Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Die Sitzung ist eröffnet.
Bitte nehmen Sie Platz, liebe Kolleginnen und Kollegen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 1 auf:
Befragung der Bundesregierung
Die Bundesregierung hat als Thema ihrer heutigen
Kabinettssitzung mitgeteilt: Gesetzentwurf zur Einführung einer Musterwiderrufsinformation für Verbraucherdarlehensverträge.
Das Wort für den einleitenden fünfminütigen Bericht
hat die Bundesministerin der Justiz, Sabine LeutheusserSchnarrenberger. Bitte, Frau Ministerin.
Vielen Dank. - Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Die Bundesregierung hat heute
auf meinen Vorschlag hin einen Gesetzentwurf beschlossen, mit dem wir ein gesetzliches Muster dafür einführen, wie Verbraucher bei Darlehensverträgen über ihre
Widerrufsrechte informiert werden können. Wir schaffen
damit Rechtssicherheit für die Kreditwirtschaft, und wir
stärken den Verbraucherschutz. Die Bundesregierung erfüllt somit einen Auftrag des Deutschen Bundestages;
denn als im Sommer 2009 die Verbraucherkreditrichtlinie umgesetzt wurde, hat der Deutsche Bundestag die
Bundesregierung aufgefordert, ein solches Muster für
die Information über das Widerrufsrecht zu schaffen.
Damit erhält die Kreditwirtschaft Rechtssicherheit; denn
eine mangelhafte Information der Verbraucher über ihre
Rechte führt dazu, dass die Verträge auch lange Zeit
nach Abschluss widerrufen werden können und Abmahnungen im Raum stehen.
Das Muster, das wir jetzt vorschlagen, wird als Anhang zum Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuch angefügt. Wenn das Gesetz verabschiedet wird, hat
es also den Rang eines formellen Gesetzes. Der Darlehensgeber bekommt Gewissheit; denn wenn er dieses
Muster verwendet, dann erfüllt er damit seine gesetzlichen Informationspflichten.
Verpflichtend vorgeschrieben ist die Anwendung
nicht. Wenn der Darlehensgeber das Muster aber nicht
verwendet, dann kann große Rechtsunsicherheit über das
Widerrufsrecht entstehen und dann muss er sich gegebenenfalls darauf einstellen, dass der Vertrag lange Zeit
nach dem eigentlichen Ablauf der Widerrufsfrist vom
Darlehensnehmer widerrufen werden kann. Gerade das
ist der Vorteil für die Verbraucherinnen und Verbraucher;
die Rechtslage in diesem gesamten Bereich ist sehr kompliziert. Hier ihnen etwas an die Hand zu geben, das
Rechtssicherheit schafft, ist äußerst wichtig. Ich hoffe,
dass dieser Gesetzentwurf möglichst zügig beraten und
verabschiedet werden kann.
Vielen Dank.
Danke, Frau Ministerin. - Ich bitte zunächst Fragen
zu dem Themenbereich zu stellen, über den soeben berichtet wurde. - Das Wort zur ersten Frage hat der Kollege Raju Sharma.
Frau Ministerin, vielen Dank für diese Informationen. Wir als Linke freuen uns, dass die Bundesregierung den
Auftrag des Bundestages umsetzt. Bekanntermaßen ist
es äußerst schwierig, Musterwiderrufe so zu gestalten,
dass sie einerseits juristisch korrekt und andererseits verständlich sind. Deswegen haben Verbraucherverbände
angeregt, zunächst eine Art Probelauf zu starten, um die
Widerrufsinformationen daraufhin zu überprüfen, ob sie
im Ergebnis tatsächlich verständlich sind. Sie haben
gleich einen Gesetzentwurf vorgelegt. Meine Frage ist,
ob Sie vorhaben, die durch die Einführung gemachten
Erfahrungen nach einer gewissen Zeit auszuwerten und
gegebenenfalls Konsequenzen daraus zu ziehen.
Die Verbraucherverbände und auch die Wirtschaftsverbände sind an der Formulierung dieses Musters beteiRedetext
ligt worden. Wir haben uns bei dieser wirklich komplizierten und komplexen Rechtsmaterie gemeinsam um
eine verständliche Sprache bemüht.
Wenn das Gesetz in Kraft tritt - das wird hoffentlich
im Sommer der Fall sein können -, werden wir sehen,
wie damit umgegangen wird. Zur Gesetzgebung gehört,
nach einer gewissen Zeit gerade mit denjenigen einen
Austausch zu führen, die davon profitieren sollen.
Gibt es weitere Fragen? - Bitte, Kollege Ahrendt.
Frau Ministerin, die Widerrufsbelehrung ist oftmals
sehr komplex. Ist vorgesehen, im Gesetz festzuschreiben, dass der Verbraucher eine zusätzliche Information
erhält, um mit seinem neuen Recht besser umgehen zu
können?
Widerrufsbelehrung und Widerrufsinformation laufen
nicht parallel. Aber bei komplexen Verträgen - zum Beispiel, wenn über das Internet etwas gekauft wird und
gleichzeitig ein Darlehensvertrag notwendig wird - wird
es beide Bereiche parallel geben, um den Darlehensnehmer und Käufer über seine Rechte umfangreich zu informieren.
Ich kann noch ergänzen: Falls der Darlehensgeber
Angaben vergisst, kann er sie nachholen; aber dann laufen auch längere Fristen.
({0})
Gibt es weitere Fragen zu diesem Themenbereich? Das ist nicht der Fall. Danke, Frau Ministerin.
Gibt es Fragen zu anderen Themen der heutigen Kabinettssitzung? - Ich weiß jetzt nicht, wer von Ihnen der
Erste war. Herr Beck, bitte.
Da in unserer Geschäftsordnung nur von „vorrangig
zur … Kabinettssitzung“ die Rede ist und auch andere
Fragen zulässig sind, habe ich eine Frage, die heute nicht
als dringliche Frage zugelassen wurde, obwohl sie im
Spiegel und im Tagesspiegel erörtert wurde. Die Frage
ist: Nach welchen Regularien verteilt das Auswärtige
Amt Diplomatenpässe an Nichtmitglieder der Bundesregierung und Nichtmitglieder des Hohen Hauses? Das
geht zurück auf den Sachverhalt, dass Herr Mronz im
Jahr 2008 einen Diplomatenpass bekam.
({0})
- Einen Dienstpass. - Ich möchte wissen: Was war das
besondere deutsche Interesse bei der Erteilung dieses
Reisedokumentes, bzw. nach welchen Richtlinien erhalten Lebenspartner, Lebensgefährten oder Ehegatten von
Mitgliedern des Deutschen Bundestages solche Dienstpässe?
Der guten Ordnung halber halten wir erst einmal fest,
dass es keine weiteren Fragen zu Themen der heutigen
Kabinettssitzung gab.
({0})
- Doch? Dann hätten Sie sich vorher melden müssen.
({1})
Dann sind wir jetzt erst einmal bei den sonstigen Fragen. Bitte, Herr Staatsminister.
Herr Kollege Beck, der Kollege Staatsminister Hoyer
ist auf dem Weg hierher und wird jeden Moment eintreffen. Weil es mir nicht möglich ist, diese Frage zu beantworten, muss ich Ihnen anbieten, sie schriftlich zu beantworten.
Ich hätte gerne eine mündliche Antwort, sobald der
Kollege Hoyer hier ist.
Die Bundesregierung muss bei der Befragung vertreten sein, weil unsere Geschäftsordnung Fragen zu allen
Bereichen zulässt.
Kollege Beck, da der Kollege Hoyer auf dem Weg
hierher ist, rate ich, dass Sie sich noch einmal melden,
wenn er hier ist, um diese Frage zu stellen. In der Zwischenzeit können Sie dem Kollegen Ströbele die Gelegenheit geben, seine Frage zu stellen.
Bitte, Herr Ströbele.
Danke, Frau Präsidentin. - Ich habe zu dem Komplex,
den der Kollege Beck angesprochen hat, eine Frage.
Diese Frage stelle ich aber ebenfalls zurück, bis Herr
Hoyer da ist.
Ich habe aber noch eine weitere Frage zu einem ganz
anderen Komplex, bei dem ich davon ausgehe, dass er
Gegenstand der heutigen Debatte im Kabinett gewesen
ist. Die Medien, unter anderem das Radio, berichten
über einen Plan, den der Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung dem Kabinett
vorgelegt hat. Danach soll die Zusammenlegung von
GTZ, DED und anderen Organisationen vom Ministerium vorgesehen sein. Dazu habe ich eine Frage - ich
weiß nicht, ob Sie, Herr von Klaeden, oder jemand anders diese Frage beantworten wollen; ich nehme an, Sie
waren bei der Kabinettssitzung dabei -: Können Sie dem
Hohen Hause Näheres dazu mitteilen, wie nach Vorstellung des Ministeriums und des vortragenden Ministers
diese Zusammenlegung aussehen soll? Das heißt: Was
für ein Konzept, was für eine juristische Konstruktion
liegen dem zugrunde?
Ich habe einem Brief des Ministers vom 2. März entnommen, dass mit Rücksicht auf die geplante Zusammenlegung der verschiedenen staatlichen Hilfsorganisationen
bereits Veränderungen in den Ministerien - Umsetzungen,
Neuorganisationen - vorgenommen werden. Wenn bereits jetzt im Ministerium Umorganisierungen durchgeführt werden, müsste dem Ganzen ein konkreter Plan zugrunde liegen. Was wurde über diesen Plan mitgeteilt?
Herr Kollege Ströbele, es ist richtig, dass der Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Dirk Niebel, heute im Kabinett über dieses
Vorhaben berichtet hat. Kern dieses Vorhabens ist, jetzt
endlich das in die Tat umzusetzen, was Vorgängerregierungen immer wieder erfolglos versucht haben, nämlich
die unterschiedlichen Ausführungsorganisationen zusammenzuführen, um zu mehr Effizienz zu kommen und
Doppelarbeit zu vermeiden. Das soll selbstverständlich
unter Einbeziehung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter
stattfinden. Es ist auch vorgesehen, dass die Standorte
dieser Organisationen in Deutschland erhalten bleiben.
Sie möchten eine Nachfrage stellen? - Dann tun Sie
das bitte.
Es tut mir leid: Sie haben meine Frage noch nicht einmal im Ansatz beantwortet. Ich habe gefragt: Was für ein
Organisationskonzept hat der Minister dem Kabinett
vorgetragen? Wie soll die zukünftige juristische Konstruktion aussehen? Welche Ansätze gibt es dazu? Wenn
im Ministerium bereits Veränderungen mit Rücksicht auf
die Neuorganisierung durchgeführt werden, dann müssten dazu Vorstellungen vorhanden sein. Oder hat er dazu
nichts gesagt?
Herr Kollege Ströbele, Sie haben mich nach dem
Konzept und den zugrunde liegenden Prinzipien gefragt.
Diese Frage habe ich Ihnen beantwortet. Ich bitte Sie,
weitere Fragen im Ausschuss zu stellen oder sich mit einer schriftlichen Beantwortung einverstanden zu erklären.
Ist dazu heute nichts gesagt worden?
Ich habe die Frage so beantwortet, wie es mir jetzt
möglich ist.
Die Bundesregierung entscheidet erstens, wer antwortet, zweitens, was sie antwortet.
Da sich der Kollege Beck gerade zu einem Geschäftsordnungsantrag meldet, muss ich Ihre Frage leider zurückstellen, Kollegin Koczy.
Bitte, Kollege Beck.
Ich beantrage, die Befragung so lange zu unterbrechen, bis auskunftsfähige Personen der Bundesregierung
anwesend sind. Es kann nicht sein, dass als Antwort auf
eine Frage an das Auswärtige Amt der Kollege aus dem
Bundeskanzleramt zu Recht sagt, dass er dazu nichts
weiß. Auch die Frage zur GTZ konnte nicht beantwortet
werden, weil niemand von dem zuständigen Ressort anwesend ist. Lassen Sie uns so lange unterbrechen, bis die
zuständigen Staatssekretäre eingetroffen sind, und dann
fortfahren.
({0})
Durch Filibustern wird faktisch das Fragerecht des
Deutschen Bundestages beschnitten. Das ist keine Frage
von Mehrheit oder Minderheit, sondern das ist eine
Frage des Interpellationsrechts des Parlamentes und
kann auch dann, wenn die Mehrheit diesen Antrag ablehnt, nicht abgewürgt werden.
Zu diesem Geschäftsordnungsantrag verhandeln wir.
Bitte, Kollege Grund.
Vielen Dank. - Der Antrag des Kollegen Beck geht
weit über unsere Geschäftsordnung hinaus. Hätte er
recht, würde das bedeuten, dass am Mittwoch einer normalen Sitzungswoche ab 13 Uhr das gesamte Kabinett
hier zu sitzen hat,
({0})
um sich irgendwelchen Fragen des Kollegen Beck zu
stellen.
({1})
- Das hat er nicht gesagt. Er hat Ihnen die Auskunft gegeben, die zu geben ist, und den Kenntnisstand wiedergegeben, der im Kanzleramt vorhanden ist.
Ich weise darauf hin, dass Ihre Forderung weit über
das hinausgeht, was in der Geschäftsordnung vereinbart
ist.
({2})
- Nehmen Sie sie wieder mit. Ich habe sie selber gelesen.
Kollege Grund, es ist richtig, dass das unserer bisherigen Praxis widerspricht. Aber unsere bisherige Praxis
besagt: Wenn eine solche Situation eintritt, entscheidet
der Präsident/die Präsidentin.
Ich unterbreche die Sitzung bis 13.25 Uhr. Wir
schauen, wie wir dann weitermachen.
({0})
({1})
Die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet.
Das Wort zu einer Frage an die Bundesregierung hat
der Kollege Volker Beck.
Herr Staatsminister Hoyer, ich habe eine Frage zu den
Usancen bei der Ausgabe von Dienstausweisen durch
die Bundesregierung an Personen, die nicht Mitglied des
Hohen Hauses oder Mitglied der Bundesregierung sind.
Meine Frage geht zurück auf die Vergabe eines Dienstausweises an Herrn Mronz im Jahre 2008. In welchem
besonderen deutschen Interesse stand die Ausgabe dieses Dienstausweises? Nach welchen Usancen werden bei
Lebensgefährten, Lebenspartnern oder Ehegatten von
Mitgliedern des Deutschen Bundestages Dienstausweise
vom Auswärtigen Amt ausgestellt?
Herr Kollege Beck, Sie hatten diese Frage als dringliche Frage eingereicht. Dementsprechend hat das Amt
mich sauber auf die Beantwortung vorbereitet. Dann ist
die Frage nicht zugelassen worden. Deswegen erwischen
Sie mich jetzt ohne einen Stapel von Unterlagen zu diesem Thema, und ich kann nur recht allgemein antworten
und Ihnen sagen, dass es eine entsprechende Verwaltungsvorschrift gibt, eine allgemeine Verwaltungsvorschrift über die Ausgabe von Dienstpässen. Nach, ich
glaube, § 3 dieser Vorschrift ist dieser Dienstpass ausgestellt worden. Weitere Details entziehen sich meiner
Kenntnis.
Sie wissen, dass dieser Vorgang zur Ausstellung eines
Dienstpasses geführt hat, der später nie genutzt worden
ist, weil die Reise, die angedacht war, nicht stattgefunden hat. Außerdem wurde dieser Dienstpass bereits im
Jahr 2008 ausgestellt.
Der Dienstausweis wurde abgeholt, ohne dass die
Reise angetreten wurde?
In der Tat. Der Dienstpass war auf ein Jahr ausgestellt. Die Reise, die Anlass für die Beantragung durch
den Passinhaber gewesen ist, hat nicht stattgefunden.
Können Sie uns -
Kollege Beck, das Wort erteile immer noch ich.
Entschuldigung!
Sie haben jetzt die Möglichkeit, eine Nachfrage zu
stellen. Dann haben wir noch weitere Wortmeldungen.
Sie können sich natürlich auch im Rahmen unserer Fragestunde noch einmal melden. Bitte, Kollege Beck.
Herr Staatsminister, können Sie uns denn abstrakt die
Frage beantworten, wie die rechtlichen Regularien sind,
wenn es um Dienstausweise für Angehörige der Mitglieder des Deutschen Bundestages geht? Das mag ja auch
für andere Kollegen von Interesse sein. Was ist da die
Praxis, und wie sieht die Rechtssituation da aus?
Das kann ich Ihnen nicht im Detail sagen. Sie wissen,
dass Sie als Mitglied des Deutschen Bundestages Anspruch auf einen Diplomatenpass haben.
({0})
Weitere Details sind mir in diesem Zusammenhang nicht
bekannt.
Ich kann mir vorstellen, dass die damalige Bundesregierung gerade bei einer Reise in ein Land, das mit der
Behandlung von Homosexuellen durchaus seine Schwierigkeiten hat,
({1})
vielleicht ein Interesse daran hatte, den reibungslosen Ablauf der Reise zu organisieren oder zu ermöglichen. Das
ist durchaus ein legitimes Ansinnen. Wir würden vermutlich auch heute, wenn ein solcher Fall entsteht, Entsprechendes tun. Ich vermute einmal, dass Bundesminister
Steinmeier aus diesem Grunde so entschieden hat.
({2})
Ich habe Sie gesehen, Kollege Ströbele; aber der Kollege Ahrendt war schneller mit seiner Meldung zu einer
Nachfrage zu diesem Gegenstand.
Bitte, Herr Ahrendt.
Herr Staatsminister, können Sie mir die Frage beantworten, wer im Jahr 2008, als der Dienstpass ausgestellt
worden ist, im Auswärtigen Amt die Verantwortung
trug?
Ja. Ich habe den Namen von Bundesminister
Steinmeier genannt, aber ich will ihn hier gar nicht in
Haftung nehmen, weil das ein Vorgang ist, den ich nachvollziehen kann. Dennoch haben Sie die Frage, wer damals im Amt war, zu Recht gestellt. Wir waren es zumindest nicht.
({0})
- Da ich hier gerade einen Zwischenruf gehört habe,
möchte ich klarstellen: Die Ausstellung dieses Dienstpasses erfolgte nicht auf Antrag einer Fraktion.
Zu einer Nachfrage hat der Kollege Hans-Christian
Ströbele das Wort.
Danke, Frau Präsidentin. - Vorhin war der Herr
Staatsminister leider noch nicht hier, weshalb ich die
Frage vorhin noch nicht stellen konnte. Ich habe nämlich
auch eine Frage zu diesem Komplex.
Alle warten - ich warte und viele andere auch - auf
die Beantwortung der Frage: Nach welchen Kriterien
kann man nicht als Bundestagsabgeordneter - hier weiß
ich das -, sondern als Geschäftsmann, als Unternehmer
in den Kreis derer kommen, die zu Reisen des Außenministers ins Ausland eingeladen werden und mitfliegen
dürfen?
Diese Frage betrifft ja den Gesamtzusammenhang der
Zusammenstellung von Delegationsreisen. Auf diese
Frage werden wir noch ausführlich zu sprechen kommen, aber ich bin gerne bereit, diese Frage bereits jetzt
aufzugreifen
({0})
und zu sagen: Es gibt ein mehr oder weniger formalisiertes Verfahren. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in
dem für die Wirtschaftsdelegationsreisen zuständigen
Referat stellen entsprechende Überlegungen an und
stimmen sich mit den Botschaften des Gastlandes und
auch mit dem Gastland selbst ab. Wenn hinreichend Zeit
vorhanden ist, werden auch die Wirtschaftsverbände abgefragt und um Empfehlungen gebeten. Dann wird eine
längere Liste aufgestellt. Es kann auch initiativ Interesse
an der Teilnahme an solchen Reisen geäußert werden.
Am Ende wird dann entschieden.
Natürlich geht es darum, die besondere Kompetenz
oder das besondere Interesse des Gastes hinsichtlich des
Ziellandes zur Grundlage der Entscheidung zu machen;
denn diese Reisen haben ja einen hohen Wert und einen
großen Sinn, nämlich, insbesondere die wirtschaftlichen,
kulturellen und politischen Beziehungen der Bundesrepublik Deutschland zu diesem Land weiter auszubauen
und gegebenenfalls - im Fall von Gästen aus dem Bereich der Wirtschaft - auch den Interessen der deutschen
Wirtschaft und der Sicherung von Arbeitsplätzen den
entsprechenden Rang einzuräumen.
Sie haben das Wort zu einer weiteren Frage. Danach
kommt der Kollege Gehrcke an die Reihe. - Bitte, Kollege Ströbele.
Herr Staatsminister, ich habe eine Zusatzfrage: War
dieses Thema, das derzeit doch weite Teile in der Bundesrepublik Deutschland beschäftigt, heute Gegenstand
der Kabinettssitzung, insbesondere in dem Zusammenhang, welche Industrievertreter oder Vertreter von Unternehmen der derzeitige Außenminister auf seinen letzten Reisen mitgenommen hat und ob die Beteiligung
bestimmter Personen an diesen Reisen auf besonderen
Wunsch des Ministers von der Auswahlkommission
bzw. von der Auswahlstelle befürwortet worden ist?
Nein.
({0})
- Die Frage war einfach mit Ja oder Nein zu beantworten. Genau das habe ich getan.
({1})
Kollege Ströbele, auch hier gilt: Das Wort erteile ich.
({0})
Die Bundesregierung entscheidet, was sie antwortet und
in welcher Form sie antwortet. Sie sind dann wiederum
in Ihrer Bewertung dessen frei.
Jetzt hat der Kollege Wolfgang Gehrcke das Wort.
Herr Staatsminister, würden Sie mir zustimmen, dass
der Hinweis darauf, dass auch bei vorangegangenen Außenministern - Herrn Steinmeier, Herrn Fischer; man
könnte noch weiter zurückgehen - ähnliche Verfahren
üblich waren, wenig überzeugend ist und dass es nach
dem Kladderadatsch, zu dem es jetzt gekommen ist, notwendig gewesen wäre, die Richtlinien darüber, wer mitgenommen werden kann, warum er mitgenommen wird
und unter welchen Bedingungen ein Diplomatenpass
ausgestellt wird, endgültig neu zu regeln?
Ich sehe diese Notwendigkeit nicht. Ich meine auch,
dass man den Sinn solcher Delegationsreisen, den Sinn
der Begleitung eines Bundesministers, der Bundeskanzlerin oder des Bundespräsidenten, nicht aus dem Auge
verlieren sollte und ein Mindestmaß an Flexibilität im
Umgang mit Gästen braucht.
Das Wort zu der nächsten Frage hat die Kollegin
Koczy.
({0})
- An die Bundesregierung. Die Bundesregierung entscheidet dann, wer antwortet.
({1})
- Das war der versteckte Hinweis. - Bitte, Kollegin
Koczy.
Danke, Frau Präsidentin. - Meine Frage richtet sich
aber auch an den Staatsminister Hoyer. Denn er hat bei
den Antworten auf die vorherigen Fragen den Eindruck
erweckt, dass häufig ein Zusammenhang zwischen Interessen der Wirtschaft und Interessen der Bundesregierung besteht und dass das auch zukünftig gilt.
Wir wissen ja, dass in Zukunft auch Hermesbürgschaften für Atomkraftwerke gewährt werden sollen. Da
gibt es einen Zusammenhang mit der Reise des Außenministers nach Brasilien, Lateinamerika. Auf diese Reise
ist auch ein Geschäftsführer von Areva - das ist ein
Kernenergieunternehmen - bzw. Siemens mitgefahren.
Meine Frage ist: Können wir davon ausgehen, dass im
Rahmen der weiteren Billigung von Hermesbürgschaften für die Länder China, Russland und möglicherweise
auch für andere Länder in Zukunft bei Delegationen die
Geschäftsführer der jeweiligen Firmen dabei sein werden?
Ich sehe den von Ihnen angesprochenen Zusammenhang eindeutig nicht. Es kann kein Grund sein, jemanden
von einer Reise auszuschließen, weil er in einem Geschäftsfeld tätig ist, das einem Teil der Mitglieder des
Deutschen Bundestages nicht passt.
Die Kollegin Koczy hat dazu noch eine Nachfrage. Ich gehe davon aus, Kollege Ströbele, dass Sie dann Ihre
Frage an die Kollegin Kopp wiederholen wollen, die inzwischen eingetroffen ist. Ist das richtig?
({0})
- Gut, dann kommt zunächst die Kollegin Koczy.
Ich habe doch noch eine Rückfrage. Denn es handelt
sich ja um eine Bürgschaftssumme von 2,5 Milliarden
Euro, die der deutsche Steuerzahler für den Bau eines
Atomkraftwerkes in Brasilien eventuell aufbringen
muss; und wir wissen nicht genau, ob es sich dabei mit
Blick auf das veraltete Modell, um das es geht, nicht um
eine Fehlinvestition handelt. Inwiefern wird denn vorher
geprüft, ob die Geschäftsmodelle tatsächlich wirtschaftstauglich sind?
Diese Frage wird im Zusammenhang mit der Unterstützung eines solchen Projektes durch die Bundesregierung - gegebenenfalls auch durch Hermesbürgschaften geprüft. Das ist aber nicht die Grundlage für die Entscheidung über die Beteiligung an einer Reise. Die Entscheidung, ob die Bundesregierung ein solches Projekt
für gut befindet oder nicht, ist auf jeden Fall vorgelagert.
Das ist nicht die Grundlage für die Entscheidung, wer
auf eine Reise mitgenommen wird.
Die nächste Frage stellt der Kollege Hans-Christian
Ströbele.
Danke, Frau Präsidentin. - Ich wiederhole die Frage,
die ich vorhin gestellt habe, als Sie noch nicht da waren,
Frau Kopp.
Thema der Kabinettssitzung war nach den heutigen
Presse- und Radiomeldungen unter anderem auch der
Plan des Ministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung der Zusammenlegung von staatlichen Hilfs- und Entwicklungsorganisationen, unter
anderem von DED und GTZ.
Ich frage die Bundesregierung: Was wurde dem Kabinett hinsichtlich der geplanten Organisationsform und
juristischen Form vorgetragen, und welche Vorstellungen hat der Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung in diesem Bereich? Ich frage
das insbesondere mit Blick auf einen Brief des Ministers, dem ich entnommen habe, dass unter Bezugnahme
auf diese Planungen bereits Umorganisationen im Ministerium stattgefunden haben.
Bitte, Frau Staatssekretärin.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Herr Kollege
Ströbele, sehr geehrte Herren und Damen, ich bitte um
Nachsicht, dass ich ein wenig verspätet hierher gekommen bin. Ich war bereits in einer anderen Veranstaltung
und war der Meinung, dass das, was wir bereits vorgelegt und auch im Ausschuss beraten haben, hinreichend
bekannt ist.
Aber sehr gerne antworte ich auf Ihre Frage: Heute im
Kabinett hat der Minister vorgelegt, was geplant ist:
nämlich die Fusion von GTZ, InWEnt und DED. Das
sind weltweit tätige Vorfeldorganisationen, die in
130 Ländern tätig sind und über circa 17 000 Beschäftigte verfügen. Das ist also keine kleine Organisation.
Durch diese Fusion der Vorfeldorganisationen erhoffen
wir uns sehr viel mehr Effektivität.
Wir sind einen ganz neuen Weg gegangen, indem wir
in einem ersten Schritt die drei betroffenen Organisationen selbst befragt haben und noch befragen, wie sie sich
eine solche Zusammenführung vorstellen. Neu daran ist,
nicht von oben vorzugeben, wie die künftigen Vorfeldorganisationen zu gestalten sind. Wir möchten vielmehr
bei dieser notwendigen Umstrukturierung alle Organisationen mitnehmen.
Das ist bisher schon sehr gut gelungen. Wir sind bereits mit den drei Organisationen etwa 80 Prozent des
Weges hin zu einer Zusammenführung gegangen, sehr
im Konsens mit den Mitarbeitern und allen betroffenen
Einrichtungen.
Es geht uns jetzt darum, im Laufe der nächsten Zeit
das, was Sie angesprochen haben - die rechtliche Konstruktion, die Frage der Personalverträge, die Zusammenführung der verschiedenen Personalverträge bis hin
zur neuen Bezeichnung - zu regeln. All das ist noch
nicht geregelt. Es sind schwierige Fragen, die zu regeln
sind. Dafür brauchen wir Zeit. Bitte bedenken Sie: Wir
sind erst seit Ende des letzten Jahres dabei, diese Aufgaben anzugehen. Das war heute Morgen nicht Gegenstand
der Kabinettssitzung, weil wir noch nicht so weit sind.
Es ist ein erster Entwurf dessen, was bisher geleistet
wurde.
Ich denke, wir sind auf einem sehr guten Weg, weil
bis jetzt schon ein sehr großer Konsens hergestellt werden konnte.
Bevor ich Ihnen das Wort zu einer Nachfrage gebe,
weise ich vorsorglich darauf hin, dass ich die Dauer der
Unterbrechung der Sitzung auf die Zeit der Regierungsbefragung angerechnet habe, aber vorhabe, diese in
4 Minuten und 36 Sekunden zu beenden und zur Fragestunde überzugehen. Das heißt, die Kolleginnen Wilms
und Koczy haben noch die Möglichkeit, ihre Fragen zu
stellen, wenn es jetzt gelingt, kurze Fragen und kurze
Antworten zu formulieren. - Bitte, Kollege Ströbele.
Leider haben Sie meine Frage nicht beantwortet, die
nämlich dahin ging, welche Vorstellungen der Minister
und das Ministerium von der zukünftigen Organisationsform und juristischen Konstruktion haben. Wenn bereits
jetzt im Ministerium Umorganisationen durchgeführt
werden, dann muss es doch entsprechende Vorstellungen
davon geben. Ich zitiere dazu die entsprechenden Sätze
aus dem Schreiben des Ministers vom 2. März: Zu diesem Zweck strukturieren wir derzeit auch das Ministerium selbst um. In der neuen Struktur spiegeln sich die
Schwerpunkte unserer Arbeit.
Wenn Sie schon Umstrukturierungen im Ministerium
vornehmen, dann muss es doch Vorstellungen von der
neuen Organisationsform und der juristischen Konstruktion geben.
Herr Kollege Ströbele, selbstverständlich findet seit
einiger Zeit im BMZ eine organisatorische Umstrukturierung statt, die auch notwendig ist, weil wir auch an
dieser Stelle moderne Elemente des Managements einführen wollen. Dies ist auch notwendig, um unsere Arbeit zielführend voranzubringen.
