Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 4/21/2010

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Die Sitzung ist eröffnet. Guten Tag, liebe Kolleginnen und Kollegen! Zwischen den Fraktionen ist verabredet, die heutige Tagesordnung mit einer Regierungserklärung des Bundesministers für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung zur Sicherheit im Luftverkehr zu beginnen. Außerdem soll unmittelbar im Anschluss an die Befragung der Bundesregierung eine von der Fraktion der SPD verlangte Aktuelle Stunde zum Thema Steuern durchgeführt werden. Die Fragestunde erfolgt danach. - Sie sind offensichtlich mit diesen Ergänzungen einverstanden. Dann ist das so beschlossen. Ich rufe den Zusatzpunkt 1 auf: Abgabe einer Regierungserklärung durch den Bundesminister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung zur Sicherheit im Luftverkehr Das Wort erhält Herr Bundesminister Ramsauer.

Dr. Peter Ramsauer (Minister:in)

Politiker ID: 11001772

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die gute Nachricht von heute vorneweg: Die Vulkanasche im deutschen Luftraum hat sich so stark verflüchtigt, dass der normale Flugbetrieb in Deutschland wieder aufgenommen werden konnte. ({0}) Das entbindet uns aber nicht davon, flugverkehrliche Vorkehrungen für das Phänomen der Vulkanasche zu treffen. Denn klar ist: Sicherheit steht weiter an allererster Stelle. Die gigantische Aschewolke, die nach dem Vulkanausbruch auf Island am Mittwoch letzter Woche entstanden ist, stellt für den gesamten europäischen Luftverkehr ein historisch erstmaliges Phänomen und damit auch eine erstmalige Herausforderung dar. Es war deshalb absolut richtig und - ich betone das - alternativlos, bei Vorliegen erster Erkenntnisse unverzüglich Vorsichtsmaßnahmen zu ergreifen und am Donnerstag der vergangenen Woche erhebliche Einschränkungen des Flugverkehrs vorzunehmen. ({1}) - Geduld! Die von der Bundesregierung in engem Zusammenwirken mit den europäischen Nachbarländern sowie den zuständigen Luftsicherheitsbehörden getroffenen Entscheidungen basieren auf zwei fundamentalen Grundlagen: Erstens. Im Flugverkehr kann die oberste Priorität nur größtmögliche Sicherheit sein: ({2}) Sicherheit für die Passagiere, Sicherheit für die Besatzungen, Sicherheit für die Menschen auch am Boden. Dies gilt für den Donnerstag der letzten Woche, und dies gilt bis heute; es wird auch in Zukunft zu gelten haben. Die zweite Grundlage bildet das unbestrittene und glasklare internationale Regelwerk, das von allen Verantwortlichen einzuhalten ist. Ich selber habe nach Bekanntwerden der ersten Warnungen vor den tückischen Vulkanstaubpartikeln nach Rücksprache mit den Experten meines Ministeriums unmittelbar einen zentralen Krisenstab bei der Deutschen Flugsicherung aktiviert. ({3}) Die ersten Warnmeldungen erreichten mich am Donnerstag gegen Mittag zum Ende der Länderverkehrsministerkonferenz in Bremen. Der zentrale Krisenstab bei der Deutschen Flugsicherung in Langen nahm kurz darauf seine Arbeit auf. Redetext Die Einrichtung des Krisenstabs unter der Federführung meines Hauses bei den anerkannten Experten vor Ort war und bleibt die richtige Entscheidung. ({4}) In die Arbeit des Krisenstabes wurden - ich möchte das deutlich machen - der Deutsche Wetterdienst, das Bundesaufsichtsamt für Flugsicherung, die in Maastricht ansässige europäische Luftraumbehörde Eurocontrol institutionell eingebunden sowie konsultativ die Luftverkehrsgesellschaften. Uns ging es nicht darum, ein völlig neues Gremium zu schaffen, sondern uns ging es darum, schnell und pragmatisch auf den bewährten Sachverstand der Experten und die nur vor Ort ansässigen technischen Einrichtungen setzen zu können. Am vergangenen Wochenende und auch am Montag erfolgte meinerseits eine enge Abstimmung mit allen nationalen politischen Akteuren. Nach meinem Selbstverständnis gebietet ein derartig sicherheitsrelevantes Thema, keinerlei unterschiedliche Kommunikation zwischen den Regierungsparteien und -fraktionen einerseits und der Opposition andererseits zu betreiben. ({5}) Denn dieses Thema eignet sich nicht für parteipolitische Profilierungen. ({6}) Ich habe unter anderem Gespräche mit den verkehrspolitischen Sprechern aller im Deutschen Bundestag vertretenen Parteien geführt, selbstverständlich unter Teilnahme des Vorsitzenden des Ausschusses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung. Konsultiert wurden zudem die verantwortlichen Länderverkehrsminister. In all diesen Gesprächen herrschte völlige Einmütigkeit über die Notwendigkeit der ergriffenen Maßnahmen. Ich bin außerordentlich dankbar, dass dies von den Beteiligten in aller Einmütigkeit nach außen betont und unterstrichen worden ist. Gleiches gilt als Fazit der gestrigen Sondersitzung des Verkehrsausschusses des Deutschen Bundestages. Wir alle sind uns einig, dass angesichts der historisch einzigartigen Herausforderungen alle zu ergreifenden Maßnahmen unter dem Gebot einer Strategie bestmöglich fundierter Sicherheit stehen müssen. Parallel zu den nationalen Abstimmungen stehen sowohl ich persönlich als auch die Fachleute meines Hauses in ständigem bilateralen und multilateralen Kontakt zu den europäischen Verkehrsministerkollegen, ebenso zum verantwortlichen EU-Verkehrskommissar, Siim Kallas, sowie zur spanischen EU-Ratspräsidentschaft und meinem spanischen Kollegen. Am Montag haben wir im Rahmen einer EU-Sonderkonferenz der Verkehrsminister per Videoschaltung über konkrete Wege hin zu einer verantwortbaren Schritt-fürSchritt-Rückkehr zur Aufnahme eines geordneten und normalen Flugbetriebs beraten. Dies alles geschah unter der Prämisse größtmöglicher Sicherheit. Alle diese Abstimmungsprozesse betreffen aber - das sei betont - zunächst einmal die rein luftverkehrlichen Fragen. Darüber hinaus unternimmt und unternahm die Bundesregierung intensive Anstrengungen, denen zu helfen, die von den Flugausfällen betroffen sind. Dazu leistet mein Haus im Zusammenwirken mit dem Bundeskanzleramt umfassende Koordinierungsarbeit mit dem Auswärtigen Amt, dem Bundesinnenministerium und dem Bundeswirtschaftsministerium. Wichtige Hilfestellungen richten sich an diejenigen Passagiere, die etwa ohne erforderliche Visa bei Zwischenlandungen auf Flughäfen festsitzen, oder besonders dringende Fälle von im Ausland gestrandeten deutschen Flugpassagieren. Gleiches gilt etwa auch bei Krankentransporten sowie Organtransporten für lebensrettende Transplantationen. Bei der Bewältigung der krisenhaften Folgen des Vulkanausbruchs für die Luftfahrt im wohl am stärksten in Anspruch genommenen Luftraum der Welt betreten alle Beteiligten Neuland. Dies gilt für die Luftsicherheitsbehörden und für die Wissenschaftler ebenso wie für die politisch Verantwortlichen. Dies gilt national wie auch international. Sicherheit und die Befolgung klarer internationaler Regeln müssen oberstes Gebot sein. Wir halten uns bei allen ergriffenen Maßnahmen deshalb an die Vorgaben der internationalen Luftfahrtorganisation ICAO, solange es keine besseren Regelungen gibt. Das internationale Regelwerk untersagt reine Instrumentenflüge in mit Vulkanasche kontaminierten Lufträumen. Möglich und vom internationalen Recht gedeckt sind jedoch begründete Ausnahmen. Wir haben Flüge im Einklang mit diesem Regelwerk geduldet, die nach den Kriterien des kontrollierten Sichtfluges durchgeführt wurden, selbstverständlich unter bestmöglicher Nutzung der zur Verfügung stehenden Instrumente und selbstverständlich unter Wahrung der gebotenen Sicherheit. Kontrollierte Sichtflüge setzen gute Sichtverhältnisse sowie eine geringe Inanspruchnahme durch die Fluggesellschaften voraus. Bereits am Samstag erfolgte auf diese Weise eine Reihe von Überführungsflügen unter anderem deutscher Fluglinien, um die Flugzeuge für den Normalbetrieb an ihren Bedarfsstandorten positioniert zu haben. Diese Flüge erfolgten ohne Passagiere und lieferten uns in Absprache mit den Luftsicherheitsinstitutionen wertvolle Erkenntnisse. Am Montag folgten erste Passagierflüge unter den Bedingungen des eben beschriebenen kontrollierten Sichtfluges. Das war vor allem im Interesse der gestrandeten Urlauber, die seit Tagen im Ausland auf Flughäfen festsitzen und nun zurück nach Deutschland reisen können. Wir alle müssen hierzu aber eines wissen: Ein regulärer Flugplan ist unter Sichtflugbedingungen im dicht belasteten europäischen und besonders im deutschen Luftraum nicht möglich. Um nun schrittweise zu einem regulären Flugbetrieb unter Wahrung größtmöglicher Sicherheit zurückzukehren, sind vor allem zwei Voraussetzungen zu erfüllen: erstens genaue Kenntnisse über die örtliche Verbreitung der Vulkanasche in der Atmosphäre und zweitens genaue Kenntnisse über die Auswirkungen von Vulkanasche auf die Triebwerke der Flugzeuge. Wir brauchen verlässliche Aussagen. Deshalb haben wir im Zusammenwirken mit den wissenschaftlichen Fachdiensten alle Möglichkeiten mobilisiert, um zu möglichst vielen aktuellen und vor allem zu belastbaren Messdaten zu kommen. Von zentraler Bedeutung sind die Erkundungen und Messungen des Forschungsflugzeugs des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt. Die Maschine, die „Falcon“, wie sie immer bezeichnet wird, ist auch im europäischen Kontext eines der wenigen technischen Geräte zur flugzeugbasierten Atmosphärenforschung. Dies zeigt, dass unser Land auf diesem Gebiet technisch gut aufgestellt ist. In den vergangenen Tagen haben alle Beteiligten, insbesondere die Mitarbeiter der Flugsicherung, die Meteorologen, die Triebwerksingenieure, die Piloten und die staatlichen Stellen, erhebliche empirische Erfahrungen gewonnen. Der Zugewinn an Erkenntnissen ist beträchtlich: Erstens. Die Ergebnisse zahlreicher Erdbeobachtungsstellen liegen vor. Zweitens. Inzwischen haben Hunderte von Flugbewegungen mit anschließender Auswertung in Deutschland und Europa stattgefunden. Drittens liegt die Auswertung der mit dem DLR-Forschungsflugzeug erhobenen Daten vor. An der Maschine ist allerdings ein im Flugalltag gängiger mechanischer Schaden aufgetreten. Nach seiner Behebung wird sie ihre wertvolle Arbeit wieder aufnehmen. Die aus den verschiedenen Quellen gewonnenen Erkenntnisse sind analysiert und systematisiert worden. Die international gültigen ICAO-Regeln können auf Basis dieser wertvollen Erfahrungen weiterentwickelt werden. Ich bin überzeugt, dass wir damit unter schwierigen Bedingungen einen wichtigen Beitrag zur internationalen Flugsicherheit leisten. Vorsorge treffen und ein umfassendes Maßnahmenbündel für die Zukunft schnüren, das muss jetzt unmittelbar folgen. Bis wissenschaftlich gesicherte und verifizierte Daten vorliegen, und zwar erstens für die Verbesserung von meteorologischen Verfahren zur Bestimmung von Flugasche und zweitens für die Herausbildung von Standards für technische Analysen zur Wirkung von Vulkanasche auf Triebwerke, wird noch etwas Zeit vergehen. Wir arbeiten auf europäischer und internationaler Ebene mit Hochdruck zusammen, um hierbei möglichst schnell Fortschritte zu erzielen. Damit kann auch der Beschluss der EU-Verkehrsminister auf der Konferenz am 19. April 2010 umgesetzt werden. Kurzfristig und als Zwischenschritt brauchen wir allerdings ein Maßnahmenbündel, um einen annähernd regulären Flugbetrieb bei in der Atmosphäre gegebenenfalls wieder auftretender Vulkanasche zu ermöglichen. Dazu habe ich Folgendes bereits veranlasst: erstens die Einrichtung eines Meldezentrums beim Luftfahrtbundesamt; es geht um die Meldung von Vorkommnissen bei Flugzeugen, insbesondere bei Triebwerken, die durch Vulkanasche verursacht wurden oder verursacht worden sein könnten; zweitens eine Meldepflicht für alle Fluggesellschaften; drittens die Meldung besonderer Vorkommnisse während des Fluges, die durch Vulkanasche verursacht worden sein könnten, an die Flugsicherung; viertens die Verpflichtung für die Luftfahrtunternehmen, ihre eigenen Risikobewertungen fortzusetzen und dauerhaft zu aktualisieren; fünftens die Verkürzung der Inspektions- und Wartungsintervalle bei allen Flugzeugen. Mit diesen Maßnahmen besteht die verantwortbare Chance auf eine geordnete Rückkehr zum normalen Flugbetrieb. Ein reibungsloser Flugverkehr ist für unsere Bürgerinnen und Bürger, aber auch für unsere gesamte Volkswirtschaft inmitten einer globalisierten Welt dauerhaft von erheblicher Bedeutung. Ich möchte mich bei allen ganz herzlich für die konstruktive Begleitung und Unterstützung in diesen schwierigen Tagen bedanken. Herzlichen Dank. ({7})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Zwischen den Fraktionen ist verabredet, zu dieser Regierungserklärung eine Stunde zu debattieren. - Dazu sehe ich keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich gebe das Wort dem Kollegen Florian Pronold für die SPD-Fraktion. ({0})

Florian Pronold (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003612, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Minister, Sie haben recht: Erstens. Wir stehen vor einer außergewöhnlichen Situation. Zweitens. In einer solchen Situation haben die Sicherheit des Flugverkehrs und die Sicherheit der Menschen in den Flugzeugen und auf dem Boden absolute Priorität. Das wird vom ganzen Haus ungeteilt vertreten. ({0}) In einer solchen Situation sieht professionelles Krisenmanagement aber anders aus. Seit Montag dieser Woche stellt sich eine Frage. Es gibt Ausnahmegenehmigungen für Sichtflüge von großen Passagiermaschinen. Wir haben in der gestrigen Sondersitzung des Ausschusses erfahren, dass diese Sichtflüge dem internationalen Regelwerk entsprechen. Wir haben auch erfahren, dass es einer Ausnahmegenehmigung bedarf, wenn große Passagiermaschinen einen Sichtflug machen wollen. Wir haben ebenfalls erfahren, dass die Verantwortung dann auf den Piloten übergeht, der diesen Sichtflug durchführt. Jetzt wissen wir, dass sich die Partikelbelastung durch die Vulkanasche nicht als Wolke über Deutschland darstellt, die man umfliegen kann oder die man sieht, sondern dass diese Partikelbelastung in unterschiedlichen Sphären und an unterschiedlichen Orten in unterschiedlicher Konzentration vorliegt. Wir haben auch erfahren, dass noch nicht geklärt ist, ab welcher Konzentration eine Gefährdung für die Technik der Flugzeuge besteht. Jetzt lauten die spannenden Fragen, die man beantworten muss und die die Menschen interessieren: Warum wird, wenn Sicherheit Priorität hat, eine Ausnahmegenehmigung erteilt, bevor das Flugzeug gestartet ist, das die Belastung messen soll? Welche Grundlagen liegen auf europäischer Ebene vor, um zu sagen: „Die Sicherheit des Luftraums ist gegeben oder nicht“? Die Pilotenvereinigung Cockpit hat zu Recht ge3386 fragt - diese Frage wurde bislang nicht beantwortet -: Wann ist der Luftraum sicher? Für die Maschine macht es keinen Unterschied, ob es sich um einen Sichtflug oder einen Instrumentenflug handelt; denn in beiden Fällen ist die Gefährdungslage durch die Partikel gleich groß. Diese ist bis heute nicht geklärt. ({1}) Sie waren am Anfang der Woche stolz darauf, eine zentrale Rolle in der europäischen Koordinierung zu spielen. Jetzt stellt sich die Frage: Warum wird in Europa bezüglich der Freigabe des Luftraums und der Sicherheit unterschiedlich entschieden? Der Luftraum erstreckt sich nicht nur über Deutschland, sondern über ganz Europa. Deswegen muss es ein zentrales Anliegen sein - dies dient der Sicherheit -, dass europäisch einheitlich entschieden wird. Dies findet aber nicht statt. Das führt zu zusätzlicher Verunsicherung. Die nächste Frage - diese haben wir am Freitag letzter Woche aufgeworfen - bezieht sich auf die Passagiere: Was ist mit den Nachtflugverboten? Können wir, sobald Sicherheit besteht, das Nachtflugverbot vorübergehend aufheben, um sensible Güter zu transportieren und wartende Passagiere schneller zurückzuholen? Die Antwort des Ministeriums einen Tag später lautete: Das fällt in die Zuständigkeit der Bundesländer. ({2}) Ein Verkehrsminister, der ein zentrales Krisenmanagement betreiben will, hätte doch sagen können: Ich habe mit meinen Kollegen gesprochen. Sobald Sicherheit besteht, werden wir alles tun und auch das Nachtflugverbot vorübergehend aufheben. - Fehlanzeige! ({3}) Bis Sonntag hat sich der Minister nicht zentral darum gekümmert; er hat delegiert. Dann wurde versucht, hier den starken Max zu markieren. Was ist passiert? Ein Beispiel für die angeblich gute Koordinierung in dieser Regierung ist Folgendes: Herr Brüderle hat sich am Montag zu Wort gemeldet und erklärt, er richte jetzt zusammen mit dem BDI eine Taskforce ein, um alle Fragen der Krisenbewältigung zu koordinieren. Er hat den großen Airlines Hilfen in Aussicht gestellt. ({4}) Ein paar Tage später ist er zurückgerudert. ({5}) Die Frage, wie es um Hilfen für Passagiere und andere Personen bestellt ist, die irgendwo auf einem Flughafen gestrandet sind und nicht wissen, wie es weitergeht, hat niemand im Rahmen des zentralen Krisenmanagements gestellt. Deswegen verwundert es nicht, dass selbst aus den Reihen der Union - ich denke beispielsweise an den Kollegen Lämmel - und auch vonseiten der FDP Kritik am Krisenmanagement laut geworden ist. Herr Minister, ich finde, daraus müssen Sie für die Zukunft lernen. Die Art und Weise, wie Sie mit dieser Krise umgegangen sind, ist kein Grund, sich selbst einen Lorbeerkranz aufzusetzen. Sie sollten sich lieber ein bisschen Asche, vielleicht auch Vulkanasche, auf Ihr Haupt streuen. Herzlichen Dank. ({6})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Der Kollege Torsten Staffeldt hat das Wort für die FDP-Fraktion. ({0})

Torsten Staffeldt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004161, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Der Luftverkehr ist wieder freigegeben. Dazu kann man nur sagen: glücklicherweise. Aber die entscheidende Frage lautet: Wie lange? Denn das Problem ist noch nicht ausgestanden. Sie sehen mich, ich sehe Sie, und das, obwohl auch hier Staub in der Luft ist, glücklicherweise aber keine Asche, erst recht nicht auf unseren Häuptern oder auf dem Haupt des Bundesverkehrsministers. ({0}) So ist es auch mit der Staubwolke des Eyjafjallajökull. ({1}) - Ja, das habe ich auswendig gelernt. ({2}) Man sieht die Asche nicht unbedingt. Aber sie ist gefährlich, und zwar für den Luftverkehr und somit für ein empfindliches Transportsystem. Ich selber bin Privatpilot. Daher kann ich vielleicht ein wenig zur Versachlichung der Debatte beitragen. In meiner Ausbildung und der fliegerischen Praxis habe ich gelernt, Verantwortung zu übernehmen: für meine Passagiere, das Flugzeug und mich selber. Dazu gehört beispielsweise, dass ich vor Antritt eines Fluges die Wetterbedingungen ermittle: Ist am Start- und am Zielflughafen alles okay, sodass ich heil herunterkomme? Gibt es während des Fluges Gebiete mit Gewitterfronten und Wolkendecken, in denen ich nicht fliegen darf? Ich habe gelernt, dass diese sogenannte Flugvorbereitung auch dazu führen kann, dass wichtige Flüge nicht begonnen werden. Es ist aber die Verantwortung jedes Piloten, dies abzuwägen und zu entscheiden. Das gilt im Übrigen auch für die Vereinigung Cockpit. Die Piloten sind grundsätzlich für die Flüge verantwortlich. Diese Verantwortung lässt sich nicht delegieren, weder an die Deutsche Flugsicherung noch an den Bundesverkehrsminister. ({3}) Wir sind durch den Vulkanausbruch in der misslichen Lage, dass verantwortungsvolles Handeln zu dramatischen Einschränkungen des Luftverkehrs führte. Diese Situation hatten wir in Europa noch nicht; sie ist neu. Die Regeln der internationalen Luftverkehrsbehörde, der ICAO, schreiben vor, dass in vulkanischen Aschewolken nicht geflogen werden darf. Im Gegensatz zur Opposition hat die ICAO Erfahrungen aus Weltgebieten mit aktiven Vulkanen. ({4}) Instrumentenflug bedeutet, dass der verantwortliche Pilot ohne Sicht nach außen fliegen darf, zum Beispiel durch Wolken. Aus eigener fliegerischer Erfahrung weiß ich, dass der Einflug in Wolken mit dem völligen Verlust der Orientierung verbunden sein kann. Daher fliegen die Airlines nach Instrumenten. Diese geben dem Piloten über den künstlichen Horizont, den Kompass, die Steigund Sinkraten des Flugzeuges sowie GPS ein Bild der Umgebung. Daneben wird er im kontrollierten Luftraum durch die Deutsche Flugsicherung oder Eurocontrol über Funk unterstützt. Das entscheidende Wort ist „unterstützt“, nicht „geführt“. Noch einmal: Die Verantwortung an Bord hat der Flugkapitän. Durch wässrige Wolken zu fliegen, ist für einen Piloten mit Instrumentenflugausbildung kein Problem. Das Fliegen durch vulkanische Wolken ist allerdings verboten. Leider sieht man den Wolken nicht unbedingt an, ob sie Regenwolken sind oder einen anderen Ursprung haben. Regentropfen bilden sich an sogenannten Kondensationskeimen, kleinen Staubbestandteilen in der Luft, an denen der Wasserdampf kondensiert. Genau der gleiche Effekt tritt übrigens ein, wenn es auf Ihr frisch gewaschenes Auto geregnet hat. Nachdem das Auto wieder getrocknet ist, werden Sie eine Staubschicht darauf finden. Aus der Atmosphäre werden die Staubbestandteile ausgewaschen. Also brauchen wir Regen - den wir jetzt teilweise schon bekommen haben -, um den Vulkanstaub aus der Atmosphäre zu entfernen. Meine Damen und Herren von der Opposition, wollen Sie Bundesverkehrsminister Ramsauer für fehlenden Regen verantwortlich machen? ({5}) Nein, die Entscheidung des Ministers und der Behörden, kontrollierte Flüge unter Sichtbedingungen zuzulassen, war die einzig mögliche vernünftige Entscheidung. ({6}) So wird nämlich verhindert, dass Piloten in Wolken einfliegen, deren Ursprung sie nicht kennen können. Die Entscheidung, Instrumentenflüge jetzt wieder zuzulassen, erfolgte verantwortungsvoll und unter Kenntnis der sich täglich erweiternden Fakten. Nach dem Messflug der DLR und dem Durchzug der Aschefront im Norden wurden peu à peu die Flughäfen wieder freigegeben. Das ist das Gegenteil von Missmanagement. ({7}) Dass wir nun wieder Freigaben haben, bedeutet noch nicht, dass „business as usual“ gilt. Jetzt sitzen noch Tausende von Passagieren in Wartehallen fest und warten darauf, dass sie nach Hause kommen. Hier muss geholfen werden. Die Fernverkehre der Bahn wie auch der Busunternehmen laufen auf Hochtouren. Es wird aber dauern, die Odyssee dieser Flugreisenden zu beenden. Daher muss auch die zeitlich befristete Aufhebung der Nachtlandeverbote möglich sein. Dies richtet sich ganz klar an die Länderbehörden, die dafür zuständig sind. ({8}) Der Eyjafjallajökull zeigt uns die Grenzen unserer technischen und zivilisatorischen Errungenschaften auf. Dies sollten wir ernst nehmen. Wir haben nämlich die Verantwortung für unser Land, für den Verkehr und für die Bürgerinnen und Bürger. Es ist gut, dass sofort nach Beginn der Probleme ein Krisenstab in der Zentrale der Deutschen Flugsicherung eingesetzt wurde. Es ist beeindruckend, wenn 70 Ingenieure beim Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt in Nachtschichten und am Wochenende ein Forschungsflugzeug ausrüsten, um möglichst schnell belastbare Informationen über die Aschewolke zu erhalten. Es ist schnell, wenn das Luftfahrt-Bundesamt beantragenden Airlines innerhalb von zwei Stunden Genehmigungen erteilt, damit diese ihre Flugzeuge unter kontrollierten Sichtflugbedingungen betreiben können. Es ist richtig, wenn nach fachlicher Einschätzung Teile des deutschen Luftraums wieder für den kontrollierten Sichtflug und jetzt für den Instrumentenflug freigegeben werden. ({9}) Meine Damen und Herren, das ist verantwortungsvolle Politik. Es wurde und wird sowohl fachlich als auch politisch alles richtig gemacht. Verantwortungslos nenne ich den Versuch der Opposition, die Vorgehensweise des Ministeriums politisch zu instrumentalisieren, und das auf dem Rücken Tausender gestrandeter Passagiere. ({10}) Daher gilt mein ausdrücklicher Dank Minister Ramsauer und seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Deutschen Flugsicherung, des Deutschen Wetterdienstes sowie des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt und den vielen Piloten, die in schwieriger Situation ihrer Verantwortung gerecht werden. Vielen Dank. ({11})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Kollege, das war Ihre erste Rede hier im Hause. Für die fehlerfreie Aussprache außerordentlich schwieriger Wörter ({0}) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt und den Humor mussten wir Ihnen diesmal einfach etwas mehr Redezeit zugestehen. Das geht beim nächsten Mal nicht mehr. Alles Gute für Ihre Arbeit hier! ({1}) Der Kollege Herbert Behrens hat das Wort für die Fraktion DIE LINKE. ({2})

Herbert Behrens (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004007, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Minister, zwar konnte auf Grundlage einer Untersuchung durch die Maschine vom Typ Falcon, die Sie schon erwähnt haben und die zurzeit aufgrund eines technisches Mangels nicht starten kann, der Flugverkehr wieder aufgenommen werden, denn die Ergebnisse der Auswertung am gestrigen Abend haben gezeigt, dass es möglich ist, den Flugverkehr wieder aufzunehmen, ohne eine extreme Gefährdung von Maschinen und Passagieren zu riskieren; jedoch wurden die Fluggenehmigungen erteilt nicht nachdem, sondern bevor dies feststand. Noch am Donnerstag und am Freitag der vergangenen Woche hat es eine durchaus einheitliche Beurteilung des Hauses gegeben: Wegen der schwierigen Gefährdungsanalyse wollte man auf der sicheren Seite sein und entschied sich, den Luftraum nicht freizugeben. Diese Maßnahme war richtig. Gleichwohl haben vorgestern und gestern auf der Grundlage von Ausnahmegenehmigungen, die das Luftfahrt-Bundesamt erteilt hat, erste Flüge mit Passagieren an Bord stattgefunden. Es hat keine Zwischenfälle gegeben - das ist gut so -, obwohl vollbesetzte Flugzeuge unterwegs gewesen sind. Die Regulierung war höchst merkwürdig - wir haben es gestern gehört -: Herrschte klare Sicht, war Sichtflug möglich, durften Passagiere an Bord genommen werden. War Sichtflug wegen Wolkenbildung nicht möglich, durften keine Flüge durchgeführt werden. Wir wissen von den Fachleuten, dass bei Vulkanasche nicht von Wolken gesprochen werden kann, sondern eher von kontaminiertem Luftraum gesprochen werden muss. Diese „Wolken“ kann man nicht sehen. Das macht es für den Flugkapitän schwierig, zu entscheiden: Gehe ich rauf oder nicht? Sie sagen, die Flugkapitäne sind sehr verantwortungsbewusste Menschen, denen in jedem Fall - nicht nur in dieser Situation - bewusst ist, dass sie für die Sicherheit ihrer Fluggäste verantwortlich sind. Man muss aber auch sehen, dass den Fluggesellschaften pro Tag, an dem nicht geflogen werden darf, Verluste von 150 Millionen Euro entstehen. Daran wird deutlich, wie schwierig die Situation ist, wenn die Flugkapitäne vor der Entscheidung stehen: Starten wir oder starten wir nicht? Diese schwierige Situation hat dazu geführt, dass auch das Ministerium in dieser Situation nicht mehr souverän gehandelt hat. Andere nennen es Kritik am Krisenmanagement. Ich sage: Es hat etwas von Herumeierei, wenn Sie an der einen Stelle sagen: „Der Luftraum ist nicht sauber und deshalb nicht unbedingt sicher“, an anderer Stelle hingegen feststellen: „Es geht in Ordnung, es darf geflogen werden“, der Deutschen Flugsicherung aber keine Möglichkeit geben, zu sagen: „Der Luftraum wird nicht freigegeben.“ Die Teilaufhebung der Sperrung des Luftraums war voller Widersprüche: Instrumentenflüge waren untersagt, Sichtflüge aber erlaubt, und das bei der gleichen Vulkanaschekonzentration in der Luft. Es ist für die Fluggäste, die davon betroffen gewesen sind, nicht nachzuvollziehen, wie diese Entscheidungen zustande gekommen sind. Das ist, was andere mit Fehlern im Krisenmanagement gemeint haben. Ich sage: Das ist keine eindeutige Positionierung. So etwas trägt dazu bei, dass bei den Passagieren große Verunsicherung herrscht. Wir nennen diese Haltung Herumeierei. ({0}) Es geht allein um die Zuständigkeiten und die Frage, wer später was zu verantworten hat. Wenn die Deutsche Flugsicherung sagt: „Sichtflug ist erlaubt, Instrumentenflug aber nicht“, dann heißt das, dass sie nicht garantieren kann, dass es sicher ist, zu fliegen. Der Grund, dass der Sichtflug erlaubt ist, liegt darin, dass die Verantwortung allein beim Piloten liegt. Es gibt hier eine Regelungslücke. Wenn wir nicht wissen, ob der Luftraum sicher ist, dann müssen wir entsprechend entscheiden und feststellen, dass er nicht sicher ist, unabhängig davon, ob Vulkanaschepartikel am Himmel sind oder nicht. Der Luftraum muss sicher sein. Sonst können wir nicht erlauben, dass die Piloten ihre Maschinen starten. Es gibt für Sichtflüge die etwas realitätsferne Startauflage, dass nicht nur am Abflugsort und während des Flugverlaufs, sondern auch am Ankunftsort klare Sicht herrschen muss. Aber Wetter kann sich ja bekanntlich ändern! Ist nicht sichergestellt, dass am Landeort keine Wolke am Himmel ist, muss der Kapitän einen Ausweichflughafen suchen. An dieser Stelle sehen wir Änderungsbedarf. In der gestrigen Sondersitzung wurde salopp gesagt, bei Glatteis auf der Autobahn müsse jeder Fahrer selbst entscheiden, ob und wie schnell er fahre, und so müsse auch der Pilot abwägen, wie er seiner Verantwortung gerecht werden könne. Ich denke, in Bezug auf den Luftraum darf man das nicht so salopp sehen; beim Luftverkehr muss absolute Sicherheit gewährleistet sein. Daran müssen sich die Empfehlungen des Bundesverkehrsministers orientieren. ({1}) Es darf nicht sein, dass allein die Haftungsgründe, die ich erwähnt habe, als Entscheidungsgrundlage für den Start von Flugzeugen dienen. Wir wollen hier eine Änderung erreichen, um den Piloten Rechtssicherheit zu ermöglichen und damit die erwähnten Belastungen der Piloten zu minimieren. Ich habe kein Verständnis dafür, dass Flughafengesellschaften jetzt einen Ausgleich ihrer finanziellen Schäden fordern und hiermit bei Teilen der Bundesregierung zunächst auf offene Ohren stoßen. Wenn die Fluggesellschaften meinen, dass sie einen Anspruch auf Entschädigung haben, weil es schlechtes Wetter oder schwierige Situationen gegeben hat, stellen sie das, was beispielsweise für die Fluggäste geregelt ist, auf den Kopf. Bei den Fluggastrechten ist das nämlich nicht so geregelt. Bei höherer Gewalt bekommen sie eben keinen Ausgleich. Insofern ist es absurd, dass die wirtschaftlich mächtigen Fluggesellschaften an dieser Stelle zunächst auf offene Ohren des Wirtschaftsministers stoßen. Das ist nicht nachvollziehbar und findet auch nicht unsere Zustimmung. ({2}) Wie gesagt: Anfangs gab es eine Übereinstimmung in der Einschätzung der Situation. Dies galt aber nur hinsichtlich des Punkts, dass die Sicherheit an erster Stelle steht, was dazu geführt hat, dass Lufträume nicht freigegeben worden sind. Was danach kam, ist nicht nachzuvollziehen. Ich glaube, das hatte auch nichts mit einem kontrollierten Sichtflug der Bundesregierung, sondern eher mit einem unkontrollierten Blindflug zu tun. Insofern muss hier dringend nachgearbeitet werden, um solche Situationen in Zukunft zu vermeiden. Danke schön. ({3})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Das Wort hat der Kollege Dirk Fischer für die CDU/ CSU-Fraktion. ({0})

Dirk Fischer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000549, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Was derzeit im europäischen Luftraum passiert, haben selbst erfahrene Verkehrspolitiker wie ich noch nicht erlebt. Seit letzter Woche werden Tausende Flugzeuge in Europa durch eine Aschewolke am Boden gehalten, Hunderttausende Fluggäste konnten nicht reisen, und auf den Flughäfen und Bahnhöfen herrschten teilweise chaotische Zustände. Die Natur hat uns wieder einmal gezeigt, wie abhängig der Mensch in Wahrheit von ihr ist. Auf Island bricht ein Vulkan aus, und schon kommt unsere perfekt organisierte und vernetzte Reise- und Geschäftswelt ins Trudeln. Der Grund: Durch die feine Vulkanasche, die vom Boden mit bloßem Auge nicht erkennbar ist, können die Triebwerke von Flugzeugen beschädigt werden. Dass die Vulkanasche da ist, auch wenn der Himmel sonnenklar ist, steht fest. Das wurde durch den Flug eines NATO-Kampfjets gezeigt, der mit Glaspartikeln im Triebwerk landete, die aus Vulkanasche herrührten. Durch Messungen, beispielsweise der Technischen Hochschule Zürich und des Testflugzeuges des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt, wurde die Existenz der gefährlichen Vulkanasche ebenfalls nachgewiesen. Die vom Bundesverkehrsministerium in enger Absprache mit der Deutschen Flugsicherung getroffene Entscheidung, den Luftverkehr in Deutschland nahezu auf Null zu steuern, war daher unvermeidlich; denn solange nicht auszuschließen ist, dass eine Gefahr für den Luftverkehr und damit eine Gefahr für Menschen besteht, darf gar nicht anders entschieden werden. ({0}) Die Sicherheit der Besatzungen, der Fluggäste und der Menschen am Boden muss immer Vorrang haben. Der Bundesverkehrsminister steht immer in voller persönlicher Verantwortung und hat deswegen unsere uneingeschränkte Unterstützung in jeder Situation verdient. Der Minister hat dabei aber nicht die Möglichkeit, so flexibel zu reagieren, wie dies manche Kritiker wünschen, die meinen, die getroffenen Sicherheitsvorkehrungen seien überzogen. Man stelle sich nur einmal vor, es würde auch nur ein einziges Flugzeug aufgrund dieser Ursache verunglücken! Wie groß würde der Aufschrei sein: Hätte man das nicht verhindern können, sogar müssen? Natürlich gäbe es sofort heftigste Attacken auf den Bundesminister, Rücktrittsforderungen eingeschlossen. Deswegen noch einmal: So schwer die Belastungen der Fluggesellschaften, der Flughäfen und der Fluggäste auch sein mögen: Größtmögliche Sicherheit darf niemals vernachlässigt werden. ({1}) Gestatten Sie mir an dieser Stelle noch eine Bemerkung zum Krisenmanagement und zu den Behauptungen, die zum Teil nachweislich falsch sind. Denn trotz weniger Erfahrungswerte mit einem Vulkanausbruch dieses Ausmaßes hat das Krisenmanagement vorbildlich funktioniert. ({2}) Internationale Vorschriften und Vorgaben wurden in jeder Situation strikt eingehalten. Die Krisenstäbe des Bundesministeriums, der Flugsicherung und des Wetterdienstes arbeiten eng und erfolgreich zusammen. Der Bundesminister koordiniert die Arbeit der Krisenstäbe und steht in enger Abstimmung mit den anderen europäischen Ministerien, der EU-Kommission und Eurocontrol. Selbstverständlich sind auch die verantwortlichen Behörden der Bundesländer stets eingebunden gewesen. Die Bundesregierung war also von Anfang an operativ präsent und umfassend tätig. Nichts wurde versäumt. ({3}) Das spezielle Forschungsflugzeug des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt war bereits am Montag einsatzbereit. Das ist sehr bemerkenswert. Das mit Laserradar ausgestattete Flugzeug wurde am Wochenende unter Hochdruck ausgerüstet. Damit hat das technische Personal eine grandiose Leistung vollbracht. Unter Normalbedingungen brauchen sie dafür mehrere Wochen, wie es heißt. Deswegen kann man diese Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nur loben. Dirk Fischer ({4}) ({5}) Im Übrigen ist die Bundesrepublik Deutschland im Vergleich mit unseren Nachbarstaaten außer Großbritannien das einzige Land, das überhaupt über ein derartiges Flugzeug verfügt. Auch damit haben wir umfassend Vorsorge betrieben. Wir sammeln jetzt Erfahrungen, die uns bei ähnlichen Ereignissen in der Zukunft nützlich sein werden. Daher ist es sehr wichtig, dass wir diese Erfahrungen möglichst gut auswerten und verwerten. Alle Messdaten müssen gesammelt und ausführlich ausgewertet werden. In diesem Zusammenhang auftauchende Fragen müssen angegangen und vor allem auch von der Wissenschaft möglichst bald beantwortet werden. Wichtig sind auch gemeinsame Standards auf europäischer und internationaler Ebene, damit nicht einzelne Länder unterschiedliche Entscheidungen treffen und zur Verwirrung beitragen. Die International Civil Aviation Organization, ICAO, ist gefordert, ihre Regelwerke zu verfeinern. Aber als erster Schritt - das wurde bereits von meinen Vorrednern erwähnt - ist jetzt nach der begrüßenswerten Beendigung der Flugbeschränkungen der Stau an den Flughäfen zu beseitigen und der normale Luftverkehr in Deutschland und Europa schnellstmöglich wiederherzustellen. Dazu ist es sinnvoll, das Nachtflugverbot zumindest einige Tage flexibel zu handhaben, vor allem, um steckengebliebene Fluggäste schnellstmöglich heimzubringen. ({6}) Positiv werte ich daher zum Beispiel die Entscheidung meines Bundeslandes Hamburg, in den nächsten beiden Nächten nach der Freigabe des deutschen Luftraumes Starts und Landungen auf dem Hamburger Flughafen auch zwischen 23 und 6 Uhr zu erlauben. Für diese kurzfristige Maßnahme sollte, wie ich meine, auch das solidarische Verständnis der Flughafenanwohner zu gewinnen sein. Denn es geht um die Menschen, die seit Tagen an ausländischen Standorten festsitzen und nicht heimkommen können. Ich glaube, das sollten wir alle gemeinsam tragen. ({7}) - Ich hoffe, dass alle Flughäfen und Landesregierungen - die Zuständigkeit liegt bei den Ländern - sinnvolle Entscheidungen treffen. Hier ist nicht der Bundesverkehrsminister gefordert; dafür sind die Landesbehörden zuständig. Ich hoffe, dass die jetzige Wiederfreigabe des uneingeschränkten Luftverkehrs beibehalten werden kann und nicht weitere Naturereignisse erneut zu Maßnahmen zwingen. Dann aber muss aufgearbeitet werden: Wissenschaftliche Erkenntnisse, technische Effekte und Lösungen sowie die Auswirkungen der Krise auf unsere Luftverkehrswirtschaft und unsere Volkswirtschaft insgesamt sind zu untersuchen und zu bewerten, um dann angemessen darauf zu reagieren. Das Thema ist also mit dem heutigen Tage und der begrüßenswerten Entscheidung unseres Bundesverkehrsministers Peter Ramsauer keineswegs erledigt. Es wird und es muss uns weiterhin beschäftigen. Ich danke für die Aufmerksamkeit. ({8})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Winfried Hermann hat jetzt das Wort für Bündnis 90/ Die Grünen.

