Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 3/17/2010

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Die Sitzung ist eröffnet. Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Nehmen Sie bitte Platz. Wir setzen die Haushaltsberatungen - Tagesord- nungspunkt I - fort: a) Zweite Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 2010 ({0}) - Drucksachen 17/200, 17/201 - b) Beratung der Beschlussempfehlung des Haushaltsausschusses ({1}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Finanzplan des Bundes 2009 bis 2013 - Drucksachen 16/13601, 17/626 Berichterstattung: Abgeordnete Norbert Barthle Carsten Schneider ({2}) Otto Fricke Roland Claus Ich rufe zunächst den Tagesordnungspunkt I.9 auf: Einzelplan 04 Bundeskanzlerin und Bundeskanzleramt - Drucksachen 17/604, 17/623 Berichterstattung: Abgeordnete Norbert Barthle Petra Merkel ({3}) Dr. Gesine Lötzsch Priska Hinz ({4}) Dazu liegen Ihnen die Beschlussempfehlungen des Haushaltsausschusses auf den Drucksachen 17/604 und 17/623 vor. Es gibt einen Änderungsantrag der Fraktion Die Linke zu diesem Einzelplan, über den wir später namentlich abstimmen. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache dreieinhalb Stunden vorgesehen. Gibt es dazu Einwände? - Das ist offenkundig nicht der Fall. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort zunächst dem Kollegen Dr. Frank-Walter Steinmeier für die SPD-Fraktion. ({5})

Dr. Frank Walter Steinmeier (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004167, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Frau Bundeskanzlerin, wir haben nicht nur Verständnis für die Abwesenheit des Bundesfinanzministers, sondern wir wünschen ihm auch raschen Fortschritt beim Heilungsprozess. Gute Besserung, Herr Schäuble, wünscht Ihnen die gesamte SPD-Fraktion! ({0}) Haushaltsdebatten sind besondere Debatten, selten in Moll geführt und nie nur Debatten über Zahlenkolonnen. Da steht die Regierung auf dem Prüfstand, und das tut not, weil - mit Blick auf das, was wir in den nächsten Jahren zu bestehen haben - die Herausforderungen in der Tat gewaltig sind. Die Zweifel der Menschen in Deutschland, dass wir das schaffen, wachsen doch täglich; das ist doch zu spüren. Wir stecken in der tiefsten Wirtschaftskrise seit 1949. Das Wirtschaftswachstum verlagert sich in andere Teile der Welt, nach Asien etwa, weit weg von Europa und von Deutschland. Das Gewicht Europas in der Welt wird kleiner, und hier wachsen sogar die Gegensätze zwischen den Eurostaaten. Viele Menschen in Deutschland fragen sich mittlerweile, ob der Wohlstand hier wohl erhalten bleibt. Das alles ist schlimm genug. Aber noch schlimmer ist: Ausgerechnet jetzt, wo Politik vorangehen müsste, wo Politik Vertrauen schaffen müsste, da hat Deutschland eine Regierung, die nicht regiert, die keine gemeinsame Idee und Redetext keinen gemeinsamen Willen hat. Jeder kämpft gegen jeden in dieser Regierung. Sie streiten sich wie die Kesselflicker. Es gibt keinen, der Ordnung schafft. So schlecht wurde Deutschland seit Jahrzehnten nicht regiert. Wir verlieren Tag für Tag an Boden. ({1}) Viele, die Sie gewählt haben, sind nicht nur enttäuscht - diese Briefe bekommen nicht nur wir von der SPDFraktion -, sondern auch entsetzt. Nach 140 Tagen Regierung haben Sie doch im Grunde genommen Ihren Vertrauensvorschuss schon verspielt. Das kleinkarierte Gezänk, das wir jeden Tag hören, geht den Menschen doch auf die Nerven. Die Menschen in Deutschland wissen schon jetzt, nach 140 Tagen, nicht, wovor sie eigentlich Angst haben sollen: dass diese Regierung sich auflöst oder dass sie im Amt bleibt. Das Schlimmste ist: Selbst das ist den Menschen schon egal. ({2}) Jetzt sehr ernsthaft: Glauben Sie nicht, dass Sie mit der SPD eine Oppositionsfraktion haben, die da schadenfroh in der Ecke steht - nicht, wenn es um die Zukunft des größten Landes in Europa geht. Wir wissen, Deutschland regieren, das ist kein Spiel, der Kabinettssaal ist kein Abenteuerspielplatz, eine Regierung ist keine Selbsterfahrungsgruppe. Spielen Sie nicht mit der Verantwortung, die Sie für dieses Land übernommen haben! Nehmen Sie diese Verantwortung endlich an! ({3}) So wie bisher, Frau Merkel, schafft diese Regierung kein Vertrauen, sie zerstört Vertrauen. So kann das nicht weitergehen. Wer soll denn in Deutschland an die Regierung glauben, wenn sie nach 140 Tagen ein so schwaches Bild abgibt? Wer soll denn glauben, dass diese Regierung in der Lage ist, die Macht von Banken und Börsen tatsächlich einzuschränken? Wer soll denn glauben, dass diese Regierung Wege aus der Krise beschreibt? Wer soll denn glauben, dass diese Regierung Zukunft gestaltet angesichts des schwierigen Jahrzehnts, das auf uns zukommt? ({4}) Meine Damen und Herren, Sie regieren noch kein halbes Jahr, und niemand glaubt Ihnen das, nicht einmal die eigene Wählerschaft. Das kann Sie doch nicht kaltlassen. Darüber kann man doch nicht mit Schulterzucken hinweggehen. Das geht einfach nicht. So kann das nicht weitergehen! ({5}) - Seien Sie vorsichtig, es geht hier nicht nur um Regierung, sondern es ist ein bisschen mehr, was da bedroht ist. Da kommt ein bisschen mehr als nur Vertrauen in die Regierung ins Rutschen. Viele sagen doch: Die Orientierung fehlt, Werte sind verloren gegangen. Wenn da etwas dran ist, meine Damen und Herren, dann sind diese Werte vermutlich nicht in der Wohnküche von Arbeitslosen verloren gegangen. Werte erodieren nicht von unten, sondern sie erodieren meistens von oben. Das war schon im späten Rom so, Herr Westerwelle. Dekadenz war leistungsloser Wohlstand saturierter Oberschichten. So war das. ({6}) Nun weiß auch ich, nicht alles, was hinkt, ist ein Vergleich, Herr Westerwelle. Aber wenn ich schon Vergleiche anstelle, dann hätte ich an Ihrer Stelle in den Vergleich Gier, Unvernunft, Verantwortungslosigkeit und Leichtfertigkeit einiger internationaler Finanzmanager in den Topetagen einbezogen. Je skrupelloser, je erfolgreicher - das war doch die Maxime, die einige vorgelebt haben. Das zerstört Werte. Das zerstört Vertrauen. Wenn das Vertrauen in die Gültigkeit von Regeln, wenn das Vertrauen in die Gültigkeit von Standards verloren geht, wenn da einige glauben, sich über andere stellen zu können, dann sinkt eben auch das Vertrauen in Politik. Dann sinkt das Vertrauen in Demokratie. Das geht nicht nur die Regierung an. Darum kümmern auch wir uns, meine Damen und Herren. ({7}) Wir als SPD-Bundestagsfraktion haben jedenfalls unsere Verantwortung angenommen mit einer kritischen und - das gebe ich zu -, wo nötig, auch scharfen Oppositionsarbeit. Wir haben die Verantwortung aus den elf Jahren, an denen wir an der Regierung in diesem Land beteiligt waren, nicht vergessen. Wir haben das gezeigt, etwa bei der Debatte und bei der Abstimmung über den Afghanistaneinsatz. Wir zeigen das bei den Gesprächen, die wir zurzeit über die Zukunft der Jobcenter führen. Wir haben Verantwortung gezeigt. Aber, Frau Merkel, ich frage Sie nach Ihrer Verantwortung. Sie sind verantwortlich dafür, dass die Regierung ihre Aufgaben zum überwiegenden Teil nicht erfüllt. Es ist kaum zu ertragen, dass Sie den Eindruck erwecken, als hätten Sie damit nichts zu tun, als wäre Ihnen auch manches peinlich, was der eine oder andere Minister da öffentlich äußert. ({8}) Diese schwarz-gelbe Koalition, Frau Merkel, ist Ihre Koalition. Sie haben diese Koalition gewollt. Das war vor sechs Monaten Ihre Liebesheirat. Wir sagen Ihnen heute: Sie stehen vor den Trümmern einer zerrütteten Ehe. Das ist die ganze Wahrheit. Jeder sieht das. ({9}) Wenn ich mit dem einen oder anderen von Ihnen über die Flure gehe, dann sagt mir mancher: Herr Steinmeier, Sie hatten doch damals bei Rot-Grün 1998 auch schlechte Presse. - Ich erinnere mich sehr gut: Ja, auch wir hatten schlechte Presse. Aber ich würde nie sagen, dass schlechte oder gute Presse der Maßstab von Politik sein darf. Rot-Grün wurde 1998 kritisiert, weil sie sich zu viel vorgenommen haben, zu schnell vorgenommen haben, gleichzeitig gehandelt haben. ({10}) - Passen Sie auf! - Vieles haben Sie jetzt übernommen. Ich erinnere an den Streit um die Energiewende. Wo standen Sie bei der Einführung der Ökosteuer? Wo standen Sie beim Erneuerbare-Energien-Gesetz? Wo standen Sie beim Ausstieg aus der Atomenergie? ({11}) Das alles fand im ersten Jahr statt, begleitet durch die Änderung des Staatsangehörigkeitsrechtes und durch Initiativen zur Veränderung im Verhältnis der Geschlechter. Dieses Problem haben Sie nicht: zu viel, zu schnell und gleichzeitig. Sie haben ein anderes Problem: ({12}) Diese schwarz-gelbe Regierung hat kein einziges gemeinsames Projekt, das überzeugt. ({13}) Die Union beschimpft die Liberalen als Traumtänzer. Die FDP erwidert der Union: Wenn ihr heimlich weiter Große Koalition macht, was wollt ihr dann mit uns? Frau Merkel, was soll denn daraus werden? Wenn sogar die Beteiligten dieser Koalition die Koalition für einen Irrtum halten, dann ist das eben ein schrecklicher Irrtum für Deutschland. ({14}) Jetzt diskutieren wir einen Haushalt mit über 80 Milliarden Euro Neuverschuldung. Jeder dritte Euro dieses Haushaltes ist schuldenfinanziert. Das ist einsamer Rekord. Das ist natürlich auch eine Folge der Finanzkrise. Das - jetzt hören Sie zu - legen wir nicht vordergründig Ihnen oder dem Finanzminister Herrn Schäuble zur Last. Aber die ganze Wahrheit ist doch: Die Steuerzahler werden jetzt für die Gier von Banken und Hedgefonds zur Kasse gebeten, jeder in Deutschland mit mindestens 2 500 Euro. ({15}) Das ist das himmelschreiend Ungerechte. Wenn Politik verlorenes Vertrauen wirklich wieder zurückholen will - das ist auch Ihre Aufgabe, meine Damen und Herren -, dann müssen Sie eben jetzt als Regierung handeln. Stoppen Sie das Tun der Finanzjongleure, die sich ein ums andere Mal auf Kosten des Gemeinwohls bereichern! ({16}) Sorgen Sie dafür, dass das internationale Börsenkasino nicht weitermacht wie bisher! Sorgen Sie dafür, dass die Banken das billige Geld aus den Rettungspaketen an unsere Mittelständler geben und nicht schon wieder für Zockereien missbrauchen! ({17}) Frau Merkel, Sie haben viel geredet, aber geändert hat sich nichts. Das ist das, was zu beklagen ist. In der Großen Koalition haben wir, haben Sozialdemokraten Sie bei der Regulierung der Finanzmärkte gedrängt. Die Union hat damals auf der Bremse gestanden, und mit der FDP steht jetzt die gesamte Regierungsbank auf der Bremse. Die Banken und die Finanzmarktlobby - wir hören das bis nach Berlin - atmen erleichtert auf in diesen Tagen. Warum das so ist, haben wir in den letzten Monaten oft genug gesehen: Da entwirft Gordon Brown in Großbritannien den Vorschlag, die Hälfte der Bankerboni als Steuern abzukassieren, was Frau Merkel für eine „charmante Idee“ hält. Aber was passiert dann? ({18}) Nichts. Dann haben wir über die Börsen- und Finanzmarktabgabe diskutiert. Was passierte? Weit weggeschoben in die Prüfungsschleifen der G-20-Welt, vertagt - so würde man sagen - ad calendas graecas. Aber ich gebe zu: Das geht in diesen Tagen schwer über die Lippen. Banken und Hedgefonds haben den griechischen Staat mit spekulativen Kreditausfallversicherungen fast in den Ruin getrieben. Das hat Griechenland und - wer weiß - am Ende vielleicht auch den Steuerzahler in Europa Hunderte von Millionen Euro gekostet. Was sagt diese Regierung? Was sagt die Bundeskanzlerin? Das muss man untersuchen. - Nein, Frau Merkel, Taten sind jetzt gefragt. Die Krise geht weiter, solange es keine Ordnung auf den internationalen Finanzmärkten gibt. Legen Sie deshalb die Hedgefonds an die Kette! Bringen Sie Ratingagenturen unter Aufsicht! Verbieten Sie Leerverkäufe und den spekulativen Handel mit Kreditausfallversicherungen! Das muss mindestens sein in dieser Situation. ({19}) Der Steuerzahler jedenfalls - darüber müssen wir uns in diesem Haus einig sein - darf nicht weiter die Zeche für Zocker und Spekulanten zahlen. Dafür zu sorgen, ist jetzt Aufgabe dieser Regierung. Wenn Sie dafür keine Mehrheit in der Koalition haben: Ich bin mir sicher, in diesem Hause haben Sie sie, Frau Merkel. ({20}) Ich spreche über Vertrauen. Wer Vertrauen zurückholen will, der muss mit Blick auf diesen Haushalt und mit Blick auf eine Rekordverschuldung von 80 Milliarden Euro beim Sparen bei sich selbst anfangen. Diese Regierung macht das Gegenteil. Herr Fricke, Sie haben gestern hier gesprochen. Ich habe in früheren Jahren viele Gespräche mit Herrn Koppelin, dem für mich damals zuständigen Haushälter, und mit Herrn Westerwelle geführt. Wie haben Sie sich über jede neue Stelle aufgeregt, als Sie noch in der Opposition waren. Wie oft haben Sie von diesem Pult aus mit Ihrem dickleibigen liberalen Sparbuch gewedelt. 400 Sparvorschläge haben Sie uns von diesem Rednerpult aus angekündigt. Das war Ihr gutes Recht. Womit Sie nicht gerechnet haben: Das weckt Erwartungen. Jetzt sind Sie an der Regierung und nichts davon ist verwirklicht. ({21}) Stattdessen 985 neue Beamtenstellen. ({22}) Sie suchen offenbar noch nach einer Überschrift für das schwarz-gelbe Projekt. Mir fällt nur eine Überschrift für dieses Projekt ein, eine Überschrift, die sich aufdrängt. Sie lautet „Mehr Bürokratie wagen“. Das ist Ihre Parole. ({23}) Der Finanzminister hat 417 neue Stellen. Herr Röttgen lässt für 2 Millionen Euro seine neue Chefetage planen, so habe ich gelesen. Gleichzeitig sperrt diese Regierung 900 Millionen Euro für die Qualifizierung von Arbeitslosen. Sie predigen öffentlich Wasser und trinken heimlich Wein. Sie aasen und denen, die Arbeit suchen, nehmen Sie das Geld weg. Das sind die Prioritäten dieser Regierung. ({24}) Herr Westerwelle, ich habe Sie auf dem Parteitag der FDP in Siegen beobachtet. Ich habe auf der großen Leinwand im Hintergrund den Slogan gesehen „Aufstieg durch Leistung“. Aufstieg durch Arbeit, Aufstieg durch Bildung und Aufstieg durch Leistung: Das sagen wir Sozialdemokraten nicht nur, dafür machen wir seit 150 Jahren Politik. ({25}) Wir ziehen daraus möglicherweise sehr unterschiedliche Schlussfolgerungen. Wir sagen nämlich zusätzlich: Jeder, der jeden Tag zur Arbeit geht, muss von seinem Lohn verdammt noch mal auch leben und seine Familie ernähren können. Er muss herauskommen aus Armut und aus der Abhängigkeit vom Staat. Sie von der FDP und auch Teile der Union finden sich eben mit Billiglöhnen ab. Der eine oder andere hält sie sogar für notwendig. Ich habe es im Koalitionsvertrag gelesen. Da sagen Sie: Sittenwidrige Löhne sind die Untergrenze. Sie wissen, was das im Klartext nach der geltenden Rechtsprechung bedeutet. Das bedeutet 4 Euro die Stunde, und das bedeutet weiterhin, dass der Rest bis zur Grundsicherung vom Steuerzahler draufgelegt werden muss. Das ist Ihre Politik. Das bedeutet für die Menschen: den ganzen Tag arbeiten und am Ende doch keine Chance haben, aus der Abhängigkeit herauszukommen, also keine Unabhängigkeit vom staatlichen Tropf. Sie reden über den Preis der Arbeit, und wir reden über den Wert von Arbeit. ({26}) Wer den Wert von Arbeit nicht respektiert, wer ihn missachtet, der greift das Wertegerüst einer auf Arbeit gegründeten Gesellschaft an. Deshalb war das Wort von der römischen Dekadenz, das Sie, Herr Westerwelle, den Arbeitslosen hinterhergerufen haben, nicht nur zynisch, sondern auch leichtfertig und gefährlich. Und ich behaupte, Sie wissen das. ({27}) Wenn Ihnen an Aufstieg durch Arbeit oder Aufstieg durch Leistung wirklich etwas liegt, dann schaffen Sie die Voraussetzungen dafür, dass in diesem Lande endlich Mindestlöhne eingeführt werden und dass wir mehr Arbeitsvermittler bei den Arbeitsagenturen bekommen. Schaffen Sie Perspektiven und Beschäftigungsmöglichkeiten für Langzeitarbeitslose, statt sie zu beschimpfen. Deutschland muss kein Land der Billiglöhne bleiben und werden. Dafür werden wir kämpfen, und zwar auch in der Kommission für Mindestlöhne. ({28}) Wir alle wollen, dass Arbeit sich lohnt, dass Leistung sich lohnt, aber eben nicht nur für Hotelbesitzer und andere, sondern auch für diejenigen, die wirklich zu den Leistungsträgern in diesem Lande gehören, zum Beispiel für die Pflegekräfte, die schwer arbeiten müssen und oft sittenwidrig schlecht bezahlt werden. Sie haben mindestens den Mindestlohn verdient, diesen aber ganz bestimmt. Da sind Union und FDP merkwürdig zurückhaltend, da eiern sie herum. Sie haben diese Aufgabe an eine Kommission weitergegeben und schauen mit verschränkten Armen zu, wie die Sache zurzeit nicht vorankommt. Frau Merkel, Frau von der Leyen, Frau Schröder, tun Sie das Nötige, damit sich Leistung für diejenigen wieder lohnt, die die wirklichen Leistungsträger unseres Landes sind, die jeden Tag Alte und Kranke füttern, waschen und ihnen Zuwendung geben. ({29}) Sie sollten den Mut haben, zu sagen: Es geht nicht, diese Menschen mit einem Stundenlohn von 4 Euro abzuspeiDr. Frank-Walter Steinmeier sen, und wenn die Kommission anders entscheiden wird, dann nehmen wir das nicht hin. Sie appellieren alle an das Gute im Menschen, an die menschliche Gesellschaft. ({30}) Dagegen habe ich wirklich nichts; viele tun das zu Recht. Aber das Missverständnis in dieser Regierung ist: Sie haben nicht zu appellieren, Sie haben zu entscheiden. Das tun Sie seit Wochen nicht, auch hier nicht, und deshalb sind Sie die größte Nichtregierungsorganisation dieses Landes! ({31}) Genauso halten Sie es in der Gesundheitspolitik. Jeder darf sich da im Augenblick einmal mit neuen Ideen ausprobieren, als hätten wir gerade in diesem Bereich nichts zu verlieren. Ich jedenfalls bin der Meinung, dass wir im europäischen Vergleich immer noch die beste medizinische Versorgung in diesem Land haben. Wir haben das Vertrauen der Menschen darauf, dass jeder Zugang zu dieser medizinischen Versorgung hat. Wir haben Vertrauen darauf, dass in Deutschland die Kosten für eine hochklassige medizinische Versorgung fair verteilt werden. Das ist nicht wenig. Aber als wäre das nichts, darf jeder in der Regierung in diesem Bereich herumdilettieren. Mit solch einer Politik untergraben Sie das Vertrauen der deutschen Bevölkerung. Wer in einer solchen Situation auf nichts anderes kommt, als vorzuschlagen, die Beiträge der Arbeitgeber einzufrieren, der weiß ganz genau, was er tut. Das heißt nämlich, dass alle Kostensteigerungen infolge des medizinischen Fortschritts, neuer Behandlungsmethoden und steigender Medikamentenpreise in Zukunft einseitig auf den Schultern der Versicherten ruhen. Das bricht mit dem Solidaritätsprinzip im Gesundheitswesen. ({32}) - Sie wissen das. - Das bricht mit dem guten Prinzip „Menschen für Menschen“, das uns in 60 Jahren Nachkriegszeit in der Gesundheitspolitik stark gemacht hat. Sie opfern das einem Wahlversprechen. So darf man in Deutschland nicht Politik machen, vor allem nicht in diesem sensibelsten Bereich der Gesellschaft. ({33}) Ich bin nicht an der Regierung, ich darf appellieren, und ich appelliere an Sie: Behalten Sie erstens die Arbeitgeber in der Verantwortung ({34}) und fahren Sie zweitens das Gesundheitssystem durch die Einführung der Kopfpauschale nicht gegen die Wand. Dieses System ist ungerecht, das wissen Sie, und der Sozialausgleich ist unfinanzierbar. Aber was noch viel schlimmer ist: Sie wollen bis zu 30 Millionen Menschen in den Sozialausgleich schicken, 30 Millionen Krankenversicherte zu Bittstellern machen, mit umfangreichen Fragenkatalogen, Formularen und - wer hätte es gedacht - mit noch mehr Bürokratie. ({35}) Ich verspreche Ihnen: Das wird Ihnen nicht gelingen. Der Protest ist gewaltig, und wir haben die Bürger auf unserer Seite. Wir werden das verhindern. ({36}) Die Regierung hat nicht nur keine Antworten. Da, wo sie Antworten gibt, hat sie falsche Antworten. Sie verweigert sich den wirklich wichtigen Fragen. Die Menschen stellen sich nicht die Frage: Kommen die miteinander klar? Das interessiert die Menschen nicht. Die Menschen interessiert die Frage: Woher kommt in Deutschland der Wohlstand von morgen? Dazu habe ich von dieser Regierung noch kein vernünftiges Wort gehört, geschweige denn ein durchdachtes Konzept gesehen. Das, was ich gesehen habe, ist ein Gesetz, das einen falschen Namen trägt. Mit dem Wachstumsbeschleunigungsgesetz wächst nichts, außer den Schulden. Sie hören doch die Hilferufe der Bürgermeister und Oberbürgermeister. Sie haben das zur Kenntnis genommen und - wie ich den Zeitungen entnommen habe - mit Betroffenheit quittiert, mehr aber auch nicht. Zu den Einnahmeverlusten, die die Städte und Gemeinden haben - in diesem Jahr sind es bereits mehr als 10 Milliarden Euro -, legen Sie noch eins obendrauf. Sie helfen ihnen nicht. Im Gegenteil: Sie nehmen ihnen noch einmal etwas weg: 1,6 Milliarden Euro allein durch das Wachstumsbeschleunigungsgesetz und zusätzlich durch die veränderte steuerliche Berechnung bei Leasing und Funktionsverlagerung ins Ausland. Bei zukünftigen Einkommensteuersenkungen können noch weitere Einnahmeverluste in Milliardenhöhe hinzukommen. Das geht so nicht! So können wir die Kommunen in Deutschland nicht alleine lassen. Mit uns geht das nicht. ({37}) Was ich nun sage, Frau Merkel, meine ich in der Tat sehr ernst: ({38}) Hören Sie genau zu. Wenn das so weitergeht - Sie ahnen das doch selbst auf der Seite der Opposition -, ({39}) dann sind wir dabei, unsere Zukunft zu verlieren. Die Investitionen rutschen ab und der private Konsum stagniert. Im letzten Aufschwung waren wir in Deutschland die Lokomotive in Europa. Wir haben den Zug in Europa gezogen, andere folgten dem. Jetzt fallen wir aus. So sehr berechtigt es ist, dass wir sorgenvoll nach Griechenland blicken, so wissen wir auch, dass das, was sich in diesem Lande tut, für das Wachstum in Europa viel wichtiger ist als die Haushaltskrise und die Schwäche Griechenlands. Wenn wir über unseren Tellerrand blicken, dann sehen wir, dass sich Nordamerika erholt und Asien wächst. China ist Exportweltmeister. Deutschland und Europa fallen zurück. Wenn wir nicht aufpassen, wird uns der Boden unter den Füßen weggezogen, und dann haben unsere Kinder nicht dieselben Chancen wie wir. Das, meine Damen und Herren, Frau Merkel, ist das zentrale Problem. Kümmern Sie sich in dieser Regierung endlich darum! Legen Sie eine Innovationsstrategie vor, eine Strategie für die Leit- und Zukunftsbranchen dieses Landes, eine Strategie, wie Arbeit von morgen entsteht, eine Energiestrategie, mit der Sie sich nicht zum Handlanger der Atomwirtschaft in diesem Land machen, ({40}) eine Strategie, die den Ausbau der erneuerbaren Energien beschleunigt statt zu gefährden. Das müssen die Prioritäten dieser Regierung sein. Ich füge hinzu: Rufen Sie bitte auch Ihren Wirtschaftsminister Herrn Brüderle zur Ordnung, der in Zeiten höchster Not - ich habe eben die Gründe beschrieben mit einem Entflechtungsgesetz durchs Land zieht. Das ist gut und schön, aber was das Gesetz angeht, so verrät er keinem, auch nicht auf Nachfrage, was und vor allem wer gemeint ist. Herr Brüderle, wenn Sie die Post meinen, dann lassen Sie uns in diesem Haus doch über die Zukunft der Post streiten, aber laufen Sie nicht mit Überschriften von Gesetzgebungsvorhaben durch die Gegend; denn keiner weiß, was die Anstrengung in diesem Bereich im Augenblick soll. ({41}) - Herr Kauder, wissen Sie, wenn Sie das karikieren, dann frage ich mich: Warum treibt es Sie eigentlich nicht um - das werden Sie wie ich am Wochenende in den Zeitungen gelesen haben -, dass Vattenfall sein Energienetz, sein Leitungsnetz verkaufen will? Warum treibt Sie das nicht um? Ich sage es Ihnen: Weil Sie nicht sehen, dass wir mit solchen Entscheidungen einzelner Unternehmen ein gutes Stück Zukunft in diesem Lande verlieren. ({42}) Ich habe mir in der Großen Koalition manchmal den Mund fusselig geredet - Sie wissen das, Sie können sich erinnern -, dass wir den Verkauf der Energienetze nicht einfach tatenlos hinnehmen dürfen, ({43}) dass wir sie in einer deutschen Netzgesellschaft unter Beteiligung des Bundes bündeln müssen. ({44}) Ich schaue auf Peer Steinbrück: Auch der Finanzminister - das ist ja keine Selbstverständlichkeit - war damals dieser Meinung. Wir haben beide gesehen: Das ist nicht irgendetwas. Das sind die Lebensadern einer industriell geprägten Volkswirtschaft, über die wir da reden, und die dürfen wir nicht einfach irgendwelchen internationalen Finanzmarktinvestoren überlassen. ({45}) Die Energiepolitiker unter Ihnen wissen das doch: Wenn die Integration der erneuerbaren Energien in das Leitungsnetz wirklich gelingen soll, dann brauchen wir dort Investitionen, und wir brauchen den Antrieb von Ingenieuren, um den Übergang von den bestehenden Netzen zu intelligenten Netzen, zu Smart Grids der nächsten Generation, wirklich zu schaffen. In der Großen Koalition war die Union dagegen. In dieser Koalition herrscht bei dem Thema „deutsche Netzgesellschaft“ gemeinschaftliches Desinteresse. Ich sage Ihnen: Auch Unterlassen gestaltet Wirklichkeit neu. Sie werden das am Ende bitter bereuen. Eines wissen Sie doch ganz genau: Irgendwelche Finanzinvestoren aus dem Vereinigten Königreich, aus den USA oder aus Singapur werden sich nicht um die Zukunftsfähigkeit des deutschen Energienetzes kümmern. Das glauben Sie doch selbst nicht. Sie tun nichts. Vom Schulterzucken müssten Sie inzwischen Muskelkater haben, Herr Brüderle. ({46}) Das, was Deutschland jetzt braucht, ist eine kraftvolle Regierung, die dieses Land erneuert, deren wirtschaftspolitische Fantasie zu mehr reicht als nur dazu, zu sagen: Steuersenkungen, Steuersenkungen, Steuersenkungen. Deutschland braucht eine Regierung, die Investitionen organisiert, die Zukunft baut, eine Regierung, die die ganze Gesellschaft im Blick hat und nicht nur die eigene Klientel. Davon ist diese schwarz-gelbe Regierung meilenweit entfernt. Das ist das Verhängnis dieser Zeit. ({47}) Ich komme zum Schluss und sage: Frau Merkel, Herr Westerwelle, ich bin mir inzwischen ganz sicher, dass die Mehrheit der Menschen in Deutschland sagt: Diese Regierung hat Deutschland nicht gewollt. Und ich sage: Eine solche Regierung hat Deutschland auch nicht verdient. ({48}) Ich fordere Sie auf: Tun Sie endlich Ihre Pflicht! Bringen Sie Ordnung in den Laden! Nehmen Sie endlich Ihre Verantwortung wahr! Es ist jetzt wirklich Ihre Verantwortung, Frau Merkel. Herzlichen Dank. ({49})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das Wort hat die Frau Bundeskanzlerin. ({0})

Dr. Angela Merkel (Kanzler:in)

Politiker ID: 11001478

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Steinmeier, vorweg eine Bemerkung: Die Opposition und speziell die SPD könnte dem gesellschaftlichen Klima im Lande einen guten Dienst erweisen - vielleicht könnten Sie ganz persönlich dafür sorgen -, wenn unserem Staatsoberhaupt, dem Bundespräsidenten, der notwendige Respekt entgegengebracht wird. Das fordern wir. ({0}) Wir beraten heute den Haushalt, der die größte Neuverschuldung des Bundes in der 60-jährigen Geschichte der Bundesrepublik Deutschland aufweist. 80,2 Milliarden Euro Schulden bei einem Gesamtumfang des Bundeshaushaltes von knapp 320 Milliarden Euro, ({1}) das bedeutet 25 Prozent Schulden, das bedeutet, jeder vierte Euro, den wir in diesem Jahr ausgeben, ist nicht durch die Einnahmen gedeckt. ({2}) Diese 80 Milliarden Euro Schulden sind genau das Doppelte der bisher höchsten Neuverschuldung des Bundes aus dem Jahre 1996 infolge der deutschen Einheit. Damals waren es 40 Milliarden Euro. 80 Milliarden Euro Schulden, das bedeutet 1 000 Euro pro Einwohner der Bundesrepublik Deutschland; hinzu kommen 460 Euro Zinsen. Das heißt, 11,5 Prozent des Bundeshaushaltes, ungefähr jeder zehnte Euro, muss bereits für Zinszahlungen aufgebracht werden. Ich sage ganz deutlich - genauso wie der Finanzminister gestern -: Mit Recht machen sich die Menschen Gedanken über die Verschuldung. Mit Recht fragen sie uns alle, wenn wir in unseren Wahlkreisen sind: Was wird daraus? Wie werdet ihr das lösen? ({3}) Ich glaube, das eint uns in diesem Hause. Was uns nicht eint und worüber wir ja heute sprechen ({4}) - bleiben Sie doch ganz ruhig und gelassen -, sind die Fragen: Was tun wir, und wie tun wir es? ({5}) Die Bundesregierung hat sich dennoch dazu entschlossen. Ich möchte mich bei den Abgeordneten der Koalitionsfraktionen ganz besonders bedanken, dass sie das mitgetragen haben, sodass wir heute in den Grundzügen den Haushalt so verabschieden, wie ihn die Regierung vorgelegt hat. Ich sage im Übrigen an die SPD: Dieser Haushalt wird gegenüber dem Haushalt, den wir damals in der Großen Koalition beraten haben, drei Monate früher beraten. Das zeigt, wie handlungsfähig diese Regierung und diese christlich-liberale Koalition in einer schwierigen Situation sind. ({6}) Wenn wir uns die Struktur dieses Haushaltes anschauen - auch da will ich gar nicht drum herumreden -, dann sehen wir, dass dieser Haushalt über 9 Prozent größer ist, als es in normalen Zeiten der Fall wäre. Etwa 54 Prozent dieses Haushaltes sind Sozialausgaben. Erinnern wir uns: 1980 wurden 16 Prozent des Bundeshaushaltes für Soziales ausgegeben, 1991 20 Prozent, im Jahre 2000 33 Prozent. In diesem Jahr sind es 54 Prozent. Das beinhaltet etwa 80 Milliarden Euro für Rente, 40 Milliarden Euro für das Arbeitslosengeld II und - wir haben etwas ganz Besonderes gemacht; das weist schon darauf hin, warum wir einen solchen Haushalt verabschieden - auch immense Zuschüsse an die Bundesagentur für Arbeit und an den Gesundheitsfonds; diese führen uns genau dazu, warum wir einen solchen Haushalt verabschieden. Wir verabschieden einen solchen Haushalt nur aus einer einzigen Tatsache heraus: In diesem Jahr müssen wir weiter eine Krise bekämpfen, die uns im vergangenen Jahr einen Wirtschaftseinbruch von 5 Prozent gebracht hat. Das sind 88 Milliarden Euro weniger Produktion in Deutschland, weniger Bruttoinlandsprodukt. Einen solchen Einbruch haben wir noch nie gesehen. Wir wollen Fehler aus der Geschichte nicht wiederholen und vernünftig darauf antworten, sodass Wachstum wieder in Gang kommen kann. Das ist die tiefere Ursache dieses Haushaltes. Dazu stehen wir aus voller Überzeugung, weil es für die Menschen in diesem Lande richtig ist. ({7}) Keiner von uns hat Erfahrungen mit einem solch dramatischen Wirtschaftseinbruch. Die Krise hat vor 18 Monaten mit dem Zusammenbruch von Lehman Brothers begonnen. Wir können heute sagen, dass wir in diesen 18 Monaten Wichtiges geschafft haben. Wir haben die Banken und den Finanzsektor stabilisieren können. Mit den 400 Milliarden Euro Garantien und den 80 Milliarden Euro Rekapitalisierung ist das gelungen. Heute haben wir noch etwa 145 Milliarden Euro Liquiditätsgarantien - bei den Garantien gab es übrigens keine Aus2712 fälle -, und wir haben 28 Milliarden Euro Eigenkapitalhilfen. ({8}) Das wird sich noch lange in die Zukunft ziehen, so lange, bis wir absehen können, was für einen Verlust das für den Steuerzahler bedeutet. Die Hilfen sind gut angenommen worden, und sie sind weltweit koordiniert gegeben worden. Das hat zu einer Stabilisierung geführt. Mindestens genauso wichtig: Der Einbruch der Realwirtschaft ist durch das, was wir machen, in seinen Auswirkungen gedämpft worden, nämlich durch das 100-Milliarden-Euro-Konjunkturpaket für 2009 und 2010 und ein Wachstumsbeschleunigungsgesetz, das seinen Namen zu Recht hat, ({9}) mit 8,5 Milliarden Euro Entlastung für Familien und vieles andere. ({10}) Die Steuersenkungen haben wir zum Teil gemeinsam und zum Teil nach kontroversen Diskussionen beschlossen. Wir haben für eine Entlastung von über 20 Milliarden Euro gesorgt. Wir wissen aus den Erfahrungen: 90 Prozent davon gehen in den Konsum der Menschen, und das ist genau der Beitrag, den wir leisten, um die Binnenwirtschaft nicht einbrechen zu lassen. ({11}) Wir machen das, was uns die Ökonomen sagen: Wir lassen die automatischen Stabilisatoren wirken - das heißt auf gut Deutsch, die Lohnzusatzkosten steigen nicht an -, und wir haben die Darlehen sowohl für das Gesundheitssystem als auch für die Bundesagentur in Zuschüsse umgewandelt, was uns ein besseres Fundament im Hinblick auf die weitere Beitragsentwicklung gibt. Wir haben, damals noch gemeinsam, auch die Rentengarantie beschlossen, eine wichtige Maßnahme, wie sich jetzt herausstellt. Denn zum ersten Mal in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland sind die Bruttolöhne im letzten Jahr gesunken. ({12}) Hier möchte ich an das anknüpfen, was neben all den Maßnahmen, die wir ergriffen haben, in den letzten 18 Monaten vielleicht das Allerwichtigste war: dass die Menschen gezeigt haben, was in diesem Lande steckt, dass Unternehmer genauso wie Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer Verantwortung gezeigt, die Maßnahmen der Regierung angenommen und selbst Lohnzurückhaltung geübt haben. Es war gut, dass wir für eine Flexibilisierung des Arbeitsmarktes mit Arbeitszeitkonten und vielem anderen gesorgt haben; von all diesen Instrumenten wurde Gebrauch gemacht. Wir haben deshalb die Kurzarbeit aus voller Überzeugung bis 2011 verlängert. Wir sagen: Wir müssen in dieser Situation zusammenstehen. Das zeigen die moderaten Tarifabschlüsse, das zeigen unsere Maßnahmen, und so werden wir auch weiter durch diese Krise gehen. ({13}) Das hat Wirkung gezeigt. Wenn wir uns einmal anschauen, wie sich die Arbeitslosigkeit im europäischen Vergleich entwickelt hat, so sehen wir, dass die Arbeitslosigkeit bei uns im Jahre 2009 gegenüber 2008 um 4,4 Prozent gestiegen ist, im EU-Durchschnitt allerdings um 36 Prozent. In Frankreich zum Beispiel ist sie um 30 Prozent gestiegen, in den Vereinigten Staaten von Amerika um 70 Prozent. Das vielleicht Schönste ist, dass die Jugendarbeitslosigkeit bei uns um 11 Prozent gesunken ist, während sie im Mittel der Europäischen Union um 28 Prozent gestiegen ist, in Spanien zum Beispiel um 86 Prozent. Das ist nichts, worauf man sich ausruhen kann. Aber das ist schon etwas, worauf man auch ein Stück stolz sein kann, und zwar wir alle gemeinsam. ({14}) Wir haben wieder leichte Wachstumsraten. Der Binnenkonsum ist im letzten Jahr nicht eingebrochen: plus 0,2 Prozent. ({15}) In diesem Jahr sehen wir einen leichten Einbruch. Warten wir aber erst einmal ab. Den Prognosen kann man ja auch nicht so richtig trauen. Wir konnten bislang Insolvenzen vermeiden. Es wird nicht einfach; aber es ist richtig, diesen Kurs weiter zu verfolgen. In den nächsten Jahren kommt eine riesige Aufgabe auf uns zu, eine Herkulesaufgabe. Wir müssen eigentlich Unvereinbares zusammenbringen: den Haushalt konsolidieren, aber zugleich Wachstum schaffen, und das Ganze in dem Umfeld einer Gesellschaft, deren Altersaufbau sich dramatisch verändert. Wir brauchen neues Denken, um diese großen Herausforderungen bewältigen zu können. ({16}) Dazu ist die christlich-liberale Koalition bereit. ({17}) Als Erstes brauchen wir eine kluge Exitstrategie aus den Konjunkturprogrammen, die wir aufgelegt haben. Wir müssen in den nächsten Jahren - auch wegen der Schuldenbremse, die Deutschland als weltweit einziges Land eingeführt hat, mitten in der Krise - auf Konsolidierungskurs gehen. ({18}) Wir haben schwierige Sparmaßnahmen vor uns. Ein strukturelles Defizit von etwa 67 Milliarden Euro wird in den Jahren 2011 bis 2015 abzubauen sein, damit die Neuverschuldung im Bundeshaushalt ab 2016 bei höchstens 10 Milliarden Euro liegt. Das heißt, wir müssen pro Jahr ein Defizit von 10 Milliarden Euro abbauen. ({19}) Das Kabinett wird sich dieser Aufgabe stellen, und ich sage dem Bundesfinanzminister Unterstützung zu. Wir wissen, was das bedeutet. Die Erstanmeldungen für den Haushalt 2011 sind noch nicht so, dass wir sagen könnten: Wir haben es schon geschafft, die 10 Milliarden Euro einzusparen. Die Bundesregierung verpflichtet sich hier aber gegenüber dem Parlament, ihren Beitrag zu leisten. ({20}) Bei der Analyse dürften wir uns einig sein, darüber brauchen wir nicht mehr zu streiten. Jetzt kommen wir zu der Frage: Wie schaffen wir das? Neben einer klugen Exitstrategie brauchen wir eine kluge Wachstumsstrategie. Die Erfahrungen der Jahre 2005 bis 2009 zeigen doch: Die beste Wachstumsstrategie ist, möglichst viele Arbeitsplätze zu schaffen. Wann immer wir mehr Arbeit haben, wann immer die Zahl der Arbeitslosen um 100 000 sinkt, werden die Sozialsysteme und der Bundeshaushalt um 2 Milliarden Euro entlastet. Deshalb gilt es, Arbeit zu schaffen und möglichst viel Beschäftigung hinzubekommen. Nicht nur entlastet das den Bundeshaushalt, sondern Arbeit ermöglicht den Menschen auch Teilhabe und gesellschaftliches Mitbestimmen und ist lebenserfüllend. ({21}) Das bedeutet, in Deutschland möglichst viel qualifizierte Arbeit bereitzustellen, um aus der Arbeitslosigkeit herauszukommen. Schauen wir uns die heutige Situation einmal an: 5 Millionen Menschen beziehen Arbeitslosengeld II. Das kostet den Bundeshaushalt, wie gesagt, 40 Milliarden Euro. Durch die Kosten für die Unterkunft entsteht den Kommunen eine Belastung von 11 Milliarden Euro. Wenn wir es schaffen, dass mehr und mehr Menschen aus dieser Situation herauskommen, dann haben wir etwas erreicht. ({22}) - Schauen wir uns einmal an, was Sie vorschlagen: Die sozialdemokratische Fraktion und der ehemalige Kanzleramtsminister Steinmeier sind, muss man sagen, in einem wundersamen Wandel begriffen. ({23}) Es waren einmal 5 Millionen Arbeitslose. Sie haben Reformen durchgeführt; wir haben diese Reformen im Bundesrat unterstützt. Diese Reformen haben, zusammen mit anderen Reformen, dazu geführt, dass die Zahl der Arbeitslosen in den Jahren darauf unter 3 Millionen gefallen ist. ({24}) Sie haben sich nie überlegt, warum das so gekommen ist. Ihre Wahrnehmung war immer geteilt: ({25}) Sie waren zwar froh, dass die Zahl der Arbeitslosen sank; aber Sie haben Ihren Leuten nie erklärt, wie das kommen konnte. ({26}) Die Zusammenlegung von Sozialhilfe und Arbeitslosenhilfe ist eine Härte, ja. Aber gleichzeitig hat diese Maßnahme natürlich Möglichkeiten geschaffen, dass viele Menschen wieder eine Arbeit aufgenommen haben. ({27}) Weil Sie das alles niemals Ihren eigenen Leuten erklärt haben, müssen Sie jetzt die Rolle rückwärts machen und wollen allen Ernstes behaupten: Wer Arbeitslosengeld II bekommen will, braucht keine Vermögensprüfung mehr zu durchlaufen. Ich glaube, da sind Sie auf einem falschen Trip. Ich zumindest bin davon überzeugt, dass das falsch ist. ({28}) - Da nützt auch das Schreien nichts. Der nächste Punkt wird sein, dass Sie die Rente mit 67 rückgängig machen müssen, weil aufgrund Ihrer falschen Konzepte die Möglichkeiten zur Vermittlung von älteren Arbeitnehmern schlechter werden. ({29}) - Ich habe Sie nicht gebeten, ein Konzept vorzulegen. Sie hätten ja bei dem bleiben können, was Sie immer gesagt haben. ({30}) Jetzt sage ich Ihnen, was wir wollen. Von den heute 5 Millionen Arbeitslosengeld-II-Empfängern sind ungefähr 1,4 Millionen zusätzlich zu den Leistungen aus Hartz IV erwerbstätig. Von diesen 1,4 Millionen Menschen befindet sich die übergroße Mehrzahl in Beschäf2714 tigungsverhältnissen unter oder bis 200 Euro. Die Zahl derer, die darüber hinaus dazuverdienen, wird immer geringer. Das heißt doch nichts anderes, als dass es eine Barriere beim Hinzuverdienst gibt. ({31}) Am Anfang ist die Abzugsrate gleich null; man kann hinzuverdienen. Über diesen Betrag von 200 Euro hinaus ist die Abzugsrate so hoch, dass es bei Verdiensten über 150 Euro praktisch überhaupt keinen Unterschied mehr macht, ({32}) insbesondere bei Familien mit mehreren Kindern, ob sie etwas verdienen oder ob sie nichts verdienen und Hartz IV bekommen. ({33}) Deshalb haben wir gesagt: Wir müssen die Hinzuverdienstgrenzen verändern, und zwar so, dass sie einen Anreiz bieten, in Arbeit zu kommen. Wir sind der Meinung: Diejenigen, die sowohl Arbeitslosengeld II beziehen als auch etwas hinzuverdienen, sind auf einem besseren Weg, eine Arbeit zu finden, als die, die gar nichts hinzuverdienen. Das ist unser Ansatz. ({34}) Man kann den Unterschied ganz klar benennen. Wir wollen den Menschen helfen. Dafür sind die Eingliederungstitel und viele andere Instrumente in der Bundesagentur geschaffen worden. ({35}) - Sie sagen wenigstens „sperren“. ({36}) Manch einer sagt einfach nur „kürzen“. ({37}) Die Bundesministerin für Arbeit und Soziales wird ein Programm vorlegen. Dann werden die Mittel entsperrt und stehen zur Verfügung. Das ist überhaupt kein Problem. Wir müssen dafür sorgen, dass mit dem Geld, das wir für die ausgeben, die Arbeitslosengeld II beziehen, und sie in Beschäftigung bringen soll, wirkliche Folgebeschäftigung entsteht, anstatt einen öffentlichen Arbeitsmarkt zu manifestieren und zu zementieren, der uns am Schluss nur etwas kostet und nichts bringt. Es ist der Mühe wert, dass man das versucht. ({38}) Ich spreche darüber so ausführlich, weil sich genau hier unterschiedliches Denken im Hause manifestiert. ({39}) Wenn wir die Struktur dieses Bundeshaushaltes mittelfristig ändern, wird das dazu führen, dass wir die Rentenzuschüsse und die Gesundheitskosten, die wir als Steuermittel im Wesentlichen für die Kinder in das Gesundheitssystem gegeben haben, nicht kürzen. ({40}) Dann werden wir sehen, dass mehr Menschen in Arbeit kommen und von diesem Block der 40 Milliarden Euro weniger ausgegeben werden muss, weil diese Menschen wieder Arbeit haben. ({41}) Auf diesem Feld können wir etwas tun. Im Übrigen freuen sich darüber auch die Kommunen; denn sie geben 11 Milliarden Euro für die Kosten der Unterkunft aus. Jeder Euro, den sie nicht ausgeben, ist für sie eine massive Entlastung. ({42}) Wenn Menschen arbeiten, dann geht es darum, dass sich Leistung lohnt. Deshalb ist unser Ansatz, bei dem sogenannten Mittelstandsbauch, also bei der stärksten Steigerung der Progression, und bei der kalten Progression im steuerlichen Bereich für eine Entlastung zu sorgen. Es wird einfacher, niedriger und vor allen Dingen gerechter, damit sich Leistung in diesem Lande lohnt. ({43}) Es geht natürlich um qualifizierte Arbeitsplätze. Deshalb haben wir in der Koalition - das spiegelt sich ja im Haushalt wider - einen Schwerpunkt bei Forschung und Bildung gesetzt, weil das die Zukunft ist. Deshalb sagen wir: Wir werden die Elektromobilität fördern. Am 3. Mai 2010 wird der Kongress mit allen Akteuren stattfinden, damit wir eine Chance für den Technologiestandort Deutschland entwickeln. ({44}) Deshalb werden wir auch ein neues Energiekonzept entwickeln. ({45}) Wir sind in dieser Frage einer Meinung darin, dass es darum geht, ein Zeitalter der regenerativen Energien zu erreichen. Eigentlich müssten wir aber auch einer Meinung darüber sein, dass wir den Industriestandort Deutschland erhalten wollen, und das heißt immer Dreierlei: Energie muss bezahlbar sein, Energie muss sicher sein, und Energie muss umweltverträglich sein. Das werden wir zusammenbringen. ({46}) Deshalb sagen wir: Die Kernenergie ist eine Brückentechnologie, aber die Länge der Brücke richtet sich danach, dass wir diese drei Dinge miteinander verbinden können. ({47}) Herr Steinmeier, ich bin schon ein bisschen erstaunt. Die deutschen Stromversorgungsnetze haben sich nun 60 Jahre lang in privater Hand befunden. Jetzt ist es so, dass das Eigentum auch aufgrund von Anordnungen der Europäischen Union von Vattenfall, einem Unternehmen, das schwedischer Natur ist, hin zu einem belgischen Unternehmen wandert, das schon eine Vielzahl von Stromnetzen betreibt und von dem nichts Ehrenrühriges bekannt ist. Das ist genauso wie bei anderen, die ihr Elektronetz an ein niederländisches Staatsunternehmen verkauft haben. Sind wir nun in einem europäischen Binnenmarkt, oder sind wir es nicht? Polemisieren wir gegen belgische Firmen, nur weil sie keine deutschen sind, oder machen wir das nicht? ({48}) Von der Idee einer Reverstaatlichung des deutschen Stromnetzes halte ich ehrlich gesagt gar nichts. Wir müssen natürlich vernünftige Ausbaubedingungen erreichen. ({49}) Dafür müssen wir vernünftige Investitionsbedingungen schaffen und dafür sorgen, dass man eine Hochspannungsleitung bauen kann, ohne dass das Genehmigen zehn Jahre dauert und ohne dass die Erdkabel so viel Geld verschlingen, dass man überhaupt nicht mehr zu Potte kommt. ({50}) Das sind die wichtigen Aufgaben, aber das hängt nun wirklich nicht davon ab, ob das Unternehmen schwedisch oder belgisch ist, sondern das hängt von ganz anderen Dingen ab. Wir werden die Gesundheitsforschung weiter nach vorne bringen. Wir haben bereits ein Zentrum für Demenzkranke in Bonn gegründet. Eine wissenschaftliche Bündelung aller - ({51}) - Ich weiß nicht, ob Herr Müntefering da ist. Er hatte wenigstens, als wir noch gemeinsam regiert haben, so viel Vernunft, zu sagen, dass wir Leuchttürme brauchen. ({52}) - Nein, nein, Sie müssen einfach einmal in die Reihe hinter sich schauen. Es sind nicht alle so vernünftig wie Sie, Herr Poß. ({53}) Ich verstehe Sie ja. Das ist ein Zentrum in Bonn und deshalb in Nordrhein-Westfalen. - Wir brauchen also Leuchttürme, mit denen den Menschen gezeigt wird, wofür Forschung und Entwicklung gut sind, und bei einer alternden Gesellschaft ist es allemal gut, wenn Deutschland im Gesundheitsbereich eine Spitzenposition auf der Welt hat. Wir haben auch das Zeug dazu, und die Bundesregierung fördert das. ({54}) Natürlich ist es wichtig, dass unsere Unternehmen mit Krediten versorgt werden - insbesondere der Mittelstand. Deshalb gibt es die Kreditversorgung über den Wirtschaftsfonds, und deshalb haben wir auch - der Bundeswirtschaftsminister hat das getan - einen Kreditmediator eingesetzt, der seine Arbeit aufgenommen hat. ({55}) - Sie wissen, dass bei solchen Dingen gilt: Wenn Sie sie gemacht hätten, dann fänden Sie es ganz toll, weil wir sie machen, finden Sie es einfach nicht toll. Der Kreditmediator wird seine Arbeit machen, der Mittelstand wird es ihm danken. ({56}) Wir sprechen wieder darüber, wenn sich die Sache gut entwickelt hat. ({57}) Ich sage Ihnen auch: Wir werden eine Politik fördern, mit der die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands gestärkt wird. Ich glaube nicht, dass wir in der Europäischen Union, wenn wir über eine Wirtschaftsregierung reden, was ich für richtig halte, die Diskussion so führen sollten, dass man sich danach richtet, wer am langsamsten ist, sondern beim Benchmarking muss geschaut werden, wer am schnellsten und am besten ist. Ich sage auch ganz deutlich, wo Deutschland Schwächen hat. Wir haben von der OECD eine hohe Abgabenlast im Niedriglohnbereich attestiert bekommen. Da haben wir Schwächen. Darüber müssen wir nachdenken. Aber wir werden unsere Stärken nicht aufgeben, weil von unseren Exportgütern mehr gekauft wird als von denen anderer Länder. Das wäre die falsche europäische Antwort auf die Wettbewerbsfähigkeit unseres Kontinents. ({58}) Sicherlich ist die schwierigste Herausforderung, vor der wir stehen, die Veränderung des Altersaufbaus. Am Ende des Jahrzehnts, das jetzt begonnen hat, wird es 3 Millionen mehr ältere Beschäftigte geben. Die Zahl der Beschäftigten im Verhältnis zu Rentnern und Kindern wird sich dramatisch verändern, und zwar von heute 65 Rentnern und Kindern im Verhältnis zu 100 Beschäftigten auf 84 Rentner und Kinder im Verhältnis zu 100 Beschäftigten. Das alles muss erarbeitet werden. Außerdem wird die Zahl der Schulabgänger sinken. Deshalb ist es so wichtig, dass das Thema des Zusammenhalts unserer Gesellschaft ganz oben auf der Tagesordnung steht. ({59}) Ich habe mir im Allensbacher Jahrbuch angesehen, was die Menschen auf die Frage, was sie unter einer gerechten Gesellschaft verstehen - wir sind uns, glaube ich, einig, dass Gerechtigkeit die Voraussetzung für den Zusammenhalt ist - und ob es ihrer Meinung nach in der Wirtschaft gerecht zugeht, antworten. In den letzten Jahren ist eine erschütternde Entwicklung zu erkennen. In den neuen Bundesländern war es leider immer so, dass eine übergroße Mehrheit gesagt hat: In der Wirtschaft geht es nicht gerecht zu. ({60}) Das hat sich in 20 Jahren eigentlich nicht geändert. In den alten Bundesländern gab es über viele Jahrzehnte ein Auf und Ab. Es herrschte aber immer ein ungefährer Gleichstand zwischen „gerecht“ und „nicht gerecht“. Seit den Jahren 2004 bzw. 2005 und ganz besonders seit der Finanzkrise hat sich der Abstand zwischen denjenigen, die sagen, dass es in der Wirtschaft gerecht zugeht, und denjenigen, die sagen, es gehe ungerecht zu, auf 58 Prozent vergrößert. Wenn die Akzeptanz der sozialen Marktwirtschaft erhalten werden soll, dann muss diese Lücke wieder geschlossen werden, sowohl in Ostdeutschland als auch in Westdeutschland. Das ist meine feste Überzeugung. ({61}) Wenn man die Menschen fragt, was sie für gerecht halten, dann sagen sie als Erstes - und zwar mit weitem Abstand; es sind insgesamt 83 Prozent -: gleiche Chancen für gute Schulbildung. Die Bildung ist das Thema, das die Menschen am meisten berührt. Als Zweites, auch das ist interessant, sagen sie - zu etwas über 60 Prozent -: ({62}) dass der Staat für ein Existenzminimum sorgt und niemand in Not gerät. Ungefähr genauso viele Menschen sind der Meinung, dass Leistung sich lohnen muss. Das heißt: Wer mehr leistet, muss auch mehr davon haben. Das sind die zwei Seiten der Medaille. ({63}) Mit diesen drei Prioritäten - Arbeitsmarkt, Grundsicherung und Bildung - reagiert die christlich-liberale Koalition also ganz gezielt auf die Wünsche der Menschen. Daran werden wir weiter arbeiten. Das ist es, was uns interessiert. ({64}) Wir werden natürlich auch das Bundesverfassungsgerichtsurteil zu den Hartz-IV-Sätzen umsetzen. Darüber möchte ich heute aber nicht weiter sprechen. ({65}) Das ist einfach nicht möglich, weil die Statistiken noch nicht ausgewertet sind. Ich möchte wiederholen, was die Bundesministerin gesagt hat: Klar ist schon heute, dass wir für die Bildung der Kinder mehr Geld ausgeben werden. Wir werden es aber so tun, dass es bei den Kindern ankommt. Sachleistungen sind also nicht ausgeschlossen. Denn wir wollen, dass das Geld den Kindern zugutekommt. Genau darauf werden wir hinarbeiten. ({66}) Um das 7-Prozent-Ziel für die Bildung zu erreichen, haben wir den Ländern bereits in Aussicht gestellt, dass wir seitens des Bundes bis 2015 die Lücke von mindestens 13 Milliarden Euro mit einer Quote von 40 Prozent füllen werden; normalerweise geben wir 10 Prozent dafür aus. Wir sagen aber: Es ist ein so wichtiges gesamtgesellschaftliches Anliegen, dass der Bund bereit ist, sich an dieser Stelle mehr zu engagieren und die Bildungspolitik im ganzen Land dadurch zu verbessern. ({67}) Wir werden den Nationalen Integrationsplan weiterentwickeln. Wir haben bereits gezeigt, dass wir für die Familien etwas tun. Der Ausbau der Kleinkinderbetreuung wird weitergehen. Das Kindergeld und die Kinderfreibeträge sind erhöht worden. Deshalb ist das eine vernünftige Sache. Außerdem werden wir auch über die Vorschläge der Bundesfamilienministerin zu reden haben, was Pflegezeit anbelangt. Denn das Thema Pflege wird uns in der nächsten Zeit in besonderer Weise beschäftigen. Es ist etwas, was die Menschen zutiefst bewegt. Ich sage Ihnen - ich habe darüber auch mit den Arbeitgebern gesprochen -: Wir sollten hier wirklich neues Denken anwenden. Es wird in Zukunft schwierig sein, qualifizierte Arbeitskräfte zu bekommen. Das wird sich über die nächsten Jahre in ganz anderer Weise entwickeln. Die Bereitschaft der Unternehmen, freiwillig etwas zu tun, wird an vielen Stellen wachsen, weil man Beruf und Familien viel besser verbinden muss. ({68}) Lassen Sie mich an dieser Stelle noch etwas zu den schrecklichen Fällen von sexuellem Missbrauch sagen, von denen wir jeden Tag hören und von denen wir erfahren. Ich glaube, wir sind uns alle einig: Sexueller Missbrauch an Kindern und an Schutzbefohlenen ist ein verabscheuungswürdiges Verbrechen. Es gibt nur eine Möglichkeit, dass unsere Gesellschaft mit diesen Fällen klarkommt: Das ist Wahrheit und Klarheit über alles, was passiert ist. ({69}) Ich glaube, jedem ist bewusst, dass das Leben der Menschen, die so etwas erlebt haben, anders verläuft, als wenn sie das in jungen Jahren nicht erlebt hätten. Das begleitet sie ein ganzes Leben. Völlige Wiedergutmachung wird und kann es nicht geben. Es hat keinen Sinn, es auf eine Gruppe zu beschränken, auch wenn uns die ersten Fälle sozusagen aus dem katholischen Bereich zu Ohren gekommen sind. Es ist etwas, das sich in vielen Bereichen der Gesellschaft ereignet hat, und es ist vor allen Dingen auch etwas, das sich heute teilweise in anderer Form, aber mit gleichen Folgen weiter ereignet. Deshalb bin ich froh, dass die drei Ministerinnen Frau Leutheusser-Schnarrenberger, Kristina Schröder und Annette Schavan gemeinsam ein Gesprächsforum mit den Betroffenen bilden, mit denjenigen, von denen diese Fälle bekannt werden, und dass man sowohl in die Vergangenheit als auch in die Zukunft blickt. Aber lassen Sie uns die Sache nicht zu einfach machen. Man muss über Verjährung sprechen. Man kann über Entschädigung sprechen. ({70}) Aber insgesamt kommt es darauf an - das ist eine Bewährungsprobe für unsere ganze Gesellschaft -, dass Menschen, die so etwas erfahren haben, sich in dieser Gesellschaft wieder anerkannt und aufgehoben fühlen und wenigstens das Stück Wiedergutmachung bekommen, was man im Nachhinein noch schaffen kann. ({71}) Meine Damen und Herren, wenn wir über die Veränderung des Altersaufbaus unserer Gesellschaft sprechen, dann sind die sozialen Sicherungssysteme sicherlich der Punkt, an dem die größte politische Arbeit zu leisten ist. Mit der Rente haben wir Zukunftsvorsorge getroffen. Da wird die politische Kraft darin bestehen, alle Faktoren, die die demografische Veränderung widerspiegeln, auch in den nächsten Jahren umzusetzen. Es ist nicht einfach, wenn die Rentnerinnen und Rentner in diesem Jahr eine Nullrunde haben. ({72}) Das trifft die Menschen zwar nicht einfach so - eigentlich wäre es weniger gewesen -, aber trotzdem ist auch eine Nullrunde nicht einfach. Umso zufriedener bin ich, dass auch die Tarifabschlüsse moderat waren, weil wir daran sehen, dass es insgesamt eine schwierige Zeit ist. ({73}) Ich sage Ihnen auch ganz klar: Wir werden uns auch melden, wenn Unternehmensführer sich in einer solchen Zeit zum Teil in absurder Art Gehaltssteigerungen gönnen, die von keinem anderen in dieser Gesellschaft nachvollzogen werden können. ({74}) Deshalb ist vielleicht der Gesundheitsbereich derjenige, in dem die meiste Arbeit zu leisten ist. Ich habe eigentlich nur eine Bitte, nämlich dass Sie von der Opposition wenigstens nicht dauernd Dinge behaupten, die einfach nicht stimmen. ({75}) Es ist nicht fair, einfach irgendetwas zu behaupten. ({76}) Die kostenlose Mitversicherung der Ehepartner wird weiter gewährleistet sein. Die Versicherung der Kinder wird, wenn Sie es so rechnen, inzwischen im Wesentlichen aus dem Steuertopf bezahlt. Wir waren uns doch einig, dass der steuerliche Ausgleich gerechter ist als der soziale Ausgleich über Beiträge. Das wissen Sie doch alles. ({77}) Warum soll für einen Erwachsenen falsch sein, was für ein Kind richtig ist? Gerade die SPD müsste doch sagen: Diejenigen, die viel verdienen, müssen das meiste zum Sozialausgleich in einem so sensiblen Bereich wie dem Gesundheitswesen beitragen. Das tun Sie aber nicht. ({78}) Sie fangen an, auf eine ganz unverantwortliche Weise irgendetwas zu behaupten, was überhaupt nicht stimmt. Es gibt heute einen Sozialausgleich im Gesundheitssystem, und der erfolgt automatisch. Es wird auch später einen Sozialausgleich im Gesundheitssystem geben. Es geht im Augenblick nur um die Aufwüchse. ({79}) - Hören Sie zu! - In jeder Legislaturperiode - das war bei Ihnen so, das war bei uns so, und das wird auch weiter so sein - steigen die Beiträge, wenn wir es geschickt machen, um ungefähr 1 Prozentpunkt und sonst um 1,5 Prozentpunkte. Sie haben keine Antwort auf die Frage, was man tun kann, um fortwährend steigende Lohnzusatzkosten zu vermeiden. ({80}) - Herr Oppermann, Sie sind viel zu intelligent, um nicht zu wissen, dass auch eine Bürgerversicherung einen Arbeitgeberanteil benötigt, der dann dauernd steigt und die Lohnzusatzkosten erhöht. Wenn Sie nicht wollen, dass über den Druck der Wirtschaftlichkeit - weil die Gesundheitskosten an die Arbeitskosten gekoppelt sind - nicht mehr jeder Mensch die Gesundheitsversorgung bekommt, die er eigentlich bekommen müsste, dann müssen Sie eine Entkopplung von den Lohnkosten für die Aufwüchse, die sich im Gesundheitswesen ergeben, hinbekommen. Ich sage: für die Aufwüchse! ({81}) Es ist immer schade, wenn sich Illusionen zerstreuen. Auf jeden Fall wird es dann genauso einen sozialen Ausgleich geben. Die Aufwüchse werden von den Arbeitskosten entkoppelt. Das ist ein richtiger Schritt dieser Koalition. Dabei werden wir den Gesundheitsminister unterstützen, sofern er überhaupt Unterstützung braucht. Er ist ja in seinen eigenen Aussagen ganz selbstständig. ({82}) Es ist richtig, dass die Gesundheitskommission heute ihre Arbeit aufnimmt. Genauso ist es richtig, dass der Bundesfinanzminister eine Gruppe zur Zukunft der Kommunalfinanzen, an der Sie über Ihre Länder Gott sei Dank mitarbeiten, eingerichtet hat. Es reicht doch nicht, einen Schutzschirm für die Kommunen aufzubauen, wie Sie es fordern. Das ist vielleicht etwas, das den Kommunen in einer Krise hilft. Aber langfristig sind die Kommunen in einem Zustand, wo die Finanzierung nicht auf Nachhaltigkeit beruht. Zwischen 2000 und 2008 sind in den Kommunen die Sozialausgaben um 50 Prozent gestiegen und die Baukosten um 20 Prozent eingebrochen. Dieser Weg muss umgekehrt werden. Da brauchen wir eine Trendwende. Ansonsten wird es keine kommunale Politik mehr geben, die selbsttätig arbeiten kann und an der sich die Menschen aus Lust ehrenamtlich beteiligen. Wir wollen das. Deshalb stellen wir uns dieser Aufgabe. Man kann nicht vom ersten Tag an sagen, was alles nicht geht, sondern man muss überlegen, was geht; denn die Kommunen sind die Grundlage des Lebens der Menschen in diesem Land. ({83}) Natürlich dürfen wir uns nicht nur um den Zusammenhalt kümmern, sondern müssen auch zur Kenntnis nehmen, dass die Globalisierung fortschreitet und dass wir unsere Art, zu leben, die soziale Marktwirtschaft und ihre Prinzipien, nur durchsetzen können, wenn es uns gelingt, die Globalisierung menschlich zu gestalten. Da sind allen voran die Finanzmarktregeln nach den Exzessen auf den Finanzmärkten zu nennen. Ich will hier in Erinnerung rufen: Einiges ist geschehen. Es hat keinen Sinn, dauernd so zu tun, als ob gar nichts geschehen wäre. Wir haben verbesserte Vorschriften über die Eigenkapitalbasis der Banken. Wir haben einen Kabinettsbeschluss zu den Ratingagenturen, der jetzt beraten wird und mit dem eine europäische Richtlinie umgesetzt wird. Es wird klargestellt, dass Unternehmen nicht mehr gleichzeitig beraten und Produkte bewerten dürfen; das ist dringend notwendig. Wir haben eine neue Bankenaufsicht - die Verhandlungen darüber sind in Europa weit fortgeschritten -, mit der systemische Risiken europaweit besser überwacht werden können. Wir werden im Sommer einen Vorschlag vorlegen, aus dem hervorgeht, wie die Aufsichtsfunktionen in Deutschland gebündelt werden können. Wir wissen heute, dass es wichtig ist, dass Emittenten bei besonders riskanten Produkten, zum Beispiel bei Verbriefungen, einen Teil des Risikos in der eigenen Bilanz behalten müssen. Wir haben auch für die Entlohnung von Bankern neue Regeln aufgestellt, die demnächst im Kabinett beraten werden. Wir werden in baldiger Zukunft einen Kabinettsbeschluss fassen, aus dem hervorgeht, wie wir es schaffen, die Abwicklung und Restrukturierung von Banken sicherzustellen, damit nicht wieder der Effekt eintritt, dass der Staat die Banken retten muss, wenn sie in eine Krise geraten. Die Banken sollen das selbst tun. BMJ und BMF arbeiten daran. Wir werden - das wurde in der G-20-Gruppe verabredet - im Juni Vorschläge vom IWF zur Beantwortung der Frage bekommen, wie man die Banken besser an den Kosten, die sie verursacht haben, beteiligen kann. ({84}) Auf diese Vorschläge warten wir, weil wir das international so verabredet haben. Es ergibt nämlich keinen Sinn, wenn wir in Deutschland so tun, als könnten wir das irgendwie erreichen. Sie haben heute Herrn Brown zitiert. Ich arbeite gut mit Gordon Brown zusammen, aber seine einmalige Besteuerung von Boni war nur halb so sinnvoll wie die Hedgefondsregulierungen, die wir gerade beraten und denen Großbritannien jetzt zustimmen sollte. Darum müssen wir kämpfen, und dafür erwarte ich Unterstützung. ({85}) Wir haben gesehen, dass wir in dieser Krise nicht nur Banken retten müssen, sondern dass jetzt auch im EuroRaum eine schwierige Situation eingetreten ist, was Griechenland anbelangt. Es war richtig, dass sowohl Nicolas Sarkozy als auch der Ministerpräsident Papandreou, JeanClaude Juncker und ich die Kommission aufgefordert haben - das geht nur europaweit -, die Finanzrichtlinie so zu ändern, dass die sogenannten nackten Credit Default Swaps, bei denen man Wetten auf etwas abschließen kann, das man nicht besitzt, verboten werden. Wolfgang Schäuble hat gestern zu den Leerverkäufen gesprochen. Das können wir aber nicht alleine machen. Wir sind in der Europäischen Union, und das fällt in deren Kompetenz. Ich denke, die Signale aus der Kommission, dass dort etwas gemacht wird, sind richtig. Das darf uns aber nicht vergessen lassen, dass die griechische Lage nicht durch die Spekulanten hervorgerufen wurde - sie wird durch die Spekulanten verstärkt -, sondern dass sie durch die langjährige Verletzung des Stabilitäts- und Wachstumspakts hervorgerufen wurde. ({86}) Deshalb steht der Euro vor seiner stärksten Herausforderung, die er je zu bewältigen hatte. ({87}) - Ich kann auch sagen, dass die Regierung Karamanlis daran beteiligt war. Auch deren Vorgängerregierung war schon daran beteiligt. Das hilft uns doch jetzt nicht. Wir müssen mit der Sache fertig werden. ({88}) Die Antwort können wir nur mit Blick auf die langfristige Stabilität des Euro finden. Da ist die schnelle Solidaritätsleistung mit Sicherheit nicht die richtige Antwort, sondern die richtige Antwort heißt, die Sache bei der Wurzel anzupacken und die Probleme vernünftig zu lösen. Deshalb gibt es keine Alternative zu dem griechischen Sparprogramm und weiteren Anstrengungen in den nächsten Jahren. Ich finde es gut und richtig, und die griechische Regierung hat großen Mut bewiesen, jetzt 4 Prozent vom Bruttoinlandsprodukt einzusparen, um das Defizit in einem ersten Schritt zu senken. Die Märkte haben das durchaus goutiert. Wir müssen immer im Auge haben, dass Europa auf der einen Seite eine Friedensgemeinschaft ist. Deshalb kann in einem gemeinsamen Währungsraum - das gilt für alle Mitgliedstaaten, aber für die im Euro-Raum versammelten besonders - kein Land völlig alleine gelassen werden. Deshalb haben wir auf dem Rat gesagt: Wir stehen natürlich insgesamt für die Stabilität des Euro ein. Wir können doch nicht zusehen, wie der Euro-Raum und damit auch unsere Grundlagen insgesamt instabil werden. Europa ist aber nicht nur eine Friedensgemeinschaft, sondern auch eine Stabilitätsgemeinschaft. Deshalb kann es nicht sein, dass wir einfach mit freundschaftlichen Bekundungen darüber hinweggehen, sondern die Erholung muss, wie ich es schon gesagt habe, von Griechenland ausgehen. Alles, was überhaupt gedacht wird, muss darauf ausgerichtet sein, dass wir nicht vorschnelle Hilfen leisten, sondern dass wir dafür Sorge tragen, dass das Ganze wieder in Ordnung kommt. Alles andere wäre fatal. Europa ist auch eine Rechtsgemeinschaft. In dieser Rechtsgemeinschaft gibt es einen Vertrag. Deshalb haben die Finanzminister richtigerweise gesagt, dass alles, was wir tun, dem europäischen Recht und - das haben sie mit Bedacht hinzugefügt - dem nationalen Recht entsprechen muss; denn wir haben ganz klare Gegebenheiten, die festlegen, was man überhaupt in einer Notsituation tun kann und was nicht. Deshalb sage ich ganz klar, dass nichts gemacht werden kann, was gegen nationales Recht verstößt. Da sind uns Grenzen auferlegt. Wir denken auch für die Zukunft; denn Europa ist unsere eigene Zukunft. Deshalb hat Wolfgang Schäuble nicht für Griechenland Vorschläge gemacht, aber Wolfgang Schäuble hat Vorschläge gemacht, damit man eventuell den IWF nicht in allen Situationen rufen muss was jetzt vielleicht der Ausweg sein müsste, wenn man etwas täte. Aber ich sage hier nichts darüber hinaus. Er hat Vorschläge gemacht, dass wir für die Zukunft ein Vertragswerk bekommen, aufgrund dessen es als Ultima Ratio sogar möglich ist, ein Land aus dem Euro-Raum auszuschließen, wenn es die Bedingungen langfristig immer wieder nicht erfüllt. Sonst kann man nicht zusammenarbeiten. ({89}) Heute haben wir eben nicht das richtige Instrumentarium. Wir haben nicht gedacht, dass wir im Euro-Raum in eine Situation kommen, in der ein Land vielleicht vor der Zahlungsunfähigkeit steht. Die Antwort hieß damals: Die schärfste Sanktion ist, dass das Land Geld an die Kommission zahlen muss. Ein Land, das kein Geld hat, kann auch kein Geld an die Kommission zahlen, oder wir führen die Zahlungsunfähigkeit noch besonders beschleunigt herbei; das wäre ja schwachsinnig. Es ist richtig, dass wir darüber hinausdenken und fragen: Wie müssten wir die Verträge entwickeln, damit man mit einer solchen Situation umgehen kann? Auch bei Griechenland muss jetzt gelten, dass die Stabilitätsgemeinschaft im Vordergrund steht und dass wir nicht eine vorschnelle Hilfe leisten, die uns langfristig überhaupt nicht weiterbringt, sondern den Euro immer weiter schwächt. ({90}) Meine Damen und Herren, Europa gestalten heißt eben auch: Wirtschaftsregierung - ja, und zwar mit anspruchsvollen Zielen und nicht mit der Frage „Wie können wir alle gemeinsam diese anspruchsvollen Ziele vielleicht nicht durchsetzen?“. Außerdem heißt es: Protektionismus vermeiden. Ich könnte hier viel dazu sagen. In den letzten Monaten hat der Protektionismus weltweit zugenommen. Wir sind mit der Doha-Runde nicht weitergekommen. Für eine Exportnation wie Deutschland ist das jedoch zwingend notwendig. Wir brauchen Datenschutz. Globale Digitalisierung ist gut. Wir brauchen aber auch den Schutz und müssen den Bürgerinnen und Bürgern sagen, dass die Dinge nicht so sind, dass Menschen auf ihre eigenen Daten gar keinen Zugriff haben. Wir müssen natürlich auch viele außenpolitische Probleme, über die ich heute aus Zeitgründen nicht reden kann, in den Griff bekommen. Meine Damen und Herren, Deutschland ist eine tolerante, eine offene Gesellschaft. Der Economist - nicht gerade eine Zeitung, die Deutschland immer nur in den höchsten Tönen lobt - hat über Deutschland in der vergangenen Woche geschrieben, dass es ein nicht nur lebenswertes, sondern auch ein liebenswertes und durchaus auch reformfreudiges Land ist. ({91}) Ich glaube, dass wir auf dieses Land stolz sein können, und das ganz besonders mit Blick auf das, was morgen hier in diesem Hohen Hause stattfindet, nämlich die Erinnerung an den 20. Jahrestag der ersten freien Wahl zur Volkskammer. Mit diesem Tag, dem 18. März 1990, ist der Einigungsprozess sozusagen unumkehrbar geworden. Das war ein tolles Gefühl, nach Jahrzehnten zum ersten Mal frei wählen zu können. Davon haben damals auch 93 Prozent der Menschen in der DDR Gebrauch gemacht. Auch das zeigt, wie sehr man sich darauf gefreut hat. Meine Damen und Herren, aufgrund dieser Erfahrung der letzten 20 Jahre bin ich optimistisch, dass wir es schaffen können, die Etappe, die jetzt Ost und West, das ganze Deutschland, gemeinsam in einem vereinten Europa zu gehen haben, zu einem Erfolg zu machen, über den unsere Enkel eines Tages einmal sagen: Mensch, das haben die in schwieriger Zeit gut gemacht. Aber wenn wir nicht zu einem Punkt kommen, an dem es uns gelingt, über notwendige Veränderungen und Weiterentwicklungen in diesem Land so zu sprechen, wie es die Verantwortung gebietet, dann werden wir das nicht schaffen. Ich sage Ihnen: Die christlich-liberale Koalition ist zu dieser verantwortlichen Diskussion bereit. ({92}) Wir gehen mit Mut an die Arbeit. Herzlichen Dank. ({93})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das Wort erhält nun der Kollege Gregor Gysi für die Fraktion Die Linke. ({0})