Dennoch sind die Frage nach der juristischen Konstruktion und alle weiteren Fragen, die sich dazu stellen
- sie betreffen unter anderem die Integration des Entwicklungshelfer-Gesetzes; Sie wissen, welche Problematiken sich damit verbinden -, noch nicht zu beantworten. Denn wir sind erst in der Phase der Aufnahme der
Problemfelder. Wir sind noch nicht in der Phase der Umsetzung.
Diese Fragen sind derzeit in der Pipeline. Sie werden
sorgfältig geprüft. Wir machen dabei keine Schnellschüsse, sondern wir wollen, wie ich bereits sagte, zu einer Neukonstruktion kommen, die effektiv und effizient
arbeitet und den größtmöglichen Nutzen für die Entwicklungszusammenarbeit bringt. Dabei ist das BMZ als
Schaltzentrale sozusagen der Kopf, der auch effizient
aufgestellt werden muss. Dabei sind wir schon ein großes Stück weiter.
Alle anderen Fragen sind - auch wenn Sie das nicht
zufriedenstellt - noch nicht beantwortet. Wir sind erst
seit gut zehn Wochen dabei. Das ist ein großes Konstrukt. Sie wissen, dass auch schon Vorgängerregierungen versucht haben, eine solche Fusion hinzubekommen.
Geben Sie uns bitte ein bisschen Zeit, eine Lösung zu
finden, die uns in der Sache wirklich weiterbringt und in
juristischer Hinsicht nicht auf wackligen Füßen steht.
Wir wollen erst prüfen, dann Diskussionen über die Details führen und schließlich entscheiden.
Die nächste Frage an die Bundesregierung stellt die
Kollegin Wilms.
Frau Präsidentin, vielen Dank. - Ich habe folgende
Frage an die Bundesregierung: Aus welchen Gründen
wurde der Geschäftsführer der Firma Far Eastern Fernost Beratungs- und Handelsgesellschaft mbH, Ralf
Marohn, an der auch der Bruder des Bundesministers
des Auswärtigen Anteilseigner ist, in dessen Delegation
nach Japan und China im Januar 2010 eingeladen, und
wer hat ihn für diese Delegation vorgeschlagen?
Bitte, Herr Staatsminister.
Die Begründung ist glasklar: Herr Marohn ist einer
der wesentlichen Experten für die Geschäftsanbahnung
mit China. Er ist hoch anerkannt und kommt deshalb für
eine solche Reise infrage. Er hat eine große Anzahl von
Reisebegleitungen - auch für offizielle Delegationen gemacht und sich sehr sinnvoll eingesetzt, insbesondere
für den Mittelstand im Chinageschäft. Ich kann Ihnen
die konkrete Frage, woher ein Brief gekommen ist, mit
dem angeregt wurde, dass Herr Marohn mitfährt, nicht
beantworten. Wenn ich zuständig gewesen wäre, hätte es
durchaus sein können, dass ich selber auf die Idee gekommen wäre, ihn zu fragen, ob er nicht bereit wäre,
mitzufahren.
Die nächste Frage stellt die Kollegin Koczy. Das ist
die letzte Frage in der Regierungsbefragung.
Danke, Frau Präsidentin. - Frau Staatssekretärin
Kopp, ich will eine Nachfrage zur Reform der Vorfeldorganisationen stellen. Heute ist im Kabinett der erste
Bericht zur Reform der Vorfeldorganisationen vorgelegt
worden. Es handelt sich nicht um einen Entwurf, sondern um einen ersten Bericht. Meine Frage lautet: Wird
diese Debatte in eine inhaltliche Diskussion über die
Ziele der Entwicklungszusammenarbeit eingebettet?
Was uns vorliegt, zeigt, dass es sich bislang eher um eine
technokratische Angelegenheit handelt. Es geht nur um
die technische Zusammenarbeit, die in dieser Form noch
nie so stattgefunden hat und nicht geplant war. Die vorherigen Fusionsplanungen liefen auf einer anderen
Ebene. Die entscheidende Frage ist: Wird das BMZ eine
Debatte über die inhaltliche Ausgestaltung der Entwicklungszusammenarbeit im Rahmen der Reform einplanen?
Bitte, Frau Staatssekretärin.
Danke sehr, Frau Präsidentin. - Selbstverständlich
wird eine inhaltliche Diskussion im Zusammenhang mit
der organisatorischen Neuordnung geführt werden. Ich
weise aber darauf hin, dass wir schon sehr viele Debatten
über eine inhaltliche Neuausrichtung der Entwicklungszusammenarbeit im Plenum, aber auch in den Ausschüssen geführt haben. Es geht uns darum, in besonderer
Weise mit den Institutionen, aber auch mit der Zivilgesellschaft zusammenzuarbeiten. Sie kennen sicherlich
die Debatte über die Stärkung des Privatsektors und der
Zivilgesellschaft. Konkret heißt das: Wir möchten zu einem Verhältnis von etwa zwei Dritteln bilaterale Zusammenarbeit zu einem Drittel multilaterale Zusammenarbeit
- verstehen Sie das bitte nicht als starres Verhältnis kommen. Auch die multilaterale Zusammenarbeit muss
gestärkt werden. Aber wir möchten einen anderen Akzent setzen.
Es ist jedoch völlig klar, dass bei der Neuorganisation
der Strukturen auch die inhaltliche Ausrichtung eine
große Rolle spielt. Ich nenne als ein Beispiel einen wichtigen Punkt. Wir wollen einen zielgenaueren Einsatz der
Mittel, ob personeller oder finanzieller Art, erreichen.
Wir möchten die Prozesse sehr viel transparenter und
effektiver gestalten. Wir sind der Ansicht, dass es in der
Entwicklungszusammenarbeit sehr viel mehr Potenziale
zu heben gibt, als das in der Vergangenheit der Fall war.
Beides hängt zusammen. Beides sind wichtige Säulen einer schlagkräftigen Entwicklungszusammenarbeit. Seien
Sie versichert: Die inhaltliche Ausrichtung wird mit der
personellen zusammenhängen.
Ich beende die Befragung der Bundesregierung. Es
gibt zwar noch Nachfragebedarf, aber die für die Regierungsbefragung vorgesehene Zeit ist schon überschritten. Danke, Frau Staatssekretärin.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 2 auf:
Fragestunde
- Drucksache 17/1107 Ich rufe die Fragen auf Drucksache 17/1107 in der üblichen Reihenfolge auf. Wir beginnen mit dem Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Gesundheit.
Zur Beantwortung der Fragen steht der Parlamentarische
Staatssekretär Daniel Bahr zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 1 der Kollegin Kathrin Vogler auf:
Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung hinsichtlich
der Auswirkungen der Honorarreform, die seit 1. Januar 2009
in Kraft ist, auf die Vergütung niedergelassener Kassenärztinnen und -ärzte in den einzelnen Bundesländern, und welche
konkreten Maßnahmen plant die Bundesregierung, um die
Verunsicherung vieler Ärztinnen und Ärzte insbesondere
- aber nicht nur - in Nordrhein-Westfalen und BadenWürttemberg zu beheben?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Vielen Dank, Frau Präsidentin - Frau Abgeordnete
Vogler, die Gewinnung von Erkenntnissen über die Auswirkungen der Honorarreform, die seit dem 1. Januar
2009 in Kraft ist, auf die Vergütung der niedergelassenen
Vertragsärztinnen und Vertragsärzte wird derzeit dadurch erschwert, dass der Bundesregierung trotz der geParl. Staatssekretär Daniel Bahr
setzlich vorgegebenen Berichtspflicht der gemeinsamen
Selbstverwaltung der Ärzte und Krankenkassen auf Bundesebene noch keine bzw. noch keine vollständig plausibilisierten Datenberichte für das erste Halbjahr 2009, das
heißt für das erste Quartal und das zweite Quartal 2009,
vorliegen.
Der Datenbericht für das erste Quartal wurde von der
KBV am 15. Februar 2010 vorgelegt. Die Daten sind
aber unvollständig und weisen zudem eine Reihe von
gravierenden Implausibilitäten auf, die bislang noch
nicht aufgeklärt werden konnten. Der Datenbericht für
das zweite Quartal wurde von der Kassenärztlichen Bundesvereinigung für Mitte April 2010 in Aussicht gestellt.
Die Bundesregierung nimmt die immer wieder geäußerte Kritik von Ärztinnen und Ärzten an den Auswirkungen der Honorarreform sehr ernst. Der Koalitionsvertrag der neuen Koalition sieht ja auch vor, dass die
seit dem 1. Januar 2009 geltende Honorarreform nach einer kritischen Überprüfung zusammen mit den Beteiligten den erforderlichen Kurskorrekturen unterzogen wird.
Eine sachgerechte Überprüfung der Honorarreform
ist allerdings erst dann möglich, wenn die dafür erforderlichen Daten auch wirklich vorliegen. Diese müssen die
Entwicklung in den einzelnen Regionen und Arztgruppen sowie den verschiedenen Versorgungsbereichen differenziert abbilden. Erst auf dieser Grundlage wird der
konkrete Anpassungsbedarf einzuschätzen sein. Wegen
der herausgehobenen Bedeutung der Datenberichte für
die im Koalitionsvertrag vereinbarte Überprüfung der
Honorarreform und die Entscheidung über die Einleitung konkreter Maßnahmen hat das Bundesministerium
für Gesundheit die zuständige Selbstverwaltung noch
einmal eindringlich darum gebeten, die auf gesetzlicher
Grundlage angeforderten Daten so schnell wie möglich
bereitzustellen.
Sie haben das Wort zu einer ersten Nachfrage.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Herr Staatssekretär,
in der Ärzte Zeitung vom Montag dieser Woche wird berichtet, dass der Landesminister für Arbeit, Gesundheit
und Soziales, Karl-Josef Laumann, in Nordrhein-Westfalen sich die Argumentation der dortigen Kassenärzte
zu eigen macht und sagt - ich zitiere -:
Unser Gesundheitssystem in Nordrhein-Westfalen
ist sowohl im Krankenhaus- als auch im niedergelassenen Bereich zusammen mit Schleswig-Holstein das am schlechtesten bezahlte in ganz
Deutschland.
Angesichts dessen, was Sie gerade vorgetragen haben, frage ich mich, woher Minister Laumann diese Zahlen nimmt, ob es sich bei diesen Auslassungen nicht eher
um Wahlkampfgetöse und den Versuch handelt, die Beunruhigung der Ärztinnen und Ärzte in Nordrhein-Westfalen zu nutzen, um im Wahlkampf dort Punkte zu
machen. Haben Sie Erkenntnisse darüber, ob die Landesregierung in Nordrhein-Westfalen über Zahlen- und
Datenmaterial verfügt, das Ihnen als Bundesregierung
nicht vorliegt und aus dem Sie die Datenlage ableiten
könnten, die der Minister in seinem Redebeitrag dargestellt hat?
Bevor Sie antworten, Herr Staatssekretär, mache ich
vorsorglich auf Folgendes aufmerksam: Im weiteren
Verlauf der Fragestunde werde ich darauf achten, dass
die Fragen mit einem solchen zeitlichen Volumen gestellt werden, dass es möglich wird, mit kurzen Antworten den Verlauf der Sitzung voranzutreiben.
Bitte, Herr Staatssekretär.
Mir liegen keine Erkenntnisse darüber vor, dass dem
Landesminister für Gesundheit des Landes NordrheinWestfalen andere Daten vorliegen als die, die im Bundesministerium für Gesundheit vorhanden sind. Frau
Kollegin Vogler, ich habe eben auch darauf hingewiesen,
dass uns zwar Daten für das erste Quartal 2009 vorliegen, diese aber noch implausibel und nicht vollständig
sind. Wir brauchen vollständige Daten, um sie richtig
beurteilen zu können. Bevor wir diese nicht haben, kommen wir nicht zu Schlüssen, wie sie andere möglicherweise ziehen. Wir als Bundesministerium für Gesundheit
können aufgrund der vorliegenden Daten noch keine
sachgerechte Entscheidung treffen und keine sachgerechte Bewertung vornehmen.
Aufgrund der vorläufigen Daten der Kassenärztlichen
Bundesvereinigung, auf die sich einige politische Äußerungen in der Öffentlichkeit beziehen, können wir lediglich feststellen, dass es in den Jahren 2007 bis 2009 zu
einem Honoraranstieg in Höhe von mindestens 3,5 Milliarden Euro bzw. 13 Prozent gekommen ist, wobei die
Zuwächse in den Regionen in der Tat sehr unterschiedlich waren. Im Ergebnis profitieren die Ärztinnen und
Ärzte in den Regionen am stärksten von der Honorarreform, in denen bislang weit unterdurchschnittliche
Preise gezahlt wurden. Hierzu gehören vor allem die
Kassenärztlichen Vereinigungen der neuen Bundesländer.
Weil Sie sich auf den Landesgesundheitsminister
Laumann bezogen haben, nehme ich einmal Bezug auf
die bisher unvollständig vorliegenden Daten für Westfalen-Lippe und Nordrhein, die beiden Kassenbezirke in
Nordrhein-Westfalen. Für die Kassenärztliche Vereinigung Westfalen-Lippe weisen die Daten der Kassenärztlichen Bundesvereinigung im Vergleich des ersten Halbjahres 2007 und des ersten Halbjahres 2009 einen
Honoraranstieg in Höhe von rund 20,1 Prozent aus; für
die Kassenärztliche Vereinigung Nordrhein wird ein
Honoraranstieg in Höhe von 12,1 Prozent ausgewiesen.
Zusammengenommen erreichen die beiden Kassenärztlichen Vereinigungen Nordrhein-Westfalens im ersten
Halbjahr 2009 gegenüber dem ersten Halbjahr 2007 damit einen Anstieg in Höhe von 15,7 Prozent.
Sie haben das Wort zu einer zweiten Frage.
Herzlichen Dank; das war sehr aufschlussreich. Landesminister Laumann rät den Ärztinnen und Ärzten
im Bezirk Nordrhein - Zitat -:
Vielleicht können Sie in den nächsten Wochen ja
vergessen, die Beiträge an die KBV zu überweisen.
Wie stellt sich die Bundesregierung zu dieser Aussage?
Meiner Ansicht nach handelt es sich da um einen klaren
Aufruf zum Rechtsbruch. Vielleicht sieht der Landesminister das als zivilen Ungehorsam. Aber nichtsdestotrotz glaube ich, dass da Handlungsbedarf seitens der
Bundesregierung besteht, um die Landesregierung von
Nordrhein-Westfalen in ihre Schranken zu weisen, was
den Aufruf an die Kassenärztliche Vereinigung Nordrhein zum Rechtsbruch angeht.
Ein solcher ernsthafter Vorschlag durch das Landesgesundheitsministerium Nordrhein-Westfalens ist uns
nicht bekannt. Wir würden den Ärztinnen und Ärzten in
Nordrhein-Westfalen einen solchen Vorschlag auch nicht
machen.
Zu einer weiteren Nachfrage hat der Kollege
Weinberg das Wort.
Herr Staatssekretär, auch wenn jetzt noch keine validen Daten für das erste Quartal - für das zweite Quartal
ohnehin noch nicht - vorliegen, wie Sie sagen, so hat
doch dieser ganze Prozess insgesamt zu einer großen
Verunsicherung bei den Ärztinnen und Ärzten und damit
auch bei den Patientinnen und Patienten geführt. Was gedenkt die Bundesregierung zu tun, um dieser Verunsicherung entgegenzuwirken?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Ich darf nur darauf
hinweisen, Frau Präsidentin, dass diese Frage von Frau
Kollegin Vogler gestellt wurde und ich sie so beantwortet habe, dass die Koalitionsvereinbarung dazu eine eindeutige Aussage enthält. Nach einer Auswertung der
Honorarreform wird die Bundesregierung mit den Beteiligten die erforderlichen Kurskorrekturen vornehmen.
Da uns noch nicht die vollständigen Daten vorliegen, die
erst analysiert werden müssen, können wir die Kurskorrekturen noch nicht vornehmen. Aber die Empfehlungen
des Koalitionsvertrages und die Vorgabe für die Koalition sind hier eindeutig. Das wird im Laufe dieser Legislaturperiode auch angegangen.
Als Nächster hat der Kollege Christian Lange das
Wort.
Frau Präsidentin, ich beantrage namens der SPD-Bundestagsfraktion aufgrund der Antwort der Bundesregierung, die wieder einmal die Fragen der Kollegen unzureichend beantwortet hat, eine Aktuelle Stunde
({0})
zum Thema Gesundheitspolitik der Bundesregierung gemäß unserer Geschäftsordnung nach Ende unserer Fragestunde.
({1})
Herzlichen Dank.
Die Fraktion der SPD hat zur Antwort der Bundesregierung eine Aktuelle Stunde verlangt. Liebe Kolleginnen und Kollegen, das entspricht Nr. 1 b der Richtlinien
für die Aktuelle Stunde. Die Aussprache findet im Anschluss an die Fragestunde statt.
Zur Erklärung für diejenigen, die heute zum ersten
Mal einer Fragestunde des Deutschen Bundestages beiwohnen: Präsidentinnen und Präsidenten haben keinen
Ermessensspielraum, wenn ein solcher Antrag nach
Nr. 1 b der Richtlinien für die Aktuelle Stunde gestellt
wird.
({0})
- Kollege Grund, ich habe zur Kenntnis genommen,
dass der Kollege Christian Lange festgestellt hat, dass
die Fragen der Kollegin Kathrin Vogler auch aus seiner
Sicht unzureichend beantwortet wurden. Insofern hat er
die Frage der Kollegin Vogler übernommen und die Aktuelle Stunde beantragt. Das ist korrekt und unterliegt
ansonsten dann Ihrer Bewertung in den weiteren Auseinandersetzungen des Tages.
Ich rufe die Frage 2 der Kollegin Kathrin Vogler auf:
Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung, die immerhin durch den Staatssekretär im Bundesministerium für Gesundheit, Stefan Kapferer, im Vorstand des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen, IQWiG,
vertreten ist, hinsichtlich der Kosten für die Überprüfung des
Institutsleiters Professor Dr. Peter Sawicki, und stimmt der
Bericht im Spiegel vom 14. März 2010 insoweit, als die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft BDO den Auftrag zur Überprüfung im Wert von 20 000 Euro ohne Ausschreibung erhalten
hatte, obwohl die Verfahrensordnung des Instituts ab 12 500 Euro
eine Ausschreibung vorsieht?
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Vielleicht gelingt es
mir erneut, die Frage der Kollegin Vogler so zu beantworten, dass sie sagt, die Antwort sei sehr aufschlussreich gewesen, wie es eben der Fall war.
Die Beauftragung der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft BDO verstößt entgegen der Vermutung in der
Frage nicht gegen vergaberechtliche Regelungen und
auch nicht gegen die interne Vergaberichtlinie des Instituts. Zu dieser Beauftragung bedurfte es keiner Ausschreibung, weil es sich bei der zu erbringenden Dienstleistung um eine Leistung handelte, die im Wettbewerb
mit freiberuflich Tätigen - Wirtschaftsprüfer und
Rechtsanwälte seien hierbei genannt - angeboten wird.
Derartige Dienstleistungen, die nicht unter den Anwendungsbereich der Verdingungsordnungen fallen, können
grundsätzlich freihändig vergeben werden. Auch die interne Vergaberichtlinie des Instituts für Qualität und
Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen sieht ausdrücklich vor, dass öffentliche Aufträge, die eine Leistung eines freiberuflich Tätigen zum Inhalt haben und, wie vorliegend, unterhalb der EG-Schwellenwerte angesiedelt
sind, in der Regel grundsätzlich freihändig vergeben
werden können.
Der Vorstand der Stiftung für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen hat einvernehmlich vereinbart, dass keine Detailinformationen über die Beauftragung der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft BDO und
deren Ergebnisse an die Öffentlichkeit gegeben werden.
Die Diskussion um nicht ordnungsgemäße Verwaltungsabläufe und ihre Überprüfung soll zum Schutz der
Institutsarbeit und der Mitarbeiter nicht weiter angefacht
werden. Eine Veröffentlichung der an die BDO geleisteten Zahlungen wäre im Übrigen auch nur mit deren Zustimmung möglich, weil das Auftragshonorar als Betriebs- bzw. Geschäftsgeheimnis anzusehen ist.
Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage.
Herr Staatssekretär, welche sachlichen Grundlagen
liegen denn dieser Aufteilung des Verfahrens - freiberufliche Auftragnehmer einerseits und gewerbliche oder institutionelle Auftragnehmer andererseits - zugrunde,
und in welcher Art und Weise hat die Bundesregierung,
die durch Staatssekretär Kapferer im Vorstand des Instituts vertreten ist, darauf Einfluss genommen, dass diese
Aufträge an die BDO erteilt worden sind?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Zum ersten Teil der Frage verweise ich auf meine
Antwort von eben: Bei der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft BDO handelt es sich um einen Wirtschaftsprüfer,
also um einen freiberuflich Tätigen. Das heißt, Dienstleistungen wie die, die die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft BDO erbringt, fallen eben nicht unter den Anwendungsbereich der Verdingungsordnungen und können
deshalb grundsätzlich freihändig vergeben werden. Hier
halten wir uns eindeutig an die Vorgaben, die an dieser
Stelle auch erfüllt sind.
Zum zweiten Teil der Frage - das war die Frage nach
der Entscheidung der Stiftung -: Die Entscheidung des
Stiftungsvorstandes wurde einvernehmlich gefällt und
insofern auch von allen Beteiligten getroffen, die im
Stiftungsvorstand sind, das heißt, Ärzten, Krankenhäusern und Krankenkassen. Übrigens wurde auf Wunsch
des Institutsleiters eine Prüfung durchgeführt. Das heißt,
es war nicht alleiniger Wille des Bundesministeriums,
sondern der einvernehmliche Wunsch der Beteiligten in
dem Vorstand und auch der Betroffenen.
Sie haben das Wort zur zweiten Nachfrage. - Sie verzichten.
Die Fragen 3 und 4 der Kollegin Dr. Martina Bunge
werden schriftlich beantwortet.
Ich rufe die Frage 5 der Kollegin Kathrin SengerSchäfer auf:
Unter welchen Annahmen trifft die Einschätzung des Bundesversicherungsamtes zu, dass es in der gesetzlichen Krankenversicherung im kommenden Jahr eine Finanzlücke von
etwa 6,4 Milliarden Euro geben wird bzw. das Defizit sogar
auf 15 Milliarden Euro ansteigen könnte?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Ich darf für die Bundesregierung sagen, dass konkrete Prognosen zur Finanzentwicklung der gesetzlichen Krankenversicherung
derzeit lediglich für das Jahr 2010 möglich sind. Danach
ist auf Basis der bisherigen Annahmen des Schätzerkreises unter Berücksichtigung des zusätzlichen Bundeszuschusses von 3,9 Milliarden Euro zum Ausgleich krisenbedingter Mindereinnahmen in diesem Jahr von einer
Unterdeckung der voraussichtlichen Ausgaben der gesetzlichen Krankenversicherung gegenüber den Zuweisungen des Gesundheitsfonds in einer Größenordnung
von circa 4 Milliarden Euro auszugehen. Für das Jahr
2011 sind derzeit keine validen Finanzschätzungen möglich. Der Schätzerkreis wird sich auf seiner Herbstsitzung erstmalig damit befassen.
Da zum derzeitigen Zeitpunkt keine validen Annahmen über die Einnahme- und Ausgabenentwicklung im
nächsten Jahr getroffen werden können, hat auch der
Präsident des Bundesversicherungsamtes keine konkreten Prognosen über eine zu erwartende Finanzentwicklung der gesetzlichen Krankenversicherung ab dem Jahr
2011 in der Regierungskommission in der letzten Woche
abgegeben, sondern er hat lediglich rein rechnerische
Annahmen darüber getroffen, welches Finanzergebnis
der gesetzlichen Krankenversicherung sich bei bestimmten Veränderungen der Einnahmen und Ausgaben ergäbe.
Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Auch wenn jetzt
noch keine validen Berechnungen vorliegen, wie Sie gesagt haben, würde es mich doch interessieren, wie das
für das Jahr 2011 geschätzte Defizit in der gesetzlichen
Krankenversicherung gedeckt werden soll. Soll es durch
Erhebung von Zusatzbeiträgen gedeckt werden, oder ist
eine Anhebung des allgemeinen Beitragssatzes vorgesehen?
Bitte.
Genau diese Frage ist Gegenstand der Beratungen in
der Regierungskommission, die ihre Arbeit aufgenommen, in der letzten Woche zum ersten Mal getagt und
sich mit den Vorträgen des Präsidenten des Bundesversicherungsamtes und des Vorsitzenden des Sachverständigenrats zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen einen ersten Überblick über die Entwicklung
verschafft hat. Das heißt, die Regierungskommission
wird in den Beratungen zu konkreten Ergebnissen kommen, wie mit einem möglichen Defizit im Jahre 2011 zu
verfahren ist. Vorentscheidungen über Beitragssatzentwicklung und Zusatzbeiträge können hier noch nicht getroffen werden. Im Übrigen gilt die Vereinbarung des
Koalitionsvertrages, der vorsieht, dass der schon in der
letzten Legislaturperiode festgeschriebene Arbeitgeberbeitrag weiterhin fest bleibt.
Sie haben das Wort zu einer zweiten Nachfrage. - Sie
verzichten.
Dann rufe ich die Frage 6 der Kollegin Kathrin
Senger-Schäfer auf:
Ist es zutreffend, dass sich die Regierungskommission zur
nachhaltigen und sozial ausgewogenen Finanzierung des Gesundheitswesens - wie von der Parlamentarischen Staatssekretärin beim Bundesminister für Gesundheit, Annette
Widmann-Mauz, auf dem DAK-Pflegetag am 18. März 2010
angekündigt - auch mit Fragen der zukünftigen Ausgestaltung
der sozialen Pflegeversicherung befasst, und, wenn ja, welchen inhaltlichen Umfang hat diese weiterreichende thematische Ausrichtung der Kommission?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Gefragt war danach, ob sich die Regierungskommission, die in der letzten Woche zum ersten Mal getagt hat,
auch mit den Fragen der Ausgestaltung der sozialen
Pflegeversicherung befassen wird. In der Frage wird dabei auf Äußerungen meiner Kollegin, der Parlamentarischen Staatssekretärin Annette Widmann-Mauz, bei einer Veranstaltung am 18. März Bezug genommen. Ich
darf nur sagen: Diese Wiedergabe der Äußerungen von
Frau Widmann-Mauz ist nicht zutreffend. Die in der
Frage formulierte Vermutung ist von der Parlamentarischen Staatssekretärin Annette Widmann-Mauz nicht geäußert worden.
Sie haben das Wort zur Nachfrage.
Zur Konkretisierung: Wird sich demnach die Bundesregierung nicht in einer weiteren Kommission eigens mit
der dem Koalitionsvertrag zu entnehmenden Neuausrichtung des solidarischen Pflegeversicherungssatzes befassen? Habe ich das richtig verstanden?
Nein, Frau Kollegin Senger-Schäfer, das haben Sie
insofern nicht korrekt verstanden, als der Unterschied
darin besteht, dass wir im Bereich der Gesundheitspolitik eine Regierungskommission zur nachhaltigen Finanzierung im Gesundheitswesen einsetzen - so sieht es der
Koalitionsvertrag vor -, während wir für den Bereich der
Pflege vorsehen, die Pflegeversicherung vor dem Hintergrund einer alternden Bevölkerung zukunftsfest und
nachhaltig zu stabilisieren und dafür eine interministerielle Arbeitsgruppe einzusetzen. Es ist der Plan der Regierung, dass diese interministerielle Arbeitsgruppe im
zweiten Halbjahr dieses Jahres eingesetzt wird. Diese interministerielle Arbeitsgruppe wird sich dann mit den Finanzfragen der sozialen Pflegeversicherung ausreichend
beschäftigen.
Haben Sie eine zweite Nachfrage? - Keine. Dann
danke ich dem Herrn Staatssekretär.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung. Zur
Beantwortung der Fragen steht der Parlamentarische
Staatssekretär Dr. Andreas Scheuer zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 7 des Kollegen Dr. Anton Hofreiter
auf:
Inwieweit trifft es zu, dass gemäß der Anfang Februar
2010 veröffentlichten Ausschreibung „Begleitung/Beratung
des Bundesministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ({0}) bei der Vergabe von vier ÖPP-Projekten im
Bundesfernstraßenbau“ das im Rahmen dieses Verfahrens
ausgewählte Beratungsunternehmen - bzw. einzelne Mitglieder eines Beratungskonsortiums - bei anderen als den vom
ausgeschriebenen Auftrag abgedeckten Projekten auch für
Unternehmen - gegebenenfalls als Mitglieder von Konsortien arbeiten darf, welche als Bieter - gegebenenfalls in Konsortien - bei den A-Modell-Projekten beteiligt sind?
Angesichts der komplizierten Fragestellung hoffe ich
sehr, Herr Staatssekretär und Herr Abgeordneter, dass
Ihre Antworten und Zusatzfragen mir ermöglichen, den
tieferen Sinn dessen, wonach hier gefragt ist, noch zu ergründen. - Bitte, Herr Staatssekretär.
Frau Präsidentin, ich lade Sie gerne in den Verkehrsausschuss ein, damit Ihnen dieses Vokabular vertraut
wird. Ich bemühe mich aber, für die Kolleginnen und
Kollegen, die nicht im zuständigen Ausschuss sitzen, die
Frage verständlich zu beantworten.
Herr Kollege Hofreiter, das im Rahmen der Anfang
Februar 2010 veröffentlichten Ausschreibung „Begleitung/Beratung des Bundesministeriums für Verkehr, Bau
und Stadtentwicklung bei der Vergabe von vier ÖPPProjekten im Bundesfernstraßenbau“ auszuwählende
Beratungskonsortium darf zeitgleich für Unternehmen
arbeiten, die als Bieter bei ÖPP-Projekten im Bundesfernstraßenbau beteiligt sind, sofern es sich dabei nicht
um die in oben genannter Ausschreibung abgedeckten
vier Projekte handelt.
