salta! Hier muss
etwas geschehen. Schöne Worte auf einer internationalen
Konferenz reichen nicht.
({3})
Das ist ein doppeltes Spiel: Hier reden Sie so, und dort
handeln Sie ganz anders.
Auch das gehört zur Wahrheit: Auf der Petersberger
Konferenz hat die Bundeskanzlerin Anfang der Woche
mehr Mut beim Klimaschutz eingefordert.
({4})
Den Rest der Woche macht sie dann Wahlkampf für einen Ministerpräsidenten Rüttgers, der den Klimaschutz
aus den Landesgesetzen streichen lässt. Das ist nicht in
Ordnung; das widerspricht sich.
({5})
Rüttgers hatte die Wahl zwischen dem Kohlekraftwerk in Datteln und dem Klimaschutzrecht. Wofür hat
er sich entschieden? - Gegen den Klimaschutz und für
das Kohlekraftwerk, und die Kanzlerin und CDU-Vorsitzende Angela Merkel hat nichts getan, um ihn davon abzubringen. Das geht nicht, meine Damen und Herren.
Von China, Brasilien und den USA hat sie Mut beim Klimaschutz eingefordert, aber von ihrem eigenen Parteifreund Jürgen Rüttgers verlangt sie diesen Mut nicht.
Das ist doppelzüngig. Das lassen wir nicht durchgehen.
({6})
Beim Kohlekraftwerk Datteln geht es um einen Klimakiller, der nach Fertigstellung das Klima mit enormen
6,5 Millionen Tonnen CO2 im Jahr belasten wird. Umweltschützer haben gegen den Bau geklagt und vor dem
Oberverwaltungsgericht Münster recht bekommen, und
zwar deshalb, weil die Richter festgestellt haben, dass
dieser Bau dem in der Landesplanung verankerten Ziel
des Klimaschutzes widerspricht. Deshalb ist das Kohlekraftwerk in Datteln mittlerweile der größte illegale
Schwarzbau der Republik.
({7})
Das ist ein schlechtes Zeichen für CDU und FDP in
Nordrhein-Westfalen.
({8})
Wie hat die Landesregierung von Nordrhein-Westfalen auf die Schelte der Richter reagiert? Sie hat einfach
den sogenannten Klimaschutzparagrafen aus der Landesplanung gestrichen, um am Ende doch den Schwarzbau zu ermöglichen. Das ist eine Lex Eon, nicht mehr
und nicht weniger. Eine klarere Absage hätte die Regierung Rüttgers/Pinkwart dem Klimaschutz nicht erteilen
können. Das, was in Nordrhein-Westfalen gemacht worden ist, ist gegen den Klimaschutz.
({9})
Der CO2-Ausstoß in Nordrhein-Westfalen beträgt
mittlerweile 16 Tonnen pro Person und Jahr.
({10})
Das ist mehr als in Saudi Arabien. Der CO2-Ausstoß in
ganz Deutschland liegt bei 9,5 Tonnen.
Interessant ist, dass diese Fixierung auf die Kohle einen weiteren, dramatisch negativen Effekt hat: Bei den
erneuerbaren Energien wird zu wenig gemacht. In diesem Bereich hinkt Nordrhein-Westfalen bisher schon
hinterher. Der Anteil der erneuerbaren Energien an
der Stromerzeugung beträgt in Nordrhein-Westfalen um
die 6 Prozent. In der übrigen Bundesrepublik sind es fast
20 Prozent. Hier liegt der Anteil erneuerbarer Energie
also mehr als dreimal so hoch wie in Nordrhein-Westfalen. Das hat mit dem Vorrang der Kohle und der Politik
dieser schwarz-gelben Regierung zu tun.
Sie sind vor fünf Jahren mit einem Wettlauf gegen die
erneuerbaren Energien gestartet. Damals hat Bauminister Wittke gegen die Windkraft verkündet: „Das ist das
Erste, was wir kaputtmachen werden.“ Sein Kollege
Papke, Fraktionsvorsitzender der FDP
({11})
- ja -, hat gesagt, Windkraftanlagen in NordrheinWestfalen hätten keinerlei energiepolitischen Wert.
Wenn wir in Nordrhein-Westfalen, Frau Flach, nicht
endlich die entsprechenden Maßnahmen für den Klimaschutz und den Ausbau der erneuerbaren Energien treffen, dann werden wir unsere Klimaziele hier in Deutschland nicht erreichen. Das ist der Zusammenhang mit der
Politik im Bund.
({12})
Was sollen eigentlich die Länder China, Indien und
Südafrika denken, denen wir ihre geplanten Kohlekraftwerke vorwerfen, wenn die Bundesregierung eine Klimaschutzkonferenz in Nordrhein-Westfalen veranstaltet, das als Bundesland ein so schlechtes Beispiel gibt?
Deshalb sage ich: Eine Politik wie die, die Rüttgers
macht, zerrüttet die Glaubwürdigkeit der Klimadiplomatie Deutschlands, des Bundesumweltministers und der
Kanzlerin. Wie sollen sie denn am Ende glaubhaft vertreten, dass sie für Klimaschutz sind, wenn sie gleichzeitig das durchgehen lassen, was Rüttgers in NordrheinWestfalen macht? Deshalb muss sich das ändern.
({13})
Die Wahrheit ist: Wir haben in Nordrhein-Westfalen
fünf Jahre für den Ausbau erneuerbarer Energien und für
Maßnahmen für den Klimaschutz verloren. Deshalb
müssen wir Rüttgers stoppen. Die Bundesregierung
muss dieses Tun von Rüttgers stoppen. Wir werden unser Bestes dafür tun, dass der Klimaschutz in NordrheinWestfalen wieder an Fahrt gewinnt. Dafür werden wir
am Sonntag sorgen. Wir werden Rüttgers die Quittung
geben, die er verdient hat.
Vielen Dank.
({14})
Das Wort hat die Kollegin Marie-Luise Dött von der
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die zur heutigen Beratung anstehenden Anträge lassen eigentlich vermuten, dass wir uns im Kern mit einem
Klimaschutzgesetz auseinanderzusetzen haben. Dem ist
jedoch nicht so, wie Sie gerade erlebt haben; denn der
Entwurf der Grünen zu einem Klimaschutzgesetz steht
heute nicht auf der Tagesordnung, dafür aber sozusagen
ein Ergänzungsantrag mit dem Titel „Gleichklang von
Bund und Ländern beim Klimaschutz sicherstellen“, der
nichts anderes zum Ziel hat, als dem Landtagswahlkampf in Nordrhein-Westfalen eine Plattform im Deutschen Bundestag zu verschaffen.
({0})
Das Ziel dieses Antrags ist nichts anderes, als die Arbeit
der schwarz-gelben Landesregierung in NordrheinWestfalen im Bereich Klima- und Energiepolitik
schlechtzureden.
({1})
Meine Damen und Herren von den Grünen, ich habe
ja Verständnis dafür, dass Sie jedes Mittel nutzen wollen,
um in NRW noch ein paar Stimmen dazuzugewinnen.
Ich verstehe allerdings nicht, dass Sie sich so wenig dafür anstrengen. Die Wähler werden nicht auf diesen
oberflächlichen und fachlich falschen Antragsklamauk
hereinfallen. Besonders deutlich wird das Schnellstrickmuster des Antrags da, wo Anregungen für die deutsche
Position auf der Klimakonferenz in Bonn gegeben werden sollen. Wie wir wissen, war die Konferenz bereits
am vergangenen Wochenende.
({2})
Selbst bei diesem Detail läuft der Antrag wegen augenscheinlicher Qualitätsmängel ins Leere.
({3})
Meine Damen und Herren von den Grünen, die Bürger in NRW wissen sehr genau, was Schwarz-Gelb in
NRW geleistet hat.
({4})
Die Bürger wissen sehr genau, dass sie sich auf die Bundesregierung und insbesondere die Bundeskanzlerin
auch in der Klimapolitik verlassen können.
({5})
Unwahrheiten, Halbwahrheiten und Klimaphrasen werden Ihnen im Wahlkampf nicht helfen. Klimaschutz ist
und bleibt Zentrum unserer Politik - im Bund genauso
wie in NRW.
({6})
Dafür stehen Angela Merkel und Jürgen Rüttgers, und
zwar in einem engen Schulterschluss.
({7})
Der von Ihnen geforderte Gleichklang ist längst vorhanden. Er ist die Voraussetzung für die Erfolge,
({8})
die wir im Klimaschutz bereits erreicht haben. Das ist
deutlich mehr, als rot-grüne Regierungen, egal ob im
Bund oder in den Ländern, Frau Höhn, aus ihren Regierungszeiten vorzuweisen haben. Die ständigen Forderungen aus dem grünen Lager nach neuen Klimazielen
zeigen, dass es dort noch immer nicht gelingt, die klaffende Lücke zwischen ideologischem Anspruchsdenken
und tatsächlich Machbarem zu überbrücken.
({9})
Fakt ist: Es gab einmal das nationale Klimaschutzziel,
die CO2-Emissionen - das steht im Antrag der Linken ({10})
um 25 Prozent bis 2005 zu reduzieren. Dieses Ziel
wurde von den Grünen zunächst als zu wenig ambitioniert kritisiert und anschließend vom grünen Umweltminister Trittin wegen Unerreichbarkeit klammheimlich
unter den Tisch fallen gelassen.
({11})
Fakt ist: Trotz miserabler Konjunktur ist es in den sieben Jahren grüner Politik nicht gelungen, die CO2-Emissionen in Deutschland nennenswert weiter zu senken
oder zu stabilisieren.
({12})
Sie besetzen das Thema Klimaschutz immer mit hehren Worten. Wir setzen Klimaschutz mit konkreten Maßnahmen in der Praxis um.
({13})
Meine Damen und Herren, gern gehe ich als Abgeordnete aus NRW auf das landespolitische Kernthema
des Antrags ein,
({14})
nämlich die Kritik an den Änderungen des Landesentwicklungsprogramms und des Landesentwicklungsplans.
Zunächst einmal finde ich es schon ziemlich unverfroren, die Änderungen am Landesentwicklungsplan
zu kritisieren und gleichzeitig einen stärkeren Ausbau
der erneuerbaren Energien und der Kraft-Wärme-Kopplung in NRW zu fordern.
({15})
Meine Damen und Herren von den Grünen, haben Sie
sich überhaupt einmal mit dem Landesentwicklungsplan
befasst?
({16})
Genau diese zwei Aspekte, nämlich der stärkere Ausbau
der Erneuerbaren und der Kraft-Wärme-Kopplung, sind
wesentliche Inhalte des neuen Landesentwicklungsplans.
({17})
Mit den Änderungen wird für die räumliche Umsetzung
der Energie- und Klimaschutzstrategie des Landes gesorgt. Es wird der räumliche Rahmen für den Ausbau erneuerbarer Energien und für die Kraft-Wärme-Kopplung
gesetzt. Diesen Zielen und Maßnahmen sollten Sie eigentlich zustimmen, statt sie zu kritisieren.
Natürlich geht es bei den Änderungen am Landesentwicklungsplan auch um die Kraftwerkserneuerung, und
zwar deshalb, weil insbesondere ein Industrieland wie
Nordrhein-Westfalen auf einen umweltverträglichen, sicheren und bezahlbaren Energiemix angewiesen ist. Eine
Voraussetzung dafür sind Kraftwerke. Beim Ausbau eines solchen Energiemixes zeigt sich ökologische, wirtschaftliche und soziale Verantwortung von Politik. Gerade bei den Forderungen in Ihrem Antrag, meine
Damen und Herren von den Grünen, zeigt sich, dass Ihre
Politik zumindest auf zwei Augen blind ist.
({18})
Soziale Verantwortung für vertretbare Energiepreise? Fehlanzeige. Verantwortung für den Wirtschaftsstandort
und für Arbeitsplätze? - Fehlanzeige. Mit Ihrer Politik
des ökologischen Tunnelblicks sind Sie im Bund gescheitert. Sie werden auch in NRW scheitern.
({19})
Der Gleichklang der Energiepolitik von Bund und
NRW ist gesichert. Er besteht nicht nur in der Kompatibilität der Ziele, sondern gerade darin, dass sich unsere
gemeinsame Energiepolitik nicht auf das Klimaziel allein beschränkt. Unsere gemeinsame Energiepolitik
schafft nachhaltige Versorgungssicherheit,
({20})
und sie sichert langfristig günstige Energiepreise.
({21})
Dazu brauchen wir einen breiten Energiemix, und dazu
brauchen wir bis auf Weiteres auch moderne, hocheffiziente Kohlekraftwerke. Jeder weiß, dass selbst dann,
wenn wir unser sehr anspruchsvolles Ziel, im Jahr 2020
30 Prozent unseres Stroms aus Erneuerbaren zu erzeugen, erreichen, immer noch 70 Prozent des verbleibenden Strombedarfs aus anderen Quellen kommen müssen.
Wer heute die Kohleverstromung in hochmodernen
Kraftwerken blockiert, der handelt umwelt-, wirtschaftsund sozialpolitisch unverantwortlich.
({22})
Meine Damen und Herren, ja, mit den Änderungen am
Landesentwicklungsplan werden auch die Grundlagen
für die Kraftwerkserneuerung in NRW gelegt. Gerade
das ist für einen erfolgreichen Klimaschutz notwendig;
denn das CO2-Reduktionspotenzial des Kraftwerkserneuerungsprogramms ist enorm. Das Kraftwerkserneuerungsprogramm NRW hat ein Minderungspotenzial bis 2020 von
30 Millionen Tonnen. Das sind mehr als 10 Prozent des
Gesamtausstoßes in NRW.
Das sind die Ziele, die mit der Änderung des Landesentwicklungsplans gesetzt werden. Zum Erreichen dieser Ziele brauchen wir genau solche Kraftwerke wie das,
was in Datteln entstehen wird;
({23})
denn Datteln ist Teil des Kraftwerkserneuerungsprogramms. Hier werden drei alte Blöcke mit einem Wirkungsgrad von rund 30 Prozent abgeschaltet und durch
das neue hochmoderne Kraftwerk mit einem Wirkungsgrad von über 45 Prozent ersetzt. Datteln wird zudem
durch Abwärmenutzung einen noch höheren Nutzungsgrad haben. Allein bei diesem Kraftwerk besteht ein
Schadstoffreduktionspotenzial von 20 Prozent.
Die Nutzung dieser modernen Kraftwerke ermöglicht
es uns, die alten ineffizienten und CO2-intensiven Kraftwerke vom Netz zu nehmen.
Damit ist Datteln ein wichtiger Baustein nicht nur für
die energetische Basis des Industrielandes NordrheinWestfalen,
({24})
sondern auch für das Erreichen des Klimaschutzziels
von NRW, nämlich den CO2-Ausstoß bis 2020 um
33 Prozent zu senken.
({25})
Dies ist ein sehr ambitioniertes Ziel für ein Industrieland; dieses ist aber wiederum ein wichtiger Baustein für
das Erreichen unseres nationalen Klimaziels.
({26})
Damit Klimaschutz nicht nur auf dem Papier steht,
Frau Höhn, brauchen wir zur Umsetzung die erforderlichen Instrumente und Pläne. Genau deshalb ist der Landesentwicklungsplan geändert worden. Genau deshalb
wurden darin auch die Grundlagen für das Kraftwerk
Datteln geschaffen: für eine konsistente und verlässliche
Klima- und Energiepolitik in NRW als Element für das
Erreichen unseres nationalen Klimaziels. Ich sage als
nordrhein-westfälische Abgeordnete ganz selbstbewusst:
Was für Nordrhein-Westfalen umweltpolitisch und wirtschaftlich gut ist, ist auch für den Bund gut.
({27})
Und Klima-, Energie- und Wirtschaftspolitik in Nordrhein-Westfalen sind gut.
Wie nicht anders zu erwarten, ist im Antrag der Grünen auch wieder die Forderung nach einem Klimaschutzgesetz enthalten.
({28})
Auch die SPD hat sich inzwischen dieser Forderung angeschlossen.
({29})
- Wenn es andersherum ist, ist es auch egal. - Meine Damen und Herren, wollen Sie wirklich die endlosen, unsäglichen und noch dazu völlig überflüssigen Debatten
um ein Klimaschutzgesetz, wie wir es gerade unter RotRot in Berlin erleben, auf der Ebene des Bundes führen?
Wollen Sie Debatten zu einem Gesetz, das am Ende genauso inhaltsleer ist wie das, was gerade in Berlin im inzwischen dritten Entwurf verhandelt wird?
({30})
Oder bleiben Sie, meine Damen und Herren von der
SPD, bei dem in Meseberg mit dem Integrierten Energieund Klimaprogramm vereinbarten Vorgehen, einem Vorgehen mit weniger Absichtserklärungen, dafür aber mit
konkreten Maßnahmen, bei denen wir sehr genau vorgegeben haben, in welchem Umfang jede dieser Maßnahmen zur CO2-Minderung beizutragen hat?
Wir brauchen kein Klimaschutzgesetz.
({31})
Wir werden das in Meseberg beschlossene Energie- und
Klimaprogramm weiter planmäßig und zügig umsetzen.
({32})
Wir werden eine Evaluierung und gegebenenfalls auch
eine Nachjustierung der Meseberg-Beschlüsse vornehmen, womit sichergestellt wird, dass wir unsere ambitionierten Klimaziele erreichen.
Meine Damen und Herren, das energie- und klimapolitische Programm dieser Regierung ist Garant dafür,
dass Deutschland seine Klimaziele erreichen wird und
auch in Zukunft beim Klimaschutz internationaler
Schrittmacher bleibt.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
({33})
Das Wort hat jetzt der Kollege Frank Schwabe von
der SPD-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Frau Dött, es tut mir ganz schrecklich leid: Sie haben
nicht verstanden, was Kern eines Klimaschutzgesetzes
ist.
({0})
Das hat mit einzelnen Maßnahmen gar nichts zu tun,
sondern es handelt sich um eine Zielbeschreibung, und
es geht um die Frage, wie man das Erreichen dieser Ziele
überprüft. Bis jetzt gibt es dazu kein vernünftiges Instrumentarium in Deutschland. Deswegen brauchen wir ein
Klimaschutzgesetz analog zu dem, was beispielsweise in
Großbritannien gilt.
({1})
Wir stimmen heute über einen Antrag der Grünen ab,
dem wir als Sozialdemokraten im Prinzip zustimmen
können. Wir werden uns dennoch enthalten, weil er ablehnende Passagen zum Thema Kohle enthält.
({2})
- Ja! - Denn man muss schon die Frage beantworten,
wie man den Übergang gestalten will. Wir wollen gemeinsam heraus aus der Atomenergie. Dafür braucht
man aber Übergangstechnologien. Das ist aus unserer
Sicht die Kohle.
Ich will aber gleich hinzufügen: Natürlich kann man
darüber streiten, ob neugebaute Kraftwerke letztendlich
zu Museen für das untergegangene fossile Zeitalter werden. Aber darum geht es im Kern nicht. Es geht vielmehr
darum, ob zusätzlich zu den Kraftwerken, die schon im
Bau sind, zukünftig noch weitere Kraftwerke gebaut
werden. Ich gehe zurzeit davon aus, dass es aufgrund des
Emissionshandels und anderer Rahmenbedingungen zukünftig keinen Neubau weiterer Kraftwerke in Deutschland gibt. Das ist meine Erwartung.
Jawohl, diese Debatte hier ist Teil einer Wahlkampfauseinandersetzung, Frau Dött; das finde ich aber auch
gar nicht schlimm. Ich glaube, es ist wichtig, dass die
Menschen wissen, worum es in diesem Land eigentlich
geht, und es ist notwendig, dass man die Menschen aufklärt, damit sie nicht dem auf den Leim gehen, was manche in der Bundesregierung an schönen Worten von sich
geben. Herr Röttgen zum Beispiel hält hier schöne Reden, hat aber am Ende keine Substanz zu bieten. So ist ja
die Aufteilung in dieser Bundesregierung und in Ihrer
Koalition: Herr Röttgen macht den Philosophen und
Schönredner, und Ihre Fraktion und der Finanzminister
sagen dann, wo es langgeht.
Exemplarisch dafür steht Ihr Kollege Herr Fuchs. Ich
glaube, er ist im Moment gar nicht da. Wo ist er? Er wird
gleich oder vielleicht beim EEG sicher noch seinen Auftritt haben. Herr Fuchs hat im Februar gesprochen von
Subventionsgräbern, womit er die Solarenergie meinte,
und von Vogelschredderanlagen, womit er die Windenergie meinte. Das ist anscheinend die Sichtweise Ihrer
Regierungsfraktion.
Ich weiß nicht, ob Herr Fuchs gut geschlafen hat oder
ob er Albträume hatte nach dem, was der Wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung - nicht des Parlaments,
sondern der Bundesregierung - gestern auf den Tisch gelegt hat; man kann es heute überall nachlesen. Ich
glaube, Sie sollten Herrn Fuchs die Rede wegnehmen,
die er hier gleich möglicherweise halten will.
({3})
Die Bundesregierung legt im Herbst - nach einem
Jahr Regierungsverantwortung - ein Energiekonzept
vor und veranstaltet in der Zwischenzeit nette Konferenzen auf dem Petersberg. Frau Dött, es gibt in diesem Jahr
zwei Konferenzen in Bonn.
({4})
- Ja, gut; dann dürfen Sie den Grünen aber nicht unterstellen, dass sie falsche Dinge in ihren Antrag schreiben.
Was in dem Antrag steht, ist genau richtig. Es gab gerade
den Petersberger Klimadialog, und es wird die vereinbarte Zwischenkonferenz in Bonn geben.
Die Intention dieser Petersberger Konferenz finde
ich im Übrigen richtig. Aber es bringt alles nichts, wenn
Sie gleichzeitig den Ruf Deutschlands in der internationalen Klimapolitik ruinieren und die nationale Klimaschutzpolitik kaputt machen.
Das ganze Elend der Debatte wird deutlich am heutigen Tag. Wir haben heute nicht nur die Debatte zum Klimaschutz, sondern auch die Debatte zum ErneuerbareEnergien-Gesetz und die Debatte zur Atomenergie, bei
der Sie keine Brücke bauen, wie man heute in der Zeitung lesen konnte, sondern eine Krücke für RWE und
Co. Sie betreiben gnadenlosen Lobbyismus bar jeder Logik, die nur einen positiven Effekt hat, nämlich das
Konto von Herrn Großmann und anderen in diesem
Land zu füllen.
({5})
Ich lese Ihnen einmal ein Zitat vor, und Sie dürfen raten, wer mir das geschrieben hat:
Wir sind in Sorge um unsere Unternehmen und die
damit verbundenen Arbeitsplätze. In den letzten
Jahren haben wir im Vertrauen auf die Verlässlichkeit der Politik und der Festlegung auf eine Klimaschutzpolitik unsere Kapazitäten ausgebaut. Diese
Verlässlichkeit ist jetzt in Gefahr.
Wer war es? Das ist ein Brief der Innung für Sanitär- und
Heizungstechnik Castrop-Rauxel/Herne/Wanne-Eickel;
das betrifft die Wahlkreise von Gerd Bollmann und mir.
Im Übrigen waren die Sozialdemokraten die Einzigen,
die auf diesen Brief reagiert haben, wie mir gesagt
wurde. Das sind doch vermeintlich diejenigen, für die
Sie Politik machen wollen! Das sind diejenigen, die im
Bereich von Mittelstand und Handwerk unterwegs sind
und denen Sie gerade die wirtschaftliche Basis entziehen, indem Sie es fertigbringen, gleichzeitig die Mittel
des Marktanreizprogramms zu sperren und mit dem
EEG die Solarbranche in diesem Land zu demontieren.
Diese Innung vertritt fast 50 Unternehmen in unseren
beiden Wahlkreisen, und diese Unternehmen sind in großer Sorge ob Ihrer Politik, ob der Politik von SchwarzGrün in diesem Land. - Entschuldigung, von SchwarzGelb!
({6})
Ich hoffe, das war kein Vorgriff auf das, was am Sonntag
bei der Wahl herauskommt.
({7})
Ich jedenfalls habe andere Ziele.
Die Politik von Schwarz-Gelb gefährdet alleine im
Kreis Recklinghausen Hunderte von Arbeitsplätzen. Sie
sperren 115 Millionen Euro für die Zukunftsbranche, die
100 000 Arbeitsplätze in diesem Land schafft. Gleichzeitig geben Sie den Hoteliers Subventionen in Höhe
von 1 Milliarde Euro im Jahr. Wer ist für diesen Abgesang auf eine zukunftsfähige Klima-, Arbeitsmarktund Innovationspolitik in diesem Land verantwortlich?
Das ist die Politik von Schwarz-Gelb im Bund und auch
in Düsseldorf.
Sie treffen die Menschen und die Unternehmen im
Ruhrgebiet im Übrigen gleich mehrfach: Sie ruinieren
die Zukunft der heimischen Steinkohle - das betrifft allein 30 000 Arbeitsplätze im Ruhrgebiet -, Sie sparen
die Kommunen kaputt, machen sie handlungsunfähig
und auch unfähig, Aufträge zu vergeben, und jetzt
kommt noch Ihre Abbaupolitik im Bereich der Solarenergie und des Marktanreizprogramms hinzu, wodurch Sie weitere Hunderttausende Arbeitsplätze gefährden. Daran ist nichts zukunftsfähig. Ihnen fehlt die
Vision. Ihnen fehlt eine Idee davon, wohin es eigentlich
gehen soll in diesem Land. Wenn man keine Idee hat,
wohin es gehen soll, dann verfängt man sich in Kurzfristlobbyismus, und was Sie damit anrichten, kann man
in der Tat - darüber weiß ich einiges, denn daher komme
ich - komprimiert in Nordrhein-Westfalen sehen.
Eines muss man Ihnen allerdings lassen: Sie sind eine
Koalition des perfekten Timings. Mit großer Zielgenauigkeit laufen Sie wirklich in jeden Kuhfladen, den das internationale Parkett der Klimapolitik bereithält: ob es
Herr Niebel ist, der kurz vor Kopenhagen die Mittel der
Entwicklungszusammenarbeit mit den Klimaschutzgeldern verrechnet,
({8})
ob es jetzt eine Sperrung von 115 Millionen Euro im Bereich des Marktanreizprogramms parallel zum Petersberger Klimadialog ist oder eben die Politik NordrheinWestfalens parallel zur Klimakonferenz in Kopenhagen.
Nordrhein-Westfalen steht dafür, Gesetze gegen die
erneuerbaren Energien erlassen zu haben, zum Beispiel
im Bereich der Windenergie. Nordrhein-Westfalen steht
dafür, dass es im Bereich des Emissionshandels durch
besondere Regelungen für die Braunkohle handlungsunfähig gemacht werden sollte, und Nordrhein-Westfalen
steht dafür, dass es eine schlampige und arrogante Planung von Eon, aber eben auch der Bezirksregierung gibt.
Deswegen haben wir die Probleme in Datteln. Das ist
das Problem dieser Landesregierung.
({9})
Jetzt wird ein untauglicher Versuch gestartet, das
Ganze dadurch zu reparieren, dass der gesamte Klimaschutz und die gesamte Vorrangstellung für erneuerbare
Energien aus dem Landesentwicklungsprogramm gestrichen werden. Deswegen brauchen wir am Sonntag bei
der Landtagswahl eine andere Mehrheit, eine rot-grüne
Mehrheit, eine Mehrheit, die für erneuerbare Energien
eintritt und die im Übrigen auch über den Bundesrat dagegen kämpft, dass die Atomkraftwerke hier in Deutschland länger laufen, und zwar bis zum Jahre 2050. Das
geht nur mit Rot-Grün, und deswegen ist die Wahl am
Sonntag so wichtig.
({10})
Lassen Sie mich noch einige Sätze zur internationalen
Situation sagen. Auch jetzt konnte man wieder lesen:
Herr Röttgen läuft herum - ich fasse es gar nicht mehr und sagt, er sei auch dafür, dass wir in der Europäischen
Union die Zielvorgaben von 20 auf 30 Prozent verschärfen. Aber immer dann, wenn es konkret wird, wenn die
Bundesregierung Farbe bekennen soll, dann ist die Bundesregierung dagegen. Das ist die Politik von Herrn
Röttgen, etwas anzukündigen, wobei aber am Ende
nichts umgesetzt wird. Damit verspielen Sie Vertrauen.
Sie laufen in Petersberg herum und wollen bei Entwicklungsländern Vertrauen schaffen, reden mit denen,
aber schaffen es gleichzeitig in den Haushaltsberatungen
nicht, das ihnen in Kopenhagen versprochene neue und
zusätzliche Geld für den internationalen Klimaschutz,
420 Millionen Euro pro Jahr, zur Verfügung zu stellen.
Sie haben am Ende nur 70 Millionen Euro neues Geld,
und zwar auf Druck der Opposition, zur Verfügung gestellt. Da, wo ich herkomme, nennt man das eine glatte
Lüge: Wenn man 420 Millionen verspricht und am Ende
nur 70 Millionen auf den Tisch legt, ist das eine Lüge,
und das ist das Gegenteil von vertrauensbildenden Maßnahmen auf internationaler Ebene, wie wir sie jetzt brauchen.
({11})
Abschließend: Sie sind international nicht ambitioniert und halten Ihre Versprechen nicht; das ist so. National minimieren und ruinieren Sie die Klimaschutzpolitik
in diesem Land. Sie rasieren die Solarbranche und das
Handwerk, lobhudeln aber die Atomwirtschaft. In Nordrhein-Westfalen streichen Sie den Klimaschutz und die
erneuerbaren Energien aus der Landesplanung. Mit
Schwarz-Gelb ist keine zukunftsfähige Klimaschutzpolitik möglich, nicht hier im Bund und nicht im Land.
Ich habe den Eindruck, dass Ihr Bundesumweltminister nach einem guten halben Jahr bereits nackt im Wind
steht und Sie ihn in den nächsten Monaten weiter verhungern lassen werden.
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
({12})
Das Wort hat jetzt der Kollege Michael Kauch von
der FDP-Fraktion.
({0})
Meine Damen und Herren, das, was wir jetzt erleben,
ist das billigste Wahlkampftheater, das ich hier seit langem erlebt habe. Wenn der Kollege Schwabe sagt, um
seine Ziele zu erreichen, müsste man jetzt in NRW RotGrün wählen, ist das doch nichts anderes als Volksverdummung. Sie wissen: Ihre Mehrheit heißt Rot-RotGrün, und da sind die schlimmsten Kommunisten der
Linken dabei.
({0})
Die früheren DKP-Kader sind ja noch demokratisch im
Gegensatz zu dem, was dort auf der Liste der Linken
steht. Das ist die Wahrheit, um die es hier auch geht,
meine Damen und Herren.
({1})
Wenn Sie behaupten, wir wollten Herrn Großmann
von RWE die Taschen vollmachen, dann stelle ich die
Gegenfrage: Wer sind denn in den letzten Jahren die Genossen der Bosse gewesen? Das waren die Sozialdemokraten, die übrigens den Aufsichtsrat von RWE dominieren.
({2})
Wir brauchen also keine Nachhilfe im Klimaschutz.
Die FDP engagiert sich für den Klimaschutz. Der Außenminister hat in Petersberg klarer als jemals ein Außenminister zuvor die Brücke zwischen Klimaschutz
und Sicherheitspolitik geschlagen. Das 2-Grad-Ziel - der
Vizekanzler hat es noch einmal unterstrichen - und die
internationalen Klimaschutzmaßnahmen sind die Leitlinie dieser Bundesregierung. Da wird nichts verrechnet.
In den letzten Haushalt haben wir 70 Millionen Euro
mehr für Klimaschutz in Entwicklungsländern eingestellt. Das ist die Wahrheit, lieber Kollege Schwabe.
({3})
Sie greifen hier vor und sprechen über die Solarstromförderung; das ist einer der nächsten Tagesordnungspunkte. Es wundert mich natürlich nicht,
({4})
dass die Grünen da keinen Kürzungsbedarf sehen. Das
ist ja auch nicht notwendig, wenn man eine Wählerschaft hat, die hauptsächlich aus Besserverdienenden besteht.
({5})
Sie haben die am besten verdienende Wählerschaft aller
Parteien. Diese muss sich auch keine Gedanken über die
Stromrechnung machen.
({6})
Sie wollen Traumrenditen für Anleger und für Hausbesitzer garantieren, was dann auf Kosten der Familien mit
vielen Kindern ausgebadet wird.
({7})
Da machen wir nicht mit, Frau Höhn.
({8})
Frau Höhn, wir wollen die Solarenergie ausbauen.
({9})
Wir wollen mehr Fotovoltaik. Deshalb erweitern wir auf
Grundlage des Gesetzentwurfes, den wir heute Nachmittag verabschieden werden, den Ausbaukorridor für Fotovoltaik um mehr als die Hälfte im Vergleich zu dem, was
der SPD-Umweltminister Gabriel vorgesehen hatte.
({10})
Aber wir wollen nur so viel dafür zahlen, wie die Anlagen auch kosten. Zweistellige Renditen sind nicht okay.
Wenn die Modulpreise in wenigen Jahren dramatisch
sinken, die Förderung aber nicht so stark, dann muss
man nachsteuern. Das sind wir den Bürgerinnen und
Bürgern schuldig.
({11})
Deshalb sagen wir: Das ist ein fairer Ausgleich bei der
Solarstromförderung. Wir werden die Wettbewerbsfähigkeit der Solartechnik erhalten und gleichzeitig die
Verbraucher entlasten.
({12})
Die Bundesregierung hat am Montag zusätzlich ein
Innovationsprogramm über 100 Millionen Euro für die
Solarbranche auf den Weg gebracht. Das Programm
nützt - anders als das EEG - nicht auch den chinesiMichael Kauch
schen, sondern nur den deutschen Anbietern. Das ist eine
Stärkung unseres Standortes.
({13})
Beim Marktanreizprogramm haben wir ein Problem. Aber ich möchte darauf hinweisen - da wundert
mich, wie die SPD hier auftritt -, dass es der SPD-Umweltminister Gabriel - er ist jetzt ihr Vorsitzender - war,
der das Programm an die Emissionshandelserlöse gekoppelt hat
({14})
mit dem bewussten Risiko, dass diese Erlöse auch einmal niedriger sein können.
({15})
Jetzt sind die Erlöse offensichtlich niedriger. Wir als
FDP wollen die Sperre der Mittel für das Marktanreizprogramm aufheben,
({16})
aber wir wollen auch, dass es seriös finanziert wird. Wir,
die Umweltpolitiker der FDP, haben einen Finanzierungsvorschlag gemacht, der von unseren Haushältern
akzeptiert wird. Das Gleiche erwarten wir jetzt vom
Bundesumweltministerium; das müsste jetzt seine Hausaufgaben machen.
({17})
Man kann nicht nur sagen, dass man mehr Geld braucht,
sondern man muss auch sagen, wo es herkommen soll.
({18})
Mich wundert auch, dass es bei der SPD Beifall für
die Aussage von Frau Höhn gab, dass wir mit der Umsetzung der Energieeffizienzrichtlinie der EU zwei Jahre
überfällig sind. Damit hat sie recht. Aber wer hat es verbockt? Herr Gabriel. Er hat es nicht auf die Reihe bekommen.
({19})
Wir räumen jetzt Ihren Müll auf und werden die notwendigen Schritte machen.
({20})
Die Opposition sollte aufhören, hier zu argumentieren, wir seien nicht genug für Klimaschutz. Wir sind
vielleicht nicht für Ihre ordnungsrechtlich dirigistische
Art von Klimaschutz, aber wir machen Klimaschutz, und
zwar anders und besser. Denn wir machen ihn mit wirtschaftlichem Verstand.
({21})
Wir wollen für jeden Euro so viel Klimaschutz wie möglich. Deshalb machen wir Klimaschutz mit dem Kopf
und nicht mit dem Bauch, auch wenn es vielleicht nicht
so populär klingt wie bei Ihnen, Frau Höhn.
({22})
Ich komme zu dem, was hier zu den Kohlekraftwerken gesagt wurde. Das, was Sie hier abliefern, ist ja ein
Antrag zu Datteln und nicht zur Schaffung eines Klimaschutzgesetzes.
({23})
Die FDP will langfristig Strom zu 100 Prozent aus erneuerbaren Energien, aber wir werden das nicht von
heute auf morgen schaffen. Denn das, was Frau Dött gesagt hat, ist richtig: Wir sind ein Industrieland. Daher
brauchen wir eine preisgünstige und verlässliche Versorgung.
Trotz aller Freude, die ich an den Erneuerbaren habe,
muss ich feststellen, dass wir es heute mit Wind und
Sonne alleine nicht schaffen. Wenn man jetzt die Kohlekraftwerke verbieten will - das wollen Sie ja erst für den
Neubau und, wie wir aus einem anderen Antrag von Ihnen wissen, ab 2015 de facto auch für den Bestand -,
dann ist das nichts anderes als ein Anschlag - ({24})
- Natürlich! Ein Wirkungsgrad von 58 Prozent, den Sie
fordern, kommt doch einem Verbot gleich. Sagen Sie
doch den Leuten, was Sie wollen,
({25})
und führen Sie sie nicht hinter die Fichte! Es ist doch unredlich, was Sie hier betreiben!
({26})
Meine Damen und Herren, wer den Neubau und den
Bestand von Kohlekraftwerken so angreift, wie es die
Grünen tun, der will den Industriestandort NordrheinWestfalen niedermachen
({27})
und der wird bewirken, dass die Kohlekraftwerke, die
wir heute haben, am Netz bleiben. Dann sind Sie dafür
verantwortlich, dass wir in diesem Land mit den Dreckschleudern weitermachen und nicht mit modernen Kraftwerken, wie es die Landesregierung von NordrheinWestfalen will.
({28})
Die Landesregierung von Nordrhein-Westfalen will
mit ihrem Kraftwerkserneuerungsprogramm die CO2Emissionen drastisch senken. Wenn Sie das nicht wollen, dann sind Sie keine Klimaschutzpartei, sondern eine
Partei, die aus ideologischen Gründen versucht, ihre Interessen für einen kurzfristigen Erfolg bei der Wahl
durchzusetzen. Wenn die Grünen am Sonntag in die Regierung kommen - Herr Schwabe ist sich ja offensichtlich nicht so sicher, mit wem -, dann muss man sich darüber im Klaren sein,
({29})
dass die Energiepolitik in Nordrhein-Westfalen so umgestaltet wird, dass es die von Ihnen genannten Klimakiller
länger geben wird. Es wird nicht zu einem Abschalten
kommen - das werden Sie nicht durchbekommen -, aber
Sie werden den Neubau verhindern, und dann bleibt
mehr CO2 aus den Kohlekraftwerken.
({30})
Das ist Ihr Plan. Das wird bei einer grünen Regierung
rauskommen.
({31})
Ihre Argumente sind schwach. Die Kohlekraftwerke
verstopfen nicht das Netz. Wir stehen für den unbegrenzten Einspeisevorrang für erneuerbare Energien. Kohlekraftwerke konkurrieren dann nicht mit Erneuerbaren,
sondern mit der Kernkraft. Dann wird der Markt entscheiden, welche Technologien neben den erneuerbaren
Energien noch im Markt bleiben.
({32})
Liebe Frau Höhn, auch Ihre Aussage zu den Quoten
von Erneuerbaren in dem einen oder anderen Bundesland ist Quatsch;
({33})
denn: Es gibt Bundesländer, wo der Wind weht, zum
Beispiel an der Küste. Es gibt Bundesländer, wo der
Raps wächst, zum Beispiel in Niedersachsen.
({34})
Und es gibt Bundesländer, wo die Sonne mehr scheint,
zum Beispiel in Bayern. Es ist völliger Quatsch, die
Bundesländer miteinander zu vergleichen, denn sie haben unterschiedliche Voraussetzungen.
({35})
Auch die Mitgliedstaaten in Europa haben unterschiedliche Vorgaben für die Erneuerbaren, weil die natürlichen
Voraussetzungen unterschiedlich sind.
({36})
Der Innovationsminister von Nordrhein-Westfalen ist
einer der großen Förderer der erneuerbaren Energien.
({37})
Wir als schwarz-gelbe Landesregierung haben es mit der
Forschungsanstalt in Jülich geschafft, bei den Solarturmkraftwerken vorne zu sein. Wir bringen die Technologie aus Nordrhein-Westfalen in die afrikanische
Wüste, um das Desertec-Projekt zu realisieren. Das ist
an dieser Stelle unser Beitrag als schwarz-gelbe Regierung für Nordrhein-Westfalen.
({38})
Da können Sie noch so viel zetern, wie Sie wollen.
({39})
Nordrhein-Westfalen war gerade im Innovationsbereich
noch nie so stark wie zur jetzigen schwarz-gelben Regierungszeit in Nordrhein-Westfalen.
({40})
Meine Damen und Herren, abschließend noch einige
Worte zum Antrag der Linken: Wir als FDP werden ein
Klimaschutzgesetz im Zusammenhang mit der Überprüfung der Meseberger Beschlüsse sehr ernsthaft prüfen.
({41})
Wir machen aber kein Placebo-Gesetz. Ihr Antrag strotzt
doch vor Vorschlägen, wie man Klimaschutz möglichst
teuer macht: kein CDM, keine Anrechnung von Waldprojekten und das Ganze mit möglichst wenig Emissionshandel. Sie wollen Ideologie und nicht möglichst
viel Klimaschutz für jeden Euro.
({42})
Die Kollegin Eva Bulling-Schröter hat jetzt das Wort
für die Fraktion Die Linke.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Im Gegensatz zu Großbritannien sind in Deutschland die
nationalen Klimaschutzziele eben nicht gesetzlich verankert, sondern werden von den Regierungen nur verkündet. Darum fordern wir die Bundesregierung in unserem Antrag auf, ein Klimaschutzgesetz vorzulegen.
Angesichts der Reden der Koalition merke ich, wie notwendig das ist.
({0})
Wir halten ein solches Gesetz für überfällig, denn in
Deutschland besteht momentan das Problem, dass die
Klimaschutzziele von der Regierung ohne Mitwirkung
des Parlaments geändert werden können. Zudem bleiben
Abweichungen folgenlos, wie das Beispiel der weit
verfehlten Selbstverpflichtung - darum sind Selbstverpflichtungen so schädlich - in Deutschland zeigt, den
CO2-Ausstoß bis 2005 gegenüber 1990 um 25 Prozent
zu mindern.
Beim Langfristziel sollten wir uns einig sein; denn
darüber herrschte in diesem Hause schon seit langem
Konsens. Mindestens 90 Prozent der Treibhausgase sollten bis 2050 gegenüber 1990 eingespart werden. Das ist
auch notwendig, um den Klimawandel in beherrschbare
Bahnen zu lenken. Bei den Zielen bis 2020 halten wir allerdings nicht nur eine Minderung um 40 Prozent für erforderlich, sondern eine Halbierung.
({1})
Der Grund: Die Treibhausgasemissionen Deutschlands lagen laut Umweltbundesamt im Jahr 2009 infolge
der Wirtschaftskrise um 8,4 Prozent unter denen von
2008. Der Rückgang gegenüber 1990 wird vom Umweltbundesamt mit 29 Prozent angegeben. Aus Sicht des
Klimaschutzes erleichtert es uns diese Entwicklung, die
nationalen Ziele auf ein ambitioniertes Niveau anzuheben, ein Ziel, welches den klimapolitischen Forderungen
an die Bundesrepublik und ihrer stets betonten Vorreiterrolle gerecht wird. Das sind unseres Erachtens 50 Prozent. Sie sind zu schaffen.
({2})
Weil wir gerade bei den Zielen sind: Ich freue mich,
dass der Umweltminister am Wochenende auf dem
Petersberg für ein bedingungsloses 30-Prozent-Ziel der
Europäischen Union geworben hat. Aber ich habe leider
das Gefühl, dies findet in der Bundesregierung keinen
Konsens. Wenn es ernst wird, hat Deutschland im Rat immer für die 20-Prozent-Position gestimmt. Auf 30 Prozent
soll schließlich erst nach einem internationalen Klimaabkommen aufgestockt werden. Das liegt leider noch in
weiter Ferne.
Dabei wäre die Minderung von 30 Prozent nicht nur
zu schaffen, sondern auch kaum teurer, als es das Erreichen der 20-Prozent-Zielmarke vor der Wirtschaftskrise
war. Das sagt die EU-Kommission und spricht von „relativ niedrigen Zusatzkosten“. Kein Wunder, denn die
Emissionen sind in ganz Europa krisenbedingt rückläufig.
Dass Deutschland auch aus eigener Kraft den Umbau
des Energiesystems schaffen kann, zeigte das Expertengremium der Bundesregierung am Mittwoch dieser Woche auf. Der Sachverständigenrat für Umweltfragen
macht klar: Der Umbau zu einer Vollversorgung mit regenerativen Energien ist machbar und könnte bis 2050 in
jeder Stunde zuverlässig grünen Strom liefern.
({3})
Er ist mit rund 7 Cent je Kilowattstunde Gestehungskosten auch bezahlbar, Herr Kauch. Sie sagen immer, dass
grüner Strom sehr viel kostet. Zweifeln Sie doch nicht an
den Aussagen Ihres Gremiums. Zudem bescheinigen die
eigenen Experten der Bundesregierung Politikversagen;
denn diese macht genau das Gegenteil von dem, was
notwendig wäre, um zügig zu einer Vollversorgung mit
regenerativen Energien zu kommen.
Was sagen die Experten jetzt? Keine Laufzeitverlängerung von AKW! Keine neuen Kohlemeiler mit CCS!
CCS ist die Verpressung von CO2 unter dem Boden; das
sage ich für diejenigen, die diesen Ausdruck noch nicht
kennen. All das wird für den Weg in die Vollversorgung
mit erneuerbaren Energien überhaupt nicht gebraucht, so
sagt das Gremium, nicht irgendjemand. Das ist der Kern
des Gutachtens. Das ist seit langem der Standpunkt auch
meiner Fraktion, der Linken.
({4})
Die Sachverständigen sagen weiter, das alles sei nicht
nur überflüssig, sondern sogar schädlich, denn die Sauriertechnologien sind mit einem vorrangig auf Wind und
Sonne ausgerichteten Energiesystem inkompatibel.
Natürlich: Die erneuerbaren Energien brauchen noch
lange konventionelle Kraftwerke neben sich, aber aufgrund ihrer naturgemäß schwankenden Einspeisung
brauchen sie ein flexibles Kraftwerkssystem neben sich,
ein System mit Anlagen, die schnell hoch- und heruntergefahren werden können. Technisch und ökonomisch
kommen dafür allenfalls Gaskraftwerke infrage, aber niemals Grundlastkraftwerke wie Kohle- und Atommeiler.
({5})
Durch die teure Technologie zur Abscheidung und
unterirdischen Verklappung von Kohlendioxid würde
das überkommene Energiesystem nicht nur verfestigt,
sie wäre in jedem neuen Kohlekraftwerk, in dem sie eingesetzt würde, auch ökonomisch eine Fehlinvestition.
({6})
Die Kraftwerke müssten - etwa bei starkem Wind oft still stehen. Das habe ich mir nicht ausgedacht. Das
sagen Wissenschaftler, und das müssen Sie von der CSU
auch einmal akzeptieren, auch wenn Sie eine andere
Meinung haben.
({7})
Die Bundesregierung sollte die Warnungen des Sachverständigenrates für Umweltfragen - das ist im Übrigen
Ihrer und nicht der von den Linken - ernst nehmen.
({8})
Mit ihrer Fixierung auf Laufzeitverlängerung, Kohle und
CCS bahnt sie Rahmenbedingungen an, die zu einer kostspieligen Unterauslastung konventioneller Kapazitäten
führen. Dadurch wird der Übergang zu Vollversorgung
mit regenerativen Energien aber verteuert. Mit dieser
Politik wird wieder einmal Volksvermögen verschleudert.
({9})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, nun hat die Bundesregierung ja drei Gutachten zum Energiekonzept in
Auftrag gegeben, und wir sind auf die Ergebnisse gespannt. Obwohl - das ist die Frage -: Sind wir das wirklich? - Wir wissen ja, dass bei einem solchen Gutachten
in der Regel das hinten herauskommt, was man vorne hineingesteckt hat.
Was wurde denn da hineingesteckt? - Laut einem Papier des Bundeswirtschaftsministeriums ist es eben nicht
das Ziel, zu untersuchen, welche konventionellen Energien wir abnehmend eigentlich noch brauchen, um das
rasante Wachstum im Bereich der erneuerbaren Energien
zu begleiten. Nein, es ist genau umgekehrt: Längere
AKW-Laufzeiten von 4, 12, 20 und 28 Jahren wurden fix
gesetzt. Die Zukunftsenergien wurden dagegen lediglich
als variable Restgröße definiert, die sich als Ergebnis der
Laufzeitverlängerung dann halt so ergibt. Wenn das eine
unabhängige Expertise sein soll, dann gute Nacht!
({10})
Noch ein Wort zur internationalen Dimension des
Klimaschutzes und damit auch zurück zum Klimaschutzgesetz: Die Linke fordert in einem solchen Gesetz auch
Eckpunkte für langfristige Finanztransfers in Entwicklungsländer für Klimaschutz und Anpassung. Dies und
Technologietransfers waren ja auch auf dem Petersberg
ein Schwerpunktthema. Allerdings hat Herr Röttgen die
Gelder, die bereits in anderen Zusammenhängen zugesagt wurden, hier schon wieder neu verpackt. Das lief in
den Haushaltsberatungen kürzlich ja ähnlich. Schließlich
will die Bundesregierung von den in Kopenhagen zugesagten 420 Millionen Euro jährlich jene 70 Millionen
Euro anrechnen lassen, die sie schon auf der CBD-Konferenz 2008 für den internationalen Waldschutz versprochen hatte.
Wir fordern, dass die Entwicklungsländer durch mehr
deutsche Finanzhilfen unterstützt werden, und zwar bei
der Umsetzung der Strategien zu einer emissionsarmen
Entwicklung und zur Anpassung an den Klimawandel.
Geld ist da! Unterstützen Sie nicht nur die Banken, sondern gehen Sie dort ein Stück zurück. Holen Sie die Soldaten aus Afghanistan, dann haben wir endlich auch
Geld für den Klimaschutz.
({11})
Wir wollen frisches Geld und keine recycelten Versprechen. - So weit zu unserem Antrag.
Der Antrag der Grünen zum Klimaschutz in Bund
und Ländern, der heute zur Debatte steht, gehört natürlich zum Wahlkampf. Ich finde das auch richtig; wir
verstehen das Anliegen. Der Rückstand beim Klimaschutz ist in Nordrhein-Westfalen ja tatsächlich enorm.
Beim Anteil am Ökostrom liegt das Land mit 6 Prozent
dramatisch unter dem Bundesdurchschnitt von 16 Prozent. In meinem Heimatland Bayern ist das ja ähnlich.
Im Osten und im Norden sind die Länder, die die Lasten
beim Ausbau erneuerbarer Energien schleppen bzw.,
besser gesagt, die Chance ergreifen; denn hier und leider
eben nicht an Ruhr und Rhein entstehen zukunftsfähige
Arbeitsplätze im Energiebereich. Wir wollen dort aber
diese Arbeitsplätze haben.
({12})
Die Lex Eon, die Herr Rüttgers beschließen ließ, ist
ein Skandal, und zwar nicht nur klimapolitisch, weil damit ein fossiles Kraftwerk in Datteln durchgeboxt werden soll, das nach der alten Gesetzgebung gar nicht mehr
möglich gewesen wäre. So hat das Oberverwaltungsgericht Münster einen Baustopp für das Kohlekraftwerk
verhängt. Es ist auch aus demokratischer Sicht unverschämt, wenn eine fortschrittliche Umweltgesetzgebung
genau dann kassiert wird, wenn es ernst wird, und das
nur, um einen Großkonzern zu befriedigen.
Ich habe schon verstanden, warum Herr Kauch vorhin
so wütend war.
({13})
Natürlich will die Linke eine konsequente Politik für
Nordrhein-Westfalen: Wir wollen die Macht der Konzerne brechen. Es ist einfach lachhaft, wenn Sie sich hinstellen und so tun, als ginge es Ihnen um die Armen, die
nicht noch mehr Geld für Energie bezahlen können. Was
ist denn mit Hartz IV? Was macht denn Ihre Partei da?
Wo entstehen denn zusätzliche Kosten für Energie? Wo
schöpfen Sie denn die Windfall-Profite ab? Was ist mit
den Zertifikaten, die zwar nach wie vor den großen Konzernen geschenkt, aber dennoch bei den Stromkosten
eingepreist werden?
({14})
Sie sind eben nicht bereit, hier Maßnahmen zu ergreifen.
Man sollte den Wählerinnen und Wählern im Hinblick auf die Konzerne sagen: Wenn ein abgeschriebenes
AKW einen Tag länger läuft, bringt das dem Konzern
1 Million Euro Profit. Ich denke, wir brauchen diese
Gelder für regenerative Energien, für den sozialökologischen Umbau. Das ist dringend notwendig.
In diesem Sinne: Danke.
({15})
Für die CDU/CSU-Fraktion hat das Wort der Kollege
Dr. Thomas Gebhart.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Es ist kein Zufall, dass drei Tage vor der Wahl
in Nordrhein-Westfalen auf Antrag der Grünen hier im
Bundestag eine Debatte zu einem eigentlich landespolitischen Thema stattfindet. Das ist leicht durchschaubar.
({0})
Es ist der Versuch, hier Landtagswahlkampf zu betreiben. Um der Sache einen bundespolitischen Bezug zu
geben, verbinden Sie das Ganze mit der Forderung nach
einem nationalen Klimaschutzgesetz. Ich will gern auf
diesen Punkt eingehen.
Die Forderung nach einem Klimaschutzgesetz - das
gebe ich ernsthaft zu - klingt zunächst gut; aber ich frage
mich - dazu schweigt Ihr Antrag -, was der Inhalt dieses
Gesetzes sein soll und worin sein Mehrwert bestehen
soll.
({1})
Ich bin der Meinung: Wenn man das hier vorbringt,
müsste man dazu ein paar Sätze sagen.
({2})
Es ist nicht so, dass wir im Bereich des Klimaschutzes
untätig wären. Im Gegenteil: Diese Koalition steht für
ambitionierten Klimaschutz in diesem Land. Wir wollen
die Treibhausgasemissionen bis zum Jahr 2020 um
40 Prozent reduzieren. Deutschland ist Vorreiter in Sachen Klimaschutzpolitik. Dabei soll es bleiben.
({3})
Dabei haben wir ein klares Leitbild: Wir wollen eine
nachhaltige Politik betreiben, die über den Tag hinausgeht. Wir wollen Umwelt, Wirtschaft und soziale Aspekte
in Einklang bringen.
({4})
Das ist die große Herausforderung, vor der wir stehen.
Zugleich birgt sie eine große Chance für die nächsten
Jahre in diesem Land; denn ich bin absolut davon überzeugt: Je effizienter wir künftig mit knappen Ressourcen
umgehen, je besser wir es schaffen, uns immer wieder
als Spitzenreiter bei sauberen, umweltfreundlichen Technologien zu behaupten,
({5})
desto besser sichern und schaffen wir die Arbeitsplätze
von morgen.
({6})
Deutschland ist auf dem Weg.
({7})
Mit integrierten Energie- und Klimaprogrammen wurden
wichtige Punkte in Angriff genommen. Viele Maßnahmen
greifen. Nicht nur der Staat ist aktiv; viele Unternehmen,
viele einzelne Bürgerinnen und Bürger in diesem Land
leisten enorm viel. Wir bleiben nicht stehen; wir gehen
weiter.
({8})
Die Maßnahmen des Energieprogramms werden überprüft. Im Herbst dieses Jahres wird hier ein Energiekonzept vorgelegt. Auch hier gilt: Unser Leitbild - das, was
unsere Politik trägt - ist das Prinzip der Nachhaltigkeit.
({9})
Wir wollen eine Energieversorgung, die auf der einen
Seite sicher und verlässlich ist - das ist wichtig -, die auf
der anderen Seite aber auch unter ökologischen Gesichtspunkten vernünftig gestaltet wird. Es ist wichtig,
dass die Preise für die Verbraucher und für die Industrie
am Ende bezahlbar bleiben. Das Ganze muss sich auch
unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten in einem vernünftigen Rahmen bewegen.
({10})
Lassen Sie mich vier Punkte ansprechen, die in diesem Zusammenhang ganz besonders wichtig sind. Erstens. Es wird in diesem Hause wahrscheinlich einen
breiten Konsens darüber geben, dass wir zunächst verstärkt auf Energieeffizienz setzen; denn die Potenziale
sind groß.
({11})
Zweitens. Wir setzen vor allem auf Forschung und
Entwicklung. Ich nenne als Beispiel die Speichertechnologien, die immer wichtiger werden, wenn wir den
Bereich der erneuerbaren Energien vorantreiben wollen,
und das wollen wir. Forschung und Entwicklung sind der
Schlüssel zur Lösung der Probleme. Deswegen diskutieren wir die Themen Umwelt und Klimaschutz nicht
rückwärts gewandt, sondern nach vorne gerichtet. Wir
begreifen das als eine Chance für die Modernisierung
unseres Landes.
({12})
Mein dritter Punkt hängt eng mit den ersten beiden
zusammen. Wir wollen die Entwicklung im Bereich der
erneuerbaren Energien massiv voranbringen. Wir wollen den Anteil der erneuerbaren Energien Schritt für
Schritt ausbauen, und ich sage an dieser Stelle ausdrücklich: Dazu gehört auch der Ausbau der Solarenergie. Es
ist absolut kein Widerspruch, wenn wir die Solarstromvergütung anpassen. Der Punkt ist schlicht und ergreifend der, dass die Preise für Solaranlagen deutlich gesunken sind, was gut ist. Deswegen passen wir die
Vergütung an. Das ist richtig; denn jeder einzelne Verbraucher zahlt die Vergütung über die Stromrechnung
mit. Nicht zu handeln wäre völlig unverantwortlich.
({13})
Viertens. Es macht aus meiner Sicht keinen Sinn,
wenn wir die Kernkraftwerke abschalten und sie durch
Energieimporte oder durch zusätzliche Kohlekraftwerke
ersetzen. Die SPD will das aber. Ihr Parteivorsitzender
hat das immer wieder gesagt. Wir würden aber, wenn wir
diesen Schritt gingen, die Klimaschutzziele nicht erreichen. Deswegen hat für uns die Kernkraft eine Brückenfunktion hin zu den erneuerbaren Energien.
({14})
Wir wollen die Kernkraft durch erneuerbare Energien ersetzen. Das macht Sinn. Klar ist auch: Sicherheit hat immer absolute Priorität.
Wenn wir es schaffen, die aus der Laufzeitverlängerung resultierenden Zusatzerlöse zu nutzen,
({15})
um sie in die Erforschung erneuerbarer Energien zu stecken, dann können wir den Weg hin zu den erneuerbaren
Energien am Ende noch schneller gehen. Ich glaube, das
macht Sinn. Es ist insgesamt ein vernünftiger Weg.
({16})
Ich bringe es auf den Punkt: Der von Ihnen eingebrachte Antrag, der Anlass der heutigen Debatte im Deutschen Bundestag ist, ist reines Wahlkampfgetöse kurz vor
der NRW-Wahl. Mehr ist es nicht. Meine Antwort darauf
ist: Diese Koalition steht für eine nachhaltige Politik, auch
für eine nachhaltige Energiepolitik, die verantwortbar ist.
({17})
Das ist unser Grundsatz. Daran werden wir in den nächsten Jahren festhalten.
Danke schön.
({18})
Ulrich Kelber hat das Wort für die Fraktion der SPD.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Töpfer, Merkel, Trittin, Gabriel - vier deutsche
Umweltminister in Folge haben sowohl national als auch
international etwas beim Klimaschutz bewegt, und
manchmal durchaus auch gegen Widerstände aus dem
eigenen Kabinett. Nach 190 Tagen, also nach etwas
mehr als einem halben Jahr, ist es gerechtfertigt, eine
Zwischenbilanz der Tätigkeiten des aktuellen Bundesumweltministers zu ziehen: Dafür, dass es international schwieriger geworden ist, Fortschritte im Klimaschutz zu erreichen, trägt der Bundesumweltminister
nicht die Verantwortung. Aber dafür, dass Deutschland
beim Klimaschutz zurückfällt, dass wir von einem international geschätzten Partner nördlicher und südlicher
Staaten zum unglaubwürdigen und unzuverlässigen
Kantonisten geworden sind, trägt er, der auf den Konferenzen verhandelt hat, alleine die Verantwortung.
({0})
Kopenhagen war das Debüt von Norbert Röttgen. Er
hat in der Woche zuvor hier im Bundestag zugelassen,
dass Deutschland zum ersten Mal in der Zeit, in der wir
über Klimaschutz debattieren, die Position eingenommen hat, dass die Mittel für den Klimaschutz mit den zugesagten Mitteln für die Armutsbekämpfung zu verrechnen sind. Es war doch kein Zufall, dass die Länder des
Südens diesen Zusagebruch der Kanzlerin bemerkt haben, die noch wenige Monate zuvor etwas anderes versprochen hatte. Deutschland hat zum ersten Mal in der
Zeit von Klimakonferenzen die Negativauszeichnung
Fossil of the Day bekommen. Ich habe mich an diesem
Tag geschämt. Ich hoffe, dass das nie wieder vorkommt.
({1})
Dann kam die Kopenhagen-Konferenz mit all ihren
nicht zufriedenstellenden Ergebnissen. Deutschland hat
auf der Kopenhagen-Konferenz die Zusage gegeben,
jährlich zusätzlich 420 Millionen Euro für den Klimaschutz vor allem in Projekten mit den Entwicklungsländern bereitzustellen. Der Haushaltsentwurf, den die
schwarz-gelbe Regierung wenige Wochen später in den
Bundestag eingebracht hat, sah zunächst null Euro vor,
also nicht 420 Millionen Euro, sondern null. Es ging nur
um Umetikettierungen von Programmen. Auf Druck der
Opposition wurden dann im Haushaltsausschuss wenigstens 70 Millionen Euro eingestellt, also ein Sechstel der
zugesagten Summe. Mit dieser Hypothek wird Deutschland in die Konferenz in Bonn Ende dieses Monats gehen, Frau Dött. Das ist die eigentliche Konferenz; Sie
haben die Wahlkampfkonferenz „Klimadialog“ damit
verwechselt. Die Länder des Südens wissen nun: Die
erste Zusage wurde gebrochen. Dann gab es in Kopenhagen eine neue Zusage. Diese wurde wenige Wochen später wieder gebrochen. - So werden wir kein Partner sein.
Sie leugnen das bisher im Bundestag. Zum Glück ist der
Bundesumweltminister ehrlicher als die Fraktion. Er hat
in einem Interview gesagt: Jawohl, in den 1,2 Milliarden
Euro sind die 500 Millionen Euro, die wir auf der Biodiversitätskonferenz zugesagt haben, schon eingerechnet. - Das heißt, er gibt zu, dass diese Mittel nicht zusätzlich zur Verfügung gestellt werden.
Dann gab es den Klimadialog auf dem Petersberg.
Das habe ich zuerst gut gefunden; denn das ist die gemeinsame Heimat von Norbert Röttgen und mir. Ich
fand auch das dort vorgeschlagene Prinzip gut. Es hat
unsere Unterstützung gehabt. Auch hier hatten Ort und
Zeitpunkt natürlich überhaupt nichts mit dem Wahlkampf in Nordrhein-Westfalen zu tun. Das war sicherlich reiner Zufall, genauso wie heute, wo über Themen
aus NRW gesprochen wird. Aber wie kann man so
wahnsinnig sein, Umweltminister aus 45 Ländern unter
dem Motto „Jetzt handeln statt nur verhandeln“ einzuladen und gleichzeitig an den drei Konferenztagen wichtige Klimaschutzmaßnahmen in Deutschland - zum Teil
rückwirkend - zu stoppen? Das heißt, Menschen, die
sich bei Miniblockheizkraftwerken und Pelletheizungen
auf zugesagte Zuschüsse verlassen haben, erfahren nachträglich, dass nun nicht mehr gefördert wird. Dieser Vertrauensverlust, der bei den Investitionen ausgelöst wird,
wird noch viele Monate und Jahre nachwirken.
Zu Recht hat das Handwerk Schwarz-Gelb den Kopf
gewaschen. Allein hier sind mehrere Zehntausende Arbeitsplätze bedroht. Wenn Sie Mitte des Sommers das
Wärmedämmungsprogramm auslaufen lassen, sind weiUlrich Kelber
tere Arbeitsplätze gefährdet. Auf der Website des Umweltministeriums steht, dass das Wärmedämmungsprogramm 290 000 Arbeitsplätze sichert. Das bedeutet im
Umkehrschluss: Wenn das Wärmedämmungsprogramm
gestoppt wird, Herr Kauch, dann sind 290 000 Arbeitsplätze gefährdet. So viel zu Ihrer Propaganda. Man muss
einfach nur nachrechnen.
({2})
Die Meldungen über das umweltpolitische Verhalten
Deutschlands mögen durch die Debatte über Griechenland verdeckt worden sein. Aber Sie können sicher sein:
Die Unterhändler der anderen Staaten bekommen ganz
genau mit, was wir machen. Wenn wir fordernd auftreten
und von ihnen verlangen, zu handeln, dann wird man uns
die Rechnung präsentieren und darauf verweisen, dass
das umweltpolitische Engagement der Deutschen abnimmt. Herr Gebhart hat gerade gesagt, Deutschland
werde die Energieeffizienz steigern. Auch hier werden
wir genau beobachtet. Das Technologieführerland
Deutschland einigt sich unter Schwarz-Gelb darauf, bei
der Energieeffizienz nicht mehr zu machen, als der Minimalkonsens auf europäischer Ebene vorsieht, nämlich
eine Eins-zu-eins-Umsetzung. Das heißt, das Technologieführerland Deutschland mit seinen Spitzentechnologien will bei der Energieeffizienz nur so viel machen,
wie sich das ärmste Beitrittsland in der Europäischen
Union leisten möchte. Mehr machen Sie nicht. Wie wollen wir damit die Technologieführerschaft auf Märkten
behalten, in die unsere Konkurrenten aus Korea, China,
Japan, Brasilien und den USA Geld stecken und auf denen sie Umweltpolitik vor Ort machen?
In Europa verhandeln bis heute die Beamten der Bundesregierung dagegen, ambitionierte Energieeffizienzziele in die neuen europäischen Verträge aufzunehmen.
Deutschland ist doch der Bremser. Sprechen Sie einmal
mit den Delegationen aus anderen Ländern. Die wundern sich darüber, dass die Deutschen, die ihnen früher
immer gesagt haben: „Wir müssen uns hohe Ziele setzen, damit wir auch wirtschaftlich weiterkommen“, jetzt
auf einmal dagegen sind und sagen: Wir wollen nichts
Derartiges in die Verträge aufnehmen. - Wir gelten bereits als unzuverlässig. Es ist wichtig, dass der Umweltminister beim Klimaschutz allmählich in die Spur
kommt; ansonsten ist er den Schuhen seiner vier Vorgängerinnen und Vorgänger nicht gewachsen.
In einem der Anträge ist die Forderung nach einem
Klimaschutzgesetz enthalten. Deutschland hat in der Tat
lange das Schritttempo vorgegeben. Derzeit leben wir
aber von den früher ergriffenen Maßnahmen. Wir brauchen wieder mehr Tempo. Wir brauchen mehr Verlässlichkeit. Wir brauchen mehr Planungssicherheit. Vor allem aber brauchen wir verbindliche Zielmarken und klar
definierte Zwischenziele auf dem Weg dorthin. Deshalb
ist die Sozialdemokratie für ein nationales Klimaschutzgesetz mit klaren Eckpunkten: minus 40 Prozent
Ausstoß von Treibhausgasen bis 2020, minus 80 bis minus 95 Prozent bis 2050. Das nationale Klimaschutzgesetz soll Regierung und Parlament zwingen, diese Ziele
immer wieder zu überprüfen und nachzusteuern, wenn
man nicht auf dem richtigen Weg ist. Wir brauchen einen
Anreiz für Forschung und Innovationen.
Wir haben, anders als Linke und Grüne, heute keinen
Antrag zu einem Klimaschutzgesetz eingebracht, weil
wir uns für einen mühsameren, aus meiner Sicht aber
zielführenderen Weg entschieden haben. Bärbel Höhn,
wir haben bereits vor einigen Wochen mit breiter Beteiligung von Zivilgesellschaft, Wissenschaft, Verbänden
und Unternehmen eine Initiative gestartet. Wir haben einen Fragenkatalog zu einem nationalen Klimaschutzgesetz verschickt und einen superguten Rücklauf - hochinteressant. In der nächsten Sitzungswoche haben wir eine
große Anhörung, bei der wir die Anregungen aufnehmen
werden. Danach kommen wir auf Basis dieser breiten
Beteiligung mit einem gesellschaftlich breit unterstützten Vorschlag hier ins Plenum. Schwarz-Gelb wird sich
wundern, wen man alles auf der Liste der Unterstützerinnen und Unterstützer eines nationalen Klimaschutzgesetzes wiederfinden wird. Das sind nicht nur die üblichen
Verdächtigen, die bei Ihnen in eine Schublade gehören.
Das sind auch Partner, die Sie als Ihre Klientel ansehen.
Leider nicht ganz so öffentlich wird das Umweltministerium das unterstützen.
Ich finde es schon interessant, dass Sie, Frau Dött, als
umweltpolitische Sprecherin der CDU/CSU-Fraktion sagen: „Mit uns gibt es kein nationales Klimaschutzgesetz“, während Herr Kauch als Sprecher der FDP sagt:
„Wir werden prüfen“ und im Umweltministerium - Frau
Reiche, als Parlamentarische Staatssekretärin können Sie
das wahrscheinlich bestätigen - bereits die Eckpunkte
eines nationalen Klimaschutzgesetzes geprüft werden.
Herr Kauch, ich glaube, Sie müssen mit Ihrem Koalitionspartner und Ihrem Minister reden. Aber bitte ein
bisschen ruhiger als vorhin in Ihrer Rede; jeder Psychologe hätte sie als Angstrede interpretiert.
({3})
Es wundert mich allerdings nicht, dass Sie hier NRWWahlkampf machen: 15 Prozent noch bei der Bundestagswahl; heute käme die FDP nach einer Umfrage auf
nur noch 6 Prozent. Das ist schon eine Größenordnung,
die einem Angst machen kann; das gebe ich zu.
({4})
Natürlich ist NRW ein Punkt, der heute ansteht, und
zwar wegen der Tatsache, dass das größte Bundesland
der Bundesrepublik Deutschland - als Bonner Abgeordneter komme auch ich aus Nordrhein-Westfalen -, während die Kopenhagen-Konferenz lief, auf einmal den
Klimaschutz aus der Landesgesetzgebung gestrichen
hat. Glauben Sie, das hat in Kopenhagen keiner mitbekommen? Nordrhein-Westfalen war unter sozialdemokratischen Regierungen Energieland Nummer eins, und
zwar nicht nur in Sachen Stromproduktion, sondern auch
in Sachen Technologie. Unter Johannes Rau hat Nordrhein-Westfalen mit dem REN-Programm als erstes
Bundesland auf erneuerbare Energien gesetzt, das Wuppertal-Institut und die Landesenergieagentur gegründet
und mit Unterstützung des Landes gegen die Strompreis3844
aufsicht die kostengerechte Vergütung in Aachen und
Bonn eingeführt; das war der kommunale Vorläufer des
Erneuerbare-Energien-Gesetzes. Jetzt haben wir fünf
Jahre Schwarz-Gelb. Jetzt steht NRW auf Platz zwölf bei
den erneuerbaren Energien; wir waren noch vor wenigen
Jahren auf Platz eins. Wir haben keinen starken Heimatmarkt mehr, weil wir die neuen Windanlagen nicht aufstellen dürfen, weil Sie Höhenbeschränkungen eingeführt haben. Was glauben Sie: Wie lange halten wir
unsere starke Zulieferindustrie in Nordrhein-Westfalen,
wenn es keinen Heimatmarkt mehr gibt? Die werden
ihre neuen Fabriken doch nicht da bauen, wo man ihnen
verbietet, ihre Produkte einzusetzen, sondern sie werden
dahin gehen, wo sie mit offenen Armen empfangen werden.
({5})
Die Laufzeitverlängerung für die Atomkraftwerke,
die Sie anstreben, wird Nordrhein-Westfalen doppelt und
dreifach schaden. Wir haben zwar keine Atomkraftwerke; aber in Nordrhein-Westfalen wird nicht mehr investiert, und da auch anderswo nicht investiert wird,
werden die nordrhein-westfälischen Technologien nicht
abgefragt werden. Wenn Sie mir das nicht glauben, bitte
ich Sie, wenigstens den folgenden drei Männern zu glauben: Der Erste ist Herr Dr. Böge, ehemaliger Präsident des
Bundeskartellamts. Gestern hat er auf einem Parlamentarischen Abend vor der Laufzeitverlängerung aus Sicht
Nordrhein-Westfalens und der Stadtwerke gewarnt. Der
Zweite ist Herr Mundt, der aktuelle Präsident des Bundeskartellamts. Auch er warnt vor einer Laufzeitverlängerung. Dann haben wir noch Herrn Dr. Heitzer, der bis Oktober Präsident des Bundeskartellamts war; jetzt ist er
beamteter Staatssekretär im Wirtschaftsministerium. Er
warnt ebenfalls vor einer Laufzeitverlängerung. - Wenn
Sie der Opposition nicht glauben, wenn Sie der Wissenschaft nicht glauben, wenn Sie den Stadtwerken nicht
glauben und wenn Sie den Vertretern des Bereichs der
erneuerbaren Energien nicht glauben, dann glauben Sie
wenigstens Ihrem eigenen Staatssekretär, dass Ihre Politik in eine Sackgasse führt.
Vielen Dank.
({6})
Marco Buschmann hat das Wort für die FDP-Fraktion.
({0})
Verehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! Der Kollege Jürgen Trittin hat
gestern nach der Regierungserklärung sehr viel Kritik
geübt. Einer seiner Hauptkritikpunkte war, der Wahlkampf in Nordrhein-Westfalen sei hier in Berlin offenbar
wichtiger als die Sache selbst. Mit Blick auf die heutige
Debatte und den Antrag der Grünen kann man nur sagen:
Er hat offenbar seine eigenen Absichten auf andere projiziert. Ihnen geht es ausschließlich um das Kraftwerk
Datteln 4; Ihr ganzer Antrag ist darauf zugeschnitten.
Das ist allerdings eine landesplanungsrechtliche Frage.
Was Sie hier betreiben, ist der Missbrauch der bundespolitischen Bühne für den Wahlkampf in NordrheinWestfalen.
({0})
Dazu kann man nur einen Satz sagen - er gehört eigentlich in Ihr Parteiprogramm -: Mit dem Finger erst auf
andere zeigen und es selber dann noch bunter treiben. So machen Sie Politik.
({1})
In der Sache trifft keine der Begründungen, die wir in
Ihrem Antrag lesen können, zu. Das gilt insbesondere für
das klimapolitische Argument. Denn die christlich-liberale Landesregierung in Nordrhein-Westfalen betreibt
aktiven Klimaschutz.
({2})
Datteln 4 ist Teil eines landesweiten Kraftwerkserneuerungsprogramms.
({3})
Das Ziel dieses Programms lautet wie folgt: Bis 2020
soll der CO2-Ausstoß um 33 Prozent gesenkt werden.
({4})
Alte Kraftwerke mit hohen Emissionen und niedrigem
Wirkungsgrad sollen vom Netz, und moderne Kraftwerke mit hohem Wirkungsgrad und niedrigen Emissionen sollen ans Netz.
({5})
Die alten Dreckschleudern sollen weg. Mit der Politik,
die Sie vorschlagen, erweisen Sie dem Klimaschutz einen Bärendienst, wenn Sie diese Hightechtechnologie
verhindern.
({6})
Im Übrigen schaden Sie auch meiner Heimat: nicht
nur Nordrhein-Westfalen, sondern auch der EmscherLippe-Region, wo das Kraftwerk Datteln 4 steht. Wir
brauchen für den Strukturwandel Hightechprojekte,
({7})
wir brauchen solche Leuchtturmprojekte, und wir brauchen bezahlbare Energie. Das wissen Sie genauso gut
wie ich. Aber dagegen wehren Sie sich.
({8})
Was Sie machen, konnte man im Spiegel von dieser
Woche nachlesen. Im Spiegel, der nicht gerade eine liberale Postille ist, war zu lesen:
Die Grünen haben Datteln intern zu einer strategischen Frage erkoren. … Wenn sie ein so großes
Kraftwerk kurz vor der Fertigstellung erledigen
können, so ihr Kalkül, würden Investoren in
Deutschland vom Bau ähnlicher Kraftwerke abgeschreckt.
({9})
Darum geht es Ihnen: Sie wollen Investoren gezielt verschrecken. Das ist die Absicht hinter Ihrem Antrag. Das
schadet uns.
({10})
Auch Ihr rechtliches Argument verfängt nicht. Sie behaupten, es sei ungewöhnlich, das Planungsrecht anzupassen, wenn es einem politisch gewünschten Projekt
entgegensteht. Dass das nicht stimmt, wissen Sie. Planungsrecht ist nämlich iterativ angelegt, also auf Anpassung.
({11})
Ich nenne Ihnen gerne ein Beispiel, das Sie wahrscheinlich nachvollziehen können. In Nordrhein-Westfalen,
aber auch im Bund haben wir schon hundert-, ja tausendfach Bebauungspläne angepasst,
({12})
wenn sie zum Beispiel einer politisch gewollten Klimaschutzsiedlung, einem politisch gewollten Solarkraftwerk oder einem politisch gewollten Windkraftwerk
entgegenstehen. Jedes Mal haben wir Bebauungspläne
angepasst.
({13})
Ich habe auf der ganzen Welt nicht einen Grünen gesehen, der in diesen Fällen aufgestanden ist und gesagt hat:
Dagegen habe ich rechtsstaatliche Bedenken. - Das, was
Sie hier machen, ist scheinheilig.
({14})
Kurzum: Ihr Antrag ist ein Wahlkampfpamphlet ohne
jede fachliche Überzeugungskraft.
({15})
Er ist eine Kampfansage an die Interessen NordrheinWestfalens und der Emscher-Lippe-Region.
({16})
Zum parlamentarischen Schicksal dieses Pamphlets
empfehle ich Ihnen frei nach Goethe: Alles, was derart
entsteht, ist wert, dass es zugrunde geht.
({17})
Für Bündnis 90/Die Grünen ergreift Oliver Krischer
das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Mehr als ein Drittel aller CO2-Emissionen Deutschlands
stammt aus NRW. Das allein macht deutlich: Ohne das
Mittun von NRW ist jede nationale Klimaschutzstrategie
von vornherein zum Scheitern verurteilt. Deshalb ist dieses Thema völlig zu Recht heute hier Gegenstand der
Debatte.
({0})
Aus NRW kommen nicht nur die meisten Emissionen.
Die Emissionen NRWs sind in den letzten Jahren - im
Gegensatz zum Bundesdurchschnitt - auch noch gestiegen, und sie werden weiter steigen, wenn die Kohlevorrangpolitik der schwarz-gelben Koalition in dieser
Weise weitergeht. Dass in NRW neue Kohlekraftwerke
gebaut werden, ist ja nur ein Teil der Wahrheit. Zur
Wahrheit gehört auch - Sie verschweigen das -: Die
Energiekonzerne legen ihre alten Anlagen nicht still.
Das zeigt das Beispiel Datteln. Eon erhöht die Kapazität
auf 300 Prozent; das können Sie nachlesen im Urteil des
Oberverwaltungsgerichts Münster. Das ist ein Skandal,
und das lässt jede aktive Klimaschutzpolitik von vornherein scheitern.
({1})
Die andere Seite der Medaille ist: NRW - Frau Höhn
hat es gesagt - gehört beim Ausbau der Nutzung der
erneuerbaren Energien zu den Schlusslichtern. In
NRW werden nur 6 Prozent des Stroms aus erneuerbaren
Energien erzeugt, und selbst da ist die Müllverbrennung
eingerechnet.
({2})
Es ist unglaublich, dass ein industrielles Kernland wie
NRW beim Ausbau der Nutzung der erneuerbaren Energien dermaßen hinterherhängt.
Für eine Nutzung der Kraft-Wärme-Kopplung hätte
Nordrhein-Westfalen wegen seiner hohen Industrie- und
Bevölkerungsdichte hervorragende Voraussetzungen.
Doch auch bei der Nutzung der Kraft-Wärme-Kopplung
ist NRW unterdurchschnittlich weit. Deshalb müssen wir
eine andere Politik in diesem Land machen. Der Bund
muss aktiv werden, er muss helfen, er muss mitsteuern,
damit dieses industrielle Kernland nach vorne kommt.
({3})
Wir haben eben gehört, was die aktuelle Politik der
Landesregierung ist: Man will weiter Vorrang für die
Kohle. - Die Kollegen von der Bundesebene - Herr
Kauch hat das deutlich gemacht - wollen das weiter unterstützen. Wie passt das zusammen: Sonnenenergie in
der Wüste und Windenergie auf dem Meer gewinnen
wollen, aber in Nordrhein-Westfalen den Strom aus
Kohle erzeugen? Diese Politik ist falsch und wird im
Endeffekt dazu führen, dass Nordrhein-Westfalen deindustrialisiert wird.
({4})
Meine Damen und Herren, es ist doch ein Irrsinn,
dass rund um den größten Ballungsraum Europas ein
Kranz aus neuen Kohlekraftwerken gebaut wird, die immer noch mehr als 50 Prozent der Energie in Form von
Wärme nutzlos in die Umgebung entweichen lassen,
während Millionen schlecht isolierter Wohnungen im
Ruhrgebiet teuer mit aus Russland importiertem Erdgas
geheizt werden. Die Zukunft besteht nicht darin, wie
RWE und Eon es tun, Kraftwerksblöcke mit einer Leistung von 1 000 Megawatt auf die grüne Wiese zu setzen.
Die Zukunftsvision, die die Industrie in Nordrhein-Westfalen, ja in ganz Deutschland voranbringt, besteht in der
dezentralen Nutzung erneuerbarer Energien in kleinen
Blockheizkraftwerken in Verbindung mit Kraft-WärmeKopplung.
Ich danke Ihnen.
({5})
Franz Obermeier spricht für die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Wahlkampfhilfe für die anstehende Wahl in NordrheinWestfalen hat in Berlin nichts verloren. Der Petersberg
ist ein geeigneterer Ort, über das Thema Klimaschutz zu
diskutieren.
Ich möchte nach meinem Vorredner zur Versachlichung der Debatte beitragen. Die Klimapolitik ist nämlich in der Tat ein interessantes und wichtiges Thema.
Für die CDU/CSU-Bundestagsfraktion hat die Klimapolitik einen sehr hohen Stellenwert.
Die Grünen fordern in ihrem Antrag, dass wir einen
„Gleichklang von Bund und Ländern beim Klimaschutz
sicherstellen“. Liebe Kolleginnen und Kollegen von den
Grünen, wenn ich durch die Lande reise, kann ich feststellen, dass an allen Ecken und Enden unseres schönen
Landes gebaut wird, um Energie einzusparen und das
Klima zu schützen: Auf den Dächern der Gebäude werden Fotovoltaikanlagen errichtet, und die Unternehmen
machen sich massiv Gedanken darüber, wie sie in ihren
Industrieanlagen Energie einsparen können. Man kann
zwar sagen, dass das aus ökonomischen Gründen geschieht; aber das ist mir in dem Fall egal. Jedenfalls passiert überall etwas. Das, was große Unternehmen wie
BMW und Audi in den zurückliegenden Jahren in Bezug
auf die Reduzierung der Verbrauchswerte ihrer Pkws getan haben und noch immer tun, kann sich, meine ich,
durchaus sehen lassen.
