Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Die Sitzung ist eröffnet.
Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen!
Nehmen Sie bitte Platz.
Wir beginnen unsere heutige Sitzung mit herzlichen
Geburtstagsglückwünschen an die Kollegin Dr. Claudia
Winterstein, die heute einen runden Geburtstag feiert
und der ich dazu im Namen des ganzen Hauses herzlich
gratulieren möchte.
({0})
Auf Vorschlag der Fraktion Die Linke soll die Kolle-
gin Petra Pau anstelle des aus dem Deutschen Bundes-
tag ausgeschiedenen Abgeordneten Oskar Lafontaine
zum Mitglied des Gemeinsamen Ausschusses nach
Art. 53 a des Grundgesetzes gewählt werden. Als
neues stellvertretendes Mitglied ist die Kollegin Kersten
Steinke vorgesehen. Sind Sie mit diesen Vorschlägen
einverstanden? - Heftiges Nicken insbesondere in den
Reihen der vorschlagenden Fraktion, keine Einwände
von anderer Seite. Damit sind die Kolleginnen Pau und
Steinke in dieses Gremium gewählt.
Es gibt außerdem noch eine nachträgliche Ausschuss-
überweisung. Der Antrag der SPD-Fraktion mit dem
Titel „Europa 2020 - Strategie für ein nachhaltiges Eu-
ropa - Gleichklang von sozialer, ökologischer und wirt-
schaftlicher Entwicklung“ auf der Drucksache 17/882
soll zusätzlich dem Ausschuss für Bildung, Forschung
und Technikfolgenabschätzung zur Mitberatung über-
wiesen werden. - Auch dazu gibt es offensichtlich Ein-
vernehmen. Dann ist das so beschlossen.
Wir setzen die Haushaltsberatungen - Tagesord-
nungspunkt I a und b - fort:
a) Zweite Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die
Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das
Haushaltsjahr 2010 ({1})
- Drucksachen 17/200, 17/201 -
b) Beratung der Beschlussempfehlung des Haushaltsausschusses ({2}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Finanzplan des Bundes 2009 bis 2013
- Drucksachen 16/13601, 17/626 Berichterstattung:
Abgeordnete Norbert Barthle
Carsten Schneider ({3})
Otto Fricke
Roland Claus
Ich rufe zunächst den Tagesordnungspunkt I.13 auf:
Einzelplan 10
Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz
- Drucksachen 17/610, 17/623 Berichterstattung:
Abgeordnete Georg Schirmbeck
Heinz-Peter Haustein
Roland Claus
Hierzu liegen Ihnen die Beschlussempfehlungen des
Haushaltsausschusses auf den Drucksachen 17/610 und
17/623 vor.
Zu diesem Einzelplan liegen zwei Änderungsanträge
der Fraktion Die Linke vor.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 90 Minuten vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann können wir so verfahren.
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort zunächst dem Kollegen Rolf Schwanitz für die SPD-Fraktion.
({4})
Redetext
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Guten Morgen! Sehr geehrte Frau Ministerin
Aigner, ich will mich, einer guten Tradition folgend,
zunächst einmal bei Ihnen recht herzlich für die Informationen und bei den Kolleginnen und Kollegen
Berichterstatter für die kollegiale Zusammenarbeit im
Haushaltsausschuss bedanken. Ich möchte mich speziell
bei Ihrem Haus bedanken. Die Informationen waren präzise und vollständig. Ich will das mit Blick auf andere
Ressorts, zu deren Einzelplänen ich heute noch die Ehre
habe zu sprechen, ausdrücklich loben und hervorheben.
Ein Kompliment also an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter Ihres Hauses.
Sie werden Verständnis dafür haben, dass ich Ihnen,
was die politische Bewertung des Einzelplanes 10 angeht, kein Kompliment machen kann. Nach meiner Einschätzung stehen drei Überschriften über diesem Einzelplan des Ministeriums für Ernährung, Landwirtschaft
und Verbraucherschutz. Die erste Überschrift lautet: Klientel- statt Strukturpolitik.
({0})
Die zweite Überschrift lautet: Einsparungen an falscher
Stelle.
({1})
Die dritte Überschrift lautet: Kein Zukunftskonzept für
Verbraucherpolitik. - Das sind die drei Markenzeichen
des Einzelplanes 10.
({2})
Ich will das kurz begründen.
Zunächst zu der Überschrift „Klientel- statt Strukturpolitik“. Es wird Sie nicht wundern, dass ich in diesem
Zusammenhang als Allererstes das Grünlandmilchprogramm erwähne. Denn was machen Sie damit? Unter
dem Deckmantel der Krisenhilfe - die Situation ist in der
Tat nicht einfach - wird ein gigantisches Klientelprogramm organisiert. Ich will daran erinnern, dass wir im
Haushalt 2010 400 Millionen Euro dafür finden; im Jahr
2011 werden noch einmal 300 Millionen Euro dazukommen. Der Deutsche Bauernverband hält überall Veranstaltungen ab und spricht - unter Einbeziehung der
Absenkung der Agrardieselsteuer - von einer Subventionierung im Umfang von 1,3 Milliarden Euro in den Jahren 2010 und 2011 zusammen.
({3})
Gegen echte Krisenhilfe wäre nichts einzuwenden.
Das ist auch der Grund, aus dem die Sozialdemokraten
sich bei den Haushaltsberatungen dem Liquiditätshilfeprogramm in Höhe von 25 Millionen Euro nicht verweigert haben; wir haben es vielmehr unterstützt und mitgetragen. Dieses Geld kommt an der richtigen Stelle an;
das ist in Ordnung. Aber Sie machen etwas völlig anderes. Sie legen ein Subventionsprogramm mit einer
durchsichtigen regionalen Schlagseite im südwestdeutschen Raum und in Bayern auf. Das ist Gießkannenförderung statt problembezogene Hilfe, beispielsweise bei
der landwirtschaftlichen Unfallversicherung.
Sie sorgen auch nicht für schnelle Hilfe; denn zentrale, wichtige Dinge werden erst im vierten Quartal 2010 fällig.
Aus meiner Sicht am problematischsten ist aber, dass
Sie rein konsumtiv hinter der Marktentwicklung herfördern. Es wird also gegen den Markt ansubventioniert,
statt Vorschläge für eine nachhaltige Landwirtschaftspolitik aufzugreifen; meine Kollegin Wolff wird darauf
noch näher eingehen.
({4})
Früher hat man so etwas als Danaergeschenk bezeichnet. Denn die Bauern, die landwirtschaftlichen Betriebe
werden für die verpasste Chance einer in die Zukunft gerichteten Subventionspolitik in Form eines viel höheren
Anpassungsdrucks teuer bezahlen müssen, wenn sich die
Lage nach 2013 grundsätzlich verändert. Deswegen handelt es sich um Klientelpolitik statt um gezielte Subventionspolitik.
Die zweite Überschrift, die über Ihrem Haushaltsplan
steht, lautet „Einsparungen an der falschen Stelle“. Was
meine ich damit? Sie schütten nicht nur Geld aus, sondern sammeln auch Geld ein, kürzen und sparen ein. Vor
allem geschieht das bei der Gemeinschaftsaufgabe
Agrar- und Küstenschutz. Ich erinnere mich noch sehr
gut daran - das betrifft allerdings nicht den Kollegen
Schirmbeck -, dass in der ersten Lesung auch die Ministerin noch gepriesen hat, dass der Plafond von 700 Millionen Euro für die Gemeinschaftsaufgabe erhalten
bleibt.
({5})
Sie haben gesagt, das sei eine große Leistung und gut
eingesetztes Geld, Frau Aigner. In Ihrem Koalitionsvertrag steht sogar etwas von der Absicht einer Erhöhung
der Mittel für die Gemeinschaftsaufgabe. All dies geschieht aber nicht. Sie senken den Plafond um 25 Millionen Euro ab und - das finde ich ganz besonders bitter kürzen die Verpflichtungsermächtigungen um 5,2 Millionen Euro, gegenüber dem Entwurf von Peer
Steinbrück sogar um 7,2 Millionen Euro.
Diese Kürzung wirkt sich übrigens schwerpunktmäßig im investiven Bereich aus; denn darin sind Kürzungen von Investitionsmitteln in Höhe von 15,5 Millionen
Euro enthalten. Sie haben also eine interessante Doppelstrategie: Auf der einen Seite werden mit der Kuhschwanzprämie konsumtive Subventionen ausgereicht,
auf der anderen Seite werden Investitionsmittel zusammengestrichen. Das sind Kürzungen an der falschen
Stelle.
({6})
Besonders bitter ist aus meiner Sicht das, was bei den
Verpflichtungsermächtigungen geschehen ist. Sie haben,
genau wie wir, Briefe der Landwirtschaftsminister aller
16 Länder bekommen, in denen sie ausdrücklich auf die
große Bedeutung der Verpflichtungsermächtigungen für
die Bindung europäischer Mittel hingewiesen haben.
Das alles haben Sie ignoriert. Mit Ihren Einschnitten ist
ein Sinkflug bei der Gemeinschaftsaufgabe in den nächsten Jahren vorprogrammiert. Das halten wir für falsch.
({7})
Die dritte Überschrift lautet „Kein Zukunftskonzept
bei der Verbraucherpolitik“. Das von Ihnen selbst in
Auftrag gegebene Gutachten, wonach die Verbraucherpolitik umfinanziert und verursachergemäß aufgebaut
werden muss, wonach Betriebe, die die Verbraucherrechte missachten, Strafgebühren zahlen müssen, ist
längst auf dem Tisch. Sie haben dieses Gutachten ignoriert. Frau Aigner ist wie immer auf den Zug aufgesprungen und hat gesagt, dass sie das auch gut findet. Als wir
einen konkreten Vorschlag gemacht haben, haben Sie
ihn schlicht und einfach abgelehnt. Ich kann Ihnen nur
sagen: Wenn Verbraucherpolitik bei Ihnen, Frau Aigner,
eine folgenlose Ankündigung bleibt, dann werden Sie
scheitern.
({8})
Der Einzelplan 10 hat drei Überschriften: Klientelpolitik statt Strukturpolitik, Einsparungen an der falschen Stelle und null Zukunftskonzeption bei der Verbraucherpolitik. Der haushaltspolitische Sprecher der
CDU/CSU hat am Montag wunderbarerweise von einem
„Gesamtkunstwerk“ gesprochen.
({9})
- Kollege Barthle, das wird ein richtiger Klassiker. - Mir
fällt dazu nur die wunderbare Sendung „Kunst & Krempel“ des Bayerischen Rundfunks ein. Ihr Haushalt hat allerdings weniger mit Kunst, dafür mehr mit Krempel zu
tun.
Schönen Dank.
({10})
Zur weiteren Erläuterung des Gesamtkunstwerks erhält jetzt der Kollege Georg Schirmbeck von der CDU/
CSU-Fraktion das Wort.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Eigentlich ist heute ein schöner Tag. Draußen haben
wir ein klasse Wetter, eine nette Kollegin hat heute einen
runden Geburtstag - wir werden heute noch feiern -, und
wir dürfen einen Einzelplan vorstellen, der den Wünschen der Fachleute aus dem Fachausschuss und des Berichterstatters aus dem Haushaltsausschuss entspricht.
Wir können all das debattieren, was wir schon in der
ersten Beratung debattiert haben. All die alten Sprüche
werden aber durch mehrmaliges Wiederholen nicht besser. In der zweiten Beratung muss es doch eigentlich darum gehen, was sich durch die Beratungen im Ausschuss
geändert hat. Wir halten schließlich eine Haushaltsberatung ab und kein allgemeines Palaver.
({0})
- Frau Künast, wenn Sie ausgeschlafen sind und etwas
fragen wollen, dann stehen Sie auf und stellen eine ordentliche Frage, ansonsten schweigen Sie.
({1})
Wir dürfen feststellen, dass sich nur wenige Punkte
geändert haben. Was hat sich geändert? Wir mussten im
Einzelplan - das gilt für alle anderen Einzelpläne auch Einsparungen vornehmen. Wir haben diese Einsparungen im Bereich der GAK vorgesehen. Herr Kollege
Schwanitz hat eben richtigerweise ausgeführt - wer mir
bei der ersten Beratung richtig zugehört hat, der hat das
kommen sehen, ich habe deutlich darauf hingewiesen -,
dass wir Einsparungen machen müssen. Das machen wir
bei der GAK.
({2})
Ich habe schon damals erläutert, dass das auch deshalb
gerechtfertigt ist, weil einige Länder in der Vergangenheit nicht gegenfinanzieren konnten und die Mittel also
nicht überall in den Ländern gerecht verteilt worden
sind. Von daher ist unser Vorgehen richtig.
({3})
Wenn Sie nun sagen, das sei ein falsches Zeichen,
dann sage ich Ihnen: Die GAK ist in den letzten Jahren
- auch in der Großen Koalition - durch unser Zutun aufgewachsen. Wir haben, wenn wir den Haushalt in der
vorliegenden Form beschließen, mehr Geld, als wir nach
Künast jemals gehabt haben. Das ist also eine positive
Sache.
({4})
Sie behaupten, wir hätten im Bereich Verbraucherschutz nichts getan. Wir werden dafür kritisiert, wenn
wir einen Aufwuchs bei den Planstellen haben.
({5})
Es wurde die Zahl von 1 000 zusätzlichen Planstellen
genannt. Ich weiß nicht, woher diese Zahl kommt. Es
gibt Journalisten, die offensichtlich alles schreiben.
({6})
Die Realität ist, dass wir 1 600 Stellen einsparen, aber
wir bekommen für den wirtschaftlichen Verbraucher2836
schutz zusätzlich drei Stellen für den höheren und drei
Stellen für den gehobenen Dienst. Wir setzen also einen
Schwerpunkt. Das haben wir versprochen, und wir halten Wort.
({7})
Ich möchte mich bei meinem Kollegen Peter Haustein
herzlich für die Zusammenarbeit bedanken. Wir besprechen und analysieren die Situation mit den Fachleuten in
aller Ruhe. Dann bringen wir unsere Vorhaben auf den
Weg, und der Ausschuss ist uns mit großer Einmütigkeit
gefolgt. Wir werden das auch weiterhin so machen.
Ich möchte mich, nicht nur weil es guter Brauch ist,
sondern weil es in der Tat Unterschiede zwischen den
einzelnen Häusern gibt - das kann man im Haushaltsausschuss durchaus vergleichen -, bei der Ministerin für die
vorzügliche Zusammenarbeit bedanken. Auf CDU/CSUSeite war sie meine Vorgängerin, was die Haushaltsberichterstattung angeht. Sie hat das Ganze nicht verlernt.
Sie weiß, wie man mit Haushältern umgeht. Verehrte
Frau Ministerin, herzlichen Dank für diese Zusammenarbeit!
({8})
- Ein bisschen mehr Stimmung, Kameradinnen und Kameraden!
({9})
Das gilt ganz besonders für die Haushaltsabteilung
des Ministeriums. Ich darf das einmal sagen: Auf Ulli
Kuhlmann und seine Mannschaft ist immer Verlass. Die
angeforderten Ausführungen sind immer hundertprozentig korrekt und sind schnell da. Damit kann man im Ausschuss überzeugen. Damit kann man dieses Ergebnis erzielen.
({10})
Meine Damen und Herren, ich habe gesagt, dass
heute ein schöner Tag ist, weil wir das Ganze so auf den
Weg bringen können.
({11})
Ich sage aber auch: Ich habe vernommen, wer uns in der
Zeit zwischen der ersten Beratung und jetzt an der einen
oder anderen Stelle mit Hinweisen kritisch begleitet hat.
In den Haushaltsdebatten werden wir auf der einen Seite
dafür kritisiert, dass wir zu viele Schulden machen, aber
auf der anderen Seite werden wir für jeden Sparvorschlag, den wir machen und durchsetzen, kritisiert.
({12})
Auf der einen Seite wird uns vorgeworfen, dass wir zu
viel Personal haben, auf der anderen Seite wird uns vorgeworfen, dass wir Personal abbauen. Alles wird durcheinandergerührt, sodass in der Öffentlichkeit nachher
- das muss man realistischerweise sagen - kaum noch
einer den Überblick hat.
Dazu sage ich Ihnen eines: Wer mich ein bisschen
länger kennt, der weiß, dass ich alle Kritik, die uns berechtigterweise vorgehalten wird,
({13})
sehr aufmerksam speichern kann. Der eine oder andere,
der uns auf einer Biomesse vorwirft, wir würden im Biobereich jetzt den totalen Kahlschlag machen, der muss es
sich auch gefallen lassen, dass wir uns bei den nächsten
Haushaltsberatungen jeden einzelnen Antrag einmal
ganz genau ansehen - gleich, ob es um 1 000, 10 000
oder 100 000 Euro geht - und schauen, was mit diesem
Geld gemacht wird. Wie effizient wird da gearbeitet?
Das Etikett „Bio“ oder „Öko“ bedeutet nicht, dass man
mit Geld generös umgehen und es einfach unter die
Leute streuen kann.
({14})
Jeder, der uns kritisiert,
({15})
muss dann auch akzeptieren, dass wir ganz gezielt hinsehen, was an der einen oder anderen Stelle gemacht wird,
und muss sich von uns gegebenenfalls Vorhaltungen machen lassen.
Ein Aspekt, der vollkommen untergeht: Wir setzen
nicht nur beim wirtschaftlichen Verbraucherschutz einen
neuen Schwerpunkt. Es geht auch um die nationale Sicherheit unserer Küstenländer, wenn wir in den Küstenschutz investieren. Wir haben ein nationales Programm
aufgelegt: jährlich 25 Millionen Euro über das hinaus,
was wir über die GAK finanzieren. Das ist doch eine
Leistung. Wir müssen den norddeutschen Ländern sagen, dass wir hier etwas für die Länder tun. Wenn ich nur
das Geschwafel von einer Schlagseite Richtung Süden
höre: All die Zahlen, die Sie bringen könnten - Sie bringen aber gar keine Zahlen -, geben das überhaupt nicht
her. Von daher darf ich sagen: Danke an das ganze Haus,
dass es möglich ist, dies auf den Weg zu bringen.
Minister Seehofer hat vor einigen Jahren ein ganz
neues Thema aufgegriffen und hier in die Diskussion
eingebracht: die Breitbandverkabelung. Mittlerweile
weiß jeder, dass das gerade für den ländlichen Raum
eine ganz wichtige Sache ist. Deshalb haben Sie, Frau
Ministerin, unsere volle Unterstützung, wenn Sie auch
bei diesem Thema künftig mit großem Engagement dabei sind. Es darf nicht sein, dass der ländliche Raum, wo
es in vielfacher Hinsicht sehr innovative Köpfe gibt, von
neuen Technologien abgeschnitten wird. Das würde
dazu führen, dass wir die volkswirtschaftliche Wertschöpfung, die wir in diesem Bereich generieren könnten, nicht generieren. Von daher müssen wir hier eine
ganze Menge auf den Weg bringen.
({16})
Sie wissen, dass ich mich in meiner Freizeit - wenn
Sie so wollen, ist das mein besonderes Hobby - für die
deutsche Forstwirtschaft engagiere.
({17})
Ich darf Ihnen sagen: Auch die Ansätze im Einzelplan 10, die im Vorgriff auf das Jahr des Waldes 2011
eingebracht worden sind, stimmen mich heute Morgen
froh. Wir haben heute mehr Unterstützung, als wir jemals für die deutsche Forstwirtschaft gehabt haben. Dass
der Wald-Klima-Fonds jetzt wächst bzw. auf den Weg
gebracht wird, ist eine positive Meldung, die die Bevölkerung einmal hören darf. Auch hier wird also ein
Schwerpunkt gesetzt. Es wird etwas gemacht. Ich bin dafür sehr dankbar.
Ich darf Ihnen aber auch sagen: Nachdem die Holzabsatzförderung per Gesetz nicht mehr möglich ist,
({18})
nachdem das Bundesverfassungsgericht das in seiner unendlichen Güte gekippt hat, ist es uns gestern Abend gelungen, im Bereich der deutschen Forstwirtschaft auf
freiwilliger, privater Basis einen neuen Fonds oder eine
neue GmbH in die Welt zu setzen. Ich darf mich bei allen, auch denen aus dem Ministerium, bedanken, die
mitgeholfen haben, dass das möglich wird. In der nächsten Woche werden Ullrich Huth und ich einen entsprechenden GmbH-Vertrag unterzeichnen. Dann geht es
auch mit der Holzabsatzförderung in Deutschland weiter. Auch das ist ein gutes Beispiel für die Politik, die wir
hier machen.
({19})
Meine Damen und Herren, ich habe eben schon angesprochen, dass wir bei den Haushaltsplanberatungen
für 2011 sicherlich an der einen oder anderen Stelle intensiver über die Haushaltsansätze sprechen müssen,
weil wir - das hat ja eigentlich jeder gesagt - nicht jedes
Jahr 80 Milliarden Euro Neuverschuldung haben können. Das heißt, auch im Einzelplan 10 werden wir zukünftig überlegen müssen: Was ist wichtig, was ist ganz
wichtig, und was kann man vielleicht für eine gewisse
Zeit oder ganz einsparen? Wir werden in allen Bereichen
eine höhere Effektivität erreichen müssen. Es kann nicht
sein, dass jemand wilde Briefe oder Presseartikel
schreibt und aufgrund dessen dann mehr Geld erhält.
({20})
Ich glaube, dass hier eine ganze Menge einzusparen ist.
Ich zeige Ihnen das an einem Beispiel; darüber können Sie gleich wieder lachen. Es gibt Initiativen im
Land, die fordern, dass wir im Bereich Ernährung und
Bewegung aufklären und mehr tun. Auch ich bin der
Meinung, dass wir da mehr tun müssen. Aber ich frage
mich, ob wir dafür mehr öffentliche Mittel brauchen.
Dass wir uns mehr bewegen müssen,
({21})
dass wir uns vielleicht anders ernähren müssen und dass
wir vielleicht weniger essen müssen, weiß jeder. Aber
ich habe große Zweifel, ob wir dafür Ansätze in Millionenhöhe im Bundeshaushalt brauchen; dies ist nur ein
Beispiel.
({22})
In jedem Dorf und in jeder Stadt bei uns gibt es Sportvereine. Man muss nur rein in die Sportvereine,
({23})
sich dort engagieren und bewegen und ein bisschen mehr
darüber nachdenken, was man isst. Dafür braucht man
keine Haushaltsansätze.
({24})
Es ist vielleicht ein populäres, aber konkretes Beispiel
dafür, wie wir im Bundeshaushalt einsparen können.
({25})
Meine Damen und Herren, ich darf es noch einmal sagen: Wir sind mit diesem Einzelplan zufrieden. Ich darf
mich bei allen, die mitgeholfen haben, bedanken. Wir sehen der Entwicklung im ländlichen Raum positiv entgegen; denn wir wissen, dass wir gerade im ländlichen
Raum die innovativen Köpfe haben, die unsere Gesellschaft braucht. Es hilft nicht, zu jammern, sondern man
muss morgens früh aufstehen, früh mit dem Tagwerk anfangen, hart arbeiten und kreativ sein, dann haben wir
auch eine gute Zukunft im ländlichen Raum und in ganz
Deutschland.
Herzlichen Dank.
({26})
Die Kollegin Dr. Kirsten Tackmann ist die nächste
Rednerin für die Fraktion Die Linke.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Liebe Gäste! Ich werde die Propaganda erst einmal beenden und zum Thema kommen.
({0})
Wir wollen in Deutschland und Europa eine multifunktionale Landwirtschaft; da sind sich alle Fraktionen einig. Für die Linke heißt das: Die Landwirtschaft
soll viele, sehr unterschiedliche Aufgaben im Interesse
der gesamten Gesellschaft erfüllen.
Dazu gehört erstens die Sicherung der Versorgung mit
gesunden, möglichst regional erzeugten Nahrungsmitteln zu bezahlbaren Preisen statt Agrarexport zulasten
armer Länder und Öko- und Sozialdumping auf einem
spekulativen Weltagrarmarkt.
Dazu gehören zweitens existenzsichernde Einkommen und Arbeitsplätze in der Landwirtschaft statt Niedriglöhne, Selbstausbeutung, Höfesterben und Verdrängung in den Nebenerwerb.
Dazu gehört drittens eine nachhaltige Biomasseproduktion zur regionalen Sicherung der Energieversorgung
statt fondsfinanzierte Großanlagen.
Dazu gehört viertens die Schonung der natürlichen
Lebensgrundlagen, des Wasserhaushalts und des Klimas
statt kurzfristiger Kapitalrenditen.
Dazu gehört fünftens die Sicherung sozial und kulturell lebendiger ländlicher Räume statt Abwanderung und
Dörfersterben.
Dazu gehören sechstens der Erhalt und die Pflege der
Kulturlandschaft statt Verödung und Verwaldung.
Dazu gehört siebtens die Verbesserung der Artenvielfalt auf und neben den Äckern statt Monokulturen und
Agrogentechnik.
({1})
Die existenzielle Voraussetzung zum Erreichen dieser
Ziele sind starke und vielfältige Agrarbetriebe, die flächendeckend und nachhaltig wirtschaften, und das klare
Bekenntnis der Politik zu den Menschen, die in den Dörfern und kleinen Städten leben und arbeiten wollen. Für
die Linke ist der Anspruch auf gleichwertige Lebensverhältnisse in allen Landesteilen nicht verhandelbar.
Von landwirtschaftlicher Arbeit muss man leben können. Daran muss sich auch der Agrarhaushalt orientieren, erst recht angesichts der aktuellen tiefen Agrarkrise. Aber die Koalition versagt als Krisenmanager. Die
Kuhschwanzprämie wird de facto zum Stallfenster hinausgeworfen.
({2})
Nur ein kleiner Teil der Verluste der Betriebe wird kompensiert, und die Ursachen der Krise werden nicht beseitigt. Im Gegenteil: Die Auslieferung der Agrarbetriebe
an den hochspekulativen Handel mit Nahrungsmitteln
und Ackerböden wird vorangetrieben, bei uns, in der EU
und weltweit. Statt diesen Systemfehler zu korrigieren,
wird versucht, die Bäuerinnen und Bauern mit Trostpflastern und Durchhalteparolen zu beruhigen. Dabei
stehen viele Agrarbetriebe seit Monaten mit dem Rücken
an der Wand. Für sehr viel und sehr harte Arbeit wird oft
nicht einmal ein existenzsicherndes Einkommen erzielt.
Der Grund sind die nicht kostendeckenden Erzeugerpreise. Für Mecklenburg-Vorpommern wurde für 2009
vorläufig errechnet, dass im Durchschnitt mit jedem Liter Milch 10 Cent Verlust gemacht wurden, Liter für Liter. So verloren die Milchbetriebe innerhalb von einem
Jahr 45 Prozent ihres ohnehin nicht üppigen Einkommens. Selbst ein Vorzeigebetrieb mit 2 000 Kühen in
meinem Heimatwahlkreis hätte ohne Biogasanlage finanziell nicht überlebt. Wenn Gülle mehr wert ist als
Milch, läuft etwas schief.
({3})
Die Milch ist nur die Spitze des Problemberges. Insgesamt sanken die Erzeugerpreise um 10 Prozent. Dafür
stiegen die Kosten für Diesel, Futter, Dünger und Strom
um 10 Prozent. Wer kann das auf Dauer kompensieren?
Der kleine Familienbetrieb in Süddeutschland nicht,
weil er auch mit Selbstausbeutung aller Familienangehörigen das Existenzminimum nicht mehr erreicht, die größeren Agrarbetriebe in Ostdeutschland nicht, weil sie
selbst die niedrigen Löhne nicht mehr zahlen können.
Hohe Kreditbelastungen, gestiegene Kosten für Pachten
und Flächenzukäufe ziehen die Betriebsabschlüsse weiter in den Keller.
Ganz nebenbei: 500 Millionen Euro Gewinn hat die
BVVG 2009 in Ostdeutschland durch den Verkauf ehemals volkseigener Äcker im Auftrag des Bundes verdient. Das sind 500 Millionen Euro, die von den klammen Landwirtschaftsbetrieben erwirtschaftet und in die
Kassen des Bundesfinanzministers umverteilt wurden.
Was passiert mit den Agrarbetrieben, die diesen Verdrängungswettbewerb verlieren? Landwirtschaftsfremde
Kapitalgeber werfen mit fragwürdiger Motivation Rettungsringe aus und übernehmen die Betriebe. So wird
über den spekulativen Handel mit Nahrungsmitteln und
Ackerflächen nach WTO- und EU-Regeln bäuerliches
Eigentum in rasanter Geschwindigkeit enteignet. Die
Linke wird alle unterstützen, die sich dem konsequent
entgegenstellen.
({4})
Wir brauchen einen Paradigmenwechsel in der
Agrarpolitik. Zum Beispiel müssen in die Handelsregeln
der EU und der WTO soziale und ökologische Standards
einbezogen werden. Wir brauchen die Stärkung der
Rechtsposition der Agrarbetriebe gegenüber Dünge- und
Pflanzenschutzmittelherstellern, der Verarbeitungsindustrie und dem Lebensmitteleinzelhandel, die ja sehr gut
verdienen. Dabei müssen Lebensmittel nicht teurer werden, sondern sie müssen bezahlbar bleiben.
Damit auch der Agrarhaushalt zur Problemlösung beitragen kann, haben wir Änderungsanträge eingebracht.
Aus dem Grünlandmilchprogramm sollten 60 Millionen
Euro in die Förderung von Erzeugerzusammenschlüssen
umgelenkt werden; denn zur Überwindung der Krise
brauchen wir eine verstärkte Zusammenarbeit der Betriebe.
({5})
Abgelehnt!
Die Mittel für das Bundesprogramm Ökolandbau
wollten wir von 16 auf 25 Millionen Euro aufstocken.
Dafür sollten 3 Millionen Euro EU-Agrarexportförderung gestrichen werden,
({6})
ebenso die geplante Aufstockung der Förderung nachwachsender Rohstoffe.
({7})
Auch dieser Antrag wurde abgelehnt. Leider haben auch
die Grünen nicht zugestimmt.
({8})
Fazit: Der Agrarhaushalt des Bundes für das Jahr 2010
wird für viele Betriebe allenfalls eine Sterbehilfe sein.
Die Folge: Immer mehr bäuerlich bewirtschaftete Agrarflächen werden über den Markt enteignet. Weil der Haushaltsplan daran nichts ändert, wird die Linke ihm nicht
zustimmen.
Vielen Dank.
({9})
Heinz-Peter Haustein ist der nächste Redner für die
FDP-Fraktion.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident Lammert! Meine lieben
Kolleginnen und Kollegen! Werte Gäste auf den Besuchertribünen! Der Einzelplan 10, der des Ministeriums
für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz,
spricht für sich: Es geht um Ernährung, Landwirtschaft
und Verbraucherschutz. Die Ernährung eines Landes ist
die Grundlage jeder Gesellschaft. Die Ernährung ist
nicht alles, aber ohne Ernährung ist alles nichts.
({0})
Manchmal sagen wir den Satz „Unser täglich Brot gib
uns heute“ wahrscheinlich nur so daher, ohne uns darüber im Klaren zu sein, dass es nicht selbstverständlich
ist, dass wir genug zu essen und zu trinken haben.
({1})
Zuerst bedanke ich mich bei meinen Kollegen aus
dem Haushaltsausschuss, besonders bei Schorsch
Schirmbeck, für die gute Zusammenarbeit und das gute
Miteinander. Natürlich bedanke ich mich auch beim
Ministerium, den kompetenten Mitarbeitern und der dynamischen Ministerin Ilse Aigner. Es war ein gutes Miteinander.
({2})
Der Einzelplan 10 ist von Sozialausgaben geprägt.
64,4 Prozent der Mittel werden für Soziales aufgewandt.
Das sind im Einzelnen 2,28 Milliarden Euro für die Alterssicherung, 44,5 Millionen Euro für die Renten der
Kleinlandwirte und 24,5 Millionen Euro für die Zusatzaltersversorgung der Arbeitnehmer. Das ist recht und billig. Um die Sozialsysteme zu stabilisieren, erhält nämlich auch die gesetzliche Rentenkasse einen Zuschuss,
und zwar von über 80 Milliarden Euro. - Ein weiterer Zuschuss von 1,25 Milliarden Euro geht an die Krankenversicherungsträger. Auch die landwirtschaftliche Unfallversicherung, durch die nicht nur Wegeunfälle und
Arbeitsunfälle, sondern auch Renten abgesichert werden, wird mit 200 Millionen Euro bezuschusst.
Das machen wir als christlich-liberale Koalition deshalb, weil wir die Lohnnebenkosten konstant und stabil
halten wollen.
({3})
Ein Landwirt ist ein Unternehmer. Ein Unternehmer
muss rechnen, er muss sehen, wie er zurechtkommt in
diesem weltweiten Wettbewerb der Dienstleistungen und
Waren. Wenn die Lohnnebenkosten steigen, steigen die
Kosten des Unternehmers. Damit sinkt sein Gewinn.
Wenn sein Gewinn sinkt, zahlt er weniger Steuern. Genau diese Steuern brauchen wir aber, um die Sozialsysteme zu stabilisieren. Wir haben des Weiteren, um die
landwirtschaftlichen Betriebe besser auszustatten, eine
Liquiditätshilfe von 25 Millionen Euro bereitgestellt,
die, wie ich höre, sehr gut angenommen wird. Wir helfen
auch den gebeutelten Milchbauern
({4})
mit 300 Millionen Euro für das Grünlandmilchprogramm. Das alles ist wichtig, um dem Unternehmer
Landwirt zur Seite zu stehen und zu helfen.
({5})
Dann ist da noch der Bereich Verbraucherschutz.
Der Verbraucherschutz ist wichtiger denn je. Bei Verbraucherschutz denkt man zuerst an Lebensmittelkontrolle. Es geht bei Verbraucherschutz aber auch um eine
Kontrolle des Finanzmarktes. Deswegen ist es schön,
dass Leute eingestellt wurden, die verhindern, dass faule
Angebote unterbreitet werden und Menschen ihr Geld
verlieren.
Alles in allem kann man sagen: Dieser Haushalt ist
ausgewogen und ausgeglichen.
Noch ein Wort zu den Linken. Die Linken haben von
Enteignung gesprochen. Da kann ich nur zurückgeben:
Mit Enteignung kennt ihr euch aus.
({6})
Zu DDR-Zeiten, in den 60er-Jahren, habt ihr sämtlichen
Bauern Grund und Boden weggenommen und die Betriebe verstaatlicht. Das nur zur Klarstellung.
({7})
Zusammenfassend ist zu sagen: Heute ist ein guter
Tag für unsere Landwirtschaft. Wir können uns freuen,
einen so schönen Haushalt zu haben. Es wird Zeit, dass
frischer Wind über unsere Scholle, über unsere Weinberge und Seen weht, dass es aufwärts geht in diesem
Land.
({8})
Zum Schluss, liebe Freunde, noch ein Spruch: Das
beste Wappen in der Welt ist der Pflug im Ackerfeld. In
diesem Sinne ein herzliches Glückauf aus dem Erzgebirge!
({9})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist doch schön
und ermutigend, zu beobachten, wie man auch drögen
Einzelplanberatungen eine gewisse philosophische Tiefe
abgewinnen kann.
({0})
Um die Fortsetzung dieser Bemühungen darf ich jetzt
den Kollegen Alexander Bonde für die Fraktion Die
Grünen bitten.
({1})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich
will jetzt keine Bauernweisheiten zum Besten geben, ich
will mich als Hauptberichterstatter bei den Kollegen,
beim Haus und bei der Ministerin für die gute Zusammenarbeit ganz herzlich bedanken. Ich will dazu sagen:
Dieser Dank gilt nur dem Verfahren und der Information, nicht dem Inhalt dieses Einzelplanes und nicht für
das, was die schwarz-gelbe Koalition im Einzelplan für
Landwirtschaft, Verbraucherschutz und Ernährung im
Laufe dieser Beratungen angestellt hat.
Wir haben ja erlebt, dass das Stiefkind dieses Ministeriums weiterhin der Verbraucherschutz ist; durch Fernsehinterviews zum Thema Google wird die Welt nicht
verändert.
({0})
Die Fragen sind: Welche Konsequenz ziehen Sie eigentlich aus der Finanzkrise? Wo sind die qualitativen
Verbesserungen gerade in den Bereichen Verbraucherberatung und Verbraucherschutz bei den Finanzdienstleistungen? - Überall dort passiert in Ihrem Haus nichts.
Auch in Bezug auf die Vorschläge, die wir in diese
Haushaltsberatungen eingebracht haben - von den sogenannten Watchdogs, also den Marktwächtern, bis hin zur
Stärkung des finanziellen Verbraucherschutzes -, ist
nichts passiert, und dazu findet sich in dem, was Sie
heute als Haushalt verabschieden wollen, nichts wieder.
({1})
Sie haben das Stiftungskapital bei der Stiftung Warentest erhöht. Das ist gut und richtig, aber das reicht eben
nicht. Das ist keine Verbraucherschutzpolitik.
({2})
Kommen wir zum Bereich der Landwirtschaftspolitik. Sie haben in diesem Haushalt viele Umschichtungen
vorgenommen: hier genommen, da gegeben.
({3})
Wenn man sich genau anguckt, wie die Linie verläuft,
dann wird deutlich, welche ideologische Wegmarke
diese Koalition setzt. Es geht immer darum, die Industrialisierung der Landwirtschaft voranzutreiben, es geht um
Masse, Masse, Masse, und es geht um Export statt Qualität.
Das sieht man besonders, wenn man sich anschaut,
was Sie unter dem Stichwort Grünlandmilchprogramm gemacht haben: Kuhprämie, Stärkung der landwirtschaftlichen Unfallversicherung usw. usf. All diese
Maßnahmen sind nichts anderes als eine Brücke hinüber
zur nächsten Stufe des Höfesterbens, weil Sie am Kernproblem, an der Überproduktion, überhaupt nichts ändern und weil Sie auch nicht bereit sind, etwas zu ändern.
Wenn man sich anguckt, was durch Ihr Grünlandmilchprogramm eigentlich passiert, dann sieht man - ich
will das einmal klar sagen, Frau Ministerin -: Durch die
übermäßigen Kürzungen bei der Förderung erneuerbarer
Energien im Solarbereich, die Sie als Landwirtschaftsministerin im Kabinett mit zugelassen haben, wird den
meisten Höfen in dieser Republik auf Dauer mehr geschadet, als ihnen durch die Almosen geholfen wird, die
Sie ihnen hier für das Grünland geben.
({4})
Sie wagen sich nicht an die Ursachen des Problems in
der Landwirtschaft heran, und Sie gehen nicht gegen den
Preisverfall durch Überproduktion vor. Zum Schluss betreiben Sie eine Dumpingpolitik, mit der Sie nicht nur
den Bäuerinnen und Bauern im Inland schaden, und
zwar insbesondere den kleinen Betrieben der bäuerlichen
Landwirtschaft in schwierigen Regionen - nicht nur bei
mir im Schwarzwald, aber auch da -, sondern mit der
Sie auch international Schaden anrichten. Denken Sie
nur einmal daran, welche massiven Verwerfungen im
Landwirtschaftsbereich durch Ihre Exportstrategie in
den Ländern der Dritten Welt hervorgerufen werden.
({5})
Die Exportförderung ist ja die große neue heilige
Kuh dieser schwarz-gelben Koalition. Überall, wo Sie in
diesem Haushalt etwas getan haben, ging es darum, die
Exportförderung wieder zu stärken, hier noch einen zu
finden, der ein bisschen Überschuss in die dritte Welt
liefern kann, und dort noch einen zu finden, der die Industrialisierung der Betriebe vorantreibt, damit man aus
jedem Acker und jedem Tier noch ein bisschen mehr herausholt.
({6})
Das genau sind die Veränderungen, die Sie in diesem
Einzelplan geschaffen haben. Damit gehen Sie am Kern
des Problems vorbei.
Interessant ist ja, wie Sie versucht haben, das gegenzufinanzieren. Sie haben die Verpflichtungsermächtigungen beim Bundesprogramm Ökologischer Landbau
und die Mittel zur Absicherung der Forschungsprojekte
zu nachwachsenden Rohstoffen gekürzt.
({7})
Es gab dann massive Proteste von uns. Das war der
Punkt, an dem deutlich wurde: Eine wachsame Opposition zahlt sich aus. - Sie mussten dann zurückrudern.
({8})
- Jawohl, Genosse Schirmbeck, Sie sind in der Bereinigungssitzung zum Glück umgekippt.
({9})
Diese falschen Kürzungen haben Sie revidiert. Hier sind
Sie zurückgerudert, und das war richtig so; das attestiere
ich Ihnen ausdrücklich.
({10})
Der Punkt ist: Sie sind dann in den nächsten Fettnapf
reingetreten, weil Sie, um Ihre Exportförderung finanzieren zu können, dann die Verpflichtungsermächtigungen bei der Bund-Länder-Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutz“, der
zweiten Säule der Agrarförderung, kürzen mussten. Dort
geht es um die Agrarstrukturen, um ökologische Produktion, um den Erhalt von Kulturlandschaften und um den
ländlichen Raum.
({11})
Das sind genau die Bereiche, die jetzt eigentlich im Fokus einer verantwortungsvollen Landwirtschaftspolitik
stehen müssten, und genau hier haben Sie gekürzt, um
Ihren blinden Exportwahn gegenzufinanzieren.
Diese Koalition hat nicht kapiert, wie die Lage in der
Landwirtschaft ist. Da machen sich manche lieber vom
Acker, anstatt die bäuerliche Landwirtschaft zu unterstützen. Ihre Exportstrategie führt in eine Sackgasse. Im
Kern wissen Sie das auch.
({12})
Frau Aigner, als Verbraucherschutzministerin sind Sie
auch für die Frage des Etikettenschwindels zuständig.
Bitte klären Sie endlich auf: Was hier die ganze Woche
als christlich-liberal gefeiert wird, ist am Ende doch nur
schnödes Schwarz-Gelb.
Herzlichen Dank.
({13})
Das Wort erhält nun die Bundesministerin Ilse
Aigner.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Ich schließe mich der Meinung des Kollegen
Schwanitz an: Heute ist „ein schöner Tag“. Hier geht es
- Herr Schwanitz, Sie haben es erwähnt - um ein „Gesamtkunstwerk“.
({0})
Ich nehme gern stellvertretend für mein ganzes Haus,
für die Haushaltsabteilung, aber auch für die Parlamentarischen Staatssekretäre, den Dank für die gute Zusammenarbeit entgegen. Diese ist für meine Begriffe eine
Selbstverständlichkeit; denn der Haushalt ist eines der
Kernstücke der parlamentarischen Tätigkeit. Ich kann
den Dank nur an alle Berichterstatter und den Fachausschuss zurückgeben. Es war wirklich eine sehr gute Zusammenarbeit.
Sehr geehrter Herr Schwanitz, auch ich habe drei
Überschriften, die erwartungsgemäß anders als Ihre lauten; das ist im parlamentarischen Raum die normale Verteilung. Bei uns heißt es: erstens Vertrauen schaffen und
Versprechen halten, zweitens in der Krise helfen, drittens
in die Zukunft investieren.
Beim Thema Vertrauen schaffen gehe ich gerne auf
die mehrfachen Anspielungen betreffend den Verbraucherschutz ein. Sie können sich noch so ärgern; aber wir
haben in diesem Bereich wahnsinnig viel auf den Weg
gebracht.
({1})
Wir haben manchmal vielleicht einen anderen Ansatz als
Sie, wenn es um die Verbraucher geht: Wir wollen die
Verbraucher nicht bevormunden, sondern ihnen helfen,
mündig zu entscheiden. Dazu braucht man Hilfestellungen wie klare, transparente Regeln und Entscheidungshilfen. Da sind wir auf einem sehr guten Weg.
({2})
- Wir haben, übrigens noch in unserer gemeinsamen Regierungszeit, ein Beratungsprotokoll auf den Weg gebracht.
({3})
- Moment! Ich wollte es nur sagen; denn Sie können
schlecht auf sich selbst schimpfen.
({4})
Das war nur ein Punkt, einer von mehreren Bausteinen.
Wir haben jetzt, ohne einen Gesetzentwurf auf den Weg
gebracht zu haben, alle Banken dazu gebracht - das ärgert Sie vielleicht -, einen sogenannten Beipackzettel
vorzulegen.
({5})
- Ich weiß, dass Sie das ärgert; aber ich finde, das ist
schon eine reife Leistung.
({6})
- Schauen Sie es sich einfach einmal an! Ich kann Ihnen
garantieren: Auch wir werden uns diese Beipackzettel
genau anschauen. Das ist jetzt sozusagen erst einmal ein
Entwurf.
({7})
Wir werden uns das gemeinsam anschauen; ich werde
nicht lockerlassen, bis alle Angaben, die wir uns vorgestellt haben, im Beipackzettel auftauchen. Das ist unsere
Aufgabe; da werden wir sehr wachsam sein.
({8})
Wir wissen sehr wohl, dass das nur eine Etappe sein
wird. Die nächste Aufgabe wird sein, die Finanzaufsichtsbehörden zu stärken. Da sind wir gemeinsam mit
den Finanzfachleuten auf einem guten Weg. Übrigens
- vielleicht haben Sie das noch gar nicht gemerkt - hat
der Bundesfinanzminister schon ein Eckpunktepapier zu
diesem Bereich vorgelegt, das wesentliche weitere
Schritte enthält.
({9})
Sie sehen also: Wir gehen im Bereich der Verbraucherfinanzen Schritt für Schritt vor, um hier wieder das Vertrauen in diese Branche und auch die Verbraucher selbst
zu stärken.
Wir werden die Lücken auf dem grauen Kapitalmarkt schließen. Wir werden die Fragen in Angriff nehmen: Wie muss sich ein Berater qualifizieren? Wie sieht
es mit der Haftung aus? Das ist wirtschaftlicher Verbraucherschutz; so werden wir Schritt für Schritt vorangehen.
({10})
Aber es geht über die reine Gesetzgebung hinaus. Das
Bewusstsein der Finanzdienstleister dafür, dass der
Kunde König ist und dass sich die Vertriebsstrukturen
und die Anreizsysteme am Blickwinkel des Kunden statt
an internen Abläufen orientieren müssen, kann ich
schließlich nicht gesetzlich verordnen. Aber wir werden
ihnen auf die Finger schauen. Ich glaube, das ist ein wesentlicher Punkt: Der Kunde muss im Mittelpunkt stehen.
({11})
- Nein.
Was die Frage angeht, wie wir den Kunden stärken
können, haben wir bei der Stiftung Warentest etwas
umgesetzt, was andere lange versprochen haben.
({12})
Wir haben das Stiftungskapital im ersten Schritt - es
kommen noch zwei weitere Tranchen dazu - auf 20 Millionen Euro aufgestockt. Das haben viele, auch eine Vorgängerregierung, versprochen. Sie haben es nicht geschafft. Wir haben es jetzt umgesetzt.
({13})
Wir haben auch schon die ersten Schritte in die Wege
geleitet, um gemeinsam mit dem Verbraucherzentrale
Bundesverband eine Stiftung zu gründen und das Stiftungskapital zu erhöhen.
({14})
Wir werden auch nicht lockerlassen, in diesem Bereich
weiter voranzugehen.
({15})
Ein weiterer Punkt ist die Hilfe in der Krise. Um es
noch einmal klarzumachen: Das Sonderprogramm für
die Landwirtschaft wurde nicht durch irgendwelche Umschichtungen finanziert, lieber Kollege Bonde, sondern
es sind 750 Millionen Euro zusätzlich bereitgestellt worden. Ein Programm in dieser Größenordnung hat es noch
nie gegeben. Wir haben das im Koalitionsvertrag versprochen, und wir haben es jetzt auch sehr schnell umgesetzt.
({16})
Das Programm heißt Grünlandmilchprogramm.
Die Schwerpunkte liegen auf Grünland
({17})
und Milch. Das sind die beiden Komponenten.
({18})
- Übrigens, Herr Schwanitz, wenn Sie schon auf Bayern
abzielen: Bayern liegt nicht im Südwesten; dort liegt Baden-Württemberg.
({19})
Aber hier geht es um das Grünlandmilchprogramm. Wir
haben es so schnell und effektiv umgesetzt, wie es unter
europarechtlichen Gegebenheiten möglich ist. Das war
eine reife Leistung. Dafür kann ich meinem Haus einen
großen Dank aussprechen. In drei Wochen ein solches
Programm auf die Beine zu stellen, ist eine riesige Leistung.
({20})
Die Verlässlichkeit kommt bei den Bauern sehr wohl
an. Die Erhöhung des Zuschusses zur landwirtschaftlichen Unfallversicherung war für alle Landwirtinnen
und Landwirte ein ganz zentraler und entscheidender
Punkt, der schnell und effektiv umgesetzt wurde. Die
Bescheide sind verschickt worden. Bei mir ist große
Dankbarkeit dafür angekommen, dass wir nicht nur etwas versprochen, sondern es auch gehalten haben.
({21})
Ein weiterer wichtiger Baustein war das Liquiditätshilfeprogramm. Ich bin froh, dass wir uns wenigstens in
diesem Punkt einig sind. Wie nötig es war und ist, zeigt
der Abruf. Start des Antragsverfahrens war am 1. März.
Schon am 9. März mussten wir es wegen der enormen
Nachfrage schließen. Wir bräuchten noch viel mehr Geld
dafür. Es zeigt sich aber, wie wichtig es war, die Mittel
in diesem Bereich einzusetzen. Deshalb werden wir uns
gemeinsam mit den Haushältern damit befassen müssen,
wie wir das Programm möglichst schnell und effektiv
umsetzen können.
Insgesamt ist festzustellen, dass die Maßnahmen greifen. Sie werden zügig und unbürokratisch umgesetzt.
Wir unterstützen die Betriebe in einer Situation, in der
sie diese Unterstützung dringend brauchen.
Der nächste Punkt sind die Investitionen in die Zukunft. Georg Schirmbeck hat die Gemeinschaftsaufgabe
„Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes“ angesprochen. Ich war unter Rot-Grün Haushaltssprecherin in diesem Bereich. Wissen Sie, wie hoch der
Ansatz damals war? Es waren 615 Millionen Euro. Deshalb muss ich mir von Ihnen nicht sagen lassen, dass unser Ansatz jetzt zu niedrig ist.
({22})
Um das Ganze noch einmal zusammenzufassen: Sie
haben einen Finanzierungsvorschlag gemacht, die Verstärkungsmittel für andere Zwecke zu verwenden. Wir
haben sie für die Gemeinschaftsaufgabe vorgesehen. Ihr
Vorschlag hätte zu dem geführt, was wir jetzt aufgrund
der haushaltspolitischen Rahmenbedingungen machen
müssen.
({23})
Schauen Sie ganz genau hin. Wir haben die Verstärkungsmittel für die Stärkung der Gemeinschaftsaufgabe
vorgesehen. Das ist jetzt Fachchinesisch der Haushälter,
aber das muss an dieser Stelle deutlich gesagt werden.
Ich bedanke mich, dass wir die Mittel für diese Gemeinschaftsaufgabe verstetigen konnten. Gemeinsam mit den
Haushältern der christlich-liberalen Koalition war das
eine hervorragende Zusammenarbeit. Herzlichen Dank
dafür.
({24})
Das ist eine Gemeinschaftsaufgabe; dabei bleibe ich.
Natürlich bin ich über alle Erhöhungen der Mittel für die
Gemeinschaftsaufgabe froh. Darüber freue ich mich immer. Auf alle Fälle ist das ein wichtiger Punkt - auch da
sind wir uns Gott sei Dank einig - zur Stärkung der ländlichen Räume, aber auch für die Finanzierung eines aktiven Beitrags im Bereich von Klimaschutz, Artenvielfalt,
Ressourcenschutz und auch von Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit. Ich halte das nach wie vor für eines der
zentralen Programme. Deshalb werden wir darauf weiterhin unser Augenmerk legen.
Wichtig für die ländlichen Räume ist, nebenbei bemerkt, auch die Breitbandverkabelung. Für dieses Jahr
stehen dafür 25 Millionen Euro zur Verfügung. Ich hoffe
und gehe davon aus, dass die Länder und Kommunen
diese Mittel auch abrufen. Gerade im Bereich der ländlichen Entwicklung müssen wir die Schwerpunkte setzen.
({25})
Aber zur Zukunftsfähigkeit möchte ich noch eines
sagen: Natürlich hat Zukunftsfähigkeit auch damit zu
tun, dass man Produkte verkauft. Das kann man nur,
wenn sie eine gute Qualität haben. Mit Verlaub: Das gilt
im Inland wie im Ausland. Deshalb halte ich es nicht für
ehrenrührig, dass man landwirtschaftliche Produkte aus
Deutschland weltweit exportiert und für ihre hervorragende Qualität wirbt. Das halte ich für einen richtigen
Ansatz.
({26})
Es ist doch auch eine Frage der Verlässlichkeit, wenn
wir in schwierigen Zeiten, in denen der Absatzförderfonds aus Gründen, die wir heute nicht mehr erörtern
müssen, zusammengebrochen ist, für eine Übergangsphase unterstützend tätig sind. Deshalb ist es wichtig gewesen, auch in diesem Bereich einen kleinen Schwerpunkt zu setzen und zu sagen: Es ist uns wichtig, dass
die guten Produkte auch international vertrieben werden
können. Das ist meines Erachtens eine Selbstverständlichkeit.
Nicht zuletzt - auch das möchte ich am Schluss noch
sagen - geht es um Zukunftsinvestitionen im Bereich der
Forschung. Ich sage mit großem Stolz: Unser Ministerium hat eine sehr große Ressortforschungseinrichtung.
Aber dieser Bereich ist nicht nur groß, nämlich der viertgrößte, sondern auch gut. Das ist das Entscheidende. Ich
habe mich gestern mit den Spitzen der Forschungscommunity getroffen. Dabei wurde uns bestätigt, dass unsere
Ressortforschungseinrichtung qualitativ auf einem sehr
hohen Niveau ist. Dass wir in den Neubau des FriedrichLoeffler-Instituts auf der Insel Riems investieren, nämlich 300 Millionen Euro, ist ein hervorragendes Zeichen,
nicht nur für die Forschung, sondern, mit Verlaub, auch
für die Region. Es ist richtig, hier einen Schwerpunkt zu
setzen. Das war eine ausgezeichnete Entscheidung. Ich
freue mich, dass wir den Neubau dieses Jahr einweihen
können.
({27})
Die christlich-liberale Regierung, die Koalition, hat
hier die richtigen Weichenstellungen vorgenommen. Wir
sind auf einem guten Weg. Er führt in die Zukunft. Ich
kann immer nur sagen: Verbraucherschutz, Ernährung
und Landwirtschaft sind Zukunftsthemen. Wir werden
sie gemeinsam gestalten.
Herzlichen Dank.
({28})
Ulrich Kelber ist der nächste Redner für die SPDFraktion.
({0})
Attackiert, befürchtet, bemängelt, drängt, fordert, gibt
zu bedenken, hinterfragt, ist verärgert, kritisiert, kündigt
an, lehnt ab, macht Druck, regt an, schimpft über, schlägt
vor, verlangt, verspricht, will, sollte, müsste, könnte dieser Überblick, Frau Ministerin Aigner, über die wunderbare Vielfalt unserer schönen deutschen Sprache
stammt aus Ihren Medienauftritten der letzten drei Wochen.
Kein Notizblick, kein Mikrofon, keine Kamera ist vor
Ihnen sicher.
({0})
Allerdings vermisse ich die entscheidenden Sätze, für
die Sie gewählt wurden und für die Sie bezahlt werden
- wir können gemeinsam üben -: Ich habe einen Gesetzentwurf vorgelegt. Ich habe durchgesetzt. Ich habe
erreicht.
({1})
Dafür sind Sie gewählt worden. Dafür werden Sie bezahlt. Innerhalb dieser Nichtregierungsorganisation, die
auf den Plätzen der Bundesregierung Platz genommen
hat, sollten Sie eigentlich die Ministerin für Verbraucherschutz sein. Sie sind eine tatenlose Ankündigungsministerin.
({2})
Herr Kollege Bleser von der CDU, wenn man einen
solchen Vorwurf macht, muss man ihn belegen; das ist
mir klar, das tue ich gerne. Lassen Sie uns über die Untätigkeit von Frau Aigner und ihre Nebelkerzen bei der Finanzierung des Verbraucherschutzes reden. Schauen
wir auf die Zögerlichkeit beim Kampf gegen Gebühren
an Geldautomaten, über die sich sogar der Koalitionspartner zu Recht aufregt.
Aufmerksamkeit verdient auch die Totalverweigerung
der Ministerin beim Verbraucherschutz im Finanzsektor.
Der Kampf gegen falsche Lebensmittelkennzeichnung
findet im Wesentlichen in den Medien statt. Bei den Verbraucherrechten im Gesundheitssektor ist die Ministerin
ein Totalausfall, ausnahmsweise auch medial. Beim Datenschutz stürzt sie sich auf die öffentlich leicht erklärbaren Vorgänge, obwohl Verbraucherschutzverbände
und Datenschutzbeauftragter bei anderen Themen weit
mehr Handlungsbedarf sehen als bei Google Street View.
Krönender Abschluss ist: In Bayern ist die CSU-Politikern Aigner gegen Gentechnik. In Berlin fährt sie als
Ministerin einen Zickzackkurs, und in Brüssel unterstützt sie unbeirrt die Gentechniklobby.
({3})
Erstes Beispiel, die Finanzierung des Verbraucherschutzes. Am Tag vor Heiligabend erklärt die Ministerin
lauthals: Wir geben der Stiftung Warentest einmalig einen Zuschuss in Höhe von 50 Millionen Euro. - Nicht
erwähnt wird, dass man den jährlichen Zuschuss um
2,5 Millionen Euro kürzt. In den Haushaltsberatungen
gibt das Ministerium dann zu: Ja, es kommt plus/minus
null heraus, wenn die Stiftung jährlich 5 Prozent Gewinn
plus Inflationsausgleich erwirtschaftet. - Alle Experten
sagen, dass das völlig unrealistisch ist. In Wirklichkeit
wird es bereits 2011 eine reale Kürzung geben. 2012
fehlt der Stiftung Warentest ein Betrag in Millionenhöhe.
Ich habe noch gut im Ohr, wie die Ministerin Ende
2009 gesagt hat: Die Bußgelder aus den Kartellrechtsverfahren verwenden wir für die Finanzierung des Verbraucherschutzes. - Die SPD hat die Probe aufs Exempel gemacht und genau das in den Haushaltsberatungen
beantragt. Das wurde von Schwarz-Gelb wie erwartet
abgelehnt. Nun muss ich Sie fragen: Frau Ministerin, haben Sie sich nicht durchsetzen können, oder waren Ihre
Ankündigungen wertlos?
Zweites Beispiel, der Verbraucherschutz im Finanzsektor. Sie haben zu Recht erwähnt, was die Große
Koalition gemacht hat. Ich frage mich aber, was danach
passiert ist. Wir haben damals die Dokumentationspflicht bei der Kundenberatung und die Verlängerung
der Verjährungsfrist bei Falschberatung gegen anfänglichen Widerstand von CDU/CSU durchsetzen können.
Alles andere durfte aufgrund des Widerstands der CDU/
CSU nur als Prüfungsauftrag beschlossen werden. Was
ist daraus geworden? Im Zwei-Wochen-Rhythmus kündigt die Ministerin Gesetzentwürfe an. Sie legt aber
keine vor. Aus Verzweiflung schmücken Sie sich jetzt
mit Informationsblättern, die aufgrund von EU-Vorgaben
sowieso bald notwendig sind. Weil Sie kein Gesetz beschlossen haben, hat jede Bank ein eigenes Informationssystem entwickelt. Einige dieser unterschiedlichen Informationssysteme sind nach wie vor so unverständlich,
dass sie den Verbraucherinnen und Verbrauchern keinen
Vorteil bringen werden.
({4})
Drittes Beispiel, die irreführenden Lebensmittelkennzeichnungen. Das ist ein besonders trauriges Kapitel. Das Ministerium von Frau Aigner selbst hat eine
Umfrage bei den Verbraucherinnen und Verbrauchern
gemacht, welche Form der Kennzeichnung wichtiger Inhaltsstoffe sie sich wünschen. Über 80 Prozent sagen:
Ich bevorzuge eine farbliche Kennzeichnung nach dem
Ampelprinzip; ich verstehe sie und halte sie für erfolgbringend. - Das ist das Ergebnis einer Umfrage, die das
Ministerium von Frau Aigner selbst durchgeführt hat.
Die Ministerin hält aber der Lebensmittelkonzernlobby
die Treue und verhandelt in Brüssel dagegen. CDU/
CSU- und FDP-Abgeordnete des Europaparlaments versuchen, die Ampelfarbenkennzeichnung zu Fall zu bringen.
({5})
Bei Imitatkäse und -schinken brauchten Sie fast ein
Jahr, um es in Brüssel zur Sprache zu bringen. Dabei
hatte Frau Aigner hier doch Unterstützung durch das mediale Dauerfeuer Ihrer neuen Staatssekretärin Klöckner,
die versucht, Frau Aigner den Rang als tatenlose Ankündigungsweltmeisterin streitig zu machen. Sie haben ein
Jahr gebraucht, nicht um es zu regeln, sondern um es zur
Sprache zu bringen.
Auch bei einer anderen Sache warten wir seit einem
Jahr auf eine nationale Regelung, die Sie schon längst
hätten auf den Weg bringen können. In den Regalen der
Supermärkte steht Milch als Frischmilch, obwohl es sich
gar nicht um Frischmilch handelt. Vor einem Jahr haben
Sie gesagt: Das wollen wir verhindern. Wir können das
national regeln. - Bis heute ist nichts passiert.
({6})
Viertes Beispiel, die überhöhten Gebühren an Bankautomaten. Frau Ministerin, Sie haben diese Gebühren
zu Recht kritisiert. Die Frage ist aber: Was tun Sie? Gestern hat sich Herr Goldmann von der FDP, Ihrem Koalitionspartner, öffentlich über die „Zögerlichkeit“ der Ministerin beschwert. Die Rache erfolgte sofort. Herr
Schirmbeck hat ja gesagt: Wer uns kritisiert, muss damit
rechnen, dass wir ihn auseinandernehmen. - Herrn
Goldmann ist das gestern passiert. CDU/CSU und das
Ministerium haben nach seiner Äußerung das Fachgespräch des Verbraucherausschusses boykottiert. Peinlicher geht es nicht mehr.
({7})
Einer Opposition fällt das politische Leben sicherlich
leichter, wenn eine Regierung ablehnt, zu regieren. Für
das Land ist das nicht ganz so gut. Die Verbraucherinnen
und Verbraucher brauchen Taten im Verbraucherschutz
und keine folgenlosen Ankündigungen. Setzen Sie nicht
auf die Vergesslichkeit, Frau Ministerin! Die SPD hat in
dieser Woche die erste Ausgabe des Schwarzbuches Ilse
Aigner vorgelegt. Wir werden es regelmäßig aktualisieren und Ihre Versprechen und Ankündigungen prüfen.
Ich glaube, die Verbraucherinnen und Verbraucher haben
ein Recht: dass die Ministerin den Fachabteilungen ihres
Ministeriums endlich die gleiche Zeit widmet wie dem
Pressestab und den Imageberatern.
Vielen Dank.
({8})
Der Kollege Hans-Michael Goldmann spricht jetzt für
die FDP-Fraktion.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebes Geburtstagskind! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Man kann noch
so viel drum herumreden: Es ist ein Superhaushalt, den
wir hier heute verabschieden. Es sind sehr starke Säulen
darin, die die Landwirtschaft braucht. Ich nenne zum
Beispiel die soziale Säule. Andere träumen davon, dass
im Haushalt 750 Millionen Euro bereitgestellt werden,
um Schwächen des einen oder anderen landwirtschaftlichen Betriebs, zum Beispiel eines Milchviehbetriebs,
aufzufangen. Wenn mir einer damals gesagt hätte, dass
wir aus dem Gespräch mit Frau Aigner - es war 10 Uhr
abends im Büro von Frau Aigner ({0})
mit 750 Millionen Euro herausgehen - auch Herr Ripke
war dabei -, dann hätte ich gesagt: Du träumst. Wir haben die Summe zum Beispiel für die Unfallversicherung
verwendet. Das ist eine Supersache, gerade für die Familienbetriebe. Wir haben ein Kredithilfeprogramm aufgelegt, und wir haben etwas für die Grünlandbetriebe gemacht. Liebe Freunde, lassen Sie uns doch aufhören mit
Nord und Süd, Ost und West, Groß und Klein. Das ist alles Kappes. Es geht darum, dass wir die landwirtschaftliche Struktur in Deutschland insgesamt erhalten, dass wir
eine solide Basis haben, um uns den wirklichen Zukunftsaufgaben zuzuwenden, die in einem Maß auf uns
zurauschen, dass wir im nächsten Jahr noch unser blaues
Wunder erleben werden. Wenn es darum geht, zum Beispiel die Mittel für unsere ländlichen Räume auf der europäischen Arbeitsebene zu erkämpfen, dann müssen
wir gemeinsam an einem Strang ziehen. Deswegen sollten wir heute den Haushalt nicht zerreden, sondern wir
sollten ihn mit Freuden zur Kenntnis nehmen. Er setzt
genau die richtigen Akzente: eine starke Säule für die
Landwirtschaft, eine starke Säule für den ländlichen
Raum, eine starke Säule für Familienbetriebe, die nachhaltig wirtschaften.
({1})
Lassen Sie mich noch etwas zur Ampelkennzeichnung sagen. Ich glaube, Sie, Herr Kelber, kommen aus
Bonn. Mit Haribo haben Sie es vielleicht nicht so, da Sie
Haribo als Lebensmittelkonzernlobby bezeichnen. Das
mag Ihre Einschätzung sein, aber Sie wissen genau, dass
die Lebensmittelwirtschaft klassisch mittelständisch
strukturiert ist.
({2})
Da muss man sich fragen, ob man den Mut zur Fachlichkeit hat oder ob man Botschaften hinterherläuft. Ich sage
Ihnen, Herr Kelber: An dieser Stelle muss man den Mut
zur Fachlichkeit haben.
({3})
- Herr Kelber, Sie brüllen immer so. Überlassen Sie das
mir. Ich habe das Mikro.
({4})
Sie sind doch nicht ernsthaft davon überzeugt, dass eine
Ampelkennzeichnung - rot, gelb, grün -, bei der CocaCola mit drei grünen Punkten und einem roten Punkt erscheinen würde, die Qualitätsantwort auf die Interessen
der Verbraucher ist, denen es darum geht, zu wissen, was
wirklich in den Produkten ist. Sie können doch nicht
ernsthaft behaupten, dass das etwas Gutes ist.
({5})
Sie wissen, dass die Kennzeichnung, die jetzt auf europäischer Ebene auf den Weg gebracht wird, Inhaltsstoffe, auch allergene Inhaltsstoffe umfasst und die Qualität eines Produktes zum Ausdruck bringt. Damit sind
wir genau auf dem richtigen Weg. Wir müssen dem Bürger keine Lösungen vorgaukeln
({6})
- ganz ruhig, Herr Kelber -, wir müssen für den Bürger
Lösungen entwickeln. Sie müssen schlicht und ergreifend Ihre Meinung korrigieren.
({7})
Nun will ich etwas zu den Bankgebühren sagen.
Schauen Sie in die Pressemitteilung, dann werden Sie
feststellen, dass der Journalist meinte, feststellen zu
müssen, dass die Vorgehensweise von Frau Ministerin in
diesem Punkt zögerlich ist. Ich habe einen ganz anderen
Ansatz. Ich führe solche Fachgespräche als Ausschussvorsitzender mit Unterstützung der Kolleginnen und
Kollegen aus dem Ausschuss - wenigstens ist das die
Regel -, um uns für ein schwieriges Thema zu konditionieren.
Ich freue mich, dass meiner Einladung zehn Cracks
aus der Bankwirtschaft sowie aus dem Verbraucherschutzbereich und den Gewerkschaften gefolgt sind und
uns informiert haben. Wir sollten den richtigen Weg des
Miteinanders praktizieren. Frau Aigner, ich werde Ihnen
das Protokoll des gestrigen Gesprächs zuleiten; denn es
sind sehr viele gute Anregungen gekommen.
Ich habe kein Verständnis dafür, dass die CDU/CSU
aus Termingründen abgesagt hat.
({8})
So sollte mit dem Ausschuss und dem Ausschussvorsitzenden nicht umgegangen werden. Das schadet unserer Arbeit im Ausschuss. Ich mache manchmal Fehler;
aber andere machen auch Fehler. Wir sollten an einem
Strang ziehen und die Dinge gemeinsam voranbringen.
({9})
Herr Kelber, ich will noch etwas zu Ihrem Schwarzbuch sagen: Das ist doch wohl der größte Witz des Jahrhunderts. Nach zig Jahren Regierungsverantwortung
kommen Sie vier Wochen nach Beginn der gemeinsamen parlamentarischen Arbeit mit einem Schwarzbuch.
In diesem Buch bringen Sie zum Ausdruck, dass Verbraucherpolitik in Ihrer Zeit dunkel und schwarz war.
Unsere ist christlich-liberal. Wir machen eine zukunftsorientierte Politik, die wir weiterhin konsequent betreiben werden.
Herzlichen Dank.
({10})
Das Wort erhält nun die Kollegin Caren Lay für die
Fraktion Die Linke.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Es ist wohl dem Weltverbrauchertag zu verdanken, dass wir heute zur Kernzeit zum Thema Verbraucherpolitik sprechen können. Den Rest der Zeit
bleibt die Verbraucherpolitik für die Bundesregierung
eher eine Nebensache; dieses Thema wird gern in die
Abend- und Nachtstunden verbannt. Wir haben zwar eine
Verbraucherministerin, die immer häufiger in Funk und
Fernsehen überaus markige Forderungen verkauft - das
hat heute mehrfach eine Rolle gespielt -,
({0})
so häufig, dass man leider immer wieder vergisst, dass
Ihr Ministerium in den wesentlichen Punkten gar nichts
zu entscheiden hat, sondern bestenfalls mitsprechen
darf; aber egal ob es um den finanziellen, um den wirtschaftlichen oder um den digitalen Verbraucherschutz
geht, um Fahrgast- oder Patientenrechte: Zuständig für
die harten Fakten sind immer die anderen Ministerien.
Verbraucherinnen und Verbraucher bleiben so die Randfiguren der Regierungspolitik.
({1})
Das schlägt sich auch im Haushalt nieder. Frau
Aigner, Ihre PR in eigener Sache steht in keinem Verhältnis zu den Zahlen und Fakten Ihres Haushaltsentwurfs.
Schauen wir uns die Zahlen einmal an: Von Ihrem Gesamtetat von fast 6 Milliarden Euro planen Sie für verbraucherpolitische Maßnahmen gerade einmal 2,5 Prozent ein; das sind 148 Millionen Euro. Das steht in
keinem Verhältnis zu den anderen Aufgaben Ihres
Ministeriums.
Noch deutlicher wird die untergeordnete Stellung verbraucherpolitischer Maßnahmen durch einen Vergleich
mit dem Etat des Wirtschaftsministers Brüderle, der
hauptsächlich für die unternehmerische Seite der Märkte
verantwortlich zeichnet. Wirtschaftsminister Brüderle
kann dieses Jahr allein 230 Millionen Euro, also deutlich
mehr Mittel, als für den Verbraucherschutz zur Verfügung stehen, für das Nationale Weltraumprogramm ausgeben. Es ist schön und sicherlich überaus zeitgemäß,
dass die Bundesregierung in die bemannte Raumfahrt investiert; aber mit dem unterirdischen Stellenwert, den
die Verbraucherpolitik für sie hat, können wir uns als
Linke nicht zufriedengeben.
({2})
Wir sagen: Verbraucherpolitik darf nicht länger eine Nebenrolle spielen.
Die Finanzkrise hat es gezeigt: Verbraucherinnen und
Verbraucher sind den windigen Geschäftspraktiken der
Banken ausgeliefert. Da ist es unsere Verantwortung als
Politikerinnen und Politiker, die Märkte verbrauchergerecht zu regulieren. Wir können diese Verantwortung
nicht einfach auf die Menschen abwälzen.
({3})
Es gibt sehr viele Vorschläge, wie das geschehen soll,
beispielsweise die Einrichtung eines Marktwächters wie
in Großbritannien oder einer Behörde für finanziellen
Verbraucherschutz, wie in den USA geplant. Nichts von
alledem finden wir in Ihrem Haushalt. Sie können sich
nicht länger davor drücken, Verbraucherinnen und Verbraucher vor betrügerischen Praktiken von Unternehmen
zu schützen. Mit freiwilligen Infoblättern ist es hier nicht
getan.
