Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 3/3/2010

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Die Sitzung ist eröffnet. Ich begrüße Sie recht herzlich, liebe Kolleginnen und Kollegen. Nehmen Sie bitte Platz. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 1 auf: Befragung der Bundesregierung Die Bundesregierung hat als Thema der heutigen Kabinettssitzung mitgeteilt: 13. Bericht zur Auswärtigen Kulturpolitik. Das Wort für den einleitenden fünfminütigen Bericht hat der Staatsminister im Auswärtigen Amt, Herr Dr. Werner Hoyer. Bitte, Herr Staatsminister.

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Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Sie haben bereits darauf hingewiesen: Zum 13. Mal trägt die Bundesregierung dem Bundestag den Bericht über die Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik vor. Das Bundeskabinett hat sich heute Morgen mit diesem Thema befasst. Bundesminister Westerwelle ist heute Nachmittag beim Menschenrechtsrat in Genf, und er bittet zu entschuldigen, dass er diesem Termin den Vorrang geben muss. Deswegen habe ich die Ehre, zu dem Bericht vorzutragen. Der Bericht bezieht sich auf den Zeitraum von Juli 2008 bis Juni 2009, also auf die Zeit der Vorgängerregierung. Das hält mich nicht davon ab, ausdrücklich festzuhalten, dass auch die neue Bundesregierung das enorme Engagement, mit dem die AKBP, die Auswärtige Kulturund Bildungspolitik, in den letzten Jahren betrieben und weiterentwickelt wurde, zu schätzen und zu würdigen weiß. Wir wollen daran anknüpfen und bestimmte Bereiche weiter ausbauen. In der Bundesregierung - ich denke, auch über alle Parteigrenzen hinweg - gibt es Konsens darüber, dass die Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik zu den Zukunftsinvestitionen gehört, auf die unser Land im Zeitalter der Globalisierung so dringend angewiesen ist. Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik ist mehr als eine Visitenkarte für unser Land und mehr als ein Förderinstrument für bei uns beheimatete Künstler. In der Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik kommt jener Ansatz hervorragend zum Ausdruck, den wir für unsere auswärtigen Beziehungen gerne als den Gleichklang von Werten und Interessen beschreiben. Dass heute mehr als 120 000 Kinder an deutschen Schulen ausgebildet werden, ist nicht nur ein Indiz für die hohe Qualität unserer Ausbildung. Vielmehr wachsen Multiplikatoren heran, die für unser Land von großer Wichtigkeit sind. Das Gleiche gilt für die mehr als 14 Millionen Menschen, die heutzutage im Ausland Deutsch als Fremdsprache lernen, für die 35 000 ausländischen Stipendiaten, die durch den DAAD gefördert werden, das Alumni-Netzwerk der Humboldt-Stiftung mit mehr als 23 000 Personen und die vielen anderen Maßnahmen, die von Trägern der Auswärtigen Kulturund Bildungspolitik oder in Einzelförderung erreicht werden. Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik hilft uns somit in der langfristigen Perspektive, wichtige außenpolitische Ziele zu verwirklichen. Hierzu zählen Krisenprävention durch das Schlagen von Brücken zwischen Kulturen und Zivilisationen, die Stärkung der Menschenrechte, die Förderung von Freiheit und Rechtsstaat sowie eine erfolgreiche Außenwirtschaftspolitik. Dies verfolgen wir mit einem bescheidenen finanziellen Ansatz. Die Ausgaben des federführenden Auswärtigen Amtes für den Bereich der Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik entsprechen einem Anteil von 0,24 Prozent des Bundeshaushalts. Die Bundesregierung hat sich zum Ziel gesetzt, die Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik in den kommenden Jahren auf drei Gebieten voranzutreiben: Bildung, Dialog zwischen den Kulturen und Kommunikation. Lassen Sie mich kurz Beispiele dazu geben. Zunächst zum Bereich Bildung und Wissenschaft: Die Außenwissenschaftspolitik zielt darauf ab, Deutschland eine führende Rolle im globalen wissenschaftlichen Netzwerk zu sichern. Wissenschaftshäuser in São Paulo, Tokio, New Delhi und New York und Exzellenzzentren stärken die Kooperation mit internationalen Partnern. Durch attrakRedetext tive Stipendien gewinnen wir die besten Studierenden und Wissenschaftler. Bereits die letzte Bundesregierung hat sich mit ihrer Partnerschulinitiative, kurz PASCH genannt, darum bemüht, das Interesse junger Menschen in der ganzen Welt für Deutschland und die deutsche Sprache zu wecken. Wir haben auf diesem Gebiet erste deutliche Erfolge zu registrieren. Beides sind wichtige Schritte zur Sicherung des Wirtschafts-, Wissenschafts- und Studienstandortes Deutschland. Das Gleiche gilt für das Thema „Deutsch als Fremdsprache“. Sie haben vor wenigen Tagen möglicherweise die Eröffnung der Kampagne „Deutsch - Sprache der Ideen“ durch Bundesminister Westerwelle im Radialsystem in Berlin miterlebt. In diesem Zusammenhang wollen wir uns übrigens auch für das Thema „Die Stellung des Deutschen in der Europäischen Union“ bei dem sich herausbildenden Europäischen Auswärtigen Dienst einsetzen. Außerdem ist es wichtig, dass die Europäische Kommission rasch eine neue Übersetzungsstrategie vorlegt. Für die Arbeit der Bundesregierung, aber vor allem für Ihre Arbeit im Deutschen Bundestag ist es, insbesondere wenn es um EU-Gesetzgebung oder den Nachvollzug von EU-Gesetzgebung geht, unverzichtbar, dass alle Dokumente in deutscher Sprache vorliegen. Zum Bereich Kulturdialog: Der Einsatz für Menschenrechte, für Krisenprävention sowie für die Förderung von Freiheit und Rechtsstaatlichkeit spielt natürlich eine zentrale Rolle. Das Dialogangebot der Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik trägt zur Stärkung von Zivilgesellschaften bei. Nehmen Sie nur dieses wirklich bemerkenswerte Beispiel der Ausstellung „Die Kunst der Aufklärung“, die bald in China gezeigt wird. Leider gibt es eine kurze zeitliche Verzögerung; aber, immerhin, Anfang 2011 wird die Eröffnung möglich sein. Die staatlichen Museen in Berlin, Dresden und München werden diese Ausstellung ausrichten. Das Thema Aufklärung wird künftig einen thematischen Schwerpunkt unserer Kulturarbeit in China ausmachen. Sie können sich vorstellen, was das bedeutet. Ich möchte nicht ausführlich auf die dialogfördernde Wirkung des Sports eingehen. Wir werden unsere Aktivitäten im Bereich der Initiative „Sport und Außenpolitik“ konsequent fortsetzen. Schließlich ein Wort zum Thema „DeutschlandJahre“ in Vietnam und Indien. Hier sind weitere gute Beispiele vorzutragen. Veranstaltungszyklen dieser Art umfassen Beiträge zu allen Aspekten der bilateralen Beziehungen und fördern damit die Herausbildung eines aktuellen Deutschland-Bildes. Um weltweit junge Menschen zu erreichen, muss man auf moderne Medien setzen. So tragen wir zu einer aktiven Gestaltung der Globalisierung bei, insbesondere bei Zukunftsthemen wie Klima, Umwelt und Entwicklung. Im Stimmengewirr der Globalisierung sollte Deutschland als Akteur deutlich wahrnehmbar sein. Deswegen wollen wir die mediale Präsenz Deutschlands in der Welt verstärken. Dabei spielt die Deutsche Welle gewissermaßen als mediale Visitenkarte der Bundesrepublik Deutschland weiterhin eine zentrale Rolle. Vielen Dank.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Danke, Herr Staatsminister. Ich bitte, zunächst Fragen zu dem Themenbereich zu stellen, über den soeben berichtet wurde. - Zur ersten Frage hat die Kollegin Dr. Petra Sitte das Wort.

Dr. Petra Sitte (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003848, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Danke, Herr Hoyer, danke, Frau Präsidentin. - Meine Frage bezieht sich auf die Problematik der fünf Wissenschaftshäuser, deren Standorte Sie schon benannt haben. Ich frage vor dem Hintergrund Ihrer Ausführungen zu der strategischen Ausrichtung Ihrer Ziele, Wertevermittlung etc. Wir haben für uns immer das kooperative Herangehen ausdrücklich betont, das heißt auch die Leistung, die Deutschland in diesen Ländern anbietet, beispielsweise um Ungleichheiten zu reduzieren. Sie haben vor dem Hintergrund der Zielstellung dieser Wissenschaftshäuser jetzt gesagt, es gehe Ihnen um die Gewinnung der Besten und die Stärkung Deutschlands als Wirtschafts-, Wissenschafts- und Studienstandort. Insofern frage ich: Was ist das kooperative Moment für die Länder, in denen diese Häuser stehen? Vor dem Hintergrund der Auslandshochschulen frage ich: Welche Beziehungen bzw. Ausrichtungen ergeben sich dort? Die Orte sind ja unterschiedlich. Wie hoch sind die eingesetzten Mittel, und wer sind die Partner in Deutschland und vor Ort?

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Frau Kollegin Sitte, das Konzept der Wissenschaftszentren hat natürlich etwas mit Netzwerkbildung zu tun. Deswegen ist das auf jeden Fall - insofern haben Sie völlig recht - eine Zweibahnstraße. Natürlich geht es darum, dass wir versuchen, besonders engagierte und interessierte junge Leute nach Deutschland zu holen. Es geht aber umgekehrt auch darum, in die entsprechenden Länder auszustrahlen und Dinge von dort aufzunehmen. Insofern stellen wir uns das nicht als Einbahnstraße vor. Wir sehen in der Frage der Wissenschaftshäuser erst einen Beginn. Wir haben die Standorte, die ich eben genannt habe, festgelegt. Das heißt, sie waren bereits festgelegt, als wir das Projekt übernommen haben, aber wir werden das fortführen. Wir hoffen auf Erfolg. Ich kann mir vorstellen, dass in diesem Projekt in den nächsten Jahren noch sehr viel mehr Musik sein wird. Ehrlich gesagt, kann ich Ihnen jetzt die aktuellen Haushaltszahlen dazu nicht nennen - ich werde das schnellstens nachliefern -, weil ich den Haushaltsplan nicht mitgebracht habe. Aber das ist natürlich ein Schwerpunkt unserer auswärtigen Wissenschaftspolitik. Deswegen werden wir diese Ansätze nicht in Zweifel ziehen. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Die nächste Frage stellt die Kollegin Krüger-Leißner.

Angelika Krüger-Leißner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003164, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatsminister, ich habe mich gewundert: Sie sprachen eben von Auswärtiger Kultur- und Bildungspolitik. Der Bericht, den ich gerade aus dem Internet heruntergeladen habe, enthielt nur den Begriff Kulturpolitik. Ich glaube, da ist etwas vergessen worden.

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Ich löse das gleich auf.

Angelika Krüger-Leißner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003164, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

In dem Bericht wird deutlich, wie erfolgreich diese Arbeit ist. In den Jahren 2008 und 2009 hat der damalige Außenminister Steinmeier die Offensive für die Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik energisch begonnen. Die ersten Erfolge werden in dem Bericht ausgeführt. Ich hoffe sehr stark, dass die Arbeit unter neuer Führung in diesem Sinne fortgesetzt wird. Sie haben von der Ausstellung „Kunst der Aufklärung“ in China berichtet, die verschoben wurde. Ist es richtig, dass die Eröffnung der Ausstellung verschoben wurde, weil dieses öffentlich-private Projekt wegen eines fehlenden Großsponsors noch nicht zustande kam? Halten Sie daran fest, das Projekt in dieser Weise zu entwickeln, oder wie soll die Finanzierung dafür aufgebracht werden, wenn es denn 2011 zur Eröffnung der Ausstellung kommt?