Winfried Hermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003147, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Ausbruch des Vulkans auf Island und die Verbreitung der Asche über Deutschland und über Europa hat uns überraschend - so muss man schon sagen - gezeigt, dass es noch Vulkane gibt und wir unser globales Wirtschafts-, Transport- und Mobilitätssystem ein Stück weit so organisiert und geplant haben, als gäbe es keine Naturgewalten mehr. Das war für uns, glaube ich, eine schmerzliche Erinnerung, die uns zu denken geben sollte; denn eines darf man nicht vergessen: Wir haben die Natur niemals hundertprozentig im Griff. ({0}) Respekt vor der Natur und eine Anerkennung der Grenzen menschlichen Tuns sind angesagt. Es ist heute und auch schon in den letzten Tagen viel über die Frage diskutiert worden, ob das Management in dieser Krise richtig war. Manche haben mich persönlich angesprochen und gefragt: Warum hast du nicht kritisiert, warum hast du den Minister nicht angegriffen, sondern ihn sogar gerettet? ({1}) Ich glaube, so weit ging es nicht. Aber ich finde schon, dass Opposition zwar einerseits die Aufgabe der kritischen Begleitung der Regierung hat, andererseits aber dann, wenn es große Krisen wie diese gibt und sachliche Kritik angemessen ist, die allerdings auch fundiert sein muss, gleichsam der Regierung zur Seite stehen kann und in der Sache denken und argumentieren muss. Wenn ein Minister sagt, er orientiere seine Entscheidungen an der Sicherheit als dem obersten Prinzip und wirtschaftliche Interessen hätten nachzustehen, dann hat er den Respekt und die Unterstützung des Parlaments verdient, ({2}) dies umso mehr, als die Flugwirtschaft offenkundig massiven Druck gemacht hat. Zwar reden alle davon, dass Sicherheit das Allerwichtigste sei, aber es wurde auch aus ökonomischen Interessen heraus gefragt: Warum nehmen wir das so scharf, die anderen sind doch auch nicht so scharf? Hier blieb der Minister bei seinem Prinzip, ({3}) und deshalb hatte er unsere Unterstützung. Es haben auch andere viel dazu beigetragen, dass wir diese Krise einigermaßen gut durchlaufen konnten. Die Bahn hat nach meiner Auffassung beim Ersatz starke Leistungen gezeigt; auch die Busunternehmen, die die Passagiere von weither geholt haben, haben einen Beitrag dazu geleistet, dass die Menschen nach Hause gekommen sind. Der Deutschen Flugsicherung und dem Krisenstab danke ich ausdrücklich. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, erst einmal einen anderen Krisenstab einzurichten, ist kein kluger Vorschlag. ({4}) Wir haben einen permanenten Krisenstab in Langen, der auch solche Krisen bewältigen kann. Aus unserer Sicht war es absolut richtig, auf diese Profis zu setzen. Sie haben richtig gehandelt und den Minister, wie ich finde, richtig beraten. ({5}) Gleichwohl sind auch einige Probleme sichtbar geworden. Ich teile die Ansicht all derer, die gerade angesprochen haben, dass es im Regelwerk der ICAO das riesige Problem - um nicht zu sagen: den riesigen Widerspruch - gibt, dass bei Verunreinigung der Luft durch Vulkanasche auf der einen Seite Instrumentenflüge aus Sicherheitsgründen nicht erlaubt sind, man auf der anderen Seite aber unter Sichtbedingungen durchfliegen darf. Das ist widersprüchlich, das geht nicht, das halte ich für falsch, das muss korrigiert werden. ({6}) - Der Minister hat auf dieser Grundlage gemäß den Regeln entsprechend der Ratschläge der Fachleute entschieden. Ich sage Ihnen aus meiner Perspektive: Im Einzelfall kann ich das nachvollziehen; aber in den letzten Tagen sind zu viele Ausnahmegenehmigungen erteilt worden. Hier hat zu viel Sichtflug stattgefunden. Ich glaube, dass wir auch sehr genau überprüfen müssen, ob es bei diesen vielen Sichtflügen tatsächlich zu gefährlichen Annäherungen gekommen ist, ob es Vorfälle gibt, die gemeldet worden sind. Hier ist kritisch nachzuprüfen, weil es sich um eine riskante Sache gehandelt hat. Das hätte ich so nicht gemacht. ({7}) Es ist auch sichtbar geworden, dass zum Teil Daten und Messinstrumente fehlen und dass wir nicht die richtigen Kriterien haben, um Entscheidungen zu treffen. Wir haben nicht einmal Grenzwerte für Flugasche in der Luft. Damit komme ich zu den Konsequenzen: Ich glaube, wir sind gut beraten, aus diesem Vorfall, den wir nach meiner Auffassung Gott sei Dank bisher insgesamt glücklich überwunden haben - wir können froh sein, dass es keine Unfälle gab; ein solches Glück hat man vielleicht nicht immer -, einige Konsequenzen zu ziehen. Erstens müssen wir die Forschungs- und Entwicklungsarbeit unterstützen und fördern. Es steht ein Forschungspaket an, das auf der einen Seite aus Vulkanforschung, Atmosphärenforschung sowie Klima- und Wetterforschung besteht und in dessen Rahmen man auf der anderen Seite genauer untersucht, wie sich Vulkanaschenschläge auf Düsenflugzeuge und ihre Triebwerke auswirken. In der Anhörung im Ausschuss ist offenkundig geworden, dass es darüber zu wenige Erkenntnisse gibt. Da müssen wir etwas tun. Zweitens müssen wir die Messsysteme insgesamt verbessern. Ich glaube, man braucht auf europäischer Ebene einige Messflugzeuge - vielleicht eine Flotte -, die ad hoc aufsteigen und solche Messungen vornehmen können. Es war nicht die beste Lösung, dass man einige Tage gebraucht hat, bis ein solches Flugzeug ausgerüstet werden konnte. Wir brauchen drittens und vor allen Dingen widerspruchsfreie Regeln. Ich finde, die ICAO-Regel, die zugelassen hat, dass Sichtflüge unter so widersprüchlichen Bedingungen möglich waren, muss geändert werden. Dazu müssen wir auf internationaler Ebene aktiv werden. Viertens benötigen wir - auch das ist für mich eine wichtige Konsequenz - einen Plan B für mögliche Katastrophen dieser Art. Wir haben quasi keinen Plan für den Fall, dass der Luftverkehr oder der Bahnverkehr ausfällt. Man kann daraus lernen, dass ein Plan B entwickelt werden muss, der vorgibt, wer zuständig ist und wer zum Beispiel die Rückführung von Passagieren, die fernab sind, abwickelt. Das sollte eine Konsequenz sein. Wir müssen fünftens auch über die Verbrauchersituation und die Kundenrechte nachdenken. Es hat sich gezeigt, dass sich manche Regeln an Einzelfällen orientieren und dass es keine flächendeckende Lösung gibt. Auch hier gilt es nachzuarbeiten. Fazit: Wir brauchen eine kritische Evaluation des ganzen Vorgehens, auch unserer Handlungen und unserer Instrumente. Wir müssen dann die Konsequenzen ziehen, und das sollten wir alle zusammen an einem runden Tisch tun. Dann können wir auch Erfolg haben. Ich möchte mich am Ende sehr herzlich beim Minister bedanken, ({8}) und zwar deswegen, weil er den Ausschuss und das Parlament sehr schnell informiert und in Entscheidungen einbezogen hat. Das halte ich unter dem Gesichtspunkt der parlamentarischen Zusammenarbeit für vorbildlich. Ich sage das auch deswegen, weil ich lange genug im Parlament bin und weiß, dass nicht alle seine Vorgänger in seinem Haus so kooperativ waren. Vielen Dank. ({9})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Für die FDP hat der Kollege Patrick Döring das Wort. ({0})

Patrick Döring (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003748, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zunächst ist die Debatte eine gute Gelegenheit, den vielen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in der Deutschen Flugsicherung, beim Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt, bei den Airlines und an den Flughäfen sehr herzlich dafür zu danken, dass sie sich so schnell, so flexibel und rund um die Uhr bemüht haben, diese außergewöhnliche Situation in den Griff zu bekommen. Deshalb namens der FDP-Fraktion und, so denke ich, namens des ganzen Hauses herzlichen Dank für diesen hervorragenden Einsatz der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. ({0}) Die Erfahrung lehrt - der Kollege Hermann hat es angedeutet -, dass durch diesen Vulkanausbruch eine Herausforderung entstanden ist. Ich jedenfalls - das gebe ich zu - hätte nie geglaubt, dass ein Vulkanausbruch auf Island eine solche Auswirkung auf den Flugverkehr haben kann. Wenn man dann noch weiß, dass die ausgestoßene Menge an Asche etwa einem Zehntel dessen entspricht, was in den 80er-Jahren auf der südlichen Halbkugel bei Vulkanausbrüchen ähnlicher Art emittiert wurde, dann macht das deutlich, wie viel größer die Katastrophe hätte sein können. Gleichwohl spüren wir alle: Die Unsicherheit mit dem Umgang dieser Vulkanaschepartikel in der Luft war besonders groß. Ich bin deshalb besonders ärgerlich über einige Zwischentöne in dieser Debatte, insbesondere aber über die mediale Berichterstattung, was den Bereich Sichtflug angeht. Es war doch richtig, in dem Moment, in dem man wetterbedingt Sichtflugregeln anwenden konnte, die Erfahrungen der Piloten, die die Flugzeuge im Sichtflug durch die auch mit Asche kontaminierte Atmosphäre geflogen haben, in die Entscheidung der DFS einzubinden. Es war doch sinnvoll, Sichtflüge durchzuführen. Ich will deutlich sagen: Sichtflug findet in Deutschland, wenn das Wetter es zulässt, täglich statt. Das ist nichts Außergewöhnliches, und das ist kein, wie ich es lesen musste, juristischer Winkelzug. Sichtflug findet täglich, sicher und weitestgehend unfallfrei statt. Deshalb war es klug und richtig, die außergewöhnliche Hochdrucklage und die Erfahrungen der Piloten im Sichtflug zu nutzen und die Erfahrungen der Piloten mit den Auswirkungen auf die Maschine, auf die Scheiben und auf die Triebwerke in die hervorragende Arbeit des Krisenstabes bei der DFS einzuspeisen. ({1}) Ich bin dankbar dafür, dass man mit dem aufwachsenden Erkenntnisgewinn - alle Beteiligten sind von Stunde zu Stunde über die Wirkung von Asche in der Atmosphäre klüger geworden - eine valide Grundlage für die Entscheidung heute Vormittag hatte. Dazu kommt, dass sich die Wetterlage glücklicherweise verändert hat; die Aschekonzentration hat insgesamt abgenommen. Ich stelle fest: Das Bundesministerium, die nachgeordneten Behörden, die beteiligten Unternehmen haben vorbildlich, hervorragend reagiert. Das gilt - das sage ich ausdrücklich - auch für die anderen Verkehrsträger, insbesondere für die Deutsche Bahn und die Flughäfen, die zum Teil wegen besonderer Belastung der Hotelwirtschaft, etwa wenn vor Ort Messen stattfanden, kurzfristig und schnell sichergestellt haben, dass die Menschen unter halbwegs normalen Bedingungen zur Ruhe kommen konnten. Hervorragend war der permanente Informationsfluss an die Fraktionen, an die Entscheider, den der Minister und sein Staatssekretär Jan Mücke sichergestellt haben. Wir waren an dieser Stelle immerzu informiert und hatten nie das Gefühl, es laufe etwas am Parlament vorbei. Dafür möchte ich mich herzlich bedanken. Der Kollege Hermann hat eben die Frage „Wie gehen wir mit dem Ausfall eines Verkehrsträgers um?“ angesprochen. Ich bin sehr froh, dass wir das Thema Nachtflugverbot behandeln und dass der Koordinator der Bundesregierung für den Güterverkehr, der Kollege Scheuer, mit den Ländern heute darüber spricht, ob sich die Wirkungen auf die Realwirtschaft - einige von Ihnen haben mitbekommen, dass große Automobilwerke derzeit nicht produzieren können, weil bestimmte Teile nicht vorhanden sind - dadurch abmildern lassen, dass wir den Güterverkehr gegebenenfalls bis zur Wiederherstellung des regulären Flugbetriebs von einigen Ausnahmeregelungen, Stichwort „Sonntagsfahrverbot“, befreien, damit in Deutschland die Waren, die bisher nicht ausgeliefert werden konnten, schnell verteilt werden können. Es geht darum, dass nicht nur die Großmärkte, sondern auch unsere Industrieproduktion, die unter den jüngsten Geschehnissen gelitten hat, wieder versorgt werden können.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Kollege!

Patrick Döring (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003748, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Insgesamt ist der Bundesregierung kein Vorwurf zu machen. Ich bedanke mich für das kollegiale Miteinander. Dieser Dank gilt insbesondere dem Ausschussvorsitzenden und dem Ministerium. Herzlichen Dank. ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Das Wort hat die Kollegin Ulrike Gottschalck für die SPD-Fraktion. ({0})

Ulrike Gottschalck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004043, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Wahrnehmungen sind offensichtlich sehr unterschiedlich. Als ich den Kollegen Hermann eben gehört habe, habe ich gedacht, er habe vor, eine Antrittsrede als Staatssekretär zu halten. Das war schon ein wenig verwunderlich. Außerdem wurde Herr Döring gelobt. Also, nicht schlecht das Ganze. Wir haben eine andere Wahrnehmung. Ich zitiere die Meldung einer Agentur: „Ramsauer sitzt zwischen allen Stühlen.“ Mein Mitleid hält sich in Grenzen; denn er hat seine Position durch mangelhaftes Krisenmanagement selber verschuldet. Besser wäre es gewesen, rechtzeitig den Dialog mit allen Beteiligten zu suchen. Ich hätte mir gewünscht, einen Minister zu haben, der mit sicherer Hand durch die Krise führt. ({0}) Ich betone, dass wir die Mitarbeiter der Flugsicherheit, der zahlreichen Behörden und Flughäfen ausdrücklich in Schutz nehmen. Wir brauchten aber jemanden, der den Hut aufhat, alles ordentlich bündelt und sagt, wo es langgeht. Meine sehr geehrten Damen und Herren, Sicherheit geht vor. Jawohl, Herr Minister, da haben Sie vollkommen recht; da stehen wir an Ihrer Seite. Wir müssen den gestrandeten Passagieren schnell helfen. Auch hier kommt von uns Sozialdemokraten natürlich ein klares Ja. Aber das sind doch alles Selbstverständlichkeiten. Wer in diesem Haus wollte denn etwas dagegen haben? ({1}) Herr Minister, Sie haben Ihren Ruf als Dampfplauderer wieder einmal bestätigt: markige Worte, wenige Entscheidungen. ({2}) - Sie können das alles nachlesen. - Sie legen sich mit den Fluggesellschaften an und unterstellen ihnen, die Sicherheit nicht ernst genug zu nehmen. Sie gehen über die Sicherheitsbedenken der Pilotenvereinigung Cockpit hinweg. Gleichzeitig loben Sie sich ständig selber und bezeichnen sich - das fand ich besonders nett - als konstruktiven Schrittmacher. Um in Ihrer Sprache zu bleiben, Herr Minister: Ich halte das für einen Schmarren, denn die Kritik der Beteiligten ist deutlich. Auch aus den Regierungsfraktionen war durchaus deutliche Kritik zu vernehmen; dort war man nicht so ganz zufrieden. Wir alle sind froh darüber, dass sich der Luftraum nach und nach öffnet und sich die Lage hoffentlich bald wieder normalisiert. Auch meine Fraktion ist dafür, dass wir zum Beispiel bei Nachtflügen großzügig agieren und sagen: Vorübergehend - die Betonung liegt auf „vorübergehend“ -, um eben schnell Passagiere zurückzuholen, darf auch ein Nachtflugverbot ausgehebelt werden. Aber immer noch bleiben wesentliche Fragen offen. Ich will nur einige nennen: Auf welcher Grundlage wurde die Entscheidung für Sondergenehmigungen für Sichtflüge großer Maschinen getroffen? Der Kollege Pronold hat das eben schon ausgeführt. Sind solche Sichtflüge nicht zu risikoreich? ({3}) Immerhin hat Cockpit verlautet: Unverantwortlich. Das ist schon eine harte Aussage. Darüber kann man nicht so einfach hinweggehen. Das deckt sich auch mit dem, was ich in Gesprächen mit Piloten erfahren habe. Auch sie haben gesagt: „Das ist unverantwortlich“ und waren eigentlich sogar geschockt. Wurden juristische Winkelzüge gemacht - Herr Döring hat das eben angesprochen; er hat es kritisiert; das hat nicht irgendwer, sondern auch Cockpit verlautet -, ({4}) damit die Verantwortung auf die Piloten verlagert wird? Wussten alle Passagiere zu jeder Zeit, zu welchen Bedingungen sie fliegen? Gab es zum Beispiel so etwas wie den Beipackzettel bei Medikamenten? Es bleiben also wesentliche Fragen offen, die wir zu klären haben. Ich hoffe sehr, dass Minister Ramsauer zu seinem Wort steht und einen runden Tisch einrichten wird, an dem mit allen Beteiligten untersucht wird, wie man in Zukunft vorgehen und solche Chaostage nach Möglichkeit verhindern kann. Ich danke Ihnen. ({5})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Liebe Frau Kollegin, das war Ihre erste Rede hier im Haus, zu der wir Ihnen recht herzlich gratulieren. ({0}) Deswegen hat der Kollege Ströbele auf eine Zwischenfrage verzichtet. Aber das wird sicherlich beim nächsten Mal nachgeholt. Für die CDU/CSU-Fraktion spricht der Kollege Peter Wichtel.

Peter Wichtel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004189, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und liebe Kollegen! Ich möchte zunächst einmal feststellen - das kann man am heutigen Tage gar nicht oft genug wiederholen -, dass von allen Beteiligten und Entscheidungsträgern in dieser Ausnahmesituation einer Naturkatastrophe, des Ausbruchs eines Vulkans in Island, Recht und Ordnung, internationale Vorschriften, europäische Abstimmungsregelungen hundertprozentig eingehalten worden sind. Man muss an dieser Stelle noch einmal hervorheben: Unser Bundesminister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung, die Deutsche Flugsicherung, der Deutsche Wetterdienst, die Entscheidungsträger in der EU, die eingebunden waren, aber auch diejenigen, die - wie das Kontrollzentrum in London - Daten zugeliefert haben, haben eindeutig festgestellt, dass der Luftverkehr gefährdet sein könnte. Deswegen ist der Luftverkehr eingestellt worden. Das ist richtig so. Wenn wir solche Regelungen haben, dann nutzen wir sie auch. Wenn wir erfahren, dass etwa wegen der Wanderung solcher Wolken andere Messmethoden oder andere Kontrollen notwendig sind, dann lernen wir daraus und stellen uns für die Zukunft um. Ich habe natürlich sehr viel Verständnis für die Luftverkehrswirtschaft, für die Damen und Herren, die Firmen leiten müssen, für die Beschäftigten und für die Passagiere, die irgendwo festsitzen und nicht weiterkommen. Aber viel wichtiger ist die Sicherheit der Passagiere. Wenn wir nichts getan hätten und auch nur ein Flieger abgestürzt wäre, hätten genau diejenigen, die geschrieben haben: „Übertrieben! Ist das alles überhaupt richtig? Da darf man fliegen, und da darf man nicht fliegen!“, am nächsten Tag gefragt: Hat denn der Minister und hat denn der Krisenstab überhaupt alles richtig gemacht? ({0}) Ich sage sehr eindeutig: Parteipolitischer Klamauk vor dem 9. Mai, also vor Muttertag, sowie wirtschaftliches oder gar mediales Interesse dürfen uns in einer Frage, bei der es um Menschenleben geht - es geht nämlich um diejenigen, die in den Flugzeugen sitzen, und auch um diejenigen, die am Boden im Falle eines Absturzes betroffen wären -, nicht leiten. Hier geht die Sicherheit der Menschen vor. ({1}) Darüber hinaus denke ich, dass die Debatte - Teile der Opposition versuchen dies heute - auf dem Rücken der Passagiere und derjenigen, die in der letzten Zeit so viel an der Lösung dieses Problems gearbeitet haben, ausgetragen wird. ({2}) Das ist völlig unangemessen. Herr Kollege Beckmeyer weiß dies ebenfalls. Er ist lang genug in diesem Bereich engagiert. Der Kollege, der gerade dazwischengerufen hat, würde diesen Zwischenruf unterlassen, wenn er wüsste, was wir in den letzten Tagen zum Beispiel bei der Anhörung im Verkehrsausschuss und bei sonstigen Diskussionen erfahren haben. ({3}) Lieber Kollege, ich möchte Ihnen zu Ihrer Diskussion über das Thema Krisenstab Folgendes sagen: Was hätten Sie geklagt, wenn der Krisenstab in einem Raum des Bundesverkehrsministeriums ohne die notwendigen technischen Einrichtungen seine Arbeit aufgenommen hätte. Das heißt, man hätte nicht alle Daten zusammenfassen können und auch der Deutsche Wetterdienst wäre nicht nur wenige Kilometer entfernt. In diesem Fall würden die Experten in Langen nicht zur Verfügung stehen. Der Minister könnte lediglich Telefonkonferenzen abhalten. In diesem Fall hätten Sie genau das Gegenteil behauptet. ({4}) Sie hätten bemängelt, dass es nur einen technisch nicht adäquat ausgestatteten Raum geben würde, und Sie hätten der Bundesregierung vorgeworfen, dass man die vorhandenen technischen und personellen Möglichkeiten nicht nutzt. ({5}) Deswegen ist das, was Sie machen, nur Theaterdonner. ({6}) - Herr Pronold, Sie haben mit Abwesenheit geglänzt. Sie haben wahrscheinlich heute als stellvertretender Fraktionsvorsitzender gesprochen, um ein bisschen Stimmung in den Laden zu bringen. Auch das möchte ich an dieser Stelle einmal sagen. ({7}) - Ich habe Sie bei zwei sehr wichtigen Gelegenheiten nicht gesehen. ({8}) Wenn ich mich irren sollte, dann können wir darüber reden. Zumindest haben Sie bei diesen Gelegenheiten nicht zugehört. ({9}) Die Mitteilung, was alles über Eurocontrol entschieden worden ist, haben Sie nicht mitbekommen, obwohl Sie vielleicht anwesend waren. Diese Entscheidungen hatten Auswirkungen auf die Arbeit der DFS-Niederlassungen und die Interpretation der Messwerte. Stichwort Messwerte: Sie haben auch behauptet, es hätte keine Messwerte gegeben. ({10}) Es gab von Anfang an Messwerte. Es war lediglich nicht genau bekannt - deswegen musste erst ein Messflugzeug entsprechend ausgerüstet werden -, welche Bestandteile die Wolke aufweist und wie hoch der Grad der Kontaminierung ist. Die potenzielle Gefahr war allerdings bekannt. Das Krisenszenario, das Sie beschreiben, ist aus meiner Sicht durch den Krisenstab erstklassig in die Überlegungen mit einbezogen worden. An dieser Stelle muss man den Beteiligten Danke sagen. Dazu gehören diejenigen, die das Messflugzeug so schnell umgerüstet haben, und auch diejenigen, die so schnell die Genehmigung erteilt haben. Ich erwähne auch die Menschen an den Flughäfen, die sich dort um diejenigen Passagiere gekümmert haben, die beispielsweise aus den Transitbereichen nicht herausgekommen sind. Ich denke, Sie haben in Ihren Redebeiträgen einige Punkte nicht erwähnt, weil es Ihnen gar nicht um die Sache geht. Richtig ist - das hat auch der Ausschussvorsitzende vorhin gesagt -: Wir müssen jetzt schauen, welche neuen Messwerte festgestellt werden können und welche neuen Forschungsergebnisse es gibt. Daraus kann man dann ableiten, was neu zu machen ist. Mich hat schon sehr beeindruckt, dass selbst ein Triebwerkshersteller in der Anhörung des Ausschusses uns nicht sagen konnte, ab welcher Konzentration der Aschepartikel ein Triebwerk beschädigt wird, sodass die Gefahr eines Unfalls besteht. Wir müssen also unbedingt mehr im Bereich der Forschung tun. Wir müssen im Nachgang dafür sorgen - und dafür werbe ich -, dass die Menschen schnell zu ihren Heimatflughäfen geflogen werden und die Güter, die bis jetzt liegengeblieben sind, weitertransportiert werden. Wenn es notwendig ist, sollten für eine begrenzte Zeit Nachtflugbeschränkungen aufgehoben werden. Ich bitte die Bevölkerung, die rund um die Flughäfen wohnt, um Verständnis, dass nachts geflogen werden kann. Ich sage deswegen sehr deutlich: Nach den Ergebnissen, die bis heute vorliegen, haben wir die Krise, wenn das Wetter so bleibt und keine neue Wolke kommt, in einem ersten Schritt gemeistert. Der zweite Schritt ist - das habe ich gerade angedeutet -, mit Wissenschaft und Forschung über die Messergebnisse und neue Verfahren, falls wir solche brauchen, zu diskutieren. Ich bitte Sie alle, weiter an diesem Thema mitzuarbeiten. Zwei Dinge möchte ich in diesem Zusammenhang noch ansprechen: Hätte der Bundesminister die anderen Ministerien nicht eingeschaltet, würden Sie heute sagen: Was ist das denn für eine Abstimmung innerhalb der Bundesregierung! Alle anderen Ressorts waren nicht beteiligt. - Es war also richtig, dass das Bundeskanzleramt, das Wirtschaftsministerium und das Innenministerium eingeschaltet worden sind. Die Opposition muss zur Kenntnis nehmen, dass der Luftverkehr auf unterschiedlichen Ebenen reguliert wird. Ein Bundesminister kann keine Erleichterungen im Hinblick auf das Nachtflugverbot beschließen. Dies müssen die einzelnen Bundesländer tun. Wenn ich meinen Vorredner Dirk Fischer richtig verstanden habe, hat sogar eine Senatorin der Grünen erkannt, dass solche Erleichterungen jetzt notwendig sind. Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. ({11})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Der Kollege Uwe Beckmeyer hat jetzt das Wort für die SPD-Fraktion.

Uwe Beckmeyer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003498, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Eines muss man dem Ganzen voranstellen: Niemandem hier im Hause kann der Vorwurf gemacht werden, dass das Thema Sicherheit in irgendeiner Weise außer Acht gelassen wird. Wir alle, die sich am Sonntag an der Telefonschaltkonferenz mit dem Herrn Bundesminister beteiligt haben, haben klipp und klar gesagt: Natürlich ist die Sicherheit das Erste, was wir zu beachten haben. - Insofern wurde das nie in Zweifel gezogen. Es geht auch nicht um parteipolitische Profilierung, sondern es gibt Widersprüche, Herr Hermann. Als Mitglied des Verkehrsausschusses haben Sie genauso wie ich eine Pressemitteilung des Bundesverkehrsministers von Sonntag, dem 18. April 2010, vorliegen. Da lesen Sie auf Seite 2: Wegen der außergewöhnlichen Lage in Europa sind bei DFS, DWD und bei BMVBS Krisenstäbe im Einsatz. Das BMVBS koordiniert die Arbeit der Krisenstäbe und steht dabei in enger Abstimmung mit anderen europäischen Ministerien. ({0}) Ich habe den Bundesminister anlässlich seines Berichts am gestrigen Tage gefragt, ob er oder die Spitze seines Hauses den Krisenstab leitet. Die Antwort war: Es gibt einen zentralen Krisenstab bei der Deutschen Flugsicherung. Da frage ich mich: Was ist nun eigentlich? Kann das die Antwort auf diese außergewöhnliche Situation sein? Ich denke, nein. ({1}) - Frau Raab, Sie können sich ja zu einer Zwischenfrage melden. ({2}) In einer für die Bundesrepublik Deutschland bzw. für die Bundesregierung außergewöhnlichen Situation muss es meiner Meinung nach darum gehen, dass die Krisenbewältigung in ihrer Gesamtheit vom Verkehrsminister - es ist ausdrücklich betont worden, dass er dafür die Verantwortung hat - übernommen wird.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Kollege, möchten Sie die Zwischenfrage von Frau Raab zulassen?

Uwe Beckmeyer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003498, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Nein, jetzt nicht. - Diese Verantwortung muss der Minister notwendigerweise insgesamt übernehmen. Mich haben bereits am Sonntagabend Hinweise erreicht, die den Tenor hatten: Da passiert irgendetwas; da läuft etwas nicht. - Die Konsequenz war, dass vom Bundeswirtschaftsministerium am Montag um 11 Uhr verkündet wurde, es gebe eine Taskforce mit den Airlines. Nicht nur die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen der Luftverkehrswirtschaft sollten erörtert werden, sondern auch andere Dinge. Das machte deutlich, dass es eine Handlungslücke, eine Regulierungslücke und eine Krisenbewältigungslücke gab. Der Vorschlag, der gestern zur Zulassung des kontrollierten Sichtfluges geführt hat, ist nicht im BMVBS entwickelt worden, sondern in irgendwelchen Gremien, die diesen Vorschlag erst anschließend dem BMVBS nahegebracht haben. Das BMVBS hat daraufhin entsprechende weitere Schritte unternommen, damit die Genehmigung erteilt wird; denn zum Beispiel das LuftfahrtBundesamt war an den Diskussionen zur Krisenbewältigung gar nicht beteiligt.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Kollege.

Uwe Beckmeyer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003498, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Nein, Frau Raab, ich möchte den Gedanken gern zu Ende führen. ({0}) Jetzt geht es darum, nicht alles schönzumalen, sondern die Konsequenz zu ziehen. Die Konsequenz lautet: Weil niemand ausschließen kann, dass übermorgen auch der Nachbarvulkan Katla ausbricht und wir uns dann in einer genauso schlimmen, vielleicht sogar in einer schlimmeren Situation befinden, kommt es darauf an, dass wir in Deutschland ein ordentliches, ganzheitliches Krisenmanagement für diese Fälle einrichten. ({1}) Da gehören alle an den Tisch: das Luftfahrt-Bundesamt, der Deutsche Wetterdienst, das BAF, das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt. Das BMVBS hat den Hut auf, aber auch die anderen Ministerien gehören an den Tisch.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Jetzt hat Herr Wichtel den Wunsch nach einer Zwischenfrage. Wollen Sie sie zulassen?

Uwe Beckmeyer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003498, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Bitte, Herr Wichtel.

Peter Wichtel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004189, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Kollege Beckmeyer, ist Ihnen bekannt oder ist Ihnen entgangen, dass federführende Mitarbeiter des Berliner Ministeriums selbst beim Krisenstab in Langen tätig waren, dass also die Behauptung nicht stimmt, die Bundesregierung sei überhaupt nicht eingebunden gewesen?

Uwe Beckmeyer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003498, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Darum geht es doch gar nicht. ({0}) Es geht um Folgendes: Wer ist in dieser Situation verantwortlich, wer hat das Sagen? In einer solchen Situation kann nicht delegiert werden, sondern geht es darum, die Verantwortung wahrzunehmen. Diese Frage war und ist nicht eindeutig geklärt. Die verschiedenen Krisenstäbe, die es hier gegeben haben soll - möglicherweise hat es sie gegeben -, sind nicht vom Minister und von der Spitze seines Hauses koordiniert worden. ({1}) Das ist die Erkenntnis der letzten Tage. Das ist nicht nur meine Erkenntnis, sondern die Erkenntnis der Airlines und beteiligter Dritter. Darum ging es mir bei dieser Frage. ({2}) Nach all dem, was gesagt wurde, ist jetzt ein Strich zu ziehen. Ich glaube, es geht nicht nur darum, die atmosphärischen Belange usw. zu regeln. Vielmehr geht es darum, dass in Deutschland an einem runden oder viereckigen Tisch - das ist mir egal - klare Regeln festgelegt werden müssen, die in Zukunft für das Verkehrsministerium und alle beteiligten Institutionen und Ämter gelten. Es muss also eine klare Struktur geben, die besagt, dass die Experten der Deutschen Flugsicherung, des Luftfahrt-Bundesamtes und des Deutschen Wetterdienstes zukünftig einbezogen werden und der Bundesverkehrsminister - momentan und zukünftig - den Hut aufhat, nicht irgendjemand anders. ({3}) Hinsichtlich des Dankes will ich eines hinzufügen: Natürlich haben sehr viele gut gearbeitet. Der Hauptdank gilt aber den Piloten, die das Risiko auf sich genommen haben, in dieser Situation für ihre Airlines im Sichtflug zu fliegen. Die Piloten haben die Verantwortung, die andere nicht übernommen haben, wahrgenommen und haben den Flugverkehr auf diese Art und Weise überhaupt erst wieder in Gang gebracht. ({4}) Auch das muss man in dieser Situation deutlich sagen. Insofern ist die Bemerkung der Vereinigung Cockpit nicht kleinzureden. Das sind Kolleginnen und Kollegen der Piloten, die schon genau wissen, worüber sie reden und was sie anzumerken haben. Dazu eine Feststellung: Ein Pilot, der sich in einer solchen Situation verweigert, ist möglicherweise seinen Job los. ({5}) Nicht der Pilot weist darauf hin, sondern seine Vereinigung spricht für ihn. Ich nehme das sehr ernst. Insgesamt haben wir schwierige Tage hinter uns. Eines müssen wir daraus lernen: Der Minister muss bei der Aufarbeitung, die er vor sich hat, eines beherzigen: Er muss dafür sorgen, dass es in dieser Frage klare Kommandostrukturen gibt. Es hat sie nicht gegeben; sie müssen hergestellt werden. Herzlichen Dank. ({6})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Marlene Mortler hat jetzt das Wort für die CDU/CSUFraktion. ({0})

Marlene Mortler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003596, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Als letzte Rednerin stelle ich fest: Alle sind zufrieden und glücklich, ({0}) nur die SPD befindet sich offensichtlich noch in der Krise. Sie stehen mit Ihren Ausführungen alleine da. ({1}) Ein Dank tut immer gut und Lob allemal. Sehr geehrter Herr Verkehrsminister, von mir persönlich, aber auch vom Tourismusausschuss des Deutschen Bundestages ein großes Dankeschön. Ich möchte auf eine TED-Umfrage von n-tv eingehen. Die Frage lautete: Hat der Bundesverkehrsminister beim Krisenmanagement eine gute Figur gemacht? ({2}) Die Antwort: 83 Prozent der Befragten haben Ja gesagt, und 17 Prozent haben Nein gesagt. ({3}) 83 Prozent haben gesagt, er macht als Krisenmanager eine gute Figur und ({4}) er hat einen klaren Kopf bewahrt! ({5}) Unser Minister hat nicht im luftleeren Raum entschieden. Er ist immer auf Sicht gefahren. ({6}) Heute wurde der Luftraum wieder geöffnet. Wäre es anders gelaufen, hätte er nicht so verantwortungsvoll gehandelt, dann wären Sie doch die ersten gewesen, die sich darüber beschwert hätten, dass der Minister unverantwortlich handelt. Das, was Sie heute von sich geben, ist teilweise abenteuerlich. ({7}) Ich erinnere an letzten Freitag, an dem es ein absolutes Flugverbot gab. Als wirtschaftlich denkender Mensch erinnere ich auch daran, dass gemessen am Wert immerhin 40 Prozent unserer Warenlieferungen über den Flugverkehr abgewickelt werden. Das zeigt: Sicherheit hat einen hohen Preis. Zeitweise sind 250 000 Touristen, die eine Pauschalreise gebucht hatten, gestrandet. Ich möchte darauf hinweisen, dass unsere deutschen Reiseveranstalter vorbildlich gearbeitet haben. Sie haben sich um die Menschen, die nicht direkt nach Hause gelangen konnten oder nicht direkt zu ihren Urlaubsorten gebracht werden konnten, gekümmert. Sie haben sie mit Hotelzimmern, Essen und Trinken versorgt. All das ist nicht selbstverständlich. Wir alle brauchen Urlaub. Ich versetze mich einmal in die Stimmung eines Urlaubers. Der eine sagt: Mein Urlaub war schön, aber ich freue mich, wieder zu meiner Familie oder in meinen Betrieb zurückzukehren. ({8}) Ein anderer sagt: Mein Urlaub wird schön, ich habe ihn verdient, aber leider hat es nicht funktioniert. ({9}) In dieser beispiellosen Ausnahmesituation ist von der Tourismuswirtschaft Bemerkenswertes geleistet worden. Es gab eine einzigartige Rückholaktion. Ich wiederhole gern das Lob und den Dank an alle Behörden im Land, die sich durch ihre Bemühungen im In- und Ausland verdient gemacht haben. Warum? Weil die Hilfe meist über die gesetzlichen und vertraglichen Verpflichtungen hinausgegangen ist. Ich möchte an dieser Stelle eines klarstellen. Reiseveranstalter sind im Falle höherer Gewalt nicht verpflichtet, höhere Übernachtungs- oder Beförderungskosten allein zu übernehmen. Trotzdem haben sie mit ihrem Personal vor Ort so gut es ging geholfen. Gleich im Anschluss an diese Aussprache, um 15 Uhr, werden wir uns aus aktuellem Anlass im Tourismusausschuss mit allen wichtigen Akteuren der Tourismusbranche, der Fluggesellschaften, der Flughäfen - auch der Verbraucherzentrale Bundesverband wird dabei sein -, mit Vertretern der Bundesregierung, der Reiseveranstalter und der Reisebüros zusammensetzen, um intensiv darüber zu beraten, was ist bzw. was kommen muss. Noch ein Punkt. Ich nutze die Gelegenheit, kurz zum Thema Pauschalreise und Pauschalreiserichtlinie zu sprechen. Lange Zeit galt die Pauschalreise als Auslaufmodell. Aber gerade jetzt haben unsere Urlauber erkannt, wie wichtig es ist, dass man einen deutschsprachigen Ansprechpartner in dem jeweiligen Reiseland hat, dass man rund um die Uhr immer wieder über die aktuelle Situation informiert wird und dass die eigene Reise von anderen im wahrsten Sinne des Wortes neu organisiert wird. ({10}) Es war teilweise ein Wettlauf mit der Zeit, als unsere leidgeplagten deutschen Touristen über noch offene Flughäfen oder teilweise per Schiff von Inseln im Mittelmeer oder im Atlantik aufs südeuropäische Festland ge3398 bracht und anschließend mit Bussen nach Deutschland zurückgebracht wurden. Noch einmal zur Pauschalreiserichtlinie. Diese EURichtlinie wird im Moment überarbeitet. Über sie wird heftig diskutiert. Ich sage aus deutscher Sicht ganz klar: Wir brauchen keine Überarbeitung. Wir brauchen auch keine Vollharmonisierung. Diese Richtlinie muss weiterhin von den Mitgliedstaaten in nationales Recht umgesetzt werden. Warum? Weil das deutsche Schutzniveau wesentlich höher ist als das europäische Schutzniveau. Wir wollen dieses hohe Niveau beibehalten. Hier haben wir den Verbraucherzentrale Bundesverband und andere wichtige Akteure an unserer Seite. Ich komme zum Schluss. ({11}) Es ist wichtig, noch einmal festzuhalten, dass wir höchstes Interesse an einer schnellen Normalisierung im Bereich der fluggebundenen Reisen und im Bereich des fluggebundenen Urlaubsverkehrs haben. Wir kennen die wirtschaftlichen Folgen. Der Schaden - das wissen wir ist schon groß genug. Deshalb wünsche ich mir von ganzem Herzen, dass der Tourismus schnell wieder auf Touren kommt. Ich danke Ihnen. ({12})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Damit schließe ich die Aussprache. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 1 auf: Befragung der Bundesregierung Die Bundesregierung hat als Thema der heutigen Kabinettssitzung mitgeteilt: Gesetzentwürfe zur Änderung des Bundesausbildungsförderungsgesetzes und zur Schaffung eines nationalen Stipendienprogramms. Das Wort für den einleitenden fünfminütigen Bericht hat die Bundesministerin für Bildung und Forschung, Frau Dr. Annette Schavan.