({0})
Wir liegen in diesem Hause, was die Zielsetzung betrifft, nicht allzu weit auseinander. Das ist meine Einschätzung der Diskussion der zurückliegenden Jahre.
Wenn es allerdings um die Frage der Instrumente geht,
teilen sich unsere Standpunkte, weil die Diskussion zu
diesem Thema in weiten Teilen dieses Hauses ideologisch geführt wird.
({1})
Ich möchte jetzt nicht über die Kernenergie reden,
sondern über die konkrete Frage, ob sich die Grünen in
Deutschland eine sichere Stromversorgung zu bezahlbaren Preisen ohne Kohleumwandlungssysteme vorstellen können.
({2})
Wir reden sehr viel über nachwachsende Rohstoffe, erneuerbare Energien und über die Frage, wann wir unser
Energieversorgungssystem so umstellen können, dass
wir möglichst viel, wenn nicht sogar bis zu 100 Prozent
des Energiebedarfs, aus nachwachsenden Rohstoffen
bestreiten können. Wir reden viel zu wenig über die Systeme, die wir brauchen, um mit den erneuerbaren Energien eine sichere Versorgung unseres Landes gewährleisten zu können.
({3})
Wir machen uns viel zu wenig Gedanken über die Frage
nach den Folgen, wenn die Stromwirtschaft zu 100 Prozent auf erneuerbaren Energien beruht.
({4})
Ich weiß nicht mehr, wer das Sachverständigengutachten angesprochen hat. Ich will Ihnen ohne jede Polemik sagen, Frau Höhn: Aus dem Sachverständigengutachten geht hervor, dass die Stromversorgung schon
heute zu 100 Prozent durch erneuerbare Energien möglich wäre. Das will ich nicht bestreiten, auch wenn ich es
nicht nachgerechnet habe. Dann bräuchten wir aber ungefähr das Vier- bis Fünffache dessen, was wir heute an
entsprechenden Erzeugungsanlagen haben.
({5})
Das sind die Fakten, mit denen man sich auseinandersetzen muss.
({6})
Ich will noch etwas zur Kohle sagen, das Ihnen auch
nicht gefallen wird. Wenn die Landesregierung und die
Stromwirtschaft in Nordrhein-Westfalen zu dem Ergebnis kommen, dass ein neues Kohlekraftwerk gebaut
werden soll, dann bitte ich, zu bedenken, dass man heute
moderne Kohlekraftwerke technisch so konzipieren
kann, dass ein Wirkungsgrad von 50 Prozent erreicht
wird.
({7})
Ich komme aus einer Kommune, in der es ein 25 Jahre
altes Kohlekraftwerk gibt. In diesem Kohlekraftwerk
wird, wenn die Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen voll genutzt werden können, ebenfalls ein Wirkungsgrad von
50 Prozent erreicht. Deswegen sage ich: Um eine sichere
Versorgung unseres Landes gewährleisten zu können,
brauchen wir auf absehbare Zeit in der Grundlast sowohl
die Kernkraft als auch die Kohlekraft.
({8})
Ich will noch etwas zu den ökonomischen Einlassungen von Frau Bulling-Schröter sagen. Es ist interessant,
dass Sie Kohlekraftwerke als Fehlinvestition bezeichnen. Das Kohlekraftwerk vor meiner Haustür wurde gerade von einem großen Investor gekauft, und Eon will in
Datteln ein Kohlekraftwerk bauen. Glauben Sie allen
Ernstes, dass Ihre Sicherheitsbedenken hinsichtlich der
Finanzierung einer derartigen Anlage besser sind als die
Überlegungen derjenigen, die echtes Geld in die Hand
nehmen und dort investieren? Ich würde eher den Kaufleuten der Stromindustrie glauben.
({9})
Erlauben Sie mir noch eine Bemerkung zur Fotovoltaik, um die es im Erneuerbaren-Energien-Gesetz geht,
über dessen Änderung wir heute auch noch diskutieren
werden.
({10})
- Wir richten gar nichts hin. - Das, was jetzt in der Fotovoltaikbranche abläuft - das wissen auch Sie -, ist das
größte Umverteilungsprogramm von unten nach oben,
das wir derzeit haben.
({11})
- Das kann er sehen, wie er will. - Ich sage Ihnen: Das
ist das größte Umverteilungsprogramm, das wir haben;
denn zahlen muss die Allgemeinheit, und die großen
Hersteller profitieren bis hin zu EUROSOLAR und denjenigen, die sich Fondsanteile kaufen.
({12})
Herr Kollege, möchten Sie eine Zwischenfrage von
Frau Bulling-Schröter zulassen?
Selbstverständlich.
Bitte schön.
Vielen Dank, Kollege Obermeier. - Sie sprechen die
Gewinne, die man abschöpfen muss, an. Da sind wir uns
offensichtlich einig. Ich meine aber, man sollte in allen
Bereichen Gewinne abschöpfen, und spreche damit die
großen Konzerne und die Zertifikate an.
90 Prozent der CO2-Zertifikate erhalten die großen
Energiekonzerne kostenlos. Diese preisen sie trotzdem
mit dem Marktpreis ein. Das heißt: Die Konzerne tun so,
als ob sie die Zertifikate bezahlen müssten; es bezahlen
sie aber diejenigen, die den Strom abnehmen. Jetzt gibt
es eine ganze Reihe von Berechnungen vom Öko-Institut
und von anderen Instituten. Sie können sich das Institut
aussuchen, das Ihnen politisch am nächsten steht. Alle
sprechen von Sonderprofiten in Milliardenhöhe. Wir haben in der Vergangenheit des Öfteren darüber diskutiert.
Meine Frage lautet: Wenn Sie die angeblich großen Profite in der Solarindustrie abschöpfen wollen, warum
schöpfen Sie dann nicht auch die großen Profite der großen Energiekonzerne ab? Diese Profite sind wesentlich
höher und gehen in die Milliarden. Wir brauchen doch
das Geld und diskutieren permanent über Schuldenaufnahme. Wir wollen mehr regenerative Energien. Dieses
Geld könnten wir in das Marktanreizprogramm stecken.
Dann brauchte man das nicht zu streichen.
({0})
Frau Bulling-Schröter, ich will Sie auf zwei Dinge
hinweisen. Bei der Reduzierung der Einspeisevergütung
im Bereich der Fotovoltaik handelt es sich nicht um ein
Abschöpfen, sondern um die Reduzierung eines gesetzlich festgelegten Betrags. Das nennt man nicht Abschöpfen.
({0})
Das nennt man eine Anpassung zur Markteinführung einer ganz bestimmten Technologie.
Zu den CO2-Zertifikaten: Man müsste dazusagen,
dass es sich hierbei um Erlöse handelt, die über Wettbewerb und Markt entstehen. Ich gebe zu, dass dieser Wettbewerb und der Markt hier nicht so richtig funktionieren;
aber im Kern sind das zwei grundlegend unterschiedliche Verhältnisse. Was den CO2-Zertifikatehandel betrifft, so nehme ich an, dass sich in den kommenden Jahren die Dinge verändern werden.
({1})
- Bis 2015 wird sich einiges verändern. Das wird ganz
sicher so sein. - Bis dahin, so nehme ich an, werden wir
auf europäischer Ebene einen gängigen Markt mit Zertifikaten haben. Ich wünsche mir von jeder Bundesregierung, dass wir auch den weltweiten Handel mit CO2-Zertifikaten in Gang bringen und dass wir ihn von der
Beschränkung ausnehmen. Ich möchte, dass wir international besser mit CO2-Zertifikaten handeln können. Um
auf Datteln zurückzukommen: Wenn wir ein Kohlekraftwerk bekommen, das emittiert, wird das Angebot an
CO2-Zertifikaten am Markt größer werden. Die Folge
ist, dass wir dann vermutlich bessere Preise bekommen.
Das sind die Zusammenhänge, die zur Beantwortung Ihrer Frage erwähnt werden müssen.
({2})
Mir ist nicht bange. Deutschland ist auf einem guten
Weg in Richtung CO2-Emissionsreduzierung. Dafür
werden wir auch in dieser Bundesregierung und in den
sie tragenden Fraktionen arbeiten.
Herzlichen Dank.
({3})
Andreas Jung spricht jetzt für die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sie
wissen, die Koalition hat sich das Ziel gesetzt, bis zum
Herbst ein Gesamtkonzept im Bereich der Energiepolitik
vorzulegen, das die Belange von Umwelt- und Klimaschutz, von Wirtschaftlichkeit und von Versorgungssicherheit gleichermaßen einbezieht und unter einen Hut
bringt. Sie wissen auch, dass wir dabei um die eine oder
andere Sachfrage ringen und Diskussionen führen. Ich
glaube, das gehört in der Politik dazu.
Wir merken aber vor allem, dass all diese Diskussionen
von einem ernsthaften Ringen um den richtigen Weg,
von ernsthaftem Bemühen um gute Lösungen geprägt
sind. Damit unterscheiden wir uns von dem, was Sie
heute mit Ihrem Antrag zur Diskussion stellen. Wenn
man diesen Antrag liest, wird einem sehr schnell klar: Es
geht Ihnen hier um einen einzigen Punkt, um den Landtagswahlkampf in Nordrhein-Westfalen.
({0})
Sie stellen als Aufhänger in den Mittelpunkt dieses
Antrags eine Änderung von § 26 des Landesentwicklungsgesetzes von Nordrhein-Westfalen. Die Diskussion
über diese Vorschrift ist sicherlich spannend, sie ist ganz
bestimmt auch interessant. Aber diese Diskussion gehört
mit absoluter Sicherheit nicht in den Deutschen Bundestag, sondern in den Landtag von Nordrhein-Westfalen.
({1})
Das entlarvt die Absicht: Es geht Ihnen um Wahlkampf. Ich bitte Sie aber: Wenn Sie Wahlkampf in Nordrhein-Westfalen machen wollen, dann gehen Sie auf die
Marktplätze, oder gehen Sie in die Stadthallen. Am besten Sie bewerben sich um ein Landtagsmandat. Aber beschäftigen Sie nicht den Bundestag mit Themen, für die
er nicht zuständig ist!
({2})
Würden wir nämlich diesen Antrag beschließen, wäre
das nichts anderes als ein Verstoß gegen das Subsidiaritätsprinzip, das wir gegenüber Europa hochhalten, auf
das auch wir als Deutscher Bundestag Wert legen, nämlich dass uns niemand anderes in unsere ureigenen Angelegenheiten hineinredet.
({3})
Dies sollten wir auch aus Respekt vor der gewählten
Volksvertretung in Nordrhein-Westfalen nicht machen.
Deshalb: Über landespolitische Themen diskutieren Sie
in Nordrhein-Westfalen, wir beschäftigen uns mit den
Bundesangelegenheiten.
({4})
- Über Klimaschutz, Frau Höhn, müssen wir hier reden.
({5})
Deshalb sage ich: Wahlkampf nein, aber Wettbewerb,
Wettstreit um den besseren Weg ja.
Andreas Jung ({6})
({7})
Frau Höhn, Sie haben vorher gesagt, Sie messen uns
nicht an unseren Reden, sondern Sie messen uns an unserem Handeln.
({8})
Das akzeptieren wir. Das ist der richtige Maßstab.
Ich bitte Sie, dann aber auch zu akzeptieren, dass wir
auch Sie, die Grünen, Rot-Grün, nicht daran messen, wie
Sie heute reden, sondern zuallererst daran, wie Sie gehandelt haben, als Sie im Bundestag die Mehrheit hatten,
als Sie die rot-grüne Bundesregierung gestellt haben.
({9})
Da möchte ich einige Punkte von dem aufgreifen, was
Sie gesagt haben, was in dieser Debatte gesagt wurde.
Erster Punkt: Energieeffizienz. Wir sind in diesem
Haus in allen Debatten einig gewesen, dass mit das
Beste für Energieeffizienz und für Energiesparen das
Gebäudesanierungsprogramm ist. Wenn man sich anschaut, was damals Rot-Grün gemacht hat, dann stellt
man fest: Dieses Programm gab es damals auch schon,
es war aber eher ein Progrämmchen. Erst nach Rot-Grün
ist es gelungen, dieses Programm nicht nur zu verdoppeln, sondern es in der Großen Koalition mehr als zu
verdreifachen und im Übrigen mit Mitteln aus dem
Konjunkturprogramm weiter aufzustocken. Jetzt ist es in
der christlich-liberalen Koalition in einer schwierigen
haushaltspolitischen Lage gelungen, an dem finanziellen
Umfang festzuhalten und die klare Botschaft zu geben:
Wir stehen mit diesem Programm weiter für Energieeffizienz, für Klimaschutz und auch für eine Politik für das
Handwerk vor Ort.
({10})
Zweiter Punkt: Marktanreizprogramm. Auch ich
und viele Kolleginnen und Kollegen in meiner Fraktion
setzen sich dafür ein, dass dieses Marktanreizprogramm
entsperrt wird, dass die Mittel für Ökoheizungen freigegeben werden.
({11})
- Ja, das wollen wir.
Aber auch da ist der Rückblick interessant. Ich erinnere mich gut, nachdem ich im Jahr 2005 in den Bundestag gekommen war, dass sich im Jahr 2006 auf all unseren Schreibtischen die Briefe von Bürgern, von
Gemeinden gestapelt haben, die geschrieben haben: Wir
wollen von diesem Marktanreizprogramm profitieren. Es
ist aber jetzt, zur Hälfte des Jahres, schon aufgebraucht.
Ihr müsst dieses Programm aufstocken. - Damals gab es
ein zähes Ringen. Aber es ist uns schließlich gelungen,
die Mittel für dieses Programm tatsächlich aufzustocken.
({12})
- Frau Höhn, wir kämpfen jetzt dafür, dass an dieser
Aufstockung festgehalten werden kann und dass wir
nicht auf das Niveau zurückfallen, das es zur Zeit von
Rot-Grün gegeben hat. Darum geht es jetzt.
({13})
Ich bin unserer Berichterstatterin, der Kollegin
Flachsbarth, dankbar, dass sie die Zahlen noch einmal
herausgearbeitet hat. Wir haben in diesem Jahr schon jetzt
125 Millionen Euro für Ökoheizungen aus dem Marktanreizprogramm ausgegeben. Im gesamten Jahr 2005, dem
Abschiedsjahr von Rot-Grün, waren es nur 121 Millionen
Euro. Deshalb sage ich: Wir kämpfen für die Entsperrung, damit wir nicht auf das Niveau zurückfallen, das
wir zu rot-grünen Zeiten hatten.
({14})
Lieber Herr Kelber, Sie und auch die Kollegen von
der Fraktion der Grünen haben das Thema Kohle angesprochen. Die Frage ist interessant, wie es damals gelingen konnte, die Mittel für das Marktanreizprogramm
aufzustocken. Es ist gelungen durch die Einführung der
Versteigerung von Zertifikaten im Bereich des Emissionshandels für Kohlekraftwerke. Die rot-grüne Regierung, speziell die Minister Trittin und Clement, haben
die Zertifikate für die Kraftwerke umsonst verteilt.
({15})
Obwohl man für 10 Prozent der Zertifikate eine Auktionierung hätte durchführen können, haben sie mehr Zertifikate
verteilt, als es dem gesamten CO2-Ausstoß entsprochen
hat. Der SPD- und der CDU/CSU-Bundestagsfraktion ist
es in der Großen Koalition gelungen - im Übrigen gegen
den Vorschlag des heutigen SPD-Vorsitzenden und damaligen Umweltministers, der weiterhin die Zertifikate
umsonst verteilen wollte -,
({16})
in die Versteigerung einzusteigen. Die Erlöse aus dieser
Versteigerung wurden verwendet, um die Mittel für das
Marktanreizprogramm aufzustocken.
Herr Kollege Jung, möchten Sie eine Zwischenfrage
der Kollegin Höhn zulassen?
Gerne.
Bitte schön.
Herr Kollege Jung, Sie haben eben den damaligen Minister Trittin kritisiert, weil er 100 Prozent der Zertifikate
umsonst an die Unternehmen abgegeben hat. Können Sie
bitte bestätigen, dass zum damaligen Zeitpunkt die EU
gar nicht die Möglichkeit eröffnet hat, etwas anderes zu
machen, als diese Zertifikate umsonst an die Unternehmen abzugeben?
Frau Kollegin Höhn, ich will es gerne noch einmal
nachprüfen. Nach meiner Erinnerung war es so, dass von
Beginn an die Möglichkeit bestanden hat, 10 Prozent
dieser Zertifikate zu versteigern.
({0})
- Bitte?
({1})
- Also 5 Prozent. - Aber es gab von Anfang an die Möglichkeit, Zertifikate zu versteigern. Rot-Grün hat sich damals dagegen entschieden. Die Zertifikate wurden vielmehr nach dem Grandfathering-Prinzip zugeteilt: Jeder
bekommt so viele Zertifikate, wie er CO2 ausstößt. Mit
anderen Worten: Derjenige, der noch nie etwas für Energieeffizienz getan hatte, wurde privilegiert, und derjenige, der investiert hatte, wurde benachteiligt. Auch das
haben wir im Rahmen der Diskussion zum NAP II ändern können. Im Vergleich zu Rot-Grün gab es auch an
dieser Stelle einen Fortschritt im Bereich des Klimaschutzes. Die Bedingungen für den Betrieb von Kohlekraftwerken wurden verschärft, was für einen größeren
Druck in Sachen Klimaschutz gesorgt hat.
Ich darf noch einmal zurückkommen auf den Einwand
der Frau Kollegin Bulling-Schröter: Ja, im Emissionshandel - Frau Höhn hat auch schon darauf hingewiesen sind wir von den Richtlinien der Europäischen Union
abhängig. Diese ließen es zu, 10 Prozent der Zertifikate
zu versteigern. Von dieser Möglichkeit haben wir beim
NAP II Gebrauch gemacht. Die Bundeskanzlerin hat aber
danach auf der Konferenz in Brüssel in der Europäischen
Union durchgesetzt, dass in Zukunft 100 Prozent dieser
Zertifikate versteigert werden können. Es ist also schon
Beschlusslage, dass auf der Ebene der Europäischen
Union 100 Prozent der Zertifikate versteigert werden
können und damit der CO2-Ausstoß belastet wird. Dies
ist ein Schritt in Richtung mehr Klimaschutz.
Zuletzt will ich noch auf die Frage der Glaubwürdigkeit der deutschen Klimaschutzpolitik eingehen. Die
Ziele sind schon angesprochen worden. Dabei wurde die
Frage aufgeworfen: Hält Deutschland an seinen ehrgeizigen Klimazielen fest? Da ist - ich rede jetzt nur über
die Fakten, über das, was wir hier gemeinsam in verschiedenen Legislaturperioden im Deutschen Bundestag
beschlossen haben - ein ständiger Fortschritt zu erkennen. Zum ersten Mal hat sich der Bundestag in dieser
Legislaturperiode mit der christlich-liberalen Mehrheit
dazu bekannt, den CO2-Ausstoß in Deutschland bis 2020
gegenüber 1990 um 40 Prozent zu reduzieren, ohne das,
wie es zuvor immer der Fall war, davon abhängig zu
machen, dass ein internationales Klimaabkommen geschlossen wird und dass sich die EU in diesem Rahmen
zur Reduktion von 30 Prozent verpflichtet. Mit dieser
Festlegung unterstreichen wir, dass wir an unserer Vorreiterrolle festhalten.
Meine Redezeit geht zu Ende. Ich möchte nur noch
sagen, dass es um die Reduktionsziele geht, aber auch
um die Finanzierung, um die wir ringen und für die wir
kämpfen. Als ich am Sonntagabend die Gelegenheit
hatte, auf dem Petersberg Gespräche mit vielen Partnern
zu führen, war mein Eindruck, dass die deutsche Vorreiterrolle mitnichten angezweifelt wird; vielmehr wird in
uns nach wie vor ein glaubwürdiger Partner mit einer
ehrgeizigen Klimapolitik gesehen.
Herzlichen Dank.
({2})
Ulrich Kelber hat das Wort zu einer Kurzintervention.
Herr Kollege Jung, Sie wissen, dass ich Sie sehr
schätze, auch Ihren Redestil. Heute haben Sie aber etwas
für Sie Ungewohntes gemacht: Sie haben keinen reinen
Fachvortrag gehalten, und Sie haben auch nicht nur die
unterschiedlichen Positionen, die man haben kann, vorgetragen, sondern Sie haben an zwei Stellen versucht,
die Leute hinter die Fichte zu führen.
({0})
Auf diese muss man einmal kurz eingehen.
Ich finde es ja gut, dass Sie das, was Sie mit uns gemeinsam in der Zeit der Großen Koalition erreicht haben,
loben. Sie und ich wissen, wie viele Nächte es teilweise
gebraucht hat, um Herrn Kauder bzw. Herrn Röttgen als
Ersten Parlamentarischen Geschäftsführer zu überzeugen.
Es ist gut, dass er sich in gewisser Weise vom Saulus
zum Paulus gewandelt hat, als er die Pforte zum Umweltministerium durchschritten hat.
Aber wenn Sie sagen, unter Rot-Grün sei in Sachen
Emissionshandel weniger gemacht worden als unter RotSchwarz, dann muss ich an Folgendes erinnern: Als wir
2003 zum ersten Mal den Emissionshandel beschlossen
haben, hat die CDU/CSU dagegen gestimmt, weil wir
aus der Sicht der CDU/CSU zu wenig CO2-Rechte für
die Unternehmen und zu wenig Sonderrechte für hochemittierende Unternehmen bereitgestellt haben. Das
gehört schon dazu, wenn man darüber spricht: Sie haben
etwas verbessert, was Sie vorher abgelehnt haben, weil
es Ihnen zu scharf war.
Der zweite Punkt. Die Idee der 100-Prozent-Auktionierung ist in der Tat damals aus den Fraktionen hervorgegangen. Sie wurde dann von Frau Reiche und mir für die
Fraktionen verhandelt. Aber ich muss Sie noch einmal daran erinnern, wie das in Brüssel gelaufen ist: Aus Brüssel
kam nämlich auf einmal die Meldung, die Kanzlerin wolle
Polen und Italien anbieten, die Vollversteigerung der
Emissionszertifikate aufzugeben, wie das übrigens Teile
Ihrer Fraktion und die schwarz-gelbe Landesregierung in
Nordrhein-Westfalen per Landtagsbeschluss als Position
vertreten haben. Es war dann der ebenfalls anwesende
Außenminister Steinmeier, der widersprochen hat und
auf Einhaltung der Bundestagsbeschlüsse bestanden hat.
Das gehört schon dazu. Sie sollten sich nicht für etwas
loben, was Sie am Anfang gar nicht wollten und was Sie
sich erst vom Koalitionspartner haben abringen lassen.
({1})
Herr Jung, Sie haben Gelegenheit, zu antworten.
Herr Kollege Kelber, Sie haben zwei Bemerkungen
gemacht. Mit der ersten Bemerkung haben Sie nicht das
infrage gestellt, was ich gesagt habe, nämlich dass der
Emissionshandelsplan im Jahr 2007 besser gewesen ist
als der von Rot-Grün. Sie haben bestätigt, dass es Fortschritte gegeben hat. Nur in Bezug auf das Abstimmungsverhalten der CDU/CSU-Bundestagsfraktion im
Jahr 2003, das Sie angesprochen haben, muss ich Ihnen
zugestehen, dass Sie daran möglicherweise eine frischere Erinnerung haben als ich, der ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht im Bundestag war. Entscheidend ist
aber der Vergleich der Zeit unter Rot-Grün und der Zeit
danach, den ich angestellt habe. Da ist eine kontinuierliche
Verbesserung zu mehr Klimaschutz festzustellen.
Der zweite Punkt. Ich bin, genau wie Sie, in Brüssel
nicht dabei gewesen. Aber klar ist, dass unsere Bundesregierung unter Führung der Bundeskanzlerin und
selbstverständlich unter Mitwirkung des Bundesaußenministers dort unsere Position vertreten hat, die Position
der Regierung, die Unterstützung erfahren hatte durch
einen Antrag des Bundestages. Entscheidend ist, was am
Ende hinten rauskommt. Das hat die Kanzlerin dort vertreten, und das ist ein gemeinsamer Erfolg dieser Regierung gewesen.
({0})
Damit schließe ich die Aussprache zu diesem Punkt.
Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/1430
mit dem Titel „Gleichklang von Bund und Ländern beim
Klimaschutz sicherstellen“. Wer stimmt für diesen An-
trag? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Damit
ist der Antrag bei Zustimmung durch die einbringende
Fraktion abgelehnt. Die Koalitionsfraktionen haben da-
gegen gestimmt, SPD und Linke sich enthalten.
Tagesordnungspunkt 5 b. Interfraktionell wird Über-
weisung der Vorlage auf Drucksache 17/1475 an die
Ausschüsse vorgeschlagen, die in der Tagesordnung ste-
hen. - Damit sind Sie einverstanden. Dann ist es so be-
schlossen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 28 a bis i auf:
a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur
Harmonisierung des Haftungsrechts im Luftverkehr
- Drucksache 17/1293 Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss ({0})
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Ausschuss für Tourismus
b) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Ab-
kommen vom 3. Dezember 2009 zwischen der
Bundesrepublik Deutschland und der Födera-
tiven Republik Brasilien über Soziale Sicher-
heit
- Drucksache 17/1296 -
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales
c) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Güterkraftverkehrsgesetzes und des
Fahrpersonalgesetzes
- Drucksache 17/1395 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ({1})
Ausschuss für Tourismus
d) Beratung des Antrags des Bundesministeriums
der Finanzen
Entlastung der Bundesregierung für das
Haushaltsjahr 2009
- Vorlage der Haushaltsrechnung des Bundes
für das Haushaltsjahr 2009 -
- Drucksache 17/1500 -
Überweisungsvorschlag:
Haushaltsausschuss
e) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Wolfgang Gehrcke, Paul Schäfer ({2}), Jan van
Aken, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
DIE LINKE
Von der Konfrontation zur Kooperation Deutsch-russische Beziehungen verbessern
- Drucksache 17/1559 Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss ({3})
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt
f) Beratung des Antrags der Abgeordneten Karin
Binder, Caren Lay, Dr. Kirsten Tackmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE
Krebserregende Stoffe in Kinderspielzeugen
durch Sofortmaßnahmen ausschließen
- Drucksache 17/1563 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie ({4})
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
g) Beratung des Antrags der Abgeordneten Jan
Korte, Dr. Barbara Höll, Ulla Jelpke, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE
Einstellung der Verhandlungen mit den Vereinigten Staaten von Amerika um ein neues
SWIFT-Abkommen und Verzicht auf ein europäisches Abkommen über ein Programm zum
Aufspüren der Finanzierung des Terrorismus
- Drucksache 17/1560 Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss ({5})
Finanzausschuss
h) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Bericht des GKV-Spitzenverbandes über die
Erfahrungen mit den durch das GKV-WSG
bewirkten Rechtsänderungen in § 13 Absatz 2
des Fünften Buches Sozialgesetzbuch
- Drucksache 16/12639 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Gesundheit ({6})
Rechtsausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
i) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Fünfter Staatenbericht der Bundesrepublik
Deutschland über Maßnahmen zur Durchführung des Übereinkommens vom 10. Dezember
1984 gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung
oder Strafe ({7})
- Drucksache 16/14138 Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss ({8})
Auswärtiger Ausschuss
Innenausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Hierbei handelt es sich um Überweisungen im vereinfachten Verfahren ohne Debatte.
Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an
die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu
überweisen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist offensichtlich der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Wir kommen nunmehr zu den Tagesordnungspunkten 29 b bis l sowie den Zusatzpunkten 2 a und 2 b. Es
handelt sich um die Beschlussfassung zu Vorlagen, zu
denen keine Aussprache vorgesehen ist.
Tagesordnungspunkt 29 b:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Rechtsausschusses ({9}) zu
der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen
Parlaments und des Rates zur Bekämpfung
von Zahlungsverzug im Geschäftsverkehr
({10})
Umsetzung der Initiative für kleine und mittlere Unternehmen in Europa ({11}) ({12})
({13})
- Drucksachen 17/790 Nr. 8, 17/1610 Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Stephan Harbarth
Dr. Eva Högl
Raju Sharma
Ingrid Hönlinger
Der Ausschuss empfiehlt, in Kenntnis der Unterrichtung eine Entschließung anzunehmen. Wer stimmt für
diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist einstimmig angenommen.
Wir kommen zu den Beschlussempfehlungen des Petitionsausschusses.
Tagesordnungspunkt 29 c:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({14})
Sammelübersicht 71 zu Petitionen
- Drucksache 17/1436 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht ist einstimmig angenommen.
Tagesordnungspunkt 29 d:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({15})
Sammelübersicht 72 zu Petitionen
- Drucksache 17/1437 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht ist ebenfalls einstimmig
angenommen.
Tagesordnungspunkt 29 e:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({16})
Sammelübersicht 73 zu Petitionen
- Drucksache 17/1438 Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt
Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht ist bei Zustimmung
durch die Koalitionsfraktionen und die Fraktion der SPD
angenommen. Die Fraktion Die Linke war dagegen,
Bündnis 90/Die Grünen haben sich enthalten.
Tagesordnungspunkt 29 f:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({17})
Sammelübersicht 74 zu Petitionen
- Drucksache 17/1439 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht ist einstimmig angenommen.
Tagesordnungspunkt 29 g:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({18})
Sammelübersicht 75 zu Petitionen
- Drucksache 17/1440 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht ist bei Gegenstimmen
durch die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen; alle anderen Fraktionen haben dafür gestimmt.
Tagesordnungspunkt 29 h:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({19})
Sammelübersicht 76 zu Petitionen
- Drucksache 17/1441 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht ist angenommen. Die
Fraktion Die Linke hat dagegen gestimmt, alle anderen
Fraktionen dafür.
Tagesordnungspunkt 29 i:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({20})
Sammelübersicht 77 zu Petitionen
- Drucksache 17/1442 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht ist angenommen. Dagegen hat die Fraktion der SPD gestimmt, alle anderen
Fraktionen dafür.
Tagesordnungspunkt 29 j:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({21})
Sammelübersicht 78 zu Petitionen
- Drucksache 17/1443 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht ist angenommen. Dagegen haben Bündnis 90/Die Grünen und die Fraktion Die
Linke gestimmt, alle übrigen Fraktionen dafür.
Tagesordnungspunkt 29 k:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({22})
Sammelübersicht 79 zu Petitionen
- Drucksache 17/1444 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht ist angenommen bei Zustimmung durch die Koalitionsfraktionen und die Fraktion Die Linke. SPD und Bündnis 90/Die Grünen haben
dagegen gestimmt.
Tagesordnungspunkt 29 l:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({23})
Sammelübersicht 80 zu Petitionen
- Drucksache 17/1445 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht ist angenommen bei Zustimmung durch CDU/CSU und FDP. Die Fraktionen
der SPD, Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen haben
dagegen gestimmt.
Wir kommen zu Zusatzpunkt 2 a:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz ({24}) zu
dem Antrag der Abgeordneten Ulrike Höfken,
Cornelia Behm, Bärbel Höhn, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Anbau von gentechnisch veränderter Kartoffel Amflora verhindern
- Drucksachen 17/1028, 17/1547 Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Max Lehmer
Elvira Drobinski-Weiß
Dr. Christel Happach-Kasan
Dr. Kirsten Tackmann
Ulrike Höfken
Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/1547, den Antrag der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/1028 abzulehnen. Wer stimmt für die Beschlussempfehlung? - Wer
stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Damit ist die
Beschlussempfehlung angenommen. Zugestimmt haben
die Koalitionsfraktionen. Dagegen gestimmt haben Bündnis 90/Die Grünen und die Linke. Die Fraktion der SPD
hat sich enthalten.
Zusatzpunkt 2 b:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz ({25}) zu
dem Antrag der Abgeordneten Elvira DrobinskiWeiß, Dr. Wilhelm Priesmeier, Ulrich Kelber,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt
Gentechnisch veränderte Amflora-Kartoffel
zuverlässig aus der Lebensmittel- und Futtermittelkette fernhalten
- Drucksachen 17/1410, 17/1603 Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Max Lehmer
Elvira Drobinski-Weiß
Dr. Christel Happach-Kasan
Dr. Kirsten Tackmann
Ulrike Höfken
Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/1603, den Antrag der Fraktion
der SPD auf Drucksache 17/1410 abzulehnen. Wer
stimmt für die Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Damit ist die Beschlussempfehlung angenommen. Die Koalitionsfraktionen haben
zugestimmt, die Oppositionsfraktionen dagegen.
Jetzt rufe ich den Zusatzpunkt 3 auf:
Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktion der SPD
Konsequenzen aus dem Ergebnis der Steuerschätzung für die Steuersenkungspläne der
CDU/CSU-FDP-Koalition
Für die SPD hat das Wort der Kollege Joachim Poß.
({26})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Mit dem
heutigen Tag gibt es keine Ausflüchte mehr. Jetzt muss
die Regierungskoalition endlich die Karten auf den
Tisch legen.
({0})
Die Bürgerinnen und Bürger und wir hier im Parlament
haben ein Anrecht darauf,
({1})
von der amtierenden Regierung über so zentrale und so
wichtige politische Fragen wie die von Ihnen immer
wieder angekündigte Steuerreform informiert zu werden.
Das gilt natürlich auch für die Strategie der Regierung
zur Haushaltskonsolidierung.
Über Monate hinweg haben Sie alle hier, die Bundesregierung mit Kanzlerin Merkel an der Spitze, Herr
Schäuble, aber jede Auskunft in der Sache verweigert.
Die Bürgerinnen und Bürger haben mit der Regierung
von Schwarz-Gelb die Katze im Sack gekauft. Das ist
die Quintessenz des politischen Vorgangs der letzten
Monate.
({2})
Die Bundeskanzlerin und ihre Koalition hatten bisher
nur ein Ziel: Die Wahrheit soll erst nach der Wahl in
Nordrhein-Westfalen ans Licht. Nur deshalb haben Sie
in den letzten Monaten immer wieder erklärt, erst müsse
die Steuerschätzung abgewartet werden, als erwarteten
Sie heute noch irgendwelche Überraschungen. Aber es
hat heute keine Überraschung gegeben. Die öffentlichen
Kassen bleiben leer, und zwar leider nicht nur in diesem,
sondern auch in den folgenden Jahren. Es gibt mit dem
heutigen Tag keine neue Lage. Dass wir kein Geld haben
für weitreichende Steuersenkungen, haben wir alle, Sie
und wir, bereits vor einem Jahr gewusst.
({3})
Aber die FDP und Teile der Union haben so getan, als
hätte es die tiefe Wirtschafts- und Finanzkrise nicht gegeben. Sie haben sich der Realität von Anfang an nicht
gestellt. Sie haben sich Ihre eigene Welt geschaffen und
werden jetzt Opfer dieser Illusion, die Sie bei den Bürgerinnen und Bürgern geschürt haben, leider bei der Bundestagswahl mit Erfolg, weil sie Ihnen teilweise
geglaubt haben, dass es einen Spielraum für Steuersenkungen gibt; tatsächlich gibt es diesen aber nicht.
Erst vor wenigen Tagen hat die FDP auf ihrem Bundesparteitag ein Steuersenkungskonzept in Höhe von
16 Milliarden Euro beschlossen. Natürlich war Herrn
Westerwelle, Herrn Pinkwart und allen anderen bestens
bekannt, dass die heutige Steuerschätzung keine Steuersenkungsspielräume erbringen wird.
Aber wen von Ihnen interessiert das schon? Das ist
nur die Realität, die man sich am besten weit vom Leibe
hält. Sie setzen immer noch darauf, die Menschen mit
Ihren Steuersenkungsfantasien locken zu können. Aber
der nächste Sonntag wird Ihnen zeigen,
({4})
dass das nicht mehr funktionieren wird, meine Damen
und Herren von der Koalition. Das, was Sie am
27. September letzten Jahres noch geschafft haben, wird
bei den Menschen in meiner Heimat Nordrhein-Westfalen nicht mehr funktionieren.
Viele von denen, die Sie am 27. September noch gewählt haben, werden Sie verlassen, und zwar wegen Ihrer Politik in Nordrhein-Westfalen und vor allem wegen
Ihrer unverantwortlichen Politikinszenierung in Berlin.
Sie sind endgültig an den Realitäten, an der Praxis gescheitert. Und Sie von der FDP sind überhaupt nicht regierungstauglich, wie alle feststellen konnten.
({5})
Sie schauspielern Regierung. Mehr ist das nicht. Ich
meine in dem Fall nicht die CDU/CSU, die hat ja das
Regieren ab 2005 bei uns gelernt.
({6})
Es gibt nur zwei Möglichkeiten, irgendwelche Steuersenkungen zu finanzieren, nämlich durch die Ausplünderung der Sozialsysteme und das Ruinieren der Kommunen. Das ist die Wahrheit.
({7})
Nur wenn Sie diese beiden Dinge anpacken, haben Sie
Spielräume für Steuersenkungen. Nun stellt sich die
Frage: Ist das Ihre Strategie für die nächsten Jahre? Ist
das die Politik von Frau Merkel und Herrn Schäuble?
Diese Fragen müssen umgehend beantwortet werden.
Bis jetzt sind Sie jede Antwort darauf schuldig geblieben.
({8})
Für die Bundesregierung hat der Staatssekretär
Hartmut Koschyk das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen!
Das Ergebnis der Schätzrunde von Ländern, Instituten
und Bundesregierung ist eindeutig: Bund, Länder und
Gemeinden werden in den kommenden Jahren sehr enge
finanzielle Handlungsspielräume haben. Die Folgen der
Krise werden sich dabei noch über Jahre auf die öffentlichen Haushalte auswirken.
Für dieses Jahr ergibt die jetzige Steuerschätzung
keine wesentliche Änderung gegenüber der letzten Steuerschätzung vom November. Hier wirken sich die von
der Bundesregierung vorgenommenen Steuerentlastungen einerseits und die verbesserte Konjunkturlage andererseits aus, sodass es unter dem Strich zu einer leichten
Verminderung des Steueraufkommens kommt und nicht
zu der im Vergleich zur letzten Schätzung befürchteten
Verminderung. Aber in den Jahren ab 2011 werden die
Einnahmen auf allen staatlichen Ebenen im Vergleich
zur letzten Mittelfriststeuerschätzung vom Mai 2009
deutlich geringer ausfallen.
({0})
Das liegt auch daran, dass vor einem Jahr das volle
Ausmaß der Krise noch nicht erfasst werden konnte.
Und Sie erinnern sich sicherlich daran: Die Bundeskanzlerin hat in der Haushaltsdebatte gesagt, dass wir uns
werden anstrengen müssen, um im Jahr 2013, was das Niveau der Volkswirtschaft und der Einnahmen aller staatlichen Ebenen angeht, wieder dort anzukommen, wo wir
vor der Krise waren. Auch das macht die heutige Steuerschätzung deutlich: Sie prognostiziert für das Jahr 2013
ein gesamtstaatliches Steueraufkommen von 561 Milliarden Euro. Das hatten wir zuletzt im Jahre 2008, also vor
dem Einbruch der Krise.
Eines ist uns in diesen Tagen sehr deutlich geworden,
nämlich dass vor allem die aktuellen Entwicklungen in
Europa die existenzielle Bedeutung solider Staatsfinanzen in den Mittelpunkt aller politischen Betrachtungen
rücken.
({1})
Nur auf der Basis einer Solidität der Finanzpolitik ist
der Erfolg des Euro auf Dauer zu sichern. Deutschland
wird als Stabilitätsanker und als glaubwürdiges Vorbild
in der EU heute und in Zukunft gebraucht. Die Steuerschätzung ändert nichts daran, dass auch Deutschland
2010 die als Obergrenze konzipierte 3-Prozent-Marke
für das Staatsdefizit mit 5,5 Prozent weit überschreiten
wird. Umso wichtiger ist es, dass wir die vom Stabilitätsund Wachstumspakt geforderten 3 Prozent bis zum Jahr
2013 wieder erreichen.
({2})
Werte Kolleginnen und Kollegen, für den Bundeshaushalt bedeutet das Ergebnis der heutigen Steuerschätzung,
({3})
dass wir in den nächsten Jahren außerordentlich ehrgeizig sein müssen. In den Jahren 2011 bis 2013 haben wir
gegenüber dem geltenden Finanzplan aus dem Sommer
2009 Mindereinnahmen in Milliardenhöhe zu verkraften. Die Konsequenzen aus der heutigen Steuerschätzung werden wir im Rahmen unseres haushaltspolitischen Gesamtkonzeptes
({4})
für den Haushalt 2011 und den Finanzplan bis 2014 genau bewerten.
({5})
Dabei leiten uns natürlich die Vorgaben der Schuldenbremse des Grundgesetzes. Die neue Schuldenregel gilt
erstmals für die nun anstehende Aufstellung des Haushaltes 2011 und den Finanzplan bis 2014. Bis zum Jahr
2016 müssen wir die strukturelle Neuverschuldung im
Bundeshaushalt auf unter 35 Prozent des Bruttoinlandsproduktes zurückführen. Hierfür sind entschiedene Konsolidierungsschritte erforderlich. In absoluten Zahlen
heißt das: Der Bund muss seine strukturelle Neuverschuldung bis 2016 jährlich um 10 Milliarden Euro abbauen.
Es gibt keine verantwortbare Alternative zu einer solchen Politik. Wir müssen raus aus dem Schuldenwachstum, das dazu geführt hat, dass bereits heute bei historisch
niedrigen Zinsen 37 Milliarden Euro im Bundeshaushalt
allein für Zinsen ausgegeben werden müssen. Wenn wir
unsere Handlungsfähigkeit auch in Zukunft sichern wollen, müssen wir diese Entwicklung stoppen. Dazu ist
diese Koalition entschlossen.
({6})
Gerade vor diesem Hintergrund haben wir im Koalitionsvertrag eine goldene Regel für die Finanzpolitik festgehalten: vor allem ein dezidiertes Bekenntnis zur Schuldenbremse sowie zu den Vorgaben des Stabilitäts- und
Wachstumspaktes. Wir haben einen expliziten Finanzierungsvorbehalt für alle Ausgaben und Haushaltsbelastungen festgeschrieben.
({7})
Aber auch nach der Steuerschätzung bleibt es bei dem
verabredeten Zeitplan und der Grundausrichtung. Wir
haben jetzt eine solide Grundlage für die Verhandlungen
über den Bundeshaushalt 2011 und den mittelfristigen
Finanzplan. Die Beratungen mit den Ressorts werden bis
zum Sommer abgeschlossen sein. Alle Aufgaben- und
Ausgabenbereiche sind kritisch zu hinterfragen. Zusätzliche Maßnahmen müssen solide gegenfinanziert werden.
Wir sind zuversichtlich, dass es dieser Koalition gelingen wird, 2011 und in den Folgejahren die notwendigen
Konsolidierungsschritte zu machen. Wir werden es schaffen, vor allem durch Aufgabenkritik und Ausgabendisziplin,
({8})
die Vorgaben der Schuldenbremse konsequent und
glaubwürdig umzusetzen.
({9})
Damit, liebe Kolleginnen und Kollegen, wollen wir uns
die nötigen Spielräume erarbeiten, um die Bürger weiter
zu entlasten.
({10})
Das Erarbeiten dieser Spielräume ist übrigens nicht nur
eine Aufgabe des Bundesfinanzministers. Alle Ressorts
sind gefordert, dabei mitzuhelfen. Das heißt, dass zusätzlichen Ausgaben, wie zu Beginn der Haushaltsaufstellung
in Milliardenhöhe gefordert, im Haushalt in keiner Weise
entsprochen werden kann.
Wir haben mit der Entlastung von kleinen und mittleren Einkommen am 1. Januar 2010 begonnen.
({11})
Diesen Weg für mehr Wachstum und Beschäftigung werden wir konsequent weitergehen. In der Koalition herrscht
klares Einvernehmen darüber, dass wir 2011 noch keine
Senkung der Einkommensteuer vornehmen werden.
({12})
Unsere gemeinsame Priorität für 2011 liegt darin, einen
ersten Schritt zur Steuervereinfachung zu gehen.
({13})
Bundesfinanzminister Schäuble hat gerade vor der
Presse deutlich gemacht, dass wir unterscheiden müssen:
Es gibt Steuervereinfachungen, die kostenneutral sind;
wir müssen und werden aber auch über Steuervereinfachungen diskutieren, die am Schluss eben nicht zum
Nulltarif zu haben sind.
Wenn wir schon über Steuervereinfachungen reden,
dann muss uns dabei deutlich sein, dass vor allem die
Komplexität unseres Steuersystems für viele Bürger als
Belastung empfunden wird. Vereinfachungen würden
bei Bürgern und Unternehmen einen beträchtlichen Entlastungseffekt erzeugen. Wir wollen, dass es leichter
wird, Steuererklärungen auszufüllen. Daran arbeiten wir.
Wir wollen eine spürbare Vereinfachung für viele Bürger
erreichen. Darauf wollen wir uns zunächst einmal konzentrieren.
Aber ich sage auch sehr deutlich: Die Entlastung kleinerer und mittlerer Einkommen bleibt auf der Tagesordnung.
Wir wollen in dieser Wahlperiode nach der schon begonnenen Entlastung der Familien, des Mittelstands und der
Familienbetriebe eine weitere Entlastung der kleinen
und mittleren Einkommen umsetzen, so wie wir das im
Koalitionsvertrag vereinbart haben.
({14})
Wir werden darüber beraten, in welcher Form wir dies in
dieser Wahlperiode umsetzen.
Daneben haben wir uns ganz groß auf die Agenda geschrieben, die kommunalen Gemeindefinanzen, aber
auch die Ausgabensituation unserer Kommunen durch
eine Regierungskommission mit schnellen Ergebnissen
auf den Prüfstand zu stellen.
({15})
Das hat keine Koalition und keine Regierung vorher so
energisch angepackt wie die christlich-liberale Koalition.
({16})
Sie haben über dieses Thema immer nur geredet, wir haben es auf die Agenda gesetzt. Deshalb wird gerade auch
auf der Zukunftsfähigkeit der Kommunalfinanzen ein
ganz wichtiges Augenmerk bei den weiteren Maßnahmen
dieser Regierung für eine wachstumsorientierte Steuerpolitik und eine notwendige Konsolidierung liegen.
Herzlichen Dank.
({17})
Barbara Höll hat das Wort für die Fraktion Die Linke.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Die Stunde der Wahrheit ist gekommen:
({0})
Die Steuerschätzung liegt auf dem Tisch und die Koalition
ist sehr überrascht. Es ist nun doch wesentlich weniger
Geld im Staatssäckel als geplant.
Mit 38,9 Milliarden Euro weniger Steuereinnahmen
bei Bund, Ländern und Kommunen bis 2013 müssen wir
jetzt rechnen, und ein Großteil der Ausfälle - das möchte
ich klar unterstreichen - ist durch die von Ihnen zu verantwortende Steuerpolitik verursacht. Das und nicht einfach nur die Wirtschafts- und Finanzkrise ist die Realität.
({1})
Eines ist klar: Wenn alles so weiter geht wie bisher, dann
gibt es keine finanziellen Handlungsspielräume.
Nun können Sie noch drei Tage lang versuchen, zu
überlegen, wie Sie damit umgehen wollen. Sie kündigen
hier Konsolidierungen an, aber nichts Konkretes. Spätestens am Wahltag in NRW, am Sonntag, wird die FDP die
Quittung für ihre Fantasien über die möglichen Steuersenkungen bekommen.
({2})
Für die wesentliche Klientel der FDP ist aber schon
einiges abgefallen: Mehrwertsteuersenkung für das Hotelgewerbe, Gewerbesteuerbefreiung für Leasingunternehmen, für die Finanzdienstleistungen. Diese haben ihr
Schäflein schon im Trockenen.
({3})
Für die Mehrheit der Bevölkerung wird diese Steuerschätzung gravierende Auswirkungen haben; wir sehen
das in Griechenland. Was die Großen in Griechenland
verzockt haben, sollen nun die Kleinen ausbaden: Rentenkürzungen, teilweise Aussetzung des Mindestlohns.
Wir hätten schon gerne einmal Antworten aus dem Bundesfinanzministerium - und zwar vor der Wahl und nicht
nach der Wahl in NRW - auf die Frage, was Ihnen alles
vorschwebt.
({4})
Die Linke sagt: Wir brauchen weder Steuer- noch
Lohndumping, sondern ein gerechteres Steuersystem,
wodurch oben be- und unten entlastet wird; denn die
falsch ausgerichtete massive Steuersenkungspolitik der
gesamten letzten zehn Jahre ist nach einer Studie des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung,
IMK, auch maßgeblich mitverantwortlich für die schlechte
finanzielle Lage, in der wir uns befinden.
Zum Beispiel das Wachstumsbeschleunigungsgesetz.
Durch Steuersenkungen wurde Wachstum versprochen.
Entstanden sind Einnahmeverluste. Allein bis 2013 wird
dieses Gesetz über 8 Milliarden Euro jährlich an Mindereinnahmen hervorrufen.
({5})
Letztendlich haben Ihre Steuererleichterungen eben
nicht zu Investitionen und Wachstum, sondern zu einem
Anstieg der Verschuldung von Bund, Ländern und Kommunen geführt. Das ist einfach ein Skandal. Ich muss Ihnen sagen: Das, was Sie hier immer zu begründen versuchen, ist ökonomisch falsch;
({6})
denn die massiven Steuerentlastungen sowie Lohn- und
Sozialdumping sind mitverantwortlich für die wachsende Armut und die wachsende Reichtumskonzentration in der Bundesrepublik.
Ich will Ihnen einmal etwas sagen: Nach dem ARDDeutschland-Trend sind 58 Prozent der Bevölkerung der
Meinung, dass Steuersenkungen ab 2011 nicht notwendig
sind. Sie befinden sich damit auch in Übereinstimmung
mit der Position des Sachverständigenrates, der Steuersenkungen als unverantwortlich ablehnt. Sie von der Koalition halten aber daran fest. Steuersenkungsideologie, das
ist das Wahre. Sie träumen weiter davon, dass Wirtschaftswachstum durch Steuersenkungen entsteht. Dafür
gibt es aber weder eine überzeugende theoretische Begründung noch praktische Beweise, die das bestätigen würden.
Das ist nicht nur meine Behauptung: Die Bundesregierung hat das letztendlich in ihrer Antwort auf eine Kleine
Anfrage der SPD bestätigt. Sie sagt, dass es nicht einmal
ein verlässliches Modell gibt, um abzuschätzen, welche
Auswirkung Steuerrechtsänderungen auf Wachstum und
Steuereinnahmen haben. Da frage ich mich wirklich:
Wie kommen Sie denn zu Ihren Annahmen?
({7})
Halten Sie den Finger in die Luft, oder haben Sie irgendwo ein Orakel, das Sie befragen? Dann lassen Sie
uns doch an Ihrem Wissen teilhaben.
({8})
Meine Damen und Herren, es geht nicht darum, über
Steuersenkungen zu schwadronieren. Wir brauchen zur
Stabilisierung der öffentlichen Einnahmen eine sozial
gerechtere Politik, die unten gibt und oben nimmt. Deshalb
fordert die Linke eine gerechtere Einkommensbesteuerung, eine Anhebung des Spitzensteuersatzes auf 53 Prozent, eine Rücknahme der steuerlichen Entlastungen für
Unternehmen, eine Besteuerung von Kapitalerträgen nach
dem persönlichen Steuersatz sowie einen gesetzlichen
Mindestlohn.
({9})
Im Übrigen erhöht der Mindestlohn letztendlich die Einnahmen der Sozialkassen und stabilisiert diese.
Es muss eine Sofortmaßnahme zur Entlastung der
klammen Kommunen beschlossen werden, die allein bis
2013 Steuermindereinnahmen in Höhe von 11,9 Milliarden Euro zu verkraften haben werden. Wir schlagen Ihnen
deshalb vor, die Zahlungen der Kommunen an den Bund
im Rahmen der Gewerbesteuerumlage zu streichen. Das
würde die Kommunen um jährlich rund 1,2 Milliarden
Euro entlasten.
({10})
Steuern sind die Grundlage dafür, dass der Staat handeln kann, dass er für Bürgerinnen und Bürger Schulen,
Universitäten, Schwimmbäder, Kindergärten sowie Kultur- und Sporteinrichtungen vorhalten kann. Die Linke
sagt: Soziale Gerechtigkeit kann nur hergestellt werden,
wenn Steuern in gerechter Form erhoben werden. Das
heißt, starke Schultern müssen mehr tragen als schwache.
Ich danke Ihnen.
({11})
Für die FDP spricht der Kollege Dr. Volker Wissing.
({0})
Besten Dank, Frau Präsidentin. - Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Was Sie von der Opposition uns hier vormachen, ist schon einigermaßen absurd.
({0})
Sie erklären, man könne eine Steuerreform in Deutschland erst angehen, wenn der Staat die Spielräume dazu
hat - als ob der Staat erst einmal Geld übrig haben
müsste, das er nicht braucht, bevor er etwas reformieren
kann. Das ist schon ein ziemlich abwegiger Blick auf die
Dinge.
({1})
Wir reden jetzt über eine Steuerschätzung, nicht mehr
und nicht weniger. Diese Steuerschätzung zeigt Tendenzen
auf. Die früheren Finanzminister können sicherlich ein
Lied davon singen, wie oft Steuerschätzungen korrigiert
werden müssen. Wir nehmen diese Steuerschätzung aber
ernst und machen sie zum Gegenstand unserer Beratungen
zur Umsetzung des Koalitionsvertrages; Staatssekretär
Koschyk hat Ihnen das eben erklärt.
Im Übrigen haben wir Ihnen in der letzten Aktuellen
Stunde zu einem ziemlich ähnlichen Thema schon einmal
erklärt - ich glaube, wir werden noch einige von Ihnen
beantragte Aktuelle Stunden zu dem Thema haben; dann
erklären wir es Ihnen noch einmal -, was im Koalitionsvertrag steht, der in dieser Legislaturperiode von der Koalition umgesetzt wird, weil das notwendig ist:
({2})
Wir haben kein Einnahmeproblem, sondern ein Ausgabenproblem.
({3})
Der Bundeshaushalt ist zu aufgebläht. Deswegen müssen
wir an die Ausgaben herangehen. Wir stehen in der
Haushaltspolitik mit dem Rücken zur Wand. Das kann
man nicht lösen, indem man die Einnahmen erhöht.
Stattdessen braucht man eine bessere Haushaltspolitik.
Sie werden das unter dieser Koalition erleben.
({4})
Sie reden immer von Mindereinnahmen. Tatsächlich
ist es so: Gemäß dieser Steuerschätzung wird das Steueraufkommen in den nächsten Jahren weniger stark steigen
als prognostiziert; aber es steigt:
({5})
im Jahre 2011 gibt es plus 0,9 Prozent, im Jahre 2012
plus 4,8 Prozent, im Jahre 2013 plus 4,0 Prozent, im Jahr
2014 plus 3,6 Prozent. Davon können die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Deutschland nur träumen.
({6})
Insofern sagen wir: Die Einnahmen können sich sehen
lassen; es sind immerhin über 510 Milliarden Euro in
diesem Jahr. Lasst uns deshalb schauen, wie wir die erforderliche Haushaltskonsolidierung synchron mit einer
Steuerstrukturreform zur Entlastung der unteren und
mittleren Einkommen gestalten können, damit das Land
nicht in eine soziale Schieflage kommt!
({7})
Ich halte die steuerliche Entlastung der unteren und mittleren Einkommen für eine Frage der Gerechtigkeit in
diesem Land. Wir reden über ein Entlastungsvolumen in
Höhe von 16 Milliarden Euro, das in dieser Legislaturperiode noch zur Verfügung steht. Das entspricht lediglich 3 Prozent der Einnahmen.
({8})
Wir wollen das auch nicht sofort umsetzen, sondern wir
wollen das zum Jahr 2012 in Kraft setzen. Sie behaupten, Steuersenkungen seien nicht möglich. Sie behaupten
auch, Steuerentlastungen würden unser Land in eine
Krise stürzen. Deswegen möchte ich Ihnen erklären, was
wir im Jahr 2010 erreicht haben.
Zum 1. Januar 2010 haben wir den ersten Schritt hin
zu einer Steuerentlastung umgesetzt.
({9})
Wir haben die Bürger um 8 Milliarden Euro entlastet.
({10})
Sie haben gesagt: Damit fährt der Staat an die Wand.
Nichts ist mehr finanzierbar. Es werden riesige Löcher in
den Haushalt gerissen.
({11})
Was ist das Ergebnis der Steuerschätzung? Die Mindereinnahmen durch Steuersenkungen wurden durch
Mehreinnahmen ausgeglichen. Das haben wir Ihnen vorher gesagt. Sie lagen falsch. Wir lagen richtig. Deswegen
werden wir diese richtige Finanzpolitik fortsetzen. Sie
ist der richtige Weg.
({12})
Sie behaupten immer wieder, das würde sich nicht gegenfinanzieren lassen, das würde keine Wachstumsimpulse
auslösen. Dazu sage ich: Lesen Sie die Steuerschätzung.
Das Gegenteil von dem, was Sie prognostiziert haben, ist
der Fall.
({13})
Sie bekommen langsam ein Problem.
({14})
- Herr Heil, lachen Sie nicht. - Stellen Sie sich vor Ihre
Wähler und erklären Sie ihnen Folgendes: In Ihrem
Wahlprogramm, das Sie Ende 2009 verabschiedet haben,
({15})
steht, dass Sie untere und mittlere Einkommen entlasten
werden.
({16})
Jetzt befinden sich die Steuereinnahmen auf dem Niveau
von 2009, als Sie Ihr Wahlprogramm verabschiedet haben. Jetzt verweigern Sie genau das, was Sie den Wählerinnen und Wählern vorher versprochen haben. Sie bekommen langsam ein Problem, Herr Heil: Sie begehen
nämlich schon wieder Steuerwahlbetrug.
({17})
Damals haben Sie versprochen, die Mehrwertsteuer
nicht zu erhöhen. Dann haben Sie sie um 3 Prozent nach
oben getrieben. Jetzt verweigern Sie den Menschen die
Entlastung, die Sie ihnen zugesagt haben.
({18})
Ich sage Ihnen: Eine Aktuelle Stunde nach der anderen zum Thema Steuerpolitik wird ein Rohrkrepierer für
die Sozialdemokraten.
({19})
Deswegen freuen wir uns. Beantragen Sie die nächste
Aktuelle Stunde. Das ist eine gute Sache. Wir werden Ihnen immer wieder vorhalten, dass Sie Wahlbetrug begehen, wenn Sie unsere Politik nicht unterstützen; denn sie
ist in Wahrheit sozial gerecht. Sie führt zu einem gerechten Ausgleich.
({20})
Wer nicht dafür sorgt, dass die Haushaltskonsolidierung, die in großen Schritten notwendig ist, mit steuerlicher Entlastung und einer Hinwendung zu einem faireren Steuertarif synchron geht, der bringt unser Land in
eine soziale Schieflage.
({21})
Das wird jedenfalls diese Koalition nicht zulassen.
({22})
Alexander Bonde spricht für das Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Wir diskutieren die ganze Woche darüber, welche Auswirkungen Schulden haben und welche Auswirkungen
es hat, wenn Politik wie in Griechenland nicht in der
Lage ist, Haushalte auf Dauer nachhaltig und tragfähig
zu gestalten. Es ist schon interessant, diese Debatte zu
führen, weil sie vonseiten der FDP-Fraktion mit einem
völlig anderen Duktus geführt wird.
Sie haben versucht, eine Steuerschätzung, die eine
schallende Ohrfeige für Ihre gesamten ökonomischen
Grundannahmen darstellt, als Bestätigung dafür heranzuziehen, dass es Möglichkeiten für Steuersenkungen
gibt. Herr Wissing, Ihr Auftritt ist vielleicht lustig, aber
wenn man die Konsequenzen betrachtet, dann vergeht
den Menschen das Lachen.
Sie haben behauptet, das Wachstumsbeschleunigungsgesetz habe Wachstum beschleunigt und sich gegenfinanziert.
({0})
Ich bitte Sie: Lesen Sie die Studie des Sachverständigenrates, die gerade belegt hat, dass Ihr Wachstumsbeschleunigungsgesetz, das eine Entlastung von über
8 Milliarden Euro vorsieht, eine Wachstumswirkung von
0,05 bis 0,07 Prozent hat.
({1})
Das heißt, wir reden über einen Promillebereich. Sie erzählen uns, es sei ein gutes Geschäftsmodell, wenn man
8,5 Milliarden Euro in etwas investiert und eine gute
Milliarde Euro ausgezahlt bekommt. Mit Verlaub: Sie
können nicht rechnen, Herr Wissing. Das ist Ihr Problem.
({2})
Vor diesem Hintergrund ist festzuhalten: Wir haben in
diesem Land eine Neuverschuldung in Höhe von
80 Milliarden Euro, Ihre ganzen Schattenhaushalte noch
nicht eingerechnet. Vor der Anerkennung dieser Tatsache drücken Sie sich. Sie fragen sich nicht: Was machen
wir eigentlich, um aus dieser Situation herauszukommen? Nun sagen Sie: Wir haben 2013 höhere Einnahmen als heute. Diese sind dann so hoch wie im Jahr
2008. - Das hat uns der Finanzminister im Fernsehen
freundlich vorgerechnet. Wenn der Finanzplan, den Sie
im Rahmen der Bereinigungssitzung eingebracht haben,
stimmt, dann sind auch die Ausgaben im Jahr 2013 um
30 Milliarden Euro höher als 2008.
({3})
Hinzu kommt, dass die Neuverschuldung in Höhe von
80 Milliarden Euro gesenkt werden muss. Wo stehen Sie
dann mit dem, was Sie verkündet haben? Was bedeutet
das für den Bundeshaushalt?
({4})
Alle Ihre Minister sind heute freundlicherweise zu
Hause geblieben. Diese könnten einmal ausrechnen,
welche finanziellen Auswirkungen die im Finanzplan
eingeplanten Sonderausgaben und die Wunschlisten haben, die Sie Herrn Schäuble geschickt haben. Sie müssen
laut den Vorgaben der Schuldenbremse 10 Milliarden
Euro im Jahr einsparen. Hinzu kommen das, was Sie
vorgeschlagen haben, und die Einsparnotwendigkeiten
aus der Steuerschätzung, die sich im Vergleich zum
Finanzplan noch einmal auf 10 Milliarden Euro im Jahr
belaufen.
({5})
Ich frage Sie: Liefert Herr Brüderle oder Herr Rösler
diese Milliarden? Ich will das jetzt von Ihnen wissen.
({6})
Sie drücken sich konsequent vor der Beantwortung der
Frage, woher diese Milliarden kommen sollen. Sie können noch nicht einmal darlegen, wo die 10 Milliarden
Euro gemäß den Vorgaben der Schuldenbremse eingespart werden sollen, ohne mit Tricks zu arbeiten. Sie alle
ventilieren längst die griechische Lösung für das Jahr
2011. Sie wollen mit einem Buchungstrick bei der Bundesagentur für Arbeit die erste Stufe der Verschuldungsreduzierung erreichen.
({7})
Das ist nur Kosmetik; denn Sie reduzieren die Verschuldung tatsächlich um keinen Euro. Nicht einmal hier
schaffen Sie es, 10 Milliarden Euro einzusparen. Nichtsdestotrotz erzählen Sie uns, dass Sie es in Einklang bringen werden, 10 Milliarden Euro gemäß den Vorgaben
der Schuldenbremse und 10 Milliarden Euro, die laut
Steuerschätzung für einen Konsolidierungskurs notwendig sind, einzusparen und gleichzeitig Steuergeschenke
zu machen. Mit Verlaub, ich glaube an den Nikolaus,
aber nicht an Sie, Herr Wissing. Solche Wunder kann
auch die FDP nicht vollbringen.
({8})
Wir haben erlebt, wie Sie, obwohl Sie die Zahlen
schon kannten, den Bundestagswahlkampf mit einer
Lüge bestritten haben und den Menschen gesagt haben:
Niemand glaubt daran, aber wählt uns; das klappt schon
irgendwie. - Sie halten nun genau die gleiche Lüge bis
zur Wahl in Nordrhein-Westfalen aufrecht. Dabei sind
Sie durch die Steuerschätzung krachend widerlegt worden.
({9})
Bis 2013 fehlen 40 Milliarden Euro im Vergleich zur
letzten Steuerschätzung, auf der Ihre gesamten offiziellen Haushaltsplanungen basieren. Bis 2014 fehlen
50 Milliarden Euro.
Wir haben bislang noch nicht über die Lage der Kommunen gesprochen. Wir erleben, wie dort, wo keine
Rücklagen mehr vorhanden sind, in die öffentliche Daseinsvorsorge eingegriffen werden muss. Wie wir alle
wissen, gehen die Rücklagen in den meisten Kommunen
zu Ende. Dabei geht es genau um den Zeitraum, in dem
es laut Steuerschätzung zusätzliche milliardenschwere
Einbrüche geben wird.
Nichtsdestotrotz packen Sie weitere Belastungen
obendrauf. Sie wollen einen anderen Staat. Sie wollen
etwas anderes als die Infrastruktur, die den Bürgerinnen
und Bürgern bislang als Selbstverständlichkeit im täglichen Leben zur Verfügung steht. Sie gehen an die Finanzierung der Kinderbetreuung, der Schwimmbäder und
der Bibliotheken heran. Sie gefährden die Fähigkeit des
Bundes, Arbeitsmarktpolitik zu betreiben. Das gilt auch
im Hinblick auf die Bildungsfinanzierung durch die Länder. Das, was Sie vertreten, ist nichts anderes als ein milliardenschwerer Anschlag auf die Finanzierung all dieser
Bereiche. Dafür werden Sie in NRW zu Recht die Quittung bekommen. Sie werden sich nicht durchsetzen können; das wissen Sie genau. Ich freue mich jedenfalls auf
weitere Aktuelle Stunden. Wenn man mathematisch
nicht so bewandert ist, kann man viel vorrechnen, Herr
Wissing.
({10})
Das Wort hat der Kollege Dr. Mathias Middelberg für
die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen!
An Ihrer Stelle, Herr Poß, hätte ich mich eben geschämt.
Sie haben Ihre Rede mit dem Satz eingeleitet, die Wähler
hätten vor der letzten Bundestagswahl die Katze im Sack
gekauft. Ich erinnere mich noch sehr gut an die Bundestagswahl 2005 und Ihre Kampagne gegen die Mehrwertsteuererhöhung, die sogenannte Merkel-Steuer. Das war
Ihre zentrale Wahlkampfaussage.
({0})
Wenn sich einer verstecken muss, dann sind Sie das. Sie
haben damals nicht nur die Katze im Sack verkauft, sondern die Menschen wirklich hinters Licht geführt; das
muss ich deutlich sagen.
({1})
Sie sind als Anwalt der kleinen Leute beim Thema Steuern völlig aus dem Geschäft.
({2})
- Ich sage die Wahrheit und erinnere die Menschen an
den wirklichen Sachverhalt.
({3})
Es wird Ihnen heute nicht gelingen, einen Keil in
diese Regierungskoalition hineinzutreiben; das ist ja das,
was Sie mit dieser Aktuellen Stunde versuchen.
({4})
Im Kern, in den Grundlagen und in den Zielvorstellungen stimmen wir völlig überein. Wir wollen ein einfacheres und gerechteres Steuersystem. Wir wollen die Bezieher kleiner und mittlerer Einkommen entlasten; denn
sie tragen diesen Staat und dieses Gemeinwesen.
({5})
Sie finanzieren all die Steuereinnahmen, die in diesem
Land - heute wurde uns die Schätzung vorgelegt - zusammenkommen.
({6})
Deswegen verfolgen wir die Ziele, Mittelstandsbauch
und kalte Progression abzubauen, weiter.
Wir stellen uns ganz bewusst der Realität - das ist das
Gegenteil von dem, was Sie gesagt haben -: Wir nehmen
die Steuerschätzung von heute zur Grundlage und orientieren uns an dem verfassungsrechtlich festgelegten
Prinzip der Schuldenbremse. Im Übrigen sehen wir auch
die tatsächliche wirtschaftliche Entwicklung und die
Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt, die unsere Handlungsspielräume festlegt.
({7})
Dabei spielen auch die Themen „Selbstfinanzierung“
und „Wachstumseffekte durch steuerliche Erleichterungen“ eine Rolle.
({8})
Wir haben unsere Zusage „Mehr Netto vom Brutto“ eingelöst.
({9})
Schon allein mit dem Wachstumsbeschleunigungsgesetz
haben wir Familien und damit die Breite der Einkommensbezieher in diesem Land massiv entlastet.
({10})
Im Gegensatz zu Ihnen haben wir diese Zusage eingehalten.
({11})
Die Situation ist ernst. Vor zwei Jahren sind uns für
dieses Jahr insgesamt 595 Milliarden Euro Steuereinnahmen prognostiziert worden. Nach der aktuellen
Steuerschätzung werden wir in diesem Jahr 85 Milliarden Euro weniger zur Verfügung haben. Die Spielräume
sind dadurch kleiner geworden. Deswegen stehen für
uns die Themen Haushalten und Konsolidieren im Vordergrund; Herr Koschyk hat das zu Recht betont. Aus
dieser Konsolidierung heraus lassen sich aber weitere
Spielräume erarbeiten; das hat der Kollege Wissing aus
meiner Sicht richtigerweise deutlich gemacht. Deswegen
bin ich zuversichtlich, dass wir unsere Regierungsarbeit
so konsistent und aus meiner Sicht auch erfolgreich fortsetzen, wie wir das bisher gemacht haben.
({12})
Obwohl wir im letzten Jahr einen Einbruch von
5 Prozent bei unserem Bruttosozialprodukt hatten - einen so starken Einbruch haben wir in diesem Land noch
nie erlebt -, haben wir die Zahl der Arbeitslosen bei
knapp über 3 Millionen stabil gehalten.
({13})
Auch das ist eine Leistung. Vor allen Dingen ist das eine
Leistung, die sich im Tun dieser Regierung bemerkbar
macht. Wir haben die Jobcenter jetzt neu geregelt. Das
ist ganz wichtig für die Vermittlung von Menschen, die
langzeitarbeitslos sind. Wir haben die Regelung für das
Kurzarbeitergeld erneut verlängert, und wir haben das
Schonvermögen bei Hartz IV neu geregelt. All das sind
Beiträge für mehr Gerechtigkeit und mehr Arbeit in
Deutschland.
({14})
Auf das Wachstumsbeschleunigungsgesetz bin ich
schon eingegangen. Dadurch entlasten wir vor allem die
Familien erheblich, und zwar im Umfang von fast
5 Milliarden Euro. Schon jetzt haben wir bessere Bedingungen geschaffen und unser Versprechen gegenüber
kleinen und mittleren Unternehmen eingelöst. Ich habe
nie verstanden, dass Sie gegen dieses Gesetz gestimmt
haben - das sage ich Ihnen ganz ehrlich -; denn wir
haben im Wesentlichen Regelungen beseitigt, die die
Existenz kleiner und mittlerer Unternehmen in dieser
schwierigen wirtschaftlichen Situation gefährdet hätten.
Auch die Arbeitsplätze, die daran hängen, wären massiv
gefährdet gewesen.
({15})
Sie betrachten Steuerpolitik immer als eine statische
Veranstaltung: Die Unternehmen und die Steuerzahler
sind immer die Gleichen, die bleiben auch in ihrer wirtschaftlichen Qualität immer gleich. Sie sehen nicht, dass
wir zusätzliche Wachstumseffekte ausgelöst haben, indem wir den Unternehmen mit dem Wachstumsbeschleunigungsgesetz in der Zeit der Kreditklemme Luft
verschafft haben. Diese zusätzlichen Wachstumseffekte
können wir an den ersten Kennzahlen dieses Jahres ablesen. Deshalb können wir längerfristig und perspektivisch
davon ausgehen, dass sich unsere wirtschaftliche Lage
und damit auch das Potenzial für künftige Steuereinnahmen verbessern werden.
({16})
Damit werden sich unsere Handlungsspielräume erweitern.
Ich glaube, wir sollten einfach weitermachen. Unsere
Wirtschaft nimmt Fahrt auf. Die Situation am Arbeitsmarkt bleibt stabil und wird sich wahrscheinlich sogar
verbessern.
({17})
Das ist erkennbar das Ergebnis der Arbeit dieser Regierung. Jedem, der in Nordrhein-Westfalen noch über
seine Wahlentscheidung nachdenkt, kann ich nur empfehlen, eine so stabile und ordentliche Koalition zu wählen, wie sie hier regiert.
Danke.
({18})
Das Wort hat der Kollege Bernd Scheelen für die
SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Das Wachstumsbeschleunigungsgesetz wirke
sich jetzt auf die öffentlichen Haushalte aus, sodass mit
geringeren Steuereinnahmen zu rechnen sei, sagte der
Vertreter des schleswig-holsteinischen Finanzministeriums im Arbeitskreis, Matthias Löscher, vor Beginn der
Sitzung. Er hat es verstanden, Herr Kollege Wissing. Sie
haben es nicht verstanden.
({0})
Das Wachstumsbeschleunigungsgesetz beschleunigt
das Wachstum der Schulden; das haben wir schon mehrfach festgestellt. Aber es ist gut, dass uns die Zahlen
nach der Pressekonferenz, die heute um 13 Uhr stattfand, tatsächlich zur Verfügung gestellt worden sind. Ich
kann Ihnen nur empfehlen: Sehen Sie sich die Zahlen an
und rechnen Sie einmal zusammen, wie hoch das Steueraufkommen bei Bund, Ländern und Gemeinden im
Jahre 2009 war und wie die Schätzung für dieses Jahr
aussieht. Dann stellen Sie fest, dass 20 Milliarden Euro
fehlen. Komisch, 20 Milliarden Euro sind weg, unter anderem dank Ihres Wachstumsbeschleunigungsgesetzes
({1})
und anderer steuerlicher Maßnahmen, mit denen Sie
Bund, Ländern und Gemeinden Geld wegnehmen.
({2})
Wenn Sie sich die Zahlenkolonnen für 2011, 2012
und 2013 ansehen, dann werden Sie feststellen: Es geht
nur ganz langsam wieder bergauf. Was da beschleunigt
wird, frage ich mich die ganze Zeit. Wachstum wird damit sicherlich nicht beschleunigt. Wenn wir insgesamt
fünf Jahre brauchen, um bei den Steuereinnahmen wieder den Stand des Jahres 2008 zu erreichen, dann hat das
mit Wachstumsbeschleunigung aus meiner Sicht gar
nichts zu tun.
({3})
Man kann daraus auch nicht schließen, es gebe riesige
Spielräume für Steuersenkungen.
Es ist so: Sie haben in diesem Hause vor kurzem den
Haushalt für dieses Jahr verabschiedet, der eine Neuverschuldung in Höhe von 80 Milliarden Euro vorsieht; das
ist eine Summe, die man sich gar nicht vorstellen kann.
Um das einmal auf einen Privathaushalt zu übertragen:
Wenn jemand ein Jahreseinkommen von 40 000 Euro,
aber jährliche Kosten von 60 000 Euro hat, dann hilft es
ihm nicht, wenn er in einem Jahr 50 000 Euro verdient.
Ihm fehlt trotzdem Geld. Dann kann er nicht sagen: Ich
gebe das Geld, das ich mehr eingenommen habe, aus,
weil es so gut läuft. - Aber Sie arbeiten so. Sie streuen
den Leuten Sand in die Augen. Sie sollten lieber dafür
sorgen, dass anständige Haushaltspolitik gemacht wird
und dass größere Spielräume geschaffen werden. Später,
wenn die Einnahmen die Ausgaben wieder decken, kann
man gerne darüber nachdenken, ob und wie man dieses
Geld neu verteilt.
Staatssekretär Koschyk hat hier vorgetragen, dass
sich keine Regierung dem Thema Kommunalfinanzierung so intensiv angenommen hat wie die jetzige. An
dieser Stelle darf ich nur darauf hinweisen: Herr Kollege
Koschyk, Sie sind zwar länger im Bundestag als ich,
aber vorher haben Sie sich offensichtlich nicht mit Finanzpolitik beschäftigt. Denn sonst wüssten Sie, dass im
Jahre 2002 der Finanzminister der damaligen rot-grünen
Regierung, Hans Eichel, eine Kommission zu diesem
Thema eingesetzt hat. Sie hat auch Ergebnisse produziert, und zwar gute Ergebnisse.
({4})
Über eines dieser Ergebnisse haben wir heute Morgen
diskutieren müssen, weil beklagt worden ist, was bei der
Neuorganisation der Zusammenlegung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe passiert ist.
Diese Kommission hat alle Modelle, die Sie jetzt für
teures Geld noch einmal prüfen lassen, schon einmal geprüft und ist zu dem Ergebnis gekommen, dass sie den
Kommunen nichts bringen. Deswegen hat sie damals
empfohlen: Belasst es bei der Gewerbesteuer, macht sie
sicherer, und macht sie besser. - Das haben wir getan.
Das haben wir unter Rot-Grün getan, und das haben wir
unter Schwarz-Rot fortgeführt; aber davon wollen die
Kollegen von der Union jetzt nichts mehr wissen.
({5})
Das war sinnvoll, und das war richtig. Lassen Sie aber
die Finger von der Gewerbesteuer.
({6})
Ich habe mir angesehen, was vorhin auf Phoenix
übertragen wurde. Der Bundesfinanzminister hat einen
Satz gesagt, der mich ein bisschen nachdenklich gemacht hat. Er hat gesagt: Die Steuerausfälle in Höhe von
40 Milliarden Euro bis zum Jahr 2013 verteilen sich auf
die verschiedenen Ebenen, aber die Verteilung selber sei
nicht so wichtig.
({7})
Das fand ich ziemlich frech. Er hat nämlich verschwiegen, dass die Hauptlast dieser Defizite in den nächsten
Jahren von den Kommunen zu tragen sein werden;
({8})
der Kollege Bonde hat die Zahlen genannt.
Länder und Gemeinden verzichten auf ungefähr
11 Milliarden Euro, der Bund auf 12 Milliarden Euro,
jede Ebene also auf ungefähr ein Drittel der Summe der
Ausfälle. Wenn man berücksichtigt, dass der Anteil der
Kommunen am gesamten Steueraufkommen insgesamt
nur 12,8 Prozent beträgt, wird deutlich: Das ist eine unglaubliche Mehrbelastung der Kommunen. Darauf müssen Sie Antworten geben. Ihre Kommission ist keine
Antwort.
({9})
Was wir brauchen, sind Sofortmaßnahmen für die Kommunen, mit denen wir ihnen helfen, dieses schwierige
Jahr und die nächsten schwierigen Jahre zu überstehen.
In anderen Debatten haben wir Ihnen dazu Vorschläge
gemacht.
Ein letztes Wort zur FDP; das kann ich mir einfach
nicht verkneifen.
({10})
- Frau Piltz, reden Sie auch noch, oder dürfen Sie heute
nicht? ({11})
Der stellvertretende FDP-Bundesvorsitzende, Herr
Pinkwart, hat gestern im Morgenmagazin im ZDF gesagt, die FDP in Nordrhein-Westfahlen würde Rückenwind aus den Kommunen verspüren. Darüber kann ich
nur lachen.
({12})
Die Kommunen fühlen sich von Ihnen massiv bedroht.
Rückenwind für Sie gibt es aus den Kommunen nicht.
({13})
Sie haben es geschafft, das Wort „Steuersenkung“ zur
Negativformel zu machen.
({14})
Wenn die Leute „Steuersenkung“ hören, halten sie sich
die Ohren zu, weil sie wissen, dass sie das am Ende eine
Menge Geld kosten wird.
({15})
Das ist sehr gut zusammengefasst in einem Kommentar,
den ich Ihnen noch ganz kurz vorlesen möchte.
Kollege Scheelen, dazu reicht die Zeit jetzt nicht
mehr.
Doch, das geht ruck, zuck; es sind nur wenige Zeilen.
({0})
Eine deprimierende Lage - wenn es die FDP nicht
gäbe. In früheren Zeiten boten Quacksalber auf den
Marktplätzen manches Gebräu feil, das angeblich
gegen alles half, was mit Krankheit zu tun hat vom Hühnerauge bis zur Pestbeule. Die FDP versucht, das Volk für ähnlich blöd zu verkaufen. Die
Partei des Guido Westerwelle verspricht Steuersenkungen, 3864
Kollege Scheelen, geben Sie doch einfach die Quelle
an, wo man das nachlesen kann. Aber beenden Sie jetzt
bitte Ihre Rede.
({0})
- wenn es dem Staat gut geht, weil dann genug
Geld dafür da sei. „Bürger am Aufschwung beteiligen“, heißt das dann. Und sie verspricht Steuersenkungen, wenn es dem Staat schlecht geht, weil das
angeblich die Wirtschaft massiv ankurbele.
So kann man nicht Politik machen, meine sehr geehrten
Damen und Herren.
Vielen Dank.
({0})
Für die FDP-Fraktion hat nun der Kollege Dr. Daniel
Volk das Wort.
({0})
Vielen Dank. - Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten
Damen und Herren! Lieber Herr Scheelen, was Sie gerade vorgetragen haben, war schon abenteuerlich.
({0})
Sie beklagen die Finanzsituation der Kommunen? Sie behaupten, dass die Kommunalfinanzierung in den ganzen
letzten Jahren hervorragend gewesen sei? Es war gerade
die Politik der SPD-Finanzminister in den letzten zehn
Jahren - zehn verlorenen Jahren, muss man sagen -, die
dazu geführt hat, dass die finanzielle Lage der Kommunen jetzt angespannt ist.
({1})
Wie schon nach der letzten Steuerschätzung zu erwarten war, werden die Steuereinnahmen des Staates im
Jahr 2010 wegen der Wirtschafts- und Finanzkrise vorübergehend sinken. Es ist aber deutlich ein Trend nach
oben zu erkennen. Der Einbruch der Wirtschaft und damit auch der Einbruch der Einnahmen des Staates fiel
deutlich kleiner aus als allgemein befürchtet.
({2})
Im Jahr 2010 werden die Steuereinnahmen mit
510 Milliarden Euro etwas unter dem im November
2009 geschätzten Niveau liegen. Dabei gleichen sich
Mindereinnahmen infolge zwischenzeitlich beschlossener Steuerentlastungen und Mehreinnahmen aufgrund
der verbesserten konjunkturellen Entwicklung weitgehend aus.
({3})
Das können Sie in der Steuerschätzung, die heute veröffentlicht wurde, nachlesen, lieber Herr Bonde.
({4})
Die christlich-liberale Koalition hat es also erreicht,
durch Steuerentlastungen zu Beginn dieses Jahres die
Konjunktur zu stützen und damit insgesamt die Steuereinnahmen zu konsolidieren. Wir werden diesen in der
Koalition vereinbarten Weg weitergehen. Auch die aktuelle Steuerschätzung ist kein Grund für einen Verzicht
auf die Steuerreform.
({5})
Bereits ab dem nächsten Jahr werden die Steuereinnahmen wieder steigen. Nach den heute veröffentlichten
Zahlen werden die Steuereinnahmen selbst im Jahr 2010
deutlich über dem Niveau der Jahre 2005 und 2006 liegen. Es gibt da in der Steuerschätzung ein Balkendiagramm, das das optisch schön verdeutlicht.
Wieder einmal wird deutlich, dass wir in Deutschland
kein Einnahmeproblem haben, sondern ein Ausgabenproblem.
({6})
Wir geben zu viel Geld an den falschen Stellen aus.
({7})
Im Subventionsbericht der Bundesregierung kann das jeder nachlesen und sich selbst ein Bild davon machen.
({8})
Der Umfang der Subventionen ist im Jahr 2008 zwar um
rund 250 Millionen Euro zurückgegangen, aber nur um
im Jahr 2009 um gut 6 Milliarden Euro auf rund
29,5 Milliarden Euro zu steigen.
({9})
Steuererhöhungen führen immer auch zu Subventionserhöhungen. Im Umkehrschluss führen Steuersenkungen zu Subventionssenkungen. Das ist verantwortungsbewusste Finanz- und Steuerpolitik, wie wir sie
betreiben werden.