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Vielen Dank. - Zunächst einmal zum ersten Punkt. Sie haben genau aufgepasst: Wir haben in dem Bericht in der Tat von „Auswärtiger Kulturpolitik“ gesprochen. Das ist dem Respekt gegenüber dem Deutschen Bundestag geschuldet; denn dieser hat uns vor 13 Jahren beauftragt, jedes Jahr einen Bericht zur Auswärtigen Kulturpolitik vorzulegen. Wir selber haben aber mittlerweile das Gebiet ausgeweitet und gesagt: Wir dürfen nicht mehr nur von Kulturpolitik in engerem Sinne sprechen - das könnte falsch verstanden werden -, sondern wir wollen ausdrücklich auch über Bildungspolitik und Wissenschaftspolitik reden. Deswegen haben wir uns erlaubt, den Bericht etwas auszuweiten, sind dabei aber bei dem uns vom Bundestag vorgegebenen Terminus geblieben. Auch da sind wir in der Kontinuität der bisherigen Regierung. Sie haben zu Recht die Initiativen des ehemaligen Bundesministers Steinmeier angesprochen und auf sein Engagement in dieser Frage in der letzten Legislaturperiode hingewiesen. Ich glaube, Sie können zu jeder Haushaltsdebatte eine Rede von mir zu diesem Thema nachlesen, die ich damals als Oppositionssprecher für Außenpolitik gehalten habe. Bei allen Gefechten, die wir uns hier über Fehler oder vermeintliche Fehler in der Außenpolitik geliefert haben: Bei dem Thema Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik haben wir die Initiativen der alten Bundesregierung und von Minister Steinmeier ausdrücklich unterstützt und gelobt. Gerade die Ausweitung der auswärtigen Schulpolitik ist ein großes Erfolgsprojekt gewesen. Das wollen wir fortsetzen. Sie wissen, dass sich meine Kollegin Cornelia Pieper gerade dieser Themen mit enormem Engagement annimmt und sich insofern in einer Kontinuität der letzten Jahre sieht.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Danke, Herr Staatsminister. Ich nehme an, das Parlament nimmt Ihre Anregungen zur Erweiterung der Berichtspflicht dankbar auf. ({0}) - Was fehlte? ({1})

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Ach so, die Ausstellung. Da das mein Herzensanliegen ist, hätte ich das niemals vergessen dürfen. Diese Ausstellung, die allein aufgrund des Inhaltes ein ganz großes außenpolitisches Gewicht hat, wird leider nicht rechtzeitig eröffnet werden können. Wir hatten uns vorgestellt, vielleicht im September eine große Eröffnung auf dem Platz des Himmlischen Friedens in Peking vornehmen zu können. Aber das neue, große Nationalmuseum wird nicht fertig. Hier steht zunächst einmal eine bauliche Frage im Vordergrund. Wir bedauern das sehr. Aber das Projekt an sich und auch das Finanzierungskonzept bleiben bestehen. Das Finanzierungskonzept wird auch umsetzbar sein, aber eben mit einer Verzögerung von, so schätze ich, vier oder fünf Monaten.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Die nächste Frage stellt die Kollegin Undine Kurth.

Undine Kurth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003579, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Dr. Hoyer, wir alle hier im Hause sind uns sicher einig, dass Auswärtige Kulturpolitik eine Visitenkarte für das Land ist. Das sehen nicht nur wir in Deutschland so, sondern auch andere Länder. Man hat zum Beispiel bei Großbritannien oder Frankreich den Eindruck, dass sie ihre Künstler und Kreativen im Ausland wesentlich intensiver unterstützen, etwa in der Filmbranche oder in der Modebranche. Von deutschen Kreativen oder Künstlern, die sich im Ausland bewegen, ob bei der Oscar-Verleihung oder wo auch immer, hört man oft, dass sie sich relativ allein gelassen fühlen und entweder auf die Aktivitäten der Botschaften vor Ort oder andere Aktivitäten vor Ort angewiesen sind. Gibt es - auch rückblickend auf das, was in den letzten vier Jahren passiert ist - ein Konzept, um die Kreativen und Künstler im Ausland, die quasi unsere Visitenkarte im Ausland mitzeichnen, deutlicher und besser zu unterstützen?

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Zunächst einmal habe ich Ihnen das Konzept der Bundesregierung, das heute auch rückblickend auf das Jahr 2008/2009 im Bundeskabinett eine Rolle gespielt hat, schriftlich vorgelegt und damit die konzeptionellen Grundlagen dargelegt. Ich kann Ihnen versichern, dass das, was Sie angesprochen haben, für uns ein ganz wichtiger Punkt ist. Wenn es Fälle gibt, wo sich jemand von der Bundesregierung, egal ob von der alten oder neuen, allein gelassen fühlt, dann sollten wir darüber reden und versuchen, das zu korrigieren. Wir können nicht bei jedem Event irgendwo in der Welt, das kulturell bedeutsam ist, mit den Mitteln der Diplomatie und des Auswärtigen Amtes präsent sein. Dazu ist, Gott sei Dank, zu viel Kreativität in der Welt zu beobachten, an der auch Deutsche beteiligt sind. Aber wir bemühen uns nach Kräften darum. Es ist gut, wenn sich die Generalkonsulate und Botschaften vor Ort darum kümmern; dies geschieht häufig genug in Abstimmung mit dem Mutterhaus. Wenn Sie konkrete Fälle kennen, wo wir noch besser werden können oder sollen, dann bitte ich Sie, uns diese zu zeigen. Wir werden Ihre Anregungen dann aufgreifen. Ich glaube, dass wir das auch gar nicht auf die Präsenz im Ausland beschränken können. Die Auswärtige Kulturpolitik muss auch im Inland einiges tun. Deswegen versuchen wir - auch wenn es mit geringen Mitteln ist -, bei wichtigen Veranstaltungen wie dem Kurzfilmfestival in Oberhausen - das ist eine wichtige internationale Veranstaltung - präsent zu sein und unseren eigenen Kreativen zur Seite zu stehen. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ohne Mikro gibt es keine Chance, durchzudringen. Ich kann Sie gern noch einmal auf die Liste für weitere Nachfragen setzen.

Undine Kurth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003579, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Da dieses Mikro offensichtlich selbstständig darüber entscheidet, ob es arbeiten will oder nicht, muss ich mich erst mit dem Mikro einigen. Kann ich jetzt noch eine Nachfrage stellen? - Ich kann Ihrer Antwort also entnehmen, dass Sie es als Aufgabe der Auswärtigen Kulturpolitik ansehen, unsere Künstler und Kreativen im Ausland auch in Einzelprojekten, wo möglich, zu unterstützen?

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Ja. Wir arbeiten natürlich sehr stark über Mittlerorganisationen; das ist klar. Wir brauchen jetzt nicht darüber zu reden, ob es sich um das Goethe-Institut, den DAAD, die AvH-Stiftung oder andere handelt. Es gibt auch immer wieder Einzelprojekte, die uns am Herzen liegen. Wir müssen aufpassen, dass in Zeiten knapper Kassen nicht ausgerechnet diese Einzelprojekte unter die Räder kommen; denn diese verfolgen häufig äußerst wichtige Anliegen.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Die nächste Frage stellt die Kollegin Ulla Schmidt.

Ulla Schmidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002019, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatsminister Hoyer, ich glaube, wir alle sind uns einig - ich bin selten mit der FDP so einig wie in diesem Punkt -, ({0})

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Das sollten wir verstärken.

Ulla Schmidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002019, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

- dass die Auswärtige Kulturpolitik ein wichtiger Pfeiler in der auf zivile Krisenprävention angelegten auswärtigen Politik ist und dass die Auswärtige Kulturpolitik vor allen Dingen durch das Bemühen und den enormen Einsatz von Frank-Walter Steinmeier wieder einen sehr hohen Stellenwert erhalten hat. Ich habe heute Morgen ein Interview mit Frau Staatsministerin Pieper gehört, in dem sie sagte, sie wolle natürlich auch eigene Schwerpunkte setzen und vor allen Dingen im Bereich der Außenwissenschaftsförderung weitere Akzente setzen. Wir haben in den Haushaltsberatungen darüber geredet, dass gerade in diesem Bereich - dies betrifft auch die Ausgaben für Stipendien und anderes - eine Kürzung vorgesehen ist. Haben Sie heute Morgen während der Beratungen im Kabinett darüber beraten, wie die Finanzierung für einen Ausbau in diesem Bereich - so etwas hat ja auch immer finanzielle Konsequenzen; Stipendien und Angebote müssen finanziert werden - gesichert werden kann oder wie hier überhaupt ein Ausbau stattfinden kann? Ist darüber geredet worden, dass vielleicht aus dem Programm im Bildungsministerium, durch das Mittel für die Finanzierung von Projekten in anderen Bereichen zur Verfügung gestellt werden, Mittel gesondert bereitgestellt werden können und wo dann an anderer Stelle gekürzt wird? Ich frage das, weil Aussagen über den Ausbau gerade in diesem Bereich immer durch Titel im Haushalt abgedeckt werden müssen; sonst bleiben sie Makulatur und werden im Grunde genommen zurückgefahren.

Not found (Gast)

Ich stehe bei der Beantwortung dieser Frage unter größter Spannung, weil die Bereinigungssitzung hinsichtlich des Haushalts 2010 morgen stattfindet und ich selber gerne wissen würde, was dabei herauskommt. Wir hoffen natürlich in der Tat, dass wir im Rahmen des Haushaltsverfahrens noch zu einer Umschichtung zugunsten von Mitteln, die im Einzelplan 05, also dem des Auswärtigen Amtes, für diesen Zweck verbucht werden können, kommen. Bezüglich der Mittel, die für das Bundesministerium für Bildung und Forschung insgesamt zur Verfügung gestellt werden sollen, sehe ich hier in der Tat noch eine Chance. Da ich die Bundesregierung insgesamt vertrete, sage ich: Ich anerkenne das Anliegen. Wir wollen diese Mittel in der Tat weiter steigern und sind im Gespräch. Ich hoffe, dass das auch bei den Haushältern auf fruchtbaren Boden fällt. Bisher habe ich diesen Eindruck. Ich bin aber ganz vorsichtig, weil der Haushalt jetzt in der Hand des Parlaments liegt. Dieser Haushaltsansatz ist für das Jahr 2010, wenn ich mich recht erinnere, um 9 Millionen Euro höher als der Haushaltsansatz, den die alte Bundesregierung für das Jahr 2009 beantragt hatte. Das Parlament hat damals im Haushaltsverfahren 10 Millionen Euro draufgelegt. Wenn ich eine unbescheidene Bitte äußern darf: Es wäre schön, wenn das Parlament dies wieder tun würde. Dann müssten wir diese Mittel nicht um 1 Million Euro senken, sondern könnten sie deutlich erhöhen. ({0}) - Das tue ich bzw. das tut Frau Pieper. Ich muss insgesamt sagen, dass Frau Pieper hier außerordentlich aktiv ist.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Die nächste Frage stellt der Kollege Manfred Grund.

Manfred Grund (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002667, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

In diesem Jahr findet in Kasachstan ein Deutsches Jahr statt, in dessen Rahmen sich Deutschland mit Kunst, Kultur, Wissenschaft und Sport präsentiert. In Kasachstan lebt heute noch eine nennenswerte deutsche Minderheit; es sind 250 000 bis 300 000 Deutsche. Wird dieses Deutsche Jahr in Kasachstan mit Mitteln der Auswärtigen Kulturpolitik unterstützt, wenn ja, welche Projekte, und sind es auch Projekte, an denen die deutsche Minderheit beteiligt wird?

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Sie haben die Grundstruktur des Projektes selber benannt; das ist so zutreffend. Ich habe keine Kenntnis von der Art und Weise der Einbindung. Ich finde allerdings, es ist selbstverständlich, diesen Versuch zu unternehmen. Insgesamt ist das Thema Kasachstan in diesem Jahr ganz besonders wichtig, auch aufgrund der Verknüpfung von allgemeiner Außenpolitik und Auswärtiger Kultur- und Bildungspolitik. Kasachstan übernimmt in diesem Jahr im Rahmen der OSZE eine sehr bedeutende Rolle. Vor diesem Hintergrund ist es wichtig, dass Deutschland dort nicht nur mit Interessen, sondern auch mit Werten präsent ist. Auch die in Kasachstan befindlichen Deutschen zu motivieren, sich bei der Vermittlung unserer Werte zu engagieren, ist ausgesprochen sinnvoll. Ich reiche Ihnen eine präzisere schriftliche Beantwortung dieser Frage nach, weil ich die genauen Details der Einbindung der deutschen Minderheit nicht kenne.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Die nächste Frage stellt die Kollegin Dr. Petra Sitte.

Dr. Petra Sitte (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003848, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Ich habe eine Frage zur strategischen Ausrichtung Ihrer Arbeit. Frau Pieper hat heute Morgen im Deutschlandfunk - das Interview wurde schon zitiert - von der Stabilisierung der Situation in Krisenländern gesprochen und als Beispiel die Bildungsleistung für Afghanistan in Höhe von 10 Millionen Euro genannt. Die jüngsten Ereignisse, beispielsweise in Haiti, veranlassen mich, Sie zu fragen, ob es heute Morgen schon erste Verständigungen darüber gegeben hat, wie man Haiti nach dem Erdbeben helfen kann.