Vergaberechtliche Bedenken bestehen nicht. Jeder
einzelne Berater muss im Falle der Beauftragung durch
das BMVBS eine Erklärung über die Verpflichtung im
Sinne von § 1 des Verpflichtungsgesetzes unterzeichnen.
Die Berater sind insofern zur Geheimhaltung der im Zusammenhang mit diesem Auftrag erlangten Informationen im Sinne von § 353 b Abs. 2 Nr. 2 StGB verpflichtet.
Danke schön. - Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Die Bundesregierung geht also nicht davon aus, dass es sich um einen Interessenkonflikt handelt, wenn ein Mitarbeiter des Beratungsunternehmens oder des Beratungskonsortiums für
eine Firma tätig ist, die auch Aufträge im Rahmen eines
anderen PPP-Projektes annimmt - ich nenne zum Beispiel den Ausbau der A8 zwischen München und Augsburg -, und wenn er gleichzeitig die Wirtschaftlichkeitsuntersuchung für den Bund durchführt, ob PPP sinnvoll
ist oder nicht sinnvoll ist. Habe ich es richtig verstanden,
dass die Bundesregierung da keinen Interessenkonflikt
sieht?
Wir gehen davon aus und sind fest davon überzeugt,
dass sich die Berater, die sich vorher verpflichtet haben,
an diese Verpflichtung halten. Somit ist der Sachverhalt
so, wie ich ihn in der Antwort dargestellt habe. Ja.
Ihre zweite Nachfrage.
Das bedeutet also, dass die Bundesregierung abstreitet, dass es für einen Berater sinnvoll sein kann, im PPPGeschäft für eine Firma tätig zu sein, die Wirtschaftlichkeitsuntersuchungen - um die handelt es sich letztendlich - durchführt und die darüber entscheidet, ob die
Bundesrepublik ein Verkehrsinfrastrukturobjekt - zum
Beispiel eine Autobahn - mithilfe von PPP oder klassisch-öffentlich ausbaut. Es geht meistens um sehr viel
Geld. Die Projekte haben einen Umfang zwischen
500 Millionen und über 1 Milliarde Euro.
Trifft es also zu, dass die Bundesregierung bestreitet,
dass es einen Interessenkonflikt gibt, wenn ein Berater
die Bundesregierung in die Richtung berät, dass die Unternehmen, für die er sonst tätig ist, einen Vorteil haben?
Die Unternehmen haben doch ein ganz großes Interesse,
dass die Autobahnen in Form von PPP-Projekten ausgebaut werden und nicht klassisch. Diese Meinung haben
die Unternehmen auch geäußert.
Bitte, Herr Staatssekretär.
Herr Kollege Hofreiter, Sie lassen in Ihrer Frage die
Trennung von Ausschreibung und Beratertätigkeiten
vermissen. Ich denke, dass ich in meiner Antwort unmissverständlich klargestellt habe, dass das unabhängig
von den in der Ausschreibung abgedeckten Projekten ist
und dass es eine Verpflichtung für die Berater gibt, diese
Trennung bei ihrer Arbeit sehr sorgfältig zu beachten
und umzusetzen.
Wir kommen damit zur Frage 8 des Kollegen
Dr. Anton Hofreiter:
Inwieweit trifft es insofern zu, dass ein im Rahmen dieses
Ausschreibungsverfahrens ausgewähltes Beratungsunternehmen beispielsweise bei kommunalen PPP-Projekten ein Bauunternehmen beraten darf, welches als Bieter - gegebenenfalls
im Rahmen eines Konsortiums - an den Ausschreibungsverfahren für die A-Modell-Projekte teilnimmt?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Diese Frage zu demselben Themenkomplex beantworte ich wie folgt: Berät ein Beratungskonsortium ein
Bauunternehmen im Rahmen kommunaler ÖPP-Projekte, so schließt das eine Beauftragung im Rahmen der
Anfang Februar veröffentlichten Ausschreibung nicht
aus. Eine Beauftragung scheitert seitens des Bundesministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung auch
dann nicht, wenn das Bauunternehmen zeitgleich als Bieter - gegebenenfalls im Rahmen eines Konsortiums - an
ÖPP-Projekten im Bundesfernstraßenbau beteiligt ist,
sofern ein Interessenkonflikt ausgeschlossen werden
kann, das heißt in diesem Falle, sofern ausgeschlossen
ist, dass der Berater im Rahmen eines ÖPP-Projekts zeitgleich sowohl aufseiten der öffentlichen Hand als auch
aufseiten der Privaten tätig wird.
Ihre erste Nachfrage, bitte.
Erst einmal vielen Dank, Herr Staatssekretär, für die
doch sehr eindeutigen Antworten. - Das heißt, die Bundesregierung geht davon aus, dass ein Berater gewissermaßen in schizophrener Art in der Lage ist, zwischen
dem zu trennen, was er für das Bauunternehmen macht,
und dem, was er für die Bundesregierung macht, und
dies klar und sauber auseinanderzuhalten. Da solche
Dinge zum Beispiel schon bei Banken scheitern, wenn
es sich um unterschiedliche Abteilungen handelt - denken Sie an sogenannte Chinese Walls usw. -, wie wollen
Sie dann in der Praxis sicherstellen, dass eine solche
Trennung im Kopf der Leute stattfindet?
({0})
Ihre Bemerkung nehme ich gerne auf, Herr Kollege
Hofreiter. Über die psychischen Einschätzungen, die Sie
in der Frage unterstellen, will ich mir jetzt kein Urteil erlauben. Danke für das Lob an das Haus, dass wir so eindeutig antworten. Wir machen das sehr gerne.
Vom Inhalt her ist völlig klar, dass es um zwei verschiedene Mandate geht und dass die Berater dies trennen können. Dazu haben sie sich verpflichtet.
({0})
Ihre zweite Nachfrage.
Wenn die Berater angeblich so unabhängig agieren,
dann können wir sicher davon ausgehen, dass wir im
Verkehrsausschuss über die Wirtschaftlichkeitsuntersuchung zumindest nach Abschluss der Projekte - die ersten sind bereits im Bau - transparent diskutieren können.
Wie steht die Bundesregierung dazu? Es geht also nicht
um zukünftige Projekte, sondern darum, dass wir als
Parlament die Projekte, die in der Vergangenheit stattgefunden haben und bei denen auch diese Wirtschaftlichkeitsuntersuchungen erstellt wurden, evaluieren und
überprüfen können und darüber im Verkehrsausschuss in
transparenter Weise diskutieren können.
Bitte, Herr Staatssekretär.
Herr Kollege, die Bundesregierung ist immer um
Transparenz bemüht. In diesem Sinne haben wir schon
öfter im zuständigen Fachausschuss Ihre Anliegen aufgenommen. Ich habe Ihnen zugesagt, dass wir im Ausschuss eine separate Diskussion über die Sinnhaftigkeit
und Wirtschaftlichkeit von ÖPP-Projekten führen werden. Wir haben aber auch bestätigt, dass all das, was in
die vertraglichen Ausgestaltungen hineingreift, natürlich
nicht Gegenstand der Diskussion sein kann. Wir haben
darüber intensive Diskussionen im Fachausschuss geführt; Sie erinnern sich sicher an die letzten Sitzungen.
Wir können und müssen aber generell über die Wirtschaftlichkeit dieser für den Verkehrsbereich wichtigen
ÖPP-Projekte diskutieren.
Vorerst herzlichen Dank, Herr Staatssekretär.
Wir bleiben im Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung. Zur Beantwortung der Fragen 9 bis 13 steht der Parlamentarische Staatssekretär Enak Ferlemann zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 9 der Kollegin Lisa Paus auf:
Bei welchen Aufträgen der Bundesregierung, nachgeordneter Behörden oder der von ihr beherrschten Unternehmen
an die Bilfinger Berger AG seit dem Jahr 2000 sind der Bundesregierung Verdachtsfälle von Materialunterschlagungen, Manipulationen an der Bauausführung, überhöhten Abrechnungen oder korruptiven Praktiken bekannt geworden ({0})?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Frau Präsidentin, die Frage beantworte ich wie folgt:
Die Bundesregierung bzw. das nachgeordnete EisenbahnBundesamt erteilen keine Aufträge im Eisenbahnbau.
Vorhabenträger für Investitionen in die Bundesschienenwege ist die Deutsche Bahn AG. Dem Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung sowie dem
Eisenbahn-Bundesamt ist kein Verdachtsfall auf Korruption der Firma Bilfinger Berger AG vom Jahr 2000 bis
heute bekannt. Die Deutsche Bahn AG kann in der
Kürze der Zeit weder bestätigen noch ausschließen, dass
ihr ein entsprechendes Vorkommnis bekannt ist.
Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage.
Herzlichen Dank, Frau Präsidentin. - Herr Staatssekretär, Bilfinger Berger ist nicht nur im Eisenbahnbau
tätig. Die Bundesregierung ist zum Beispiel am Bau des
Berliner Flughafens Schönefeld beteiligt. Wenn ich richtig informiert bin - zumindest stand dies so in der Wirtschaftswoche -, ist im Rahmen des Bahnanschlusses und
des Gesamtkomplexes Flughafen sehr wohl ein Auftrag
an Bilfinger Berger erteilt worden. Von daher frage ich
Sie: Haben Sie die Vorkommnisse, die - wie wir inzwischen leider feststellen mussten - keine Einzelfälle sind,
sondern gehäuft aufgetreten sind, zum Anlass genommen, um laufende und auch kürzlich abgeschlossene
Bauarbeiten, an denen die Bundesregierung beteiligt ist
und die sich nicht nur auf den Eisenbahnbereich bezieLisa Paus
hen, zu überprüfen? Sind Sie daraufhin auf neue Erkenntnisse gestoßen?
Geschätzte Kollegin, zunächst muss ich Sie etwas
korrigieren. Natürlich ist die Bilfinger Berger AG auch
im Bahnbau und im Tunnelbau für Eisenbahnunternehmen tätig. Die Fälle, in denen eine Beteiligung vorliegt,
werden von der Deutschen Bahn AG überprüft. Das hat
bisher zu keinen negativen Erkenntnissen geführt. Im
Übrigen baut die Bilfinger Berger AG unter anderem an
U-Bahn-Schächten mit. Auch hier sind uns bis dato keine
negativen Fälle bekannt geworden, sodass ich - nach
unserem Kenntnisstand - ein Fehlverhalten ausschließen
kann.
Sie haben das Wort zu einer zweiten Nachfrage.
Habe ich Sie richtig verstanden, dass Sie keine weiteren Überprüfungen vorgenommen haben, obwohl die
Bundesregierung selbst betroffen ist? Es liegt doch nahe,
dass es nicht nur Einzelfälle in Düsseldorf, Köln, Nürnberg und München gegeben hat, sondern dass es eventuell
auch bei anderen Bauprojekten, die von der Bilfinger
Berger AG durchgeführt worden sind, Materialunterschlagungen, Manipulationen an der Bauausführung und
überhöhte Abrechnungen gegeben haben kann. Ist es
richtig, dass Sie keine eigenen Überprüfungen veranlasst
haben?
Derzeit führen diese Überprüfungen diejenigen durch,
die das Bauvorhaben als Bauherr begleitet haben. Wir finanzieren lediglich diese Vorhaben zum großen Teil,
sind also nicht direkt an der Bauausführung bzw. an der
Kontrolle beteiligt. Wir haben aber diejenigen, die am
Bau beteiligt waren, gebeten, uns zu berichten, ob es
Verfehlungen gegeben hat. Bisher ist uns nichts bekannt.
Die Fragen 10 und 11 der Kollegin Dorothée Menzner
werden schriftlich beantwortet. Diese befassen sich,
ebenso wie die jetzt folgenden Fragen 12 und Frage 13
der Kollegin Sabine Stüber, mit Auflagen und Sicherheitsbestimmungen für deutsche Häfen, mit der Abwicklung von Transporten von plutoniumhaltigen Mischoxidbzw. von Uran-Brennelementen.
Ich rufe die Frage 12 der Kollegin Sabine Stüber auf:
Welche Auflagen bezüglich des Durchlaufens einer
Kalthantierung im Rahmen von Transporten von MischoxidBrennelementen bzw. Uran-Brennelementen gibt es für die
einzelnen deutschen Häfen?
Danke schön, Frau Präsidentin. - Die Frage beantworte ich wie folgt: Auflagen bezüglich der Durchführung von Kalthandhabung für Häfen gibt es nicht. Im
Rahmen des Genehmigungsverfahrens für Transporte
von Kernbrennstoffen wird geprüft, ob der Transport in
Übereinstimmung mit den einschlägigen Regeln des Gefahrgutrechts und des Atomrechts durchgeführt werden
kann. Diese Prüfungen können auch die Durchführung
einer Kalthandhabung beinhalten.
Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage. - Sie verzichten auf die Nachfrage.
Ich rufe die Frage 13 der Kollegin Sabine Stüber auf:
Welche deutschen Häfen haben bereits eine Kalthantierung
mit Mischoxid- bzw. Uran-Brennelementen durchlaufen?
Ich gebe folgende Antwort: In Cuxhaven wurde die
Abwicklung eines Transports mit Mischoxid-Brennelementen geprüft. In Bremerhaven wurden solche Transporte bereits mehrfach durchgeführt. Transporte mit
Uran-Brennelementen werden in verschiedenen deutschen Häfen regelmäßig umgeschlagen.
Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage.
Bitte spezifizieren Sie, welche verschiedenen deutschen Häfen das sind.
Das kann ich so nicht spezifizieren. Ich muss die
Frage schriftlich beantworten, weil das nicht in der
Kompetenz des BMVBS liegt.
Haben Sie noch eine zweite Nachfrage? - Nein. Ich
gehe davon aus, dass die entsprechenden Informationen
Sie erreichen werden.
Die Frage 14 der Kollegin Bärbel Höhn wird schriftlich beantwortet. Wir kommen zu den Fragen 15 bis 22,
welche sich mit Kriterien für die Besetzung der dem
Bund zustehenden Sitze im Aufsichtsrat der Deutschen
Bahn AG befassen. Die Fragen 15 und 16 des Kollegen
Thomas Lutze werden schriftlich beantwortet.
Ich rufe die Frage 17 der Kollegin Ingrid Remmers auf:
Wie viele Frauen waren bislang Aufsichtsräte der Kapitalseite seit Gründung der Deutschen Bahn AG Anfang 1994, und
hat die Bundesregierung für den Aufsichtsrat der Deutschen
Bahn AG die Möglichkeit einer Frauenquote in Erwägung gezogen, wie sie jüngst in Frankreich allgemein für Verwaltungsräte und jüngst im Fall des Telekom-Aufsichtsrates beschlossen
wurde, oder besteht zumindest ein Frauenförderplan?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Dazu gebe ich folgende Antwort: Bislang gab es eine
weibliche Mandatsträgerin aufseiten der Anteilseignervertreter im Aufsichtsrat der Deutschen Bahn AG. Die
Besetzung der Aufsichtsräte ist im Bundesgremienbesetzungsgesetz geregelt. Darüber hinausgehende Regelungen für die Deutsche Bahn AG bestehen nicht.
Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage.
Herr Kollege Ferlemann, ich hätte gerne einmal gewusst, ob es generell Überlegungen in der Bundesregierung gibt, Frauen in dieses Amt zu berufen, für diese
Aufgabe auszuwählen. Oder gibt es dahin gehend überhaupt keine Vorschläge und Überlegungen?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Es gibt immer die Überlegung, fachlich hochqualifizierte Frauen in Führungsgremien und Aufsichtsräte zu
berufen. In diesem Fall haben wir eine entsprechende
Kandidatin nicht vorgesehen.
Ihre zweite Nachfrage. - Sie verzichten.
Jetzt stellt die Kollegin Sabine Leidig eine Zusatzfrage.
Ich möchte Ihnen die Frage stellen, ob Ihnen bewusst
ist, dass die Deutsche Bahn im Nahverkehr überwiegend
und im Fernverkehr etwa zur Hälfte von Frauen genutzt
wird. Ich möchte ferner fragen, wie Sie sicherstellen
wollen, dass die Interessen von weiblichen Bahnnutzern
auch im höchsten Aufsichtsgremium der Bahn repräsentiert werden.
Bitte, Herr Staatssekretär.
Ich freue mich außerordentlich über die Zahlenangaben, auch wenn ich sie so nicht bestätigen kann. Wenn es
so sein sollte, dass überwiegend Frauen mit der Bahn
fahren, begrüße ich das außerordentlich. Wir freuen uns
über jeden Fahrgast, ob männlich oder weiblich, der das
Eisenbahnsystem nutzt, weil das der Strategie der Bundesregierung entgegenkommt, den Verkehr von der
Straße auf die Schiene zu verlagern.
Die Interessen von Frauen werden in den Aufsichtsgremien der Bahn sehr gut vertreten. Dabei spielt es
keine Rolle, ob die Vertreter im Aufsichtsgremium
männlich oder weiblich sind. Wichtig ist, dass die Interessen der Frauen bei der Beurteilung der Aufgaben
deutlich gesehen werden, und das kann ich garantieren.
({0})
Zu einer weiteren Nachfrage hat die Kollegin
Enkelmann das Wort.
Könnte Norwegen möglicherweise ein Vorbild für die
Bundesrepublik sein? Immerhin ist dort vorgesehen,
dass mindestens 40 Prozent der Mitglieder in Aufsichtsräten von börsennotierten Unternehmen Frauen sein
müssen.
Geschätzte Frau Kollegin, das entspricht nicht ganz
dem Aufgabenfeld des Bundesministeriums für Verkehr,
Bau und Stadtentwicklung. Gleichwohl will ich die
Frage gerne beantworten: Ich finde das prima. Je mehr
Frauen in Leitungspositionen sind, umso besser ist das wenn sie die fachliche Qualifikation dazu und den entsprechenden beruflichen Hintergrund haben. Danach haben wir die Kandidatinnen und Kandidaten jeweils ausgesucht.
Natürlich kann man sehen, wie im europäischen Ausland mit solchen Quotierungen umgegangen wird. Ich
halte grundsätzlich nichts von Quoten, von festen Rahmen. Gleichwohl bin ich ein Vertreter derjenigen, die
sehr dafür sind, auch Frauen in Führungspositionen zu
berufen.
Ausnahmsweise gibt es jetzt noch die Möglichkeit zur
zweiten Nachfrage, auf die Sie vorhin verzichtet haben,
Kollegin Remmers. Das ist dann die letzte zur Frage 17.
Ich danke dafür, Frau Präsidentin. - Wenn ich Sie
jetzt richtig verstanden habe, Kollege Ferlemann, lag zur
Besetzung des Aufsichtsrats nicht eine einzige weibliche
Bewerbung vor.
Man kann sich bei uns nicht einfach so bewerben
- nach dem Motto: Ich schicke einmal eine Bewerbungsmappe hin und kann dann berufen werden -, sondern es
wird gezielt nach Personen gesucht, die aus fachlichen
Gründen für diese Gremien infrage kommen.
({0})
Wir kommen zur Frage 18 der Kollegin Ingrid
Remmers:
Vizepräsidentin Petra Pau
Aufgrund welcher Erfahrungen hält die Bundesregierung
Professor Dr. Dr. h. c. Utz-Hellmuth Felchts Qualifikation für
die Position des Aufsichtsratsvorsitzenden für ausreichend,
wenn dieser zwei Wochen vor seiner ins Auge gefassten Wahl
zum Aufsichtsratsvorsitzenden bekannt gibt, sich im Besitz
einer Modelleisenbahn zu befinden, selbst „kein Bahnfachmann“ zu sein und zur aktuell maßgeblichen Frage der möglichen Trennung von Netz und Betrieb „einfach noch keine Linie“
zu haben ({0})?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Ich gebe folgende Antwort: Mit Utz-Hellmuth Felcht
hat die Bundesregierung einen erfahrenen Wirtschaftsfachmann mit exzellenten Referenzen und herausragenden Managementqualitäten für den Aufsichtsrat der
DB AG gewonnen. Herr Felcht ist eine Persönlichkeit
mit vielfältigen Erfahrungen in großen Industrieunternehmen, sowohl als Aufsichtsrat als auch im operativen
wie auch im strategischen Geschäft.
Ihre erste Nachfrage, bitte.
Ich setze meine Frage in Bezug zur vorherigen Frage.
Der Aufsichtsrat ist überwiegend mit Vertretern aus der
Wirtschaft besetzt. Sie haben eben festgestellt, dass man
sich für diese Aufgabe im Vorstand nicht einfach bewerben kann. Ich ziehe daraus jetzt den Schluss, dass sich in
der gesamten deutschen Wirtschaft keine annähernd
qualifizierte Frau für diese Aufgabe finden lässt.
Bitte, Herr Staatssekretär.
Die rhetorische Frage kann ich so nicht stehen lassen.
Wir sind der Überzeugung, dass wir für diese Aufgabe
mit Utz-Hellmuth Felcht einen exzellenten Mann haben
gewinnen können.
Eine zweite Nachfrage.
Wir haben festgestellt, dass Herr Felcht nach eigenen
Angaben keine näheren Kenntnisse über das neue Betätigungsfeld hat. Sein eigenes Zitat: „Ich bin kein Bahnfachmann.“ Er hat keine eigene Linie zu der Frage, ob
bei der Bahn Netz und Betrieb getrennt werden sollen.
({0})
Das heißt, wir haben hier jemanden, der sich mit der Materie, mit der er sich in Zukunft beschäftigen soll, bis
jetzt noch nicht beschäftigt hat.
Ich muss noch einmal nachhaken. Hat sich bei dieser
Anforderung an die Qualifikation für dieses Amt oder
für andere Posten im Aufsichtsrat keine Frau gefunden?
Bitte.
Ich beantworte die Frage wie folgt: Wir haben für
diese Position genau diesen Mann gesucht und gefunden
({0})
und haben nicht aktiv nach einer weiblichen Person Ausschau gehalten.
Auf Ihre Frage, ob Herr Felcht Erfahrungen im Bahnsektor hat, antworte ich: Er hat sehr wohl Erfahrungen.
Uns lag im Wesentlichen daran, dass auch diejenigen,
die ein Bahnsystem nutzen, den Aufsichtsgremien angehören. Jemand, der ein großes Chemieunternehmen geführt hat und dort in verschiedenen Bereichen tätig war,
ist ein großer Nutzer von Bahninfrastruktur und Bahnbetrieben. Daher liegen bei Herrn Felcht schon naturgegeben große Erfahrungswerte vor. Deswegen ist gerade er
für die Position prädestiniert.
({1})
Ich habe den Wunsch nach zwei Nachfragen gesehen,
nämlich von der Kollegin Leidig und von der Kollegin
Menzner. Danach gehen wir zur nächsten Frage über.
Bitte, Kollegin Leidig.
Sie sprachen gerade von der Eigenschaft des Herrn
Felcht als Nutzer der Bahn, indem er in seiner Verantwortung für einen großen Chemiebetrieb Güter von der
Bahn transportieren ließ. Sehen Sie auch die Eigenschaft
des Herrn Felcht als Mitglied des Direktoriums eines der
größten Baustoffkonzerne der Welt, nämlich des CRH,
welches auch im Tiefbau tätig ist? Sehen Sie darin eine
besondere Qualifikation, weil möglicherweise Geschäftsbeziehungen zur Deutschen Bahn AG geknüpft
werden können?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Es geht nicht um die Eigenschaften von Herrn Felcht
als Person, sondern natürlich als jemandem, der einem
Unternehmen vorgestanden hat. Aus dieser Beziehung
heraus gewinnt natürlich jemand, der solche Managementfunktionen wahrgenommen hat, die notwendige Erfahrung im Umgang auch mit der Eisenbahninfrastruktur
und mit dem Unternehmen Eisenbahn.
Die Frage, ob hier Befangenheit oder Ähnliches vorliegt, kann ich eindeutig verneinen. Im Übrigen ist es so,
dass jedes Mitglied in einem Aufsichtsrat zu Beginn seiner Tätigkeit eine Erklärung nach dem Public Corporate
Governance Kodex zu unterschreiben hat. Damit sind
solche Verdächtigungen, wie Sie sie angedeutet haben,
von vornherein haltlos.
Die letzte Nachfrage zur Frage 18 stellt die Kollegin
Dorothée Menzner.
Herr Staatssekretär, laut Aktiengesetz hat der Aufsichtsrat die Pflicht, die Interessen des Eigentümers zu
vertreten. Im Fall der DB AG ist die Bevölkerung der
Bundesrepublik Deutschland der Eigentümer. Wir als
Parlament bzw. die Regierung sind ihre Vertreter. Sie haben eben ausgeführt, dass Sie es für ein lässliches Problem halten, wenn dort eine große Eigentümergruppe,
zum Beispiel Frauen, nicht vertreten sind. Wie gewährleisten Sie in der Gesamtheit des Aufsichtsrates, dass die
Interessen der Eigentümer, sprich der Bevölkerung der
Bundesrepublik Deutschland, vertreten werden, wenn
doch nach so strengen Kriterien, wie Sie sie eben ausgeführt haben, ausgewählt wird?
Wir halten die Auswahl des Aufsichtsrates für exzellent und glauben, dass wir hervorragende Fachleute gefunden haben. Wir gehen davon aus, dass die Interessen
der Eigentümer, in diesem Fall vertreten durch die Bundesregierung, natürlich mit kontrolliert durch den Deutschen Bundestag, stellvertretend für die Gesamtbevölkerung, ausreichend und gut vertreten werden.
Ich rufe die Frage 19 der Kollegin Sabine Leidig auf:
Wie kann die Bundesregierung glaubhaft vermitteln, dass
Professor Dr. Dr. h. c. Utz-Hellmuth Felcht als Aufsichtsratsvorsitzender der DB AG das öffentliche Interesse vertritt und
nicht in Interessenkonflikte gerät mit seiner Funktion als
Managing Director der Investmentgesellschaft One Equity
Partners, OEP, die die Unternehmen Travelport, Travel Acquisitions Group und Carlson Wagonlit Travel kontrolliert, die
maßgeblichen Einfluss im weltweiten Management von Geschäftsreisen haben, oder mit seiner Funktion als Aufsichtsratsvorsitzender der Süd-Chemie, eines Unternehmens mit
großem Schienengüterverkehrsaufkommen?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. Die Frage 19 beantworte ich wie folgt: Die Besetzung der Aufsichtsräte ist
im Bundesgremienbesetzungsgesetz geregelt. Alle Mandatsträger müssen nach dem Public Corporate Governance Kodex das Interesse des Bundes angemessen berücksichtigen.
Ihre erste Nachfrage, bitte.
Ich möchte noch einmal nachfragen, ob Ihnen bekannt ist und ob Sie sich mit diesem Problem inhaltlich
beschäftigt haben, dass Herr Felcht nicht nur in den Aufsichtsräten großer Bau- und Chemieunternehmen sitzt,
sondern zugleich Managing Director eines Unternehmens namens OEP ist, welches Reiseunternehmen kontrolliert und einer der größten Organisatoren von Management-/Geschäftsreisen ist. Meine Frage lautet also:
Sind Sie sich darüber im Klaren und halten Sie es für
realistisch, dass ein einzelner Mensch in der Lage ist, in
mindestens vier bis fünf Aufsichtsräten großer Konzerne
zu sitzen und zugleich eine gute Aufsichtsratsarbeit bei
der Deutschen Bahn AG zu leisten?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Frau Präsidentin, ich habe jetzt ein Problem, weil ein
Teil der Nachfrage die nächste Frage ist. Den entsprechenden Teil möchte ich gern nach dem Aufruf der
nächsten Frage beantworten, sodass ich jetzt, wenn Sie
einverstanden sind, nur den Teil beantworte, der sozusagen neu gefragt worden ist. Es geht um die Frage, ob
man gute Arbeit leisten kann, wenn man in vier bis fünf
Aufsichtsräten sitzt oder anders wirtschaftlich tätig ist.
Klare Antwort: Ja, das kann man. Es ist sogar von Nutzen, wenn man über Erfahrungen aus verschiedenen
Branchenunternehmen verfügt, um den Aufsichtsratsvorsitz in einem solch großen Konzern, wie es die DB
AG nun einmal ist, wahrzunehmen.
Haben Sie noch eine zweite Nachfrage?
({0})
Die Kollegin Remmers hat eine Nachfrage.
Herr Kollege Ferlemann, ich streite ja nicht ab, dass
es durchaus von Nutzen ist, wenn man vorher Erfahrung
in Aufsichtsräten gesammelt hat. Hat die Bundesregierung jemals darüber nachgedacht, dass aber spätestens
zum Zeitpunkt der Übernahme des Aufsichtsratsvorsitzes in einem großen öffentlichen Unternehmen - das ist
keine Aufgabe, die man nebenher erledigt - andere Aufgaben niedergelegt werden sollten, damit man sich voll
und ganz auf diese Aufgabe konzentrieren kann und damit Interessenkonflikte, die möglicherweise entstehen
könnten - das bezieht sich auf die nächste Frage -, vermieden werden?
Die Bundesregierung hat bei jeder Besetzung sehr intensiv und gut nachgedacht und ist zu einem klugen Ergebnis gekommen.
({0})
Damit kommen wir zur Frage 20 der Kollegin Sabine
Leidig:
Warum besetzt die Bundesregierung weiterhin sechs von
zehn dem Eigentümer zustehenden Sitzen des Aufsichtsrates
der Deutschen Bahn AG mit Vertretern aus der Wirtschaft, bei
denen eigene wirtschaftliche Interessen dem öffentlichen Auftrag zuwiderlaufen könnten, und warum werden weder unabhängige Eisenbahnexperten noch Vertreter von Fahrgast-,
Umwelt- und Sozialverbänden benannt, um das öffentliche Interesse zu wahren?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Auf diese Frage gebe ich folgende Antwort: Herr
Felcht ist aus Sicht der Bundesregierung ein ausgewiesener Experte mit hoher fachlicher Kompetenz. Die Bundesregierung geht von der Unabhängigkeit von Herrn
Felcht aus. Die Möglichkeit von Interessenkonflikten ist
in jedem Einzelfall vom Aufsichtsratsmitglied selbst zu
prüfen und anzuzeigen. Sollte bei einer Aufsichtsratsentscheidung eine Interessenkollision auftreten, so hat der
Mandatsträger die Pflicht, darauf hinzuweisen, und darf
bei der Entscheidung nicht mitwirken.