({10})
Das Fazit des Subventionsberichts der Bundesregierung
vom Januar 2010 ist eindeutig - ich zitiere -:
Nach Überwindung der Krise muss auch und gerade der Subventionsabbau zur Haushaltskonsolidierung beitragen.
({11})
Der Staat hat zwar weniger Steuereinnahmen zu verzeichnen als erhofft, aber er nimmt mehr Steuern ein als
je zuvor.
({12})
Die zu erwartenden Einnahmerekorde des Staates müssen wir nutzen, um die Schulden zu reduzieren und
gleichzeitig die Gering- und Normalverdiener zu entlasten.
({13})
Es kann schließlich nicht sein, dass die Bürger aufgrund
der Steuer- und Abgabenlast immer strenger haushalten
müssen, während der Staat dies nicht tut und den Ausgaben freien Lauf lässt.
({14})
Gesunde Staatsfinanzen sind das A und O einer verantwortungsbewussten Regierungsarbeit, Herr Poß. Darüber dürfte in diesem Hause zwischen allen Fraktionen
Einigkeit bestehen. Aber jede Partei in diesem Haus
sollte sich auch selbstkritisch fragen, ob das unter ihrer
Regierungsverantwortung - sei es im Bund, in den Ländern oder in den Kommunen - in der Praxis auch tatsächlich eingehalten wird.
Die FDP steht für eine verantwortungsbewusste und
nachhaltige Steuer- und Finanzpolitik.
({15})
Wir haben die Familien entlastet. Wir haben Arbeitsplätze gesichert. Wir werden die Bildungschancen für
alle Menschen in diesem Land verbessern. Denn dies bedeutet Wettbewerbsfähigkeit auch in vielen Jahren und
damit Wohlstand für die Menschen in diesem Land.
Vielen Dank.
({16})
Das Wort hat der Kollege Carsten Schneider für die
SPD-Fraktion.
({0})
Meine lieben Kollegen! Sehr geehrte Damen und
Herren! Ich hatte die Hoffnung, dass der Tag der Steuerschätzung für Sie auch ein Tag der Erkenntnis wäre.
({0})
Seit sechs Monaten regieren Sie dieses Land: Sechs Monate Phantasialand. Sechs Monate lang haben Sie auf
diesen Termin verwiesen; mit der Steuerschätzung würden alle Probleme gelöst.
Was können wir heute feststellen? Das Märchenbuch
„Koalitionsvertrag dieser schwarz-gelben Regierung“
bestimmt weiter. Sie sind nicht in der Lage, den Ernst
der Situation nicht nur in Griechenland und Europa, sondern auch in Deutschland zu erkennen.
({1})
Die Steuerschätzung hat ergeben, dass Sie eine Steuerlücke von zusätzlich 30 Milliarden Euro haben.
({2})
Sie müssen bis 2014 40 Milliarden Euro aufgrund der
Schuldenbremse einsparen. Zudem hat Ihre traute Ministerriege im Koalitionsvertrag Mehrausgaben in Höhe
von weiteren 30 Milliarden Euro beschlossen. Dafür haben Sie alle die Hand gehoben. Ich kann es Ihnen vorrechnen. Vorgesehen sind zusätzliche Ausgaben für den
Bereich Gesundheit sowie 14 Milliarden Euro für die
Forschung und 2 Milliarden Euro pro Jahr für die Erfüllung der ODA-Quote. Insgesamt kommen wir auf eine
Lücke von 100 Milliarden Euro, die Sie gegenfinanzieren müssen.
({3})
Was ist dazu von Ihrer Seite zu hören? Sie wollen
Subventionen abbauen. Sagen Sie bitte ganz konkret,
welche Subventionen.
({4})
Sie regieren seit sechs Monaten. In dieser Zeit haben
Sie nicht viele Gesetze gemacht.
({5})
Ich glaube, noch keine Regierung hat sechs Monate verstreichen lassen und gerade mal drei oder vier Gesetze
gemacht.
({6})
- Herr Wissing, das eine Gesetz, das Sie Wachstumsbeschleunigungsgesetz genannt haben, ist Volksverdummung. Es hat eine Steigerung des Wachstums von
0,07 Prozent bewirkt.
({7})
Das sagt Ihr Sachverständigenrat. Es hat aber die Subventionszahlungen des Bundes - das können Sie im Sub3866
Carsten Schneider ({8})
ventionsbericht nachlesen - um 1 Milliarde Euro erhöht,
nämlich für die Hoteliers. Statt Subventionen abzubauen, haben Sie 1 Milliarde Euro zusätzliche Subventionen beschlossen.
({9})
Nicht nur die Menschen, sondern auch die Finanzmärkte wollen wissen, wo Sie konsolidieren. Wo sparen
Sie denn? Sie reden immer von Steuermehreinnahmen.
Warum machen Sie es denn nicht, wenn das alles so einfach ist? Bringen Sie doch Ihre Gesetzentwürfe ein!
Stattdessen diskutieren Sie und nerven Sie uns schon seit
Wochen und Monaten immer mit derselben Leier. Dabei
liegt real nichts auf dem Tisch.
({10})
Herr Wissing, als die Wirtschaft im Jahr 2009 um
5 Prozent eingebrochen ist, haben wir noch mitregiert
und einen Haushalt vorgelegt, der eine Neuverschuldung
von knapp 40 Milliarden Euro vorgesehen hat.
({11})
2010 dagegen haben wir wieder ein leichtes Wachstum
von 1,2 bis 1,4 Prozent zu verzeichnen. Die Neuverschuldung beträgt 80 Milliarden Euro. Mit den Stimmen
der SPD waren es 40 Milliarden Euro bei einem Minus
von 5 Prozent beim Wirtschaftswachstum. Mit Ihren
Stimmen sind es 80 Milliarden Euro Schulden bei
1 Prozent Wachstum. Herzlichen Glückwunsch! Wo
bleibt dabei die Generationengerechtigkeit? Wo bleibt
die Nachhaltigkeit? Sie sind Schuldenweltmeister, nichts
anderes.
({12}) - Widerspruch des Abg.
Dr. Daniel Volk [FDP] - Norbert Barthle
[CDU/CSU]: Steinbrück wollte 87 Milliarden
Euro!)
80 Milliarden Euro Schulden, 25 Prozent des Haushalts sind kreditfinanziert, und Sie wollen zusätzliche
Steuersenkungen auf Pump finanzieren. Steuersenkungen auf Pump sind Steuererhöhungen in der Zukunft,
nichts anderes.
({13})
Es wird Zeit, dass es am Sonntag eine politische Veränderung gibt, dass wir Klarheit bekommen und dass die
Regierung endlich einen Gegenpol im Bundesrat bekommt. Ich bin da sehr zuversichtlich nach Ihrer Performance. Sie haben alles darauf ausgerichtet, über diese
eine Landtagswahl zu kommen. Sie haben einen Koalitionsvertrag geschlossen, der ein Märchenbuch ist, ohne
Finanzverhandlungen zu führen. Sie fragen nicht danach, was ist. Bei Ihnen hat man das Gefühl, dass Sie in
der Fundamentalopposition sind, ohne die reale Situation anzuerkennen. Die Menschen in diesem Land werden Ihnen das nicht mehr abnehmen, und das ist auch gut
so.
({14})
Das Wort hat der Kollege Olav Gutting für die
Unionsfraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Zunächst einmal, lieber Carsten Schneider: Der
Haushaltsentwurf des SPD-Finanzministers für 2010
wies meines Wissens 87 Milliarden Euro Schulden auf.
Bereits in der letzten Sitzungswoche haben wir an dieser
Stelle auf Antrag der SPD über die Finanzierbarkeit der
FDP-Steuerpläne debattiert. Bereits in der letzten Woche
habe ich hier hinsichtlich des Einkommensteuerrechts
festgestellt, dass das System gerade bei den niedrigeren
und mittleren Einkommen offensichtlich eine Unwucht
enthält. In der letzten Woche konnte ich hier auch feststellen, dass die Schuldenbremse und das Ziel eines konsolidierten Haushalts keineswegs eine Rechtfertigung
dafür sind, dass wir in den steuerpolitischen Stillstand
übergehen. Daran hat sich seit letzter Woche nichts geändert, auch nicht durch die Steuerschätzung, die seit
knapp anderthalb Stunden vorliegt. Ganz im Gegenteil:
Wenn wir unseren Haushalt nachhaltig konsolidieren
wollen, dann brauchen wir wachstumsfördernde Anreize. Zu diesen wachstumsfördernden Anreizen gehört
untrennbar ein leistungsgerechtes Steuersystem.
({0})
Mit dem von der SPD propagierten steuerpolitischen
Stillstand erreichen wir jedenfalls gar nichts. Politik
muss doch auch in Zeiten knapper Haushaltsmittel immer handlungsfähig sein. Wir müssen einen Spielraum
für Konsum und für Investitionen der Menschen schaffen. Dass wir das können, haben wir in der Großen
Koalition zusammen mit der SPD immer wieder bewiesen. Wir haben zusammen mit der SPD noch im letzten
Jahr, vor wenigen Monaten, Maßnahmenpakete
({1})
für Investitionen der privaten Haushalte und der Kommunen mit einem Gesamtvolumen von 50 Milliarden Euro
beschlossen.
({2})
Wir haben mit dem Konjunkturpaket II noch vor wenigen Monaten mit Ihnen zusammen den Eingangssteuersatz gesenkt, haben die Freibeträge erhöht und einen
Kinderbonus ausbezahlt. Zusätzlich bringt das BürOlav Gutting
gerentlastungsgesetz 10 Milliarden Euro Entlastung für
die Menschen in diesem Land. All diese Maßnahmen haben dafür gesorgt, dass die Bürger in diesem Land wieder mehr Geld in der Tasche haben und die Konjunktur
angekurbelt wird. All diese Maßnahmen wurden mit Ihnen zusammen beschlossen, all diese Maßnahmen haben
Sie noch vor wenigen Monaten als notwendig und alternativlos mitgetragen. Damals haben Sie noch erkannt,
dass steuerliche Anreize notwendig sind, um trotz der
schwierigen Haushaltslage aus dieser Krise gestärkt herauszukommen.
Was ist heute, nachdem die Große Koalition erst wenige Monate vorbei ist, daran falsch? Ihre 180-GradKehrtwende hin zum steuerpolitischen Stillstand kann
vor diesem Hintergrund niemand verstehen.
({3})
Wo bleiben denn Ihre Konzepte?
({4})
Mit welchen Ideen wollen Sie denn das Wachstum in
diesem Land ankurbeln? Wir jedenfalls sind der Überzeugung, dass wir den Menschen, den Bürgerinnen und
Bürgern in diesem Land, mehr Netto vom Brutto lassen
müssen.
({5})
Wir sind uns in der Regierungskoalition einig, dass die
Glättung des Einkommensteuertarifs, der Ausstieg aus
der kalten Progression und die Vereinfachung gerade des
Einkommensteuerrechts dringend notwendig sind.
({6})
Dass dies alles in Zeiten knapper Kassen eine Herausforderung bedeutet, ist unbestritten. Ein solides Konzept
und Schnellschüsse schließen sich gerade vor diesem
Hintergrund aus. Wir brauchen Zeit. Eine Steuerentlastung gehört in ein haushaltspolitisches Gesamtkonzept,
({7})
und dies lässt sich jetzt, nachdem die Zahlen der Steuerschätzung vorliegen, fundiert entwickeln.
({8})
Im Übrigen - wenn ich das noch ergänzen darf - zeigen die Zahlen, die jetzt seit knapp zwei Stunden vorliegen, dass sich die Einnahmen stabilisieren.
({9})
Aber bereits zwei Stunden später ein durchgerechnetes
Konzept zu fordern bzw. nach Bekanntgabe dieser Zahlen auf den steuerpolitischen Stillstand umzuschalten, ist
absurd, und es zeigt vor allem eines: Sie in der SPD haben sich von dem Anspruch, dieses Land zu regieren,
dieses Land zu gestalten, verabschiedet. Sie machen nur
noch eines - das zeigt auch diese Aktuelle Stunde -: Sie
machen auf billige Polemik.
({10})
Für die SPD-Fraktion hat die Kollegin Ingrid ArndtBrauer das Wort.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen
und Herren! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Selten
war eine Aktuelle Stunde so aktuell wie heute. Seit gut
zwei Stunden kennen wir die Zahlen der Steuerschätzung.
Wir hatten Schlimmes befürchtet, und es ist Schlimmes
gekommen. Ich denke, Steuerausfälle in Höhe von knapp
40 Milliarden Euro bis 2013 sind schlimm. Man muss
sich auch nicht freuen, dass wir 2013 dann das Niveau
von 2008 wieder erreicht haben werden. Ich denke, das
Ziel müsste jetzt eigentlich sein, stark gegenzusteuern.
Alle, die in den letzten Tagen bei Griechenland-Debatten gesagt haben, wer die Maastricht-Kriterien reißt,
sollte nicht mehr so viel Stimmrechte haben oder keine
Förderung mehr kriegen, sollten sich mal überlegen, wie
stark Deutschland davon betroffen wäre, wenn wir das
wirklich ernst nehmen würden, was Sie da haben verlauten lassen.
({0})
Wir haben ab 2011 eine Schuldenbremse. Ich bin
froh, dass wir sie haben. Ich mag mir gar nicht vorstellen, was die FDP machen würde, wenn wir sie nicht hätten. Wir haben sie, und wir müssen damit leben.
({1})
Ich sehe ein bisschen die Gefahr von Schattenhaushalten, weil ich mir überhaupt nicht vorstellen kann, wie
man bei dieser Situation auf der Einnahmenseite jährlich
10 Milliarden Euro weniger Neuverschuldung darstellen will. Die FDP-Steuersenkungen im Umfang von
24 Milliarden Euro oder 16 Milliarden Euro ich weiß
nicht, wo Sie augenblicklich sind; es kommt ja auch
nicht so darauf an - sind jedenfalls in der Situation überhaupt nicht zu verantworten.
({2})
Wer gestern die Griechenland-Anhörung verfolgt hat,
der hat den Chef der Bundesbank gehört, Professor
Dr. Axel Weber, der gesagt hat: Das oberste Ziel muss
die Haushaltskonsolidierung sein. Ausgeglichene Haushalte sind wichtig, aber vor allem muss die exzessive
Verschuldung zurückgetrieben werden.
Auch so etwas wie ein Hilfsprogramm für Griechenland muss man sich nämlich eigentlich leisten können,
um es zu verantworten.
Schäuble hat heute gesagt, er bleibt bei dem, was im
Koalitionsvertrag vereinbart worden ist.
({3})
Wenn ich ihn gutwillig verstehe, dann heißt das, der
Finanzierungsvorbehalt bleibt. Das wird der FDP vielleicht nicht gefallen, auch den Wählern nicht, die sich
auf diese Steuersenkungen jetzt doch ein bisschen eingestellt haben, aber FDP-Wähler sind in der Minderheit,
und die Gruppe schrumpft zusammen.
Politik muss nämlich verantwortbar für alle sein. Deswegen machen wir hier keine FDP-Politik, sondern versuchen, Politik für die gesamte Bevölkerung zu machen.
({4})
- „Familie“ ist ein gutes Stichwort. Ein heute geborenes
Mädchen hat eine Lebenserwartung von ungefähr
100 Jahren. Nur, welches Leben erwartet sie eigentlich?
({5})
Wenn sie das Glück hat, in Rheinland-Pfalz geboren
worden zu sein oder in Sachsen-Anhalt, dann erwarten
sie Kitaplätze. In anderen Bundesländern noch nicht mal
das.
({6})
Chancengleichheit bei der Bildung erwartet sie eigentlich nirgendwo, weil nämlich beide Bereiche chronisch
unterfinanziert sind - sowohl Betreuung als auch Bildung.
Wenn dieses Kind dann endlich in der Lage ist, Schulden abzutragen, wird es vor diesen Schuldenbergen stehen und sagen: Die Zinsen sorgen leider dafür, dass Sozialausgaben nicht mehr finanzierbar sind.
Dieses Mädchen wird uns dann fragen: Wo wart ihr
eigentlich, als die Steuersenker in der Verantwortung
waren? Wieso seid ihr ihnen nicht in den Arm gefallen?
Wieso habt ihr diese Steuersenkungs- und Lobbypolitik
nicht verhindert? Wenn mir diese Fragen gestellt werden
würden, müsste ich sehr viel erklären. Wenn Sie gefragt
werden würden, dann können Sie sich nicht auf Altersdemenz berufen nach dem Motto „Ich kann mich nicht
mehr erinnern“, sondern Sie müssen dann Stellung nehmen und sagen: Wir haben Klientelpolitik gemacht, und
wir haben diejenigen Familien entlastet, die sowieso
schon genug hatten.
({7})
- Nein. Sie wissen doch selber, dass die Entlastungswirkung des Kinderfreibetrages doppelt so hoch ist wie die
der Kindergelderhöhung.
({8})
Das können Sie diesem Mädchen nicht erklären. Denn
sie wird die Schulden, die Sie für die Erhöhung aufgenommen haben - Sie hatten das Geld ja auch nicht -, abtragen müssen. Dafür werden 100 Jahre, so befürchte
ich, nicht ausreichen.
Die FDP-These „Steuersenkung bewirkt Wachstum“
kann ich nicht mehr hören. Wachstum wie eine Monstranz
vor sich herzutragen, ist ein Missbrauch von Politik,
auch wenn es sich um nachhaltiges Wachstum handelt.
Was wir vielmehr brauchen, ist eine wachsende Verantwortung für nachfolgende Generationen. Darum sollten wir uns bemühen. Mit einer solchen Politik sollten
Sie beginnen. Dann können wir darüber reden, wie wir
das Geld, das wir vielleicht irgendwann einmal übrig haben, vernünftig und sozial verantwortlich verteilen.
Vielen Dank.
({9})
Das Wort hat der Kollege Peter Aumer für die
Unionsfraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten
Damen und Herren! Ich habe mich gefragt, warum die
SPD diese Aktuelle Stunde beantragt hat. Eineinhalb
Stunden nach Verkündung des Ergebnisses der Steuerschätzung sollte man über die Konsequenzen diskutieren.
({0})
Wir haben über alles diskutiert, nur nicht über die Konsequenzen. Welche Konsequenzen zieht denn die SPD
aus dieser Steuerschätzung?
({1})
Wo sind die guten Vorschläge der Opposition? Sie gibt
es nicht. Es wäre aber Ihre Aufgabe, dass Sie uns sagen,
welche Konsequenzen man aus Ihrer Sicht ziehen
müsste. Das haben Sie nicht getan. Ihr Handeln ist reiner
Populismus.
({2})
Sie schauen auf den nächsten Sonntag.
({3})
- Herr Heil, es ist so. - Sonst liegt Ihnen nichts am Herzen. Mit Ihrem Handeln erhoffen Sie sich, dass sich die
Wählerinnen und Wähler in Nordrhein-Westfalen für
eine andere Politik entscheiden.
({4})
Sie werden es aber nicht tun, weil sie Sie durchschaut
haben.
({5})
Der Fraktionsvorsitzende der SPD hat gestern in der
Aussprache zur Regierungserklärung von
Lasst uns gemeinsam um Spielräume für Handlungsfähigkeit von Politik kämpfen!
Die Steuerschätzung gibt uns den finanziellen Spielraum
vor. Das Ergebnis der Steuerschätzung begrenzt unseren
Handlungsrahmen auf der Einnahmenseite, und die
Schuldenbremse begrenzt unseren Handlungsrahmen auf
der Ausgabenseite.
Handlungsfähigkeit der Politik heißt, sich den Realitäten zu stellen
({0})
und aus den gegebenen Umständen - sprich: aus den
heute erhaltenen Zahlen und Daten - die richtigen Konsequenzen zu ziehen. Die Menschen in Deutschland
trauen uns das zu. Darum und auch, weil die Menschen
Vertrauen haben in den Gestaltungswillen, in das Verantwortungsbewusstsein und die Nachhaltigkeit unserer
Politik, ist die christlich-liberale Koalition heute in Regierungsverantwortung.
({1})
Dieses Vertrauen werden wir nicht enttäuschen.
Die Maßnahmen, die in Deutschland bereits während
der Zeit der Großen Koalition ergriffen wurden, haben
dazu beigetragen, dass wir die Talsohle der Krise schneller durchschritten haben als von vielen erwartet.
({2})
Dieser Erfolg schlägt aber noch nicht auf die Steuereinnahmen durch. Die Rezession hinterlässt tiefe Spuren in
den öffentlichen Haushalten. Das trifft Bund, Länder
und Kommunen mit gleicher Härte.
({3})
Besonders müssen wir darauf achten, dass den Kommunen die finanzielle Basis nicht entzogen wird.
({4})
Deswegen ist die Gemeindefinanzkommission eingesetzt worden.
({5})
- Herr Poß, schreien Sie nicht immer dazwischen! Ich
denke, wir sollten konstruktiv zusammenarbeiten.
({6})
Politik mit Augenmaß ist gefragt. Nicht alles Wünschenswerte ist machbar. Wir verfolgen eine Finanzpolitik aus einem Guss,
({7})
ein verantwortungsbewusstes Gesamtkonzept, das aus
einem Dreiklang besteht: Konsolidieren, Investieren und
Entlasten. Das wollen wir, Herr Poß.
({8})
Wir müssen die Investitionen in Bund, Ländern und
Kommunen auf hohem Niveau halten. Gerade die Investitionen in Bildung müssen ausgebaut werden, damit wir
im internationalen Wettbewerb mithalten und unseren
jungen Menschen optimale Ausgangsbedingungen bieten können.
Mit dem Wachstumsbeschleunigungsgesetz haben wir
Familien gestärkt und Impulse für mehr Wachstum gesetzt.
({9})
Auch dadurch konnte der erwartete Einbruch am Arbeitsmarkt verhindert werden.
Wir wollen eine steuerliche Entlastung insbesondere
für die unteren und mittleren Einkommensbereiche. Hier
soll vor allem die kalte Progression angegangen werden;
denn sie ist leistungsfeindlich, gerade für die Leistungsträger im mittleren Bereich unserer Gesellschaft.
({10})
Außerdem wollen wir ein einfacheres und gerechteres
Steuerkonzept.
({11})
Vor dem Hintergrund der veröffentlichten Zahlen gilt
weiterhin: Konsolidierung und Entlastung gehören zusammen. Das ist der Arbeitsauftrag, den uns die Wählerinnen und Wähler gegeben haben: für eine nachhaltige
Politik zu sorgen. Die Spielräume sind enger geworden.
Aber wir werden diese Spielräume der Handlungsfähigkeit von Politik zum Wohle unseres Landes nutzen. Wir
hoffen, dass die Worte Ihres Fraktionsvorsitzenden,
meine sehr geehrten Damen und Herren von der SPD,
keine reine Plattitüde waren, sondern ein konstruktives
Angebot mit Blick auf eine zukunftsorientierte Politik,
für die wir, CDU und CSU, stehen - in Verantwortung
für unser Land.
({12})
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({13})
Das Wort hat der Kollege Leo Dautzenberg für die
Unionsfraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Wenn man ein Fazit dieser
Aktuellen Stunde zieht, Herr Kollege Poß, muss man
feststellen: Der Versuch, die Wähler in Nordrhein-Westfalen zu verunsichern, ist gescheitert.
({0})
Was hat uns die Aktuelle Stunde gegeben? Erstens hat
sie erbracht, dass die Steuerschätzung zeigt, dass wir sowohl unsere solide Finanzpolitik als auch unsere konsequente Wachstumspolitik fortsetzen müssen.
({1})
Die Steuerschätzung für das Jahr 2010 zeigt ein stabilisiertes Niveau. 2011 werden die Steuereinnahmen etwas
geringer sein. Dies ist aber dadurch bedingt, dass dann
unser Steuerentlastungspaket seine volle Wirksamkeit
entfaltet.
({2})
Wenn Sie das einmal gegenrechnen, stellen Sie fest, dass
sich die Einnahmesituation weiter stabilisiert. Der Herr
Staatssekretär hat recht: Trotz dieser Tatbestände haben
wir weiterhin einen engen finanziellen Spielraum. Aber
ein enger finanzieller Spielraum bedeutet doch nicht einen Stillstand; vielmehr resultiert er daraus, dass aus der
Zielsetzung von Haushaltskonsolidierung und steuerlicher Entlastung die notwendigen Konsequenzen gezogen und die entsprechenden Wege gegangen werden.
({3})
Haushaltskonsolidierung und steuerliche Entlastung
sind keine Gegensätze. Unsere steuerliche Entlastung
wird sich an den Grundsätzen und Prinzipien der Haushaltskonsolidierung ausrichten. Das sind zum einen die
verfassungsmäßige Vorgabe der Schuldenbremse und
zum anderen das, was bis 2014 weiterhin zu leisten ist.
Wenn Sie die von der Steuerschätzung prognostizierten
Steuerausfälle bis 2013 von über 30 Milliarden Euro
schon als einen Tatbestand dafür sehen, dass es unter
Umständen keinen Spielraum mehr geben sollte, dann
frage ich mich: Wie wollen Sie zukünftig Politik für dieses Land gestalten, wenn Sie das schon als unüberbrückbare Hürde ansehen? Das ist für mich nicht nachvollziehbar.
({4})
Herr Poß und liebe Kolleginnen und Kollegen von der
SPD-Fraktion, ein zweiter Punkt. Stellen Sie doch nicht
bei dem, was wir in der Großen Koalition im steuer- und
finanzpolitischen Bereich gemeinsam auf den Weg gebracht haben, das Licht unter den Scheffel!
({5})
Die christlich-liberale Koalition hat diese Politik in Teilbereichen im Grunde fortgesetzt.
({6})
Wenn wir dies fortsetzen, kann es doch im Verhältnis zu
dem, was wir vorher gemacht haben, nicht falsch sein.
({7})
- Das ist kein Quatsch, sondern wir haben es konsequent
fortgesetzt, indem wir die Familien mit Kindern mit Wirkung vom 1. Januar 2010 weiter entlastet haben, in einem Volumen - es ist genannt worden - von rund 5 Milliarden Euro, wobei der überwiegende Teil zudem nicht
in den Steuerfreibetrag hineinging, sondern in das Direktkindergeld. Wenn Sie das Direktkindergeld sehen,
dann können Sie sich doch auch vorstellen, welche Bevölkerungsgruppen damit in den Genuss des höheren
Kindergeldes gekommen sind. Warum sollten wir diesen
Prozess und diesen Weg jetzt nicht fortsetzen?
Deshalb ist unsere Zielsetzung: Wenn wir den finanziellen Spielraum aus der Konsolidierung und neben ihr
haben, dann wird sich das in dem Bereich der unteren
und mittleren Einkommen vollziehen, um die kalte Progression weiter abzubauen. Wir haben doch selber in
dem Wachstumspaket bereits mit dem Abbau der kalten
Progression begonnen, indem wir technisch die sogenannte Rechtsverschiebung vorgenommen haben. Das
ist doch nichts anderes als der Abbau der kalten Progression.
Also stellen Sie doch das Licht unserer gemeinsamen
Ergebnisse nicht unter den Scheffel.
({8})
Es war eine erfolgreiche Politik in diesem Bereich, und
diese erfolgreiche Politik finden wir jetzt auch als Ergebnis der Steuerschätzung wieder. In der Koalition mit den
Liberalen werden wir diesen Weg verstärkt und konzentriert in weiteren wichtigen Bereichen fortsetzen. Der erforderliche Spielraum ist gerade wegen der Steuerschätzung vorhanden.
({9})
Wenn hier wiederum das Argument kommt, mit dieser Politik bluteten die Kommunen aus, dann frage ich
Sie: Zu welchem Zeitpunkt ging es den Kommunen in
Deutschland am schlechtesten, wenn Sie deren gesamte
Einnahme- und Finanzsituation sehen? - Das war doch
in dem Zeitraum 2002 bis 2005.
({10})
In dieser Zeit bestand bei den Kommunen immer Unterdeckung. Von 2005 bis 2008 verzeichneten wir Haushaltsüberschüsse der Kommunen.
({11})
Außerdem reden Sie davon, wir hätten die Kommunen ausgenommen. Worunter sie jetzt selbstverständlich
zu leiden haben, ist der konjunkturelle Einbruch bei der
Gewerbesteuer.
({12})
Da haben wir im Grunde genommen eine andere Vorstellung, als Sie sie verfolgen. Sie wollen eine Verbreiterung
der Bemessungsgrundlage mit Hinzurechnungen, nämlich Substanzbesteuerung. Wir wollen eine gewinnbezogene Besteuerung auf kommunaler Ebene mit eigenem
Hebesatzrecht, sodass die Kommunen auch noch selber
gestalten können, wie sie ihre Einnahmen erzielen, und
damit auch zu einer kontinuierlichen Einnahmesituation
kommen.
Das Fazit ist also: Diese Aktuelle Stunde hätten Sie
sich auch sparen können. Aber wir können sie jederzeit
wiederholen.
Vielen Dank.
({13})
Die Aktuelle Stunde ist beendet.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 6 a und 6 b auf:
a) - Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und der FDP eingebrachten
Entwurfs eines … Gesetzes zur Änderung des
Erneuerbare-Energien-Gesetzes
- Drucksache 17/1147 Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz
und Reaktorsicherheit ({0})
- Drucksache 17/1604 Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Maria Flachsbarth
Dirk Becker
Dorothée Menzner
- Bericht des Haushaltsausschusses ({1})
gemäß § 96 der Geschäftsordnung
- Drucksache 17/1607 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Bernhard Schulte-Drüggelte
Heinz-Peter Haustein
Sören Bartol
Michael Leutert
Sven-Christian Kindler
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz
und Reaktorsicherheit ({2}) zu dem
Antrag der Abgeordneten Dorothée Menzner,
Eva Bulling-Schröter, Ralph Lenkert, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE
Solarstromförderung wirksam ausgestalten
- Drucksachen 17/1144, 17/1604 Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Maria Flachsbarth
Dirk Becker
Dorothée Menzner
Zu dem Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU
und der FDP liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen vor. Über den Gesetzentwurf
werden wir später auf Antrag der Fraktion Die Linke namentlich abstimmen.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen
Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege
Dr. Christian Ruck für die Unionsfraktion.
({3})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Mit der heutigen Novelle des Erneuerbare-Energien-Gesetzes korrigiert die christlich-liberale Koalition
({0})
Fehlentwicklungen der Vergangenheit, weist einen Weg
in die Energieversorgung der Zukunft und stärkt den
Wirtschaftsstandort Deutschland. Wir setzen konsequent
das um, was wir in der Koalitionsvereinbarung zur Fotovoltaik vereinbart haben.
Es ist unbestritten, dass die dynamische Entwicklung
des Marktes für Fotovoltaik und der schnelle Ausbau der
Produktionskapazitäten die Kosten und Preise für Fotovoltaikanlagen in den letzten Jahren stark haben sinken
lassen. Im Interesse der Bürgerinnen und Bürger, die das
alles bezahlen, im Interesse eines effizienten Klimaschutzes und im Interesse der Technologieführerschaft
Deutschlands müssen wir handeln. Wir haben dabei das
Wohl aller im Auge und nicht nur das Interesse der Branche.
Wir setzen mit der heutigen Novelle des EEG den erfolgreichen Weg fort, den Helmut Kohl und Klaus
Töpfer mit der Schaffung des Stromeinspeisungsgesetzes eingeschlagen haben. Dank dieser historischen Weichenstellung hat Deutschland heute auf europäischem
und internationalem Gebiet die Technologieführerschaft
bei den erneuerbaren Energien erkämpft. Deutschland ist
im Bereich der Fotovoltaik weltweit technologisch führend. Insbesondere im Hinblick auf den Export und den
zukünftig zu erwartenden weltweiten Ausbau der Fotovoltaik ist es wichtig, dass wir diesen Technologievorsprung bewahren und, wenn möglich, ausbauen.
({1})
Die bisherige Förderung der Fotovoltaik war sehr
stark darauf ausgerichtet, einen Markt zu schaffen und
die Markteinführung voranzutreiben. Angesichts der
Zahlen zum Zubau von Fotovoltaik von 3 600 Megawatt
im vergangenen Jahr und erwarteten über 6 000 Megawatt in diesem Jahr kann man nur sagen, dass diese
Markteinführung sehr erfolgreich war.
({2})
Die Erwartungen der Experten gehen auch unter veränderten Förderbedingungen von einem erheblichen Zubau
in den nächsten Jahren aus.
({3})
Dem haben wir mit einem Zubaukorridor von bis zu
3 500 Megawatt Rechnung getragen.
({4})
Das ist mehr als doppelt so viel, Herr Kelber, wie der
frühere Bundesumweltminister angepeilt hat.
({5})
- Sagen Sie nicht, das sei falsch, wenn ich das sage.
({6})
Von einem Abwürgen der Fotovoltaik kann also überhaupt keine Rede sein. Mit der jetzigen Novelle entwickeln wir die Förderung weiter, damit sie den aktuellen
Marktgegebenheiten besser angepasst wird und damit
die Integration in den Energiemix und die Netze verbessert wird. Wir geben der Fotovoltaik in Deutschland damit eine neue und zukunftsfähigere Richtung.
Es ist eine Tatsache - die Branche selbst hat es zugegeben -, dass sich aufgrund der gefallenen Preise für Solarmodule eine Überförderung entwickelt hat. Auf 20 Jahre
gesicherte Renditen weit oberhalb dessen, was am Kapitalmarkt zu erzielen ist, haben zu Marktverwerfungen
bis hin zu schier unglaublichen Pachtraten für Ackerflächen geführt. Selbst ein namhafter Vertreter der Branche
sagt, dass die Branche Speck angesetzt hat. Genau das
tut Deutschland angesichts wachsender internationaler
Konkurrenz nicht gut. Es tut auch der Akzeptanz des
EEG auf lange Sicht nicht gut.
({7})
Wir richten deshalb die Förderung der Fotovoltaik so
aus, dass wir sie wieder mit gutem Gewissen vor den
Bürgerinnen und Bürgern vertreten können. Den Menschen, die den Boom bezahlen, ist es egal, ob wir das
Subventionen, Förderung, Markteinführungshilfe oder
wie auch immer nennen.
({8})
Wenn wir ihnen schon zwangsweise Geld aus der Tasche
ziehen, um damit Fotovoltaik zu fördern - das ist mit kumulierten 70 bis 100 Milliarden Euro eine ganz erhebliche Zahl -, dann müssen wir das gut begründen können.
({9})
Subventionen von 150 000 Euro pro Arbeitsplatz oder
auch die CO2-Vermeidungskosten, die bei Fotovoltaik
zehnmal so hoch sind wie bei Windkraft, sind keine gute
Begründung. Deutschland auch in dieser Technologie
für den Weltmarkt fit zu machen, ist eine gute und richtige Begründung. Genau das wollen wir fördern.
({10})
Liebe Frau Höhn, es bedarf in Deutschland bei der
Fotovoltaik eines weiteren Innovationsschubes. Der
Aufbau der Fotovoltaikindustrie war sehr erfolgreich.
Aber jetzt müssen Kosten weiter gesenkt werden, Herstellungsverfahren müssen effizienter gestaltet werden,
höchste Qualität und Leistung müssen im Vordergrund
stehen. Diesem Ziel dient auch die von der Bundesregierung beschlossene „Innovationsallianz Fotovoltaik“. Wir
müssen jetzt das, was wir am besten können, nämlich
unsere Technologie- und unsere Ingenieurskunst, weiter
verbessern und unsere Rolle auf dem Weltmarkt weiter
behaupten.
({11})
Wenn der damalige SPD-Umweltminister und jetzige
SPD-Parteivorsitzende dies rechtzeitiger erkannt hätte,
dann hätten wir schon früher umsteuern können.
Den notwendigen Innovationsschub auszulösen, dem
dient auch die deutliche Verbesserung der Regelungen
zum Eigenverbrauch von fotovoltaisch erzeugtem
Strom. Wer den Strom, den seine eigene Anlage produziert, in nennenswerter Weise selbst nutzt, bekommt eine
höhere Vergütung als der, der seinen Strom lediglich ins
Netz speist. Damit geben wir einen technologisch neutralen Anreiz zum intelligenten Umgang mit Strom bis
hin zur Entwicklung und dem Einsatz von Speichertechnik. Das ist für das Energieversorgungssystem in
Deutschland und auch für die Zukunft der erneuerbaren
Energien dringend nötig.
({12})
Aber das kann nur der Anfang sein. Wir brauchen einen intelligenteren Umgang mit Strom, eine intelligente
Steuerung des Verbrauchs im eigenen Haus bis hin zu intelligenten Netzen. So wird die Zukunft der Energiegewinnung und die Zukunft der Energienutzung im Bereich der Fotovoltaik aussehen müssen. Dazu müssen
wir aber noch etliche Schritte gehen. Hierzu dient auch
die uns heute vorliegende Novelle des EEG.
Ich möchte bekennen, dass auch wir etwas als Fehlsteuerung ansehen. Wir haben dafür gekämpft - das war
auch bei uns mit heftigen Diskussionen verbunden -,
dass wahr wird, was wir beschlossen haben, nämlich
vom Acker weg aufs Dach, und zwar nicht nur aus irgendwelchen ökonomischen Gründen - es gibt gute
Gründe, das ganz anders zu sehen, siehe Anhörung -,
sondern auch aus grundsätzlichen Erwägungen. Diese
Erwägungen muss man nicht teilen, aber wir haben diese
Erwägungen angestellt und insofern die entsprechenden
Konsequenzen daraus gezogen.
({13})
Das hat etwas mit der Frage zu tun, was wir mit unseren
Äckern, Landschaften, Wiesen in Zukunft anfangen wollen.
({14})
- Frau Höhn, das eine widerspricht nicht dem anderen.
Man muss über alles dieselben Kriterien ansetzen; da haben Sie vollkommen recht.
({15})
- Auch darüber kann man diskutieren, aber heute ist die
Novelle des EEG dran.
Bei dem Beschluss für diese Novelle handelt es sich
also um eine Grundsatzentscheidung, worüber man auch
anderer Meinung sein kann.
Diese Novelle ist der Auftakt zu einer intensiven Diskussion um die Zukunft unserer Energieerzeugung und
um die Zukunft der Klimaverträglichkeit dieser Energieerzeugung. Der Rahmen für unsere Energiepolitik ist die
Erreichung der Klimaziele.
Kollege Ruck, achten Sie bitte auf Ihre Redezeit.
Jawohl. - Dieser Rahmen heißt: 30 Prozent Anteil der
erneuerbaren Energien an der Stromversorgung im Jahre
2020.
({0})
- Mindestens, ja; das ist der Rahmen.
({1})
Dieses Ziel und das Ziel der CO2-Reduktion um
40 Prozent bis 2020
Kollege Ruck, Sie sprechen jetzt auf Kosten Ihrer
Kollegen.
- müssen wir mit den ökonomischen Instrumenten erreichen, die wir haben. Sonst werden wir diese Aufgabe
nicht schultern können.
Vielen Dank.
({0})
Das Wort hat der Kollege Dr. Matthias Miersch für
die SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Lieber Herr Kollege Ruck, wenn Sie sagen, dass diese
Novelle der Auftakt zu zukünftigen Gesetzen in Sachen
zukünftiger Energieversorgung, die die Regierung und
die Mehrheit des Bundestages vorhat, sein soll, dann
schwant mir Böses. All diejenigen, die in irgendeiner
Form dieses stoppen können, sind aufgerufen - zum ersten Mal bei der NRW-Wahl am Sonntag -, diese falsche
Politik zu beenden.
({0})
Herr Kollege Ruck, wenn Sie hier eine Ruck-Rede
zugunsten dieser Novelle halten, dann sage ich Ihnen: Es
wäre schön gewesen - dies ist ein Anspruch, den Politik
haben sollte -, wenn man sich mit Sachverständigenvoten auseinandergesetzt hätte. Wir haben im Umweltausschuss eine Sachverständigenanhörung durchgeführt. Die überwiegende Mehrheit der Sachverständigen
hat bei dieser Anhörung gesagt, das, was Sie hier vorhaben, gefährdet den Fortschritt der Bundesrepublik
Deutschland in dieser Technologie und viele Tausende
von Arbeitsplätzen in Deutschland.
({1})
Wenn man selbst den Sachverständigen nicht glaubt,
dann sollte man wenigstens den eigenen Kolleginnen
und Kollegen glauben. Ich sage Ihnen: Schauen Sie einmal, was Ihre Kolleginnen und Kollegen im Bundesrat
für Warnungen ausgestoßen haben. Wenigstens das hätte
Sie dazu bewegen müssen, hier an der einen oder anderen Stelle etwas zu ändern. Aber auch hier, liebe Kolleginnen und Kollegen von CDU/CSU und FDP, waren
Sie auf beiden Ohren taub.
Gestern haben wir eine sehr bedeutende Vorstellung
im Umweltausschuss durch den Sachverständigenrat für
Umweltfragen erlebt. Der Sachverständigenrat hat uns
das erste Mal, wissenschaftlich begleitet, gezeigt, dass
bis 2050 eine Versorgung von 100 Prozent mit Erneuerbaren möglich ist.
({2})
Er hat gesagt, dass es eine Mär ist, im Zusammenhang
mit den Erneuerbaren von einer Stromlücke zu reden. Er
hat gesagt, dass es für die Verbraucherinnen und Verbraucher sogar kostengünstiger sein wird, auf erneuerbare Energien zu setzen. Er hat gesagt, dass hier, in den
erneuerbaren Energien, das Potenzial liegt.
Dieser Sachverständigenrat hat aber auch gesagt, dass
all das nur möglich ist, wenn wir die erneuerbaren Energien schnell ausbauen. Er hat gesagt, dass wir den Ausbau der Stromnetze brauchen. Er hat gesagt, dass wir uns
nicht auf Nebenkriegsschauplätze begeben dürfen
- Stichwort: Hoffnung auf den Ausstieg aus dem Ausstieg aus der Atomenergie -, weil das eine Sackgasse sei.
Er hat auch gesagt, dass wir eine Investition in Effizienz
brauchen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU
und FDP, lieber Bundesminister Röttgen, wenn Sie sich
dieses Gutachten des Sachverständigenrates ansehen und
dann vergleichen, was Sie heute hier und aktuell auch in
anderen Politikbereichen tun, dann sehen Sie, dass Sie
genau das Gegenteil beschließen und damit all diese
hehren Ziele gefährden.
({3})
Ich frage Sie, Herr Bundesminister Röttgen: Wie
lange wollen Sie sich von den Kolleginnen und Kollegen
am Nasenring durch die Manege führen lassen? Wie
lange wollen Sie sich demütigen lassen, wenn es um
MAP und all diese Programme geht, die genau die Ziele,
die Sie immer wieder proklamieren und sogar noch diese
Woche proklamiert haben, konterkarieren? Das ist alles
andere als eine glaubwürdige Politik. Wenn man glaubwürdig sein will, dann muss man sich hier hinstellen und
sagen: Damit kann ich die Umweltziele, für die ich stehe
und für die ich auf internationaler Ebene werbe, nicht erreichen. Das müssen Sie hier heute machen. Ich frage
mich wirklich, wie lange Sie in Ihrer Rolle überhaupt
noch bestehen können. Es kann keine glaubwürdige
Politik sein, wenn man genau das Gegenteil dessen tut,
was die Sachverständigen empfohlen haben.
({4})
Ich will das an drei Punkten deutlich machen. Erstens.
Sie sprechen von einer Laufzeitverlängerung. Dabei hat
uns der Sachverständigenrat eindeutig gesagt, das ist ein
völliger Irrweg. Ich hoffe, dass dieser Spuk spätestens
am Sonntag durch die Änderung der Bundesratsmehrheit
vorbei ist.
({5})
Zweitens. In Sachen Effizienz gehen Sie genau in die
falsche Richtung.
({6})
Sie streichen bei den kommunalen Klimaschutzprogrammen. Sie streichen bei den Marktanreizprogrammen. Sie
machen das Gegenteil von dem, was die Effizienz steigern soll. Es kann doch nicht wahr sein, dass man sich
dann hier hinstellt und sagt: Wir machen zukünftige Klimapolitik.
Drittens. Sie kürzen die Mittel und gefährden in unverantwortlicher Weise genau den Bereich, auf den es
ankommen wird, nämlich den Bereich der Erneuerbaren.
Um Ihnen ein aktuelles Feedback zu geben, will ich
Ihnen ein paar Dinge aus meinem Wahlkreis, aus Hannover, sagen. Erstes Beispiel. Die CDU-Bürgermeister
sagen: Wir haben vor Ort mit Klimaschutzmaßnahmen
begonnen. Bei uns ist viel unterwegs. Die Mitteilungen
aus Berlin über Kürzungen gefährden jahrelange Aufbauarbeit. Sie, Herr Röttgen, wollen die kommunalen
Klimaschutzprogramme, die auf den Weg gebracht worden sind, rückwirkend stoppen. Ihre eigenen Kommunalpolitiker werfen Ihnen diese Politik vor. Lassen Sie die
Finger davon, und heben Sie endlich diese Sperre auf.
({7})
Zweites Beispiel. Selbst die Handwerkskammer in
Hannover fragt: Wo liegt das Potenzial der Zukunft? Das liegt im Bereich der Effizienz und im Bereich der
Erneuerbaren. Selbst der Geschäftsführer der Handwerkskammer in Hannover sagt: Genau diese Entscheidungen gefährden Investitionen, gefährden Investitionssicherheit, gefährden Vertrauen in diese Investitionen
und damit sehr viele Arbeitsplätze im Mittelstand. - Ich
finde, auch auf diese Leute sollten Sie in solchen Stunden einmal hören.
({8})
Ich glaube, dass man sich hierbei wirklich sehr besonnen angucken sollte, wo Förderungen angezeigt sind und
wo sie zurückgenommen werden sollten. Da Sie von
Profit von einigen wenigen reden, wünsche ich mir, dass
wir diese Diskussion vor allen Dingen auch dann einmal
führen, wenn es um Profite der großen Konzerne geht,
die dadurch entstehen, dass Sie den Beschluss über den
Ausstieg aus der Atomenergie rückgängig machen wollen. Wer redet bei Ihnen eigentlich darüber?
({9})
Wer redet darüber, dass all das, was wir augenblicklich befürchten, in Spanien bereits erkennbar gewesen
ist, wo man in unverantwortlicher Weise gekappt hat und
wo genau diese Zukunftsbranche in den Keller gegangen
ist? Es gibt diese Beispiele. Ich wünsche mir, dass Sie
sich mit diesen Argumenten einmal hätten auseinandersetzen können. Dann wäre vielleicht ein bisschen Spielraum gewesen.
Wir haben alternative Anträge eingebracht. Sie sind
darauf nicht eingegangen. Ich glaube, dieses ist alles andere als eine zukunftsfähige Energiepolitik, Herr Ruck.
Nein, das geht in die völlig falsche Richtung.
Herr Kollege.
Ich hoffe, Sie besinnen sich irgendwann noch in dieser Legislaturperiode. Ansonsten sieht es, glaube ich,
schlecht für die Zukunft der Energiepolitik hier in der
Bundesrepublik Deutschland aus.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
({0})
Für die FDP spricht der Kollege Michael Kauch.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr
Miersch, es wäre schön gewesen, wenn Sie darüber
gesprochen hätten, was auf der Tagesordnung steht,
nämlich über die Solarförderung.
({0})
Sie haben einen Rundumschlag über die Klimapolitik
gemacht. Das hatten wir heute Morgen schon, als das auf
der Tagesordnung stand. Dadurch haben Sie wieder einmal deutlich gemacht, dass es Ihnen um nichts anderes
als darum geht, hier Wahlkampfbotschaften zu senden.
Nachdem ich das hier so gehört habe, muss ich Sie
schon fragen: Was würde denn mit Solarfirmen in Nordrhein-Westfalen passieren, wenn Rot-Rot-Grün in dem
Land regieren würde?
({1})
Die Investitionsbedingungen würden dann so sein, wie
sie 2005 waren, als NRW bei den Investitionsbedingungen auf dem letzten Platz lag. Wir haben NRW nach
vorne gebracht. Es ist ein Aufsteigerland geworden. Mit
Ihnen - Rot-Rot-Grün - würde es wieder ein Absteigerland werden,
({2})
und zwar auch für die Solarindustrie. Sie würde dann
auch nicht mehr in NRW investieren wollen.
({3})
Im Übrigen: Kein Bürger, der sich für Solarenergie in
Nordrhein-Westfalen einsetzt, wird wollen, dass die Altkommunisten aus der Linken in Nordrhein-Westfalen in
die Regierung kommen. Wegen der Leute, die dort mit
Ihnen in die Regierung wollen, schütteln sich ja schon
die meisten Ostlinken.
({4})
Wir werden deshalb hier und heute über eine gute, zukunftsfähige Reform der Solarförderung reden.
Die Kosten für Solarmodule sind drastisch gefallen,
und ich glaube, es ist fair, dass die Verbraucherinnen und
Verbraucher von diesen Kostensenkungen profitieren;
denn wir machen Umweltpolitik für die Menschen in
diesem Land, für die Verbraucherinnen und Verbraucher,
für die Familien, die mit ihren Stromrechnungen die erneuerbaren Energien finanzieren, und wir machen sie
nicht, damit Anleger Traumrenditen erzielen. Das ist die
Politik von Rot-Grün: möglichst viel Geld für diejenigen, die anlegen.
({5})
Das ist die Umverteilung von unten nach oben, die Sie
ansonsten anprangern.
({6})
Deshalb ist es richtig, dass wir die Kostensenkungen
an die Verbraucher weitergeben. Das ist auch tragfähig;
denn wir machen das sehr maßvoll. Die Wettbewerbsfähigkeit der Solarbranche wird in vollem Umfang erhalten bleiben.
({7})
Das Ausbauziel für Solaranlagen ist in diesem Gesetzentwurf gegenüber dem, was der SPD-Umweltminister Gabriel damals verabschiedet hat, um mehr als
50 Prozent gesteigert worden.
({8})
Deshalb ist es ein Märchen, dass hiermit die Solarbranche kaputtgemacht werde.
({9})
Ich kann nur Kai Lippert vom Bundesverband Solarwirtschaft zitieren, der im Bauernblatt-Sonderdruck ge3876
sagt hat, dass die Lage zwar schwierig sei, aber „Photovoltaikanlagen weiterhin eine attraktive … Geldanlage“
seien.
({10})
Der Verband hat bei der Anhörung in unserer Fraktion
das eine gesagt, im Bauernblatt-Sonderdruck das andere.
Es ist ganz klar: Wenn ich Interessenvertreter wäre und
etwas gekürzt werden sollte, dann würde auch ich mit
Sicherheit schreien.
({11})
Wir müssen aber einmal realisieren, dass die Vertreter
der Verbraucher viel größere Kürzungen gefordert haben. Das, was wir gemacht haben, ist ein sehr fairer Mittelweg zwischen den Forderungen der Verbraucherschützer und den Forderungen der Branche.
({12})
Wir von der FDP haben insbesondere darauf gedrungen - es ist uns tatsächlich gelungen, dies im neuen Koalitionskompromiss zu verankern -, dass wir in diesem
Jahr die Kostensenkungen umsetzen, aber im nächsten
Jahr eine sehr maßvolle Degression vornehmen, damit
wir nicht zu viel auf einmal absenken und die Unternehmen weder überfördern noch überfordern. Wir würgen
die Unternehmen eben nicht ab; vielmehr erhalten sie im
nächsten Jahr eine Möglichkeit zum Durchatmen: Im
Vergleich zu dem, was sonst vorgesehen war, flachen wir
die Degression ab. Wir haben also maßvoll agiert.
Es ist uns gelungen, den Vertrauensschutz für Investoren deutlich zu verbessern. Beispielsweise hatten Hausbesitzer, die wegen des harten Winters ihre Module nicht
auf dem Dach anbringen konnten, dank der von den Koalitionsfraktionen durchgesetzten Änderungen drei Monate mehr Zeit, ihre Anlagen zu installieren. Das ist ein
gutes Ergebnis. Wir, die Koalitionsfraktionen, haben erreicht, dass jeder Hausbesitzer, der eine Anlage auf dem
Dach anbringen wollte, dies zu den alten Konditionen
umsetzen konnte. Auch bei den Freiflächenanlagen haben wir den Vertrauensschutz verbessert, allerdings nicht
so sehr, wie wir Liberale uns das gewünscht hätten. Solche Gesetze sind eben immer auch Kompromisse.
({13})
Herr Ruck, es sei mir erlaubt, einen Punkt anzusprechen, bei dem Sie gesagt haben, man könne das auch anders sehen: Ja, wir sehen das anders; der Ausschluss der
Ackerflächen war nicht unsere Idee.
({14})
Aber auch hier gilt: Eine Koalition bedeutet immer ein
Geben und ein Nehmen. Die Union hat sich beim Ausschluss der Ackerflächen durchgesetzt. Wir haben uns bei
der Ausweitung der Konversionsflächen durchgesetzt, bei
denen es zu einer deutlich geringeren Degression als bei
anderen Standorten kommt, und die Randstreifen von Verkehrswegen sowie Verkehrs- und Wohnungsbauflächen
hinzugenommen. Falls sich herausstellen wird, dass
nicht genügend Flächen für die Fotovoltaik vorhanden
sind, kann man gegebenenfalls im Rahmen der großen
EEG-Novelle im Jahre 2012 Veränderungen vornehmen.
({15})
Ich möchte in Richtung der SPD eines deutlich sagen:
Wir haben einen Punkt an diesen Gesetzentwurf angehängt, nämlich die Härtefallregelung für energieintensive
Unternehmen, die aufgrund eines BGH-Urteils ihre Anträge nicht mehr fristgerecht stellen konnten, obwohl sie
tatsächlich energieintensiv sind. Die SPD-Fraktion war
im Umweltausschuss des Deutschen Bundestages die
einzige Fraktion, die gegen diese Regelung gestimmt
hat. Das ist eine Politik gegen die Chemieparks wie etwa
in Marl und Krefeld. Darüber sollte eine Partei, die einst
die Arbeiter in diesem Land vertreten wollte, einmal
nachdenken.
Vielen Dank.
({16})
Ralph Lenkert hat das Wort für die Fraktion Die
Linke.
({0})
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren!
Das Erneuerbare-Energien-Gesetz, EEG, ermöglichte
das Entstehen von Firmen, die im deindustrialisierten
Osten für neue Arbeitsplätze und neuen Lebensmut gesorgt haben. Insbesondere dank der Solarbranche sank
zum Beispiel die Arbeitslosenquote in der Region Erfurt
von 19 Prozent im Jahr 2005 auf 12 Prozent im Jahr
2009. Das ist ein Riesenerfolg. So weit, so gut.
({0})
Zum 1. Januar 2010 sank die Einspeisevergütung für
Solarstrom aber um 9 Prozent. Zum 1. Januar 2011 wird
sie, das ist seit längerem geplant, um weitere 9 bis
11 Prozent sinken. Das ist viel. Jetzt will die Regierung
die Vergütung zum 1. Juli um weitere 16 Prozent senken.
Das können die Firmen nicht verkraften. Die Folgen sind
Unsicherheiten bei Firmen und Ängste bei den Beschäftigten. Geplante Fertigungsanlagen für Solarprodukte wurden
nicht mehr gebaut, und bestehende Fertigungsanlagen
sind akut gefährdet.
In einem Interview mit der Financial Times Deutschland vom 13. April dieses Jahres ließ uns der Chef von
SCHOTT Solar, Martin Heming, wissen, wegen der zum
1. Juli sinkenden Förderraten steige der Druck, kostengünstig zu produzieren; denkbar sei eine neue Fertigung
in China. Investitionen in neue Fabriken oder Erweiterungen in Deutschland seien wegen der politischen Lage
nicht mehr geplant. Sie, meine Herren und Damen von
CDU/CSU und FDP, ignorieren alle Einwände gegen die
geplanten Kürzungen.
({1})
Sie ignorieren die Proteste der Beschäftigten und Gewerkschaften. Sie wischen selbst die Warnungen von Industrieverbänden vor dem Verlust von Arbeitsplätzen
und der Technologieführerschaft vom Tisch. Ich frage
mich: Warum ignorieren Union und FDP im Bundestag
sogar die Bitte von Ministerpräsidentin Lieberknecht,
CDU Thüringen, und die Entschließung des Bundesrates?
({2})
Der Schutz der Verbraucher vor zu hohen Strompreisen
kann es nicht sein. Wir zahlen 2 Cent je Kilowattstunde
zusätzlich für die erneuerbaren Energien, aber seit 2006
stiegen die Strompreise um 4 Cent je Kilowattstunde,
und das ohne Gegenleistung und ohne Kostengründe.
({3})
Herr Kollege Lenkert, möchten Sie eine Zwischenfrage zulassen?
Nein. - Es ging Ihnen nur um Gewinnerhöhung, Bonussteigerung und Aktionärsbeglückung. Ginge es Ihnen
wirklich um die Verbraucher, hätten Sie diesen Missbrauch der Marktmacht verhindert.
({0})
Auch heute geht es Schwarz-Gelb vor allem um eines: die Gewinnsicherung für Großkonzerne.
({1})
Mit geplanten Laufzeitverlängerungen für Atomkraftwerke fing es an. Nun geht es um die Sicherung des
Stromerzeugungsmonopols für Eon, RWE, Vattenfall
und EnBW durch die Änderung des EEG.
({2})
Der umweltfreundliche Solarstrom hat das größte Potenzial dezentral, monopolbrechend erzeugt zu werden.
Mit geringem Investitionsvolumen kann man Strom
produzieren, nicht viel je Modul, aber an vielen Orten.
Solange sich kleine Anlagen rechnen, kann man die
dezentrale Erzeugung kaum verhindern. Aber mit der radikalen Kürzung der Einspeisevergütung müssen die
Anlagenkosten je installierter Kilowattstunde deutlich
sinken. Wer erhält die großen Preisrabatte bei Herstellern
und Installationsfirmen? Familie Meyer mit 20 Quadratmetern Dachfläche oder der Betreiber der 10 000 Quadratmeter im Solarpark? Wo kann man bei den viel niedrigeren Zuschüssen für Solarstrom noch wirtschaftlich
Strom erzeugen? Auf Meyers Dach jedenfalls nicht.
({3})
Dass bei ihrer Gewinnsicherung für die gierigen vier
Konzerne ein paar mittelständische Solarunternehmen in
Ostdeutschland mit 50 000 Beschäftigten hinten runterfallen, ist den Koalitionären egal. Kollateralschäden gab
es halt schon immer.
({4})
Als Ausgleich spendieren Sie eine zusätzliche Förderung
der Solarforschung: 100 Millionen Euro in vier Jahren.
Laut Greenpeace wurden Atomkraftwerke in 60 Jahren
mit 165 Milliarden Euro unterstützt. Die Förderung der
Solarindustrie erreicht bei dauerhafter Beibehaltung des
jetzigen Gesamtniveaus die Höhe der Atomförderung
- also 165 Milliarden Euro - in „nur“ 3 300 Jahren. Anders gesagt: Pro Jahr fördern Sie die Solarindustrie mit
so viel Geld, wie der Castortransport pro Jahr kostet,
wenn Sie die Laufzeit für Atomkraftwerke verlängern.
Die 100 Millionen Euro sind die 30 Silberlinge, damit
die Landesregierungen stillhalten.
({5})
Die Linke fordert in ihrem Antrag, die verheerende
Kürzung der Einspeisevergütung durch die Regierung zu
verhindern. Wir setzen auf eine kalkulierbare Verringerung der Einspeisevergütung. Die Verringerung soll zur
Vermeidung von Auftragsspitzen nicht ein Mal im Jahr,
sondern schrittweise erfolgen. Der vorliegende Antrag
brächte die notwendige Zeit für die Anpassungen in der
Solarbranche.
({6})
In den Solarbetrieben zwischen Ostsee und Bodensee,
also auch bei SCHOTT in Jena und Q-Cells in Thalheim,
warten Menschen auf das Resultat der Abstimmung.
Viele der jetzigen Beschäftigten der Solarbranche haben
jahrelang ALG II oder Hartz-IV bezogen. Manche haben
Kinder, die 2009 das erste Mal in ihrem Leben mit ihren
Eltern in einen Urlaub fahren konnten. Von unserer Entscheidung hängt es ab, ob das Schreckgespenst Hartz IV
in die Wohnungen zurückkehrt oder ob es auch 2011 einen Familienurlaub gibt.
({7})
Ob die heute 500 Azubis dieser Branche in Thüringen zu
Hause bleiben können oder westwärts ihr Glück suchen
müssen, auch das hängt von unserer Entscheidung ab.
Wir Abgeordnete sind nicht den Gewinnen der Konzernzentralen von Eon in Düsseldorf, EnBW in Karlsruhe,
RWE in Essen oder Vattenfall in Stockholm verpflichtet.
Meinen Kollegen aus Ostdeutschland und insbesondere
aus Thüringen sei gesagt: Zerstören Sie nicht die Hoffnung der Menschen in der Solarbranche! Blasen Sie einer
Zukunftsindustrie nicht das Licht aus!
({8})
Der Kollege Grund hat das Wort zu einer Kurzintervention.
Herr Kollege Lenkert, ich nehme Ihre Aufforderung direkt an. Sie haben in Ihrer Rede den Eindruck vermittelt,
dass Arbeitsplätze in Solarmodulfirmen, insbesondere in
Ostdeutschland, durch die anstehenden Kürzungen gefährdet werden. Wir kürzen die Einspeisevergütung. Es
gibt keinen Zuschuss zum Beispiel für Firmen in Erfurt,
sondern im Rahmen der Einspeisevergütung einen Zuschuss für diejenigen, die Solarmodule auf dem Dach
haben oder auf Freiflächen stellen. Bei der Einspeisevergütung wird nicht unterschieden, ob ein Solarmodul in
Erfurt hergestellt wurde oder aus Taiwan, China oder Indien kommt. Bereits heute kommt die Hälfte der in
Deutschland eingebauten Solarmodule aus dem Ausland,
und das bei einer hohen Einspeisevergütung von rund
39 Cent pro Kilowattstunde. Das heißt, wir fördern mit
der Solarförderung nicht unbedingt die Arbeitsplätze, die
wir fördern wollen, sondern Arbeitsplätze in Asien.
({0})
Das kann nicht das Ziel sein. Das ist der erste Punkt.
({1})
Das Zweite ist: Auch Sie sind vom DGB und vom
Stahlwerk in Thüringen angeschrieben und gebeten worden, als Politiker nichts mehr zu tun, was den Strompreis
in Deutschland - und sei es nur um 1 oder 2 Cent - in die
Höhe treibt.
({2})
Das, was Ihrer Rede zugrunde liegt, und das Geschrei
von Frau Höhn gefährden bestehende Arbeitsplätze in
Deutschland.
({3})
Der Kollege Lenkert hat das Wort zur Erwiderung auf
die Kurzintervention.
Kollege Grund, ich weiß nicht, wie oft Sie in China
Investitionen getätigt oder gearbeitet haben. Ich weiß
auch nicht, welche wirtschaftlichen Kenntnisse Sie haben.
Ich jedenfalls komme aus der Wirtschaft
({0})
und sage Ihnen: Wenn der Markt wegbricht, dann setzt
niemand mehr etwas ab. Sie lassen gerade den Markt
wegbrechen.
Sie berücksichtigen nicht die spezielle Situation der
hiesigen Branche. Es gab einen starken Boom und einen
sehr starken Einkaufspreisdruck. Das heißt, die Firmen
mussten langfristige Lieferverträge abschließen. Sie berücksichtigen nicht, dass die hiesigen Firmen von der
EEG-Vergütung leben mussten und dass die chinesische
Regierung - im Gegensatz zu Ihnen - die Zeichen der
Zeit erkannt hat und den chinesischen Firmen Milliardenkredite zu extrem günstigen Konditionen zur Verfügung stellt. Das ist übrigens ein Punkt, der in unserem
Antrag steht und den Sie genauso ignorieren.
({1})
Sie berücksichtigen nicht, dass der chinesische Staat den
einheimischen Markt mit einem Schutzzoll von 17 Prozent gegen die Einfuhr von Solarmodulen aus der Bundesrepublik abriegelt. Unseren Antrag, dies zu korrigieren,
haben Sie ebenfalls abgelehnt.
Ich frage mich, wie Sie behaupten können, dass Sie
wirtschaftlichen Sachverstand hätten. In meiner Firma
jedenfalls hätten Sie keinen Monat überlebt.
({2})
Hans-Josef Fell hat das Wort für Bündnis 90/
Die Grünen.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Heute wird in diesem Hohen Hause das erste bedeutende energiepolitische Gesetzesvorhaben unter der
schwarz-gelben Koalition verabschiedet. Unter dem
Deckmantel schöner Reden und guter Formulierungen
im Koalitionsvertrag bremsen Sie aber in Wirklichkeit,
meine Damen und Herren von der Koalition, das Wachstum der erneuerbaren Energien aus.
Ihre Motivation dafür ist uns klar: Sie wollen ausschließlich die Interessen der Atom- und Kohlewirtschaft bedienen.
({0})
Sie schreiben in der Begründung zur heute vorliegenden
Gesetzesnovelle zur Solarvergütung, dass die vorgesehenen Maßnahmen in ihrer Kombination grundsätzlich
dazu geeignet seien, den Zubau zu verlangsamen und
den derzeitigen, übermäßigen Ausbau auf eine Größenordnung zurückzuführen, die für die Erreichung der
deutschen Ausbauziele ausreichend sei.
({1})
Was sind denn Ihre Ziele? Bis 2020 wollen Sie einen
Anteil der erneuerbaren Energien an der Stromerzeugung von gerade einmal 30 Prozent erreichen, obwohl
die Branche der erneuerbaren Energien längst aufgezeigt
hat, dass bis 2020 circa 50 Prozent möglich sind. Im
Umweltausschuss haben die Berater der Bundesregierung vom SRU gestern gesagt, dass in Deutschland bis
2030 sogar eine hundertprozentige Stromversorgung
über erneuerbare Energien möglich ist, wenn man besteHans-Josef Fell
hende Kraftwerke frühzeitig abschaltet. Die Branche der
erneuerbaren Energien schaffe das spielend, so Herr
Hohmeyer in seiner Darstellung.
({2})
Kollege Fell, es gibt einen Wunsch nach einer Zwischenfrage des Kollegen Hirte.
Gerne.
Bitte schön.
Herr Kollege Fell, stimmen Sie mir zu, dass es problematisch ist, wenn wir in Deutschland teilweise einen
Zubau - 60 Prozent der weltweit produzierten Module haben? Stimmen Sie mir auch zu, dass Deutschland
nicht die beste Zone für solare Strahlungsenergie ist?
({0})
Stimmen Sie mir vor diesem Hintergrund zu, dass es
sinnvoll wäre, diese Module in Deutschland herzustellen, dass es aber nicht sinnvoll wäre, sämtliche hergestellten Module hier zu installieren?
({1})
Herr Kollege, in der Tat gibt es in der Welt Regionen,
in denen die Solarstrahlung höher ist als in Deutschland.
Ich stimme Ihnen deswegen aber nicht zu, dass in
Deutschland kein ausreichendes Potenzial für Solarenergie vorhanden ist. Ganz im Gegenteil: Würden Sie beispielsweise nur die deutschen Dächer mit Solarstromanlagen belegen, könnten Sie genug Strom erzeugen, um
den gesamten Strombedarf in Deutschland zu decken.
Ich sage das nur, um Ihnen die Augen dafür zu öffnen,
wie groß das Potenzial hier ist. Wir haben genügend
Sonne.
({0})
Das zweite Argument ist: Wer einen Binnenmarkt im
eigenen Land eröffnet, wird auch die Technologieführerschaft haben. Genau darum geht es; denn die Fotovoltaik
wird einer der größten Zukunftsmärkte der Welt sein. Es
ist ganz wichtig, dass wir die Technologieführerschaft
Deutschlands, die wir in den letzten zehn Jahren, angefangen mit Rot-Grün, aufgebaut haben, behalten.
({1})
Aber genau hier setzen Sie an; Sie nehmen eine Gefährdung der Technologieführerschaft in Kauf.
Herr Fell, Sie haben die Chance, Ihre Redezeit weiter
zu verlängern, weil auch Herr Kauch etwas fragen
möchte.
({0})
Oh ja, ich streite mich gerne mit Herrn Kauch.
Bitte schön.
Herr Kollege, ich glaube, wir sind uns einig, dass es
notwendig ist, die Fotovoltaik aus Gründen der Technologiepolitik zu fördern. Die Fotovoltaik ist eine Technologie, die auf dem Weltmarkt auf lange Sicht sehr erfolgreich sein wird. Natürlich wollen wir - das haben auch
Sie deutlich gesagt - auf diesem Gebiet Technologieführer sein. Ich war sehr überrascht über Ihre Argumentation, dass dies alles gekürzt werde, damit die Atom- und
die Kohlelobby besondere Erfolge verzeichnen könnten.
Können Sie meiner Feststellung zustimmen, dass der
Beitrag der Fotovoltaik an der Stromerzeugung momentan etwa 1 Prozent und der Anteil der erneuerbaren
Energien an der Stromerzeugung insgesamt gut 15 Prozent betragen und dass die Frage, ob Kohle oder Nuklearstrom in Zukunft möglicherweise einen geringeren Anteil
haben, nicht von der Frage der Solarförderung abhängig
ist, sondern dass sie vielmehr von den Bereichen abhängt, die von dieser Novelle überhaupt nicht tangiert
werden, nämlich von den Bereichen Wind, Wasser und
Biomasse, die einen viel höheren Anteil an der Stromerzeugung haben als die Fotovoltaik?
({0})
Herr Kollege Kauch, wir streiten im Bundestag schon
lange über die Solarförderung und die Solarindustrie. Ich
kann mich an jahrelange Auseinandersetzungen im Umweltausschuss erinnern, in denen Sie immer wieder gesagt haben, dass die Solarindustrie gar keine sinnvolle
Industrie sei, dass ihre Förderung hinausgeworfenes
Geld sei usw. Erst im letzten Jahr haben Sie die Kurve
gekriegt und das Erneuerbare-Energien-Gesetz als das
entscheidende Instrument für Technikförderung und Innovationskraft anerkannt. Das ist das eine.
Dieses Gesetz hat erst vor wenigen Jahren gegriffen.
Vor zehn Jahren hat die Fotovoltaik gerade einmal
0,0001 Prozent zur bundesdeutschen Stromerzeugung
beitragen können.
({0})
Heute sagen Sie, dass es schon weit mehr als 1 Prozent
ist; in Bayern sind es übrigens schon 3 Prozent.
({1})
Daran sieht man, wie schnell der Anteil der Fotovoltaik
wächst.
({2})
- Bleiben Sie bitte noch stehen.
({3})
- Nein. Ich bin mit meiner Antwort noch nicht fertig.
Eine Solarstromentwicklung und eine Innovationsentwicklung enden nicht mit der Betrachtung des heutigen
Tages. Wir müssen die Wachstumskurven, die hier möglich sind, auch für die Zukunft durchrechnen. Ein Beispiel ist der Mobilfunk. Die Entwicklung von den Anfängen der Mobilfunktechnologie bis zur Vollversorgung
hat in Deutschland gerade einmal zwölf Jahre gedauert.
Das sind Wachstumskurven, die auch in der Branche der
erneuerbaren Energien möglich sind und sehr schnell zu
einem sehr hohen Anteil der Bedarfsdeckung bei der
Stromversorgung führen können. Das ignorieren Sie. Ich
frage mich, woher Sie Ihren wirtschaftspolitischen Sachverstand nehmen.
({4})
In Wirklichkeit wissen Sie das doch alles, meine Damen
und Herren von Union und FDP.
Sie wissen aber auch etwas anderes - das muss an genau dieser Stelle gesagt werden -: Wenn Sie die Verlängerung der Laufzeit von Atomreaktoren durchsetzen
wollen, dann muss das erfolgreiche Wachstum der erneuerbaren Energien jetzt schnell ausgebremst werden,
weil ihr Volumen ansonsten viel zu schnell steigt.
({5})
Mit Ihrer heutigen Gesetzesänderung nehmen Sie in
Kauf, dass sogar Zehntausende von Arbeitsplätzen, vor
allem in der erfolgreichen Solarwirtschaft in Ostdeutschland, vernichtet werden und dass Unternehmen, die sich
auf Fotovoltaikfreiflächen spezialisiert haben, in Konkurs geschickt werden.
({6})
Sie nehmen in Kauf, dass der Stromsektor als größter
Emittent von Klimagasen weiterhin die Atmosphäre belasten darf und dass Deutschland länger in seiner Abhängigkeit von immer teurer werdenden konventionellen
Energieträgern verbleibt.
({7})
Meine Damen und Herren, Sie stört nicht einmal die
heftige Kritik aus den eigenen Reihen. Herr Ruck, ich zitiere Ihren Parteivorsitzenden Horst Seehofer. Er hat am
3. März dieses Jahres geschrieben:
Eine zu abrupte und drastische Kürzung birgt die
Gefahr schwerer Marktverwerfungen und bedeutet
den Verlust wertvoller Arbeitsplätze in einer hochmodernen Branche.
Recht hat er. Gemeint hat er damit die 30-prozentige
Vergütungssenkung, die Sie heute beschließen werden
und innerhalb eines Jahres umsetzen wollen. In der Anhörung im Umweltausschuss haben auch die Experten
Dr. Seeliger von der LBBW und Professor Weber vom
ISE in Freiburg vor diesen zu starken Vergütungssenkungen gewarnt. Doch fachlicher Rat aus Wirtschaft und
Wissenschaft scheint Sie überhaupt nicht zu interessieren.
Natürlich geht es auch uns Grünen nicht um die Aufrechterhaltung überhöhter Gewinne.
({8})
Wir haben immer gefordert, die Vergütungssätze mit Augenmaß zu gestalten. Wir stehen zum Schutz der Verbraucher vor überhöhten Strompreisen. Deshalb haben
auch wir für dieses Jahr eine moderate Vergütungssenkung vorgeschlagen, und zwar um 10 Prozent und in
mehreren Stufen.
({9})
Dass dies möglich ist, zeigt, dass die Kostensenkung der
Solarstromhersteller ein großer Erfolg unserer Industriepolitik in diesem Bereich ist und dass man Kostensenkungen mit Augenmaß umsetzen kann. Aber Sie gehen
mit dem Argument des Verbraucherschutzes an dieses
Thema zu scharf heran.
Aribert Peters vom Bund der Energieverbraucher hat
in der Anhörung die wahren Strompreistreiber genannt.
({10})
Die vier großen Stromkonzerne haben aufgrund ihrer
marktbeherrschenden Stellung zusätzliche Gewinne von
jährlich 6 Milliarden Euro erwirtschaftet und die Strompreise ohne jegliche Gegenleistung erhöht. Das ist weit
mehr als die gesamten Mehrkosten, die durch die Umlage im Rahmen des Erneuerbare-Energien-Gesetzes zu
verzeichnen sind.
({11})
Herr Kauch, wir nehmen Ihre Beteuerungen zum Schutz
der Stromkunden vor überhöhten Strompreisen nicht
mehr ernst; denn wir vermissen politische Aktionen zur
Verhinderung dieser Abzocke durch die Atom- und Kohlekonzerne.
Meine Damen und Herren von Union und FDP, weil
Sie immer Ihre Wirtschaftskompetenz herausstellen,
sage ich Ihnen: Einer der wichtigsten Grundsätze für
eine funktionierende Wirtschaft ist der Schutz des Vertrauens in getätigte Investitionen. Ein Hilferuf eines mittelständischen Unternehmens, der mich dieser Tage erreichte, bringt Ihre Fehlleistungen auf den Punkt. Dieser
Firmeninhaber schrieb mir: Herr Fell, zuerst wurde unsere Investition in reine Biokraftstoffe durch eine politisch nie angekündigte Besteuerung weitgehend vernichtet. In einem mutigen Schritt haben wir nun mit dem
letzten Geld in erheblichem Umfang Planungskosten für
Fotovoltaikflächen gedeckt. Und nun kommt ohne Vorankündigung
({12})
die Streichung der Vergütung für Freiflächen auf
Äckern. Da wir die festgelegten Übergangszeiträume
nicht einhalten können, werden wir nun in Konkurs gehen. - So weit der Brief.
Vor dem Radikalschlag, den Sie vorhaben, hat selbst
der bayerische Wirtschaftsminister, Martin Zeil von der
FDP, gewarnt. Am 24. Februar dieses Jahres schrieb er,
dass ein Ausschluss der EEG-Vergütung für Freiflächen
zu weit gehe. Denn gerade Freiflächenanlagen produzierten Solarstrom zu vergleichsweise günstigen Kosten
und verfügten über besonders innovative Technologien.
Offensichtlich gilt in der FDP nicht das Wort eines Ministers und in der CSU auch nicht das Wort eines Parteivorsitzenden.
({13})
Sogar Umweltminister Röttgen hat die erneuerbaren
Energien als Fels in der Brandung der Wirtschaftskrise
bezeichnet. Diesen Fels wollen Sie nun zu Fall bringen.
({14})
Warum sonst sperren Sie im Marktanreizprogramm die
Mittel für Heizungen mit erneuerbaren Energien? Warum
sonst stoppen Sie die Förderung für die kleine KraftWärme-Kopplung? All dies geht in die gleiche Richtung:
den Ausbau der Nutzung der erneuerbaren Energien und
die Entwicklung von Effizienztechnologien abzuwürgen.
({15})
Trotz Ihrer Atomwünsche und Ihrer radikalen Einschnitte bei der Förderung der erneuerbaren Energien
werden Sie, meine Damen und Herren von Union und
FDP, den schnellen Ausbau der erneuerbaren Energien
nicht bremsen können. 150 000 Menschen haben vorletztes Wochenende eindrucksvoll gegen eine Verlängerung der Laufzeit von Atomkraftwerken demonstriert.
Auch in Zukunft werden viele Menschen in Deutschland
Fotovoltaikanlagen auf ihre Dächer bauen.
({16})
Wir fürchten nur, dass diese Fotovoltaikmodule dann
nicht mehr aus deutscher Produktion, sondern fast ausschließlich aus China kommen werden.
({17})
Mutwillig setzen Union und FDP die Technologieführerschaft der deutschen Solarwirtschaft aufs Spiel, und das
just zu dem Zeitpunkt, wo der Weltmarkt für Fotovoltaik
rasant anzuziehen beginnt. Damit stellen Sie sich für
Ihre angebliche Wirtschaftskompetenz ein Armutszeugnis aus.
({18})
Ich bin mir sicher, dass Sie auch dafür am kommenden Sonntag in Nordrhein-Westfalen die Quittung bekommen werden.
({19})
Der Bundesminister Dr. Norbert Röttgen hat das
Wort.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Wir beschließen heute über Änderungen an einem Gesetz, das zu einem wichtigen Pfeiler der
deutschen Energiepolitik geworden ist. Der Sinn des
EEG ist, Technologien zur Gewinnung von Strom aus erneuerbaren Energien in den Markt einzuführen und zu
fördern.
Der Staat muss sich dabei Schritt für Schritt zurücknehmen, weil die erneuerbaren Energien ihre Leistung
im Markt erbringen müssen und erbringen werden. Weil
das so ist, weil es um Markteinführung geht,
({0})
müssen wir auf die stürmischen technischen Entwicklungen in diesem Markt reagieren. Immer wieder werden
wir reagieren müssen.
({1})
Dass es zu Novellen kommt, ist kein schlechtes Zeichen
und kein Grund für Traurigkeit, sondern ein gutes Zeichen; denn es ist Ausdruck der Innovationsfähigkeit und
der Fortentwicklung der Technologien in diesen Märkten.
({2})
Weil es darum geht, Dynamik in diesen Markt zu
bringen, und weil dieser Markt wächst, fehlt der Status3882
quo-Rhetorik, die Sie heute zelebrieren, jede Zukunftsorientierung und Zukunftsdynamik.
({3})
Man kann solche Politik nicht vom Status quo aus machen. Wir wollen doch die Erneuerbaren in den Markt
bringen. Darum können wir bei dem Erreichten nicht
stehen bleiben, sondern müssen vorangehen.
Wir werden vorangehen mit dem Ausbau der Solaranlagen in Deutschland. Im Unterschied zur früheren Regierung verdoppeln wir - ich glaube, dass Sie damit einverstanden sind - den Ausbau in diesem Bereich.
({4})
Im Vergleich zu Ihrer Zeit werden wir ein doppelt so hohes Wachstum der Solarflächen in Deutschland halten.
Vielleicht sind Sie aus parteipolitischen Gründen neidisch.
({5})
Sie sollten Ihren parteipolitischen Neid angesichts des
Erfolges in der Sache zurückstellen, meine Damen und
Herren.
Im letzten Jahr, 2009, sind die Systempreise für Fotovoltaikanlagen um 30 Prozent gesunken, und sie werden
in diesem Jahr weiter sinken. Darum sage ich ganz ruhig: Auf einen Preisverfall von 40 bis 45 Prozent muss
der Staat reagieren. Wir dürfen da nicht tatenlos zuschauen.
({6})
Bei so viel Aufregung, wie sie gerade herrscht, sind
vielleicht die Zahlen am überzeugendsten: Im Jahr 2009
betrug der Anteil der Solarenergie an der Stromerzeugung 1 Prozent. Der Anteil der Erneuerbaren an der
Stromerzeugung betrug 16 Prozent; 1 Prozent also entfiel auf die Fotovoltaik. Die Differenzkosten bzw. die
Förderkosten der Erneuerbaren, die die Stromkunden zu
bezahlen haben, betrugen 8,2 Milliarden Euro. 4 Milliarden Euro davon entfielen ausschließlich auf die Fotovoltaikförderung.
Die Relation zwischen Förderung und Stromproduktion muss unter Kontrolle gehalten werden. Auch die
Kosten, die wir den Stromkunden aufbürden, müssen unter Kontrolle gehalten werden. Es ist unfair, dass alle
Stromkunden dafür bezahlen, dass einige wenige mit Investmentfonds Renditen in zweistelliger Höhe über
20 Jahre erzielen. Das ist auch aus sozialen Gründen
nicht in Ordnung.
({7})
Darum ist es aus sozialen Gründen, aus technologiepolitischen Gründen und aus energiepolitischen Gründen
schlicht geboten, auf diese Überförderung zu reagieren,
sie zurückzunehmen und dadurch eine Marktstabilisierung zu erreichen. Das ist im Übrigen nichts Schlechtes,
weil dadurch zugleich zum Ausdruck kommt, dass die
Technologie erfolgreich ist. Es geht uns aber nicht nur
um Reduzierung und Marktanpassung, sondern wir wollen auch den Markt in eine bestimmte Richtung steuern.
Darum erhöhen wir im Verhältnis zur gegenwärtigen
Rechtslage insbesondere die Förderung für den Eigenverbrauch - also wenn keine Einspeisung ins Netz erfolgt, sondern der Anlagenbetreiber seinen selbstproduzierten Strom nutzt - stärker als bislang. Das halte ich
für einen besonders wichtigen Punkt, weil das dazu führen wird, dass wir schon bald ein selbsttragendes Wachstum erzielen und wahrscheinlich schon 2013 Fotovoltaikstrom zu denselben Kosten produziert werden kann
wie konventioneller Strom.
Ich halte die Eigenverbrauchsregelung auch deshalb
für wichtig, weil wir damit Technik fördern, die Netze
entlasten, einen Beitrag zur dezentralen Energieversorgung leisten und den Bürgern ein Angebot machen, mitzumachen. Jeder Einzelne kann mitmachen. Er kann
Strom produzieren und verbrauchen. Ich glaube, das ist
auch ein politisches Angebot, bei der Energieversorgung
mitzumachen.
({8})
Denn wir brauchen die Bürger für unseren Umstieg in
der Energiepolitik.
({9})
Im Übrigen wird die Freiflächenförderung anders als
nach der alten Regelung über 2014 hinaus fortgesetzt.