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Ich muss Ihnen gestehen, Frau Kollegin Sitte, dass wir bei unserer in der Tat ernsthaften Beratung des Themas Haiti am heutigen Morgen nicht in allererster Linie an die Kultur gedacht haben. Was Haiti betrifft, sind jetzt ganz konkrete humanitäre Notaktionen fällig. Daran anschließend ist im internationalen Kontext eine gigantische Aufbauleistung zu erbringen. Ich glaube, wenn wir sozusagen das erste Geröll abgeräumt haben, wieder einigermaßen frei im Kopf sind und die Aufbauarbeit in Angriff nehmen können, ist es richtig, auch die kulturelle Dimension zu thematisieren. Gegenwärtig sind wir aber noch nicht so weit. Es wäre unrealistisch, zu behaupten, wir würden im Zusammenhang mit Haiti jetzt schon über konkrete Kulturprojekte sprechen. Ich bin mir aber ganz sicher, dass wir auch dieses Thema ernst nehmen. ({0}) - Ja, okay. Auf diesem Gebiet passiert gegenwärtig enorm viel. Wir befinden uns in der internationalen Abstimmung. Die Bundesrepublik Deutschland sollte aber keine Einzelaktionen unternehmen. Das Vorgehen wird im Rahmen der Vereinten Nationen abgestimmt. Es ist natürlich ganz wichtig, dafür zu sorgen, dass den Kindern unabhängig von den drängenden Fragen der Infrastruktur so schnell wie möglich wieder ein breites Bildungsangebot gemacht werden kann. Das ist eines der zentralen Themen, mit denen sich die Vereinten Nationen befassen; daran werden wir uns beteiligen. Aber an dieser Stelle kann ich noch keine konkreten eigenen, nationalen Projekte beisteuern.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort zu einer weiteren Frage hat der Kollege Dr. Hermann Ott.

Dr. Hermann E. Ott (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004125, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Danke, Frau Präsidentin. - Herr Staatsminister, als Wuppertaler Abgeordneter nutze ich ganz schamlos meine Kenntnis der Tatsache, dass Sie gebürtig aus Wuppertal sind, zu einer Frage aus, die das Globale mit Wuppertal verbindet. Sie wissen, dass Pina Bausch, die sicherlich als eine der Kulturbotschafterinnen Deutschlands bezeichnet werden kann, vor kurzem gestorben ist. Sie wissen auch, dass es Bestrebungen gibt, eine Stiftung zu Ehren von Pina Bausch einzurichten, vielleicht sogar im Schauspielhaus, das akut von Schließung bedroht ist. Könnte sich die Bundesregierung, konkret das Auswärtige Amt und Sie oder Ihre Kollegin Frau Pieper, dafür einsetzen, dass eine solche Stiftung mit Mitteln des Bundes gefördert wird, um weiterhin in die Welt auszustrahlen?

Not found (Gast)

Herr Kollege Ott, Sie wissen, dass ich jetzt hier in die schwere Versuchung gerate, nicht nur als Wuppertaler, sondern auch als Bewunderer des Lebenswerks von Pina Bausch zu sagen: Ja, da steigen wir richtig ein. Haushälterisch wäre eine solche Aussage natürlich einigermaßen unseriös. Ich kann Ihnen nur versichern, dass wir die große Leistung dieser Künstlerin für unsere Nation zu würdigen wissen und dass wir es begrüßen, wenn diese Erinnerung in Wuppertal hochgehalten wird. Eine konkrete Antwort und Zusage im Hinblick auf das Thema Schauspielhaus in Wuppertal wäre angesichts der Tatsache, dass in Nordrhein-Westfalen gegenwärtig viele große Schauspielprojekte auf der Tagesordnung stehen, etwas Verwegenes. Aber dass ich große Sympathie für dieses Projekt habe, können Sie sich vorstellen. Darüber sprachen wir ja bereits.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Die nächste Frage stellt die Kollegin Edelgard Bulmahn.

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000305, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatsminister, es ist sicherlich für uns alle sehr erfreulich, dass Sie in Ihrer Politik der Auswärtigen Kulturpolitik einen so hohen Stellenwert zumessen. Damit stoßen Sie auf sehr große Zustimmung. Meine Frage bezieht sich auf das Programm des Deutschen Akademischen Austauschdienstes, ganz konkret auf die Studienangebote im Ausland. Sie werden verstehen, dass ich mich selber sehr darüber gefreut habe, dass das Auswärtige Amt seit Frank-Walter Steinmeier gerade der wissenschaftlichen Zusammenarbeit einen größeren Stellenwert zumisst. Vor vielen Jahren haben wir das Programm „Studienangebote deutscher Hochschulen im Ausland“ gestartet, das zu sehr erfolgreichen Gründungen von Hochschulen im Ausland in Kooperation mit deutschen Hochschulen geführt hat. Ich nenne nur die Hochschulen in Kairo und in Amman. Meine Frage geht dahin, ob die Finanzierung dieser Hochschulen gesichert ist, und zwar nicht nur für dieses Jahr, sondern auch für das nächste und übernächste Jahr; denn der Erfolg dieser Ausgründungen, die wir getätigt haben, hängt auch von der Verlässlichkeit und Stabilität der Finanzierung für einen bestimmten Zeitraum ab. Es ist völlig klar - das füge ich hinzu, um nicht missverstanden zu werden -, dass es nicht um eine Dauerfinanzierung geht; aber wir müssen die Finanzierungssicherheit für den Zeitraum haben, in dem sich die Hochschulen noch im Aufbau befinden. Deshalb wäre es sehr schön, wenn Sie meine Frage positiv beantworten könnten. Wenn Sie es im Moment nicht können, weil die Finanzierung über das BMBF erfolgt, dann bitte ich Sie, diese Frage schriftlich zu beantworten.

Not found (Gast)

Letzteres werde ich in Zusammenwirken mit dem BMBW sehr gerne tun. ({0}) - Heute BMBF. - Trotzdem ist es natürlich ein Thema, das für uns enorm wichtig ist. Wir haben diese Projekte auch als außenpolitische Projekte auf den Weg gebracht, und für uns ist Nachhaltigkeit ein Grundprinzip. Wenn man so etwas auf den Weg bringt, muss man das Kind so lange begleiten, bis es selber laufen kann. Die Projekte, die wir auf den Weg gebracht haben, sind meines Wissens in trockenen Tüchern; aber ich werde dies gemeinsam mit dem BMBF noch einmal mit Zahlen zu belegen versuchen. Ich halte es für wichtiger, diese Dinge mit Nachhaltigkeit auszustatten, als hektisch zu viele neue Sachen anzufangen. Deswegen bin ich in diesem Punkt sympathisierend auf Ihrer Seite.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Zu einer weiteren Nachfrage hat die Kollegin KrügerLeißner das Wort.

Angelika Krüger-Leißner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003164, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatsminister, ich würde Sie gerne etwas zu unseren Auslandsschulen fragen. Mit der Entwicklung und der PASCH-Initiative können wir alle ganz zufrieden sein. Wir können stolz sein auf das, was sich da getan hat. Sie haben vorhin gesagt, dass der Haushaltsansatz für die Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik erhöht worden ist. Das trifft auf den ersten Blick zwar auch auf den Bereich der Auslandsschulen zu; aber es steigen lediglich die Aufwendungen für die Lehrkräfte. Die Zuwendungen an die Auslandsschulen selbst gehen zurück, und das angesichts dessen, dass die Zahl der Auslandsschulen, die Zahl der Sprachdiplome und die Kosten für die Lebensführung insgesamt gestiegen sind. Mir macht das große Sorgen. Gleichzeitig wollen Sie, dass die deutschen Auslandsschulen Qualitätsstandards einhalten bzw. erreichen. Dazu haben Sie mit der ZfA bestimmte Qualitäts- und Entwicklungsziele vereinbart. Sie wollen das auch messen: Alle drei bis fünf Jahre, habe ich nachgelesen, wollen Sie auswerten, ob die Instrumente geeignet sind. Gibt es da konkrete Vorstellungen? Wann können wir mit der ersten Auswertung der Daten hinsichtlich der Qualitätssteigerung in den deutschen Auslandsschulen rechnen?

Not found (Gast)

Mit dieser Frage bin ich überfordert. Ich vermute, dass wir 2011 so weit sein werden - das würde in der Logik des Aufbaus der Schulen Sinn machen -, ich habe mir den genauen Zeitplan der einzelnen Schritte allerdings nicht geben lassen. Dass wir uns nicht missverstehen: Ich teile Ihre Sorge. Im Etat sind 54,7 Millionen Euro vorgesehen; das ist gleich viel wie für 2009. Angesichts der Gesamtentwicklung ist das natürlich nicht erfreulich. Das gilt allerdings für viele Bereiche dieses Bundeshaushalts. Auswärtige Kulturpolitik ist - wie Kulturpolitik überhaupt - immer Kampf um die Mittel. Man hat es dabei mit starken Gegnern zu tun. Damit meine ich nicht nur den Finanzminister - das liegt in der Natur der Sache -, sondern auch andere Bereiche der Auswärtigen Kulturund Bildungspolitik. Deswegen ist es, finde ich, ein Erfolg, dass es gelungen ist, den Etatansatz zu stabilisieren. Angesichts der Tatsache, dass in der Aufbauphase für viele neue Partnerschulen oder Schulen, die zu Partnerschulen gemacht worden sind, sozusagen die Grundinvestitionen getätigt sind, erscheint mir die Situation vergleichbar. Ich gehe aber wie Sie davon aus, dass wir für diesen Bereich in den nächsten Jahren mehr Geld brauchen. An diesem Partnerschaftsprogramm nehmen jetzt 1 400 Schulen teil. Wir können uns vorstellen - in Linie mit dem, was die alte Bundesregierung und Herr Steinmeier in diesem Punkt gemacht haben -, auf 1 500 Schulen zu kommen. Dazu braucht es aber ein bisschen mehr Geld.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Weitere Fragen zu dem Bericht des Herrn Staatsministers? - Frau Kurth hat das Wort zu einer Nachfrage zu dem Bericht des Herrn Staatsministers.

Undine Kurth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003579, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Noch eine Frage zu den Finanzen. Sie haben vorhin erfreulicherweise gesagt, dass die Ausstellung „Kunst der Aufklärung“ Ihnen ein Herzensanliegen sei. Auch wir begrüßen außerordentlich, dass diese Ausstellung zustande kommen wird. Sie haben vorhin aber auch gesagt, dass es wichtig ist, kleinere Vorhaben weiterhin finanziell zu unterstützen, zum Beispiel zu helfen, dass finanzschwache Länder ihre Filmemacher zu den Internationalen Kurzfilmtagen Oberhausen schicken können. Auch die Berliner Literaturtage zählen zu den kleineren Vorhaben, die ausfinanziert werden müssen. Ich frage sie daher, ob es stimmt, dass die Ausstellung in Peking nicht, wie das im Haushaltsansatz für 2010 ursprünglich vorgesehen war, zulasten anderer Kulturvorhaben in Ihrem Bereich gehen wird. Das ist meines Wissens zurückgenommen worden. Wird diese Ausstellung, die wir alle sehr begrüßen, auch 2011 auf keinen Fall zulasten anderer kultureller Vorhaben gehen?

Not found (Gast)

Ich persönlich gehe davon aus - ich glaube, die Bundesregierung insgesamt geht davon aus -; denn durch die in der Sache bedauerliche Verzögerung beim Bau des Museums in Peking findet eine Entzerrung statt, sodass sich die vorgesehenen Mittel auf die Haushaltsjahre 2010 und 2011 verteilen. Dadurch ist wieder ein bisschen Bewegungsspielraum entstanden. Die Weiterfinanzierung der Internationalen Kurzfilmtage Oberhausen oder die Weiterfinanzierung der Literaturwerkstatt Berlin, des Deutschen Übersetzerfonds oder der Präsenz auf der Leipziger Buchmesse, das war alles noch nicht in trockenen Tüchern. Wir haben es mittlerweile in trockenen Tüchern, und darüber bin ich sehr glücklich. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Weitere Nachfragen zum Bericht des Herrn Staatsministers liegen mir nicht vor. Gibt es Fragen zu anderen Themen der heutigen Kabinettssitzung? - Kollege Fell, bitte.

Hans Josef Fell (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003115, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin, vielen Dank, dass Sie mir noch die Gelegenheit dazu geben. - Meine Frage bezieht sich auf den heutigen Beschluss des Bundeskabinetts zur Solarvergütung. Frau Staatssekretärin Reiche, ich nehme an, dass Sie sie mir beantworten werden. Ich frage die Bundesregierung: Was ist die wissenschaftliche Basis für die Absenkung der Vergütung um 16 Prozent ab Juli 2010, und was ist die wissenschaftliche Basis für den Ausschluss der Agrarflächen von der EEG-Vergütung?

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Bitte, Frau Staatssekretärin.