({4})
Ich freue mich sehr, dass Verbraucherministerin
Aigner immer häufiger die Zusammenarbeit mit den
Verbraucherzentralen sucht - das ist gut und schön -;
aber es kann nicht sein, dass eine Bundesregierung immer stärker auf den Sachverstand und den Service von
Verbraucherschutzorganisationen zurückgreift, ohne
ihnen gleichzeitig auch nur einen einzigen Cent mehr zur
Verfügung zu stellen.
({5})
Allein mit der Anschubfinanzierung für die Verbraucherstiftung ist es hier sicherlich nicht getan. Das ist nichts
anderes als eine Auslagerung des Problems, zumal man
jetzt noch nicht einmal alle Gelder, die tatsächlich zur
Verfügung gestanden hätten, zur Verfügung stellt.
Wir Linke fordern mehr Geld für die Arbeit der Verbraucherorganisationen, insbesondere für den Bereich
finanzielle Verbraucherberatung. Wir erinnern uns:
Innerhalb von nur wenigen Tagen war es der Bundesregierung in der Krise möglich, einen Schutzschirm für
Banken im Umfang von 470 Milliarden Euro zu spannen. Dagegen sind die 10 Millionen Euro, die wir heute
für die Verbesserung der finanziellen Verbraucherberatung beantragen, doch wirklich ein Klacks.
({6})
Wer Banken aus der selbstverschuldeten Krise retten
kann, der kann und darf beim Schutz der Verbraucherinnen und Verbraucher nicht sparen.
Auch an anderer Stelle wäre mehr Geld für die Verbesserung des Verbraucherschutzes notwendig gewesen:
zur Verbesserung der Forschung, für notwendige Aufklärungsarbeit, für ein Siegel „Ohne Gentechnik“, für
eine Ampelkennzeichnung oder für Modellprojekte, die
sich vielleicht auch einmal an einkommensschwache
Haushalte richten. An all diesen Stellen wird gespart.
Hierfür ist kein Geld vorhanden.
Wir Linke wären offen gewesen für die Erschließung
alternativer Einnahmequellen. Es könnten sich ja auch
einmal die Unternehmerinnen und Unternehmer an der
Finanzierung des Verbraucherschutzes beteiligen.
({7})
Wenn man bedenkt, wie viele Beratungen die Verbraucherzentralen machen müssen, um die Verbraucher allein über Fallen im Bereich Internet und Telekommunikation aufzuklären, wäre das nicht zu viel verlangt
gewesen.
Verbraucherschutz ist eine öffentliche Aufgabe, ist
eine notwendige Aufgabe. Wer hier spart, der spart an
der falschen Stelle.
Vielen Dank.
({8})
Ulrike Höfken ist die nächste Rednerin für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Sehr geehrter Herr Präsident! Frau Ministerin! Sehr
geehrte Kollegen! Die Dankbarkeit, die empfunden werden soll, Herr Schirmbeck, weil mehr Geld im Haushalt
ist als zu Zeiten von Frau Künast, beschränkt sich wohl
auf diejenigen, die profitieren, ist also die Dankbarkeit
der Funktionäre, aber ganz gewiss nicht die des Volkes.
({0})
Ganz ernsthaft: Wenn Sie Drohungen gegen die Ökolandwirtschaft ausstoßen und fordern, dass sie für die
Almosen, die sie bekommt, auch noch auf die Knie fallen soll, mag das Ihren Vorstellungen von der gekauften
Republik entsprechen.
({1})
In diesem Haushalt findet sich kein roter Faden und
erst recht kein grüner Faden, sondern Schwarz-Gelb betreibt eine aggressive Industrialisierung, eine massive
Exportorientierung und eine Förderung der Agrogentechnik, und zwar zulasten von Verbrauchern, Arbeitnehmern, Mittelstand und Steuerzahlern, von Umwelt
und Klima. Mit Markt hat das nichts zu tun. Da ist so
viel Markt drin wie früher in der DDR.
({2})
Fünf Beispiele:
Erstens. Das 750-Millionen-Euro-Milchpaket, worüber ja schon viel gesagt wurde, ist ein verantwortungsloser Umgang mit Steuermitteln, weil Sie nämlich nicht
an die Ursachen der Misere herangehen. Im Bereich des
Milchmarktes wären vernünftige Marktanpassungsinstrumente nötig. Sie aber wollen bewusst Überschüsse
herbeiführen und tun das politisch auch. Das hat nichts
mit Markt zu tun. Wie groß die Not ist, das sieht man an
dem entsprechenden Programm der Rentenbank: Die
vorgesehenen Liquiditätsmittel waren innerhalb von
16 Stunden weg. Das war ein unwirksames Programm
zulasten der Milchbetriebe genauso wie der Steuerzahler.
({3})
Zweitens, das Thema Exportförderung. Wunderbar,
sie wäre - das hat der Kollege Bonde ja geschildert fast noch zulasten der paar Forschungsmittel für den
Ökolandbau gegangen. Auf Vieh- und Fleischtagen wird
der Entwicklung der Exportraten gehuldigt. Zugleich
bringen es die Referenten des Bauernverbandes fertig,
kein einziges Wort zur Einkommenssituation zu sagen,
die sich gleichzeitig verschlechtert. Sie betreiben eine
aggressive Exportpolitik. Zu Recht sagen andere europäische Länder wie auch Drittstaaten, dass das zu ihren
Lasten geht.
({4})
Das verharmlost Herr Schäuble mit dem Fußballbeispiel.
Ich finde, eine solche Politik ist international nicht tragbar.
({5})
Drittens, die Agrogentechnik. 9,5 Millionen Euro
mindestens sind dafür im Haushalt veranschlagt. Das ist
deutlich mehr, als für den Ökolandbau vorgesehen ist,
und das, obwohl dieser Bereich durch die Verunreinigungen einen ungeheuren wirtschaftlichen Schaden anrichtet, der in die Milliarden geht, obwohl er von den
Verbrauchern und vom Markt nicht gewollt ist, obwohl
er keine Erfolge auf der technischen Ebene zeigt. Mit der
Amflora-Kartoffel wurde ein Kniefall vor der BASF gemacht, und es ist ein veraltetes Produkt; das sagt sogar
Sonnleitner. Dafür geben Sie Geld aus.
Viertens, zum Bereich Ernährung. Die Ministerin
sagt, die Verpflegung an Kitas und Schulen solle deutlich verbessert werden. Aber: Es gibt unwürdige Verschiebebahnhöfe zwischen Bund und Ländern zulasten
der Länder, zum Beispiel bei Schulobst. Wir Grüne fordern ein Bund-Länder-Programm. Sie haben die Verantwortung angesichts der 100 Milliarden Euro Kosten für
ernährungsbedingte Krankheiten, aber auch angesichts
der Situation von Kindern und Jugendlichen, die schon
im Vorschulalter an Diabetes und Herzkrankheiten erkranken. Ich finde es fahrlässig, das lächerlich zu machen, indem Sie einfach sagen, die Kinder sollten sich
ein bisschen mehr bewegen, Herr Schirmbeck. Es ist die
Verantwortung der Politik, eine vernünftige, flächendeckende Kindergarten- und Schulernährung zu entwickeln und zu garantieren.
({6})
Fünftens, zur Verbraucherpolitik. Es gab Ankündigungen zu verschiedenen Punkten: ESL-Milch-Kennzeichnung, „Ohne Gentechnik“-Programme, Google Street
View, Süßigkeiten an der Kasse. Dann haben Sie, Frau
Ministerin, von den schönen Beipackzetteln der Banken
gesprochen. Wir konnten ja am Weltverbrauchertag erleben, wie diese vom Verbraucherzentrale Bundesverband
in den Schredder gepackt wurden, und zwar völlig zu
Recht. Wir brauchen keine „Wächterin“, als die Sie sich
in den Zeitungen bezeichnet haben - Sie sind auch leider
keine Marktwächterin, sondern Ihre Politik ist eine Politik
der Nachtwächter -,
({7})
sondern wir brauchen eine Politik, die sich an den neuen
Herausforderungen orientiert: Klimaschutz, umweltund tiergerechte Erzeugung, eine gute Ernährung für die
Bevölkerung, Ernährungssicherheit, besonders für die
Kinder und Jugendlichen, ein vernünftiges Einkommen
auch auf dem Land, eine gute Energie- und Klimapolitik
und eine moderne Verbraucherpolitik. Dafür stehen wir
Grüne, und dafür werden wir auch weiter kämpfen.
Danke schön.
({8})
Ich erteile das Wort dem Kollegen Peter Bleser für die
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Es wurde hier ja in sehr vielen Details herumgewühlt,
({0})
allerdings eher unkoordiniert in Richtung Verwirrung als
koordiniert in Richtung höhere Transparenz.
Ich will noch einmal unsere Linie aufzeigen,
({1})
damit Sie wissen, wohin wir wollen und mit welchen Instrumenten wir unsere Ziele verfolgen.
({2})
Wir haben schon in den Koalitionsverhandlungen zwei
wichtige Grundsätze festgelegt: Erstens soll unsere Politik auf eine wettbewerbsorientierte Landwirtschaft
ausgerichtet sein, und zweitens sollen neue, innovative
Technologien auf wissenschaftlicher Basis bewertet werden.
({3})
Nur mit diesen Grundsätzen wird man das Verständnis
der Bevölkerung erreichen und die Grundlage für Hilfen
für zusätzliche Leistungen im Umweltschutz, im Tierschutz und beim Erhalt der Kulturlandschaft schaffen
können.
Diese Linie fahren wir im Grunde genommen schon
seit dem Regierungswechsel 2005 konsequent. Wir haben damals mit dem Ende der rot-grünen Politik die Hebel umgelegt, eine neue Richtung eingeschlagen und
entlang der genannten Linie Politik gemacht.
Wenn heute hier die minimalen Verpflichtungsermächtigungen und die damit verbundenen Einschränkungen im Agrarhaushalt kritisiert werden, dann muss
man noch einmal daran erinnern, woher wir kommen.
Unter Frau Künast gab es ständig Steinbrüche im Agrarhaushalt, von der Agrardieselvergütung bis hin zur Reduzierung der Mittel für die GAK.
Wir gehen den umgekehrten Weg. Wir haben in den
letzten Jahren die investiven Mittel erhöht.
({4})
Wir haben die Wettbewerbsfähigkeit gestärkt. Das
Milchprogramm, das vorhin genannt worden ist, dient
ebenfalls dazu, uns im Wettbewerb zu halten. Es gibt
dazu eine einfache Zahl: Trotz der schweren Krise in der
deutschen Milchwirtschaft und trotz miserabler Preise
haben die deutschen Milcherzeuger ihre Produktion um
2,8 Prozent gesteigert.
({5})
Die Franzosen, die sich im Wettbewerb nicht so gut aufgestellt haben, haben eine Reduktion der Produktion um
4,1 Prozent zu verzeichnen.
({6})
Wenn jetzt jemand behauptet, man hätte damit der
Milchmengensteuerung das Wort geredet, dann muss ich
sagen: Das ist nicht der Fall. Unter den Bedingungen, die
ich genannt habe - auch andere Länder haben zugelegt -,
haben wir in der Europäischen Union im letzten Jahr eine
Reduzierung der Milcherzeugung zu registrieren gehabt.
Das heißt, wir sind im Wettbewerb besser geworden. Unser Ziel ist, Marktanteile zu halten, damit wir die Beschäftigung in Deutschland auch in Zukunft sicherstellen können.
({7})
Deswegen ist es richtig, dieses Hilfsprogramm aufzulegen.
Frau Tackmann hat hier einen einzigen richtigen Satz
gesagt.
({8})
Sie hat nämlich festgestellt, dass die Einkommen der
Milcherzeuger drastisch zurückgegangen sind. Das
Hilfsprogramm hilft den Bäuerinnen und Bauern, die in
diesem Bereich im letzten Jahr mit 19 000 Euro Gewinn
pro Arbeitskraft zurechtkommen mussten. Das ist nicht
nur eine soziale Hilfe, sondern auch vor allen Dingen
eine Hilfe, um das wirtschaftliche Tal zu überwinden.
Damit stellen wir Beschäftigung weit über den Bereich
der Milcherzeugung hinaus sicher. Das ist unser Ziel.
({9})
Obwohl ich Sie, Frau Tackmann, persönlich schätze,
muss ich Ihnen vorwerfen, dass Sie eine Politik machen,
in die ich mich nicht hineindenken kann.
({10})
Sie haben sich hier als Anwalt der bäuerlichen Landwirtschaft und der kleinen Betriebe dargestellt. Wenn ich als
Mitglied einer Nachfolgepartei der SED hier sitzen
würde, würde ich mich wegen der Enteignung und der
Zwangskollektivierung in den 50er- und 60er-Jahren
im Nachhinein schämen.
({11})
Ich freue mich deshalb, dass der Bauernbund jetzt ein
Denkmal für die Geschändeten in diesem Bereich errichtet hat, damit die Öffentlichkeit und die Nachwelt darauf
aufmerksam gemacht werden, welches Leid dort zugefügt worden ist.
({12})
Frau Ministerin Aigner hat zu Recht darauf hingewiesen, dass die Mittel des Hilfsprogramms in wenigen Tagen ausgeschöpft waren. Auch das ist ein Zeichen, dass
die Menschen in diesem Bereich an die Zukunft glauben.
Sie investieren, aber sie verkonsumieren das Geld nicht.
Das ist für mich ein gutes Zeichen der Hoffnung.
Es wurde kritisiert, dass wir über Verpflichtungsermächtigungen aus dem Ökolandbaubereich versucht
haben, die Aufgaben der Exportförderung zu finanzieren. Diese Kritik war zwar unberechtigt. Trotzdem haben wir diese Regelung fallen gelassen. Es sollte von
Anfang an kein einziger Euro aus diesem Bereich wegfallen. Die nicht ausgeschöpften Mittel hatten uns zunächst dazu veranlasst, diese Form der Gegenfinanzierung zu wählen.
({13})
Wir lassen es nun, damit hier nicht ein falscher Eindruck
entsteht. Mir ist wichtig, dass wir zwischen ökologischer
und moderner Landwirtschaft unterscheiden.
({14})
Wir behandeln beide Strategien gleich.
Die nächsten Monate werden entscheidend dafür sein,
wie die Agrarpolitik der Europäischen Union nach
2013 aussehen wird. Deswegen sind wir als Union sehr
darauf bedacht, die ernährungspolitischen Ziele, die wir
für die deutsche Landwirtschaft für das Jahr 2020 anstreben, sehr früh zu definieren. Wir haben in der Union
schon präzise Festlegungen getroffen. Wir wollen eine
Sicherstellung der Ernährung der europäischen Bevölkerung. Wir wollen, dass die Einkommen der Bauern adäquat bleiben. Wir wollen, dass die multifunktionale
Landwirtschaft und die flächendeckende Landwirtschaft
mit ihren Tierschutz- und Umweltzielen erhalten bleiben.
Wenn wir diese Ziele gesellschaftlich verankern können, dann bin ich sehr sicher, dass wir es verhindern
können, dass der Agrarhaushalt der Europäischen Union
als Steinbruch für andere Politikfelder genutzt wird, was
einige vorhaben. Lassen Sie uns gemeinsam diese öffentliche Diskussion führen. Jetzt haben wir noch Einfluss, bevor die ersten Festlegungen in dieser Richtung
vorgenommen werden.
Ich muss - ich tue das auch sehr gerne - noch etwas
zum Verbraucherschutz sagen.
({15})
Wir, die Union, machen Verbraucherpolitik aus der Sicht
des Betroffenen heraus.
({16})
Das greift in viele Politikfelder ein und führt dazu
- das kennen wir noch aus der vorherigen Koalition,
Frau Drobinski-Weiß -, dass die Kompetenzen in verschiedenen Häusern angesiedelt sind. Ich bin deshalb
froh, dass der Finanzminister jetzt nicht ohne Unterstützung unserer Ministerin Aigner im Finanzmarktbereich
aktiv wird und einen Gesetzentwurf für mehr Anlegerschutz und zu anderen Fragen im Finanzbereich vorlegen wird.
Dass wir den Grauen Kapitalmarkt transparent machen müssen, ist unstrittig. Dass wir Anlegerprotokolle
brauchen, ist unstrittig.
({17})
Ich rufe, weil wir eine Vertrauenskrise in der Finanzwelt
haben, die Branche auf,
({18})
wie bei den Beratungsprotokollen mit uns vor gesetzlichen Maßnahmen aktiv zu werden; dann braucht das
nicht geregelt zu werden.
({19})
Aber wenn es nicht geschieht, dann werden wir handeln.
Ich stelle deshalb die klare Forderung auf:
Herr Kollege.
Wir wollen bei Geldautomaten die gleiche Transparenz wie bei Tankstellen. Man muss vorher wissen, was
es kostet, nicht nachher.
({0})
Ich will ein Letztes dazu sagen. Wir sind uns alle einig, und ich habe nicht das Bedürfnis, hier über verschiedene Verfahrensweisen zu streiten.
Das geht auch gar nicht, Herr Bleser, weil Sie weit
über die vorgesehene Redezeit hinausgegangen sind.
Herr Präsident, das schützt meinen Kollegen Goldmann
vor einer Bewertung seiner Aussage.
Sehen Sie, die Fürsorge des Präsidenten reicht präventiv auch in diese Richtung.
Das nehme ich gerne als Hilfe in Anspruch. Ich will
zum Schluss nur zur Kenntnis bringen, dass die Menschen sich in der Verbraucherschutz- und Agrarpolitik
auf die Union verlassen können.
({0})
Dann wird auch da der Frühling sehr bald wiederkommen.
Vielen Dank.
({1})
Die Kollegin Waltraud Wolff hat nun das Wort für die
SPD-Fraktion.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Das staatstragende Mäntelchen, das Herr
Bleser sich gerade umgehängt hat,
({0})
bedeutet nicht, dass die Politik, die mit diesem Haushalt
gemacht wird, eine solide ist. Das werden wir ganz
schnell aufzeigen. Das, was mein Kollege Rolf Schwanitz
am Anfang zu „Klientel- statt Strukturpolitik“, zu „Einsparungen an der falschen Stelle“ und zu „Kein Konzept
bei der Verbraucherpolitik“ gesagt hat, zieht sich, ohne
dass wir uns abgesprochen haben, auch durch meine Rede
und durch die gesamte heutige Debatte.
Frau Aigner, Sie kommen bei der Verbraucherpolitik
einfach nicht weiter. Bei der Agrarpolitik haben Sie sogar den Rückwärtsgang eingelegt. Sie haben nur an einer
Stelle richtig Geschwindigkeit aufgenommen: Eine solche Geschwindigkeit wie die, mit der Ihre Finanzpolitik
hinfällig geworden ist, habe ich in elf Jahren Bundestag
noch nicht erlebt. Sie haben uns bei der ersten Lesung
des Haushaltes so viele Wohltaten versprochen.
({1})
- Dazu komme ich noch, Herr Schirmbeck. - Aber was
ist bei der zweiten und dritten Lesung? - Sie legen uns
die Streichliste vor.
({2})
Wir haben bereits bei der ersten Lesung deutlich gemacht, dass Sie ein 750 Millionen Euro teures Strohfeuer abbrennen. Davon geht weder für die Landwirtschaft noch für die ländlichen Räume ein wirklich
nachhaltiger Effekt aus. Wir haben Ihnen damals schon
gesagt, dass, erstens, man so etwas nicht auf Pump machen kann - Sie machen das auf Pump - und, zweitens,
das vorrangig in Bayern - ich korrigiere: nicht im Südwesten der Republik - ankommt.
({3})
- Herr Schirmbeck, Sie haben selbst angekündigt, dass
wir ab 2011 ganz genau hinschauen müssen, was wichtig
ist.
({4})
Ab dann werden nach Ihrer Aussage die Einsparungen
kommen. Das, was Sie jetzt auf Pump ausgeben, werden
Sie ab 2011 einsparen müssen. Ich hätte nicht gedacht,
dass uns schon in den Haushaltsberatungen deutlich gemacht werden würde, wie recht wir als SPD in der ersten
Lesung hatten.
({5})
Das Ökolandprogramm sollte um 3,3 Millionen Euro
gekürzt werden. Es bringt überhaupt nichts, wenn Sie,
Herr Bleser, jetzt sagen, das sei alles nicht so gemeint
gewesen. Schön, dass Ihnen das nicht geglückt ist.
({6})
Allerdings konnten wir nicht verhindern - das ist
schon mehrfach angesprochen worden -, dass es bei der
GAK Kürzungen in Höhe von 25 Millionen Euro gab.
Waltraud Wolff ({7})
({8})
Sie als Regierungskoalition setzen den Rotstift genau
dort an, wo Nachhaltigkeit und Zukunftsfähigkeit der
Landwirtschaft und der ländlichen Räume gefördert
werden. Das ist wirklich grandios.
({9})
Herr Goldmann hat vorhin gesagt, dass 750 Millionen
Euro besonders für die landwirtschaftliche Unfallversicherung und für die Milchviehbetriebe vorgesehen
sind. Ich komme aus dem Osten der Republik. Was
kommt davon bei der landwirtschaftlichen Unfallversicherung und bei den Milchbetrieben an? Gar nichts! Ich
kündige hier und heute an, dass ich im Namen der SPD
eine Aufstellung darüber verlange, wie die 750 Millionen Euro auf die Bundesländer aufgeteilt werden. Es
wird sicherlich sehr interessant, sich das einmal anzuschauen.
Liebe Frau Aigner, das Chaos, das Sie und Ihre Kabinettskollegen seit Beginn dieser Regierungskoalition
veranstaltet haben, zeigt sich auch in Ihrem Haushalt.
Sie wollen Verbraucherinnen und Verbraucher durch den
Beipackzettel - sprich: das Produktinformationsblatt stärken. Das ist völlig daneben. Wenn ich dem Bankenwesen bei der Formulierung freie Hand lasse, dann
werde ich am Ende feststellen, dass kein Mensch die Informationen verstehen wird. Ich glaube, ohne Kriterien
und gesetzliche Vorschriften werden sie völlig unverständlich geschrieben sein. Was ist mit der Selbstbestimmung der Verbraucherinnen und Verbraucher?
Ich glaube, dass gesetzliche Regelungen nötig sind, aber
es passiert nichts.
({10})
Es gelingt Ihnen nicht, die Verbraucherverbände zu
stärken. Sie treten deren Wünsche nach gentechnikfreien
Lebensmitteln und der Nährwertampel mit Füßen, und
Sie reißen - das ist schon angesprochen worden - mit
dem Stiftungskapital für die Stiftung Warentest eine riesige Finanzlücke in der Zukunft auf. Man kann wirklich
nicht behaupten, dass Sie die höchste Verbraucherschützerin sind. Frau Aigner, gut gemeint ist nicht gut gemacht, angekündigt ist noch lange nicht durchgesetzt.
Ich möchte auf die 750 Millionen Euro zu sprechen
kommen, die die Regierung zur kurzfristigen Beruhigung der Milchbauern in Bayern und auch zum Teil in
Baden-Württemberg verteilt hat. Das macht deutlich
- das kreide ich der schwarz-gelben Regierung ernsthaft
an -: Sie verkaufen für Ihre Klientelpolitik die Zukunftschancen der ländlichen Räume. Ihr Wachstumsbeschleunigungsgesetz ist ein Schuldenbeschleunigungsgesetz
gewesen, das besonders die Länder und Kommunen
trifft.
({11})
Darüber hinaus sind Sie dabei, mit der Kürzung der
Einspeisevergütung für die Solarenergie eine Zukunftstechnologie und ein wichtiges wirtschaftliches Standbein
aus den neuen Bundesländern zu vertreiben. Das hat verheerende Folgen für die Entwicklung der ländlichen
Räume, besonders im Osten der Republik.
Sie setzen noch eins drauf. Herr Schwanitz hat es gesagt: Die Landwirtschaftsminister der Länder haben
deutlich belegt, dass eine Aufstockung bei der Verpflichtungsermächtigung in der Gemeinschaftsaufgabe
nötig ist, weil andernfalls die Bindung der zusätzlichen
EU-Mittel für die Umsetzung der Gesundheitsprüfung
nicht möglich ist.
Frau Kollegin Wolff.
Ich weiß, ich bin knapp über der Zeit, aber Herr
Bleser eben war weit drüber. Ich möchte noch einen Satz
sagen.
({0})
- Eine Frage? Ja, gerne. Eine Zwischenfrage bedeutet,
dass ich noch länger sprechen kann. Wo kommt die her?
Kollege Schirmbeck möchte gerne Ihre Redezeit verlängern.
Danke.
Frau Kollegin Wolff, das von der CDU erfundene
EEG soll von uns fortgeschrieben werden.
({0})
- Die Urfassung des EEG, das Stromeinspeisungsgesetz,
ist von Minister Töpfer. Das ist so. Das müssen Sie einmal nachlesen. Das wissen Sie vielleicht nicht, aber es
ist die Wahrheit.
({1})
Sie müssen das richtig in Ihr Schwarzbuch hineinschreiben.
Frau Kollegin, ich möchte Sie fragen, ob Sie es für
richtig erachten, dass, wenn der vergleichsweise wohlhabende Georg Schirmbeck eine Fotovoltaikanlage baut
und für sein Kapital eine Verzinsung von fast 10 Prozent
bekommt, das dazu führt, dass sein Nachbar, ein kleiner
Stromkunde, diesen ordentlichen Gewinn des Investors
Schirmbeck bezahlen muss. Oder halten Sie es nicht für
richtig, dass man sich Gedanken darüber macht, wie man
diese Verzinsung an die üblichen Marktzinsen anpasst?
Sehr geehrter Herr Schirmbeck, wir haben - ich kann
mich sehr gut daran erinnern - das EEG unter Rot-Grün
Waltraud Wolff ({0})
beschlossen. Ich war dabei und bin sehr stolz, dass wir
das beschlossen haben.
({1})
Wenn ich in Ihre Reihen schaue, stelle ich fest, dass da
Kollegen dabei sind, die mitgestimmt haben.
({2})
Ich glaube, Sie haben dagegen gestimmt. Ich erinnere
mich nicht mehr ganz genau daran, aber das ist ja auch
egal.
({3})
Wir sind dabei, gerade im Bereich Fotovoltaik eine
Branche aufzubauen. Ich will einmal den Vergleich zur
Atomenergie bringen: Herr Schirmbeck, 40 Jahre lang
hat diese Energiebranche Unterstützung und Förderung
bekommen.
({4})
Ich habe die genaue Summe nicht im Kopf. Das waren
40 Jahre, in denen die Branche nicht gesagt hat: Wisst
ihr, wir sehen ein, dass da ein Aufwuchs ist; wir könnten
uns mit einer Schmälerung einverstanden erklären. Niemals ist das gekommen. Aber die ErneuerbareEnergien-Branche, darunter die Fotovoltaik- und die
Solarenergiebranche, hat das, was ab Januar 2010 an Degression schon geplant war, sogar mitgetragen.
({5})
Das, was Sie hier machen, ist ein Einschenken in einer Art und Weise, dass die Branche kaputtgeht.
({6})
Q-Cells hat seinen Sitz in Sachsen-Anhalt. 400 Arbeitsplätze sind dort schon abgebaut worden. Ein Vorstandsvorsitzender hat in der letzten Woche seinen Hut genommen.
({7})
Ich glaube, wir sollten bei dieser Branche einen
Schwerpunkt setzen, da sie uns weg von Atomenergie
und fossilen Energieträgern hin zu dezentralen Lösungen
führt, und nicht schon jetzt Kürzungen vornehmen, obwohl die Branche noch nicht einmal richtig etabliert ist. Schönen Dank, Herr Schirmbeck.
({8})
Ich sehe, dass Frau Aigner mit diesem Haushalt mit
Vollgas gegen die Wand läuft, dass sich aber die Menschen in den ländlichen Räumen - leider - die blutige
Nase holen. Das ist etwas, was wir nicht mittragen können. Die Regierungskoalition weigert sich, die nachhaltige Landwirtschaft zu fördern. Sie weigert sich, Verbraucher- und Kundenwünsche ernst zu nehmen. Sie
weigert sich, echte Anwältin der Verbraucherinnen und
Verbraucher zu sein. Sie setzt auf Ankündigungsrhetorik. Die Menschen erwarten aber Taten. Ihre Politik ist
rückwärtsgewandt. Das zeigt dieser Haushalt. Deshalb
können wir als SPD dem nicht zustimmen.
Vielen Dank.
({9})
Nächster Redner ist der Kollege Dr. Erik Schweickert
für die FDP-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich muss am Anfang
auf zwei Dinge eingehen. Liebe Kollegin Wolff, eine
Streichliste gibt es nur dann, wenn man etwas von der
Liste streicht, das man vorher draufgesetzt hat. Unsere
Politik ist geprägt von „Versprochen - gehalten!“.
({0})
Wir haben nichts heruntergenommen.
Frau Wolff, nehmen Sie einfach einmal ein paar Fakten zur Kenntnis: Die Mittel der GAK wurden nicht
ausgeschöpft, nicht einmal von Schleswig-Holstein.
Brandenburg hat im letzten Jahr 20 Millionen Euro gar
nicht abgerufen. Machen Sie einen besseren Vorschlag.
Dann können wir darüber reden. Statt mit Schwarzbüchern zu arbeiten - nach 130 Tagen -, würde es Ihnen
besser zu Gesicht stehen, wirkliche Vorschläge zu unterbreiten, wie wir als FDP es in der Opposition mit unserem Liberalen Sparbuch gemacht haben.
({1})
- Wir kommen noch dazu, Herr Bonde. Wir haben ein
paar Sachen umgesetzt.
Werfen wir einen Blick auf die Ausschussanhörung.
Wir schauen uns die Themen an. Dann führen wir zusätzlich Fachgespräche, daraus gewinnen wir Erkenntnisse. Herr Kelber, Sie haben das vorhin angesprochen.
Was kam dabei heraus? Es kam heraus: Fremdgehen war
schon immer teuer. Deswegen müssen wir schauen, dass
wir die Interbankenentgelte gestalten.
({2})
- Nein, das ist kein Angriff auf Sie. Ich weiß nicht, ob
Sie da aus Erfahrung sprechen. Ich weiß nur, dass man,
wenn man an fremden Bankautomaten Geld abhebt, etwas dafür bezahlen muss. Es ist wichtig, dass der Wettbewerb gestärkt wird. Wettbewerb ist ein wichtiger
Punkt der liberalen Verbraucherpolitik. Das ist effiziente
Verbraucherpolitik.
({3})
Sie sehen das beispielsweise bei Mobilfunktarifen und
Flugpreisen. Wo wir Wettbewerb haben, geht es dem
Verbraucher gut. Deswegen werden wir uns als christlich-soziale und liberale Koalition in diesem Bereich dafür einsetzen, dass Wettbewerb wieder stattfindet.
({4})
- Das vergessen wir nicht.
Herr Kelber, Sie haben vorhin ein paar Unterlagen
vom Bankenverband hochgehalten.
({5})
Es gibt aber auch gute Beispiele. Deswegen ist der Weg,
den die Ministerin geht, richtig. Ich habe hier ein paar
Informationsblätter von der Sparkasse. Sogar Sie werden
beim Durchlesen alles verstehen. Es gibt noch ein paar
Verbesserungswünsche; die haben auch wir. Aber wir
sind weiter, als wir jemals gekommen wären, wenn wir
das alles durch ein Gesetz geregelt hätten.
Nehmen Sie also bitte zur Kenntnis - das geht an Frau
Lay -: Bei Verbraucherpolitik geht es nicht darum, Almosen zu verteilen. In Ihrem Antrag vom 15. März
schreiben Sie:
Dabei ist insbesondere das Angebot für einkommensschwache Haushalte zu stärken.
Wenn Sie Verbraucherpolitik als Sozialpolitik ansehen, haben Sie uns nicht auf Ihrer Seite; denn das gehört
nicht hierher.
({6})
Bei Verbraucherpolitik geht es darum, die Verbraucherrechte zu stärken und Wettbewerb endlich wieder stattfinden zu lassen.
({7})
An diesem Punkt brauchen wir keine Schaufensterpolitik
der Opposition, sondern müssen in der Verbraucherpolitik tatsächlich vorangehen.
({8})
Da ist die christlich-liberale Koalition Vorreiter. Wir
schaffen mehr als Sie in elf Jahren Regierungsbeteiligung.
Herzlichen Dank.
({9})
Letzter Redner zu diesem Einzelplan ist der Kollege
Franz-Josef Holzenkamp für die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Wie viel ist uns unsere moderne und leistungsstarke
Landwirtschaft eigentlich wert? Diese Frage wird im
diesjährigen Haushalt, über den wir hier debattieren, beantwortet. Dieser Haushalt zeigt insbesondere die große
Wertschätzung dieser Koalition gegenüber der Landwirtschaft, gegenüber dem ländlichen Raum und gegenüber
der Ernährungswirtschaft. Ich habe bei dieser Debatte
den Eindruck, dass das leider nicht bei allen so ist. Deshalb will ich feststellen: Die Land- und Ernährungswirtschaft im ländlichen Raum ist der stabilisierende Faktor
des ländlichen Raumes in der Krise. Wir sehen das beispielsweise an den Exportzahlen. Die Land- und Ernährungswirtschaft ist in ihrer Vielfalt, mit ihrer Tradition,
vor allem aber auch mit ihren Innovationen die tragende
Säule im ländlichen Raum.
({0})
Die Land- und Ernährungswirtschaft steht in der
Krise vergleichsweise etwas besser da als andere Wirtschaftsbereiche; das wissen wir. Aber wir kennen auch
Bereiche - sie sind schon angesprochen worden -, in denen es erhebliche Probleme gibt, beispielsweise bei der
Milch. Wir wissen, dass wir über 100 000 betroffene
Milchviehbetriebe in Deutschland haben, die im letzten
Wirtschaftsjahr katastrophale Ergebnisse erzielten, insbesondere aufgrund von krisenbedingten Absatzproblemen, zum Beispiel in Osteuropa.
Wesentliche tragende Strukturen im ländlichen Raum
stehen und standen auf dem Spiel. Deshalb ist das Sonderprogramm richtig. Herr Schwanitz, wenn Sie von
Klientelpolitik sprechen, muss ich fragen: Sind Landwirte schlechter als Banken oder sonstige Arbeitnehmer?
({1})
In dieser schweren Krise haben wir in der Großen Koalition die Finanzmärkte stabilisiert. Wir haben vor wenigen Wochen den Schutzschirm für die Arbeitnehmer
gespannt. Wir haben auch das Sonderprogramm Landwirtschaft aufgelegt. Das alles, insbesondere das Letzte,
ist wichtig für den ländlichen Raum.
({2})
Frau Wolff, nur ein Satz zur Fotovoltaik: Wir fördern
sinnvoll, statt die Allgemeinheit abzuzocken, um das
einmal klarzustellen.
({3})
Mir ist bei diesem Sonderprogramm wichtig, dass wir
nicht nur Milchbauern sehen - auch da unterliegen Sie
einem Irrtum, Herr Schwanitz; das wissen Sie als Haushälter eigentlich -, sondern wir stabilisieren auch die
agrarsoziale Sicherung durch die Erhöhung der entspreFranz-Josef Holzenkamp
chenden Mittel. Unsere Ministerin ist schon auf das
Liquiditätsprogramm eingegangen. Hier hat man ein
Programm schnell umgesetzt. Hier ist man effizient, unbürokratisch und wirkungsvoll vorgegangen. Herzlichen
Dank an die Bundesregierung, insbesondere an unsere
Ministerin, Ilse Aigner. Danke schön!
({4})
Ein Satz zum Verbraucherschutz. Die Verbesserung
des Anlegerschutzes ist immer wieder angesprochen
worden. Hier haben wir schnell reagiert; das ist gerade
schon deutlich gemacht worden. Eines wissen wir alle:
Es handelt sich beim Verbraucherschutz um einen Prozess, der ständig Anpassungen notwendig macht; das
weiß jeder normal denkende Mensch. Entscheidend ist,
dass diese Bundesregierung nicht redet, sondern anpackt. Das machen wir sehr erfolgreich.
({5})
Jetzt noch ein Satz zur Ampelkennzeichnung - davon, dass Sie Ihre Auffassung gebetsmühlenartig wiederholen, wird es wirklich nicht besser -: Sie wollen einen unmündigen Verbraucher produzieren.
({6})
Sie verbreiten in der Öffentlichkeit Falschinformationen,
meine Damen und Herren von der Opposition.
({7})
Was haben Sie eigentlich für ein Gesellschaftsbild?
({8})
Ich will Ihnen deutlich sagen: Man muss das tun, worauf
es ankommt, und nicht das, was in der Öffentlichkeit
kurzfristig vermeintlich gut ankommt. Deshalb sind wir
Regierung und Sie Opposition.
({9})
Ich möchte noch etwas zur Zukunft sagen, und zwar
zur GAP-Reform 2013. Herr Kelber, Sie haben vorhin
von Untätigkeit gesprochen
({10})
und gesagt, wir würden uns zu wenig kümmern. Ich will
Ihnen ein Beispiel nennen.
({11})
Der neue EU-Agrarkommissar Cioloş
({12})
hat uns hier in Berlin besucht. Wir haben für unser Treffen etwa anderthalb Stunden Zeit gehabt.
({13})
Ich frage mich: Wo war eigentlich das Interesse der
SPD?
({14})
Ich bin sehr froh, dass der Sprecher der SPD, Wilhelm
Priesmeier, dabei war. Er war der einzige Agrarpolitiker
der SPD, der anwesend war. Wenn Sie hier schon Sonntagsreden halten, sollten Sie auch einmal Interesse an der
tatsächlichen Arbeit zeigen. So, meine Damen und Herren, geht es jedenfalls nicht.
({15})
Als letzten Punkt will ich den Export ansprechen.
Wir wissen, dass es auf der nördlichen Welthalbkugel
mehr Nutzfläche als auf der südlichen Welthalbkugel
gibt. Wir wissen gleichzeitig, dass im südlichen Teil der
Welt mehr Menschen leben als im nördlichen Teil der
Welt. Es ist ganz einfach: Das bedingt Export.
({16})
Wir wissen auch, dass wir mittlerweile in fast allen Produktionsbereichen zu Nettoexporteuren geworden sind.
Wir sind erfolgreich. Diesen Erfolg haben wir, insbesondere in den letzten Jahren, unserem Staatssekretär Gerd
Müller zu verdanken,
({17})
der sich hier in ganz besonderer Weise engagiert hat. An
dieser Stelle sage ich der Bundesregierung aus tiefster
Überzeugung ein ganz herzliches Dankeschön.
Meine Damen und Herren, wir sind für die Zukunft
gut aufgestellt. Wir packen die Zukunftsthemen an. Wir
entwickeln die erneuerbaren Energien weiter. Wir verstehen beispielsweise auch das Problem der Nutzungskonflikte. Wir wissen, dass wir bei der Biomassenutzung
eine Kaskadennutzung - erst der Magen, dann die energetische Nutzung - auf den Weg bringen müssen. Hier
sind wir gut aufgestellt. Wir wissen, dass sich die globale Nachfrage nach Nahrungsmitteln in den nächsten
Jahrzehnten verdoppeln wird.
({18})
Wir haben allerdings mit der Marktvolatilität zu kämpfen. In diesem Zusammenhang will ich noch das Stichwort Risikoausgleichszulage nennen, für die wir Agrarpolitiker uns einsetzen.
Meine Damen und Herren, es gibt Zukunftsthemen
ohne Ende. Bei diesen Themen sind wir sehr aktiv und
produktiv. Es handelt sich um eine Wachstumsbranche
und eine Zukunftsbranche. Dafür lohnt es sich zu arbeiten.
Herzlichen Dank.
({19})
Ich schließe die Aussprache.
Präsident Dr. Norbert Lammert
Wir kommen zur Abstimmung über den Einzelplan 10, Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz, in der Ausschussfassung.
Hierzu liegen zwei Änderungsanträge der Fraktion
Die Linke vor, über die wir zuerst abstimmen.
Wir kommen zunächst zum Änderungsantrag auf
Drucksache 17/1031. Wer stimmt gegen diesen Änderungsantrag? - Wer stimmt dafür? - Wer enthält sich? Damit ist der Änderungsantrag mit der Mehrheit des
Hauses abgelehnt.
({0})
- Einigen wir uns auf hinreichend eindeutig.
({1})
Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksache 17/1032? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält
sich der Stimme? - Auch das war übersichtlich. Der Änderungsantrag ist abgelehnt.
Wir stimmen jetzt über den Einzelplan in der Ausschussfassung ab. Wer stimmt gegen diese festgestellte
Fassung? - Wer enthält sich? - Wer stimmt dafür? - Damit ist der Einzelplan 10 angenommen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wegen der um
12 Uhr hier im Plenarsaal stattfindenden Feierstunde
zum 20. Jahrestag der freien Wahl zur Volkskammer der
DDR unterbreche ich die Sitzung bis 13.30 Uhr. Falls
Sie vertrauliche Unterlagen oder private Dokumente auf
Ihren Plätzen liegen haben, sollten Sie die besser mitnehmen, weil wir den Saal jetzt für die Feierstunde herrichten wollen.
Die Sitzung ist unterbrochen.
({2})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die unterbrochene
Sitzung ist wieder eröffnet.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt I.14 auf:
Einzelplan 06
Bundesministerium des Innern
- Drucksachen 17/606, 17/623 Berichterstattung:
Abgeordnete Jürgen Herrmann
Dr. Peter Danckert
Steffen Bockhahn
Es liegen zwei Änderungsanträge der Fraktion Die
Linke vor. Außerdem hat die Fraktion Die Linke einen
Entschließungsantrag eingebracht, über den wir morgen
nach der Schlussabstimmung abstimmen werden.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache eineinhalb Stunden vorgesehen. - Ich
sehe, damit sind Sie einverstanden. Dann können wir so
verfahren.
Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner dem Kollegen Danckert von der SPD-Fraktion das
Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren Kollegen! Sehr geehrter Herr Minister! Dieser Einzelplan 06,
der Haushalt des Innenministeriums, ist sicherlich nicht
der größte Haushalt, aber nach meiner Einschätzung einer der wichtigsten Haushalte, weil ein großer Teil des
Haushaltes für Sicherheitsaufgaben, für die wir zuständig sind bzw. für die der Minister und sein Ministerium
zuständig sind, etatisiert ist.
Wir haben die Entwicklung aufmerksam verfolgt. Der
erste Regierungsentwurf war noch ein gemeinsam mit
uns erstellter, der Regierungsentwurf vom 16. Dezember
dann ein Entwurf der neuen Koalition. Ich sage es ganz
freimütig: Ich war sehr erfreut darüber, dass es einen
Aufwuchs um 75 Millionen Euro gab, darunter 44 Millionen Euro für das Gebiet Migration - dazu wird die
Kollegin Fograscher noch detaillierter ausführen; das ist
sicherlich eine richtige Maßnahme, die wir billigen -,
20 Millionen Euro für die Luftsicherheit - das ist gewissermaßen ein durchlaufender Posten; hierdurch entsteht
zwar der Eindruck, dass mehr ausgegeben wird, aber da
diese Einnahmen von den Fluggästen kommen, stellt
dieser Betrag keinen wirklichen Aufwuchs für den Haushalt dar - und 7 Millionen Euro für den von der Regierung verstärkten Einsatz in Afghanistan. Wenn man nun
nach den Haushaltsberatungen einschließlich der Bereinigungssitzung einen Schlussstrich zieht, dann sieht man
aber, dass nicht 75 Millionen Euro mehr, sondern
100 Millionen Euro weniger für den Haushalt veranschlagt sind.
Das ist natürlich ein bedauerliches Zeichen, vor allen
Dingen, weil es um Fragen der Sicherheit geht, aber
auch - das ist mir aufgefallen und auch aufgestoßen -,
weil offensichtlich der Minister selber von der Situation
überrascht wurde, als dies in der Nacht von der Koalition
beschlossen worden ist. Es muss ihn schwer treffen,
wenn seine eigene Koalition, die ihn trägt, ohne Abstimmung mit ihm und ohne Abstimmung - das scheint mir
in dieser Situation noch wichtiger zu sein - mit den betroffenen Bundesbehörden, zum Beispiel der Bundespolizei und dem Bundeskriminalamt, so etwas beschließt. Hier geht es um keine kleinen Beträge. Es sind
Einsparungen in Höhe von 25 Millionen Euro im Personalbereich vorgesehen. Ich denke, das ist ein ganz bedenkliches Zeichen.
Das fällt offensichtlich - das sage ich genauso offen mit der Situation zusammen, dass es Bemühungen gibt,
eine Neuorganisation vorzunehmen, welche aber bisher
keineswegs erfolgreich waren. Das kann man am besten
nachvollziehen, wenn man sich darüber einmal mit den
Personalvertretungen unterhält oder die entsprechenden
Berichte dazu liest. Die Folgen, die darin beschrieben
werden, sind, ehrlich gesagt, desaströs. Verehrter Herr
Minister, ich glaube, Sie haben in Zukunft eine Herkulesaufgabe zu leisten, wenn Sie zum Beispiel die 40 000
Beamten bei der Bundespolizei davon überzeugen wollen, dass die Neuorganisation richtig ist, und ihnen
gleichzeitig vermitteln wollen, dass ihre Arbeit Anerkennung findet.
Wir haben in diesem Personalbereich - das ist nicht
nur von der GdP oder anderen gewerkschaftlichen Vertretungen festgestellt worden - einen Anteil von Burnout-Syndrom-Betroffenen von 25 Prozent. Das ist eine
katastrophale Situation. Hier muss man sich im Interesse
der Sicherheit unserer Bevölkerung um eine Verbesserung kümmern. Das Thema Sicherheit steht ja auch bei
Ihnen hoch im Kurs. Aber es darf nicht nur eine Rolle
spielen, wenn es darum geht, eine neue Spitze einzusetzen oder ein neues Polizeipräsidium in Potsdam zu
bauen, was wir unterstützen werden, wenn es sich im
Kostenrahmen hält. An dieser Stelle geht es auch darum,
das Personal zufriedenzustellen - und das muss angegangen werden.
Zu anderen wichtigen Aufgaben wird der Kollege
Hartmann sich noch äußern.
Von der Situation bei der Bahnpolizei ist die Bevölkerung unmittelbar betroffen. In diesem Bereich gibt es
Polizeireviere, die überhaupt nicht besetzt sind. Das ist
kein gutes Zeichen für den Umgang mit dem Personal.
Aber obwohl vor Ort Personal fehlt, werden im Haushalt
an dieser Stelle 25 Millionen Euro eingespart. Das ist
eine Fehlentscheidung der Koalition, für die ich allerdings gar nicht den Minister selber verantwortlich machen will, da mit ihm darüber gar nicht bzw. erst in letzter Minute gesprochen worden ist, wie wir gehört haben.
Ein anderes großes Thema, das in der Kürze der Zeit
behandelt werden muss, ist der Digitalfunk. Ich darf
mich in dem Zusammenhang bei den Berichterstattern
bedanken, übrigens auch bei den zahlreichen Mitarbeitern Ihres Hauses, Herr Minister - bitte richten Sie den
Dank aus -; ich habe das auch schon im Haushaltsausschuss angesprochen. Beim Digitalfunk sind wir jetzt einen ersten Schritt gegangen, indem wir die Mittel für
den Regelbetrieb freigegeben haben. Das ist richtig, und
das haben wir mitgetragen, weil wir nicht dafür verantwortlich gemacht werden wollen, wenn Dinge, die seit
zehn Jahren im Gespräch sind, nicht auf den Weg gebracht werden. Insofern muss ich einige Pressemitteilungen korrigieren, in denen behauptet wurde, die Verzögerung liege am Haushaltsausschuss; das war nicht der
Fall. Der Umgang mit diesem Thema war unsäglich und
kein gutes Beispiel für den Föderalismus in Deutschland, für die Zusammenarbeit von Bund und Ländern.
Hier ist viel Zeit vertan worden. Wir sind da Schlusslicht
in Europa.
({0})
Alle Länder, auch Albanien, haben inzwischen den Digitalfunk, nur Deutschland nicht. Das ist kein sehr gutes
Zeichen.
Ich möchte Ihre Aufmerksamkeit auch darauf richten,
dass wir bei sehr vielen kritischen Punkten noch mit
Kostensteigerungen rechnen müssen. Diese Punkte sind
in den Berichten aus Ihrem Hause angemerkt, aber nicht
quantifiziert worden. Da kann auf den Steuerzahler noch
einiges zukommen. Das ist etwas, was wir als Haushaltsausschuss und Sie als Leiter des Ministeriums im Auge
haben müssen.
Zum Schluss eine Sache, die mich besonders beschäftigt hat. In dem Haushaltsentwurf, den Sie vorgelegt haben, ist eine kleine Position, der Goldene Plan Ost, gestrichen worden. Sie haben in den Beratungen im
Haushaltsausschuss darauf hingewiesen, wie viel Sie im
Zusammenhang mit dem Konjunkturprogramm II getan
haben. Das bestreitet niemand. Aber im ursprünglichen
Haushaltsentwurf war der Haushaltstitel für den Goldenen Plan enthalten. Sie haben zum Ausdruck gebracht,
dass - was ich Ihnen auch abnehme - die Streichung Sie
besonders getroffen hat. Ich halte es für kein gutes Zeichen, wenn die Koalition eine so minimale Position in
dem Haushalt des Ministers streicht, der für die neuen
Länder als deren Beauftragter zuständig ist. Das hätte
man verhindern müssen. Aber da mit Ihnen nicht gesprochen worden ist, Herr Minister, haben Sie das auch nicht
im eigentlichen Sinne zu verantworten. Wir dürfen hier
keine solchen negativen Zeichen setzen und das dann
mit Konjunkturprogrammen verbrämen, die es zu dieser
Zeit schon gab. Das wird, auch wenn es sich nur um eine
minimale Position handelt, in den neuen Ländern sehr
ernst genommen und von der Mehrheit dieses Parlaments als ein kritisches Zeichen gewertet. In diesem
Sinne hätte ich mir gewünscht, dass Sie das hätten abwenden können. Aber wenn man als Minister nicht nach
seiner Meinung gefragt wird, kann man das natürlich
nicht abwenden.
Herzlichen Dank.
({1})
Nächster Redner ist der Kollege Jürgen Herrmann für
die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben
über den Einzelplan 06, den Haushalt des Innenministeriums, schon zur Genüge diskutiert. Ich will an dieser
Stelle trotzdem noch einmal klarstellen, dass es sich
nicht nur um den Haushalt des BMI handelt, sondern
auch um den von 17 nachgeordneten Behörden. Sie sehen also, wie umfassend dieser Haushalt ist.
Mich wundert ganz besonders, wie Sie, Herr Kollege
Danckert - wir haben in den Berichterstattergesprächen
viel miteinander gesprochen -, auf die Idee kommen,
dass wir, wenn es um Kürzungen im Haushalt geht, nicht
mit unserem Minister sprechen würden. Wir stehen sehr
wohl in ständigem Kontakt mit ihm. Wir haben alles abgesprochen. Dass es nicht immer ein Wunschhaushalt
sein kann und dass man an der einen oder anderen Stelle,
an der es der Minister nicht ganz so gerne sieht, streicht,
ist klar. Dieses Recht des Parlamentes haben wir uns herausgenommen. Trotz allem gilt, dass wir sehr wohl
diese Dinge mit ihm besprochen haben. Ihre Behauptung
wird auch nicht dadurch wahrer, dass Sie sie fünf- oder
sechsmal wiederholen. Ich denke, der Minister wird das
nachher selber klarstellen.
Der Entwurf für den Haushalt des BMI der christlichliberalen Regierung enthält einen Gesamtetat von circa
5,5 Milliarden Euro. Das ist ein im Vergleich zum Gesamthaushalt eher kleiner Haushalt. Er ist aber sehr
wichtig, weil es auch um die innere Sicherheit geht.
50 Prozent des Haushalts entfallen auf Personalausgaben. Deswegen gibt es nur begrenzte Sparmöglichkeiten,
was es schwieriger macht, zu sparen. Nichtsdestotrotz
sind 12 Prozent dieses Haushalts für Investitionen vorgesehen. Das ist nicht von der Hand zu weisen. Diese
Ausgaben sind sicherlich sehr wichtig.
Wir haben uns mit dem Ministerium intensiv - damit
knüpfe ich an den Anfang meiner Rede an - über eine
Ausgabenkürzung in Höhe von 2 Prozent unterhalten.
Wir Haushälter haben gemeinsam mit dem Koalitionspartner durchgesetzt, dass 2 Prozent eingespart werden.
Das heißt, 110 Millionen Euro sind noch vom Ausgangsvolumen des Regierungsentwurfes abgezogen worden.
Herzlichen Dank an Sie, Herr Minister, und an Ihr
Haus für die Informationen und für die gute Zusammenarbeit, die insbesondere in den Berichterstattergesprächen zum Ausdruck kam. Wir haben viele Dinge angesprochen, und es sind viele Berichte - mehr als sonst angefordert worden. Es hat außerdem sehr viele Nachfragen insbesondere im allgemeinen Haushaltsgespräch
gegeben. Diese Nachfragen betrafen den Digitalfunk,
auf den ich gleich noch kommen werde, das Polizeipräsidium in Potsdam und den Einsatz unserer Polizisten in
Afghanistan. Ich kann die Worte des Ministers im Berichterstattergespräch nur unterstreichen, dass nicht ungezügelte Ausgaben Sinn machen, sondern ein erfolgsorientierter und nachhaltiger Einsatz der Mittel. Ich
glaube, das erreichen wir mit unserem Haushalt.
Die Koalition hat 30 Änderungsanträge gestellt. Die
Opposition hat deutlich mehr Anträge gestellt, von denen wir einigen zugestimmt haben. Es gab aber auch einige abstruse Anträge, die wir nicht annehmen konnten.
Es freut mich deshalb umso mehr, dass von den 30 Anträgen, die wir gestellt haben, ein Großteil mit Stimmen
aus der Opposition angenommen worden ist, teilweise
sogar mit Zustimmung des gesamten Ausschusses.
Ich möchte noch die Ausgaben für die Presse- und
Öffentlichkeitsarbeit im Zusammenhang mit der Einführung des elektronischen Personalausweises ansprechen. Ja, wir sparen an dieser Stelle. Das geht zulasten - auch das ist eine Anmerkung, die der Minister
gemacht hat - der Schulung derer, die in den Kommunen
dafür verantwortlich sind. Ich sage Ihnen aber ganz deutlich: Zum 1. November dieses Jahres wird der elektronische Personalausweis eingeführt. Daran gibt es keinen
Zweifel.
Wir hatten Anträge für das Netz des Bundes und den
Digitalfunk gestellt. Auch dort haben wir noch einmal
eingespart, wohl wissend, dass wir in den nächsten Jahren in diesen Bereich investieren müssen.
Auch bei der Ausstattung der Bereitschaftspolizei
der Länder - das war ein Anliegen des Bundesrechnungshofes - haben wir gespart. Es gibt allerdings genug
Querschnittsaufgaben, bei denen wir die Kosten nicht
vollständig deckeln können, sondern gut beraten sind,
die Länder zu unterstützen.
Ein Anliegen bezüglich Haushaltswahrheit und -klarheit war für uns die Flexibilisierung. Am einfachsten
wäre es natürlich - auch das Ministerium würde es gerne
so sehen -, wenn das Ministerium den Haushalt in
Gänze selbst aufstellen könnte, ohne dass wir bei einzelnen Positionen hineinreden können. Nichtsdestotrotz
sind Flexibilisierungen in Teilbereichen natürlich sinnvoll; sie erleichtern die Verwaltungsarbeit. Hier haben
wir uns auf die Fahne geschrieben, die Dinge dort, wo es
notwendig und sinnvoll ist, einzuschränken.
Trotz der Kürzungen, die wir vorgenommen haben
- da widerspreche ich Ihnen, Herr Kollege Danckert,
ganz deutlich -, geben wir 67 Prozent des Haushalts für
das BMI für den Bereich der inneren Sicherheit aus.
Das sind 3,7 Milliarden Euro. Sie können also nicht behaupten, dass die eingesparten 110 Millionen Euro zulasten der Sicherheit gehen. Das ist bei weitem nicht so.
({0})
Kollege Danckert hat es eben angesprochen: Der
Digitalfunk war Thema in mehreren Berichterstattergesprächen, und wir hatten eine Menge Fragen in Bezug
auf Auftragsvergabe, Kosten und Struktur. Es gab hier
eine lange Vorgeschichte. Otto Schily hat den Digitalfunk als damals verantwortlicher Innenminister im
wahrsten Sinne des Wortes auf die falsche Schiene gesetzt. Die angestrebte Zusammenarbeit mit der Deutschen Bahn hat nicht funktioniert, und dadurch ist es zu
erheblichen Verzögerungen gekommen, insbesondere
bei der Aufarbeitung mit den Ländern. Die Beteiligung
der Länder ist nun einmal ein wesentlicher Faktor in diesem Bereich.
Ich bin froh, dass wir über den sogenannten Königsteiner Schlüssel zu einer Kostenverteilung gekommen
sind. Wir haben uns auch über die einzuführenden Standards unterhalten und sind dabei, die Ausgestaltung des
Kernnetzes voranzutreiben. Wir haben uns auf die Anzahl der Vermittlungsstellen, Basisstationen und Endgeräte festgelegt. Allerdings sage ich auch an dieser Stelle,
dass ich nicht glaube, dass es möglich ist, heute eine zuverlässige Aussage über die Kosten für ein Projekt zu
machen, das über mehr als zehn Jahre festgeschrieben
wird. Von daher wird es sicherlich noch Nachbesserungen geben. Ich bin froh, dass wir auch Hinweise auf das
Ausschreibungsverfahren bekommen haben. Wir haben
daraufhin die Mittel entsperrt. Der Interimsbetrieb kann
demnächst eingestellt und in den Regelbetrieb überführt
werden. Das bedeutet eine Kostenersparnis von 7 Millionen Euro im Monat.
Herr Minister, ich finde Ihren Entschluss richtig, den
Digitalfunk vom Netz des Bundes abzukoppeln, weil wir
doch erhebliche Sicherheitsprobleme haben. Wir werden
in den nächsten Monaten noch einmal darüber diskutieren und haben das auch mit Sperrvermerken belegt. Ich
bin mir aber sicher, dass dieses Projekt im Sinne einer
besseren Ausstattung der Behörden und Organisationen
mit Sicherheitsauftrag vor Ort äußerst wichtig ist.
Lassen Sie mich auch noch etwas zu Afghanistan sagen. Ich begrüße es ausdrücklich, dass auf der Londoner
Konferenz Beschlüsse gefasst worden sind, die die Arbeit in Afghanistan auf militärischer, ziviler, aber eben
auch auf polizeilicher Ebene voranbringen. Deutschland
hat als Lead-Nation beim Aufbau der Polizei in Afghanistan in den zurückliegenden Jahren sicherlich das eine
oder andere Problem gehabt. Aber wir sind bemüht, dieses Defizit aufzuarbeiten und stellen noch einmal zusätzliche 7,5 Millionen Euro für die deutsche Mission, aber
auch für EUPOL, wo 45 Beamte eingesetzt sind, zur
Verfügung.
Wir werden die Zahl der Ausbilder auf 200 steigern.
Das ist wichtig, damit die ANP, also die afghanische
Polizei, demnächst auch selber ausbilden und ihre Aufgaben übernehmen kann. Das geschieht an den drei
Standorten der Bundeswehr und in Kabul. Es ist ja nicht
so, dass wir nicht erfolgreich gewesen wären. Seit 2002
haben circa 30 000 afghanische Polizeioffiziere und -beamte die Ausbildung durchlaufen; das ist sicherlich eine
hohe Zahl. Wir haben uns das Ziel gesetzt, in den nächsten drei Jahren noch einmal 15 000 zu schulen.
Wichtig ist, dass wir auch in diesem Bereich Hilfe zur
Selbsthilfe leisten. 500 afghanische Ausbilder sollen
demnächst die Arbeit der deutschen Ausbilder übernehmen. Das Ziel, 80 000 Mann im Dienste der afghanischen Polizei zu haben, ist sicherlich wichtig. Die Umsetzung des Focused District Development Program
erscheint mir auch erforderlich, damit wir in die Fläche
hinausgehen und diese Aufgabe vor Ort leisten können.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Ströbele?
Ja, bitte.
Herr Kollege, Sie nennen Zahlen zum Polizeiaufbau
in Afghanistan. Ich war vor zehn Tagen dort und habe
auch mit den Polizeiausbildern in Kunduz und Masar-iScharif gesprochen. Die Zahl von über 30 000 Beamten
oder Angestellten der Polizei in Afghanistan, die Sie genannt haben, versehe ich mit einem großen Fragezeichen. Ich frage Sie: Können Sie etwas dazu sagen, wo
die eigentlich geblieben sind? Wie viele sind nach Ihrer
Kenntnis oder der des Bundesinnenministeriums nach
wie vor als Polizisten in Afghanistan tätig und wo, und
wie viele von ihnen waren „Schwund“? Man spricht von
zwischen 30 und 50 Prozent. Entweder sind sie anschließend zu Hause geblieben, oder sie haben sich bei anderen afghanischen Sicherheitsbehörden verdingt oder sind
sogar zu den Taliban gegangen. Können Sie darüber
konkrete Auskunft geben? Nach dem, was mir dort gesagt worden ist, gibt es derzeit eine afghanische Polizei
in Begleitung von deutscher Polizei in lediglich acht von
120 Distrikten und auch nur im Norden.
Herr Ströbele, 30 000 ist die Zahl, die mir vom Innenministerium genannt worden ist. Dabei handelt es sich
um Sicherheitskräfte, die geschult worden sind. Wo die
anderen geblieben sind, müssen Sie die afghanische Regierung fragen; denn wir führen keine Personalakten.
Als Sie in Afghanistan waren, hätten Sie sicherlich die
Gelegenheit gehabt, mit den afghanischen Entscheidungsträgern zu sprechen.
Das Personalsystem in Afghanistan ist leider nicht so
ausgefeilt wie hier. Denken Sie an die Probleme, die damals bei der Auszahlung des Lohnes aufgetreten sind.
Das kann nicht bargeldlos erfolgen, sondern da wird das
Geld direkt in die Hand gegeben. - Der eine oder andere
wird sicherlich abhandengekommen sein. Entscheidend
ist aber doch - das beantwortet auch Ihre Frage -: Es
geht nicht nur darum, wer von der Fahne gegangen ist.
Sie müssen auch zur Kenntnis nehmen, dass die Qualität
der Ausbildung, die wir zur Verfügung stellen, dazu
führt, dass weniger Polizeioffiziere oder -beamte in Afghanistan getötet werden; denn wir haben im Bereich der
Polizei höhere Verluste als beim Militär. Wenn Sie nähere Informationen möchten, dann wird Ihnen die afghanische Botschaft diese sicherlich zur Verfügung stehen.
({0})
Wir haben viel über die Polizeibeamten gesprochen.
Ich möchte an dieser Stelle denjenigen meinen herzlichen Dank aussprechen, die ihren Dienst in Afghanistan
freiwillig versehen. Das ist nicht immer ganz leicht; das
sollte man an dieser Stelle unterstreichen.
({1})
Zum Schluss möchte ich noch auf ein Erfolgsrezept
zu sprechen kommen, das möglicherweise demnächst
sogar in China umgesetzt wird. Das hat mir zumindest
der Präsident der Organisation gesagt, die auch im Inland ein sehr hohes Ansehen genießt. Ich spreche vom
THW. Wir können es tagtäglich verfolgen: Egal welche
Einsätze es wahrnimmt, ob der Einsturz des Stadtarchivs
in Köln, beim Wirbelsturm Nargis in Myanmar, beim
Erdbeben in China oder aktuell in Haiti und Chile, aber
auch die kleinen Hilfseinsätze vor Ort - all das wird in
Deutschland zur Kenntnis genommen. Es gibt ein hohes
Aufgabenspektrum.
Ich möchte an dieser Stelle lobend erwähnen, dass wir
in diesem Bereich 80 000 ehrenamtliche Helfer haben;
dem stehen lediglich 800 hauptamtliche Helfer gegenüber. Ich glaube, wenn man weiß, welche Arbeit von
ihnen geleistet wird, dann kann man das gar nicht hoch
genug schätzen. In den 668 Ortsverbänden wird her2860
vorragende Arbeit geleistet. Der Haushalt, der mit
178 Millionen Euro veranschlagt ist und noch einen kleinen Aufwuchs erfahren hat, ist damit sehr gut aufgestellt, insbesondere unter dem Aspekt, dass nur
25 Prozent des Etats für Personalausgaben eingestellt
worden sind.
Auf den Bereich Sport gehe ich nur noch am Rande
ein; der eine oder andere Kollege wird dazu bestimmt
gleich Stellung nehmen. Es ist ein wichtiges Thema, insbesondere nach den Winterspielen in Vancouver, aber
auch im Hinblick auf die Paralympics, die derzeit stattfinden. Ich wünsche unseren Athletinnen und Athleten
alles Gute und auch, dass sie noch viele Medaillen erringen. Das wird für die Zukunft wichtig sein; denn der Erfolg hängt eng mit der Bewerbung Münchens zusammen. Wenn wir uns in der Welt gut präsentieren, wird die
Chance, dass wir die Olympischen Winterspiele 2018
nach München holen, sicherlich steigen.
Ich weiß, dass wir in Zukunft sparen müssen - wir
werden in diesem Jahr noch über die Haushaltsaufstellung für das Jahr 2011 diskutieren -, wenn wir die im
Grundgesetz verankerte Schuldenbremse einhalten
wollen. Das wird nicht einfach; aber ich bin der festen
Überzeugung, dass wir dies in gemeinsamer Arbeit auch
mit dem Bundesinnenministerium bewerkstelligen können.
Herzlichen Dank.
({2})
Für die Fraktion Die Linke hat nun das Wort der Kollege Jan Korte.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Wir reden über den Einzelplan 06 mit einem Volumen
von ungefähr 5,6 Milliarden Euro. Es geht um den Haushalt des Bundesministeriums des Innern. Deswegen verwundert es nicht, das zwei Drittel der Mittel für die innere Sicherheit vorgesehen sind. Ich kann hier und heute
nicht über die gesamte verfehlte Innenpolitik der letzten
Jahre referieren und will mich deshalb auf die besonders
verfehlten Punkte Ihrer Innenpolitik konzentrieren.
Man sieht dem Haushaltsentwurf an, dass mitnichten
eine Änderung der Innenpolitik verfolgt wird, obwohl
die FDP das angekündigt hat. Vielmehr wird fortgesetzt,
was Schäuble und vorher Schily an Akzenten in der Innenpolitik gesetzt haben. Es gibt keine Kurskorrektur in
der Innenpolitik, auch nicht mit der FDP in der Regierung. Das finden wir natürlich sehr schade. Namens des
Kampfes gegen den internationalen Terrorismus wird
auch mit diesem Haushalt eine Politik fortgesetzt, die
erstens auf Aufrüstung im Bereich der inneren Sicherheit, zweitens auf Zentralisierung und drittens auf Militarisierung der Innenpolitik setzt. Das kritisieren wir als
Linke grundsätzlich. Eine Umkehr in der Innenpolitik
wäre dringend nötig gewesen.
({0})
Statt Unsummen in neue technische Überwachungsmaßnahmen - Stichwort: Nacktscanner - zu stecken,
wäre es vielleicht ratsam gewesen, mehr in Personal zu
investieren. Sie haben das auf unsere Kleine Anfrage hin
ja auch eingestanden. Wenn wir über öffentliche Sicherheit, zum Beispiel an Flughäfen, reden, dann müssen wir
natürlich auch darüber reden, dass in diesem Bereich in
den letzten Jahren massiv privatisiert wurde. Eine Tätigkeit wie die Fluggepäckkontrolle, die früher insbesondere von Beamtinnen und Beamten - gut ausgebildet, immer wieder geschult und vor allem vernünftig bezahlt erledigt wurde, wird jetzt von privaten Dienstleistern zu
Dumpinglöhnen ausgeübt. Das kann nicht sein. Hier
wäre eine Umkehr nötig gewesen. Wir brauchen mehr
Staat bei der Sicherheit und keine Dumpinglöhne; denn
das führt zu weniger Sicherheit. Von einer solchen Umkehr ist in diesem Haushaltsentwurf aber nichts zu sehen.
({1})
Da wir immer differenzierte Sachpolitik machen, begrüßen wir ausdrücklich, dass es im Etat des Bundesbeauftragten für den Datenschutz einen gewissen Aufwuchs bei den Mitteln gibt. Das ist erst einmal
erfreulich. Trotzdem - das gehört zu einer differenzierten Betrachtung natürlich dazu - steht das in überhaupt
keinem Verhältnis zu den Skandalen und Sauereien, die
wir im privaten Bereich in den letzten Monaten in der
Wirtschaft vernommen haben. Wir hätten es für sinnvoll
befunden, hier deutlich mehr Mittel einzusetzen, damit
der Bundesdatenschutzbeauftragte in Zusammenarbeit
mit seinen Länderkollegen auch einmal die staatliche
Sammelwut stärker in den Fokus nehmen könnte. Das ist
in der Tat zu wenig. Aber immerhin: Ein wenig mehr
gibt es.
Was ich an dem Haushaltsentwurf noch ganz spannend finde: Ich habe mir das FDP-Wahlprogramm angeschaut,
({2})
und ich habe mir den Koalitionsvertrag noch einmal angeschaut; man bereitet sich vernünftig vor. Groß angekündigt wurde - das ist interessant - die Bundesstiftung
Datenschutz. Die wollten Sie; die haben Sie immer wieder propagiert. Im Haushaltsentwurf findet man 0 Cent
dafür. 0 Cent sind für dieses Projekt angesetzt.
({3})
- Kollegin Piltz, vielleicht sagen Sie uns nachher einmal,
was aus diesem spannenden Projekt werden soll.
Ich möchte einen dritten Punkt zum Datenschutz kurz
ansprechen. Nach dem Karlsruher Urteil zur Vorratsdatenspeicherung, die Sie nicht zu verantworten haben
- das muss man der Fairness halber dazusagen -, wäre es
an der Zeit gewesen, einmal innezuhalten, in sich zu gehen und zum Beispiel bei ELENA, der Vorratsdatenspeicherung für Sozialdaten, das Stoppzeichen zu setzen und
dieses Vorhaben auf Eis zu legen. Wir fordern ein Moratorium für diese Massenspeicherung von Sozialdaten.
Zum Glück haben schon 8 000 Leute Klage eingereicht.
Stoppen Sie dieses Großprojekt! Es wird im Zweifel
wieder kassiert werden.
({4})
Der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Herr Fromm, hat noch einmal begründet, warum
man die Linke unbedingt weiter beobachten sollte.
({5})
Das wäre in der Tat ein ganz praktisches Einsparpotenzial von mehreren Millionen Euro. Das würden wir sofort mittragen.
({6})
Die Linke macht nicht ständig verfassungswidrige Gesetze, was Sie in den letzten Jahren gemacht haben, um
das einmal klar zu sagen. Stoppen Sie die Überwachung
der Linken. Das ist eine antidemokratische Methode der
politischen Auseinandersetzung.
({7})
Noch ein Punkt, den ich ansprechen möchte: Wir reden hier über innere Sicherheit. Wenn man wirklich etwas für die öffentliche Sicherheit in diesem Land tun
möchte, wäre ein verstärkter Kampf gegen den Rechtsextremismus vonseiten der Bundesregierung angebracht.
({8})
In diesem Bereich herrscht aber völlige Fehlanzeige.
Das kann man daran erkennen, dass die Bundesregierung weder die Statistiken ihrer eigenen staatlichen Stellen zur Kenntnis nimmt noch auf Opferverbände hört
und auch nicht zur Kenntnis nimmt - das hat die AmadeuAntonio-Stiftung gerade veröffentlicht -, dass seit 1990
in diesem Land 149 Menschen von Rechtsextremisten
ermordet worden sind. Das wäre doch ein Grund gewesen, endlich aufzuwachen. Stattdessen schwafeln Sie
von einem völlig unbelegten Extremismusbegriff. Sie
haben keine Ahnung, was in einigen Gegenden in diesem Land abgeht. Hier wäre eine Umkehr nötig.
({9})
Deswegen fordern wir für das nächste Jahr mit Blick
auf die Mittel für die Bundesprogramme, dass Sie umkehren. Sie sollten die vielen Organisationen, die in diesem
Land eine hervorragende Arbeit machen, nicht immer
wieder verunsichern, ob sie ihre Projekte weiterfinanzieren können, sondern endlich eine Garantie geben, dass
diese Projekte dauerhaft auf einem hohen Level finanziert
werden. Unsere Anerkennung haben diese Organisationen, die alltäglich gegen Rassismus und Antisemitismus
kämpfen.
({10})
Ich komme zu einem weiteren grundsätzlichen Punkt.
Das BMI ist ja jetzt auch für Ostdeutschland zuständig.
Ich sage das, weil das noch keiner mitbekommen hat.