Damit sollte ursprünglich Schluss sein. Auch das ist also
eine Erweiterung der bisherigen Regelungen. Wir werden aber dafür sorgen, dass die Freiflächenförderung im
Einklang mit den Regeln des Landschafts- und Naturschutzes umgesetzt wird, und darauf achten, dass kein
Anreiz für zusätzlichen Landschaftsverbrauch geschaffen wird. Es ist also auch eine landschafts- und naturschutzpolitisch richtige Regelung.
({10})
Ich unterstreiche, was der Kollege Grund eben gesagt
hat. Auf den Preiswettbewerb zwischen chinesischen
und deutschen Produzenten hat die deutsche Einspeisevergütung praktisch keine Auswirkung.
({11})
Das ist ein eigenes Wettbewerbsverhältnis, auf das unsere Förderung keine Auswirkung hat. Aber eine Auswirkung hat unsere Förderung, nämlich hinsichtlich der
Frage, womit wir auf den Weltmärkten bestehen zu können glauben. Diese Koalition gibt darauf eine eindeutige
Antwort: Wir sind davon überzeugt, dass unsere internationale Wettbewerbsfähigkeit von Innovationen abhängt.
Unsere Losung heißt „Innovation statt Subvention“. Das
ist das Erfolgsrezept unserer Wirtschaft.
({12})
Wer glaubt, durch Dauersubventionen Wettbewerbsfähigkeit herstellen zu können, der muss schon ein ausgewiesener Wirtschaftsexperte wie unser Freund von der
PDS sein, der anderen androht, man würde mit dieser
Auffassung im eigenen Betrieb nicht lange überleben.
({13})
Dass wir diesen Punkt ernst nehmen, drückt sich darin
aus, dass wir die „Innovationsallianz Photovoltaik“ ins
Leben gerufen haben und die Mittel für die Förderung
der Forschung um bis zu 100 Millionen Euro aufstocken
werden. Das heißt, Innovation, Forschung und Technologie sind der Weg, mit dem wir Erfolge erzielen werden.
({14})
Wir werden die Förderung an den Markt anpassen,
auf den Erfolg in Form einer geringeren Subventionierung reagieren und Anreize schaffen, dass man sich
nicht auf zweistelligen Renditen ausruht. Es soll nämlich
so bleiben, dass man sich anstrengen muss, wenn man
erfolgreich sein will. Bei dieser Maßnahme geht es überhaupt nicht darum, die Solarenergie in Deutschland zu
beschränken bzw. ihr etwas zu nehmen, sondern es geht
bei dieser Maßnahme darum, dazu beizutragen, dass die
Solarenergie verlässlich und stetig Erfolg auf den Märkten hat. Das ist unsere Philosophie, wie wir den erneuerbaren Energien zum Durchbruch verhelfen wollen.
({15})
Wir sind überzeugt davon, ich bin überzeugt davon,
dass die Zukunft den erneuerbaren Energien gehört,
({16})
aus Klimaschutzgründen und insbesondere aus Gründen
der Ressourcenknappheit. Die natürlichen Ressourcen
sind knapp, sie sind endlich, sie werden immer stärker
nachgefragt werden, und darum wird der Verbrauch immer teurer werden. Wenn wir nicht von einer ressourcenverbrauchenden zu einer ressourceneffizienten Wirtschaft umschalten, dann haben wir die längste Zeit
Wachstum gehabt.
({17})
Die Wachstumsstrategie, die wir verfolgen, ist allerdings
keine Subventionsstrategie, sondern eine Marktstrategie.
Das unterscheidet wahrscheinlich Regierung und Opposition in diesem Haus ganz grundsätzlich, meine Damen
und Herren!
({18})
Für die SPD spricht die Kollegin Waltraud Wolff.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Meine Damen und Herren! Die Zwischenfragen von CDU/CSU und FDP zeigen eines ganz deutlich:
Sie wollen - die Katze haben Sie heute aus dem Sack gelassen -,
({0})
dass nicht nur ein Teil der Fotovoltaikanlagen in China
oder anderswo gebaut wird, sondern dass alle Solarmodule dort gebaut werden.
({1})
Ich habe heute Morgen per E-Mail den Hilferuf eines
Bauern aus Schwandorf bekommen - das ist in der Oberpfalz -,
({2})
der eine Freiflächenfotovoltaikanlage auf seiner eigenen
Ackerfläche errichten will. Seit März 2009 plant er das
und hatte schon erhebliche Kosten. Die Chronologie
liegt vor. Über den Bauantrag sollte jetzt im Mai entschieden werden. Sie beschließen heute aber nicht nur
die EEG-Novelle, Sie beschließen auch, dass dieser
Bauer seine Anlage nicht bauen kann. Herzlichen
Glückwunsch! Ich würde gerne wissen, wer von Ihnen
diese E-Mail beantworten will. Die Adresse kann er
gerne von mir haben.
({3})
Für diesen Landwirt bedeutet die Novelle verlorenes
Geld, und für den Ausbau der Solarenergie bedeutet
diese Novelle einen großen Rückschritt. Wir haben vorhin schon von der Anhörung am 21. April gehört. Sogar
Ihre eigenen Experten haben Ihnen gesagt, dass Sie auf
dem Holzweg sind. Sie wollen Anlagen auf Ackerflächen grundsätzlich aus der Förderung nehmen. Das ist
absoluter Unsinn, auch aus Sicht der Experten. Wenn Sie
schon nicht auf die Sachverständigen, die Sie selber eingeladen haben, hören, dann hören Sie doch wenigstens
Waltraud Wolff ({4})
auf die Meinungen der von Ihnen regierten Länder. Es
war Bayern, das im Bundesrat ganz eindeutige Worte gefunden hat: Der Ausschluss landwirtschaftlicher Flächen
ist weder energiepolitisch sinnvoll noch agrarpolitisch
notwendig. - Dem ist nichts hinzuzufügen.
({5})
Deshalb haben wir als SPD einen Änderungsantrag
mit dem Ziel vorgelegt, dass man diese Anlagen an einen Planungsvorbehalt der Kommune knüpfen sollte.
Das ist der richtige Weg. Freiflächenanlagen sind das
günstigste Segment der Fotovoltaik. Oder, wie es der
von der FDP eingeladene Sachverständige gesagt hat:
Sie sind der Billigmacher der Fotovoltaik. - Herr Kauch,
hätten Sie doch lieber den Herrn vom Bauernblatt als
Sachverständigen eingeladen statt den von Ihnen benannten Experten, dann hätten Sie vielleicht die entsprechende Antwort bekommen.
({6})
Ihrer EEG-Novelle fehlt jedes Augenmaß. Sie benehmen sich wie der Elefant im Porzellanladen. Aber das
passt leider zu Ihrer Politik gegen die erneuerbaren Energien: Die Mittel für das Marktanreizprogramm sind gesperrt; das Impulsprogramm für die Mini-Kraft-WärmeKopplungsanlagen ist eingestellt; Sie wollen das Erneuerbare-Energien-Wärmegesetz aufweichen; um die Mittel für die Gebäudesanierung gibt es ein Hickhack; und
jetzt beschneiden Sie die Förderung für die Fotovoltaik.
Es gibt nichts, aber auch gar nichts auf der Habenseite
Ihrer Bilanz.
({7})
Der CSU-Kollege Ruck, der hier vorhin ja auch geredet hat, hat im April dieses Jahres in einem Brief geschrieben - ich zitiere -:
Deutschland ist im Bereich der Fotovoltaik weltweit technologisch führend. Insbesondere im Hinblick auf den Export und den zukünftig zu erwartenden weltweiten Ausbau der Fotovoltaik ist es
wichtig, dass wir diesen Technologievorsprung bewahren und wenn möglich ausbauen.
Ja, wie denn mit solchen Beschlüssen, meine Damen und
Herren?
({8})
Die zusätzliche Sonderkürzung von 16 Prozent ist zu hoch.
70 000 Arbeitsplätze gerade in Ostdeutschland - wir haben davon gehört - sind in Gefahr. Sie verspielen den
Erfolg des EEG gerade auch als ökologische Industriepolitik.
Nun haben Sie, meine Damen und Herren, Forschungsgelder in Höhe von 100 Millionen Euro als Unterstützung
für die Solarbranche versprochen. Forschungsmittel auszubauen, ist im Prinzip eine gute Sache. Aber ich frage
mich natürlich: Sind diese 100 Millionen Euro genauso
sicher wie die Mittel für das Marktanreizprogramm? Indem Sie Mittel für die Forschung einsetzen, setzen Sie
doch eigentlich auf das falsche Pferd. Die deutschen Solarhersteller produzieren nämlich im Moment mit Maschinen, deren Nutzungszeit abläuft. Das heißt, es sind
neue Investitionen notwendig. Das bedeutet, dass hohe
Kosten auf die Hersteller zukommen. Hier hilft uns die
Forschung für die übernächste Generation überhaupt
nicht. Besser wäre es, Investitionen in die nächste Generation zu tätigen. Es wäre ein wirklicher Ansatzpunkt gewesen, wenn Sie die nicht abgerufenen Mittel aus dem
Konjunkturprogramm umgeswitcht hätten und hier für
Unterstützung gesorgt hätten.
({9})
Das Gebot der Stunde heißt doch, dass wir diese Entwicklung maßvoll begleiten müssen. Deshalb haben wir
einmal vorgeschlagen, 2011, im nächsten Erfahrungsbericht zum EEG, das Modell einer nach regionaler Strahlungsintensität gestaffelten Vergütung zu prüfen. - Leider ohne Erfolg. Wir haben Sie auch aufgefordert,
unverzüglich einen Vorschlag für eine bessere Integration des Stroms aus erneuerbaren Energien vorzulegen. Ohne Erfolg. Außerdem haben wir vorgeschlagen, dass
die Vergütung maßvoll an den Markt angepasst wird. Auch ohne Erfolg.
Sie selbst, meine Damen und Herren von den Koalitionsfraktionen, berauben unsere Unternehmen der Chance,
grüne Zukunftsmärkte zu erobern. Sie setzen Arbeitsplätze aufs Spiel. Sie kapitulieren vor dem Kampf gegen
den Klimawandel. Sie verhindern mehr Wettbewerb.
Ihre Politik schadet der Branche, schadet den Stromkunden und schadet auch dem Klima.
({10})
Sie zeigen hier wirklich absolute Beratungsresistenz;
die ist so groß, dass ich Sie gar nicht mehr bitten kann,
unseren Änderungsvorschlägen zuzustimmen. Ich bitte
Sie nur um eines: Verschonen Sie uns in Zukunft mit Ihren Sonntagsreden über die Herausforderungen des Klimawandels!
({11})
Lassen Sie doch bitte das falsche Lob für die erneuerbaren Energien, und sagen Sie den Menschen ehrlich, dass
Ihr Energiekonzept Atomkraft heißt!
({12})
Sie sind leider nicht die Elefanten, Sie sind die Dinosaurier in diesem Porzellanladen.
Um noch einmal auf Ihre Rede zu kommen, Herr Minister Röttgen: Sie haben gesagt, diese Novelle ist kein
Grund zur Traurigkeit. Ich glaube, viele Menschen in
diesem Land sehen das völlig anders.
({13})
Der Kollege Horst Meierhofer hat jetzt das Wort für
die FDP.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Es ist wirklich absurd, Frau Wolff, welche Unterstellungen Sie hier gemacht haben.
({0})
Ihr Umweltminister Gabriel hat als Zielvorgabe für den
Ausbau der Fotovoltaik im Jahr 1 900 Megawatt ausgegeben.
({1})
Wir hatten im letzten Jahr und werden in diesem Jahr
und auch im nächsten Jahr 3 000 bis 4 000 Megawatt haben. Wir bauen aus. Wir sorgen für mehr erneuerbare
Energien, wir sorgen für mehr Fotovoltaik, als Sie sich
jemals zugetraut hätten.
({2})
Es ist nicht nachvollziehbar, wie man uns unterstellen
kann, wir würden Arbeitsplätze gefährden, obwohl wir
in diesem Bereich immer mehr Geld ausgeben. Das Gegenteil ist der Fall: Diese Branche wird Arbeitsplätze
schaffen.
({3})
Sie wird Leute einstellen und mehr Menschen in ihrem
Bereich beschäftigen. Denn die deutschen Verbraucher
werden Milliardensummen in erneuerbare Energien und
in den Fotovoltaikbereich investieren. Das darf aber
- bitte schön - nicht zulasten des kleinen Mannes und
des normalen Stromkunden gehen. Dafür sollten Sie
doch eigentlich Verständnis haben. Ich verstehe die Welt
nicht mehr: Sie setzen sich nur noch für die Großen ein,
aber nicht für die Leute, die besonders betroffen sind.
({4})
Sie müssten sich einmal damit beschäftigen, was momentan im Gespräch ist. Es geht um Eigenverbrauch,
Speichertechnologien und E-Mobility. Während Sie hier
erklären, wir seien gegen irgendwelche Maßnahmen gegen den Klimawandel, hat ein Kollege von Ihnen vor
eineinhalb Stunden gefordert, dass die alten Kohlekraftwerke länger laufen sollen. Ist diese Politik, die von der
SPD vertreten wird, eine glaubwürdige Klimaschutzpolitik, oder ist es Klientelpolitik? Ich glaube, es ist das
Letztere.
({5})
Sie haben kein Energiekonzept vorgelegt. Die Tatsache, dass die SPD schon im letzten Jahr nicht in der Lage
war, eine Anpassung vorzunehmen, hat dazu geführt,
dass man zum Teil Renditen in Höhe von 15 und
20 Prozent hatte. Das hat sich nicht innovationsfördernd,
sondern innovationshemmend ausgewirkt.
({6})
Es hat dazu geführt, dass die chinesischen Modulhersteller wettbewerbsfähiger geworden sind. Sie haben nämlich nicht den Mut gehabt, zu sagen: Wir müssen zu den
Kosten produzieren, die realistischerweise anfallen.
({7})
Diese Feigheit hat zu dem Problem geführt, vor dem wir
heute stehen. Wir werden jetzt - leider - kürzen müssen.
Aber dies wird dazu führen, dass unsere Verbraucher
geschont werden und gleichzeitig die erneuerbaren Energien und vor allem die Fotovoltaik weiter ausgebaut
werden.
({8})
Ich will nicht bestreiten, dass sich die FDP-Fraktion,
was die Ackerflächen betrifft, anders entschieden hätte,
wenn sie allein regieren würde. Ich will auch nicht bestreiten, dass wir uns für längere Übergangsfristen ausgesprochen hätten. Aber was die Berücksichtigung des
Eigenverbrauchs betrifft, haben wir uns durchgesetzt.
Dies war ein großer Erfolg. Wir haben heute in Spiegel
online lesen können, dass die großen Hersteller wie Solarworld, Conergy und Evonik sagen: Das ist der große
Zukunftsmarkt. Wir können erreichen, dass der Eigenverbrauchsanteil auf bis zu 80 Prozent ansteigt, und wir
können, wenn die Menschen Elektroautos fahren, sogar
einen Eigenverbrauch von 100 Prozent erreichen. Auf
die Idee wären Sie früher gar nicht gekommen; das wird
erst durch diese EEG-Novelle möglich, indem der
Anreizeffekt für selbstverbrauchten Strom jenseits der
30-Prozent-Schwelle auf 8 Cent erhöht wird.
({9})
Dieser große Erfolg freut uns sehr. Er wird dazu führen,
dass es endlich wieder zu Innovationen kommt.
Innovationen kommen auch durch die 100 Millionen
Euro zustande, die vom Forschungsministerium bereitgestellt werden. Dass Sie von der Linken dieses Geld als
ein paar Silberlinge bezeichnen, zeigt, dass Sie jeden
Realitätssinn und jeden Kontakt zu dem, was die wirkliche Welt ausmacht, verloren haben. Wir werden damit
die deutschen Firmen fördern können. Dadurch entsteht
Innovation. Wenn wir die EEG-Vergütung an die chinesischen Hersteller verschwenden, werden die deutschen
Hersteller nicht besser. Wir müssen dafür sorgen, dass
wir in Deutschland stärker werden. Dazu tragen wir mit
dieser EEG-Novelle eine Menge bei.
Herzlichen Dank.
({10})
Dem Kollegen Hermann Scheer gebe ich das Wort zu
einer Kurzintervention.
Frau Präsidentin! Ich möchte gerne einige Worte zu
dem Redebeitrag des Bundesministers Röttgen sagen.
Herr Röttgen hat das Prinzip des Marktes stark hervorgehoben. Er hat gesagt, dass sich die erneuerbaren Energien auf dem Markt durchsetzen müssen. Als allgemeine
Aussage ist dieser Satz richtig. Aber vor dem konkreten
Hintergrund der Marktverhältnisse ist es nicht ratsam, zu
solchen Maßnahmen zu greifen.
Markt setzt prinzipiell Marktgleichheit der Marktteilnehmer, in diesem Fall der Anbieter, voraus. Von einer
Marktgleichheit der Anbieter kann im doppelten Sinne
leider keine Rede sein.
Es kann zunächst einmal keine Rede davon sein mit
Blick auf das Verhältnis der chinesischen Produktion zu
der deutschen Produktion. Die Kürzung der degressiv
angelegten Subventionen wird mit dem Marktangebot
aus China begründet, wozu in der Debatte schon einiges
gesagt worden ist. Dort wurde die Produktion künstlich
billig gehalten. Man betreibt dort praktisch Produktionsprotektionismus. Aber Protektionismus ist das Gegenteil
von Markt. Wenn also diese Maßnahmen jetzt wegen der
chinesischen Billigprodukte ergriffen werden, dann kann
die Schlussfolgerung doch nur sein, dass die Aussage
von vielen Rednern aus den Koalitionsfraktionen, nämlich dass die neu ausgerichtete Förderung nun ausgerechnet der deutschen Fotovoltaikindustrie helfen würde, produktiver zu werden, nicht richtig ist. Das ist ein
Widerspruch in sich. Da müssten vielmehr andere, differenzierte Maßnahmen ergriffen werden, um die deutsche
Produktivitätsentwicklung, die ja nicht die schlechteste
war - sie war bisher sogar immer federführend -, weiter
voranzutreiben. Man kann sie nur vorantreiben, wenn sie
weiterhin existiert, aber nicht, wenn nur eine, zwei oder
drei große Firmen übrig bleiben.
({0})
Ein zweiter Punkt, wiederum bezogen auf das Prinzip
der Marktgleichheit. Durch die bisherigen Marktverhältnisse, durch das Hochpäppeln mit vielen Subventionen
über Jahrzehnte hinweg - für Kohle, für Atomenergie,
mit vielen Privilegierungen gesetzlicher Art, Energiewirtschaftsgesetz usw. -, ist eine hochkonzentrierte herkömmliche Energiewirtschaft entstanden. Wer jetzt
glaubt, mit dem vorliegenden Erneuerbare-Energien-Gesetz erreichen zu können, dass sich neue Technologien,
erneuerbare Energien einschließlich der Fotovoltaik gegen diese hochkonzentrierten, monopolisierten Strukturen auf dem Markt durchsetzen, übersieht, dass objektiv
keine Marktgleichheit zwischen etablierten Anbietern
und neu auf den Markt gekommenen gegeben ist.
({1})
Daraus ergibt sich -
Herr Scheer, vielen Dank. Eine Kurzintervention darf
nicht länger als drei Minuten dauern, und die sind um.
Deswegen möchte ich jetzt gern den Bundesminister fragen, ob er antworten möchte. - Das möchte er nicht.
({0})
Dann gebe ich das Wort der Kollegin Dr. Maria
Flachsbarth für die CDU/CSU-Fraktion.
({1})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Nachdem wir jetzt über eine Stunde wortreich das völlige Aus der Fotovoltaik in Deutschland beklagt haben,
schlage ich vor, dass wir in die Realität zurückkehren
und auf dieser Grundlage vernünftige Politik machen.
({0})
Die Fotovoltaikleistung wurde 2009 um 3,8 Gigawatt erhöht, davon alleine im Dezember um 1 500 Megawatt. Das war fast so viel, wie wir uns mit der Novelle
2009 als Zielhorizont für ein ganzes Jahr vorgestellt hatten. Der Anstieg der Investitionssumme hat mit 17,7 Milliarden Euro einen neuen Rekordwert erreicht.
Ganz wichtig ist: Fotovoltaik ist ohne Zweifel ein Stabilitätsanker in der Krise. Ebenso wichtig ist aber: Das
EEG - der Minister hat eben darauf hingewiesen - ist kein
Instrument zur Förderung von Branchen oder zur Subventionierung von Arbeitsplätzen, sondern dient letztendlich
als Anreiz für Investitionen in Anlagen zur Erzeugung
von Strom aus erneuerbaren Energien, die möglichst effizient sein soll,
({1})
das heißt möglichst viel Leistung für möglichst wenig
Geld. Um das weiterhin zu erreichen - der Minister hat
eben auf das Verhältnis von Vergütung und Stromproduktion in Bezug auf Fotovoltaik hingewiesen -, müssen
wir uns Gedanken darüber machen, wie wir die Akzeptanz in der Bevölkerung für erneuerbare Energien und
insbesondere für Fotovoltaik erhalten können.
Es ist doch auch ein Trugschluss, wenn wir glauben,
wir könnten tatsächlich gegen chinesische Subventionsverhältnisse ansubventionieren. Das macht unsere Wirtschaft nicht mit. Das macht unsere Betriebe auch nicht
stark. Ich sage Ihnen: Die Fonds, die auf eine maximale
Rendite aus sind, werden wir auch dadurch nicht erwiDr. Maria Flachsbarth
schen; denn deutsche Produkte werden möglicherweise
immer ein bisschen teurer sein als die asiatischen.
Wichtig ist aber: Deutsche Produkte sind besser. Der
Unterschied liegt doch in der Qualität, im Service, in der
Nähe zum Kunden, in der innovativen Technik. Deshalb
werden wir mit dieser Novelle nicht einfach nur kürzen,
Degression steigern oder was auch immer. Vielmehr
wollen wir umsteuern. Wir wollen hin zu intelligenter
Technik. Wir wollen intelligente Netze fördern, auch innerhalb des Hauses zum Beispiel durch Installierung intelligenter Hausgeräte. Deshalb fördern wir den Eigenverbrauch stärker. Es ist eine massive Erhöhung der
zulässigen Anlagengröße von 30 Kilowatt, wie es im
derzeit geltenden Gesetz vorgesehen ist, auf 500 Kilowatt vorgesehen. Damit werden auch die kleinen Gewerbetreibenden erfasst. Das eröffnet ganz neue Chancen,
ganz neue Märkte für innovative Technologien, insbesondere für Speichertechnologien.
({2})
Kollege Meierhofer hat es eben bereits gesagt: Die
Branchen reagieren bereits; es gibt diesbezüglich bereits
die ersten Angebote. Von daher müssen wir doch der
deutschen Branche zutrauen, dass sie diese neue Herausforderung meistert. Wir brauchen dringend Innovationen, damit wir den Ausbau erneuerbarer Energien tatsächlich bewältigen können, damit im Jahr 2020
tatsächlich 30 Prozent erneuerbare Energien im Markt
und im Netz integrierbar sein werden; anderenfalls
schießen wir uns doch mit unseren ehrgeizigen Zielen
selbst ins Bein.
({3})
Die Frage, wie wir mit Ackerflächen und mit Freiflächen umgehen, war ebenfalls eine zentrale Frage in dieser Debatte, auf die ich jetzt nicht noch einmal im Detail
einzugehen brauche. Aber es stehen doch tatsächlich folgende Fragen im Raum: Was machen wir mit dem starken Flächenverbrauch in unserem Land, 100 Hektar pro
Tag?
({4})
Wie können wir der Herausforderung begegnen, dass im
Moment von der Gesamtenergieproduktion durch Erneuerbare, die 10 Prozent vom Gesamtenergieverbrauch
beiträgt, 70 Prozent auf flächengebundene Biomasse
entfällt,
({5})
also letztendlich 70 Prozent irgendwo aus dem Wald
oder eben gerade von Äckern erzielt werden? Davon
müssen wir weg. Wir können doch nicht die Augen davor verschließen, dass es in einigen Regionen, gerade in
den viehstarken Regionen meines Heimatlandes Niedersachsen, Pachtpreise von über 1 000 Euro pro Hektar
gibt. Das sind irreale Beträge, die da letztendlich gefordert werden, und es ist an uns, Förderbedingungen, die
zu solchen irrealen Marktsituationen führen, wieder auf
ein Normalmaß zurückzuführen.
({6})
Deshalb ist es richtig und vernünftig, dass wir die
Bedingungen für die Installation von Fotovoltaik auf
Konversionsflächen, die eben tatsächlich zu gar nichts
anderem mehr zu gebrauchen sind, als dort eben Fotovoltaikanlagen aufzubauen und sie zur Energiegewinnung zu nutzen, noch einmal deutlich verbessert haben;
der Minister hat es gesagt. Auch den für das Jahr 2014
vorgesehenen Stopp dieser Förderung haben wir aus
dem Gesetz herausgenommen, weil es vernünftig ist,
dies zu tun. Wir haben neue Optionen geschaffen; so
werden Neuanlagen in bereits ausgewiesenen Gewerbegebieten und ebenso entlang von Verkehrswegen gefördert. Meines Erachtens ist dies tatsächlich ein ganz vernünftiger Steuermechanismus.
({7})
Zudem haben wir in diesem Bereich auch auf Vertrauensschutz geachtet. Wir haben für diejenigen Projekte,
für die es bis zur ersten Lesung, also bis zum 25. März
dieses Jahres, einen festgestellten Bebauungsplan gab,
eine Realisierungsfrist bis zum 31. Dezember dieses Jahres eröffnet. Ich halte dies für ein faires Angebot, auch
wenn man überlegt, wie lange wir inzwischen über dieses Gesetz debattieren.
({8})
Wir haben natürlich schon vor der Sommerpause, vor
der Bundestagswahl darüber gesprochen, dass wir im
Bereich Fotovoltaik nachjustieren werden.
({9})
- Jedenfalls habe ich in meinem Wahlkampf darüber bereits gesprochen, lieber Herr Fell. - Es war offensichtlich, dass wir das in den Koalitionsverhandlungen besprochen haben, und letztendlich ist es auch noch einmal
deutlich geworden, als der Bundesminister Anfang dieses Jahres die ersten Eckpunkte des Gesetzes vorgestellt
hat. Insofern glaube ich, dass wir den Investoren tatsächlich genug Zeit gegeben haben, sich auf diese neuen Bedingungen einzustellen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, Deutschland ist im
Bereich der Fotovoltaik weltweit technologisch führend.
Wir wollen und werden den Technologievorsprung behalten und ausbauen, insbesondere im Hinblick auf unsere Exportchancen beim weltweit zu erwartenden Ausbau. Die Markteinführungsmöglichkeiten werden durch
die jetzige Novelle verbessert werden, auch durch bessere Integration in den Energiemix und in die Netze.
Deutschland bleibt mit dieser Novelle einer der attraktivsten Fotovoltaikstandorte weltweit. Ich bitte um Ihre
Zustimmung für unser Gesetz.
Herzlichen Dank.
({10})
Ich schließe die Aussprache.
Damit kommen wir zur Abstimmung über den von
den Fraktionen der CDU/CSU und der FDP eingebrach-
ten Gesetzentwurf zur Änderung des Erneuerbare-Ener-
gien-Gesetzes. Es liegen drei Erklärungen zur Abstim-
mung vor, erstens von Ingbert Liebing, zweitens von
Veronika Bellmann und drittens von Dr. Georg
Nüßlein.1)
Der Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktor-
sicherheit empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschluss-
empfehlung auf Drucksache 17/1604, den Gesetzent-
wurf der Fraktionen der CDU/CSU und der FDP auf
Drucksache 17/1147 in der Ausschussfassung anzuneh-
men.
Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustim-
men wollen, um das Handzeichen. - Gegenstimmen? -
Enthaltungen? - Damit ist der Gesetzentwurf in zweiter
Beratung angenommen bei Zustimmung durch die Ko-
alitionsfraktionen und bei Ablehnung durch die Opposi-
tionsfraktionen.
Wir stimmen jetzt über den Gesetzentwurf in
dritter Beratung
namentlich ab.
Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die
vorgesehenen Plätze einzunehmen. - Sind alle Urnen be-
setzt? - Das scheint der Fall zu sein. Dann eröffne ich
die Abstimmung.
Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das noch
nicht in der Lage war, seine Stimme abzugeben? - Das
scheint mir nicht der Fall zu sein. Dann schließe ich hier-
mit die Abstimmung. Ich bitte die Schriftführerinnen
und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Das
Ergebnis der Abstimmung wird Ihnen später bekannt ge-
geben.2)
Wir setzen jetzt die Abstimmungen fort.
Wir kommen zur Abstimmung über den Entschlie-
ßungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf
Drucksache 17/1611. Wer stimmt für diesen Entschlie-
ßungsantrag? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der
Entschließungsantrag ist abgelehnt bei Zustimmung
1) Anlage 2
2) Ergebnis Seite 3888 D
durch die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und einen
Großteil der Fraktion Die Linke. Dagegen haben gestimmt die CDU/CSU-, die FDP- und die SPD-Fraktion.
Enthalten haben sich einige Abgeordnete der Fraktion
Die Linke.
Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
zu dem Antrag der Fraktion Die Linke mit dem Titel
„Solarstromförderung wirksam ausgestalten“. Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/1604, den Antrag der
Fraktion Die Linke auf Drucksache 17/1144 abzulehnen.
Wer stimmt für die Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist
angenommen bei Zustimmung durch CDU/CSU, FDP
und SPD. Dagegen hat die Fraktion Die Linke gestimmt.
Enthalten hat sich Bündnis 90/Die Grünen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, bevor ich die Sitzung
unterbreche, teile ich Ihnen mit, dass sich die Fraktionen
verständigt haben, den Tagesordnungspunkt 7 - dabei
handelt es sich um die Große Anfrage der Fraktion der
SPD zu den Auswirkungen der Verlängerung der Restlaufzeiten von Atomkraftwerken - von der Tagesordnung
abzusetzen. Sind Sie mit dieser Vereinbarung einverstanden? - Das ist offensichtlich der Fall. Dann ist das so beschlossen.
Die Sitzung wird jetzt bis circa 19 Uhr unterbrochen.
Falls die Sitzung früher beginnt, wird Ihnen das mitgeteilt. In jedem Fall wird der Wiederbeginn der Sitzung
rechtzeitig durch ein Klingelsignal bekannt gegeben.
Ich unterbreche die Sitzung.
({0})
Die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet.
Bevor ich den nächsten Tagesordnungspunkt aufrufe,
komme ich zu Tagesordnungspunkt 6 zurück und gebe
Ihnen das von den Schriftführerinnen und Schriftführern
ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung bekannt. Es ging um den Gesetzentwurf der Fraktionen der
CDU/CSU und FDP zur Änderung des Erneuerbare-Energien-Gesetzes, Drucksachen 17/1147 und 17/1604. Abgegeben wurden 580 Stimmen. Mit Ja haben 313 Kolleginnen
und Kollegen gestimmt. Mit Nein haben 266 Kolleginnen
und Kollegen gestimmt. Es gab eine Enthaltung. Der Gesetzentwurf ist damit angenommen.
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 581;
davon
ja: 314
nein: 266
enthalten: 1
Ja
CDU/CSU
Ilse Aigner
Peter Altmaier
Dorothee Bär
Thomas Bareiß
Norbert Barthle
Günter Baumann
Ernst-Reinhard Beck
({0})
Manfred Behrens ({1})
Dr. Christoph Bergner
Peter Beyer
Steffen Bilger
Clemens Binninger
Peter Bleser
Dr. Maria Böhmer
Wolfgang Börnsen
({2})
Wolfgang Bosbach
Norbert Brackmann
Michael Brand
Helmut Brandt
Dr. Ralf Brauksiepe
Dr. Helge Braun
Vizepräsidentin Katrin Göring-Ec
Ralph Brinkhaus
Alexander Dobrindt
Marie-Luise Dött
Dr. Thomas Feist
Enak Ferlemann
Hartwig Fischer ({3})
Dirk Fischer ({4})
Axel E. Fischer ({5})
Klaus-Peter Flosbach
Herbert Frankenhauser
Dr. Hans-Peter Friedrich
({6})
Michael Frieser
Erich G. Fritz
Dr. Michael Fuchs
Hans-Joachim Fuchtel
Alexander Funk
Ingo Gädechens
Norbert Geis
Alois Gerig
Eberhard Gienger
Michael Glos
Josef Göppel
Peter Götz
Dr. Wolfgang Götzer
Ute Granold
Reinhard Grindel
Hermann Gröhe
Michael Grosse-Brömer
Markus Grübel
Monika Grütters
Dr. Karl-Theodor Freiherr
zu Guttenberg
Florian Hahn
Holger Haibach
Dr. Stephan Harbarth
Gerda Hasselfeldt
Dr. Matthias Heider
Mechthild Heil
Ursula Heinen-Esser
Frank Heinrich
Rudolf Henke
Michael Hennrich
Jürgen Herrmann
Ernst Hinsken
Peter Hintze
Robert Hochbaum
Franz-Josef Holzenkamp
Joachim Hörster
Anette Hübinger
Thomas Jarzombek
Dr. Franz Josef Jung
Andreas Jung ({7})
Dr. Egon Jüttner
Bartholomäus Kalb
Hans-Werner Kammer
kardt
Steffen Kampeter
Alois Karl
Bernhard Kaster
Siegfried Kauder ({8})
Volker Kauder
Roderich Kiesewetter
Eckart von Klaeden
Ewa Klamt
Volkmar Klein
Jürgen Klimke
Julia Klöckner
Axel Knoerig
Jens Koeppen
Manfred Kolbe
Dr. Rolf Koschorrek
Thomas Kossendey
Michael Kretschmer
Rüdiger Kruse
Bettina Kudla
Dr. Hermann Kues
Günter Lach
({9})
Andreas G. Lämmel
Katharina Landgraf
Ulrich Lange
Dr. Max Lehmer
Dr. Ursula von der Leyen
Ingbert Liebing
Matthias Lietz
Dr. Carsten Linnemann
Patricia Lips
Dr. Jan-Marco Luczak
Dr. Michael Luther
Karin Maag
Dr. Thomas de Maizière
Hans-Georg von der Marwitz
Andreas Mattfeldt
Stephan Mayer ({10})
Dr. Michael Meister
Maria Michalk
Dr. h. c. Hans Michelbach
Philipp Mißfelder
Dietrich Monstadt
Marlene Mortler
Dr. Gerd Müller
Stefan Müller ({11})
Nadine Müller ({12})
Dr. Philipp Murmann
Bernd Neumann ({13})
Michaela Noll
Dr. Georg Nüßlein
Eduard Oswald
Henning Otte
Dr. Michael Paul
Rita Pawelski
Ulrich Petzold
Dr. Joachim Pfeiffer
Sibylle Pfeiffer
Beatrix Philipp
Ronald Pofalla
Christoph Poland
Ruprecht Polenz
Eckhard Pols
Daniela Raab
Thomas Rachel
Dr. Peter Ramsauer
Eckhardt Rehberg
Katherina Reiche ({14})
Lothar Riebsamen
Josef Rief
Klaus Riegert
Dr. Heinz Riesenhuber
Johannes Röring
Dr. Christian Ruck
Erwin Rüddel
Albert Rupprecht ({15})
Anita Schäfer ({16})
Dr. Wolfgang Schäuble
Dr. Annette Schavan
Dr. Andreas Scheuer
Karl Schiewerling
Norbert Schindler
Tankred Schipanski
Christian Schmidt ({17})
Patrick Schnieder
Dr. Andreas Schockenhoff
Bernhard Schulte-Drüggelte
Uwe Schummer
Armin Schuster ({18})
Detlef Seif
Johannes Selle
Reinhold Sendker
Dr. Patrick Sensburg
Thomas Silberhorn
Johannes Singhammer
Jens Spahn
Carola Stauche
Erika Steinbach
Christian Freiherr von Stetten
Dieter Stier
Gero Storjohann
Stephan Stracke
Karin Strenz
Thomas Strobl ({19})
Lena Strothmann
Michael Stübgen
Dr. Peter Tauber
Antje Tillmann
Dr. Hans-Peter Uhl
Arnold Vaatz
Volkmar Vogel ({20})
Stefanie Vogelsang
Andrea Astrid Voßhoff
Dr. Johann Wadephul
Marco Wanderwitz
Kai Wegner
Marcus Weinberg ({21})
Peter Weiß ({22})
Sabine Weiss ({23})
Ingo Wellenreuther
Karl-Georg Wellmann
Peter Wichtel
Annette Widmann-Mauz
Klaus-Peter Willsch
Elisabeth WinkelmeierBecker
Dagmar Wöhrl
Dr. Matthias Zimmer
Wolfgang Zöller
Willi Zylajew
FDP
Jens Ackermann
Christian Ahrendt
Christine AschenbergDugnus
Daniel Bahr ({24})
Florian Bernschneider
Sebastian Blumenthal
Claudia Bögel
Nicole Bracht-Bendt
Klaus Breil
Angelika Brunkhorst
Ernst Burgbacher
Sylvia Canel
Helga Daub
Reiner Deutschmann
Dr. Bijan Djir-Sarai
Patrick Döring
Mechthild Dyckmans
Rainer Erdel
Jörg van Essen
Ulrike Flach
Otto Fricke
Dr. Edmund Peter Geisen
Dr. Wolfgang Gerhardt
Hans-Michael Goldmann
Miriam Gruß
Joachim Günther ({25})
Dr. Christel Happach-Kasan
Heinz-Peter Haustein
Manuel Höferlin
Birgit Homburger
Dr. Werner Hoyer
Heiner Kamp
Dr. Lutz Knopek
Dr. Heinrich L. Kolb
Hellmut Königshaus
Dr. h. c. Jürgen Koppelin
Sebastian Körber
Patrick Kurth ({26})
Heinz Lanfermann
Sibylle Laurischk
Harald Leibrecht
Sabine LeutheusserSchnarrenberger
Lars Lindemann
Christian Lindner
Dr. Martin Lindner ({27})
Michael Link ({28})
Dr. Erwin Lotter
Oliver Luksic
Patrick Meinhardt
Gabriele Molitor
Jan Mücke
Petra Müller ({29})
Vizepräsidentin Katrin Göring-Ec
Burkhardt Müller-Sönksen
({30})
Hans-Joachim Otto
({31})
Gisela Piltz
Dr. Christiane RatjenDamerau
Dr. Birgit Reinemund
Dr. Peter Röhlinger
Dr. Stefan Ruppert
Björn Sänger
Frank Schäffler
Jimmy Schulz
Marina Schuster
Werner Simmling
Judith Skudelny
Joachim Spatz
Dr. Rainer Stinner
Stephan Thomae
Florian Toncar
Serkan Tören
({32})
Dr. Guido Westerwelle
Dr. Claudia Winterstein
Hartfrid Wolff ({33})
Nein
SPD
Rainer Arnold
Heinz-Joachim Barchmann
Doris Barnett
Dr. Hans-Peter Bartels
Klaus Barthel
Sören Bartol
Bärbel Bas
Sabine Bätzing-Lichtenthäler
Uwe Beckmeyer
Gerd Bollmann
Klaus Brandner
Marco Bülow
Ulla Burchardt
Martin Burkert
Petra Crone
Martin Dörmann
Elvira Drobinski-Weiß
Garrelt Duin
Sebastian Edathy
Siegmund Ehrmann
Dr. h. c. Gernot Erler
Petra Ernstberger
Elke Ferner
Gabriele Fograscher
Dr. Edgar Franke
Dagmar Freitag
Peter Friedrich
Sigmar Gabriel
kardt
Michael Gerdes
Martin Gerster
Iris Gleicke
Günter Gloser
Ulrike Gottschalck
Angelika Graf ({34})
Michael Groschek
Michael Groß
Wolfgang Gunkel
Hans-Joachim Hacker
Klaus Hagemann
Michael Hartmann
({35})
Hubertus Heil ({36})
Rolf Hempelmann
Dr. Barbara Hendricks
Gustav Herzog
Gabriele Hiller-Ohm
Petra Hinz ({37})
Frank Hofmann ({38})
Dr. Eva Högl
Christel Humme
Josip Juratovic
Oliver Kaczmarek
Johannes Kahrs
Ulrich Kelber
Hans-Ulrich Klose
Dr. Bärbel Kofler
Daniela Kolbe ({39})
Fritz Rudolf Körper
Nicolette Kressl
Ute Kumpf
Christine Lambrecht
Christian Lange ({40})
Dr. Karl Lauterbach
Steffen-Claudio Lemme
Burkhard Lischka
Gabriele Lösekrug-Möller
Kirsten Lühmann
Caren Marks
Katja Mast
Hilde Mattheis
Petra Merkel ({41})
Dr. Rolf Mützenich
Andrea Nahles
Dietmar Nietan
Manfred Nink
Thomas Oppermann
Holger Ortel
Aydan Özoğuz
Heinz Paula
Johannes Pflug
Dr. Wilhelm Priesmeier
Dr. Sascha Raabe
Mechthild Rawert
Gerold Reichenbach
Dr. Carola Reimann
Sönke Rix
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Karin Roth ({42})
Michael Roth ({43})
Marlene Rupprecht
({44})
Anton Schaaf
Axel Schäfer ({45})
Dr. Hermann Scheer
Marianne Schieder
({46})
Werner Schieder ({47})
Ulla Schmidt ({48})
Carsten Schneider ({49})
Ottmar Schreiner
Swen Schulz ({50})
Ewald Schurer
Dr. Angelica Schwall-Düren
Dr. Martin Schwanholz
Rolf Schwanitz
Stefan Schwartze
Dr. Carsten Sieling
Sonja Steffen
Dr. Frank-Walter Steinmeier
Christoph Strässer
Kerstin Tack
Dr. h. c. Wolfgang Thierse
Franz Thönnes
Wolfgang Tiefensee
Ute Vogt
Dr. Marlies Volkmer
Andrea Wicklein
Heidemarie Wieczorek-Zeul
Dr. Dieter Wiefelspütz
({51})
Dagmar Ziegler
Manfred Zöllmer
Brigitte Zypries
FDP
Paul K. Friedhoff
DIE LINKE
Jan van Aken
Agnes Alpers
Herbert Behrens
Christine Buchholz
Dr. Martina Bunge
Roland Claus
Sevim Dağdelen
Dr. Diether Dehm
Heidrun Dittrich
Dr. Dagmar Enkelmann
Wolfgang Gehrcke
Nicole Gohlke
Diana Golze
Annette Groth
Dr. Gregor Gysi
Heike Hänsel
Dr. Rosemarie Hein
Inge Höger
Ulla Jelpke
Dr. Lukrezia Jochimsen
Harald Koch
Jan Korte
Jutta Krellmann
Katrin Kunert
Sabine Leidig
Michael Leutert
Stefan Liebich
Ulla Lötzer
Dr. Gesine Lötzsch
Thomas Lutze
Ulrich Maurer
Dorothée Menzner
Cornelia Möhring
Kornelia Möller
Niema Movassat
Thomas Nord
Jens Petermann
Richard Pitterle
Yvonne Ploetz
Ingrid Remmers
Paul Schäfer ({52})
Michael Schlecht
Dr. Herbert Schui
Dr. Ilja Seifert
Kathrin Senger-Schäfer
Raju Sharma
Kersten Steinke
Sabine Stüber
Alexander Süßmair
Dr. Kirsten Tackmann
Frank Tempel
Dr. Axel Troost
Alexander Ulrich
Kathrin Vogler
Sahra Wagenknecht
Halina Wawzyniak
Harald Weinberg
Sabine Zimmermann
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Kerstin Andreae
Marieluise Beck ({53})
Volker Beck ({54})
Birgitt Bender
Viola von Cramon-Taubadel
Ekin Deligöz
Katja Dörner
Dr. Thomas Gambke
Britta Haßelmann
Bettina Herlitzius
Winfried Hermann
Priska Hinz ({55})
Ulrike Höfken
Dr. Anton Hofreiter
Ingrid Hönlinger
Thilo Hoppe
Vizepräsidentin Katrin Göring-Ec
Uwe Kekeritz
Katja Keul
Memet Kilic
Sven-Christian Kindler
Maria Klein-Schmeink
Ute Koczy
Thomas Koenigs
Oliver Krischer
Agnes Krumwiede
Fritz Kuhn
Stephan Kühn
Renate Künast
kardt
Undine Kurth ({56})
Monika Lazar
Agnes Malczak
Kerstin Müller ({57})
Beate Müller-Gemmeke
Ingrid Nestle
Dr. Konstantin von Notz
Friedrich Ostendorff
Lisa Paus
Tabea Rößner
Claudia Roth ({58})
Krista Sager
Christine Scheel
Dr. Gerhard Schick
Dr. Frithjof Schmidt
Dorothea Steiner
Dr. Wolfgang StrengmannKuhn
Hans-Christian Ströbele
Dr. Harald Terpe
Markus Tressel
Jürgen Trittin
Daniela Wagner
Wolfgang Wieland
Dr. Valerie Wilms
Enthalten
CDU/CSU
Veronika Bellmann
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 8 auf:
Beratung der Unterrichtung durch den Wehrbeauftragten
Jahresbericht 2009 ({59})
- Drucksache 17/900 Überweisungsvorschlag:
Verteidigungsausschuss
Zwischen den Fraktionen ist es verabredet, hierzu
eine Dreiviertelstunde zu debattieren. - Dazu höre ich
keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich gebe das Wort dem Wehrbeauftragten des Deutschen Bundestages, Reinhold Robbe.
({60})
Reinhold Robbe, Wehrbeauftragter des Deutschen
Bundestages:
Sehr verehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten
Damen und Herren! Als alter Parlamentarier darf ich
auch sagen: Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Vor gut
zwei Wochen mussten wir wieder einmal von Soldaten
Abschied nehmen, die im Auslandseinsatz gefallen waren.
Diesmal ging es um vier Angehörige unserer Streitkräfte.
Eine Woche zuvor, am Karfreitag, waren drei gefallene
Soldaten und etliche Schwerverwundete zu beklagen.
Wenn mich gerade in diesen Tagen jemand fragt, was
in den zurückliegenden fünf Jahren meiner Amtszeit das
Schwierigste war, dann gibt es für mich überhaupt keinen Zweifel. Das Schwierigste, das auch bei mir Wunden hinterlassen hat, waren die Momente, in denen ich
vor den Särgen der gefallenen Soldaten stand. Das
Schwierigste meiner Amtszeit war für mich, in die Gesichter der Angehörigen zu blicken, die um einen Sohn,
einen Vater, einen Freund oder auch um einen Kameraden
trauerten. Das Schwierigste war ganz ohne Zweifel der
Versuch, diesen trauernden und verzweifelten Angehörigen
in irgendeiner Weise Trost zu spenden, wohl wissend,
dass es in solch einer Situation eigentlich keinen Trost
geben kann.
Die Schicksale der gefallenen Soldaten spiegeln in realistischer und für die Betroffenen zum Teil auch in brutaler
Weise wider, was es für unsere Soldatinnen und Soldaten
heutzutage bedeutet, Dienst in einer Einsatzarmee zu
leisten. Diese Schicksale weisen aber auch darauf hin,
auf was sich das Hauptaugenmerk richten sollte, wenn es
um die Gesamtbewertung unserer Streitkräfte geht. Nicht
zuletzt lässt sich anhand einzelner Schicksale belegen,
dass Defizite und kritikwürdige Themen nicht nur mit
fehlendem Geld, sondern auch mit grundsätzlichen
Strukturproblemen zu tun haben.
Im Laufe der zurückliegenden fünf Jahre meiner
Amtszeit habe ich - wie Sie sich vorstellen können zahlreiche Soldaten kennengelernt, deren Schicksale stellvertretend für viele Kameradinnen und Kameraden deutlich machen, was es heute bedeutet, in der Einsatzarmee
Bundeswehr Soldat zu sein. Beispielhaft nenne ich Ihnen
einmal den Fall eines 25-jährigen Stabsgefreiten, den ich
hier in Berlin im Bundeswehrkrankenhaus besucht habe.
Dieser Soldat wurde im vergangenen Jahr bei einem der
vielen Gefechte im Großraum Kunduz schwer verwundet.
Neben Splitterverletzungen war dieser junge Soldat vor
allem von großflächigen Brandverletzungen gezeichnet.
Die Erstversorgung und der Transport nach Deutschland
hatten gut geklappt. Die Weiterbehandlung konnte aber
nicht, wie üblich, im Zentralkrankenhaus in Koblenz erfolgen, weil man dort die Abteilung für Schwerstbrandverletzungen wegen Ärztemangels schließen musste.
Daher erfolgte die Überführung in ein ziviles Unfallkrankenhaus in Berlin.
Bei meinem ersten Besuch fiel mir auf, dass der
Stabsgefreite nicht auf seine eigenen, durch schwere
Brandwunden entstellten Beine schauen konnte. Wenn der
Soldat in irgendwelchen Fernsehsendungen Explosionen
zu sehen bekam, musste er sofort den Fernsehapparat
ausschalten. Wie er mir erklärte, leide er nicht nur unter
seinen äußeren Verletzungen, sondern insbesondere unter
seinen seelischen Verletzungen. Er hatte das Glück, sofort
die Hilfe eines versierten Psychiaters in Anspruch nehmen zu können.
Bei meinem zweiten Besuch zwei Wochen später
konnte ich dann erfreut feststellen, dass der Stabsgefreite
große Fortschritte in seiner Genesung gemacht hatte.
Diesmal konnte ich mich mit ihm auch über seine bisher
gemachten Erfahrungen unterhalten. Der Soldat machte
sich über seine Zukunft Sorgen, weil er nicht mehr in
seinem alten Beruf als Maler und Lackierer arbeiten
könne, wie er mir berichtete. Die Ärzte hatten ihm erklärt,
dass der Umgang mit Lösungsmitteln und chemischen
Dämpfen aufgrund seiner Brandwunden ausgeschlossen
sei.
Wehrbeauftragter Reinhold Robbe
Aufgrund seiner schweren Verwundungen berief sich
der Stabsgefreite auf das Einsatz-Weiterverwendungsgesetz. Nach diesem Gesetz erhalten die Geschädigten
bekanntlich einen Rechtsanspruch auf Weiterbeschäftigung als Berufssoldat, Beamter oder auch auf Lebenszeit
in einem unbefristeten Arbeitsverhältnis beim Bund.
Dies ist aber nur dann der Fall, wenn sie eine dauerhafte
Minderung der Erwerbsfähigkeit von mindestens 50 Prozent nachweisen können. In dem genannten Beispiel
konnte sich der Stabsgefreite nicht auf das Einsatz-Weiterverwendungsgesetz berufen, weil er vermutlich knapp
unter dieser Mindestnorm von 50 Prozent bleiben wird,
wie ihm die Ärzte prognostizierten.
Ich schildere Ihnen den Einzelfall dieses Stabsgefreiten so ausführlich, weil sich daran sehr gut ablesen lässt,
wie es konkret um die soziale Absicherung unserer Soldatinnen und Soldaten im Einsatz bestellt sein kann. Für
den Stabsgefreiten ergibt sich folgende Situation: Im
Vertrauen auf die Fürsorgepflicht der Bundeswehr hatte
er sich als Wehrpflichtiger für den Beruf des Soldaten
auf Zeit entschieden. Wegen seiner schweren Verwundungen wird er nicht wieder in seinen alten Beruf zurückkehren können. Eine Weiterverwendung bei der
Bundeswehr kommt aber auch nicht infrage, weil er
nicht über die 50-Prozent-Hürde der Wehrbeschädigung
kommt. Er ist möglicherweise für sein ganzes Leben von
seinen schweren Verwundungen gezeichnet und darüber
hinaus wegen des - zumindest aus seiner Sicht - unsensiblen Verhaltens des Dienstherrn enttäuscht.
Dieser Fall dokumentiert aus meiner Sicht nicht nur
die Notwendigkeit, bestimmte Leistungsgesetze nachzubessern. Der Fall macht auch deutlich, dass die Soldaten
besonders im vergangenen Jahr und speziell in Kunduz
jeden Tag miterleben mussten, was es heute bedeutet, im
Einsatz zu sein. Wenn ich mir die Probleme vieler Soldaten näher betrachte, stelle ich fest, dass einige Verantwortliche in der Bundeswehrführung mit Blick auf die
Fürsorgepflicht gegenüber den Soldatinnen und Soldaten
noch nicht in der Einsatzrealität angekommen sind.
Wenn ich auf die Fürsorge zu sprechen komme, beziehe
ich diese nicht nur auf die soziale Absicherung bei
schwerer Verwundung oder Tod im Einsatz, sondern gerade auch auf den Schutz und die Sicherheit unserer Soldatinnen und Soldaten.
Auf Fähigkeitslücken in der Ausbildung weise ich
nicht zum ersten Mal hin. Bereits seit Jahren kritisiere
ich diesen Punkt. Trotzdem ist es bis heute nicht gelungen, die für die Ausbildung erforderliche Zahl von geschützten Fahrzeugen anzuschaffen. Das optimale Beherrschen der nicht einfach zu lenkenden Fahrzeuge
kann jedoch für das Überleben im Einsatz entscheidend
sein. Aus diesem Grund fehlt mir jedes Verständnis für
dieses gravierende Defizit in der Ausstattung und in der
Ausbildung.
({61})
Der immer wieder gehörte Einwand, es stehe für diese
Einsatznotwendigkeiten kein Geld zur Verfügung, ist für
mich nicht hinnehmbar. Wohl wissend, dass es zwar keinen hundertprozentigen, aber sehr wohl einen optimalen
Schutz für die Soldaten geben kann, darf fehlendes Geld
in diesem Fall kein Argument sein.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, bereits bei
der Vorstellung meines vorletzten Jahresberichtes hatte
ich gefragt, ob die bekannten Mängel und Defizite der
Bundeswehr mit den Ansprüchen einer modernen Einsatzarmee zu vereinbaren seien. Die Antwort liegt zumindest für mich auf der Hand: ein deutliches Nein. Die
Realität in den deutschen Streitkräften ist von unübersichtlicher Führungsverantwortung, zu viel überflüssiger
Bürokratie, Reibungsverlusten durch Trennung von
Truppe und Truppenverwaltung sowie veralteter Personal- und Materialplanung gekennzeichnet, um nur die
wichtigsten Stichworte zu nennen. Vor dem Hintergrund
der aufgezeigten Problemfelder sollten aus meiner Sicht
bei der bevorstehenden Überprüfung der Bundeswehrstruktur die Voraussetzungen für die unverzichtbare Modernisierung der Streitkräfte geschaffen werden.
Das zurückliegende Jahr gehört für die deutschen
Streitkräfte zu den ereignisreichsten ihrer 55-jährigen
Geschichte: zunächst der Aufwuchs des bisher größten
Auslandseinsatzes der Bundeswehr in Afghanistan mit
einer Personalstärke von rund 4 500 Soldaten, eine sich
permanent verschärfende Sicherheitslage, die von stundenlangen schweren Gefechten mit den bereits geschilderten Opfern in den eigenen Reihen gekennzeichnet
war, aber ebenso von getöteten gegnerischen Kräften geprägt war. Im Zuge dieser sich zuspitzenden Lage im
Raum Kunduz kam das bekannte Bombardement zweier
Tanklastzüge, in dessen Folge die Entlassung des Generalinspekteurs und eines Staatssekretärs, der Rücktritt eines Bundesministers und die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses stattfanden. Nicht unerwähnt bleiben
darf die von der Koalition beschlossene Reduzierung der
Wehrpflichtdauer von neun auf sechs Monate.
Alles in allem sind das eine Reihe von zum Teil einschneidenden Ereignissen, die natürlich auch nicht spurlos an den Soldatinnen und Soldaten vorbeigezogen
sind.
Zusammenfassend, meine Damen und Herren, will
ich Folgendes feststellen:
Erstens. Unsere Soldatinnen und Soldaten leisten
trotz der von mir genannten und bekannten Strukturprobleme seit vielen, vielen Jahren einen großartigen Job.
({62})
Gerade das ereignisreiche zurückliegende Jahr hat wieder einmal deutlich gemacht, wie belastbar die Soldaten
sind. Fehlendes Material, Lücken bei der strategischen
Fähigkeit, bürokratische Unsinnigkeiten, unzureichende
Planungsvorgaben, Mängel in der Ausbildung und in der
Einsatzvorbereitung sowie demotivierende Besoldungsund Beförderungsdefizite werden an der Basis vor allem
durch ein unglaubliches Improvisationstalent und durch
kameradschaftliche gegenseitige Unterstützung kompensiert. Deshalb sage ich jetzt, am Schluss meiner Amtszeit, auch in meiner speziellen Verantwortung allen Soldatinnen und Soldaten in den Heimatstandorten und in
Wehrbeauftragter Reinhold Robbe
den Auslandseinsätzen meinen tief empfundenen und
ehrlich gemeinten Dank für ihren aufopferungsvollen
und wirklich großartigen Dienst.
({63})
Zweitens. Unabhängig von den bereits beschriebenen
strukturellen Problemen in den Streitkräften ist ein Bereich von herausragender Bedeutung. Ich habe in allen
Berichten, die ich dem deutschen Parlament bisher vorlegte, immer wieder und in einer deutlichen Sprache auf
die Defizite der Sanität hingewiesen. Die Situation hat
sich trotzdem von Jahr zu Jahr verschlechtert. Ob es sich
um die flächendeckende allgemeine sanitätsärztliche
Versorgung der Bundeswehrangehörigen, um die Bundeswehrkrankenhäuser, um die Versorgung der posttraumatisch belasteten Soldatinnen und Soldaten oder um
die Personalrekrutierung und die Personalführung handelt, auf allen Gebieten wurde viel zu spät gehandelt,
wurden Entwicklungen regelrecht verschlafen und Probleme offensichtlich bewusst schöngeredet. Erst nach
massivem politischen Druck aus dem Verteidigungsausschuss wurden Initiativen entwickelt und sind jetzt endlich erste Lösungsansätze erkennbar. Es bleibt zu hoffen,
dass die reformwilligen Verantwortungsträger in der Sanität die erforderlichen Handlungsmöglichkeiten eingeräumt bekommen.
Drittens. Die Attraktivität des Soldatenberufes war
und ist auch weiterhin schweren Belastungen ausgesetzt.
Insbesondere bei etlichen Spezialverwendungen und bei
den besonders belasteten Truppenteilen hat die Konkurrenzsituation im zivilen Bereich zur wesentlichen Verschärfung der Personallage in der Bundeswehr beigetragen. Beispielhaft nenne ich die Sanitätsärzte, die Piloten
und die Spezialkräfte.
Viertens. Die innere Verfassung der Streitkräfte ist,
ungeachtet immer wieder aufgetretener Ereignisse wie
jüngst im Zusammenhang mit bestimmten nicht tolerierbaren Ritualen, als vorbildlich und respektabel zu bezeichnen. Die Prinzipien der Inneren Führung und des
Staatsbürgers in Uniform sind auf allen Ebenen verinnerlicht und bilden das verlässliche Wertegerüst und das
ethische Fundament des Denkens und Handelns in den
Streitkräften.
({64})
Fünftens. Bei jedem Truppenbesuch beklagen die
Soldatinnen und Soldaten die allgemein geringe menschliche Zuwendung durch unsere Gesellschaft. Wir haben
es hier mit einem Phänomen zu tun, das immer wieder
mit anderen Problemen vermengt und verwechselt wird.
Es geht bei diesem Punkt ausdrücklich nicht darum, sich
mit irgendwelchen Auslandseinsätzen politisch zu identifizieren. Wenn die Soldaten mehr als ein „freundliches
Desinteresse“ von den Mitbürgerinnen und Mitbürgern
der Zivilgesellschaft erwarten, dann berufen sie sich
vielmehr auf eine Selbstverständlichkeit. Wer seine Gesundheit und sein Leben für sein Land einsetzt, der darf
das an menschlicher Zuwendung, an Aufmerksamkeit
und Solidarität, ja an Nächstenliebe erwarten, was in vielen anderen Ländern, auch bei unseren Bündnispartnern,
eine Selbstverständlichkeit ist.
({65})
Weil es auch über 60 Jahre nach Gründung der Bundesrepublik immer noch nicht gelungen ist, den notwendigen breiten gesellschaftlichen Rückhalt für unsere Soldaten zu schaffen, ist es nach meiner festen Überzeugung
notwendig, diese menschliche Unterstützung durch die
Gesellschaft regelrecht zu organisieren. Hier steht nicht
nur die Politik in der Pflicht, sondern alle Organisationen
und Institutionen in Wirtschaft, Kultur und Wissenschaft.
Insbesondere die Eliten bei uns im Land sind hier gefragt.
Ich selber beziehe mich in diese Pflicht übrigens ausdrücklich ein.
Abschließend will ich mich ganz herzlich bei all denen bedanken, die mich in den zurückliegenden fünf
Jahren bei meinen Aufgaben unterstützt haben. Diesen
Dank beziehe ich auf den jetzt amtierenden Bundesminister Dr. zu Guttenberg, auf die Minister, mit denen
ich es vorher zu tun hatte, auf die politische und militärische Führung der Streitkräfte und auf alle Dienststellen,
die mit meinem Amt besonders eng zusammengearbeitet
haben, sowie natürlich auf die Vertrauenspersonen in der
Bundeswehr und ganz besonders auf die Militärseelsorge. Vor allem bedanke ich mich bei Ihnen, bei allen
Mitgliedern des Deutschen Bundestages, hier wiederum
natürlich besonders beim Verteidigungsausschuss für das
zumindest aus meiner Sicht sehr gute, nein, ich möchte
sagen: ausgezeichnete und vertrauensvolle Zusammenwirken. Nicht zuletzt danke ich meiner eigenen Mannschaft im Amt des Wehrbeauftragten. Ohne die tatkräftige Unterstützung meiner Leute hätte ich meine Arbeit
nicht so leisten können.
({66})
Die zurückliegenden fünf Jahre waren für mich eine
durchaus erfüllte und auch prägende Zeit. Ich habe versucht, der Institution des Wehrbeauftragten ein Gesicht
zu geben. Ich hoffe, dass man das ein wenig gespürt hat.
Herzblut war sicher auch dabei. Meinem Amtsnachfolger, Herrn Königshaus, wünsche ich eine glückliche
Hand und viel Erfolg. Ich biete ihm jegliche Unterstützung an und bitte Sie, dass Sie ihm das an Unterstützung
und Aufmerksamkeit geben, was ich in diesem Hause
immer wieder erfahren durfte. In diesem Sinne auch Ihnen alles Gute und Gottes Segen.
Ich melde mich ab.
({67})
Herr Robbe, während Sie die Glückwünsche und den
Dank entgegennehmen, will ich Ihnen im Namen des gesamten Hauses offiziell danken. Vielen Dank für den Bericht 2009, auch an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.
Vielen Dank für Ihren Einsatz und für Ihr Engagement in
den letzten fünf Jahren. Wir wünschen Ihnen alles Gute
und ich persönlich ebenfalls Gottes Segen.
({0})
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt
Ich gebe das Wort der Kollegin Anita Schäfer für die
CDU/CSU-Fraktion.
({1})
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr Wehrbeauftragter, zunächst
möchte ich Ihnen, Herr Robbe, auch namens der CDU/
CSU-Fraktion noch einmal ganz herzlich Dank sagen für
Ihre Arbeit in den vergangenen Jahren. In diesen Dank
möchte ich Ihre Mitarbeiter einschließen.
Sie haben dieses Amt zu einer Zeit ausgeübt, in der
das Wohlergehen der Soldaten der Bundeswehr so stark
im Fokus der Öffentlichkeit steht, wie es vielleicht noch
nie der Fall war. Denn zum ersten Mal sind die Streitkräfte der Bundesrepublik Deutschland so massiv an einem bewaffneten Konflikt beteiligt. In diesem Konflikt
gibt es Verwundete und Gefallene. Unabhängig davon,
ob der Einzelne diesem Einsatz zustimmt oder nicht,
wird zum ersten Mal auch in der breiten Öffentlichkeit
kritisch gefragt: Sind unsere Soldaten, die gerade in diesem Moment in Afghanistan ihr Leben riskieren, mit allem Notwendigen versorgt? - Nach meinem Eindruck
zeigt sich hier eine neue Anteilnahme in der Öffentlichkeit, die Sie, Herr Robbe, in Ihren letzten Jahresberichten völlig zu Recht angemahnt haben. Es ist bedauerlich,
dass sich diese Anteilnahme offenbar erst durch die Verluste des vergangenen Monats so verbreitet hat. Aber es
ist gut, dass sich die Gesellschaft verstärkt zu ihren Soldaten bekennt.
So sehr ich dies begrüße, sehe ich allerdings auch die
Verantwortung aller Mitglieder in diesem Hohen Hause,
der Bevölkerung den Sinn dieser Auslandseinsätze zu
vermitteln.
({0})
Das gilt gerade für den Einsatz der Bundeswehr in
Afghanistan, der von vielen abgelehnt wird. Wenn es uns
gelingt, die Notwendigkeit dieser Einsätze zu vermitteln,
wird die Unterstützung für unsere Soldaten umso stärker
wachsen. Denn diese leisten ihren Dienst gerade für die
Sicherheit unserer Bevölkerung, auch, vielleicht sogar
gerade auch am Hindukusch, gemeinsam mit unseren
Bündnispartnern, die sich früher in unserem eigenen
Land jahrzehntelang gegen eine gemeinsame Bedrohung
engagiert haben. Afghanistan darf nicht wieder zur Operationsbasis des internationalen Terrors werden, der uns
alle im Visier hat.
Neben Verbesserungen in einigen Bereichen werden
im aktuellen Bericht des Wehrbeauftragten erneut Mängel festgestellt, die angesichts der laufenden Einsätze besonders kritisch erscheinen. Die Probleme treten dabei
häufig gar nicht im Einsatz selbst auf; denn vorhandene
Ressourcen werden mit Priorität den dortigen Kontingenten zugeleitet. Dies führt jedoch in einigen Fällen zu
einem Verdrängungseffekt bei den Ressourcen im Inland, wovon wiederum nicht zuletzt die Einsatzvorbereitung betroffen ist. Dieser Effekt ist beispielsweise bei
den geschützten Fahrzeugen und im Sanitätsdienst sichtbar.
Wir hatten bereits bei der Befassung mit dem letzten
Jahresbericht festgehalten, dass das Fehl an geschützten
Fahrzeugen geringer geworden ist. Ich verfolge mit Interesse die Bemühungen, die noch vorhandenen Lücken zu
schließen, wie erst jüngst mit der Bestellung weiterer
60 Fahrzeuge vom Typ EAGLE IV. Natürlich werden
die verfügbaren Fahrzeuge zuerst dort eingesetzt, wo sie
am dringendsten gebraucht werden, nämlich im Einsatz
selbst. Das führt dann aber dazu, dass im Inland nur eine
geringe Zahl für die einsatzvorbereitende Ausbildung
zur Verfügung steht.
Nach wie vor kritisch ist die Situation im Sanitätsdienst. Auch dies betrifft zuerst die truppenärztliche
Versorgung im Inland ebenso wie den Betrieb an den
Bundeswehrkrankenhäusern. Daher müssen wir sehr genau beobachten, welche Auswirkungen die eingeleiteten
Maßnahmen zur Attraktivitätssteigerung im Sanitätsdienst haben.
Ein weiterer einsatzrelevanter Punkt in dem Bericht
ist erneut die Problematik der posttraumatischen Belastungsstörungen. Im Bericht wird noch einmal die Verwirklichung eines PTBS-Kompetenzzentrums für die
Bundeswehr gefordert. Dieses Vorhaben haben bekanntlich vor kurzem nochmals alle Fraktionen im Verteidigungsausschuss unterstützt. Ich freue mich, Herr Minister zu Guttenberg, dass Sie nunmehr die Einrichtung
eines solchen Zentrums in Berlin angewiesen haben.
({1})
Die anstehende Aufstockung und Umstrukturierung
des deutschen ISAF-Kontingents wird die eben genannten Probleme nicht vereinfachen. Ich begrüße die verschiedenen Initiativen, die bereits im Bundesverteidigungsministerium ergriffen worden sind, um Abhilfe
zu schaffen, um Ausstattung und Ausbildung weiter zu
verbessern und die Truppe durchsetzungsfähiger zu machen. Wir müssen aber realistisch sehen, dass diese
Maßnahmen nicht schon morgen alle Engpässe beseitigen werden. Der Bedarf für die optimale Versorgung im
Einsatz hat sich auch nicht erledigt, wenn die Bundeswehr ihre Aufgaben nach und nach an die afghanischen
Sicherheitskräfte übergibt, auch dann nicht, wenn diese
Mission in einigen Jahren hoffentlich erfolgreich abgeschlossen ist.
Wir dürfen bei eventuellen künftigen Einsätzen nicht
wieder denselben Problemen gegenüberstehen. Dazu bedarf es langfristiger Bemühungen, einschließlich der
notwendigen Unterlegung durch Haushaltsmittel. Hier
tragen wir alle, meine lieben Kolleginnen und Kollegen,
Verantwortung. Dies gilt übrigens auch für die wehrtechnische Industrie. Kostspielige Verzögerungen wie beim
A400M oder beim Kampfhubschrauber TIGER müssen
wieder die Ausnahme werden; denn schließlich wird
modernes Gerät so schnell wie möglich für die Einsätze
gebraucht, um durch bestmöglichen Schutz und wirkungsvolle Technik weitere Opfer unter unseren Soldaten im Einsatz möglichst zu vermeiden.
({2})
Auch wenn die Situation im Einsatz derzeit die Diskussion beherrscht, möchte ich zum Schluss auf die
Anita Schäfer ({3})
Attraktivität der Bundeswehr insgesamt zu sprechen
kommen. Auch dazu werden im Bericht des Wehrbeauftragten erneut eindeutige Aussagen getroffen. Überproportional zur Zahl der tatsächlichen Eingaben bleibt
etwa die Vereinbarkeit von Familie und Dienst bestimmend. Insbesondere gilt dies für Möglichkeiten zur
Kinderbetreuung. Da müssen manchmal vorhandene
Möglichkeiten einfach nur konsequent genutzt werden.
Im Rahmen eines entsprechenden Pilotprojekts, so wird
im Bericht festgestellt, wurden vielfach bereits Belegrechte an kommunalen Betreuungseinrichtungen wiederentdeckt, insgesamt 9 000 Plätze an 350 Einrichtungen
in 150 Bundeswehrstandorten.
Gute Nachrichten gibt es auch beim Sonderprogramm
zur Sanierung der Westkasernen. Hier sind in den letzten
drei Jahren 356 Millionen Euro verbaut worden. Für dieses und das nächste Jahr sind weitere 246 Millionen
Euro geplant. Ab Ende dieses Jahres wird zugleich der
neue Unterkunftsstandard umgesetzt, der vor allem für
die längerdienenden Mannschaftsdienstgrade eine Verbesserung bedeutet, die gewissermaßen den Muskel der
Einsatzkontingente darstellen. Ein kritischer Punkt
bleibt nach wie vor die ausreichende Verfügbarkeit von
Pendlerunterkünften für Soldaten ab 25, die nicht mehr
in der Kaserne unterkunftspflichtig sind. Im Bericht wird
auch hier auf Beispiele erfolgreicher Kooperation mit
örtlichen Anbietern hingewiesen. Es ist wünschenswert,
dass das Schule macht und an allen Standorten der Bedarf gedeckt werden kann.
Ich selbst möchte diese Rede nicht beenden, ohne allen Männern und Frauen der Bundeswehr für ihren
Dienst zu danken, denen im Einsatz, aber auch denen in
unseren Heimatstandorten. Ich bitte darum, dass wir sie
dabei weiterhin auf jede Weise unterstützen.
Herzlichen Dank.
({4})
Die Kollegin Karin Evers-Meyer hat das Wort für die
SPD-Fraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr
Wehrbeauftragter! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Im Mittelpunkt des Jahres 2009 stand für die
Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr vor allem eines, nämlich ihre schwere und gefährliche Arbeit in
Afghanistan. Das spiegelt sich auch im Jahresbericht des
Wehrbeauftragten wider; es spiegelt sich dort auch wider, dass die Soldatinnen und Soldaten in diesem realen,
tagtäglichen Einsatz in Afghanistan ihr Leben und ihre
Gesundheit riskieren. Wie wir alle wissen, war auch das
Jahr 2009 ein Jahr, das Opfer gefordert hat. An die Soldatinnen und Soldaten und ihre Angehörigen müssen wir
alle, wir Politiker, Journalisten, Fachleute und die gesamte Öffentlichkeit heute und jeden Tag denken, wenn
wir über den Einsatz der Bundeswehr sprechen. An die
müssen wir denken, und wir müssen uns in der Öffentlichkeit der brutalen Härte dieses Einsatzes stellen. Denken reicht aber natürlich nicht aus. Wir müssen auch
handeln. Dass wir dies nicht tun, jedenfalls nicht in dem
Umfang, wie unsere Soldatinnen und Soldaten dies erwarten, auch das können wir im Bericht des Wehrbeauftragten nachlesen.
Ich kann gut verstehen, dass sich viele Soldatinnen
und Soldaten heute manchmal alleingelassen fühlen.
Dieser Jahresbericht zeigt Zustände bei den Auslandseinsätzen auf, die inakzeptabel sind und die schnellstmöglich abzustellen sind. Das fängt bei der mangelhaften materiellen Ausstattung an, die sich insbesondere in
den Einsätzen und in der Vorbereitung darauf bemerkbar
macht. Gerade nach den schweren Gefechten der letzten
Monate in Afghanistan wurde immer wieder auf den
Mangel an geschützten Fahrzeugen hingewiesen. Auch
wenn ich Verständnis dafür habe, dass geschützte Fahrzeuge natürlich nicht über Nacht beschafft werden
können: Es gibt auch Mängel beim Material, die sich
wirklich schneller abstellen ließen. So weist der Wehrbeauftragte darauf hin, dass letztes Jahr sage und schreibe
vier Monate vergingen, bis geeignete Schutzbrillen für
den Einsatz in Afghanistan beschafft wurden. Das sind
Verzögerungen, für die unsere Soldaten - zu Recht, finde
ich - kein Verständnis haben.
Auch die Vorbereitung auf das im Einsatz verwendete
Material muss deutlich verbessert werden. Es ist in der
Tat ein Unding, wenn Fahrer und Mannschaften in Deutschland, wenn überhaupt, nur unzureichend auf Einsatzfahrzeugen wie dem DINGO geschult werden. Hier muss die
Bundeswehr dringend Abhilfe schaffen. Wir werden das
als Parlament genau verfolgen.
({0})
Was die Infrastruktur in Deutschland angeht, will ich
an dieser Stelle nicht ins Detail gehen. Ich denke, jeder
von uns kennt abschreckende Beispiele über den
schlechten Zustand von Kasernen, vor allem in Westdeutschland. Aber eine Zahl hat mich den Bericht doch
sehr aufmerksam lesen lassen: Teilweise sind bis zu zehn
Stellen an der Genehmigung von Bauvorhaben beteiligt.
Das kann doch wirklich schneller und unbürokratischer
gemacht werden. Das Ministerium und die Bundeswehr
sollten sich endlich bemühen, derartige Zustände abzustellen.
Zweiter Punkt der Mängelliste: Defizite bei Personal
und Ausbildung. Beklagt wird im Bericht der fehlende
Praxisbezug in der Ausbildung von Offizieren und Unteroffizieren. Gerade im Hinblick auf spätere Führungsverwendungen sollte man darüber nachdenken, ob ein
früherer und intensiverer Kontakt zur Truppe nicht von
Vorteil wäre.
Die Bundeswehr hat einen jährlichen Personalbedarf
von 23 700 Soldatinnen und Soldaten. Diese Bedarfsmarke wurde 2009 um rund 2 000 verpasst. Mit dem
Blick auf die Zukunft muss die Truppe deshalb vor allen
Dingen im Bereich der Attraktivität endlich mehr tun,
um guten Nachwuchs zu bekommen. Im Bericht des
Wehrbeauftragten wird deutlich, dass das Thema „Attraktivität der Streitkräfte“ oft immer noch vernachläs3896
sigt wird. So gibt es nach wie vor zahlreiche Klagen über
eine wirklich unbefriedigende Beförderungssituation
und über ein unfaires Beurteilungssystem.
Schließlich geht es - drittens - in vielen Zuschriften
von Soldatinnen und Soldaten um das Thema „Attraktivität der Bundeswehr“, wozu die Infrastruktur genauso
zählt wie die leider immer noch zu schlechte Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Über gut gemeinte Absichtserklärungen ist man hier offensichtlich immer noch nicht
weit hinausgekommen. So gibt es für die immerhin rund
30 000 Soldatenkinder unter sechs Jahren keine ausreichende Zahl an Betreuungsplätzen, auch wenn nicht zuletzt unter Druck der Berichte des Wehrbeauftragten inzwischen zahlreiche „Belegrechte“ entdeckt wurden, die
in Vergessenheit geraten waren. Sorgen bereitet darüber
hinaus die Betreuung der Kinder während der Einsatzzeiten. Zwar leisten hier Familienbetreuungszentren gute
Arbeit; aber diese Betreuung steht und fällt eben auch
mit einer guten finanziellen Ausstattung dieser Zentren.
Geradezu ein Klassiker in jedem Jahresbericht sind
die Klagen über den Wehrdienst. Ich kann nur immer
und immer wieder wiederholen: Wenn wir wollen, dass
junge Männer diesen Dienst leisten, müssen wir dafür
sorgen, dass die Dienstzeit als sinnvoll empfunden wird.
Ich bin eine Anhängerin der Wehrpflicht. Deswegen ärgern mich die jährlichen Hinweise aus den Reihen der
Wehrpflichtigen, die ihre Dienstzeit als vergeudete Monate empfinden.
Meine Forderung an die Regierung lautet daher: Machen Sie sich endlich ernsthafte Gedanken über die Zukunft der Wehrpflicht, und sorgen Sie auch für eine sinnvolle Ausgestaltung dieser Zeit! Was wir in den letzten
Wochen über Ihre Pläne zum sechsmonatigen Wehrdienst lesen mussten, beruhigt uns leider nicht.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich komme
zum Ende. Lassen Sie mich noch dem scheidenden
Wehrbeauftragten und seinen Mitarbeitern für ihre hervorragende Arbeit danken. Lieber Reinhold Robbe, du
hast dir in den vergangenen fünf Jahren über Parteigrenzen hinweg ein hohes Ansehen erarbeitet. Vor allen Dingen hast du es geschafft, das Vertrauen der Soldatinnen
und Soldaten zu erlangen. Das ist schließlich die vornehmste Aufgabe eines Wehrbeauftragten. Deine Berichte waren schonungslos, detailliert und kompetent.
Sie haben den Finger in die Wunde gelegt und Mängel
aufgezeigt. Du hast keine Konfrontation gescheut - auch
das müssen wir sagen -, sei es mit dem Parlament oder
mit dem Bundesministerium der Verteidigung.
Du hast aber noch etwas anderes geschafft, das ich
ebenfalls für wichtig halte: Immer wieder hast du in der
Öffentlichkeit darauf hingewiesen, dass die materielle
Ausstattung der Bundeswehr nicht alles ist. Soldaten
brauchen auch den Rückhalt der Gesellschaft, sprich:
den Rückhalt in der Bevölkerung. Ihre Sorgen und Probleme gehen uns alle an. Damit, lieber Reinhold Robbe,
wird dein Name lange verbunden bleiben. Ich danke dir
dafür im Namen meiner Fraktion sehr herzlich.
({1})
Christoph Schnurr hat das Wort für die FDP-Fraktion.
({0})
Sehr verehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Lieber Herr Wehrbeauftragter Robbe!
Es ist nicht lange her, da übergab der amtierende Wehrbeauftragte des Deutschen Bundestages seinen Jahresbericht 2009, zuerst dem Bundestagspräsidenten und dann
dem Verteidigungsausschuss. Das scheint auf den ersten
Blick nur ein kleiner Kreis interessierter Leser zu sein.
Doch dieser 51. Jahresbericht wurde seit dem 16. März
2010 über 16 000-mal heruntergeladen. Er führt damit die
Rangliste der Downloads an, die im März von der Bundestagswebsite abgefragt wurden. Dies zeigt einmal
mehr, wie wichtig dieser Bericht ist und welch großes Interesse er in der Bevölkerung hervorruft.
Lieber Herr Robbe, ich möchte Ihnen auch im Namen
meiner Fraktion für Ihre Arbeit danken, die Sie in den
letzten fünf Jahren geleistet haben. Der Dank gilt auch
Ihrem Hause und Ihrem Team, die Sie bei der Erstellung
der Berichte unterstützt und die ein Auge auf die Bundeswehr gehabt haben, um Missstände offenzulegen.
Doch wollen wir nicht vergessen: Ohne die Eingaben der
Betroffenen wäre es für jeden, der das Amt des Wehrbeauftragten bekleidet, schwer, Mängel aufzudecken. Die
Eingaben machen deutlich, dass die Institution des
Wehrbeauftragten alternativlos ist und gebraucht wird.
In der letzten Debatte zeichnete sich bereits ab, welche Themen und welche Probleme diesem 51. Bericht zu
entnehmen sein würden. Heute lässt sich sagen: Unsere
Erwartungen haben sich bestätigt.
Lassen Sie mich einige Beispiele nennen. Zum wiederholten Male fallen Probleme besonders im Sanitätsdienst auf: fehlendes Personal, Abwanderung der Fachkräfte und Nachwuchssorgen. Die Attraktivität des
Dienstes ist ein Thema, das in allen Bereichen der Bundeswehr angegangen werden muss. Hier bleibt weiterhin
viel zu tun. Ich warte gespannt auf die Stellungnahme
des Ministeriums zu diesem 51. Bericht, insbesondere
im Bezug auf den Sanitätsdienst und die Maßnahmen,
die folgen müssen.
Der Sanitätsdienst nimmt eine besondere Stellung in
der Bundeswehr ein. Ihm obliegt es, die Gesundheit und
Leistungsfähigkeit der Soldaten im In- und Ausland aufrechtzuerhalten. Hier besteht dringender Handlungsbedarf. Herr Minister, die Probleme und Schwierigkeiten
im Sanitätsdienst sind hinlänglich bekannt. Jetzt müssen
sie rasch abgestellt werden, damit dieser Dienst wieder
in geordnete Bahnen kommt.
Der erste Fortschritt innerhalb des Sanitätswesens ist
sicherlich das im Koalitionsvertrag vereinbarte PTBSZentrum. Hier wurden erste ernsthafte Anstrengungen
unternommen. Aber wir dürfen an dieser Stelle nicht
nachlassen. Ich bedanke mich ausdrücklich beim gesamten Parlament, das dieses Vorhaben fraktionsübergreifend unterstützt hat, wenn es auch maßgeblich von meiner Kollegin Elke Hoff angestoßen wurde. Vielen Dank.
({0})
Reden wir von Ausrüstung und Ausbildung. Auf der
Reise mit dem Minister nach Afghanistan habe ich mich
mit einigen Soldaten unterhalten können. Mir gegenüber
sagten einige Infanteristen, dass sie erst im Einsatz mit
den Fahrzeugen DINGO und EAGLE IV fahren konnten
und erst vor Ort in diese Geräte eingewiesen wurden.
Meine Damen und Herren, es ist ein Unding, dass Soldaten ohne ordentliche Ausbildung für das entsprechende
Gerät in den Einsatz geschickt werden. Es ist nicht nur
sinnvoll, unsere Soldaten mit der bestmöglichen Ausstattung auszurüsten; es ist auch zwingend erforderlich,
die Soldaten an den entsprechenden Geräten in der Heimat auszubilden. Vielleicht sollten wir überlegen, den
Grundsatz des einsatzbedingten Sofortbedarfs auch in
Deutschland anzuwenden. Denn die Ausbildung für den
Einsatz ist ebenfalls einsatzbedingt.
An dieser Stelle möchte ich allen Soldaten der Bundeswehr, ihren Familien und Angehörigen, ob im Inoder Ausland, für ihren beispiellosen Dienst danken und,
damit verbunden, meinen Respekt vor ihrer Arbeit bekunden.