Ihre erste Nachfrage, bitte.
Meine erste Nachfrage nimmt den Teil der gestellten
Frage auf, den Sie bis jetzt nicht beantwortet haben. Ich
frage, warum in den Aufsichtsrat der Deutschen Bahn
weder Eisenbahnexperten noch Vertreter von Fahrgastverbänden, Umweltverbänden oder Sozialverbänden berufen werden, die das öffentliche Interesse, zu dessen
Wahrung die Bahn verpflichtet ist, wahrnehmen könnten, und warum sich die Bundesregierung stattdessen darauf konzentriert, zusätzlich zu den Vertretern aus den
eigenen Reihen ausschließlich Vertreter von Unternehmen in den Bahnaufsichtsrat zu berufen.
Bitte, Herr Staatssekretär.
Noch einmal: Wir halten die Besetzung für exzellent
und freuen uns, dass wir diejenigen Personen gewinnen
konnten, die wir vorgeschlagen haben. Dass es sich um
Vertreter von Wirtschaftsunternehmen handelt, spielt für
uns eine große Rolle, weil gerade die Industrieunternehmen, die Wirtschaftsunternehmen diejenigen sind, die
im Rahmen von Güterverkehr und Logistik die Bahn
nutzen, also große Kunden sind und wissen, welche Probleme das Eisenbahnsystem insgesamt, sei es Betrieb
oder Infrastruktur, hat. Gerade das qualifiziert diejenigen, die wir dafür ausgesucht haben. Wir haben uns deshalb nicht für Vertreter von Fahrgastverbänden und
anderen Verbänden entschieden, weil wir diesen
Schwerpunkt ganz bewusst setzen wollten.
Sie haben das Wort zu einer zweiten Nachfrage.
Meine zweite Nachfrage bezieht sich auf die Feststellung, dass der Kollege von der SPD, der vorhin eine Aktuelle Stunde beantragt hat, damit die von uns eigentlich
vorgesehene Aktuelle Stunde zu diesem Thema verhindert hat. Meine Frage lautet, welche Aufsichtsratsmitglieder der Deutschen Bahn AG eigentlich von SPDVerkehrsminister Tiefensee berufen worden sind.
Bitte, Herr Staatssekretär.
Zur Frage, warum wer wie eine Aktuelle Stunde beantragt, kann ich aus Sicht der Bundesregierung natürlich nicht Stellung nehmen; das ist das vornehmste Recht
des Parlaments. Gleichwohl mache ich aus meiner persönlichen Einstellung keinen Hehl. Ich glaube, dass eine
solche Aktuelle Stunde nur dazu genutzt werden sollte,
Menschen, die sich für eine Aufgabe in einem großen internationalen Unternehmen zur Verfügung gestellt haben, zu diskreditieren. Ich bedaure es ausdrücklich, dass
die Fraktion Die Linke so etwas vorhatte.
({0})
Zu einer Nachfrage hat die Kollege Dorothée
Menzner das Wort.
({0})
- Die Bundesregierung entscheidet, was sie antwortet,
und dann können Sie das bewerten. Aber Sie können
jetzt nicht diese Debatte weiterführen. - Bitte, Kollegin
Menzner.
Herr Staatssekretär, Sie haben eben ausgeführt, wieso
die Bundesregierung ausdrücklich und bewusst Vertreter
großer Industrieunternehmen in den Aufsichtsrat berufen
hat: weil der Güterverkehr - das ist unstrittig - einen
großen Anteil der Tätigkeiten der DB AG ausmacht.
Wie wollen Sie als Bundesregierung aber dem Verdacht
entgegentreten, dass ein zweites großes und im öffentlichen Interesse liegendes Nutzungssegment der Bahn
nicht vertreten wird, nämlich der private Personennahund -fernverkehr? Dazu haben Sie nichts gesagt. Ich
hätte darauf gerne eine Antwort von Ihnen.
Bitte, Herr Staatssekretär.
Frau Kollegin, da Sie schon lange Mitglied des Verkehrsausschusses sind, ging ich eigentlich bis heute davon aus, dass Sie wissen, dass die Kompetenz für den
regionalen Personennahverkehr mit dem Regionalisierungsgesetz in die Hände der Länder gegeben worden
ist; das ist schon seit der Bahnreform 1994 der Fall. Insofern bin ich etwas erstaunt, dass Sie nicht über diese
Kenntnisse verfügen.
Ich erläutere Ihnen das. Hierfür sind die Länder zuständig, die als Besteller Unternehmen beauftragen, die
den Personennahverkehr durchführen. Die Bundesregierung hat darauf keinen Einfluss, die DB AG letztlich nur
als Anbieter von Verkehrsleistungen. Hier muss sie sich
in Form einer Ausschreibung einem Wettbewerb stellen.
Dann wird entschieden, welches Unternehmen die Ausschreibung gewinnt. Dieses Unternehmen führt dann den
Verkehr durch. Darauf haben wir, wie gesagt, keinen
Einfluss. Deswegen macht es auch keinen Sinn, dass ein
Vertreter dieses Segments einen Sitz im Aufsichtsrat der
Deutschen Bahn hat.
Zu einer weiteren Nachfrage hat der Kollege
Wolfgang Gehrcke das Wort.
Herr Staatssekretär, können Sie dem Haus einen einzigen Fakt mitteilen, der Sie zu der Mutmaßung berechtigt, dass die Linke mit einer Aktuellen Stunde irgendwelche Personen diskreditieren möchte? Ein einziger
Fakt würde mir ausreichen. Ansonsten ist das eine unbewiesene und nicht statthafte Behauptung.
Herr Kollege, ich habe die Fragen, aufgrund derer die
Aktuelle Stunde beantragt wurde und durchgeführt werden sollte, bekommen. Wenn man die Fragestellungen
liest, stellt man fest: Es geht nur darum, Konflikte um
Personen und Gründe zu konstruieren, warum bestimmte
Personen nicht in ein bestimmtes Gremium berufen werden sollten. Das halte ich schon für ziemlich diskreditierend. Wenn das in Form einer Aktuellen Stunde geschieht, wird das nicht weniger, sondern eher mehr, weil
die Debattenbeiträge in einer Aktuellen Stunde wesentlich länger sind. Das hat mich zu dieser persönlichen
Einschätzung gebracht.
Die letzte Nachfrage zur Frage 20 stellt die Kollegin
Remmers.
Herr Staatssekretär, ich möchte an dieser Stelle zunächst einmal vorwegschicken, dass ich keinesfalls das
Ziel verfolge, hier irgendwelche Personen zu diskreditieren. Wenn jemand wie Herr Felcht in so vielen Aufsichtsräten wirklich namhafter und großer Unternehmen
sitzt, bei deren Entscheidungen es um sehr viel Geld
geht, müssen Sie sich aber die Nachfrage gefallen lassen,
ob es hier nicht zu Interessenkonflikten kommen kann.
Daran schließt sich meine Frage an: Ist irgendwann einmal eine Form von Kontrolle vorgesehen worden? Wir
alle wissen: Das sind Menschen, und hier geht es, wie
gesagt, um viel Geld. Da ist die Frage zu klären: Wie
kann man vermeiden, dass es zu Interessenkonflikten
kommt? Es geht nicht darum, irgendjemanden zu diskreditieren.
Bevor Sie antworten, Herr Staatssekretär, sei mir ein
Hinweis gestattet, den ich im Verlauf dieser Fragestunde
schon zweimal gegeben habe. Da aber nicht alle Kolleginnen und Kollegen schon anwesend waren, wiederhole
ich: Die Fragestunde zeichnet sich dadurch aus, dass
Fragen gestellt werden, die eine übersichtliche Satzlänge
haben und die es den antwortenden Mitgliedern der Bundesregierung wiederum ermöglichen, die Frage in angemessener Zeit zu beantworten. Ein noch angenehmerer
Effekt einer solchen Verfahrensweise ist, dass möglichst
viele der gestellten Fragen im Rahmen der Fragestunde
bearbeitet werden können und entsprechende Nachfragen gestellt werden können. Danke.
Bitte, Herr Staatssekretär.
Herzlichen Dank, Frau Präsidentin. - Ich will noch
eine Antwort nachliefern, weil ich vorhin hörte, dass ein
Teil nicht beantwortet war; das betraf die Frage der Kollegin Leidig danach, ob bestimmte Personen schon früher - von dem Vorgänger des heutigen Bundesverkehrsministers Dr. Ramsauer - berufen worden sind. Ja, das
ist der Fall; das sind all diejenigen, die von der Kapitalseite wieder berufen worden sind.
Zu der Frage der Kollegin Remmers. Frau Kollegin
Remmers, ich bin sehr dankbar, dass Sie niemanden diskreditieren wollen; das begrüße ich außerordentlich. Natürlich machen wir uns Gedanken darüber, wen wir
wann warum wo wie berufen. Gerade deshalb, weil wir
Personen gesucht haben, die über einen großen, breiten
Erfahrungsschatz auf der Nutzerseite, in der Wirtschaft,
insbesondere im Bereich Güterverkehr und Logistik,
verfügen, haben wir diese Personalentscheidung so gefällt. Das Gegenteil ist also der Fall: Je mehr Erfahrung,
je mehr Wissen da ist, umso besser ist es für die Aufsichtsgremien auch bei der Deutschen Bahn AG. Gerade
das zeichnet ja Herrn Felcht besonders aus.
({0})
Ich rufe die Frage 21 des Kollegen Herbert Behrens
auf:
Warum ist Dr. Jürgen Großmann für den Bund im Aufsichtsrat der Deutschen Bahn AG, und besteht nicht vielmehr
ein Interessenkonflikt mit seiner Funktion als Alleineigentümer der Georgsmarienhütte, zu der mindestens fünf Unternehmen zählen, die Zulieferer oder Dienstleister für die Deutsche
Vizepräsidentin Petra Pau
Bahn AG sind, zu denen auch zwei Hersteller respektive Lieferanten von Rädern und Radsatzwellen - Bochumer Verein
Verkehrstechnik GmbH und Radsatzfabrik Ilsenburg GmbH gehören?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Ich gebe folgende
Antwort: Herr Großmann ist aus Sicht der Bundesregierung ein ausgewiesener Experte mit hoher fachlicher
Kompetenz. Die Bundesregierung geht von der Unabhängigkeit von Herrn Großmann aus. Die Möglichkeit
von Interessenkonflikten ist in jedem Einzelfall vom
Aufsichtsratsmitglied selbst zu prüfen und anzuzeigen.
Sollte bei einer Aufsichtsratsentscheidung eine Interessenkollision auftreten, so hat der Mandatsträger die
Pflicht, darauf hinzuweisen, und darf bei der Entscheidung nicht mitwirken.
Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage.
Vielen Dank. - Herr Staatssekretär Ferlemann, Sie haben erwähnt, dass die Seite der Nutzer der Bahn eine
wichtige Rolle spielt bei der Besetzung des Aufsichtsrates, offenbar auch die der Lieferanten.
Ist Ihnen bekannt, dass Herr Dr. Großmann einem Firmenimperium vorsitzt, in dessen Holding die Radsatzlieferanten der Bahn zu finden sind wie auch Firmen, die
diese Radsätze überprüfen?
Wir haben an Herrn Dr. Großmann selber die Frage
gerichtet, wie er sich denn verhalten wird, wenn - das ist
ja die Gefahr - in seiner künftigen Aufsichtsratsposition
vergleichbare Entscheidungen zu fällen sind. Er sagte, er
würde sich dann der Stimme enthalten. Herr Staatssekretär, ist Ihnen bekannt, in wie vielen Fällen sich Herr
Dr. Großmann, der ja schon dem letzten Aufsichtsrat angehörte, bei Entscheidungen der Stimme enthalten hat?
Das ist der Bundesregierung nicht bekannt.
Ihre zweite Nachfrage.
Ist Ihnen die Information bekannt, dass Herr
Dr. Großmann für die Position des Aufsichtsratsvorsitzenden vorgesehen war und möglicherweise aufgrund
der eben beschriebenen wirtschaftlichen Zusammenhänge diese Funktion dann doch nicht übertragen bekommen hat?
Bei der Auswahl der Personen ist die Bundesregierung frei und kann sich für die Person entscheiden, die
sie berufen will. Da gibt es sicherlich eine Auswahl unter mehreren Personen. Wir haben uns für Herrn Felcht
entschieden.
Damit kommen wir zur Frage 22 des Kollegen
Herbert Behrens:
Wie kann die Bundesregierung, die sich zu einer nachhaltigen Energieerzeugung verpflichtet hat und die den Ausstieg
aus der Atomenergie gesetzlich vereinbart hat, glaubhaft vermitteln, dass Dr. Jürgen Großmann als Bahnaufsichtsrat nicht
in Interessenkonflikte mit seiner Funktion als Vorstandsvorsitzender des RWE-Stromkonzerns kommt, dessen Strommix
vor allem auf Atom und Kohle basiert, wie leider auch der der
Deutschen Bahn AG?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Ich beantworte die Frage wie folgt: Wie alle Mandatsträger muss auch Herr Großmann nach dem Public Corporate Governance Kodex das Interesse des Bundes angemessen berücksichtigen. Ich darf auf meine Antwort
zu Frage 21, der vorigen Frage, verweisen.
Ihre erste Nachfrage.
Herr Staatssekretär, halten Sie es für problematisch,
dass Herr Dr. Großmann auch Vorsitzender der RWE
AG ist, da die RWE AG unter anderem Stromlieferant ist
- maßgeblich auch von Atomstrom - und die Bahn im
Betrieb leider noch maßgeblich von Atomstrom abhängig ist? Vorstandsvorsitzender Grube hat gesagt, der Anteil von erneuerbaren Energien ließe sich nur begrenzt
erhöhen. Wäre es nicht sinnvoller gewesen, auch den
Anteil von erneuerbaren Energien zu erhöhen, oder ist es
möglicherweise mit der Person von Dr. Großmann verbunden, dass es diese Entscheidung nicht gibt?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Ich halte die Berufung von Herrn Großmann nicht für
problematisch, sondern begrüße sie im Gegenteil außerordentlich.
Ich habe im Grunde auch nichts gegen Strom, der
durch die Kernkraftindustrie gewonnen wird. Ich halte
das für eine gute und saubere Energieerzeugung und
kann deswegen Ihre Frage nicht verstehen.
Sie haben das Wort zur zweiten Nachfrage. - Sie verzichten. Dann hat die Kollegin Dorothée Menzner das
Wort zu einer Nachfrage.
Herr Staatssekretär, an dieser Stelle möchte ich dann
doch noch einmal einhaken. Es ist Ihnen sicherlich bekannt, dass der Anteil des Stroms aus erneuerbaren
Energien bei der DB AG deutlich unterdurchschnittlich
ist. Gibt es die Absicht der Bundesregierung - und, wenn
ja, welche Initiativen -, den Anteil erneuerbarer Energien bei der DB AG zu erhöhen, oder gibt es sie nicht?
Danke für die Frage. - Wir wollen den Anteil erneuerbarer Energien am Strommix deutlich erhöhen. Das
gilt auch hinsichtlich der Gewinnung des Bahnstroms.
Wie Sie wissen, hat die DB AG vor kurzem einen eigenen Windpark erworben, das heißt, sie arbeitet selber
daran, den Strommix zu verändern. Wie wir als Bundesregierung die erneuerbaren Energien insgesamt fördern
wollen, so wollen wir sie auch hinsichtlich des
Bahnstroms fördern. Das sehen wir ausdrücklich vor.
Initiativen dazu gibt es eine ganze Reihe. Diese werden wir unter anderem dem Management der DB AG
vortragen. Wir werden darum bitten, dass diese Erkenntnisse und Wünsche dort umgesetzt werden. Wir bringen
sie aber auch über die Aufsichtsgremien ein.
Zu einer weiteren Nachfrage hat der Kollege Vogel
das Wort.
Herr Staatssekretär, der neue Aufsichtsratsvorsitzende
der DB AG unterstützt das neue Konzept der Bahn zur
Unterstützung des Kerngeschäfts, das da heißt: Eisenbahnfahren in allen seinen Facetten. Dies muss - insbesondere mit Blick darauf, dass die Sicherheit weiter an
Bedeutung gewinnen muss - mit einer entsprechenden
Personalausstattung im Servicebereich und im Wartungsbereich einhergehen.
Bitte, Herr Staatssekretär.
Ich kann das, was Sie sagen, nur bestätigen. Genau
das ist der Punkt, warum wir sehr froh darüber sind, dass
Herr Felcht bereit ist, diese Funktion zu übernehmen.
Das Konzept der Bahn, sich natürlich auf die Kernkompetenz zu konzentrieren, ist das, was wir als Bundesregierung in dieser Legislaturperiode in der Verkehrspolitik besonders nach vorne stellen wollen.
Ich weise allerdings auch darauf hin, dass ein zweiter
Punkt wichtig ist. Die Bahnverkehre werden heute europaweit organisiert. Deswegen ist es wichtig, dass die
DB AG auch in der Lage ist, als großer europäischer
Player im Eisenbahnsektor tätig zu sein.
Die letzte Nachfrage zur Frage 22 stellt die Kollegin
Leidig.
Ich möchte noch einmal auf die Frage zurückkommen, warum die DB AG nicht in vorbildlicher Weise
schnell auf Energiegewinnung mittels regenerativer
Energien umstellt und sich stattdessen an einem der
größten Kohlekraftwerksprojekte, nämlich in Datteln in
Nordrhein-Westfalen, beteiligt. Kann es hier eine Verbindung mit den Interessen von Eon geben? Eon ist der
mehrheitliche Eigentümer dieses Kohlekraftwerks, an
dem sich die DB AG beteiligt, und Christoph DänzerVanotti, Vorstandsmitglied von Eon, ist von dieser Regierung auch in den Aufsichtsrat der DB AG berufen
worden.
Bitte, Herr Staatssekretär.
Ich habe diese Frage schon mehrfach beantwortet: Einen Interessenkonflikt sehe ich nicht.
Zum Thema Strommix möchte ich darauf hinweisen,
dass diejenigen, die das Bahnsystem nutzen, ein großes
Interesse daran haben, dass der Strom möglichst günstig
bezogen wird. Daher ist es natürlich Aufgabe des Bahnvorstandes, den Strom für das Bahnsystem möglichst
günstig einzukaufen. Naturgemäß muss es einen Energiemix geben, um ein vernünftiges Preisniveau zu erreichen. Denn wir haben ja ein Interesse daran, dass möglichst viele mit der Bahn fahren. Dabei spielt natürlich
der Preis, den der Transport kostet, eine gewisse Rolle.
Wir kommen damit zur Frage 23 der Kollegin
Heidrun Bluhm:
In welchem Vertragsverhältnis mit der Deutschen Bahn
AG befindet sich der ehemalige Vorstandsvorsitzende der
Deutschen Bahn AG Hartmut Mehdorn - bitte auch derzeitige
Bezüge angeben -, und würde er auch noch in der Zukunft
Bonuszahlungen erhalten, wenn es zu einer Teilprivatisierung
der DB AG bzw. einer Subholding käme?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Herzlichen Dank, Frau Präsidentin. - Diese Frage beantworte ich wie folgt: Herr Mehdorn befindet sich derzeit in keinem Vertragsverhältnis mit der Deutschen
Bahn AG und erhält keine Bezüge. Bei einer Teilprivatisierung der DB AG oder einer Konzerntochter würde er
keine Bonuszahlungen erhalten.
Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage. - Sie verzichten.
Ich rufe die Frage 24 der Kollegin Heidrun Bluhm
auf:
Wie rechtfertigt die Bundesregierung die Tatsache, dass
die Bezüge der 20 Aufsichtsräte - je 10 der Kapital- und
10 der Arbeitnehmerseite - der Deutschen Bahn AG ausweislich der Geschäftsberichte 2004, 2005 und 2008 im Jahr 2004
noch 281 000 Euro betrugen, im Jahr 2005 bei 303 000 Euro,
2007 bei 873 000 Euro und 2008 bei 1 003 000 Euro angelangt sind, und ist es richtig, dass diese Verdreifachung der
Aufsichtsratsbezüge damit begründet wurde, sie geschehe im
Vorgriff auf eine Bahnprivatisierung, vor dem Hintergrund,
dass die Bahnprivatisierung im Sommer 2008 abgesagt wurde
und auch die gegenwärtige Bundesregierung erklärt, eine
Bahnprivatisierung sei „nicht aktuell“?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Die Frage nach der Höhe der Aufsichtsratsbezüge beantworte ich wie folgt: 2006 wurde eine erfolgsabhängige Vergütung der Aufsichtsratsmitglieder der Deutschen Bahn AG eingeführt. Die in der Frage genannte
Zahl aus dem Jahr 2008 bezieht sich auf den gesamten
DB-Konzern. Für die DB AG allein betrug die Höhe der
Vergütung 831 000 Euro.
Sie haben das Wort zu einer ersten Nachfrage. Bitte.
Herzlichen Dank, Herr Kollege Staatssekretär. - Ich
habe eine erste Nachfrage. Nach unseren Recherchen
sind die Aufsichtsratsbezüge - ob leistungsabhängig
oder nicht - in den Jahren von 2004 bis 2008 verdreifacht worden. Das heißt, im Durchschnitt - einzeln
aufgeschlüsselt ist das sicherlich anders - erhält ein
Aufsichtsratsmitglied der Deutschen Bahn AG circa
45 000 Euro im Jahr.
Kann die Bundesregierung erklären, warum das allgemeine Lohn- und Gehaltsniveau der Bahnbeschäftigten
im unteren und mittleren Einkommenssegment im Zeitraum von 2005 bis 2008 im Wesentlichen stagnierte,
während sich die Aufsichtsratsbezüge fast verdreifachten?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Wenn erfolgsabhängige Vergütungen für Aufsichtsräte eingeführt werden, dann profitieren diese natürlich
auch vom Erfolg. Wenn man sich die Bilanzen der Deutschen Bahn AG der letzten Jahre anschaut, dann stellt
man fest, dass zum Teil hohe Gewinne ausgewiesen
wurden. Diese Bilanzen sind eine Grundlage für den Anstieg der Aufsichtsratsbezüge. Insofern spiegelt der Anstieg der Aufsichtsratsbezüge auch die Erfolgsstory wider, die die Bahn in diesem Bereich geschrieben hat.
Sie haben das Wort zu einer zweiten Nachfrage.
Ich habe eine zweite Nachfrage: Herr Ferlemann, teilen Sie nicht die Auffassung, dass an diesem Erfolg im
Wesentlichen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der
Deutschen Bahn AG beteiligt sind? Glauben Sie nicht,
dass der Leistungsanreiz für die Mitarbeiterinnen und
Mitarbeiter noch weiter ausgeprägt werden könnte,
wenn man sie am Unternehmensgewinn beteiligte?
Bitte.
Jedes Unternehmen - so auch die Deutsche Bahn AG kann stolz auf den Fleiß und die gute Aufgabenerfüllung
seiner Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sein. Das gilt
insbesondere für dieses manchmal sehr im öffentlichen
Fokus stehende Unternehmen. Insofern sind wir sehr
dankbar dafür. Wir wissen das auch sehr zu schätzen.
Für die Aushandlung von Tarifen sind allerdings nicht
wir zuständig, sondern Arbeitgeber- und Arbeitnehmervertreter, die die Löhne und Gehälter in Verhandlungen
festlegen. Das ist eine Frage der Tarifautonomie. Da
wird sich die Bundesregierung nicht einmischen.
Eine weitere Nachfrage stellt die Kollegin Dorothée
Menzner.
Herr Staatssekretär, Sie haben eben ausgeführt, dass
die Aufsichtsratsmitglieder eine erfolgsabhängige Vergütung erhalten. Ist vorgesehen, dass im Falle von Misserfolg oder schlechten Ergebnissen die Bezüge wieder
gekürzt werden? - Ich frage das vor dem Hintergrund,
dass wir in den letzten Wochen und Monaten feststellen
mussten, dass ein Teil des Erfolges offensichtlich nur ein
zahlenmäßiger Erfolg in den Büchern war und auf Kosten von Qualität und Service erzielt wurde.
Bitte, Herr Staatssekretär.
Letztlich misst sich der Erfolg an den Zahlen. Die
Zahlen werden in den Bilanzen vorgelegt. Die Interpretation, wie die Zahlen zustande gekommen sind, kann
jede Fraktion für sich selbst vornehmen. Aber letztlich
werden sich Vergütungsmaßstäbe immer an den Bilanzen ausrichten.
Die letzte Nachfrage zur Frage 24 stellt die Kollegin
Leidig.
Sie würden also aufgrund der Zahlen der Ansicht
sein, dass die S-Bahn Berlin eine Erfolgsstory ist? Würden Sie auch die Tatsache, dass bei einem großen Teil
der ICE-Flotte die Räder und Radsatzwellen ausgetauscht werden müssen und es in einer erheblichen Größenordnung zu Zugausfällen kommt, als Erfolgsstory
bezeichnen?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Ich gebe ehrlich zu, dass mich die Frage ein bisschen
verwundert. Ich habe doch deutlich ausgeführt, dass sich
der Erfolg an den Bilanzzahlen bemisst, und danach
richtet sich auch die Vergütung. Sicherlich gibt es in einem so großen Unternehmen auch Problembereiche, die
behoben werden müssen. Dazu gehören insbesondere
die beiden Bereiche, die Sie angesprochen haben. Wir
drängen mit Hochdruck darauf, dass schnell Lösungen
gefunden werden, die diese Probleme aus der Welt
schaffen, weil sie in Zukunft auch die Bilanz belasten
können.
Es ist also gerade das Gegenteil der Fall: Wir wollen
zwar insgesamt den Erfolg der DB AG anerkennen, aber
es gibt Teilbereiche, in denen die Bundesregierung mit
den bisherigen Ergebnissen unzufrieden ist.
Damit sind wir am Ende dieses Geschäftsbereichs.
Herr Staatssekretär, ich danke Ihnen für die Beantwortung der Fragen.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
auf. Für die Beantwortung der Fragen steht Frau Parlamentarische Staatssekretärin Katherina Reiche zur Verfügung.
Wir kommen zur Frage 25 des Kollegen Dirk Becker:
Welchen rechtlichen Stellenwert misst die Bundesregierung dem Atomkonsens jeweils vor und nach der Novelle zum
Atomgesetz im Jahr 2001 zu, und welche Rechtsfolgen ergeben sich daraus jeweils für beide Seiten?
Frau Staatssekretärin.
Frau Präsidentin, ich beantworte die Frage des Kollegen Becker wie folgt: Die Bundesregierung hat die
Kernenergievereinbarung vom 14. Juni 2000 von Anfang an als eine rechtlich nicht verbindliche politische
Vereinbarung im Sinne eines Gentlemen’s Agreement
eingestuft. Die Umsetzung der Vereinbarung erfolgte
insbesondere durch eine Änderung des Atomgesetzes,
die 2002 in Kraft getreten ist.
Haben Sie eine Nachfrage? - Bitte.
Vielen Dank, Frau Staatssekretärin. - Würden Sie mir
aber insofern recht geben, dass der Atomkonsens zumindest eine Art Geschäftsgrundlage für die anschließende
Änderung des Atomgesetzes dargestellt hat?
Die von Ihnen als Konsens bezeichnete Vereinbarung
zwischen Bundesregierung und Energieversorgungsunternehmen sehen wir - ich glaube, darin haben wir
eine grundsätzlich unterschiedliche Auffassung - nicht
als rechtlich bindend, sondern als eine politische Abrede.
Haben Sie eine weitere Nachfrage?
Heißt das, dass eine politische Abrede für Sie nicht
bindend ist und dass das, was dort in beide Richtungen
vereinbart worden ist, eigentlich nichts anderes als ein
Goodwillpapier ist, das in beide Richtungen, also auch
für die Atomwirtschaft, als nicht besonders bindend gilt?
Rechtlich bindend wäre ein Vertrag. Das ist es offensichtlich nicht. Letzten Endes gilt die Gesetzgebung, die
auf die damalige rot-grüne Bundesregierung zurückgeht.
Insofern ist die Vereinbarung in der Tat kein rechtlich
bindendes Konstrukt, sondern eine Abrede zwischen der
damaligen Bundesregierung und den EVUs.
Zu einer Nachfrage hat der Kollege Kelber das Wort.
Frau Staatssekretärin, zur Einschätzung des Rechtsstatus einer Vereinbarung ist nicht Ihre persönliche Vorliebe ausschlaggebend, sondern eine Rechtsüberprüfung.
Existiert ein internes oder externes Rechtsgutachten zur
Frage des Rechtsstatus dieser Vereinbarung, mit der die
Bundesregierung eine Verpflichtung eingegangen ist?
Sind Sie bereit, dies dem Deutschen Bundestag zur
Überprüfung zur Verfügung zu stellen?
Von einem solchen Gutachten ist mir nichts bekannt.
Sollte uns eines vorliegen, bin ich bereit, es Ihnen zur
Verfügung zu stellen.
Ich möchte aber auf etwas anderes hinweisen - es
werden sicherlich noch viele unterschiedliche Fragen
von den Kolleginnen und Kollegen kommen -: Sie haben immer wieder das Wort „Konsens“ strapaziert. Ich
möchte aus der Vereinbarung zitieren, wo ganz klar Folgendes festgehalten ist:
Unbeschadet der nach wie vor unterschiedlichen
Haltung zur Nutzung der Kernenergie respektieren
die EVUs die Entscheidung der Bundesregierung,
die Stromerzeugung aus Kernenergie geordnet beenden zu wollen.
Das ist sicherlich das Gegenteil von Konsens. Allerdings
haben die EVUs zu Recht den Primat der Politik anerkannt; das muss auch so sein. Gleichwohl führt das Wort
„Konsens“ in die Irre.
Ich möchte an dieser Stelle daran erinnern, dass Herr
Töpfer und Frau Merkel jeweils zu ihren Zeiten als Bundesumweltminister tatsächliche Energiekonsensgespräche geführt haben, in die jeweils die Opposition - damals die SPD - einbezogen war. Das ist 1998 beendet
worden.
Frau Kollegin Hendricks, bitte.