Dr. Annette Schavan (Minister:in)

Politiker ID: 11003836

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Kabinett hat in seiner heutigen Sitzung einige Maßnahmen zur Weiterentwicklung und Stärkung der Bildungs- bzw. Studienfinanzierung verabschiedet. Eine dieser Maßnahmen ist: Nachdem viele Jahre darüber diskutiert worden ist, wollen wir in Deutschland eine dritte Säule der Studienfinanzierung ermöglichen und so eine Stipendienkultur in Deutschland aufbauen. Das ist im Koalitionsvertrag vereinbart und basiert auf Erfahrungen, die damit an Hochschulen in NordrheinWestfalen gemacht wurden. Es geht um eine Stipendienkultur, die das Zusammenspiel öffentlicher und privater Investitionen ermöglicht. Jeder Euro, der von einer Hochschule für Stipendien eingesammelt wird, wird durch einen zweiten Euro der öffentlichen Hand ergänzt, hälftig vom Bund und dem jeweiligen Land finanziert. Erstmals werden Stipendien in Deutschland eltern- und überhaupt einkommensunabhängig vergeben: 300 Euro pro Monat. Es geht um Stipendien, die mit ins Ausland genommen werden können. Diese Stipendien werden an jene vergeben, die von ihrer Leistung her dafür infrage kommen. Wir haben dies sehr bewusst mit einem Leistungsbegriff verbunden, der nicht an Noten gekoppelt ist, sondern weit gefasst ist, wie wir das auch aus der Begabtenförderung in Deutschland kennen. Wir wollen mit dem Aufbau dieser dritten Säule - neben BAföG und Bildungskrediten - erreichen, dass Bildungsbarrieren weiter abgebaut werden und die finanzielle Ausstattung der Studierenden besser wird. Wir haben über einen langen Zeitraum hinweg die Erfahrung gemacht - das ist der Hintergrund -, dass lediglich 2 bis 3 Prozent der Studierenden in Deutschland über eines der zwölf Begabtenförderungswerke ein Stipendium bekommen. Das ist international gesehen eine weit unterdurchschnittliche Größe. Die zweite relevante Größe ist, dass der Anteil der privaten Investitionen im Bereich Bildung in Deutschland mit 15 Prozent weit unter dem OECD-Schnitt liegt, der bei 27 Prozent liegt. Alle großen Forschungs- und Wissenschaftsnationen haben deutlich höhere Anteile: über 60 Prozent. Das Stipendium - ich habe es schon gesagt - kann mit ins Ausland genommen werden. Wenn es um Leistung geht, kann eine Hochschule entscheiden, besondere Leistungen, die zum Studium hingeführt haben, zu berücksichtigen. Wir wünschen uns, durch diese gezielte Maßnahme den Anteil der Studierenden aus Migrationsfamilien zu erhöhen. Ein letzter Satz zum Stipendienprogramm: Es wird immer wieder gefragt, warum Stipendien für eine Gruppe gegeben werden sollen, die eigentlich sowieso schon gut gestellt ist, weil sie im Zweifelsfall aus einkommensstarken oder bildungsnahen Familien kommt. Ich glaube, dass wir drei verschiedene Tatsachen auseinanderhalten müssen: Die erste Tatsache: Wir haben in Deutschland seit Jahrzehnten einen zu geringen Anteil Studierender aus einkommensschwachen und bildungsfernen Familien. Die Begabtenförderungswerke verzeichnen einen entsprechend niedrigen Anteil, der sich analog zu dieser Entwicklung verhält. Was wir brauchen, sind Anreize, auch im Bereich der Bildungsfinanzierung, um weitere Hürden abzubauen. Die Erfahrungen, die man zum Beispiel an den Universitäten in Duisburg und Bochum gemacht hat, also in strukturschwachen Regionen, zeigen, dass das gelingt und dass dadurch der Anteil derer, die bislang keinen Zugang zur Hochschule gefunden haben, erhöht werden kann. Der zweite Punkt ist die Weiterentwicklung des BAföG. 2008 haben wir nach einer Reihe von Jahren eine kräftige Erhöhung vorgenommen. Damit sind wir wieder in einen Prozess eingestiegen, den ich für ganz bedeutsam halte. Das BundesausbildungsförderungsgeBundesministerin Dr. Annette Schavan setz lebt von der kontinuierlichen Weiterentwicklung entsprechend der Entwicklung der Lebenshaltungskosten einerseits und der Nettoeinkommen andererseits. Sie wird festgemacht an den Indikatoren, die hierfür bedeutsam sind. Wir wollen erstens den Kreis derer, die mit BAföG gefördert werden, erweitern, deshalb die Erhöhung des Freibetrages um 3 Prozent. Wir haben jetzt im Jahresdurchschnitt rund 330 000 Studierende und 200 000 Schüler, die BAföG bekommen. Wir können davon ausgehen, dass sich mit dieser Erhöhung der Freibeträge der Kreis derer, die gefördert werden, bis zum Ende des nächsten Jahres um - geschätzt 60 000 Personen erhöhen wird. Damit sind wir an der 600 000er-Grenze, was das BAföG angeht. Zweitens werden wir den Fördersatz um 2 Prozent erhöhen. Das bedeutet, dass der Höchstfördersatz künftig bei 670 Euro im Monat liegen wird. Ein dritter Punkt ist wichtig - das ist ein ganzes Paket weiterer Modernisierungsmaßnahmen -: Wir passen konkrete Regelungen an konkrete Veränderungen von Studienverläufen, Studienstrukturen und Lebensverläufen an. Dazu gehört die Anhebung der Altersgrenze von 30 auf 35 Jahre für das Masterstudium. Dazu gehört auch - das ist ein ganz wichtiger Punkt - der Wegfall der Dreijahresgrenze zwischen Abitur und Studiumsaufnahme oder Einsetzen einer Familienphase, die eingehalten werden musste, um später bei Überschreitung der Altersgrenze wegen Kinderbetreuung trotzdem noch BAföG-berechtigt zu sein. Eine Frau, die erst nach vier oder fünf Jahren nach dem Abitur Kinder bekommen und betreut und dann erst nach Überschreiten der Altersgrenze mit dem Studium begonnen hat, konnte bislang nicht durch BAföG gefördert werden. Dieser Punkt betrifft also unmittelbar die Vereinbarkeit von Familie und Studium. Schließlich gehört die Möglichkeit dazu, dass Auszubildende BAföG erhalten können, wenn sie im Ausland sind. Wir wollen ja, dass nicht nur Studierende ins Ausland gehen, sondern auch andere Auszubildende. Dies sind ein paar Änderungen, die der konkreten Entwicklung von Lebensentwürfen und Studienstrukturen gerecht werden. Das sind die wesentlichen Aspekte. Es handelt sich um Maßnahmen, die es insbesondere den Studierenden ermöglichen, ihre Studien besser zu finanzieren. Vielen Dank. ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Die erste Frage ist die des Kollegen Kai Gehring.

Kai Gehring (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003756, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Frau Ministerin, ich möchte eingangs darauf hinweisen, dass wir Grüne nicht Nein zu Stipendien sagen, aber wir sagen klar Nein zu diesem nationalen Stipendienprogramm, da es die falsche Priorität setzt und ungerecht ist. Ich wüsste von Ihnen gerne - Sie haben davon gesprochen, eine Stipendienkultur schaffen zu wollen -, wie es dazu kommt, dass diese Stipendienkultur schon zum Erliegen kommt, noch bevor sie geschaffen wird. Die vorgesehenen Mittel für dieses Programm sind offenbar halbiert worden. Dies sieht man, wenn man den Referentenentwurf, der wenige Wochen alt ist, mit dem, was heute im Kabinett beschlossen worden ist, vergleicht. Wie kann es sein, dass im Entwurf des Stipendienprogramm-Gesetzes vorgesehene Mehrausgaben in 2013 in Höhe von 160 Millionen Euro angesetzt werden, während es im Referentenentwurf noch 300 Millionen Euro waren, und dass Bund und Länder nicht jeweils 150 Millionen Euro, sondern 80 Millionen Euro in die Hand nehmen? Wie kommt es zu dieser Halbierung der Mittel und zu diesem deutlich langsameren Aufbau? Hat das zum Beispiel damit zu tun, dass die Wirtschaft Ihr nationales Stipendienprogramm offensichtlich gar nicht unterstützen will? Es wäre mir auch wichtig, dass Sie zur Absage der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände Stellung beziehen, die die Finanzierung von Stipendien nicht als originäre Aufgabe der Unternehmen ansieht. Könnten Sie bitte erläutern, weshalb die Wirtschaft hier nicht mitmachen will? Ist Ihr Stipendienprogramm nicht völlig auf Sand gebaut, wenn die Arbeitgeberverbände sagen, dass dies nicht ihre originäre Aufgabe ist und dass sie nicht mit im Boot sind?

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Frau Ministerin.

Dr. Annette Schavan (Minister:in)

Politiker ID: 11003836

Sie haben gesagt, das Programm setze die falsche Priorität und sei ungerecht. Dass ich da anderer Meinung bin, versteht sich von selbst. ({0}) Nachdem seit so langer Zeit nur 2 bis 3 Prozent ein Stipendium bekommen, sind wir fest entschlossen, dafür zu sorgen, dass langfristig 10 Prozent ein Stipendium erhalten. Es gibt Debatten über das Tempo und über die Frage, wer den Hochschulen die entsprechende Administration zahlt. Es gibt auch Stellungnahmen aus der Wirtschaft, die sagen, es sei nicht deren primäre Aufgabe. Der Wirtschaft sage ich: Jahrelang ist in Deutschland über Stipendien diskutiert worden, auch in der Wirtschaft. Ich bin allerdings der Meinung: Die erste Gruppe, die wir ansprechen sollten, sind nicht Unternehmen, sondern die Ehemaligen. In erfolgreichen Wissenschaftsnationen gehört es zum Verhalten der Ehemaligen, der Alumni Clubs, zu helfen. Die Solidarität der Ehemaligen mit den heute Studierenden ist ein ganz wichtiger Punkt, ist ein Signal der Zivilgesellschaft. Deshalb ist das die erste Gruppe, die wir ansprechen werden. Sie können schon heute in Bonn oder Aachen feststellen, dass man sich an die Ehemaligen, an den Verein der Ehemaligen, wendet; darüber kommen Stipendien. Bezüglich des Tempos sage ich: Auch wenn es jährlich nur 0,5 Prozent mehr sind, ist dieser vergleichsweise bescheidene Aufwuchs angesichts der Tatsache, dass man 60 Jahre lang in Deutschland bei 2 Prozent gelegen hat, zu begrüßen. Die Vergabe der Stipendien erfolgt, glaube ich, sehr gerecht. Ich weiß nicht, was ungerecht daran sein soll, dass Stipendien möglich werden, die mit Leistung und nicht mit Herkunft, nicht mit elterlichem Einkommen verbunden sind und die die Selbstständigkeit des Studierenden akzeptieren. ({1}) Ich bin davon überzeugt, dass das für die Universitäten, für die Hochschulen insgesamt ein interessanter Impuls ist, sich gerade für solche Studierende zu interessieren, die sich hinsichtlich ihrer Finanzsituation und Herkunft schwertun.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Der Kollege Kretschmer.

Michael Kretschmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003572, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Bundesministerin, Sie haben die Erhöhung der Bedarfssätze bzw. der Regelsätze und der Freibeträge beim BAföG angesprochen, die deutlich über das hinausgeht, was dem BAföG-Bericht zufolge als notwendig erachtet wird. Vielleicht können Sie einmal darstellen, warum dieser Schritt notwendig ist und aus welchen Gründen die Bundesregierung deutlich über die Forderungen des BAföG-Berichts hinausgeht, wodurch sie in Zukunft viel mehr jungen Leuten die Chance eröffnet, BAföG zu beziehen. Das Zweite. In der Diskussion über das Stipendienmodell, das ich für richtig halte, ist davon die Rede, dass es an den Hochschulen ganz unterschiedliche Voraussetzungen gibt und dass vor allen Dingen Hochschulen in wirtschaftlich schwierigen Regionen Probleme befürchten. Vielleicht können Sie einmal deutlich machen, welche Maßnahmen geplant sind, um eine Unwucht zugunsten wirtschaftlich starker Regionen und zulasten wirtschaftlich schwacher Regionen zu verhindern.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Frau Ministerin, bitte.

Dr. Annette Schavan (Minister:in)

Politiker ID: 11003836

Zu Ihrer ersten Frage. In der Tat weisen die maßgeblichen statistischen Daten und Prognosen im BAföG-Bericht rechnerisch den Bedarf nur für eine etwas geringere Erhöhung aus. Wir haben gesagt: Die jetzige Erhöhung muss eine Zeit lang halten. Das heißt, sie greift der Weiterentwicklung, die im nächsten Jahr ansteht, vor. Angesichts der erfreulichen Entwicklung, dass im Studienjahr 2009 43,3 Prozent eines Jahrgangs ein Studium begonnen haben, war uns auch wichtig, ein starkes Zeichen zu setzen, dass wir die Studierbereitschaft positiv zur Kenntnis nehmen und diesen positiven Trend stabilisieren wollen. Zu Ihrer Frage nach den strukturschwachen Regionen. Sobald der Gesetzentwurf verabschiedet ist, werden wir uns mit den konkreten nächsten Schritten befassen. Im Gesetz ist schon jetzt geregelt, dass wir uns die Situation nach drei Jahren anschauen werden; auf Neudeutsch nennt man dies Evaluation. Dann werden wir überprüfen: Ist das Erreichte ausreichend? Sind strukturfördernde Maßnahmen notwendig? Ich glaube, es wäre nicht gut, schon jetzt von einem Finanzausgleich zu sprechen, weil diese Maßnahmen nicht länderspezifisch, sondern hochschulspezifisch sind. Wenn es gelingt, im Hinblick auf das Sponsoring von Stipendien zuerst die Gruppe der Ehemaligen anzusprechen, dann werden auch die Unternehmen vor Ort keine so relevante Rolle mehr spielen. Hier müssen wir zuerst Erfahrungen sammeln und dann überprüfen, wie sich die Dinge entwickelt haben. Zeigt sich in den ersten Jahren eine offenkundige Benachteiligung strukturschwacher Regionen, müssen wir uns erneut mit diesem Thema beschäftigen.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Die nächste Frage stellt der Kollege Rossmann.

Dr. Ernst Dieter Rossmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003211, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Ministerin, ich möchte an die Ausführungen des Kollegen Gehring anknüpfen. Ich habe den Eindruck, dass in Bezug auf das Stipendiensystem sehr viele Fragezeichen von Ihnen selbst in den Raum gestellt werden, von der Evaluation nach drei Jahren bis hin zum Wechsel der Zielgruppe von Unternehmen zu Alumni. Sie haben sich positiv dahin gehend geäußert, dass man mithilfe eines Leistungsgesetzes BAföG rund 60 000 zusätzliche Studierende aus der unteren Mittelschicht bzw. der Mittelschicht insgesamt gewinnen kann. Vor diesem Hintergrund frage ich Sie: Weshalb meinen Sie, dass es wichtiger ist, an der Entwicklung eines Stipendiensystems zu arbeiten, statt deutlich mehr Geld in die Förderung der Studierenden aus der unteren Mittelschicht bzw. der Mittelschicht insgesamt durch eine viel stärkere Erhöhung der Freibeträge zu investieren? Dies ließe sich gesetzlich klar und ohne großen Verwaltungsaufwand regeln, und das Geld käme bei der Zielgruppe, die wir für ein Studium zusätzlich materiell absichern wollen, sicher an. Stattdessen wollen Sie sich aber lieber auf ein sehr unsicheres Stipendiensystem einlassen, das mit vielen Fragezeichen, die Sie sogar selbst setzen, verbunden ist.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Frau Ministerin.

Dr. Annette Schavan (Minister:in)

Politiker ID: 11003836

Ich setze keine Fragezeichen. Ich sage: Wer eine völlig neue Entwicklung in Gang setzt, der muss - eine Reform lediglich durchzuführen, reicht nämlich nicht auch wissen, wie er den Prozess der Umsetzung begleitet, wie ein Reformprozess organisiert ist. Dazu gehört, nach einigen Jahren zu überprüfen: Sind die ErwartunBundesministerin Dr. Annette Schavan gen erfüllt? Wo tauchen Schwierigkeiten auf? Was muss im Zweifelsfall korrigiert werden? Hätte man das bei jeder bildungspolitischen Reform in Deutschland berücksichtigt, wäre manche Reform anders gelaufen. Ich sage nur: Bologna-Prozess. Jetzt bestehe ich auf Folgendem: Wir entschließen uns nicht nur, das zu tun, sondern begleiten diesen Prozess so, dass unser Ziel auch erreicht wird. Die zweite Frage bezog sich darauf, warum ich nicht nur auf das BAföG setze. Das tue ich deshalb nicht, weil es ziemlich altmodisch ist, ausschließlich auf das BAföG abzustellen. An den interessanten Universitäten um Deutschland herum bewerben sich junge Leute - übrigens auch aus Deutschland - um ein Stipendium. Das ist doch Ausdruck ihres Selbstbewusstseins. Dort werden sie unabhängig vom Einkommen der Eltern behandelt. Außerdem gibt es in dem Ganzen einen zutiefst sozialen Aspekt. Ich möchte einmal die Erhöhung von Freibeträgen und Förderbeträgen sehen, die notwendig wäre, um zu einem Plus von 300 Euro im Monat zu kommen. Das ist eine völlig illusorische Vorstellung. Mit dem zusätzlichen Stipendium gibt es aber die Möglichkeit, selbst beim Bezug des BAföG-Höchstsatzes in Höhe von künftig 670 Euro noch einmal 300 Euro dazuzubekommen. Das ist die beste Studienfinanzierung gerade für Studierende aus einkommensschwachen Familien, die es in Deutschland je gegeben hat. Deshalb ist dies nicht nur ein interessantes Projekt im Hinblick auf Leistungsförderung, sondern vor allen Dingen auch ein sozial zutiefst gerechtes und interessantes Projekt, das mit keiner Erhöhung des BAföG hätte realisiert werden können. Ich kann mir nicht vorstellen, dass der Wissenschaftsstandort Deutschland sonst bald der einzige in der Welt ist, in dem es keine Hochschulen gibt, die auch Stipendien vergeben können, und zwar - das sage ich ausdrücklich - eben nicht nur an Angehörige bestimmter Berufsgruppen, also nicht nur an angehende Ingenieure oder Physiker, und nicht nur von einem Unternehmen, von dem zur Bedingung gemacht wird, dass der Absolvent dann aber auch zu ihm kommt, sondern in der ganzen Breite der Fächer.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Kollege Meinhardt, Sie haben eine Frage.

Patrick Meinhardt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003807, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Ministerin, in Ergänzung dessen, was Sie gerade angesprochen haben - ein ganz bewusstes Ziel der BAföG-Modernisierung verbunden mit dem nationalen Stipendienprogramm ist die soziale Dimension, Stichwort: Schließen einer Gerechtigkeitslücke -, frage ich Sie erstens: Stimmen Sie an dieser Stelle mit der Formulierung überein, dass wir hier durchaus von einer Trendwende sprechen können? Statt derzeit 1,9 Prozent der Studierenden sollen künftig 10 Prozent der Studierenden mit einem Stipendium ausgestattet sein. Zweitens erscheint mir an dieser Stelle auch Folgendes wichtig: Würden Sie in diesem Zusammenhang bitte noch einmal darstellen, wie der Begabungsbegriff bzw. der Förderbegriff gerade bei diesem nationalen Stipendienprogramm auszulegen ist, damit von der Zielrichtung her auch klar wird, dass es sich um ein sozial fundamentiertes System handelt?

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Frau Ministerin, bitte.

Dr. Annette Schavan (Minister:in)

Politiker ID: 11003836

Das ist in der Tat eine Trendwende oder jedenfalls die Chance bzw. der Impuls zu einem ganz neuen Instrument der Studienfinanzierung, das es in 60 Jahren Bundesrepublik Deutschland nicht gegeben hat und mit dem wir etwas ermöglichen, was in vielen anderen Wissenschaftsgesellschaften üblich ist, nämlich dass die Zivilgesellschaft Hochschulen und Studierende unterstützt. Die großen Universitäten, von denen wir immer schwärmen, leben allesamt einschließlich der Stipendien nicht zu 100 Prozent vom Staat, sondern sind finanziell so stark, weil sie einen Mix aus Zuwendungen des Staates und der Zivilgesellschaft erhalten. Meines Erachtens gibt es keinen Grund, in Deutschland immer noch zu sagen: Aber die Zivilgesellschaft darf auf gar keinen Fall irgendetwas geben wollen, weil das ja zu einem Rückzug des Staats führt. - Nein! Die Investition des Staates soll so erfolgen, dass sie weitere Investitionen der Zivilgesellschaft mobilisiert. Das halte ich für den Clou. Hierbei handelt es sich um das Neue. Das Ganze ist natürlich auch - da komme ich noch einmal auf die Opposition zu sprechen - wie bei jedem Thema in Deutschland willkommener Anlass, zu sagen: Das haben wir ja noch nie gehabt. Weil wir das noch nie gehabt haben, kann es überhaupt nicht klappen. Und wieso komme ich dazu, irgendeinem Studenten ein Stipendium zu geben? Bildungsrepublik Deutschland heißt dann irgendwann auch, dass derjenige, der studiert hat und heute gut verdient, die 150 Euro abführt. Das ist die beste Wertschätzung von Studierenden und jungen Akademikern, die wir uns denken können. Ihr zweiter Punkt war der Begabungsbegriff. Im Gesetzentwurf ist die Rede von Begabung und Leistung. In mehreren Zeilen ist eigens beschrieben, dass damit keine Gleichsetzung mit den Noten gemeint ist, sondern dass der Begabungsbegriff breit angelegt ist, bis hin zur Würdigung der Lebensleistung. Natürlich kann eine Universität sagen: Wir haben das Ziel, den Anteil derer, die aus Familien mit Migrationshintergrund kommen, deutlich zu erhöhen, wir setzen hier einen Schwerpunkt, wir suchen junge Leute, die, auch wenn sie vielleicht aus schwierigen Verhältnissen kommen, den Sprung zum Studium anstreben, und wollen ihnen ein klares Signal geben, dass wir sie bei diesen Bemühungen über die bisherigen Möglichkeiten hinaus unterstützen.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Die nächste Frage stellt Kollegin Hein. So lange, bis ihr Mikro angeht, möchte ich - nur dass keine Nervosität aufkommt - sagen: Wir haben eine Liste von Fragenden, die wahrscheinlich für zwei Stunden reichen würde. Wir haben versucht, darüber nach Gerechtigkeit, nach der Reihenfolge der Meldungen und nach anderen Kriterien zu entscheiden.

Dr. Rosemarie Hein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004053, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank. - Frau Ministerin, was wir heute zum nationalen Stipendienprogramm zu hören bekommen haben, hat dazu beigetragen, dass ich noch mehr verunsichert bin, als ich schon vorher war. Ich habe das Gefühl bekommen, dass Sie nicht wirklich wissen, wovon Sie reden, und auch nicht wirklich daran glauben, dass dieses Stipendienprogramm funktioniert. Wenn Sie jetzt - anders als in der Vergangenheit - sagen, dass die Ehemaligen bitte schön den privaten Anteil stellen möchten, muss ich sagen: Ich finde das einigermaßen seltsam, und das steht auch im Widerspruch zu dem, was Sie bisher angekündigt haben. Ich denke, Sie betreiben Schönrederei. Man braucht, um studieren zu können, erst ein Stipendium. Heutzutage funktioniert die Studienfinanzierung hauptsächlich über BAföG. Genau da kommt das Leistungsstipendium gar nicht an, es kommt ja erst hinten drauf. Meine Frage betrifft aber noch etwas anderes. Sie haben angedeutet - ich würde Sie bitten, darauf noch einmal genauer einzugehen -, dass Sie anknüpfen wollen an das Stipendienprogramm, das es in NRW schon gibt. Es ist allerdings nachgewiesen, dass dieses Stipendienprogramm vor allem diejenigen erreicht, die Mathematik, Naturwissenschaften und Ingenieurwissenschaften studieren. Ich würde gerne wissen, wie Sie es erreichen wollen, dass diese Stipendien - wenn sie denn überhaupt gezahlt werden und wenn sie denn von jemandem entgegengenommen werden können - auch denjenigen zugutekommen, die Fächer studieren, die keine solchen Finanziers hinter sich haben.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Frau Ministerin, bitte.

Dr. Annette Schavan (Minister:in)

Politiker ID: 11003836

Ich möchte zunächst zu Ihrer Behauptung, dass ich anders rede als am Anfang der Überlegungen zu diesem Stipendienprogramm, sagen, dass das nicht meiner Erinnerung entspricht. ({0}) Für mich ist immer klar gewesen: Zur Zivilgesellschaft können Unternehmen gehören, zur Zivilgesellschaft können Vereine gehören, zur Zivilgesellschaft können Rotary Clubs gehören. Ich sage ausdrücklich: Zur Zivilgesellschaft gehören auch die Ehemaligen. Dass ich das schon immer gedacht habe, können Sie daran sehen, dass ich schon ganz zu Beginn des Programms in NRW ein Stipendium gespendet habe. Wenn ich die Ehemaligen nicht im Blick gehabt hätte, wäre ich doch nicht auf diese Idee gekommen. Wir wissen alle, dass wir Akademiker brauchen. Das wird aber nur dann etwas, wenn diejenigen, die über entsprechende Möglichkeiten verfügen, dazu etwas beisteuern. Das hängt im Übrigen auch von der einzelnen Hochschule ab. Ich weiß, dass in NRW die RWTH Aachen eine besonders hohe Anzahl von Stipendiaten hat; ich habe letzte Woche mit dem Rektor darüber gesprochen. Dass die Stipendiaten Mathematik und Ingenieurswissenschaften studieren, ist wohl wahr. Die Vergabe der Stipendien erfolgt aber nicht zentral, und der Fokus liegt nicht nur darauf, dass Unternehmen künftige Mitarbeiter kennenlernen. Damit ist die Möglichkeit gegeben, dass Studenten aller Fächergruppen tatsächlich eine Chance bekommen. Wer ein Stipendium bekommt, entscheidet sich aber vor Ort, und darauf nehmen wir keinen Einfluss. Ich bin davon überzeugt, das wird ähnlich sein wie bei den 13 Begabtenförderungswerken: Da gibt es kein Schwergewicht bei dieser oder jener Gruppe, sondern Studenten aller Fachbereiche haben die Chance, in die Begabtenförderung zu kommen.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Krista Sager.

Krista Sager (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003622, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Ministerin, wenn die Hochschulen private Mittel jetzt bei ihren Alumni eintreiben sollen, dann kommt auf die Hochschulen erheblicher Aufwand zu. Es stellt sich die Frage, wie dieser Verwaltungsaufwand kompensiert werden soll. Zu meiner zweiten Frage. Die meisten Hochschulen haben heute sehr gute Kontakte zu ihren Alumni. Das gilt aber in Bezug auf ihre eigenen Vorhaben, die für sie Priorität haben. Da ja nicht zu erwarten ist, dass die Alumni jetzt einfach etwas obendrauf legen, entziehen sich die Hochschulen durch diese Aktivitäten im Grunde selber Mittel, die sie für etwas anderes eingeplant haben, nämlich das Geld von ihren Alumni für eigene Zwecke. Auf der anderen Seite ist zu bedenken: Die Anzahl vermögensstarker Alumni in Hamburg und in Cottbus ist mit Sicherheit sehr unterschiedlich. In diesem Kontext frage ich: Wieso glauben Sie eigentlich, dass Sie die Hochschulen dazu bewegen können, das Ganze mitzumachen? Wie wollen Sie damit umgehen, dass möglicherweise gerade dort Mittel eingetrieben werden, wo sie gar nicht am nötigsten sind? Am nötigsten sind sie doch wahrscheinlich dort, wo es viele Studierende aus strukturschwachen Gebieten gibt, die kaum die Möglichkeit haben, dort Stipendien zu bekommen.

Dr. Annette Schavan (Minister:in)

Politiker ID: 11003836

Zu Ihrer ersten Frage. In dem Maße, wie dieses System angenommen wird, werden wir auch über die Kosten für die Hochschulen sprechen müssen. Das wird beim Gespräch mit den Ländern jetzt ein Thema sein. Ich habe einzelnen Rektoren gegenüber auch schon gesagt, dass wir dort einen Weg finden werden. Das geht nicht zum Nulltarif. Zweitens. Denjenigen, die jetzt so argumentieren, dass sich eine Universität, die Stipendien einwirbt, ja Geld für anderes wegnimmt, sage ich aber auch - das sage ich jetzt etwas lapidar -: Dann soll diese Universität entscheiden, dass sie das nicht mitmacht. - Es wird niemand gezwungen; keine Universität wird gezwungen, sich daran zu beteiligen. Es ist eine Möglichkeit, es ist ein Angebot, es ist ein Anreiz. Es ist eine Chance, Geld für Bildung und Studium zu mobilisieren. Ich kann gut verstehen, dass sich bei etwas, das es noch nicht gibt, erst einmal viele Fragen stellen. Ich rate, die Entscheidung innerhalb einer Hochschule zu treffen: Beteiligen wir uns sofort? Warten wir ab? Schauen wir, wie die Erfahrungen anderer sind? - Am 11. Mai 2010 werde ich die Hochschulrektorenkonferenz besuchen und dann auch all diese Detailfragen mit den Präsidenten und Rektoren diskutieren. ({0})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Frau Kollegin Burchardt.

Ulla Burchardt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000306, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Ministerin, anknüpfend an Ihre Aussage, das Stipendienprogramm sei das große bildungspolitische Reformprogramm, möchte ich sagen: Man hat auf der Basis der Fakten sowohl in Nordrhein-Westfalen als auch im Ausland eher den Eindruck: Das hat die Ansätze eines Bürokratieaufbauprogramms, sodass die Frage danach gestellt wird, wer für die Kosten aufkommt. Sie haben geraten, den Blick nach Großbritannien zu richten. Ist Ihnen bekannt, dass in Großbritannien die Akquisitionskosten ein Drittel der eingeworbenen Mittel betragen? Hier in Deutschland würden bei den vorgesehenen 300 Millionen Euro von privaten Stipendiengebern diese Akquisitionskosten 100 Millionen Euro betragen. Sie haben aber nur 30 Millionen Euro angesetzt basierend auf den Erfahrungen der Begabtenförderungswerke. Dort muss aber keine Akquise betrieben werden. Diejenigen, die in den nordrhein-westfälischen Universitäten für die Stipendien verantwortlich sind, sagen mir, dass hier laufend große Verwaltungsaufgaben auf die Universitäten zukommen. Es geht dabei um Umzüge, es geht darum, dass sich Konten ändern, usw. Das ist kein einmaliger Aufwand, sondern ein dauerhafter Aufwand. Ob ich die Zahlen von Großbritannien übertrage oder die von der Universität Duisburg-Essen hochrechne, die beim Einwerben von Stipendien sehr erfolgreich war: Man kommt zu dem Ergebnis, dass über 2 000 volle Stellen zusätzlich notwendig wären. Das würde, egal wie und von welcher Basis aus man rechnet, einen Gesamtaufwand von 100 Millionen Euro bedeuten. Das sind 70 Millionen Euro mehr als das, was Sie in dem Gesetzentwurf veranschlagt haben. Können Sie mehr dazu sagen, außer dass Sie Gespräche führen werden? Das spielt nämlich für die Frage, ob es sich die Universitäten leisten können, in diesen Bürokratieaufbau einzusteigen, schon eine ganz wesentliche Rolle.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Frau Ministerin, bitte.

Dr. Annette Schavan (Minister:in)

Politiker ID: 11003836

Die nordrhein-westfälischen Universitäten haben ja in der Tat Erfahrungen. Diese Erfahrungen werden einfließen. Ich sage zunächst einmal: Die Erstattung von Verwaltungskosten ist in allererster Linie Sache des betreffenden Landes und nicht des Bundes. Wenn eine völlig neue Initiative gemeinsam auf den Weg gebracht wird und sich herausstellen sollte, dass der Verwaltungsaufwand höher ist als geplant, dann muss man darüber sprechen, wie das finanziert werden soll. Ich finde das interessant: Erst wird gesagt: „Dabei kommt ja gar nichts herum“, und dann wird gesagt: Wir brauchen 100 Millionen Euro, um das Ganze zu verwalten. - Mein Rat lautet, erst einmal zu beginnen. Dann werden sich mit dem Maß der Attraktivität bzw. mit der Zahl der Stipendien, die eine Universität zur Verfügung stellen kann, auch andere Fragen beantworten. Der Bund hat seine Bereitschaft signalisiert, zusätzliche Investitionen bereitzustellen. Aber dazu müssen zunächst einmal Erfahrungen gesammelt werden. Wie Sie wissen, hat das Stipendiensystem in Großbritannien einen ganz anderen Umfang als alles, worüber wir hier sprechen.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Daniela Kolbe, bitte.

Daniela Kolbe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004079, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Frau Ministerin, ich möchte an einen Punkt anknüpfen, den Herr Kretschmer von der Union schon angesprochen hat, nämlich die mutmaßliche regionale Ungerechtigkeit, die aus meiner Sicht im Stipendiensystem angelegt ist. Ich frage Sie konkret: Stimmen Sie mit mir überein, dass der Verdienst von Alumni von der Hochschule bzw. der Art und Lage der Hochschule, die sie besucht haben, abhängt und dass auch die Frage, ob eine Universität in einer wirtschaftlich starken oder schwachen Region liegt, Einfluss darauf haben wird, inwiefern das Stipendiensystem dort funktioniert und Verwaltungskosten anfallen? Auf gut Deutsch: Ist es nicht so, dass in der RWTH Aachen ohne Weiteres ein solches Stipendiensystem implementiert werden kann, während die FH in Zittau beispielsweise mit viel höheren Kosten zu rechnen hat und viel weniger Geld zur Verfügung haben wird? Ist diese Unwucht nicht schon im System angelegt? Aus meiner Sicht müssen wir nicht drei Jahre warten und evaluieren, um das herauszufinden, was ich gerade beschrieben habe.

Dr. Annette Schavan (Minister:in)

Politiker ID: 11003836

Frau Burchardt hat gerade das erfolgreiche Beispiel der Universität Duisburg-Essen genannt. Das ist ein klassisches Beispiel erstens für eine junge Universität, die zweitens in einer strukturschwachen Gegend liegt. ({0}) Sie ist keine Technische Universität und hat es leichter als viele andere. Das ist keine Frage. Ich weiß nicht, ob ich Sie richtig verstanden habe. Ich glaube nicht, dass es einen Zusammenhang zwischen dem Einkommen eines Akademikers und der Hochschule gibt, an der er studiert hat. Ob jemand an der TU in Ilmenau oder in Aachen studiert hat, hat keinen Einfluss auf den Verdienst. Der Verdienst eines Ingenieurs beispielsweise reduziert sich nicht, wenn er in Ilmenau studiert hat. Diesen Zusammenhang gibt es nicht. Sie haben die Alumni angesprochen. Alumni leben in der Regel nicht im Umfeld ihrer Universität. So leben in Aachen durchaus auch ehemalige Studierende der Hochschule in Dresden. Zunächst einmal müssen, wie ich bereits gesagt habe, Erfahrungen gesammelt werden. Wenn der Eindruck entsteht, dass das System völlig ungleichgewichtig ist, kann überlegt werden, an welcher Stelle Korrekturen möglich sind. Vorstellbar ist zum Beispiel ein zentraler Fonds, aus dem ein Ausgleich erfolgt. Ich rate auch aufgrund der Erkenntnisse aus anderen Ländern, zunächst einmal Erfahrungen zu sammeln, um zu erkennen, woher der größte Teil der Stipendien kommt, die eine Hochschule anbietet. Auch das ist eine interessante Entwicklung. Wir müssen herausfinden, aus welchen Quellen die Stipendien finanziert werden. Dann können wir weitersehen.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Frau Kollegin Alpers, bitte.

Agnes Alpers (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004002, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Frau Ministerin, ich habe zwei konkrete Fragen: Sie haben gesagt, durch das Stipendium erfahren wir soziale Gerechtigkeit; Stipendien sind genau der Indikator dafür, dass das nicht von sozialer Herkunft abhängig ist. - Darüber können wir nun politisch streiten. Deshalb meine erste Frage: Haben Sie vorgesehen, dass Sie uns jährlich vorlegen, wer Stipendien bekommen hat und wie die soziale Herkunft dieser Stipendiaten ist, um tatsächlich einmal belegen zu können, wie das mit diesen Stipendien sozial strukturiert ist? Meine Bitte ist also, dass wir das nicht erst nach drei bis fünf Jahren erhalten, sondern tatsächlich jährlich. Dann haben Sie gesagt, dass die Ehemaligen die Stipendiaten unterstützen sollten, gar nicht so sehr die Industrie, die Betriebe. Da hätten wir schon soziale Ungerechtigkeit; denn in strukturschwachen Regionen besteht einfach ein Ungleichgewicht. Meine zweite konkrete Frage: Wen genau wollen Sie ansprechen, und wie wollen Sie diese Ehemaligen ansprechen? Ich frage Sie, ob auch vorgesehen ist, dass diese Liste auch dem Bundestag vorgelegt wird, sodass Ihr Vorgehen transparent wird.