({1})
Das bringt mich auch schon zum nächsten Thema. In
Großbritannien gab es vor dem Irakkrieg über das gesamte Land verteilt Demonstrationen gegen eine Teilnahme. Als die Regierung eine Beteiligung beschloss,
war noch immer ein Großteil der Bevölkerung dagegen.
Es hat sich jedoch niemand gegen die Streitkräfte gewandt.
Es steht jeder Bürgerin und jedem Bürger frei, wie sie
oder er die Einsätze bewertet, in die wir Parlamentarier
die Bundeswehr geschickt haben. Von der Bevölkerung
und einigen Abgeordneten würde ich mir allerdings etwas mehr Respekt vor den Menschen wünschen, die den
Beruf des Soldaten gewählt haben.
({2})
Niemand wird gezwungen, aus Solidarität einen Aufkleber mit einer gelben Schleife als Zeichen an seinem Auto
zu befestigen; doch eine sachliche Auseinandersetzung
mit der Thematik und normale zwischenmenschliche Solidarität sind, glaube ich, nicht zu viel verlangt.
Die Bundeswehr hat nicht selbst entschieden, in die
Einsätze zu gehen. Das waren wir, die Abgeordneten des
Deutschen Bundestages. Das dürfen wir nicht vergessen.
({3})
- Sie nicht; das ist hinlänglich bekannt. Aber auch wenn
Sie dem nicht zugestimmt haben, sollten Sie an der einen
oder anderen Stelle Solidarität mit den Soldaten, die im
Namen der Bundesrepublik Deutschland in Auslandseinsätzen sind, zeigen. Das ist, glaube ich, nicht zu viel verlangt, liebe Kollegen von der Linkspartei.
({4})
Was bringt die Zukunft? Die Strukturkommission
nimmt ihre Arbeit auf. Unter der verantwortungsvollen
Führung von Frank-Jürgen Weise wird sie sicherlich
tiefgreifende Änderungsvorschläge bringen. Eins ist
klar: Es darf dabei keine Tabus geben. Wir alle in diesem
Haus sind gespannt auf den Abschlussbericht der Kommission und sollten auch mit unangenehmen Inhalten
rechnen. Der 51. Bericht des Wehrbeauftragten ist sicherlich auch eine gute Quelle für die Arbeit der Kommission.
Lieber Kollege Königshaus, bald werden Sie dieses
Hohe Haus verlassen, um das Amt des Wehrbeauftragten
zu bekleiden. Für Ihre Verdienste als Mitglied des Bundestages möchte ich mich an dieser Stelle recht herzlich
bedanken. Für das neue Amt wünsche ich Ihnen alles erdenklich Gute. Bei einem Richter, der Wehrbeauftragter
wird, ist der Vertrauensvorschuss bestimmt nicht falsch
angelegt. Ich habe keine Sorge, dass Sie bei den Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr bald genau das
gleiche hohe Ansehen und Vertrauen haben, wie Sie es
bei uns im Parlament genießen. Ihnen viel Erfolg!
Ihnen, Herr Robbe, zum Abschluss noch einmal ein
ganz herzliches Dankeschön.
Vielen Dank.
({5})
Paul Schäfer hat das Wort für die Fraktion Die Linke.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Streitkräfte - auch die Bundeswehr - brauchen parlamentarisch-demokratische Kontrolle. Das wussten auch diejenigen, die das Amt des Wehrbeauftragten ins Grundgesetz
geschrieben haben.
Kontrolle beginnt mit Information. Dabei sind die Berichte des Wehrbeauftragten eine ganz entscheidende
Quelle. Ohne diese wüssten Parlament und Öffentlichkeit entschieden zu wenig über den inneren Zustand der
Bundeswehr; denn solche Großorganisationen neigen
zur Schönfärberei. Der vorliegende Bericht unterstreicht
diese Bedeutung.
Der Wehrbeauftragte sollte derjenige sein, der sich innerhalb des Systems Bundeswehr nicht ein X für ein U
vormachen lässt, der Fehlentwicklungen ungeschminkt
benennt und der auch bereit ist, sich in den Clinch mit
der Bundesregierung zu begeben, wenn es notwendig ist.
Das ist der Maßstab. Reinhold Robbe, den wir heute
gleichsam hier verabschieden, hat sich genau dieser Aufgabe gestellt, zum Beispiel indem er überwiegend unangemeldete Truppenbesuche durchgeführt hat, um möglichst viele Informationen zu erhalten, oder sich - das
hat er in seinem Redebeitrag eindrucksvoll zum Ausdruck gebracht - der Situation der im Ausland stationierten Soldatinnen und Soldaten angenommen hat. Das halten wir für richtig.
Paul Schäfer ({0})
Er hat etwas bewirkt: mit seinem Engagement für
eine verbesserte Unterbringung, eine bessere sanitätsdienstliche Versorgung und eine adäquate Betreuung der
posttraumatisierten Soldatinnen und Soldaten. Das ist
ein wichtiges Kriterium. Dafür übermittle ich ihm und
seinem Team von hier aus vielen Dank und gute Wünsche für die Zukunft.
({1})
Ich will aber einen Streitpunkt nicht verschweigen.
Dabei geht es weniger um die Person als um das Amtsverständnis. Weil der Wehrbeauftragte eine der wenigen
Personen ist, die von außen Einblick in die Bundeswehr
haben, die viel mit den Soldatinnen und Soldaten zu tun
haben, ist natürlich die Versuchung vorhanden, sich vor
allem als Vertrauensperson der Soldatinnen und Soldaten, als Ombudsmann für alle zu verstehen, im schlimmeren Fall als jemand, der vor allem die Belange der
Streitkräfte zu vertreten hat. Das ist aber nicht der Kern
des Auftrags des Wehrbeauftragten. Um es zugespitzt zu
formulieren: Der Wehrbeauftragte ist meines Erachtens
nicht der Beschaffer von Akzeptanz für die jeweiligen
Einsätze der Bundeswehr; das muss klar sein. Ich weiß,
das ist eine schwierige Gratwanderung; denn der Wehrbeauftragte muss sich - wie gesagt: das unterstützen wir
- um die Soldatinnen und Soldaten kümmern, die das
Parlament entsendet. In diesem Sinne ist er aber nicht
der Ombudsmann, sondern muss vor allem überprüfen,
ob die Prinzipien der Inneren Führung durchgesetzt werden; das ist der gesetzliche Auftrag.
Aufgrund der Auslandseinsätze scheinen Entwicklungen aufzutreten, auf die man verstärkt das Augenmerk
richten muss, gerade auch der Wehrbeauftragte. Die verschärfte Lage in Afghanistan wird hierzulande von einer
gewissen Kriegsrhetorik begleitet, die meines Erachtens
schlimme Folgen für das Denken und Verhalten der
Truppen haben kann. Der Wehrbeauftragte sagt an der
Stelle: Es geht um Empathie; man muss sich mit der Befindlichkeit der Soldaten und ihrer Lage auseinandersetzen. - Ja, das ist richtig. Es ist naheliegend, dass die Soldaten für ihren großen Einsatz eine Gegenleistung der
Gesellschaft verlangen; dazu gehört in der Tat auch Respekt. Diese Empathie darf aber nicht dazu führen, dass
elementare Verhaltensmaßstäbe ad acta gelegt werden.
({2})
Stichworte sind hier Kunduz und das Menetekel des
4. September.
Bestimmte Stimmungen in der Truppe machen mir
schon Sorgen. Zum Beispiel fragt man: Warum gibt es
überhaupt staatsanwaltschaftliche Ermittlungen, wenn
wir Gewalt anwenden müssen? Warum untersucht das
Parlament Dinge, von denen es nichts versteht? - Ich
finde, hier muss gegengesteuert werden. Die Abgeordneten und das Führungspersonal der Bundeswehr sind hier
in der Pflicht, damit sich die Maßstäbe, um die es bei der
Inneren Führung geht - Recht und Gesetz, Völkerrecht,
Humanität -, nicht abschleifen und nicht verloren gehen.
Darum müssen wir uns gemeinsam kümmern. An dieser
Stelle müssen wir den Wehrbeauftragten unterstützen.
({3})
Bei den Auslandseinsätzen ist ein weiteres Problem zu
verzeichnen, das sich wie ein roter Faden durch die Jahresberichte des Wehrbeauftragten zieht: Immer wieder ist
vom Missbrauch der Dienstaufsicht die Rede, von Unzulänglichkeiten in der Fürsorge, mangelnden Rechtskenntnissen etc. Auch die Schattenseite im inneren Gefüge der
Bundeswehr, die gern als Einzelfälle abgetan werden
- Stichworte: Mittenwald, Elitetruppen -, gehören hier
hinein. Ich finde, dass hier endlich gehandelt werden
muss; denn solche Vorfälle werden Jahr für Jahr festgestellt. Das Ministerium wiegelt ab: Business as usual.
Nein, es handelt sich offensichtlich um festgefahrene
strukturelle Probleme, für deren Behebung wir endlich
ein Gesamtkonzept benötigen, anstatt diese Flickschusterei fortzusetzen. Wir reden hier grundsätzlich über die
Stärkung der Rechte der Soldatinnen und Soldaten, mehr
Anstrengungen in der politischen und ethischen Bildung,
sorgfältigere Personalauswahl und viele Dinge mehr, die
wirklich im Rahmen eines Gesamtkonzeptes aufgegriffen und umgesetzt werden müssen.
Hier hat der neue Wehrbeauftragte eine ganze Menge
Arbeit vor sich. Wir wollen ihn dabei gern unterstützen.
Danke.
({4})
Für Bündnis 90/Die Grünen hat der Kollege Omid
Nouripour das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Wehrbeauftragter, lieber Reinhold Robbe!
Ihre Mannschaft und Sie haben in den letzten fünf Jahren
eine hervorragende Arbeit gemacht, für die wir als Fraktion danken, für die auch ich persönlich danke, und zwar
deswegen, weil diese Arbeit Spuren hinterlassen wird,
nicht nur in der Parlamentsarmee, sondern auch im Parlament. Dafür herzlichen Dank!
({0})
An dieser Stelle möchte ich auch den Soldatinnen und
Soldaten danken, die im Einsatz waren, die im Einsatz
sind und die sich auf den nächsten Einsatz vorbereiten,
aber natürlich ebenso den Soldatinnen und Soldaten, die
nicht in den Einsatz fahren.
Außerdem sind unsere Gedanken bei denjenigen, die
getötet worden sind, bei ihren Angehörigen und bei denjenigen, die versehrt worden sind, und dies nicht nur körperlich. Dass ich dies an dieser Stelle sage und dass es
mittlerweile zum Mainstream der Diskussion gehört,
auch auf die seelischen Schäden hinzuweisen, dass dies
hier und ebenso in der Truppe wie selbstverständlich diskutiert wird, ist ein absolutes Verdienst der Arbeit des
Wehrbeauftragten in den letzten fünf Jahren. Auch dafür
ein großer Dank!
Herr Wehrbeauftragter, Sie schreiben von großen
„Herausforderungen“ für die Bundeswehr, die sich gerade in der sich zuspitzenden Lage in Afghanistan sehr
klar darstellen, und Sie beschreiben Ihre wachsende
„Ungeduld“ angesichts der immer wieder offen zutage
tretenden Mängel bei der Ausstattung und bei der Führung. Wir verstehen und wir teilen diese Ungeduld.
Die Ausstattung nicht nur in Afghanistan, aber gerade
im Auslandseinsatz ist wortwörtlich lebenswichtig. Deshalb, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist es wichtig,
dass wir als Politiker uns nicht als Hobbyfeldherren aufspielen, sondern dass wir die Ohren aufsperren, dass wir
genau zuhören, was denn die Truppe selbst eigentlich
sagt, welche Ausstattung sie braucht. In diesem Zusammenhang ist es aber wichtig, dass wir Rahmenbedingungen schaffen, um flexibel bleiben zu können, wenn sich
die Bedürfnisse der Truppe verändern. Das heißt, wir
müssen auch das Geld zusammenhalten.
Dies ist nicht wirklich gelungen, wenn man bedenkt,
dass in naher Zukunft neue Herausforderungen auf uns
zukommen werden, wenn man bedenkt, wie groß einerseits die Ausstattungsmängel jetzt schon sind und wie
groß andererseits die Summe - ich sage es jetzt einmal
so drastisch - der erpressten Millionenzuschläge beispielsweise für den A400M ist. Dies sind Mittel, die gerade in den jetzigen Zeiten knapper Mittel bei der Ausstattung fehlen. Es geht um unsere Flexibilität. Ich nenne
als Beispiel den dritten Einsatzgruppenversorger, bei
dessen Beschaffung kein Wettbewerb stattgefunden hat,
wodurch die Preise in die Höhe gegangen sind. Dafür
gibt es sehr viele Beispiele, Beispiele dafür, wie die
Wirksamkeit der Truppe im Einsatz beeinträchtigt wird.
Aber was diese Wirksamkeit angeht, sind die Äußerungen der Bundesregierung aus unserer Sicht weiterhin nebulös.
Ich nenne dafür zwei Beispiele: Das eine ist die neue
Strategie für Afghanistan, die im Januar sehr laut verkündet wurde, wenn auch damals wenig konkret. Das
kann man verstehen; das ist ja auch der erste Aufschlag
gewesen. Wir haben mittlerweile zig Fragen gestellt,
aber die Aussagen sind nicht wirklich konkreter geworden. Immer noch sind sehr viele unserer Fragen unbeantwortet geblieben.
Es gibt auch Widersprüche. Wenn in der Antwort auf
unsere Kleine Anfrage gesagt wird, das Partnering, das
stärkere Hinausgehen in die Fläche, bedeute mehr Sicherheit für die Soldaten, dann steht das im Widerspruch
zu dem, was der Minister in der letzten Woche auf seiner
Pressekonferenz gesagt hat. Ich glaube, dass der Minister recht hat mit dem, was er sagte. Es ist logisch, dass
das Risiko steigt, wenn man mehr hinausgeht. Aber dann
muss man auch darauf achten, dass man dem Parlament
nicht schwarz auf weiß andere Informationen zukommen
lässt, die im Widerspruch dazu stehen. Daran zeigt sich,
dass die Kritik des Wehrbeauftragten an der Führung
auch weiterhin gültig ist.
Das zweite Beispiel ist das Strukturchaos. Herr Minister, Anfang der Woche war ich jetzt endgültig verwirrt. Haben wir jetzt W6, wird es eine sechsmonatige
Wehrpflicht geben? Sie haben gesagt: Wenn wir uns
nicht einigen können, dann machen wir doch neun Monate. - Sie haben vor ein paar Wochen noch gesagt, am
1. Oktober werde die veränderte Wehrpflicht eingeführt.
Das ist nicht zu verstehen; das ist auch nicht unbedingt
etwas, was die Wirksamkeit der Bundeswehr vergrößert.
Wenn die Koalition in diesen Tagen verkündet, dass der
Inspekteur des Heeres recht habe, wir brauchten mehr
Infanteristen - ich teile diese Auffassung -, dann ist die
Frage, ob nicht, bevor man an die Lösung dieses Problems gehen kann, größere Strukturreformen wie bei der
Wehrpflicht kommen müssen.
Wenn Sie von einem Termin 1. Oktober sprechen und
ein solches Chaos produzieren, dann biete ich Ihnen hier
eine Wette an: Zum 1. Oktober bekommen Sie das nicht
hin. Der Wetteinsatz ist: Der Verlierer muss einen Tag
lang Zivildienst in der Altenpflege leisten. Wir werden
sehen, ob Sie das bis zum 1. Oktober hinbekommen oder
nicht. Ich befürchte, das wird nicht klappen.
({1})
Selbstverständlich bin ich auch sehr gespannt auf die
Arbeit der Kommission. Natürlich wünschen wir Herrn
Weise allen Erfolg; wir werden seine Arbeit konstruktiv
und kritisch begleiten. Ich hoffe, dass die Arbeit der
Weise-Kommission viele der strukturellen Mängel, von
denen der Wehrbeauftragte seit Jahren berichtet, auffangen kann.
Meine Damen und Herren, wir können uns glücklich
schätzen, dass wir die Institution des Wehrbeauftragten
haben. Der Wehrbeauftragte Robbe hat auch immer wieder darauf hingewiesen, dass das Ausland auf unsere Institution des Wehrbeauftragten mit einer Mischung aus
Faszination und Neid schaut. Heute war eine Delegation
aus Japan zu Gast. Die Kollegen aus Japan haben viele
Fragen dazu gestellt, wie die Institution des Wehrbeauftragten funktioniert. Diese Institution ist eine gute Einrichtung.
Sie haben diesen Job hervorragend gemacht, Herr
Robbe, unter anderem durch die Einführung von unangemeldeten Besuchen. Diese unangemeldeten Besuche
haben sich absolut bewährt. Ich hoffe, dass diese unangemeldeten Besuche von Ihrem Nachfolger - auf den
wir uns freuen und mit dem wir sicher auch gut zusammenarbeiten werden - fortgesetzt werden. Ich wünsche
Herrn Königshaus bei seiner Amtsausübung, vor allem
aber bei der nicht immer einfachen Balance zwischen
Parlament und Armee ein glücklicheres Händchen, als er
es in den letzten Wochen manchmal hatte.
Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
({2})
Das Wort hat nun der Bundesminister der Verteidigung, Dr. Karl-Theodor zu Guttenberg.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Lieber Herr Robbe, wenn wir heute über den
Bericht des Wehrbeauftragten diskutieren, debattieren
wir immer über Verantwortung: über Verantwortung des
Dienstherren - von mir -, über Verantwortung dieses
Hauses, über Verantwortung von uns allen als Parlamentarier.
Wir machen Dienst in diesen Tagen - so haben Sie
auch eingeleitet, Herr Robbe - immer noch unter dem
Eindruck der Ereignisse der letzten Wochen. Diese Wochen haben uns überaus traurige Ereignisse beschert,
gleichzeitig aber den Begriff „Verantwortung“ substanziell unterfüttert.
Ich will an dieser Stelle Ihnen allen, liebe Kolleginnen und Kollegen, danken für die Anteilnahme, die unsere Soldaten und ihre Familien, auch die Verwundeten,
die nach Hause zurückgekehrt sind, erfahren haben.
Ich will an dieser Stelle auch sagen: Durch die große
Anwesenheit bei den Trauerfeiern hat das Parlament ein
wirklich bemerkenswertes, großartiges Bild gezeichnet.
An dieser Stelle von meiner Seite herzlichen Dank!
Diese Anwesenheit hat die Verbindung zwischen dem
Parlament und unseren Soldatinnen und Soldaten in besonderer Weise hervorgehoben; ich glaube, wir können
das gar nicht fest genug unterstreichen und darstellen.
({0})
Herr Robbe, Sie haben auch diese bitteren Realitäten
in Ihrem Jahresbericht klar dargestellt. Sie haben damit
auf Realitäten hingewiesen, die der Diskussion und der
Debatte in der Öffentlichkeit bedürfen, auch der kontroversen Debatte. Vor allem aber kommt es darauf an, dass
diese Realitäten endlich in diesem Ausmaß diskutiert
werden. Ich glaube, dass damit ein notwendiger Schritt
gegangen wurde. Das ist gut.
Der Hinweis auf die Bedeutung von Solidarität mit
unseren Soldaten und Unterstützung unserer Soldaten
kam von allen Rednern. Ich kann dem von meiner Seite
nur flankierend zur Seite stehen, indem ich sage: Das
entspricht auch der Erfahrung, die ich mache, wenn ich
unsere Soldaten besuche. Unsere Soldatinnen und Soldaten sagen: Wir haben Verständnis für die politische Debatte, die über Sinn und Unsinn eines Einsatzes geführt
wird. Wir wünschen uns allerdings mehr Anerkennung
und Unterstützung von zu Hause, aus der Gesellschaft
heraus und aus dem Parlament heraus. - Ich glaube, diesem Ansinnen unserer Soldaten kann man nur beipflichten, und man sollte alles tun, um das entsprechend zu unterfüttern.
({1})
Der Hinweis auf die Bedeutung der Attraktivität des
Dienstes ist berechtigt. Den Dienst attraktiv zu halten, ist
eine Daueraufgabe, der wir uns zu unterwerfen haben.
Hier sind viele Einzelhinweise dazu gegeben worden,
und hier ist in den letzten Jahren seitens des Wehrbeauftragten und seines Teams viel geleistet worden. Wir haben diese Hinweise aufzugreifen und in die Umsetzung
zu bringen. Das muss aber, damit es den Boden und das
Fundament bekommt, das wir brauchen, finanziell auch
entsprechend unterfüttert werden.
Herr Robbe, Sie scheiden jetzt nach fünf Jahren aus
dem Amt des Wehrbeauftragten. Ich darf Ihnen aus meiner Position heraus, aber auch ganz persönlich danken
für Ihren Dienst, für Ihr großes Engagement bei der Unterstützung unserer Soldatinnen und Soldaten - gerade
derer, die sich im Einsatz befinden - durch das Beschreiben der Einsatzrealitäten. Die ständige Präsenz - gerade
die unangemeldete; das ist schon gesagt worden -, die
Sie gezeigt haben, ist etwas, was zum Verständnis von
dem Amt des Wehrbeauftragten gehören muss: die notwendige Unbequemlichkeit, gerade gegenüber der
Spitze eines Hauses. Ich habe das gottlob von Ihnen erfahren dürfen, aber gleichzeitig eben auch vertrauensvoll
und eng mit Ihnen zusammenarbeiten dürfen. Ich darf
Ihnen auch von meiner Seite aus sagen: Herzlichen Dank
für die Arbeit der letzten Jahre. Sie haben exzellente Arbeit geleistet. Danke hierfür!
({2})
Das darf man auch sagen, wenn man bei der einen oder
anderen Frage quer liegt; auch das gehört dazu.
Ich darf Ihnen, lieber Herr Königshaus, zurufen, dass
ich mich auf die künftige Zusammenarbeit aufrichtig
freue. Sie haben in den letzten Wochen an der einen oder
anderen Stelle erfahren dürfen, was mit dem Amt des
Wehrbeauftragten und mit den Themen, mit denen wir
uns befassen, unter anderem einhergeht, nämlich harte,
teilweise überharte Kritik. Zu nahezu jedem Themenkomplex, nahezu jedem Aspekt gibt es - auch aus meinem Hause - unterschiedliche begründete Meinungen.
Mit einer solchen Kritik wird man im Zweifel umgehen
müssen, und mit der werden wir gemeinsam umgehen
können; daran habe ich keinen Zweifel. Ich freue mich
auf die Zusammenarbeit und wünsche Ihnen eine glückliche Hand und Gottes Segen für Ihre künftigen Aufgaben.
({3})
Ich will noch einmal das aufgreifen, was den Bericht
des Wehrbeauftragten auch in der öffentlichen Wahrnehmung im Wesentlichen prägt. Das ist der Hinweis auf
Defizite. Ich freue mich natürlich, wenn an der einen
oder anderen Stelle auch die Dinge genannt werden, die
positiv laufen und einen guten Eindruck von der Bundeswehr vermitteln. Aber es ist geboten und richtig, die Defizite darzustellen, sie klar, deutlich und ungeschminkt
zu benennen. Anders kann man keine Abhilfe schaffen.
Verfehlungen gegen den Geist der Inneren Führung
wurden benannt. Diesen ist nachzugehen - das steht außer Frage -, und zwar unmittelbar. Die notwendigen Folgerungen sind zu ziehen. Ich habe das unter den Dreiklang gefasst: nachgehen, abstellen und Konsequenzen
ziehen. Natürlich, lieber Kollege Schäfer, kann und darf
das niemals business as usual sein, mit dem man den Dingen begegnet. Jedem Einzelfall muss entsprechend begegnet werden, wobei ich auch betonen darf - auch Herr
Robbe hat diesen Hinweis immer wieder gegeben -, dass
es sich um Einzelfälle handelt. Jeder Fall ist einer zu viel,
aber der Großteil, die überwältigende Mehrheit unserer Soldatinnen und Soldaten leistet einen erstklassigen Dienst.
Man sollte sie nicht über einen Kamm scheren - das haben Sie auch nicht gemacht -, und so einen Eindruck
sollte man auch nicht nach außen vermitteln.
Die Kritik an Ausrüstung und Ausbildung begleitet
uns in diesen Tagen und schon seit Monaten, seit Jahren.
Durch die intensive öffentliche Debatte wurde und wird
sie aufgegriffen. Ich bin für diese Hinweise überaus
dankbar. Einiges ist bereits erreicht, einiges muss definitiv noch erreicht werden. Absoluten Schutz wird es nie
geben können. Es wird immer ein Prozess der Optimierung sein, in den man sich hineinbegeben muss. Ich bin
umso dankbarer, wenn man auch die finanzielle Unterstützung seitens des Parlaments bekommt, wenn von unseren Soldaten zu Recht Wünsche an uns herangetragen
werden.
Der Aspekt Ausbildung, gerade auch Ausbildung an
Fahrzeugen, wurde von einigen genannt. Wir werden in
diesem Jahr knapp 200 neue geschützte Fahrzeuge zur
Verfügung stellen mit der Maßgabe und mit meiner Weisung, dass sie auch und gerade zur Ausbildung zur Verfügung gestellt werden, und zwar nicht erst zur Ausbildung
im Einsatz, sondern bereits zur Ausbildung in unserem
Lande. Ich glaube, das ist wichtig. Das ist ein Prozess, der
jetzt angegangen wurde und den der Generalinspekteur
entsprechend einplant.
Der berechtigte Hinweis auf die Mängel in den Strukturen wurde gegeben. Die Strukturen müssen die Einsatzrealitäten dieser Tage abbilden. Daher wurde die Strukturkommission eingesetzt, von der ich mir, wie es gesagt
wurde, einiges erwarte, ohne dass Tabus in irgendeiner
Form aufgestellt werden. Diese Strukturkommission wird
zum Ende des Jahres ihre Vorschläge vorlegen.
Die Finanzausstattung wurde genannt.
Ich möchte mit einem Punkt schließen, der mir ein
Herzensanliegen ist
({4})
und den Herr Robbe, Frau Hoff und viele andere bereits
seit Jahren thematisieren. Das ist die seelische Verfassung unserer Soldaten, gerade jener, die aus dem Einsatz
kommen, und besonders jener, die bedrückende Erlebnisse hatten. Hier muss das Optimum an Versorgung
vorgehalten werden. Auch hier bin ich für die Hinweise
jener, die sich damit befassen - gerade von Ihnen, Herr
Robbe; hier baue ich weiter auf Ihre Impulse -, außerordentlich dankbar. Von den Erfahrungswerten anderer
kann man gelegentlich lernen, aber hier müssen wir unseren Soldaten das Beste bieten. Erste Schritte sind gegangen, aber hier müssen wir noch drauflegen. Ich freue
mich über die Unterstützung des gesamten Hauses. Es
wurde ja bereits angekündigt, sich parteiübergreifend finanziell entsprechend einbringen zu wollen.
Das geht Hand in Hand mit der Sanität. Im Bereich
der Sanität sehen wir Probleme. Der Ärztemangel - das
ist übrigens ein gesellschaftliches Problem, Herr
Schnurr, um das einmal aufzugreifen; das haben wir
nicht nur bei uns - ist ein Problem. Dieses Problem muss
zeitnah gelöst werden.
Frau Präsidentin, ich nehme Ihr Signal wahr. Ich
danke Ihnen noch einmal für Ihren Dank an unsere Soldaten. Sie haben es wahrlich verdient.
Herzlichen Dank.
({5})
Die letzte Rednerin in dieser Debatte ist die Kollegin
Dr. Susanne Kastner für die SPD-Fraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Lieber Wehrbeauftragter, lieber Reinhold Robbe! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Unser Wehrbeauftragter hat heute wieder einmal
eindringlich darauf hingewiesen und uns erklärt, wie die
Einsatzrealität der Bundeswehr aussieht und wo es Missstände zu beseitigen gilt.
Wir sind uns sicherlich alle einig, dass eine vernünftige Ausrüstung das A und O für den Erfolg von Bundeswehreinsätzen und in erster Linie für die Sicherheit
unserer Soldatinnen und Soldaten ist. Geld ist zugegebenermaßen im Bundeshaushalt derzeit recht knapp. Gerade in Zeiten der Krise wird zwischen den einzelnen
Ressorts sehr hart gerungen. Angesichts der wachsenden
Aufgaben und der damit verbundenen Herausforderung
für unsere Bundeswehr muss ich aber ganz offen sagen,
dass kein Verteidigungspolitiker - auch ich als Vorsitzende des Verteidigungsausschusses nicht - dafür Verständnis hat, dass dem Verteidigungsetat fast eine halbe
Milliarde Euro gestrichen wurde. Die dramatische Konsequenz ist, dass dringend benötigtes Material nicht erneuert und beschafft werden kann. In Anbetracht der
Einsatzbelastungen bräuchte die Bundeswehr ein sattes
Plus an Haushaltsmitteln und keinen Rotstift.
Aufgrund der Bedrohungslage in den Einsatzgebieten, insbesondere natürlich in Afghanistan, ist die Einsatzvorbereitung entscheidend für den Erfolg und für das
Wohlergehen unserer Soldaten. Die Verwicklung in
Kampfhandlungen ist heute eher die Regel als die Ausnahme. Damit - das hat Reinhold Robbe bereits gesagt ist der routinierte und sichere Umgang mit allen Ausrüstungsgegenständen, mit Waffensystemen, Gerätschaften
und Fahrzeugen, überlebenswichtig. Umso schwerer
wiegen die Mängel in der Ausbildung und der Ausrüstung hier vor Ort. Routine kann bekanntlich nur dann
entstehen, wenn der sichere Umgang mit den hochspeziellen Gerätschaften vorab reichlich und ausreichend geübt wurde.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie werden mir sicherlich zustimmen, dass die Erfüllung eines Auftrages
eine sachgerechte und angemessene Ausstattung voraussetzt. Der Jahresbericht moniert hier verschiedene Defi3902
zite und zeigt auf, dass dies bei unserer Parlamentsarmee
leider keine Selbstverständlichkeit ist.
Klar ist, dass sich der Einsatz für unsere Soldatinnen
und Soldaten stark gewandelt hat und gefährlicher geworden ist. Das haben wir erst wieder im April auf tragische Weise erfahren müssen. Mir persönlich geht es aber
nicht nur darum, dass unsere Soldaten gut ausgebildet
und sachgerecht ausgerüstet in den Einsatz gehen. Ganz
besonders liegt mir und vielen anderen hier im Hause am
Herzen, wie sie nach ihrer Rückkehr hier wieder aufgenommen und angenommen werden, insbesondere dann,
wenn sie infolge des Einsatzes an posttraumatischen Belastungsstörungen leiden.
({0})
Im zurückliegenden Berichtsjahr wurden 466 Fälle von
posttraumatischer Belastungsstörung verzeichnet. Darüber, wie hoch die Dunkelziffer ist, lässt sich nur spekulieren.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir alle tragen
große Verantwortung für das körperliche und seelische
Wohlergehen unserer Soldaten, gerade weil es eine Parlamentsarmee ist. Bereits im vergangenen Jahr hat das
Parlament die Gründung eines Traumazentrums beschlossen, das, wie wir jetzt lesen konnten, dankenswerterweise von der Bundesregierung eingerichtet werden
soll.
Eine gute ärztliche Versorgung ist grundlegend dafür,
dass Probleme erkannt und behandelt werden können.
Der Zentrale Sanitätsdienst gibt mir jedoch Grund zur
Sorge. Um es kurz zu machen: Uns fehlen schlicht und
ergreifend Ärzte bei der Bundeswehr, um eine flächendeckende, lückenlose und auf die Bedürfnisse der Bundeswehr zugeschnittene Versorgung der Truppe gewährleisten zu können.
Seit Jahren wird vom Wehrbeauftragten der akute
Handlungsbedarf angemahnt. Leider muss zu oft erst etwas Schlimmes passieren, bis gehandelt wird. Ich wünsche der jüngst eingesetzten Kommission zur Überprüfung der Bundeswehr-Strukturen unter der Leitung von
Frank-Jürgen Weise viel Erfolg dabei, die vielen bekannten Missstände und Defizite konsequent aufzuarbeiten,
und würde mich freuen, wenn im nächsten Jahresbericht
eine Verbesserung erkennbar wäre.
Nun möchte ich aber die heutige Gelegenheit natürlich nutzen, um unserem scheidenden Wehrbeauftragten
Reinhold Robbe zu danken. Lieber Reinhold, wir kennen
uns seit vielen Jahren, und deshalb weiß ich, wie wichtig
dir die Arbeit als Wehrbeauftragter des Deutschen Bundestages war und wie viel Engagement und Einsatz du
darin eingebracht hast. Du warst immer ganz dicht an
der Truppe dran. Dir waren die Unterkünfte genauso vertraut wie die Verpflegung und die Ausrüstung in den
Auslandseinsätzen. Du konntest einschätzen, wie die Situation der Truppe tatsächlich war.
Als Wehrbeauftragter warst du immer ein ernsthafter
Anwalt für die Belange der Soldatinnen und Soldaten.
Dabei hast du dich jedoch nie gescheut, Missstände
deutlich zu benennen und, wenn nötig, öffentlich zu machen. In den zurückliegenden Jahren hast du für unsere
Bundeswehr viel erreicht und ein echtes Interesse für die
einzelnen Soldaten bewiesen.
Lieber Reinhold, du hast darauf aufmerksam gemacht, dass in unserer Bundeswehr hochmotivierte und
qualifizierte Soldatinnen und Soldaten tagtäglich einen
harten Dienst leisten, für den sie unsere Anerkennung
verdienen. Deine Arbeit war ein Aushängeschild für unser Parlament und ein Segen für unsere Soldatinnen und
Soldaten.
Dafür danke ich dir, deiner Mannschaft und deiner
Frauschaft im Namen, so glaube ich, aller Kolleginnen
und Kollegen nicht nur des Verteidigungsausschusses,
sondern auch des gesamten Parlaments sehr herzlich.
Wir wünschen dir für die Zukunft alles erdenklich Gute.
({1})
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 17/900 an den Verteidigungsausschuss vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der
Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 26 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Arbeit und Soziales
({0}) zu dem Antrag der Abgeordneten Katja Kipping, Klaus Ernst, Matthias W.
Birkwald, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE
Weg mit Hartz IV - Für gute Arbeit und eine
sanktionsfreie, bedarfsdeckende Mindestsicherung
- Drucksachen 17/659, 17/953 Berichterstattung:
Abgeordnete Angelika Krüger-Leißner
Über die Beschlussempfehlung werden wir später namentlich abstimmen.
Interfraktionell wurde vereinbart, dass darüber eine
halbe Stunde diskutiert wird. - Ich sehe, auch damit sind
Sie einverstanden. Dann werden wir so verfahren.
Ich darf nun diejenigen Kolleginnen und Kollegen,
die der Debatte nicht folgen wollen, bitten, ihre Gespräche vor dem Saal zu führen, damit wir uns auf die Rednerinnen und Redner konzentrieren können.
Ich eröffne die Aussprache und erteile als erster Rednerin der Kollegin Heike Brehmer für die Fraktion CDU/
CSU das Wort.
({1})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Wir behandeln den Antrag der
Linken mit dem Titel „Weg mit Hartz IV“. In Ihrem Antrag behaupten Sie, dass die Hartz-IV-Regelleistungen
verfassungswidrig sind. Sie haben offenbar das Urteil
des Bundesverfassungsgerichtes nicht verstanden.
({0})
Die Hartz-IV-Regelsätze sind vom Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe nicht für verfassungswidrig erklärt
worden; es wurde mehr Transparenz gefordert.
Kolleginnen und Kollegen von den Linken, gerne geben wir Ihnen Nachhilfe, wenn Sie das Urteil noch immer nicht verstehen, und wir können auch heute schon
klar sagen, wie wir vorgehen: Wir werden uns dann mit
den Regelsätzen im Plenum befassen, wenn im September die aktuellen Zahlen der Einkommens- und Verbrauchsstichproben vorliegen, und anschließend ein
transparentes und realitätsgerechtes Verfahren zur Berechnung der Regelsätze gesetzlich fixieren. So viel zur
Klarstellung.
({1})
Zur Erinnerung: Die Hartz-IV-Reform 2005 hatte das
Ziel, Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe zusammenzulegen und Leistungen aus einer Hand anzubieten. Vor der
Reform lebten circa 2,9 Millionen Bürger von Sozialhilfe. Der Sozialhilfesatz lag damals unter den jetzigen
Regelsätzen von Hartz IV.
({2})
Die Betroffenen hatten kaum Chancen, in den ersten Arbeitsmarkt integriert zu werden.
({3})
Mit der Hartz-IV-Reform hat sich dies für die Betroffenen grundlegend geändert. Im gleichen Augenblick erhöhten sich die Regelsätze der Sozialhilfe um 16 Prozent. Noch eine Zahl zum Vergleich: Im April 2005
hatten wir insgesamt 5 Millionen Arbeitslose, davon
circa 2,3 Millionen Sozialhilfeempfänger. Das waren
1,6 Millionen mehr als im April 2010. Unser Weg ist offensichtlich erfolgreich.
({4})
Von der Reform von Hartz IV hatten wir uns insgesamt natürlich mehr versprochen. Es gibt noch immer
eine große Zahl von Langzeitarbeitslosen. Sie brauchen
noch Förderkonzepte, und daran arbeiten wir. Die Reform der Jobcenter wird jetzt kommen. Wir versprechen
uns davon mehr Vermittlung und Integration in den ersten Arbeitsmarkt.
({5})
Man kann es nicht oft genug wiederholen - auch
wenn Sie es nicht hören wollen -: Die unionsgeführte
Bundesregierung hat in den letzten Jahren bereits viele
Programme zur Förderung von Langzeitarbeitslosen auf
den Weg gebracht, zum Beispiel den Beschäftigungszuschuss für Langzeitarbeitslose, den Jobbonus, die JobPerspektive sowie den Qualifizierungskombi zur Verbesserung der Qualifizierung von jüngeren Menschen unter 25.
Unsere Entscheidungen in der Krise waren richtig.
Schauen Sie nach Europa, dann sehen Sie, was ich
meine.
({6})
Minister Karl-Josef Laumann hat heute Morgen die
Erfolge der Arbeitsmarktpolitik in Nordrhein-Westfalen
dargestellt. Allein in Nordrhein-Westfalen konnte die
Arbeitslosenzahl in den letzten fünf Jahren um über
230 000 gesenkt werden. Gleichzeitig sind über 290 000
neue sozialversicherungspflichtige Stellen entstanden.
Das müssen Sie in Berlin erst einmal nachmachen.
({7})
Meine Damen und Herren von der Linken, in Ihrem
Antrag verkennen Sie die unterschiedlichen Arbeitsmarktsituationen in den einzelnen Bundesländern. Sie
ignorieren auch die Bemühungen der Länder, durch die
Arbeitslosen und Hilfebedürftigen gezielt geholfen wird.
Der Deutsche Landkreistag hat aufgezeigt, dass angesichts der erheblichen Unterschiede bei der Hilfebedürftigkeit nach SGB II zwischen den Bundesländern eine
stärkere Ausrichtung der Bemühungen auf die örtlichen
Rahmenbedingungen notwendig ist. Nur ein Beispiel: In
Bayern und Baden-Württemberg beträgt die Hilfebedürftigkeit weniger als ein Viertel der Quote Berlins, das
den höchsten Wert aufweist. Werte Kolleginnen und
Kollegen der Linken, tragen Sie nicht die Regierungsverantwortung in Berlin? Ist es nicht Ihre Senatorin, die
das zu verantworten hat?
({8})
Die Fraktion der Linken fordert in ihrem Antrag mehr
öffentliche Beschäftigung und gut bezahlte Arbeit. In
Brandenburg und Berlin, wo Sie mitregieren, stimmen
Sie der Streichung von 11 000 Stellen im öffentlichen
Dienst zu.
({9})
Wie verträgt sich das mit Ihren Forderungen nach mehr
öffentlicher Beschäftigung? Sie predigen Wasser und
trinken Wein und lösen keinesfalls die Probleme in unserem Land.
({10})
Wir werden im Rahmen einer Aktivierungs- und Vermittlungsoffensive mit innovativer Förderung gezielt die
Beschäftigungschancen wichtiger Zielgruppen erhöhen.
Insbesondere junge Menschen, Alleinerziehende und ältere Leistungsempfänger sollen von gezielten und konsequent verstärkten Integrationsbemühungen profitieren.
({11})
Mithilfe einer intensiven und individuell zugeschnittenen Betreuung werden wir dafür sorgen, dass den Menschen aus den betroffenen Personengruppen der dauerhafte Ausstieg aus dem Leistungsbezug deutlich
häufiger und schneller gelingen wird.
({12})
Deshalb werden wir die Bürgerarbeit realisieren. Sie sehen: Wir handeln. Sie aber versprechen auf den Plakaten: Reichtum für alle.
({13})
Wir handeln verantwortungsbewusst. Wir lehnen Ihren
Antrag daher ab.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
({14})
Für die SPD-Fraktion hat die Kollegin Angelika
Krüger-Leißner das Wort.
({0})
Vielen Dank. - Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Der heutige Debattentag
rankt sich von früh bis spät um das Thema Grundsicherung. Ich finde, das ist auch gut so. Denn es ist für
6,5 Millionen Menschen in unserem Land eine wahrhaft
existenzielle Frage.
Heute Morgen ging es zunächst einmal um die zukünftige Organisation der Grundsicherung vor Ort. Der
mühsam erarbeitete Kompromiss, den die Ministerin
nun vorlegen konnte, hat seine Blessuren bereits weg,
und zwar noch bevor er intensiv beraten und von Experten hinterfragt werden konnte. Gerade die Verbesserung
in der Beratung, in der Betreuung und in der Vermittlung
von erwerbsfähigen Hilfebedürftigen war und ist eines
der Herzstücke von Hartz IV. Dafür brauchen wir ausreichend und gut qualifizierte Mitarbeiter, die in der Lage
sind, kontinuierlich zu arbeiten.
({0})
Umso peinlicher und unverständlicher ist, dass Sie,
werte Kollegen der Regierungsfraktionen, den 3 200 Mitarbeitern mit befristeten Arbeitsverträgen diesen Rückhalt nicht geben wollen.
({1})
Wir schließen die heutige Debatte mit der Beratung
des Antrags der Fraktion Die Linke ab. In gewohnt
populistischer Manier wird wieder einmal gefordert:
weg mit Hartz IV.
({2})
Aber, verehrte Kolleginnen und Kollegen der Linksfraktion, ist die Entwicklung der letzten Jahre wirklich gänzlich an Ihnen vorbeigegangen?
({3})
Machen Sie sich das in dieser Form nicht einen Tick zu
einfach? Es lohnt sich nämlich, in diesem Zusammenhang den IAB-Bericht zur Bilanz von fünf Jahren
SGB II gründlich zu lesen und die richtigen Schlussfolgerungen daraus zu ziehen, um die Weichen zukünftig
besser zu stellen. Wenn man diesen Bericht ganz kritisch
liest, dann kommt man jedoch nicht daran vorbei, zur
Kenntnis zu nehmen, dass diese Reform notwendig war
und in die richtige Richtung ging.
Ich möchte an dieser Stelle dennoch sagen: Es gibt
Licht, aber es gibt auch Schatten.
({4})
Ich möchte beides erwähnen und für meine Fraktion die
richtigen Schlussfolgerungen daraus ziehen. Zu der
Lichtseite gehört die Tatsache, dass die Zahl der erwerbsfähigen Hilfebedürftigen seit 2006 kontinuierlich
zurückgegangen ist. Das ist Fakt. Es reicht aber überhaupt nicht aus. Wir müssen uns nur einmal die Situation
von alleinerziehenden Frauen oder Hilfebeziehern über
55 Jahre anschauen. Die aktivierende Arbeitsmarktpolitik soll helfen, die gesellschaftliche Teilhabe zu sichern.
Daran, dass sich gesellschaftliche Teilhabe am besten
über Teilhabe am Erwerbsleben erreichen lässt, gibt es
keinen Zweifel.
Wir können feststellen, dass die Teilnahme an arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen im SGB-II-Bereich
generell zu einer Verbesserung der individuellen Eingliederungschancen beigetragen hat. Wir wissen, arbeitsmarktnahe Instrumente sind effektiv. Das gilt für
Eingliederungszuschüsse, betriebliche Trainingsmaßnahmen und auch für die Förderung der beruflichen Weiterbildung. Wir wissen aber auch, dass die Betreuung
und Aktivierung allzu oft nicht individuell angepasst
war. An dieser Stelle sehen wir enorme Reserven.
Ich finde, liebe Kolleginnen und Kollegen, dass die
überspitzte Kritik am SGB II generell verfehlt ist.
SGB II bedeutet nicht Armut per Gesetz. Es hat für die
Betroffenen aber einschneidende Veränderungen gebracht. Zudem gab es Ungerechtigkeiten, die bei der
Umsetzung zutage getreten sind. Diese Schwachstellen
müssen wir beseitigen. „Weg mit Hartz IV“ löst die Probleme aber nicht. Nur die gezielte Veränderung dieser
Problempunkte kann uns weiterhelfen. Drei davon
möchte ich benennen.
Erstens. Wir stimmen mit dem Antragsteller durchaus
überein, dass mit der Grundsicherung das menschenwürAngelika Krüger-Leißner
dige Existenzminimum sicherzustellen ist. Hier muss
nachgebessert werden.
({5})
Das ist auch ganz klar der Auftrag durch das Urteil des
Bundesverfassungsgerichts. Die Regelsätze müssen
transparent und nachvollziehbar gestaltet werden. Das
muss kommen, genauso wie eine grundlegende Neuberechnung der Regelsätze für die Kinder. Ich bin
überzeugt, dass sich die Regelsätze auch in der Höhe
verändern werden. Bei der kürzlich getroffenen Härtefallregelung hat die Regierungskoalition leider den Auftrag des Bundesverfassungsgerichtes nicht erfüllt. Ich
bedauere das. Nun haben wir eine Regelung, die schon
eine Woche später durch eine Entscheidung des Sozialgerichts Detmold überholt wurde. Ich versichere Ihnen:
Das wird so weitergehen. Unser Vorschlag war wesentlich näher an der Praxis und an den Erwartungen der Betroffenen.
Zweitens möchte ich etwas zu Ihrer Forderung nach
einem gesetzlichen Mindestlohn sagen. Diese Forderung
ist nicht neu. Jeder weiß, dass wir uns hierfür schon
lange einsetzen.
({6})
Aber überzogene Forderungen wie die in Ihrem Antrag
nach einem Mindestlohn von 10 Euro lehnen wir ab. Wir
setzen uns für einen Mindestlohn von 8,50 Euro ein.
({7})
Darin sind wir uns mit dem Deutschen Gewerkschaftsbund einig. Unser Antrag belegt das. Es steht ohnehin
außer Frage: Ein einheitlicher gesetzlicher Mindestlohn
ist notwendig. Es ist an der Zeit, dass wir ihn in diesem
Land haben.
Drittens möchte ich Ihre Forderung nach einem
öffentlichen Programm für zusätzliche Arbeitsplätze ansprechen. Auch das ist nicht neu. Es gibt ein hervorragendes Beispiel aus meinem Bundesland. In Brandenburg wird mit dem Programm „Qualifizierung und
Arbeit für Brandenburg“ derzeit der öffentliche Arbeitsmarkt qualitativ und quantitativ ausgebaut. Wer bislang
eher geringe Vermittlungschancen hatte, benötigt in besonderem Maße staatliche Unterstützung. Das heißt verbesserte Qualifizierung, um Langzeitarbeitslose für den
ersten Arbeitsmarkt zu befähigen und fit zu machen. Der
öffentliche Arbeitsmarkt bringt soziale Integration,
stärkt darüber hinaus die regionale Wirtschaft und kann
auch für den Ausbau der kommunalen Infrastruktur
durch ergänzende und unterstützende Tätigkeiten sorgen. Arbeit zu finanzieren statt reine Fürsorge, ist richtig
und allemal besser, als nichts zu tun.
({8})
Dafür haben wir Brandenburger bis 2014 immerhin bis
zu 40 Millionen Euro vorgesehen.
Es gibt noch aus einem anderen Bundesland einen
ähnlichen Vorstoß. Ich erinnere daran, dass Hannelore
Kraft diesen gemacht hat. Er geht in die gleiche Richtung.
({9})
- Ganz zufällig! - Statt der unsinnigen Diskussion à la
Westerwelle über Kürzungen der Regelsätze brauchen
wir bessere Angebote auf dem sozialen Arbeitsmarkt.
({10})
Die Zahl der Angebote muss deutlich ausgebaut werden;
darauf hat Hannelore Kraft hingewiesen. Es ist kein Geheimnis: Ich drücke ihr die Daumen, dass sie ihre Vorstellungen umsetzen kann.
({11})
Ich komme zum Schluss. Der Bericht des IAB hat uns
zu verschiedenen Fragen Hausaufgaben aufgegeben, die
wir in den nächsten Wochen erledigen müssen, und zwar
gerade in Bezug auf bestimmte Personengruppen, die
besonders benachteiligt sind. Ich denke an Geringqualifizierte und eingeschränkt Beschäftigungsfähige, aber
auch an Alleinerziehende und Bedarfsgemeinschaften,
die schon lange in der Grundsicherung sind. Wir haben
dieses Jahr viel zu tun, angefangen von der Neuordnung
der Jobcenter über die Neubemessung des Regelsatzes
bis hin zur Veränderung auf dem Arbeitsmarkt. Unser
Ziel ist, Menschen in Beschäftigung zu bringen, den
Weg dorthin zu ebnen und ihnen echte, wahre Teilhabe
in dieser Gesellschaft zu ermöglichen. Packen wir es an!
({12})
Nächster Redner ist der Kollege Pascal Kober für die
FDP-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Liebe Kolleginnen und Kollegen der Fraktion Die Linke,
({0})
Ihr Antrag belegt, wie ich meine, zweierlei: Erstens. Sie
haben das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom
9. Februar dieses Jahres nicht verstanden.
({1})
Zweitens. Ihr Antrag zeigt ein Bild von Sozialpolitik,
dass man geneigt ist, zu glauben, dass Sie von sozialpolitischer Verantwortung überhaupt nichts verstanden
haben.
({2})
- Die Wahrheit scheint Sie in Erregung zu versetzen.
Zum Ersten. Sie haben das Urteil des Bundesverfassungsgerichts nicht verstanden. Sie fordern in Ihrem Antrag pauschal die Erhöhung der Regelsätze auf 500 Euro
im Monat. Genau dieser Politik hat das Bundesverfassungsgericht eine Absage erteilt.
({3})
Ausdrücklich kritisiert das Bundesverfassungsgericht
- ich zitiere - „Schätzungen ‚ins Blaue hinein‘“, die der
Festsetzung der Regelsätze im Jahr 2005 zugrunde liegen. Genau diese Politik, die das Bundesverfassungsgericht gerade erst verworfen hat, setzen Sie mit Ihrem Antrag fort, indem Sie einen Regelsatz von 500 Euro ins
Blaue hinein schätzen, ohne jegliche Begründung.
Ausdrücklich stellt das Bundesverfassungsgericht
fest, der Gesetzgeber habe - jetzt zitiere ich wieder die Obliegenheit, die zur Bestimmung des Existenzminimums im Gesetzgebungsverfahren eingesetzten Methoden und Berechnungsschritte nachvollziehbar offen zu legen. Kommt er ihr nicht
hinreichend nach, steht die Ermittlung des Existenzminimums bereits wegen dieser Mängel nicht
mehr mit Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit
Art. 20 Abs. 1 GG in Einklang.
Genau das haben Sie mit Ihrem Antrag jetzt wieder
vorgelegt: Schätzungen ins Blaue hinein. Sie fordern einen Regelsatz von 500 Euro, sind aber nicht in der Lage,
ihn zu begründen.
({4})
Liebe Kolleginnen und Kollegen der Linkspartei, was
Sie vorgelegt haben, kann nach dem 9. Februar dieses
Jahres nicht Ihr Ernst sein.
({5})
Nun zum Zweiten. Mit Ihrem Antrag zeigen Sie, wie
ich finde, dass Sie von Sozialpolitik nicht wirklich etwas
verstehen. Ziel der Sozialpolitik im Bereich der Langzeitarbeitslosigkeit muss es sein, dass wir den betroffenen Menschen eine Perspektive auf dem Arbeitsmarkt
eröffnen. Vor diesem Hintergrund ist mir völlig schleierhaft, wie Sie einen flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn von 10 Euro fordern können.
({6})
Das würde Arbeitsplätze gefährden,
({7})
auf die gerade langzeitarbeitslose Menschen angewiesen
sind.
Darauf hat nicht zuletzt der Sachverständigenrat zur
Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Lage in einem
Gutachten unter ausdrücklicher Einbeziehung der Erfahrungen aus dem Ausland, wo es bekanntlich zum Teil
Mindestlöhne gibt, hingewiesen. Nach Auskunft des
Sachverständigenrates hat schon ein flächendeckender
gesetzlicher Mindestlohn von 7,50 Euro - das sage ich
auch an die Adresse der SPD - eine negative Beschäftigungswirkung.
({8})
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Linkspartei,
wem die betroffenen Menschen wirklich wichtig sind,
der geht nicht das Risiko des Arbeitsplatzabbaus ein.
({9})
Was die betroffenen Menschen wirklich brauchen, ist
eine Politik, die ihnen in schwierigen Situationen zur
Seite steht, und nicht eine Politik, die ihnen in schwierigen Situationen im Weg steht. Wir als christlich-liberale
Koalition wollen den Menschen mit unserer Politik
Chancen eröffnen.
({10})
Wir möchten sie zur Teilhabe befähigen. Wir möchten
ihnen die Chance auf ein Leben in Eigenverantwortung
und Solidarität eröffnen. Wir werden deshalb eine Politik wie die der Linken verhindern, die einen Teil der
Menschen dauerhaft aus der Mitte der Gesellschaft ausschließt und in der Abhängigkeit staatlicher Fürsorgesysteme gefangen hält.
({11})
Ihre Politik, liebe Kolleginnen und Kollegen von der
Linkspartei, hat mit sozialer Verantwortung und sozialer
Gerechtigkeit nichts zu tun. Ich fühle mich in meinen
Ausführungen durch Ihre Aufregung am heutigen Abend
durchaus bestätigt. Die Wahrheit tut manchmal weh.
({12})
Ihre Politik hat mit sozialer Kompetenz nichts zu tun.
Deshalb lehnen wir Ihren Antrag im Sinne der betroffenen Menschen ab und stimmen der Beschlussempfehlung des Ausschusses für Arbeit und Soziales zu.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({13})
Für die Fraktion Die Linke hat der Kollege Matthias
W. Birkwald das Wort.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten
Damen und Herren! Wir erleben derzeit nicht allein eine
Wirtschafts- oder eine Finanzkrise.
({0})
Wir erleben eine umfassende Krise des gesellschaftlichen Zusammenhalts, Herr Zimmer. Banken und
Spekulanten werden mit Milliarden gehätschelt und
Hartz-IV-Betroffene für ein paar Kröten gegängelt. Das
ist eine zum Himmel schreiende Ungerechtigkeit!
({1})
Acht Jahre ist das Hartz-Konzept bald alt, und im
Kern heißt es: Die Erwerbslosen wollen nicht arbeiten.
Das war schon damals falsch. Heute Morgen hat NRWArbeitsminister Laumann hier im Plenum doch zugegeben: Es gibt nicht genug Arbeitsplätze; das ist das Problem.
({2})
Es mangelt an guter Arbeit, nicht am Willen zu arbeiten.
Die meisten Hartz-IV-Betroffenen sind aktiv. Sie arbeiten, betreuen kleine Kinder oder nehmen an Beschäftigungsmaßnahmen teil. Weniger als die Hälfte sind
tatsächlich arbeitslos, und 90 Prozent von ihnen wollen
dringend arbeiten. Nicht die Arbeitsmoral ist das Problem, sondern das Fehlen von Millionen Arbeitsplätzen.
Das ist die Wahrheit.
({3})
Den Erwerbslosen die Schuld für ihre Situation in die
Schuhe zu schieben, ist erbärmlich. Dieser Grundansatz
von Hartz IV ist ein Angriff auf die Würde der Menschen. Darum sage ich: Nicht allein die einzelnen Regelungen, nicht allein das Gesetz, nein, die gesamte
Hartz-IV-Denke ist komplett falsch.
({4})
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der FDP, Herr
Kober, von Ihnen höre ich immer: Die Menschen sollen
Verantwortung für sich selbst übernehmen.
({5})
Was heißt das konkret für Hartz-IV-Betroffene? Was ist denn
daran verantwortungsbewusst, sich in einem 1-Euro-Job
über alle Maßen ausbeuten zu lassen? Was ist daran verantwortungsvoll, zu jeder Zumutung Ja und Amen sagen
zu müssen? Wer von Eigenverantwortung spricht, darf
doch zur Entscheidungsfreiheit nicht schweigen.
({6})
Was dürfen die Betroffenen im Hartz-IV-System denn
entscheiden? Sie dürfen nichts entscheiden, rein gar
nichts. „Klappe halten und setzen“, das ist das Motto von
Hartz IV. Die Betroffenen haben nichts zu melden und
sollen doch für alles die Verantwortung tragen. Das ist
unzumutbar, schäbig, und es ist respektlos.
({7})
Nur wer Nein sagen darf, kann frei für sich selbst entscheiden. Doch was passiert, wenn Hartz-IV-Betroffene
Nein sagen? Sie werden abgestraft. Ihnen wird so lange
das Geld gekürzt - im Extremfall wird es sogar ganz
gestrichen -, bis sie gefügig und willig sind. Solche
Sanktionen führen zu Ängsten, Druck und Widerstand,
und das lehnen wir Linken ab.
({8})
Wir sagen - ich habe das an diesem Pult schon einmal
gesagt -: Sozial ist, was Würde schafft. Darum will die
Linke eine soziale Mindestsicherung für alle Menschen,
die über kein ausreichendes Einkommen oder Vermögen
verfügen, um ihren Mindestbedarf zu decken. Wir wollen eine Mindestsicherung ohne Drohgebärden, ohne
Sanktionen und ohne Angst der Betroffenen.
({9})
Das vom Grundgesetz geschützte Existenzminimum darf
nicht unterschritten werden, Herr Kolb. Überschritten
werden darf es schon. Das gilt auch für die Flüchtlinge,
die hier leben.
({10})
Die Gegenwart sieht leider noch anders aus: Billige
und willige Arbeitskräfte, das ist das wirkliche Ziel von
Hartz IV. Es ist kein Zufall, sondern politisch gewollt,
dass ausgerechnet die 1-Euro-Jobs das Instrument im
Hartz-IV-System sind, das mit großem Abstand am häufigsten eingesetzt wird. Wir reden hier nicht mehr nur
über 1-Euro-Jobs. In Nordrhein-Westfalen gibt es schon
längst 0-Euro-Jobs. Ich habe hier einen konkreten Fall
aus meinem Wahlkreis vorliegen, ein Angebot der Arge
Köln - ich zitiere -: 0 Euro für 38,5 Stunden pro Woche
und die zusätzliche Auflage, sich zu bewerben. Ich sage:
Das ist ein Skandal.
({11})
Wir Linke wollen wirkliche soziale Sicherheit und
gute Arbeit. Wir wollen tariflich bezahlte Jobs mit Sozialversicherung und ohne Zwang zur Arbeit. Wir streiten für eine soziale Mindestsicherung in Höhe von
500 Euro und für einen gesetzlichen Mindestlohn in
Höhe von 10 Euro.
({12})
Wir wollen, dass die Betroffenen endlich wirklich etwas
zu entscheiden haben und die Finanzinstitute zur Verantwortung gezogen werden.
({13})
Wir wollen eine Mindestsicherung, die Würde schafft.
Deswegen sagen wir: Hartz IV muss weg.
Vielen Dank.
({14})
Nächster Redner ist der Kollege Markus Kurth für die
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Herr Birkwald, im Sozialgesetzbuch II gibt es in der Tat
eindeutig Änderungsbedarf. Nach unseren grünen Vorstellungen kommt es vor allen Dingen darauf an, das
Fördern unter Beteiligung der Menschen zu organisieren,
({0})
das heißt, die Menschen mit ihren Fähigkeiten, Bedürfnissen und eigenen Vorstellungen ernst zu nehmen.
Es geht darum, den defizitorientierten Ansatz zu überwinden. Wir müssen davon wegkommen, immer nur die
Mängel zu sehen. Fähigkeiten und Potenziale müssen in
den Mittelpunkt gestellt werden. Es geht auch um die
Überwindung der obrigkeitsstaatlichen Elemente, die
sich auch im Sozialgesetzbuch II finden.
({1})
Wir schlagen dazu sehr konkrete Maßnahmen vor.
Zum Beispiel wäre es ein Leichtes, die aufschiebende
Wirkung des Widerspruchs wieder einzuführen. Das
würde nebenbei auch zu mehr Rechtstreue im Verwaltungshandeln führen.
({2})
Eingliederungsvereinbarungen sollten nur auf freiwilliger Basis geschlossen und nicht als Verwaltungsakt
verhängt werden können.
({3})
Es wäre absolut sinnvoll, ähnlich wie in anderen Sozialgesetzbüchern ein sogenanntes Wunsch- und Wahlrecht
einzuführen, das den Menschen, die Hilfebedarf haben,
ein echtes Mitbestimmungsrecht einräumt, statt sie in
Maßnahmen wie 1-Euro-Jobs zu zwingen.
({4})
Solange das nicht durchgesetzt ist, treten wir, Bündnis 90/Die Grünen, für ein Aussetzen der Sanktionen
und des Sanktionsparagrafen ein.
({5})
Es geht auch um eine vernünftige Ausgestaltung der
sogenannten passiven Leistungen, das heißt der Regelsätze. Wir haben mehrfach an dieser Stelle und im ganzen Land die Anhebung der Regelsätze für Erwachsene
und die Einführung einer Kindergrundsicherung gefordert.
({6})
Es geht auch darum, dass wir im Lichte der Erfahrungen und auch der Rechtsprechung die passiven Leistungen an die Lebenswirklichkeit anpassen. Es geht nicht
an, dass das Bundessozialgericht wie in seinem heutigen
Urteil feststellt, dass Eltern eines behinderten Kindes
keinen Anspruch auf Mehrbedarf haben. Die Eltern
eines entwicklungsverzögerten sechsjährigen Kindes,
das nicht gehen kann, beantragen Mehrbedarf, weil sie
einen erhöhten Transportbedarf haben, und das Bundessozialgericht sagt, das sei kein Sozialgesetz, sondern ein
Arbeitsmarktgesetz, und darum stehe der Mehrbedarf
nur Menschen im erwerbsfähigen Alter zu.
Das sind Lücken und Mängel, die dramatische Konsequenzen für die betroffenen Personen haben. Das muss
geändert werden.
({7})
Es geht uns auch um eine aktive Förderung, die nicht
nur kurzfristig angelegt ist, sondern auch langfristige
Perspektiven eröffnet. Ich blicke mit Sorge auf Ihr Programm der sogenannten Sofortangebote für Jugendliche
unter 25 Jahre. Praktikerinnen und Praktiker in den Jobcentern sagen, dass es vielleicht sinnvoller ist, die Mittel
zu konzentrieren, weil wir nicht jedem ein gleich gutes
Angebot machen können. Wir sollten versuchen, konkret
etwas zu erreichen, statt nur statistische Effekte über
eine höhere Aktivierungsquote zu erzielen.
Es gibt in der Tat viele Punkte, in denen wir übereinstimmen würden, Herr Birkwald und meine Kolleginnen
und Kollegen von den Linken, aber in Ihrem Antrag
überziehen Sie in einer Reihe von Punkten leider wieder
maßlos. Haarsträubend ist zum Beispiel der Ansatz, den
Regelsatz einfach auf 500 Euro festzusetzen und das
Prinzip der Bedarfsgemeinschaft aufzulösen. Das führt
doch zu bizarren Situationen. Nach Ihrer Berechnung
bekäme ein vierköpfiger Haushalt 2 000 Euro netto plus
etwa 1 000 Euro Miete, also 3 000 Euro insgesamt.
Damit diskreditieren Sie ernstzunehmende Kritik, indem
Sie weit über das Ziel hinausschießen.
Die Linke betreibt damit - vielleicht, ohne es zu wollen - objektiv das Geschäft derer, die das SGB II eben
nicht im Sinne der Betroffenen verbessern wollen.
({8})
Mit solchen unrealistischen Forderungen und einem solchen Aufpumpen erschweren Sie eine sachliche und
machbare, lösungsorientierte Debatte. Darum müssen
wir Ihren Antrag ablehnen.
Danke.
({9})
Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege Paul
Lehrieder für die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen!
Werte Kollegen! Lieber Kollege Birkwald, ich war geneigt, zu sagen, dass wir Ihrem Antrag „Weg mit
Hartz IV - Für gute Arbeit und eine sanktionsfreie,
bedarfsdeckende Mindestsicherung“ zustimmen können.
Die Begrifflichkeit „Hartz IV“ ist nicht so toll und kann
weg, aber das SGB II behalten wir.
({0})
Es wurde bereits von den Vorrednern ausgeführt, dass
es bei dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zu den
Regelsätzen im SGB-II-Bereich um das Verfahren zu
deren Herleitung und ausdrücklich nicht um die Höhe
geht. Das Bundesverfassungsgericht hat an keiner Stelle
in dem eingangs genannten Urteil ausgeführt, dass die
Regelsätze zu niedrig sind. Wir müssen sie neu berechnen. Wir sind im Begriff, das zu tun. Das wissen Sie bei
der christlich-liberalen Koalition in guten Händen. Sie
dürfen uns im Ausschuss begleiten, aber wir werden das
letztendlich schon hinbekommen.
({1})
Ihr verhängnisvoller Fehler wurde auch schon vom
Kollegen Kurth angeprangert. Ein pauschaler Regelsatz
von 500 Euro hilft uns auch nicht weiter. Mit der von Ihnen geforderten Regelung würden wir genauso verfassungswidrig handeln, wie uns im Urteil vom 9. Februar
bestätigt worden ist. Liebe Freunde, kommen Sie auf den
Boden der Realität zurück! Streuen Sie den Leuten keinen Sand in die Augen! Versuchen Sie, eine konstruktive
Lösung für den SGB-II-Bereich hinzubekommen!
({2})
Ich habe das Gefühl, dass fast alle in diesem Saale verstanden haben, welche Konsequenzen aus dem Urteil
des Verfassungsgerichts zu ziehen sind, nur die Linken
nicht. Die wollen es nicht verstehen.
({3})
Wenn es Ihnen wirklich um die Sache gehen würde, würden Sie konstruktiv mit uns zusammenarbeiten und nicht
von der Überwindung des, wie Sie es nennen, repressiven Hartz-IV-Systems schwadronieren. Die Oktoberrevolution war vor 90 Jahren. Der real existierende Sozialismus ist seit 20 Jahren Geschichte. Rein von der
physischen Präsenz her, lieber Herr Birkwald, sind Sie
mittlerweile in der parlamentarischen Demokratie des
Jahres 2010 angekommen.
({4})
Nehmen Sie das bitte zur Kenntnis!
({5})
Zu Ihren einzelnen Punkten: Frau Kipping hat heute
Morgen ausgeführt, heute Abend komme die Lösung für
den SGB-II-Bereich. Ich habe heute Abend nichts feststellen können, was diese Euphorie rechtfertigen würde.
Das Bundesverfassungsgericht hat zu den Regelsätzen geurteilt:
Das Leistungskonzept des Sozialgesetzbuches
Zweites Buch sei in Übereinstimmung mit Art. 1
Abs. 1 GG auf Eigenverantwortung durch Einsatz
der Erwerbsfähigkeit orientiert mit dem Ziel, dem
Hilfebedürftigen schnell zur Sicherung seiner eigenen Existenz zu verhelfen.
Das heißt im Klartext: Fordern und Fördern. Der Grundsatz „Fordern und Fördern“ ist explizit in der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts als Ziel festgestellt
worden. Das, was Sie, die Linken, als sogenannten Sanktionsparagrafen im SGB II ersatzlos streichen wollen,
hat das Bundesverfassungsgericht ausdrücklich als statthaft bezeichnet. Das Urteil unterstreicht die Richtigkeit
der Hilfe zur Selbsthilfe. Es ist keine Rede davon, zu alimentieren und ein bedingungsloses Grundeinkommen zu
gewähren, ohne Eigenverantwortung zu fordern. Das
Ziel der Grundsicherung ist nicht, dass Menschen dauerhaft abhängig von staatlichen Leistungen bleiben sollen.
Sie sollen vielmehr so lange unterstützt werden, bis sie
wieder selbst auf eigenen Beinen stehen können. Das
wollen wir tun, dahin bewegen wir uns. Wir wollen nicht
Arbeitslosigkeit, sondern wir wollen die Wiedereingliederung in sozialversicherungspflichtige Arbeit fördern.
({6})
Zu dem von Ihnen, Herr Birkwald, geforderten öffentlichen Beschäftigungsbereich: Die Linke fordert ein sogenanntes öffentliches Zukunftsprogramm, das 2 Millionen zusätzliche Arbeitsplätze schaffen soll, davon 500 000
öffentlich geförderte Beschäftigungsverhältnisse. Die
Ausweitung der öffentlich geförderten Beschäftigung ist
nicht der richtige Weg zur Bewältigung der Wirtschaftskrise. Wir haben im Südosten Europas ein Land, dessen
Name in den letzten Tagen hier sehr oft gefallen ist, in
dem der Anteil der Beschäftigten im öffentlichen Dienst
bei über 25 Prozent liegt. Dieses Land hat erhebliche finanzielle Schwierigkeiten, und diesem Land müssen wir
jetzt helfen. Dieser Weg führt in die Sackgasse. Dieser
Weg ist kein probates Mittel, um aus der Krise zu kommen.
({7})
Vorrang hat bei unserer Bundesregierung vielmehr die
Sicherung der bestehenden Arbeitsplätze. Unter anderem
wollen wir dazu das Instrument des Kurzarbeitergeldes
als Bestandteil der Konjunkturpakete I und II weiterentwickeln. Die Arbeitsmarktpolitik der christlich-liberalen
Koalition kann die Bewältigung der Wirtschaftskrise lediglich flankieren, sie kann sie nicht komplett ungeschehen machen. Bereits jetzt werden Maßnahmen der öffentlich geförderten Beschäftigung flexibel eingesetzt.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Wunderlich?
Eigentlich wollte ich das nicht, aber in Anbetracht des
großen Auditoriums kann ich dem Kollegen Wunderlich
diese Show nicht verwehren.
Bitte sehr.
Vielen Dank, Herr Kollege Lehrieder. - Sie betonen
in Ihrer Rede - auch seitens der FDP wird das gerne
gemacht - immer, wie christlich-liberal die Koalition
und die Politik derselben ist. Von den Grünen ist schon
der Fall, der vor dem Bundessozialgericht in Kassel verhandelt wurde, erwähnt worden. Können Sie dem Artikel der Frankfurter Rundschau vom heutigen Tage zustimmen, in dem auf diese Entscheidung angespielt wird
und in dem es heißt:
Rechtssystematisch ist den Richtern kein Vorwurf
zu machen. Wir schlagen den Politikern, die diesen
Blödsinn verzapft haben, mit Freude das Gesetz um
die Ohren und verlangen, dass der Missstand endlich behoben wird.
({0})
Lieber Kollege Wunderlich, die von Ihnen zitierte
Terminologie zeigt, dass es sich ausschließlich um eine
subjektive Wahrnehmung handelt. Für mich ist viel
wichtiger, was im Urteil steht, als das, was ein Journalist
da versucht hineinzulesen.
({0})
Allein „Politikern um die Ohren schlagen“, das ist eine
Ausdrucksweise, die hier in der christlich-liberalen Koalition gänzlich unbekannt ist.
({1})
- Herr Birkwald, Sie hatten vorhin ausgeführt, dass die
Weiterentwicklung der 1-Euro-Jobs ein verhängnisvoller
Fehler sei. Sie haben dem geneigten Auditorium natürlich verschwiegen, dass es sich nicht um 1-Euro-Jobs,
sondern in der Regel - je nach der Höhe der Grundleistungen - um 4-, 5-, 6- oder 7-Euro-Jobs handelt. Dieser
Betrag wird zusätzlich zu den Sozialleistungen bezahlt.
Das sollte man den Leuten gelegentlich auch mal erzählen.
({2})
Herr Kollege Birkwald, Sie zitieren die Arge Köln
und vergießen hier Krokodilstränen darüber, dass in
Köln für 0 Euro gearbeitet werden muss. Ich bitte Sie,
schauen Sie mal nach Köln. Wer regiert in Köln? - In
Köln haben wir stabile rot-rot-grüne Verhältnisse, Herr
Birkwald.
({3})
Meine Damen und Herren, es gäbe noch einiges zum
Mindestlohn zu sagen. Darüber haben wir schon zigmal
diskutiert. Sie wollen die alten, unprobaten Mittel, die
uns in die wirtschaftlichen Schwierigkeiten führen würden, in denen andere Länder Europas bereits sind. Das
wollen wir nicht. Deshalb lehnen wir Ihren Antrag ab.
Einen schönen Abend. Danke.
({4})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen nun zur Abstimmung über die Be-
schlussempfehlung des Ausschusses für Arbeit und So-
ziales zu dem Antrag der Fraktion Die Linke mit dem Ti-
tel „Weg mit Hartz IV - Für gute Arbeit und eine
sanktionsfreie, bedarfsdeckende Mindestsicherung“. Der
Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 17/953, den Antrag der Fraktion Die Linke
auf Drucksache 17/659 abzulehnen. Wir stimmen nun
über die Beschlussempfehlung namentlich ab.
Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die
vorgesehenen Plätze einzunehmen. Sind die Plätze an
den Urnen besetzt? - Ich sehe, das ist der Fall. Dann er-
öffne ich die Abstimmung.
Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine
Stimmkarte nicht abgegeben hat? - Das ist nicht der
Fall. Dann ist die Abstimmung geschlossen.
Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit
der Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis der Abstim-
mung wird Ihnen dann später bekannt gegeben.1)
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich darf Sie bitten,
Ihre Gespräche vor dem Saal weiterzuführen, damit wir
die Beratung fortsetzen können.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 10 a bis 10 c auf:
a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für die Angelegenheiten
der Europäischen Union ({0})
- zu dem Antrag der Fraktionen der CDU/CSU
und der FDP
Übergangsmaßnahmen zur Zusammenset-
zung des Europäischen Parlamentes nach
Inkrafttreten des Vertrages von Lissabon
hier: Stellungnahme des Deutschen Bun-
destages nach Artikel 23 Absatz 3 GG
i. V. m. § 10 des Gesetzes über die Zu-
sammenarbeit von Bundesregierung
und Deutschem Bundestag in Angele-
genheiten der Europäischen Union
1) Ergebnis Seite 3912 C
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt
- zu dem Antrag der Fraktion der SPD
Vorschlag der spanischen Regierung für die
Änderung der Verträge in Bezug auf die
Übergangsmaßnahmen betreffend die Zusammensetzung des Europäischen Parlaments - Herstellung des Einvernehmens
über die Aufnahme von Verhandlungen
über Vertragsänderungen gemäß Artikel 48
EUV
- Drucksachen 17/1179, 17/235, 17/1460 Berichterstattung:
Abgeordnete Thomas Dörflinger
Axel Schäfer ({1})
Michael Link ({2})
Dr. Diether Dehm
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Manuel
Sarrazin, Viola von Cramon-Taubadel, Ulrike
Höfken, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Änderung der Verträge - Übergangsmaßnah-
men betreffend die Zusammensetzung des Eu-
ropäischen Parlaments
- Drucksache 17/1417 -
c) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Diether Dehm, Alexander Ulrich, Andrej
Hunko, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
DIE LINKE
Veränderung der Zusammensetzung des Europäischen Parlaments in der laufenden Wahlperiode
- Drucksache 17/1568 Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. - Ich
sehe, damit sind Sie einverstanden. Dann können wir so
verfahren.
Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner dem Kollegen Heinz Golombeck das Wort für die
FDP-Fraktion.
({3})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Der Vertrag von Lissabon ist am 1. Dezember
2009 und somit nach den Wahlen zum Europäischen
Parlament vom Juni 2009 in Kraft getreten. Die Beschlüsse des Vertrages sehen vor, dass die Zahl der Abgeordneten des Europäischen Parlaments von 12 Mitgliedstaaten um insgesamt 18 Mandate erhöht wird.
Dadurch erhöht sich die Gesamtzahl der Abgeordneten
vorübergehend bis zum Ende der Legislaturperiode im
Jahr 2014 von 736 auf 754.
Die Staats- und Regierungschefs haben sich politisch
darauf verständigt, diese Änderung möglichst bereits
während des Jahres 2010 in Kraft zu setzen. Dass wir
heute über die Übergangsmaßnahmen zur Zusammensetzung des Europäischen Parlaments im Deutschen Bundestag debattieren können, ist eine Errungenschaft aus
dem Lissabonner Vertrag.
({0})
Das ist einer der ersten Anwendungsfälle der neuen
Rechte des Bundestages gegenüber der Bundesregierung
nach dem Begleitgesetz, nämlich nach § 10 EUZBBG.
Darum hat der Bundestag hier großen Wert darauf gelegt, frühzeitig von der Bundesregierung unterrichtet zu
werden, um am Entscheidungsprozess voll beteiligt zu
werden.
Die Koalitionsfraktionen möchten der Einberufung
einer Regierungskonferenz zu Verhandlungen, die Übergangsbestimmungen zur Zusammensetzung des Europäischen Parlaments betreffend, zustimmen. Sie halten
allerdings den spanischen Vorschlag zur Anpassung der
Sitzzahl im Europäischen Parlament für problematisch,
soweit Abgeordnete aus der Mitte der nationalen Parlamente nachbenannt werden sollen. Dieses Verfahren widerspricht der demokratischen Legitimation des Parlaments
durch direkte Wahlen.
({1})
Wir alle sind demokratisch gewählte Volksvertreter
und können in diesem Hause eindrucksvoll beobachten,
wie der Souverän, das Volk, über unsere Köpfe seine
Runden dreht und unsere Entscheidungen kritisch von
oben betrachtet. Das hat nicht nur Symbolcharakter;
diese Erfahrung machen wir alle vier Jahre.
Auch die Direktwahlen zum Europäischen Parlament
wurden mühsam erkämpft und durchgesetzt. Es ist unser
aller Anliegen, Europa demokratischer zu gestalten. Die
Koalitionsfraktionen fordern daher die Bundesregierung
auf, in den Verhandlungen deutlich zu machen, dass die
Variante der Nachbenennung von Abgeordneten dem
Geist - ich betone: dem Geist - des Direktwahlaktes von
1976 widerspricht.
({2})
Aber auch hier gibt es zwei Seiten der Medaille. Wir
sind die Europapartei und wissen, wie wichtig gerade in
der Europäischen Union gegenseitiger Respekt und
Rücksichtnahme auch auf Besonderheiten jedes Landes
sind. Nur so können wir das Ziel erreichen, dass Europa
mit einer Stimme spricht, und nur so kann Europa funktionieren.
Am 9. Mai 1950 hat der französische Außenminister
Robert Schuman einen bahnbrechenden Plan vorgestellt,
der die gesamte deutsch-französische Kohle- und Stahlproduktion einer Hohen Behörde unterstellen sollte, in
einer Organisation, die den anderen Ländern Europas
zum Beitritt offenstand.
In drei Tagen begehen wir zum 60. Mal den Europatag, den Tag, an dem damals der erste Grundstein für
eine europäische Föderation gelegt wurde. Dank dieses
Tages leben wir im vereinigten Europa nunmehr seit
über 60 Jahren in Frieden.
({3})
Besonders das gute deutsch-französische Verhältnis war
ein Grundstein der Aussöhnung in Europa und gab der
europäischen Integration immer wieder bedeutende Impulse. Wir begreifen es als etwas fundamental Wichtiges
und wollen es weiter pflegen.
Dem Vernehmen nach soll besonders für Frankreich
die Variante der Nachbenennung aus dem nationalen
Parlament wichtig sein. Wenn es gewichtige Gründe dafür gibt, wollen wir die Übergangslösung in diesem Einzelfall letztlich nicht blockieren, zumal wir auch die
lange Tradition der Assemblée nationale außerordentlich
schätzen.
Die Koalitionsfraktionen sehen es aber als ihre besondere Verpflichtung an, dafür Sorge zu tragen, dass die
Bundesregierung dem Bundestag darlegt, warum eine
Nachauszählung der zusätzlichen Mandate auf der Basis
des Ergebnisses der letzten Europawahl oder allgemeine
Ad-hoc-Wahlen in einzelnen EU-Mitgliedstaaten nicht
möglich sind. Außerdem fordern die Koalitionsfraktionen
die Bundesregierung auf, sich im Dialog mit den anderen Partnern in der EU für ein einheitliches Wahlrecht
bis zu den Wahlen des Europäischen Parlaments im Jahr
2014 einzusetzen.
({4})
Wir Liberale setzen uns für mehr Demokratie und für
mehr Rechte der Parlamente im legislativen Prozess der
Europäischen Union ein. Dies gehört zum Selbstverständnis unserer Partei. Wir werden weiterhin unsere
Rechte in Bezug auf Stellungnahmen zum europäischen
Gesetzgebungsprozess nutzen. Aber wir werden uns
auch weiterhin um einen intensiven und verständnisvollen
Dialog mit anderen Partnern bemühen, um, wie es in der
Präambel unseres Grundgesetzes steht, „als gleichberechtigtes Glied in einem vereinten Europa dem Frieden
der Welt zu dienen“.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({5})
Herr Kollege Golombeck, das war Ihre erste Rede in
diesem Hause. Ich gratuliere Ihnen sehr herzlich und
wünsche Ihnen bei Ihrer weiteren Arbeit viel Freude und
Erfolg.
({0})
Bevor ich nun dem nächsten Redner das Wort gebe,
komme ich zurück zum Tagesordnungspunkt 26 und gebe
Ihnen das von den Schriftführerinnen und Schriftführern
ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung
über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Arbeit
und Soziales zu dem Antrag der Fraktion Die Linke mit
dem Titel „Weg mit Hartz IV - Für gute Arbeit und eine
sanktionsfreie, bedarfsdeckende Mindestsicherung“ bekannt. Abgegebene Stimmen: 540. Mit Ja haben gestimmt
478, mit Nein haben gestimmt 62 Kolleginnen und Kollegen. Enthaltungen gab es keine. Die Beschlussempfehlung
ist damit angenommen.