Frau Staatssekretärin, Sie haben eben ausgeführt, eine
Vereinbarung sei nicht bindend; dafür bedürfe es eines
Vertrages. Nun werden Sie sicherlich mit mir einer Meinung sein, dass eine Regierung keinen bindenden privatrechtlichen Vertrag mit Privatunternehmen schließen
kann, genauso wenig wie Privatunternehmen einen
Staatsvertrag mit einer Regierung. Deswegen liegt es
nahe, eine Vereinbarung zu schließen, auf deren Basis
dann ein Gesetz verabschiedet wird. Dieses Gesetz ist
natürlich bindend, solange es gilt. Wenn diese Bundesregierung beabsichtigt, mit der Mehrheit der Koalitionsfraktionen das Gesetz zu ändern, darf sie das natürlich.
Ich darf aber darauf hinweisen, dass die Vereinbarung
auf Seite 14 unter dem Datum vom 14. Juni 2000 von vier
Vertretern der Energiewirtschaft, nämlich von Eon AG,
RWE AG, Energie Baden-Württemberg AG und Hamburgische Electricitäts-Werke AG, die mittlerweile in
Vattenfall aufgegangen ist - im Prinzip handelt es sich
um die vier Player, die wir noch heute haben -, und von
Bundeskanzler Gerhard Schröder, Bundesminister
Jürgen Trittin und Bundesminister Dr. Werner Müller
unterschrieben worden. Wollen Sie weiterhin ernsthaft
behaupten, dass dies alles das Papier nicht wert sei, auf
das es geschrieben worden ist, oder was wollen Sie diesem deutschen Parlament hier nahebringen?
Die von Ihnen unterstellte Behauptung habe ich nicht
aufgestellt. Insofern weise ich sie zurück. Sie müssen
mir zugestehen, dass ich Ihren Versuch, eine politische
Abrede zum Vertrag zu erklären oder zu verklären, nicht
unterstützen kann. Sie wollen auf eine rechtliche Bindung hinaus, die es nie gab.
Wir kommen nun zu Frage 26 des Kollegen Dirk
Becker:
Stimmt die Bundesregierung der Auffassung zu, dass ein
neuer Konsens über die Laufzeit von Atomkraftwerken eine
förmliche Aufhebung des Atomkonsenses aus dem Jahr 2000
verlangt?
Die Frage kann ich sehr kurz beantworten: Nein, dieser Auffassung stimmen wir nicht zu.
Eine Nachfrage, Herr Kollege.
Darf ich Ihre Aussage dahin gehend deuten, Frau
Staatssekretärin, dass wir bei allen Vereinbarungen, die
künftig eine Bundesregierung schließt, davon ausgehen
müssen, dass die Partner einer solchen Vereinbarung im
Endeffekt nur für maximal vier Jahre mit der Verlässlichkeit der Bundesregierung rechnen dürfen?
Sie können meine Einlassung dahin gehend verstehen
- das habe ich schon deutlich gemacht -, dass wir eine
politische Abrede, eine politische Vereinbarung, eine
politische Übereinkunft nun einmal als rechtlich nicht
bindend ansehen und dass es jeder Regierung freisteht,
eine gesetzliche Grundlage zu ändern. Das haben auch
Sie damals mit der Änderung des Atomgesetzes getan.
Haben Sie eine weitere Nachfrage? - Bitte.
Sie versuchen ständig, den Wert dieser Vereinbarung
schlechtzureden; es sei nur eine lockere Verabredung.
Sie haben auch ein Zitat gebracht, aus dem hervorging,
dass es nach wie vor unterschiedliche Auffassungen gab.
Das ist ein Satz aus einer langen Erklärung, in der auch
steht, dass trotz dieser unterschiedlichen Auffassungen
beide Seiten ihren Teil dazu beitragen werden, dass der
Inhalt dieser Vereinbarung dauerhaft umgesetzt wird. Es
tut mir leid, aber „dauerhaft umgesetzt“ heißt, dass sich
beide bewusst waren, dass dieses Konstrukt - wie immer
auch Sie es bezeichnen - mit den Unterschriften, die
Frau Dr. Hendricks eben genannt hat, mehr ist als eine
Absichtserklärung, nämlich die Grundlage für die spätere Änderung des Atomgesetzes. Das steht dort ausdrücklich: Das ist die Grundlage für die spätere Änderung des Atomgesetzes.
Es ist richtig, dass die rot-grüne Bundesregierung sich
damals mit den EVUs auf diesen Weg geeinigt hat und
danach eine Gesetzesänderung erfolgte. Aber ich verstehe Ihre Frage dahin gehend, ob ich diese Verabredung, diese Vereinbarung in irgendeiner Form qualifiziere. Ich nehme sie zur Kenntnis. Allerdings wird sich
diese Bundesregierung vorbehalten, so wie das RotGrün damals auch gemacht hat, das Atomgesetz weiterzuentwickeln.
Sie möchten eine weitere Zusatzfrage stellen. Frau
Hendricks, bitte.
Frau Staatssekretärin, einer Vereinbarung messen Sie
offenbar nur sehr geringen Wert - um nicht zu sagen: gar
keinen Wert - bei. Wie will diese Bundesregierung den
Bürgerinnen und Bürgern eigentlich klarmachen, dass
auch das, was bei dieser Regierung bisher als Einziges
als sicher galt, nämlich die Koalitionsvereinbarung, keinerlei Wert hat, sodass man überhaupt nicht mehr weiß,
auf welcher Basis die Bundesregierung mit der Arbeit
anzufangen gedenkt?
Sie unterstellen mir Wertungen, die ich nicht getroffen habe, die auch diese Bundesregierung nicht getroffen
hat. Ich habe lediglich auf den Unterschied zwischen einer Vereinbarung und einem Gesetz oder einer Vereinbarung und einem Vertrag hingewiesen.
Herr Kollege Kelber.
Allerdings, Frau Staatssekretärin, haben Sie mehrfach
darauf hingewiesen, dass eine Vereinbarung nicht rechtlich bindend ist und es einer Regierung nicht möglich ist,
einen Vertrag mit Unternehmen zu schließen, sondern so
etwas über ein Gesetz gemacht werden muss. Mehrere
Mitglieder des Kabinetts und auch mehrere Ministerpräsidenten bzw. Exministerpräsidenten, die Ihrer Partei
angehören - unter anderem Bundesumweltminister
Röttgen, Ihr Minister, Ministerpräsident Koch und Exministerpräsident Oettinger -, haben zum Ausdruck gebracht, dass eine mögliche Gewinnabschöpfung aus einer möglichen Laufzeitverlängerung nicht gesetzlich
geregelt werden könnte, sondern über eine Vereinbarung
mit den Betreibern erfolgen sollte. Wäre auch eine solche Vereinbarung nicht rechtsverbindlich, und könnte sie
vonseiten der Betreiber einseitig aufgekündigt werden?
Wie Sie wissen, sehen wir die Kernenergie als
Brückentechnologie. Wir sind jetzt bei der Erarbeitung
eines Konzepts in der Frage, ob und, wenn ja, in welchem Umfang die Laufzeiten verlängert werden sollen.
Im Rahmen der Erarbeitung dieses Konzepts werden wir
auch darüber sprechen, ob Gewinne, die während der
Laufzeitverlängerung anfallen - sie werden anfallen -,
zum Beispiel für eine Unterstützung der erneuerbaren
Energien genutzt werden können und, wenn ja, in welchem Umfang. Wir haben uns allerdings noch nicht intensiv mit der Frage befasst, auf welchem Wege dies geschehen kann. Dies wird im Rahmen der Gespräche und
der Erarbeitung des Konzepts erfolgen.
Herr Lischka, bitte.
Frau Staatssekretärin, ich gehe davon aus, dass Ihnen
die Rechtsform eines öffentlich-rechtlichen Vertrages
bekannt ist. Deshalb frage ich noch einmal: Welche Voraussetzung sehen Sie bei dieser Vereinbarung als nicht
erfüllt an, sodass Sie zu dem Schluss kommen, es handele sich nicht um einen öffentlich-rechtlichen Vertrag?
Herr Kollege, ich weise noch einmal darauf hin, dass
es hier offenbar - das müssen wir an der Stelle zur
Kenntnis nehmen - eine unterschiedliche Bewertung der
damaligen Verabredung zwischen der rot-grünen Bundesregierung, der Regierung Schröder, und den EVUs
gibt. Unsere Einschätzung ist die, dass hier keine rechtliche Bindung gegeben ist. Das können wir jetzt sicherlich
noch ein paar Mal hin und her wenden. Ich denke, es
bleibt bei dieser Einschätzung.
Ich möchte noch einmal bekräftigen, dass es der damaligen rot-grünen Bundesregierung freigestanden hat
und auch dieser Bundesregierung freisteht, bestehende
Gesetze zu verändern und weiterzuentwickeln, worauf
sich die Unternehmen dann einzurichten haben.
({0})
Herr Kollege Dr. Miersch.
Frau Staatssekretärin, hat Ihre Rechtsauffassung zur
Folge, dass die Überlegungen der Bundesregierung, den
Atomkonsens augenblicklich aufzuheben und die Laufzeiten um 20, 28 Jahre zu verlängern, auch nur auf ein
Gentlemen’s Agreement hinauslaufen können mit der
Folge, dass wir über den generellen Ausschluss der
Atomtechnologie in Deutschland keine rechtsverbindliche Entscheidung treffen können?
Wenn wir unser Energiekonzept diskutiert, vorgestellt
und im Kabinett beschlossen haben, wird das zur Folge
haben, dass Gesetze geändert werden, unter anderem das
Atomgesetz. Diese Regierung - wie im Koalitionsvertrag beschrieben, angekündigt, festgelegt - bekennt sich
dazu, dass wir die Kernenergie als Brückentechnologie
weiterlaufen lassen wollen. In welchem Umfang, werden
die wissenschaftlichen Studien, die wir jetzt in Auftrag
geben, zeigen.
Nun kommen wir zur Frage 27 des Kollegen Gerd
Bollmann:
Wird die Bundesregierung einen Kabinettsbeschluss über
die Aufhebung der Konsensvereinbarung aus dem Jahr 2000
herbeiführen, und auf welcher Grundlage kann dies geschehen, da die Bundesregierung sich in dieser Vereinbarung verpflichtet hat, sie dauerhaft umzusetzen, inzwischen ins Amt
eingetretene Kabinettsmitglieder also in rechtliche Pflichten
eingetreten sind, die ihre Amtsvorgänger eingegangen sind?
Herr Kollege Bollmann, ich möchte Ihre Fragen 27
und 28 gerne zusammen beantworten.
Dann rufe ich auch die Frage 28 des Kollegen Gerd
Bollmann auf:
Wie unterscheiden sich die Rechtspflichten aus der Vereinbarung zum Atomkonsens von solchen Rechtspflichten,
die die Bundesregierung oder ein ihr zugehöriges Ressort mit
einer dritten Rechtsperson eingeht?
Die Bundesregierung hat die Kernenergievereinbarung vom 14. Juni 2000 von Anfang an als eine rechtlich
nicht verbindliche politische Vereinbarung im Sinne eines Gentlemen’s Agreements eingestuft. Die Umsetzung
der Vereinbarung erfolgte insbesondere durch eine Änderung des Atomgesetzes, die 2002 in Kraft getreten ist.
Ihre Nachfrage, bitte.
Frau Staatssekretärin, unabhängig von der rechtlichen
Verbindlichkeit: Sieht die Bundesregierung es nicht als
problematisch an, dass sich viele, beispielsweise die
Stadtwerke, bei ihren Investitionsplanungen auf diese
Vereinbarung, wie Sie sie auch immer nennen, verlassen
haben?
Die Planungen der Stadtwerke haben sich sicherlich
auf die damalige und noch geltende gesetzliche Grundlage bezogen und auf den Beschluss der rot-grünen Bundesregierung, Kernenergie in Zukunft nicht mehr nutzen
zu wollen, zugegebenermaßen für einen sehr langen
Zeitraum; 32 Jahre haben sie vereinbart. Ich kann und
werde Investitionen von Stadtwerken, die diese nicht nur
nach bestem Wissen und Gewissen, sondern vor allem
im Hinblick auf Gewinnmöglichkeiten getroffen haben,
nicht kommentieren. Allerdings begrüße ich es, wenn
wir neben den vier großen EVUs starke Stadtwerke und
Stadtwerkverbünde haben, die mit kleineren Einheiten
auch dezentral zur Energieversorgung beitragen. Gerade
die Stadtwerke haben in den letzten Jahren viele Modernisierungen vorgenommen und sind ein wichtiger Player
im Konzert unserer Energieversorgung.
Haben Sie eine weitere Nachfrage? - Nein? - Dann
Herr Dr. Miersch, bitte.
Frau Staatssekretärin, Sie benutzen die Begriffe
„Brückentechnologie“ und „Gesetzesänderung“, aber
Sie beantworten nicht die Fragen. Vor dem Hintergrund
der Auswirkungen des Atomkonsenses auf Investitionsentscheidungen von Stadtwerken frage ich Sie noch einmal: Ist für die Bundesregierung vor dem Hintergrund
dessen, was sie augenblicklich diskutiert, die grundsätzliche Frage: „Gibt es ein Ende der Atomtechnologie in
Deutschland?“ eine Frage eines Gentlemen’s Agreements, oder gibt es eine Form von Verbindlichkeit, auf
die sich alle Wirtschaftsbeteiligten verlassen können?
Diese Regierung hat von Anfang an klargemacht,
dass wir eine andere Haltung zur Kernenergie haben als
beispielsweise Ihre Fraktion. Wir haben deshalb im Koalitionsvertrag festgelegt, ein Energiekonzept zu erstellen - und daran arbeiten wir -, das neben dem deutlichen
Ausbau der Erneuerbaren auch die Kernenergie weiterführen wird, bis die erneuerbaren wettbewerbsfähig sind
und wir einen überwiegenden Teil unserer Energie aus
regenerativen Energien gewinnen können.
Noch einmal: Es bleibt jeder Regierung unbenommen, gesetzliche Grundlagen zu ändern. Das kann in Bezug auf für die Zukunft getroffene Entscheidungen Unsicherheiten für die Investoren mit sich bringen; allerdings
dürfen diese Änderungen nicht rückwirkend in Geschäftsmodelle eingreifen. Das werden sie auch nicht
tun. Denn wir werden - da sind wir uns beispielsweise
mit den Stadtwerken einig - darauf achten, dass die erneuerbaren Energien deutlich ausgebaut werden.
Herr Kollege Kelber.
Frau Staatssekretärin, Sie haben sich jetzt mehrfach
dazu geäußert, dass Sie in der damaligen Vereinbarung
der beiden Partner keine verbindliche rechtliche Wirkung sehen. Hier geht es allerdings um die Frage, ob der
eine Partner, nämlich die Bundesregierung, nicht dauerhafte rechtliche Pflichten geschaffen hat. Sie kennen die
aktuelle Studie des Verbands kommunaler Unternehmen,
in der beispielhaft der Unterschied in den Renditeerwartungen einer bereits getätigten Investition bei Beibehaltung der damals festgelegten, in der Vereinbarung als
dauerhaft rechtlich verpflichtend festgeschriebenen
Rechtslage gegenüber einer von Ihnen beabsichtigten
eventuellen Veränderung, die zu einer Minuserwartung
in Bezug auf die Rendite führen könnte, dargestellt wird.
Ist Ihnen als Staatssekretärin bekannt, dass die Bundesrepublik Deutschland internationale Vereinbarungen
eingegangen ist, die den Schutz von Investitionen vor
negativen gesetzlichen Veränderungen vorsehen, wenn
die Renditeerwartungen, Herr Staatssekretär - des an
dieser Stelle nicht beteiligten Ministeriums - Otto, in
dem normalen Zeitraum dieser Investitionen von solchen
Veränderungen negativ betroffen werden, sodass dies zu
einer Minuserwartung führt? Gilt das auch in diesem
Fall, und gilt die Rechtsverbindlichkeit für den einen
Partner Bundesregierung nicht auch über Legislaturperioden hinweg?
Herr Kelber, Ihre Frage zielt im Kern darauf ab, ob
zukünftige Bundesregierungen sich dauerhaft an politische Überzeugungen vorangegangener Bundesregierungen binden sollen, und dies halte ich nicht nur in diesem
Fall, sondern auch für alle anderen politischen Felder für
eine äußerst kühne Behauptung, der wir zumindest so
nicht zustimmen können.
Seitens des CDU/CSU-Teils, aber sicherlich auch der
FDP kann ich sagen, dass schon in den vergangenen Jahren - auch zwischen 1998 und 2009 - klar war, dass die
Union ein offeneres Verhältnis zur Kernenergie hatte
und wir vor der Wahl mit Wahlaussagen, vor allem aber
mit dem Koalitionsvertrag deutlich gemacht haben, dass
wir Laufzeitverlängerungen in unser energiepolitisches
Konzept einbeziehen.
Wenn Sie jetzt verlangen sollten, dass jetzige und
künftige Regierungen sich dauerhaft an das halten, wozu
andere aus einer anderen politischen Konstellation und
auch aus anderer - natürlich legitimer - politischer
Überzeugung gekommen sind, hielte ich das für eine
zwar interessante Haltung, muss Ihnen aber sagen: Das
ist nicht unsere Haltung.
({0})
Herr Kollege Bülow, bitte.
Frau Präsidentin! Frau Staatssekretärin, Sie sind gerade auf die Stadtwerke eingegangen. Wenn ich Sie richtig verstanden habe, haben Sie gesagt, Sie würden sich
darüber freuen, wenn die Stadtwerke sich zusammenschlössen, um wahrscheinlich auch - ich vermute, das
steckt dahinter - den Wettbewerb zu stärken.
Nun gibt es ein Gutachten, das Ihnen bekannt sein
könnte, auf das sich auch die Stadtwerke berufen, in dem
deutlich analysiert wurde, dass der Marktanteil der
Kernkraftwerksbetreiber, also der vier großen Player in
diesem Markt, den sie jetzt schon beherrschen, steigen
würde und ihre Marktstellung, die mit über 80 Prozent
Anteil immer noch sehr hoch ist, durch die Aufkündigung des Kompromisses gesichert oder sogar gesteigert
würde. Ist Ihnen das bekannt, und fließt es in Ihre Analysen und Ihre Entscheidungen ein?
Wir kennen dieses Gutachten, ebenso die Auffassung
der Stadtwerke. Ich kann dazu nur sagen, dass wir bei
der Erarbeitung unseres Energiekonzepts sehr wohl darauf achten werden, dass am Ende drei Prämissen erfüllt
werden, nämlich dass unsere Energieversorgung sicher,
sauber und sozial erfolgt. Das bedeutet, dass sie klimapolitisch den Erwartungen entspricht, denen sich übrigens auch schon die Große Koalition verpflichtet gefühlt
hat, dass sie sicher ist, dass also Investitionen erfolgen
können, also auch und gerade Investitionen in erneuerbare Energien zukünftig erfolgen werden, und dass unsere Energieversorgung den Anforderungen hinsichtlich
der Erzeugungssicherheit, mithin der Sicherheit im
Sinne der Bereitstellung von Energie, genügt. Insofern
werden wir, wenn die Szenarien vorliegen, auch mit der
Öffentlichkeit und allen interessierten Teilnehmern sprechen, die bei uns die Energielandschaft mitbestimmen
bzw. begleiten, und dies selbstverständlich berücksichtigen.
Frau Kollegin Hendricks. - Es hat sich erledigt. Dann
Herr Kollege Becker.
Frau Staatssekretärin, ich komme noch einmal auf die
Frage des Kollegen Kelber zurück. Sie haben völlig zu
Recht darauf verwiesen, dass es natürlich jeder Bundesregierung freisteht, sich von Positionen der Vorgängerregierung abzugrenzen und Dinge anders zu bewerten.
Aber die entscheidende Frage war ja nicht, ob Ihnen dieses Recht zusteht, sondern sie war: Wie bewerten Sie es,
wenn Unternehmen - in diesem Fall Stadtwerke -, basierend auf einer gültigen Rechtslage, Investitionsentscheidungen getroffen haben und sie jetzt von einer Veränderung negativ beeinflusst werden? Das war ja der
Punkt der Frage vom Kollegen Kelber. Sie haben darauf
geantwortet: Eine Regierung muss die Möglichkeit haben, etwas politisch anders zu bewerten. - Es geht aber
um die Folgewirkung für Unternehmen.
Veränderungen in der Gesetzgebung sind, wenn es um
Investitionen geht, an der Tagesordnung. Ich erinnere
mich daran, dass wir in der Großen Koalition gemeinsam das Erneuerbare-Energien-Gesetz verändert und unter anderem Regelungen getroffen haben, die sehr wohl
rückwirkend für bestimmte Branchen schwierig waren.
Wir sind in dieser Regierung aufgefordert, Fehlentscheidungen zu korrigieren. Insofern ist eine Investition in der
Tat mit einem Risiko behaftet. Wir wollen aber die Veränderungen im Energiekonzept so durchführen, dass wir
ein ganz hohes Maß an Investitionssicherheit garantieren
können.
Wir kommen nun zur Frage 29 des Kollegen Marco
Bülow:
Bestätigt die Bundesregierung die Auffassung, dass die
Konzerne Eon, RWE, EnBW und Vattenfall Europe im Fall
der Atomkonsensvereinbarung durch entsprechende Willensbekundungen leitender Unternehmensvertreter seit dem Jahr
2000 vertragsbrüchig geworden sind, und, wenn nein, warum
nicht?
Herr Bülow, ich möchte auch Ihnen zusammenhängend auf die beiden Fragen 29 und 30 antworten.
Dann rufe ich auch die Frage 30 des Kollegen Bülow
auf:
Inwieweit hat die Bundesregierung die rechtliche Möglichkeit, Vereinbarungen zu treffen mit Akteuren, von denen
ihr bekannt ist, dass sie durch öffentliche Willensbekundungen gegenüber der Bundesregierung vertragsbrüchig geworden sind, während die Bundesregierung zum gleichen Zeitpunkt den Vertrag eingehalten hat?
Den ersten Teil kennen Sie mittlerweile schon: Wir,
vor allem aber auch die damalige Bundesregierung, haben die damalige Kernenergievereinbarung als rechtlich
nicht verbindlich und als politisch angesehen. In der Einleitung zur Kernenergievereinbarung heißt es:
Unbeschadet der nach wie vor unterschiedlichen
Haltung zur Nutzung der Kernenergie respektieren
die EVUs die Entscheidung der Bundesregierung,
die Stromerzeugung aus Kernenergie geordnet beenden zu wollen.
Abgesehen davon stellt eine Willensbekundung, eine
Vereinbarung ändern zu wollen, keinen Vertragsbruch
dar.
Ihre Nachfrage.
Danke, Frau Staatssekretärin. - Bei dem Konsens
oder bei der Vereinbarung, wie auch immer man das bezeichnen will, gab es Vorteile auf beiden Seiten. So hat
auch die Atomwirtschaft davon profitiert, dass zumindest die Politik sich an die Vereinbarung gehalten und
zum Beispiel die Rücklagen für die Atombetreiber genehmigt hat und ihnen auch bei anderen Vorteilen entgegengekommen ist. Hätten wir in der Großen Koalition
beispielsweise versucht, diese Vorteile zu beschneiden,
wäre die Union wahrscheinlich die Erste gewesen, die
das verhindert hätte. Geben Sie mir da recht, und wie
kann es sein, dass man zwar die Vorteile für die eine
Seite beibehält, man sich also an die Absprachen hält,
aber die Nachteile für diese eine Seite in neuen Konstellationen abstellen will? Machen dann solche Vereinbarungen jeglicher Art in Zukunft überhaupt noch Sinn?
Wir drehen uns hier leider ein bisschen im Kreis; aber
dennoch erneut mein Versuch, unsere Haltung zu erläutern: Die Vereinbarung war eine politische Absichtserklärung, und Sie haben diese Absichtserklärung dann
in ein Gesetz gegossen. Auch wir haben für diese Regierung eine Absicht geäußert, nämlich Erneuerbare auszubauen, CO2 vermeiden zu wollen und Kernenergie als
Brücke zu nutzen, und wir werden die gesetzlichen
Grundlagen dafür schaffen bzw. bestehende so weiterentwickeln, dass sie unseren Anforderungen genügen.
Herr Kollege Kelber, bitte.
Frau Staatssekretärin, ich respektiere Ihre Ansicht,
dass es sich nicht um einen Vertrag handelt und man deswegen nicht vertragsbrüchig geworden sein kann, sondern nur um ein Gentlemen’s Agreement. Zentraler
Punkt dieses Gentlemen’s Agreements war, dass man
sich verpflichtet hat, trotz unterschiedlicher Sichtweisen
zur Kernenergie die Festlegung des Gentlemen’s Agreements dauerhaft umzusetzen. Landläufig gilt jemand, der
ein Gentlemen’s Agreement nicht einhält, nicht mehr als
Ehrenmann. Einer der Unterzeichner vonseiten derjenigen, die das nicht dauerhaft umgesetzt haben, war
Gerald Hennenhöfer. Können Sie mir erklären, warum
Sie jemanden, den Sie mit Ihrer Argumentation nicht als
Ehrenmann bezeichnen, vor wenigen Wochen als Abteilungsleiter für Atomtechnologie im Umweltministerium
eingestellt haben?
Die Bezeichnung, die Sie gerade Herrn Abteilungsleiter Gerald Hennenhöfer haben zuteilwerden lassen,
({0})
weise ich zurück. Noch einmal: Die damalige rot-grüne
Bundesregierung hatte sich entschlossen, die Kernenergie nicht weiter nutzen zu wollen. Der damalige
Bundeskanzler Schröder hat sich aus dem bestehenden
Konsens der Regierung Kohl zwischen Regierung und
Opposition, der darin bestand, dass man sich gemeinsam
über Energiefragen verständigt, weil Energiefragen von
solcher Bedeutung sind, dass sie der Zustimmung des
ganzen Parlamentes bedürfen, verabschiedet.
Den Versuch Ihrer Kollegen, durch wiederholtes Fragen zu der Kernenergievereinbarung im Nachhinein eine
Überhöhung zu konstruieren, die da heißt „Es gibt eine
rechtliche Vereinbarung, und jeder, der sich nicht daran
hält, bricht sie“, weise ich zurück. Dies ist nicht unsere
Auffassung.
Was Herrn Hennenhöfer betrifft, möchte ich Ihnen sagen, dass er seine Funktion mit großer Sachkenntnis,
Loyalität und Rechtstreue ausführt.
Herr Dr. Miersch.
Frau Staatssekretärin, es war nicht der Kollege
Kelber, der den Begriff Gentlemen’s Agreement benutzt
hat, sondern es handelt sich um Ihre Auffassung zur Vereinbarung zum Atomkonsens.
Wir haben mehrfach in unseren Fragen darauf hingewiesen, dass diese Vereinbarung auch die Unterschrift
der vier großen Player im Stromgeschäft in der Bundesrepublik Deutschland trägt. Herr Hennenhöfer war einer
der Repräsentanten und ist jetzt in Ihrem Haus tätig. Ich
frage Sie daher: Was muss man von jemandem halten,
der eine solche Vereinbarung unterschreibt und der sie
jetzt im Rahmen seiner Arbeit an verantwortungsvoller
Position im zuständigen Bundesumweltministerium bricht?
Ich muss Sie leider enttäuschen. Der Begriff Gentlemen’s Agreement stammt nicht von mir, sondern war im
Jahre 2001 auf den Seiten des Bundesumweltministeriums zu finden, offenbar mit Billigung des damaligen
Staatssekretärs Baake.
({0})
An dem Zustandekommen des Papiers war unter anderem der damalige Wirtschaftsminister Müller beteiligt,
der wiederum, als er noch für ein Energieunternehmen
gearbeitet hat, die SPD und den damaligen Ministerpräsidenten Schröder in energiepolitischen Sachfragen unterstützt hat.
Noch einmal: Abteilungsleiter Hennenhöfer, zuständig für die Reaktorsicherheit, führt sein Amt rechtstreu
und mit großer Sachkenntnis aus.
Wir kommen zur Frage 31 des Kollegen Oliver
Kaczmarek:
In welcher Form beabsichtigt die Bundesregierung mit
den Unternehmen einen neuen Konsens über die Laufzeiten
von Atomkraftwerken verbindlich zu vereinbaren, die durch
ihren öffentlichen Einsatz gegen den gültigen Atomkonsens
ihrer Verpflichtung zur dauerhaften Umsetzung der gültigen
Vereinbarung nicht nachgekommen sind, und, sofern eine
förmliche Neufassung des bestehenden Konsenses nicht vorgesehen ist, welche alternativen formalisierten Verfahren sind
vorgesehen?
Herr Kollege Kaczmarek, Ihre Frage beantworte ich
wie folgt: In der Einleitung zur Kernenergievereinbarung heißt es:
Unbeschadet der nach wie vor unterschiedlichen
Haltung zur Nutzung der Kernenergie respektieren
die EVUs … die Entscheidung der Bundesregierung, die Stromerzeugung aus Kernenergie geordnet beenden zu wollen.
Abgesehen davon steht eine öffentliche Äußerung, eine
Vereinbarung ändern zu wollen, der Umsetzung einer
gültigen Vereinbarung nicht entgegen.
Haben Sie eine Nachfrage?
Frau Staatssekretärin, vielen Dank. - Der Kollege
Becker hat gerade aus der Vereinbarung den Satz zitiert,
dass sich beide Seiten dauerhaft dazu verpflichtet haben,
diese Vereinbarung umzusetzen. Ich frage Sie, wie Sie
bei zukünftigen Vereinbarungen - in welcher Form auch
immer Sie diese mit den betroffenen Unternehmen
schließen wollen - sicherstellen wollen, dass diese Vereinbarung tatsächlich dauerhaft umgesetzt wird. Wie
wollen Sie Sicherheit für eine gemeinsame Vereinbarung
mit den Energiekonzernen schaffen?
Wir führen Gespräche, die dazu dienen, gesetzliche
Grundlagen zu schaffen. Es ist der ganz normale Weg,
dass die Fachkreise in einem Ministerium mit Branchenvertretern zusammentreffen und man über die Weiterentwicklung von gesetzlichen Grundlagen spricht. Die
andere Möglichkeit ist, dass sich das Parlament im Rahmen einer eigenen Initiative dazu entscheidet, die gesetzlichen Grundlagen weiterzuentwickeln. Dies ist tagtägliche Praxis. Wir beabsichtigen, sie weiterzuführen.