Katherina Reiche (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003209

Frau Präsidentin! Herr Kollege Fell, Sie geben mir mit Ihrer Frage die Gelegenheit, den Beschluss der Bundesregierung hinsichtlich einer Formulierungshilfe für den Deutschen Bundestag zur Neuregelung der Fotovoltaik umfassend vorzustellen, weil ich der Auffassung bin, dass Sie mit Ihren Fragen darauf zielen, dass die Vermutung angestellt wird, wir könnten es mit dem Ausbau der erneuerbaren Energien oder gar der Fotovoltaik nicht ernst meinen. Die Geschichte der Fotovoltaik in Deutschland ist eine Erfolgsgeschichte: Unsere Unternehmen und unsere Forschung sind weltweit technologisch führend, die Branche hat einen hohen Exportanteil, und die Anzahl der in der Solarbranche Beschäftigten einschließlich Handwerkern beträgt mittlerweile über 60 000. Für uns ist die Solarenergie sehr wohl ein zentraler Zukunftsmarkt. ({0}) Herr Kollege Fell, allein im Jahre 2009 wurden allerdings neue Fotovoltaikanlagen mit einer Gesamtleistung von 3 000 Megawatt installiert. Die Prognose lag bei 1 700 bis 1 800 Megawatt. Damit sind Anlagen mit einer Gesamtleistung von mittlerweile rund 9 000 Megawatt in Betrieb. Obwohl wir unsere Zubauprognose mit einer Zielmarke von jährlich 3 500 Megawatt verdoppeln wollen, war und ist eine Korrektur der Vergütung zwingend geboten. Die Solarenergie hat im Vergleich zu anderen erneuerbaren Energien ohne Frage das größte Ausbaupotenzial, aber im vergangenen Jahr gab es an den Märkten einen Preisverfall von bis zu 30 Prozent. Auch in diesem Jahr wird ein Preisverfall von bis zu 15 Prozent prognostiziert. Deshalb haben wir ein sehr differenziertes System der Korrektur vorgeschlagen, das die Elemente enthält, die Sie eben beschrieben haben, aber eben auch noch sehr viel mehr. Wir schlagen vor, die Subventionen für Dachanlagen um 16 Prozent und für Anlagen auf Konversionsflächen nur um 11 Prozent abzusenken. Die Förderung von Anlagen auf Freiflächen und auf sonstigen Flächen wird um 15 Prozent abgesenkt. Das heißt, das Thema Freifläche ist und bleibt für uns wichtig. Die jährliche Absenkung der Vergütung, das heißt, die Degression, wird stärker an das Marktwachstum angepasst. Das Wichtigste ist aber, dass wir die Zielmarke vergrößern. Sie lag bislang in den von den Experten schon als sehr ambitioniert eingeschätzten Prognosen bei 1 700 Megawatt. Wir vergrößern diese auf 3 500 Megawatt und tun damit das, worum wir von den Unternehmen gebeten worden sind, nämlich dafür Sorge zu tragen, dass das Volumen in Deutschland erhöht werden kann. Die Absenkung soll zum 1. Juli 2010 erfolgen. Wir sorgen damit für die notwendige Rechtssicherheit von Planungen, sagen aber gleichzeitig, dass es in der Gesamtbetrachtung der Differenzkosten, bei der die Solarenergie schon heute den größten Anteil hat, nicht zu Unwuchten kommt. Freiflächen werden nach wie vor genutzt, Herr Kollege Fell; das ist uns wichtig. In den Ackerflächen sehen wir aber eben eine Konkurrenz, die auch für die Akzeptanz der Solarenergie nicht ganz ungefährlich ist; denn wir können nicht ignorieren, dass es in Deutschland Gebiete gibt, wie den Osten, die sich sehr um eine Ansiedlung auf Freiflächen bemühen und wo es ja auch erfolgreiche Ansiedlungen gab. Der Widerstand - insbesondere in südlichen Teilen unseres Landes - gegen einen großflächigen Zubau von Solaranlagen auf wertvollen Ackerflächen kann aber dazu führen, dass die Akzeptanz der von uns gewollten Solarförderung abnimmt. Deswegen werden wir an dieser Stelle korrigieren. Der Zubau auf Ackerflächen wird nicht mehr genehmigt und in Zukunft verboten werden. Ausgenommen sind allerdings Flächen, auf denen schon jetzt Anlagen geplant sind, um hier nicht in laufende Prozesse einzugreifen. Der Zubau auf Konversionsflächen oder beispielsweise auf Flächen entlang von Straßen wird aber nach wie vor gefördert.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Nach unserer Geschäftsordnung ist es vorgesehen, dass die Befragung der Bundesregierung bei Bedarf verlängert werden kann. Bisher hatten wir allerdings noch nicht den Fall, dass wir gleich zwei gut vorbereitete Berichte der Bundesregierung gehört haben. Ich bitte die zwei Nachfragenden, die ich deshalb jetzt noch zulasse, um kurze und damit auch kurz zu beantwortende Fragen, sodass wir dann in die Fragestunde übergehen können. Kollege Fell, Sie können eine Nachfrage stellen; nach der Beantwortung hat der Kollege Michael Roth das Wort.

Hans Josef Fell (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003115, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Kollegin Reiche, vielen Dank für die Informationen, die uns bekannt sind. Da Sie auf meine Frage, welche wissenschaftliche Basis diese Beschlüsse haben, nicht eingegangen sind, nehme ich nun zur Kenntnis, dass es offensichtlich keine wissenschaftliche Basis gibt. Ich möchte Ihnen dennoch Gelegenheit geben, eine zweite Frage zu beantworten. Sie wissen, dass ein Großteil der deutschen Solarproduzenten bereits im Jahr 2009 rote Zahlen geschrieben hat. Ich würde gern wissen, welche Erwartung die Bundesregierung für die Ertragssituation der deutschen Solarindustrie in den Jahren 2010 und 2011 - nach der drastischen Vergütungssenkung - hat.

Katherina Reiche (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003209

Kollege Fell, der Preisverfall im vergangenen Jahr hat stattgefunden, obwohl es eine sehr auskömmliche Vergütung gab. Das EEG ist ausdrücklich nicht darauf angelegt, den Produzenten als solches zu fördern, sondern die gesamte Wertschöpfungskette, die Installation von Leistung. Wir können mit dem EEG nicht regeln, wo Gewinne anfallen, wo die meisten Gewinne realisiert werden. In der Tat ist es so, dass es bei den Installateuren die größte Gewinnschöpfungsspanne gab. Bei der neuen EEG-Förderung achten wir darauf, dass der Eigenverbrauch gestärkt wird, dass also diejenigen, die eine Solaranlage auf dem Dach installieren und die gewonnene Leistung für sich selbst verbrauchen, in Zukunft nicht mehr durchschnittlich 3 Cent, sondern 8 Cent Förderung pro Kilowattstunde erhalten, und das nicht nur bis zu einem Volumen von 30 Kilowatt, sondern bis zu einem Volumen von 800 Kilowatt Leistung. Deshalb gehen wir davon aus, dass wir den Anreiz auch für private Personen stärken, in die Solarförderung zu investieren. Damit geben wir unseren Unternehmen eine Chance, sich weiter am Markt zu etablieren; das haben sie bisher schon getan. Wir gehen davon aus, dass die moderaten Korrekturen dazu führen, dass sich die Unternehmen in Deutschland weiter gut entwickeln können.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Zu einer letzten Nachfrage hat der Kollege Roth das Wort.

Michael Roth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003213, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin, vielen Dank. - Ich frage die Bundesregierung, ob es heute in der Kabinettssitzung schon eine Diskussion über die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes zur Vorratsdatenspeicherung gab. Wenn ja, gibt es hierzu schon einen Zeitplan für ein etwaiges Gesetzgebungsverfahren?

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Herr Kollege Roth, die Entscheidung des Verfassungsgerichts ist selbstverständlich angesprochen worden; einen Zeitplan gibt es noch nicht.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ich beende die Befragung. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 2 auf: Fragestunde - Drucksache 17/839 Ich rufe die Fragen auf Drucksache 17/839 in der üblichen Reihenfolge auf. Wir beginnen mit dem Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz. Zur Beantwortung der Fragen steht der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Gerd Müller zur Verfügung. Ich rufe die Frage 1 des Kollegen Friedrich Ostendorff auf: Warum hat die Bundesregierung den Weltagrarbericht des IAASTD - International Assessment of Agricultural Knowledge, Science and Technology for Development - anders als zum Beispiel Frankreich und Großbritannien bis heute nicht unterzeichnet? Bitte, Herr Staatssekretär.

Dr. Gerd Müller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002742

Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! In diesem sogenannten Weltagrarbericht sind überwiegend bekannte Fakten zusammengefasst. Wir schätzen diese Arbeit. Die Kernbotschaft dieses Agrarberichts, dass Armut und Hunger am effektivsten durch die Steigerung der Produktivität der kleinbäuerlichen Betriebe im Rahmen einer multifunktionalen ländlichen Entwicklung bekämpft werden können, ist internationaler Konsens.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage.

Friedrich Ostendorff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003604, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin, schönen Dank. - Herr Staatssekretär, der Weltagrarbericht wurde von der Weltbank und den Vereinten Nationen initiiert. Er wurde von 500 Wissenschaftlern und Vertretern der Zivilgesellschaft in einem vierjährigen Prozess erarbeitet. Es stellt sich die Frage, welche wissenschaftlichen Erkenntnisse die Bundesregierung dazu veranlasst haben, den Bericht nicht zu unterzeichnen, wie es mit Einschränkungen selbst die USA, Kanada und Australien getan haben.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Bitte, Herr Staatssekretär.

Dr. Gerd Müller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002742

Herr Kollege, ich habe Ihnen eben dargelegt, dass wir den Bericht zur Kenntnis genommen haben und in wesentlichen Teilen die Botschaften mittragen. Dass es auch Bereiche gibt, über die man diskutieren kann, ist völlig klar. Aber im Wesentlichen sind darin Kernbotschaften zusammengefasst, die sich auch in vielen anderen internationalen Dokumenten wiederfinden.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ihre zweite Nachfrage.

Friedrich Ostendorff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003604, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Staatssekretär, hat die ablehnende Haltung der Bundesregierung zum Weltagrarbericht mit den kritischen Aussagen dieses Berichtes - und wenn, mit welchen - zu tun? Ist die Bundesregierung deshalb nicht bereit, den Bericht zu unterzeichnen?

Dr. Gerd Müller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002742

Nein, ich habe dargestellt, dass wir den Bericht zur Kenntnis nehmen und auch damit arbeiten, aber nicht die Notwendigkeit gegeben ist, dieses Dokument jetzt zu unterzeichnen.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Wir kommen zur Frage 2 des Kollegen Ostendorff: Sieht die Bundesregierung die Belastung durch Wirtschaftsdünger, insbesondere aus der nicht flächengebundenen Tierhaltung und auf Standorten konzentrierter Tierhaltung wie in Nordrhein-Westfalen, als Problem für Trinkwasser und Umwelt an, und, wenn ja, welche Lösungen schlägt die Bundesregierung auch im Hinblick auf Gülle-Importe vor, nachdem sie mehr Transparenz durch die Verbringungsverordnung für Wirtschaftsdünger ablehnt? Bitte, Herr Staatssekretär.

Dr. Gerd Müller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002742

Bei der Frage 2 geht es um das Thema Düngeverordnung. Ich freue mich, dass wir heute die Agrarthemen umfassend behandeln können. Die Düngeverordnung vom Januar 2006 konkretisiert die Regeln der guten fachlichen Praxis beim Düngen und trägt dem Gewässerschutz in besonderer Weise Rechnung. Diese Verordnung dient auch der Umsetzung der EG-Richtlinie zum Schutz der Gewässer vor Verunreinigung durch Nitrat aus landwirtschaftlichen Quellen. Die Einhaltung dieser Regeln stellt auch in Gebieten mit konzentrierter Tierhaltung, wie wir sie in NRW, wie in Ihrer Frage angesprochen, und in Niedersachsen haben, einen umfassenden Gewässer- und Umweltschutz sicher.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage.

Friedrich Ostendorff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003604, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Staatssekretär, Sie haben mit Recht darauf hingewiesen, dass besonders in Niedersachsen, aber auch in Nordrhein-Westfalen das Problem verschärft auftritt, weil es hier auch um den Import von Gülle und Gärsubstraten aus den Niederlanden geht. Sie wissen auch, dass der Steuerzahler den Export von Gülle subventioniert. Das muss man einmal nachvollziehen, wie weit eine Zivilgesellschaft gekommen ist, wenn sie den Export von Gülle mit Steuermitteln finanziert. Aber gut, das ist nicht meine Frage. Dieser Zustand hat das Bundesland Nordrhein-Westfalen veranlasst, tätig zu werden. Sie haben das zu erklären versucht. Es bleibt aber die Frage, warum die Bundesregierung hier keinen Handlungsbedarf sieht. Wir haben mindestens die Nachfrage, um welche Mengen es sich Ihrer Kenntnis nach handelt, die hier importiert aus den Niederlanden in unsere Bundesländer einsickern.

