Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Die Sitzung ist eröffnet.
Guten Tag, liebe Kolleginnen und Kollegen! Zwischen den Fraktionen ist verabredet, die heutige Tagesordnung mit einer Regierungserklärung des Bundesministers für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung zur
Sicherheit im Luftverkehr zu beginnen. Außerdem soll
unmittelbar im Anschluss an die Befragung der Bundesregierung eine von der Fraktion der SPD verlangte Aktuelle Stunde zum Thema Steuern durchgeführt werden.
Die Fragestunde erfolgt danach. - Sie sind offensichtlich
mit diesen Ergänzungen einverstanden. Dann ist das so
beschlossen.
Ich rufe den Zusatzpunkt 1 auf:
Abgabe einer Regierungserklärung durch den
Bundesminister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
zur Sicherheit im Luftverkehr
Das Wort erhält Herr Bundesminister Ramsauer.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die
gute Nachricht von heute vorneweg: Die Vulkanasche
im deutschen Luftraum hat sich so stark verflüchtigt,
dass der normale Flugbetrieb in Deutschland wieder aufgenommen werden konnte.
({0})
Das entbindet uns aber nicht davon, flugverkehrliche
Vorkehrungen für das Phänomen der Vulkanasche zu
treffen. Denn klar ist: Sicherheit steht weiter an allererster Stelle.
Die gigantische Aschewolke, die nach dem Vulkanausbruch auf Island am Mittwoch letzter Woche entstanden ist, stellt für den gesamten europäischen Luftverkehr
ein historisch erstmaliges Phänomen und damit auch
eine erstmalige Herausforderung dar. Es war deshalb absolut richtig und - ich betone das - alternativlos, bei
Vorliegen erster Erkenntnisse unverzüglich Vorsichtsmaßnahmen zu ergreifen und am Donnerstag der vergangenen Woche erhebliche Einschränkungen des Flugverkehrs vorzunehmen.
({1})
- Geduld!
Die von der Bundesregierung in engem Zusammenwirken mit den europäischen Nachbarländern sowie den
zuständigen Luftsicherheitsbehörden getroffenen Entscheidungen basieren auf zwei fundamentalen Grundlagen:
Erstens. Im Flugverkehr kann die oberste Priorität nur
größtmögliche Sicherheit sein:
({2})
Sicherheit für die Passagiere, Sicherheit für die Besatzungen, Sicherheit für die Menschen auch am Boden.
Dies gilt für den Donnerstag der letzten Woche, und dies
gilt bis heute; es wird auch in Zukunft zu gelten haben.
Die zweite Grundlage bildet das unbestrittene und
glasklare internationale Regelwerk, das von allen Verantwortlichen einzuhalten ist.
Ich selber habe nach Bekanntwerden der ersten Warnungen vor den tückischen Vulkanstaubpartikeln nach
Rücksprache mit den Experten meines Ministeriums unmittelbar einen zentralen Krisenstab bei der Deutschen
Flugsicherung aktiviert.
({3})
Die ersten Warnmeldungen erreichten mich am Donnerstag gegen Mittag zum Ende der Länderverkehrsministerkonferenz in Bremen. Der zentrale Krisenstab
bei der Deutschen Flugsicherung in Langen nahm kurz
darauf seine Arbeit auf.
Redetext
Die Einrichtung des Krisenstabs unter der Federführung meines Hauses bei den anerkannten Experten vor
Ort war und bleibt die richtige Entscheidung.
({4})
In die Arbeit des Krisenstabes wurden - ich möchte das
deutlich machen - der Deutsche Wetterdienst, das Bundesaufsichtsamt für Flugsicherung, die in Maastricht
ansässige europäische Luftraumbehörde Eurocontrol institutionell eingebunden sowie konsultativ die Luftverkehrsgesellschaften. Uns ging es nicht darum, ein völlig
neues Gremium zu schaffen, sondern uns ging es darum,
schnell und pragmatisch auf den bewährten Sachverstand der Experten und die nur vor Ort ansässigen technischen Einrichtungen setzen zu können.
Am vergangenen Wochenende und auch am Montag
erfolgte meinerseits eine enge Abstimmung mit allen nationalen politischen Akteuren. Nach meinem Selbstverständnis gebietet ein derartig sicherheitsrelevantes
Thema, keinerlei unterschiedliche Kommunikation zwischen den Regierungsparteien und -fraktionen einerseits
und der Opposition andererseits zu betreiben.
({5})
Denn dieses Thema eignet sich nicht für parteipolitische
Profilierungen.
({6})
Ich habe unter anderem Gespräche mit den verkehrspolitischen Sprechern aller im Deutschen Bundestag vertretenen Parteien geführt, selbstverständlich unter Teilnahme des Vorsitzenden des Ausschusses für Verkehr,
Bau und Stadtentwicklung. Konsultiert wurden zudem
die verantwortlichen Länderverkehrsminister. In all diesen Gesprächen herrschte völlige Einmütigkeit über die
Notwendigkeit der ergriffenen Maßnahmen. Ich bin außerordentlich dankbar, dass dies von den Beteiligten in
aller Einmütigkeit nach außen betont und unterstrichen
worden ist. Gleiches gilt als Fazit der gestrigen Sondersitzung des Verkehrsausschusses des Deutschen Bundestages. Wir alle sind uns einig, dass angesichts der
historisch einzigartigen Herausforderungen alle zu ergreifenden Maßnahmen unter dem Gebot einer Strategie
bestmöglich fundierter Sicherheit stehen müssen.
Parallel zu den nationalen Abstimmungen stehen sowohl ich persönlich als auch die Fachleute meines Hauses in ständigem bilateralen und multilateralen Kontakt
zu den europäischen Verkehrsministerkollegen, ebenso
zum verantwortlichen EU-Verkehrskommissar, Siim
Kallas, sowie zur spanischen EU-Ratspräsidentschaft
und meinem spanischen Kollegen.
Am Montag haben wir im Rahmen einer EU-Sonderkonferenz der Verkehrsminister per Videoschaltung über
konkrete Wege hin zu einer verantwortbaren Schritt-fürSchritt-Rückkehr zur Aufnahme eines geordneten und
normalen Flugbetriebs beraten. Dies alles geschah unter
der Prämisse größtmöglicher Sicherheit.
Alle diese Abstimmungsprozesse betreffen aber - das
sei betont - zunächst einmal die rein luftverkehrlichen
Fragen. Darüber hinaus unternimmt und unternahm die
Bundesregierung intensive Anstrengungen, denen zu
helfen, die von den Flugausfällen betroffen sind. Dazu
leistet mein Haus im Zusammenwirken mit dem Bundeskanzleramt umfassende Koordinierungsarbeit mit dem
Auswärtigen Amt, dem Bundesinnenministerium und
dem Bundeswirtschaftsministerium. Wichtige Hilfestellungen richten sich an diejenigen Passagiere, die etwa
ohne erforderliche Visa bei Zwischenlandungen auf
Flughäfen festsitzen, oder besonders dringende Fälle
von im Ausland gestrandeten deutschen Flugpassagieren. Gleiches gilt etwa auch bei Krankentransporten sowie Organtransporten für lebensrettende Transplantationen.
Bei der Bewältigung der krisenhaften Folgen des Vulkanausbruchs für die Luftfahrt im wohl am stärksten in
Anspruch genommenen Luftraum der Welt betreten alle
Beteiligten Neuland. Dies gilt für die Luftsicherheitsbehörden und für die Wissenschaftler ebenso wie für die
politisch Verantwortlichen. Dies gilt national wie auch
international. Sicherheit und die Befolgung klarer internationaler Regeln müssen oberstes Gebot sein. Wir
halten uns bei allen ergriffenen Maßnahmen deshalb an
die Vorgaben der internationalen Luftfahrtorganisation
ICAO, solange es keine besseren Regelungen gibt.
Das internationale Regelwerk untersagt reine Instrumentenflüge in mit Vulkanasche kontaminierten Lufträumen. Möglich und vom internationalen Recht gedeckt sind jedoch begründete Ausnahmen. Wir haben
Flüge im Einklang mit diesem Regelwerk geduldet, die
nach den Kriterien des kontrollierten Sichtfluges durchgeführt wurden, selbstverständlich unter bestmöglicher
Nutzung der zur Verfügung stehenden Instrumente und
selbstverständlich unter Wahrung der gebotenen Sicherheit. Kontrollierte Sichtflüge setzen gute Sichtverhältnisse sowie eine geringe Inanspruchnahme durch die
Fluggesellschaften voraus.
Bereits am Samstag erfolgte auf diese Weise eine
Reihe von Überführungsflügen unter anderem deutscher
Fluglinien, um die Flugzeuge für den Normalbetrieb an
ihren Bedarfsstandorten positioniert zu haben. Diese
Flüge erfolgten ohne Passagiere und lieferten uns in Absprache mit den Luftsicherheitsinstitutionen wertvolle
Erkenntnisse. Am Montag folgten erste Passagierflüge
unter den Bedingungen des eben beschriebenen kontrollierten Sichtfluges. Das war vor allem im Interesse der
gestrandeten Urlauber, die seit Tagen im Ausland auf
Flughäfen festsitzen und nun zurück nach Deutschland
reisen können. Wir alle müssen hierzu aber eines wissen:
Ein regulärer Flugplan ist unter Sichtflugbedingungen
im dicht belasteten europäischen und besonders im deutschen Luftraum nicht möglich.
Um nun schrittweise zu einem regulären Flugbetrieb
unter Wahrung größtmöglicher Sicherheit zurückzukehren, sind vor allem zwei Voraussetzungen zu erfüllen:
erstens genaue Kenntnisse über die örtliche Verbreitung
der Vulkanasche in der Atmosphäre und zweitens genaue Kenntnisse über die Auswirkungen von Vulkanasche auf die Triebwerke der Flugzeuge. Wir brauchen
verlässliche Aussagen. Deshalb haben wir im Zusammenwirken mit den wissenschaftlichen Fachdiensten alle
Möglichkeiten mobilisiert, um zu möglichst vielen aktuellen und vor allem zu belastbaren Messdaten zu kommen. Von zentraler Bedeutung sind die Erkundungen
und Messungen des Forschungsflugzeugs des Deutschen
Zentrums für Luft- und Raumfahrt. Die Maschine, die
„Falcon“, wie sie immer bezeichnet wird, ist auch im
europäischen Kontext eines der wenigen technischen
Geräte zur flugzeugbasierten Atmosphärenforschung.
Dies zeigt, dass unser Land auf diesem Gebiet technisch
gut aufgestellt ist.
In den vergangenen Tagen haben alle Beteiligten, insbesondere die Mitarbeiter der Flugsicherung, die Meteorologen, die Triebwerksingenieure, die Piloten und die
staatlichen Stellen, erhebliche empirische Erfahrungen
gewonnen. Der Zugewinn an Erkenntnissen ist beträchtlich: Erstens. Die Ergebnisse zahlreicher Erdbeobachtungsstellen liegen vor. Zweitens. Inzwischen haben
Hunderte von Flugbewegungen mit anschließender Auswertung in Deutschland und Europa stattgefunden. Drittens liegt die Auswertung der mit dem DLR-Forschungsflugzeug erhobenen Daten vor. An der Maschine ist
allerdings ein im Flugalltag gängiger mechanischer
Schaden aufgetreten. Nach seiner Behebung wird sie
ihre wertvolle Arbeit wieder aufnehmen. Die aus den
verschiedenen Quellen gewonnenen Erkenntnisse sind
analysiert und systematisiert worden. Die international
gültigen ICAO-Regeln können auf Basis dieser wertvollen Erfahrungen weiterentwickelt werden. Ich bin überzeugt, dass wir damit unter schwierigen Bedingungen einen wichtigen Beitrag zur internationalen Flugsicherheit
leisten.
Vorsorge treffen und ein umfassendes Maßnahmenbündel für die Zukunft schnüren, das muss jetzt unmittelbar folgen. Bis wissenschaftlich gesicherte und verifizierte Daten vorliegen, und zwar erstens für die
Verbesserung von meteorologischen Verfahren zur Bestimmung von Flugasche und zweitens für die Herausbildung von Standards für technische Analysen zur Wirkung von Vulkanasche auf Triebwerke, wird noch etwas
Zeit vergehen. Wir arbeiten auf europäischer und internationaler Ebene mit Hochdruck zusammen, um hierbei
möglichst schnell Fortschritte zu erzielen. Damit kann
auch der Beschluss der EU-Verkehrsminister auf der
Konferenz am 19. April 2010 umgesetzt werden.
Kurzfristig und als Zwischenschritt brauchen wir allerdings ein Maßnahmenbündel, um einen annähernd regulären Flugbetrieb bei in der Atmosphäre gegebenenfalls wieder auftretender Vulkanasche zu ermöglichen.
Dazu habe ich Folgendes bereits veranlasst: erstens die
Einrichtung eines Meldezentrums beim Luftfahrtbundesamt; es geht um die Meldung von Vorkommnissen bei
Flugzeugen, insbesondere bei Triebwerken, die durch
Vulkanasche verursacht wurden oder verursacht worden
sein könnten; zweitens eine Meldepflicht für alle Fluggesellschaften; drittens die Meldung besonderer Vorkommnisse während des Fluges, die durch Vulkanasche
verursacht worden sein könnten, an die Flugsicherung;
viertens die Verpflichtung für die Luftfahrtunternehmen,
ihre eigenen Risikobewertungen fortzusetzen und dauerhaft zu aktualisieren; fünftens die Verkürzung der Inspektions- und Wartungsintervalle bei allen Flugzeugen.
Mit diesen Maßnahmen besteht die verantwortbare
Chance auf eine geordnete Rückkehr zum normalen
Flugbetrieb. Ein reibungsloser Flugverkehr ist für unsere
Bürgerinnen und Bürger, aber auch für unsere gesamte
Volkswirtschaft inmitten einer globalisierten Welt dauerhaft von erheblicher Bedeutung.
Ich möchte mich bei allen ganz herzlich für die konstruktive Begleitung und Unterstützung in diesen
schwierigen Tagen bedanken.
Herzlichen Dank.
({7})
Zwischen den Fraktionen ist verabredet, zu dieser Regierungserklärung eine Stunde zu debattieren. - Dazu
sehe ich keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich gebe das Wort dem Kollegen Florian Pronold für
die SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Minister, Sie haben recht: Erstens.
Wir stehen vor einer außergewöhnlichen Situation.
Zweitens. In einer solchen Situation haben die Sicherheit
des Flugverkehrs und die Sicherheit der Menschen in
den Flugzeugen und auf dem Boden absolute Priorität.
Das wird vom ganzen Haus ungeteilt vertreten.
({0})
In einer solchen Situation sieht professionelles Krisenmanagement aber anders aus. Seit Montag dieser Woche stellt sich eine Frage. Es gibt Ausnahmegenehmigungen für Sichtflüge von großen Passagiermaschinen.
Wir haben in der gestrigen Sondersitzung des Ausschusses erfahren, dass diese Sichtflüge dem internationalen
Regelwerk entsprechen. Wir haben auch erfahren, dass
es einer Ausnahmegenehmigung bedarf, wenn große
Passagiermaschinen einen Sichtflug machen wollen. Wir
haben ebenfalls erfahren, dass die Verantwortung dann
auf den Piloten übergeht, der diesen Sichtflug durchführt. Jetzt wissen wir, dass sich die Partikelbelastung
durch die Vulkanasche nicht als Wolke über Deutschland
darstellt, die man umfliegen kann oder die man sieht,
sondern dass diese Partikelbelastung in unterschiedlichen Sphären und an unterschiedlichen Orten in unterschiedlicher Konzentration vorliegt. Wir haben auch erfahren, dass noch nicht geklärt ist, ab welcher
Konzentration eine Gefährdung für die Technik der
Flugzeuge besteht. Jetzt lauten die spannenden Fragen,
die man beantworten muss und die die Menschen interessieren: Warum wird, wenn Sicherheit Priorität hat,
eine Ausnahmegenehmigung erteilt, bevor das Flugzeug
gestartet ist, das die Belastung messen soll? Welche
Grundlagen liegen auf europäischer Ebene vor, um zu
sagen: „Die Sicherheit des Luftraums ist gegeben oder
nicht“? Die Pilotenvereinigung Cockpit hat zu Recht ge3386
fragt - diese Frage wurde bislang nicht beantwortet -:
Wann ist der Luftraum sicher? Für die Maschine macht
es keinen Unterschied, ob es sich um einen Sichtflug
oder einen Instrumentenflug handelt; denn in beiden Fällen ist die Gefährdungslage durch die Partikel gleich
groß. Diese ist bis heute nicht geklärt.
({1})
Sie waren am Anfang der Woche stolz darauf, eine
zentrale Rolle in der europäischen Koordinierung zu
spielen. Jetzt stellt sich die Frage: Warum wird in Europa bezüglich der Freigabe des Luftraums und der Sicherheit unterschiedlich entschieden? Der Luftraum erstreckt sich nicht nur über Deutschland, sondern über
ganz Europa. Deswegen muss es ein zentrales Anliegen
sein - dies dient der Sicherheit -, dass europäisch einheitlich entschieden wird. Dies findet aber nicht statt.
Das führt zu zusätzlicher Verunsicherung. Die nächste
Frage - diese haben wir am Freitag letzter Woche aufgeworfen - bezieht sich auf die Passagiere: Was ist mit den
Nachtflugverboten? Können wir, sobald Sicherheit besteht, das Nachtflugverbot vorübergehend aufheben, um
sensible Güter zu transportieren und wartende Passagiere schneller zurückzuholen? Die Antwort des Ministeriums einen Tag später lautete: Das fällt in die Zuständigkeit der Bundesländer.
({2})
Ein Verkehrsminister, der ein zentrales Krisenmanagement betreiben will, hätte doch sagen können: Ich habe
mit meinen Kollegen gesprochen. Sobald Sicherheit besteht, werden wir alles tun und auch das Nachtflugverbot
vorübergehend aufheben. - Fehlanzeige!
({3})
Bis Sonntag hat sich der Minister nicht zentral darum gekümmert; er hat delegiert. Dann wurde versucht, hier
den starken Max zu markieren.
Was ist passiert? Ein Beispiel für die angeblich gute
Koordinierung in dieser Regierung ist Folgendes: Herr
Brüderle hat sich am Montag zu Wort gemeldet und erklärt, er richte jetzt zusammen mit dem BDI eine
Taskforce ein, um alle Fragen der Krisenbewältigung zu
koordinieren. Er hat den großen Airlines Hilfen in Aussicht gestellt.
({4})
Ein paar Tage später ist er zurückgerudert.
({5})
Die Frage, wie es um Hilfen für Passagiere und andere Personen bestellt ist, die irgendwo auf einem
Flughafen gestrandet sind und nicht wissen, wie es weitergeht, hat niemand im Rahmen des zentralen Krisenmanagements gestellt. Deswegen verwundert es nicht,
dass selbst aus den Reihen der Union - ich denke beispielsweise an den Kollegen Lämmel - und auch vonseiten der FDP Kritik am Krisenmanagement laut geworden ist. Herr Minister, ich finde, daraus müssen Sie für
die Zukunft lernen. Die Art und Weise, wie Sie mit dieser Krise umgegangen sind, ist kein Grund, sich selbst
einen Lorbeerkranz aufzusetzen. Sie sollten sich lieber
ein bisschen Asche, vielleicht auch Vulkanasche, auf Ihr
Haupt streuen.
Herzlichen Dank.
({6})
Der Kollege Torsten Staffeldt hat das Wort für die
FDP-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine Damen und Herren! Der Luftverkehr ist wieder
freigegeben. Dazu kann man nur sagen: glücklicherweise. Aber die entscheidende Frage lautet: Wie lange?
Denn das Problem ist noch nicht ausgestanden. Sie sehen mich, ich sehe Sie, und das, obwohl auch hier Staub
in der Luft ist, glücklicherweise aber keine Asche, erst
recht nicht auf unseren Häuptern oder auf dem Haupt des
Bundesverkehrsministers.
({0})
So ist es auch mit der Staubwolke des Eyjafjallajökull.
({1})
- Ja, das habe ich auswendig gelernt. ({2})
Man sieht die Asche nicht unbedingt. Aber sie ist gefährlich, und zwar für den Luftverkehr und somit für ein
empfindliches Transportsystem.
Ich selber bin Privatpilot. Daher kann ich vielleicht
ein wenig zur Versachlichung der Debatte beitragen. In
meiner Ausbildung und der fliegerischen Praxis habe ich
gelernt, Verantwortung zu übernehmen: für meine Passagiere, das Flugzeug und mich selber. Dazu gehört
beispielsweise, dass ich vor Antritt eines Fluges die Wetterbedingungen ermittle: Ist am Start- und am Zielflughafen alles okay, sodass ich heil herunterkomme? Gibt
es während des Fluges Gebiete mit Gewitterfronten und
Wolkendecken, in denen ich nicht fliegen darf? Ich habe
gelernt, dass diese sogenannte Flugvorbereitung auch
dazu führen kann, dass wichtige Flüge nicht begonnen
werden. Es ist aber die Verantwortung jedes Piloten, dies
abzuwägen und zu entscheiden. Das gilt im Übrigen
auch für die Vereinigung Cockpit. Die Piloten sind
grundsätzlich für die Flüge verantwortlich. Diese Verantwortung lässt sich nicht delegieren, weder an die
Deutsche Flugsicherung noch an den Bundesverkehrsminister.
({3})
Wir sind durch den Vulkanausbruch in der misslichen
Lage, dass verantwortungsvolles Handeln zu dramatischen Einschränkungen des Luftverkehrs führte. Diese
Situation hatten wir in Europa noch nicht; sie ist neu.
Die Regeln der internationalen Luftverkehrsbehörde, der
ICAO, schreiben vor, dass in vulkanischen Aschewolken
nicht geflogen werden darf. Im Gegensatz zur Opposition hat die ICAO Erfahrungen aus Weltgebieten mit aktiven Vulkanen.
({4})
Instrumentenflug bedeutet, dass der verantwortliche
Pilot ohne Sicht nach außen fliegen darf, zum Beispiel
durch Wolken. Aus eigener fliegerischer Erfahrung weiß
ich, dass der Einflug in Wolken mit dem völligen Verlust
der Orientierung verbunden sein kann. Daher fliegen die
Airlines nach Instrumenten. Diese geben dem Piloten
über den künstlichen Horizont, den Kompass, die Steigund Sinkraten des Flugzeuges sowie GPS ein Bild der
Umgebung. Daneben wird er im kontrollierten Luftraum
durch die Deutsche Flugsicherung oder Eurocontrol über
Funk unterstützt. Das entscheidende Wort ist „unterstützt“, nicht „geführt“. Noch einmal: Die Verantwortung an Bord hat der Flugkapitän.
Durch wässrige Wolken zu fliegen, ist für einen Piloten mit Instrumentenflugausbildung kein Problem. Das
Fliegen durch vulkanische Wolken ist allerdings verboten. Leider sieht man den Wolken nicht unbedingt an, ob
sie Regenwolken sind oder einen anderen Ursprung haben. Regentropfen bilden sich an sogenannten Kondensationskeimen, kleinen Staubbestandteilen in der Luft,
an denen der Wasserdampf kondensiert. Genau der gleiche Effekt tritt übrigens ein, wenn es auf Ihr frisch gewaschenes Auto geregnet hat. Nachdem das Auto wieder
getrocknet ist, werden Sie eine Staubschicht darauf finden. Aus der Atmosphäre werden die Staubbestandteile
ausgewaschen.
Also brauchen wir Regen - den wir jetzt teilweise
schon bekommen haben -, um den Vulkanstaub aus der
Atmosphäre zu entfernen.
Meine Damen und Herren von der Opposition, wollen
Sie Bundesverkehrsminister Ramsauer für fehlenden Regen verantwortlich machen?
({5})
Nein, die Entscheidung des Ministers und der Behörden,
kontrollierte Flüge unter Sichtbedingungen zuzulassen,
war die einzig mögliche vernünftige Entscheidung.
({6})
So wird nämlich verhindert, dass Piloten in Wolken einfliegen, deren Ursprung sie nicht kennen können.
Die Entscheidung, Instrumentenflüge jetzt wieder zuzulassen, erfolgte verantwortungsvoll und unter Kenntnis der sich täglich erweiternden Fakten. Nach dem
Messflug der DLR und dem Durchzug der Aschefront
im Norden wurden peu à peu die Flughäfen wieder freigegeben. Das ist das Gegenteil von Missmanagement.
({7})
Dass wir nun wieder Freigaben haben, bedeutet noch
nicht, dass „business as usual“ gilt. Jetzt sitzen noch
Tausende von Passagieren in Wartehallen fest und warten darauf, dass sie nach Hause kommen. Hier muss geholfen werden. Die Fernverkehre der Bahn wie auch der
Busunternehmen laufen auf Hochtouren. Es wird aber
dauern, die Odyssee dieser Flugreisenden zu beenden.
Daher muss auch die zeitlich befristete Aufhebung
der Nachtlandeverbote möglich sein. Dies richtet sich
ganz klar an die Länderbehörden, die dafür zuständig
sind.
({8})
Der Eyjafjallajökull zeigt uns die Grenzen unserer
technischen und zivilisatorischen Errungenschaften auf.
Dies sollten wir ernst nehmen. Wir haben nämlich die
Verantwortung für unser Land, für den Verkehr und für
die Bürgerinnen und Bürger.
Es ist gut, dass sofort nach Beginn der Probleme ein
Krisenstab in der Zentrale der Deutschen Flugsicherung
eingesetzt wurde. Es ist beeindruckend, wenn 70 Ingenieure beim Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt in Nachtschichten und am Wochenende ein Forschungsflugzeug ausrüsten, um möglichst schnell belastbare Informationen über die Aschewolke zu erhalten. Es
ist schnell, wenn das Luftfahrt-Bundesamt beantragenden Airlines innerhalb von zwei Stunden Genehmigungen erteilt, damit diese ihre Flugzeuge unter kontrollierten Sichtflugbedingungen betreiben können. Es ist
richtig, wenn nach fachlicher Einschätzung Teile des
deutschen Luftraums wieder für den kontrollierten Sichtflug und jetzt für den Instrumentenflug freigegeben werden.
({9})
Meine Damen und Herren, das ist verantwortungsvolle Politik. Es wurde und wird sowohl fachlich als
auch politisch alles richtig gemacht.
Verantwortungslos nenne ich den Versuch der Opposition, die Vorgehensweise des Ministeriums politisch zu
instrumentalisieren, und das auf dem Rücken Tausender
gestrandeter Passagiere.
({10})
Daher gilt mein ausdrücklicher Dank Minister
Ramsauer und seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern,
den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Deutschen
Flugsicherung, des Deutschen Wetterdienstes sowie des
Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt und den
vielen Piloten, die in schwieriger Situation ihrer Verantwortung gerecht werden.
Vielen Dank.
({11})
Herr Kollege, das war Ihre erste Rede hier im Hause.
Für die fehlerfreie Aussprache außerordentlich schwieriger Wörter
({0})
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt
und den Humor mussten wir Ihnen diesmal einfach etwas mehr Redezeit zugestehen. Das geht beim nächsten
Mal nicht mehr.
Alles Gute für Ihre Arbeit hier!
({1})
Der Kollege Herbert Behrens hat das Wort für die
Fraktion DIE LINKE.
({2})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Herr Minister, zwar konnte auf Grundlage einer Untersuchung durch die Maschine vom Typ Falcon, die Sie
schon erwähnt haben und die zurzeit aufgrund eines
technisches Mangels nicht starten kann, der Flugverkehr
wieder aufgenommen werden, denn die Ergebnisse der
Auswertung am gestrigen Abend haben gezeigt, dass es
möglich ist, den Flugverkehr wieder aufzunehmen, ohne
eine extreme Gefährdung von Maschinen und Passagieren zu riskieren; jedoch wurden die Fluggenehmigungen
erteilt nicht nachdem, sondern bevor dies feststand.
Noch am Donnerstag und am Freitag der vergangenen
Woche hat es eine durchaus einheitliche Beurteilung des
Hauses gegeben: Wegen der schwierigen Gefährdungsanalyse wollte man auf der sicheren Seite sein und entschied sich, den Luftraum nicht freizugeben. Diese Maßnahme war richtig.
Gleichwohl haben vorgestern und gestern auf der
Grundlage von Ausnahmegenehmigungen, die das Luftfahrt-Bundesamt erteilt hat, erste Flüge mit Passagieren
an Bord stattgefunden. Es hat keine Zwischenfälle gegeben - das ist gut so -, obwohl vollbesetzte Flugzeuge unterwegs gewesen sind. Die Regulierung war höchst
merkwürdig - wir haben es gestern gehört -: Herrschte
klare Sicht, war Sichtflug möglich, durften Passagiere an
Bord genommen werden. War Sichtflug wegen Wolkenbildung nicht möglich, durften keine Flüge durchgeführt
werden.
Wir wissen von den Fachleuten, dass bei Vulkanasche
nicht von Wolken gesprochen werden kann, sondern
eher von kontaminiertem Luftraum gesprochen werden
muss. Diese „Wolken“ kann man nicht sehen. Das macht
es für den Flugkapitän schwierig, zu entscheiden: Gehe
ich rauf oder nicht?
Sie sagen, die Flugkapitäne sind sehr verantwortungsbewusste Menschen, denen in jedem Fall - nicht nur in
dieser Situation - bewusst ist, dass sie für die Sicherheit
ihrer Fluggäste verantwortlich sind. Man muss aber auch
sehen, dass den Fluggesellschaften pro Tag, an dem
nicht geflogen werden darf, Verluste von 150 Millionen
Euro entstehen. Daran wird deutlich, wie schwierig die
Situation ist, wenn die Flugkapitäne vor der Entscheidung stehen: Starten wir oder starten wir nicht?
Diese schwierige Situation hat dazu geführt, dass
auch das Ministerium in dieser Situation nicht mehr souverän gehandelt hat. Andere nennen es Kritik am Krisenmanagement. Ich sage: Es hat etwas von Herumeierei,
wenn Sie an der einen Stelle sagen: „Der Luftraum ist
nicht sauber und deshalb nicht unbedingt sicher“, an anderer Stelle hingegen feststellen: „Es geht in Ordnung,
es darf geflogen werden“, der Deutschen Flugsicherung
aber keine Möglichkeit geben, zu sagen: „Der Luftraum
wird nicht freigegeben.“
Die Teilaufhebung der Sperrung des Luftraums war
voller Widersprüche: Instrumentenflüge waren untersagt, Sichtflüge aber erlaubt, und das bei der gleichen
Vulkanaschekonzentration in der Luft. Es ist für die
Fluggäste, die davon betroffen gewesen sind, nicht nachzuvollziehen, wie diese Entscheidungen zustande gekommen sind. Das ist, was andere mit Fehlern im Krisenmanagement gemeint haben. Ich sage: Das ist keine
eindeutige Positionierung. So etwas trägt dazu bei, dass
bei den Passagieren große Verunsicherung herrscht. Wir
nennen diese Haltung Herumeierei.
({0})
Es geht allein um die Zuständigkeiten und die Frage,
wer später was zu verantworten hat. Wenn die Deutsche
Flugsicherung sagt: „Sichtflug ist erlaubt, Instrumentenflug aber nicht“, dann heißt das, dass sie nicht garantieren kann, dass es sicher ist, zu fliegen. Der Grund, dass
der Sichtflug erlaubt ist, liegt darin, dass die Verantwortung allein beim Piloten liegt.
Es gibt hier eine Regelungslücke. Wenn wir nicht
wissen, ob der Luftraum sicher ist, dann müssen wir entsprechend entscheiden und feststellen, dass er nicht sicher ist, unabhängig davon, ob Vulkanaschepartikel am
Himmel sind oder nicht. Der Luftraum muss sicher sein.
Sonst können wir nicht erlauben, dass die Piloten ihre
Maschinen starten.
Es gibt für Sichtflüge die etwas realitätsferne Startauflage, dass nicht nur am Abflugsort und während des
Flugverlaufs, sondern auch am Ankunftsort klare Sicht
herrschen muss. Aber Wetter kann sich ja bekanntlich
ändern! Ist nicht sichergestellt, dass am Landeort keine
Wolke am Himmel ist, muss der Kapitän einen Ausweichflughafen suchen. An dieser Stelle sehen wir Änderungsbedarf.
In der gestrigen Sondersitzung wurde salopp gesagt,
bei Glatteis auf der Autobahn müsse jeder Fahrer selbst
entscheiden, ob und wie schnell er fahre, und so müsse
auch der Pilot abwägen, wie er seiner Verantwortung gerecht werden könne. Ich denke, in Bezug auf den Luftraum darf man das nicht so salopp sehen; beim Luftverkehr muss absolute Sicherheit gewährleistet sein. Daran
müssen sich die Empfehlungen des Bundesverkehrsministers orientieren.
({1})
Es darf nicht sein, dass allein die Haftungsgründe, die
ich erwähnt habe, als Entscheidungsgrundlage für den
Start von Flugzeugen dienen. Wir wollen hier eine Änderung erreichen, um den Piloten Rechtssicherheit zu ermöglichen und damit die erwähnten Belastungen der Piloten zu minimieren.
Ich habe kein Verständnis dafür, dass Flughafengesellschaften jetzt einen Ausgleich ihrer finanziellen
Schäden fordern und hiermit bei Teilen der Bundesregierung zunächst auf offene Ohren stoßen. Wenn die Fluggesellschaften meinen, dass sie einen Anspruch auf Entschädigung haben, weil es schlechtes Wetter oder
schwierige Situationen gegeben hat, stellen sie das, was
beispielsweise für die Fluggäste geregelt ist, auf den
Kopf. Bei den Fluggastrechten ist das nämlich nicht so
geregelt. Bei höherer Gewalt bekommen sie eben keinen
Ausgleich. Insofern ist es absurd, dass die wirtschaftlich
mächtigen Fluggesellschaften an dieser Stelle zunächst
auf offene Ohren des Wirtschaftsministers stoßen. Das
ist nicht nachvollziehbar und findet auch nicht unsere
Zustimmung.
({2})
Wie gesagt: Anfangs gab es eine Übereinstimmung in
der Einschätzung der Situation. Dies galt aber nur hinsichtlich des Punkts, dass die Sicherheit an erster Stelle
steht, was dazu geführt hat, dass Lufträume nicht freigegeben worden sind. Was danach kam, ist nicht nachzuvollziehen. Ich glaube, das hatte auch nichts mit einem
kontrollierten Sichtflug der Bundesregierung, sondern
eher mit einem unkontrollierten Blindflug zu tun. Insofern muss hier dringend nachgearbeitet werden, um solche Situationen in Zukunft zu vermeiden.
Danke schön.
({3})
Das Wort hat der Kollege Dirk Fischer für die CDU/
CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Was derzeit im europäischen Luftraum passiert, haben selbst erfahrene Verkehrspolitiker wie ich noch nicht
erlebt. Seit letzter Woche werden Tausende Flugzeuge in
Europa durch eine Aschewolke am Boden gehalten,
Hunderttausende Fluggäste konnten nicht reisen, und auf
den Flughäfen und Bahnhöfen herrschten teilweise chaotische Zustände.
Die Natur hat uns wieder einmal gezeigt, wie abhängig der Mensch in Wahrheit von ihr ist. Auf Island bricht
ein Vulkan aus, und schon kommt unsere perfekt organisierte und vernetzte Reise- und Geschäftswelt ins Trudeln. Der Grund: Durch die feine Vulkanasche, die vom
Boden mit bloßem Auge nicht erkennbar ist, können die
Triebwerke von Flugzeugen beschädigt werden.
Dass die Vulkanasche da ist, auch wenn der Himmel
sonnenklar ist, steht fest. Das wurde durch den Flug eines NATO-Kampfjets gezeigt, der mit Glaspartikeln im
Triebwerk landete, die aus Vulkanasche herrührten.
Durch Messungen, beispielsweise der Technischen
Hochschule Zürich und des Testflugzeuges des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt, wurde die
Existenz der gefährlichen Vulkanasche ebenfalls nachgewiesen.
Die vom Bundesverkehrsministerium in enger Absprache mit der Deutschen Flugsicherung getroffene
Entscheidung, den Luftverkehr in Deutschland nahezu
auf Null zu steuern, war daher unvermeidlich; denn solange nicht auszuschließen ist, dass eine Gefahr für den
Luftverkehr und damit eine Gefahr für Menschen besteht, darf gar nicht anders entschieden werden.
({0})
Die Sicherheit der Besatzungen, der Fluggäste und der
Menschen am Boden muss immer Vorrang haben. Der
Bundesverkehrsminister steht immer in voller persönlicher Verantwortung und hat deswegen unsere uneingeschränkte Unterstützung in jeder Situation verdient.
Der Minister hat dabei aber nicht die Möglichkeit, so
flexibel zu reagieren, wie dies manche Kritiker wünschen, die meinen, die getroffenen Sicherheitsvorkehrungen seien überzogen. Man stelle sich nur einmal vor,
es würde auch nur ein einziges Flugzeug aufgrund dieser
Ursache verunglücken! Wie groß würde der Aufschrei
sein: Hätte man das nicht verhindern können, sogar müssen? Natürlich gäbe es sofort heftigste Attacken auf den
Bundesminister, Rücktrittsforderungen eingeschlossen.
Deswegen noch einmal: So schwer die Belastungen der
Fluggesellschaften, der Flughäfen und der Fluggäste
auch sein mögen: Größtmögliche Sicherheit darf niemals
vernachlässigt werden.
({1})
Gestatten Sie mir an dieser Stelle noch eine Bemerkung zum Krisenmanagement und zu den Behauptungen, die zum Teil nachweislich falsch sind. Denn trotz
weniger Erfahrungswerte mit einem Vulkanausbruch
dieses Ausmaßes hat das Krisenmanagement vorbildlich
funktioniert.
({2})
Internationale Vorschriften und Vorgaben wurden in jeder Situation strikt eingehalten. Die Krisenstäbe des
Bundesministeriums, der Flugsicherung und des Wetterdienstes arbeiten eng und erfolgreich zusammen. Der
Bundesminister koordiniert die Arbeit der Krisenstäbe
und steht in enger Abstimmung mit den anderen europäischen Ministerien, der EU-Kommission und Eurocontrol. Selbstverständlich sind auch die verantwortlichen
Behörden der Bundesländer stets eingebunden gewesen.
Die Bundesregierung war also von Anfang an operativ präsent und umfassend tätig. Nichts wurde versäumt.
({3})
Das spezielle Forschungsflugzeug des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt war bereits am Montag
einsatzbereit. Das ist sehr bemerkenswert. Das mit
Laserradar ausgestattete Flugzeug wurde am Wochenende unter Hochdruck ausgerüstet. Damit hat das technische Personal eine grandiose Leistung vollbracht. Unter
Normalbedingungen brauchen sie dafür mehrere Wochen, wie es heißt. Deswegen kann man diese Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nur loben.
Dirk Fischer ({4})
({5})
Im Übrigen ist die Bundesrepublik Deutschland im
Vergleich mit unseren Nachbarstaaten außer Großbritannien das einzige Land, das überhaupt über ein derartiges
Flugzeug verfügt. Auch damit haben wir umfassend Vorsorge betrieben.
Wir sammeln jetzt Erfahrungen, die uns bei ähnlichen
Ereignissen in der Zukunft nützlich sein werden. Daher
ist es sehr wichtig, dass wir diese Erfahrungen möglichst
gut auswerten und verwerten. Alle Messdaten müssen
gesammelt und ausführlich ausgewertet werden. In diesem Zusammenhang auftauchende Fragen müssen angegangen und vor allem auch von der Wissenschaft möglichst bald beantwortet werden. Wichtig sind auch
gemeinsame Standards auf europäischer und internationaler Ebene, damit nicht einzelne Länder unterschiedliche Entscheidungen treffen und zur Verwirrung beitragen.
Die International Civil Aviation Organization, ICAO,
ist gefordert, ihre Regelwerke zu verfeinern. Aber als
erster Schritt - das wurde bereits von meinen Vorrednern
erwähnt - ist jetzt nach der begrüßenswerten Beendigung der Flugbeschränkungen der Stau an den Flughäfen
zu beseitigen und der normale Luftverkehr in Deutschland und Europa schnellstmöglich wiederherzustellen.
Dazu ist es sinnvoll, das Nachtflugverbot zumindest einige Tage flexibel zu handhaben, vor allem, um steckengebliebene Fluggäste schnellstmöglich heimzubringen.