Hierzu mehrere Hinweise: Immer noch werden in Ostdeutschland geringere Löhne gezahlt. Das bedeutet vor
allem eine Abwanderung von jungen Menschen aus Ostdeutschland. Ich erlebe das täglich in meinem Wahlkreis.
Dies führt wiederum zu einem Ausbluten der ehrenamtlichen Strukturen, zum Beispiel beim THW und in anderen wichtigen Bereichen des Katastrophenschutzes.
1,7 Millionen Menschen in Ostdeutschland leben von
Hartz IV. Jedes vierte Kind in Ostdeutschland wächst
unter Armutsbedingungen auf.
Der für Ostdeutschland zuständige Minister sagt dazu
nichts. Der Vorschlag im Innenausschuss war, eine Arbeitsgruppe zu bilden und darüber zu diskutieren; das
kann man im Protokoll nachlesen. Das ist, finde ich, etwas wenig. Vom zuständigen Minister, von dieser Bundesregierung kommt zum Thema Ostdeutschland überhaupt nichts: null Ansage, null Plan, keine Idee, am
besten gar nicht darüber sprechen.
In dem Zusammenhang würde mich interessieren - Sie
reden ja gleich noch, Herr Minister -, was Sie zu den geplanten Kürzungen der Förderungen im Solarbereich
sagen. Denn das ist insbesondere für Ostdeutschland
schlecht. In Bitterfeld-Wolfen in meinem Wahlkreis sind
die Industriearbeitsplätze, die in den letzten Jahren entstanden sind, allesamt in der Solarbranche entstanden.
Mich würde interessieren, was der für Ostdeutschland zuständige Minister von diesen Plänen der Koalition hält.
({11})
Vielleicht sollten Sie Ihren Kollegen Seehofer unterstützen, der fordert, dass man diese Kürzungen so nicht
durchführt.
Wenn man über Ostdeutschland redet, ist ein weiterer
Punkt, den ich mir angesehen habe, interessant. Es geht
bei diesem Gesamthaushalt um Milliardenbeträge; da
fallen 2 Millionen Euro nicht besonders auf. Wenn man
in den Kommunen bis dato 2 Millionen Euro zur Förderung von ostdeutschen Sportstätten hatte, dann ist das
in der Gesamtsumme nicht viel, aber für die einzelne
Kommune, die einen Bolzplatz für Jugendliche und für
Kinder und einen Sportplatz für den Breitensport unterhält, ist das sehr viel. Dass Sie ausgerechnet diese
2 Millionen Euro wegkürzen, können wir nicht verstehen. Das werden wir auch nicht akzeptieren.
({12})
Das kann nicht sein, wenn man sich ansieht - ich habe
mir die Zahlen heute herausgesucht -, dass 60 Prozent
der Sportstätten in Ostdeutschland sanierungsbedürftig
sind. Man sollte diesen „Goldenen Plan Ost“ aufstocken,
damit es auch für Kommunen im Westen Mittel gibt und
die Kommunen im Osten weiterhin Mittel bekommen.
Das wäre eine richtige Politik. Dass Sie ausgerechnet
diese 2 Millionen Euro wegkürzen, ist absurd.
({13})
Das zeigt deutlich, was Sie für Ostdeutschland übrig haben, nämlich überhaupt nichts.
Letzter Punkt, den ich ansprechen möchte. Der Einzelplan 06, der darstellt, wie Sie sich die Innenpolitik der
nächsten Monate weiter vorstellen, setzt die Politik des
Abbaus der Grundrechte fort, hat null Interesse an Ostdeutschland, hat null Ideen für Ostdeutschland. Zur Bekämpfung des Rechtsextremismus, die eigentlich ein gesamtgesellschaftliches Projekt sein sollte von der
Zivilgesellschaft bis in den Bundestag und die Bundesregierung, ist von Ihnen überhaupt nichts zu hören. Sie
verharmlosen und nehmen nicht zur Kenntnis. Deswegen lehnt die Linke auch diesen Einzelplan aus tiefstem
Herzen und aus tiefster Überzeugung ab. Wir fordern
eine Umkehr in der Innenpolitik.
Auf die FDP kann man in der Tat leider gar nicht setzen. Sie haben bis jetzt nichts durchbekommen. Das
erste Projekt, bei dem Sie eine Umkehr hätten erreichen
können, war SWIFT. Sie hatten keine Chance, das
durchzusetzen.
({14})
Ich bin gespannt, was Sie im Bereich der Vorratsdatenspeicherung machen. Frau Leutheusser-Schnarrenberger,
wir werden Sie in Ihrem Kampf gegen Ihren eigenen Koalitionspartner auf jeden Fall unterstützen.
({15})
Wenn Sie eine Vorratsdatenspeicherung insgesamt verhindern wollen, haben Sie unsere volle Unterstützung.
Ich hoffe, dass Sie sich durchsetzen werden.
In diesem Sinne wünsche ich noch eine spannende
Debatte.
({16})
Nächster Redner ist der Kollege Florian Toncar für
die FDP-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich
glaube, der Einzelplan 06 in der jetzigen Fassung ist ein
gutes Gesamtkunstwerk. Er zeigt, dass man intelligent
sparen kann, dass es möglich ist, innere Sicherheit zu gewährleisten, gleichzeitig den Datenschutz zu stärken und
auch einen Beitrag zur Konsolidierung des Bundeshaushalts zu leisten.
({0})
Kollege Danckert, ich werde nicht müde zu sagen: Es
kann nicht angehen, auch nicht für eine Oppositionsfraktion, dass die SPD in Gestalt des Kollegen Schneider am
Dienstag sagt, wir würden zu wenig sparen, dass Sie,
wenn wir es tun, aber am Donnerstag derjenige sind, der
genau das kritisiert.
({1})
Das ist inkonsequent. Sprechen Sie in Ihrer Fraktion miteinander, und verhalten Sie sich in dieser Hinsicht ein
wenig konstruktiver.
({2})
- Kollege Danckert, aus Sicht der Fachpolitiker gibt es
fast nur Sonderthemen.
({3})
Ich glaube, dass wir hier eine andere Denkweise brauchen. Es geht nicht um die Frage „Wie viel?“, sondern es
geht um die Frage: Was wird mit dem Geld gemacht,
und was wird mit dem Geld erreicht?
({4})
Sicherheit ist für diese Koalition kein Selbstzweck.
Sie ist kein Spielfeld, auf dem man mit Symbolik operieren kann. Sicherheit eignet sich auch nicht für Spiele mit
den Ängsten der Bürger, sondern sie dient der Verwirklichung der Freiheit der Bürger, sie dient unserer freiheitlichen Ordnung.
({5})
Diesen modernen Sicherheitsbegriff vertreten wir.
In diesem Sinne kümmern wir uns auch nicht darum, uns
neue Gesetze, Eingriffsbefugnisse oder Überwachungsmaßnahmen auszudenken, sondern wir tun ganz praktische Dinge.
({6})
- Kollege Danckert, wir haben keine Stellen eingespart,
wie Sie es gesagt haben.
({7})
Wir haben lediglich Personalkosten, die nicht benötigt
werden, eingespart,
({8})
aber Stellen ausdrücklich nicht. Es gibt im Haushalt eine
pauschale Stelleneinsparung, von der der gesamte Bereich der Sicherheit ausgenommen ist. Ich glaube, das
wissen Sie auch. Deswegen sollten Sie hier nichts von
Stelleneinsparungen erzählen.
Wir tun andere Dinge. Wir bringen nun endlich ein
Projekt auf den Weg, das im Grunde eine Altlast ist - der
Kollege Herrmann hat es schon angesprochen -: den
BOS-Digitalfunk. Unsere Sicherheitsbehörden brauchen diese modernen Funksysteme; das ist völlig unbestritten.
({9})
Es ist allerdings ziemlich ernüchternd, festzustellen, wie
weit wir bei diesem Projekt bisher sind und was alles
noch aussteht. Dieses Projekt hat diese Koalition geerbt.
Jetzt kümmern wir uns darum, dass die Sicherheitsbehörden mit einem entsprechend guten Digitalfunk ausgestattet werden.
({10})
- Womöglich, Kollege Danckert, hat dieses ganze Missmanagement auch unter Beteiligung Ihrer Fraktion stattgefunden; aber sei es drum.
({11})
Wir sollten den Blick nach vorne richten. Natürlich
gibt es einige Bereiche, in denen wir Haushälter erwarten, dass das Management besser wird. Herr Minister, es
muss zum Beispiel ermöglicht werden, dass Erfahrungen, die dort, wo Digitalfunksender bereits installiert
sind, gemacht werden - beispielsweise ob die Dichte der
installierten Anlagen ausreicht, um die Netzabdeckung
zu gewährleisten, oder nicht -, sofort in die Planungsverfahren in ganz Deutschland eingearbeitet werden, damit
es hier nicht zu weiteren Verzögerungen oder unangenehmen Überraschungen kommt. Das Management in
diesem Bereich kann und muss noch besser werden.
Außerdem müssen wir alle Bundesländer ermuntern
- ich glaube, hier sind wir uns einig -, das Ihre dazu beizutragen, dass diese Anlagen installiert werden können.
Die Situation ist von Bundesland zu Bundesland sehr unterschiedlich. Ich glaube, auch hier gibt es Defizite. Mit
den Bundesländern, die in diesem Bereich Nachholbedarf
haben, werden wir deutlicher reden müssen, als es bisher
der Fall gewesen ist.
({12})
Das sind im Übrigen Punkte, an denen man etwas Konkretes für die Sicherheit tun kann, ohne ständig neue Gesetze auf den Weg zu bringen, die eher eine symbolische
Bedeutung haben.
Die Polizeiausbildung in Afghanistan ist bereits angesprochen worden. Ich glaube, das ist eine besonders
wichtige Aufgabe. Ich kann mich dem Dank des Kollegen Herrmann an die Beamten, die dort tätig sind, nur
anschließen und das Ministerium bitten, weiterhin darauf zu achten - ich weiß, Sie tun das -, dass diejenigen,
die sich für diese schwierige Aufgabe zur Verfügung gestellt haben, auch Vorteile davon haben, wenn sie wieder
in Deutschland sind, und zwar nicht nur in materieller
bzw. finanzieller Hinsicht, sondern auch im Hinblick auf
ihre Laufbahn.
Wir werden 100 neue Ausbilder für die Polizeiausbildung in Afghanistan bereitstellen und damit endlich die
internationalen Verpflichtungen erfüllen, die Deutschland schon vor Jahren eingegangen ist. Das ist ja keine
neue Aufgabe für Deutschland, sondern etwas, was eigentlich schon vor Jahren hätte geschehen müssen, aber
nicht geschehen ist. Es wird also etwas nachgeholt. Auch
hier hat diese Koalition ganz konkrete Verbesserungen
erzielen können.
Darüber hinaus stärken wir den Datenschutz. Kollege Korte, die Stiftung Datenschutz wird gegründet; das
ist fest vereinbart. Da Sie diese Stiftung so vehement gefordert haben, rechne ich damit, dass Sie an dem Tag, an
dem wir sie einrichten - das ist in Arbeit -,
({13})
nicht nur eine Einladung bekommen, sondern dass Sie
uns, da Sie ja - wie wir Sie kennen - eine ganz konstruktive Opposition sind,
({14})
auch loben werden, sobald wir dieses Vorhaben in die
Tat umgesetzt haben. Damit rechne ich, wie gesagt, fest
und freue mich bereits auf diesen Tag.
({15})
Wir haben auch die Stellung des Bundesdatenschutzbeauftragten gestärkt; das hatte die FDP übrigens schon in den vergangenen Haushaltsberatungen gefordert.
({16})
Der EuGH hat geurteilt, dass die Stellung des Datenschutzbeauftragten so angelegt sein muss, dass dessen
Unabhängigkeit sichergestellt ist. Wir werden uns überlegen müssen, Herr Minister, wie wir die Unabhängigkeit
des Bundesbeauftragten für den Datenschutz so gewährleisten können, dass erfüllt wird, was das europäische
Recht von Deutschland fordert.
Etliche Projekte im Haushalt haben eine hohe Datenschutzrelevanz. Ich erwähne den elektronischen Personalausweis.
({17})
Wir haben an dieser Stelle, wie die FDP das immer
wollte, dafür gesorgt, dass die Öffentlichkeitsarbeit auf
das beschränkt wird, was nötig ist, nämlich eine sachliche Information.
({18})
- Kollege Wieland, ich darf Sie darauf hinweisen - nur
dass Sie auf dem Informationsstand eines Haushälters
sind -: Die Grünen - fragen Sie Ihren Kollegen! - wollten, dass wir 3,5 Millionen Euro streichen. Wir haben
4 Millionen Euro gestrichen.
({19})
Wir sind also über das, was die Grünen in ihrem Antrag
gefordert haben, hinausgegangen.
({20})
Insofern dürfte sich Ihr Zwischenruf an dieser Stelle in
der Sache erledigt haben. Informieren Sie sich, sprechen
Sie miteinander! Wir haben mehr gemacht, als die Grünen beantragt haben.
({21})
Sie sollten uns loben, statt uns Vorwürfe zu machen!
({22})
- Kollege Danckert, es ist ja schön, dass ich Sie so herausfordere. Aber ich darf Sie darauf hinweisen: Dass
der elektronische Personalausweis kommt, steht im Gesetz. Das hat nicht die FDP beschlossen, das haben andere Mehrheiten beschlossen.
({23})
Es ist bemerkenswert, dass Sie das uns vorwerfen. Wir
haben natürlich bestimmte Anforderungen an den elektronischen Personalausweis. Deswegen sagen wir: Da
muss nachgesteuert werden. Mit einer absoluten Mehrheit würden wir über den elektronischen Personalausweis vielleicht anders entscheiden. Aber wir sind eine
Rechtsstaatspartei; deswegen müssen wir, ob es uns gefällt oder nicht, durchführen, was Sie ins Gesetz geschrieben haben.
({24})
Dabei will ich nicht verhehlen, dass wir als FDP an dieser Stelle etwas anderes gemacht hätten.
({25})
Es gibt im Bereich Datenschutz weitere Aufgaben.
Weil meine Redezeit fast abgelaufen ist, will ich nur
noch das Projekt Arbeitnehmerdatenschutz ansprechen. Wir wollen den Arbeitnehmerdatenschutz stärken.
Das ist ein Projekt, das die FDP-Fraktion mit hoher Priorität verfolgt.
Nachbesserungsbedarf sehen wir auch beim Thema
ELENA. Auch dort gibt es Entwicklungen, die wir mit
einarbeiten müssen, wie das aktuelle Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Vorratsdatenspeicherung.
Es gibt im Bereich Datenschutz also noch viele
Dinge, die diese Koalition aus Sicht der FDP-Fraktion
anpacken muss.
Insgesamt bietet der Haushalt die Grundlage dafür,
dass wir innere Sicherheit und Datenschutz sowie die
Rechte und Freiheiten der Bürger gut miteinander in
Einklang bringen können. Wir werden dem Haushalt
selbstverständlich zustimmen.
({26})
Wolfgang Wieland für die Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen ist der nächste Redner.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr
Kollege Herrmann, Herr Kollege Toncar, ich bin Ihnen
richtig dankbar. Ich habe gestern zugehört, als die Kanzlerin geredet hat. Sie sprach von der „Herkulesaufgabe“,
den Haushalt zu sanieren. Der Bundesfinanzminister
kündigte an, er wolle das Steuer radikal in Richtung Sparen herumreißen.
Ich habe mich die ganze Zeit gefragt: Wo denn eigentlich? Wo sind die Sparschritte? Nun haben Sie mich aufgeklärt, Herr Kollege Herrmann, dass wir sie hier finden,
dass die 110 Millionen Euro, die Sie als Haushälter gegenüber dem Ansatz des Ministeriums eingespart haben,
der entscheidende Schritt seien. Wie soll das sein angesichts der 80 Milliarden Euro - wir rechnen sogar mit
100 Milliarden Euro -, die der Haushalt diesmal in die
Miesen geht?
({0})
- Frau Piltz, zu Ihnen komme ich noch in aller Ausführlichkeit.
Diese Regierung, diese Koalition verhält sich wie ein
Automobilkonzern, der ankündigt, dass er neue Sparmodelle vorstellt. Dann zieht der Vorstandsvorsitzende am
Vorhang, und da stehen die alten Spritschleudern mit
neuen Chromleisten. Auf Fragen sagt er: Die Sparmodelle kommen nächstes Jahr. Auf die Frage, ob er nicht
einen Prototyp oder wenigstens eine Skizze hat, sagt er:
Die Skizze kommt im Mai; denn dann haben wir die
neueste Ölpreisschätzung. So glauben Sie sich drücken
zu können vor der Aussage, wo Sie denn sparen wollen
({1})
und was das denn bedeutet für die innere Sicherheit. Tun
Sie hier doch nicht so, als ob Sie wirklich konsolidieren
und dabei den Bereich innere Sicherheit ausnehmen
könnten. Sämtliche Bundesländer haben immer, sozusagen litaneiartig, erklärt: An der inneren Sicherheit wird
nicht gespart. - Genau das haben Sie getan, und Sie wissen es auch. Sie versuchen, die Stunde der Wahrheit vor
sich herzuschieben. Diese Stunde wird aber kommen.
Dann werden wir sehen, was diese Koalition zu leisten
in der Lage ist.
({2})
Mit diesem „Ab morgen wird gespart, und darauf gebe
ich heute noch einen aus“ können Sie uns nicht überzeugen, selbst wenn wir uns - und das tun wir - über mehr
Mittel für den Datenschutzbeauftragten freuen und wenn
wir auch sagen, für die Polizei im Ausland müsse mehr
getan werden. Das alles ist ja richtig, aber das ist nicht
die Herkulesaufgabe, von der die Kanzlerin geredet hat.
Geld auszugeben, ist einfach,
({3})
Geld einzusparen, ist es nicht. Hier hören wir bisher nur
Rhetorik. Wir hören auch nur rhetorische Girlanden hinsichtlich der angekündigten bürgerrechtlichen Wende.
Das hat Ihre Fraktionsvorsitzende Homburger gestern ja
gesagt: Wir balancieren Freiheit und Sicherheit neu aus. Wo geschieht das denn?
({4})
Erstes Beispiel. Die Kollegin Piltz hat nicht etwa erklärt: „Wir informieren jetzt korrekt und objektiv über
den E-Personalausweis“, sondern sie hat in der Neuen
Osnabrücker Zeitung gesagt: Wir wollen ihn für ganze
zehn Jahre bis 2020 aussetzen. - Die Internetgemeinde
hat gleich Hurra gebloggt und geschrieben: Deswegen
haben wir die FDP gewählt. - Ja, und was machen Sie
heute? Sie heben heute die Hand für mehr Planstellen
beim Bundesverwaltungsamt, für Forschung auf dem
Gebiet der Biometrie und für eine abgespeckte staatliche
Propagandaoffensive hinsichtlich dieses E-Personalausweises. Das ist angewandte Schizophrenie. Sie reden
von einem Unsicherheitspapier und bewilligen das Geld
dafür.
({5})
Das zweite Beispiel, das BKA-Gesetz, wurde hier
auch schon angesprochen. Herr Toncar sagt stolz: Die
Planstellen, die wir dafür vorgesehen haben, wird es geben. - Für die neue Aufgabenwahrnehmung werden es
dann insgesamt 130 Planstellen mehr beim Bundeskriminalamt sein - allesamt für Befugnisse, die die FDP bekämpft hat und gegen die die FDP durch ihre famosen
Vertreter Baum und Hirsch - leider nicht mehr ganz aktuell, aber immer noch famos - in Karlsruhe vor Gericht
zieht.
({6})
Diese Methode von Ihnen, sowohl auf Klägerseite als
auch auf Beklagtenseite zu sein, soll jetzt offenbar die
ständige Praxis werden. Forensisch können Sie damit
nur gewinnen, weil Sie auf beiden Seiten sind. Hinsichtlich der Glaubwürdigkeit verlieren Sie aber, und zwar rasant.
({7})
Frau Kollegin Piltz, das muss ich Ihnen hier so sagen,
weil Sie uns hier jahrelang erklärt haben, welche Versager die Grünen auf bürgerrechtlichem Gebiet sind.
({8})
Sie haben mit Frau Leutheusser-Schnarrenberger geradezu darum gerangelt - das ist noch kein Jahr her -,
wer vor den Booten der Piratenpartei vor dem Schöneberger Rathaus die Seeräuber-Jenny spielen darf, ob Sie
oder Frau Leutheusser-Schnarrenberger. Ja, das ist noch
kein Jahr her. Jetzt müssen die Gondeln der FDP Trauer
tragen.
({9})
Wir tun das allerdings nicht. Wir halten es mit Lothar
de Maizière, der heute Freiligrath zitiert hat:
Ihr hemmt uns, doch ihr zwingt uns nicht. - Unser
die Welt trotz alledem.
Das wird heute um 15 Uhr vor dem Brandenburger Tor
gesungen werden, und wir werden hier im Herbst wieder
eine Demonstration „Freiheit statt Angst“ von den vielen
erleben, die diese Wende erzwingen wollen und die mit
dem, was Sie bisher geboten haben, wirklich nicht zufrieden sind.
({10})
Nun hat der Bundesminister des Innern, Dr. Thomas
de Maizière, das Wort.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Das Hohe Haus, die Mitglieder des Haushaltsausschusses, hat sich bei meinen Mitarbeitern und mir
für die professionelle Zuarbeit bedankt. Ich will das
gerne zurückgeben und mich für die konstruktive und
professionelle Beratung dieses Einzelplans sehr herzlich
bedanken.
Herr Abgeordneter Danckert, damit hier kein Missverständnis aufkommt: Dazu gehört auch, dass sämtliche
Anträge, die die Koalition beschlossen hat, dass sämtliche Beschlüsse vorab mit mir besprochen worden sind.
({0})
- Nein, nein, ehrlich gesagt: Wann wir das besprechen
({1})
- vielen Dank -, das ist Datenschutz.
({2})
Richtig ist, dass alle Ressorts eine Kürzungsauflage
von 2 Prozent erhalten haben. Wir sind hier ja unter uns:
Ich kann Ihnen verraten, dass wir als Exekutive uns auch
überlegt haben, wo diese 2 Prozent so einzusparen sind,
dass die Aufgabenerfüllung gerade nicht beeinträchtigt
wird. Im Bereich des Personalhaushalts der Bundespolizei ist es zum Beispiel so,
({3})
dass der Abstand zwischen den Soll-Ausgaben und den
Ist-Ausgaben der vergangenen Jahre es ermöglicht, die
von Ihnen genannte Summe einzusparen, ohne dass eine
Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister des Innern
einzige Stelle gestrichen, ohne dass die öffentliche Sicherheit ein einziges Mal gefährdet und ohne dass die
Bundespolizei auch nur im Ansatz in ihrer Aufgabenerfüllung beeinträchtigt wird. Es handelt sich um eine
Einsparung von Soll-Ausgaben, die die öffentliche Sicherheit nicht gefährdet. Deswegen habe ich dem zugestimmt.
({4})
Am Schluss meiner Rede werde ich auf einen Punkt
zu sprechen kommen, bei dem ich anderer Meinung war.
Es geht dabei um den Goldenen Plan Ost, über den wir
im Ausschuss auch gesprochen haben.
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Danckert?
Gern.
Bitte sehr.
Herr Bundesminister, trifft es zu, dass der von Ihnen
vorgelegte Einzelhaushalt keine Einsparungen, sondern
einen Aufwuchs von 75 Millionen Euro aufwies? Wie
lässt sich das mit Ihrer Aussage vereinbaren, auch Sie
hätten Einsparauflagen gehabt? Ihr Haushalt ist doch um
75 Millionen Euro höher als der alte. Das sind keine Einsparungen, sondern zusätzliche Ausgaben. Ich verstehe
Ihre Aussage deshalb nicht.
Herr Danckert, der Haushalt, den wir eingebracht haben, beinhaltete einen Aufwuchs.
({0})
Manches davon waren auch Einmaleffekte oder Ähnliches. Er beinhaltete auch Verringerungen, da im letzten
Jahr Bundestagswahlen waren; das habe ich in der ersten
Lesung vorgetragen. Dann hat der Haushaltsausschuss
- wie bei allen anderen Ressorts - entschieden, dass
2 Prozent eingespart werden müssen.
({1})
Dazu kommen noch die Stelleneinsparungen. Wir haben
das so verträglich umgesetzt, dass die Aufgabenerfüllung für den gesamten Bereich, für den ich verantwortlich bin, nicht beeinträchtigt wird. Deswegen ist dieser
Haushalt für mich eine gute Arbeitsgrundlage.
({2})
Erlauben Sie mir, zu einigen Schwerpunktaufgaben
der kommenden Jahre, die zwischen der ersten, zweiten
und dritten Lesung diskutiert wurden, Anmerkungen zu
machen. Ich kann und will dabei aber nicht auf alle Argumente, die hier vorgetragen wurden, eingehen. Zunächst möchte ich die Evaluierung der Sicherheitsbehörden erwähnen; das hat auch ein bisschen mit dem,
worüber Sie gesprochen haben, zu tun. Der Bundesfinanzminister und ich werden zunächst die Sicherheitsbehörden des Bundes evaluieren. Dazu gehören die Bundespolizei, das Bundeskriminalamt, der Zoll sowie die
Lage auf Flughäfen, Bahnhöfen und Häfen. Wir wollen
Doppelarbeiten vermeiden. Wir wollen die Zusammenarbeit verbessern. Wir wollen Redundanzen vermeiden,
damit die Arbeit besser wird und gegebenenfalls das eine
oder andere effektiver geleistet werden kann.
Die Bundesregierung wird sich in diesem Prozess von
Experten beraten lassen. Es handelt sich dabei um folgende Herren:
({3})
Vorsitzender wird der ehemalige Staatssekretär im Bundesinnenministerium, Herr Werthebach. Zu den weiteren
Mitgliedern zählen der ehemalige Staatssekretär im Innenministerium von Nordrhein-Westfalen Wolfgang
Riotte, der ehemalige Präsident des Bundeskriminalamts
Dr. Ulrich Kersten, der ehemalige Generalbundesanwalt
Kay Nehm, außerdem Professor Dr. Rolf Ritsert von der
Deutschen Hochschule der Polizei sowie der in einigen
Wochen in den Ruhestand tretende Präsident des Zollkriminalamts, Karl-Heinz Matthias.
({4})
Ich bedanke mich bei allen, die bei dieser Arbeit mitmachen.
({5})
- Ich weiß gar nicht, warum Sie da so aufgeregt sind.
({6})
- Es ist ein Mangel, dass keine Frau dabei ist; das mag
sein. Wenn aber Menschen, die diesem Land treu gedient
haben, nach Abschluss ihrer Dienstzeit der Bundesregierung ihren unabhängigen Rat zur Verfügung stellen,
dann ist das Lob wert und nicht Tadel.
({7})
Ich werde sie bitten, bis zum Herbst Vorschläge vorzulegen. Daraus werden wir dann unsere Schlussfolgerungen ziehen und sie gemeinsam beraten.
Zum Digitalfunk ist viel gesagt worden. Ich teile alle
Auffassungen, die hier vorgetragen wurden. Er ist spät
eingeführt worden. Die Einführung wurde durch Bund
und Länder sowie durch den Parforceritt meines Vorvorgängers auf komische Weise vorangebracht.
({8})
Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister des Innern
Wir sind jetzt gemeinsam dabei, es auf die richtige
Schiene zu setzen. Wir brauchen eine konstruktive und
kritische Begleitung dieses Projekts, einschließlich eines
externen Controllings. Ich finde es sehr gut, dass wir das
machen, und hoffe, dass wir auf diese Weise vorankommen.
Ich möchte einen weiteren Punkt vortragen, nämlich
den Abschluss der Tarifverhandlungen, den Sie alle
mitverfolgt haben. Es wurde eine Tariferhöhung um
1,2 Prozent in diesem Jahr und um 1,1 Prozent im nächsten Jahr beschlossen. Zusammen mit einer Einmalzahlung
führt das für die Beschäftigten zu einer Einkommenssteigerung in der Größenordnung von 2,7 Prozent über eine
Laufzeit von 26 Monaten. Linear sind es 2,3 Prozent.
Ich halte diesen Tarifabschluss für verantwortbar, für
auskömmlich und im Lichte dessen, was in der Privatwirtschaft verabredet worden ist, auch für gut. Deswegen wird die Bundesregierung einen Gesetzentwurf
vorlegen, der diesen Tarifabschluss inhaltsgleich und
zeitgleich auf die Beamten, Richter, Soldaten und Versorgungsempfänger überträgt, allerdings unter Beachtung der bisher beschlossenen beamtenrechtlichen Regelungen. Das bezieht sich etwa auf die Abschläge im
Versorgungsausgleich und Ähnliches. Wir werden den
Gesetzentwurf schnellstmöglich einbringen. Ich glaube,
die Angestellten und die Beamten sollten in dieser Frage
gleichbehandelt werden.
Die Einführung des neuen Personalausweises - das
hat Herr Toncar zu Recht festgestellt - steht im Gesetz.
Darin wird auch ein Datum genannt. Ich werde mich als
Bundesinnenminister an das Gesetz halten und den
neuen Personalausweis zum 1. November dieses Jahres
einführen.
({9})
Von der Deutschen Islam-Konferenz war bisher
noch nicht die Rede. Ich glaube, Sie haben Anspruch darauf, dass ich etwas dazu sage. Ich möchte die IslamKonferenz, die mein Vorgänger begonnen hat, fortsetzen. Sie hatte mit der ersten Phase insoweit einen gewissen Abschluss gefunden, als man sich auf gemeinsame
Erklärungen, Bekenntnisse und eine Grundlage des weiteren Dialogs verständigt hat. Deswegen ist mein Ziel in
der zweiten Phase der Deutschen Islam-Konferenz, unter
Wahrung und Beachtung der dort gemeinsam erarbeiteten Grundlagen die Arbeiten konkreter und praktischer
zu machen. Deswegen wird auch die Teilnahme kommunaler Vertreter und von Ländervertretern ausgeweitet.
Ich bin insbesondere den Einzelpersönlichkeiten
dankbar, die bisher an der Deutschen Islam-Konferenz
beteiligt waren, dass sie auch weiter zur Verfügung stehen. Genauso dankbar bin ich, dass wir neue Persönlichkeiten gefunden haben, die in diesem Dialog das ganze
vorhandene Spektrum von den sogenannten islamkritischen Vertretern bis hin zu anderen abdecken, sodass wir
einen repräsentativen Querschnitt der Debatte haben,
auch was die Einzelpersönlichkeiten angeht.
Ich habe auch den bisher vertretenen Verbänden bis
auf eine Ausnahme die Mitarbeit angeboten. Den besagBundesminister Dr. Thomas de Maizière
ten Verband habe ich nicht etwa, wie es zum Teil gesagt
worden ist, von einer weiteren Mitarbeit ausgeschlossen;
vielmehr bin ich, solange erhebliche, schwerwiegende
strafrechtliche Ermittlungen gegen einen dieser Verbände durchgeführt werden, die keine einzelnen Mitglieder, sondern die Arbeit des Verbandes im Kern betreffen,
nicht bereit, mich mit Vertretern solcher Verbände an einen Dialogtisch zu setzen.
({10})
Das heißt aber nicht, dass die Tür geschlossen wird: Sie
bleibt offen. Ich hoffe sehr, dass wir zu einer konstruktiven und guten Fortsetzung der Deutschen Islam-Konferenz kommen.
Gestatten Sie mir noch eine Bemerkung zum Sport.
Ich habe gesagt, dass ich die Maßnahmen, die zur Kürzung des Regierungsentwurfs geführt haben, die die Koalition beschlossen hat, in allen Punkten teile, mit einer
kleinen Ausnahme, dem Goldenen Plan Ost. Dabei geht
es nicht um die Summe - im Kern sind es 2 Millionen
Euro, um die gestritten wird -, sondern ich bedauere in
der Tat die damit verbundene Symbolik.
({11})
Allerdings möchte ich eines hinzufügen, Herr Danckert,
und diejenigen, die aus westdeutschen Wahlkreisen
kommen, mögen mir das verzeihen: Nach wie vor ist
- das haben auch die Ergebnisse von Vancouver gezeigt -,
repräsentativ gesehen, der Anteil der erfolgreichen ostdeutschen Sportler deutlich höher als der der westdeutschen.
({12})
Das ist auch ein Reflex der Spitzensportförderung, die
wir betreiben, die sich auch infrastrukturell weit überproportional stärker in den ostdeutschen Ländern als in
den westdeutschen auswirkt. Auch das gehört zur Wahrheit der Spitzensportförderung dieser Bundesregierung.
({13})
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Kunert?
Gerne.
Bitte.
Herr Minister, vielleicht teilen Sie die Auffassung, die
ich Ihnen jetzt vortragen werde. Es ist so, dass wir im
Sportausschuss immer darüber reden, dass wir eine
Sportfamilie sind und dass wir bei anstehenden Entscheidungen immer im Interesse der Sache beschließen.
Ein Kollege im Haushaltsausschuss hat im Sportaus2868
schuss vehement dafür geworben, 2 Millionen Euro für
die Ski-WM 2011 einzustellen. Als darüber gesprochen
wurde, es solle eine Sondermünze geben, haben wir als
Fraktion Die Linke gesagt: Jawohl, wenn wir eine WM
in Deutschland austragen, dann möge sich der Bund an
der Finanzierung der Sondermünze beteiligen, zumal es
zu zusätzlichen Einnahmen kommt. - Dazu, dass aber
ausgerechnet dieser Abgeordnete, der für die Sondermünze geworben hat, den Antrag stellt, den Goldenen
Plan zu beerdigen, muss ich sagen: Da kommt es im
Ausschuss schon zu Missstimmungen.
Ich sage Ihnen ganz ehrlich: Unsere Haushälter haben
den Zusammenhang hergestellt, dass die Ski-WM auf
Kosten des Goldenen Plans Ost finanziert wird. Das
kann nicht sein. Zum guten Ton gehört: Wenn man im
Haushaltsausschuss Anträge stellt, dann muss man sie
zumindest im Fachausschuss ankündigen. Deshalb bedaure ich sehr, dass das hier anders gelaufen ist. Aber
wir geben Ihnen natürlich die Möglichkeit, Herr Barthle,
unserem Antrag zuzustimmen, wonach 20 Millionen
Euro für den Goldenen Plan und damit für die ostdeutschen Kommunen eingestellt werden. Ich sage Ihnen:
Der Spitzensport kann nur dann gedeihen, wenn wir in
den Breitensport investieren. Ich frage Sie, Herr de
Maizière: Stimmen Sie mir in diesem Punkt zu?
Frau Kollegin, ich habe schon auf die Frage gewartet,
die dann zum Schluss kam. Ich will darauf gerne antworten und wäre darauf auch ohne Ihre Frage eingegangen.
Wir haben in Vancouver großartige Sportlerinnen und
Sportler erlebt.
({0})
Wir erleben im Moment - wie soll ich sagen? - fast noch
großartigere Sportlerinnen und Sportler mit körperlicher
Behinderung, die das Beste leisten, was man sich überhaupt nur vorstellen kann.
({1})
Das ist - Herr Herrmann hat es schon gesagt - die beste
Werbung für die Bewerbung um die Olympischen
Spiele in München.
({2})
Was hat das mit dem zu tun, was Sie sagen? Ich sage
Ihnen Folgendes - das habe ich auch schon im Ausschuss gesagt -: Wenn das irgendeine Ski-WM - die
Garmischer mögen mir verzeihen - in irgendeinem Jahr
gewesen wäre, hätte ich gesagt: Sie brauchen kein Geld
für ein Kulturprogramm. Es gibt viele Weltmeisterschaften in Deutschland. Auch bei der Frauenfußball-Weltmeisterschaft in unserem Land haben wir, die Bundesregierung und der DFB, auf ein Kulturprogramm
verzichtet.
({3})
Aber die Ski-WM in Garmisch-Partenkirchen findet im
Winter 2011 statt. Im Sommer 2011 entscheidet das
Olympische Komitee, ob die Olympischen Winterspiele
2018 in München, Garmisch-Partenkirchen und Umgebung stattfinden. Deswegen, ich sage: und nur deswegen, weil die Veranstaltung exakt dort stattfindet, wo wir
uns um die Olympischen Spiele bewerben, sind in diesem Fall diese Mittel gerechtfertigt und gut, begründen
aber keinen Anspruch darauf, dass in Zukunft auch alle
anderen Weltmeisterschaften teure Kulturprogramme
bekommen. Das ist meine Antwort auf Ihre Frage.
({4})
Ich wünsche mir, dass es uns bei allem innenpolitischen Streit, den wir haben - da wende ich mich insbesondere auch an die Grünen -,
({5})
auf Regionalebene, nicht auf Bundesebene, gelingt, in
einer erstklassigen Weise professionell, finanziell und in
der Art, wie wir uns um diese Olympischen Spiele bewerben, alles daranzusetzen, was vertretbar ist, um im
Juli 2011 die Nachricht entgegennehmen können: Die
Olympischen Spiele 2018 finden in Deutschland, in
München, Garmisch-Partenkirchen und Umgebung,
statt. Das wünsche ich mir. Im Übrigen wünsche ich mir
bei allem Streit, dass wir in diesem Haus in dieser Frage
einen Konsens erzielen.
Ich bitte herzlich um Zustimmung zum Einzelplan 06.
({6})
Herr Bundesminister, Sie sind zwar am Ende Ihrer
Rede, aber der Kollege Barthle möchte noch gerne eine
Zwischenfrage stellen.
({0})
Darf ich ihm dazu die Möglichkeit geben?
Gerne.
Die Redezeit ist noch nicht zu Ende. Auch Herr Jerzy
Montag möchte Ihnen anschließend eine Zwischenfrage
stellen. - Herr Kollege Barthle.
Danke. - Herr Minister, können Sie mir erstens bestätigen, dass der Goldene Plan Ost ursprünglich eine andere Intention hatte, als er über die Jahre bekommen hat?
Die Mittel dafür wurden sukzessive abgebaut, bis sie
schließlich auf dem Level von 2 Millionen Euro gelandet waren.
({0})
Können Sie mir dazu bestätigen, dass über die Konjunkturprogramme für die neuen Bundesländer ein Betrag von rund 600 Millionen Euro zur Verfügung steht
und dieser Betrag nicht in vollem Umfang abgerufen
werden kann, weil den Kommunen die Möglichkeiten
zur Kofinanzierung fehlen?
({1})
Angesichts dieser Tatsache ist der Betrag aus dem Goldenen Plan Ost eine wirklich zu vernachlässigende
Größe und ist insofern wirklich nur Symbolik. Diese
Symbolik hat 20 Jahre nach der Wiedervereinigung vielleicht nicht mehr die Strahlkraft, die sie einmal hatte.
({2})
Können Sie mir zweitens bestätigen, dass ich nicht
Mitglied des Sportausschusses bin und dementsprechend
nicht an dem Beschluss beteiligt war, der im Sportausschuss mit den Stimmen der Linken getroffen wurde, für
die Ski-WM 2 Millionen Euro zur Verfügung zu stellen?
Können Sie mir drittens bestätigen, dass wir Haushälter, weil wir sparsam sind, diesen Betrag um eine halbe
Million unterschritten haben und nur 1,5 Millionen Euro
zur Verfügung gestellt haben?
({3})
Ich kann Ihnen alles bestätigen. Ich finde es nur etwas
seltsam, dass Sie eine Bestätigung brauchen, dass Sie
nicht Mitglied des Sportausschusses sind.
({0})
Das ist sicherlich wahr.
Ich finde es falsch, einen Zusammenhang zwischen
der Kürzung der Mittel für den Goldenen Plan Ost und
den Mitteln für die Ski-WM herzustellen. Einen solchen
Zusammenhang gibt es nicht. Ich habe ausdrücklich begründet, dass ich das eine nicht schön und das andere
trotzdem richtig finde.
Ich füge aber eines hinzu: Der Bund ist nach der verfassungsmäßigen Ordnung - ich sage ganz leise: wenn
überhaupt - für die Förderung des Spitzensportes und
nicht für die Förderung des Breitensportes zuständig.
Die Förderung des Goldenen Plans Ost war aufgrund des
Nachholbedarfs und des Erfordernisses des Zusammenwachsens im Sport - ähnlich wie im Kulturbereich nach 1990 geboten, erforderlich und sinnvoll. Aber man
muss fairerweise sagen, dass das nicht ganz der verfassungsmäßigen Ordnung entspricht.
({1})
Herr Minister, eine weitere Zwischenfrage stellt der
Kollege Montag.
Danke, Frau Präsidentin. - Herr Bundesinnenminister, Sie haben explizit die bayerischen Grünen angesprochen.
Ich habe es angedeutet.
Da ich im Moment der einzige Grüne aus Bayern im
Saal bin, fühle ich mich angesprochen. Ich frage Sie, ob
Sie die Debatte, die die bayerischen Grünen über die Bewerbung um die Olympischen Spiele 2018 führen,
überhaupt kennen. Uns geht es darum, dass diese Spiele
so ökologisch wie möglich sind, dass die Eingriffe in die
Alpen durch diese Olympischen Spiele so gering wie
möglich sind und dass die öffentliche Infrastruktur dadurch keinen Nachteil, sondern einen Fortschritt erfährt.
Wissen Sie eigentlich, dass diese Debatte dazu geführt
hat, dass sich die Grünen, die in München für die Bewerbung zuständig sind und seit 20 Jahren mit der SPD in
der Stadt regieren, im Münchener Stadtrat einstimmig
für die Bewerbung ausgesprochen haben und sich die
Münchener Grünen auf einer Vollversammlung mit
Mehrheit dafür entschieden haben? Wir werden aber die
Diskussion, ob diese Bewerbung letztendlich zu ökologisch nachhaltigen Spielen führen wird oder nicht, weiterführen.
Herr Montag, ich begrüße Ihre Klarstellung ausdrücklich. Ich wollte die Grünen nicht tadeln und aus dem
Konsens über die Bewerbung quasi herausnehmen. Vielmehr wollte ich versuchen, sie komplett mitzunehmen,
auch die Landtagsfraktion der Grünen in Bayern.
Unsere Bewerbung wird überhaupt nur eine Chance
haben, wenn wir auf Nachhaltigkeit setzen. Ein Alleinstellungsmerkmal unserer Bewerbung ist es gerade, dass
vorhandene Sportstätten so genutzt werden sollen, wie
es noch nie zuvor bei Olympischen Spielen der Fall war;
das ist ein Markenzeichen. Wir wollen in München zum
Beispiel alles fußläufig machen. Wir können uns bei der
Nachhaltigkeit höchstens gegenseitig überbieten. Aber
darüber, dass diese Olympischen Spiele nachhaltig sein
sollen, kann es keinen innenpolitischen Streit in
Deutschland geben.
Da wir uns darin offenbar einig sind, bitte ich Sie alle
- bei allem Streit über die öffentliche Sicherheit, den Datenschutz und den Goldenen Plan Ost - herzlich, in dieser Frage an einem Strang zu ziehen.
Ich bedanke mich herzlich.
({0})
Nächste Rednerin ist Kollegin Gabriele Fograscher
für die SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Wir haben gerade in einer Gedenkstunde die Arbeit
der 10. Volkskammer gewürdigt. Die Volkskammer war
fleißig und hat in nur sechs Monaten 164 Gesetze verabschiedet. Sie, die schwarz-gelbe Koalition, haben in vier
Monaten nichts vorgelegt, auch nicht in der Innenpolitik.
Wenn wir von der Tagesordnung für den Innenausschuss
und das Plenum in der nächsten Sitzungswoche die EUVorlagen und die Initiativen der Opposition wegnähmen,
bliebe nichts mehr zur Beratung übrig.
({0})
Nun könnte man sagen: Die Vorgängerregierungen
haben alles zum Thema Innenpolitik geregelt, es gibt
nichts mehr zu tun. - Aber so ist es nicht.
Vielmehr sind Sie konzeptionslos, ideenlos, oder Sie
blockieren sich gegenseitig, zum Beispiel beim Thema
Vorratsdatenspeicherung. Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts machen Sie, Herr Innenminister,
massive Sicherheitslücken aus, die schnell geschlossen
werden müssen, die Justizministerin aber will sich Zeit
lassen und nationale Alleingänge und Schnellschüsse
verhindern.
Sie, Herr Innenminister, wollen Integrationspolitik
zu einem Schwerpunktthema machen. Sie erhöhen die
Mittel für die Sprachkurse, aber damit sichern Sie nur
den Status quo. Mehr Qualität, mehr Kursangebote für
spezielle Gruppen und bessere Stundenlöhne für die
Lehrer lassen sich damit nicht finanzieren.
({1})
Unser Antrag greift diesen Mangel auf, und wir bitten
deshalb um Zustimmung zu unserem Antrag.
Außerdem war die Neubesetzung der Leitung der Abteilung „Migration, Integration, Flüchtlinge, Europäische Harmonisierung“ im Bundesinnenministerium mit
einer entlassenen Staatssekretärin aus Sachsen schon
sehr zweifelhaft. Wir bezweifeln, dass Sie es mit Ihrer
Schwerpunktsetzung wirklich ernst meinen.
Sie haben zur Islamkonferenz gesprochen. Wir werden uns dazu äußern, wenn Sie Ergebnisse vorlegen;
aber Voraussetzung dafür wäre, dass Sie die Ziele benennen, die Sie erreichen wollen.
({2})
In der ersten Lesung zum Bundeshaushalt haben Sie,
Herr Innenminister, erklärt - ich zitiere -:
Die erste Aufgabe eines demokratischen Staates ist,
Sicherheit in Freiheit zu gewährleisten. Das spiegelt auch unser Haushalt wider.
Wie können Sie sich dann erklären - Sie haben vorhin
versucht, es zu erklären -, dass die Mitglieder der CDU/
CSU und der FDP im Haushaltsausschuss die Kürzung
des Personaletats bei der Bundespolizei und beim Bundeskriminalamt durchgesetzt haben?
({3})
Ein Beitrag zu mehr Sicherheit ist das sicherlich nicht.
Was Sie erklärt haben, ist einigermaßen absurd: Sparen
durch Nichtbesetzung von Stellen.
({4})
Sie, Herr Innenminister, sprechen nicht mehr von innerer
Sicherheit, sondern von öffentlicher Sicherheit. Neue
Begriffe sind leider keine neue Politik,
({5})
und Sie haben heute nicht erklärt, was das heißt und wie
sich das in Ihrem Haushalt widerspiegelt.
Politischer Extremismus ist eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und die Demokratie. Rechtsextremismus, Linksextremismus und islamistischer Extremismus sind aber von der Qualität und von der Quantität her
völlig unterschiedliche Bedrohungen.
({6})
Ihnen muss mit unterschiedlichen Konzepten und Instrumenten begegnet werden. Glauben Sie denn wirklich
ernsthaft, dass sich mit den Modellprojekten, die zur Bekämpfung des Rechtsextremismus entwickelt worden
sind und die im Bundesfamilienministerium angesiedelt
sind, auch der islamistische Extremismus oder der
Linksextremismus effektiv bekämpfen lässt? Wäre es
nicht sinnvoller, anstatt im Einzelplan 17 die vorhandenen Mittel auf alle Formen des Extremismus auszuweiten und damit die Bekämpfung des Rechtsextremismus
zu schwächen, in Ihrem Hause Konzepte zu entwickeln,
wie den unterschiedlichen Formen des Extremismus begegnet werden kann?
({7})
Neu im Zuständigkeitsbereich des Bundesinnenministeriums ist der Aufbau Ost. Doch was machen Sie
da? Wo sind Ihre Konzepte? Was tun Sie gegen die Abwanderung? Wie wollen Sie gegensteuern, damit nicht
so viele junge Menschen die neuen Bundesländer verlassen? Wie wollen Sie dort neue und zukunftsfähige Arbeitsplätze schaffen? Bisher sind von Ihnen noch keine
Antworten auf diese Fragen gekommen.
Die große gesellschaftliche Bedeutung des Sports
war in den vergangenen Jahren die Begründung für den
Goldenen Plan Ost. Jetzt - wir haben es schon gehört
und darüber hier diskutiert - ist er ersatzlos gestrichen.
Herr de Maizière, Sie sind jetzt auch Beauftragter für die
neuen Länder. Es gibt inzwischen aber auch in den alten
Bundesländern erhebliche Probleme mit dem Erhalt und
dem Neubau von Sportstätten. Hier wäre Ihre Initiative
gefragt gewesen. Sie sind nicht nur für die Spitzensportförderung zuständig, sondern Sie sind auch Kommunalminister und damit zuständig für die Kommunen. Die
schlechte finanzielle Situation der Kommunen in Ost
und West sollte auch Ihr Thema sein.
({8})
Erfolge haben Sie, Herr Minister, bisher nicht vorzuweisen. Ich nenne nur das Stichwort „SWIFT“: Die Art,
wie das Ganze gelaufen ist, war ein ziemliches Desaster.
({9})
Das werden wir Ihnen auch in Zukunft vorhalten. Es gab
nämlich kein gemeinsames und kein abgestimmtes Verhalten innerhalb der Bundesregierung.
({10})
Sie hatte einen schlechten Start, und es geht auch nicht
viel besser weiter.
({11})
Die Bürgerinnen und Bürger wissen überhaupt nicht
mehr, was diese Bundesregierung plant oder will. Jeder
in dieser Regierung sagt etwas anderes, will etwas anderes. Thema „elektronischer Personalausweis“: Keiner
weiß Bescheid. Eine Forsa-Umfrage bescheinigt Ihnen:
Nur noch 8 Prozent der Deutschen haben den Eindruck,
dass in dieser Koalition an einem Strang gezogen wird.
({12})
Das ist kein gutes Ergebnis.
({13})
Es wird Zeit, dass Sie der Verantwortung, die Ihnen
von den Wählerinnen und Wählern übertragen worden
ist, gerecht werden: dass Sie nicht nur ankündigen, zum
Beispiel ein Arbeitnehmerdatenschutzgesetz, sondern
dass Sie uns hier etwas vorlegen. Der Bundeshaushalt
und der Haushalt des Bundesinnenministers werden den
Herausforderungen, vor denen wir stehen, nicht gerecht,
und deshalb werden wir das Haushaltsgesetz ablehnen.
({14})
Nächste Rednerin ist die Kollegin Gisela Piltz für die
FDP-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Innenpolitik ist - das weiß hier jeder - Verfassungspolitik. Der Innenminister ist auch Verfassungsminister, und
der Innenhaushalt ist der Verfassungshaushalt. Daher
muss es darum gehen, die richtigen Rahmenbedingungen auch über den Haushalt zu schaffen. Dazu gehört
aus unserer Sicht die richtige Balance zwischen Freiheit
und Sicherheit. Ich glaube, wir haben angefangen, dieses
Ziel zu erreichen, und wir sind mit dieser christlich-liberalen Koalition auf einem guten Weg.
({0})
Wir setzen nämlich neue Akzente.
({1})
- Wenn Sie das so machen wie immer, müssen Sie sich
von mir auch gefallen lassen, dass es so wie immer
kommt.
Ich möchte einmal ein Wort an die SPD richten. Sie
haben in den letzten elf Jahren Verantwortung in der Innenpolitik getragen - vier Jahre lang waren Sie in der sogenannten Großen Koalition mit der CDU/CSU -, und
Sie haben die Justizminister gestellt. Sie haben etliche
Gesetze beschlossen, die vor dem Bundesverfassungsgericht keinen Bestand gehabt haben. Ich verweise darauf,
dass vor gut zwei Wochen das Bundesverfassungsgericht
die Vorratsdatenspeicherung gekippt hat, für die Sie
Verantwortung tragen.
({2})
Wenn nun Herr Gabriel sagt, die FDP sei eine Partei
mit Führungspersonen, die - ich zitiere wörtlich - „jung“,
„gnadenlos“, „rücksichtslos“ und „verfassungsfeindlich“
sind,
({3})
dann muss ich sagen: Ich freue mich über die Bezeichnung „jung“ - vielen Dank! -; aber der Rest ist einfach
politische Amnesie. Eines ist klar: Sie haben das entsprechende Gesetz verabschiedet und nicht wir.
({4})
Wer, wenn nicht Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen
von der SPD, hat denn das verfassungswidrige Luftsicherheitsgesetz eingeführt? Wer hat denn die Vorratsdatenspeicherung hier mitzuverantworten? Wer hat die
Pendlerpauschale zu verantworten? Wer hat die Beschneidung der Minderheitenrechte im Visa-Untersuchungsausschuss und der Parlamentsrechte bei den
AWACS-Einsätzen zu verantworten?
Frau Kollegin.
Das waren stets Sie, und das müssen Sie sich auch
vorhalten lassen. Wenn Frau Fograscher uns hier auffor2872
dert, uns einmal unsere Regierung vorzunehmen, dann
kann ich Ihnen nur eines sagen: Ich warte auf den Tag,
an dem sich die SPD endlich wieder zu dem bekennt,
was sie hier gemacht hat. Es schadet nämlich der Demokratie, wie sie hier mit ihren eigenen Entscheidungen
umgeht. Es geht nicht um das, was man in der Opposition sagt, sondern um das, was man in Regierungsverantwortung gemacht hat.
({0})
Dazu müssen Sie stehen. Das tun Sie nicht, und das werden Sie nicht tun. Das ist unser Problem. Sie spielen in
der Demokratie nämlich eine schlechte Rolle.
({1})
Frau Kollegin Piltz, gestatten Sie eine Zwischenfrage
des Kollegen Hartmann?
Ja.
Liebe Kollegin Piltz, da wir ja beim Thema Bekenntnisse und Amnesie sind, möchte ich Sie fragen: Fällt Ihnen denn das Bekenntnis leicht, dass es das Land Nordrhein-Westfalen mit einem FDP-Innenminister war, der
die Onlinedurchsuchung ins Gesetzblatt schreiben
wollte und dafür zu Recht vom Verfassungsgericht, das
dieses ablehnte, abgewatscht wurde?
Herr Hartmann, was mir zum Thema „Stellungnahme
des Bundesverfassungsgerichts zu den von NRW vorgeschlagenen Onlinedurchsuchungen“ vor allen Dingen
einfällt, ist, dass der damalige Innenminister Herr Schily
({0})
- vielen Dank -, SPD,
({1})
sich auf Bundesebene nicht einmal bemüht hat, das
Ganze, obwohl es verfassungswidrig war, per Gesetz zu
regeln, sondern geglaubt hat, das Ganze mit einer internen Verwaltungsanweisung regeln zu können. Erst als
die FDP Druck gemacht hat, nachdem wir es im Haushalt gesehen hatten, wurde das überprüft. Der Anstoß
dazu kam nicht von Ihnen. Sie haben das mitverantwortet;
({2})
wir haben es kritisiert. Das fällt mir dazu ein. Das müssen Sie sich vorhalten lassen, meine Damen und Herren
von der SPD.
({3})
Frau Kollegin, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Kollegen Korte?
Ja, macht Spaß, vielen Dank.
Herr Korte, bitte.
Liebe Kollegin Piltz, vielleicht können wir uns darauf
einigen, dass Sie beide in der Innenpolitik Mist gebaut
haben.
({0})
Mich würde jetzt interessieren, dass Sie als FDP-Abgeordnete, deren Partei ja an der Bundesregierung beteiligt ist, dem Bundestag mitteilen, was Sie nun zu tun gedenken mit den ganzen Sachen, die mistigerweise
beschlossen worden sind.
({1})
Danach möchte ich fragen. Es wäre doch Aufgabe des
Mitglieds einer der Koalitionsfraktionen, das dem Bundestag einmal mitzuteilen.
({2})
Ich danke Ihnen für die Frage. Ich könnte jetzt unfairerweise den Rest meiner Rede auf Ihre Kosten halten. Aber da ich Ihnen ersparen möchte, noch 3 Minuten
und 53 Sekunden zu stehen, verspreche ich Ihnen schon
jetzt, dass Sie gleich erfahren, was wir wollen. Damit ist,
wie ich glaube, die Frage beantwortet.
Herr Kollege Wieland,
({0})
Sie sind doch jetzt mein persönlicher Mackie Messer.
({1})
Das, was Sie hier gemacht haben, ist nachvollziehbar,
aber auch sehr durchsichtig.
({2})
Ich muss die Grünen jetzt doch wieder fragen - ich
hatte es mir heute eigentlich ersparen wollen -:
({3})
Was ist denn mit dem Luftsicherheitsgesetz, das Sie verabschiedet haben?
({4})
Was ist mit der Aufhebung des Bankgeheimnisses, die
Sie vorgenommen haben? Was ist mit den sogenannten
Otto-Katalogen, die Sie mitverabschiedet haben
({5})
und durch die das Trennungsgebot aufgeweicht wurde,
mit denen Sie eine Vorverlagerung strafrechtlicher Ermittlungen, biometrische Datenerfassung eingeführt haben, mit denen Sie den Verfassungsschutz ausgeweitet
und, zur Krönung, noch die Weitergabe von PNR-Daten
an die USA ermöglicht haben? Dem hat Ihr damaliger
Außenminister Fischer zugestimmt. Nur so viel zu Ihrer
tollen Bilanz als Bürgerrechtspartei. Das müssen Sie
sich sagen lassen. Was Sie da gemacht haben, war nichts
Konstruktives. Sie wollen dazu nicht wirklich etwas sagen. Sie können dazu nichts sagen. Auch zu diesem
Haushalt haben Sie nichts Konstruktives gesagt. Das ist
leider Ihre Bilanz.
({6})
Wir, die Koalition von CDU, CSU und FDP, haben
uns vorgenommen, den Datenschutz zu verbessern. Das
ist ja etwas, was die SPD in elf Jahren nicht geschafft
hat. Wir haben endlich eine personelle Aufstockung
beim Bundesdatenschutzbeauftragten durchgesetzt. Herr
Wiefelspütz hat das witzigerweise immer nach den
Haushaltsberatungen gefordert, konnte sich damit aber
nie durchsetzen. So kann man das auch machen.
Zur Stiftung Datenschutz. Wir arbeiten gerade daran,
aber, Herr Korte - das müssen Sie sich sagen lassen -,
zur Haushaltswahrheit und -klarheit gehört auch, dass
man erst dann Beträge in den Haushalt einsetzt, wenn
die Mittel dafür auch benötigt werden.
({7})
Wir gehen davon aus, dass wir die entsprechenden Regelungen bis Ende dieses Jahres verabschiedet haben. Dafür werden wir dann im nächsten Haushalt entsprechende Mittel ansetzen.
({8})
Wir setzen darüber hinaus auch auf die Arbeit von engagierten Polizistinnen und Polizisten, die in ihrer täglichen Arbeit Recht und Gesetz selbstbewusst anwenden.
Deshalb haben wir - das fällt ja in den Bereich des Bundes - die operative Einsatzbereitschaft des BKA durch
Bereitstellung zusätzlicher Mittel verstärkt. Dass das
bisher nicht geschehen ist, haben wir in der Vergangenheit ja immer kritisiert. Das erfolgt nun.
Frau Kollegin Piltz, darf ich Sie noch einmal unterbrechen? Sie sehen das zwar nicht, weil die Kollegen
nicht aufstehen, wenn sie sich zu Wort melden. Das wäre
vielleicht eine gute Anregung.
Also ehrlich, ich finde, ein bisschen Respekt könnte
Mackie Messer seiner Seeräuber-Jenny schon entgegenbringen.
({0})
Der Kollege Wieland möchte eine Zwischenfrage
stellen; sie wird offensichtlich gestattet. - Bitte, Herr
Kollege.
({0})
Nein, das Fernsehen ist dabei. Ich bin ja für Datenschutz.
Frau Kollegin Piltz, ich habe so großen Respekt vor
Ihnen, dass ich mich nicht hinstellen wollte, bevor Sie
meine Zwischenfrage zulassen. Nun, wo Sie es getan haben, tue ich das gerne.
Sie haben eben zu Recht darauf hingewiesen, dass RotGrün ein Luftsicherheitsgesetz beschlossen hat, das vor
dem Bundesverfassungsgericht keinen Bestand hatte. Ist
Ihnen aber entfallen, dass bei den sogenannten Otto-Katalogen insbesondere das von Ihnen gerügte, angeblich
verfassungswidrige Eindringen in das Bankgeheimnis
vom Bundesverfassungsgericht gerade nicht so gesehen
wurde, wie Sie es sehen? Vielmehr wurde hier Rot-Grün
in der Ansicht bestätigt, dass man in bestimmten Fällen
den Strömen des Geldes folgen kann und muss, auch
wenn es einer bestimmten Klientel und einer Partei, die
sich immer zur Schutzpatronin dieser Klientel macht,
wehtun mag.
({0})
Herr Wieland, wenn ich das mit einer uncharmanten
Gegenfrage beantworten darf,
({0})
dann frage ich Sie, ob Ihnen entfallen ist, dass die FDP
immer der Ansicht war, dass nicht alles, was das Bundesverfassungsgericht für machbar erklärt hat, auch umzusetzen ist.
({1})
Das ist unsere Maxime, und das gilt in diesem Fall wie
auch bei allen anderen Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts.
({2})
Ob Ihnen die Frage damit beantwortet scheint oder nicht,
Herr Wieland, weiß ich nicht; aber mehr werden Sie, so
leid es mir tut, dazu von mir nicht hören.
({3})
Die Bundespolizei ist hier schon angesprochen worden. Leider ist sie nach der letzten Reform, die wir nur
kritisieren konnten, noch nicht ganz zur Ruhe gekommen. Aber - das ist hier heute schon gesagt worden - mit
dem Einsatz in Afghanistan tragen die Kolleginnen und
Kollegen Mitverantwortung für den Polizeiaufbau in der
dortigen Region. Deshalb ist es richtig und wichtig, dass
wir hier mehr Mittel zur Verfügung stellen.
Im Zusammenhang mit mehr Mitteln frage ich mich,
was die Opposition eigentlich will. Wenn wir mehr Mittel für irgendetwas zur Verfügung stellen, werden wir
von Ihnen kritisiert. Aber wenn wir sparen, werden wir
ebenfalls kritisiert. Ich finde, das passt alles nicht zusammen, was Sie hier machen.
({4})
Das ist nicht klug, sondern eher langweilig für uns.
({5})
Die christlich-liberale Koalition hat sich auch auf die
Fahne geschrieben - dazu hat der Minister bereits vorgetragen -, die Sicherheitsarchitektur auf Doppelzuständigkeiten und Reibungsverluste zu überprüfen. Denn es
macht keinen Sinn, dass man sich an der einen Stelle auf
die Füße tritt, während anderswo Personal gebraucht
werden könnte. Wenn wir nur wenige Mittel zur Verfügung haben, müssen wir sie effektiv einsetzen. Auch das
ist ein gemeinsames Ziel, das wir jetzt in Angriff nehmen.
Zur Achtung der Grundrechte und des Rechtsstaates
gehört aus unserer Sicht auch die politische Bildung.
Hier werden die Grundlagen für unsere Verfassung und
unsere Gesellschaft geschaffen. Deshalb ist es richtig,
dass wir die Bundeszentrale für politische Bildung mit
3 Millionen Euro mehr ausstatten. Das ist übrigens mehr,
als von der SPD in den letzten Jahren zu diesem Thema
zu hören war.
({6})
Denn auf die Große Anfrage der FDP-Fraktion in der
letzten Legislaturperiode antwortete das Justizministerium zwar, dass politische Bildung notwendig sei ({7})
möglicherweise ist da bei Ihnen schon ein Fortschritt zu
erkennen -, aber beim Haushalt hörte Ihre Liebe wohl
auf. Das bedauern wir.
Zum Schluss noch kurz zum Sport; das Beste kommt
immer zum Schluss. Hier ist viel über den Goldenen
Plan Ost gesprochen worden. Ich glaube, es macht Sinn,
auch einmal zu schauen, für was der Bund wirklich zuständig ist und ob er auf ewig für Breitensportförderung
in den Kommunen zuständig ist.
({8})
Auch das gehört zur Ehrlichkeit. Wir freuen uns darüber,
dass wir die Großereignisse unterstützen können. Über
die Auflage einer Münze könnten sie sich fast selbst finanzieren. Wir werden alles dafür tun, dass die Olympischen Spiele 2018 nach Deutschland kommen.
Wir freuen uns auf die nächsten dreieinhalb Jahre und
würden uns auch über eine konstruktive Opposition
freuen.
({9})
Vielen Dank.
({10})
Nächster Redner ist der Kollege Stephan Kühn für die
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Ich möchte gleich an die Themen Goldener
Plan Ost und Ski-WM anknüpfen. Ich sage das einmal
aus haushalterischer Sicht: Sie haben einen investiven
Haushaltstitel gestrichen und dafür einen konsumtiven
Haushaltstitel aufgesetzt.
({0})
Wenn die Veranstaltung in Garmisch so lukrativ ist
- übrigens so lukrativ, dass dort in umfangreicher Form
Bergwald gerodet wurde -, verstehe ich nicht, warum
sich nicht ausreichend Sponsoren finden lassen, um das
Kulturprogramm für diese Veranstaltung zu finanzieren.
({1})
Es ist natürlich richtig, dass der Breitensport eine Angelegenheit der Kommunen ist. Wenn aber die schwarzgelbe Bundesregierung den Kommunen jeden finanziellen Spielraum, um überhaupt in ihre Sportstätten investieren zu können, raubt, dann ist das keine gute Voraussetzung und schafft auch keine guten Bedingungen für
spätere Entwicklungen im Bereich des Spitzensports. So
viel dazu.
({2})
Ich möchte zu dem Aspekt kommen, dass der Minister die Zuständigkeit für die Angelegenheiten der neuen
Länder sozusagen geerbt hat. Ich finde, es ist grundsätzlich eine richtige Entscheidung, dass nicht mehr das Verkehrsministerium, sondern das Innenministerium dafür
zuständig ist. Wir betrachten also das Thema Aufbau
Ost nicht mehr durch eine reine Infrastrukturbrille.
Richtig ist auch, die Förderinstrumente für den Aufbau Ost zu evaluieren. Das haben Sie sich ja vorgenommen, Herr Minister. Ich denke, das ist richtig und
notwendig. Es darf natürlich nicht nur bei wissenschaftlichen Analysen und Forschungsprogrammen bleiben.
Auch teilen wir die Ansicht, dass die Gießkanne kein geeignetes Förderinstrument ist. Wir meinen, dass es eine
stärkere und flexiblere Akteurs- und Innovationsförderung gerade für kleine und mittelständische Unternehmen in den neuen Bundesländern geben muss.
({3})
Sie haben sich als Schwerpunkt Maßnahmen zur Stärkung der Strukturen und Innovationsfähigkeit der ostdeutschen Wirtschaft gesetzt. Nun ist die Fotovoltaik eine
der wichtigsten Industrien in Ostdeutschland mit einem
ausgeprägten Spitzencluster Solarvalley Mitteldeutschland und mit großer wirtschafts- und arbeitsmarktpolitischer Bedeutung. Es gibt mehr als 55 000 Arbeitsplätze
und eine breite Forschungslandschaft. Es heißt ja immer,
im Osten würden nur verlängerte Werkbänke stehen. Das
ist in diesem Fall nicht so. Ostdeutschland hat sich zu einem der weltweit bedeutendsten Standorte für die Produktion von Solaranlagen entwickelt. 90 Prozent der
Produktion in Deutschland kommen aus den neuen Bundesländern. 20 Prozent der weltweiten Produktion fallen
auf die fünf neuen Bundesländer. In vielen Bereichen
sind wir da Weltmarktführer.
Die von der Bundesregierung geplanten Kürzungen
der Solarförderung gefährden diese aufgebauten Strukturen. Sie werden Arbeitsplätze kosten und vor allen Dingen den Einstieg von chinesischen Billigprodukten bedeuten.
({4})
Es geht hier um Industriepolitik und Technologieförderung in den neuen Bundesländern. Insofern wundert es
mich, Herr Minister, dass Sie dazu kein Wort verloren
haben.
({5})
Ich hätte erwartet, dass Sie sich als Minister, der für die
neuen Bundesländer zuständig ist, gegen eine überhöhte
Kürzung bei der Einspeisevergütung ausgesprochen
hätten. Es ist ganz klar: Aufgrund der Kürzung zum
1. Januar 2010 und der jetzt geplanten Kürzung müssten
die Unternehmen eine Produktivitätssteigerung von
30 Prozent innerhalb eines Jahres schaffen. Das ist sicherlich nicht machbar. Die Kürzung in dieser Form
würde bedeuten, dass das, was als Pflänzchen in den
neuen Bundesländern aufgeblüht ist, wieder verwelkt.
Ich erwarte von Ihnen als Minister, dass Sie sich hörund sichtbar - ähnlich wie Ihre Landeskollegen - gegen
diese überzogene Kürzung aussprechen.
({6})
Zum Schluss möchte ich noch auf ein Thema zu sprechen kommen, das Kollegen vor mir schon angesprochen
haben und das sehr wesentlich ist. Sie haben eine Haushaltstiteländerung vorgenommen. Sie klingt zunächst einmal recht unspektakulär: „Förderung von Projekten gegen
Rechtsextremismus in den neuen Bundesländern“ heißt
jetzt „Förderung von Projekten für demokratische Teilhabe und gegen Extremismus in Ostdeutschland“. Sie
haben lautstark verkündet: Damit ist keine Kürzung des
Programms verbunden. In der Erläuterung zum Berichterstattergespräch heißt es aber: Die in Planung befindlichen Programmansätze sind nicht auf eine Bekämpfung
des Rechtsextremismus beschränkt. - Das bedeutet bei
gleichem Haushaltsansatz eine Kürzung der Mittel für
Projekte gegen rechts, und nichts anderes.
({7})
Obwohl alle 26 Minuten in Deutschland eine rechtsextremistische Straftat begangen wird - 20 000 im Jahr
2008 -, obwohl über 100 Todesopfer von Gewalttaten
mit rechtsmotiviertem Hintergrund zu beklagen sind,
werfen Sie rechten und linken Extremismus in einen
Topf.
({8})
Das ist meines Erachtens nicht verantwortbar. Herr Minister, Sie kommen wie ich aus Sachsen und kennen die
Situation vor Ort. Gemessen an der Einwohnerzahl werden die meisten rechtsextremistischen Straftaten in Ostdeutschland verübt. Das muss man einfach zur Kenntnis
nehmen. In der Sächsischen Schweiz oder im Muldentalkreis haben wir kein Problem mit Islamismus oder
Linksextremismus. Aber in den NPD-Hochburgen haben
wir ein großes Problem mit Rechtsextremismus.
({9})
Die Arbeit gegen Rechtsextremismus braucht einfach
langfristige Sicherheiten vom Bund, damit lokale Initiativen gegen rechts, mobile Beratungsteams, Opferberatungsstellen und Bildungsprojekte arbeiten können.
Diese lassen Sie jetzt im Unklaren; dafür habe ich kein
Verständnis. Das ist keine verantwortungsvolle Politik,
meine Damen und Herren.
({10})
Das Wort hat nun Kollege Hans-Peter Uhl für die
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine verehrten Kolleginnen und
Kollegen! Der Rückgang der Haushaltsmittel des BMI
um 128 Millionen Euro wird sicher schwierig umzusetzen sein; aber es wird nur der Einstieg in eine ganze
Kette von Reduzierungen unserer Haushalte, auch des
Haushalts des BMI, sein. Deswegen halte ich es für richtig, Herr Minister, dass Sie eine Kommission einrichten
werden, die sich die Sicherheitsarchitektur zumindest
des Bundes, aber wohl auch in ganz Deutschland, vornimmt.
Wir haben - daran wollen wir natürlich nichts ändern die Hoheit der Länder über die Polizeien.
(Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Daran arbeiten wir!
Dennoch muss man sehen, dass bei 16 Bundesländern
auch gewisse Zentrifugalkräfte wirken. Das ist wohl systemimmanent, und deswegen muss man sehen, wie man
in einer Sicherheitsarchitektur, die in unsere Zeit passt,
Synergieeffekte erzeugen und Einsparungen erzielen
kann, das heißt, mit gleichen Haushaltsmitteln mehr Sicherheit organisieren kann als zuvor.
Wir haben im Bereich der IT-Kommunikation mit
dem IT-Planungsrat bereits einen ersten Schritt getan.
18 Milliarden Euro werden durch den Bund, die Länder
und die Kommunen jedes Jahr für IT-Beschaffungen
ausgegeben. Das heißt, hier ist ein weites Feld für Koordination und Zusammenarbeit, hier kann man sparen,
wenn man sich auf die richtigen Systeme verständigt, die
dann auch von allen Sicherheitsbehörden genutzt werden
können.
E-Government wird unsere Welt revolutionieren.
Dem werden wir Rechnung tragen. Wir werden auf andere Weise mit den Behörden beim Bund, bei den Ländern und den Kommunen kommunizieren können. Das
Ganze wird benutzerfreundlicher, und dies ist gut so.