Dr. Gregor Gysi (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000756, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Bundestagspräsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich habe bei Ihrer Rede sehr genau zugehört, Frau Bundeskanzlerin Merkel, aber alles, was Sie gesagt haben, ändert nichts daran, dass sich Ihre Bundesregierung doch in einem ziemlich erbärmlichen Zustand befindet, wie ich versuchen werde, Ihnen zu zeigen. ({0}) Ich räume ja ein, auch Teile der Opposition befinden sich in keinem guten Zustand. Aber damit meine ich keinesfalls die Linke. Wir haben zwar auch einige Probleme, aber im Vergleich zu den anderen sind wir doch topfit. Es ist alles relativ, wie Sie wissen. ({1}) Die Grünen wechseln gerade in das sogenannte bürgerliche Lager. Wir haben das in Hamburg erlebt. Wir haben das im Saarland erlebt. Sie kündigen das schon für NRW an. Für die Bundesebene kann man auch damit rechnen. ({2}) - Hören Sie einmal zu! - Beim Saarland kommt noch eine sehr unappetitliche Käuflichkeit durch die FDP dazu. Das sollten Sie einmal aufarbeiten, finde ich. ({3}) Die SPD ist dabei, ihren Standort zu suchen. Sie hat ihn noch nicht gefunden. Immerhin beginnen Sie von der SPD jetzt damit, Hartz IV zu überwinden. Sie kritisieren jetzt prekäre Beschäftigungsverhältnisse. Nur muss man hinzufügen: Hartz IV ist vollständig und die prekäre Beschäftigung in diesem Umfang durch eine Bundesregierung von SPD und Grünen eingeführt worden, also zu Ihrer Regierungszeit. Das heißt, bei SPD und Grünen erleben wir Folgendes: Sie leiten unsoziale Prozesse als Regierung ein, um danach zu sich selbst in Opposition zu treten. Das ist gar kein so seltener Vorgang. Trotzdem muss die SPD - das will ich gerne animierend sagen diesen Weg weiter gehen. ({4}) Sozialdemokratische Politik bedeutet meines Erachtens, dass Hartz IV überwunden wird, dass prekäre Beschäftigung überwunden wird, dass man dagegen ist, Rente erst ab 67 Jahren zu zahlen, dass man endlich dafür eintritt, die Bundeswehr unverzüglich aus Afghanistan abzuziehen. Sozialdemokratische Politiker müssten für Steuergerechtigkeit streiten, das heißt auch für eine Millionärssteuer, für eine Börsenumsatzsteuer, für einen höheren Spitzensteuersatz. Aber von alledem ist die SPD doch noch meilenweit entfernt. Ich wünsche Ihnen jedoch Erfolg auf diesem Weg, wenn Sie ihn denn gehen wollen. ({5}) Frau Kraft in NRW scheint allerdings einen anderen Weg zu gehen. Sie hat ja nun den Vorschlag erfunden, dass Langzeitarbeitslose ehrenamtlich tätig sein sollen. Ich frage mich: Warum immer diese Hartz-IV-Logik? Warum kann man Arbeit nicht einfach bezahlen? Warum muss man die Leute so demütigen? Ich kann das überhaupt nicht nachvollziehen, was dort passiert. ({6}) Aber zu Hartz IV äußere ich mich noch später. Herr Steinmeier, ich habe Ihrer Rede ja sehr genau zugehört. Ich muss zugeben, das hat mir auch Spaß gemacht, auch aufgrund Ihrer Rhetorik. Nur eines muss ich Ihnen auch sagen: Ich hätte eine solche Rede so gerne einmal von Ihnen als Kanzleramtschef unter Kanzler Schröder hier im Bundestag gehört, nicht erst heute. Das hätte die Regierungspolitik sicherlich wesentlich verändert. ({7}) Es geht ja eigentlich um die Bundesregierung. ({8}) Da ist alles noch viel schlimmer. Lassen Sie mich zunächst einmal etwas zu den Rüstungsexporten sagen. Frau Bundeskanzlerin Merkel, seit 2005 hat Deutschland seine Rüstungsexporte verdoppelt. Wir stehen jetzt an dritter Stelle weltweit. Mehr Rüstungsgüter verkaufen nur die USA und Russland. Dann folgt Deutschland. Darf ich daran erinnern, dass der schlimmste Krieg des letzten Jahrhunderts von Deutschland ausging? Was ist denn eigentlich so schlimm daran, wenn wir einmal als Erster die Schlussfolgerung ziehen, zu sagen: „Wir wollen an Krieg nicht mehr verdienen, wir verbieten Rüstungsexporte“? Was wäre daran so schlimm? ({9}) Wenn wir so viele Waffen verkaufen, Frau Bundeskanzlerin, können Sie überhaupt nicht einschätzen, wann und wo und wie sie eingesetzt werden. Ich sage Ihnen: Ich bin der festen Überzeugung, Kriege hören nicht auf, solange so viel an Kriegen verdient wird. Das muss unterbunden werden. ({10}) Nun haben wir einen Bundesaußenminister, der auch FDP-Vorsitzender ist und nie genau weiß, wie er mit den Rollen umgehen soll. Ich lasse jetzt einmal Ihre Beschimpfung der Arbeitslosen weg, Herr Westerwelle, zumal ich sowieso meine, es gibt keine Arbeitslose und keinen Arbeitslosen, die bzw. der je auf die Idee käme, FDP zu wählen. Aber damit rechnen Sie ja auch nicht. ({11}) - Nein, nein, hören Sie zu! - Aber ich sage Ihnen auch: Die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die FDP wählen, passen in eine Telefonzelle. Aber davon einmal ganz abgesehen: Die FDP versucht etwas Neues, nämlich eine Lobbyistenpartei hoffähig zu machen. Was Sie mit den Hoteliers und der Dankesspende von Mövenpick gemacht haben, was Sie mit den Geschenken an die Pharmaindustrie vorhaben und wie die Gästeliste von Bundesaußenminister Westerwelle bei seinen Reisen aussieht, das alles spricht dafür, dass man versucht, eine Lobbyistenpartei salonfähig zu machen. Frau Bundeskanzlerin Merkel, Sie sagen dazu in der Regel nichts. Sie halten sich zurück, vergessen aber, dass Sie dafür mithaften. ({12}) Zum Beispiel in Bezug auf die Gästeliste könnten Sie Ihrem Bundesaußenminister die Sache erleichtern, indem Sie eine kleine Dienstanweisung erlassen, in der steht, wen man mitnehmen darf und wen nicht. Wenn Sie es nicht schaffen, helfe ich Ihnen gerne. Ich will nur sagen: Das ist zu leisten. Im Kern geht es um eine ganz andere Frage: Wollen wir eine „Berlusconisierung“ der Politik in Deutschland oder wollen wir die nicht? Wir sind strikt dagegen. Also tun Sie etwas dagegen! ({13}) Bundesminister zu Guttenberg hat zunächst erklärt, dass der entsetzliche Luftangriff auf Kunduz mit vielen toten Zivilisten, darunter auch vielen Kindern, angemessen gewesen sei. Dann hat er seinen Generalinspekteur und den Staatssekretär entlassen, weil sie ihn falsch informiert hätten. Dann hat er gesagt, der Angriff sei doch nicht angemessen gewesen, sondern unangemessen. Jetzt nimmt er die beiden Entlassenen wieder in Schutz. Ich verstehe überhaupt nicht, was in Ihnen vorgeht, Herr zu Guttenberg. Ihnen fehlt eine notwendige Erkenntnis: dass es von Anfang an falsch war, die Bundeswehr in Afghanistan einzusetzen. Das sollten Sie endlich einmal zugeben, und das muss korrigiert werden. ({14}) Frau Bundeskanzlerin, Sie haben zu Griechenland gesprochen. Da wundert mich eines: Wir verlangen von Griechenland einen knallharten Sparkurs, den wir für Deutschland ablehnen. Denn das ist Brüning’sche Politik, und Sie wissen, dass Reichskanzler Brüning Deutschland in die größte Katastrophe geführt hat. Warum verlangen wir eine solche Politik von Griechenland? Jetzt gehen die Menschen dort auf die Straße, und zwar, wie ich finde, völlig zu Recht. Es ist doch nicht hinnehmbar, dass Sozialleistungen, Renten, Löhne usw. gekürzt werden, ({15}) aber die Banker, die die ganze Krise verursacht haben, überhaupt nicht zur Verantwortung gezogen werden. Da stehen wir an der Seite der Bevölkerung Griechenlands. ({16}) Sehen Sie sich das einmal an: Die Großbanken zocken jetzt schon wieder mit Wetten auf die Schulden Griechenlands. Sie machen schon wieder Leerverkäufe. Nachdem die Leerverkäufe in Deutschland zwischenzeitlich verboten waren, sind sie nun wieder erlaubt. Jetzt hat Bundesminister Schäuble gesagt, er will sie vielleicht doch wieder verbieten. Machen Sie es doch endlich! Wir brauchen keine Leerverkäufe; das ist nichts anderes als Spekulation. ({17}) Dann geht es um eine Abgabe der Banken, weil diese direkt und indirekt eine Menge davon hatten, dass der Staat Rettungsaktionen gestartet hat. Warum führen Sie die Abgabe nicht ein? Sie sagen heute, Frau Bundeskanzlerin Merkel, das könne Deutschland nicht allein machen, sondern nur die EU als Ganzes. Wirklich? Warum hat Schweden das dann allein gekonnt? Denn Schweden, ebenfalls Mitglied der EU, hat eine solche Abgabe schon eingeführt. Warum kann in diesem Fall nicht Deutschland einmal als Vorbild vorangehen? Im Übrigen plant auch der Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika, Obama, eine solche Abgabe in den USA. ({18}) Nun folgen Sie doch wenigstens Obama in dieser Frage, wenn Sie uns schon nicht folgen; das ist doch nicht zu viel verlangt. ({19}) Ackermann bekommt jetzt wieder ein Gehalt von 10 Millionen Euro ausgezahlt. Ich gönne ihm das ja; aber wissen Sie, was das Problem daran ist? Das haben die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler gezahlt. Wissen Sie auch, warum? Die Deutsche Bank hatte eine Milliardenforderung gegenüber HRE. Wäre HRE in die Insolvenz gegangen, hätte die Deutsche Bank keinen Gewinn gemacht; ganz im Gegenteil, sie hätte schwere Verluste zu verzeichnen. Jetzt ist HRE verstaatlicht worden; das heißt, die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler haben die Forderung übernommen und an die Deutsche Bank gezahlt. Davon bekommt Ackermann jetzt 10 Millionen Euro, die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler aber nichts. Das ist die Ungerechtigkeit, die wir kritisieren und gegen die Sie nichts machen. ({20}) Deutschland ist inzwischen der größte Niedrig- und Dumpinglohnsektor aller Industriestaaten. Ein Viertel der Beschäftigten, sagt das Statistische Bundesamt, arbeitet in Deutschland zu Niedriglohn. Damit hängt zusammen, dass unsere Exporte billiger sind und die griechischen teurer. Jetzt gibt es zwei Wege: Der eine Weg ist, dass die Griechen ihre Löhne noch weiter senken, und der andere Weg ist, dass wir unsere Löhne erhöhen. ({21}) Genau dagegen wehren Sie sich. Sie tun ja so, als ob die Gesellschaft unterginge, wenn wir das machten, was schon 20 Mitgliedsländer der Europäischen Union getan haben, nämlich einen flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn einzuführen. Genau den brauchen wir aber. ({22}) Davon hätten nicht nur die Griechinnen und Griechen, sondern auch unsere Beschäftigten etwas. Davon hätten auch - deshalb verstehe ich die FDP nicht - das Handwerk und die kleinen und mittleren Unternehmen etwas, die von der Binnenwirtschaft leben. Sie brauchen eine erhöhte Kaufkraft. Aber Sie verhindern dies. Eigentlich sind wir die Partei der kleinen und mittleren Unternehmen und nicht Sie. Sie tun bloß so als ob. ({23}) - Herr van Essen, wenn Sie mir das nicht glauben, dann glauben Sie es doch wenigstens dem Direktor des arbeitgebernahen Instituts der deutschen Wirtschaft, Michael Hüther. Auch er schlägt jetzt einen flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn vor. Er ist noch nicht bei der Höhe von 10 Euro, die wir vorschlagen, angekommen. Aber abgesehen davon kann man sagen, dass er immerhin diesen Weg vorschlägt. Frau Bundeskanzlerin, ich habe mich gewundert, dass Sie von Chancengleichheit geredet haben. - Wo ist sie eigentlich? Ich sehe, dass sie im Moment ihre Staatssekretäre betreut. Auch das ist nötig. ({24}) Ich habe mich, wie gesagt, gewundert, dass Sie, Frau Bundeskanzlerin, von Chancengleichheit in der Bildung gesprochen haben. Überall dort, wo die Union regiert, werden die Kinder in der Grundschule nach der vierten Klasse getrennt. Wer Kinder nach der vierten Klasse trennt, der macht nichts anderes als soziale Ausgrenzung. ({25}) - Einen Moment, Herr Lindner. Hören Sie zu! Frau Merkel und ich sind auf eine Gemeinschaftsschule gegangen. Ganz so blöde sind wir beide doch nicht geworden. Oder wollen Sie das Gegenteil behaupten? ({26}) Ihre Position kann ich überhaupt nicht akzeptieren. Ich komme jetzt zu einem anderen Thema. Ob nun SPD oder die Union regiert, es ist immer dasselbe: Meine Partei wird vom Bundesamt für Verfassungsschutz beobachtet. ({27}) Ich kann Ihnen sagen, woran das liegt. Das liegt daran, dass die Mitarbeiter dieses Amtes vom Grundgesetz keine Ahnung haben. ({28}) Aber wenn Sie das wollen, Herr Kauder, dann versuche ich, denen das Grundgesetz beizubringen. Wenn diese das Grundgesetz endlich verstehen würden, dann müssten sie sich eher um Sie und auch um die SPD kümmern. ({29}) Denn eines muss ich Ihnen sagen: Während der Großen Koalition sind so viele verfassungswidrige Gesetze verabschiedet worden wie noch nie zuvor in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland. Dazu haben Sie einen Hang. ({30}) Jetzt nenne ich Ihnen die Beispiele. Der Bundespräsident hat zwei Gesetze, nämlich das Gesetz zur Privatisierung der Flugsicherung und das Gesetz zur Reduzierung des Verbraucherschutzes, nicht unterzeichnet, weil sie offensichtlich - nicht nur verdeckt - grundgesetzwidrig waren. ({31}) Dann haben Sie eine Neuregelung zur Kilometerpauschale verabschiedet. Wir haben Ihnen gesagt, das ist grundgesetzwidrig. Sie beide haben uns das selbstverständlich nicht geglaubt. Aber das Bundesverfassungsgericht hat uns recht gegeben. Dann haben Sie die Gesetze zum Vertrag von Lissabon gemacht. Wir haben Ihnen gesagt, sie sind grundgesetzwidrig. Sie haben uns das selbstverständlich nicht geglaubt. Aber das Bundesverfassungsgericht hat uns recht gegeben. Dann haben Sie ein Vorratsdatenspeicherungsgesetz gemacht. Wir haben Ihnen gesagt, es ist grundgesetzwidrig. Sie haben uns das selbstverständlich nicht geglaubt. Aber das Bundesverfassungsgericht hat uns recht gegeben. Das Gleiche wird übrigens mit dem Internetzensurgesetz passieren. Dann haben Sie - Sie von der Union waren nur indirekt beteiligt - ein Hartz-IV-Gesetz beschlossen. Wir haben Ihnen gleich gesagt, das ist grundgesetzwidrig. Sie haben es uns nicht geglaubt. Das Bundesverfassungsgericht hat es bestätigt. Glauben Sie mir: Von den Linken können Sie in Bezug auf das Grundgesetz eine Menge lernen. ({32}) Passen Sie auf, jetzt kommt der Höhepunkt. Obwohl das Bundesverfassungsgericht so entschieden hat, tönt die FDP, dass sie die Aufhebung des Gesetzes nutzen will, um die Leistungen für Hartz-IV-Empfängerinnen und Hartz-IV-Empfänger zu kürzen. ({33}) Zum Teil tönen da noch andere mit. Ich sage Ihnen: Das ist ein Skandal. Es dauert leider lange, bis das Bundesverfassungsgericht das aufheben würde. Verabschieden Sie kein neues verfassungswidriges Gesetz! Fragen Sie uns! Wir sagen Ihnen, was im Grundgesetz steht. ({34}) Wenn wir schon bei Hartz IV sind: Sie, Frau Merkel, sagen, Sie wollen den Zuverdienst erhöhen. Wissen Sie, was Sie da anrichten? Sie sagen damit doch permanent, die Leute sollen faktisch unentlohnt für einen kleinen Zuschuss arbeiten. Davon haben nur die Unternehmen etwas. Ich habe Ihnen schon von dem Mann erzählt, der fünf Monate unentgeltlich ein Praktikum gemacht hat. Das nutzt natürlich diesem Unternehmen. Wollen Sie denn das Lohndumping immer weiter vorantreiben? Warum können wir nicht einmal einen anderen Weg gehen: den Hartz-IV-Regelsatz wenigstens auf 500 Euro erhöhen, eine Kindergrundsicherung machen und die demütigenden Sanktionen streichen? Dann sollten wir neu nachdenken und Arbeit statt Arbeitslosigkeit bezahlen. Im Vergleich mit Frankreich, Großbritannien und Skandinavien haben wir den kleinsten öffentlichen Dienst. Das spüren übrigens auch die Kommunen; da geht es um Lehrerinnen und Lehrer, um Kindergärtnerinnen und Kindergärtner und ganz viel sonstiges Personal. Es geht auch um die Justiz und um die Polizei. ({35}) - Herr Kauder, wenn ich heute beim Verwaltungsgericht Berlin-Brandenburg eine Klage einreiche, dann bekomme ich den ersten Termin in zwei Jahren. Das finden Sie normal? ({36}) Wir brauchen in diesem Bereich mehr Beschäftigte; denn die Qualität der Rechtsprechung hängt auch davon ab, dass sie zügig erfolgt und die Leute relativ schnell wissen, ob sie recht oder unrecht hatten. ({37}) Da müssen wir neu nachdenken. Wir müssen den öffentlichen Dienst erweitern, und wir brauchen einen öffentlich geförderten Beschäftigungssektor, wie es ihn in Berlin gibt und wie er in Brandenburg geplant ist. In Berlin gibt es schon 7 600 entsprechende Stellen. Diese Leute verdienen wieder Geld, sie zahlen wieder Lohnsteuer und Beiträge in die Sozialkassen ein. Außerdem sparen wir auf der anderen Seite die Auszahlung von Hartz IV. Was ist denn daran so schlimm? Sie machen etwas Vernünftiges und werden dafür bezahlt. Das ist der richtige Weg und nicht die Bezahlung von Arbeitslosigkeit. Es gibt doch andere Möglichkeiten. ({38}) Jetzt lassen Sie mich noch auf einen speziellen Fall eingehen, der mich - und eigentlich auch Sie, Herr Kauder - seit August 2009 beschäftigt und uns alle demnächst beschäftigen wird. Herr Kauder und ich waren zusammen mit Herrn Wowereit von der SPD, mit Herrn Brüderle von der FDP und mit Herrn Kuhn von den Grünen bei Hart aber fair. Da trat eine Mutter auf, die sagte, dass sie nur teilzeitbeschäftigt ist und zusätzlich Hartz IV bezieht. Ihre Tochter hatte in den Ferien gearbeitet und sich mit dem verdienten Geld einen Traum erfüllt und eine Gitarre gekauft. Der Mutter wurde das Geld dann wieder abgezogen. ({39}) Alle, die in der Sendung anwesend waren, haben gesagt - auch Sie, Herr Kauder -, dass das korrigiert werden muss. Wir haben dann im September, noch in der vorigen Legislaturperiode, die Korrektur beantragt. Sie, meine Damen und Herren von der SPD, haben diesen Antrag zusammen mit der CDU/CSU abgelehnt. ({40}) Die Grünen haben zugestimmt, wir haben zugestimmt, und die FDP hat sich der Stimme enthalten. Jetzt haben Sie von der SPD einen entsprechenden Antrag eingebracht. Ich sage Ihnen heute schon, was passieren wird: Wir werden zustimmen, die Grünen werden zustimmen, die Union wird dagegenstimmen, und auch die FDP wird dagegenstimmen. Damit machen Sie Politik unmöglich. Was sagen Sie denn den Leuten? Als Sie in der Regierungsmehrheit waren, haben Sie dagegengestimmt. Wenn Sie aber in der Opposition, in der Minderheit, sind, stimmen Sie dafür. Die FDP hat sich in der Opposition der Stimme enthalten und stimmt in der Regierung dagegen. Was sollen die Leute damit anfangen? Herr Lindner hat nun in einer neuen Sendung gesagt, das werde bis Ende des Jahres geregelt werden. Herr Lindner, warum bis Ende des Jahres? Die nächsten Sommerferien kommen im Juli. Lassen Sie uns das doch vorher regeln, damit die Kinder diesbezüglich vor den Sommerferien Bescheid wissen. ({41}) Frau Bundeskanzlerin, Sie haben gesagt, es sei Ihnen gelungen, die Arbeitslosigkeit abzubauen. Sie hätten aber auch sagen müssen, wodurch. Es ist geschehen, indem die prekäre Beschäftigung in einem Maße ausgebaut worden ist, das für diese Gesellschaft von größtem Nachteil ist. Bei der Vollzeitbeschäftigung gibt es 1,4 Millionen Stellen weniger. Bei der Teilzeitbeschäftigung gibt es inzwischen 5 Millionen Stellen, bei Minijobs 7,1 Millionen. Die Mehrfachbeschäftigung hat sich verdoppelt, und die Zahl befristeter Beschäftigungsverhältnisse ist - das wurde gestern in der Tagesschau gemeldet - auf 2,7 Millionen gestiegen. Dann gibt es noch die Aufstockerinnen und Aufstocker, die Sie alle loben. Aufstockung ist doch aber eine Zumutung. Da arbeitet jemand Vollzeit, verdient aber so wenig, dass er nicht davon leben kann, und dann kommt der Staat und übernimmt den Rest. Das ist ein Skandal. Wenn der Staat den Rest übernimmt, verführt das die Unternehmen doch dazu, ganz niedrige Löhne zu zahlen. ({42}) Wenn jemand vollzeitbeschäftigt ist, dann hat er Anspruch auf einen Lohn, von dem er in Würde leben kann. Das ist unser Standpunkt. Wir haben, wie Sie gesagt haben, mit über 80 Milliarden Euro die höchste Neuverschuldung, die es je gab. Sie haben 900 Millionen Euro für die Bundesagentur für Arbeit erst einmal gesperrt. Jetzt sagen Sie, diese Mittel würden wieder zur Verfügung gestellt. Aber erst einmal sind sie gesperrt. Wenn sie gesperrt blieben, hieße das, dass ein Drittel der Jobcenter handlungsunfähig wäre und 10 000 Leute entlassen werden müssten. Was sind da Ihre Pläne? Herr Bundesminister Rösler will jetzt zusätzlich eine Kopfpauschale von 29 Euro einführen. ({43}) Sie behaupten im Ernst, das Ganze sei aufgrund eines Steuerzuschusses sozial gerecht, wobei ich jetzt gar nichts dazu sagen möchte, dass Sie den Spitzensteuersatz ständig senken. Aber ernsthaft zu glauben, dass eine Friseuse und Herr Ackermann das Gleiche für die Gesundheit bezahlen sollten, ist völlig absurd. ({44}) - Ja, das ist Ihre Idee. Für mich ist es aber ein völlig absurder Gedanke. ({45}) Nun machen Sie mit der geplanten Einführung einer Pauschale von monatlich 29 Euro einen ersten Schritt. Aber bitte fügen Sie hinzu, dass Sie den Arbeitnehmerbeitrag für Zahnersatz und Krankenhauskosten in Höhe von 0,9 Prozent des Einkommens streichen wollen. Stattdessen wollen Sie die 29 Euro kassieren. Das bedeutet für jemanden, der 1 500 Euro im Monat verdient, dass er rund 10 Euro mehr zahlen muss. Jemand, der 3 700 Euro im Monat verdient, muss 5 Euro weniger zahlen. Es ist die alte Leier: Immer wieder wird eine Umverteilung von unten nach oben organisiert. Etwas anderes kennen Sie nicht. ({46}) Das ist ein Zeichen der Entsolidarisierung. Mir ist es wichtig, hinzuzufügen: Natürlich brauchen wir eine Bürgerversicherung, weil dann jede und jeder seinem Einkommen entsprechend herangezogen wird. Nur das ist gerecht und nichts anderes. ({47}) Herr Bundesminister Rösler, zu Ihrem Vorhaben, die Arzneimittelpreise zu senken: Sie wissen doch selbst, dass das ein Schuss nach hinten ist; das kann nicht funktionieren. Warum organisieren Sie nicht einfach eine Preiskontrolle und eine Festlegung der Preise durch den Staat, damit die Konzerne zwar einen angemessenen Gewinn erzielen, aber keine riesigen Profite machen können? Was wäre daran so schlimm? Jetzt sagen Sie, die gesetzlichen Krankenkassen sollen im Nachhinein mit der Pharmaindustrie verhandeln. Dabei sind die Krankenkassen in einer viel schwächeren Position als die Pharmaindustrie, sodass nichts dabei herauskommt, außer dass die Pharmaindustrie nach wie vor die vollständige Preisdominanz hat. ({48}) Frau Bundeskanzlerin, Sie haben darauf hingewiesen, dass sich morgen der 18. März 1990 zum 20. Mal jährt. Das stimmt. ({49}) Ich habe ein paar Fragen an Sie: Frau Bundeskanzlerin, wann bekommen die Rentnerinnen und Rentner im Osten endlich für die gleiche Lebensleistung die gleiche Rente wie die Rentnerinnen und Rentner im Westen? Wann beantworten Sie uns diese Frage? ({50}) Wann, Frau Bundeskanzlerin, bekommt man im Osten den gleichen Lohn für gleiche Arbeit und die gleiche Arbeitszeit? Wann beantworten Sie uns diese Frage? ({51}) Wann, Frau Bundeskanzlerin, ist die Arbeitslosigkeit im Osten nicht mehr doppelt so hoch wie im Westen? Wann, Frau Bundeskanzlerin, verhindern wir, dass der Osten den Westen nach unten zieht, wie das heute der Fall sein soll? Wann hört es auf, dass der Osten die Begründung - dies ist eine falsche Begründung - für den Sozialabbau im Westen ist? Wer ein vereintes Deutschland will, muss gleiche Lebensverhältnisse in Ost und West herstellen und aufhören, Ost und West gegeneinander auszuspielen. ({52}) Zum Schluss sage ich Ihnen: Wenn wir in dieser Gesellschaft soziale Gerechtigkeit wollen, kommen wir um Steuergerechtigkeit nicht umhin. Wer nicht den Mut hat, Steuergerechtigkeit herzustellen, der wird niemals in der Lage sein, soziale Gerechtigkeit herzustellen, sondern er wird immer nur begründen, weshalb dies nicht gehe und was alles dagegenspreche, und das zerstört diese Gesellschaft. Es gab noch nie so viele Außenstehende wie jetzt. Es gab noch nie so viel Armut in Deutschland wie jetzt. Wenn Sie daran weiter arbeiten, dann zerstören Sie die eigenen Grundlagen, auf die Sie bauen. Frau Bundeskanzlerin, Sie werden verstehen: Wir können dem Etat Ihres Bundeskanzleramts beim besten Willen nicht zustimmen. Ich kann es nicht ändern. ({53})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Für die FDP-Fraktion spricht jetzt die Kollegin Birgit Homburger. ({0})

Birgit Homburger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000952, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir beraten in dieser Woche den Bundeshaushalt 2010. Dieser Bundeshaushalt ist ein Dokument der Handlungsfähigkeit und auch der Entschlossenheit dieser Koalition. ({0}) Wir haben eben von Herrn Steinmeier und Herrn Gysi gehört, was wir alles falsch machen. Ich möchte Ihnen von der SPD deutlich machen, was Ihre Politik von unserer Politik unterscheidet. ({1}) Sie haben einen Rettungsschirm für Banken auf den Weg gebracht. Sie haben Steuergelder für General Motors ausgegeben, und Sie haben eine Abwrackprämie für alte Autos eingeführt. Wir spannen jetzt einen Arbeitnehmerschutzschirm, wir entlasten die Bürgerinnen und Bürger, und wir tätigen mehr Investitionen im Bereich Bildung und Forschung. Das ist der Unterschied, der diese Koalition ausmacht. ({2}) Auch wenn dieser Haushalt noch ein Stück weit geprägt ist von einer Übergangsstruktur, ist es doch so, dass man ihm im Kern schon ansieht, dass er eine andere Schwerpunktsetzung hat, ({3}) dass für uns die Menschen im Mittelpunkt stehen, Herr Bonde. Das zeigt sich zunächst an dem, was wir im Januar auf den Weg gebracht haben, am Familienförderungsgesetz, an der Entlastung der Bürgerinnen und Bürger, vor allem der Familien in diesem Land. Endlich haben die Familien wieder mehr Geld in der Tasche. ({4}) Herr Bonde, wir haben Impulse für mehr Wachstum und Beschäftigung gegeben, indem wir Fehler bei der Gewerbesteuer und der Erbschaftsteuer korrigiert haben. Ich sage Ihnen eines: Das Sozialste, was man überhaupt tun kann, ist, dafür zu sorgen, dass Menschen eine Chance auf Arbeit haben. Wenn wir das wollen, dann müssen wir auch dafür sorgen, dass die Entlastungen, die wir im steuerlichen Bereich vorgenommen haben, nicht durch höhere Beiträge zu den Sozialversicherungen wieder aufgefressen werden. Deshalb haben wir den Zuschuss zur Krankenversicherung erhöht und einen Zuschuss zur Arbeitslosenversicherung vorgesehen. Das alles bedeutet nichts anderes, als dass wir die Lohnzusatzkosten stabil halten. Das ist ein Schutzschirm für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und bedeutet ein Mehr an Chancen auf Arbeitsplätze in diesem Land. Das haben wir hier im Deutschen Bundestag verabschiedet. ({5}) Wir haben einen neuen Schwerpunkt bei Bildung und Forschung gesetzt. Das wird schon im Haushalt 2010 sichtbar: 750 Millionen Euro zusätzlich für Bildung und Forschung. In Summe haben wir uns vorgenommen, 12 Milliarden Euro mehr in diesen Bereich zu investieren. Wir wollen in die Köpfe, in die Chancen der jungen Generation investieren. Wir werden noch in diesem Jahr den Start des Stipendienprogramms haben. Ich sage auch ganz deutlich: Wir werden mehr tun im Bereich Forschung. Das ist dringend notwendig, auch im Hinblick auf die Energiepolitik. Hier ist heute zu Recht gesagt worden, dass wir das Zeitalter der regenerativen Energien erreichen wollen. Wir werden alles tun, damit die notwendige Forschung, beispielsweise im Bereich Speichertechnologien, durchgeführt wird, damit wir dieses Ziel erreichen. ({6}) Herr Steinmeier, Sie haben uns vorhin vorgeworfen, wir hätten in diesem Haushalt nicht genügend gekürzt. Unsere Haushaltspolitiker haben in diesem Parlament 310 Kürzungsvorschläge vorgelegt. Wir haben 500 Millionen Euro zusätzlich bei der Verwaltung eingespart. Ich möchte Sie an dieser Stelle einfach nur bitten, sich diesen Haushalt noch einmal genau anzuschauen. Ich kann mir überhaupt nicht vorstellen, dass Sie hier einen falschen Vorwurf in den Raum stellen wollten, was Sie vorhin aber getan haben, als Sie behaupteten, wir würden über 900 zusätzliche Stellen schaffen. In Summe werden wir am Ende des Jahres 2010 - auch das muss die Öffentlichkeit erfahren -, weil wir in anderen Bereichen Stellen streichen, 581 Stellen weniger haben. Das heißt, wir sparen. Zusätzlich haben wir eine 1-prozentige Kürzung in diesem Haushalt für die Zukunft beschlossen. Das ist die Wahrheit und nicht das, was von Ihnen, Herr Steinmeier, erzählt worden ist. ({7}) Die Nettokreditaufnahme wurde angesprochen. Ja, die ist verdammt hoch. Auch wir würden uns wünschen, das wäre anders. Die Bundeskanzlerin hat das Nötige dazu schon gesagt. Ich möchte aber trotzdem deutlich machen, dass wir im Rahmen der Haushaltsberatungen im Vergleich zum ersten Entwurf noch einmal 6 Milliarden Euro zusätzlich eingespart haben. Ich sage an dieser Stelle ganz deutlich: Die FDP hat in ihrer Zeit in der Opposition hier im Deutschen Bundestag regelmäßig ein Sparbuch vorgelegt. Sie, meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen von der Opposition, haben hier nur Wunschlisten vorgelegt. In Summe haben Sie 56 Milliarden Euro Mehrausgaben beantragt. Das, was Sie hier vorschlagen, ist keine verantwortliche Politik. ({8}) - Lieber Herr Bonde, Sie fordern die Wahrheit ein. ({9}) Die Wahrheit ist, dass die Grünen zusätzliche Ausgaben in Höhe von 14 Milliarden Euro beantragt haben. Würden wir Ihren Vorschlägen folgen, dann hätten wir am Ende eine Neuverschuldung von 100 Milliarden Euro; das schlagen Sie vor. ({10}) Die Linken haben zusätzliche Ausgaben in Höhe von 41 Milliarden Euro beantragt. Ich wiederhole es: 41 Milliarden Euro. Daneben sehen die zusätzlichen Ausgaben in Höhe von 840 Millionen Euro, die die SPD beantragt hat, bescheiden aus. Aber das war natürlich vor den Hartz-IV-Beschlüssen. Verantwortliche Haushaltspolitik machen in diesem Hause genau zwei Fraktionen: die FDP und die CDU/CSU-Fraktion. ({11}) Herr Steinmeier, Sie haben hier Krokodilstränen über den Zustand der Finanzen der Kommunen geweint. ({12}) An dieser Stelle möchte ich Ihnen sagen: Das beschäftigt uns alle. Ich unterstelle das jedem in diesem Haus. Allerdings wissen wir alle, dass das Problem der kommunalen Finanzen vor allen Dingen darin liegt, dass sie extrem konjunkturabhängig sind. ({13}) Wir haben seit Jahren immer wieder deutlich gemacht, dass wir hier eine Veränderung, eine Stabilisierung der Finanzierung der Kommunen brauchen. ({14}) Sie haben elf Jahre lang regiert, Herr Poß - schreien Sie hier nicht einfach nur dazwischen -, und Sie haben sich überhaupt nicht um die Kommunen gekümmert. ({15}) Wir haben jetzt eine Regierungskommission eingesetzt und werden uns dieser Aufgabe stellen. ({16}) Die Sozialstaatsdebatte, die wir auch in diesem Hause führen, geht von einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts aus.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Frau Kollegin Homburger, lassen Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Hagedorn zu?

Birgit Homburger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000952, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ich bin mit meiner Rede schon ein Stück weiter. Ich möchte an dieser Stelle meinen Gedanken fortführen. Wie gesagt, wir haben, ausgehend von einem Bundesverfassungsgerichtsurteil, eine Sozialstaatsdebatte angestoßen. Jetzt möchte ich Herrn Gysi direkt ansprechen, weil er hier Unwahrheiten verbreitet: ({0}) Das Bundesverfassungsgericht hat ein Urteil gesprochen, und es hat mitnichten die Erhöhung der Regelsätze bei Hartz IV gefordert. ({1}) Im Gegenteil: Es hat deutlich gesagt, dass das, was dort von der Gemeinschaft geleistet wird, nicht evident unzureichend sei. Allerdings haben die SPD, Sie und auch die Grünen sofort - die Begründung in Karlsruhe war noch nicht abgeschlossen - höhere Regelsätze bei Hartz IV gefordert. ({2}) Im Gegenzug wird uns vorgeworfen - gerade eben wieder von Herrn Gysi von diesem Pult aus -, wir wollten eine Senkung der Regelsätze. Ich halte in diesem Hohen Hause auch für die Öffentlichkeit fest: Keiner aus der FDP-Bundestagsfraktion will eine Absenkung der Regelsätze von Hartz IV. Wir wollen eine neue Balance des Sozialstaats. Dafür werden wir uns einsetzen. ({3}) Wenn die Aussage: „Wer arbeitet, muss mehr haben als der, der nicht arbeitet“, eine solche Selbstverständlichkeit ist - so wird es hier immer wieder vorgetragen -, dann frage ich mich, warum so viele Menschen in dieBirgit Homburger sem Land denken, dass es richtig ist, dass wir über genau diese Frage diskutieren und Veränderungen herbeiführen wollen. Die Menschen haben ein gutes Gespür dafür, dass an dieser Stelle etwas nicht stimmt. ({4}) Ich frage Sie: Wenn es eine solche Selbstverständlichkeit ist, warum gibt es dann diese massiven Angriffe? Herr Steinmeier, Sie sind beispielsweise in einer Meldung der dpa zitiert worden, laut der Sie gesagt haben: Westerwelle verfalle immer stärker in einen „aggressiven Rechtspopulismus“, … Ich kann Ihnen, lieber Herr Steinmeier, nur sagen: Wenn Sie da richtig zitiert worden sind - das ist ein Zitat vom 23. Februar dieses Jahres aus einer Meldung der dpa -, wenn die SPD Leistungsgerechtigkeit inzwischen als Rechtspopulismus betrachtet, dann sind Sie verdammt weit von den Menschen entfernt und vor allen Dingen auf dem Weg weit nach links. ({5}) Ich will eine Bemerkung zu dem Vorwurf der Verfassungsfeindlichkeit machen, der von mehreren gegenüber der FDP erhoben worden ist. ({6}) - Vor allen Dingen im Zusammenhang mit Hartz IV und mit den Aussagen von Herrn Westerwelle. - Dazu hat sich auch Herr Gabriel geäußert. ({7}) Herr Steinmeier, vielleicht können Sie einmal erklären, wo Herr Gabriel ist. Auf allen Kanälen pöbelt er durch die Gegend, seine Präsenz hier im Parlament: Fehlanzeige. Ich frage mich: Hängt das mit dem Verhältnis zwischen Ihnen beiden zusammen, oder ist das schlicht Missachtung des Parlaments, was Herr Gabriel da betreibt? ({8}) Herr Gabriel hat am 9. März im WDR, damit Sie gleich nicht nachfragen müssen, Herr Steinmeier, erklärt - ich zitiere -: Herr Westerwelle handelt verfassungswidrig, ja verfassungsfeindlich. Zitat Ende. Weiterhin hat er über die FDP gesagt - in einem Wortlautinterview in der Leipziger Volkszeitung nachzulesen -: … die sind jung, … gnadenlos, … und sie sind verfassungsfeindlich … Zitat Ende. ({9}) Sehr geehrter Herr Steinmeier, Sie haben vorhin gesagt, wir sollten aufpassen, dass nicht Werte verloren gehen. Ich glaube, Sie haben allen Grund, in Ihrer Partei aufzupassen, dass Sie sich nicht daran beteiligen, dass Werte in diesem Land verloren gehen. ({10}) Wer mit einer Partei koaliert, die in einigen Ländern und auch im Bund vom Verfassungsschutz überwacht wird, ({11}) und wer zukünftig offensichtlich auch in NordrheinWestfalen eine solche Koalition anbahnen will - das ist ja im Augenblick zu beobachten -, ({12}) der sollte einer Partei, die unzweifelhaft auf dem Boden des Grundgesetzes steht, ({13}) einer Partei, die die Bundesjustizministerin stellt, einer Partei, die beim Bundesverfassungsgericht gerade mehrere Klagen gewonnen und recht bekommen hat, nicht unterstellen, sie sei verfassungsfeindlich. Ich fordere Sie auf, zur sachlichen Auseinandersetzung zurückzukehren. ({14}) Eine letzte Bemerkung in diesem Zusammenhang. Ich war entsetzt, als ich feststellen musste, was alles in diesem Land inzwischen ohne öffentlichen Aufschrei hingenommen wird. ({15}) Auf einer Veranstaltung ist eine Laudatio auf eine Journalistin gehalten worden. In dieser Laudatio wurde der Satz gesagt - ich zitiere -: Man trifft sie ja gerade jetzt vermehrt, die Nazis im Nadelstreifen, die Sarrazins, die Westerwelles … ({16}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich muss Ihnen ganz ehrlich sagen: Dass ein solches Zitat in einer öffentlichen Veranstaltung ungerügt bleibt, dass es auch noch in einer Zeitung abgedruckt wird, das geht gegen jegliches Gefühl der Demokratie. ({17}) Ich erwarte, dass wir von der persönlichen Diffamierung wegkommen, dass wir die politische Kultur in diesem Lande gemeinsam bewahren, ({18}) dass es in einem solchen Fall einen Aufschrei der Demokraten gibt und wir gemeinsam die Verfassung verteidigen. ({19}) Das erwarte ich von allen Mitgliedern dieses Hauses. Ich erwarte, dass auch Sie dagegen aufstehen. ({20}) Ich mache noch einige wenige Bemerkungen zum Thema Hartz IV; dieses Thema wurde schon angesprochen.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Beck?

Birgit Homburger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000952, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Nein, Herr Kollege. Ich würde gerne weitermachen. ({0}) - Ja, das werde ich gerne tun. ({1}) Ich möchte noch einige Bemerkungen zu der Hartz-IVDebatte machen, die wir in diesem Hause geführt haben und die wir weiterhin führen müssen. Ich sage zunächst einmal: Wir haben zwischenzeitlich umgesetzt, was wir angekündigt haben: Wir haben dafür gesorgt, dass derjenige, der Hartz IV bezieht und mehr tut, auch mehr Geld behalten darf. Wir haben das Schonvermögen von 250 Euro auf 750 Euro pro Lebensjahr verdreifacht. Wir wollen die Hinzuverdienstmöglichkeiten verbessern. Wir wollen, dass die Sozialversicherungsbeiträge im unteren Einkommensbereich nur langsam ansteigen. Damit tun wir etwas für diese Menschen. Herr Scholz hat am Montag dieser Woche das Konzept der SPD vorgestellt. Herr Scholz, warum sind Sie mit diesen Ideen nicht im letzten Jahr gekommen, als Sie als Bundesarbeitsminister Verantwortung für diesen Bereich getragen haben? Wenn man erkannt hat, dass man etwas ändern muss, muss man die Änderungen auf den Weg bringen, wenn man Verantwortung hat. Das haben Sie nicht getan. Was Sie jetzt vorschlagen, ist eine Generalrevision der rot-grünen Arbeitsmarktpolitik. ({2}) Sie wollen rückwärts in die Zukunft gehen. Sie schlagen unter anderem vor, staatlich finanziert einen zweiten Arbeitsmarkt von 200 000 Arbeitsplätzen aufzubauen. Das würde nichts anderes bedeuten, als dass Sie zusätzliche Kosten von über 3 Milliarden Euro irgendwo im Haushalt unterbringen müssten. ({3}) Damit verbunden ist ein Zweites: Sie haben die Menschen offensichtlich aufgegeben. Eine solche Politik machen wir nicht mit. Wir wollen eine Politik, die den Menschen Chancen auf dem ersten Arbeitsmarkt, auf sozialversicherungspflichtige Beschäftigung eröffnet. ({4}) Sie wollen, dass nicht für 12, sondern für 24 Monate Arbeitslosengeld I gezahlt wird. Sie lassen unbeantwortet, wie Sie die damit einhergehende Erhöhung der Zusatzkosten in der Arbeitslosenversicherung finanzieren wollen. Ihr Vorschlag hätte nichts anderes zur Folge, als dass Arbeit wieder teurer würde. Eine Politik für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sieht anders aus als das, was Sie vorschlagen, meine sehr verehrten Damen und Herren. Was Sie zu Hartz IV vorschlagen, das ist kein sozialpolitisches Konzept, das ist eine koalitionspolitische Offenbarung. ({5}) Für uns stehen bei der Neuregelung von Hartz IV die Kinder im Mittelpunkt. ({6}) - Frau Kollegin, die FDP hat schon in den letzten Jahren gesagt, dass der Satz für Kinder nicht vom Regelsatz für Erwachsene abgeleitet werden kann. Kinder sind eigene Persönlichkeiten mit eigenen Bedürfnissen. Das Bundesverfassungsgericht hat das noch einmal deutlich gemacht. Es hat uns den Auftrag gegeben, das neu zu regeln. Diese Neuregelung ist notwendig, weil Ihr Gesetz nicht bestehen konnte. Wir werden diese Neuregelung vornehmen. Es geht uns darum, mehr Chancengerechtigkeit am Start zu erreichen. Bildung ist nun einmal der Schlüssel zu sozialem Aufstieg. Wir wollen Hartz-IVKarrieren vermeiden. ({7}) Wir wollen alles dafür tun, dass die Hilfe für Kinder auch bei den Kindern ankommt. Deshalb wollen wir nicht nur Geld, sondern auch Sachleistungen wie Bildungsgutscheine geben. ({8}) Ich möchte in diesem Zusammenhang sagen: Natürlich bleibt die Entlastung der Mittelschicht auf der Agenda. Das ist eine Selbstverständlichkeit. Das eine gehört zum anderen: Denen zu helfen, die Hilfe benötigen, gehört genauso auf die Agenda, wie denen zu helfen, die das erwirtschaften, was dann verteilt wird. Deswegen wollen wir gerade für die Mittelschicht Entlastungen auf den Weg bringen. ({9}) Wir haben uns vorgenommen, das Steuerrecht zu vereinfachen. Das ist ein zentrales Anliegen vieler Bürgerinnen und Bürger. Wir wollen, dass die Steuern bei unteren und mittleren Einkommen weiter gesenkt werden. Wir werden uns die Spielräume dafür im nächsten Haushalt hart erarbeiten müssen. Aber wir wollen Impulse geben gegen Schwarzarbeit, Impulse für mehr Leistungsgerechtigkeit und nicht zuletzt für mehr Fairness des Staates im Umgang mit seinen Bürgerinnen und Bürgern. ({10}) Herr Steinmeier, wenn Sie die Gesundheitsreform kritisieren, dann will ich Ihnen deutlich sagen: Sie haben unser Modell in keiner Weise verstanden. ({11}) Wir wollen Politik für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer machen. Deswegen haben wir vorgeschlagen, dass ein einkommensunabhängiger Arbeitnehmerbeitrag erhoben wird - mit einem sozialen Ausgleich. Wir wollen, dass die Lohnzusatzkosten nicht weiter steigen. Das, was Sie in der Vergangenheit vorgeschlagen haben, hat zu mehr Bürokratie geführt. Es hat zu Einschränkungen der Wahlfreiheit geführt. Es hat das ArztPatienten-Verhältnis belastet. Das, was diese Koalition jetzt macht, sehr verehrter Herr Steinmeier, bedeutet mehr Solidarität und auch mehr Gerechtigkeit, ({12}) weil nach unserer Auffassung Gerechtigkeit nicht an der Beitragsbemessungsgrenze aufhört, sondern alle umfassen muss. Deshalb wollen wir den Sozialausgleich über das Steuersystem. ({13}) Natürlich beschäftigt sich diese Koalition in erheblicher Art und Weise auch mit der Finanzmarktkrise. Wir versuchen, einerseits die Folgen der Finanzmarktkrise abzumildern, andererseits aber auch dazu beizutragen, dass so etwas nicht wieder passieren kann. Jetzt ist die Frage: Wie kann man das aufarbeiten? In Düsseldorf beginnt - das ist in der Öffentlichkeit weitgehend unbeachtet geblieben - der erste Prozess gegen den Manager einer Bank. Wenn jemand schuldhaft gehandelt hat, dann soll Schadensersatz geltend gemacht werden können. ({14}) Deswegen überlegen wir, beispielsweise die zivilrechtliche Verjährungsfrist zu verlängern, weil wir mehr Zeit brauchen, um eine entsprechende Prüfung vornehmen zu können. ({15}) Wir wollen diejenigen zur Verantwortung ziehen, die tatsächlich Verantwortung getragen haben. Das ist der Kern der Sache. Herr Steinmeier, wenn Sie sich hier hinstellen und sagen, wir sollen Hedgefonds verbieten und Ratingagenturen an die Kette legen, dann nehmen wir das zur Kenntnis. Aber wer hat denn elf Jahre lang den Bundesfinanzminister gestellt? Wer hat denn die Hedgefonds eingeführt? Sie waren das; Ihre Regierung war das, Herr Steinmeier. ({16}) Sie haben das zugelassen. Sie hätten das, was Sie jetzt aus der Opposition heraus fordern, in den letzten Jahren korrigieren können, wenn Sie es denn angegangen wären. Der Kern des Problems ist, dass wir Verantwortung und Haftung zusammenbringen müssen. Das bedeutet, dass wir dem Prinzip des ehrbaren Kaufmanns wieder Geltung verschaffen müssen. Wir als FDP und ebenso die CDU/CSU haben uns über viele Jahre immer wieder für die Familienunternehmen in diesem Land eingesetzt, weil wir wissen, dass dort Haftung und Verantwortung, das Tragen des Risikos in einer Hand liegen und dass man hier mit Risiken anders umgeht als in anderen Bereichen. ({17}) Wir wollen hier Änderungen. Managerboni müssen sich stärker an der langfristigen Entwicklung orientieren. Die Vergütung muss vor allen Dingen so gestaltet sein, dass es im Verlustfall auch Abzüge gibt, nicht nur Boni. Wir wollen mehr Transparenz und Verständlichkeit der Finanzprodukte. Wir wollen, dass Regeln endlich eingehalten werden. Es ist nicht so, dass es für den Finanzmarkt keine Regeln gibt. Es ist jedoch so, dass Sie die Aufsicht zersplittert haben. Wir haben jetzt gemeinsam beschlossen, dass die Bankenaufsicht in einer Hand zusammengeführt wird: bei der unabhängigen Bundesbank. ({18}) Damit garantieren wir, dass Regeln zukünftig eingehalten werden und dass jemand darüber wacht, der davon Ahnung hat. Das ist das Ziel dieser Koalition. ({19}) Wir werden in diesem Hause weiter über das Thema Bürgerrechte zu sprechen haben. Das Bundesverfassungsgericht hat uns gerade einen weiteren Auftrag zum Thema Vorratsdatenspeicherung erteilt. Es hat nämlich festgestellt, dass die Vorratsdatenspeicherung in der Art und Weise, wie sie vorgenommen wurde, verfassungswidrig und nichtig ist, dass die Datensammelwut unverhältnismäßig ist. Es waren erneut Liberale, die den Schutz der Freiheit und der Bürgerrechte beim Bundesverfassungsgericht erstritten haben. ({20}) Es ist festzuhalten, dass es keinen Sicherheitsgewinn geben wird, wenn man die Daten von 80 Millionen Deutschen systematisch zu erfassen gedenkt, allerdings dabei den Blick für konkrete Gefahren verliert. Die Bedrohung der Freiheit ist durch die Einschränkung der Freiheit nicht zu bewältigen. Deshalb werden wir gemeinsam in dieser Koalition für Deutschland eine neue Balance zwischen Freiheit und Sicherheit finden. ({21}) Wir wollen eine Politik für die Bürger machen. Wir wollen einen fairen Umgang des Staates mit den Bürgern. Wir setzen dabei auf den mündigen Bürger und wollen eben keinen Vormundschaftsstaat mit Rundumbetreuung. Wir wollen mehr Chancen auf Bildung und Aufstieg, und wir wollen die Kraft der Freiheit zum Wohle dieses Landes nutzen. Wir arbeiten an einem neuen Aufbruch für Deutschland, und egal, ob Sie mitmachen oder sich dagegenstellen: Wir werden es für unser Land schaffen. ({22})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun Renate Künast für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Renate Künast (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003576, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Jetzt, hier und heute sollte es eigentlich um die Zukunft der Menschen in diesem Land und um die Zukunft Deutschlands gehen. Das ist Ihr erster Haushalt in einer schwarz-gelben Regierung, Frau Bundeskanzlerin. - Wahrscheinlich hat sie schon das Weite gesucht. ({0}) - Es wäre ja auch nicht schlecht, wenn sie auf der Regierungsbank sitzen würde. ({1}) Das ist der erste Haushalt einer neuen Bundesregierung, und an dieser Stelle schauen wir einmal ganz genau, was dieser Haushalt bringt und ob Sie den Mut und die Kraft haben, die Ziele zu zeigen, also zu zeigen, wo der Weg in Deutschland hinführen soll. Das wäre ja eigentlich Ihre Aufgabe, Frau Merkel. Nachdem ich hineingeschaut und Ihre Rede heute gehört habe, sage ich Ihnen ganz klar: Sie haben in Ihrer Erklärung vorhin erneut nicht begründet, was den Sinn Ihrer Kanzlerschaft ausmachen soll. ({2}) Sie reden über neues Denken, aber welches neue Denken soll das denn eigentlich sein? Welches Ziel und welche Leitbilder haben Sie? Sie wollten hier zum Sozialen reden. Das haben wir nicht vergessen, Frau Merkel, weil wir ja nicht an retrograder Amnesie leiden. Sie haben vor Wochen, als Ihr Vizekanzler mit der Sozialhetzedebatte begonnen hat, gesagt, diese Debatte werde hier im März bei der Haushaltsberatung geführt. Sie haben an dieser Stelle aber faktisch kein einziges Wort der Klarheit und der Stellungnahme dazu gesagt. ({3}) Da hat einer suggeriert, er habe Tabus brechen wollen, obwohl man wirklich sagen muss: Seit Jahren diskutiert fast das ganze Land über die Frage, wie der Sozialstaat am besten organisiert werden soll - nur eben noch nicht auf dem Niveau von Guido Westerwelle. ({4}) Wo waren Ihre Aussagen dazu, wie es denn nun gehen soll? Sie schweigen weiter. Wo waren Ihre Klarheit hinsichtlich der Reisetätigkeit des Bundesaußenministers und Ihre Aussage dazu? Es hat mich schon verwundert, dass Sie an dieser Stelle, da Sie doch über neues Denken reden, nichts dazu sagen, was eigentlich die kulturelle Anmutung einer Regierungstätigkeit sein soll. Ist es okay, dass jemand wie Herr Lindner sagt, Spitzenpolitiker hätten halt Netzwerke, die sie pflegen? Warum haben Sie an der Stelle nicht klar gesagt: Das können Sie gerne tun, aber nicht als Mitglied dieser Bundesregierung, und hier haben Sie sich aus den Netzwerken Ihrer Finanzbeschaffungspartei herauszuhalten? ({5}) Es ist atemberaubend, wie er sein Parteibüro leergefegt, Staatsposten besetzt und vermehrt und Reisegruppen zusammengestellt hat. Am Ende war ich einen Augenblick lang gewillt, zu glauben, er habe Brasilien entdeckt. ({6}) Das hat er aber nicht. Man hätte jedoch den Eindruck haben können, als habe es die WTO-Gespräche usw. gar nicht gegeben. Ich kann Ihnen aber versichern - ich habe es nachgesehen -: Es war ein Portugiese, der 1500 südlich von Salvador da Bahia als erster Ausländer brasilianischen Boden betrat. Da wir schon bei dieser Geschichte sind: Sie haben kein Wort dazu gesagt, was eine ordentliche rechtliche Kultur ist, Frau Merkel. Wie stellt man Delegationen zusammen? Wie vertritt man die Interessen Deutschlands? Stattdessen hat gestern Herr Brüderle angekündigt - für die, die es nicht wissen: Er ist Bundeswirtschaftsminister -, eine Außenwirtschaftsoffensive zu starten. Dies wolle er vornehmlich mit Delegationsreisen tun. Ich sehe nicht ein, warum wir das Gleiche zweimal bezahlen sollen. ({7}) Wie wäre es denn gewesen, wenn an der Stelle der Bundesaußenminister etwas gegen die Zunahme von Rüstungsexporten und gegen die Konzentration auf das Wirtschaftliche statt auf das Ethische bei den Rüstungsexporten gesagt und getan hätte? ({8}) Wie wäre es denn gewesen, Herr Westerwelle, statt Zusagen nicht einzuhalten - ich will nur die 420 Millionen Euro, die in Kopenhagen zusätzlich versprochen wurden, erwähnen -, wenn Sie dafür gekämpft hätten, dass das in diesem Haushalt umgesetzt wird? Dann hätte man klar sagen können: Jetzt geht es los. Auf diese Weise wären Sie vielleicht Ihrem Ziel und unser aller Ziel näher gekommen, einen Sitz für Deutschland im UN-Sicherheitsrat zu erhalten. Sie bekommen dafür doch keine Unterstützung, wenn Sie Zusagen nicht einhalten. ({9}) Wie wäre es mit weiteren Aktivitäten in Bezug auf die UN und Afghanistan? Wie wäre es mit ein bisschen Europapolitik? Wie wäre es mit Aussagen dazu, wie wir mit einem EU-Währungsfonds umgehen? Was sagen wir zu Griechenland? Frau Merkel, ich habe mich wirklich gefragt: Ist es schon so weit gekommen, dass Sie sich nicht einmal mehr trauen, ein klares Wort zu Ihrem Vizekanzler und seiner Politik zu sprechen? ({10}) Sie haben auch nicht gesagt, wie es mit dem Thema Steuersenkungen weitergehen soll. Sie reden hier über kommunale Finanzen. Klar ist aber: Beides geht nicht. Man kann nicht die Steuern senken und gleichzeitig behaupten, die Kommunen hätten genug Geld, um ihren Aufgaben in der Daseinsvorsorge nachzukommen. Das passt nicht zusammen. Wo war hier das klare Wort der Bundeskanzlerin? ({11}) Es kam gar nichts, und ich weiß auch, warum. Sie haben mal wieder einen Arbeitskreis gegründet, in dem es - mal wieder - um die FDP geht, die die Gewerbesteuer und damit die Finanzgrundlagen für die Kommunen eigentlich abschaffen will. ({12}) Zum Thema Gesundheit. Frau Merkel, Sie haben uns ein paar Anpassungsprobleme erklärt. Das Anpassungsproblem ist heute aber schon so groß - so hat es die AOK gestern mitgeteilt -, dass wir im nächsten Jahr zusätzliche Probleme im Umfang von 11,6 Milliarden Euro bekommen werden. Sie haben über Anpassung geredet, aber nicht über die Grundstruktur. Die Zukunft dieses Landes wird jetzt organisiert, Frau Merkel. Man muss jetzt sagen, wo es langgehen soll und wie die Leitbilder aussehen sollen. Sie haben ebenfalls nicht gesagt, ob es die Bürgerversicherung, die solidarische Versicherung oder wirklich eine Kopfpauschale geben wird. An dieser Stelle haben Sie keine Klarheit geschaffen. Frau Homburger, das glaubt kein Mensch: Angesichts eines so verschuldeten Haushalts wollen Sie mit einer Kopfpauschale - ob sie klein ist oder später immer größer wird - alle Probleme aus dem Bundeshaushalt heraus lösen. Mit einem so verschuldeten Haushalt geht das aber nicht. Sie müssen ran an Ihre Klientel und Ihre Lobbyisten. Sie müssen Menschen haben, die sich für andere Menschen einsetzen. Das Problem ist doch: Wer soll das bezahlen? ({13}) Sie reden über Schulden im Haushalt, und zwar nach dem Motto: Wenn es wieder zu mehr Wachstum kommt, dann wird es schon gehen. So viel können wir aber nicht wachsen, wie es nötig wäre, damit sich wieder etwas tut. Wir haben einen Haushalt mit einer Neuverschuldung von 130 Milliarden Euro. Wer soll das bezahlen? Sie haben mit diesem Haushalt eine Neuverschuldung ohne jegliche Rendite für die Zukunft organisiert. Wer soll das bezahlen, Frau Merkel? Darüber haben Sie kein Wort verloren. Sie sagen, dass wir mehr Wachstum und mehr qualifizierte Leute brauchen. In diesem Land haben wir aber einen Mangel an Fachkräften. Dies ist nicht nur auf fehlende Qualifizierung, sondern auch darauf zurückzuführen, dass durch den Geburtenrückgang immer weniger Jugendliche einen Schulabschluss machen. Diese wenigen Schulabgänger bekommen dann aber nur Prekariatsjobs. Das soll Ihre Neuverschuldung bezahlen? Das funktioniert doch nicht, schon gar nicht mit Ihrer beabsichtigten Steuersenkung. ({14}) Sie sprachen über Wissen und Bildung. Wie wollen Sie das aber finanzieren, Frau Merkel? Das sind ein paar Brosamen in diesem Haushalt, mehr aber auch nicht. Zu den Konsequenzen aus Kopenhagen haben Sie - so mein Eindruck - ebenfalls kein Wort gesagt. Sprechen wir doch einmal über das Problem, das uns derzeit beschäftigt: Herrn Minister Guttenberg und Afghanistan. Auch dazu haben Sie kein Wort gesagt. Wir haben einen Verteidigungsminister. Das ist ein nicht unwichtiges Ressort; man denkt zwar immer, man könne es an die Seite schieben, es gibt aber schon Gründe dafür, ein Verteidigungsministerium zu haben. Dieser Minister schritt richtig schneidig ins Ministerium hinein. Jetzt aber sehen wir einen Hochdekorierten nach dem anderen wieder herausschreiten. Ich formuliere das auf nette Weise und erwähne den neuesten Vorfall gar nicht erst. Ich frage aber: Ist das motivierende Politik? Selbst wenn sich der Brigadegeneral im Ton vergriffen hat, fragt man sich trotzdem langsam: Hält Herr Guttenberg die Truppe im Ernstfall eigentlich noch zusammen? Sie wundern sich vielleicht, warum jemand von den Grünen diese Frage stellt. An Ihrem Schweigen merke ich aber, dass Sie es sich auch fragen. ({15}) Ein anderes sehr ernstes Thema - Sie haben es angesprochen, Frau Merkel - ist der Missbrauch von Kindern in katholischen Einrichtungen, in einem Chor, in staatlichen Schulen und in privaten Schulen. Ich muss ehrlich sagen, dass ich entgeistert war, wie spät diese Regierung reagiert hat, und ich war und bin entgeistert darüber, dass sich unter Ihrer Ägide, Frau Merkel, drei Ministerinnen über runde Tische gestritten haben. Das ist der Verletztheit der betroffenen Menschen nicht angemessen. ({16}) Ich glaube, dass der CDU das C im Wege steht, vielleicht auch manche Auseinandersetzung, die Sie in der Vergangenheit mit der katholischen Kirche hatten, zum Beispiel über die Stammzellenforschung, oder die öffentlich geäußerte Kritik auf einer Pressekonferenz von Frau Merkel. Wir wollen wissen, wer in dieser Regierung die Aufgabe übernimmt, sich rückhaltlos für die Schutzbefohlenen, für die Kinder in diesem Lande, einzusetzen. Wer sorgt dafür, dass es eine unabhängige Aufklärung durch Dritte gibt? Man darf sich nicht auf den Föderalismus beziehen und auf die Länder verweisen, die für die Schulen zuständig sind. Ich will nicht hören, dass das Staatskirchenrecht uns irgendwelche Probleme bereitet. Ein Kind muss ohne Wenn und Aber den Schutz der gesamten Gesellschaft erfahren. ({17}) Weil Frau Merkel gestern den Papst gelobt hat, will ich auch sagen: Es sind die Kinder, die den besonderen Schutz der Gesellschaft brauchen, und nicht der Papst. ({18}) - Ich weiß, was Ihnen unter den Stühlen brennt. Ich kann es gerne wiederholen: Es sind die Kinder und nicht der Papst. Denn es kommt jetzt nicht darauf an, ihn zu loben, dass er etwas richtig gemacht habe. Selbst der Bund der Deutschen Katholischen Jugend spricht von der schwersten Krise der katholischen Kirche. Wieso loben wir jetzt den Papst? Fangen wir besser an, das zu machen, was Aufgabe einer Bundesregierung ist, nämlich dafür Sorge zu tragen, dass es Entschuldigungen gibt, dass eine unabhängige Untersuchung durchgeführt wird und dass auch bei verjährten Fällen öffentlich wird, was war. Das sind wir den Opfern, die heute noch leiden, schuldig. ({19}) Sorgen wir dafür, dass es einen Fonds gibt, aus dem man eine Entschädigung für die Vorfälle in der Vergangenheit oder eine finanzielle Unterstützung erhalten kann. Das sind einige Punkte, die Sie heute nicht angesprochen haben, Frau Merkel, oder die Sie aus meiner Sicht zumindest unbefriedigend oder ein bisschen halbgar angegangen sind. Das ganze Durcheinander in dieser Bundesregierung haben Sie, Frau Merkel, zu verantworten. Man kann in diesem Lande kaum erklären, wofür diese Regierung eigentlich steht. Ich weiß aber eines: Sie machen Ihre Hausaufgaben nicht, was die zentralen Aufgaben angeht. Auf dieser Regierung liegt ein dunkler Schatten von Ideenlosigkeit und Klientelpolitik. ({20}) Hier und heute müsste dieser Haushalt zeigen, wohin die Reise in Zukunft gehen sollte. Er müsste zeigen, dass wir uns anstrengen, jetzt wirklich etwas anders zu machen. Aber Sie können und wollen das nicht. Jetzt wären die richtigen ökologischen Weichenstellungen notwendig, statt die Kosten den nachfolgenden Generationen oder anderen Menschen auf diesem Globus zuzuschieben. Jetzt geht es darum, die blockierte Gesellschaft aufzulösen und die soziale Spaltung unseres Landes zu bekämpfen, statt für Mövenpick den Haushalt auszuwringen und Steuersenkungen für Reiche durchzuführen. Jetzt ginge es darum, eine vernünftige Energiepolitik zu machen und einen richtigen Innovationsschub auszulösen, statt Investoren, Industrie und Mittelstand erst einmal wieder monatelang hängen zu lassen. ({21}) Jetzt ginge es darum, die Endlagerfrage, die sich nun einmal stellt, offen, transparent und vergleichend zu lösen, statt sie, wie es Herr Röttgen macht, nach altem Recht zu regeln. Sie kommen mit dem Bergrecht von 1983. Wenn ich in der Universität fragen würde, ob die Studenten noch nach diesem Recht studieren, dann würden sie mich entgeistert angucken und mir erklären: Es gibt eine Regelung von 1990. Wir studieren das neue Recht, nicht das alte. - Aber der Bundesumweltminister verwendet das alte Recht, weil es die geringste Bürgerbeteiligung vorsieht. Das ist im Jahr 2010 nicht würdig. ({22}) Gorleben war ein Ort schwarz-gelber Willkür unter der Regierung Kohl in der Frage, wie entschieden und was umgesetzt wurde. Gorleben ist politisch für ein Endlager verbrannt. Wir brauchen endlich eine offene und vergleichende Suche mit einer ordentlichen Bürgerbeteiligung. ({23}) Jetzt ginge es um Dinge, die Kosten und Gesundheitsschäden auslösen. Ein Beispiel sind die Laufzeiten der AKWs. Man sollte nicht über Laufzeitverlängerung reden. Herr Röttgen, Sie haben hier schon schöne, grüne Reden gehalten. Sie wurden immer wohlklingender. Bei Ihnen fällt mir der Satz mit dem Bettvorleger ein, Herr Röttgen: Als grüner Tiger gestartet, als schwarzer Bettvorleger gelandet. - Das ist die Wahrheit Ihrer Energieund Klimapolitik. ({24}) Jetzt müsste es darum gehen, eine gute Verkehrspolitik für Stadt und Land zu machen. Das Wettrennen um die Neuerfindung des Autos ist eröffnet. Frau Merkel macht sicherlich irgendwann wieder einmal einen runden Tisch oder führt ein Gespräch. Aber wo ist das Konzept, das einen Stundentakt für den öffentlichen Verkehr vorsieht und ihm Vorrang einräumt, und zwar hier in Deutschland und nicht irgendwo anders? Wo ist das Konzept, das das Auto in modernster Form durch Anreizprogramme im Haushalt oder eine andere Kfz-Steuer fördert? Sie organisieren in diesem Haushalt keine Zukunft. Sie führen nur hin und wieder Gespräche, damit Sie schöne Zeitungsfotos bekommen. Das ist aber für die Zukunft dieses Landes nicht genug. ({25}) Sie machen 130 Milliarden Euro neue Schulden ohne irgendeine Rendite auf die Zukunft. Ich will Ihnen sagen, was man eigentlich machen müsste. Man müsste mit Mut und Visionen losgehen, Entscheidungen gegen alte Lobbys treffen und sozusagen durch Mauern laufen. Man wird das sicherlich nicht mit ein, zwei Maßnahmen erreichen. Aber man müsste gezielt vorgehen und Einsparungen im Haushalt vornehmen und gleichzeitig sozial und ökologisch intelligente Investitionen tätigen. Das tun Sie nicht. Sie haben mit dem vorliegenden Haushalt vielmehr einen Verschiebebahnhof für alte Lobby- und Klientelinteressen geschaffen. ({26}) Frau Homburger, wir haben uns der Mühe unterzogen, alles durchzurechnen. Diejenigen, die rechnen können, kommen zu dem Ergebnis, dass unser Vorschlag im Vergleich zu Ihrem Haushaltsentwurf zu einer um 7,5 Milliarden Euro geringeren Verschuldung führte. So viel Zeit muss sein. Ich weiß nicht, ob Herr Koppelin Sie immer falsch informiert. Das mag sein. ({27}) Schauen wir uns die drei Bereiche Einsparen, Einnahmen und Ausgaben an. Was hieße es, wenn wir eine Regierung hätten, die wirklich Mut hätte und sich nicht untereinander kloppte und nicht das Theaterstück „Kasper und das Krokodil“ aufführte? Ich weiß nicht, wer wer ist. Aber diese ewige Klopperei hinter dem Vorhang sieht man schon. Schauen wir uns an, wie Einsparungen vorgenommen werden könnten. Denken Sie an Generationengerechtigkeit! Denken Sie an das Klima, über das Sie so oft reden! Warum, bitte schön, fangen wir nicht mit dem Umbau hin zu einer ökologischen Dienstwagensteuer an, die dazu führt, dass nicht jedes Auto steuerlich voll abgesetzt werden kann, statt tonnenschwere Dienstwagen zu subventionieren? Oder die Ökosteuer. Warum gibt es Ausnahmen für die Zementindustrie? Zement ist kein global gehandeltes Produkt. Solche unsinnigen Ausnahmen wollen wir streichen. ({28}) Oder die Kohlesubventionen. Wir dürfen nicht länger klimaschädliche Technologien mit Milliarden fördern. Oder die in die Milliarden gehenden Forschungsgelder für die Raumfahrt. Was wollen wir eigentlich auf dem Mond? Ich sage Ihnen ganz klar: Auch dieses Programm können Sie streichen. Wir Deutsche wollen nicht die Letzten auf dem Mond, sondern die Ersten sein, die mit einem Elektroauto von Berlin nach München fahren, ohne zwischendurch Strom zu tanken. Das wäre die technologische Entwicklung. ({29}) Schauen wir uns das Thema Einnahmen genau an. Sie sind für eine Rekordverschuldung verantwortlich und machen sich nicht die Mühe, die Stärkeren mehr Lasten tragen zu lassen und diejenigen, die an den Finanzmärkten profitiert haben, ein Stück weit zahlen zu lassen; denn Sie haben kein Leitbild und wissen nicht, wie Sie sich die Zukunft dieses Landes vorzustellen haben. Dazu haben Sie keinen Mut. Sie müssen den Spitzensteuersatz auf 45 Prozent anheben. Sie brauchen eine Vermögensabgabe zur Deckung der Schulden aus der Finanzkrise. Es muss Schluss mit dem Gehälterwahnsinn sein. Man muss den Unternehmen sagen: Nur bis 500 000 Euro darfst du das Gehalt von deinen Betriebskosten abziehen. Ansonsten musst du dich vor deinen Aktionären rechtfertigen, dass die Ausschüttungen geringer sind. Du kannst nicht auf Kosten des Steuerzahlers leben. ({30}) Wie wäre es zum Beispiel mit einer Finanzumsatzsteuer? Eines muss ich Ihnen, Frau Merkel, wirklich ankreiden. Sie enttäuschen mich, weil Sie in der letzten Legislaturperiode mit einem roten Anorak vor einem Gletscher gestanden und gesagt haben, jetzt gehe es um das Klima. Wo sind eigentlich die Investitionen in das Ökologische? Wo zeigt sich an diesem Haushalt Jahre nach Ihren Aussagen eigentlich, wie man in Zukunft wirklich gute Klimaschutzpolitik macht und ökologische Investitionen tätigt? Wir schlagen einen Klimaschutzfinanzplan vor; das heißt neue Jobs durch Investitionen in Höhe von zusätzlich 4 Milliarden Euro, einen Energiesparfonds und ein Anreizprogramm für Elektroautos. Wir schlagen enorme Investitionen in moderne Energienetze vor. Es reicht doch nicht, hier darüber zu schwadronieren, dass man irgendwann im Zeitalter der erneuerbaren Energien ankommen sollte, sondern man muss in diesem Haushalt die Weichen dafür stellen, und die Weichen stellt man mit Geld für das Neue und nicht für alte Privilegien. ({31}) Sie haben keinerlei gezielte Investitionen für neue Jobs und Maßnahmen zur Schaffung von sozialer Gerechtigkeit vorgeschlagen. Dabei sagen Sie selber: Bildung ist der Rohstoff der Zukunft. - Wir wollen mehr Betreuungsplätze. Wir müssen die Kommunen finanziell entlasten, damit sie ihren Aufgaben im sozialen Bereich nachkommen können. Deshalb fordern wir, einen höheren Anteil an den Kosten für die Unterkunft zu übernehmen und die Kommunen dadurch zu entlasten. Zum Sozialen gehört auch Würde, und das heißt, die Hartz-IVSätze auf 420 Euro anzuheben, damit man davon leben kann. Einer der Kerngedanken, neben der Bildung und dem sozialen Bereich, ist: gute Löhne, damit sich Arbeit wieder lohnt, nicht Zuverdienst, damit man in den Grauzonen bleiben kann. - Wir brauchen gute Mindestlöhne, wir brauchen Zuschüsse für die Lohnnebenkosten der Geringverdiener, und wir brauchen Qualifizierung, aber keinen Zuverdienst. ({32}) Schon gar nicht brauchen wir Ihre Sperre an dieser Stelle, die dazu führt, dass viele Langzeitarbeitslose mit multiplen Problemen auf der Straße bleiben. Elf Jahre haben Sie sich auf diese Regierung vorbereitet. Das Fazit ist: Schwarz-Gelb ist nicht die Zukunft dieses Landes. Schwarz-Gelb ist immer nur für einige Auserwählte; aber für die Mehrheit der Kinder und Erwachsenen dieses Landes ist Schwarz-Gelb eine Politik der leeren Hände. ({33})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort zu einer Kurzintervention erhält Kollege Volker Beck.

Volker Beck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002625, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Kollegin Homburger, Sie haben vorhin ein Zitat verwendet, in dem Herr Sarrazin und Herr Westerwelle als Nazis in Nadelstreifen bezeichnet werden. Das ist eine Formulierung, die natürlich völlig inakzeptabel ist. Sie haben dabei den Eindruck erweckt, als ob irgendjemand auf dieser Seite des Hauses die Verantwortung für diese Aussage zu tragen hätte. So können wir miteinander nicht umgehen. Sie haben keine Zwischenfrage zugelassen, obwohl viele Kollegen wissen wollten, von wem das Zitat eigentlich stammt. Deshalb stelle ich Ihnen jetzt die Frage: Wer aus diesem Hohen Hause hat diese Aussage getätigt? Oder: Von wem haben Sie dieses Zitat? Es ist inakzeptabel - darüber sind wir uns einig -; aber Sie sollten nicht den Eindruck erwecken, so etwas sei hier von Kolleginnen und Kollegen gesagt worden, wenn Sie das nicht belegen können. ({0}) Ich habe den Verdacht, dass es die Argumentationsstrategie Ihrer Partei in den letzten Tagen ist, gegen Popanze zu argumentieren, um berechtigte Kritik an anderen Dingen abzuwehren. Jetzt wird so getan, als ob die politische Kultur von der Opposition dadurch beschädigt wird, dass sie berechtigte Fragen hinsichtlich des Amtsverständnisses des Bundesaußenministers und anderer Kabinettsmitglieder hat. Das reiht sich in die Aussage des Kollegen Altmaier von heute Morgen in Phoenix ein, der Minister sei nicht kriminell. Auch das hat niemand behauptet. Herr Westerwelle verteidigt sich selber mit dem Hinweis, er werde auch in Zukunft Wirtschaftsvertreter auf seine Auslandsreisen mitnehmen. Niemand hat bestritten, dass das jeder Außenminister der Bundesrepublik Deutschland tun kann. ({1}) Nennen Sie hier bitte Ross und Reiter! Sagen Sie, woher Sie dieses Zitat haben, oder korrigieren Sie den Eindruck, vonseiten der Opposition sei jemals eine solche Äußerung über den Bundesaußenminister gefallen. ({2})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Kollegin Homburger, bitte.

Birgit Homburger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000952, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege Beck, ich habe hier im Zusammenhang mit den Vorwürfen zum Thema Verfassungsfeindlichkeit eine grundsätzliche Bemerkung über politische Werte in diesem Land gemacht. Ich habe an keiner Stelle behauptet, dass ein Kollege dieses Hauses das gesagt habe. ({0}) - Herr Poß, ich habe nicht den Eindruck erweckt, dass ein Mitglied dieses Hauses das gesagt habe. ({1}) Es ist im Zusammenhang mit einer Laudatio auf eine Journalistin bei der Verleihung eines Kultur- und Friedenspreises von einem Ex-Stern-Journalisten, von Herrn Kromschröder, genau dieser Satz gesagt worden: Man trifft sie ja gerade jetzt vermehrt, die Nazis im Nadelstreifen, die Sarrazins und Westerwelles … ({2}) - Herr Beck, dem ist in dieser Veranstaltung offensichtlich nicht widersprochen worden. ({3}) Der Weser-Kurier hat das einfach so übernommen und unwidersprochen abgedruckt. ({4}) Ich habe nur auf Folgendes aufmerksam gemacht: Wenn Demokraten solchen Sätzen in solchen Reden und solchen Veröffentlichungen nicht gemeinsam widersprechen, ({5}) dann ist das ein Verlust der politischen Kultur in Deutschland. Dabei bleibe ich. ({6})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun Volker Kauder für die CDU/CSUFraktion. ({0})

Volker Kauder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001074, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Frau Künast, was Schwarz-Gelb macht, was Schwarz-Gelb will, das weiß ich auch nicht. ({0}) - Bleiben Sie mal ganz ruhig! - Aber ich weiß, dass Christlich-Liberal für dieses Land etwas Richtiges macht. ({1}) Das ist die Zukunft in unserem Land. Wir machen eine Politik, die von Werten geleitet ist, und deswegen reden wir von „christlich“ und „liberal“, Frau Künast. Wir lassen uns nicht in irgendein Farbgemenge einbinden, von dem Sie glauben, es uns aufmalen zu können. Mir ist in der letzten Zeit aufgefallen, dass in der Opposition ganz bewusst bestimmte Dinge betrieben werden. Die Menschen in diesem Land haben Sorgen. Sie fragen: Wie geht es weiter? ({2}) In meine Sprechstunde kommen Menschen, die wissen wollen: Wird aus Kurzarbeit Arbeitslosigkeit, oder wird aus Kurzarbeit Arbeit? Darauf hat die Bundeskanzlerin heute in ihrer Regierungserklärung klare Antworten gegeben. ({3}) Da wurde das christlich-liberale Konzept dieser Koalition deutlich. ({4}) Anstatt darauf zu reagieren, erlebe ich bei Ihnen Dinge, die ich nur als schäbig bezeichnen kann. ({5}) Lassen Sie den Bundespräsidenten aus der Tagespolitik heraus! Es ist schäbig, ihn aufzufordern, sich für die Anliegen der Opposition einzusetzen. Gott sei Dank macht er dies nicht. ({6}) Frau Künast, wir alle wissen, dass es eines der schlimmsten Verbrechen ist, wenn Kinder missbraucht werden, vor allem in Einrichtungen, in die Eltern und Kinder besonderes Vertrauen haben, dass sie geschützt sind. Es ist richtig, dass die Geschehnisse der Vergangenheit aufgeklärt werden, und es ist auch richtig, dass überlegt wird, was gemacht werden kann, damit dies in Zukunft nicht mehr passiert. Aber was mich schon betroffen gemacht hat - Frau Künast, ich dürfte erwarten, dass Sie mir nicht den Rücken zukehren, wenn es um solche Sachen geht -, war, dass es offensichtlich einigen von Ihnen nicht um diese Frage geht, sondern um eine Abrechnung mit der Kirche. Dies werden wir nicht zulassen. ({7}) Ich bekomme Berichte, auch aus meiner Heimat, dass es in katholischen, in evangelischen, in freien Einrichtungen so etwas gegeben hat. Ich frage mich nicht, wo es war, sondern ich sage: Jeder Einzelfall ist furchtbar. Wir müssen aufklären. Die Wahrheit muss auf den Tisch, aber nicht um der Anklage willen, sondern um in Zukunft so etwas zu verhindern. ({8}) Das ist es, was die Menschen erwarten: Antworten auf die konkreten Herausforderungen ({9}) und nicht ideologische Auseinandersetzungen. Die Antwort dieser Regierungskoalition auf die Frage, wie es weitergeht in unserem Land, damit Perspektiven eröffnet werden, ist ganz klar: Wir müssen dafür sorgen, dass es Wachstum in unserem Land gibt. ({10}) Wachstum in unserem Land heißt: neue Chancen. Es ist unbestritten, wie mir auch aus der Opposition gesagt wurde, dass wir nicht auf dem aktuellen Niveau bleiben können und wollen, sondern dass wir, wenn wir wieder in die Situation des Jahres 2008 kommen wollen, Wachstum brauchen. Ohne Wachstum werden wir aus Kurzarbeitern keine Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer machen, die eine Perspektive haben. Deshalb ist es notwendig, alles dafür zu tun und dafür zu sorgen - dies wird mit diesem Bundeshaushalt auch gemacht -, dass Wachstum möglich wird.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Hendricks?

Volker Kauder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001074, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Bitte.

Dr. Barbara Hendricks (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002672, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Kauder, ich bitte um Entschuldigung, Sie sind jetzt schon bei einem anderen Thema angelangt. Ich will noch einmal auf den vorherigen Punkt zurückkommen: Worin liegt eigentlich der wesentliche Unterschied, wenn einerseits der Kollege Oppermann den Bundespräsidenten um etwas bittet und andererseits die Frau Bundeskanzlerin den Papst um etwas bittet?