Eine weitere Nachfrage? - Bitte.
Noch eine kurze Nachfrage: In welcher Form beabsichtigt die Bundesregierung, das Parlament in diese Beratungen einzubeziehen?
Ich vermute, dass Sie das Energiekonzept meinen.
Ich meine die gerade von Ihnen geführte Diskussion
über die Verlängerung der Restlaufzeiten von Atomkraftwerken.
Wir führen derzeit Diskussionen über ein Energiekonzept. Bedauerlicherweise interessiert sich die SPD anscheinend ausschließlich für die Kernenergie. Ich würde
mich freuen, wenn auch die erneuerbaren Energien auf
Ihr Interesse stoßen würden.
({0})
Wir haben in der letzten Zeit über Szenarien diskutiert. Die Aufträge zur Berechnung der Szenarien stehen
kurz vor dem Abschluss. Wenn die Berechnungen vorliegen, werden wir daraus ein Konzept erarbeiten. Wir
wollen im späten Herbst so weit sein, dass ein Konzept
zur Beschlussvorlage umfänglich vorliegt. Die Zeit dazwischen wird dafür verwendet, mit den betroffenen
Verbänden und selbstverständlich auch mit dem Parlament zu sprechen.
Herr Dr. Miersch, bitte.
Frau Staatssekretärin, Sie werden in der nächsten Sitzungswoche Gelegenheit haben, unsere Position in Fragen der erneuerbaren Energien sehr deutlich zu spüren;
denn das, was vorgesehen ist, ist alles andere als zukunftsweisend.
Ich frage Sie noch einmal nach Ihrer Auffassung, die
Sie zum Atomkonsens haben: Ist es nach Ihrer Meinung
überhaupt möglich, dass eine Partei, eine Regierung oder
das Parlament einen rechtsverbindlichen Atomausstieg
beschließen kann?
Herr Kollege, die Rechtsverbindlichkeit entsteht dann
- das habe ich jetzt mehrfach erläutert -, wenn sich eine
gesetzliche Änderung ergibt. Wir werden so arbeiten,
dass wir Veränderungen oder Weiterentwicklungen im
Energiesektor gesetzlich absichern. Die Instrumente
kennen Sie. Das werden wir weiter tun.
Herr Becker, bitte.
Frau Staatssekretärin, Sie haben eben auf die Frage
des Kollegen Kaczmarek bezüglich der Gespräche über
die Verlängerung der Laufzeiten darauf verwiesen, dass
diese Frage im Spätherbst im Rahmen des Energiekonzeptes beantwortet werde. Heißt das, dass es gegenwärtig zwischen der Bundesregierung und der Atomwirtschaft
keine Gespräche über die Verlängerung der Laufzeiten,
über mögliche Rahmenbedingungen etc. gibt?
Es gibt momentan keine Gespräche; das ist richtig.
({0})
Herr Kollege Kelber, bitte.
Frau Staatssekretärin, ich hatte Sie vorhin informiert,
dass die Bundesrepublik Deutschland verbindliche internationale Vereinbarungen zum Schutz von Investitionen
eingegangen ist, die übrigens auch der Veränderung von
nationalen Gesetzen eine Grenze zum Schutz getätigter
Investitionen setzen. Haben Sie Rechtsgutachten in Auftrag gegeben oder beabsichtigen Sie, Rechtsgutachten in
Auftrag zu geben, die klären, ob bei einer eventuellen
Beendigung des Atomkonsenses und einer Verlängerung
der Laufzeiten Nachteile für Energieerzeuger entstehen,
die keine Atomanlagen betreiben, aber bereits Investitionen getätigt haben, und ob diese die Möglichkeit der
Klage und des Schadensersatzes gegenüber der Bundesrepublik Deutschland haben, und können Sie mir für den
Fall, dass ein solches internes oder externes Rechtsgutachten bereits existiert, in Auftrag gegeben wurde oder
in Auftrag gegeben werden soll, verbindlich zusichern,
dass dies dem Deutschen Bundestag zur Überprüfung
der Position der Bundesregierung vorgelegt wird?
Wenn wir in der Gesetzgebung sind, Herr Kollege
Kelber, werden wir alle anstehenden Fragen und Interessen in diesem Prozess berücksichtigen.
Herr Kollege Dr. Ott.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Frau Staatssekretärin, ich bin den Kolleginnen und Kollegen von der SPD
sehr dankbar, dass sie dieses Thema hier in dieser Breite
in das Plenum einbringen. Nach der Art und Weise, wie
Sie den Komplex des Atomausstieges, der von Rot-Grün
verhandelt und vereinbart worden ist, behandeln, scheint
er ein Super-GAU für die umweltpolitische Handlungsfreiheit insgesamt zu sein.
({0})
Hier ist doch im Einvernehmen mit der beteiligten Industrie der Weg gewählt worden, eine Vereinbarung zu
schließen. Beide Seiten haben gegeben und haben genommen. Nun ist es so, dass der Staat sehr viel gegeben
hat, zum Beispiel Möglichkeiten der Rückstellung und
sogar eine Art Bestandsgarantie, wenn man das so formulieren will, für Atomkraftwerke. Nun aber, da es eigentlich darum ginge, die eigenen Verpflichtungen zu erfüllen, ziehen sich die Industrie durch verschiedene
Tricks und nun auch das Ministerium, also die Bundesregierung, aus diesen von einer Vorgängerregierung geschlossenen Vereinbarungen zurück. Ich frage Sie deshalb: Wie stellen Sie sich - Kollege Kaczmarek hat dies
in seiner Frage angedeutet - eine Vereinbarung vor?
Wenn man gesetzliche Maßnahmen vermeiden will, welche Handlungsmöglichkeiten hat die Bundesregierung
denn dann noch, eine solche Vereinbarung zu treffen?
Muss sie dann nicht ganz rigoros gesetzliche Maßnahmen treffen, ohne in einer Vereinbarung auf die betroffene Industrie einzugehen?
Herr Kollege, ich kann keine Frage erkennen. Sie haben lediglich ein Statement abgegeben.
Ich sage Ihnen ganz klar: Selbstverständlich setzen
wir auf gesetzliche Grundlagen, weil wir Rechtsverbindlichkeit sowie klare Richtlinien und Rahmenbedingungen brauchen. Ich bin davon überzeugt, dass eine klare
Gesetzgebung am ehesten zu Rechtsfrieden und Investitionssicherheit führt.
Ich rufe die Frage 32 des Kollegen Oliver Kaczmarek
auf:
Wie bewertet die Bundesregierung den Umstand, dass Akteure im Strommarkt im Vertrauen auf die dauerhafte Umsetzung des Atomkonsenses Investitionen getätigt haben oder
tätigen wollen, und entwickelt die veränderte Haltung der
Bundesregierung zum Atomkonsens gegebenenfalls Regressansprüche solcher Akteure?
Herr Kollege, Ihre Frage behandelt erneut - allerdings
in anderer Form - die schon viel zitierte Energievereinbarung. Ich kann es Ihnen gerne noch einmal verlesen
- ich befürchte, Sie können es bald mitsingen -:
({0})
Die Bundesregierung hat die Kernenergievereinbarung
vom 14. Juni 2000 von Anfang an als rechtlich nicht verbindliche politische Vereinbarung eingestuft. Die Umsetzung der Vereinbarung erfolgte insbesondere durch
eine Änderung des Atomgesetzes. Wie jedes Gesetz
kann auch das Atomgesetz geändert werden. Der verfassungsrechtliche Grundsatz des Vertrauensschutzes betrifft unter bestimmten Voraussetzungen ausschließlich
Gesetze mit rückwirkenden Regelungen. Das haben wir an
dieser Stelle - unter anderem beim Thema Stadtwerke mehrfach diskutiert.
Sie haben eine Nachfrage?
Vielen Dank, Frau Staatssekretärin. Ich habe Ihre
Ausführungen vorhin so verstanden, dass Sie nicht bestreiten, dass Unternehmen aufgrund der veränderten
Grundlagen in der Energiepolitik möglicherweise in
wirtschaftliche Schwierigkeiten geraten könnten. Meine
Frage ist: Gibt es innerhalb der Bundesregierung - vielleicht auch in anderen Häusern - Überlegungen, Unternehmen, die Investitionsentscheidungen auf dieser
Grundlage getroffen haben und nun in Schwierigkeiten
geraten, zu unterstützen?
Herr Kollege, es ist häufig so: Durch Gesetzesänderungen - als Beispiel nenne ich das vielleicht nicht ganz
so umstrittene Erneuerbare-Energien-Gesetz -,
({0})
die wir im Kern als positiv und förderlich empfinden,
können die Gewinnerwartungen der Unternehmen geschmälert oder - bestenfalls - befördert werden. Ich darf
an die vergangene Legislaturperiode erinnern, in der auf
expliziten Wunsch der Sozialdemokraten im Bereich
Biomasseanlagen Entscheidungen getroffen wurden, die
die Betreiber von Biomasseanlagen in eine schwierige
Situation gebracht haben. Wir haben diese Fehlentwicklung damals um des Koalitionsfriedens willen mitgetragen, aber jetzt korrigiert. Insofern glaube ich, dass Sie
Krokodilstränen vergießen, wenn Sie sich um einzelne
Unternehmen Sorgen machen.
Noch einmal: Der Gesetzgeber darf nicht ohne weiteres rückwirkend Änderungen vornehmen. Für zukünftige Entscheidungen gilt das allerdings nicht. Wenn es
Gesetzesänderungen gibt - und die gibt es laufend -,
dann gibt es auch für Investoren immer ein gewisses Risiko.
Haben Sie eine weitere Nachfrage? - Bitte.
Wenn ich das richtig sehe, dann stützen sich die
Wachstumsprognosen der vier am Atomkonsens beteiligten Konzerne auf Steigerungsraten durch die Verlängerung der Restlaufzeiten der Atomkraftwerke. Wenn
ich das richtig verstehe, dann handelt es sich bei den UnOliver Kaczmarek
ternehmen, die möglicherweise in Schwierigkeiten geraten - wir wissen es noch nicht genau; aber es gibt Anzeichen -, meist um mittelständische Unternehmen und das
Handwerk. Teilen Sie meine ökonomische Einschätzung, dass die Gefahr besteht, dass Sie eine Entscheidung zugunsten von Großkonzernen und zulasten von
mittelständischen Betrieben treffen?
Die Bundesregierung hat sich vorgenommen, einen
klaren Schwerpunkt auf den Ausbau der erneuerbaren
Energien zu legen. Hier handelt es sich ganz klar um
mittelständische Strukturen. Wir werden weiterhin in
den Klimaschutz investieren, unter anderem bei der Gebäudesanierung. Das ist ein klares Votum für die kleinen
und mittelständischen Betriebe. Ich glaube, dass diese
Regierung nicht nur ein sehr ausgewogenes Energiekonzept vorlegen wird, sondern auch eine sehr ausgewogene
Haltung zu allen Mitspielern der Energiebranche hat. Es
ist unser erklärtes Ziel - das hat nicht nur Bundesumweltminister Röttgen, sondern auch die Kanzlerin mehrfach ausgeführt -, die erneuerbaren Energien zielstrebig
auszubauen, damit wir auf mittel- und langfristige Sicht
unsere Energieversorgung mithilfe regenerativer Energien bewältigen können.
Herr Kollege Kelber, bitte.
Eine ganz kleine Korrektur zu Beginn: Frau Staatssekretärin, die von Ihnen gerade erwähnte Entscheidung
aus dem Jahr 2008 zu Biogasanlagen war keineswegs
Ergebnis einer Initiative der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion, sondern des schwarz-gelb dominierten
Bundesrates. Diese Entscheidung war übrigens richtig
und ist am Ende durch das Bundesverfassungsgericht
unterstützt worden. Sie haben das trotzdem nachträglich
geändert. Das ist zwar Ihr gutes Recht; aber das sollte
man dennoch festhalten.
Ich habe zur Kenntnis genommen, dass Sie nicht zusagen wollen, mit Steuermitteln erstellte Rechtsgutachten der Bundesregierung dem Deutschen Bundestag zur
Verfügung zu stellen. Sie haben diese Aussage gerade
mehrfach in Bezug auf Anlagen zur Stromerzeugung gemacht. Weitere Akteure am Strommarkt sind die Netzbetreiber, die auf der Basis geltender Gesetze Investitionen
getätigt haben: von der Verteilebene - Überlandnetze bis zum Einzelanschluss. Ein weiteres geltendes Gesetz
bezieht sich auf die Stromaufsicht durch die Bundesnetzagentur. Sind sie bereit, das diesbezügliche Gesetz so zu
verändern, dass Netzinvestitionen, die aufgrund des
Atomausstiegs getätigt wurden und in Zukunft Stranded
Investments sind, sich also nicht mehr rechnen, weiter
nachträglich auf die Netzentgelte angerechnet werden
können, oder haben auch diese Marktteilnehmer Pech
gehabt?
Herr Kollege Kelber, im Rahmen des Energiekonzeptes werden die Stromnetze eine ganz zentrale Rolle spielen. Es ist ja das gemeinsame Ziel - Ihrer Fraktion
ebenso wie unserer Fraktion -, den Bereich der erneuerbaren Energien auszubauen. Dazu brauchen wir mehr
Leitungen. Wir brauchen einen konsequenten Leitungsausbau, intelligente Netze und Speicher. Über all das
werden wir - inklusive der dazu notwendigen gesetzlichen Grundlagen - im Rahmen des Energiekonzeptes
beraten.
Frau Kollegin Dr. Flachsbarth.
Frau Staatssekretärin, haben Sie Kenntnisse darüber,
ob und in welchem Umfang die damalige rot-grüne Bundesregierung vor ihrer Vereinbarung mit den Energieversorgern Expertisen bezüglich der volkswirtschaftlichen
und betriebswirtschaftlichen Auswirkungen ihrer Entscheidung, die letztendlich in die Gesetzgebung eingeflossen ist, eingeholt hat, und wissen Sie, ob sie die Auswirkungen bezüglich der CO2-Emissionen Deutschlands
und der Entwicklung der Strompreise, die für den Industriestandort Deutschland von herausragender Bedeutung
sind, überprüft hat?
Frau Kollegin Flachsbarth, solche Studien sind mir
nicht bekannt.
({0})
Bekannt ist lediglich, dass im Vorfeld der Wahlen 1998
der damalige Staatssekretär im hessischen Umweltministerium, Herr Baake, gemeinsam mit dem niedersächsischen Umweltminister Jüttner Überlegungen zum
gesetzlich geregelten Ausstieg aus der Kernenergienutzung angestellt hat, die dann offenbar eingeflossen sind.
Allerdings ist uns nicht bekannt, dass es Studien zu den
volkswirtschaftlichen Folgen eines Kernenergieausstiegs
gegeben hat.
Herr Kollege Becker.
({0})
- Das hat sich erledigt.
Dann Frau Kollegin Hendricks.
Frau Staatssekretärin, ich habe die ganze Zeit aufmerksam zugehört. Bisher weiß man von der Bundesregierung, dass sie gedenkt, das Atomgesetz zu verändern und längere Laufzeiten zuzulassen. Wie genau,
weiß man noch nicht. Aus all Ihren Antworten auf die
vielen Fragen der Kolleginnen und Kollegen möchte ich
vier Worte zitieren, die immer wieder genannt wurden,
nämlich: im Rahmen des Energiekonzeptes. Das ist offenbar das von dieser Bundesregierung beabsichtigte,
noch vorzulegende Energiekonzept. Können Sie für die
Bundesregierung eine verbindliche Auskunft darüber geben, wann der Entwurf dieses Energiekonzeptes vorliegen wird?
Frau Kollegin Hendricks, ich habe vorhin den Zeitplan skizziert. Wir haben uns jetzt über die Rahmenbedingungen verständigt. Der Auftrag an die Gutachter
geht in den nächsten Tagen raus. Ich habe weiterhin erläutert, dass wir im zweiten Quartal, im Mai, die Ergebnisse der Studien erwarten. Es ist unser Ziel, auf der
Basis wissenschaftlicher Studien zu politischen Entscheidungen zu kommen. Das scheint mir ein Unterschied zur damaligen Verabredung der rot-grünen Bundesregierung mit den EVUs zu sein.
Wir sind immer noch beim gleichen Thema und kommen zur Frage 33 des Kollegen Ulrich Kelber:
Wie bewertet die Bundesregierung das „Prinzip der Vertragstreue“ beim Atomkonsens im Hinblick auf getätigte bzw.
beabsichtigte Investitionen durch Akteure im Strommarkt?
Herr Kollege Kelber, ich verbinde meine Antwort auf
die Fragen 33 und 34, die sich beide mit der Energievereinbarung befassen.
Dann rufe ich auch die Frage 34 des Abgeordneten
Kelber auf:
Wie kann die Bundesregierung sicherstellen, dass der juristische Stellenwert von Kabinettsentscheidungen bzw. Vereinbarungen der Bundesregierung mit Folgewirkungen für
Dritte nicht darunter leidet, dass die Inhalte der Vereinbarung
aus dem Jahr 2000 trotz bereits eingetretener Folgewirkungen
für Dritte geändert werden sollen?
Ich wiederhole mich an dieser Stelle - das ändert
nichts an unserer Rechtsauffassung -: Die Bundesregierung hat die Kernenergievereinbarung von Anfang an als
eine rechtlich nicht verbindliche politische Vereinbarung
im Sinne eines Gentlemen’s Agreement eingestuft. Die
Umsetzung der Vereinbarung erfolgte insbesondere
durch eine Änderung des Atomgesetzes, die 2002 in
Kraft getreten ist. Wie jedes andere Gesetz kann auch
das Atomgesetz geändert werden. Der verfassungsrechtliche Grundsatz des Vertrauensschutzes betrifft unter bestimmten Voraussetzungen ausschließlich Gesetze mit
rückwirkenden Regelungen.
Haben Sie eine Nachfrage? - Bitte.
Vielen Dank für die verbundene Antwort. Der letzte
Teil der zweiten Frage bezieht sich wie die Frage meiner
Kollegin Flachsbarth auf die Folgewirkungen für Dritte.
Frau Kollegin Flachsbarth hat gefragt, ob Ihnen Studien
und Gutachten zu der Frage der positiven oder negativen
Auswirkungen eines Atomausstiegs auf verschiedene
Wirtschaftsbranchen bekannt sind. Sie haben darauf geantwortet, dass Ihnen diese Studien nicht bekannt sind.
Gleichzeitig haben Sie darauf hingewiesen, dass die
Rahmenbedingungen für das Energiekonzept schon erstellt sind. Sind Sie bereit, sich in das Archiv des Bundesumweltministeriums zu begeben und sich bis zur
nächsten Befragung über die Ergebnisse der damaligen
Studien und Gutachten kundig zu machen, oder halten
Sie das nicht für nötig?
Herr Kollege Kelber, Frau Kollegin Flachsbarth hat
sich ausdrücklich mit der Zeit nach 1998 befasst.
({0})
In der Tat kenne ich solche Studien nicht. Fakt ist aber,
Herr Kelber, dass sich der Strommarkt verändert hat.
Beispielsweise wird im Vergleich zu 1998 sehr viel mehr
regenerative Energie angeboten. Gerade heute hat der
Bundesumweltminister die jüngsten Zahlen veröffentlicht: Erstmals erreicht der Anteil der erneuerbaren Energien an der gesamten Stromproduktion 16 Prozent. Der
Anteil von erneuerbarem Strom am Endenergieverbrauch liegt bei 10 Prozent. All dies sind positive Veränderungen.
Worauf die Kollegin Flachsbarth hingewiesen hat,
Herr Kelber, ist, dass die damalige Entscheidung volkswirtschaftliche Implikationen hat. Ich habe die Frau Kollegin so verstanden, dass sie uns gebeten hat, bei
entsprechenden Entscheidungen volkswirtschaftliche
Implikationen nicht außer Acht zu lassen. Das werden
wir tun, sowohl was die von Ihnen mehrfach zitierten
Stadtwerke als auch die vielen mittelständischen Betriebe im Bereich der erneuerbaren Energien betrifft,
aber natürlich auch die großen EVUs mit ihren großen
Investitionen.
Wir sind fast am Ende der Fragestunde. Ich lasse noch
die beiden gemeldeten Zusatzfragen zu. - Zunächst Herr
Kollege Otto.
Frau Staatssekretärin, teilen Sie angesichts dieser
Kaskade von Fragen der Kollegen von der SPD meine
Hans-Joachim Otto ({0})
Auffassung als Abgeordneter dieses Hauses, dass es dem
Demokratieprinzip und damit dem Grundgesetz widerspräche, wenn eine Bundesregierung, welche auch
immer, dem Bundestag durch Verträge, Absprachen,
Gentlemen’s Agreements oder Ähnliches das Recht
nähme, neue Gesetze zu beschließen, und dass auch aufgrund enttäuschter Renditeerwartungen von Investoren
dem Bundestag nicht die Möglichkeit genommen werden darf, neue Gesetze zu beschließen?
({1})
- Ich halte sie ein.
({2})
Herr Kollege Otto, ich teile Ihre Auffassung. Das ist
aber offenbar nicht nur die Auffassung dieser Bundesregierung, sondern war auch Auffassung vorheriger
Bundesregierungen, die je nach politischer Überzeugung
hier und da Enttäuschungen produziert haben. Ob das
dem einen oder anderen Beteiligten immer recht gewesen ist, vermag ich an dieser Stelle nicht zu beurteilen.
Wir jedenfalls werden unsere energiepolitisch sehr ausgewogenen Konzepte gesetzlich umsetzen.
Das Wort zur letzten Zusatzfrage hat nun der Kollege
Dr. Ott.
Danke, Frau Präsidentin. - Frau Staatssekretärin, ich
stelle fest, dass Sie meine vorherige Frage und auch die
mehrfachen Fragen des Kollegen Kelber, die natürlich
nervig sein können
({0})
- nachdrücklich nervig -, alle nicht beantwortet haben.
({1})
Deshalb möchte ich die Frage noch einmal andersherum
formulieren.
Ich kann für meine Partei, die Grünen, sagen, dass wir
uns nie wieder auf eine solche Form der Regelung einlassen werden, wenn sie so leicht zu ändern ist. Wie wollen Sie gegenüber den Beteiligten in der Industrie sicherstellen, dass die Investitionssicherheit, die sie brauchen,
in Zukunft gewährleistet ist? Wollen Sie mit Grundgesetzänderungen arbeiten? Meine Frage lautet: Wenn Sie
dieses Instrument so diskreditieren, wie Sie es hier tun,
was wollen Sie dann eigentlich machen?
Herr Kollege, zunächst muss ich sagen, dass ich es
schade finde, dass Sie das Recht der Parlamentarier, die
Regierung zu befragen, als nervig bezeichnen.
({0})
Ich glaube, es ist für uns alle ein Gewinn, wenn in eine
Debatte eingestiegen wird, wie Sie das ja machen.
({1})
Insofern müssten Sie jetzt unter sich ausmachen, ob der
Begriff „nervig“ tatsächlich die Qualität Ihrer Fragen beschreibt.
({2})
Ich weise dies ausdrücklich zurück.
Ich möchte noch einmal auf das hinweisen, Herr Ott,
was gerade vom Kollegen Otto sozusagen abschließend
zu dieser Debatte gesagt wurde. Keiner Regierung und
keinem Parlament wird man jetzt oder in Zukunft das
Recht nehmen können, andere gesetzliche Grundlagen
zu beschließen, die Einfluss auf Investitionen haben
können. Wir beabsichtigen nicht, rückwirkende Rege-
lungen zu treffen, weil für uns der verfassungsrechtliche
Grundsatz des Vertrauensschutzes gilt. Das heißt aber
nicht, dass Rechtslagen für die Zukunft unabänderlich
sind. Wir werden uns mit allen Beteiligten in einen Dia-
log begeben, um einen Weg zu finden, die rechtlichen
Grundlagen so zu ändern, dass wir zukünftig den Ener-
giemix für unser Land gestalten können.
Damit sind wir am Ende der Fragestunde. Wir haben
den zeitlichen Rahmen voll ausgeschöpft.
Frau Staatssekretärin, ich danke Ihnen für die Beant-
wortung der Fragen. Die restlichen Fragen werden
schriftlich beantwortet.1)
Die Fraktion der SPD hat zur Antwort der Bundesregierung auf die Frage 1 auf Drucksache 17/1107 eine
Aktuelle Stunde verlangt. Dieses Verlangen entspricht
Nr. 1 b der Richtlinien für die Aktuelle Stunde. Deshalb
rufe ich nun den Zusatzpunkt 2 auf:
Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktion der SPD
zur Antwort der Bundesregierung auf die
Frage 1 auf Drucksache 17/1107
Ich eröffne die Aussprache und erteile als erster Rednerin das Wort der Kollegin Elke Ferner für die SPDFraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kollegen! Liebe Kollegin-
nen! Eigentlich könnte man eine feste Institution daraus
1) Die Antworten auf die Fragen 87 der Abg. Ute Koczy ({0}), 91 des Abg. Dr. Hermann Ott ({1}) und 114 der Abg. Caren Marks werden zu einem späteren Zeitpunkt abgedruckt.
machen und sich jede Sitzungswoche - es spielt eigentlich keine Rolle, ob am Mittwoch, Donnerstag oder
Freitag - über die öffentlichen Äußerungen der Koalitionsparteien bzw. einzelner Mitglieder der Koalitionsparteien unterhalten.
({2})
Aber wir können uns hier nicht darüber unterhalten, was
die Bundesregierung und die sie tragenden Fraktionen
im Bundestag eigentlich vorhaben.
({3})
Ich hatte die Hoffnung, dass Herr Söder Manns genug
ist,
({4})
hier von der Bundesratsbank aus seine Position im Bundestag vorzutragen. Aber offenkundig ist er zurückgepfiffen worden.
({5})
- Nein, ich wollte nicht zur Honorarreform sprechen.
Lesen bildet; schauen Sie sich an, was auf der Tagesordnung steht.
({6})
Es geht darum, dass Sie, Herr Lanfermann, den Menschen vor der Wahl in Nordrhein-Westfalen nicht reinen
Wein einschenken wollen.
({7})
Sie sagen nicht, was passieren soll und mit welchen
Mehrbelastungen die Menschen zu rechnen haben.
({8})
- Nein, bei Ihrer Kopfpauschale, Herr Lanfermann.
({9})
Ich kann feststellen, dass die schwarz-gelben Chaostage weitergehen. Wenn es nicht eine grobe Beleidigung
für die Familie Hempel wäre, könnte man sagen, dass es
bei Ihnen zugeht wie bei Hempels unterm Sofa.
({10})
An diesem Wochenende ist deutlich geworden, dass
in dieser Koalition zumindest in einem Punkt Einigkeit
besteht, auch zwischen Bayern - sprich: München - und
Berlin. Die Einigkeit besteht darin, dass Sie alle der Auffassung sind, dass die Arbeitgeberbeiträge dauerhaft eingefroren werden sollen. Das hat Konsequenzen; darüber
muss man in diesem Haus sprechen können.
({11})
- Herr Lanfermann hat gerade gesagt, es habe positive
Konsequenzen. Ich will Ihnen vorrechnen, mit welchen
positiven Konsequenzen die Versicherten in der gesetzlichen Krankenversicherung rechnen können:
({12})
Das Einfrieren des Arbeitgeberbeitrags bedeutet, dass
künftig die Versicherten alle Mehrkosten, die entstehen,
tragen müssen: die Mehrkosten aufgrund der demografischen Entwicklung, aufgrund des medizinischen
Fortschritts, aufgrund der Unfähigkeit dieser Bundesregierung, im Hinblick auf die Ausgaben auch nur irgendetwas zu unternehmen,
({13})
die Mehrkosten aufgrund der Einlösung der Versprechungen von FDP und CDU/CSU an ihre Klientel und
aufgrund der Mindereinnahmen infolge der von Ihnen
geplanten Ausweitung des Niedriglohnsektors.
({14})
All diese Kosten wollen Sie auf dem Rücken der Versicherten abladen.
({15})
Der BVA-Präsident hat letzte Woche geschätzt, dass
das Defizit 15 Milliarden Euro betragen wird. Nach dem
Modell Rösler, der Kopfpauschale, hätte dies zur Folge,
dass jedes GKV-Mitglied 24 Euro im Monat zusätzlich
auf den Tisch des Hauses legen müsste.
({16})
Das entspricht 288 Euro im Jahr. Allein dadurch wäre
Ihre Kindergelderhöhung für Familien mit einem Kind
schon verfrühstückt.
({17})
Über die Rentner und Rentnerinnen, für die dies de facto
eine Rentenkürzung ist, habe ich bis jetzt noch gar nicht
geredet,
({18})
auch nicht über die Studierenden und über die 40 Millionen GKV-Versicherten, die ein Einkommen von weniger
als 2 500 Euro haben.
Nach dem Modell Söder hätte das Defizit zur Folge,
dass der Beitragssatz um 1,5 Prozentpunkte erhöht werden müsste; auch diese Beitragssatzerhöhung müsste allein von den Versicherten getragen werden. Bei einem
Monatseinkommen von 2 000 Euro sind das schlappe
30 Euro im Monat, also 360 Euro im Jahr.
({19})
Herr Lanfermann, das sind Ihre „Segnungen“, das ist das
„Gute“ und „Positive“, das sich aus diesen Vorschlägen
ergibt. Das wird nicht reichen.
Zum Thema „automatischer Sozialausgleich“ kann
ich Ihnen nur sagen: Es ist völlig ungeklärt, wie er funktionieren und woher das Geld kommen soll.
({20})
Die Steuern wollen Sie ja nicht erhöhen.
({21})
Im Gegenteil, Sie wollen die Steuern sogar senken. Ich
sage Ihnen: Sie sind ein Sicherheitsrisiko für unseren Sozialstaat.
({22})
Man erkennt auch an den aktuellen Umfrageergebnissen: Es wird nicht mehr lange dauern, bis die Beliebtheit
der schwarz-gelben Koalition genauso weit gesunken ist
wie die Beliebtheit der Kopfpauschale, die übrigens
nicht kommen wird.
({23})
Ich denke, in diesem Sinne können die Wähler und Wählerinnen in Nordrhein-Westfalen am 9. Mai auch darüber
abstimmen, ob sie 360 Euro im Jahr mehr bezahlen wollen oder nicht.