Das De-Mail-Gesetz, das wir mit der SPD in der letzten Wahlperiode nicht mehr verabschieden konnten, gehen wir jetzt energisch an. Es wird dazu beitragen, dass
wir zertifizierte, sichere E-Mails versenden können, sowohl im geschäftlichen Bereich als auch im Umgang mit
Behörden. Die Wirtschaft legt größten Wert auf dieses
Gesetz. Die deutschen Versicherer versenden pro Jahr
circa 800 Millionen Briefe. Sie könnten also durch einen
sicheren E-Mail-Verkehr einen großen Teil dieser Briefe
elektronisch versenden. Dies bedeutet, dass dadurch allein für die Versicherungswirtschaft Einsparungen von
mehreren Hundert Millionen Euro erzielt werden könnten.
Der elektronische Personalausweis ist hier schon
mehrfach angesprochen worden; er wird kommen. Dazu
läuft gerade ein Countdown ab, der seinen Höhepunkt
am 1. November haben wird, wenn der elektronische
Personalausweis eingeführt werden wird. Er wird ein
Mehr an Sicherheit bringen.
({0})
- Auch Sie, Herr Wieland, werden mit einem solchen
Ausweis sicher identifiziert werden können, auch im Internet.
({1})
- Obwohl man Sie kennt, wird es auch Ihnen nichts
schaden. In München kennt Sie Gott sei Dank niemand,
und da brauchen Sie einen solchen Ausweis.
Dieser Ausweis wird kommen. 13 000 Kommunen
sind dabei, sich darauf vorzubereiten. Über 100 Firmen
sind jetzt schon dabei, zu investieren. Das lässt sich nicht
rückgängig machen, denn das löst Schadenersatzprozesse in horrendem Ausmaß aus. Das will auch niemand
rückgängig machen, das kommt zum Vollzug.
({2})
Lassen Sie mich noch einen Satz zur Vorratsdatenspeicherung sagen.
({3})
Das Urteil dazu haben wir zur Kenntnis genommen; wir
haben es in gewisser Weise sogar vorausgesehen.
({4})
Ich habe immer gesagt - bei irgendeiner Fernsehsendung
habe ich sogar eine Wette abgeschlossen -: Das Bundesverfassungsgericht wird diese Vorratsdatenspeicherung,
das Speichern von Verkehrsdaten dem Grunde nach für
verfassungsgemäß erklären - das hat es getan -, wird
aber wohl sagen, dass es mit Blick auf die Anwenderseite vielleicht da und dort doch zu weit gehe; auch dies
hat es getan. Dies setzen wir jetzt um.
Jetzt erzähle ich Ihnen etwas. Gestern war der Präsident des Bundeskriminalamtes bei uns und hat von einem erschütternden Fall berichtet. Ein Mann missbraucht permanent seine beiden minderjährigen Töchter,
rühmt sich im Pädophilen-Chat fortlaufend mit dieser
Tat und kündigt an: Ich mache das auch am kommenden
Wochenende. Das Bundeskriminalamt will diesem Verbrecher auf die Spur kommen und versucht, seine IPAdresse zu bekommen. Wäre sie gespeichert, könnte das
Bundeskriminalamt diesen Mann festnehmen und diese
unerträglichen Verbrechen sofort stoppen. Aber er hat
uns nachweisen können, dass die IP-Adresse vom Provider nicht gespeichert wird. Durch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts darf die Information auch nicht abgerufen werden, selbst wenn sie gespeichert worden
wäre.
({5})
- Herr Wieland, ich werde es Ihnen schriftlich geben,
damit Sie den Ernst der Lage erkennen. Die Äußerung
der Linken, wir sollten bei solchen Verbrechen erst einmal innehalten, wird zu einer Zumutung für jeden Bürger, der sich an die Regeln unseres Rechtsstaates hält.
({6})
Wir werden uns von den Sicherheitsbehörden Fälle
dieser Art berichten lassen. Wir werden keine Ruhe geben, bis Fälle dieser Art in unserem Land gestoppt werden und bis die Sicherheitsbehörden in die Lage versetzt
werden, durch Heraussuchen dieser Vorratsdaten solchen
Verbrechern das Handwerk zu legen. Dazu sind wir verpflichtet, egal in welcher Partei man ist.
({7})
Ich freue mich, dass wir ein sehr viel weicheres
Thema hier bereits mehrfach besprochen haben. Deswegen kann ich mich kurzfassen. Die Winterolympiade
2018 sollte nach München und Garmisch kommen. Wie
ich mitbekomme, sind alle dabei, dieses Vorhaben zu unterstützen. Das ist gut so. Das Mini Bid Book ist beim
Internationalen Olympischen Komitee eingegangen. Die
weiteren Vorbereitungen laufen auf Hochtouren. Alle
machen mit: auf Bundesebene federführend der Bundesinnenminister, der Bundesfinanzminister mit Unterstützung des Bundesverteidigungsministers durch die Bereitstellung der Flächen für das Olympische Dorf. Weil
alle mitmachen, bin ich zuversichtlich, dass wir im Wettbewerb mit Südkorea und Frankreich am 6. Juli nächsten
Jahres die Nase vorn haben und sagen können: Der Zuschlag geht an Deutschland. Ich danke allen Mitgliedern
dieses Parlaments für jedwede Unterstützung dieses Vorhabens.
({8})
Das Wort hat nun Kollege Michael Hartmann für die
SPD-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es lag in der Natur der Sache, dass bei der heutigen
Debatte über den Haushalt des Innenministers viel von
innerer Sicherheit und der Polizei die Rede war.
Ich möchte in diesem Zusammenhang an ein schreckliches Ereignis erinnern, dass sich gestern in meinem
Heimatbundesland Rheinland-Pfalz zugetragen hat. Dort
wurde ein Beamter des SEK von einem Hells Angel
ohne Vorwarnung, ohne Androhung und ohne erkennbare Gefährdung durch die geschlossene Tür erschossen.
Er war trotz Schutzweste und allem anderen, was an Sicherheitsmaßnahmen vorgenommen wurde, sofort tot.
Es steht uns gut zu Gesicht, einen Moment an ihn und
seine Angehörigen zu denken und uns gemeinsam vor
Augen zu führen, dass Polizist bzw. Polizistin zu sein ein
lebensgefährlicher Beruf sein kann. Deshalb hat die
Polizei, egal wo sie eingesetzt ist, unsere volle und uneingeschränkte Unterstützung verdient.
({0})
Den größten Polizeikörper in Deutschland unterhält
der Bund mit seiner Bundespolizei. Rund 40 000 Beamtinnen und Beamten sind dort beschäftigt und versehen
pflichtbewusst ihren Dienst. Es wird ihnen aber seit
2008 mit dem, was sich Reform nennt, nicht leichter gemacht, ihren Dienst pflichtbewusst und korrekt zu versehen. Wir haben am 1. März 2008 ein Gesetz verabschiedet - auch mit Stimmen der Sozialdemokratie -, das eine
Reform der Bundespolizei auf den Weg bringen sollte.
Reform bedeutet Verbesserung. Es soll besser werden,
auch wenn es beim Umorganisieren da und dort rumpelt.
Wir sind nun bei der Evaluation. Dem Innenausschuss
wurde ein Bericht zugeleitet. Gott sei Dank haben wir
als Sozialdemokraten im Jahr 2008 gefordert, dass diese
Evaluation durchgeführt wird. Die Widerstände - ich erinnere mich sehr gut an einzelne Diskussionen und Verhandlungsrunden - bei unserem damaligen Koalitionspartner waren alles andere als gering.
({1})
Es war aber richtig, diese Evaluation durchführen zu lassen.
Nun liegt uns der Bericht vor. Herr Minister, über diesen Bericht müssen wir intensiv und detailgenau reden.
Das sind wir den Beamtinnen und Beamten schuldig.
Lassen Sie mich eines sehr deutlich feststellen - viele
von uns haben Standorte der Bundespolizei in ihren
Wahlkreisen; Sie wissen deshalb, dass ich das nicht
leichtfertig oder aus einer einseitig gefärbten, parteipolitisch geprägten Sicht der Dinge heraus formuliere -: In
diesem Bericht ist nur eine Feststellung richtig. Sie lautet:
Die personalwirtschaftliche Umsetzung der Neuorganisation dauert noch an.
Selbst diese Formulierung ist beschönigend und bemäntelnd. Das weiß man, wenn man sich anschaut, wie
sehr diese Reform eine misslungene ist. Sehr geehrter
Herr Minister, wir dürfen es nicht länger hinnehmen,
dass diese engagierte Polizeieinheit, die größte in der
Bundesrepublik Deutschland, noch weiter beschädigt
wird durch große organisatorische und strukturelle Fehler, die dieser Reform immanent sind.
({2})
Ich will das im Einzelnen begründen - ich nenne einige
wenige Punkte, die wichtig genug sind -:
Erstens. Die Aussage Ihres Vorgängers war: mehr
Polizei in der Fläche. Rund 1 000 Polizeibeamtinnen
und -beamte mehr sollten in der Fläche tätig sein und die
Bundespolizei bei bahnpolizeilichen und sonstigen Aufgaben offensiv unterstützen. Tatsächlich ist es so, dass
Michael Hartmann ({3})
rund 1 200 Beamtenplanstellen - davon war schon die
Rede - nicht besetzt sind. Wo ist mehr Polizei in der Fläche? Das Gegenteil ist der Fall: Wir haben weniger Polizei in der Fläche als zuvor. Allein das ist ein Punkt, der
beweist, dass diese Reform eine misslungene ist, Herr
Minister.
({4})
Wir haben tatsächlich einzelne Dienststellen, einzelne
Inspektionen, die mehr als 40 Prozent Personal zu wenig
haben. Das ist keine Zahl, die ich erfunden habe. Dem
steht entgegen, dass wir die Anzahl der Plätze in den Direktionen, in den Leitungsstäben und anderswo zum Teil
um bis zu 200 Prozent aufgestockt haben. Das ist ein
krasses Missverhältnis und steht im Gegensatz zu dem,
was damals ausgesagt wurde und angeblich Ansatz der
Polizeireform war.
({5})
Zweitens. Es werden derzeit, um die Zahlen zu schönen, sogenannte Fahndungsschwerpunkte - ich sage:
künstlich - gesetzt. Da wird angeblich intensiv ermittelt
und gefahndet zu Verstößen gegen das Ausländerrecht.
Das ist eine Holkriminalität: Wenn man die Beamtinnen
und Beamten losschickt, dann ermitteln die - notgedrungen - und finden auch etwas. Die Art und Weise des Vorgehens ist zum Teil fragwürdig. Dafür können die Beamtinnen und Beamten nichts. Zum anderen werden
dadurch, dass man künstlich diesen Fahndungsschwerpunkt setzt, wichtige Aufgaben im bahnpolizeilichen
und sonstigen Bereich vernachlässigt. Das ist ein weiterer Beweis dafür, dass diese Reform eine misslungene
und zu korrigierende ist, Herr Minister.
({6})
Es gibt also entgegen der Ankündigung weniger Präsenz in der Fläche. Es gibt eine Organisationsstruktur,
die bezogen auf die breite Fläche misslungen ist. Dort,
wo jetzt Inspektionen sind, wären Reviere vielleicht angebrachter und vice versa. Das sagen Ihnen alle Leute,
die sich fachlich und im Detail mit der Bundespolizei beschäftigen.
Last not least, Herr Minister: Die Sozialverträglichkeit der Umsetzung war eine große Überschrift bei dieser ganzen Reform. Ich selbst und sicher auch viele Kolleginnen und Kollegen der Regierungsfraktionen haben
eine Vielzahl berechtigter Beschwerden und Klagen von
Beamten erhalten, die aus sozialen Gründen nicht versetzt werden wollen, die aber versetzt werden sollen, um
die Fehlorganisation auszugleichen. Das kann es nicht
sein. Helfen Sie bitte mit - gemeinsam in diesem Haus -,
damit den Beamtinnen und Beamten Recht widerfährt
und das Versprechen von der sozialverträglichen Umsetzung eingehalten wird.
({7})
Diese Reform war die dritte in 15 Jahren, die über die
Bundespolizei hinweggezogen ist, und wahrhaftig nicht
die gelungenste. Ich denke, ich konnte das begründen
und ausführen. Herr Minister, ich habe die herzliche
Bitte an Sie, weil ich weiß, dass Sie ein sachlich abwägender Mensch sind und Fakten zu werten und zu gewichten wissen: Gehen Sie raus zu den Polizeidienststellen. Hören Sie sich auch an, was die einzelnen
Beamtinnen und Beamten Ihnen zu sagen haben. Lesen
Sie nicht nur das, was Ihnen das Präsidium aufschreibt.
Lassen Sie uns im Innenausschuss offen über diesen
wirklich an den Tatsachen vorbeigehenden Bericht diskutieren, und machen Sie das Ganze zur Chefsache. Revidieren Sie diese Reform, Herr Minister. Das ist meine
herzliche Bitte an Sie am heutigen Tage.
Sie haben vor kurzem in einem Interview in der
Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung - ich befürchte, zu Recht - gesagt:
In der Koalition wird zu viel herumgequatscht und
zu wenig … gearbeitet.
Herr Minister, solange dieser Satz - leider - wahr ist,
werden wir Ihrem Haushalt nicht zustimmen können.
Herzlichen Dank.
({8})
Das Wort hat nun Kollege Reinhard Grindel für die
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Herr Kollege Korte, ich finde, an einem historischen Tag
wie dem heutigen kann man Ihnen Ihre Bemerkungen
über die Beobachtung der Linkspartei durch den Verfassungsschutz so nicht durchgehen lassen.
({0})
Es sind gerade der Berliner Innensenator Körting und die
Berliner Verfassungsschutzchefin Schmid - ich nehme
Berlin als Beispiel, weil dort die Linkspartei sogar mit in
der Verantwortung ist -,
({1})
die uns seit Monaten darauf aufmerksam machen, dass
die linksextremistischen Gewalttaten nicht nur hier in
Berlin massiv zunehmen. Sie weisen auch darauf hin,
dass es Verbindungen zwischen der Linkspartei und militanten Gruppen gibt.
({2})
Ich darf darauf verweisen, dass es Ihre Abgeordnete
Frau Höger war, die laut der Tageszeitung am
17. Oktober 2009 die Verurteilung von Brandstiftern aus
dem Kreis der militanten Gruppen mit den Worten kritisiert hat:
„Gegen die aggressive deutsche Kriegspolitik sind
viele Initiativen nötig.“
({3})
Das ist eine Verharmlosung von Gewaltanwendung, die
völlig unerträglich ist.
({4})
Ich will daran erinnern, Herr Korte,
({5})
dass am Ende der Rede des israelischen Präsidenten hier
in diesem Parlament eine Reihe von Abgeordneten der
Linkspartei demonstrativ sitzen geblieben ist.
({6})
- Ich kann Ihnen genau sagen, was das damit zu tun
hat. - Danach haben mehrere Pfarrer aus dem Wahlkreis
der Kollegin Dağdelen, die sitzen geblieben ist, einen offenen Brief geschrieben und darauf hingewiesen, dass
Frau Dağdelen an Demonstrationen gegen Israel beteiligt war, wo unter anderem Rufe wie „Tod Israel“ ausgebracht worden sind.
({7})
Die Pfarrer schreiben:
Früher liefen sie mit, heute bleiben Sie sitzen, es
widert uns an. Die Kirchen, die wir bespielen, sind
Kirchen der Kulturen, es sind offene Häuser, und
manche Gespräche werden darin so offen geführt,
dass es weh tun kann. Auch Sie sind hier zu Gast
gewesen. Sie werden es nicht mehr sein, Sie sind
uns nicht erwünscht. Sie haben denen, die überlebt
haben, den Respekt verweigert, unseren haben Sie
restlos verloren.
Es gibt einen Haufen Gründe, die Linkspartei vom
Verfassungsschutz überwachen zu lassen.
({8})
Frau Kollegin Fograscher, Sie haben die Deutsche
Islam-Konferenz angesprochen.
({9})
Ich möchte die Unterstützung der CDU/CSU für die Entscheidung des Bundesinnenministers über die Neuausrichtung der Deutschen Islam-Konferenz ausdrücklich
betonen. Das gilt für deren Zusammensetzung, aber vor
allem für deren Inhalte. Ich finde es bemerkenswert, dass
die Mitgliedsverbände des Koordinierungsrats der Muslime in Deutschland überlegen, sich dem Dialog in dieser Islam-Konferenz zu entziehen, gerade wenn es konkret wird, wenn über die Gleichberechtigung von Mann
und Frau, die Imamausbildung und den Religionsunterricht oder auch eine klare Abgrenzung zum islamistischen Extremismus gesprochen werden soll.
Aiman Mazyek vom Zentralrat der Muslime nennt
das, was wir da vorhaben, heute in der Süddeutschen
Zeitung „Diskussionsspektakel“. Der Mann hat nichts
begriffen. Ein Sprecher des Koordinierungsrats der Muslime hat gesagt, die Verbände wollten das Recht auf ihr
religiöses Leben durchsetzen. Ich habe nichts dagegen,
dass wir intensiv darüber diskutieren, dass religiöses Leben von Muslimen in Deutschland möglich sein muss.
Nur die Grundlage unserer Debatte muss klar sein. Es
kann kein Recht darauf geben, Frauen zu unterdrücken
und jungen Mädchen ihre schulischen und beruflichen
Perspektiven zu nehmen.
({10})
Es kann kein Recht darauf geben, dass Religionsunterricht nur noch in Koranschulen stattfindet.
({11})
Es muss Grundlage unseres Dialogs sein, dass man sich
klar vom islamistischen Extremismus distanziert. Über
diese konkreten Fragen müssen wir bei der Deutschen
Islam-Konferenz sprechen.
({12})
Ich will hier erwähnen, dass Necla Kelek in der FAZ
in dieser Woche völlig zu Recht darauf hingewiesen hat,
dass zum Koordinierungsrat der Muslime auch DITIB
gehört, die deutsche Vertretung der türkischen Religionsbehörden. Es ist insofern eine Mitentscheidung der
türkischen Regierung, ob die muslimischen Verbände
bei der Deutschen Islam-Konferenz mitmachen.
({13})
Unsere Bundeskanzlerin wird Ende des Monats in die
Türkei fliegen. Ich erwarte, dass die türkische Regierung
noch vor diesem Besuch ihren Einfluss geltend macht
und erwirkt, dass sich die muslimischen Verbände dem
Dialog über konkrete Fragen, die für das Zusammenleben von Muslimen und Nichtmuslimen in Deutschland
von entscheidender Bedeutung sind, nicht verweigern.
({14})
Ich will ein weiteres Thema ansprechen, das sehr
wichtig ist und das der Kollege Wieland mit der Frage
nach der Freiheit im Netz bereits indirekt aufgegriffen
hat. Wir alle sind von den vielen Fällen, in denen Kinder
in Internaten verschiedenster Träger missbraucht worden
sind, schockiert. Es ist gut, dass diese Fälle jetzt aufgearbeitet werden, damit sich so etwas nie wiederholt.
Aber ich will bei dieser Gelegenheit daran erinnern,
dass sich Kindesmissbrauch in schrecklichster Art und
Weise jeden Tag aufs Neue im Internet wiederholt. Jeder
Klick ist eine Anstiftung zu neuerlichem Missbrauch.
Wir müssen uns in diesem Haus darin einig sein - Freiheitsdemo hin oder her, Herr Kollege Wieland -, dass
wir das, was wir in der realen Welt bekämpfen, in der
virtuellen Welt nicht einfach so hinnehmen dürfen. Wir
dürfen es nicht zulassen, dass Versuche, den Zugriff auf
solche Seiten zu erschweren, durch Vergleiche mit Internetzensur diskreditiert werden. Wir lernen jetzt immer
mehr, dass das Löschen solcher Seiten ausgesprochen
schwierig ist und sich diese Seiten ohnehin janusköpfig
im Internet verbreiten. Ich räume ein: Auch das Sperren
ist sicher kein Königsweg. Aber mit ideologischen Grabenkämpfen helfen wir den Kindern nicht.
({15})
Auch die Freiheit im Netz muss Grenzen haben. Wir
müssen umfassende Strategien zur wirksamen Bekämpfung der Kinderpornografie im Netz erarbeiten, von der
Prävention über die Strafverfolgung bis zum Opferschutz. Wir brauchen nicht nur eine nationale, sondern
wir brauchen auch eine internationale Strategie. Insofern
ist auch dies eine Aufgabe der Europäischen Union. Wir
müssen national prüfen, ob wir die Strafandrohung dem
Schutzgut, um das es hier geht, der körperlichen und seelischen Unverletzlichkeit von Kindern, anpassen müssen. Wir müssen etwas tun. Wir brauchen Runde Tische
nicht nur zum Schutz der Kinder in der realen Welt, sondern wir brauchen sie auch zum Schutz der Kinder in der
virtuellen Welt, die aber immer einen sehr realen und
schrecklichen Hintergrund hat. Ich rufe dazu auf, dass
wir uns der Herausforderung stellen, die Kinder zu
schützen, auch mit Maßnahmen, die in der virtuellen
Welt zum Tragen kommen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, da ich der letzte
Redner in dieser Debatte bin, will ich besonders gerne
betonen: Erstens. Wir stimmen dem Haushalt des Bundesministeriums des Innern zu. Zweitens. Lieber Herr de
Maizière, herzlichen Glückwunsch zu einem, wie ich
finde, guten Start im neuen Amt.
Herzlichen Dank.
({16})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den
Einzelplan 06, Bundesministerium des Innern, in der
Ausschussfassung.
Hierzu liegen zwei Änderungsanträge der Fraktion
Die Linke vor, über die wir zuerst abstimmen.
Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksache
17/1033? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? -
Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen von CDU/
CSU, SPD und FDP gegen die Stimmen der Linken bei
Stimmenthaltung der Grünen abgelehnt.
Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksache
17/1034? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der
Änderungsantrag ist mit den gleichen Mehrheitsverhält-
nissen wie zuvor abgelehnt.
Wir kommen damit zur Abstimmung über den
Einzelplan 06, Bundesministerium des Innern, in der
Ausschussfassung. Wer stimmt dafür? - Wer stimmt da-
gegen? - Enthaltungen? - Der Einzelplan 06 ist mit den
Stimmen der beiden Koalitionsfraktionen gegen die
Stimmen der drei Oppositionsfraktionen angenommen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich rufe den
Tagesordnungspunkt I.15 auf:
a) Einzelplan 07
Bundesministerium der Justiz
- Drucksachen 17/607, 17/623 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Alexander Funk
Florian Toncar
Manuel Sarrazin
b) Einzelplan 19
Bundesverfassungsgericht
- Drucksachen 17/623, 17/624 Berichterstattung:
Abgeordnete Norbert Barthle
Carsten Schneider ({0})
Otto Fricke
Roland Claus
Zu dem Einzelplan 07 liegt ein Änderungsantrag der
Fraktion Die Linke vor.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache eineinhalb Stunden vorgesehen. - Ich
höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Kollegen
Ewald Schurer für die SPD-Fraktion das Wort.
({1})
Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen!
Sehr geehrte Damen und Herren! Als Hauptberichterstatter zum Einzelplan des Bundesjustizministeriums
möchte ich zunächst einmal meiner Überzeugung nachkommen und der Frau Bundesministerin sowie ihrem
Haus - der Leitungsebene, aber auch den Mitarbeitern ganz herzlich danken für die guten Arbeitsvorlagen und
für die gute Vorbereitung der Berichterstattung. Den
Kolleginnen und Kollegen aus der Berichterstatterrunde
möchte ich für die kollegiale Zusammenarbeit danken.
Der Justizhaushalt ist eine übersichtliche Veranstaltung, aber deswegen nicht minder bedeutend für das
Rechtsleben und die Funktionsfähigkeit der Justiz in der
Republik. Ausgaben von 489 Millionen Euro stehen Einnahmen von 409 Millionen Euro gegenüber. Das ist eine
Deckungsquote von sage und schreibe 83 Prozent. Eine
so hohe Finanzdeckung mit eigenen Mitteln zu erreichen, das ist im Bundeshaushalt ein Novum.
Geprägt ist dieser Haushalt durch die Personalausgaben; sie machen 78 Prozent aus. Dem Wesen der Materie entsprechend muss das Personal hochqualifiziert
sein.
Ich habe es schon gesagt: Für die Funktionsfähigkeit
des Justizwesens ist dieser Haushalt von großer Bedeutung. Bedeutend ist er aber auch dafür - ich möchte das
unterstreichen -, wie die Bürgerinnen und Bürger die
Rolle der Justiz in der Gewaltenteilung, die wir in unserer Demokratie haben, wahrnehmen. Das BMJ nimmt
hoheitliche Verfassungsaufgaben wahr. Unter anderem
stellen die ihm zugeordneten Gerichte den Justizgewährungsanspruch der Bürgerinnen und Bürger sicher, und
der Generalbundesanwalt gewährleistet die Strafverfolgungspflicht. Dies sind eminent wichtige Güter für das
Rechtsleben einer demokratischen Kultur und eines demokratischen Staatswesens.
Der größte und vielleicht markanteste Bereich in diesem Hause ist das Deutsche Patent- und Markenamt
in München mit Außenstellen in Berlin und in Jena.
2 500 hochqualifizierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter
wirken hier und erteilen und verwalten gewerbliche
Schutzrechte und geben Informationen über gewerbliche
Schutzrechte in Deutschland heraus. Ich habe jüngsten
Recherchen entnehmen können, dass es im letzten Jahr
60 000 Patentanmeldungen gab. Heute hat das Frühstücksfernsehen aktuell beigesteuert, in der europäischen
Rangliste des Patentanmeldens belege Deutschland damit den dritten Platz. Das DPMA ist die Zentralbehörde
auf dem Gebiet des gewerblichen Rechtsschutzes, also
eine eminent wichtige Institution. Es erwirtschaftet
72 Prozent aller Einnahmen im Bereich des BMJ und
trägt so dazu bei, dass diese hohe Gegenfinanzierungsquote erreicht wird.
Im Jahr 2007 neu geschaffen wurde das Bundesamt
für Justiz, Kapitel 0708. Mit dem Bundesamt für Justiz,
dessen Aufbau über Jahre geplant worden war, wurde eine
neue, zentrale Dienstleistungsbehörde der Bundesjustiz
geschaffen, die, wie ich nachvollziehen konnte, zur Entlastung anderer Bundesbehörden in dem Bereich „Justiz
und Recht“ geführt hat. Im Haushalt 2010 stehen Ausgaben von 41,6 Millionen Euro Einnahmen von voraussichtlich 70 Millionen Euro gegenüber. Das Bundesamt für
Justiz schafft größere Transparenz und Bürgernähe. Es hat
zentrale Aufgaben im Bereich Registerwesen, Verfolgung von Ordnungswidrigkeiten, allgemeine Bundesjustizverwaltung und dergleichen.
Erlauben Sie mir einen kurzen Exkurs: Was mich als
Haushälter überrascht hat, ist, dass in diesem Einzelplan 07
- Bundesjustizministerium - über die Jahre eine relativ
hohe Rate an Ausgaberesten aufgebaut wurde. Dazu gehören Stellen, die ausgewiesen, aber nicht besetzt wurden, aber auch verschobene IT-Projekte und Bauvorhaben. Angesichts der dramatischen Haushaltssituation
müssen diese Ausgabereste in den nächsten Jahren
selbstredend sinnvoll verwirtschaftet, sinnvoll eingesetzt
werden, beim Personal oder bei notwendigen Investitionen.
Lassen Sie mich einen Titel aufgreifen, der für mich
politisch eine besondere Sensibilität darstellt, in Anlehnung an die Diskussion zum Einzelplan 06: In dem Kapitel für das Bundesamt für Justiz sind im Titel 681 01
Härteleistungen für Opfer aller extremistischen Übergriffe vorgesehen. Dieser Titel wird um 700 000 Euro
auf 1 Million Euro aufgestockt. Werte Kolleginnen und
Kollegen - vielleicht auch über alle Parteigrenzen
hinweg -, ich möchte an dieser Stelle sagen: Man sollte
niemals den Fehler machen, die Übergriffsarten gegeneinander auszuspielen. Es ist vorhin gesagt worden: Flächendeckend ist der Rechtsradikalismus in Deutschland
die Bedrohung mit den meisten, signifikant nachvollziehbaren Opferzahlen. Das kann man nicht kleinreden.
Dennoch würde ich niemals auch einen vorhandenen
Linksradikalismus kleinreden wollen.
Zur Gewichtung dieser Formen sage ich zum Schluss
aber ganz klar: Vergessen Sie bitte nicht, dass die rechtsextreme Gewalt in Teilen des Landes mittlerweile flächendeckend vorhanden ist, wie in Teilen Sachsens oder
in Teilen Brandenburgs. Das sollte und kann man in keiner Weise kleinreden, auch wenn so etwas auch in München oder sonst wo vorkommt.
({0})
Der Bezug ist, dass es darum geht, Programme weiter
zu evaluieren und zu entwickeln, die in den letzten Jahren über das Familienministerium und über das BMI entsprechend aufgebaut worden sind.
Für die Entwicklung des Justizwesens auf europäischer Ebene ist es noch wichtig, das Europäische
Geldsanktionsgesetz zu erwähnen. Wir sind eines der
letzten Länder in Europa, die die entsprechende Richtlinie umsetzen. Hier geht es um die gegenseitige Anerkennung von rechtskräftigen Entscheidungen über die Zahlung von Geldstrafen und Geldbußen. Wenn ich richtig
informiert bin, soll das hier am 1. Oktober 2010 Gültigkeit erlangen. Die entsprechenden Aufgaben können nur
erfüllt werden, wenn es an dieser Stelle einen Personalaufwuchs um 99 Stellen gibt, die in diesem Haushalt bereits induziert und geplant sind.
Die Hochrechnungen besagen, dass es dann per annum in etwa 100 000 Verfahren oder auch mehr geben
wird. Das würde für die Gegenfinanzierung Mehreinnahmen von circa 7 Millionen Euro bedeuten. Für die
Anfinanzierung dieses Projektes stellen die Ausgabereste, die ich vorhin erwähnt habe, sicherlich eine gute
Möglichkeit dar. Damit werden die Voraussetzungen geschaffen.
Frau Ministerin, ich darf Sie selbst noch auf etwas ansprechen, was für mich im politischen Bereich von großer Bedeutung ist. Sie persönlich waren innerhalb der
FDP ja immer - das sage ich mit Anerkennung - eine
Fachfrau, die man mit Bürger- und Verbraucherrechten
verbunden hat, und Sie sind es auch jetzt. Das meine ich
so, wie ich es sage. Trotzdem habe ich einige Ängste und
auch ein schlechtes Gefühl, wenn ich mir das Ungefähre
des Koalitionsvertrages hinsichtlich des Mietrechts anschaue.
Sie beabsichtigen, eine Grundkoordinate der Gesellschaft, die auch die Funktion des sozialen Ausgleichs
haben muss, zu verändern, um das Mietrecht unter Umständen einseitig zulasten bzw. zuungunsten der Mieterinnen und Mieter zu verschieben,
({1})
was für die soziale Sicherheit gerade von Familien und
anderen Lebensrealitäten und deren Haushalte im Lande
sicherlich keine gute Sache wäre.
({2})
Deswegen will ich Sie fragen - das ist dann eine Sache
des Dialoges -, warum die FDP das Mietrecht eigentlich
immer nur von der Seite der Vermieter aus denkt.
({3})
Ist es denn so, dass durch die zugegeben natürlich auch
vorhandene kriminelle Energie von wenigen Mietnomaden - das bewegt sich im Promillebereich - der Schutz
von Millionen von Menschen ausgehöhlt werden muss,
die auf ein anständiges Mietrecht mit guten Kündigungsfristen angewiesen sind?
({4})
Diese Frage darf man doch höflich und bestimmt stellen,
weil sich die Antwort darauf in dieser doch nicht einfachen Konstruktion von Schwarz-Gelb - wir alle wissen,
dass Sie sich hier nicht sehr leicht tun - vielleicht auf
Ihre weitere Meinungsbildung auswirkt.
({5})
Zum Schluss ist es für die Öffentlichkeit auch noch
wichtig, zu wissen - auch das macht mir, wiewohl nicht
Jurist, als Bundestagsabgeordneter, als Politiker und
auch als Bürger schon ein bisschen Sorge -, dass Sie
künftig auch Privatisierungen im Bereich des Rechtswesens vorsehen. Sie wollen zum Beispiel das Gerichtsvollzieherwesen privatisieren.
Ich frage mich: Zu was soll das führen? Glauben Sie,
dass durch Privatisierungen in der Rechtspolitik mehr
Sicherheit geschaffen wird? Glauben Sie, dass damit die
Durchsetzung von Recht und Gesetz verbessert wird?
Glauben Sie, dass dadurch das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in den Rechtsstaat gestärkt wird? - Ich
glaube das nicht.
Sie stellen Analogien zu anderen Ländern her, in denen es - das ist bei uns nicht der Fall - fragile zivilgesellschaftliche Strukturen gibt. Ich darf Ihnen das so sagen: In diesen Ländern ist dies eher vorzufinden,
während das in unserem Rechtswesen nicht passend ist.
({6})
Deswegen glaube ich, dass es nicht notwendig und politisch auch ein Fehler ist, die Aufgaben des Nachlassgerichtes auf Notare zu übertragen. Sie wollen vermeintliche
Einsparungen bei den Zwangsvollstreckungsverfahren
erwirken, aber damit geben Sie eine hoheitliche staatliche Aufgabe in private Hände. Das ist mit uns Sozialdemokraten nicht zu machen. Wir werden uns dagegen entsprechend wehren.
Ich komme zu meiner Schlussaussage: Verschlechterung des Mietrechts oder Privatisierungen, wie sie hier
aufgezeigt wurden, leisten meiner Meinung nach keinen
Beitrag dazu, das Vertrauen der Menschen in die Politik
oder in das Rechtswesen, also in die juristischen Vollzüge und die Verantwortung der Gesellschaft gegenüber,
zu erhöhen. Ich möchte Sie bitten, in diesem noch laufenden Prozess nachzudenken und einen politischen
Konsens mit uns Sozialdemokraten zu suchen. Wir sind
für Beratungen immer zu haben, vor allen Dingen wenn
es um die Verbesserung der Sache geht.
Ganz herzlichen Dank.
({7})
Das Wort hat nun die Bundesministerin der Justiz,
Frau Leutheusser-Schnarrenberger.
({0})
Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Lassen Sie mich auch mit Dank beginnen. Ich
danke den Haushaltsberichterstattern der Koalition,
Herrn Funk und Herrn Toncar, sowie den Berichterstattern der Opposition, also dem Hauptberichterstatter
Herrn Schurer, Herrn Sarrazin und Herrn Bockhahn. Ich
bedanke mich außerdem für Ihren Dank an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Justizministeriums. Sie sollen wissen, dass wir Ihnen offen gegenüberstehen, wenn
Sie Informationen oder Begründungen für Ansätze in
unserem Haushalt, der wirklich sehr überschaubar und
dennoch sehr wichtig ist, benötigen.
Lassen Sie mich mit drei kurzen Bemerkungen zum
Haushalt beginnen. Ich möchte als Erstes mit dem Punkt
beginnen, den Sie, Herr Schurer, angesprochen haben,
nämlich den Titel für Härteleistungen für Opfer extremistischer Übergriffe. Dieser Titel ist deutlich aufgestockt worden, und zwar um 700 000 Euro auf 1 Million
Euro. Wir haben im Haushaltsausschuss mit den Haushaltsberichtserstattern intensiv darüber gesprochen. Es
muss sich daher niemand Sorgen machen, dass aus diesem Titel keine ausreichenden Gelder gewährt werden
können, um die Opfer, die rechts- oder linksextremistische Gewalt erfahren mussten, zu entschädigen. Wir haben die entsprechenden Richtlinien für die Verwendung
dieser Gelder angepasst.
Ich möchte mich außerdem - das ist meine zweite Bemerkung - ganz herzlich dafür bedanken, dass für unsere
zukünftige Aufgabe nach dem Geldsanktionsgesetz,
das wir nach der Bildung der Koalitionsregierung zügig
auf den Weg gebracht haben, die Stellenausstattung im
Haushalt mit dem Tag des beabsichtigten Inkrafttretens,
dem 1. Oktober 2010, gesichert ist. Herr Schurer, Sie haben die Grundlage für diese Berechnung bereits vorgetragen. Es ist eine wichtige Aufgabe. Wir sind verpflichBundesministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger
tet, diese EU-Vorgabe umzusetzen. Das ist in der letzten
Legislaturperiode nicht mehr passiert.
Als dritte Bemerkung möchte ich das Präventionsprojekt Dunkelfeld der Charité Berlin erwähnen, das
seit dem Jahr 2008 durch den Haushalt des Bundesjustizministeriums mit jährlich 250 000 Euro gefördert wird.
Meine Vorgängerin hat es zusammen mit den Haushaltsberichterstattern in den Haushalt eingestellt bekommen.
Ich bin froh, dass die Förderung dieses Jahr fortgesetzt
wird. Für das nächste Jahr ist die Finanzierung aber
überhaupt nicht gesichert.
Gerade vor dem Hintergrund der aktuellen Debatte
über Missbrauch in Institutionen von katholischen, evangelischen und anderen Trägern ist es in meinen Augen
ganz entscheidend, dieses Projekt weiterzuführen. Am
besten wäre es, es nicht nur weiterzuführen, sondern sogar auszubauen. Denn es handelt sich um ein Projekt,
das Männern, die die Gefahr ihrer pädophilen Neigung
erkennen, die Möglichkeit gibt, sich an fachkundige Berater zu wenden und entsprechende Therapien zu machen, bevor etwas passiert. Ich werbe daher schon jetzt
dafür. Es wäre in unserem gemeinsamen Interesse, wenn
eine Fortsetzung des Projekts gesichert werden könnte.
({0})
Wenn das nicht möglichst bald in Aussicht gestellt wird,
dann werden viele Therapien nicht mehr angewandt werden können, weil sie über einen längeren Zeitraum und
somit über den Jahreswechsel hinaus andauern würden.
Lassen Sie mich zur aktuellen Debatte über Missbrauch und insbesondere über die vielen Missbrauchsfälle aus den vergangenen Jahrzehnten kommen. Ich
habe mich als Bundesjustizministerin von Anfang an mit
dem Gesichtspunkt eingebracht, der mich als Ministerin
besonders zu beschäftigen hat, nämlich die Durchsetzung des staatlichen Strafanspruchs. Genau das habe ich
eingefordert.
Ich denke, es ist ganz wichtig, dass von allen Verantwortlichen in Institutionen bei Anhaltspunkten, die sich
etwas verdichten, die Informationen an die Staatsanwaltschaft gehen, ohne dass wir wieder eine strafbewehrte
Anzeigepflicht für alle Delikte in unser Strafgesetzbuch
einführen. Ich habe heute zur Kenntnis genommen und
freue mich darüber, dass gerade in Bayern von Erzbischof Marx öffentlich gesagt wurde, dass er sich dafür
einsetzt, dass die Leitlinien der Deutschen Bischofskonferenz genau in diesem Punkt entsprechend geändert
werden sollen.
Wir haben uns in der Bundesregierung - um auch hier
gleich Spekulationen und weiteren Überlegungen den
Boden zu entziehen -, nachdem ich diejenige war, die
als Erste einen runden Tisch ins Gespräch gebracht hat,
auf einen gemeinsamen runden Tisch verständigt, der in
die Zukunft blickt, aber auch zurückblickt und sowohl
das Thema Prävention als auch rechtliche Fragen wie die
Durchsetzung des staatlichen Strafanspruchs behandeln
wird. Von daher mündet das, glaube ich, in eine positive
Entwicklung ein, die auch - das muss unser Anliegen
sein - den Opfern von Missbrauch aus der Vergangenheit da, wo Verjährung eingetreten ist, aber auch im Hinblick auf Verhinderung Rechnung trägt.
({1})
Wir haben ein umfangreiches rechtspolitisches Programm, das sehr klar macht, dass wir sehr wohl in einigen Punkten Korrekturen vornehmen. Wir werden nach
der Sommerpause im Kabinett den ersten Gesetzentwurf, der sich mit dem Schutz der Berufsgeheimnisträger befasst, nach Abstimmung mit den Ländern und
auch mit den Ressortkollegen beschließen und ihn diesem Haus zur Beratung und Beschlussfassung vorlegen.
Wir müssen uns auch ausführlich und intensiv mit der
Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur anlasslosen Vorratsdatenspeicherung befassen, nicht nur im
Hinblick darauf, was das für uns in Deutschland heißt
und was dort kritisiert wird, und nicht nur im Hinblick
auf Gesetzesformulierungen, die man nicht einmal aus
dem Urteil abschreiben kann, sondern auch im Hinblick
auf Datensicherheit und die Bereiche, die ausgenommen
werden sollen.
Parallel dazu findet auf EU-Ebene derzeit eine Evaluation statt, an der wir uns zu beteiligen haben, was wir
auch tun. Die Prüfung erfolgt auch auf der Grundlage
der EU-Grundrechtecharta, die in Kraft getreten ist. Von
daher werden wir und werde ich als zuständige Ministerin sehr verantwortungsvoll mit diesem so sensiblen
Thema umgehen, wobei wir uns aber auch diese Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes in ihrer gesamten Tragweite auch im Hinblick auf zukünftige Projekte immer bewusst machen müssen.
({2})
Herr Schurer, Sie haben einige Punkte angesprochen,
auf die ich nur sehr kursorisch eingehen kann. Das allgemeine Gespenst der Privatisierung muss hier nicht an
die Wand gemalt werden. Ich sage ganz deutlich: Alles,
was nur mit einer Grundgesetzänderung möglich ist
- dazu haben wir eine pauschale Aussage in unserem
Koalitionsvertrag -, werden wir nicht vorrangig als
Thema der Koalitionsregierung und der Fraktionen angehen. Das haben wir ausdrücklich so vereinbart, sodass
wir uns damit befassen werden, was außerhalb der
Ebene einer Grundgesetzänderung möglich ist. Ich
glaube, das kann schon als eine gewisse Bewertung aufgenommen werden.
Aber wir müssen uns auch mit einer Fülle von Vorschlägen aus den Ländern - über Ländergrenzen hinweg,
nicht nur aus Ländern, in denen wir eine CDU/FDP-Regierung oder CSU/FDP-Regierung haben - befassen und
gerade auch das Testamentsregister als erstes Projekt
forcieren. Das werden wir intensiv tun.
Zum Mietrecht haben wir viele Punkte vereinbart.
Dort werden wir und werde ich genau hinsehen: Was gehen wir zuerst an? Natürlich gehen wir das Thema Mietnomaden an. Dabei geht es um das Berliner Modell oder
darum, eine deutliche Beschleunigung des Vollstreckungsverfahrens zu erreichen. Das dient allen.
({3})
Natürlich werden wir uns auch mit Luxussanierungen
beschäftigen.
Ich sage ganz klar: Was die Kündigungsvorschriften
im Mietrecht angeht, werde ich überhaupt nur dann aktiv, wenn alle Koalitionsfraktionen voller Herzblut sagen: Genau das muss jetzt geschehen.
({4})
Von daher wenden wir uns zunächst einmal den anderen
Punkten zu.
Vielen Dank, Herr Präsident, für Ihre Geduld. Danke schön.
({5})
Das Wort hat nun Kollege Wolfgang Nešković für die
Fraktion Die Linke.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Sehr verehrte Ministerin! Das waren zum
Schluss optimistische Worte. Ich bin gespannt, was dabei herauskommt.
({0})
Der Philosoph Ernst Bloch prägte einst das Bild vom
aufrechten Gang: Ihn zu lernen, sei schwer, aber möglich. Zwei Lasten verwehren es den Menschen, aufrecht
zu gehen. Auf ihren seelischen Schultern lasten Ungleichheit und Unfreiheit. Auf der einen Schulter lasten
soziale Not und Verelendung, auf der anderen Schulter
staatliche Bevormundung und Entrechtung. Aufrecht
wollte Bloch uns sehen. Doch wirklich aufrecht geht der
Mensch nur als Freier unter Gleichen.
Freiheit und Gleichheit sind die tragenden Prinzipien
unseres Grundgesetzes. Politik, insbesondere die Rechtspolitik, bewegt sich innerhalb dieser Grenzen. Der
Rechtsstaat und die Freiheitsrechte des Grundgesetzes
sollen es jedermann ermöglichen, sich gegen staatliche
Entrechtung zur Wehr zu setzen. Die Grundrechte als
Freiheitsrechte sind Abwehrrechte gegen den Staat. Sie
stellen institutionalisiertes Misstrauen gegen einen unvernünftigen Staat dar.
Das Sozialstaatsprinzip hingegen verpflichtet den
Staat zum sozialen Ausgleich und zur Schaffung einer
gerechten Sozialordnung, oder - um es mit den Worten
von Heribert Prantl auszudrücken -: Der Sozialstaat ist
mehr als der liberale Rechtsstaat, er ist der Handausstrecker für die, die eine helfende Hand benötigen.
({1})
Im über 60 Jahre alten Verfassungstext schlummert
eine unverwirklichte Utopie: der soziale Rechtsstaat. Er
ist ein gutes Wegstück auf der Reise in eine humane Gesellschaft. Diesen Weg müssen wir beschreiten, wenn
wir uns beim Gang in die Zukunft aufrichten wollen.
Doch die neoliberale Politik der letzten zwei Jahrzehnte hat die Utopie unserer Verfassung missachtet.
({2})
Sie hat die Lasten auf den Schultern der Menschen vermehrt. Sie lässt zu, dass sich die Schere zwischen Reich
und Arm täglich vergrößert. Freiheit hält sie für Wirtschaftsliberalismus. Gleichheit ist für sie ein Fremdwort.
Die neoliberale Politik hat mit den technischen Mitteln
der Informationsgesellschaft - das war die vorherige
Diskussion - begonnen, einen Überwachungsstaat zu errichten, der den Bürger mit immer neuen Unfreiheiten
beschwert. Am ferneren Ende dieses Weges dieser neoliberalen Politik werden wir eine andere Gesellschaft haben. In ihr werden Armut und Wut der Gebückten für soziale Kämpfe sorgen. Wir werden sehen, ob dann die
Instrumente des Überwachungsstaates genutzt werden,
um den sozialen Protest der Menschen zu unterbinden.
All das ist nicht die Vision des Grundgesetzes. Die
Vision des Grundgesetzes besteht darin, die Ideale von
Freiheit und Gleichheit miteinander zu vereinen; denn es
gibt keine wirkliche Freihheit ohne Gleichheit. Die
Linke - Sie werden das verstehen - hält es da mit Rosa
Luxemburg: Freiheit ohne Gleichheit ist Ausbeutung.
Gleichheit ohne Freiheit ist Unterdrückung.
({3})
Wenn Sie das aufregt, dann lesen Sie doch Urheber desselben Gedankens. Sie müssen nicht Rosa Luxemburg
glauben,
({4})
Sie müssen auch nicht Ernst Bloch verstehen; Sie brauchen nur die Texte des Verfassungsgerichtes zu lesen.
({5})
Am 17. August 1956 formulierten die Richter des
Bundesverfassungsgerichts:
Die freiheitliche Demokratie ist von der Auffassung
durchdrungen, daß es gelingen könne, Freiheit und
Gleichheit der Bürger trotz der nicht zu übersehenden Spannungen zwischen diesen beiden Werten
allmählich zu immer größerer Wirksamkeit zu entfalten
- jetzt kommt es und bis zum überhaupt erreichbaren Optimum zu
steigern.
Wolfgang Neškoviæ
So wörtlich das Bundesverfassungsgericht. Das ist der
Auftrag unseres Grundgesetzes. Das haben uns die Verfassungshüter in unser politisches Stammbuch geschrieben.
54 Jahre später hält Herr Westerwelle die Umsetzung
dieses Auftrages für spätrömische Dekadenz. Herr
Westerwelle vergleicht - das ist ein unglaublicher Zynismus - die Lebenswirklichkeit von Hartz-IV-Empfängern
mit der Dekadenz der römischen Oberschicht in der Spätantike.
({6})
Spätrömische Dekadenz existiert in diesem Land, fürwahr. Nie zuvor gab es in der Bundesrepublik so viel
Reichtum in den Händen weniger, Reichtum, der nutzlos
an den Börsen dieser Welt verzockt wird, zulasten der
Allgemeinheit. Wenn Herr Westerwelle also wissen will,
wie die Dekadenz der römischen Oberschicht in etwa
ausgesehen haben mag, dann sollte er das Lebensumfeld
einiger Menschen untersuchen, die seiner Partei ständig
Großspenden zukommen lassen.
({7})
Seine von historischer Ahnungslosigkeit geleitete
Aufregung hatte allerdings Gründe. Sein aggressiver Eifer wurde durch die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zu Hartz IV entfacht. Wieder hatte das Gericht über den Wert der Gleichheit in unserer
Gesellschaft zu entscheiden. Am 9. Februar 2010 stellte
es fest, dass die Berechnung der Hartz-IV-Regelsätze
gegen den vornehmsten Artikel unseres Grundgesetzes
und gegen eines seiner tragenden und unveränderlichen
Prinzipien verstößt: gegen die Menschenwürde und gegen das Sozialstaatsprinzip. Das Bundesverfassungsgericht legte fest, dass ein einklagbarer Anspruch auf
Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums besteht. Dieser Anspruch ist laut Bundesverfassungsgericht unverfügbar, also nicht kürzbar, und muss
stets gewährleistet sein. Das war eine kleine juristische
Revolution im Namen der Gleichheit.
Wir benötigen jedoch größere juristische Revolutionen, um endlich den aufrechten Gang im Bloch’schen
Sinne zu erlernen; denn die Vision des Grundgesetzes
scheitert daran, dass die Mehrheit in diesem Hause sich
dieser Vision in trotziger Uneinsichtigkeit verschließt.
Sie übersieht den sozialen Gehalt unserer Verfassung.
Dieser Ignoranz muss auch ohne Hilfe des Bundesverfassungsgerichts begegnet werden. Deswegen benötigen
wir Texte im Grundgesetz, die das Sozialstaatsprinzip
präzisieren. Wir benötigen auch konkrete soziale Grundsätze.
({8})
Wir benötigen zum Beispiel Formulierungen wie diese:
Arbeit ist die Quelle des Volkswohlstandes und
steht unter dem besonderen Schutz des Staates.
({9})
- Sie werden sich gleich noch wundern, Herr GrosseBrömer.
Ich fahre fort:
Die gesamte wirtschaftliche Tätigkeit dient dem
Gemeinwohl, insbesondere der Gewährleistung eines menschenwürdigen Daseins für alle
({10})
- ich wundere mich, dass Sie so empört sind, wenn es
darum geht, dass es allen gut gehen soll und der allmählichen Erhöhung der Lebenshaltung
aller Volksschichten.
Ich betone: aller Volksschichten. Weiter heißt es - das
geht an die Adresse der Damen und Herren von der FDP -:
Kapitalbildung ist nicht Selbstzweck, sondern Mittel zur Entfaltung der Volkswirtschaft.
Das Geld- und Kreditwesen dient der Werteschaffung und der Befriedigung der Bedürfnisse aller
Bewohner.
Jetzt müssten Sie alle eigentlich klatschen, besonders
die Kolleginnen und Kollegen aus Bayern; denn es handelt sich um Zitate aus der aktuellen bayerischen Verfassung. Das muss man zur Kenntnis nehmen.
({11})
In dieser Verfassung steht nichts davon, dass das Geld
und der Geldkreislauf den Bedürfnissen einiger weniger
dienen sollen. Es ist also nicht richtig, dass Herr
Ackermann schon wieder 10 Millionen Euro einsacken
darf, während andere Menschen in diesem Staat um ihr
Geld betteln müssen. Die bayerische Verfassung enthält
in der Tat Vorstellungen für eine humanere Gesellschaft.
Sie enthält die Utopie, von der man auch in Bayern weit
entfernt ist. Das heißt jedoch nicht, dass man sich von
dieser Utopie verabschieden sollte. Die Linke jedenfalls
wird sich von dieser Utopie, in der es darum geht, Freiheit und Gleichheit miteinander zu verbinden, nicht verabschieden. Das ist im Bloch’schen Sinne der Weg zum
aufrechten Gang der Menschen. Das ist genau der Weg
und der Auftrag, den das Bundesverfassungsgericht beschrieben hat.
Diesen Weg beschreitet die gegenwärtige Koalition
nicht. Sie hat Angst, die Banken an den Kosten der Rettungspakete zu beteiligen. Sie zaudert und geizt bei den
sozialen Ausgaben. Sie lehnt einen flächendeckenden
Mindestlohn ab. Sie befürwortet damit die Ausbeutung
der Menschen. Sie hat im Koalitionsvertrag Vorstellungen zum Mietrecht offenbart, die den sozialen Zorn von
Millionen Menschen in unserem Land schüren werden.
Die Kündigungsfristen im Mietrecht zulasten der Mieter
zu verkürzen und die Mieter auch noch an energetischen
Sanierungsmaßnahmen zu beteiligen, sind Ausdruck einer Klientelpolitik. Das ist die Politik des kalten Herzens.
Die Koalition hat auch vor, das moderne Jugendstrafrecht von seinem Erziehungsgedanken zu entfernen.
Hier sollen wieder die deutschen Stammtische die Ober2886
Wolfgang Neškoviæ
hand erhalten. Herr Koch lässt grüßen. Wir halten daran
fest: Bei Jugendlichen geht Erziehung vor Strafe.
({12})
Diese Koalition steht trotz der von mir sehr geschätzten
Justizministerin weiterhin für eine freiheitsbedrohende
Sicherheitspolitik.
({13})
Diese Politik ist für die Menschen in unserem Lande ein
Debakel. Das liegt schon an den politischen Grundvorstellungen, die beide Parteien in die Regierung einbringen. Die CDU/CSU ist mit ihrer Sicherheitspolitik kein
Freund der Freiheit. Bei ihr gilt immer noch der Grundsatz: Im Zweifel für die Sicherheit und nicht für die Freiheit. Die FDP dagegen ist kein Freund der Gleichheit.
Sie ist eher ihr Feind. Diese beiden Partner treffen nun in
einer Wunschehe aufeinander. Die FDP trifft dort einen
Partner, der kein Freund der Freiheit ist. Die CDU/CSU
trifft einen Partner, der ein Feind der Gleichheit ist. Die
Folgen für die Menschen sind bitter. Diese Koalition ist
eine Koalition aus Unfreiheit und Ungleichheit.
({14})
Sie bringt den Menschen den gebückten Gang, nicht den
aufrechten Gang.
({15})
Sie führt uns weg vom Auftrag des Grundgesetzes, und
sie entfernt uns von der humanen Utopie unserer Verfassung - hoffentlich nur für knappe vier Jahre. Ich halte es
da mit der Hoffnung. Das war das Lieblingswort von
Ernst Bloch.
Vielen Dank.
({16})
Das Wort hat nun Kollege Alexander Funk für die
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen
und Herren! Nach diesen philosophischen, absurden und
utopischen Ausführungen komme ich wieder zu der
Haushaltsberatung zurück.
({0})
Ich möchte mit einem Dank für die konstruktive Zusammenarbeit bei der Erstellung des Justizetats beginnen,
der nicht spektakulär, aber deshalb nicht minder wichtig
ist. Wir haben in drei Sparrunden das vorgegebene Sparziel erreicht. Das Ministerium selbst hat Vorschläge erarbeitet, der Regierungsentwurf enthielt weitere Sparvorschläge, und in der Bereinigungssitzung haben wir
weitere Ressourcen erschlossen. Mit anderen Worten:
Wir haben unsere Hausaufgaben gemacht. Die Ausgaben
sind im Vergleich zum Jahr 2009 um 2,23 Prozent gesunWolfgang Nešković
ken, was bei einem klassischen Verwaltungshaushalt mit
hohen Personalkosten, die allein 78 Prozent der Ausgaben ausmachen, nicht ganz einfach ist; denn die Zahlung
von Gehältern und Löhnen können wir schlecht auf das
nächste Jahr verschieben.
Herr Schurer, Sie haben einen Punkt aus dem Etat herausgegriffen, nämlich den Fonds für Opfer extremistischer Gewalt, der um 700 000 Euro ansteigt und einen
Betrag von 1 Million Euro beinhaltet. Ich gebe Ihnen
recht, dass es nicht darum geht, die Opfer rechter Gewalt
gegen die Opfer linker Gewalt auszuspielen. Genau deshalb haben wir diesen Fonds nun für die Opfer jeglicher
extremistischer Gewalt umgewidmet; denn für das Opfer
macht es sicherlich keinen Unterschied, ob es von einem
Baseballschläger eines Rechten oder von einem Molotowcocktail eines Linken verletzt wurde. Dem haben wir
Rechnung getragen.
({1})
Die vergangenen Wochen haben jedem, auch wenn er
sonst mit dem Justizwesen wenig zu tun hat, klargemacht, wie wichtig Rechtsetzung und Rechtsprechung in
einer Demokratie sind. Seit der ersten Lesung des Haushaltsplans gibt es einige Beispiele dafür, wie Rechtsprechung Medien und Menschen bewegt. Heftig gestritten
wurde und wird über die zukünftige Aufgabenwahrnehmung nach dem SGB II. Die Diskussion ist das Ergebnis
einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts
und wird nach unseren Vorstellungen in eine Änderung
des Grundgesetzes münden. Das höchste deutsche Gericht hat mit seiner Entscheidung zur Höhe des Regelsatzes für Hartz IV neue Maßstäbe gesetzt, die wir nun umsetzen müssen. Ich warne aber vor einem populistischen
Schnellschuss, der nur auf die Landtagswahlen in Nordrhein-Westfalen ausgerichtet ist. Wenn die SPD nun ihren Ausstieg aus den Arbeitsmarktreformen verkündet,
dann tut sie das mit haltlosen und nicht finanzierbaren
Versprechen. Nicht jeder Zweck heiligt die Mittel. Dass
die SPD von den Linken getrieben wird, ist unübersehbar. Nur frage ich mich in diesem Zusammenhang, wie
es um das Seelenleben von Frank-Walter Steinmeier bestellt ist, einem der Väter von Hartz IV. Der frühere
SPD-Popbeauftragte Gabriel demontiert mit einer atemberaubenden Radikalität sein Lebenswerk. Die einzige
Reaktion des Oppositionsführers ist eine neue Brille.
Sein Sichtfeld mag sich damit verändern, vielleicht sogar verengen; aber für seriöse Politik ist das zu wenig.
({2})
Wir brauchen erst einmal die erforderlichen Daten des
Statistischen Bundesamts, dann können wir vernünftigerweise die Regelsätze für Hartz IV berechnen und einen
Gesetzentwurf vorlegen, der den betroffenen Menschen
gerecht wird und den Vorgaben des Verfassungsgerichts
entspricht. Schließlich müssen wir uns mit der sogenannten Vorratsdatenspeicherung befassen, nachdem Karlsruhe das entsprechende Gesetz für null und nichtig erklärt
hat.
In diesem Zusammenhang stellt sich aber nicht nur
die Frage, welche Daten der Staat sammelt, sondern es
geht auch darum, wie ernst es die Bürgerinnen und Bürger und vor allem bestimmte Unternehmen mit der informationellen Selbstbestimmung nehmen. Der scheidende
Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Hans-Jürgen
Papier, hat gesagt:
Wir stellen nicht erst seit gestern fest, dass dem
Grundrecht auf Datenschutz nicht nur von staatlicher, sondern auch von privater Seite Gefahren drohen.
Er meinte damit die Daten privater Unternehmen, die
ihre Beschäftigten ausspähen. Ebenso leichtfertig gehen
aber diejenigen mit ihren persönlichen Daten um, die
ihre Brieftaschen voller Bonuskarten haben; denn bei jedem Einkauf hinterlassen sie Spuren. Anschließend beschweren sie sich über die vermeintliche Datensammelwut des Staates. Diese Koalition muss sehr besonnen die
Schutz- und die Freiheitsrechte der Bevölkerung abwägen, bevor ein neuer Anlauf zur Vorratsdatenspeicherung
unternommen wird.
Ausdrücklich begrüße ich den Vorschlag von Innenminister de Maizière, einen Datenbrief einzuführen. Danach sollen Unternehmen ihren Kunden einmal jährlich
Auskunft über die gesammelten Daten geben. Wer seine
Daten schützen will, muss wissen, welche Daten über
ihn kursieren; hier gebe ich dem Innenminister ausdrücklich recht. Den Hinweis auf Kosten für die Unternehmen kann ich in diesem Zusammenhang nicht gelten
lassen. Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung
ist allemal das höhere Gut.
({3})
Kollege Funk, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen von Notz, Fraktion Bündnis 90/Die Grünen?
Ja.
Herr Kollege, Sie haben den Datenbrief angesprochen. Ich selbst finde das Wort „Datenbrief“ ebenfalls attraktiv und interessant; das klingt nach einer guten Lösung. Wie soll das Ganze in der Praxis aussehen?
Nehmen wir nur einmal die Daten, die ein soziales Netzwerk wie Facebook über uns gespeichert hat: Soll man
jedes Jahr Dutzende von ausgedruckten Seiten - sie würden unter anderem Fotos und Textkommentare enthalten von Facebook zugeschickt bekommen? Wie soll sich das
konkret darstellen? Glauben Sie tatsächlich, dass es dem
Datenschutz dient, wenn man Unternehmen dazu verpflichtet, persönliche Daten für einen solchen Datenbrief
zusammenzuführen? Ist nicht vielmehr das Zusammenführen personalisierter Daten selbst ein Datenproblem?
Da Sie selbst wissen, welche Daten Sie im Internet
veröffentlichen, haben Sie Kenntnis darüber, welche Daten in einem solchen Datenbrief enthalten wären; deshalb brauchen Sie darüber nicht informiert zu werden.
Beim Datenbrief geht es um etwas ganz anderes: Die
Unternehmen sollen Auskunft darüber erteilen, welches
Kundenprofil sie erfasst haben; die jeweiligen Daten
sollen sie übermitteln. Dementsprechend kann der
Kunde selbst entscheiden, ob diese Daten gelöscht werden. Genau darum geht es. Es handelt sich hier um einen
Vorschlag, der diskutiert wird und den ich für ausgesprochen sinnvoll erachte.
Ein deutsches Sprichwort besagt: Es genügt nicht,
recht zu haben; man muss es auch bekommen. Das gilt
für jeden Einzelnen, der sein vielzitiertes gutes Recht gegenüber dem Staat geltend machen kann und manchmal
machen muss. Auch hier führe ich ein Beispiel an - es
berührt die Sozialgerichtsbarkeit -: Bei den Sozialgerichten gingen 2009 insgesamt 193 981 Klagen gegen
Verwaltungsentscheidungen im Zusammenhang mit
Hartz IV ein; das waren 20 000 mehr als im Vorjahr. Der
Präsident des Bundessozialgerichts, Peter Masuch, fordert von uns, also der Politik, die Erfahrungen der Verwaltungspraxis und die Gerichtsentscheidungen in die
Gesetzgebung einzubeziehen. 193 981 neue Klagen, hinter dieser nüchternen Zahl verbirgt sich einerseits die
hoffnungslose Überbelastung der Sozialgerichte; zugleich ist sie Ausdruck des Vertrauens, dass die Bürgerinnen und Bürger zu Recht in den Rechtsstaat und seine
Gerichte setzen.
({0})
Ich will hier nicht in den Chor derer einstimmen, die
der deutschen Gesetzgebung pauschal vorwerfen, sie
habe sich von der Lebenswirklichkeit entfernt. Dafür
gibt es überhaupt keinen Anlass. Aber ich bin der Überzeugung, dass Recht dem Rechtsempfinden der Menschen nicht diametral gegenüberstehen darf;
({1})
dann nämlich wird es weder akzeptiert noch befolgt.
Selbstverständlich muss Recht eine verlässliche Größe
bleiben, an der sich die Menschen orientieren. Es darf
nicht in opportunistischer Weise einem ständig wechselnden Zeitgeist angepasst werden.
({2})
Ein Thema, das uns alle in diesen Wochen bewegt, ist
- ich formuliere es einmal juristisch - der Missbrauch
von Minderjährigen und Schutzbefohlenen. Kaum ein
Tag vergeht, an dem nicht neue Übergriffe bekannt werden. Auch wenn die Fälle in der Regel Jahrzehnte zurückliegen, müssen sie schonungslos aufgeklärt werden.
Darüber besteht Konsens. Ebenso wichtig ist es aber,
künftige Übergriffe zu verhindern. Gesetze allein dürften
hier nicht ausreichen.
({3})
Bei dem von der Bundesregierung angeregten runden
Tisch müssen die Ursachen für die Misshandlungen und
den Missbrauch von Kindern aufgeklärt werden. Nur so
können wir Wege einer wirksamen Prävention finden.
In der derzeitigen Diskussion wird versucht, die katholische Kirche als eine Einrichtung darzustellen, in der
es, beispielsweise aufgrund des Zölibats, geradezu zum
sexuellen Missbrauch von Kindern kommen müsse.
Diese Versuche sind schlichtweg infam.
({4})
Ebenso infam könnte ich behaupten, dass die Grünen
Mitverantwortung für Kindesmissbrauch tragen. Sie
werden es nicht gerne hören, aber Tatsache ist: Im NRWWahlkampf 1985 forderte die Grünen-Arbeitsgruppe
„Schwule und Päderasten“, kurz: „Schwup“, den sexuellen Missbrauch von Gefangenen und Kranken sowie Abhängigen, homosexuelle Handlungen an Jugendlichen
sowie den sexuellen Missbrauch von Kindern straffrei zu
stellen.
({5})
Sex mit Kindern sei, so formulierten die Grünen damals,
„für beide Teile angenehm, produktiv, entwicklungsfördernd“.
({6})
Dass Sie, meine Damen und Herren von den Grünen,
nur ungern an solche Forderungen erinnert werden wollen, liegt auf der Hand.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen
Montag?
({0})
Ja.
Danke, Herr Präsident. - Herr Kollege Funk, ich
möchte Sie fragen, nachdem Sie uns Grüne angesprochen haben, ob Sie in dieser Runde auch erzählen können, welche unterschiedlichen Anträge im Laufe der
Jahrzehnte in Gremien der CDU bzw. der CSU entworfen worden sind.
({0})
Haben Sie je davon gehört, dass irgendein Organ der
Grünen, dass irgendein Parteitag der Grünen, dass irgendein Wahlkampfaufruf der Grünen solche absurden
Forderungen beinhaltet hätte, wie Sie sie hier zitieren?
Ich kann Ihnen versichern: In der Partei der Grünen
gibt es niemanden, der sexuellen Missbrauch fördert
oder bagatellisiert. Wir sind natürlich der festen Überzeugung, dass alle diese Dinge bekämpft und verurteilt
werden müssen. Deswegen möchte ich Sie bitten, solche
Anschuldigungen mit einem solchen Unterton gegen unsere Fraktion und meine Partei zu unterlassen.
({1})
Sie haben mich an dieser Stelle missverstanden. Ich
habe klipp und klar gesagt: Es wäre ebenso eine infame
Unterstellung.
Ich sage Ihnen auch, vor welchem Hintergrund ich
dieses Beispiel angesprochen habe. Ich finde es als Katholik, ich finde es als ehemaliger Messdiener, ich finde
es als Teil der katholischen Kirche unerträglich, wie gerade von Ihrer Fraktionsvorsitzenden Renate Künast die
katholische Kirche angegangen wird.
({0})
Es geht nicht an, dass finanzielle Sanktionen gegen eine
Institution für Straftaten Einzelner angedroht werden. In
diesem Zusammenhang möchte ich auch klarstellen,
dass die grüne Partei nicht in Haftung genommen werden kann und mit sexuellem Missbrauch in Verbindung
gebracht werden darf, wenn einzelne Gruppen eine solche
Forderung vor 25 Jahren gestellt haben. Darum geht es.
({1})
In Fällen von sexuellem Missbrauch darf es nicht um
gegenseitige Schuldzuweisungen gehen. Jeder einzelne
Fall von Kindesmissbrauch ist verwerflich und schlimm.
Das Tabu des Schweigens muss gebrochen, die Taten
müssen aufgedeckt, die Opfer - soweit das überhaupt
geht - entschädigt und die Täter bestraft werden. Wenn
es notwendig ist, müssen wir auch die entsprechenden
Verjährungsfristen verlängern.
({2})
Wichtig ist in dieser Debatte aber auch, dass wir nicht
für die Straftaten Einzelner eine ganze Institution in Haftung nehmen. So schlimm und schmerzhaft diese Missbrauchsfälle sind, sie finden leider in allen gesellschaftlichen Gruppen statt, überwiegend in Familien. Es handelt
sich also nicht um ein kirchliches oder ein katholisches
Problem, sondern um ein gesellschaftliches Problem, das
wir gemeinsam bekämpfen müssen. Hierzu fordere ich
alle auf.
({3})
Vielen Dank.
({4})
Herr Kollege, wollen Sie Ihre Redezeit verlängern?
Nein.
Dann erteile ich Kollegen Jerzy Montag von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich
werde in meiner heutigen Rede die bayrische Verfassung
nicht zitieren, obwohl ich sie ausgesprochen gut finde
und sie im Studium immer als eine der besten Verfassungen angesehen habe. Aber auch ich werde, bevor ich
mich dem Justizsektor zuwende, etwas über unseren
Bundesaußenminister sagen müssen.
Herr Westerwelle ist in der Kritik, und er antwortet
auf diese Kritik. Er sagt uns, der Opposition, die Kritik
an ihm sei unanständig, sie schade der Demokratie und
sie beschädige die Demokratie. Dabei ist es so, dass wir
- ich hoffe, Sie erinnern sich noch daran - den Bundesaußenminister Westerwelle gelobt haben. Wir haben ihn
dafür gelobt, dass er zuerst nach Polen gefahren ist. Wir
haben ihn dafür gelobt, dass er in der Vertriebenenstiftungsfrage hart geblieben ist. Aber wir kritisieren ihn
auch, wenn er in der Bundesrepublik Deutschland Menschen beleidigt, die auf soziale Ausgleichsmaßnahmen
angewiesen sind. Wir kritisieren ihn, wenn er Spenden
entgegennimmt und dann die Spender mit Steuererleichterungen bedacht werden. Wir kritisieren ihn wegen seiner Vetterleswirtschaft bei seinen Auslandsreisen. Meine
Damen und Herren, es ist unsere Aufgabe und unsere
Pflicht als Opposition, eine solche Kritik zu üben.
({0})
Aber eines ist auch klar: Unsere Kritik ist und wird
nicht so verletzend, so bodenlos und so unanständig werden, wie sie in der Koalition gegenseitig ausgesprochen
wird. Davon konnte man gestern - ich kann es Ihnen
nicht ersparen - eine Kostprobe lesen. Zwei Abgeordnete, einer aus dem Bundestag und einer aus einem
Landtag, einer aus der CSU und einer aus der FDP, haben gestern eine Unterhaltung geführt, und zwar über die
Medien, in aller Öffentlichkeit. Diese Unterhaltung ging
so: Der FDPler sagte: Bis auf die Schwarte werde ich auf
die CSU eindreschen. Feuer frei auf sie! Ich freue mich
über jede Sottise. - Antwort der CSU: Dem Kubicki ist
wohl die Schweinegrippe aufs Gehirn geschlagen.
({1})
Für solche politischen Quartalsspinner wie Kubicki kann
sich die FDP nur schämen. - Antwort von Kubicki: BSE
schlägt aufs Gehirn, nicht die Schweinegrippe. Diesen
CSU-Generalsekretär - gemeint ist Dobrindt - werden
wir uns als Ersten vornehmen. Feuer frei auf ihn!
({2})
- Das ist das Thema.
({3})
Sie, nicht wir, lassen die Menschen daran zweifeln, dass
in den Parlamenten überhaupt noch ernsthafte Politik gemacht wird.
({4})
Sie zerstören das Vertrauen in die Volksvertreter, in uns,
und in die Demokratie. Ihre Vorwürfe treffen nicht uns,
sondern Sie selber. Sie liefern ein beschämendes Bild
von Zerstrittenheit und Unfähigkeit.
({5})
Jetzt im engeren Sinne zum Thema. Wir reden über
den Haushalt des Bundesverfassungsgerichts und den
des Bundesjustizministeriums. Ich will mit dem Bundesverfassungsgericht anfangen.
Ich will Herrn Professor Dr. Papier meinen Dank aussprechen. Vorgestern hat die Stabübergabe in Karlsruhe
stattgefunden. Ich will ihm für seine Tätigkeit als Präsident des Bundesverfassungsgerichts danken. Daneben
will ich den Glückwunsch an den neuen Präsidenten Professor Voßkuhle, den der Bundestagspräsident schon
heute Vormittag ausgesprochen hat, erneuern und auch
den neuen Richter Professor Paulus beglückwünschen.