Volker Kauder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001074, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Wenn Sie diesen Unterschied nicht verstehen, dann sollten Sie wirklich einmal zu mir zur Nachhilfe kommen. Diese Nachhilfe will ich Ihnen gerne geben. ({0}) Es ist ganz klar und deutlich festgelegt, welche Rolle der Bundespräsident in unserem Land hat. Er hat nicht die Aufgabe, Helfer der Opposition in tagespolitischen Auseinandersetzungen zu sein. Das ist der Unterschied zwischen dem, was Frau Merkel und Herr Oppermann gemacht haben. ({1}) Wir waren bei dem Thema, wie wir Wachstum hervorrufen. Wachstum wird dadurch erreicht, dass wir Arbeitsplätze schaffen und erhalten. Dafür wird mit diesem Bundeshaushalt die Voraussetzung geschaffen. Es wird ein Zuschuss an die Bundesagentur gegeben, der es ermöglicht, die Beiträge, die wiederum der Bundesagentur zugutekommen, stabil zu halten. Damit sorgen wir dafür, dass Menschen in Arbeit bleiben können. Dafür werden 13 Milliarden Euro ausgegeben. In diesem Bundeshaushalt werden auch die Voraussetzungen dafür geschaffen, dass ein entsprechender Bundeszuschuss im Gesundheitsbereich geleistet wird. Die Beiträge bei der Arbeitslosenversicherung bleiben in diesem Nochkrisenjahr bei 2,8 Prozent. Das entlastet Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und eröffnet der Wirtschaft Chancen. Dies ist eben nur durch diesen Bundeshaushalt und durch die Politik dieser Regierungskoalition möglich geworden. ({2}) Wir eröffnen natürlich auch Perspektiven für diejenigen, die Löhne und Gehälter im unteren oder mittleren Einkommensbereich beziehen, und vor allem für unsere Familien. Ich muss Ihnen eines sagen: Es war immer Politik christlich-demokratischer und christlich-sozialer Demokraten, vielfach in Koalition mit der FDP, sich um die zu kümmern, die Hilfe brauchen bzw. sich aus eigener Kraft nicht helfen können. Die allermeisten sozialen Gesetze sind unter der Regierungsverantwortung der Union in diesem Land entstanden, nicht unter der der Grünen. Das wird auch in Zukunft so bleiben. Die Menschen fragen mich doch nicht: Was tut ihr dafür, dass es mir mit Hartz IV möglichst gut geht? Sie fragen vielmehr: Was tut ihr dafür, damit ich aus Hartz IV wieder in normale Arbeit hineinkommen kann? Dafür müssen wir etwas tun. ({3}) Es gehört zum christlich-liberalen Denken, dass man selber für sich sorgen kann, dass man nicht auf die Hilfe von Ämtern angewiesen ist, dass man nicht als Bittsteller auftreten muss; denn das hat etwas mit der Würde des Einzelnen zu tun. Deswegen reden wir darüber, was wir tun können, damit an der Schnittstelle von Hartz IV und normaler Arbeit immer häufiger Menschen ihrer Würde entsprechend wieder in Arbeit kommen und nicht in Hartz IV bleiben müssen. ({4}) Deswegen werden wir natürlich auch über die Frage reden: Wie kann Hinzuverdienst neu organisiert werden? ({5}) Das ist keine ganz einfache Aufgabe. Es geht nämlich nicht ausschließlich darum, ob den Menschen statt 100 Euro 150 Euro bleiben; denn dann werden die Arbeitsverhältnisse danach organisiert. Vielmehr ist die Frage zu stellen: Wie kann der Anreiz größer werden? Darauf werden wir eine Antwort geben. In diesem Zusammenhang, Herr Kollege Gysi, haben wir auch Fälle wie den des Mädchens, den Sie angesprochen haben, im Auge. In ordnungspolitischer Hinsicht ist es außerordentlich problematisch, hier einen Hinzuverdienst in einer bestimmten Größenordnung für zulässig zu erklären, in anderen Fällen aber nicht. Ich möchte, dass ein junger Mensch, der in einer Familie lebt, die Hartz IV bekommt, und der nichts dafür kann, dass es so ist, die Erfahrung machen kann, dass es sich lohnt, zu arbeiten. ({6}) Hinter dem Ziel, jungen Menschen eine solche positive Erfahrung zu ermöglichen, muss die Ordnungspolitik zurücktreten. Wir werden noch vor der nächsten Sommerpause dazu eine Regelung finden. ({7}) In diesem Haushalt bildet sich auch an einem anderen Thema eine neue Politik ab, nämlich am Thema Afghanistan. Wir machen Politik in Verantwortung für die Entwicklung in Afghanistan. Das hat wieder etwas mit dem christlich-liberalen Wertekorsett zu tun. Wir wollen mit unserer Arbeit in Afghanistan dafür sorgen, dass die Menschen in Frieden und Freiheit leben können und dass sie nicht von Terroristen unterdrückt werden. Die Freiheit, sich selber um seine Anliegen kümmern zu können, ist ein wesentliches Element der Würde des Einzelnen, die wir in Afghanistan für alle Afghaninnen und Afghanen durchsetzen wollen. ({8}) Deswegen sind wir dort aktiv. Wir wollen noch mehr dafür tun, dass die afghanische Regierung in eigener Verantwortung die Sicherheit in diesem Land gewährleisten kann. Dabei hat die Entwicklungszusammenarbeit eine besondere Bedeutung. Ich bin dankbar dafür, dass darauf ein Schwerpunkt gelegt worden ist. Aber eines ist auch klar - das muss immer wieder gesagt werden -: Ohne die Sicherheit durch die Bundeswehr und andere Einrichtungen wäre die von uns gewünschte Entwicklung in diesem Umfang gar nicht möglich. Entwicklung und neue Chancen in Afghanistan und das Sicherheitsgerüst durch die Bundeswehr sind zwei Seiten derselben Medaille. ({9}) Dafür haben wir die Voraussetzungen geschaffen. Ich habe vor zwei Monaten an diesem Platz davon gesprochen, dass zur Entwicklungszusammenarbeit und zur Außen- und Sicherheitspolitik auch das Thema Religionsfreiheit gehört. Wir machen uns Sorgen darüber, dass die Christen die am stärksten verfolgte Glaubensgruppe sind. Ich bin außerordentlich dankbar, dass der Bundesaußenminister vor dem Menschenrechtsrat in Genf vor einigen Tagen genau diesen Punkt aufgegriffen und erklärt hat, dass Religionsfreiheit ein Teil unserer wertegeleiteten Politik ist. Er hat in diesem Zusammenhang auf die Lage der Christen hingewiesen. Das verstehen wir unter einer wertegeleiteten Außenpolitik. ({10}) Wenn wir über die Entwicklung unseres Landes reden, dann schauen wir einen Tag vor dem 20. Jahrestag der ersten freien Volkskammerwahlen natürlich auch auf die Entwicklung in den neuen Ländern. Wir sehen, dass sich dort unheimlich viel getan hat. In einer großartigen Gemeinschaftsleistung von West und Ost bzw. von Ost und West haben wir in den vergangenen 20 Jahren dafür gesorgt, dass dieses Land zusammenwächst. Da ist noch einiges zu tun - überhaupt keine Frage. Es geht natürlich darum, durch Arbeitsplätze Chancen zu schaffen. Es geht auch darum, entsprechende Prozesse voranzutreiben. Ich bin froh über diese gute Entwicklung. Sie hat natürlich auch etwas mit uns, mit der Union, zu tun. Unser Wahlbündnis hat damals 48 Prozent der Stimmen bekommen. Die Menschen haben sich dann für die deutsche Einheit entschieden. Sie haben sich auch deswegen für die deutsche Einheit entschieden, weil einer ihr Vertrauen gewonnen hat. Deswegen will ich heute sagen: Herzlichen Dank, Helmut Kohl, dem Kanzler der Einheit, der bald seinen 80. Geburtstag feiert. ({11}) Wir haben in den neuen Ländern neue Entwicklungen vorangebracht, und das wird auch in Zukunft der Fall sein. Das Deutsche BiomasseForschungsZentrum ist in Leipzig, also in den neuen Ländern, angesiedelt. Wir sorgen dafür, dass die Energiegewinnung aus Kohle in den neuen Ländern durch moderne Technologien wie das CCS-Verfahren möglich wird. Wir haben gesagt, wir steigen in das Zeitalter der erneuerbaren Energien ein. Das machen wir. Das bedeutet aber, dass das Geld, das wir von den Menschen - dieses Geld kommt nicht vom Staat - zur Förderung erneuerbarer Energien verlangen, in einem ausgewogenen Verhältnis zum Ergebnis stehen muss. ({12}) Deshalb ordnen wir die Solarförderung neu. Wenn ich durch das Land fahre, habe ich manchmal den Eindruck, dass die Meinung vorherrscht, die Bundesregierung und diese Koalition wolle die Solarförderung auf null setzen. Absoluter Quatsch! Wir wollen nur, dass nicht 80 Prozent der Förderung in eine Energie gehen, die nur einen Anteil von 1 oder 2 Prozent hat. Wir müssen bei der Energieversorgung breit aufgestellt sein; dafür sorgen wir. Die Solarenergie wird sich auch in Zukunft rechnen. ({13}) Frau Künast, ich finde es ein bisschen billig, dass Sie hier nur fordern, die Entwicklung bei den erneuerbaren Energien solle vorangehen. Selbst wenn in einigen Jahren die erneuerbaren Energien einen Anteil von 40 Prozent haben - was mehr als eine Verdopplung bedeutet -, ist unbestritten, dass noch eine Lücke in der Versorgung der Menschen und der Wirtschaft mit Strom bleibt. Es ist doch richtig, ja notwendig, dass die Bundesregierung ein Szenarium rechnen lässt, das aufzeigt, wie es weitergeht, wenn die erneuerbaren Energien einen bestimmten Anteil - das können beispielsweise 40 Prozent sein - haben. Es gehört zur Wahrhaftigkeit, zu sagen: Wir werden noch auf absehbare Zeit auf einen Energiemix angewiesen sein. Die Kernenergie ist eine Brückentechnologie. Genauso brauchen wir noch die Kohlekraftwerke. Wie lang die Brücke wird, hängt von den verschiedenen Szenarien ab. Aber in der Auseinandersetzung so zu tun, als ob man auf absehbare Zeit auf Kohle und Kernenergie verzichten kann, ist unwahrhaftig und nicht anständig. ({14}) Sie können sich hier nicht einfach hinstellen und so tun, als wenn Sie das, was in der Endlagerfrage jetzt gemacht wird, nichts angehe. ({15}) Ich kann nur sagen: Was Rot und Grün gemacht haben, ist verantwortungslos. Sie haben immer gegen jede Form von Endlagerung polemisiert. Aber wer aus der Kernkraft aussteigen will, der braucht ein Endlager. Sie tun so, als wäre die Beantwortung dieser Frage bei dem von Ihnen geforderten Ausstieg aus der Kernenergie nicht mehr notwendig. Sie ist aber zwingend nötig. Bei Ihnen gibt es in der Energiefrage nur Ideologie und keine wirkliche Erkenntnis. ({16}) Wir werden uns dieser schwierigen Aufgabe stellen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich will noch etwas anderes sagen. Mir macht die Art und Weise des Umgangs miteinander Sorge. Ich bin wirklich nicht zart besaitet. ({17}) Ich bin nicht zart besaitet; das weiß jeder. ({18}) Ich selbst war über ein Jahrzehnt lang Generalsekretär und habe ausgeteilt und hingenommen. Aber ich sage Ihnen: Das hat alles irgendwo eine Grenze. ({19}) Ich bin sehr dafür, dass man auch einmal pointiert formuliert. Ich bin sehr dafür, dass man in der Sache hart miteinander umgeht. Aber was ich in den letzten Tagen an Attacken auf Außenminister Guido Westerwelle erlebt habe, ist nicht akzeptabel. ({20}) Wenn wir bei abgeschalteten Kameras beieinanderstehen, höre ich aus allen Fraktionen, aus allen Parteien die Klage darüber, welches Bild wir in der Öffentlichkeit abgeben und wie die Menschen über uns reden. ({21}) Wenn wir aber nicht mit etwas mehr Respekt übereinander und über unsere Arbeit hier im Bundestag reden, braucht sich niemand zu wundern, wenn die Menschen so über uns reden. ({22}) Deswegen erwarte ich ein bisschen mehr Grips und Intelligenz. ({23}) Es darf nicht nach dem Motto gehen: Die absolute Frechheit siegt. - Das gilt für diejenigen auf der linken Seite dieses Hauses in besonderer Weise, damit das auch einmal ausgesprochen ist. ({24}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, diese Bundesregierung zeigt mit dem vorliegenden Bundeshaushalt, dass sie den Menschen auf ihre konkreten Fragen Antworten gibt, dass sie ihre Sorgen und Ängste ernst nimmt. Wir sorgen dafür, dass es in diesem Land vorangeht. Wir wissen, dass die Bewältigung der Krise nicht in einem Jahr möglich ist. Wir wissen, dass wir dafür einen längeren Atem brauchen. Diesen Atem haben wir. Mit diesem Haushalt müssen wir noch einmal auf die Finanz- und Wirtschaftskrise reagieren. Ab dem nächsten Haushalt müssen wir die Schuldenbremse berücksichtigen. Dann wird es im Hinblick auf die Beiträge der Opposition in der Haushaltsdebatte hochinteressant werden, zu sehen, ob Sie wissen, dass die Schuldenbremse bedeutet, dass wir nicht Milliarden mehr, sondern mindestens 10 Milliarden Euro weniger als in diesem Haushalt ausgeben können. ({25}) Ich kann Ihnen sagen: Wir nehmen diese Verantwortung ernst. Das, was ich von Ihnen gehört habe, lässt mich aber daran zweifeln, dass Sie diesen Weg mit uns mitgehen. Herzlichen Dank. ({26})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun der Abgeordnete Bernd Scheelen für die SPD-Fraktion.

Bernd Scheelen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002772, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich habe hier eine Einladung für den 22. April 2010. An diesem Tag wird dem Kollegen Kauder der Titel des Botschafters des Bieres 2010 zuerkannt. Es ist eben deutlich geworden, warum Sie diesen Titel verdient haben, Herr Kollege Kauder. ({0}) Das deutsche Bier unterliegt dem Reinheitsgebot. Ich fände es besser, wenn auch Sie Ihre Reden vorher einem Reinheitsgebot unterziehen würden; denn ich finde es unverschämt und frech von Ihnen, zu behaupten, die Opposition in ihrer Gänze würde die Kirchen bekämpfen. Für die SPD-Fraktion weise ich diesen Vorwurf entschieden zurück. ({1}) - Sie haben die Opposition in Gänze angesprochen. Für die SPD-Fraktion habe ich diesen Vorwurf zurückgewiesen. Wir wissen um die Bedeutung der Kirchen, aber man wird über Strukturen in Kirchen und weltlichen Einrichtungen doch wohl noch diskutieren dürfen. Herr Kauder, ich habe volles Verständnis dafür, dass Sie das Thema Schwarz-Gelb so vehement in den Vordergrund stellen; denn schwarz-gelb ist die Farbkombination der Giftfässer mit Atommüll. ({2}) Dass Sie damit nicht in einen Topf geworfen werden wollen, kann ich verstehen, aber Ihr verzweifelter Versuch, schwarz-gelb durch die Formulierung christlich-liberal zu ersetzen, wird nicht funktionieren. ({3}) Es hat sich bei den Menschen festgesetzt: Schwarz-gelb ist mittlerweile ein Etikett für Pleiten, Pech und Pannen. ({4}) Es geht heute darum, nach 140 Tagen Schwarz-Gelb Bilanz zu ziehen. Die 100-Tage-Bilanz ist noch nicht so lange her. Deswegen darf ich Ihnen ein Zitat der Leipziger Volkszeitung vortragen, die zur 100-Tage-Bilanz von Schwarz-Gelb geschrieben hat: Die Bilanz hat „Stärken und Schwächen“. Sie führt weiter aus: „Schwarz-Gelb hat schwach angefangen und dann stark nachgelassen.“ ({5}) Es ist ein vernichtendes Urteil, das die Presse und die Menschen in Deutschland über Sie gefällt haben. Betrachtet man die ersten 140 Tage schwarz-gelbes Kabinett Merkel, dann stellt man sich die Frage: Was ist in den 140 Tagen passiert? Was haben Sie bisher bewegt? Was haben Sie auf die Schiene gesetzt? Immerhin sind 15 Minister am Werke und etliche Dutzend Staatssekretäre. Was ist in diesem Hohen Hause in den 140 Tagen herausgekommen? Ganze zwei Gesetze. Was für ein Aufwand für zwei Gesetze! Hinzu kommt, dass das zwei Gesetze sind, die Sie besser hätten sein lassen. Das wäre für die Republik deutlich besser gewesen; ({6}) denn mit diesen Gesetzen verteilen Sie Steuergeschenke auf Pump und treiben damit die Schuldenstände auf neue Rekordhöhen. Gestern hatte Kollege Barthle - er telefoniert gerade auch noch die Frechheit, sich hier hinzustellen und das Ganze als ein Gesamtkunstwerk zu preisen. Er sagte: Der Haushalt sei ein Gesamtkunstwerk. ({7}) Ich habe mir einmal die Mühe gemacht und im Brockhaus nachgeschlagen, was ein Gesamtkunstwerk ist. Darüber gibt es lange Abhandlungen. Ein Beispiel wurde genannt: Eine politische Utopie könne ein Gesamtkunstwerk sein. Der Haushalt, den Sie vorlegen, ist keine politische Utopie, sondern eine politische Bankrotterklärung. ({8}) Sie treiben mit diesem Haushalt nicht nur die Bundesschulden in die Höhe, Sie ruinieren gleichzeitig auch noch die Länderhaushalte und vor allen Dingen die Kommunalhaushalte. Die Städte und Gemeinden sind in einer schwierigen Situation. Das wird von Dr. Gerd Landsberg - er ist der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städte- und Gemeindebundes - wie folgt zusammengefasst: Die Lage der Kommunen ist nicht schlecht; sie ist katastrophal. Er hat recht. Christian Ude, der Oberbürgermeister von München, sagt: Unsere Städte bluten aus. Die Oberbürgermeisterin von Frankfurt/Main und Präsidentin des Deutschen Städtetages sagt: Die Städte liegen auf der Intensivstation. Das sind Äußerungen von wichtigen Kommunalpolitikern, nachdem die beiden Gesetze von Ihnen mit schwarz-gelber Mehrheit durch den Bundestag gebracht wurden, die dazu führen, dass den Kommunen in diesem Jahr und auch in den kommenden Jahren deutlich weniger Geld zur Verfügung steht. Zum sogenannten Wachstumsbeschleunigungsgesetz. Die Kanzlerin hat vorhin ausgeführt, dieses Gesetz würde den Namen zu Recht tragen. Das Gesetz trägt den Namen nicht zu Recht. Das Einzige, was beschleunigt wird, ist das Wachstum der Schulden. Es ist ein Schuldenwachstumsbeschleunigungsgesetz. ({9}) Das sind für die Kommunen jedes Jahr 1,6 Milliarden Euro an Mindereinnahmen. Wenn man davon ausgeht, dass die Länder ihren Anteil an den Defiziten ebenfalls weitergeben, dann sind es 2,5 Milliarden Euro. Dasselbe gilt für das Gesetz, das Sie zur Entlastung von Unternehmen gemacht haben, damit diese ihre Gewinne nun leichter ins Ausland verlagern können. Hier geht es um weitere 700 Millionen Euro minus. Das macht unter dem Strich 2,5 bis 3 Milliarden Euro, die die Kommunen allein durch Ihre aktuelle Gesetzgebung weniger zur Verfügung haben, und das in einer Situation, in der es den Kommunen eh schlecht geht; denn sie leiden natürlich wie alle staatlichen Ebenen unter der Finanz- und Wirtschaftskrise. Das, was weniger zu Buche schlägt, sorgt dafür, dass aus dem positiven Saldo der Kommunen von knapp 8 Milliarden Euro in 2008 in diesem Jahr ein Defizit von 12 Milliarden Euro wird. Das ist nur zur Hälfte der wirtschaftlichen Situation geschuldet. Der Rest ist durch Gesetzgebung staatlich verordnet. Daran müssen wir arbeiten. Da muss angesetzt werden. Da müssen wir den Kommunen Beistand leisten. ({10}) Statt 8,5 Milliarden Euro für das sogenannte Wachstumsbeschleunigungsgesetz auszugeben, hätten Sie besser ein Konjunkturpaket III aufgelegt und damit das fortgesetzt, was wir mit dem Konjunkturpaket II begonnen haben. Geben Sie das Geld den Kommunen. Die legen es sinnvoll an. Die sorgen für Wachstum vor Ort. Die sorgen dafür, dass Kindertagesstätten gebaut werden können, dass Schulen und Hochschulen energetisch saniert werden können. Da ist das Geld deutlich besser angelegt als auf den Konten von Hotelbesitzern und reichen Erben. ({11}) Die Geschenke, die Sie verteilen, müssen die Menschen in Städten, Gemeinden und Kreisen bezahlen. Das ist die große Ungerechtigkeit. Wenn demnächst, in Bergkamen zum Beispiel, die Menschen in ihr Schwimmbad gehen, werden sie zwar froh sein, dass sie noch eines haben, aber sie werden, da die Wassertemperatur deutlich abgesenkt ist, hautnah spüren, wie kalt Ihre Politik den Kommunen gegenüber ist. ({12}) In Oberhausen werden die jungen Menschen verstehen, was für eine Politik Sie betreiben, wenn die Stadtverwaltung ihnen sagt: Wir können euch nicht mehr ausbilden. Das ist uns verboten worden, weil wir pleite sind. - In Wuppertal wird das Schauspielhaus sehr wahrscheinlich geschlossen. Das Wuppertaler Schauspiel hat Weltruhm erlangt durch Namen wie Pina Bausch. Der kulturelle Abstieg in Wuppertal ist Folge Ihrer Politik. Aber ich habe auch ein positives Beispiel gefunden: In der Gemeinde Güntersleben - das ist eine kleine Gemeinde mit etwa 4 000 Einwohnern in der Nähe von Würzburg - hat es am Wochenende einen Einbruch ins Rathaus gegeben. 3 500 Euro sind aus der Rathauskasse gestohlen worden. Jetzt ist auch diese Gemeinde pleite. ({13}) Die Kommunen, meine sehr geehrten Damen und Herren, sind das Fundament der Demokratie und nicht das Kellergeschoss. Wenn das Fundament Risse bekommt, dann bekommt auch das Haus Risse, und die Menschen, die darin wohnen, bekommen Angst. ({14}) Die Bundeskanzlerin hat die Vertreter der kommunalen Spitzenverbände zu sich ins Kanzleramt gebeten. Nachher war zu lesen, es sei ein anregender Gedankenaustausch gewesen. Das ist nicht das, was die Kommunen brauchen. Die Kommunen brauchen Hilfe. Sie brauchen keine Kaffeekränzchen. ({15}) Ein letztes Wort zu Ihnen, Frau Bundeskanzlerin, und zur Gewerbesteuer, die Sie abschaffen wollen. Das ist Ihr ganz persönlicher Wortbruch. Sie haben vor dem Deutschen Städtetag in Bochum und anschließend vor dem Kongress der deutschen Kommunen Folgendes gesagt - das darf ich noch eben verlesen -: Das, was ich Ihnen heute zusagen kann, ist, dass wir keinem Druck nachgeben werden, wenn es um die Frage geht, ob wir an die Gewerbesteuereinnahmen herangehen werden. Das war in Bochum, am 13. Mai 2009. Am 26. Mai 2009 haben Sie in Berlin gesagt: Ich habe auf dem Deutschen Städtetag eine Zusage gemacht, die wir auch halten werden. Die Gewerbesteuer bleibt unangetastet. Das ist Wortbruch. Über Ihrer Koalitionsvereinbarung sollte nicht wie im ersten Satz des Johannesevangeliums „Am Anfang war das Wort“, sondern „Am Anfang war der Wortbruch“ stehen. Herzlichen Dank. ({16})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun Hans-Peter Friedrich für die CDU/ CSU-Fraktion. ({0})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003124, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die christlich-liberale Koalition legt in der schwersten Krise, die die globalisierte Weltwirtschaft bisher mitgemacht hat, einen Haushaltsentwurf vor. Es ist schon darauf hingewiesen worden: Die Menschen in diesem Lande machen sich Sorgen, viele um ihren Arbeitsplatz, viele um die Zukunft ihrer Kinder. Ich glaube, es ist unsere gemeinsame Aufgabe in diesem Dr. Hans-Peter Friedrich ({0}) Hause, dafür zu sorgen, dass das Vertrauen der Menschen in unser wirtschaftliches und politisches System sowie in die Handlungsfähigkeit all derjenigen, die sich im politischen Bereich bemühen, erhalten bleibt. Deswegen fordere ich Sie von der Opposition auf, persönliche Diffamierungen gegenüber Mitgliedern der Bundesregierung zu unterlassen. ({1}) Es besteht kein Zweifel: Wir hatten vor einigen Jahren noch die Hoffnung, dass wir im Jahr 2011, vielleicht sogar im Jahr 2010, einen ausgeglichenen Haushalt erreichen könnten. Wir hatten in der Föderalismuskommission - Herr Kollege Poß, die FDP war beteiligt - damals diese Vorstellung. 2008 wurde durch die Krise alles anders. Alles war Makulatur. Die Zahlen haben nicht mehr gestimmt; denn die Steuereinnahmen sind eingebrochen, die Ausgaben für Arbeitslosigkeit sind gestiegen, und Konjunkturpakete und Wachstumsbeschleunigungsgesetze mussten finanziert werden. In dieser Situation stellt sich die Frage nach unseren Grundsätzen. Unsere Grundsätze, mit denen wir Politik gestalten wollen, um das Land aus der Krise zu führen, heißen: Wir wollen das Potenzial unseres Volkes ausschöpfen. Wir wollen das Potenzial unserer Wirtschaft nutzen. Wir wollen die Substanz erhalten. Wir wollen die Menschen dazu ermutigen, gemeinsam anzupacken, um aus dieser Krise herauszukommen. Wir haben einen Haushalt vorgelegt, der eine Balance schafft zwischen einer Entlastung der Bürger - erste Steuersenkungen haben wir zu Beginn dieses Jahres durchgeführt; insgesamt sollen die Bürger fast 25 Milliarden Euro mehr in den Taschen haben - und der Möglichkeit für öffentliche Investitionen. Auch das ist in diesem Haushalt realisiert worden. Im Übrigen, Herr Kollege Scheelen, sind wir mit den Kommunen im Gespräch. Wir haben eine Kommission für eine Gemeindefinanzreform eingesetzt, weil wir die schwierige Situation unserer Kommunen sehen und diese Schwierigkeiten gemeinsam mit den Kommunen lösen wollen. ({2}) Ich danke den Haushältern dafür, dass sie einen weiteren wichtigen Schwerpunkt in diesem Haushalt gesetzt haben. Sie haben klargemacht: Wir wollen und werden sparen. Vielen Dank den Haushältern für die Arbeit, die sie in den letzten Wochen oft in nächtelanger Arbeit leisten mussten! ({3}) Das hebt sich von den vielen unrealistischen Forderungen in Milliardenhöhe, die von roter und grüner Seite gestellt werden, wohltuend ab. ({4}) 80 Milliarden Euro Neuverschuldung, das sind immerhin 5 Prozent unseres Bruttoinlandsproduktes, also all dessen, was in diesem Land produziert wird. Das ist nicht wenig und vor allem mehr als das, ({5}) was im Stabilitätspakt der Länder, die der Eurozone angehören, vorgesehen ist. ({6}) Ein Blick auf unsere internationalen Partner und Freunde zeigt, dass es den anderen noch schlechter geht: Nettoneuverschuldung in Frankreich 8,2 Prozent, in Großbritannien 12,9 Prozent und in den USA 13 Prozent - in Deutschland 5 Prozent. ({7}) So schlecht stehen wir also nicht da. Die wichtigste Botschaft für die Menschen ist, dass der Arbeitsmarkt stabil bleibt. ({8}) Ich möchte an dieser Stelle einen ganz herzlichen Dank an die Tarifpartner richten, die bisher verhandelt haben und deutlich gemacht haben: Die Sicherung von Beschäftigung und Arbeitsplätzen steht jetzt an allererster Stelle vor allen anderen Forderungen. ({9}) Aber, meine Damen und Herren, die Krise ist nicht vorbei. Eines steht schon heute fest: Wir werden Jahre brauchen, um auf das Produktionsniveau von 2007, also der Zeit vor der Krise, zurückzukommen. Das RWI hat heute Vormittag die jüngsten Konjunkturprognosen nach unten korrigiert. Es wird nicht einfach werden. Deswegen ist es wichtig, dass wir die Leitlinien der christlichliberalen Politik noch einmal deutlich machen. Erstens. Die Kraft dieses Volkes und dieser Wirtschaft liegt im Mittelstand. Wir unterscheiden uns in dieser Frage von einigen anderen Ländern, zum Beispiel von unseren Freunden in Frankreich, die auf Großstrukturen, auf Großindustrie setzen. Deswegen sind wir sehr skeptisch, wenn es darum geht, eine Wirtschaftsregierung auf europäischer Ebene zu installieren. Wir sagen: Wir lassen uns von europäischer Ebene nicht die Großstrukturen der anderen Länder aufdrücken. Wir in Deutschland sind seit vielen Jahrzehnten mit unserer Struktur erfolgreich und brauchen keine Belehrung von anderen. ({10}) Ich will die Bundesregierung in ihrer Ablehnung und kritischen Haltung gegenüber der EU-Strategie 2020 bestärken, die ebenfalls darauf abzielt, wirtschaftspolitische, finanzpolitische, bildungspolitische und sozialpoli2742 Dr. Hans-Peter Friedrich ({11}) tische Gleichmacherei in Europa zu betreiben. Unser Widerstand dagegen ist sicher, und wir unterstützen die Bundesregierung in ihren Bemühungen. Die zweite Leitlinie, die für uns von größter Bedeutung ist: Die Menschen haben auch deswegen Vertrauen in diesen Staat und in dieses Land, weil sie Vertrauen in die Stabilität unserer Währung haben. Das ist die zentrale Herausforderung, der wir uns stellen: die Stabilität unserer Währung aufrechtzuerhalten. Denn ein schwacher Euro hilft nicht, vor allem führt er nicht zu mehr Wettbewerbsfähigkeit. Wer auch immer das Märchen erzählt, die Schwäche des Euro gegenüber dem Dollar sei gar nicht so schlecht, weil sie zu Konjunkturimpulsen führe, dem sage ich: Ja, das ist richtig, aber nur für eine sehr kurze Frist. Auf Dauer schadet das der Wettbewerbsfähigkeit, weil nur wenig später Öl und alle anderen Rohstoffe, die wir für die Produktion brauchen, teurer werden und letzten Endes eine Spirale der Inflation, auch im Innern, in Gang gesetzt wird. Diese Inflation zu verhindern und sie schon im Ansatz zu bekämpfen, das ist für uns das wichtigste Thema. Denn Inflation bedeutet Enteignung unserer Bürger, und dabei werden wir nicht mitmachen. ({12}) Unsere dritte Leitlinie lautet schließlich: Die Sozialabgaben auf Löhne und Gehälter in diesem Land dürfen nicht steigen. Wir haben mit dem SozialversicherungsStabilisierungsgesetz in der vorletzten Woche eine wichtige Weichenstellung vorgenommen. Ich denke, die Leitlinien für die nächsten Jahre müssen lauten: keine Erhöhung der Sozialabgaben zulasten der Bevölkerung, mehr Netto vom Brutto - das lässt sich an genau dieser Stelle realisieren - und keine Erhöhung der Lohnnebenkosten zulasten von Beschäftigung in diesem Land. Es kann und darf nicht sein, dass in jeder für die Sozialsysteme schwierigen Situation Beschäftigung vernichtet und eine Spirale nach unten, zulasten der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sowie der Wirtschaft, in Gang gesetzt wird. Die vierte wichtige Leitlinie: Wir bekennen uns zur sozialen Marktwirtschaft als der Wirtschaftsordnung der Freiheit. In diesem Zusammenhang ist der Fokus nicht nur auf die Leistungsfähigkeit des Einzelnen zu legen, sondern auch auf die soziale Verantwortung. Die Sozialstaatsdebatte wurde in den letzten Wochen und Monaten eröffnet, nicht zuletzt auch durch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zu Hartz IV. Wir haben aufgrund dieses Urteils ein Problem, das uns immer wieder, auch in der Sozialstaatsdebatte, begegnet. Ich hoffe, dass sich alle Fraktionen dieses Hauses einig sind, dass derjenige, der arbeitet, mehr haben muss als derjenige, der nicht arbeitet; ich hoffe, dass wenigstens in diesem Punkt Konsens besteht. ({13}) Wenn das so selbstverständlich ist, sehen wir an dieser Stelle ein großes Dilemma, in dem wir stehen. Es ist nämlich so, dass ein Hartz-IV-Empfänger die volle Deckung des Bedarfs seines Kindes aus staatlichen Mitteln bekommt, während derjenige, der arbeiten geht, nur einen Zuschuss in Form von Kindergeld bekommt. ({14}) Meine Damen und Herren, je mehr Kinder in einer Familie sind, desto weiter entwickelt sich dieser Abstand beim Einkommen auseinander, und zwar zulasten derjenigen, die arbeiten, bzw. zugunsten derjenigen, die nicht arbeiten. ({15}) Um aus dieser Situation herauszukommen, gibt es nur eine einzige Möglichkeit - sie ist heute schon angesprochen worden -: ({16}) Wir müssen mehr Leistungen für alle Kinder, vor allem im Bildungsbereich, zur Verfügung stellen. Wir wollen nicht nur über die Kinder von Hartz-IV-Empfängern reden, sondern wir müssen über alle Kinder reden. ({17}) Wir sind es allen Kindern schuldig, optimale Voraussetzungen für Bildung zu schaffen. ({18}) Dazu gehört, dass die Kinder eine ordentliche Ernährung bekommen, dass sie sich bewegen, dass sie eine musikalische Ausbildung angeboten bekommen und dass sie individuell gefördert werden. Wenn wir es schaffen, an dieser wichtigen Schnittstelle zwischen Bildungspolitik - in Klammern: Ländersache - und Sozialund Gesellschaftspolitik - in Klammern: Aufgabe des Bundes - ein wichtiges Zeichen zu setzen, indem wir mehr Geld für unsere Kinder, und zwar für alle Kinder, zur Verfügung stellen, wird es uns auch gelingen, das Problem des Lohnabstands bzw. des Abstands zwischen den Sätzen für Kinder aus Hartz-IV-Familien und den Zuschüssen für Kinder aus Arbeitnehmerfamilien zu verringern. Mir scheint, das ist ein entscheidender Punkt, über den wir in den nächsten Monaten diskutieren müssen. Meine Damen und Herren, wenn Sie gestern einen Blick in die Zeitungen geworfen haben, mussten Sie vermuten, sich in einer verkehrten Welt zu befinden: Deutschland wird beschuldigt, an der Schuldenkrise in Europa schuld zu sein, weil die Deutschen mehr arbeiten, fleißiger sind, weniger ausgeben, mehr sparen. ({19}) Europa insgesamt wird nicht wettbewerbsfähiger, Europa insgesamt steht nicht besser da, wenn den StärksDr. Hans-Peter Friedrich ({20}) ten, nämlich den Deutschen, verordnet wird: Ihr dürft nicht mehr fleißig sein, ihr dürft nicht mehr sparsam sein. Deswegen rufen wir den Europäern zu, dass wir die Linie, die wir in Deutschland fahren, unsere erfolgreiche Politik, auch in dieser Frage fortsetzen werden. ({21}) Lassen Sie mich ein letztes Wort zu all denen sagen, die auf schamlose Weise in den Wohlstand der Menschen in ganz Europa hineingegriffen haben, nämlich zu den Finanzspekulanten an den Märkten.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Herr Kollege, Sie müssen bitte zum Ende kommen.

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003124, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich komme zum Ende. - Wir werden uns von den Lobbyisten der Finanzbranche - europa- und weltweit nicht in die Knie zwingen lassen. ({0}) Wir sagen den Lobbyisten: Wir werden all denen Fesseln anlegen, die in der Vergangenheit zulasten der Bevölkerung in Europa und in der Welt geaast haben. Notfalls werden wir auch nicht davor zurückschrecken, die sogenannten innovativen Produkte, die letzten Endes nur zur Spekulation und zum Zocken dienen, ({1}) zu verbieten. ({2}) Meine Damen und Herren, diese Regierung sieht die großen Herausforderungen, und sie packt diese Herausforderungen an. Der Haushalt, der vorgelegt wurde, beweist das. Vielen Dank. ({3})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun Petra Merkel für die SPD-Fraktion. ({0})

Petra Merkel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003591, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Kultur ist nicht alles; aber ohne Kultur ist alles nichts - das merken im Augenblick viele Kommunen, deren Steuereinnahmen drastisch zurückgehen. Wir aus dem Kulturbereich haben den Eindruck, dass in erster Linie sofort an der Kultur gespart wird. Die SPD-Fraktion hat sich überlegt, wie man von der Bundesebene Kommunen unterstützen kann. Ich habe im Haushaltsausschuss den Antrag gestellt, die Mittel für die Kulturstiftung des Bundes um 2 Millionen Euro zu erhöhen, um kleine Projekte in der Fläche zu organisieren. Dadurch würden die Kommunen unterstützt. Diese Chance wurde vertan, weil die Regierungsfraktionen, Schwarz-Gelb, Nein gesagt haben. Das ist schade; denn das wäre ein Ansatz gewesen, wie wir ein wenig hätten unterstützen können. Einige der Ideen, die die schwarz-gelbe Koalition eingebracht hat, haben wir zum Teil unterstützt. Die Ideen sind da; allerdings fehlen häufig entsprechende Konzeptionen. Ich will das Zeitzeugenbüro und die Begegnungsstätte der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur, ein Projekt von 600 000 Euro, ansprechen. Das ist eine gute Idee; aber das Konzept muss nachgeliefert werden. Hier wäre eine Sperre angebracht gewesen, wie sie in einem anderen Haushalt - bei Arbeit und Soziales - verhängt worden ist. Hier ist wegen der schwarz-gelben Politikerinnen und Politiker eine solche Sperre gar nicht erst eingerichtet worden. Wir brauchen aber, wie gesagt, ein Konzept für dieses Projekt, bevor Geld fließt. Ebenso ist es bei der kulturellen Vermittlung: Der Ansatz ist gut; aber es fehlt auch hier ein klares Konzept. Das ist schade; denn das hätten wir gut hinbekommen können. Ich will zu einem Punkt kommen, der uns von der Opposition geärgert hat. Nicht nur mich, sondern auch Staatsminister Neumann hat der Vorstoß seiner Parteioder Parlamentskollegen überrascht, ja, überfahren, die Mittel für die Rundfunk-Orchester und -Chöre GmbH, roc, zu kürzen. Das haben wir durch eine vereinte Aktion im Ausschuss verhindern können. Es war schließlich gerade ein gutes Verhandlungsergebnis mit einer leichten Erhöhung der Mittel für die roc erreicht worden. Dadurch konnte etwas befriedet werden, was jahrelang schwierig war. Da rumst es jetzt. Wir waren alle ziemlich unglücklich, auch Staatsminister Neumann. Wenigstens konnten wir verhindern, dass die schwarz-gelbe Koalition die Mittel kürzt. Stattdessen ist erst einmal eine Sperre verhängt worden. Jetzt sind Sie an der Reihe, Herr Staatsminister. Sie müssen klarstellen, wie es mit der roc weitergehen soll. Sie müssen klarstellen, ob die Existenz der Orchester aufs Spiel gesetzt werden soll und die Chöre den Bach heruntergehen sollen. Ich sage Ihnen: Das wäre ein Armutszeugnis. Viele haben mir zugestimmt. Ja, die roc ist eine ungewöhnliche Konstruktion, sicherlich auch dem Mauerfall geschuldet. Sie ist ein Teil der Geschichte dieser Stadt und dieses Landes. Allerdings sind Veränderungen nicht tabu; das haben wir auch in vorherigen Zeiten immer gesagt. Ich finde aber, es muss jetzt politisch klargestellt werden, was passieren soll. Deswegen erwarte ich von Ihnen, Herr Staatsminister Neumann, dass Sie sich vehement gegen die unsinnigen Pläne stellen, mit der die vier Klangkörper in ihrer Existenz gefährdet werden. Dabei haben Sie unsere Unterstützung. ({0}) Petra Merkel ({1}) Ich komme zu einem anderen Thema. Ein großes Potenzial in der Bundesrepublik hat der Bereich der Filmförderung. Immerhin umfasst dieser Bereich über 100 Millionen Euro. Die Filmförderung hat viele Impulse gesetzt. Es wird immer deutlicher, dass viele wichtige internationale und nationale Produktionen und Koproduktionen in Deutschland entstehen. Dadurch werden Arbeitsplätze geschaffen und Impulse gesetzt. Es transportiert auch ein positives Bild von Deutschland nach außen. Die Berlinale zeigt jedes Jahr aufs Neue, dass Glamour in der Hauptstadt Berlin eine Sogwirkung hat, aber nicht nur für die Stadt, sondern auch für die Bundesrepublik insgesamt; denn der rote Teppich, auf dem sich die Schauspielerinnen und Schauspieler, die Producer, die Regisseure und die Drehbuchautoren bewegen, die Storys, die die Illustrierten schreiben, sind eben nur ein Teil. Die Filmförderung bedeutet auch Arbeitsplätze für Deutschland. Die Filmwirtschaft ist ein großer wichtiger Teil der Kreativwirtschaft und ständig im Wachsen begriffen. Die Mittel hierfür sind gut angelegtes Geld. Wir haben auch einen neuen Schwerpunkt unterstützt. Er betrifft viele von uns, auch Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen: In den Wahlkreisen gibt es viele kleine Kinos. Ihnen steht die Digitalisierung ins Haus. Sie können sie aber nicht umsetzen, weil dafür einfach die Mittel fehlen. Es ist gelungen, für dieses Jahr 4 Millionen Euro und noch einmal 2,5 Millionen Euro für die beiden nächsten Jahre einzustellen. Wir hätten uns zwar 7 Millionen Euro gewünscht, aber sei es drum. Richtig ist: Es wird mit der Digitalisierung begonnen werden können. Allerdings fehlt auch dort ein Konzept. Dazu brauchen wir den Bund. In dem entsprechenden Haushalt sind dafür die Mittel eingestellt. Hinzu müssen ein Beitrag der Länder und ein Beitrag der Branche kommen. Das würde die kleinen Kinos wirklich unterstützen. Kinoketten können die Digitalisierung alleine finanzieren. Kleine Kinos, Programmkinos brauchen hier unsere Unterstützung. ({2}) Herr Staatsminister, ich möchte Sie bitten, den Wirtschaftsminister davon zu überzeugen, dass er Fördergelder aus seinem Etat bereitstellt. Das wäre eine wahre Mittelstandsförderung und wäre in dieser gemeinsamen Konstellation eine sinnvolle Aktion. ({3}) Die Fraktion der SPD wird in Kürze einen Antrag in dieser Richtung vorlegen. Zum Schluss möchte ich für eine gute konstruktive Zusammenarbeit ganz herzlichen Dank sagen. Bei uns allen gibt es unterschiedliche Ansätze, aber im Kulturbereich funktioniert die Zusammenarbeit in der Regel noch immer gut. Herzlichen Dank. ({4})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun Wolfgang Börnsen für die CDU/ CSU-Fraktion. ({0})

Wolfgang Börnsen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000227, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Nach Ihrer Rede, Frau Merkel, glaube ich schon, dass wir diese Dinge gemeinsam voranbringen. Kultur schafft Lebensfreude. Sie ist sinnerfüllend. Kultur brauchen wir. Auch in dieser Legislaturperiode gehören Kultur und Medien weiter zum Etat des Bundeskanzleramtes. Sie sind damit Chefsache. So sollte es bleiben. ({0}) Weniger Wachstum, weniger Steuern und weniger freie öffentliche Mittel bedeuten auch für die Kultur neue Herausforderungen. Nicht Klagen helfen, sondern neue Konzepte! Die Finanznot ist besonders bei den Städten und Gemeinden dramatisch groß. Die von der Bundesregierung jetzt beschlossene Gemeindefinanzkommission will eine grundlegende Verbesserung der kommunalen Haushalte erreichen. Das hilft der Daseinsvorsorge vor Ort und gewährt gleichzeitig Mittel für Kultur und Bildung. Diese Regierungsentscheidung verdient die Unterstützung des gesamten Parlamentes, weil sie Investitionen für die Kultur ebenso gewährleistet wie Arbeitsplatzsicherheit für Kulturschaffende. Mit dem Wissen um diese Reformperspektive appelliere ich an alle Verantwortlichen von Flensburg bis Konstanz, bei der Kultur jetzt nicht zu kürzen. Wer nicht will, dass aus der wirtschaftlichen eine gesellschaftliche Krise wird, der muss das Gegenteil tun, nämlich die Kultur jetzt stärken. ({1}) In einer Epoche zunehmender Globalisierung wird durch sie Orientierung für den Menschen und ein Zusammenhalt unserer Bürgergesellschaft gestiftet. Seit der Schaffung des Grundgesetzes vor 60 Jahren nach einer menschenverachtenden NS-Diktatur praktizieren wir in Deutschland-West ein Kulturverständnis mit den Elementen Freiheit, Vitalität und Vielfalt. Seit jetzt 20 Jahren gilt diese Ausrichtung auch für Deutschland-Ost. In den 40 Jahren DDR war es anders. Da galt die Weisung Otto Grotewohls, der auf den Tag genau vor 59 Jahren, am 17. März 1951, erklärte: Literatur und bildende Künste sind der Politik untergeordnet … Die Idee der Kunst muss der Marschrichtung des politischen Kampfes folgen. Diese Art von Bevormundung gibt es nicht mehr, und sie darf es in Zukunft auch nicht mehr geben. ({2}) Die letzten fünf Jahre waren mit die besten Kulturjahre für Deutschland. Daran haben alle Fraktionen ihren Anteil. Fast 6 Milliarden Euro sind durch den Bund iniWolfgang Börnsen ({3}) tiiert worden. Allein 2010 werden es 1,2 Milliarden Euro sein. So hoch war der Etat noch nie. Das bedeutet eine Steigerung in fünf Jahren um über 12 Prozent und ist eine Erfolgsgeschichte, an der einer unserer Kollegen einen besonders hohen Anteil hat, nämlich Staatsminister Bernd Neumann, ein Christdemokrat. ({4}) Doch auch Kürzungen hat der Haushaltsausschuss vorgenommen, so unter anderem bei der Kulturstiftung und bei der Deutschen Welle - mit Skepsis in Bezug auf deren Ausgabenpolitik. So geht das nicht. Im Fachausschuss müssen wir uns damit dringend auseinandersetzen. Bei der Kulturförderung durch private Hände liegt Deutschland gemeinsam mit der Schweiz an der Spitze. Allein Unternehmen bei uns geben jährlich 350 Millionen Euro für das Kultursponsoring aus. Die christlichen Kirchen sind mit 3 Milliarden Euro dabei, und 16 000 Stiftungen sorgen mit Fördergeldern in Höhe von 4 Milliarden Euro auch für die Kultur. Das sind Beiträge, die Ausdruck eines vorbildlichen Bürgerengagements sind. Wir sollten das im besten Sinne unterstützen. ({5}) Erfolgversprechend ist auch die Kultur- und Kreativwirtschaft, die mit 830 000 Arbeitsplätzen ein Arbeitsund Wachstumsmotor ersten Ranges ist. Wir werden ihr weiter eine Zukunft geben. Das gilt auch für die Breitenkultur. Wir als Union wollen Kultur für alle und Kultur von allen gefördert wissen. Hoch-, Breiten- und Soziokultur: Alle drei haben einen Anspruch auf Anerkennung und Förderung. Die Kultur gibt es nicht nur in den großen Häusern. Auch alle nicht professionellen Initiativen - Kultur auf dem Lande, die kulturelle Bildung - dürfen nicht zu kurz kommen. Sie alle sind im Kulturhaushalt berücksichtigt; er ist entsprechend ausgerichtet. So muss es auch bleiben. Wir sind in Europa mit Gesamtausgaben von 12 Milliarden Euro an der Spitze bei den Investitionen in die Kultur. Das ist ein Wort. Wir sind ein Kulturland, und wir wollen das auch in Zukunft bleiben. Herzlichen Dank. ({6})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Jetzt hat Kollegin Lukrezia Jochimsen für die Fraktion Die Linke das Wort. ({0})

Dr. Lukrezia Jochimsen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003777, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Herr Kollege Börnsen, ja, das ist weiß Gott die Parole der Stunde: die Kultur jetzt stärken. - Wie sieht aber die Umsetzung dieser Parole in der Wirklichkeit unseres Landes im Moment eigentlich aus? Wegsehen und Weghören: Das sind Haltungen, durch die einer demokratischen Gesellschaft ein schwerer Schaden zugefügt wird. Auf Regierungsebene und auf nationaler Ebene wird in Sachen Kultur im Moment aber weggesehen und weggehört, und das, obwohl uns jeden Tag neue Hilferufe aus den Kommunen erreichen: Rekorddefizite, Schulden, Sparpläne und die Folgen für die Kultur. Vorgestern ging es um die Theaterschließungen im Ruhrgebiet, gestern um das Verschwinden kleiner Bibliotheken und heute um Museen, die ihre Öffnungszeiten verkürzen müssen. Was macht die Regierung? Die Regierung hat eine Kommission zur Erarbeitung von Vorschlägen zur Neuordnung der Gemeindefinanzierung eingesetzt - der Kollege Börnsen hat sie uns gerade in warmen Worten geschildert -: die Gemeindefinanzkommission. Was wird dieser Kommission von vornherein aufgetragen? Ihre Aufgabe ist es, … darauf zu achten, Aufkommens- und Lastenverschiebungen insbesondere zwischen dem Bund auf der einen und Ländern und Kommunen auf der anderen Seite zu vermeiden. Das heißt aber, dass alles bleibt, wie es ist. Es wird also weggesehen und weggehört. Wer die Finanzgrundlagen der Kommunen prinzipiell verändern will - das wollen zum Beispiel wir von der Linksfraktion -, ({0}) darf auf die Ergebnisse dieser Gemeindekommission nicht warten und muss einen anderen Weg einschlagen. Für wen die Kultur in einem umfassenden Sinn zur Daseinsvorsorge gehört - dazu gehören wir auch -, darf erst recht nicht auf diese Kommission setzen. Wer jetzt nicht wegsehen und weghören will, muss etwas anderes tun und jetzt helfen. ({1}) Im Art. 104 b des Grundgesetzes heißt es, der Bund kann … im Falle von Naturkatastrophen oder außergewöhnlichen Notsituationen, die sich der Kontrolle des Staates entziehen und die staatliche Finanzlage erheblich beeinträchtigen, auch ohne Gesetzgebungsbefugnisse Finanzhilfen gewähren. Von dieser außergewöhnlichen Notsituation ausgehend fordert die Fraktion Die Linke ein Sofortprogramm des Bundes in Höhe von 1 Milliarde Euro für den Erhalt unserer kulturellen Infrastruktur. ({2}) Allen Kritikern halte ich entgegen: Wenn Sie diesen Weg für nicht gangbar halten, dann machen Sie etwas Besseres. Aber machen Sie etwas! Sagen Sie nicht immer nur, was Sie nicht können, sondern fangen Sie end2746 lich an, mit Ländern und Kommunen darüber zu verhandeln, was möglich ist. Irgendetwas muss schließlich möglich sein. Denn wir müssen aus dieser Situation herauskommen. Speisen Sie die Bürgerinnen und Bürger, die um ihre Theater, Museen, Büchereien, Mal- und Musikschulen kämpfen, nicht einfach mit Hinweisen auf investive Maßnahmen ab. Neue Theater und neue Museen sind schön, aber lebendige Kultur sind sie nur dann, wenn Menschen in ihnen Kultur für Alt und Jung, für Arm und Reich schaffen können. Dies zu gewährleisten, verlangt wirkliche Investition. ({3}) Die Linksfraktion fordert eine grundlegend veränderte Finanzierung unserer ausgeraubten Kommunen. Wir brauchen außerdem Überlegungen dazu, was eigentlich zu den Pflichtaufgaben und zu den freiwilligen Aufgaben einer Kommune gehört. Wieso gehören Bibliotheken nicht zu den Pflichtaufgaben einer Kommune? Diese Frage konnte mir noch nie jemand wirklich beantworten. ({4}) Wir plädieren an dieser Stelle im Übrigen für mehr direkte Demokratie und wirkliche Selbstverwaltung in den Kommunen. Durch Bürgerbefragung und Bürgerbeteiligung sollen Bürger mitentscheiden können, was im Dorf, in der Kleinstadt oder im Stadtteil gebraucht wird. Überall vor Ort mehren sich die Proteste gegen den Kulturabbau. Überall erkennen die Menschen - gerade in Zeiten des derzeit drohenden Verlusts -, wie wichtig Kultur für sie und ihre Kinder ist. Es waren verschiedene Bundesregierungen, die die Kommunen in diese Not gebracht haben. Insofern ist nun der Bund in der Verantwortung. Er darf die Kultur insgesamt nicht durch einfaches Wegsehen und Weghören beliebig zur Disposition stellen. Danke schön. ({5})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun Reiner Deutschmann für die FDPFraktion. ({0})

Reiner Deutschmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004027, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Altbundespräsident Richard von Weizsäcker hat über die Kultur gesagt: Unsere Kultur ist gewachsen wie ein kräftiger, vielgestaltiger Mischwald. Er leistet seinen Beitrag zur lebensnotwendigen Frischluft. Damit spricht er aus, was für uns alle eigentlich selbstverständlich sein sollte. Leider muss aber gerade die Kultur immer wieder um ihre Finanzierungsgrundlagen kämpfen. Sie muss gestärkt werden. Deshalb sollte die Kultur zur Pflichtaufgabe der Länder und Kommunen werden, wie es in Sachsen der Fall ist. ({0}) Wer die Axt an die Wurzeln der Kultur anlegt, riskiert dauerhafte Schäden für unsere gesellschaftliche und wirtschaftliche Entwicklung. Ich bin deshalb froh, dass es der Koalition gelungen ist, einen soliden und verlässlichen Bundeskulturetat vorzulegen. ({1}) Der Etat des BKM steigt in diesem Jahr noch einmal deutlich, und das, obwohl wir uns in einer der stärksten Wirtschaftskrisen befinden, die unser Land in den letzten 60 Jahren bewältigen musste. Dieser Etat ist ein starkes Signal an die Kulturschaffenden sowie an alle Bürgerinnen und Bürger. Auch in Zeiten knapper Kassen erweist sich der Bund als verlässlicher Partner. Kulturförderung hat für uns Liberale höchste Priorität. ({2}) Aus diesem Grund sind wir besonders stolz, dass es uns quasi in letzter Minute gelungen ist, zusätzlich rund 5 Millionen Euro bereitzustellen. Damit wächst der Kulturetat gegenüber dem Vorjahr um insgesamt 22 Millionen Euro. Das entspricht einer Steigerung von 2 Prozent. Liebe Kolleginnen und Kollegen, im Koalitionsvertrag haben Union und FDP die Aufarbeitung der SEDDiktatur zu einem Aufgabenschwerpunkt der 17. Wahlperiode gemacht. Gerade im 20. Jubiläumsjahr der friedlichen Revolution und des Mauerfalls dürfen die Folgen der SED-Diktatur nicht verharmlost oder vergessen werden. ({3}) Mit der Einrichtung eines Zeitzeugenbüros und einer Begegnungsstätte zur Aufarbeitung der DDR-Diktatur setzt die Koalition diese Vorgabe gleich mit dem ersten Haushalt dieser Legislaturperiode um. ({4}) In beiden Einrichtungen investieren wir 600 000 Euro. Das ist gut angelegtes Geld. Gerade für junge Leute ist es wichtig, mit Zeitzeugen ins Gespräch zu kommen. Das ist effizienter als vier Wochen Geschichtsunterricht im Klassenzimmer. Auch die Gedenkstätte im ehemaligen Stasi-Gefängnis in Berlin-Hohenschönhausen erhält in diesem Jahr eine höhere Zuwendung, um ihre hervorragende Arbeit noch besser fortführen zu können. ({5}) „Kein Geschichtsbuch der Welt hätte uns so viel zeigen können wie Sie in diesen zwei Stunden“, schreiben Schüler aus Baden-Württemberg. Die Mitarbeiter der Gedenkstätte beweisen seit Jahren, wie Öffentlichkeitsarbeit erfolgreich betrieben werden kann. Ehemalige Häftlinge führen die Besucher durch die Gedenkstätte. Dieser Kontakt am Originalschauplatz lässt die Besucher nicht kalt. Die Förderung solcher Einrichtungen wie der in Hohenschönhausen ist ein wichtiger Punkt, um etwas gegen gefährliches Halbwissen und Ostalgiewellen zu tun. ({6}) Sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen, unsere Denkmäler brauchen unsere Unterstützung. Trotz großer Anstrengungen von Kommunen, Ländern und Bund sind viele bauliche Zeugnisse der Geschichte vom Verfall bedroht. Wir haben uns erfolgreich dafür eingesetzt, dass die Mittel für die Restaurierung von unbeweglichen Kulturdenkmälern von nationaler Bedeutung um 3 Millionen Euro auf 17,3 Millionen Euro erhöht werden. Damit leistet der Bund einen wichtigen Beitrag zur Sanierung und Substanzerhaltung von Baudenkmälern wie auch von historischen Parks und Gärten. ({7}) Gerade kleine und finanzschwache Kommunen können durch diese Mittel das eine oder andere Kleinod vor dem völligen Verfall retten. Aufgrund der nationalen Bedeutung unterstützt die Koalition auch den Wiederaufbau des Kölner Stadtarchivs mit 1 Million Euro. ({8}) Ebenso liegt uns die freie Theaterszene sehr am Herzen. Freie Theater setzen neue Maßstäbe und halten mit ihrer Experimentierfreude den kulturellen Nährboden fruchtbar. Sie sind ein besonderer Hort kreativer Kraft und nutzen die Sprache jüngerer Menschen, die wir gerade im Rahmen der kulturellen Bildung für Kunst und Kultur interessieren wollen. Diese Theater haben aber gewöhnlich eine äußerst dünne Finanzdecke und werden hauptsächlich von ehrenamtlichem Engagement getragen. Allein in Niedersachsen bieten die freien Theater etwa viermal so viele Aufführungen für Kinder und Jugendliche pro Jahr an wie die Stadt- und Staatstheater und erreichen doppelt so viele Zuschauer. Deswegen ist es nur konsequent, wenn der Bundesverband Freier Theater erstmalig Gelder für seine Arbeit erhält. ({9}) Auch die uns sehr wichtige Initiative Kultur- und Kreativwirtschaft erhält einen höheren Zuschuss. Deutschland begreift sich als Kulturnation. Auch im Ausland werden wir gerade wegen unserer Kulturdichte geschätzt. Jeder in die Kultur investierte Euro zahlt sich auf anderen Ebenen doppelt und dreifach aus. Unser christlich-liberaler Kulturhaushalt trägt dieser Tatsache Rechnung. Ich danke insbesondere Herrn Staatsminister Neumann und allen, die positiv an diesem Haushalt mitgewirkt haben. Vielen Dank. ({10})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun Tabea Rößner für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Tabea Rößner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004138, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Da wir hier die ganze Woche über Zahlen diskutieren, habe auch ich eine mitgebracht: 15. 15 Pressemitteilungen haben die Fraktionen von CDU/CSU und FDP gestern versandt. Insgesamt 2 054 waren es im vergangenen Jahr. Offensichtlich haben Sie ein großes Vertrauen in die Medien und darin, dass diese Ihre Botschaften an die Bürgerinnen und Bürger weitertragen. ({0}) Umso erstaunlicher ist es, dass Ihnen die Medien jenseits Ihrer Pressearbeit so wenige Anstrengungen wert sind. Die Heimat all Ihrer Pressemitteilungen ist in Not, und Sie schauen tatenlos zu. ({1}) Wir brauchen aber ein breites Angebot an unabhängigen Medien; denn dies ist ein wesentlicher Grundpfeiler unserer Demokratie. Wir Grüne wollen mündige Bürgerinnen und Bürger, die teilhaben können an dieser Demokratie. ({2}) Auch deshalb brauchen wir einen leichten Zugang zu Informationen, ohne Einschränkungen oder Barrieren, online wie offline. Der schnelle Zugang oder überhaupt ein Zugang zum Internet fehlt aber in ganzen Landstrichen. Wenn Sie, Herr Brüderle, die Verlegung moderner Kabelleitungen feiern, bringt das nur wenig, wenn die Leitungen nicht bis an die Häuser reichen. Das ist dann so wie eine ICE-Strecke ohne Bahnhöfe: Man kann nicht zusteigen und verpasst den Anschluss. ({3}) Ein weiteres zentrales Anliegen muss uns die Medienkompetenz sein. Da müssen wir bei Kindern und Jugendlichen anfangen. Zwar finden sich über den Haushalt verteilt einige Projekte zur Medienkompetenz, die gefördert werden. Aber das sind zumeist nur große Vorzeigeprojekte. Das ist uns zu wenig. Wo bleibt die Förderung von kleinen Initiativen, die Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen die digitale Welt erklären? Wir haben verstärkte Maßnahmen unter einem solchen Haushaltstitel gefordert, aber ohne Erfolg. Obwohl der Medienbereich sowieso schon mit einem sehr schmalen Budget ausgestattet ist, wird ausgerechnet hier noch weiter gespart. Kreativität fehlt Ihnen auch bei der Lösung der Pressekrise. Die Verlegerlobby hat Ihnen das Leistungsschutzrecht in den Koalitionsvertrag diktiert. Doch wie es aussehen soll, weiß keiner so genau. Offenbar wissen Sie nicht einmal, sehr geehrte Damen und Herren von der Koalition, ob Sie es denn überhaupt noch wollen. ({4}) Selbst wenn es diesen Verlegerschutz geben sollte, wird er die Presse nicht retten. Nicht ein Tropfen und auch nicht ein Tröpfchen, sondern höchstens ein Nanotröpfchen auf den heißen Stein wäre das. Die Presse stirbt, und Sie schauen zu. Unsere Demokratie braucht starke, unabhängige Medien. Sie informieren, sie kritisieren, und sie tragen zur gesellschaftlichen Debatte bei. Unabhängige Medien sind kein Luxus, den wir uns leisten. Sie sind geistiges und gesellschaftliches Grundnahrungsmittel. Ihre Glaubwürdigkeit ist das Fundament, auf das sie bauen. Dieses Fundament dürfen wir nicht unterhöhlen, wie es im Fall Brender beim ZDF geschehen ist. ({5}) Mit dieser Personalentscheidung wurde offensichtlich, dass der Staat hier auch auf das Programm zugreift. Das aber widerspricht der Rundfunkfreiheit, die im Grundgesetz verankert ist, fundamental. ({6})

Not found (Staatssekretär:in)

nichts. ({0}) Herr Neumann, wenn Sie schon als Regierungsvertreter Mitglied im Verwaltungsrat sind, dann schauen Sie nicht tatenlos zu, wenn ein unabhängiger Journalist gegangen wird. ({1}) Auch wenn der Rundfunk Ländersache ist, stehen wir Bundestagsabgeordnete hier in der Pflicht, und zwar in der Pflicht, die Verfassung zu wahren. Wir haben die Möglichkeit, einen Normenkontrollantrag zu stellen. Wir Grüne wollen, dass der ZDF-Staatsvertrag durch das Bundesverfassungsgericht überprüft wird. Jeder von Ihnen kann sich diesem Antrag anschließen und zeigen, dass ihm die Unabhängigkeit der Medien etwas wert ist. Ich lade Sie alle ein, den Antrag zu unterschreiben. So senden wir gemeinsam ein starkes Signal nach draußen, für einen starken und für einen unabhängigen Rundfunk. Vielen Dank. ({2})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Frau Kollegin Rößner, das war Ihre erste Rede im Deutschen Bundestag. Unsere herzliche Gratulation und alle guten Wünsche für die weitere Arbeit! ({0}) Nun hat Kollege Siegmund Ehrmann als letzter Redner in dieser Debatte das Wort für die SPD-Fraktion. ({1})

Siegmund Ehrmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003521, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In der Tat gibt es im Bereich der Kultur- und Medienpolitik zwischen den Fraktionen große Schnittmengen. So begrüßen wir ausdrücklich, dass sich eine Enquete-Kommission - deren Einrichtung haben wir mitgetragen -, mit Fragen des Internets und der digitalen Welt auseinandersetzen wird. Nun kann man sicherlich noch einige Zeit auf Handlungsempfehlungen warten. Es gibt aber schon heute in einigen Punkten insbesondere kulturpolitische Herausforderungen, zum Beispiel wie die kulturelle Vielfalt im Internet und der freie Zugang zu den Informationen gesichert werden können. Eine Antwort, die wir im Bereich der Kulturpolitik geben, ist die Deutsche Digitale Bibliothek. Obwohl Ende des Jahres ein Verwaltungsabkommen zwischen dem Bund und den Ländern abgeschlossen wurde, wonach bis zum Jahr 2013 erhebliche Mittel, etwa 10 Millionen Euro, dort eingebracht werden sollen, habe ich erhebliche Kritik an den Strukturen, in denen dieser Prozess abläuft. Es gibt keine eindeutig geklärten Verantwortlichkeiten, es gibt keine klare Steuerung dieses Prozesses, es gibt kein Konzept, in dem Prioritäten oder Finanzierungsbedarfe dargestellt worden sind. Das ist ein erheblicher Mangel. Nun mag man wie die Linken beantragen, zusätzliches Geld dort hineinzupumpen, aber Voraussetzung für uns ist, dass wir zunächst die Ziele und die Schwerpunkte eindeutig definieren. ({0}) Deshalb fordern wir, dass die Gremien klare Verantwortungsstrukturen erhalten und ein nationaler Digitalisierungsrat eingerichtet wird, der eine steuernde Funktion und die Aufgabe haben muss, eine nationale Digitalisierungsstrategie zu entwickeln. Das zweite Thema ist hier schon von anderen angesprochen worden. Ich will auf die kommunale Finanzkrise und insbesondere auf deren Auswirkungen auf die Kulturpolitik eingehen. Der Bund trägt etwa 10 Prozent der öffentlichen Kulturausgaben, die Länder tragen gemeinsam mit den Kommunen 90 Prozent. In NordrheinWestfalen tragen die Kommunen aus traditionellen Gründen allein 80 Prozent der Ausgaben. Insofern sind die Auswirkungen der abenteuerlichen Steuerpolitik neben den ohnehin zu bewältigenden Auswirkungen der Finanzkrise gerade für die Kommunen in NordrheinWestfalen, aber nicht nur dort, gravierend. Was kann der Bund tun? Wir haben den Antrag gestellt - eine schmale Idee, die aber immerhin gute Effekte hat -, die Bundeskulturstiftung mit mehr Mitteln auszustatten. Darüber ist berichtet worden. Ein weiterer Punkt ist - das ist ein Ansatz vorausschauender und gestaltender Kulturpolitik -, Erfahrungen, die wir mit der öffentlichen Kulturförderung durch den Bund in Ostdeutschland gemacht haben, auf Westdeutschland zu übertragen. Im Osten unseres Landes haben wir mit dem Blaubuch ein Instrument, mit dem wir gemeinsam mit allen Akteuren die Projekte von nationaler Bedeutung identifiziert haben. Muss denn erst in Köln das Stadtarchiv zusammenbrechen, damit wir erkennen, dass dieses Archiv in Köln ebenfalls ein besonderes nationales kulturelles Erbe ist? ({1}) Nun haben wir uns als Bund gemeinsam mit der Kommune Gott sei Dank in die Stiftung eingebracht. Der Ministerpräsident des Landes Nordrhein-Westfalen hat extrem lange gebraucht, ebenfalls Verantwortung zu übernehmen. Aus diesem Beispiel leiten wir die Forderung ab, die Kulturförderpolitik des Bundes weiterzuentwickeln und die Idee des Blaubuches nicht auf Ostdeutschland zu beschränken, sondern die Identifikation besonders förderwürdiger kultureller Güter auch in den westdeutschen Ländern vorzunehmen. Dies wäre eine Möglichkeit, die Kommunen zu entlasten. ({2}) Im Ergebnis heißt das: Sowohl bei der Digitalisierungspolitik als auch bei der Weiterentwicklung der Kulturförderung durch den Bund vermisse ich die Gestaltungsverantwortung dieser Regierungskoalition und des Staatsministers. Wir haben Anregungen gegeben. Wir erwarten, dass Sie sich mit diesen qualifiziert auseinandersetzen. Danke schön. ({3})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den Einzel- plan 04, Bundeskanzlerin und Bundeskanzleramt, in der Ausschussfassung. Hierzu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion Die Linke vor, über den wir zuerst abstimmen. Wer stimmt für den Änderungsantrag der Linken auf Drucksache 17/1023? - Wer stimmt dagegen? - Enthal- tungen? - Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen des Hauses gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke abge- lehnt. Wir kommen damit zur namentlichen Abstimmung über den Einzelplan 04 in der Ausschussfassung. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorge- sehenen Plätze einzunehmen. - Sind die Plätze an den Urnen besetzt? - Das ist der Fall. Dann eröffne ich die Abstimmung.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Stimme nicht abgegeben hat? - Das ist nicht der Fall. Dann schließe ich die Abstimmung und bitte die Schrift- führerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis der Abstimmung wird Ihnen später bekannt gegeben.1) 1) Ergebnis Seite 2752 C Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich darf Sie bitten, Platz zu nehmen, damit wir uns auf die weiteren Beratungen konzentrieren können. Ich bitte Sie, die Gespräche einzustellen oder sie vor dem Saal zu führen. Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt I.10 auf: Einzelplan 05 Auswärtiges Amt - Drucksachen 17/605, 17/623 Berichterstattung: Abgeordnete Herbert Frankenhauser Dr. h. c. Jürgen Koppelin Michael Leutert Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache zwei Stunden vorgesehen. - Ich sehe, Sie sind damit einverstanden. Dann können wir so verfahren. Ich eröffne die Aussprache. Ich erteile als erstem Redner in dieser Debatte das Wort dem Kollegen Klaus Brandner, SPD-Fraktion. ({0})

Klaus Brandner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003053, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir beraten heute mit dem Einzelplan des Auswärtigen Amtes einen Haushalt, in dem es zumeist nicht um die ganz großen Zahlen geht. Mit seinen rund 3,2 Milliarden Euro macht dieser Etat 1 Prozent des Gesamthaushalts aus. Doch die Ausgaben, die mit diesem 1 Prozent bestritten werden können und müssen, haben es in sich. Bevor ich zu den Einzelheiten komme, möchte ich mich bei den Mitberichterstattern der einzelnen Fraktionen ganz herzlich bedanken. Die Zusammenarbeit war insbesondere für jemanden, der zum ersten Mal diese Aufgabe wahrgenommen hat, sehr angenehm. Ich möchte auch meinen Dank gegenüber dem Auswärtigen Amt für zuverlässige, konstruktive und offene Zusammenarbeit aussprechen. Ich denke, Herr Minister, Sie werden das Ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ausrichten. ({0}) Nun zurück zum Haushalt: Angesichts zahlreicher internationaler und immer differenzierterer Entwicklungen sieht sich das Auswärtige Amt großen Herausforderungen und einer wachsenden Verantwortung gegenüber. Unter Herausforderungen verstehe ich nach wie vor die Auswirkungen der Globalisierung in all ihren positiven, aber auch negativen Facetten. Besorgniserregend sind auch die Entwicklungen im Bereich der zerfallenden Staaten. Ich denke dabei zum Beispiel konkret an Somalia, Sudan und die Elfenbeinküste, in denen Unsicherheit, Gewalt, Willkür und Hunger herrschen und in denen sich die besten Bedingungen für internationalen Terrorismus und für organisierte Kriminalität finden. Gerade in den letzten Wochen und Monaten haben Naturkatastrophen wie Erdbeben, Tropenstürme, Unwetter und Überschwemmungen viele Tote gefordert und verheerende Zerstörungen verursacht. Da können wir, meine Damen und Herren, nicht am Fernseher tatenlos zusehen. Da sind wir, die wohlhabenden Industriestaaten, gefordert. Auch hier trägt das Auswärtige Amt Verantwortung und hat diese, wie ich meine, vorbildlich wahrgenommen. ({1}) Wenn ich an all diese Herausforderungen denke, mit denen das Auswärtige Amt konfrontiert ist, dann beruhigt mich, dass sich der Regierungsentwurf für den Haushalt dieses Jahres im Großen und Ganzen an den bewährten Leitlinien, die der damalige Außenminister Frank-Walter Steinmeier aufgestellt hat, orientiert. Kontinuität in der Außenpolitik - das bedeutet für uns Sozialdemokraten vorausschauende Friedenspolitik. Dazu gehören vor allem eine wirksame zivile Friedensprävention und ein effektives ziviles Konfliktmanagement auf internationaler Ebene. Das war stets der Drehund Angelpunkt guter deutscher Außenpolitik. ({2}) Dazu gehören aber auch Abrüstung, Rüstungskontrolle und Zusammenarbeit beim Thema Nichtverbreitung Themen, die angesichts der aktuellen Herausforderungen immer wichtiger werden. Nicht zuletzt brauchen wir auch verlässliche Partner, die uns bei unseren Aufgaben vor Ort helfen, die uns bei dem Aufbau von Strukturen, dem Erstellen von Expertisen und dem Vorantreiben von gesellschaftlichen Maßnahmen unterstützen. Das sind zum Beispiel das Zentrum für Internationale Friedenseinsätze und die politischen Stiftungen. Für mich ist es deshalb unverständlich, dass in all diesen Themenbereichen Mittelkürzungen geplant oder vorgesehen waren. Heute bin ich dankbar, dass es in weiten Teilen nicht dazu gekommen ist. Ich freue mich, dass alle Fraktionen des Deutschen Bundestages von ihrem Budgetrecht Gebrauch gemacht haben, um gemeinsam eine Absenkung des Etats für die politischen Stiftungen zu verhindern. Ihre Arbeit ist uns wichtig. Wir wollen sie anerkennen. Es war wichtig und gut, dass wir gemeinsam so entschieden haben. ({3}) Mit der Rücknahme der Kürzungen ist es unserer Auffassung nach auf lange Sicht aber nicht getan. Wir sind der Meinung, dass eine Verstetigung dieses Ansatzes erforderlich ist. Die Unsicherheit bei den Stiftungen muss reduziert werden. Ich werbe dafür, dass dieser Ansatz in unser aller Interesse in der mittelfristigen Finanzplanung des Auswärtigen Amtes verstetigt wird, um das Auf und Ab und damit die Unsicherheit endlich zu beenden. ({4}) Ich begrüße auch, dass die angekündigten Pläne zur Kürzung von Mitteln zur Abrüstung, Rüstungskontrolle und Nichtverbreitungszusammenarbeit nicht in die Tat umgesetzt werden. Stattdessen sind Sie auch hier den Leitlinien der Vorgängerregierung gefolgt und bleiben bei den 8,5 Millionen Euro Aufwuchs, die bereits im ersten Regierungsentwurf enthalten waren. Das ist ein gutes Zeichen angesichts der enormen Herausforderungen, denen wir uns auf internationaler Ebene stellen müssen. Selbstverständlich kann ich in einer Rede zum Haushalt des Auswärtigen Amtes nicht unsere wichtige Aufgabe und schwierige Verantwortung in Afghanistan und für die afghanische Bevölkerung außen vor lassen. Ich begrüße daher ausdrücklich die zusätzlichen Mittel, die im Zuge der Verlängerung des Afghanistan-Mandats zur Verfügung gestellt wurden. Das hatten wir zur Bedingung für unsere Zustimmung gemacht; denn auch angesichts der Situation in Afghanistan darf sich der Haushalt des Auswärtigen Amtes nicht ausschließlich auf ein Thema oder eine Region konzentrieren; vielmehr muss auch im Haushalt Sorge dafür getragen werden, dass wir weiterhin weltweit handlungsfähig sind. Das wäre ohne die zusätzlichen Mittel nicht möglich gewesen. Uns war es wichtig, dass die für Afghanistan notwendigen zusätzlichen Mittel nicht zulasten anderer Haushaltstitel gingen. Das ist gelungen, meine Damen und Herren. ({5}) Bis dahin zeichnet sich der Haushaltsentwurf durch eine große Kontinuität aus. Doch wo angesichts der zentralen Aufgaben, die ich vorhin angesprochen habe, ebenfalls Kontinuität notwendig gewesen wäre, setzen Sie den Rotstift an. Die Fraktionen der CDU/CSU und der FDP schleifen die Mittel für zivile Krisenprävention und ziviles Konfliktmanagement sowie für das Zentrum für Internationale Friedenseinsätze. Sie wollen mit diesen Mitteln, so sagen Sie, unter anderem die Unterhaltung der Seemannsmissionen sowie die Kriegsgräberfürsorge, -pflege und -instandhaltung unterstützen. Das alles ist löblich, und dagegen kann man im Kern nichts haben. Aber ich meine, genau an dieser Stelle hätten Sie das liberale Sparbuch zücken sollen, statt es nach der Wahl sang- und klanglos in Aktenbergen verschwinden zu lassen. Sie hätten es genau hier gut einsetzen können, um für dieses wichtige Themenfeld ausreichende finanzielle Mittel zur Verfügung zu stellen. ({6}) Sparen ja, aber nicht zulasten wichtiger Maßnahmen für den Friedenserhalt; das ist aus meiner Sicht und aus Sicht unserer Fraktion ein wichtiges Anliegen. Zur Arbeit des Auswärtigen Amtes gehört auch die Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik. Auch in diesem Punkt setzt die jetzige Regierung im Großen und Ganzen auf Kontinuität und den von Frank-Walter Steinmeier eingeschlagenen Weg, der fortgesetzt werden soll. Ich beziehe mich dabei unter anderem auf Aussagen von Staatsminister Hoyer, der erst kürzlich hier im Bundestag sagte: Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik hilft uns somit in der langfristigen Perspektive, wichtige außenpolitische Ziele zu verwirklichen. Hierzu zählen Krisenprävention durch das Schlagen von Brücken zwischen Kulturen und Zivilisationen, die Stärkung der Menschenrechte, die Förderung von Freiheit und Rechtsstaat sowie eine erfolgreiche Außenwirtschaftspolitik. ({7}) Ich möchte mich diesen Worten gerne anschließen. Obwohl der Bereich der Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik auch im heute zu beratenden Haushalt wieder 22,6 Prozent des gesamten Einzelplans ausmacht, wird an einer empfindlichen Stelle deutlich gekürzt. Zuerst will ich aber die positiven Aspekte nennen: die Medienförderung, um zum Beispiel die Aktivitäten der Deutschen Welle zu unterstützen, „kulturweit“, den Freiwilligendienst, der das bürgerschaftliche Engagement unterstützt, die PASCH-Initiative - Schulen: Partner der Zukunft -, also den Austausch der Schulen, sowie die Programmarbeit, mit der unter anderem die Fortsetzung der Filmfestspiele in Oberhausen und der Literaturwerkstatt in Berlin finanziert werden kann. All das gibt der jetzige Haushalt her. Zurück zu den Kürzungen. Ich spreche konkret von den Kürzungen bei den Stipendien, bei Austauschmaßnahmen und bei Beihilfen für Nachwuchswissenschaftler, für Studierende und Hochschulpraktikanten aus dem Ausland. Hier sollen beinahe 10 Prozent - oder um es in absoluten Zahlen auszudrücken: circa 13 Millionen Euro eingespart werden. Das halten wir nicht für richtig. Wir sind im Übrigen mit der Staatsministerin Pieper einer Meinung, die erst vor kurzem in der FAZ erklärt hat: Bildung ist eine der mächtigsten Abwehrkräfte gegen den Terrorismus der Fundamentalisten. … Denn nur wer internationale Wissensstandards teilt, hat auch Zugang zu weltweiten politischen und wirtschaftlichen Entwicklungen und zu der Vielfalt von Kunst und Kultur. Nur wer mehrdimensionales Wissen besitzt und über den Tellerrand schaut, kann sein Land nach außen öffnen und nach innen einen. Das ist gut gesagt. „Gut gebrüllt, Löwe!“, möchte man sagen. Doch leider wurde es nicht umgesetzt. Den mächtigen und gewichtigen Worten sind leider nur schlanke, unterernährte Taten gefolgt. Das ist aus unserer Sicht ein großer Fehler, der hier begangen wird. Ich meine, er müsste dringend korrigiert werden. Lieber Herr Koppelin, Sie setzen sich ansonsten so engagiert für dieses Thema ein. An dieser Stelle wäre das Liberale Sparbuch eine gute Sache gewesen. Eine Aussage Ihrerseits, wie man das, was man im Wahlkampf versprochen hat, auch tatsächlich umsetzt, wäre wünschenswert. Man hätte eingesparte Mittel nutzen können, um diesem wichtigen Themenbereich die ihm angemessene Bedeutung zu geben. Meine Damen und Herren, was wir vor uns liegen haben, ist ein Übergangshaushalt, der auf der einen Seite von sinnvollen Elementen der Vorgängerregierung und auf der anderen Seite von nicht schlüssigen Einsparungen geprägt ist. Der Haushalt hat noch kein klares Profil. Daher kann ich es gut verstehen, wenn der Bundesaußenminister auf der Suche nach einem eigenen Profil die Welt bereist. Auf Ihren Reisen, Herr Bundesaußenminister, hört man, dass Sie in vielen Fällen einen Strategiewechsel anstreben, dass Sie Neuanfänge initiieren und gemeinsame Werte neu entdecken wollen. Nach meinem Eindruck ist dies eine große Ankündigung, die bisher mit noch wenig Gehalt versehen worden ist. Sie werden nachher dazu noch Stellung nehmen können. Ich möchte beispielsweise an Ihre Brasilienreise erinnern. Es wurde der Eindruck vermittelt, es sei ein vernachlässigtes Land; es sei ein Land, das mehr Zuwendung braucht und mit dem wir eine gemeinsame Strategie verabreden müssten. Ich finde, das war viel Ankündigung. Wenn man sich die Berichte des Auswärtigen Amtes anschaut - das gilt auch für den aktuellsten aus dem Februar 2010 -, dann sieht man, dass die bilateralen Beziehungen zwischen Deutschland und Brasilien auf einem ganz hervorragenden Stand sind. Brasilien ist Deutschlands einziger bilateraler strategischer Partner in Südamerika und damit für uns das wichtigste Land in dieser Region. In dem Bericht heißt es dazu: Die deutsch-brasilianischen Beziehungen sind politisch, wirtschaftlich, wissenschaftlich, kulturell und gesellschaftlich breit verankert. Mit keinem anderen lateinamerikanischen Land pflegt Deutschland eine so breite und tiefe Kooperation. Ich selbst habe dieses Land in anderer Funktion mehrfach bereist. Ich weiß von der dichten Frequenz der Besuche hochrangiger deutscher Politiker in den letzten Jahren: Bundespräsident Köhler im März 2007 und Bundeskanzlerin Merkel im Jahr 2008. Im letzten Jahr war Staatspräsident Lula da Silva im Rahmen eines Staatsbesuchs in Deutschland. Es ist also ein Land, mit dem wir engste Beziehungen haben und zu dem man die Beziehungen weiter pflegen sollte. Man sollte aber nicht den Eindruck vermitteln, als gebe es hier einen riesigen Nachholbedarf. Insofern bedarf es auch keiner neuen Strategie und keiner neuen Aktivität. Die Rede war Ausdruck einer gewissen Ankündigungsaktivität, aber der Inhalt fehlt noch. Daran müssen Sie aus meiner Sicht noch arbeiten. ({8}) Im Übrigen halte ich die Aktivitäten, die Sie mit der Außenwirtschaftspolitik verbinden, grundsätzlich für richtig. Aber ich frage mich, was eigentlich neu daran ist. Sie kündigen nicht nur etwas Neues an, dessen Inhalt noch völlig unbekannt ist. Ich vermisse auch, dass Sie bei Ihren jetzigen Reisen Zeichen setzen, dass Sie nicht nur als Unterstützer ökonomischer Interessen unterwegs sind, sondern auch die soziale Dimension der Globalisie2752 rung und ihre ökologischen Herausforderungen im Blick haben. ({9}) Deshalb wäre es gut, wenn Sie auf solchen Reisen auch den Personenkreis berücksichtigen würden, der für solche Themen spricht. Wo sind in der Wirtschaftsdelegation zum Beispiel die Arbeitnehmervertreter? Aus meiner Sicht gehören Arbeitnehmervertreter genauso dazu wie Unternehmensvertreter. Wo sind auf solchen Reisen die Vertreter des typischen Mittelstands? ({10}) Gerade die Handwerker brauchen unsere Unterstützung, um im Ausland tätig werden zu können. Wo bleiben die Umweltorganisationen und die Menschenrechtsaktivisten? Um diesem Thema auch inhaltlich eine größere Bedeutung beizumessen, wäre es gut, wenn Sie mithelfen würden, dass wir mehr Sozialreferentinnen und Sozialreferenten an den Botschaften etablieren können, ({11}) damit diese Themen auch institutionell eine bessere Unterstützung erfahren. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({12})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Ich komme zunächst zum Einzelplan 04 zurück und gebe Ihnen das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den Einzelplan 04, den Haushalt der Bundeskanzlerin und des Bundeskanzleramtes, bekannt: abgegebene Stimmen 590. Mit Ja haben gestimmt 322, mit Nein haben gestimmt 268, keine Enthaltungen. Der Einzelplan 04 ist damit angenommen. Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen: 589; davon ja: 322 nein: 267 Ja CDU/CSU Ilse Aigner Peter Altmaier Peter Aumer Dorothee Bär Thomas Bareiß Norbert Barthle Günter Baumann Ernst-Reinhard Beck ({0}) Manfred Behrens ({1}) Dr. Christoph Bergner Peter Beyer Steffen Bilger Clemens Binninger Peter Bleser Dr. Maria Böhmer ({2}) Wolfgang Bosbach Norbert Brackmann Klaus Brähmig Dr. Reinhard Brandl Helmut Brandt Dr. Ralf Brauksiepe Dr. Helge Braun Heike Brehmer Gitta Connemann Leo Dautzenberg Alexander Dobrindt Thomas Dörflinger Marie-Luise Dött Dr. Thomas Feist Enak Ferlemann Ingrid Fischbach Hartwig Fischer ({3}) Dirk Fischer ({4}) Axel E. Fischer ({5}) Dr. Maria Flachsbarth Klaus-Peter Flosbach Dr. Hans-Peter Friedrich ({6}) Michael Frieser Erich G. Fritz Dr. Michael Fuchs Hans-Joachim Fuchtel Alexander Funk Ingo Gädechens Dr. Peter Gauweiler Dr. Thomas Gebhart Norbert Geis Alois Gerig Eberhard Gienger Michael Glos Josef Göppel Reinhard Grindel Hermann Gröhe Michael Grosse-Brömer Astrid Grotelüschen Markus Grübel Manfred Grund Monika Grütters Dr. Karl-Theodor Freiherr zu Guttenberg Olav Gutting Florian Hahn Dr. Stephan Harbarth Jürgen Hardt Dr. Matthias Heider Mechthild Heil Frank Heinrich Rudolf Henke Michael Hennrich Jürgen Herrmann Ansgar Heveling Ernst Hinsken Peter Hintze Christian Hirte Robert Hochbaum Karl Holmeier Franz-Josef Holzenkamp Joachim Hörster Anette Hübinger Thomas Jarzombek Dr. Dieter Jasper Dr. Franz Josef Jung Andreas Jung ({7}) Dr. Egon Jüttner Bartholomäus Kalb Steffen Kampeter Alois Karl Bernhard Kaster Siegfried Kauder ({8}) Dr. Stefan Kaufmann Roderich Kiesewetter Eckart von Klaeden Jürgen Klimke Julia Klöckner Axel Knoerig Jens Koeppen Manfred Kolbe Dr. Rolf Koschorrek Hartmut Koschyk Thomas Kossendey Michael Kretschmer Gunther Krichbaum Dr. Günter Krings Dr. Martina Krogmann Bettina Kudla Dr. Hermann Kues Günter Lach Dr. Karl A. Lamers ({9}) Andreas G. Lämmel Katharina Landgraf Ulrich Lange Dr. Max Lehmer Paul Lehrieder Dr. Ursula von der Leyen Ingbert Liebing Matthias Lietz Dr. Carsten Linnemann Patricia Lips Dr. Jan-Marco Luczak Dr. Michael Luther Karin Maag Dr. Thomas de Maizière Hans-Georg von der Marwitz Andreas Mattfeldt Stephan Mayer ({10}) Dr. Michael Meister Maria Michalk Dr. h. c. Hans Michelbach Dr. Mathias Middelberg Dietrich Monstadt Marlene Mortler Dr. Gerd Müller Stefan Müller ({11}) Nadine Müller ({12}) Dr. Philipp Murmann Bernd Neumann ({13}) Michaela Noll Dr. Georg Nüßlein Franz Obermeier Eduard Oswald Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt Dr. Michael Paul Rita Pawelski Ulrich Petzold Dr. Joachim Pfeiffer Sibylle Pfeiffer Beatrix Philipp Ronald Pofalla Christoph Poland Ruprecht Polenz Eckhard Pols Lucia Puttrich Daniela Raab Thomas Rachel Dr. Peter Ramsauer Eckhardt Rehberg Katherina Reiche ({14}) Lothar Riebsamen Josef Rief Klaus Riegert Dr. Heinz Riesenhuber Johannes Röring Dr. Norbert Röttgen Erwin Rüddel Albert Rupprecht ({15}) Anita Schäfer ({16}) Dr. Annette Schavan Dr. Andreas Scheuer Karl Schiewerling Norbert Schindler Tankred Schipanski Georg Schirmbeck Christian Schmidt ({17}) Patrick Schnieder Dr. Andreas Schockenhoff Dr. Ole Schröder Dr. Kristina Schröder ({18}) Bernhard Schulte-Drüggelte Uwe Schummer Armin Schuster ({19}) Detlef Seif Johannes Selle Reinhold Sendker Dr. Patrick Sensburg Johannes Singhammer Jens Spahn Carola Stauche Erika Steinbach Dieter Stier Gero Storjohann Stephan Stracke Max Straubinger Karin Strenz Thomas Strobl ({20}) Lena Strothmann Dr. Peter Tauber Antje Tillmann Dr. Hans-Peter Uhl Arnold Vaatz Volkmar Vogel ({21}) Stefanie Vogelsang Andrea Astrid Voßhoff Dr. Johann Wadephul Marco Wanderwitz Kai Wegner Marcus Weinberg ({22}) Peter Weiß ({23}) Sabine Weiss ({24}) Ingo Wellenreuther Karl-Georg Wellmann Peter Wichtel Annette Widmann-Mauz Elisabeth WinkelmeierBecker Dagmar Wöhrl Dr. Matthias Zimmer Wolfgang Zöller Willi Zylajew FDP Christian Ahrendt Christine AschenbergDugnus Daniel Bahr ({25}) Florian Bernschneider Sebastian Blumenthal Claudia Bögel Nicole Bracht-Bendt Klaus Breil Rainer Brüderle Angelika Brunkhorst Ernst Burgbacher Marco Buschmann Sylvia Canel Helga Daub Dr. Bijan Djir-Sarai Patrick Döring Mechthild Dyckmans Rainer Erdel Jörg van Essen Ulrike Flach Otto Fricke Paul K. Friedhoff Dr. Edmund Peter Geisen Dr. Wolfgang Gerhardt Hans-Michael Goldmann Heinz Golombeck Miriam Gruß Joachim Günther ({26}) Dr. Christel Happach-Kasan Heinz-Peter Haustein Manuel Höferlin Elke Hoff Dr. Werner Hoyer Heiner Kamp Michael Kauch Dr. Lutz Knopek Pascal Kober Dr. Heinrich L. Kolb Hellmut Königshaus Gudrun Kopp Sebastian Körber Patrick Kurth ({27}) Heinz Lanfermann Sibylle Laurischk Sabine LeutheusserSchnarrenberger Lars Lindemann Christian Lindner Michael Link ({28}) Dr. Erwin Lotter Oliver Luksic Horst Meierhofer Patrick Meinhardt Gabriele Molitor Jan Mücke Petra Müller ({29}) Burkhardt Müller-Sönksen Dr. Martin Neumann ({30}) Hans-Joachim Otto ({31}) Cornelia Pieper Gisela Piltz Dr. Birgit Reinemund Dr. Peter Röhlinger Dr. Stefan Ruppert Björn Sänger Frank Schäffler Christoph Schnurr Jimmy Schulz Dr. Erik Schweickert Werner Simmling Judith Skudelny Dr. Hermann Otto Solms Joachim Spatz Dr. Max Stadler Torsten Heiko Staffeldt Carl-Ludwig Thiele Stephan Thomae Florian Toncar Serkan Tören Johannes Vogel ({32}) Dr. Daniel Volk Dr. Claudia Winterstein Dr. Volker Wissing Hartfrid Wolff ({33}) Nein SPD Ingrid Arndt-Brauer Doris Barnett Dr. Hans-Peter Bartels Klaus Barthel Sören Bartol Bärbel Bas Sabine Bätzing Dirk Becker Uwe Beckmeyer Lothar Binding ({34}) Gerd Bollmann Willi Brase ({35}) Edelgard Bulmahn Marco Bülow Martin Burkert Petra Crone Dr. Peter Danckert Martin Dörmann Elvira Drobinski-Weiß Garrelt Duin Sebastian Edathy Dr. h. c. Gernot Erler Petra Ernstberger Karin Evers-Meyer Elke Ferner Gabriele Fograscher Dr. Edgar Franke Dagmar Freitag Peter Friedrich Michael Gerdes Martin Gerster Iris Gleicke Günter Gloser Ulrike Gottschalck Angelika Graf ({36}) Michael Groschek Michael Groß Wolfgang Gunkel Hans-Joachim Hacker Bettina Hagedorn Klaus Hagemann Michael Hartmann ({37}) Hubertus Heil ({38}) Rolf Hempelmann Gustav Herzog Gabriele Hiller-Ohm Petra Hinz ({39}) Frank Hofmann ({40}) Dr. Eva Högl Christel Humme Josip Juratovic Oliver Kaczmarek Dr. h. c. Susanne Kastner Ulrich Kelber Lars Klingbeil Hans-Ulrich Klose Daniela Kolbe ({41}) Nicolette Kressl Angelika Krüger-Leißner Ute Kumpf Christine Lambrecht Christian Lange ({42}) Dr. Karl Lauterbach Steffen-Claudio Lemme Burkhard Lischka Gabriele Lösekrug-Möller Kirsten Lühmann Caren Marks Katja Mast Hilde Mattheis Petra Merkel ({43}) Ullrich Meßmer Dr. Matthias Miersch Franz Müntefering Andrea Nahles Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt Dietmar Nietan Manfred Nink Thomas Oppermann Holger Ortel Aydan Özoğuz Heinz Paula Joachim Poß Dr. Wilhelm Priesmeier Florian Pronold Mechthild Rawert Gerold Reichenbach Dr. Carola Reimann Sönke Rix René Röspel Dr. Ernst Dieter Rossmann Michael Roth ({44}) Anton Schaaf Marianne Schieder ({45}) Werner Schieder ({46}) Ulla Schmidt ({47}) Silvia Schmidt ({48}) Carsten Schneider ({49}) Olaf Scholz Ottmar Schreiner Swen Schulz ({50}) Ewald Schurer Frank Schwabe Dr. Angelica Schwall-Düren Dr. Martin Schwanholz Rolf Schwanitz Stefan Schwartze Dr. Carsten Sieling Sonja Steffen Peer Steinbrück Christoph Strässer Kerstin Tack Franz Thönnes Wolfgang Tiefensee Rüdiger Veit Ute Vogt Dr. Marlies Volkmer Andrea Wicklein Heidemarie Wieczorek-Zeul Waltraud Wolff ({51}) Uta Zapf Dagmar Ziegler Manfred Zöllmer Brigitte Zypries DIE LINKE Jan van Aken Agnes Alpers Dr. Dietmar Bartsch Herbert Behrens Karin Binder Matthias W. Birkwald Heidrun Bluhm Steffen Bockhahn Christine Buchholz Eva Bulling-Schröter Dr. Martina Bunge Roland Claus Sevim Dağdelen Dr. Diether Dehm Heidrun Dittrich Werner Dreibus Dr. Dagmar Enkelmann Klaus Ernst Nicole Gohlke Annette Groth Heike Hänsel Dr. Rosemarie Hein Dr. Barbara Höll Ulla Jelpke Katja Kipping Jan Korte Katrin Kunert Caren Lay Sabine Leidig Ralph Lenkert Michael Leutert Stefan Liebich Ulla Lötzer Dr. Gesine Lötzsch Thomas Lutze Ulrich Maurer Dorothée Menzner Cornelia Möhring Wolfgang Nešković Thomas Nord Jens Petermann Richard Pitterle Yvonne Ploetz Ingrid Remmers Paul Schäfer ({52}) Michael Schlecht Dr. Herbert Schui Dr. Ilja Seifert Kathrin Senger-Schäfer Raju Sharma Dr. Petra Sitte Kersten Steinke Sabine Stüber Alexander Süßmair Dr. Kirsten Tackmann Frank Tempel Dr. Axel Troost Alexander Ulrich Kathrin Vogler Sahra Wagenknecht Halina Wawzyniak Harald Weinberg Jörn Wunderlich Sabine Zimmermann BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Kerstin Andreae Marieluise Beck ({53}) Volker Beck ({54}) Cornelia Behm Birgitt Bender Ekin Deligöz Katja Dörner Hans-Josef Fell Dr. Thomas Gambke Kai Gehring Britta Haßelmann Bettina Herlitzius Winfried Hermann Priska Hinz ({55}) Ulrike Höfken Bärbel Höhn Ingrid Hönlinger Uwe Kekeritz Katja Keul Memet Kilic Maria Anna Klein-Schmeink Tom Koenigs Sylvia Kotting-Uhl Oliver Krischer Agnes Krumwiede Fritz Kuhn Stephan Kühn Markus Kurth Monika Lazar Nicole Maisch Agnes Malczak Jerzy Montag Kerstin Müller ({56}) Beate Müller-Gemmeke Ingrid Nestle Dr. Konstantin von Notz Friedrich Ostendorff Dr. Hermann Ott Lisa Paus Brigitte Pothmer Claudia Roth ({57}) Krista Sager Manuel Sarrazin Christine Scheel Dr. Frithjof Schmidt Dorothea Steiner Dr. Wolfgang StrengmannKuhn Dr. Harald Terpe Markus Tressel Daniela Wagner Wolfgang Wieland Dr. Valerie Wilms Josef Philip Winkler Nun hat Herr Bundesminister Dr. Guido Westerwelle das Wort. ({58})