Dr. Annette Schavan (Minister:in)

Politiker ID: 11003836

Es ist nicht vorgesehen, dass dem Bundestag jährlich ein Bericht vorgelegt wird, an welcher Universität wer mit welchem sozialen Hintergrund ein Stipendium bekommen hat. Wir diskutieren hier manchmal über Bürokratieabbau, und ich rate im Sinne des Bürokratieabbaus sehr, jetzt nicht eine solche Vorstellung zu entwickeln. ({0}) - Ja, nach drei Jahren, aber nicht durch einen jährlichen Bericht. ({1}) Zweitens. Wir reden hier nicht über ein Stipendiensystem der Bundesregierung, ({2}) sondern über ein nationales Stipendiensystem der Universitäten, der Hochschulen in Deutschland, für das wir mit diesem Gesetzentwurf einen Vorschlag machen, der eine Verbindung von Investition aus öffentlichen Mitteln und privaten Investitionen vorsieht. Nach meiner Auffassung sollten wir hier nicht ein planwirtschaftliches Verfahren mit ständiger Kontrolle durch Regierung und Parlament vornehmen; ({3}) vielmehr geben wir dies in die Selbstständigkeit der Hochschulen. Wir brauchen in diesem Zusammenhang lediglich die Informationen, die notwendig sind, um für die weitere Entwicklung dieses Stipendiensystems die Weichen richtig stellen zu können. Das ist vorgesehen. Ich halte es auch nicht für richtig, wenn wir nach meiner Rede über die Ehemaligen sie als Alternative zu den Unternehmen ansehen. ({4}) Der Begriff, der im Zusammenhang mit dem Engagement Privater verwendet werden sollte, lautet „Zivilgesellschaft“. Dazu gehören Einzelne, Verbände, Klubs, Unternehmen, ({5}) wie auch immer, wie es auch in der Vergangenheit Mäzenatentum und Sponsoring für Hochschulen gegeben hat. ({6})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Damit haben wir den zeitlichen Rahmen für die Regierungsbefragung voll ausgeschöpft. - Frau Bundesministerin, ich danke Ihnen für die Beantwortung der Fragen. Nun rufe ich den Zusatzpunkt 2 auf: Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion der SPD Haltung der Bundesregierung zur Finanzierbarkeit der FDP-Steuerpläne Ich eröffne die Aussprache und erteile als erster Rednerin für die SPD-Fraktion der Kollegin Nicolette Kressl das Wort. ({0})

Nicolette Kressl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002706, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir diskutieren heute über Vorschläge der FDP zu einem weiteren Steuermodell. Unsere Bewertung ist sehr eindeutig: Die Vorschläge der FDP sind eine fatale Mischung aus Wählertäuschung und Selbstbetrug. ({0}) Der Selbstbetrug wird gerade in den letzten Tagen ganz besonders deutlich. Sowohl der Finanzminister als auch Einzelne aus der Union lassen die FDP am ausgestreckten Arm regelrecht vertrocknen. Ich will einige Zitate nennen: Es wird darauf verwiesen, dass es für Steuersenkungen Spielräume geben muss, und der CDUFinanzminister sagt, die vorhandenen Steuerpläne seien nachrangig. Insofern könnten wir eigentlich diesem kabarettreifen Stück auf der Bühne gemütlich zuschauen; ich will Ihnen aber deutlich sagen: Für dieses Verwirrspiel haben wir wenig Verständnis; denn jetzt ist es wirklich Zeit für eine klare Ansage. ({1}) Die klare Ansage brauchen wir deshalb, weil wir uns hier nicht auf einer Schaustellerbühne befinden, sondern weil wir über Maßnahmen reden, die die Menschen ganz konkret betreffen würden. Deshalb muss auf den Tisch, was sich hinter den FDP-Vorschlägen tatsächlich versteckt. Ich will zwei entscheidende Punkte ansprechen. Erstens. In diesem Konzept steht, dass die FDP die Gewerbesteuer streichen will. Stattdessen sollen die Kommunen einen höheren Anteil an der Umsatzsteuer erhalten. Es gab dazu die nette Äußerung von Herrn Westerwelle, den Kommunen das Recht einzuräumen, einen Hebesatz auf die Umsatzsteuer festzulegen. Dazu muss ich Ihnen ehrlich sagen: Es kann doch nicht ernst gemeint sein, lauter kleine Mehrwertsteuerinseln zu schaffen. Ich finde, es ist an der Zeit, diesen Vorschlag zurückzunehmen. Das kann eigentlich nur ein größerer Irrtum gewesen sein. ({2}) Aber selbst wenn es nicht darum geht, einen Hebesatz auf die Mehrwertsteuer festzulegen, kann das nur zweierlei bedeuten. Die erste Variante ist: Die Kommunen bekommen einen geringeren Teil an der Umsatzsteuer, als ihre Einnahmen aus der Gewerbesteuer bisher ausmachten; das sind pro Jahr mindestens 30 Milliarden Euro Gewerbesteuer. Das bedeutet, dass sie weniger Geld haben. Also zahlen die Bürgerinnen und Bürger dort beispielsweise mehr Abgaben. Das wäre eine Belastung, obwohl Sie eine Entlastung versprechen. Deshalb nenne ich das Wählertäuschung. ({3}) Die zweite Variante ist: Sie brauchen insgesamt höhere Umsatzsteuereinnahmen. Dann müssen Sie aber die Mehrwertsteuer anheben, und auch dieses würde die Menschen belasten. Das ist wieder Wählertäuschung; denn Sie müssen das den Menschen sagen und dürfen nicht behaupten, ohne Belastung der Leute könnten Sie höhere Umsatzsteueranteile an die Kommunen verteilen. ({4}) Der zweite Teil der Wählertäuschung ist, dass es zur Finanzierung äußerst vage Formulierungen gibt. Ich nenne eine: Steuervergünstigungen werden abgebaut. Was heißt das? Auf Nachfrage, auch von Journalisten, hat der FDP-Chefwahlkämpfer Pinkwart deutlich gemacht, dass die Steuerfreiheit der Zuschläge für Nacht-, Schicht- und Feiertagsarbeit zum Abriss freigegeben ist. Es ist nicht in Ordnung, dass das hinter anderen Vorschlägen versteckt wird. ({5}) Sie versprechen Entlastungen, belasten aber die Bürger, wenn Sie die Steuerfreiheit der Zuschläge für Nacht-, Schicht- und Feiertagsarbeit abschaffen. Damit belasten Sie in Wirklichkeit weiterhin die Leistungsträger in der Gesellschaft; denn ohne Belastung dieser Menschen werden Sie Ihr Konzept nicht umsetzen können. Das ist doch völlig klar. ({6}) Deshalb müssen Ihre Vorschläge klar auf den Tisch. Mit der Sozialdemokratie wird es eine Abschaffung oder auch eine Einschränkung der Steuerfreiheit für Nacht-, Schicht- und Feiertagszuschläge nicht geben. ({7}) - Herr Pinkwart hat ausdrücklich bestätigt, dass das zur Debatte steht. Das sollten Sie einmal nachlesen. - Mit uns wird es das auf keinen Fall geben. Die Leistungsträger, die nachts und an Sonn- und Feiertagen für diese Gesellschaft unter erheblichen Einschränkungen arbeiten, werden mit unserer Zustimmung auf keinen Fall belastet. Das kann so nicht gehen. ({8}) Ich will Ihnen sagen: Das ist eine Mischung aus Selbstbetrug und Wählertäuschung. Was die Steuerfreiheit der Nacht-, Schicht- und Feiertagszuschläge betrifft, werden Sie alle morgen die Möglichkeit bekommen, sich im Rahmen der namentlichen Abstimmung dazu zu bekennen, dass die Steuerfreiheit der Zuschläge für diese wichtigen Menschen erhalten bleibt. Vielen Dank. ({9})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Das Wort hat der Kollege Leo Dautzenberg für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Leo Dautzenberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003067, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Kollegin Kressl, ich frage mich, was die SPD mit dieser Aktuellen Stunde bezwecken will; schließlich entbehrt all Ihre Kritik, die Sie bis jetzt geäußert haben, jeglicher Grundlage. Es geht vielmehr um Themen, über die schon seit Monaten, seit einem halben Jahr und noch länger, diskutiert wird. Anscheinend suchen Sie lediglich Anlässe, um etwas an die Wand malen zu können, was gar nicht beabsichtigt ist. Über die Steuerfreiheit von Zuschlägen werden wir morgen debattieren. ({0}) Sie können davon ausgehen: Die Steuerfreiheit von Zuschlägen wird auch dann nicht eingeschränkt werden, wenn es zu den von uns geplanten Steuerentlastungen und Steuerstrukturreformen kommt. Sie haben hier behauptet, wir wollten die Gewerbesteuer abschaffen. Das stimmt nicht. ({1}) - Ich rede hier für die CDU/CSU-Fraktion. Ich bitte Sie, zuzuhören, Herr Kollege Poß. ({2}) Die Regierung hat mittlerweile eine Gemeindefinanzreformkommission ins Leben gerufen. Sie besteht aus Vertretern von drei Ministerien der Bundesebene, aus Vertretern der Landesebene und aus Vertretern der kommunalen Ebene. Diese Kommission hat die Zielsetzung, die Einnahmen der Kommunen verlässlicher und stetiger zu machen. Deshalb geht es hier auch um einen Ersatz für die Gewerbesteuer und nicht um ihren Wegfall. ({3}) Es geht darum, den Kommunen vom Volumen her eine verlässlichere Einnahmebasis zur Verfügung zu stellen. ({4}) Wir müssen feststellen: Aufgrund der konjunkturellen Entwicklung stiegen die Gewerbesteuereinnahmen bis 2008, und durch die dann eingetretene Wirtschaftskrise sind sie stark zurückgegangen. Natürlich können Sie die Forderung stellen: Lasst uns doch die Gewerbesteuer so verstetigen, dass die Hinzurechnungen erhöht werden. - Das würde zu Substanzbesteuerungen der Unternehmen, gerade im Handel, führen; das haben wir erlebt. Es war deshalb richtig, die Hinzurechnungen mit dem Wachstumsbeschleunigungsgesetz abzumildern. Dadurch wurde die Steuerbasis der kommunalen Ebenen erhalten. Das wäre nicht der Fall gewesen, wenn diese Unternehmen pleitegegangen wären. ({5}) Diese Differenzierung müssen Sie einmal auf sich wirken lassen. Das Bild, das Sie hier malen, entbehrt jeglicher Grundlage. Wir wollen die Fortsetzung von Maßnahmen, die weiterhin Wachstum generieren und zur Haushaltskonsolidierung, verbunden mit steuerlichen Entlastungen, führen. Das ist kein Gegensatz, sondern ergänzt sich, weil steuerliche Entlastung zu mehr Wachstum führen kann, und Wachstum wiederum würde zu einer Verbesserung der Einnahmesituation der Haushalte aller Ebenen führen. Schon zu Beginn des Jahres haben wir Entlastungsmaßnahmen, gerade für Familien mit Kindern, ({6}) in Höhe von 25 Milliarden Euro beschlossen. Wir warten die Steuerschätzung ab, weil diese Daten eine wichtige Rahmenbedingung für weitere Maßnahmen im Einkommensteuerbereich sind. Es ist kein Geheimnis, sondern im Koalitionsvertrag nachzulesen, wo die Schwerpunkte der Entlastungen liegen werden, nämlich bei denjenigen Leistungsträgern unserer Gesellschaft, die im unteren und mittleren Einkommensteuerbereich liegen. ({7}) Wir wollen im Grunde die kalte Progression abbauen. Daher sind das alles keine überraschenden Elemente, sondern es ist klar, was wir wollen. Was wir vorhaben, wollen wir von verlässlichen Rahmenbedingungen abhängig machen. Wir dürfen nicht nur die Einnahmesituation des Staates sehen. ({8}) Wenn die Ausgaben im Bundeshaushalt bis Ende Mai geringer ausfallen, weil sich der Arbeitsmarkt stabilisiert hat und die Bundesagentur für Arbeit dadurch weniger ausgeben muss, dann ist das Potenzial für Entlastungen größer. Es ist eben so: Alles hängt mit allem zusammen. ({9}) Was Sie hier heute veranstalten wollen, geht fehl. Wir werden unser Ziel gemeinsam mit dem Koalitionspartner durchsetzen. Vielen Dank. ({10})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Die Kollegin Dr. Barbara Höll von der Fraktion Die Linke ist nun die nächste Rednerin. ({0})

Dr. Barbara Höll (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000921, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Steuer- und Finanzpolitik der schwarzgelben Koalition ist eine Zumutung. Führen wir uns einmal vor Augen, was Sie getan haben: Mitten in der schwersten Wirtschafts-, Finanz- und Demokratiekrise seit 60 Jahren ({0}) schließen Sie einen Koalitionsvertrag, in dem Sie einen Stufentarif versprechen. Vor kurzem haben wir den Haushalt für dieses Jahr mit einer Rekordverschuldung verabschiedet. Nun sagt der kleine Koalitionspartner: Jetzt machen wir mal ein bisschen Nägel mit Köpfen und verraten etwas genauer, wie wir uns das eigentlich vorstellen; Steuerentlastung haben wir ja groß versprochen. Sie rennen weiter Ihrer Fata Morgana hinterher, als ob milliardenschwere Steuersenkungen einfach mal so locker möglich wären. Was sagt die Bundeskanzlerin dazu? Was sagt der Finanzminister dazu? ({1}) Nichts! Schweigen im Walde! Es ist berechtigt, zu sagen - nicht nur vonseiten der SPD, sondern insbesondere auch von Bürgerinnen und Bürgern in diesem Land -: Wir wollen vor der NRW-Wahl wissen, was Sie tun, wie Sie sich verhalten werden. ({2}) Wenn man sich anschaut, wie das Steuerkonzept der FDP aussieht, dann kann man nur feststellen: Es ist eine Mogelpackung. Sie rennen durchs Land und erzählen erstens, dass Sie vor allem untere und mittlere Einkommen entlasten wollen. ({3}) Dazu möchte ich Ihnen einmal sagen: Viele Bürgerinnen und Bürger in diesem Land würden gern Steuern zahlen, wenn sie denn für die von ihnen geleistete Arbeit endlich ordentlich bezahlt würden. Das ist der große Skandal. Dem müssten Sie sich als Erstes widmen. ({4}) Zweitens tun Sie so, als ob die hohen Einkommen nicht entlastet würden. Das stimmt aber nicht. Nach Ihrem Tarifvorschlag beträgt die Höchstentlastung 1 534 Euro. ({5}) Die greift natürlich bei jedem, also auch bei dem, der ein zu versteuerndes Einkommen von über 53 000 Euro hat. Nach Ihrem Konzept wird also auch jeder Millionär jährlich um 1 534 Euro entlastet. Das ist die Realität. ({6}) Schauen wir mal weiter! Der Vorschlag beinhaltet ja nicht nur einen Einkommensteuertarif, sondern da gibt es noch ein paar kleinere Striche untendrunter. Da findet sich zum Beispiel der Punkt: Arbeitnehmerpauschbetrag. Derzeit beträgt er 920 Euro. Den wollen Sie durch eine Werbungskostenpauschale in Höhe von 2 Prozent der Einkünfte ersetzen. Dabei kommt für die Bezieherinnen und Bezieher niedriger Einkommen, die aber schon Steuern zahlen müssen, eine Mehrbelastung heraus. Für die heißt das also weniger Netto vom Brutto. So viel zu Ihren Wahlversprechen und den Umsetzungen! ({7}) Wenn wir beim Thema „Entlastung und Belastung“ sind, noch Folgendes: Es ist doch einfach ein Skandal, dass Sie weiter Ihr Spiel spielen: mit der rechten Hand geben, mit der linken Hand nehmen. Denn das tun Sie. Welche Entwicklung gibt es bei der Krankenversicherung? Wie viele Kassen haben denn jetzt schon einen monatlichen Zusatzbeitrag von 8 Euro eingeführt? Wenn Sie dann auch noch an Ihrer Kopfpauschale festhalten, bedeutet das eine weitere Verschärfung der Ungerechtigkeit. Das heißt, dass insbesondere die Bezieherinnen und Bezieher niedriger Einkommen massiv belastet werden. Man muss natürlich feststellen, dass das eine gewisse Logik hat. Die CDU/CSU regiert ja nun schon die zweite Legislaturperiode. ({8}) Vorher hatten wir Rot-Grün. Seit dem Jahr 2000 gibt es massive Steuerentlastungen für die Bezieher und Bezieherinnen hoher Einkommen und im Unternehmensbereich. Die Steuerfreiheit der Veräußerungsgewinne führte zu einem massiven Einbruch der Steuereinnahmen und als Erstes zu einer ziemlich katastrophalen Situation vieler Kommunen. Zu nennen sind ferner die Senkung des Spitzensteuersatzes, die Sie vorgenommen haben, die Absenkung des Körperschaftsteuersatzes auf 15 Prozent, die Eröffnung von neuen Möglichkeiten des Kleinrechnens der Steuern durch großzügige Regelungen zur Bemessungsgrundlage, sodass Unternehmen effektiv nur die Hälfte der Steuern zahlen, die sie eigentlich zahlen müssten. Dies alles hat dazu geführt, dass sich die öffentliche Hand in einer katastrophalen Situation befindet. Heute sind aber insbesondere die Bezieherinnen und Bezieher niedriger und mittlerer Einkommen darauf angewiesen, dass die öffentliche Infrastruktur funktioniert. Sie werden am stärksten von dem betroffen, was im Lande losgeht. So wird bei Bibliotheken gestrichen, werden bei Schwimmbädern Öffnungszeiten verändert oder werden solche Einrichtungen gleich ganz geschlossen. Dazu gehören auch Gebührenerhöhungen im kommunalen Bereich. Ich nenne beispielsweise die Erhöhung der Abfallgebühren. Vielen Bürgerinnen und Bürgern würde es wesentlich mehr nutzen, wenn Sie endlich etwas dafür täten, dass die Kommunen eine verlässliche Finanzierungsgrundlage bekommen. Das erreichen Sie aber nicht mit der Umsetzung des Vorschlags, den Herr Dautzenberg hier dankenswerterweise noch einmal erwähnt hat: im Prinzip weg mit der Gewerbesteuer. ({9}) Sie sind überhaupt nicht gewillt - das wurde in den ersten Sitzungen Ihrer Kommission zu den Kommunalfinanzen deutlich -, die Finanzsituation der Kommunen zu verbessern, ({10}) sondern wälzen die Folgen Ihrer katastrophalen Finanzund Steuerpolitik auf die Bürgerinnen und Bürger dieses Landes und auf die Kommunen ab. Das ist mit uns nicht zu machen. Wir sind die Partei der Steuergerechtigkeit. ({11}) Wir schlagen Ihnen vor: Belastung der hohen Einkommen - unter anderem soll der Spitzensteuersatz wie bei Helmut Kohl 53 Prozent betragen -, einen linear-progressiven Tarif und eine Millionärsteuer.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Frau Kollegin, denken Sie bitte an die Redezeit.

Dr. Barbara Höll (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000921, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Diese Punkte sind umzusetzen. Dann hätten wir Geld, um dort Steuerentlastungen vorzunehmen, wo sie notwendig sind, nämlich bei den Bezieherinnen und Beziehern niedriger und mittlerer Einkommen. Ich danke Ihnen. ({0})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Nun hat das Wort der Kollege Dr. Hermann Otto Solms für die FDP-Fraktion. ({0})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002190, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Kern des Problems ({0}) der Einkommensbesteuerung in Deutschland ist die zu hohe Belastung, der zu steile Tarifanstieg im unteren und mittleren Bereich; das ist völlig unbestritten. Das führt dazu, dass ein ganztägig beschäftigter durchschnittlich verdienender Arbeitnehmer in Deutschland von jedem zusätzlich verdienten Euro weniger als 50 Prozent, also weniger als 50 Cent, ausgezahlt bekommt. Das ist natürlich leistungslähmend. ({1}) - Durchschnittlicher Verdienst heißt: ein Einkommen von circa 36 000 bis 37 000 Euro im Jahr. - Ein Facharbeiter mit einem Jahreseinkommen von 50 000 Euro bekommt sogar weniger als 40 Prozent von jedem zusätzlich verdienten Euro ausgezahlt. Der Kern unserer Steuerreformvorschläge ist, diese Ungerechtigkeit zu beseitigen. Es ist ja bezeichnend, dass die Kollegin Kressl auf das eigentliche Thema gar nicht eingegangen ist. ({2}) Ich kann Ihnen auch sagen, warum sie das nicht getan hat. Sie hat es nicht getan, weil im Wahlprogramm der SPD genau das Gleiche steht, was wir jetzt vorschlagen. Da steht nämlich: Wir wollen die Entlastungen daher auf die Bezieher niedriger und mittlerer Einkommen sowie die Familien konzentrieren. ({3}) Die Familien haben wir schon entlastet. - Zur Tarifreform sagen Sie: Wir wollen den Tarifverlauf so gestalten, dass es Entlastungen bis zu einem zu versteuernden Einkommen von 52 882 Euro … gibt. Hiervon werden im Vergleich mit dem Tarifverlauf 2010 über 24,6 Millionen Menschen profitieren. ({4}) Auch wir wollen bis zu einem Jahreseinkommen von 53 000 Euro Entlastungen vornehmen. Unsere Vorschläge sind also fast identisch. ({5}) Interessant in diesem Zusammenhang ist auch das Wahlprogramm der CDU/CSU. Dort steht nichts anderes: Die aus Wachstum folgenden Steuermehreinnahmen wollen wir in etwa gleichen Teilen für Haushaltskonsolidierung, Zukunftsinvestitionen und Entlastung der Bürger verwenden. ({6}) Darauf komme ich gleich zurück. - An anderer Stelle sagen Sie: Leistung und Einsatzbereitschaft müssen sich wieder mehr lohnen. ({7}) Durch eine Korrektur des Tarifverlaufs ({8}) sorgen wir dafür, dass Lohnerhöhungen auch wirklich bei denjenigen ankommen, die sie erarbeitet haben. An einer weiteren Stelle sagen Sie, dass Sie diese Entlastung in einer ersten Stufe bis zu einem Einkommen von 55 000 und in einer späteren Stufe bis zu einem Einkommen von 60 000 Euro möglich machen wollen. Die drei klassischen Parteien in diesem Hause wollen genau das Gleiche. Es gibt also überhaupt keinen Grund, über dieses Thema zu streiten. Was wir wollen, ist richtig. Jetzt geht es um die Frage, ob wir uns das aus staatlicher Sicht leisten können. Ich sage: Wir müssen uns das leisten, weil es um Steuergerechtigkeit für die Leute geht, die die Steuern aufbringen und den Staat durch ihre Arbeit finanzieren. ({9}) Lassen Sie mich dieses Thema erweitern: Die letzte Steuerschätzung vom Mai des vorherigen Jahres - es wird bald eine neue Steuerschätzung geben -, die bis jetzt Grundlage aller Berechnungen ist, kommt zu dem Ergebnis, dass wir im Jahre 2010 ein Gesamtsteueraufkommen - Bund, Länder und Gemeinden zusammen von 510,4 Milliarden Euro haben werden. Das wird bis 2013 auf 575 Milliarden Euro ansteigen. ({10}) Wir werden in dieser Zeit also einen Zuwachs an Steuereinnahmen in Höhe von 65 Milliarden Euro haben. Ich sage Ihnen voraus, dass die neue Steuerschätzung für die nächsten Jahre - für 2010 vermutlich nicht mehr - sogar einen höheren Zuwachs prognostizieren wird. ({11}) Wenn man dann der Strategie der CDU/CSU folgt und sagt: „Wir wollen das auf drei Jahre aufteilen“, dann sind wir genau bei den Steuerentlastungen von 22 bis 24 Milliarden Euro, auf die wir uns im Koalitionsvertrag geeinigt haben. ({12}) Wir sollten uns einig sein, dass wir das auch so umsetzen. Wir sollten darüber nicht mehr streiten, sondern überlegen, wie wir das machen. Machbar ist das. Das hat Dr. Boss aus Kiel gerade bestätigt. Steuerentlastungen, so hat er gesagt, sind nicht nur möglich, sondern gerade in diesem Bereich auch notwendig, ({13}) damit das Wachstum gestärkt wird, sich Arbeit wieder mehr als bisher lohnt und dadurch die Arbeitslosigkeit effizient bekämpft wird. Die Strategie der Koalition ist richtig angelegt. Sie wird zu diesen positiven Ergebnissen führen; das kann ich Ihnen versichern. ({14}) Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. ({15})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Nächster Redner ist der Kollege Dr. Gerhard Schick für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Dr. Gerhard Schick (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003837, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Titel dieser Aktuellen Stunde lautet ja: „Haltung der Bundesregierung zur Finanzierbarkeit der FDP-Steuerpläne“. Ich möchte - denn Herr Dautzenberg hat dazu nichts gesagt ({0}) Sie, Herr Koschyk, vorsichtshalber darum bitten, dass Sie nachher etwas zum Thema Finanzierbarkeit sagen. ({1}) Denn genau dies ist das Thema, und am Thema vorbeireden sollte man nicht. Herr Solms, wir haben eine Antwort auf die Frage der Finanzierbarkeit gehört. Das ist das Prinzip Hoffnung in folgendem Sinne: Die Steuerpläne werden sich schon ir3410 gendwie selbst finanzieren. - Sie wissen genau, dass das in der gegenwärtigen wirtschaftlichen Lage nicht funktionieren wird. ({2}) Sie wissen auch, dass das Prinzip Hoffnung bei dem derzeitigen Zustand der öffentlichen Finanzen absolut unverantwortlich wäre. ({3}) Bisher haben wir immer gedacht, die FDP-Position sei populistisch, weil die FDP den Leuten etwas verspricht und damit Wahlen gewinnen will. ({4}) Inzwischen stellen wir aber fest: Die Leute sind schlauer als Sie. ({5}) Die breite Mehrheit der Menschen weiß, dass Ihr Vorhaben unverantwortlich ist. Sie will, dass Regierung und Parlament verantwortlich mit den öffentlichen Finanzen umgehen, weil man so nicht weiter wirtschaften kann. Der gegenwärtige Bundeshaushalt ist zu einem Drittel über Schulden finanziert. Viele Kommunen sind nicht mehr in der Lage, selber aus ihrer Verschuldungssituation herauszukommen. ({6}) Die Einnahmeausfälle in Höhe von 16 Milliarden Euro bei der Einkommensteuer, auf die Sie sich jetzt haben herunterhandeln lassen, bedeuten immer noch bei den kommunalen Einnahmen Ausfälle in Höhe von 2,4 Milliarden Euro. Das ist definitiv zu viel. Den Ruin der Kommunalfinanzen machen wir nicht mit. ({7}) Was sagt eigentlich die Bundesregierung dazu? Beim Finanzminister, bei der Kanzlerin und auch bei Herrn Pofalla hört sich das alles sehr ruhig und seriös an: Schauen wir mal. Vielleicht machen wir das in zwei Jahren. Die Priorität liegt bei den Kommunen. - In Wirklichkeit haben Sie aber bisher die Antwort darauf verweigert, wie all das, worüber in der Koalition diskutiert wird, finanziert werden soll. Denn hinter all den schönen Sprüchen stehen nicht nur die geschätzten Einnahmeausfälle von 16 Milliarden Euro bei der Einkommensteuer, sondern auch Einnahmeausfälle von 30 Milliarden Euro, falls Sie die Gewerbesteuer ersetzen wollen. Irgendwoher muss das Geld ja kommen. ({8}) Es stehen bei der Kopfprämie bzw. dem Sozialausgleich in der Krankenversicherung noch einmal 30 Milliarden Euro zur Disposition. Durch die Schuldenbremse sind Einsparungen von 10 Milliarden Euro erforderlich. Wenn Sie darunter einen Strich machen, kommen Sie auf ein Loch von über 80 Milliarden Euro. ({9}) Darüber sagen Sie nichts. Das ist genauso unseriös wie das Vorgehen mancher Banker, die noch zwei Tage vor der Bankrotterklärung gesagt haben, sie hätten ihre Finanzen im Griff. Sie müssten einmal sagen, wie Sie das finanzieren wollen. Wir haben inzwischen, in den paar Monaten, die Sie an der Regierung sind, unsere Erfahrungen gemacht. Beim Thema Griechenland sagte die Kanzlerin erst, das Land werde keine Hilfen brauchen. Inzwischen wird die Kreditvergabe vorbereitet. Bei der Bankenabgabe sagte der Finanzminister: Wir werden die Branche an den Kosten der aktuellen Krise beteiligen. Heute will er nichts mehr davon wissen. ({10}) Vor der Wahl machte die Kanzlerin den Kommunen die Zusage, man werde nicht an die Gewerbesteuer herangehen. Jetzt reden Sie über den Ersatz der Gewerbesteuer und wissen gar nicht, wie die Gegenfinanzierung aussehen soll. Genauso wird es auch bei der Steuersenkungspolitik sein: ({11}) Jetzt reden Sie sozial und tun so, als werde nicht weiter an die Einnahmen der Kommunen herangegangen. Nach der Wahl in Nordrhein-Westfalen werden Sie die Wahrheit sagen, und das wird eine bittere Wahrheit sein. Wir fordern Sie deswegen heute auf: Sagen Sie den Bürgerinnen und Bürgern klar, wo das Geld herkommen soll! Hören Sie auf, sozial und kommunenfreundlich zu reden und nachher doch etwas anderes zu machen! ({12}) Diese Serie von falschen Aussagen darf nicht fortgesetzt werden. So sieht seriöse Finanzpolitik nicht aus. ({13})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Nächster Redner ist der Kollege Peter Aumer für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Peter Aumer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004004, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Wir dürfen heute über die Haltung der Bundesregierung zur Finanzierbarkeit der FDP-Steuerpläne diskutieren. Es stellt sich die Frage, warum die SPD darüber diskutieren möchte. ({0}) Es wäre doch schön, wenn es zum Vergleich Steuerpläne der SPD gäbe. Ich habe nachgeschaut: Es gibt keine. ({1}) - Die Opposition soll Alternativen aufzeigen; aber das tut sie nicht. Das kann man, glaube ich, für die ganze linke Hälfte des Hauses sagen. Wir brauchen tragfähige Konzepte, um unser Land aus dieser Krise zu führen. Wir Deutschen haben die Wirtschafts- und Finanzkrise bisher gut überstanden, dank eines Kraftakts aller, dank der Menschen, die mit Tatkraft angepackt haben, unser Land aus dieser schwierigen Situation zu führen. Das SPD-Konzept, das helfen könnte, sucht man jedoch vergeblich. Im März dieses Jahres nahm die SPD-Arbeitsgruppe „Steuern und Abgaben“ ihre Arbeit auf. Auftrag der Arbeitsgruppe ist es, erst einmal Teile der Maßnahmen zurückzunehmen, die die SPD in Regierungsverantwortung ausgearbeitet und eingeführt hat. ({2}) - Ich spreche nicht für die Regierung, sondern für eine Fraktion. Die Regierung ist nachher dran. - Meine sehr geehrten Damen und Herren von der SPD, all das, was für die Zukunftsfähigkeit unseres Landes richtig und wichtig war, stellen Sie wieder infrage. Das kann doch nicht der richtige Weg sein. ({3}) Deutschland ist kein Land der Beliebigkeit, ({4}) das je nach Belieben der innerparteilichen Strömungen der SPD einmal so und einmal anders regiert werden kann. ({5}) Deutschland ist ein Land mit Zukunft, das genau deswegen eine verlässliche Politik braucht. Darum haben die Menschen die christlich-liberale Koalition gewählt, eine Koalition, die ergebnisorientiert arbeitet, die das Wohl des Ganzen und die Nachhaltigkeit des politischen Handelns im Blick hat. ({6}) Insofern ist es gut und wichtig, dass man Positionen überarbeitet und Überlegungen auf den Prüfstand stellt. Das hat die FDP gemacht. Es ist sehr zu begrüßen, dass die FDP Anpassungen an die aktuelle Situation vorgenommen hat. ({7}) Um den bayerischen Ministerpräsidenten zu zitieren: Das, was die FDP jetzt vorlegt, geht in die richtige Richtung. Bereits der Koalitionsvertrag der christlich-liberalen Koalition zeigt auf, dass diese Regierung für Wachstum und Aufschwung steht, dass aber eine nachhaltige und verfassungskonforme Haushaltspolitik im Vordergrund der Arbeit stehen muss. Mit dem Wachstumsbeschleunigungsgesetz, das Anfang des Jahres in Kraft getreten ist, wurde eine erste Weichenstellung vorgenommen. Für weitere Schritte muss allerdings die Steuerschätzung Anfang Mai abgewartet werden. ({8}) Danach kann über konkrete und zielführende Maßnahmen entschieden und eine feste Positionierung vorgenommen werden. ({9}) Nur mit den Zahlen der Steuerschätzung können realistische Entscheidungen getroffen werden, die den Zielen des Koalitionsvertrages gerecht werden. Selbstverständlich darf nicht vergessen werden, dass die Schuldenbremse zu wirken beginnt. Das ist wahrscheinlich auch das, was Sie mit Ihrem Antrag beabsichtigen. ({10}) Wir haben es gehört: Die Einnahmen und die Ausgaben sind das Entscheidende. Man muss immer beide Seiten betrachten. Ich glaube, das können Sie nicht. Man darf nicht nur auf Steuererhöhungen setzen, sondern man muss auch Impulse für die wirtschaftliche Entwicklung unseres Landes geben. Es gab und wird eine steuerliche Entlastung geben, insbesondere für die unteren und mittleren Einkommensbereiche sowie für Familien mit Kindern. ({11}) Ebenso wird es eine spürbare Vereinfachung des Steuerrechts geben. Auch dafür wurden wir gewählt, und auch dafür steht die Koalition der CDU/CSU und der FDP. ({12}) Wir brauchen eine Finanzpolitik aus einem Guss, ({13}) die die Lage der Sozialversicherungen ebenso berücksichtigt wie die Lage der Kommunen. Die Finanzpolitik der Bundesregierung hat dieses Ziel vor Augen, und die diese Regierung tragende christlich-liberale Koalition ebenso. ({14}) Meine sehr geehrten Damen und Herren von der Opposition, wir sollten nicht über Anträge in Aktuellen Stunden streiten, ({15}) sondern handeln, und zwar für unser Land. Danke für die Aufmerksamkeit. ({16})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Für die SPD-Fraktion hat nun das Wort die Kollegin Petra Hinz. ({0})

Petra Hinz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003768, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kollegen und Kolleginnen! Herr Aumer, um hier Zahlen auf den Tisch zu legen und keine nebulösen Reden zu schwingen - das gilt auch für Herrn Solms -: Verstehen Sie unter „sozial“, dass nach dem Modell der FDP Familien oder Alleinerziehende mit einem Jahreseinkommen von 12 000 Euro lediglich 146 Euro Steuerersparnisse haben, im Gegensatz dazu aber Familien oder Alleinerziehende mit einem Jahreseinkommen von 54 000 Euro eine Entlastung von 1 534 Euro zu verzeichnen haben? Ich muss feststellen: Das ist weder sozial noch gerecht. Im Gegenteil: Das macht deutlich, wohin die Regierung in dieser Legislaturperiode will. ({0}) Sie macht Klientelpolitik. Diejenigen, denen es besser geht, werden durch Steuervergünstigungen entlastet. ({1}) Bevor Sie sich jetzt aufregen, möchte ich Ihnen sagen, dass das nicht mein Rechenmodell ist, sondern dass es vom Bund der Steuerzahler im Handelsblatt veröffentlicht worden ist. Es wurde seriös anhand der Zahlen, die von der FDP genannt wurden, nachgerechnet. Das wollen Sie doch wohl nicht bestreiten. ({2}) Herr Dautzenberg, Sie haben im Parlament immer wiederholt, dass die Gewerbesteuer nicht abgeschafft wird. Nun erklären Sie in drei Sätzen, dass sie doch abgeschafft werden soll. ({3}) - Natürlich soll sie abgeschafft werden. Das können Sie in der Financial Times Deutschland nachlesen: Schäuble stellt Gewerbesteuer infrage. Die schwarz-gelbe Koalition nimmt einen neuen Anlauf, die Gewerbesteuer abzuschaffen. Genau das ist Ihr Ziel. ({4}) Sie führen immer wieder - quasi als Kronzeuge - aus, wie sozial und gut das Wachstumsbeschleunigungsgesetz ist. Ich will anhand meiner Heimatstadt Essen in Nordrhein-Westfalen einmal deutlich machen, zu welchen Steuermindereinnahmen das Wachstumsbeschleunigungsgesetz dort führt: Für das laufende Haushaltsjahr in Essen bedeutet das Steuermindereinnahmen von 8,28 Millionen Euro, für das Jahr 2012 Steuermindereinnahmen von 17,05 Millionen Euro. Sie wollen trotz dieser Zahlen behaupten, dass Sie den Kommunen mit dem Wachstumsbeschleunigungsgesetz geholfen hätten? Meine Stadt wird in den nächsten Jahren nichts davon spüren. - Da die Kolleginnen und Kollegen auf der rechten Seite des Hauses den Kopf schütteln: Diese Zahlen hat der Stadtkämmerer, Herr Klieve von der CDU, auf den Tisch gelegt. Sie sind öffentlich nachzulesen. Das, was ich vortrage, hat Substanz und stimmt. ({5}) Die Kanzlerin ist auf dem Weg zum Wortbruch; das wurde bereits mehrfach angesprochen. Im letzten Mai hat sie sich dafür ausgesprochen, dass es keine Abschaffung der Gewerbesteuer geben soll. Es wurden aber Kommissionen mit dem Ziel eingesetzt, genau das zu erreichen. Im März dieses Jahres, auf dem Landesparteitag der CDU in Münster, hat Frau Merkel - auf dem Weg zu Wortbruch Nummer zwei, liebe Kolleginnen und Kollegen von der FDP - vollmundig angekündigt, dass es mit der CDU/CSU keine Steuersenkungen geben wird. „Wir dürfen die Kommunen nicht ausbluten“, war der Wortlaut der Kanzlerin. Bisher habe ich kein Dementi von ihr gehört, dass sie die Steuerkonzepte der FDP vom Tisch fegt. Nein, ich habe dazu von ihr bisher noch gar nichts gehört. Nur auf Parteitagen oder im Rahmen eines Städtetages spricht sie sich für die Kommunen aus. ({6}) Guido Westerwelle hat deutlich gemacht - ich muss schon sagen: So stellt sich Klein-Lieschen Finanz- und Haushaltspolitik vor -, dass die Kommunen über die Petra Hinz ({7}) Mehrwertsteuer oder wie auch immer mal so eben ihren Haushalt sanieren können. Nein, liebe Kolleginnen und Kollegen, da kann ich nur sagen: Die Fachleute sprechen eine ganz andere Sprache. Sie erklären ganz klar: Hände weg von der Gewerbesteuer! Es gibt keine Alternative zur Gewerbesteuer. ({8}) - Wenn Sie den Fachleuten nicht glauben, dann lesen Sie doch in den Protokollen nach, als über die zurückliegende Unternehmensteuerreform beraten wurde. Die Sachverständigen haben eindeutig gesagt, dass es derzeit keine Alternative zu der Gewerbesteuer gibt. Ich gebe Ihnen recht, dass die Gewerbesteuer angepasst werden muss. Ich gebe Ihnen auch recht, dass wir dafür sorgen müssen, dass sie nicht mehr so konjunkturanfällig ist. ({9}) Aber die Umsatzsteuer ist doch genauso anfällig. ({10}) - Zu der Frage der Mehrwertsteuererhöhung kann ich nur sagen: Wer zahlt denn die Zeche in den Kommunen? Das sind doch immer die Bürger. Als Erstes müssen die Bürger die Steuermindereinnahmen kompensieren. Der nächste Punkt ist, dass die Gewerbesteuer, die von den Gewerbetreibenden gezahlt wird, nun durch eine Verbrauchsteuer ersetzt werden soll. Ich kann dazu nur sagen: Pfui! Das ist in keiner Weise bürgernah. Das ist in keiner Weise sozial. Das ist nicht akzeptabel. ({11}) Herzlichen Glückwunsch, wenn Sie dies in dieser Form umsetzen. Ich kann nur sagen: Wir werden nicht müde, deutlich zu machen, dass Sie diejenigen sind, die Klientelpolitik betreiben. Um zu meinem Anfang zurückzukommen: Rüttgers, CDU-Ministerpräsident von NRW, ({12}) sagt - jetzt spreche ich zu den Freunden der FDP -: Ich bin dagegen, wenn das auf Kosten der Kommunen geht. ({13}) Niedrige Steuern könne es nur geben, wenn man das bezahlen könne. Dies sage er auch „an die Freunde von der FDP“ gerichtet. Herr Schäuble ist heute im Ausschuss auf Nachfrage meiner Kollegin

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Frau Kollegin, bitte kommen Sie zum Schluss.