Der Dank gilt nicht allen Urteilen. Aber der Dank gilt
der Gradlinigkeit und der Klarheit, mit der das Gericht
über viele Jahre in Demokratiefragen, in Menschenrechtsfragen und in Bürgerrechtsfragen Kurs gehalten
hat. Mal über Mal hat das Bundesverfassungsgericht
- sogar noch vor einigen Tagen - die Menschenwürde
und das Recht des Individuums hochgehalten und die
Freiheit in der Abwägung von Freiheit und Sicherheit
nicht unter die Räder kommen lassen. Deswegen will ich
an dieser Stelle sagen: Jeder Cent und jeder Euro, den
wir im Haushalt für das Bundesverfassungsgericht einsetzen, ist gut angelegtes Geld mit einer bürgerrechtlichen Dividende für alle Bürgerinnen und Bürger.
({6})
Da wir schon über Geld reden, will ich auch einen
Posten im Haushalt des Bundesjustizministeriums erwähnen, der sich mit den Opfern rechtsextremistischer
Gewalt beschäftigt hat und der sich nunmehr mit den
Opfern extremistischer Gewalt beschäftigt.
({7})
Ich bin der Letzte, der Gewalt von linksextremer Seite
beschönigen will. Ich bin der Meinung, dass die Straftaten von rechts wie von links verfolgt werden müssen.
Aber, Herr Kollege Funk, weil Sie diesen Punkt angesprochen haben, will ich Ihnen sagen: Darum geht es bei
diesem Topf überhaupt nicht. Es geht nicht um das Geld
für die Verfolgung von Straftätern. Das Geld für die Verfolgung von Straftätern steht im Etat für das Innenressort
und wird dafür ausgegeben, sowohl linksradikale wie
auch rechtsradikale Straftäter zu verfolgen. Es geht bei
diesem Topf um die Opferentschädigung.
({8})
Dafür haben wir ein Opferentschädigungsgesetz, das als
Auffangposition allen Opfern rechtsextremistischer und
linksextremistischer Straftaten zur Verfügung steht.
({9})
Es geht um etwas anderes. Es geht darum, dass wir
seit 1989 die Situation haben, dass bei uns 150 Menschen von Rechtsradikalen ermordet worden sind und
dass wir Hunderte, ja Tausende von Verletzten und
Schwerverletzten durch die Übergriffe von Neofaschisten und Rechtsradikalen haben. Deswegen hat dieses
Hohe Haus mit diesem Posten für die Opfer von rechtsradikaler Gewalt ein politisches Zeichen setzen wollen.
Dieses politische Zeichen radieren Sie aus.
({10})
Sie behandeln gleich, was ungleich ist. Das ist der Fehler. Denn aufgrund des Ausmaßes und der Art und
Weise, wie die Neonazis und die Rechtsradikalen unser
Land bedrohen, Menschen Schaden zufügen und Menschen umbringen, haben wir es mit einer einzigartigen
Gefahr zu tun. Es wäre schön, wenn diese Koalition das
endlich begreifen würde.
({11})
Frau Bundesjustizministerin, Sie haben zu Beginn Ihrer Amtszeit ein Interview im Stern gegeben und davon
gesprochen, dass nun ein neuer Geist in der Rechtspolitik einkehrt, dass es einen Richtungswechsel in der
Innen- und Sicherheitspolitik geben wird und dass das
Ritual immer schärferer Gesetze durchbrochen wird. Sie
wollten und wollen für mehr Bürgerrechtsschutz statt für
mehr Überwachung sorgen. Ich habe das gerne gelesen.
Aber mir war von Anfang an klar: Das wird die härteste
Nuss mit diesem Koalitionspartner.
So erweist es sich auch. Ich weiß, die Union ändert
sich, die Union modernisiert sich mit Hängen und Würgen und unter Schmerzen.
({12})
Aber in Bürgerrechtsfragen und in Freiheitsfragen geht
es bei Ihnen immer noch am langsamsten.
({13})
Deswegen sage ich: Jawohl, das ist für die Bundesjustizministerin eine harte Nuss. Die Koalition ist auch in der
Rechtspolitik heillos zerstritten und völlig handlungsunfähig.
In der kurzen Zeit kann ich es Ihnen nur mit einem
Argument verdeutlichen: Die Rechtsausschusssitzung
der letzten Sitzungswoche dauerte elf Minuten, weil es
vonseiten der Koalition und der Regierung nicht eine
einzige Vorlage gab. Auf der Tagesordnung des Rechtsausschusses für die nächste Sitzungswoche gibt es überhaupt nur eine einzige Vorlage mit der Federführung des
Rechtsausschusses, und das ist ein Antrag der Grünen.
Von Ihrer Seite, von der Regierungsseite, von der Koalitionsseite gibt es keine einzige. Sie arbeiten nicht mehr,
Sie bringen keine einzige Vorlage, und deswegen sagen
wir Ihnen: Sie sind zerstritten, Sie leisten nichts, Sie
bringen überhaupt nichts zustande.
({14})
Ich hätte hier gern noch ausgeführt, dass ich in einem
gewissen Sinne darüber auch froh bin,
({15})
denn wenn ich mir vorstelle, dass Sie das Erscheinen
und die Aussagepflicht bei der Polizei einführen wollen,
dass Sie die Wiederaufnahme zulasten von Angeklagten
einführen wollen, dass Sie das Jugendstrafrecht verschärfen und die Prozess- und die Beratungshilfe beschneiden wollen usw., dann bin ich in einem bestimmten Sinne auch froh, dass es bei Ihnen ganz langsam
geht.
({16})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, sehr geehrte Frau
Ministerin Leutheusser-Schnarrenberger, bleiben Sie
bitte bei den Zitaten, die ich aus Ihrem ersten Interview
vorgetragen habe. Kämpfen Sie weiter für mehr Bürgerrechtsschutz und gegen mehr Überwachung, gegen das
Ritual immer schärferer Gesetze und für einen Richtungswechsel in der Rechtspolitik. Wenn Sie das durchhalten, haben Sie uns auf Ihrer Seite, aber leider nicht bei
dem Haushaltstitel Justiz; ihn werden wir ablehnen müssen.
({17})
Das Wort hat nun Michael Grosse-Brömer für die
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Es wurde auch Zeit, dass man hier einmal zu
Wort kommt.
Ich habe Ihre Vorlesung, Herr Nešković, wieder mit
Wonne genossen. Sie haben ausnahmsweise Ihren Ankündigungen dann auch Taten folgen lassen. Ich habe
mich in der Tat gewundert, als Sie gesagt haben, die
CDU sei kein Freund der Freiheit. Ich erlaube mir, nur
kurz daran zu erinnern, dass wir als CDU/CSU auch in
diesem Bundestag bereits die Wiedervereinigung propagiert und uns dafür eingesetzt haben, dass alle Deutschen
in Freiheit leben können,
({0})
bevor Sie überhaupt eine Stellungnahme dazu abgeben
konnten. Unserer Fraktion vorzuwerfen, sie habe ein falsches Ideal von Freiheit und setze sich dafür nicht ein,
das ist so unerträglich an der Sache vorbei, dass Sie
künftig bei Ihren Vorlesungen darauf verzichten sollten.
({1})
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Nešković?
Ja, selbstverständlich.
Herr Kollege Grosse-Brömer, wollen Sie bitte zur
Kenntnis nehmen, dass ich mich natürlich freue, wenn
Sie meinen Worten mit Andacht lauschen, und ich mich
noch mehr freue, wenn das bei Ihnen auch einen gewissen Erfolg hat?
Aber nehmen Sie bitte auch Folgendes zur Kenntnis:
Im Jahre 1990 war ich Mitglied im Landesvorstand der
SPD und zu diesem Zeitpunkt ungefähr zehn Jahre lang
Landesvorsitzender der SPD-Juristen in Schleswig-Holstein. Da habe ich die gleichen Ideen und Vorstellungen
wie Sie hinsichtlich der Wiedervereinigung gehabt.
Also, das war wieder ein Fehlschlag.
Nein, ich habe Sie auch gar nicht persönlich gemeint;
ich finde es toll. Das Einzige, was mich wundert, ist der
Umstand, dass Sie, wenn Sie früher einmal so klug politisch aktiv waren, sogar mit einer juristischen Ausbildung in der SPD, dann diesen Fehler gemacht haben,
jetzt bei der Linken mitzuarbeiten. Das verstehe ich dann
nicht, aber das werden Sie sicherlich vor sich selbst verantworten müssen.
({0})
Ungeachtet dessen muss ich natürlich noch kurz zu
dem Kollegen Montag kommen; ich hatte gar nicht so
viel Platz, alle Stichworte aufzuschreiben. Ich freue
mich ja auch, wenn Sie vermeintliche Diskurse zwischen
FDP und CSU mit Interesse verfolgen.
({1})
- Ja, die gab es, bestimmt. Ich habe sie nicht richtig verfolgen können, aber ich glaube Ihnen natürlich.
In diesem Zusammenhang sollte man noch erwähnen,
dass zum Beispiel Rot-Grün von einer stetigen Harmonie geprägt war. Insbesondere der Außenminister und
der damalige Kanzler haben sich gemocht und nie etwas
Schlechtes übereinander gesagt. Vielmehr herrschte Eintracht; es war Friede, Freude, Eierkuchen, im Gegensatz
zu anderen Geschichten. Was die Zerstrittenheit betrifft,
würde ich ein bisschen tiefer stapeln, als das in Ihren Reden der Fall ist.
({2})
Mich wundert es, dass Sie immer die Opferentschädigung ansprechen. Sie beginnen Ihre Ausführungen immer folgendermaßen: Eigentlich gibt es keinen Unterschied. Wir bekämpfen linke Gewalt genauso wie rechte
Gewalt. - Aber Sie finden es jedes Mal komisch, dass
man die Opfer der jeweiligen Straftaten unterschiedlich
behandelt.
({3})
Ich will Ihnen sagen, was wir gemacht haben. Wenn
es das politisch eindeutige Zeichen gegeben haben soll
({4})
- doch, ich glaube, ich habe das verstanden -, nur Opfer
rechtsextremistischer Straftaten zu entschädigen, dann
finde ich es gut, dass wir jetzt das Zeichen gesetzt haben,
dass es völlig gleichgültig ist, aus welchen politischen
Motiven ein Mensch schwer verletzt wird. Es ist sinnvoll, hier keinen Unterschied zu machen und auch bei
linksextremistischen Straftaten das politische Zeichen zu
setzen,
({5})
dass man sie unterlassen soll und man die Opfer in identischer Art und Weise wie die von rechtsextremistischen
Straftaten entschädigen sollte.
({6})
Wenn Sie so wollen, ist das ein politisches Zeichen, insbesondere vor dem Hintergrund, dass linksextremistische Straftaten eine wesentlich höhere Steigerungsrate
haben als rechtsextremistische, was die Situation aber
nicht besser macht.
({7})
Ich möchte darauf hinweisen, dass wir nach dem Interview, das die Ministerin zu Beginn ihrer Amtszeit im
Stern gegeben hat, festgestellt haben: Diese christlich-liberale Regierung
({8})
wird insbesondere im rechtspolitischen Bereich sehr erfolgreich sein, weil wir uns gut verstehen und uns vernünftig darüber unterhalten, was gemacht werden soll.
Hierin unterscheiden wir uns vielleicht von Rot-Grün.
Wir arbeiten nicht schnell, sondern wir arbeiten sorgsam,
({9})
dann muss man im Zweifel auch nicht so viel korrigieren.
({10})
Die Zusammenarbeit ist gut. Machen Sie sich keine Gedanken, dass wir in rechtspolitischer Hinsicht zu wenig
machen.
({11})
Derzeit findet der Insolvenzrechtstag in Berlin statt.
Wir sind mitten in der Arbeit. Sie werden noch früh genug Entwürfe bekommen, die dazu dienen, den Wirtschaftsstandort Deutschland zu stärken. Im letzten Jahr
gab es 33 000 Insolvenzen. Wir alle müssen daran arbeiten, dass Arbeitsplätze erhalten werden und Unternehmen nicht dadurch stigmatisiert sind, dass sie in Zahlungsschwierigkeiten kommen oder unter Umständen
sogar Insolvenz anmelden müssen.
Die Neufassung des Insolvenzrechtes ist eine große
Aufgabe, die wir anpacken. Die Kollegin WinkelmeierBecker wird das für unsere Fraktion übernehmen. Ich
glaube, es ist sinnvoll, Insolvenzplanverfahren zu straffen und zu vereinfachen. Es ist auch sinnvoll, über eine
verbesserte Eigenverwaltung nachzudenken. Der Insolvenzrechtstag in Berlin ist ein guter Anlass, dieses
Thema anzusprechen.
Ich komme zum Thema Kindesmissbrauch; es ist
mehrfach angesprochen worden. Es ist unstreitig, dass
das kein spezifisches Problem der katholischen Kirche
ist, sondern ein Problem von Einrichtungen, in denen
Kinder betreut und erzogen werden. Die Mehrzahl der
Fälle findet ohnehin im privaten Umfeld statt.
Wenn wir eine positive Lehre aus den Vorfällen der
letzten Zeit ziehen, dann ist es die, möglichst sensibel zu
reagieren und zu überlegen, inwieweit dieser Missbrauch verhindert werden kann. Das betrifft vor allem
die Sensibilität derjenigen, die in der Schule tätig sind.
Vielleicht ist ein noch genaueres Hinsehen der Ärzte erforderlich. Ich finde es richtig, dass es - auch auf Initiative der Bundesjustizministerin - runde Tische gibt, wobei die Beteiligten sowohl zurückblicken, um zu
überprüfen, was man noch an Entschädigung leisten
muss, als auch nach vorne, um darüber nachzudenken,
wie künftige Taten zu verhindern sind. Wir sind der Auffassung, dass man in diesem Zusammenhang Mängel im
geltenden Recht beseitigen sollte; denn Zusehen und Bedauern reichen nicht mehr aus.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Ströbele?
Ja, gerne, wenn sie nicht so lang ist, wie das sonst bei
ihm der Fall ist.
({0})
Herr Kollege, meine Fragen sind immer ganz kurz.
Ich wollte diese Frage schon vorhin Ihrem Kollegen stellen. Sie kritisieren, dass nur eine Auseinandersetzung
mit der katholischen Kirche erfolgt, und weisen darauf
hin, dass Fälle von sexuellem Missbrauch in vielen Anstalten vorgekommen sind. Das ist ohne Zweifel richtig.
Wir erfahren jeden Tag, dass Menschen aus allen möglichen Bereichen berichten, dass auch ihnen das passiert
ist.
({0})
Das ist wieder eine sehr kurze Frage. Ich merke das
schon.
Die entscheidende Frage ist doch: Wie gehen die damit um? Die Kritik an der katholischen Kirche - gerade
seitens katholischer Laienorganisationen, der Katholischen Jugend und anderer - betrifft den Umgang der katholischen Kirche damit, dass solche Vorwürfe gemacht
werden und sich Opfer melden.
({0})
Darum geht es doch. Sie müssen einmal sagen, wie Sie
sich dazu verhalten. Ich denke, in vielen Fällen wäre heftigere Kritik an der katholischen Kirche angebracht, sowohl ganz oben als auch ganz unten. Geben Sie mir da
recht? Schließen Sie sich dem an?
Nach meiner Kenntnis hat die katholische Kirche einen Sonderbeauftragten für diesen Bereich eingesetzt.
Sie wird am runden Tisch teilnehmen. Bischof Marx ist
zitiert worden. Ich glaube, damit ist alles gesagt.
({0})
Wir sind der Auffassung, dass Kindesmissbrauch
künftig als Verbrechen behandelt werden muss. Ich
glaube nicht, dass eine höhere Bestrafung per se der einzig wirksame Weg ist, um Straftaten zu verhindern, logischerweise. Deswegen sage ich ganz bewusst: Die Strafe
muss mit Präventionsmaßnahmen einhergehen.
({1})
Wir müssen uns damit beschäftigen, wie man auch auf
anderen Feldern sexuellen Missbrauch beseitigen kann.
Ich bin aber zusammen mit meiner Fraktion der Auffassung, dass wir die Täter, diejenigen, die diese widerlichen Taten begehen, als das bestrafen sollten, was sie
sind, nämlich als Verbrecher.
({2})
Gleichzeitig denken wir über die Verjährungsfristen
nach. Das wissen Sie; das haben Sie den Zeitungen entnehmen können. Die Debatte darüber ist mittlerweile in
vollem Gange. Wir wollen die strafrechtliche Verjährungsfrist verlängern, weil wir anhand konkreter Beispiele feststellen konnten, dass manche Opfer lange
brauchen, um sich zu offenbaren. Insbesondere gilt dies
aber auch für die zivilrechtlichen Verjährungsfristen;
denn diese beginnen ab dem 21. Lebensjahr und betragen derzeit drei Jahre ab Kenntnis. Eine Verlängerung
macht Sinn. Ich glaube, für das Opfer ist es wichtig, zu
wissen, dass der Täter für diese elende Tat bestraft wird;
aber mindestens genauso wichtig ist es, sagen zu können: Ich bekomme Schmerzensgeld, ich habe einen Anspruch auf Schadensersatz für mögliche Therapiekosten. Das sind sinnvolle Überlegungen in diesem Zusammenhang, die wir rechtspolitisch aufarbeiten müssen.
Kollege Montag, weil wir ab und zu auch außerhalb
des Plenarsaals diskutieren und fröhlich streiten, muss
ich Ihnen sagen: An einer Stelle bin ich völlig entgegengesetzter Auffassung. Sie haben öffentlich gesagt, zahlreiche Missbrauchsfälle seien einer kinderfeindlichen
und verklemmten Gesellschaft zuzuschreiben. Wörtlich:
Wer eine verlogene Sexualmoral predigt, ist mitschuldig daran, dass hunderte, vielleicht tausende
von Kindern und Jugendlichen in Schulen sexuellen
Übergriffen ausgesetzt waren.
({3})
Ich halte diese Argumentation für sehr, ich sage einmal, nachdenkenswert.
({4})
Ich meine das in folgendem Sinne: Entlastet man nicht
in Wirklichkeit die Täter, wenn man sagt: „Die Gesellschaft ist aufgrund ihrer falschen Moral schuld und nicht
der Täter, der sich persönlich an den Opfern vergeht“?
({5})
Das ist die alte 68er-Debatte - ich dachte, wir hätten sie
überwunden -: Die Gesellschaft ist schlecht und produziert dadurch Täter, die nichts dafür können.
({6})
Bei aller Liebe, darüber sollten wir wirklich einmal
nachdenken.
Wir sind der Auffassung, dass zivilrechtliche und
strafrechtliche Verjährungsfristen angepasst werden
müssten. Unter rechtspolitischen Gesichtspunkten müssen wir darüber nachdenken, wie wir das am besten machen. Das hätte einen Vorteil: Das Opfer müsste nicht
zweimal vor Gericht erscheinen. Es gibt das Adhäsionsverfahren. Im Rahmen eines Strafverfahrens kann man
gleichzeitig über Schadensersatz und Schmerzensgeld
verhandeln.
({7})
- Das macht keiner. Das stimmt. Aber vielleicht ist das
eine Möglichkeit, darauf hinzuweisen, dass es eigentlich
sinnvoll wäre, das zu machen. Das Opfer nicht zweimal
einer öffentlichen Verhandlung auszusetzen, ist nämlich
auch eine Frage der Rücksichtnahme, die die Missbrauchten benötigen.
Abschließend will ich auf die Vorratsdatenspeicherung eingehen; sie ist mehrfach angesprochen worden.
Meist wird behauptet, dass das Bundesverfassungsgericht die Politik korrigiert. Ich erlaube mir nur den Hinweis darauf, dass das Urteil mit 4 : 4 Stimmen verabschiedet wurde - da gibt es noch Abstufungen -,
({8})
sodass das Gericht offenbar nicht vollständig überzeugt
war, dass alles falsch ist.
Wir christdemokratischen Rechtspolitiker sind jedenfalls der Auffassung, dass wir die Hinweise des Präsidenten des BKA - der Kollege Uhl hat in der vorherigen
Debatte, glaube ich, auf ein Beispiel hingewiesen -, die
er gestern in einer Sitzung unserer Fraktion gegeben hat,
ernst nehmen sollten. Er sagte, dass man einen Sexualstraftäter eigentlich schon längst hätte dingfest machen
können, wenn es die Vorratsdatenspeicherung gäbe. Nur
weil wir sie nicht haben, ist er immer noch im Internet
unterwegs und prahlt dort mit seinen sexuellen Übergriffen.
Wir sind der Auffassung, dass wir schnell handeln
müssen. Das Gericht hat ja bestätigt, dass die Vorratsdatenspeicherung an sich geeignet und zulässig ist. Nur bei
der Datensicherheit und -verarbeitung muss nachgebessert werden.
Herr Kollege, gestatten Sie, bevor Sie zu Ihren
Schlussworten kommen, eine Zwischenfrage des Kollegen Wieland? Das verlängert Ihre Redezeit.
Würden Sie die Uhr dann auch anhalten?
Sofort.
({0})
Vielen Dank. - Herr Kollege Grosse-Brömer, Sie haben jetzt das Beispiel wiederholt, das der Kollege Uhl
vorhin in der innenpolitischen Debatte genannt hat. Den
Kollegen Uhl zu belehren, ist meist sehr schwierig bis
unmöglich. Bei Ihnen versuche ich es einmal.
({0})
- Nein. - Wenn man das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes liest - das muss man natürlich machen ({1})
und versteht, sieht man, dass die IP-Adressen ausdrücklich unter keinerlei Schutz gestellt werden. Es wird gesagt: Die Vorratsdatenspeicherung bezogen auf IPAdressen ist - das kann man bedauern oder nicht - unverfänglich und darf durchgeführt werden. Die Aufforderung des Gerichtes zur Löschung hat sich deswegen
auch nicht auf die auf Vorrat gespeicherten IP-Adressen
bezogen. Wenn ein Betreiber das falsch verstanden hat,
wäre es Ihre Aufgabe als Rechtspolitiker Uhl und als
Rechtspolitiker Grosse-Brömer, sowohl das BKA als
auch die Betreiber darauf hinzuweisen. Sehen Sie das so
wie ich?
Ich sehe ziemlich viele Sachen so wie Sie. In diesem
Fall will ich Ihnen sogar zugestehen, dass Sie als Innenpolitiker im Zweifel noch mehr Spezialwissen haben als
ich. Ich verlasse mich auf den Präsidenten des BKA und
auf dessen Mitarbeiter,
({0})
der seit Jahren speziell in diesem Bereich arbeitet und recherchiert.
({1})
Wenn dieser Mitarbeiter, der täglich damit zu tun hat,
mir erklärt, dass es mit der Vorratsdatenspeicherung
möglich gewesen wäre, einen Täter zu identifizieren,
dann glaube ich ihm das erst einmal, ohne Ihre hohe
Kompetenz bei diesem Thema zu bestreiten.
({2})
- Wir wehren uns ja nicht dagegen, täglich klüger zu
werden. Ich hoffe, das gilt für alle Fraktionen in diesem
Haus.
({3})
Zum Abschluss möchte ich sagen: Ich freue mich,
dass die Bundesjustizministerin zugesagt hat, die Hände
in diesem Bereich nicht in den Schoß zu legen, sondern
nachzuarbeiten.
({4})
- Ja, ich jedenfalls finde, das ist eine nette Zusage.
({5})
Es gibt dazu auch eine EU-Richtlinie. Durch gesetzgeberisches Unterlassen würden wir die Sicherheit der
Menschen gefährden. Dazu sind wir als CDU/CSU nicht
bereit.
Abschließend möchte ich der Ministerin für die gute
Zusammenarbeit herzlich danken.
({6})
Ich glaube, wir sind auf einem guten Weg. Man merkt an
den Reden und Feststellungen der Opposition, dass Sie
das Gefühl haben, dass wir besser sind, als zurzeit bemerkt wird.
({7})
In diesem Sinne freue ich mich auf die weitere gute Zusammenarbeit.
({8})
Das Wort zu einer Kurzintervention erteile ich Kollegen Jerzy Montag.
Danke, Herr Präsident. - Lieber Kollege GrosseBrömer, Sie haben mich persönlich angesprochen und
einen Artikel zitiert, den ich in der Presse veröffentlicht
habe. Deswegen will ich die Gelegenheit nutzen, Ihnen
zweierlei zu sagen.
Als die schwarz-gelbe Koalition 1998 die Regierungsgeschäfte an Rot-Grün abgeben musste, haben Sie
uns ein Sexualstrafrecht hinterlassen, das für den sexuellen Missbrauch von Kindern Geldstrafen vorsah und bei
dem man von minderschweren Fällen ausging. Es befand sich auf dem niedrigsten Bestrafungsniveau, das es
überhaupt in der BRD gab. Wir, Rot-Grün, haben das
Sexualstrafrecht verschärft. Wir haben die Geldstrafe gestrichen. Wir haben die mittelschweren und die schwersten Fälle zu Verbrechen gemacht, die mit Freiheitsstrafe
von 5 bis 15 Jahre belegt sind. Deswegen würde ich Ihnen empfehlen, in diesem Bereich nicht wieder wie in einem Pawlow’schen Reflex erhöhte Strafen zu fordern.
Zu dem Text, den Sie kritisiert haben: Ich bin der festen Überzeugung, dass die Polizei und die Staatsanwaltschaft alles, was rechtsstaatlich möglich ist, tun müssen,
um Sexualstraftaten aufzudecken. Die Täter müssen bestraft werden. Alle Straftaten geschehen aber in einem
gesellschaftlichen Zusammenhang. Das Verhalten der
Opfer, der Täter und der Organisationen, in denen sie geJerzy Montag
schehen, ist Teil des gesellschaftlichen Kontextes. Warum haben sich Kinder und Jugendliche jahrzehntelang,
bis sie Erwachsene im Alter von 30, 40 oder 50 Jahren
waren, nicht getraut, über diese sexuellen Übergriffe zu
reden? Meine These ist: Das hängt im Wesentlichen mit
der verlogenen Sexualmoral in der Gesellschaft zusammen; das war zumindest in der Vergangenheit der Fall.
Wir hören jeden Tag - ich nenne die katholische Kirche nur als Beispiel, nicht um sie anzuprangern -, dass
solche Fälle in den 70er- und 80er-Jahren innerhalb der
Kirche bekannt geworden sind und die Pfarrer in andere
Bezirke oder andere Staaten versetzt wurden. Darüber
hat man geschwiegen. Ich sage: Das hängt mit der verlogenen Sexualmoral bestimmter Organisationen und der
Gesellschaft zusammen.
Diese Situation hat sich gewandelt. Ich glaube, heutzutage werden solche Fälle häufiger angezeigt. Wir können sexuellen Missbrauch erfolgreicher bekämpfen,
wenn wir über Sexualität offen reden. Wenn wir uns über
dieses Thema in einer offenen Debatte austauschen,
dann haben die Menschen nicht eine so große Scham,
solche Vorfälle anzuzeigen. Kinder und Jugendliche
müssen ertüchtigt werden, sich zu wehren und solche
Vorfälle sofort bei einer Vertrauensperson anzuzeigen.
Das habe ich gemeint, als ich geschrieben habe, dass die
sexuelle Verklemmtheit und die verlogene Sexualmoral
in den vergangenen Jahrzehnten eine Mitschuld daran
hatten, dass diese Fälle so lange verschwiegen worden
sind.
({0})
Herr Kollege, bitte schön.
Lieber Herr Kollege Montag, mir ist diese Begründung immer noch zu einfach. Diese Opfer schämen sich
nicht, weil sie nicht mit Sexualität umgehen können,
sondern sie schämen sich, weil sie Opfer eines massiven
kriminellen bzw. sexuellen Übergriffs wurden. Auch
nach Ihren Erklärungen, die ein bisschen umfangreicher
waren als das, was Sie geschrieben haben - der Satz alleine klingt ja ein bisschen anders -, bin ich der Auffassung, dass es sehr mutig ist, der Gesellschaft mit Verweis
auf eine bestimmte Moralvorstellung die Schuld daran
zu geben, dass sich Opfer nicht eher offenbaren.
Ich glaube, wer Opfer einer Straftat wird - es muss
sich dabei nicht unbedingt um eine Straftat mit sexuellem Hintergrund handeln, sondern es kann sich auch um
einen Überfall handeln -, hat manchmal ein Problem damit, sich zu offenbaren, weil er dann die genauen Umstände und den Ablauf schildern muss. Das Problem ist,
dass sich nicht nur Opfer sexueller Straftaten, sondern
auch Opfer anderer Straftaten nicht offenbaren; dafür
gibt es Beispiele.
Ich glaube, dass es wichtig ist, im Strafrecht die Eigenverantwortung des Täters zu betonen. Wer Kinder
belästigt oder sexuell missbraucht hat, darf sich nicht
vom Acker machen, indem er sagt: Diese Gesellschaft
hat mir gar keine andere Möglichkeit gelassen. - Das
lasse ich als Entschuldigung nicht gelten.
({0})
Das Wort hat nun Christine Lambrecht für die SPDFraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Lieber Kollege Grosse-Brömer, vorab möchte ich mich
ausdrücklich für Ihre Einschätzung bedanken, dass eine
Mitgliedschaft in der SPD eine vernünftige politische
Ausrichtung ist.
({0})
- Natürlich, das hast du nicht gesagt. Es war aber genau
so. Wir können das gerne im Protokoll nachlesen,
({1})
sofern du das noch nicht hast korrigieren lassen.
({2})
- Gesagt ist gesagt.
Ich glaube, hinter dieser Einschätzung verbirgt sich
viel mehr, nämlich der tief empfundene Wunsch, in eine
Große Koalition zurückzukehren.
({3})
Die Große Koalition hat gerade auf dem Gebiet der
Rechtspolitik unglaublich viel erreicht. Ich will nur einen Bereich nennen, in dem wir alle, das gesamte Haus,
an einem Strang gezogen haben: das Familienrecht.
({4})
Wir haben das gesamte Familienrecht umgekrempelt
und es den neuen Herausforderungen angepasst. Dabei
hatten wir alle im Boot.
({5})
Wie geräuschlos ging das vonstatten! Das nenne ich
sachgerechte Arbeit.
({6})
Wenn ich aber höre, dass der rechtspolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion hier im Plenum
sagt: „Im Zweifel arbeiten wir“, und weiter ausführt: „In
dem Fall legt die Frau Ministerin nicht die Hände in den
Schoß“, dann stellt sich mir die Frage: Im Zweifel arbeitet ihr? Wir haben große Zweifel daran, dass ihr arbeitet.
Und wenn Sie sagen, dass die Frau Ministerin in dem
Fall nicht die Hände in den Schoß legt, war das ein erneuter Angriff innerhalb der Koalition.
({7})
Ich fand es entlarvend, was in der heutigen Debatte vorgetragen wurde.
({8})
Traditionell ist es doch so, dass die Haushaltsdebatte
zu Beginn der Legislaturperiode eine erste Möglichkeit
bietet, ein Resümee zu ziehen: Was ist passiert? Was hat
sich die Regierung vorgenommen? Ich hatte gehofft,
heute passiert richtig etwas, heute wird etwas auf den
Tisch gelegt, zu dem man sich positionieren kann. Die
Frau Ministerin hat während ihrer Zeit als Oppositionspolitikerin, aber auch im Wahlkampf hohe Erwartungen
geweckt: Kein Mast war zu hoch, um die Freiheitsfahne
zu hissen.
Jetzt, nach nur wenigen Monaten, muss man sagen:
Diese Fahne wurde relativ schnell eingerollt. Angefangen hat das Ganze - ich muss das immer wieder erwähnen - mit der Positionierung zum SWIFT-Abkommen.
Was haben Sie als Oppositionspolitikerin gegen dieses
Abkommen gewettert! Auf keinen Fall wollten Sie dieses Abkommen durchgehen lassen. Es war mit Ihre erste
Amtshandlung, in dieser Frage einzuknicken. Ich
glaube, das ist typisch für das, was uns in den nächsten
Monaten und Jahren erwartet.
Sie haben in der Rechtspolitik kein abgestimmtes
Konzept. Sie haben zwar einen Koalitionsvertrag; aber
wahrscheinlich wird das, was in diesem Koalitionsvertrag steht, immer dann, wenn es darauf ankommt, nicht
umgesetzt. Sie haben vorhin gesagt, dass ein Vorhaben
nur zustande kommt, wenn alle drei Koalitionsfraktionen dem zustimmen. Wenn Sie etwas in Ihren Koalitionsvertrag geschrieben haben, dann muss man doch
davon ausgehen können, dass Sie sich damals einig waren. Da können Sie doch jetzt nicht damit ankommen,
eine Einigung müsse erst erreicht werden. Die Erklärung
der Ministerin war also entlarvend. Wir werden viele
Fragen - wir sind gespannt auf Ihre Vorschläge - vor
diesem Hintergrund beleuchten.
Ich will anfangen mit einem Punkt, den Sie, Frau Ministerin, in der Öffentlichkeit gerne als eines Ihrer Projekte beschreiben, nämlich die Pressefreiheit zu stärken
und Journalisten vor Beschlagnahme zu schützen. In Ihrer Regierungserklärung vom November haben Sie gesagt - das kann man nachlesen -, dass Sie sich sofort mit
diesem Thema beschäftigen wollen. Heute mussten wir
erfahren, dass es bis zur Sommerpause dauern wird, bis
Sie etwas vorlegen.
({9})
- Bis zur Osterpause werden Sie etwas vorlegen? Na,
dann ist ja nicht mehr viel Zeit. Wir sind gespannt darauf. - Ich befürchte aber, dass CDU, CSU und FDP in
dieser Frage ähnlich wie in vielen anderen Fragen nicht
unbedingt schnell zu einer Lösung des Problems kommen werden. Ich habe den Eindruck, das ist hier wie im
richtigen Leben, wo Dreierbeziehungen auch immer ein
Problem darstellen. Politische Dreierbeziehungen werfen offensichtlich noch viel mehr Probleme auf.
Wir können uns viele weitere Themen anschauen. Es
werden immer wieder runde Tische beschworen. Sie
sind doch nicht dafür gewählt worden und Sie sind doch
nicht dafür Justizministerin, um runde Tische einzurichten. Wenn man all die runden Tische, die von der Justizministerin, von der Familienministerin und von der Bildungsministerin eingerichtet werden, zusammenzählt,
wird man feststellen, dass man damit einen Bankettsaal
füllen könnte. Ich glaube, das ist nicht das, was die Politik machen sollte. Die Politik sollte Farbe bekennen, sie
sollte Vorschläge unterbreiten, statt, wie ich es von den
Koalitionspolitikern zu ganz vielen Fragen gehört habe,
anzukündigen, über die Fragen mal nachdenken zu wollen.
Ich will Ihnen einmal ein paar Punkte vorschlagen;
dann werden wir sehen, ob Sie über das reine „Wir wollen mal darüber nachdenken“ vielleicht hinauskommen.
Das Thema Kindesmissbrauch ist angesprochen worden. Es ist richtig und wichtig, dass wir uns mit diesem
Thema in der gebotenen Ruhe beschäftigen und jetzt
nicht populistisch irgendwelche Vorschläge unterbreiten.
Wenn man sich die Fälle und insbesondere die Situation
der Opfer anschaut, erkennt man, glaube ich, dass es
wichtig ist, dass man über eine Verlängerung der Verjährungsfristen nicht nur nachdenkt, sondern Nägel mit
Köpfen macht. Die Rechtspolitik kann ihren Teil dazu
beitragen, dass solche Taten nicht vergessen werden,
dass solche Taten geahndet werden und die Opfer zu ihrem Recht kommen. Sie sollten sich einmal mit dem
Vorschlag der SPD auseinandersetzen, in Bezug auf das
Zivilrecht über eine Verlängerung der Verjährungsfristen
auf 30 Jahre und in Bezug auf das Strafrecht auf 20 Jahre
nachzudenken. Nehmen Sie diesen Vorschlag an! Machen Sie endlich etwas, statt mit Gemeinplätzen wie
„Wir werden darüber nachdenken“ zu kommen.
Ich glaube, es ist wirklich allerhöchste Zeit, dass die
Politik hier einmal klare Worte findet und dann auch etwas tut und sich nicht nur in Allgemeinplätzen verirrt.
({10})
Ein weiteres Thema, mit dem Sie sich in diesem Zusammenhang vielleicht beschäftigen müssen - hierbei
möchte ich mich jetzt gar nicht zu runden Tischen auslassen -, ist die Frage, wie wir mit den Fällen umgehen,
die bereits verjährt sind. Auch dazu gibt es Vorschläge.
Diese würde ich Ihnen gerne unterbreiten, um auch dazu
einmal Ihre Position zu erfahren.
Was halten Sie beispielsweise davon, eine Untersuchungskommission hier im Deutschen Bundestag einzusetzen, die das ganze Ausmaß des Missbrauchs ermittelt,
und zwar unabhängig, und die hierüber dann auch öfChristine Lambrecht
fentlich Bericht erstattet? Warum ergreifen wir angesichts solcher Fälle, die uns alle berühren und betroffen
machen, nicht die Möglichkeiten, die wir haben, um
auch in den Fällen, die verjährt sind, nichtsdestotrotz zu
ermitteln und sie aufzuklären?
Ich glaube, das ist ein sehr konkreter Vorschlag. Denken Sie einmal darüber nach, und legen Sie vielleicht
auch in diesem Fall nicht die Hände in den Schoß, sondern werden Sie mal ein bisschen aktiver.
Es ist viel darüber geredet worden, was Sie alles vorhaben. Ich hätte heute gerne zu viel mehr Punkten ganz
konkret Stellung bezogen. Leider fehlen uns momentan
die Vorlagen, die alle angekündigt wurden - jetzt wieder
eine. Wie gesagt, ich gehe davon aus, dass Sie auch weiterhin nicht sonderlich viel dazu beitragen, weil die Zerrissenheit spürbar ist.
Ich will dies an einem Punkt deutlich machen: Wir
alle erinnern uns an die Frage, ob der Staat CDs, also
Datenträger, kaufen darf, auf denen Daten über Steuerhinterzieher erfasst sind, und wie man in Zukunft damit
umgeht. Gerade in der letzten Sitzungswoche gab es
wieder einen schönen Chor von Stimmen aus der Koalition. Der Kollege Siegfried Kauder, der Vorsitzende des
Rechtsausschusses, hat gefordert, dass es in Zukunft verboten sein soll, solche CDs anzukaufen. Der Kollege
Ahrendt von der FDP hat ihm sofort beigepflichtet und
gesagt, dass dies jetzt ganz dringend geregelt werden
muss. Das kann man auch verstehen; denn beide kommen aus Baden-Württemberg, und Baden-Württemberg
verweigert sich dem Ankauf.
({11})
Schließlich sagte der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der CDU/CSU, der für diesen Rechtsbereich zuständig ist: Es kommt überhaupt nicht infrage; über so
etwas denken wir nicht einmal nach.
Das ist Ihre Art, mit Themen umzugehen: Hü, hott!
Hü, hott! Man weiß nicht mehr, wo man steht.
Ich kann Ihnen nur sagen: Nehmen Sie Ihre Aufgabe
endlich entsprechend verantwortungsbewusst wahr, und
hören Sie auf, die Probleme in Ihrer Dreierbeziehung öffentlich auszutragen.
({12})
Machen Sie endlich eine richtige, eine sachgerechte
Politik.
Vielen Dank.
({13})
Das Wort hat nun Florian Toncar für die FDP-Fraktion.
({0})
Vielen Dank. - Herr Präsident! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Es ist schon eine interessante Debatte. Sie
pendelt sich ein bisschen so ein: Die Sozialdemokraten
werfen uns vor, dass es die Gesetze, die sie gemacht haben, immer noch gibt.
({0})
Das ist ein bisschen schizophren, aber wir haben uns daran gewöhnt. Herr Nešković bietet eine Mischung aus
Rechtspolitik und Klassenkampf, und Herr Montag wiederum ist sachfremd in die Debatte eingestiegen, aber
das mit Kubicki war in der Tat wenigstens unterhaltsam.
Herr Montag, ich kann Ihnen aber sagen: Erstens ist
Kubicki nicht hier,
({1})
und zweitens ist das kein Fall für die Justiz und insofern
auch noch nicht Gegenstand der Beratung hier, solange
er das nicht wahrmacht, was Sie vorgelesen haben. Warten wir es doch einfach ab; schauen wir mal.
({2})
Ich möchte nun etwas zum Haushalt sagen. Wir haben
hier zwar nicht viele Veränderungen vorgenommen, aber
doch die eine oder andere. Die Ministerin hat das Thema
der Entschädigung von Opfern extremistischer Gewalt
angesprochen. Es ist schon wieder kritisiert worden Herr Montag, Sie haben es gesagt -, dass hier die Axt
angelegt wird, weil jetzt Opfer jeglicher extremistischer
Gewalt begünstigt werden können. Ich finde, dass Sie
damit dem Titel und dem Thema nicht gerecht werden,
und ich will Ihnen auch sagen, warum.
Zunächst einmal muss man sagen, dass die Mittel dieses Titels um das Vierfache ansteigen, nämlich von
250 000 Euro auf 1 Million Euro. Auch die Voraussetzungen dafür, diese Mittel zu erhalten, werden verändert.
Das ist im Sinne der Betroffenen. Es wurde also keine
Axt angelegt, sondern die Mittel steigen ganz beträchtlich, nämlich um den Faktor vier. - Das ist das eine.
Das andere ist: Es geht am Ende doch darum, dass ein
Opfer einer Gewalttat, das keinen Schadensersatz bekommt, weil man zum Beispiel den Schädiger nicht
kennt, weil er entschwunden ist oder weil er keinen
Schadensersatz leisten kann, diesen Schadensersatz aus
Billigkeitsgründen erhält. Es wird zuerst geschaut: Bekommt er für die Tat einen Ersatz von dem dafür Verantwortlichen? Deswegen kann man heute noch gar nicht
sagen, wie viele Betroffene im Jahr 2010 aufgrund linksextremistischer und wie viele aufgrund rechtsextremistischer Straftaten Leid erfahren und keinen Ersatz bekommen haben. Sie können das nicht sagen, und ich kann
das nicht sagen. Es ist völlig überflüssig, zu spekulieren,
welche Opfergruppe mit einer höheren Zahl vertreten ist.
Wir wollen etwas für die Opfer extremistischer Gewalt
tun. Dafür nehmen wir sehr viel mehr Geld in die Hand.
Das ist gut und sollte hier nicht kleingeredet werden.
({3})
Der zweite Impuls, den wir als Koalition im Haushalt
setzen, betrifft die internationale Partnerschaft, die
Rechtsberatung der Bundesrepublik Deutschland zum
Thema „Förderung von Demokratie und Marktwirtschaft
im Ausland“. Das ist ein wichtiges Anliegen. Wir können, glaube ich, sagen, dass das deutsche Recht - egal ob
Strafrecht, Strafprozessrecht, Verwaltungsrecht oder Zivilrecht - im Ausland auf großes Interesse stößt. Wir
können sehr viel zur Verbesserung der Situation in Entwicklungs- und Schwellenländern beitragen. Wir sollten
stolz darauf sein, anstatt unseren Rechtsstaat - so ist es
in dieser Debatte teilweise auch wieder passiert schlechtzureden. Das ist an vielen Stellen völlig maßlos.
Wir sollten stolz sein. Unser Recht ist international gefragt, und das bildet diese Koalition im Haushalt ab.
({4})
Ich möchte noch auf einige rechtspolitische Themen
eingehen. Aus liberaler Sicht ist die Entscheidung des
Bundesverfassungsgerichts in Bezug auf die Vorratsdatenspeicherung zu begrüßen. Wir haben diese Entscheidung erwartet, da sie der Argumentation unserer
Fraktion, die wir in der Vergangenheit auch von diesem
Pult aus vorgetragen haben, entspricht. Ich denke, dass
dieses Thema bei der Ministerin in guten Händen ist.
Das hat sie in der Vergangenheit gezeigt.
Sie hat auch ein weiteres Thema auf die Agenda gesetzt - das wird von unserer Fraktion maßgeblich unterstützt -, und zwar die Reform des Insolvenzrechts. In
der jetzigen Krise müssen wir uns überlegen: Ist unser
Insolvenzrecht geeignet, den Erhalt von Arbeitsplätzen
zu sichern, oder führt es dazu, dass Betriebe kaputtgehen? Ich glaube, dass wir uns mit den Überlegungen zur
Stärkung des Insolvenzplanverfahrens und zu mehr Eigenverwaltung auf einem guten Weg befinden. Denn gerade in der Krise müssen für den Erhalt von Unternehmen und Arbeitsplätzen bessere Rahmenbedingungen
gesetzt werden.
Folgende Frage hat die Ministerin dankenswerterweise in einer Rede in Hamburg angesprochen: Wie können wir das Insolvenzrecht in den Bereichen reformieren, in denen es heute nicht mehr richtig greift? Das gilt
insbesondere für die Bankenkrise und den Umgang mit
den sogenannten systemrelevanten Banken. Ich denke,
dass es einer der wichtigen Aspekte dieser Insolvenzrechtsreform ist, sich zu überlegen, wie man mit diesem
Problem umgeht und wie man wieder dazu kommt - das
ist in einer Marktwirtschaft nur billig und gerecht -, dass
jemand, der Fehler gemacht hat, auch die unternehmerische Haftung - das geht bis zum Risiko der Insolvenz dafür übernehmen muss.
({5})
Da Sie die Große Koalition so gelobt haben und Vorschläge verlangen, möchte ich Sie darauf hinweisen,
dass die Große Koalition gerade in diesem Punkt sehr
unterschiedlicher Meinung war. Es gab einen Vorstoß
von Frau Zypries und Herrn Steinbrück sowie einen von
Herrn zu Guttenberg. Es hat aber eben nicht geklappt.
Wir werden dafür sorgen, dass wir das Thema gemeinsam lösen. Was das Ziel angeht, sind wir uns einig.
({6})
Insofern ist das ein gutes Beispiel dafür, dass diese Koalition bestens funktioniert, Frau Kollegin Lambrecht.
({7})
Ich möchte noch einen Punkt ansprechen, der im Koalitionsvertrag enthalten ist. Es geht dabei um ein sehr
wichtiges Thema, das Staatshaftungsrecht. Es ist interessant, dass wir in einem Land leben, in dem fast alles
umfassend gesetzlich geregelt ist. Aber die Frage, wann
der Staat seinen Bürgern Ersatz schuldet, wenn diese einen Schaden erleiden, ist nur fragmentarisch geregelt,
und die entsprechenden Regelungen sind über etliche
Gesetze verteilt, bis hin zum Grundgesetz, das zur Anwendung gebracht werden muss, da es keine speziellen
Gesetze gibt. Diese Frage ist seit Jahrzehnten offen geblieben. Ich finde, ein Rechtsstaat schuldet es seinen
Bürgern, ihnen klare Regeln bzw. Ansprüche für den
Fall zu geben, dass dieser Staat sie geschädigt hat und
Ersatz leisten muss.
({8})
- Ja. Jedenfalls wird das kommen, Frau Kollegin. Sie
sind sicher froh, dass es diese Koalition jetzt aufgreift.
Herr Kollege, was auch kommt, ist das Ende Ihrer Redezeit.
({0})
Das Problem sind die vielen Zwischenrufe, Frau Präsidentin.
({0})
- Wir greifen das auf. Insofern ist die Dürre in der
Rechtspolitik der letzten elf Jahre endlich vorbei. Wir
werden das Thema lösen.
({1})
Jetzt spricht der Kollege Stephan Mayer für die CDU/
CSU.
({0})
Sehr verehrte Frau Präsidentin! Sehr verehrte Kolleginnen! Sehr verehrte Kollegen! Ich komme nicht umhin, auf den Beitrag des Kollegen Nešković einzugehen.
Sehr geehrter Herr Kollege Nešković, ich mache das
nicht deshalb, weil ich den Beitrag so exzellent fand,
sondern weil ich es für außerordentlich bemerkenswert
halte, dass Sie die Dreistigkeit besitzen, diesen Redebeitrag ausgerechnet am heutigen Tag zu halten, dem
20. Jahrestag der ersten freien und gleichen Wahl zur
Volkskammer in der DDR. Sie haben dem Bundesaußenminister historische Unkenntnis vorgeworfen.
({0})
- Ahnungslosigkeit. Ich kann diesen Vorwurf an dieser
Stelle nur an Sie zurückgeben.
({1})
Es geht hier nicht um Sie persönlich; aber Sie sitzen auf
der Bank einer Fraktion, die Mitglieder hat, die der ehemaligen SED angehört haben, die teilweise sogar informelle Mitarbeiter der Stasi waren, die also mit dazu
beigetragen haben, ein Unrechtsregime über 40 Jahre
aufrechtzuerhalten, das den Forderungen, die Sie hier
von sich gegeben haben, gerade nicht Genüge getan hat,
nämlich Gleichheit und Freiheit zum Durchbruch zu verhelfen.
({2})
Ich habe mir zufälligerweise heute Vormittag die
Mühe gemacht, das ehemalige Stasi-Gefängnis in Hohenschönhausen zu besuchen. Es ist schon bemerkenswert, was man erfährt, wenn man dort durch die Zellen
und Trakte geht. Man begreift: In einem Zeitraum von
40 Jahren waren dort insgesamt 17 Millionen Menschen
eingezäunt und hinter Mauern gefangen; Hunderttausende Menschen wurden in der DDR tagein, tagaus bespitzelt; mehrere Tausend Menschen wurden geknechtet
und gefoltert.
Sie stellen sich jetzt hier hin und halten ein großes
Plädoyer für Gleichheit und Freiheit und werfen uns vor,
dass die Bundesrepublik Deutschland diesen Ansprüchen nicht genügt.
({3})
Sehr geehrter Herr Kollege, das halte ich, mit Verlaub,
für außerordentlich dreist und kühn.
({4})
Herr Kollege, möchten Sie eine Zwischenfrage von
Frau Wawzyniak zulassen?
Sehr gerne.
Bitte schön.
Herr Kollege, ist Ihnen bekannt, dass sich Michael
Schumann bereits 1989 im Namen der Partei beim Volk
der DDR entschuldigt hat
({0})
und dass wir einen Beschluss zur Offenlegung unserer
politischen Biografien gefasst haben? Ich frage Sie: Gibt
es einen solchen Beschluss auch bei der CDU, die bekanntlich Mitglieder der DDR-CDU in ihren Reihen hat?
Frau Kollegin, mir ist bekannt, dass die Linkspartei
die Nachfolgepartei der SED ist, dass die SED insgesamt
dieses Unrechtsregime aufrechterhalten, unterstützt und
gefördert hat, dass es in Ihren Reihen nach wie vor
Ewiggestrige gibt, die beispielsweise die wunderbare
Gedenkstätte in Hohenschönhausen bekämpfen, lächerlich machen,
({0})
dass die rot-rote Regierung in Berlin nach wie vor nicht
die erforderlichen Mittel für den Erhalt der Gedenkstätte
beiträgt. Meine sehr verehrte Kollegin, das sind Dinge,
die mir bekannt sind. Ich glaube, es ist richtig, gerade am
20. Jahrestag der ersten gleichen und freien Wahl der
Volkskammer der DDR darauf hinzuweisen. Herr
Nešković, vor diesem Hintergrund habe ich Ihren Beitrag wirklich als deplatziert empfunden. Sie hätten hier
über jedes Thema sprechen können, aber nicht über dieses.
({1})
Da kann man nur sagen: Si tacuisses, philosophus
mansisses.
Frau Bundesjustizministerin, ich bin Ihnen sehr dankbar, dass Sie das Thema Kindesmissbrauch so exponiert dargestellt haben und Ihren Dank dafür zum Ausdruck gebracht haben, dass die bayerischen katholischen
Bischöfe heute auf ihrer Frühjahrskonferenz in Vierzehnheiligen in Oberfranken deutlich gemacht haben,
dass sie anregen werden, die diesbezüglichen Leitlinien
zu novellieren. Wir müssen klarmachen, dass es keinerlei Tabuisierung geben darf, dass es keinerlei Toleranz
gegenüber diesen schrecklichen, unmenschlichen, bar2900
Stephan Mayer ({2})
barischen Missetaten geben darf. Es ist mit das
Schlimmste, was man einem Menschen antun kann,
wenn man ihm das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung
nimmt, wenn er Opfer eines entsprechenden Delikts
wird. Hier ist der Staat gefordert.
Natürlich gibt es berechtigte Fragen der Bürgerinnen
und Bürger, wie der Staat darauf reagiert. Ich glaube, es
ist richtig, deutlich zu machen, dass die katholische Kirche hier ihrer Verantwortung gerecht werden muss. Ich
sage aber auch ganz offen: Kindesmissbrauch gibt es
nicht nur im Bereich der katholischen Kirche. Es gab
auch Kindesmissbrauch - vielleicht gibt es ihn immer
noch - in evangelischen und weltlichen Einrichtungen.
Wir sollten auch deutlich machen, dass sich der Großteil
der Fälle von Kindesmissbrauch - leider Gottes ist die
Dunkelziffer hier offenbar erschreckend hoch - im familiären Bereich ereignet.
Sehr geehrte Frau Leutheusser-Schnarrenberger, es ist
richtig, hier einen runden Tisch zu bilden; ich bin Ihnen
für Ihre Initiative dankbar. Es ist gut, dass sich hier die
drei betroffenen Ministerien zusammentun. Sehr geehrte
Frau Kollegin Lambrecht, ich sage Ihnen ganz offen: Ich
halte nichts davon, jetzt eine Untersuchungskommission
des Bundestags zu etablieren, weil - ich hege diesen
Verdacht einfach - Sie mit dieser Forderung unterstellen,
die katholische Kirche und alle anderen Bildungsträger
seien nicht in der Lage, diese Untaten aufzuklären.
({3})
Dieser Auffassung bin ich dezidiert nicht. Ich habe Vertrauen in die katholische Kirche. Ich möchte an der
Stelle auch deutlich machen, dass der Großteil der katholischen Pfarrer, Priester und Kaplane seiner Arbeit,
auch seiner Jugendarbeit, vollkommen seriös und verantwortungsvoll nachgeht.
({4})
Ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, dass von
interessierten Kreisen durchaus ganz bewusst nicht nur
auf diese Untaten und Verfehlungen hingewiesen wird,
sondern versucht wird, der Institution katholische Kirche nachhaltig zu schaden und sie nachhaltig zu erschüttern.
({5})
Es ist richtig, dass der Staat seinem Strafanspruch gerecht wird. Es ist auch richtig, dass wir uns als Parlament
Gedanken darüber machen, wie wir auf diese erschreckenden Enthüllungen - für mich ist das immer noch
nicht fassbar - reagieren. Wir sind gut beraten, glaube
ich, uns hier kein Stoppschild zu verpassen, sondern uns
wirklich offen und vorurteilsfrei über alle möglichen
Vorschläge und Diskussionspunkte Gedanken zu machen.
Dazu gehört natürlich, dass man sich Gedanken darüber macht, sowohl die zivilrechtlichen als auch die
strafrechtlichen Verjährungsfristen zu verlängern. Dazu
gehört natürlich auch, sich Gedanken darüber zu machen, ob man Verbesserungen erreichen kann, was den
Schadensersatz oder den Täter-Opfer-Ausgleich angeht.
Meines Erachtens gibt es noch eine sehr berechtigte Forderung: Es wäre richtig, den Kindesmissbrauch vom
Vergehen zum Verbrechen hochzustufen.
Herr Kollege, es gibt noch einen weiteren Wunsch,
eine Zwischenfrage stellen zu dürfen, und zwar des Kollegen Sharma. Möchten Sie das zulassen?
Selbstverständlich. Sehr gern.
Bitte schön.
Herr Kollege, Sie haben eben darauf hingewiesen,
dass die Bundesjustizministerin zu einem runden Tisch
in dieser Angelegenheit eingeladen hat und die runden
Tische auch zusammengeführt werden sollen. Haben Sie
zur Kenntnis genommen, dass die Bundesjustizministerin, Frau Leutheusser-Schnarrenberger, nicht nur zu
einem runden Tisch eingeladen hat, sondern darüber hinaus die katholische Kirche aufgefordert hat, sehr eng
mit der Staatsanwaltschaft zusammenzuarbeiten?
Sehr geehrter Herr Kollege, ich habe die gesamte Debatte sehr intensiv zur Kenntnis genommen und habe
mich in dieser Debatte in den letzten Tagen und Wochen
auch immer wieder persönlich zu Wort gemeldet. Es ist
richtig, glaube ich, dass die katholische Kirche und insbesondere die katholischen Bischöfe in Bayern heute
deutlich gemacht haben, dass sämtliche Verdachtsfälle
zur Anzeige gebracht werden. Es ist eine herausragende
Leistung der katholischen Bischöfe, dass sie heute beschlossen haben: Auch wenn offenkundig schon die Verjährung eingetreten ist, sollen sämtliche Verdachtsfälle
offen, vorurteilsfrei und schonungslos zur Strafanzeige
gebracht werden. Insoweit steht einer konstruktiven Kooperation zwischen der katholischen Kirche und dem
Staat überhaupt nichts im Wege.
Auch wir als Parlament sollten die Debatte in diesem
Sinne und in diesem Geiste führen und nicht so, wie es
meines Erachtens einige Kollegen ganz bewusst und
auch interessiert tun, indem sie nämlich die katholische
Kirche insgesamt herabwürdigen, indem sie auch nicht
davor zurückschrecken, sogar den Heiligen Vater zu diskreditieren und zu beleidigen. Das, sehr geehrter Herr
Kollege, halte ich für bodenlos, für unanständig und für
vollkommen unangebracht.
({0})
Daran, dass ich zum einen den Bundesaußenminister
verteidigt habe, zum anderen die hervorragende, konStephan Mayer ({1})
struktive und sehr einvernehmliche Zusammenarbeit mit
dem Bundesjustizministerium insgesamt, aber insbesondere auch mit der Spitze des Bundesjustizministeriums
lobe, kann man sehen, dass die bürgerlich-christliche
Koalition auf einem guten Weg ist, dass wir insgesamt,
aber gerade auch im Bereich der Justizpolitik sehr gedeihlich und sehr einvernehmlich zusammenarbeiten. In
diesem Sinne steht einer erfolgreichen Justizpolitik in
den nächsten dreieinhalb Jahren nichts im Wege.
Herzlichen Dank.
({2})
Der nächste Redner für die CDU/CSU-Fraktion ist
der Kollege Professor Dr. Sensburg.
({0})
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Ministerin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wie meine Vorredner, zumindest
diejenigen, die zum Haushalt gesprochen haben, bereits
ausgeführt haben, konnte der Titel Justiz nach den Haushaltsberatungen um rund 5 Millionen Euro auf knapp
490 Millionen Euro heruntergesetzt werden. Wir reden
damit über einen Haushaltstitel, dessen Anteil am Gesamthaushalt bei 0,15 Prozent liegt. Wir debattieren
heute über einen Haushaltstitel, der große rechtspolitische Auswirkungen hat und bei dem alle Möglichkeiten
der Einsparung genutzt worden sind. Die Justizministerin hat es bereits deutlich gemacht.
Lediglich zwei Aufstockungen verzeichnet dieser
Haushalt; der Kollege Toncar ist darauf kurz eingegangen. Zum einen ist im Haushalt eine Aufstockung der
Mittel für die Beratungshilfe für den Aufbau von Demokratie und Marktwirtschaft vorgenommen worden. Hier
geht es vor allem um die jungen Demokratien Mittelund Osteuropas sowie die Staaten der ehemaligen Sowjetunion. Die deutsche Rechtsordnung ist ein internationaler Standortfaktor der Bundesrepublik Deutschland, den
wir zugleich über diese Maßnahme weiter in den Fokus
rücken wollen. Dass wir das bereits machen, beweist die
Bundesratsinitiative der nordrhein-westfälischen Justizministerin Müller-Piepenkötter. Der Entwurf eines Gesetzes zur Einführung von Kammern für internationale
Handelssachen beinhaltet den Vorschlag, Rechtsstreitigkeiten auch auf Englisch als Gerichtssprache zu ermöglichen. Das ist eine konstruktive, wettbewerbsorientierte
Rechtspolitik. Ich danke der nordrhein-westfälischen
Justizministerin, dass sie hier Akzente setzt.
({0})
Zum anderen wird es eine Aufstockung beim bisherigen Fonds für Opfer rechtsextremistischer Gewalt geben, und er wird auf Opfer extremistischer Gewalt insgesamt ausgeweitet. Herr Montag - ich schätze Sie sehr
als sachkundigen Europarechtler -, ich halte es für fatal,
eine Unterscheidung zwischen Opfern zu treffen. Wir
dürfen nicht den einen Opfern eine Entschädigung gewähren und den anderen nicht. Wenn Sie sich den Haushaltstitel genau anschauen, stellen Sie fest, dass diese
Aufstockung nicht zulasten der Opfer rechtsextremistischer Gewalt geht. Vielmehr werden auch die Opfer
linksextremistischer Gewalt berücksichtigt. Herr Toncar
hat eben sehr gut ausgeführt, dass es notwendig ist, zwischen den Opfern nicht zu unterscheiden. Es darf keine
Unterscheidung geben.
({1})
Die Zahlen sprechen für sich. So ist beispielsweise in
Niedersachsen die Anzahl linksextremistischer Straftaten im Jahre 2009 um 15 Prozent gestiegen, genauso wie
in der gesamten Bundesrepublik Deutschland. Das werden wir spätestens im Mai bei der Vorstellung der PKS,
der Polizeilichen Kriminalitätsstatistik, sehen. Verfassungsschutzpräsident Fromm äußerte sich am vergangenen Montag in der Welt, bezogen auf die Gewalt von
links, wie folgt:
Dass die Militanz deutlich zugenommen hat, muss
ich leider bestätigen. Auch die Zahl der gewaltbereiten Personen hat sich in den letzten fünf Jahren
deutlich erhöht. Gewalt auf der Straße und verdeckt
geplante Anschläge nehmen zu … Auch der Angriff auf eine Polizeiwache im Dezember in Hamburg spricht für ein verändertes Niveau.
Ein Rechtsstaat darf die Augen vor keiner Gewalt verschließen und muss sich gegen Extremismus von links
wie von rechts wenden.
({2})
Mir scheint, dass gerade die Vertreter der Fraktion Die
Linke immer wieder eine Verharmlosung linker Gewalt
betreiben. Dazu kann ich nur sagen: Der Staat muss sich
gegen jede Art von Extremismus richten.
({3})
- Ich weiß gar nicht, warum Sie jetzt dazwischenrufen,
Frau Kollegin.
Ich zitiere aus der Internetseite der Linken: „Es gibt
keine linksextremistische Gefahr in Deutschland.“ In einer Pressemitteilung der Linken vom 19. Januar 2010 ist
im Zusammenhang mit anwachsender linker Gewalt von
einem Phantom die Rede. Ich frage mich daher, ob Sie
auf einem Auge blind sind, ob es sich um reinen Populismus handelt oder ob Sie Klassenkampf führen wollen.
({4})
Die Aufgabe der Justiz muss es sein, klar für den
Schutz unserer Vollstreckungsbeamten und insbesondere
der Polizistinnen und Polizisten einzutreten. Sie sind
immer wieder gewaltsamen Angriffen ausgesetzt. Die
Angriffe steigern sich. Erschreckend ist hierbei, dass die
Hemmschwelle sinkt und die Intensität der Taten zunimmt. Ich möchte die Relevanz an den Zahlen aus
Nordrhein-Westfalen verdeutlichen. Alle 90 Minuten
gibt es dort einen Übergriff auf Polizeibeamte.
({5})
Die Dunkelziffer ist - so die Deutsche Polizeigewerkschaft - weitaus höher. Die christlich-liberale Koalition
steht an der Seite der Polizistinnen und Polizisten in unserem Land. Wir werden deshalb ihren strafrechtlichen
Schutz im Strafgesetzbuch da, wo es nötig ist, verbessern.
({6})
Ich möchte denen, die dazwischenrufen, sagen: Gewalttaten gegen Polizeibeamte sind kein Kavaliersdelikt.
({7})
Jeder Polizist und jede Polizistin ist auch Familienvater
bzw. Familienmutter. Der Staat muss den Schutz dieser
Personen gewährleisten. Dafür müssen wir uns einsetzen.
({8})
Ich möchte noch zu einem weiteren Thema kommen,
zum Europarecht. Durch den fortschreitenden europäischen Integrationsprozess kommen immer mehr Aufgaben auch auf das Bundesministerium der Justiz zu. Dies
lässt sich - die Justizministerin hat es angesprochen zum Beispiel am Europäischen Geldsanktionsgesetz erkennen. Wenn mehr Aufgaben, insbesondere beim Bundesamt für Justiz, auf den Bereich des Titels 7 zukommen, dann müssen wir den Personalansatz erhöhen. Es
war richtig, ihn um 99 Stellen zu erhöhen. In anderen
Bereichen wurden Stellen gespart, und damit wurde der
Haushalt ausgeglichen.
Dieses Beispiel einer umzusetzenden Richtlinie zeigt,
dass der Vertrag von Lissabon den nationalen Parlamenten mehr Rechte einräumt und sie stärkt. Gemeinsam mit
den Kollegen des Europaausschusses und des Unterausschusses Europarecht des Rechtsausschusses arbeiten
wir daran, die Subsidiaritätsprüfung ganz konkret vorzubereiten. Sie wissen, dass wir nur einen engen Zeitrahmen von acht Wochen haben, in dem wir die europäischen Vorhaben genauer unter die Lupe nehmen können.
Parteiübergreifend möchte ich deutlich sagen: Der Bundestag sollte die durch den Vertrag von Lissabon eingeräumten Rechte selbstbewusst und intensiv nutzen. Wir
werden das in der nächsten Zeit tun.
Ich danke Ihnen.
({9})
Herr Sensburg, das war Ihre erste Rede hier im Haus.
Dazu gratulieren wir Ihnen alle sehr herzlich und wünschen Ihnen alles Gute für die Arbeit.
({0})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den Einzelplan 07, Bundesministerium der Justiz, in der Ausschussfassung. Hierzu liegt ein Änderungsantrag der
Fraktion Die Linke vor, über den wir zuerst abstimmen.
Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksache 17/1035? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? Damit ist der Änderungsantrag abgelehnt. Zugestimmt
hat die einbringende Fraktion, alle übrigen Fraktionen
haben den Antrag abgelehnt.
Wer stimmt für den Einzelplan 07, Bundesministerium der Justiz, in der Ausschussfassung? - Wer stimmt
dagegen? - Enthaltungen? - Damit ist der Einzelplan bei
Zustimmung der Koalitionsfraktionen angenommen; dagegen haben die Oppositionsfraktionen gestimmt.
Wir kommen nun zur Abstimmung über den Einzelplan 19, Bundesverfassungsgericht, in der Ausschussfassung. Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Dieser Einzelplan ist einstimmig angenommen.
Ich rufe jetzt Tagesordnungspunkt I.16 auf:
Einzelplan 17
Bundesministerium für Familie, Senioren,
Frauen und Jugend
- Drucksachen 17/616, 17/623 Berichterstattung:
Abgeordnete Andreas Mattfeldt
Florian Toncar
Sven-Christian Kindler
Es fällt auf, dass die Berichterstatter für diesen Einzelplan nur Kollegen sind.
Hierzu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion Die
Linke vor. Außerdem liegen ein Entschließungsantrag
der Fraktion Die Linke und ein Entschließungsantrag der
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor. Über diese werden
wir morgen nach der Schlussabstimmung befinden.
Zwischen den Fraktionen ist verabredet, dass hier eineinhalb Stunden lang debattiert wird. - Dazu sehe ich
keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich gebe das Wort dem Kollegen Rolf Schwanitz für
die SPD-Fraktion.
({1})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten
Damen und Herren! Traditionell beginnt man eine Debatte zu einem Einzelplan in der zweiten bzw. dritten Lesung mit dem Dank für faire Berichterstattung und für
gute Information durch das Haus. Ich kann und will
heute nur für die faire Berichterstattung danken. Das hat
Gründe: Nach meinem Dafürhalten hat es, bezogen auf
das Ministerium, Frau Ministerin Schröder, massive Defizite im Hinblick auf die gewährten Informationen gegeben. Da die Defizite so erheblich sind, will ich sie hier
ansprechen:
Das erste Beispiel betrifft die Ausgabereste bei den
Titeln. Wenn ich es richtig sehe, ist Ihr Ministerium das
einzige gewesen, das uns bei den Haushaltsberatungen
nicht die nötigen Informationen über Ausgabereste bei
den einzelnen Titeln gegeben hat. Das ist deswegen beRolf Schwanitz
sonders schmerzlich, weil in der Bereinigungssitzung
durch die Kollegen aus der Koalition vier Änderungsanträge gestellt worden sind, die mit dem Hinweis auf vorhandene Ausgabereste begründet wurden. Daraus ist die
Schlussfolgerung zu ziehen, dass entweder die Begründungen für diese Anträge falsch sind - das wäre Ihnen
gegenüber aus Sicht der Koalition nicht fair - oder dass
die Kollegen aus der Koalition über Informationen verfügen, über die die anderen Berichterstatter nicht verfügen.
({0})
Das wäre eine Informationspolitik nach Gutsherrenart,
nach Parteibuch, nach Fraktionszugehörigkeit, die nicht
zu akzeptieren ist. Das müsste abgestellt werden.
({1})
Das zweite Beispiel betrifft eine mir gestern zur
Kenntnis gelangte Vereinbarung bezogen auf den Zivildienst, genauer gesagt: auf die Jugendfreiwilligendienste
im Ausland. Aus dieser Vereinbarung, die zwischen Vertretern der Träger der Jugendfreiwilligendienste im Ausland und Herrn Staatssekretär Hecken getroffen worden
ist, geht hervor, dass diese Träger künftig, offensichtlich
in 2010, 1 Million Euro zusätzliche Zuschüsse erhalten
sollen. Ich spreche das deshalb an, weil die Frage, welche
haushaltsseitigen Auffang-, Übergangs- und Zuwendungsregelungen man schon in 2010 wegen der Verkürzung der Zivildienstdauer braucht, in den Ausschussberatungen und in den Berichterstattergesprächen bisher
immer unbeantwortet geblieben ist.
Ich will den letzten Punkt dieser Vereinbarung zitieren: Beide Seiten - damit auch das BMFSFJ - betonen,
dass die Abfederungen, um die es hier geht - 1 Million
Euro -, von vornherein als notwendig erachtet werden. Es stellt sich hier die Frage: Wie kann eine solche Einschätzung in diese Vereinbarung hineinkommen, wenn
man gegenüber den Berichterstattern die Auffassung
vertritt, es bedürfe einer solchen Veränderung nicht?
Auch hier sage ich: Es darf keine selektiven Informationen geben; eine Informationspolitik nach Gutsherrenart
muss aufhören.
({2})
Frau Ministerin, nach der gestrigen Ankündigung bezogen auf die Verkürzung der Zivildienstdauer haben wir
nach meiner Einschätzung eine völlig neue Lage.
({3})
Es gibt eine Ankündigung des Verteidigungsministers,
die schon gestern bei der Beratung des Etats des Verteidigungsministeriums eine Rolle gespielt hat: Mittlerweile scheint klar zu sein, dass es die Verkürzung der
Wehrdienstzeit nicht erst zum 1. Januar 2011, sondern
bereits in 2010 geben wird. Die Verkürzung der Zivildienstdauer soll offenkundig sogar noch früher gelten.
Ich will festhalten: Die Koalition hat in der Bereinigungssitzung eine globale Minderausgabe in Höhe von
14,2 Millionen Euro im Bereich des Bundesamts für
Zivildienst beschlossen. Sie hat darüber hinaus einen
Kürzungsvorschlag beim Sold gemacht - aber mit einer
völlig anderen Begründung. Frau Ministerin, Sie haben in
der ersten Haushaltsdebatte - das war vor fünf Sitzungswochen - der staunenden Öffentlichkeit zum ersten Mal
gesagt: Diese Verkürzung wird zum 1. Januar 2011 kommen. - Das war Ihre Ankündigung. Auf alle von Kollegen
und auch von mir gestellten Fragen, welche Auswirkungen diese Verkürzung 2010 hätte, hat Ihr Haus geantwortet:
keine. Das war die Ansage im Berichterstattergespräch.
Das war auch die Ansage in der Bereinigungssitzung.
Jetzt kommt quasi einen Tag vor Abschluss dieser Beratungen die Information: Es ist alles anders. Die Verkürzung findet schon in 2010 statt. - Damit ist das, was
wir hier im Kapitel „Bundesamt für den Zivildienst“ angesetzt haben, eigentlich Makulatur.
({4})
Ich kann Ihnen nur sagen: Das ist ein gravierender Vorgang. So kann man miteinander nicht umgehen. Sie können weder bezogen auf die Fachpolitiker, die natürlich
berechtigterweise fragen, wie das nun gehen soll, noch
bezogen auf die Haushaltspolitiker erst bestimmte Informationen streuen, dann aber einen Tag vorher mit einer
ganz anderen Information kommen. Das verändert die
Situation grundlegend.