Dr. Gerd Müller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002742

Herr Kollege Ostendorff, entscheidend ist sicherlich, dass die Regelungen zum Gewässer- und Umweltschutz eingehalten werden. Das möchte ich auch in Richtung der angesprochenen Bundesländer sagen. Wir haben hier keine Probleme. Der Anteil der Messstellen, bei denen eine Nitratbelastung festzustellen ist, geht zurück. Die von Ihnen angesprochene Problematik des Vollzugs der Düngeverordnung wird ebenso wie die Kontrolle der Verbringung auf Fachebene mit den Bundesländern diskutiert. Es wird ein Entwurf erstellt, der über den Bundesrat eingebracht wird und den wir dann mit den Bundesländern prüfen und diskutieren.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Eine weitere Nachfrage, bitte.

Friedrich Ostendorff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003604, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Das bringt uns sofort zu der nächsten Frage nach der bisherigen Praxis. Sind Sie der Meinung, dass die Dokumentationspflichten, die heute beim Import von Gülle und Gärsubstraten aus den Niederlanden gelten, ausreichend sind?

Dr. Gerd Müller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002742

Nach der Düngeverordnung muss aufgezeichnet werden, wer Wirtschaftsdünger abgibt oder aufnimmt. Die von Ihnen angesprochene Frage der grenzüberschreitenden Verbringung ist Gegenstand der Diskussion, die wir mit den Bundesländern führen.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Wir kommen zur Frage 3 der Kollegin Waltraud Wolff: Welche neuen Erkenntnisse hat die Bundesregierung, die zu der Neubewertung des Beitrages der Landwirtschaft an der Emission von Treibhausgasen durch die Parlamentarischen Staatssekretäre bei der Bundesministerin für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz, Julia Klöckner und Dr. Gerd Müller, in ihrer Pressemitteilung vom 24. Februar 2010 zu einer gemeinsamen Anhörung des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz und des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit zu „Landwirtschaft und Klimaschutz“ im Vergleich zum Nationalen Strategieplan der Bundesrepublik Deutschland für die Entwicklung ländlicher Räume 2007 bis 2013 des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz von 2006 geführt haben, in dem der Anteil der Landwirtschaft an den Treibhausgasemissionen mit insgesamt rund 128 Megatonnen jährlich bzw. 13 Prozent angegeben wird? Bitte, Herr Staatssekretär.

Dr. Gerd Müller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002742

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Das wichtige Thema „Landwirtschaft, Forstwirtschaft und Klimaschutz“ ist Gegenstand dieser umfassenden Frage von Frau Wolff. Der in die Berichterstattung zur Klimakonvention eingehende Anteil der Landwirtschaft an den gesamten deutschen Treibhausgasemissionen wurde von meiner Kollegin Klöckner und mir im Nachgang zu unserer Anhörung im Ausschuss dem Nationalen Inventarbericht Zum Deutschen Treibhausgasinventar 1990-2008 des Umweltbundesamtes mit Stand 15. Januar 2010 entnommen, der gemäß den Verpflichtungen nach der Klimarahmenkonvention der Vereinten Nationen jährlich erstellt wird. In diesem Bericht wird der Anteil der Landwirtschaft an den gesamten deutschen Treibhausgasemissionen mit 6,9 Prozent angegeben.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage.

Waltraud Wolff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003270, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Staatssekretär, vielen Dank für die Beantwortung. - Sie werden aber verstehen, dass wir gerade vor dem Hintergrund, dass wir am Montag vergangener Woche eine Anhörung zu Klimaschutz und Landwirtschaft hatten und darüber ausführlich gesprochen haben, schon sehr verwundert sind, dass Sie den Anteil der Landwirtschaft an den gesamten deutschen Treibhausgasemissionen auf 6 oder 7 Prozent beziffern. Nach dem aus Ihrem Hause kommenden Nationalen StrategieWaltraud Wolff ({0}) plan liegt der Anteil der Landwirtschaft an den gesamten deutschen Treibhausgasemissionen bei 13 Prozent; dieser Bericht stammt von 2006. Nun frage ich, ob die Bundesregierung nicht mehr die Position bezieht, wie sie in der vergangenen Legislaturperiode deutlich gemacht wurde, und welche neuen Erkenntnisse Sie dazu bewogen haben, jetzt die Landwirtschaft von ihrer Beteiligung quasi freizusprechen.

Dr. Gerd Müller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002742

Frau Kollegin Wolff, dies ist nicht erfolgt. Ich möchte für mein Ministerium präzise bleiben und darf deshalb wiederholen: Der Anteil von 6,9 Prozent der Landwirtschaft an den gesamten deutschen Treibhausgasemissionen ist nicht meine Aussage, sondern die Basis des Nationalen Inventarberichts Zum Deutschen Treibhausgasinventar des Umweltbundesamtes. Entscheidend ist immer die Frage - das ist auch in anderen Bereichen nicht unüblich -, was zugrunde gelegt wird und wo die Systemgrenze gezogen wird. Deshalb möchte ich gerne auf das eingehen, was Sie angesprochen haben. Der Nationale Strategieplan der Bundesrepublik Deutschland für die Entwicklung ländlicher Räume kommt in der Tat zu einer anderen Prozentzahl, weil die Aktivitäten der Landwirtschaft anders abgegrenzt werden. Dort wird also eine andere Abgrenzung getroffen. Beim Nationalen Strategieplan werden beispielsweise die Herstellung von Mineralöldünger, der Kraftstoffverbrauch der landwirtschaftlichen Maschinen und die Emissionen aus landwirtschaftlichen Böden einbezogen, über die gemäß internationaler Vorgaben im Sektor Landnutzung, Landnutzungsänderung und Forstwirtschaft berichtet wird, die jedoch zur Erfüllung der Klimaschutzverpflichtungen nach dem Kioto-Protokoll in Deutschland im Zeitraum von 2008 bis 2012 nicht anzurechnen sind. Man muss also, wenn man von Prozentzahlen spricht, immer die Basis sehen und berücksichtigen, was einbezogen wird und was nicht. Die Landwirtschaft ist sich jedenfalls der Bedeutung dieses Themas bewusst und geht verantwortlich damit um. Die Klimabilanz der deutschen Landwirtschaft ist positiv. Ich möchte dies wie folgt darstellen: Seit 1990 haben wir im Bereich der Methanemissionen einen Rückgang um 22 Prozent und bei Lachgasemissionen aus der Stickstoffdüngung einen Rückgang um 10 Prozent zu verzeichnen. Wir setzen aktuell und in Zukunft auf Ökoeffizienz in der Landwirtschaft. Das heißt, Themen wie Kraftstoffeinsparung und Optimierung des Stickstoffmanagements stehen auf der Tagesordnung. Ich erlaube mir, an der Stelle darauf hinzuweisen, dass wir ohne die agrarische Produktion bei der CO2Bilanz ganz anders dastehen würden; denn jede Kulturpflanze bindet CO2. Je nach Kulturpflanze sind es 14 bis 20 Tonnen CO2 pro Hektar, die aus der Atmosphäre durch Pflanzen unserer Landwirtschaft gebunden werden. Nicht zu unterschätzen sind die deutschen Wälder, die 1,2 Milliarden Tonnen Kohlenstoffdioxid speichern. Allein der Holzzuwachs führt dazu, dass jedes Jahr 17 Millionen Tonnen CO2 mehr aus der Atmosphäre gebunden werden. Ebenso wäre der Bereich der Bioenergie zu nennen. Sie sehen, wir sind uns der Bedeutung dieses Themas bewusst. Die deutsche Landwirtschaft ist sehr verantwortungsvoll auf diesem Sektor. Wir haben die Forschung ausgeweitet. Ich kann mit Fug und Recht sagen: Deutschland ist hier in Europa führend.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sie haben das Wort zu einer zweiten Nachfrage.

Waltraud Wolff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003270, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, dass Methan- und Lachgasemissionen in der Landwirtschaft nicht alles sind, wissen auch die anderen, nicht nur die Fachpolitiker und Fachpolitikerinnen. Deshalb möchte ich Sie fragen, ob Sie nach Ihren Äußerungen in der Presse und den Korrekturen aller von der Koalition für die Anhörung benannten Experten, die Sie auch öffentlich in der Presse korrigiert haben, den Experten recht geben, dass alle Emissionen, die in der Landwirtschaft entstehen, einzubeziehen sind, damit man eine objektive Bilanz wie in anderen Wirtschaftsbereichen auch erzielt. Ich denke, nur auf diese Art und Weise bekommen wir die Landwirtschaft aus der Kritik.

Dr. Gerd Müller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002742

Ich habe auf die großen Anstrengungen der deutschen Landwirtschaft zur Reduzierung der Treibhausgase hingewiesen. Es kommt uns sicherlich nicht darauf an, nun eine Prozentdiskussion zu führen. Wir sehen den gesamten Bereich und nehmen nichts aus. Deshalb habe ich bewusst die Quellen genannt. Das ist wichtig. Bei einem Blick auf den Nationalen Strategieplan sehen Sie, dass wir keine enge Abgrenzung vornehmen, sondern das weite Feld der agrarischen Produktion sehen. Dazu gehören für uns auch der Kraftstoffverbrauch landwirtschaftlicher Maschinen und andere Bereiche.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Eine weitere Nachfrage stellt der Kollege Dr. Ott.

Dr. Hermann E. Ott (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004125, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Ich bin der Kollegin Wolff sehr dankbar dafür, dass sie die Ergebnisse der gemeinsamen Anhörung der Ausschüsse für Landwirtschaft und Umwelt hier in die Fragestunde eingebracht hat. Ich bin dem Staatssekretär sehr dankbar, dass er richtiggestellt hat, was auch das Ergebnis der Anhörung war, nämlich dass die Emissionen aus der Landwirtschaft eben nicht zu vernachlässigen sind, wie es die Größe von 6 bis 7 Prozent nahelegt, sondern dass im Gegenteil 13 bis 15 Prozent der deutschen Emissionen der Landwirtschaft zuzurechnen sind. Die Frage ist nun, was das Ministerium und die Bundesregierung mit diesen Erkenntnissen machen. Auch Ihnen ist bekannt, dass physikalisch bedingt die Produktion von Fleisch zu den größten Emissionen führt, weil das Sechs- bis Zehnfache der Energie, die man aus dem Fleisch bekommt, durch pflanzliche Rohstoffe eingesetzt werden muss. Die Ministerin hat anlässlich der Grünen Woche darauf hingewiesen, dass nicht geplant sei, den Fleischkonsum in Deutschland im Zusammenhang mit der Klimadiskussion und den Emissionen in irgendeiner Weise zum Thema zu machen. Meine Frage an Sie lautet: Hat in Bezug auf dieses Thema ein Umdenkprozess innerhalb des Ministeriums eingesetzt, um der Rolle des Fleischkonsums in der Klimadebatte endlich gerecht zu werden?

Dr. Gerd Müller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002742

Herr Kollege, ich habe deutlich gemacht, dass es uns um den umfassenden Ansatz der Diskussion geht, und deshalb habe ich beispielsweise die Bedeutung des Forstes durch die Bindung von CO2 im Pflanzenbau und damit die herausragende Rolle der Landwirtschaft für den Klimaschutz nicht nur in Deutschland, sondern weltweit hervorgehoben. Die Landwirtschaft kann aber nicht nur durch innovative Methoden zum Klimaschutz beitragen, sondern sie ist natürlich auch Opfer des Klimawandels - dafür herrscht ein ganz starkes Bewusstsein -, insbesondere in anderen Regionen. Ich nenne nur die Stichworte Überschwemmungen, Versteppung, Dürre und Ausbreitung der Wüsten. Gehen Sie davon aus, dass wir einen Ansatz haben, der weit darüber hinausgeht. Deshalb war dies auch ein Schwerpunkthema der Ministerin auf unserem - in Anführungszeichen - Weltagrargipfel, also unserem Agrargipfel im Rahmen der Grünen Woche. Wir haben die Problematik eines koordinierten Vorgehens mit Agrarministern aus über 50 Ländern besprochen. Bei der Fleischproduktion - auch darauf habe ich schon hingewiesen - geht es um das Methan. Wir können natürlich nicht die Kuh als Wiederkäuer abschaffen. Aber Sie müssen auch zur Kenntnis nehmen, dass die Methanreduzierung um 22 Prozent seit 1990 ein wesentlicher Beitrag und Erfolg ist.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Die letzte Nachfrage zur Frage 3 stellt der Kollege Ostendorff.