Petra Hinz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003768, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

- danke für den Hinweis - gar nicht auf den Wegfall der Gewerbesteuer oder auf die sogenannten Steuerpläne der FDP eingegangen. Er hat geschwiegen. Das Einzige, das er gesagt hat, ist: Wir halten an der Entschuldung fest. Wir müssen dafür sorgen, dass die Finanzen wieder auf den Weg gebracht werden. ({0}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, nehmen Sie Ihr Steuerkonzept und werfen Sie es in die Rundablage. Es ist weder sozial noch kommunenfreundlich. ({1})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Das Wort hat nun der Kollege Dr. Volker Wissing für die FDP-Fraktion. ({0})

Dr. Volker Wissing (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003702, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Kollegin Kressl, liebe Kollegen der SPD, Sie haben diese Aktuelle Stunde beantragt, weil Sie den Wählerinnen und Wählern in Nordrhein-Westfalen zeigen wollen, woran sie sind, wenn sie eine bestimmte Partei wählen. Darum geht es Ihnen. Jetzt wollen wir doch einmal etwas Ihre Finanzpolitik beleuchten. ({0}) 2005 sind Sie angetreten und haben den Menschen gesagt: Wählt uns, dann gibt es keine Mehrwertsteuererhöhung. - Danach haben Sie die Menschen hereingelegt und die Mehrwertsteuer um 3 Prozentpunkte erhöht. ({1}) 2009 sind Sie angetreten und haben den Menschen gesagt: Wählt uns, dann entlasten wir die unteren und mittleren Einkommensbezieher durch Abbau der kalten Progression und durch Abbau des Mittelstandsbauchs. Hinterher haben Sie den Menschen gesagt: Nein, das geht wegen der wirtschaftlichen Situation gar nicht. ({2}) Sie haben elf Jahre lang den Finanzminister gestellt und wollen den Menschen nach der Wahl ernsthaft erzählen, dass Sie die Haushaltssituation erst nach der Bundestagswahl zur Kenntnis genommen haben. Was Sie betreiben, ist permanenter Wählerbetrug. ({3}) Sie sind doch nicht ein einziges Mal bereit gewesen, Ihr Wahlprogramm umzusetzen. ({4}) Der Unterschied zwischen Ihnen und dieser Koalition besteht doch darin, dass Sie permanent Gründe suchen, weshalb Sie nach der Wahl die Steuern erhöhen müssen, wir aber Wege suchen, wie wir die Bürgerinnen und Bürger steuerlich entlasten können. Das ist der Unterschied. ({5}) Deswegen sind wir dankbar, dass Sie diese Aktuelle Stunde beantragt haben. Das gibt uns noch einmal die Möglichkeit, den Menschen klar zu sagen: Das, was wir vor der Wahl angekündigt haben, nämlich dass wir die Bezieher von unteren und mittleren Einkommen entlasten wollen, setzen wir in dieser Legislaturperiode mit unserem Koalitionspartner um. ({6}) Das war der Grund, warum die Menschen gesagt haben: Wir glauben den Versprechen der SPD nicht mehr. Die SPD hatte elf Jahre lang die Verantwortung im Finanzressort. Die Steuern wurden immer weiter erhöht, aber für die Menschen in diesem Land wurde nichts getan. Auch mit dem Haushalt ging es immer weiter bergab. Da haben die Menschen gesagt: „Wir wollen eine andere Politik“, und haben die christlich-liberale Koalition gewählt. Das ist, Frau Kollegin Höll, keine „Demokratiekrise“. Das ist ein Glück für unser Land. ({7}) Das ist ein Glück für unser Land, weil sich daraus neue Chancen ergeben. ({8}) Frau Kressl, Sie stellen sich hier hin und sagen: Den Kommunen geht es schlecht. - Wer hat denn elf Jahre lang die Verantwortung für dieses Steuersystem gehabt? Die SPD. ({9}) Die Kommunen leiden und zahlen jetzt die Zeche für Ihre verfehlte Politik. Das ist doch die Wahrheit. ({10}) Das werden wir nicht fortsetzen. ({11}) Dafür sind wir nicht gewählt worden. Herr Kollege Schick, Sie fragen, was die Auffassung der Bundesregierung ist. Heute Morgen war der Bundesfinanzminister im Finanzausschuss. Er hat es Ihnen klar gesagt: Aufgabe dieser Bundesregierung ist, die Schuldenbremse einzuhalten und die Haushaltskonsolidierung in Angriff zu nehmen. Mit Ihrem Rezept hat das nicht geklappt. Wir haben ein anderes. Wir wollen unser Steuersystem reformieren. Wir wollen mehr Wachstumskräfte für dieses Land freisetzen. ({12}) Mit den Erträgen wollen wir Haushaltskonsolidierung betreiben. Ihr Plan ist schiefgegangen. Wir haben einen neuen Auftrag. Den erfüllen wir gemeinsam mit unserem Koalitionspartner. ({13}) Es mag für Sie unerfreulich sein, dass diese Regierung jetzt das in Angriff nimmt, was Sie nicht geschafft haben. Aber es ist notwendig; daran führt kein Weg vorbei. ({14}) Während Sie sich hier hinstellen und den Menschen, die uns an den Bildschirmen oder auch hier im Saal zusehen, erklären, man dürfe auf keinen Fall die Mitte entlasten, erklärt Ihr Herr Gabriel draußen - er ist ja inzwischen das Wetterfähnchen der Nation; er dreht es mal so und mal so -: Der Mittelstand muss entlastet werden. Herr Gabriel, Sie können sich auf diese Koalition verlassen. Wir machen das. Sie haben es nicht hinbekommen, aber die christlich-liberale Koalition schafft das. ({15}) Das ist ein gutes Zeichen. Dadurch entstehen neue Chancen. Dadurch schaffen wir auch die Haushaltskonsolidierung. Wenn es einfach wäre, dann hätten Sie Ihre Politik nach elf Jahren des Scheiterns fortsetzen können. Aber es ist eine große Aufgabe. Das ist eine Herkulesaufgabe. Selbstverständlich ist auch die Gegenfinanzierung eine große Herausforderung, der man sich stellen muss und der wir uns auch stellen werden. Das hat der Finanzminister deutlich gemacht. Dabei hat er die Liberalen an seiner Seite. Ihre Aussagen sind doch total widersprüchlich. Einmal sagen Sie: Wir wissen ja gar nicht, was diese Regierung in der Steuer- und Finanzpolitik will. Auf der anderen Seite kritisieren Sie, dass wir als Teil dieser Koalition unsere Ziele ganz präzise auf den Tisch legen, unseren Weg ganz konkret aufzeigen. Der Unterschied zwischen Ihnen und uns ist, dass wir uns präzise an das halten, was wir vor der Wahl versprochen haben, während Sie immer das Gegenteil getan haben. ({16}) Das sollte das Signal und die Botschaft sein, die von dieser Aktuellen Stunde ausgehen. Dann hat sie sich gelohnt, und dann sind wir außerordentlich dankbar dafür, dass Sie sie beantragt haben. ({17})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Nächster Redner ist der Kollege Lothar Binding für die SPD-Fraktion. ({0})

Lothar Binding (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003050, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Frage nach der Finanzierbarkeit des FDP-Modells ist eine Frage, die in die Zukunft gerichtet ist. Herr Wissing hat diese Frage mit einem Blick in die Vergangenheit beantwortet. Wie das zusammenpassen soll, ist mir unklar. ({0}) Das FDP-Modell für die Zukunft lässt sich natürlich nicht mit der Politik der SPD in der Vergangenheit erklären. Außerdem ist es anders: Der Blick in die Vergangenheit zeigt, dass die Große Koalition mit dem Bürgerentlastungsgesetz die Bürger, wie der Name es sehr schön beschreibt, sehr stark entlastet hat, sogar mit einer Einkommensteuersenkung. Wir haben über das Konjunkturprogramm II die Bürger nochmals entlastet und sehr erfolgreich gegen die Krise gewirkt. Ich glaube, dass man daran erkennt, wie wir arbeiten. ({1}) Sie haben etwas von Wahlversprechen gesagt. Dazu will ich sagen: Wir haben vor der Wahl etwas versprochen. Nach der Wahl haben wir einen Kompromiss beschlossen. Ich glaube, dass Sie die Logik „Versprechen vor der Wahl - Kompromiss nach der Wahl“ möglicherweise auch noch in Anspruch nehmen müssen.Sie sagen immer: Wir halten uns präzise an unsere Versprechen. Es gab das Versprechen von 35 Milliarden Euro Entlastung, dann gab es das Versprechen von 24 Milliarden Euro Entlastung, jetzt gibt es das Versprechen von 16 Milliarden Euro Entlastung. Es ist klar: Wenn man so viel verspricht, eines davon könnte man vielleicht halten. Aber es ist noch viel schlimmer. Die Idee, die diese FDP-Modellierung des Steuersystems gegenwärtig verfolgt, ist absolut unabwägbar. Es ist eine Blackbox im Steuersystem. Wir lesen: Es soll die betriebswirtschaftlich sinnvollste Organisationsstruktur gewählt werden können, und da sollen gerade kleine und mittlere Unternehmen entlastet werden. Die Antwort auf kleine und mittlere Unternehmen ist das Wort „Gruppenbesteuerung“. Jetzt frage ich mich: Können kleine und mittlere Unternehmen mit der Gruppenbesteuerung tatsächlich die Lösung ihrer Probleme verfolgen? Die Antwort ist: Nein. Sie verweisen sogar auf Österreich und sagen, die Gruppenbesteuerung würde die Attraktivität des Holdingstandortes Deutschland verstärken. Die Antwort ist: Möglicherweise gibt es dann in Deutschland sehr viel mehr Holdings, die hier aber alle keine Steuern zahlen und somit den Staat exorbitant schwächen. Man braucht sich nur die Bank Austria anzuschauen. Sie macht Milliardengewinne und zahlt null Steuern in Österreich. Deshalb überlegen die Österreicher gerade, dieses Modell abzuschaffen. Das heißt, Sie wollen ein Instrument schaffen, durch das die Gewinne so weit gesenkt werden können, dass wir über die Körperschaftsteuer, die Gewerbesteuer und die Einkommensteuer gar nicht mehr zu diskutieren brauchen. Denn wer keine Gewinne macht, braucht auch keine Steuern zu zahlen. Das ist natürlich ein riesengroßes Problem. Das läuft in Ihrem Modell so nebenher als Ansatz einer Unternehmensteuerreform, und keiner merkt so richtig, was passiert. Sie wollen die Erschwernisse, die in Deutschland existieren, um seine Steuern zu senken, komplett abschaffen. Ich möchte ein Beispiel nennen. Sie haben eine Aktiengesellschaft, die Gewinne macht, und eine Aktiengesellschaft, die Verluste macht. Es wäre fair, zu sagen: Diese Verluste tragen wir für die eine Aktiengesellschaft vor. Wenn sie nächstes Jahr Gewinne macht, darf sie das verrechnen. Das ist gut. Wir haben sogar eine Organschaft geschaffen. Da kann die eine Kapitalgesellschaft mit der anderen einen Organträger bilden und Verluste und Gewinne verrechnen; das war gut. So können zum Beispiel die Stadtwerke die Verkehrsbetriebe querfinanzieren. Es gab früher eine Mehrmütterorganschaft. Das bedeutete, dass sich zwei Aktiengesellschaften zu einer Organschaft verbündet haben. Diese Organschaften haben sich dann zu Mehrmütterorganschaften verbunden. Auf diesem Weg konnte man sämtliche Gewinne und Verluste, die irgendwo anfielen, verrechnen. Das zerstörte die Unternehmensteuerbasis in Deutschland. Diese Regelung war auf Deutschland bezogen. Wir haben die Mehrmütterorganschaft 2002 abgeschafft. Was machen Sie jetzt mit der Gruppenbesteuerung? Sie machen eine Art Mehrmütterorganschaft weltweit. Das heißt, dass die Unternehmen alle Verluste, die irgendwo existieren, nach Deutschland holen können, und alle Gewinne, die irgendwo existieren, in die Welt exportieren können. Das ist ein gigantisches Problem. ({2}) Sie stellen sich damit auf die Seite der Steueroasen. ({3}) Sie stellen sich auf die Seite der Schönwettermanager. Sie stellen sich auf die Seite einer aggressiven Staatsverarmung, und das bei 100 Milliarden Euro Neuverschuldung in diesem Jahr. ({4}) Lothar Binding ({5}) Ich frage: Wie wollen Sie dieses Steuermodell, das absolut im Blindflug die Gruppenbesteuerung durch Abschaffung des Ergebnisabführungsvertrags befürwortet, vertreten? Sie schütteln jetzt den Kopf; es ist ein kompliziertes Gebiet. ({6}) Sie wissen genau, dass es so ist. Sie haben auf Österreich verwiesen, und ich schaue - da sage ich nichts Falsches nach Österreich ({7}) und sehe, wie es dort wirkt. Es wirkt verheerend. Das ist ein ganz großes Problem. Ich habe eine Frage, die das Verhältnis von Staat und Privat betrifft: An welchen Abgrund will die FDP diesen Staat eigentlich noch führen? ({8})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Für die Bundesregierung spricht nun der Parlamentarische Staatssekretär Hartmut Koschyk. ({0})

Hartmut Koschyk (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001186

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die christlich-liberale Bundesregierung sieht es als Hauptziel ihrer finanzpolitischen Strategie an, ({0}) die Wirtschafts- und Finanzkrise durch wachstumsfördernde Ausgestaltung öffentlicher Ausgaben und Einnahmen schneller zu überwinden und so für einen selbsttragenden Aufschwung zu sorgen. ({1}) Dabei muss eine wachstumsorientierte Steuerpolitik eine entscheidende Rolle spielen. ({2}) Denn sie stärkt durch zielgerichtete steuerliche Entlastungen die produktiven Kräfte in unserer Gesellschaft und eröffnet zusätzliche finanzielle Spielräume, damit die Selbstheilungskräfte der Wirtschaft auch greifen können. ({3}) Deshalb setzt die Bundesregierung auf eine Doppelstrategie, die beides im Blick behält: die Stärkung der Wachstumskräfte durch steuerliche Entlastung ebenso wie eine klare regelgebundene Konsolidierungsstrategie, die das Vertrauen in eine langfristig tragfähige Haushaltsentwicklung erhöht. Ich verstehe wirklich nicht - da kann ich Herrn Solms nur recht geben -, dass sich die SPD von ihrer eigenen Politik verabschiedet. ({4}) Sie haben unter Herrn Beck und dem damaligen Finanzminister Steinbrück in der letzten Legislaturperiode ein SPD-Steuerkonzept entwickelt, ({5}) in dem Sie das Problem der kalten Progression stark problematisiert und eine Abflachung gefordert haben. ({6}) Sie haben gemeinsam mit uns in der Großen Koalition im Rahmen des Konjunkturpaketes II den Einstieg bei der kalten Progression vorgenommen ({7}) und dies den Wählerinnen und Wählern in Ihrem Wahlprogramm versprochen. ({8}) Jetzt, wo Union und FDP dort, wo die Große Koalition angefangen hat, weitermachen und diese Maßnahme in die Tat umsetzen wollen, soll die notwendige Entlastung unterer und mittlerer Einkommen aber auf einmal nicht mehr gelten und nicht mehr finanzierbar sein. ({9}) Ich sage Ihnen sehr deutlich: Immer dann, wenn die Union in diesem Land regiert hat, waren Steuerentlastung, wachstumsorientierte Steuerpolitik und Konsolidierung miteinander vereinbar. ({10}) Wir haben das von 1990 bis 1998 durch mutige Steuerreformen von Gerhard Stoltenberg und Theo Waigel praktiziert, ({11}) und wir hätten ohne das von uns allen gewünschte Ereignis der nationalen Wiedervereinigung im Jahre 1990 einen ausgeglichenen Haushalt gehabt. ({12}) Auch Sie sollten ein Stück weit stolz darauf sein, dass wir die wachstumsorientierte Politik der Großen Koalition ab 2005 auch für Fortschritte bei der Konsolidierung genutzt haben. Ohne das Hereinbrechen der Finanzmarktkrise und ihre Auswirkungen auf die Realwirtschaft wären wir in den Jahren 2011 und 2012 einem ausgeglichenen Haushalt sehr nahe gekommen. ({13}) Das zeigt doch, dass wachstumsorientierte Steuerpolitik und Haushaltskonsolidierung in Einklang zu bringen sind. Selbstverständlich - da gibt es überhaupt keinen Widerspruch - werden wir alle weiteren Steuererleichterungen und Steuervereinfachungen, die wir im Koalitionsvertrag vereinbart haben und umsetzen wollen, ganz gezielt auf ihre Auswirkungen im Hinblick auf die Finanzsituation der Kommunen überprüfen und damit in Einklang bringen. Wir sind doch diejenigen, die jetzt erstmals zielführend eine Gemeindefinanzreform angepackt haben. ({14}) Sie haben immer nur davon geredet. Wir haben diese Kommission eingesetzt, und wir werden zeitnah Ergebnisse vorlegen. ({15}) Jetzt will ich Ihnen etwas zu der Geisterdebatte über Alternativmodelle zur Gewerbesteuer sagen, die Sie angestoßen haben. Wir haben im Rahmen dieser Gemeindefinanzreform zugesichert, alle Vorschläge ohne Tabus zu prüfen und zu rechnen. Die kommunalen Spitzenverbände haben zugesagt, ein Modell zur Revitalisierung der Gewerbesteuer vorzulegen; auch dieses Modell wird geprüft und gerechnet. Ich will Sie aber darauf hinweisen, dass ein anderes Modell, das in dieser Kommission geprüft und gerechnet wird, nämlich der Ersatz der Gewerbesteuer durch eine höhere Beteiligung der Kommunen an der Umsatzsteuer mit einem Hebesatzrecht bei der Einkommensteuer und der Körperschaftsteuer ({16}) - liebe Frau Kollegin Kressl, wenn Sie das Handelsblatt von gestern gelesen hätten, wüssten Sie das -, zurzeit in Baden-Württemberg mithilfe des Finanzministeriums gerechnet wird. ({17}) Der Stadtkämmerer von Stuttgart hat laut Handelsblatt vom gestrigen Tage dargelegt, dass sich für eine Stadt, für eine Metropole wie Stuttgart die Alternative „höherer Anteil an der Umsatzsteuer und Hebesatzrecht bei der Körperschaftsteuer und der Einkommensteuer“ gerade in einer Krisensituation, in der die Konjunkturanfälligkeit der Gewerbesteuer in jedem kommunalen Haushalt deutlich wird, rechnen würde. ({18}) Deshalb rate ich Ihnen: Rüsten Sie ideologisch ab! Sorgen Sie endlich einmal dafür, dass wir die Schaffung verlässlicher Kommunalfinanzen, aber auch die Entlastung der Kommunen bei den Ausgaben durch Absenkung bundesgesetzlicher Standards in Angriff nehmen. ({19}) Das ist nämlich ebenfalls ein Hauptwunsch der Kommunen. Wir werden sehr gespannt verfolgen können, ob Sie von der SPD es auch mittragen werden, wenn wir die Absenkung von bundesgesetzlich vorgegebenen Standards zur Entlastung der Kommunen bei den Ausgaben vornehmen werden, oder ob Sie dort immer nur den Mund spitzen und auch nicht richtig pfeifen werden. ({20}) Jetzt will ich Ihnen noch etwas sagen, weil Sie schon wieder - verbunden mit einer namentlichen Abstimmung am morgigen Tag - den Popanz der Abschaffung der Steuerfreiheit für Feiertags- und Nachtarbeitszuschläge aufbauen. ({21}) Liebe Frau Kollegin Kressl, Sie müssten doch wissen, dass das diesbezügliche Gutachten unter sozialdemokratischer Leitung im Finanzministerium in Auftrag gegeben worden ist. ({22}) Ich sage Ihnen ganz ehrlich: Der Zufall hat es gefügt, dass das Gutachten zwar 2007 unter Herrn Steinbrück in Auftrag gegeben worden ist, dass das Ergebnis aber erst quasi mit Ende des Wahlkampfs nach der Bundestagswahl bekannt geworden ist. Wir machen uns dieses Gutachten, das Sie in Auftrag gegen haben, inhaltlich nicht zu eigen. ({23}) Bauen Sie deshalb hier keinen Popanz auf. Wir werden als christlich-liberale Koalition beweisen, dass unser Weg richtig ist, der ja Früchte trägt und Deutschland wieder in eine Wachstumsphase bringt. Für dieses Jahr sind 1,4 Prozent und für das nächste Jahr 1,6 Prozent Wirtschaftswachstum prognostiziert - womit wir uns an der unteren Schwelle der Schätzungen bewegen. Das zeigt, dass auch noch das, was wir gemeinsam in der Großen Koalition beschlossen haben, vor allem aber das, was wir jetzt als Push für die Wirtschaft in der Krise durch die christlich-liberale Koalition eingebracht haben, seine Wirkung am Arbeitsmarkt entfaltet. ({24}) Niemand hat vorausgesehen, dass der deutsche Arbeitsmarkt - auch durch die Maßnahmen, die diese christlich-liberale Koalition seit Amtsantritt umgesetzt hat - so schnell wieder in Schwung kommt und Fahrt aufnimmt. ({25}) Das ist doch Ihr Dilemma. Sie hätten es gern, dass diese Regierung keinen Erfolg hat. Sie hätten es gern, dass unsere wachstumsgeleitete Politik - die Sie ja bekämpft haben; ich erinnere mich an all das, was Sie im Herbst zum Wachstumsbeschleunigungsgesetz gesagt haben - keine entsprechenden Wirkungen hat. Jetzt trägt diese Politik Früchte. Jetzt gibt es wieder Wachstum in Deutschland. Jetzt stabilisieren wir den Arbeitsmarkt. Dort werden wir weitermachen: durch Steuererleichterung, durch Steuervereinfachung, durch verantwortbare Konsolidierung. Wir werden zeigen, dass sich alles das zum Wohle der Menschen in unserem Land verantwortungsbewusst zur Deckung bringen lassen wird. Herzlichen Dank. ({26})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Nun hat der Kollege Klaus Brandner für die SPDFraktion das Wort. ({0})

Klaus Brandner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003053, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Staatssekretär Koschyk hat gerade viel erzählt, aber inhaltlich gar nichts gesagt. ({0}) Am Ende kann man ganz deutlich feststellen: Die Große Koalition hat die Schulden abgebaut. Schwarz-Gelb hat den höchsten Schuldenstand zu verantworten, den wir jemals in der Bundesrepublik Deutschland hatten. ({1}) Das ist die Ausgangssituation, über die wir uns zu unterhalten haben. Herr Koschyk, Sie haben hier erklärt, die Wachstumskräfte seien gestärkt. Sie brauchen sich doch nur einmal die Prognosen anzuschauen, die die wirtschaftswissenschaftlichen Institute für dieses Jahr, für nächstes Jahr und die Zeit danach vorlegen. Vor diesem Hintergrund ist viel Pfeifen im Walde und bisher wenig Inhalt zu verzeichnen. Mittlerweile - das kann man deutlich sagen - ist der 9. Mai immer stärker in das öffentliche Bewusstsein gerückt. In Nordrhein-Westfalen stehen Landtagswahlen an. Der Muttertag kann zu einem bedeutenden politischen Tag in Deutschland werden. Die Regierung ist hektisch geworden. In dieser Woche werden drei Regierungserklärungen abgegeben. Ich kann mich nicht daran erinnern, dass es das jemals gegeben hat. Wäre es nach Frau von der Leyen gegangen, hätten wir diese Woche sogar noch eine vierte Regierungserklärung bekommen. ({2}) Es scheint vieles nachzuholen zu sein, was man bisher versäumt hat. Kollege Dautzenberg, ich glaube, Schwarz-Gelb möchte noch einmal glänzen, insbesondere die FDP mit ihren vergifteten Wohltaten, nämlich Steuersenkungen. Bisher ist es doch so, dass die FDP, wenn irgendein Problem auftaucht, wie ein Mantra „Steuersenkungen“ fordert. ({3}) Die FDP ist im Bundestagswahlkampf mit dem Versprechen angetreten, die Steuerzahler um 35 Milliarden Euro zu entlasten. Wir haben gerade gehört, wie die Entwicklung war: Beim Koalitionsvertrag hat sich die FDP auf 24 Milliarden Euro herunterhandeln lassen, und selbst diese stehen unter Finanzierungsvorbehalt. Mittlerweile ist nur noch von 16 Milliarden Euro die Rede. Und dann tritt Herr Wissing hier auf und sagt, bei der FDP gilt: Was wir versprechen, das halten wir auch. - Nein, die FDP hat bewiesen: Sie ist die Umfallerpartei Nummer eins. Sie hat ihre Wahlversprechen nicht eingehalten, sie hat die Wähler getäuscht. Die Umfrageergebnisse, die wir zurzeit verfolgen können, zeigen, dass die FDP die Quittung dafür bekommen wird. ({4}) Die FDP sagt, dass sie ein Steuersystem will, das einfach und gerecht ist. Da haben Sie mit dem sogenannten Wachstumsbeschleunigungsgesetz und der ermäßigten Besteuerung des Beherbergungsgewerbes nun wirklich Ihr Meisterstück abgeliefert. Sie haben Komplizierungen eingeführt - von Steuervereinfachung kann keine Rede sein. Aber zurück zu der Frage: Bei wem kommen die Wohltaten an, und wer sie soll bezahlen? 40 Prozent der Bevölkerung haben nichts von einer Senkung der Einkommensteuer; denn das Einkommen dieser Leute ist so niedrig, dass sie überhaupt keine Steuern zahlen. Da müsste man den Hebel ansetzen: Man müsste zum Beispiel dafür sorgen, dass der Missbrauch bei der Leiharbeit eingeschränkt wird. Man müsste Mindestlöhne einführen, und man müsste verhindern, dass prekäre Beschäftigungsverhältnisse auch noch ausgebaut werden. Das RWI, ein unabhängiges Institut, hat gerade bestätigt, dass von den Steuersenkungen, die Sie planen, 60 Prozent bei den wohlhabendsten Bevölkerungsgruppen ankommen. Diese profitieren, nicht die Bezieher unterer und mittlerer Einkommen. Das RWI hat vorgerechnet, dass von den 16 Milliarden Euro 10 Milliarden Euro bei Haushalten mit einem zu versteuernden Einkommen von über 55 000 Euro ankommen. Fast zwei Drittel der gesamten Steuerentlastung kommen also bei den Besserverdienenden an, und das nennen Sie eine Steuerreform für die unteren und mittleren Einkommen! Das ist ungerecht, meine Damen und Herren, und es kann keiner erwarten, dass wir so etwas mitmachen. ({5}) Was Kollege Solms, unterstützt von NRW-Wahlkämpfer Pinkwart, vorgetragen hat, ist Täuschung. Bei den unteren und mittleren Einkommen kommt nämlich so gut wie gar nichts an. Wer bis 12 033 Euro verdient, würde nach den Steuerplänen der FDP im Jahr um gerade einmal 11 Euro entlastet, so das RWI. ({6}) Ich will deutlich sagen: Wer behauptet, Kollege Dautzenberg, dass die Entlastung insbesondere bei den unteren und mittleren Einkommen ankommt, hat entweder keine Ahnung, oder er redet aus Koalitionstreue der FDP etwas nach. (Leo Dautzenberg ({7}): Schauen Sie sich doch einmal die Tabellen an, was kalte Progression bedeutet! Ich habe mir niemals vorstellen können, dass eine sich sozial nennende CDU so etwas unterstützen könnte. ({8}) - Schauen Sie sich das Gutachten des RWI an! Bei der FDP dementiert keiner, dass die Verteilungswirkung der von Ihnen vorgestellten Steuerreform so ausfällt, wie ich es gerade vorgetragen habe. Meine Damen und Herren, wir müssen uns fragen: Wie soll dieser Prozess weitergehen? Ich muss feststellen: Trotz der Rekordverschuldung, die wir in Deutschland haben, beabsichtigen Sie, die Einkommensteuer um weitere 16 Milliarden Euro abzusenken. Bei den unteren Einkommen träte fast keine, bei den mittleren Einkommen nur eine spärliche, bei den oberen Einkommen aber eine erhebliche Entlastung ein. Auf das wirtschaftliche Wachstum wird das keine Wirkung haben.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Herr Kollege, denken Sie bitte an die Redezeit!

Klaus Brandner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003053, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Die Öffentlichkeit hat einen Anspruch darauf, zu erfahren, wer die Zeche zahlen soll: Das ist der Stahlarbeiter, der Rettungssanitäter, die Krankenschwester, der Busfahrer, all die, die in Wechselschicht, in Spätschicht und an Feiertagen arbeiten und dafür Zulagen bekommen, die steuerbegünstigt sind. ({0}) Im Koalitionsvertrag mit Ihnen, Herr Dautzenberg, vor fünf Jahren, haben wir geregelt, dass genau hier die Besteuerung nicht verändert wird. ({1}) Deshalb fragen wir zu Recht, wie Sie sich morgen in dieser Frage verhalten werden.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Schluss!

Klaus Brandner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003053, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Stehen Sie zu dem Wort von vor vier Jahren, oder haben Sie zwischenzeitlich - der FDP zuliebe - eine Kehrtwendung vorgenommen? Leistung soll sich lohnen, sagen Sie. Tatsächlich wollen Sie die Werbungskostenpauschale verändern ({0}) und die Steuerfreiheit der genannten Zuschläge aufheben. Dadurch werden Sie für eine ungerechte Schieflage sorgen. Das wird mit der SPD nicht zu machen sein. ({1})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Für die CDU/CSU-Fraktion hat nun der Kollege Olav Gutting das Wort. ({0})

Olav Gutting (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003544, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Wenn in diesem Land ein durchschnittlicher Arbeitnehmer mit einem monatlichen Verdienst von 3 100 Euro Brutto von jedem zusätzlich verdienten Euro nur noch 42 Prozent übrig hat, dann ist das, darüber sind wir uns in der Regierungskoalition einig, ungerecht und leistungsfeindlich. ({0}) Wir sind uns in der Koalition auch einig darüber, dass wir für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in diesem Land mehr Netto vom Brutto wollen. Wir wollen den Mittelstandsbauch und die kalte Progression im Einkommensteuertarif abschaffen, weil die leistungsbereite Mitte dadurch übermäßig belastet wird. Wir haben in dieser Koalition ebenfalls Einigkeit darüber, dass unser gesamtes Einkommensteuerrecht durch das Bemühen um Einzelfallgerechtigkeit und durch den Versuch bzw. Missbrauch, immer wieder Lenkungseffekte im Einkommensteuerrecht zu erfinden, über Jahrzehnte hinweg eine Komplexität entwickelt hat, die viele in diesem Land zu Recht als unerträglich empfinden. ({1}) Ein unverständliches Steuerrecht ist eben ein ungerechtes Steuerrecht. Das Zusammenwirken eines komplizierten Steuersystems mit leistungsfeindlichen Besteuerungsmerkmalen ist ein Grund dafür - ein Grund, nicht der einzige -, dass die Schwarzarbeit in Deutschland ein Umsatzvolumen von geschätzten 360 Milliarden Euro hat. Wenn es mit einem leistungsgerechteren und einfacheren Steuerrecht gelänge, nur 10 Prozent von dieser Schwarzarbeit wieder in den legalen Bereich zurückzuführen, dann wären alleine das schon Mehreinnahmen bei den Steuern und Sozialabgaben in Höhe von 16 Milliarden Euro. ({2}) Bei den im Raum stehenden Zahlen, die wir hier diskutieren, lohnt es sich auch immer wieder einmal, an den 1. Januar dieses Jahres zu erinnern; denn wir haben die Bürgerinnen und Bürger in diesem Land bereits zum 1. Januar dieses Jahres mit weit über 20 Milliarden Euro entlastet. Über 10 Milliarden Euro davon haben wir übrigens mit Ihnen von der SPD beschlossen, und das trotz einer schwierigen Finanzlage. Ich muss auch noch einmal darauf hinweisen, dass die christlich-liberale Koalition ebenfalls mit Wirkung vom 1. Januar dieses Jahres an fast 5 Milliarden Euro zusätzlich für die Familien bereitgestellt hat: ({3}) mit der Erhöhung des Kindergeldes und der Erhöhung des Kinderfreibetrages. Das bedeutet die im Wahlkampf versprochene Stärkung der Keimzelle unserer Gesellschaft, das bedeutet die Stärkung der Leistungsträger unserer Gesellschaft. ({4}) Wir stärken damit die Kaufkraft der Bürgerinnen und Bürger in diesem Land. Im Übrigen: Dazu hat Frau Kraft, die Vorsitzende der SPD in Nordrhein-Westfalen, wortwörtlich gesagt, das wäre eine unsägliche Steuersenkungspolitik. ({5}) Wir sind uns in der Regierungskoalition jedenfalls darüber einig, dass wir in den nächsten Jahren eine große Konsolidierungsaufgabe vor uns haben. Die Schuldenbremse, im Grundgesetz vereinbart, gibt uns vor, ab 2016 quasi keine neuen Schulden mehr zu machen. Es ist im Übrigen nicht nur der Schuldenbremse geschuldet, sondern es ist auch eine Selbstverständlichkeit und eine Frage der Generationengerechtigkeit und der Nachhaltigkeit, dass wir in den nächsten Jahren einen ausgeglichenen Haushalt schaffen. ({6}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, das kann aber doch keine Rechtfertigung dafür sein, dass wir in den steuerpolitischen Stillstand übergehen. ({7}) Die Konsolidierung der Haushalte ist ein Projekt für mehr als eine Legislaturperiode. Niemand erwartet oder verlangt von uns, dass wir schon zu Weihnachten in diesem Jahr einen ausgeglichenen Haushalt haben. Bewusst haben wir auch die Schuldenbremse so vereinbart und im Grundgesetz angelegt, dass sich ihre volle Bremswirkung über ein Jahrzehnt hinweg aufbaut. ({8}) Niemand in diesem Haus behauptet, man könnte bereits in diesem Jahr die Steuern um weitere 16 Milliarden Euro senken und dies noch im selben Jahr durch höheres Wachstum ausgleichen. Wir sind uns in der Regierungskoalition einig: Die Aufgabe der Glättung des Einkommensteuertarifs, des Ausstiegs aus der kalten Progression und der Vereinfachung des Einkommensteuerrechts ist lösbar, aber sie braucht Zeit. Steuerentlastungen gehören in ein haushaltspolitisches Gesamtkonzept. ({9}) Ich darf abschließend festhalten: Wir sind uns einig, dass sich dieses Gesamtkonzept erst nach Vorlage der Zahlen der nächsten Steuerschätzung fundiert entwickeln lässt. ({10})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege Klaus-Peter Flosbach für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Klaus Peter Flosbach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003528, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Heute wird deutlich, was Müntefering immer gesagt hat: Opposition ist Mist. Ich kann verstehen, dass Sie mit einem Koalitionsvertrag Schwierigkeiten haben, ({0}) an dem Sie erstmals nach elf Jahren nicht beteiligt waren. Wir aber haben im Koalitionsvertrag gesagt, was wir tun, und jetzt tun wir, was wir gesagt haben. ({1}) Wir haben in diesem Jahr voraussichtlich Steuereinnahmen in Höhe von 510 Milliarden Euro. Im Jahr 2012 werden es voraussichtlich 552 Milliarden Euro und 2013 575 Milliarden Euro sein. Das sind also 63 Milliarden Euro mehr als nach der alten Steuerschätzung vom Ende des letzten Jahres. Selbstverständlich prüfen wir jetzt erst einmal genau: Wo können wir das Steuersystem vereinfachen, und wann setzen wir die Entlastung in Höhe von 16 Milliarden Euro um?. Wir sind schließlich in der größten Krise seit 60 Jahren. Das hat auch die Opposition nie bestritten. Deswegen und weil wir bis zum Jahr 2016 die vereinbarte Schuldengrenze einhalten wollen, müssen wir Zug um Zug vorgehen. Wir brauchen aber finanziellen Spielraum, der die Voraussetzung für Wachstum, Konsum und Investitionen ist. Das ist die Voraussetzung für alles. ({2}) Über die SPD bin ich sehr stark verwundert. Herr Binding hat das Bürgerentlastungsgesetz angesprochen. In der Tat haben wir damit eine Entlastung in Höhe von 14 Milliarden Euro auf den Weg gebracht. ({3}) In den Reden der SPD-Redner zu diesem Thema - wir haben gerade Mitte des letzten Jahres darüber diskutiert ist im Protokoll das Wort „konjunkturfördernd“ zu lesen. Das Vorhaben wurde als gezielt und angemessen bezeichnet. Wir haben in unserer Koalition mit unserem ersten Gesetz das Kindergeld erhöht und die Sanierung von Unternehmen erleichtert, um Arbeitsplätze zu retten. Das ist offensichtlich nicht mehr angemessen. Das Einzige, das nicht angemessen ist, ist, dass Sie dagegengestimmt haben, und damit gegen die Sicherung von Arbeitsplätzen und die Erhöhung des Kindergeldes. ({4}) Wir haben im Koalitionsvertrag deutlich formuliert, was wir wollen: Wir wollen die Entlastung der kleinen und mittleren Einkommen. Die Entlastung der Leistungsträger ist wichtig für die Zukunft unseres Steuersystems. ({5}) Herr Poß hat eben deutlich gemacht, dass er gar nicht genau weiß, wann die Entlastung erfolgt und wie einzelne Beispiele dazu aussehen. Er kennt also offensichtlich die Beispiele nicht. Bei einem zu versteuernden Einkommen von 25 000 Euro erreicht eine Einzelperson bei den Sozialabgaben eine Abgabenquote von 50 Prozent. Das sind also 50 Cent pro Euro. Bei einem Gehaltszuwachs von 100 Euro werden 50 Euro abgezogen. Bei einem zu versteuernden Einkommen von 35 000 Euro sind es bereits 56 Prozent. Bitte sagen Sie das dem Kollegen Poß, damit er als finanzpolitischer Sprecher Ihrer Fraktion das auch weiß. ({6}) Wir wollen eine echte Entlastung. Das ist etwas anderes, als Rot und Grün mit ihren Steuergesetzen 1998 auf den Weg gebracht haben. ({7}) - Sehr gut, dass Sie das ansprechen, Frau Hendricks. Sie waren damals Staatssekretärin, und Sie sind noch heute stolz darauf, dass Sie den Spitzensteuersatz von 53 Prozent auf 42 Prozent gesenkt haben. Aber hat es denn Steuerentlastungen gegeben? Mitnichten. Es hat keine Steuerentlastung gegeben, weil gleichzeitig die Bemessungsgrundlage verbreitert wurde. ({8}) Der Mittelstand hat dies immer als Giftliste für ihn bezeichnet. Das war etwas anderes als das, was wir machen. Wir entlasten die Bürgerinnen und Bürger wirklich. ({9}) Das Stärkste ist das gewesen, was Sie, Herr Schick, angesprochen haben, als Sie sich als Anwalt der Kommunen aufgespielt haben. ({10}) Das war wirklich ein starkes Stück. Die Kommunalfinanzen - das sage ich einmal als Kommunalpolitiker sind eines der wichtigsten Themen, denen wir uns jetzt stellen müssen. Dies tun wir in dieser Koalition auch. Wir haben jetzt eine Kommission eingesetzt, die nicht nur die Einnahmen, sondern auch die Ausgaben prüft. Wir alle haben es in den Kommunen erlebt, dass die Gewerbesteuer als zentrale Einnahmeposition nicht die richtige Steuer ist. Wir müssen an dieses Thema heran, damit die Kommunen stabile Einnahmen haben. ({11}) - Herr Scheelen, die Kommunalpolitiker der SPD und der Grünen müssten ja rote Ohren, rot-grüne Ohren, kriegen, wenn sie an die Themen denken, die Sie umgesetzt haben. Eines der ersten Themen war, als Sie von Rot-Grün an der Regierung waren, die Erhöhung der Gewerbesteuer, die zum Schluss nahezu 30 Prozent betragen hat. ({12}) Das stärkste Stück aber war Ihr letzter rot-grüner Akt. Im Jahre 2005, kurz vor den Bundestagswahlen, wollten Sie den Kommunen den Beitrag zu den Kosten der Unterkunft streichen. Ihr Minister hat damals den Vorschlag gemacht, den Satz für die Kommunen auf null zu senken. Das war eine Enteignung der Kommunen; denn hier ging es um Milliardenbeträge. Spielen Sie sich heute nicht als Vertreter der Kommunen auf! ({13}) Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, wir arbeiten den Koalitionsvertrag Zug um Zug ab. Das Steuerrecht ist undurchsichtig, unvernünftig und ungerecht. Wir gehen an diese unendliche Geschichte heran, wir vereinfachen und entlasten. Wir brauchen Stabilität; aber wir brauchen auch Freiraum für Investitionen. Vielen Dank. ({14})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Damit ist die Aktuelle Stunde beendet. Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 2 auf: Fragestunde - Drucksachen 17/1388, 17/1402 Zu Beginn der Fragestunde kommen wir gemäß Nr. 10 Abs. 2 der Richtlinien für die Fragestunde zunächst zu den dringlichen Fragen auf Drucksache 17/1402. Sie betreffen den Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Finanzen. Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt Für die Beantwortung der Fragen steht Herr Parlamentarischer Staatssekretär Steffen Kampeter zur Verfügung. Es geht bei diesen dringlichen Fragen um die Pläne der Bundesregierung zur Ausgestaltung der Hilfen für Griechenland und mögliche Konsequenzen für den Bundeshaushalt. Ich rufe zunächst die dringliche Frage 1 des Kollegen Volker Beck auf: Wie stellt sich die Bundesregierung zu den Äußerungen vom Bundesminister der Finanzen, Dr. Wolfgang Schäuble, im Spiegel vom 19. April 2010, einen im Rahmen des Rettungspakets für Griechenland zu gewährenden Milliardenkredit nicht im Bundeshaushalt über einen Nachtragshaushalt aufzuführen, und auf Grundlage welcher Bestimmungen im Haushaltsrecht sieht sie sich zu einer solchen Vorgehensweise berechtigt? Herr Staatssekretär, bitte.