({6})
Positiv werte ich daher zum Beispiel die Entscheidung meines Bundeslandes Hamburg, in den nächsten
beiden Nächten nach der Freigabe des deutschen Luftraumes Starts und Landungen auf dem Hamburger Flughafen auch zwischen 23 und 6 Uhr zu erlauben. Für
diese kurzfristige Maßnahme sollte, wie ich meine, auch
das solidarische Verständnis der Flughafenanwohner zu
gewinnen sein. Denn es geht um die Menschen, die seit
Tagen an ausländischen Standorten festsitzen und nicht
heimkommen können. Ich glaube, das sollten wir alle
gemeinsam tragen.
({7})
- Ich hoffe, dass alle Flughäfen und Landesregierungen
- die Zuständigkeit liegt bei den Ländern - sinnvolle
Entscheidungen treffen. Hier ist nicht der Bundesverkehrsminister gefordert; dafür sind die Landesbehörden
zuständig.
Ich hoffe, dass die jetzige Wiederfreigabe des uneingeschränkten Luftverkehrs beibehalten werden kann und
nicht weitere Naturereignisse erneut zu Maßnahmen
zwingen. Dann aber muss aufgearbeitet werden: Wissenschaftliche Erkenntnisse, technische Effekte und Lösungen sowie die Auswirkungen der Krise auf unsere
Luftverkehrswirtschaft und unsere Volkswirtschaft insgesamt sind zu untersuchen und zu bewerten, um dann
angemessen darauf zu reagieren.
Das Thema ist also mit dem heutigen Tage und der
begrüßenswerten Entscheidung unseres Bundesverkehrsministers Peter Ramsauer keineswegs erledigt. Es
wird und es muss uns weiterhin beschäftigen.
Ich danke für die Aufmerksamkeit.
({8})
Winfried Hermann hat jetzt das Wort für Bündnis 90/
Die Grünen.
Frau Präsidentin! Meine liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Ausbruch des Vulkans auf Island und die Verbreitung der Asche über Deutschland und über Europa
hat uns überraschend - so muss man schon sagen - gezeigt, dass es noch Vulkane gibt und wir unser globales
Wirtschafts-, Transport- und Mobilitätssystem ein Stück
weit so organisiert und geplant haben, als gäbe es keine
Naturgewalten mehr. Das war für uns, glaube ich, eine
schmerzliche Erinnerung, die uns zu denken geben
sollte; denn eines darf man nicht vergessen: Wir haben
die Natur niemals hundertprozentig im Griff.
({0})
Respekt vor der Natur und eine Anerkennung der Grenzen menschlichen Tuns sind angesagt.
Es ist heute und auch schon in den letzten Tagen viel
über die Frage diskutiert worden, ob das Management in
dieser Krise richtig war. Manche haben mich persönlich
angesprochen und gefragt: Warum hast du nicht kritisiert, warum hast du den Minister nicht angegriffen, sondern ihn sogar gerettet?
({1})
Ich glaube, so weit ging es nicht.
Aber ich finde schon, dass Opposition zwar einerseits
die Aufgabe der kritischen Begleitung der Regierung
hat, andererseits aber dann, wenn es große Krisen wie
diese gibt und sachliche Kritik angemessen ist, die allerdings auch fundiert sein muss, gleichsam der Regierung
zur Seite stehen kann und in der Sache denken und argumentieren muss. Wenn ein Minister sagt, er orientiere
seine Entscheidungen an der Sicherheit als dem obersten
Prinzip und wirtschaftliche Interessen hätten nachzustehen, dann hat er den Respekt und die Unterstützung des
Parlaments verdient,
({2})
dies umso mehr, als die Flugwirtschaft offenkundig massiven Druck gemacht hat. Zwar reden alle davon, dass
Sicherheit das Allerwichtigste sei, aber es wurde auch
aus ökonomischen Interessen heraus gefragt: Warum
nehmen wir das so scharf, die anderen sind doch auch
nicht so scharf? Hier blieb der Minister bei seinem Prinzip,
({3})
und deshalb hatte er unsere Unterstützung.
Es haben auch andere viel dazu beigetragen, dass wir
diese Krise einigermaßen gut durchlaufen konnten. Die
Bahn hat nach meiner Auffassung beim Ersatz starke
Leistungen gezeigt; auch die Busunternehmen, die die
Passagiere von weither geholt haben, haben einen Beitrag dazu geleistet, dass die Menschen nach Hause gekommen sind. Der Deutschen Flugsicherung und dem
Krisenstab danke ich ausdrücklich.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, erst
einmal einen anderen Krisenstab einzurichten, ist kein
kluger Vorschlag.
({4})
Wir haben einen permanenten Krisenstab in Langen, der
auch solche Krisen bewältigen kann. Aus unserer Sicht
war es absolut richtig, auf diese Profis zu setzen. Sie haben richtig gehandelt und den Minister, wie ich finde,
richtig beraten.
({5})
Gleichwohl sind auch einige Probleme sichtbar geworden. Ich teile die Ansicht all derer, die gerade angesprochen haben, dass es im Regelwerk der ICAO das riesige Problem - um nicht zu sagen: den riesigen
Widerspruch - gibt, dass bei Verunreinigung der Luft
durch Vulkanasche auf der einen Seite Instrumentenflüge aus Sicherheitsgründen nicht erlaubt sind, man auf
der anderen Seite aber unter Sichtbedingungen durchfliegen darf. Das ist widersprüchlich, das geht nicht, das
halte ich für falsch, das muss korrigiert werden.
({6})
- Der Minister hat auf dieser Grundlage gemäß den Regeln entsprechend der Ratschläge der Fachleute entschieden. Ich sage Ihnen aus meiner Perspektive: Im
Einzelfall kann ich das nachvollziehen; aber in den letzten Tagen sind zu viele Ausnahmegenehmigungen erteilt
worden. Hier hat zu viel Sichtflug stattgefunden. Ich
glaube, dass wir auch sehr genau überprüfen müssen, ob
es bei diesen vielen Sichtflügen tatsächlich zu gefährlichen Annäherungen gekommen ist, ob es Vorfälle gibt,
die gemeldet worden sind. Hier ist kritisch nachzuprüfen, weil es sich um eine riskante Sache gehandelt hat.
Das hätte ich so nicht gemacht.
({7})
Es ist auch sichtbar geworden, dass zum Teil Daten
und Messinstrumente fehlen und dass wir nicht die richtigen Kriterien haben, um Entscheidungen zu treffen.
Wir haben nicht einmal Grenzwerte für Flugasche in der
Luft.
Damit komme ich zu den Konsequenzen: Ich glaube,
wir sind gut beraten, aus diesem Vorfall, den wir nach
meiner Auffassung Gott sei Dank bisher insgesamt
glücklich überwunden haben - wir können froh sein,
dass es keine Unfälle gab; ein solches Glück hat man
vielleicht nicht immer -, einige Konsequenzen zu ziehen.
Erstens müssen wir die Forschungs- und Entwicklungsarbeit unterstützen und fördern. Es steht ein Forschungspaket an, das auf der einen Seite aus Vulkanforschung, Atmosphärenforschung sowie Klima- und
Wetterforschung besteht und in dessen Rahmen man auf
der anderen Seite genauer untersucht, wie sich Vulkanaschenschläge auf Düsenflugzeuge und ihre Triebwerke
auswirken.
In der Anhörung im Ausschuss ist offenkundig geworden, dass es darüber zu wenige Erkenntnisse gibt. Da
müssen wir etwas tun.
Zweitens müssen wir die Messsysteme insgesamt verbessern. Ich glaube, man braucht auf europäischer Ebene
einige Messflugzeuge - vielleicht eine Flotte -, die ad
hoc aufsteigen und solche Messungen vornehmen können. Es war nicht die beste Lösung, dass man einige
Tage gebraucht hat, bis ein solches Flugzeug ausgerüstet
werden konnte.
Wir brauchen drittens und vor allen Dingen widerspruchsfreie Regeln. Ich finde, die ICAO-Regel, die zugelassen hat, dass Sichtflüge unter so widersprüchlichen
Bedingungen möglich waren, muss geändert werden.
Dazu müssen wir auf internationaler Ebene aktiv werden.
Viertens benötigen wir - auch das ist für mich eine
wichtige Konsequenz - einen Plan B für mögliche Katastrophen dieser Art. Wir haben quasi keinen Plan für den
Fall, dass der Luftverkehr oder der Bahnverkehr ausfällt.
Man kann daraus lernen, dass ein Plan B entwickelt werden muss, der vorgibt, wer zuständig ist und wer zum
Beispiel die Rückführung von Passagieren, die fernab
sind, abwickelt. Das sollte eine Konsequenz sein.
Wir müssen fünftens auch über die Verbrauchersituation und die Kundenrechte nachdenken. Es hat sich gezeigt, dass sich manche Regeln an Einzelfällen orientieren und dass es keine flächendeckende Lösung gibt.
Auch hier gilt es nachzuarbeiten.
Fazit: Wir brauchen eine kritische Evaluation des
ganzen Vorgehens, auch unserer Handlungen und unserer Instrumente. Wir müssen dann die Konsequenzen
ziehen, und das sollten wir alle zusammen an einem runden Tisch tun. Dann können wir auch Erfolg haben.
Ich möchte mich am Ende sehr herzlich beim Minister bedanken,
({8})
und zwar deswegen, weil er den Ausschuss und das Parlament sehr schnell informiert und in Entscheidungen
einbezogen hat. Das halte ich unter dem Gesichtspunkt
der parlamentarischen Zusammenarbeit für vorbildlich.
Ich sage das auch deswegen, weil ich lange genug im
Parlament bin und weiß, dass nicht alle seine Vorgänger
in seinem Haus so kooperativ waren.
Vielen Dank.
({9})
Für die FDP hat der Kollege Patrick Döring das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Zunächst ist die Debatte eine gute Gelegenheit, den vielen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in der Deutschen
Flugsicherung, beim Deutschen Zentrum für Luft- und
Raumfahrt, bei den Airlines und an den Flughäfen sehr
herzlich dafür zu danken, dass sie sich so schnell, so flexibel und rund um die Uhr bemüht haben, diese außergewöhnliche Situation in den Griff zu bekommen. Deshalb
namens der FDP-Fraktion und, so denke ich, namens des
ganzen Hauses herzlichen Dank für diesen hervorragenden Einsatz der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.
({0})
Die Erfahrung lehrt - der Kollege Hermann hat es angedeutet -, dass durch diesen Vulkanausbruch eine Herausforderung entstanden ist. Ich jedenfalls - das gebe
ich zu - hätte nie geglaubt, dass ein Vulkanausbruch auf
Island eine solche Auswirkung auf den Flugverkehr haben kann. Wenn man dann noch weiß, dass die ausgestoßene Menge an Asche etwa einem Zehntel dessen entspricht, was in den 80er-Jahren auf der südlichen
Halbkugel bei Vulkanausbrüchen ähnlicher Art emittiert
wurde, dann macht das deutlich, wie viel größer die Katastrophe hätte sein können. Gleichwohl spüren wir alle:
Die Unsicherheit mit dem Umgang dieser Vulkanaschepartikel in der Luft war besonders groß.
Ich bin deshalb besonders ärgerlich über einige Zwischentöne in dieser Debatte, insbesondere aber über die
mediale Berichterstattung, was den Bereich Sichtflug
angeht. Es war doch richtig, in dem Moment, in dem
man wetterbedingt Sichtflugregeln anwenden konnte,
die Erfahrungen der Piloten, die die Flugzeuge im Sichtflug durch die auch mit Asche kontaminierte Atmosphäre geflogen haben, in die Entscheidung der DFS
einzubinden. Es war doch sinnvoll, Sichtflüge durchzuführen. Ich will deutlich sagen: Sichtflug findet in
Deutschland, wenn das Wetter es zulässt, täglich statt.
Das ist nichts Außergewöhnliches, und das ist kein, wie
ich es lesen musste, juristischer Winkelzug. Sichtflug
findet täglich, sicher und weitestgehend unfallfrei statt.
Deshalb war es klug und richtig, die außergewöhnliche
Hochdrucklage und die Erfahrungen der Piloten im
Sichtflug zu nutzen und die Erfahrungen der Piloten mit
den Auswirkungen auf die Maschine, auf die Scheiben
und auf die Triebwerke in die hervorragende Arbeit des
Krisenstabes bei der DFS einzuspeisen.
({1})
Ich bin dankbar dafür, dass man mit dem aufwachsenden Erkenntnisgewinn - alle Beteiligten sind von Stunde
zu Stunde über die Wirkung von Asche in der Atmosphäre klüger geworden - eine valide Grundlage für die
Entscheidung heute Vormittag hatte. Dazu kommt, dass
sich die Wetterlage glücklicherweise verändert hat; die
Aschekonzentration hat insgesamt abgenommen.
Ich stelle fest: Das Bundesministerium, die nachgeordneten Behörden, die beteiligten Unternehmen haben
vorbildlich, hervorragend reagiert. Das gilt - das sage
ich ausdrücklich - auch für die anderen Verkehrsträger,
insbesondere für die Deutsche Bahn und die Flughäfen,
die zum Teil wegen besonderer Belastung der Hotelwirtschaft, etwa wenn vor Ort Messen stattfanden, kurzfristig und schnell sichergestellt haben, dass die Menschen
unter halbwegs normalen Bedingungen zur Ruhe kommen konnten.
Hervorragend war der permanente Informationsfluss
an die Fraktionen, an die Entscheider, den der Minister
und sein Staatssekretär Jan Mücke sichergestellt haben.
Wir waren an dieser Stelle immerzu informiert und hatten nie das Gefühl, es laufe etwas am Parlament vorbei.
Dafür möchte ich mich herzlich bedanken.
Der Kollege Hermann hat eben die Frage „Wie gehen
wir mit dem Ausfall eines Verkehrsträgers um?“ angesprochen. Ich bin sehr froh, dass wir das Thema Nachtflugverbot behandeln und dass der Koordinator der Bundesregierung für den Güterverkehr, der Kollege Scheuer,
mit den Ländern heute darüber spricht, ob sich die Wirkungen auf die Realwirtschaft - einige von Ihnen haben
mitbekommen, dass große Automobilwerke derzeit nicht
produzieren können, weil bestimmte Teile nicht vorhanden sind - dadurch abmildern lassen, dass wir den Güterverkehr gegebenenfalls bis zur Wiederherstellung des
regulären Flugbetriebs von einigen Ausnahmeregelungen, Stichwort „Sonntagsfahrverbot“, befreien, damit in
Deutschland die Waren, die bisher nicht ausgeliefert
werden konnten, schnell verteilt werden können. Es geht
darum, dass nicht nur die Großmärkte, sondern auch unsere Industrieproduktion, die unter den jüngsten Geschehnissen gelitten hat, wieder versorgt werden können.
Herr Kollege!
Insgesamt ist der Bundesregierung kein Vorwurf zu
machen. Ich bedanke mich für das kollegiale Miteinander. Dieser Dank gilt insbesondere dem Ausschussvorsitzenden und dem Ministerium.
Herzlichen Dank.
({0})
Das Wort hat die Kollegin Ulrike Gottschalck für die
SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Die Wahrnehmungen sind offensichtlich sehr
unterschiedlich. Als ich den Kollegen Hermann eben
gehört habe, habe ich gedacht, er habe vor, eine Antrittsrede als Staatssekretär zu halten. Das war schon ein wenig verwunderlich. Außerdem wurde Herr Döring gelobt. Also, nicht schlecht das Ganze.
Wir haben eine andere Wahrnehmung. Ich zitiere die
Meldung einer Agentur: „Ramsauer sitzt zwischen allen
Stühlen.“ Mein Mitleid hält sich in Grenzen; denn er hat
seine Position durch mangelhaftes Krisenmanagement
selber verschuldet. Besser wäre es gewesen, rechtzeitig
den Dialog mit allen Beteiligten zu suchen. Ich hätte mir
gewünscht, einen Minister zu haben, der mit sicherer
Hand durch die Krise führt.
({0})
Ich betone, dass wir die Mitarbeiter der Flugsicherheit,
der zahlreichen Behörden und Flughäfen ausdrücklich in
Schutz nehmen. Wir brauchten aber jemanden, der den
Hut aufhat, alles ordentlich bündelt und sagt, wo es langgeht.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, Sicherheit
geht vor. Jawohl, Herr Minister, da haben Sie vollkommen recht; da stehen wir an Ihrer Seite. Wir müssen den
gestrandeten Passagieren schnell helfen. Auch hier
kommt von uns Sozialdemokraten natürlich ein klares
Ja. Aber das sind doch alles Selbstverständlichkeiten.
Wer in diesem Haus wollte denn etwas dagegen haben?
({1})
Herr Minister, Sie haben Ihren Ruf als Dampfplauderer wieder einmal bestätigt: markige Worte, wenige Entscheidungen.
({2})
- Sie können das alles nachlesen. - Sie legen sich mit
den Fluggesellschaften an und unterstellen ihnen, die Sicherheit nicht ernst genug zu nehmen. Sie gehen über die
Sicherheitsbedenken der Pilotenvereinigung Cockpit
hinweg. Gleichzeitig loben Sie sich ständig selber und
bezeichnen sich - das fand ich besonders nett - als konstruktiven Schrittmacher. Um in Ihrer Sprache zu bleiben, Herr Minister: Ich halte das für einen Schmarren,
denn die Kritik der Beteiligten ist deutlich. Auch aus den
Regierungsfraktionen war durchaus deutliche Kritik zu
vernehmen; dort war man nicht so ganz zufrieden.
Wir alle sind froh darüber, dass sich der Luftraum
nach und nach öffnet und sich die Lage hoffentlich bald
wieder normalisiert. Auch meine Fraktion ist dafür, dass
wir zum Beispiel bei Nachtflügen großzügig agieren und
sagen: Vorübergehend - die Betonung liegt auf „vorübergehend“ -, um eben schnell Passagiere zurückzuholen, darf auch ein Nachtflugverbot ausgehebelt werden.
Aber immer noch bleiben wesentliche Fragen offen.
Ich will nur einige nennen: Auf welcher Grundlage
wurde die Entscheidung für Sondergenehmigungen für
Sichtflüge großer Maschinen getroffen? Der Kollege
Pronold hat das eben schon ausgeführt. Sind solche
Sichtflüge nicht zu risikoreich?
({3})
Immerhin hat Cockpit verlautet: Unverantwortlich. Das ist schon eine harte Aussage. Darüber kann man
nicht so einfach hinweggehen. Das deckt sich auch mit
dem, was ich in Gesprächen mit Piloten erfahren habe.
Auch sie haben gesagt: „Das ist unverantwortlich“ und
waren eigentlich sogar geschockt.
Wurden juristische Winkelzüge gemacht - Herr
Döring hat das eben angesprochen; er hat es kritisiert;
das hat nicht irgendwer, sondern auch Cockpit verlautet -,
({4})
damit die Verantwortung auf die Piloten verlagert wird?
Wussten alle Passagiere zu jeder Zeit, zu welchen Bedingungen sie fliegen? Gab es zum Beispiel so etwas wie
den Beipackzettel bei Medikamenten?
Es bleiben also wesentliche Fragen offen, die wir zu
klären haben. Ich hoffe sehr, dass Minister Ramsauer zu
seinem Wort steht und einen runden Tisch einrichten
wird, an dem mit allen Beteiligten untersucht wird, wie
man in Zukunft vorgehen und solche Chaostage nach
Möglichkeit verhindern kann.
Ich danke Ihnen.
({5})
Liebe Frau Kollegin, das war Ihre erste Rede hier im
Haus, zu der wir Ihnen recht herzlich gratulieren.
({0})
Deswegen hat der Kollege Ströbele auf eine Zwischenfrage verzichtet. Aber das wird sicherlich beim nächsten
Mal nachgeholt.
Für die CDU/CSU-Fraktion spricht der Kollege Peter
Wichtel.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen und liebe Kollegen! Ich
möchte zunächst einmal feststellen - das kann man am
heutigen Tage gar nicht oft genug wiederholen -, dass
von allen Beteiligten und Entscheidungsträgern in dieser
Ausnahmesituation einer Naturkatastrophe, des Ausbruchs eines Vulkans in Island, Recht und Ordnung, internationale Vorschriften, europäische Abstimmungsregelungen hundertprozentig eingehalten worden sind.
Man muss an dieser Stelle noch einmal hervorheben:
Unser Bundesminister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung, die Deutsche Flugsicherung, der Deutsche
Wetterdienst, die Entscheidungsträger in der EU, die eingebunden waren, aber auch diejenigen, die - wie das
Kontrollzentrum in London - Daten zugeliefert haben,
haben eindeutig festgestellt, dass der Luftverkehr gefährdet sein könnte. Deswegen ist der Luftverkehr eingestellt worden. Das ist richtig so.
Wenn wir solche Regelungen haben, dann nutzen wir
sie auch. Wenn wir erfahren, dass etwa wegen der Wanderung solcher Wolken andere Messmethoden oder andere Kontrollen notwendig sind, dann lernen wir daraus
und stellen uns für die Zukunft um.
Ich habe natürlich sehr viel Verständnis für die Luftverkehrswirtschaft, für die Damen und Herren, die Firmen leiten müssen, für die Beschäftigten und für die
Passagiere, die irgendwo festsitzen und nicht weiterkommen. Aber viel wichtiger ist die Sicherheit der Passagiere. Wenn wir nichts getan hätten und auch nur ein
Flieger abgestürzt wäre, hätten genau diejenigen, die geschrieben haben: „Übertrieben! Ist das alles überhaupt
richtig? Da darf man fliegen, und da darf man nicht fliegen!“, am nächsten Tag gefragt: Hat denn der Minister
und hat denn der Krisenstab überhaupt alles richtig gemacht?
({0})
Ich sage sehr eindeutig: Parteipolitischer Klamauk
vor dem 9. Mai, also vor Muttertag, sowie wirtschaftliches oder gar mediales Interesse dürfen uns in einer
Frage, bei der es um Menschenleben geht - es geht nämlich um diejenigen, die in den Flugzeugen sitzen, und
auch um diejenigen, die am Boden im Falle eines Absturzes betroffen wären -, nicht leiten. Hier geht die Sicherheit der Menschen vor.
({1})
Darüber hinaus denke ich, dass die Debatte - Teile
der Opposition versuchen dies heute - auf dem Rücken
der Passagiere und derjenigen, die in der letzten Zeit so
viel an der Lösung dieses Problems gearbeitet haben,
ausgetragen wird.
({2})
Das ist völlig unangemessen. Herr Kollege Beckmeyer
weiß dies ebenfalls. Er ist lang genug in diesem Bereich
engagiert. Der Kollege, der gerade dazwischengerufen
hat, würde diesen Zwischenruf unterlassen, wenn er
wüsste, was wir in den letzten Tagen zum Beispiel bei
der Anhörung im Verkehrsausschuss und bei sonstigen
Diskussionen erfahren haben.
({3})
Lieber Kollege, ich möchte Ihnen zu Ihrer Diskussion
über das Thema Krisenstab Folgendes sagen: Was hätten
Sie geklagt, wenn der Krisenstab in einem Raum des
Bundesverkehrsministeriums ohne die notwendigen
technischen Einrichtungen seine Arbeit aufgenommen
hätte. Das heißt, man hätte nicht alle Daten zusammenfassen können und auch der Deutsche Wetterdienst wäre
nicht nur wenige Kilometer entfernt. In diesem Fall würden die Experten in Langen nicht zur Verfügung stehen.
Der Minister könnte lediglich Telefonkonferenzen abhalten. In diesem Fall hätten Sie genau das Gegenteil behauptet.
({4})
Sie hätten bemängelt, dass es nur einen technisch nicht
adäquat ausgestatteten Raum geben würde, und Sie hätten der Bundesregierung vorgeworfen, dass man die vorhandenen technischen und personellen Möglichkeiten
nicht nutzt.
({5})
Deswegen ist das, was Sie machen, nur Theaterdonner.
({6})
- Herr Pronold, Sie haben mit Abwesenheit geglänzt. Sie
haben wahrscheinlich heute als stellvertretender Fraktionsvorsitzender gesprochen, um ein bisschen Stimmung in den Laden zu bringen. Auch das möchte ich an
dieser Stelle einmal sagen.
({7})
- Ich habe Sie bei zwei sehr wichtigen Gelegenheiten
nicht gesehen.
({8})
Wenn ich mich irren sollte, dann können wir darüber reden. Zumindest haben Sie bei diesen Gelegenheiten
nicht zugehört.
({9})
Die Mitteilung, was alles über Eurocontrol entschieden worden ist, haben Sie nicht mitbekommen, obwohl
Sie vielleicht anwesend waren. Diese Entscheidungen
hatten Auswirkungen auf die Arbeit der DFS-Niederlassungen und die Interpretation der Messwerte. Stichwort
Messwerte: Sie haben auch behauptet, es hätte keine
Messwerte gegeben.
({10})
Es gab von Anfang an Messwerte. Es war lediglich nicht
genau bekannt - deswegen musste erst ein Messflugzeug
entsprechend ausgerüstet werden -, welche Bestandteile
die Wolke aufweist und wie hoch der Grad der Kontaminierung ist. Die potenzielle Gefahr war allerdings bekannt. Das Krisenszenario, das Sie beschreiben, ist aus
meiner Sicht durch den Krisenstab erstklassig in die
Überlegungen mit einbezogen worden.
An dieser Stelle muss man den Beteiligten Danke sagen. Dazu gehören diejenigen, die das Messflugzeug so
schnell umgerüstet haben, und auch diejenigen, die so
schnell die Genehmigung erteilt haben. Ich erwähne
auch die Menschen an den Flughäfen, die sich dort um
diejenigen Passagiere gekümmert haben, die beispielsweise aus den Transitbereichen nicht herausgekommen
sind.
Ich denke, Sie haben in Ihren Redebeiträgen einige
Punkte nicht erwähnt, weil es Ihnen gar nicht um die Sache geht. Richtig ist - das hat auch der Ausschussvorsitzende vorhin gesagt -: Wir müssen jetzt schauen, welche
neuen Messwerte festgestellt werden können und welche
neuen Forschungsergebnisse es gibt. Daraus kann man
dann ableiten, was neu zu machen ist.
Mich hat schon sehr beeindruckt, dass selbst ein
Triebwerkshersteller in der Anhörung des Ausschusses
uns nicht sagen konnte, ab welcher Konzentration der
Aschepartikel ein Triebwerk beschädigt wird, sodass die
Gefahr eines Unfalls besteht. Wir müssen also unbedingt
mehr im Bereich der Forschung tun.
Wir müssen im Nachgang dafür sorgen - und dafür
werbe ich -, dass die Menschen schnell zu ihren Heimatflughäfen geflogen werden und die Güter, die bis jetzt
liegengeblieben sind, weitertransportiert werden. Wenn
es notwendig ist, sollten für eine begrenzte Zeit Nachtflugbeschränkungen aufgehoben werden. Ich bitte die
Bevölkerung, die rund um die Flughäfen wohnt, um Verständnis, dass nachts geflogen werden kann.
Ich sage deswegen sehr deutlich: Nach den Ergebnissen, die bis heute vorliegen, haben wir die Krise, wenn
das Wetter so bleibt und keine neue Wolke kommt, in einem ersten Schritt gemeistert. Der zweite Schritt ist
- das habe ich gerade angedeutet -, mit Wissenschaft
und Forschung über die Messergebnisse und neue Verfahren, falls wir solche brauchen, zu diskutieren. Ich
bitte Sie alle, weiter an diesem Thema mitzuarbeiten.
Zwei Dinge möchte ich in diesem Zusammenhang
noch ansprechen: Hätte der Bundesminister die anderen
Ministerien nicht eingeschaltet, würden Sie heute sagen:
Was ist das denn für eine Abstimmung innerhalb der
Bundesregierung! Alle anderen Ressorts waren nicht beteiligt. - Es war also richtig, dass das Bundeskanzleramt,
das Wirtschaftsministerium und das Innenministerium
eingeschaltet worden sind.
Die Opposition muss zur Kenntnis nehmen, dass der
Luftverkehr auf unterschiedlichen Ebenen reguliert
wird. Ein Bundesminister kann keine Erleichterungen im
Hinblick auf das Nachtflugverbot beschließen. Dies
müssen die einzelnen Bundesländer tun. Wenn ich meinen Vorredner Dirk Fischer richtig verstanden habe, hat
sogar eine Senatorin der Grünen erkannt, dass solche Erleichterungen jetzt notwendig sind.
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
({11})
Der Kollege Uwe Beckmeyer hat jetzt das Wort für
die SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Eines muss man dem Ganzen voranstellen: Niemandem hier im Hause kann der Vorwurf gemacht werden, dass das Thema Sicherheit in irgendeiner Weise außer Acht gelassen wird. Wir alle, die sich am Sonntag an
der Telefonschaltkonferenz mit dem Herrn Bundesminister beteiligt haben, haben klipp und klar gesagt:
Natürlich ist die Sicherheit das Erste, was wir zu beachten haben. - Insofern wurde das nie in Zweifel gezogen.
Es geht auch nicht um parteipolitische Profilierung,
sondern es gibt Widersprüche, Herr Hermann. Als Mitglied des Verkehrsausschusses haben Sie genauso wie
ich eine Pressemitteilung des Bundesverkehrsministers
von Sonntag, dem 18. April 2010, vorliegen. Da lesen
Sie auf Seite 2:
Wegen der außergewöhnlichen Lage in Europa sind
bei DFS, DWD und bei BMVBS Krisenstäbe im
Einsatz. Das BMVBS koordiniert die Arbeit der
Krisenstäbe und steht dabei in enger Abstimmung
mit anderen europäischen Ministerien.
({0})
Ich habe den Bundesminister anlässlich seines Berichts am gestrigen Tage gefragt, ob er oder die Spitze
seines Hauses den Krisenstab leitet. Die Antwort war: Es
gibt einen zentralen Krisenstab bei der Deutschen Flugsicherung. Da frage ich mich: Was ist nun eigentlich?
Kann das die Antwort auf diese außergewöhnliche Situation sein? Ich denke, nein.
({1})
- Frau Raab, Sie können sich ja zu einer Zwischenfrage
melden.
({2})
In einer für die Bundesrepublik Deutschland bzw. für
die Bundesregierung außergewöhnlichen Situation muss
es meiner Meinung nach darum gehen, dass die Krisenbewältigung in ihrer Gesamtheit vom Verkehrsminister
- es ist ausdrücklich betont worden, dass er dafür die
Verantwortung hat - übernommen wird.
Herr Kollege, möchten Sie die Zwischenfrage von
Frau Raab zulassen?
Nein, jetzt nicht. - Diese Verantwortung muss der Minister notwendigerweise insgesamt übernehmen.
Mich haben bereits am Sonntagabend Hinweise erreicht, die den Tenor hatten: Da passiert irgendetwas; da
läuft etwas nicht. - Die Konsequenz war, dass vom Bundeswirtschaftsministerium am Montag um 11 Uhr verkündet wurde, es gebe eine Taskforce mit den Airlines.
Nicht nur die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen der
Luftverkehrswirtschaft sollten erörtert werden, sondern
auch andere Dinge. Das machte deutlich, dass es eine
Handlungslücke, eine Regulierungslücke und eine Krisenbewältigungslücke gab.
Der Vorschlag, der gestern zur Zulassung des kontrollierten Sichtfluges geführt hat, ist nicht im BMVBS entwickelt worden, sondern in irgendwelchen Gremien, die
diesen Vorschlag erst anschließend dem BMVBS nahegebracht haben. Das BMVBS hat daraufhin entsprechende weitere Schritte unternommen, damit die Genehmigung erteilt wird; denn zum Beispiel das LuftfahrtBundesamt war an den Diskussionen zur Krisenbewältigung gar nicht beteiligt.
Herr Kollege.
Nein, Frau Raab, ich möchte den Gedanken gern zu
Ende führen.
({0})
Jetzt geht es darum, nicht alles schönzumalen, sondern die Konsequenz zu ziehen. Die Konsequenz lautet:
Weil niemand ausschließen kann, dass übermorgen auch
der Nachbarvulkan Katla ausbricht und wir uns dann in
einer genauso schlimmen, vielleicht sogar in einer
schlimmeren Situation befinden, kommt es darauf an,
dass wir in Deutschland ein ordentliches, ganzheitliches
Krisenmanagement für diese Fälle einrichten.
({1})
Da gehören alle an den Tisch: das Luftfahrt-Bundesamt,
der Deutsche Wetterdienst, das BAF, das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt. Das BMVBS hat den Hut
auf, aber auch die anderen Ministerien gehören an den
Tisch.
Jetzt hat Herr Wichtel den Wunsch nach einer Zwischenfrage. Wollen Sie sie zulassen?
Bitte, Herr Wichtel.
Sehr geehrter Herr Kollege Beckmeyer, ist Ihnen bekannt oder ist Ihnen entgangen, dass federführende Mitarbeiter des Berliner Ministeriums selbst beim Krisenstab in Langen tätig waren, dass also die Behauptung
nicht stimmt, die Bundesregierung sei überhaupt nicht
eingebunden gewesen?
Darum geht es doch gar nicht.
({0})
Es geht um Folgendes: Wer ist in dieser Situation verantwortlich, wer hat das Sagen? In einer solchen Situation
kann nicht delegiert werden, sondern geht es darum, die
Verantwortung wahrzunehmen. Diese Frage war und ist
nicht eindeutig geklärt. Die verschiedenen Krisenstäbe,
die es hier gegeben haben soll - möglicherweise hat es
sie gegeben -, sind nicht vom Minister und von der
Spitze seines Hauses koordiniert worden.
({1})
Das ist die Erkenntnis der letzten Tage. Das ist nicht nur
meine Erkenntnis, sondern die Erkenntnis der Airlines
und beteiligter Dritter. Darum ging es mir bei dieser
Frage.
({2})
Nach all dem, was gesagt wurde, ist jetzt ein Strich zu
ziehen. Ich glaube, es geht nicht nur darum, die atmosphärischen Belange usw. zu regeln. Vielmehr geht es
darum, dass in Deutschland an einem runden oder viereckigen Tisch - das ist mir egal - klare Regeln festgelegt
werden müssen, die in Zukunft für das Verkehrsministerium und alle beteiligten Institutionen und Ämter gelten.
Es muss also eine klare Struktur geben, die besagt, dass
die Experten der Deutschen Flugsicherung, des Luftfahrt-Bundesamtes und des Deutschen Wetterdienstes
zukünftig einbezogen werden und der Bundesverkehrsminister - momentan und zukünftig - den Hut aufhat,
nicht irgendjemand anders.
({3})
Hinsichtlich des Dankes will ich eines hinzufügen:
Natürlich haben sehr viele gut gearbeitet. Der Hauptdank gilt aber den Piloten, die das Risiko auf sich genommen haben, in dieser Situation für ihre Airlines im
Sichtflug zu fliegen. Die Piloten haben die Verantwortung, die andere nicht übernommen haben, wahrgenommen und haben den Flugverkehr auf diese Art und Weise
überhaupt erst wieder in Gang gebracht.
({4})
Auch das muss man in dieser Situation deutlich sagen. Insofern ist die Bemerkung der Vereinigung Cockpit nicht kleinzureden. Das sind Kolleginnen und Kollegen der Piloten, die schon genau wissen, worüber sie
reden und was sie anzumerken haben. Dazu eine Feststellung: Ein Pilot, der sich in einer solchen Situation
verweigert, ist möglicherweise seinen Job los.
({5})
Nicht der Pilot weist darauf hin, sondern seine Vereinigung spricht für ihn. Ich nehme das sehr ernst.
Insgesamt haben wir schwierige Tage hinter uns. Eines müssen wir daraus lernen: Der Minister muss bei der
Aufarbeitung, die er vor sich hat, eines beherzigen: Er
muss dafür sorgen, dass es in dieser Frage klare Kommandostrukturen gibt. Es hat sie nicht gegeben; sie müssen hergestellt werden.
Herzlichen Dank.
({6})
Marlene Mortler hat jetzt das Wort für die CDU/CSUFraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Als letzte Rednerin stelle ich fest: Alle sind
zufrieden und glücklich,
({0})
nur die SPD befindet sich offensichtlich noch in der
Krise. Sie stehen mit Ihren Ausführungen alleine da.
({1})
Ein Dank tut immer gut und Lob allemal. Sehr geehrter
Herr Verkehrsminister, von mir persönlich, aber auch
vom Tourismusausschuss des Deutschen Bundestages
ein großes Dankeschön.
Ich möchte auf eine TED-Umfrage von n-tv eingehen.
Die Frage lautete: Hat der Bundesverkehrsminister beim
Krisenmanagement eine gute Figur gemacht?
({2})
Die Antwort: 83 Prozent der Befragten haben Ja gesagt,
und 17 Prozent haben Nein gesagt.
({3})
83 Prozent haben gesagt, er macht als Krisenmanager
eine gute Figur und
({4})
er hat einen klaren Kopf bewahrt!
({5})
Unser Minister hat nicht im luftleeren Raum entschieden. Er ist immer auf Sicht gefahren.
({6})
Heute wurde der Luftraum wieder geöffnet.
Wäre es anders gelaufen, hätte er nicht so verantwortungsvoll gehandelt, dann wären Sie doch die ersten gewesen, die sich darüber beschwert hätten, dass der Minister unverantwortlich handelt. Das, was Sie heute von
sich geben, ist teilweise abenteuerlich.
({7})
Ich erinnere an letzten Freitag, an dem es ein absolutes Flugverbot gab. Als wirtschaftlich denkender
Mensch erinnere ich auch daran, dass gemessen am Wert
immerhin 40 Prozent unserer Warenlieferungen über den
Flugverkehr abgewickelt werden. Das zeigt: Sicherheit
hat einen hohen Preis. Zeitweise sind 250 000 Touristen,
die eine Pauschalreise gebucht hatten, gestrandet.
Ich möchte darauf hinweisen, dass unsere deutschen
Reiseveranstalter vorbildlich gearbeitet haben. Sie haben
sich um die Menschen, die nicht direkt nach Hause gelangen konnten oder nicht direkt zu ihren Urlaubsorten
gebracht werden konnten, gekümmert. Sie haben sie mit
Hotelzimmern, Essen und Trinken versorgt. All das ist
nicht selbstverständlich.
Wir alle brauchen Urlaub. Ich versetze mich einmal in
die Stimmung eines Urlaubers. Der eine sagt: Mein Urlaub war schön, aber ich freue mich, wieder zu meiner
Familie oder in meinen Betrieb zurückzukehren.
({8})
Ein anderer sagt: Mein Urlaub wird schön, ich habe ihn
verdient, aber leider hat es nicht funktioniert.
({9})
In dieser beispiellosen Ausnahmesituation ist von der
Tourismuswirtschaft Bemerkenswertes geleistet worden.
Es gab eine einzigartige Rückholaktion. Ich wiederhole
gern das Lob und den Dank an alle Behörden im Land,
die sich durch ihre Bemühungen im In- und Ausland verdient gemacht haben. Warum? Weil die Hilfe meist über
die gesetzlichen und vertraglichen Verpflichtungen hinausgegangen ist.
Ich möchte an dieser Stelle eines klarstellen. Reiseveranstalter sind im Falle höherer Gewalt nicht verpflichtet,
höhere Übernachtungs- oder Beförderungskosten allein
zu übernehmen. Trotzdem haben sie mit ihrem Personal
vor Ort so gut es ging geholfen.
Gleich im Anschluss an diese Aussprache, um
15 Uhr, werden wir uns aus aktuellem Anlass im Tourismusausschuss mit allen wichtigen Akteuren der Tourismusbranche, der Fluggesellschaften, der Flughäfen
- auch der Verbraucherzentrale Bundesverband wird dabei sein -, mit Vertretern der Bundesregierung, der Reiseveranstalter und der Reisebüros zusammensetzen, um
intensiv darüber zu beraten, was ist bzw. was kommen
muss.
Noch ein Punkt. Ich nutze die Gelegenheit, kurz zum
Thema Pauschalreise und Pauschalreiserichtlinie zu
sprechen. Lange Zeit galt die Pauschalreise als Auslaufmodell. Aber gerade jetzt haben unsere Urlauber erkannt, wie wichtig es ist, dass man einen deutschsprachigen Ansprechpartner in dem jeweiligen Reiseland hat,
dass man rund um die Uhr immer wieder über die aktuelle Situation informiert wird und dass die eigene Reise
von anderen im wahrsten Sinne des Wortes neu organisiert wird.
({10})
Es war teilweise ein Wettlauf mit der Zeit, als unsere
leidgeplagten deutschen Touristen über noch offene
Flughäfen oder teilweise per Schiff von Inseln im Mittelmeer oder im Atlantik aufs südeuropäische Festland ge3398
bracht und anschließend mit Bussen nach Deutschland
zurückgebracht wurden.