Friedrich Ostendorff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003604, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Staatssekretär, wir sind jetzt an einem entscheidenden Punkt der Diskussion. Die Ministerin hat auf der Grünen Woche sehr deutlich gemacht, dass die Fleischexportstrategie, die Fleischproduktionsstrategie der Schwerpunkt ihrer Politik ist. Sie hat auch sehr deutlich gemacht, dass der Klimaschutz jetzt hinten anstehen muss. Sind Sie nach den Erfahrungen aus der Anhörung und im Hinblick auf den heutigen Diskussionsstand mit uns der Meinung, dass man diese Strategie korrigieren muss?

Dr. Gerd Müller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002742

Herr Ostendorff, Sie sind ein sehr geschätzter Kollege, der sich aber sehr stark durch eine selektive Wahrnehmung auszeichnet und nur das hört, was er hören möchte. Aber selbst das habe ich nicht gehört.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ich rufe die Frage 4 der Kollegin Waltraud Wolff auf: Wie berücksichtigt die Bundesregierung in ihrer Politik zur nachhaltigen Landbewirtschaftung alle mit der landwirtschaftlichen Produktion verbundenen klimarelevanten Emissionen, also auch die energiebedingten Emissionen der Landwirtschaft, die Kohlenstoffvorratsänderungen in der Biomasse und in Böden unter landwirtschaftlicher Nutzung und durch Landnutzungsänderung, und die Emissionen, die mit dem Einsatz von Importfuttermitteln verbunden sind, auf die die Experten des Johann Heinrich von Thünen-Instituts in ihrer Stellungnahme zu dieser Anhörung hingewiesen haben und die in der jährlichen nationalen Emissionsberichterstattung im Kapitel Landwirtschaft fehlen, in der nur Emissionen von CH4 und N2O aus Tierhaltung, Stickstoffdüngung und atmosphärischem Stickstoffeintrag - vor allem von NH3 - berichtet werden? Bitte, Herr Staatssekretär.

Dr. Gerd Müller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002742

Meine Antwort ist: In der Umwelt- und Agrarpolitik der Bundesregierung und der EU werden die in der Frage genannten Treibhausgasemissionen der Landwirtschaft berücksichtigt. Ich möchte konkrete Beispiele nennen: die angestrebte Rückführung des Stickstoffüberschusses gemäß der nationalen Nachhaltigkeitsstrategie, die Begrenzung der Ammoniakemissionen auf 550 000 Tonnen pro Jahr gemäß der Richtlinie über nationale Emissionshöchstmengen - dies geschieht beispielsweise in großen Stallungen, in modernen Betrieben durch den Einbau von Ammoniakfiltern -, die Einschränkung des Grünlandumbruches, die Förderung des Klimaschutzes im Rahmen der Gemeinschaftsaufgabe, die Einsparung von Energie durch das Bundesprogramm, die Ausrichtung der Agrarforschung auf mehr Klimaschutz und die Einrichtung eines Instituts für Agrarrelevante Klimaforschung. Wir kommen den Forderungen der Kollegin Wolff und der Opposition schon weitgehend nach. Das ist auch kein Wunder, denn wir haben vier Jahre sehr erfolgreich miteinander regiert, und da haben auch Sie einiges mit auf den Weg gebracht.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollegin Wolff hat das Wort zur ersten Nachfrage.

Waltraud Wolff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003270, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja, Herr Staatssekretär, wir haben zwar vier Jahre miteinander regiert, aber das reicht noch lange nicht aus. Ich beziehe mich auch bei meiner zweiten Frage auf die Anhörung, die wir am vergangenen Montag hatten. Es geht mir noch einmal um die Landnutzungsänderungen, sprich Waltraud Wolff ({0}) den Grünlandumbruch. Sie haben gesagt, wir würden den Grünlandumbruch schon sehr weitgehend verbieten. Ganz so ist es aber nicht. Auch Sie wissen, dass wir in vier Bundesländern über der 5-Prozent-Grenze liegen. Das liegt auch daran, dass es kein generelles Verbot gibt, sondern dass man die Flächen saldieren kann. Das heißt, dass man gute Moorböden gegen schlechte Böden tauschen kann. All das wollen wir eigentlich nicht. In der Anhörung ist ganz deutlich geworden, dass 30 Prozent der CO2-Emissionen in Mooren durch Grünlandumbruch erfolgen. Moore umfassen nur 8 Prozent der gesamten landwirtschaftlichen Fläche in Deutschland. Hat sich die Bundesregierung angesichts dessen eine Strategie zur Vermeidung von CO2-Emissionen überlegt? Hat sich die Bundesregierung schon andere Erwerbsmöglichkeiten für die dortigen Bauern überlegt?

Dr. Gerd Müller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002742

Sie haben zu Recht auf den ganz wichtigen Bereich der Moore aufmerksam gemacht. Dieser Bereich steht nicht so im Fokus der öffentlichen Diskussion. Er war Teil der Anhörung. Natürlich haben wir das, wonach Sie gefragt haben, in unsere aktuellen Überlegungen aufgenommen. Für unsere Experten auf dem Gebiet der Agrarforschung waren dies natürlich keine neuen Erkenntnisse; an einer Lösung der Probleme wird seit Jahren gearbeitet. Wir sehen den Grünlandumbruch genauso kritisch wie Sie. In der Tat gibt es die eine oder andere Region, in der dieses Thema vielleicht mit einem stärkeren Bewusstsein behandelt werden muss. Das Grünland hat einen hohen Stellenwert. Auch durch die Cross-Compliance-Regelungen wird dies deutlich gemacht. Wir versuchen, nicht zuletzt durch besondere Förderansätze, zum Erhalt des Grünlandes, auch was seinen jetzigen prozentualen Anteil angeht, beizutragen.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollegin Wolff, Sie haben die Möglichkeit zu einer zweiten Nachfrage.

Waltraud Wolff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003270, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ist die Bundesregierung bereit, gerade beim Umbruch von Mooren ein strengeres Regime anzulegen, sprich: zieht sie ein generelles Grünlandumbruchverbot in Erwägung?

Dr. Gerd Müller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002742

Den Umbruch von Mooren werden wir auf dem Hintergrund der Darlegungen der Anhörung im Ausschuss einer gezielten Überprüfung unterziehen.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ich bitte, Nachfragebedürfnisse in Zukunft etwas früher zu signalisieren. Ich lasse die beiden angemeldeten Nachfragen noch zu, mit der Bitte, wirklich Fragen zu stellen und darauf Rücksicht zu nehmen, dass auch die nachfolgenden Kollegen Antworten auf ihre Fragen bekommen sollen. Kollege Ott, Sie haben das Wort.

Dr. Hermann E. Ott (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004125, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank, Frau Präsidentin. Ich weiß das zu schätzen. - Herr Staatssekretär, Sie haben auf die Fragen der Kollegin Wolff und übrigens auch auf meine, was Grünlandumbruch und Fleischkonsum betraf, sehr ausweichend geantwortet. Für die Emissionen der Landwirtschaft gibt es einen dritten zentralen Grund: den Einsatz von Düngemitteln. Plant die Bundesregierung, planen Sie, plant Ihr Ministerium eine stärkere Einschränkung des Stickstoffgehalts der Böden durch eine restriktivere Düngemittelverordnung?

Dr. Gerd Müller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002742

Ihre Frage suggeriert, dass wir darauf in den letzten Jahren nicht streng genug geachtet haben. Die von mir genannten Zahlen bezüglich der Reduzierung von Lachgasemissionen beweisen das Gegenteil.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Die letzte Nachfrage stellt der Kollege Ostendorff.

Friedrich Ostendorff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003604, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Staatssekretär, Sie haben ausgeführt, dass die landwirtschaftlichen Tierhaltungsbetriebe mit Ammoniakfiltern ausgerüstet seien. Ist Ihnen bekannt, dass das bei der großen Mehrheit der landwirtschaftlichen Bauvorhaben nicht zwingend vorgeschrieben ist? Der landwirtschaftliche Hähnchenmäster mit 39 900 Hähnchen macht, wenn es gut geht, 8 Cent Gewinn pro Hähnchen. Eine Ammoniakfilteranlage kostet pro Hähnchen 10 Cent. Wo ist dieser Ammoniakfilter Ihrer Erkenntnis nach eingebaut worden?

Dr. Gerd Müller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002742

Für Ammoniakemissionen gibt es eine Obergrenze von 550 000 Tonnen pro Jahr - wie Sie wissen, gibt es dazu eine neue Richtlinie -; die Höchstgrenze darf nicht überschritten werden. Wir müssen jetzt eine neue Implementierung umsetzen. Positive Auswirkungen durch den Einbau solcher Ammoniakfilter in größeren und modernen Ställen gibt es schon heute.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ich rufe die Frage 5 des Kollegen Michael Roth auf: Welchen Einfluss hat das Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz auf die High Level Group Milk, die den Ausstieg aus der Milchquote 2015 vorbereitet, und welche Überlegungen gibt es für mögliche neue Marktinstrumente nach 2015? Bitte, Herr Staatssekretär.

Dr. Gerd Müller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002742

Frau Präsidentin! Herr Roth, ich freue mich, dass ich von Ihnen als Außenpolitiker eine umfassende Frage zur Zukunft der EU-Milchpolitik bekomme. Ich würde dazu gerne ein 30-minütiges Spontanreferat halten. Darf ich, Frau Präsidentin?

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Dürfen Sie nicht. Dazu müssten Sie sich mit dem Kollegen Roth und den anderen Fachpolitikern in einer anderen Veranstaltung verabreden.

Dr. Gerd Müller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002742

Ich bitte dann aber den Fragesteller, auch mit kurzen Hinweisen einverstanden zu sein. Es handelt sich nämlich wirklich bei der Frage zur High Level Group Milk um eine globale Frage. Diese Gruppe berät ja derzeit in Brüssel die gesamten mittel- und langfristigen Aspekte einer zukünftigen EU-Milchpolitik. Die Bundesregierung wird nun gefragt, wie sie dazu stehe. Meine Damen und Herren, die Milcherzeuger in Europa sind in einer Krise. Das wissen wir alle. Die High Level Group hat vonseiten der Kommission den Auftrag, für die Kommission und dann für den Rat Vorschläge zu erarbeiten, wie wir nach dem Auslaufen der Milchquote 2014 weiter vorgehen können. Ich möchte es einmal folgendermaßen zusammenfassen: Erstens. Es besteht ein breiter Konsens unter den Mitgliedstaaten hinsichtlich der Marktinstrumente. Wir brauchen auch zukünftig ein wirksames Sicherheitsnetz. Zweitens. Eines der Hauptprobleme ist die Preisvolatilität. Die Ausschläge bei den Milchpreisen ähneln denen am Neuen Markt. Das gab es 40 Jahre lang nicht auf dem Milchmarkt, dass erst wie im Jahr 2007 die von den Erzeugern zu erlösenden Preise auf 40 Cent und darüber steigen und dann innerhalb von einem Jahr auf 20 Cent fallen. Wie reagiert man darauf? Ein Vorschlag der High Level Group Milk lautet, auch für Milchprodukte einen Warenterminmarkt einzuführen. Das ist in der Landwirtschaft, bei den Produzenten und bei den Verarbeitern, umstritten. Wir müssen uns dazu zusammen mit der Branche eine Meinung bilden. Drittens. Grundkonsens mit der Branche und mit dem Kartellamt besteht darin, dass es darum gehen muss, die Verhandlungsmacht der Milcherzeuger zu stärken, nicht nur national, sondern europaweit. Derzeit ist die Situation so, dass der Preis von oben gebildet wird. Das heißt, die große Nachfragemacht der deutschen Discounter setzt Preissignale bei den zu verarbeitenden Produkten der weißen Linie, und diese werden über die Molkereien an die Erzeuger weitergegeben. Derjenige, der dabei ganz vorn im Boot sitzt, nämlich der Milcherzeuger, muss mit Preisen zurechtkommen, die keine langfristige Produktionsperspektive eröffnen. Deshalb steht im Mittelpunkt eine Stärkung der Verhandlungsmacht der Milcherzeuger. Es gibt insgesamt drei bis vier Ansätze, bei denen Übereinkommen in der High Level Group besteht. Die Gruppe setzt ihre Arbeit fort. Wir werden dem Parlament natürlich im Ausschuss und, wenn es gewünscht ist, auch hier detailliert Auskunft darüber geben, wie wir uns positionieren.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage.

Michael Roth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003213, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Mit Verlaub, Herr Staatssekretär, ich habe Ihnen als Europapolitiker eine ganz konkrete Frage gestellt. Sie haben sie mir aber nicht so konkret beantwortet, wie ich es mir gewünscht hätte. Insofern stelle ich gerne noch eine Nachfrage: Spielt bei den Diskussionen in der High Level Group Milk auch eine Regulierung der Milchmengen, wie sie von einigen Beteiligten immer wieder gefordert wird, eine entsprechende Rolle?