Dr. Guido Westerwelle (Minister:in)

Politiker ID: 11002944

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! In der letzten Lesung soll zunächst und hauptsächlich das Parlament zu Wort kommen, daher stehen mir nur wenige Minuten zu. Bevor ich zu der Friedenspolitik und einem wichtigen Anliegen komme, das uns alle hier in diesem Hause noch beschäftigen wird, will ich aber drei Vorbemerkungen machen. Erstens möchte ich mich bei den Berichterstattern und bei dem gesamten Haushaltsausschuss sehr herzlich bedanken. Ich danke Ihnen, Herr Frankenhauser, Herr Brandner, Herr Koppelin, Herr Kindler und Herr Leutert. Ich möchte mich ausdrücklich auch im Namen des gesamten Auswärtigen Amtes für die vorzügliche Zusammenarbeit bedanken. Zweitens, Frau Kollegin Künast, habe ich heute Morgen Ihre Rede - wie die gesamte Debatte - aufmerksam verfolgt. Sie haben uns als neue Bundesregierung und auch mich mit kritischem Unterton aufgefordert, mich mehr um den skandalösen Anstieg der deutschen Rüstungsexporte zu kümmern. Ich möchte zunächst einmal wiedergeben, was am 15. März 2010 von dem Institut SIPRI in Stockholm, das das herausgefunden und kritisiert hat, dazu gesagt worden ist, weil hier der Eindruck erweckt wird, als hätte diese neue Bundesregierung in den letzten Wochen ganz schnell noch ein paar U-Boote gebaut und in die Welt exportiert. Ich zitiere aus einer Meldung dazu: Wenig Verständnis zeigte der Brite für die Kritik von Grünen-Chefin Claudia Roth am Anstieg der deutschen Rüstungsexporte: - Jetzt kommt das wörtliche Zitat. „Die meisten Verträge, die diese Verdoppelung bewirkt haben, wurden ja während der rot-grünen Regierungszeit abgeschlossen.“ ({0}) Drittens, Frau Kollegin Künast, haben Sie mir vorgeworfen, ich hätte Brasilien nicht entdeckt. ({1}) - Dann haben Sie es eben festgestellt. Ich glaube, das ist eine historische Tatsache, auf die wir uns zwanglos verständigen können. ({2}) Ich möchte Ihnen Folgendes dazu sagen: Brasilien wurde vom Portugiesen Cabral entdeckt. Er reiste mit 13 Schiffen. Man wusste in Portugal also schon vor 500 Jahren, dass Delegationen zur Wahrnehmung der eigenen Landesinteressen gelegentlich hilfreich sind. ({3})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Dr. Guido Westerwelle (Minister:in)

Politiker ID: 11002944

Nein, ich gestatte jetzt keine Zwischenfrage. Ich komme zu einem vierten Punkt, auf den ich inhaltlich eingehen möchte. Zunächst zu Ihnen, Herr Kollege Brandner. Sie haben völlig zu Recht darauf hingewiesen, dass die auswärtige Politik und auch dieser Haushalt wesentlich von Kontinuität geprägt sind. Dabei bleibt es auch. ({0}) Es geht hierbei nicht um einen Übergangsetat, sondern ich habe bereits in der letzten Legislaturperiode - ich werde das als Bundesminister künftig auch in dieser Legislaturperiode tun - immer wieder ausdrücklich gewürdigt, dass insbesondere unter Bundesaußenminister Steinmeier ein Aufwuchs in der Auswärtigen Kulturund Bildungspolitik möglich geworden ist. ({1}) Davon werde ich nichts zurückzunehmen. Ich habe die Absicht, diese Politik fortzusetzen. Ich bitte Sie - bei aller Kritik in anderen Bereichen - um Ihre Unterstützung, weil die Stunde kommen wird, in der ich im Haushaltsausschuss um die Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik werde ringen müssen. ({2}) Das sage ich an die Adresse aller, weil ich glaube, dass es die beste Visitenkarte für unser Land ist, wenn wir Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik fördern. ({3}) Das ist keine Attacke, sondern es ist ein Angebot, das ich Ihnen unterbreiten möchte, weil ich glaube, dass ein überparteiliches Interesse daran in diesem Hohen Hause vorhanden ist. Schließlich möchte ich einige Bemerkungen zu einem Kernanliegen machen. Es gibt noch vieles zu besprechen. Vieles haben wir bereits im Auswärtigen Ausschuss besprochen. Wir werden in der nächsten Woche über den Europäischen Auswärtigen Dienst sprechen, der aufgebaut werden muss. Sie wissen, dass noch eine Menge zu tun ist, damit in diesem Bereich die deutschen Interessen wahrgenommen werden können und vor allen Dingen dafür gesorgt wird, dass wir einen guten, schlagkräftigen und handlungsfähigen Europäischen Auswärtigen Dienst bekommen. Ich kann Ihnen ankündigen: Da gibt es noch manches zu tun. Es gibt Bereiche der Wirtschaftsförderung, über die wir hier im Hohen Hause noch kontrovers diskutieren werden. Ich hoffe allerdings, dass wir in einem Bereich eine Gemeinsamkeit haben. Bisher war es ein Kernbestandteil deutscher Außenpolitik, dass deutsche Außenpolitik Friedenspolitik ist. ({4}) - Ich sage: Friedenspolitik ist. Ich glaube, anders als Sie, Herr Kollege Gehrcke: Wenn deutsche Außenpolitik in den vergangenen Jahrzehnten keine Friedenspolitik gewesen wäre, dann hätten wir das Glück der deutschen Einheit niemals erlebt. Davon bin ich fest überzeugt. ({5}) Es geht nicht darum, wer was gemacht hat: Willy Brandt, Walter Scheel, Helmut Kohl oder Hans-Dietrich Genscher. Das ist eine gemeinsame Auffassung. Ich möchte Sie warnen: Wenn wir nicht aufpassen, werden wir ein Jahrzehnt bekommen, das nicht ein Jahrzehnt der Abrüstung wird, sondern ein Jahrzehnt der Aufrüstung werden kann. ({6}) Ich glaube, dass wir uns über dieses Problem in diesem Hause - nicht heute, aber in vielen Fachdebatten - noch detailliert unterhalten müssen. ({7}) Das ist in Wahrheit die Gefahr, die vor uns liegt, nämlich dass wir nicht ein Jahrzehnt der Abrüstung erleben werden - wie es durch eine bemerkenswerte, hoffnungsvolle Rede von Präsident Obama in Prag eigentlich ermöglicht worden wäre -, sondern dass wir in diesem Jahrzehnt erleben, dass durch Staaten, die wir nicht auf dem Schirm hatten, plötzlich die nukleare Verbreitung die Regel wird. Wir reden zu Recht über Menschenrechte. Das habe ich getan, und das wissen Sie und Ihre Kollegen, die bei den Reisen dabei gewesen sind. Wir reden beispielsweise über die Menschenrechtslage im Iran. Ich möchte Sie darum bitten, dass wir uns alle gemeinsam an den Kern des Problems erinnern. Es geht beim Thema Iran - ich sage das deshalb, weil das derzeit in New York bei den Vereinten Nationen verhandelt wird - um das zentrale Problem: Wenn wir es zulassen, dass sich ein Staat die Option der atomaren Bewaffnung verschafft, nicht mit der Völkergemeinschaft kooperiert und nicht für Transparenz sorgt, dann ist es eine Frage der Zeit, bis sich noch mehrere andere Staaten dieser Region - ich sage Ihnen voraus: mehrere andere Staaten in der Welt in den nächsten zehn Jahren atomar bewaffnen werden. Nukleare Nichtverbreitung hat schon immer zwei Komponenten gehabt. Zum einen galt es, diejenigen, die Atomwaffen haben wollen, davon abzubringen, dass sie sich diese illegal beschaffen. Zum anderen gibt es eine Verpflichtung der Atomstaaten, abzurüsten, übrigens ohne dass konventionelle Kriege leichter geführt werden können. Ich sage Ihnen voraus: Das wird - hoffentlich jenseits der ganzen tagespolitischen Hektik und jenseits all dessen, was man in einer Demokratie kontrovers beraten muss, ein gemeinsames Kernanliegen sein. Darüber mache ich mir große Sorgen. Da gibt es Rückschritte, die man sehen muss, und zwar, was den Iran angeht, sehr sorgenvoll, was die Frage des Nahen Ostens angeht, sehr sorgenvoll, vor allem wenn man sich ansieht, dass jüngst, in der letzten Woche, die Siedlungspolitik mal eben fortgesetzt wurde. Es hat keinen Sinn, darum herumzureden - jeder weiß, dass wir Freunde Israels sind -: Wer zu einem Friedensprozess kommen möchte, muss auch bereit sein, die internationale Forderung nach einem Stopp der Siedlungspolitik zu erfüllen. Das ist die Voraussetzung dafür, dass das gelingen kann. Ich sage das beiden Seiten. Das ist die neue Dimension. Das ist immer unsere Maßgabe gewesen: Wenn man in diesem Hohen Hause etwas anspricht, ist das nicht immer Kritik am Vorgänger oder gleich eine Attacke gegenüber jemandem, der das bisher vielleicht nicht gemacht hat. Nein, die Herausforderung, die auf der Tagesordnung steht, ist neu. Ich glaube, deutsche Außenpolitik hat zwei Markenzeichen: Abrüstung und Friedenspolitik. Das wollte ich zu dieser Generaldebatte heute beitragen. Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. ({8})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Nächster Redner ist der Kollege Wolfgang Gehrcke für die Fraktion Die Linke. ({0})

Wolfgang Gehrcke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003130, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Danke sehr. - Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich will den Ball, den der Außenminister gespielt hat, gleich aufnehmen: Wir lehnen den Haushalt des Auswärtigen Amtes ab, weil wir als Linke nie einem Haushalt zustimmen werden, der Kriegspolitik beinhaltet. ({0}) Wir werden uns an keiner Koalition beteiligen, die das zu tun beabsichtigt, und wir werden einem solchen Haushalt nicht zustimmen. Das ist eben die Differenz. Ich hätte mich gefreut, wenn in Ihrem Koalitionsvertrag der Satz gestanden hätte: Deutsche Außenpolitik muss Friedenspolitik werden. Sie ist es nicht. Sie ist es strukturell und faktisch nicht. Wir befinden uns in Afghanistan in einem Krieg. Das wird keiner hier ableugnen können. Das tut nicht einmal mehr zu Guttenberg. ({1}) Wir befanden uns, was die Geschichte angeht, auch in Jugoslawien im Krieg - auch das darf hier nicht vergessen werden -, und wir haben zumindest indirekt den Krieg der USA im Irak mit vielem gefördert, was nicht unserer Verfassung entspricht. Deutsche Außenpolitik muss Friedenspolitik werden. Das muss auch das Credo dieses Parlamentes sein. ({2}) Ich will hinzufügen: Wir stimmen auch deshalb nicht zu, weil die ganze Richtung der Außenpolitik aus unserer Sicht falsch ist. Ich will Ihnen das an einigen Beispielen deutlich machen. Ich finde, das ist eine eigenartige Mischung von Kollegen, die in der Bundesregierung die internationale Politik dominieren oder bestimmen: Wir haben einen Entwicklungshilfeminister, Fallschirmspringer, der eigentlich furchtbar gerne Verteidigungsminister werden möchte ({3}) und deswegen Entwicklungspolitik und Bundeswehrpolitik noch enger verbinden will - zulasten der Entwicklungspolitik. ({4}) Wir haben einen Verteidigungsminister, Gebirgsjäger, der furchtbar gerne Außenminister werden möchte. Er darf sich jetzt nicht zu viel zur Außenpolitik äußern, weil er den Untersuchungsausschuss zu Kunduz am Hals hat. Er versucht aber immer wieder, zu dokumentieren - jetzt ist er gerade nicht anwesend -, dass er eigentlich der bessere Außenminister wäre. ({5}) Wir haben einen Außenminister, FDP-Vorsitzender, der die gesellschaftliche Stabilität im eigenen Land durch leichtfertige Reden und durch eine falsche Politik gefährdet. ({6}) Wer die gesellschaftliche Stabilität in Deutschland gefährdet, kann international nicht glaubwürdig für globale soziale Gerechtigkeit eintreten. Das ist einfach so. Das fällt auf einen zurück, Herr Westerwelle. ({7}) Gestatten Sie, dass ich ein sehr persönliches Wort dazu sage: Sie sind ein Politiker des raschen Erfolges, ({8}) des schnellen Wortes. ({9}) Manchmal gefällt es einem, manchmal nicht. Sie sind ein Politiker, der nicht in langen Wellen, nicht in langen Linien denkt. ({10}) Ein Außenminister muss eigentlich in langen politischen Linien denken und auf das Geschäft des Tages zugunsten der Außenpolitik verzichten. ({11}) Das schlägt irgendwann durch. Sie haben hier als Beispiel genannt, wer Brasilien entdeckt hat. Sie haben sich mit Delegation in diese Tradition gestellt. Wissen Sie eigentlich, dass Sie sich in die Tradition der kolonialen Ausbeutung und Unterdrückung gestellt haben? ({12}) Das kommt davon, wenn man nicht nachdenkt. Schnelles Wort, schnelle Mark, um ein Geschäft zu machen. ({13}) Ich sage das ganz absichtlich hier so, auch vor dem Hintergrund Ihrer Reise. Ich habe mich oftmals wie auf einer Tupperparty gefühlt, ({14}) auf der die deutsche Industrie ihre Produkte anpreist und dafür die Vermittlung des Bundesaußenministers benutzt. Den SPD-Kollegen möchte ich sagen, dass es bei Steinmeier auch so war. Ich habe mich geschämt, den Außenminister und seine Begleitung in Vietnam mit Reklametüten von METRO herumlaufen zu sehen. Das macht Westerwelle nicht. Er geht zu VW und signiert einen Pick-up. Wir hatten einen Autokanzler, jetzt haben wir einen Autoaußenminister. Das macht die Sache nicht besser. Ich finde, es entspricht nicht der Würde dieses Hauses und der deutschen Außenpolitik, sich für die Verkaufsstrategie der deutschen Industrie zur Verfügung zu stellen. ({15}) Ich möchte etwas anderes. Ich nenne Ihnen jetzt einige Beispiele. Bis zur Londoner Konferenz war Afghanistan Ihr Hitthema. Danach habe ich Sie nicht mehr über Afghanistan und den Friedensprozess reden hören. Schnelle Mark, schnelles Thema, Thema war abgehakt. Aber die Politik ist nicht zu Ende. Wir müssten jetzt den Frieden afghanisieren und nicht die Afghanisierung des Krieges fortsetzen. ({16}) Sie haben hier Rot-Grün und Frau Künast - das hat mir Spaß gemacht - bei der Frage der Rüstungsexporte kritisiert. Aber wissen Sie, Herr Westerwelle, es macht die heutige Situation nicht besser, dass auch Rot-Grün und Schwarz-Rot diese verhängnisvolle Politik eingeleitet, durchgesetzt und möglich gemacht haben. Das macht es nicht besser. Diese Politik bleibt falsch und schlecht. ({17}) Wenn Sie bei der Frage der Rüstungsexporte im Prinzip sagen, dass Sie eine falsche Politik fortgesetzt haben, hat das keinen Sinn. Sie hätten diese falsche Politik korrigieren müssen. Man hätte von diesem Pult aus deutlich machen müssen: Wir wollen raus aus dem Geschäft mit dem Tode. Sie sollten darüber nachdenken, ob wir uns auf Dauer diese doppelten Standards in der Politik leisten können. Ein bisschen salopp gesagt: Wer Krümmel nicht vom Netz nehmen will, wird anderen bei der Frage der Nutzung der Atomenergie schlecht Ratschläge geben können. Deutschland brilliert in der Welt mit doppelten Standards; aber dies schadet uns irgendwann. Ich möchte stattdessen eine beharrliche, langfristige, durchdachte, gründliche und auf Diplomatie setzende Außenpolitik. Ich möchte gern, dass Sie verstehen, dass es keinen Sinn hat, gegenüber dem Iran weiter auf Sanktionen zu setzen. Das sagen Ihnen alle Leute, die sich dort auskennen. Man muss den Iran, gerade wenn man verhindern will, dass er sich Atomwaffen zulegt, beharrlich in die Staatengemeinschaft zurückführen. Das heißt, man sollte nicht auf Sanktionen setzen, sondern auf Diplomatie, auf Debatten und auf Auseinandersetzungen bauen. Sie verlieren einen Partner nach dem anderen, wenn Sie nur auf Sanktionen setzen. ({18}) Ich finde, langfristig gesehen kann man im Nahostkonflikt nur durch ganz konsequente Diplomatie etwas bewegen. Sie sind viel herumgereist in der Welt. Das werfe ich Ihnen gar nicht vor; das ist Ihre Aufgabe als Außenminister. ({19}) - Hier wird gesagt, da habe er Glück gehabt. Wenn Sie möchten, werfe ich Ihnen das auch vor; aber lassen wir das. Ich werfe Ihnen das nicht vor. Ich möchte gern wissen: Was machen Sie in Bezug auf Länder wie Syrien? Syrien ist ein Schlüsselland, wenn man den Nahostkonflikt lösen möchte. ({20}) - Ja, das wissen auch Sie. - Welche Politik betreiben Sie in der Auseinandersetzung mit der israelischen Regierung? Ich habe vernommen, dass Sie den Siedlungsbau kritisiert haben. Man muss klipp und klar sagen: Wer den Siedlungsbau fortsetzt, dem darf man keine Waffen liefern. ({21}) Sie bilden deutsche Bundeswehrpiloten in Israel an Drohnen aus, die in Afghanistan eingesetzt werden sollen. So einen Schwachsinn kann doch keiner ernsthaft als Politik bezeichnen. Es wäre richtig, zu sagen: Wir liefern in ein Land, das eine solche Politik betreibt, nicht weiter Waffen. Das hätte politische Wirksamkeit. ({22}) Herr Außenminister, ich möchte gerne, dass man nicht nur, wie es im Koalitionsvertrag steht, Außenpolitik macht, um Deutschlands Platz auf dem Weltmarkt zu verbessern. Ich möchte vier Eckpfeiler verankert sehen: erstens sich konsequent für das Völkerrecht einzusetzen, also eine Völkerrechtspartei zu sein, zweitens weltweit eine Partei der sozialen Gerechtigkeit zu werden, drittens auf Abrüstung zu setzen - hier haben Sie recht und viertens mehr Demokratie in die Außenpolitik zu bringen. Deutsche Außenpolitik muss Friedenspolitik werden. Das ist die Zielrichtung der Partei und Fraktion Die Linke. Herzlichen Dank. ({23})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Nun hat das Wort der Kollege Herbert Frankenhauser für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Herbert Frankenhauser (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000572, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Verehrte Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte ein Angebot wiederholen, das ich bereits im Haushaltsausschuss gemacht habe. Vorab möchte ich allerdings feststellen: Man hat nicht den Eindruck, hier in der Haushaltsdebatte zu sein - ich bitte deswegen, nicht zu erschrecken, wenn ich als Haushälter hernach etwas detaillierter über den Haushalt sprechen werde -, sondern ich habe eher den Eindruck, hier handelt es sich um eine Reisedebatte. Ich wiederhole, wie gesagt, mein Angebot. Ich glaube, ich bin der dienstälteste Berichterstatter für den Bereich des Auswärtigen Amtes. Ich habe viele Außenminister sozusagen haushalterisch begleiten dürfen. An diesem reichhaltigen Fundus, was Amtsausstattung, Reisen und Delegationen anbelangt, und zwar in Bezug auf Außenminister jedweder Couleur, würde ich gerne alle Kolleginnen und Kollegen teilhaben lassen. Ich stehe bei Bedarf immer gerne zu detaillierten Auskünften bereit. ({0}) Ich bedanke mich zunächst bei Herrn Dr. Morhard und seinen Mitarbeitern aus dem Auswärtigen Amt für die hervorragende Unterstützung, nicht nur während der Haushaltswochen, sondern auch über das ganze Jahr hinweg. Ich bedanke mich bei meinen Kolleginnen und Kollegen für die sehr harmonische Zusammenarbeit in den Berichterstattergesprächen. Ich bedanke mich auch bei Ihnen, Herr Minister, dass Sie in Bezug auf das Mitarbeiterbeurteilungssystem bereits erste Schritte eingeleitet haben - das ist den Mitarbeitern im Auswärtigen Amt ein sehr wichtiges Anliegen - und dass Sie Ihre Bereitschaft erklärt haben, sich für mehr Gegenseitigkeitsabkommen mit anderen Staaten hinsichtlich der Berufstätigkeit von Partnerinnen und Partnern, die im auswärtigen Dienst tätig sind, einzusetzen. Der Staatshaushalt - so sagte es der berühmte Kabarettist Werner Finck ist ein Haushalt, in dem alle essen möchten, aber niemand das Geschirr spülen will. Das ist wohl richtig. Trotzdem haben wir unsere Arbeit erledigt. Der erste Regierungsentwurf war schon ganz ordentlich, Herr Kollege Brandner. Der zweite war eigentlich ganz gut. Aber den Feinschliff haben die parlamentarischen Beratungen gebracht, wobei sich die Opposition nicht so sehr mit Ruhm bekleckert hat. Herr Kollege Brandner, ich wusste nicht: Ist Ihre Rede mehr Zustimmung oder mehr Ablehnung? Wenn wir Ihren Vorschlägen gefolgt wären, hätten wir noch eine Unterdeckung in Höhe von 2,362 Millionen Euro zu verzeichnen. Bis jetzt ist unbekannt, woher dieser Betrag kommen soll. Auch wir könnten umfangreiche Wünsche äußern. Ein Außenminister namens Joschka Fischer hat einmal gesagt: Ohne Moos nichts los. Ganz abenteuerlich wird es bei den Grünen. Die Grünen haben einen Wunschkatalog aufgestellt, der sage und schreibe 283 Millionen Euro erfordern würde. Sie haben aber keinen einzigen Vorschlag gemacht, woher dieses Geld kommen soll. ({1}) - Die ist nirgendwo gestanden, jedenfalls nicht in den Änderungsanträgen, die Sie in den Haushaltsausschuss eingebracht haben. Vielleicht haben Sie die in einem Rucksack mit sich herumgetragen; ({2}) das mag sein. Bei uns ist jedenfalls nichts angekommen.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Herr Kollege Frankenhauser, gestatten Sie denn eine Zwischenfrage des Kollegen Kindler?

Herbert Frankenhauser (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000572, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Bitte.

Sven Christian Kindler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004070, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Kollege Frankenhauser, würden Sie mir zustimmen, dass man im Haushalt Prioritäten setzen kann, dass man gerade bei ziviler Krisenprävention, bei den Mitteln für Afghanistan und bei anderen Punkten, wo wir deutsche Friedenspolitik umsetzen wollen, Aufwüchse vorsehen kann, auch um die ODA-Quote zu erfüllen? Wir Grünen schlagen als Gegenfinanzierung vor - ich habe das im Haushaltsausschuss gesagt; Sie erinnern sich vielleicht an die Debatte mit Jürgen Koppelin -, auf Flugtickets eine Abgabe zu erheben, wie es in Frankreich gemacht wird, wie es in Großbritannien gemacht wird, wie es in den Niederlanden gemacht wird. Das würde über 2 Milliarden Euro im Jahr einbringen; das wäre eine ausreichende Gegenfinanzierung. Stimmen Sie mir zu, dass diese Debatte im Haushaltsausschuss so war und dass wir damit eine solide Gegenfinanzierung vorgestellt haben?

Herbert Frankenhauser (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000572, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich stimme Ihnen zu, dass wir eine Debatte hatten. Ob die solide war, will ich bezweifeln. ({0}) Gehen Sie einmal zum Bäcker, verlangen Sie fünf Semmeln und sagen: Ich habe eine gute Idee; ich komme in zwei Jahren vorbei und bezahle sie Ihnen. Ich will damit sagen: Das ist ja alles wunderschön; aber man muss im Haushalt konkrete Deckungsvorschläge machen, man kann nicht mit theoretischen Zahlen hantieren. ({1}) So kann man keine solide Haushaltspolitik machen.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Kollege Frankenhauser, es gibt eine weitere Bitte nach einer Zwischenfrage, und zwar vom Herrn Kollegen Brandner.

Herbert Frankenhauser (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000572, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Bitte, gerne, immer.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Herr Kollege Brandner, bitte.

Klaus Brandner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003053, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Kollege Frankenhauser, zuallererst möchte ich bestätigen, dass die Beratungen, wie ich schon angesprochen habe, wirklich sehr harmonisch und von dem Willen geprägt waren, Einvernehmen zu erzielen. Bezüglich der Datenlage, wie Sie sie dargestellt haben - dass bei der Gegenfinanzierung, wenn ich das richtig gehört habe, 2,3 Millionen Euro fehlen würden -, vermute ich, dass Sie oder Ihr Büro oder Ihre Aktenlage nicht alles ganz richtig erfasst haben. ({0}) Wir haben mehr als eine einzelne Gegenfinanzierung vorgeschlagen. Ich kann Ihnen das gerne noch einmal unterlegen. ({1}) - Es ist schon wichtig, dass, wenn hier etwas festgestellt wird, darauf geantwortet wird. Wenn Sie das beunruhigt, können wir das auch auf andere Art und Weise machen. Es liegt mir daran, dass deutlich wird: Bei diesen Beratungen ist es der SPD-Fraktion darum gegangen, eine Unterfinanzierung zu verhindern und eine sachlich bezogene Gegenfinanzierung der Forderungen vorzuschlagen. Ich bin gerne bereit, die entsprechenden Unterlagen vorzulegen. ({2})

Herbert Frankenhauser (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000572, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich werte das als wohlgemeinte Frage und bin gerne bereit, Ihnen Ihre Absicht zu bestätigen. Alles andere können wir gerne noch persönlich klären, Kollege Brandner. Jetzt weise ich noch auf ein paar wesentliche Veränderungen hin, die wir im Rahmen der Haushaltsberatungen vorgenommen haben: Wir haben zum Beispiel die Mittel für die Programmarbeit, also für Kulturpolitik, um 2,48 Millionen Euro erhöht. Wir haben die Mittel für den Stabilitätspakt für Afghanistan um 90 Millionen Euro erhöht, den Titel für Menschenrechte um 1,5 Millionen Euro und die Mittel für Minenräumung um 1 Millionen Euro. Wir haben den Titel für den Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge noch einmal um 300 000 Euro verstärkt, die dafür gedacht sind, dass wir gemeinsam mit dem VDK beginnen, den Opfern nationalsozialistischer Gewalttaten, zum Beispiel in der Ukraine, eine letzte, würdige Ruhestätte zu verschaffen. Ich halte das für dringend geboten. Wir wollen diese Aufgabe jetzt in Angriff nehmen. ({0}) Wir haben den Titel für Schulen im Ausland um 5 Millionen Euro erhöht, weil wir darin, unsere Schulen im Ausland zu verstärken, eine ganz wichtige Aufgabe sehen. ({1}) Bei dieser Gelegenheit begrüße ich die zahlreich anwesenden Vertreter des Bundesrates. ({2}) Ich möchte noch einmal den Appell an die Bundesländer richten - ich bitte auch die Bundesregierung, die ja mit den Bundesländern ständig Gespräche führt, noch einmal darauf hinzuwirken -, bei der bisherigen Regelung, dass die Lehrer an Auslandsschulen kofinanziert werden, zu bleiben. Würde die Kofinanzierung abgeschafft, müssten wir circa 200 Lehrkräfte aus dem Ausland abziehen, weil wir sie mit den bisherigen Mitteln nicht finanzieren könnten. Ich denke, alle Kolleginnen und Kollegen, quer durch alle Fraktionen, wären gut beraten, dieses Ansinnen zu unterstützen und bei ihrem jeweiligen Landeskulturminister vorstellig zu werden, dass er es bei der bisherigen Regelung, die sich bewährt hat, belassen möge. ({3}) Wir haben den Titel „Afghanistan“ um 90 Millionen Euro auf nunmehr 180,7 Millionen Euro im Bereich des Auswärtigen Amtes erhöht. Davon gehen 35 Millionen Euro in die Verstärkung des Polizeiaufbaus, 35 Millionen Euro in schnell wirkende Stabilisierungsprojekte im Norden Afghanistans, 10 Millionen Euro in eine Beteiligung am Reintegrationsfonds und 10 Millionen Euro in den Verwaltungs- und Justizaufbau. Ich nehme immer gern die Gelegenheit wahr, Herr Außenminister, liebe Kolleginnen und Kollegen, ein paar kritische Worte zum Thema Europa zu sagen. Ich möchte als Erstes wiederholen, was ich leider schon vergebens angesprochen habe. Ich denke, man muss über die Visumpraxis, wie wir sie handhaben, noch einmal intensiv nachdenken. Es kann meines Erachtens nicht angehen, dass unser Konsulat in Sankt Petersburg etwa 40 000 Visa im Jahr ausstellt, die Finnen - übrigens ein Schengen-Staat - etwa 150 000 Visa. Ich als Haushälter sehe einfach nicht den sicherheitspolitischen Sinn - oder mir fehlt die Erkenntnis -, was es bringen soll, wenn Russen oder Esten mit einem finnischen Visum in Deutschland einreisen, aber das deutsche Konsulat ein Visum nur in einem sehr langwierigen Prozess ausstellen kann. Wenn das nicht EU-weit geregelt werden kann, was offensichtlich der Fall ist, sollten wir uns national etwas überlegen, damit nicht Geschäftsleute - natürlich finde ich es gut, wenn diese nach Deutschland reisen - zuerst zu den Finnen gehen müssen, damit sie etwas unkomplizierter zu einem Visum kommen. ({4}) Dann habe ich bislang immer gehört, mit dem Vertrag von Lissabon, der nun beschlossen ist, werde alles viel besser und einfacher werden. Die erste Erkenntnis, die ich inzwischen gewonnen habe, ist, dass allerorten nach mehr Personal gerufen wird. Als Begründung wird der Vertrag von Lissabon genannt. Wir haben zwar über den Einzelplan 05 gesprochen, aber es zieht sich durch alle Einzelpläne. Alle Ministerien erklären: Wegen des Vertrags von Lissabon brauchen wir mehr Personal, nicht zuletzt deswegen, weil wir den Bundestag besser unterrichten müssen. Ich möchte anmahnen, dass sich die Bundesregierung auf ein vernünftiges und personalsparendes Verfahren einigt, in dem der Bundestag ausreichend informiert wird. Ein besonderes Anliegen ist auch immer die Haushaltsführung und die Mittelverwendung der Europäischen Union. Es beginnt damit, dass zurzeit der Posten des Generaldirektors bei der Antibetrugsbehörde OLAF anscheinend nicht rechtmäßig besetzt ist. Deswegen sind mehrere hundert Betrugsverfahren in Gefahr, zu kippen. Ich denke, bei den Milliardenbeträgen, die in der EU rechtswidrig erschlichen werden, überwiegend durch mehr oder weniger angesehene Mitgliedstaaten, muss eine funktionierende Antibetrugsbehörde vorhanden sein. Es geht zum Beispiel nicht an, dass etwa die EU der Türkei 700 Millionen Euro jährlich zur Vorbereitung der Aufnahme in die EU zukommen lässt, aber der Europäische Rechnungshof erklärt, dass bei über der Hälfte des Geldes nicht nachkontrolliert werden kann, wo es gelandet ist. Wir sind es auch den deutschen Steuerzahlern schuldig, gemeinsam dafür Sorge zu tragen, dass mit dem Geld der Steuerzahler auch auf europäischer Ebene sorgfältig umgegangen wird. ({5}) Eine besondere Blüte scheint sich bei dem neuen Europäischen Auswärtigen Dienst zu ergeben. So wie es aussieht, ist eine geschätzte Baroness dabei, einen Behördenapparat mit 7 000 bis 8 000 Mitarbeitern aufzubauen. Es ist aber noch nicht geregelt, welche Kompetenz die Behörde der Baroness als solche haben wird. Es gibt auch noch keinen Organisationsplan. Man weiß eigentlich gar nicht, was diese 7 000 bis 8 000 Mitarbeiter tun sollen. Ich könnte es mir als zweckmäßig vorstellen, dass man diese offenen Fragen klärt, bevor man nun einen zweiten Riesenapparat in Brüssel aufbaut. Ich erwarte zu gegebener Zeit auch eine Äußerung von Ihnen, verehrter Herr Außenminister, dahin gehend, dass es nicht eine reine Parallelinstitution geben wird. Es gibt schon erste Stimmen, die sagen: Gerade weil der Europäische Auswärtige Dienst so stark und so bedeutend werden soll, müssen die nationalen Auswärtigen Dienste zusätzlich gestärkt werden. Ich glaube also, auch im Hinblick auf die noch anstehenden Konsolidierungen unserer öffentlichen Haushalte muss hier eine Doppelfunktion vermieden werden. ({6}) Zum Schluss habe ich noch eine Bitte bzw. Anregung, Herr Außenminister. Mir fällt auf, dass wir weltweit Jahr für Jahr leider sehr viele Katastrophenfälle zu beklagen haben. Wir basteln uns jetzt einen Europäischen Auswärtigen Dienst, haben x Kommissionen und was weiß ich noch alles. Mir fehlt ein europäischer Katastrophenhilfsdienst. ({7}) Ich halte es für ein humanistisches, zivilisiertes Mitteleuropa für nicht hinnehmbar, dass zuerst einmal 10 oder 14 Tage vergehen, bis sich irgendein Mitgliedstaat darauf besinnt, dass man nach Erdbeben möglicherweise schweres Gerät braucht, er aber nicht weiß, wie man das dorthin bringen kann. ({8}) Ich denke, es wäre eine wirklich lohnenswerte Aufgabe - auch für die Europäische Union -, eine zivile Hilfsorganisation zu gründen und einen zivilen Einsatzplan zu erstellen, um bei solchen Katastrophen den betroffenen Menschen schneller helfen zu können. Ich bedanke mich sehr für Ihre Aufmerksamkeit. ({9})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Nächste Rednerin ist die Kollegin Kerstin Müller für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Kerstin Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002741, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Westerwelle, Sie sind jetzt seit fünf Monaten im Amt des Außenministers, wenn ich richtig gerechnet habe, und meines Erachtens ist noch immer völlig unklar, wohin die deutsche Außenpolitik steuert. Auch in Ihrem Beitrag heute haben Sie meines Erachtens nichts Vorwärtsweisendes dazu beigetragen. ({0}) Ich will heute hier darüber reden; denn bei der Haushaltsdebatte geht es auch um eine Generaldebatte über die deutsche Außenpolitik und darum, wohin sie steuert. Es wird viel über Sie persönlich geschrieben und viel über Sie geredet. Das haben Sie mit Ihren - ich möchte sagen - diffamierenden Sprüchen zu Hartz IV erreicht. Das sieht die Kanzlerin ja wohl auch so. Was aber ist Ihre Linie in der Außenpolitik? Das ist bis heute nicht erkennbar. Wie denn auch? Sie verzetteln sich in diversen Rollen als Parteivorsitzender, als eifriger Spendensammler, als hartzpolitischer Sprecher der Fraktion, und Sie tanzen auf vielen Hochzeiten. Dabei bleibt die Außenpolitik eben auf der Strecke. ({1}) Ich sage: Sie haben bis heute keinen Kompass; Sie wissen nicht, was Sie mit diesem Amt wollen. Da Sie Ihre Rolle als Außenminister bis heute nicht gefunden haben, frage ich mich wirklich: Wie wollen Sie denn dann Deutschlands Rolle in der Welt bestimmen? Das wird nicht gehen. ({2})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Frau Kollegin Müller, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Koppelin?

Kerstin Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002741, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Bitte schön. ({0})

Dr. h. c. Jürgen Koppelin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001180, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Danke, Frau Kollegin. - Da Sie gerade so schön in Fahrt sind, darf ich Sie einmal etwas fragen. Ich habe hier ein Programm, wonach Ihr Parteivorsitzender, Herr Özdemir, in Begleitung von Frau Vollmer und anderen gestern in China gewesen ist. In der Zeit von 15 Uhr bis 17 Uhr war gestern ein Gespräch in der internationalen Abteilung beim Zentralkomitee der Kommunistischen Partei Chinas vorgesehen, und das Arbeitsgespräch lief unter dem Motto „Zusammenarbeit zwischen den beiden Parteien“. Ich darf einmal fragen: Ist das Ihre Richtung? Ist dabei schon etwas herausgekommen? ({0})

Kerstin Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002741, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich weiß jetzt nicht, was daran lustig ist; ich kann Ihnen dazu nichts sagen. ({0}) Ich finde es völlig normal, dass man solche Gespräche führt. ({1}) Sie brauchen uns in der Debatte jetzt auch nicht mit Zwischenfragen zu nerven, mit denen Sie ablenken, und mit dieser Frage wollten Sie ablenken. ({2}) - Ich habe nichts dagegen, und Sie werden das auch tun. Es wird erwartet, dass der Außenminister Deutschlands Rolle in der Welt definiert: in Afghanistan, im Nahen Osten, im Iran, in Europa und in Amerika. Zu alledem sagen Sie nichts, oder es kommen nur dünne Schlagworte. ({3}) Ich möchte einmal einige Überschriften zitieren: „Der Mann ohne Antworten“, „Minister für Freundschaft“, „Westerwelles Stilbrüche“. Heute titelt die FTD, die nun wirklich nicht ein linksliberales Blatt ist - ich möchte nicht den ganzen Kommentar vorlesen; am Ende ist er nämlich wirklich vernichtend -: „Möllemann der Zweite“. ({4}) Kerstin Müller ({5}) Soll ich vorlesen, was dort steht? ({6}) Fragen Sie lieber nicht. Sie empören sich darüber, dass sich die Öffentlichkeit nur noch für die Reisebegleitung und nicht mehr für die Inhalte interessiert. Sie sagen: Das ist eine Kampagne der Opposition. Die FDP stellt sich hier heute Morgen als Opfer hin. Aber täuschen Sie sich nicht. Die Bürgerinnen und Bürger stellen diese Fragen nämlich auch. Das ist an den Umfragewerten zu erkennen. Ich bin jetzt seit 15 Jahren in diesem Parlament. Es hat immer Schwierigkeiten gegeben, manchmal auch bei den Außenministern. Aber noch nie ist ein Außenminister im ersten halben Jahr seiner Amtszeit in den Umfragewerten so abgestürzt. Ich werde jetzt nicht auf Ihre Zustimmungsquote eingehen. ({7}) - Hören Sie mir bitte zu. Nur noch 26 Prozent der befragten Bürger sind der Ansicht, dass Herr Westerwelle Deutschland als Außenminister gut vertritt. 77 Prozent - dazu gehören auch die Anhänger der FDP - sind der Meinung, dass Joschka Fischer seine Sache gut gemacht hat. 70 Prozent sind der Ansicht, dass Herr Steinmeier es gut gemacht hat. Das ist der Unterschied. Sie stürzen ab. ({8}) Man traut Ihnen nicht mehr zu, dass Sie das Amt des Außenministers seriös ausüben. Hören Sie auf, das Ganze als Majestätsbeleidigung zu sehen. ({9}) - Es geht sehr wohl um Inhalte. Es geht nämlich um das Amt des Außenministers, das von Herrn Westerwelle beschädigt wird. Es geht darum, dass das die Mehrheit der Deutschen so sieht. Es geht darum, dass Herr Westerwelle nicht in der Lage ist, Deutschlands Rolle in der Welt zu bestimmen, ({10}) weil er sich mit Parteispenden, parteitaktischen Geschichten und in seinen Rollen hier zu Hause verzettelt hat und weil er nicht zwischen persönlichen, dienstlichen und parteitaktischen Dingen trennen kann. ({11}) Niemand hat etwas dagegen, dass Außenpolitik auch Außenwirtschaftspolitik ist. Alle vorherigen Außenminister haben Delegationen auf ihre Reisen mitgenommen; das gilt auch für andere Minister. Darum geht es aber nicht. Es geht vielmehr um die Kriterien für die einzelnen Teilnehmer an den Delegationen. Wieso liegt es zum Beispiel im deutschen Interesse, den Unternehmer Boersch auf eine Dienstreise mitzunehmen, der ein Unternehmen mit Sitz in der Schweiz hat, das in Deutschland bis heute keinen Euro Steuern bezahlt hat? Wieso nimmt man ihn mit? Weil er ein guter Freund des Herrn Westerwelle ist? Welche großen deutschen Interessen vertritt eine Frau Schlinkert, ({12}) ihres Zeichens Mitglied im Kulturausschuss der Stadt Bonn? Warum wurde sie mitgenommen? Man wird bestimmt nichts zu ihr finden, das belegt, dass sie etwas mit deutscher Außenpolitik zu tun hat oder ihre Mitnahme von deutschem außenpolitischen Interesse war. Sie behaupten aber, dass Sie die Leute deshalb mitnehmen. Hier haben Sie wohl eher ein persönliches Versprechen auf Staatskosten eingelöst, oder nicht? Ich sage Ihnen, Herr Außenminister: Sie allein haben es in der Hand, dem Deutschen Bundestag und der Öffentlichkeit darzulegen, was die Kriterien für die Mitnahme auf eine solche Reise sind. Sie haben es in der Hand, zu erklären, dass diese Reisen keine FDP-Betriebsausflüge sind und nicht FDP-Spender bevorzugt eingeladen werden oder gar Vertreter bestimmter Firmen, weil Ihr Bruder an einer dieser Firmen Anteile hat. Wir und die Öffentlichkeit erwarten, dass diese Fragen beantwortet werden. Sie allein tragen die Verantwortung. Schieben Sie sie nicht auf andere. Sie haben es in der Hand, dass dieses Amt nicht weiter beschädigt, sondern in Würde ausgeführt wird. ({13}) Jetzt komme ich zur Außenpolitik. ({14}) Ich möchte vor allem auf die Lateinamerikareise zu sprechen kommen. Das war ein großartiger Erfolg. Soll ich Ihnen einmal erzählen, wie die Journalisten das sehen? Ich habe wirklich versucht, herauszufinden, wie die Bilanz dieser wichtigen Lateinamerikareise aussah. Herr Westerwelle fand alles „ganz außerordentlich“. Er fand es „sehr schön“, und er fand es „enorm“. Er fand, dass es von „großer strategischer Bedeutung“ war. Aber selbst den Gastgebern soll wohl schleierhaft geblieben sein, worin denn der deutsche Außenminister ihre strategische Bedeutung sieht. Ich zitiere einmal die mitfahrenden Journalisten, die sich mit den Inhalten dieser Reise beschäftigt haben. Sie sagen, dass Herr Westerwelle „in immer gleichen Worten so gut wie nichts sagt“ - dies stammt aus der Süddeutschen Zeitung -, dass die „Pose das Programm ersetzt hat“ und dass „der Meister der Schlagworte“ unterwegs gewesen ist. Das ist die Bilanz Ihrer Lateinamerikareise. Ich finde nicht, dass man darauf unbedingt stolz sein kann. Das ist auch nicht verwunderlich. Über Ihr Amtsverständnis konnte man in einem Interview in der BamS nachlesen, in dem Sie gesagt haben: „Ich will mir nicht ein paar schöne Jahre im Auswärtigen Amt machen und die Welt kennenlernen.“ - Ich finde, genau Kerstin Müller ({15}) das spiegelt Ihr Verständnis von Außenpolitik wider. Sie verstehen Außenpolitik eher als Touristikunternehmen oder sehen sich bestenfalls als Handlungsreisender, wenn Sie zum Beispiel die Interessen der deutschen Atomindustrie in Brasilien vertreten. Ich meine: Das ist definitiv zu wenig. ({16}) Ein deutscher Außenminister ist kein Handlungsreisender. Sie aber haben eine Hermesbürgschaft für Angra 3 in Aussicht gestellt, obwohl das AKW in einem Erdbebengebiet gebaut werden soll und obwohl Brasilien nicht bereit ist, das Zusatzprotokoll zum Atomwaffensperrvertrag zu unterzeichnen, ({17}) wofür wir aber dem Iran gegenüber massiv eintreten. Das ist außenpolitisch unverantwortlich und enthält wenig Substanz. ({18}) Ich kann andere Themen nennen, zum Beispiel das Thema Nahost, das für die deutsche Außenpolitik von zentraler Bedeutung ist. Man spricht von der schlimmsten Krise in den Beziehungen zwischen Israel und den USA. Das kann ich verstehen; denn das, was die israelische Regierung gemacht hat, ist ein Affront. Die neuen Siedlungen in Ostjerusalem sind ein Hindernis für den Frieden. Israel muss diesen neuen Siedlungsbau zurücknehmen. ({19}) Ich frage mich allerdings, wo der deutsche Außenminister bei diesem zentralen Thema ist. Ich habe recherchiert: Es gibt nichts außer einer dürftigen Pressemitteilung. Stattdessen wird die Kanzlerin zitiert. Die Kanzlerin und der Verteidigungsminister - das sehen die Bürgerinnen und Bürger übrigens in Umfragen genauso - machen Außenpolitik. Sie bestimmen, was in Afghanistan, im Iran, in Nahost und im Libanon passiert. Ein anderes Beispiel: Gerade war der libanesische Ministerpräsident Hariri in Deutschland. Wir haben ihn gestern getroffen. Die Kanzlerin hat sehr klar gesagt, dass sie alles dafür tun wird, damit die UNIFIL-Mission fortgesetzt wird. Auf meine Frage nach den Folgen unseres möglichen Rückzugs - das ist die Position der FDP hat Ministerpräsident Hariri sehr deutlich gesagt, dass dies ein sehr negatives Signal wäre; denn die UNIFILMission hat den Libanon in die stabilste Situation seit 40 Jahren gebracht. Wenn gerade die Deutschen aussteigen, die den stärksten Beitrag unter den Europäern liefern, wäre dies ein negatives Signal. Sie würden sich damit quasi von den P5-plus-1 verabschieden und ihre entscheidende Rolle im Nahen Osten verlieren.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Frau Kollegin, denken Sie bitte an Ihre Redezeit. Sie ist überschritten. ({0})

Kerstin Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002741, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich komme zum Schluss. - Was macht der deutsche Außenminister? In der erwähnten Pressemitteilung äußert er sich gar nicht zu diesem Thema. Auch heute war nichts dazu zu hören. Liegt das daran, dass Sie in parteipolitische Debatten verstrickt sind, und warum haben Sie das Ganze nicht schon in der letzten Diskussion um UNIFIL abgeräumt? Deswegen sind Sie nicht sprachfähig, und die Kanzlerin bestimmt die Politik.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Frau Kollegin, achten Sie bitte auf die Redezeit. ({0})

Kerstin Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002741, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Jetzt komme ich zum Schluss. - Sie haben es in der Hand. Schaffen Sie hier Klarheit! Wenn Sie das nicht tun und kein Interesse haben, dann sind Sie dieses Amtes nicht würdig. ({0})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Nächster Redner ist der Kollege Dr. Rainer Stinner für die FDP-Fraktion. ({0})

Dr. Rainer Stinner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003640, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Haushaltsdebatte ist traditionell eine Debatte über die Grundzüge der Außenpolitik. Das sollte sie auch sein. Der Außenminister hat in wenigen Worten einige wesentliche außenpolitische Leitlinien dargelegt. Aber er hat auch schon in den fünf Monaten seit seinem Amtsantritt deutlich gemacht, wohin die Reise geht. Die Opposition hat Kritik geäußert. Das ist ihr gutes Recht. Herr Brandner, Ihre Rede würde ich eher als Kompliment an die Bundesregierung verstehen. Sie haben gesagt, dass alles in die richtige Richtung gehe, und zwei oder drei Kritikpunkte angeführt. Das mussten Sie für Ihre sozialdemokratischen Seelen tun. Das verstehe ich. Aber im Wesentlichen haben Sie die Bundesregierung unterstützt. Herr Gehrcke, Sie haben sich am Außenminister abgearbeitet und vor allen Dingen die langen Linien vermisst. Ich kann Ihnen nur gratulieren; denn Sie zeigen überdeutlich, wohin lange Linien führen. Sie sind seit 40 bis 50 Jahren konsequent auf der falschen Seite deutscher Politik. Das ist konsequent. ({0}) Sie haben eine lange Linie langfristig verfolgt. Das ist allerdings richtig. Frau Müller hat den Anschein erweckt, als würde sie über Inhalte sprechen, konnte aber der übergroßen Versuchung nicht widerstehen. Sehr geehrte Frau Müller, Sie haben sich dann doch wieder in eine Schlammschlacht hineinbegeben. Ich habe heute ziemlich viel Papier dabei. Ich habe eine Auflistung sämtlicher Reisen von Außenminister Fischer und Außenminister Steinmeier sowie sämtlicher Spender dabei, die ich im Einzelnen vortragen könnte. Das mache ich aber nicht, sondern beschränke mich auf den Hinweis, dass 2004 Herr Fischer einen Unternehmer mitgenommen hat, der vorher eine Spende gezahlt hat. Ich nenne den Namen ausdrücklich nicht, weil ich Spenden nicht für falsch halte. Sie haben das auch gemacht, und es ist völliger Unsinn, uns das vorzuwerfen. ({1})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Herr Kollege Stinner, gestatten Sie eine Zwischenfrage von Herrn Nouripour?

Dr. Rainer Stinner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003640, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Von Herrn Nouripour? Das ist gut.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Herr Kollege Nouripour.

Omid Nouripour (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003881, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herzlichen Dank, Frau Präsidentin. - Herr Kollege Stinner, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, dass nicht nur die Grünen Kritik äußern? Sie kennen bestimmt den Vizeministerpräsidenten des Landes Hessen, Jörg-Uwe Hahn. Er ist Parteivorsitzender der FDP in Hessen. Er hat gestern - das ist heute in der Frankfurter Rundschau nachzulesen - auf die Nachfrage einer Zehntklässlerin: „Was würden Sie tun, Herr Hahn, wenn Sie Guido Westerwelle wären?“ geantwortet: „Ich würde mich zurückziehen, mir selbst eine Auszeit geben.“ Sind Sie nicht stolz darauf, dass Sie noch solch weise Mitglieder in Ihrer Partei haben? ({0})

Dr. Rainer Stinner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003640, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Nein, darauf bin ich gar nicht stolz. Ich kann mir nicht vorstellen, dass der stellvertretende Ministerpräsident eines Bundeslandes allen Ernstes erwartet, dass der Bundesaußenminister 14 Tage lang nichts tut. Ich glaube daher nicht, dass gemeint war, dass der Bundesaußenminister sein Amt nicht mehr ausüben soll. So können Sie uns nicht kommen. Ich weiß, dass nicht nur die Grünen, sondern auch andere Kritik geübt haben. Ich weiß aber auch - ich kann Ihnen eine entsprechende Liste vorlegen -, wer welche Reisebegleiter in den letzten Jahren mitgenommen hat. Das betrifft sowohl den Außenminister der Grünen als auch der SPD. Ich könnte Ihnen die Namen nennen. Aber wollen wir uns angesichts der Probleme auf der Welt allen Ernstes auf ein solches Niveau in der Haushaltsdebatte begeben? Wenn Sie das wollen: Ich bin bereit dazu, halte es aber für außerordentlich schädlich und dumm, so etwas zu tun. ({0})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Herr Kollege, mir liegen noch zwei Bitten nach einer Zwischenfrage vor, und zwar vom Kollegen Koppelin und vom Kollegen Ströbele. Wollen Sie beide Zwischenfragen zulassen?

Dr. Rainer Stinner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003640, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ja. Wenn ich die Zwischenfrage von Herrn Koppelin zulasse, dann muss ich auch Herrn Ströbele die Chance geben, eine zu stellen.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Herr Koppelin, bitte sehr.

Dr. h. c. Jürgen Koppelin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001180, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Es passt vielleicht ganz gut, dass der Kollege Ströbele nach mir eine Zwischenfrage stellt. Herr Stinner, können Sie sich daran erinnern - da es aktuell um Personalien geht -, dass in den Planungsstab des Auswärtigen Amtes, als Joschka Fischer Außenminister wurde, ein Herr Schmierer kam, der Pol Pot und die Roten Khmer, die für die massenhafte Tötung von Kambodschanern verantwortlich sind, bejubelt hat, und wissen Sie noch, dass wir das kritisiert haben und die Grünen das trotzdem akzeptiert haben?

Dr. Rainer Stinner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003640, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Koppelin, ich kann mich daran erinnern, insbesondere daran, dass wir das damals nachhaltig kritisiert haben, und zwar völlig zu Recht. Ich bleibe bei dieser Kritik noch heute. ({0})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Herr Ströbele.

Hans Christian Ströbele (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002273, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Stinner, Außenminister Westerwelle hat eine Staatsministerin im Auswärtigen Amt, die aus Ihren Reihen kommt. Sie heißt Cornelia Pieper. Wir hatten vor ein paar Tagen das Vergnügen einer öffentlichen Diskussion über die Reisen des Außenministers und die Auswahl seiner Reisebegleiter. Sie hat in ihrer Not - so bewerte ich das - gesagt, dass ich die Einzelheiten am Mittwoch in der Debatte im Deutschen Bundestag erfahren werde, dann werde der Außenminister selber dazu Stellung nehmen, insbesondere zu den Kriterien der Auswahl seiner Reisebegleiter. - Nun bin ich heute Morgen früh aufgestanden und hierher gekommen ({0}) und warte schon den ganzen Vormittag, ob die Bundeskanzlerin oder Herr Westerwelle mir Aufklärung gibt. Ich hätte gerne Aufklärung darüber - das ist eine normale Frage eines Oppositionsabgeordneten -: Nach welchen Kriterien wählt der Außenminister seine Begleiter aus, und spielen dabei insbesondere persönliche Kontakte, Freundschaften, Spenden oder was auch immer eine Rolle? Sind Sie bereit, das zu beantworten oder Ihren Außenminister aufzufordern, das zu tun?

Dr. Rainer Stinner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003640, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Ströbele, ich benötige jetzt mein Papier mit den Namen der Reisebegleiter ehemaliger Außenminister tatsächlich, obwohl ich das nicht wollte. Aber Sie als Opposition zwingen mich dazu. Ich kann Ihnen bestätigen, sehr geehrter Herr Ströbele, dass Außenminister Steinmeier elfmal - ich betone: elfmal - von einem SPD-nahen Verleger begleitet worden ist. ({0}) - Ich möchte die Frage so beantworten, wie ich es will. Falls Sie von Ihrer Fraktion einmal Redezeit bekämen, könnten Sie hier vorne auch so agieren, wie Sie wollten. ({1}) Sehr geehrter Herr Ströbele, ich kann Ihnen bestätigen, dass Außenminister Steinmeier elfmal den SPD-nahen Unternehmer P. mitgenommen hat und zu diesem Unternehmer private Beziehungen pflegt; denn die beiden bilden eine Wohngemeinschaft. Man könnte also flapsig sagen: Wohngemeinschafts-Buddys wurden mit auf Auslandsreisen genommen. Darüber können wir noch detailliert diskutieren. Ich kann Ihnen jetzt nur sagen, dass das Auswärtige Amt sehr sorgfältig und sauber plant, wie solche Reisen zusammengestellt werden. Das war bei Herrn Fischer und Herrn Steinmeier so, und das wird auch bei Herrn Westerwelle so sein. Ich darf Ihnen, sehr geehrter Herr Ströbele, auch sagen, dass bei der Reise nach Tokio und Peking, an der neben Kollegen Ihrer Fraktion auch ich teilgenommen habe, ein Herr dabei gewesen war, der in den letzten Jahren der SPD und der CDU, nicht aber der FDP gespendet hat. Auch das nur zur Information. Das heißt, dass hier nicht nach solchen Kriterien ausgesucht worden ist. Vielmehr legt das Auswärtige Amt eine Liste vor, aus der ausgewählt wird. Das war bei Fischer so, das wird bei Steinmeier so gewesen sein, und das ist bei Herrn Westerwelle ganz genauso. Diese Praxis wird das Außenministerium fortsetzen. Sie können sicher sein, dass dabei die verschiedenen Interessen ausgewogen zur Geltung kommen. ({2})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Herr Kollege Stinner, Herr Beck möchte eine Zwischenfrage stellen.

Dr. Rainer Stinner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003640, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sie wollen noch mehr haben? Sie können noch mehr bekommen, bitte schön.

Volker Beck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002625, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Kollege, Sie scheinen zumindest dem Begehren der Transparenz nicht völlig fernzustehen. Das ist auch gut. Wir Parlamentarier sollten, egal welche Farbe die Regierung hat, gemeinsam auf unsere Kontrollrechte achten. Nun gibt es nicht nur Fragen zu den Delegationsreisen, sondern auch Fragen zu den Berliner Abenden des Auswärtigen Amtes in der Villa Borsig. ({0}) - Darf ich meine Frage stellen? - Der Außenminister hat sich meines Wissens auf Nachfragen im Haushaltsausschuss geweigert, die Gäste zu nennen. Ich will gar nicht sagen, dass da irgendetwas schiefläuft, aber ich kann das nicht nachprüfen, wenn man dem Parlament die Auskunft verweigert. ({1}) Ich fand die Begründung, dass die Privatsphäre der Gäste berührt sei, wenn man offenlegt, wer an einer offiziellen Veranstaltung des Auswärtigen Amtes teilnimmt, besonders beeindruckend. Nun ist das Auswärtige Amt bekanntermaßen kein Geheimdienst, und es gab wahrscheinlich auch keine vertraulichen Gespräche mit anderen Regierungen. Ich hätte Verständnis dafür, dass man über solche Gespräche nicht alles sagen kann. Unterstützen Sie das Anliegen unserer Fraktion, dass diese Gästelisten offengelegt werden und dabei transparent gemacht wird, ({2}) ob die Gäste Förderer und Spender der FDP oder Personen mit einem außenpolitischen Zusammenhang sind, bei denen es einen Sinn ergibt, dass sie an den Berliner Abenden des Auswärtigen Amtes teilnehmen?

Dr. Rainer Stinner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003640, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrter Herr Kollege Beck, zunächst einmal zeigen Sie und Ihre Kollegen, die dieses Thema hochziehen, was von den ersten Kollegen, die hier gesprochen haben, nicht gemacht worden ist, dass Sie offensichtlich inhaltlich an der Politik des Außenministers nichts auszusetzen haben. Das nehme ich als großes Kompliment für die Außenpolitik. Herzlichen Dank dafür. Das zeigt, dass Sie inhaltlich nichts auf der Pfanne haben. ({0}) Wenn Sie als Parlamentarischer Geschäftsführer einer Fraktion, die auch schon einige Jahre Regierungsverantwortung getragen hat - hoffentlich so bald nicht wieder -, hier bemängeln, dass der Außenminister und Vizekanzler der Bundesrepublik Deutschland auch eine gesellschaftliche Funktion wahrnimmt, indem er gesellschaftlich relevante Personen aus allen Kreisen einlädt, ({1}) und das kritisieren, dann haben Sie ein Verständnis von repräsentativer Demokratie, das ich in keiner Weise nachvollziehen kann. Herzlichen Dank. ({2}) Ich bin gerne bereit, weitere Mitreisende von SPDMinistern und Ministern der Grünen zu nennen. Falls Sie aber keine weiteren Zwischenfragen haben, würde ich in den restlichen Minuten gerne einiges zum Inhalt sagen; denn das sollte der Kern unserer Debatte sein. Wenn Sie das nicht wollen, dann zeigen Sie, dass Sie inhaltlich kein Interesse haben. Der Außenminister hat zu Beginn seiner Amtszeit sehr deutlich gemacht, dass er sich einerseits in der Kontinuität deutscher Außenpolitik sieht und andererseits eigene Akzente setzen wird. Wir brechen uns keinen Zacken aus der Krone, wenn wir uns zu der Kontinuität der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik bekennen. Dazu gehören viele FDP-Minister, zu der gehören aber auch andere Minister wie Herr Fischer und auch Herr Steinmeier. Herr Westerwelle stellt sich ausdrücklich in diese Kontinuität. Wir haben auch an dem Haushalt gesehen, sehr geehrter Herr Brandner, dass Kontinuität herrscht. Das haben Sie uns bestätigt. Herzlichen Dank für die große Übereinstimmung, die wir hier haben. Herr Westerwelle hat aber auch gesagt, dass er eigene Akzente setzt, wie es jeder Minister tut. Er hat damit sehr früh angefangen und in den ersten Tagen seiner Amtszeit zuerst eine Reise nach Polen und dann eine nach Brüssel zur nationalen Regierung angetreten. Die Regierung in Brüssel hat neun Jahre lang keinen lebendigen deutschen Außenminister mehr gesehen. Er hat damit dokumentiert, dass wir das, was wir sagen, ernst nehmen, dass wir zwar zu den Großen in Europa gehören, aber mit den kleinen und mittleren Staaten auf Augenhöhe verhandeln. Es war ein deutliches Zeichen, das er hier gesetzt hat. ({3}) Ferner hat er die beiden Begriffe Werte und Interessen in einer neuen Weise intoniert. Wie Kollegen von Ihnen habe ich an der Reise nach Peking und Tokio teilgenommen. Die nicht verletzende, aber sehr offene und deutliche Weise, in der der Minister in Peking sowohl die Menschenrechtsproblematik in China angesprochen hat als auch für die deutschen wirtschaftlichen Interessen und damit für die Sicherung von Arbeitsplätzen in Deutschland eingetreten ist, hat auch anderen Respekt abgerungen. Nach Abschluss der Reise haben mir Kollegen der Oppositionsfraktionen - um niemandem zu schaden, möchte ich jetzt keine Namen nennen - gesagt, dass sie sehr beeindruckend fanden, wie sich der Minister präsentiert hat. Wenn der Minister so weitermache, dann werde das eine ganz hervorragende Amtszeit. Ich wiederhole: Das haben Oppositionsabgeordnete gesagt. Ich nenne keine Namen, um keine Parteiausschlüsse zu provozieren; schließlich sind einige unserer Parteien immer sehr schnell damit. ({4}) Frau Müller, ich habe nicht das geringste Verständnis dafür, dass Sie sagen: Auch beim Thema Afghanistan hat der Außenminister nichts Neues eingebracht. Die vorherigen Regierungen haben nach bestem Wissen und Gewissen etwas Gutes und Richtiges versucht. Die Vorgängerregierung hat das Thema „vernetzte Sicherheit“ wie eine Monstranz vor sich her getragen. Unter der jetzigen Regierung mit diesem Außenminister ist es erstmals gelungen, dass Deutschland international Akzente setzt - das haben wir immer gefordert -: Die Konferenz in London ist von Deutschland angeschoben, moderiert und getrieben worden; das war deutsche Außenpolitik. Auch das Ergebnis kann sich sehen lassen; das werden Sie gar nicht abstreiten können. Damit sind die Probleme Afghanistans zwar nicht auf einen Schlag gelöst, aber es ist eine bestimmte Richtung eingeschlagen worden: Erstmals hat die NATO eine gemeinsame Strategie verabredet, und gleichzeitig ist ein Weg aufgezeigt worden, wie wir das Land eines Tages verlassen werden können. Das ist neu. Ich bezweifele gar nicht, dass Sie das Gleiche wollten. Nur, meine Damen und Herren, der beste Beweis für das Wollen ist das Tun - und Sie haben das Notwendige nicht getan, während es die neue Bundesregierung unter Führung des Außenministers getan hat. Das ist ein nachhaltiger neuer Akzent. Man kann gar nicht energisch genug darauf hinweisen, dass es eine neue Qualität deutscher Außenpolitik ist. ({5}) Ich komme auf das Thema Abrüstung zu sprechen. Frau Müller, auch beim schlechtesten Willen - den ich Ihnen sonst nicht unterstelle; aber Ihre heutige Rede deutet darauf hin, dass Sie vielleicht auch da ein bisschen abgerutscht sind - können Sie nicht bezweifeln, dass der Außenminister bezüglich der Abrüstung neue, energische Akzente gesetzt hat. Auf dieses wichtige Thema hat er auch heute trotz seiner kurzen Redezeit ausdrücklich hingewiesen. Es ist eine glückliche Fügung, dass wir jetzt im Einklang mit unseren amerikanischen Verbündeten sind. Die Bundesregierung wird dieses Thema unter Führung des Außenministers weiterhin energisch behandeln. Er hat dabei unsere große Unterstützung. ({6}) Ihre Kritik war nicht inhaltlicher Art. Auf die von Herrn Gehrcke skizzierten langen Linien bin ich eingegangen. Frau Müller, Sie haben der Versuchung nicht widerstanden, hier auf die Pauke zu hauen. Ihre Kritik ist inhaltlich nicht fundiert. Die Außenpolitik hat nach 140 Tagen Fahrt aufgenommen. Die Leitlinien sind geDr. Rainer Stinner setzt. Diese Bundesregierung unter Führung des Außenministers wird sich auf die Koalitionsfraktionen - auf jeden Fall auf meine Fraktion, aber, wie ich weiß, auch auf die Unionsfraktion - stützen können, sodass wir diese sachorientierte, wertegeleitete, interessengeleitete deutsche Außenpolitik erfolgreich fortsetzen werden. Dafür werden wir sorgen. Egal was für einen Tanz Sie anstellen: Sie werden uns von diesem richtigen Weg nicht abbringen. ({7})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Das Wort zu einer Kurzintervention erteile ich nun dem Kollegen Koppelin.

Dr. h. c. Jürgen Koppelin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001180, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Der Kollege Volker Beck hat in einer Zwischenfrage behauptet, der Bundesaußenminister habe sich im Haushaltsausschuss geweigert, zu ermöglichen, dass Listen eingesehen werden, aus denen hervorgeht, wer Gast in der Villa Borsig gewesen ist. Der Sachverhalt ist folgendermaßen - ich bin Mitglied im Haushaltsausschuss, Sie nicht, Herr Kollege Beck -: Zwei Kollegen aus dem Haushaltsausschuss - einer ist Mitglied Ihrer Fraktion haben entsprechende Listen eingesehen ({0}) - meinetwegen haben sie nur eine Liste eingesehen; darüber streite ich mich mit Ihnen gar nicht -, auf denen steht, wer in die Villa Borsig eingeladen war. Diese Liste hat sich anschließend in den Medien wiedergefunden, mit Namensnennung und Abqualifizierung dieser Gäste. Es wurde zum Beispiel geschrieben, das seien B-Promis gewesen. Unter den Gästen waren Botschafter. In den Medien sind übrigens auch Botschafter genannt worden, die gar nicht dabei waren; auch das muss man einmal zur Kenntnis nehmen. Wenn der Bundesaußenminister Gäste einlädt, dann kann es nicht angehen, dass diese anschließend in den Medien persönlich abqualifiziert werden, weil Kollegen aus dem Ausschuss eine entsprechende Liste einsehen konnten. Insofern unterstütze ich, dass der Bundesaußenminister gesagt hat: Zukünftig gibt es keine Einsicht mehr in eine solche Liste. In diesem Fall hat es aber Einsicht gegeben; er hat sich dem vorher nicht verweigert. Das sei zur Klarstellung gesagt. Diejenigen, die das in die Medien getragen haben und die Gäste abqualifiziert haben, haben selber Schuld, wenn sie zukünftig diese Listen nicht mehr einsehen können. ({1})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Normalerweise antwortet auf die Kurzintervention der Redner. Nachdem Sie aber persönlich auf Einlassungen in Ihrer Zwischenfrage angesprochen wurden, gebe ich Ihnen das Wort, Herr Beck.