Noch einmal zur Pauschalreiserichtlinie. Diese EURichtlinie wird im Moment überarbeitet. Über sie wird
heftig diskutiert. Ich sage aus deutscher Sicht ganz klar:
Wir brauchen keine Überarbeitung. Wir brauchen auch
keine Vollharmonisierung. Diese Richtlinie muss weiterhin von den Mitgliedstaaten in nationales Recht umgesetzt werden. Warum? Weil das deutsche Schutzniveau
wesentlich höher ist als das europäische Schutzniveau.
Wir wollen dieses hohe Niveau beibehalten. Hier haben
wir den Verbraucherzentrale Bundesverband und andere
wichtige Akteure an unserer Seite.
Ich komme zum Schluss.
({11})
Es ist wichtig, noch einmal festzuhalten, dass wir höchstes Interesse an einer schnellen Normalisierung im Bereich der fluggebundenen Reisen und im Bereich des
fluggebundenen Urlaubsverkehrs haben. Wir kennen die
wirtschaftlichen Folgen. Der Schaden - das wissen wir ist schon groß genug. Deshalb wünsche ich mir von ganzem Herzen, dass der Tourismus schnell wieder auf Touren kommt.
Ich danke Ihnen.
({12})
Damit schließe ich die Aussprache.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 1 auf:
Befragung der Bundesregierung
Die Bundesregierung hat als Thema der heutigen Kabinettssitzung mitgeteilt: Gesetzentwürfe zur Änderung des Bundesausbildungsförderungsgesetzes und
zur Schaffung eines nationalen Stipendienprogramms.
Das Wort für den einleitenden fünfminütigen Bericht
hat die Bundesministerin für Bildung und Forschung,
Frau Dr. Annette Schavan.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Das Kabinett hat in seiner heutigen Sitzung einige Maßnahmen zur Weiterentwicklung und Stärkung der Bildungs- bzw. Studienfinanzierung verabschiedet.
Eine dieser Maßnahmen ist: Nachdem viele Jahre darüber diskutiert worden ist, wollen wir in Deutschland
eine dritte Säule der Studienfinanzierung ermöglichen
und so eine Stipendienkultur in Deutschland aufbauen.
Das ist im Koalitionsvertrag vereinbart und basiert auf
Erfahrungen, die damit an Hochschulen in NordrheinWestfalen gemacht wurden.
Es geht um eine Stipendienkultur, die das Zusammenspiel öffentlicher und privater Investitionen ermöglicht.
Jeder Euro, der von einer Hochschule für Stipendien eingesammelt wird, wird durch einen zweiten Euro der öffentlichen Hand ergänzt, hälftig vom Bund und dem jeweiligen Land finanziert. Erstmals werden Stipendien in
Deutschland eltern- und überhaupt einkommensunabhängig vergeben: 300 Euro pro Monat. Es geht um Stipendien, die mit ins Ausland genommen werden können.
Diese Stipendien werden an jene vergeben, die von ihrer
Leistung her dafür infrage kommen. Wir haben dies sehr
bewusst mit einem Leistungsbegriff verbunden, der
nicht an Noten gekoppelt ist, sondern weit gefasst ist,
wie wir das auch aus der Begabtenförderung in Deutschland kennen.
Wir wollen mit dem Aufbau dieser dritten Säule - neben BAföG und Bildungskrediten - erreichen, dass Bildungsbarrieren weiter abgebaut werden und die finanzielle Ausstattung der Studierenden besser wird. Wir
haben über einen langen Zeitraum hinweg die Erfahrung
gemacht - das ist der Hintergrund -, dass lediglich 2 bis
3 Prozent der Studierenden in Deutschland über eines
der zwölf Begabtenförderungswerke ein Stipendium bekommen. Das ist international gesehen eine weit unterdurchschnittliche Größe. Die zweite relevante Größe ist,
dass der Anteil der privaten Investitionen im Bereich
Bildung in Deutschland mit 15 Prozent weit unter dem
OECD-Schnitt liegt, der bei 27 Prozent liegt. Alle großen Forschungs- und Wissenschaftsnationen haben deutlich höhere Anteile: über 60 Prozent.
Das Stipendium - ich habe es schon gesagt - kann mit
ins Ausland genommen werden. Wenn es um Leistung
geht, kann eine Hochschule entscheiden, besondere
Leistungen, die zum Studium hingeführt haben, zu berücksichtigen. Wir wünschen uns, durch diese gezielte
Maßnahme den Anteil der Studierenden aus Migrationsfamilien zu erhöhen.
Ein letzter Satz zum Stipendienprogramm: Es wird
immer wieder gefragt, warum Stipendien für eine
Gruppe gegeben werden sollen, die eigentlich sowieso
schon gut gestellt ist, weil sie im Zweifelsfall aus einkommensstarken oder bildungsnahen Familien kommt.
Ich glaube, dass wir drei verschiedene Tatsachen auseinanderhalten müssen:
Die erste Tatsache: Wir haben in Deutschland seit
Jahrzehnten einen zu geringen Anteil Studierender aus
einkommensschwachen und bildungsfernen Familien.
Die Begabtenförderungswerke verzeichnen einen entsprechend niedrigen Anteil, der sich analog zu dieser
Entwicklung verhält. Was wir brauchen, sind Anreize,
auch im Bereich der Bildungsfinanzierung, um weitere
Hürden abzubauen. Die Erfahrungen, die man zum Beispiel an den Universitäten in Duisburg und Bochum gemacht hat, also in strukturschwachen Regionen, zeigen,
dass das gelingt und dass dadurch der Anteil derer, die
bislang keinen Zugang zur Hochschule gefunden haben,
erhöht werden kann.
Der zweite Punkt ist die Weiterentwicklung des
BAföG. 2008 haben wir nach einer Reihe von Jahren
eine kräftige Erhöhung vorgenommen. Damit sind wir
wieder in einen Prozess eingestiegen, den ich für ganz
bedeutsam halte. Das BundesausbildungsförderungsgeBundesministerin Dr. Annette Schavan
setz lebt von der kontinuierlichen Weiterentwicklung
entsprechend der Entwicklung der Lebenshaltungskosten einerseits und der Nettoeinkommen andererseits. Sie
wird festgemacht an den Indikatoren, die hierfür bedeutsam sind. Wir wollen erstens den Kreis derer, die mit
BAföG gefördert werden, erweitern, deshalb die Erhöhung des Freibetrages um 3 Prozent. Wir haben jetzt im
Jahresdurchschnitt rund 330 000 Studierende und
200 000 Schüler, die BAföG bekommen. Wir können davon ausgehen, dass sich mit dieser Erhöhung der Freibeträge der Kreis derer, die gefördert werden, bis zum
Ende des nächsten Jahres um - geschätzt 60 000 Personen erhöhen wird. Damit sind wir an der
600 000er-Grenze, was das BAföG angeht. Zweitens
werden wir den Fördersatz um 2 Prozent erhöhen. Das
bedeutet, dass der Höchstfördersatz künftig bei 670 Euro
im Monat liegen wird.
Ein dritter Punkt ist wichtig - das ist ein ganzes Paket
weiterer Modernisierungsmaßnahmen -: Wir passen
konkrete Regelungen an konkrete Veränderungen von
Studienverläufen, Studienstrukturen und Lebensverläufen an. Dazu gehört die Anhebung der Altersgrenze von
30 auf 35 Jahre für das Masterstudium. Dazu gehört
auch - das ist ein ganz wichtiger Punkt - der Wegfall der
Dreijahresgrenze zwischen Abitur und Studiumsaufnahme oder Einsetzen einer Familienphase, die eingehalten werden musste, um später bei Überschreitung der
Altersgrenze wegen Kinderbetreuung trotzdem noch
BAföG-berechtigt zu sein. Eine Frau, die erst nach vier
oder fünf Jahren nach dem Abitur Kinder bekommen
und betreut und dann erst nach Überschreiten der Altersgrenze mit dem Studium begonnen hat, konnte bislang
nicht durch BAföG gefördert werden. Dieser Punkt betrifft also unmittelbar die Vereinbarkeit von Familie und
Studium. Schließlich gehört die Möglichkeit dazu, dass
Auszubildende BAföG erhalten können, wenn sie im
Ausland sind. Wir wollen ja, dass nicht nur Studierende
ins Ausland gehen, sondern auch andere Auszubildende.
Dies sind ein paar Änderungen, die der konkreten Entwicklung von Lebensentwürfen und Studienstrukturen
gerecht werden.
Das sind die wesentlichen Aspekte. Es handelt sich
um Maßnahmen, die es insbesondere den Studierenden
ermöglichen, ihre Studien besser zu finanzieren.
Vielen Dank.
({0})
Die erste Frage ist die des Kollegen Kai Gehring.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Frau Ministerin, ich
möchte eingangs darauf hinweisen, dass wir Grüne nicht
Nein zu Stipendien sagen, aber wir sagen klar Nein zu
diesem nationalen Stipendienprogramm, da es die falsche Priorität setzt und ungerecht ist.
Ich wüsste von Ihnen gerne - Sie haben davon gesprochen, eine Stipendienkultur schaffen zu wollen -,
wie es dazu kommt, dass diese Stipendienkultur schon
zum Erliegen kommt, noch bevor sie geschaffen wird.
Die vorgesehenen Mittel für dieses Programm sind offenbar halbiert worden. Dies sieht man, wenn man den
Referentenentwurf, der wenige Wochen alt ist, mit dem,
was heute im Kabinett beschlossen worden ist, vergleicht. Wie kann es sein, dass im Entwurf des Stipendienprogramm-Gesetzes vorgesehene Mehrausgaben in
2013 in Höhe von 160 Millionen Euro angesetzt werden,
während es im Referentenentwurf noch 300 Millionen
Euro waren, und dass Bund und Länder nicht jeweils
150 Millionen Euro, sondern 80 Millionen Euro in die
Hand nehmen? Wie kommt es zu dieser Halbierung der
Mittel und zu diesem deutlich langsameren Aufbau? Hat
das zum Beispiel damit zu tun, dass die Wirtschaft Ihr
nationales Stipendienprogramm offensichtlich gar nicht
unterstützen will?
Es wäre mir auch wichtig, dass Sie zur Absage der
Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände
Stellung beziehen, die die Finanzierung von Stipendien
nicht als originäre Aufgabe der Unternehmen ansieht.
Könnten Sie bitte erläutern, weshalb die Wirtschaft hier
nicht mitmachen will? Ist Ihr Stipendienprogramm nicht
völlig auf Sand gebaut, wenn die Arbeitgeberverbände
sagen, dass dies nicht ihre originäre Aufgabe ist und dass
sie nicht mit im Boot sind?
Frau Ministerin.
Sie haben gesagt, das Programm setze die falsche
Priorität und sei ungerecht. Dass ich da anderer Meinung
bin, versteht sich von selbst.
({0})
Nachdem seit so langer Zeit nur 2 bis 3 Prozent ein Stipendium bekommen, sind wir fest entschlossen, dafür zu
sorgen, dass langfristig 10 Prozent ein Stipendium erhalten. Es gibt Debatten über das Tempo und über die
Frage, wer den Hochschulen die entsprechende Administration zahlt. Es gibt auch Stellungnahmen aus der
Wirtschaft, die sagen, es sei nicht deren primäre Aufgabe. Der Wirtschaft sage ich: Jahrelang ist in Deutschland über Stipendien diskutiert worden, auch in der Wirtschaft.
Ich bin allerdings der Meinung: Die erste Gruppe, die
wir ansprechen sollten, sind nicht Unternehmen, sondern
die Ehemaligen. In erfolgreichen Wissenschaftsnationen
gehört es zum Verhalten der Ehemaligen, der Alumni
Clubs, zu helfen. Die Solidarität der Ehemaligen mit den
heute Studierenden ist ein ganz wichtiger Punkt, ist ein
Signal der Zivilgesellschaft. Deshalb ist das die erste
Gruppe, die wir ansprechen werden. Sie können schon
heute in Bonn oder Aachen feststellen, dass man sich an
die Ehemaligen, an den Verein der Ehemaligen, wendet;
darüber kommen Stipendien.
Bezüglich des Tempos sage ich: Auch wenn es jährlich nur 0,5 Prozent mehr sind, ist dieser vergleichsweise
bescheidene Aufwuchs angesichts der Tatsache, dass
man 60 Jahre lang in Deutschland bei 2 Prozent gelegen
hat, zu begrüßen.
Die Vergabe der Stipendien erfolgt, glaube ich, sehr
gerecht. Ich weiß nicht, was ungerecht daran sein soll,
dass Stipendien möglich werden, die mit Leistung und
nicht mit Herkunft, nicht mit elterlichem Einkommen
verbunden sind und die die Selbstständigkeit des Studierenden akzeptieren.
({1})
Ich bin davon überzeugt, dass das für die Universitäten,
für die Hochschulen insgesamt ein interessanter Impuls
ist, sich gerade für solche Studierende zu interessieren,
die sich hinsichtlich ihrer Finanzsituation und Herkunft
schwertun.
Der Kollege Kretschmer.
Frau Bundesministerin, Sie haben die Erhöhung der
Bedarfssätze bzw. der Regelsätze und der Freibeträge
beim BAföG angesprochen, die deutlich über das hinausgeht, was dem BAföG-Bericht zufolge als notwendig erachtet wird. Vielleicht können Sie einmal darstellen, warum dieser Schritt notwendig ist und aus welchen
Gründen die Bundesregierung deutlich über die Forderungen des BAföG-Berichts hinausgeht, wodurch sie in
Zukunft viel mehr jungen Leuten die Chance eröffnet,
BAföG zu beziehen.
Das Zweite. In der Diskussion über das Stipendienmodell, das ich für richtig halte, ist davon die Rede, dass es
an den Hochschulen ganz unterschiedliche Voraussetzungen gibt und dass vor allen Dingen Hochschulen in wirtschaftlich schwierigen Regionen Probleme befürchten.
Vielleicht können Sie einmal deutlich machen, welche
Maßnahmen geplant sind, um eine Unwucht zugunsten
wirtschaftlich starker Regionen und zulasten wirtschaftlich schwacher Regionen zu verhindern.
Frau Ministerin, bitte.
Zu Ihrer ersten Frage. In der Tat weisen die maßgeblichen statistischen Daten und Prognosen im BAföG-Bericht rechnerisch den Bedarf nur für eine etwas geringere
Erhöhung aus. Wir haben gesagt: Die jetzige Erhöhung
muss eine Zeit lang halten. Das heißt, sie greift der Weiterentwicklung, die im nächsten Jahr ansteht, vor. Angesichts der erfreulichen Entwicklung, dass im Studienjahr 2009 43,3 Prozent eines Jahrgangs ein Studium
begonnen haben, war uns auch wichtig, ein starkes Zeichen zu setzen, dass wir die Studierbereitschaft positiv
zur Kenntnis nehmen und diesen positiven Trend stabilisieren wollen.
Zu Ihrer Frage nach den strukturschwachen Regionen.
Sobald der Gesetzentwurf verabschiedet ist, werden wir
uns mit den konkreten nächsten Schritten befassen. Im
Gesetz ist schon jetzt geregelt, dass wir uns die Situation
nach drei Jahren anschauen werden; auf Neudeutsch
nennt man dies Evaluation. Dann werden wir überprüfen:
Ist das Erreichte ausreichend? Sind strukturfördernde
Maßnahmen notwendig? Ich glaube, es wäre nicht gut,
schon jetzt von einem Finanzausgleich zu sprechen, weil
diese Maßnahmen nicht länderspezifisch, sondern hochschulspezifisch sind.
Wenn es gelingt, im Hinblick auf das Sponsoring von
Stipendien zuerst die Gruppe der Ehemaligen anzusprechen, dann werden auch die Unternehmen vor Ort keine
so relevante Rolle mehr spielen. Hier müssen wir zuerst
Erfahrungen sammeln und dann überprüfen, wie sich die
Dinge entwickelt haben. Zeigt sich in den ersten Jahren
eine offenkundige Benachteiligung strukturschwacher
Regionen, müssen wir uns erneut mit diesem Thema beschäftigen.
Die nächste Frage stellt der Kollege Rossmann.
Frau Ministerin, ich möchte an die Ausführungen des
Kollegen Gehring anknüpfen. Ich habe den Eindruck,
dass in Bezug auf das Stipendiensystem sehr viele Fragezeichen von Ihnen selbst in den Raum gestellt werden,
von der Evaluation nach drei Jahren bis hin zum Wechsel
der Zielgruppe von Unternehmen zu Alumni. Sie haben
sich positiv dahin gehend geäußert, dass man mithilfe eines Leistungsgesetzes BAföG rund 60 000 zusätzliche
Studierende aus der unteren Mittelschicht bzw. der Mittelschicht insgesamt gewinnen kann.
Vor diesem Hintergrund frage ich Sie: Weshalb meinen Sie, dass es wichtiger ist, an der Entwicklung eines
Stipendiensystems zu arbeiten, statt deutlich mehr Geld
in die Förderung der Studierenden aus der unteren Mittelschicht bzw. der Mittelschicht insgesamt durch eine
viel stärkere Erhöhung der Freibeträge zu investieren?
Dies ließe sich gesetzlich klar und ohne großen Verwaltungsaufwand regeln, und das Geld käme bei der Zielgruppe, die wir für ein Studium zusätzlich materiell absichern wollen, sicher an. Stattdessen wollen Sie sich aber
lieber auf ein sehr unsicheres Stipendiensystem einlassen, das mit vielen Fragezeichen, die Sie sogar selbst setzen, verbunden ist.
Frau Ministerin.
Ich setze keine Fragezeichen. Ich sage: Wer eine völlig neue Entwicklung in Gang setzt, der muss - eine Reform lediglich durchzuführen, reicht nämlich nicht auch wissen, wie er den Prozess der Umsetzung begleitet, wie ein Reformprozess organisiert ist. Dazu gehört,
nach einigen Jahren zu überprüfen: Sind die ErwartunBundesministerin Dr. Annette Schavan
gen erfüllt? Wo tauchen Schwierigkeiten auf? Was muss
im Zweifelsfall korrigiert werden?
Hätte man das bei jeder bildungspolitischen Reform
in Deutschland berücksichtigt, wäre manche Reform anders gelaufen. Ich sage nur: Bologna-Prozess.
Jetzt bestehe ich auf Folgendem: Wir entschließen
uns nicht nur, das zu tun, sondern begleiten diesen Prozess so, dass unser Ziel auch erreicht wird.
Die zweite Frage bezog sich darauf, warum ich nicht
nur auf das BAföG setze. Das tue ich deshalb nicht, weil
es ziemlich altmodisch ist, ausschließlich auf das BAföG
abzustellen. An den interessanten Universitäten um
Deutschland herum bewerben sich junge Leute - übrigens auch aus Deutschland - um ein Stipendium. Das ist
doch Ausdruck ihres Selbstbewusstseins. Dort werden
sie unabhängig vom Einkommen der Eltern behandelt.
Außerdem gibt es in dem Ganzen einen zutiefst sozialen Aspekt. Ich möchte einmal die Erhöhung von Freibeträgen und Förderbeträgen sehen, die notwendig wäre,
um zu einem Plus von 300 Euro im Monat zu kommen.
Das ist eine völlig illusorische Vorstellung. Mit dem zusätzlichen Stipendium gibt es aber die Möglichkeit,
selbst beim Bezug des BAföG-Höchstsatzes in Höhe von
künftig 670 Euro noch einmal 300 Euro dazuzubekommen. Das ist die beste Studienfinanzierung gerade für
Studierende aus einkommensschwachen Familien, die es
in Deutschland je gegeben hat.
Deshalb ist dies nicht nur ein interessantes Projekt im
Hinblick auf Leistungsförderung, sondern vor allen Dingen auch ein sozial zutiefst gerechtes und interessantes
Projekt, das mit keiner Erhöhung des BAföG hätte realisiert werden können.
Ich kann mir nicht vorstellen, dass der Wissenschaftsstandort Deutschland sonst bald der einzige in der Welt
ist, in dem es keine Hochschulen gibt, die auch Stipendien vergeben können, und zwar - das sage ich ausdrücklich - eben nicht nur an Angehörige bestimmter
Berufsgruppen, also nicht nur an angehende Ingenieure
oder Physiker, und nicht nur von einem Unternehmen,
von dem zur Bedingung gemacht wird, dass der Absolvent dann aber auch zu ihm kommt, sondern in der ganzen Breite der Fächer.
Kollege Meinhardt, Sie haben eine Frage.
Frau Ministerin, in Ergänzung dessen, was Sie gerade
angesprochen haben - ein ganz bewusstes Ziel der
BAföG-Modernisierung verbunden mit dem nationalen
Stipendienprogramm ist die soziale Dimension, Stichwort: Schließen einer Gerechtigkeitslücke -, frage ich
Sie erstens: Stimmen Sie an dieser Stelle mit der Formulierung überein, dass wir hier durchaus von einer Trendwende sprechen können? Statt derzeit 1,9 Prozent der
Studierenden sollen künftig 10 Prozent der Studierenden
mit einem Stipendium ausgestattet sein.
Zweitens erscheint mir an dieser Stelle auch Folgendes wichtig: Würden Sie in diesem Zusammenhang bitte
noch einmal darstellen, wie der Begabungsbegriff bzw.
der Förderbegriff gerade bei diesem nationalen Stipendienprogramm auszulegen ist, damit von der Zielrichtung her auch klar wird, dass es sich um ein sozial fundamentiertes System handelt?
Frau Ministerin, bitte.
Das ist in der Tat eine Trendwende oder jedenfalls die
Chance bzw. der Impuls zu einem ganz neuen Instrument der Studienfinanzierung, das es in 60 Jahren Bundesrepublik Deutschland nicht gegeben hat und mit dem
wir etwas ermöglichen, was in vielen anderen Wissenschaftsgesellschaften üblich ist, nämlich dass die Zivilgesellschaft Hochschulen und Studierende unterstützt.
Die großen Universitäten, von denen wir immer schwärmen, leben allesamt einschließlich der Stipendien nicht
zu 100 Prozent vom Staat, sondern sind finanziell so
stark, weil sie einen Mix aus Zuwendungen des Staates
und der Zivilgesellschaft erhalten.
Meines Erachtens gibt es keinen Grund, in Deutschland immer noch zu sagen: Aber die Zivilgesellschaft
darf auf gar keinen Fall irgendetwas geben wollen, weil
das ja zu einem Rückzug des Staats führt. - Nein! Die
Investition des Staates soll so erfolgen, dass sie weitere
Investitionen der Zivilgesellschaft mobilisiert. Das halte
ich für den Clou. Hierbei handelt es sich um das Neue.
Das Ganze ist natürlich auch - da komme ich noch
einmal auf die Opposition zu sprechen - wie bei jedem
Thema in Deutschland willkommener Anlass, zu sagen:
Das haben wir ja noch nie gehabt. Weil wir das noch nie
gehabt haben, kann es überhaupt nicht klappen. Und
wieso komme ich dazu, irgendeinem Studenten ein Stipendium zu geben?
Bildungsrepublik Deutschland heißt dann irgendwann
auch, dass derjenige, der studiert hat und heute gut verdient, die 150 Euro abführt. Das ist die beste Wertschätzung von Studierenden und jungen Akademikern, die
wir uns denken können.
Ihr zweiter Punkt war der Begabungsbegriff. Im Gesetzentwurf ist die Rede von Begabung und Leistung. In
mehreren Zeilen ist eigens beschrieben, dass damit keine
Gleichsetzung mit den Noten gemeint ist, sondern dass
der Begabungsbegriff breit angelegt ist, bis hin zur Würdigung der Lebensleistung. Natürlich kann eine Universität sagen: Wir haben das Ziel, den Anteil derer, die aus
Familien mit Migrationshintergrund kommen, deutlich
zu erhöhen, wir setzen hier einen Schwerpunkt, wir suchen junge Leute, die, auch wenn sie vielleicht aus
schwierigen Verhältnissen kommen, den Sprung zum
Studium anstreben, und wollen ihnen ein klares Signal
geben, dass wir sie bei diesen Bemühungen über die bisherigen Möglichkeiten hinaus unterstützen.
Die nächste Frage stellt Kollegin Hein. So lange, bis
ihr Mikro angeht, möchte ich - nur dass keine Nervosität
aufkommt - sagen: Wir haben eine Liste von Fragenden,
die wahrscheinlich für zwei Stunden reichen würde. Wir
haben versucht, darüber nach Gerechtigkeit, nach der
Reihenfolge der Meldungen und nach anderen Kriterien
zu entscheiden.
Vielen Dank. - Frau Ministerin, was wir heute zum
nationalen Stipendienprogramm zu hören bekommen haben, hat dazu beigetragen, dass ich noch mehr verunsichert bin, als ich schon vorher war. Ich habe das Gefühl
bekommen, dass Sie nicht wirklich wissen, wovon Sie
reden, und auch nicht wirklich daran glauben, dass dieses Stipendienprogramm funktioniert.
Wenn Sie jetzt - anders als in der Vergangenheit - sagen, dass die Ehemaligen bitte schön den privaten Anteil
stellen möchten, muss ich sagen: Ich finde das einigermaßen seltsam, und das steht auch im Widerspruch zu
dem, was Sie bisher angekündigt haben. Ich denke, Sie
betreiben Schönrederei. Man braucht, um studieren zu
können, erst ein Stipendium. Heutzutage funktioniert die
Studienfinanzierung hauptsächlich über BAföG. Genau
da kommt das Leistungsstipendium gar nicht an, es
kommt ja erst hinten drauf.
Meine Frage betrifft aber noch etwas anderes. Sie haben angedeutet - ich würde Sie bitten, darauf noch einmal genauer einzugehen -, dass Sie anknüpfen wollen an
das Stipendienprogramm, das es in NRW schon gibt. Es
ist allerdings nachgewiesen, dass dieses Stipendienprogramm vor allem diejenigen erreicht, die Mathematik,
Naturwissenschaften und Ingenieurwissenschaften studieren. Ich würde gerne wissen, wie Sie es erreichen
wollen, dass diese Stipendien - wenn sie denn überhaupt
gezahlt werden und wenn sie denn von jemandem entgegengenommen werden können - auch denjenigen zugutekommen, die Fächer studieren, die keine solchen Finanziers hinter sich haben.
Frau Ministerin, bitte.
Ich möchte zunächst zu Ihrer Behauptung, dass ich
anders rede als am Anfang der Überlegungen zu diesem
Stipendienprogramm, sagen, dass das nicht meiner Erinnerung entspricht.
({0})
Für mich ist immer klar gewesen: Zur Zivilgesellschaft
können Unternehmen gehören, zur Zivilgesellschaft können Vereine gehören, zur Zivilgesellschaft können Rotary
Clubs gehören. Ich sage ausdrücklich: Zur Zivilgesellschaft gehören auch die Ehemaligen. Dass ich das schon
immer gedacht habe, können Sie daran sehen, dass ich
schon ganz zu Beginn des Programms in NRW ein Stipendium gespendet habe. Wenn ich die Ehemaligen nicht
im Blick gehabt hätte, wäre ich doch nicht auf diese Idee
gekommen. Wir wissen alle, dass wir Akademiker brauchen. Das wird aber nur dann etwas, wenn diejenigen, die
über entsprechende Möglichkeiten verfügen, dazu etwas
beisteuern.
Das hängt im Übrigen auch von der einzelnen Hochschule ab. Ich weiß, dass in NRW die RWTH Aachen
eine besonders hohe Anzahl von Stipendiaten hat; ich
habe letzte Woche mit dem Rektor darüber gesprochen.
Dass die Stipendiaten Mathematik und Ingenieurswissenschaften studieren, ist wohl wahr. Die Vergabe der
Stipendien erfolgt aber nicht zentral, und der Fokus liegt
nicht nur darauf, dass Unternehmen künftige Mitarbeiter
kennenlernen. Damit ist die Möglichkeit gegeben, dass
Studenten aller Fächergruppen tatsächlich eine Chance
bekommen. Wer ein Stipendium bekommt, entscheidet
sich aber vor Ort, und darauf nehmen wir keinen Einfluss. Ich bin davon überzeugt, das wird ähnlich sein wie
bei den 13 Begabtenförderungswerken: Da gibt es kein
Schwergewicht bei dieser oder jener Gruppe, sondern
Studenten aller Fachbereiche haben die Chance, in die
Begabtenförderung zu kommen.
Krista Sager.
Frau Ministerin, wenn die Hochschulen private Mittel
jetzt bei ihren Alumni eintreiben sollen, dann kommt auf
die Hochschulen erheblicher Aufwand zu. Es stellt sich
die Frage, wie dieser Verwaltungsaufwand kompensiert
werden soll.
Zu meiner zweiten Frage. Die meisten Hochschulen
haben heute sehr gute Kontakte zu ihren Alumni. Das
gilt aber in Bezug auf ihre eigenen Vorhaben, die für sie
Priorität haben. Da ja nicht zu erwarten ist, dass die
Alumni jetzt einfach etwas obendrauf legen, entziehen
sich die Hochschulen durch diese Aktivitäten im Grunde
selber Mittel, die sie für etwas anderes eingeplant haben,
nämlich das Geld von ihren Alumni für eigene Zwecke.
Auf der anderen Seite ist zu bedenken: Die Anzahl vermögensstarker Alumni in Hamburg und in Cottbus ist
mit Sicherheit sehr unterschiedlich.
In diesem Kontext frage ich: Wieso glauben Sie eigentlich, dass Sie die Hochschulen dazu bewegen können, das Ganze mitzumachen? Wie wollen Sie damit
umgehen, dass möglicherweise gerade dort Mittel eingetrieben werden, wo sie gar nicht am nötigsten sind? Am
nötigsten sind sie doch wahrscheinlich dort, wo es viele
Studierende aus strukturschwachen Gebieten gibt, die
kaum die Möglichkeit haben, dort Stipendien zu bekommen.
Zu Ihrer ersten Frage. In dem Maße, wie dieses System angenommen wird, werden wir auch über die Kosten für die Hochschulen sprechen müssen. Das wird
beim Gespräch mit den Ländern jetzt ein Thema sein.
Ich habe einzelnen Rektoren gegenüber auch schon gesagt, dass wir dort einen Weg finden werden. Das geht
nicht zum Nulltarif.
Zweitens. Denjenigen, die jetzt so argumentieren,
dass sich eine Universität, die Stipendien einwirbt, ja
Geld für anderes wegnimmt, sage ich aber auch - das
sage ich jetzt etwas lapidar -: Dann soll diese Universität
entscheiden, dass sie das nicht mitmacht. - Es wird niemand gezwungen; keine Universität wird gezwungen,
sich daran zu beteiligen. Es ist eine Möglichkeit, es ist
ein Angebot, es ist ein Anreiz. Es ist eine Chance, Geld
für Bildung und Studium zu mobilisieren.
Ich kann gut verstehen, dass sich bei etwas, das es
noch nicht gibt, erst einmal viele Fragen stellen. Ich rate,
die Entscheidung innerhalb einer Hochschule zu treffen:
Beteiligen wir uns sofort? Warten wir ab? Schauen wir,
wie die Erfahrungen anderer sind? - Am 11. Mai 2010
werde ich die Hochschulrektorenkonferenz besuchen
und dann auch all diese Detailfragen mit den Präsidenten
und Rektoren diskutieren.
({0})
Frau Kollegin Burchardt.
Frau Ministerin, anknüpfend an Ihre Aussage, das Stipendienprogramm sei das große bildungspolitische Reformprogramm, möchte ich sagen: Man hat auf der Basis
der Fakten sowohl in Nordrhein-Westfalen als auch im
Ausland eher den Eindruck: Das hat die Ansätze eines
Bürokratieaufbauprogramms, sodass die Frage danach
gestellt wird, wer für die Kosten aufkommt.
Sie haben geraten, den Blick nach Großbritannien zu
richten. Ist Ihnen bekannt, dass in Großbritannien die
Akquisitionskosten ein Drittel der eingeworbenen Mittel
betragen? Hier in Deutschland würden bei den vorgesehenen 300 Millionen Euro von privaten Stipendiengebern diese Akquisitionskosten 100 Millionen Euro betragen. Sie haben aber nur 30 Millionen Euro angesetzt basierend auf den Erfahrungen der Begabtenförderungswerke. Dort muss aber keine Akquise betrieben werden.
Diejenigen, die in den nordrhein-westfälischen Universitäten für die Stipendien verantwortlich sind, sagen
mir, dass hier laufend große Verwaltungsaufgaben auf
die Universitäten zukommen. Es geht dabei um Umzüge,
es geht darum, dass sich Konten ändern, usw. Das ist
kein einmaliger Aufwand, sondern ein dauerhafter Aufwand.
Ob ich die Zahlen von Großbritannien übertrage oder
die von der Universität Duisburg-Essen hochrechne, die
beim Einwerben von Stipendien sehr erfolgreich war:
Man kommt zu dem Ergebnis, dass über 2 000 volle
Stellen zusätzlich notwendig wären. Das würde, egal wie
und von welcher Basis aus man rechnet, einen Gesamtaufwand von 100 Millionen Euro bedeuten. Das
sind 70 Millionen Euro mehr als das, was Sie in dem Gesetzentwurf veranschlagt haben.
Können Sie mehr dazu sagen, außer dass Sie Gespräche führen werden? Das spielt nämlich für die Frage, ob
es sich die Universitäten leisten können, in diesen Bürokratieaufbau einzusteigen, schon eine ganz wesentliche
Rolle.
Frau Ministerin, bitte.
Die nordrhein-westfälischen Universitäten haben ja in
der Tat Erfahrungen. Diese Erfahrungen werden einfließen. Ich sage zunächst einmal: Die Erstattung von Verwaltungskosten ist in allererster Linie Sache des betreffenden Landes und nicht des Bundes. Wenn eine völlig
neue Initiative gemeinsam auf den Weg gebracht wird
und sich herausstellen sollte, dass der Verwaltungsaufwand höher ist als geplant, dann muss man darüber sprechen, wie das finanziert werden soll.
Ich finde das interessant: Erst wird gesagt: „Dabei
kommt ja gar nichts herum“, und dann wird gesagt: Wir
brauchen 100 Millionen Euro, um das Ganze zu verwalten. - Mein Rat lautet, erst einmal zu beginnen. Dann
werden sich mit dem Maß der Attraktivität bzw. mit der
Zahl der Stipendien, die eine Universität zur Verfügung
stellen kann, auch andere Fragen beantworten. Der Bund
hat seine Bereitschaft signalisiert, zusätzliche Investitionen bereitzustellen. Aber dazu müssen zunächst einmal
Erfahrungen gesammelt werden. Wie Sie wissen, hat das
Stipendiensystem in Großbritannien einen ganz anderen
Umfang als alles, worüber wir hier sprechen.
Daniela Kolbe, bitte.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Frau Ministerin, ich
möchte an einen Punkt anknüpfen, den Herr Kretschmer
von der Union schon angesprochen hat, nämlich die
mutmaßliche regionale Ungerechtigkeit, die aus meiner
Sicht im Stipendiensystem angelegt ist. Ich frage Sie
konkret: Stimmen Sie mit mir überein, dass der Verdienst von Alumni von der Hochschule bzw. der Art und
Lage der Hochschule, die sie besucht haben, abhängt
und dass auch die Frage, ob eine Universität in einer
wirtschaftlich starken oder schwachen Region liegt, Einfluss darauf haben wird, inwiefern das Stipendiensystem
dort funktioniert und Verwaltungskosten anfallen?
Auf gut Deutsch: Ist es nicht so, dass in der RWTH
Aachen ohne Weiteres ein solches Stipendiensystem implementiert werden kann, während die FH in Zittau beispielsweise mit viel höheren Kosten zu rechnen hat und
viel weniger Geld zur Verfügung haben wird? Ist diese
Unwucht nicht schon im System angelegt? Aus meiner
Sicht müssen wir nicht drei Jahre warten und evaluieren,
um das herauszufinden, was ich gerade beschrieben
habe.
Frau Burchardt hat gerade das erfolgreiche Beispiel
der Universität Duisburg-Essen genannt. Das ist ein
klassisches Beispiel erstens für eine junge Universität,
die zweitens in einer strukturschwachen Gegend liegt.
({0})
Sie ist keine Technische Universität und hat es leichter
als viele andere. Das ist keine Frage.
Ich weiß nicht, ob ich Sie richtig verstanden habe. Ich
glaube nicht, dass es einen Zusammenhang zwischen
dem Einkommen eines Akademikers und der Hochschule gibt, an der er studiert hat. Ob jemand an der TU
in Ilmenau oder in Aachen studiert hat, hat keinen Einfluss auf den Verdienst. Der Verdienst eines Ingenieurs
beispielsweise reduziert sich nicht, wenn er in Ilmenau
studiert hat. Diesen Zusammenhang gibt es nicht.
Sie haben die Alumni angesprochen. Alumni leben in
der Regel nicht im Umfeld ihrer Universität. So leben in
Aachen durchaus auch ehemalige Studierende der Hochschule in Dresden. Zunächst einmal müssen, wie ich bereits gesagt habe, Erfahrungen gesammelt werden. Wenn
der Eindruck entsteht, dass das System völlig ungleichgewichtig ist, kann überlegt werden, an welcher Stelle
Korrekturen möglich sind. Vorstellbar ist zum Beispiel
ein zentraler Fonds, aus dem ein Ausgleich erfolgt.
Ich rate auch aufgrund der Erkenntnisse aus anderen
Ländern, zunächst einmal Erfahrungen zu sammeln, um
zu erkennen, woher der größte Teil der Stipendien
kommt, die eine Hochschule anbietet. Auch das ist eine
interessante Entwicklung. Wir müssen herausfinden, aus
welchen Quellen die Stipendien finanziert werden. Dann
können wir weitersehen.
Frau Kollegin Alpers, bitte.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Frau Ministerin, ich
habe zwei konkrete Fragen: Sie haben gesagt, durch das
Stipendium erfahren wir soziale Gerechtigkeit; Stipendien sind genau der Indikator dafür, dass das nicht von
sozialer Herkunft abhängig ist. - Darüber können wir
nun politisch streiten. Deshalb meine erste Frage: Haben
Sie vorgesehen, dass Sie uns jährlich vorlegen, wer Stipendien bekommen hat und wie die soziale Herkunft
dieser Stipendiaten ist, um tatsächlich einmal belegen zu
können, wie das mit diesen Stipendien sozial strukturiert
ist? Meine Bitte ist also, dass wir das nicht erst nach drei
bis fünf Jahren erhalten, sondern tatsächlich jährlich.
Dann haben Sie gesagt, dass die Ehemaligen die Stipendiaten unterstützen sollten, gar nicht so sehr die Industrie, die Betriebe. Da hätten wir schon soziale Ungerechtigkeit; denn in strukturschwachen Regionen besteht
einfach ein Ungleichgewicht. Meine zweite konkrete
Frage: Wen genau wollen Sie ansprechen, und wie wollen Sie diese Ehemaligen ansprechen? Ich frage Sie, ob
auch vorgesehen ist, dass diese Liste auch dem Bundestag vorgelegt wird, sodass Ihr Vorgehen transparent
wird.
Es ist nicht vorgesehen, dass dem Bundestag jährlich
ein Bericht vorgelegt wird, an welcher Universität wer
mit welchem sozialen Hintergrund ein Stipendium bekommen hat. Wir diskutieren hier manchmal über Bürokratieabbau, und ich rate im Sinne des Bürokratieabbaus
sehr, jetzt nicht eine solche Vorstellung zu entwickeln.
({0})
- Ja, nach drei Jahren, aber nicht durch einen jährlichen
Bericht.
({1})
Zweitens. Wir reden hier nicht über ein Stipendiensystem der Bundesregierung,
({2})
sondern über ein nationales Stipendiensystem der Universitäten, der Hochschulen in Deutschland, für das wir
mit diesem Gesetzentwurf einen Vorschlag machen, der
eine Verbindung von Investition aus öffentlichen Mitteln
und privaten Investitionen vorsieht. Nach meiner Auffassung sollten wir hier nicht ein planwirtschaftliches
Verfahren mit ständiger Kontrolle durch Regierung und
Parlament vornehmen;
({3})
vielmehr geben wir dies in die Selbstständigkeit der
Hochschulen. Wir brauchen in diesem Zusammenhang
lediglich die Informationen, die notwendig sind, um für
die weitere Entwicklung dieses Stipendiensystems die
Weichen richtig stellen zu können. Das ist vorgesehen.
Ich halte es auch nicht für richtig, wenn wir nach meiner Rede über die Ehemaligen sie als Alternative zu den
Unternehmen ansehen.
({4})
Der Begriff, der im Zusammenhang mit dem Engagement Privater verwendet werden sollte, lautet „Zivilgesellschaft“. Dazu gehören Einzelne, Verbände, Klubs,
Unternehmen,
({5})
wie auch immer, wie es auch in der Vergangenheit Mäzenatentum und Sponsoring für Hochschulen gegeben
hat.