Schönen Dank.
({24})
Nächster Redner ist der Kollege Johannes
Singhammer für die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Frau Kollegin Ferner, erst ärgern Sie sich darüber, dass ein bayerischer Staatsminister mehr mediale
Aufmerksamkeit bekommt als alle Gesundheitspolitiker
der SPD zusammen,
({0})
und dann stellen Sie Markus Söder in den Mittelpunkt
einer Aktuellen Stunde. Ich muss sagen: Dass ich das
noch einmal erleben durfte! Das ist eine innovative Therapieform: Markus Söder als Antidepressiva gegen die
mangelnde mediale Wahrnehmung der SPD.
({1})
Das Thema ist ernst. Es geht um die Zukunft der gesetzlichen Krankenversicherung.
({2})
Wir wissen, dass wir hier vor außerordentlich großen
Herausforderungen stehen. Wir wissen auch, dass im
kommenden Jahr ein Defizit zu erwarten wäre, wenn
jetzt nichts getan würde.
({3})
Deshalb sind wir miteinander im Gespräch.
Wir sagen: Eine Systemumstellung bedarf einer
gründlichen Beratung.
({4})
Sie bedarf einer gründlichen Beratung im Hinblick auf
die Finanzierung, und sie bedarf einer gründlichen Beratung im Hinblick auf den Bauplan.
({5})
Die zentralen Kriterien, an denen sich der Erfolg des
Umbaus des Systems messen lassen muss, sind ein Mehr
an Gerechtigkeit, ein Abbau der Bürokratie und eine
Steigerung der Leistungsfähigkeit.
({6})
Das ist seit langem öffentlich bekannt. Hätten Sie das
wissen wollen, hätte ein Telefonanruf bei mir genügt.
({7})
Ich hätte Ihnen das erklären können. Dafür braucht man
keine Aktuelle Stunde.
({8})
Liebe Kollegen von der SPD, „Opposition ist Mist“,
das hat vor einiger Zeit ein ehemaliger Parteivorsitzen3052
der von Ihnen zu Recht festgestellt. Ich kann durchaus
verstehen, dass es Sie ärgert, nicht in der Regierungskommission mitgestalten zu können.
({9})
Ich sage Ihnen aber: Das geschieht zu Recht.
({10})
Denn mit der Geschwindigkeit, mit der Sie frühere Positionen räumen, sind Sie keine verlässliche Größe mehr
in der Gesundheitspolitik.
({11})
- Hören Sie einmal zu!
({12})
Sie wollen den Sonderbeitrag, den Sie 2003 selbst eingeführt haben, abschaffen.
({13})
Sie wollen den Zusatzbeitrag zum Gesundheitsfonds,
den Sie 2007 mit uns eingeführt haben, abschaffen.
({14})
Sie wollen die Praxisgebühr, die Sie 2003 selbst eingeführt haben, abschaffen und damit die Eigenverantwortung der Versicherten schwächen.
({15})
Was Sie hier aufführen - Positionen räumen und ständig
Drehungen vollführen -,
({16})
ist allenfalls ein besonderes Subventionsprogramm für
einen bestimmten Bereich der Pharmaindustrie, nämlich
für den Teil der Pharmaindustrie, der Medikamente gegen Gleichgewichtsstörungen herstellt.
({17})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, Sie wissen
ja selbst nicht, was gelten soll.
({18})
Seit vielen Jahren sprechen Sie davon, dass eine Bürgerversicherung eingeführt werden soll. Wie die Finanzierung aussehen und wo die Bemessungsgrenze liegen
soll, wollen Sie nicht sagen.
({19})
Sagen Sie endlich: Muss der Rentner, muss die Rentnerin Mieteinnahmen, Sparzinsen oder die kleine Zusatzrente einbeziehen, wenn der Beitrag berechnet wird? Insofern ist Ihre Bürgerversicherung der beste Weg zu
einer großangelegten Bürgerverunsicherung.
Sie haben Staatsminister Söder angesprochen. Herr
Söder hat mit seinen Äußerungen einen sensiblen Punkt
angesprochen, nämlich den des regionalen Ausgleichs.
({20})
Eine Reihe von Bundesländern, vor allem im Süden unseres Landes, leisten einen erheblichen Solidarbeitrag
innerhalb der GKV. Wie dieser Solidarausgleich in der
richtigen Balance gehalten werden kann, darüber lohnt
sich in der Tat eine Debatte.
({21})
Zu einer ernsthaften Debatte sind Sie aber nicht bereit.
({22})
Sie lamentieren und kritisieren; wir sorgen in dieser
Koalition dafür, dass die Krankenkassen leistungsfähig
bleiben.
({23})
Deshalb haben wir den gesetzlichen Krankenkassen in
diesem Jahr einen Solidarbeitrag von 15,7 Milliarden
Euro aus der Steuerkasse gegeben - ohne Diskussion,
kurzfristig, schnell und entschlossen.
({24})
Das ist der Unterschied: Sie lamentieren, wir regieren.
Und das ist gut so.
({25})
Kathrin Vogler ist die nächste Rednerin für die Fraktion Die Linke.
({0})
Vielen Dank. - Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen
und Herren! Der Volksmund sagt: Wenn zwei sich streiten, freut sich der Dritte. Wer ist eigentlich der Dritte,
der sich über den Streit der schwarz-gelben Koalition in
Sachen Gesundheitspolitik, in Sachen Finanzierung der
Krankenkassen freuen kann?
Es lohnt sich, näher hinzusehen: Die Bundesregierung
plant die schrittweise Einführung einer Kopfpauschale.
({0})
Wie hoch diese Kopfpauschale sein wird, das - die Kollegin Ferner hat das deutlich gemacht - wollen Sie nicht
sagen. Alle bisher bekannt gewordenen Modelle bedeuten aber, dass die Beiträge vieler Versicherten steigen,
außer die Beiträge derjenigen, die ein höheres Einkommen haben. Wer gut verdient, wird entlastet; die Zeche
zahlen die weniger gut Betuchten.
({1})
Nun schießt die CSU aus Bayern dazwischen. Herr
Söder markiert den starken Mann, indem er lautstark gegen das Kopfpauschalenmodell kämpft, will aber eine
Ausweitung der Zusatzbeiträge. Der Kollege Zöller
- Mitglied der CSU-Landesgruppe hier im Haus - hält
das Ganze öffentlich für Kasperletheater. Beim Kasperletheater sollte man sich immer fragen: Wer ist hier eigentlich der Kasper,
({2})
wer die Gretel und wer der böse Hotzenplotz?
({3})
- Das Krokodil nicht zu vergessen.
Man wundert sich ja schon, wie die Partner einer Koalition, zwischen die nach der Auffassung meines verehrten Kollegen Spahn von der CDU gar kein Blatt
passt, in der Öffentlichkeit so laut über eines ihrer strategischen Projekte streiten können. Das sind aber nur
Scheingefechte.
({4})
In einem sind Sie sich nämlich alle einig: Die Arbeitgeberbeiträge sollen eingefroren werden, künftige Ausgabensteigerungen im Gesundheitswesen wollen Sie allein
den Versicherten aufbürden, also den abhängig Beschäftigten sowie den Rentnerinnen und Rentnern, die Beitragsbemessungsgrenze, mit der die Beiträge von Besserverdienenden begrenzt werden, wollen Sie nicht
antasten, und auch von einer Anhebung der Versicherungspflichtgrenze sind Sie weit entfernt.
Wer ist beim CSU-Modell jetzt also der lachende
Dritte? Kollege Singhammer hat das gerade ja mit beneidenswerter Offenheit angedeutet: Er möchte sozusagen
die regionale Spaltung Deutschlands, also die Spaltung
der Versicherten in den unterschiedlichen Bundesländern
bzw. Regionen. Das heißt, da, wo die Menschen ärmer
und kränker sind, sollen sie künftig mehr bezahlen.
({5})
Das ist „bayerische Solidarität“. Da machen wir nicht
mit.
({6})
Ganz besonders freuen könnten sich aber die Konzerne, die private Krankenversicherungen anbieten;
denn sie haben Angst vor der Rösler’schen Kopfpauschale, weil sie fürchten, dass ihnen ihre Kunden weglaufen, da sie von niedrigeren Beiträgen in die gesetzliche Krankenversicherung gelockt werden könnten, wenn
die Beiträge der Gutverdienenden für die gesetzliche
Krankenversicherung sinken. Wenn man dann weiß,
dass die Allianzgruppe, der größte deutsche Versicherungskonzern, ihren Sitz in München hat und die CSU
jedes Jahr mit großzügigen Spenden versorgt,
({7})
dann wird doch klar, dass nicht nur die FDP Klientelpolitik richtig gut kann.
({8})
Interessant ist in diesem Zusammenhang aber auch
die Rolle der SPD. In Nordrhein-Westfalen sammelt sie
gerade Unterschriften gegen die Kopfpauschale.
({9})
Auch das CSU-Modell - das haben wir gerade gehört stößt bei ihr nicht auf Begeisterung.
Lieber Kollege Lauterbach, wo waren Sie denn am
31. Januar 2007, als der Gesundheitsausschuss den Gesundheitsfonds und damit auch die Zusatzbeiträge beschlossen hat, die doch die Grundlage für das jetzige
Theater hier bilden?
({10})
Sie sind mit Ihrer Kritik an den schwarz-gelben Konzepten auch nur bedingt glaubwürdig; denn beinahe alles,
was Sie hier und jetzt kritisieren, haben Ihre Bundesregierungen auf den Weg gebracht:
({11})
den Ausstieg aus der paritätischen Finanzierung, die Zusatzbeiträge und eine ganze Reihe von Leistungsausgrenzungen und Zuzahlungen,
({12})
wie zum Beispiel die Praxisgebühr. Dies führt schon
jetzt dazu, dass die Versicherten, die Kranken, die Patientinnen und Patienten die größte Last der Gesundheitskosten tragen.
Wir haben das ja schon gehört: Es ist Wahlkampf im
bevölkerungsreichsten Bundesland.
({13})
Im Wahlkampf macht sich schon einmal ein Gesundheitsminister von der CDU zum Sprachrohr für das Gejammer der Ärzteschaft, die in Nordrhein-Westfalen angeblich am Hungertuch nagt. Ich komme aus NordrheinWestfalen. Mir ist da noch kein wirklich verhungert aussehender Doktor begegnet.
({14})
Dies tun Sie auch noch - das hat uns der Parlamentarische Staatssekretär aus dem Gesundheitsministerium,
Daniel Bahr, gerade bestätigt - auf der Basis von bloßen
Schätzungen und nicht auf der Basis von Zahlen, Daten
und Fakten.
Was macht die SPD? Sie spielt in diesem Kasperletheater das niedliche kleine Gretchen, das ganz unschuldig und naiv dem schwarzen Hotzenplotz in die Hände
gefallen ist.
({15})
Entschuldigung, aber das nehmen wir Ihnen nicht ab.
Auch die Wählerinnen und Wähler in NRW werden
wissen, dass es nur ein wirksames Rezept gegen Ihre
Amnesie auf dem Gebiet der Gesundheitspolitik gibt,
nämlich eine starke Linke;
({16})
denn nur wir werden die Umverteilung von unten nach
oben, die Selbstbedienung der Pharmaindustrie und die
Privatisierung des Gesundheitswesens wirksam stoppen.
({17})
Nächster Redner ist der Kollege Heinz Lanfermann
für die FDP-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die SPD hat
hier ein bisschen Verwirrung hineingebracht. Diese Aktuelle Stunde ist aus der Frage 1 der heutigen Fragestunde entwickelt worden:
Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung hinsichtlich der Auswirkungen der Honorarreform, die
seit 1. Januar 2009 in Kraft ist, auf die Vergütung
niedergelassener Kassenärztinnen und -ärzte …
Dazu hat Frau Ferner aber überhaupt nicht gesprochen. Das ist auch kein Wunder, weil Sie ja alles verdrängen, was die Gesundheitsministerin Ulla Schmidt
auf den Weg gebracht hat.
({0})
Sie haben kein Wort darüber verloren, wie viel Verwirrung sie gestiftet hat, sodass sich kein Mensch mehr auskennt und wir erst einmal mühsam nachvollziehen müssen und prüfen müssen, was da eigentlich gelaufen ist
und wie man die gröbsten Fehler beseitigen kann.
({1})
Die Kollegin Ferner hat aber Sehnsucht danach, hier
jede Woche zu sprechen; das haben wir gehört. Sie
möchte das sozusagen zur Institution machen,
({2})
wahrscheinlich mit Blick auf die anstehende Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen. Dort wollten Sie mit einer
Unterschriftenaktion, mit einer Mischung aus Halbwahrheiten und Hier-und-da-etwas-Weglassen die Leute gegen den „Weltuntergang“ mobilisieren, als den Sie die
Kopfpauschale immer bezeichnen. Aber das ist ersichtlich falsch, weil das niemand will.
({3})
Bei Ihrer Unterschriftenaktion haben bisher unter 3 Promille der Wahlberechtigten unterschrieben. Etwas besser
dürfen Sie am 9. Mai schon abschneiden.
({4})
Allerdings dürften die Hoffnungen begrenzt sein. Sie haben hier ja schon, sozusagen als freudsche Fehlleistung,
die Falschmeldung, es gäbe eine Prämie in Höhe von
29 Euro, in 23 Euro umgewandelt. Das allerdings, Frau
Ferner, war Ihr Bundestagswahlergebnis in Prozent - nur
damit das noch einmal gesagt wird.
({5})
In dieser Aktuellen Stunde, haben wir gehört, wollen
Sie den Vorschlag eines bayerischen Ministers diskutieren. Aber so aktuell ist dieses Thema nicht; denn seit
fünf Monaten ist dieser Vorschlag Vergangenheit und absolut erledigt.
({6})
Hier im Raum sind mehrere Zeugen, die dabei gewesen
sind. Der Vorschlag wurde im Oktober vorgelegt. Aber
da er vorsieht, den Arbeitnehmerbeitrag einkommensabhängig auszugestalten, hat er sich erledigt; denn im
Koalitionsvertrag ist festgelegt, dass langfristig eine Lösung mit einem einkommensunabhängigen Arbeitnehmerbeitrag erzielt werden soll. Darüber berät jetzt in aller Ruhe die Regierungskommission.
({7})
Es kann vielleicht sein, dass sein persönlicher Referent auf dieses A4-Blatt statt „Ablage“ versehentlich
„Wiedervorlage Frühlingsanfang“ geschrieben hat. So
ist es eben mit der Frühlingssonne wieder aufgetaucht
und hat seinen Weg in die Medien gefunden.
Aber, meine Damen und Herren, was ist denn der eigentliche Anlass für diese wöchentlichen Debatten, nach
denen sich Frau Ferner so sehnt?
({8})
Es ist ein Versteckspiel, ein Theaterspiel.
({9})
Es ist aber kein Kasperletheater - darauf könnte man
leicht kommen -, nein, es ist ein Theaterstück, abgeleitet
von Samuel Becketts „Warten auf Godot“. Aber hier
heißt es: Warten auf Lauterbach.
({10})
Am 17. Dezember 2009, meine Damen und Herren,
hat Herr Lauterbach von diesem Pult aus Folgendes vorgetragen:
Ich komme nun zu den konkreten Vorschlägen der
SPD:
Wir werden einen konkreten, durchfinanzierten
Vorschlag für eine Bürgerversicherung machen.
Das kündige ich hiermit an.
({11})
Das war am 17. Dezember 2009. Am 4. März 2010
hat er das wiederholt. Inzwischen sind einige Monate
vergangen, und gekommen ist nichts.
({12})
Ein Antrag wurde hier vorgelegt, den wir diskutiert haben. Darin stand: Wir wollen eine Bürgerversicherung,
und wir fordern die Bundesregierung auf, uns hierfür ein
Konzept vorzulegen. - Es ist ein einmaliger Fall, dass
die Opposition die Regierung für sich arbeiten lassen
will. Ich habe Sie schon damals in allem Ernst aufgefordert, Ihre Hausaufgaben doch bitte schön selber zu machen.
({13})
Gestern, meine Damen und Herren, hat die Kollegin
Mattheis auf einer Podiumsdiskussion, die der BDI veranstaltet hat, gesprochen. Sie hat sich dazu geäußert,
wann wir denn mit diesen Vorschlägen rechnen können.
Sie können mich korrigieren, aber ich habe gehört, dass
Sie von Juni gesprochen haben. Deswegen bitten wir Sie
allen Ernstes - es sprechen ja gleich noch Redner aus Ihrer Fraktion hier am Pult -: Sagen Sie uns doch endlich,
wann Sie diese Vorschläge vorlegen wollen, wann Sie
den Bürgern sagen wollen, wie viel Prozent ihrer Mieteinkünfte Sie bei Ihrer Bürgerversicherung als zusätzlichen Beitrag erheben wollen.
({14})
Sagen Sie uns, wie viel Prozent von den Zinseinnahmen
aller Bürger Sie zur Finanzierung Ihrer Bürgerversicherung als zusätzlichen Beitrag erheben wollen.
({15})
Geben Sie erst einmal Auskunft vor der Wahl in Nordrhein-Westfalen, damit alle Menschen auch wissen, was
sie zu erwarten haben, wenn Sie dort eine rot-rot-grüne
Regierung installieren.
({16})
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
({17})
Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat nun die
Kollegin Birgitt Bender das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr
Kollege Lanfermann, Sie knüpften vorhin an die Fragestunde an. Wenn die Frage heißt „Welche Erkenntnisse
hat diese Regierungskoalition über die künftige Gesundheitspolitik?“, dann muss die Antwort heißen: keine.
({0})
Man kann in Ihre Richtung auch anders fragen: Üben
Sie noch, oder regieren Sie schon? Man weiß es wirklich
nicht.
({1})
Das ist inzwischen wie in einer Daily Soap, wobei man
vergisst, dass man nicht vor der Glotze sitzt, sondern
dass dies ein Parlament ist und das Geschäft eigentlich
Regieren heißen soll. Aber entweder wollen Sie nicht,
oder Sie können es nicht.
({2})
Die Frage richtet sich insbesondere an die CSU. Gewiss, der Unterhaltungswert ist nicht gering. Da hat es
einen adrenalingepeitschten bayerischen Jungmann aus
der Nachwuchsklasse, der täglich neue Schlachten ficht,
und dann eine Landesgruppe der CSU aus gesetzten älte3056
ren Herren, die sich überlegt, woher sie jetzt ein Beruhigungszäpfchen nimmt und wie sie es appliziert.
({3})
Das ist alles gut und schön, aber es verdeckt das tieferliegende Problem. Das tieferliegende Problem ist,
dass eine Partei Teil dieser Regierungskoalition ist, die
sich vor allem als bayerische Regionalpartei sieht. Sie
kämpft für bayerische Sonderinteressen. Was heißt denn
das sogenannte Konzept von Söder? Er will die derzeit
von den Versicherten allein zu tragenden 0,9 Prozentpunkte und die Zusatzbeiträge in einen zusätzlich zum
üblichen einkommensbezogenen Beitrag von den Versicherten zu tragenden Extrabeitrag von 1,5 Prozent umwandeln.
({4})
Auf Deutsch, Herr Kollege Zöller, sind das 2 Milliarden
Euro Mehrbelastung für die Versicherten bei eingefrorenem Arbeitgeberbeitrag.
({5})
Damit nicht genug, soll erstens das Geld, das die
bayerischen Versicherten zahlen, in Bayern bleiben, und
weil es so schön ist, soll es zweitens für Bayern noch einen zusätzlichen Zuschuss aus dem Gesundheitsfonds
geben. Das bedeutet, die Versicherten in MecklenburgVorpommern zahlen etwas extra für die bayerischen
Ärztehonorare. Ich gratuliere!
({6})
Dabei merkt man, dass es nicht darauf ankommt,
wirklich etwas durchzusetzen. Denn das glaubt doch
kein Mensch. So blöd sind selbst Sie nicht, wie Sie dort
sitzen, dass Sie so etwas machen könnten; es kommt
vielmehr auf den Gestus an.
({7})
Das ist die bayerische Variante der Soap Opera nach
dem Motto „Hauptsache, wir haben es laut genug gesagt“. Wie sagte Seehofer mal so schön: Unser Arbeitsplatz ist München; unser Kampfplatz ist Berlin. - Die
CSU will gar nichts anderes, als vor allem laut sein und
mit großem Gestus Politik machen. Da zählt nicht die
Frage, was sie durchgesetzt haben, sondern die Zahl der
Medienauftritte.
Sie sollten sich fragen, ob die Koalition damit regierungsfähig ist. Ich glaube, die Antwort heißt Nein.
({8})
Nächster Redner ist der Kollege Jens Spahn für die
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Liebe Frau Kollegin Vogler, das ist kein Scheingefecht,
sondern eine Scheindebatte, die wir hier führen.
({0})
- Liebe Frau Kollegin Ferner, Sie sind es, die uns jede
Woche durch Ihre Anträge und das, was Sie hier diskutieren wollen, dazu bringen, dass wir darüber reden, und
dann beschweren Sie sich.
({1})
Ich weiß nicht, welcher Anlass Sie noch dazu bringen
könnte, Aktuelle Stunden zu beantragen: wenn sich
rheinland-pfälzische Minister zum Walfang im Südpazifik oder Bremer Senatoren zur Mehrwertsteuer äußern?
Das Problem ist, dass Ihnen kein Anlass klein genug ist,
um nicht jede Woche die gleiche Debatte mit den gleichen Überschriften, aber leider mit wenig Substanz zu
führen. Das ist das Problem, liebe Kolleginnen und Kollegen.
({2})
Es ist noch keine Woche her, seit ich schon einmal auf
das Murmeltierphänomen hingewiesen habe. Man
kommt sich vor wie in dem Film „Und täglich grüßt das
Murmeltier“: Jede Woche führen wir hier die gleiche
Debatte.
({3})
Das, was Sie mantraartig wiederholen, wird dadurch
nicht richtiger.
Unser Ziel ist es wert - zumindest, wenn man dies
möchte und auch ein gewisses Interesse an den Sachfragen und daran hat, die Probleme zu lösen und die Herausforderungen zu bewältigen -,
({4})
darüber auch einmal sachlich zu diskutieren, statt einen
Popanz aufzubauen, wie Sie es immer machen.
({5})
Der Sozialausgleich bzw. die Finanzierung der sozialen
Sicherungssysteme und insbesondere der gesetzlichen
Krankenversicherung darf nicht ausschließlich auf dem
Rücken der 28 Millionen abhängig Beschäftigten und ihren Arbeitgebern ausgetragen werden.
({6})
Vielmehr muss es uns gelingen, eine breitere Grundlage
für die Finanzierung, insbesondere für den Sozialausgleich zu finden. Deswegen wollen wir einen steuerfinanzierten Sozialausgleich, der alles umfasst.
({7})
- Liebe Kollegin Ferner, das ist insofern eine gewisse intellektuelle Herausforderung, als das Anliegen spannenderweise das Gleiche ist. Auch Sie wollen eine breitere
Bemessungsgrundlage. Wir werden aber - ich glaube,
das ist Ihr größeres Problem - in dieser bürgerlichen Koalition diesem Ziel wesentlich näher kommen, als Sie es
in den letzten Jahren geschafft haben. Das beschäftigt
Sie.
({8})
Die gestrige Podiumsdiskussion ist schon vom Kollegen Lanfermann angesprochen worden. Dort haben wir
gelernt, dass die SPD seit 2003 ein Bürgerversicherungskonzept erarbeitet. Bis heute haben Sie es aber nicht geschafft, ein solches Konzept vorzulegen.
({9})
- Ihre Frau Kollegin Mattheis hat gestern gesagt, seit
2003 werde daran gearbeitet und Mitte dieses Jahres
könnten wir vielleicht mit einem Ergebnis rechnen.
({10})
- Das hat sie ganz sicher gesagt, und zwar vor vollem
Saal.
Wenn Sie es von 2003 bis 2010 nicht schaffen, ein
vernünftiges Konzept zu erarbeiten, dann geben Sie
doch der Regierungskommission die paar Wochen, die
sie braucht, um ein gemeinsam abgestimmtes Konzept
vorzulegen,
({11})
mit dem wir das Ziel - hier sind wir eigentlich gar nicht
so weit auseinander - erreichen wollen. Das wäre eine
gewisse Fairness in der Diskussion.
({12})
- Da müssen Sie im Zweifelsfall den Kollegen fragen.
Ich weise darauf hin, dass es das Anliegen aller drei
die Koalition tragenden Parteien ist,
({13})
tatsächlich eine tragfähige, zukunftsfähige Finanzierung
des Gesundheitswesens zu schaffen. Das eigentliche
Problem ist, dass der demografische Wandel - wir alle
werden immer älter; das ist etwas Schönes - und der medizinische Fortschritt - man kann heute in der Krebstherapie und der Krebsdiagnose Krankheiten behandeln und
erkennen, die man vor 20 Jahren nicht behandeln bzw.
erkennen konnte -, die das Gesundheitswesen teurer machen und die Ausgaben steigen lassen, nicht automatisch
zu steigenden Arbeitskosten führen dürfen. Darüber,
dass wir hier eine Entkopplung brauchen, herrscht Konsens bei allen drei die Koalition tragenden Parteien. Darüber sollten Sie sich keine Sorgen machen, liebe Frau
Kollegin Ferner.
({14})
Frau Kollegin Vogler, zu den Ärztehonoraren. Wenn
mich nicht alles täuscht, kommen Sie genauso wie ich
aus dem Münsterland, einer ländlichen Region. Das, was
wir bei der letzten Honorarreform gemacht haben, hat
insbesondere darauf gezielt, die Situation der Hausärzte
auf dem Land nicht nur in Ostdeutschland, sondern auch
in anderen Regionen zu verbessern. Ich finde es daher
bemerkenswert, dass Sie das so abtun, wie Sie es gerade
getan haben. Das werden wir auch zu Hause kommunizieren; darüber machen Sie sich keine Sorgen. Man fragt
sich, welche Interessen Sie hier vertreten.
({15})
Wenn der nordrhein-westfälische Landesminister darauf hinweist, dass NRW aufgrund historischer Zusammenhänge etwas anders dasteht und für einen gewissen
Ausgleich kämpft, dann sollten Sie ihn auch und gerade
in Wahlkampfzeiten unterstützen, anstatt solche Reden
hier zu halten.
({16})
Auch das werden wir zu Hause kommunizieren. Worüber wir hier diskutieren, ist kein Selbstzweck. Uns
geht es vielmehr um eine vernünftige finanzielle Grundlage für eine gute, flächendeckende medizinische Versorgung - auch in den ländlichen Regionen, auch im
Münsterland -, die die Menschen beim medizinischen
Fortschritt mitnimmt. Das ist aller Mühen wert.
Ich bleibe dabei: Wir sind frohen Mutes an der Arbeit.
({17})
Nächster Redner ist der Kollege Dr. Karl Lauterbach
für die SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Zuerst möchte ich dem Kollegen Zöller ganz
herzlich danken. Er hat gestern vorgetragen, dass er von
Herrn Söder die Schnauze voll hat.
({0})
Ich schließe mich ihm an. Er hatte in der gestrigen Sendung, in der ich auf ihn getroffen bin, schon Kreide gefressen. Heute ist er gar nicht da. Ich danke Ihnen für die
Unterstützung, Herr Zöller.
({1})
Jetzt zu Ihnen, Herr Lanfermann. Was beobachten wir
im Moment? Neue Vorschläge von Herrn Söder. Herr
Söder gegen Herrn Friedrich.
({2})
Herr Friedrich gegen Herrn Zöller.
({3})
Bei der FDP: Rösler gegen den Landesminister im Saarland. Wir haben eine unglaubliche Verwirrung.
({4})
- Es ist doch Ihre eigene Verwirrung. Herr Lanfermann,
Sie sind doch durch geringere Anlässe verwirrbar.
({5})
Denken Sie sich doch in unsere Situation! Uns wird
von Ihnen jeden Tag eine andere fischige Geschichte,
wie es weitergehen soll, aufgetischt. Als einzige Weisheit hören wir gelegentlich, dass wir alle älter werden
und dass es technischen Fortschritt gibt, was wir gerade
wieder von Herrn Spahn gelernt haben. Ich bitte Sie!
({6})
Wir wollten diese Aktuelle Stunde, weil wir wissen wollen, wie es de facto weitergehen soll. Anlass ist nicht
Herr Söder, sondern das 15-Milliarden-Euro-Defizit, das
wir im nächsten Jahr erwarten. Darum geht es.
({7})
- Sie belachen dies. Für diese herablassende Art, das
Thema herunterzuspielen, bekommen Sie - Herr
Lanfermann, erinnern Sie sich an meine Worte! - bei der
NRW-Wahl die Quittung.
({8})
- Nein, wir kennen uns damit nicht aus.
Herr Spahn, in Ihre Richtung sage ich: Sie verlangen
von uns regelmäßig, dass wir jetzt ad hoc das Konzept
der Bürgerversicherung, durchgerechnet, vorlegen. Herr
Spahn, wovon gehen Sie aus? Gehen Sie von Neuwahlen
aus?
({9})
Hält diese Regierung nicht durch, sodass wir hier zuzuliefern haben? Ist es das? Ich sage: Der Klamauk muss
ein Ende haben.
({10})
- Der Klamauk auf Ihrer Seite. Die Späße müssen ein
Ende haben.
15 Milliarden Euro Defizit. Wir hören: 29 Euro soll
jetzt die kleine Kopfpauschale betragen. Die Leute werden verunsichert ohne Ende.
({11})
Das ist der Sonderbeitrag, der zu zahlen ist, weil Sie in
fünf Monaten Regierungszeit nicht einen einzigen konkreten Vorschlag, kein einziges Konzept, nichts vorgelegt haben.
({12})
Das hat es in der Gesundheitspolitik noch nie gegeben.
Die Kosten laufen davon. Es ist kein Ende in Sicht.
({13})
- Verunsichernd sind Ihre Vorschläge. Wir machen damit nur Wahlkampf, und das ist auch richtig so.
({14})
Wir machen Wahlkampf mit Ihrer Inkompetenz. Sie legen nichts vor.
({15})
Die Wahl in Nordrhein-Westfalen wird die Schicksalswahl für das solidarische Gesundheitssystem sein.