Ich habe die Bitte, dass Sie sich zu diesem Vorgang
hier erklären,
({5})
und zwar nicht nur fachlich-inhaltlich. Ich betrachte das
wirklich als eine schwere Belastung. Es war immer Geschäftsgrundlage zwischen den Haushältern und der jeweiligen Ministeriumsführung gewesen, dass jeder
Haushälter, jede Fraktion den gleichen Zugang zu Informationen zur Beratung des Haushalts bekommt. Ich
habe die Bitte, dass Sie das hier klarstellen und sich dazu
positionieren.
({6})
Wir definieren jetzt natürlich, was hier passieren soll.
Im Bereich Zivildienst wurden in der Bereinigungssitzung insgesamt 18 Millionen Euro eingespart, während
für die Freiwilligendienste 1 Million Euro draufgesattelt wird. Das ist eine interessante Relation. Ich bitte Sie,
auch das einmal zu kommentieren. Die Sozialdemokraten und auch andere Fraktionen haben immer gesagt:
Wenn es zu einer solchen Verkürzung kommt, dann muss
dies mit einem signifikanten Aufwuchs bei den Freiwilligendiensten einhergehen.
({7})
Was jetzt hier passiert, ist, dass 94 Prozent der beim Zivildienst eingesparten Gelder verschwinden.
({8})
Wenn die gleiche Relation bei der Operation in 2011 angelegt wird, kann ich nur sagen: Gute Reise!
Nachdem ich dargestellt habe, was uns ärgert, möchte
ich noch eine Bemerkung zu dem Thema „Evaluation familienpolitischer Leistungen“ machen. Ich habe einmal
bei Google die Wortgruppe „Evaluation familienpolitischer Leistungen“ eingegeben. Man erhält 217 000 Treffer, übrigens ohne Pressemeldungen, sondern rein informative Einträge auf Homepages im Internet. Da finden
sich zum Beispiel Stellungnahmen des DIW zum Familiensplitting und zum Elterngeld, des Ifo-Instituts zum
Familienleistungsausgleich, des IAB zu Familienpolitik
und Beschäftigung sowie viele Stellungnahmen zur Finanzierung familienpolitischer Leistungen. Ihre Vorgängerin hat ein Kompetenzzentrum für familienpolitische
Leistungen eingerichtet. Wichtige und honorige Professoren evaluieren dort unterstützend und begleitend, was
Sie in diesem Bereich tun.
Ich frage mich: Was soll eigentlich im Rahmen dieser
neuen Evaluation geschehen; was soll da gemacht werden?
({9})
Wir haben diese Frage gestellt. Ihr Staatssekretär hat
auch geantwortet. Inhaltlich erschließt sich mir das trotz
der Antwort nicht. Was wollen Sie tun? Sie wollen jetzt
5,1 Millionen Euro für diese Evaluation aus dem Titel
für Familien, Gleichstellung und Ältere zur Verfügung
stellen. Die Kosten für diese neue Evaluation machen
28 Prozent des gesamten Titels aus. Da das Ganze gemeinsam mit dem Bundesfinanzministerium finanziert
wird und bis 2013 gehen soll, wird diese Evaluation am
Ende 16,6 Millionen Euro gekostet haben. Das wird eine
Monsterevaluation von familienpolitischen Leistungen,
nachdem hier schon jahrelang evaluiert worden ist. Für
16 Millionen Euro können Sie locker eine kleine Uni
kaufen. Ich sage Ihnen: Was Sie dort tun wollen, werden
wir uns im Haushaltsausschuss gemeinsam gründlichst
anschauen;
({10})
denn es handelt sich um einen großen Batzen Geld, der
nicht in eine bisher jedenfalls inhaltlich nicht untersetzte
Aktivität münden soll.
({11})
Letzte Bemerkung, meine Damen und Herren - meine
Nachredner werden sicherlich auch noch darauf eingehen -: Das, was Sie im Bereich Rechtsextremismus tun,
ist völlig unzureichend. Wir haben das kritisiert.
({12})
Ich versteife mich jetzt nicht darauf, dass Sie im Koalitionsvertrag wie eine Monstranz vor sich hertragen, dass
künftig auch gegen Islamismus und Linksextremismus
Projekte ins Leben gerufen werden sollen. Herr Staatssekretär Kues, habe ich gelesen, hat auf die Frage, was das
inhaltlich heißen soll, geantwortet, bis zum zweiten
Quartal wolle man dafür Ideen sammeln. Wir werden
also sehen. Aber dass Sie im Gegensatz zu dem Etat der
Bundesjustizministerin, die die Mittel dafür aufgestockt
hat, den Plafond so gelassen haben, wie er ist, und dafür
2 Millionen Euro aus nicht verausgabten Mitteln für den
Kinder- und Jugendplan nehmen, ist eine klare Drohung
für die Zukunft.
Herr Kollege!
Denn damit ist die Mittelkürzung vorprogrammiert.
Da werden wir dranbleiben.
Herzlichen Dank.
({0})
Andreas Mattfeldt ist der nächste Redner für die
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Frau Ministerin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr
geehrten Damen und Herren! Zuallererst, Frau Präsidentin: Auch Männer verstehen etwas von Familienpolitik.
Ich denke, deshalb dürfen auch Männer heute zu diesem
Thema sprechen.
({0})
Herr Schwanitz, Ihre Kritik an der Ministerin ist absolut nicht gerechtfertigt. Sie haben mehrfach die Möglichkeit gehabt, Fragen an die Ministerin zu stellen.
({1})
Ich habe von Ihnen im Ausschuss nicht viele gehört. Die
Ministerin und der Staatssekretär haben alle Fragen der
Berichterstatter und der Mitglieder des Haushaltsausschusses beantwortet.
({2})
Frau Ministerin, ich darf Ihnen Dank aussprechen für die
gute Zusammenarbeit mit dem Haushaltsausschuss und
insbesondere mit den Berichterstattern.
Der Haushalt des Familienministeriums weist für das
Jahr 2010 6,543 Milliarden Euro aus und zeigt damit
eine absolute Kontinuität zu den vergangenen Jahren. In
zahlreichen Ausschussberatungen haben wir in den vergangenen Wochen die einzelnen Posten des Entwurfes
beraten und zum Teil hart, aber sachlich gestritten. In
meiner letzten Rede zum Regierungsentwurf habe ich
gesagt, dass wir sparen müssen, um unsere Kinder vor
allzu großen Schulden zu bewahren. Ich habe aber auch
gesagt, dass wir mit Verstand und vor allen Dingen an
der richtigen Stelle sparen müssen, damit die Familien
von uns die Unterstützung bekommen, die sie wirklich
brauchen. Gerade deshalb, Herr Schwanitz, ist Evaluation so wichtig; denn so bekommen wir die Wirksamkeit
unserer familienpolitischen Maßnahmen deutlich vor
Augen geführt.
({3})
- Dem geht es leider schlecht, Frau Kollegin.
Wenn wir über das Familienressort sprechen, sollten
wir uns ein Beispiel an unseren Kindern nehmen. Bei
meinen beiden Kindern sehe ich täglich,
({4})
wie sie ihr begrenztes Taschengeld zur Verwirklichung
ihrer Wünsche einsetzen. Wenn am Monatsende kein
Geld mehr da ist, müssen sie eben auf CDs, Süßigkeiten
und die beliebte Jugendzeitschrift verzichten. Das haben
sie sehr schnell gelernt; sie wissen mit ihrem Geld gut zu
haushalten. Vor allen Dingen haben sie gelernt, ihr knappes Budget nicht für unnütze Dinge auszugeben.
({5})
Daran sollten und müssen wir uns ein Beispiel nehmen.
Wir können den Bundeshaushalt nicht immer weiter ausufern lassen und neue Schulden machen, um Dinge zu
finanzieren, von denen wir von vornherein wissen, dass
wir sie uns nicht leisten können.
({6})
Dies gilt für alle Einzelpläne in diesem Haus, auch für
den Einzelplan 17, den Haushalt des Familienministeriums.
Nach den letzten, zugegebenermaßen äußerst anstrengenden Wochen der Haushaltsberatungen kann ich sagen: Der Spagat zwischen Begehrlichkeiten und Sparsamkeit ist uns Haushältern gemeinsam mit den
Fachpolitikern und dem Ministerium gelungen. In einem
gemeinsamen Kraftakt haben wir es geschafft, unseren
Beitrag zur Konsolidierung des Haushaltes zu leisten.
Darüber hinaus haben wir es geschafft, die Projekte, die
in der Wirksamkeit für unser Land bedeutend sind, mit
zusätzlichen Mitteln auszustatten.
Mir ganz persönlich liegt am Herzen, zu erwähnen,
dass es uns gelungen ist, die Nettokreditaufnahme um
5,6 Milliarden Euro auf immer noch 80,2 Milliarden
Euro abzusenken. Ich sage ganz ehrlich: Mir ist es nicht
leicht gefallen, meine Zustimmung zu dieser hohen Neuverschuldung zu geben.
({7})
Aber vor dem Hintergrund der Finanz- und Wirtschaftskrise führt - das sollten auch Sie begriffen haben - leider
kein Weg daran vorbei.
Das bedeutet aber auch, dass jeder Einzelne von uns
die Verantwortung trägt, die Neuverschuldung nicht weiter ausufern zu lassen. Wir dürfen die aktuelle Krise
nicht als Ausrede benutzen, alle Ausgabenwünsche, die
an uns herangetragen werden, zu erfüllen.
({8})
Deswegen ist jedes Ministerium gefordert, seinen Beitrag zu leisten und auch das eine oder andere Mal Nein
zu der einen oder anderen Begehrlichkeit zu sagen.
({9})
Auch das gehört zur Politik.
Herr Bockhahn, ich habe Ihre Ausgabenwünsche gesehen. Sie sind ausufernd. Das darf ich Ihnen sagen.
Wenn ich mir die Anträge, die die Linke in die Beratungen eingebracht hat, anschaue, dann kommen mir Zweifel, ob so Oppositionsarbeit aussieht. Während sich alle
anderen Oppositionsparteien mehr oder weniger um Vorschläge für eine Gegenfinanzierung bemüht haben,
({10})
fehlt das bei Ihnen völlig, Herr Bockhahn.
({11})
Herr Bockhahn, Sie haben Anträge eingebracht, in denen
doch tatsächlich gefordert wird, den Familienetat um
9,8 Milliarden Euro aufzustocken.
({12})
Das ist erheblich mehr als die 6,5 Milliarden Euro, über
die wir jetzt diskutieren. Dazu kann ich Ihnen nur sagen:
So funktioniert Oppositionsarbeit nicht; so werden Sie
nicht ernst genommen, nicht im Parlament und schon gar
nicht von den Bürgerinnen und Bürgern.
({13})
Im Bereich des Familienetats ist es uns trotz eines hohen Anteils gesetzlich festgelegter Leistungen gelungen,
einen Beitrag zur Haushaltskonsolidierung zu leisten.
Wir haben es immerhin durch Einsparungen bei den unterschiedlichen Haushaltstiteln geschafft, ein Einsparvolumen von 17 Millionen Euro zu erbringen.
Eigentlich wollten wir sogar 22 Millionen Euro einsparen. Allerdings haben wir in der Union es für sinnvoll
gehalten, die Mittel für die Bundesstiftung „Mutter
und Kind“ um 5 Millionen Euro gegenüber dem Regierungsentwurf anzuheben.
({14})
Der Regierungsentwurf sah in diesem Bereich für 2010
92 Millionen Euro vor. Weil wir in der Union von der
Wirksamkeit der Arbeit, die die Stiftung leistet, überzeugt sind, sind wir der Auffassung, dass diese Stiftung
wie 2009 auch in diesem Jahr 97 Millionen Euro erhalten soll. Die Bundesstiftung hilft schwangeren Frauen in
Notlagen ganz unbürokratisch. Sie unterstützt sie finanziell. Das Ziel der Stiftung ist es, das ungeborene Leben
zu schützen und die Bedingungen für die Schwangere zu
verbessern. Sie erleichtert unter ganz schwierigen Voraussetzungen nicht nur den Start in die Elternschaft,
sondern trägt auch zur Armutsprävention bei. Außerdem
leistet sie im System der Frühen Hilfen einen wertvollen
Beitrag und kann so helfen, Kinder zu schützen. Deshalb
haben wir diese 5 Millionen Euro zusätzlich eingestellt.
({15})
Weiterhin unterstützen müssen wir die alleinerziehenden Frauen und Männer. Sie stehen mehr als andere vor
dem Problem, Familie und Erwerbsarbeit in Einklang zu
bringen. Auch deshalb gelingt es leider einem hohen Anteil Alleinerziehender nicht, sich aus der SGB-II-Bedürftigkeit zu befreien. Es ist unsere Pflicht, gemeinsam
mit den Unternehmen die Rahmenbedingungen so zu
setzen, dass auch Alleinerziehende mit kleinen Kindern
einer Erwerbsarbeit nachgehen können. Stärkung von
Erwerbsarbeit ist die beste Armutsprävention.
({16})
Deshalb ist es weiterhin von großer Bedeutung, dass wir
unsere Kraftanstrengung fortführen und gemeinsam mit
den Ländern und vor allem den Kommunen eine verlässliche und qualitativ gute Kinderbetreuung für alle Altersgruppen weiterentwickeln.
({17})
Wir müssen außerdem für flexible Arbeitszeitregelungen
werben, damit es diesen Müttern und Vätern möglich ist,
arbeiten zu gehen. Auf diese Weise können wir sie in
den ersten Arbeitsmarkt zurückholen.
({18})
Wir können es uns allein aus volkswirtschaftlichen
Gründen nicht leisten, auf einen arbeitsfähigen Bürger
und eine arbeitsfähige Bürgerin zu verzichten.
Mein Fazit ist: Wenn es uns gelingt, die Rahmenbedingungen für alleinerziehende Mütter und Väter weiter
zu verbessern und die Kinderbetreuung noch weiter auszubauen, dann wird das für die Sozialsysteme und vor
allen Dingen auch für die Konsolidierung des Bundeshaushalts von enormem Nutzen sein. Übrigens gilt das
auch für die kommunalen Haushalte.
Lassen Sie mich zum Schluss noch einen Ausblick
auf den nächsten Haushalt wagen. Für 2011 stehen wir
vor der großen Herausforderung, die im Grundgesetz
verankerte Schuldenbremse einzuhalten. Das wird natürlich auch am Etat des Familienministeriums nicht
spurlos vorbeigehen. Bei allen Ambitionen, die wir beim
Sparen haben, müssen wir aber genau hinsehen, wo wir
sparen.
Durch die im Koalitionsvertrag vereinbarte Verkürzung des Wehrdienstes und damit auch der Dauer des Zivildienstes werden in unserem Einzelplan - die Experten
streiten sich noch - zwischen 150 und 200 Millionen
Euro frei. Ich sage aber hier ganz deutlich: Ich halte es
für äußerst gefährlich, Herr Schwanitz, dieses Geld ausschließlich zur Konsolidierung des Bundeshaushaltes zu
verwenden.
({19})
Ich werde mich dafür stark machen, dass diese Mittel zur
Finanzierung von Anschlusslösungen sowie für die Stärkung der Freiwilligendienste eingesetzt werden. Wir
müssen und werden den Zivildienstleistenden, die nicht
direkt im Anschluss an ihren sechsmonatigen Zivildienst
eine Lehrstelle oder einen Studienplatz bekommen,
Möglichkeiten bieten, die biografische Lücke zu schließen.
({20})
Außerdem müssen wir die Lücke, die durch die Verkürzung der Zivildienstzeit entsteht, durch verstärkte Nutzung der Freiwilligendienste füllen. Die jungen Erwachsenen wollen ihren Beitrag für unseren Staat leisten.
Damit sie dies können, sind wir alle hier gefordert, sie
darin zu unterstützen, sich mit gesellschaftlichem Engagement für die Allgemeinheit einzusetzen. Von dem Engagement dieser jungen Menschen habe ich mich zusammen mit Herrn Dr. Kreuter, unserem Zivildienstbeauftragten, erst vor kurzem in einer Zivildienstschule
überzeugen können.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir sprechen
in diesen Tagen viel vom Sparen. Andererseits wird gerade an uns Haushältern von allen Seiten eine Reihe von
Begehrlichkeiten herangetragen. Ich sage es ganz deutlich: Wir alle in diesem Hause sind gefordert, nicht nur
die Haushälter, sich zukünftig in einer gemeinsamen
Kraftanstrengung darüber Gedanken zu machen, an der
richtigen Stelle zu sparen.
({21})
Wir alle sollten und müssen unseren Beitrag zur Konsolidierung des Bundeshaushaltes leisten. Lassen Sie uns
gemeinsam diese Aufgabe bewältigen, damit auch kommende Generationen in unserem Land eine lebenswerte
Zukunft haben.
Vielen Dank.
({22})
Für die Fraktion Die Linke spricht Steffen Bockhahn.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Herr Kollege Schwanitz hat es angesprochen: Es
gab durchaus Defizite bei den Berichten. Kollege
Mattfeldt hat völlig zu Recht festgestellt, dass alle Anfragen beantwortet sind. Aber ich muss feststellen, dass
die Antworten, die uns schriftlich überreicht wurden, offensichtlich nicht unbedingt mit dem Stand von heute
übereinstimmen - und das ist ein Problem.
({0})
Wir haben in Deutschland leider auch heute noch die
Wehrpflicht, also den Zwang für junge Männer, den Umgang mit Waffen, das Zerstören und Töten zu lernen.
Aber zum Glück gibt es wenigstens einen Wehrersatzdienst, um stattdessen zu helfen, zu unterstützen und Gutes zu tun. Aber auch der Wehrersatzdienst ist ein
Zwangsdienst. Herr Kollege Mattfeldt, ich kann mich
noch sehr genau an meine Zeit in der Zivildienstschule
in Barth/Pruchten - ohne den Zivildienstbeauftragten erinnern. Ich darf Ihnen sagen: Die wenigsten meiner
Kolleginnen und Kollegen hatten das Gefühl, in erster
Linie etwas für Deutschland zu tun. Die meisten haben
gesagt: Ich muss meinen Zivildienst abreißen.
({1})
- „Ich muss meinen Zivildienst abreißen“ haben die
meisten gesagt, weil es ein Zwangsdienst ist. - Dieser
Zwangsdienst sollte abgeschafft werden.
({2})
Das ist aber gar nicht so einfach; denn wir haben es
uns in unserer Gesellschaft mit den fleißigen und überaus preiswerten jungen Männern, die im Zivildienst tätig werden, bequem gemacht. Sie arbeiten in Kindergärten, in Alten- und Pflegeheimen, in Krankenhäusern und
vielen anderen Einrichtungen. Dort leisten sie gesellschaftlich zwingend notwendige Arbeit. Wenn man sich
von einem solchen System verabschieden will - die Verkürzung des Zivildienstes auf sechs Monate kann nur als
Einstieg in den Ausstieg vom Zivildienst betrachtet werden -, dann muss man dies rechtzeitig vorbereiten. Vor
allen Dingen muss man anständige Alternativen schaffen. Genau das aber versäumt die Bundesregierung.
Wenn man diese Verkürzung durchführt, muss man
sich über Folgendes im Klaren sein. Es ist inzwischen
offenkundig, dass die meisten Träger des Zivildienstes
sagen: Mit sechs Monaten können wir nichts anfangen.
Die Zeit, die die Zivildienstleistenden bei uns in den
Einrichtungen sind, ist viel zu kurz. - In der Folge werden die Zivildienststellen abgebaut, aber die Aufgaben,
die die Zivis erledigt haben, bleiben meistens liegen. Das
ist zum Nachteil aller in Deutschland.
Wenn man wenigstens die Freiwilligendienste erheblich ausbauen würde - wofür man Zeit bräuchte -, dann
wäre das ein Schritt in die richtige Richtung.
({3})
Man könnte die Hoffnung haben, dass das passiert. Jedoch sollen mehr als 150 Millionen Euro beim Zivildienst eingespart werden; bei den Freiwilligendiensten
kommt nur 1 Million Euro hinzu. Das Verhältnis stimmt
nicht. - Ich habe noch eine tolle Idee der FDP kennengelernt: Wer Freiwilligendienst leistet, soll einen besseren
Zugang zum Studium erhalten. Ich kenne das aus Gesprächen mit Menschen, die in der DDR bei der NVA
waren. 18 Monate waren Pflicht, wer scheinbar freiwillig 36 Monate machte, hatte bessere Studienmöglichkeiten. Das kann doch nicht das Ziel der FDP sein.
({4})
Ich schlage Ihnen stattdessen vor: Machen Sie sich
Gedanken über eine Alternative zum Zivildienst! Machen Sie sich Gedanken über einen öffentlich geförderten Beschäftigungssektor! Bezahlen Sie Arbeit statt Arbeitslosigkeit und finanzieren Sie so gesellschaftlich
notwendige Arbeit. Nehmen Sie Mecklenburg-Vorpommern als Beispiel; dort gab es das. Schauen Sie sich Berlin an; dort gibt es das. Das sind sehr gute Beispiele, die
Ihnen allen helfen sollten, dieses Prinzip zu verstehen
und einzusehen, dass Sie damit etwas für die gesamte
Gesellschaft tun.
({5})
Ich füge hinzu: Wir sind völlig schmerzfrei, wenn Sie
das als Ihr Programm ausgeben. Wir werden den Menschen zwar sagen, dass es nicht Ihr Programm ist, aber
wir werden Sie dabei unterstützen, es einzuführen.
Ich komme zu einem anderen Thema. Frau Gruß, bevor Sie sich wieder aufregen: Herr Toncar sitzt neben Ihnen. Er kann Ihnen das erklären. Im Einzelplan 17 des
Bundeshaushaltes finden sich Extremismusprogramme
wieder. Deshalb ist es richtig, wenn ich darüber spreche.
({6})
Die Bundesregierung hat - das ist heute mehrfach
deutlich geworden - in allen Bereichen festgestellt, dass
es keine Notwendigkeit gibt, eigenständige Programme
gegen Rechtsextremismus zu führen. Es müssen immer
Programme gegen Extremismus sein. Das offenbart einen großen Mangel an Problembewusstsein. Ich möchte
Ihnen ein gravierendes Beispiel nennen. In LimbachOberfrohna in Sachsen gibt es ein erhebliches Problem
mit rechtsextremistischen Gewalt- und Straftaten. Allein
im letzten Jahr - die Zahl stammt vom Verfassungsschutz Sachsen, nicht von mir - gab es 37 eindeutig
rechtsextreme Straftaten, keine einzige der Linken.
({7})
In Limbach-Oberfrohna gibt es ein Bündnis, das sich für
Demokratie und Toleranz einsetzen möchte. Der CDULandtagsabgeordnete Hippold lädt zu diesem Bündnis
das NPD-Mitglied des örtlichen Stadtrates ein, das mitgestalten soll, wie dieses Bündnis arbeiten möge.
({8})
Auf jede Kritik, auch der Kirchen, dass das doch wohl
nicht sein könne, kommt die Reaktion, die NPD sei eine
demokratisch legitimierte Partei, man dürfe sie nicht
rausschmeißen, sondern müsse das mit ihnen zusammen
regeln. Das ist fehlendes Unrechtsbewusstsein.
({9})
Die NPD ist eine verfassungsfeindliche Partei.
({10})
Verstehen Sie das endlich! Der Rechtsextremismus ist
ein großes Problem. Frau Bär, wenn Sie meinen, Programme gegen Rechtsextremismus sei „Saufen gegen
rechts“, dann glaube ich, dass Sie zu oft in Bayern unterwegs waren.
({11})
Ich will Ihnen deutlich sagen: Wir haben ein Problem,
das Sie offensichtlich unterschätzen. Der Rechtsextremismus in Deutschland ist eine Gefahr für die Demokratie und eine Gefahr für die Verfassung. Das sagen nicht
nur Linke, das sagen auch der Präsident des Bundesverfassungsschutzes und viele andere. Reden Sie einmal mit
Opfern rechtsextremer Gewalt, dann werden Sie begreifen, dass das, was Sie hier tun, eine Verharmlosung ist.
({12})
Wenn Sie sich anschauen, was in Dresden passiert ist
und was am Wochenende wieder in Lübeck bevorsteht,
dann werden Sie begreifen, warum der Kampf gegen
Rechtsextremismus viel wichtiger ist als alles andere,
was Sie in Sonntagsreden immer wieder einfordern.
({13})
Für die FDP-Fraktion hat Florian Toncar das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Kollege Bockhahn, wenn man Sie hört und vor allem
auch sieht, dann muss man sagen: Das ist nicht nur eine
Verunglimpfung von parlamentarischen Parteien, sondern auch eine ziemlich schamlose Instrumentalisierung
des Extremismusproblems, was Sie hier betreiben.
({0})
Ich fordere Sie auf, dieses Thema in Zukunft vielleicht
etwas sachlicher zu diskutieren.
({1})
Frau Präsidentin, was machen wir denn jetzt?
Ich nehme an, dass Sie jetzt erst einmal Ihre Rede halten. Wenn jemand eine Zwischenfrage stellen will, dann
wird er die stellen. Wir werden im Protokoll nachschauen, was hier gesagt worden ist, weil wir nicht alles
genau verstanden haben.
Gut, Frau Präsidentin.
Die Familienpolitik der Bundesregierung ist ein Politikbereich, dem große Priorität beigemessen wird. Ich
möchte darauf hinweisen, dass die Erhöhung des Kindergeldes eine der Kernforderungen und eine der Kernmaßnahmen unseres Wachstumsbeschleunigungsgesetzes gewesen ist, dass es mehr als die Hälfte des
Entlastungsvolumens des Wachstumsbeschleunigungsgesetzes ausmacht und die Bundesregierung damit von
Anfang an klargemacht hat, dass ihr die materielle Versorgung von Familien mit Kindern ein wichtiges Anliegen ist.
({0})
Die Kindergelderhöhung hat direkten Einfluss auf die
Höhe des Kindesunterhalts. Das kann man in der Düsseldorfer Tabelle nachsehen. Die Sätze sind umgehend gestiegen. Das wirkt sich auch in unserem Bundeshaushalt
aus, und zwar im Bereich der gesetzlichen Pflichtleistungen, beim Unterhaltsvorschuss. Daran kann man ablesen, welche Verbesserungen diese Koalition für die Familien geschaffen hat.
Wir haben darüber hinaus zusätzliche Ausgaben beim
Elterngeld veranschlagt. Diese Leistung wird mehr
Geld in Anspruch nehmen, und zwar aus Gründen, die
politisch gewollt sind. Die sogenannten Partnermonate
werden heute stärker in Anspruch genommen als in der
Vergangenheit. Aus diesem Grund haben wir höhere
Ausgaben im Bereich der Pflichtleistungen. Das ist für
die FDP eine erfreuliche Entwicklung.
({1})
Wir haben uns darüber hinaus im Zusammenhang mit
dem Arbeitslosengeld II mit der Situation von Kindern
zu beschäftigen. Das hat uns das Bundesverfassungsgericht aufgegeben. Das hat keinen Einfluss auf diesen
Einzelplan, aber natürlich große Bedeutung für das, was
wir an ergänzenden Maßnahmen im Familien- oder Jugendbereich zu vereinbaren haben. Für uns ist wichtig,
dass es eine Neuberechnung der Regelsätze gibt, die
nachvollziehbar ist und sich am eigenständigen Bedarf
von Kindern orientiert. Um es deutlich zu sagen: Es ist
völlig klar, dass ein Kind einen Bedarf an Windeln oder
Schulmaterial hat, der eingerechnet werden muss, aber
eine fiktive Einrechnung von anteiligen Ausgaben für
Alkohol oder Tabakwaren nicht dazugehört. Das muss
eigenständig und nachvollziehbar berechnet werden.
Das wird diese Koalition machen.
({2})
Wir haben uns darüber hinaus vorgenommen, die
Teilhabe an Bildung, die soziale und kulturelle Teilhabe
dieser Kinder zu verbessern. Das müssen wir nach dem
Urteil des Bundesverfassungsgerichts machen. Das wollen wir auch tun - das ist jedenfalls die Vorstellung der
FDP-Fraktion -, und zwar insbesondere in Form von
Sachleistungen wie Schulessen oder Musikunterricht,
um eine Mindestteilhabe dieser Kinder an Bildung und
kulturellen Leistungen der Gesellschaft sicherzustellen.
({3})
- So steht es auch im Urteil des Bundesverfassungsgerichts, das im Übrigen Ihr Gesetz kassiert hat, nicht unseres.
Eigentlich wollte ich nur einmal darstellen - auch
wenn Sie das gar nicht mehr gewöhnt sind -, dass man
lösungsorientiert denken kann.
({4})
Ich finde, Schulessen und Musikunterricht sollten Dinge
sein, bei denen wir uns einig sind, dass Kinder sie bekommen sollen. Wir müssen uns frei von Vorbehalten
einmal überlegen, wie wir sicherstellen können, dass das
Geld, das wir dafür in die Hand nehmen, auch da ankommt und dafür verwendet wird. Das ist etwas, wo Sie
nicht dazwischenrufen müssen, sondern sagen können,
dass Sie das auch so sehen.
({5})
Wir haben uns darüber hinaus in diesem Jahr mit der
Zukunft des Zivildienstes zu beschäftigen. Verschiedene Redner haben dieses Thema angesprochen. Der
Koalitionsvertrag enthält die klare Aussage, dass die
Verkürzung zum 1. Januar des Jahres 2011 in Kraft treten soll. Was das Ziel angeht, sind wir uns einig: Wir
wollen die Verkürzung auf sechs Monate.
({6})
- Das ist das, was im Koalitionsvertrag steht. Sie haben
die weitergehenden Wünsche der FDP verstanden. Die
haben wir weiterhin.
({7})
Wir haben einen Kompromiss gefunden, der, wie ich
glaube, an dieser Stelle mehr Freiheit für die Betroffenen
bedeutet, jedenfalls besser ist als das, was heute Rechtslage ist. Insofern ist das ein gehöriger Fortschritt für die
Betroffenen.
({8})
Wir wollen das machen, indem wir klare Daten nennen.
Das ist so von uns im Koalitionsvertrag festgelegt.
Es ist völlig klar, dass wir parallel zur Verkürzung des
Zivildienstes die Freiwilligendienste stärken müssen.
Es ist völlig klar, dass man das nicht ersatzlos wegfallen
lassen kann. Das ist auch nicht geplant.
({9})
- Das spiegelt sich auch im Haushalt wider, Herr Kollege Rix.
({10})
Denn wir haben den Betrag für die Freiwilligendienste
erhöht. Die Verkürzung tritt erst nächstes Jahr in Kraft;
das wissen auch Sie. Insofern ist die Aufregung auch
hier übertrieben und fehl am Platze.
({11})
Ich habe gesagt, dass der Koalitionsvertrag gilt. Das ist
für mich die Grundlage dieses Haushalts.
({12})
Wir haben über das Thema Zivildienst auch unter der
Frage zu diskutieren, ob es andere Instrumente geben
soll, die ersatzweise greifen. Ich sage für die FDP-Fraktion: Eine mögliche freiwillige Verlängerung des Zivildienstes darf zu einem nicht führen: Es darf nicht zu
einem faktischen Zwang des Zivildienstleistenden kommen, neun oder zwölf Monate arbeiten zu müssen, weil
nur solche Stellen existieren und ausgeschrieben werden.
Der entscheidende Unterschied zwischen Zivildienst und
Wehrdienst ist, dass der Wehrpflichtige in eine konkrete
Einheit einberufen wird - er kann sich das nicht aussuchen -, wohingegen der Zivildienstleistende dazu verpflichtet ist, sich eine Stelle zu suchen. Wenn diese nur
für neun oder zwölf Monate ausgeschrieben werden, hat
er im Endeffekt keine andere Wahl. Das wollen wir natürlich nicht; denn das würde dazu führen, dass Zivildienstleistende jedenfalls faktisch im Durchschnitt länger dienen müssten als Wehrdienstleistende. Wir werden
darauf achten, dass eine solche Ungerechtigkeit nicht
eintritt.
Ich möchte für das Thema Familie, Beruf und Pflege
auf die Rede der Kollegin Miriam Gruß verweisen. Wir
haben etliche Baustellen im Bereich der Familienpolitik,
der Politik für Senioren, für Frauen und für die Jugend.
Wir als Koalition sind uns da einig und gut aufgestellt.
Vielen Dank.
({13})
Das Wort hat die Kollegin Katja Dörner für
Bündnis 90/Die Grünen.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen!
Liebe Kollegen! Ich muss schon sagen, Herr Mattfeldt,
Herr Toncar, Ihre schönen Sonntagsreden heute Abend
können nicht verschleiern, dass auch in familien- und
kinderpolitischen Fragen in erster Linie Zwist und
Chaos in der schwarz-gelben Koalition herrschen.
({0})
- Ich werde Ihnen jetzt Beispiele nennen. Dann werden
Sie selber sehen, wie ich darauf komme.
Das erste Beispiel ist das Elterngeld. Von wegen Elterngeld verlängern, weiterentwickeln und ausbauen.
Herr Wissing, immerhin Finanzexperte der FDP, stellt
das Elterngeld sogar komplett infrage und bezeichnet es
als eine unsinnige Leistung, die die breite Masse gerne
einmal mitnehme. Das hört sich nicht gut an für das Elterngeld. In der Antwort auf meine schriftliche Frage in
der letzten Woche zu den Plänen beim Elterngeld lese
ich: Die Bundesregierung prüft, aber was es kosten soll,
weiß sie noch nicht so genau. Das hört sich nicht gut an
für das Elterngeld. Quo vadis, Elterngeld?
({1})
Das zweite Beispiel ist das Kindergeld. Von wegen
Kindergelderhöhung. Der Ministerpräsident von Schleswig-Holstein, Peter Harry Carstensen - er ist von der
CDU -,
({2})
stellt das Recht auf Kindergeld komplett infrage, da wir
in Deutschland - ich zitiere - „Kindergeld zahlen an Eltern, die das gar nicht nötig haben“. Ich finde, das hört
sich nicht gut an für das Kindergeld in diesem Land. An
einer Stelle hat der Ministerpräsident allerdings recht,
und zwar wenn er bemängelt, dass die Kindergelderhöhung auf Hartz-IV-Leistungen komplett angerechnet
wird und deshalb bei den Familien im Leistungsbezug
nicht ankommt, obwohl besonders sie dies brauchen
würden. Das ist vom Ministerpräsidenten sehr gut beobachtet, allerdings sagt er gleich dazu, dass er keine
Lösung für dieses Dilemma hat. Wir Grüne haben eine
Lösung für dieses Dilemma. Wir schlagen eine Kindergrundsicherung vor. Diese würde gewährleisten, dass
die Kinderförderung in diesem Land endlich vom Kopf
auf die Füße gestellt würde.
({3})
Das dritte Beispiel ist das Betreuungsgeld. Frau von
der Leyen hat eigentlich das Richtige dazu gesagt. Sie
hat gesagt, das wäre eine „bildungspolitische Katastrophe“. Dem ist nichts hinzuzufügen. Deshalb sollte man
es am besten sang- und klanglos beerdigen. Die geschätzten 2 Milliarden Euro jährlich, die uns das zukünftig kosten soll, sollte man besser in die Kitas investieren:
in mehr Kitaplätze, in bessere Kitaplätze, beispielsweise
in kleinere Gruppen, in die Ausbildung der Erzieherinnen und Erzieher und auch in eine bessere Entlohnung
dieser pädagogischen Fachkräfte, die eine höhere Wertschätzung in unserer Gesellschaft mehr als verdient hätten. Ich denke, darüber sind wir uns alle hier einig.
({4})
Die FDP hat in ihren Wahlprogrammen an diversen
Stellen die Elternbeitragsfreiheit gefordert. Allerdings
habe ich jetzt vernommen, dass Herr Wissing auch diese
Leistung für unsinnig hält; darauf gehe ich an dieser
Stelle aber nicht ein. Beitragsfreiheit - richtig so, sagen
wir Grünen. Aber Fakt ist: Durch Ihre kommunalfeindliche Politik
({5})
haben Sie den Kommunen Milliarden Euro entzogen.
({6})
20 Euro mehr Kindergeld, aber um 30 Euro höhere Kitagebühren, das ist die Folge schwarz-gelber Politik. Das
ist das Gegenteil von familienfreundlich.
({7})
Zurück zum Betreuungsgeld. Statt es einfach zu beerdigen, geht es beim Betreuungsgeld richtig rund: Barzahlung, Gutscheine, Sachleistungen, Gutscheine für
Hartz-IV-Beziehende, Barzahlungen für die anderen,
Einbeziehung in ein Bildungskonto und jetzt - tatarata Rentenanwartschaften. Liebe Kolleginnen und Kollegen,
Elterngeld, Kindergeld, Betreuungsgeld - ich habe den
Eindruck, in dieser Koalition darf jeder alles vorschlagen.
({8})
Jeder darf jederzeit alles sagen, alles infrage stellen, inklusive Koalitionsvertrag.
({9})
Jeder kann irgendwo ein Papier einreichen. Hauptsache,
man steht damit dick in der Presse.
({10})
- Entschieden wird nicht, regiert wird nicht, und Ihre familienpolitische Agenda, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Koalition, ist nicht bemerkenswert. Das
Chaos, das hier produziert wird, ist bemerkenswert. Das
ist aus meiner Sicht unübertroffen.
({11})
Frau Ministerin, ich habe den Eindruck, nicht nur
Frau von der Leyen tanzt Ihnen auf der Nase herum, sondern die halbe Koalition. Das muss ein Ende haben.
Schaffen Sie endlich Klarheit, auf was sich die Familien
in den nächsten Jahren tatsächlich einstellen können
bzw. - das muss man fast so sagen - auf was sie sich bei
dieser Regierung wohl einstellen müssen.
Noch eine Anmerkung zu einem Thema, das uns alle
sicherlich sehr beschäftigt: zu den vielen Fällen sexuellen Missbrauchs von Kindern und Jugendlichen, die
in letzter Zeit öffentlich wurden. Vor zwei Wochen
- noch zu einem Zeitpunkt, als drei Ministerinnen meinten, Zeit damit verplempern zu können, indem sie darüber streiten, wer den schöneren runden Tisch veranstaltet - habe ich den Satz von Ministerin Schröder
gelesen, es sei falsch, jetzt nur die katholische Kirche an
den Pranger zu stellen. Es stimmt: Missbrauchsfälle
kommen auch in Institutionen anderer Träger vor. Aber
von 27 katholischen Bistümern sind - so viel wissen wir
bis jetzt - 22 betroffen. Ich erwarte von der Familienministerin, da sie auch für Kinder zuständig ist, dass sie
sich ganz eindeutig zur Anwältin der Kinder und Jugendlichen, zur Anwältin der Opfer dieser abscheulichen
Verbrechen macht und sich nicht etwa in die Phalanx
von Kleinrednern, Verharmlosern und Vertuschern einreiht.
({12})
Frau Kollegin, Sie müssen bitte zum Ende kommen.
Ich komme zu meinem letzten Satz. - Meine Kollegin
Renate Künast hat es in der gestrigen Debatte, wie ich
finde, absolut richtig auf den Punkt gebracht. Sie hat gesagt: Die Kinder bedürfen des besonderen Schutzes der
Gesellschaft und nicht der Papst. - Wir Grüne erwarten,
dass Ministerin Schröder als zuständige Ministerin dem
gerecht wird.
({0})
Das Wort hat die Bundesministerin Dr. Kristina
Schröder.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Gut ist ein Kompromiss ja angeblich dann, wenn jeder
glaubt, er hätte das größte Stück vom Kuchen bekommen. Dies mit Blick auf den Einzelplan 17, der ein Gesamtvolumen von 6,54 Milliarden Euro hat, zu behaupten, wäre sicherlich etwas gewagt. Für die Familien und
den Zusammenhalt unserer Gesellschaft haben wir dennoch gute Ergebnisse erzielt. Der Einzelplan 17 zeigt:
Diese Koalition stärkt Familien den Rücken, auch in
wirtschaftlich schwierigen Zeiten, und diese Koalition
investiert in den Zusammenhalt der Gesellschaft, gerade
in wirtschaftlich schwierigen Zeiten.
({0})
Ich danke allen, die sich dafür in den Haushaltsverhandlungen der letzten Wochen eingesetzt haben. Mein
Dank gilt den Mitgliedern des Familienausschusses und
den Berichterstattern für die bisher konstruktive Zusammenarbeit.
Herr Schwanitz, Sie haben gerade einige Punkte angesprochen. Zu § 14 c des Zivildienstgesetzes werde ich
später noch etwas sagen. Was das Thema Zivildienst angeht, scheint mir allerdings wirklich ein Missverständnis
vorzuliegen. Die Vorschläge, die der Bundesverteidigungsminister gestern präsentiert hat, besagen, dass die
Verkürzung der Dienstzeit schon für die wirken soll, die
zum 1. Oktober 2010 eingezogen werden. Ihr Dienst endet also nicht am 30. Juni 2011, sondern am 31. März
2011.
({1})
Auf den Haushalt 2010 hat die Verkürzung also keinerlei
Auswirkungen.
({2})
Alles das, was Herr zu Guttenberg gestern vorgeschlagen hat, wird erst 2011 wirksam. Deswegen ging Ihre
Kritik an diesem Punkt leider ins Leere.
({3})
Meine Damen und Herren, beginnen wir mit dem
größten Posten im Einzelplan 17, nämlich dem Elterngeld. Mit den knapp 4,5 Milliarden Euro, die wir für das
Elterngeld ausgeben, reagieren wir auf ein Bedürfnis
junger Mütter und junger Väter. Wir treffen damit den
Nerv der heutigen Elterngeneration. Das zeigt vor allen
Dingen das hohe Interesse an den Partnermonaten, die
mit 80 Millionen Euro mehr zu Buche schlagen als im
letzten Jahr. Mit dem Elterngeld haben wir ein tiefes Bedürfnis von jungen Familien getroffen: das Bedürfnis,
Zeit für familiäre Verantwortung zu haben, ohne den Beruf an den Nagel hängen zu müssen.
({4})
Das ist ein Bedürfnis von jungen Männern und von jungen Frauen. Deshalb werde ich bald, sehr zügig, einen
Gesetzentwurf vorlegen, mit dem sowohl das geplante
Teilelterngeld umgesetzt als auch eine Ausweitung der
Partnermonate auf den Weg gebracht wird.
({5})
Kinder wiederum haben vor allen Dingen das Bedürfnis, behütet und geborgen aufzuwachsen und teilzuhaben
am Wohlstand und an den Chancen unserer Gesellschaft.
Das darf kein Privileg der Kinder starker Eltern sein. Mit
dem Ausbau der Kinderbetreuung investieren wir gerade in die Bildungschancen derjenigen, denen diese
Chancen nicht in die Wiege gelegt wurden. Insofern sehe
ich in dem Urteil des Bundesverfassungsgerichtes zur
Höhe des Hartz-IV-Regelsatzes für Kinder auch einen
familienpolitischen Auftrag, nämlich jedem Kind eine
faire Chance zu geben. Es geht nicht nur um das finanzielle Existenzminimum - Nahrung, Wohnen, Kleidung,
medizinische Versorgung -, es geht auch um faire Chancen auf Bildung und damit auch auf gesellschaftlichen
Aufstieg.
({6})
Auch wir mussten einen Beitrag zur Haushaltskonsolidierung erbringen. Es ist mir wichtig, darauf hinzuweisen, dass wir versucht haben, ausschließlich dort nach
Einsparpotenzialen zu suchen, wo Kinder und Familien
möglichst wenig betroffen sind. Die Einsparungen, die
im Einzelplan 17 realisiert wurden, werden überwiegend
durch Einsparungen beim Zivildienst bestritten. Die
Ausgaben für den Zivildienst sinken wegen der geplanten Verkürzung der Wehrpflicht, die beim Zivildienst
nachvollzogen wird, ohnehin.
Weil wir aber unabhängig vom Zivildienst den Dienst
junger Menschen am Gemeinwohl für sehr wichtig halten, werden wir auch die Förderung der Jugendfreiwilligendienste neu strukturieren. Junge Frauen und Männer
wollen sich engagieren, und die Gesellschaft ist auf dieses Engagement angewiesen. Deshalb ist es das Ziel der
Bundesregierung, die Freiwilligendienste erheblich auszubauen.
({7})
Den finanziellen Spielraum dafür eröffnet uns, insbesondere ab 2011, die geplante Streichung des § 14 c Abs. 4
des Zivildienstgesetzes.
({8})
Statt einer gesonderten Förderung für anerkannte
Kriegsdienstverweigerer, die als Ersatz für den Zivildienst ein Freiwilliges Soziales Jahr oder ein Freiwilliges Ökologisches Jahr ableisten wollen, wollen wir FSJ
und FÖJ insgesamt besser fördern. Die dadurch frei werdenden Mittel von über 30 Millionen Euro sollen ab
2011 in vollem Umfang in die Förderung der Jugendfreiwilligendienste fließen.
({9})
Wichtig war mir dabei, dass die Träger der Freiwilligendienste in den Bereichen Sport, Ausland und Kultur
nicht die Leidtragenden dieser Neustrukturierung sind;
denn diese Träger sind zur Refinanzierung der Plätze besonders auf § 14 c Zivildienstgesetz angewiesen.
Herr Schwanitz, deshalb haben wir immer gesagt,
dass wir hier keine Übergangsregelungen, sondern eine
Sonderregelung schaffen müssen.
({10})
In der letzten Woche ist es uns mit den Trägern der Freiwilligendienste gelungen, in den Bereichen Sport und
Ausland eine solche Sonderregelung zu treffen, mit der
ihr Platzangebot auf hohem Niveau abgesichert wird.
({11})
Diese Mittel für 2010 stammen aus den Mitteln gemäß
§ 14 c des Zivildienstgesetzes. Insofern sind das exakt
die Mittel, die uns der Haushaltsausschuss für genau diesen Bereich gewährt hat.
({12})
Mit den Trägern im Kulturbereich sind wir noch in
Gesprächen, aber ich bin mir sicher, dass wir auch hier
eine gute Lösung finden werden.
({13})
Frau Ministerin, Herr Schwanitz würde Ihnen gerne
eine Zwischenfrage stellen.
Ich will hier jetzt erst einmal im Zusammenhang vortragen. Danach können wir das gerne machen.
Wenn wir über Investitionen in den Zusammenhalt
unserer Gesellschaft reden, dann sollten wir aber nicht
nur an Geld denken, sondern für den Zusammenhalt unserer Gesellschaft wird Zeit mehr und mehr zur zweiten
Leitwährung. Deshalb wird allein mit Blick auf die
Haushaltslage schon eines klar: Wenn wir unserer Verantwortung gegenüber nachfolgenden Generationen gerecht werden wollen, dann werden wir im nächsten Jahr
nicht jedes Problem allein nur mit mehr Geld lösen können.
Sie möchten eine Zwischenfrage auch jetzt nicht zulassen?
Neue Wege sind gefragt, um auf die Bedürfnisse von
Kindern, von Eltern und vor allen Dingen auch von älteren Menschen reagieren zu können. Die Familien-Pflegezeit, für die ich mich einsetze, ist ein solcher neuer
Weg. Ich möchte den Menschen damit Zeit für Verantwortung geben.
Wir wissen, dass kranke und ältere Menschen so
lange wie möglich zu Hause bei der Familie bleiben
möchten.
({0})
Wir wissen, dass die Zahl der Pflegebedürftigen demografiebedingt rasant ansteigen wird. Wir wissen, dass
viele Menschen ihre betagten Angehörigen aus Verantwortung, aber vor allen Dingen auch aus Liebe zu Hause
pflegen. Wir wissen, dass diese Menschen dabei ein großes Opfer bringen und dabei oft auch die Grenzen ihrer
Belastbarkeit überschreiten. Wir wissen auch, dass die
meisten dieser Menschen berufstätig sind, dass sie ihr
Einkommen brauchen und dass es mit Mitte/Ende Fünfzig ein sicherer Weg in die Arbeitslosigkeit wäre, länger
oder ganz aus dem Beruf auszusteigen.
Weil wir all das wissen, dürfen wir die Menschen, die
diese Doppelbelastung schultern, nicht alleinlassen.
({1})
Menschen, die ihr Leben lang viel gearbeitet haben, verdienen einen würdigen Lebensabend, und Menschen, die
ihnen diesen würdigen Lebensabend schenken, verdienen unsere Unterstützung.
({2})
Deshalb hoffe ich auch auf Ihre Unterstützung und
Ihre konstruktive Kritik, wenn ich diesen Vorschlag in
die parlamentarischen Gremien einbringen werde, und
ich hoffe, dass nicht nur solche Vorwürfe geäußert werden, wonach dem ein veraltetes Familienbild oder ein
veraltetes Frauenbild zugrunde liegt; denn ich sage Ihnen eines: Diese Menschen, die zu Hause ihre Angehörigen pflegen, brauchen unsere Unterstützung, aber bitte
nicht den anmaßenden Vorwurf, sie hätten ein veraltetes
Familienbild oder ein veraltetes Frauenbild.
({3})
Es stimmt: Durch die Familien-Pflegezeit wird mehr
Flexibilität von uns allen und insbesondere auch von den
Arbeitgebern verlangt. Ich denke aber, dass die Unternehmen ein Interesse daran haben, nicht auf dem Höhepunkt des Fachkräftemangels auf ihre erfahrensten Mitarbeiter verzichten zu müssen.
Mit der Familien-Pflegezeit gewinnen wir auf jeden
Fall Zeit für Verantwortung. Damit tragen wir den unterschiedlichsten Bedürfnissen, die ich gerade aufgezählt
habe, Rechnung. Diese Bedürfnisse werden wir mit Geld
allein nie erfüllen können.
Ich finde, gerade auch in einer Haushaltsdebatte können wir auch von der Opposition erwarten - das gehört
zur Ehrlichkeit dazu -, dass sie ehrlich sagt, dass wir
nicht alle Probleme mit Geld werden lösen können. Das
erwarte ich gerade von einer Opposition, die in dieser
Woche so wortreich einen konsequenten Sparkurs angemahnt hat.
Der Austausch mit denjenigen, die von der FamilienPflegezeit unmittelbar betroffen sind, ist mir sehr wichtig. Das gilt auch bei anderen Themen. Denn ich glaube,
dass wir in der Gesellschaftspolitik nur dann etwas bewegen können, wenn wir den Dialog mit allen relevanten gesellschaftlichen Gruppen suchen. Angesichts der
schockierenden Fälle von Kindesmissbrauch habe ich
mich deswegen dafür eingesetzt, dass wir ein Gespräch
mit Vertretern aller Institutionen führen, denen wir unsere Kinder anvertrauen. Meines Erachtens können wir
nur so ein wirksames Konzept für die Zukunft entwickeln.
Vielleicht sollte man aufgrund des Verlaufs dieser Debatte Folgendes sagen: Ob es um wirksamen Kinderschutz, um Pflege oder um gesellschaftliches Engagement geht: Neue Wege finden wir nur dann, wenn viele
danach suchen. Neue Wege finden wir nicht, wenn einer
sucht und die anderen damit beschäftigt sind, Barrieren
aufzubauen. Deshalb sollten gerade wir Familienpolitiker mit unserem vergleichsweise kleinen Etat, mit dem
wir auf eine Vielfalt von gesellschaftlichen Problemen
reagieren müssen, offen sein für einen konstruktiven und
sachlichen Austausch und eine konstruktive, sachliche
sowie vertrauensvolle Zusammenarbeit.
Herzlichen Dank.
({4})
Zu einer Kurzintervention gebe ich dem Kollegen
Sven-Christian Kindler das Wort.
Frau Ministerin Schröder, Sie haben gerade von Ehrlichkeit und von einem konstruktiven Austausch gesprochen. Ich finde es wichtig, dass man diesen in der Politik
pflegt. Sie haben gesagt, dass man neue Wege ausprobieren und Barrieren abbauen sollte. Ich frage mich allerdings, warum Sie nicht auf die Frage des Kollegen
Schwanitz bezüglich der Ausgabereste eingegangen
sind. Sie haben auch Zwischenfragen verweigert. Anscheinend können Sie oder wollen Sie sie nicht beantworten.
({0})
- Lassen Sie mich bitte ausreden.
Wir haben am 5. Februar 2010 einen Bericht bekommen, in dem es heißt, dass wir bis zur Rechnungslegung
warten müssen, die im April 2010 beendet wird. Erst
dann könne man die Ausgabereste feststellen und sagen, wie hoch sie sind. Das BMU zum Beispiel hat uns
die Ausgabereste bereits Anfang Januar zugestellt.
Die Koalition hat innerhalb der Bereinigungssitzung
mehrere Anträge gestellt, in denen zu lesen war, dass die
Mittel gekürzt werden können, weil Ausgabereste
vorhanden sind. Ich finde es ungeheuerlich, dass anscheinend nur der Koalition Informationen über die Ausgabereste zugeleitet wurden. Die Opposition wurde außen vor gelassen.
({1})
Neue Wege bedeutet für Sie anscheinend, die Koalition
zu bevorzugen und die Opposition weiterhin auszuschließen. Das ist ungeheuerlich.
({2})
Frau Ministerin, möchten Sie antworten?
Herr Kollege Kindler, ich kann leider nichts daran ändern, dass wir erst am Ende der Rechnungslegung, also
Anfang April, einen vollständigen Überblick über die
Restmittel im Haushalt vorlegen können. Ich weiß nicht,
worauf Sie sich beziehen.
({0})
Ich kann daran leider nichts ändern. Ich halte nichts davon, Ihnen unvollständige, eventuell falsche oder noch
nicht wirklich geprüfte Berichte zukommen zu lassen.
Sie werden sie nach Ende der Rechnungslegung erhalten.
({1})
Der Kollege Sönke Rix hat jetzt das Wort für die
SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Frau Ministerin, Sie haben gerade davon gesprochen, neue Wege zu gehen, konstruktiv und offen zu
sein; das ist gar keine Frage. Sie müssen uns aber genehmigen, dass wir Sie zumindest darauf aufmerksam machen, wenn Sie falsche Wege gehen. Wir wollen keine
Barrieren legen, aber zumindest auf falsche Wege hinweisen.
({0})
Wir haben das Gefühl, dass insbesondere bei der Verkürzung des Wehrdienstes und damit auch bei der Verkürzung des Zivildienstes falsche Wege gegangen werden. Dass wir heute darüber diskutieren, liegt unter
anderem daran, dass es sich um einen Posten im Haushalt von immerhin über 631 Millionen Euro handelt. Das
ist nicht irgendeine Summe oder irgendein kleines Projekt am Rande, sondern eine erhebliche Maßnahme. Die
Debatte kocht nicht nur aufgrund der Tatsache hoch,
dass der Verteidigungsminister vorgeschlagen hat, die
Verkürzung vorzuziehen.
({1})
Ich habe gelesen, dass Sie darüber nicht so erfreut sind
und das unabgesprochen aus der Regierung gedrungen
ist. So stand es zumindest in der Märkischen Allgemeinen Zeitung.
({2})
Ich wollte nur darauf aufmerksam machen. Ich kann es
verstehen, dass Herr zu Guttenberg diese Diskussion lostritt - die Verteidigungspolitiker können wohl mehr dazu
sagen -, um vielleicht von den Fehltaten seines Ministeriums im Rahmen der Kunduz-Affäre abzulenken.
({3})
Die Debatte über die Verkürzung des Zivildienstes ist
aber nicht neu; sie ist nicht nur deshalb in Gang gekommen, weil Herr zu Guttenberg vorgeschlagen hat, es vorzuziehen; die Debatte über den Umgang mit diesem
Thema ist schon älter. So sagte beispielsweise der Chef
der CSU-Landesgruppe, Hans-Peter Friedrich, bei einer
reduzierten Wehrpflicht lohne sich die Ausbildung von
Zivildienstleistenden für viele soziale Organisationen
nicht mehr; man müsse mehr Geld in die Hand nehmen
und überlegen, den Zivildienst auf freiwilliger Basis zu
verlängern. Der dafür zuständige Kollege von der FDP,
Florian Bernschneider, sagt:
Der Vorschlag der Union bedeutet faktisch die
Rückkehr zu einem Zivildienst, der länger als der
Wehrdienst dauert.
Ich kann Ihnen da nur zustimmen; Sie haben da vollkommen recht.
Der Streit ist also mitten in der Koalition;
({4})
die Debatte, wie man in Zukunft mit dem Zivildienst
umgeht, ist in vollem Gange.
({5})
- Ich verstehe Ihre heftigen Reaktionen gar nicht.
Setzen Sie sich mit Ihrem Koalitionspartner an einen
Tisch und machen Sie keine faulen Kompromisse! Es ist
doch folgendermaßen: Die FDP möchte den Wehrdienst
abschaffen; das kann ich durchaus verstehen. Die Union
möchte den Wehrdienst, so wie er jetzt ist, erhalten.
Aber es ist doch kein guter Kompromiss, den Wehrdienst
dann einfach auf sechs Monate zu verkürzen.
({6})
Das ist doch ein Kompromiss, der absolut nach Hilfe
schreit, ein fauler Kompromiss.
({7})
Die Einrichtungen, die Zivildienstleistende einsetzen,
können in sechs Monaten gar nichts mit den jungen
Männern anfangen. Ihre Idee ist konzeptlos. Hätten Sie
sich doch auf unser Modell geeinigt!
({8})
Hätten Sie doch gesagt: Wir wollen beim Wehrdienst
möglichst viel Freiwilligkeit einräumen und verstärkt die
Freiwilligendienste ausbauen! Dann hätten wir erheblich
mehr erreicht.
({9})
Sie haben es heute wieder in Ihrer Rede erwähnt
- Frau von der Leyen hat das, glaube ich, auch erwähnt -:
Die Mittel, die durch die Verkürzung des Zivildienstes
frei werden, sollen quasi ungekürzt für die Freiwilligendienste zur Verfügung gestellt werden.
({10})
Es liegen immer noch keine Konzepte vor. Stattdessen hatten Sie die Idee - Sie haben das gerade angesprochen -,
§ 14 c Abs. 4 Zivildienstgesetz zu streichen. Damit haben Sie bei den Trägern der Freiwilligendienste in den
Bereichen Kultur und Sport und bei den Auslandsdiensten für Unruhe gesorgt. Dann haben Sie in einer nächtlichen Sitzung eine Einigung mit den Trägern erzielt. Darüber ist die FDP wohl erst hinterher informiert worden,
das Parlament in Gänze gar nicht. Sie gehen da mit Gesetzen und mit Mitteln in Millionenhöhe um; das betrifft
den Haushalt. Heute sagen Sie, das werde nur für ein
Jahr gelten; die Organisationen werden dann zu Recht
wieder bei Ihnen auf der Matte stehen. Es ist wirklich ein
Skandal, dass Sie hier am Parlament vorbeiagieren.
({11})
Gerade sind wir in der Debatte auf die Frage der
Extremismusprogramme gekommen. Sie haben die
Frage von Herrn Kindler, wie Sie mit den Haushaltsresten umgehen, nicht beantwortet. Es ist ein Skandal, dass
Sie immer noch nicht erkennen: Die Bekämpfung von
Rechtsextremismus und die Bekämpfung von Linksextremismus sind völlig unterschiedliche Dinge.
({12})
Sie haben trotz der steigenden Zahl der Gewalttaten
im rechtsextremistischen Bereich immer noch nicht erkannt, dass Sie die Mittel erhöhen müssen. Stattdessen
bleibt es beim gleichen Betrag. Sie nehmen 2 Millionen
Euro aus dem Kinder- und Jugendplan, um sie für zwei
Projekte gegen Linksextremismus und Islamismus - so
heißt es, glaube ich, in Ihrem Titel - zu verwenden, die
nicht einmal definiert sind, von denen man in Hamburg
und Berlin, wo die Projekte angeblich umgesetzt werden
sollen, noch nichts gehört hat.
Frau Kollegin, Sie müssen hier schon deutlich machen, was Sie mit dem Geld - ({13})
- Entschuldigung. - Frau Ministerin, Sie müssen schon
etwas deutlicher machen, wie Sie mit dem Geld im
Haushalt umgehen, und nicht nur darauf verweisen, dass
Ihre Ideen längst noch nicht umgesetzt sind. Einigen Sie
sich mit dem Koalitionspartner in der Frage der Verkürzung des Zivildienstes! Einigen Sie sich endlich mit
Ihrem Kollegen Verteidigungsminister, wann das umgesetzt werden soll, damit die Träger des Zivildienstes endlich Klarheit haben!
Schönen Dank.
({14})
Miriam Gruß hat das Wort für die FDP-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Auf Schuldenbergen können Kinder nicht spie2916
len und erst recht nicht lernen. Das sage ich nicht nur
heute anlässlich der Haushaltsdebatte, sondern das habe
ich schon in den letzten Jahren immer wieder gesagt.
Dieser Satz muss gerade für uns als Familienpolitiker,
die hier die Zukunft der Familien gestalten, eine ständige
Mahnung sein. Wir müssen darauf achten, dass wir die
nächsten Generationen nicht mit einem Haushalt belasten, der ihnen Möglichkeiten nimmt und den Kindern
Chancen verbaut.
({0})
Das gilt nicht nur für den globalen Haushalt des Deutschen Bundestages und dieser Koalition, sondern auch
für den Etat der Familien. Es ist ganz klar - die Ministerin hat es schon gesagt -: Wenn jedem alle Wünsche erfüllt würden, hätten wir einen enormen Aufwuchs. Das
geht nicht. Deswegen müssen wir auch in diesem Haushalt mit Maß und Ziel walten, und das haben wir getan.
({1})
Demgegenüber bauen andere Kolleginnen und Kollegen
hier Luftschlösser auf. Das hilft nicht weiter. Wir haben
uns an den Realitäten und an dem orientiert, was im Koalitionsvertrag vereinbart ist.
Damit komme ich schon zu den einzelnen Themen.
Im Bereich Kinder und Jugendliche war es uns immer wichtig, eine eigenständige Jugendpolitik zu betreiben. Dazu bekennen wir uns weiterhin. Uns war aber
auch wichtig, Kindern Schutz und Chancen zu bieten.
Auch dieses Ziel verfolgen wir weiterhin. Beim Kinderschutzgesetz müssen wir überlegen, auf welche Bereiche
es ausgeweitet werden soll. Nach wie vor stehen wir
dazu, dass es ein Kinderschutzgesetz geben soll, und
zwar mit den beiden Komponenten „Prävention“ und
„Intervention“.
Im Bereich der Familie stehen wir zu den Erkenntnissen, die das gesamte Haus in den vergangenen Jahren
mehrfach von Experten geliefert bekommen hat: Familien brauchen vor allen Dingen Zeit, Geld und Infrastruktur. Diese drei Prinzipien haben wir realisiert. Wir
werden das mit diesem Haushalt und mit den zukünftigen Haushalten weiterhin tun.
„Zeit“ heißt, Zeit für Kinder zu haben, heißt aber
auch, Zeit für Pflege zu haben. Deswegen ist es richtig
und wichtig, hier eine Initiative zu starten und für Familien in allen Lebenslagen Möglichkeiten zu schaffen,
Zeit zu haben.
({2})
Zur Infrastruktur. Nachdem wir in den letzten Jahren großen Wert darauf gelegt haben, die Quantität auszubauen, setzen wir nun auf die Qualität, aber natürlich
auch weiterhin auf die Quantität. Wir müssen uns mit
den Ländern darüber einig werden, wie wir im frühkindlichen Bereich einheitliche Standards schaffen und die
frühe Phase der Kinder noch besser nutzen; denn in dieser Phase sind Kinder wie Schwämme, saugen alles auf,
wollen alles wissen. Was wir im frühkindlichen Bereich
investieren, wird sich später tausendfach auszahlen, werden wir als Staat später nicht ausgeben müssen.
({3})
Bei der Infrastruktur ist aber auch wichtig, dass wir
die Arbeitszeit in den Blick nehmen. Da brauchen die
Familien mehr Flexibilität, und da müssen wir mehr Unterstützung bieten. Im Übrigen geht es nicht nur um
Kleinstkinder, sondern um Kinder in allen Lebensphasen. Auch Kinder im Alter von vier, fünf oder sieben
Jahren brauchen Infrastruktur und Unterstützung. Deswegen müssen wir auch hier den Blickwinkel erweitern.
Bezüglich der finanziellen Situation hat diese Koalition bereits gehandelt. Wir haben mit dem Wachstumsbeschleunigungsgesetz die Familien erheblich entlastet.
({4})
Wir haben das Kindergeld erhöht, die Freibeträge erhöht
und damit ein Signal gesetzt, dass Kinder nicht einfach
kleine Erwachsene sind, sondern einen eigenständigen
Bedarf haben. So werden wir mit dem Thema auch umgehen, wenn wir in diesem Jahr die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts umsetzen. Das Gericht hat uns
den klaren Auftrag gegeben, die Kinder stärker in den
Fokus zu nehmen. Das werden wir tun. In unsere Lösung
werden wir insbesondere den Bildungsaspekt einbringen, was uns allen nur am Herzen liegen kann.
Noch einmal zur finanziellen Situation. Es ist natürlich wichtig, zu wissen, ob die vielen familienpolitischen
Leistungen, die wir gewähren, wirklich bei den Familien
ankommen. Deswegen ist es richtig und wichtig, dass
wir weiterhin die Evaluation der familienpolitischen
Leistungen vorantreiben. Ich finde es gut, dass wir den
Haushalt so aufgestellt haben, dass wir Weichen stellen
können. Die Erkenntnisse der Evaluation kommen uns
zugute; denn nichts ist schlechter, als Geld als Monstranz vor uns herzutragen, während es bei den Familien
nicht ankommt.
({5})
Gerade in den letzten Sitzungswochen wurde viel über
das Thema Gleichstellung gesprochen. Wir achten darauf, dass die Gleichstellung in Unternehmen weiterhin
im Blick bleibt. Wir haben das Modellprojekt Logib-D
zum Laufen gebracht; ich finde das richtig und wichtig.
Das Projekt ist bereits in den ersten Unternehmen gestartet. Auch diesen Aspekt behält die Koalition im Auge. Ich
freue mich aber auch, dass es im Ministerium ein neues
Referat gibt, das sich speziell mit Fragen der Jungen- und
Männerpolitik befasst; denn eine solche Blickwinkelerweiterung brauchen wir. Das ist ganz wichtig. Wir werden weiterhin die Mädchen fördern und im Blick haben,
aber auch die Jungen. Ich freue mich über dieses neue Referat in Ihrem Ministerium, sehr geehrte Frau Ministerin.
Wir haben hier viel über den Zivildienst und den Extremismus debattiert. Da meine Redezeit leider abgelaufen ist, möchte ich nur noch Ihnen, sehr geehrter Herr
Kollege von der Linken, etwas sagen, weil Sie mich namentlich angesprochen haben. Ich weise ausdrücklich
zurück, dass ich ein Problem damit hätte, gegen rechts
zu kämpfen.
({6})
Ich weiß nicht, ob Sie über mein Leben Bescheid wissen.
Aber Sie finden mich auch auf Demonstrationen gegen
rechts, genauso wie viele andere Kolleginnen und Kollegen dieser Koalition. Deswegen weise ich Ihre Unterstellung auf das Äußerste zurück, dass wir den Kampf
gegen rechts nicht mehr betreiben würden, nur weil wir
unseren Blickwinkel erweitern.
({7})
Ich möchte auf einen Zwischenruf von vorhin zurückkommen. Das Protokoll liegt uns jetzt vor. Ausweislich
des Protokolls hat der Kollege Peter Tauber gesagt: „Ihr
seid doch die rot lackierten Faschisten!“. Herr Tauber,
dafür erteile ich Ihnen eine Rüge und mache im Übrigen
deutlich, dass Vergleiche mit dem Nationalsozialismus
hier im Hause nichts zu suchen haben.
({0})
Ich gebe jetzt das Wort der Kollegin Heidrun Dittrich.
({1})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen
und Herren! Die Regierung tönt lauthals: Die Familie ist
das Kernstück der Gesellschaft. - Aber wie sieht denn
die Wirklichkeit aus? Können Kinder geplant werden,
wenn befristete Beschäftigungsverhältnisse zur Normalität werden? Wird eine werdende Mutter wieder eingestellt, wenn ihr Arbeitsverhältnis durch Befristung ausgelaufen ist? Das Institut der deutschen Wirtschaft
schreibt: 41 Prozent der unter 20-Jährigen haben eine
befristete Stelle; bei den 20- bis 25-Jährigen ist es noch
jeder Vierte. - Ungesicherte Arbeitsverhältnisse bedeuten unsichere Einkommen und im Allgemeinen
schlecht bezahlte Arbeit. Hierzulande gehen Menschen
arbeiten und sind trotzdem arm; sie müssen beim Jobcenter aufstocken.
Die Familienministerin spricht gern von gleichen
Chancen für alle Kinder. Aber welche Kinder und Familien werden gefördert? Die Einführung des Elterngeldes
2007 zeigt: die der Mittel- und Oberschicht. Zulasten der
Erwerbslosen wurde die Bezugsdauer des Elterngeldes in
Höhe von 300 Euro monatlich um zwölf Monate verkürzt. Das ist ein Verlust in Höhe von 3 600 Euro für ein
Jahr. Einkommensschwache Familien werden zum Spielball der Politik. Mit dem geplanten Betreuungsgeld in
Höhe von 150 Euro monatlich ab 2013 werden einkommensschwache Familien dazu verführt, ihre Kinder nicht
in einer Kita anzumelden, damit sie Betreuungsgeld anrechnungsfrei zusätzlich zu Hartz IV oder zum Minijob
erhalten. Warum werden eigentlich pünktlich zum Ende
der Elternzeit 150 Euro Betreuungsgeld gezahlt? Um die
Nachfrage nach Kinderbetreuungsplätzen ab dem ersten
Lebensjahr zu senken. Damit geben Sie zu, dass der Ausbau der Betreuungsplätze für Kinder unter drei Jahren
nicht vorankommen soll. Das Sondervermögen in Höhe
von über 4 Milliarden Euro für den Kita-Ausbau beinhaltet nur den Aufbau von Kindertagesstätten. Die Regierung investiert in Beton statt in Pädagogik.
Für die Einstellung von Erzieherinnen fehlt das
Geld. Dafür sind die Kommunen zuständig. Es fehlen
aber bundesweit 80 000 Erzieherinnen. Die Kommunen
können sich neue Personaleinstellungen nicht leisten,
weil sich die Bundesregierung Steuergeschenke an
Großbanken und Großkonzerne leistet.
({0})
- Und die Hotels. Danke.
Das Vorzeigeprogramm der Familienministerin mit
dem Betreuungsausbau für 35 Prozent aller Kleinkinder zwischen ein und drei Jahren ist gescheitert. Was geschieht nun mit den Kleinkindern, wenn das erste Lebensjahr zu Ende geht? Im Anschluss an das Elterngeld
ist kein Krippenplatz in Sicht. Ist denn das Kind nach Ihrer Auffassung mit zwölf Monaten schon erwachsen?
Muss es dann nicht mehr betreut werden? Auch geeignete Tagesmütter gibt es nicht flächendeckend, und sie
werden schlecht bezahlt.
({1})
In Niedersachsen, woher ich komme, gibt es für unter
Dreijährige eine Versorgerquote von nur 12 Prozent, in
Nordrhein-Westfalen von nur 11,6 Prozent. Die Eltern in
den alten Bundesländern müssen rumdümpeln, bis der
Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz für Kinder
ab drei Jahren greift. Der Fortschritt, dass im Jahr 2009
73 Prozent aller Väter immerhin zwei Monate Elternzeit
nahmen, wird durch die fehlende Kinderbetreuung nach
14 Monaten komplett aufgehoben. Es werden wieder die
alten Rollenverhältnisse zementiert;
({2})
denn ein Elternteil muss zu Hause bleiben und das Kind
betreuen. Dieser Elternteil ist traditionell die Frau; denn
die hat offensichtlich schon 12 Monate Elternzeit genommen.
Obwohl das Elterngeld vorrangig Besserverdienende
bedient, stehen auch diese Elternteile nach einem Jahr
vor dem Nichts. Sie locken die Eltern damit in eine
Falle: erst die Anreize und dann keine Anschlussbetreuung. Ihre Familienpolitik ist verantwortungslos,
({3})
gegenüber den Eltern und gegenüber den Kindern. Deshalb lehne ich diesen Familienhaushalt ab. Indem Sie
den Armen den Kitaplatz abkaufen, werden die Integration der Kinder und ein gemeinsames Lernen, was zur
Chancengleichheit führen könnte, von Anfang an unmöglich gemacht.