({6})
Damit haben wir den zeitlichen Rahmen für die Regierungsbefragung voll ausgeschöpft. - Frau Bundesministerin, ich danke Ihnen für die Beantwortung der
Fragen.
Nun rufe ich den Zusatzpunkt 2 auf:
Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktion der SPD
Haltung der Bundesregierung zur Finanzierbarkeit der FDP-Steuerpläne
Ich eröffne die Aussprache und erteile als erster Rednerin für die SPD-Fraktion der Kollegin Nicolette Kressl
das Wort.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Wir diskutieren heute über Vorschläge der
FDP zu einem weiteren Steuermodell. Unsere Bewertung ist sehr eindeutig: Die Vorschläge der FDP sind
eine fatale Mischung aus Wählertäuschung und Selbstbetrug.
({0})
Der Selbstbetrug wird gerade in den letzten Tagen
ganz besonders deutlich. Sowohl der Finanzminister als
auch Einzelne aus der Union lassen die FDP am ausgestreckten Arm regelrecht vertrocknen. Ich will einige
Zitate nennen: Es wird darauf verwiesen, dass es für
Steuersenkungen Spielräume geben muss, und der CDUFinanzminister sagt, die vorhandenen Steuerpläne seien
nachrangig. Insofern könnten wir eigentlich diesem kabarettreifen Stück auf der Bühne gemütlich zuschauen;
ich will Ihnen aber deutlich sagen: Für dieses Verwirrspiel haben wir wenig Verständnis; denn jetzt ist es wirklich Zeit für eine klare Ansage.
({1})
Die klare Ansage brauchen wir deshalb, weil wir uns
hier nicht auf einer Schaustellerbühne befinden, sondern
weil wir über Maßnahmen reden, die die Menschen ganz
konkret betreffen würden. Deshalb muss auf den Tisch,
was sich hinter den FDP-Vorschlägen tatsächlich versteckt. Ich will zwei entscheidende Punkte ansprechen.
Erstens. In diesem Konzept steht, dass die FDP die
Gewerbesteuer streichen will. Stattdessen sollen die
Kommunen einen höheren Anteil an der Umsatzsteuer
erhalten. Es gab dazu die nette Äußerung von Herrn
Westerwelle, den Kommunen das Recht einzuräumen,
einen Hebesatz auf die Umsatzsteuer festzulegen. Dazu
muss ich Ihnen ehrlich sagen: Es kann doch nicht ernst
gemeint sein, lauter kleine Mehrwertsteuerinseln zu
schaffen. Ich finde, es ist an der Zeit, diesen Vorschlag
zurückzunehmen. Das kann eigentlich nur ein größerer
Irrtum gewesen sein.
({2})
Aber selbst wenn es nicht darum geht, einen Hebesatz
auf die Mehrwertsteuer festzulegen, kann das nur zweierlei bedeuten. Die erste Variante ist: Die Kommunen
bekommen einen geringeren Teil an der Umsatzsteuer,
als ihre Einnahmen aus der Gewerbesteuer bisher ausmachten; das sind pro Jahr mindestens 30 Milliarden
Euro Gewerbesteuer. Das bedeutet, dass sie weniger
Geld haben. Also zahlen die Bürgerinnen und Bürger
dort beispielsweise mehr Abgaben. Das wäre eine Belastung, obwohl Sie eine Entlastung versprechen. Deshalb
nenne ich das Wählertäuschung.
({3})
Die zweite Variante ist: Sie brauchen insgesamt höhere
Umsatzsteuereinnahmen. Dann müssen Sie aber die
Mehrwertsteuer anheben, und auch dieses würde die
Menschen belasten. Das ist wieder Wählertäuschung;
denn Sie müssen das den Menschen sagen und dürfen
nicht behaupten, ohne Belastung der Leute könnten Sie
höhere Umsatzsteueranteile an die Kommunen verteilen.
({4})
Der zweite Teil der Wählertäuschung ist, dass es zur
Finanzierung äußerst vage Formulierungen gibt. Ich
nenne eine: Steuervergünstigungen werden abgebaut. Was heißt das? Auf Nachfrage, auch von Journalisten,
hat der FDP-Chefwahlkämpfer Pinkwart deutlich gemacht, dass die Steuerfreiheit der Zuschläge für Nacht-,
Schicht- und Feiertagsarbeit zum Abriss freigegeben ist.
Es ist nicht in Ordnung, dass das hinter anderen Vorschlägen versteckt wird.
({5})
Sie versprechen Entlastungen, belasten aber die Bürger,
wenn Sie die Steuerfreiheit der Zuschläge für Nacht-,
Schicht- und Feiertagsarbeit abschaffen. Damit belasten
Sie in Wirklichkeit weiterhin die Leistungsträger in der
Gesellschaft; denn ohne Belastung dieser Menschen
werden Sie Ihr Konzept nicht umsetzen können. Das ist
doch völlig klar.
({6})
Deshalb müssen Ihre Vorschläge klar auf den Tisch. Mit
der Sozialdemokratie wird es eine Abschaffung oder
auch eine Einschränkung der Steuerfreiheit für Nacht-,
Schicht- und Feiertagszuschläge nicht geben.
({7})
- Herr Pinkwart hat ausdrücklich bestätigt, dass das zur
Debatte steht. Das sollten Sie einmal nachlesen. - Mit
uns wird es das auf keinen Fall geben. Die Leistungsträger, die nachts und an Sonn- und Feiertagen für diese
Gesellschaft unter erheblichen Einschränkungen arbeiten, werden mit unserer Zustimmung auf keinen Fall belastet. Das kann so nicht gehen.
({8})
Ich will Ihnen sagen: Das ist eine Mischung aus
Selbstbetrug und Wählertäuschung. Was die Steuerfreiheit der Nacht-, Schicht- und Feiertagszuschläge betrifft,
werden Sie alle morgen die Möglichkeit bekommen,
sich im Rahmen der namentlichen Abstimmung dazu zu
bekennen, dass die Steuerfreiheit der Zuschläge für diese
wichtigen Menschen erhalten bleibt.
Vielen Dank.
({9})
Das Wort hat der Kollege Leo Dautzenberg für die
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Frau Kollegin Kressl, ich
frage mich, was die SPD mit dieser Aktuellen Stunde bezwecken will; schließlich entbehrt all Ihre Kritik, die Sie
bis jetzt geäußert haben, jeglicher Grundlage. Es geht
vielmehr um Themen, über die schon seit Monaten, seit
einem halben Jahr und noch länger, diskutiert wird. Anscheinend suchen Sie lediglich Anlässe, um etwas an die
Wand malen zu können, was gar nicht beabsichtigt ist.
Über die Steuerfreiheit von Zuschlägen werden wir morgen debattieren.
({0})
Sie können davon ausgehen: Die Steuerfreiheit von Zuschlägen wird auch dann nicht eingeschränkt werden,
wenn es zu den von uns geplanten Steuerentlastungen
und Steuerstrukturreformen kommt.
Sie haben hier behauptet, wir wollten die Gewerbesteuer abschaffen. Das stimmt nicht.
({1})
- Ich rede hier für die CDU/CSU-Fraktion. Ich bitte Sie,
zuzuhören, Herr Kollege Poß. ({2})
Die Regierung hat mittlerweile eine Gemeindefinanzreformkommission ins Leben gerufen. Sie besteht aus
Vertretern von drei Ministerien der Bundesebene, aus
Vertretern der Landesebene und aus Vertretern der kommunalen Ebene. Diese Kommission hat die Zielsetzung,
die Einnahmen der Kommunen verlässlicher und stetiger
zu machen. Deshalb geht es hier auch um einen Ersatz
für die Gewerbesteuer und nicht um ihren Wegfall.
({3})
Es geht darum, den Kommunen vom Volumen her eine
verlässlichere Einnahmebasis zur Verfügung zu stellen.
({4})
Wir müssen feststellen: Aufgrund der konjunkturellen
Entwicklung stiegen die Gewerbesteuereinnahmen bis
2008, und durch die dann eingetretene Wirtschaftskrise
sind sie stark zurückgegangen.
Natürlich können Sie die Forderung stellen: Lasst uns
doch die Gewerbesteuer so verstetigen, dass die Hinzurechnungen erhöht werden. - Das würde zu Substanzbesteuerungen der Unternehmen, gerade im Handel, führen; das haben wir erlebt. Es war deshalb richtig, die
Hinzurechnungen mit dem Wachstumsbeschleunigungsgesetz abzumildern. Dadurch wurde die Steuerbasis der
kommunalen Ebenen erhalten. Das wäre nicht der Fall
gewesen, wenn diese Unternehmen pleitegegangen wären.
({5})
Diese Differenzierung müssen Sie einmal auf sich wirken lassen. Das Bild, das Sie hier malen, entbehrt jeglicher Grundlage.
Wir wollen die Fortsetzung von Maßnahmen, die weiterhin Wachstum generieren und zur Haushaltskonsolidierung, verbunden mit steuerlichen Entlastungen, führen. Das ist kein Gegensatz, sondern ergänzt sich, weil
steuerliche Entlastung zu mehr Wachstum führen kann,
und Wachstum wiederum würde zu einer Verbesserung
der Einnahmesituation der Haushalte aller Ebenen führen.
Schon zu Beginn des Jahres haben wir Entlastungsmaßnahmen, gerade für Familien mit Kindern,
({6})
in Höhe von 25 Milliarden Euro beschlossen. Wir warten die Steuerschätzung ab, weil diese Daten eine wichtige Rahmenbedingung für weitere Maßnahmen im Einkommensteuerbereich sind. Es ist kein Geheimnis,
sondern im Koalitionsvertrag nachzulesen, wo die
Schwerpunkte der Entlastungen liegen werden, nämlich
bei denjenigen Leistungsträgern unserer Gesellschaft,
die im unteren und mittleren Einkommensteuerbereich
liegen.
({7})
Wir wollen im Grunde die kalte Progression abbauen.
Daher sind das alles keine überraschenden Elemente,
sondern es ist klar, was wir wollen. Was wir vorhaben,
wollen wir von verlässlichen Rahmenbedingungen abhängig machen. Wir dürfen nicht nur die Einnahmesituation des Staates sehen.
({8})
Wenn die Ausgaben im Bundeshaushalt bis Ende Mai
geringer ausfallen, weil sich der Arbeitsmarkt stabilisiert
hat und die Bundesagentur für Arbeit dadurch weniger
ausgeben muss, dann ist das Potenzial für Entlastungen
größer. Es ist eben so: Alles hängt mit allem zusammen.
({9})
Was Sie hier heute veranstalten wollen, geht fehl. Wir
werden unser Ziel gemeinsam mit dem Koalitionspartner
durchsetzen.
Vielen Dank.
({10})
Die Kollegin Dr. Barbara Höll von der Fraktion Die
Linke ist nun die nächste Rednerin.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Die Steuer- und Finanzpolitik der schwarzgelben Koalition ist eine Zumutung. Führen wir uns einmal vor Augen, was Sie getan haben: Mitten in der
schwersten Wirtschafts-, Finanz- und Demokratiekrise
seit 60 Jahren
({0})
schließen Sie einen Koalitionsvertrag, in dem Sie einen
Stufentarif versprechen. Vor kurzem haben wir den
Haushalt für dieses Jahr mit einer Rekordverschuldung
verabschiedet. Nun sagt der kleine Koalitionspartner:
Jetzt machen wir mal ein bisschen Nägel mit Köpfen und
verraten etwas genauer, wie wir uns das eigentlich vorstellen; Steuerentlastung haben wir ja groß versprochen.
Sie rennen weiter Ihrer Fata Morgana hinterher, als ob
milliardenschwere Steuersenkungen einfach mal so locker möglich wären. Was sagt die Bundeskanzlerin
dazu? Was sagt der Finanzminister dazu?
({1})
Nichts! Schweigen im Walde! Es ist berechtigt, zu sagen
- nicht nur vonseiten der SPD, sondern insbesondere
auch von Bürgerinnen und Bürgern in diesem Land -:
Wir wollen vor der NRW-Wahl wissen, was Sie tun, wie
Sie sich verhalten werden.
({2})
Wenn man sich anschaut, wie das Steuerkonzept der
FDP aussieht, dann kann man nur feststellen: Es ist eine
Mogelpackung. Sie rennen durchs Land und erzählen
erstens, dass Sie vor allem untere und mittlere Einkommen entlasten wollen.
({3})
Dazu möchte ich Ihnen einmal sagen: Viele Bürgerinnen
und Bürger in diesem Land würden gern Steuern zahlen,
wenn sie denn für die von ihnen geleistete Arbeit endlich
ordentlich bezahlt würden. Das ist der große Skandal.
Dem müssten Sie sich als Erstes widmen.
({4})
Zweitens tun Sie so, als ob die hohen Einkommen
nicht entlastet würden. Das stimmt aber nicht. Nach Ihrem Tarifvorschlag beträgt die Höchstentlastung
1 534 Euro.
({5})
Die greift natürlich bei jedem, also auch bei dem, der ein
zu versteuerndes Einkommen von über 53 000 Euro hat.
Nach Ihrem Konzept wird also auch jeder Millionär jährlich um 1 534 Euro entlastet. Das ist die Realität.
({6})
Schauen wir mal weiter! Der Vorschlag beinhaltet ja
nicht nur einen Einkommensteuertarif, sondern da gibt
es noch ein paar kleinere Striche untendrunter. Da findet
sich zum Beispiel der Punkt: Arbeitnehmerpauschbetrag. Derzeit beträgt er 920 Euro. Den wollen Sie durch
eine Werbungskostenpauschale in Höhe von 2 Prozent
der Einkünfte ersetzen. Dabei kommt für die Bezieherinnen und Bezieher niedriger Einkommen, die aber schon
Steuern zahlen müssen, eine Mehrbelastung heraus. Für
die heißt das also weniger Netto vom Brutto. So viel zu
Ihren Wahlversprechen und den Umsetzungen!
({7})
Wenn wir beim Thema „Entlastung und Belastung“
sind, noch Folgendes: Es ist doch einfach ein Skandal,
dass Sie weiter Ihr Spiel spielen: mit der rechten Hand
geben, mit der linken Hand nehmen. Denn das tun Sie.
Welche Entwicklung gibt es bei der Krankenversicherung? Wie viele Kassen haben denn jetzt schon einen
monatlichen Zusatzbeitrag von 8 Euro eingeführt? Wenn
Sie dann auch noch an Ihrer Kopfpauschale festhalten,
bedeutet das eine weitere Verschärfung der Ungerechtigkeit. Das heißt, dass insbesondere die Bezieherinnen und
Bezieher niedriger Einkommen massiv belastet werden.
Man muss natürlich feststellen, dass das eine gewisse
Logik hat. Die CDU/CSU regiert ja nun schon die zweite
Legislaturperiode.
({8})
Vorher hatten wir Rot-Grün. Seit dem Jahr 2000 gibt es
massive Steuerentlastungen für die Bezieher und Bezieherinnen hoher Einkommen und im Unternehmensbereich. Die Steuerfreiheit der Veräußerungsgewinne
führte zu einem massiven Einbruch der Steuereinnahmen und als Erstes zu einer ziemlich katastrophalen Situation vieler Kommunen. Zu nennen sind ferner die
Senkung des Spitzensteuersatzes, die Sie vorgenommen
haben, die Absenkung des Körperschaftsteuersatzes auf
15 Prozent, die Eröffnung von neuen Möglichkeiten des
Kleinrechnens der Steuern durch großzügige Regelungen zur Bemessungsgrundlage, sodass Unternehmen effektiv nur die Hälfte der Steuern zahlen, die sie eigentlich zahlen müssten. Dies alles hat dazu geführt, dass
sich die öffentliche Hand in einer katastrophalen Situation befindet.
Heute sind aber insbesondere die Bezieherinnen und
Bezieher niedriger und mittlerer Einkommen darauf angewiesen, dass die öffentliche Infrastruktur funktioniert.
Sie werden am stärksten von dem betroffen, was im
Lande losgeht. So wird bei Bibliotheken gestrichen, werden bei Schwimmbädern Öffnungszeiten verändert oder
werden solche Einrichtungen gleich ganz geschlossen.
Dazu gehören auch Gebührenerhöhungen im kommunalen Bereich. Ich nenne beispielsweise die Erhöhung der
Abfallgebühren. Vielen Bürgerinnen und Bürgern würde
es wesentlich mehr nutzen, wenn Sie endlich etwas dafür
täten, dass die Kommunen eine verlässliche Finanzierungsgrundlage bekommen. Das erreichen Sie aber
nicht mit der Umsetzung des Vorschlags, den Herr
Dautzenberg hier dankenswerterweise noch einmal erwähnt hat: im Prinzip weg mit der Gewerbesteuer.
({9})
Sie sind überhaupt nicht gewillt - das wurde in den ersten Sitzungen Ihrer Kommission zu den Kommunalfinanzen deutlich -, die Finanzsituation der Kommunen
zu verbessern,
({10})
sondern wälzen die Folgen Ihrer katastrophalen Finanzund Steuerpolitik auf die Bürgerinnen und Bürger dieses
Landes und auf die Kommunen ab.
Das ist mit uns nicht zu machen. Wir sind die Partei
der Steuergerechtigkeit.
({11})
Wir schlagen Ihnen vor: Belastung der hohen Einkommen - unter anderem soll der Spitzensteuersatz wie bei
Helmut Kohl 53 Prozent betragen -, einen linear-progressiven Tarif und eine Millionärsteuer.
Frau Kollegin, denken Sie bitte an die Redezeit.
Diese Punkte sind umzusetzen. Dann hätten wir Geld,
um dort Steuerentlastungen vorzunehmen, wo sie notwendig sind, nämlich bei den Bezieherinnen und Beziehern niedriger und mittlerer Einkommen.
Ich danke Ihnen.
({0})
Nun hat das Wort der Kollege Dr. Hermann Otto
Solms für die FDP-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Der Kern des Problems
({0})
der Einkommensbesteuerung in Deutschland ist die zu
hohe Belastung, der zu steile Tarifanstieg im unteren und
mittleren Bereich; das ist völlig unbestritten. Das führt
dazu, dass ein ganztägig beschäftigter durchschnittlich
verdienender Arbeitnehmer in Deutschland von jedem
zusätzlich verdienten Euro weniger als 50 Prozent, also
weniger als 50 Cent, ausgezahlt bekommt. Das ist natürlich leistungslähmend.
({1})
- Durchschnittlicher Verdienst heißt: ein Einkommen
von circa 36 000 bis 37 000 Euro im Jahr. - Ein Facharbeiter mit einem Jahreseinkommen von 50 000 Euro bekommt sogar weniger als 40 Prozent von jedem zusätzlich verdienten Euro ausgezahlt. Der Kern unserer
Steuerreformvorschläge ist, diese Ungerechtigkeit zu beseitigen.
Es ist ja bezeichnend, dass die Kollegin Kressl auf das
eigentliche Thema gar nicht eingegangen ist.
({2})
Ich kann Ihnen auch sagen, warum sie das nicht getan
hat. Sie hat es nicht getan, weil im Wahlprogramm der
SPD genau das Gleiche steht, was wir jetzt vorschlagen.
Da steht nämlich:
Wir wollen die Entlastungen daher auf die Bezieher
niedriger und mittlerer Einkommen sowie die Familien konzentrieren.
({3})
Die Familien haben wir schon entlastet. - Zur Tarifreform sagen Sie:
Wir wollen den Tarifverlauf so gestalten, dass es
Entlastungen bis zu einem zu versteuernden Einkommen von 52 882 Euro … gibt. Hiervon werden
im Vergleich mit dem Tarifverlauf 2010 über
24,6 Millionen Menschen profitieren.
({4})
Auch wir wollen bis zu einem Jahreseinkommen von
53 000 Euro Entlastungen vornehmen. Unsere Vorschläge sind also fast identisch.
({5})
Interessant in diesem Zusammenhang ist auch das
Wahlprogramm der CDU/CSU. Dort steht nichts anderes:
Die aus Wachstum folgenden Steuermehreinnahmen wollen wir in etwa gleichen Teilen für Haushaltskonsolidierung, Zukunftsinvestitionen und
Entlastung der Bürger verwenden.
({6})
Darauf komme ich gleich zurück. - An anderer Stelle sagen Sie:
Leistung und Einsatzbereitschaft müssen sich wieder mehr lohnen.
({7})
Durch eine Korrektur des Tarifverlaufs ({8}) sorgen wir dafür, dass Lohnerhöhungen auch wirklich bei denjenigen ankommen, die sie erarbeitet haben.
An einer weiteren Stelle sagen Sie, dass Sie diese Entlastung in einer ersten Stufe bis zu einem Einkommen von
55 000 und in einer späteren Stufe bis zu einem Einkommen von 60 000 Euro möglich machen wollen.
Die drei klassischen Parteien in diesem Hause wollen
genau das Gleiche. Es gibt also überhaupt keinen Grund,
über dieses Thema zu streiten. Was wir wollen, ist richtig. Jetzt geht es um die Frage, ob wir uns das aus staatlicher Sicht leisten können. Ich sage: Wir müssen uns das
leisten, weil es um Steuergerechtigkeit für die Leute
geht, die die Steuern aufbringen und den Staat durch ihre
Arbeit finanzieren.
({9})
Lassen Sie mich dieses Thema erweitern: Die letzte
Steuerschätzung vom Mai des vorherigen Jahres - es
wird bald eine neue Steuerschätzung geben -, die bis
jetzt Grundlage aller Berechnungen ist, kommt zu dem
Ergebnis, dass wir im Jahre 2010 ein Gesamtsteueraufkommen - Bund, Länder und Gemeinden zusammen von 510,4 Milliarden Euro haben werden. Das wird bis
2013 auf 575 Milliarden Euro ansteigen.
({10})
Wir werden in dieser Zeit also einen Zuwachs an Steuereinnahmen in Höhe von 65 Milliarden Euro haben. Ich
sage Ihnen voraus, dass die neue Steuerschätzung für die
nächsten Jahre - für 2010 vermutlich nicht mehr - sogar
einen höheren Zuwachs prognostizieren wird.
({11})
Wenn man dann der Strategie der CDU/CSU folgt und
sagt: „Wir wollen das auf drei Jahre aufteilen“, dann sind
wir genau bei den Steuerentlastungen von 22 bis
24 Milliarden Euro, auf die wir uns im Koalitionsvertrag
geeinigt haben.
({12})
Wir sollten uns einig sein, dass wir das auch so umsetzen. Wir sollten darüber nicht mehr streiten, sondern
überlegen, wie wir das machen. Machbar ist das. Das hat
Dr. Boss aus Kiel gerade bestätigt. Steuerentlastungen,
so hat er gesagt, sind nicht nur möglich, sondern gerade
in diesem Bereich auch notwendig,
({13})
damit das Wachstum gestärkt wird, sich Arbeit wieder
mehr als bisher lohnt und dadurch die Arbeitslosigkeit
effizient bekämpft wird. Die Strategie der Koalition ist
richtig angelegt. Sie wird zu diesen positiven Ergebnissen führen; das kann ich Ihnen versichern.
({14})
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
({15})
Nächster Redner ist der Kollege Dr. Gerhard Schick
für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Titel dieser Aktuellen Stunde lautet ja: „Haltung der Bundesregierung zur Finanzierbarkeit der FDP-Steuerpläne“. Ich möchte - denn Herr Dautzenberg hat dazu
nichts gesagt ({0})
Sie, Herr Koschyk, vorsichtshalber darum bitten, dass
Sie nachher etwas zum Thema Finanzierbarkeit sagen.
({1})
Denn genau dies ist das Thema, und am Thema vorbeireden sollte man nicht.
Herr Solms, wir haben eine Antwort auf die Frage der
Finanzierbarkeit gehört. Das ist das Prinzip Hoffnung in
folgendem Sinne: Die Steuerpläne werden sich schon ir3410
gendwie selbst finanzieren. - Sie wissen genau, dass das
in der gegenwärtigen wirtschaftlichen Lage nicht funktionieren wird.
({2})
Sie wissen auch, dass das Prinzip Hoffnung bei dem derzeitigen Zustand der öffentlichen Finanzen absolut unverantwortlich wäre.
({3})
Bisher haben wir immer gedacht, die FDP-Position
sei populistisch, weil die FDP den Leuten etwas verspricht und damit Wahlen gewinnen will.
({4})
Inzwischen stellen wir aber fest: Die Leute sind schlauer
als Sie.
({5})
Die breite Mehrheit der Menschen weiß, dass Ihr Vorhaben unverantwortlich ist. Sie will, dass Regierung und
Parlament verantwortlich mit den öffentlichen Finanzen
umgehen, weil man so nicht weiter wirtschaften kann.
Der gegenwärtige Bundeshaushalt ist zu einem Drittel
über Schulden finanziert. Viele Kommunen sind nicht
mehr in der Lage, selber aus ihrer Verschuldungssituation herauszukommen.
({6})
Die Einnahmeausfälle in Höhe von 16 Milliarden Euro
bei der Einkommensteuer, auf die Sie sich jetzt haben
herunterhandeln lassen, bedeuten immer noch bei den
kommunalen Einnahmen Ausfälle in Höhe von
2,4 Milliarden Euro. Das ist definitiv zu viel. Den Ruin
der Kommunalfinanzen machen wir nicht mit.
({7})
Was sagt eigentlich die Bundesregierung dazu? Beim
Finanzminister, bei der Kanzlerin und auch bei Herrn
Pofalla hört sich das alles sehr ruhig und seriös an:
Schauen wir mal. Vielleicht machen wir das in zwei Jahren. Die Priorität liegt bei den Kommunen. - In Wirklichkeit haben Sie aber bisher die Antwort darauf verweigert, wie all das, worüber in der Koalition diskutiert
wird, finanziert werden soll. Denn hinter all den schönen
Sprüchen stehen nicht nur die geschätzten Einnahmeausfälle von 16 Milliarden Euro bei der Einkommensteuer,
sondern auch Einnahmeausfälle von 30 Milliarden Euro,
falls Sie die Gewerbesteuer ersetzen wollen. Irgendwoher muss das Geld ja kommen.
({8})
Es stehen bei der Kopfprämie bzw. dem Sozialausgleich
in der Krankenversicherung noch einmal 30 Milliarden
Euro zur Disposition. Durch die Schuldenbremse sind
Einsparungen von 10 Milliarden Euro erforderlich.
Wenn Sie darunter einen Strich machen, kommen Sie auf
ein Loch von über 80 Milliarden Euro.
({9})
Darüber sagen Sie nichts. Das ist genauso unseriös wie
das Vorgehen mancher Banker, die noch zwei Tage vor
der Bankrotterklärung gesagt haben, sie hätten ihre Finanzen im Griff. Sie müssten einmal sagen, wie Sie das
finanzieren wollen.
Wir haben inzwischen, in den paar Monaten, die Sie
an der Regierung sind, unsere Erfahrungen gemacht.
Beim Thema Griechenland sagte die Kanzlerin erst, das
Land werde keine Hilfen brauchen. Inzwischen wird die
Kreditvergabe vorbereitet. Bei der Bankenabgabe sagte
der Finanzminister: Wir werden die Branche an den
Kosten der aktuellen Krise beteiligen. Heute will er
nichts mehr davon wissen.
({10})
Vor der Wahl machte die Kanzlerin den Kommunen die
Zusage, man werde nicht an die Gewerbesteuer herangehen. Jetzt reden Sie über den Ersatz der Gewerbesteuer
und wissen gar nicht, wie die Gegenfinanzierung aussehen soll. Genauso wird es auch bei der Steuersenkungspolitik sein:
({11})
Jetzt reden Sie sozial und tun so, als werde nicht weiter
an die Einnahmen der Kommunen herangegangen. Nach
der Wahl in Nordrhein-Westfalen werden Sie die Wahrheit sagen, und das wird eine bittere Wahrheit sein.
Wir fordern Sie deswegen heute auf: Sagen Sie den
Bürgerinnen und Bürgern klar, wo das Geld herkommen
soll! Hören Sie auf, sozial und kommunenfreundlich zu
reden und nachher doch etwas anderes zu machen!
({12})
Diese Serie von falschen Aussagen darf nicht fortgesetzt
werden. So sieht seriöse Finanzpolitik nicht aus.
({13})
Nächster Redner ist der Kollege Peter Aumer für die
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen
und Herren! Wir dürfen heute über die Haltung der Bundesregierung zur Finanzierbarkeit der FDP-Steuerpläne
diskutieren. Es stellt sich die Frage, warum die SPD darüber diskutieren möchte.
({0})
Es wäre doch schön, wenn es zum Vergleich Steuerpläne
der SPD gäbe. Ich habe nachgeschaut: Es gibt keine.
({1})
- Die Opposition soll Alternativen aufzeigen; aber das
tut sie nicht. Das kann man, glaube ich, für die ganze
linke Hälfte des Hauses sagen.
Wir brauchen tragfähige Konzepte, um unser Land
aus dieser Krise zu führen. Wir Deutschen haben die
Wirtschafts- und Finanzkrise bisher gut überstanden,
dank eines Kraftakts aller, dank der Menschen, die mit
Tatkraft angepackt haben, unser Land aus dieser schwierigen Situation zu führen. Das SPD-Konzept, das helfen
könnte, sucht man jedoch vergeblich.
Im März dieses Jahres nahm die SPD-Arbeitsgruppe
„Steuern und Abgaben“ ihre Arbeit auf. Auftrag der Arbeitsgruppe ist es, erst einmal Teile der Maßnahmen zurückzunehmen, die die SPD in Regierungsverantwortung ausgearbeitet und eingeführt hat.
({2})
- Ich spreche nicht für die Regierung, sondern für eine
Fraktion. Die Regierung ist nachher dran. - Meine sehr
geehrten Damen und Herren von der SPD, all das, was
für die Zukunftsfähigkeit unseres Landes richtig und
wichtig war, stellen Sie wieder infrage. Das kann doch
nicht der richtige Weg sein.
({3})
Deutschland ist kein Land der Beliebigkeit,
({4})
das je nach Belieben der innerparteilichen Strömungen
der SPD einmal so und einmal anders regiert werden
kann.
({5})
Deutschland ist ein Land mit Zukunft, das genau deswegen eine verlässliche Politik braucht. Darum haben die
Menschen die christlich-liberale Koalition gewählt, eine
Koalition, die ergebnisorientiert arbeitet, die das Wohl
des Ganzen und die Nachhaltigkeit des politischen Handelns im Blick hat.
({6})
Insofern ist es gut und wichtig, dass man Positionen
überarbeitet und Überlegungen auf den Prüfstand stellt.
Das hat die FDP gemacht. Es ist sehr zu begrüßen, dass
die FDP Anpassungen an die aktuelle Situation vorgenommen hat.
({7})
Um den bayerischen Ministerpräsidenten zu zitieren:
Das, was die FDP jetzt vorlegt, geht in die richtige
Richtung.
Bereits der Koalitionsvertrag der christlich-liberalen
Koalition zeigt auf, dass diese Regierung für Wachstum
und Aufschwung steht, dass aber eine nachhaltige und
verfassungskonforme Haushaltspolitik im Vordergrund
der Arbeit stehen muss. Mit dem Wachstumsbeschleunigungsgesetz, das Anfang des Jahres in Kraft getreten ist,
wurde eine erste Weichenstellung vorgenommen. Für
weitere Schritte muss allerdings die Steuerschätzung
Anfang Mai abgewartet werden.
({8})
Danach kann über konkrete und zielführende Maßnahmen entschieden und eine feste Positionierung vorgenommen werden.
({9})
Nur mit den Zahlen der Steuerschätzung können realistische Entscheidungen getroffen werden, die den Zielen
des Koalitionsvertrages gerecht werden.
Selbstverständlich darf nicht vergessen werden, dass
die Schuldenbremse zu wirken beginnt. Das ist wahrscheinlich auch das, was Sie mit Ihrem Antrag beabsichtigen.
({10})
Wir haben es gehört: Die Einnahmen und die Ausgaben
sind das Entscheidende. Man muss immer beide Seiten
betrachten. Ich glaube, das können Sie nicht. Man darf
nicht nur auf Steuererhöhungen setzen, sondern man
muss auch Impulse für die wirtschaftliche Entwicklung
unseres Landes geben.
Es gab und wird eine steuerliche Entlastung geben,
insbesondere für die unteren und mittleren Einkommensbereiche sowie für Familien mit Kindern.
({11})
Ebenso wird es eine spürbare Vereinfachung des Steuerrechts geben. Auch dafür wurden wir gewählt, und auch
dafür steht die Koalition der CDU/CSU und der FDP.
({12})
Wir brauchen eine Finanzpolitik aus einem Guss,
({13})
die die Lage der Sozialversicherungen ebenso berücksichtigt wie die Lage der Kommunen. Die Finanzpolitik
der Bundesregierung hat dieses Ziel vor Augen, und die
diese Regierung tragende christlich-liberale Koalition
ebenso.
({14})
Meine sehr geehrten Damen und Herren von der Opposition, wir sollten nicht über Anträge in Aktuellen
Stunden streiten,
({15})
sondern handeln, und zwar für unser Land.
Danke für die Aufmerksamkeit.
({16})
Für die SPD-Fraktion hat nun das Wort die Kollegin
Petra Hinz.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kollegen und Kolleginnen!
Herr Aumer, um hier Zahlen auf den Tisch zu legen und
keine nebulösen Reden zu schwingen - das gilt auch für
Herrn Solms -: Verstehen Sie unter „sozial“, dass nach
dem Modell der FDP Familien oder Alleinerziehende
mit einem Jahreseinkommen von 12 000 Euro lediglich
146 Euro Steuerersparnisse haben, im Gegensatz dazu
aber Familien oder Alleinerziehende mit einem Jahreseinkommen von 54 000 Euro eine Entlastung von
1 534 Euro zu verzeichnen haben? Ich muss feststellen:
Das ist weder sozial noch gerecht. Im Gegenteil: Das
macht deutlich, wohin die Regierung in dieser Legislaturperiode will.
({0})
Sie macht Klientelpolitik. Diejenigen, denen es besser
geht, werden durch Steuervergünstigungen entlastet.
({1})
Bevor Sie sich jetzt aufregen, möchte ich Ihnen sagen,
dass das nicht mein Rechenmodell ist, sondern dass es
vom Bund der Steuerzahler im Handelsblatt veröffentlicht worden ist. Es wurde seriös anhand der Zahlen, die
von der FDP genannt wurden, nachgerechnet. Das wollen Sie doch wohl nicht bestreiten.
({2})
Herr Dautzenberg, Sie haben im Parlament immer
wiederholt, dass die Gewerbesteuer nicht abgeschafft
wird. Nun erklären Sie in drei Sätzen, dass sie doch abgeschafft werden soll.
({3})
- Natürlich soll sie abgeschafft werden. Das können Sie
in der Financial Times Deutschland nachlesen:
Schäuble stellt Gewerbesteuer infrage. Die
schwarz-gelbe Koalition nimmt einen neuen Anlauf, die Gewerbesteuer abzuschaffen.
Genau das ist Ihr Ziel.
({4})
Sie führen immer wieder - quasi als Kronzeuge - aus,
wie sozial und gut das Wachstumsbeschleunigungsgesetz ist. Ich will anhand meiner Heimatstadt Essen in
Nordrhein-Westfalen einmal deutlich machen, zu welchen Steuermindereinnahmen das Wachstumsbeschleunigungsgesetz dort führt: Für das laufende Haushaltsjahr
in Essen bedeutet das Steuermindereinnahmen von
8,28 Millionen Euro, für das Jahr 2012 Steuermindereinnahmen von 17,05 Millionen Euro. Sie wollen trotz dieser Zahlen behaupten, dass Sie den Kommunen mit dem
Wachstumsbeschleunigungsgesetz geholfen hätten?
Meine Stadt wird in den nächsten Jahren nichts davon
spüren. - Da die Kolleginnen und Kollegen auf der rechten Seite des Hauses den Kopf schütteln: Diese Zahlen
hat der Stadtkämmerer, Herr Klieve von der CDU, auf
den Tisch gelegt. Sie sind öffentlich nachzulesen. Das,
was ich vortrage, hat Substanz und stimmt.
({5})
Die Kanzlerin ist auf dem Weg zum Wortbruch; das
wurde bereits mehrfach angesprochen. Im letzten Mai
hat sie sich dafür ausgesprochen, dass es keine Abschaffung der Gewerbesteuer geben soll. Es wurden aber
Kommissionen mit dem Ziel eingesetzt, genau das zu erreichen. Im März dieses Jahres, auf dem Landesparteitag
der CDU in Münster, hat Frau Merkel - auf dem Weg zu
Wortbruch Nummer zwei, liebe Kolleginnen und Kollegen von der FDP - vollmundig angekündigt, dass es mit
der CDU/CSU keine Steuersenkungen geben wird. „Wir
dürfen die Kommunen nicht ausbluten“, war der Wortlaut der Kanzlerin. Bisher habe ich kein Dementi von ihr
gehört, dass sie die Steuerkonzepte der FDP vom Tisch
fegt. Nein, ich habe dazu von ihr bisher noch gar nichts
gehört. Nur auf Parteitagen oder im Rahmen eines Städtetages spricht sie sich für die Kommunen aus.
({6})
Guido Westerwelle hat deutlich gemacht - ich muss
schon sagen: So stellt sich Klein-Lieschen Finanz- und
Haushaltspolitik vor -, dass die Kommunen über die
Petra Hinz ({7})
Mehrwertsteuer oder wie auch immer mal so eben ihren
Haushalt sanieren können. Nein, liebe Kolleginnen und
Kollegen, da kann ich nur sagen: Die Fachleute sprechen
eine ganz andere Sprache. Sie erklären ganz klar: Hände
weg von der Gewerbesteuer! Es gibt keine Alternative
zur Gewerbesteuer.
({8})
- Wenn Sie den Fachleuten nicht glauben, dann lesen Sie
doch in den Protokollen nach, als über die zurückliegende Unternehmensteuerreform beraten wurde. Die
Sachverständigen haben eindeutig gesagt, dass es derzeit
keine Alternative zu der Gewerbesteuer gibt. Ich gebe
Ihnen recht, dass die Gewerbesteuer angepasst werden
muss. Ich gebe Ihnen auch recht, dass wir dafür sorgen
müssen, dass sie nicht mehr so konjunkturanfällig ist.
({9})
Aber die Umsatzsteuer ist doch genauso anfällig.
({10})
- Zu der Frage der Mehrwertsteuererhöhung kann ich
nur sagen: Wer zahlt denn die Zeche in den Kommunen?
Das sind doch immer die Bürger. Als Erstes müssen die
Bürger die Steuermindereinnahmen kompensieren. Der
nächste Punkt ist, dass die Gewerbesteuer, die von den
Gewerbetreibenden gezahlt wird, nun durch eine Verbrauchsteuer ersetzt werden soll. Ich kann dazu nur sagen: Pfui! Das ist in keiner Weise bürgernah. Das ist in
keiner Weise sozial. Das ist nicht akzeptabel.
({11})
Herzlichen Glückwunsch, wenn Sie dies in dieser Form
umsetzen. Ich kann nur sagen: Wir werden nicht müde,
deutlich zu machen, dass Sie diejenigen sind, die Klientelpolitik betreiben.
Um zu meinem Anfang zurückzukommen: Rüttgers,
CDU-Ministerpräsident von NRW,
({12})
sagt - jetzt spreche ich zu den Freunden der FDP -:
Ich bin dagegen, wenn das auf Kosten der Kommunen geht.
({13})
Niedrige Steuern könne es nur geben, wenn man das bezahlen könne. Dies sage er auch „an die Freunde von der
FDP“ gerichtet.
Herr Schäuble ist heute im Ausschuss auf Nachfrage
meiner Kollegin
Frau Kollegin, bitte kommen Sie zum Schluss.
- danke für den Hinweis - gar nicht auf den Wegfall
der Gewerbesteuer oder auf die sogenannten Steuerpläne
der FDP eingegangen. Er hat geschwiegen. Das Einzige,
das er gesagt hat, ist: Wir halten an der Entschuldung
fest. Wir müssen dafür sorgen, dass die Finanzen wieder
auf den Weg gebracht werden.
({0})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, nehmen Sie Ihr
Steuerkonzept und werfen Sie es in die Rundablage. Es
ist weder sozial noch kommunenfreundlich.
({1})
Das Wort hat nun der Kollege Dr. Volker Wissing für
die FDP-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Frau Kollegin Kressl, liebe Kollegen der SPD, Sie haben
diese Aktuelle Stunde beantragt, weil Sie den Wählerinnen und Wählern in Nordrhein-Westfalen zeigen wollen,
woran sie sind, wenn sie eine bestimmte Partei wählen.