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 539;
davon
ja: 477
nein: 62
Ja
CDU/CSU
Ilse Aigner
Dorothee Bär
Thomas Bareiß
Norbert Barthle
Günter Baumann
Ernst-Reinhard Beck
({1})
Manfred Behrens ({2})
Veronika Bellmann
Dr. Christoph Bergner
Peter Beyer
Steffen Bilger
Clemens Binninger
Peter Bleser
Wolfgang Börnsen
({3})
Norbert Brackmann
Michael Brand
Helmut Brandt
Dr. Ralf Brauksiepe
Dr. Helge Braun
Ralph Brinkhaus
Thomas Dörflinger
Dr. Thomas Feist
Enak Ferlemann
Hartwig Fischer ({4})
Dirk Fischer ({5})
Axel E. Fischer ({6})
Klaus-Peter Flosbach
Herbert Frankenhauser
Erich G. Fritz
Dr. Michael Fuchs
Hans-Joachim Fuchtel
Alexander Funk
Ingo Gädechens
Norbert Geis
Alois Gerig
Eberhard Gienger
Josef Göppel
Peter Götz
Dr. Wolfgang Götzer
Ute Granold
Reinhard Grindel
Michael Grosse-Brömer
Markus Grübel
Monika Grütters
Dr. Karl-Theodor Freiherr zu
Guttenberg
Florian Hahn
Holger Haibach
Dr. Stephan Harbarth
Gerda Hasselfeldt
Dr. Matthias Heider
Mechthild Heil
Ursula Heinen-Esser
Frank Heinrich
Rudolf Henke
Michael Hennrich
Jürgen Herrmann
Ernst Hinsken
Peter Hintze
Robert Hochbaum
Franz-Josef Holzenkamp
Joachim Hörster
Anette Hübinger
Thomas Jarzombek
Dr. Franz Josef Jung
Andreas Jung ({7})
Dr. Egon Jüttner
Bartholomäus Kalb
Hans-Werner Kammer
Alois Karl
Bernhard Kaster
Siegfried Kauder ({8})
Roderich Kiesewetter
Ewa Klamt
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt
Volkmar Klein
Jürgen Klimke
Julia Klöckner
Jens Koeppen
Manfred Kolbe
Dr. Rolf Koschorrek
Thomas Kossendey
Michael Kretschmer
Dr. Günter Krings
Rüdiger Kruse
Bettina Kudla
Dr. Hermann Kues
Günter Lach
({9})
Andreas G. Lämmel
Katharina Landgraf
Ulrich Lange
Dr. Max Lehmer
Dr. Ursula von der Leyen
Ingbert Liebing
Matthias Lietz
Dr. Carsten Linnemann
Patricia Lips
Dr. Jan-Marco Luczak
Dr. Michael Luther
Karin Maag
Dr. Thomas de Maizière
Hans-Georg von der Marwitz
Andreas Mattfeldt
Stephan Mayer ({10})
Dr. Michael Meister
Maria Michalk
Philipp Mißfelder
Dietrich Monstadt
Marlene Mortler
Dr. Gerd Müller
Stefan Müller ({11})
Nadine Müller ({12})
Dr. Philipp Murmann
Michaela Noll
Dr. Georg Nüßlein
Eduard Oswald
Henning Otte
Dr. Michael Paul
Rita Pawelski
Ulrich Petzold
Dr. Joachim Pfeiffer
Sibylle Pfeiffer
Beatrix Philipp
Christoph Poland
Ruprecht Polenz
Eckhard Pols
Daniela Raab
Thomas Rachel
Dr. Peter Ramsauer
Eckhardt Rehberg
Katherina Reiche ({13})
Lothar Riebsamen
Josef Rief
Klaus Riegert
Dr. Heinz Riesenhuber
Johannes Röring
Dr. Christian Ruck
Erwin Rüddel
Albert Rupprecht ({14})
Anita Schäfer ({15})
Dr. Wolfgang Schäuble
Dr. Annette Schavan
Dr. Andreas Scheuer
Karl Schiewerling
Norbert Schindler
Tankred Schipanski
Georg Schirmbeck
Christian Schmidt ({16})
Patrick Schnieder
Dr. Andreas Schockenhoff
Bernhard Schulte-Drüggelte
Uwe Schummer
Armin Schuster ({17})
Detlef Seif
Johannes Selle
Reinhold Sendker
Dr. Patrick Sensburg
Thomas Silberhorn
Johannes Singhammer
Jens Spahn
Carola Stauche
Erika Steinbach
Christian Freiherr von Stetten
Dieter Stier
Gero Storjohann
Stephan Stracke
Thomas Strobl ({18})
Lena Strothmann
Michael Stübgen
Dr. Peter Tauber
Antje Tillmann
Dr. Hans-Peter Uhl
Arnold Vaatz
Volkmar Vogel ({19})
Stefanie Vogelsang
Andrea Astrid Voßhoff
Dr. Johann Wadephul
Marco Wanderwitz
Kai Wegner
Marcus Weinberg ({20})
Peter Weiß ({21})
Sabine Weiss ({22})
Ingo Wellenreuther
Karl-Georg Wellmann
Peter Wichtel
Annette Widmann-Mauz
Klaus-Peter Willsch
Elisabeth WinkelmeierBecker
Dagmar Wöhrl
Dr. Matthias Zimmer
Wolfgang Zöller
Willi Zylajew
SPD
Rainer Arnold
Heinz-Joachim Barchmann
Doris Barnett
Klaus Barthel
Sören Bartol
Bärbel Bas
Sabine Bätzing-Lichtenthäler
Gerd Bollmann
Klaus Brandner
Marco Bülow
Ulla Burchardt
Martin Burkert
Petra Crone
Martin Dörmann
Elvira Drobinski-Weiß
Garrelt Duin
Sebastian Edathy
Siegmund Ehrmann
Petra Ernstberger
Elke Ferner
Gabriele Fograscher
Dr. Edgar Franke
Dagmar Freitag
Peter Friedrich
Michael Gerdes
Martin Gerster
Iris Gleicke
Günter Gloser
Ulrike Gottschalck
Angelika Graf ({23})
Michael Groschek
Michael Groß
Hans-Joachim Hacker
Klaus Hagemann
Michael Hartmann
({24})
Hubertus Heil ({25})
Rolf Hempelmann
Dr. Barbara Hendricks
Gustav Herzog
Gabriele Hiller-Ohm
Petra Hinz ({26})
Frank Hofmann ({27})
Dr. Eva Högl
Christel Humme
Josip Juratovic
Oliver Kaczmarek
Johannes Kahrs
Ulrich Kelber
Hans-Ulrich Klose
Dr. Bärbel Kofler
Daniela Kolbe ({28})
Fritz Rudolf Körper
Nicolette Kressl
Ute Kumpf
Christine Lambrecht
Christian Lange ({29})
Dr. Karl Lauterbach
Steffen-Claudio Lemme
Burkhard Lischka
Gabriele Lösekrug-Möller
Kirsten Lühmann
Caren Marks
Katja Mast
Hilde Mattheis
Ullrich Meßmer
Dr. Rolf Mützenich
Andrea Nahles
Dietmar Nietan
Manfred Nink
Holger Ortel
Aydan Özoğuz
Heinz Paula
Johannes Pflug
Dr. Wilhelm Priesmeier
Dr. Sascha Raabe
Mechthild Rawert
Gerold Reichenbach
Dr. Carola Reimann
Sönke Rix
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Michael Roth ({30})
Marlene Rupprecht
({31})
Anton Schaaf
Axel Schäfer ({32})
Dr. Hermann Scheer
Marianne Schieder
({33})
Ulla Schmidt ({34})
Ottmar Schreiner
Swen Schulz ({35})
Ewald Schurer
Dr. Angelica Schwall-Düren
Dr. Martin Schwanholz
Rolf Schwanitz
Stefan Schwartze
Dr. Carsten Sieling
Sonja Steffen
Christoph Strässer
Kerstin Tack
Dr. h. c. Wolfgang Thierse
Franz Thönnes
Wolfgang Tiefensee
Dr. Marlies Volkmer
Andrea Wicklein
({36})
Dagmar Ziegler
Manfred Zöllmer
Brigitte Zypries
FDP
Jens Ackermann
Christian Ahrendt
Christine AschenbergDugnus
Daniel Bahr ({37})
Florian Bernschneider
Sebastian Blumenthal
Claudia Bögel
Nicole Bracht-Bendt
Klaus Breil
Angelika Brunkhorst
Ernst Burgbacher
Sylvia Canel
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt
Helga Daub
Reiner Deutschmann
Dr. Bijan Djir-Sarai
Patrick Döring
Mechthild Dyckmans
Rainer Erdel
Jörg van Essen
Otto Fricke
Paul K. Friedhoff
Dr. Edmund Peter Geisen
Dr. Wolfgang Gerhardt
Hans-Michael Goldmann
Miriam Gruß
Joachim Günther ({38})
Dr. Christel Happach-Kasan
Heinz-Peter Haustein
Manuel Höferlin
Birgit Homburger
Dr. Werner Hoyer
Heiner Kamp
Dr. Lutz Knopek
Dr. Heinrich L. Kolb
Hellmut Königshaus
Dr. h. c. Jürgen Koppelin
Sebastian Körber
Patrick Kurth ({39})
Heinz Lanfermann
Sibylle Laurischk
Harald Leibrecht
Sabine LeutheusserSchnarrenberger
Lars Lindemann
Christian Lindner
Dr. Martin Lindner ({40})
Michael Link ({41})
Dr. Erwin Lotter
Oliver Luksic
Patrick Meinhardt
Gabi Molitor
Jan Mücke
Petra Müller ({42})
({43})
Hans-Joachim Otto
({44})
Gisela Piltz
Dr. Christiane RatjenDamerau
Dr. Birgit Reinemund
Dr. Peter Röhlinger
Dr. Stefan Ruppert
Björn Sänger
Frank Schäffler
Jimmy Schulz
Marina Schuster
Werner Simmling
Joachim Spatz
Dr. Rainer Stinner
Stephan Thomae
Florian Toncar
Serkan Tören
({45})
Dr. Guido Westerwelle
Dr. Claudia Winterstein
Hartfrid Wolff ({46})
BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN
Marieluise Beck ({47})
Volker Beck ({48})
Viola von Cramon-Taubadel
Ekin Deligöz
Katja Dörner
Dr. Thomas Gambke
Britta Haßelmann
Bettina Herlitzius
Winfried Hermann
Priska Hinz ({49})
Ulrike Höfken
Dr. Anton Hofreiter
Ingrid Hönlinger
Thilo Hoppe
Uwe Kekeritz
Katja Keul
Memet Kilic
Sven-Christian Kindler
Maria Klein-Schmeink
Ute Koczy
Thomas Koenigs
Oliver Krischer
Agnes Krumwiede
Stephan Kühn
Undine Kurth ({50})
Monika Lazar
Agnes Malczak
Kerstin Müller ({51})
Beate Müller-Gemmeke
Ingrid Nestle
Dr. Konstantin von Notz
Friedrich Ostendorff
Elisabeth Paus
Tabea Rößner
Claudia Roth ({52})
Krista Sager
Christine Scheel
Dr. Frithjof Schmidt
Dorothea Steiner
Dr. Wolfgang StrengmannKuhn
Hans-Christian Ströbele
Dr. Harald Terpe
Markus Tressel
Jürgen Trittin
Daniela Wagner
Wolfgang Wieland
Dr. Valerie Wilms
Nein
DIE LINKE
Jan van Aken
Agnes Alpers
Herbert Behrens
Eva Bulling-Schröter
Dr. Martina Bunge
Roland Claus
Sevim Dağdelen
Dr. Diether Dehm
Heidrun Dittrich
Werner Dreibus
Dr. Dagmar Enkelmann
Wolfgang Gehrcke
Nicole Gohlke
Diana Golze
Annette Groth
Dr. Gregor Gysi
Heike Hänsel
Dr. Rosemarie Hein
Inge Höger
Ulla Jelpke
Dr. Lukrezia Jochimsen
Harald Koch
Jan Korte
Jutta Krellmann
Sabine Leidig
Michael Leutert
Ulla Lötzer
Dr. Gesine Lötzsch
Thomas Lutze
Ulrich Maurer
Dorothée Menzner
Cornelia Möhring
Kornelia Möller
Niema Movassat
Thomas Nord
Jens Petermann
Richard Pitterle
Yvonne Ploetz
Paul Schäfer ({53})
Michael Schlecht
Dr. Herbert Schui
Kathrin Senger-Schäfer
Raju Sharma
Sabine Stüber
Alexander Süßmair
Dr. Kirsten Tackmann
Frank Tempel
Dr. Axel Troost
Alexander Ulrich
Kathrin Vogler
Sahra Wagenknecht
Halina Wawzyniak
Harald Weinberg
Sabine Zimmermann
Nun hat das Wort der Kollege Axel Schäfer für die
Fraktion der SPD.
({54})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Die Frage der Zusammensetzung des Europäischen Parlamentes ist so alt wie die Geschichte des Europäischen
Parlamentes selbst. Sie war immer mit einem zentralen
Punkt verbunden: der Direktwahl, der allgemeinen, gleichen, freien, geheimen Wahl durch die Bürgerinnen und
Bürger Europas. Unsere Vorgängerinnen und Vorgänger
haben 24 Jahre, nämlich von 1952 bis 1976, gebraucht,
um das durchzusetzen, gegenüber den Regierungen, die
nicht so begeistert davon waren, und in den Parlamenten,
etwa bei unseren Vorgängerinnen und Vorgängern im
Deutschen Bundestag, die am Anfang auch nicht alle so
begeistert davon waren; Gott sei Dank hat sich einiges
geändert. Der SPD-Abgeordnete Karl Mommer hat das
über viele Legislaturperioden hinweg verfolgt.
1976 wurde die Grundlage für den Direktwahlakt geschaffen. Dieser Direktwahlakt ist etwas Außergewöhnliches, nicht nur wegen des gemeinsamen Wahlrechts der
Axel Schäfer ({0})
Europäer: Es ist das erste Mal, dass eine supranationale
Volksvertretung gewählt wird. Seitdem haben wir die
Rechte des Europäischen Parlaments, seine Möglichkeiten zur demokratischen Mitbestimmung gestärkt: beim
Haushalt, bei der Gesetzgebung und zuletzt bei der Wahl
der Europäischen Kommission. Dabei haben wir immer
darauf geachtet, dass wir einen demokratischen Fortschritt erreichen und nah an eine gleiche Gewichtung der
Stimmen herankommen, Stichwort: degressive Proportionalität. Das ist sehr schwer; das Bundesverfassungsgericht hat uns da bekanntlich einiges ins Stammbuch
geschrieben.
Wir haben ein Zweites hinbekommen: Bei allen Erweiterungsrunden seit der ersten Direktwahl - 1981,
1986, 1995 und 2004 - haben wir es so geregelt, dass die
neuen Mitgliedstaaten auf Zeit Abgeordnete aus der
Mitte des nationalen Parlaments entsenden, die dann innerhalb von zwei Jahren durch eine allgemeine Wahl legitimiert werden. Nach der deutschen Einheit gab es eine
Besonderheit - ich sehe hier eine Reihe von Kolleginnen
und Kollegen aus der früheren DDR -: Wir haben es damals nicht nur akzeptiert, sondern als richtig erachtet,
dass die 18 Kolleginnen und Kollegen aus dem Deutschen Bundestag, die zusätzlich in das Europäische Parlament entsandt wurden, dort fast eine komplette Legislaturperiode lang, nämlich von 1990 bis 1994, nicht
stimmberechtigt waren, also dort nicht die gleichen, vollen Rechte erhielten, weil sie nicht ausreichend durch
Wahlen legitimiert waren. Man nannte sie Beobachter.
Es ist wichtig, auf diesen Umstand hinzuweisen; denn
Deutschland sollte in einer spezifischen Situation, in der
es auch darum geht, dass die Zahl der deutschen Abgeordneten im Europäischen Parlament von derzeit 99 auf
96 reduziert werden soll, nicht so tun, als müssten wir
besondere Rechte für Vertreter aus neuen Mitgliedstaaten einfordern.
Jetzt kommt es darauf an, in der Debatte hier, in den
anderen nationalen Parlamenten der EU und in besonderer Weise im Europäischen Parlament sowie mit den Regierungen, die an der Regierungskonferenz teilnehmen
werden, klarzumachen: Kompromisse sind in Europa
zwar immer notwendig und in vielen Fällen richtig - wir
werden immer schauen, dass es gelingt, das Gemeinsame über das Trennende zu stellen -, aber hier diskutieren wir nicht über eine Frage, bei der man so oder so entscheiden kann. Bei dieser Frage kann man sich nur so
entscheiden: für die Direktwahl.
Meine Fraktion hat deshalb bereits im Dezember eine
klare Positionierung vorgenommen. Dementsprechend
sage ich Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen in diesem Hause, aber insbesondere der Bundesregierung: Unsere Erwartung ist, dass im Rat und auf der Regierungskonferenz eine Regelung gefunden wird, die sicherstellt,
dass die zusätzlichen Kolleginnen und Kollegen, die in
das Europäische Parlament nachrücken, durch die Europawahl vom Juni 2009 legitimiert sind. Es gibt keine andere Legitimation.
({1})
Alle Veränderungen können nie taktisch sein; bei Verfassungsfragen taktiert man nicht. Vielmehr müssen alle
Veränderungen, die wir treffen müssen, auf den Prinzipien basieren, für die wir lange gekämpft haben. An dieser Stelle gibt es auch keine Ausnahme. Es gibt keine
Ausnahmen in irgendeinem Land, das bisher seine Abgeordneten durch Direktwahl entsandt hat. Weil es hier
auch um vertragliche Änderungen geht, sehen wir es als
eine Verpflichtung der Bundesregierung an, dies deutlich
zu machen.
Die SPD-Fraktion wird nur einer Regelung zustimmen, die dem Geiste und dem Inhalt dessen entspricht,
was wir hier seit 1952 an Tradition hinsichtlich der Direktwahl haben, und keiner sonstigen, anderen Regelung. Das sollten wir heute noch einmal ganz, ganz deutlich machen.
Herzlichen Dank.
({2})
Nächster Redner ist der Kollege Thomas Dörflinger
für die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege
Schäfer, wir sollen das Gemeinsame über das Trennende
stellen. Wenn ich dies als Überschrift über die ersten
Sätze wähle, dann sage ich dazu, wie Sie die Genese des
Direktwahlakts von 1976 beschrieben haben: Ich teile
Ihre Einschätzung uneingeschränkt, dass es nicht nur ein
großer Kampf bis 1976 war, sondern dass es auch eine
große Errungenschaft der Kolleginnen und Kollegen des
Europäischen Parlaments war und ist, diesen Status seit
1979 gehalten zu haben, und zwar nicht nur, was das
Wahlrecht angeht, sondern auch den Umstand - dazu
war der Lissabon-Vertrag einer der letzten Bausteine -,
Kompetenzen, Zuständigkeiten und Legitimität des Europäischen Parlaments seit 1979 bis zum heutigen Tage
Zug um Zug ausgebaut zu haben. Deswegen reagieren
wir in diesem Hohen Hause zu Recht mit hoher Sensibilität, wenn es um die Frage geht, die wir heute miteinander diskutieren.
Allerdings sind wir damit dann auch schon am Ende
der Gemeinsamkeiten, Herr Kollege Schäfer, und kommen eher in den Bereich, in dem wir uns unterscheiden.
Wir sind uns in Bezug auf diese drei Vorschläge der spanischen Ratspräsidentschaft zumindest bei den Vorschlägen 1 und 2 einig, dass dies tragfähige Grundlagen wären,
um die Erweiterung der Sitze des Europäischen Parlaments darzustellen.
Aber wir müssen auch zur Kenntnis nehmen, dass die
Einschätzung gegenüber dem dritten Vorschlag, nämlich
der Benennung aus den Reihen des nationalen Parlaments, über den wir uns hier im Deutschen Bundestag,
wenn ich die Debatte im Ausschuss richtig in Erinnerung
habe, weitgehend einig sind, dass diese Auffassung der
großen Mehrheit des Deutschen Bundestages so in anderen Ländern und in anderen nationalen Parlamenten
nicht geteilt wird. Das mag uns nun gefallen oder nicht,
und meine Begeisterung über diesen Umstand - das gestehe ich offen und ehrlich - hält sich auch in Grenzen.
Aber ich darf sehr wohl zur Kenntnis nehmen, dass dies
so ist.
Da Sie gesagt haben, Herr Kollege Schäfer - dies teile
ich wiederum -, dass die Europapolitik, mit meinen
Worten gesagt, vielleicht der Teilbereich der deutschen
Politik ist, der in den letzten Jahren das Höchstmaß an
Pragmatismus vollzogen hat - das hat der Europapolitik
gut getan, nicht nur in Deutschland, sondern in Europa -,
so merke ich an: Wir tun uns an dieser Stelle keinen Gefallen, wenn wir den Teil 3 des spanischen Ratspräsidentenvorschlags sozusagen als Guillotine-Klausel begreifen und sozusagen artikulieren: Wenn es aber zu diesem
Vorschlag kommt und der Rat sich auch auf diesen dritten Vorschlag verständigt, dann machen wir im Deutschen Bundestag die Jalousie nach unten. Meines Erachtens - darauf hat Kollege Golombeck zu Recht
hingewiesen - täten wir uns nicht nur im Verhältnis zu
Frankreich, sondern auch generell im europäischen Konzert mit einer solchen harten, aber herzlichen Kopfdurch-die-Wand-Position keinen Gefallen.
({0})
Deswegen vertrete ich die Position, wie sie die Koalitionsfraktionen in ihrem Antrag formuliert haben, dass
wir die Bundesregierung einerseits seitens des Deutschen Bundestags beauftragen, Herr Staatsminister, in
den anstehenden Verhandlungen im Rat deutlich zu machen, beispielsweise mit Verweis auf den Direktwahlakt
von 1969,
({1})
dass es unseren Vorstellungen nicht entspricht - 1976 -,
Teil 3 des spanischen Vorschlags zu realisieren. Gleichwohl müssen wir zur Kenntnis nehmen, dass manche europäischen Staaten eine andere Auffassung haben. Wir
müssen der Bundesregierung die Möglichkeit einräumen, den Vorschlag, den sie im Rat miterarbeitet und anschließend dem Deutschen Bundestag zur Beschlussfassung vorschlägt, so auszugestalten, dass er unserer
Rechtsauffassung nicht zur Gänze widerspricht. Etwas
Pragmatismus nützt der Sache mehr, als wenn wir versuchen, mit dem Kopf durch die Wand zu gehen. Die Wand
hat sich in der Geschichte in den meisten Fällen nämlich
als stärker erwiesen als der Kopf.
({2})
Ich will zum Abschluss noch zwei Punkte nennen. In
dem ersten Punkt, Herr Kollege Schäfer, dürften wir uns
einig sein - er ist Gegenstand aller Anträge, über die wir
heute beraten -: Wir wollen die Bundesregierung beauftragen, bei den Verhandlungen im Rat darauf hinzuwirken, dass wir bis zu den Europawahlen im Jahr 2014 ein
einheitliches Wahlrecht bekommen, das trägt.
Mein zweiter Punkt - damit greife ich eine Debatte
auf, die hinter den Kulissen des Europäischen Parlaments von der einen oder anderen Kollegin und dem einen oder anderen Kollegen bereits geführt wird -: Für
den Fall, dass während einer laufenden Legislaturperiode ein Staat der Europäischen Union beitritt - in naher
Zukunft steht beispielsweise der Beitritt Islands an -,
brauchen wir ein System, mit dem wir das berechtigte
Interesse dieses Landes nach parlamentarischer Vertretung darstellen können. Wir sollten uns auf einen Modus
verständigen, den wir nicht bei jedem Beitritt eines Landes aktualisieren müssen, sondern der die nächsten fünf
bis zehn Jahre trägt. Ich weiß von Kolleginnen und Kollegen aus dem Europaparlament, dass diese Diskussion
dort geführt wird und es diesbezüglich schon Vorschläge
gibt. Ich lade herzlich dazu ein, neben der Beschlussfassung über den Antrag der Koalition, die heute ansteht,
diese Debatte mit den Kolleginnen und Kollegen im
Ausschuss zu führen; dann leisten wir einen echten Beitrag zur Zukunft Europas.
Herzlichen Dank.
({3})
Nächster Redner ist der Kollege Thomas Nord für die
Fraktion Die Linke.
({0})
Danke schön. - Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr
geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Debatte über eine Veränderung der Zusammensetzung des Europäischen Parlaments in der laufenden Wahlperiode scheint mir komplett unnötig zu sein.
({0})
Das Europäische Parlament wurde in seiner jetzigen Zusammensetzung - das bestreitet hier niemand - nach demokratischen Regeln gewählt. Wenn durch das Inkrafttreten des Lissabon-Vertrages zukünftig neue Regeln
gelten, ist das meiner Ansicht nach kein Grund, in der
laufenden Wahlperiode Veränderungen vorzunehmen.
({1})
Die Einberufung einer Regierungskonferenz zu diesem
Thema scheint mir völlig deplaziert.
Wir haben in diesen Tagen nun wirklich Wichtigeres
zu tun, zum Beispiel uns mit der Lage Griechenlands
auseinanderzusetzen.
({2})
Die Linke ist solidarisch an der Seite der protestierenden
Bevölkerung in Griechenland.
({3})
Die soziale Situation in Griechenland ist keinesfalls so,
wie die Bild-Zeitung schreibt. Wir gehen davon aus, dass
die Bürgerinnen und Bürger Griechenlands jedes Recht
haben, deutlich zu machen, dass sie den radikalen SoThomas Nord
zialabbau, der sich mit den Auflagen der Banken und der
Staaten verbindet, nicht hinnehmen können.
({4})
Festzuhalten ist aber auch: Kein Protest der Welt darf
zum Tod unschuldiger Menschen führen.
({5})
Wir trauern mit um die Menschen, die gestern in Griechenland ums Leben gekommen sind.
Die Debatte um die riesige Staatsverschuldung vieler
Euro-Länder macht deutlich, dass die bisherige Vertragsarchitektur der EU nicht geeignet ist, eine erfolgreiche
europäische Integration zu sichern. Das gilt vor allem
- das ist in vielen Diskussionen der letzten Tage deutlich
geworden - für den Stabilitäts- und Wachstumspakt. Wir
reden diese Woche über Griechenland; doch die Wahrheit ist: Die Euro-Zone wackelt in Gänze.
Die Linke fand viele der europäischen Verträge in wesentlichen Punkten falsch. Sie hat sie seit Langem - wie
sich jetzt zeigt, zu Recht - kritisiert bzw. abgelehnt.
({6})
Gerade weil wir eine dauerhafte stabile Europäische
Union wollen, brauchen wir neue Regeln. Wenn aber
schon solche Verträge gemacht werden, dann sollten sich
die vertragschließenden Parteien in ihrem Handeln daran
halten. Auch hier gilt der alte Satz: Pacta sunt servanda.
Ein Beispiel für den kreativen Umgang mit Verträgen
- davon war hier ja schon die Rede - war der Umgang
mit dem Stabilitäts- und Wachstumspakt durch RotGrün. Die Einleitung eines Verfahrens wegen Überschreitung der festgelegten Stabilitätskriterien wurde
durch Rot-Grün verhindert. Das hat - scheinbar zum
Vorteil Deutschlands und Frankreichs - zur Entwertung
von geltendem europäischem Recht geführt. Kein Wunder, finde ich, dass andere Länder ebenfalls Recht im eigenen Interesse interpretiert haben; auch davon war hier
in den letzten Tagen wiederholt die Rede.
Die heutige Regierungskoalition ist meiner Ansicht
nach dabei, diesen Fehler zu wiederholen. Die deutschfranzösische Freundschaft - das konnten wir jetzt mehrfach hören - ist ein dafür vorgetragenes Argument. Mit
dem Antrag von CDU/CSU und FDP wird die Bundesregierung aufgefordert, schwerwiegende Gründe mitzuteilen, warum zusätzliche Mandate nicht auf der Grundlage der Ergebnisse der letzten Europawahlen oder über
allgemeine Ad-hoc-Wahlen bestimmt werden. Das ist
eine Einladung, dem undemokratischen Selbstbenennungsverfahren durch nationale Parlamente zuzustimmen.
({7})
Diese Lösung verstößt gegen Art. 14 Abs. 3 des EUVertrages und fällt hinter europäische Wahlrechtstandards von 1979 zurück. Um Frankreich einen Freundschaftsdienst zu erweisen, wird das Vertrauen in europäisches Recht beschädigt. Das verstärkt den Eindruck,
dass es in der EU Mitglieder erster und zweiter Klasse
gibt: solche, deren Mitgliedschaft oder deren Beitritt mit
ganzer Konsequenz am geltenden Recht gemessen wird,
und solche, wo man auch einmal ein Auge zudrücken
kann.
Mit dem kreativen Handhaben von hart erkämpften
Regeln der EU verstärkt die Bundesrepublik vorhandene
Instabilitäten. Die Linke ist der Überzeugung: Es genügt,
die neuen Regeln zur Besetzung des Europäischen Parlaments laut Vertrag von Lissabon mit der Wahl 2014 umzusetzen. Wenn Sie das aber jetzt machen wollen, fordern wir die Bundesregierung auf, keinem Verfahren
zuzustimmen, mit dem nationale Parlamente Abgeordnete in das Europaparlament entsenden können.
({8})
Wenn schon eine Regierungskonferenz einberufen
wird, ist es angesichts der aktuellen Lage nötig, über
drängendere Probleme als diese zu sprechen. Stellen Sie
den Stabilitäts- und Wachstumspakt auf ein solides Fundament. Verhandeln Sie über eine Wirtschaftsregierung.
Beschließen Sie eine soziale Fortschrittsklausel. Es ist
an der Zeit, dass sozialstaatliche Grundwerte Vorrang
vor der Kapitalfreiheit erhalten.
Schönen Dank.
({9})
Herr Kollege Nord, auch für Sie war das die erste
Rede im Deutschen Bundestag. Herzlichen Glückwunsch dazu, verbunden mit den besten Wünschen für
Ihre weitere Arbeit.
({0})
Das Wort hat der Kollege Manuel Sarrazin für die
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! In diesen Tagen, gerade heute, ist eine Frage drängend, die
auch mit dieser Abstimmung zu tun hat. Es ist die alte
Frage nach dem Verhältnis zwischen den Bürgerinnen
und Bürgern und der Europäischen Union. Wir haben in
dem schmerzhaften Prozess, den wir durchgehen mussten, damit der Vertrag von Lissabon beschlossen werden
konnte, gemerkt, dass Europa in den Köpfen und Herzen
der Menschen nicht mehr so weit trägt, wie es einmal getragen hat.
In den letzten Wochen haben wir gemerkt, dass in
ganz drängenden europapolitischen Fragen nationale
Debatten, nationale Stereotypen, nationale Bilder oftmals Vorrang haben vor einer europäischen Denke oder
auch nur vor einem Blick über den Tellerrand. Wenn
man lernt, nationale Sonderwege zu beenden, auch den
deutschen Sonderweg, der das letzte Jahrhundert maßgeblich und in schrecklichster Form geprägt hat, zu beenden, dann wissen wir, dass die Zusammensetzung des
Europäischen Parlaments als Vertretungsorgan der Bürgerinnen und Bürger Europas gerade durch die direkte
Wahl eine besondere Legitimation hat: diesen europäischen Gedanken auszuführen.
Diese besondere Legitimation speist sich, mit alledem, was Herr Kollege Schäfer gesagt hat, aus der
Stimme, die der Bürger und die Bürgerin seinem bzw. ihrem Abgeordneten im Europäischen Parlament gibt. Das
ist unabänderlich, sodass diese Stimme das besondere
Verhältnis und auch die besondere Legitimität des Europäischen Parlaments ausmacht, die gerade mit dem Vertrag von Lissabon gestärkt wurde. Das ist der Geist von
Art. 14 Abs. 3 des EU-Vertrags, die Direktwahl. Das ist
der Geist des genannten Direktwahlakts und auch der
ersten Direktwahlen von 1979.
Meine große Sorge, wenn Option C durchkäme, Herr
Staatsminister, ist, dass wir damit das Europäische Parlament schwächen. Deswegen haben wir Grüne einen Antrag vorgelegt, der eine Conditio formuliert, die sagt:
nicht mit Option C. Diese Einschätzung wird von unseren grünen Kollegen in allen anderen europäischen Ländern und auch im Europaparlament geteilt. Das heißt,
uns trennen nicht nur nationale Grenzen, sondern auch
Parteigrenzen, wobei ich weiß, dass Sie im Hinterkopf
dieselben Gedanken haben. Aber wenn man denkt, die
Position der Koalition hätte sich gemausert und mit Ihrem Antrag würde ein gelbes oder rotes Licht aufgehen,
dann muss man leider sagen, dass Ihr Antrag eher einer
Figur aus Lukas, der Lokomotivführer gleicht, dem
Herrn Tur Tur.
({0})
Herr Tur Tur ist wie Ihr Antrag und auch wie Ihre Reden
hier: Er sieht groß aus, er kommt groß, stark und furchterregend daher, aber mit jedem Schritt, den man näher
auf ihn zukommt, wird er ein Stück kleiner. Und ganz
am Ende stellt man fest: Auch Herr Tur Tur ist nur ein
Zwerg.
({1})
- Ein Scheinriese. Vielen Dank, Herr Schäfer. - In diesem Zusammenhang muss ich sagen, dass die Koalition
oftmals nur ein Scheinriese ist. Ich füge hinzu: Leider ist
dem so. Ich würde mir wünschen, dass Sie nicht ein
Scheinriese oder Zwerg, sondern riesig und standhaft
wären. Ich spreche Ihnen nicht die richtige Motivation
ab. Aber dass Sie nicht zu den richtigen Schlüssen kommen, das bedauere ich sehr.
Deswegen bitte ich Sie um Zustimmung zu unserem
Antrag. Wir halten die Nachbesetzung der Sitze zum
Europäischen Parlament für notwendig. Wir wollen für
diese den Weg freimachen. Gerade die Spanier, die mit
ihrem erfolgreichen Referendum über die Europäische
Verfassung viel Europamut bewiesen haben, haben diese
Sitze verdient, ohne dass andere inhaltliche Erwägungen, die lobenswert und wichtig sind, als Conditio mit
hineingebracht werden müssen. Aber dennoch ist die
einzige Lösung, um Herrn Tur Tur groß und mächtig zu
machen, sich zu besinnen und dem Grünenantrag zuzustimmen.
Herzlichen Dank.
({2})
Der nächste Redner ist der Kollege Jürgen Hardt für
die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Manchmal ist es ein Privileg, in der Opposition zu sein.
Joschka Fischer hätte Ihnen etwas gehustet, wenn Sie in
der Zeit, als er Außenminister war, einen solchen Antrag
vorgelegt hätten.
({0})
Er hätte nämlich seinen schönen Spaß gehabt, dies seinem französischen Amtskollegen zu erklären.
In der Europapolitik verdrängt häufig das Banale das
Erhabene. So war es auch mit dem Lissabon-Vertrag, ein
epochales Werk, das die Rechte der Bürgerinnen und
Bürger der Europäischen Union und die Rechte des
Europäischen Parlaments massiv gestärkt hat. Dennoch
hat es die Öffentlichkeit kaum zur Kenntnis genommen,
dass er am 1. Dezember letzten Jahres in Kraft getreten
ist. Wenn jüngste Umfragen belegen, dass lediglich ein
Fünftel der Bürgerinnen und Bürger in Deutschland der
Meinung ist, die Europäische Union würde Vorteile für
Deutschland bringen, dann zeigt das, dass wir ein Riesendelta zwischen dem gefühlten und dem tatsächlichen
Europa haben.
Ich darf den Exkurs wagen: Ich habe die leichte Befürchtung, dass wir morgen auch wieder eine Bundestagsdebatte erleben werden, in der das Erhabene durch
das Banale überdeckt und nicht über Europapolitik debattiert, sondern etwas ganz anderes gemacht wird.
({1})
Nun aber zurück zum Thema Lissabon-Vertrag und
Europäisches Parlament.
Die Bedeutung der Europäischen Union für das Leben eines jeden einzelnen Bürgers erfordert, dass wir bei
der Ausgestaltung der Regeln für das Zusammenwirken
in der Union besonderen Wert auf die Einhaltung der Regeln legen. Ein sensibler Punkt ist das Europäische Parlament. Seine Rolle als Vertretung der Bürger in der demokratischen EU ist durch die Weiterentwicklung über
die einzelnen Verträge Schritt für Schritt verstärkt worden. Wie sich das Europäische Parlament zusammensetzt, ist in Art. 14 des Lissabon-Vertrages, wie in den
Verträgen zuvor, eindeutig geregelt. Deswegen ist es erlaubt, dass wir bei der Zusammensetzung des Europäischen Parlaments sorgfältig vorgehen und vielleicht
auch ein bisschen pingelig sind.
Wir unterstützen die Vereinbarung der Regierungskonferenz, dass mit dem Inkrafttreten des Vertrages von
Lissabon die Anzahl der Mandate von zwölf Mitgliedstaaten im Europäischen Parlament jetzt direkt um insgeJürgen Hardt
samt 18 angehoben werden kann. Wir akzeptieren auch,
dass wir als Deutsche ab 2014 drei Sitze weniger haben,
und wir begrüßen es natürlich, dass wir als Deutsche
nicht etwa jetzt drei Sitze abgeben müssen, sondern dass
wir unsere drei Sitze in der laufenden Periode behalten
dürfen.
Wir müssen aber darauf bestehen, dass die jetzige
Aufstockung der Mandate durch andere Länder den gleichen strengen demokratischen Prinzipien unterliegt wie
die Europawahl selbst.
({2})
Das ist auch in allen Mitgliedstaaten möglich: entwe-
der durch die Ableitung aus dem Ergebnis der Europa-
wahl vom Juni 2009 oder aber durch eine entsprechende
Nachwahl von Mitgliedern.
Wir erwarten von der Bundesregierung, dass sie sich
deshalb gegen die Variante c) des Vorschlags der spanischen Präsidentschaft ausspricht. Eine Benennung von
Abgeordneten des Europäischen Parlaments aus den nationalen Parlamenten heraus wäre ein Rückschritt in die
Zeit vor 1979; denn seitdem gibt es die Direktwahl des
Europaparlaments.
Das wäre undemokratisch im politischen Sinne, und
das wäre auch nicht demokratisch im rechtlichen Sinne.
Es würde gegen den Lissabon-Vertrag verstoßen - das ist
hier bereits häufig gesagt worden -, und es würde auch
einen anderen, wie ich finde, wichtigen Grundsatz verletzen; denn das Wahlvolk bei einer nationalen Parlamentswahl ist eben ein anderes als das Wahlvolk bei der
Europawahl.
({3})
Bei der Europawahl werden die Europaabgeordneten
auch von den EU-Bürgern mitgewählt, die in dem jewei-
ligen Gastland ihren Wohnsitz haben - Griechen wählen
also in Deutschland deutsche Europaabgeordnete mit -,
nationale Parlamente werden aber in der Regel lediglich
durch die Staatsbürger des jeweiligen Landes bestimmt.
Es gibt also eine andere Legitimationsgrundlage für die
nationalen Parlamente, als dies beim Europaparlament
der Fall ist.
Auch dies ist ein Umstand - er bestand im Übrigen
vor 1979 und auch 1979 so noch nicht -, der die Regie-
rung veranlassen sollte, auf die Mitgliedstaaten der
Europäischen Union nachhaltig einzuwirken, dass sie
vielleicht doch etwas anderes als das wollen könnten,
was die spanische Präsidentschaft in Variante c) ihres
Vorschlages konkret vorsieht. Wir würden uns sehr wün-
schen, dass es der deutschen Bundesregierung gelingt,
die anderen Mitgliedstaaten, die der Variante c) vielleicht zustimmen wollen, davon abzubringen, das zu tun,
und sie davon zu überzeugen, diesen Weg nicht zu gehen.
In diesem Sinne bitte ich Sie um Zustimmung zu dem
Antrag von CDU/CSU und FDP.
Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
({4})
Nächster Redner ist der Kollege Michael Roth für die
SPD-Fraktion.
({0})
Guten Abend, Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Wir sollten die Debatte heute Abend nicht
alleine dazu nutzen, nur über die Nachbesetzung von Sitzen im Europäischen Parlament zu reden, sondern wir
sollten hier im Bundestag auch noch einmal darüber
nachdenken, welche Rolle der Parlamentarismus in
Europa, in der Europäischen Union eigentlich spielen
sollte; denn machen wir uns nichts vor: Die Kritik, die
nicht wenige von uns heute Morgen in der Süddeutschen
Zeitung sicherlich auch gelesen haben, beinhaltete den
Vorwurf der Entparlamentarisierung in Europa. Ich will
hier nur einen Satz zitieren:
Es muss aber auch darüber geredet werden, wie
man es wieder hinkriegt, dass in Europa nicht das
Geld und die Finanzmärkte das Sagen haben, sondern die Volksvertretungen und die von ihnen gewählten Regierungen.
({0})
Die Behandlung der Frage, welche Rolle die nationalen Parlamente in der Europäischen Union spielen und
welche Rolle wir ihnen zubilligen wollen, würde dem
Deutschen Bundestag sicherlich gut anstehen.
Wir haben in den letzten Jahren in der Debatte über
die europäische Verfassung und den Vertrag von Lissabon mit großer Geschlossenheit für eine Stärkung des
Europäischen Parlamentes gekämpft. Das Europäische
Parlament ist durch den Vertrag von Lissabon stärker geworden. Eine bestimmte Rolle hat der Deutsche Bundestag traditionell für sich in Anspruch genommen: nicht
Konkurrent und auch nicht Ersatzorgan des Europäischen Parlamentes, sondern sein Partner zu sein. Ich rate
nicht nur uns, sondern auch der Bundesregierung, sich
als Sachwalter der Interessen des Europäischen Parlamentes zu verstehen. Nicht zuletzt hat das Europäische
Parlament selbst ein klares Bekenntnis abgegeben, dass
es inakzeptabel wäre, wenn seine Mitglieder nicht direkt
gewählt, sondern von den nationalen Parlamenten entsandt würden.
({1})
Ich meine, dass wir die Rolle des Europäischen Parlamentes als die des zentralen parlamentarischen Organs
in der Europäischen Union zu verstehen haben. Wir können vielleicht assistieren und ergänzen. Wir sollten aber
nicht in die Rolle derjenigen schlüpfen, die anstelle des
Europäischen Parlamentes Entscheidungen zu treffen
haben. Auch das ist einmal diskutiert worden, ich erinnere an die Humboldt-Rede von Joschka Fischer. Er hat
aus einer vermeintlichen Ermangelung an demokratischer Legitimation des Europäischen Parlaments, aus
mangelnder Sichtbarkeit und Präsenz des Europäischen
Parlaments in der europäischen und der nationalen Öffentlichkeit vorgeschlagen, dass eine dritte Kammer ein3920
Michael Roth ({2})
gerichtet wird, die sich aus nationalen Parlamentarierinnen und Parlamentariern zusammensetzt.
Ich bin davon überzeugt, dass wir heute weiter sind.
Auch das ist ein Ergebnis und ein Auftrag des Lissabonner Vertrages: Nationale Parlamente haben sich innerstaatlich stärker an der europäischen Gesetzgebung und
an der Willensbildung in der Europäischen Union zu beteiligen. Diese Rolle ist schwer genug. Wir haben eine
Menge Arbeit vor uns. Wir merken im politischen Alltag
und in der parlamentarischen Praxis, was noch alles auf
uns zukommt.
Wir leiden nicht unter zu wenig Pragmatismus, lieber
Kollege Dörflinger, sondern wir leiden aus meiner Sicht
an einem Mangel an Visionen, an Konzepten und an
Ideen, wie wir den Bürgerinnen und Bürgern verdeutlichen können, dass Parlamente ein wesentlicher Beitrag
dazu sind, eine notwendige Nähe zwischen den Bürgerinnen und Bürgern einerseits und den EU-Institutionen
andererseits herzustellen.
Ich rate zu klaren Beschlussfassungen hier im Parlament. Die SPD-Bundestagsfraktion hat schon zu einem
sehr frühen Zeitpunkt einen Antrag dazu eingebracht.
Ich glaube nicht, dass es die deutsch-französische Partnerschaft beschädigt, wenn wir uns klar und unmissverständlich auf die Position des Europäischen Parlamentes
beziehen und wenn wir uns dort sehen, wohin der Deutsche Bundestag traditionell gehört, nämlich an die Seite
des Europäischen Parlamentes.
Es ist gut, wenn wir heute Abend darüber sprechen,
wie wir den Parlamentarismus in Europa stärken können. Wir können ihn nur dann stärken, wenn wir dem
Bundesverfassungsgericht nicht auf den Leim gehen - es
hat aus meiner Sicht in sehr defätistischer Weise über die
Rolle des Europäischen Parlamentes geurteilt -, sondern
wenn wir Mut machen und deutlich bekennen: Das Europäische Parlament ist auf EU-Ebene das zentrale Organ, um die demokratische Legitimation Europas zu
stärken und zu sichern. In dieser Hinsicht bitte ich Sie
alle um wohlwollende Prüfung unseres Antrages.
Danke schön.
({3})
Nun hat das Wort der Kollege Karl Holmeier für die
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Sehr verehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen
und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren!
Demokratie ist die Notwendigkeit, sich gelegentlich den Ansichten anderer Leute zu beugen.
Dieses Zitat stammt, wie Sie vielleicht wissen, von
Winston Churchill. Die Demokratie ist zweifelsfrei eine
der bedeutendsten Errungenschaften unserer Gesellschaft. Wir sind zu Recht stolz auf sie.
Im Grundsatz sind wir uns alle einig, dass wir ausschließlich demokratisch legitimierte Abgeordnete im
Europäischen Parlament haben möchten. Aufgrund dieser weitgehend gemeinsamen politischen Wertvorstellungen sind sich die heute zur Debatte stehenden Anträge im Wesentlichen ziemlich ähnlich. Die Frage ist
nur - darin unterscheiden sich die Anträge dann doch -:
Wie weit wollen wir als nationales Parlament gehen, um
unsere politischen Wertvorstellungen europaweit durchzusetzen?
Bei der Beantwortung dieser Frage sollte man zwei
zentrale Gesichtspunkte im Hinterkopf behalten:
Erstens. Die Kollegen von der Opposition haben im
Ausschuss mehrfach zu Recht darauf hingewiesen, dass
die Direktwahl zum Europäischen Parlament ein Meilenstein in der europäischen Politik gewesen ist. Wenn das
so ist, dann muss man den direkt gewählten Mitgliedern
dieses Parlaments aber auch zugestehen, dass zuallererst
sie selbst über die zu betreffenden Angelegenheiten entscheiden. Es wäre den direkt gewählten Europaparlamentariern gegenüber eine ziemliche Respektlosigkeit,
wenn wir uns als Abgeordnete eines nationalen Parlaments hinstellen und sagen würden: Es ist uns egal, wie
das Europaparlament diese Angelegenheit sieht; wir
stimmen in jedem Fall gegen eine Vertragsänderung,
wenn die zusätzlichen Abgeordneten aus der Mitte der
nationalen Parlamente bestimmt werden können.
Hierzu muss man wissen: Erstens. Das Europäische
Parlament hat heute Mittag eine Entschließung verabschiedet, in der festgestellt wird, dass die hier in Rede
stehende Option 3 nicht mit dem Geist des Akts von
1976 vereinbar ist. Zweitens. Das Europäische Parlament ist der Auffassung, dass im Falle unüberwindbarer
technischer oder politischer Schwierigkeiten eine indirekte Wahl durch die nationalen Parlamente dennoch akzeptabel ist. Ich finde, wir sollten diese Position des Europäischen Parlaments respektieren.
Ein weiterer Gesichtspunkt, auf den ich hinweisen
möchte, wenn es darum geht, wie weit wir als Bundestagsabgeordnete gehen sollten, um unsere politischen
Wertevorstellungen europaweit durchzusetzen, ist folgender: Mit unserer Entscheidung versuchen wir auch,
darüber zu bestimmen, wie sich ein anderer Mitgliedstaat zu verhalten hat - an dieser Stelle ist Frankreich zu
nennen -, der aufgrund seiner innerstaatlichen Regelungen die umstrittene Variante ins Auge fasst. Wenn wir
diese Option kategorisch ausschließen, maßen wir uns
im Grunde genommen an, die Franzosen darüber zu belehren, wie Demokratie auszusehen hat. Ich denke, an
dieser Stelle sollten wir vorsichtig sein.
({0})
Verstehen Sie mich bitte nicht falsch. Aus demokratischen Gesichtspunkten halte ich eine Benennung der zusätzlichen Europaabgeordneten aus der Mitte der nationalen Parlamente sehr wohl für sehr kritisch. Ich denke aber
auch, dass wir als deutsche Abgeordnete anderen Parlamenten nichts vorschreiben sollten. Stattdessen sollten
wir uns ins Gedächtnis rufen, dass wir mit dem Europaparlament ein eigenständiges Organ in der Europäischen
Union installiert haben, das demokratisch legitimiert ist.
Wir müssen daher akzeptieren, dass dieses eigenständige
Organ eine eigenständige Entscheidung trifft, die nicht
immer hundertprozentig unserer Meinung entspricht.
Ferner widerspricht es dem freundschaftlichen und
respektvollen Umgang mit den anderen Mitgliedstaaten,
wenn wir ihnen vorschreiben, wie sie die zusätzlichen
Mandate nach ihren innerstaatlichen Rechtsvorschriften
vergeben sollen. Dies gilt umso mehr vor dem Hintergrund, dass Deutschland seine derzeitigen Sitze im Europaparlament bis zur nächsten Wahl behält und damit
die im Vertrag vorgesehene Höchstzahl an Sitzen vorübergehend weiterführt.
Ich halte es daher für sinnvoll, dass wir unsere Position - wie im Antrag der CDU/CSU formuliert - klarmachen und sie der Bundesregierung für die Verhandlungen
mit auf den Weg geben. Wir sollten der Bundesregierung
aber auch einen gewissen Handlungsspielraum lassen
und nicht versuchen, unsere Meinung und unsere Wertevorstellungen stur europaweit durchzuboxen. Deshalb
bitte ich Sie recht herzlich, dem Antrag der christlich-liberalen Koalition zuzustimmen.
Vielen Dank.
({1})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen nun zu den Abstimmungen. Es liegt
eine Erklärung zur Abstimmung nach § 31 unserer Ge-
schäftsordnung des Kollegen Thomas Silberhorn vor, die
zu Protokoll gegeben wird.1)
Tagesordnungspunkt 10 a. Abstimmung über die Be-
schlussempfehlung des Ausschusses für die Angelegen-
heiten der Europäischen Union auf Drucksache 17/1460.
Der Ausschuss empfiehlt unter Nr. 1 seiner Beschluss-
empfehlung die Annahme des Antrags der Fraktionen
der CDU/CSU und der FDP auf Drucksache 17/1179 mit
dem Titel „Übergangsmaßnahmen zur Zusammenset-
zung des Europäischen Parlamentes nach Inkrafttreten
des Vertrages von Lissabon - hier: Stellungnahme des
Deutschen Bundestages nach Art. 23 Abs. 3 GG i. V. m.
§ 10 des Gesetzes über die Zusammenarbeit von Bun-
desregierung und Deutschem Bundestag in Angelegen-
heiten der Europäischen Union“. Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? - Wer ist dagegen? - Enthaltun-
gen? - Die Beschlussempfehlung ist damit mit den Stim-
men der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der
Oppositionsfraktionen angenommen.
Wir sind noch bei Tagesordnungspunkt 10 a. Unter
Nr. 2 seiner Beschlussempfehlung empfiehlt der Aus-
schuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion der SPD
auf Drucksache 17/235 mit dem Titel „Vorschlag der spa-
nischen Regierung für die Änderung der Verträge in Be-
zug auf die Übergangsmaßnahmen betreffend die Zusam-
1) Anlage 3
mensetzung des Europäischen Parlaments - Herstellung
des Einvernehmens über die Aufnahme von Verhandlungen über Vertragsänderungen gemäß Artikel 48 EUV“.
Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer ist dagegen? - Enthaltungen? - Auch diese Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen
die Stimmen der Oppositionsfraktionen angenommen.
Tagesordnungspunkt 10 b. Es geht um den Antrag der
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/1417
mit dem Titel „Änderung der Verträge - Übergangsmaßnahmen betreffend die Zusammensetzung des Europäischen Parlaments“. Wer stimmt für diesen Antrag? Wer ist dagegen? - Enthaltungen? - Der Antrag ist mit
den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der Fraktion
Die Linke bei Enthaltung der Fraktion der SPD abgelehnt. Für den Antrag haben die Mitglieder der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen gestimmt.
Tagesordnungspunkt 10 c. Abstimmung über den Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 17/1568 mit
dem Titel „Veränderung der Zusammensetzung des Europäischen Parlaments in der laufenden Wahlperiode“.
Wer stimmt für diesen Antrag? - Wer ist dagegen? Gibt es Enthaltungen? - Der Antrag ist abgelehnt. Dafür
haben die Mitglieder der Fraktion Die Linke gestimmt.
Der Antrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen, der Fraktion der SPD und der Fraktion Bündnis 90/
Die Grünen abgelehnt.
Wir kommen zum Tagesordnungspunkt 11:
Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten
Carsten Schneider ({0}), Joachim Poß, Hubertus
Heil ({1}), weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der SPD
Zu den theoretischen und empirischen Grund-
lagen des Wachstumsbeschleunigungsgesetzes
und der gemäß Koalitionsvertrag beabsichtig-
ten Steuerreform
- Drucksache 17/568 -
Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Reden zu
diesem Tagesordnungspunkt zu Protokoll zu geben. -
Ich sehe, Sie sind damit einverstanden. Es geht um die
Reden folgender Kolleginnen und Kollegen: Olav
Gutting, Klaus Brandner, Bettina Hagedorn, Dr. Daniel
Volk, Dr. Barbara Höll, Dr. Thomas Gambke und des
Parlamentarischen Staatssekretärs Hartmut Koschyk.2)
Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 12 auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ausführungsgesetzes zur Verordnung ({2}) Nr. 1060/
2009 des Europäischen Parlaments und des
Rates vom 16. September 2009 über Ratingagenturen ({3})
- Drucksachen 17/716, 17/984 -
2) Anlage 4
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Finanzausschusses ({4})
- Drucksache 17/1609 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Ralph Brinkhaus
Manfred Zöllmer
Björn Sänger
Hierzu liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen vor. Auch hier wurde interfrak-
tionell vereinbart, dass die Reden zu Protokoll gegeben
werden, und zwar von folgenden Kolleginnen und Kol-
legen: Peter Aumer, Ralph Brinkhaus, Manfred Zöllmer,
Björn Sänger, Dr. Axel Troost und Dr. Gerhard Schick.1)
Damit kommen wir zur Abstimmung über den von der
Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Ausführungsgesetzes zur EU-Ratingverordnung. Der Finanzausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 17/1609, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksachen 17/716 und 17/984 anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer ist dagegen? Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter
Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen bei
Gegenstimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und
der Fraktion Die Linke und bei Enthaltung der SPD-Fraktion angenommen.
Wir kommen zur
dritten Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist mit dem gleichen Stimmenverhältnis wie in der
zweiten Beratung angenommen.
Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf
Drucksache 17/1612. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Wer ist gegen den Entschließungsantrag? Wer enthält sich? - Der Entschließungsantrag ist damit
abgelehnt. Dafür haben die Mitglieder der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen gestimmt. Der Entschließungsantrag ist abgelehnt mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen bei Enthaltung der Fraktion der SPD und der
Fraktion Die Linke.
Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 17 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Arbeit und Soziales
({5})
- zu dem Antrag der Fraktion der SPD
Mehr Chancengleichheit für Jugendliche -
Ferienjobs nicht als regelmäßiges Einkom-
men anrechnen
- zu dem Antrag der Abgeordneten Katja
Kipping, Klaus Ernst, Matthias W. Birkwald,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE
LINKE
1) Anlage 5
Keine Anrechnung von Ferienjobs auf das
Arbeitslosengeld II
- Drucksachen 17/524, 17/76, 17/841 -
Berichterstattung:
Abgeordneter Matthias W. Birkwald
Auch hier wird interfraktionell vorgeschlagen, die
Reden zu Protokoll zu geben. - Auch damit sind Sie,
wie ich sehe, einverstanden. Es sind die Reden folgender
Kolleginnen und Kollegen: Dr. Carsten Linnemann, Paul
Lehrieder, Katja Mast, Pascal Kober, Matthias W.
Birkwald und Markus Kurth.2)
Wir kommen nun zur Beschlussempfehlung des Aus-
schusses für Arbeit und Soziales auf Drucksache 17/841.
Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe a) seiner Be-
schlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Frak-
tion der SPD auf Drucksache 17/524. Wer stimmt für
diese Beschlussempfehlung? - Wer ist dagegen? - Wer
enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist damit ange-
nommen mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen bei
Gegenstimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und
der SPD-Fraktion und bei Enthaltung der Fraktion der
Linken.
Unter Buchstabe b) seiner Beschlussempfehlung
empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der
Fraktion Die Linke auf Drucksache 17/76. Wer stimmt
für diese Beschlussempfehlung? - Wer ist dagegen? Wer enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist angenommen mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen bei
Gegenstimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und
der Fraktion Die Linke und bei Enthaltung der SPDFraktion.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 14 auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung des Rahmenbeschlusses 2005/214/JI des
Rates vom 24. Februar 2005 über die Anwendung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung von Geldstrafen und Geldbußen
- Drucksache 17/1288 Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss ({6})
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Wie bereits in der Tagesordnung ausgewiesen, werden die Reden zu Protokoll gegeben, und zwar von folgenden Kollegen: Ansgar Heveling, Dr. Peter Danckert,
Wolfgang Nešković, Jerzy Montag und Parlamentarischer Staatssekretär Dr. Max Stadler.
Europa ist für uns im alltäglichen Erleben schon viele
Jahre scheinbar grenzenlos. So können wir sorglos von
Land zu Land reisen. Grenzen stellen keine physischen
Hindernisse mehr dar. In vielen europäischen Ländern
bezahlen wir mit der gleichen Währung. Der einheitli-
che Wirtschaftsraum ist bereits seit langem Realität.
2) Anlage 6
Gäbe es keine sprachlichen Unterschiede, würden wir
kaum bemerken, wenn wir uns in einem anderen Land
befinden würden.
Im Alltag nehmen wir dabei ebenso kaum noch wahr,
dass sich die einzelstaatlichen Rechtsordnungen in
Europa in vielen Punkten teilweise deutlich unterscheiden. Selbst auf viele alltägliche Sachverhalte bezogen ist
die Harmonisierung an vielen Stellen jedoch noch nicht
so weit fortgeschritten, dass wir neben dem einheitlichen Wirtschaftsraum auch von einem einheitlichen
Rechtsraum in Europa sprechen könnten. Das gilt bislang etwa für die gegenseitige Anerkennung und Vollstreckung von Geldstrafen und Geldbußen, was insbesondere im Bereich des Straßenverkehrs von Bedeutung
ist. Verkehrsordnungswidrigkeiten und Verkehrsstraftaten, die ein deutscher Autofahrer im Ausland begangen
hat, sind bislang für ihn ohne Folgen, es sei denn, er
wird unmittelbar vor Ort im Ausland „zur Kasse gebeten“. Bis auf Österreich, mit dem es seit 1998 einen entsprechenden Vertrag gibt, existieren keine bilateralen
Vollstreckungshilfeabkommen zwischen der Bundesrepublik und anderen EU-Staaten, und das EU-Strafvollstreckungsabkommen von 1991 wurde lediglich von den
Niederlanden, Spanien und Deutschland ratifiziert. Dieses Abkommen betrifft aber etwa Verkehrsordnungswidrigkeiten nicht.
Bislang fehlte es also an einem einheitlichen Instrumentarium für eine effektive Vollstreckung von Geldsanktionen im europäischen Raum, da alle bisher bestehenden Abkommen keine Verpflichtung zur Vollstreckung
enthalten.
Auf Initiative von Frankreich, Schweden und Großbritannien wurde im Jahr 2001 ein Rahmenbeschluss
über die gegenseitige Anerkennung von Geldstrafen und
Geldbußen eingebracht und am 24. Februar 2005 vom
EU-Rat beschlossen. Er orientiert sich dabei an vorangegangenen Rahmenbeschlüssen zur Anwendung des
Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung. Der nun
vorliegende und hier zu beratende Gesetzentwurf dient
damit der nationalstaatlichen Umsetzung des Rahmenbeschlusses. Bis zum Beginn des Jahres 2011 müssen
alle beteiligten europäischen Staaten den Rahmenbeschluss zur Umsetzung gebracht haben.
Die Umsetzung zieht vor allem im Hinblick auf
Geldsanktionen, die in anderen Mitgliedstaaten verhängt wurden und in Deutschland vollstreckt werden
sollen, einen erheblichen Bedarf an Änderungen im IRG
nach sich.
Auf der einen Seite sollen in anderen Mitgliedstaaten
verhängte Geldstrafen und Geldbußen grundsätzlich anerkannt und in einem auch für hohe Fallzahlen möglichst praktikablen Verfahren vollstreckt werden. Auf der
anderen Seite ist der Gesetzgeber gehalten, die Umsetzungsspielräume, die der Rahmenbeschluss den Mitgliedstaaten belässt, in einer grundrechtsschonenden
Weise auszufüllen. Dem Spannungsverhältnis zwischen
Rahmenbeschluss adäquater Praktikabilität und grundrechtsschonender Ausgestaltung von Umsetzungsspielräumen sollen vor allem die folgenden Weichenstellungen im Umsetzungsgesetz Rechnung tragen:
Erstens. Das aufwendige, auch für Geldstrafen und
Geldbußen ohne Berücksichtigung der Höhe der Sanktion geltende Exequaturverfahren von § 48 ff. IRG wird
im Anwendungsbereich des Rahmenbeschlusses abgelöst und durch eine behördliche Entscheidung ersetzt.
Zweitens. Die nach dem Rahmenbeschluss zulässigen
Verweigerungsgründe werden ganz überwiegend als
zwingende Zulässigkeitshindernisse ausgestaltet.
Drittens. Gegen eine behördliche Bewilligungsentscheidung, die in einem ersten Verfahrensabschnitt ergeht, ist der Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten
eröffnet. Festgelegt wird eine Zuständigkeit der Amtsgerichte. Als Rechtsmittel ist die Rechtsbeschwerde statthaft.
Viertens. Dem am 1. Januar 2007 als zentrale Dienstleistungsbehörde errichteten Bundesamt für Justiz wird
als weitere Aufgabe eine zentrale Zuständigkeit als Bewilligungsbehörde und, soweit kein Gericht befasst
wurde, als Vollstreckungsbehörde im Bereich eingehender Ersuchen sowie als Bewilligungsbehörde im Bereich
ausgehender Ersuchen übertragen.
Fünftens. Eine gerichtliche Entscheidung ergeht
zwingend, wenn die Entscheidung des anderen Mitgliedstaates unter eine im Umsetzungsgesetz festgelegte Fallgruppe fällt, zum Beispiel eine Entscheidung gegen einen Jugendlichen oder gegen eine juristische Person.
Und sechstens. Effektiver richterlicher Rechtsschutz
im Inland wird durchgängig bei allen Geldsanktionen
gewährt. Der Weg zu den Gerichten wird nicht abhängig
gemacht von Differenzierungen nach der Art der Sanktion oder nach der Stelle, die sie verhängt hat.
Das Umsetzungsgesetz dient damit einerseits der notwendigen Harmonisierung, ohne gleichzeitig andererseits aus dem Blick zu lassen, dass die Unterschiedlichkeit der einzelnen Rechtsordnungen es naturgemäß
erschwert, voneinander abweichende Instrumente einheitlich unter dem Blickwinkel effektiven Rechtsschutzes
zu beurteilen. So wird dem Gedanken des einheitlichen
Rechtsraums Europa in ausreichender Weise Rechnung
getragen und gleichzeitig den unserem Rechtsverständnis nach notwendigen Anforderungen an einen effektiven Rechtsschutz Genüge getan.
Nach den Rahmenbeschlüssen zum Europäischen
Haftbefehl, zur Sicherstellung von Beweismitteln und
zur Anerkennung von Einziehungsentscheidungen ist
dies das vierte Rechtsinstrument, das auf dem Grundsatz
der gegenseitigen Anerkennung strafrechtlicher Entscheidungen beruht. Durch das Umsetzungsgesetz bewegen wir uns damit einen Schritt weiter auf dem Weg, aus
Europa nicht nur einen einheitlichen Wirtschafts- und
Freiheitsraum, sondern auch einen einheitlichen
Rechtsraum zu schaffen.
Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf soll endlich der
Rahmenbeschluss des Rates vom 24. Februar 2005 über
die Anwendung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung von Geldstrafen und Geldbußen in das natioZu Protokoll gegebene Reden
nale Recht umgesetzt werden. Durch den Rahmenbeschluss, an dem schon die rot-grüne Regierung der
15. Wahlperiode „mitverhandelt“ hat, werden alle in einem EU-Mitgliedstaat verhängten Geldstrafen und
Geldbußen bei allen Formen von Straftaten und Ordnungswidrigkeiten grundsätzlich gegenseitig anerkannt
und ab einem Betrag von 70 Euro - § 87 b Abs. 3 Nr. 2
IRG-E - europaweit vollstreckt. Zwar ist aus deutscher
Sicht eine Vollstreckung von Geldsanktionen bereits
nach den herkömmlichen Vorschriften über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen möglich, allerdings
traten hier oft Schwierigkeiten in der praktischen Umsetzung vor allem bei Massenverfahren auf. Durch den
nun umzusetzenden Rahmenbeschluss sollen bisherige
Hindernisse bei der grenzüberschreitenden Vollstreckung von Geldsanktionen behoben und wesentliche Erleichterungen erreicht werden. Der vorliegende Gesetzentwurf knüpft dabei an unsere Vorarbeiten in der
16. Wahlperiode an. Damit wird der Weg zur Schaffung
eines einheitlichen Rechtsraumes in Europa kontinuierlich fortgesetzt.
In einem Europa der offenen Grenzen darf eine effektive Strafverfolgung nicht an den nationalen Grenzen
der Mitgliedstaaten enden. Das betrifft beispielsweise
auch die grenzüberschreitende Verfolgung von Verkehrssündern. Autofahrer, die sich auf Straßen anderer EUStaaten vorschriftswidrig verhalten, können nicht mehr
darauf vertrauen, dass ein Strafzettel praktisch folgenlos bleibt. Das betrifft zum einen deutsche Autofahrer im
EU-Ausland, aber auch Autos mit ausländischem Kennzeichen, die auf Deutschlands Straßen unterwegs sind.
Als eines der wichtigsten Ziel- und Transitländer des europäischen Kontinents, geht es hier auch darum, ausländische Verkehrsteilnehmer zur Einhaltung der Verkehrsregeln zu bewegen. Und das funktioniert eben nur, wenn
die Einhaltung dieser Regeln auch kontrolliert wird und
Verstöße gegebenenfalls auch geahndet und anschließend auch vollstreckt werden. Zwar gab es in der Vergangenheit wenig Begeisterung der Autofahrer für den
auch als „Knöllchenbeschluss“ bekannt gewordenen
Rahmenbeschluss und dessen Umsetzung. Letztendlich
geht es aber darum, die Gefahren auf unseren Straßen zu
reduzieren und die Sicherheit zu erhöhen, was schließlich jedem Autofahrer am Herzen liegen sollte und zugutekommt.
Die Umsetzung des Rahmenbeschlusses bezieht sich
aber nicht nur auf Verkehrsdelikte. Er enthält eine Liste
von 39 Straftaten und Verwaltungsübertretungen
- § 87 b Abs. 1 Satz 2 IRG-E - bei denen die beiderseitige Sanktionierbarkeit seitens des Vollstreckungsstaates
nicht zu prüfen ist. Geldstrafen und Geldbußen werden
unter anderem bei folgenden Straftaten und Verstößen
auferlegt: Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung,
Terrorismus, Menschenhandel, Waffenschmuggel, Betrug, Handel mit gestohlenen Kraftfahrzeugen, Vergewaltigung, Korruption, Cyberkriminalität, Rassismus
und Fremdenfeindlichkeit, Flugzeug-/Schiffsentführung,
Warenschmuggel.
Mit der Vereinfachung des Verfahrens zur Vollstreckung von Bußgeldern und Geldstrafen kann somit eine
effektivere und effizientere Strafverfolgung erfolgen.
Diese wird weiterhin dadurch erleichtert, dass die Entscheidung über die Zahlung einer Geldstrafe oder Geldbuße auf einer Bescheinigung in der Amtssprache des
Vollstreckungsstaates auszustellen ist. Kommunikationsprobleme und Übersetzungsfehler dürfen kein Hindernis
bei der Verfolgung von Rechtsverstößen sein.
Der Heimatstaat eines Betroffenen kann die grenzüberschreitende Vollstreckung verweigern, wenn die ausländische Entscheidung in einem Verfahren ergangen
ist, das Grundrechte oder rechtsstaatliche Prinzipien
verletzt. Diese Überprüfungsmöglichkeit eines ausländischen Vollstreckungstitels im Rahmenbeschluss ist von
der damaligen rot-grünen Bundesregierung erfolgreich
durchgesetzt worden, sie bleibt eine unverzichtbare Voraussetzung.
Im Bundesrat wird der Gesetzentwurf von den Ländern in zwei Punkten kritisiert. Zum einen wird die im
Entwurf vorgesehene Konzentration von Verordnungsermächtigungen auf das Bundesamt für Justiz abgelehnt. Die Regelung ermögliche dem Bund, den elektronischen Rechtsverkehr und die entsprechende Aktenführung auch insoweit einzuführen, als Landesjustizbehörden betroffen seien. Wie bei der Prozessordnung
müsse eine solche Entscheidung jedoch den Ländern
vorbehalten sein. Hier muss das weitere Vorgehen geprüft werden und gegebenenfalls Änderungen erfolgen.
Zum anderen kritisieren die Länder, dass der Erlös aus
einer Vollstreckung allein dem Bund zustehen soll. Deshalb soll, laut Vorschlag der Länder, eine Regelung getroffen werden, wonach der Vollstreckungserlös je zur
Hälfte dem Bund und den Ländern zufließe, da diese einen erheblichen Teil des Verwaltungsaufwandes leisten
müssten. Die Bundesregierung lehnt das mit der Begründung, dass der Bund die Hauptlast trage, ab. Nach
Auffassung unserer Fraktion, die dem Gesetzentwurf im
Übrigen zustimmt, sollte der Vollstreckungserlös zu zwei
Dritteln dem Bund und zu einem Drittel den jeweiligen
Bundesländern zufließen. Ich sagte schon, wir werden
dem Gesetz zustimmen. Noch in dieser Legislaturperiode erwarten wir einen Bericht über die Umsetzung
dieses Gesetzes.
Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf will die Bundesregierung einen Rahmenbeschluss über die Anwendung
des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung von
Geldstrafen und Geldbußen umsetzen. Sie hat sich mit
dieser Umsetzung nach Ablauf der Umsetzungsfrist drei
Jahre Zeit gelassen. Das ist kein Grund zur Kritik. Sie
hätte sich noch viel mehr Zeit nehmen sollen, am besten
bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag.
Das Vorhaben ist erheblichen verfassungsrechtlichen
Bedenken ausgesetzt. Es widerspricht den Prinzipien
von Rechtstaatlichkeit und Demokratie, die in Art. 20
der Verfassung genannt werden. Es widerspricht damit
Prinzipien, die der Ewigkeitsgarantie des Art. 79 Abs. 3
des Grundgesetzes unterfallen, weil sie gegen alle Änderungen der Nachgeborenen vor Veränderungen geschützt
sind.
Zu Protokoll gegebene Reden
Wolfgang Neškoviæ
Sie kennen die Lissabon-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts. Danach kann es unter der Geltung
des Grundgesetzes keine Vereinigten Staaten von Europa
geben. Deshalb verbleiben auch die Kernbefugnisse eines
Europäischen Staates bei den Mitgliedstaaten.
Dazu gehört auch das Strafrecht. Ein europäisches
Strafrecht kann es danach nur nach zwei Möglichkeiten
geben, die beide völlig außer Blick- und Reichweite liegen:
Erstens. Wir geben uns eine neue gesamtdeutsche
Verfassung, die eine weitergehende Übertragung von
Hoheitsbefugnissen auf die EU gestattet. Doch vor einer
gesamtdeutschen Verfassung fürchtet sich die Mehrheit
dieses Hauses seit der Wiedervereinigung. Sie fürchtet
den progressiven Gehalt dieser Verfassung.
Zweitens. Alle Staaten der EU würden die an den
Grundrechten orientierten Kernelemente und Grundideen
unseres Straf- und Strafprozessrechtes übernehmen.
Durch den hier in Rede stehenden Rahmenbeschluss und
seine Umsetzung wird aber - wie schon beim Europäischen Haftbefehl - europäisches Strafrecht durch die
Hintertür eingeführt.
Es spielt aber keine Rolle, ob Sie einen grundgesetzwidrigen Bereich nun durch die Hintertür oder durch die
Vordertür betreten. Als Gesetzgeber des Grundgesetzes ist
Ihnen der Zutritt gleichermaßen untersagt - zumindest
solange die sehr unterschiedlichen Rechtsstandards der
Mitgliedstaaten im Straf- und Ordnungswidrigkeitenrecht nicht im Sinne des bundesdeutschen Grundrechtsschutzes angeglichen worden sind.
Nach dem Gesetzentwurf sollen Geldstrafen und
Geldbußen, die in einem anderen Mitgliedstaat verhängt
wurden, in der Bundesrepublik wesentlich leichter als
bisher vollstreckt werden. Diese Vollstreckung ist bereits
nach dem geltenden Recht möglich. Das Gesetz über die
internationale Rechtshilfe in Strafsachen beinhaltet aus
gutem Grund hohe rechtsstaatliche Hürden. Diese Hürden schützen die Bundesbürger vor unangemessenen
Strafandrohungen und vor der Verfolgung wegen nicht
nachvollziehbarer Tatbestände.
Diesen unverzichtbaren Schutz will der Entwurf entfallen lassen. Stattdessen soll er innerhalb der EU durch das
System der gegenseitigen Anerkennung ersetzt werden. Es
soll ein Prinzip, das für Produkte und Dienstleistung
entwickelt wurde, auf die Strafverfolgung von Menschen
Anwendung finden. Im Wirtschafsrecht sollte es die - wirtschaftliche - Freiheit der Bürgerinnen und Bürger erweitern. Im Strafrecht soll es nun als Instrument eingesetzt
werden, um so den europaweiten Import von Unfreiheiten
in die Bundesrepublik zu ermöglichen.
Nicht Freiheitsrechte werden also anerkannt, sondern
die Befugnis zur Beschränkung der grundrechtlichen
Freiheiten. Der Rahmenbeschluss ordnet also die Verkehrsfähigkeit und die damit mögliche Durchsetzung
von Unfreiheiten an. Mit dem Prinzip der gegenseitigen
Anerkennung werden die sehr unterschiedlichen Rechtsstandards und Rechtsgrundsätze in Strafverfahren in den
europäischen Mitgliedstaaten als gleichwertig behandelt,
obwohl die Anforderungen - etwa an Beweisverfahren,
Beweiserhebungen und Beweisverwertungen - sehr unterschiedlich sind.
Unterschiedlich sind auch die Straftatbestände. Es
bestehen in Europa erhebliche Unterschiede bei der Beurteilung der Frage, welches Verhalten überhaupt als
strafwürdig zu erachten ist. Nach dem Willen der Entwurfsverfasser soll in 37 sehr unbestimmt formulierten
Deliktsgruppen bei der Vollstreckung von Geldsanktionen
auf die Prüfung der beiderseitigen Sanktionierbarkeit
verzichtet werden. Doch diese Deliktsgruppen reichen
von schweren Straftaten, wie zum Beispiel Terrorismus,
Menschenhandel, Vergewaltigung und Flugzeugentführung, bis zu einfachen Verkehrsdelikten. In dem Katalog der
Deliktsgruppen auftauchende Schlagworte wie „Cyberkriminalität“, „Fremdenfeindlichkeit“ und „Sabotage“
sind - mangels hinreichender Bestimmtheit - allenfalls
Karikaturen einer rechtsstaatlichen Regelung. Die Anerkennung und Vollstreckung einer strafrechtlichen Entscheidung eines anderen Mitgliedstaates kann dabei
auch zur Folge haben, dass die Bundesrepublik Delikte
anerkennt, die sie in der eigenen Rechtsordnung nicht
kennt, die ihr Parlament bewusst nicht für strafwürdig
befand.
Das ist undemokratisch. Denn der Grundrechtseingriff eines Staates gegenüber seinen Bürgerinnen und
Bürgern kann nicht auf der Grundlage des Rechts eines
anderen Staates vorgenommen werden. Es ist zumindest
auf dem Gebiet des Strafrechts eine unverzichtbare
Bedingung der Demokratie, dass die Bürgerinnen und
Bürger nur solchen Eingriffen in ihre Freiheit ausgesetzt
sind, auf deren Regelung sie durch parlamentarische
Rechtsetzung Einfluss nehmen konnten. Das erkennt
auch das Bundesverfassungsgericht an, wenn es in seiner Lissabon-Entscheidung ausführt: „Das Strafrecht in
seinem Kernbestand dient nicht als rechtstechnisches
Instrument zur Effektuierung einer internationalen Zusammenarbeit, sondern steht für die besonders sensible
demokratische Entscheidung über das rechtsethische
Minimum.“
Die gegenseitige Anerkennung ohne die Prüfung der
beiderseitigen Strafbarkeit kann aber auch in der Praxis
zu ganz absurden Ergebnissen führen. Der Gesetzentwurf sieht vor - im Ansatz ist dem durchaus zuzustimmen -, dass eine in einem anderen Mitgliedstaat gegen
einen Jugendlichen verhängte Geldstrafe in eine Sanktion nach den Vorgaben des Jugendgerichtsgesetzes umzuwandeln ist. Das ist richtig, weil das am Erziehungsgedanken orientierte Jugendstrafrecht die Verhängung
einer Geldstrafe gar nicht kennt. Wenn der Jugendliche
in einem anderen Mitgliedstaat jedoch wegen eines Verhaltens verurteilt wurde, das die hiesige Rechtsordnung
schon nicht als in irgendeiner Form sanktionswürdig
betrachtet, dann steht der Jugendrichter vor einem unlösbaren Problem. Er soll mit den Mitteln des Jugendgerichtsgesetzes erzieherisch auf den Jugendlichen einwirken.
Aus bundesdeutscher Sicht gibt es jedoch überhaupt
nichts zu erziehen. Es gibt nur etwas zu lassen - am besten
gleich den gesamten Entwurf zur Umsetzung des Rahmenbeschlusses, der solche Widersinnigkeit ermöglicht.
Zu Protokoll gegebene Reden
Wolfgang Neškoviæ
Es droht Ihnen also nicht einmal Ungemach, wenn Sie
auf den Bänken der Regierungsfraktion zur Abwechslung
einmal Rückgrat zeigen würden. Das Bundesverfassungsgericht hat Ihnen in seiner Entscheidung zum Europäischen Haftbefehl gleichsam einen Freibrief ausgestellt.
Nie brauchte man so wenig Mut, um so viel Sinnvolles
für die Bundesrepublik und die Freiheit ihrer Bürger zu
stiften.
Die „Segelanweisung“ des Bundesverfassungsgerichts lautet: Das Europäische Parlament, eigenständige
Legitimationsquelle des europäischen Rechts, wird in
dem Rechtssetzungsprozess lediglich angehört ({0}), was im Bereich der „dritten Säule“
den Anforderungen des Demokratieprinzips entspricht,
weil die mitgliedschaftlichen Legislativorgane die politische Gestaltungsmacht im Rahmen der Umsetzung,
notfalls auch durch Verweigerung der Umsetzung, behalten. - Das heißt, Sie können die Umsetzung auch
schlicht verweigern. Sie haben also eine demokratische
Pflicht, die Zweckmäßigkeit und Rechtmäßigkeit eines
Rahmenbeschlusses selbst zu prüfen, und sind dann auch
in der Lage, seine Umsetzung zu verweigern. Kommen Sie
dieser Pflicht also nach! Dafür sind Sie alle gewählt
worden.
Fünf Jahre hat es gedauert, bis die Europäische
Union ihre Vorstellung, die Vollstreckung von Geldstrafen und Geldbußen in den Mitgliedstaaten zu ermöglichen und zu vereinfachen, realisiert hat. Vom 15. Januar
2001 stammt das Maßnahmenprogramm des Rates zur
Umsetzung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung gerichtlicher Entscheidungen, in dem der
Anwendung dieses Grundsatzes auf Geldstrafen und
Geldbußen Vorrang eingeräumt wurde. Und erst am
24. Februar 2005 hat der Rat der EU den entsprechenden Rahmenbeschluss angenommen.
Ich will deshalb nicht kritisieren, dass auch die Bundesregierung fünf Jahre gebraucht hat, um ein entsprechendes Umsetzungsgesetz vorzulegen. Aber wir müssen
uns mit der Tatsache auseinandersetzen, dass die Kommission in ihrem neuesten Aktionsplan schon für 2011
erneut einen Legislativvorschlag zur gegenseitigen Anerkennung von Geldstrafen und Geldbußen einschließlich Geldbußen für Straßenverkehrsdelikte angekündigt
hat ({0}). Es würde wenig Sinn machen, wenn wir uns an die Umsetzung eines Rahmensbeschlusses machen würden, der absehbar durch neue
europäische Vorgaben ersetzt werden soll.
Aber zurück zum heutigen Gesetzentwurf der Bundesregierung: Für die Bürgerinnen und Bürger wird sich
nach der Verabschiedung dieses Gesetzes wegen der
Anzahl der Betroffenen Entscheidendes ändern. Die bisherigen Rahmenbeschlüsse - so der Europäische Haftbefehl, die Beweisanordnung und Anerkennung von
Einziehungen - betrafen Strafverfahren und Freiheitsentziehungen.
Jetzt werden ungleich mehr Menschen betroffen sein.
Bei uns in Deutschland kam es 2006 zu 124 694 Freiheitsstrafen, aber zu 520 791 Geldstrafen. Geldbußen
übertreffen diese Zahlen um ein Vielfaches. Von den
14 309 durch die Amtsgerichte im Jahr 2008 verhängten
Geldbußen war der größte Anteil im Straßenverkehr
({1}). Bereits aus dem Verhältnis dieser Zahlen lässt
sich ermessen, welche praktische Bedeutung das Gesetz
zur Umsetzung des Rahmenbeschlusses über die Anwendung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung
von Geldstrafen und Geldbußen haben wird. Umso
wichtiger ist es, dass sich der Bundestag - ohne sich dafür fünf weitere Jahre Zeit zu lassen - intensiv mit den
Folgen der neuen Regelungen für die Bürgerinnen und
Bürger befasst.
Leider hat sich auch beim umzusetzenden Rahmenbeschluss die wohl so bald nicht umkehrbare Vorgehensweise durchgesetzt, weitgehend auf die Anforderung
gegenseitiger Strafbarkeit zu verzichten. Es sind eben
nicht, wie aber im Regierungsentwurf ausgeführt,
„39 Straftaten“, bei denen auf gegenseitige Strafbarkeit
verzichtet wird. Es sind 39 Deliktsgruppen, deren zum
Teil unpräzise und amorphe Beschreibung hart am Rand
des Bestimmtheitsgebots verläuft. Das ist Anlass genug,
zum wiederholten Male die Präzisierung dieser sogenannten Listendelikte auf europäischer Ebene zu fordern.
Der Gesetzentwurf sieht klare Regelungen zum gerichtlichen Rechtsschutz vor. Das begrüßen wir ausdrücklich. Ob es aber bei der Unanfechtbarkeit der
möglichen gerichtlichen Verwerfung eines Einspruchs
bleiben muss, will ich infrage stellen.
Gut und richtig ist auch, dass eine Umwandlung von
Geldstrafen und Geldbußen in Ersatzfreiheitsentzug
oder andere Ersatzstrafen nicht vorgesehen ist. Der
Rahmenbeschluss sieht vor, von einer Vollstreckung abzusehen, wenn die betroffene Person im ausländischen
Verfahren nicht einwenden konnte, für die Handlung
nicht verantwortlich zu sein. Es geht um nichts weniger
als um die Halterhaftung, die wir aus guten Gründen bei
Verkehrsverstößen im fließenden Verkehr nicht kennen.
Der Gesetzentwurf macht hier von der gewährten
Vollstreckungsverweigerung Gebrauch. So weit, so gut.