Volker Beck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002625, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Unsere Anfrage an diese Listen verbindet sich mit keiner Bewertung, sondern es geht hier um Transparenz. ({0}) - Ja, es geht hier um Transparenz. Natürlich kann Transparenz dazu führen, dass die Öffentlichkeit kontrovers über Dinge, die bekannt werden, diskutiert. Ich meine, dass es auch völlig in Ordnung geht, dass darüber geredet wird, wer bei solchen Veranstaltungen eingeladen wird. Hier handelt eine Regierungsstelle als Exekutive. Es wäre nicht in Ordnung, wenn darüber geredet würde, wer sich mit wem auf privaten Partys des Außenministers oder welcher Person auch immer trifft. Aber wenn etwas vom Steuerzahler bezahlt wird, wenn es um die offiziellen Kontakte des Auswärtigen Amtes geht, dann hat die Öffentlichkeit auch einen Anspruch. ({1}) Es reicht nicht, dass diskrete Einsichtnahme gewährt wird; vielmehr kann man sich dazu bekennen. Ich sage gar nicht, dass da irgendetwas schief ist; aber wir haben das Recht, so etwas zu erfahren und dann zu bewerten, ob das in Ordnung ist oder nicht. Ich maße mir kein Urteil an, wenn ich die entsprechenden Informationen nicht habe. Aber es gibt eben entsprechende Berichte, bei denen man das Gefühl hat, die Zusammenstellung sei in besonderer Weise und vielleicht nicht ganz sachgerecht mit Blick auf das Auswärtige Amt erfolgt. Es mag so sein, es mag sich auch ganz anders verhalten. Wissen und beurteilen kann man das nur, wenn man die Informationen offenlegt. Deshalb fordere ich den Außenminister auf, hier Transparenz walten zu lassen und uns auch zu sagen, wer welche Leute für Delegationsreisen vorgeschlagen hat und welches Beratungsergebnis am Ende für die Zusammenstellung der Delegation herausgekommen ist. Diese Vorgänge müssen transparent gemacht werden. Sie, Herr Außenminister, haben sich beschwert, dass angeblich eine Kampagne gegen Sie laufe. Ich glaube, die Kampagne hat nur ein Feuer: Das ist die mangelnde Transparenz des Auswärtigen Amtes bei diesen Vorgängen und nicht der böse Wille von Leuten, die Fragen haben. ({2}) Fragen, mit Verlaub, sind keine Majestätsbeleidigung, sondern das gute Recht des Parlamentes. Das Interpellationsrecht und das Haushaltsrecht sind unsere höchsten Güter. Sie machen viel von dem aus, was das Parlament leisten kann. Volker Beck ({3}) ({4}) Diese Aufgabe werden wir auch weiter wahrnehmen und uns da, mit Verlaub, den Schneid nicht abkaufen lassen. ({5})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Wir fahren in der Debatte nun fort. Ich erteile das Wort dem Kollegen Rolf Mützenich für die SPD-Fraktion. ({0})

Dr. Rolf Mützenich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003599, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die eine oder andere Diskussion, die wir hier gerade geführt haben, entspricht nicht meiner Debattenkultur. ({0}) Zugleich finde ich aber auch, dass Sie, Herr Außenminister, heute eine Chance verpasst haben. Sie hätten auf die Nachfragen, die in den letzten Tagen gestellt worden sind, durchaus antworten können. Sie hätten auch genug Redezeit gehabt, insbesondere weil ich glaube, dass die drei Punkte, die Sie angeführt haben, Sie nicht so stark bedrängt haben, dass Sie nicht auf die drängenden Fragen, die in den letzten Tagen immer wieder gestellt worden sind, hätten antworten können. ({1}) Ich fand auch manches bizarr, insbesondere, dass Sie am Sonntag gesagt haben, Ihnen werde man den Schneid nicht abkaufen. Ich will Ihnen den Schneid nicht abkaufen. Darauf kommt es gar nicht an. Ich hätte auch diesen Duktus nicht gewählt. Der entscheidende Punkt ist doch einfach, dass in den letzten Wochen und Monaten so viele unterschiedliche Fragen mit Ihnen, aber auch mit dem Amt in Verbindung gebracht worden sind, dass diese Diskussion notwendig gewesen ist und die offenen Fragen sozusagen nach Antworten schreien. Ich glaube, Sie hätten heute antworten sollen. Ich habe das erwartet. Ich hätte es auch deswegen besser gefunden, weil ich glaube, dass diese Empörungsrituale, die Sie in den letzten Tagen immer wieder aufzuführen versucht haben, letztendlich wieder auf Sie zurückfallen werden. Sie haben sich darüber beschwert, dass die Opposition eine entsprechende Debatte geführt hat, als Sie im Ausland gewesen sind. Ich hätte mich zuerst einmal an meinen Koalitionspartner gewandt und gefragt, was denn in den Generalsekretär Dobrindt gefahren sei, als er über die „Abwrackprämie für Taliban“ gesprochen hat, als es um die Afghanistanstrategie ging, als er Sie in die Türkei begleitet hat und Aussagen getätigt hat, die von uns mit Sicherheit niemals gekommen wären. Ich wäre also vorsichtig bei diesen Fragen. Nun wollen zum Beispiel Herr Lindner und Ihre Fraktionsvorsitzende Ihnen beispringen, indem sie sagen, das alles schade der Demokratie bzw. der politischen Kultur. Aber, Herr Außenminister, wo kommen wir hin, wenn Sie die Ordnung des Staates so mit Ihrer Person identifizieren, dass Sie auch die Kritik, die an Ihnen persönlich geübt wird, mit Ihrem Amt verbinden? ({2}) Ich muss Ihnen sagen: Wenn etwas der Demokratie geschadet hat, dann waren es die Parteispenden und eine Haushaltspolitik, die sich möglicherweise von diesen Parteispenden abgeleitet hat. Das müssen Sie verantworten. Ich finde, das schadet der Demokratie mehr als die Frage nach Aufklärung und Transparenz in diesem Bundestag. ({3}) Herr Außenminister, ich hatte Ihnen in der Debatte, die wir anlässlich der Einbringung des Haushalts geführt haben, Kooperation angeboten. Das finde ich auch weiterhin richtig. Wir haben dies auch im Falle Afghanistans getan. Es wird in den nächsten Wochen und Monaten sicherlich genügend Themen geben, bei denen die Opposition, zumindest die SPD-Fraktion, mit Ihnen in ein Gespräch inhaltlicher Art eintreten will. Aber dazu möchten wir wissen: Wo wollen Sie eigentlich hin mit dieser Außenpolitik? Eine Antwort auf diese Frage hat in den letzten 140 Tagen gefehlt. Ich war zum Beispiel wirklich enttäuscht, dass Sie es nicht geschafft haben, der neuen europäischen Außenministerin - Herr Stinner und Herr Frankenhauser, Sie haben eben darüber gesprochen - einmal beizuspringen. Was macht diese Kollegin in den letzten Tagen durch? Sie wird auf europäischer Ebene sozusagen gemobbt, weil sie es beispielsweise nicht schafft, am Wochenende drei Termine wahrzunehmen, und stattdessen bei ihrer Familie sein will. Ich finde, es gehört, auch innerhalb Europas, zum guten Ton, sich vor diese Institution zu stellen und den Europäischen Auswärtigen Dienst zu unterstützen. ({4}) Ein anderer Punkt ist von Kollegin Müller angesprochen worden. Ich finde es erschreckend, dass Sie, der Sie sich damals in der Opposition gegen UNIFIL ausgesprochen haben, es heute nicht schaffen, über Ihren Schatten zu springen und in der Funktion des Außenministers dem libanesischen Ministerpräsidenten gegenüberzutreten und ihm zu sagen, dass wir darüber noch einmal nachdenken und unter Umständen nach der Sommerpause ein erneutes Mandat dafür einbringen. Denn der libanesische Ministerpräsident hat doch, als er hier zu Besuch war, händeringend darum gefleht, dass Deutschland sich nicht aus dem Mandat verabschiedet, weil er Angst hat, dass dann der Nahostprozess, von dem man nicht mehr wirklich sprechen kann, nicht mehr für Libanon gilt. Auch das haben Sie nicht getan. Ich würde mir wünschen, Sie wären an dieser Stelle wirklich Außenminister. ({5}) Sie haben es der Kanzlerin überlassen, den Siedlungsbau zu kritisieren. Ich fand das, was Sie heute hierzu gesagt haben, wachswindelweich; das sage ich an beide Parteien gerichtet. Ich meine, man muss ganz offen gegenüber der israelischen Regierung zum Ausdruck bringen, dass die Palästinensische Autonomiebehörde nirgendwo baut, sondern im Grunde genommen daran gehindert wird, ihre Arbeit zu tun. Das sind Dinge, die ein deutscher Außenminister ansprechen muss und auch darf, insbesondere in der konkreten Verantwortung gegenüber Israel. Auch dazu habe ich heute kein Wort gehört. ({6}) Dann rühmen Sie sich immer, Sie wären sozusagen der Erfinder von Abrüstung und Rüstungskontrolle. Herr Außenminister, Sie wissen, dass wir zurzeit über einen gemeinsamen Antrag zu Abrüstung und Rüstungskontrolle verhandeln, weil uns viel daran liegt, dass die Überprüfungskonferenz zum Atomwaffensperrvertrag in New York ein Erfolg wird. Ich finde es richtig, dass der Bundestag sich hierzu zusammensetzt. Aber ich sage Ihnen: Es ist zu wenig, zum Beispiel nur den Abzug der taktischen Atomwaffen zu fordern, wenn man nicht gleichzeitig mit seinen europäischen Kollegen darüber spricht. Denn sonst sagen vielleicht plötzlich andere Regierungen: Wenn die Atomwaffen aus Deutschland verschwinden, nehmen wir die ganz gerne. - Das gehört nicht zu einer klugen Abrüstung und Rüstungskontrolle, sondern das verlagert nur das Problem. ({7}) Deswegen wäre ich Ihnen wirklich dankbar, wenn Sie Manns genug wären, diese Diskussion auch auf die europäische und die NATO-Ebene zu verlagern. Der zweite Punkt im Zusammenhang mit Abrüstung und Rüstungskontrolle betrifft den immer noch ausstehenden Vertrag zwischen den USA und Russland über den Abbau strategischer Atomwaffen. Ich glaube, die brauchen ein bisschen Feuer bei dieser Diskussion bzw. Unterstützung. Ich sage Ihnen: Wir bauen ein riesengroßes Problem auf, wenn wir die Raketenabwehr nicht mit Abrüstung und Rüstungskontrolle verbinden. Dies zu tun, ist eine ganz wichtige Aufgabe. Die Frage, wie man das erreichen kann, beantworten Sie in Ihrer Funktion als deutscher Außenminister aber nicht. Der letzte Punkt. Die konventionelle Abrüstung und Rüstungskontrolle stehen vor einer großen Herausforderung. Wir von der SPD haben Ihnen angeboten, den angepassten Vertrag im Deutschen Bundestag sofort zu ratifizieren, wenn Sie ihn vorlegen. Dadurch könnte man zu einer weiterführenden Diskussion kommen. Diese Aufgabe haben Sie zu erfüllen. Auch die Fragen zu der deutsch-russischen Modernisierungspartnerschaft schreien danach, dass sich der Außenminister damit beschäftigt. Ich glaube, Ihr Problem ist, dass Sie nach 140 Tagen noch immer nicht im Amt angekommen sind. Ihr Augenmerk gilt zuerst Ihnen selbst und dann der Außenpolitik. Ich glaube, das ist die falsche Reihenfolge. Vielen Dank. ({8})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Nächster Redner ist der Kollege Philipp Mißfelder für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Philipp Mißfelder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003810, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Zunächst einmal möchte ich in dieser Debatte die Gelegenheit nutzen, mich bei denjenigen zu bedanken, die neben dem Bundesaußenminister und neben den Abgeordneten die Außenpolitik Deutschlands repräsentieren. Das sind unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im diplomatischen Korps und unsere vielen Ortskräfte, die wir weltweit beschäftigen. Insgesamt repräsentieren 12 400 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter die Bundesrepublik Deutschland in der Welt. Ihnen spreche ich meinen herzlichen Dank für ihre vorzügliche Arbeit aus, die sie in schwierigen Situationen wie in Chile, Haiti, Afghanistan und anderswo, aber auch auf Positionen, wo deutsche Interessen gewahrt werden müssen, wie zum Beispiel in Nachbarländern, leisten. Mein Dank geht auch an diejenigen, die sie dabei begleiten: an die Ehemänner und Ehefrauen, an die Partnerinnen und Partner. Sie alle tragen dazu bei, dass das Ansehen Deutschlands überall in der Welt sehr gut ist. Auch dafür einen herzlichen Dank. ({0}) Ich möchte in dieser Debatte die Gelegenheit nutzen, auf ein paar grundsätzliche Fragen der Außenpolitik einzugehen. Es geht in diesem Zusammenhang auch um die Frage, mit welcher Zielsetzung wir Außenpolitik für unser Land betreiben. Die Außenpolitik muss erstens den Interessen der Menschen in unserem Land dienen. Sie muss zweitens die europäische Dimension bei allen Fragen umfassen. Drittens muss deutsche Außenpolitik - das hat der Bundesaußenminister bei jeder sich bietenden Gelegenheit in vorzüglicher Weise deutlich gemacht - auch Friedenspolitik sein. Dieser Grundsatz bestimmt das Handeln der bürgerlichen Koalition. Es ist wichtig, dies noch deutlicher herauszustellen. Wir sollten uns daher diesen Debatten am heutigen Tage stellen und uns nicht in Nebengefechten verzetteln, was der Bedeutung der Außenpolitik in keiner Weise angemessen wäre. ({1}) Der Kollege Frankenhauser hat bereits darauf hingewiesen, dass es sich mit 3,2 Milliarden Euro Ausgaben um einen sehr großen Etat handelt. Das Durchschnittseinkommen eines Arbeitnehmers in Deutschland beträgt rund 3 000 Euro brutto. Der Etat entspricht also umge2770 rechnet einer Arbeitsleistung von 1 064 605 Monaten. Wenn man für ein Erwerbsleben 35 Jahre veranschlagt, dann kann man sagen, dass das gesamte Erwerbsleben von rund 2 500 Arbeitnehmern benötigt wird, um diesen Etat zu erwirtschaften. Die Bürgerinnen und Bürger fragen sich also zu Recht, wie wir dieses Geld für die Interessenvertretung unseres Landes im Ausland ausgeben und für welche Ziele wir im Ausland einstehen. Deshalb muss jeder Cent des Haushaltes, über den wir heute beraten, begründet werden. Die Ausgaben werden durch die Professionalität des Dienstes, die unser Auswärtiges Amt auszeichnet, und durch die weltweit erbrachten Serviceleistungen gerechtfertigt. Dazu zählen Reisehinweise, die Hilfe beim Verlust des Passes oder die extrem professionelle und weltweit gerühmte Arbeit des Krisenstabes im Auswärtigen Amt, der immer dann, wenn Deutsche im Ausland in Gefahr sind, sehr gute Arbeit leistet. Darüber hinaus muss deutlich gemacht werden, dass es neben dieser professionellen tagtäglichen Arbeit große Linien gibt, die von dieser Regierung verfolgt werden und die wir hier im Parlament politisch unterstützen, heute durch unsere Zustimmung zum Haushalt. Dazu gehört zum Beispiel die Außenwirtschaft. Wenn man sieht, dass in den vergangenen Jahren nahezu jeder fünfte Arbeitsplatz in Deutschland vom Export abhängig gewesen ist, dann liegt es doch auf der Hand, dass sich der Außenminister für die deutsche Wirtschaft im Ausland starkmacht und damit unsere außenwirtschaftliche Position stärkt. Ich glaube, man kann schon nach dieser kurzen Regierungszeit sagen, dass dies bislang ein voller Erfolg ist. ({2}) Vor diesem Hintergrund möchte ich dem Außenminister ausdrücklich zu seiner Südamerikareise gratulieren. Wir können uns nun dem zuwenden, was auf dieser Reise passiert ist. Wenige Stunden vor Abreise veröffentlichte das Hamburger Nachrichtenmagazin Der Spiegel einen Artikel, in dem die Position Deutschlands in Brasilien massiv kritisiert worden ist. Die beiden Autoren kamen zu dem Ergebnis, dass uns andere europäische Länder den Rang in Brasilien schon längst abgelaufen hätten. Allein durch Ihre Reisetätigkeit in Südamerika haben wir diesen Wettbewerbsnachteil wieder aufgeholt, und das wird allseits gerühmt. Deshalb danke ich Ihnen für Ihr Engagement in Brasilien, um dieses wichtige Land ganz ausdrücklich zu nennen. ({3}) Uns geht es bei der Beschreibung unserer politischen Linien in den nächsten Monaten darum, uns den drängenden politischen Fragen zu stellen. Der Außenminister hat sehr nachdrücklich unterstrichen, welche Themen ihm wichtig sind. Ich möchte für unsere Fraktion ein paar Ergänzungen vornehmen, die in unserem besonderen Interesse, aber auch in dem unseres Koalitionspartners liegen. Wir haben uns in gemeinsamen Gesprächen darum bemüht, die drängenden Fragen auch von parlamentarischer Seite her zu begleiten. Dabei geht es uns besonders um die zukünftige Sicherheitsarchitektur in Europa und um die Zukunft der NATO. Ich möchte noch einmal die Ausgabe des Spiegel, der aus bekannten Gründen nicht meine Lieblingszeitschrift ist, aus der vergangenen Woche heranziehen. Volker Rühe, Klaus Naumann, Frank Elbe und Ulrich Weisser haben in einem Spiegel-Aufsatz sehr deutlich Position dazu bezogen, was die Zukunft der NATO ist und was die - ich sage das sehr bewusst Nachbarschaftspolitik gegenüber Russland in den nächsten Jahren dominieren soll. Unsere Aufgabe, die des Parlaments und insbesondere die der Koalitionsfraktionen, muss es sein, sich der Frage nach der Zukunft der NATO auch unter dem Gesichtspunkt zu stellen, inwiefern wir dazu beitragen können, dass die Tür zwischen der NATO und Russland etwas weiter geöffnet werden kann, als es momentan der Fall ist. Wie dringend das ist, zeigen die außenpolitischen Diskussionen, die in den vergangenen Monaten unseren Alltag geprägt haben, die Themen, die wir hier allwöchentlich diskutieren. Es geht dabei zum Beispiel um die Sicherheit in Afghanistan, wo wir dringend auf die Kooperation Russlands angewiesen sind. Natürlich gilt das nicht im militärischen Sinne, weil es naheliegt, dass sich Russland in dieser Hinsicht nicht engagieren will und dies auch zukünftig nicht tun wird. Vielmehr geht es, wenn man politische Lösungen in dieser Region erreichen will, um die Frage, wie es gelingen kann, Russland bzw. die sich verändernde russische Politik stärker einzubeziehen. Insofern schlage ich vor, dass wir alle uns dieser Frage deutlich intensiver zuwenden und den NATO-Reformprozess unter diesem Gesichtspunkt stärker in den Blick nehmen. Nun möchte ich Russland und China nicht in einem Atemzug nennen; denn die Länder sind so unterschiedlich, wie sie nur sein können, obwohl sie direkt nebeneinanderliegen. Bei all den Fragen, die uns in den nächsten Monaten beschäftigen werden, müssen wir aber Folgendes sehen: Wenn es uns nicht gelingt, Russland und China gemeinsam international stärker in die Verantwortung zu nehmen, wird uns weder eine Lösung für Afghanistan leichtfallen noch werden wir die Probleme mit dem Iran lösen können. Deshalb muss aus dem Parlament der nachdrückliche Appell kommen, mit China, was die Sicherheitsstrukturen im Nahen Osten, aber auch was die konkrete Situation im Iran angeht, stärker zusammenzuarbeiten, als das bisher der Fall war. Ich sehe gute Chancen. Ich begrüße es deshalb ausdrücklich, wenn wir alle zur Verfügung stehenden Gesprächskanäle nutzen und versuchen, mit denjenigen in China ins Gespräch zu kommen, die dort Politik gestalten. Das wird in groben Zügen von allen Parteien so gesehen. Ich glaube, dass uns gerade unser großes Ansehen, das wir durch unser dauerhaftes Engagement in China genießen, nutzen kann und wir das stärker ausspielen müssen. In den nächsten Jahren der Regierungszeit sollte unsere Position sein, dass die beiden Schwerpunkte - das Verhältnis zu Russland und das Verhältnis zu China eine größere Rolle spielen als in den vergangenen Jahren. Vor allem muss das unter einem eher politischen Gesichtspunkt betrachtet werden, als das früher unter Gerhard Schröder der Fall war, bei dem der Verdacht naPhilipp Mißfelder helag, dass eine Anschlussverwendung vielleicht eine größere Rolle gespielt hat als die politische Zielsetzung. Ich glaube, die Prognose wagen zu können, dass das Verhältnis zwischen den USA und China, das als G-2Prozess beschrieben wird, schon in den nächsten drei Jahren in eine entscheidende Phase kommen wird. Man muss in diesem Zusammenhang fragen, welche Rolle Deutschland in diesem Prozess spielen soll und wie es vor dem Hintergrund der europäischen Dimension unter Hinzuziehung der Deutschen und insbesondere der Europäer insgesamt gelingen kann, einen besseren Ausgleich zwischen diesen beiden Polen zu schaffen und zu erreichen, dass europäische Politik, europäische Maßstäbe und letztendlich auch europäische Interessen stärker berücksichtigt werden. ({4}) Die besondere Rolle Europas kommt dabei nicht nur bei Themen wie Klimaschutz - das ist offensichtlich oder internationale Finanzpolitik - darüber diskutieren wir derzeit sehr intensiv -, bei denen das Verhältnis zwischen China und den USA von Bedeutung ist, zum Ausdruck, sondern betrifft auch Teile der Außenpolitik, die in unseren alltäglichen Debatten unterrepräsentiert sind. Ich möchte einen Kollegen ganz ausdrücklich namentlich erwähnen, der gestern bei uns in der Fraktion mit Unterstützung unserer Fraktionsführung und auch mit Unterstützung des Bundesentwicklungsministers eine sehr gute Veranstaltung durchgeführt hat: Kollege Hartwig Fischer hat gestern dafür gesorgt, dass Afrika unter einem besonderen Gesichtspunkt betrachtet wurde, nämlich nicht nur als Zuwendungsempfänger, nicht nur als ein Kontinent, der Hilfe braucht, sondern auch als realer Partner, den man bei wirtschaftlichen Fragen und der zukünftigen wirtschaftlichen Entwicklung unterstützen kann. Lieber Kollege Fischer, der gestrige Abend war ein voller Erfolg. ({5}) Selbst wenn das kein Thema ist, das hier alle in Aufregung versetzt, glaube ich, dass, wenn wir über die Interessen Europas - gerade auch im Wettlauf mit China - in Afrika diskutieren, die wirtschaftliche Zusammenarbeit mit Afrika eine zentrale Rolle spielt. Herzlichen Dank. ({6})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Für die Fraktion Die Linke hat nun das Wort der Kollege Andrej Hunko. ({0})

Andrej Hunko (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004060, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Das ist meine erste Rede hier im Deutschen Bundestag. Ich muss sagen: Herr Westerwelle, ich bin konsterniert, wie wenig inhaltliche Anknüpfungspunkte Ihr Redebeitrag lieferte. ({0}) Ich werde überwiegend zur Europapolitik sprechen. Es gibt eine Reihe von Entwicklungen, die wir als Linke mit großer Sorge und auch kritisch sehen. Zum einen wäre der Umgang mit Griechenland zu nennen. Des Weiteren wäre das Stockholmer Programm zu nennen, das die innere Aufrüstung der Europäischen Union vorantreibt. Es wäre der Europäische Auswärtige Dienst zu nennen, der heute bereits angesprochen wurde. Das Besondere an diesem Dienst ist, dass verschiedene Bereiche, die in Deutschland aus gutem Grund getrennt sind - Entwicklungshilfe, auswärtige Politik, Militär- und Sicherheitspolitik -, in einem mächtigen Apparat mit 8 000 Beschäftigten zusammengefasst werden. Damit soll - so sagen Sie, Herr Westerwelle - ein schlagkräftiger Auswärtiger Dienst errichtet werden. Ich frage mich: Wer soll da geschlagen werden? ({1}) Ich werde jetzt überwiegend über Island sprechen. Demnächst laufen wahrscheinlich die Beitrittsverhandlungen an. Ich war in der letzten Woche mit einer Delegation des EU-Ausschusses in Island, in Reykjavik. Vor wenigen Tagen haben in Island fast 94 Prozent der Bevölkerung in einem Referendum einen Gesetzentwurf abgelehnt, der die Übernahme der Schulden der privaten Icesave-Bank durch die öffentlichen Haushalte vorsieht. Das Gesetz hätte jede isländische Familie mit 48 000 Euro belastet. Die Isländerinnen und Isländer haben sehr deutlich zum Ausdruck gebracht: Wir zahlen nicht für diese Krise. Wir zahlen nicht für die Krise der Banken und Spekulanten. Wir Linke begrüßen das außerordentlich. ({2}) Da fragt man sich doch: Wieso gibt es in Deutschland eigentlich nicht wie in Island Referenden über grundlegende Fragen, zum Beispiel über das Bankenrettungspaket, das die öffentlichen Haushalte auf Jahre mit 500 Milliarden Euro belasten wird? ({3}) Diese Belastung werden Sie der Bevölkerung wahrscheinlich erst nach der Wahl in Nordrhein-Westfalen präsentieren. Deshalb rufe ich dazu auf und unterstütze es, dass die Menschen in Nordrhein-Westfalen, in Essen, am kommenden Samstag auf die Straße gehen unter dem Motto: Wir zahlen nicht für eure Krise! ({4}) Island hat im Juli letzten Jahres einen Antrag auf Beitritt in die Europäische Union gestellt. Am 24. Februar hat die Europäische Kommission der Aufnahme von Beitrittsverhandlungen zugestimmt. Eine mögliche Beschlussfassung des Rates am 25. März soll jetzt verzögert werden, weil die britische und die niederländische Regierung die Aufnahme der Beitrittsverhandlungen als Hebel für die Verhandlungen über die Icesave-Schulden benutzen möchten. In der Delegation waren wir uns in Island parteiübergreifend einig, dass die Icesave-Frage von der Frage der Beitrittsperspektive zu trennen ist, dass die Icesave-Frage eine bilaterale bzw. trilaterale Frage ist. Deshalb ist es für mich völlig unverständlich, warum die Regierungsfraktionen den Beitritt jetzt offensichtlich doch verzögern wollen, wie gestern im EUAusschuss deutlich wurde. Das riecht doch sehr danach, dass ein entsprechender Druck aufgebaut worden ist. ({5}) Damit wir uns nicht falsch verstehen: Die Linke hat durch die Klage gegen den Lissabon-Vertrag vor dem Bundesverfassungsgericht erwirkt, dass der Bundestag in EU-Fragen gestärkt wurde und bei wichtigen Entscheidungen beteiligt werden muss. Die Bundesregierung muss ihre Verpflichtungen endlich ernst nehmen und ein Einvernehmen mit dem Bundestag herstellen. Es ist aber nicht hinnehmbar - das passiert gerade -, wenn die gestärkten parlamentarischen Rechte als Vorwand genommen werden, um die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen zu verzögern. Es ist möglich, unter Einhaltung aller parlamentarischen Spielregeln bis zum 25. März 2010, also bis zum nächsten EU-Ratsgipfel, zu einer Entscheidung zu kommen. Ich fordere Sie auf, dies zu tun. ({6}) Im Zusammenhang mit Island stimmt mich eines bedenklich: Da ist die Rede von geostrategischen Interessen der Europäischen Union in der Arktis. Die EU wolle bei dem großen Spiel dabei sein, wie es der schwedische Außenminister Carl Bildt in Brüssel formulierte. Auch der SPD-Antrag geht leider in diese Richtung. Die Mitgliedschaft Islands soll der EU das Tor zur Arktis öffnen. Wir wissen, dass in der Arktis die größten unberührten Öl- und Gasreserven lagern. Wir jedoch wollen nicht, dass sich die EU an einem imperialen Wettlauf um die letzten Öl- und Gasvorkommen der Welt beteiligt. Es müssen endlich einmal andere Wege gegangen werden als bei den großen rohstoffreichen Gebieten im 19. und 20. Jahrhundert. ({7}) Deshalb sind wir für ein Moratorium bezüglich der Ressourcenausbeutung der Arktis. Es ist wichtig, endlich vollständig von der Abhängigkeit fossiler Energieträger wegzukommen und vollständig auf erneuerbare Energien umzustellen. ({8}) Die Krise in Island ist nur eine besonders konzentrierte Form der allgemeinen Krise des finanzmarktgetriebenen Kapitalismus. Die Kontrolle über die Finanzmärkte ist überall ausgehebelt worden, in Island, in Deutschland, in den USA, in der EU, und zwar maßgeblich in den 1990er- und 2000er-Jahren. Es kann aber nicht sein, dass jetzt ein kleines Land über Gebühr belastet wird. Völlig unerträglich ist, dass Großbritannien - übrigens unter sozialdemokratischer Regierung ({9}) Island zusammen mit al-Qaida und anderen auf die Terrorliste gesetzt hat, um die isländischen Vermögen einzufrieren. Das muss man sich einmal vorstellen. ({10}) Das ist ein erschreckendes Beispiel dafür, wie beliebig die sogenannten Antiterrorgesetze eingesetzt werden können. So etwas darf nicht sein. ({11}) Die isländische Regierung hat nach dem Finanzcrash im September 2008 rigide Kapitalverkehrskontrollen eingeführt. Das hatte zwar positive Auswirkungen auf die Wirtschaft. Jetzt sollen sie aber im Zusammenhang mit den Beitrittsverhandlungen aufgehoben werden. Ich zitiere aus dem Kommissionsbericht: Hier muss Island durch Liberalisierungsmaßnahmen die Vereinbarkeit mit dem Grundsatz des freien Kapitalverkehrs gewährleisten. Es kann doch nicht sein, dass Kapitalverkehrskontrollen im Zuge von Beitrittsverhandlungen mit dem Hinweis auf den Lissabon-Vertrag oder die daraus folgenden Grundlagenverträge wieder aufgehoben werden müssen und der Zustand, wie er vor der Krise war, wiederhergestellt wird. Wenn eine sinnvolle Beschränkung des Kapitalverkehrs im Widerspruch zum Lissabon-Vertrag steht, dann muss der Vertrag geändert werden. ({12}) Ich komme zum Schluss. Die Stimmung in der isländischen Bevölkerung im Hinblick auf einen Beitritt zur EU war lange positiv. In den letzten Monaten ist diese Stimmung dramatisch umgeschlagen. Zurzeit lehnen mehr als zwei Drittel einen Beitritt ab. Die Gründe habe ich angedeutet; ich will sie nicht noch einmal aufführen. Die Linke begrüßt die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen. Mein Eindruck ist jedoch, dass sich hier nicht nur Island, zum Beispiel in der Walfangpolitik, ändern muss, sondern vor allen Dingen auch die Politik der Europäischen Union. Die letzte Entscheidung - das können wir von Island lernen - trifft in Island der Souverän, die Bevölkerung. Danke. ({13})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Herr Kollege Hunko, das war Ihre erste Rede im Deutschen Bundestag. Herzlichen Glückwunsch dazu, verbunden mit den besten Wünschen. ({0}) Das Wort hat nun der Kollege Sven-Christian Kindler für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Sven Christian Kindler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004070, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bevor ich zum Außenetat komme, möchte ich kurz auf die aktuelle Debatte eingehen, weil ich glaube, dass es wichtig ist, dass in diesem Hohen Hause darüber diskutiert wird. Herr Außenminister, Sie werfen den Medien und Oppositionsparteien unappetitliche Angriffe und Diffamierung vor. Aber dass die politische Debatte jetzt an einem Tiefpunkt angekommen ist, ist meiner Ansicht nach größtenteils Ihrem Handeln geschuldet; darauf komme ich jetzt zu sprechen. Ich halte es für einen Tiefpunkt der politischen Kultur, wenn der FDP-Generalsekretär und die Fraktionsvorsitzende der FDP im Bundestag Nachfragen und berechtigte Kritik von Oppositionsparteien und Medien als demokratieschädlich darstellen, ({0}) während Sie sich weiterhin weigern, nach Haushaltsrecht Auskünfte zum Beispiel dazuzugeben, wann Sie wen in der Villa Borsig auf Staatskosten getroffen bzw. mit wem sie dort gefeiert haben. ({1}) Dieses Recht auf kritische Nachfrage ist ein demokratisches Recht, auf das wir stolz sein sollten. ({2})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Frankenhauser?

Sven Christian Kindler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004070, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Gerne.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Bitte.

Herbert Frankenhauser (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000572, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege, wie beurteilen Sie die Tatsache, dass ein ehemaliger Außenminister namens Fischer ({0}) die Offenlegung a) seiner Begleiter bei Auslandsreisen und b) von Einladungen zu Treffen, die er als Außenminister zum Beispiel in der Villa Borsig veranstaltet hat, einem Mitglied des Haushaltsausschusses komplett verweigert hat? ({1})

Sven Christian Kindler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004070, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Das Haushaltsrecht gilt für alle Außenminister. Wir als Parlamentarier müssen uns konsequent dafür einsetzen, dass unsere Rechte gewahrt werden. Das gilt für Außenminister Fischer, für Außenminister Steinmeier, aber auch für Sie, Herr Außenminister Westerwelle. ({0}) Im Übrigen betrifft das ein Recht, von dem Sie hier und da in den vergangenen Jahren regen Gebrauch gemacht haben. Wenn wir die Regierung in ihrer Amtsführung aus Rücksicht auf die Demokratie nicht mehr hinterfragen dürfen, dann sieht es für unsere Demokratie dunkel aus. ({1}) Wenn Sie, Herr Westerwelle, dies wirklich fordern, sind Sie im Ausland dann noch ein Vertreter eines freien Landes, einer lebendigen Demokratie mit einer vitalen Opposition? ({2}) Das müssen Sie sich fragen. Nun beklagen Sie sich, dass die Erfolge Ihrer Südamerikareise aufgrund der angeblich ungerechtfertigten Kritik in Deutschland gar nicht deutlich wurden. Wir können ja einmal über die Südamerikareise reden und darüber, was dabei herausgekommen ist. Ich nehme an, die Umbenennung des AA in „Ministerium für auswärtige Atompolitik“ steht kurz bevor. ({3}) Sehen wir uns doch einmal an, was in Brasilien passiert ist. Das Atomkraftwerk Angra 3 wird weitergebaut. Herr Westerwelle hat eine Hermesbürgschaft zugesagt, ({4}) unabhängig davon, dass das AKW in einem Erdbebengebiet gebaut wird, unabhängig davon, dass Brasilien keine unabhängige Atomaufsicht hat, unabhängig davon, dass Brasilien nicht das Zusatzprotokoll zum Atomwaffensperrvertrag unterzeichnet hat. ({5}) Das alles ist Ihnen offensichtlich total egal und zeugt von einer wirtschaftsfreundlichen Atomaußenpolitik. ({6}) Sie haben angedeutet, wie gefährlich angeblich eine linke Mehrheit für die politische Kultur in Deutschland sei. Wir wissen nun, wie gefährlich eine schwarz-gelbe Mehrheit für Mensch und Natur weltweit ist. ({7}) Man muss sich einmal klarmachen: Sie fordern, dass in Deutschland stationierte Atomwaffen abgezogen wer2774 den, und im gleichen Atemzug fordern Sie, Atomkraftwerke in einem Erdbebengebiet in Brasilien zu bauen, in einem Land, das das Zusatzprotokoll zum Atomwaffensperrvertrag nicht unterzeichnet hat. Ich finde, das ist eine schizophrene Haltung. ({8}) Die Inkonsequenz und Inkonsistenz Ihrer Politik schlägt sich auch im Haushalt nieder. Nehmen wir zum Beispiel die Mittel für die Entwicklungszusammenarbeit. Deutschland hat sich verpflichtet, die ODAQuote einzuhalten, in diesem Jahr also mindestens 0,51 Prozent des Bruttoinlandsproduktes für die internationale Entwicklungszusammenarbeit bereitzustellen. Dieses Versprechen findet weder in Ihrem Etat noch in anderen Etats seinen Niederschlag. Hier wird internationale Solidarität gepredigt, aber in spätrömischer Dekadenz gelebt. ({9}) Das wird auch deutlich, wenn man sich den Haushalt des Auswärtigen Amtes ansieht. Die Floskeln zur vernetzten Sicherheit aus dem Koalitionsvertrag bleiben eine Worthülse. Anstatt die zivilen Handlungsfelder auszubauen und den Aktionsplan „Zivile Krisenprävention, Konfliktlösung und Friedenskonsolidierung“ weiter auszubauen, werden die Mittel um fast 10 Prozent gesenkt. Damit wird eindeutig demonstriert, dass die zivile Säule weiterhin die entscheidende Schwachstelle der internationalen Friedensbemühungen Deutschlands ist. Wir leisten uns immer noch einen Verteidigungshaushalt mit einem Volumen von über 30 Milliarden Euro, aber für zivile Maßnahmen zur Krisenprävention sind uns schon 130 Millionen Euro zu viel. Damit muss Schluss sein. Der Fokus deutscher Außenpolitik muss auf ziviler Krisenprävention und Friedenssicherung und darf nicht auf Militärfixierung liegen. ({10}) Es ist aber nicht so, dass Sie nur die ODA-Quote nicht erfüllen. Die Bundesregierung kommt auch weiteren internationalen Verpflichtungen nicht nach. Die Bundesregierung hält nicht einmal die bescheidenen Zusagen von Kopenhagen ein. Sie haben versprochen, für den internationalen Klimaschutz 420 Millionen Euro zur Verfügung zu stellen, stellen jetzt aber nur 70 Millionen Euro zusätzlich bereit. Das sind billige Taschenspielertricks. Das ist ein klarer Bruch des Kopenhagen-Versprechens, und das ist eine Blamage für die Bundesrepublik auf dem internationalen Klimaparkett. ({11}) Das ist Ihre Art, Außenpolitik zu machen, Herr Westerwelle: Internationale Zusagen werden gebrochen, die Mittel für Zukunftsinvestitionen wie Krisenprävention werden gekürzt, und das Auswärtige Amt wird zum Ministerium für auswärtige Atompolitik umfunktioniert. Vielen Dank. ({12})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat die Kollegin Marina Schuster für die FDP-Fraktion. ({0})

Marina Schuster (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003845, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bevor ich zum Haushalt komme, muss ich etwas zur Südamerikareise sagen, und zwar zu ihrem Inhalt. Auch ich gehörte der Delegation an. Deswegen kann ich ganz sachlich und ruhig über die Ergebnisse dieser Reise berichten. Zunächst einmal möchte ich feststellen: Es gab anscheinend zwei Reisen, nämlich eine Reise, die in den Medien und in Berlin stattgefunden hat, und die Reise, die tatsächlich stattgefunden hat. Frau Kollegin Müller, ich fände es sehr gut, wenn Sie sich nicht nur auf Presseberichte oder -kommentare berufen würden, sondern auch das Gespräch mit dem Kollegen Josef Winkler, der ebenfalls Teil dieser Delegation war, suchen würden. ({0}) Er könnte Ihnen nämlich berichten, welche Gespräche wir Parlamentarier geführt haben und welche Ergebnisse dabei herausgekommen sind. Der Kollege Gehrcke, der auch mit dabei war, hat kritisiert, dass wir Volkswagen besucht haben. ({1}) Herr Gehrcke, Volkswagen ist dort der größte Arbeitgeber und hat den UN Global Compact unterzeichnet. Ich denke, ein Arbeitgeber, der den UN Global Compact unterzeichnet hat und anwendet, kann eine Vorbildfunktion für die Region haben. Das sollte auch in Ihrem Interesse liegen. ({2}) In Argentinien ist nicht nur das VW-Werk besichtigt worden. Nein, es wurde auch ein Wissenschaftstunnel eingeweiht. Ich denke, es ist eine sehr gute Idee, hier auf eine Wissenschaftskooperation mit dem Max-Planck-Institut zu setzen. Davon profitieren beide Seiten. Gerade in Argentinien gibt es sehr viele Nobelpreisträger. Herr Kindler, Sie haben Brasilien angesprochen. In Brasilien hatten wir ein Gespräch mit Stiftungsvertretern. Bei diesem Gespräch sind zum Beispiel die Staudammprojekte von Herrn Lula angesprochen worden. Die Grünen können gegen Atomkraft sein; aber dann müssen sie auch erklären, wie man die Rechte der indigenen Völker und die Natur schützen kann, wenn so viele neue Staudämme gebaut werden. Das gehört zu dieser Debatte dazu. ({3}) Wenn Sie sich mit dem Kollegen Winkler zusammensetzen würden, würden Sie auch erfahren, wie vielfältig die Projekte in den Bereichen der erneuerbaren Energien, der Biodiversität und des Klimawandels sind. Da sind unsere Durchführungsorganisationen der GTZ schon tätig, und das begrüßen wir; denn auch das liegt in unserem gemeinsamen Interesse. Wenn ich noch auf einen Punkt der Reise kommen darf, der heute noch gar nicht angesprochen worden ist: Uruguay. In Uruguay war das letzte Mal vor 25 Jahren ein deutscher Außenminister zu Gast. Vielleicht können Sie sich ja darüber freuen, dass die Initiative ergriffen worden ist, Lateinamerika wieder ganz oben auf die Agenda zu setzen. Wir achten bei unserer neuen Lateinamerika-Strategie darauf, nicht nur auf die Großen zu schauen, sondern auch vermeintlich kleinen Ländern mit Respekt gegenüberzutreten. ({4}) Ich möchte noch zwei konkrete Punkte zum Haushalt anbringen; beide betreffen den Bereich Menschenrechte. Ich freue mich als mittelfränkische Abgeordnete ganz besonders, dass es gelungen ist, im Haushalt 500 000 Euro für die Einrichtung eines Instituts zur Durchsetzung der Nürnberger Prinzipien zum Völkerstrafrecht bereitzustellen. Das ist eine sehr gute Nachricht. Wir haben im Koalitionsvertrag niedergeschrieben, dass wir dieses Institut einrichten wollen, das mit seiner Expertise viel zur Weiterentwicklung des Völkerstrafrechts beitragen kann. Ich denke, das ist ein Anliegen, das wir alle unterstützen können. ({5}) Der zweite Punkt. Es ist uns trotz der angespannten Haushaltslage gelungen, die Mittel zur Förderung der Menschenrechte im Vergleich zum Vorjahr um 1,5 Millionen Euro zu erhöhen. Das fällt unter den Haushaltsposten Demokratisierungshilfe. Dass wir konkret Mittel im Haushalt bereitstellen - dafür bin ich den Haushaltspolitikern beider Koalitionsfraktionen dankbar -, ist ein wichtiges Signal, dass es uns nicht nur bei Besuchen und in Reden darum geht, die Menschenrechte zum Thema zu machen. Mein letzter Punkt. Ich bin auch Mitglied der Parlamentarischen Versammlung des Europarates. Was uns besonders am Herzen liegt, ist, den Schutz der Menschenrechte in internationalen Systemen zu stärken. Ein wesentlicher Anker ist der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte. Ich freue mich, dass Frau Leutheusser-Schnarrenberger mit ihren Vorschlägen die Reform des EGMR vorantreibt. Denn wir sehen, dass die Zunahme der Zahl der eingereichten Beschwerden eine starke Überlastung des EGMR verursacht hat. Diese Zunahme ist einerseits ein Ausdruck der Akzeptanz des EGMR bei der europäischen Bevölkerung; andererseits macht diese Zunahme es notwendig, dass wir den EGMR wieder arbeitsfähig machen. Ich freue mich, dass die Ministerin persönlich diese Vorschläge unterstützt. Ich denke, wir haben einen Haushalt vorgelegt, der auch im Interesse der Opposition ist. Ich werbe sehr herzlich um Zustimmung. ({6})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Michael Roth für die SPDFraktion. ({0})

Michael Roth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003213, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Minister Westerwelle, bei Ihrem Amtsantritt haben Sie erklärt, Ihr Anspruch sei, nicht nur Bundesminister des Auswärtigen zu sein, sondern ebenso Bundesminister für Europa. Das haben Sie in der Ihnen eigenen lautsprecherischen Attitüde vorgetragen. An diesen Ansprüchen, an diesen Worten, sehr geehrter Herr Minister, müssen Sie sich nun vor dem Parlament messen lassen, müssen Rechenschaft ablegen. Ich kann für meine Fraktion nach 140 Tagen nur feststellen: Ihre bisherige Europapolitik ist ideenlos, und sie ist konzeptlos. Ich kenne kein Projekt - - Ach ja, doch, ein Projekt fällt mir ein: die Förderung der deutschen Sprache, Motto „Deutsch - Sprache der Ideen“. ({0}) Gegen dieses Motto spricht überhaupt nichts. Aber auch die schönste Sprache hilft nichts, lieber Herr Minister, wenn es an den entsprechenden Ideen gebricht. Gehen Sie hier bitte, Herr Westerwelle, mit gutem Beispiel voran. Was mich aber viel mehr stört, ist diese Attitüde, sowohl global als auch auf europäischer Ebene im deutschen Interesse auftreten zu wollen. Es ist noch gar nicht so lange her, dass ein Bundeskanzler und ein Bundesaußenminister formuliert haben: Das, was im guten europäischen Interesse ist, was Europa insgesamt voranbringt, das bringt auch Deutschland voran und ist gut für Deutschland. - Diese Sätze eines Bundeskanzlers, der nicht unbedingt der SPD angehört hat, der aber sicherlich Europa maßgeblich mitgestaltet hat, würde ich mir Michael Roth ({1}) auch von Ihnen einmal wünschen, Herr Minister Westerwelle. ({2}) Was hat Ihre bisherige Amtszeit in der Europapolitik geprägt? Kompetenzgerangel zwischen Bundeskanzleramt und Auswärtigem Amt. Wer hat hier eigentlich die Hosen an? ({3}) Wer hat das maßgebliche Wort zu sprechen? Ich möchte Ihnen empfehlen, Herr Westerwelle, einfach einmal selbstbewusst mit Ideen und konkreten Vorschlägen in die Debatte einzutreten und nicht kleinkariert irgendwelche Kompetenzdiskussionen zu führen. ({4}) Ein anderer Punkt sind die Kontroversen. Es geht bei Ihnen in jedem Politikbereich wie bei den Kesselflickern zu. Sie streiten sich wie ein wild gewordener Hühnerhaufen. ({5}) Das ist auch bei der Frage des Türkeibeitritts so. Ich darf Sie, Herr Minister, mit Genehmigung der Präsidentin zitieren: Ich sage es Ihnen ganz klar: Was die EU und die Türkei vereinbart haben, gilt. Es gilt auch für diese Bundesregierung. Dafür stehe ich ein. … Ich bin hier nicht als Tourist in kurzen Hosen unterwegs, sondern als deutscher Außenminister. Das, was ich sage, zählt. Wir alle wissen: Die CSU ist gegen eine Vollmitgliedschaft der Türkei. Die CDU will eine sogenannte strategische Partnerschaft. Der schon eben genannte Generalsekretär der CSU, Dobrindt, hat erklärt, dass das, was Außenminister Westerwelle in der Türkei gesagt habe, nicht den Positionen der Koalition entspreche. Darauf hat wiederum Ihr Staatsminister gesagt, das Maß des Erträglichen beim Generalsekretär sei deutlich überschritten, CSU-Chef Horst Westerwelle - Entschuldigung, Horst Seehofer ({6}) müsse seine Mannschaft endlich zur Ordnung rufen. Herr Minister Westerwelle, Sie mögen keine kurzen Hosen tragen. Sie tragen vielleicht auch keine langen Hosen. Sie haben in der Europapolitik einfach nicht die Hosen an. Sie müssen einmal innerhalb der Koalitionsfraktionen, aber auch innerhalb der Regierung einen Klärungsprozess herbeiführen. ({7}) Ich habe heute nur wenig zu den Themen gehört, die Europa zurzeit bewegen. Vor allem ein Thema ist entscheidend: die Bewältigung der Wirtschafts- und Finanzkrise in Griechenland. Hier ist Häme völlig fehl am Platze. Wir sitzen nämlich alle in einem Boot. ({8}) Was will die Bundesregierung? Was wollen Sie, Herr Minister? Sie hatten heute Gelegenheit, auch hierzu ein paar Ausführungen zu machen. Ich habe dazu klare Aussagen genauso vermisst wie bei Ihrem Antrittsbesuch beim Europaausschuss. Außer wolkigen Bemerkungen, da müsse man etwas tun, das sei ganz schwierig, habe ich von Ihnen nichts vernommen. Was mich daran ärgert, ist, dass nur wenige Tage später ein Rat in Brüssel weitreichende Maßnahmen gegenüber Griechenland beschlossen hat. Ich erwarte von Ihnen als Europaminister der Bundesregierung, dass Sie auch den Kolleginnen und Kollegen im Europaausschuss, wenn konkrete Fragen gestellt werden, entsprechende Auskünfte erteilen: Mit welchen Erwartungen, mit welchen Forderungen, mit welchen Maßnahmen und mit welchen Ideen geht die Bundesregierung in eine Ratssitzung? Hier haben Sie, Herr Minister Westerwelle, Ihre Hausaufgaben bislang nicht erledigt. ({9}) Wir müssen aus dieser schweren Krise, die nicht nur Griechenland alleine betrifft, lernen. Wir müssen jetzt endlich entscheiden und handeln. Wenn Solidarität in der Europäischen Union nicht nur etwas für Sonntagsreden, sondern auch etwas für konkretes Handeln im politischen Alltag ist, dann erwarte ich jetzt von Ihnen entsprechende Ideen und Konzepte, wie Sie verhindern wollen, dass aus dem griechischen Flächenbrand ein europäischer Flächenbrand wird. Wir brauchen nicht mehr Renationalisierung, sondern wir brauchen eine gemeinsame Wirtschaftspolitik. Wir haben einen gemeinsamen Währungsraum. Aber das, was schon seit dem Vertrag von Maastricht in den maßgeblichen Verträgen steht, nämlich eine Europäische Wirtschafts- und Währungsunion, ist bislang überhaupt nicht mit Leben erfüllt worden. Wir brauchen mehr Abstimmung, wir brauchen mehr Verbindlichkeit. Aber auch hier gebricht es der Koalition ja an jeder klaren Position. Finanzminister Schäuble hat den, wie ich finde, prüfenswerten Vorschlag unterbreitet, einen europäischen Währungsfonds zu etablieren. Dazu hört man von Ihnen überhaupt nichts, und die Union erklärt gleich, das sei ein Vorschlag, der mit ihr nicht abgesprochen sei, und sie würde ihn ablehnen. Zumindest hat das Herr Kauder, der Vorsitzende der CDU/CSU-Fraktion, so erklärt, wenn denn das, was heute Morgen in den Medien stand, wirklich stimmt. So kann man Europapolitik nicht gestalten. Man muss auch einmal eine Idee mutig nach vorne bringen, man muss sich um Bündnispartnerinnen und Bündnispartner in der Europäischen Union bemühen, und man darf keine Eitelkeiten pflegen. Hier erwarte ich von der Union und von der FDP, aber vor allem auch von der Bundesregierung klare Aussagen. Michael Roth ({10}) Wir brauchen eine Wirtschafts-, Fiskal- und Lohnpolitik, durch die auch die Beschäftigung in den Blick genommen wird. Es gibt hier doch durchaus Ansätze auf europäischer Ebene, aufgrund deren wir sagen können: Wir wollen und können voneinander lernen. - Einer dieser Beiträge wären Mindestlöhne. Mindestlöhne werden von vielen gefordert. Mindestlöhne wären eine nationale Lösung für ein europäisches Problem, aber auch hier gibt es überhaupt keinen klaren Ansatz von Ihnen. ({11}) Insofern erwarte ich von Ihnen nicht nur flotte Sprüche. Ich erwarte von Ihnen konkrete Taten; das hat die Europäische Union bitter nötig. Sie sind weit hinter den Möglichkeiten in Bezug auf die Europapolitik der Bundesrepublik Deutschland zurückgeblieben. Hier sollten Sie einmal ein bisschen Tempo vorgeben. Sie haben die Möglichkeiten dazu. Bitte nutzen Sie sie auch! Danke schön. ({12})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die Unionsfraktion spricht nun der Kollege Michael Stübgen. ({0})

Michael Stübgen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002280, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Nein, ich werde nicht groß auf die Rede von Herrn Kollegen Roth eingehen; denn ich möchte etwas zu Europa sagen. Ich möchte aber an etwas erinnern: Es scheint leider sehr lange her zu sein, dass ich zu einer Zeit, als es einen Außenminister gab, der Joseph Fischer hieß, ({0}) in diesem Hause geredet habe und wir die grundlegenden Linien der Europapolitik nach innen und nach außen gemeinsam getragen haben. Sie sollten sich überlegen, ob es dem Einfluss Deutschlands in der Europäischen Union dienlich ist, wenn wir damit anfangen, uns hier in der Art und Weise zu verhalten, wie Sie das getan haben, nämlich mit persönlichen Angriffen gegen den Außenminister vorzugehen, mit dessen Haltung und Einstellung man nicht in jedem Fall einverstanden sein muss. Wenn Sie glauben, dass uns das hilft, dann sind Sie auf dem Holzweg. Die Koalition wird auf dem richtigen Weg bleiben. ({1}) Ich möchte darauf eingehen, dass wir in der Europäischen Union zurzeit eine sehr große Unruhe haben. Wir befinden uns - das muss man leider feststellen - in der schwersten Krise seit Bestehen der Europäischen Währungsunion überhaupt. Diese Krise hat mittlerweile ein besorgniserregendes Ausmaß angenommen. In dieser Krise merken wir auch, dass man viele Äußerungen und Vorschläge - manchmal ist das gut - nicht allzu ernst nehmen sollte, auch wenn sie von einer französischen Finanzministerin kommen. Man sollte hinhören, was sie gesagt hat, aber auch zur Kenntnis nehmen, dass einen Tag später sie ja auch gesagt hat, sie habe es nicht so gemeint. Der öffentliche Fokus und der mediale Fokus richten sich vor allem auf Griechenland. Allerdings wird durch diese Fokussierung sowohl das Ausmaß der Krise, in der wir uns befinden, als auch deren komplexe Ursachenstruktur verkannt. Ich möchte einige der wesentlichen Ursachen für diese Krise benennen und vorweg eindeutig sagen: Nach meiner festen Überzeugung war die Europäische Wirtschafts- und Währungsunion und war die Einführung des Euro richtig, und dieses Projekt ist auch weiterhin richtig. Der Euro hat sich in den letzten Jahren zu einer stabilen Währung entwickelt. Er war einer der Ursachen für das europaweite Wachstum in der Mitte dieses Jahrzehnts. Wir müssen aber auch feststellen, dass der Euro in seiner jetzigen Struktur nicht ausreichend krisenfest ist. Man kann sagen, dass er bei gutem Wetter funktioniert, wenn also die Weltfinanzmärkte funktionieren, es zu Wachstum kommt und sich Wechselkursschwankungen in Grenzen halten. Kommt es aber zu einer solchen Weltfinanzkrise, wie wir sie jetzt haben, kommt der Euro-Raum ins Trudeln. Warum ist das so? Was Griechenland und auch weitere Länder betrifft, ist es leider Tatsache, dass in der Europäischen Union alle Kontrollgremien und Kontrollstrukturen über viele Jahre hinweg versagt haben. Dies gilt sowohl für die Europäische Kommission als auch für die Räte, die Euro-Gruppe, Eurostat, die Europäische Zentralbank und auch die nationalen Parlamente. Es kam nicht deswegen zur Krise, weil die Kontrollregeln nicht ausreichen. Das Hauptproblem ist vielmehr, dass die Regeln, die wir uns im Stabilitäts- und Wachstumspakt bewusst auferlegt haben, nicht rechtzeitig und nicht nachhaltig angewandt worden sind. Wo sind in dieser Situation die Lösungsansätze zu suchen? Was müssen wir auf langfristige Sicht tun? Eines ist überdeutlich: Wir müssen in den Mitgliedsländern der Europäischen Union und zuvörderst in den Ländern der Euro-Gruppe die Budgetdisziplin herstellen. Nach dem, was wir jetzt wissen, geht es nicht einfach um die Wiederherstellung der Budgetdisziplin. Wir müssen sie vielmehr herstellen. Dazu gibt es keine Alternative. ({2}) Es ist nicht so - das höre ich gelegentlich -, dass der Maastricht-Stabilitätspakt und die dazugehörigen Maastricht-Stabilitätskriterien die Ursache für die Krise sind. Es ist dagegen so, dass nachhaltiges Verstoßen gegen diese Kriterien die Krise heraufbeschworen hat. Es ist schon jetzt überdeutlich: Länder mit einer nachhaltig orientierten Haushaltspolitik meistern die jetzige Krise besser als andere. Welches Krisenmanagement könnte aktuell am besten funktionieren? Ein kurzer Blick in die Geschichte kann an dieser Stelle hilfreich sein. Vor gut eineinhalb Jahren, im Herbst 2008, hatten wir diese Situation schon einmal - es handelte sich damals aber nicht um Euro-Länder -, als Lettland, Ungarn und Rumänien kurz vor der Zahlungsunfähigkeit standen. Damals konnte kurzfristig und sehr schnell ein kombiniertes Unterstützungspaket vom Internationalen Währungsfonds, von der Europäischen Investitionsbank und der Europäischen Entwicklungsbank geschnürt werden. Mit diesem Maßnahmenpaket konnte die Zahlungsunfähigkeit in allen drei Ländern abgewendet werden. Bis heute sind diese Maßnahmen erfolgreich. Es ist aber wichtig, Folgendes festzustellen: Es funktioniert nur deshalb, weil die betroffenen Länder nachhaltige Maßnahmen ergriffen haben, um ihre Haushaltspolitik, Wirtschaftspolitik und Sozialpolitik zu reformieren. Für die Euro-Länder sind vergleichbare Maßnahmen nicht möglich. Ob es sich nun um Euro-Länder oder Mitgliedsländer der Europäischen Union handelt: Die Nothilfe als Ultima Ratio für ein Mitgliedsland der Europäischen Union zählt für mich zum Besitzstand der Europäischen Union. Ich betone aber: Es ist eine Ultima Ratio, die nur anzuwenden ist, wenn alle anderen Maßnahmen mindestens kurzfristig versagt haben. Ich halte es für absolut richtig, wie sich die Bundesregierung in dieser Frage verhält; das ist auch der einzig mögliche Weg. Griechenland muss die eingeleiteten Reformen umsetzen. Es können der Internationale Währungsfonds und die Mitgliedsländer der EU nur bei drohender Zahlungsunfähigkeit helfen, und auch dann nur als Not- und Übergangshilfe. Selbst dann muss absolut gesichert sein, dass Griechenland weiterhin Anstrengungen unternimmt, um die Versäumnisse der letzten Jahrzehnte aufzuarbeiten. Es ist kein Zufall, dass Deutschland in dieser Krise bisher halbwegs klargekommen ist. Wir wissen - gerade bei diesem Haushalt bzw. seiner Verschuldung haben wir die Debatte gehabt -: Das ist alles nicht üppig, auch wir verletzen das Maastricht-Kriterium. Aber im europäischen Vergleich kommen wir verhältnismäßig gut klar. Ich sehe den Grund darin, dass die Bundesrepublik Deutschland in den letzten zehn Jahren angefangen hat, schwierige Reformen im Sozialbereich, bei den Renten, den Steuern etc. umzusetzen. Fast alle Fraktionen in diesem Haus haben eine lebhafte Erinnerung daran. Denn diese Reformen waren zum einen extrem schwierig und zum anderen extrem unpopulär. Es gibt aber keinen verantwortungsvollen Weg, der daran vorbeiführen könnte, für kein Land. Das muss man auch Griechenland, Portugal, Spanien und Großbritannien deutlich sagen. Lassen Sie mich noch hinzufügen, dass ich - das will ich unumwunden zugeben - zurzeit noch nicht vollständig davon überzeugt bin, dass die Einrichtung eines europäischen Währungsfonds langfristig der richtige Lösungsansatz ist, um zukünftige Krisen zu verhindern oder besser meistern zu können. ({3}) Ich sehe das Hauptproblem nicht darin, dass eine weitere Vertragsreform von allen Mitgliedsländern ratifiziert werden muss und deshalb etwas länger dauern würde. Wenn der Vertrag geändert werden muss, dann müssen wir das eben angehen. Ich kann mir aber derzeit keine Struktur eines europäischen Währungsfonds vorstellen, die weiterhin sicherstellen würde, dass die absolute Unabhängigkeit der Europäischen Zentralbank in ihrer Zins- und Wechselkurspolitik nicht, wenn auch möglicherweise nur indirekt, geschwächt würde. Frankreich hat für solch einen Weg traditionell viel übrig. Wir wissen eindeutig, dass ein Eingriff in die Unabhängigkeit der Wechselkurspolitik einen Holzweg darstellt. Deswegen werden wir uns immer gegen eine solche Gefährdung stemmen. ({4}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich glaube - das kann man jetzt noch nicht endgültig feststellen -, es wird für die nächsten Jahren weniger notwendig sein, Regelungen und europäische Verträge zu ändern. Was wir ändern müssen, ist der Umgang mit den vorhandenen Regelungen und Gremien. Ich möchte versuchen, als Schlusssatz frei nach Kant zu formulieren, wie er es in seiner Schrift Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung? gut ausgedrückt hat: ({5}) Die Ursache unserer Krise ist nicht der Mangel an Regeln, sondern der Mangel an Mut, sie anzuwenden. Das muss sich in der Europäischen Union in Zukunft ändern. Dann werden wir solche Krisen nicht mehr zu beklagen haben. Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. ({6})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat die Kollegin Ute Granold für die Unionsfraktion. ({0})

Ute Granold (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003538, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lassen Sie mich heute als Mitglied des Ausschusses für Menschenrechte und humanitäre Hilfe den Akzent auf den Bereich der Menschenrechte in der deutschen Außenpolitik setzen. Deutsche Außenpolitik ist neben der Friedenspolitik das Politikfeld für den Einsatz für MenUte Granold schenrechte. Das haben wir im Koalitionsvertrag ganz klar festgelegt und geregelt. Insofern gibt es sowohl einen Kompass als auch ein Steuern auf ein bestimmtes Ziel hin. Die Bundeskanzlerin hat in der letzten Legislaturperiode die wertegebundene Außenpolitik als Akzent gesetzt. Das wird jetzt kontinuierlich fortgesetzt. Dafür sind wir sehr dankbar. Deutschland genießt diesbezüglich ein großes Ansehen in der Welt. Herr Minister, Sie waren vor zwei Wochen beim Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen in Genf und haben dort für Deutschland gesprochen. Sie haben für diese Rede über den Kurs der deutschen Außenpolitik zugunsten der Menschenrechtspolitik großes Lob erfahren. Sie haben viele Gespräche geführt. Eine Delegation aus dem Menschenrechtsausschuss war eine Woche später in Genf und hat davon erfahren. Wir sind sehr dankbar für diese klare Position und die nochmalige Betonung des Auftrags zur Förderung der Menschenrechte. Wir haben für den Einsatz, aber auch für die finanzielle Unterstützung Deutschlands für die Einhaltung und Förderung der Menschenrechte in der Welt Anerkennung erfahren. Dafür sind wir dankbar. ({0}) Die Menschenrechte sind universell, unteilbar und unveräußerlich. Sie sind Ausdruck der unantastbaren Würde der Menschen. Auf dieser Grundüberzeugung basiert unser politisches Handeln in Deutschland und in der Welt. Wir sehen es als eine Verpflichtung an, Menschenrechtsverletzungen über Ländergrenzen hinweg anzusprechen und deren Einhaltung einzufordern. Es reicht nicht aus, dass in manchen Staaten dieser Welt die Menschenrechte zwar in der Verfassung und den Gesetzen verankert sind, sie aber nur auf dem Papier stehen und nicht geachtet werden. Lassen Sie mich als Beispiele den Iran und - für den Bereich der Religionsfreiheit - die Türkei nennen. Herr Minister, Sie haben den Iran bereits angesprochen, allerdings in einem ganz anderen Kontext. Ich möchte auf die Bürger-, Freiheits- und Menschenrechte zu sprechen kommen. Auf den ersten Blick könnte man sich mit den dortigen Regelungen einverstanden erklären, da die Freiheits- und Bürgerrechte in der iranischen Verfassung verankert sind. Der erste Blick täuscht aber. Auf den zweiten Blick liest man den Satz: Alle Gesetze, auch die Verfassung, müssen im Einklang mit den islamischen Prinzipien stehen. - Das heißt konkret Folter, Todesstrafe, Misshandlung und Steinigung, auch von Minderjährigen. In diesem Staat herrscht großes Elend, auch wenn es um die Gleichberechtigung geht. Die Menschenrechte dürfen aber nicht relativiert werden, auch nicht wegen vermeintlich religiöser oder kultureller Besonderheiten. Wir sind der Bundesregierung dankbar, dass sie nun entschieden hat, im Rahmen einer Einzelfallprüfung iranische Dissidenten aufzunehmen. Sie gibt damit der iranischen Opposition das Zeichen, dass wir auf der Seite derer stehen, die unterdrückt werden und deren Menschenrechte mit Füßen getreten werden. ({1}) Ein anderes Beispiel ist die Türkei; sie wurde ebenfalls bereits in einem anderen Kontext angesprochen. Derzeit wird in der Türkei über einen neuen Verfassungsentwurf debattiert. Bürgerrechte und Grundfreiheiten sollen gestärkt werden. Die Menschenwürde soll als Kernbegriff Eingang in die Verfassung finden. Die internationalen Menschenrechtskonventionen sollen Vorrang vor den türkischen Gesetzen haben. Nun ist in der Türkei ein heftiger Streit entbrannt. Auf der einen Seite gibt es die Tendenz hin zur Säkularisierung, auf der anderen Seite die Tendenz hin zur Islamisierung mit der Gefahr, dass die Scharia Einzug in die Gesetzgebung hält. Die jüngsten EU-Fortschrittsberichte bezüglich der Türkei stimmen einen zurückhaltend, wenn man sich nur die Entwicklung der Religionsfreiheit in der Türkei anschaut. Darum ist es nicht zum Besten bestellt. Ich möchte als Beispiel das Kloster Mor Gabriel nennen. Es ist mit rund 1 600 Jahren eines der ältesten Klöster der Christenheit. Nun droht die Enteignung. Erzbischof Aktas ist zurzeit in Deutschland und hat gesagt, bis zum letzten Atemzug werde diese Wiege der Christenheit verteidigt, und wir alle sollten an seiner Seite stehen. ({2}) An dieser Stelle möchte ich auch die Pauluskirche in Tarsus und das Priesterseminar auf Chalki, das seit 30 Jahren geschlossen ist - das macht es unmöglich, Nachwuchs auszubilden -, in Erinnerung rufen. Die Religionsfreiheit ist für uns ein sehr hohes Gut. Sie ist für uns in Deutschland selbstverständlich, vielleicht zu selbstverständlich. Wir dürfen nicht vergessen, dass es in vielen Teilen der Welt keine Religionsfreiheit gibt und die Menschen wegen ihrer Religion verfolgt und auch getötet werden. Das dürfen wir nicht schweigend hinnehmen. Es gibt insgesamt 2,1 Milliarden Christen auf der Welt. 80 Prozent der religiös Verfolgten weltweit sind Christen. Sie werden misshandelt und getötet; ihre Häuser werden zerstört. Der sogenannte Open-Doors-Weltverfolgungsindex führt die Länder auf, in denen die Menschen am schlimmsten verfolgt werden. Darunter sind Nordkorea, der Iran, Saudi-Arabien, Somalia, Ägypten und der Irak. Auf die Situation in den letzten beiden Ländern möchte ich genauer eingehen. In Ägypten wurden Anfang Januar sechs Christen und ein muslimischer Wachmann während eines Gottesdienstes in einer Kirche ermordet. In diesem Land werden seit vielen Jahren schwerste Delikte gegen Christen begangen. Im Vorfeld der Wahlen im Irak wurden Christen umgebracht, Häuser von Christen in Brand gesteckt und Bomben gelegt. Die dort lebenden Christen fordern Solidarität. Das sollte für uns eine Selbstverständlichkeit sein; denn auch dort liegen die Wurzeln unseres Glaubens. Wenn hier Solidarität eingefordert wird, müssen wir sie auch zeigen. Die Bundesregierung hat in der letzten Wahlperiode dank der Initiative der Menschenrechtler entschieden, irakische Flüchtlinge aufzunehmen. Letztendlich handelte es sich um eine europäische Solidaritätsaktion. Wir Deutsche haben unsere Hausaufgaben gemacht und 2 500 irakische Flüchtlinge, davon 1 100 Christen, aufgenommen. Unser Fraktionsvorsitzender Volker Kauder hat angekündigt, die Aufnahme weiterer Flüchtlinge zu prüfen, da die Integration der hier Aufgenommenen sehr gut verläuft. Sehr viele Flüchtlinge befinden sich noch in Syrien und Jordanien. Diesen Menschen muss Beistand geleistet werden. ({3}) Wie zerstörerisch religiöser Fanatismus sein kann, sieht man in Nigeria. Das gilt auch für die Situation der Christen und übrigens auch der Muslime in Indien, wo Religionsfreiheit zwar im Gesetz steht, aber nicht geachtet wird. Lassen Sie mich zum Schluss sagen, dass die Koalition den Antrag „Menschenrechte weltweit schützen“ eingebracht hat, über den wir nächste Woche in diesem Hause debattieren werden. Für uns steht immer auf der Agenda, dass wir uns für die Menschenrechte einsetzen. Dazu gehört auch die Situation in China und in anderen Regionen der Welt. Für uns ist die Religionsfreiheit ein ganz wichtiges Menschenrecht, und deshalb habe ich meinen Fokus daraufgelegt. Ich danke dem Außenminister und der Bundesregierung für die wertegebundene Außenpolitik, für ihren Einsatz für die Wahrung der Menschenrechte und für die Friedenspolitik. Vielen Dank. ({4})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Rüdiger Kruse für die Unionsfraktion. ({0})

Rüdiger Kruse (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004083, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Kollege von den Linken hatte vorhin die langen Linien vermisst. Lange Linien sind meistens nicht so spannend, weil sie nicht diese Ausschläge haben. Natürlich gibt es diese langen Linien. Außer den internationalen Missionen, an denen wir beteiligt sind und die meistens mit Afghanistan oder Fragen finanzpolitischer Art verbunden sind, gibt es auch unsere Präsenz im Ausland, die der Kulturpolitik zuzuordnen ist. Das ist so eine lange Linie. Um an das anzuschließen, was meine Vorrednerin zum Thema Menschenrechte gesagt hat: Es gibt auch ein Menschenrecht auf kulturelle Teilhabe. Es liegt oberhalb der Menschenrechte, für deren Einhaltung wir meistens kämpfen müssen, aber es ist ein sehr wichtiges. In sehr vielen Ländern stillt unser Beitrag, den wir zum Beispiel über das Goethe-Institut und andere Einrichtungen leisten, einen Hunger, der hier in Deutschland vielleicht gar nicht mehr so groß ist. Es ist ein Hunger auf andere Kulturen, auf Anregungen, auf etwas, was neugierig macht. Ich frage gerne Besuchergruppen, wie hoch der Anteil der Mittel für Kultur im Haushalt der Bundesrepublik ist. Die Schätzungen liegen regelmäßig bei etwa 20 Prozent. Diese Zahl ist richtig, wenn das Aufregungspotenzial, das Kultur hat, gemeint ist; aber der finanzielle Anteil beträgt 0,4 Prozent. Über Kultur kann man wunderbar streiten, und Kultur regt zum Nachdenken an. Man kann sich fragen, was eine Ausstellung meinethalben in China mit Bildern aus der Zeit der europäischen Aufklärung nützt. Sie regt zum Nachdenken an. Kunst begeistert, irritiert, oder sie provoziert. Das liegt im Auge des Betrachters. Das heißt, wir setzen etwas in Bewegung, und gleichzeitig machen wir neugierig auf das Land, aus dem die Kunst kommt. Das ist unsere Visitenkarte; das ist, wenn man so will, der Trailer zu einem Film. Wenn der Trailer gut ist, dann schaue ich mir auch den ganzen Film Deutschland an, und wenn er richtig gut ist, auch den zweiten und dritten Teil. Wir interessieren mit ganz wenig Aufwand Menschen für unser Land. Das ist für mich sehr wichtig. Es ist schön, wenn jemand sagt, dass Deutschland für den schicken ICE oder auch für Windräder steht, oder wenn jemand die guten deutschen Autos anführt. Aber viel interessanter und bleibender ist die Wirkung, die wir durch Kultur erzielen. Nun kann man im Ausland natürlich nicht für eine Sache werben, die es im Inland gar nicht mehr gibt. Dann könnten höchstens kulturelle Ruinen besucht werden. Deswegen korrespondiert der Kulturanteil im Haushalt des auswärtigen Bereichs mit dem Kulturanteil im Haushalt des innerdeutschen Bereichs. Mit diesem vorgelegten Haushalt sind wir nicht der Versuchung erlegen, einem allgemeinen Trend entsprechend Kultur als Luxus, der in der Krise verzichtbar ist, zu kennzeichnen, sondern wir haben ganz klar gesagt, dass wir die Weiterentwicklung von Kultur fortschreiben wollen. Das machen wir auch im Haushalt deutlich. Wir haben nicht brutal gekürzt. Dieser Versuchung sind wir nicht erlegen. Ich glaube, das ist wichtig. Im Zusammenhang mit dem Einzelplan 04 sind die Kommunen angesprochen worden. Gerade in diesen Bereichen darf man nicht sparen. Es lohnt sich unwahrscheinlich, Investitionen in Kultur zu tätigen. Ich bin sehr froh, dass die Themen „kulturelle Entwicklung“ und „kulturelle Botschaft im Ausland“ vom Auswärtigen Amt, das jetzt unter einer anderen Führung steht - offensichtlich gibt es jetzt jemanden, der nicht nur kellnern will, sondern auch einmal kocht -, aufrechterhalten und ganz bewusst gesetzt werden.Vor dem Hintergrund der fortschreitenden Integration dieser Welt, der fortschreitenden Globalisierung werden wir in den nächsten Jahren wesentliche Beiträge über kulturelle Impulse leisten können. Das sind Dinge, die die Menschen der verschiedenen Länder einander näherbringen. Auch wenn es ein bisschen abgegrast klingt: Wenn man ein Land näher kennengelernt hat, dann ist es viel schwieriger, in einen Konflikt mit diesem Land zu kommen. Das zu erkennen, ist die Aufgabe. Ich hoffe, Herr Minister, dass Sie sich dieser Aufgabe mit viel Macht und Intensität - dies lässt der Haushaltsentwurf erkennen stellen. Herzlichen Dank. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen nun zur Abstimmung über den Einzelplan 05, Auswärtiges Amt, in der Ausschussfassung. - Wer stimmt für den Einzelplan 05 in der Ausschussfassung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Einzelplan 05 ist mit den Stimmen der Unionsfraktion und der FDP-Fraktion gegen die Stimmen der SPD-Fraktion, der Fraktion Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt I.11 auf: Einzelplan 14 Bundesministerium der Verteidigung - Drucksachen 17/613, 17/623 Berichterstattung: Abgeordnete Bartholomäus Kalb Bernhard Brinkmann ({0}) Dr. Gesine Lötzsch Zum Einzelplan 14 liegen zwei Änderungsanträge der Fraktion Die Linke sowie ein Änderungsantrag der Abgeordneten Klaus-Peter Willsch und Dr. h. c. Jürgen Koppelin vor. Außerdem liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke vor, über den wir am Freitag nach der Schlussabstimmung abstimmen werden. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache anderthalb Stunden vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege Bernhard Brinkmann für die SPD-Fraktion. ({1})

Bernhard Brinkmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003057, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Bei der ersten Lesung des Einzelplans 14 am 20. Januar 2010 habe ich von gleicher Stelle ausgeführt, dass der Regierungsentwurf des Verteidigungshaushalts auf den ersten Blick stabil und solide erscheint. Nach den Beratungen im Ausschuss und den Ergebnissen aus der Bereinigungssitzung kann man das allerdings nicht mehr behaupten. In zu vielen Punkten bleibt der oberste Grundsatz der Haushaltswahrheit und -klarheit leider auf der Strecke. ({0}) Angesichts der Rednerliste sei mir ein kurzer Einwurf gestattet: Ich vermisse auf der Rednerliste den Namen des Ministers der Verteidigung, Herrn Freiherr zu Guttenberg. ({1}) Man kann nur spekulieren - vielleicht wird diese Spekulation im Laufe der Debatte aufgehoben -: Darf er nicht? Will er nicht? Möchte er nicht? - Schauen wir einmal, was die Koalition zu dieser Angelegenheit sagen wird. Im Rahmen der Haushaltsberatungen ist deutlich geworden, dass 90 Prozent des investiven Anteils durch Großvorhaben über Jahre gebunden sind, sodass für die nächsten Jahre finanzielle Handlungsspielräume für Neues so gut wie nicht mehr vorhanden sind. Das unfassbare Durcheinander bei der Beschaffung des Flugzeugs A400M erreicht heute durch einen kurzfristig eingereichten Antrag der Koalition anscheinend eine neue Größenordnung, man könnte fast sagen: den absoluten Höhepunkt. Man muss sich einmal vor Augen führen, wie die Koalition in dieser Frage in der Bereinigungssitzung mit Ihnen, Herr Minister, umgegangen ist - ich will ganz deutlich sagen, dass die Bundeswehr dieses Flugzeug braucht; die SPD-Fraktion steht nach wie vor zu diesem Beschaffungsvorhaben -; das schreit zum Himmel. ({2}) Da wird über Nacht ein Kürzungsvorschlag in Höhe von 100 Millionen Euro durchgesetzt - ohne Begründung -, obwohl jeder wusste, dass in 2010 aufgrund des bestehenden Vertrages selbst vor der jüngst erfolgten Einigung mit EADS 250 Millionen Euro fällig geworden wären. Damit das geheilt und das Projekt insgesamt gerettet werden kann, herrschte hier gestern hektische Betriebsamkeit. Der Kollege Willsch, der Kollege Kalb und der Kollege Koppelin waren mehrfach mit dem Minister im Plenarbereich unterwegs. ({3}) Andere wurden nicht dazugebeten, obwohl es eine durchaus übliche und sehr faire Praxis ist, dass alle Berichterstatter des Einzelplans über Veränderungen informiert werden. Aber nun kommt es: Kurz vor der abschließenden Beratung legt die Koalition einen Antrag vor - dass darüber abgestimmt wird, hat die Frau Präsidentin eben angekündigt - über eine Verpflichtungsermächtigung für den A400M in Höhe von 500 Millionen Euro. Wie sieht es da mit dem Einhalten des hehren Grundsatzes eines jeden Haushälters der Haushaltswahrheit und -klarheit aus, Herr Minister? Die Koalitionsfraktionen - das sage ich in aller Deutlichkeit - tanzen Ihnen auf der Nase herum. Sie haben letztendlich durch diese Vorgehensweise wie bei vielen anderen Einzelplänen auch mehr als deutlich gemacht, dass diese Koalition nicht regierungsfähig ist. ({4}) Die SPD-Fraktion steht mit dieser Äußerung zur Regierungsfähigkeit nicht alleine da. Ich gehe einmal da2782 Bernhard Brinkmann ({5}) von aus, dass auch Sie sich Umfragen und Bewertungen anschauen. Über 70 Prozent der deutschen Bevölkerung - das ist eine deutliche Mehrheit - sind ebenfalls dieser Auffassung; sie sagen: Die können das nicht. - Das ist auch so; aber Sie sind nicht bereit, den ersten Schritt zu tun, um das zu verändern. ({6}) Einsicht wäre der erste Schritt auf dem Weg der Besserung. Sie aber halten an diesem totalen Durcheinander fest. Es kommt aber noch schlimmer. ({7}) Der Kollege Kahrs hat in der Bereinigungssitzung den Minister und den Staatssekretär gefragt, wie sie diese über Nacht ausgeheckten Kürzungen bewerten. Antwort des Ministers darauf: Dazu bin ich nicht in der Lage. Wie sollen dann aber Haushälter eine Entscheidung hinsichtlich von Beschaffungsmaßnahmen für den Schutz unserer Soldatinnen und Soldaten und auch für die gefährlichen Auslandseinsätze treffen? Weder die Verteidigungspolitiker noch die zuständigen Berichterstatter der Opposition wurden über diese - ich muss es wiederholen und möchte es deutlich betonen - über Nacht ausgeheckten Kürzungen informiert. So geht man im parlamentarischen Beratungsverfahren nicht miteinander um. So ist man auch nach 1998 nicht mit den Berichterstattern des Einzelplans 14 und aller anderen Einzelpläne umgegangen. Das ist unfair und macht nur ganz deutlich, dass die FDP wieder einmal versucht, ein bisschen Profil zu gewinnen und eine Gegenfinanzierung für die 1 Milliarde Euro hinzubekommen, die Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen, aus dem Hotelfenster geworfen haben. Wie durchsichtig das ist, wird daran deutlich, dass die DEHOGA heute erklärt hat, dass ihre Mitgliedsunternehmen bereit sind, im Gegenzug für dieses Steuergeschenk in Höhe von 1 Milliarde Euro vielleicht 400 Millionen Euro zu investieren. Wo bleiben die anderen 600 Millionen Euro? Sie sind wohl als reines Klientelgeschenk der Regierung und der Koalitionsfraktionen anzusehen. Meine sehr verehrten Damen und Herren von der Koalition, Sie müssen den Soldatinnen und Soldaten erklären, warum ab dem Haushaltsjahr 2010 - in den Folgejahren wird der Spielraum ja noch enger - die unbedingt notwendigen Finanzmittel für Schutz und Ausrüstung nicht mehr zur Verfügung stehen. Gestatten Sie mir noch zwei kurze Anmerkungen. Gestern Abend war die Jubiläumsfeier des Verbandes der Reservisten. Dort gab der Minister bekannt, dass er die im Koalitionsvertrag festgelegte Verkürzung des Wehrdienstes auf den 1. Oktober vorziehen will. Damit werden Sie bestimmten Fragen nicht gerecht und verabschieden Sie sich endgültig von einer sicherheitspolitischen Begründung für die Aufrechterhaltung der Wehrpflicht. Sie sagen auch nicht, wie Sie die in vielen Bereichen daraus resultierenden Herausforderungen finanzieren wollen. Bei der von Ihnen vorgesehenen Verkürzung der Wehrpflicht auf sechs Monate wird der Aufwand für die Ausbildung von Personal, für Material und Infrastruktur in keinem Verhältnis mehr zum Ergebnis stehen. Ich habe bis zum jetzigen Zeitpunkt auch nichts dazu von Ihnen gehört, Herr Minister, wie Sie das in der künftigen Haushaltsplanung darstellen wollen und wie Sie das finanzieren wollen. Lassen Sie mich noch ein paar kurze Anmerkungen zu Lagerhaltung, ÖPP und Privatisierung machen. ({8}) Ich sage für die SPD-Fraktion ganz deutlich, dass die im Ministerium zurzeit angestellten Vergleichsberechnungen transparent erfolgen müssen und dass man auch die berechtigten Sorgen und Nöte der Beschäftigten ernst nehmen muss. Private Dienstleister sind nämlich nicht generell besser und kostengünstiger. Stichworte wie Bundeswehr-Fuhrpark, BWI oder auch Entwicklungen in anderen von PPP geprägten Bereichen sind der beste Beweis dafür. Es gibt natürlich nicht nur Kritik, sondern durchaus auch erfreuliche Dinge, die ich kurz erwähnen möchte, nämlich die Baumaßnahmen im Rahmen des Konjunkturpakets II und das Zentrum für die Traumabehandlung der vom Einsatz zurückkehrenden Soldatinnen und Soldaten, das übrigens auf einen Antrag der Arbeitsgruppe „Sicherheit“ der SPD-Fraktion zurückgeht. ({9}) Wir brauchen weiterhin eine junge, leistungsstarke Armee. Diese muss, um eine gewisse Attraktivität zu entfalten, gut ausgerüstet sein. Hierzu hat der Wehrbeauftragte in seinem Bericht sehr viele, durchaus nachvollziehbare und kritische Anmerkungen gemacht, die wir in unseren weiteren Beratungen berücksichtigen müssen. Zum Schluss meiner Ausführungen darf ich allen Soldatinnen und Soldaten und dem zivilen Personal den Dank, die Anerkennung und den Respekt der SPD-Fraktion aussprechen. Das gilt insbesondere für die Teile der Bundeswehr, die einen gefährlichen und schwierigen Auslandseinsatz zu bewältigen haben. Herzlichen Dank auch allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Ministeriums, die uns bei den Berichterstattergesprächen stets die gewünschten Informationen zur Verfügung gestellt haben. Die Zusammenarbeit hat sich bisher ausgesprochen angenehm dargestellt. Wir lehnen den Einzelplan 14 ab und werden auch der heute Mittag kurzfristig von Ihnen eingereichten Verpflichtungsermächtigung über 500 Millionen Euro unsere Zustimmung nicht geben. ({10}) Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. ({11})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Klaus-Peter Willsch von der Unionsfraktion.