Darum geht es Ihnen.
Jetzt wollen wir doch einmal etwas Ihre Finanzpolitik
beleuchten.
({0})
2005 sind Sie angetreten und haben den Menschen gesagt: Wählt uns, dann gibt es keine Mehrwertsteuererhöhung. - Danach haben Sie die Menschen hereingelegt
und die Mehrwertsteuer um 3 Prozentpunkte erhöht.
({1})
2009 sind Sie angetreten und haben den Menschen gesagt: Wählt uns, dann entlasten wir die unteren und mittleren Einkommensbezieher durch Abbau der kalten Progression und durch Abbau des Mittelstandsbauchs. Hinterher haben Sie den Menschen gesagt: Nein, das
geht wegen der wirtschaftlichen Situation gar nicht.
({2})
Sie haben elf Jahre lang den Finanzminister gestellt und
wollen den Menschen nach der Wahl ernsthaft erzählen,
dass Sie die Haushaltssituation erst nach der Bundestagswahl zur Kenntnis genommen haben. Was Sie betreiben, ist permanenter Wählerbetrug.
({3})
Sie sind doch nicht ein einziges Mal bereit gewesen, Ihr
Wahlprogramm umzusetzen.
({4})
Der Unterschied zwischen Ihnen und dieser Koalition
besteht doch darin, dass Sie permanent Gründe suchen,
weshalb Sie nach der Wahl die Steuern erhöhen müssen,
wir aber Wege suchen, wie wir die Bürgerinnen und Bürger steuerlich entlasten können. Das ist der Unterschied.
({5})
Deswegen sind wir dankbar, dass Sie diese Aktuelle
Stunde beantragt haben. Das gibt uns noch einmal die
Möglichkeit, den Menschen klar zu sagen: Das, was wir
vor der Wahl angekündigt haben, nämlich dass wir die
Bezieher von unteren und mittleren Einkommen entlasten wollen, setzen wir in dieser Legislaturperiode mit
unserem Koalitionspartner um.
({6})
Das war der Grund, warum die Menschen gesagt haben: Wir glauben den Versprechen der SPD nicht mehr. Die SPD hatte elf Jahre lang die Verantwortung im Finanzressort. Die Steuern wurden immer weiter erhöht,
aber für die Menschen in diesem Land wurde nichts getan. Auch mit dem Haushalt ging es immer weiter
bergab. Da haben die Menschen gesagt: „Wir wollen
eine andere Politik“, und haben die christlich-liberale
Koalition gewählt. Das ist, Frau Kollegin Höll, keine
„Demokratiekrise“. Das ist ein Glück für unser Land.
({7})
Das ist ein Glück für unser Land, weil sich daraus neue
Chancen ergeben.
({8})
Frau Kressl, Sie stellen sich hier hin und sagen: Den
Kommunen geht es schlecht. - Wer hat denn elf Jahre
lang die Verantwortung für dieses Steuersystem gehabt?
Die SPD.
({9})
Die Kommunen leiden und zahlen jetzt die Zeche für
Ihre verfehlte Politik. Das ist doch die Wahrheit.
({10})
Das werden wir nicht fortsetzen.
({11})
Dafür sind wir nicht gewählt worden.
Herr Kollege Schick, Sie fragen, was die Auffassung
der Bundesregierung ist. Heute Morgen war der Bundesfinanzminister im Finanzausschuss. Er hat es Ihnen klar
gesagt: Aufgabe dieser Bundesregierung ist, die Schuldenbremse einzuhalten und die Haushaltskonsolidierung
in Angriff zu nehmen. Mit Ihrem Rezept hat das nicht
geklappt. Wir haben ein anderes. Wir wollen unser Steuersystem reformieren. Wir wollen mehr Wachstumskräfte für dieses Land freisetzen.
({12})
Mit den Erträgen wollen wir Haushaltskonsolidierung
betreiben. Ihr Plan ist schiefgegangen. Wir haben einen
neuen Auftrag. Den erfüllen wir gemeinsam mit unserem Koalitionspartner.
({13})
Es mag für Sie unerfreulich sein, dass diese Regierung
jetzt das in Angriff nimmt, was Sie nicht geschafft haben. Aber es ist notwendig; daran führt kein Weg vorbei.
({14})
Während Sie sich hier hinstellen und den Menschen,
die uns an den Bildschirmen oder auch hier im Saal zusehen, erklären, man dürfe auf keinen Fall die Mitte entlasten, erklärt Ihr Herr Gabriel draußen - er ist ja inzwischen das Wetterfähnchen der Nation; er dreht es mal so
und mal so -: Der Mittelstand muss entlastet werden. Herr Gabriel, Sie können sich auf diese Koalition verlassen. Wir machen das. Sie haben es nicht hinbekommen,
aber die christlich-liberale Koalition schafft das.
({15})
Das ist ein gutes Zeichen. Dadurch entstehen neue
Chancen. Dadurch schaffen wir auch die Haushaltskonsolidierung. Wenn es einfach wäre, dann hätten Sie Ihre
Politik nach elf Jahren des Scheiterns fortsetzen können.
Aber es ist eine große Aufgabe. Das ist eine Herkulesaufgabe. Selbstverständlich ist auch die Gegenfinanzierung eine große Herausforderung, der man sich stellen
muss und der wir uns auch stellen werden. Das hat der
Finanzminister deutlich gemacht. Dabei hat er die Liberalen an seiner Seite.
Ihre Aussagen sind doch total widersprüchlich. Einmal sagen Sie: Wir wissen ja gar nicht, was diese Regierung in der Steuer- und Finanzpolitik will. Auf der anderen Seite kritisieren Sie, dass wir als Teil dieser
Koalition unsere Ziele ganz präzise auf den Tisch legen,
unseren Weg ganz konkret aufzeigen. Der Unterschied
zwischen Ihnen und uns ist, dass wir uns präzise an das
halten, was wir vor der Wahl versprochen haben, während Sie immer das Gegenteil getan haben.
({16})
Das sollte das Signal und die Botschaft sein, die von dieser Aktuellen Stunde ausgehen. Dann hat sie sich gelohnt, und dann sind wir außerordentlich dankbar dafür,
dass Sie sie beantragt haben.
({17})
Nächster Redner ist der Kollege Lothar Binding für
die SPD-Fraktion.
({0})
Sehr verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Die Frage nach der Finanzierbarkeit des
FDP-Modells ist eine Frage, die in die Zukunft gerichtet
ist. Herr Wissing hat diese Frage mit einem Blick in die
Vergangenheit beantwortet. Wie das zusammenpassen
soll, ist mir unklar.
({0})
Das FDP-Modell für die Zukunft lässt sich natürlich
nicht mit der Politik der SPD in der Vergangenheit erklären. Außerdem ist es anders: Der Blick in die Vergangenheit zeigt, dass die Große Koalition mit dem Bürgerentlastungsgesetz die Bürger, wie der Name es sehr
schön beschreibt, sehr stark entlastet hat, sogar mit einer
Einkommensteuersenkung. Wir haben über das Konjunkturprogramm II die Bürger nochmals entlastet und
sehr erfolgreich gegen die Krise gewirkt. Ich glaube,
dass man daran erkennt, wie wir arbeiten.
({1})
Sie haben etwas von Wahlversprechen gesagt. Dazu
will ich sagen: Wir haben vor der Wahl etwas versprochen. Nach der Wahl haben wir einen Kompromiss beschlossen. Ich glaube, dass Sie die Logik „Versprechen
vor der Wahl - Kompromiss nach der Wahl“ möglicherweise auch noch in Anspruch nehmen müssen.Sie sagen
immer: Wir halten uns präzise an unsere Versprechen. Es
gab das Versprechen von 35 Milliarden Euro Entlastung,
dann gab es das Versprechen von 24 Milliarden Euro
Entlastung, jetzt gibt es das Versprechen von 16 Milliarden Euro Entlastung. Es ist klar: Wenn man so viel verspricht, eines davon könnte man vielleicht halten.
Aber es ist noch viel schlimmer. Die Idee, die diese
FDP-Modellierung des Steuersystems gegenwärtig verfolgt, ist absolut unabwägbar. Es ist eine Blackbox im
Steuersystem. Wir lesen: Es soll die betriebswirtschaftlich sinnvollste Organisationsstruktur gewählt werden
können, und da sollen gerade kleine und mittlere Unternehmen entlastet werden. Die Antwort auf kleine und
mittlere Unternehmen ist das Wort „Gruppenbesteuerung“. Jetzt frage ich mich: Können kleine und mittlere
Unternehmen mit der Gruppenbesteuerung tatsächlich
die Lösung ihrer Probleme verfolgen? Die Antwort ist:
Nein. Sie verweisen sogar auf Österreich und sagen, die
Gruppenbesteuerung würde die Attraktivität des Holdingstandortes Deutschland verstärken. Die Antwort ist:
Möglicherweise gibt es dann in Deutschland sehr viel
mehr Holdings, die hier aber alle keine Steuern zahlen
und somit den Staat exorbitant schwächen. Man braucht
sich nur die Bank Austria anzuschauen. Sie macht Milliardengewinne und zahlt null Steuern in Österreich.
Deshalb überlegen die Österreicher gerade, dieses Modell abzuschaffen.
Das heißt, Sie wollen ein Instrument schaffen, durch
das die Gewinne so weit gesenkt werden können, dass
wir über die Körperschaftsteuer, die Gewerbesteuer und
die Einkommensteuer gar nicht mehr zu diskutieren
brauchen. Denn wer keine Gewinne macht, braucht auch
keine Steuern zu zahlen. Das ist natürlich ein riesengroßes Problem. Das läuft in Ihrem Modell so nebenher als
Ansatz einer Unternehmensteuerreform, und keiner
merkt so richtig, was passiert. Sie wollen die Erschwernisse, die in Deutschland existieren, um seine Steuern zu
senken, komplett abschaffen.
Ich möchte ein Beispiel nennen. Sie haben eine Aktiengesellschaft, die Gewinne macht, und eine Aktiengesellschaft, die Verluste macht. Es wäre fair, zu sagen:
Diese Verluste tragen wir für die eine Aktiengesellschaft
vor. Wenn sie nächstes Jahr Gewinne macht, darf sie das
verrechnen. Das ist gut. Wir haben sogar eine Organschaft geschaffen. Da kann die eine Kapitalgesellschaft
mit der anderen einen Organträger bilden und Verluste
und Gewinne verrechnen; das war gut. So können zum
Beispiel die Stadtwerke die Verkehrsbetriebe querfinanzieren.
Es gab früher eine Mehrmütterorganschaft. Das bedeutete, dass sich zwei Aktiengesellschaften zu einer Organschaft verbündet haben. Diese Organschaften haben
sich dann zu Mehrmütterorganschaften verbunden. Auf
diesem Weg konnte man sämtliche Gewinne und Verluste, die irgendwo anfielen, verrechnen. Das zerstörte
die Unternehmensteuerbasis in Deutschland. Diese Regelung war auf Deutschland bezogen. Wir haben die
Mehrmütterorganschaft 2002 abgeschafft.
Was machen Sie jetzt mit der Gruppenbesteuerung?
Sie machen eine Art Mehrmütterorganschaft weltweit.
Das heißt, dass die Unternehmen alle Verluste, die irgendwo existieren, nach Deutschland holen können, und
alle Gewinne, die irgendwo existieren, in die Welt exportieren können. Das ist ein gigantisches Problem.
({2})
Sie stellen sich damit auf die Seite der Steueroasen.
({3})
Sie stellen sich auf die Seite der Schönwettermanager.
Sie stellen sich auf die Seite einer aggressiven Staatsverarmung, und das bei 100 Milliarden Euro Neuverschuldung in diesem Jahr.
({4})
Lothar Binding ({5})
Ich frage: Wie wollen Sie dieses Steuermodell, das absolut im Blindflug die Gruppenbesteuerung durch Abschaffung des Ergebnisabführungsvertrags befürwortet,
vertreten?
Sie schütteln jetzt den Kopf; es ist ein kompliziertes
Gebiet.
({6})
Sie wissen genau, dass es so ist. Sie haben auf Österreich
verwiesen, und ich schaue - da sage ich nichts Falsches nach Österreich
({7})
und sehe, wie es dort wirkt. Es wirkt verheerend. Das ist
ein ganz großes Problem.
Ich habe eine Frage, die das Verhältnis von Staat und
Privat betrifft: An welchen Abgrund will die FDP diesen
Staat eigentlich noch führen?
({8})
Für die Bundesregierung spricht nun der Parlamentarische Staatssekretär Hartmut Koschyk.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Die christlich-liberale Bundesregierung sieht es als
Hauptziel ihrer finanzpolitischen Strategie an,
({0})
die Wirtschafts- und Finanzkrise durch wachstumsfördernde Ausgestaltung öffentlicher Ausgaben und Einnahmen schneller zu überwinden und so für einen selbsttragenden Aufschwung zu sorgen.
({1})
Dabei muss eine wachstumsorientierte Steuerpolitik
eine entscheidende Rolle spielen.
({2})
Denn sie stärkt durch zielgerichtete steuerliche Entlastungen die produktiven Kräfte in unserer Gesellschaft
und eröffnet zusätzliche finanzielle Spielräume, damit
die Selbstheilungskräfte der Wirtschaft auch greifen
können.
({3})
Deshalb setzt die Bundesregierung auf eine Doppelstrategie, die beides im Blick behält: die Stärkung der
Wachstumskräfte durch steuerliche Entlastung ebenso
wie eine klare regelgebundene Konsolidierungsstrategie,
die das Vertrauen in eine langfristig tragfähige Haushaltsentwicklung erhöht.
Ich verstehe wirklich nicht - da kann ich Herrn Solms
nur recht geben -, dass sich die SPD von ihrer eigenen
Politik verabschiedet.
({4})
Sie haben unter Herrn Beck und dem damaligen Finanzminister Steinbrück in der letzten Legislaturperiode ein
SPD-Steuerkonzept entwickelt,
({5})
in dem Sie das Problem der kalten Progression stark problematisiert und eine Abflachung gefordert haben.
({6})
Sie haben gemeinsam mit uns in der Großen Koalition
im Rahmen des Konjunkturpaketes II den Einstieg bei
der kalten Progression vorgenommen
({7})
und dies den Wählerinnen und Wählern in Ihrem Wahlprogramm versprochen.
({8})
Jetzt, wo Union und FDP dort, wo die Große Koalition
angefangen hat, weitermachen und diese Maßnahme in
die Tat umsetzen wollen, soll die notwendige Entlastung
unterer und mittlerer Einkommen aber auf einmal nicht
mehr gelten und nicht mehr finanzierbar sein.
({9})
Ich sage Ihnen sehr deutlich: Immer dann, wenn die
Union in diesem Land regiert hat, waren Steuerentlastung, wachstumsorientierte Steuerpolitik und Konsolidierung miteinander vereinbar.
({10})
Wir haben das von 1990 bis 1998 durch mutige Steuerreformen von Gerhard Stoltenberg und Theo Waigel
praktiziert,
({11})
und wir hätten ohne das von uns allen gewünschte Ereignis der nationalen Wiedervereinigung im Jahre 1990 einen ausgeglichenen Haushalt gehabt.
({12})
Auch Sie sollten ein Stück weit stolz darauf sein, dass
wir die wachstumsorientierte Politik der Großen Koalition ab 2005 auch für Fortschritte bei der Konsolidierung
genutzt haben. Ohne das Hereinbrechen der Finanzmarktkrise und ihre Auswirkungen auf die Realwirtschaft wären wir in den Jahren 2011 und 2012 einem
ausgeglichenen Haushalt sehr nahe gekommen.
({13})
Das zeigt doch, dass wachstumsorientierte Steuerpolitik
und Haushaltskonsolidierung in Einklang zu bringen
sind.
Selbstverständlich - da gibt es überhaupt keinen Widerspruch - werden wir alle weiteren Steuererleichterungen und Steuervereinfachungen, die wir im Koalitionsvertrag vereinbart haben und umsetzen wollen, ganz
gezielt auf ihre Auswirkungen im Hinblick auf die Finanzsituation der Kommunen überprüfen und damit in
Einklang bringen. Wir sind doch diejenigen, die jetzt
erstmals zielführend eine Gemeindefinanzreform angepackt haben.
({14})
Sie haben immer nur davon geredet. Wir haben diese
Kommission eingesetzt, und wir werden zeitnah Ergebnisse vorlegen.
({15})
Jetzt will ich Ihnen etwas zu der Geisterdebatte über
Alternativmodelle zur Gewerbesteuer sagen, die Sie angestoßen haben. Wir haben im Rahmen dieser Gemeindefinanzreform zugesichert, alle Vorschläge ohne Tabus
zu prüfen und zu rechnen. Die kommunalen Spitzenverbände haben zugesagt, ein Modell zur Revitalisierung
der Gewerbesteuer vorzulegen; auch dieses Modell wird
geprüft und gerechnet.
Ich will Sie aber darauf hinweisen, dass ein anderes
Modell, das in dieser Kommission geprüft und gerechnet
wird, nämlich der Ersatz der Gewerbesteuer durch eine
höhere Beteiligung der Kommunen an der Umsatzsteuer
mit einem Hebesatzrecht bei der Einkommensteuer und
der Körperschaftsteuer
({16})
- liebe Frau Kollegin Kressl, wenn Sie das Handelsblatt
von gestern gelesen hätten, wüssten Sie das -, zurzeit in
Baden-Württemberg mithilfe des Finanzministeriums
gerechnet wird.
({17})
Der Stadtkämmerer von Stuttgart hat laut Handelsblatt vom gestrigen Tage dargelegt, dass sich für eine
Stadt, für eine Metropole wie Stuttgart die Alternative
„höherer Anteil an der Umsatzsteuer und Hebesatzrecht
bei der Körperschaftsteuer und der Einkommensteuer“
gerade in einer Krisensituation, in der die Konjunkturanfälligkeit der Gewerbesteuer in jedem kommunalen
Haushalt deutlich wird, rechnen würde.
({18})
Deshalb rate ich Ihnen: Rüsten Sie ideologisch ab!
Sorgen Sie endlich einmal dafür, dass wir die Schaffung
verlässlicher Kommunalfinanzen, aber auch die Entlastung der Kommunen bei den Ausgaben durch Absenkung bundesgesetzlicher Standards in Angriff nehmen.
({19})
Das ist nämlich ebenfalls ein Hauptwunsch der Kommunen.
Wir werden sehr gespannt verfolgen können, ob Sie
von der SPD es auch mittragen werden, wenn wir die
Absenkung von bundesgesetzlich vorgegebenen Standards zur Entlastung der Kommunen bei den Ausgaben
vornehmen werden, oder ob Sie dort immer nur den
Mund spitzen und auch nicht richtig pfeifen werden.
({20})
Jetzt will ich Ihnen noch etwas sagen, weil Sie schon
wieder - verbunden mit einer namentlichen Abstimmung am morgigen Tag - den Popanz der Abschaffung
der Steuerfreiheit für Feiertags- und Nachtarbeitszuschläge aufbauen.
({21})
Liebe Frau Kollegin Kressl, Sie müssten doch wissen,
dass das diesbezügliche Gutachten unter sozialdemokratischer Leitung im Finanzministerium in Auftrag gegeben worden ist.
({22})
Ich sage Ihnen ganz ehrlich: Der Zufall hat es gefügt,
dass das Gutachten zwar 2007 unter Herrn Steinbrück in
Auftrag gegeben worden ist, dass das Ergebnis aber erst
quasi mit Ende des Wahlkampfs nach der Bundestagswahl bekannt geworden ist. Wir machen uns dieses Gutachten, das Sie in Auftrag gegen haben, inhaltlich nicht
zu eigen.
({23})
Bauen Sie deshalb hier keinen Popanz auf.
Wir werden als christlich-liberale Koalition beweisen,
dass unser Weg richtig ist, der ja Früchte trägt und
Deutschland wieder in eine Wachstumsphase bringt. Für
dieses Jahr sind 1,4 Prozent und für das nächste Jahr
1,6 Prozent Wirtschaftswachstum prognostiziert - womit wir uns an der unteren Schwelle der Schätzungen bewegen. Das zeigt, dass auch noch das, was wir gemeinsam in der Großen Koalition beschlossen haben, vor
allem aber das, was wir jetzt als Push für die Wirtschaft
in der Krise durch die christlich-liberale Koalition eingebracht haben, seine Wirkung am Arbeitsmarkt entfaltet.
({24})
Niemand hat vorausgesehen, dass der deutsche Arbeitsmarkt - auch durch die Maßnahmen, die diese
christlich-liberale Koalition seit Amtsantritt umgesetzt
hat - so schnell wieder in Schwung kommt und Fahrt
aufnimmt.
({25})
Das ist doch Ihr Dilemma. Sie hätten es gern, dass
diese Regierung keinen Erfolg hat. Sie hätten es gern,
dass unsere wachstumsgeleitete Politik - die Sie ja bekämpft haben; ich erinnere mich an all das, was Sie im
Herbst zum Wachstumsbeschleunigungsgesetz gesagt
haben - keine entsprechenden Wirkungen hat. Jetzt trägt
diese Politik Früchte. Jetzt gibt es wieder Wachstum in
Deutschland. Jetzt stabilisieren wir den Arbeitsmarkt.
Dort werden wir weitermachen: durch Steuererleichterung, durch Steuervereinfachung, durch verantwortbare Konsolidierung. Wir werden zeigen, dass sich alles
das zum Wohle der Menschen in unserem Land verantwortungsbewusst zur Deckung bringen lassen wird.
Herzlichen Dank.
({26})
Nun hat der Kollege Klaus Brandner für die SPDFraktion das Wort.
({0})
Verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Staatssekretär Koschyk hat gerade viel erzählt, aber inhaltlich gar nichts gesagt.
({0})
Am Ende kann man ganz deutlich feststellen: Die Große
Koalition hat die Schulden abgebaut. Schwarz-Gelb hat
den höchsten Schuldenstand zu verantworten, den wir
jemals in der Bundesrepublik Deutschland hatten.
({1})
Das ist die Ausgangssituation, über die wir uns zu unterhalten haben.
Herr Koschyk, Sie haben hier erklärt, die Wachstumskräfte seien gestärkt. Sie brauchen sich doch nur einmal
die Prognosen anzuschauen, die die wirtschaftswissenschaftlichen Institute für dieses Jahr, für nächstes Jahr
und die Zeit danach vorlegen. Vor diesem Hintergrund
ist viel Pfeifen im Walde und bisher wenig Inhalt zu verzeichnen.
Mittlerweile - das kann man deutlich sagen - ist der
9. Mai immer stärker in das öffentliche Bewusstsein gerückt. In Nordrhein-Westfalen stehen Landtagswahlen
an. Der Muttertag kann zu einem bedeutenden politischen Tag in Deutschland werden. Die Regierung ist
hektisch geworden. In dieser Woche werden drei Regierungserklärungen abgegeben. Ich kann mich nicht daran
erinnern, dass es das jemals gegeben hat. Wäre es nach
Frau von der Leyen gegangen, hätten wir diese Woche
sogar noch eine vierte Regierungserklärung bekommen.
({2})
Es scheint vieles nachzuholen zu sein, was man bisher
versäumt hat.
Kollege Dautzenberg, ich glaube, Schwarz-Gelb
möchte noch einmal glänzen, insbesondere die FDP mit
ihren vergifteten Wohltaten, nämlich Steuersenkungen.
Bisher ist es doch so, dass die FDP, wenn irgendein Problem auftaucht, wie ein Mantra „Steuersenkungen“ fordert.
({3})
Die FDP ist im Bundestagswahlkampf mit dem Versprechen angetreten, die Steuerzahler um 35 Milliarden Euro
zu entlasten. Wir haben gerade gehört, wie die Entwicklung war: Beim Koalitionsvertrag hat sich die FDP auf
24 Milliarden Euro herunterhandeln lassen, und selbst
diese stehen unter Finanzierungsvorbehalt. Mittlerweile
ist nur noch von 16 Milliarden Euro die Rede. Und dann
tritt Herr Wissing hier auf und sagt, bei der FDP gilt:
Was wir versprechen, das halten wir auch. - Nein, die
FDP hat bewiesen: Sie ist die Umfallerpartei Nummer
eins. Sie hat ihre Wahlversprechen nicht eingehalten, sie
hat die Wähler getäuscht. Die Umfrageergebnisse, die
wir zurzeit verfolgen können, zeigen, dass die FDP die
Quittung dafür bekommen wird.
({4})
Die FDP sagt, dass sie ein Steuersystem will, das einfach und gerecht ist. Da haben Sie mit dem sogenannten
Wachstumsbeschleunigungsgesetz und der ermäßigten
Besteuerung des Beherbergungsgewerbes nun wirklich
Ihr Meisterstück abgeliefert. Sie haben Komplizierungen
eingeführt - von Steuervereinfachung kann keine Rede
sein.
Aber zurück zu der Frage: Bei wem kommen die
Wohltaten an, und wer sie soll bezahlen? 40 Prozent der
Bevölkerung haben nichts von einer Senkung der Einkommensteuer; denn das Einkommen dieser Leute ist so
niedrig, dass sie überhaupt keine Steuern zahlen. Da
müsste man den Hebel ansetzen: Man müsste zum Beispiel dafür sorgen, dass der Missbrauch bei der Leiharbeit eingeschränkt wird. Man müsste Mindestlöhne einführen, und man müsste verhindern, dass prekäre
Beschäftigungsverhältnisse auch noch ausgebaut werden.
Das RWI, ein unabhängiges Institut, hat gerade bestätigt, dass von den Steuersenkungen, die Sie planen,
60 Prozent bei den wohlhabendsten Bevölkerungsgruppen ankommen. Diese profitieren, nicht die Bezieher unterer und mittlerer Einkommen. Das RWI hat vorgerechnet, dass von den 16 Milliarden Euro 10 Milliarden Euro
bei Haushalten mit einem zu versteuernden Einkommen
von über 55 000 Euro ankommen. Fast zwei Drittel der
gesamten Steuerentlastung kommen also bei den Besserverdienenden an, und das nennen Sie eine Steuerreform
für die unteren und mittleren Einkommen! Das ist ungerecht, meine Damen und Herren, und es kann keiner erwarten, dass wir so etwas mitmachen.
({5})
Was Kollege Solms, unterstützt von NRW-Wahlkämpfer
Pinkwart, vorgetragen hat, ist Täuschung. Bei den unteren und mittleren Einkommen kommt nämlich so gut
wie gar nichts an. Wer bis 12 033 Euro verdient, würde
nach den Steuerplänen der FDP im Jahr um gerade einmal 11 Euro entlastet, so das RWI.
({6})
Ich will deutlich sagen: Wer behauptet, Kollege
Dautzenberg, dass die Entlastung insbesondere bei den
unteren und mittleren Einkommen ankommt, hat entweder keine Ahnung, oder er redet aus Koalitionstreue der
FDP etwas nach.
(Leo Dautzenberg ({7}): Schauen Sie
sich doch einmal die Tabellen an, was kalte
Progression bedeutet!
Ich habe mir niemals vorstellen können, dass eine sich
sozial nennende CDU so etwas unterstützen könnte.
({8})
- Schauen Sie sich das Gutachten des RWI an! Bei der
FDP dementiert keiner, dass die Verteilungswirkung der
von Ihnen vorgestellten Steuerreform so ausfällt, wie ich
es gerade vorgetragen habe.
Meine Damen und Herren, wir müssen uns fragen:
Wie soll dieser Prozess weitergehen? Ich muss feststellen: Trotz der Rekordverschuldung, die wir in Deutschland haben, beabsichtigen Sie, die Einkommensteuer um
weitere 16 Milliarden Euro abzusenken. Bei den unteren
Einkommen träte fast keine, bei den mittleren Einkommen nur eine spärliche, bei den oberen Einkommen aber
eine erhebliche Entlastung ein. Auf das wirtschaftliche
Wachstum wird das keine Wirkung haben.
Herr Kollege, denken Sie bitte an die Redezeit!
Die Öffentlichkeit hat einen Anspruch darauf, zu erfahren, wer die Zeche zahlen soll: Das ist der Stahlarbeiter, der Rettungssanitäter, die Krankenschwester, der
Busfahrer, all die, die in Wechselschicht, in Spätschicht
und an Feiertagen arbeiten und dafür Zulagen bekommen, die steuerbegünstigt sind.
({0})
Im Koalitionsvertrag mit Ihnen, Herr Dautzenberg, vor
fünf Jahren, haben wir geregelt, dass genau hier die Besteuerung nicht verändert wird.
({1})
Deshalb fragen wir zu Recht, wie Sie sich morgen in dieser Frage verhalten werden.
Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Schluss!
Stehen Sie zu dem Wort von vor vier Jahren, oder haben Sie zwischenzeitlich - der FDP zuliebe - eine Kehrtwendung vorgenommen? Leistung soll sich lohnen,
sagen Sie. Tatsächlich wollen Sie die Werbungskostenpauschale verändern
({0})
und die Steuerfreiheit der genannten Zuschläge aufheben. Dadurch werden Sie für eine ungerechte Schieflage
sorgen. Das wird mit der SPD nicht zu machen sein.
({1})
Für die CDU/CSU-Fraktion hat nun der Kollege Olav
Gutting das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen!
Wenn in diesem Land ein durchschnittlicher Arbeitnehmer mit einem monatlichen Verdienst von 3 100 Euro
Brutto von jedem zusätzlich verdienten Euro nur noch
42 Prozent übrig hat, dann ist das, darüber sind wir uns
in der Regierungskoalition einig, ungerecht und leistungsfeindlich.
({0})
Wir sind uns in der Koalition auch einig darüber, dass
wir für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in diesem Land mehr Netto vom Brutto wollen. Wir wollen
den Mittelstandsbauch und die kalte Progression im Einkommensteuertarif abschaffen, weil die leistungsbereite
Mitte dadurch übermäßig belastet wird. Wir haben in
dieser Koalition ebenfalls Einigkeit darüber, dass unser
gesamtes Einkommensteuerrecht durch das Bemühen
um Einzelfallgerechtigkeit und durch den Versuch bzw.
Missbrauch, immer wieder Lenkungseffekte im Einkommensteuerrecht zu erfinden, über Jahrzehnte hinweg eine
Komplexität entwickelt hat, die viele in diesem Land zu
Recht als unerträglich empfinden.
({1})
Ein unverständliches Steuerrecht ist eben ein ungerechtes Steuerrecht.
Das Zusammenwirken eines komplizierten Steuersystems mit leistungsfeindlichen Besteuerungsmerkmalen
ist ein Grund dafür - ein Grund, nicht der einzige -, dass
die Schwarzarbeit in Deutschland ein Umsatzvolumen
von geschätzten 360 Milliarden Euro hat. Wenn es mit
einem leistungsgerechteren und einfacheren Steuerrecht
gelänge, nur 10 Prozent von dieser Schwarzarbeit wieder
in den legalen Bereich zurückzuführen, dann wären alleine das schon Mehreinnahmen bei den Steuern und Sozialabgaben in Höhe von 16 Milliarden Euro.
({2})
Bei den im Raum stehenden Zahlen, die wir hier diskutieren, lohnt es sich auch immer wieder einmal, an den
1. Januar dieses Jahres zu erinnern; denn wir haben die
Bürgerinnen und Bürger in diesem Land bereits zum
1. Januar dieses Jahres mit weit über 20 Milliarden Euro
entlastet. Über 10 Milliarden Euro davon haben wir übrigens mit Ihnen von der SPD beschlossen, und das trotz
einer schwierigen Finanzlage.
Ich muss auch noch einmal darauf hinweisen, dass die
christlich-liberale Koalition ebenfalls mit Wirkung vom
1. Januar dieses Jahres an fast 5 Milliarden Euro zusätzlich für die Familien bereitgestellt hat:
({3})
mit der Erhöhung des Kindergeldes und der Erhöhung
des Kinderfreibetrages. Das bedeutet die im Wahlkampf
versprochene Stärkung der Keimzelle unserer Gesellschaft, das bedeutet die Stärkung der Leistungsträger unserer Gesellschaft.
({4})
Wir stärken damit die Kaufkraft der Bürgerinnen und
Bürger in diesem Land. Im Übrigen: Dazu hat Frau
Kraft, die Vorsitzende der SPD in Nordrhein-Westfalen,
wortwörtlich gesagt, das wäre eine unsägliche Steuersenkungspolitik.
({5})
Wir sind uns in der Regierungskoalition jedenfalls darüber einig, dass wir in den nächsten Jahren eine große
Konsolidierungsaufgabe vor uns haben. Die Schuldenbremse, im Grundgesetz vereinbart, gibt uns vor, ab
2016 quasi keine neuen Schulden mehr zu machen. Es
ist im Übrigen nicht nur der Schuldenbremse geschuldet,
sondern es ist auch eine Selbstverständlichkeit und eine
Frage der Generationengerechtigkeit und der Nachhaltigkeit, dass wir in den nächsten Jahren einen ausgeglichenen Haushalt schaffen.
({6})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, das kann aber doch
keine Rechtfertigung dafür sein, dass wir in den steuerpolitischen Stillstand übergehen.
({7})
Die Konsolidierung der Haushalte ist ein Projekt für
mehr als eine Legislaturperiode. Niemand erwartet oder
verlangt von uns, dass wir schon zu Weihnachten in diesem Jahr einen ausgeglichenen Haushalt haben.
Bewusst haben wir auch die Schuldenbremse so vereinbart und im Grundgesetz angelegt, dass sich ihre
volle Bremswirkung über ein Jahrzehnt hinweg aufbaut.
({8})
Niemand in diesem Haus behauptet, man könnte bereits
in diesem Jahr die Steuern um weitere 16 Milliarden
Euro senken und dies noch im selben Jahr durch höheres
Wachstum ausgleichen.
Wir sind uns in der Regierungskoalition einig: Die
Aufgabe der Glättung des Einkommensteuertarifs, des
Ausstiegs aus der kalten Progression und der Vereinfachung des Einkommensteuerrechts ist lösbar, aber sie
braucht Zeit. Steuerentlastungen gehören in ein haushaltspolitisches Gesamtkonzept.
({9})
Ich darf abschließend festhalten: Wir sind uns einig,
dass sich dieses Gesamtkonzept erst nach Vorlage der
Zahlen der nächsten Steuerschätzung fundiert entwickeln lässt.
({10})
Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege
Klaus-Peter Flosbach für die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Heute wird deutlich, was Müntefering immer gesagt hat:
Opposition ist Mist. Ich kann verstehen, dass Sie mit einem Koalitionsvertrag Schwierigkeiten haben,
({0})
an dem Sie erstmals nach elf Jahren nicht beteiligt waren. Wir aber haben im Koalitionsvertrag gesagt, was
wir tun, und jetzt tun wir, was wir gesagt haben.
({1})
Wir haben in diesem Jahr voraussichtlich Steuereinnahmen in Höhe von 510 Milliarden Euro. Im Jahr 2012
werden es voraussichtlich 552 Milliarden Euro und 2013
575 Milliarden Euro sein. Das sind also 63 Milliarden
Euro mehr als nach der alten Steuerschätzung vom Ende
des letzten Jahres.
Selbstverständlich prüfen wir jetzt erst einmal genau:
Wo können wir das Steuersystem vereinfachen, und
wann setzen wir die Entlastung in Höhe von 16 Milliarden Euro um?. Wir sind schließlich in der größten Krise
seit 60 Jahren. Das hat auch die Opposition nie bestritten. Deswegen und weil wir bis zum Jahr 2016 die vereinbarte Schuldengrenze einhalten wollen, müssen wir
Zug um Zug vorgehen.
Wir brauchen aber finanziellen Spielraum, der die Voraussetzung für Wachstum, Konsum und Investitionen
ist. Das ist die Voraussetzung für alles.
({2})
Über die SPD bin ich sehr stark verwundert. Herr
Binding hat das Bürgerentlastungsgesetz angesprochen.
In der Tat haben wir damit eine Entlastung in Höhe von
14 Milliarden Euro auf den Weg gebracht.
({3})
In den Reden der SPD-Redner zu diesem Thema - wir
haben gerade Mitte des letzten Jahres darüber diskutiert ist im Protokoll das Wort „konjunkturfördernd“ zu lesen.
Das Vorhaben wurde als gezielt und angemessen bezeichnet.
Wir haben in unserer Koalition mit unserem ersten
Gesetz das Kindergeld erhöht und die Sanierung von
Unternehmen erleichtert, um Arbeitsplätze zu retten.
Das ist offensichtlich nicht mehr angemessen. Das Einzige, das nicht angemessen ist, ist, dass Sie dagegengestimmt haben, und damit gegen die Sicherung von Arbeitsplätzen und die Erhöhung des Kindergeldes.
({4})
Wir haben im Koalitionsvertrag deutlich formuliert,
was wir wollen: Wir wollen die Entlastung der kleinen
und mittleren Einkommen. Die Entlastung der Leistungsträger ist wichtig für die Zukunft unseres Steuersystems.
({5})
Herr Poß hat eben deutlich gemacht, dass er gar nicht
genau weiß, wann die Entlastung erfolgt und wie einzelne Beispiele dazu aussehen. Er kennt also offensichtlich die Beispiele nicht. Bei einem zu versteuernden Einkommen von 25 000 Euro erreicht eine Einzelperson bei
den Sozialabgaben eine Abgabenquote von 50 Prozent.
Das sind also 50 Cent pro Euro. Bei einem Gehaltszuwachs von 100 Euro werden 50 Euro abgezogen. Bei einem zu versteuernden Einkommen von 35 000 Euro sind
es bereits 56 Prozent. Bitte sagen Sie das dem Kollegen
Poß, damit er als finanzpolitischer Sprecher Ihrer Fraktion das auch weiß.
({6})
Wir wollen eine echte Entlastung. Das ist etwas anderes, als Rot und Grün mit ihren Steuergesetzen 1998 auf
den Weg gebracht haben.
({7})
- Sehr gut, dass Sie das ansprechen, Frau Hendricks. Sie
waren damals Staatssekretärin, und Sie sind noch heute
stolz darauf, dass Sie den Spitzensteuersatz von
53 Prozent auf 42 Prozent gesenkt haben. Aber hat es
denn Steuerentlastungen gegeben? Mitnichten. Es hat
keine Steuerentlastung gegeben, weil gleichzeitig die
Bemessungsgrundlage verbreitert wurde.
({8})
Der Mittelstand hat dies immer als Giftliste für ihn bezeichnet. Das war etwas anderes als das, was wir machen. Wir entlasten die Bürgerinnen und Bürger wirklich.
({9})
Das Stärkste ist das gewesen, was Sie, Herr Schick,
angesprochen haben, als Sie sich als Anwalt der Kommunen aufgespielt haben.
({10})
Das war wirklich ein starkes Stück. Die Kommunalfinanzen - das sage ich einmal als Kommunalpolitiker sind eines der wichtigsten Themen, denen wir uns jetzt
stellen müssen. Dies tun wir in dieser Koalition auch.
Wir haben jetzt eine Kommission eingesetzt, die nicht
nur die Einnahmen, sondern auch die Ausgaben prüft.
Wir alle haben es in den Kommunen erlebt, dass die Gewerbesteuer als zentrale Einnahmeposition nicht die
richtige Steuer ist. Wir müssen an dieses Thema heran,
damit die Kommunen stabile Einnahmen haben.
({11})
- Herr Scheelen, die Kommunalpolitiker der SPD und
der Grünen müssten ja rote Ohren, rot-grüne Ohren,
kriegen, wenn sie an die Themen denken, die Sie umgesetzt haben. Eines der ersten Themen war, als Sie von
Rot-Grün an der Regierung waren, die Erhöhung der Gewerbesteuer, die zum Schluss nahezu 30 Prozent betragen hat.
({12})
Das stärkste Stück aber war Ihr letzter rot-grüner Akt.
Im Jahre 2005, kurz vor den Bundestagswahlen, wollten
Sie den Kommunen den Beitrag zu den Kosten der Unterkunft streichen. Ihr Minister hat damals den Vorschlag
gemacht, den Satz für die Kommunen auf null zu senken. Das war eine Enteignung der Kommunen; denn hier
ging es um Milliardenbeträge. Spielen Sie sich heute
nicht als Vertreter der Kommunen auf!
({13})
Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, wir arbeiten
den Koalitionsvertrag Zug um Zug ab. Das Steuerrecht
ist undurchsichtig, unvernünftig und ungerecht. Wir gehen an diese unendliche Geschichte heran, wir vereinfachen und entlasten. Wir brauchen Stabilität; aber wir
brauchen auch Freiraum für Investitionen.
Vielen Dank.
({14})
Damit ist die Aktuelle Stunde beendet.
Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 2 auf:
Fragestunde
- Drucksachen 17/1388, 17/1402 Zu Beginn der Fragestunde kommen wir gemäß Nr. 10
Abs. 2 der Richtlinien für die Fragestunde zunächst zu
den dringlichen Fragen auf Drucksache 17/1402. Sie betreffen den Geschäftsbereich des Bundesministeriums
der Finanzen.
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt
Für die Beantwortung der Fragen steht Herr Parlamentarischer Staatssekretär Steffen Kampeter zur Verfügung. Es geht bei diesen dringlichen Fragen um die
Pläne der Bundesregierung zur Ausgestaltung der Hilfen
für Griechenland und mögliche Konsequenzen für den
Bundeshaushalt.
Ich rufe zunächst die dringliche Frage 1 des Kollegen
Volker Beck auf:
Wie stellt sich die Bundesregierung zu den Äußerungen
vom Bundesminister der Finanzen, Dr. Wolfgang Schäuble,
im Spiegel vom 19. April 2010, einen im Rahmen des Rettungspakets für Griechenland zu gewährenden Milliardenkredit nicht im Bundeshaushalt über einen Nachtragshaushalt
aufzuführen, und auf Grundlage welcher Bestimmungen im
Haushaltsrecht sieht sie sich zu einer solchen Vorgehensweise
berechtigt?
Herr Staatssekretär, bitte.
Frau Präsidentin! Die Antwort auf Ihre Frage, lieber
Herr Kollege Beck, lautet wie folgt: In der Bundesrepublik Deutschland ist vorgesehen, dass im Bedarfsfall die
Kreditanstalt für Wiederaufbau im Rahmen eines Zuweisungsgeschäfts für den Bund tätig wird und Kredite für
Griechenland vergibt. Die Kreditanstalt für Wiederaufbau würde für ihre Beteiligung am Hilfsprogramm für
Griechenland eine Gewährleistung des Bundes benötigen, soweit es zu einem solchen Programm kommt.
Die Übernahme von Gewährleistungen erfordert nach
Art. 115 Abs. 1 des Grundgesetzes eine der Höhe nach
bestimmbare oder bestimmte Ermächtigung durch ein
vom Deutschen Bundestag formell beschlossenes Gesetz. Nach Auffassung der Bundesregierung ist die
Schaffung eines expliziten eigenen Ermächtigungstatbestands zur Absicherung von Krediten geboten. In der Regel sind Gewährleistungsermächtigungen im Haushaltsgesetz enthalten; das ist zutreffend. Dies ist aber nicht
zwingend, wie etwa ein Blick auf die vergleichbaren Ermächtigungen in § 6 des Finanzmarktstabilisierungsfondsgesetzes zeigt. Art. 115 Abs. 1 des Grundgesetzes
erfordert ein formelles Bundesgesetz, aber kein spezielles Haushaltsgesetz.
Ihre Nachfrage, bitte.
Die Frage wurde gestern formuliert und eingereicht.
Mittlerweile gibt es die widersprüchlichsten Agenturmeldungen über die Haltung der Koalition zu dieser
Frage. Offensichtlich hat der Bundesfinanzminister gestern bei der Union vorgesprochen und wollte ein Gesetz
an das Gesetz zur Abschaffung des Finanzplanungsrates,
das wir morgen im Plenum behandeln werden, ankoppeln. Damit ist er abgeblitzt. Können Sie mir jetzt sagen,
in welcher Form und wann die Bundesregierung dem
Deutschen Bundestag die rechtlichen Grundlagen vorlegen wird, um die entsprechenden Gewährleistungen und
Kreditzusagen an Griechenland auf den Weg zu bringen?
Herr Kollege Beck, zuerst einmal will ich darauf hinweisen, dass der Bundesminister der Finanzen heute in
drei Parlamentsausschüssen Rede und Antwort zu den
Details der Überlegungen der Bundesregierung in der
Causa Griechenland gestanden hat. Er hat heute Vormittag im Finanzausschuss begonnen, er war im Anschluss
daran im Haushaltsausschuss, und er dürfte in diesen
Minuten im Europaausschuss Stellung nehmen. Die Beratungen haben sich unter anderem auf die von Ihnen erwähnten Pressemeldungen kapriziert.
Ich kann Ihnen bestätigen, dass wir im Bundesfinanzministerium überlegt haben, ob es sinnvoll und richtig
ist, auch zur Wahrung von zeitlichen Abläufen, ein Gesetzgebungsverfahren, das sich im parlamentarischen
Bereich befindet und für das der Haushaltsausschuss, der
für die Griechenlandhilfe zuständig ist, die Federführung
hat, aufzuhalten und für den möglicherweise in den
nächsten Wochen eintretenden Fall einer griechischen
Hilfsanfrage und einer Freischaltung durch den Europäischen Rat auf dieses Gesetzgebungsverfahren aufzusetzen. Ich kann Ihnen darüber hinaus bestätigen, dass wir
diese Überlegung nicht mehr weiterverfolgen, weil insbesondere im parlamentarischen Bereich gemeinsam mit
dem Bundesfinanzminister entschieden worden ist, dass
wir wegen der Grundsätzlichkeit des Anliegens nicht auf
ein bestehendes, im parlamentarischen Verfahren befindliches Gesetzgebungsverfahren aufsetzen, sondern ein
gesondertes, isoliertes Gesetzgebungsverfahren einleiten
werden, für das die Bundesregierung gegebenenfalls,
falls es erforderlich ist, den Koalitionsfraktionen per Beschluss im Bundeskabinett oder anders formalisiert einen Formulierungsvorschlag unterbreiten würde.
Herr Kollege Beck, haben Sie eine weitere Nachfrage?
Ja. - Eigentlich habe ich die gleiche Frage noch einmal, weil sie im Kern nicht beantwortet ist. Ich habe gefragt: Wann wird die Bundesregierung in welcher Form
dem Deutschen Bundestag eine Initiative vorlegen oder
den Koalitionsfraktionen eine Formulierungshilfe an die
Hand geben, damit wir wissen, wann wir hier darüber
beraten müssen? Es mag sein, dass der Bundesfinanzminister das in den Ausschüssen gesagt hat. Wir haben
aber hier im Deutschen Bundestag die Möglichkeit, Sie
als Bundesregierung zu befragen. Sie müssen dann hier
nicht als Ministerium, sondern als Regierung antworten.
Gleichzeitig gilt, anders als in den Ausschüssen, im Plenum das Öffentlichkeitsprinzip. Deshalb wäre es schön,
wenn Sie uns vor der deutschen Öffentlichkeit diese
Frage beantworten könnten.
Herr Kollege Beck, es ist mir selbstverständlich eine
Freude, diese Nachfrage zu beantworten.
Der erste Teil bezog sich auf das Wann. Die Frage
nach dem Wann kann ich Ihnen nicht beantworten, wenn
Sie heute ein konkretes Datum erfragen. Ich kann Ihnen
aber prinzipiell erläutern, welche Vorgehensweise zur
Auslösung einer solchen gesetzlichen Initiative führen
würde. Wir als Bundesregierung gehen davon aus, dass
wir keine gesetzgeberischen Aktivitäten unternehmen
sollten, bevor die Griechen nicht einen Antrag auf Hilfe
gestellt haben. Ein solcher Antrag liegt zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht vor. Was zum gegenwärtigen Zeitpunkt verbindlich erklärt werden kann, ist, dass - nach
Flugverzögerungen durch die Aschewolke - heute eine
IWF-Mission in Griechenland eingetroffen ist. Nach Abschluss dieser Mission werden wir ein entsprechendes
prozedurales Vorgehen erkennen können, beispielsweise
ob Griechenland überhaupt einen Antrag stellt. Dazu
werden dann die zuständigen Stellen, beispielsweise die
Europäische Kommission oder die Europäische Zentralbank, optieren. Dann ist vorgesehen - das ist Bestandteil
der technischen Einigung auf der Ebene der Finanzminister der Euro-Zone -, dass ein Europäischer Rat
über die mögliche Gewährung von Hilfen für Griechenland entscheidet. In diesem Kontext muss eine parlamentarische Ermächtigungsgrundlage in dem von mir
hier beschriebenen Rahmen geschaffen werden.
Sie haben auch nach der Form gefragt. Es wird ein
isoliertes Gesetzgebungsverfahren sein, durch das der
Größenordnung nach bestimmbare oder bestimmte Garantieoptionen beschrieben sind, die für eine mögliche,
derzeit noch nicht beschlossene Griechenlandhilfe gewährt werden könnten.
Herr Kollege Dr. Schick.
Herr Staatssekretär, ich habe zwei Teilfragen.
Meine erste Teilfrage bezieht sich auf das Verfahren.
Kann man, wenn man das von Ihnen avisierte Verfahren
wählt, sicherstellen, dass man ausreichend Zeit zur Beratung hat, oder gibt es ein Kurzverfahren, in dem man
kaum die Zeit hat, sich die Details anzuschauen? Über
diese Details kann uns die Bundesregierung heute noch
nicht viel sagen. Deshalb würde manches dafürsprechen,
das parlamentarische Verfahren zwar vor einer konkreten Anfrage, aber nachdem die Rahmenbedingungen in
der Europäischen Union verhandelt sind, durchzuführen.
Meine zweite Teilfrage bezieht sich auf einen inhaltlichen Punkt. Ist es ein zentrales Anliegen der Bundesregierung, bei den Verhandlungen zu den Griechenlandhilfen sicherzustellen, dass ein staatlicher Kredit
Deutschlands an Griechenland vom Rang her vor einem
Kredit privater Gläubiger liegt, oder ist das nicht ein
zentrales Anliegen der Bundesregierung?
Ihre erste Frage bezieht sich auf die parlamentarischen Mitwirkungsrechte. Der Bundesfinanzminister hat
heute für die Bundesregierung vor den Ausschüssen
noch einmal deutlich gemacht, dass wir für den Fall eines griechischen Hilfebegehrens eine rasche parlamentarische Beratung unter umfassender Gewährung von parlamentarischen Mitwirkungsrechten anstreben. „Rasch“
heißt in diesem Kontext, dass wir das nicht über Monate
beraten wollen. „Umfassende Gewährung von parlamentarischen Mitwirkungsrechten“ heißt, dass wir Ihnen
selbstverständlich in jeder Form über den materiellen
Gehalt der bis dahin getroffenen Vereinbarungen gerne
Auskunft geben wollen. Wir als Bundesregierung lassen
aber keinen Zweifel daran, dass wir für den Fall eines
griechischen Hilfsbegehrens rasch zu Entscheidungen
im parlamentarischen Bereich kommen wollen. Wir haben die Leistungsfähigkeit des deutschen Parlamentarismus auch im Zusammenhang mit dem gerade von mir
angesprochenen Finanzmarktstabilisierungsfondsgesetz
nachgewiesen.
({0})
Ihre zweite Frage bezog sich auf eine Festlegung der
Bundesregierung innerhalb von Rangfragen. Soweit mir
bekannt ist, hat der Bundesfinanzminister dazu im Finanzausschuss wie im Haushaltsausschuss festgestellt,
dazu gebe es noch keinerlei Festlegungen. Ich will Ihnen
versichern, dass wir im Rahmen eines möglichen gepoolten Kredits alles daransetzen werden, um sowohl die
Eigeninitiative und Eigenverantwortung Griechenlands
zu stärken als auch die Interessen der deutschen Steuerzahlerinnen und Steuerzahler umfassend zu wahren.
Herr Kollege Zöllmer.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Der Finanzausschuss hatte heute ein Gespräch mit dem Bundesfinanzminister, auch zu diesem Thema. Der Minister hat deutlich gemacht, dass die Obergrenze für eine mögliche
Griechenlandhilfe im ersten Jahr bei insgesamt 30 Milliarden Euro liegt, was Deutschland angeht, bei 8,4 Milliarden Euro. Wir erleben also vielleicht, dass aus
Deutschland Geld nach Griechenland fließt, obwohl die
Bundeskanzlerin die ganze Zeit einen völlig anderen
Eindruck in der Öffentlichkeit erweckt hat.
Meine Frage teilt sich in zwei Punkte:
Wenn, was Deutschland angeht, die Obergrenze für
eine mögliche Griechenlandhilfe bei 8,4 Milliarden Euro
liegt, wie sieht es dann in einem Worst-Case-Szenario
für die folgenden Jahre aus? Welche Risiken kommen
auf den Haushalt der Bundesrepublik Deutschland zu?
Eine Ergänzungsfrage: Sehen Sie dieses Modell auch
als Muster für den Umgang mit den anderen Ländern an,
denen möglicherweise ähnliche Schwierigkeiten wie
Griechenland drohen?
Herr Kollege Zöllmer, mit Respekt: Durch einen
Großteil Ihrer Frage wird die Bundesregierung zu Spe3424
kulationen aufgefordert. Die Bundesregierung ist durch
das Parlament beauftragt, bestimmte Handlungen durchzuführen; sie ist nicht beauftragt, sich an Spekulationen
zu beteiligen. Wenn Sie sozusagen eine nichtspekulative
Nachfrage stellen, ist die Präsidentin sicherlich bereit,
mir die Möglichkeit zu geben, dann auch präzise zu antworten. Aber so verlangen Sie von mir Spekulationen
über zukünftige Entwicklungen. Solche Spekulationen
anzustellen, ist nicht Aufgabe der Bundesregierung.
({0})
- Dazu will ich dann Folgendes sagen: Was die zukünftige institutionelle Fortentwicklung der Europäischen
Union, des Rechtsrahmens des Stabilitätspakts und des
europäischen Währungsverbundes angeht, sind für die
Bundesregierung durch den Bundesfinanzminister in einem Namensbeitrag Vorschläge unterbreitet worden. Deren Kern ist ein abgestufter Sanktionsmechanismus für
potenzielle zukünftige Sünder unter dem Stichwort
„Europäischer Währungsfonds“. Dies ist von manchen
Beteiligten im ersten Schritt als eine Transferunion missverstanden worden. Im Kern geht es aber um einen
Sanktionsmechanismus, der Anreize zu wirtschaftlich
vernünftigem Verhalten in der Budgetpolitik bieten soll,
der aber darüber hinaus den Spekulanten das Signal geben soll: Wir sind nicht einfach bereit, im Rahmen einer
staatlichen Garantie jede Form der Spekulation gegen
ein Land zu akzeptieren.
Auf dem letzten europäischen Treffen ist eine Arbeitsgruppe zur institutionellen Fortentwicklung dieses
europäischen Rechtsrahmens eingesetzt worden. Die
Bundesregierung hat entschieden, dort nicht auf Beamtenebene, sondern durch den Bundesfinanzminister in
persona vertreten zu sein. Wir wollen dadurch deutlich
machen, wie wichtig uns dieses Anliegen ist. In diesem
Kontext wollen wir die jetzt gefundenen Verfahren für
Griechenland als Einzelfallverfahren interpretieren. Perspektivisch - perspektivisch! - strebt die Bundesregierung an, zu anderen Ergebnissen zu kommen.
Zum ersten Teil Ihrer Spekulationen will ich ein paar
Hinweise geben. Wir gehen davon aus, dass sowohl die
jetzt getroffenen Maßnahmen der griechischen Regierung wie auch das klare Signal innerhalb der Euro-Zone
zu einer Stabilisierung der Märkte beitragen werden. Die
griechische Regierung hat ja Maßnahmen verkündet,
die, übertragen auf die Bundesrepublik Deutschland, sicherlich zu breiten gesellschaftlichen Diskussionen führen würden. Die Glaubwürdigkeit dieser Maßnahmen
gilt es in den nächsten Wochen und Monaten von griechischer Seite zu unterstützen. Wir flankieren diesen
Prozess durch eine mögliche Entscheidung der europäischen Staats- und Regierungschefs. Von daher glaube
ich, dass alle Spekulationen über größere Beträge, die
derzeit hier angestellt werden, durch das Wirksamwerden sowohl der griechischen wie auch der europäischen
Maßnahmen gegenstandslos sind.
Wir kommen nun zur dringlichen Frage 2 der Kollegin Priska Hinz:
Wie soll das vom Bundesminister der Finanzen,
Dr. Wolfgang Schäuble, im Spiegel vom 19. April 2010 angekündigte Bundesgesetz, das die Kredite der Kreditanstalt für
Wiederaufbau Bankengruppe, KfW, und die dafür ausgesprochenen Garantien der Bundesregierung begleiten soll, ausgestaltet werden, und warum werden die darin enthaltenen finanziellen Verpflichtungen für die Bundesregierung, die laut
Vereinbarungen der EU-Finanzminister vom 10./11. April
2010 nach dem jederzeit möglichen Antrag Griechenlands sofort fällig werden würden, nicht in den Bundeshaushalt in
Form eines Nachtragshaushalts einbezogen?
Gleichzeitig rufe ich die dringliche Frage 3 der Kollegin Priska Hinz zum selben Themenkreis auf:
Wie beurteilt die Bundesregierung das finanzielle Risiko,
das durch die im Zuge der Vereinbarungen der EU-Finanzminister vom 10./11. April 2010 nach einem entsprechenden
Antrag Griechenlands sofort fällig werdende Bundesgarantie
für Kredite der KfW für den Bundeshaushalt entstehen könnte
({0}), und mit welchen
Maßnahmen plant die Bundesregierung auf diese Risiken zu
reagieren?
Sehr geehrte Frau Kollegin Hinz, Ihre Fragen möchte
ich wie folgt beantworten:
Die Bundesregierung beabsichtigt, vor einer gesetzgeberischen Initiative erst die Fertigstellung des IWFProgramms abzuwarten und vor Aktivierung die notwendige Bewertung der Finanzstabilität in der EuroZone und des Kapitalmarktzugangs Griechenlands durch
die EU-Kommission und die EZB einzubeziehen. Bei
Bedarf wird ein passender Ermächtigungstatbestand zur
Absicherung von Garantien der Kreditanstalt für Wiederaufbau dem Deutschen Bundestag sehr kurzfristig in
Gesetzesform zur Entscheidung vorgelegt. Darüber hinaus
wird der Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestages vor der tatsächlichen Übernahme der Gewährleistung entsprechend den üblichen Verfahren unterrichtet.
In Deutschland ist vorgesehen, dass im Bedarfsfall
die Kreditanstalt für Wiederaufbau im Rahmen eines sogenannten Zuweisungsgeschäfts für den Bund tätig wird
und mögliche Kredite für Griechenland vergibt. Die
Kreditanstalt für Wiederaufbau würde für ihre Beteiligung am Hilfsprogramm für Griechenland eine Gewährleistung des Bundes benötigen. Die Übernahme von Gewährleistungen erfordert nach Art. 115 Abs. 1 unseres
Grundgesetzes eine der Höhe nach bestimmte oder bestimmbare Ermächtigung durch ein vom Deutschen
Bundestag formell beschlossenes Gesetz. Nach Auffassung der Bundesregierung ist vorliegend die Schaffung
eines expliziten eigenen Ermächtigungstatbestands zur
Absicherung von Krediten geboten. In der Regel - das
hatte ich schon vorhin ausgeführt - hat der Gesetzgeber
das bisher im Rahmen des Haushaltsgesetzes gemacht.
Aber wie das Finanzmarktstabilisierungsfondsgesetz
zeigt, reicht hierzu ein formelles Bundesgesetz aus.
Die Bundesregierung schätzt das Ausfallrisiko einer
eventuellen Garantie für Darlehen der Kreditanstalt für
Wiederaufbau als gering ein.
Frau Kollegin, haben Sie eine Nachfrage? - Bitte.
Herr Kollege Kampeter, ich möchte trotz Ihrer Antwort gerne von Ihnen wissen, warum sich die Bundesregierung gegen ein Nachtragshaushaltsgesetz entscheiden will. Ich habe Ihren Worten entnommen, dass das so
ist. Für den möglichen Fall, dass der Bund einspringen
muss - es geht ja um viel Geld -, gibt es einen Ermächtigungsrahmen im Bundeshaushaltsgesetz. Ich frage Sie
daher, warum die Bundesregierung meint, hierbei auf einen Nachtragshaushalt verzichten zu können.
Da Sie vorhin mitgeteilt haben, dass der Bundesgesetzgeber nichtsdestotrotz umfänglich in ein solches Gesetzgebungsverfahren eingebunden wird, möchte ich Sie
ferner fragen: Können Sie mir mitteilen, ob die Bundesregierung plant, dieses Gesetz in einem Eilverfahren
oder im Rahmen des üblichen Gesetzgebungsverfahrens
durch den Bundestag zu bringen?
Frau Kollegin Hinz, wir glauben, dass der übliche Gewährleistungsrahmen im Haushaltsgesetz keine einschlägige und verfassungsrechtlich abgesicherte Grundlage für den Sonderfall einer möglichen Hilfe innerhalb
der Euro-Zone ist. Deswegen werden wir zur Sicherstellung der Transparenz des Entscheidungsprozesses mit
Blick auf ein gesondertes Gesetz die Abwägungsgründe
ausführlich darlegen und erläutern, warum wir glauben,
dass diese gesetzliche Ermächtigungsnorm sowohl in der
Sache zweckdienlich ist wie auch die parlamentarischen
Mitwirkungsrechte umfassend gewährleistet. Da wir uns
für diesen Weg entschieden haben, erschien uns die Entscheidung für eine rechtliche Alternative - in welcher
Form auch immer - entbehrlich.
Frau Kollegin Hinz, Ihre zweite Frage nach einem
möglichen Eilverfahren könnte dahin gehend missgedeutet werden, dass wir in irgendeiner Form die parlamentarischen Mitwirkungsrechte nicht umfassend gewährleisten wollen. Diesem Eindruck würde ich namens
der Bundesregierung entgegentreten wollen. Ich will allerdings keinen Zweifel daran lassen, dass wir für den
Fall eines griechischen Hilfsantrags, den wir nicht anstreben, eine rasche parlamentarische Beratung, gegebenenfalls verbunden mit der Bitte um Fristverzicht,
anstreben. Uns schiene das im Hinblick auf die außenpolitische Wirksamkeit unseres Vorgehens geboten zu
sein.
Ein sogenanntes Eilverfahren sieht, glaube ich, die
Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages explizit
nicht vor.
Ihre weitere Nachfrage.
Danke, Herr Kampeter. - Sie haben mich schon sehr
gut verstanden. Das wollen wir doch einmal festhalten.
Frau Kollegin Hinz, bisher hatten wir keine Verständigungsprobleme. Das bestätige ich nachdrücklich für
die Bundesregierung.
Danke schön. - Trotzdem meine Nachfrage: Da Sie
sich schon jetzt für einen bestimmten Weg entschieden
haben, da Sie wissen, dass die KfW das Programm abwickeln soll, und da es gleichzeitig eine Verfassungsgerichtsentscheidung zum Lissabon-Vertrag gibt, in der
dem Bundestag umfängliche parlamentarische Beratungsrechte zugesichert wurden, frage ich Sie, warum
Sie nicht bereits jetzt das Gesetzgebungsverfahren eingeleitet haben, damit der Bundestag nicht am Ende mit
verkürzten Fristen und unter Umgehung des Haushaltsrechtes Entscheidungen treffen muss. Sie hätten ja bereits ab dem 14. März 2010, nachdem die Regierungschefs entschieden hatten, mit der Erarbeitung eines
Nachtragshaushalts beginnen können und hätten uns
jetzt einen solchen Nachtragshaushalt vorlegen können,
der dann ordnungsgemäß hätte behandelt werden können. Meine Frage lautet also: Wann beginnen Sie endlich
mit dem Gesetzgebungsverfahren, damit wir eine ordentliche parlamentarische Beratung zu einem Nachtragshaushaltsplan durchführen können?
Frau Kollegin Hinz, entgegen meiner vorhin geäußerten Vermutung, dass wir keinerlei Verständigungsprobleme haben, scheint sich die Bewertung der Sachlage
jetzt etwas anders darzustellen. Ich hoffte, Ihnen eigentlich verständlich gemacht zu haben, warum wir nach
Abwägung von durchaus möglichen und von Ihnen teilweise beschriebenen rechtlichen Alternativen den von
mir dargelegten Weg eines isolierten, nach dem Grundgesetz möglichen und die parlamentarischen Mitwirkungsrechte umfassend sichernden Einzelgesetzesverfahrens gewählt haben.
Insgesamt war bei diesem Abwägungsprozess natürlich auch wichtig, dass wir im Interesse der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler nicht frühzeitig ein Signal zur
Konditionalität einer möglichen deutschen Beteiligung
an freiwilligen bilateralen, gegebenenfalls europäisch
gepoolten Hilfen geben. Ein solches frühzeitiges Signal
hätte von der griechischen Seite missverstanden werden
können und hätte dazu führen können, dass sie in ihren
Bemühungen um eine eigenverantwortliche Lösung der
griechischen Finanzprobleme ein Stück weit nachlässt.
Infolge der zeitlichen Abläufe, infolgedessen, dass wir
nicht frühzeitig eine gesetzliche Grundlage geschaffen
haben, hat die griechische Regierung in Abstimmung
mit der Europäischen Kommission, aber auch in Abstimmung mit den Finanzministern innerhalb der Euro-Zone
und des Ecofin zusätzliche, die Glaubwürdigkeit der
griechischen Konsolidierungsanstrengungen untermauernde gesetzgeberische Maßnahmen ergriffen, sodass
diese von der Bundesregierung gewählte Strategie die
Interessen der deutschen Steuerzahlerinnen und Steuerzahler nachdrücklich besser gewahrt hat als alle Alternativen im Hinblick auf frühzeitige gesetzliche Ermächtigungsgrundlagen.
Die dringliche Frage 3 wurde schon vorhin vom
Staatssekretär mitbeantwortet. Sie haben keine Zusatzfrage dazu.
Nach den dringlichen Fragen rufe ich jetzt zum selben
Fragenkreis die Fragen 48 bis 50 aus dem Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Finanzen, Drucksache 17/1388, auf, da diese nach Nr. 10 Abs. 2 der
Richtlinien für die Fragestunde vorgezogen werden.
Ich rufe die Frage 48 des Kollegen Dr. Gerhard
Schick auf:
Gab es seit Anfang des Jahres 2010 ein Angebot einer
oder mehrerer privater Banken oder einer Gruppe von Gläubigern griechischer Staatsanleihen an die Bundesregierung,
beim sogenannten Roll-over von fällig werdenden Griechenland-Anleihen zu helfen, und, falls ja, aus welchen Gründen
ist die Bundesregierung auf das Angebot nicht eingegangen?
Herr Staatssekretär, bitte.
Die Antwort auf die von Ihnen gestellte Frage lautet:
Die Bundesregierung hat zu keinem Zeitpunkt erwogen,
eine eventuelle Finanzhilfe für Griechenland durch private Banken durchführen zu lassen.
({0})
Ihre Nachfrage.
Meine Frage ist damit nicht wirklich beantwortet, wie
Sie, Herr Kampeter, leicht selber feststellen können,
wenn Sie das überdenken. Ich hatte gefragt, ob sich jemand vonseiten privater Gläubiger an die Bundesregierung gewandt hat. Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie
diese Frage beantworten würden.
Sie können gerne auch die Frage beantworten, ob sich
die Bundesregierung in irgendeiner Form in Richtung
privater Gläubiger initiativ gezeigt hat. Es gibt nämlich
seit 2004 eine Vereinbarung in Bezug auf Schwellenländer, in der sich die internationalen Großbanken bereit erklärt haben, in solchen Fällen eine Umschuldung vorzunehmen. Eine Umschuldung unter Beteiligung privater
Gläubiger hätte vielleicht die Einbeziehung deutscher
Steuerzahler überflüssig oder zumindest weniger wahrscheinlich gemacht.
Herr Kollege Dr. Schick, zunächst einmal will ich
deutlich machen, dass kein Geld des Steuerzahlers nach
Griechenland fließt. Der Kredit der Kreditanstalt für
Wiederaufbau an Griechenland wird in dem von uns gewählten Verfahren lediglich mit einer Garantie des deutschen Steuerzahlers abgesichert.
({0})
Ich habe ergänzend erklärt, dass wir das Ausfallrisiko
für gering halten. Der tatsächliche Geldfluss wird von
den Kapitalmärkten, nicht vom Steuerzahler organisiert.
Die Refinanzierung des Kredites erfolgt über die Kapitalmärkte, die derzeit - an manchen Stellen vielleicht sogar überfließend - über Liquidität verfügen.
Es liegt der Bundesregierung daran, klarzustellen,
dass wir keine Steuergelder nach Griechenland verschieben, sondern lediglich mit der staatlichen Garantie einen
Bonitätsvorteil schaffen, den die Kreditanstalt für Wiederaufbau im Fall einer möglichen Krise in Griechenland zum Zweck der Stabilisierung nutzt. Ich glaube, das
ist in diesem Kontext das Mittel der Wahl; so sollte sich
die Bundesregierung nach dem gegenwärtigen Stand der
Dinge engagieren.
Die Frage, ob darüber hinaus in dem von Ihnen beschriebenen Maße über ergänzende Maßnahmen, etwa
über den Forderungsverzicht privater Gläubiger, zu entscheiden ist, wird nach meiner Einschätzung und nach
Kenntnis der Bundesregierung Gegenstand des Programms sein, das der IWF in den nächsten ein bis zwei
Wochen vorlegen wird.
Herr Kollege Dr. Schick, haben Sie eine weitere Zusatzfrage? - Bitte.
Ich kann jetzt also festhalten, dass Sie nicht ausgeschlossen haben, dass es ein solches Ansinnen von privater Seite gegenüber der Bundesregierung gab.
Herr Kollege Schick, ich kann viele Dinge im Leben
nicht ausschließen. Aber ich empfehle Ihnen, hier nicht
die falschen Schlussfolgerungen aus den Einlassungen
der Bundesregierung zu ziehen.
Die Fragen 49 und 50 des Kollegen Manuel Sarrazin
zu diesem Themenkreis werden schriftlich beantwortet.
Herr Staatssekretär, ich danke Ihnen für die Beantwortung der dringlichen Fragen.
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt
Nachdem alle dringlichen Fragen und alle anderen
Fragen zu diesem Themenkreis aufgerufen und beantwortet wurden, kommen wir nun zu den übrigen Fragen auf
der Drucksache 17/1388 in der üblichen Reihenfolge.
Wir kommen zunächst zum Geschäftsbereich des
Bundesministeriums für Bildung und Forschung. Hier
steht für die Beantwortung der Fragen Herr Parlamentarischer Staatssekretär Dr. Helge Braun zur Verfügung.
Die Fragen 1 und 2 des Kollegen René Röspel werden
schriftlich beantwortet.
Ich rufe die Frage 3 der Kollegin Daniela Kolbe auf:
Wie bewertet die Bundesregierung die verfassungsrechtliche Umsetzbarkeit der vorgesehenen Bildungsschecks für lokale Bildungsbündnisse, in denen unter anderem Schulträger
Mittel direkt an allgemeinbildende Schulen weitergeben können sollen?
Herr Staatssekretär, bitte.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Liebe Frau Kollegin
Kolbe, ich möchte Ihre Fragen 3 und 4 im Zusammenhang beantworten.
Frau Kolbe, sind Sie damit einverstanden? - Das
scheint der Fall zu sein. Dann rufe ich die Frage 4 der
Kollegin Kolbe auf:
Wie will die Bundesregierung sicherstellen, dass die Fördermittel für lokale Bildungsbündnisse für die Bekämpfung
der Bildungsarmut genutzt werden, das heißt, diese sowohl
bei den Bedürftigen zielgerichtet ankommen als auch für sinnvolle Bildungsangebote genutzt werden?
Herr Staatssekretär, bitte.
Frau Kollegin, die lokalen Bildungsbündnisse sind im
Koalitionsvertrag von CDU/CSU und FDP verankert.
Dort ist bereits vorgesehen, dass unter Einbeziehung aller relevanten Akteure - Fördervereine, Kinder- und Jugendhilfe, Eltern, Schulen, Träger der Arbeitsförderung
sowie Gruppen der Zivilgesellschaft - eine gezielte, individuelle Förderung von Kindern im Grundschulalter,
die von Bildungsarmut bedroht sind, ermöglicht werden
soll, um ihnen zusätzliche Bildungschancen zu eröffnen.
Diese Bundesregierung ist 175 Tage im Amt und hat
somit gerade einmal ein Achtel ihrer Amtszeit hinter
sich. Insofern kann ich Ihnen die Details des Programms
leider noch nicht vorstellen, weil wir uns momentan in
der Erarbeitungsphase befinden.
Ihre Nachfrage bitte.
Ich gehe davon aus, dass das auch schon die Antwort
auf die Frage 4 war. Ist das richtig? - Dann komme ich
zu meinen Nachfragen.
Frau Ministerin Schavan hat bereits einige Details genannt. Wenn ich es richtig verstanden habe, dann ist vorgesehen, dass Grundschulen eine Einmalzahlung von bis
zu 40 000 Euro erhalten können, um im Rahmen der lokalen Bildungsbündnisse nachhaltig gegen Bildungsarmut agieren zu können. Auch wenn Ihre Regierung noch
nicht lange im Amt ist, bitte ich Sie darum, mir eine Vorstellung davon zu geben, welche Art von Aktionsplänen
oder Aktivitäten mit einer Einmalzahlung von
40 000 Euro finanziert werden könnten.
Sehr geehrte Frau Kollegin, die lokalen Bündnisse für
Bildung sollen keine Eintagsfliege sein, sondern entspringen der Tatsache - das hat die PISA-Studie gezeigt -,
dass ungefähr 20 Prozent der 15-jährigen Schüler in
Deutschland droht, keinen Ausbildungsplatz zu erhalten,
weil sie ausbildungsunfähig bzw. nicht arbeitsmarktfähig sind. Deshalb ist es eine Daueraufgabe, dass wir uns
an dieser Stelle bemühen, zu verhindern, dass junge
Menschen keine Chance erhalten. Wir wollen diesen Jugendlichen mit gezielten und sehr individuellen Maßnahmen helfen.
Es ist klar, dass es ein breites Spektrum unterschiedlicher Maßnahmen geben muss. Es ist weder Wunsch
noch Wille noch Aufgabe der Bundesregierung, die Art
und Weise der Unterstützung vorzugeben. Die lokalen
Bildungsbündnisse sind - wie der Name schon sagt eng mit dem lokalen Gedanken verbunden. Wir wollen
es in die Hände der Akteure vor Ort geben, gezielte
Maßnahmen gegen die bestehenden Probleme zu ergreifen, weil wir es in den Bildungsbiografien mit den unterschiedlichsten Defiziten zu tun haben.
Gibt es eine weitere Zusatzfrage? - Bitte schön.
Ich stimme Ihnen zu: Es gibt viele junge Leute mit
Bildungsdefiziten, die mit 15 Jahren ohne Schulabschluss dastehen. Ich stimme Ihnen auch zu, dass man
schon in der Kita, der Grundschule und den weiterbildenden Schulen gezielt fördern muss. Wie verhält sich
die Bundesregierung zu der Aussage, dass es vielleicht
sinnvoller wäre, die bestehenden Maßnahmen, die in öffentlichen Kitas und Schulen - Stichwort „Ganztagsschulprogramm“ - durchgeführt werden, stärker zu finanzieren? Ist es nicht sinnvoll, dort, wo mit Kindern ab
drei Jahren oder noch jüngeren Kindern nachhaltig gearbeitet wird, zielgerichtet zu investieren, um allen Kindern gute Lebenschancen zu ermöglichen?
Sehr geehrte Frau Kollegin, klar ist: Die Bundesregierung hat - darauf spielen Sie in Ihrer Frage an - verfassungsrechtlich gesehen keine Kompetenz im Bereich der
originären Schulbildung. Darüber hinaus glauben wir
aber, dass es nicht zwingend ist, den Schulen die individuelle Förderung alleine aufzubürden. Die Schule hat in
den vergangenen Jahren und Jahrzehnten im Zuge der
gesellschaftlichen Veränderungen immer mehr Aufgaben übernommen und sich neuen Herausforderungen
stellen müssen. Deshalb ist es der Kerngedanke der lokalen Bündnisse für Bildung, den Schulen noch mehr Verantwortung und die Beantwortung der sich neu stellenden Fragen nicht alleine aufzubürden. Vielmehr wollen
wir Mittel für ergänzende Maßnahmen zur Verfügung
stellen, die zusätzliche Hilfen für die betroffene Klientel
ermöglichen.
Die nächste Zusatzfrage stellt der Kollege Röspel.
Vielen Dank. - Als Mitglied eines Fördervereins einer
Grundschule möchte ich fragen, ob die Bundesregierung
tatsächlich beabsichtigt, erstens einer solch ehrenamtlichen Struktur die Verantwortung für Finanzmittel in
Höhe von bis zu 40 000 Euro und zweitens den Schulen
für die Identifizierung möglicherweise benachteiligter
Schüler die entsprechenden Kompetenzen zu geben. Wie
soll die fachliche Begleitung aussehen?
Sehr geehrter Herr Kollege Röspel, die Einbeziehung
der Fördervereine ist ein Weg, um sehr nah an die Schulen heranzukommen und eine sehr enge und vertrauensvolle Kooperationsstruktur zwischen Schulen und Zivilgesellschaft zu nutzen. Deshalb ist das eine der
Möglichkeiten, die die Bundesregierung derzeit intensiv
prüft. Klar ist, dass die Schulfördervereine diese Aufgabe nicht alleine schultern können. Deshalb ist im Koalitionsvertrag deutlich gemacht worden, dass die Fördervereine ein, wenn auch wesentlicher Partner sein
sollen. Insgesamt ist es aber eine zivilgesellschaftliche
Aufgabe, bei deren Erfüllung die verschiedenen Träger
- zum Beispiel die Kommunen, die Bildungsträger und
die verschiedenen karitativen Organisationen, die in diesem Bereich Kompetenzen haben - mithelfen. Von einer
alleinigen Übertragung der Aufgaben, einer Kontrollfunktion oder einer Auswahlfunktion der Fördervereine
kann hier keine Rede sein.
Herr Kollege Schulz stellt die nächste Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, Sie haben gerade auf Nachfrage
gesagt, dass Sie den lokalen Bildungsbündnissen keine
Vorgaben machen möchten, wie mit den Mitteln konkret
verfahren werden soll und wie die Schülerinnen und
Schüler gefördert werden sollen. Meine Nachfrage lautet: Steht es den Verantwortlichen vor Ort vollkommen
frei, was mit dem Geld gemacht wird - sei es die Anschaffung von Sportgeräten, sei es die Finanzierung von
Auslandsreisen -, oder wird es doch einen bestimmten
Rahmen geben, und, wenn ja, wie sähe er aus?
Lieber Herr Kollege Schulz, wie ich eingangs gesagt
habe, befindet sich die Bundesregierung derzeit in der
Konzeptionsphase. Insofern kann ich Ihnen zu solchen
Details noch keine konkreten Auskünfte geben. Klar ist,
dass immer, wenn die Bundesregierung Geld ausgibt,
dies nicht in völlig freihändiger Art und Weise passiert.
Einen gewissen Rahmen muss es immer geben. Sehr
wohl wird man dem Thema der lokalen Bildungsbündnisse nur dann gerecht, wenn man individuelle Lösungen
für individuelle Bildungsprobleme zulässt. In diesem
Spannungsfeld wird sich die Erarbeitung dieses Konzepts bewegen. Wir sind ganz zuversichtlich, dass wir
Ihnen in Kürze kluge Lösungen vorlegen können.
Kollege Rossmann.
Herr Staatssekretär, stellt die Bundesregierung infrage, dass es verfassungsrechtlich zulässig ist, dass der
Bund Schulsozialarbeit an Ganztagsschulen fördert?
Wie bewerten Sie die Aussage des FDP-Schulministers
Klug aus Schleswig-Holstein, der sagt, ihm wäre viel lieber, der Bund würde Schulsozialarbeit und nicht die lokalen Bündnisse fördern? Dies ist in einer Ausgabe der
Schleswig-Holsteinischen Zeitung der letzten Tage nachzulesen.
Lieber Herr Kollege Rossmann, die lokalen Bildungsbündnisse sind dezidiert etwas anderes als Schulsozialarbeit; denn sie sollen für Bildung im engeren Sinne sorgen. Sie sollen helfen, zum Teil leider brüchige
Bildungsbiografien gradlinig zu gestalten. Unsere Ministerin sagt immer: Wir wollen niemanden zurücklassen. Auch wer bildungsbenachteiligt ist, soll alle Chancen haben. - Die lokalen Bildungsbündnisse sollen sich
insbesondere an die Grundschulen richten, damit jegliche Defizite und Brüche, die in einer Bildungsbiografie
auftreten können, schon sehr früh vermieden werden.
Auf diese Weise sollen junge Menschen alle Chancen im
Leben haben. Die Sozialarbeit ist ein weiterer Ansatz.