({4})
Die Vereinbarkeit von Kindererziehung und Erwerbstätigkeit ist in den alten Ländern der Bundesrepublik seit über 60 Jahren nicht erreicht. Was in Frankreich
seit den 50er-Jahren möglich ist, nämlich für jedes Kind
ab dem dritten Monat einen Betreuungsplatz zu stellen,
und was in der DDR für Kinder ab dem ersten Jahr möglich war, ist in der Bundesrepublik bis heute nicht möglich. Wer nicht arbeitet, kann keine Rente aufbauen. Die
Altersarmut von Frauen ist vorprogrammiert. Sie erlegen
die soziale Verantwortung für die Familie einseitig den
Frauen auf. Das betrifft die Betreuung der Kinder und
die Pflege. Sie kaufen den Frauen die Berufe ab. Hätten
wir mehr Kinderbetreuung, könnten mehr Frauen arbeiten, und wir würden wieder Frauenberufe im öffentlichen Dienst einrichten, Stellen für Erzieherinnen, Sozialarbeiterinnen und Sprachlehrerinnen. Geld ist genug da.
Es muss umverteilt werden.
({5})
Die Millionärsteuer ist nur ein Beispiel dafür, wie dieser
Staat zu mehr Einkommen kommen könnte. Außerdem
können Sie auch am Verteidigungsetat sparen.
({6})
Der beläuft sich nämlich auf 31 Milliarden Euro, während der kleine Familienhaushalt 2,56 Milliarden Euro
beträgt. Damit möchten Sie den Zusammenhalt der Gesellschaft organisieren. Sie organisieren damit die Spaltung zwischen Arm und Reich.
({7})
Das Wort hat der Kollege Norbert Geis für die CDU/
CSU-Fraktion.
({0})
Sehr verehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten
Damen und Herren! Es ist schon wahr, was Sie sagen:
Die Familie ist der Angelpunkt der Gesellschaft. Nur
wenn es gelingt, die Bindekräfte der Familie zu erhalten,
werden wir morgen noch Kultur haben, werden wir einen stabilen Staat und eine stabile Gesellschaft haben.
Deswegen kommt es darauf an, dass unsere Generation
ihrem Erziehungsauftrag gerecht wird.
Wir müssen unsere Kinder und Jugendlichen zu freiheitsfähigen Menschen heranziehen. Nur dann werden
wir morgen genügend Erfinder, genügend Firmengründer, genügend Arbeitsplätze und genügend Menschen,
die in die Sozialsysteme einzahlen, haben. Wir werden
nur dann genügend Nachfrager und genügend Anbieter
haben. Wir werden auch nur dann unseren Staat und unsere Zukunft sichern, wenn wir unsere Gesellschaft in
freiheitsfähige Hände weitergeben können. Deswegen
kommt es entscheidend darauf an, dass die Familien ihren Auftrag erfüllen und ihre Kinder und Jugendlichen
zu freiheitsfähigen Menschen heranziehen, zu Menschen, die in der Lage sind, die kulturellen Werte zu erkennen, die fest in unserer Gesellschaft verankert sind,
und für die die Freiheit eine große Bedeutung hat.
Die Staaten gäben ihre Zukunft in die Hände der Familien, schreibt der frühere Verfassungsrichter Paul
Kirchhof - und er hat recht. Die zentrale Funktion der
Familien haben die Väter und Mütter unserer Verfassung
erkannt. Deswegen haben sie in Art. 6 GG die Funktionsbedeutung der Familie in einer so herausragenden
und hervorragenden Weise niedergelegt. Dort steht geschrieben, dass Eltern und Familien unter dem besonderen Schutz des Staates stehen. Der besondere Schutz gilt
also auch für Eltern, die Verbindung von Mann und
Frau auf Lebenszeit.
({0})
- Stöhnen Sie nicht! Das ist kein veraltetes Familienbild.
({1})
Ich zitiere das Urteil des Verfassungsgerichts zum
Nachzug von Familien - wenn Sie das Verfassungsgericht nicht achten wollen, dann können Sie so stöhnen -:
„Voraussetzung für die bestmögliche geistige und seelische Entwicklung von Kindern“ sind die Eltern. - Das
sollten wir nicht missachten. Wer das missachtet, macht
einen entscheidenden Fehler an dieser Stelle.
({2})
Ich möchte in diesem Zusammenhang noch ein Wort
zu den gleichgeschlechtlichen Lebensgemeinschaften
sagen: Sie sind mit der Elternschaft nicht gleichzustellen.
({3})
- Stöhnen Sie nicht! Genau so steht es im Urteil des Verfassungsgerichts zu gleichgeschlechtlichen Lebensgemeinschaften.
({4})
Sie genießen nicht den Schutz der Verfassung. Das muss
bei einer solchen Diskussion einmal klargestellt werden,
weil es inzwischen vergessen wird.
({5})
Schutz von Ehe und Familie heißt nicht, dass in diesen Schutz Großeltern und Verwandte einbezogen sind;
es geht nur um den Schutz der Kleinfamilie. In diesen
Schutz einbezogen sind die alleinerziehenden Frauen
und diejenigen Eltern, die nicht verheiratet sind; sie genießen den gleichen Schutz.
({6})
- Lassen Sie mich doch in Ruhe reden. Vielleicht ist es
ganz günstig, wenn Sie ab und zu auch eine gegenteilige
Meinung hören. Wenn Sie sie nicht hören wollen, dann
können Sie hinausgehen.
({7})
Es muss in der Demokratie möglich sein, eine gegenteilige Meinung zu hören. Lassen Sie mich fortfahren.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, der Schutzauftrag, wie er in der Verfassung niedergeschrieben ist,
hat zwei Aspekte:
Erstens. Der Staat ist nicht berechtigt, allzu schnell in
die Freiheitssphäre der Familie einzugreifen. Der Staat
ist beschränkt auf sein Wächteramt. Wenn sich irgendwo
eine Gefährdung der Kinder abzeichnet, ist es deswegen
nicht richtig, dass das Jugendamt sofort kommt und die
Kinder wegnimmt. Das geschieht zurzeit in Deutschland. Das ist verfassungsrechtlich bedenklich.
({8})
Zweitens. Der Staat muss die Familien vor allem fördern. Dabei geht es darum, dass er drei gegenläufige
Ziele zu einem Ausgleich zu bringt. Das erste Ziel ist,
dass Ehen geschlossen und Familien gegründet werden.
({9})
Das zweite Ziel ist, dass den jungen Menschen die Möglichkeit geboten wird, Geld zu verdienen und in der
Wirtschaftsordnung ihre Frau oder ihren Mann zu stehen. Das dritte Ziel ist die Erziehung von Kindern.
Berufsausübung und Erziehung von Kindern stehen
oft im Gegensatz. Es ist Aufgabe der Politik, zu ermöglichen, dass beide Ziele vereinbar sind: zum einen die Familienpräsenz und zum anderen die Berufsausübung.
({10})
Um das zu gewährleisten, sind eine Menge Dinge zu erledigen. Für uns gilt insbesondere, uns Gedanken darüber zu machen, wie wir dafür sorgen können, dass es
mehr Zeitarbeitsplätze gibt. Ich denke an Telearbeitsplätze, die es den Frauen ermöglichen, daheim präsent
zu sein.
({11})
- Das passt Ihnen nicht.
Kita ist eine Hilfe, aber kein Ersatz für die Erziehung
durch Familie. Wer das annimmt, der ist auf dem Holzweg.
({12})
- Ich weiß schon, was Sie sagen wollen; aber das ist mir
ziemlich gleichgültig. Was die Linken sagen, ist hier sowieso ohne Bedeutung.
({13})
- Sie von der Linken haben ein völlig falsches Familienbild. Ihr Familienbild kommt aus dem Marxismus, und
der gehört in die Mottenkiste des vorletzten Jahrhunderts.
({14})
Meine sehr geehrten Damen und Herren, eine wichtige Aufgabe ist es also, diese drei Ziele zu einem Ausgleich zu bringen. Nun kommt es darauf an, dass wir
Ehe und Familie den richtigen Rang in unserer Gesellschaft einräumen. Ich glaube, dass dies ein wichtiger
Auftrag an die Familienpolitik ist. Die Familienpolitik
ist deshalb ein ganz zentrales Feld der Gesellschaftspolitik.
Ich danke der Frau Ministerin, dass sie mit so viel
Elan ihr Amt wahrgenommen hat. Sie haben unsere Unterstützung. Ich freue mich über den runden Tisch, den
Sie zusammen mit Frau Schavan und natürlich auch mit
Frau Leutheusser-Schnarrenberger geschaffen haben.
Ich hoffe, dass er zum Erfolg führt.
Herr Kollege Geis!
Ich freue mich über Ihre Initiative zur Familien-Pflegezeit. Wir werden Sie unterstützen.
Meine Damen und Herren, ich bedanke mich für die
Aufmerksamkeit.
({0})
Kai Gehring hat das Wort für Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Herr Geis, ich habe mit Wohlwollen zur Kenntnis genommen, dass auch einem Großteil Ihrer Fraktion ein
Teil Ihrer Ausführungen ziemlich peinlich gewesen ist.
Ich kann das nachvollziehen.
({0})
Toleranz gegenüber Intoleranz gehört hier wirklich nicht
ins Haus.
Ich möchte sehr deutlich sagen, dass in RegenbogenFamilien, wo zwei Mütter oder zwei Väter womöglich
ein Leben lang verbindlich Verantwortung für Kinder
übernehmen und sich fürsorglich um ihre Kinder kümmern,
({1})
übrigens konservative Werte gelebt werden, die Sie eigentlich unterstützen müssten.
({2})
Diese Familien haben denselben Schutz des Grundgesetzes verdient und dieselbe Wertschätzung der Gesellschaft und des ganzen Parlamentes wie alle anderen Familien in diesem Land auch.
({3})
Solange Sie das nicht begreifen, sind Sie in der Neuzeit
nicht angekommen.
Nun zum Einzelplan 17. Er zeigt ja, dass es der Koalition und auch der Ministerin ziemlich schwerfällt, klare
Entscheidungen zu treffen und richtige Prioritäten zu
setzen. Es zeigt sich auch, dass die Leitung eines Ministeriums nicht mit der eines Ponyhofes gleichzusetzen ist.
Ich wünsche Ihnen insofern künftig ein glückliches
Händchen. Ich möchte ein paar kritische Punkte ansprechen.
Ich finde es - das sage ich bewusst als Mann schlicht peinlich, dass sich Ministerin Schröder in der
Frauenpolitik ausgerechnet von der Privatwirtschaft
überholen und vorführen lassen muss.
({4})
Mit der Einführung einer Quote für das Management hat
die Deutsche Telekom einen mutigen Schritt in Richtung
Gleichstellung in der Privatwirtschaft getan.
({5})
Ministerin Schröder setzt weiterhin auf Unverbindlichkeit und warme Worte; das ist mehr als mutlos. Ich sage
als männlicher Feminist für die grüne Bundestagsfraktion:
({6})
Ohne Quote bleiben Frauenförderung und Geschlechtergerechtigkeit reine Lippenbekenntnisse. Deutschland
kann es sich schlichtweg nicht leisten, die Talente von
Frauen weiter zu vergeuden. Frau Schröder, Ihre Frauenpolitik ist von vorgestern. Packen Sie endlich die Gleichstellung in der Privatwirtschaft an!
({7})
Herr Kollege Gehring, möchten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Gruß zulassen?
Ja, gerne.
Herr Gehring, sind Sie bereit, anzuerkennen, dass der
Fall Telekom ja genau zeigt, dass man jenseits der Einführung einer gesetzlichen Quote Lösungen in Unternehmen finden kann und dass es auch zu diesen Lösungen
kommt?
({0})
Ich erkenne an und finde es auch toll, dass die Deutsche Telekom als erstes DAX-30-Unternehmen diesen
Schritt macht. Dies sollten wir vonseiten der Politik unterstützen und begleiten und uns ganz klar im Sinne eines Gleichstellungsgesetzes auch für eine Quote in der
Privatwirtschaft einsetzen. Wir müssen das unterstützen.
Wir sehen doch, dass Frauen in Führungspositionen leider immer noch Seltenheitswert haben.
({0})
Es sollte uns allen am Herzen liegen, dass Frauen die
gleichen Karrierechancen haben wie Männer. Deutschland ist hier aber gleichstellungspolitisches Entwicklungsland, was man sowohl in den Großkonzernen als
auch in den Universitäten sehr deutlich sehen kann.
({1})
Deshalb muss man sich hier kluge Instrumente und Anreize überlegen, wozu wir immer wieder Vorschläge gemacht haben, die Sie von der Bundesregierung gerne
aufgreifen können, um endlich Schritte in die richtige
Richtung zu gehen.
Ich möchte noch andere aktuelle Punkte ansprechen.
Sie sind eine Krach- und Chaoskoalition, wenn es um
die Wehrpflicht geht. Vor lauter Pirouettendrehen allein
in den letzten Tagen müsste Ihnen völlig schwindelig
sein. Mir fällt es fast schwer, das alles mitzuverfolgen.
Aber halten wir einmal fest: Die Union sind die letzten
Mohikaner in diesem Parlament, die sich an der Wehrpflicht festklammern. Mit der FDP haben wir in der letzten Legislaturperiode noch gemeinsam für den Ausstieg
aus der Wehrpflicht gekämpft. Jetzt ist sie in den Koalitionsverhandlungen umgefallen. Schade! Letztlich gab
es mit der Verkürzung auf sechs Monate einen faulen
Kompromiss.
Ich erwarte aber, dass Herr zu Guttenberg und Frau
Schröder sich da zusammensetzen, abstimmen
({2})
und diesem Parlament ein gemeinsames, einigermaßen
schlüssiges Konzept vorlegen, statt in den Medien öffentlich herumzudilettieren. So geht das nicht weiter.
Die Wehrpflicht ist ungerecht, sie ist sicherheitspolitisch überflüssig, sie ist unvertretbar teuer, und sie ist ein
tiefer Eingriff in die individuellen Freiheitsrechte junger
Männer. Deshalb müssen wir da aussteigen.
({3})
Geben Sie endlich Ihr Wehrpflichtdogma auf! Gehen Sie
die neuen Wege, die Sie eben angekündigt haben! Die
Pflichtdienste haben keine Zukunft mehr, sondern die
Zukunft liegt in den Freiwilligendiensten.
({4})
Ich sage Ihnen auch: Die Verlängerungsoption beim
Zivildienst ist letztlich eine Verlängerung des Zivildienstes und eine Abkopplung von der Wehrpflicht.
({5})
- Von wegen Freiwilligkeit. Das setzt man dann noch
davor. Aber es ist eine Krücke und keine Brücke, und
Sie schließen damit auch keine biografische Lücke, wie
hier angekündigt wird; das ist Unsinn. Das ist schon jetzt
der Fall.
({6})
Sie schaffen es einfach nicht, die Frage nach dem Sinn
zu beantworten, den ein sechsmonatiger Wehr- und Zivildienst haben soll. Statt diese Legislaturperiode mit
Verkürzungs- bzw. Verlängerungsdebatten zu vergeuden,
({7})
sollten Sie endlich einen Ausstiegsbeschluss herbeiführen. Sie sollten dafür sorgen, dass aus den Pflichtdiensten ausgestiegen und endlich massiv in den Ausbau der
Freiwilligendienste investiert wird.
({8})
Als einer der letzten Redner in dieser Debatte sage
ich: Hören Sie auf, die Jugendlichen zu ignorieren! Jugendliche kamen heute noch gar nicht richtig vor.
({9})
Wertschätzen Sie zum Beispiel, dass Jugendliche sich
beteiligen wollen, dass es ihnen um Partizipation geht.
Neulich hatten wir die Abschlusskonferenz zum Bundesprogramm für mehr Jugendbeteiligung. Da erwartet man
eigentlich, dass gesagt wird, dass man sich weiter um die
Jugendbeteiligung kümmern will. Das ist aber nicht erfolgt. Was geschieht da jetzt? Die Jugendpolitik sollte
unter Schwarz-Gelb nicht völlig in der Bedeutungslosigkeit verschwinden. Mit Sachsen wird offensichtlich das
erste Bundesland aus der Jugendhilfe aussteigen.
({10})
Das sind sehr bedenkliche Entwicklungen. Man darf
nicht auf dem Rücken der Jugendlichen den Haushalt zusammenstreichen. Das müsste eigentlich großer Konsens
in diesem Haus sein.
({11})
Herr Kollege, kommen Sie zum Ende, bitte.
Ja. - Ich möchte mit einem Appell enden, auch aufgrund der Sprechblasen zum Thema Extremismus. Ich
wünsche mir, dass hier endlich Konsens darüber herbeigeführt wird, dass man vor allem gegen Rechtsextremismus kämpfen muss.
({0})
- Gegen links auch.
Herr Kollege.
Aber wenn im Jahre 2009 über 20 000 rechtsextreme
Straftaten
Herr Kollege!
- ich komme zum Schluss
Aber definitiv.
- laut Bundeskriminalamt begangen wurden, dann
muss hierauf die Priorität liegen. Also hören Sie endlich
auf, die Extremisten alle in einen Topf zu werfen,
({0})
und konzentrieren Sie sich auf das, was wirklich wichtig
ist: den Kampf gegen Rechtsextremismus und für die
Demokratie.
({1})
Der Kollege Thomas Jarzombek hat jetzt das Wort für
die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich habe
in dieser Debatte zwei Beobachtungen gemacht. Erstens
finde ich es ziemlich unglaublich, in welcher Art und
Weise hier Linksextremismus verharmlost wird.
({0})
- Meine Damen und Herren von den Linken, dass Sie
das nicht juckt, ist mir klar. - Aber dass die SPD das so
sieht, wie sie es sieht, finde ich erstaunlich; da hätte ich
persönlich mehr Anstand an dieser Stelle erwartet.
({1})
Anstatt sich aufzuregen, sollten Sie vielleicht den
Vorschlag aufgreifen, den ein Kollege der Linkspartei in
der ersten Lesung gemacht hat, nämlich endlich einmal
Aussteigerprogramme für die Linkspartei zu etablieren.
({2})
Ich habe heute noch eine zweite Beobachtung gemacht. Wie es um die Familienpolitik bei der Opposition
bestellt ist, zeigt die Tatsache, dass alle Vorredner von
der Opposition mit Ausnahme des Kollegen Gehring
nicht einen Satz zum Thema Kinder und Familie verloren haben. Wir haben hier offensichtlich ein Problem.
Wir sind hier nicht der Verteidigungsausschuss des
Deutschen Bundestages. Ich kann in diesem Zusammenhang nur den amerikanischen Juristen Darrow zitieren,
der vor 100 Jahren mit satirischem Unterton sagte:
Die erste Hälfte unseres Lebens wird von den Eltern ruiniert, die zweite von den Kindern.
Kardinal Frings hat es so ausgedrückt:
Die Zukunft des Volkes hängt nicht von der Zahl
der Kraftwagen ab, sondern von der Zahl der Kinderwagen.
Darüber müssen wir hier sprechen.
({3})
Jeder, der nur ein bisschen finanzpolitisches Gespür
in seinen Fingern hat, der muss doch sehen, dass die
Schulden dieses Landes nicht nur als Zahl im Haushalt
stehen. Die Schulden dieses Landes spiegeln sich in den
Geburtenstatistiken wider.
({4})
Wir haben heute eine Geburtenrate von 1,4. Die Frage
ist, wie wir alle unsere Aufwendungen in der Sozialversicherung zukünftig decken können, wenn es so weiter
läuft. Meine Damen und Herren von Rot-Grün, da haben
Sie, was diese Entwicklung betrifft, sieben Jahre verloren.
Erst mit Angela Merkel als Bundeskanzlerin und mit
Ursula von der Leyen als Familienministerin ist hier etwas passiert. In diesen vier Jahren ist der Etat von 4,4
um 50 Prozent auf 6,6 Milliarden Euro gestiegen. Tatsache ist doch: Unter Rot-Grün gab es für Familie und
Kinder keine Lobby.
({5})
Gedönskanzler Schröder hat Ihre Familienpolitiker am
langen Arm verhungern lassen.
({6})
Ich kann aus eigener Erfahrung in Nordrhein-Westfalen sagen, was 39 Jahre SPD-Politik für die Familien
gebracht haben: eine Betreuungsquote für unter Dreijährige von 2,8 Prozent, die niedrigste in ganz Deutschland.
({7})
Mit Schwarz-Gelb haben wir es in Nordrhein-Westfalen
geschafft, die Anzahl der Plätze in fünf Jahren nahezu zu
verzehnfachen.
({8})
Wir mussten das aufräumen, was Sie hinterlassen haben.
Wir werden an dieser Stelle weitermachen. Denn wir
müssen etwas tun. Wir haben schon eine Menge getan,
zum Beispiel für die Infrastruktur. Fast 10,5 Milliarden Euro aus dem Konjunkturpaket werden bis 2013 in
Betreuungsplätze für unter Dreijährige investiert.
({9})
Die rot-grüne Koalition hat im Jahr 2005 eine Quote von
13,7 Prozent hervorgebracht, was die Betreuungsplätze
für unter Dreijährige betrifft. Dank Ursula von der
Leyen haben wir heute eine Quote von 20 Prozent erreicht. Wir werden 35 Prozent in 2013 erreichen. Dafür
steht auch dieser Haushalt.
({10})
Wir tun mehr für die Eltern. Wir als Union haben das
Elterngeld eingeführt. Wir werden auch das Teilelterngeld einführen und damit eine gute Weiterentwicklung
ermöglichen. Ich nenne weiterhin die steuerliche Abzugsfähigkeit der Kinderbetreuungskosten und nicht zuletzt die Erhöhung des Kindergeldes, die wir mit dem
Wachstumsbeschleunigungsgesetz vorgenommen haben.
Ich glaube, das ist richtig. Denn in sieben Jahren gab es
keine Erhöhung des Kindergeldes, obwohl die Ausgaben
für die Kinder von Jahr zu Jahr steigen.
Der Focus hat vor einigen Wochen von der Familie
eines Hochschuldozenten - er gehört also nicht zum Prekariat - berichtet. Er kann es sich noch nicht einmal erlauben, mit seinen drei Kindern in den Urlaub zu fahren.
Es ist daher wichtig, dass wir mehr finanzielle Leistungen für Familien, die sich in der Mitte der Gesellschaft
befinden, bereitstellen.
({11})
Damit kommen wir zu einem ganz entscheidenden
Punkt. Denn wir als Union sind die Einzigen, die den
Eltern Wahlfreiheit lassen. Die Geburtenzahlen erlauben es uns nicht, aus ideologischen Gründen nur auf ein
ganz bestimmtes Familienmodell zu setzen.
({12})
Wir müssen Eltern Wahlfreiheit bieten. Wenn das Betreuungsgeld - in welcher Form der Umsetzung auch immer - dazu beiträgt, dass insbesondere Familien mit
mehreren Kindern, bei denen die finanzielle Lage möglicherweise auch aufgrund einer Teilzeitarbeit sehr
schwierig ist, eine bessere Unterstützung von uns bekommen und das wiederum dazu beiträgt, dass wir eine
höhere Geburtenrate und mehr Kinder bekommen, dann
ist es genau die richtige Politik, die wir als Koalition verabredet haben.
({13})
Deshalb kann ich nach der heutigen Debatte nur das
Fazit ziehen: Da, wo die Union regiert, hört man immer
mehr Kinder schreien. Da, wo die Linken regieren, hört
man höchstens noch die Eltern schreien.
Vielen Dank.
({14})
Herr Kollege Jarzombek, ich gratuliere Ihnen zu Ihrer
ersten Rede im Deutschen Bundestag.
({0})
Das Wort hat jetzt die Kollegin Caren Marks von der
SPD-Fraktion.
({1})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Kollege
Jarzombek, Sie haben eben gesagt, da, wo die Union regiert, sei es um die Familienpolitik besonders gut bestellt.
({0})
In Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen, wo die
Union regiert, ist es aber ganz besonders schlecht um
den Ausbau der frühkindlichen Bildung und Betreuung
bestellt. Das ist und bleibt richtig.
({1})
Zu dem Betreuungsgeld will ich gar nicht mehr viel
sagen. Da kann ich mich durchaus der vorherigen Familienministerin, Frau von der Leyen, anschließen. Es ist
Unsinn und eine bildungspolitische Katastrophe, und das
wird es auch bleiben.
({2})
Frau Ministerin Schröder, Politik ist eigentlich in der
Verantwortung, klare Antworten auf die gesellschaftspolitischen Herausforderungen zu geben. Dies trifft
ganz besonders auf unser Ressort, Familie, Senioren,
Frauen und Jugend, zu. Die Bekämpfung der Kinderund Familienarmut, die Begleitung des demografischen
Wandels, mehr Teilhabe für Jugendliche und die konsequente Gleichstellung von Männern und Frauen: Im
Einzelplan 17 finden wir leider kaum Antworten auf
diese und weitere Herausforderungen.
Im Bereich der Gleichstellungspolitik wird das ganz
besonders deutlich. Der Lohnunterschied zwischen
Männern und Frauen beträgt skandalöse 23 Prozent. Der
Frauenanteil in deutschen Vorständen und Aufsichtsräten ist lächerlich gering. Das schreit geradezu nach einer
aktiven Gleichstellungspolitik. Doch was macht die
Frauenministerin? - Die Telekom ist mit ihrer aktuellen
Entscheidung für eine Frauenquote entschlossener als
die zuständige Ministerin.
Wer wie Frau Schröder unbeirrt auf Freiwilligkeit in
der Wirtschaft setzt, nimmt die Realität in den meisten
Unternehmen nicht zur Kenntnis. Die Zeit ist mehr als
reif für verbindliche Regelungen.
({3})
Die SPD fordert eine gesetzliche Quotenregelung für
Frauen in Vorständen und Aufsichtsräten. Ich höre schon
die konservativen Bedenkenträger: Gibt es denn genügend qualifizierte Frauen für diese Posten? - Erstens ist
das der Fall; es gibt sie. Zweitens, wer hat eigentlich
nach der Qualifikation der Männer gefragt, meine Herren?
({4})
Bei der Überwindung der Entgeltungleichheit verlässt sich die Ministerin mit einem unverbindlichen Lohnprüfungsverfahren ebenfalls auf das rein freiwillige Handeln einzelner Unternehmen. Auch diesbezüglich gibt es
kein entschlossenes Handeln, sondern nur Mutlosigkeit.
Die SPD sagt: Wir brauchen endlich ein wirksames Entgeltgleichheitsgesetz. Gerade heute haben Sozialwissenschaftlerinnen noch einmal die Notwendigkeit eines Gesetzes betont.
Die jetzige Bundesregierung hat ganz offensichtlich
dringenden Beratungsbedarf in Sachen Genderkompetenz. Umso bedauerlicher ist es, dass die schwarz-gelbe
Koalition die Förderung des Gender-Kompetenz-Zentrums Mitte des Jahres einstellt und künftig auf gute,
wissenschaftliche Politikberatung verzichtet.
Die Antidiskriminierungsstelle ist zwar mit genauso
viel Geld wie im Vorjahr ausgestattet, ich habe allerdings große Zweifel, ob die Bundesregierung eine zielführende Antidiskriminierungspolitik wirklich will.
Denn der Kurs, den Sie, Frau Ministerin, auf EU-Ebene
verfolgen, ist ein Trauerspiel. Sie blockieren in Brüssel
eine neue Antidiskriminierungsrichtlinie.
({5})
Das ruft sogar öffentliche Proteste von Amnesty International hervor.
({6})
Über die 5 Millionen Euro für die Evaluation von familienpolitischen Leistungen kann man sich nur wundern. Mein Kollege hat das schon angesprochen. Vielleicht ist es ratsam, Frau Schröder, dass Sie mit Ihrer
Amtsvorgängerin sprechen. Sie hatte eine solche Evaluation bereits in Auftrag gegeben, die Ergebnisse liegen
massenweise vor und sind keineswegs veraltet. Es mangelt nicht an Daten, sondern an Ihrem politischen Gestaltungswillen.
({7})
Ja, es ist richtig: Familien wünschen sich bei der
Pflege mehr Unterstützung. Im wahrsten Sinne des Wortes „sparsam“ ist das unausgereifte Konzept der Ministerin zur Pflegeteilzeit für pflegende Angehörige. Der
O-Ton der Ministerin ist entlarvend. Sie sagt: Der Pflegeversicherung käme die Familienpflegezeit langfristig
zugute; denn Pflege zu Hause koste weniger als im
Heim. „Hört, hört!“, sage ich da nur. Erschreckend ist
die fehlende Reflexion darüber, dass es in den allermeisten Fällen die Frauen sind, die Angehörige pflegen.
Frauen sind häufig im Niedriglohnsektor zu finden. Wer
von ihnen kann ohne Kompensation vier Jahre lang von
75 Prozent des Gehaltes leben? Das Angebot geht an der
Lebenswirklichkeit vieler vorbei.
({8})
Ich frage mich, meine lieben Kolleginnen und Kollegen von der Union, warum Sie die von der SPD geforderte bezahlte Pflegezeit von zehn Tagen nach wie vor
ablehnen. Gerade zu Beginn der Pflege, die in der Regel
von heute auf morgen notwendig wird, brauchen Familien Zeit, um Informationen und Hilfe zu suchen und
sich auf die neue Situation einzustellen.
Es bleibt festzustellen: Auch in der Haushaltspolitik
entzieht sich die Bundesregierung der Verantwortung.
Sie handeln nicht dort, wo es nötig ist, sie zaudern und
prüfen, bestenfalls hören wir Appelle an Wirtschaft und
andere. Ich wünsche mir für die Menschen in unserem
Land, dass sich die Ministerin Schröder den Herausforderungen unserer Zeit stellt. Wir alle, vor allem wir
Frauen, erwarten zu Recht konkretes Handeln statt ein
Herumstochern im Nebel. Vielleicht wird es ja noch etwas.
({9})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den Einzelplan 17, Bundesministerium für Familie, Senioren,
Frauen und Jugend, in der Ausschussfassung. Hierzu
liegt ein Änderungsantrag der Fraktion Die Linke vor,
über den wir zuerst abstimmen. Wer stimmt für den Änderungsantrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 17/1036? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? Der Änderungsantrag ist abgelehnt mit den Stimmen der
Koalitionsfraktionen, der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen bei Zustimmung der Fraktion Die Linke und Enthaltung der SPD-Fraktion.
Wir kommen nun zur Abstimmung über den Einzelplan 17 in der Ausschussfassung. Wer stimmt dafür? Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Einzelplan 17 ist
angenommen mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen
gegen die Stimmen der Oppositionsfraktionen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt I.17 auf:
Einzelplan 30
Bundesministerium für Bildung und Forschung
- Drucksachen 17/620, 17/623 Berichterstattung:
Abgeordnete Eckhardt Rehberg
Ulrike Flach
Priska Hinz ({0})
Hierzu liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion
Die Linke vor, über den wir am Freitag im Anschluss an
die Schlussabstimmung abstimmen werden.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache anderthalb Stunden vorgesehen. Gibt es
Widerspruch? - Das ist nicht der Fall. Dann ist das so
beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner das Wort dem Kollegen Klaus Hagemann von der
SPD-Fraktion.
({1})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Es ist jetzt gleich 19.15 Uhr und wir beraten den
Einzelplan 30, den Haushalt, der zukunftsgerichtet ist.
Die Medien haben kein Interesse mehr. Ich freue mich,
dass Sie, liebe Zuhörerinnen und Zuhörer, noch so zahlreich hier sind und der Debatte folgen.
({0})
Man sollte vielleicht einmal überlegen, ob man dieses
Thema im Rahmen der Beratungen des Haushaltes 2011
nicht etwas früher behandeln sollte.
Bei diesem Haushaltsentwurf muss ich, wie in der
ersten Lesung, feststellen: Viele Titel sind gesperrt. Sie
sind während der Haushaltsberatungen nicht entsperrt
worden, Frau Ministerin. Es sind sogar noch zusätzliche
Sperren durch die schwarz-gelbe Koalition hinzugekommen. Weil nicht genügend ausgereifte Konzepte
vorliegen, hat die Koalition entsprechende Sperren vorgenommen. Was nützen die schönen Ankündigungen,
die im Koalitionsvertrag festgeschrieben und in den Medien immer wieder dargestellt werden, und was ist das
Gerede vom Gesamtkunstwerk wert - davon hat Kollege
Barthle am Dienstag gesprochen -, wenn nicht konkrete
Politik dahintersteht?
({1})
Man kann es als Mangel bezeichnen, wenn keine klaren Konzepte vorliegen und man nicht sehen kann, wie
es mit den Projekten im Jahr 2011 überhaupt weitergehen soll. Wir wissen zwar, wie schwierig die Haushaltslage ist, aber es ist nicht gut, dass keine mittelfristige
Finanzplanung vorgelegt worden ist. Dadurch entsteht
gerade im Forschungsbereich und im Bildungsbereich,
die auf unser Geld angewiesen sind, Unsicherheit, weil
man nicht weiß, wie es mit der Finanzierung der Projekte weitergeht. Wir wissen, dass vor der Wahl in Nordrhein-Westfalen am 9. Mai 2010
({2})
nicht gestrichen werden soll, jedoch keine Klarheit darüber herrscht, was danach geschieht. Ich sehe nur die
Gefahr, dass das, was vor der Wahl gesperrt wurde - so
hieß es dieser Tage -, nach der Wahl gestrichen wird. Ich
frage: Ist es so?
({3})
Der Schuldenberg ist gewachsen. Sie legen noch einmal 80 Milliarden Euro obendrauf.
(Patrick Meinhardt ({4}): Wie viel wollten
Sie drauflegen?
Sie müssen einmal die Zinsen bezahlen. Die Schuldenbremse greift außerdem im nächsten Jahr. Da sind mit
10 Milliarden Euro zusätzlichen Einsparungen schon erhebliche Dinge zu beachten.
({5})
- Ihr habt die Mehrheit, und ihr habt entsprechende Vorschläge zu machen. Doch die hat auch Herr Schäuble in
seiner Rede am Dienstag nicht vorgetragen. Es ist kein
klares Konzept vorgelegt worden. Die Financial Times
Deutschland, nicht gerade der Hort der Sozialdemokratie,
({6})
schreibt, dass nicht einmal die Andeutung eines Konsolidierungskonzeptes durch den Finanzminister vorgelegt
wurde.
({7})
In der 16. Legislaturperiode, also während der Großen Koalition, haben wir bei den Haushaltsberatungen
- jetzt wollte ich den Kollegen Willsch als Zeugen aufrufen, aber er ist nicht da - immer noch Geld obendraufgepackt.
({8})
Ich verweise auf das BAföG. Dort haben wir im parlamentarischen Verfahren erhebliche Mittel obendraufgepackt.
({9})
Jetzt sind durch die Koalition sogar Mittel gestrichen
worden
({10})
- ob das Ihre Leistung ist, weiß ich nicht -, beispielsweise beim Titel „Klimaforschung und Lebensraum
Erde“ haben Sie 4,5 Millionen Euro gestrichen. Liebe
Frau Flach, in den Bereichen, in denen es deutliche Kürzungen geben könnte, beispielsweise bei der Öffentlichkeitsarbeit oder beim Personalaufbau, haben Sie im Gegensatz zur Oppositionszeit jetzt keine Kürzungsanträge
gestellt. Die hätten wir gerne unterstützt. Ich muss sagen: Die FDP ist als Tiger in der Opposition gestartet
und als Bettvorleger in der Koalition gelandet.
({11})
- So ist es. Wenn man keine Konzepte hat, kann man das
sagen, lieber Kollege Meinhardt.
In den zurückliegenden Jahren hatte das Parlament
500 Millionen Euro mehr bewilligt, als im Laufe der
Zeit ausgegeben worden sind. Da muss man noch einmal
genauer hinschauen. Sie haben über die globale Minderausgabe hinaus nicht alles Geld, das das Parlament zur
Verfügung gestellt hatte - in der letzten Legislaturperiode 500 Millionen Euro -, verausgabt. Das fehlt natürlich Kindern, Jugendlichen, Bildung und Forschung.
Darauf müssen wir genauso hinweisen wie auf die Flops,
die wir festzustellen haben. Die Forschungsprämie ist zu
nennen. Ebenso das Technikum: 4 Millionen Euro Ausgaben, ein Praktikumsplatz, nein, zwischenzeitlich sind
zwei entstanden, habe ich gehört.
({12})
Unter anderem ist auch - das ist nicht lächerlich; das ist
alles vom Rechnungshof festgestellt - die fehlende Kontrolle der Bewilligungsbescheide durch das Ministerium
zu nennen. Das alles müssen wir in Erinnerung rufen
dürfen, lieber Kollege.
({13})
Wir dürfen darauf hinweisen, dass ihr von Schwarz-Gelb
hier viel zu tun und im Ministerium darauf hinzuweisen
habt.
({14})
Die Ausgaben für die atomaren Altlasten in den Forschungsreaktoren sind erneut gestiegen und steigen weiter. Sie steigen ins Unermessliche; mit 4 Milliarden Euro
ist dafür zu rechnen. Die Atomwirtschaft in HammUentrop lässt grüßen. Sie wird nicht herangezogen, oder
wenn, dann nur ein wenig. Diese Punkte sind als negativ
herauszustellen.
({15})
In der Großen Koalition und auch unter Rot-Grün haben wir einiges bewegt und nach vorne gebracht, dessen
Ernte Sie jetzt einbringen können. Die Exzellenzinitiative ist gestartet worden. Der Pakt für Forschung und
Innovation wurde unter Rot-Grün gestartet.
({16})
Die Hightech-Strategie wurde in der Großen Koalition
gestartet. Herr Fischer, der Rechnungshofbericht zur
Umsetzung des Nationalen Entwicklungsplans Elektromobilität liegt jetzt vor. Da ist festzustellen, dass bisher
nur wenig Geld verausgabt worden ist. Der Hochschulpakt I ist zu nennen. Mehr Studienplätze wurden
geschaffen. Nordrhein-Westfalen ist dabei stark im
Rückstand. Rheinland-Pfalz, mein Bundesland, hat
50 Prozent mehr Studienplätze geschaffen, als es sich
verpflichtet hatte. Das muss positiv erwähnt werden.
({17})
Der Clusterwettbewerb und viele andere Punkte sind zu
nennen.
Ich darf noch einmal an das Ganztagsschulprogramm erinnern. Es ist notwendig, dies fortzusetzen.
Das hat auch Frau von der Leyen am Dienstag gesagt.
Das Ganztagsschulprogramm musste damals gegen heftigsten Widerstand von Union und FDP durchgesetzt
werden.
({18})
Frau Schavan, ich finde es ganz toll, dass Sie im Handelsblatt dafür einstehen, für Grundschulen 1 Milliarde
Euro mehr bereitzustellen.
({19})
Ich finde es gut, dass Sie das ankündigen. Aber Sie haben zurzeit keine Kompetenz, das durchzusetzen. Denn
das Kooperationsverbot im Grundgesetz steht dagegen.
Lassen Sie uns gemeinsam dieses Kooperationsverbot
aus dem Grundgesetz streichen. Dann kann das Versprechen von Frau Schavan auch umgesetzt werden.
({20})
Wir haben versucht, unser Wahlprogramm durch
Haushaltsanträge umzusetzen. Wir haben Anträge eingebracht, in denen wir fordern, dass das BAföG deutlich
erhöht wird und dass für eine „gute Lehre“ an den Hochschulen mehr Geld zur Verfügung gestellt wird.
({21})
- Es ist gegenfinanziert, lieber Herr Kollege
Schirmbeck.
Herr Kollege Hagemann.
Wir hätten mit unserem Konzept sogar weniger
Schulden aufgenommen als ihr. Wir sind nur - in Anführungszeichen - bei 77 Milliarden Euro gelandet,
({0})
während ihr bei 80 Milliarden Euro liegt - Schuldenrekord!
({1})
Kommen Sie bitte zum Schluss.
Ich komme zum Schluss, Herr Präsident. - Wir werden darauf hinarbeiten, dass unsere genannten Initiativen
und Anträge berücksichtigt und in Politik umgesetzt
werden.
Vielen Dank.
({0})
Das Wort hat der Kollege Eckhardt Rehberg von der
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Herr Kollege Hagemann, es ist immer sehr
leicht, uns auf der einen Seite mangelnden Sparwillen
vorzuwerfen - das haben Sie gerade wieder getan; aber
Sie arbeiten mit Buchungstricks in den Einzelplänen 32
und 60 ({0})
und sich auf der anderen Seite zu beklagen, dass hier und
da womöglich gestrichen worden ist. Dieser Haushalt,
Einzelplan 30, ist ein Aufwuchshaushalt. Dieser Haushalt für 2010 wächst im Vergleich zu 2009 um
660 Millionen Euro.
({1})
Die Bundesregierung, die Regierungsfraktionen haben
Wort gehalten. In der Krise wollen wir Bildung und Forschung stärken. Das ist die Überschrift für diesen Einzelplan.
({2})
Wenn wir als Haushälter uns darüber unterhalten, wie
denn die Steuermittel, die im Einzelplan 30 im Bereich
der Forschung eingestellt worden sind, eingesetzt werden und welche Wirkungen sie entfalten, dann muss man
sich überlegen, Herr Kollege Hagemann, ob das wirklich
die Ernte der Saat ist, die Sie in den Boden gebracht haben, oder ob das die Ernte ist, die seit dem Jahr 2005,
seit Annette Schavan das Bildungs- und Forschungsministerium führt, in den Boden gebracht wurde.
({3})
Wenn man sich die Entwicklung im Bereich der Projektförderung ansieht, stellt man fest: Hier ist ein Aufwuchs zu verzeichnen. Im Jahr 2005 gab es 11 500 Einzelprojekte, heute gibt es 18 000. Das ist die erste
Schavan-Kurve, die ich Ihnen aufzeige.
({4})
Noch deutlicher wird diese Entwicklung am Aufwuchs der Mittel für die Projektförderung.
({5})
Im Jahre 2004, also zu Ihrer Regierungszeit, waren es
1,8 Milliarden Euro, heute sind es 3,4 Milliarden Euro.
Das ist die zweite Schavan-Kurve, die ich Ihnen vorhalte.
({6})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, der Betrag
von 3,4 Milliarden Euro sagt eigentlich gar nichts aus.
Die Frage ist doch: Welche Wirkungen entfalten diese
Mittel?
({7})
Herr Kollege Hagemann, insgesamt 130 Berichte musste
uns das Ministerium innerhalb weniger Wochen zustellen; fünf Berichtsanträge davon waren von der Regierungsfraktionen. Einer dieser Berichte ist hochinteressant. Darin geht es um die Wirkungen des 6-MilliardenEuro-Programms und der Hightech-Strategie. Wenn Sie
sich diesen Bericht genau ansehen, stellen Sie fest, dass
darin die Wirkungen für die einzelnen Bereiche aufgeführt sind: Umwelttechnologie 1,5 Millionen Arbeitsplätze, optische Technologien 110 000 Beschäftigte.
Aber das ist nicht mein zentraler Punkt.
Mein zentraler Punkt ist, dass von externen Gutachtern nachgewiesen wurde, dass mit jedem im Bundeshaushalt eingesetzten Euro im Durchschnitt 5,20 Euro
aufseiten der Wirtschaft aktiviert wurden. Das heißt,
600 Millionen Euro, die im Jahre 2009 investiert wurden, haben aufseiten der Wirtschaft 3 Milliarden Euro
aktiviert. Das ist aus meiner Sicht der Sinn von Politik:
dass wir Mittel einsetzen und dadurch die Wirtschaft angeregt wird. In diesem Fall hat sie die von uns eingesetzten Mittel sogar verfünffacht.
({8})
Besonders abstrus finde ich in diesem Zusammenhang den Antrag der Linken. Darin wird ernsthaft vorgeschlagen, bei der industrienahen Innovationsförderung 216 Millionen Euro zu streichen. Das betrifft
zwar den Haushalt des Bundeswirtschaftsministeriums,
das ZIM, aber ich frage Sie: Haben Sie sich wirklich gut
überlegt, was Sie da formuliert haben, Herr Kollege
Leutert?
Sie schreiben, diese Mittel sollten für strukturschwache Regionen, für Klimaschutz und Ökologie zur Verfügung gestellt werden. Wissen Sie eigentlich, dass ein
Drittel der ERP-Mittel in die Bereiche Ökologie und Klimaschutz fließt? Wissen Sie eigentlich - das sage ich im
Hinblick auf die strukturschwachen Regionen -, dass im
Jahr 2009 insgesamt 742 Millionen Euro aus dem ZIM
abgeflossen sind und davon ein Drittel, also etwa
250 Millionen Euro, in die neuen Bundesländer geflossen ist?
Das, was Sie in Ihrem Antrag zur Hebelwirkung bei
den Arbeitskräften und zur Umsatzgenerierung schreiben, können Sie nicht ernst meinen. 80 Prozent der Mittel dieses Programms kamen kleinen und mittelständischen Unternehmen mit weniger als 50 Beschäftigten
zugute. Wir wären doch mit dem Klammerbeutel gepudert, wenn wir das tun würden! Meine sehr verehrten
Damen und Herren von den Linken, ich kann Ihnen nur
den Rat geben: Ziehen Sie diesen unsinnigen Antrag zurück. Diese Maßnahmen hätten verheerende Folgen, insbesondere für die neuen Bundesländer.
({9})
Wir haben etwas anderes getan - dafür bedanke ich
mich ganz ausdrücklich beim Ministerium und bei den
Kolleginnen und Kollegen der Arbeitsgruppen Bildung
und Forschung von CDU/CSU und FDP -: Wir haben
die Mittel für die Innovationsförderung in den neuen
Bundesländern um 6 Millionen Euro aufgestockt; denn
diese Mittel werden gut abgerufen.
({10})
Damit werden 17 Verbundprojekte in den neuen Ländern
gefördert. Hinzu kommen die Hebelwirkungen, die ich
dargestellt habe.
Aufgrund der demografischen Entwicklung, des
Rückgangs der Geburtenzahlen und des Rückgangs der
Schulabgängerzahlen haben wir uns darüber hinaus Gedanken gemacht: Was können wir tun, damit auch die
Hochschulen in den neuen Ländern Mittel und Möglichkeiten haben, für sich zu werben? Wir haben eine Hochschulmarketingkampagne speziell für die Hochschulen
in den neuen Bundesländern initiiert und dafür
2 Millionen Euro zur Verfügung gestellt. Herr Kollege
Hagemann, all das ist auch gegenfinanziert.
Wir haben uns auch gefragt: Die Investitionen in welche Zukunftstechnologien müssen wir erhöhen? Die
Mittel für die Entwicklung energieeffizienter Antriebstechnologien werden um 1 Million Euro, die Mittel für
die Biotechnologie um 5 Millionen Euro und die Mittel
für die biomedizinische Forschung um 3 Millionen Euro
erhöht. Wir haben hier umgeschichtet und im Bereich
der Forschung Prioritäten gesetzt, weil wir fest davon
überzeugt sind, dass gerade der Bereich der Forschung
gestärkt werden muss, damit Deutschland seine Wettbewerbsfähigkeit und seine Exportfähigkeit behält und
ausbaut.
({11})
Herr Kollege Hagemann, damit hier keine Märchen
aufkommen: Die nicht geprüften Verwendungsnachweise sind eine Erblast von Rot-Grün. Ich will Ihnen das
ganz kurz mit einigen Zahlen belegen: 2005 waren knapp
4 000 Nachweise offen, 2009 noch 1 924, also knapp
2 000. Zugleich - ich habe das deutlich gemacht - hat
sich die Anzahl der Projektförderungen in diesem Zeitraum mehr als verdoppelt. Das heißt, das Schavan-Ministerium musste erst einmal den Müll aufräumen, den RotGrün hinterlassen hat.
({12})
Wenn Sie hier versuchen, den Eindruck zu erwecken,
dass diese offenen Nachweise ein Versäumnis des
BMBF unter Annette Schavan sind, kann man entgegenhalten, dass diese Zahlen und der Bericht des Bundesrechnungshofes Ihre Behauptung deutlich widerlegen.
Herr Kollege Rehberg, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Hagemann?
Aber gerne.
Herr Hagemann, bitte.
Herr Kollege Rehberg, sind Sie bereit, zur Kenntnis
zu nehmen, dass in dem abgestimmten Bericht des Bundesrechnungshofes - nach einer heftigen Diskussion im
Haushaltsausschuss; Sie erinnern sich - auch steht, dass
erneut Fälle dazugekommen sind und es noch einen riesigen Rückstand gibt, dass Bewilligungsbescheide nicht
in der vorgeschriebenen Zeit kontrolliert worden sind?
Wollen Sie das zur Kenntnis nehmen?
Das kann ich nicht zur Kenntnis nehmen; denn der
Sachstand ist: 2005 waren 4 000 Nachweise offen, heute
knapp 2 000. Das heißt, die Zahl der Altfälle wurde halbiert. Außerdem sind pro Jahr zwischen 3 000 und 4 000
neue Projektförderungen hinzugekommen. Das heißt, es
müssen neue Nachweisprüfungen durchgeführt werden.
Was Sie zu sagen versäumt haben: 2005 waren - nach
meiner Kenntnis - nur noch ein oder zwei Mitarbeiter
damit befasst, die Verwendungsnachweise zu prüfen.
Die Personalaufstockung von heute dient unter anderem
dazu, sicherzustellen, dass Projektförderungen sachgerecht geprüft werden können, und selbstverständlich
vorab, damit überhaupt Projektförderungen initiiert werden können. Wir räumen hier in zweierlei Hinsicht die
Altlasten weg, die Sie hinterlassen haben.
({0})
Herr Kollege Rehberg, auch die Kollegin Sitte hat das
Bedürfnis, Ihnen eine Frage zu stellen. Erlauben Sie das?
Gerne.
Bitte.
Herr Kollege, ich möchte Ihnen keine Frage stellen,
sondern, wie es nach der Geschäftsordnung möglich ist,
eine Zwischenbemerkung machen.
Sie haben vorhin kritisiert, dass wir in unserem
Punkt 8 eine Kürzung bei der technologieorientierten Innovationsförderung vorgeschlagen haben. Erstens handelt es sich um eine Kürzung der Steigerung, die Sie vorgesehen haben.
({0})
- Ja, das muss man einmal sagen. - Zweitens haben wir
uns vor allem auf die Bereiche konzentriert, in denen die
Abflüsse in den vergangenen Jahren vor allem an große
Unternehmen gegangen sind, die bereits technologiestark sind. Wir haben dann vorgeschlagen - damit mache
ich Sie auf einen Fehler beim Lesen aufmerksam -, dass
die Projektförderung des Bundes - ich zitiere - an Kriterien wie Unterstützung strukturschwacher Regionen,
Klimaschutz, Ökologie und öffentliche Gesundheit gekoppelt werden. - Da gibt es, wenn ich Sie richtig verstanden habe, keine Differenzen. Sie haben aus diesem
Antrag aber offensichtlich das Gegenteil herausgelesen.
Insofern lege ich Wert auf diese Korrektur.
Und Sie haben den letzten Satz unterschlagen. Wenn
wir alle wissen, dass der Haushalt, der zur Verfügung
steht, nicht unbegrenzt ist, muss man in der Tat politische Prioritäten setzen. Die politische Priorität, die wir
setzen, besteht darin, diese Mittel umzuverteilen, sie
dem Bildungs- und Hochschulsektor zugutekommen zu
lassen. Wir wissen doch, dass dieser Sektor massiv unterfinanziert ist und in der nächsten Zeit, insbesondere
auf dem zweiten Bildungsgipfel, über Verbesserungen
verhandelt wird.
Frau Kollegin Sitte, es tut mir leid: Ein Minus ist bei
mir immer noch ein Minus.
({0})
Wir haben uns politisch dafür entschieden, die Mittel
für die Innovationsförderung zu steigern. Wenn Sie
vorschlagen, diese Mittel um 216 Millionen Euro zu kürzen, dann sind das 216 Millionen Euro weniger.
({1})
Frau Kollegin, Sie müssen doch bitte einmal zur Kenntnis nehmen, dass wir im Bildungsbereich einen Aufwuchs um 400 Millionen Euro veranschlagt haben.
({2})
- Entschuldigung, 350 Millionen Euro. 400 Millionen
Euro sind es bei der Forschung. Sorry, ich korrigiere
mich hier gerne.
Frau Kollegin Sitte, kommen Sie mir bitte nicht mit
Haushalts- und Fiskalpolitik. Sie haben im Gesamtetat
2010 einen Aufwuchs von 45 Milliarden Euro beantragt.
({3})
Allein für den Einzelplan 30 haben Sie 1,3 Milliarden
Euro mehr beantragt. Das halte ich nicht nur für politisch
fragwürdig, sondern ich halte es auch für unverantwortlich, eine solche Politik auf Kosten der Kinder und Kindeskinder zu machen, Frau Kollegin Sitte.
({4})
- Herr Leutert, ich sage Ihnen nur eines losgelöst von
der Bildungs- und Forschungspolitik: Allein der Zuschuss für den Gesundheitsfonds und die Arbeitslosenversicherung beträgt insgesamt 18 Milliarden Euro.
Dafür verwenden wir Steuermittel, wodurch wir alles
belasten: zum Beispiel Mieten und Pachten und insbesondere die hohen Einkommen, weil 60 Prozent der
Steuern von den 10 Prozent der Steuerpflichtigen gezahlt
werden, die am meisten Steuern bezahlen. Wir erhöhen
eben nicht die Arbeitslosenbeiträge oder die Versicherungsbeiträge, wodurch der kleine Mann belastet würde.
({5})
- Nein, wir machen das ganze Gegenteil. In diesen
80 Milliarden Euro stecken die 18 Milliarden Euro sehr
wohl mit drin.
({6})
Die ganze Gesellschaft hat eine Herausforderung zu
bestehen, und zwar den massiven Rückgang der Zahl der
Geburten und damit den massiven Rückgang der Zahl
der Schulabgänger. In dem Haushalt werden genau hier
Prioritäten gesetzt, obwohl - das sage ich ganz ausdrücklich - Schulpolitik nicht Bundessache ist.
({7})
Der Bund und die Koalitionsfraktionen stellen sich aber
diesen Herausforderungen.
Eine Herausforderung ist unter anderem - das hängt
beides zusammen -, dass im Schnitt 8 Prozent der Schulabgänger - in der Spitze sind es 12,7 Prozent - keinen
Schulabschluss haben. Die durchschnittliche Rate von
Ausbildungsabbrüchen beträgt knapp 22 Prozent; es geht
bis zu 26 Prozent. Gerade im Bildungsbereich müssen Sie
sich die Aufwüchse anschauen.
Herr Kollege Hagemann, es ist jetzt Mitte März. Vor
fünf Monaten wurde die Bundesregierung gebildet. Deswegen bringen wir als Haushälter selbstverständlich
Sperren aus - das ist unser gutes Recht -,
({8})
weil wir fragen wollen, wie effizient die Programme
sind, die es geben wird. Ich denke, dass genau dies die
richtigen Ansätze sind.
Ich nenne zum Beispiel die Stärkung der Leistungsfähigkeit des Bildungswesens mit 95 Millionen Euro, die
Sprachförderung, die außerschulische Bildung, die frühkindliche Bildung, die Gestaltung der neuen Ganztagsschulangebote, lokale Bildungsbündnisse und das Förderprogramm „Lernen vor Ort“. Daneben investieren
wir 370 Millionen Euro in die berufliche Bildung. Wir
wollen die Berufsorientierung nach der 7. Klasse stärken
und fördern, damit es nicht mehr zu so vielen Abbrüchen
kommt. Ich denke, genau dies ist die richtige Politik.
Ein Letztes, das Thema BAföG.
({9})
Entschuldigen Sie einen kleinen Moment, Herr Kollege Rehberg. - Zwischenfragen sind erwünscht, aber
wenn es zu viele werden, dann entsteht ein falscher Eindruck der Debatte.
({0})
Ich frage Sie jetzt noch einmal: Erlauben Sie eine
Zwischenfrage des Kollegen Rossmann?
Nein, ich möchte jetzt zum Schluss kommen.
({0})
Da die Uhr weitergelaufen ist, Herr Präsident, erhöhe ich
meine Redezeit mit Ihrem Einverständnis noch einmal
um 30 Sekunden.
({1})
Ja.
Ganz kurz noch zum BAföG. Da Sie sich als SPD hier
hinstellen und über BAföG-Steigerungen reden, lassen
Sie mich eines noch kurz andeuten: In Ihrer Regierungszeit stieg das BAföG für die Studierenden innerhalb von
sieben Jahren um 34 Euro, unter Ministerin Schavan
stieg es für die Studierenden innerhalb von fünf Jahren
um 108 Euro.
Das heißt, bei uns stimmen Anspruch und Wirklichkeit und bei Ihnen nicht.
Herzlichen Dank.
({0})
Der Kollege Rossmann wünscht jetzt das Wort zu einer Kurzintervention. In Anbetracht der fortgeschrittenen Stunde darf ich Sie aber bitten, in Zukunft auf zu
viele Zwischenfragen und Kurzinterventionen zu verzichten.
({0})
Herr Rossmann, Sie haben das Wort. Bitte.
Herr Präsident, diese Kurzintervention ist darin begründet, dass wir als Opposition aufmerksam zuhören,
wenn etwas gänzlich Neues verkündet wird. Eben war
nämlich die Rede davon, dass es ein neues Ganztagsschulprogramm geben soll. Weil die Ganztagsbetreuung in Deutschland so wichtig ist und wir alle in diesem
Hause wissen, dass sie mit Gerhard Schröder und
Edelgard Bulmahn ihren Anfang genommen hat, die dafür 4 Milliarden Euro bereitgestellt haben, interessiert es
uns natürlich, wenn ein Abgeordneter der hochmächtigen Regierungsfraktion jetzt ein neues Ganztagsschulprogramm ankündigt. Deshalb sind wir ausgesprochen
interessiert daran, zu hören, mit wie vielen Milliarden
Euro Ihr neues Ganztagsschulprogramm ausgestattet ist.
Im Übrigen würde ich in dieser Kurzintervention gern
noch darauf hinweisen, dass immer gesagt wird, es gebe
einen Verzug in Bezug auf innovative Maßnahmen. Ich
möchte die Kollegen der jetzigen Mehrheitsfraktionen
daran erinnern, dass wir schon viel weiter gewesen wären, wenn Sie den Vorstoß, den Gerhard Schröder damals gemacht hat, mitgetragen und ihn nicht dreieinhalb
Jahre blockiert hätten. Dieser sah nämlich vor, 6,6 Milliarden Euro aus der Eigenheimzulage in Innovation für
Bildung und Forschung umzuwidmen. Wenn Sie diese
Mittel freigegeben hätten, wäre das eine gute gemeinsame Bilanz geworden.
({0})
Wir dürfen mit Recht feststellen, dass wir gemeinsam
für das BAföG streiten. Die ganze Wahrheit ist aber,
dass es bei diesem Thema in der Großen Koalition gewiss ein bisschen Gerangel gegeben hat. Wenn aber jemandem das Verdienst gebührt, die BAföG-Reform der
Großen Koalition gegen verschiedene Widerstände am
Ende durchgesetzt zu haben, dann geht der Blumenstrauß an Peter Struck, den damaligen Fraktionsvorsitzenden. Er hat diesen Weg nämlich mit freigemacht. Es
wäre nur ehrlich, dass wir anerkennen, es hat eine Leistung in der Großen Koalition gegeben, und Sie anerkennen: Da hat die SPD und ihr Fraktionsvorsitzender der
Bundesbildungsministerin einen gehörigen Schub gegeben, als es darum ging, sich gegen den Finanzminister
und dessen Kalkulationen durchzusetzen. Diese Ehrlichkeit darf man einfordern, wenn wir einen sachlichen
Aussprachekreis in Bezug auf die Bildung und Forschung in den letzten Jahren und in der Zukunft pflegen
wollen.
Danke schön.
({1})
Ich erteile Herrn Rehberg zur Erwiderung das Wort.
Ich halte mich, wie versprochen, kurz. Zum BAföG:
Herr Kollege, ich bin immer dafür, dass wir unsere Erfolge gemeinsam verkaufen. Ich wende mich aber dagegen, dass man so tut, als ob man in Bezug auf das
BAföG auf einmal den Stein der Weisen erfunden hat,
und anderen vorwirft, nichts oder zu wenig zu tun.
({0})
Wir können beide gern in eine Diskussion über die
Steuerpolitik von Rot-Grün einsteigen. Da fällt mir insbesondere ein Ereignis ein:
({1})
die Steuerreform 2000. Sie haben für die steuerliche Freistellung der Veräußerungsgewinne aus Beteiligungen an
Kapitalgesellschaften gestimmt. Das Minus bei den Einnahmen aus der Körperschaftsteuer betrug 24 Milliarden
Euro. Kumulativ waren das 120 Milliarden Euro. Wenn
Sie das nicht getan hätten, dann hätten Sie in Ihrer rotgrünen Zeit genug Geld gehabt, um mehr für Bildung und
Forschung zu tun.
Herzlichen Dank.
({2})
Das Wort hat der Kollege Michael Leutert von der
Fraktion Die Linke.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Frau Ministerin, der hier vorgelegte Haushalt ist durch
drei Merkmale gekennzeichnet. Erstens: Alte Probleme
werden nicht angegangen. Zweitens: Fehlentwicklungen werden nicht korrigiert. Drittens: Sie verwechseln
Überschriften mit Konzepten.
Zum ersten Punkt: Seit Jahren ist allen das Problem
des Fachkräftemangels bekannt. Lösen kann man es unter anderem durch Weiterbildung. Viele Menschen mit
geringem Einkommen - das gilt insbesondere für die
über 30-Jährigen - können sich die Weiterbildung aber
nicht leisten. Genau aus diesem Grund brauchen wir ein
Erwachsenenbildungsförderungsgesetz: um den Betroffenen finanziell unter die Arme zu greifen.
({0})
Das hat im Übrigen schon 2004 eine unabhängige Expertenkommission der Bundesregierung festgestellt. Sie
hat den exakt gleichen Weg vorgeschlagen. Getan hat
sich vonseiten der Regierung aber nichts. Wir Linken haben wiederholt einen Antrag gestellt, den Sie im Ausschuss aber leider abgelehnt haben.
Ein zweites Beispiel für nicht angegangene alte Probleme ist der Hochschulpakt. Auch hier ist seit langem
bekannt, dass es eine Diskrepanz zwischen ständig steigenden Studierendenzahlen und einer zu geringen Anzahl
an zur Verfügung stehenden Studienplätzen gibt. Darauf
wurde schon im Jahr 2006 durch die Hochschulrektorenkonferenz hingewiesen. Zur Lösung des Problems wurde
ein Mehrbedarf von 2,3 Milliarden Euro - und zwar jährlich - festgestellt. Im vorgelegten Haushalt werden für die
Verbesserung der Studienkapazitäten gerade einmal
250 Millionen Euro eingeplant. Aber auch hier haben Sie
die Möglichkeit, dem Antrag der Linken zuzustimmen.
Zum zweiten Punkt: Fehlentwicklungen, die nicht
korrigiert werden. Seit Jahren weisen wir Linken darauf
hin, dass es notwendig ist - Herr Kollege Rehberg, wir
hatten das Thema gerade -, bei Förderinstrumenten auf
Synergieeffekte zu setzen. Wenn man zum Beispiel beim
Spitzenclusterwettbewerb Forschung und Entwicklung
als Brücke zwischen Wissenschaft und Wirtschaft fördern will, dann sollte auch die Förderung strukturschwacher Regionen als Kernaufgabe enthalten sein. Wenn
dem nicht so ist, gewinnen wirtschaftlich eh schon stark
entwickelte Regionen. Man sieht das, wenn man einen
Blick auf die Liste der Gewinner der zweiten Runde des
Spitzenclusterwettbewerbs wirft: Dort ist kein ostdeutsches Projekt mehr vertreten.
Wir sagen Ihnen deshalb ganz klar: Sie sollten die für
den Spitzenclusterwettbewerb vorgesehenen zusätzlichen Mittel in Höhe von 15 Millionen Euro besser für
die Förderung der Forschung an Fachhochschulen ausgeben. Gerade in strukturschwachen Regionen trägt die
anwendungsnahe Forschung zur Stärkung regionaler
Wirtschaftsstrukturen bei.
({1})
Zum dritten Punkt: Wo sind die Konzepte, die zu den
Titeln gehören? Man muss schon sagen: Respekt! Ich
habe es im Haushaltsausschuss ebenfalls angesprochen:
Die Abteilung Überschriften hat zumindest in quantitativer Hinsicht sehr gut gearbeitet. Es ist die Rede von
Bildungsbündnissen, -allianzen und -pakten, die geschmiedet werden sollen, von Zukunftskonten, Bildungsschecks usw. Die Konzepte dazu haben wir aber
nicht bekommen. Wenn es Vorüberlegungen gibt, lassen
sie nichts Gutes erahnen. Das möchte ich an zwei Beispielen aufzeigen.
Erstens: die lokalen Bildungsbündnisse. Dafür wollten Sie 32 Millionen Euro zur Verfügung stellen. Die
Kollegen aus Ihren Fraktionen haben die Summe in ihren Verhandlungen schon auf 21 Millionen Euro zusammengekürzt. Bis heute habe ich auf meine mehrmaligen
Nachfragen nach den Konzepten keine Antwort bekommen. Herr Kollege Rehberg, Sie hatten so schöne
Schavan-Diagramme dabei; ich habe zwei Schavan-Berichte mitgebracht. Ich habe zum einen eine halbe DINA-4-Seite erhalten. Die Kernaussage steht im letzten
Satz: Derzeit wird ein detailliertes Förderkonzept erarbeitet.
Zweitens: Zukunftskonten. Hier liegt ebenfalls kein
Konzept vor. In diesem Fall habe ich eine Antwort von
nicht einmal einer halben Seite, den zweiten SchavanBericht, erhalten; ich habe ihn mitgebracht. Hier steht,
dass Gelder für die vorbereitenden Aktivitäten zur Entwicklung eingeplant werden sollen.
Hier wird allen Ernstes von uns erwartet, dass wir
Projekten zustimmen, für die es keine Konzepte gibt und
bei denen wir nicht wissen, wohin die Reise gehen soll.
({2})
Frau Ministerin, das, was man den knappen Zeilen
der beiden Blätter entnehmen kann, zeigt allerdings, in
welche Richtung in Ihrem Haus gedacht wird: Letztendlich planen Sie eine weitere Privatisierung der Bildungsvorsorge. Durch den ganzen Haushalt zieht sich
der Gedanke: Wer Bildung will, soll in Zukunft dafür bezahlen. Es ist hier hinlänglich bekannt, dass Sie für Studiengebühren sind.
({3})
Ich halte es aber schon für ein starkes Stück, dass Eltern
jetzt auch noch Bildungskonten für ihre Kinder - ähnlich
der Riester-Rente oder einem Bausparvertrag - anlegen
sollen. Dabei ist völlig ungeklärt: Was passiert eigentlich
mit den Leuten, die nicht sparen können? Was ist mit
den Leuten, die gespart haben, aber in Hartz IV fallen?
Werden die Bildungskonten dann als Vermögen angerechnet und abgezogen? Wie sind da Ihre Vorstellungen?
An anderer Stelle sprechen Sie davon, den Kindern
Schecks für ihre Bildung auszuhändigen. Vielleicht ist
das eine gute Vorbereitung auf Bildungsgutscheine, die
sie später vom Amt erhalten könnten; aber ich glaube,
das kann nicht Sinn und Zweck der Sache sein. Ich
möchte gerne wissen, wer auf die Idee gekommen ist, einem Kind mit einem Scheck zu zeigen, was sein Schicksal der Gemeinschaft wert ist.
Frau Ministerin, das, was Sie hier vorhaben, ist unsozial. Das kann man nur ablehnen; wir Linken werden es
auch ablehnen. Um es zusammenzufassen: Der Haushalt
setzt die falschen Schwerpunkte, ist nicht mit Konzepten
untermauert und enthält stattdessen unsoziale Ideen. Aus
diesen Gründen müssen wir diesen Haushalt ablehnen.
({4})
Das Wort hat die Kollegin Ulrike Flach von der FDPFraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Man kann in diesen Tagen sehr viel über die Koalition und ihre Außendarstellung lesen; man kann auch
sehr viel darüber diskutieren. Eines kann man aber überhaupt nicht sagen: dass wir uns an der wichtigsten Stelle
der deutschen Politik, bei der Stärkung von Bildung und
Forschung, nicht einig sein sollten. Dieser Haushalt steht
sozusagen als Leuchtturmprojekt für genau dieses Ziel.
({0})
Man kann sich natürlich in einzelnen Millionen und
Milliönchen verfangen.
({1})
Fakt ist aber, dass wir in den Koalitionsverhandlungen
ein Plus von 12 Milliarden Euro ausgehandelt haben.
({2})
Das unterscheidet uns beträchtlich von Ihnen. Lieber
Herr Hagemann, Ihnen ist das nie gelungen.
({3})
Dieses Plus von 12 Milliarden Euro macht sich im Haushalt natürlich auch entsprechend bemerkbar; das ist doch
gar keine Frage.
Herr Rehberg hat bereits auf die 700 Millionen Euro
zusätzlich in diesem Jahr hingewiesen - plus Verpflichtungsermächtigung! Wir Haushälter wissen, wie schwierig es ist, beim BMF Verpflichtungsermächtigungen
durchzusetzen. Herr Hagemann, ich schätze Sie ja sehr,
aber ich muss Sie doch einmal fragen: Wie kommen Sie
auf die verwegene Idee, dass wir wegen einer Landtagswahl ein solch großes Projekt gefährden würden?
({4})
Es geht um ein Plus-Projekt, lieber Herr Hagemann, das
selbstverständlich umgesetzt wird. Dafür stehen wir.
({5})
Warum sollten wir plötzlich auf die wirklich verwegene
Idee kommen, zusätzliche Investitionen in Bildung und
Forschung nach einer Landtagswahl zurückzunehmen?
Bei aller Liebe und bei der Vorliebe der SPD im Augenblick zur Rumklopferei: Halten Sie uns für fahrlässig?
({6})
Das ist ein sehr ernstes Projekt. Jeder, der mich kennt
- ich bin seit zehn Jahren im Bundestag -, weiß, wie
sehr ich für Bildung und Forschung stehe und wie stolz
wir darauf sind, dass wir das umsetzen. Sie haben mein
Wort dafür, dass dies so sein wird.
({7})
- Ja, auch das Wort des Finanzministers.
Wir haben hier eine Variante. In diesem Haushalt ist
es zum ersten Mal so, dass das BMBF Mittel für FuE für
andere Ministerien verteilen soll. Herr Rehberg und ich
haben uns sehr intensiv dafür eingesetzt:
({8})
Wir sind stringent dafür, dass das in Zukunft direkt bei
den anderen Ministerien angesiedelt wird, und zwar mit
dem strikten Vermerk, den wir dem Finanzministerium
erst abringen mussten, dass das ausschließlich für FuE
eingesetzt wird, also nicht für Schreibmaschinen, nicht
für Kaffeemaschinen und sonst etwas, sondern für Sachen, die wir in die Zukunft dieses Landes investieren
wollen.
({9})
- Liebe Kollegen, ich habe einfach eine gewisse Sympathie für Sie. So ist das.
({10})
Lassen Sie mich aber etwas zu einem Punkt sagen,
der mir schon Sorgen bereitet, über den wir seit vielen
Jahren diskutieren und von dem Sie wissen, dass die Bildungspolitiker der FDP zu Teilen - nicht alle - immer
der Meinung waren, dass es ein Fehler war: das Kooperationsverbot. Mein Hauptbemühen in den nächsten
Monaten wird darauf liegen, gemeinsam mit Herrn
Rehberg sicherzustellen, dass wir diese zusätzlichen
Mittel auch wirklich in den Ländern anlanden können,
({11})
und zwar trotz des Fehlers, den Sie gemeinsam mit der
CDU/CSU begangen haben.
({12})
Das ist des Mutes unserer Bildungsministerin wert, die
an dieser Stelle bekanntlich über ihren Schatten springen
muss. Das tut sie aber. Für uns ist wirklich entscheidend,
dass wir das zusätzliche Geld in den Ländern anlanden
können. Das ist gut für unsere Kinder, und dafür steht
diese Koalition.
({13})
Wir als Haushälter haben noch eine weitere Erblast
von Ihnen übernommen, nämlich den wunderbaren europäischen Windkanal. Herr Hagemann, Sie haben uns
damals gefragt: Setzt ihr das jetzt wirklich um? Ich habe
Ihr Scheitern in dieser Hinsicht noch gut in Erinnerung.
Uns ist es gelungen. Wir setzen es um. Wir setzen es hin
zum Wirtschaftsministerium. Dahin gehört es nämlich,
weil es um Raum- und Luftfahrt geht.
({14})
Wir werden natürlich sehr stringent auf das Wirtschaftsministerium schauen; denn dort gibt es eine ganze
Reihe von ähnlichen Projekten. Wir werden darauf
schauen, dass das effizient eingesetzt wird. Wir werden
darauf schauen, dass die Wirtschaft an dieser Stelle Geld
ins System gibt, was die FDP seit vielen Jahren fordert.