Klaus Peter Willsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003264, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Minister! Zunächst einmal, Kollege Brinkmann, finde ich, dass der Ton, den Sie in diese Debatte, die wir gemeinsam führen, hineingebracht haben, ({0}) der Debatte nicht gerecht wird. ({1}) Ich finde es auch nicht schön, dass Sie einvernehmlich beschlossene Maßnahmen - unterstützt von einer breiten Fachpolitik, auch aus der CDU/CSU - wie das Zentrum, das sich um posttraumatische Belastungsstörungen kümmern soll, mit einem Parteilabel zu versehen versuchen. Das halte ich nicht für sehr anständig; denn dieser Beschluss entsprach dem Anliegen all derer, die verantwortlich mit der Bundeswehr umgehen. ({2}) Das sollte hier auch so gesagt werden. Wir sollten die Soldaten gerade bei diesem Thema nicht politisch einseitig instrumentalisieren. ({3}) Der Minister ist der Meinung, dass die Haushaltsberatungen die Stunde des Parlaments sind. Er hatte bei Einbringung des Haushalts die Gelegenheit genutzt, zum Haushalt seines Ministeriums zu sprechen. Ich bin dem Minister dankbar, dass er in dieser Debatte meiner Fraktion seine Redezeit zur Verfügung gestellt hat. Das ist eine Reverenz gegenüber dem Parlament. ({4}) Ich möchte mich aber nicht nur dafür, sondern auch für die angenehme und zufriedenstellende Zusammenarbeit mit dem Verteidigungsministerium bedanken. Es gab mit den Staatssekretären und den Mitarbeitern des Hauses eine vertrauensvolle Zusammenarbeit im Rahmen der Haushaltsberatungen. Etwa jeder zweite Bundesbürger spricht sich für eine aktive Außen- und Sicherheitspolitik aus … Das Vertrauen in die Bundeswehr ist außerordentlich groß … Die Bundesbürger vertrauen der Bundeswehr, weil sie davon überzeugt sind, dass die Streitkräfte dazu beitragen, Frieden, Schutz und Freiheit für Deutschland zu wahren. Das habe nicht ich mir ausgedacht, sondern das ist das Ergebnis einer Studie des Sozialwissenschaftlichen Instituts der Bundeswehr zum Thema „Sicherheits- und verteidigungspolitisches Meinungsklima in der Bundesrepublik Deutschland“, die im Januar veröffentlicht wurde. Das ist ein gutes Zeugnis für unsere Bundeswehr. Wir sollten unseren Soldaten im Einsatz, aber auch den Mitarbeitern der Bundeswehr auf allen anderen Dienstposten für den aufopferungsvollen und schweren Dienst danken, den sie für unser Land leisten. ({5}) Ich habe bereits bei der ersten Lesung im Januar zum Ausdruck gebracht: Wenn wir Soldaten in Einsätze schicken, dann müssen wir sie so ausrüsten, dass sie unter größtmöglichem Schutz und mit höchstmöglicher Wirksamkeit ihren gefährlichen Auftrag erfüllen können. Das ist die Verantwortung des Parlaments, und zu dieser Verantwortung stehen wir. Das haben wir auch bei diesen Haushaltsberatungen unter Beweis gestellt. Der Bundeshaushalt steht unter einem gewaltigen Spardruck. Wir alle wissen das. Trotzdem ist es uns gelungen - wenn auch nicht völlig unbeschadet -, mit Einsparungen von lediglich 32 Millionen Euro unterm Strich herauszukommen. Es ist notwendig, der Öffentlichkeit zu sagen, dass Sicherheit und Freiheit ihren Preis haben. Ich will gleichwohl kurz illustrieren, bei welchen Maßnahmen wir Kürzungen vorgenommen haben. Wir meinen, dass wir bei der Nachwuchswerbung mit 10 Millionen Euro weniger auskommen. Wir als Abgeordnete können in unseren Wahlkreisen für den zivilen Arbeitgeber Bundeswehr Werbung machen. Wir sind, weil in der Fläche breit aufgestellt, am besten dafür geeignet, unserem Minister zivile Mitarbeiter zuzuführen. Wir glauben, dass man bei Baumaßnahmen, bei vermischten Verwaltungsausgaben, bei Mieten und Pachten mit 15,2 Millionen Euro weniger auskommt. Ohne die weitere Ausrüstung mit dem Eurofighter infrage zu stellen, glauben wir, dass wir bei der Waffenentwicklung mit 5 Millionen Euro weniger auskommen. - Das alles sind Kürzungen, die die christlich-liberale Koalition unter Beachtung ihrer Verantwortung für den Gesamthaushalt vorgenommen hat. Natürlich wissen wir, dass sich das Ministerium über diese Kürzungen nicht freut. Wer freut sich schon, wenn in seinem Bereich Mittel gekürzt werden? Wir glauben aber, dass das Haus diese Vorgaben wird umsetzen können. Lassen Sie mich noch zu dem Thema „öffentliche Entwicklungszusammenarbeit und ODA-Mittel“ im Bereich des Einzelplans 14 einige Bemerkungen machen. 2008 war das letzte abgerechnete Jahr. In dem Jahr haben wir aus dem Einzelplan 14 lediglich 8,2 Millionen Euro ODA-fähige Mittel erbracht. Das sind Mittel, die zwar aus dem Verteidigungshaushalt bezahlt werden, die aber als Mittel für die Entwicklungszusammenarbeit gewertet werden. Wenn wir uns die Zahlen für 2010 anschauen, so kommen wir auf einen Betrag von 12,8 Millionen Euro. Sie wissen alle - die ODA-Quote ist schon mehrfach angesprochen worden -, dass das, was dort für einen späteren Zeitpunkt in Aussicht gestellt wird, heute noch nicht erreicht wird. Wir sollten aber wenigstens die Mittel zusammenrechnen, die wir für diesen Bereich schon jetzt zur Verfügung stellen, damit die Zahlen nicht schlechter aussehen, als sie in Wirklichkeit sind. Wir haben im Einzelplan 14 einen Bereich mit einem Volumen von 56,3 Millionen Euro, der streitig gestellt ist, weil das BMZ sagt, dass es sich nicht um ODA-Mittel handelt. Ich glaube, an dieser Stelle müssen wir zu Neubewertungen kommen und müssen deutlich machen, dass das, was wir in diesem Bereich tun, der Entwicklung Afghanistans dient. Es geht mir nicht darum, hier billigen Beifall für die damit erreichte Verbesserung bei der Quotenerfüllung zu bekommen, sondern es geht mir um die Anerkennung der Soldaten, die dort ihren Dienst tun. Sie sollen entsprechende öffentliche Wertschätzung erfahren, indem ihnen sozusagen testiert wird, dass sie einen wichtigen Beitrag zur Entwicklung des Landes leisten. ({6}) Da wir beim Thema Quote sind: Häufig wird über Quoten bei der Entwicklungszusammenarbeit und über das 10-Prozent-Ziel bei den Bildungs- und Forschungsausgaben gesprochen. Quotale Bindungen sind Haushältern ein Graus. Aber wenn wir schon über quotale Bindungen reden, dann müssen wir das auch vollständig tun. In der NATO ist man schon vor mehreren Jahren übereingekommen, einen Anteil der Verteidigungsausgaben am BIP von 2 Prozent anzustreben. Das erreichen wir nicht; wir sind in einem Bereich von 1,3 Prozent bis 1,4 Prozent. Die einzigen, die dieses Ziel erreichen, sind die Amerikaner, die Engländer und die Franzosen, die sogar darüber liegen. ({7}) - Stimmt, das waren Einmalerscheinungen. Ob das bei den Griechen allerdings nur auf Sollzahlen beruht oder ob das Geld wirklich schon geflossen ist, ist aber fraglich. Darüber kennen wir ja auch Geschichten. ({8}) Das ist eine beachtliche Quote, wenn wir uns als Industriestaaten miteinander vergleichen und überlegen, welcher Anteil der Verteidigungsausgaben am BIP sinnvoll und notwendig ist. Das müssen wir mit im Blick behalten.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollege Willsch, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Kahrs?

Klaus Peter Willsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003264, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Natürlich.

Johannes Kahrs (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003157, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege, ich höre Ihre Rede, und Sie sagen viele gefällige Dinge. Aber wenn man sich anschaut, was Sie im Verteidigungshaushalt gemacht haben, wird deutlich, dass es nicht auf die Streichungen in Höhe von 1 Million, 2 Millionen oder 5 Millionen Euro, die Sie eben genannt haben, ankommt. Ich würde es begrüßen, wenn Sie einmal die Streichung von 200 Millionen Euro im investiven Bereich begründen würden. 100 Millionen Euro beim A400M, NH-90, Tiger, Quartiermeistermaterial und alles, was dazugehört, die globale Minderausgabe von 200 Millionen Euro, die 57 Millionen Euro flexibilisierte Mittel: Ich würde einfach gerne einmal die Begründung dafür hören. ({0}) Im Ausschuss selbst wollten Sie die Begründung nicht geben. Ihr Minister konnte sie nicht geben, weil er erst Stunden vorher erfahren hat, was Sie gestrichen haben. Ihr Staatssekretär muss jetzt 450 Millionen Euro in einem Haushalt, der bereits läuft, zusammensuchen. Das heißt, dass große Sparmaßnahmen auf die Truppe zukommen. Neben all den netten Dingen, die Sie bisher erwähnt haben, könnten Sie auch einmal zum Kern kommen und dies begründen.

Klaus Peter Willsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003264, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Lieber Kollege Kahrs, ich bedanke mich für die lobenden Worte bezüglich meines Beitrags. Die Fachdiskussion werden wir jetzt sicherlich nicht mehr im Detail nachholen können. Wir haben uns die einzelnen Beschaffungsmaßnahmen angeschaut und uns überlegt, wo wir parlamentarisch nachsteuern können - ich erinnere Sie an unseren Antrag in Sachen MEADS -, indem wir uns in Betracht kommende Alternativen anschauen, die den gleichen Zweck erfüllen können und bei denen wir der Auffassung sind, dass noch genügend Zeit ist. Das haben wir gemacht. Das ist ein verantwortlicher Umgang mit dem Haushalt. Hinsichtlich des A400M bin ich Ihnen in der Tat noch eine Begründung unseres Antrags schuldig; auch der Kollege Brinkmann hat danach gefragt. Diese will ich jetzt gerne nachtragen. Ich will Ihnen aber nicht zumuten, die ganze Zeit stehen zu müssen, wenn ich jetzt noch einmal zum A400M komme. ({0}) Die Beratung über den A400M ist mit Blick auf die Technik der Haushaltsaufstellung nach der Bereinigungssitzung in ein Stadium gekommen, in dem wir, um den Kredit über die KfW ausreichen zu können, eine Ermächtigung im Haushalt brauchen; das wissen Sie, Herr Kollege Brinkmann. Deshalb haben wir nach einem Weg gesucht und haben das mit dem gemeinsamen Antrag meines Kollegen Dr. Koppelin und mir als Verpflichtungsermächtigung noch in den Haushalt 2010 hineingebracht. Zur Erläuterung: Mit den 2 Milliarden Euro haben wir überhaupt nichts zu tun; das wissen Sie alle. ({1}) Dafür erwarten wir eine Lösung, die nicht haushaltswirksam wird. Wir haben darüber hinaus die 1,5 MilliarKlaus-Peter Willsch den Euro, die die sieben Bestellernationen dem Hersteller als Kreditmittel zur Verfügung stellen sollen. Unser Anteil daran beträgt 500 Millionen Euro. Diese soll die KfW verzinst und rückzahlbar ausreichen. Weil jetzt aber noch kein Vertrag da ist und die Konditionen noch nicht ausgehandelt sind und feststehen, war das BMF der Auffassung, wir müssten den vollen Betrag ansetzen. Wir sind der festen Überzeugung, dass das nicht fällig werden wird. ({2}) Das Ganze wurde in hervorragender Weise ausgehandelt. Viele hatten einen schlimmeren Ausgang dieser Verhandlungen erwartet.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollege Willsch, der Kollege Kahrs hat offensichtlich noch eine Nachfrage.

Klaus Peter Willsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003264, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Lassen Sie mich das bitte im Zusammenhang darstellen. - Sie haben schon bei der ersten Lesung gesagt, dass wir auf jeden Fall weitermachen müssen, und damit die Verhandlungsposition nicht gerade erleichtert. Dass wir dieses gute Ergebnis erreichen können, indem die KfW angewiesen werden kann, diesen Kredit auszureichen, ist Gegenstand und Notwendigkeit des Antrags, den ich hier einbringe und den ich Ihrer Zustimmung empfehle.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Herr Kollege Willsch, können Sie mir bitte sagen, ob Sie die Frage noch zulassen oder nicht; denn ich kann diese Zeit nicht an Ihre Redezeit hängen.

Klaus Peter Willsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003264, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich möchte meinen Gedanken im Zusammenhang ausführen. Ich bitte um Verständnis.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Gut.

Klaus Peter Willsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003264, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Das Thema A400M macht zugleich deutlich, dass im Einzelplan 14 Belastungen vorgesehen sind, die nicht allein verteidigungspolitisch motiviert sind. Keiner hat dieses Thema rein militärisch diskutiert, es wurde auch immer industriepolitisch diskutiert. Das gibt es auch in anderen Bereichen. Der Bericht von SIPRI über unsere Erfolge an der Exportfront ist schon mehrfach angesprochen worden. Wir können stolz darauf sein, weil unsere Spitzentechnologie weltweit, gerade bei unseren NATOPartnern, nachgefragt wird. Das sichert 77 000 Arbeitsplätze in diesem Bereich. Wenn technologische Fähigkeiten der Ingenieurskunst erhalten werden sollen, dann muss es Aufträge geben. ({0}) Wenn das die Bundeswehr allein machen soll, dann werden wir sozusagen als industriepolitischer Einzelplan missbraucht. Als wichtiger Punkt ist festzuhalten: Wir können mit diesen Gütern auch dafür sorgen, dass Hochtechnologieunternehmen im Bereich Luft- und Raumfahrt in unserem Land eine gute Zukunft haben und nicht nur uns, sondern auch Partnern ihre hervorragenden Produkte zur Verfügung stellen können. ({1}) Lassen Sie mich schließen, indem ich bekenne: Das, was wir mit der Fassung in der Nacht der Bereinigungssitzung beschlossen haben, hat schon Auswirkungen gezeigt. Sie alle kennen die Aussagen des Inspekteurs des Heeres. Das betrifft auch mich persönlich: Ich bin Flakpanzerkommandant. ({2}) Es nimmt einen schon mit, wenn man liest, dass der Gepard außer Dienst gestellt wird; aber es zeigt zugleich, dass wir mit solchen Vorgaben das Problem in die Truppe verlegen, wenn wir fragen: Wo könnt ihr mithelfen, dass wir diese haushaltspolitisch schwierigen Zeiten meistern?

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollege Willsch, ich verrate Ihnen ein Geheimnis. Sie haben gleich die Möglichkeit, weiter zu reden, da es nach Ihrer Rede eine Kurzintervention gibt. Aber jetzt bitte ich Sie, mein Signal zu beachten, und Ihre Rede zu beenden.

Klaus Peter Willsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003264, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich verneige mich vor Ihnen und Ihrem Hausrecht ({0}) und schließe mit folgendem Satz ab: Die Bundeswehr, das Verteidigungsministerium und die Truppe können sich auf die CDU/CSU-Fraktion verlassen. Wir werden im Haushaltsausschuss für die Truppe möglich machen, was geht. Danke schön. ({1})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Zu einer Kurzintervention hat der Kollege Kahrs das Wort.

Johannes Kahrs (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003157, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Willsch, Sie haben eben davon gesprochen, dass Sie es bedauern, was der Inspekteur Heer verfügt hat, nämlich dass die Geparden, Marder und viele andere Fahrzeuge stillgelegt worden sind. Das liegt daran, dass Sie die Politik machen, die Sie machen. Wenn man den Haushalt betrachtet, muss man feststellen, dass Sie über 450 Millionen Euro aus einem laufenden Etat gestrichen haben, die in diesem Jahr eingespart werden müssen. Von den 250 Millionen Euro, die in diesem Jahr für den A400M vorgesehen waren, haben Sie 100 Millionen Euro gestrichen. Es gibt aber eine vertragliche Bindung, das heißt, die Mittel werden anderswo im Haushalt erwirtschaftet werden müssen. Sie haben 30 Millionen Euro beim Tiger eingespart. Auch hier gibt es vertragliche Verpflichtungen, sodass die Mittel woanders eingespart werden müssen. Beim NH-90 gilt das Gleiche: Sie werden die Mittel im laufenden Etat einsparen müssen. Das ist in keiner Sitzung des Verteidigungsausschusses, bei keinem Berichterstattergespräch und auch vorher nie diskutiert worden. Das heißt, auch Ihr Minister hat erst Stunden vorher erfahren, was Sie in jener Nacht von Mittwoch auf Donnerstag ausgeheckt haben. Die Truppe wird das jetzt im laufenden Jahr erdulden müssen. Kein anderer Etat ist so geschröpft worden wie der Verteidigungsetat. Das heißt, auf der einen Seite schicken wir Soldaten nach Afghanistan, auf der anderen Seite wird der Etat brutal zusammengestrichen. Wir alle kennen die Mängel bei der Bundeswehr. Wir wissen um die Probleme bei Infrastruktur und Beschaffung. Als schwarzgelbe Koalition streichen Sie Ihrem Minister 450 Millionen Euro aus dem laufenden Haushalt und begründen das hier nicht einmal. Sie haben über den A400M und die 500 Millionen Euro VE gesprochen. Hier geht es aber um die 450 Millionen Euro, die Sie real gestrichen haben. Dafür habe ich keine Begründung gehört. Glauben Sie, dass Sie die 30 Millionen Euro für den Tiger nicht brauchen? Glauben Sie, dass Sie die 100 Millionen Euro für den A400M, die vertraglich gebunden sind, nicht brauchen? Es wäre schön, wenn einer die Streichung einmal begründen würde, damit die Truppe weiß, warum sie im laufenden Jahr das Geld nicht hat. Der Haushalt ist groß - das wissen wir alle -, aber der disponible Teil ist sehr klein. Sie werden dieses Geld bei der Truppe im laufenden Jahr - wir haben ja schon März - zusammensparen müssen. Die Auswirkungen werden jeden Soldaten treffen, werden die Truppe generell treffen. Das sind die Soldaten, über die wir große Reden gehalten haben, die Sie nach Afghanistan schicken. Das sind die Soldaten, auf die Sie immer wieder Lobeshymnen singen. Deren Geld wird jetzt von Schwarz-Gelb gegen den Willen des Ministers und des Ministeriums zusammengestrichen. Dafür stehen Sie als Berichterstatter. Ich finde, man könnte das hier, vor dem Parlament, zumindest einmal begründen. Das gebietet der Anstand. Wir Sozialdemokraten haben diese Kürzung abgelehnt. Wir halten das für unanständig und falsch. Vielen Dank. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollege Willsch, möchten Sie antworten? - Bitte.

Klaus Peter Willsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003264, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Kahrs, es ist Ihnen sicher nicht entgangen, dass wir für den einsatzbedingten Mehrbedarf für Afghanistan 437 Millionen Euro zusätzlich zur Verfügung gestellt haben. Sie versuchen, aus dem Thema Honig zu saugen und einen anderen Eindruck zu vermitteln; aber Sie wissen natürlich, dass für sehr viele Mittel im Einzelplan 14 gegenseitige Deckungsfähigkeiten bestehen, sodass es bei der Truppe bleibt, die Vorgaben, die der Haushaltsausschuss gemacht hat, zu realisieren. Ich betone einmal mehr: Der optimale Schutz und die optimale Ausrüstung der Truppe im Einsatz bleiben für uns im Fokus. Wenn wir bei langfristigen Beschaffungsvorhaben auf die Bremse treten oder sagen: „Das muss anders gemacht werden“, dann hat das mit dem Einsatz unmittelbar nichts zu tun. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat die Kollegin Inge Höger für die Fraktion Die Linke. ({0})

Inge Höger-Neuling (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003773, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Herr Minister! Meine Damen und Herren! Das Geschäft mit der Rüstung blüht. Die Zahlen des Friedensforschungsinstituts SIPRI wurden heute verschiedentlich genannt. SIPRI warnt ganz entschieden vor weltweitem Wettrüsten. Deutschland ist zum drittgrößten Rüstungsexporteur aufgestiegen. Rot-Grün hat die Türen geöffnet, aber unter der Großen Koalition haben sich die Rüstungsexporte nahezu verdoppelt. Mit den Ausgaben für das eigene Militär liegt Deutschland auf Platz 6 weltweit, also in den Topten. Deutsche Waffen in alle Welt, das scheint die Devise der hiesigen Rüstungsindustrie zu sein. Nicht nur die Bundeswehr wird aufgerüstet. Auch NATO-Länder und EUVerbündete werden mit Waffen beliefert. Die meisten dieser Länder sind in Kriege verwickelt. Selbst arme Länder in Afrika, Lateinamerika oder Asien dürfen sich immer wieder über Rüstungslieferungen aus Deutschland freuen. In ihrem Koalitionsvertrag behauptet die schwarzgelbe Regierung - Herr Westerwelle hat das heute auch noch einmal betont -, die Koalition wolle Frieden in der Welt schaffen und dazu beitragen. Wie soll das aber mit immer mehr Waffen und immer neuen Rüstungsexporten gehen? ({0}) Frieden schaffen kann man nur ohne Waffen. Auch wenn immer wieder versucht wird, den Eindruck von Einsparungen beim Militär zu suggerieren, kann hier nicht von einem Sparhaushalt die Rede sein. Oberflächlich betrachtet haben Sie den Verteidigungshaushalt um klägliche 0,1 Prozent gekürzt. Die Linke sieht wesentlich mehr Einsparmöglichkeiten. Vorschläge für die Kürzung um insgesamt 4 Milliarden Euro haben wir in unserem Antrag aufgelistet. Doch diese Regierung hat offensichtlich kein Interesse daran, beim Militär zu sparen. ({1}) Selbst bei den behaupteten Sparbemühungen im Promillebereich wird die Öffentlichkeit getäuscht; denn nicht alle Militärausgaben sind tatsächlich im Einzelplan 14 aufgelistet. Ein treffenderes Bild bekommt man, wenn man sich die Meldung an die NATO-Verbündeten anschaut. Nach NATO-Kriterien planen Sie Militärausgaben in Höhe von 34 Milliarden Euro. Das ist gegenüber 2009 ein Anstieg um 600 Millionen Euro. Das wird gegenüber den Steuerzahlerinnen und Steuerzahlern verschleiert. Hören Sie auf mit diesen Täuschungsmanövern, und beginnen Sie mit wirklicher Abrüstung. Da lassen sich Milliarden sparen. ({2}) Unter Sparen versteht die Linke keine Umschichtung im Militärhaushalt, wie dies in den letzten Jahren gemacht wurde. Durch Standortschließungen und den Abbau der Zahl ziviler Beschäftigter wurde an einzelnen Stellen Geld gespart, aber die frei werdenden Mittel wurden dann in die Aufrüstung und Umstrukturierung der Bundeswehr investiert. Die Umschichtungen dienten und dienen dem Umbau der Bundeswehr von einer Verteidigungsarmee zu einer Armee im Einsatz. Der Verteidigungshaushalt ist der drittgrößte Einzelhaushalt. Statt abzurüsten, rüsten Sie die Bundeswehr für weltweite Kriegs- und Besatzungseinsätze auf. Das geht nicht zum Nulltarif. ({3}) Genau diese Bundeswehr als Interventions- und Besatzungsarmee sollte Deutschland sich sparen. Die Linke vertritt einen strikten Antikriegskurs. Auslandseinsätze können wir sowohl den Menschen in den betroffenen Regionen als auch den Bundeswehrsoldaten ersparen. ({4}) Hören Sie endlich auf, Deutschland am Hindukusch oder am Horn von Afrika zu verteidigen. Nehmen Sie das Grundgesetz ernst. Reduzieren Sie die Aufgaben der Bundeswehr auf einen strikt territorial definierten Verteidigungsbegriff. Dann können Sie wirklich sparen. ({5}) Wenn die Bundeswehr nicht mehr weltweit zum Einsatz kommen soll, braucht sie auch keine teuren Transportflugzeuge. Die Bundesregierung könnte sich das ganze Dilemma um den Pannenflieger Airbus A400M sparen. Bereits jetzt sind für die Beschaffung dieses Militärtransporters etwa 10 Milliarden Euro eingeplant. Das entspricht etwa dem deutschen Entwicklungshilfeetat der letzten beiden Jahre zusammen. Doch das Flugzeug wird die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler wahrscheinlich noch deutlich teurer zu stehen kommen. Eigentlich müsste die Firma EADS aufgrund der starken Lieferverzögerung Strafzahlungen an die Bundesregierung leisten; aber Sie verzichten auf Ihre Ansprüche. Weitere Zahlungen wurden zugesagt. Die verschiedenen Bestellerländer haben sich bereit erklärt, insgesamt 3,5 Milliarden Euro zusätzlich zu zahlen; 1,5 Milliarden Euro davon gibt es eventuell zurück. Wann? Wenn sich der Airbus als Exportschlager herausstellt. Das ist aus Sicht der Linken pervers. ({6}) Die Firma Airbus rechnet damit, auf dem Weltmarkt bis zu 500 dieser Militärflugzeuge verkaufen zu können. Um die Aufrüstung der deutschen und französischen Armee mit Transportflugzeugen irgendwie finanzierbar zu halten, wird die weltweite Aufrüstung bewusst vorangetrieben. Dabei wäre die Lösung ganz einfach: Die Bundesregierung hat aufgrund der Lieferverzögerungen Kündigungsrecht. Sie könnten also ganz einfach aus diesem Vertrag aussteigen. Dann wäre das Projekt zwar wahrscheinlich am Ende, aber das wäre auch gut so. Beenden Sie diesen Wahnsinn. Deutschland braucht den A400M nicht. ({7}) Gleiches gilt für viele andere Rüstungsvorhaben. Auch der neue Schützenpanzer Puma soll zu einem Exportschlager werden wie das Vorgängermodell Leopard 2, das bereits in alle Welt verkauft wurde. Der Einkauf von 410 Hightechschützenpanzern Puma wird einschließlich der Bewaffnung etwa 5 Milliarden Euro kosten. Diese 5 Milliarden Euro würden reichen, um allen Menschen in Afghanistan fünf Jahre lang eine medizinische Grundversorgung zukommen zu lassen. Auch dieser große Auftrag reicht den Produzenten Rheinmetall und Krauss-Maffei Wegmann nicht. Der Auftrag der Bundeswehr ist lediglich ein Türöffner für den lukrativen Weltmarkt. In fast allen Fällen gibt es einen Zusammenhang zwischen der Rüstungsproduktion für die Bundeswehr und der Rüstungsproduktion für den Export. Hohe Stückzahlen machen die Produktion von Panzern und U-Booten lukrativer. Hier komme ich auf die bereits erwähnte Warnung von SIPRI vor einem neuen weltweiten Wettrüsten zurück. Die neue Aufrüstungsspirale dreht sich bereits. Mit diesem Haushalt wird die Grundlage für Auslandseinsätze der Bundeswehr gelegt. Wir haben es hier mit einer Mogelpackung zu tun. Allein der ISAF-Einsatz in Afghanistan wird im laufenden Jahr mehr als 1 Milliarde Euro verschlingen. Im Haushalt wird aber so getan, als ob alle Auslandseinsätze zusammen, ob auf dem Balkan, in Afghanistan und am Horn von Afrika, nur 600 Millionen Euro kosten würden. Auch hier gibt es natürlich eine sehr einfache Möglichkeit, mit diesem Geld auszukommen: Verzichten Sie auf die Aufstockung des ISAF-Mandates. Schicken Sie keine weiteren Soldatinnen und Soldaten nach Afghanistan. Lassen Sie die Soldaten, die vor Ort sind, ihre Koffer packen. Beenden Sie den Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan. ({8}) Die NATO, mit ihr auch die Bundeswehr, kann und wird diesen Krieg nicht gewinnen; immer mehr Militärs sagen Ihnen das. Das Militär trägt nur zur Eskalation der Situation bei. Ziehen Sie deshalb den längst fälligen Schlussstrich unter diese unrühmliche Geschichte und holen Sie die Bundeswehr aus Afghanistan heraus. ({9}) Völlig pervers ist auch die Tatsache, dass Kriegseinsätze inzwischen zu einem Verkaufsargument für deutsche Rüstungsgüter geworden sind. Was sich im Einsatz bewährt hat, verkauft sich auf den internationalen Rüstungsmärkten offensichtlich besser. Während die Zivilbevölkerung und auch die Soldatinnen und Soldaten den Preis für Kriege bezahlen müssen, profitiert die Rüstungsindustrie gleich doppelt: von der Nachfrage der Bundeswehr und von besseren Exportchancen. Diese Form der Exportförderung muss sofort aufhören. ({10}) Das Geschäft mit dem Krieg läuft gut. Die Rüstungsindustrie ist kaum von der Krise bedroht. Die Verträge sind langfristig, und Krieg hat offensichtlich wieder Konjunktur. Zusätzlich profitiert die Rüstungsindustrie auch vom Konjunkturpaket. Im laufenden Jahr werden neben Kasernensanierung und militärischer EDV beinahe 200 Millionen Euro aus dem Konjunkturpaket für Rüstung zur Verfügung stehen, und das zusätzlich zum Verteidigungshaushalt. Profiteure dieses makabren Konjunkturpaketes aus Panzern und Maschinenpistolen sind unter anderem Heckler & Koch, EADS, Krauss-Maffei Wegmann und Rheinmetall. Bitte kommen Sie mir jetzt nicht mit dem Arbeitsplatzargument. Wollen Sie wirklich das Sterben von Menschen in anderen Teilen der Welt mit dem Erhalt von Arbeitsplätzen in unserem Land rechtfertigen? ({11}) Außerdem sind Arbeitsplätze in der Rüstungsindustrie hoch subventioniert. Mit dem finanziellen Aufwand für einen Arbeitsplatz in der Rüstungsindustrie könnten Sie vier bis fünf gut bezahlte Arbeitsplätze im Bildungswesen oder im Gesundheitsbereich finanzieren. ({12}) Investitionen in die öffentliche Daseinsvorsorge sind auf jeden Fall sinnvoller und in diesem Land notwendiger. Schon die rot-grüne Bundesregierung erklärte vor einigen Jahren stolz, der Einzelplan 14 sei zu einem Einsatzhaushalt geworden. Schwarz-Gelb hat diese unsägliche Tradition mit dem vorliegenden Haushalt fortgesetzt. Aber eine Frage bleibt noch offen. Da diese Regierung nun zugibt, sich in Afghanistan im Krieg zu befinden, frage ich Sie: Warum nennen Sie diesen Haushalt nicht ganz offen und ehrlich einen Kriegshaushalt? Oder ist das für Sie zu viel Klartext? Doch egal wie Sie ihn nennen, die Linke kann und wird diesem Aufrüstungs- und Kriegshaushalt nicht zustimmen. Wir sagen Nein. ({13})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die FDP-Fraktion hat nun der Kollege Dr. h. c. Jürgen Koppelin das Wort. ({0})

Dr. h. c. Jürgen Koppelin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001180, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Man muss wirklich geduldig sein, um so eine Rede wie eben ertragen zu können. ({0}) Ich will dazu nur Folgendes sagen: Eine Feuerversicherung kündigt man auch nicht, nur weil es seit Jahren nicht gebrannt hat; ({1}) das sei Ihnen ins Stammbuch geschrieben. In Anbetracht Ihres Verhältnisses zur Bundeswehr rate ich Ihnen: Besuchen Sie unsere Soldatinnen und Soldaten einmal und reden Sie mit ihnen. ({2}) Ich glaube, dann kommen Sie zu anderen Erkenntnissen. ({3}) Lassen Sie mich als Hauptberichterstatter erst einmal etwas Positives sagen. Hier werden die unterschiedlichen Auffassungen der Fraktionen vorgetragen; das ist in einer solchen Debatte völlig in Ordnung. ({4}) Insgesamt ist allerdings festzustellen - das wurde in den Berichterstattergesprächen, bei denen Sie ja nicht dabei waren, deutlich -, dass alle Fraktionen zur Bundeswehr stehen und der Auffassung sind: Wir brauchen eine moderne und leistungsfähige Bundeswehr. Ich finde, das sollten unsere Soldaten wissen; denn das ist trotz aller Unterschiede, die es gibt, ausgesprochen positiv. Dass wir über einzelne Details streiten, hat also nichts mit unseren Soldatinnen und Soldaten oder mit der Bundeswehr zu tun. Alle Fraktionen - natürlich außer den Linken - wissen, dass wir unsere Bundeswehr immer wieder befähigen müssen, in Krisensituationen für die Friedenssicherung und im Sinne der Humanität eingesetzt zu werden, auch im Interesse und im Auftrag der Völkergemeinschaft; diesen Aspekt haben Sie in Ihrem Redebeitrag vergessen. Auch ich möchte an dieser Stelle unseren Soldatinnen und Soldaten, die im Auslandseinsatz sind, unseren Respekt bekunden für ihren Einsatz, der nicht einfach ist. ({5}) Wir müssen - ich sage das wie meine Vorredner, außer natürlich denen von den Linken - diesen Respekt immer wieder bekunden; denn die Soldatinnen und Soldaten sind draußen im Einsatz, weil wir hier im Deutschen Bundestag das so entschieden haben. ({6}) Daher verfolgen wir sehr intensiv, wie es unseren Soldatinnen und Soldaten geht, auch menschlich; ich komme gleich noch darauf zurück. Ich möchte auch den Bundeswehrangehörigen im Inland, den Soldatinnen und Soldaten, aber auch den Zivilangehörigen, unseren Dank aussprechen. ({7}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben uns bei den Haushaltsberatungen intensiv mit der Situation der Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr - im Ausland wie im Inland - beschäftigt. Ich finde es nicht nur interessant und völlig in Ordnung, sondern auch sehr richtig, dass der Wehrbeauftragte für unsere Soldaten in Auslandseinsätzen mehr menschliche Unterstützung eingefordert hat. Nach den Berichterstattergesprächen kann ich nur sagen: Alle Fraktionen hier - außer den Linken; die haben sich daran nicht beteiligt - sind der Auffassung: Wir müssen da etwas tun. Vor allem müssen wir uns um die Soldatinnen und Soldaten kümmern, die vom Auslandseinsatz zurückkehren. Einen Einsatz in Afghanistan steckt man nicht so einfach weg, der bleibt manchen präsent, sodass sie Betreuung benötigen.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollege Koppelin, gestatten Sie dem Kollegen Nouripour eine Frage?

Dr. h. c. Jürgen Koppelin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001180, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ja, selbstverständlich.

Omid Nouripour (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003881, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Kollege Koppelin, wir schließen uns Ihren lobenden Worten für den Wehrbeauftragten ausdrücklich an. Wir müssen anerkennen, dass der Kollege Polenz diese Worte längst aufgegriffen hat. Auch er hat den Wehrbeauftragten gelobt und dafür plädiert, dass Herr Robbe wegen seiner Kompetenz und wegen der Leistung, die er erbracht hat - alle Fraktionen sehen das -, doch im Amt bleiben möge. Könnten Sie uns erklären, warum Ihre Fraktion das anders sieht?

Dr. h. c. Jürgen Koppelin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001180, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ich glaube, dass Sie diese Frage nicht bei der Debatte über den Etat des Verteidigungsministers, sondern bei der Debatte über den Etat des Deutschen Bundestages hätten stellen sollen; denn der Wehrbeauftragte gehört zum Deutschen Bundestag, er untersteht dem Bundestagspräsidenten. Da hätte Ihre Frage hingehört. ({0}) Sie sollten sich ein Vorbild nehmen am amtierenden Wehrbeauftragten, der das in einer entsprechenden Weise honorig kommentiert hat; vielleicht lernen Sie von ihm noch etwas. ({1}) Wir haben in unserem Berichterstattergespräch auch die Mängel im Sanitätswesen angesprochen. Da ist etwas, was einen bei der Bundeswehr, egal wer Minister ist, sehr ärgert - das muss ich hier einmal deutlich sagen -: Es wird oft sehr spät gehandelt, und viele Probleme - das hat auch der Wehrbeauftragte so gesehen - werden schöngeredet. Man muss sich einmal die Frage stellen: Warum wird bei der Bundeswehr - wir haben das bei unseren Berichterstattergesprächen gemerkt - so vieles schöngeredet? Jeder meldet nach oben: Es ist alles bestens. - Die Soldaten haben anscheinend den Eindruck: Wer sich diesem System nicht anpasst, muss eventuell mit Schwierigkeiten rechnen; vielleicht fällt sogar die Beurteilung etwas schlechter aus. ({2}) Herr Bundesverteidigungsminister, ich kann Sie nur bitten: Sagen Sie der Truppe sehr deutlich: Jeder Soldat muss die Möglichkeit haben, Mängel beim Namen zu nennen und dies weiterzugeben. ({3}) Ohne ins Detail zu gehen, Herr Minister, sage ich auch: Jeder Soldat sollte nicht nur die Möglichkeit haben, sich an den Wehrbeauftragten zu wenden, sondern auch direkt an Sie. ({4}) Wenn ich schon dabei bin, Herr Minister: Vielleicht gilt das auch für Truppenbesuche. Ich weiß, wie so etwas abläuft; ich habe schon an solchen Veranstaltungen teilgenommen. Es sollte nicht nur alles positiv, im NATO-olivgrünen Bereich gesehen werden - vor allem wenn man mit Pressetrupp da ist, kommt kaum Kritik -, man sollte auch einmal hinter die Kulissen schauen. Ich muss einen Punkt ansprechen, der mich immer wieder ärgert - ich spreche diesen Punkt seit Jahren an; ich mache diesen Etat ja nun schon seit vielen Jahren -: In Zeitschriften wie Bundeswehr aktuell wird immer alles positiv dargestellt. Auch in der Ausgabe vom 22. Februar über das Sanitätswesen ist alles nur positiv dargestellt. Wer den Bericht des Wehrbeauftragten liest, weiß, dass es tatsächlich etwas anders ist. Vielleicht sollte so eine Zeitschrift, die an die Soldatinnen und Soldaten verteilt wird, auch einmal kritische Dinge aufgreifen. Ich glaube, dass täte unseren Soldatinnen und Soldaten gut. Das wäre mein Wunsch an Ihr Haus, Herr Minister: dass diese Zeitung nicht nur mit Fotos des Ministers oder der Staatssekretäre dekoriert wird. ({5}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Haushaltsberatungen haben gezeigt, dass die Koalitionsfraktionen die Beschaffungsmaßnahmen wie angekündigt auf den Prüfstand stellen. Die meisten Beschaffungsmaßnahmen, über die wir reden und mit denen wir uns teilweise herumschleppen und bei denen wir Mühe haben, die Finanzierung sicherzustellen, kommen noch aus rot-grüner Zeit. Ich nenne einige Beispiele: Da gibt es das MEADS, das taktische Luftverteidigungssystem. Damit plagen wir uns seit Jahren herum. Das war ein Produkt aus rot-grüner Regierungszeit. Ich weiß allerdings, dass damals die Haushaltspolitiker und die Verteidigungspolitiker der Grünen gegen dieses Projekt waren. Wir haben hier Debatten gehabt. Wir als FDP haben auch Anträge gestellt. Ich muss dem einen oder anderen, der neu im Parlament ist, vielleicht einmal sagen, wie das damals ablief. Die Abgeordneten waren dagegen. Dann gab es einen Rüffel von Gerhard Schröder, und es tagte der Parteirat in der Besetzung Roth, Höhn, Bütikofer, Volker Beck und Trittin. Es wurde beschlossen: MEADS wird angeschafft. Das machen wir. - So ist das damals gelaufen. Heute plagen wir uns damit herum. Wir wollen aus MEADS aussteigen. Ich freue mich, dass ich hier sagen kann: Auch der Bundesminister der Verteidigung, der Herr zu Guttenberg, sieht dieses Projekt kritisch. Wir wollen daraus aussteigen. Vielleicht freut das die Grünen, dass es nach so vielen Jahren dazu kommt. Allerdings ist viel Geld verbrannt worden. Das Transportflugzeug A400M ist ebenfalls ein Produkt aus rot-grüner Regierungszeit, mit dem wir uns jetzt beschäftigen müssen. Hätten Sie die Verträge doch bloß besser formuliert! ({6}) Ich erinnere mich an heftigste Debatten hier im Parlament. Ich bin von Anfang an dabei gewesen. Kollege Bonde, da waren Sie noch gar nicht im Parlament. CDU/ CSU und FDP gingen sogar zum Verfassungsgericht, weil dieser Vertrag Mist war. Jetzt plagen wir uns immer noch damit herum. ({7}) Das ist die Krux. Sie haben am Anfang 90 Flugzeuge bestellt; die Grünen haben die Hand dafür gehoben. Dann kam Gott sei Dank der Verteidigungsminister Struck, der den Scharping ablöste und sagte: Das können wir gar nicht bezahlen. ({8}) Da kam es zur Bestellung von 60 Flugzeugen. Wir als FDP haben immer gesagt, dass 50 völlig reichen. Der Rechnungshof hat 40 Stück für völlig ausreichend gehalten. Wir wollen das Transportflugzeug, aber den Schlamassel, den wir jetzt damit haben, haben Sie uns eingebrockt. ({9}) Wir versuchen jetzt, den Schaden zu begrenzen, auch für den deutschen Steuerzahler. Hier wurde kritisiert, dass wir, der Kollege Willsch und ich, heute einen Änderungsantrag dazu eingebracht haben. Das hat mit Haushaltswahrheit und -klarheit zu tun. Deswegen mussten wir diesen Änderungsantrag einbringen. Das werden Sie vielleicht nicht verstehen, weil Sie sich nicht mehr so intensiv damit beschäftigen; Sie sind eben nicht mehr in der Regierung, und das ist auch okay so. Wir mussten so vorgehen. Das hat mit Haushaltswahrheit und -klarheit zu tun. Ich nenne das nächste Projekt, das IT-Projekt Herkules, ebenfalls ein großes Projekt aus rot-grüner Regierungszeit, ein Milliardenprojekt, das kaum noch in den Griff zu bekommen ist. Ich sage hier klar: Auch das hat uns Rot-Grün in dieser Form eingebrockt. Milliarden hat das schon gekostet. Ich sage für die FDP: Mehr Geld gibt es dafür nicht. Wir haben schon so viel Geld hineingesteckt; mehr gibt es nicht. So sind wir weiter bereit, alles auf den Prüfstand zu stellen. Es geht immer nach folgenden Kriterien: Was ist das Beste für unsere Soldaten? Brauchen wir das für den Einsatz der Bundeswehr? Danach geht es. Alles andere zählt nicht. Die Zwischenfragen des Kollegen Kahrs haben mich nun wirklich gewundert; er weiß es ja besser. Im Haushaltsausschuss lobt er die FDP sogar und sagt: Was ihr alles von eurem Liberalen Sparbuch durchgesetzt habt! - Das ist auch so; das kann man nachlesen. Es kam nicht überraschend. Kollege Kahrs, Sie zitieren doch sonst immer das Liberale Sparbuch. Darin standen all die Anträge. Nun haben wir das umgesetzt, und nun jammern Sie. - Nein, Kollege Kahrs; Sie haben genug gefragt. Auch im Ausschuss haben Sie lange gesprochen. Damit machen wir heute ausnahmsweise einmal Schluss. Wir wollen Folgendes: Unsere Soldaten bekommen alles, was für den Einsatz notwendig ist. Dafür wollen wir die finanziellen Mittel effektiv einsetzen. Ich sage zum Schluss, auch als Hauptberichterstatter: Mein Eindruck war, dass alle Fraktionen das Beste für unsere Soldatinnen und Soldaten wollen. Darauf bin ich, auch als Demokrat in diesem Parlament, trotz aller Kontroversen stolz. ({10}) Nun wäre meine Redezeit eigentlich fast zu Ende, aber ich habe noch etwas zu sagen. Meine Kollegin Elke Hoff ist heute Morgen erkrankt. Ich wünsche ihr von hier aus alles Gute und übermittle die besten Genesungswünsche. Sie hat mir ihren Redeentwurf gegeben. Ich hoffe, dass ich noch ein bisschen daraus vortragen kann. Es ist, wie gesagt, jetzt also nicht meine Rede, sondern die der Kollegin Elke Hoff. ({11}) - Nein. Wenn eine Kollegin kurzfristig wirklich schwer erkrankt ist und ihren Redeentwurf weitergibt, dann sollte man so fair sein, zu akzeptieren, dass das jemand vorträgt. ({12}) Die Kollegin Elke Hoff begrüßt ausdrücklich, dass es Umschichtungen im Haushalt gegeben hat. Sie hat sich intensiv mit dem Thema der posttraumatischen Belastungsstörungen unserer Soldaten befasst. Wir sollten endlich ein echtes Behandlungszentrum bekommen. Das ist ein Schwerpunkt ihrer Arbeit gewesen. Ich kann nur sagen: Alle Achtung! Wir bekommen das jetzt hin. Die Kollegin Hoff hat sich genauso intensiv für die Sonderprogramme zur Kasernensanierung West eingesetzt. Die Verbesserung der Vereinbarkeit von Familie und Dienst war ein weiterer Schwerpunkt der Arbeit meiner Kollegin. Ich kann nur sagen: Wir haben das mit dem Haushalt durchgesetzt, und ich bin sehr froh darüber. Genauso froh bin ich darüber, dass sich im Haushalt die neue Afghanistan-Strategie der Bundesregierung wiederfindet. Das hat mir in der außenpolitischen Debatte heute, in der in Bezug auf den Außenminister herumgenölt wurde, wie der Norddeutsche sagt, ein bisschen gefehlt; das sage ich ganz offen. Endlich gibt es im Bereich Afghanistan neue Aktivitäten. Andere Regierungen vor uns haben das nicht geschafft. Das hat der Außenminister gemacht, und das macht diese Regierung. Darauf bin ich als jemand, der den Einsatz sonst immer sehr kritisch gesehen hat, ein bisschen stolz. Genauso stolz bin ich darauf, dass uns jetzt ein Attraktivitätskonzept vorgelegt wurde; auch das finde ich in Ordnung. ({13}) Herr Minister, wir verlangen und wünschen, dass das zügig umgesetzt wird. Auch das ist ein Wunsch meiner Kollegin Elke Hoff. Ich komme zu W6. Sie kennen die Vorstellung der Freien Demokraten. Wir sind der Meinung - daran halten wir politisch auch fest -, dass die Wehrpflicht abgeschafft gehört. Die Wehrpflicht hat ausgedient. Hier haben wir uns in der Koalition nicht durchgesetzt. Jetzt gibt es den W6-Kompromiss. ({14}) Im Interesse der Wehrpflichtigen und der Bundeswehr wollen wir das nun so sinnvoll wie möglich ausgestalten. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich sage an dieser Stelle - das ist auch immer das Anliegen meiner Kollegin Hoff gewesen, und das bleibt es auch weiterhin -: Vorrang haben die Soldatinnen und Soldaten, die Angehörigen der Bundeswehr, auch die Zivilangehörigen, ob sie hier im Inland sind, oder ob sie im Ausland sind. Ich kann aus Zeitgründen nicht mehr alles vortragen, was mir die Kollegin Hoff in ihrer Rede vorgelegt hat, ({15}) aber es ist vielleicht eine ganz gute Gelegenheit, meiner Kollegin Hoff einmal ganz herzlich für ihren Einsatz für die Bundeswehr zu danken. Sie ist eine unglaublich engagierte Anwältin für unsere Bundeswehr, und dafür hat sie unseren großen Dank verdient. Herzlichen Dank für Ihre Geduld. ({16})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollege Koppelin, ich habe mir fest vorgenommen, nachzuforschen, ob es das schon einmal gegeben hat, dass zwei Reden in einer Rede gehalten wurden. ({0}) Jetzt hat der Kollege Alexander Bonde für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort. ({1})

Alexander Bonde (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003509, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich darf der Kollegin Hoff im Namen meiner Fraktion ganz herzliche Gesundheitswünsche ausrichten. Richten Sie ihr aus: Ihre Reden gefallen uns allerdings besser, wenn sie sie vorträgt, als wenn der Kollege Koppelin aus ihnen zitiert. ({0}) Ich will vorneweg sagen, dass ich irritiert darüber bin, dass wir in dieser Debatte eine Besonderheit erleben, die ich bei Haushaltsberatungen noch nicht erlebt habe, nämlich dass die Bundesregierung in der Schlussberatung eines Haushaltes kneift. ({1}) Die Bundesregierung ergreift das Wort nicht und äußert sich nicht zu Veränderungen in ihrem Haushalt, und das in der außergewöhnlichen Situation, dass es in diesem Haushalt durch den Antrag der Koalitionsfraktionen um kurz vor zwölf zu einer Veränderung bei den Verpflichtungsermächtigungen im Umfang von 500 Millionen Euro gekommen ist. Herr Minister, ich fordere Sie auf: Nehmen Sie zu diesem Haushalt Stellung! Stellen Sie sich hier vorne hin und erklären Sie dem Parlament und den Steuerzahlerinnen und Steuerzahlern, welche Veränderungen in diesem Einzelplan Sie aufgrund Ihrer Verhandlungen mit Airbus über den A400M last minute zu verantworten haben. ({2}) Es geht nicht, hinten auf der Bank zu sitzen und zu schweigen. Das, was hier als Verbeugung vor dem Parlament bezeichnet wird, ist kein Verbeugen, sondern ein Wegducken. Das ist Ihnen nicht angemessen, Herr Minister. ({3}) Wir reden hier über einen Haushalt, der sehr durch unterschiedliche Entscheidungen geprägt ist. Dieser A400M ist eines der großen Rüstungsprojekte. Hinsichtlich dieses Projekts hat Herr Koppelin hier eine interessante Geschichtsklitterung versucht. Das ist ein Projekt, für das es einen klaren Vertrag gibt und das in der Amtszeit des Vorgängers von Herrn zu Guttenberg aus dem Ruder gelaufen ist. Das kreide ich Herrn zu Guttenberg nicht an. Obwohl es einen klaren Vertrag, klare Leistungsbeschreibungen und einen klaren Preis gab, sagt das Unternehmen jetzt: Es ist jetzt irgendwie nicht so, dass wir liefern können. - Es hält die Hand auf und sagt: Kohle her! Man könnte denken, dass die Bundesregierung sagt: Vertrag ist Vertrag. - Das ist aber eine Bundesregierung - und das liegt jetzt im Verantwortungsbereich des Ministers -, die sich auf Verhandlungen eingelassen hat und die der Industrie, die ausweislich der Gutachten, die der Minister selber in Auftrag hat geben lassen, gepfuscht hat und alleine verantwortlich ist für massive Kostensteigerung und für ein Fehlmanagement im gesamten Projekt, jetzt zusätzliche Milliarden Euro hinterherwirft. Ich finde schon, dass Sie das erklären müssen. Man kann nicht einfach schweigend auf der Bank sitzen. ({4}) Ich möchte einmal erwähnen, was Sie alles verabredet haben: Zusatzkosten bzw. Minderleistungen von 2 Milliarden Euro bedeuten für Deutschland Kosten in Höhe von 667 Millionen Euro. Ein Exportkredit über 1,5 Milliarden Euro bedeutet für Deutschland Kosten in Höhe von 500 Millionen Euro. An dieser Stelle ist es spannend, dass das Bundesfinanzministerium, vertreten durch den Staatssekretär, schreibt, es sehe … eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass der Bund bei Absicherung eines bedingt rückzahlbaren Kredits in Anspruch genommen wird. Das heißt, nach Einschätzung der Bundesregierung gehen Sie mit diesen 500 Millionen Euro ein massives Risiko für den Bundeshaushalt ein. Gleichzeitig erklären Sie uns aber seit Wochen, dass das alles schon irgendwie kostenneutral zu machen sei. Jetzt, wo die Mehrkosten für die Steuerzahler auf dem Tisch liegen, sitzen Sie dort hinten und trauen sich nicht, nach vorne zu treten und uns zu sagen, dass Sie dem Unternehmen bewusst Subventionen zahlen und die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler wieder einmal das Säckel aufmachen müssen, ohne etwas dafür zu bekommen. ({5}) Es geht noch weiter. Sie sagen nämlich auch nicht, dass Sie auf milliardenschwere Vertragsstrafen verzichten, die Deutschland aufgrund des wasserdichten Vertrags zustünden, den Sie jetzt ohne Not ändern. Sie erklären nicht, dass die sogenannte Preisgleitklausel geändert wird, dass also die Firma aufgrund Ihrer neuen Vereinbarung in den künftigen Jahren zusätzliche Preissteigerungen auf die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler abwälzen kann. Sie ziehen außerdem Vorauszahlungen vor. Das bedeutet, dass der Bund zusätzlich millionenschwere Zinsverluste erleidet, wobei die Sanktionsmöglichkeiten im Zuge der nächsten Fehl- oder Schlechtleistungen noch geringer sind. Sie müssten sich dann erneut von der Industrie erpressen lassen. Ich finde, dass das ein ordnungspolitisches Versagen ist. Der Ordnungspolitiker Guttenberg duckt sich nach einem solchen Verhandlungsergebnis zu Recht. Er sagt nichts dazu, weil das mit Ihrer wirtschaftspolitischen Ansage überhaupt nichts mehr zu tun hat. Es hat auch mit der Ansage der Bundesregierung an die Vereinigten Staaten in Sachen WTO und unfairen Subventionen der amerikanischen Luftfahrtfahrtindustrie gegenüber der europäischen Luftfahrtindustrie nichts zu tun. Sie vollziehen hier genau dasselbe! ({6}) Es spricht auch nicht für die handwerklichen Fähigkeiten der Bundesregierung, dass Sie wochenlang nicht einmal gemerkt haben, dass Sie Verpflichtungsermächtigungen brauchen. Dieses ganze Schauspiel hat deutlich gemacht, dass diese Regierung sich nicht traut, den Leuten reinen Wein einzuschenken. Herr Minister, Sie sind Teil dieses Problems. ({7})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Henning Otte für die Unionsfraktion.

Henning Otte (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003821, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Haushalt 2010 stellt eine finanzpolitische Herausforderung dar. Das gilt insbesondere für den Einzelplan 14, also den Verteidigungshaushalt. Dieser Haushalt steht im Bewusstsein der Auswirkungen der internationalen Wirtschafts- und Finanzkrise, der notwendigen Haushaltskonsolidierung und der anstehenden Schuldenbremse. Er steht aber vor allem in dem Bewusstsein, unseren Soldatinnen und Soldaten alle notwendigen Mittel und Leistungen zur Verfügung zu stellen, die sie zur Erfüllung ihres Auftrages benötigen. Diese Verpflichtung ist für die christlich-liberale Koalition eine Selbstverständlichkeit. ({0}) Trotz der Einsparungen in Höhe von 32 Millionen Euro gegenüber dem Regierungsentwurf ist es der Regierungskoalition gelungen, die notwendigen Investitionen und Versorgungsleistungen für unsere Bundeswehr sicherzustellen und zu verbessern. Wir sind überzeugt, dass unsere Bundeswehr ein verlässlicher und attraktiver Arbeitgeber bleiben muss. Für die CDU/CSU-Fraktion steht das Wohl unserer Soldatinnen und Soldaten sowie der zivilen Mitarbeiter, denen wir für ihren Dienst und Einsatz im Inland und Ausland danken, im Zentrum ihrer Verteidigungspolitik.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollege Otte, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Kahrs?

Henning Otte (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003821, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Nein. Ich möchte erst einmal fortfahren. Mit der richtigen Schwerpunktbildung der Mittelverwendung in Höhe von 31,1 Milliarden Euro werden die wichtigsten Zukunftsprojekte bei Personal, Ausrüstung und Unterbringung realisiert. Mit dem neuen Schützenpanzer Puma, der erstmalig in diesem Etat veranschlagt wurde, verfügt das Heer in der Zukunft über ein leistungsfähiges und hochgeschütztes Gefechtsfahrzeug für den Einsatz in allen denkbaren Szenarien. Mit dem A400M steht unserer Armee zukünftig ein neues Transportflugzeug zur Verfügung. Es war richtig, dass wir auf der Erfüllung dieses Vertrages bestanden haben. Ich verstehe die Aufregung insbesondere der Fraktion der Grünen nicht. Alle Daten sind zeitgerecht in den Haushalt eingebracht. Haushaltsklarheit und -wahrheit sind gegeben, was von besonderer Bedeutung ist, wenn man den Haushalt mit den Haushaltsberatungen unter Rot-Grün und Minister Eichel vergleicht. ({0}) Wesentliche Großprojekte, die Sie vertraglich abgeschlossen haben, binden uns und erschweren unsere Haushaltsfindung. ({1}) 15 Milliarden Euro fließen insgesamt als Aufträge in die Industrie. 75 Prozent davon werden an mittelständische Unternehmen weitergereicht. Auch dies ist ein Beitrag zur Stabilisierung und Sicherung von Arbeitsplätzen in Deutschland. Für die CDU/CSU als Mittelstandspartei ist dies von besonderer Bedeutung. Die Wirtschaft muss jedoch alles daransetzen, dass die Auslieferungen zeitgemäß erfolgen und ein verzögerter Zulauf wie beim NH90 unterbleibt. Verträge müssen eingehalten werden. Unsere Truppe braucht die neuen Systeme, und unsere Industriepartner müssen in der Lage sein, diese Systeme zu liefern. Wir werden als CDU/CSU-Fraktion nicht nachlassen, die Auslieferung der Systeme und damit auch die Vertragserfüllung einzufordern. Liebe Kolleginnen und Kollegen, als Vertreter eines Wahlkreises mit mehreren Bundeswehrstandorten weiß ich sehr genau um die Empfindungen, Sorgen und Nöte unserer Soldaten. Meiner Fraktion war es daher sehr wichtig, dass der Problematik der posttraumatischen Belastungsstörung endlich konkret mit der Einrichtung eines Zentrums für PTBS begegnet wird. Wir sehen das auch als Ausdruck von Fürsorge und Verantwortung gegenüber unseren Einsatzkräften. Verehrter Kollege Brinkmann, lassen Sie sich von Ihren Kollegen aus dem Verteidigungsausschuss aufklären: Dies war ein gemeinsamer Antrag aller Fraktionen. Es ist nicht angemessen, das jetzt parteipolitisch ausschlachten zu wollen. ({2}) Wir müssen die Bundeswehr in die Lage versetzen, eine moderne und familiengerechte Arbeitswelt zu schaffen. Auch die Bundeswehr muss die Vereinbarkeit von Dienst und Familie so gestalten, dass sie als Arbeitgeber insbesondere für junge Menschen attraktiv bleibt. Die Nachwuchsgewinnung insbesondere unter Berücksichtigung der Umgestaltung auf W6 ist ein Schlüsselaspekt für die Zukunft unserer Truppe. Der Antrag der CDU/CSU- und der FDP-Fraktion auf Erarbeitung einer Organisationsstruktur ist ein weiterer richtiger Baustein zur stetigen Modernisierung und Effizienzsteigerung unserer Bundeswehr. Eine verlässliche Verteidigungs- und Sicherheitspolitik, welche die innere und äußere Sicherheit Deutsch2794 lands gewährleistet, kostet Geld. Sie ist nicht zum Nulltarif zu bekommen. Die Ausführungen von Frau Höger von der Fraktion Die Linke finde ich sehr erschreckend. Mit Ihrer Einstellung, Frau Höger, und Ihrem Selbstverständnis, auch unserer Bundeswehr gegenüber, sollten Sie sich fragen, ob Sie als Mitglied des Verteidigungsausschusses überhaupt dem Wohl unserer Soldatinnen und Soldaten dienen können. ({3}) Nach Art. 87 a Grundgesetz ergeben sich die Stärke und die Grundzüge der Organisation der Streitkräfte aus dem Haushaltsplan. Daraus ergibt sich die Verpflichtung, die Streitkräfte so auszurüsten, dass sie ihre Pflichten effektiv wahrnehmen können. Als Reaktion auf die aktuelle fiskalische Lage hat der Inspekteur des Heeres das System Gepard aus der Verwendung genommen. Kollege Willsch hat darauf hingewiesen. Flugstundenobergrenzen wurden abgesenkt. Damit wird deutlich, dass unsere Bundeswehr zielgerichtet einen Beitrag zur Einsparung vornimmt. Es wird aber auch deutlich, dass wesentliche Einsparungen im Verteidigungsetat nur noch dann möglich sind, wenn wir in die Substanz eingreifen. Als Parlament müssen wir sicherstellen, dass unsere Bundeswehr erstens ihren verteidigungspolitischen Auftrag erfüllen kann, ({4}) - auch am Hindukusch -, zweitens die Verpflichtungen im Bündnis wahrnehmen kann, drittens den Transformationsprozess fortführen kann, viertens den besten Schutz für Leib und Leben unserer Soldaten insbesondere im Einsatz zur Verfügung hat und fünftens weiterhin ein attraktiver Arbeitgeber für Wehrdienstleistende, Zeit- und Berufssoldaten und zivile Mitarbeiter bleibt. Unter Berücksichtigung dieser Aufgaben stelle ich zusammenfassend fest: Die im Haushalt 2010 der Bundeswehr zur Verfügung gestellten Mittel können nur als knapp bezeichnet werden. Sie verpflichten das Bundesministerium der Verteidigung und die Politik zu einer klaren Priorisierung der Projekte. Von höchster Priorität sind dabei die einsatzrelevanten Belange. Ich erwarte, dass das Ministerium den Konsolidierungsbeitrag so umsetzt, dass die Einsparungen auf keinen Fall die sich im Einsatz befindenden Soldaten treffen. Sie brauchen die gesamtverfügbare Unterstützung des BMVg und dieses Hauses. Wer Soldaten in den Einsatz entsendet, muss ihnen auch die notwendigen Mittel zur Verfügung stellen. Das ist eine klare Haltung der CDU/CSU-Bundestagsfraktion. ({5}) Ich bin Ihnen, sehr geehrter Herr Minister zu Guttenberg, sehr dankbar dafür, dass Sie als Verteidigungsminister zu jeder Zeit hinter unseren Soldaten stehen. Unsere Soldaten leisten täglich einen schwierigen und gefährlichen Dienst zum Wohle Deutschlands. Sie verdienen den Rückhalt des gesamten Deutschen Bundestages. Vielen Dank. ({6})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Bevor ich das Wort zu einer Kurzintervention erteile, möchte ich aus § 27 Abs. 2 unserer Geschäftsordnung zitieren, damit wir dann eine Verabredung für den weiteren Verlauf unserer Debatte haben: Im Anschluss an einen Debattenbeitrag kann der Präsident - ich füge hinzu: die Präsidentin das Wort zu einer Zwischenbemerkung von höchstens drei Minuten erteilen; der Redner darf hierauf noch einmal antworten. Das heißt - das entspricht auch unserer Praxis und Verabredung -, es gibt kein Grundrecht auf Kurzinterventionen, wenn Zwischenfragen durch den Redner nicht erlaubt werden. Kollege Kahrs, ich erteile Ihnen daher heute das letzte Mal das Wort zu einer Kurzintervention im Verlauf dieser Debatte. ({0})

Johannes Kahrs (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003157, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Man muss zumindest darauf erwidern, wenn hier ein bisschen geschwindelt wird. - Den Kollegen Jürgen Koppelin lasse ich dabei heute einmal aus, auch wenn er der Schuldige ist. Der Kollege von der CDU/CSU hat gesagt - jedenfalls habe ich ihn so verstanden -, man habe nur um 23 Millionen Euro abgesenkt, und das sei halb so schlimm. Wir haben in diesem Parlament 226 Millionen Euro im Einzelplan on top für den Afghanistan-Einsatz beschlossen. Dann hat die Koalition, und zwar die Haushälter, in einer Nacht-und-Nebel-Aktion ohne Wissen des Ministeriums, des Ministers, des Staatssekretärs und der Berichterstatter im Verteidigungsausschuss beschlossen, diese Summe zu streichen, und hat das in der Bereinigungssitzung gegen die Stimmen der SPD zulasten der Truppe durchgesetzt. Dass Sie das eine mit dem anderen verrechnen, ist ein bisschen unredlich. Die Truppe hätte auf jeden Fall die Gelder, die für den Einsatz in Afghanistan bestimmt waren, bekommen. Sie haben die 450 Millionen Euro herausgenommen, die der Minister bzw. der Staatssekretär aus dem laufenden Haushalt einsparen muss. Sie sollten als Haushälter dann zumindest das, was Sie gegen die eigenen Fachpolitiker von CDU/CSU und FDP beschlossen haben, ehrlich eingestehen. Hier sind gegen jede Gepflogenheit 450 Millionen Euro aus dem laufenden Etat des Bundesministeriums der Verteidigung gestrichen worden. Der Minister konnte dazu gar nicht Stellung nehmen, weil er nicht wusste, wie er damit umgehen soll. Er kann schließlich nicht in laufende Verträge eingreifen. Herr Otte hat eben beklagt, dass Fahrzeuge vom Typ Gepard und Marder stillgelegt werden müssen. Das ist wirklich nicht schön. Aber das hat damit gar nichts zu tun. Die 450 Millionen Euro kommen nun on top. Das, was da gewesen ist, ist noch gar nichts im Vergleich zu dem, was jetzt kommt. Herr Otte, Sie haben das nicht zu verantworten, wohl aber die Kollegen im Haushaltsausschuss, die das unabgestimmt beschlossen haben. Ich finde, man muss deshalb zumindest im Parlament sagen, warum man Geld aus laufenden Verträgen streicht, wohl wissend, dass es nicht geht. Wir alle haben doch den Wehrbeauftragten gehört. Wir wissen um die Mängel bei der Sanitätstruppe. Wie sollen die behoben werden, wenn nicht durch Geld? Das Geld ist gestrichen worden, die Bundeswehr ist geschröpft worden, das Elend in diesem Jahr wird groß, und Sie werden das erklären müssen, obwohl ich zugebe, dass die Kollegen im Verteidigungsausschuss dafür nicht zuständig waren und es nicht zu verantworten haben. Trotzdem werden Sie das in Ihrer Partei und Ihrer Koalition klären müssen. So kann man weder mit der Opposition noch mit der Bundeswehr umgehen, vor allen Dingen nicht, wenn man ständig die Soldaten und ihren Einsatz lobt. Wenn man ihnen gleichzeitig das Geld wegnimmt, das notwendig wäre, damit sie ihren Einsatz vernünftig durchführen können, ist das unredlich. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Bitte.

Henning Otte (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003821, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Kollege Kahrs, ich verwahre mich gegen den Vorwurf, geschwindelt zu haben. Ich glaube, ich habe sehr offen gesagt, dass Einsparungen vollzogen worden sind und dass diese uns Verteidigungspolitikern das Leben nicht leichter machen. Ich weise aber auch darauf hin, dass Verteidigungspolitik insbesondere im Selbstverständnis des Verteidigungsausschusses eine gemeinsame Aufgabe ist. Ich habe ganz klar gesagt, dass wir eine Priorisierung verlangen und dass die einsatzrelevanten Belange zuallererst zufriedengestellt werden müssen. Die zusätzlichen 437 Millionen Euro für den einsatzbedingten Sofortbedarf sind ein Ausdruck davon. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Rainer Arnold für die SPDFraktion. ({0})

Rainer Arnold (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003029, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bisher haben alle Minister und Ministerinnen der Bundesregierung hier in den Haushaltsberatungen das Wort ergriffen. Sie, Herr Minister zu Guttenberg, pflegen das Image, jemand zu sein, der gern Klartext redet. ({0}) Es gäbe viele Themen, die schwierig und ernst sind - Wehrpflicht, Haushalt, Bericht des Wehrbeauftragten und manches andere mehr -, über die Sie heute reden könnten. Immer wenn es ernst und schwierig ist, wenn es nicht darum geht, Überschriften zu produzieren, sondern darum, substanzielle Debatten zu führen, dann tauchen Sie ab. Das tun Sie auch heute Nachmittag. Das finde ich deshalb sehr schlimm, weil wir spüren - der Bericht des Wehrbeauftragten sagt das deutlich -, dass die Fragen in der Truppe sehr ernsthafte und drängende sind. Es gibt auch Verunsicherungen in der Truppe. Die Bundeswehr bräuchte jetzt einen Minister, der in einer solchen Situation auch vor diesem Haus Orientierung gibt, statt zu irritieren. Das ist das Problem im Augenblick. Es ist nicht in Ordnung, dass Sie, Herr Minister, heute kneifen. So muss das zwangsläufig interpretiert werden. Lassen Sie mich zum ersten ernsten Thema kommen: zum Haushalt. Dazu wurde schon viel gesagt. Herr Kollege Otte, ich erinnere mich noch gut an Rot-Grün und Ihre Kritik daran, wie knapp der Bundeswehretat ist. Wir haben zusammen vier Jahre Verantwortung getragen, und wir waren uns immer einig: Dieser Bundeswehretat ist auf Kante genäht. Das heißt, sobald man hier weitere Stellschrauben anzieht, geht es an die Substanz. ({1}) Wir waren uns einig in den letzten Jahren, dass das nicht solide sein kann. Wir erinnern uns, wie Peter Struck mit solchen Themen umgegangen ist. Ich bekenne mich ausdrücklich dazu. Bei knappen Kassen werden die Bäume sicherlich nicht in den Himmel wachsen. Das gilt auch für den Bundeswehretat. Dass aber in einer Nacht-und-NebelAktion, ohne Absprache mit den Fachpolitikern ({2}) und ohne dass der Minister einbezogen wird, 456 Millionen Euro bei einer Armee im Einsatz einfach ratzfatz weggestrichen werden, dass Verpflichtungsermächtigungen erst vor wenigen Stunden nach einem mehr oder weniger giftigen Schriftverkehr zwischen zwei Staatssekretären geklärt wurden und die jetzt auch noch auf den Einzelplan 14 gelegt wurden, das hätten unsere Haushälter - das sage ich Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen vor allem von der CDU - mit uns Fachpolitikern nicht gemacht, weil wir anders miteinander umgehen, und auch mit Minister Struck hätte das kein Parlamentarier gemacht. ({3}) Nun werden hier merkwürdige Beispiele genannt. Das finde ich schon bemerkenswert. Herr Koppelin, Sie sagen, für Herkules gebe es nicht mehr Geld, aber Sie wollten, dass die Soldaten alles haben, was sie brauchen. Wenn Sie Herkules nicht seriös aufs Gleis setzen, dann gehen Sie zu den Soldaten und sagen ihnen, dass sie kein Telefon, keinen Computer und kein Netzwerk mehr haben! Das ist die Konsequenz. Dass Herkules mehr Geld braucht, hat - das werden Sie feststellen, wenn Sie sich wirklich damit befassen - in erster Linie etwas damit zu tun, dass es bei der Bundeswehr eine desolate Infrastruktur gab - das ist unstrittig -, die Rot-Grün übernommen hat, ja dass nicht einmal geklärt werden konnte, welche technische Infrastruktur im EDV-Bereich bei der Bundeswehr vorhanden ist. Das stellt man erst jetzt peu à peu fest. Dies ist die Wahrheit; dies sind die Fakten.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollege Arnold, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Koppelin?

Rainer Arnold (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003029, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr gerne.

Dr. h. c. Jürgen Koppelin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001180, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege Arnold, ist Ihnen der Beschluss aus der Zeit der Großen Koalition bekannt? Initiator war der Kollege Kahrs; alle Fraktionen im Haushaltsausschuss haben zugestimmt. Es ging um die Bonizahlungen bei Herkules und um ein paar andere Punkte. Im Haushaltsausschuss wurde der Beschluss gefasst: Wenn die Dinge nicht geklärt werden, steigen wir aus Herkules aus. Daran halte ich mich nur.

Rainer Arnold (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003029, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Diese Bonizahlungen sind geklärt. ({0}) - Langsam. - Wo der Kollege Kahrs recht hat, hat er recht. ({1}) Ein Management muss eigentlich daran gemessen werden, ob die Telefone und die Computer an den Arbeitsplätzen möglichst gut funktionieren. Dafür sollen Manager Boni bekommen und nicht für einen betriebswirtschaftlichen Ertrag, der umso höher ist, je weniger sie liefern. Kahrs hat recht: Diese Art Bonizahlungen ist völlig inakzeptabel. ({2}) Das habe ich als Verteidigungspolitiker übrigens erst vor wenigen Tagen wieder mit Vertretern des Managements besprochen. Sie sagten: Es gibt nicht mehr Geld. Ich sage Ihnen: Ohne mehr Geld im IT-Bereich - egal wohin es fließt - werden die Soldaten nicht das haben, was sie brauchen. ({3}) Herr Kollege Otte - Sie sind doch Fachpolitiker -, die Reduzierung der Flugstunden als ruhmreiche Einsparung zu bezeichnen, ist abenteuerlich. Nach NATO-Standards sind wir schon jetzt zahlenmäßig an der Grenze. Im Hinblick auf einen verantwortbaren Umfang an Übungsmöglichkeiten für Piloten gibt es keinen Spielraum nach unten mehr; schließlich geht es um eine Armee im Einsatz, die in Kunduz mit ihren Hubschraubern im Staub landen muss und mehr üben müsste als in der Vergangenheit. Ihre Auffassung kann also wirklich nicht richtig sein. Was wir bei dieser Kürzungsorgie erleben, ist ein Vorgeschmack auf die FDP-Ideologie - das wird in den nächsten Jahren noch deutlicher werden -: Steuersenkungen zugunsten weniger - das ist klar -, ein schwacher Staat. Das bedeutet weniger Kitaplätze und weniger Polizisten auf den Straßen. Die Soldaten in der Bundeswehr wissen natürlich, dass schwacher Staat darüber hinaus bedeutet: weniger Verantwortung für die Frauen und Männer, die bei der Bundeswehr ihren Dienst tun. ({4}) Eines ist klar: Mit diesem Haushalt, Herr Minister, übernehmen Sie die Verantwortung für Mängel wie die fehlenden geschützten Fahrzeuge, die fehlenden Wartungsstunden, die fehlenden Flugstunden, die fehlenden Übungsmöglichkeiten. Dies muss man ganz deutlich sagen. Lassen Sie mich ein weiteres Thema ansprechen. Es ist eine Debatte über die Wehrpflicht aufgeflammt. Der Minister hat die Randbemerkung gemacht, dass die Verkürzung der Wehrpflicht rückwirkend ab Oktober gelten soll. Eine Debatte darüber, was das wirklich bedeutet, wird aber nicht geführt, weder hier noch im Verteidigungsausschuss. So dürfen wir mit diesem Thema nicht umgehen. ({5})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Kollege, möchten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Otte zulassen?

Rainer Arnold (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003029, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Gerne.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Bitte schön.

Henning Otte (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003821, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Lieber Kollege Arnold, Sie haben den Brief des Inspekteurs des Heeres gelesen. Stimmen Sie mit mir überein, dass sich die Flugstunden auf die BO und auf die Bell, die nicht im Einsatz sind, und nicht auf die CH bezogen haben?

Rainer Arnold (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003029, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Es gilt für alle Flugzeugtypen, Herr Kollege, dass sie sich nach NATO-Standards im Grenzbereich befinden. Das gilt für die CH-53, für die BO und für die Bell. Es gilt für die geflügelten Flugzeuge. Es ist ganz klar: Die Reduzierung des Haushalts - der größte Teil entfällt auf Personalkosten; man ist an laufende Verträge gebunden geht zwangsläufig zulasten der Betriebskosten, und die Flugstunden sind ein wichtiger Faktor bei den BetriebsRainer Arnold kosten. 456 Millionen Euro weniger nehmen den Piloten zusätzliche Möglichkeiten, schränken sie also ein. Ich bitte Sie, das Problem nicht schönzureden. Das ist ein ernstes Problem. ({0}) Lassen Sie mich auf die Wehrpflicht zurückkommen. Herr Minister zu Guttenberg sagte dazu, die Opposition habe kein Konzept. ({1}) Ich möchte auf drei Probleme hinweisen: Erstens. Mit Ihrem Ansatz, die Wehrpflicht auf sechs Monate zu reduzieren und eine achtwöchige Schnellbleiche durchzuführen, lösen Sie keines der Probleme, die mit der Wehrpflicht verbunden sind. Ein einfaches Weiter-so bei der Wehrpflicht ist nicht angesagt. Dann gäbe es Probleme, zum Beispiel mit der Dienstgerechtigkeit. Minister Jung hatte zu Recht Angst vor dem Verfassungsgericht und hat deshalb viel mehr Wehrpflichtige eingezogen, als eigentlich geplant war. Sie erhöhen diese Zahl gar nicht signifikant. Dieses Problem lösen Sie also nicht wirklich. Zweitens. Natürlich empfinden die jungen Menschen - ihre Lebenswelt hat sich stark verändert, was Ausbildungs- und Studienplätze sowie die Berufswelt insgesamt angeht - die Einzugspraxis als nicht gerecht, sondern als eher zufällig. Das ist ein ernsthaftes Problem. Das dritte Problem ist die Frage der Legitimität der Wehrpflicht. Sie begründet sich laut unserer Verfassung ausschließlich aus der Verteidigung des Landes, zwar nicht unbedingt an den Grenzen, aber es muss sich eben um Verteidigung des Landes handeln. Davon ist doch stringent abzuleiten, dass es bei dem, was Wehrpflichtige bei der Bundeswehr in der Grundausbildung lernen und was sie da nachher tun, um soldatische Fähigkeiten und Fertigkeiten im engeren Sinne gehen muss. Jetzt erzählen Sie mir einmal, wie diese in acht Wochen vermittelt werden sollen. Es wird vielmehr so sein, dass die jungen Männer nachher in die Schreibstuben geschickt werden, um Fotokopierer und Laptops zu bedienen, oder als Pkw-Fahrer den Oberst durchs Gelände fahren oder im Lager als Logistiker arbeiten. Das werden deren Aufgaben sein. Das heißt, Sie nehmen, wenn Sie diesen Weg einschlagen, den Menschen, die die Wehrpflicht aus guten Gründen für angesagt und richtig halten, gute Argumente weg. Sie sagen, es gebe keine Alternative. Sozialdemokraten haben eine Alternative vorgelegt. Wir wollen bei der gesellschaftlich richtigen Ansage bleiben: Man kann nicht alles kaufen, und die Wahrnehmung von Verantwortung für Sicherheit in unserem Land ist eine gemeinschaftliche Aufgabe. Deshalb halte ich die Wehrpflicht für richtig. Lassen Sie uns zugleich jedoch die Freiwilligendienste insgesamt in allen Bereichen so attraktiv gestalten, dass auch die Bundeswehr genügend junge Menschen findet, die bereit sind, neun, zwölf oder wie viele Monate auch immer zur Bundeswehr zu kommen, und dort gerne ihren Dienst leisten. Wenn wir das gut machen, wird das auch gelingen. Schließlich verspielen Sie auch eine Chance. Ich glaube, die Wehrpflicht braucht einen breiten gesellschaftlichen Konsens. Das ist ganz wichtig. Deshalb möchte ich Ihnen dringend raten: Bevor Sie diesen Murks, der auf die Kappe der FDP geht, jetzt auch noch öffentlich verteidigen und als gut darstellen, gehen Sie lieber auf die Opposition, vor allen Dingen auf die Sozialdemokraten, die eine ernsthafte Alternative entwickelt haben, zu und lassen Sie uns nach einem Weg suchen, der die gute Idee der Wehrpflicht mit den Anforderungen aufgrund der Veränderungen in der Sicherheitspolitik kompatibel macht. Wir sind dazu bereit. ({2}) Das nächste ernsthafte Thema, bei dem ich eigentlich gehofft hatte, heute etwas dazu zu hören, ist nach wie vor das Thema Kunduz. Wir wollen das hier nicht vertiefen. Aber eines möchte ich schon noch einmal in Erinnerung rufen, Herr Minister. Die Kanzlerin hat in ihrer Regierungserklärung gesagt: Die lückenlose Aufklärung des Vorfalls … ist für mich und die ganze Bundesregierung ein Gebot der Selbstverständlichkeit. Die Bundeswehr wird mit allen zur Verfügung stehenden Kräften genau dazu beitragen. Wenige Tage nach diesem Abwurf der Bomben hat die Bundesregierung die interne Aufklärung des Vorfalls gestoppt unter Berufung auf die Argumentation, es gebe ja die NATO- und ISAF-Untersuchungen. Diese ISAF-Untersuchung liegt jetzt seit viereinhalb Monaten auf dem Tisch. Sie haben weder weitere eigene nationale Untersuchungen in Auftrag gegeben, noch hat die Bundesregierung den Vorfall so aufgearbeitet, dass sie der deutschen Öffentlichkeit sagen kann, wie sie ihn nun bewertet. Das ist ein schweres Versäumnis. Sie halten die Zusage, dass das aufgeklärt wird, nicht ein. ({3}) Die Erfüllung dieser Zusage kann man nicht einfach dem Untersuchungsausschuss übertragen. ({4}) Das ist nicht die Aufgabe des Ausschusses. Er hat die Aufgabe, die Regierung zu kontrollieren. Diese Aufgabe nehmen wir im Ausschuss sehr ernst. Darüber werden wir im Ausschuss miteinander noch spannende Gespräche führen. Die Bundesregierung muss der deutschen Öffentlichkeit sagen, was richtig gelaufen ist, was falsch gelaufen ist, und vor allen Dingen, welche Konsequenzen daraus gezogen werden. ({5}) Was um Himmels willen lernt man daraus, wenn so etwas Tragisches passiert? Solange Sie keine Antworten auf diese Fragen geben, müssen wir doch davon ausgehen, dass solche tragischen Ereignisse immer wieder passieren können. Deshalb bitten wir Sie dringend: Klären Sie hier auf! Lassen Sie mich am Ende noch einmal den Wehrbeauftragten erwähnen. Es gibt, wie ich glaube, zunächst einmal wirklich keinen Grund, jetzt einen neuen Wehrbeauftragten zu berufen. ({6}) Das Parlament hat in den letzten Jahren diesem Wehrbeauftragten vertraut; das ist überhaupt keine Frage. Er hat in seinem letzten Jahresbericht auf etwas Wichtiges hingewiesen, nämlich darauf, dass der Beruf des Soldaten kein Job und kein Beruf wie jeder andere ist und dass die Soldaten Respekt und Anerkennung verdienen. Das ist überhaupt kein Thema. Ich glaube, wir Parlamentarier müssen alle miteinander aufpassen, dass wir diese Verunsicherung bei der Truppe, die daher kommt, dass sie das Gefühl hat, sie würde nicht genügend Anerkennung finden, nicht noch durch unsere eigene Argumentation verstärken. Wir sollten auch nicht immer gleich der Presse auf den Leim gehen, die entsprechende Artikel schreiben will. Fakt ist: Die Verunsicherung in der Bundeswehr ist da, und wir dürfen sie nicht negieren. Wir müssen aber auch den Soldaten ein paar Dinge sagen. Das Erste ist: Kritik am Minister, an der politischen Verantwortlichkeit, ist weder Majestätsbeleidigung noch Kritik an den Soldaten. ({7}) Das Zweite ist ebenso wichtig: Wenn in Deutschland viele Menschen den Einsatz in Afghanistan kritisch bewerten, ist das ein Zeichen von demokratischer Kultur. Das heißt noch lange nicht, dass die Menschen der Bundeswehr nicht vertrauen. Sie vertrauen ihr trotzdem. Alle Umfragen bestätigen dies. Bundeswehr, Polizei und Feuerwehr genießen die höchste Anerkennung in der deutschen Gesellschaft, und das ist gut so. Darauf können die Soldaten und auch das deutsche Parlament stolz sein.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Kollege!

Rainer Arnold (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003029, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich komme zum Ende. - Ich füge als Randbemerkung hinzu: Journalisten und Parlamentarier liegen in diesem Ranking ganz weit hinten. Das ist sicherlich nicht immer gerecht. Meine Bitte ist also: Wir müssen mithelfen, die Zweifel, die Verunsicherungen bei den Bundeswehrsoldaten zu zerstreuen

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Kollege!