Aber es ist nicht einzusehen, warum dabei nicht zum
Mittel eines zwingenden Zulässigkeitshindernisses gegriffen wurde, sondern nur zu einem Bewilligungshindernis in Form einer Ermessensentscheidung. Ich halte
dies für mit dem Schuldprinzip des deutschen Strafrechts
nicht vereinbar und darf an die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 30. Juni 2009 zum Vertrag
von Lissabon erinnern. Darin heißt es - ich zitiere aus
Randnummer 364 -: „Das Schuldprinzip gehört zu der
wegen Art. 79 Abs. 3 GG unverfügbaren Verfassungsidentität, die auch vor Eingriffen durch die supranational ausgeübte öffentliche Gewalt geschützt ist.“
Auf das Urteil nimmt auch die Gesetzesbegründung
Bezug. Umso unverständlicher ist es, dass § 87 d Abs. 2
des Gesetzentwurfs nur regelt, dass die Bewilligung eines Ersuchens um Vollstreckung vom zuständigen Bundesamt für Justiz abgelehnt werden „kann“, wenn die
betroffene Person in dem ausländischen Verfahren keine
Gelegenheit zu dem Einwand hatte, für die Handlung
nicht verantwortlich zu sein, und auch nur dann, wenn
Zu Protokoll gegebene Reden
sie dies gegenüber dem Bundesamt ausdrücklich „geltend macht“. Meines Erachtens wird das dem Gehalt des
Bundesverfassungsgerichtsurteils nicht gerecht.
Außerdem sollten wir noch über die Stichtagsregelung für die Anwendbarkeit des Gesetzes diskutieren.
Hier erscheint es mir aus Vertrauensschutzerwägungen
plausibel, auf den Zeitpunkt der Tatbegehung oder jedenfalls einen früheren Zeitpunkt, als im Regierungsentwurf vorgesehen, abzustellen. Der Regierungsentwurf
macht dagegen die Rechtskraft einer gerichtlichen Entscheidung zum maßgeblichen Zeitpunkt. Bei behördlichen Entscheidungen ist es das Datum der Entscheidung, die dann allerdings noch nicht bestandskräftig
sein muss. Hierüber kann man reden, aber allein die
längst abgelaufene Umsetzungsfrist sollte jedenfalls
nicht das entscheidende Argument sein.
Von diesen Kritikpunkten abgesehen will ich aber
ausdrücklich festhalten, dass wir das Ende der Schonfrist für Verkehrssünder - ein wesentlicher Anwendungsbereich des Gesetzes in der Praxis wird ja die Vollstreckung von Strafzetteln über 70 Euro aus dem Ausland
und die effektivere Sanktionierung von Verkehrsverstößen im Urlaubs- und Transitverkehr durch Deutschland
sein - sehr begrüßen.
Die Bundesregierung hat den Entwurf eines Gesetzes
zur Umsetzung des Rahmenbeschlusses des Europäischen Rates vom 24. Februar 2005 zur EU-weiten Vollstreckung von Geldstrafen und Geldbußen vorgelegt.
Dieser Rahmenbeschluss ist nach den Rahmenbeschlüssen über den Europäischen Haftbefehl, die Sicherstellung von Beweismitteln und die Anerkennung von Einziehungsentscheidungen das vierte auf dem Grundsatz
der gegenseitigen Anerkennung beruhende europäische
Rechtsinstrument, dessen Umsetzung in innerstaatliches
Recht nun ansteht.
Der Rahmenbeschluss zur Vollstreckung von Geldsanktionen stellt einen wichtigen Baustein für die internationale Zusammenarbeit in Strafsachen dar.
Er legt die grundsätzliche Verpflichtung der Mitgliedstaaten fest, eine in einem anderen Mitgliedstaat rechtskräftig verhängte Geldstrafe oder Geldbuße anzuerkennen und zu vollstrecken, ohne die materielle Richtigkeit
der zu vollstreckenden Entscheidung nochmals zu prüfen. Dies ist der Grundgedanke des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung justizieller Entscheidungen.
Weiterhin enthält der Rahmenbeschluss eine Liste von
Delikten, bei deren Vorliegen das Erfordernis der beiderseitigen Strafbarkeit vom Vollstreckungsstaat nicht
mehr zu überprüfen ist.
Aktuell sind bereits in 18 EU-Mitgliedstaaten entsprechende Umsetzungsgesetze in Kraft. Dazu gehören
alle unsere Nachbarstaaten, ausgenommen Belgien.
Aus Sicht der Bundesregierung hat der europäische
Gesetzgeber mit diesem Rahmenbeschluss ein sehr
wichtiges Instrument geschaffen, um in einem Europa
ohne Grenzen gleichsam rechtsfreie Räume zu verhindern. Denn bislang ist es so, dass wir zwar über vielfältige Instrumente der strafrechtlichen Zusammenarbeit
bei der Bekämpfung von schwerer Kriminalität und
Terrorismus verfügen. Aber was fehlte, war die Möglichkeit, bei kleineren Delikten und Vergehen, die nur mit
einer Geldsanktion zu ahnden sind, dem innerstaatlichen Recht effektiv zur Durchsetzung zu verhelfen, wenn
der Täter seinen Wohnsitz nicht in Deutschland hat.
Gerade für Deutschland ist dies besonders wichtig.
Schließlich leben wir in einem Staat, der in der Mitte
Europas liegt und durch den täglich Hunderttausende
Menschen reisen, die meisten aus den Mitgliedstaaten
der Europäischen Union. Künftig werden sowohl Geldbußen für Verkehrsverstöße als auch Geldstrafen für
strafrechtliche Delikte tatsächlich vollstreckt werden.
Das bringt uns einem europäischen Raum der Freiheit,
der Sicherheit und des Rechts ein gutes Stück näher.
Allerdings muss das Prinzip der Gegenseitigkeit eingehalten werden. Aber - und das ist wichtig -: Die Anerkennung ausländischer Sanktionen darf nicht um
jeden Preis erfolgen. Es besteht auch ein Anspruch der
Bürgerinnen und Bürger auf Rechtsklarheit und Rechtssicherheit. Unser Augenmerk lag deshalb von Anfang an
darauf, sicherzustellen, dass bei der Umsetzung des
Rahmenbeschlusses die Rechte unserer Bürgerinnen und
Bürger gewahrt bleiben. Das heißt konkret: Wir dürfen
uns nicht an der Vollstreckung von ausländischen Geldbußen und Geldstrafen beteiligen, die unter Missachtung elementarer rechtsstaatlicher Grundsätze zustande
gekommen sind.
Selbstverständlich haben wir großes Vertrauen in die
Rechtssysteme unserer europäischen Partner. Wir gehen
deshalb davon aus, dass in der weit überwiegenden Anzahl der Fälle die Grundrechte der Betroffenen gewahrt
werden. Gleichwohl haben wir in Deutschland - in
Übereinstimmung mit den Vorgaben des Rahmenbeschlusses - dafür gesorgt, dass in den Fällen, in denen
dieses Vertrauen einmal nicht gerechtfertigt ist, eine
Vollstreckung durch deutsche Behörden nicht in Betracht kommt.
Hier gibt es im Wesentlichen zwei Schwerpunkte:
Erstens. Die Betroffenen dürfen darauf vertrauen,
sich gegen eine zu Unrecht ergangene ausländische
Sanktion zur Wehr setzen zu können. Dieses Vertrauen
müssen wir schützen. Dazu gehört die Gewährung rechtlichen Gehörs ebenso wie die Möglichkeit, sich gegen
eine ausländische Geldsanktion verteidigen zu können.
Zweitens. Elementare Grundsätze des Schuldprinzips
dürfen nicht infrage gestellt werden.
Der von der Bundesregierung vorgelegte Gesetzentwurf wird diesen Anforderungen vollständig gerecht.
Wir sind überzeugt, damit eine stabile Balance zwischen
der Notwendigkeit einer erleichterten Strafverfolgung
innerhalb eines Europas der offenen Grenzen einerseits
und dem angemessenen Schutz vor rechtsstaatlich fraglicher Verfolgung unserer Bürger andererseits gefunden
zu haben.
Zu Protokoll gegebene Reden
Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 17/1288 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie
damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann sind die
Überweisungen so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 19 sowie den Zusatzpunkt 4 auf:
19 Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulla
Jelpke, Jan Korte, Sevim Dağdelen, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE
In historischer Verantwortung - Für ein Bleiberecht der Roma aus dem Kosovo
- Drucksache 17/784 Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss ({0})
Auswärtiger Ausschuss
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
ZP 4 Beratung des Antrags der Abgeordneten Josef
Philip Winkler, Volker Beck ({1}), Memet Kilic,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Keine Zwangsrückführungen von Minderheitenangehörigen in das Kosovo
- Drucksache 17/1569 Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss ({2})
Auswärtiger Ausschuss
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Auch hier wurde bereits in der Tagesordnung ausgewiesen, dass die Reden folgender Kolleginnen und Kollegen zu Protokoll gegeben werden: Stephan Mayer
({3}), Rüdiger Veit, Jimmy Schulz, Ulla Jelpke und
Josef Philip Winkler.
Die Anträge der Linken und von Bündnis 90/Die Grünen verkennen nicht nur die rechtlichen Grundsätze im
deutschen Aufenthaltsrecht, sondern sie sind auch
realitätsfern. Das Rückübernahmeabkommen zwischen
der Bundesrepublik Deutschland und der Republik
Kosovo ist am 14. April 2010 durch den Bundesinnenminister und seinen kosovarischen Amtskollegen unterzeichnet worden und mittlerweile im Bundesgesetzblatt
veröffentlicht worden. Es enthält die auch in anderen
etwa von der EU mit Drittstaaten geschlossenen Rückübernahmeabkommen, üblichen Komponenten der Rückübernahme eigener Staatsangehöriger, der Übernahme
Drittstaatsangehöriger und Staatenloser sowie Regelungen zur Durchbeförderung von Personen. Somit handelt
es sich also keineswegs um ein Abkommen, das ausschließlich die Abschiebung von bestimmten ethnischen
Gruppen zum Ziel hätte. Vielmehr ist international anerkannter Anknüpfungspunkt für die Frage einer Pflicht
zur Rückübernahme stets nur die Staatsangehörigkeit
oder die Herkunft einer Person aus dem Zielstaat, nicht
aber ethnische oder sonstige persönliche Merkmale.
Hierauf stellt auch dieses Rückübernahmeabkommen
ab. Mit dem Rückübernahmeabkommen werden somit
lediglich die verfahrensmäßigen und technischen Einzelheiten für die Verpflichtung zur Rückübernahme einer
Person zwischen den Vertragsstaaten geregelt. Dies betrifft etwa die Nachweis- und Glaubhaftmachungsmittel
für die Staatsangehörigkeit, Fristen zur Beantwortung
eines Übernahmeersuchens und dessen erforderliche
Angaben oder die für die Stellung der Ersuchen zuständigen Behörden. Es findet hingegen keine Bewertung
der Frage statt, ob eine Person tatsächlich zurückgeführt werden kann. Diese erfolgt im Rahmen der Einzelfallprüfung durch die zuständigen Ausländerbehörden
der Länder bzw. durch das Bundesamt für Migration und
Flüchtlinge nach den Maßgaben des deutschen Aufenthaltsgesetzes.
Im Rahmen einer solchen Einzelfallprüfung werden
dann selbstverständlich auch humanitäre und menschenrechtliche Aspekte berücksichtigt. Dies ist ein
Kernbestandteil des deutschen Ausländer- bzw. Asylrechts. Ausländer, denen im Herkunftsland politische
Verfolgung, eine konkrete Gefahr für Leib oder Leben
oder Folter droht, erhalten in Deutschland Asyl, Flüchtlingsschutz oder subsidiären Schutz. Dieser Schutz kann
vorliegend nur im Wege einer Einzelfallprüfung gewährt
werden, da die Bundesregierung unter Beiziehung von
Berichten internationaler Organisationen zurecht festgestellt hat, dass keine unmittelbare Gefährdung nur
aufgrund der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Ethnie
und auch keine eingeschränkte Bewegungsfreiheit in der
Republik Kosovo mehr herrscht.
Zu der gleichen Einschätzung sind im Übrigen auch
andere europäische Aufnahmestaaten, die ebenfalls bereits mit der Rückführung von ethnischen Minderheiten
begonnen haben, gekommen. Erst kürzlich hat etwa das
Vereinigte Königreich die Republik Kosovo in seine
Liste sicherer Zielstaaten aufgenommen. Auch der von
Ihnen in der Antragsdrucksache zitierte Bericht des
Kommissars für Menschenrechte des Europarates,
Thomas Hammarberg, spricht sich lediglich gegen
„Massenabschiebungen“ von Personen in das Kosovo
aus.
Unabhängig davon existieren im geltenden Aufenthaltsrecht eine Reihe von Regelungen, die eine Legalisierung des Aufenthaltes Geduldeter ermöglichen.
Hierzu gehören die §§ 25 Abs. 4 und 5 und 23 a Aufenthaltsgesetz sowie die Bleiberechtsregelung des § 104 a
Aufenthaltsgesetz, die durch Beschluss der Innenministerkonferenz Anfang Dezember 2009 um zwei Jahre verlängert und um weitere Verlängerungstatbestände
ergänzt wurden, unter anderem für Personen mit abgeschlossener Schul- oder Berufsausbildung.
Auch angesichts dieser Regelungen, von denen in der
Vergangenheit bereits mehrere Tausend kosovarische
Staatsangehörige profitiert haben, besteht aus meiner
Sicht zu Recht kein Handlungsbedarf für eine spezielle
Bleiberechtsregelung für Roma-Familien aus dem Kosovo oder die Anregung einer Aussetzung der Abschiebungen von Personen aus dem Kosovo gegenüber den
Bundesländern.
Stephan Mayer ({0})
Lassen Sie mich abschließend noch etwas zu den tatsächlichen Bedingungen bei der Rückführung ausführen. Die Angaben in den beiden Anträgen von den Linken und von Bündnis 90/Die Grünen entsprechen leider
nicht der Realität. Der kosovarischen Seite wurde am
Rande der Abkommensverhandlungen zugesagt, dass
jährlich maximal 2 500 Übernahmeersuchen durch die
Ausländerbehörden übermittelt werden und auf ein angemessenes Verhältnis der ethnischen Zugehörigkeiten
geachtet wird. Massenabschiebungen, so wie von Ihnen
vorgetragen, kann es somit gerade nicht geben.
Die tatsächlichen Rückführungszahlen belegen zudem, dass Deutschland seine Zusagen auch einhält. Im
Jahr 2009 wurden bei 2 385 Ersuchen nur 541 Personen
zurückgeführt, hiervon 179 Angehörige ethnischer Minderheiten, darunter 76 Roma. Bis Ende März 2010 wurden 177 Personen zurückgeführt, hierunter 66 Angehörige ethnischer Minderheiten, davon 47 Roma.
Bund und Länder bevorzugen die freiwillige Ausreise
von illegal aufhältigen Personen und fördern diese gerade bei rückkehrwilligen Kosovaren auch finanziell in
beachtlichem Umfang. So erhält zum Beispiel eine vierköpfige Roma-Familie - zwei Erwachsene, zwei Kinder neben der vollständigen Übernahme ihrer Heimreisekosten eine Starthilfe und eine Reisebeihilfe von insgesamt 2 850 Euro, was einem durchschnittlichen Jahresbruttoeinkommen im Kosovo entspricht.
Im Übrigen leistet für Rückkehrer aus den Ländern
Baden-Württemberg, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen und Sachsen-Anhalt das vom Bund und diesen
Ländern betriebene Rückkehrprojekt „URA 2“ mit einem Beratungszentrum in Pristina wertvolle Unterstützung bei der Wiedereingliederung in die kosovarische
Gesellschaft durch vielfältige Beratungs- und Betreuungsangebote. Diese Angebote reichen von sozialer und
psychologischer Beratung über Arbeits- und Wohnraumvermittlung bis hin zur Gewährung von Lohn- und
Mietkostenzuschüssen oder einer Existenzgründungshilfe. Dabei werden alle Rückkehrer ohne Rücksicht auf
die Art ihrer Rückkehr oder ihre ethnische Zugehörigkeit gleichermaßen betreut. Somit sind auch die in den
Anträgen geschilderten tatsächlichen Voraussetzungen
für ein Einschreiten des Bundestages nicht gegeben.
Die Zahl der ethnisch motivierten Gewalttaten im Kosovo ist im Vergleich zu den schweren Übergriffen 2004
zurückgegangen, und auch die Befürchtung, dass die
Spirale der Gewalt gegen Minderheiten nach der Unabhängigkeitserklärung des Kosovo im Februar 2008 einen neuerlichen Höhepunkt erreicht - die ich im Übrigen auch geteilt habe -, hat sich zum Glück nicht
bewahrheitet. Dass es zu weniger Übergriffen kommt,
liegt aber leider nicht so sehr daran, dass es kein ethnisches Konfliktpotentzial mehr gibt, sondern daran, dass
die ethnischen Gruppen größtenteils in homogenen
Gruppen voneinander getrennt leben. Wo es eine solche
Trennung aber nicht gibt, muss man leider nach wie vor
drohende Diskriminierungen von Minderheiten konstatieren.
Vor allem aber fehlt es im Kosovo an fast allen sozialökonomischen Voraussetzungen für Rückkehrer und Abgeschobene. Dies betrifft Fragen des Zugangs zum Arbeitsmarkt sowie zur Gesundheitsversorgung und - wie
bescheiden auch immer - Fragen der Sicherung ihres
Lebensunterhalts.
Unser Kollege Gerold Reichenbach hat als Teilnehmer der SPD-Fraktion an einer Delegationsreise des Innenausschusses vom 12. bis zum 14. April dieses Jahres
in das Kosovo teilgenommen, um sich vor Ort ein Bild
über die Lage zu machen und um uns bei der realistischen Beurteilung der verschiedenen Einschätzungen zu
helfen. Seiner Einschätzung nach ist die soziale Situation vor allem für Roma im Kosovo nach wie vor prekär,
insbesondere auch für Rückkehrer. Zwar hat die Regierung des Kosovo bereits 2007 ein Programm zur Reintegration von Rückkehrern aufgelegt, allerdings halten die
Behörden ihre diesbezüglichen Verpflichtungen bislang
nicht ein. Beispielsweise soll über Koordinierungsmechanismen eine Abstimmung zwischen zentralen und lokalen Behörden erreicht werden. Die meisten der von
der OSZE befragten lokalen Behördenvertreter kannten
das Programm zur Reintegration von Rückkehrern aber
nicht einmal. Auch gab es keinerlei Vernetzung mit den
zentralen Behörden. Dies erklärt, dass keiner der befragten Behördenvertreter von der zentralen Behörde jemals über die bevorstehende Ankunft unfreiwilliger
Rückkehrer informiert wurde und deshalb keine Vorkehrungen für deren Reintegration treffen konnte.
Gerold Reichenbach berichtete, dass sich diese Situation bislang auch nicht grundlegend verbessert hat. Da
die lokalen Behörden zumeist bereits mit der Reintegration der freiwilligen oder zwangsweisen Rückkehrer der
größeren Bevölkerungsgruppen überfordert sind, sind
bei verstärkter Rückführung von Minderheiten ein Anwachsen der Konfliktpotenziale und die Gefahr erneuter
Gewaltausbrüche zu befürchten.
Wenn nun im Antrag der Fraktion Die Linke allerdings darauf abgestellt wird, dass die Massenvertreibung der Roma aus dem Kosovo vor allem auf der „kriegerischen Intervention der NATO gegen das ehemalige
Jugoslawien“ beruht und Deutschland vor allem deshalb eine große Verantwortung für das Elend dieser
Menschen trifft, dann müssen wir dem entschieden widersprechen. Keinesfalls möchten wir die grundsätzliche Verantwortung negieren, die Deutschland für die
Sinti- und Roma-Angehörigen aufgrund der gegen diese
Menschen verübten abscheulichen Verbrechen während
der Nazidiktatur trägt; nein, der Hauptverantwortliche
für die Massenvertreibungen von Minderheiten aus dem
Kosovo ist der als Kriegsverbrecher in Den Haag vor
einem UN-Tribunal wegen des Vorwurfs der Kriegsverbrechen und der Verbrechen gegen die Menschlichkeit
angeklagt gewesene Slobodan Milosevic.
Schon aufgrund dieser Wertung des Antrages der
Fraktion Die Linke werden wir ihn nicht mittragen.
Hinzu kommt, dass man sich in ihm pauschal für die
sofortige Aussetzung der Abschiebung von Flüchtlingen
aus dem Kosovo ausspricht. Die Gruppe, die jedoch
besonderen Schutzes vor Abschiebung bedarf, sind, wie
Zu Protokoll gegebene Reden
weiter oben ausgeführt, die ethnischen Minderheiten
und besonders schutzwürdige Personen. Auch der Forderung der Linken, das deutsch-kosovo-albanische
Rückführungsabkommen nicht zu unterschreiben bzw.
aufzukündigen, können wir uns nicht anschließen. Wir
erwägen stattdessen eine Aussetzung des Abkommens
bis zu dem Zeitpunkt, an dem die Programme für Rückkehrer in der Praxis greifen.
Etwas anders sieht es mit dem differenzierteren Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen aus. Richtig
ist ja an dem Antrag, dass für Minderheitenangehörige
- insbesondere für die Roma - aufgrund der Sicherheitslage bis Anfang 2009 ein faktischer Abschiebestopp
galt, der durch die Innenministerkonferenz regelmäßig
verlängert wurde. Richtig ist auch, dass die Roma trotzdem von den Bleiberechtsregelungen bisher kaum profitieren konnten. Aber die alles entscheidende Frage, wie
die konkrete gegenwärtige Situation im Kosovo nun
wirklich einzuschätzen ist, um einen Abschiebungsstopp
zwingend zu fordern, wird in diesem Antrag ebenso
wenig beantwortet.
Wenn die SPD-Bundestagsfraktion selbst noch keinen
Antrag eingebracht hat, dann nicht etwa, weil wir noch
keinen formuliert hätten. Allerdings haben wir von seiner Einbringung bislang aus guten Gründen abgesehen.
Wir wollten erstens die verschriftlichten Ergebnisse der
Delegationsreise des Innenausschusses in das Kosovo
abwarten, um anschließend zu einer fundierteren Bewertung der teils doch sehr widersprüchlichen Charakterisierung der Situation vor Ort zu kommen.
Aber auch dies reicht uns noch nicht. Wir möchten
zweitens - erst recht nach den heutigen Gesprächen von
Mitgliedern des Innenausschusses auf Einladung des
Zentralrates Deutscher Sinti und Roma zur Situation
von Roma, Aschkali und Kosovo-Ägyptern im Kosovo eine Anhörung zur Lage der Minderheiten im Kosovo
vorschlagen. Als Experte bietet sich unter anderem Professor Dr. Christian Schwarz-Schilling an, nicht etwa als
„Kronzeuge“ gegen die Haltung seiner Parteifreunde,
sondern weil er uns als Hoher Repräsentant für Bosnien-Herzegowina a. D. und als Initiator des uns allen
bekannten Oster-Appells besonders sachkundig und
glaubwürdig erscheint.
Wir sind der Überzeugung, dass wir erst nach dem
ausführlichen Reisebericht des Innenausschusses und
dieser von uns beantragten Anhörung die bestmögliche
Entscheidungsgrundlage für unser Handeln haben werden. Aber unbeschadet von diesen Informationen sowie
den anschließenden Beratungen meiner Fraktion will
ich Sie heute mit meinen persönlichen Überlegungen
und Schlussfolgerungen vertraut machen:
Erstens. Generell gehören Rückführungen oder gar
Abschiebungen von bereits seit vielen Jahren in
Deutschland lebenden Mitbürgerinnen und Mitbürgern
zu dem traurigsten Kapitel unserer bis Ende der 90erJahre nur auf Abwehr ausgerichteten Gesetzgebung auf
dem Gebiet des Ausländer- und Flüchtlingsrechtes. Dies
gilt vor allem für die in Deutschland geborenen und/
oder hier aufgewachsenen Kinder und Jugendlichen,
aber auch für andere, die längst begonnen haben sich in
Deutschland zu integrieren. Dieses Phänomen unsäglicher Kettenduldungen beschäftigt die SPD-Fraktion und
im Übrigen auch mich persönlich, seitdem ich hier im
Bundestag bin, also seit rund zwölf Jahren. Ich verweise
in diesem Zusammenhang auf unsere letzte gesetzgeberische Initiative vom Dezember für eine gesetzliche Bleiberechtsregelung, von der dann auch gerade Kinder und
Jugendliche und solche eine Aufenthaltserlaubnis und
damit eine sichere Zukunftsperspektive ohne weitere für
sie nicht erreichbare Voraussetzung erhalten können, die
sich als Alleinstehende mindestens zwölf und als Familie
mindestens zehn Jahre bei uns aufgehalten haben.
Zweitens. Vor allem Sinti und Roma - die wohl größten ethnischen Minderheiten in ganz Europa - sind seit
vielen Jahrzehnten fast nirgendwo besonders willkommen und häufig besonderer Diskriminierung ausgesetzt.
Ihnen gegenüber sollten wir besondere Sensibilität und
Mitmenschlichkeit an den Tag legen, anstatt sie in ein
ungewisses Schicksal notfalls sogar abzuschieben.
Drittens. Generell sind die sozial-ökonomischen Voraussetzungen im Kosovo nicht nur für die Rückkehrer
- aber für diese ganz besonders -, alles andere als günstig anzusehen. Zumindest in dieser Einschätzung werden
vermutlich alle Teilnehmer der Delegationsreise des Innenausschusses übereinstimmen.
Viertens. Daraus folgt, dass Angehörige von Minderheiten - namentlich also Sinti und Roma, Aschkali und
Kosovo-Ägypter - oder auch besonders schutzbedürftige Personengruppen nicht zurückgeführt und schon
gar nicht dorthin zwangsweise abgeschoben werden
sollten. Unter besonders schutzwürdigen Personengruppen verstehe ich in diesem Zusammenhang Kinder und
Jugendliche, alte und gebrechliche Menschen, Kranke,
die im Kosovo nicht zufriedenstellend behandelt werden
können, Familien mit kleinen Kindern, Alleinerziehende
und auch diejenigen Menschen, die zwar familiäre
Beziehungen in Deutschland, aber keinerlei Angehörige
mehr im Kosovo haben.
Dies soll und muss jedenfalls so lange gelten, als die
Voraussetzungen im Sinne tatsächlicher Reintegrationsmaßnahmen nicht greifen. Insoweit sollten auch Rückführungsabkommen in ihrer Anwendung jedenfalls zunächst noch ausgesetzt werden.
Über diese und weitere Details sollten uns der mehrfach erwähnte Bericht und die durchzuführende Expertenanhörung weiteren Aufschluss geben, um dann
daraus die notwendigen Maßnahmen im Deutschen
Bundestag zu entwickeln. Warum sollte es in diesem
Punkt der Bewältigung einer besonderen menschenrechtlichen Verantwortung nicht auch einmal möglich
sein, dass sich sowohl die Oppositionsparteien als auch
die Parteien der derzeit regierenden Koalition auf einen
einheitlichen Wortlauf verständigen? Lassen Sie uns
daran arbeiten.
Der Antrag der Linken ist abzulehnen. Er ist abzulehnen, weil er in weiten Teilen auf Basis falscher Behauptungen zu den falschen Schlüssen und Ergebnissen
Zu Protokoll gegebene Reden
kommt. Auf der jüngsten Delegationsreise des Innenausschusses konnte ich mir selbst vor Ort ein Bild der Situation der Heimkehrer machen.
Ja, die Situation der Roma, Ashkali und Ägypter,
RAE, im serbisch dominierten Norden des Landes, im
Lager Osterode in Mitrovica, ist sehr schwierig. Dort leben Menschen in kaum erträglichen Zuständen. Dies ist
aber die Ausnahme. Für die dort Lebenden werden doch
gerade mit europäischen Mitteln in Roma Malhala moderne Wohnungen gebaut, und Zug um Zug können die
Betroffenen dorthin umziehen. In anderen Landesteilen
ist die Situation deutlich entspannter. Dort konnten wir
keine unwürdigen Lebensumstände feststellen.
Ja, das Land ist noch von Krieg und Zerstörung gezeichnet; aber dieser jüngste Staat der Welt macht sich
mit Hoffnung und mit Tatkraft auf den Weg, ein neues
Kosovo in Freiheit und Unabhängigkeit zu formen.
KFOR und EULEX sind noch Garanten für Frieden und
Ordnung. Beide unterstützen diesen Aufbau, und in vielen Fällen kann die Kontrolle schon weitgehend in die
Hände der Kosovaren übergeben werden.
Dies ist übrigens eine der kaum beachteten Erfolgsgeschichten internationaler Friedenseinsätze, die auf
dem Weg sind, mit schrittweisem Abzug eine Übergabe
in Frieden und Freiheit zu leisten. Deswegen konnte der
Verteidigungsminister auch am Sonntag bekannt geben,
dass das deutsche Kontingent um weitere 1 000 Soldaten
reduziert werden kann.
Bei unserem Gespräch mit dem Innenausschuss des
kosovarischen Parlaments hatten wir auch Gelegenheit,
mit dem Roma-Abgeordneten Zylfi Merxha zu sprechen.
Er hat im Parlament einen der 20 für ethnische Minderheiten reservierten Sitze inne. Auf mehrfache Nachfrage
bestätigte er mehrmals: Es gibt keine Diskriminierung
von RAE im Kosovo, so der demokratisch legitimierte
Vertreter dieser Minderheit im Parlament.
Auch im Übrigen scheint der Antrag der Linken eher
eine innenpolitische Motivation zu haben als ernsthaft
zu einer Lösung des Problems beitragen zu wollen. Die
genannten Zahlen werden verdreht oder falsch interpretiert. Von einer Massenabschiebung kann keine Rede
sein. Anstatt der genannten 10 000 RAE wurden in den
letzten Jahren nur wenige Hundert in ihre Heimat zurückgeführt. Eine deutliche Erhöhung dieser Zahlen,
wie von den Linken kolportiert, ist weder realistisch
noch auch im neuen Abkommen geplant.
Unsere Gespräche mit den Organisationen vor Ort,
aber gerade auch mit den Mitarbeitern des BAMF haben
unsere Position bestätigt. Freiwillige Rückkehrer bekommen eine deutliche Starthilfe von mehreren Hundert
Euro, unter anderem mit Wohngeld und Jobstartgeld.
Bei Wohnungssuche und Jobsuche wird hier aktiv geholfen, bis eine Lösung gefunden wird.
Im Gegensatz zu anderen Ländern unterstützen wir
aber auch die unfreiwillig zurückkehrenden Kosovaren.
Auch sie werden, mit leicht geringeren Sätzen, bei der
Reintegration über sechs Monate durch das URA-2-Projekt des BAMF unterstützt. Die Behauptung, es gebe
keine Unterstützung, ist also ganz offensichtlich eine
politisch motivierte Falschbehauptung.
Ebenso scheinen im Lichte der aktuellen Erkenntnisse der Informationsreise viele Zahlen entweder veraltet oder vermutlich eher aus der Luft gegriffen zu sein.
Die Arbeitslosigkeit unter den Roma beispielsweise lag
mitnichten bei 95 Prozent, sondern deutlich darunter.
Natürlich ist dieser junge Staat noch in einer sehr
schwierigen Phase, und das Sozialsystem ist noch deutlich unterentwickelt; dies trifft aber eben nicht nur die
Roma oder die anderen ethnischen Minderheiten, sondern die gesamte kosovarische Bevölkerung. Somit sind
die wirtschaftliche Situation und das schwache soziale
Netz kein Beleg für Diskriminierung.
Besonders perfide erscheint mir die Behauptung,
dass die 92 000 freiwilligen Heimkehrer, die am Aufbau
ihres Landes mitarbeiten wollen, in vielen Fällen „gezwungenermaßen“ zurückgeschickt worden sein sollen.
Wenn jemand Zwang als Freiwilligkeit verkauft hat,
dann doch die SED, deren Mitglieder ja alle „freiwillig“
Mitglied der Unrechtspartei waren.
Der Informationsbesuch des Innenausschusses lässt
nur ein Fazit zu: Die Situation im Kosovo ist mit Sicherheit verbesserungswürdig und muss von uns auch mit
großer Aufmerksamkeit begleitet werden. Einen Grund,
Sonderrechte ausgerechnet für die Flüchtlinge in
Deutschland einzuräumen, sehe ich jedoch nicht. Vielmehr kümmert sich gerade Deutschland mit einem außerordentlich großen Engagement um alle heimkehrenden Flüchtlinge, gerade auch um die ethnischen
Minderheiten, und besonders um diejenigen, die sich
nicht zu einer freiwilligen Heimkehr durchringen konnten. Dieses Engagement verdient es, weiter gut von uns
unterstützt zu werden; denn es dient dem Frieden, der
Sicherheit und der Freiheit des jungen Staates Kosovo.
Die Linke hat sich bereits in der letzten Wahlperiode
für einen Abschiebestopp und ein Bleiberecht insbesondere für die Roma aus dem Kosovo eingesetzt, und zwar
noch bevor die Massenabschiebungen von Roma aufgenommen wurden. Leider vergeblich. Inzwischen gibt es
für das Thema eine weitaus größere und vor allem kritische Öffentlichkeit, sodass wir die Zeit gekommen sehen, die Forderung nach einem Bleiberecht für die
Roma aus dem Kosovo erneut in den Bundestag einzubringen. Wir erhoffen uns zum jetzigen Zeitpunkt eine
andere und ernsthafte Debatte zu diesem Thema.
Am 12. April dieses Jahres besiegelten die Regierungen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik
Kosovo endgültig die Abschiebung von mindestens
10 000 Roma in den Kosovo. Weitere 4 000 Menschen,
darunter viele Ashkali und auch Serben aus mehrheitlich von Albanern bewohnten Gebieten, müssen nun
ebenfalls verstärkt mit ihrer Abschiebung rechnen.
Diese mehr als 14 000 Menschen werden nach langjährigem Aufenthalt in Deutschland aus ihren sozialen Beziehungen gerissen, die sie sich hier aufgebaut haben.
Es werden Kinder abgeschoben, die in Deutschland geZu Protokoll gegebene Reden
boren sind und dieses Land als ihre Heimat ansehen. Es
werden Alte und Kranke in medizinische Unterversorgung und damit in den Tod abgeschoben. Für viele, die
von ihrer erzwungenen Flucht vor zehn Jahren noch
traumatisiert sind, bedeutet die Abschiebung eine Art
zweiter Vertreibung, mit allen psychologischen Folgen.
All dies ist hinlänglich bekannt.
Es gibt eine Vielzahl von Studien und Berichten von
Nichtregierungsorganisationen, der OSZE, dem UNHCR,
dem Menschenrechtskommissar des Europarats usw.
über die schlimme Situation gerade der Minderheitenangehörigen - der Roma, Ashkali und Ägypter - im Kosovo. Es gibt eine Legion an Berichten von engagierten
Journalistinnen und Journalisten, die das unerträgliche
Schicksal von Abgeschobenen für Zeitungen, Radio und
Fernsehen dokumentiert haben. Als Teilnehmerin einer
Delegation des Bundestagsinnenausschusses, die vom
12. bis 14. April im Kosovo war, konnte ich mich mit eigenen Augen von der völligen Perspektivlosigkeit überzeugen, in die Roma aus Deutschland abgeschoben werden. Die Wirtschaft des Landes liegt völlig am Boden,
und Roma sind von der allgemein immens hohen Arbeitslosigkeit durch rassistische Ausgrenzung in besonderem Maße betroffen.
Wir als Linke stehen mit unserer Forderung nach einem Bleiberecht für diese Menschen nicht allein. Die
Migrationskommission der Deutschen Bischofskonferenz hat in einer Pressemitteilung davor gewarnt, Menschen in „unsichere und unwürdige Verhältnisse“ abzuschieben.
Ich will an dieser Stelle auch auf den Osterappell
2010 verweisen, der vor Abschiebungen in den Kosovo
warnt und eine humanitäre Aufenthaltsregelung für
Roma aus dem Kosovo fordert. Wie bereits im Jahr 2000
haben sich unter anderem eine Reihe aktiver oder
ehemaliger Abgeordneter fraktionsübergreifend gegen
die Abschiebung von Roma gewendet, darunter
Dr. Hermann Otto Solms, Professor Dr. SchwarzSchilling, Claudia Roth, Barbara Lochbihler und viele
andere ({0}). Ich will daraus
eine Passage zitieren, die mir besonders am Herzen
liegt: „Deutschlands historische Verantwortung gegenüber den Roma kann sich nicht allein in historischen Gedenkveranstaltungen erschöpfen. Deutschland hat sich
zur historischen Verantwortung für den Holocaust an
den Juden bekannt und praktische Maßnahmen wie ausländerrechtliche Sonderregelungen in diesem Zusammenhang ergriffen; siehe zum Beispiel die gesetzliche
Regelung für jüdische Kontingentflüchtlinge. Gegenüber den Roma scheint die historische Verantwortung in
der Praxis keinerlei Niederschlag zu finden. Wie anders
lässt es sich erklären, dass routinemäßig Roma und darunter auch Alte, Kranke, Kinder und Jugendliche jetzt
in den Kosovo abgeschoben werden, ohne dass politisch
Verantwortliche gegenüber solchen Maßnahmen Einhalt
gebieten und unserer Verantwortung gegenüber den
Roma gerecht werden?“
Diese Frage kann ich nur an jene weiterreichen, die
sich hier im parlamentarischen Raum verweigern, unverantwortlichen Abschiebungen Einhalt zu gebieten
und jede humanitäre und historische Verantwortung von
sich weisen. Ich bin auf ihre Antworten in der weiteren
parlamentarischen Beratung gespannt.
Wir sollten uns alle klarmachen, welche vielleicht
einmalige Chance sich uns als Bundestag bei diesem
Thema bietet: Die Schuld, die Deutschland durch die
systematische Ermordung von 500 000 Roma und Sinti
auf sich geladen hat, ist niemals und durch nichts wiedergutzumachen. Aber wir haben die Chance - und
meines Erachtens nach auch die Verpflichtung - einigen
Tausend Roma-Familien, die seit Jahren unter uns leben, die Perspektive einer sicheren Zukunft ohne Angst
und eines gleichberechtigten Zugangs zu Bildung und
Arbeit zu geben. Schieben wir sie jedoch ab, bringen wir
diese Menschen sehenden Auges in eine ausweglose
Notlage, in existenzielle Armut und systematische Diskriminierung. Wir zerstören die Zukunft dieser Menschen, insbesondere der Kinder. Das wäre meines Erachtens unverantwortlich und historisch und moralisch
gesehen ein großes Versagen des Deutschen Bundestages.
Der Antrag der Fraktion der Grünen greift die Forderungen von Bundestagsabgeordneten und Menschenrechtlern für einen Abschiebungsschutz von Roma und
Minderheitenangehörigen aus dem Kosovo auf. Zum
8. April, dem Internationalen Tag der Roma, hatten sie einen entsprechenden Aufruf an Bundesregierung und Bundesländer gerichtet. Zu den Unterstützern des Appells gehören neben den Initiatoren - Professor Dr. SchwarzSchilling, Claudia Roth, Rainer Eppelmann, KlausDieter Kottnik, Barbara Lochbihler, Dr. Hermann Otto
Solms - etliche aktive und ehemalige Bundestagsabgeordnete, Vertreter von Flüchtlingsorganisationen, Kirchen- und Wohlfahrtsverbänden sowie Romani Rose,
Bärbel Bohley, Hans Koschnick und weitere Prominente. Mit ihrem Appell fordern sie, den Roma-Flüchtlingsfamilien „endlich einen rechtmäßigen Aufenthalt
aus humanitären Gründen zu erteilen und sie so vor einer Abschiebung zu schützen und von ihrer existenziellen Angst zu befreien”.
Für Minderheitenangehörige - insbesondere für
Roma aus dem Kosovo - galt bis Anfang 2009 aufgrund
der Sicherheitslage für diesen Personenkreis im Kosovo
ein faktischer Abschiebestopp, der durch die Innenministerkonferenz regelmäßig verlängert wurde. Trotzdem konnten die Roma aus dem Kosovo von den seit
2007 in Deutschland existierenden Bleiberechtsregelungen nicht profitieren. Durch die hohen Hürden zum Beispiel bei der Lebensunterhaltssicherung sind gerade
Roma strukturell benachteiligt, da sie häufig viele Kinder haben und dadurch die geforderte wirtschaftliche
Unabhängigkeit nur schwer erreichen können.
In Deutschland droht circa 11 000 Personen aus dem
Kreis der Roma, Ashkali und Ägypter die Abschiebung
in das Kosovo. Viele der von Abschiebung Bedrohten
sind hier aufgewachsen oder geboren; nur wenige konnZu Protokoll gegebene Reden
ten von den bisherigen Bleiberechtsregelungen profitieren. Die beabsichtigte Abschiebung dieser Personen in
das Kosovo ist unverantwortlich. Die Vorgehensweise
steht in eklatantem Widerspruch zur tatsächlichen Situation der Roma im Kosovo. Wer heute Roma dorthin
abschiebt, der weiß: Sie landen fast ausnahmslos in unzumutbaren Verhältnissen und sind auf sich alleine gestellt. Roma sind im Kosovo weiterhin Opfer massiver
Diskriminierung. Ihr Zugang zu elementaren Lebenschancen ist faktisch verhindert. Es ist ein Gebot der
Menschlichkeit, den seit langen Jahren in Deutschland
lebenden Familien endlich ein Aufenthaltsrecht aus humanitären Gründen zu erteilen und die Rückführungspläne zu stoppen.
Der Menschenrechtskommissar des Europarates,
Thomas Hammarberg, hatte bereits im November 2009
in einem Schreiben an die Bundeskanzlerin zum Ausdruck gebracht, dass „die Zeit schlicht noch nicht reif ist
für zwangsweise Rückführungen in das Kosovo, insbesondere von Angehörigen der Roma“, und hat Deutschland aufgefordert, von Zwangsrückführungen abzusehen, die das Leben und die persönliche Sicherheit der
Rückkehrer ernsthaft gefährden. Bei der Vorstellung seines Jahresberichtes Ende April 2010 hat er diese Aufforderung an die europäischen Mitgliedstaaten wiederholt.
Mit seiner Einschätzung steht Hammarberg nicht allein. Andere internationale Organisationen wie der
UNHCR, die OSZE und UNICEF sowie Menschenrechts- und Flüchtlingsorganisationen warnen weiterhin
vor einer Diskriminierung und Verfolgung von Roma
und anderen Minderheitenangehörigen im Kosovo.
UNHCR spricht in seinem jüngsten Bericht davon, dass
Angehörigen von Minderheitengemeinschaften weiterhin Opfer von tätlichen und verbalen Angriffen und Bedrohungen, Brandstiftungen, Einschüchterungen und
Plünderungen sind.
Neben der fragilen Sicherheitslage erst zwei Jahre
nach der Unabhängigkeit des Kosovo stellt jedoch für
Zwangsrückkehrer die prekäre wirtschaftliche und soziale Situation eine ernsthafte Bedrohung dar. Es gibt
nach wie vor im Kosovo keine ausreichende Aufnahmeund Integrationskapazität für Minderheiten, Kranke
oder mittellose Rückkehrer. Davon konnte ich mich
selbst Anfang April anlässlich einer Reise des Innenausschusses vor Ort im Kosovo überzeugen. Unterstützung
gibt es weder von kosovarischen noch von internationalen Institutionen. Abgeschobene Flüchtlinge sind völlig
auf sich selbst gestellt bzw. auf Hilfe aus dem Familienverbund angewiesen. Roma und andere ethnische Minderheiten haben häufig keine Unterkunftsmöglichkeit
und finden keine Arbeit. Die ohnehin nicht ausreichende
Sozialhilfe muss an dem Ort beantragt werden, an dem
die Person im Kosovo vor der Ausreise zuletzt ihren
Wohnsitz hatte. Personen, die auf derartige Leistungen
angewiesen sind, können sich also nicht frei an anderen
Orten im Kosovo niederlassen.
Die Bundesregierung hingegen verharmlost die Lage
der Minderheiten im Kosovo - nicht nur in den Lageberichten des Auswärtigen Amtes. Die Antwort auf eine
Kleine Anfrage der Bundestagsfraktion der Grünen zu
„Rückführungen in das Kosovo“ ({0})
zeigt erneut, dass sie die Warnungen internationaler Organisationen in den Wind schlägt. Stattdessen hat der
Bundesinnenminister kürzlich das Rückübernahmeabkommen mit dem Kosovo erzwungen. Auf der Basis dieser Vereinbarung schieben die Bundesländer schon seit
einiger Zeit auch Minderheitsangehörige nach Pristina
ab. Dabei hält sich Deutschland nicht einmal an die dem
Kosovo gegebenen Zusagen, sondern schiebt prozentual
mehr Roma ab als vereinbart.
In unserem Antrag fordern wir daher die sofortige
Aussetzung der Abschiebungen von Minderheitenangehörigen aus dem Kosovo und eine Aufenthaltsgewährung aus humanitären Gründen.
Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen
auf den Drucksachen 17/784 und 17/1569 an die in der
Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen.
- Ich sehe, auch damit sind Sie einverstanden. Dann sind
die Überweisungen so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 16 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Agnes
Malczak, Omid Nouripour, Kai Gehring, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Wehrpflicht beenden
- Drucksache 17/1431 Überweisungsvorschlag:
Verteidigungsausschuss ({0})
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich sehe,
auch damit sind Sie einverstanden. Dann werden wir so
verfahren.
Ich eröffne die Aussprache und erteile als erster Rednerin das Wort der Kollegin Agnes Malczak für die
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Sehr verehrte Damen und Herren! Obwohl die
FDP die Argumente gegen die Wehrpflicht selber in ihr
Bundestagswahlprogramm geschrieben hat, hat sie sich
bei den Koalitionsverhandlungen auf einen durchsichtigen Kuhhandel mit der CDU/CSU eingelassen. Beim
Koalitionsstreit um die Zukunft der Wehrpflicht soll der
Weisheit letzter Schluss jetzt eine Verkürzung der Wehrdienstzeit auf sechs Monate sein. Davon dürften noch
nicht einmal Sie selbst überzeugt sein. Die Kolleginnen
und Kollegen der Liberalen haben ihren Frieden mit der
Aufrechterhaltung eines längst überholten Zwangsdienstes erstaunlich schnell gemacht. Sonst nur für den
Spruch „Ausstieg aus dem Ausstieg“ in Sachen Atompolitik bekannt, spricht Ihre Jugendorganisation plötzlich
von einem Einstieg in den Ausstieg.
({0})
Wenn wir klare Worte finden wollen, dann müssen
wir bei der Wehrdienstverkürzung von einem faulen
Kompromiss sprechen. Durch die Verkürzung wird nämlich keines der Probleme der Wehrpflicht beseitigt. Im
Gegenteil: Es werden damit sogar neue Probleme geschaffen. Beispiel Wehrungerechtigkeit: Auch nach Einführung des sechsmonatigen Wehrdienstes werden immer noch weniger als die Hälfte der jungen Männer
eines Jahrgangs einen Pflichtdienst leisten müssen. Bei
ihrer Lebensplanung und ihrem Ausbildungs- und Berufsweg sind sie gegenüber ihren männlichen und weiblichen Altersgenossen, die keinen Pflichtdienst leisten
müssen, benachteiligt. Durch Ihre Reform werden pro
Jahr 10 000 Männer mehr von der Wehrungerechtigkeit
betroffen sein. Somit schaffen Sie nicht weniger, sondern sogar noch mehr Wehrungerechtigkeit.
({1})
Ihnen selbst scheint bewusst zu sein, dass Sie mehr
Fragen aufwerfen als schlüssige Antworten liefern. Das
jedenfalls würde Ihren anhaltenden Streit und das traurige Possenspiel erklären, das Sie, liebe Kolleginnen und
Kollegen von der Koalition, aufgeführt haben, als Sie
zeitgleich mit zwei völlig unterschiedlichen Konzepten
für die Ausgestaltung der Wehrdienstreform an die Öffentlichkeit traten.
({2})
Mit Ihrem Hin und Her verunsichern Sie geradezu notorisch die jungen Männer, die beteiligten Institutionen
und insbesondere die Soldaten und Soldatinnen. Das ist
keine verantwortungsvolle Politik.
({3})
Auch Ihnen ist die Aussage von Roman Herzog aus
dem Jahr 1995 bekannt, dass eine Regierung die - Zitat „Beibehaltung, Aussetzung oder Abschaffung und
ebenso die Dauer des Grundwehrdienstes“ sicherheitspolitisch begründen können muss. Meine Damen und
Herren der Koalition, genau diese sicherheitspolitische
Begründung bleiben Sie schuldig. Sie haben die Entscheidung für die Beibehaltung der Wehrpflicht getroffen, ohne sich die wesentlichen Fragen zu stellen. Von
Ihnen hätte ich, bevor Sie die Entscheidung über die
Wehrform treffen, eine Antwort auf die folgenden Fragen erwartet: Was können unsere Streitkräfte leisten, und
was sollen sie zukünftig leisten können?
Erst im vergangenen Monat haben Sie die Bundeswehr-Strukturkommission eingesetzt. Mit Ihrer Entscheidung haben Sie diesem Gremium aber bereits ein
Denkverbot erteilt. Die bestehende Wehrform soll nicht
hinterfragt werden. Es wird deutlich: Die Entscheidung
für die Beibehaltung der Wehrpflicht ist nicht in eine sicherheitspolitische Gesamtkonzeption eingebunden.
Die Aufgabenschwerpunkte der Bundeswehr haben
sich in den letzten Jahren deutlich verschoben. In den
aktuellen Konfliktszenarien brauchen wir nicht mehr den
klassischen Soldatentypus, den wir zur territorialen Landesverteidigung brauchten, sondern gut ausgebildete, gut
ausgerüstete und hochspezialisierte Soldatinnen und Soldaten. Im Zusammenhang mit dem Bericht des Wehrbeauftragten haben wir heute über mangelnde Ressourcen
und schlechte Ausrüstung, gerade bei Einsätzen, gesprochen. Daran möchte ich hier erinnern.
Im Diskurs wird die Nachwuchswerbung oft als Argument für die Wehrpflicht ins Feld geführt. Rund
13 700 Euro veranschlagen Sie für jeden Grundwehrdienstleistenden. Bei derzeit 40 000 Grundwehrdienstleistenden sind das 548 Millionen Euro im Jahr. Der
Website der Bundeswehr können wir entnehmen, dass
sich jährlich rund 9 100 junge Männer nach ihrem
Grundwehrdienst freiwillig länger verpflichten. Jede dieser Verpflichtungen kostet Sie folglich rund 60 000 Euro.
Abgesehen davon, dass die Nachwuchsrekrutierung eine
verfassungsrechtlich bedenkliche Begründung der Wehrpflicht ist, kann ich mir kaum eine unwirtschaftlichere
Form der Nachwuchsgewinnung vorstellen.
({4})
Statt diese Wahlperiode mit dem Hin und Her über
Modelle der verkürzten Pflichtdienste zu vergeuden,
muss jetzt mit einem planvollen Ausstieg aus den
Pflichtdiensten und dem massiven Ausbau der Freiwilligendienste begonnen werden. Dieser Paradigmen- und
Systemwechsel darf nicht länger vertagt werden; denn er
ist seit Jahren überfällig. Deshalb haben wir Grünen den
Antrag gestellt, die Wehrpflicht abzuschaffen.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({5})
Das Wort hat nun der Kollege Dr. Karl Lamers für die
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Die Forderung von Bündnis 90/Die Grünen, die Wehrpflicht zu beenden, halte ich für falsch. Lassen Sie mich
kurz darlegen, warum.
Erstens hat sich die Wehrpflicht in mehr als fünf Jahrzehnten bewährt. Zweitens ist sie Ausdruck der persönlichen Mitverantwortung der Bürger für ein Leben in Frieden und Freiheit. Drittens ist sie ein Symbol für den
gesellschaftlichen Konsens über die Landes- und Bündnisverteidigung. Außerdem verbindet die Wehrpflicht
unsere Streitkräfte mit der Gesellschaft und verhindert
Entfremdung und Abschottung von dieser. Die Wehrpflicht sichert 40 Prozent des Freiwilligen- und 30 Prozent des Führungsnachwuchses der Streitkräfte. Dies alles sind gute Gründe, warum wir auch in Zukunft an der
Wehrpflicht festhalten wollen.
Dr. Karl A. Lamers ({0})
Die Grünen fordern in ihrem Antrag die Schaffung einer Freiwilligenarmee. Ja, meine Damen und Herren, Ihnen ist aber sicherlich bekannt, dass die Bundeswehr
niemals eine reine Wehrpflichtarmee war, sondern schon
immer aus einem Mix aus Grundwehrdienstleistenden,
freiwillig zusätzlichen Wehrdienst Leistenden, Reservisten sowie Berufs- und Zeitsoldaten bestand.
({1})
Genau dies garantiert bis heute eine hohe Professionalität unserer Streitkräfte. Es gibt keinen vernünftigen
Grund, dieses erfolgreiche Modell ohne Not aufzugeben.
Auslandseinsätze sind zu einer zentralen Aufgabe der
Streitkräfte geworden. Grundwehrdienstleistende werden in solche Einsätze nicht entsandt. Aber das heißt
noch lange nicht, dass sie nun überhaupt nicht mehr gebraucht werden. Das Gegenteil ist der Fall: Gerade heute
werden unsere Wehrpflichtigen gebraucht, um zum Beispiel die Grundorganisation der Streitkräfte sicherzustellen, indem sie in der Heimat notwendige Aufgaben übernehmen.
Gegen die Wehrpflicht führen Sie darüber hinaus die
aus Ihrer Sicht angeblich ungenügende Ausschöpfung
der Jahrgänge an. Wir alle sind uns einig: Wehrgerechtigkeit ist in der Tat ein hohes Gut. Das Bundesverwaltungsgericht hat mit seinem Urteil vom 19. Januar 2005
und seinem Beschluss vom 26. Juni 2006 Kriterien dafür
aufgestellt. Wehrgerechtigkeit ist demnach dann gewährleistet, wenn die Zahl derjenigen, die Wehrdienst leisten,
der Zahl der Wehrdienstfähigen zumindest nahekommt.
Fakt ist, dass heute wie auch in Zukunft der weitaus
überwiegende Teil aller verfügbaren jungen Männer einen Dienst leistet. Ich gehe davon aus, dass W6 ein Beitrag zu mehr Wehrgerechtigkeit gerade in diesem Sinne
ist.
Meine Damen und Herren von den Grünen, in Ihrem
Antrag sehen Sie eine Überforderung der Wehrdienstleistenden darin, diesen „die Verantwortung für die …
Verzahnung von Bundeswehr und Gesellschaft aufzubürden“, wie Sie es ausdrücken. Ich sehe das anders:
Wehrpflichtige leisten einen exzellenten Dienst und sorgen durch ständigen Personalaustausch dafür, dass die
Bundeswehr ein lebendiger Teil von Staat und Gesellschaft ist.
({2})
Das ist doch keine Bürde und führt auch nicht zu Überforderung.
Was die Innere Führung anbetrifft, auf die Sie in Ihrer
Begründung abheben, hat dieses übergreifende Führungskonzept der Streitkräfte in der Tat prägend für das
Selbstverständnis der gesamten Bundeswehr nach innen
und außen gewirkt. Die Frage, ob Wehrpflicht heute
noch sinnvoll ist oder nicht, lässt sich aber nicht mit dem
Konzept der Inneren Führung beantworten. Das ist vielmehr eine politische Grundsatzentscheidung, die wir in
diesem Hohen Hause treffen.
Sie unterstellen den Wehrpflichtigen, dass ihre Qualifikationen für die Tätigkeiten in Deutschland nicht ausreichen. Wir sehen das anders. Gerade die Wehrpflichtigen brachten in der Vergangenheit und bringen auch
heute noch berufliche Qualifikationen und Fertigkeiten
mit, die die Bundeswehr für den Dienst in der Truppe
sehr gut nutzen kann. Die Qualifikation unserer Wehrpflichtigen ist ein wesentlicher Grund für die Beibehaltung des Wehrdienstes. Wehrpflicht und Professionalität
schließen sich nicht aus.
({3})
Die Koalition hat entschieden, den Grundwehrdienst
auf sechs Monate zu verkürzen, beginnend mit dem
1. Oktober 2010. Wir bekennen uns damit auf der einen
Seite zur Institution der Wehrpflicht, andererseits wollen
wir die Belastung der jungen Generation durch das Abverlangen des Grundwehrdienstes so gering wie möglich
halten. Wie bereits dargelegt, wird die Verkürzung des
Grundwehrdienstes eine Verbesserung der Wehrgerechtigkeit mit sich bringen; denn natürlich haben wir bei
sechs Monaten Dienstzeit einen höheren Personalbedarf
als bei neun Monaten. Wir werden alles tun, dass unsere
Wehrpflichtigen auch die verkürzte Grundwehrdienstzeit
als positive Lebenserfahrung empfinden. Ich danke Ihnen, Herr Minister zu Guttenberg, dass Sie sich gerade
dafür auch persönlich stark machen.
({4})
Wichtig ist in meinen Augen, dass die Grundausbildung durch eine Funktionsausbildung ergänzt wird, die
sich sowohl an den Interessen der Wehrpflichtigen orientiert als auch gleichzeitig auf die Belange der Bundeswehr Rücksicht nimmt. Ich begrüße es, dass die Wehrpflichtigen nach erfolgter Ausbildung auf echten
Funktionsdienstposten in der Truppe eingesetzt werden.
Genau darum geht es: Wir wollen die Wehrpflichtigen in
den normalen Organisations- und Truppenstrukturen der
Streitkräfte halten. In der Teilstreitkraft Heer zum Beispiel ist geplant, Wehrpflichtige in Sicherungskompanien einzusetzen, angegliedert an Bataillone der Einsatzkräfte. Genau dies zeigt meines Erachtens sehr klar, dass
die Wehrpflichtigen sinnvoll eingesetzt und dass sie gebraucht werden.
Meine Damen und Herren, der erste Bundespräsident
der Bundesrepublik Deutschland, Professor Dr. Theodor
Heuss, hat einmal in einer Rede festgestellt: „Die Wehrpflicht ist das legitime Kind der Demokratie.“ Daran hat
sich bis heute nichts geändert.
({5})
Wir, die CDU/CSU-Fraktion, halten an der Wehrpflicht
fest, erstens, weil sie sich bewährt hat, und zweitens,
weil sie auch heute sinnvoll ist.
Ich danke Ihnen.
({6})
Nun hat der Kollege Lars Klingbeil für die SPD-Fraktion das Wort.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen
und Herren! Lieber Kollege Lamers, wenn man den
„tobenden“ Beifall bei Ihrem Koalitionspartner sieht,
({0})
dann wird deutlich, dass diese Regierung kein Konzept
für die Wehrpflicht hat. Es werden spannende Wochen,
bis Sie die Wehrpflichtfrage geklärt haben. Ich will mich
hier ausdrücklich bei den Grünen dafür bedanken, dass
sie diesen Antrag vorgelegt haben. Auch ich persönlich
bin der Überzeugung, dass wir in Deutschland keine
Zwangsdienste mehr brauchen und dass die Wehrpflicht
nicht mehr zeitgemäß ist.
({1})
- Ich kann die Aufregung der FDP in dieser Frage verstehen. Ich komme dazu gleich in meiner Rede.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist richtig, dass
wir als Parlamentarier die Diskussion beginnen. Auch
wenn man nicht allen Punkten im Antrag der Grünen zustimmen kann, so muss man doch festhalten: Im Gegensatz zur Regierung haben die Grünen hier wenigstens ein
Konzept vorgelegt, und das ist ein vernünftiger Schritt.
({2})
Die Wehrpflicht ist ein Thema, das wir gesellschaftlich und politisch kontrovers diskutieren. Auch ich bin
mir bewusst, dass in der letzten Legislaturperiode auch
Kollegen meiner Partei hier vorne gestanden und für die
Wehrpflicht geredet haben. Wir haben das auch innerhalb der SPD sehr kontrovers diskutiert. Wir Sozialdemokraten sind uns aber einig, dass nicht mehr der
Zwang, sondern die Freiwilligkeit im Vordergrund stehen muss. Vor allem sagen wir Sozialdemokraten: Wir
brauchen eine Entscheidung, die langfristig trägt. Die
Bundeswehr braucht eine grundlegende Entscheidung,
die langfristig trägt. Deswegen brauchen wir einen politischen Konsens, der vom Militär nicht nur akzeptiert
wird, sondern der vom Militär auch unterstützt wird. Wir
brauchen vor allem einen politischen Konsens, der sich
auf mehr als auf die Regierungsmehrheit beruft.
Ich bin überzeugt: Wir brauchen den besten Nachwuchs für unsere Armee, für eine Armee, die sich immer
größeren Herausforderungen stellen muss. Die Anforderungen an unsere Soldaten werden immer größer. Viele
wollen auch freiwillig den Dienst in der Bundeswehr
leisten. Durch eine Erhöhung der Attraktivität, durch
verbesserte Ausbildungsmöglichkeiten und durch eine
gesellschaftliche Anerkennung, die endlich dem Soldatenberuf gerecht wird, werden wir es schaffen, dass auch
diejenigen freiwillig zur Bundeswehr gehen, die wir für
die Armee brauchen.
({3})
Um das zu schaffen, brauchen wir als Parlament aber
endlich den Mut, einen großen Schritt zu machen, eine
wirkliche Reform zu verabschieden. Wir brauchen als
Parlament den Mut, endlich den Wandel der Bundeswehr
hin zu einer Freiwilligenarmee in die Wege zu leiten.
({4})
Herr Lamers, Sie haben die Wehrgerechtigkeit angesprochen.
({5})
Ich sehe ein Problem bei der Wehrpflicht mit der Wehrgerechtigkeit und möchte etwas zitieren:
Derzeit müssen von durchschnittlich 420 000 jährlich zur Verfügung stehenden Männern lediglich
70 000 der Wehrpflicht nachkommen … Insgesamt
leisten jährlich nur rund 175 000 Männer einen
Pflichtdienst ({6}), während 245 000 … ihre zivile Lebensplanung nicht für neun Monate unterbrechen
müssen.
Ich kann für diese Zahlen keine Garantie übernehmen;
sie sind aus dem Jahr 2006 und per Copy und Paste in
meinen Redetext von einem Antrag der FDP-Bundestagsfraktion vom 18. Januar 2006 gekommen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der FDP, glauben Sie wirklich, dass Sie mit dem W6-Kompromiss die
von Ihnen angeprangerte Wehrungerechtigkeit beseitigen? Nach all dem, was man bisher gelesen hat, ist W6
ein bisschen Herumdoktern am Problem der Wehrgerechtigkeit, aber keine Lösung dieser Probleme. Es ist
ein bisschen mehr Gerechtigkeit in einer Ungerechtigkeit. Deswegen will ich es hier so deutlich sagen: Wer
jahrelang die Fahne der Abschaffung der Wehrpflicht
hochhält und dann gerade mal so einen Kompromiss erreicht, der sollte hier nachher mal erklären, wie er denn
zu diesem W6-Modell steht. Ich bin gespannt auf Ihre
Rede, Herr Spatz.
({7})
Die Wehrgerechtigkeit ist aber nur ein Aspekt von
vielen. Wir haben in den letzten Wochen sehr viel darüber diskutiert, dass die Armee die beste Ausstattung
braucht und dass wir als Parlament der Armee auch mit
auf den Weg geben müssen, was sie braucht. Wir waren
uns einig, dass wir mehr auf die Soldaten hören sollten.
Da muss doch am Anfang die Frage nach der sicherheitspolitischen Relevanz einer Wehrpflicht stehen.
Sicherheitspolitisch ist die Wehrpflicht nicht zu rechtfertigen. In einer Welt, die immer schneller wird, die immer mehr zusammenwächst, in einer globalisierten Welt,
in der die Gefahren nicht mehr an den Landesgrenzen
lauern, sondern am Hindukusch oder am Horn von
Afrika, können wir auf die Wehrpflicht sicherheitspolitisch verzichten. Diese Legitimation greift nicht mehr.
Auch hier will ich ein Zitat bringen:
Die äußere Sicherheit Deutschlands und der Bündnisstaaten ist aber nicht durch konventionelle Angriffe bedroht, auch nicht nach den Attentaten vom
11. September 2001. Die frühere Landesverteidigung ist heute ausschließlich als Bündnisverteidigung zu begreifen. Die NATO fordert auch deshalb
von Deutschland keine Wehrpflichtarmee, sondern
Streitkräfte, die gut ausgebildet, modern ausgerüstet, voll einsatzbereit und schnell verlegbar sind.
Dafür benötigt die Bundeswehr keine Grundwehrdienstleistenden.
Auch das ist aus dem Antrag der FDP vom Jahr 2006.
Ich freue mich darauf, dass Sie gleich erklären werden,
was Sie erreicht haben,
({8})
und kann Ihrer sicherheitspolitischen Begründung nichts
mehr hinzufügen.
Die Wehrgerechtigkeit und die sicherheitspolitische
Relevanz sind zwei Argumente, die nicht mehr im Einklang mit der Wehrpflicht stehen. Auch die Integration
der Bundeswehr dient ja immer wieder als Argument für
die Beibehaltung der Wehrpflicht. Herr Lamers, Sie haben es gerade auch erwähnt. Aber ich sage, wir müssen
an dieser Stelle der Realität in die Augen schauen.
Erstens. Schon heute erreichen wir mit der Wehrpflicht nicht mehr alle männlichen Bürger, unabhängig
von Herkunft, Beruf oder Bildung, und wir erreichen
schon heute nicht mehr das gesamte Spektrum, das in
der Gesellschaft vorhanden ist, und integrieren es in die
Bundeswehr.
Zweitens würden wir die Wehrdienstleistenden
schlichtweg überfordern, wenn wir sie mit der gesellschaftlichen Integration der Bundeswehr beauftragen
würden.
Ich sage, die Bundeswehr ist heute schon wesentlicher integrierter Bestandteil dieser Gesellschaft. Ich
komme aus Munster - das ist der größte Heeresstandort
Deutschlands -, und da erlebe ich jeden Tag, wie die Integration der Bundeswehr in die Gesellschaft funktioniert. Ich sehe Soldaten, die in Vereinen, in Elternbeiräten, bei der Freiwilligen Feuerwehr und - auch das kann
ich sagen - sogar im SPD-Ortsverein perfekt integriert
sind. Deswegen muss es uns zwar darauf ankommen,
den Soldaten als Staatsbürger in Uniform zu stärken,
aber wir dürfen keine Scheindebatten führen. Wenn ich
höre, dass man so argumentiert, dass die Wehrdienstpflichtigen die Integration der Bundeswehr leisten sollen, dann entgegne ich ganz klar: Ich habe genauso viel
Vertrauen darauf, dass diejenigen, die freiwillig ihren
Dienst leisten, oder diejenigen, die Berufssoldaten sind,
genau diese Integration der Bundeswehr in die Gesellschaft leisten können. Lassen Sie uns also keine Scheindebatten an dieser Stelle führen.
({9})
Das heißt aber nicht, dass wir bei dieser Integration
nicht noch vieles verbessern können. Wir haben vorhin
den Wehrbeauftragten verabschiedet, wir haben den
neuen begrüßt. Das ist eine ganz wichtige Institution, die
wir haben, um die Bundeswehr in die Gesellschaft zu integrieren. Wir haben die Innere Führung, die wir stärken
müssen, und ich sage, wir müssen auch dringend wieder
stärker über den Staatsbürger in Uniform reden. Ich hätte
mir in den letzten Wochen gewünscht, dass wir mehr
Soldaten haben, die sich auch in die gesellschaftlichen
und politischen Debatten einmischen, die stärker ihr
Wort erheben und auch deutlich machen, wo eigentlich
Missstände und wo Mängel bei der Armee sind. Das
nehmen wir als Politiker dann auf.
An dieser Stelle will ich noch einmal aus dem Antrag
der FDP aus dem Jahr 2006 zitieren:
Deshalb ist der Vollzug der Allgemeinen Wehrpflicht so schnell wie möglich auszusetzen und der
Planungsprozess des Umbaus der Bundeswehr in
eine Freiwilligenarmee unverzüglich zu beginnen.
Sie sagen in diesem Antrag deutlich, dass die Integration
der Bundeswehr in die Gesellschaft schon umgesetzt ist.
Dieses Argument kann also nicht dazu dienen, die Wehrpflicht aufrechtzuerhalten.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der FDP, ich
kann ja verstehen, dass man in einer Koalition Kompromisse aushandeln muss. Das haben wir Sozialdemokraten an vielen Stellen erleben müssen. Aber wenn der
Kompromiss in einem Modell besteht, das keiner versteht, das keiner akzeptiert und das hinter verschlossenen Türen keiner trägt, dann frage ich mich schon, ob
Sie die Situation mit dem Modell W6 nicht noch verschlechtern. Von der Bundeswehr wird dieser Kompromiss nicht akzeptiert. Die Truppe setzt natürlich um, was
die Politik beschließt. Aber Sie führen wahrscheinlich
genauso wie ich dieselben Vieraugengespräche mit Soldaten, in denen Sie erfahren, dass die Truppe mit diesem
Beschluss nicht zufrieden ist. Deswegen bitte ich Sie,
diese Entscheidung noch einmal zu überdenken.
Wir Sozialdemokraten haben den Koalitionsfraktionen angeboten, gemeinsam ein Modell zu finden, das
langfristig trägt und das gesellschaftlich trägt. Was Sie
hier auf den Weg bringen wollen, hat nur eine geringe
Halbwertzeit. Ich sage Ihnen, es wird sehr schnell vom
Tisch sein. Deshalb noch einmal das Angebot von uns
Sozialdemokraten: Lassen Sie uns gemeinsam ein Modell finden, das der sicherheitspolitischen Relevanz gerecht wird und das eine gesellschaftliche Akzeptanz findet! W6 kann dieses Modell nicht sein. Deswegen
werden wir Ihrem Modell nicht zustimmen, sobald Sie
es in den Bundestag einbringen. Nutzen Sie die Chance,
eine politische Mehrheit zu finden, die über Ihre eigenen
Fraktionen hinausgeht.
Vielen Dank fürs Zuhören.
({10})
Für die FDP-Fraktion hat die Kollegin Elke Hoff das
Wort.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten
Damen und Herren! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen!
Herr Kollege Klingbeil, ich glaube, dass Sie sich bei der
Bewertung der Verständlichkeit des Modells in der
Hausnummer geirrt haben. Ich kann mich nämlich sehr
gut daran erinnern, dass das Modell, das von Ihrer Fraktion in der vergangenen Legislaturperiode vorgelegt
worden ist, von allen nur sehr schwer nachzuvollziehen
war. Ich habe es, offen gesagt, bis heute noch nicht verstanden.
({0})
Was die Koalition vorlegt, ist ein Kompromiss. Die
Verkürzung der Wehrpflicht auf sechs Monate ist ein
Schritt, mit dem es beiden Partnern gelungen ist, eine solide Nachwuchsgewinnung, die diese Armee so dringend
braucht, für die Zukunft auf den Weg zu bringen.
({1})
Aufgrund Ihrer Erfahrungen in der Vergangenheit wissen auch Sie: Bei einem Kompromiss finden sich beide
Partner nicht zu 100 Prozent wieder. Aber wir wissen genau, dass in der Vergangenheit bei der Bewertung der
Wehrpflicht gerade aus der von Ihnen zitierten Truppe
sehr häufig die Beschwerde kam, dass aufgrund einer
langen Wehrdienstdauer eine Art Gammeldienst entstanden ist, dass viele Wehrpflichtige nicht so recht wussten,
was sie mit der verbleibenden Zeit nach der Grundausbildung anfangen sollten. Unser Ziel ist es, den jungen
Männern in Form des sechsmonatigen Wehrdienstes die
Möglichkeit zu eröffnen, in einer angemessenen Zeit einen Zugang zur Truppe zu finden, damit sie danach die
Entscheidung treffen können, ob sie dabeibleiben wollen
oder nicht.
Wir werden sehen, wie sich die Ergebnisse nach vier
Jahren im Einzelnen darstellen werden. Meine Fraktion
hat mit besonderem Nachdruck vorgetragen, dass die
Ausgestaltung des Wehrdienstes eine große politische
Herausforderung sein wird. Meine Fraktion hat diesbezüglich Vorstellungen entwickelt. Ich bin fest davon
überzeugt, dass wir gemeinsam mit unserem Koalitionspartner, mit dem wir diesen Kompromiss geschlossen
haben, auch bei der Ausgestaltung des Wehrdienstes einen Weg finden werden, der zu einem Erfolgsmodell
werden wird. Ich habe keinen Zweifel daran, dass wir
dann, wenn die notwendigen gesetzlichen Voraussetzungen geschaffen sind, dieses Modell umsetzen werden.
Dass meine Partei programmatisch nach wie vor eine
andere Auffassung vertritt, ist dadurch selbstverständlich
nicht außer Kraft gesetzt. Aber jeder von uns weiß, dass
die Kunst in der Politik darin liegt, das Machbare zu finden. Wir sind der Überzeugung, dass wir hier einen Weg
zu mehr Professionalität auch in der Bundeswehr gefunden haben.
({2})
Der Erfolg wird jetzt in hohem Maße davon abhängen,
ob wir es schaffen, dass sich die Strukturen innerhalb der
Bundeswehr darauf einstellen können.
({3})
Wir müssen vor allen Dingen verhindern, dass es durch
eine große Anzahl von Wehrpflichtigen zu einer Überforderung der Truppenstrukturen kommt. Stattdessen
müssen wir dafür sorgen, dass die Anzahl der Wehrpflichtigen angemessen ist und dass sie wirklich ausgebildet werden können. Das müssen wir jetzt gemeinsam
auf den Weg bringen.
Ein Thema, das in diesem Zusammenhang noch zu
klären ist, ist - das ist kein Geheimnis - die Ausfüllung
des Wehrersatzdienstes. Aber auch hier sind wir auf
einem guten Weg, gemeinsam mit dem Koalitionspartner
einen Kompromiss zu finden.
({4})
Insofern bin ich völlig unbesorgt, dass wir für unsere
Wehrpflichtigen ein attraktives Angebot schaffen werden.
Der Bundesverteidigungsminister hat hier klar signalisiert, dass es bei einer Beibehaltung der Wehrpflicht
auch sein Anliegen ist, dafür Sorge zu tragen, dass die
Voraussetzungen geschaffen werden, dass unsere jungen
Männer in einer möglichst kurzen Zeit, aber mit einer
möglichst qualifizierten Ausbildung eine Entscheidungsgrundlage für eine zukünftige Verpflichtung an die Hand
bekommen. Deswegen ist es unser Anliegen, dafür zu
sorgen, dass die jungen Männer in möglichst viele Bereiche der Bundeswehr, auch in den Teilstreitkräften, einen
Einblick bekommen, damit sie am Ende ihres Wehrdienstes fundiert entscheiden können, zu welcher Teilstreitkraft sie wollen. Dass das wirklich möglich ist, wird
sehr stark davon abhängen, wie wir das jetzt ausgestalten.
({5})
- Ich glaube, der Kollege Nouripour hat eine Frage.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen
Nouripour?
Bitte schön.
Bitte.
Frau Kollegin Hoff, nachdem der Minister es vorhin
abgelehnt hat, auf mein Angebot der Wette einzugehen,
dass die Wehrpflicht wahrscheinlich zum 1. Oktober
nicht so kommen wird, wie er angekündigt hat, frage ich
Sie: Sind Sie bereit, uns mitzuteilen, ob das der Fall ist?
Wird die Reform der Wehrpflicht zum 1. Oktober in
Kraft treten, wie vom Minister angekündigt?
Wir haben in unserer Koalitionsvereinbarung festgelegt, dass wir anstreben, die sechsmonatige Wehrpflicht
zum 1. Januar 2011 einzuführen. Ich habe zum jetzigen
Zeitpunkt keinen Zweifel daran, dass dies der christlichliberalen Koalition auch gelingen wird. Alles andere, lieber Kollege Nouripour, wäre Kaffeesatzleserei, an der
ich mich in diesem Hause nicht beteilige. Die Verhandlungen sind auf einem guten Wege. Deswegen greift
eigentlich Ihr Antrag ein wenig zu kurz. Er wird, auch
vor dem Hintergrund des Ziels, das Sie damit erreichen
wollten, viel zu früh gestellt.
({0})
Aber ich kann Sie beruhigen: Die Verhandlungen sind
auf einem guten Wege.
({1})
Ich gehe davon aus, dass beide Koalitionspartner die entsprechenden Voraussetzungen schaffen werden.
({2})
Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich glaube,
dass alles Nötige gesagt worden ist. Bei der Einbringung
des Gesetzentwurfes werden wir über die Ausgestaltung
und den Erfolg von W6 noch einmal in aller Breite
diskutieren können. Heute geht es darum, über den von
Bündnis 90/Die Grünen vorgelegten Antrag zu entscheiden. Fakt ist, lieber Kollege Nouripour, dass wir diesem
Antrag auch in der vergangenen Legislaturperiode nicht
hätten zustimmen können, weil meine Fraktion nie für
eine Abschaffung der Wehrpflicht, sondern immer für
eine Aussetzung der Wehrpflicht eingetreten ist. Insofern
haben wir schon in der Vergangenheit die Dinge immer
auf unterschiedlichen Pfaden verfolgt. Aber warten Sie
ab! Wir werden mit W6 eine vernünftige Lösung auf den
Weg bringen. Vor allen Dingen werden wir einen Beitrag
dazu leisten, dass der Bundeswehr die qualifizierten Soldaten zur Verfügung stehen, die sie in Zukunft braucht.
Dass wir gemeinsam die Strukturen darauf ausrichten
werden, darauf können Sie sich verlassen.
Ich bedanke mich ganz herzlich für die Aufmerksamkeit und freue mich auf die nächste Debatte, wenn der
Gesetzentwurf in diesem Hohen Hause eingebracht
wird.
Vielen Dank.
({3})
Der Kollege Harald Koch ist nun der nächste Redner
für die Fraktion Die Linke.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Der Titel des Antrages von Bündnis 90/Die Grünen bringt es auf den Punkt: „Wehrpflicht beenden“. Die
Linke fordert, die Wehrpflicht mit sofortiger Wirkung
aufzuheben.
Dafür gibt es mehr als nur einen Grund:
Erstens. Die Wehrpflicht ist ein Zwangsdienst, durch
den immer Grund- und Bürgerrechte eingeschränkt und
zum Teil aufgehoben werden.
({0})
Dieser übermäßige Eingriff in die Lebensplanung und
das Selbstbestimmungsrecht junger Menschen muss ein
Ende haben.
({1})
Man kann nicht einerseits die Bedeutung von Bildung
hervorheben und andererseits Menschen durch Verzögerungen bei Ausbildung und Studium deutlich benachteiligen.
Zweitens. Die Umsetzung der Wehrpflicht, im Speziellen der Auswahlprozess, ist willkürlich und ungerecht.
Nur etwa 15 Prozent eines Jahrgangs leisten den Grundwehrdienst; mehr als 50 Prozent der Wehrpflichtigen
leisten weder Grundwehrdienst noch Zivildienst. Es ist
doch blauäugig, zu denken, dass eine Verkürzung der
Dienstzeit auf sechs Monate daran grundlegend etwas
ändern würde. Da im Zivildienst etwa dreimal so viele
Dienstposten zur Verfügung stehen, werden Kriegsdienstverweigerer mit einer deutlich höheren Wahrscheinlichkeit zum Zivildienst einberufen als die Nichtverweigerer zum Grundwehrdienst. In Anbetracht der
derzeitigen Haushaltslage wäre die komplette Abschaffung der Wehrpflicht auch kostengünstiger als die
Verkürzung der Dienstzeit. Ungleichbehandlung ist an
der Tagesordnung; Wehrgerechtigkeit gibt es schon seit
langem nicht mehr - ein Grund mehr, die absolut ungerechte und überflüssige Wehrpflicht abzuschaffen.
({2})
Drittens. Die einzige Aufgabe der Wehrpflicht ist es
heute, auf praktische, wenn auch sehr teure Art und
Weise Nachwuchs zu gewinnen. Das ist verfassungsrechtlich nicht gewollt; das wird die Linke nicht hinnehmen.
({3})
Viertens. Ob Schwarz-Gelb, die Große Koalition oder
Rot-Grün: Bei allen war Sozialabbau Regierungsprogramm. Der Sozialstaat wurde unaufhörlich geschleift.
Der durch die Wehrpflicht begründete Zivildienst, der
schon längst Regel- statt Ersatzdienst ist, macht junge
Menschen zu unterbezahlten Lückenbüßern in einem
Sozialsystem, das vorher bewusst und wissentlich finanziell ausgetrocknet wurde. Dass das Gebot der Arbeitsmarktneutralität des Zivildienstes reine Makulatur ist,
sieht man zum Beispiel im Pflegebereich, wo reguläre
Arbeitsplätze ersetzt und verdrängt werden. Zivildienstleistende übernehmen oft Tätigkeiten, die eigentlich von
ausgebildeten Fachkräften ausgeübt werden müssten. Ihr
Einsatz führt dazu, dass die Schaffung besserer Arbeits3940
bedingungen und die Durchsetzung höherer Löhne für
Beschäftigte im Sozialbereich erschwert wird.
Die Linke fordert: Es muss endlich aufhören, dass Zivildienstleistende im sozialen Bereich als billige Arbeitskräfte missbraucht werden. Diese Lohndrückerei im
Sozial- und Gesundheitswesen lehnen wir ab.
({4})
Wir brauchen in erster Linie mehr tariflich entlohnte, sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze im Pflege- und
Gesundheitsbereich.
({5})
Wir brauchen dafür auch einen starken öffentlich finanzierten Beschäftigungssektor.
Daneben müssen Jugendfreiwilligendienste gestärkt
werden, sodass jeder, der sich dort freiwillig engagieren
möchte, dies auch tun kann. Freiwilliges bürgerschaftliches Engagement braucht insgesamt Stärkung, Förderung und sozial gerechte Rahmenbedingungen. Es ist
eine wichtige soziale Zugabe, darf aber nicht die Schaffung regulärer Arbeitsplätze verhindern.
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, die Wehrpflicht schützt nicht vor Krieg, sondern behindert grundsätzliche Abrüstungsschritte bei der Bundeswehr und
erleichtert somit die Fortführung bewaffneter Konflikte.
Sie ist ein Auslaufmodell und wird keineswegs für die
Landesverteidigung gebraucht. Deshalb: weg mit der
Wehrpflicht! Schluss mit allen Zwangsdiensten!
Vielen Dank.
({6})
Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege
Dr. Reinhard Brandl für die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Die Einberufung zum Wehrdienst ist ein gravierender Eingriff in die Freiheit und den Lebenslauf eines
jungen Menschen. Ein solcher Eingriff ist nur gerechtfertigt, wenn er der Bewahrung der äußeren Sicherheit
unseres Landes dient.
({0})
Erst in zweiter Linie können andere Argumente wie die
Verankerung der Bundeswehr in der Gesellschaft, die
Nachwuchsgewinnung oder die Kosten als Begründung
für die Beibehaltung oder auch für die Abschaffung oder
Aussetzung der Wehrpflicht angeführt werden.
Der Zivildienst, die Frage der Wehrgerechtigkeit oder
die Situation in anderen Ländern sind keine Argumente
für die grundsätzliche Entscheidung über die Beibehaltung oder die Aussetzung der Wehrpflicht in Deutschland.
Wir sind es den jungen Männern, die ihren Wehrdienst oder Ersatzdienst ableisten, schuldig, regelmäßig
zu überprüfen, ob ihr Dienst sicherheitspolitisch weiterhin begründbar ist. Diesem zentralen Punkt, verehrte
Kolleginnen und Kollegen der Grünen, widmen Sie in
dem vorliegenden Antrag genau zwei Sätze. Ich zitiere:
Die Aufgabenschwerpunkte der Bundeswehr haben
sich in den vergangenen Jahren deutlich verschoben. Nicht mehr die territoriale Landesverteidigung, sondern die Teilnahme an UN-mandatierter
multilateraler Krisenbewältigung ist für die Bundeswehr heute strukturbestimmend.
Diese bloße Feststellung der momentanen Situation wird
der Bedeutung dessen, was Sie in Ihrem Antrag fordern,
nämlich die Aussetzung und damit faktisch die Abschaffung der Wehrpflicht in Deutschland, in keinster Weise
gerecht. Sie brauchen nur in die jüngere Geschichte
unseres Landes zu blicken, um zu erkennen, dass sich
solch eine Situation auch einmal ändern kann.