Steffen Kampeter (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001062

Frau Präsidentin! Die Antwort auf Ihre Frage, lieber Herr Kollege Beck, lautet wie folgt: In der Bundesrepublik Deutschland ist vorgesehen, dass im Bedarfsfall die Kreditanstalt für Wiederaufbau im Rahmen eines Zuweisungsgeschäfts für den Bund tätig wird und Kredite für Griechenland vergibt. Die Kreditanstalt für Wiederaufbau würde für ihre Beteiligung am Hilfsprogramm für Griechenland eine Gewährleistung des Bundes benötigen, soweit es zu einem solchen Programm kommt. Die Übernahme von Gewährleistungen erfordert nach Art. 115 Abs. 1 des Grundgesetzes eine der Höhe nach bestimmbare oder bestimmte Ermächtigung durch ein vom Deutschen Bundestag formell beschlossenes Gesetz. Nach Auffassung der Bundesregierung ist die Schaffung eines expliziten eigenen Ermächtigungstatbestands zur Absicherung von Krediten geboten. In der Regel sind Gewährleistungsermächtigungen im Haushaltsgesetz enthalten; das ist zutreffend. Dies ist aber nicht zwingend, wie etwa ein Blick auf die vergleichbaren Ermächtigungen in § 6 des Finanzmarktstabilisierungsfondsgesetzes zeigt. Art. 115 Abs. 1 des Grundgesetzes erfordert ein formelles Bundesgesetz, aber kein spezielles Haushaltsgesetz.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Ihre Nachfrage, bitte.

Volker Beck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002625, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Die Frage wurde gestern formuliert und eingereicht. Mittlerweile gibt es die widersprüchlichsten Agenturmeldungen über die Haltung der Koalition zu dieser Frage. Offensichtlich hat der Bundesfinanzminister gestern bei der Union vorgesprochen und wollte ein Gesetz an das Gesetz zur Abschaffung des Finanzplanungsrates, das wir morgen im Plenum behandeln werden, ankoppeln. Damit ist er abgeblitzt. Können Sie mir jetzt sagen, in welcher Form und wann die Bundesregierung dem Deutschen Bundestag die rechtlichen Grundlagen vorlegen wird, um die entsprechenden Gewährleistungen und Kreditzusagen an Griechenland auf den Weg zu bringen?

Steffen Kampeter (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001062

Herr Kollege Beck, zuerst einmal will ich darauf hinweisen, dass der Bundesminister der Finanzen heute in drei Parlamentsausschüssen Rede und Antwort zu den Details der Überlegungen der Bundesregierung in der Causa Griechenland gestanden hat. Er hat heute Vormittag im Finanzausschuss begonnen, er war im Anschluss daran im Haushaltsausschuss, und er dürfte in diesen Minuten im Europaausschuss Stellung nehmen. Die Beratungen haben sich unter anderem auf die von Ihnen erwähnten Pressemeldungen kapriziert. Ich kann Ihnen bestätigen, dass wir im Bundesfinanzministerium überlegt haben, ob es sinnvoll und richtig ist, auch zur Wahrung von zeitlichen Abläufen, ein Gesetzgebungsverfahren, das sich im parlamentarischen Bereich befindet und für das der Haushaltsausschuss, der für die Griechenlandhilfe zuständig ist, die Federführung hat, aufzuhalten und für den möglicherweise in den nächsten Wochen eintretenden Fall einer griechischen Hilfsanfrage und einer Freischaltung durch den Europäischen Rat auf dieses Gesetzgebungsverfahren aufzusetzen. Ich kann Ihnen darüber hinaus bestätigen, dass wir diese Überlegung nicht mehr weiterverfolgen, weil insbesondere im parlamentarischen Bereich gemeinsam mit dem Bundesfinanzminister entschieden worden ist, dass wir wegen der Grundsätzlichkeit des Anliegens nicht auf ein bestehendes, im parlamentarischen Verfahren befindliches Gesetzgebungsverfahren aufsetzen, sondern ein gesondertes, isoliertes Gesetzgebungsverfahren einleiten werden, für das die Bundesregierung gegebenenfalls, falls es erforderlich ist, den Koalitionsfraktionen per Beschluss im Bundeskabinett oder anders formalisiert einen Formulierungsvorschlag unterbreiten würde.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Herr Kollege Beck, haben Sie eine weitere Nachfrage?

Volker Beck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002625, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ja. - Eigentlich habe ich die gleiche Frage noch einmal, weil sie im Kern nicht beantwortet ist. Ich habe gefragt: Wann wird die Bundesregierung in welcher Form dem Deutschen Bundestag eine Initiative vorlegen oder den Koalitionsfraktionen eine Formulierungshilfe an die Hand geben, damit wir wissen, wann wir hier darüber beraten müssen? Es mag sein, dass der Bundesfinanzminister das in den Ausschüssen gesagt hat. Wir haben aber hier im Deutschen Bundestag die Möglichkeit, Sie als Bundesregierung zu befragen. Sie müssen dann hier nicht als Ministerium, sondern als Regierung antworten. Gleichzeitig gilt, anders als in den Ausschüssen, im Plenum das Öffentlichkeitsprinzip. Deshalb wäre es schön, wenn Sie uns vor der deutschen Öffentlichkeit diese Frage beantworten könnten.

Steffen Kampeter (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001062

Herr Kollege Beck, es ist mir selbstverständlich eine Freude, diese Nachfrage zu beantworten. Der erste Teil bezog sich auf das Wann. Die Frage nach dem Wann kann ich Ihnen nicht beantworten, wenn Sie heute ein konkretes Datum erfragen. Ich kann Ihnen aber prinzipiell erläutern, welche Vorgehensweise zur Auslösung einer solchen gesetzlichen Initiative führen würde. Wir als Bundesregierung gehen davon aus, dass wir keine gesetzgeberischen Aktivitäten unternehmen sollten, bevor die Griechen nicht einen Antrag auf Hilfe gestellt haben. Ein solcher Antrag liegt zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht vor. Was zum gegenwärtigen Zeitpunkt verbindlich erklärt werden kann, ist, dass - nach Flugverzögerungen durch die Aschewolke - heute eine IWF-Mission in Griechenland eingetroffen ist. Nach Abschluss dieser Mission werden wir ein entsprechendes prozedurales Vorgehen erkennen können, beispielsweise ob Griechenland überhaupt einen Antrag stellt. Dazu werden dann die zuständigen Stellen, beispielsweise die Europäische Kommission oder die Europäische Zentralbank, optieren. Dann ist vorgesehen - das ist Bestandteil der technischen Einigung auf der Ebene der Finanzminister der Euro-Zone -, dass ein Europäischer Rat über die mögliche Gewährung von Hilfen für Griechenland entscheidet. In diesem Kontext muss eine parlamentarische Ermächtigungsgrundlage in dem von mir hier beschriebenen Rahmen geschaffen werden. Sie haben auch nach der Form gefragt. Es wird ein isoliertes Gesetzgebungsverfahren sein, durch das der Größenordnung nach bestimmbare oder bestimmte Garantieoptionen beschrieben sind, die für eine mögliche, derzeit noch nicht beschlossene Griechenlandhilfe gewährt werden könnten.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Herr Kollege Dr. Schick.

Dr. Gerhard Schick (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003837, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Staatssekretär, ich habe zwei Teilfragen. Meine erste Teilfrage bezieht sich auf das Verfahren. Kann man, wenn man das von Ihnen avisierte Verfahren wählt, sicherstellen, dass man ausreichend Zeit zur Beratung hat, oder gibt es ein Kurzverfahren, in dem man kaum die Zeit hat, sich die Details anzuschauen? Über diese Details kann uns die Bundesregierung heute noch nicht viel sagen. Deshalb würde manches dafürsprechen, das parlamentarische Verfahren zwar vor einer konkreten Anfrage, aber nachdem die Rahmenbedingungen in der Europäischen Union verhandelt sind, durchzuführen. Meine zweite Teilfrage bezieht sich auf einen inhaltlichen Punkt. Ist es ein zentrales Anliegen der Bundesregierung, bei den Verhandlungen zu den Griechenlandhilfen sicherzustellen, dass ein staatlicher Kredit Deutschlands an Griechenland vom Rang her vor einem Kredit privater Gläubiger liegt, oder ist das nicht ein zentrales Anliegen der Bundesregierung?

Steffen Kampeter (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001062

Ihre erste Frage bezieht sich auf die parlamentarischen Mitwirkungsrechte. Der Bundesfinanzminister hat heute für die Bundesregierung vor den Ausschüssen noch einmal deutlich gemacht, dass wir für den Fall eines griechischen Hilfebegehrens eine rasche parlamentarische Beratung unter umfassender Gewährung von parlamentarischen Mitwirkungsrechten anstreben. „Rasch“ heißt in diesem Kontext, dass wir das nicht über Monate beraten wollen. „Umfassende Gewährung von parlamentarischen Mitwirkungsrechten“ heißt, dass wir Ihnen selbstverständlich in jeder Form über den materiellen Gehalt der bis dahin getroffenen Vereinbarungen gerne Auskunft geben wollen. Wir als Bundesregierung lassen aber keinen Zweifel daran, dass wir für den Fall eines griechischen Hilfsbegehrens rasch zu Entscheidungen im parlamentarischen Bereich kommen wollen. Wir haben die Leistungsfähigkeit des deutschen Parlamentarismus auch im Zusammenhang mit dem gerade von mir angesprochenen Finanzmarktstabilisierungsfondsgesetz nachgewiesen. ({0}) Ihre zweite Frage bezog sich auf eine Festlegung der Bundesregierung innerhalb von Rangfragen. Soweit mir bekannt ist, hat der Bundesfinanzminister dazu im Finanzausschuss wie im Haushaltsausschuss festgestellt, dazu gebe es noch keinerlei Festlegungen. Ich will Ihnen versichern, dass wir im Rahmen eines möglichen gepoolten Kredits alles daransetzen werden, um sowohl die Eigeninitiative und Eigenverantwortung Griechenlands zu stärken als auch die Interessen der deutschen Steuerzahlerinnen und Steuerzahler umfassend zu wahren.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Herr Kollege Zöllmer.

Manfred Zöllmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003663, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Der Finanzausschuss hatte heute ein Gespräch mit dem Bundesfinanzminister, auch zu diesem Thema. Der Minister hat deutlich gemacht, dass die Obergrenze für eine mögliche Griechenlandhilfe im ersten Jahr bei insgesamt 30 Milliarden Euro liegt, was Deutschland angeht, bei 8,4 Milliarden Euro. Wir erleben also vielleicht, dass aus Deutschland Geld nach Griechenland fließt, obwohl die Bundeskanzlerin die ganze Zeit einen völlig anderen Eindruck in der Öffentlichkeit erweckt hat. Meine Frage teilt sich in zwei Punkte: Wenn, was Deutschland angeht, die Obergrenze für eine mögliche Griechenlandhilfe bei 8,4 Milliarden Euro liegt, wie sieht es dann in einem Worst-Case-Szenario für die folgenden Jahre aus? Welche Risiken kommen auf den Haushalt der Bundesrepublik Deutschland zu? Eine Ergänzungsfrage: Sehen Sie dieses Modell auch als Muster für den Umgang mit den anderen Ländern an, denen möglicherweise ähnliche Schwierigkeiten wie Griechenland drohen?

Steffen Kampeter (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001062

Herr Kollege Zöllmer, mit Respekt: Durch einen Großteil Ihrer Frage wird die Bundesregierung zu Spe3424 kulationen aufgefordert. Die Bundesregierung ist durch das Parlament beauftragt, bestimmte Handlungen durchzuführen; sie ist nicht beauftragt, sich an Spekulationen zu beteiligen. Wenn Sie sozusagen eine nichtspekulative Nachfrage stellen, ist die Präsidentin sicherlich bereit, mir die Möglichkeit zu geben, dann auch präzise zu antworten. Aber so verlangen Sie von mir Spekulationen über zukünftige Entwicklungen. Solche Spekulationen anzustellen, ist nicht Aufgabe der Bundesregierung. ({0}) - Dazu will ich dann Folgendes sagen: Was die zukünftige institutionelle Fortentwicklung der Europäischen Union, des Rechtsrahmens des Stabilitätspakts und des europäischen Währungsverbundes angeht, sind für die Bundesregierung durch den Bundesfinanzminister in einem Namensbeitrag Vorschläge unterbreitet worden. Deren Kern ist ein abgestufter Sanktionsmechanismus für potenzielle zukünftige Sünder unter dem Stichwort „Europäischer Währungsfonds“. Dies ist von manchen Beteiligten im ersten Schritt als eine Transferunion missverstanden worden. Im Kern geht es aber um einen Sanktionsmechanismus, der Anreize zu wirtschaftlich vernünftigem Verhalten in der Budgetpolitik bieten soll, der aber darüber hinaus den Spekulanten das Signal geben soll: Wir sind nicht einfach bereit, im Rahmen einer staatlichen Garantie jede Form der Spekulation gegen ein Land zu akzeptieren. Auf dem letzten europäischen Treffen ist eine Arbeitsgruppe zur institutionellen Fortentwicklung dieses europäischen Rechtsrahmens eingesetzt worden. Die Bundesregierung hat entschieden, dort nicht auf Beamtenebene, sondern durch den Bundesfinanzminister in persona vertreten zu sein. Wir wollen dadurch deutlich machen, wie wichtig uns dieses Anliegen ist. In diesem Kontext wollen wir die jetzt gefundenen Verfahren für Griechenland als Einzelfallverfahren interpretieren. Perspektivisch - perspektivisch! - strebt die Bundesregierung an, zu anderen Ergebnissen zu kommen. Zum ersten Teil Ihrer Spekulationen will ich ein paar Hinweise geben. Wir gehen davon aus, dass sowohl die jetzt getroffenen Maßnahmen der griechischen Regierung wie auch das klare Signal innerhalb der Euro-Zone zu einer Stabilisierung der Märkte beitragen werden. Die griechische Regierung hat ja Maßnahmen verkündet, die, übertragen auf die Bundesrepublik Deutschland, sicherlich zu breiten gesellschaftlichen Diskussionen führen würden. Die Glaubwürdigkeit dieser Maßnahmen gilt es in den nächsten Wochen und Monaten von griechischer Seite zu unterstützen. Wir flankieren diesen Prozess durch eine mögliche Entscheidung der europäischen Staats- und Regierungschefs. Von daher glaube ich, dass alle Spekulationen über größere Beträge, die derzeit hier angestellt werden, durch das Wirksamwerden sowohl der griechischen wie auch der europäischen Maßnahmen gegenstandslos sind.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Wir kommen nun zur dringlichen Frage 2 der Kollegin Priska Hinz: Wie soll das vom Bundesminister der Finanzen, Dr. Wolfgang Schäuble, im Spiegel vom 19. April 2010 angekündigte Bundesgesetz, das die Kredite der Kreditanstalt für Wiederaufbau Bankengruppe, KfW, und die dafür ausgesprochenen Garantien der Bundesregierung begleiten soll, ausgestaltet werden, und warum werden die darin enthaltenen finanziellen Verpflichtungen für die Bundesregierung, die laut Vereinbarungen der EU-Finanzminister vom 10./11. April 2010 nach dem jederzeit möglichen Antrag Griechenlands sofort fällig werden würden, nicht in den Bundeshaushalt in Form eines Nachtragshaushalts einbezogen? Gleichzeitig rufe ich die dringliche Frage 3 der Kollegin Priska Hinz zum selben Themenkreis auf: Wie beurteilt die Bundesregierung das finanzielle Risiko, das durch die im Zuge der Vereinbarungen der EU-Finanzminister vom 10./11. April 2010 nach einem entsprechenden Antrag Griechenlands sofort fällig werdende Bundesgarantie für Kredite der KfW für den Bundeshaushalt entstehen könnte ({0}), und mit welchen Maßnahmen plant die Bundesregierung auf diese Risiken zu reagieren?

Steffen Kampeter (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001062

Sehr geehrte Frau Kollegin Hinz, Ihre Fragen möchte ich wie folgt beantworten: Die Bundesregierung beabsichtigt, vor einer gesetzgeberischen Initiative erst die Fertigstellung des IWFProgramms abzuwarten und vor Aktivierung die notwendige Bewertung der Finanzstabilität in der EuroZone und des Kapitalmarktzugangs Griechenlands durch die EU-Kommission und die EZB einzubeziehen. Bei Bedarf wird ein passender Ermächtigungstatbestand zur Absicherung von Garantien der Kreditanstalt für Wiederaufbau dem Deutschen Bundestag sehr kurzfristig in Gesetzesform zur Entscheidung vorgelegt. Darüber hinaus wird der Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestages vor der tatsächlichen Übernahme der Gewährleistung entsprechend den üblichen Verfahren unterrichtet. In Deutschland ist vorgesehen, dass im Bedarfsfall die Kreditanstalt für Wiederaufbau im Rahmen eines sogenannten Zuweisungsgeschäfts für den Bund tätig wird und mögliche Kredite für Griechenland vergibt. Die Kreditanstalt für Wiederaufbau würde für ihre Beteiligung am Hilfsprogramm für Griechenland eine Gewährleistung des Bundes benötigen. Die Übernahme von Gewährleistungen erfordert nach Art. 115 Abs. 1 unseres Grundgesetzes eine der Höhe nach bestimmte oder bestimmbare Ermächtigung durch ein vom Deutschen Bundestag formell beschlossenes Gesetz. Nach Auffassung der Bundesregierung ist vorliegend die Schaffung eines expliziten eigenen Ermächtigungstatbestands zur Absicherung von Krediten geboten. In der Regel - das hatte ich schon vorhin ausgeführt - hat der Gesetzgeber das bisher im Rahmen des Haushaltsgesetzes gemacht. Aber wie das Finanzmarktstabilisierungsfondsgesetz zeigt, reicht hierzu ein formelles Bundesgesetz aus. Die Bundesregierung schätzt das Ausfallrisiko einer eventuellen Garantie für Darlehen der Kreditanstalt für Wiederaufbau als gering ein.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Frau Kollegin, haben Sie eine Nachfrage? - Bitte.

Priska Hinz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003769, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Kollege Kampeter, ich möchte trotz Ihrer Antwort gerne von Ihnen wissen, warum sich die Bundesregierung gegen ein Nachtragshaushaltsgesetz entscheiden will. Ich habe Ihren Worten entnommen, dass das so ist. Für den möglichen Fall, dass der Bund einspringen muss - es geht ja um viel Geld -, gibt es einen Ermächtigungsrahmen im Bundeshaushaltsgesetz. Ich frage Sie daher, warum die Bundesregierung meint, hierbei auf einen Nachtragshaushalt verzichten zu können. Da Sie vorhin mitgeteilt haben, dass der Bundesgesetzgeber nichtsdestotrotz umfänglich in ein solches Gesetzgebungsverfahren eingebunden wird, möchte ich Sie ferner fragen: Können Sie mir mitteilen, ob die Bundesregierung plant, dieses Gesetz in einem Eilverfahren oder im Rahmen des üblichen Gesetzgebungsverfahrens durch den Bundestag zu bringen?

Steffen Kampeter (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001062

Frau Kollegin Hinz, wir glauben, dass der übliche Gewährleistungsrahmen im Haushaltsgesetz keine einschlägige und verfassungsrechtlich abgesicherte Grundlage für den Sonderfall einer möglichen Hilfe innerhalb der Euro-Zone ist. Deswegen werden wir zur Sicherstellung der Transparenz des Entscheidungsprozesses mit Blick auf ein gesondertes Gesetz die Abwägungsgründe ausführlich darlegen und erläutern, warum wir glauben, dass diese gesetzliche Ermächtigungsnorm sowohl in der Sache zweckdienlich ist wie auch die parlamentarischen Mitwirkungsrechte umfassend gewährleistet. Da wir uns für diesen Weg entschieden haben, erschien uns die Entscheidung für eine rechtliche Alternative - in welcher Form auch immer - entbehrlich. Frau Kollegin Hinz, Ihre zweite Frage nach einem möglichen Eilverfahren könnte dahin gehend missgedeutet werden, dass wir in irgendeiner Form die parlamentarischen Mitwirkungsrechte nicht umfassend gewährleisten wollen. Diesem Eindruck würde ich namens der Bundesregierung entgegentreten wollen. Ich will allerdings keinen Zweifel daran lassen, dass wir für den Fall eines griechischen Hilfsantrags, den wir nicht anstreben, eine rasche parlamentarische Beratung, gegebenenfalls verbunden mit der Bitte um Fristverzicht, anstreben. Uns schiene das im Hinblick auf die außenpolitische Wirksamkeit unseres Vorgehens geboten zu sein. Ein sogenanntes Eilverfahren sieht, glaube ich, die Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages explizit nicht vor.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Ihre weitere Nachfrage.

Priska Hinz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003769, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Danke, Herr Kampeter. - Sie haben mich schon sehr gut verstanden. Das wollen wir doch einmal festhalten.

Steffen Kampeter (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001062

Frau Kollegin Hinz, bisher hatten wir keine Verständigungsprobleme. Das bestätige ich nachdrücklich für die Bundesregierung.

Priska Hinz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003769, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Danke schön. - Trotzdem meine Nachfrage: Da Sie sich schon jetzt für einen bestimmten Weg entschieden haben, da Sie wissen, dass die KfW das Programm abwickeln soll, und da es gleichzeitig eine Verfassungsgerichtsentscheidung zum Lissabon-Vertrag gibt, in der dem Bundestag umfängliche parlamentarische Beratungsrechte zugesichert wurden, frage ich Sie, warum Sie nicht bereits jetzt das Gesetzgebungsverfahren eingeleitet haben, damit der Bundestag nicht am Ende mit verkürzten Fristen und unter Umgehung des Haushaltsrechtes Entscheidungen treffen muss. Sie hätten ja bereits ab dem 14. März 2010, nachdem die Regierungschefs entschieden hatten, mit der Erarbeitung eines Nachtragshaushalts beginnen können und hätten uns jetzt einen solchen Nachtragshaushalt vorlegen können, der dann ordnungsgemäß hätte behandelt werden können. Meine Frage lautet also: Wann beginnen Sie endlich mit dem Gesetzgebungsverfahren, damit wir eine ordentliche parlamentarische Beratung zu einem Nachtragshaushaltsplan durchführen können?

Steffen Kampeter (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001062

Frau Kollegin Hinz, entgegen meiner vorhin geäußerten Vermutung, dass wir keinerlei Verständigungsprobleme haben, scheint sich die Bewertung der Sachlage jetzt etwas anders darzustellen. Ich hoffte, Ihnen eigentlich verständlich gemacht zu haben, warum wir nach Abwägung von durchaus möglichen und von Ihnen teilweise beschriebenen rechtlichen Alternativen den von mir dargelegten Weg eines isolierten, nach dem Grundgesetz möglichen und die parlamentarischen Mitwirkungsrechte umfassend sichernden Einzelgesetzesverfahrens gewählt haben. Insgesamt war bei diesem Abwägungsprozess natürlich auch wichtig, dass wir im Interesse der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler nicht frühzeitig ein Signal zur Konditionalität einer möglichen deutschen Beteiligung an freiwilligen bilateralen, gegebenenfalls europäisch gepoolten Hilfen geben. Ein solches frühzeitiges Signal hätte von der griechischen Seite missverstanden werden können und hätte dazu führen können, dass sie in ihren Bemühungen um eine eigenverantwortliche Lösung der griechischen Finanzprobleme ein Stück weit nachlässt. Infolge der zeitlichen Abläufe, infolgedessen, dass wir nicht frühzeitig eine gesetzliche Grundlage geschaffen haben, hat die griechische Regierung in Abstimmung mit der Europäischen Kommission, aber auch in Abstimmung mit den Finanzministern innerhalb der Euro-Zone und des Ecofin zusätzliche, die Glaubwürdigkeit der griechischen Konsolidierungsanstrengungen untermauernde gesetzgeberische Maßnahmen ergriffen, sodass diese von der Bundesregierung gewählte Strategie die Interessen der deutschen Steuerzahlerinnen und Steuerzahler nachdrücklich besser gewahrt hat als alle Alternativen im Hinblick auf frühzeitige gesetzliche Ermächtigungsgrundlagen.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Die dringliche Frage 3 wurde schon vorhin vom Staatssekretär mitbeantwortet. Sie haben keine Zusatzfrage dazu. Nach den dringlichen Fragen rufe ich jetzt zum selben Fragenkreis die Fragen 48 bis 50 aus dem Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Finanzen, Drucksache 17/1388, auf, da diese nach Nr. 10 Abs. 2 der Richtlinien für die Fragestunde vorgezogen werden. Ich rufe die Frage 48 des Kollegen Dr. Gerhard Schick auf: Gab es seit Anfang des Jahres 2010 ein Angebot einer oder mehrerer privater Banken oder einer Gruppe von Gläubigern griechischer Staatsanleihen an die Bundesregierung, beim sogenannten Roll-over von fällig werdenden Griechenland-Anleihen zu helfen, und, falls ja, aus welchen Gründen ist die Bundesregierung auf das Angebot nicht eingegangen? Herr Staatssekretär, bitte.

Steffen Kampeter (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001062

Die Antwort auf die von Ihnen gestellte Frage lautet: Die Bundesregierung hat zu keinem Zeitpunkt erwogen, eine eventuelle Finanzhilfe für Griechenland durch private Banken durchführen zu lassen. ({0})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Ihre Nachfrage.

Dr. Gerhard Schick (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003837, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Meine Frage ist damit nicht wirklich beantwortet, wie Sie, Herr Kampeter, leicht selber feststellen können, wenn Sie das überdenken. Ich hatte gefragt, ob sich jemand vonseiten privater Gläubiger an die Bundesregierung gewandt hat. Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie diese Frage beantworten würden. Sie können gerne auch die Frage beantworten, ob sich die Bundesregierung in irgendeiner Form in Richtung privater Gläubiger initiativ gezeigt hat. Es gibt nämlich seit 2004 eine Vereinbarung in Bezug auf Schwellenländer, in der sich die internationalen Großbanken bereit erklärt haben, in solchen Fällen eine Umschuldung vorzunehmen. Eine Umschuldung unter Beteiligung privater Gläubiger hätte vielleicht die Einbeziehung deutscher Steuerzahler überflüssig oder zumindest weniger wahrscheinlich gemacht.

Steffen Kampeter (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001062

Herr Kollege Dr. Schick, zunächst einmal will ich deutlich machen, dass kein Geld des Steuerzahlers nach Griechenland fließt. Der Kredit der Kreditanstalt für Wiederaufbau an Griechenland wird in dem von uns gewählten Verfahren lediglich mit einer Garantie des deutschen Steuerzahlers abgesichert. ({0}) Ich habe ergänzend erklärt, dass wir das Ausfallrisiko für gering halten. Der tatsächliche Geldfluss wird von den Kapitalmärkten, nicht vom Steuerzahler organisiert. Die Refinanzierung des Kredites erfolgt über die Kapitalmärkte, die derzeit - an manchen Stellen vielleicht sogar überfließend - über Liquidität verfügen. Es liegt der Bundesregierung daran, klarzustellen, dass wir keine Steuergelder nach Griechenland verschieben, sondern lediglich mit der staatlichen Garantie einen Bonitätsvorteil schaffen, den die Kreditanstalt für Wiederaufbau im Fall einer möglichen Krise in Griechenland zum Zweck der Stabilisierung nutzt. Ich glaube, das ist in diesem Kontext das Mittel der Wahl; so sollte sich die Bundesregierung nach dem gegenwärtigen Stand der Dinge engagieren. Die Frage, ob darüber hinaus in dem von Ihnen beschriebenen Maße über ergänzende Maßnahmen, etwa über den Forderungsverzicht privater Gläubiger, zu entscheiden ist, wird nach meiner Einschätzung und nach Kenntnis der Bundesregierung Gegenstand des Programms sein, das der IWF in den nächsten ein bis zwei Wochen vorlegen wird.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Herr Kollege Dr. Schick, haben Sie eine weitere Zusatzfrage? - Bitte.

Dr. Gerhard Schick (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003837, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich kann jetzt also festhalten, dass Sie nicht ausgeschlossen haben, dass es ein solches Ansinnen von privater Seite gegenüber der Bundesregierung gab.

Steffen Kampeter (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001062

Herr Kollege Schick, ich kann viele Dinge im Leben nicht ausschließen. Aber ich empfehle Ihnen, hier nicht die falschen Schlussfolgerungen aus den Einlassungen der Bundesregierung zu ziehen.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Die Fragen 49 und 50 des Kollegen Manuel Sarrazin zu diesem Themenkreis werden schriftlich beantwortet. Herr Staatssekretär, ich danke Ihnen für die Beantwortung der dringlichen Fragen. Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt Nachdem alle dringlichen Fragen und alle anderen Fragen zu diesem Themenkreis aufgerufen und beantwortet wurden, kommen wir nun zu den übrigen Fragen auf der Drucksache 17/1388 in der üblichen Reihenfolge. Wir kommen zunächst zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Bildung und Forschung. Hier steht für die Beantwortung der Fragen Herr Parlamentarischer Staatssekretär Dr. Helge Braun zur Verfügung. Die Fragen 1 und 2 des Kollegen René Röspel werden schriftlich beantwortet. Ich rufe die Frage 3 der Kollegin Daniela Kolbe auf: Wie bewertet die Bundesregierung die verfassungsrechtliche Umsetzbarkeit der vorgesehenen Bildungsschecks für lokale Bildungsbündnisse, in denen unter anderem Schulträger Mittel direkt an allgemeinbildende Schulen weitergeben können sollen? Herr Staatssekretär, bitte.

Prof. Dr. Helge Braun (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003510

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Liebe Frau Kollegin Kolbe, ich möchte Ihre Fragen 3 und 4 im Zusammenhang beantworten.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Frau Kolbe, sind Sie damit einverstanden? - Das scheint der Fall zu sein. Dann rufe ich die Frage 4 der Kollegin Kolbe auf: Wie will die Bundesregierung sicherstellen, dass die Fördermittel für lokale Bildungsbündnisse für die Bekämpfung der Bildungsarmut genutzt werden, das heißt, diese sowohl bei den Bedürftigen zielgerichtet ankommen als auch für sinnvolle Bildungsangebote genutzt werden? Herr Staatssekretär, bitte.

Prof. Dr. Helge Braun (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003510

Frau Kollegin, die lokalen Bildungsbündnisse sind im Koalitionsvertrag von CDU/CSU und FDP verankert. Dort ist bereits vorgesehen, dass unter Einbeziehung aller relevanten Akteure - Fördervereine, Kinder- und Jugendhilfe, Eltern, Schulen, Träger der Arbeitsförderung sowie Gruppen der Zivilgesellschaft - eine gezielte, individuelle Förderung von Kindern im Grundschulalter, die von Bildungsarmut bedroht sind, ermöglicht werden soll, um ihnen zusätzliche Bildungschancen zu eröffnen. Diese Bundesregierung ist 175 Tage im Amt und hat somit gerade einmal ein Achtel ihrer Amtszeit hinter sich. Insofern kann ich Ihnen die Details des Programms leider noch nicht vorstellen, weil wir uns momentan in der Erarbeitungsphase befinden.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Ihre Nachfrage bitte.

Daniela Kolbe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004079, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich gehe davon aus, dass das auch schon die Antwort auf die Frage 4 war. Ist das richtig? - Dann komme ich zu meinen Nachfragen. Frau Ministerin Schavan hat bereits einige Details genannt. Wenn ich es richtig verstanden habe, dann ist vorgesehen, dass Grundschulen eine Einmalzahlung von bis zu 40 000 Euro erhalten können, um im Rahmen der lokalen Bildungsbündnisse nachhaltig gegen Bildungsarmut agieren zu können. Auch wenn Ihre Regierung noch nicht lange im Amt ist, bitte ich Sie darum, mir eine Vorstellung davon zu geben, welche Art von Aktionsplänen oder Aktivitäten mit einer Einmalzahlung von 40 000 Euro finanziert werden könnten.

Prof. Dr. Helge Braun (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003510

Sehr geehrte Frau Kollegin, die lokalen Bündnisse für Bildung sollen keine Eintagsfliege sein, sondern entspringen der Tatsache - das hat die PISA-Studie gezeigt -, dass ungefähr 20 Prozent der 15-jährigen Schüler in Deutschland droht, keinen Ausbildungsplatz zu erhalten, weil sie ausbildungsunfähig bzw. nicht arbeitsmarktfähig sind. Deshalb ist es eine Daueraufgabe, dass wir uns an dieser Stelle bemühen, zu verhindern, dass junge Menschen keine Chance erhalten. Wir wollen diesen Jugendlichen mit gezielten und sehr individuellen Maßnahmen helfen. Es ist klar, dass es ein breites Spektrum unterschiedlicher Maßnahmen geben muss. Es ist weder Wunsch noch Wille noch Aufgabe der Bundesregierung, die Art und Weise der Unterstützung vorzugeben. Die lokalen Bildungsbündnisse sind - wie der Name schon sagt eng mit dem lokalen Gedanken verbunden. Wir wollen es in die Hände der Akteure vor Ort geben, gezielte Maßnahmen gegen die bestehenden Probleme zu ergreifen, weil wir es in den Bildungsbiografien mit den unterschiedlichsten Defiziten zu tun haben.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Gibt es eine weitere Zusatzfrage? - Bitte schön.

Daniela Kolbe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004079, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich stimme Ihnen zu: Es gibt viele junge Leute mit Bildungsdefiziten, die mit 15 Jahren ohne Schulabschluss dastehen. Ich stimme Ihnen auch zu, dass man schon in der Kita, der Grundschule und den weiterbildenden Schulen gezielt fördern muss. Wie verhält sich die Bundesregierung zu der Aussage, dass es vielleicht sinnvoller wäre, die bestehenden Maßnahmen, die in öffentlichen Kitas und Schulen - Stichwort „Ganztagsschulprogramm“ - durchgeführt werden, stärker zu finanzieren? Ist es nicht sinnvoll, dort, wo mit Kindern ab drei Jahren oder noch jüngeren Kindern nachhaltig gearbeitet wird, zielgerichtet zu investieren, um allen Kindern gute Lebenschancen zu ermöglichen?

Prof. Dr. Helge Braun (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003510

Sehr geehrte Frau Kollegin, klar ist: Die Bundesregierung hat - darauf spielen Sie in Ihrer Frage an - verfassungsrechtlich gesehen keine Kompetenz im Bereich der originären Schulbildung. Darüber hinaus glauben wir aber, dass es nicht zwingend ist, den Schulen die individuelle Förderung alleine aufzubürden. Die Schule hat in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten im Zuge der gesellschaftlichen Veränderungen immer mehr Aufgaben übernommen und sich neuen Herausforderungen stellen müssen. Deshalb ist es der Kerngedanke der lokalen Bündnisse für Bildung, den Schulen noch mehr Verantwortung und die Beantwortung der sich neu stellenden Fragen nicht alleine aufzubürden. Vielmehr wollen wir Mittel für ergänzende Maßnahmen zur Verfügung stellen, die zusätzliche Hilfen für die betroffene Klientel ermöglichen.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Die nächste Zusatzfrage stellt der Kollege Röspel.

René Röspel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003210, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Vielen Dank. - Als Mitglied eines Fördervereins einer Grundschule möchte ich fragen, ob die Bundesregierung tatsächlich beabsichtigt, erstens einer solch ehrenamtlichen Struktur die Verantwortung für Finanzmittel in Höhe von bis zu 40 000 Euro und zweitens den Schulen für die Identifizierung möglicherweise benachteiligter Schüler die entsprechenden Kompetenzen zu geben. Wie soll die fachliche Begleitung aussehen?

Prof. Dr. Helge Braun (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003510

Sehr geehrter Herr Kollege Röspel, die Einbeziehung der Fördervereine ist ein Weg, um sehr nah an die Schulen heranzukommen und eine sehr enge und vertrauensvolle Kooperationsstruktur zwischen Schulen und Zivilgesellschaft zu nutzen. Deshalb ist das eine der Möglichkeiten, die die Bundesregierung derzeit intensiv prüft. Klar ist, dass die Schulfördervereine diese Aufgabe nicht alleine schultern können. Deshalb ist im Koalitionsvertrag deutlich gemacht worden, dass die Fördervereine ein, wenn auch wesentlicher Partner sein sollen. Insgesamt ist es aber eine zivilgesellschaftliche Aufgabe, bei deren Erfüllung die verschiedenen Träger - zum Beispiel die Kommunen, die Bildungsträger und die verschiedenen karitativen Organisationen, die in diesem Bereich Kompetenzen haben - mithelfen. Von einer alleinigen Übertragung der Aufgaben, einer Kontrollfunktion oder einer Auswahlfunktion der Fördervereine kann hier keine Rede sein.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Herr Kollege Schulz stellt die nächste Zusatzfrage.

Swen Schulz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003630, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, Sie haben gerade auf Nachfrage gesagt, dass Sie den lokalen Bildungsbündnissen keine Vorgaben machen möchten, wie mit den Mitteln konkret verfahren werden soll und wie die Schülerinnen und Schüler gefördert werden sollen. Meine Nachfrage lautet: Steht es den Verantwortlichen vor Ort vollkommen frei, was mit dem Geld gemacht wird - sei es die Anschaffung von Sportgeräten, sei es die Finanzierung von Auslandsreisen -, oder wird es doch einen bestimmten Rahmen geben, und, wenn ja, wie sähe er aus?

Prof. Dr. Helge Braun (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003510

Lieber Herr Kollege Schulz, wie ich eingangs gesagt habe, befindet sich die Bundesregierung derzeit in der Konzeptionsphase. Insofern kann ich Ihnen zu solchen Details noch keine konkreten Auskünfte geben. Klar ist, dass immer, wenn die Bundesregierung Geld ausgibt, dies nicht in völlig freihändiger Art und Weise passiert. Einen gewissen Rahmen muss es immer geben. Sehr wohl wird man dem Thema der lokalen Bildungsbündnisse nur dann gerecht, wenn man individuelle Lösungen für individuelle Bildungsprobleme zulässt. In diesem Spannungsfeld wird sich die Erarbeitung dieses Konzepts bewegen. Wir sind ganz zuversichtlich, dass wir Ihnen in Kürze kluge Lösungen vorlegen können.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Kollege Rossmann.

Dr. Ernst Dieter Rossmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003211, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, stellt die Bundesregierung infrage, dass es verfassungsrechtlich zulässig ist, dass der Bund Schulsozialarbeit an Ganztagsschulen fördert? Wie bewerten Sie die Aussage des FDP-Schulministers Klug aus Schleswig-Holstein, der sagt, ihm wäre viel lieber, der Bund würde Schulsozialarbeit und nicht die lokalen Bündnisse fördern? Dies ist in einer Ausgabe der Schleswig-Holsteinischen Zeitung der letzten Tage nachzulesen.

Prof. Dr. Helge Braun (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003510

Lieber Herr Kollege Rossmann, die lokalen Bildungsbündnisse sind dezidiert etwas anderes als Schulsozialarbeit; denn sie sollen für Bildung im engeren Sinne sorgen. Sie sollen helfen, zum Teil leider brüchige Bildungsbiografien gradlinig zu gestalten. Unsere Ministerin sagt immer: Wir wollen niemanden zurücklassen. Auch wer bildungsbenachteiligt ist, soll alle Chancen haben. - Die lokalen Bildungsbündnisse sollen sich insbesondere an die Grundschulen richten, damit jegliche Defizite und Brüche, die in einer Bildungsbiografie auftreten können, schon sehr früh vermieden werden. Auf diese Weise sollen junge Menschen alle Chancen im Leben haben. Die Sozialarbeit ist ein weiterer Ansatz. Sie ist aber kein Bildungs- und Fürsorgeansatz im engeren Sinne. Deshalb bitte ich darum, Fragen der Sozialpolitik und Bildungspolitik in ihrer Notwendigkeit nebeneinander zu akzeptieren und nicht gegeneinander auszuspielen. Zu dem von Ihnen angesprochenen Zitat kann ich nichts sagen, da es mir nicht bekannt ist.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Frau Kollegin Burchardt.

Ulla Burchardt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000306, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Braun, wir haben zur Kenntnis genommen, dass Sie sich noch in der konzeptionellen Phase befinden und von daher natürlich keine Detailfragen beantworten können. Aber auch in der konzeptionellen Phase können Sie sicherlich Auskunft darüber geben, ob auch die vielen gut funktionierenden lokalen Bildungsbündnisse - beispielsweise in Dortmund und in Bochum -, die aus gut interagierenden Netzwerken von Akteuren bestehen, im Fokus Ihres Förderkonzepts stehen, oder richtet sich Ihre Förderung ausschließlich an diejenigen, die bislang nicht oder nur sehr rudimentär in diesem Bereich tätig gewesen sind? Wie wollen Sie in dem Fall, dass auch die gut funktionierenden lokalen Netzwerke in die Förderung einbezogen werden, gewährleisten, dass die Vorgaben des Ministeriums, die nicht so detailliert sind - in Dortmund hat man entsprechende Erfahrungen mit dem Konzept zur Berufseinstiegsbegleitung gemacht -, völlig an den Bedarfen vor Ort vorbeigehen?