Rainer Arnold (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003029, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

- ja, ich bin fertig -,

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Gut.

Rainer Arnold (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003029, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

- indem man ihnen sagt: Eurer Arbeit gebühren unser Dank und unsere Anerkennung. Herzlichen Dank. ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Michael Brand ist der nächste Redner für die Unionsfraktion. ({0})

Michael Brand (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003742, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist jedem hier im Haus wie auch allen, die uns zuschauen, sehr bewusst, dass der Haushalt 2010 ein besonders schwieriger in einem besonders schwierigen Jahr ist. Ich sage das auch im Hinblick auf manche Zwischenfragen, Kurzinterventionen und sonstige Äußerungen hier im Plenum: Der Haushalt erfüllt die Grundpflicht, die Bundeswehr mit den notwendigen Mitteln auszustatten, und zwar im Sinne der Sicherheit unserer Soldatinnen und Soldaten und im Übrigen auch der Sicherheit unseres Landes. Lieber Herr Kollege Arnold, lieber Herr Kollege Kahrs, ich sage Ihnen sehr klar: Unterlassen Sie Ihre Krokodilstränen! Denn eins ist wahr: Das Geld ist knapp. Die SPD hat selbst Einsparungen gefordert. ({0}) Lieber Herr Kollege Arnold, das, was Sie gerade über Verunsicherungen gesagt haben, will ich Ihnen gerne zurückgeben. Sie versuchen hier, Verunsicherung zu schüren, indem Sie erstens dem Minister unterstellen, er wolle sich wegducken. Zweitens war Ihre Strategie in den vergangenen Wochen im Untersuchungsausschuss, einen Minister, der erfolgreich ist, der nah bei den Soldaten ist, verantwortlich zu machen für Ereignisse, die vor seiner Amtszeit lagen. Hören Sie damit auf, denn damit verunsichern Sie Soldaten! ({1}) Zu den generellen Rahmenbedingungen ist bereits viel gesagt worden. Zum Verteidigungshaushalt bleibt als zentrale Botschaft festzuhalten: Der Verteidigungsetat ist so sparsam wie möglich und stellt Mittel bereit, wo es nötig ist. Ich würde in den nächsten Minuten gerne auf einige Punkte eingehen, an denen der Minister in den letzten Tagen und Wochen erfolgreich gearbeitet und bei denen er gute Ergebnisse erzielt hat. Beim Haushalt 2010 geht es natürlich auch um die Frage: Wie wird eigentlich der nächste Haushalt, der Haushalt 2011, in schwieriger Zeit aussehen? Deswegen müssen Prioritäten gesetzt werden, wie Kollege Otte zu Recht gesagt hat. Der erste Punkt ist die Transformation einer Armee im Einsatz. Die Bundeswehr ist seit langem eine Armee im Einsatz und im Umbruch. Die Transformation der Bundeswehr bleibt ein komplexer Prozess. Wir als CDU/ CSU begrüßen nachdrücklich, dass der Bundesverteidigungsminister die Diskussion über die zukünftige Struktur der deutschen Streitkräfte eingeleitet hat, um Effizienz und Einsatzfähigkeit der Bundeswehr für die Zukunft zu sichern. Wir wissen um die Bedeutung der eingesetzten Strukturkommission, und wir bleiben als CDU/CSU, Kollege Nouripour, offen für eine sehr intensive Erörterung der Struktur mit allen, die sich der Sicherheit des Landes und der Einsatzfähigkeit der Bundeswehr verpflichtet fühlen. ({2}) - Herr Kollege Kahrs, manchmal nutzt es auch, zuzuhören statt nur zu rufen. ({3}) Der zweite Punkt ist die Wehrpflicht als Anker. Bei der Umsetzung der sechsmonatigen Wehrpflicht können wir erste Vorschläge verzeichnen - einige waren ja gestern Abend beim Reservistenverband -, was wir sehr begrüßen. Wehrpflichtige sollen eine moderne, intensive und in einem guten Sinne spannende, das heißt inhaltsreiche, Grundausbildung durchlaufen. ({4}) Skeptikern, Herr Kahrs, kann mitgeteilt werden: Das hat nichts mit Intensivpraktikum oder Abenteuer zu tun, sondern mit einer intensiven und fordernden Grundausbildung für einen sehr verantwortlichen Dienst. ({5}) Zehntausende junger Menschen, denen dieser Dienst jedes Jahr abverlangt wird, können sich sicher sein, dass sie mit ihrem Dienst und mit dieser Ausbildung einen sehr wichtigen Beitrag zur Sicherheit unseres Landes leisten. Wir als CDU/CSU bleiben dabei: An der Wehrpflicht wird nicht gerüttelt. Sie ist und bleibt ein legitimer und moderner Anker der Bundeswehr in der Bevölkerung. ({6}) Der dritte Punkt ist das Thema Beschaffung. Zu diesem Themenbereich ist festzuhalten, dass wir natürlich wissen, dass in Zeiten knapper Kassen nicht jede Beschaffung möglich ist, die auch wünschenswert wäre. Allerdings - auch das gehört dazu - gilt nach wie vor der Grundsatz: Was die Bundeswehr im Einsatz braucht, das muss sie und das wird sie auch weiterhin erhalten. Dass wir durch vordringliche Beschaffungsmaßnahmen die passive Schutzfähigkeit unserer Truppe in Afghanistan - Stichwort ist hier der Dingo; der Wehrbeauftragte hat dazu einiges in seinem Bericht gesagt - während des laufenden Einsatzes kontinuierlich steigern, ist dabei eine unabdingbare Notwendigkeit. Ich will zum vierten Punkt, zum Thema Afghanistan kommen. Lassen Sie mich wegen der Bedeutung dieses Themas einige Anmerkungen machen. ({7}) Ich möchte zunächst festhalten: Wir tragen als CDU/ CSU gemeinsam mit der großen Mehrheit des Hauses die Londoner Strategie der Verstärkung militärischer und ziviler Anstrengungen in Afghanistan voll mit. Dazu - lieber Herr Kollege Kahrs, nicht umdrehen und rufen, sondern zuhören - zählt auch der zusätzliche Kostenanteil, den die Aufstockung unserer Maßnahmen im Verteidigungsetat ausmacht. ({8}) Hier verwenden wir Steuergelder dazu, den Frieden in Afghanistan zu erreichen und die Übergabe der Verantwortung für Afghanistan an die Afghanen abzusichern. Das ist eine zentrale Voraussetzung dafür, dass wir nach dieser Übergabe unsere Truppen endlich abziehen können. Diesen Abzug wollen wir allerdings nicht überstürzt, sondern koordiniert und ehrenhaft vollziehen. Das heißt, wir wollen die Sicherheit der afghanischen Zivilbevölkerung in den Händen gut ausgebildeter afghanischer Sicherheitskräfte wissen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie mich eine weitere offene Bemerkung zu diesem nach wie vor sehr wichtigen Thema deutscher Sicherheitspolitik machen. Dass der Afghanistaneinsatz in vieler Hinsicht mehr Opfer gekostet hat, als dies zu Beginn abzusehen war, ist inzwischen allen klar geworden. Das gilt es, offen anzusprechen. Ich sage dies auch als Abgeordneter aus einem Wahlkreis, der zu Hause mit den Eltern von Verwundeten und Gefallenen dieses Einsatzes gesprochen hat. Dass die Menschen in unserem Land die Lage in Afghanistan als Krieg empfinden, kann ich gut nachvollziehen. Wenn hier jetzt ein völkerrechtlich anderer Begriff verwendet wird, ändert dies an der Einschätzung der Menschen nichts. Wenn es also so ist, dass die Menschen die Bundeswehr in Afghanistan im Krieg sehen, wie sie es sagen, dann hat dies für uns klare Konsequenzen. Eine Konsequenz ist, dass wir den Bürgern die Notwendigkeit eines militärischen Einsatzes und das Interesse unseres eigenen Landes an diesem Einsatz überzeugend erklären müssen. Ich bin dem Bundesverteidigungsminister sehr dankbar, dass er diese Aufgabe in vorderster Front übernimmt. Aber es ist auch die Auf2800 gabe des Parlamentes. Es geht für uns nicht nur darum, die Herzen und Köpfe der Afghanen vor Ort zu gewinnen, wie es die Strategie der Londoner Konferenz und der ISAF vor Ort ist. Es geht auch jeden Tag darum, die Zustimmung der Menschen hier zu Hause für einen Einsatz und zur Rückenstärkung für unsere Soldaten zu gewinnen. Auch ist die Initiative des Bundestages zur Nachbetreuung von kriegstraumatisierten Angehörigen der Bundeswehr ein klares Indiz dafür, dass wir längst bei einer realistischen Bewertung dessen angekommen sind, was sich in Afghanistan abspielt.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Brand, möchten Sie eine Zwischenfrage von Herrn Nouripour zulassen?

Michael Brand (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003742, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Zu ihm will ich jetzt kommen. Deswegen muss er leider zuhören. Er hat vorhin den Wehrbeauftragten angesprochen. In diesem Zusammenhang will ich sehr deutlich machen, dass alle Fraktionen diesen Weg nicht nur beschritten haben, sondern stark unterstützen. Das gilt auch für den Wehrbeauftragten. Lieber Kollege Nouripour, wir sollten nicht das kleine Karo ins Spiel bringen, wenn es um das Amt des Wehrbeauftragten geht. Ich will an dieser Stelle ausdrücklich sagen, dass der Wehrbeauftragte des Deutschen Bundestages, Herr Robbe, seinen Job ordentlich und gut gemacht hat. Ich denke, das kann man unumwunden so sagen. Lieber Herr Robbe, ich bin Ihnen sehr dankbar für das, was Sie in den letzten Jahren geleistet haben und was Sie in dieser Woche angesprochen haben. ({0}) - Nur die Schlussfolgerungen, Herr Kollege Nouripour, sind andere.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Kollege, Sie müssen jetzt zum Schluss kommen.

Michael Brand (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003742, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich komme zum Schluss. Es geht um das Thema Afghanistan. Der Deutsche Bundestag insgesamt ist stolz auf die Frauen und Männer, die in den Dörfern und Städten Afghanistans den zivilen Kräften mit ihrem Einsatz Schutz bieten und damit die zivile Entwicklung überhaupt erst möglich machen. Ich empfehle den Linken, bei dieser Passage besonders gut zuzuhören. Wir stehen hinter jedem Euro, den wir für die Frauen und Männer in diesem schweren und verantwortungsvollen Einsatz bereitstellen. Das wird auch unter schwierigen Rahmenbedingungen für den Haushalt 2011 gelten. ({0}) In diesem Sinne wünsche ich den Soldatinnen und Soldaten allzeit gute Hand, Sicherheit im Einsatz und immer eine gesunde Rückkehr. Vielen Dank. ({1})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Omid Nouripour ist der nächste Redner für Bündnis 90/Die Grünen.

Omid Nouripour (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003881, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir führen in dieser Woche eine relativ deprimierende Diskussion; es geht um den Haushaltsentwurf. Da erfreut man sich natürlich an jeder guten Nachricht, und eine gute Nachricht, die mich wirklich sehr gefreut hat, habe ich tatsächlich im Einzelplan 14 gefunden. Wir hatten im Verteidigungsausschuss die seltene Situation, dass alle Fraktionen Anträge zu posttraumatischen Belastungsstörungen eingebracht haben. Ich bin sehr froh und glücklich und werte es als Zeichen des Dankes und der Anerkennung für die Arbeit, die die Soldatinnen und Soldaten leisten, dass alle Fraktionen allen Anträgen zugestimmt haben. Das ist ein sehr richtiges Signal. Möge das so weitergehen. ({0}) Allerdings habe ich eine zweite Stelle im Einzelplan 14, bei der ich mich hätte freuen können, nicht gefunden. Wir haben jetzt eine neue Koalition, die am Anfang große Versprechungen gemacht hat, insbesondere der Minister. Die Stichworte sind bekannt: große Bundeswehrreform, Verkürzung des Wehrdienstes, bessere Ausstattung - das ist schon mehrfach genannt worden -, Transparenz und eine klare Sprache. Es ist aber nur eines klar: Das alles gibt es zumindest derzeit noch nicht. Herr Minister, Sie wissen, dass wir keine Probleme damit haben, Sie zu loben, wenn Sie Gutes tun. Aber bisher kenne ich nur Ankündigungen. Sie sind der Ankündigungsminister in diesem Kabinett. Konkretes gibt es bisher nicht viel. ({1}) Beispiel Bundeswehrreform. Im Koalitionsvertrag steht, dass es Strukturveränderungen in Organisation, Führung und Verwaltung geben wird; das ist recht umfangreich. Sie haben gesagt, dass es keine Tabus geben wird. Im Koalitionsvertrag steht, dass Vorschläge dazu bis Ende 2010 kommen werden. Ich habe im Februar nachgefragt, wie es denn aussieht. Die Antwort des Hauses entsprach dem Text aus dem Koalitionsvertrag, nur ein bisschen umgeschrieben. Wenn Sie Ihren Zeitplan tatsächlich einhalten wollen, werden Sie Ende dieses Jahres erheblich ins Schwitzen kommen und noch einiges an Tempo zulegen müssen, Herr Minister. Beispiel Verkürzung der Wehrpflicht auf sechs Monate. Das ist besonders spannend, und zwar nicht nur, weil wir Grüne der Meinung sind, dass die Wehrpflicht abgeschafft gehört, weil sie mit den Sicherheitsanforderungen des 21. Jahrhunderts und mit Wehrgerechtigkeit überhaupt nichts mehr zu tun hat, sondern vor allem deswegen, weil das so, wie Sie es machen wollen, überhaupt keinen Sinn ergibt. ({2}) Frau Hoff hat in einer Diskussion sinngemäß erklärt: Ihr müsst das verstehen. Wir konnten uns nicht durchsetzen. Also haben wir das Modell gewählt, das am ehesten dazu führt, dass die Union begreift, dass die Wehrpflicht keinen Sinn mehr hat. Dann wird sie am Ende ohnehin abgeschafft werden. - Das ist Subversion, und Subversion gehört nicht auf die Regierungsbank. ({3}) Herr Minister, Sie haben am Anfang dieser Woche angekündigt, das Konzept sei fertig und werde kommen. Heute haben Sie gesagt, die Einführung von W6 werde auf Oktober vorgezogen. Um 14.30 Uhr hat der Pressesprecher des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend gesagt, das sei nicht abgesprochen und noch nicht ausgemacht. Sie haben nebenbei außerdem erklärt, das Konzept komme aus Ihrem Hause und Sie seien enttäuscht, dass die Bundestagsfraktionen nicht daran mitgearbeitet hätten. Ein paar Tage vorher haben Sie das Angebot gemacht, dass wir uns mit dem Generalinspekteur über genau diese Frage unterhalten können. Wir haben dieses Angebot dankend angenommen. Das Gespräch fand gestern statt und war sehr offen und konstruktiv. Herzlichen Dank dafür. Ich weiß nicht, wann wir das hätten einbringen sollen, was Sie von uns eingefordert haben. Sie haben quasi zeitgleich gesagt: Bringt euch ein! Das Konzept ist fertig. Ihr habt euch nicht eingebracht. Das Konzept kommt. Das Konzept ist nicht da. Ich habe das Konzept nicht, das Parlament hat das Konzept nicht, und ich bin sehr gespannt, wie Sie das mit dem 1. Oktober 2010 hinbekommen wollen. Jedenfalls hat das mit Transparenz und Klarheit nichts zu tun. ({4}) Es hat auch nichts mit Informationspolitik zu tun, wenn es in Afghanistan eine Task Force 47 gibt, von der wir aus der Presse erfahren, es dann eine Unterrichtung gibt, in der uns erläutert wird, was dort eigentlich geschieht, dann über die Presse neue Details bekannt werden und es eine neue Unterrichtung gibt, in der uns bestätigt wird, was in der Presse steht. Es ist eigentlich nur ein hinter den Ankündigungen in der Presse Herrennen. Auch das hat mit Transparenz und Klarheit nichts mehr zu tun. Zur Beschaffung hat Kollege Bonde einiges gesagt. Herr Kollege Brand, Ihr Hinweis, dass wir alles für die Soldatinnen und Soldaten tun müssen, damit diese effizient arbeiten können, ist richtig. Ich will nur darauf hinweisen, dass die knapp 40 ausgemusterten Schutzfahrzeuge vom Typ Dingo in Afghanistan bisher nicht ersetzt worden sind, weil die Mittel fehlen. Jetzt überlegen Sie einmal, wie viele Hundert Dingos man von den Zusatzkosten, die für den A400M ausgegeben worden sind, hätte beschaffen können. Was derzeit passiert, hat mit dem Konzept „Vom Einsatz her denken“, mit einer angemessenen Beschaffung von Material für Soldatinnen und Soldaten und deren Schutz nichts zu tun. ({5}) Herr Robbe hat einen Bericht vorgelegt, in dem er viele Mängel genannt hat. Einige Mängel liegen schon länger vor - das ist bedauerlich -, aber ich bin sehr froh, dass Sie beharrlich geblieben sind und nicht aufgegeben haben. Es fehlen Ärzte und Piloten. Es gibt einiges zu tun. Herr Minister, wir würden uns wahnsinnig freuen, und wir versprechen weiterhin jede Unterstützung, wenn Sie sich dieser Themen annehmen. Wenn Sie nicht nur Ankündigungen machen, sondern auch konkrete Schritte vornehmen, dann haben Sie uns auf Ihrer Seite. Sonst können wir nur feststellen, dass es bei Ankündigungen bleibt. Das hat mit Klarheit und Transparenz nichts zu tun. Herzlichen Dank. ({6})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Thomas Silberhorn hat das Wort für die CDU/CSUFraktion. ({0})

Thomas Silberhorn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003636, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Verteidigungshaushalt bestimmt maßgeblich mit, wie wirksam wir unseren internationalen Verpflichtungen nachkommen können. Die Bundeswehr kann nur so leistungsfähig sein, wie es der Haushalt zulässt. Der Haushalt 2010 ist absolut auf Kante genäht. ({0}) Wir sind mittlerweile an einem kritischen Punkt angelangt, an dem wir uns ernsthaft die grundsätzliche Frage stellen müssen, welche verteidigungspolitischen Ziele wir künftig verfolgen wollen und welche Streitkräfte wir dazu brauchen. Die Bundeswehr ist eine Armee im Einsatz. Jedem dieser Auslandseinsätze liegt ein Mandat des Deutschen Bundestages zugrunde. Die Soldatinnen und Soldaten sind deshalb in den Einsätzen, weil wir sie dorthin entsenden. Deswegen ist es unsere Verantwortung, dafür zu sorgen, dass sie bestmöglich ausgerüstet und ausgestattet sind. Nicht nur mit Blick auf den vorliegenden Haushalt stellt sich die Frage, ob diese Entwicklung hin zu einer Armee im Einsatz mit all den damit verbundenen Konsequenzen tatsächlich schon vollzogen worden ist. Ausrüstung und Ausstattung der Bundeswehr müssen sich an den Einsatzerfordernissen orientieren und nicht umge2802 kehrt. Anders würden wir unserer Verantwortung als Parlamentarier für die Soldatinnen und Soldaten im Auslandseinsatz nicht gerecht. Eine Lehre aus den bisherigen Auslandseinsätzen der Bundeswehr ist, dass die Aufgabe, in instabilen Regionen selbsttragende Sicherheitsstrukturen zu schaffen, an Bedeutung gewinnt. Das gilt für die Piratenbekämpfung am Horn von Afrika und ebenso für Afghanistan. Ich meine, dass wir eine echte Fähigkeitslücke haben. Die Ausbildung lokaler Polizeikräfte vor Ort gehört nicht zu den Kernkompetenzen der Feldjäger der Bundeswehr, und internationale Polizeieinheiten sind oft nicht robust genug ausgestattet, um gegen Aufständische und Terroristen vorzugehen. Viele unserer Partnerstaaten in der Europäischen Union lösen diese Aufgabe mit Gendarmerieeinheiten. Nicht, dass ich danach rufen wollte, aber wir müssen ernsthaft überlegen, Fähigkeiten vorzuhalten, um Aufgaben einer Gendarmerie erfüllen zu können. Ob das eine Spezialeinheit der Bundespolizei sein sollte oder ob man die Funktion der Feldjäger erweitern sollte, mag dahingestellt sein. Wir müssen uns der Aufgabe als solcher annehmen. Im Übrigen bin ich der Meinung, dass jede Entsendung von Militär und von Polizei ins Ausland durch den Deutschen Bundestag mandatiert werden sollte. Auch darüber sollten wir nochmals nachdenken. Ich begrüße es, dass die Bundesanwaltschaft vor wenigen Tagen zu dem Zwischenergebnis gelangt ist, dass es sich in Afghanistan um einen nicht internationalen bewaffneten Konflikt im Sinne des Völkerstrafgesetzbuches handelt. Die Generalbundesanwaltschaft teilt damit die Bewertung, die bereits Bundesminister zu Guttenberg und die Bundesregierung vorgenommen haben. Damit müssen Angehörige der Bundeswehr, die im Auslandseinsatz unsere Aufträge ausführen, nicht länger befürchten, dass ihr Verhalten in bewaffneten Konflikten auf der Grundlage des deutschen Strafgesetzbuches beurteilt wird. Für genau diesen Zweck gibt es das Völkerstrafgesetzbuch. Es ist gut, dass es jetzt zur Anwendung kommen kann. Ich glaube auch, dass es ein wichtiger Fortschritt wäre, wenn wir unseren Koalitionsauftrag dahin gehend erfüllen würden, eine zentrale Zuständigkeit der Justiz zu schaffen, um Straftaten von Soldaten im Auslandseinsatz zu verfolgen. Das müssen wir zeitnah angehen. Es kann nicht angehen, dass bei Ermittlungen gegen Soldaten viel Zeit verstreicht und sich Strafverfolgungsbehörden monatelang in komplizierte militärische Sachverhalte einarbeiten müssen. Ich weise darauf hin, dass Bayern diesbezüglich vorangegangen ist ({1}) und zum 1. März dieses Jahres die Staatsanwaltschaft in Kempten mit der Wahrnehmung aller Strafverfolgungsverfahren gegen Soldaten im Auslandseinsatz beauftragt worden ist. Nachahmung ist empfohlen. Lassen Sie mich zur Debatte über die Wehrpflicht Stellung nehmen. Die Verkürzung der Wehrdienstzeit von neun auf sechs Monate ist ein zentrales Vorhaben aus unserem Koalitionsvertrag. Wir halten an der allgemeinen Wehrpflicht fest, weil sie die gesellschaftliche Verankerung der Bundeswehr sicherstellt und weil es so gelingt, qualifizierten Nachwuchs für die Bundeswehr zu gewinnen. Bereits heute werden über 40 Prozent der Berufs- und Zeitsoldaten durch den Wehrdienst für die Bundeswehr gewonnen. Das streben wir auch für den sechsmonatigen Wehrdienst an. ({2}) Wir werden hinsichtlich der Wehrgerechtigkeit übrigens eine spürbar bessere Situation bekommen; denn wir werden mit W6 mehr Wehrpflichtige einziehen können. Auch die demografische Entwicklung wird die Situation bei der Wehrgerechtigkeit deutlich verbessern. Ziel muss es sein, den Wehrdienst so auszugestalten, dass er für die Bundeswehr, aber auch für die Wehrpflichtigen ein echter Gewinn ist. Ich möchte einige Kriterien dafür nennen. Ich glaube, dass es besonders wichtig ist, dass dieser Wehrdienst in der Truppe stattfindet und nicht in separaten Einheiten. Wir müssen nach der Grundausbildung dafür sorgen, dass die Wehrdienstleistenden in einer Funktion bei der Truppe eingesetzt werden. ({3}) Ich würde es begrüßen, wenn es gelänge, mehr berufsrelevante Elemente in die Ausbildung zu übernehmen. ({4}) Ich rege an - ich bitte die Kolleginnen und Kollegen aus meiner Fraktion um Nachsicht, weil das eine sehr persönliche Bemerkung ist, die nicht abgestimmt ist -, die Situation der Wehrdienstleistenden, die zum 1. Juli eines Jahres eingezogen werden, nochmals zu überdenken. Nach sechs Monaten beenden sie ihren Wehrdienst, also zum Ende des Jahres, und haben dann gegebenenfalls, wenn sie erst zum Wintersemester ein Studium aufnehmen können, eine neunmonatige Wartezeit zu überbrücken. Natürlich kann man denen anbieten, freiwillig länger zu dienen. Ich glaube aber, dass es eine sinnvolle Lösung wäre - das würde ich bevorzugen -, in diesen Fällen den Wehrdienst zu splitten: im ersten Jahr eine dreimonatige Grundausbildung, ({5}) die die Aufnahme des Studiums noch im gleichen Jahr ermöglicht, und in den Semesterferien des nächsten Jahres die zweite Hälfte. ({6}) Wenn wir mehr Flexibilität im Interesse der Wehrdienstleistenden schaffen können, dann sollten wir auch den Mut aufbringen, mehr Flexibilität für die Zivildienstleistenden zu schaffen; denn es liegt im Interesse der Zivildienstleistenden, die den Wehrdienst nicht ableisten wollen, angemessene Beschäftigungsverhältnisse zu bekommen. Deswegen plädiere ich dafür, dass wir die Option schaffen, den Zivildienst auf zwölf Monate zu verlängern. ({7}) Wenn wir bedenken, dass wir viele Freiwilligendienste haben, bei denen junge Leute von sich aus ein Jahr im Freiwilligen Sozialen Jahr oder im Freiwilligen Ökologischen Jahr verbringen, dann ist es, glaube ich, angebracht, diese Freiwilligendienste besser auf den zivilen Ersatzdienst anzurechnen. ({8}) Ich denke insbesondere an unser Programm „weltwärts“ auf dem Gebiet der Entwicklungszusammenarbeit. ({9}) Wenn man ein weitgefasstes Sicherheitsverständnis vertritt, dann ist auch eine Tätigkeit in der Entwicklungspolitik in unserem sicherheitspolitischen Interesse. Deswegen plädiere ich dafür, diese Dienste beim Zivildienst, beim Wehrdienst besser als bisher anzuerkennen. ({10}) Herr Bundesminister, wenn es gelingt, dass die Neuordnung, die Umstellung auf einen sechsmonatigen Wehrdienst, zeitgleich vonstatten gehen kann mit der Wehrstrukturkommission, die jetzt ihre Arbeit aufnimmt und bis Ende des Jahres Vorschläge vorlegen soll, dann wird ein stimmiges Konzept daraus, ({11}) an dessen Umsetzung man sich zu Beginn des nächsten Jahres machen kann. Also zeitgleich: Wehrstrukturkommission und sechsmonatiger Wehrdienst. Ich glaube, das wäre der richtige Weg. ({12}) Wir haben noch einige Wochen darüber zu diskutieren. Aber ich glaube, wir werden sehr zügig zu Lösungen kommen. ({13}) Ich freue mich, dass der Bundesminister die nötigen Initiativen ergriffen hat, um zügig zu Lösungen zu kommen, die im Interesse der Zivil- und Wehrdienstleistenden liegen. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({14})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den Einzelplan 14, Bundesministerium der Verteidigung, in der Ausschuss- fassung. Hierzu liegen Änderungsanträge vor. Über diese stim- men wir zuerst ab. Wer stimmt für den Änderungsantrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 17/1024? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist abgelehnt bei Zustimmung durch die einbringende Fraktion. Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat sich enthalten. Alle anderen haben dagegen gestimmt. Wer stimmt für den Änderungsantrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 17/1025? - Wer stimmt dage- gen? - Enthaltungen? - Dieser Änderungsantrag ist ebenfalls abgelehnt. Zugestimmt hat die einbringende Fraktion. Alle übrigen haben dagegen gestimmt. Enthal- tungen gab es keine. Wer stimmt für den Änderungsantrag der Abgeordne- ten Klaus-Peter Willsch und Dr. h. c. Jürgen Koppelin auf Drucksache 17/1076? - Wer stimmt dagegen? - Enthal- tungen? - Damit ist der Änderungsantrag angenommen bei Zustimmung durch den größten Teil der Koalitions- fraktionen. Dagegen haben die Oppositionsfraktionen gestimmt. Es gab eine Enthaltung. Wer stimmt für den Einzelplan 14 in der Ausschuss- fassung mit der soeben beschlossenen Änderung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Damit ist der Ein- zelplan 14 angenommen bei Zustimmung durch die Ko- alitionsfraktionen und Ablehnung durch die Opposi- tionsfraktionen. Ich rufe jetzt die Tagesordnungspunkte III a bis c auf: a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Abschaffung des Finanzplanungsrates - Drucksache 17/983 Überweisungsvorschlag: Haushaltsausschuss ({0}) Rechtsausschuss Ausschuss für Arbeit und Soziales b) Beratung des Antrags der Fraktion DIE LINKE Menschenrechte in Kolumbien auf die Agenda setzen - Freihandelsabkommen EU-Kolumbien stoppen - Drucksache 17/1015 2804 Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe ({1}) Auswärtiger Ausschuss Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union c) Beratung des Antrags der Fraktion DIE LINKE Den Schienenverkehr als sichere Verkehrsform erhalten und stärken - Drucksache 17/1016 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ({2}) Rechtsausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Hierbei handelt es sich um Überweisungen im vereinfachten Verfahren ohne Debatte. Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Damit sind Sie einverstanden? - Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Ich rufe jetzt die Tagesordnungspunkte IV a bis l auf. Es handelt sich um Beschlussfassungen zu Vorlagen, zu denen keine Aussprache vorgesehen ist. Tagesordnungspunkt IV a: Beratung der Ersten Beschlussempfehlung des Wahlprüfungsausschusses zu Einsprüchen gegen die Gültigkeit der Wahl der Abgeordneten des Europäischen Parlaments aus der Bundesrepublik Deutschland am 7. Juni 2009 - Drucksache 17/1000 Berichterstattung: Abgeordnete Dr. Wolfgang Götzer Bernhard Kaster Michaela Noll Michael Hartmann ({3}) Christian Lange ({4}) Stephan Thomae Dr. Dagmar Enkelmann Ingrid Hönlinger Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist einstimmig angenommen. Tagesordnungspunkte IV b bis l. Wir kommen zu den Beschlussempfehlungen des Petitionsausschusses. Tagesordnungspunkt IV b: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({5}) Sammelübersicht 50 zu Petitionen - Drucksache 17/909 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht 50 ist einstimmig angenommen. Tagesordnungspunkt IV c: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({6}) Sammelübersicht 51 zu Petitionen - Drucksache 17/910 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht 51 ist ebenfalls einstimmig angenommen. Tagesordnungspunkt IV d: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({7}) Sammelübersicht 52 zu Petitionen - Drucksache 17/911 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht 52 ist angenommen bei Zustimmung durch CDU/CSU, SPD und FDP. Dagegen hat die Fraktion Die Linke gestimmt. Bündnis 90/Die Grünen haben sich enthalten. Tagesordnungspunkt IV e: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({8}) Sammelübersicht 53 zu Petitionen - Drucksache 17/912 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht 53 ist einstimmig angenommen. Tagesordnungspunkt IV f: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({9}) Sammelübersicht 54 zu Petitionen - Drucksache 17/913 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht 54 ist angenommen bei Zustimmung durch CDU/CSU, FDP und SPD. Bündnis 90/Die Grünen stimmten dagegen. Die Linke hat sich enthalten. Tagesordnungspunkt IV g: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({10}) Sammelübersicht 55 zu Petitionen - Drucksache 17/914 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht ist angenommen bei Zustimmung durch CDU/CSU, FDP, SPD und die Linke. Bündnis 90/Die Grünen haben dagegen gestimmt. Tagesordnungspunkt IV h: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({11}) Sammelübersicht 56 zu Petitionen - Drucksache 17/915 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht ist angenommen bei ZuVizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt stimmung durch CDU/CSU, FDP, SPD, Bündnis 90/Die Grünen. Die Fraktion Die Linke hat dagegen gestimmt. Tagesordnungspunkt IV i: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({12}) Sammelübersicht 57 zu Petitionen - Drucksache 17/916 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht ist angenommen bei Zustimmung durch CDU/CSU, FDP und SPD. Dagegen haben Bündnis 90/Die Grünen und die Linke gestimmt. Enthaltungen gab es keine. Tagesordnungspunkt IV j: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({13}) Sammelübersicht 58 zu Petitionen - Drucksache 17/917 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht ist angenommen bei Zustimmung durch die Koalitionsfraktionen und die Linke. Bündnis 90/Die Grünen und SPD haben dagegen gestimmt. Tagesordnungspunkt IV k: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({14}) Sammelübersicht 59 zu Petitionen - Drucksache 17/918 Wer stimmt dafür? - Dagegen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht ist angenommen bei Zustimmung durch CDU/CSU, SPD und FDP. Dagegen haben die Linke und Bündnis 90/Die Grünen gestimmt. Enthaltungen gab es keine. Tagesordnungspunkt IV l: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({15}) Sammelübersicht 60 zu Petitionen - Drucksache 17/919 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht ist angenommen bei Zustimmung durch die Koalitionsfraktionen und Gegenstimmen durch die Oppositionsfraktionen. Enthaltungen gab es keine. Jetzt rufe ich den Tagesordnungspunkt I.12 auf: Einzelplan 23 Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung - Drucksachen 17/619, 17/623 Berichterstattung: Abgeordnete Volkmar Klein Lothar Binding ({16}) Dr. Dietmar Bartsch Priska Hinz ({17}) Hierzu liegt je ein Änderungsantrag der Fraktion Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor. Außerdem liegt je ein Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor; darüber werden wir am Freitag nach der Schlussabstimmung befinden. Es ist verabredet, hierzu eineinhalb Stunden zu debattieren. - Dazu sehe ich keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich gebe das Wort der Kollegin Bärbel Kofler für die SPD-Fraktion. ({18})

Dr. Bärbel Kofler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003710, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Sehr verehrte Damen und Herren! Sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen! Zuerst ein positives Moment: Das Volumen dieses Haushalts, den wir in zweiter und dritter Lesung beraten, ist immerhin um 180 Millionen Euro größer als das Volumen der beschämenden Vorlage, die wir im Januar dieses Jahres vom Kabinett erhalten haben. Trotzdem ist das kein Erfolg für die Entwicklungszusammenarbeit als Ganzes. Ich höre schon jetzt die Töne, die später kommen werden: Aufgrund der Finanzkrise war leider nicht mehr möglich und leider nicht mehr drin. Bei dieser Gelegenheit möchte ich daran erinnern, dass die Finanzkrise bei den Haushaltsberatungen im letzten Jahr bereits in vollem Gange war. Damals ist es uns immerhin gelungen, für diesen Haushalt einen Aufwuchs in Höhe von 600 Millionen Euro zu erreichen; das ist dreimal so viel wie das, was uns jetzt vorliegt. Vor diesem Hintergrund finde ich das Gesamtergebnis der Beratungen und die Zahlen, mit denen wir es zu tun haben, traurig und bescheiden. ({0}) Dieser Haushalt, der ja wahrscheinlich von der Mehrheit des Hauses verabschiedet werden wird, belegt eines: Deutschland verabschiedet sich aus der Rolle eines zuverlässigen Partners in der Entwicklungszusammenarbeit, aber auch darüber hinaus. Wir sind internationale Verpflichtungen eingegangen. Vom 0,51-Prozent-Ziel redet schon niemand mehr. Der Minister hat davon sowieso nie geredet. Wir als SPD-Fraktion haben Vorschläge gemacht, wie man dieses Ziel erreichen kann. Wir haben auch Gegenfinanzierungsvorschläge vorgelegt. Es wurde eine sinnlose Debatte vom Zaun gebrochen, ob im Jahre 2015 das 0,7-Prozent-Ziel erreicht werden könnte. Auch wenn vonseiten des Ministeriums noch eine PM nachgeschickt und zu erklären versucht wurde, das alles sei nicht so gemeint gewesen, wie es im Interview gestanden habe, sage ich Ihnen: Das verunsichert Partner und trägt nicht dazu bei, dass andere Länder uns weiter als Vorreiter und als verlässlichen Partner ansehen. Ein Auf und Ab gab es auch beim Global Fund. Wir erinnern uns: Ursprünglich wollte die Regierung, wollte Minister Niebel dort kürzen. Auf Druck der Opposition, insbesondere auf Druck der Kollegin Karin Roth aus meiner Fraktion, und auf Druck aus der Öffentlichkeit wurde diese Kürzung zurückgenommen. Gott sei Dank; das ist gut. Aber was soll dieses Hin und Her, was soll diese Verunsicherung internationaler Partner und internationaler Institutionen? ({1}) Hinzu kommt das Drama um die Mittel für den Klimaschutz. Die Kanzlerin hat im Dezember letzten Jahres - zu diesem Zeitpunkt hätte man über die Finanzkrise schon nachdenken können - in Kopenhagen zugesagt, in diesem Jahr für internationalen Klimaschutz 420 Millionen Euro bereitzustellen. Das ist zwar eine bescheidene Zusage; aber es wäre ein wichtiger Beitrag gewesen. Wer sich diesen Haushalt daraufhin anschaute, musste im Einzelplan 23 - wirtschaftliche Zusammenarbeit - wie im Einzelplan 16 - Umwelt - lange suchen. Kurz vor knapp, kurz vor der Bereinigungssitzung, findet sich plötzlich ein neuer Titel Klimaschutzmaßnahmen in den Entwicklungsländern. ({2}) Nur stehen da nicht 420 Millionen Euro, wie es die Kanzlerin im Dezember versprochen hat. In den beiden genannten Etats finden sich jeweils nur 35 Millionen Euro, und es ist nur den Haushältern von SPD und Bündnis 90/Grüne zu verdanken - sie haben in der Bereinigungssitzung einen gemeinsamen Entschließungsantrag eingebracht -, dass nicht auch hier Taschenspielertricks versucht worden sind und diese 35 Millionen Euro für den Umweltetat gerettet werden konnten und damit auch, gleichgezogen, für das BMZ eingestellt werden mussten. ({3}) Ich kann mir schon vorstellen, was uns der Minister erzählen wird: Für den internationalen Klimaschutz seien noch ganz viele Mittel in anderen Titeln des Einzelplans 23 versteckt. ({4}) Man könnte das überschreiben mit dem schönen Sprichwort: Alter Wein in neuen Schläuchen. Natürlich enthält der Einzelplan 23 seit Jahren viele klimarelevante Titel. Man denke zum Beispiel an die Sonderfazilität „Initiative Klima- und Umweltschutz“: Bis 2011 sollen für 2,4 Milliarden Euro zinsverbilligte Darlehen ausgegeben werden. Oder man denke an die 4E-Fazilität, die Sonderfazilität für erneuerbare Energien und Energieeffizienz. All diese Titel wurden über Jahre hinweg im Haushalt aufgebaut. Hier zu versuchen, Mittel aus der finanziellen Zusammenarbeit oder aus der technischen Zusammenarbeit zu Mitteln für den Klimaschutz umzuetikettieren, dafür ist „alter Wein in neuen Schläuchen“ ja noch billig gesagt. Das sind buchhalterische Taschenspielertricks, die eines transparenten Haushalts nicht würdig sind. ({5}) Was Transparenz im Haushalt angeht, muss man sich auch den Umgang mit dem Thema Haiti anschauen. Wir, aber auch die Haushälter der SPD-Fraktion haben im Ausschuss gefordert, einen Sondertitel für den Wiederaufbau Haitis aufzulegen. Wie man der Presse entnehmen konnte, fand auch der Minister diese Idee nicht schlecht. Das Spannende ist nur, dass im Haushaltsausschuss die Haushälter der Koalitionsfraktionen nichts dergleichen unternommen haben. Auch hier wird wieder versucht, ein bisschen zu tricksen: Da gibt es die Notund Übergangshilfe. Sie wird zwar nicht mit mehr Geld ausgestattet; aber es dürfen Mittel davon für Haiti verwendet werden. Man darf auch Mittel verrechnen mit der finanziellen Zusammenarbeit. Die bekommt aber auch nicht die entsprechenden Mittel, vor allem bekommt sie keine Planungssicherheit für den Aufwuchs der nächsten Jahre, nein, da werden bei den Verpflichtungsermächtigungen, die ja die eigentliche Planung darstellen, noch 40 Millionen gestrichen. Was Ende März bei der Geberkonferenz für Haiti herauskommen wird, kann man nur vermuten. Das bisherige Gebaren bei der Einhaltung internationaler Zusagen lässt nichts Gutes erahnen. Auch hier wurde viel angekündigt, aber nur wenig umgesetzt, und das Wenige ist völlig intransparent. Ich habe vorhin bei der Debatte über den Verteidigungshaushalt zugehört. Der letzte Redner der Union hat noch einmal die Bedeutung der Freiwilligendienste herausgestellt. Dem kann man sich nur anschließen. Aber warum werden in diesem Haushalt dann gerade im Einzelplan 23 die Mittel für den Freiwilligendienst „weltwärts“ gekürzt? Warum werden verlässliche Zusagen, die man jungen Menschen gegeben hat, die sich engagieren wollen, nicht eingehalten? Warum schürt man auch hier Misstrauen bei den Partnern, mit denen man zusammenarbeitet und auf deren Entgegenkommen man angewiesen ist? Hier gilt wieder: keine Verlässlichkeit, keine Ruhe in der Planung, keine Solidität. ({6}) Wir als Sozialdemokraten haben Anträge gestellt, nämlich für einen vernünftigen Aufwuchs, um das 0,51-Prozent-Ziel zu erreichen. Wir haben Gegenfinanzierungsvorschläge gemacht. Darauf wird der Kollege Binding sicherlich eingehen. Einen Satz zur Finanztransaktionsteuer muss ich an dieser Stelle schon noch loswerden. Wenn fast 70 000 Bürger eine Steuer gegen Armut für ein richtiges Konzept halten, dann vergeben wir hier eine Chance, wenn wir nicht auf eine Finanztransaktionsteuer im internationalen Rahmen drängen. Dazu ist von diesem Minister leider nichts zu erwarten. Dazu ist auch von dieser ReDr. Bärbel Kofler gierung nichts zu erwarten. Deshalb ist eine Finanzierung für eine moderne Entwicklungspolitik, die Strukturpolitik ist und deshalb entsprechende Mittel braucht, nicht zu sehen.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Frau Kollegin, ich möchte Ihnen nur sagen, dass die Redezeit bereits abgelaufen ist.

Dr. Bärbel Kofler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003710, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich komme zu meinem letzten Satz. - Was nicht passiert, ist Strukturpolitik in der Entwicklungspolitik. Sie haben sich von allen inhaltlichen Themen, die wir in der Großen Koalition gesetzt haben, verabschiedet. Ein Beispiel: soziale Sicherungssysteme in den Entwicklungsländern: abgelehnt von den Haushältern, auch denen der CDU/CSU. ({0}) Dieser Haushalt ist kein Haushalt der Nachhaltigkeit, kein Haushalt der internationalen Verlässlichkeit. Was Sie hier in den letzten sechs Monaten abgeliefert haben, ist für Deutschlands Auftreten im internationalen Rahmen beschämend. Hier erwarten wir deutlich mehr. ({1})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Harald Leibrecht hat das Wort für die FDP-Fraktion. ({0})

Harald Leibrecht (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003581, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine lieben Kollegen! Liebe Kolleginnen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wenn wir heute abschließend über den Einzelplan 23 debattieren, müssen wir uns vor Augen halten, dass wir in diesem Jahr in der Tat noch in wirtschaftlich schwieriger Situation sind und uns in einer Übergangsphase befinden. Wir alle wünschen uns mehr Geld für die Entwicklungspolitik - ohne Frage -, aber wir dürfen diese gesamtwirtschaftlichen Realitäten nicht aus den Augen verlieren. ({0}) Trotz der angespannten Haushaltslage konnten wir das Volumen des Einzelplans 23 im Vergleich zu 2009 um immerhin 250 Millionen Euro auf insgesamt 6,1 Milliarden Euro erhöhen. Das, Frau Kofler, ist keine beschämende Zahl. Es ist sehr viel Geld, das wir für diesen Bereich einsetzen. Es ist vor allem Geld des Steuerzahlers, und das sollten wir sehr viel mehr respektieren. ({1}) Das möchte ich an dieser Stelle auch direkt einmal betonen: Ich bin froh darüber, dass der Haushalt des BMZ auch in wirtschaftlich schwierigen Zeiten wächst. Wir alle wissen, denke ich, dass noch mehr Anstrengungen nötig sein werden, um den Entwicklungsländern eine Perspektive zu geben. Diese Anstrengungen sollten vor allem Wirksamkeit zeigen, damit wir ihnen langfristige und nachhaltige Perspektiven bieten können. Ich möchte auch direkt auf das eingehen, was im Laufe unserer Haushaltsberatungen von der Opposition an zum Teil fast schon populistischen und aus meiner Sicht teilweise unseriösen Forderungen nach mehr und immer noch mehr Geld vorgetragen wurde. Nehmen wir doch gerade einmal das Beispiel Haiti, Frau Kofler. Die 15 Millionen Euro Soforthilfe wurden von der Opposition beinahe ignoriert, fast schon schlechtgeredet. ({2}) Dass zu einem späteren Zeitpunkt mehr Geld zur Verfügung gestellt werden würde, war von Anfang an klar. Da wird auch noch einiges geschehen. ({3}) Ohne jeglichen Anhaltspunkt wurden von der Oppositionsseite irgendwelche Zahlen in den Raum geworfen. Immer mehr sollte es sein. Dass es aber nach der ersten Nothilfe im Sinne einer wirkungsvollen Wiederaufbauund Entwicklungszusammenarbeit erst einmal notwendig ist, eine entsprechende Bestandsaufnahme zu machen, wurde im Wettlauf um die höchsten Geldforderungen hier völlig ausgeblendet. Ich empfand diese Zahlenspiele als in höchstem Maße unseriös und gegenüber den Menschen in Haiti unverantwortlich. ({4}) Das Land muss zunächst in die Lage versetzt werden, die internationale Hilfe, die von allen Seiten kommt, zu absorbieren. Dabei geht es gerade in einem Not leidenden Land wie Haiti darum, die zahlreichen internationalen Hilfsprojekte und -initiativen aufeinander abzustimmen. Es können nicht einfach nur pauschal Geldsummen eingefordert werden, bevor klar ist, welche Wiederaufbauhilfe und -maßnahmen in den nächsten Monaten dort notwendig sein werden. Diese Maßnahmen müssen dann auch, wie gesagt, richtig koordiniert werden. Dies gehört auch zu einer seriösen Entwicklungs- und Haushaltspolitik, der wir uns natürlich verpflichtet fühlen. ({5}) Mit Blick auf die heutige Debatte habe ich mir die BMZ-Haushalte der letzten Jahre wieder einmal angesehen. Wir hören derzeit ja viel davon, dass Deutschland seine Verpflichtungen zur Erfüllung der ODA-Quote unter der neuen Bundesregierung nun ignorieren würde. Vor fünf Jahren lag die ODA-Quote bei 0,35 Prozent, wofür sich Frau Wieczorek-Zeul ja gerne immer loben ließ. In den Folgejahren wurde es gerade einmal ge2808 schafft, die Quote ein bisschen auf 0,38 Prozent zu erhöhen. Dass dem neuen Minister jetzt vorgeworfen wird, dass er das 0,51-Prozent-Ziel verfehlt, finde ich eine verfehlte Argumentation der Opposition. ({6}) Wir hätten den Etat des BMZ in diesem Jahr um über 3 Milliarden Euro, also um rund 50 Prozent, erhöhen müssen, um diese 0,51 Prozent zu erreichen. ({7}) Doch elf Jahre Entwicklungspolitik der SPD haben dieses Ziel in weite Ferne rücken lassen, und das ist der eigentliche Skandal. ({8}) In der letzten Legislaturperiode waren das BMZ und das Finanzministerium ja SPD-geführt. Die ODA-Quote droht seitdem fast zu stagnieren. In Ihrem Haushaltsentwurf vom letzten Herbst wurden gerade einmal 23 Millionen Euro mehr für Entwicklungszusammenarbeit vorgesehen. Mit dem jetzt beschlossenen Haushalt übertreffen wir Ihren Haushalt immerhin um 230 Millionen Euro. Das ist ein erster Schritt in die richtige Richtung. Entscheidend ist letztlich aber, dass die Gelder auch Früchte tragen, und dies wird nur geschehen, wenn sie richtig verwendet werden. Daher muss das BMZ so aufgestellt werden, dass eine verstärkte bilaterale, zielgerichtete Entwicklungszusammenarbeit möglich ist. In wirtschaftlich schwierigen Zeiten können wir es uns eben nicht erlauben, die Kontrolle über einen Großteil der Gelder, die wir in die Entwicklungszusammenarbeit fließen lassen, aus der Hand zu geben. Das sind wir dem Steuerzahler schuldig, aber vor allem auch den Menschen in den Entwicklungsländern, die auf eine effiziente Unterstützung von unserer Seite hoffen. Ich danke Ihnen. ({9})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Heike Hänsel hat das Wort für die Fraktion Die Linke. ({0})

Heike Hänsel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003763, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Herr Leibrecht, die Bundesregierung erreicht mit diesem Haushalt nicht das für 2010 vorgegebene Zwischenziel, die Ausgaben für Entwicklungshilfe auf 0,51 Prozent des Bruttonationalprodukts - das ist die sogenannte ODA-Quote - zu erhöhen. ({0}) Es wäre finanziell aber durchaus möglich, ({1}) und das können Sie, Herr Leibrecht, in einem sehr guten Antrag der Linksfraktion nachlesen. ({2}) Wir zeigen Ihnen, dass es finanziell möglich ist, die ODA-Quote in diesem Haushalt zu erreichen. ({3}) Ihnen fehlt aber der politische Wille dazu, und das ist das Entscheidende. ({4}) Sie sind nicht bereit, 2 Milliarden Euro mehr für die weltweite Entwicklungshilfe auszugeben, aber Sie sind jederzeit bereit, in diesen Haushalt zum Beispiel mehr als 7 Milliarden Euro für neue Rüstungsprojekte einzustellen. ({5}) Damit steht diese Ausgabenpolitik der Bundesregierung auch im krassen Widerspruch zur Bevölkerung. Die Menschen in diesem Land sind nämlich viel mehr dazu bereit, Geld für Entwicklungshilfe auszugeben. Das haben sie durch Spenden in dreistelliger Millionenhöhe bei den Spendensammlungen für die Tsunamiopfer und auch jetzt wieder bei den Spenden für die Hilfe der Erdbebenopfer in Haiti eindrücklich gezeigt. In meinem Wahlkreis Tübingen sammeln zum Beispiel Künstlergruppen und Schulklassen mühsam für Haiti, ({6}) währenddessen die Bundesregierung nicht bereit ist, einen Sondertitel für die mittelfristige Hilfe für Haiti einzustellen. Das sind nicht nur Forderungen der Opposition, sondern die Vereinten Nationen haben die Industriestaaten aufgefordert, deutlich mehr Geld als bisher für Haiti zur Verfügung zu stellen. ({7}) Sie ignorieren diese Aufforderungen. ({8}) Ich halte es übrigens für ein persönliches Armutszeugnis des Ministers, dass er diese Forderungen gegenüber seinen Haushältern nicht hat durchsetzen können. Damit komme ich zu Ihrer Hauptbotschaft, die Sie, Herr Niebel, recht häufig zum Besten geben. Sie sagen, dass Ihre Entwicklungshilfe werteorientiert und interessengeleitet sei. Ich frage mich allerdings, von welchen Werten und welchen Interessen Sie sprechen. Mit diesem Haushalt zeigt die Bundesregierung nämlich, dass Friedenspolitik, weltweite Armutsbekämpfung, Klimaschutz, soziale Entwicklung, globale Gerechtigkeit und somit der Wert der menschlichen Solidarität nicht oberste Priorität Ihrer Politik sind. Stattdessen geht es Ihnen ganz offensichtlich um deutsche Wirtschaftsinteressen, die Sie möglichst ungehindert durchsetzen wollen. Sie propagieren - so habe ich es auch auf der letzten Reise nach Vietnam erleben können - die freie Marktwirtschaft als Grundlage freier Gesellschaften. Sie wollen also Freiheit für Konzerne, Freihandel und Marktliberalisierung. All das hat allerdings in vielen Ländern des Südens nicht zu mehr sozialer Entwicklung geführt, sondern - ganz im Gegenteil - zu mehr Armut, mehr Hunger und mehr Umweltzerstörung. Da frage ich mich: Ist das Ihre Vorstellung von freien Gesellschaften? ({9}) Bezüglich Ihrer Werte, Herr Niebel, möchte ich auf Ihre jüngst stark kritisierte Personalpolitik eingehen. Dabei geht es mir jetzt allerdings weniger um die Klientelpolitik nach dem FDP-Parteibuch. Die Einstellung nach Parteibuch haben Rot-Grün und Schwarz-Rot schließlich genauso betrieben. Mir geht es vielmehr um die inhaltliche Ausrichtung einiger Personalentscheidungen. Konkret betrifft das Ihre neuen Abteilungsleiter im Ministerium. Als Erstes möchte ich Herrn Harald Klein nennen, ({10}) der lange Zeit bei der FDP-nahen Friedrich-NaumannStiftung gearbeitet hat. Dieser hat im letzten Jahr den Putsch gegen den demokratisch gewählten Präsidenten Zelaya gerechtfertigt und die damit einhergehenden Menschenrechtsverletzungen mehr als verharmlost. Soviel zu Ihren Wertevorstellungen von Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechten. Ich halte es ebenfalls für einen Skandal, dass Harald Klein jetzt Ansprechpartner für internationale Beziehungen und für Menschenrechtsfragen ist. Vor zehn Tagen haben wir Menschenrechtsaktivisten aus Honduras nach Berlin eingeladen. Sie haben sich auch mit dem BMZ getroffen und im Ministerium ebendiesem Harald Klein über aktuelle politische Morde, Folterungen und Verhaftungen berichtet. Diese Aktivisten sind ein enormes Risiko eingegangen, indem sie hierher gekommen sind und davon berichtet haben. Trotzdem wurden sie aber von einem Mitarbeiter der Friedrich-Naumann-Stiftung namentlich in einer Zeitung in Honduras genannt und denunziert, sie würden die jetzige sogenannte gewählte Regierung schlechtmachen. Das ist eine konkrete Gefährdung von Menschenrechtsaktivisten. Herr Niebel, ich möchte von Ihnen die Auskunft bekommen, ob konkrete Informationen aus dem Ministerium von Harald Klein an die Friedrich-Naumann-Stiftung in Honduras weitergeleitet wurden. ({11}) Sollte diesen beiden mutigen Menschenrechtsaktivisten etwas zustoßen, werde ich auch die FDP dafür verantwortlich machen. ({12}) Ich möchte noch eine zweite Personalie ansprechen. Diese betrifft ebenfalls einen Abteilungsleiter, und zwar den ehemaligen Oberst Herrn Eggelmeyer. ({13}) Ich frage mich, was ein Oberst im Ministerium für Entwicklungszusammenarbeit verloren hat. In meinen Augen hat er dort gar nichts verloren. Das führt zu einer strukturellen Militarisierung der Entwicklungszusammenarbeit. Sie wollen die zivil-militärische Zusammenarbeit ausbauen, Herr Niebel. Dazu kann ich Ihnen nur sagen: Es gibt immer mehr Hilfsorganisationen, die das kritisieren. Ich möchte aus der heutigen Pressemitteilung der Organisation Ärzte ohne Grenzen zitieren, in der steht: Die internationale humanitäre Hilfsorganisation ÄRZTE OHNE GRENZEN weist die Äußerung des NATO-Generalsekretärs Anders Fogh Rasmussen aufs Schärfste zurück, wonach Nichtregierungsorganisationen die weiche Komponente militärischer Strategien darstellen sollten … Äußerungen wie diese kreieren ein zusätzliches Risiko für unsere Patienten und unsere Mitarbeiter … ({14}) Wir schließen uns dieser Kritik vorbehaltlos an und lehnen eine zivil-militärische Zusammenarbeit ab. Wir sehen, dass Sie, Herr Niebel, das Entwicklungsministerium für die systematische Begleitung der wirtschaftlichen und militärischen deutschen Expansion umbauen wollen. Sie können mit unserem massiven Widerstand rechnen. ({15})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Volkmar Klein hat das Wort für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Volkmar Klein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004071, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Als Allererstes möchte ich betonen, dass die Wortwahl und der Inhalt dessen, was wir gerade gehört haben, einem Parlament nicht angemessen sind. Es ist eine Schande, so mit dem Minister und dem Ministerium umzugehen. ({0}) Wenn ich gewusst hätte, was Frau Kofler eben sagen wollte, dann hätte ich sie vielleicht eingeladen, die Plenardebatte gestern aufmerksam zu verfolgen. Da waren nämlich von der Opposition ganz andere Töne zu hören. Die Opposition hat über die massive Neuverschuldung geschimpft. Der Kollege Bonde hat sogar von blinder Schuldenmacherei gesprochen. Deswegen hatte ich ein flaues Gefühl, heute Abend ausgerechnet den Einzelplan 23 zu vertreten, dessen Mittel im Rahmen der Haushaltsplanberatungen sogar noch deutlich erhöht werden konnten und der somit mitten im Zentrum der beißenden Kritik des gestrigen Tages steht. ({1}) Aber wir stehen dazu. Der Haushalt mit einer Neuverschuldung von 80,2 Milliarden Euro ist leider alternativlos. Wir haben die Ausgaben gegenüber dem Entwurf deutlich gekürzt, aber trotz aller Kritik an der Neuverschuldung sind weitere Einsparungen nicht möglich. Sonst würden wir die wirtschaftliche Entwicklung wieder abwürgen. Deswegen ist dieser Haushalt die richtige Antwort auf die aktuellen Probleme. ({2}) Die im Einzelplan 23 - Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung - vorgesehene Ausgabensteigerung ist trotz des generell von uns gemeinsam so empfundenen Sparzwanges die richtige Antwort auf die aktuellen Fragen im Sinne der Zukunft unseres Landes. Wir werden mit diesem Haushalt unserer internationalen Verantwortung gerecht. ({3}) Erstens - das scheint mir entscheidend zu sein - tun wir etwas. Wir geben viel Geld aus, und zwar mehr Geld, als ursprünglich von der Regierung geplant, weil dies auch ethisch geboten ist. ({4}) Es ist ein Gebot christlicher Nächstenliebe, sich für andere Menschen einzusetzen. Unsere Verantwortung endet nicht an den Grenzen. Zweitens finde ich es ausgesprochen schön, dass in unserem Land sehr viele Menschen genau das zu ihrem persönlichen Anliegen machen und sich in Kirchen, Initiativen und Verbänden für Menschen in der Dritten Welt engagieren. Ihnen möchte ich an dieser Stelle ganz herzlich für ihr vorbildliches Engagement danken, auf das wir stolz sein können. ({5}) Auch als Bundesrepublik Deutschland ist es richtig, sich massiv - stärker, als ursprünglich von der Regierung geplant - einzubringen, weil auch dies im deutschen Interesse ist. Hilfestellungen, aus der Armut herauszukommen, schaffen in den betreffenden Ländern Stabilität, von der auch wir am Ende etwas haben. Das reduziert Migrationsdruck und Sicherheitsprobleme. Deswegen ist es richtig, dass wir jetzt einen Haushalt beschließen wollen und auch werden, der mit fast 6,1 Milliarden Euro so groß ist wie noch nie. Er weist 256 Millionen Euro mehr auf als im Haushalt 2009. Das ist vor allem auch deutlich mehr, als ursprünglich im Regierungsentwurf geplant war. Ich will noch einmal die Relationen in Erinnerung rufen. Wir haben aus guten Gründen im Gesamthaushalt 5,9 Milliarden Euro gespart und Ausgaben gekürzt. Das werden wir jetzt beschließen. ({6}) Wir haben trotz dieser Kürzung um 5,9 Milliarden Euro insgesamt einen Aufwuchs um 189 Millionen Euro im Einzelplan 23. ({7}) Ich will eine weitere Zahl, die dem einen oder anderen mit Sicherheit auch nicht gefallen wird, in Erinnerung rufen. Es gab schon einmal einen Haushaltsentwurf der Bundesregierung für das Jahr 2010. Er stammt aus dem Sommer des letzten Jahres. Damals hieß die Ministerin Wieczorek-Zeul. Im Vergleich zum Haushalt 2009 - Frau Wieczorek-Zeul, das können Sie sicherlich bestätigen - war damals ebenfalls ein Aufwuchs geplant, und zwar in Höhe von etwas über 20 Millionen Euro. Das sah der Regierungsentwurf aus dem letzten Jahr vor. Nun haben wir einen Aufwuchs in Höhe von 256 Millionen Euro. Das ist elfmal mehr als von der ehemaligen Ministerin geplant. Deshalb habe ich überhaupt kein Verständnis für den Protest der SPD. ({8})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Entschuldigung, Herr Kollege, möchten Sie eine Zwischenfrage von Herrn Movassat zulassen?

Volkmar Klein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004071, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Bitte schön.

Niema Movassat (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004114, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Willsch, Sie haben darauf verwiesen, dass wir in einer Wirtschafts- und Finanzkrise sind und Haushaltsprobleme haben. ({0}) - Entschuldigung, Herr Klein, mir lag die falsche Liste vor. Sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, dass Großbritannien trotz Schuldenproblematik und Finanzkrise es geschafft hat, mit seinem aktuellen Haushalt das Zwischenziel von 0,56 Prozent zu übertreffen? Wie stehen Sie dazu?

Volkmar Klein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004071, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Lieber Herr Kollege, Ihre Desorientierung zeigt sich schon daran, dass Sie mich nicht mit meinem Namen angesprochen haben. ({0}) - Ich glaube, das ist als Antwort ausreichend; denn wir reden hier über Deutschland. Ich habe gerade gesagt, was eine Regierung damals vorgelegt hat - die ehemaligen Regierungsmitglieder sitzen nun ganz still und werden sich wohl auch nicht zu Wort melden - und dass wir einen elfmal höheren Aufwuchs beschließen. Ich möchte unterstreichen - das mag dem einen oder anderen als Petitesse erscheinen -, dass wir an der Sache interessiert sind und mehr Geld für wichtige Projekte ausgeben wollen - deswegen dieser erhebliche Aufwuchs -, während wir gleichzeitig im Vergleich zum Entwurf der Regierung die Mittel für die Öffentlichkeitsarbeit um 2 Prozent reduziert haben. Uns geht es um die Sache und nicht um Schaufensterdekoration. ({1})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Kollege, auch Herr Binding will Ihnen eine Zwischenfrage stellen. Wollen Sie diese auch noch zulassen?

Volkmar Klein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004071, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja, das ist ein vernünftiger Kollege.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Bitte.

Lothar Binding (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003050, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Lieber Kollege Klein, du hast vorhin die SPD angegriffen und behauptet, wir hätten zuerst gesagt, keine Neuverschuldung, und nun sähen wir das ganz anders; das sei ein gewisser Widerspruch. Des Weiteren hast du gesagt, der jetzigen Regierung und Koalition gehe es nur um die Sache. Ein sehr umfänglicher Antrag der SPDFraktion sieht Ausgaben in Höhe von 1,2 Milliarden Euro für ganz wichtige Bereiche wie den Friedensdienst, die Sozialstruktur, politische Stiftungen, das Welternährungsprogramm usw. vor. Nun kommt das Interessante: Es ist uns gelungen, diesen Vorschlag seriös zu decken, und zwar mit Mitteln aus nur zwei Titeln. Es besteht also nicht die Notwendigkeit Schulden zu machen oder neue Steuern einzuführen. Das eine ist § 1 des Außensteuergesetzes; darüber haben wir lang geredet. Es geht hier um die Funktionsverlagerung, die ökonomisch äußerst problematische Folgen für die Steuereinnahmen in Deutschland hat. Das andere ist - das ist ein bisschen unser Dauerbrenner; es handelt sich um einen seriösen Vorschlag, weil die Mittel nur einmal verwendet werden, und das noch nicht einmal vollständig - der Steuernachlass für Hotelkonzerne in einer Größenordnung von 500 Millionen Euro. ({0}) - Sie können ruhig Buch führen. Dieser Vorschlag ist seriös gedeckt. Weil Sie ihn immer abgelehnt haben, ist er als Deckung noch vorhanden und seriös durchgerechnet. Wir können Ihnen das jederzeit zur Verfügung stellen. Weil Sie sehr ernsthaft gesagt haben, Ihnen gehe es um die Sache, lautet meine Frage: Ist es Ihnen bei der Priorisierung tatsächlich wichtiger, einem Hotelkonzern Steuern zu erlassen, als die eben von mir vorgetragenen Maßnahmen in der Entwicklungspolitik voranzubringen?

Volkmar Klein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004071, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Lieber Kollege Binding, Sie können sich sicherlich noch ganz genau an die umfangreichen Diskussionen über das Wachstumsbeschleunigungsgesetz erinnern. Wie Sie wissen, ist das nur einer von vielen Punkten, der dazu beiträgt, die wirtschaftliche Belebung in unserem Land nach vorne zu bringen. Das, was wir in den letzten Monaten erlebt haben, unterstreicht den Erfolg dieser Strategie. Insofern muss ich den Vorschlag, den wir im Haushaltsausschuss diskutiert haben, eher unter der Rubrik „Mut nach Kassenschluss“ einsortieren. Es bleibt dabei, was ich eben gesagt habe: Im letzten Jahr, als die frühere Ministerin die Möglichkeit hatte, wurde nichts getan, aber jetzt werden große Forderungen erhoben. Das ist nicht glaubwürdig. ({0}) Jetzt möchte ich zu meinem Konzept zurückkommen. Ich will vier Punkte, die uns wichtig sind, nennen. Erstens. Für das Klima wird natürlich sehr viel getan. Ich meine nicht nur die 35 Millionen Euro, die im Laufe der Beratungen zusätzlich hinzugekommen sind, sondern auch der bereits bestehende Titel „Entwicklungswichtige multilaterale Hilfen zum weltweiten Umweltschutz, zur Erhaltung der Biodiversität und zum Klimaschutz“ ist nicht nur ein bisschen aufgestockt worden, sondern mit zusätzlichen 78 Millionen Euro mehr als verdoppelt worden. Darüber hinaus - das wissen wir doch alle - ist in den TZ- und FZ-Titeln einiges für den Klimaschutz enthalten. So zu tun, als ob das Umweltministerium gar keine Rolle spielen würde, geht nun völlig an der Sache vorbei. Ich finde es wichtig - das ist der zweite Punkt -, dass wir mit 120 Millionen Euro zusätzlich für die Entwicklungszusammenarbeit mit Afghanistan dokumentieren, dass es eben nicht unser Anliegen ist, militärisch für eine Lösung in Afghanistan zu sorgen, sondern dass wir natürlich wissen und auch untermauern, dass wir eine sich selbst tragende Sicherheit brauchen. Dafür sind derartige Projekte der Kern. Deswegen ist es richtig, dort 120 Millionen Euro zusätzlich neben allen anderen Einzelplänen hineinzupacken. Das haben wir mit einem separaten Antrag getan und intensiv diskutiert. Drittens. Noch ein Satz zu Haiti. Es wird hier so getan, als ob für Haiti kein Geld da wäre. Es gibt aber im Haushaltsplan den Haushaltstitel „Entwicklungsorientierte Not- und Übergangshilfe“. Der ist mit 129 Millionen Euro ausgestattet und ganz anders als die meisten anderen Titel im Einzelplan 23 nicht durch Verpflichtungsermächtigungen vorbelastet. Vielmehr machen Verpflichtungsermächtigungen an diesen 129 Millionen Euro im Haushaltsjahr 2010 nur 22,5 Millionen Euro aus. Der Rest ist natürlich für derartige Katastrophen verfügbar. Das haben wir unterstrichen. Um trotzdem Bedenken zu zerstreuen, ob das Geld am Ende reicht, haben wir einseitige Verstärkungsvermerke durch FZ und TZ ausgebracht. Das wird sicher alle Zweifel, die bestehen könnten, beseitigen. Der vierte Punkt, der mir wichtig ist: Träger wie Kirchen, Stiftungen, Genossenschaften und andere private Träger stellen die Pluralität und den Reichtum unserer Gesellschaft dar. Deswegen ist es richtig, diese Träger in der Entwicklungszusammenarbeit einzusetzen. Diese wollen wir weiter fördern, und das haben wir durch erhöhte Verpflichtungsermächtigungen im Laufe der Haushaltsberatungen für diesen Bereich getan. Der Einzelplan 23 umfasst also 6,1 Milliarden Euro. Das ist der höchste Betrag, den es je gab. Ich denke, dass wir diesen hohen Betrag guten Gewissens vertreten können, trotz der berechtigten Kritik der Opposition an der Gesamtverschuldung. Aber die Kritik - das hören wir jetzt - zielt nicht nur auf die Gesamtverschuldung und die Neuverschuldung, sondern auch auf die angeblich zu niedrigen Ausgaben für diesen Etat. Das eine passt mit dem anderen nicht ganz zusammen. Wer auf der einen Seite Kritik an der Verschuldung übt, aber auf der anderen Seite die Ausgaben erhöhen will, befindet sich in einem Widerspruch. Das sollte man normalerweise bereits als Kind gelernt haben, das mit dem Taschengeld umzugehen hat. Dieses Versäumnis müsste nachgeholt werden. Sich über beides aufzuregen, hat mit Entwicklungspolitik nichts zu tun. Das ist eher Entrüstungspolitik. Wenn sich der eine oder andere als entrüstungspolitischer Sprecher seiner Fraktion hier bewerben will, dann kann er das tun. Ich habe den Eindruck, dass wir mit diesem Haushaltsplan ein Dokument deutscher Zukunftsverantwortung vorgelegt haben. Das sollten wir nicht kritisieren, und darüber sollten wir nicht lamentieren. Wir sollten das eher feiern. Herr Minister Niebel macht gute Arbeit, und er verdient die breite Unterstützung eigentlich des gesamten Hauses. ({1})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Das Wort hat jetzt Priska Hinz für Bündnis 90/ Die Grünen.

Priska Hinz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003769, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Zu Beginn der Haushaltsberatungen konnte man noch darauf hoffen, dass sich die Koalition auf die internationalen Verpflichtungen besinnt, die die Regierung eingegangen ist. Wir hatten Hoffnung, dass sie sich an die Koalitionsvereinbarung hält und dass sie in dem Punkt, dass das 0,7-Prozent-Ziel erreicht werden muss, kein Papiertiger bleibt. Natürlich hatten wir die Hoffnung, dass die Zusagen von Kopenhagen eingehalten werden. Jetzt, bei der Verabschiedung dieses Einzelplans, müssen wir feststellen: Alle Zusagen sind gebrochen worden. Sie begehen damit einen Wortbruch, dass Sie das 0,51-Prozent-Ziel schlicht und einfach nicht erreichen. ({0}) Schwarz-Gelb wird laut Ministerium von Herrn Niebel mit diesem Haushalt höchstens 0,40 Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Entwicklungshilfe ausgeben. Herr Klein, wir sind damit im unteren Drittel der DAC-Länder Europas ({1}) vielleicht wussten Sie das eben nicht; wahrscheinlich haben Sie deswegen die Frage nicht beantworten können -, und das, obwohl die anderen Länder von der Wirtschaftskrise genauso betroffen sind wie Deutschland. ({2}) Deutschland ist immer noch ein finanz- und wirtschaftsstarkes Land; deswegen ist das Verfehlen dieses Ziels ein Armutszeugnis für diese Regierung. ({3}) Jetzt ist schon fast erklärt, warum sich Herr Niebel so langsam aus der Verantwortung stiehlt. Nur so ist das Gerede zu verstehen, der effiziente Mitteleinsatz sei wichtiger, als irgendeine Quote zu erreichen. ({4}) Wer oder was hindert Sie eigentlich daran, viel Geld in die Hand zu nehmen und dieses Geld effektiv und sinnvoll auszugeben? ({5}) Niemand, also wir jedenfalls nicht! ({6}) Im Gegenteil: Wir haben entsprechende Vorschläge gemacht. Sie haben es geschafft, den Haushaltstitel „Beobachtung und Überprüfung der deutschen entwicklungspolitischen Zusammenarbeit“ um die Hälfte zu kürzen. Sie wollen anscheinend gar nicht wissen, wie effektiv Ihre Mittel eingesetzt werden. Das ist ein zweites Armutszeugnis. ({7}) Hinter Ihren Ausflüchten steckt etwas anderes. Sie wissen schon jetzt: Das 0,7-Prozent-Ziel können Sie nicht erreichen. Deswegen muss man schon einmal anPriska Hinz ({8}) fangen, das Ganze schönzureden. Das ist das Problem. 2015 - wahrscheinlich werden Sie dann nicht mehr regieren; wir arbeiten jedenfalls darauf hin - geht es nach dem Motto: Nach mir die Sintflut; die neue Regierung soll doch sehen, wo sie bleibt. Herr Klein, das dient weder den internationalen noch den deutschen Interessen ich erinnere an die globalen Verpflichtungen, die wir eingegangen sind und die Sie hier vorhin so schön zitiert haben -, im Gegenteil. Es hilft weder Deutschland noch der Welt insgesamt, wenn wir unsere Verpflichtungen nicht einhalten und nicht global dafür sorgen, dass Armut erfolgreich bekämpft wird, dass es mehr Sicherheit gibt und dass der Klimaschutz verbessert wird. ({9}) Zum zweiten Wortbruch. Bundeskanzlerin Merkel hat in Kopenhagen jährlich 420 Millionen Euro zugesagt. 70 Millionen Euro sind in diesen Haushalt eingestellt; 35 Millionen Euro entfallen auf den Haushalt des BMU und 35 Millionen Euro auf den Haushalt des BMZ. Natürlich wurde erst einmal versucht, diese Mittel dadurch aufzubringen, dass man in einem anderen Topf streicht, dass man also einfach umschichtet. Daraufhin musste es im Haushaltsausschuss eine Krisensitzung geben, ({10}) weil wir Ihnen diese Peinlichkeit vor Augen geführt haben, in die Frau Merkel und ihre Regierung kommen, wenn sie diese Zusage noch nicht einmal in Ansätzen einhalten. In diesem Haushalt werden also 70 Millionen Euro bereitgestellt; aber das wird Ihnen nicht helfen. Auf dem internationalen Parkett ist Bundeskanzlerin Merkel mit ihrer Koalition im Hinblick auf Glaubwürdigkeit und Ansehen gesunken, und das, wie ich finde, zu Recht. ({11}) Stichwort: Glaubwürdigkeit, Ansehen und Durchsetzungsfähigkeit des neuen Entwicklungshilfeministers. ({12}) - Entwicklungsminister. Danke schön! Zu Recht leidet Ihr Ansehen darunter, dass Ihre Partei das Ressort abschaffen wollte. ({13}) - Das müssen Sie sich schon anhören! - Statt peinliche Personalpolitik zu betreiben, müssten Sie, Herr Minister, da Sie ja unter besonderer kritischer Beobachtung stehen, jetzt sehr viel Elan dahin gehend entwickeln, das 0,7-Prozent-Ziel on the long way zu erreichen, ({14}) und sich kräftig dafür einsetzen, dass ein entsprechender Aufwuchs bei diesem Haushalt in Höhe von über 2 Milliarden Euro geschieht. Was machen Sie? Sie besitzen noch nicht einmal Durchsetzungsfähigkeit in Ihren eigenen Reihen. Ich glaube, das ist wahrscheinlich dieser langjährigen Forderung, das Entwicklungsministerium abzuschaffen, geschuldet. Weder ist Ihr Wunsch aufgenommen worden, einen eigenständigen Haushaltstitel für Haiti einzurichten, ({15}) noch ist Ihrem Wunsch entsprochen worden, die Unterstützung für UN-Programme nicht zu kürzen. Hier gab es ja den ausdrücklichen Hinweis: Das gibt Probleme im Hinblick auf einen eigenen Sitz im Sicherheitsrat. Sie können sich nicht durchsetzen, nicht einmal bei Ihren eigenen Leuten. Wie soll das denn erst werden, wenn Sie diese Aufgabe auf dem internationalen Parkett wahrnehmen sollen? ({16}) Ich sage Ihnen: So wird das nichts mit Ansehen und Glaubwürdigkeit im Amt und der Durchsetzung der Entwicklungsinteressen. Wenn Sie schon keine Steigerung der Barmittel erreichen konnten, dann hätten Sie sich wenigstens um innovative Finanzierungsinstrumente kümmern sollen, wie wir sie unter anderem vorgeschlagen haben, und dann sollten Sie sich auch nicht gegen eine Finanztransaktionsteuer aussprechen, wie unter anderem wir sie zur Finanzierung von Entwicklungszusammenarbeit einführen wollen. ({17}) Herr Klein, uns können Sie nicht vorwerfen, dass wir nur vom Sparen reden, aber in Wirklichkeit mehr ausgeben wollten. Wenn man unsere Vorschläge verwirklichen würde, bliebe man 7 Milliarden Euro unter dem Neuverschuldungsbetrag, mit dem die Regierung plant und den die Koalitionsfraktionen beschließen wollen. Zugleich haben wir Vorschläge gemacht, wie wir 2,2 Milliarden Euro in Form von Barmitteln und zinsvergünstigten Krediten für die Entwicklungszusammenarbeit auf den Weg bringen können. ({18}) Das ist der richtige Weg; denn so könnten wir das 0,51Prozent-Ziel in diesem Jahr tatsächlich erreichen. ({19}) Ich möchte noch auf einen Punkt zu sprechen kommen: In den ganzen Diskussionen um den Haushalt des BMZ, bei denen Sie ja immer von einem angeblich so riesengroßen Aufwuchs sprechen, ({20}) wurde überhaupt nicht bemerkt, dass Sie die Verpflichtungsermächtigungen um 10 Prozent kürzen. Das Priska Hinz ({21}) heißt, Verpflichtungen in Höhe von 400 Millionen Euro können nicht rechtlich bindend eingegangen werden. Diese Kürzung ist insgesamt größer als der Aufwuchs in Höhe von 189 Millionen Euro, den Sie hier immer so preisen. Deswegen ist festzuhalten: Es handelt sich einmal mehr nicht um ein Nullsummenspiel, sondern um einen Rückgang der Mittel für die Entwicklungszusammenarbeit. Das sollten Sie sich hinter die Ohren schreiben. Das ist ein Armutszeugnis für diese Koalition. ({22}) Meine Damen und Herren von der Koalition, Sie haben einen Haushalt mit Rekordverschuldung vorgelegt. Sie schaffen es aber nicht, zwei zentrale internationale Zusagen Deutschlands einzuhalten. Das ist bitter für die Entwicklungsländer, bitter für den Klimaschutz, bitter für das Ansehen und das Gewicht Deutschlands auf der internationalen Bühne. Meine Damen und Herren von Schwarz-Gelb, Sie können es einfach nicht! Danke schön. ({23})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Der Kollege Dr. Christian Ruck hat jetzt das Wort für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Dr. Christian Ruck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001893, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Ich beginne mit dem, was uns alle eint: Für uns alle ist Entwicklungspolitik ein zentrales Element für die Zukunftssicherung auf unserem Planeten. Deswegen ist unser Entwicklungshaushalt auch ein Kernelement für Deutschlands globale Verantwortung in der Welt. Wenn man so will, ist der Entwicklungshaushalt das Aushängeschild dafür, wie unser Land Solidarität und Verantwortung in der Welt ausübt. Diese globale Verantwortung besteht zum Beispiel in der Prävention von Krisen, in der Prävention von Migration, in der Bekämpfung von Armut und Unterdrückung und in der Sicherung des biologischen und kulturellen Erbes der Welt. Ich möchte zu den Zahlenspielereien eines ganz klar sagen: Wir sind inzwischen der zweitgrößte Geber von Entwicklungshilfe in der ganzen Welt. Das ist eine Leistung, die wir von niemandem kleinreden lassen werden. ({0}) Als zweitgrößter Geber tragen wir öffentlich Verantwortung und sind öffentlich der Solidarität verpflichtet. Das wird auch in den kommenden Jahren so bleiben. Wir müssen allerdings auch immer wieder betonen: Entwicklungspolitik ist nicht nur im Interesse unserer Partner, sondern auch im vitalen deutschen Interesse, und zwar nicht nur aus Sicherheitsgründen. Vielmehr ist der BMZ-Haushalt der zweitgrößte Investitionshaushalt der Bundesrepublik Deutschland und sichert mehrere Hunderttausend Arbeitsplätze in unserem eigenen Land. Deswegen ist der Haushalt des BMZ auch ein wichtiges Instrument bei der Bekämpfung der derzeitigen globalen Krise, und zwar sowohl in Deutschland als auch international. Zur Kritik der Opposition möchte ich eines sagen - ich sage das immer wieder mit Freude und auch im Interesse unseres ehemaligen Koalitionspartners, der sich nicht immer von seinen eigenen Erfolgen distanzieren sollte -: Unter Bundeskanzlerin Angela Merkel ist der Entwicklungshaushalt in den letzten vier Jahren um 50 Prozent angewachsen, und die Ausgaben für Klimaschutz, Hungerbekämpfung und die Bewahrung der Schöpfung sind stets gestiegen. ({1}) Eine Steigerung um 50 Prozent hat nie ein anderer Haushalt in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland geschafft. Deswegen, Frau Wieczorek-Zeul, habe ich Ihnen immer unterstellt, dass Sie sehr froh waren - zu Recht -, als Bundeskanzler Schröder endlich durch Bundeskanzlerin Angela Merkel ersetzt worden ist. ({2}) Die christlich-liberale Koalition hat dafür gesorgt, dass - das ist schon angesprochen worden - 2010 ein Entwurf des Haushalts vorgelegt wurde, der eine Steigerung von 256 Millionen Euro gegenüber dem Haushalt 2009 aufweist. Ich verstehe eines nicht, Frau Kofler: Sie müssen doch, wenn Sie mit den Zahlen spielen, erkennen, wie groß der Aufwuchs gegenüber dem letzten Entwurf unserer gemeinsamen Regierung war. Unser letzter gemeinsamer Haushalt hat einen Aufwuchs von genau 23 Millionen Euro vorgesehen. Jetzt ist die Steigerung elfmal so hoch. Deswegen fassen Sie sich am besten an Ihre eigene Nase. Wir sind jedenfalls ohne Sie um das Elffache weitergekommen, als wir es mit Ihnen wären. ({3}) - Herr Binding, ich bin Ihrer Meinung: Wir sollten seriös bleiben. Ich gehe davon aus, dass wir auf diese 23 Millionen Euro noch etwas draufgesattelt hätten. Aber trotzdem verwahre ich mich gegen die ungerechtfertigte Kritik, dass wir in dieser schwierigen Lage überhaupt nichts geleistet hätten. Ich verwahre mich auch gegen die Behauptung, dass der letzte Haushalt so toll gewesen wäre. Ich glaube, unsere Haushälter und unsere Arbeitsgruppen haben hier ganze Arbeit geleistet. Das ist ein guter Start für die neue Koalition. ({4}) Eines muss man doch auch einmal sagen: Erst mit dem Amtsantritt der Kanzlerin haben die vitalen Zukunftsfragen der Menschheit, nämlich Klima, Umwelt und Entwicklungspolitik, auch international wieder den nötigen Rückenwind bekommen, Frau Koczy. Jeder sieht doch, wie riskant zum Beispiel Ankündigungen vor oder nach Kopenhagen sind. Ebenso sieht jeder, dass es sehr riskant ist, auf internationalem Parkett mit einer solchen Vorlage aufzutreten, wie es die Kanzlerin und diese Bundesregierung getan haben. Wenn man aber nicht alles erfüllt, dann schreit die Opposition sofort, dass man hinter den Erwartungen zurückgeblieben ist. ({5}) Deshalb frage ich Sie: Welche Erwartungen hatten Sie früher? Was Sie von den Grünen damals im BMZ zur Zeit der rot-grünen Regierung gemacht haben, war alles andere als grüne Politik. Sie haben vielmehr eine mickrige Leistung abgeliefert. ({6}) Meine Kolleginnen und Kollegen von der SPD, ich möchte auf Ihren Fraktionsvorsitzenden Steinmeier zurückkommen. Zwar will ich seine Rede nicht in Gänze kommentieren, aber ich finde, dass er an einer Stelle etwas sehr Wichtiges gesagt hat. Er hat nämlich gesagt, dass auch die Sozialdemokraten nicht so tun, als befänden wir uns nicht in der schwersten Krise seit Bestehen der Bundesrepublik Deutschland. ({7}) Ich sage ganz ehrlich, dass es überhaupt nichts schönzureden gibt. Wir werden Schwierigkeiten haben, in den nächsten Jahren unsere selbst gesteckten Ziele zu erreichen, weil uns die Krise unsere eigenen Pläne ziemlich verhagelt hat. ({8}) Ich sage an dieser Stelle aber auch: Wir werden diese Pläne nicht aufgeben. Sie stehen im Koalitionsvertrag. Wir werden versuchen, durch mehr Fantasie die notwendigen Mittel aufzubringen. Das ist weiterhin unser Ziel für 2015. Ich möchte noch ein paar strukturelle Dinge zur Diskussion stellen. Es war uns ein großes Anliegen, dass wir in diesem Haushalt neue Akzente bzw. Akzente - das sage ich an die Adresse unseres ehemaligen Koalitionspartners -, die wir uns damals gemeinsam vorgenommen hatten, setzen. Ich verstehe die diesbezüglich geäußerte Kritik nicht. Ich halte es nicht für besonders gelungen, dass man nach vier Jahren guter Zusammenarbeit innerhalb von drei Monaten alles vergisst, was man einmal gemeinsam machen wollte. Im Haushalt der neuen Koalition ist eine neue Entwicklungsoffensive zu Afghanistan gestartet worden. Wir haben die Mittel für die ländliche Entwicklung deutlich erhöht. Wir haben die Mittel für Bildung und Ausbildung und für die nachhaltige Wirtschaftsentwicklung ebenfalls deutlich erhöht. Wir unterstützen mehr denn je die Arbeit der Nichtregierungsorganisationen, der Kirchen und Stiftungen. Vor allem fördern wir - dieses Thema liegt mir sehr am Herzen - die Biodiversität und den Klimaschutz. Für die ländliche Entwicklung haben wir 500 Millionen Euro veranschlagt. Bei der Bildung als Schlüssel zur Selbstbestimmung wurden die Mittel auf 200 Millionen Euro fast verdoppelt. Bei der nachhaltigen Wirtschaftsentwicklung ist es ganz wichtig - auch das war einmal ein gemeinsames Anliegen -, dass wir den Aufbau des privaten Sektors und des Mittelstandes tatkräftig unterstützen. Das kann zum Beispiel durch Mikrofinanzierungen, aber auch durch umfangreiche Infrastrukturmaßnahmen, die für den Aufbau der Privatwirtschaft genauso wichtig sind, geschehen. Hinsichtlich des Umwelt- und Ressourcenschutzes gibt es ja die tollsten Kapriolen. Als damals die Grünen die Regierungsverantwortung verloren hatten und wir in die Regierung eingetreten sind, waren gerade einmal 25 Millionen Euro für die Erhaltung der Schöpfung, also für die Biodiversität, im Haushalt eingestellt. Frau Wieczorek-Zeul, ich weiß das deswegen noch so genau, weil wir uns damals gefragt haben, was wir mit diesem Plafond bewirken können. Jetzt wird in diesem Haushalt mehr als das Zehnfache dafür eingestellt. ({9}) Ich möchte Sie daher fragen: Was haben Sie während Ihrer Regierungszeit in diesem Bereich zustande gebracht? ({10}) Wir haben für Umwelt- und Ressourcenschutz fast 1 Milliarde Euro im BMZ-Haushalt eingestellt. Wir haben zum Beispiel auch die Mittel, die wir für die Global Environmental Facility bereitstellen, um fast 100 Prozent erhöht, Frau Koczy. Es macht nichts, wenn Sie das eine oder andere nicht mitbekommen haben. Darum sage ich es hier. Aber ich bitte darum, dass Sie das entsprechend würdigen. Anhand dieser Zahlen sieht man: Wir halten unser Wort in Bezug auf die Fast-Start-Initiative, die in Kopenhagen verabredet worden ist. Es sind genau 350 Millionen Euro dafür eingestellt, die schon veranschlagt worden waren. Obendrauf kommen noch einmal 70 Millionen Euro. Lassen Sie mich noch etwas zu einem sehr aktuellen Thema sagen, nämlich zu Haiti. Man kann sicher darüber diskutieren, ob man hier oder da noch mehr hätte machen können. Aber die entscheidende Frage ist doch eine andere: Es gibt Situationen, in denen mehr Hilfe keinen Sinn hat. Wir müssen vielmehr längerfristiger denken. ({11}) - Genau. - Wir müssen uns fragen, warum Haiti in einem so katastrophalen Zustand war, dass es mit dieser Krise überhaupt nicht zurechtgekommen ist. Das führt mich wieder zu einer Steigerung, und zwar der Steigerung der Mittel zum Beispiel für Stiftungen und Kirchen um 63 Millionen Euro. Wir müssen uns im Zusammenhang mit den entwicklungspolitischen Mitteln auch mit fragilen Staaten, mit Staaten, die am Rande des Zusammenbruchs stehen und weiße Flecken der Ordnung auf diesem Planeten sind, stärker auseinandersetzen. Das ist vor allem eine Aufgabe für die Stiftungen und die Kirchen, die auch in einem Terrain arbeiten können, in dem die bilaterale Zusammenarbeit nicht funktionieren kann, weil es keinen demokratisch legitimierten Ansprechpartner gibt. Ich bin sehr froh, dass es uns gelungen ist, da einige entscheidende Weichen zu stellen. Wir werden die Entwicklungspolitik auch in den nächsten Jahren sowohl qualitativ als auch quantitativ voranbringen. Wir werden das Schritt für Schritt und mit Fantasie tun. Nur so werden wir die globalen Herausforderungen meistern können. Vielen Dank. ({12})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Der Kollege Dr. Sascha Raabe hat das Wort für die Fraktion der SPD.