Sie ist aber kein Bildungs- und Fürsorgeansatz im engeren Sinne. Deshalb bitte ich darum, Fragen der Sozialpolitik und Bildungspolitik in ihrer Notwendigkeit nebeneinander zu akzeptieren und nicht gegeneinander
auszuspielen. Zu dem von Ihnen angesprochenen Zitat
kann ich nichts sagen, da es mir nicht bekannt ist.
Frau Kollegin Burchardt.
Herr Kollege Braun, wir haben zur Kenntnis genommen, dass Sie sich noch in der konzeptionellen Phase befinden und von daher natürlich keine Detailfragen beantworten können. Aber auch in der konzeptionellen Phase
können Sie sicherlich Auskunft darüber geben, ob auch
die vielen gut funktionierenden lokalen Bildungsbündnisse - beispielsweise in Dortmund und in Bochum -,
die aus gut interagierenden Netzwerken von Akteuren
bestehen, im Fokus Ihres Förderkonzepts stehen, oder
richtet sich Ihre Förderung ausschließlich an diejenigen,
die bislang nicht oder nur sehr rudimentär in diesem Bereich tätig gewesen sind? Wie wollen Sie in dem Fall,
dass auch die gut funktionierenden lokalen Netzwerke in
die Förderung einbezogen werden, gewährleisten, dass
die Vorgaben des Ministeriums, die nicht so detailliert
sind - in Dortmund hat man entsprechende Erfahrungen
mit dem Konzept zur Berufseinstiegsbegleitung gemacht -,
völlig an den Bedarfen vor Ort vorbeigehen?
Liebe Frau Kollegin Burchardt, in der Konzeptionsphase, die wir gerade anstreben, ist es in der Tat von Vorteil, dass es in vielen Regionen in Deutschland schon
profilierte Programme und Projekte für diese Zielgruppe
gibt. Die Notwendigkeit der lokalen Bildungsbündnisse
ergibt sich daraus, dass es sich um punktuelle Pilotprojekte handelt und noch nicht davon die Rede sein kann,
dass wir der Zielgruppe in Deutschland flächendeckend
Hilfe zur Verfügung stellen. Insofern ist es uns sehr
wichtig, dass wir aus den vorhandenen Projekten lernen
und die positiven Erfahrungen als Best-Practice-Beispiele in die Konzeption einbeziehen. Ganz klar ist, dass
es auf gar keinen Fall Absicht der Bundesregierung ist,
bestehende erfolgreiche Strukturen durch eine neue
Struktur zu beeinträchtigen. Aufgabe ist es vielmehr, die
Erfolge, die vor Ort mit positiven Einzelmaßnahmen erzielt werden, mit einem solchen Programm in die Fläche
zu tragen.
Ich rufe jetzt die Frage 5 des Kollegen Gerdes auf:
Mit welchen Maßnahmen will die Bundesregierung beim
angekündigten sogenannten Bildungssparen sicherstellen,
dass die tatsächlich bedürftigen Familien auch in den Genuss
der staatlichen Prämien gelangen, und wann kann mit Eckpunkten hierzu gerechnet werden?
Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär Thomas Rachel zur Verfügung.
Nein, auch diese Fragen beantworte ich.
Schau an! Ich nehme einmal an, dass es dem Kollegen
fast egal ist, wenn die Frage nur vernünftig beantwortet
wird.
({0})
- Das halten wir im Protokoll fest, Frau Burchardt.
Bitte schön, Herr Kollege Braun.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Ein konkretes Konzept zur Einführung des Bildungssparens hat die Bundesregierung noch nicht entwickelt. Fragen zu Einzelheiten sowie zu den Eckpunkten können wir Ihnen
deshalb zum jetzigen Zeitpunkt leider noch nicht beantworten.
Bitte schön, eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, dann werden Sie sicherlich auch
meine Anschlussfrage nicht beantworten können. Ich
hätte gerne gefragt, mit welchen Maßnahmen die Bundesregierung in der Zwischenzeit ein angemessenes Förderangebot sicherstellen will, da die Nutzbarkeit der
Spareinlagen für Bildungszwecke erst in 10 oder 20 Jahren greifen wird.
Lieber Herr Kollege, es ist ganz klar, dass es sich
hierbei um ein zusätzliches Angebot handeln soll. Das
Bildungssparen hat die Aufgabe, Menschen in ihrer Subsidiarität und bei ihrer Eigenvorsorge zu unterstützen.
Ganz klar ist, dass Sparen grundsätzlich eine Aufgabe
ist, für die mindestens ein Zeitraum von 16 bis 18 Jahren
erforderlich ist, damit eine entsprechende Summe, die
zur Unterstützung des Aufbaus einer Bildungsbiografie
wirklich geeignet ist, angespart werden kann. Was die
Bundesregierung jetzt bedauerlicherweise nicht tun
kann, ist, ein Konzept zu entwickeln, das 18 Jahre rückwirkend greift. Wir müssen also proaktiv für die Zukunft
arbeiten. Das soll ein zusätzliches Angebot im Sinne der
Fortentwicklung unserer Bildungsrepublik sein. Insofern
werden wir uns bemühen, zeitnah ein solches Konzept
vorzulegen. Da das Bildungssparen ein zusätzliches,
neues Angebot darstellt und nicht Teil der elementaren
Fürsorge ist, ist eine Zwischenfinanzierungsmaßnahme
aus unserer Sicht nicht erforderlich.
Weitere Zusatzfrage? - Nein.
Dann kommt der Kollege Schulz dran. Wir gehen in
der Reihenfolge der hier erfassten Wortmeldungen vor.
Herr Staatssekretär, bei den Bildungsbündnissen haben Sie zuerst von einer Konzeptionsphase und dann von
einer angestrebten Konzeptionsphase gesprochen. Zum
Bildungssparen haben Sie sich noch keine Gedanken gemacht. Ich möchte zum Bildungssparen ebenso wie zu
den Bildungsbündnissen fragen: Wann gedenken Sie
denn, die Konzeptionsphase abzuschließen und dem
Deutschen Bundestag Eckpunkte vorzulegen?
Sehr geehrter Herr Kollege Schulz, die Bundesregierung freut sich sehr, dass Sie die Koalitionsvereinbarung
von CDU/CSU und FDP intensiv lesen und es kaum erwarten können, dass wir alles, was darin steht, umsetzen.
Das Problem ist, dass unser Ministerium und die Bundesregierung insgesamt mit Kapazitäten ausgestattet
sind, die es nur ermöglichen, eine Konzeption nach der
anderen auf den Weg zu bringen. Heute hat die Bundesregierung im Kabinett einen Entwurf vorgelegt, in dem
eine Erhöhung der BAföG-Mittel und eine Entbürokratisierung des BAföG vorgesehen sind. Heute hat die Bundesregierung auch ein nationales Stipendienprogramm
auf den Weg gebracht.
Ich denke, wir sind an der Stelle sehr erfolgreich. Wir
arbeiten ein Projekt nach dem anderen ab. Wir legen der
Opposition keine konkreten Zeitpläne vor; denn wie Sie
wissen, sind manche Projekte in der Abstimmung
schnell umzusetzen, während es bei anderen Projekten
länger dauert. Alle Projekte im Koalitionsvertrag sind so
wichtig und so gut, dass wir sie am liebsten schon gestern umgesetzt hätten. Im Rahmen der Arbeitskapazitäten arbeiten wir so schnell, wie wir können.
({0})
Frau Kollegin Schieder.
Herr Staatssekretär, wir machen in jeder Sitzung des
Bildungsausschusses dieselbe Erfahrung wie jetzt. Sie
reden von „zeitnah“, aber keiner weiß, was damit gemeint ist. Es kann sein, dass Ihre Kapazitäten beschränkt
sind. Aber angesichts dessen, was Sie vorwärtsbringen,
sieht es so aus, als hätten Sie gar keine Kapazitäten. Ich
frage konkret: Was heißt „zeitnah“? Was können wir uns
darunter vorstellen?
Zeitnah heißt „sobald wie möglich“. Ein Datum kann
ich Ihnen heute noch nicht nennen.
({0})
Diese Definition wird vermutlich Eingang in die Lexika finden.
Ich rufe jetzt die Frage 6 des Kollegen Gerdes auf:
Wie bewertet die Bundesregierung Vorschläge zur Konferenz der Regierungschefs von Bund und Ländern am 10. Juni
2010, die Fortsetzung des Ganztagsschulprogramms sowie einen Ausbau der Schulsozialarbeit zu vereinbaren?
Herr Kolleg Schulz, hier können Sie einen neuen Anlauf zu einer Zusatzfrage unternehmen.
Bitte, Herr Staatssekretär.
Sehr geehrter Herr Kollege Gerdes, ich beantworte
Ihre Frage wie folgt: Das Investitionsprogramm „Zukunft Bildung und Betreuung“, IZBB, bekannt als Ganztagsschulprogramm, zum Aus- und Aufbau von Ganztagsschulen wurde mit einer Laufzeit von 2003 bis 2007
vereinbart. Dabei bestand die Möglichkeit, die Mittel bis
Ende 2008 zu verausgaben. Auf Wunsch aller Länder
wurde der Verausgabezeitraum bis Ende 2009 verlängert. Insgesamt wurden damit deutschlandweit 4 Milliarden Euro verausgabt und 7 200 Schulen gefördert.
Eine Neuauflage dieses Bundesprogramms ist nach
der Föderalismusreform I mangels Zuständigkeit nicht
mehr möglich. In enger Abstimmung mit den Ländern
führt der Bund die Förderung des Begleitprogramms
„Ideen für mehr! Ganztägig Lernen“ der Deutschen Kinder- und Jugendstiftung, DKJS, um weitere fünf Jahre
von 2010 bis 2014 fort. Darüber hinaus fördert das
BMBF mit Unterstützung der Länder Begleitforschung,
in deren Mittelpunkt die empirische Längsschnittuntersuchung „Studie zur Entwicklung von Ganztagsschulen“
steht. Diese Förderung wird ebenfalls fortgeführt.
Gemäß dem Auftrag der Bundeskanzlerin und der Regierungschefs der Länder vom 16. Dezember 2009 erarbeiten derzeit die zuständigen Fachminister von Bund
und Ländern unter Einbeziehung der Finanzseite konkrete Vorschläge für die Maßnahmen zur finanziellen
Absicherung des 10-Prozent-Ziels. Nach den Vorstellungen der Länder gehören unter anderem der Ausbau des
Ganztagsangebots an Schulen und die Schulsozialarbeit
an Ganztagsschulen im Rahmen der Kinder- und Jugendhilfe zum Bündel der Maßnahmen, die sie in eigener Zuständigkeit umsetzen wollen.
Am 10. Juni 2010 wird die Bundeskanzlerin mit den
Regierungschefs der Länder über sämtliche der vorliegenden Vorschläge ergebnisoffen beraten. Deshalb kann
dem hier nicht vorgegriffen werden.
Keine weitere Zusatzfrage? - Kollege Rossmann hat
um das Wort gebeten.
Herr Staatssekretär, das, was die Regierung jetzt weiterführt, ist im Vergleich zu den 4 Milliarden Euro, die
unter Gerhard Schröder und Edelgard Bulmahn in die
deutsche Schullandschaft investiert worden sind, wenig.
Deshalb frage ich Sie als Vertreter der Bundesregierung:
Geben Sie sich mit dem bisher erreichten Stand beim
Ausbauprogramm für Ganztagsschulen zufrieden? Welche besonderen Anstrengungen wollen Sie unternehmen,
um das Ausbauprogramm und die Förderung der Qualität von Ganztagsschulen deutlich zu verstärken, oder
will die Bundesregierung kein besonderes bundespolitische Interesse und Engagement bei dieser Frage zeigen?
Lieber Herr Kollege Rossmann, von den verausgabten 4 Milliarden Euro haben 7 200 Schulen profitiert.
Mit dem Ganztagsschulprogramm wurde in die Bausubstanz der Schulen investiert, und dies wirkt fort. Dass
darüber auf der Konferenz am 10. Juni dieses Jahres diskutiert wird, macht deutlich, dass dieses Thema durchaus wichtig ist. Die Ganztagsschulen in Deutschland
müssen weiter ausgebaut werden. Die Frage, wer sich
dabei in welchem Rahmen engagiert, ist Gegenstand dieses Gipfels, dessen Ergebnissen ich nicht vorgreifen
möchte.
({0})
Wie ich sehe, hat Kollege Schulz meine Anregung
aufgegriffen, sich zu dieser Frage zu Wort zu melden. Bitte schön.
Dabei hätte ich zu dem anderen Thema vorhin auch
noch Fragen gehabt.
Ich glaube es Ihnen aufs Wort.
Herr Staatssekretär, Sie sagten, Sie wollten den Ergebnissen der Konferenz der Regierungschefs der Länder am 10. Juni nicht vorgreifen. Gehe ich denn recht in
der Annahme, dass die Bundesregierung anstrebt, mit
den Ländern konkrete Bund-Länder-Programme für eine
bessere Bildung zu vereinbaren und durchzuführen, anstatt einfach nur der Forderung der Länder nach höheren
Umsatzsteueranteilen nachzukommen?
Lieber Herr Kollege, die Bundesregierung wird auf
dieser Konferenz selbstverständlich eigene Vorschläge
zur Verbesserung des Bildungssystems in Deutschland
zur Beratung vorlegen.
({0})
Die Fachminister befinden sich darüber gerade in der
Abstimmung.
Ich rufe nun die Frage 7 der Kollegin Burchardt auf:
Auf welche Weise bzw. aus welchem Titel in welcher
Höhe will die Bundesregierung ihre Finanzzusagen von der
Gemeinsamen Wissenschaftskonferenz vom 22. März 2010
einlösen, in den Jahren 2011 bis 2013 den Mehrbedarf für zusätzliche Studienanfänger aus dem Hochschulpakt I zu decken?
Nun erhebt sich tatsächlich der Kollege Rachel, der
diese Frage vermutlich für die Bundesregierung beantwortet. - Bitte schön.
Herr Präsident! Sehr geehrte Frau Kollegin
Burchardt, laut den uns vorliegenden Zahlen sind im
Vergleich zum Jahr 2005 in den Jahren 2007 bis 2009
bereits rund 102 000 zusätzliche Studienanfänger zu verzeichnen. Damit ist die angepeilte Zielmarke für diesen
Zeitraum bereits um 37 600 übertroffen. Ich denke, man
darf sagen: Dieser Zuwachs ist ein großer Erfolg des
Hochschulpaktes; darüber freuen wir uns sehr.
Bund und Länder haben sich in der Vereinbarung über
die zweite Programmphase verpflichtet, auch die Zahl
der zusätzlichen Studienanfänger, die die für die erste
Programmphase ursprünglich angenommene Gesamtzahl von damals 91 370 überschreitet, in die Abrechnung
einzubeziehen. Über die Ausgestaltung wird in weiteren
Erörterungen zwischen Bund und Ländern sowie in den
Verhandlungen zur Aufstellung des Bundeshaushaltes
2011 zu befinden sein.
Bitte schön.
Herr Kollege, wir freuen uns natürlich alle gemeinsam - ich denke: fraktionsübergreifend - über diesen
wirklich großen Erfolg des Hochschulpaktes, der durch
das Engagement der SPD-Bundestagsfraktion im Rahmen der Föderalismusreform I ermöglicht wurde. Damals haben wir durch die Änderung des Art. 91 b des
Grundgesetzes dafür gesorgt, dass sich der Bund erstmals an der Finanzierung der Lehre beteiligen kann. Insofern begrüßen wir, dass die Große Koalition die Aktivitäten der rot-grünen Koalition fortgesetzt hat und auch
diese Bundesregierung dies tun will.
Angesichts des Umstandes, den Sie gerade beschrieben
haben, dass der Mehrbedarf aus dem Hochschulpakt I vermutlich durch Mittel aus dem Hochschulpakt II zu decken sein wird, frage ich Sie, ob die Mittel aus dem
Hochschulpakt I auf die mit den Ländern verabredeten
Mittel aus dem Hochschulpakt II angerechnet werden.
Sehen Sie sich in der Lage, heute die Zusage zu geben,
dass die auf Basis der bisherigen Finanzierungsplanung
zugesicherte Anzahl neu einzurichtender Studienplätze
aus dem Hochschulpakt II eingehalten wird?
Frau Kollegin Burchardt, in meiner Antwort habe ich
gerade schon deutlich gemacht, dass wir zwischen Bund
und Ländern bereits Gespräche über die Aufwüchse führen, die noch über die Zielmarke hinausgegangen sind,
und dass es das Ziel ist, in den Verhandlungen zur Aufstellung des Bundeshaushalts 2011 hier eine entsprechende Umsetzung sicherzustellen.
Die Mittel für den Hochschulpakt werden im Haushalt in Kap. 3003 Tit. 685 05, Hochschulpakt 2020, veranschlagt.
Wir gehen davon aus, dass wir das Gesamtziel beim
Hochschulpakt II mit der Zahlenvorgabe von 275 000
neuen Studienplätzen in der nächsten Phase umsetzen.
Wir werden uns in einer kollegialen Art darum bemühen,
mit den Ländern hier zu einer entsprechenden Verständigung zu kommen; denn wir sind durchaus der Auffassung, dass der gerade von Frau Bundesbildungsministerin Professor Schavan stark geprägte Hochschulpakt I im
Sinne eines gemeinsamen nationalen Zusammenwirkens
zwischen Bund und Ländern in Deutschland insgesamt
ein großer Erfolg ist.
Wir gehen offensichtlich gemeinsam davon aus, dass
noch ein Mehrbedarf für den Hochschulpakt II gegeben
sein wird.
Wie bewertet die Bundesregierung vor diesem Hintergrund die Ankündigung der hessischen Landesregierung, die von dieser Landesregierung den eigenen Hochschulen zugesagten Mittel für den zusätzlichen Ausbau
der Studienplätze entgegen den Versprechungen um
30 Millionen Euro kürzen zu wollen?
Die von Ihnen angesprochene Äußerung aus Hessen
ist mir nicht bekannt. Deswegen kann ich sie auch nicht
kommentieren.
Was die Frage eines Mehrbedarfs betrifft, ist Folgendes festzustellen: Wir werden dies zeitig Stück für Stück
betrachten. Insofern nehmen wir jetzt auch keine Prognosen für die Jahre 2016/2017 vor. Vielmehr haben wir
einen Zeitplan, der sich auf den Hochschulpakt I bezieht.
Diesen haben wir mit bereits umgesetzten neuen Studienplätzen erfreulicherweise übererfüllt. Für die sich
daran anschließenden Jahre haben wir einen Zeitplan
und einen Mengenbedarf, der auf der KMK-Prognose
basiert. Das ist die Grundlage. Alles andere wird sich in
den nächsten Jahren zeigen.
Ich rufe die Frage 8, ebenfalls von der Kollegin
Burchardt, auf:
Welchen Beitrag soll nach Auffassung der Bundesregierung das nationale Stipendienprogramm zur Überwindung der
sozialen Benachteiligung von Studierenden aus bildungsfernen Familien leisten?
Liebe Frau Kollegin Burchardt, die Stipendien des nationalen Stipendienprogramms sollen dezentral und
gleichmäßig über alle Hochschulen vergeben werden. In
der Endausbaustufe sollen 8 Prozent der Studierenden
jeder Hochschule ein Stipendium erhalten, also auch der
Fachhochschulen, die bei den Begabtenförderungswerken bisher ja unterrepräsentiert sind und deren Studierende überproportional häufig einen nichtakademischen
familiären Hintergrund haben.
Bei der Auswahl der Stipendiatinnen und Stipendiaten sollen neben den bisher erbrachten Leistungen und
dem persönlichen Werdegang auch das gesellschaftliche
Engagement, die Bereitschaft, Verantwortung zu übernehmen, oder besondere soziale, familiäre oder persönliche Umstände berücksichtigt werden können, die sich
beispielsweise aus der familiären Herkunft oder einem
Migrationshintergrund ergeben. Dies ist in § 3 des von
der Bundesregierung vorgelegten Gesetzentwurfs enthalten.
Da die Stipendien des nationalen Stipendienprogramms nicht auf das BAföG angerechnet werden, können begabte Studierende aus einkommensschwachen Familien das Stipendium zusätzlich zu einer bestehenden
BAföG-Unterstützung erhalten. Insofern ist es mithilfe
des Stipendienprogramms möglich, dass zusätzlich zu
einer Vollförderung mit BAföG von 670 Euro für benachteiligte Studierende bei entsprechender Stipendienvergabe noch eine Förderung von 300 Euro erfolgt. Damit ergeben sich 970 Euro, ein in der Tat sehr hoher
Förderbetrag, wie es ihn bisher in der Bundesrepublik
noch nicht gegeben hat.
Ist der Bundesregierung, speziell dem BMBF, die eigene Widersprüchlichkeit bekannt, die in der aktuellen
Debatte an zwei Punkten deutlich wird? Erstens sagen
Sie, die Stipendien sollten unter verschiedenen Kriterien
gleichmäßig verteilt werden. Die Ministerin hat heute im
Rahmen der Befragung der Bundesregierung erklärt,
dass die Bundesregierung darauf überhaupt keinen Einfluss hat, weil die Hochschulen selbst die Stipendien anwerben. Insofern scheint dort ein gewisser Widerspruch
zu bestehen.
Zweitens - darum ging es in meiner ursprünglichen
Frage, und ich sehe diesen Punkt noch nicht beantwortet -:
Die Ministerin und auch Sie haben gesagt, dass das Stipendienprogramm zum Abbau von Bildungsbarrieren
beitragen soll. Wir wissen - wir haben uns im Ausschuss
intensiv mit den entsprechenden Studien befasst -, dass
diejenigen, die zwar eine Hochschulzugangsberechtigung erworben haben, sich aber dagegen entschieden
haben, ein Studium aufzunehmen, als größte Hürde finanzielle Gründe, die Angst vor einer übergroßen Verschuldung angegeben haben. Wie kann diesen jungen
Menschen durch das nationale Stipendienprogramm geholfen werden, bei dem die Beantragung eines Stipendiums erst dann möglich ist, wenn man bereits im ersten
Semester eingeschrieben ist?
Liebe Frau Kollegin Burchardt, das nationale Stipendienprogramm bietet an dieser Stelle ganz hervorragende Möglichkeiten. Die Aussicht darauf, im Rahmen
des Studiums zusätzlich ein Stipendium erwerben zu
können, mindert die Ängste, ein Studium aufzunehmen
oder sich zum Studium in eine Stadt zu begeben, in der
die Lebenshaltungskosten höher sind. Mit Blick auf die
finanziellen Sorgen von BAföG-Beziehern oder NichtBAföG-Beziehern kann man doch auf jeden Fall sagen:
Stipendien sind eine Chance, zusätzliche Unterstützung
zu bekommen. Stipendien erlauben es, davon abzusehen,
parallel zum Studium einer Berufstätigkeit nachzugehen,
und die Energie voll auf das Studium zu verwenden.
Diese Stipendien haben zusätzlich den Effekt, dass wir
privates Kapital in die Bildungsfinanzierung einbeziehen.
Bei der Förderung von Studierenden, die aus sozial
benachteiligten Schichten kommen, sind wir schon ausgesprochen erfolgreich: Während die Anzahl der Studierenden in Deutschland allgemein zunimmt, steigt der
Anteil der Studierenden, die aus einkommensschwachen
Schichten kommen, sogar überproportional. Die Bundesregierung hat sich des von Ihnen angesprochenen
Problems mit dem Stipendienprogramm, aber auch mit
vielen anderen Maßnahmen angenommen und ist dabei,
es in eine positive Richtung zu verändern.
Ich komme zurück auf meine eigentliche Frage: Inwieweit hilft dieses Programm jemandem, der sich aus
Sorge vor übermäßiger Verschuldung, aus Sorge, ein
Studium finanziell nicht stemmen zu können, dagegen
entscheidet, ein Studium aufzunehmen? Wenn man, um
ein Stipendium beantragen zu können, bereits im ersten
Semester eingeschrieben sein muss, ist das dann nicht
eine Art Lotteriespiel? Es wird doch nur für einen minimalen Prozentsatz der Studierenden ein Stipendium zur
Verfügung stehen. Dieser Prozentsatz ist noch nicht einmal berechenbar; denn ein potenzieller Studienbewerber
kann überhaupt nicht wissen, in welchen Bereichen die
Hochschule Mittel einwirbt, sprich: für welche Fächer
Stipendiengeber auftreten. Das hat nicht den Hauch von
Verlässlichkeit, ist also nicht geeignet, die Barrieren, die
ich beschrieben habe und die wissenschaftlich belegt
sind, abzubauen.
Sehr geehrte Frau Kollegin, ich könnte Ihre Argumentation nachvollziehen, wenn im Gegenzug zum Aufbau des nationalen Stipendienprogramms das BAföG abgeschafft würde. Doch das Gegenteil ist der Fall: Die
Bundesregierung hat beschlossen, die Höhe des BAföG
und die Höhe der Freibeträge anzuheben. Jemand, dem
überhaupt keine finanzielle Unterstützung zur Verfügung
steht, bekommt in Zukunft monatlich 670 Euro BAföG.
Eine substanzielle materielle Hürde für die Aufnahme
eines Studiums ist daher aus unserer Sicht nicht gegeben. Bei dem Stipendienprogramm geht es um ergänzende finanzielle Leistungen.
Die SPD war längere Zeit Teil der Bundesregierung
und hat an mehreren BAföG-Erhöhungen mitgewirkt.
Ich hatte nicht den Eindruck, dass die SPD in der Vergangenheit davon ausgegangen ist, dass die Höhe des
BAföG nicht ausreicht, um ein Studium aufzunehmen.
Das BAföG ermöglicht das sehr wohl. Das nationale Stipendienprogramm ergänzt die Studienfinanzierung in
Deutschland um die von mir umrissenen Punkte.
Kollege Röspel.
Lieber Kollege Braun, wie bewertet die Bundesregierung die allgemeine Lebenserfahrung, dass - die
Ergebnisse wissenschaftlicher Studien belegen dies Stipendien gerade denen zugutekommen, die aus Akademikerfamilien kommen, weniger aber denen, die aus Arbeiterfamilien kommen und über weniger Einkommen
verfügen als ein Staatssekretär oder ein Bundestagsabgeordneter? Wie stellen Sie tatsächlich und konkret sicher,
dass diese soziale Ungerechtigkeit in unserem Land über
das Stipendiensystem, das Sie planen, nicht noch weiter
verfestigt wird?
Lieber Herr Kollege Röspel, ich glaube, durch den
von mir zitierten § 3 des Gesetzentwurfes wird klar, dass
bei der Vergabe von Stipendien neben der Leistung und
Begabung gerade auch die Aspekte Migrationshintergrund, familiärer Hintergrund, besondere Situationen
und soziale Lage berücksichtigt werden sollen. Ich
glaube, durch dieses Stipendienprogramm, das in seiner
Art neu ist, sind wir sehr gut in der Lage, gezielt Angebote gerade für diese Klientel zu machen.
Das Stipendienprogramm soll einer Evaluationsphase
von drei Jahren unterliegen. Ich denke in der Vorabeinschätzung, dass wir mit diesem Stipendienprogramm,
das den dezidierten Ansatz hat, dass auch Benachteiligungen, familiäre Probleme und ein etwaiger Migrationshintergrund explizit berücksichtigt werden, in der
Lage sind, das Problem eben nicht zu verfestigen, sondern möglicherweise sogar aufzulösen.
Wenn sich im Rahmen der Evaluation etwas anderes
herausstellt, dann muss politisch darauf reagiert werden.
Ich glaube aber nicht, dass das, was Sie hier sagen, in der
Konzeption unseres Stipendienprogramms angelegt ist.
Insofern plädiere ich eindringlich dafür, es in der jetzigen Form in die Realität umzusetzen und dann zu
schauen, welche Wirkungen sich hinsichtlich der Stipendien entfalten.
Klar ist, dass wir uns mit diesem Stipendienprogramm hinsichtlich der Frage, wer die Stipendiengeber
sind, an die gesamte Zivilgesellschaft richten, also nicht
nur zum Beispiel an Stipendiengeber aus der Wirtschaft;
vielmehr haben auch und gerade karitative Organisationen, Stiftungen und andere Institutionen, die sich mit der
Überwindung von Bildungsbenachteiligungen beschäftigen, die Chance, als Stipendiengeber aufzutreten und damit einen aktiven Beitrag - ergänzt um die Finanzierung
von Bund und Ländern - zur Beseitigung von Bildungsbenachteiligungen zu leisten.
Kollege Schulz.
Herr Staatssekretär, Sie sind in Ihrer Beantwortung
von kritischen Fragen jetzt mehrfach auf den § 3 des Gesetzentwurfs zu sprechen gekommen. Dort stehen die
Auswahlkriterien. Danach werden die Stipendien nach
Begabung und Leistung vergeben. Daneben sollen Kriterien wie gesellschaftliches Engagement, soziale, familiäre, persönliche Umstände, familiäre Herkunft oder
Migrationshintergrund in die Entscheidung, wer ein Stipendium erhält, mit einbezogen werden. Damit wollen
Sie sagen, dass das Ganze sozial ausgewogen ist und
dass der soziale Aspekt berücksichtigt wird.
Ich frage deswegen: Wie verbindlich ist denn diese
Vorschrift, die von der Bundesregierung in dem Gesetzentwurf vorgeschlagen wird, und wie stellt die Bundesregierung sicher, dass die einzelnen Hochschulen tatsächlich anhand solcher Auswahlkriterien auswählen?
Lieber Herr Kollege Schulz, ein Ziel, das mit diesem
Stipendienprogramm verbunden ist, besteht darin, die
Eigenständigkeit der Hochschulen sehr stark zu unterstützen. Deshalb ist dies nicht das Stipendienprogramm
der Bundesregierung, sondern es ist ein nationales Stipendienprogramm, bei dem der Bund, die Länder und
die Zivilgesellschaft anteilig finanzieren.
Es ist auch vorgesehen, dass die Stipendiengeber und
die Hochschulen, die die Auswahl zu treffen haben, die
Kompetenzen bekommen, die sie benötigen, um das entscheiden zu können. Leistung und Begabung sind bei
diesem Stipendienprogramm sozusagen die Grundvoraussetzung. Dies ist in § 3 Satz 1 des Gesetzentwurfs
verankert. Die weiteren Kriterien, die Sie eben richtig zitiert haben, stehen in § 3 Satz 2 des Gesetzentwurfs. Damit sollen darüber hinaus die sozialen Aspekte gemäß
dem Wunsch des Gesetzgebers berücksichtigt werden.
In welchem Umfang das geschieht, hängt sehr stark
mit der Rolle der Hochschulen und deren eigenverantwortlicher Entscheidung und mit der Rolle der Stipendiengeber zusammen. Dort, wo es solche Stipendienprogramme schon gibt, zum Beispiel in NordrheinWestfalen, sieht man, dass ein ganz erheblicher Anteil
der Stipendien gar nicht aus dem Bereich der Wirtschaft,
sondern aus dem Bereich der Verbände und Stiftungen
und aus dem sozial engagierten Teil der Zivilgesellschaft
kommt. Insofern bin ich sehr zuversichtlich, dass das gelingt und durch die Freiheit, die dieses Stipendienprogramm bietet, realisiert werden kann.
Kollege Rossmann.
Herr Staatssekretär, in welcher Weise identifizieren
Sie das Hauptproblem in der Ansprache von Familien in
finanziellen Grenzbereichen, das wir über eine moderne
und rechtssichere Förderung erfassen müssten? Ist es
nicht so, dass vor allen Dingen Familien der unteren und
mittleren Mittelschicht, die nicht über zwei volle Einkommen verfügen, in denen es mehrere Kinder gibt, die
studieren wollen, erleben, dass die Kinder nicht in die
BAföG-Förderung fallen, die sie aber bräuchten, um
eine sichere Entscheidung für ein Studium treffen zu
können? Liegt es nicht viel näher, sich diesen Familien
mit Blick auf ihre Bildungsentscheidung mit einem klaren Rechtsanspruch innerhalb eines modernen BAföGSystems zuzuwenden, als zu dem System des 19. Jahrhunderts mit seinem Lotterieprinzip - früher hieß es Dotationssystem - zurückzukehren? Weshalb versagt sich
die Bundesregierung diesem modernen Ansatz, die untere und mittlere Mittelschicht rechtlich klar zu fördern
und damit Bildungssicherheit zu bieten?
Sehr geehrter Herr Kollege Rossmann, genau das tut
die Bundesregierung nicht; denn sie versetzt mit der Erhöhung des BAföG und der Anhebung der Freigrenzen
eine sehr breite Bevölkerungsschicht in die Lage, ein
Studium aufzunehmen. Ich habe schon darauf hingewiesen, dass der Anteil derjenigen aus bildungsfernen
Schichten, die ein Studium aufnehmen, deutlich angestiegen ist. Das ist ein Erfolg der vergangenen BAföGNovelle, aber auch der Hochschulpolitik der Bundesregierung. Wir sind damit auf einem guten Weg.
Auch Sie argumentieren so, als wäre das nationale
Stipendienprogramm ein Ersatz für das BAföG, und lassen dabei außer Acht, dass die Bundesregierung vorweisen kann, dass der Anteil Bildungsbenachteiligter an den
Hochschulen gegenwärtig steigt. Wir sind also bei der
Bewältigung des Problems mit den Instrumenten, die
uns zur Verfügung stehen, auf einem sehr guten Weg.
Das nationale Stipendienprogramm ist ein neuer Weg
in der Bildungsfinanzierung, der eine gezielte Förderung
vorsieht, die unabhängig vom Elternhaus erfolgt. Er berücksichtigt die besonderen Lebenslagen, in denen sich
Studierende jeweils befinden. Damit ist es ein Finanzierungsprogramm, das sich sehr individuell auf die Lage
des Studierenden bezieht statt wie die bisherigen Systeme allein auf die finanzielle Lage des Elternhauses.
({0})
Frau Kollegin Alpers.
Herr Staatssekretär, ich verstehe einen Punkt nicht.
Heute Nachmittag haben wir schon von der Bildungsministerin gehört, dass das Stipendienprogramm nicht an
die soziale Herkunft gekoppelt ist. Sie hat zweimal betont, dass sich das neue Stipendienprogramm für soziale
Gerechtigkeit einsetzt. Dafür machen Sie Werbung, auch
heute Abend. Sie führen immer wieder aus - das ist auch
sinnvoll -, dass Sie einen vorhandenen Migrationshintergrund, die persönlichen Umstände, soziale Aktivitäten
und vielfältige Punkte berücksichtigen und mit einbeziehen werden.
Wenn es aber darum geht, welchen Einfluss die Bundesregierung darauf hat, dass dies mit einem großen Prozentsatz umgesetzt wird, sagen Sie, dass es kein Programm der Bundesregierung ist und dass Sie keinen
Einfluss darauf haben. Das verstehe ich nicht. Sie benutzen es als Werbung, haben aber keinen Einfluss darauf.
Sie haben gesagt, dass die Stipendiengeber in Nordrhein-Westfalen schon auf entsprechende Auswahlkriterien achten werden. Ich kenne etliche Stipendiengeber
und weiß, dass es sich tatsächlich eingebürgert hat, das
zu machen, aber nur zu höchstens 5 Prozent.
Frau Kollegin.
Noch einen Satz. Ich komme sofort zum Schluss.
Keine Regierungserklärung.
Nein.
({0})
Die Frage ist, wie es dazu kommt. Wenn Sie dafür
Werbung machen, dann haben Sie als Regierung auch
dafür zu sorgen, dass die sozialen Punkte tatsächlich in
den Vordergrund treten. Wie wollen Sie dabei Ihre Verantwortung durchsetzen?
Sehr geehrte Frau Kollegin, ich glaube, Sie unterschätzen die Hochschulen und diese Zivilgesellschaft.
Ich bin fest davon überzeugt, dass ein solches Instrument
in der Breite der Gesellschaft ankommen wird und dass
wir ein vielfältiges Portfolio an verschiedenen Stipendiengrundlagen bekommen werden. Die kategorische
Angst von Ihrer Seite, die sozialen Belange, die ja im
Gesetz explizit erwünscht werden, würden am Ende vernachlässigt werden, kann ich nicht nachvollziehen.
Gleichwohl beinhaltet dieses Gesetz zwei Dinge, die
ich zu Ihrer Beruhigung noch anfügen möchte: Das Erste
ist die Evaluationsphase von drei Jahren. Das Zweite ist
die Möglichkeit, die sich die Bundesregierung für den
Fall vorbehält, dass es bei diesem Stipendienprogramm
im Vollzug zu Ungleichgewichten kommen sollte, nämlich in einer Rechtsverordnung noch weitere Details über
das hinaus zu regeln, was momentan im Gesetz steht.
Klar ist aber, dass wir - das ist die Absicht dieser Bundesregierung - nach Möglichkeit zunächst nicht ein Regelwerk aufstellen wollen, das die Hochschulen sehr
stark in ihrer Freiheit und ihren Möglichkeiten, dieses
Stipendienprogramm inhaltlich auszufüllen, beschneidet. Vielmehr wollen wir zunächst in Freiheit und Eigenverantwortung ein solches Stipendienprogramm auf den
Weg bringen, weil die Menschen und diejenigen, die
sich in dieser Zivilgesellschaft für Bildung engagieren
und ein solches Stipendiensystem an den Hochschulen
aufbauen oder als Stipendiengeber auftreten, sehr wohl
wissen und entscheiden können, was gesellschaftliche
Notwendigkeiten sind.
Ich rufe nun die Frage 9 der Kollegin Marianne
Schieder auf:
Wie bewertet die Bundesregierung die wachsende Kritik
an dem geplanten Stipendiengesetz von Studierenden, Hochschulen und aus der Wirtschaft gerade im Hinblick darauf, das
diese drei Gruppen die Träger des Stipendiensystems darstellen sollen?
Darf ich vielleicht darauf aufmerksam machen, dass
mit Blick auf andere Geschäftsbereiche vielleicht auch
Berücksichtigung finden sollte, dass die hier diskutierten
Fragen vorhin schon einmal Gegenstand einer ähnlichen
Befragung im Rahmen der Berichterstattung der Bundesregierung waren?
({0})
Herr Präsident, vielleicht kommt es Ihnen entgegen,
wenn ich die Fragen 9 und 10 im Zusammenhang beantworte.
Dann rufe ich auch gleich noch die Frage 10 auf:
Wie will die Bundesregierung sicherstellen, dass die Stipendienvergabe regional, fachlich und sozial ausgewogen erfolgt und die empirisch zuletzt von der Hochschul-Informations-System GmbH bestätigte soziale Selektivität bisheriger
Stipendienangebote nicht reproduziert?
Von den Studierenden, Frau Kollegin, wird das Stipendienprogramm teilweise begrüßt. Andere sprechen
sich dagegen für einen weiteren Ausbau des BAföG aus.
Wie ich heute schon betont habe, macht die Bundesregierung genau beides: Wir führen ein Stipendiensystem
ein und weiten die Freibeträge und Bedarfssätze des
BAföG aus. Insofern haben wir etwas getan, was, denke
ich, die Interessen beider Gruppierungen der Studierenden trifft.
Dass es Kritik aus den Hochschulen geben soll, kann
die Bundesregierung so nicht nachvollziehen. Wir haben
im Rahmen der Entwicklung dieses nationalen Stipendienprogramms viele Gespräche geführt, und seitens der
Hochschulen werden nach dem, was wir gesehen haben,
solche neuen Möglichkeiten dezidiert begrüßt. Insbesondere die Fachhochschulen haben ein sehr großes Interesse an dem geäußert, was wir hier tun, weil sie sich erhoffen, dass sie in diesem Zusammenhang einen höheren
Anteil an Stipendien durch ihre Nähe zu möglichen Stipendiengebern haben werden, da sie bei den bisherigen
Begabtenförderungswerken nicht so stark repräsentiert
sind. Der anfänglichen Sorge mancher Hochschulen,
möglicherweise nur einen geringeren Anteil an Stipendien generieren zu können, ist in dem Gesetzentwurf dadurch Rechnung getragen worden, dass wir die Quote
von 8 Prozent der Studierenden hochschulbezogen festgelegt haben.
Auch sind wir mit den Verbänden der Wirtschaft im
Vorfeld der Errichtung dieses Stipendienprogramms sehr
intensiv im Gespräch gewesen. Hier war von vielen Seiten die Frage aufgeworfen worden, inwiefern dieses
neue Stipendienprogramm eine Konkurrenzsituation zu
bestehenden Initiativen der Wirtschaft darstellen werde.