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Bitte, Herr Staatssekretär.

Dr. Gerd Müller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002742

Lieber europapolitischer Kollege Michael Roth, was heißt Regulierung? Wenn Sie damit eine Fortgeltung der Quote meinen, dann kann ich diese Frage mit Nein beantworten. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sie haben das Wort zur zweiten Nachfrage.

Michael Roth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003213, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehen Sie denn neben einer Quotenregelung, die - das ist ja allen bekannt - 2015 ausläuft, weitere Möglichkeiten einer Regulierung? Wenn ja, wie könnten diese aus Sicht der Bundesregierung aussehen?

Dr. Gerd Müller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002742

Wir gehen davon aus, dass die Quote ausläuft. Darauf müssen sich die Betriebe in Deutschland einstellen, indem sie leistungsfähiger werden. Zugleich aber müssen wir sie auf der Kostenseite entlasten. Das ist ein Punkt. Wir müssen darüber hinaus dafür sorgen, dass die Wertschätzung und die Wertschöpfung von Milch und Milchprodukten insgesamt im Rahmen der agrarischen Erzeugung gestärkt werden. Es kommt zu wenig beim Landwirt an. Das betrifft die gesamte Wertschöpfungskette. Hier gibt es nur wenige Möglichkeiten, regulierend in die Märkte einzugreifen.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Wir kommen zur Frage 6 des Kollegen Michael Roth: Wie ist der Stand der Simulation bezüglich der acht biophysikalischen Kriterien für die Neuabgrenzung der benachteiligten Gebiete, die von der Europäischen Kommission vorgeschlagen worden sind, und wann ist mit den Ergebnissen zu rechnen? Bitte, Herr Staatssekretär.

Dr. Gerd Müller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002742

Dies ist ein spannendes Thema für Insider der Agrarpolitik. Deutschlands gesamte Agrarfläche ist in nicht benachteiligte und in benachteiligte Agrarzonen aufgeteilt. Daraus resultieren entsprechende Fördermöglichkeiten über Programme der Europäischen Union, aber auch über nationale Programme. Nunmehr soll es zu einer Neuabgrenzung der benachteiligten Agrarregionen kommen. Dazu hat die Kommission in einer Mitteilung das neue Konzept sogenannter biophysikalischer Indikatoren vorgelegt. Wir haben diese angewandt und simuliert, was dies für Deutschland bedeuten würde. Die Anwendung dieser Indikatoren würde vom Ergebnis her zu einer erheblichen Verschiebung der Gebietskulisse führen. Das heißt, 2,7 Millionen Hektar bzw. fast ein Drittel der bisherigen Gebietskulisse von 8,9 Millionen Hektar fielen heraus und circa 1,8 Millionen Hektar kämen neu hinzu. Die neue Gebietskulisse würde circa 8 Millionen Hektar umfassen. Nun müsste man für alle betroffenen Regionen überprüfen - ich lade Sie gerne dazu ein, dies im Fachausschuss ganz konkret darzustellen -, welche Flächen herausfallen. Es ist zum Beispiel zu fragen, ob die Schwäbische Alb oder Flächen in Mecklenburg-Vorpommern darin noch enthalten sind und welche Konsequenzen dies hätte. Wir sehen sehr kritisch, was vonseiten der Kommission hier vorgeschlagen wurde. Ich kann zusammenfassen: Wir lehnen den Vorschlag der Kommission zur Neuabgrenzung ab und haben dies dem zuständigen Kommissar in dieser Woche in einem persönlichen Gespräch auch dargelegt. Denn wir bezweifeln, dass wir damit einen Zuwachs an Einheitlichkeit, Kohärenz oder Transparenz bekämen.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage.

Michael Roth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003213, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Herr Staatssekretär, habe ich Sie jetzt richtig verstanden, dass Sie vor dem Hintergrund der Simulationsergebnisse der EU-Kommission vorschlagen werden, dass alles beim Alten bleibt?

Dr. Gerd Müller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002742

Nein. Die Bundesregierung lehnt die Neuabgrenzung auf der Basis des Kommissionsmodells ab. Wir müssen aber davon ausgehen, dass es eine modifizierte Fortführung gibt. Deshalb haben wir eigene weitere Vorschläge eingebracht. Wir setzen uns für eine Modifizierung der Gebietsabgrenzung auf Basis des deutschen Indexsystems, das von der Ertragsmesszahl ausgeht, ein. Sie wissen, da mit der ELER-Verordnung beschlossen wurde, dass naturbedingte Nachteile maßgeblich sind, kann die Abgrenzung auf Basis der landwirtschaftlichen Vergleichszahl nicht mehr fortgesetzt werden. Das ist das Problem. Auch mit der Anwendung der EMZ, der neuen Ertragsmesszahl, ist eine Neuabgrenzung verbunden, deren Ergebnis aber näher am heutigen Status quo als an dem Ergebnis, zu dem der Kommissionsvorschlag führen würde, liegen dürfte. Wir halten das Bewertungssystem auf Basis der EMZ generell für sachgerechter als das auf biophysikalischen Indikatoren beruhende Konzept der Kommission.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ihre zweite Nachfrage, bitte.

Michael Roth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003213, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Gerne, Frau Präsidentin. - Sehen Sie, Herr Staatssekretär, auf EU-Ebene Bündnispartner für die Position der Bundesregierung?

Dr. Gerd Müller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002742

Die Bundesregierung hat immer Bündnispartner. ({0}) Die Frage ist, ob wir die entscheidende Mehrheit haben. Das Gespräch mit dem zuständigen Kommissar hat gezeigt, dass die Kommission unseren Positionen gegenüber aufgeschlossen und offen ist. Ich gehe davon aus, dass sich unsere Ministerin wie in vielen anderen Punkten erfolgreich durchsetzen wird.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ich rufe die Frage 7 der Kollegin Elvira DrobinskiWeiß auf: Wann genau hat das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit, BVL, dem Ruhen des Verfahrens zugestimmt, und wann genau wurde Bundesministerin Ilse Aigner darüber informiert, dass das Verwaltungsgericht Braunschweig das Ruhen des Verfahrens in Sachen Monsanto gegen das BVL angeordnet hat? Bitte, Herr Staatssekretär.

Dr. Gerd Müller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002742

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Frage ist in Fortsetzung zur Fragestunde vom 24. Februar zu sehen. Ich möchte sie wie folgt beantworten: Das beklagte BVL hat auf Anfrage des Verwaltungsgerichts Braunschweig dem Begehren des Klägers, dem Biotechnologieunternehmen Monsanto, das Verfahren ruhen zu lassen, mit Schreiben vom 5. Februar 2010 zugestimmt. Die gerichtliche Ruhensanordnung ist dem BVL am Dienstag, dem 16. Februar 2010, zugestellt worden. Frau Bundesministerin Aigner wurde am Donnerstag, dem 18. Februar 2010, darüber informiert, dass das Verwaltungsgericht Braunschweig das Ruhen des Verfahrens in Sachen Monsanto gegen BVL angeordnet hat.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage.

Elvira Drobinski-Weiß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003705, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Die Firma Monsanto möchte ihre Neuzulassung irgendwann beschieden haben. Herr Staatssekretär, in diesem Zusammenhang interessiert mich, wie sich die Bundesregierung bei der Abstimmung zu der Neuzulassung von MON 810 in Brüssel verhalten wird.

Dr. Gerd Müller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002742

Wir warten den Antrag ab.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ihre zweite Nachfrage?

Elvira Drobinski-Weiß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003705, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich bin von Ihrer Antwort etwas überrascht. Im Koalitionsvertrag steht, dass Sie aufgrund der Entscheidung des Gerichts Ihre Haltung dazu darlegen würden. Ich wundere mich schon etwas, dass Sie ein Verfahren, das Sie eindeutig gewinnen würden, nicht weiter verfolgen und damit auch nicht zur Grundlage für eine Entscheidung in Brüssel machen.

Dr. Gerd Müller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002742

Wie wir es mit Ihnen in der vormaligen Regierung getan haben, werden wir diese Frage, sobald sie zu beantworten ist, auf der Basis des Koalitionsvertrages mit unserem Koalitionspartner diskutieren und anschließend entscheiden.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Die Fragen 8 bis 11 beschäftigen sich mit der Kennzeichnung von Lebensmittelnährwerten. Ich rufe die Frage 8 der Kollegin Elvira DrobinskiWeiß auf: Welche Schlüsse zieht die Bundesregierung aus den Ergebnissen der Studie der Food Standards Agency, FSA, über die Verständlichkeit verschiedener Nährwertkennzeichnungssysteme, nach denen Nährwertinformationen, die mit den Ampelfarben Rot, Gelb und Grün kombiniert sind, am besten verstanden werden? Bitte, Herr Staatssekretär.

Dr. Gerd Müller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002742

Ich antworte wie folgt: Wir kommen zu dem Schluss, dass die Verbraucher in Großbritannien das Darstellungssystem zur Nährwertinformation verstehen. Uns liegen Untersuchungen vor, dass die Verbraucherinnen und Verbraucher in Deutschland unser vorgeschlagenes System ebenfalls verstehen.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage.

Elvira Drobinski-Weiß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003705, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Vielen Dank. - Ich wünschte, es wäre so, dass sie es tatsächlich verstünden. Nur glaube ich, dass wir dann die Kosten für medizinische Behandlungen, gerade für die Folgen von Übergewicht, die sich im zweistelligen Milliardenbereich bewegen, nicht hätten. Herr Staatssekretär, mich interessiert, wer nach Meinung der Bundesregierung mehr Fachwissen zum Thema ernährungsbedingte Krankheiten hat: Ist es die Lebensmittelwirtschaft oder sind es die entsprechenden Verbände, wie der Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte, der Spitzenverband der gesetzlichen Krankenkassen oder auch die Bundesärztekammer?

Dr. Gerd Müller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002742

Frau Kollegin, die Themen Ernährung, Nährwertkennzeichnung, Verbraucherinformation, Ernährungsbildung und Aufklärung haben einen hohen Stellenwert bei der Bundesregierung. Wir sollten diesen Themen auch in der Gesellschaft eine viel größere Aufmerksamkeit beimessen. Wir sehen mit großer Sorge die von Ihnen angesprochene Problematik. Wenn wir die Nationale Verzehrstudie und die Folgen einer falschen Ernährung für die Gesundheit von Kindern und Jugendlichen, eigentlich für die Gesundheit von uns allen betrachten, dann stellen wir fest, dass ganz entschieden gegengesteuert werden muss. Es ist wichtig, Ernährungswissen und Ernährungsbewusstsein zu schaffen, und zwar in vielfältiger Weise. Im Laufe eines Lebens nehmen wir circa 100 000 Mahlzeiten zu uns. Die Verbraucherinnen und Verbraucher können aus circa 250 000 verschiedenen Produkten wählen, wenn sie einkaufen gehen. Die Frage ist nun: Welche Entscheidung, welche Wahl trifft der Einzelne für sich? Daraus ergeben sich Folgen für Entwicklung und Gesundheit. Deshalb sind Information, Erziehung und Aufklärung wichtig. Das beginnt bereits bei der Schwangeren, bei Vater und Mutter, beim Baby, geht über das Kleinkind, und endet im hohen Alter. Gesunde Ernährung und Bewegung sind die zwei Grundkomponenten für ein gesundes Leben und Altern. Dem messen wir einen sehr hohen Stellenwert bei. Nun wissen Sie, dass nach geltendem EU-Recht eine Nährwertkennzeichnung grundsätzlich freiwillig ist. Die Europäische Union berät derzeit über einen Verordnungsvorschlag, der in wenigen Wochen dem Europäischen Parlament zur ersten Lesung vorgelegt wird. Darin geht es darum, wie dieses Nährwertkennzeichnungssystem europaweit verständlich, nachvollziehbar, nicht zu kompliziert, aber doch ein Stück weit einheitlich gestaltet werden könnte. Das von uns vorgeschlagene und bereits getestete System „1 plus 4“, ein Modell für erweiterte Nährwertinformationen auf Lebensmittelverpackungen, scheint sich - darüber sind wir sehr froh als Basis, als Modell durchzusetzen. Das ist doch ein schöner Erfolg, an dem auch Sie, Frau Drobinski-Weiß, einen Anteil haben. Wir haben daran etwa zwei Jahre gearbeitet.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Zu einer Nachfrage hat die Kollegin Kathrin Vogler das Wort.

Kathrin Vogler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004181, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank, Herr Staatssekretär. - Mich würde interessieren, auf welchen wissenschaftlichen Erkenntnissen oder Studien Ihre Einschätzung beruht, dass die Verbraucherinnen und Verbraucher in Deutschland das von Ihnen präferierte System der Lebensmittelkennzeichnung ebenso gut verstehen - vielleicht sogar besser - wie die Verbraucherinnen und Verbraucher in Großbritannien das Ampelsystem.