Prof. Dr. Helge Braun (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003510

Liebe Frau Kollegin Burchardt, in der Konzeptionsphase, die wir gerade anstreben, ist es in der Tat von Vorteil, dass es in vielen Regionen in Deutschland schon profilierte Programme und Projekte für diese Zielgruppe gibt. Die Notwendigkeit der lokalen Bildungsbündnisse ergibt sich daraus, dass es sich um punktuelle Pilotprojekte handelt und noch nicht davon die Rede sein kann, dass wir der Zielgruppe in Deutschland flächendeckend Hilfe zur Verfügung stellen. Insofern ist es uns sehr wichtig, dass wir aus den vorhandenen Projekten lernen und die positiven Erfahrungen als Best-Practice-Beispiele in die Konzeption einbeziehen. Ganz klar ist, dass es auf gar keinen Fall Absicht der Bundesregierung ist, bestehende erfolgreiche Strukturen durch eine neue Struktur zu beeinträchtigen. Aufgabe ist es vielmehr, die Erfolge, die vor Ort mit positiven Einzelmaßnahmen erzielt werden, mit einem solchen Programm in die Fläche zu tragen.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ich rufe jetzt die Frage 5 des Kollegen Gerdes auf: Mit welchen Maßnahmen will die Bundesregierung beim angekündigten sogenannten Bildungssparen sicherstellen, dass die tatsächlich bedürftigen Familien auch in den Genuss der staatlichen Prämien gelangen, und wann kann mit Eckpunkten hierzu gerechnet werden? Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär Thomas Rachel zur Verfügung.

Prof. Dr. Helge Braun (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003510

Nein, auch diese Fragen beantworte ich.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Schau an! Ich nehme einmal an, dass es dem Kollegen fast egal ist, wenn die Frage nur vernünftig beantwortet wird. ({0}) - Das halten wir im Protokoll fest, Frau Burchardt. Bitte schön, Herr Kollege Braun.

Prof. Dr. Helge Braun (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003510

Vielen Dank, Herr Präsident. - Ein konkretes Konzept zur Einführung des Bildungssparens hat die Bundesregierung noch nicht entwickelt. Fragen zu Einzelheiten sowie zu den Eckpunkten können wir Ihnen deshalb zum jetzigen Zeitpunkt leider noch nicht beantworten.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Bitte schön, eine Zusatzfrage.

Michael Gerdes (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004039, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, dann werden Sie sicherlich auch meine Anschlussfrage nicht beantworten können. Ich hätte gerne gefragt, mit welchen Maßnahmen die Bundesregierung in der Zwischenzeit ein angemessenes Förderangebot sicherstellen will, da die Nutzbarkeit der Spareinlagen für Bildungszwecke erst in 10 oder 20 Jahren greifen wird.

Prof. Dr. Helge Braun (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003510

Lieber Herr Kollege, es ist ganz klar, dass es sich hierbei um ein zusätzliches Angebot handeln soll. Das Bildungssparen hat die Aufgabe, Menschen in ihrer Subsidiarität und bei ihrer Eigenvorsorge zu unterstützen. Ganz klar ist, dass Sparen grundsätzlich eine Aufgabe ist, für die mindestens ein Zeitraum von 16 bis 18 Jahren erforderlich ist, damit eine entsprechende Summe, die zur Unterstützung des Aufbaus einer Bildungsbiografie wirklich geeignet ist, angespart werden kann. Was die Bundesregierung jetzt bedauerlicherweise nicht tun kann, ist, ein Konzept zu entwickeln, das 18 Jahre rückwirkend greift. Wir müssen also proaktiv für die Zukunft arbeiten. Das soll ein zusätzliches Angebot im Sinne der Fortentwicklung unserer Bildungsrepublik sein. Insofern werden wir uns bemühen, zeitnah ein solches Konzept vorzulegen. Da das Bildungssparen ein zusätzliches, neues Angebot darstellt und nicht Teil der elementaren Fürsorge ist, ist eine Zwischenfinanzierungsmaßnahme aus unserer Sicht nicht erforderlich.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Weitere Zusatzfrage? - Nein. Dann kommt der Kollege Schulz dran. Wir gehen in der Reihenfolge der hier erfassten Wortmeldungen vor.

Swen Schulz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003630, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, bei den Bildungsbündnissen haben Sie zuerst von einer Konzeptionsphase und dann von einer angestrebten Konzeptionsphase gesprochen. Zum Bildungssparen haben Sie sich noch keine Gedanken gemacht. Ich möchte zum Bildungssparen ebenso wie zu den Bildungsbündnissen fragen: Wann gedenken Sie denn, die Konzeptionsphase abzuschließen und dem Deutschen Bundestag Eckpunkte vorzulegen?

Prof. Dr. Helge Braun (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003510

Sehr geehrter Herr Kollege Schulz, die Bundesregierung freut sich sehr, dass Sie die Koalitionsvereinbarung von CDU/CSU und FDP intensiv lesen und es kaum erwarten können, dass wir alles, was darin steht, umsetzen. Das Problem ist, dass unser Ministerium und die Bundesregierung insgesamt mit Kapazitäten ausgestattet sind, die es nur ermöglichen, eine Konzeption nach der anderen auf den Weg zu bringen. Heute hat die Bundesregierung im Kabinett einen Entwurf vorgelegt, in dem eine Erhöhung der BAföG-Mittel und eine Entbürokratisierung des BAföG vorgesehen sind. Heute hat die Bundesregierung auch ein nationales Stipendienprogramm auf den Weg gebracht. Ich denke, wir sind an der Stelle sehr erfolgreich. Wir arbeiten ein Projekt nach dem anderen ab. Wir legen der Opposition keine konkreten Zeitpläne vor; denn wie Sie wissen, sind manche Projekte in der Abstimmung schnell umzusetzen, während es bei anderen Projekten länger dauert. Alle Projekte im Koalitionsvertrag sind so wichtig und so gut, dass wir sie am liebsten schon gestern umgesetzt hätten. Im Rahmen der Arbeitskapazitäten arbeiten wir so schnell, wie wir können. ({0})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Frau Kollegin Schieder.

Marianne Schieder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003838, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, wir machen in jeder Sitzung des Bildungsausschusses dieselbe Erfahrung wie jetzt. Sie reden von „zeitnah“, aber keiner weiß, was damit gemeint ist. Es kann sein, dass Ihre Kapazitäten beschränkt sind. Aber angesichts dessen, was Sie vorwärtsbringen, sieht es so aus, als hätten Sie gar keine Kapazitäten. Ich frage konkret: Was heißt „zeitnah“? Was können wir uns darunter vorstellen?

Prof. Dr. Helge Braun (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003510

Zeitnah heißt „sobald wie möglich“. Ein Datum kann ich Ihnen heute noch nicht nennen. ({0})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Diese Definition wird vermutlich Eingang in die Lexika finden. Ich rufe jetzt die Frage 6 des Kollegen Gerdes auf: Wie bewertet die Bundesregierung Vorschläge zur Konferenz der Regierungschefs von Bund und Ländern am 10. Juni 2010, die Fortsetzung des Ganztagsschulprogramms sowie einen Ausbau der Schulsozialarbeit zu vereinbaren? Herr Kolleg Schulz, hier können Sie einen neuen Anlauf zu einer Zusatzfrage unternehmen. Bitte, Herr Staatssekretär.

Prof. Dr. Helge Braun (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003510

Sehr geehrter Herr Kollege Gerdes, ich beantworte Ihre Frage wie folgt: Das Investitionsprogramm „Zukunft Bildung und Betreuung“, IZBB, bekannt als Ganztagsschulprogramm, zum Aus- und Aufbau von Ganztagsschulen wurde mit einer Laufzeit von 2003 bis 2007 vereinbart. Dabei bestand die Möglichkeit, die Mittel bis Ende 2008 zu verausgaben. Auf Wunsch aller Länder wurde der Verausgabezeitraum bis Ende 2009 verlängert. Insgesamt wurden damit deutschlandweit 4 Milliarden Euro verausgabt und 7 200 Schulen gefördert. Eine Neuauflage dieses Bundesprogramms ist nach der Föderalismusreform I mangels Zuständigkeit nicht mehr möglich. In enger Abstimmung mit den Ländern führt der Bund die Förderung des Begleitprogramms „Ideen für mehr! Ganztägig Lernen“ der Deutschen Kinder- und Jugendstiftung, DKJS, um weitere fünf Jahre von 2010 bis 2014 fort. Darüber hinaus fördert das BMBF mit Unterstützung der Länder Begleitforschung, in deren Mittelpunkt die empirische Längsschnittuntersuchung „Studie zur Entwicklung von Ganztagsschulen“ steht. Diese Förderung wird ebenfalls fortgeführt. Gemäß dem Auftrag der Bundeskanzlerin und der Regierungschefs der Länder vom 16. Dezember 2009 erarbeiten derzeit die zuständigen Fachminister von Bund und Ländern unter Einbeziehung der Finanzseite konkrete Vorschläge für die Maßnahmen zur finanziellen Absicherung des 10-Prozent-Ziels. Nach den Vorstellungen der Länder gehören unter anderem der Ausbau des Ganztagsangebots an Schulen und die Schulsozialarbeit an Ganztagsschulen im Rahmen der Kinder- und Jugendhilfe zum Bündel der Maßnahmen, die sie in eigener Zuständigkeit umsetzen wollen. Am 10. Juni 2010 wird die Bundeskanzlerin mit den Regierungschefs der Länder über sämtliche der vorliegenden Vorschläge ergebnisoffen beraten. Deshalb kann dem hier nicht vorgegriffen werden.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Keine weitere Zusatzfrage? - Kollege Rossmann hat um das Wort gebeten.

Dr. Ernst Dieter Rossmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003211, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, das, was die Regierung jetzt weiterführt, ist im Vergleich zu den 4 Milliarden Euro, die unter Gerhard Schröder und Edelgard Bulmahn in die deutsche Schullandschaft investiert worden sind, wenig. Deshalb frage ich Sie als Vertreter der Bundesregierung: Geben Sie sich mit dem bisher erreichten Stand beim Ausbauprogramm für Ganztagsschulen zufrieden? Welche besonderen Anstrengungen wollen Sie unternehmen, um das Ausbauprogramm und die Förderung der Qualität von Ganztagsschulen deutlich zu verstärken, oder will die Bundesregierung kein besonderes bundespolitische Interesse und Engagement bei dieser Frage zeigen?

Prof. Dr. Helge Braun (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003510

Lieber Herr Kollege Rossmann, von den verausgabten 4 Milliarden Euro haben 7 200 Schulen profitiert. Mit dem Ganztagsschulprogramm wurde in die Bausubstanz der Schulen investiert, und dies wirkt fort. Dass darüber auf der Konferenz am 10. Juni dieses Jahres diskutiert wird, macht deutlich, dass dieses Thema durchaus wichtig ist. Die Ganztagsschulen in Deutschland müssen weiter ausgebaut werden. Die Frage, wer sich dabei in welchem Rahmen engagiert, ist Gegenstand dieses Gipfels, dessen Ergebnissen ich nicht vorgreifen möchte. ({0})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Wie ich sehe, hat Kollege Schulz meine Anregung aufgegriffen, sich zu dieser Frage zu Wort zu melden. Bitte schön.

Swen Schulz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003630, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Dabei hätte ich zu dem anderen Thema vorhin auch noch Fragen gehabt.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ich glaube es Ihnen aufs Wort.

Swen Schulz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003630, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, Sie sagten, Sie wollten den Ergebnissen der Konferenz der Regierungschefs der Länder am 10. Juni nicht vorgreifen. Gehe ich denn recht in der Annahme, dass die Bundesregierung anstrebt, mit den Ländern konkrete Bund-Länder-Programme für eine bessere Bildung zu vereinbaren und durchzuführen, anstatt einfach nur der Forderung der Länder nach höheren Umsatzsteueranteilen nachzukommen?

Prof. Dr. Helge Braun (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003510

Lieber Herr Kollege, die Bundesregierung wird auf dieser Konferenz selbstverständlich eigene Vorschläge zur Verbesserung des Bildungssystems in Deutschland zur Beratung vorlegen. ({0}) Die Fachminister befinden sich darüber gerade in der Abstimmung.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ich rufe nun die Frage 7 der Kollegin Burchardt auf: Auf welche Weise bzw. aus welchem Titel in welcher Höhe will die Bundesregierung ihre Finanzzusagen von der Gemeinsamen Wissenschaftskonferenz vom 22. März 2010 einlösen, in den Jahren 2011 bis 2013 den Mehrbedarf für zusätzliche Studienanfänger aus dem Hochschulpakt I zu decken? Nun erhebt sich tatsächlich der Kollege Rachel, der diese Frage vermutlich für die Bundesregierung beantwortet. - Bitte schön.

Thomas Rachel (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002754

Herr Präsident! Sehr geehrte Frau Kollegin Burchardt, laut den uns vorliegenden Zahlen sind im Vergleich zum Jahr 2005 in den Jahren 2007 bis 2009 bereits rund 102 000 zusätzliche Studienanfänger zu verzeichnen. Damit ist die angepeilte Zielmarke für diesen Zeitraum bereits um 37 600 übertroffen. Ich denke, man darf sagen: Dieser Zuwachs ist ein großer Erfolg des Hochschulpaktes; darüber freuen wir uns sehr. Bund und Länder haben sich in der Vereinbarung über die zweite Programmphase verpflichtet, auch die Zahl der zusätzlichen Studienanfänger, die die für die erste Programmphase ursprünglich angenommene Gesamtzahl von damals 91 370 überschreitet, in die Abrechnung einzubeziehen. Über die Ausgestaltung wird in weiteren Erörterungen zwischen Bund und Ländern sowie in den Verhandlungen zur Aufstellung des Bundeshaushaltes 2011 zu befinden sein.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Bitte schön.

Ulla Burchardt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000306, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege, wir freuen uns natürlich alle gemeinsam - ich denke: fraktionsübergreifend - über diesen wirklich großen Erfolg des Hochschulpaktes, der durch das Engagement der SPD-Bundestagsfraktion im Rahmen der Föderalismusreform I ermöglicht wurde. Damals haben wir durch die Änderung des Art. 91 b des Grundgesetzes dafür gesorgt, dass sich der Bund erstmals an der Finanzierung der Lehre beteiligen kann. Insofern begrüßen wir, dass die Große Koalition die Aktivitäten der rot-grünen Koalition fortgesetzt hat und auch diese Bundesregierung dies tun will. Angesichts des Umstandes, den Sie gerade beschrieben haben, dass der Mehrbedarf aus dem Hochschulpakt I vermutlich durch Mittel aus dem Hochschulpakt II zu decken sein wird, frage ich Sie, ob die Mittel aus dem Hochschulpakt I auf die mit den Ländern verabredeten Mittel aus dem Hochschulpakt II angerechnet werden. Sehen Sie sich in der Lage, heute die Zusage zu geben, dass die auf Basis der bisherigen Finanzierungsplanung zugesicherte Anzahl neu einzurichtender Studienplätze aus dem Hochschulpakt II eingehalten wird?

Thomas Rachel (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002754

Frau Kollegin Burchardt, in meiner Antwort habe ich gerade schon deutlich gemacht, dass wir zwischen Bund und Ländern bereits Gespräche über die Aufwüchse führen, die noch über die Zielmarke hinausgegangen sind, und dass es das Ziel ist, in den Verhandlungen zur Aufstellung des Bundeshaushalts 2011 hier eine entsprechende Umsetzung sicherzustellen. Die Mittel für den Hochschulpakt werden im Haushalt in Kap. 3003 Tit. 685 05, Hochschulpakt 2020, veranschlagt. Wir gehen davon aus, dass wir das Gesamtziel beim Hochschulpakt II mit der Zahlenvorgabe von 275 000 neuen Studienplätzen in der nächsten Phase umsetzen. Wir werden uns in einer kollegialen Art darum bemühen, mit den Ländern hier zu einer entsprechenden Verständigung zu kommen; denn wir sind durchaus der Auffassung, dass der gerade von Frau Bundesbildungsministerin Professor Schavan stark geprägte Hochschulpakt I im Sinne eines gemeinsamen nationalen Zusammenwirkens zwischen Bund und Ländern in Deutschland insgesamt ein großer Erfolg ist.

Ulla Burchardt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000306, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Wir gehen offensichtlich gemeinsam davon aus, dass noch ein Mehrbedarf für den Hochschulpakt II gegeben sein wird. Wie bewertet die Bundesregierung vor diesem Hintergrund die Ankündigung der hessischen Landesregierung, die von dieser Landesregierung den eigenen Hochschulen zugesagten Mittel für den zusätzlichen Ausbau der Studienplätze entgegen den Versprechungen um 30 Millionen Euro kürzen zu wollen?

Thomas Rachel (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002754

Die von Ihnen angesprochene Äußerung aus Hessen ist mir nicht bekannt. Deswegen kann ich sie auch nicht kommentieren. Was die Frage eines Mehrbedarfs betrifft, ist Folgendes festzustellen: Wir werden dies zeitig Stück für Stück betrachten. Insofern nehmen wir jetzt auch keine Prognosen für die Jahre 2016/2017 vor. Vielmehr haben wir einen Zeitplan, der sich auf den Hochschulpakt I bezieht. Diesen haben wir mit bereits umgesetzten neuen Studienplätzen erfreulicherweise übererfüllt. Für die sich daran anschließenden Jahre haben wir einen Zeitplan und einen Mengenbedarf, der auf der KMK-Prognose basiert. Das ist die Grundlage. Alles andere wird sich in den nächsten Jahren zeigen.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ich rufe die Frage 8, ebenfalls von der Kollegin Burchardt, auf: Welchen Beitrag soll nach Auffassung der Bundesregierung das nationale Stipendienprogramm zur Überwindung der sozialen Benachteiligung von Studierenden aus bildungsfernen Familien leisten?

Prof. Dr. Helge Braun (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003510

Liebe Frau Kollegin Burchardt, die Stipendien des nationalen Stipendienprogramms sollen dezentral und gleichmäßig über alle Hochschulen vergeben werden. In der Endausbaustufe sollen 8 Prozent der Studierenden jeder Hochschule ein Stipendium erhalten, also auch der Fachhochschulen, die bei den Begabtenförderungswerken bisher ja unterrepräsentiert sind und deren Studierende überproportional häufig einen nichtakademischen familiären Hintergrund haben. Bei der Auswahl der Stipendiatinnen und Stipendiaten sollen neben den bisher erbrachten Leistungen und dem persönlichen Werdegang auch das gesellschaftliche Engagement, die Bereitschaft, Verantwortung zu übernehmen, oder besondere soziale, familiäre oder persönliche Umstände berücksichtigt werden können, die sich beispielsweise aus der familiären Herkunft oder einem Migrationshintergrund ergeben. Dies ist in § 3 des von der Bundesregierung vorgelegten Gesetzentwurfs enthalten. Da die Stipendien des nationalen Stipendienprogramms nicht auf das BAföG angerechnet werden, können begabte Studierende aus einkommensschwachen Familien das Stipendium zusätzlich zu einer bestehenden BAföG-Unterstützung erhalten. Insofern ist es mithilfe des Stipendienprogramms möglich, dass zusätzlich zu einer Vollförderung mit BAföG von 670 Euro für benachteiligte Studierende bei entsprechender Stipendienvergabe noch eine Förderung von 300 Euro erfolgt. Damit ergeben sich 970 Euro, ein in der Tat sehr hoher Förderbetrag, wie es ihn bisher in der Bundesrepublik noch nicht gegeben hat.

Ulla Burchardt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000306, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ist der Bundesregierung, speziell dem BMBF, die eigene Widersprüchlichkeit bekannt, die in der aktuellen Debatte an zwei Punkten deutlich wird? Erstens sagen Sie, die Stipendien sollten unter verschiedenen Kriterien gleichmäßig verteilt werden. Die Ministerin hat heute im Rahmen der Befragung der Bundesregierung erklärt, dass die Bundesregierung darauf überhaupt keinen Einfluss hat, weil die Hochschulen selbst die Stipendien anwerben. Insofern scheint dort ein gewisser Widerspruch zu bestehen. Zweitens - darum ging es in meiner ursprünglichen Frage, und ich sehe diesen Punkt noch nicht beantwortet -: Die Ministerin und auch Sie haben gesagt, dass das Stipendienprogramm zum Abbau von Bildungsbarrieren beitragen soll. Wir wissen - wir haben uns im Ausschuss intensiv mit den entsprechenden Studien befasst -, dass diejenigen, die zwar eine Hochschulzugangsberechtigung erworben haben, sich aber dagegen entschieden haben, ein Studium aufzunehmen, als größte Hürde finanzielle Gründe, die Angst vor einer übergroßen Verschuldung angegeben haben. Wie kann diesen jungen Menschen durch das nationale Stipendienprogramm geholfen werden, bei dem die Beantragung eines Stipendiums erst dann möglich ist, wenn man bereits im ersten Semester eingeschrieben ist?

Prof. Dr. Helge Braun (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003510

Liebe Frau Kollegin Burchardt, das nationale Stipendienprogramm bietet an dieser Stelle ganz hervorragende Möglichkeiten. Die Aussicht darauf, im Rahmen des Studiums zusätzlich ein Stipendium erwerben zu können, mindert die Ängste, ein Studium aufzunehmen oder sich zum Studium in eine Stadt zu begeben, in der die Lebenshaltungskosten höher sind. Mit Blick auf die finanziellen Sorgen von BAföG-Beziehern oder NichtBAföG-Beziehern kann man doch auf jeden Fall sagen: Stipendien sind eine Chance, zusätzliche Unterstützung zu bekommen. Stipendien erlauben es, davon abzusehen, parallel zum Studium einer Berufstätigkeit nachzugehen, und die Energie voll auf das Studium zu verwenden. Diese Stipendien haben zusätzlich den Effekt, dass wir privates Kapital in die Bildungsfinanzierung einbeziehen. Bei der Förderung von Studierenden, die aus sozial benachteiligten Schichten kommen, sind wir schon ausgesprochen erfolgreich: Während die Anzahl der Studierenden in Deutschland allgemein zunimmt, steigt der Anteil der Studierenden, die aus einkommensschwachen Schichten kommen, sogar überproportional. Die Bundesregierung hat sich des von Ihnen angesprochenen Problems mit dem Stipendienprogramm, aber auch mit vielen anderen Maßnahmen angenommen und ist dabei, es in eine positive Richtung zu verändern.

Ulla Burchardt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000306, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich komme zurück auf meine eigentliche Frage: Inwieweit hilft dieses Programm jemandem, der sich aus Sorge vor übermäßiger Verschuldung, aus Sorge, ein Studium finanziell nicht stemmen zu können, dagegen entscheidet, ein Studium aufzunehmen? Wenn man, um ein Stipendium beantragen zu können, bereits im ersten Semester eingeschrieben sein muss, ist das dann nicht eine Art Lotteriespiel? Es wird doch nur für einen minimalen Prozentsatz der Studierenden ein Stipendium zur Verfügung stehen. Dieser Prozentsatz ist noch nicht einmal berechenbar; denn ein potenzieller Studienbewerber kann überhaupt nicht wissen, in welchen Bereichen die Hochschule Mittel einwirbt, sprich: für welche Fächer Stipendiengeber auftreten. Das hat nicht den Hauch von Verlässlichkeit, ist also nicht geeignet, die Barrieren, die ich beschrieben habe und die wissenschaftlich belegt sind, abzubauen.

Prof. Dr. Helge Braun (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003510

Sehr geehrte Frau Kollegin, ich könnte Ihre Argumentation nachvollziehen, wenn im Gegenzug zum Aufbau des nationalen Stipendienprogramms das BAföG abgeschafft würde. Doch das Gegenteil ist der Fall: Die Bundesregierung hat beschlossen, die Höhe des BAföG und die Höhe der Freibeträge anzuheben. Jemand, dem überhaupt keine finanzielle Unterstützung zur Verfügung steht, bekommt in Zukunft monatlich 670 Euro BAföG. Eine substanzielle materielle Hürde für die Aufnahme eines Studiums ist daher aus unserer Sicht nicht gegeben. Bei dem Stipendienprogramm geht es um ergänzende finanzielle Leistungen. Die SPD war längere Zeit Teil der Bundesregierung und hat an mehreren BAföG-Erhöhungen mitgewirkt. Ich hatte nicht den Eindruck, dass die SPD in der Vergangenheit davon ausgegangen ist, dass die Höhe des BAföG nicht ausreicht, um ein Studium aufzunehmen. Das BAföG ermöglicht das sehr wohl. Das nationale Stipendienprogramm ergänzt die Studienfinanzierung in Deutschland um die von mir umrissenen Punkte.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Kollege Röspel.

René Röspel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003210, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Lieber Kollege Braun, wie bewertet die Bundesregierung die allgemeine Lebenserfahrung, dass - die Ergebnisse wissenschaftlicher Studien belegen dies Stipendien gerade denen zugutekommen, die aus Akademikerfamilien kommen, weniger aber denen, die aus Arbeiterfamilien kommen und über weniger Einkommen verfügen als ein Staatssekretär oder ein Bundestagsabgeordneter? Wie stellen Sie tatsächlich und konkret sicher, dass diese soziale Ungerechtigkeit in unserem Land über das Stipendiensystem, das Sie planen, nicht noch weiter verfestigt wird?

Prof. Dr. Helge Braun (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003510

Lieber Herr Kollege Röspel, ich glaube, durch den von mir zitierten § 3 des Gesetzentwurfes wird klar, dass bei der Vergabe von Stipendien neben der Leistung und Begabung gerade auch die Aspekte Migrationshintergrund, familiärer Hintergrund, besondere Situationen und soziale Lage berücksichtigt werden sollen. Ich glaube, durch dieses Stipendienprogramm, das in seiner Art neu ist, sind wir sehr gut in der Lage, gezielt Angebote gerade für diese Klientel zu machen. Das Stipendienprogramm soll einer Evaluationsphase von drei Jahren unterliegen. Ich denke in der Vorabeinschätzung, dass wir mit diesem Stipendienprogramm, das den dezidierten Ansatz hat, dass auch Benachteiligungen, familiäre Probleme und ein etwaiger Migrationshintergrund explizit berücksichtigt werden, in der Lage sind, das Problem eben nicht zu verfestigen, sondern möglicherweise sogar aufzulösen. Wenn sich im Rahmen der Evaluation etwas anderes herausstellt, dann muss politisch darauf reagiert werden. Ich glaube aber nicht, dass das, was Sie hier sagen, in der Konzeption unseres Stipendienprogramms angelegt ist. Insofern plädiere ich eindringlich dafür, es in der jetzigen Form in die Realität umzusetzen und dann zu schauen, welche Wirkungen sich hinsichtlich der Stipendien entfalten. Klar ist, dass wir uns mit diesem Stipendienprogramm hinsichtlich der Frage, wer die Stipendiengeber sind, an die gesamte Zivilgesellschaft richten, also nicht nur zum Beispiel an Stipendiengeber aus der Wirtschaft; vielmehr haben auch und gerade karitative Organisationen, Stiftungen und andere Institutionen, die sich mit der Überwindung von Bildungsbenachteiligungen beschäftigen, die Chance, als Stipendiengeber aufzutreten und damit einen aktiven Beitrag - ergänzt um die Finanzierung von Bund und Ländern - zur Beseitigung von Bildungsbenachteiligungen zu leisten.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Kollege Schulz.

Swen Schulz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003630, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, Sie sind in Ihrer Beantwortung von kritischen Fragen jetzt mehrfach auf den § 3 des Gesetzentwurfs zu sprechen gekommen. Dort stehen die Auswahlkriterien. Danach werden die Stipendien nach Begabung und Leistung vergeben. Daneben sollen Kriterien wie gesellschaftliches Engagement, soziale, familiäre, persönliche Umstände, familiäre Herkunft oder Migrationshintergrund in die Entscheidung, wer ein Stipendium erhält, mit einbezogen werden. Damit wollen Sie sagen, dass das Ganze sozial ausgewogen ist und dass der soziale Aspekt berücksichtigt wird. Ich frage deswegen: Wie verbindlich ist denn diese Vorschrift, die von der Bundesregierung in dem Gesetzentwurf vorgeschlagen wird, und wie stellt die Bundesregierung sicher, dass die einzelnen Hochschulen tatsächlich anhand solcher Auswahlkriterien auswählen?

Prof. Dr. Helge Braun (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003510

Lieber Herr Kollege Schulz, ein Ziel, das mit diesem Stipendienprogramm verbunden ist, besteht darin, die Eigenständigkeit der Hochschulen sehr stark zu unterstützen. Deshalb ist dies nicht das Stipendienprogramm der Bundesregierung, sondern es ist ein nationales Stipendienprogramm, bei dem der Bund, die Länder und die Zivilgesellschaft anteilig finanzieren. Es ist auch vorgesehen, dass die Stipendiengeber und die Hochschulen, die die Auswahl zu treffen haben, die Kompetenzen bekommen, die sie benötigen, um das entscheiden zu können. Leistung und Begabung sind bei diesem Stipendienprogramm sozusagen die Grundvoraussetzung. Dies ist in § 3 Satz 1 des Gesetzentwurfs verankert. Die weiteren Kriterien, die Sie eben richtig zitiert haben, stehen in § 3 Satz 2 des Gesetzentwurfs. Damit sollen darüber hinaus die sozialen Aspekte gemäß dem Wunsch des Gesetzgebers berücksichtigt werden. In welchem Umfang das geschieht, hängt sehr stark mit der Rolle der Hochschulen und deren eigenverantwortlicher Entscheidung und mit der Rolle der Stipendiengeber zusammen. Dort, wo es solche Stipendienprogramme schon gibt, zum Beispiel in NordrheinWestfalen, sieht man, dass ein ganz erheblicher Anteil der Stipendien gar nicht aus dem Bereich der Wirtschaft, sondern aus dem Bereich der Verbände und Stiftungen und aus dem sozial engagierten Teil der Zivilgesellschaft kommt. Insofern bin ich sehr zuversichtlich, dass das gelingt und durch die Freiheit, die dieses Stipendienprogramm bietet, realisiert werden kann.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Kollege Rossmann.

Dr. Ernst Dieter Rossmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003211, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, in welcher Weise identifizieren Sie das Hauptproblem in der Ansprache von Familien in finanziellen Grenzbereichen, das wir über eine moderne und rechtssichere Förderung erfassen müssten? Ist es nicht so, dass vor allen Dingen Familien der unteren und mittleren Mittelschicht, die nicht über zwei volle Einkommen verfügen, in denen es mehrere Kinder gibt, die studieren wollen, erleben, dass die Kinder nicht in die BAföG-Förderung fallen, die sie aber bräuchten, um eine sichere Entscheidung für ein Studium treffen zu können? Liegt es nicht viel näher, sich diesen Familien mit Blick auf ihre Bildungsentscheidung mit einem klaren Rechtsanspruch innerhalb eines modernen BAföGSystems zuzuwenden, als zu dem System des 19. Jahrhunderts mit seinem Lotterieprinzip - früher hieß es Dotationssystem - zurückzukehren? Weshalb versagt sich die Bundesregierung diesem modernen Ansatz, die untere und mittlere Mittelschicht rechtlich klar zu fördern und damit Bildungssicherheit zu bieten?

Prof. Dr. Helge Braun (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003510

Sehr geehrter Herr Kollege Rossmann, genau das tut die Bundesregierung nicht; denn sie versetzt mit der Erhöhung des BAföG und der Anhebung der Freigrenzen eine sehr breite Bevölkerungsschicht in die Lage, ein Studium aufzunehmen. Ich habe schon darauf hingewiesen, dass der Anteil derjenigen aus bildungsfernen Schichten, die ein Studium aufnehmen, deutlich angestiegen ist. Das ist ein Erfolg der vergangenen BAföGNovelle, aber auch der Hochschulpolitik der Bundesregierung. Wir sind damit auf einem guten Weg. Auch Sie argumentieren so, als wäre das nationale Stipendienprogramm ein Ersatz für das BAföG, und lassen dabei außer Acht, dass die Bundesregierung vorweisen kann, dass der Anteil Bildungsbenachteiligter an den Hochschulen gegenwärtig steigt. Wir sind also bei der Bewältigung des Problems mit den Instrumenten, die uns zur Verfügung stehen, auf einem sehr guten Weg. Das nationale Stipendienprogramm ist ein neuer Weg in der Bildungsfinanzierung, der eine gezielte Förderung vorsieht, die unabhängig vom Elternhaus erfolgt. Er berücksichtigt die besonderen Lebenslagen, in denen sich Studierende jeweils befinden. Damit ist es ein Finanzierungsprogramm, das sich sehr individuell auf die Lage des Studierenden bezieht statt wie die bisherigen Systeme allein auf die finanzielle Lage des Elternhauses. ({0})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Frau Kollegin Alpers.

Agnes Alpers (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004002, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Staatssekretär, ich verstehe einen Punkt nicht. Heute Nachmittag haben wir schon von der Bildungsministerin gehört, dass das Stipendienprogramm nicht an die soziale Herkunft gekoppelt ist. Sie hat zweimal betont, dass sich das neue Stipendienprogramm für soziale Gerechtigkeit einsetzt. Dafür machen Sie Werbung, auch heute Abend. Sie führen immer wieder aus - das ist auch sinnvoll -, dass Sie einen vorhandenen Migrationshintergrund, die persönlichen Umstände, soziale Aktivitäten und vielfältige Punkte berücksichtigen und mit einbeziehen werden. Wenn es aber darum geht, welchen Einfluss die Bundesregierung darauf hat, dass dies mit einem großen Prozentsatz umgesetzt wird, sagen Sie, dass es kein Programm der Bundesregierung ist und dass Sie keinen Einfluss darauf haben. Das verstehe ich nicht. Sie benutzen es als Werbung, haben aber keinen Einfluss darauf. Sie haben gesagt, dass die Stipendiengeber in Nordrhein-Westfalen schon auf entsprechende Auswahlkriterien achten werden. Ich kenne etliche Stipendiengeber und weiß, dass es sich tatsächlich eingebürgert hat, das zu machen, aber nur zu höchstens 5 Prozent.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Frau Kollegin.

Agnes Alpers (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004002, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Noch einen Satz. Ich komme sofort zum Schluss.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Keine Regierungserklärung.

Agnes Alpers (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004002, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Nein. ({0}) Die Frage ist, wie es dazu kommt. Wenn Sie dafür Werbung machen, dann haben Sie als Regierung auch dafür zu sorgen, dass die sozialen Punkte tatsächlich in den Vordergrund treten. Wie wollen Sie dabei Ihre Verantwortung durchsetzen?

Prof. Dr. Helge Braun (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003510

Sehr geehrte Frau Kollegin, ich glaube, Sie unterschätzen die Hochschulen und diese Zivilgesellschaft. Ich bin fest davon überzeugt, dass ein solches Instrument in der Breite der Gesellschaft ankommen wird und dass wir ein vielfältiges Portfolio an verschiedenen Stipendiengrundlagen bekommen werden. Die kategorische Angst von Ihrer Seite, die sozialen Belange, die ja im Gesetz explizit erwünscht werden, würden am Ende vernachlässigt werden, kann ich nicht nachvollziehen. Gleichwohl beinhaltet dieses Gesetz zwei Dinge, die ich zu Ihrer Beruhigung noch anfügen möchte: Das Erste ist die Evaluationsphase von drei Jahren. Das Zweite ist die Möglichkeit, die sich die Bundesregierung für den Fall vorbehält, dass es bei diesem Stipendienprogramm im Vollzug zu Ungleichgewichten kommen sollte, nämlich in einer Rechtsverordnung noch weitere Details über das hinaus zu regeln, was momentan im Gesetz steht. Klar ist aber, dass wir - das ist die Absicht dieser Bundesregierung - nach Möglichkeit zunächst nicht ein Regelwerk aufstellen wollen, das die Hochschulen sehr stark in ihrer Freiheit und ihren Möglichkeiten, dieses Stipendienprogramm inhaltlich auszufüllen, beschneidet. Vielmehr wollen wir zunächst in Freiheit und Eigenverantwortung ein solches Stipendienprogramm auf den Weg bringen, weil die Menschen und diejenigen, die sich in dieser Zivilgesellschaft für Bildung engagieren und ein solches Stipendiensystem an den Hochschulen aufbauen oder als Stipendiengeber auftreten, sehr wohl wissen und entscheiden können, was gesellschaftliche Notwendigkeiten sind.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ich rufe nun die Frage 9 der Kollegin Marianne Schieder auf: Wie bewertet die Bundesregierung die wachsende Kritik an dem geplanten Stipendiengesetz von Studierenden, Hochschulen und aus der Wirtschaft gerade im Hinblick darauf, das diese drei Gruppen die Träger des Stipendiensystems darstellen sollen? Darf ich vielleicht darauf aufmerksam machen, dass mit Blick auf andere Geschäftsbereiche vielleicht auch Berücksichtigung finden sollte, dass die hier diskutierten Fragen vorhin schon einmal Gegenstand einer ähnlichen Befragung im Rahmen der Berichterstattung der Bundesregierung waren? ({0})

Prof. Dr. Helge Braun (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003510

Herr Präsident, vielleicht kommt es Ihnen entgegen, wenn ich die Fragen 9 und 10 im Zusammenhang beantworte.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Dann rufe ich auch gleich noch die Frage 10 auf: Wie will die Bundesregierung sicherstellen, dass die Stipendienvergabe regional, fachlich und sozial ausgewogen erfolgt und die empirisch zuletzt von der Hochschul-Informations-System GmbH bestätigte soziale Selektivität bisheriger Stipendienangebote nicht reproduziert?

Prof. Dr. Helge Braun (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003510

Von den Studierenden, Frau Kollegin, wird das Stipendienprogramm teilweise begrüßt. Andere sprechen sich dagegen für einen weiteren Ausbau des BAföG aus. Wie ich heute schon betont habe, macht die Bundesregierung genau beides: Wir führen ein Stipendiensystem ein und weiten die Freibeträge und Bedarfssätze des BAföG aus. Insofern haben wir etwas getan, was, denke ich, die Interessen beider Gruppierungen der Studierenden trifft. Dass es Kritik aus den Hochschulen geben soll, kann die Bundesregierung so nicht nachvollziehen. Wir haben im Rahmen der Entwicklung dieses nationalen Stipendienprogramms viele Gespräche geführt, und seitens der Hochschulen werden nach dem, was wir gesehen haben, solche neuen Möglichkeiten dezidiert begrüßt. Insbesondere die Fachhochschulen haben ein sehr großes Interesse an dem geäußert, was wir hier tun, weil sie sich erhoffen, dass sie in diesem Zusammenhang einen höheren Anteil an Stipendien durch ihre Nähe zu möglichen Stipendiengebern haben werden, da sie bei den bisherigen Begabtenförderungswerken nicht so stark repräsentiert sind. Der anfänglichen Sorge mancher Hochschulen, möglicherweise nur einen geringeren Anteil an Stipendien generieren zu können, ist in dem Gesetzentwurf dadurch Rechnung getragen worden, dass wir die Quote von 8 Prozent der Studierenden hochschulbezogen festgelegt haben. Auch sind wir mit den Verbänden der Wirtschaft im Vorfeld der Errichtung dieses Stipendienprogramms sehr intensiv im Gespräch gewesen. Hier war von vielen Seiten die Frage aufgeworfen worden, inwiefern dieses neue Stipendienprogramm eine Konkurrenzsituation zu bestehenden Initiativen der Wirtschaft darstellen werde. Nach Vorlage unserer Gedanken haben wir auch aus der Wirtschaft durch die Bank positive Reaktionen auf diese neue Form der Studienfinanzierung erhalten. ({0})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Bitte schön, eine weitere Zusatzfrage.

Marianne Schieder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003838, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, ist Ihnen denn bekannt, dass sich zu diesen Kritikern auch ganz prominente Vertreter Ihrer eigenen Regierungsfraktion gesellen, zum Beispiel der bildungspolitische Sprecher der CDU/CSU, Albert Rupprecht? Das ist in der Berichterstattung des Neuen Tags, Weiden, vor einigen Wochen über eine bildungspolitische Veranstaltung nachzulesen, in der ganz deutlich steht, dass er dieses Stipendienprogramm ablehnt. Haben Sie intern schon darüber gesprochen, oder wollen Sie uns das nicht sagen?

Prof. Dr. Helge Braun (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003510

Sehr geehrte Frau Kollegin, mit dem bildungs- und forschungspolitischen Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion Albert Rupprecht sind wir über dieses nationale Stipendienprogramm selbstverständlich im ständigen Gespräch. Den Eindruck, den Sie hier vermitteln, nämlich dass er es ablehnen würde, kann ich aufgrund der zahlreichen Gespräche, die ich mit ihm geführt habe, nicht bestätigen.