In den letzten 30 Jahren haben sich etwa alle zehn
Jahre die sicherheitspolitische Weltlage und damit auch
die Anforderungen an die Bundeswehr grundlegend verschoben. In den 80er-Jahren steckten wir noch mitten im
Kalten Krieg. Die Bundeswehr war auf diesen Ost-WestKonflikt hin ausgerichtet. Dann kam, für viele überraschend, der 9. November 1989 und der Fall des Eisernen
Vorhangs. Eineinhalb Jahre später begann der Krieg auf
dem Balkan. Damit ergaben sich eine vollkommen neue
sicherheitspolitische Lage in Europa und, damit verbunden, auch ganz neue Einsatzaufgaben für die Bundeswehr. Dann kam, wieder überraschend, der 11. September 2001, der uns in schrecklicher Art und Weise die
wachsende asymmetrische Bedrohung durch den internationalen Terrorismus vor Augen geführt hat. Diese Bedrohung bestimmt unsere Einsätze heute.
Keine dieser grundlegenden Verschiebungen hat sich
jeweils zehn Jahre zuvor abgezeichnet, und so wissen
wir heute auch nicht genau, welchen Aufgaben sich die
Bundeswehr im Jahr 2020 stellen muss.
({1})
Es ist wahrscheinlich, dass sich die Einsätze weiter
schwerpunktmäßig im Ausland abspielen werden. Das
Argument, die Wehrpflicht müsse deshalb abgeschafft
werden, weil im Ausland keine Grundwehrdienstleistenden eingesetzt werden könnten, sticht allerdings nicht.
({2})
Die Wehrpflichtigen entlasten unsere Zeit- und Berufssoldaten von vielen Aufgaben im Inland und leisten
wichtige Unterstützung bei der Einsatzvor- und -nachbereitung.
({3})
Unabhängig davon, was wir aus heutiger Sicht für
wahrscheinlich erachten, ist eine Armee immer auch ein
Schutz gegen Unwahrscheinliches. Gewiss, es ist Gott
sei Dank im Moment kein Szenario vorstellbar, in dem
wir unsere Bundeswehr zur Landes- oder Bündnisverteidigung einsetzen müssten. Aber trotzdem wollen wir uns
die grundsätzliche Fähigkeit dazu erhalten. Hierfür brauchen wir nicht nur gut ausgebildete Spezialisten für Einsätze im Ausland, sondern auch eine größere Zahl von
Reservisten, auf die wir im Krisenfall zurückgreifen
können. Die Zahl der ausgebildeten Reservisten würde
bei einer Aussetzung der Wehrpflicht jedoch drastisch
schrumpfen.
Bei all dem, was wir in den vergangenen fünf Jahrzehnten an sicherheitspolitischen Veränderungen erleben
durften und erleben mussten, hat sich die Struktur der
Bundeswehr mit genau dieser Mischung aus Zeit- und
Berufssoldaten, ergänzt durch Grundwehrdienstleistende
und Reservisten, hervorragend bewährt. Ich sehe im
Moment keinen Grund, von dieser grundsätzlichen
Struktur abzurücken.
Nichtsdestotrotz müssen wir uns ständig fragen, wie
wir diese Struktur angesichts neuer Anforderungen und
Aufgaben weiter verbessern können. Für mich gelten bei
der Wehrpflicht dabei folgende Leitlinien: Der Dienst
muss sowohl für die Truppe als auch für den Einzelnen
sinnvoll ausgestaltet sein. Gleichzeitig soll die Dauer des
Pflichtdienstes auf ein Mindestmaß beschränkt bleiben.
Die Verkürzung auf sechs Monate ist daher nicht als Einstieg in den Ausstieg zu verstehen. Es ist ein Auftrag an
die Bundeswehr, die Ausbildung und den Einsatz der
Wehrpflichtigen weiter zu optimieren.
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, unterstützen wir
die Bundeswehr bei diesem Auftrag, einen für die
Gesellschaft und den Einzelnen sinnvollen Dienst anzubieten! Auch das sind wir den jungen Männern schuldig,
die diesen Dienst für uns ableisten.
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
({4})
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 17/1431 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-
verstanden? - Ich sehe, das ist der Fall. Dann ist die
Überweisung so beschlossen.
Ich rufe nun die Tagesordnungspunkte 18 a bis 18 c
auf:
a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Menschenrechte und
Humanitäre Hilfe ({0}) zu dem Antrag
der Abgeordneten Wolfgang Gunkel, Lothar
Binding ({1}), Dr. h. c. Gernot Erler, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Menschenrechtsschutz im Handelsabkommen
der Europäischen Union mit Kolumbien und
Peru verankern
- Drucksachen 17/883, 17/1545 Berichterstattung:
Abgeordnete Michael Frieser
Wolfgang Gunkel
Marina Schuster
Annette Groth
Volker Beck ({2})
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung ({3})
- zu dem Antrag der Abgeordneten Heike
Hänsel, Jan van Aken, Sevim Dağdelen weite-
rer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE
VI. EU-Lateinamerika-Karibik-Gipfel in
Madrid: Den Aufbruch zur zweiten Unab-
hängigkeit Lateinamerikas solidarisch un-
terstützen
- zu dem Antrag der Abgeordneten Thilo Hoppe,
Dr. Hermann Ott, Ute Koczy, weiterer Abge-
ordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN
Klimaschutz und gerechten Handel mit La-
teinamerika und der Karibik voranbringen
- Drucksachen 17/1403, 17/1419, 17/1608 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Anette Hübinger
Dr. Sascha Raabe
Harald Leibrecht
Heike Hänsel
Thilo Hoppe
c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Menschenrechte und
Humanitäre Hilfe ({4}) zu dem Antrag
der Abgeordneten Heike Hänsel, Annette Groth,
Jan van Aken, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion DIE LINKE
Menschenrechte in Kolumbien auf die Agenda
setzen - Freihandelsabkommen EU-Kolum-
bien stoppen
- Drucksachen 17/1015, 17/1546 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Michael Frieser
Wolfgang Gunkel
Marina Schuster
Annette Groth
Tom Koenigs
Interfraktionell wurde vereinbart, die Reden zu die-
sem Tagesordnungspunkt zu Protokoll zu geben. Es
handelt sich um die Reden folgender Kolleginnen und
Kollegen: Anette Hübinger, Michael Frieser, Wolfgang
Gunkel, Harald Leibrecht, Heike Hänsel und Hans-
Christian Ströbele.1)
Wir kommen nun zu den Abstimmungen, zunächst zu
Tagesordnungspunkt 18 a. In seiner Beschlussempfeh-
lung auf Drucksache 17/1545 empfiehlt der Ausschuss
1) Anlage 7
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt
für Menschenrechte und humanitäre Hilfe, den Antrag
der Fraktion der SPD auf Drucksache 17/883 mit dem
Titel „Menschenrechtsschutz im Handelsabkommen der
Europäischen Union mit Kolumbien und Peru veran-
kern“ abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussemp-
fehlung? - Wer ist dagegen? - Enthaltungen? - Die Be-
schlussempfehlung ist damit angenommen mit den
Stimmen der Koalitionsfraktionen und der Fraktion Die
Linke bei Gegenstimmen der Fraktion der SPD und der
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Tagesordnungspunkt 18 b. Beschlussempfehlung des
Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung auf Drucksache 17/1608. Der Ausschuss
empfiehlt unter Nr. 1 seiner Beschlussempfehlung die
Ablehnung des Antrags der Fraktion Die Linke auf
Drucksache 17/1403 mit dem Titel „VI. EU-Lateiname-
rika-Karibik-Gipfel in Madrid: Den Aufbruch zur zwei-
ten Unabhängigkeit Lateinamerikas solidarisch unter-
stützen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? -
Wer ist dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussemp-
fehlung ist damit angenommen mit den Stimmen der Ko-
alitionsfraktionen, der SPD-Fraktion und der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen bei Gegenstimmen der Fraktion
Die Linke.
Wir sind noch beim Tagesordnungspunkt 18 b. Unter
Nr. 2 seiner Beschlussempfehlung empfiehlt der Aus-
schuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/1419 mit
dem Titel „Klimaschutz und gerechten Handel mit La-
teinamerika und der Karibik voranbringen“. Wer stimmt
für diese Beschlussempfehlung? - Wer ist dagegen? -
Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist angenom-
men mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der
Fraktion Die Linke bei Gegenstimmen der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen und Enthaltung der SPD-Frak-
tion.
Tagesordnungspunkt 18 c. Beschlussempfehlung des
Ausschusses für Menschenrechte und humanitäre Hilfe
zu dem Antrag der Fraktion Die Linke mit dem Titel
„Menschenrechte in Kolumbien auf die Agenda setzen -
Freihandelsabkommen EU-Kolumbien stoppen“. Der
Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 17/1546, den Antrag der Fraktion Die Linke
auf Drucksache 17/1015 abzulehnen. Wer stimmt für
diese Beschlussempfehlung? - Wer ist dagegen? - Ent-
haltungen? - Die Beschlussempfehlung ist angenommen
mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der SPD-
Fraktion bei Gegenstimmen der Fraktion die Linke und
Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Wir kommen zum Zusatzpunkt 5:
ZP 5 Beratung des Antrags der Abgeordneten Jan
Korte, Ulla Jelpke, Wolfgang Nešković, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE
Alle BND-Akten zum Thema NS-Vergangen-
heit offenlegen
- Drucksache 17/1556 -
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss
Interfraktionell wurde vereinbart, die Reden zu Pro-
tokoll zu geben. Es handelt sich um die Reden folgender
Kollegen: Clemens Binninger, Michael Hartmann,
Hartfrid Wolff, Jan Korte und Wolfgang Wieland.1)
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 17/1556 an den Innenausschuss vorgeschlagen. - Sie sind, wie ich sehe, damit einverstanden. Dann
ist die Überweisung so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 21 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Sylvia
Kotting-Uhl, Hans-Josef Fell, Kai Gehring, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Kernfusionsforschung kritisch überprüfen ITER-Vertrag kündigen
- Drucksache 17/1433 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung ({5})
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Hier ist in der Tagesordnung bereits ausgewiesen,
dass die Reden zu Protokoll gegeben werden. Es handelt sich um die Reden folgender Kolleginnen und Kollegen: Dr. Stefan Kaufmann, René Röspel, Dr. Martin
Neumann ({6}), Dr. Petra Sitte und Sylvia KottingUhl.
Der Antrag von Bündnis 90/Die Grünen ist ein neuer-
liches Beispiel für die fast irrationale Technologiefeind-
lichkeit der Grünen. Lassen Sie mich Ihnen erläutern,
warum. Noch in diesem Jahrhundert wird der weltweite
Strombedarf etwa auf das Sechsfache des heutigen Be-
darfs ansteigen. Der von den Experten prognostizierte
Bedarf an Energie ist mit keiner heute bekannten Tech-
nik zu decken. In Ihrem Antrag behaupten Sie, dass die
Kernfusion bei einer voraussichtlichen Realisierung im
Jahre 2050 mit ihrem unbestreitbaren Beitrag zum Kli-
maschutz zu spät komme. Dabei blenden Sie den stetig
wachsenden Energiebedarf schlicht aus.
Die Fusionskernkraft ist eine saubere Energieform.
Wir dürfen daher die Kernfusion - anders als Sie, liebe
Kolleginnen und Kollegen von den Grünen in Ziffer 3
Ihres Antrags - nicht gegen die Förderung erneuerbarer
Energien und der Energieeffizienz ausspielen. Bei der
Kernfusion entstehen praktisch keinerlei CO2-Emissio-
nen. Auch das Problem der Endlagerung radioaktiver
Abfälle stellt sich im Gegensatz zur Kernspaltung nicht -
oder jedenfalls in weit abgeschwächter Form. Mit Ihrer
Behauptung, die Menge radioaktiven Inventars sei in
Fusionsreaktoren etwa genauso hoch wie in Kernspal-
tungsreaktoren, wird fälschlicherweise eine Vergleich-
barkeit der Entsorgungsprobleme von Ihnen unterstellt.
Lassen Sie mich Ihnen erläutern, warum die Endlage-
rungsproblematik nicht vergleichbar ist. Die Eigen-
schaften des Abfalls sind sehr verschieden. Wie intensiv
die Aktivierung im Fall der Fusion ausfällt, hängt stark
1) Anlage 8
von den benutzten Materialien ab, lässt sich also beeinflussen. Im Falle der Kernspaltung ist dies anders. Dort
ist die anfallende Radioaktivität durch die Spaltprodukte
naturgesetzlich mit der erzeugten Energie verknüpft und
entsteht zwangsläufig. Daher werden für die Fusion spezielle Materialien - beispielsweise für die Ummantelung mit niedrigem Aktivierungspotenzial entwickelt. Die
Halbwertszeiten der wesentlichen Fusionsrückstände
sind damit bedeutend kleiner. Man rechnet nach heutigem Kenntnisstand mit ein bis fünf Jahren gegenüber
100 bis 10 000 Jahren im Fall der Kernspaltung.
Das biologische Gefährdungspotenzial der Fusionsabfälle klingt rasch ab und ist im Vergleich zu Spaltabfall nach 100 Jahren um mehr als das Zehntausendfache
geringer. Etwa die Hälfte des Fusionsabfalls kann - je
nach Materialauswahl - nach einer Wartezeit von
100 Jahren uneingeschränkt freigegeben werden. Das
übrige Material könnte rezykliert und in neuen Kraftwerken wiederverwendet werden. Die Fusionsenergie
verspricht vor diesem Hintergrund gegenüber den bekannten Energiequellen derart große Vorteile, dass sich
alle Anstrengungen lohnen, ihr zum Durchbruch zu verhelfen. Das gilt im Übrigen auch dann, wenn man das
Projekt als Ganzes noch als großes Experiment betrachten mag.
In den letzten fünf Jahrzehnten wurde enorm viel
wertvolle Forschungsarbeit im Bereich der Kernfusion
geleistet. Die für den Fusionsprozess nötigen Grundstoffe - Deuterium und Lithium, aus denen im Kraftwerk
Tritium hergestellt wird - sind nahezu überall auf dieser
Welt vorhanden; der Vorrat ist nach menschlichen Maßstäben unerschöpflich. Da die Fusionstechnik eine extrem hohe Energiekonzentration zur Folge hat, wird im
Gegensatz zur Solar-, Wind- und Wasserkraft auch nur
sehr wenig Fläche verbraucht. Klimatische Schwankungen haben - wie auch bei der Kernspaltung - keinerlei
Einfluss auf die Fusion. Gerade deshalb ist die Kernfusion ideal für die Grundlastversorgung von Ballungsräumen sowie der Großindustrie.
Vor dem Hintergrund all dessen müssen wir ITER
eher voranbringen als beenden. ITER eröffnet zudem
große Chancen sowohl für die deutsche Industrie wie
auch für unsere Forschungslandschaft. Für den Bau von
ITER sind industriell großmaßstäbliche Beiträge aus
den Bereichen Bauingenieurwesen, Maschinenbau,
Elektrotechnik und Kerntechnik erforderlich, die unter
völlig neuartigen Bedingungen miteinander kombiniert
werden - ich zitiere insoweit aus der jüngsten Mitteilung
der Europäischen Kommission zu ITER vom 4. Mai
2010 -, Bereiche also, in denen wir traditionell gut aufgestellt sind und schon viel Know-how mitbringen.
Deutschland als größter europäischer Partner des Projekts könnte daher in Wissenschaft und Technologie rund
um das Projekt auf internationaler Ebene eine Führungsrolle übernehmen, und unsere Unternehmen könnten langfristig von ITER profitieren. So haben sich bereits zwei deutsche Unternehmen am Standort des ITER
im Raum Cadarache angesiedelt. 5 von 16 interessierten
Unternehmen haben Aufträge bei Ausschreibungen von
„Fusion for Energy“ erhalten. Dabei sind 28 Prozent
der Vergaben als Aufträge an die deutsche Industrie zurückgeflossen.
Seit einem halben Jahrhundert wird an der Kernfusion gearbeitet. Anfangs sind die Experten von etwa
zehnmal kleineren Fusionskraftwerken ausgegangen als
jenem, das heute vor der Realisierung steht. Man hat
also durch wissenschaftlichen Fortschritt vieles erreicht. Zwischenzeitlich kamen allerdings erschwerend
auch höhere Qualitätsanforderungen und verteuerte
Rohstoffpreise hinzu. All dies hat zu erheblichen Kostensteigerungen geführt. Diese Kostenentwicklung des
ITER-Projektes ist nicht nur vor dem Hintergrund der
schwierigen Haushaltslage praktisch aller der im Rahmen von Euratom beteiligten Staaten problematisch. Es
müssen daher nochmals alle Möglichkeiten zur Kosteneinsparung ausgelotet werden. Der Bundesregierung
obliegt es, die Kontrolle über die Ausgabenentwicklung
und damit auch über die Aktivitäten der internationalen
ITER-Organisation auszuüben. Im Bereich der Verwaltung von ITER durch das gemeinsame Unternehmen
„Fusion for Energy“ liegt doch einiges im Argen - wie
nicht zuletzt der Rücktritt des Direktors offenbart hat.
Denn eines ist auch klar: ITER kann es nicht um jeden
Preis geben. Vor allem aber darf ITER nicht zu einem
Fass ohne Boden werden.
Noch überwiegt allerdings mein Vertrauen in die
Chancen der Kernfusion. Um das Projekt wirklich zu einem Erfolg zu machen, müssten wir die Entwicklung der
Fusion aber eher beschleunigen als Tempo herauszunehmen. Es gilt daher, gemeinsam mit unseren europäischen Partnern zeitnah Farbe zu bekennen, wohin die
Reise gehen soll. Hierbei sind auch die schon getätigten
erheblichen Investitionen zu berücksichtigen. Letztlich
kann eine Entscheidung aber nicht ohne eine - auch von
der Kommission geforderte - glaubwürdige und belastbare Kostenschätzungs- und Kosteneindämmungsstrategie getroffen werden. Derzeit schwirren noch zu viele
unterschiedliche Zahlen durch den Raum, als dass eine
klare Positionierung der Vertragspartner beim Rat der
Wettbewerbsfähigkeit am 25. und 26. Mai 2010 realistisch erscheint. Deutlich ist nur, dass eine beträchtliche
Finanzierungslücke besteht. Richtig ist auch, dass für
eine tragfähige Zukunft des Projekts eine nachhaltige
Finanzierung statt eines ständigen Klein-Klein erforderlich ist.
Man mag nun zu ITER stehen wie man will. Doch eines ist klar: Eine einseitige Kündigung des ITER-Abkommens ist - abgesehen von den außenpolitischen Verwerfungen - auch forschungs- und umweltpolitisch
unverantwortlich. Das ITER-Abkommen enthält im Übrigen auch keine Rücktrittsmöglichkeit für Euratom als
einen der Vertragspartner. Gemäß Art. 24 Abs. 6 ist die
Beendigung des Vertrages nur durch eine Vereinbarung
aller Partner möglich.
Ich empfehle daher im Ergebnis, den vorliegenden
Antrag von Bündnis 90/Die Grünen zur Beratung an den
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung zu überweisen.
Zu Protokoll gegebene Reden
Die Zeit der fossilen Energieträger läuft aus. Ich
denke, wir alle sind uns darin einig, dass die nachhaltige und effiziente Gewinnung und Bereitstellung von
Energie eine der wichtigsten gesellschaftlichen Herausforderungen der nächsten Jahre sein wird. Dabei spielt
die frühzeitige Forschungsförderung eine entscheidende
Rolle. Aber die Weichen müssen richtig gestellt sein.
Wir Sozialdemokraten haben deshalb bereits vor Jahren zusammen mit unserem damaligen grünen Koalitionspartner große Anstrengungen in die Förderung der
regenerativen Energietechnologien gesteckt. Davon
profitiert Deutschland noch und gerade heute in vielfacher Hinsicht. Teil der Energiewende war der Ausstieg
aus der schon damals nicht zukunftsfähigen Kerntechnologie. Die Gefahr eines Unfalls, die ungelöste und für
den Steuerzahler mit immensen Kosten verbundene Endlagerproblematik sowie die Gefahr der Proliferation von
waffentauglichem Kernmaterial sind einfach zu groß.
Rentabel sind diese Technikmonster allein für die Atomindustrie. Zudem stellen Kernkraftwerke das Sinnbild
der zentralen - manche sagen zentralistischen - Energieversorgung mit Großkraftwerken dar, die nicht mehr
in die kommende Zeit der dezentralen und effizienten
Kleinkraftwerke passt. Für die Bürgerinnen und Bürger
sind Kernkraftwerke ein Graus. Das haben die vielen
Tausend Demonstranten vorletztes Wochenende einmal
mehr gezeigt. Wenn CDU, CSU und FDP immer noch
für eine Laufzeitverlängerung plädieren, kann man das
nur noch mit schierem Atomlobbyismus erklären.
Seit mehr als 60 Jahren arbeiten Wissenschaftler in
aller Welt an einer weiteren Technologie zur Energiebereitstellung, an der sogenannten Fusionstechnologie.
Dabei sollen die Abläufe, die in der Sonne stattfinden, in
einem Kraftwerk nachempfunden werden. Im Unterschied zur Kernspaltung werden bei der Kernfusion
Atomkerne verschmolzen. Dabei werden wie bei der
Kernspaltung große Mengen Energie freigesetzt. Eine
unkontrollierbare Kettenreaktion ist aber, anders als bei
der Atomkraft, zum Glück nicht möglich. Auch die Probleme mit radioaktivem Müll sowie die Möglichkeit der
Nutzung als Waffe erscheinen nach heutigem Wissensstand im Vergleich zur Kernspaltung als eher unproblematisch. Die Technik klingt also erst einmal vielversprechend.
In Deutschland wird heute bei der Max-Planck-Gesellschaft in Garching und Greifswald und der Helmholtz-Gemeinschaft in Karlsruhe und Jülich auf diesem
Gebiet geforscht. Dafür werden die beiden Versuchsreaktoren Wendelstein 7-X und TEXTOR betrieben. Alle
Arbeiten sind bis zum heutigen Tag immer noch der
Grundlagenforschung zuzurechnen. Der Beweis, ob
diese Technologie jemals kommerziell Energie liefern
wird, steht noch aus.
Übrigens waren nur wenige der heutigen politischen
Entscheidungsträger an den Anfängen dieses Prozesses
beteiligt, und mit hoher Wahrscheinlichkeit wird niemand der heutigen Entscheider noch die Anwendung
dieser Technologie in Verantwortung erleben. Inwieweit
ein solches Verfahren überhaupt politisch akzeptabel
sein kann, muss bei Gelegenheit an anderer Stelle diskutiert werden.
Wie so oft in der Wissenschaft wurde auch im Bereich
der Fusionsforschung deutlich, dass man zum Erreichen
der Ziele international zusammenarbeiten muss. Aus
diesem Grund haben sich 2006 die EU, Japan, Russland, die USA, China, Indien und Südkorea zusammengetan und den Bau und Betrieb des internationalen thermonuklearen Experimentalreaktors, ITER, vereinbart.
Innerhalb der EU wird ITER über Euratom abgewickelt.
Als Standort wurde das französische Cadarache gewählt. Vereinbart wurde, dass die EU als Sitzregion
45,5 Prozent der Kosten trägt. Nach erfolgreichem Abschluss der ITER-Experimente soll der Versuchsreaktor
DEMO gebaut werden. Erst dieser wird zeigen, ob die
kommerzielle Stromgewinnung mit der Fusionstechnologie überhaupt möglich ist. Mit einem endgültigen Ergebnis wird frühestens im Jahr 2050 gerechnet.
Für die SPD ist die Fusionstechnologie ein spannender Bereich der Grundlagenforschung. Das Problem ist,
dass die Gesellschaft bereits in den nächsten Jahren
konkrete und anwendbare Alternativen für die Energieversorgung braucht. In diesem Zeitraum wird die Fusionstechnologie nicht als Option zur Verfügung stehen.
Im Bereich der erneuerbaren Energien existieren
schon funktionsfähige Technologien, bei denen Biomasse, Geothermie, Sonne, Wasserkraft und Wind zur
Energieerzeugung genutzt werden. Sie sind bereits heute
anwendbar, dienen dem Umwelt- und Klimaschutz, sind
Innovations- und Technologietreiber und tragen in breitem Umfang zur Wertschöpfung und Schaffung von Arbeitsplätzen in Hand- und Stahlwerk bei. Diese Anlagen
erzeugen heute 15 Prozent des gesamten Bruttostromverbrauchs in Deutschland. Das Potenzial ist dabei
noch lange nicht ausgeschöpft. Mit diesen Technologien
ist die Energiewende somit machbar. Deshalb besitzt für
uns Sozialdemokraten dieser Bereich ganz klare Priorität.
Mit ITER haben wir ein Finanzierungsproblem. Die
aktuelle Mitteilung der Kommission lässt vermuten, dass
der Kostenanteil für Europa sogar von 2,7 auf 7,2 Milliarden Euro steigt. Schon jetzt klafft eine Finanzierungslücke von 1,4 Milliarden Euro für die Jahre 2012
und 2013, die entweder über eine Anhebung des Finanzrahmens oder zusätzliche Beiträge der Mitgliedstaaten
gefüllt werden muss. Da stellt sich schon die Frage, ob
diese Technologie, bei aller Forschungsfaszination, in
dieser Größenordnung vernünftig oder verantwortbar
ist, insbesondere wenn man überlegt, was diese Summen
in anderen Bereichen, zum Beispiel bei Energieeffizienz,
-einsparung oder regenerativen Energietechnologien,
möglich machen würden. Insofern sympathisiere ich
durchaus mit dem Antrag der Grünen. Aber aus unserer
gemeinsamen Koalitionszeit weiß ich auch, dass der von
ihnen geforderte Ausstieg eben leider nicht so einfach
umzusetzen ist.
Wenn die aktuellen Zahlen der Kommission sich bestätigen, muss die Bundesregierung beim Wettbewerbsfähigkeitsrat am 25./26. Mai in Brüssel Druck machen.
Klar ist für uns Sozialdemokraten, dass die erneute KosZu Protokoll gegebene Reden
tensteigerung in diesem Umfang nicht hingenommen
werden kann und schon gar nicht zulasten der Förderung der regenerativen Energie gehen darf. Die erste
Kürzung in diesem Bereich durch die schwarz-gelbe
Koalition lässt nichts Gutes erwarten. In Zeiten, in denen wir auf der einen Seite die Ursachen und Auswirkungen des Klimawandels konkret und zeitnah bekämpfen müssen und auf der anderen Seite infolge der
Finanzkrise mit finanziellen Schwierigkeiten in ungeahnter Größe zu kämpfen haben, sind weitere Mittelerhöhungen nicht zu verkraften.
Spätestens jetzt ist der Zeitpunkt gekommen, auch die
potenziellen Nutznießer der Fusionstechnologie - sprich
die Industrie - stärker an den Forschungsausgaben zu
beteiligen. Wenn Frau Merkel so sehr an die Machbarkeit der Technologie glaubt, sollte die Überzeugungsarbeit ja eigentlich ein Kinderspiel sein.
Um es noch einmal zusammenzufassen: Für uns Sozialdemokraten ist die Fusionstechnologie ein spannendes Forschungsthema; sie wird aber, selbst wenn alle
Experimente positiv verlaufen, nicht rechtzeitig als
Energieoption zur Verfügung stehen. Wir müssen uns
also auf andere Energieträgertechnologien konzentrieren. In Anbetracht der finanziellen Zwänge sollte das
Geld deshalb vorrangig in bereits ausgereifte und einsetzbare regenerative Energietechnologie gesteckt werden. Es ist Aufgabe der Bundesregierung, nun endlich
eine Deckelung der ITER-Kosten in Brüssel durchzusetzen.
Die Investition in Zukunftsenergien, die keine das
Klima schädigenden Emissionen, keine Endlagerprobleme und keine Proliferationsprobleme mit sich bringen und die die Energieversorgung in der Grundlast
dauerhaft sichern, ist lohnend und vielversprechend. Es
wird bereits viel auf dem Gebiet der erneuerbaren Energien geforscht und erprobt. Es macht keinen Sinn, sich
nur auf ein Gebiet der Energieversorgung zu konzentrieren. Das haben wir aus der Vergangenheit gelernt. Kernspaltungs- oder Kernfusionsforschung zu verteufeln ist
forschungspolitisch fatal. Denn wäre die Kernforschung
in den letzten Jahren stärker forciert worden, wären wir
auf diesem Gebiet vielleicht schon weiter.
Wir rufen uns kurz in Erinnerung: ITER ist ein international gefördertes Fusionsexperiment, das einzig und
allein zu Forschungszwecken gebaut wird. Es soll die
technische Machbarkeit der Energiegewinnung aus
Kernfusion demonstrieren. Folgt man den Berechnungen, so soll etwa zehnmal so viel Energie aus der Fusion
von Deuterium und Tritium freigesetzt werden, wie
Energie für den Betrieb eingesetzt wird.
Sieben gleichberechtigte ITER-Partner - Europa, Japan, Russland, die USA, China, Indien und Südkorea haben am 21. November 2006 in Paris den Vertrag zur
Gründung der ITER-Organisation nach langem Ringen
unterzeichnet. Der geplante Fusionsreaktor ITER im
südfranzösischen Cadarache soll die Nutzung der Kernfusion zur Stromerzeugung im industriellen Maßstab
vorbereiten. Eigens dafür richteten alle sieben Partnerländer eine eigene nationale Behörde ein, die die Aufgabe hat, die vertraglichen Verpflichtungen des jeweiligen Landes gegenüber ITER zu erfüllen.
Welche Bedeutung hat ITER für Deutschland? Am
ITER-Projekt sind führend deutsche Forschungseinrichtungen beteiligt. So arbeitet das Institut für Plasmaphysik in Garching, eines der größten Fusionsforschungszentren in Europa, mit seinem Experiment ASDEX
Upgrade seit Jahren an ITER-relevanten Fragen. Nicht
zuletzt hat das IPP die physikalischen Grundlagen für
den Testreaktor entwickelt.
Auch zukünftig muss Deutschland, vertreten durch
die Max-Planck-Gesellschaft und die Helmholtz-Forschungszentren Karlsruhe und Jülich, eine wichtige
Rolle spielen, so zum Beispiel bei der Suche nach optimierten Betriebsweisen für den Testreaktor, bei der Entwicklung der Plasmaheizung von ITER sowie bei der
Suche nach Analyseverfahren für das Plasma und natürlich nicht zuletzt auch nach geeigneten Werkstoffen für
die Brennkammer.
Das ITER-Projekt bedeutet auf keinen Fall, das
nationale Projekt Wendelstein 7-X in Greifswald aufzugeben. Dieses Leuchtturmprojekt mit seinem Alleinstellungsmerkmal ist für die Plasmaphysik ein außerordentlich wichtiges Instrument und hat auch
international eine hohe Strahlkraft.
Auch wirtschaftliche Aspekte dürfen nicht außer Acht
gelassen werden. Es ist jetzt besonders wichtig, an die
Aufträge für die Bauteilfertigung sowie die dafür erforderlichen Forschungs- und Entwicklungsaufgaben für
die deutsche Industrie und die deutsche Fusionsforschung zu denken. Interessant ist, welche wesentlichen
technischen Komponenten Deutschland im Rahmen des
europäischen Lieferbeitrages liefert. Alle ITER-Partner
liefern ihre Anteile im Wesentlichen als fertige Komponenten, die in den jeweiligen Ländern hergestellt werden. Die Ausschreibung und Vergabe der europäischen
ITER-Komponenten erfolgen aber bekanntlich durch die
europäische Agentur Fusion for Energy, F4E, in Barcelona. Diesen wichtigen Aspekt dürfen wir nicht aus den
Augen verlieren.
Sie führen in Ihrem Antrag die Kostenexplosion aus,
die nicht unerheblich ist. Aber diese Fakten sind nicht
neu. Bereits im Jahr 2008 wurde bekannt, dass bei ITER
mit einer erheblich höheren Kostensteigerung zu rechnen sein wird, als bei der Vertragsunterzeichnung abzusehen war.
Aber sind wir mal ehrlich: Haben wir in der Vergangenheit nicht bewusst die Augen zugedrückt? Ich erinnere an die damalige Entscheidung für ITER, lange bevor über den Standort gestritten wurde. Ich erinnere
auch an die Entscheidung für ebendiesen ITER-light.
Die Kalkulation rechnete damals mit einer Gesamtsumme der Kosten von 5,5 Milliarden Euro. Heute sind
wir bei Gesamtkosten von 7,2 Milliarden Euro angekommen. Die Kostensteigerung ist im Wesentlichen auf
erhöhte Rohstoffpreise, neue wissenschaftliche Erkenntnisse, höhere Qualitätsanforderungen und Fehleinschätzungen des notwendigen Umfangs von Diagnostiken zurückzuführen.
Zu Protokoll gegebene Reden
Dr. Martin Neumann ({0})
Übrigens halte ich es für bemerkenswert, dass heute
über den schrittweisen Aufbau von ITER nachgedacht
wird. Also kommt in einer ersten Phase dem sicheren
Einschluss des Plasmas bei circa 100 Millionen Grad
Celsius eine besondere Bedeutung zu. Nach erfolgreichem Abschluss dieser Forschungsarbeiten soll in einem
zweiten Schritt das Inventar für die eigentliche Fusion
und Wärmeableitung eingebaut werden.
Klar ist, dass, auch wenn Deutschland ITER nicht direkt finanziert, sondern Euratom, es an dieser Stelle Verantwortung übernehmen muss. Das bedeutet, dass wir
und unsere Partner Wege suchen müssen, die heute auf
7,2 Milliarden Euro kalkulierten Kosten für den Fusionsforschungsreaktor ITER durch die EU aufzubringen, und dass auch Pläne für die Finanzierung der
Kostensteigerungen zu erarbeiten sind. Das heißt,
80 Prozent der Kosten sind von Euratom - und somit anteilig von Deutschland - und 20 Prozent von Frankreich
zu tragen. Aus dem 7. FRP würden insgesamt 2,1 Milliarden Euro für die Jahre 2012/13 benötigt. Zusätzlich
zu den vorgesehenen 346 Millionen Euro für 2012 und
den 344 Millionen Euro für 2013 besteht somit eine
Finanzierungslücke für diesen Zeitraum in Höhe von
1,4 Milliarden Euro ({1}). Ein Darlehen der Europäischen Investitionsbank oder die Umschichtung innerhalb des EU-Finanzierungsrahmens hält die Kommission für nicht möglich. Vielmehr schlägt die Kommission
zwei Finanzierungsoptionen vor: Option I: zusätzliche
Beiträge der Mitgliedstaaten, Option II: Anhebung des
Finanzrahmens.
Das Problem wurde jetzt benannt, und wir sind aufgefordert, Lösungen zu erarbeiten. Sich aber jetzt aus dem
Projekt zu verabschieden, ist für uns der falsche Weg.
Vielmehr ist es wichtig, neu zu kalkulieren, Kostenfallen
deutlich zu machen und das Projekt als wirkliches Zukunftsprojekt für nächste Generationen zu betrachten.
Klar ist: ITER darf nicht zu einem „schwarzen Loch“
für Steuergelder verkommen.
Mitte Juni 2010 tagt der ITER-Rat, in dem die EU
durch die Kommission vertreten ist, um über die weiteren Schritte im ITER-Projekt zu entscheiden. Bis zu diesem Zeitpunkt müssen wir Lösungen vorweisen. Es ist
aber unstrittig, dass das Fusionsforschungsprojekt ITER
von der Bundesregierung weiterhin befürwortet und unterstützt wird. Die Entwicklungen werden aufmerksam
und kritisch beobachtet und analysiert. Deutsche Interessen und die der übrigen Mitgliedstaaten müssen gegenüber der EU-Kommission mit Nachdruck vertreten
werden.
Die FDP-Bundestagsfraktion appelliert an die bisherigen Gegner von ITER: Setzen Sie sich in Ihren Fraktionen für ITER ein und beenden Sie die Politik der kleinen Messerstiche gegen die Fusionsforschung.
Michail Gorbatschow kennt sich mit Fusionen aus.
Er begleitete nicht nur die Fusion der beiden deutschen
Staaten, sondern rief mit François Mitterrand und
Ronald Reagan auch das Kernfusionsprojekt ITER ins
Leben. Das geschah bereits 1985, und der politische
Glaube an solche Großtechnologien wie die Atomkraft
schien in dieser Zeit ungebrochen.
In den nachfolgenden 20 Jahren erlebte das Projekt
viele Planungsphasen und Kostenschätzungen. Die USA
zogen sich 1998 als Hauptfinanzier zurück, weil ihnen
die damals prognostizierten Baukosten von 13 Milliarden D-Mark, also knapp 7 Milliarden Euro, nach heutigen Maßstäben für einen Forschungsreaktor zu hoch
erschienen. Zwischenzeitlich wurden die Gesamtbaukosten heruntergerechnet. Nach dem Preisstand von
1989 lag man bei 3,577 Milliarden US-Dollar. Das bedeutet preisbereinigt, bezogen auf 2008, 5,366 Milliarden Euro.
Nun, im Jahr 2010, ist man wieder bei Kostenplanungen in Höhe von 7,2 Milliarden Euro gelandet. Es ist
also eine gewaltige Finanzierungslücke entstanden. Niemand weiß, ob bei Fortsetzung des Projektes und seines
Baus nicht weitere Anpassungen nach oben nötig werden, zum einen infolge neuer Forschungserkenntnisse
und zum anderem infolge neuer Reibungsverluste durch
technische, bauliche, aber auch bürokratische Inkompatibilitäten. Fakt ist: ITER bleibt für alle beteiligten Seiten mit unabsehbaren finanziellen Risiken behaftet.
Es gibt aber eine weitere Entwicklung, die ITER
grundsätzlich infrage stellt, und das ist der Klimawandel. 1985 war er noch kein öffentliches Thema. Heute
aber haben uns sein Umfang und seine dramatischen
Folgen eingeholt. Wir waren und sind gezwungen, umzudenken und anders zu handeln.
Effektivität und Effizienz sind zu den entscheidenden
Kriterien einer nachhaltigen Weichenstellung in unserer
Energieerzeugung geworden. Zur Hauptfrage ist angesichts des engen Zeitfensters, innerhalb dessen wir den
Klimawandel eindämmen wollen, geworden: Welchen
Beitrag kann eine Technologie zur Reduzierung von klimaschädlichen Emissionen in welcher Zeit und zu welchen Kosten leisten? Vor dem Hintergrund dieser Ausgangssituation hat die Linke dieses Mammutprojekt, so
spannend es aus wissenschaftlicher Sicht auch sein mag,
kritisch betrachtet.
Sollte ITER, wie geplant, 2018 zum ersten Mal Strom
produzieren, wäre das wiederum der Startschuss für
weitere vorrangig öffentlich finanzierte milliardenschwere Demonstrationsprojekte, so auch für den Reaktor DEMO. Von einer kommerziellen Nutzung ist man
dann allerdings immer noch 30 bis 40 Jahre entfernt.
Vor 2050, so schätzen Experten, wird auch im BestCase-Szenario kein Strom aus Kernfusion ins Netz kommen. Bis zu diesem Zeitpunkt müssen wir jedoch längst
Maßnahmen für eine klimafreundliche Energieerzeugung getroffen und umgesetzt haben, oder - um nochmals Michail Gorbatschow zu bemühen -: „Wer zu spät
kommt, den bestraft das Leben.“
Die Linke strebt, wie andere Fraktionen hier im Haus
auch, eine vollständige Umstellung der Stromversorgung auf erneuerbare Energien an. Diese haben den
Vorteil, vor allem dezentrale Stromproduktion zu ermöglichen. So können nicht nur Synergien, etwa bei der
Zu Protokoll gegebene Reden
Kraft-Wärme-Kopplung oder der Verwertung von Biomasse, genutzt werden, auch die Abhängigkeit von Monopolstrukturen in der Energiewirtschaft ließe sich deutlich verringern.
Der Sachverständigenrat für Umweltfragen hat am
Tag vor dieser Debatte in einer Stellungnahme bestätigt,
dass eine vollständige Umstellung auf erneuerbare
Energien bis 2050 umsetzbar ist, wenn klare politische
Weichenstellungen erfolgen. Ich zitiere selbigen: „Die
Politik muss die Zielrichtung eindeutig vorgeben. Wichtig ist es, die systemischen Konflikte zwischen grundlastbasierten und erneuerbaren Systemen und die daraus
entstehende Notwendigkeit einer Systementscheidung
für die Öffentlichkeit transparent zu machen.“ Das Versprechen auf die Zukunftsvision, die Kernfusion könne
uns von allen Energieproblemen der Welt erlösen, birgt
die große Gefahr, dass wir nicht energisch genug die
notwendigen energetischen Weichenstellungen angehen
und uns vor der genannten Systementscheidung drücken.
Die schwarz-gelbe Koalition bremst jetzt bereits:
nicht nur durch Pläne für längere Laufzeiten von Atomkraftwerken, nicht nur mit der überzogenen Kürzung der
Einspeisevergütung im Rahmen des Energieeinspeisungsgesetzes, sondern auch durch stagnierende Forschungsmittel im Bereich der erneuerbaren Energien.
Wer abseits von Sonntagsreden etwas zu den Initiativen
des Umweltministeriums in diesem Bereich erfahren
will, hat Pech. Dessen Übersicht zur Forschung bei Erneuerbaren auf der Ministeriumsseite verharrt auf dem
Stand Mai 2009. Ein Innovationsbericht für diesen Bereich ist zum letzten Mal im Januar 2009 erschienen.
Nach einer eindeutigen Prioritätensetzung für Forschung an nachhaltiger Energieerzeugung sieht das alles nun wirklich nicht aus.
Wir können nur appellieren: Nehmen Sie die Verantwortung an! ITER und die Fusionsforschung mögen
spannende wissenschaftliche Hypothesen überprüfen.
Wohl wahr. Aber zur Lösung unserer drängenden Probleme tragen sie bestenfalls langfristig, schlechtestenfalls niemals etwas bei. Beenden Sie die Teilnahme an
diesem Projekt, bevor es weitere Milliarden verschlingt,
die heute weit effektiver für eine Energiewende eingesetzt werden können.
Wir wissen, dass das Kündigen multilateraler Verträge dieses Umfangs besonders kritisch zu prüfen ist.
Verlässlichkeit und Vertrauen sind durchaus bedeutende
Kriterien. Wir haben diese und die Komplexität des Projektes bei unserer Prüfung berücksichtigt. Dabei mussten wir auch feststellen, dass es bei dem gewaltigen
Missverhältnis zwischen dem Engagement öffentlicher
Haushalte und der Wirtschaft geblieben ist.
Veränderte Situationen zu analysieren, Folgen abzuschätzen und entschlossen zu reagieren, ist durchaus mit
veränderten Prioritätensetzungen verbunden. Dieser
Frage müssen sich auch die Koalitionsfraktionen stellen. Immerhin haben sich die umwelt- und finanzpolitischen Bedingungen erheblich verschärft. Vor diesem
Hintergrund übernehmen wir mit unseren Förderentscheidungen auch Verantwortung für die nachfolgenden
Generationen und ihre Lebensbedingungen, für das gesamte Ökosystem Erde. Eine Nummer kleiner geht es bei
der Tragweite dieses Megaprojektes nicht.
Meine Fraktion kann dem Antrag der Grünen daher
zustimmen.
Große Ideen üben große Faszination aus: als Mensch
die Kraft der Sonne beherrschen, Grenzen überwinden
und gemeinsam, ja völkerverbindend, für ein großes Ziel
forschen. Es ist ja nachvollziehbar, dass die damit Befassten solche Träume nicht den schnöden Realitäten
opfern wollen. Aber wir hier im Bundestag müssen uns
den Realitäten stellen. Wir müssen nicht nur über die zukünftige Energiestruktur, die Maßnahmen zum Klimaschutz entscheiden, wir sind auch verantwortlich, mit
den Steuergeldern unserer Mitbürgerinnen und Mitbürger redlich umzugehen.
Tatsächlich ist die Fusionsforschung nichts als eine
unendliche Geschichte von Versprechen. Schon in den
50er-Jahren des letzten Jahrhunderts glaubte man, die
Kernfusion in 20 bis 30 Jahren für die Energienutzung
verfügbar machen zu können. Dieses durch alle Jahrzehnte wiederholte Versprechen auf eine Zukunftsoption
ist unter Naturwissenschaftlern als Fusionskonstante
bekannt: Es bleibt in der näheren Zukunft, ist zum Greifen nah; nur ein paar wissenschaftliche Wunder fehlen
zum Durchbruch.
Bisher gibt es kein Material, was radioaktives und
krebserregendes Fusionsplasma zurückhalten kann.
Durch freigesetzte Neutronen wird im Inneren des Reaktors auch die Hülle, das sogenannte Blanket, radioaktiv
kontaminiert und brüchig und muss immer wieder ausgetauscht werden. Damit sind radioaktive Kontamination und strahlende Abfälle eines der Hauptprobleme
dieser Technologie. Ein Drittel dieses Atommülls wäre
langlebig und müsste in ein geologisches Endlager. Der
Traum von „unendlich viel Energie“ hat jedenfalls die
typischen Begleiterscheinungen einer Hochrisikotechnologie; von der Nähe zur Neutronen- oder Wasserstoffbombe, für die schon wenige Gramm Tritium reichen,
ganz zu schweigen.
Beim nach der internationalen Raumstation zweitteuersten Forschungsvorhaben, dem ITER-Projekt, sind die
Kosten gerade explodiert. Für Europa heißt das 1,4 Milliarden Euro Mehrkosten alleine in den Jahren 2012/
2013. Mit ITER soll im südfranzösischen Cadarache
erstmals demonstriert werden, dass sich mit Fusion
Energie gewinnen lässt. 1985 wurde das Projekt angestoßen, für 2026 ist eine erste Fusion geplant. Falls
ITER irgendwann funktioniert, soll mit dem Folgeprojekt DEMO im Versuchsmaßstab Elektrizität generiert
werden. Erst wenn auch DEMO seine Tests besteht, kann
es an den Bau eines stromliefernden Fusionsreaktors gehen. 2055 soll es so weit sein. Die Fusionskonstante
lässt grüßen. Bis dahin werden die Forschungskosten
auf mindestens 100 Milliarden Euro geklettert sein.
Im Kampf gegen den Klimawandel könnte die Fusionstechnik übrigens nicht helfen. Dieser Kampf wird
Zu Protokoll gegebene Reden
nicht in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts entschieden, sondern in den nächsten Jahren. Selbst wenn die
Fusionsenergie 2055 zur Verfügung stehen würde: Für
die dann bereitzustellende Energieversorgung käme sie
auf jeden Fall zu spät.
Es ist Zeit für einen Paradigmenwechsel. Es ist an der
Zeit, das Notwendige zu tun und die Forscherkapazität
auf zukunftsverträgliche Lösungen zu lenken. Wir haben
nur eine Erde. Unser Lebensraum, ja selbst unser Leben
sind begrenzt. Schon heute aber können wir die Kernfusion nutzen. Unser Fusionsreaktor ist die Sonne. Die
Sonne schickt uns genügend Energie auf die Erde. Sie ist
in jedem Land verfügbar. Wir müssen nur lernen, diesen
Reichtum intelligent und naturverträglich zu nutzen.
Die Kernfusionsforschung ist ein Milliardengrab.
Einer Forschung, die zukunftsfähige Lösungen sucht
und den vielfältig verfügbaren natürlichen Reichtum
sinnvoll nutzt, gehört die Zukunft - und in diese Zukunft
gehören die Forschungsmilliarden. Es ist Zeit, aus der
Fusionsforschung auszusteigen.
Deshalb fordern wir die Bundesregierung auf, darauf
hinzuwirken, dass das ITER-Abkommen einvernehmlich
aufgehoben oder, falls dies nicht kurzfristig erreicht
werden kann, außerordentlich gekündigt wird, sowie unverzüglich damit zu beginnen, die Fusionsforschungsmittel aus dem Bundeshaushalt schrittweise auf die
Erforschung der erneuerbaren Energien und der Energieeinsparung zu übertragen.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 17/1433 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. - Ich sehe, Sie sind
damit einverstanden. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Ich rufe die Zusatzpunkte 6 und 7 auf:
ZP 6 Erste Beratung des von den Abgeordneten Jan
Korte, Sevim Dağdelen, Wolfgang Nešković und
weiteren Abgeordneten der Fraktion DIE LINKE
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Aufenthaltsgesetzes ({0})
- Drucksache 17/1557 Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss ({1})
Rechtsausschuss
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
ZP 7 Beratung des Antrags der Abgeordneten Josef
Philip Winkler, Memet Kilic, Volker Beck
({2}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Für eine wirksame und stichtagsunabhängige
gesetzliche Bleiberechtsregelung im Aufenthaltsgesetz
- Drucksache 17/1571 Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss ({3})
Rechtsausschuss
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Interfraktionell wird auch hier vereinbart, die Reden
zu Protokoll zu geben. Es handelt sich um die Reden
folgender Kolleginnen und Kollegen: Helmut Brandt,
Rüdiger Veit, Hartfrid Wolff ({4}), Ulla Jelpke
und Josef Philip Winkler.1)
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf
den Drucksachen 17/1557 und 17/1571 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sie sind damit einverstanden, wie ich sehe. Dann sind
die Überweisungen so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 22 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie ({5}) zu dem Antrag der Abgeordneten Nicole Maisch, Bärbel Höhn, Kerstin
Andreae, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Verbraucherfreundliche kostenfreie Warteschleifen bei telefonischen Dienstleistungen
einführen
- Drucksachen 17/1029, 17/1549 Berichterstattung:
Abgeordnete Claudia Bögel
Auch hier wurde bereits in der Tagesordnung ausgewiesen, dass die Reden zu Protokoll gegeben werden.
Es handelt sich um die Reden folgender Kolleginnen und
Kollegen: Lucia Puttrich, Martin Dörmann, Dr. Erik
Schweickert, Caren Lay und Nicole Maisch.
Heute diskutieren wir den Antrag der Fraktion Bünd-
nis 90/Die Grünen: „Verbraucherfreundliche kosten-
freie Warteschleifen bei telefonischen Dienstleistungen
einführen“. Liebe Kolleginnen und Kollegen vom Bünd-
nis 90/Die Grünen: Sie wollen immer wieder den Ein-
druck erwecken, dass Sie allein zum Wohle des Verbrau-
chers handeln würden - so auch mit diesem Antrag.
Die unionsgeführte Bundesregierung hat die Proble-
matik jedoch längst erkannt. Dies haben wir schon in
unserem Koalitionsvertrag mit den Kolleginnen und
Kollegen von der FDP festgeschrieben.
Dort können Sie nachlesen: „Wir wollen die Proble-
matik der unterschiedlichen Handhabung der Kosten-
verteilung bei Warteschleifen im Telefonverkehr auf de-
ren Praxistauglichkeit hin überprüfen.“ Und genau das
werden wir tun.
Sie fordern in Ihrem Antrag eine gesetzliche Pflicht,
Warteschleifen bei telefonischen Mehrwertdiensten, be-
sonders bei den 0900- und 0180-Rufnummern, kostenlos
1) Anlage 9
anzubieten. Sie begründen das unter anderem damit,
dass Kunden bei Problemen unverhältnismäßig belastet
würden. Es wäre besser, Sie hätten genauer hingeschaut: Im Gewährleistungs- oder Garantiefall können
Kunden die Kosten für die Servicehotline von dem
dienstleistenden Unternehmen zurückfordern.
Aber in der Tat ärgern sich viele Verbraucherinnen
und Verbraucher über die Kosten bei Warteschleifen.
Das Thema Servicenummern muss man differenziert betrachten. Die Pauschalierung, dass Servicenummern mit
kostenpflichtigen Warteschleifen generell nicht vertretbar wären, ist schlicht und einfach falsch. Grundsätzlich
gilt: Eine Dienstleistung darf Geld kosten; sie muss dieses aber wert sein.
Sie verlangen, dass Verbraucherinnen und Verbraucher erst dann für eine Mehrwertdienstrufnummer zahlen, „wenn sie tatsächlich mit einem Berater verbunden
werden“. Dies ist technisch nicht einfach zu lösen, aber
es ist lösbar. Darauf werde ich gleich im Detail eingehen. Denn auch an dieser Stelle tut sich bereits einiges.
Lassen Sie mich zunächst einmal die tatsächliche Situation darstellen. Es gibt in der Bundesrepublik
Deutschland viele unterschiedliche Rufnummern, die
von der Bundesnetzagentur vergeben werden. Der wesentlichste Unterschied zwischen den einzelnen Nummern - nämlich die Angabe und Ansage von entstehenden Kosten - ist in § 66 Telekommunikationsgesetz
geregelt.
Die Preisangabe, zum Beispiel auf Verpackungen
oder in Anzeigen, ist schon heute generelle Pflicht für
Mehrwertdienste ({0}). So können
Kunden bereits vor dem Anruf erkennen, welche Kosten
ihnen durch den Anruf entstehen und ob sie unter diesen
Konditionen die Verbindung nutzen wollen. Auch die
Preisansagepflicht vor Beginn der Verbindung besteht
bereits heute für die sogenannten sprachgestützten Premiumdienste, insbesondere die 0900-Nummern. So kann
der Kunde hier noch vor Eintritt in das Gespräch oder
gegebenenfalls die Warteschleife entscheiden, ob er das
Angebot nutzen will.
Für uns als christlich-liberale Koalition kommt es auf
eines besonders an: Der Verbraucher hat das Recht, zu
entscheiden, welches Angebot er nutzen möchte. Hier
können die Verbraucherinnen und Verbraucher mit dem
Telefonhörer abstimmen. Viele Unternehmen in
Deutschland wissen, dass kurze Warteschleifen zum
Kundendienst gehören. In Form einer Selbstverpflichtung haben sich bedeutende Unternehmen dazu erklärt.
Ich zitiere aus dem Leitfaden für eine verbraucherfreundliche Kundenbetreuung, der auf der Homepage
des Wirtschaftsministeriums abgerufen werden kann:
„Die hier mitzeichnenden Unternehmen erklären aber
klar, dass sie mit den Warteschleifen kein Geld verdienen
wollen.“ Der Leitfaden ist in Zusammenarbeit mit
Unternehmen der Informations- und Kommunikationstechnologien im Rahmen des von der Bundeskanzlerin initiierten Zweiten Nationalen IT-Gipfels 2007
verabschiedet worden. Die darin aufgenommene Selbstverpflichtung der Wirtschaft hat zum Ziel, den Service zu
verbessern.
Neben Qualitätsstandards zur Ausbildung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind auch Kriterien zur Erreichbarkeit, zu Wartezeiten und zur Transparenz im Telefonkontakt Kunde/Unternehmen festgelegt worden.
Eine Reihe von Unternehmen hat inzwischen Servicenummern geschaltet, bei denen weder in einer Warteschleife noch bei der Serviceauskunft für den Kunden
Kosten entstehen. Die Unternehmen aus dem Bereich
der Informations- und Kommunikationstechnologien haben sich dabei verpflichtet, über die geltenden Preisansageverpflichtungen hinaus Kosteninformationen zu geben. Dies ist ein wichtiger Schritt, der belegt, dass
Unternehmen auch durchaus bereit und in der Lage
sind, selbstständig Verbraucherinteressen zu berücksichtigen. Doch eine Selbstverpflichtung ist nicht immer
ausreichend.
An einer entscheidenden Stelle hat die Bundesregierung besonders im Bereich der 0180-Nummern nachgebessert. Für die 0180-Servicenummern hat die Bundesregierung schon Preisobergrenzen realisiert. Seit dem
1. März 2010 sind diese Änderungen gültig. Anrufe aus
dem Festnetz zu 0180-Nummern kosten maximal
14 Cent pro Minute und der gesamte Anruf maximal
20 Cent. Anrufe aus dem Mobilfunknetz zu 0180-Nummern kosten nun höchstens 42 Cent pro Minute und der
komplette Anruf maximal 60 Cent. Die gilt im Übrigen
auch für die von Ihnen bemängelten Warteschleifen,
wenn eine 0180-Nummer angewählt wird. Hier ist der
Verbraucher bereits erheblich entlastet.
Eine gesetzeskonforme Preisangabe für Bewerbungen von diesen 0180-Rufnummern muss dem Rechnung
tragen. Schummeleien sind nicht zulässig und werden
von der Bundesnetzagentur geahndet. Bei festgestellten
Verstößen gegen die Preisangabe-/Preisansagepflicht
schreitet die Bundesnetzagentur wegen Rufnummernmissbrauchs ein.
Anfänglich wurde den Ende 2007 in Kraft getretenen
Preisangabepflichten in der Werbung, sowohl in Printmedien, in Funk und Fernsehen als auch im Internet,
nicht ausreichend nachgekommen. Das ist richtig. Die
Bundesnetzagentur hat jedoch zeitnah in einer Vielzahl
von Fällen Abmahnungen ausgesprochen oder die betreffenden Rufnummern konsequent abgeschaltet.
Es ist falsch, dass die Verbraucher ohne den Antrag
der Grünen schutzlos wären. Die Bundesregierung handelt - und das nicht erst seit Ihrem Antrag. Gerade die
Frage der Abzocke in Warteschleifen akzeptieren wir
nicht. Ressortübergreifend hat auch Ministerin Ilse
Aigner immer wieder darauf hingewiesen und das
Thema mit Nachdruck ins politische Bewusstsein gerückt.
Ein erster Schritt ist durch die Bundesnetzagentur bereits ermöglicht worden, indem eine Änderung der Abrechnungsverfahren erfolgt. Bisher konnte bei den 0180Nummern nur das sogenannte Onlinebilling genutzt
werden; nun soll das Verfahren des Offlinebilling möglich werden. Beim Onlinebilling kann bei der AbrechZu Protokoll gegebene Reden
nung nicht zwischen Gespräch und Warteschleife unterschieden werden. Beim Offlinebilling hingegen schon.
Damit besteht die Möglichkeit, erst dann eine Dienstleistung abzurechnen, wenn diese tatsächlich erbracht
wurde. Dies ist ein erster entscheidender Teilerfolg.
Durch die Einführung einer neuen Nummerngasse
({1}) wird es für das abzurechnende Unternehmen
ersichtlich sein, ob in der bestehenden Verbindung ein
Gespräch geführt wurde, das heißt, ob eine Dienstleistung erbracht wurde oder der Kunde sich in einer Warteschleife befindet. Diese Veränderung ermöglicht den
Unternehmen den Weg hin zu kostenfreien Warteschleifen.
Die Bundesregierung wird diese Frage auch im Rahmen der anstehenden Novelle zum Telekommunikationsgesetz zur Umsetzung der europäischen Änderungsrichtlinien erörtern. Im Zuge dieser Novelle soll die
Bundesnetzagentur ermächtigt werden, umfassende Verbraucherschutzanforderungen durchzusetzen. So soll die
Pflicht zur Information über Preise verstärkt, der Anbieterwechsel erleichtert und sollen die Möglichkeiten der
Ausdehnung der Streitschlichtung geprüft werden.
Das Wirtschaftsministerium und das Verbraucherschutzministerium erarbeiten gerade gemeinsam einen
Gesetzentwurf. Hier wird schließlich nicht nur die Frage
der Warteschleifen, sondern auch die der Preisansage
bei Call-by-call-Anrufen untersucht. Denn leider gibt es
auch hier schwarze Schafe, die den Verbraucher täuschen und kurzfristig Preisänderungen vornehmen, ohne
diese den Verbrauchern zu kommunizieren.
Im Zuge der Novellierung des TKG werden mehrere
Bereiche neu geregelt. Es ist purer Populismus, dass Sie
nun mit diesem Antrag einen einzelnen Punkt herausgreifen. Wir werden nicht allein die Warteschleifen, sondern auch die Preisansagen bei Call-by-call-Anrufen
prüfen.
Eines sollte man festhalten: Letztendlich entscheidet
der Kunde darüber, welches Angebot er nutzt. Die
Macht des Verbrauchers muss an dieser Stelle auch einmal deutlich herausgestellt werden. Ein gutes Beispiel
ist folgendes: Ein Verbraucher entscheidet sich für ein
Konto einer Direktbank, für das keine Kontoführungsgebühren anfallen. Damit kann jedoch verbunden sein,
dass er weitere Leistungen gesondert berechnet bekommt. Wenn zum Beispiel für die Servicehotline hohe
Entgelte gezahlt werden müssen, muss dies dem Kunden
allerdings transparent dargestellt werden. Gute Dienstleistungen dürfen auch berechnet werden. Es kann deshalb keine Pflicht zum Anbieten kostenloser Dienstleistungen geben. Allerdings müssen die Entgelte hierfür
transparent und angemessen sein.
Was wir in jedem Fall wollen und realisieren werden:
Es muss eine klare Preistransparenz geben, die es den
Verbrauchern ermöglicht, sich für oder gegen eine
Dienstleistung zu entscheiden. Denn nur ein informierter Bürger kann verantwortliche Entscheidungen treffen.
Ich sagte es bereits: Unser Leitbild ist das des mündigen, informierten und aufgeklärten Verbrauchers.
Der Weg muss ein anderer sein als der, den Sie vorschlagen. Denn in einer zunehmend komplexeren und digitalisierten Welt kommt es immer stärker darauf an,
dass die Kunden selbstbestimmt handeln. Daher müssen
wir einen Beitrag zu Transparenz und Information leisten - und daran arbeiten wir.
Ihr Antrag ist schlichtweg überflüssig. Die Entscheidung, ob Mehrwertdienste angeboten werden, unterliegt
allein den dienstleistenden Unternehmen und nicht den
Telekommunikationsanbietern. Die Branche selbst hat
die Problematik erkannt. Die Bundesregierung arbeitet
an Verbesserungen. Deshalb lehnen wir Ihren Antrag
ab.
Wer kennt das Problem nicht: Es gibt Schwierigkeiten
mit einem Haushaltsgerät und man will die telefonische
Serviceauskunft des jeweiligen Unternehmens nutzen.
Im besten Fall wird man schnell mit einer kundigen
Fachkraft verbunden und erhält eine passende Antwort
auf die drängende Frage, damit das Gerät wieder richtig funktioniert.
Doch es gibt leider viel zu oft auch die gegenteilige
Erfahrung. Man wartet minutenlang, ehe man drankommt, weil das Unternehmen Geld für Mitarbeiter einsparen will. Oder man muss sich erst mühsam durch eine
komplizierte Bandansage quälen, ehe man den richtigen
Gesprächspartner hat. Dies kostet die Anrufer nicht nur
Zeit und Nerven, sondern auch noch Geld. Denn abgerechnet wird das Telefonat von Beginn an und nicht erst
ab dem Zeitpunkt, an dem das eigentliche Informationsoder Beratungsgespräch beginnt.
Die Mehrzahl der Unternehmen arbeitet wohl seriös
und versteht guten Kundenservice zu Recht als wichtigen Wettbewerbsvorteil, und die Verbraucherinnen und
Verbraucher haben sicherlich auch Verständnis dafür,
wenn sie in Spitzenzeiten einige Sekunden warten müssen. Aber leider gibt es noch immer zu viele Unternehmen, die meinen, sie könnten ihre Kunden minutenlang
an der langen Leitung zappeln lassen. Diese Telefonabzocke ist mehr als ärgerlich und muss ein Ende haben.
Bei den Servicenummern handelt es sich insbesondere - aber nicht nur - um die Rufnummerngassen der
0180-Service-Dienste und 0900-Premium-Dienste, die
unterschiedlich hohe Kosten verursachen können. Bei
den 0900-Nummern können immerhin bis zu 3 Euro pro
Minute abgerechnet werden.
Warteschleifen sollten grundsätzlich kostenlos sein.
Diese Zielsetzung im Antrag von Bündnis 90/Die Grünen, den wir heute beraten, teilen wir.
Die SPD-Bundestagsfraktion wollte das Problem bereits in der letzten Legislaturperiode entsprechend
lösen. Damals ging es in der Großen Koalition um die
Novellierung des Telekommunikationsgesetzes, um mehr
Verbraucherschutz zu verankern. Ein gutes Beispiel
hierbei sind die 0180-Rufnummern. Es war wichtig,
diese Rufnummerngasse so auszugestalten und zu strukturieren, dass die Anrufenden wissen, welche Kosten bei
der Nutzung auf sie zukommen. Neu geregelt wurde
Zu Protokoll gegebene Reden
beispielsweise damals auch eine Preishöchstgrenze für
Anrufe aus dem Mobilfunknetz und ein verbesserter
Schutz vor untergeschobenen Verträgen.
Das Bundeswirtschaftsministerium hatte aber in den
seinerzeitigen Beratungen vorgetragen, dass kostenfreie
Warteschleifen technisch nur schwer umsetzbar seien,
zumindest aber noch erheblicher Prüfungsbedarf
bestehe. Um andere verbraucherschützende Regelungen
zügig zu verabschieden, haben wir damals auf eine
gesetzliche Regelung vorerst verzichtet und diese auf
„Wiedervorlage“ für die nächste Novellierung gelegt.
Da eine solche demnächst ansteht, ist nun der richtige Zeitpunkt, das Thema wieder aufzugreifen, zumal
unsere damalige Hoffnung, die Branche würde Lösungen finden, um das Problem selbst in den Griff zu
bekommen, bislang nicht erfüllt wurde. Auch die SPDFraktion hat deshalb die Warteschleifen in ihr
Arbeitsprogramm aufgenommen und arbeitet derzeit an
einem eigenen Antrag. Vor diesem Hintergrund werden
wir uns beim Antrag der Grünen enthalten. Denn wir
sehen durchaus noch Klärungsbedarf im Hinblick auf
die technische Umsetzung. Anders als es im Antrag der
Grünen steht, ist diese nicht ganz unproblematisch,
wenn auch am Ende wohl zu lösen.
Konkret geht es beispielsweise um die Unterscheidung zwischen den 0180- und den 0900-Rufnummerngassen. Man muss dabei differenzieren zwischen dem sogenannten Onlinebilling und dem Offlinebilling. Beim
Onlinebilling verhält es sich so: Der Anrufer ruft eine
0180-Servicenummer an. Das Gespräch läuft über einen
Netzbetreiber, etwa die Deutsche Telekom, und landet
dann bei einem Callcenter des betroffenen Geräteherstellers, von dem man Hilfe erfragen will. Die Gebühren
fallen hier bereits beim Zustandekommen der Verbindung bei der Telekom an. Diese hat aber weder einen
Einfluss darauf, wann jemand im Callcenter das Gespräch annimmt, noch kann sie die Wartezeit irgendwie
selbst ermitteln. Umgekehrt kann aufseiten des Callcenters die konkrete Gesprächszeit nicht erfasst werden. Somit liefe in diesem Fall eine gesetzliche Regelung ins
Leere.
Anders beim Offlinebilling: Hier werden die Telefongebühren, die dem Kunden in Rechnung gestellt werden,
anders ermittelt und abgerechnet. Vonseiten des
Diensteanbieters, der sich des Callcenters bedient, wird
dem Netzbetreiber mitgeteilt, welcher Anteil der Telefonrechnung dem Anrufer in Rechnung gestellt werden
soll und welcher von ihm selbst getragen wird. Technisch kann dieses Offlinebilling bereits heute bei den
0900er-Nummern, nicht jedoch bei den 0180er-Nummern angewendet werden. Derzeit ist die Bundesnetzagentur dabei, die technischen Voraussetzungen zu prüfen, damit das Offlinebilling auch bei der 0180erNummerngasse umgesetzt werden kann.
Die Bundesregierung steht in der Pflicht, die noch
offenen technischen Fragen endlich zügig anzugehen
und zu entscheiden. Wir haben bislang viele Ankündigungen gehört, etwa von Ministerin Aigner, aber nur
wenig konkrete Taten gesehen. Konsequentes Handeln
ist gefragt. Die Bundesregierung sollte zeitnah einen
Gesetzentwurf vorlegen, um kostenfreie Warteschleifen
zu schaffen. Dieser müsste beispielsweise eine klare
Definition einer „Warteschleife“ enthalten, die notwendigen technischen Voraussetzungen regeln und dabei
sowohl den wirtschaftlichen Erfordernissen als auch
den notwendigen Verbraucherschutzaspekten Rechnung
tragen. Auch die unterschiedlichen Aspekte von Festnetz
und Mobilfunk sind zu lösen. Ich weiß, dass es derzeit
Gespräche in der TK-Branche gibt, um solche Fragen zu
diskutieren. Es wäre gut, wenn konstruktive Vorschläge
von den TK-Unternehmen und -Verbänden erarbeitet
werden, die mit aufgegriffen werden könnten, soweit sie
zielführend sind. Umgekehrt darf es aber nicht sein, dass
eine Lösung des Problems auf die lange Bank geschoben
wird. In einer gesetzlichen Regelung könnten ausreichende Übergangsfristen für die technische Umstellung
vorgesehen werden.
Eines ist klar: Der Telefonabzocke unseriöser Unternehmen muss ein Riegel vorgeschoben werden, vor allen
um Verbraucherinnen und Verbraucher zu schützen,
aber letztlich auch im Interesse derjenigen seriösen Unternehmen, die erkannt haben, dass wir besseren Service
brauchen - und nicht höhere Telefonrechnungen.
Für viele Verbraucher wird der Anruf bei einer Servicehotline zu einem nervenaufreibenden und teuren
Warteakt. Im schlimmsten Falle fliegt der Anrufer sogar
irgendwann mit dem Hinweis aus der Leitung, noch immer seien alle Berater im Gespräch, man solle es später
wieder versuchen. Dies ist insbesondere bei 0180er- und
0900er-Nummern ein kostenintensives Ärgernis. Dies ist
nicht weiter hinnehmbar.
Ob bei Telefonanbietern, Kabelanbietern, bei PayTV-Anbietern, Reparaturhotlines von Firmen - überall
lauern die Kostenfallen bei den Warteschleifen. Manchmal leiten sogar 0180er-Nummern auf alternative Festnetznummern um, obwohl den Kunden die Mehrkosten
einer 0180er-Nummer in Rechnung gestellt werden. Daher hat sich im Internet bereits ein florierendes Webseitenangebot entwickelt, das die zur 0180er-Nummer gehörende Festnetznummer offenlegt.
Fest steht: Die Warteschleifenabzocke bei Sondernummern müssen wir beenden. Aus meinen Gesprächen
mit dem Bundewirtschaftsminister weiß ich, dass derzeit
im Bundeswirtschaftsministerium über Lösungen nachgedacht und der Dialog mit der Wirtschaft geführt wird.
Grundsätzlich muss es aber jedem Unternehmen freistehen, wie es seine Serviceleistungen ausgestaltet. Und
ich habe auch grundsätzlich gar nichts dagegen, wenn
Unternehmen mit ihrer Servicehotline kostenpflichtige
Rufnummern schalten. Aber es muss eine Leistung dahinterstehen. Die Serviceleistung darf dann auch ruhig
teuer sein. Dem Unternehmen muss es freistehen, wie es
seinen Service ausgestaltet. Manch ein Unternehmen
mag für ein Produkt oder eine Dienstleistung ein höheres Entgelt verlangen, dafür aber eine kostenfreie Servicehotline anbieten. Dagegen bietet ein anderes Unternehmen ein Produkt oder eine Dienstleistung zu einem
niedrigeren Preis an, dafür entstehen aber für weitere
Zu Protokoll gegebene Reden
Serviceleistungen per Telefon deutlich höhere Kosten.
Dagegen ist nichts einzuwenden, denn der Kunde hat
aufgrund der verschiedenen Geschäftsmodelle der Anbieter auch selbst die Wahlmöglichkeit, ob er lieber einen höheren Grundpreis oder eben Mehrkosten im Servicefall tragen will.
Aber eine Warteschleife ist nun einmal keine Serviceleistung. Daher schafft die Bundesnetzagentur derzeit
im Rahmen des Rufnummernmanagements Voraussetzungen, die es ermöglichen, 0180er-Rufnummern bei
Warteschleifen kostenfrei zu schalten. Derzeit ist es
nämlich nicht möglich, bei der Abrechnung durch den
Rufnummernanbieter zu unterscheiden, ob ein Anrufer
sich in einer Warteschleife befand oder ob dieser bereits
mit einem Kundenbetreuer verbunden worden war. Die
Möglichkeit zum sogenannten Offlinebilling wird aber
im Zuge der Umstellung der 0180er-Nummern erfolgen.
Solange eine solche technische Möglichkeit aussteht,
kann eine gesetzliche Verpflichtung für den gesamten
Bereich der 0180er-Rufnummern nicht greifen.
Der Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
birgt darüber hinaus einige Unschärfen bei der Konnotation der „telefonischen Mehrwertdienste“. Denn Sie
wissen ja sicherlich auch, dass es deutliche Unterschiede zwischen den einzelnen Servicenummern gibt.
So existieren beispielsweise für 0137er-Nummern bereits Festpreise pro Anruf, zum Beispiel bei TV-Votings
mit der Sicherheit der Durchstellung. Bei diesen Rufnummern findet also eine Warteschleifenabzocke schon
heute nicht statt. Und auch bezogen auf die 0180erNummern ist Ihr Antrag in gewisser Weise überholt.
Denn seit dem Inkrafttreten von Änderungen des Telekommunikationsgesetzes am 1. März 2010 gelten auch
für die Nummernbereiche 0180-2 und 0180-4 Festpreise
von 6 Cent pro Minute bzw. 20 Cent pro Minute.
Aber nicht nur bei teuren, sondern auch bei kostenlosen Servicehotlines sind lange Wartezeiten in Warteschleifen ein Ärgernis für die Verbraucher. Daher appelliere ich an die Unternehmen, die Voraussetzungen zu
schaffen, um die Zeit in den Warteschleifen grundsätzlich möglichst gering zu halten.
Seien Sie gewiss: Die schwarz-gelbe Koalition wird
sich weiterhin dafür einsetzen, dass der Verbraucher am
Telefon nicht abgezockt wird. Wenn die technische Realisierbarkeit gegeben ist, werden wir entsprechende weitere Schritte unternehmen. Eine gesetzliche Pflicht vor
der technischen Realisierbarkeit einzuführen, lehnen
wir jedoch ab.
Das Problem kostenintensiver Warteschleifen ist
nicht neu. Bereits beim dritten nationalen IT-Gipfel
2008 haben sich Bundesregierung, Industrie und Verbraucherverbände auf einen Leitfaden für eine verbraucherfreundliche Kundenbetreuung verständigt. Die Wartezeiten in den Schleifen sollten reduziert, und über
deren voraussichtliche Dauer sollte vorab informiert
werden. Warteschleifen sollten auch kostenlos sein. Darauf - und auf mehr - hat sich die Telekommunikationsbranche freiwillig selbst verpflichtet. Leider hat sie es
bis heute nicht umgesetzt.
Die Erfahrungen der Verbraucherzentralen mit der
Selbstverpflichtung der Unternehmen sind ernüchternd:
Eine Stichprobe der Verbraucherzentrale NordrheinWestfalen vom vergangenen Jahr ergab, dass nur zwei
von 60 Unternehmen eine kostenlose 0800-Nummer anbieten. Während ungefähr ein Viertel der Unternehmen
wenigstens eine Ortsnetzvorwahl oder Sparvorwahlen
ermöglichen, drängen zwei Drittel der Firmen ihre Kunden in teure Sondernummern. Dabei sind technische
Probleme für die Trennung zwischen kostenpflichtiger
Auskunft und kostenfreier Warteschleife längst keine
Ausrede mehr. Denn für diese Probleme gibt es mittlerweile eine Lösung. Wenn ein Unternehmen verbraucherfreundlich sein will, dann kann es bereits heute eine kostenlose Servicenummer anbieten.
Dass das so gut wie gar nicht passiert, zeigt doch
deutlich, dass Selbstverpflichtungen der Wirtschaft in
der Praxis nichts bringen. Insbesondere in Bereichen, in
denen Dumpingpreise den Wettbewerb beherrschen,
werden sich freiwillige Lösungen niemals durchsetzen,
wenn sie die Unternehmen Geld oder Profit kosten. Die
Strategie der Bundesregierung greift deshalb viel zu
kurz. Wir brauchen verbindliche, gesetzlich festgelegte
Regelungen statt unverbindlicher freiwilliger Versprechungen, an die sich kaum ein Unternehmen hält. Aber
auch außerhalb der Wirtschaft zählt Kundenservice
nicht viel. Wer als Erwerbsloser bei der Agentur für Arbeit anruft und seinen sogenannten Kundenberater sprechen will oder muss, der zahlt kräftig: 3,9 Cent pro Minute, Das klingt zunächst nicht teuer. Bleibt man
allerdings in der Warteschleife des Callcenters hängen
oder ruft vom Handy aus dort an, dann kann es richtig
teuer werden. Denn Handytelefonate sind 11-mal so
teuer wie Anrufe aus dem Festnetz und schlagen mit
42 Cent pro Minute zu Buche. Die Arbeitsagentur wählt
damit die absolute Obergrenze: Mehr wäre gesetzlich
verboten.
Die Bundesnetzagentur hat für Anrufe mit dem Handy
bei Servicediensten ({0}) derzeit einen
Höchstpreis von 42 Cent pro Minute bzw. 60 Cent pro
Anruf festgesetzt. Ruft man aus dem Festnetz eine Servicenummer an, werden maximal 14 Cent pro Minute
bzw. 20 Cent pro Anruf fällig. Das ist zwar immer noch
zu viel, und eine Obergrenze von 10 Cent wäre angemessener, aber ich möchte auf einen anderen Punkt hinweisen: Denn bei der heutigen technischen Entwicklung ist
für uns als Linke die Unterscheidung zwischen Festnetzund Handypreisen absolut unangemessen. Viele Verbraucherinnen und Verbraucher haben nicht zuletzt aus
Kostengründen gar keinen Festnetzanschluss mehr, sondern telefonieren nur noch mit dem Handy. Die unterschiedlichen Preise für Anrufe bei Servicenummern sind
nicht zu begründen und dienen nur den Telekommunikationsanbietern. Warum sollten diese freiwillig auf die
Gewinne aus überhöhten Minutenpreisen verzichten?
Ich möchte noch ein weiteres Thema ansprechen, bei
dem sich insbesondere Telekommunikationsunternehmen auch nicht gerade mit Ruhm bekleckern. Das ist das
Zu Protokoll gegebene Reden
Thema Störungsmeldungen, bei dem man ja auch sehr
gerne Bekanntschaft mit Warteschleifen macht. Wenn
die Festnetzleitung nicht funktioniert, müssen Kundinnen und Kunden mit dem Handy zu einem noch teureren
Verbindungstarif den Servicedienst anrufen. Und wer
hat nicht schon mal die Erfahrung gemacht, dass die telefonische Klärung lange dauern kann. Deshalb fordern
wir: Störungsmeldungen müssen kostenfrei sein. Denn
Unternehmen müssen im Rahmen ihrer Schadensersatzpflichten die Kosten für eigenes Leistungsversagen tragen. Viele Verbraucherinnen und Verbraucher wissen
das aber nicht, oder es ist ihnen zu aufwendig, eine Kostenrückerstattung zu verlangen.
Die Bundesregierung muss endlich handeln, damit
Verbraucherinnen und Verbraucher nicht länger zur
Kasse gebeten werden. Unternehmen müssen deshalb
gesetzlich verpflichtet werden, kostenlose Warteschleifen und auch kostenfreie Störungshotlines anzubieten.
Außerdem werden schnell weitere Schritte folgen müssen, um die überfällige und dringend notwendige Stärkung der Verbraucherrechte im Telekommunikationsbereich voranzubringen.
Wir beraten heute unseren grünen Antrag „Verbraucherfreundliche kostenfreie Warteschleifen bei telefonischen Dienstleistungen einführen“. Grundlage für
diesen Antrag sind unsere beiden Erhebungen aus dem
Dezember 2009 und April 2010, die zu ärgerlichen Ergebnissen führten.
Bei Debitel und Alice hängt der Kunde durchschnittlich drei bis sechs Minuten in der Warteschleife, beim
DSL-Anbieter Alice einmal sogar unglaubliche, kostenpflichtige 18 Minuten. Auch die Billigairline Easyjet
lässt ihre Kunden gerne in der teuren Warteschleife hängen: Dort bezahlt man für die völlig überflüssige Bandansage schon 1,50 Euro.
Bei vielen Unternehmen gehören lange Warteschleifen offenbar zum Geschäftsmodell. Es werden Millionen
Euro damit verdient. Die Zeche zahlen die zu Recht genervten Verbraucher, die keine Gegenleistung dafür erhalten. Die freiwillige Selbstverpflichtung vom 20. November 2008, die im Rahmen des IT-Gipfels entwickelt
wurde, entfaltet in der Praxis keine Wirkung. Eines ihrer
Hauptziele war die gute Erreichbarkeit, also kurze Wartezeiten und die Bereitstellung kostenloser Warteschleifen von Kundenhotlines. Zwei Jahre später müssen wir
leider feststellen, dass viele Unternehmen es nicht ernst
damit meinen. Deshalb muss die Abzocke durch lange
und kostenpflichtige Warteschleifen endlich gesetzlich
verboten werden.
Wir Grüne fordern deshalb, dass Verbraucher erst
dann für ein Gespräch zahlen müssen, wenn sie auch
tatsächlich mit einem Mitarbeiter verbunden sind. In
Frankreich gibt es diese Regelung längst, und auch einige deutsche Firmen handhaben das so. Technisch ist
diese verbraucherfreundliche Regelung also ohne Probleme möglich.
Nachdem wir im Dezember durch unsere Erhebung
herausfanden, dass die Abzocke über Warteschleifen regelmäßig vorkommt, hat auch Verbraucherministerin
Aigner dieses Thema medial für sich entdeckt. So konnten wir unter anderem am 10. April in der „Welt“ lesen:
„Aigner poltert gegen Warteschleifen - und Red Bull. …
Wer Anrufer zu lange zappeln lässt, soll dafür kein Geld
verlangen dürfen.“
Leider verhält es sich hier wie bei so vielen anderen
Verbraucherthemen auch: Außer Pressemeldungen haben die Verbraucher von Frau Aigner nicht viel zu erwarten. Besonders erstaunt waren wir jedoch über die
Reaktion der Koalitionskolleginnen und -kollegen im
Verbraucherausschuss in der letzten Sitzungswoche.
Denn der Antrag traf zwar auf allgemeinen inhaltlichen
Konsens. Aber leider haben CDU/CSU und FDP trotzdem geschlossen dagegengestimmt und damit auch gegen ihre eigene Ministerin. Die Begründungen für das
Stimmverhalten waren fadenscheinig. Die Ministerin sei
ja eigentlich gar nicht zuständig, man wolle keine Einzelprobleme per Gesetz lösen usw.
Liebe Kolleginnen und Kollegen der Koalition, bitte
wiederholen Sie diese kleinliche und inhaltlich falsche
Entscheidung heute nicht, sondern beenden Sie die politischen Spielchen und stimmen Sie dem grünen Antrag
zu. Handeln Sie im Interesse der Verbraucherinnen und
Verbraucher und lassen Sie Frau Aigner nicht als Ankündigungsministerin stehen.
Wir kommen nun zur Abstimmung. Der Ausschuss
für Wirtschaft und Technologie empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/1549, den Antrag
der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache
17/1029 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer ist dagegen? - Enthaltungen? - Die
Beschlussempfehlung ist damit angenommen mit den
Stimmen der Koalitionsfraktionen bei Gegenstimmen
der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und der Fraktion
Die Linke und bei Enthaltung der SPD-Fraktion.
Damit sind wir auch schon am Schluss der heutigen
Tagesordnung. Sie haben sich nach einem arbeitsreichen
langen Tag heute Abend noch ein paar schöne, angenehme Stunden verdient. Diese wünsche ich Ihnen.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Freitag, den 7. Mai 2010, 9 Uhr,
ein.
Ich schließe die Sitzung.