Nur durch diese Wahl ist Ihrer Inkompetenz, Ihrer Zauderei, Ihrem Versuch, die Arbeitgeber im Hinblick auf
die demografische Alterung zu entlasten, im Bundesrat
Einhalt zu gebieten. Das machen wir zum Thema, ob Ihnen das gefällt oder nicht, meine sehr verehrten Damen
und Herren.
({16})
Ich komme zum Abschluss. - Sie wollen - da treffen
sich Herr Söder und Herr Rösler - die Arbeitgeber bei
den Herausforderungen des technischen Fortschritts und
der demografischen Entwicklung herausnehmen und
entlasten, egal wie. Sie sind im Prinzip die Koalition des
Schutzes der Arbeitgeber, mehr nicht. Sie sind sozusagen die Arbeitgeberkoalition.
({17})
Sie wollen aber von den Arbeitnehmern gewählt werden, und das wird Ihnen nicht gelingen. Es geht Ihnen
nur darum, wie der Arbeitgeber entlastet wird. Soll der
Sonderbeitrag steigen, wie von Herrn Söder vorgeschlagen, oder soll die Kopfpauschale kommen? Sie überlegen sich krampfhaft: Wie gelingt es uns, den Arbeitgeber
aus der Verantwortung zu nehmen? In einer Zeit, wo
zum Teil Hungerlöhne gezahlt werden, wo Sie Mindestlöhne blockieren,
({18})
haben Sie in der Gesundheitspolitik nichts anderes vorzutragen als die Frage, wie der Arbeitgeber entlastet
werden kann.
({19})
Kein einziger Vorschlag zur Vorbeugepolitik! Kein einziger Vorschlag zur Qualität! Kein einziger Vorschlag
zur Effizienz! Es geht nur darum, die Arbeitgeber zu entlasten. Mehr bringt diese schwarz-gelbe Koalition nicht
zu Papier, und da ist sie noch zu feige, Ross und Reiter
zu nennen, weil sie Angst hat - ich sage: mit Recht -, die
NRW-Wahl zu verlieren.
({20})
Zum Abschluss, Frau Präsidentin, Folgendes: Die
Lage ist die: Nicht nur Herr Zöller hat die Schnauze voll,
nicht nur wir haben die Schnauze voll, sondern auch
- schauen Sie in die aktuellen Umfragen - der Bürger
hat die Schnauze voll. Das sage ich mit Recht. Das haben wir nicht verdient; das hat der Bürger nicht verdient.
Herr Singhammer, wenn Sie meinen, dass wir medial
nicht die Aufmerksamkeit haben, die Sie uns gönnen,
({21})
kann ich nur sagen: Machen Sie sich keine Sorgen;
Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Schluss.
- die Aufmerksamkeit, die Sie haben, haben wir allemal.
Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.
({0})
Nächster Redner ist der Kollege Dr. Erwin Lotter für
die FDP-Fraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen
und Kollegen! Es war Heiner Geißler, der 1974 zum ersten Mal von einer Kostenexplosion im Gesundheitswesen gesprochen hat. Weil die Gesundheitskosten ganz
eng an die Arbeitskosten geknüpft sind, waren alle
bisherigen Gesundheitsreformen im Wesentlichen Kostendämpfungsgesetze. Diese Kostendämpfungsgesetze
haben im Laufe der Zeit dazu geführt, dass das Gesundheitssystem immer mehr reguliert wurde und dass die
Bürokratie ein Ausmaß angenommen hat, das man wirklich nur noch als absurd bezeichnen kann, wenn man
sieht, dass zum Beispiel ein Apotheker einen Kostenvoranschlag erstellen muss, wenn er eine Urinflasche für
10 Euro abgeben will, oder dass ich einen eigenen Antrag stellen muss, wenn ich einen Rehaantrag für einen
Patienten stellen will.
({0})
Dabei wurden die eigentlichen Probleme dieses Gesundheitssystems nicht gelöst und die eigentlichen Herausforderungen nicht angegangen, nämlich die demografische Entwicklung, die Frage, wie der medizinische
Fortschritt für alle bezahlbar bleiben kann, und die
Frage, wie die Versorgung mit Haus- und Fachärzten in
der Fläche sichergestellt werden kann. Das wird in der
Zukunft das große Problem und die große Herausforderung werden.
({1})
Der vorläufig letzte Versuch, das Gesundheitswesen
neu zu ordnen, war der Gesundheitsfonds, ein untaugliches Instrument, das zu regionalen Verwerfungen und
Verwerfungen innerhalb der Facharztgruppen geführt
hat.
({2})
- Natürlich!
({3})
- Sprechen Sie doch mit den Kollegen in NRW, Frau
Ferner! Sprechen Sie mit den Kollegen in Bayern! Sprechen Sie mit den Hausärzten in Berlin!
({4})
Sie werden Ihnen alle das Gleiche sagen. Es hat zu Verwerfungen geführt.
Darüber hinaus ist dieser Gesundheitsfonds absolut
unterfinanziert. In diesem Jahr fehlen 8 Milliarden Euro,
sodass 3,9 Milliarden Euro Steuermittel zugeschossen
werden müssen. Für das nächste Jahr wird ein Defizit
von 6,
({5})
wahrscheinlich 11 und, wenn man die ungünstigsten
Prognosen zugrunde legt, 16 Milliarden Euro an Steuermitteln, die in den Gesundheitsfonds fließen müssen,
prognostiziert. Wie sollen die Zahlen dann erst im Jahr
2012 aussehen?
({6})
So wie es jetzt ist, kann es nicht weitergehen. Es besteht Handlungsbedarf.
({7})
In dieser Situation ist der Vorschlag von CSU-Gesundheitsminister Söder eher kontraproduktiv. Er läuft
auf ein forsches „Weiter-so!“ hinaus. Es ist eine Fortschreibung der jetzigen Finanzierung des Gesundheitswesens mit allen eklatanten Problemen. Der Gesundheitsfonds soll erhalten bleiben. Eine Entkoppelung der
Gesundheits- von den Arbeitskosten findet nicht statt.
Im Gegenteil, die Versicherten sollen einkommensabhängige Zusatzbeiträge zahlen, und zwar bis zu
1,5 Prozent ihres Einkommens. Das ist ein ungeeignetes
Konzept.
Es ist auch keinerlei Fortschritt gegenüber der verkorksten Gesundheitspolitik der Opposition. Es war ja
die SPD, die uns maßgeblich den Gesundheitsfonds eingebrockt hat.
({8})
Es war die SPD-Ministerin Ulla Schmidt, die neun Jahre
lang ungerührt Zentralismus und Bürokratie wuchern
ließ. Es ist auch die SPD, die noch heute mit dem untauglichen Konzept der Bürgerversicherung eine langfristige Stabilisierung der Finanzen im Gesundheitswesen verhindern wollen würde.
({9})
Das ist erst recht keine Lösung der drängenden Probleme. Die Gesundheitsprämie ist eindeutig der bessere
Weg. Die Arbeitskosten werden von den Gesundheitskosten - ({10})
- Das legt diese Kommission fest. Ja, das entwickelt die
Kommission. Das ist aber allgemein bekannt, Frau
Ferner.
({11})
Die Arbeitskosten werden von den Gesundheitskosten weitgehend unabhängig, und das halte ich für enorm
wichtig, weil damit wirklich Druck aus dem System herausgenommen ist. Ein Sozialausgleich für die Schwächeren findet im Steuersystem statt, dort, wo er auch hingehört. Durch die schrittweise Einführung der Prämie
wollen wir verhindern, dass der Bundeshaushalt überfordert wird.
({12})
Wir werden sehen, Frau Ferner, was die Regierungskommission zur Gesundheitsreform empfehlen wird. Es
kann nur besser sein als die hilflosen und halbherzigen
Vorschläge der SPD.
({13})
Diese Vorschläge gehen zulasten der Patienten und der
Heilberufe. Wir als Freie Demokraten werden sie nicht
mittragen.
({14})
Nun hat das Wort die Kollegin Dr. Carola Reimann
für die SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Auch ich erinnere mich, dass wir vor wenigen
Wochen eine Aktuelle Stunde zur schwarz-gelben Gesundheitspolitik hatten.
({0})
Damals dachte ich, dass das Erscheinungsbild der Regierung insbesondere im Bereich der Gesundheitspolitik
nicht schlimmer werden kann. Aber ich muss feststellen:
Ich habe die Söders, Seehofers, Röslers und Kubickis
unterschätzt; sie können noch schlimmer.
({1})
Während die CSU keine Gelegenheit auslässt, die
Kopfpauschale zu kritisieren, womit sie ja recht hat, lässt
Minister Rösler einen Testballon nach dem anderen aufsteigen: Einmal ist es eine Kopfpauschale von 29 Euro,
einmal kostet der Sozialausgleich 10 Milliarden Euro im
Jahr, dann wieder nur 5 Milliarden. Ich nehme an, demnächst gibt es einen Vorschlag, dass er gar nichts mehr
kostet, weil er einfach gestrichen wird.
({2})
Ab und an verkündet dann der Minister via BILD-Zeitung, dass man bald oder demnächst, auf jeden Fall
ziemlich schnell und unmittelbar in den nächsten Wochen, direkt vor Ostern oder später, etwas zu den Arzneimitteln vorlegen wolle; aber von der Regierungskommission dürfe man erst einmal keine Ergebnisse
erwarten.
Wer jetzt dachte, dass angesichts dieser Ankündigungen nun die große Ruhe und Besonnenheit aufkommt,
der kennt die schwarz-gelben Koalitionäre schlecht:
Kubicki will auf die CSU einhauen - O-Ton -, bis die
Schwarte kracht, und Herr Söder sorgt gleich einmal am
Anfang der Woche dafür, dass Herrn Kubickis Gewaltfantasien weiter Nahrung finden.
({3})
Während sich die Regierungskommission gerade
noch vom anstrengenden Fototermin letzte Woche erholt, prescht Söder mit einem Bayern-Konzept vor. Den
Grund dafür liefert er wieder via Presse - O-Ton -, die
FDP-Kopfpauschale sei nicht umsetzbar,
({4})
und es sei - ein weiteres Zitat - „falsch, wenn man
80 Millionen Deutsche sozusagen zu Versuchskaninchen
von Gesundheitsideologie macht“.
({5})
Einen Tag später ist es aber gar kein Bayern-Konzept
mehr, sondern - so Landesgruppenchef Friedrich - nur
noch eine „Ideenskizze“ von Söder. Diese, so beklagt
dann der Kollege Straubinger in der Thüringer Allgemeinen,
({6})
hätte besser in der Kommission besprochen werden sollen. Gemeint ist aber nicht die Regierungskommission,
um das eben schnell klarzustellen, sondern die CSU-Gesundheitskommission. Die gibt es auch noch, und ihr
Vorsitzender ist Söder.
({7})
- Ja, das stiftet Verwirrung.
Heute hören wir von Herrn Singhammer, dass er dem
Söder-Vorschlag noch zu Teilen zustimmt.
({8})
Dieses ganze „Kasperletheater“ - so nennt es ja Herr
Zöller - könnte ganz amüsant sein, ginge es dabei nicht
um die Zukunft der Krankenversicherung von 80 Millionen Bürgerinnen und Bürgern, und da hört der Spaß
dann doch auf.
({9})
Das scheint auch der Patientenbeauftragte der Bundesregierung so zu sehen, der eben mit diesem „Kasperletheater“ zitiert wird, ebenso mit den Worten, die hier auch
schon gefallen sind, dass er davon „die Schnauze voll“
hat.
Wenn ein so ruhiger und besonnener Mensch wie
Kollege Zöller solche Ausdrücke verwendet, was sollen
dann die Menschen, die Millionen von Versicherten denken? Ich bin mir sicher - das sind nicht meine Worte; ich
bleibe bei den Worten von Herrn Zöller -, dass sie ebenfalls die Schnauze voll haben: von den immer neuen Ankündigungen und von endlosen Debatten in immer
schrilleren Tönen, bei denen am Ende nichts, aber auch
gar nichts herauskommt.
({10})
Deshalb kann ich Ihnen nur raten: Beenden Sie dieses
Kopfpauschalenchaos und kümmern Sie sich endlich um
die wirklichen Probleme und Herausforderungen im Gesundheitswesen, statt sich krampfhaft aus Angst vor Gesichtsverlust an Ihrer Kopfpauschalenideologie festzuklammern. Schon jetzt ist der Schaden groß, den diese
Kopfpauschalendebatte angerichtet hat. Sie verunsichert
die Versicherten und raubt den Verantwortlichen die
Zeit, sich wirklich um die drängenden Fragen zu kümmern.
({11})
Zu zentralen Aufgabenfeldern der Gesundheitspolitik
hören wir nichts, weil die schwarz-gelben Entscheidungsträger mit sich selbst und mit der Kopfpauschale
beschäftigt sind.
({12})
Ein Konzept zur drängenden Frage der Gesundheitsversorgung auf dem Land? - Fehlanzeige. Ideen zur Stärkung der Prävention, die laut Ihrem Koalitionsvertrag
ein Schwerpunkt sein sollte? - Fehlanzeige. Ich kann die
Liste problemlos weiter fortsetzen: Krankenhäuser, Drogen- und Suchtpolitik, Patientenrechte, Pflege? - Fehlanzeige. Weiterentwicklung der Honorarreform? Das haben wir heute erlebt: Fehlanzeige. Bei den Arzneimitteln
reden wir schon seit Ende letzten Jahres über den Handlungsbedarf, und noch immer haben wir aus dem Ministerium kein Konzept vorgelegt bekommen. Ihre Debatten lähmen die Gesundheitspolitik, und das Schlimme
ist: Bei all dem Gezänk merken Sie nicht einmal, dass
Ihnen das komplett aus dem Ruder läuft.
Das Gesundheitssystem wartet nicht, bis Sie mit Ihrem Kopfpauschalen-Klein-Klein zu Ende sind. Beenden Sie das Kasperletheater und packen Sie die wirklichen Probleme an.
Danke.
({13})
Das Wort hat der Kollege Max Straubinger für die
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen!
In der vergangenen Legislaturperiode hatten wir immerwährende Anträge - in diesem Fall von der Linken-Fraktion - mit der pauschalen Überschrift „Hartz IV muss
weg“.
({0})
In dieser Legislaturperiode bekommen wir offensichtlich
die ständige Wiederholung von Anträgen der SPD-Bundestagsfraktion zur Gesundheitspolitik. Die einzige Änderung besteht darin, dass einmal der Kollege
Lauterbach und einmal die Kollegin Ferner eröffnet. Der
Inhalt ist letztendlich Inhaltslosigkeit bei der SPD.
({1})
So haben wir damit auch diese Debatte zu bestreiten.
Es wäre gelegentlich für die SPD sicherlich besser angelegte Zeit, mehr über ihr schon lange angekündigtes Gesundheitskonzept nachzudenken. Wenn viele immer sagen, als Regierung und die sie tragenden Fraktionen
seien wir in der Bringschuld, dann mag ich dem zwar zustimmen; nur bin ich überzeugt, dass die Wählerinnen
und Wähler in Nordrhein-Westfalen auch auf die Ergebnisse der Kommission von der SPD und auf ihre Vorschläge gespannt sind.
({2})
Aber sie werden wohlweislich verschwiegen. In der vergangenen gesundheitspolitischen Debatte hat auf eine
diesbezügliche Anfrage des Kollegen Lanfermann die
Kollegin die entsprechende Antwort missen lassen. Sie
hat nur dargelegt: Kommt Zeit, kommt Rat. Das erinnert
mich an ein anderes Sprichwort - ({3})
- Wenn es Zeit ist, haben Sie gesagt, Frau Kollegin
Ferner.
({4})
Das zeigt aber sehr deutlich, dass Sie ideenlos und konzeptlos sind.
({5})
Das wird auch heute wieder zutage gefördert.
({6})
Die CSU steht und stand in der Vergangenheit für Solidarität in der Krankenversicherung. Besonders wir, die
CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Frau Kollegin Vogler,
haben diese Solidarität den Bürgerinnen und Bürgern in
den neuen Bundesländern zuteil werden lassen, nämlich
bei der Wiedervereinigung, damit auch die Bürgerinnen
und Bürger in den neuen Bundesländern an einem modernen medizinischen Versorgungswesen teilhaben können
({7})
und nicht in einem Gesundheitssystem leben müssen, in
dem letztendlich die Funktionäre auf Westarzneimittel
zurückgreifen konnten, während die anderen die Gelackmeierten waren.
({8})
Deshalb wird sich die CSU auch zukünftig nicht in Solidarität und solidarischer Finanzierung des Gesundheitssystems übertreffen lassen.
({9})
Aber wenn heute hier angeführt worden ist, dass die
Abkopplung von Lohn und Gehalt angeblich sehr
schlimm sei, so muss man eben darstellen, dass es auch
um den Erhalt der Arbeitsplätze und der Wettbewerbsfähigkeit unserer Wirtschaft geht. Deshalb gibt es, Herr
Kollege Lauterbach, keinen Dissens zu den Arbeitgeberinnen und Arbeitgebern in unserem Land.
({10})
Wir sind darauf angewiesen, viele qualifizierte Arbeitsplätze in unserem Land zu haben, damit die hochwertige
medizinische Versorgung der Menschen überhaupt gesichert werden kann.
({11})
Sie wollen in diesem Haus künstlich einen Gegensatz
aufbauen.
({12})
Damit wollen Sie kundtun, dass die Solidarität nicht
mehr gegeben ist. Dass wir über 15 Milliarden Euro
Steuermittel in das Gesundheitssystem geben, zeigt die
Solidarität der Besserverdienenden in unserem Land mit
den anderen Bürgerinnen und Bürgern.
({13})
Daher akzeptiere ich solche Konstrukte, die Sie hier darzulegen versuchen, in keiner Weise.
Es geht natürlich um die Frage: Wie können wir das
zukünftige Gesundheitssystem solidarisch, aber auch zukunftsfest finanzieren? Das ist eine spannende Frage, die
die Regierungskommission mit dem Bundesgesundheitsminister Philipp Rösler an der Spitze beantworten muss.
Die CSU ist an dieser Kommission mit Ilse Aigner an
der Spitze beteiligt. Meines Erachtens ist es wichtig, erst
die Ergebnisse abzuwarten und dann darüber zu reden.
({14})
Letztendlich geht es darum.
Ich sage aber auch: Manche Dinge sind in der Theorie
leichter zu formulieren, als in der Praxis umzusetzen.
({15})
Das mag für ein prämiengestütztes System genauso gelten. Vor allen Dingen sollte man nicht die Hoffnung hegen, dass dadurch eine Verbilligung des Systems erreicht
wird.
({16})
Wir wissen auch, dass in der Schweiz, wo es seit
13 Jahren ein Prämiensystem gibt, die Kosten genauso,
vielleicht sogar stärker gestiegen sind als in unserem
Land.
Wir setzen auf Kostendämpfung. Wir setzen darauf,
dass bei den Arzneimitteln eine Kostenreduzierung eintritt.
({17})
Hier werden Vorschläge vom Bundesgesundheitsminister, von der CDU/CSU-Fraktion und von der FDP-Fraktion gemeinsam in den Deutschen Bundestag eingebracht.
({18})
Sie können die Beratung dieser Vorschläge begleiten.
Wir laden Sie dazu herzlich ein.
({19})
Sie sollten konstruktive Vorschläge machen und nicht
Polemik mit Blick auf die Landtagswahl in NordrheinWestfalen betreiben. Ihr Anliegen ist, die Bürgerinnen
und Bürger vor der nordrhein-westfälischen Landtagswahl zu verunsichern. Sie glauben, so die Zustimmung
der Bürgerinnen und Bürger zu erreichen.
({20})
Ich bin überzeugt, da erliegen Sie einer Fehlkalkulation.
({21})
Herzlichen Dank.
({22})
Für die SPD-Fraktion hat das Wort die Kollegin Hilde
Mattheis.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Hier wird versucht, mit Lautstärke und mit Ankündigungen
({0})
eine Verteidigungslinie aufzubauen, die spätestens morgen von Ihren eigenen Leuten wieder eingerissen wird.
({1})
Denn Herr Söder und Herr Seehofer werden sich mit Sicherheit nicht an das, was Sie hier appellativ von sich
gegeben haben, halten, sondern sie werden weiterhin
über die Presse, wie sie es seit Montag getan haben, ihre
eigenen Forderungen stellen.
Sie konnten sich noch nicht einmal auf eine gemeinsame Gesundheitskommission einigen.
({2})
Da muss jemand in München und da muss jemand in
Berlin tagen.
({3})
- Augenblick, Herr Straubinger. - Sie werden mit Sicherheit in den Medien weiterhin Ihre Kämpfe austragen
zulasten der Seriosität unserer Politik.
({4})
Das Ansehen der Politik wird durch Ihr Handeln deutlich geschädigt.
({5})
Denn die Regierung ist nicht in der Lage, eine einheitliche Sprache zu finden und einen Diskussionsprozess zu
gestalten. Vielmehr werden über die Medien Punkte gesetzt und Hahnenkämpfe ausgetragen und nichts anderes. Die bisherigen Konzepte, die Sie versucht haben
vorzulegen, sollen eines vertuschen: Es sind zwei Varianten einer völlig ungerechten und unsolidarischen Lösung.
({6})
Denn es geht Ihnen darum, dieses System, das von vielen international bewundert wird, zu zerschießen. Sie
wollen schlicht und ergreifend
({7})
die Solidarität in diesem Land für dieses Versicherungssystem auflösen.
({8})
Was ist das denn anderes, wenn Sie Arbeitgeberbeiträge einfrieren wollen,
({9})
wenn Sie entweder über eine Kopfpauschale die Kostensteigerungen auffangen wollen oder in der zweiten Variante - der von Herrn Söder - darangehen wollen,
neben diesem Bundeseinheitssatz einen speziellen Einheitsbeitrag einkommensabhängig einzuführen? Es ist
nichts anderes, als die Solidarität der Gesunden mit den
Kranken sowie der Reichen mit den Armen in diesem
Land aufzubrechen.
({10})
Diese Solidarität ist international zum Vorbild genommen worden. Jenseits des Teiches hat man gegen Lobbytruppen erkämpft,
({11})
dass es endlich ein Gesundheitssystem für alle gibt. Man
hat dazu bei uns in Europa, in Deutschland Anleihe genommen.
Sie machen das genau Umgekehrte: Sie zerschießen
das, was sich andere zum Vorbild genommen haben. Ich
glaube, dass die Bevölkerung dies erkennt, egal ob der
Einzelne der FDP oder der CDU/CSU zugeneigt ist.
({12})
Die Frage der Gerechtigkeit ist der Mehrheit der Bevölkerung ein wichtiges Anliegen, egal welcher Partei der
Einzelne zuneigt.
Deshalb müssen Sie sich genau überlegen, welche
Konzepte Sie vorlegen ({13})
wenn Sie überhaupt eines vorlegen - und ob Sie Ihre innerparteilichen und innerfraktionellen Kämpfe in dieser
Art und Weise in aller Öffentlichkeit darstellen.
({14})
Ich rate Ihnen: Kommen Sie endlich aus Ihrer Startphase
heraus; denn sogar der Präsident des CDU-Wirtschaftsrates hat heute Morgen im Morgenmagazin gesagt: Diese
Regierung ist enttäuschend.
({15})
Sie sind nicht aus der Startphase herausgekommen. Ich
finde das erstaunlich. Die Enttäuschung hat zwei Farben:
schwarz und gelb.
({16})
Sie sollten sich Ihrer Verantwortung als Regierungsfraktionen sehr wohl bewusst sein.
({17})
Vorhin in der Fragestunde haben wir über die Atompolitik gesprochen.
({18})
Da haben Sie sich noch nicht einmal an Ihre Koalitionsvereinbarung erinnert. Das Gleiche passiert jetzt bei der
Gesundheitspolitik. Sie erinnern sich neben all den Ankündigungen noch nicht einmal daran, was Sie im November miteinander vereinbart haben.
({19})
Ich glaube, dass die Bevölkerung ein Anrecht auf Verlässlichkeit in der Politik hat, zumindest darauf. Noch
nicht einmal das bieten Sie.
Von daher: Nehmen Sie Vernunft an,
({20})
und versuchen Sie zumindest, den Zwist, den Sie jetzt in
der Öffentlichkeit austragen, an einen runden Tisch zu
bringen. Glauben Sie mir, die Bevölkerung will ein anderes Konzept als das der Kopfpauschale.
({21})
Sie will ein anderes Konzept als diesen zusätzlichen prozentual abgeleiteten Beitrag des Herrn Söder.
Frau Kollegin, ich muss Sie auf die Redezeit aufmerksam machen.
Sie will eine Bürgerversicherung, in die alle einzahlen
und in der alle Einkommensarten zur Beitragsbemessung
herangezogen werden. Ich glaube, die Zukunftsaufgabe
dieses Parlaments ist es, für diese Solidarität zu sorgen.
Danke.
({0})
Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege
Lothar Riebsamen für die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und
Herren! Eigentlich bin ich bisher davon ausgegangen,
dass eine Aktuelle Stunde etwas mit aktuellen Themen
zu tun hat.
({0})
Bisher habe ich von Ihnen nur das gehört, was wir immer von Ihnen hören. Sie wollen Verwirrung stiften. Sie
verwenden den Begriff Kopfpauschale in Verbindung
mit der angeblichen Abkehr von der Solidarität. Das ist
nicht aktuell, sondern das sind Themen von gestern.
({1})
Das Einzige, was aktuell ist, ist die Tatsache, dass die
Gesundheitspolitik bei uns in guten Händen ist und in
guten Händen bleibt.
({2})
In Wahrheit geht es Ihnen um etwas ganz anderes. Es
geht Ihnen darum, Ängste zu schüren, indem Sie mit Begrifflichkeiten wie Kopfpauschale jonglieren.
({3})
Sie errichten einen Popanz. Sie machen einen Wirbel um
dieses Thema. Sie brauchen diesen Wirbel, um von Ihren
eigenen Unzulänglichkeiten abzulenken.
({4})
Das ist keine Aktuelle Stunde, das ist ein durchschaubares Manöver.
({5})
Das einzig Gute an dieser Debatte ist, dass wir Gelegenheit haben, das eine oder andere mit großer Geduld und
in kleinen Schritten geradezurücken, und zwar so lange,
bis es jeder von Ihnen - jeder von Garmisch bis Flensburg - verstanden hat.
({6})
Ich will einige wichtige Punkte anführen:
Der Begriff Kopfpauschale ist falsch.
({7})
Wir reden nicht von einer Kopfpauschale. Auch die Behauptung, wir verließen das Solidarsystem, ist falsch.
Die Vorstellung, die bisherige sogenannte solidarische
Finanzierung sei rein solidarisch gewesen, ist erst recht
falsch.
({8})
Bitte wachen Sie auf, und erkennen Sie endlich den
Ernst der Lage.
Eine Kopfpauschale steht nicht zur Debatte. Eine
Kopfpauschale würde bedeuten, dass jeder - vom Kind
bis zum Greis - den gleichen Beitrag in dieses System
einzahlen muss. Das wollen wir nicht. Das will niemand.
({9})
Stattdessen wollen wir einen über die Progression im
Steuersystem finanzierten effizienten und gerechten Sozialausgleich.
({10})
Sie sollten den Menschen keinen Sand in die Augen
streuen und nicht Begriffe verdrehen.
({11})
Es wäre viel vernünftiger, Sie würden Ihre Energie in
eine sachliche Debatte investieren;
({12})
aber Sie haben selber kein Konzept. Wir werden uns
nicht davon abhalten lassen, das Richtige zu tun.
({13})
Besonders tragisch ist, dass immer wieder der Eindruck erweckt wird, als sei bereits die jetzige Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung rein solidarisch.
({14})
Sie wissen ganz genau, dass es aufgrund der mehr oder
weniger willkürlich gewählten Beitragsbemessungsgrenze eine Tatsache ist, dass ein Angestellter, dessen
Gehalt nahe an der Beitragsbemessungsgrenze liegt, unter Umständen seinen Chef, der doppelt so viel verdient,
und seine Familienversicherung subventionieren muss.
Das ist eine Tatsache. Genau das wollen wir verbessern.
({15})
Weiterhin geht es darum, die steigenden Lohnnebenkosten zu senken.
({16})
Es geht nicht darum - wie es bei Ihnen immer anklingt -,
die Arbeitgeber zu entlasten.
({17})
Wir wollen nicht die Arbeitgeber entlasten, sondern die
Lohnnebenkosten senken,
({18})
um gerade in Zeiten der Krise - aus der wir uns wieder
herauszukommen bemühen müssen - Arbeitsplätze zu
sichern.
({19})
Das Fazit ist: An wirklichen Reformen kommen wir
nicht vorbei. Es gibt kein bloßes Weiter-so. Diesen Eindruck erwecken Sie bei den Menschen, und das ist nicht
richtig. Wir stehen vor enormen Herausforderungen. Das
wissen wir als Koalition, und das wissen wir auch innerhalb der Union. Aber Sie sind nicht an Lösungen interes3066
siert, sondern Sie haben Freude daran - man könnte auch
meinen, Schadenfreude -, dass es ein durchaus steiniger
Weg ist, auf den wir uns begeben.
({20})
Dessen sind wir uns sehr wohl bewusst. Wir gehen die
Probleme an, wir wollen sie lösen, und wir stellen uns
den Herausforderungen.
({21})
Darum ist die Verantwortung bei uns in weit besseren
Händen. Wir wollen ein Gesundheitssystem mit mehr
Transparenz für mündige Bürger, die sich mit ihrer Versicherung identifizieren. Identifizieren können sie sich
mit ihrer Krankenversicherung aber nur, wenn sie sie
auch verstehen.
({22})
Deswegen brauchen wir dringend mehr Transparenz und
weniger Beschäftigungsfeindlichkeit. Dann werden wir
letztlich auch ein gerechteres System haben. Dafür arbeiten wir.
({23})
Politik ist die Kunst des Möglichen. Ich bin mir sicher: Die Regierungskommission wird sogar das vermeintlich Unmögliche möglich machen.
Herzlichen Dank.
({24})
Die Aktuelle Stunde ist beendet.
Damit sind wir am Schluss unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Donnerstag, 25. März 2010, 9 Uhr,
ein.
Ich wünsche Ihnen einen schönen Abend und schließe
die Sitzung.