Lieber Herr Hagemann, das ist Ihnen nie gelungen. Sie
haben immer nur gesagt: Die Wirtschaft profitiert davon. Nie haben Sie zusätzliches Geld hereinbekommen. Das
ist aber unser Ziel, und wir sind jetzt den ersten Schritt
gegangen.
({15})
Frau Kollegin Flach, erlauben Sie eine Zwischenfrage
des Kollegen Hagemann?
Natürlich.
({0})
Bitte, Herr Hagemann.
Frau Kollegin Flach, Sie haben richtig gesagt, dass
wir uns da bemüht haben. Sind Sie bereit, auch mitzuteilen, dass Sie eine kräftige Morgengabe, ein Hochzeitsgeschenk, nämlich 800 000 Euro, mitgegeben haben, damit
die Zuständigkeit für den Windkanal von einem Ministerium zum anderen wechseln kann?
Lieber Herr Hagemann, Sie machen jetzt Wind.
({0})
Wenn der Windkanal im Wirtschaftsministerium ordnungsgemäß angesiedelt wird, dann ist sicherlich ein Investitionszuschuss notwendig. Das wissen Sie genauso
gut wie ich. Natürlich mangelt es beim Windkanal an Investitionen. Das BMBF hat es nicht leisten können. Im
BMWi werden wir nun dafür sorgen, dass es passiert.
({1})
- So ähnlich.
Unter dem Strich sind sich die Haushälter der Koalition mit diesem Haushalt der Verantwortung für die Zukunft dieses Landes voll bewusst. Ich will bei dieser Gelegenheit auf das BAföG verweisen. Ich habe genauso
wie Herr Rossmann und die meisten anderen noch erlebt, dass Frau Bulmahn mit ihrem Korbmodell scheiterte. Ich bin froh und glücklich, dass es jetzt offensichtlich mit der Mehrheit dieses Hauses gelingt, das BAföG
auf solidere Beine zu stellen. Ich kann Ihnen für die FDP
sagen, dass das wahrscheinlich noch nicht das Ende vom
Lied ist; denn es kommt darauf an, dass wir Menschen
unterstützen, die sich sonst keine Bildung leisten können. Dazu gehört zwingend das zweite Bein, nämlich
Stipendien. Ich will genauso wie beim letzten Mal an
dieser Stelle darauf verweisen, welch ein erfolgreiches
Modell wir hier auf den Weg bringen.
({2})
Da Sie so gerne nach den Prozenten fragen: Die neueste Prozentzahl für NRW besagt, dass 37 Prozent der
Geförderten aus bildungsfernen Schichten kommen und
einen Migrationshintergrund haben. Lieber Herr
Rossmann, was wollen Sie eigentlich noch mehr?
({3})
- Noch mehr? Das ist ja toll. Wir sind gerne bereit, noch
mehr zu tun. Aber Ihre Modelle haben null Prozent gebracht.
({4})
Wir bringen hier ein Modell auf den Weg, welches
dazu führen wird, dass auch bildungsferne Schichten
Bildung bekommen. Das ist nach rund zehn Jahren SPDRegierung auch dringend notwendig.
({5})
Wir werden uns in den nächsten Monaten auf ausdrücklichen Wunsch der Gesundheitspolitiker mit dem
Fakt befassen, dass der Hochschulpakt offensichtlich
dazu tendiert, Studienplätze nicht im teuren, sondern im
preisgünstigen Bereich in den Ländern zu fördern. Ich
bitte Sie hier um Ihre Unterstützung;
({6})
denn wir brauchen Ärzte in diesem Land. Ich bin fest
davon überzeugt, dass wir hier gemeinsam etwas auf den
Weg bringen müssen. Nordrhein-Westfalen hat einen
Vorschlag gemacht. Ich bitte Sie alle, sich in Ihren Ländern diesen Vorschlag anzuschauen und darüber nachzu2934
denken, wie wir gemeinsam die medizinische Versorgung in diesem Land verbessern können.
({7})
Lassen Sie es uns anpacken, Herr Gehring. Das wird helfen.
({8})
Das Wort hat die Kollegin Krista Sager von
Bündnis 90/Die Grünen.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Bundesregierung hat angekündigt, sich mit 40 Prozent an der
Deckung der Finanzierungslücke beim Zehn-ProzentZiel im Bereich Forschung und Bildung zu beteiligen.
Schauen wir uns die Entwicklung genau an. Als Erstes
wird in Kumpanei von Bund und Ländern die Finanzierungslücke schöngerechnet. Sie wird um ungefähr
10 Milliarden auf 13 Milliarden Euro heruntergerechnet.
Das bedeutet für den Bund eine Reduzierung seiner Verpflichtungen um 4 Milliarden Euro bis 2015. Das ist
nicht gerade wenig. Sie können die Finanzierungslücke
zwar schönrechnen, aber die Probleme im Bildungssystem werden dadurch nicht geringer.
({0})
Die Geldlücke korrespondiert leider mit ganz konkreten
Defiziten bei der Kinderbetreuung an den Hochschulen.
Durch Rechentricks verschwindet kein einziges Defizit.
({1})
Wenn aber 85 Prozent der öffentlichen Bildungsausgaben von Ländern und Gemeinden geleistet werden,
dann ist es von zentraler Bedeutung, ob das Geld, das
der Bund mehr ausgeben will, überhaupt dort ankommt,
wo die Hauptprobleme in unserem Bildungssystem bestehen.
Herr Rehberg, Sie haben hier schlicht die Unwahrheit
gesagt. Das Ganztagsschulprogramm von Rot-Grün läuft
aus, und es gibt keine Fortsetzung.
({2})
Was findet stattdessen statt? Die Bundesministerin denkt
sich stattdessen ein teures Begabtenförderungsprogramm aus,
({3})
das an den Hauptproblemen vorbeigeht, will aber, dass
die Länder dieses mitfinanzieren.
({4})
Das heißt, dass die Länder noch weniger Geld zur Verfügung haben, um die eigentlichen Hauptprobleme im Bildungssystem zu bearbeiten. Sie schließen hier nicht eine
Lücke, sondern Sie schaffen zusätzliche Probleme. So
sieht es nämlich aus.
({5})
Jetzt haben Sie - das konnte man heute in den Zeitungen lesen - angekündigt, Sie wollten die Steuerreform
doch ganz schnell vorziehen und auf den Weg bringen.
Diese Ankündigung ist ein direkter Anschlag auf die Bildungspolitik in den Ländern und Gemeinden.
({6})
Wir alle wissen doch, wie es in den Haushalten der Länder und Gemeinden aussieht. Es ist die Rede von 10 bis
20 Milliarden Euro Mindereinnahmen durch diese Steuerreform. Frau Flach, ich frage Sie: Wo ist denn da das
Leuchtturmprojekt für die Bildung? Sie reißen eine riesige Lücke und sagen dann, dass Sie sich am Lückenschluss beteiligen. Das kann doch wohl kein Leuchtturmprojekt sein.
({7})
Die Konstruktionen, mit denen Sie versuchen, die Barrieren zu umschiffen, die Sie sich mit der Föderalismusreform selber aufgebaut haben, sind inzwischen nur
noch peinlich und an Abenteuerlichkeit kaum noch zu
überbieten,
({8})
ob das das Konjunkturprogramm oder Ihre Bildungsbündnisse vor Ort sind. Inzwischen sind ganze Heerscharen von Beamten in Bund und Ländern nur noch
damit beschäftigt, zu klären, wie man Verfassungsprobleme löst, statt damit, wie man die Probleme in der Bildung löst. Das ist wirklich absurd.
({9})
Jetzt wird es interessant: Frau Schavan - das hat man
jetzt lesen können -, Sie haben sich in der Frage der gesamtstaatlichen Verantwortung für die Bildung gewissermaßen von der Saula zur Paula gewandelt.
({10})
Dass Sie irgendwann merken, dass Sie als Bundesministerin nicht die ganze Zeit mit Ihrer baden-württembergischen Landesbrille herumrennen können, war abzusehen;
({11})
denn schließlich kann man nicht jahrelang als Bundesbildungsministerin erklären, dass man für die Hauptprobleme im Bildungssystem keinerlei Zuständigkeit hat.
Wir alle machen Fehler. Leider ist es aber so, dass Herr
Müntefering und Herr Stoiber - das sind nämlich die
Hauptverantwortlichen gewesen - sich mit dem Grundgesetz eine ziemlich schlechte Spielwiese zum Begehen
von Fehlern ausgesucht haben, weil man die Fehler leider nur schwer rückgängig machen kann.
({12})
Interessant finde ich schon, dass Sie, Frau Schavan, Ihre
Revision in dem Moment besonders laut verkünden, da
Sie mit der FDP in einem Boot sitzen, wobei die Liberalen die Allerletzten sein werden, die kapieren, dass der
Föderalismus und der Wettbewerb nicht alle Probleme in
diesem Land lösen.
({13})
Frau Flach, Sie sind offensichtlich die Einzige in diesem
Saal, die nicht mitbekommen hat, dass die FDP als Allererstes gegen diesen Meinungswandel von Frau
Schavan protestiert hat.
({14})
Frau Schavan, Sie haben jetzt drei Dinge erreicht: Sie
haben sich erstens aus der öffentlichen Schusslinie gebracht, Sie haben zweitens sicher die Mehrheit der Bevölkerung in dieser Frage auf Ihrer Seite, und Sie haben
drittens erreicht, dass die FDP als die Blöde dasteht.
({15})
In dieser Hinsicht haben Sie eines mit der Bundeskanzlerin gemeinsam. Sie haben bewiesen, dass Sie intelligenter und wendiger als Ihr Koalitionspartner sind. Aber wo
ist die Lösung des Problems? Sagen Sie nicht nur, dass
Sie etwas dazugelernt haben, sondern ergreifen Sie eine
ernst zu nehmende politische Initiative, um an die Lösung dieses Problems heranzugehen! Das ist für die Bildung in diesem Staat dringend erforderlich.
({16})
Das Wort hat die Bundesministerin Dr. Annette
Schavan.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine Damen und Herren! Derzeit findet in Köln Europas größte Bildungsmesse, die didacta, statt. Wer sich
das Programm mit vielen Veranstaltungen über fünf
Tage ansieht, der weiß, dass Deutschland für viele, auch
aus benachbarten Ländern, ein attraktiver Standort geworden ist, um über Perspektiven in Bildung und Wissenschaft zu diskutieren.
Für diejenigen, die da ausstellen, diskutieren und präsentieren, ist es ein ermutigendes Signal, dass diese Bundesregierung der Bildung und der Wissenschaft Priorität
einräumt. Der Haushalt 2010 ist ein deutliches, starkes
Signal an alle in Deutschland, die in Bildung und Bildungspolitik engagiert sind.
({0})
Das bezieht sich auf die Summen. Herr Hagemann,
ich musste eben schon ein bisschen schmunzeln. Ich bin
gar nicht geneigt, über die letzten vier Jahre zu schimpfen, auch wenn ich von Ihnen immer wieder kritisiert
werde.
({1})
Da bin ich fast gezwungen, irgendwie zu antworten und
zu sagen: Es war doch nicht alles Mist! Ich finde eigentlich, das ist den Menschen gegenüber irgendwie blöd;
sie verstehen uns nicht.
Zu Ihrem Beispiel mit der mittelfristigen Finanzplanung: Eine solche Planung haben wir doch in den letzten vier Jahren nie gehabt.
({2})
Es gab jedes Jahr das Theater, dass all das, was im Haushalt des Vorjahres veranschlagt worden war, im darauffolgenden Haushalt nur fortgeschrieben wurde. Es
musste jedes Mal beim Punkt null angefangen werden.
Jedes Mal hat der Finanzminister einen blauen Brief an
die Bildungsministerin geschrieben - er ging natürlich
zeitgleich an die Presse -, um deutlich zu machen, dass
diese Ministerin wieder viel zu viel fordert. Dieses Theater ist in dieser Legislaturperiode erstmals beendet.
({3})
Ja, es ist beendet. - Dieser Haushalt soll in der mittelfristigen Finanzplanung um 12 Milliarden Euro aufwachsen. Der Finanzminister hat vor Beginn der Verhandlungen über den Haushalt 2010 ganz deutlich gemacht, dass
zeitnah die ersten 750 Millionen Euro und im nächsten
Jahr die nächsten 750 Millionen Euro zur Verfügung stehen. Durch dieses Aufwachsen wird der Haushalt jetzt
einen Gesamtumfang von 12 Milliarden Euro erreichen.
({4})
- Ich verstehe, dass Sie neidisch sind. Wie Sie wissen,
hat er es genau so gesagt. Das ist der große Unterschied
zu vorher. Bleiben Sie doch einfach ein bisschen näher
an der Wahrheit. Das dient eher der Glaubwürdigkeit in
der Öffentlichkeit.
({5})
Die Überzeugungskraft dieses Haushalts hat aber
nicht nur etwas mit seinem Aufwuchs zu tun - durch ihn
sind wir übrigens international ebenfalls in einer interessanten Position; die Wirtschaftskrise hat in vielen Bereichen zugeschlagen; viele sagen, Deutschland gehe den
richtigen Weg, da es an den Vorhaben festhalte, die Priorität hätten -, sondern auch mit den Konzepten, die dahinterstehen. Wir beteiligen uns so konsequent wie nie
zuvor an der Umgestaltung und Weiterentwicklung der
frühkindlichen Bildung. Ob das die Bildungshäuser
sind, ob das das Haus der kleinen Forscher ist, ob das Erzieherinnenfortbildungen sind, ob das flächendeckende
Sprachförderungen sind: So konkret war es nie. Da Politik mit dem Betrachten der Wirklichkeit beginnt, rate ich
Ihnen, sich die konkreten Fortschritte vor Ort anzuschauen. Viele Partner machen mit. Die frühkindliche
Bildung bei uns wird sich in einer Schnelligkeit wie nie
zuvor entwickeln.
({6})
Wir arbeiten an lokalen Bündnissen für mehr Bildungsgerechtigkeit. Ich kann gut verstehen, dass man einer Bildungsministerin, die zehn Jahre Kultusministerin
war, diese zehn Jahre und das damit verbundene Selbstbewusstsein immer wieder einmal in Erinnerung ruft;
das finde ich in Ordnung. Ich stehe nämlich dazu. Ich
habe nicht für das Kooperationsverbot gesorgt.
({7})
Sie werden keinen einzigen Satz von mir finden, mit
dem ich zum Ausdruck gebracht habe: Föderalismus
heißt Kooperationsverbot. Föderalismus heißt: Jeder
muss wissen, wofür er Verantwortung trägt; keiner kann
seine Verantwortung an einen anderen abgeben; es gibt
nach der Verfassung eine klare Aufgabenverteilung. Wir
sollten an der für moderne föderale Systeme kennzeichnenden klaren Verteilung von Verantwortung festhalten;
denn es macht überhaupt keinen Sinn, wenn der Bund
für die Finanzierung aufkommt, wenn die Länder dies
nicht mehr leisten können. Wenn dies geschieht, kann
das Ziel von 10 Prozent nicht erreicht werden. Stattdessen kommt es dann zu einer Verschiebung und zum Ausschluss einer zentralen politischen Ebene.
({8})
Deshalb habe ich mich in diesem Sinne ausgedrückt. Ich
werde für ein realistisches Vorgehen werben.
Ich weiß genau, wie es weitergeht: Die parlamentarische Opposition wird mich irgendwann mit einem Antrag dazu auffordern, zu sagen, ob ich meine Ankündigung einhalte. Dieses wunderbare Spiel können wir gern
spielen; das machen wir auch.
({9})
- Das ist in Teilen ein Spiel. Sie wissen genau, dass wir
jetzt die Zeit nutzen.
({10})
- Wie hieß der Kovorsitzende? Fragen Sie einmal den
rheinland-pfälzischen Ministerpräsidenten! Er hat mir
noch vor einigen Wochen gesagt, er werde sich nach der
Verabschiedung des Ganztagsschulprogramms kein
zweites Mal in sein Land hineinregieren lassen. Das
Ganztagsschulprogramm sei der Sündenfall gewesen, so
lautete die Argumentation aus der SPD. Also tun Sie
nicht so scheinheilig!
({11})
Ich glaube, dass wir in unserem Koalitionsvertrag
deutlich gemacht haben, dass es eine Menge Dinge gibt,
die wir gemeinsam tun können und auch gemeinsam tun
werden.
({12})
Das bezieht sich aber nicht allein auf die Projekte im
Koalitionsvertrag, sondern dazu gehören auch die großen Pakte. Hierzu muss ich einmal sagen: Über Jahre,
wenn nicht Jahrzehnte, wurde darüber geredet, dass die
Lehre ein Stiefkinddasein an den deutschen Universitäten friste.
({13})
- Und, was haben Sie gemacht?
({14})
- Auf den Satz habe ich gewartet. Dazu kann ich nur sagen: Eine Ministerin setzt entweder ein Projekt so um,
dass es nicht beim Bundesverfassungsgericht landet,
oder sie setzt sich nicht durch.
Jetzt liegt der erste Vorschlag auf dem Tisch, die
Säule „Hochschulpakt“ als dritte Säule zu verankern.
({15})
Es gibt den Vorschlag zu einer Säule, die ausschließlich
auf die Lehre konzentriert ist. Die Verhandlungen mit
den Ländern laufen wunderbar. Wir werden erstmals in
der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland nicht
nur viel Bundesgeld in die Forschung investieren, sondern viel Geld, nämlich genauso hohe Milliardenbeträge
wie für die schon bestehende Exzellenzinitiative, für die
Lehre in die Hand nehmen. Das sind unsere starken Signale auch an die Studierenden.
({16})
Zum BAföG ist schon viel gesagt worden. Wir erhöhen es und modernisieren es. Ich erinnere mich noch gut
an die Debatte, als hier an meinem Platz Peer Steinbrück
gestanden hat und vor allen Dingen an die Adresse seiner eigenen Fraktion gerichtet erklärt hat, dass er doch
zugeben müsse, dass es Frau Schavan war, die die
BAföG-Erhöhung gewollt habe.
({17})
- Weil Sie Druck gemacht haben auf Ihren Finanzminister? Na gut, das ist eine neue Variante. Die Variante ist
klasse: SPD macht Druck auf Steinbrück, und dann
kommt das, was die Bildungsministerin immer schon
wollte. So war das bei der Lehre, genauso war das beim
BAföG!
({18})
Die BAföG-Erhöhung ist, wie Frau Flach eben gesagt
hat, ein wichtiges Instrument der Grundsicherung. Deshalb wird es kontinuierlich weiterentwickelt. Wir werden nicht sieben oder acht Jahre lang nichts tun und keinerlei Anpassungen an die Lebenshaltungskosten
vornehmen, und erst recht werden wir, wenn wir das
BAföG erhöhen, nicht das machen, was Sie während Ihrer Regierungszeit gemacht haben: Sie haben nämlich
das Geld, das Sie für die BAföG-Erhöhung benötigt haben, den Studenten an anderer Stelle wieder weggenommen.
({19})
Wir werden die Hightech-Strategie auf die Bereiche
Gesundheit, Klima und Energie, Mobilitätssicherheit
und Kommunikation konzentrieren. Wir werden sie auch
nach Europa tragen. Ich glaube, es ist ein ganz zentraler
Punkt, dass wir unsere forschungspolitischen Erfahrungen in die Europäische Union einbringen. Das Gleiche,
was für Deutschland gilt, gilt nämlich auch dort: Wir
brauchen insgesamt mehr Investitionen in die Forschung. Wir müssen Unternehmen in diesem Sinne mobilisieren. Das Gleiche gilt auch für die Zusammenarbeit
zwischen Wissenschaft und Wirtschaft.
Wir sind verlässliche Partner der Hochschulen und
der Forschungsorganisationen in den neuen Ländern.
Ich weiß, warum Sie das nicht wahrnehmen; denn nur
wer in die neuen Länder fährt, mit Rektoren und Verantwortlichen in unseren Forschungsinstituten spricht, der
bekommt das mit und erfährt, dass Kontinuität in der
Förderung und bei den Konzepten viel bewirkt. Deshalb
werden wir mit großer Konsequenz bei all dem, was die
neuen Länder und den Pakt für Forschung und Innovation angeht, weitermachen. Damit entstehen genau die
Leuchttürme, die in den strukturschwachen Regionen
notwendig sind.
({20})
Wir stärken nicht nur die Allianzen zwischen Wissenschaft und Wirtschaft, den Spitzencluster-Wettbewerb
und die Innovationsallianzen, sondern wir arbeiten
auch - das steht ebenfalls im Koalitionsvertrag - daran,
wie wir steuerliche Anreize für Investitionen unserer
Unternehmen in Forschung und Entwicklung schaffen
können. Das ist auch ein völlig neues Instrument, das es
bislang in Deutschland nicht gegeben hat. Auch damit
werden wir den Forschungsstandort Deutschland stärken.
({21})
Nachdem wir über zehn Jahre lang über die Abwanderung von Spitzenforschern diskutiert haben, kommt
jetzt schon die zweite Runde an Spitzenforschern über
Humboldt-Professuren nach Deutschland. Sehen Sie
sich einmal die Listen an: Das sind absolute Spitzentypen aus allen Regionen der Welt. Dafür ist viel investiert
worden. Ich glaube, das ist eine Investition, durch die
Menschen nach Deutschland geholt werden, die im Übrigen auch für unsere Studierenden und für unsere Hochschulen interessant sind. Wir holen nämlich die Besten
nach Deutschland, weil wir immer wieder neue Akzente
brauchen.Wir wollen, dass dieses Land eine Talentschmiede ist. Wir haben schon manches erreicht und
werden genau auf diesem Weg weitergehen.
Wenn Sie sich ewig über Eliten- und Begabtenförderung aufregen - ich habe überhaupt nicht verstanden,
welchen Zusammenhang Sie eben zwischen Schluss mit
Ganztagsschulen und Begabtenförderung herstellen
wollten -, dann kann ich nur sagen: Ich stehe zur Talentförderung. Ich stehe zu Spitzenforschern. Ich bin der
Meinung: Wer sich um die Spitze nicht kümmert, der
wird auch dauerhaft die Breite nicht mehr mit Bildung
und Wissenschaft erreichen.
({22})
Wir bauen die Internationalisierung unserer Bildungsund Forschungspolitik konsequent aus.
({23})
Wenn wir eine solche Debatte führen, dann sollten wir
über den eigenen Tellerrand hinausschauen und auch die
Verantwortung wahrnehmen, Herr Hagemann, die über
Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und SchleswigHolstein hinausgeht. Die Internationalisierung, die sich
auf die Schwellen- und Entwicklungsländer bezieht, ist
für uns ein Schwerpunkt. Auch hierzu finden Sie in diesem Haushalt erste Ansätze.
({24})
- Ich kürze nicht, sondern wir verstärken.
Was die Ganztagsschulen angeht - Herr Rehberg hat
es angesprochen -, ist der Wunsch
({25})
der über 7 000 erfüllt worden, Herr Hagemann. Wir werden, wenn die Phase des Bauens zu Ende geht, den
Schulen in jedem Land die Servicestelle zur Verfügung
stellen, die Schulentwicklung ermöglicht und begleitet.
Das sind nicht Milliarden, sondern Millionen; aber auch
das ist eine richtige Antwort auf Schulentwicklung in
Deutschland und ein Beispiel für Zusammenarbeit.
Ich danke den Mitgliedern des Haushaltsausschusses
und den Regierungsfraktionen dafür, dass ein solcher
Haushalt entstehen konnte, dessen Wachstumsrate höher
ist als die Wachstumsrate des Bundeshaushaltes. Das ist
ein gutes Zeichen und ein starkes Signal.
Herzlichen Dank.
({26})
Das Wort hat jetzt die Kollegin Dagmar Ziegler von
der SPD-Fraktion.
({0})
Vielen Dank, Herr Präsident! Meine sehr geehrten
Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Vielleicht können wir uns in dieser Debatte wenigstens
auf eines einigen: Alle Bildungspolitikerinnen und -politiker in diesem Haus eint die Überzeugung, mit ihrer Arbeit etwas für die Zukunft unseres Landes zu leisten.
Bildung hat eine Schlüsselfunktion für die Lebenschancen der Menschen und auch für den Wohlstand von morgen.
({0})
Dass wir uns trotzdem in der Bildungspolitik immer
wieder streiten müssen, liegt daran, dass man in zentralen Grundsatzfragen ganz unterschiedlicher Überzeugung sein kann: Sehe ich Bildung als öffentliches Gut
an, oder sehe ich es mehr als Privatangelegenheit an?
Möchte ich die Chancengleichheit verbessern oder aber
bestimmte Gruppen bevorzugen? Das sind Grundsatzfragen, auf die Union und FDP andere Antworten geben als
die Sozialdemokratie.
Das Ergebnis ist - wie in fast allen anderen Politikfeldern auch - eine schwarz-gelbe Klientelpolitik, die die
Bildungschancen privatisiert, die Zukunft der Menschen
deren Herkunft überlässt und die enormen sozialen
Ungleichheiten in der Bildung verfestigt,
({1})
statt Bildungspolitik am Ziel gleicher Chancen auf beste
Bildung für alle auszurichten.
({2})
Herr Leutert hat die Stichworte heute schon genannt:
Studiengebühren, Stipendien, Bildungssparkonten, Betreuungsgeld. Weil aber auch Schwarz-Gelb weiß, dass
eine solche Politik schnell als sozial kalt erkannt werden
könnte, wird das „Hauptgericht“ der Bildungsprivatisierung mit ein bisschen Sozialsymbolik und Fürsorgerhetorik garniert, in der Hoffnung, dass die Menschen
nicht merken, was ihnen da tatsächlich serviert werden
soll. Außerdem ist die Bildungspolitik der schwarz-gelben Bundesregierung bislang über Ankündigungen
nicht hinausgekommen. Ihre Gestaltungskraft erschöpft
sich in ganzen Ketten von Ankündigungen - manchmal
sogar falscher -, etwas tun zu wollen, ohne dass sie
konkret sagen würde, was. Bildungssparen, lokale Bündnisse, Ausbildungsschirm, Weiterbildungsallianzen, Bologna-Mobilitätspaket - statt diese Vorhaben und Projekte hier zur Debatte zu stellen, finden sich nur
marketingoptimierte Überschriften und Etiketten.
({3})
Wir hätten unsere Rede fast gemeinsam schreiben können.
({4})
- Genau.
({5})
Meine Damen und Herren, mit dem gescheiterten
Bildungsgipfel vom Dezember letzten Jahres ist der Bildung mindestens ein halbes Jahr verloren gegangen.
({6})
Jetzt richten sich die Erwartungen auf das nächste Treffen der Kanzlerin mit den Ministerpräsidenten im Juni.
Liebe Ministerin, es wird höchste Zeit, dass Sie liefern
und wir hier im Bundestag endlich einmal wieder über
konkrete Vorschläge der Bundesregierung diskutieren
können.
({7})
Ich habe die Befürchtung, dass beim dritten Bildungsgipfel einmal mehr über Finanztransferwege gestritten,
aber wieder nicht über Bildung geredet wird. Dabei
glaube ich, dass der Bildungsgipfel 2010 nach den beiden glücklosen Anläufen 2008 und 2009 tatsächlich eine
echte Chance bieten könnte: für substanzielle Schritte,
für mehr Chancengleichheit und für substanzielle Vereinbarungen zur Bekämpfung von Bildungsarmut.
Das Bundesverfassungsgericht hat uns die Bekämpfung von Bildungsarmut als Auftrag gegeben. Heute
gab es von der Ministerin kein Wort dazu. Eigenständige
Kinderregelsätze, die die gleiche Teilhabe an Bildung
für alle Kinder und Jugendlichen auf der materiellen
Seite absichern, sind die eine Seite der Medaille. Die andere Seite lautet: Stärkung der Bildungsinfrastruktur.
({8})
Nun hat auch die Bundesbildungsministerin das Wort
Bildungsarmut neuerdings in ihren Wortschatz aufgenommen. Mir ist aber noch nicht klar geworden, was
sich eigentlich hinter ihren „Bildungsbündnissen“ verbergen soll. Auch dazu hat sie keine Ausführungen gemacht. Sehr wohl ist mir aber klar, was die Bundesregierung machen müsste, wenn sie es mit der Bekämpfung
von Bildungsarmut ernst meinen würde: Sie müsste alles
daransetzen, gemeinsam mit den Ländern eine verbindliche nationale Initiative zur Stärkung und Verbesserung
der Bildungsinfrastruktur zu vereinbaren.
({9})
Konkret müsste das bedeuten: Erstens. Verbindliche
Vereinbarungen für den weiteren Ausbau und einheitliche Qualitätsstandards in der frühkindlichen Bildung.
({10})
Zweitens. Verbindliche Vereinbarungen für den flächendeckenden Ausbau der Ganztagsschulangebote. Drittens.
Verbindliche Vereinbarungen für eine bessere Personalausstattung von Kitas, Kindergärten und Schulen.
({11})
Viertens. Verbindliche Vereinbarungen für eine Fachkräfteoffensive bei Erzieherinnen und Erziehern. Fünftens. Verbindliche Vereinbarungen für Gebührenfreiheit
von Anfang an.
({12})
Und schließlich: Verbindliche Vereinbarungen für ein
kostenloses warmes Mittagessen in allen Kitas und
Schulen, für Lehrmittelfreiheit und kostenlosen Förderunterricht überall und für flächendeckende Schulsozialarbeit.
({13})
Wenn Sie diese Schwerpunkte setzen würden - mit
dem Fokus auf starke Institutionen und funktionierende
Infrastrukturen, abgesichert durch Rechtsansprüche -,
dann hätten Sie unseren ehrlichen Respekt und unsere
volle Unterstützung. Sie brauchen nur den politischen
Gestaltungswillen und den richtigen Ansatz.
({14})
Eine letzte Bemerkung zum Stichwort Symbolpolitik. Politik sollte nicht nur lernfähig, sondern immer
auch glaubwürdig sein. Wenn Frau Schavan neuerdings
beim Thema Bildungsföderalismus mit der Forderung,
das schon so oft zitierte Kooperationsverbot aufzuheben,
Lernfähigkeit unter Beweis stellen möchte, dann kann
das nur glaubwürdig sein, wenn sie diesem Haus einen
entsprechenden Gesetzentwurf für eine Grundgesetzänderung vorlegt.
({15})
Wenn Sie, Frau Ministerin, das nicht tun, werden wir es
tun.
Vielen Dank.
({16})
Das Wort hat jetzt der Kollege Patrick Meinhardt von
der FDP-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!
Bildung ist die soziale Frage des 21. Jahrhunderts. Gerade weil dies so ist, gerade weil wir Bildungsarmut in
diesem Land wirksam bekämpfen müssen und gerade
weil die Schaffung von mehr Bildungsgerechtigkeit die
Perspektive dieser Regierung der Mitte ist, werden wir
in den kommenden vier Jahren 12 Milliarden Euro mehr
in die Hand nehmen. Dies ist ein historisches Wachstum
für den Bildungsbereich. Dies ist die Botschaft dieser
Bundesregierung: Wir werden in Deutschland für mehr
Bildungsgerechtigkeit sorgen.
({0})
Der von der Regierung der Mitte eingebrachte Bundeshaushalt ist ein deutliches Zeichen des Aufbruchs,
ein deutliches Zeichen der Modernisierung unseres Landes. Mit einem Plus von 750 Millionen Euro, einer Steigerung von 56 Prozent bei der Begabtenförderung, von
69 Prozent bei der Modernisierung und Stärkung der beruflichen Bildung, von 54 Prozent beim lebenslangen
Lernen setzen wir ein glasklares Zeichen: Bildung und
Forschung haben für uns oberste Priorität.
({1})
Mit diesen Maßnahmen schlägt die Bundesregierung
der Mitte ein neues Kapitel für eine moderne Bildungsund Forschungspolitik auf. Um eines sehr deutlich zu sagen: Der Unterschied zwischen Ihrer Bildungspolitik,
meine Damen und Herren auf der linken Seite dieses
Hauses, und unserer Bildungspolitik ist in erster Linie
eine Frage der Geisteshaltung.
({2})
Wir wollen kreative Kräfte in unseren Kindergärten,
Schulen und Hochschulen freisetzen und fördern. Sie
wollen Dirigismus und bürokratische Hürden.
({3})
Wir wollen faire Möglichkeiten für öffentliche und freie
Schulen und Hochschulen, während Sie immer noch an
Ihren staatsgläubigen Konzepten aus dem 19. Jahrhundert festhalten.
({4})
Wir wollen Selbstverantwortung und Chancengleichheit
am Start an den Bildungseinrichtungen in Deutschland.
Sie wollen Leistung bestrafen und neue Hürden aufbauen.
({5})
Kurz: Sie glauben immer noch an zentrale Steuerung.
Wir setzen auf individuelle Förderung und die Vielfalt
der Bildungswege; das ist auch der richtige Weg.
({6})
Bei der Forschung legen wir dynamisch zu. Der gerade veröffentlichte Europäische Innovationsanzeiger
spricht eine ganz klare Sprache. Deutschland zählt neben
den skandinavischen Ländern und Großbritannien zu
den innovativsten Ländern in der EU. Im internationalen
Standortwettbewerb ist es für uns Deutsche außerordentlich wichtig, alle verfügbaren Kräfte zu mobilisieren.
Deswegen wollen wir den Forschern bereits in diesem
Jahr ermöglichen, ihre Forschungsergebnisse auf eine
mögliche spätere Anwendung hin zu untersuchen. Sie
sollen in die Lage versetzt werden, den nächsten Schritt
zu gehen, nachdem sie ihre eigentlichen Entdeckungen
in der Grundlagenforschung abgeschlossen haben. Daher werden wir noch in diesem Jahr - das ist, wie Sie gesehen haben, im Haushalt verankert - das Instrument der
Validierungsförderung als eigenständige Förderlinie einführen. Das ist ein enorm wichtiger Ansatz in der Forschungspolitik.
({7})
An dieser Stelle möchte ich auch auf die neue Hightech-Strategie der Regierung der Mitte zu sprechen
kommen. Ein Beispiel für das Neue ist das Instrument
der Innovationsallianzen, in denen bei Forschung und
Entwicklung Wirtschaft und Wissenschaft bei bestimmten anwendungsnahen Themen zusammenarbeiten. Genau so muss es gehen.
({8})
Konkret schlägt sich das bereits im Nationalen Entwicklungsplan Elektromobilität nieder. Wir wollen die
Forschung und Entwicklung, die Marktvorbereitung und
die Markteinführung von rein elektrisch angetriebenen
Fahrzeugen voranbringen. Jetzt werden wir die Entwicklung verstetigen und dem Technologiefortschritt anpassen. An vielen Stellen dieser Wertschöpfungskette gibt
es noch erheblichen FuE-Bedarf, Optimierungsbedarf
und Vernetzungsbedarf. Auch dabei haben wir uns in
dieser Koalition gemeinsam auf einen erfolgreichen Weg
gemacht.
({9})
Ich bin mit dem Tempo dieser Regierung bei Bildung und Forschung sehr zufrieden. Erst haben wir die
Bildungsprämie auf 500 Euro verdreifacht. Fragen Sie
vor Ort in Ihren Wahlkreisen nach. Jetzt haben wir eine
deutlich attraktivere Höhe. Diese Entscheidung war
goldrichtig.
({10})
Dann kommt die BAföG-Modernisierung mit der Erhöhung der Freibeträge und Bedarfssätze, dem Ende für die
Altersgrenze von 30 Jahren bei der Masterförderung und
für die Benachteiligung bei einem Fachrichtungswechsel, mit einer besseren Anerkennung von Kinderbetreuungszeiten, einem Abbau von Bürokratie, einer Vereinfachung des Verfahrens und der klaren Ansage, alle zwei
Jahre eine Anpassung vorzunehmen. Das bedeutet in
vier Jahren circa 1,6 Milliarden Euro mehr. Das ist ein
wirkliches Aufwuchsprogramm für die Studierenden in
der Bundesrepublik Deutschland.
({11})
Im gleichen Atemzug werden wir eine unglaubliche
Ungerechtigkeit in diesem Land beenden. 98,1 Prozent
der Studierenden wird die Chance auf ein Stipendium
vorenthalten. Das ist durch und durch unsozial. Wir wollen die Rate der Stipendien verfünffachen und damit
endlich die rote Laterne bei der Begabungsförderung abgeben, damit in diesem Land wieder mehr Bildungsgerechtigkeit bei der Talentförderung herrscht.
({12})
Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren, verehrte Kolleginnen und Kollegen, wir glauben an
die Menschen in unserem Land, an ihre Talente, an ihre
Kreativität und an ihre Leistungsbereitschaft. Wir wollen
den Menschen mit diesem Haushalt ein Zeichen geben:
Macht was aus euch. Wir investieren in eure Köpfe.
Denn wir trauen euch was zu.
Vielen herzlichen Dank.
({13})
Das Wort hat die Kollegin Dr. Rosemarie Hein von
der Fraktion Die Linke.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
10 Prozent des Bruttoinlandsproduktes sollen in der
Bundesrepublik Deutschland künftig für Bildung und
Forschung ausgegeben werden. Das scheint ein ehrgeiziges Ziel zu sein; denn Deutschland liegt hier immer noch
unter dem OECD-Durchschnitt. Gleichzeitig wird landauf, landab die große Abhängigkeit des Bildungszuganges von der sozialen Herkunft beklagt, was offensichtlich auch die Bundesbildungsministerin umtreibt. Darum
begründet sie einen Großteil der Finanzposten im Bildungshaushalt - wie mein Kollege Vorredner auch - mit
der Absicht, einen Nachteilsausgleich für die Schwächeren leisten zu wollen, um soziale Gerechtigkeit herzustellen.
Doch bleiben wir zunächst bei den Zahlen: 10 Prozent
im Bundesdurchschnitt. Man wolle den Ländern helfen
- so war zu lesen und zu hören -, dieses Ziel ebenfalls
zu erreichen. Schon diese Formulierung macht deutlich,
worum es geht: Nicht der Bund will zahlen, sondern die
Länder sollen zahlen.
Zur Illustration möchte ich Ihnen drei Zahlen nennen:
11, 23 und 3. Nein, meine Damen und Herren von der
FDP, das ist nicht das neue Steuerkonzept der Linken
({0})
- das würde Sie wundern, mich auch -, sondern das sind
die Bildungsanteile in den aktuellen Haushalten von
Bund, Ländern und Kommunen. Mehr als 11 Prozent
wendet meine Heimatstadt Magdeburg in diesem Jahr
für die Bildungsfinanzierung auf, und zwar ohne Kinderbetreuung, über 23 Prozent das Land Sachsen-Anhalt,
aus dem ich komme, und gerade einmal 3 Prozent stehen
im Bundeshaushalt zur Verfügung.
Der Haushalt des BMBF umfasst knapp 11 Milliarden Euro. Allein für das geplante Steuersenkungspaket will die Bundesregierung ab 2011 mehr als das Doppelte ausgeben. Oder: Für die Bildung will der Bund
jährlich im Durchschnitt 3 Milliarden Euro mehr ausgeben, achtmal so hoch sollen die Steuergeschenke ab
2011 ausfallen. Man darf gespannt sein, in welcher Größenordnung dieses Steuerpaket, das Sie bereits angekündigt haben, ausfallen wird. Wie wäre es damit: Lassen
Sie es einfach. Geben Sie dieses Geld in die auskömmliche Finanzierung von Bildung.
({1})
Das wären zusammen 27 Milliarden Euro mehr pro Jahr,
und damit würden wir den nötigen Zielzahlen ein gutes
Stück näherkommen.
({2})
Wer 3 Milliarden Euro zusätzlich in die Bildung investieren will, aber Steuergeschenke in Höhe von
24 Milliarden Euro macht und dann noch behauptet wie Sie eben, Herr Meinhardt -, dass mit dem Haushalt
den sozialen Ungerechtigkeiten im Bildungssystem entgegengewirkt werden soll,
({3})
der hat offensichtlich ein komisches Verständnis von sozialer Gerechtigkeit.
({4})
Sie haben die 1,3 Milliarden Euro, die wir beantragt haben, kritisiert. Dabei waren wir noch bescheiden gewesen. Aber auch 11 Milliarden Euro sind ja nicht nichts.
Man kann auch damit Vernünftiges tun.
Schauen wir uns die Details an: Für den Nachteilsausgleich ist der Bundesregierung etwas Seltsames eingefallen: ein nationales Stipendienprogramm.
({5})
Herr Meinhardt hat eben darüber gesprochen. Das hört
sich zunächst gut an. Ein Leistungsstipendium soll es
sein, ganz nach dem Motto: Leistung muss sich wieder
lohnen.
({6})
- Sie klatschen an der falschen Stelle. - Die Chance, ein
Leistungsstipendium zu erhalten, haben nur diejenigen,
die die Hürde genommen haben, ein Studium finanzieren zu können; aber daran scheitern viele in diesem
Land. Dort liegt die soziale Ungerechtigkeit.
({7})
Was glauben Sie, wie es Jugendlichen aus Hartz-IVFamilien oder aus Familien mit geringem Einkommen
gelingen soll, ein Studium zu finanzieren? Von einem
Leistungsstipendium haben nur diejenigen etwas, deren
Eltern so viel verdienen, dass sie das Studium finanzieren können, oder diejenigen, die nur wenig jobben müssen, um sich ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Denen
kann ein Leistungsstipendium vielleicht helfen, aber
nicht denen, die es wirklich nötig haben.
({8})
Das Programm des Bundes wirkt fast wie eine Gelddruckmaschine; denn der Bund finanziert das Stipendium mit einem Anteil von nur 75 Euro - das entspricht
einem Viertel -, weitere 75 Euro sollen von den Ländern
kommen und die Hälfte aus privater Hand. Für den Bund
nenne ich das eine ordentliche Rendite, praktisch gesehen ist es aber ein weiterer Einstieg in die Privatisierung
der Bildungskosten. Die Mittel für dieses Programm wären besser im BAföG-System für Schülerinnen und
Schüler sowie Studierende aufgehoben; denn darauf gibt
es wenigstens einen Rechtsanspruch.
({9})
Doch an das BAföG gehen Sie sehr vorsichtig heran. Bis
heute gibt es kein auskömmliches Angebot. Man darf
gespannt sein, was Sie noch vorlegen werden. Wir brauchen die Aufstockung der Beträge, die Erweiterung des
Kreises der Anspruchsberechtigten und die Beendigung
der Rückzahlungspflicht. Das wäre ein wirklicher Nachteilsausgleich. Das Stipendienprogramm ist es nicht.
({10})
Nehmen wir den Bereich der beruflichen Bildung,
den die Bundesministerin gern als das Flaggschiff des
deutschen Bildungswesens bezeichnet. Dafür gibt es sogar noch Bundeszuständigkeiten. Wir werden Anfang
April den Berufsbildungsbericht erhalten. Der wird uns
den Spiegel vorhalten: Immer noch sind es 1,5 Millionen
junger Menschen zwischen 20 und 30 Jahren, die keine
abgeschlossene Berufsausbildung haben. Wir werden
wohl erstmals mit Zahlen über die Bugwelle konfrontiert
werden, also mit der Zahl jener Jugendlichen, die sich in
Schulen weiter in Warteschleifen befinden und gar nicht
erst einen Ausbildungsplatz erhalten. Ihre Projekte dort
wirken wie eine Notfallambulanz: Übergangsmaßnahmen, am Mangel wird herumgedoktert, eine konjunkturunabhängige Ausbildungsfinanzierung steht nicht zur
Debatte.
Ganz peinlich wird es, wenn man auf die Felder
schaut, bei denen die Bundesregierung überhaupt keine
Kompetenzen hat. Gegen die lokalen Bildungsbündnisse
ist eigentlich nichts zu sagen, wenn es um die Öffnung
von Schule geht; aber Sie wollen leistungsschwache
Kinder und Jugendliche stärker fördern. Förderunterricht
wollen Sie anbieten. Aber individuelle Förderung ist ein
Auftrag an die Schule und nicht an zusätzliche private
Anbieter. Wenn Sie auf diesem Gebiet etwas tun wollen,
muss das Geld in die Schulen fließen.
Das Ganztagsschulprogramm ist auch ein Problem.
Jetzt planen Sie 6,3 Millionen Euro ein. Was wollen Sie
damit eigentlich finanzieren? Für Besichtigungsreisen
wird es wahrscheinlich reichen, für mehr aber nicht.
Ich bleibe dabei: Das Kooperationsverbot war der
schwerste bildungspolitische Fehler in der jüngeren Geschichte. Darum, Frau Schavan: Nutzen Sie einfach den
Antrag der Linken, der in der nächsten Sitzungswoche
im Plenum behandelt wird. Legen Sie einen entsprechenden Gesetzentwurf vor. Wir wollen für alle drei
Ebenen - Bund, Länder und Kommunen - die gleiche
Verantwortung bei der Finanzierung. Mit „11, 23 und 3“
muss Schluss sein. Wir wollen eine Gemeinschaftsauf2942
gabe Bildung, und die kann nur in gleicher Verantwortung finanziert werden. Dafür treten wir ein. Das, was
Sie leisten, reicht bei weitem nicht aus.
({11})
Das Wort hat der Kollege Kai Gehring vom
Bündnis 90/Die Grünen.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Frau Schavan, ich möchte direkt auf Ihre Rede reagieren,
weil ich finde, dass das, was Sie hier zur Föderalismusreform vorgetragen haben, so nicht stehen bleiben kann.
Das war Geschichtsklitterung. Das waren Halbwahrheiten. Das kann man Ihnen nicht durchgehen lassen.
({0})
Sie waren damals für das Kooperationsverbot. Dazu
gibt es Äußerungen von Ihnen. Zum Beispiel im Ausschuss und auch öffentlich haben Sie sich dazu geäußert.
({1})
Dazu sollten Sie stehen und nicht einfach das Gegenteil
vorgaukeln. Das wäre dann eine Stärke von Ihnen. Dann
könnte man sagen: Von Saula zur Paula. Lasst uns gemeinsam etwas machen und dieses unsinnige Kooperationsverbot wieder aufheben.
({2})
Sie haben es doch dem damaligen Einsatz von Opposition und SPD zu verdanken, dass Sie nicht Ihr halbes
Ministerium schließen mussten; dann wären Sie nur
noch Forschungsministerin. Ohne uns und ohne die Aufweichung des Kooperationsverbotes im Wissenschaftsbereich gäbe es doch heute gar keinen Hochschulpakt.
({3})
Das ist auf unserem Mist gewachsen. Ich finde, Sie sollten einen Vorschlag vorlegen, das konkret ändern und
dieses Kooperationsverbot aufheben. Dann kann man einen gesamtstaatlichen Bildungsaufbruch auch wirklich
organisieren.
({4})
Ich finde es schon witzig, dass Sie landauf, landab mit
der rosaroten Brille der Ministerin herumlaufen und
überall „12 Milliarden Euro für Bildung“ promoten. Dabei stehen im Haushalt 2010 lediglich 700 Millionen Euro, und das auch noch als ungedeckte Schecks, da
sie mit Sperrvermerken und Ländervorbehalten versehen
sind. Allein deshalb muss man fragen: Wie wollen Sie
das eigentlich über die Dauer einer Legislaturperiode
hinbekommen? Dazu kann man nur sagen: Die schwarzgelbe Bildungsrepublik bleibt offensichtlich eine Fata
Morgana.
({5})
Was für den Haushalt 2010 gilt, wird beim Haushalt
2011 noch viel schlimmer: Wir haben eine explodierende Schuldenlast. Sie haben eine nie da gewesene Rekordneuverschuldung beschlossen. Es gibt eine Schuldenbremse, die Sie einhalten müssen. Also müssen Sie
ab dem nächsten Jahr um mindestens 10 Milliarden Euro
pro Jahr kürzen. Dann gibt es noch den Steuersenkungsfetischismus der FDP. Wie wollen Sie vor diesem Hintergrund das 12-Milliarden-Euro-Ziel erreichen? Eine
Antwort darauf fände ich sehr interessant.
({6})
Wir Grüne haben verschiedene Finanzierungsvorschläge gemacht. Bei einem hoffe ich immer noch, dass
er irgendwann aufgegriffen wird: beim Bildungssoli. Mit
dem Bildungssoli ließe sich ein gesamtstaatlicher Bildungsaufbruch organisieren.
Geld ist das eine; das andere ist die Prioritätensetzung. Wir sagen ganz klar: Wir brauchen einen Aufstieg
durch Bildung statt einer blockierten Gesellschaft. Wir
brauchen ein gerechtes Bildungssystem statt des weit
verbreiteten Schubladendenkens. Wir brauchen mehr
Akademiker und keinen immer größeren Fachkräftemangel. Diese Prioritäten setzen Sie von Schwarz-Gelb
leider überhaupt nicht, sondern Sie stellen die Weichen
falsch. Ein Beispiel dafür ist die Studienfinanzierung.
Sie veranschlagen 300 Millionen Euro öffentliche Mittel
für ein nationales Stipendienprogramm, das aus unserer
Sicht weiterhin ungeeignet ist, deutlich mehr junge Menschen für ein Studium zu gewinnen. Das ist die falsche
Priorität.
({7})
Wenn Sie für mehr Bildungsgerechtigkeit sorgen wollen,
sollten Sie stattdessen Ihre Sparstrumpfnovelle beim
BAföG aufbessern und es um mindestens 5 Prozent erhöhen. Dann wäre der Bildungsgerechtigkeit viel mehr
Genüge getan als mit dem Stipendienprogramm.
({8})
Die zentralen Projekte, die Sie ansprechen, sind unausgegoren und unterfinanziert.
({9})
Ich nenne zwei Beispiele dafür. Was genau steckt im Bologna-Qualitätspaket, das Sie nach zwei Bildungsstreiks
angekündigt haben?
({10})
Wie wollen Sie die Studienbedingungen und die Qualität
der Lehre tatsächlich verbessern? Wie viel Geld legen
Sie auf den Tisch? Sind auch die Länder bereit, Geld in
die Hand zu nehmen? Es reicht an so einer Stelle nicht,
Ankündigungsministerin zu bleiben und durch die Presselandschaft zu stolzieren. Hierbei ist vielmehr ein ganz
konkretes Konzept gefordert, das Sie dem Bundestag
vorlegen müssen.
({11})
Das zweite Beispiel ist der Hochschulpakt. Es müssen dringend mehr Studienplätze aufgebaut werden; aber
der Studienplatzaufbau verläuft schleppend. Die Zwischenbilanz ist alarmierend. Man muss nur einmal nach
Nordrhein-Westfalen schauen.
({12})
Gerade die schwarz-gelb regierten Länder müssen hier
in die Puschen kommen. Absolutes Schlusslicht ist
NRW.
({13})
Dort müssen noch 15 000 Studienplätze aufgebaut werden. Dort hat man bisher nur 40 Prozent der zwischen
Bund und Ländern verabredeten Zielzahl erreicht. Das
ist ein Armutszeugnis.
({14})
Dort ist Alarmstufe gelb angesagt. Man kann das nicht
als Erfolgsmeldung bezeichnen. An den Universitäten in
NRW sind sogar 7 000 Studienplätze abgebaut worden.
Das ist eine schlechte Bilanz. Das zeigt, dass der
Hochschulpakt I weit hinter den Erwartungen zurückbleibt und dass Worte und Taten massiv auseinanderklaffen.
({15})
Wenn Sie eine dritte Säule im Hochschulpakt schaffen wollen, finden wir das erst einmal vielversprechend;
denn wir haben hier vor drei Jahren Anträge gestellt, die
ähnliche Vorschläge enthielten, wie man die Lehre deutlich stärken und verbessern kann. Ich hoffe, dass das
ernst gemeint ist und nicht die schwarz-gelb regierten
Bundesländer vor der Blamage bewahren soll, dass sie
keine Studienplätze aufbauen. Diese Säule muss ein
Meilenstein und eine echte Qualitätsoffensive für die
Lehre werden; das ist uns wichtig. Wir wollen einen echten Pakt für die Studierenden, der deutlich mehr Studienplätze, gute Studien- und Lehrbedingungen, eine bessere
Studienfinanzierung und einen Abbau der Zugangshürden vorsieht. Auf dem nationalen Bologna-Gipfel im
Mai und auf dem Bildungsgipfel im Juni dieses Jahres
- Sie gipfeln ja jetzt wieder ganz viel
Kommen Sie bitte zum Schluss.
({0})
- müssen Sie verbindliche Beschlüsse fassen, statt
uns weiterhin halbherzige Ansätze zu präsentieren. An
den Ergebnissen Ihrer Gipfel werden wir Sie messen.
Danke.
({0})
Das Wort hat der Kollege Albert Rupprecht von der
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen!
Wir erleben derzeit unter Ministerin Schavan eine historische Aufholjagd der deutschen Forschung zurück an
die Weltspitze. Das Herzstück ist die Hightech-Strategie.
Die institutionelle Förderung und die Projektförderung
befinden sich auf sehr hohem Niveau. Bei den Spitzenclustern setzen wir europaweit Maßstäbe.
Deutschland ist Weltspitze bei der medizinischen Forschung. Deutsche Forscher sind auf dem Weg, die Alzheimer-Krankheit früher zu erkennen und zu behandeln.
Deutsche Forscher sind auf dem Weg, neue Verfahren im
Kampf gegen Krebs zu finden. Das sind nur zwei Beispiele von vielen, die zeigen: Wir sind Weltspitze, und
Forschung kommt auch bei den Menschen an.
({0})
Ich glaube, wir alle wären gut beraten, diese Leistungen
stärker hervorzuheben und den Menschen Hoffnungen
zu machen, statt das Wertvolle durch Kleinkrämerei und
irrationale Technikfeindlichkeit schlechtzureden.
({1})
Wir sind Weltspitze in der Bildungsforschung, in der
optischen Forschung, der Klimaforschung, der Umweltforschung, der Agrarforschung, der biochemischen Forschung und der Materialforschung, um nur einige Bereiche zu nennen.
({2})
Die von Ministerin Schavan ins Leben gerufene Exzellenzinitiative hat an den Hochschulen - das wurde in mehreren entsprechenden Untersuchungen dokumentiert nachweislich einen Motivationsschub ausgelöst.
({3})
Das Fördersystem der DFG ist absolute Weltspitze und
hat Weltruf.
All das ist nicht vom Himmel gefallen, sondern
wurde, auch von der Bundespolitik, hart erarbeitet.
Albert Rupprecht ({4})
({5})
Das ist eine außerordentliche Leistung von Ministerin
Schavan.
({6})
Man muss schon ein ziemlicher Kleingeist sein, um all
das zu unterschlagen, wie es die Opposition in dieser
Haushaltsdebatte tut.
Klar ist: Man muss Spitzenleistung, Exzellenz und
Elite auch wollen. Wir wollen Spitzenleistungen,
({7})
weil wir der festen Überzeugung sind, dass wir den
Schwachen nur dann helfen können, wenn sich die Starken entfalten und einen großen Beitrag zur Solidargemeinschaft leisten können.
({8})
- Das geht auch nicht auf Kosten der Schwachen, sondern wir müssen alle Gruppen der Gesellschaft, Starke
und Schwache, stärken und stabilisieren.
({9})
Das geht aber nicht, indem wir alle gleichmachen und
die Starken schwächen.
({10})
Sehr geehrte Damen und Herren, es gibt - das gehört
zur Klarheit und Wahrheit dazu - noch eine große
Schwachstelle:
({11})
die Umsetzung dieser Spitzenforschung in neue Unternehmen und neue Produkte. Das ist in den nächsten Monaten die große Aufgabe der christlich-liberalen Koalition.
Wir werden in den nächsten Monaten wichtige Maßnahmen, die beschlossen und im Koalitionsvertrag festgeschrieben wurden, in Angriff nehmen:
Erstens. Wir schaffen einen attraktiven Wagniskapitalmarkt.
Zweitens. Wir werden in den nächsten Wochen einen
Vorschlag zur steuerlichen Forschungsförderung vorlegen.
Drittens. Es kann nicht sein, dass die Fraunhofer- und
Max-Planck-Institute großartige Ideen für neue Produkte
in der Schublade verschwinden lassen, weil es ihnen zu
oft verboten ist, junge Unternehmen zur Vermarktung zu
gründen.
({12})
Deswegen müssen wir auch im Bereich der Wissenschaftsfreiheit neue Wege gehen. Die Wissenschaft
braucht mehr Freiheit.
({13})
Viertens. Wissenschaftler müssen schneller erkennen, ob ihre Forschungsergebnisse marktfähig sind. Deswegen wird die Ministerin in den nächsten Tagen als
neue Maßnahme die Validierungsförderung vorstellen.
({14})
All diese Maßnahmen sind ein historisch einzigartiger
Kraftakt. Im Haushalt für das Jahr 2005, also unter RotGrün, waren für Bildung und Forschung 7 Milliarden
Euro veranschlagt. Im Haushalt für Bildung und Forschung für das Jahr 2010 sind es beinahe 11 Milliarden
Euro. Das ist eine Steigerung um 57 Prozent.
Was für den Bereich der Forschung gilt, gilt auch für
die Bildung. Ihr Vorwurf, die Regierung mache hier zu
wenig, ist absurd. Der Hochschulpakt war richtig und
wichtig. Jetzt kommen neue Maßnahmen hinzu: der
Qualitätspakt Lehre, die BAföG-Erhöhung, lokale Bildungsbündnisse, die Weiterentwicklung des Ausbildungspaktes und vieles andere mehr.
Die Bundeskanzlerin hat den Ländern angeboten
- das ist absolut außergewöhnlich -, 40 Prozent der Kosten der Maßnahmen, die auf dem Bildungsgipfel beschlossen werden, zu tragen, und das, obwohl der Bund
nur 8 Prozent der Bildungskosten zu tragen hätte, da dies
eigentlich in der Zuständigkeit der Länder liegt.
Das ist ein Angebot an die Kinder dieses Landes, das
ist ein Angebot an Eltern und Lehrer, aber das ist auch
ein Angebot an die Ministerpräsidenten. Von den SPDMinisterpräsidenten höre ich bis dato aber herzlich wenig. Sie äußern sich weder zu den Inhalten noch geben
sie die Zusage, dass auch sie die notwendigen Landesmittel zur Verfügung stellen, damit wir das 7-ProzentZiel erreichen.
({15})
Wenn der SPD die Bildung so wichtig ist, dann ist der
Bildungsgipfel der Tag der Bewährung. Am 10. Juni
kommt es zum Schwur. Die christlich-liberale Regierung
will die Bildungsrepublik Deutschland. Unser Angebot
steht. Jetzt ist die SPD gefragt, jetzt sind ihre Ministerpräsidenten am Zuge.
Herzlichen Dank.
({16})
Das Wort hat der Kollege Swen Schulz von der SPDFraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Im Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und FDP steht in der Einleitung zum Bildungskapitel Folgendes:
Wir wollen mehr Chancengerechtigkeit am Start,
Durchlässigkeit und faire Aufstiegschancen für alle
ermöglichen. Wir wollen Deutschland zur Bildungsrepublik machen, mit den besten Kindertagesstätten, den besten Schulen und Berufsschulen
sowie den besten Hochschulen und Forschungseinrichtungen.
({0})
Was da im Koalitionsvertrag von CDU, CSU und FDP
steht, ist ein großartiges Ziel.
Die Frage ist aber: Was passiert konkret? Uns liegt
der erste Haushalt dieser Regierungskoalition vor. Der
Haushalt ist ein Gradmesser dafür, was tatsächlich passiert. Der Haushalt ist das Buch der Wahrheit. Wenn man
sich den Haushalt genau anschaut, muss man feststellen:
Die großen Worte, die im Koalitionsvertrag stehen, sind
reine Lippenbekenntnisse, nichts Konkretes steckt dahinter.
Natürlich stehen im Haushalt auch ein paar gute
Dinge.
({1})
- Sie bauen durchaus auf der richtigen Politik von RotGrün und der Großen Koalition auf; das will ich der
Fairness halber sagen.
({2})
Aber die Frage ist doch: Was macht die neue Regierungskoalition an eigener Politik?
Schauen wir uns den Bereich der Hochschulen an:
Frau Schavan hat eine große Initiative für eine bessere
Lehre angekündigt, und zwar 2 Milliarden Euro über einen Zeitraum von zehn Jahren. Doch was steht in diesem
Haushalt? Kümmerliche 2 Millionen Euro. Unseren Antrag, diesen Titel aufzustocken, hat die Regierungskoalition abgelehnt. Das war also nicht gerade ein Glanzstück
der Regierungskoalition.
({3})
Oder nehmen wir das BAföG: Wir haben eine starke
Ausweitung des BAföGs beantragt. Die Regierungskoalition hat das abgelehnt, sie will nur eine kleine, moderate Anpassung vornehmen, und für die möchte sie sich
auch noch feiern lassen. Da Herr Rehberg, Frau Schavan
und Frau Flach in dieser Debatte behauptet haben, im
Vergleich zu Rot-Grün würden sie auf großartige Weise
mit dem BAföG umgehen, will ich daran erinnern, wie
das mit dem BAföG war: Unter der Regierung Kohl
- CDU, CSU, FDP, mit dem zuständigen Minister
Rüttgers - wurde das BAföG kurz und klein gehauen.
({4})
Rot-Grün - wir - mussten das BAföG erst mühsam wieder aufbauen, und das in einer Situation, in der uns die
Bundesratsmehrheit von CDU/CSU und FDP jeden erdenklichen Knüppel zwischen die Beine geworfen hat.
In der Großen Koalition musste die SPD das BAföG gegen anfänglichen Widerstand von Frau Schavan und der
CDU/CSU sichern und konnte erst spät eine Verbesserung des BAföGs durchsetzen. Meine sehr verehrten Damen und Herren von der Regierungskoalition, ich finde,
Sie sollten beim Thema BAföG ganz ruhig sein, statt
sich hier aufzuspielen.
({5})
Wir freuen uns, wenn wir einen Erkenntnisgewinn beobachten können wie bei dem, was Sie jetzt beim
BAföG planen; das ist wenigstens etwas. Leider gibt es
Themen, über die Frau Schavan zwar viel redet, für die
sie aber nichts tut. Beispiel Schule: Sie wollen jetzt die
Grundschulen unterstützen, insbesondere Grundschulen
in sozialen Brennpunkten. Das ist ein sehr diskutabler
Ansatz. Sie brauchen dafür aber eine Änderung des
Grundgesetzes. Wenn man das, was Frau Schavan in der
Öffentlichkeit gesagt hat, ernst nehmen darf, sind Sie inzwischen dazu bereit. Aber wo bleibt die konkrete Initiative, wo wird das, was Sie sagen, handfest? Frau
Schavan, Sie sind Bundesministerin, und Sie sind auch
Abgeordnete. Ergreifen Sie die Initiative und machen
Sie einen konkreten Antrag! Ich mache Ihnen einen Vorschlag: Lassen Sie uns gemeinsam Butter bei die Fische
geben, lassen Sie uns gemeinsam hier im Deutschen
Bundestag einen Gesetzentwurf zur Abschaffung des
Kooperationsverbotes einbringen! Ich werde Sie anschreiben und Ihnen das entsprechend vorschlagen.
Dann wollen wir einmal sehen, ob Sie es ernst meinen,
liebe Frau Schavan.
({6})
Dann gibt es Themen, Frau Schavan, zu denen Sie
sich, obwohl diese Themen bildungspolitisch wichtig
sind, nicht einmal äußern, etwa zur Frage des Betreuungsgeldes. Das ist für viele Kinder, die in schwierigen
familiären Verhältnissen leben, eine Maßnahme zur Verhinderung von Bildung. Frau Schavan, ich behaupte, Sie
sind klug genug, um das zu wissen. Trotzdem schweigen
Sie zu diesem Thema. Aber den Grundschülern helfen
wollen! Dabei müssen Förderung und Unterstützung vor
der Schule einsetzen. Das blenden Sie aus. Hier verletzen Sie Ihre Pflicht als Bildungsministerin, Frau
Schavan.
({7})
Nun zur Finanzsituation der Länder und Kommunen.
Diese sind ja nun hauptsächlich für die Bildung zuständig. Sie brauchen dringend Geld für eine bessere Bildung, aber die Regierungskoalition haut den Ländern
und Kommunen mit einer verantwortungslosen Steuer2946
Swen Schulz ({8})
politik finanziell die Beine weg. Sie sind nicht mehr in
der Lage, eine vernünftige Bildungspolitik zu machen.
Wir wollen das ändern; wir stehen dagegen auf. Aber
wo sind Sie, Frau Schavan? Wo sind Sie bei dieser bildungspolitisch so wichtigen Frage? Immer dann, wenn
es wirklich ernst und hart wird, tauchen Sie ab, Frau
Schavan. Das ist einer Bildungsministerin nicht würdig.
({9})
Meine sehr geehrten Damen und Herren von der Regierungskoalition, Sie ruhen sich auf den Erfolgen, die
Sie gemeinsam mit der SPD errungen haben, aus. Sie
verabreichen noch ein paar Beruhigungspillen, finden
salbungsvolle Worte oder ducken sich ganz weg, aber eines machen Sie nicht: die Probleme tatsächlich anpacken. Das wird klar, wenn man in den Haushalt sieht.
Das sind die Fakten. Darum können Sie nicht herumreden.
Wir von der SPD wollen keine Klientelpolitik machen, so wie Sie es tun, sondern wir wollen gute Bildung
für alle. Dafür haben wir entsprechende Änderungsanträge zum Haushalt gestellt. Diese haben Sie abgelehnt.
Deswegen ist dieser Haushalt nicht zustimmungsfähig.
Herzlichen Dank.
({10})
Das Wort hat der Kollege Michael Kretschmer von
der CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Was bleibt
am Ende dieser Debatte? Es bleiben viel Gutes, eine
positive Bilanz und traurige, reflexhafte Kritik der Opposition. Das ist schade, weil Sie damit den Blick auf ein
wirklich großartiges Ergebnis verstellen, das seine Ursache und seine Begründung natürlich in dieser Koalition
hat.
({0})
Letzten Endes ist das das Ergebnis einer Zusammenarbeit über viele Jahre. Viele Ideen - auch von Kollegen,
die nicht der Regierung angehören - sind hier eingeflossen. Es ist schade, dass Sie darüber den Stab brechen.
Das spricht nicht für Sie.
({1})
CDU/CSU und FDP sind es gewöhnt, dicke Bretter zu
bohren.
({2})
Das ist gerade im Bereich der Bildung und der Forschung notwendig, wenn man erfolgreich sein will. Wir
haben einen Aufwuchs von 3 Milliarden Euro in nur fünf
Jahren durchsetzen können. Das ist eine gewaltige Zahl.
Wir planen weitere Projekte. Dazu gehört das Wissenschaftsfreiheitsgesetz.
({3})
Es ist uns in der vergangenen Legislaturperiode gelungen, vieles in diesem Bereich zu bewegen; aber wir wollen noch mehr. Unser Standort soll noch attraktiver werden. Das geht nur, wenn man gemeinsam - Bund und
Länder - in den Facharbeitsgruppen zusammenarbeitet.
Ich erinnere mich: Als ich zum ersten Mal Mitglied
des Deutschen Bundestages war - damals regierte RotGrün -, gab es Befristungsregeln und den DudenhausenErlass. Diese Zeiten sind längst vorbei. Die Hochschulen
und die Forschungseinrichtungen atmen auf. Das ist das
Ergebnis einer Politik, die auf Leistung setzt und den
Hochschulen und Forschungseinrichtungen Freiheit gibt.
({4})
- Herr Hagemann, ich finde es sehr traurig, dass Sie das
alles immer nur kritisieren. Natürlich haben viele Kollegen mitgewirkt. Ich bin bereit, das zuzugestehen, weil
ich mich über die Fachdiskussion freue. Ich kann Sie nur
einladen, auch in Zukunft mitzuarbeiten, zum Beispiel
am Stipendienprogramm.
Wir haben gesagt: In diesem Land gibt es keine Stipendienkultur. - Wir haben das über viele Jahre, vielleicht sogar Jahrzehnte, gemeinsam kritisiert. Jetzt macht diese
Regierung einen wirklich großartigen Vorschlag, nämlich ein Stipendienprogramm für einen großen Teil der
Studierenden.
({5})
Insgesamt 10 Prozent wollen wir erreichen. Ich glaube,
man sollte das gut finden und mit daran arbeiten, dass
am Ende tatsächlich 10 Prozent der jungen Leute ein Stipendium erhalten können.
Sie sollten nicht den Stab darüber brechen und nicht
sagen - denn es stimmt nicht -, dass Menschen aus sozial schwachen Familien keine Chance haben. Im Gegenteil: Es gibt in diesen Familien einen unglaublichen
Leistungswillen. Wir wollen hoffen, dass viele von ihnen
ein solches Stipendium bekommen.
({6})
Wir haben die zweite Phase der Exzellenzinitiative
gestartet. Wir sagen ganz klar: Es kann nicht sein, dass
eine Spitzenuniversität nicht auch in der Lehre spitze ist.
Deswegen wird es diese dritte Säule, die die Bundesministerin angekündigt hat, geben. 200 Millionen Euro pro
Jahr für mehr Qualität in der Lehre sind eine klare Ansage und ein deutliches Zeichen.
({7})
Das BAföG wurde angesprochen. Dazu muss man sagen: Es ist ungerecht, die Ankündigungen in Bausch und
Bogen kleinzureden. Es wird eine Erhöhung um
2 Prozent und eine umfassende Reform geben. Eine solche Modernisierung ist in den letzten Jahren nicht durchgeführt worden. Wir sehen konkrete Änderungen beim
BAföG vor, so zum Beispiel bei der Altersgrenze, und
wir erweitern die Möglichkeit, mit Kind zu studieren.
All das ist notwendig. Die jungen Leute, die BAföG beziehen, werden es uns danken. Diese Kritik werden sie
nicht verstehen.
({8})
Herr Kollege Rupprecht hat den Wissenstransfer angesprochen. Das wird in der nächsten Zeit ein wichtiges
Thema für uns sein. Gestern war ich beim Senat der
Leibniz-Gemeinschaft; der Kollege Hagemann war dabei. Dort wird ganz selbstverständlich über Netzwerke
zur Verwertung gesprochen. Es gibt zum Beispiel ein
Translationszentrum. Es ist dort angekommen, dass wir
wollen, dass das Wissen, das wir mit staatlichen Mitteln
möglich machen, auch zu neuen Produkten führt. Auch
in dieser Hinsicht sind wir erfolgreich gewesen. Die
Politik der vergangenen Jahre hat sich ausgezahlt und
zahlt sich weiterhin aus. Darauf kann man stolz sein.
({9})
Wir können mittlerweile sagen - auch die Forschung
sieht das so -: Wir haben Amerika überholt. Im Jahr
2000 lagen wir bei der Produktion von forschungs- und
wissensintensiven Gütern noch hinter Amerika. Mittlerweile liegen wir vorn.
({10})
Das ist ein großer Erfolg.
Wir werden die Gespräche über die steuerliche Forschungsförderung in diesem Jahr abschließen. Die steuerliche Forschungsförderung ist ein sehr wichtiges Instrument, mit dem wir den Forschungsstandort
Deutschland international wettbewerbsfähig halten können.
({11})
Für uns ist wichtig, dass wir denjenigen, die es
schwer haben, helfen. Bei den Reformen von Hartz IV,
im Rahmen der Neuberechnung und der Neuausrichtung, werden wir mehr für die Bildung von Kindern tun.
Ich glaube, wir werden deutlich über das hinausgehen,
was das Bundesverfassungsgericht uns aufgegeben hat.
Ich finde es richtig, dass dies auch in Form von Sachleistungen geschieht, zum Beispiel bei Nachhilfe oder bei
der Förderung von Mitgliedschaften in Vereinen; dafür
bitte ich um Unterstützung. Die jungen Leute brauchen
das. Wir können nicht zulassen, dass auch in Zukunft
20 Prozent der unter 15-Jährigen zu einer Risikogruppe
gehören und irgendwann die Schule abbrechen. Die Bildungsrepublik Deutschland braucht jedes Talent. Jeder
braucht eine Chance. Gerade dort, wo es notwendig ist,
müssen wir helfen.
({12})
Wir sind auf einem guten Weg und werden auch in
den nächsten Jahren Schwerpunkte setzen. Alle sind eingeladen, daran mitzuwirken. Es lohnt sich, sich für Forschung und Entwicklung einzusetzen. Denn für eine
Wissensgesellschaft sind dies die zentralen Investitionen, wenn sie auch in Zukunft wettbewerbsfähig sein
will.
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({13})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den
Einzelplan 30 - Bundesministerium für Bildung und
Forschung - in der Ausschussfassung. Wer stimmt für
den Einzelplan 30 in der Ausschussfassung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Einzelplan 30 ist in der
Ausschussfassung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Oppositionsfraktionen angenommen.
Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Freitag, den 19. März 2010, 9 Uhr,
ein.
Die Sitzung ist geschlossen.