Nach Vorlage unserer Gedanken haben wir auch aus der
Wirtschaft durch die Bank positive Reaktionen auf diese
neue Form der Studienfinanzierung erhalten.
({0})
Bitte schön, eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, ist Ihnen denn bekannt, dass sich
zu diesen Kritikern auch ganz prominente Vertreter Ihrer
eigenen Regierungsfraktion gesellen, zum Beispiel der
bildungspolitische Sprecher der CDU/CSU, Albert
Rupprecht? Das ist in der Berichterstattung des Neuen
Tags, Weiden, vor einigen Wochen über eine bildungspolitische Veranstaltung nachzulesen, in der ganz deutlich steht, dass er dieses Stipendienprogramm ablehnt.
Haben Sie intern schon darüber gesprochen, oder wollen
Sie uns das nicht sagen?
Sehr geehrte Frau Kollegin, mit dem bildungs- und
forschungspolitischen Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion Albert Rupprecht sind wir über dieses nationale Stipendienprogramm selbstverständlich im ständigen Gespräch. Den Eindruck, den Sie hier vermitteln,
nämlich dass er es ablehnen würde, kann ich aufgrund
der zahlreichen Gespräche, die ich mit ihm geführt habe,
nicht bestätigen.
Dann muss das ja ein falscher Fuffziger sein.
Nächste Zusatzfrage.
Dann sollte er vor Ort etwas anderes sagen.
Ich habe eine Frage zum Thema Hochschulen. Wir
haben heute schon einmal darüber gesprochen, aber
keine befriedigenden Antworten bekommen. Die Hochschulen befürchten, dass ihnen durch das Verwaltungsverfahren, das für die Umsetzung des nationalen Stipendienprogramms notwendig ist, erhebliche Kosten
entstehen werden. Wie soll dabei eine Entlastung herauskommen?
Liebe Frau Kollegin, die Durchführung des Stipendienprogramms obliegt den Hochschulen. Insofern sind
die administrativen Aufgaben dort angesiedelt. Natürlich
haben wir ein großes Interesse daran, dass dieses nationale Stipendienprogramm ein Erfolg wird. Die Kritik ist
an dieser Stelle teilweise etwas schwer nachzuvollziehen. Auf der einen Seite wird gesagt, wir würden es nie
schaffen, eine so große Zahl von Stipendien zu gewinnen; auf der anderen Seite macht man sich aber, schon
bevor das erste Stipendium überhaupt vergeben ist, Gedanken darüber, einen vollflächigen Verwaltungsapparat
organisieren zu müssen.
Ich denke, man muss erst einmal beginnen. Die Bundesregierung gibt das klare Signal, dass sie die Stipendienvergabe selbstverständlich im Blick behält. Wir wollen, dass das ein Erfolg wird. Wir wollen, dass die
Administration gut und erfolgreich ist und dass die Stipendienvergabe sowohl für die Stipendiennehmer als
auch für die Stipendiengeber und die Hochschulen leicht
und unbürokratisch durchführbar wird. Wenn es zu erhöhten Aufwendungen kommt, dann ist die Bundesregierung zu Gesprächen darüber bereit. Da primär die
Länder Ansprechpartner sind, kann so ein Thema auch
Gegenstand zum Beispiel des Gipfels sein, der im Juni
stattfinden wird.
Haben Sie noch weitere Zusatzfragen?
Ich habe eine Zusatzfrage zur Frage 10. - Herr Staatssekretär, ich finde, dass Sie nicht beantwortet haben, wie
Sie sicherstellen wollen, dass die Stipendienvergabe regional, fachlich und sozial ausgewogen erfolgt und sich
eben nicht die hohe soziale Selektivität fortsetzt.
Frau Kollegin, sehen Sie mir nach, dass ich den Eindruck habe, dass wir schon eine ganze Weile über die
mögliche bzw. nichtvorhandene soziale Selektivität des
Programms gesprochen haben. Was die regionale Verteilung angeht, habe ich deutlich gemacht, dass wir eine
hochschulbezogene Quote festgelegt haben. Das heißt,
es ist nicht möglich, dass sich alle Stipendien dieses nationalen Stipendienprogramms in irgendeiner Region
Deutschlands ballen; denn jede Hochschule soll in die
Lage versetzt werden, 8 Prozent ihrer Studierenden ein
solches Stipendium zu ermöglichen. Eine absolute regionale Gleichverteilung ist im Grunde genommen sichergestellt.
Was die soziale Selektivität betrifft, so verweise ich
noch einmal auf den von mir mehrfach zitierten § 3, in
dem die Vorgabe enthalten ist, dass neben den Kriterien
Leistung und Begabung, die dezidiert nicht nur an Noten
festgemacht werden sollen, auch die weiteren sozialen,
familiären und migrationsbedingten Faktoren Berücksichtigung finden sollen.
Das heißt, ich interpretiere Sie richtig, wenn ich sage,
dass Sie nicht sicherstellen, sondern nach der Devise
„Schauen wir einmal, dann sehen wir schon“ handeln?
Nein, ich glaube, dass dieser § 3 das sicherstellt.
Nun hat die Kollegin Burchardt das Wort.
Herr Kollege, wir können dem Kabinettsbeschluss
entnehmen, dass das Projekt des nationalen Stipendienprogramms die Konzeptionsphase schon verlassen hat.
Das kann ich bestätigen.
Das müssen wir doch einmal würdigen. - In die Vorlage haben auch kalkulatorische Überlegungen Eingang
gefunden. Gehen Sie nicht mit mir davon aus, dass die
Zahlen, die auf dem Papier stehen, möglicherweise nicht
ganz real sind, sowohl was die veranschlagten Kosten,
den Mittelaufwand, für die Stipendien als auch was den
Anteil der öffentlichen und privaten Finanzierung eines
Stipendiums angeht? Das sage ich vor dem Hintergrund,
dass die Stipendien - ich gehe davon aus, das ist ähnlich
wie in Nordrhein-Westfalen - steuerlich absetzbar sind.
Das verändert zum einen die Anteile öffentlicher und
privater Stipendiengeber; denn wenn man die Finanzierung von Stipendien steuerlich absetzen kann, bekommen Stipendiengeber sozusagen noch etwas heraus oder
zahlen zumindest weniger Steuern; für den Bundeshaushalt ist das letztendlich aber das Gleiche. Wie hoch veranschlagen Sie die Steuerausfälle - Sie haben das sicherlich durchgerechnet -, die dem Bundeshaushalt durch
die steuerlichen Absetzbarkeit erwachsen?
Liebe Frau Kollegin, die Zahlen, die wir da zugrunde
legen, halten wir schon für realistisch.
Zur Frage, wie hoch der Aufwuchs durch dieses Stipendienprogramm sowohl in finanzieller Hinsicht als
auch in Bezug auf die Anzahl der Stipendien ist: Wir haben festgelegt, dass die Obergrenze bei 8 Prozent liegt.
Wir möchten diese Grenze gerne schnell erreichen. Klar
ist aber auch: Wir haben momentan eine Quote, die unter
2 Prozent liegt; das hängt mit den Begabtenförderungswerken zusammen. Insofern werden wir schauen müssen, wie schnell sich eine viermal so hohe Quote erreichen lässt. Was die Stipendien kosten, kann man selber
ausrechnen. Im Gesetzentwurf ist ausgewiesen, wie sich
die Anteile der Finanzierung zusammensetzen. Der von
Ihnen angesprochene Steuertatbestand ist im Gesetzentwurf nicht ausgewiesen. Ich kann Ihnen dazu gerne eine
schriftliche Unterlage zukommen lassen.
Kollege Rossmann.
Herr Staatssekretär, im Gesetzentwurf und in der Begründung zum Gesetzentwurf ist wegen der Absetzbarkeit sehr wohl von steuerlichen Mehraufwendungen in
Höhe von 100 Millionen Euro die Rede. Diese Ausgaben
kommen auf den Bund und die Länder zu. Damit sollen
insgesamt 300 Millionen Euro aus öffentlichen Haushalten bereitgestellt werden. Faktisch wird damit nur ein
Sechstel privat finanziert, während drei Sechstel direkt
von Bund und Ländern und zwei Sechstel durch Steuerverluste der Bundes- und der Länderseite aufgebracht
werden, was entsprechend zu Buche schlägt. Halten Sie
das Verhältnis für angemessen, dass die privaten Geldgeber, die nur ein Sechstel finanzieren, faktisch über zwei
Drittel des von Ihnen ausgewiesenen Volumens mit verfügen können? Die öffentliche Hand gibt hingegen fünf
Sechstel der Mittel, belässt den Hochschulen aber nur
ein Drittel, mit dem sie selber über die Stipendien verfügen können. Der Staat zahlt und Private legen fest: Ist
das Ihre neue Form der modernen Zivilgesellschaft?
Sehr geehrter Herr Kollege, die von Ihnen vorgenommene Rechnung kann ich jetzt nicht umfassend bestätigen. Sie gehen nämlich davon aus, dass bei jedem möglichen Stipendiengeber die steuerliche Absetzbarkeit in
gleichem Umfang gegeben ist.
({0})
Ich habe bereits deutlich gemacht, dass die Gruppe der
Stipendiengeber sehr heterogen sein wird, dass es sich
hierbei nicht ausschließlich um Wirtschaftsvertreter oder
um steuerpflichtige Privatpersonen handelt, sondern
dass das Spektrum sehr breit sein wird. Insofern kann
man das Ganze sowieso nicht exakt beziffern, sondern
man kann es nur fallbezogen darstellen.
Was die Verfügungsgewalt über das Stipendium angeht, möchte ich deutlich machen: Natürlich liegt die
Verfügungsgewalt insgesamt bei der Hochschule. Derjenige, der quasi Stipendiengeber ist, hat keine Möglichkeit, über das Geld zu verfügen oder den Stipendiaten
auszuwählen. Nach unserem Gesetzentwurf ist es so,
dass der Stipendiengeber zwar die Möglichkeit hat, Kriterien festzulegen, aber nicht, den Stipendiaten auszuwählen. Das heißt, die Verfügenden über die Mittel sind
die Hochschulen.
({1})
Ich dachte, dass ich diese Wortmeldung zu dem Zeitpunkt, wo sie noch hätte notiert werden können, nicht
gesehen habe.
({0})
Ich verweise auf meine bereits vorhin vorgetragene
Empfehlung, zumal es einzelne Kollegen gibt, die möglicherweise noch die Hoffnung auf Auskünfte zu anderen Bereichen haben. Deswegen bitte ich um Nachsicht,
dass ich jetzt weiteren Zusatzfragen mit etwas größerer
Zurückhaltung als den Fragestellungen gegenübertrete.
Ich rufe jetzt die Frage 11 des Kollegen Rossmann
auf:
Welche Überlegungen haben die Bundesregierung geleitet, von den Berechnungen des Wissenschaftsrates, die für die
Verbesserung der Lehre an den Hochschulen mindestens
1 Milliarde Euro zusätzlich im Jahr ausweisen, abzusehen und
lediglich ein Fünftel des Volumens vorzusehen?
Herr Staatssekretär Rachel, bitte.
Herr Präsident, vielen Dank. - Lieber Herr Kollege
Dr. Rossmann, der Wissenschaftsrat weist in seinen
Empfehlungen zur Qualitätsverbesserung von Lehre und
Studium aus dem Juli 2008, auf die Sie sich beziehen,
darauf hin, dass die föderale Struktur der Bundesrepublik Deutschland die Verantwortung für eine substanzielle Verbesserung der Lehrsituation und der Studiensituation den Bundesländern zuweist. Zugleich empfiehlt
der Wissenschaftsrat, diese Aufgabe in gesamtstaatlicher
Verantwortung zu lösen.
Entsprechend dieser beschriebenen Verantwortung
hat die Bundesministerin, Frau Professor Schavan, den
Ländern ein gemeinsames Programm für bessere Studienbedingungen und mehr Qualität in der Lehre als
quasi dritte Säule des Hochschulpakts angeboten. Es
baut auf den bestehenden Maßnahmen von Ländern und
Hochschulen einerseits sowie auf dem Beitrag der ersten
Säule des Hochschulpakts für bessere Studienbedingungen andererseits auf.
Herr Staatssekretär, es ist ja bemerkenswert, dass der
Wissenschaftsrat einen Bedarf von rund 1 Milliarde
Euro jährlich vorgestellt hat - gut begründet - und auch
die Ministerin auf Milliarden Euro kommt. Aber die Ministerin kommt darauf, indem sie 200 Millionen Euro
mal zehn nimmt, während der Wissenschaftsrat „1 Milliarde Euro in einem Jahr“ sagt. Darf ich dem, was Sie
ausgeführt haben, entnehmen, dass die Bundesregierung
erwartet, dass die Länder auf die 200 Millionen Euro,
die der Bund jährlich einbringt, 800 Millionen Euro
obendrauf legen? Oder: Mit welcher Quote, was die
Bund-Länder-Finanzierung angeht, gehen Sie in die Verhandlungen auf der großen Bildungsratschlagsrunde am
10. Juni?
Diese Schlussfolgerung können Sie für sich persönlich ziehen, allerdings nicht für die Bundesregierung.
Wir haben vor, über die nähere Ausgestaltung der dritten
Säule des Hochschulpakts zwischen Bund und Ländern
intensiv zu verhandeln. Dabei ist klar, was auch der Wissenschaftsrat deutlich beschrieben hat, nämlich dass die
Verantwortung für die Lehrsituation an den Hochschulen
bei den Ländern liegt. Insofern ist es bemerkenswert,
dass sich der Bund hierbei trotzdem zusätzlich einbringt.
Wir werden das Gespräch mit den Ländern in der dafür
eigens vorgesehenen Gemeinsamen Wissenschaftskonferenz suchen, um zu erreichen, dass die Lehrsituation
an den Hochschulen deutlich verbessert werden kann.
Dabei ist klar, dass sich die Länder hier in ganz erheblichem Maß einbringen müssen.
Herr Staatssekretär, wenn das nur eine private
Schlussfolgerung ist, die ich daraus ziehen darf, muss
nach dem, was Sie gesagt haben, die Bundesregierung
die Schlussfolgerung ziehen, dass sie, wenn sie von den
Ländern nicht 800 Millionen Euro erwartet, selbst aber
nur 200 Millionen Euro geben will, den Betrag von
1 Milliarde Euro, den der Wissenschaftsrat jährlich für
notwendig hält, reduzieren muss. Meine Frage ist: Auf
welches Volumen reduzieren Sie den Bedarf? Bei dem,
was Sie bisher gesagt haben, gibt es ja nur die folgenden
Möglichkeiten: Entweder Sie müssen den Betrag von
200 Millionen Euro erhöhen, oder Sie müssen 800 Millionen Euro von den Ländern erwarten, oder Sie müssen
dem Wissenschaftsrat sagen, dass der Betrag von
1 Milliarde Euro, den er für notwendig hält, zu hoch bemessen ist und sachlich geboten nur 400 oder 500 Millionen Euro sind. Deshalb meine Frage, was sich die
Bundesregierung an der Stelle bei dem, was Sie für die
Bundesregierung bisher erklärt haben, gedacht hat oder
denkt.
Herr Kollege Dr. Rossmann, die Frage der finanziellen Volumina wird Gegenstand der Besprechungen zwischen Bund und Ländern in der Gemeinsamen Wissenschaftskonferenz sein. Die Bundesregierung ist initiativ
geworden und hat Vorschläge für eine dritte Säule des
Hochschulpakts zum Bereich der Lehre gemacht. Klar
ist, dass nach der föderalen Zuständigkeit hier vor allem
die Länder gefordert sind. Dies wird Gegenstand der
weiteren Besprechungen sein.
Ich rufe die Frage 12 auf, ebenfalls vom Kollegen
Dr. Rossmann:
Mit welchen konkreten Vorschlägen geht die Bundesregierung in die Beratungen mit den Ländern zur Konferenz der
Regierungschefs von Bund und Ländern am 10. Juni 2010,
um die notwendigen Nachbesserungen der Bologna-Reform
im Sinne besserer Studienbedingungen, einer besseren Studierbarkeit sowie einer einfacheren nationalen wie europäischen Mobilität zu unterstützen?
Es antwortet Herr Kollege Braun.
Lieber Herr Kollege Rossmann, die Bundesregierung
geht selbstverständlich mit konkreten Vorschlägen in die
Beratungen mit den Ländern zur Konferenz der Regierungschefs von Bund und Ländern am 10. Juni. Der vom
Kollegen Rachel eben schon angesprochene „Qualitätspakt Lehre“ ist ein Gegenstand. Darüber hinaus ist es natürlich die 23. BAföG-Novelle, in der auch auf die Besonderheiten des Bologna-Prozesses eingegangen wird.
Zum Beispiel sind wir dazu übergegangen, vorzuschlagen, dass im Interesse der Master-Studierenden in Zukunft eine Bezugsdauer bis zum 35. Lebensjahr ermöglicht wird. Ebenso ist Teil des Verhandlungspakets des
Bundes das nationale Stipendienprogramm.
Ich weiß Ihre Antwort zwar zu schätzen. Aber ich
glaube, dass auch bei weiteren Nachfragen nicht viel
mehr herauskommen wird. Mit Blick auf die noch verbleibende Zeit verzichte ich auf weitere Nachfragen, sodass der Kollege Brase noch die Chance hat, seine Fragen zur beruflichen Bildung zu stellen.
Wie schön.
({0})
- Ich mache darauf aufmerksam, dass Lust keine Kategorie in unserer Geschäftsordnung ist. Das kann ich allenfalls subjektiven Präferenzen zuordnen, die ich nicht
weiter kommentieren möchte.
({1})
Ich rufe die Frage 13 des Kollegen Brase auf:
Welche Konsequenzen zieht die Bundesregierung aus der
Tatsache, dass beim Hochschulpakt I allein Nordrhein-Westfalen die Zahl der zugesagten zusätzlichen Studierenden bisher bei weitem nicht erreicht hat, wohingegen andere Länder
ihre Zusagen sogar übererfüllt haben?
Bitte, Herr Kollege Rachel.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Herr Kollege Brase, in
Nordrhein-Westfalen wurden allein im Jahr 2009 über
10 000 zusätzliche Studienmöglichkeiten geschaffen.
Die Bundesregierung sieht angesichts der Tatsache, dass
der Hochschulpakt jetzt auch in Nordrhein-Westfalen
deutliche Wirkungen entfaltet und dass die bundesweit
angestrebten Ziele zudem bereits deutlich übererfüllt
worden sind, dass wir insgesamt auf einem guten Wege
sind.
Herr Staatssekretär, nach den Unterlagen, die uns in
den letzten Monaten von Ihrem Hause zugeleitet wurden, kann ich den Aufwuchs von 10 000 Plätzen in
Nordrhein-Westfalen nicht ganz nachvollziehen. Weil
wir also keine ausreichende schriftliche Erläuterung bekommen haben, wäre ich Ihnen dankbar, wenn Sie mir
das jetzt einmal genauer erklären könnten. Für Nordrhein-Westfalen, dieses schöne und wichtige Bundesland, ist das mit Blick auf die Bildungspolitik ein ganz
wesentlicher Punkt.
Sehr geehrter Herr Kollege Brase, es ist tatsächlich
so. Um es präzise zu sagen: Allein im Jahr 2009 sind
10 717 neue Studienanfänger in Nordrhein-Westfalen zu
verzeichnen. Nordrhein-Westfalen hat erhebliche Anstrengungen unternommen, um zusätzliche Studienplätze zur Verfügung zu stellen. Wie Ihnen vielleicht bekannt ist, werden in Nordrhein-Westfalen drei neue
Fachhochschulen gebaut. Acht bestehende Fachhochschulen werden ausgebaut. Dies sind wichtige Maßnahmen, die zur Schaffung von Tausenden zusätzlicher Studienplätze führen. Wir begrüßen diese Anstrengungen
außerordentlich. Man kann daran sehen, dass sich in der
Breite in Nordrhein-Westfalen Erhebliches bewegt.
Weitere Zusatzfrage? - Nein. Kollege Rossmann,
bitte.
Herr Staatssekretär, angesichts der Größe des Landes
Nordrhein-Westfalen und der großen Zahl von Studierenden ist es nicht damit getan, mit absoluten Zahlen zu
operieren, wie Sie es bei den Stipendienzahlen tun: Im
Falle Nordrhein-Westfalens entsprechen 1 000 Plätze einem Anteil von 0,2 Prozent.
Können Sie uns die Prozentzahlen bezogen auf die
Studienanfängerplätze nennen? Denn die 10 000 zusätzlichen Studienplätze für Nordrhein-Westfalen, die Sie
hier ankündigen, sind in Relation zu den 91 000 insgesamt geplanten Plätzen ein Neuntel. Aber NordrheinWestfalen hat mehr als ein Neuntel aller Studienplätze in
Deutschland. Daher ist das, was Sie uns hier eben vorgefügt haben, eine besonders elegante Form der Nichtdarlegung von wahren Sachverhalten. Nennen Sie also bitte
die Prozentzahlen für die einzelnen Bundesländer, damit
wir sehen können, was Sie bis jetzt in Bezug auf den
Hochschulpakt I umgesetzt haben.
Herr Kollege Rossmann, die Umrechnung überlasse
ich Ihren mathematischen Fähigkeiten. Das Land Nordrhein-Westfalen hat im vergangenen Jahr 10 717 zusätzliche Studienanfängerplätze geschaffen. Es ist im Rahmen
des Hochschulpaktes vereinbart worden, dass, bezogen
auf das Vergleichsjahr 2005, in Nordrhein-Westfalen insgesamt 26 000 zusätzliche Studienanfängerplätze geschaffen werden.
({0})
Jetzt im Jahr 2010 sehen wir, dass in erheblichem Maße
ausgebaut wird.
Es gibt in Nordrhein-Westfalen drei neue Fachhochschulen, die am 1. Mai 2009, also Mitte letzten Jahres,
gegründet worden sind. Es ist natürlich klar: Bevor der
Studienbetrieb aufgenommen werden kann, müssen
diese Fachhochschulen erst einmal errichtet werden. Das
ist die Fachhochschule Hamm-Lippstadt, das ist die
Fachhochschule Rhein-Waal, und das ist die Fachhochschule Ruhr West. Das sind drei ganz neue Fachhochschulen.
Dazu kommt, dass die Landesregierung in NordrheinWestfalen beschlossen hat, in Bochum die bundesweit
erste Hochschule für Gesundheit zu errichten. Hier werden 1 000 neue Studienplätze zu einem gesellschaftlich
sehr wichtigen Thema entstehen. Davon werden wir alle
profitieren. Darüber hinaus sind neben den Aktivitäten
an den verschiedenen Universitäten umfangreiche Ausbaumaßnahmen in acht weiteren Fachhochschulen vorgesehen.
({1})
Ich rufe die Frage 14 des Kollegen Brase auf:
Wie beurteilt die Bundesregierung die Auffassung des
Deutschen Industrie- und Handelskammertages, dass nicht ein
zu geringes Ausbildungsplatzangebot, sondern eine mangelnde Ausbildungsreife das Hauptproblem auf dem Ausbildungsmarkt ist?
Sehr geehrter Herr Kollege Brase, im Hinblick auf die
Ausbildungsplatzsituation geht die Bundesregierung davon aus, dass man nicht ein Hauptproblem definieren
kann. Es gibt sowohl das Problem mangelnder Ausbildungsreife als auch das Problem fehlender Ausbildungsplätze. Zum Teil sind das regionale Probleme. Es gibt
auch ein globales Problem; das hat mit Mobilität zu tun.
Wir haben natürlich die Aufgabe, die Wünsche von Bewerbern um Ausbildungsplätze nach gewissen Ausbildungsberufen mit den Belangen der Wirtschaft zusammenzubringen.
Die Bundesregierung ist hier auf einem guten Weg.
Wir fördern die Berufsorientierung junger Menschen.
Wir fördern die Bereitschaft zur Mobilität, und wir wollen uns - das haben wir heute in einem anderen Zusammenhang besprochen - intensiv darum kümmern, Brüche in Bildungsbiografien zu vermeiden, um bei allen
Jugendlichen Ausbildungsreife zu erzielen. In diesem
Dreiklang der unterschiedlichen Probleme, die wir haben, betrachtet die Bundesregierung die Ausbildungsplatzsituation in Deutschland.
Herr Staatssekretär Braun, wir haben heute eine Pressenotiz des Statistischen Bundesamtes über die Zahl der
neu eingetragenen Ausbildungsverhältnisse, bezogen auf
2009, erhalten. Es gibt bundesweit ein Minus von über
7 Prozent. - Das als Eingangsbemerkung.
Im Rahmen einer Umfrage der IHK - darauf bezieht
sich meine Frage - wurde von vielen - nicht von allen befragten Unternehmen zum Ausdruck gebracht, dass
dieses Minus an eingetragenen Ausbildungsverhältnissen daran liegt, dass ein Großteil der Jugendlichen offensichtlich nicht ausbildungsreif sei. Ich kann diese These
nicht nachvollziehen und frage Sie, ob Sie nicht mit mir
der Auffassung sind, dass immer dann, wenn von den
Unternehmen nicht genügend Ausbildungsplätze zur
Verfügung gestellt werden, das Argument kommt, es
gebe nicht genügend ausbildungsfähige junge Leute. Ich
halte es für nicht richtig, so mit Menschen umzugehen.
Mich würde interessieren, ob das zuständige Haus,
sprich: die zuständige Ministerin und ihr Haus, das ähnlich sieht oder ob man der Industrie und den Unternehmen angesichts dessen, dass das Statistische Bundesamt,
bezogen auf 2009, ein Minus von 7,9 Prozent gegenüber
2008 errechnet hat, nicht deutlich sagen muss: „So einfach lassen wir das nicht durchgehen.“
Sehr geehrter Herr Kollege Brase, zunächst zum Jahr
2009. Infolge der Wirtschaftskrise muss man die statistischen Zahlen für dieses Jahr mit sehr gemischten Gefühlen betrachten. Auf der einen Seite gibt es in der Tat
einen erheblichen Rückgang der Zahl neuer Ausbildungsverhältnisse. Auf der anderen Seite gibt es, bedingt
durch die demografische Situation, einen deutlichen
Rückgang der Zahl der Ausbildungsplatzbewerber, sodass sich das Verhältnis insgesamt sogar verbessert hat.
Sie wissen auch, dass sich im Jahr 2009 zum Beispiel die
Jugendarbeitslosigkeit in Deutschland trotz der Krise
verringert hat.
Ich denke, es existiert aufgrund des Ausbildungspaktes,
den wir in Deutschland vereinbart haben, der insgesamt
gute Konsens zwischen Wirtschaft und allen beteiligten
Partnern, dass es eine wichtige gesamtgesellschaftliche
Aufgabe ist, Jugendlichen Ausbildungsplätze zur Verfügung zu stellen. Wenn Einzelne, wie Sie es eben angesprochen haben, sozusagen um Ausreden ringen, warum
sie keine Ausbildungsplätze schaffen können, ist das
betrüblich. Ich habe nicht den Eindruck, dass der DIHK
- Sie haben ihn genannt - und andere große Verbände,
die im Ausbildungspakt mit uns eng zusammenarbeiten,
das tun.
Es ist unsere Aufgabe, individuell zu schauen, welche
verschiedenen Hindernisse es gibt, dass Jugendliche vergeblich einen Ausbildungsplatz suchen, obwohl es noch
offene Stellen gibt. Die Frage ist: Wie können wir diese
Lücke schließen? Hier tritt zum einen das Problem auf,
dass es Jugendliche gibt, die eine mangelnde Ausbildungsreife haben. Ein anderes Problem sind regionale
oder andere Mobilitätsfaktoren. Ein drittes Problem habe
ich schon angesprochen. Es gibt also verschiedene Varianten. Ich denke, es wird dem wichtigen Anliegen, Ausbildungsplätze zu schaffen, nicht gerecht, bei diesem
Thema eine Monokausalisierung vorzunehmen.
Ihre Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, bei der Frage, ob hier tatsächlich
verallgemeinert wird, wäre ich zurückhaltend. Der
DIHK hat, wenn ich das richtig mitbekommen habe,
diese Zahlen an uns alle versandt. Der Hauptgeschäftsführer hat das in der Presse entsprechend gewürdigt. Das
ist ein erster Punkt, der feststeht. Der Präsident des Zentralverbands des Deutschen Handwerks, Otto Kentzler,
hat dies nicht getan. Er hat gesagt, dass die Voraussetzungen der Auszubildenden heute im Wesentlichen nicht
schlechter als früher bzw. teilweise genauso gut wie früher sind. Beide arbeiten nach meinem Kenntnisstand als
Mitglieder des Komitees am Ausbildungspakt mit.
Meine Frage ist: Sind Sie bereit, im Zusammenhang
mit dem Ausbildungspakt intensiv über die unterschiedlichen Auffassungen hinsichtlich der Beurteilung von
jungen Leuten zu debattieren? Können Sie, wenn Sie
meine Einschätzung teilen - man kann nicht allein die
jungen Menschen dafür verantwortlich machen, wenn es
nicht genügend Ausbildungsplätze gibt -, dies thematisieren? Können Sie mit den Verbänden überlegen, wie
man zusätzliche und bessere Maßnahmen - von der alten
Regierung und von Ihrem Hause wurden schon Maßnahmen angestoßen - verstärkt auf den Weg bringen kann,
damit die jungen Leute nicht mit solch einer negativen
Zuschreibung versehen werden?
Sehr geehrter Herr Brase, um es deutlich zu sagen:
Die Bundesregierung wird sich gegen die einseitige negative Zuschreibung verwahren, nach der allein die mangelnde Qualifikation der Jugendlichen Ursache dafür ist,
dass nicht genügend Ausbildungsplätze gewonnen werden können. Wir haben allerdings nicht den Eindruck,
dass Sie die Positionen, die Sie angesprochen haben,
vollinhaltlich wiedergegeben haben. Beim Ausbildungspakt hat sich aber mehrfach offenbart, dass es bei der
Bewertung des Problems - offene Stellen auf der einen
Seite, Ausbildungsplatzsuchende auf der anderen Seite unterschiedliche Schwerpunktsetzungen gibt.
Die Bundesregierung wirbt dafür, sich im Interesse
einer entspannten und sachorientierten gesamtgesellschaftlichen Diskussion im Vorfeld des nächsten Ausbildungspakts allen drei Ursachen zu widmen, anstatt sie
im Sinne einer Schwerpunktsetzung zu gewichten. Es
geht darum, an allen drei Punkten zu arbeiten. Ich denke,
das wird der Ausbildungspakt auch dieses Mal tun, um
der Situation der Jugendlichen gerecht zu werden. Der
Ausbildungspakt ist in der Vergangenheit in der Tat immer sehr erfolgreich gewesen, und zwar in Zusammenarbeit mit den Beteiligten, die Sie hier angesprochen haben.
Ich rufe auf die Frage 15 der Kollegin Alpers:
Wann will die Bundesregierung den Berufsbildungsbericht
2010, der bereits vor einiger Zeit von den Autorinnen und Autoren vorgelegt und über den bereits Anfang März 2010 in den
Medien diskutiert wurde ({0}), der Öffentlichkeit zur Verfügung
stellen, und mit welchen Akteuren wie etwa Lobbyvertreterinnen oder -vertretern bzw. Vertreterinnen oder Vertretern von
Verbänden steht sie in Bezug auf die Freigabe des Berichtes in
Kontakt?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Sehr geehrte Frau Kollegin Alpers, der Entwurf des
Berufsbildungsberichts ist der Bundesregierung zugegangen. Derzeit ist es beabsichtigt, ihn in der Kabinettssitzung am 28. April 2010 zu beraten. Wenn er dort verabschiedet wird, wird er dem Bundestag und dem
Bundesrat unmittelbar zugeleitet und zeitgleich auf der
Homepage des Bundesministeriums für Bildung und
Forschung online gestellt.
Frau Kollegin, Ihre Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, es wundert mich, dass seit sechs
Wochen über einen unveröffentlichten Bericht gesprochen wird. Als ausbildungspolitische Sprecherin erhalte
ich von der Presse, von Verbänden usw. Nachfragen.
Wie kann es sein, dass die festgesetzte Frist für die Veröffentlichung des Berichts - nämlich die Sitzung am
Freitag - nicht eingehalten wird, dass wir die Unterlagen
nicht rechtzeitig erhalten, obwohl die Öffentlichkeit
schon seit dem 3. März über den Vorabentwurf diskutiert? Es gibt offenbar ein Missverständnis in der berufspolitischen Debatte. Ich frage mich, woran es liegt und
welche Ergebnisse vorliegen.
Sehr geehrte Frau Kollegin, dieses Missverständnis
kann man aufklären. Im Rahmen der Erstellung des Berufsbildungsberichtes gibt es verschiedene Ausschüsse,
die sich mit dem Entwurf beschäftigen und Stellungnahmen abgeben. Diese Stellungnahmen sind Teil des
Berufsbildungsberichts. Sofern Personen in dieses Gremium berufen sind, haben sie den Entwurf zwecks Erstellung einer Stellungnahme erhalten. Erst wenn der
Entwurf seitens des BIBB fertiggestellt ist, wird er uns
zugeleitet und von uns nach der Ressortabstimmung im
Kabinett beschlossen. Dann wird er dem Bundestag zur
Verfügung gestellt. Die Personen, die in dem Gremium
für die Erstellung des Berichts sowie für andere Aufgaben zuständig sind, gehören keinen Verbänden an.
Herr Braun, habe ich es richtig verstanden, dass Sie in
keinerlei Verbindung zu Verbänden stehen? Sie stehen
bezüglich der Freigabe des Berichts auch nicht mit den
entsprechenden Stellen in Kontakt, stimmt das?
Nach der Zuleitung wird die Bundesregierung im
Rahmen ihrer eigenen Kompetenzen, aber auch ihrer eigenen Ressorts eine Abstimmung herbeiführen, darüber
hinaus nicht.
Ich rufe die Frage 16 der Kollegin Agnes Alpers auf:
Teilt die Bundesregierung die von der Gruppe der Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber im Hauptausschuss des Bundesinstituts für Berusbildung, BIBB, in ihrer Stellungnahme zum
Entwurf des Berufsbildungsberichts 2010 ({0}) formulierte Auffassung - bitte
begründen -, dass der Berufsbildungsbericht auf die Angabe
einer sogenannten Erweiterten Angebots-Nachfrage-Relation
auf dem Ausbildungsmarkt verzichten sollte?
Sehr geehrte Frau Kollegin Alpers, Sie wollen wissen, ob es auch in Zukunft im Rahmen des Berichtes die
Erweiterte Angebots-Nachfrage-Relation gibt. Ich kann
Ihnen das bejahen. Die Bundesregierung beabsichtigt,
diesen Indikator auch in Zukunft zu erheben.
Es gibt keine weitere Zusatzfrage.
Dann sind wir am Ende dieses Geschäftsbereichs. Ich
bedanke mich bei den Kollegen, die für die Bundesregierung geantwortet haben.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung auf. Zur Beantwortung der Fragen steht die Parlamentarische Staatssekretärin Frau Kopp zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 17 des Kollegen Lischka auf:
Wie soll die vom Bundesminister Dirk Niebel beabsichtigte „Verzahnung“ von Bundeswehr und Entwicklungshilfe
konkret umgesetzt werden, insbesondere hinsichtlich des Abschlusses von Vereinbarungen mit Hilfsorganisationen und
Vorgaben durch die Bundeswehr unter anderem?
Vielen Dank, Herr Präsident! - Die Entwicklung in
den Bereichen Sicherheit, Regierungsführung und ziviler Aufbau steht in Afghanistan in einem Wechselverhältnis. Die deshalb angestrebte bessere Verzahnung des
zivilen und militärischen Engagements Deutschlands erfolgt über eine intensive Abstimmung zwischen den zivilen und den militärischen Akteuren. Die Koordination
der zivilen Beiträge der Bundesregierung, die teils über
staatliche und teils über nichtstaatliche Durchführungsorganisationen umgesetzt werden, erfolgt über die Vertreter der zivilen Ressorts vor Ort. Die Abstimmung zwischen den zivilen Ressortvertretern und der Bundeswehr
erfolgt im Rahmen des vernetzten Ansatzes und gemäß
den jeweiligen Zuständigkeiten.
Die Bundesregierung stärkt das zivilgesellschaftliche
Engagement in Afghanistan mit zusätzlich bereitgestellten
Mitteln in Höhe von 10 Millionen Euro im Jahr 2010,
die über den aktuellen Haushalt des Bundesministeriums
für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung
bereitgestellt werden. Diese Mittel sollen entwicklungspolitischen Maßnahmen deutscher Nichtregierungsorganisationen insbesondere in der Schwerpunktregion des
deutschen Engagements in Nordafghanistan zugutekommen.
Frau Staatssekretärin, zu der von Ihnen angesprochenen Verzahnung zwischen der Bundeswehr im Norden
und deutscher Entwicklungshilfe. Bedeutet das, dass
künftig Entwicklungshilfegelder in erster Linie nur noch
in den Norden Afghanistans fließen?
Nein, sehr geehrter Herr Kollege Lischka, das bedeutet es nicht. Die Bundesregierung ist der Auffassung,
dass Sicherheit die grundsätzliche Voraussetzung für den
zivilen Aufbau ist. Ohne Sicherheit kein Aufbau. Eine
relative Sicherheit gibt es im Norden des Landes, wo wir
die Bundeswehr stationiert haben. Dort sehen wir in allererster Linie die Möglichkeit, den zivilen Aufbau zu
verstärken. Aber wir beschränken uns nicht nur auf den
Norden, sondern es gibt auch Projekte zum Beispiel im
Süden und im Grenzbereich zu Pakistan.
Haben Sie eine weitere Zusatzfrage?
Das ist gut zu hören. Meine Zusatzfrage lautet: Sind
Ihnen Zahlen bekannt, die besagen, wie viele deutsche
Hilfsorganisationen derzeit in Afghanistan tätig sind und
wie viele von ihnen eine Förderung durch Bundesmittel
erhalten?
Die Anzahl der in Afghanistan tätigen Organisationen
habe ich nicht präsent. Ich kann Ihnen aber Zahlen nennen, die bereits Ihre nächste Frage betreffen: Im Jahre
2009 wurden 2,3 Millionen Euro der vom BMZ bereitgestellten Mittel in Höhe von 252 Millionen Euro sowie
6,1 Millionen Euro der vom Auswärtigen Amt bereitgestellten rund 108 Millionen Euro aus dem Stabilitätspakt
den deutschen Nichtregierungsorganisationen zur Verfügung gestellt.
Es handelt sich um einen kleinen Betrag, wenn man
bedenkt, dass das Gros der zivilen Beiträge der Bundesregierung für Afghanistan über die staatlichen Durchführungsorganisationen finanziert und durchgeführt wird.
Es liegt in der Entscheidung der zivilen Organisationen,
sich um diese Mittel zu bewerben. Das impliziert natürlich folgende Frage: Wollen die privaten Durchführungsorganisationen diese Projekte unter Begleitung der Bundeswehr als Sicherheitsfaktor durchführen? Ich denke,
dass das ein guter Ansatz ist. Die Bundesregierung legt
Wert darauf, im neuen Afghanistankonzept einen
Schwerpunkt auf den zivilen Aufbau zu legen. Das ist
durch die Verdoppelung der Mittel zum Ausdruck gekommen. Wir befinden uns jetzt in der Phase der Umsetzung und sind zuversichtlich, dass sie erfolgreich sein
wird.
Wenn Sie sich beeilen, Frau Kopp, haben Sie jetzt
noch 40 Sekunden für die Beantwortung der Frage 18
des Kollegen Lischka.
Gerne.
Dann rufe ich jetzt die Frage 18 des Kollegen Lischka
auf:
Wie will die Bundesregierung für einen vollständigen Mittelabfluss der auf 430 Millionen Euro aufgestockten Gelder
für den zivilen Wiederaufbau sorgen, vorausgesetzt, die in
Afghanistan tätigen Hilfsorganisationen bleiben bei ihrer Ablehnung einer derartigen Verzahnung?
Vielen Dank, Herr Präsident. - Diese Frage habe ich
eben zum Teil bereits beantwortet. Ich möchte noch ergänzen, dass die Bundesregierung davon ausgeht, dass
weiterhin zahlreiche deutsche Nichtregierungsorganisationen Projekte in Nordafghanistan umsetzen wollen.
Die Bundesregierung beabsichtigt daher, diese mit zusätzlichen Mitteln zu unterstützen.
Wir sind damit am Ende der Fragestunde und damit
auch am Schluss der heutigen Tagesordnung angelangt.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Donnerstag, den 22. April 2010,
9 Uhr, ein.
Ich wünsche Ihnen noch einen angenehmen und interessanten Abend.
Die Sitzung ist geschlossen.