Dr. Sascha Raabe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003614, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Lieber Herr Ruck, lieber Herr Klein, Sie versuchen hier, den kümmerlichen Aufwuchs dieses Haushaltes ({0}) mit einem vermeintlichen Entwurf aus dem letzten Jahr zu vergleichen, der nie in das Parlament - dann können wir das Parlament auch auflösen - eingebracht worden ist. Man kann aber nur das vergleichen, was vergleichbar ist. Das war ein überrollter Haushalt, der vor der Bundestagswahl nicht mehr in das Parlament eingebracht wurde. Fakt ist, dass wir in den letzten beiden Jahren einen Aufwuchs von über 14 Prozent hatten. Jetzt kommen Sie mit nur knapp 4 Prozent daher und wollen kaschieren, dass der Entwicklungsminister und die Kanzlerin ein Versprechen bzw. eine Zusage an die ärmsten Menschen dieser Welt nicht eingehalten haben. Das werden wir nicht durchgehen lassen. Dieser Haushalt ist und bleibt eine Schande für Deutschlands Ansehen in der Welt und ein Schlag ins Gesicht der Ärmsten der Armen. ({1}) Ich kritisiere jetzt bewusst die Kanzlerin. Von Ihnen, Herr Entwicklungsminister - das habe ich schon bei der Einbringung des Haushalts gesagt -, bin ich nicht enttäuscht; denn von Ihnen habe ich nichts anderes erwartet. Sie wollten das Ministerium abschaffen. Sie haben noch vor einem Jahr gesagt, Entwicklungshilfe für Afrika sei verpulvertes Steuergeld, dafür solle man lieber deutsche Lehrer einstellen. Von Ihnen habe ich gar nicht erwartet, dass Sie für einen großen Etat kämpfen. Aber dass sich die Bundeskanzlerin, die sich bei jedem Kirchentag und bei jedem internationalen Auftritt mit Künstlern wie Bono immer wieder hat feiern lassen und gesagt hat, sie stehe zu dem Ziel der ODA-Quote von 0,51 Prozent im Jahre 2010, jetzt klammheimlich aus der Verantwortung davongestohlen hat, ist unerhört. Sie hat schon in Kopenhagen in Bezug auf den Klimaschutz Ankündigungen gemacht, die sie nicht hält, und jetzt geschieht das Gleiche bei der Entwicklungszusammenarbeit. Das ist Kontinuität in der Lüge. Wenn Pinocchio eine Schwester hätte, dann würde sie Angela heißen. ({2}) Wenn wir wollen, dass die Entwicklungsländer uns beim Klimaschutz und bei internationalen Verhandlungen vertrauen, dann müssen wir ihnen die Mittel zur Verfügung stellen, die wir ihnen zum Teil schon seit den 70er-Jahren versprochen haben. Nichts davon ist zu sehen. Was 2015 angesichts dessen, dass der Entwicklungsminister die Finanztransaktionsteuer ablehnt, ({3}) geschehen soll, ist mir schleierhaft. Herr Minister Niebel, jetzt komme ich zu Ihnen. Wir waren letzte Woche gemeinsam auf Dienstreise in Vietnam und Kambodscha. Vielleicht sagen Sie im Anschluss in Ihrer Rede auch noch etwas dazu. Ich will aber schon einmal den ersten Teil des Reiseberichts liefern. Der Fairness halber ist zu sagen: Die Länder und die Programmpunkte waren gut ausgewählt. Wir haben uns vom zivilen Friedensdienst über die Förderung der ländlichen Entwicklung, eine nachhaltige Wirtschaftsentwicklung und die Gesundheit bis hin zu den Frauenrechten vieles angeschaut; das alles war in Ordnung. Auch die Gespräche mit den politischen Entscheidungsträgern von Regierung und Parlament waren gut. Sie haben in Ihren einleitenden Sätzen durchaus die richtigen Worte gewählt. Sie haben immer darauf hingewiesen, dass gute Regierungsführung in den Partnerländern wichtig ist, und das unterstütze ich. Die Themen Menschenrechte, Demokratie, Rechtstaatlichkeit und der Kampf gegen die Korruption haben wir zu Recht gemeinsam angesprochen; denn die Mittel aus der Entwicklungszusammenarbeit sollen bei den Ärmsten ankommen und nicht in den Taschen der Regierenden und Eliten landen. Sie haben ausgeführt, dass Sie das in Kambodscha noch prominenter als in Vietnam angesprochen haben, weil sich Kambodscha als Demokratie versteht. Sie begründen das damit, dass Kambodscha einen höheren Anspruch als Vietnam habe, das sowieso nur ein Einparteiensystem habe und in dem keine freien Wahlen stattfinden würden. Man kann dieser Logik folgen. Wenn man ihr aber folgt, dann muss man auch berücksichtigen, dass es in Kambodscha nach dem Terror der Roten Khmer und der Besetzung durch Vietnam erst seit 1993 freie Wahlen gibt. Es ist eine sehr junge Demokratie, die sich erst in der 4. Legislaturperiode befindet. Wir haben zu Recht trotzdem gemahnt und den Finger gehoben. Allerdings frage ich mich, was passiert, wenn unsere Gesprächspartner, die wir zu einem Gegenbesuch eingeladen haben, nach Deutschland kommen und zu Recht die Erwartungshaltung haben, dass ein demokratischer Staat wie die Bundesrepublik Deutschland, die seit 1949 besteht und sich in der 17. Legislaturperiode befindet, eine lupenreine Demokratie mit guter Regierungsführung sein müsste. Herr Niebel, Sie werden mir zustimmen, dass in Deutschland, in einem etablierten, jahrzehntelang währenden demokratischen Staat und einer reichen Nation, die sich einen öffentlichen Dienst etc. leisten kann, ein höherer Maßstab als in Kambodscha angelegt werden muss. Wenn das aber so ist, wie soll ich dann meinem kambodschanischen Parlamentskollegen erklären, warum unser Entwicklungsminister Niebel in seinem Ministerium fast alle wichtigen Leitungsfunktionen mit Parteifreunden besetzt hat und sogar extra eine neue Abteilung zur Versorgung von FDP-Parteifunktionären geschaffen hat? ({4}) Was soll ich meinem kambodschanischen Parlamentskollegen erklären, wenn er mich fragt, welche Einflüsse in Deutschland von außen auf die Gesetzgebung möglich sind und wie sich die Parteien finanzieren? ({5}) Wie soll ich ihm erklären, dass die Regierungspartei FDP 1,1 Millionen Euro von der Hotellobby gespendet bekommen hat - die höchste Spende ihrer Geschichte und CDU und CSU zusammen 800 000 Euro bekommen haben und sie danach ein Gesetz auf den Weg gebracht haben, mit dem den Hotellobbyisten über 1 Milliarde Euro geschenkt wurde? Ich kann es nicht erklären. ({6}) Ich kann dies vor allen Dingen nicht mit guter Regierungsführung erklären. In jedem anderen Land der Welt würde man ein solches Vorgehen in die Nähe von Korruption rücken. Wenn mich mein kambodschanischer Kollege fragt, was man denn in Deutschland tun muss, um als Unternehmer einem Ministerpräsidenten ein wichtiges Anliegen vorzutragen, dann kann ich ihm sagen: Du hast zwei Möglichkeiten. Du kannst entweder beim Büro des Ministers um einen Termin bitten. Vielleicht hast du Glück und kannst einen Staatssekretär sprechen. Wenn du ganz viel Glück hast, kannst du nach vielen Monaten auch den Ministerpräsidenten sprechen. Oder du zahlst 6 000 Euro an die Parteikasse der CDU, dann bekommst du spätestens beim nächsten Parteitag ganz sicher die Möglichkeit zu einem Gespräch mit dem Ministerpräsidenten. ({7}) Ich möchte nicht missverstanden werden: Natürlich sind die Zustände in Kambodscha mit denen in Deutschland nicht vergleichbar.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Raabe.

Dr. Sascha Raabe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003614, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Aber wir müssen einen höheren Maßstab an uns anlegen. Wenn wir gegenüber unseren Partnerländern glaubwürdig sein wollen und dort eine gute Regierungsführung einfordern,

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Raabe!

Dr. Sascha Raabe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003614, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

- dann müssen wir vor unserer eigenen Haustür kehren. ({0}) Mein letzter Satz konkret zum Haushalt. Wir befinden über den Personalplan und die Finanzierung der Stellen im Ministerium. ({1})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Raabe, wenn Sie noch innerhalb Ihrer Redezeit gewesen wären, dann hätte ich Sie gefragt, ob Sie eine Zwischenfrage zulassen wollen. Sie sind aber so weit außerhalb Ihrer Redezeit, dass ich das nicht mehr fragen kann. Ich bitte Sie, zum Ende zu kommen.

Dr. Sascha Raabe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003614, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich komme zum Ende. - Damit kein falscher Eindruck entsteht: Ich würde gerne den Mitteln für den Personaletat des Ministeriums zustimmen, weil es dort viele gute Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gibt. Aber was die unzähligen Versorgungsposten für Parteifreunde auf Leitungsebene angeht, sage ich: Wir machen da nicht mit. Der Fisch stinkt vom Kopf her. Schon allein deshalb werden wir dem Haushalt nicht zustimmen. In diesem Sinne können Sie auf unsere Ablehnung zählen. Ich würde mir wünschen, Herr Minister, dass wir in Deutschland dafür sorgen, dass gute Voraussetzungen bezüglich unserer Glaubwürdigkeit herrschen, bevor wir das nächste Mal zusammen ins Ausland reisen. Wir in Deutschland müssen mit gutem Beispiel vorangehen und für eine saubere Trennung von Partei- und Regierungsämtern sorgen. Vielen Dank. ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Zu einer Kurzintervention Barbara Hendricks.

Dr. Barbara Hendricks (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002672, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege, Sie haben darüber gesprochen, wie man an Termine für ein Gespräch mit einem Ministerpräsidenten kommt. Ich darf Sie kurz darauf aufmerksam machen, dass zum Beispiel der Ministerpräsident des Landes Rheinland-Pfalz, Herr Kurt Beck, alle vier Wochen eine Bürgersprechstunde abhält, zu der jeder hinkommen kann. ({0})

Dr. Sascha Raabe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003614, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Kollegin, nur ganz kurz: Sie wissen natürlich, dass ich den Ministerpräsidenten von Nordrhein-Westfalen, Herrn Rüttgers, gemeint habe. Als Sozialdemokrat kann ich sagen, dass wir da ein anderes Verständnis haben. Ich war einmal Bürgermeister, und auch ich habe eine offene Sprechstunde angeboten. Ich glaube, das ist der richtige Weg. Ich werde meinem kambodschanischen Parlamentskollegen sagen, dass wir Politiker auch ohne Parteispenden gerne für Gespräche mit Bürgern, mit Menschenrechtlern und selbstverständlich auch mit Unternehmern zur Verfügung stehen. ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Das Wort hat der Bundesminister Dirk Niebel. ({0})

Dr. h. c. Dirk Niebel (Minister:in)

Politiker ID: 11003198

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zuallererst möchte ich den Kolleginnen und Kollegen des Haushaltsausschusses, insbesondere Frau Hinz, Herrn Klein, Herrn Binding, Herrn Koppelin und nicht zuletzt Herrn Bartsch, danken für die kooperative Zusammenarbeit und für das Verständnis, das dafür sorgte, dass es in der Bereinigungssitzung insbesondere zu früher Morgenstunde noch bestimmte, wichtige Entscheidungen gegeben hat. Allerdings würde ich mir wünschen, dass die Erinnerung an die Zeit in politischen Jugendorganisationen, wo die wichtigsten Entscheidungen auch immer erst morgens getroffen wurden, in Zukunft aus dem Haushaltsausschuss verbannt wird. Wir könnten eigentlich schon drei Stunden früher fertig werden, wenn ich das so ehrlich sagen darf. ({0}) Nichtsdestotrotz waren die letzten Entscheidungen die besten. Ich bin sehr dankbar dafür, dass sich in diesem Haushalt ein Politikwechsel in der Entwicklungspolitik widerspiegelt. Es ist der ausdrückliche Anspruch dieser neuen Bundesregierung, Dinge anders zu machen. Wir setzen andere Schwerpunkte. Dies können Sie in diesem Haushalt erkennen. Wir setzen ganz bewusst auf eine Stärkung der Zivilgesellschaft. Wir stärken die Kirchen, die Nichtregierungsorganisationen und - das sage ich ganz ausdrücklich - alle politischen Stiftungen, weil wir der festen Überzeugung sind, dass in vielen Ländern, in denen man aus guten Gründen vielleicht nicht auf bilateraler Ebene arbeiten sollte, die politischen Stiftungen, die Kirchen, aber auch NGOs Zugänge haben und Strukturen schaffen können, die in der Zeit nach einer Diktatur vielleicht dazu beitragen können, dass sich die Gesellschaft weiterentwickeln kann. Auch das ist ein Grund, warum gerade hier ein Aufwuchs stattfinden soll. Dieses Instrument sollte man intensiver nutzen. ({1}) Diese Bundesregierung stärkt ausdrücklich auch die Zusammenarbeit mit der mittelständischen deutschen Wirtschaft, in diesem Fall mit zusätzlich 10 Millionen Euro. ({2}) - Sie können gerne Zwischenfragen stellen, insbesondere zum Personal. Ich habe die Lebensläufe der Mitarbeiter dabei, die Sie hier so schändlich angegriffen haben, ohne dass sie sich verteidigen konnten, meine liebe Frau Kollegin. ({3}) Wir setzen ausdrücklich auch auf das Engagement der deutschen Wirtschaft, weil es unser Ziel ist, unsere Partnerländer dahin gehend zu entwickeln, dass sie im Idealfall nicht mehr auf unsere Hilfe angewiesen sind. Das heißt, wir verlagern den Schwerpunkt in Richtung der Förderung des Wirtschaftswachstums in unseren Partnerländern, damit sich dort eine eigenständige Wirtschaft entwickeln kann. Die Chance auf ein eigenes Einkommen ist ein wesentlich besserer Beitrag zur Armutsbekämpfung als jede noch so gut gemeinte Hilfeleistung durch das Verteilen von irgendwelchen Wohltaten. ({4}) Wir wollen, dass unsere Entwicklungspolitik weltweit sichtbarer wird, nicht nur, weil wir glauben, dass unsere Bürgerinnen und Bürger, die unser Engagement durch Steuern zu finanzieren haben, einen Anspruch darauf haben, dass man unser Engagement nachvollziehen kann, sondern auch, weil wir wissen, dass wir durch Wirksamkeit und Sichtbarkeit immer wieder die Zustimmung der Menschen in unserem Land gewinnen müssen, damit wir viel Geld in die Entwicklungszusammenarbeit investieren können. Nicht jeder erkennt sofort, dass vieles auch im deutschen Interesse ist. Ich wundere mich über manche Diskussionsbeiträge, die hier geboten wurden, insbesondere von Ihnen, Herr Raabe. Sie waren einmal Bürgermeister. Gehen Sie einmal in eine Gemeinde, einen Kreis, eine Stadt und erzählen Sie dort von diesem vermeintlich schändlichen, geringen Aufwuchs von 256 Millionen Euro. Erzählen Sie das einmal einem Kommunalpolitiker, der nicht weiß, wie er die Löcher zu Hause schließen soll. ({5}) Wir müssen wirksam, sichtbar, erfolgreich und effizient sein, damit uns die Bürgerinnen und Bürger immer wieder ihr Vertrauen geben, wenn wir zusätzliche Steuermittel im Bereich der Entwicklungspolitik einsetzen. ({6})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Niebel, möchten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Raabe zulassen?

Dr. h. c. Dirk Niebel (Minister:in)

Politiker ID: 11003198

Ja, aber selbstverständlich.

Dr. Sascha Raabe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003614, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Niebel, nur ganz kurz, weil Sie sagten, dass ich als Bürgermeister wissen müsste, was 256 Millionen Euro bedeuten: Sie werden bitte zur Kenntnis nehmen, dass ich Bürgermeister einer Gemeinde mit 12 000 Einwohnern gewesen bin. Es gibt auf der Welt 3 Milliarden hungernde Menschen: 2 Milliarden leben von weniger als 2 Dollar und 1 Milliarde von weniger als 1 Dollar pro Tag. 256 Millionen Euro, bezogen auf 3 Milliarden Menschen, bedeutet etwas anderes, als dies für 12 000 Einwohner der Fall wäre. Wenn Sie aber meiner Heimatgemeinde 256 Millionen Euro zur Verfügung stellen, nehme ich diese sehr gerne an.

Dr. h. c. Dirk Niebel (Minister:in)

Politiker ID: 11003198

Lieber Kollege Raabe, würde ich nur 256 Millionen Euro im Haushalt des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung haben, würde ich Ihnen voll und ganz zustimmen. Sie übersehen, dass dieser Haushalt das erste Mal in der Geschichte der Bundesrepublik bei 6,1 Milliarden Euro angelangt ist. Das ist ein Erfolgsergebnis, das es hier noch nie gegeben hat. - Vielen Dank. ({0}) Daran kann ich nahtlos anschließen. Kollege Ruck hat es angesprochen: Unabhängig von unserem Haushalt, unabhängig von der ODA-Quote und Sonstigem muss man zur Kenntnis nehmen, dass die Bundesrepublik Deutschland in der Entwicklungszusammenarbeit der zweitgrößte Zahler weltweit ist. Wir sind stolz darauf, dass wir diese Leistung erbringen können. ({1}) Betrachtet man zusätzlich die Hilfen der Europäischen Union - von all dem, was dort finanziert wird, zahlen wir gute 20 Prozent -, sind wir sogar der weltgrößte Zahler in der Entwicklungszusammenarbeit. Das ist eine hervorragende Leistung der Bürgerinnen und Bürger der Bundesrepublik Deutschland, auf die sie stolz sein können. ({2}) Weil manche nicht lesen können oder wollen, möchte ich aus dem Hamburger Abendblatt vom 6. März dieses Jahres zitieren. Die Frage des Abendblattes an mich lautete: Rücken Sie langsam vom 0,7-Prozent-Ziel ab? Meine Antwort war: Die Bundesregierung hält ausdrücklich an diesem Ziel fest. Es wird nur sehr sportlich, es zu erreichen. Wer die Daten kennt, weiß, dass das stimmt. Wir halten an dem Ziel fest. Es steht im Koalitionsvertrag, und die Bundeskanzlerin hat es in der Regierungserklärung gesagt. Aber es wird sportlich, es zu erreichen. 2008 lag die ODA-Quote bei 0,38 Prozent. Wir haben jetzt der OECD den vorläufigen Wert für 2009 gemeldet. Die ODA-Quote ist auf 0,35 Prozent gesunken. Das habe nicht ich in den zwei Monaten meiner Amtszeit erreicht; da können Sie sicher sein. ({3}) - Nein, so gut bin ich nicht, dass ich so etwas in zwei Monaten erreiche, nicht einmal wenn es mein Ziel wäre; aber dies ist ausdrücklich nicht mein Ziel. Wir werden mit diesem Haushalt, der hier heute vorliegt, in diesem Jahr eine Quote von ungefähr 0,4 Prozent, vielleicht 0,41 Prozent, erreichen. Das ist vor dem Hintergrund einer schwierigen wirtschaftlichen Situation eine enorme Leistung. ({4}) Auch aus diesem Grund danke ich dem Haushaltsausschuss für das Entgegenkommen bei den Beratungen. ({5}) Der Etat spiegelt eine Strategieänderung in Bezug auf Afghanistan wider. Wir verlagern den Schwerpunkt in Afghanistan ausdrücklich und eindeutig auf den zivilen Aufbau. ({6}) - Kollege Binding hat eine Frage.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Möchten Sie diese zulassen?

Dr. h. c. Dirk Niebel (Minister:in)

Politiker ID: 11003198

Ja, natürlich. Wenn Sie die Uhr wieder anhalten, Frau Präsidentin, sogar sehr gerne.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Ich bin da sehr zuvorkommend. ({0})

Dr. h. c. Dirk Niebel (Minister:in)

Politiker ID: 11003198

Nicht immer, manchmal läuft die Uhr ein bisschen weiter, Frau Koczy.

Lothar Binding (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003050, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich habe eine Frage zu der jetzt überraschend niedriger als bisher geschätzt ausgefallenen ODA-Quote. Ich wollte fragen, ob ein Zusammenhang besteht zwischen den möglicherweise zeitlich anders strukturierten Vorfinanzierungen seitens der KfW und den Verzögerungen bei den Schuldenerlassen für Länder in Afrika. Hätte man diese beiden Aufgaben, die ich jetzt angesprochen habe, wie sonst üblich noch im letzten Jahr vollzogen - das war am Anfang Ihrer Amtszeit -, würde die ODAQuote dann anders aussehen?

Dr. h. c. Dirk Niebel (Minister:in)

Politiker ID: 11003198

Es ist richtig, dass der IWF-Schuldenerlass für Liberia, den übrigens nicht mein Haus verhandelt, sondern das Finanzministerium - ich sage das der guten Ordnung halber, weil in der Frage ein leiser Vorwurf lag -, ins Stocken geraten ist und nicht planmäßig vorangekommen ist. Wenn das alles planmäßig hätte durchgeführt werden können, wären wir wahrscheinlich auf dem gleichen Niveau wie 2008, also bei 0,38 Prozent. Fakt ist, dass die erste Meldung an die OECD - es wird natürlich noch eine abschließende geben, die alle Details enthält 0,35 Prozent lautet. Das ist ein Absinken gegenüber dem Vorjahr. Das ist keine gute Entwicklung. Ich sage noch einmal ausdrücklich: Bei allem, was Sie mir zutrauen - das meiste schätze ich als positiv ein -: Das habe ich in zwei Monaten wirklich nicht geschafft, selbst wenn ich es gewollt hätte, und ich habe es ausdrücklich nicht gewollt. ({0}) Dieser Haushalt spiegelt eine Strategieänderung in Bezug auf Afghanistan wider. Das Schwergewicht wird auf den zivilen Aufbau gelegt. Wir haben durch die Bereitstellung von zusätzlich 70 Millionen Euro - 35 Millionen Euro beim BMU und 35 Millionen Euro beim BMZ - unsere Verpflichtungen, die sich aus der Konferenz von Kopenhagen ergeben, erfüllt. Mit den bereits vorher im Regierungsentwurf eingestellten 350 Millionen Euro in den Einzelplänen der beiden Ressorts werden die vorgesehenen 420 Millionen Euro erreicht. Ich bin ausdrücklich stolz darauf, dass in diesem Haushalt netto 15,5 neue Stellen geschaffen worden sind. Denn das war lange überfällig, nachdem in den vergangenen Jahren immer nur Geld in diesen Etat gepumpt wurde, aber nicht die Fähigkeit vorhanden war, dieses Geld bilateral einzusetzen. Dies ist jetzt möglich. Besonders freue ich mich, dass bei den vier Stellen im einfachen Dienst morgens kurz nach 2 Uhr die kw-Vermerke endgültig gestrichen worden sind. Das tut dem Haus gut. Weil das dem Haus guttut, wundere ich mich sehr, dass mich nach allen öffentlichen, auch hier geführten Angriffen kein Vertreter der Opposition auf die Lebensläufe meiner Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter angesprochen hat. Meine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind nämlich hochkompetent und haben es nicht nötig, hier beschimpft und erniedrigt zu werden. ({1}) Meine Redezeit ist vorbei. Sie haben jetzt die letzte Gelegenheit, dazu eine Zwischenfrage zu stellen. Ich habe die Lebensläufe hier. Es handelt sich, wie gesagt, um hochkompetente Leute, hervorragend motiviert und übrigens längst nicht alle Mitglied der FDP. Wenn Sie aber weiterhin so argumentieren, werden sich viele von ihnen überlegen, ob sie zu uns kommen. Vielen Dank. ({2})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Der Kollege Niema Movassat hat jetzt für die Fraktion Die Linke das Wort. ({0})

Niema Movassat (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004114, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! „Dabei sein ist alles“ scheint das Motto des Entwicklungshaushaltes zu sein, jedenfalls dann, wenn man sich, wie Minister Niebel, der Freizeitsprache bedient und das Ziel, die Ausgaben für Entwicklungshilfe bis 2015 auf 0,7 Prozent des Bruttonationaleinkommens zu steigern, als „sehr sportlich“ bezeichnet. Das Thema ist viel zu ernst für eine solch saloppe Wortwahl. ({0}) Rund 1 Milliarde Menschen weltweit hungern, fast 5 Millionen sterben jährlich an Malaria und Tuberkulose. Die 0,7 Prozent sind ein Mindestversprechen an die Ärmsten der Armen. Wenn man bedenkt, dass täglich 8 000 Kinder unter fünf Jahren verhungern, ist es geradezu kriminell, diese Zusage nicht einzuhalten. ({1}) Andere Länder sind verantwortungsvoller. So übertreffen Schweden, Dänemark und die Niederlande dieses Ziel schon jetzt. Doch Deutschland ist Meister der Ankündigungen, nicht der Taten. So wird mit diesem Haushalt nicht einmal die 0,51-Prozent-Marke für 2010 als Zwischenziel erreicht, sondern es sind nur etwa 0,4 Prozent. Dies hat die OECD jüngst kritisiert. Das ist eine Schande für CDU/CSU, SPD, Grüne und FDP; denn keiner von Ihnen hat sich in Regierungsverantwortung um die versprochene Steigerung der Entwicklungshilfe geschert. ({2}) Aber es kommt noch dicker. Selbst die mageren 0,4 Prozent werden nicht nur für Entwicklungsprojekte ausgegeben. Ein Unding ist die Anrechnung der Klimaschutzmaßnahmen. Der Klimawandel liegt vor allem in der Verantwortung der Industrienationen. Klimagelder sind Wiedergutmachung, keine Entwicklungshilfe. ({3}) Aber auch damit nicht genug. Entschuldung, Kosten für Abschiebungen und für die Unterkünfte der Soldaten in Afghanistan, all dies verkaufen Sie den Menschen als Entwicklungshilfe und hübschen somit Ihre Bilanz auf. Dabei ist das 0,7-Prozent-Ziel ohne Zahlentricks erreichbar. Wer Bürgschaften in Höhe von 480 Milliarden Euro für Banken aufbringt und 10 Milliarden Euro in den Kauf von A400M-Militärtransportern investiert, der kann sich auch mehr Entwicklungshilfe leisten. Allein mit den Einnahmen aus einer Finanztransaktionsteuer und einer Flugticketabgabe, deren Einführung wir hier beantragt haben, wäre die Finanzierung möglich. ({4}) Herr Minister, wir können gerne über Volumen und/oder Wirksamkeit der Entwicklungshilfe diskutieren. Für die Linke ist klar: Wir brauchen eine Steigerung bei beidem. Was denn sonst? Nötiger ist indes eine Diskussion über die neue Marschrichtung im Ministerium. Diese lautet nämlich, dass sich der Einsatz in Entwicklungsländern vor allem für deutsche Unternehmen lohnen soll. So wollen Sie, Herr Niebel, den Etat Ihres Hauses künftig weniger über internationale Organisationen als vielmehr über nationale Projekte steuern. ({5}) Dabei geht es letztlich darum, deutsche Firmen stärker am Entwicklungsgeschäft teilhaben zu lassen. ({6}) Kompetenz und Effektivität spielen eine untergeordnete Rolle. Das Hissen der deutschen Fahne oder aber die Nähe zur FDP sind maßgeblich. Ein Beispiel gibt der Spiegel. Die Consultingfirma TellSell, die FDP-Großveranstaltungen mitfinanziert und in deren Beirat Herr Koppelin, stellvertretender Vorsitzender der FDP-Fraktion, sitzt, will Beratungsaufträge von der GTZ ergattern. Das wird nicht allzu schwer werden, da Herr Koppelin gleichzeitig im Aufsichtsrat der GTZ sitzt. Zudem hat an dem Gespräch zwischen TellSell und der GTZ Herr Beerfeltz, FDP-Staatssekretär im Entwicklungsministerium, teilgenommen. Hier soll also ein Unternehmen, welches mit der FDP personell und finanziell verbandelt ist, ein Stück vom Kuchen abbekommen. Dabei wird es anscheinend auch von Ihrem Ministerium unterstützt. So bleibt alles in der FDP-Familie. ({7}) Entwicklungspolitik soll also noch mehr zum Türöffner für Interessen der deutschen Wirtschaft werden. Armutsbekämpfung sieht anders aus: Sie orientiert sich an den Bedürfnissen der Menschen in den Partnerländern, nicht an den Bedürfnissen des Gebers. Unter Ihnen, Herr Niebel, steht die deutsche Entwicklungspolitik heute Kopf. ({8}) Im Rahmen der Neuausrichtung des Ministeriums erleben wir ferner eine strukturelle Militarisierung der Entwicklungspolitik. ({9}) - Das müssen Sie sich schon anhören! - Ein Oberst der Bundeswehr wird in die Führung des Hauses berufen. Jetzt sollen Nichtregierungsorganisationen in Afghanistan nur dann Geld erhalten, wenn sie bereit sind, mit der Bundeswehr zusammenzuarbeiten, um sie - Zitat Minister Niebel - zivil zu flankieren. Ein aktuelles Thema ist die Reform der Institutionen der Entwicklungszusammenarbeit. Für die Linke macht sich die Handlungsfähigkeit der deutschen Entwicklungspolitik nicht an Institutionen fest. Wir brauchen eine neue politische Ausrichtung, statt dass nur über das Wie der Fusion diskutiert wird. Vor allem müssen wir basisorientierte Projekte, die eine nachhaltige Entwicklung ermöglichen, stärken. Ich komme zum Schluss. Sie, Herr Niebel, degradieren das Entwicklungsministerium zum international agierenden Lobbyverein für Interessen der deutschen Wirtschaft und zur zivilen Begleithilfe für Bundeswehreinsätze. Das wird die Linke nicht akzeptieren. Danke schön für die Aufmerksamkeit. ({10})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Für die Unionsfraktion spricht der Kollege Holger Haibach. ({0})

Holger Haibach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003546, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich habe mir heute Morgen überlegt, was man nach einer so langen Debatte noch sieben Minuten lang sagen soll. Inzwischen frage ich mich, ob sieben Minuten ausreichen, um den hanebüchenen Unsinn, der hier erzählt worden ist, auszumerzen. ({0}) All diejenigen, die hier markige Worte gefunden haben, sollten sich einmal überlegen, ob sie unserem Thema, das ein wichtiges Thema ist, mit markigen Wor2822 ten einen Gefallen tun. Ich glaube, wir alle - nicht nur wir, die wir die Regierung tragen, sondern auch die Opposition - haben eine Verantwortung dafür, ob unser Politikfeld ernst genommen wird. Das dokumentiert sich auch in der Sprache. Da haben Sie unserer Sache garantiert keinen Gefallen getan. ({1}) Herr Movassat und die Kollegin Hänsel haben vor mir gesprochen; daher fange ich bei der Linksfraktion an. Sie haben die saloppe Wortwahl des Ministers, das Ziel, auf eine ODA-Quote von 0,7 Prozent des BIP zu kommen, sei ein sehr sportliches Ziel, kritisiert. Ich finde es interessant, mit welcher Wortwahl Sie hier angetreten sind. Was musste ich da alles hören: militärische Expansionspolitik, ({2}) wirtschaftliche Expansionspolitik, ({3}) Interessenvertretungsverein deutscher Wirtschaft. Ja, meine Herren! Sie sind rhetorisch in einer Zeit stehen geblieben, die länger vorbei ist als der Fall der Mauer. Sie sollten sich einmal überlegen, ob Sie, gerade was die Entwicklungspolitik angeht, weiter bei Marx und Lenin bleiben oder endlich in der Realität ankommen wollen. Viel Spaß dabei! ({4}) Inhaltlich haben Sie, außer dass Sie Mitarbeiter des BMZ beschimpft haben, und abgesehen davon, dass Sie den Minister kritisiert haben, nichts, aber auch gar nichts Konstruktives zur Debatte beigetragen. Es hätte genügend Gründe gegeben, etwas Konstruktives dazu beizutragen. ({5}) Sie wollen - das gilt für manche andere in diesem Haus auch - nicht einsehen, dass man, wenn man Entwicklungspolitik richtig machen will, einen ganzheitlichen Ansatz braucht. So schrecklich Sie die Wirtschaft finden mögen, am Ende werden Sie einsehen müssen, dass man die Wirtschaft braucht. Eine Zusammenarbeit mit der Wirtschaft bietet genauso wie eine Zusammenarbeit mit Nichtregierungsorganisationen, genauso wie eine Zusammenarbeit mit Stiftungen, genauso wie eine Zusammenarbeit mit staatlichen Entwicklungsorganisationen, genauso wie eine Zusammenarbeit mit den Kirchen einen Zugang, den die Politik allein nicht bieten kann. Das müssten Sie endlich anerkennen! Aber dazu sind Sie offensichtlich nicht willens oder in der Lage. Anders kann ich die Aussagen, die hier getroffen worden sind, jedenfalls nicht verstehen. ({6}) Damit bin ich bei einem weiteren Punkt. Hier ist viel darüber diskutiert worden, welche Zahlen zu welchem Etat richtig gewesen sind. Solche Zahlenspiele sind hochinteressant, und jeder - ob er in der Opposition ist oder in der Regierung sitzt - stellt sie an; aber man muss doch zugeben: Vieles kann man auf die eine oder auf die andere Weise interpretieren. Mich stört, dass der Aspekt, dass es bei der Verwendung der Mittel auch um Effizienz geht - der Minister hat darauf hingewiesen, und auch viele von uns haben das angesprochen -, nonchalant als Ausweichdiskussion dargestellt worden ist, dass man gesagt hat: Das spielt ja eigentlich keine Rolle. Gerade wenn ich mir Afghanistan anschaue - um nur ein Beispiel zu nehmen -, dann komme ich zu dem Schluss, dass Effizienz von höchster Wichtigkeit ist. Wenn wir die Mittel für Afghanistan verdoppeln, ist es doch in hohem Maße notwendig, auch für die Legitimation von Entwicklungszusammenarbeit in unserem eigenen Land, dafür zu sorgen, dass die Mittel tatsächlich abfließen, dass sie sinnvoll verwendet werden und in Afghanistan die Friedensdividende bewirken, die wir brauchen. Dafür bedarf es der richtigen Maßnahmen. Deshalb ist Effizienzkontrolle gerade an einem solchen Punkt extrem wichtig. Man darf das nicht einfach beiseiteschieben. ({7}) Genau das Gleiche ließe sich mit großer Berechtigung auch über die Mittel für Klimaschutz und für andere Bereiche sagen. Der Kollege Ruck hat zu Recht auf das Beispiel Haiti hingewiesen. Es bedarf wirklich eines längerfristigen Ansatzes, wenn wir auf Haiti erfolgreich sein wollen. Der Unterschied zwischen der Katastrophe auf Haiti und anderen Katastrophen ist nun einmal der, dass der Staat Haiti schon vorher kaum vorhanden war, dass es nach der Katastrophe keine UN-Mission mehr gab und dass der Staat quasi keine funktionierenden Strukturen mehr hatte. Dort geht es also um „build back better“, also darum, diesem Staat so zu helfen, dass er nach dem Wiederaufbau besser als vorher ist. Dabei spielt Geld eine wichtige Rolle, aber Strukturen sind mindestens genauso wichtig: Wie stellt man einen Bebauungsplan so auf, dass die Gebäude dann auch einigermaßen erdbebensicher sind? Man kann Katastrophen nicht verhindern, aber dafür sorgen, dass die Dinge insgesamt besser gemacht werden. Da haben wir eine große Expertise. Das ist unabhängig von Geld. Das ist eine ganz wichtige Aufgabe, die wir an der Stelle haben. Ich will noch etwas dazu sagen, dass wir - angeblich zwiespältig reden, was die Freiwilligendienste betrifft; Frau Kofler hat das erwähnt. Manchmal hilft ja Nachfragen beim Herausfinden der Wahrheit, Frau Kollegin. Wir haben das getan, und ich finde das Ergebnis ganz spannend. Der Mittelabfluss bei „weltwärts“ betrug im letzten Jahr 27 Millionen Euro. Wir stellen nach dem vorliegenden Haushaltsentwurf 29 Millionen Euro zur Verfügung. Das heißt, die Mittel werden vermutlich ausreichen. Wie das im nächsten Jahr aussieht, werden wir uns in Ruhe anschauen müssen. Es geht also gar nicht darum, dass irgendjemand „weltwärts“ nicht schätzt - ich halte das durchaus für ein vernünftiges und gutes Projekt -, aber wir müssen die Mittel ein bisschen an dem orientieren, was tatsächlich notwendig ist und was tatsächlich abgeflossen ist. ({8}) Damit bin ich beim allerletzten Punkt, den ich gern noch ansprechen würde, nämlich bei dem Moralapostel der SPD, dem heiligen Sascha Raabe, ({9}) der die Moral wie eine Monstranz vor sich her getragen hat. Man fragt sich, ob der Kollege katholisch ist und gern an Prozessionen teilnimmt. Es war wirklich ganz interessant. Er hat auch Pinocchio bemüht und was da alles war. Ich stimme ihm darin zu, dass Glaubwürdigkeit in der Politik ein hohes Gut ist. Aber dann, lieber Herr Kollege Raabe, muss man bei sich selber anfangen. Der Kollege Raabe hat, wie viele von uns das ab und zu tun, in seinem Wahlkreis eine Schule besucht und über Entwicklungspolitik gesprochen. Der Hanauer Anzeiger vom 25. Februar 2010, aus dem ich mit Genehmigung der Frau Präsidentin gern zitieren möchte, berichtet über einige sehr interessante Aussagen des Kollegen Raabe. Der Kollege Raabe erzählt also etwas über seine Arbeit als entwicklungspolitischer Sprecher. Er sagt, was alles notwendig ist, dass es genügend Reichtum und Lebensmittel gibt, dass kein Kind auf dieser Erde verhungern muss usw. usf. Dann heißt es: Besonders hart kritisierte der Bundestagsabgeordnete in diesem Zusammenhang die neue Bundesregierung, die ganz entgegen ihres Versprechens die Entwicklungshilfe gekürzt hatte. Das behauptet nicht mal Ihre eigene Truppe, Herr Kollege! Kein Mensch behauptet heute, dass wir die Entwicklungshilfe gekürzt haben. Damit haben Sie der Glaubwürdigkeit von Politik insgesamt und auch dem Politikfeld keinen Gefallen getan. Wenn Sie ein anständiger Mensch wären, würden Sie das zurücknehmen. Herzlichen Dank. ({10})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Zu einer Kurzintervention der angesprochene Kollege Raabe.

Dr. Sascha Raabe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003614, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Nur ganz kurz. Herr Kollege Haibach, ich habe das in der Schule so gesagt, wie ich es auch hier gesagt habe, und dazu stehe ich. Versprochen waren im Prinzip plus 1,7 Milliarden Euro im Einzelplan 23, 3 Milliarden Euro insgesamt, um auf 0,51 Prozent zu kommen. Ich habe da gesagt, dass es schäbig ist, dass dieses Versprechen gebrochen wurde. Wenn ein Journalist dort das etwas verkürzt, darf man, so glaube ich, einem Kollegen in diesem Hause das nicht vorwerfen. Ich glaube aber schon, dass man Folgendes sagen kann: 256 Millionen Euro sollen am Ende ein Aufwuchs sein. Dabei hat die Kanzlerin doch 1,7 Milliarden Euro versprochen. Sie hat das noch im Wahlkampf 2009 und auf dem Kirchentag versprochen. Sie hat das im Bundestag vor uns allen versprochen. Ich kann fünf oder sechs Passagen vortragen, in denen die Kanzlerin gesagt hat: Ich weiß ganz genau, was es bedeutet, wenn ich sage, dass ich verspreche, dass ich im Jahr 2010 0,51 Prozent für Entwicklungszusammenarbeit zur Verfügung stellen will. - Deshalb muss man weiterhin den Finger in diese Wunde legen. Das ist ein Skandal, und dabei bleibe ich.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Haibach.

Holger Haibach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003546, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Raabe, ich bin ja nur Altphilologe und Historiker und kein Mathematiker, aber ein Aufwuchs von 256 Millionen Euro bleibt ein Aufwuchs von 256 Millionen Euro. Da können Sie so lange irgendwelche Dinge bemühen, wie Sie sie gerade eben bemüht haben, aber es bleibt ein Aufwuchs. Deswegen ist die Aussage, die Mittel für die Entwicklungszusammenarbeit seien als Ganzes gekürzt worden, einfach nicht richtig. Sie zitieren auch oft genug aus Zeitungen, ohne hinterher klar sagen zu können: Das ist tatsächlich alles so gesagt worden; das ist tatsächlich alles so gewesen. - Ich verlasse mich erst einmal darauf, dass die Presse in Deutschland das Richtige berichtet, und ich verlasse mich darauf, dass Sie das so gesagt haben. Sie haben es jetzt richtiggestellt. Das macht die Tatsache, dass Sie etwas behaupten, was nicht stimmt, an und für sich aber nicht besser. 256 Millionen Euro Aufwuchs bleiben 256 Millionen Euro Aufwuchs. Da nützt auch keine - wie soll ich das sagen? - intelligente und fantasiereiche Mathematik. Ich glaube, hier müssen wir schon bei der Wahrheit bleiben. ({0}) Ich denke, es ist richtig, dass man das an dieser Stelle sagt; denn es geht darum, dass wir in den Wahlkreisen genauso glaubwürdig bleiben, wie wir das auch in Berlin sein sollten, da Glaubwürdigkeit - darin sind wir uns ja wohl einig - das größte Gut ist, das wir in der Politik haben. ({1})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Das Wort hat der Kollege Lothar Binding für die SPD-Fraktion.

Lothar Binding (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003050, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr verehrte Damen und Herren! Erste Vorbemerkung. Auch ich möchte zunächst meinen Dank zum Ausdruck bringen. Priska Hinz hat unsere Berichterstattergespräche sehr gut organisiert. Ich möchte mich auch beim BMZ für die stets gute Information bedanken. Vielleicht kann ich das Lob auch ein bisschen mit einer subtilen Kritik verknüpfen. Wenn die Politik so gut wäre wie die Atmosphäre in den Gesprächen und die Information aus dem BMZ, dann wäre das eine super Politik. Das muss ich wirklich sagen. Lothar Binding ({0}) ({1}) Zweite Vorbemerkung. Vorhin hat jemand gesagt: Wir haben einen guten Ruf in der Welt im Hinblick auf unsere Entwicklungszusammenarbeit. - Das stimmt. Wenn wir ganz ehrlich sind, dann wissen wir: Ein guter Ruf ist meistens dem Blick zurück geschuldet. - Die Leute fragen: Wie war das eigentlich bisher? - Deshalb kann man wirklich sagen: Wir haben einen sehr guten Ruf. Unsere Sorge ist aber ein klein wenig, dass der Ruf möglicherweise nicht so bleiben wird, wenn wir nicht sehr aufpassen. ({2}) Meine letzte Vorbemerkung mache ich zum Stichwort „Effizienz“. Natürlich ist ein effizienter Einsatz der Mittel immer gut, aber Sie müssen mir zugestehen, dass ein effizienter Einsatz von mehr Mitteln besser ist als ein effizienter Einsatz von weniger Mitteln, und wir sind dafür, mehr Mittel effizient einzusetzen. ({3}) Dirk Niebel sagt oft, Zahlen spielten nicht die große Rolle, und die ODA-Quote sei vielleicht nicht das Entscheidende. Dem stimme ich zu, und ich frage: Was ist eigentlich das Entscheidende? Mit Blick auf die Regierung möchte ich diesem Parlament sagen, dass die Kanzlerin, der Außenminister, der Minister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung und auch der Verteidigungsminister das Bild Deutschlands in der Welt bestimmen. Ich finde, darauf müssen wir ein bisschen genauer gucken. Welchen Eindruck können die Menschen anderer Länder von Deutschland haben, wenn dieser Eindruck maßgeblich durch das Verhalten dieser Regierungsmitglieder dominiert und definiert wird? Um nur ein paar charakteristische Dinge als Beispiele zu nennen: Welches Bild haben andere Menschen von unserer Kultur? Ist sie anspruchsvoll? Ist sie ansprechend? Welchen Eindruck haben sie von unseren demokratischen Grundprinzipien? Funktioniert das hier? Haben wir einen guten Parlamentarismus? Wie geht unser Volk zum Beispiel mit der Not, dem Hunger und den Krankheiten anderer Völker um? Wie hält unser Volk die Versprechen, die es macht? - Ich glaube, unser Bild jenseits der Zahlen ist im Moment eher verheerend. ({4}) Wir haben einen Außenminister, der im Grunde nicht erklären kann, wen er warum mit auf Reisen nimmt - möglicherweise auch seinen Freund, der sich aber nicht im Rahmen des Beiprogramms betätigt und Deutschland repräsentiert, sondern eigenen Geschäften nachgeht. Oder schauen wir auf die Kanzlerin. ({5}) Sie verspricht international 420 Millionen Euro. Das fand ich sehr gut, weil das ein absolut gutes Versprechen ist. Denn mit 420 Millionen Euro, die wir für andere Länder ausgeben, können wir ökologisch viel mehr erreichen als mit der gleichen Summe in Deutschland. Das ist also ein sehr gutes Versprechen. Enttäuschung gab es aber dennoch. Denn was soll das Ausland von uns denken, wenn die Kanzlerin selbstsicher auftritt und etwas vertritt, was im Haushalt dann aber plötzlich nicht mehr abgebildet wird? Das halte ich für sehr gefährlich. ({6}) Jetzt möchte ich eine Sache ansprechen, die zu einem Dauerstreit zwischen Dirk Niebel und mir geworden ist, und zwar meine ich die Privatisierung von Ministerämtern. Herr Westerwelle privatisiert sein Ministeramt und vernachlässigt seine gesellschaftlichen Aufgaben. Nachdem ich den Witz mit der Mütze gemacht habe - ich habe es gar nicht lange ausgehalten -, ({7}) hat Dirk Niebel mir erklärt, dass es erstens der falsche Typ war und er sie zweitens wieder tragen wird. Ich sage aber: Das darf nicht seine private Entscheidung sein. Dirk, du hast uns in Afrika mit einer Brille und einem Hut repräsentiert, der aus einer Szene stammt, von der ich nicht möchte, dass sie uns im Ausland vertritt. Das ist keine persönliche Sache. Es stellt sich nämlich die Frage, mit welcher Reputation du uns auf internationaler Ebene vertrittst. Es ist irgendwie sehr merkwürdig, wenn mich jemand anspricht und sagt: Dein Minister hat eine verspiegelte Brille. Das tragen bei uns Leute in ganz anderen Vierteln. - Ich möchte so nicht vertreten werden und kenne viele Deutsche, die das auch nicht möchten. ({8}) Ich möchte noch eine Sache zur Harmonisierung und Koordination der Geberländer sagen; das ist nämlich sehr wichtig. Ich finde es sehr gut, dass jetzt der Versuch gemacht wird, die GTZ, InWEnt und den DED zu integrieren. Das halte ich für einen sehr guten Weg. Man muss vielleicht noch einmal daran erinnern, dass die SPD-Fraktion 2007 auf einem sehr guten Weg war, diese Integration auf diesem Gebiet, der TZ, unter Einschluss der finanziellen Zusammenarbeit voranzutreiben, sie aber leider durch andere im Parlament blockiert wurde. Die meisten können sich erinnern, wie die Situation in der Koalition damals war. Wir glauben trotzdem, dass diese kleine Lösung heute besser ist, als gar keine Lösung anzustreben. Vielleicht wäre es eine gute Idee, die Länder zu fragen. Denn der Kollegen Laschet von der CDU sagt: Minister Niebel soll sich nicht so weit vorwagen. - Es ist interessant, die Länder zu fragen, da sechs von ihnen an InWEnt beteiligt sind. Das ist eine komplizierte Sache. Um es nicht selber sagen zu müssen, möchte ich nun etwas zitieren; das ist mein letzter kleiner Block. Es geht um das Personal. Professor Rauch, Professor für Geografie an der FU in Berlin, sagt: Das Fatale an dem radikalen Personalwechsel an der Spitze des BMZ ist, dass unter der neuen Führungsriege keine kompetenten und engagierten AnLothar Binding ({9}) wälte des entwicklungspolitischen Anliegens mehr sind. Von einem aufgeklärten Eigeninteresse an einer gerechteren Welt ist nichts mehr zu spüren. ({10}) Deshalb habe ich den Minister nach seiner Personalentwicklung gefragt. Er hat zunächst ein bisschen falsch verstanden, was ich damit meine, und deshalb drei Einstellungsvoraussetzungen genannt. Dazu möchte ich sagen: Erfahrung beim Militär, guter Freund und FDP-Affinität waren nicht dabei. Vielen Dank. ({11})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Der Abgeordnete Niebel erhält das Wort zu einer Kurzintervention.

Dr. h. c. Dirk Niebel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003198, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Da hier mehrfach die entwicklungspolitische Kompetenz der von mir eingestellten Kolleginnen und Kollegen bestritten worden ist, möchte ich einige wenige Daten aus deren Lebensläufen zum Besten geben: Derjenige, der die Einheit für die Durchführung der Organisationsreform leitet, war von 2004 bis 2010 selbstständiger Berater bei InWEnt, CIM, GTZ und sonstigen. Von 2006 bis 2010 war er Trainer bei InWEnt. Von 1998 bis 2003 war er Regierungsberater für Politikund Verwaltungsreformprozesse in Äthiopien. Von 1993 bis 1996 war er Regierungsberater für Politik und Verwaltungsreformprozesse in Ecuador. Der völlig unbekannte und entwicklungspolitisch unbedarfte Abteilungsleiter 2 war nicht nur Mitarbeiter des Instituts für Entwicklungspolitik und Entwicklungsforschung der Universität Bochum, sondern ab 1988 auch entsandter Projektleiter einer politischen Stiftung, zunächst in Peru, dann in Kolumbien. Er war auch für weitere Länder zuständig. Ab 1996 war er Leiter des Regionalbüros Mittel-, Südost- und Osteuropa. Von 2002 bis 2007 war er Leiter der Programme in Lateinamerika. Danach war er in der Zentrale der Stiftung für das gesamte Auslandsportfolio zuständig.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Kollege Niebel!

Dr. h. c. Dirk Niebel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003198, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ich habe noch eine Minute, Frau Präsidentin.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Nein, Herr Kollege Niebel. Ich muss Sie deswegen unterbrechen, weil ich Ihnen als Abgeordneten das Wort zu einer Kurzintervention erteilen kann. Was Sie aber jetzt machen, ist, Personalbögen des Ministeriums zu verlesen.

Dr. h. c. Dirk Niebel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003198, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin, als Abgeordneter ist es meine Aufgabe, dafür zu sorgen, dass unbescholtene Menschen in diesem Haus nicht ohne Widerspruch beschimpft werden. ({0}) Als Abgeordneter ist es meine Aufgabe, dafür zu sorgen, dass Bürgerinnen und Bürger, wenn sie in diesem Haus um ihre Rechte gebracht, erniedrigt und gedemütigt werden, einen Fürsprecher haben. Dieser Fürsprecher bin ich als Abgeordneter des Deutschen Bundestages. ({1})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Kollege Niebel, da Sie in dieser Debatte als Minister Redezeit hatten, hätten Sie das selbstverständlich tun können. Insofern habe ich den Eindruck, dem ich gerne Ausdruck verleihen möchte, dass Sie möglicherweise hier nicht als Abgeordneter, sondern als Minister sprechen, zumal Sie von den „von mir eingestellten Kollegen“ gesprochen haben. Insofern habe ich den Eindruck, dass Ihre Kurzintervention eher in Ihrer Funktion als Minister getätigt wird Dirk Niebel ({0}): Frau Präsidentin, ich könnte als Minister das Wort ergreifen.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

- darf ich ausreden? - als in Ihrer Funktion als Abgeordneter. Sie können als Minister jederzeit das Wort ergreifen. Im Moment sind Sie aber bei der Kurzintervention eines Abgeordneten. Diese können Sie auch gerne in der einen Minute zu Ende bringen.

Dr. h. c. Dirk Niebel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003198, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Das werde ich auch tun, zumal Ihr Eindruck trügt, Frau Präsidentin. Der Abteilungsleiter 1 war Leiter der Grundsatzabteilung eines Landeswirtschaftsministeriums, Leiter der Zentralabteilung und Abteilungsleiter Mittelstand.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Dann muss ich Sie unterbrechen, wenn Sie weiter fortfahren mit der Verlesung der Personalentwicklung von Kolleginnen und Kollegen, die Sie in Ihrem Ministerium eingestellt haben. ({0})

Dr. h. c. Dirk Niebel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003198, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Das wurde doch hinterfragt. Die Menschen sind ja hier als inkompetent beschimpft worden. ({0}) Aber wenn es Ihnen lieber ist, Frau Präsidentin, dann werde ich meine Tätigkeit als Vertreter der Bürger, für die ich hier spreche, einstellen und als Regierungsmitglied das Wort ergreifen. Das verlängert die Debatte. Falls die anderen daran Freude haben, mache ich das gerne.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Das können Sie gerne machen. Wenn Sie als Minister das Wort ergreifen wollen, dann können Sie das jederzeit tun.

Dr. h. c. Dirk Niebel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003198, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ja, dann melde ich mich eben zu Wort, Frau Präsidentin.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Bitte schön. ({0})

Dr. h. c. Dirk Niebel (Minister:in)

Politiker ID: 11003198

Vorhin hätte ich Fragen zugelassen, die aber nicht gestellt wurden. Deswegen kann ich relativ zügig zum Abschluss kommen. Es fehlen nur noch zwei Personen. Ein weiterer Abteilungsleiter, der angeblich inkompetent ist, arbeitet seit 1989 beim BMZ in allen möglichen Referaten und ist jetzt Leiter der neu gegründeten Abteilung geworden. Der Letzte, der vermeintlich militaristische Oberst im Generalstab außer Diensten, war die letzten zwölf Jahre lang außen- und sicherheitspolitischer Berater der FDPBundestagsfraktion, in seiner aktiven Dienstzeit abgeordnet zu internationalen Stäben, unter anderem in den Vereinten Nationen. Er diente drei Jahre lang im Planungsstab des Auswärtigen Amtes und zwischenzeitlich mehrere Jahre im Bundesministerium der Verteidigung in den verschiedensten Verwendungen. Wenn das Inkompetenz ist, dann würde ich mir wünschen, dass mehr dieser inkompetenten Menschen in vielen Verwaltungen tätig sind. Vielen Dank. ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Das Wort hat der Kollege Jürgen Klimke für die CDU/CSU-Fraktion.

Jürgen Klimke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003565, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Minister, herzlichen Dank für die eindrucksvollen Einblicke in die Lebensläufe Ihrer neuen Mitarbeiter. Das war unter dem Gesichtspunkt „Erfahrung und Kompetenz“ sehr bemerkenswert. Bemerkenswert finde ich vor allen Dingen, wie Sie für Ihre Mitarbeiter kämpfen und sich vor sie stellen. Herzlichen Dank dafür! ({0}) Weniger bemerkenswert als orientierungslos fand ich das, was wir in den letzten Wochen lesen konnten und teilweise auch heute gehört haben. Lassen Sie mich zitieren: „Entwicklungspolitik mit der Abrissbirne“, „Versorgung von Parteisoldaten“, ({1}) „Entmachtung der GTZ“ oder das leidige Zitat von der Abschaffung des Ministeriums durch den jetzigen Minister. Meine Damen und Herren von der Opposition, diese Platte hat nicht einen kleinen, sondern einen ganz dicken Sprung. Sie schaden damit nicht nur sich selbst, sondern vor allen Dingen dem Ansehen der Entwicklungspolitik und den Menschen, die von der Zusammenarbeit mit uns, mit Deutschland, profitieren und in dieser Zusammenarbeit teilweise die einzige Perspektive und Hilfestellung sehen. Das können wir überhaupt nicht akzeptieren. ({2}) Im Übrigen sehen dies auch wirklich profilierte Entwicklungspolitiker in Deutschland so, die an einer ehrlichen Weiterentwicklung dieses Feldes interessiert sind. Ich darf die ehemalige Parlamentarische Staatssekretärin Uschi Eid von den Grünen zitieren, die anscheinend die Einzige ist, die den Mut hat, der Ideenlosigkeit der Opposition zu widersprechen: Es gefällt mir einfach nicht, wenn alle auf Niebel eindreschen und dabei unterschlagen wird, dass der Mann entschlossen etwas anpackt, was wir schon 1998 unter Rot-Grün und später in der Großen Koalition wollten, aber nie geschafft haben. ({3}) Ich kann Uschi Eid nur unterstützen. Gleiches gilt für ihre Aussage, dass die Besetzung des Ministerpostens keine skandalöse Fehlbesetzung ist. Für sie ist dieser Vorwurf einfach Unfug. Ich empfehle den Grünen, sich in stärkerem Maße der Entwicklungskompetenz von Uschi Eid zu bedienen und sich darauf zu besinnen. ({4}) Die Regierungskoalition jedenfalls legt - wir haben das heute schon mehrfach gehört - die Hände nicht in den Schoß, sondern nimmt den Gestaltungsauftrag an. Ziel ist, unsere Entwicklungsinstrumente in den Organisationen, was Effektivität, Koordination und Kohärenz angeht, so einzusetzen, dass die Hilfe zur Selbsthilfe in unseren Partnerländern besser gelingen kann. Dieser Ansatz wird auch im Koalitionsvertrag aufgegriffen. Ich bin dem Minister dankbar, dass er mit viel Reformeifer - auch gegen Widerstände - Neues beginnt. Wir betreten effiziente, kohärente Wege im Rahmen der Vorfeldorganisationen, bei dem Vorhaben, das BMZ gegenüber anderen Bundesministerien zu stärken, im Rahmen der konditionierten Budgethilfe und der Spezialisierung auf die Kernsektoren zur Erreichung der Millenniumsziele und bei der Verstärkung der Kohärenz zwischen Bundesregierung, Bundesländern und der EU, aber auch bei der Erklärung der Sinnhaftigkeit von Entwicklungspolitik gegenüber den Bürgern und den Steuerzahlern gerade in einer Zeit der wirtschaftlichen Krise sowie bei der Förderung der lokalen Wirtschaft in unseren Partnerländern durch deutsches Mittelstands-Know-how, das dorthin übertragen wird. Der Weg, der derzeit in den Vorfeldorganisationen beschritten wird, ist richtig. Endlich wird hier die Leitungsfunktion des BMZ gestärkt. Die drei zusammenzulegenden Vorfeldorganisationen InWEnt, GTZ und DED werden gleichberechtigt in die Fusionsprozesse einbezogen. Der geplante Umbau wird endlich die Doppelstrukturen abbauen und dem deutschen Entwicklungsauftritt im Ausland unter dem Slogan „One face to the customer“ gerecht werden. Dabei ist es angemessen, dass das Ministerium künftig die Qualität der GTZ-Arbeit kontrolliert. Die neue technische Durchführungsorganisation muss zuvorderst den entwicklungspolitischen Leitlinien der Bundesregierung und somit auch der Führung des BMZ unterliegen. Diesem Ziel fühlt sich die Unionsfraktion verpflichtet. Die Vorhaben des BMZ, die sich aus der Paris-Deklaration oder aus den Beschlüssen in Akkra ergeben, dürfen nicht von anderen Bundesministerien unterlaufen werden. Das BMZ hat sich im Namen der gesamten Bundesregierung verpflichtet. Dies gilt somit auch für die anderen Ministerien. Daher ist es gut, dass Minister Niebel hier anpackt und sicherstellen will, dass die Länderliste, die das BMZ beschlossen hat, auch für die anderen Ministerien Gültigkeit hat. Wir haben in mehreren Fällen festgestellt, dass das bislang nicht funktioniert. Es funktioniert wunderbar in Indonesien; aber auf den Philippinen macht das Umweltministerium eine sehr viel eigenständigere Politik, als dies gemäß der Zusammenarbeit innerhalb der Ministerien „erlaubt“ ist. Wir sagen eindeutig: Diese Entwicklung muss gestoppt werden, da sie die Axt an die Existenzberechtigung des BMZ legt. Ich denke, dass hier nicht nur eine Pflicht der anderen Ministerien zur Information des BMZ über ihre Arbeit im Ausland notwendig ist, sondern dass auch die Leitlinie der Länderliste anerkannt werden muss. Vor allen Dingen muss sehr viel mehr Kohärenz und Zusammenarbeit erfolgen.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Kollege, Sie müssen zum Ende kommen.

Jürgen Klimke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003565, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Lassen Sie mich zum Abschluss sagen, dass die Reform der deutschen Entwicklungszusammenarbeit im Bereich des 0,7-Prozent-Ziels völlig richtig ist. Wir brauchen aber auch mehr Gelder für die öffentliche Entwicklungshilfe, wir brauchen vor allen Dingen eine strategische Weiterentwicklung. Diese Weiterentwicklung ist Minister Niebel hervorragend angegangen.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Kollege!

Jürgen Klimke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003565, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Wir danken ihm dafür. Er hat die Unterstützung der CDU/CSU-Fraktion. Herzlichen Dank. ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Das Wort hat der Kollege Sascha Raabe für die SPDFraktion.

Dr. Sascha Raabe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003614, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Minister, ich glaube, es ist mehr als gerechtfertigt, dass sich das Parlament, das über den Haushalt und damit über die Mittel für das Personal entscheiden muss, darüber Gedanken macht, wie Spitzenpositionen im Haus besetzt werden. Weil Sie aus den Lebensläufen von Mitarbeitern des Ministeriums zitiert haben, will ich aus dem Brief des Personalrats des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung vom 11. Januar 2010 zitieren. Da heißt es: Leider müssen wir feststellen, dass Schlüsselpositionen im Hause, die für die künftige Gestaltung der deutschen Entwicklungspolitik von strategischer Bedeutung sind, zunehmend handverlesen extern besetzt werden. Wir halten bei nunmehr zehn externen Besetzungen in wenigen Wochen die Grenze für erreicht. Weiter heißt es: Externe Besetzungen ganz ohne Ausschreibung oder interne Besetzungen ohne Berücksichtigung qualifizierter Bewerbungen widersprechen dem Grundsatz der Besetzung öffentlicher Ämter nach Leistung, Eignung und Befähigung und gefährden daher auch die selbstgesteckten Ziele der Leitung, die anstehenden großen entwicklungspolitischen Herausforderungen erfolgreich anzugehen. Herr Minister, ich schließe mich der Kritik des Personalrats vollumfänglich an. In Kambodscha haben Sie ein bisschen ironisch gesagt, als uns einer der Minister gegenübersaß: So viele Staatssekretäre wie Sie hätte ich auch gerne. - Sie haben sogar eine neue Abteilung gegründet. Sie blähen den Apparat auf, um Parteifreunde zu versorgen. Sie haben aus dem Lebenslauf von Oberst Eggelmeyer zitiert. Es ist keine Parteipolitik, wenn ich den Entwicklungsexper2828 ten Franz Nuscheler, den wir alle hier seit Jahrzehnten kennen, zitiere. Er kritisiert, dass Minister Niebel eine zunehmende Militarisierung der Entwicklungspolitik nun auch personell vollendet. ({0}) Der Professor sagt, er sei einfach entsetzt über den Fall. Mit dieser Entscheidung verliere die Entwicklungspolitik den Rückhalt in der Zivilbevölkerung. Dies sei ein immenser Kollateralschaden. Vorhin hat der Kollege Binding Professor Rauch zitiert. Das sind keine eingetragenen Parteigenossen; ({1}) das sind objektive Vertreter der Zivilgesellschaft und der Wissenschaft. Sie haben den Mitarbeiter Tom Pätz genannt. Ich kann mir nur ein Bild über die Mitarbeiter, die Sie eingestellt haben, machen, die ich im Ausschuss kennengelernt habe. Sie haben den Lebenslauf zitiert. In dem Lebenslauf steht nicht, dass dieser Kollege jemals eine Fusion verantwortlich geleitet hat und dass er sich damit auskennt. Das ist jemand, der in Bonn auf lokaler Ebene Agenda-21-Prozesse moderiert hat. ({2}) Er hat uns im Ausschuss gesagt, es tue ihm leid, dass er unsere Fragen nicht beantworten könne, weil er erst seit wenigen Wochen diese Aufgabe habe. Er hat gesagt, er spreche jetzt zum ersten Mal mit dem Personalrat. Meistens hat er um Verständnis gebeten, weil er erst seit wenigen Wochen mit dieser Aufgabe betraut sei. Für ein so großes Projekt brauchen Sie erfahrene Leute. Wir haben den Mut gehabt, auch wenn es am Ende aus Gründen, die wir nicht zu verantworten haben, nicht geklappt hat. Sie müssen die finanzielle und die technische Zusammenarbeit zusammenlegen, aber sie dürfen nicht eine Minireform im technischen Bereich mit jemandem an der Spitze durchführen, der in erster Linie das FDP-Parteibuch hat, der aber keinerlei Qualifikation oder Erfahrung hat, eine so große Herausforderung zu stemmen. In diesem Sinne bleiben wir bei unserer Kritik. Wir wollen, dass Qualifikation vor Parteibuch geht. ({3})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Die Kollegin Heike Hänsel hat das Wort.

Heike Hänsel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003763, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Herr Minister Niebel, ich möchte gern kurz auf Ihren Einwurf reagieren. Ich habe nicht die Inkompetenz Ihrer Mitarbeiter kritisiert. Meine Kritik bezog sich auch nicht auf deren Parteibuch. Meine Kritik bezieht sich vielmehr auf Ihre Personalpolitik. Ich kritisiere vor allem die zweifelhafte Kompetenz Ihres Abteilungsleiters Harald Klein, der sich in Publikationen der FriedrichNaumann-Stiftung, also öffentlich, dezidiert über den Putsch in Honduras geäußert hat. Er hat diesen Putsch indirekt gerechtfertigt, und er hat die Kritik an den Menschenrechtsverletzungen der jetzigen Regierung verharmlost. Wie fatal das ist, zeigt folgender Vorgang: Zwei Menschenrechtsaktivisten aus Honduras sind hierher gekommen - sie sind ein Risiko eingegangen -, um Kritik an der dortigen Regierung zu üben. Sie sind ausgerechnet an Ihren Abteilungsleiter Klein geraten, um mit ihm über die Situation in Honduras zu sprechen. Noch nicht einmal eine Woche nach diesem Gespräch hat Herr Lüth - ein Kollege von Herrn Klein, mit dem er zusammen bei der Friedrich-Naumann-Stiftung publiziert hat - gegenüber einer Tageszeitung in Honduras diese beiden Menschenrechtsaktivisten namentlich genannt und erklärt, sie reisten durch die Welt und diskreditierten die jetzige Regierung. Das gefährdet diese beiden Aktivisten. Das finde ich unverantwortlich. Da frage ich mich natürlich: Welche Rolle spielt dabei Herr Klein? Ich halte es nicht für akzeptabel, im Entwicklungsministerium einen Oberst einzustellen; dabei ist es egal, dass er vorher im Auswärtigen Amt beschäftigt war. Ich halte das für falsch. Ich bin für eine strikte Trennung zwischen Zivilem und Militärischem. Eine militärische Ausbildung ist etwas anderes als eine zivile Ausbildung; das geht in eine ganz andere Richtung. Die Einstellung dieses Obersts lehne ich inhaltlich ab. Insofern finde ich es nicht in Ordnung, wenn Sie hier die Biografien Ihrer Mitarbeiter - ich denke dabei auch an den Datenschutz in die Öffentlichkeit zerren. Es geht um die politische Einstellung Ihrer Mitarbeiter, nicht um detaillierte biografische Daten. ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Das Wort hat der Kollege Volkmar Klein.

Volkmar Klein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004071, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! In der Sache ist an sich längst alles gesagt. Ich muss ehrlich sagen: Ich bin über diese Debatte ein bisschen irritiert. Obwohl hier und da aufgeregte Worte gefallen sind und es zu Konfrontationen gekommen ist, hatte ich den Eindruck, dass uns die gemeinsame Motivation und das gemeinsame Ziel einen. Insofern hätten versöhnlichere Töne die Diskussion prägen können. Es tut mir ein bisschen leid, dass wir in diesen persönlich geprägten Diskussionsstil verfallen sind, zumal uns eben gesagt worden ist - das ist für diejenigen wichtig, die sich vorher vielleicht nicht ausreichend informieren konnten oder wollten -, dass qualifizierte Personen vorhanden sind. Zurückweisen möchte ich den zuletzt vorgetragenen Anwurf bezüglich eines Obersts im Ministerium. Ich glaube, wir können hier nicht den Stab über irgendwelche Lebensläufe brechen. ({0}) Wir sollten nicht plötzlich so tun, als wären Menschen aufgrund eines vorher ausgeübten Berufes für andere Aufgaben disqualifiziert. Wenn ich es richtig verstanden habe, ist diese Person nicht als Oberst, sondern als Mitarbeiter im Ministerium beschäftigt. Wir sollten allgemein etwas abrüsten; das ist vielleicht das richtige Stichwort. ({1}) Ganz abgesehen davon habe ich mitbekommen, dass es in diesem Ministerium schon in der Vergangenheit Differenzen mit dem Personalrat über die persönliche Qualifikation neuer Mitarbeiter gegeben hat; der Fall Mikota wurde schon genannt. Ich glaube, dass es das immer wieder geben wird, aber dass es einfach unangemessen ist, die Lebensgeschichte dieser Menschen im Plenum des Deutschen Bundestages schon ein bisschen in den Schmutz zu ziehen. ({2}) Ich würde mir wünschen, dass wir das in Zukunft unterlassen. Die Auffassung, dass es eine weitere Strukturreform auch im Ministerium geben muss bzw. geben sollte, scheint mir bisher Allgemeingut bei allen hier gewesen zu sein. Von diesem Plan sollte sich der Minister durch diese Diskussion nicht abbringen lassen. Herzlichen Dank. ({3})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Die Kollegin Ute Koczy hat das Wort.

Ute Koczy (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003788, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich wünschte mir, wir hätten diese neue Runde nicht eröffnen müssen. Es hätte doch sicherlich elegantere Methoden gegeben, um eine solche Debatte zu führen. Ich bin der Meinung, dass es, Herr Minister, vielleicht nicht ganz so hilfreich war, die Rollen zu wechseln und etwas vorzulesen, was vielleicht in eine etwas kleinere Runde gehört hätte. Vielleicht hätten Sie anbieten können - das wäre mein Vorschlag gewesen -, in einer kleineren Runde mit den Obleuten und den Haushaltsberichterstattern, wenn es gewünscht worden wäre, ein Gespräch zu führen, als hier diese Debatte in diese Richtung zu lenken. ({0}) - Ich meinte jetzt nicht den Ausschuss, Herr Leibrecht. ({1}) - Herr Kollege! - Ich bin der Meinung, dass eine solche Debatte über Personal und über Personalführung nicht in dieser Form hier ausgebreitet werden sollte. ({2}) Es sind viele daran beteiligt gewesen, dass wir hier nicht günstig dabei weggekommen sind. ({3}) Ich fand es, ehrlich gesagt, nicht in Ordnung, dass die Frau Präsidentin deutlich machen musste, dass sich doch bitte alle an die Art der Geschäftsführung, die es hier im Parlament gibt, halten sollten, nämlich zum Kern der Debatte zu reden, statt sich auf Nebengleise zu begeben und dies dann auch noch zu vertiefen. ({4}) Das hat letztlich dazu beigetragen, dass das Thema verfehlt wurde. Danke für die Aufmerksamkeit. ({5})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Der Kollege Michael Link hat das Wort für die FDPFraktion. ({0})

Michael Link (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003802, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Ich gebe der Kollegin recht: Die inhaltliche Debatte ist hier ohne Zweifel insgesamt die wesentlich wichtigere; denn für die inhaltliche Debatte sind wir auch gewählt. Diese Regierung und gerade dieser Minister vertreten inhaltlich genau das, wofür wir im letzten September gewählt wurden. Wenn aber in den letzten Wochen die ganze Debatte eine für die jetzt eingestellten Mitarbeiter wirklich diffamierende und beleidigende Tonart angenommen hat, dann ist es doch mehr als verständlich, wenn der Kollege Niebel das richtigstellen möchte. ({0}) Es sind im Übrigen die gerade erwähnten Mitarbeiter vorher gefragt worden, ob sie einverstanden sind, dass, wenn auch hier im Plenum weiterhin Kritik geübt wird, weitere Sachinformationen über ihre Personen gegeben werden. Ich glaube, es ist sehr beruhigend, vor der Öffentlichkeit feststellen zu können, dass hier hochkompetente, leistungsfähige und eben nicht nach Parteibuch ausgesuchte Mitarbeiter eingestellt worden sind. ({1}) Dass Handlungsbedarf auf der Leitungsebene des Ministeriums bestand, ist wohl klar. Ich möchte nur die Kollegen von der SPD daran erinnern, dass nach meiner Information Ministerin Wieczorek-Zeul, als sie ihr Amt antrat, außer einem einzigen alle Abteilungsleiter in den einstweiligen Ruhestand versetzt hat. Das zeigt doch auch, in welch unterschiedlicher Art und Weise man in einer solchen Situation vorgehen kann. Michael Link ({2}) ({3}) Ich stelle fest: Es handelt sich hier um hochqualifizierte, über jeden Verdacht erhabene Mitarbeiter. ({4}) Wenn wir so weit kommen, dass es jemandem, der einmal als Zeitsoldat bei der Bundeswehr gedient hat - wir haben gerade den Einzelplan 14 behandelt -, zum Berufsverbot beim BMZ gereicht, dann ist etwas falsch in unserem Land. ({5}) Ich bitte die Opposition, sich nicht auf der einen Seite in Krokodilstränen und Bemerkungen über den Dienst unserer Soldaten, den wir sonst bei jeder Gelegenheit beklatschen, zu ergehen, dann aber, wenn sie nach ihrer Dienstzeit in anderen Bereichen der Wirtschaft oder Verwaltung Dienst tun wollen, so zu tun, als ob das nicht mehr aller Ehren wert sei. ({6}) Wir als FDP-Fraktion danken der Bundesregierung und insbesondere Bundesminister Niebel für die Arbeit, die er im Ministerium macht, und wir vertrauen voll und ganz auf seine Personalauswahl. ({7})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Damit schließe ich die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über Einzelplan 23, Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, in der Ausschussfassung. Hierzu liegen zwei Änderungsanträge vor, über die wir zuerst abstimmen. Wer stimmt für den Änderungsantrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 17/1026? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Damit ist der Änderungsantrag abgelehnt bei Zustimmung durch die einbringende Fraktion. Die Koalitionsfraktionen haben dagegen gestimmt, die Fraktionen SPD und Bündnis 90/Die Grünen haben sich enthalten. Wer stimmt für den Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/1030? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Damit ist der Änderungsantrag abgelehnt bei Zustimmung durch Bündnis 90/Die Grünen, SPD und die Fraktion Die Linke. Abgelehnt haben ihn die Koalitionsfraktionen. Wer stimmt jetzt für den Einzelplan 23 in der Ausschussfassung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? Damit ist der Einzelplan angenommen bei Zustimmung durch die Koalitionsfraktionen und Ablehnung durch die Oppositionsfraktionen. Damit sind wir am Schluss der heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Donnerstag, den 18. März 2010, 9 Uhr, ein. Genießen Sie die gewonnenen Einsichten und den restlichen Abend. Die Sitzung ist geschlossen.