Marianne Schieder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003838, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Dann muss das ja ein falscher Fuffziger sein.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Nächste Zusatzfrage.

Marianne Schieder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003838, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Dann sollte er vor Ort etwas anderes sagen. Ich habe eine Frage zum Thema Hochschulen. Wir haben heute schon einmal darüber gesprochen, aber keine befriedigenden Antworten bekommen. Die Hochschulen befürchten, dass ihnen durch das Verwaltungsverfahren, das für die Umsetzung des nationalen Stipendienprogramms notwendig ist, erhebliche Kosten entstehen werden. Wie soll dabei eine Entlastung herauskommen?

Prof. Dr. Helge Braun (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003510

Liebe Frau Kollegin, die Durchführung des Stipendienprogramms obliegt den Hochschulen. Insofern sind die administrativen Aufgaben dort angesiedelt. Natürlich haben wir ein großes Interesse daran, dass dieses nationale Stipendienprogramm ein Erfolg wird. Die Kritik ist an dieser Stelle teilweise etwas schwer nachzuvollziehen. Auf der einen Seite wird gesagt, wir würden es nie schaffen, eine so große Zahl von Stipendien zu gewinnen; auf der anderen Seite macht man sich aber, schon bevor das erste Stipendium überhaupt vergeben ist, Gedanken darüber, einen vollflächigen Verwaltungsapparat organisieren zu müssen. Ich denke, man muss erst einmal beginnen. Die Bundesregierung gibt das klare Signal, dass sie die Stipendienvergabe selbstverständlich im Blick behält. Wir wollen, dass das ein Erfolg wird. Wir wollen, dass die Administration gut und erfolgreich ist und dass die Stipendienvergabe sowohl für die Stipendiennehmer als auch für die Stipendiengeber und die Hochschulen leicht und unbürokratisch durchführbar wird. Wenn es zu erhöhten Aufwendungen kommt, dann ist die Bundesregierung zu Gesprächen darüber bereit. Da primär die Länder Ansprechpartner sind, kann so ein Thema auch Gegenstand zum Beispiel des Gipfels sein, der im Juni stattfinden wird.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Haben Sie noch weitere Zusatzfragen?

Marianne Schieder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003838, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich habe eine Zusatzfrage zur Frage 10. - Herr Staatssekretär, ich finde, dass Sie nicht beantwortet haben, wie Sie sicherstellen wollen, dass die Stipendienvergabe regional, fachlich und sozial ausgewogen erfolgt und sich eben nicht die hohe soziale Selektivität fortsetzt.

Prof. Dr. Helge Braun (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003510

Frau Kollegin, sehen Sie mir nach, dass ich den Eindruck habe, dass wir schon eine ganze Weile über die mögliche bzw. nichtvorhandene soziale Selektivität des Programms gesprochen haben. Was die regionale Verteilung angeht, habe ich deutlich gemacht, dass wir eine hochschulbezogene Quote festgelegt haben. Das heißt, es ist nicht möglich, dass sich alle Stipendien dieses nationalen Stipendienprogramms in irgendeiner Region Deutschlands ballen; denn jede Hochschule soll in die Lage versetzt werden, 8 Prozent ihrer Studierenden ein solches Stipendium zu ermöglichen. Eine absolute regionale Gleichverteilung ist im Grunde genommen sichergestellt. Was die soziale Selektivität betrifft, so verweise ich noch einmal auf den von mir mehrfach zitierten § 3, in dem die Vorgabe enthalten ist, dass neben den Kriterien Leistung und Begabung, die dezidiert nicht nur an Noten festgemacht werden sollen, auch die weiteren sozialen, familiären und migrationsbedingten Faktoren Berücksichtigung finden sollen.

Marianne Schieder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003838, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Das heißt, ich interpretiere Sie richtig, wenn ich sage, dass Sie nicht sicherstellen, sondern nach der Devise „Schauen wir einmal, dann sehen wir schon“ handeln?

Prof. Dr. Helge Braun (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003510

Nein, ich glaube, dass dieser § 3 das sicherstellt.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Nun hat die Kollegin Burchardt das Wort.

Ulla Burchardt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000306, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege, wir können dem Kabinettsbeschluss entnehmen, dass das Projekt des nationalen Stipendienprogramms die Konzeptionsphase schon verlassen hat.

Prof. Dr. Helge Braun (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003510

Das kann ich bestätigen.

Ulla Burchardt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000306, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Das müssen wir doch einmal würdigen. - In die Vorlage haben auch kalkulatorische Überlegungen Eingang gefunden. Gehen Sie nicht mit mir davon aus, dass die Zahlen, die auf dem Papier stehen, möglicherweise nicht ganz real sind, sowohl was die veranschlagten Kosten, den Mittelaufwand, für die Stipendien als auch was den Anteil der öffentlichen und privaten Finanzierung eines Stipendiums angeht? Das sage ich vor dem Hintergrund, dass die Stipendien - ich gehe davon aus, das ist ähnlich wie in Nordrhein-Westfalen - steuerlich absetzbar sind. Das verändert zum einen die Anteile öffentlicher und privater Stipendiengeber; denn wenn man die Finanzierung von Stipendien steuerlich absetzen kann, bekommen Stipendiengeber sozusagen noch etwas heraus oder zahlen zumindest weniger Steuern; für den Bundeshaushalt ist das letztendlich aber das Gleiche. Wie hoch veranschlagen Sie die Steuerausfälle - Sie haben das sicherlich durchgerechnet -, die dem Bundeshaushalt durch die steuerlichen Absetzbarkeit erwachsen?

Prof. Dr. Helge Braun (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003510

Liebe Frau Kollegin, die Zahlen, die wir da zugrunde legen, halten wir schon für realistisch. Zur Frage, wie hoch der Aufwuchs durch dieses Stipendienprogramm sowohl in finanzieller Hinsicht als auch in Bezug auf die Anzahl der Stipendien ist: Wir haben festgelegt, dass die Obergrenze bei 8 Prozent liegt. Wir möchten diese Grenze gerne schnell erreichen. Klar ist aber auch: Wir haben momentan eine Quote, die unter 2 Prozent liegt; das hängt mit den Begabtenförderungswerken zusammen. Insofern werden wir schauen müssen, wie schnell sich eine viermal so hohe Quote erreichen lässt. Was die Stipendien kosten, kann man selber ausrechnen. Im Gesetzentwurf ist ausgewiesen, wie sich die Anteile der Finanzierung zusammensetzen. Der von Ihnen angesprochene Steuertatbestand ist im Gesetzentwurf nicht ausgewiesen. Ich kann Ihnen dazu gerne eine schriftliche Unterlage zukommen lassen.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Kollege Rossmann.

Dr. Ernst Dieter Rossmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003211, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, im Gesetzentwurf und in der Begründung zum Gesetzentwurf ist wegen der Absetzbarkeit sehr wohl von steuerlichen Mehraufwendungen in Höhe von 100 Millionen Euro die Rede. Diese Ausgaben kommen auf den Bund und die Länder zu. Damit sollen insgesamt 300 Millionen Euro aus öffentlichen Haushalten bereitgestellt werden. Faktisch wird damit nur ein Sechstel privat finanziert, während drei Sechstel direkt von Bund und Ländern und zwei Sechstel durch Steuerverluste der Bundes- und der Länderseite aufgebracht werden, was entsprechend zu Buche schlägt. Halten Sie das Verhältnis für angemessen, dass die privaten Geldgeber, die nur ein Sechstel finanzieren, faktisch über zwei Drittel des von Ihnen ausgewiesenen Volumens mit verfügen können? Die öffentliche Hand gibt hingegen fünf Sechstel der Mittel, belässt den Hochschulen aber nur ein Drittel, mit dem sie selber über die Stipendien verfügen können. Der Staat zahlt und Private legen fest: Ist das Ihre neue Form der modernen Zivilgesellschaft?

Prof. Dr. Helge Braun (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003510

Sehr geehrter Herr Kollege, die von Ihnen vorgenommene Rechnung kann ich jetzt nicht umfassend bestätigen. Sie gehen nämlich davon aus, dass bei jedem möglichen Stipendiengeber die steuerliche Absetzbarkeit in gleichem Umfang gegeben ist. ({0}) Ich habe bereits deutlich gemacht, dass die Gruppe der Stipendiengeber sehr heterogen sein wird, dass es sich hierbei nicht ausschließlich um Wirtschaftsvertreter oder um steuerpflichtige Privatpersonen handelt, sondern dass das Spektrum sehr breit sein wird. Insofern kann man das Ganze sowieso nicht exakt beziffern, sondern man kann es nur fallbezogen darstellen. Was die Verfügungsgewalt über das Stipendium angeht, möchte ich deutlich machen: Natürlich liegt die Verfügungsgewalt insgesamt bei der Hochschule. Derjenige, der quasi Stipendiengeber ist, hat keine Möglichkeit, über das Geld zu verfügen oder den Stipendiaten auszuwählen. Nach unserem Gesetzentwurf ist es so, dass der Stipendiengeber zwar die Möglichkeit hat, Kriterien festzulegen, aber nicht, den Stipendiaten auszuwählen. Das heißt, die Verfügenden über die Mittel sind die Hochschulen. ({1})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ich dachte, dass ich diese Wortmeldung zu dem Zeitpunkt, wo sie noch hätte notiert werden können, nicht gesehen habe. ({0}) Ich verweise auf meine bereits vorhin vorgetragene Empfehlung, zumal es einzelne Kollegen gibt, die möglicherweise noch die Hoffnung auf Auskünfte zu anderen Bereichen haben. Deswegen bitte ich um Nachsicht, dass ich jetzt weiteren Zusatzfragen mit etwas größerer Zurückhaltung als den Fragestellungen gegenübertrete. Ich rufe jetzt die Frage 11 des Kollegen Rossmann auf: Welche Überlegungen haben die Bundesregierung geleitet, von den Berechnungen des Wissenschaftsrates, die für die Verbesserung der Lehre an den Hochschulen mindestens 1 Milliarde Euro zusätzlich im Jahr ausweisen, abzusehen und lediglich ein Fünftel des Volumens vorzusehen? Herr Staatssekretär Rachel, bitte.

Thomas Rachel (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002754

Herr Präsident, vielen Dank. - Lieber Herr Kollege Dr. Rossmann, der Wissenschaftsrat weist in seinen Empfehlungen zur Qualitätsverbesserung von Lehre und Studium aus dem Juli 2008, auf die Sie sich beziehen, darauf hin, dass die föderale Struktur der Bundesrepublik Deutschland die Verantwortung für eine substanzielle Verbesserung der Lehrsituation und der Studiensituation den Bundesländern zuweist. Zugleich empfiehlt der Wissenschaftsrat, diese Aufgabe in gesamtstaatlicher Verantwortung zu lösen. Entsprechend dieser beschriebenen Verantwortung hat die Bundesministerin, Frau Professor Schavan, den Ländern ein gemeinsames Programm für bessere Studienbedingungen und mehr Qualität in der Lehre als quasi dritte Säule des Hochschulpakts angeboten. Es baut auf den bestehenden Maßnahmen von Ländern und Hochschulen einerseits sowie auf dem Beitrag der ersten Säule des Hochschulpakts für bessere Studienbedingungen andererseits auf.

Dr. Ernst Dieter Rossmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003211, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, es ist ja bemerkenswert, dass der Wissenschaftsrat einen Bedarf von rund 1 Milliarde Euro jährlich vorgestellt hat - gut begründet - und auch die Ministerin auf Milliarden Euro kommt. Aber die Ministerin kommt darauf, indem sie 200 Millionen Euro mal zehn nimmt, während der Wissenschaftsrat „1 Milliarde Euro in einem Jahr“ sagt. Darf ich dem, was Sie ausgeführt haben, entnehmen, dass die Bundesregierung erwartet, dass die Länder auf die 200 Millionen Euro, die der Bund jährlich einbringt, 800 Millionen Euro obendrauf legen? Oder: Mit welcher Quote, was die Bund-Länder-Finanzierung angeht, gehen Sie in die Verhandlungen auf der großen Bildungsratschlagsrunde am 10. Juni?

Thomas Rachel (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002754

Diese Schlussfolgerung können Sie für sich persönlich ziehen, allerdings nicht für die Bundesregierung. Wir haben vor, über die nähere Ausgestaltung der dritten Säule des Hochschulpakts zwischen Bund und Ländern intensiv zu verhandeln. Dabei ist klar, was auch der Wissenschaftsrat deutlich beschrieben hat, nämlich dass die Verantwortung für die Lehrsituation an den Hochschulen bei den Ländern liegt. Insofern ist es bemerkenswert, dass sich der Bund hierbei trotzdem zusätzlich einbringt. Wir werden das Gespräch mit den Ländern in der dafür eigens vorgesehenen Gemeinsamen Wissenschaftskonferenz suchen, um zu erreichen, dass die Lehrsituation an den Hochschulen deutlich verbessert werden kann. Dabei ist klar, dass sich die Länder hier in ganz erheblichem Maß einbringen müssen.

Dr. Ernst Dieter Rossmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003211, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, wenn das nur eine private Schlussfolgerung ist, die ich daraus ziehen darf, muss nach dem, was Sie gesagt haben, die Bundesregierung die Schlussfolgerung ziehen, dass sie, wenn sie von den Ländern nicht 800 Millionen Euro erwartet, selbst aber nur 200 Millionen Euro geben will, den Betrag von 1 Milliarde Euro, den der Wissenschaftsrat jährlich für notwendig hält, reduzieren muss. Meine Frage ist: Auf welches Volumen reduzieren Sie den Bedarf? Bei dem, was Sie bisher gesagt haben, gibt es ja nur die folgenden Möglichkeiten: Entweder Sie müssen den Betrag von 200 Millionen Euro erhöhen, oder Sie müssen 800 Millionen Euro von den Ländern erwarten, oder Sie müssen dem Wissenschaftsrat sagen, dass der Betrag von 1 Milliarde Euro, den er für notwendig hält, zu hoch bemessen ist und sachlich geboten nur 400 oder 500 Millionen Euro sind. Deshalb meine Frage, was sich die Bundesregierung an der Stelle bei dem, was Sie für die Bundesregierung bisher erklärt haben, gedacht hat oder denkt.

Thomas Rachel (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002754

Herr Kollege Dr. Rossmann, die Frage der finanziellen Volumina wird Gegenstand der Besprechungen zwischen Bund und Ländern in der Gemeinsamen Wissenschaftskonferenz sein. Die Bundesregierung ist initiativ geworden und hat Vorschläge für eine dritte Säule des Hochschulpakts zum Bereich der Lehre gemacht. Klar ist, dass nach der föderalen Zuständigkeit hier vor allem die Länder gefordert sind. Dies wird Gegenstand der weiteren Besprechungen sein.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ich rufe die Frage 12 auf, ebenfalls vom Kollegen Dr. Rossmann: Mit welchen konkreten Vorschlägen geht die Bundesregierung in die Beratungen mit den Ländern zur Konferenz der Regierungschefs von Bund und Ländern am 10. Juni 2010, um die notwendigen Nachbesserungen der Bologna-Reform im Sinne besserer Studienbedingungen, einer besseren Studierbarkeit sowie einer einfacheren nationalen wie europäischen Mobilität zu unterstützen? Es antwortet Herr Kollege Braun.

Prof. Dr. Helge Braun (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003510

Lieber Herr Kollege Rossmann, die Bundesregierung geht selbstverständlich mit konkreten Vorschlägen in die Beratungen mit den Ländern zur Konferenz der Regierungschefs von Bund und Ländern am 10. Juni. Der vom Kollegen Rachel eben schon angesprochene „Qualitätspakt Lehre“ ist ein Gegenstand. Darüber hinaus ist es natürlich die 23. BAföG-Novelle, in der auch auf die Besonderheiten des Bologna-Prozesses eingegangen wird. Zum Beispiel sind wir dazu übergegangen, vorzuschlagen, dass im Interesse der Master-Studierenden in Zukunft eine Bezugsdauer bis zum 35. Lebensjahr ermöglicht wird. Ebenso ist Teil des Verhandlungspakets des Bundes das nationale Stipendienprogramm.

Dr. Ernst Dieter Rossmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003211, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich weiß Ihre Antwort zwar zu schätzen. Aber ich glaube, dass auch bei weiteren Nachfragen nicht viel mehr herauskommen wird. Mit Blick auf die noch verbleibende Zeit verzichte ich auf weitere Nachfragen, sodass der Kollege Brase noch die Chance hat, seine Fragen zur beruflichen Bildung zu stellen.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Wie schön. ({0}) - Ich mache darauf aufmerksam, dass Lust keine Kategorie in unserer Geschäftsordnung ist. Das kann ich allenfalls subjektiven Präferenzen zuordnen, die ich nicht weiter kommentieren möchte. ({1}) Ich rufe die Frage 13 des Kollegen Brase auf: Welche Konsequenzen zieht die Bundesregierung aus der Tatsache, dass beim Hochschulpakt I allein Nordrhein-Westfalen die Zahl der zugesagten zusätzlichen Studierenden bisher bei weitem nicht erreicht hat, wohingegen andere Länder ihre Zusagen sogar übererfüllt haben? Bitte, Herr Kollege Rachel.

Thomas Rachel (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002754

Vielen Dank, Herr Präsident. - Herr Kollege Brase, in Nordrhein-Westfalen wurden allein im Jahr 2009 über 10 000 zusätzliche Studienmöglichkeiten geschaffen. Die Bundesregierung sieht angesichts der Tatsache, dass der Hochschulpakt jetzt auch in Nordrhein-Westfalen deutliche Wirkungen entfaltet und dass die bundesweit angestrebten Ziele zudem bereits deutlich übererfüllt worden sind, dass wir insgesamt auf einem guten Wege sind.

Willi Brase (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003054, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, nach den Unterlagen, die uns in den letzten Monaten von Ihrem Hause zugeleitet wurden, kann ich den Aufwuchs von 10 000 Plätzen in Nordrhein-Westfalen nicht ganz nachvollziehen. Weil wir also keine ausreichende schriftliche Erläuterung bekommen haben, wäre ich Ihnen dankbar, wenn Sie mir das jetzt einmal genauer erklären könnten. Für Nordrhein-Westfalen, dieses schöne und wichtige Bundesland, ist das mit Blick auf die Bildungspolitik ein ganz wesentlicher Punkt.

Thomas Rachel (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002754

Sehr geehrter Herr Kollege Brase, es ist tatsächlich so. Um es präzise zu sagen: Allein im Jahr 2009 sind 10 717 neue Studienanfänger in Nordrhein-Westfalen zu verzeichnen. Nordrhein-Westfalen hat erhebliche Anstrengungen unternommen, um zusätzliche Studienplätze zur Verfügung zu stellen. Wie Ihnen vielleicht bekannt ist, werden in Nordrhein-Westfalen drei neue Fachhochschulen gebaut. Acht bestehende Fachhochschulen werden ausgebaut. Dies sind wichtige Maßnahmen, die zur Schaffung von Tausenden zusätzlicher Studienplätze führen. Wir begrüßen diese Anstrengungen außerordentlich. Man kann daran sehen, dass sich in der Breite in Nordrhein-Westfalen Erhebliches bewegt.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Weitere Zusatzfrage? - Nein. Kollege Rossmann, bitte.

Dr. Ernst Dieter Rossmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003211, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, angesichts der Größe des Landes Nordrhein-Westfalen und der großen Zahl von Studierenden ist es nicht damit getan, mit absoluten Zahlen zu operieren, wie Sie es bei den Stipendienzahlen tun: Im Falle Nordrhein-Westfalens entsprechen 1 000 Plätze einem Anteil von 0,2 Prozent. Können Sie uns die Prozentzahlen bezogen auf die Studienanfängerplätze nennen? Denn die 10 000 zusätzlichen Studienplätze für Nordrhein-Westfalen, die Sie hier ankündigen, sind in Relation zu den 91 000 insgesamt geplanten Plätzen ein Neuntel. Aber NordrheinWestfalen hat mehr als ein Neuntel aller Studienplätze in Deutschland. Daher ist das, was Sie uns hier eben vorgefügt haben, eine besonders elegante Form der Nichtdarlegung von wahren Sachverhalten. Nennen Sie also bitte die Prozentzahlen für die einzelnen Bundesländer, damit wir sehen können, was Sie bis jetzt in Bezug auf den Hochschulpakt I umgesetzt haben.

Thomas Rachel (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002754

Herr Kollege Rossmann, die Umrechnung überlasse ich Ihren mathematischen Fähigkeiten. Das Land Nordrhein-Westfalen hat im vergangenen Jahr 10 717 zusätzliche Studienanfängerplätze geschaffen. Es ist im Rahmen des Hochschulpaktes vereinbart worden, dass, bezogen auf das Vergleichsjahr 2005, in Nordrhein-Westfalen insgesamt 26 000 zusätzliche Studienanfängerplätze geschaffen werden. ({0}) Jetzt im Jahr 2010 sehen wir, dass in erheblichem Maße ausgebaut wird. Es gibt in Nordrhein-Westfalen drei neue Fachhochschulen, die am 1. Mai 2009, also Mitte letzten Jahres, gegründet worden sind. Es ist natürlich klar: Bevor der Studienbetrieb aufgenommen werden kann, müssen diese Fachhochschulen erst einmal errichtet werden. Das ist die Fachhochschule Hamm-Lippstadt, das ist die Fachhochschule Rhein-Waal, und das ist die Fachhochschule Ruhr West. Das sind drei ganz neue Fachhochschulen. Dazu kommt, dass die Landesregierung in NordrheinWestfalen beschlossen hat, in Bochum die bundesweit erste Hochschule für Gesundheit zu errichten. Hier werden 1 000 neue Studienplätze zu einem gesellschaftlich sehr wichtigen Thema entstehen. Davon werden wir alle profitieren. Darüber hinaus sind neben den Aktivitäten an den verschiedenen Universitäten umfangreiche Ausbaumaßnahmen in acht weiteren Fachhochschulen vorgesehen. ({1})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ich rufe die Frage 14 des Kollegen Brase auf: Wie beurteilt die Bundesregierung die Auffassung des Deutschen Industrie- und Handelskammertages, dass nicht ein zu geringes Ausbildungsplatzangebot, sondern eine mangelnde Ausbildungsreife das Hauptproblem auf dem Ausbildungsmarkt ist?

Prof. Dr. Helge Braun (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003510

Sehr geehrter Herr Kollege Brase, im Hinblick auf die Ausbildungsplatzsituation geht die Bundesregierung davon aus, dass man nicht ein Hauptproblem definieren kann. Es gibt sowohl das Problem mangelnder Ausbildungsreife als auch das Problem fehlender Ausbildungsplätze. Zum Teil sind das regionale Probleme. Es gibt auch ein globales Problem; das hat mit Mobilität zu tun. Wir haben natürlich die Aufgabe, die Wünsche von Bewerbern um Ausbildungsplätze nach gewissen Ausbildungsberufen mit den Belangen der Wirtschaft zusammenzubringen. Die Bundesregierung ist hier auf einem guten Weg. Wir fördern die Berufsorientierung junger Menschen. Wir fördern die Bereitschaft zur Mobilität, und wir wollen uns - das haben wir heute in einem anderen Zusammenhang besprochen - intensiv darum kümmern, Brüche in Bildungsbiografien zu vermeiden, um bei allen Jugendlichen Ausbildungsreife zu erzielen. In diesem Dreiklang der unterschiedlichen Probleme, die wir haben, betrachtet die Bundesregierung die Ausbildungsplatzsituation in Deutschland.

Willi Brase (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003054, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär Braun, wir haben heute eine Pressenotiz des Statistischen Bundesamtes über die Zahl der neu eingetragenen Ausbildungsverhältnisse, bezogen auf 2009, erhalten. Es gibt bundesweit ein Minus von über 7 Prozent. - Das als Eingangsbemerkung. Im Rahmen einer Umfrage der IHK - darauf bezieht sich meine Frage - wurde von vielen - nicht von allen befragten Unternehmen zum Ausdruck gebracht, dass dieses Minus an eingetragenen Ausbildungsverhältnissen daran liegt, dass ein Großteil der Jugendlichen offensichtlich nicht ausbildungsreif sei. Ich kann diese These nicht nachvollziehen und frage Sie, ob Sie nicht mit mir der Auffassung sind, dass immer dann, wenn von den Unternehmen nicht genügend Ausbildungsplätze zur Verfügung gestellt werden, das Argument kommt, es gebe nicht genügend ausbildungsfähige junge Leute. Ich halte es für nicht richtig, so mit Menschen umzugehen. Mich würde interessieren, ob das zuständige Haus, sprich: die zuständige Ministerin und ihr Haus, das ähnlich sieht oder ob man der Industrie und den Unternehmen angesichts dessen, dass das Statistische Bundesamt, bezogen auf 2009, ein Minus von 7,9 Prozent gegenüber 2008 errechnet hat, nicht deutlich sagen muss: „So einfach lassen wir das nicht durchgehen.“

Prof. Dr. Helge Braun (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003510

Sehr geehrter Herr Kollege Brase, zunächst zum Jahr 2009. Infolge der Wirtschaftskrise muss man die statistischen Zahlen für dieses Jahr mit sehr gemischten Gefühlen betrachten. Auf der einen Seite gibt es in der Tat einen erheblichen Rückgang der Zahl neuer Ausbildungsverhältnisse. Auf der anderen Seite gibt es, bedingt durch die demografische Situation, einen deutlichen Rückgang der Zahl der Ausbildungsplatzbewerber, sodass sich das Verhältnis insgesamt sogar verbessert hat. Sie wissen auch, dass sich im Jahr 2009 zum Beispiel die Jugendarbeitslosigkeit in Deutschland trotz der Krise verringert hat. Ich denke, es existiert aufgrund des Ausbildungspaktes, den wir in Deutschland vereinbart haben, der insgesamt gute Konsens zwischen Wirtschaft und allen beteiligten Partnern, dass es eine wichtige gesamtgesellschaftliche Aufgabe ist, Jugendlichen Ausbildungsplätze zur Verfügung zu stellen. Wenn Einzelne, wie Sie es eben angesprochen haben, sozusagen um Ausreden ringen, warum sie keine Ausbildungsplätze schaffen können, ist das betrüblich. Ich habe nicht den Eindruck, dass der DIHK - Sie haben ihn genannt - und andere große Verbände, die im Ausbildungspakt mit uns eng zusammenarbeiten, das tun. Es ist unsere Aufgabe, individuell zu schauen, welche verschiedenen Hindernisse es gibt, dass Jugendliche vergeblich einen Ausbildungsplatz suchen, obwohl es noch offene Stellen gibt. Die Frage ist: Wie können wir diese Lücke schließen? Hier tritt zum einen das Problem auf, dass es Jugendliche gibt, die eine mangelnde Ausbildungsreife haben. Ein anderes Problem sind regionale oder andere Mobilitätsfaktoren. Ein drittes Problem habe ich schon angesprochen. Es gibt also verschiedene Varianten. Ich denke, es wird dem wichtigen Anliegen, Ausbildungsplätze zu schaffen, nicht gerecht, bei diesem Thema eine Monokausalisierung vorzunehmen.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ihre Zusatzfrage, bitte.

Willi Brase (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003054, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, bei der Frage, ob hier tatsächlich verallgemeinert wird, wäre ich zurückhaltend. Der DIHK hat, wenn ich das richtig mitbekommen habe, diese Zahlen an uns alle versandt. Der Hauptgeschäftsführer hat das in der Presse entsprechend gewürdigt. Das ist ein erster Punkt, der feststeht. Der Präsident des Zentralverbands des Deutschen Handwerks, Otto Kentzler, hat dies nicht getan. Er hat gesagt, dass die Voraussetzungen der Auszubildenden heute im Wesentlichen nicht schlechter als früher bzw. teilweise genauso gut wie früher sind. Beide arbeiten nach meinem Kenntnisstand als Mitglieder des Komitees am Ausbildungspakt mit. Meine Frage ist: Sind Sie bereit, im Zusammenhang mit dem Ausbildungspakt intensiv über die unterschiedlichen Auffassungen hinsichtlich der Beurteilung von jungen Leuten zu debattieren? Können Sie, wenn Sie meine Einschätzung teilen - man kann nicht allein die jungen Menschen dafür verantwortlich machen, wenn es nicht genügend Ausbildungsplätze gibt -, dies thematisieren? Können Sie mit den Verbänden überlegen, wie man zusätzliche und bessere Maßnahmen - von der alten Regierung und von Ihrem Hause wurden schon Maßnahmen angestoßen - verstärkt auf den Weg bringen kann, damit die jungen Leute nicht mit solch einer negativen Zuschreibung versehen werden?

Prof. Dr. Helge Braun (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003510

Sehr geehrter Herr Brase, um es deutlich zu sagen: Die Bundesregierung wird sich gegen die einseitige negative Zuschreibung verwahren, nach der allein die mangelnde Qualifikation der Jugendlichen Ursache dafür ist, dass nicht genügend Ausbildungsplätze gewonnen werden können. Wir haben allerdings nicht den Eindruck, dass Sie die Positionen, die Sie angesprochen haben, vollinhaltlich wiedergegeben haben. Beim Ausbildungspakt hat sich aber mehrfach offenbart, dass es bei der Bewertung des Problems - offene Stellen auf der einen Seite, Ausbildungsplatzsuchende auf der anderen Seite unterschiedliche Schwerpunktsetzungen gibt. Die Bundesregierung wirbt dafür, sich im Interesse einer entspannten und sachorientierten gesamtgesellschaftlichen Diskussion im Vorfeld des nächsten Ausbildungspakts allen drei Ursachen zu widmen, anstatt sie im Sinne einer Schwerpunktsetzung zu gewichten. Es geht darum, an allen drei Punkten zu arbeiten. Ich denke, das wird der Ausbildungspakt auch dieses Mal tun, um der Situation der Jugendlichen gerecht zu werden. Der Ausbildungspakt ist in der Vergangenheit in der Tat immer sehr erfolgreich gewesen, und zwar in Zusammenarbeit mit den Beteiligten, die Sie hier angesprochen haben.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ich rufe auf die Frage 15 der Kollegin Alpers: Wann will die Bundesregierung den Berufsbildungsbericht 2010, der bereits vor einiger Zeit von den Autorinnen und Autoren vorgelegt und über den bereits Anfang März 2010 in den Medien diskutiert wurde ({0}), der Öffentlichkeit zur Verfügung stellen, und mit welchen Akteuren wie etwa Lobbyvertreterinnen oder -vertretern bzw. Vertreterinnen oder Vertretern von Verbänden steht sie in Bezug auf die Freigabe des Berichtes in Kontakt? Bitte, Herr Staatssekretär.

Prof. Dr. Helge Braun (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003510

Sehr geehrte Frau Kollegin Alpers, der Entwurf des Berufsbildungsberichts ist der Bundesregierung zugegangen. Derzeit ist es beabsichtigt, ihn in der Kabinettssitzung am 28. April 2010 zu beraten. Wenn er dort verabschiedet wird, wird er dem Bundestag und dem Bundesrat unmittelbar zugeleitet und zeitgleich auf der Homepage des Bundesministeriums für Bildung und Forschung online gestellt.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Frau Kollegin, Ihre Zusatzfrage.

Agnes Alpers (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004002, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Staatssekretär, es wundert mich, dass seit sechs Wochen über einen unveröffentlichten Bericht gesprochen wird. Als ausbildungspolitische Sprecherin erhalte ich von der Presse, von Verbänden usw. Nachfragen. Wie kann es sein, dass die festgesetzte Frist für die Veröffentlichung des Berichts - nämlich die Sitzung am Freitag - nicht eingehalten wird, dass wir die Unterlagen nicht rechtzeitig erhalten, obwohl die Öffentlichkeit schon seit dem 3. März über den Vorabentwurf diskutiert? Es gibt offenbar ein Missverständnis in der berufspolitischen Debatte. Ich frage mich, woran es liegt und welche Ergebnisse vorliegen.

Prof. Dr. Helge Braun (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003510

Sehr geehrte Frau Kollegin, dieses Missverständnis kann man aufklären. Im Rahmen der Erstellung des Berufsbildungsberichtes gibt es verschiedene Ausschüsse, die sich mit dem Entwurf beschäftigen und Stellungnahmen abgeben. Diese Stellungnahmen sind Teil des Berufsbildungsberichts. Sofern Personen in dieses Gremium berufen sind, haben sie den Entwurf zwecks Erstellung einer Stellungnahme erhalten. Erst wenn der Entwurf seitens des BIBB fertiggestellt ist, wird er uns zugeleitet und von uns nach der Ressortabstimmung im Kabinett beschlossen. Dann wird er dem Bundestag zur Verfügung gestellt. Die Personen, die in dem Gremium für die Erstellung des Berichts sowie für andere Aufgaben zuständig sind, gehören keinen Verbänden an.

Agnes Alpers (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004002, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Braun, habe ich es richtig verstanden, dass Sie in keinerlei Verbindung zu Verbänden stehen? Sie stehen bezüglich der Freigabe des Berichts auch nicht mit den entsprechenden Stellen in Kontakt, stimmt das?

Prof. Dr. Helge Braun (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003510

Nach der Zuleitung wird die Bundesregierung im Rahmen ihrer eigenen Kompetenzen, aber auch ihrer eigenen Ressorts eine Abstimmung herbeiführen, darüber hinaus nicht.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ich rufe die Frage 16 der Kollegin Agnes Alpers auf: Teilt die Bundesregierung die von der Gruppe der Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber im Hauptausschuss des Bundesinstituts für Berusbildung, BIBB, in ihrer Stellungnahme zum Entwurf des Berufsbildungsberichts 2010 ({0}) formulierte Auffassung - bitte begründen -, dass der Berufsbildungsbericht auf die Angabe einer sogenannten Erweiterten Angebots-Nachfrage-Relation auf dem Ausbildungsmarkt verzichten sollte?

Prof. Dr. Helge Braun (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003510

Sehr geehrte Frau Kollegin Alpers, Sie wollen wissen, ob es auch in Zukunft im Rahmen des Berichtes die Erweiterte Angebots-Nachfrage-Relation gibt. Ich kann Ihnen das bejahen. Die Bundesregierung beabsichtigt, diesen Indikator auch in Zukunft zu erheben.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Es gibt keine weitere Zusatzfrage. Dann sind wir am Ende dieses Geschäftsbereichs. Ich bedanke mich bei den Kollegen, die für die Bundesregierung geantwortet haben. Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung auf. Zur Beantwortung der Fragen steht die Parlamentarische Staatssekretärin Frau Kopp zur Verfügung.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ich rufe die Frage 17 des Kollegen Lischka auf: Wie soll die vom Bundesminister Dirk Niebel beabsichtigte „Verzahnung“ von Bundeswehr und Entwicklungshilfe konkret umgesetzt werden, insbesondere hinsichtlich des Abschlusses von Vereinbarungen mit Hilfsorganisationen und Vorgaben durch die Bundeswehr unter anderem?

Gudrun Kopp (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003160

Vielen Dank, Herr Präsident! - Die Entwicklung in den Bereichen Sicherheit, Regierungsführung und ziviler Aufbau steht in Afghanistan in einem Wechselverhältnis. Die deshalb angestrebte bessere Verzahnung des zivilen und militärischen Engagements Deutschlands erfolgt über eine intensive Abstimmung zwischen den zivilen und den militärischen Akteuren. Die Koordination der zivilen Beiträge der Bundesregierung, die teils über staatliche und teils über nichtstaatliche Durchführungsorganisationen umgesetzt werden, erfolgt über die Vertreter der zivilen Ressorts vor Ort. Die Abstimmung zwischen den zivilen Ressortvertretern und der Bundeswehr erfolgt im Rahmen des vernetzten Ansatzes und gemäß den jeweiligen Zuständigkeiten. Die Bundesregierung stärkt das zivilgesellschaftliche Engagement in Afghanistan mit zusätzlich bereitgestellten Mitteln in Höhe von 10 Millionen Euro im Jahr 2010, die über den aktuellen Haushalt des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung bereitgestellt werden. Diese Mittel sollen entwicklungspolitischen Maßnahmen deutscher Nichtregierungsorganisationen insbesondere in der Schwerpunktregion des deutschen Engagements in Nordafghanistan zugutekommen.

Burkhard Lischka (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004099, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Staatssekretärin, zu der von Ihnen angesprochenen Verzahnung zwischen der Bundeswehr im Norden und deutscher Entwicklungshilfe. Bedeutet das, dass künftig Entwicklungshilfegelder in erster Linie nur noch in den Norden Afghanistans fließen?

Gudrun Kopp (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003160

Nein, sehr geehrter Herr Kollege Lischka, das bedeutet es nicht. Die Bundesregierung ist der Auffassung, dass Sicherheit die grundsätzliche Voraussetzung für den zivilen Aufbau ist. Ohne Sicherheit kein Aufbau. Eine relative Sicherheit gibt es im Norden des Landes, wo wir die Bundeswehr stationiert haben. Dort sehen wir in allererster Linie die Möglichkeit, den zivilen Aufbau zu verstärken. Aber wir beschränken uns nicht nur auf den Norden, sondern es gibt auch Projekte zum Beispiel im Süden und im Grenzbereich zu Pakistan.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Haben Sie eine weitere Zusatzfrage?

Burkhard Lischka (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004099, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Das ist gut zu hören. Meine Zusatzfrage lautet: Sind Ihnen Zahlen bekannt, die besagen, wie viele deutsche Hilfsorganisationen derzeit in Afghanistan tätig sind und wie viele von ihnen eine Förderung durch Bundesmittel erhalten?

Gudrun Kopp (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003160

Die Anzahl der in Afghanistan tätigen Organisationen habe ich nicht präsent. Ich kann Ihnen aber Zahlen nennen, die bereits Ihre nächste Frage betreffen: Im Jahre 2009 wurden 2,3 Millionen Euro der vom BMZ bereitgestellten Mittel in Höhe von 252 Millionen Euro sowie 6,1 Millionen Euro der vom Auswärtigen Amt bereitgestellten rund 108 Millionen Euro aus dem Stabilitätspakt den deutschen Nichtregierungsorganisationen zur Verfügung gestellt. Es handelt sich um einen kleinen Betrag, wenn man bedenkt, dass das Gros der zivilen Beiträge der Bundesregierung für Afghanistan über die staatlichen Durchführungsorganisationen finanziert und durchgeführt wird. Es liegt in der Entscheidung der zivilen Organisationen, sich um diese Mittel zu bewerben. Das impliziert natürlich folgende Frage: Wollen die privaten Durchführungsorganisationen diese Projekte unter Begleitung der Bundeswehr als Sicherheitsfaktor durchführen? Ich denke, dass das ein guter Ansatz ist. Die Bundesregierung legt Wert darauf, im neuen Afghanistankonzept einen Schwerpunkt auf den zivilen Aufbau zu legen. Das ist durch die Verdoppelung der Mittel zum Ausdruck gekommen. Wir befinden uns jetzt in der Phase der Umsetzung und sind zuversichtlich, dass sie erfolgreich sein wird.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Wenn Sie sich beeilen, Frau Kopp, haben Sie jetzt noch 40 Sekunden für die Beantwortung der Frage 18 des Kollegen Lischka.

Gudrun Kopp (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003160

Gerne.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Dann rufe ich jetzt die Frage 18 des Kollegen Lischka auf: Wie will die Bundesregierung für einen vollständigen Mittelabfluss der auf 430 Millionen Euro aufgestockten Gelder für den zivilen Wiederaufbau sorgen, vorausgesetzt, die in Afghanistan tätigen Hilfsorganisationen bleiben bei ihrer Ablehnung einer derartigen Verzahnung?

Gudrun Kopp (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003160

Vielen Dank, Herr Präsident. - Diese Frage habe ich eben zum Teil bereits beantwortet. Ich möchte noch ergänzen, dass die Bundesregierung davon ausgeht, dass weiterhin zahlreiche deutsche Nichtregierungsorganisationen Projekte in Nordafghanistan umsetzen wollen. Die Bundesregierung beabsichtigt daher, diese mit zusätzlichen Mitteln zu unterstützen.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Wir sind damit am Ende der Fragestunde und damit auch am Schluss der heutigen Tagesordnung angelangt. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Donnerstag, den 22. April 2010, 9 Uhr, ein. Ich wünsche Ihnen noch einen angenehmen und interessanten Abend. Die Sitzung ist geschlossen.