Dr. Gerd Müller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002742

Wir haben den Verbraucherinnen und Verbrauchern unser „1 plus 4“-Modell vorgestellt und im März 2008 eine repräsentative Meinungsbefragung durchgeführt. Das Ergebnis war, dass über 80 Prozent der Befragten dieses Modell als informativ, verständlich und übersichtlich bewerteten. Das ist ein sehr gutes Ergebnis.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Wir kommen damit zur Frage 9 der Kollegin Kerstin Tack: Welche Schlussfolgerungen zieht die Bundesregierung für die Kennzeichnung von Lebensmittelnährwerten mithilfe von Ampelfarben aufgrund der Tatsache, dass bei der Kennzeichnung der Energieeffizienzstandards für Elektrogeräte eine Ampelkennzeichnung - rot: hoch, gelb: mittel, grün: niedrig bereits eingeführt und akzeptiert ist? Bitte, Herr Staatssekretär.

Dr. Gerd Müller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002742

Ich habe schon dargelegt, dass die Briten ihren Weg gehen, ihr System anwenden. Sie haben getestet, ob die Ampel dort verstanden wird. Dazu haben sie ihre Ergebnisse vorliegen. Wir gehen einen anderen Weg. Die Ampel verpflichtend vorzuschreiben, ist nicht das Modell, das wir in Deutschland anwenden wollen. Im Übrigen wird dieser Vorschlag auch in der Europäischen Union von keinem Mitgliesstaat eingebracht.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Dann kommen wir zur Frage 10 der Kollegin Tack: Wie bewertet die Bundesregierung den Umstand, dass in Großbritannien eine Auswertung britischer Supermarktketten ergab, dass der Absatz ausgewogener Produkte seit Einführung der Ampelkennzeichnung signifikant gestiegen ist im Vergleich zu gehaltvolleren Produkten wie zum Beispiel Sandwiches?

Dr. Gerd Müller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002742

Sie fragen nach den Konsequenzen. Ihre Frage lautet: Wie bewertet die Bundesregierung den Umstand, dass in Großbritannien eine Auswertung britischer Supermarktketten ergab, dass der Absatz ausgewogener Produkte seit Einführung der Ampelkennzeichnung signifikant gestiegen ist im Vergleich zu gehaltvolleren Produkten …? Ich habe die Frage bewusst vorgelesen, damit Sie verstehen, dass sich aus der Frage schon die Antwort ergibt. Meine Damen und Herren, soll der Staat eine Vorgabe machen, welche der 240 000 möglichen Produkte, aus denen der Verbraucher oder die Verbraucherin auswählen kann, ausgewogene Produkte und welche gehaltvolle Produkte sind? Das kann er sicher nicht. ({0}) Das werden wir auch nicht machen. Vielmehr werden wir den Verbraucherinnen und Verbrauchern mit der Nährwertkennzeichnung einen Schlüssel an die Hand geben, der es ihnen ein Stück weit erleichtert, ihre Entscheidung eigenverantwortlich zu treffen.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Jetzt haben Sie, Frau Tack, das Recht, vier Nachfragen zu den Antworten zu stellen, die Sie eben bekommen haben. Dann kommen wir zu den Nachfragen weiterer Kolleginnen und Kollegen. Bitte, Kollegin Tack.

Kerstin Tack (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004173, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Schönen Dank, Frau Präsidentin. - Herr Staatssekretär, ich nehme zur Kenntnis, dass Sie meine erste Frage nicht beantwortet haben, obwohl Sie das eben fälschlicherweise behauptet haben. Aber ich fange mit den Nachfragen zu der Antwort auf meine zweite Frage an. Dabei geht es um die Untersuchung in Großbritannien. Nicht etwa die Politik, sondern die Supermärkte selber haben festgestellt, dass sich die sehr gute Transparenz und Offenlegung ausgezahlt haben. Das ist auch im Sinne der Supermärkte gewesen, die gesagt haben, sie wollen eine verständliche und transparente Kennzeichnung. Es scheint - das ergibt zumindest die Untersuchung in Großbritannien - für die Verbraucherinnen und Verbraucher sehr einfach gewesen zu sein, durch die Ampelkennzeichnung herauszubekommen, welches Pro2272 dukt oder Präparat unbedenklich ist. Das Beispiel mit dem Sandwich ist deswegen nur eine mögliche Form der Ernährung. Die Frage war, welche Erkenntnisse Sie daraus gewinnen, dass es so zu sein scheint, dass die Verbraucherinnen und Verbraucher in Großbritannien aufgrund dieser Ampelkennzeichnung ihr Kaufverhalten geändert haben. Hat das einen Einfluss auf die Meinung der Bundesregierung zur Frage der Ampelkennzeichnung?

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Bitte, Herr Staatssekretär.

Dr. Gerd Müller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002742

Es hat aus der Sicht der Bundesregierung keinen Einfluss auf die Beurteilung der Ampelkennzeichnung. Wir werden die Ampelkennzeichnung in Deutschland nicht verpflichtend zur Grundlage machen. Wir sehen darin nach den Ergebnissen der britischen Studie und nach dem Marktverhalten keinen für uns nachvollziehbaren Weg.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sie haben das Wort zu einer zweiten Nachfrage.

Kerstin Tack (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004173, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Meine zweite Nachfrage. Die EU - das hatten Sie gerade angesprochen - beschäftigt sich derzeit mit der Frage, wie man EU-weit die Rechte von Verbraucherinnen und Verbrauchern schützen und Produkte transparent machen kann. Meine Frage ist, inwieweit das System der Ampel in Großbritannien und die Erfahrungen damit auch bei den Verhandlungen in der EU eine Rolle gespielt haben oder ob sie noch eine Rolle spielen werden.

Dr. Gerd Müller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002742

Nach derzeitigem Stand, soweit ich informiert bin, wurde das britische Modell von keinem der 27 EU-Mitgliedstaaten als Grundlage für die Beratung des EU-Verordnungsentwurfs in Brüssel eingebracht.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sie haben das Wort zu einer dritten Nachfrage.

Kerstin Tack (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004173, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Meine dritte Nachfrage bezieht sich auf die Frage, die noch nicht angesprochen wurde. Das ist der Umstand, dass wir in Deutschland schon eine Ampelkennzeichnung haben, nämlich im Bereich der Elektrogeräte. Dort ist es heute schon so, dass die Verbraucherinnen und Verbraucher beim Kauf einer neuen Waschmaschine, eines Kühlschrankes - oder was auch immer - an den Geräten eine Ampelkennzeichnung mit Grün, Gelb oder Rot vorfinden, die ihnen einen Anhaltspunkt über den Verbrauch gibt. Deswegen war meine Frage, welche Schlussfolgerungen die Bundesregierung daraus zieht, dass wir in Teilbereichen unserer Wirtschaft schon eine Ampelkennzeichnung haben, die bei den Verbraucherinnen und Verbrauchern große Akzeptanz findet.

Dr. Gerd Müller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002742

Ich glaube, Waschmaschinen und Lebensmittel sind zwei Paar Stiefel. Es ist ein Unterschied, ob wir die Ampelkennzeichnung bei einer Waschmaschine oder einer Weißwurst anwenden; das kann man sicher nicht als Basis nehmen. Ich möchte Ihnen noch Folgendes konkret sagen: Kein Mitgliedstaat der EU - wenn dieses System in Großbritannien so erfolgreich wäre, würden auch andere Staaten es zur Grundlage machen - hat das britische Modell als Vorschlag in Brüssel eingebracht. Wir sind vielmehr der Meinung - ich möchte das noch einmal sagen -, dass es wichtig ist, den Verbraucherinnen und Verbrauchern die grundlegenden Informationen über eine nachvollziehbare, simple Kennzeichnung auf jedem Produkt zu geben. Wenn Sie einen Mars-Riegel kaufen - jetzt mache ich vielleicht Werbung; ich nehme dieses Beispiel, weil auf der Besuchertribüne auch junge Menschen sitzen -, dann muss der Kalorienwert erkennbar sein; denn der Brennwert ist ein ganz entscheidender Punkt bei einem Produkt. Den Gehalt an Fett, gesättigten Fettsäuren, Kohlenhydraten, Zucker und Salz werden wir auch angeben. Dies ist das „1 plus 4“-Modell. Entscheidend ist, ob die Grundbotschaften nachvollziehbar sind. Ein Jugendlicher soll wissen: Wenn ich am Tag beispielsweise eine Flasche Apfelsaft trinke, dann nehme ich 25 Prozent meines Tagesbedarfs an Zucker auf. Dies kann er in Zukunft durch eine kurze, klare Kennzeichnung erkennen. Er kann auch erkennen, dass beispielsweise eine Flasche Cola ein Drittel des Zuckerbedarfes abdeckt ({0}) und welchen Prozentsatz des Kalorienbedarfes fünf Flaschen Cola abdecken. Ich glaube, dieses Modell, das es bereits gibt - die Ernährungswirtschaft hat es schon zum Teil aufgegriffen -, ist für den Verbraucher nachvollziehbar. Das hat die repräsentative Umfrage ergeben. Deshalb ist es auch Basis der Diskussionen über den Vorschlag für eine neue Verordnung der EU mit dem Ziel, dies für alle 27 Mitgliedstaaten der EU - selbstverständlich mit Modifikationen zur Grundlage zu machen.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sie haben die Möglichkeit zu einer vierten Nachfrage.

Kerstin Tack (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004173, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja, gerne. - Nun liegen uns diverse Studien und auch Empfehlungen sämtlicher Verbraucherzentralen, einschließlich der Bundeszentrale, und sämtlicher mediziniKerstin Tack scher Organisationen vor, die sich sehr stark für eine klare und transparente Kennzeichnung aussprechen und die Politik auffordern, die Ampelkennzeichnung, da sie das beste Instrument für Transparenz und niedrigschwellige Information ist, einzuführen. Deshalb ist es noch weniger verständlich, warum wir bei Elektrogeräten die Ampelkennzeichnung in Ordnung finden, in anderen Bereichen aber nicht. Meine Frage ist, wie Sie auf all diese Empfehlungen und Wünsche, insbesondere der Verbraucherzentralen und der Medizin, reagieren, die vorschlagen, auch im Bereich der Lebensmittel die Ampelkennzeichnung einzuführen.

Dr. Gerd Müller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002742

Das alles wird selbstverständlich ernst genommen. Ich kann Ihnen aber genauso die Gegenpositionen darstellen. Das Schöne an der Wissenschaft ist ja, dass man immer die gesamte Breite des Meinungsspektrums dokumentiert bekommt. Das setzt sich dann auch in den Verbänden fort. Das darf hier keine ideologische Entscheidung sein. Ich sehe, dass beispielsweise die Deutsche Gesellschaft für Ernährung das Fehlen einer wissenschaftlichen Grundlage für die Ampelkennzeichnung beklagt. Wir bauen bei unserer Politik stark auf die Aussagen eigener unabhängiger Institute. Wir haben in Karlsruhe eine Bundesanstalt, die sich mit den zentralen Fragen der Ernährung beschäftigt. Wir wollen ein System, das für Verbraucherinnen und Verbraucher nachvollziehbar, das einfach und verständlich ist, so wie das „1 plus 4“-Modell; das findet Akzeptanz. Ich möchte sagen: Mit der Kennzeichnung allein ist es nicht getan. Wir müssen hier einen viel umfassenderen Ansatz wählen. Dazu zählt ganz bewusst das Thema Bildung in der gesamten Breite. Die Bundesländer sind in der Schul- und Bildungspolitik gefordert. Sie sollten die Ernährungsbildung in den Schulplänen verankern. Schule ist für das Leben, und Ernährung ist die Grundfrage des Lebens. Deshalb gehört diese Grundfrage in alle unsere Schulen, aber auch weit darüber hinaus. Jedem von uns tut es gut, wenn er sich mit diesem Thema stärker beschäftigt.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Zu einer Nachfrage hat die Kollegin Vogler das Wort.

Kathrin Vogler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004181, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank. - Herr Staatssekretär, ich finde es ganz interessant, dass Sie die Bildung erwähnt haben. Meine Tochter ist vor zwei Jahren aus der Grundschule mit Materialien nach Hause gekommen, in denen die Lebensmittelpyramide dargestellt wurde: Was man viel essen soll, was man wenig essen soll und was man nach Möglichkeit meiden soll. Das war ganz interessant: Unten war diese Pyramide grün, in der Mitte gelb und oben - dort, wo aufgeführt war, was man nur ganz wenig essen sollte, zum Beispiel Süßigkeiten - rot. Das hat meine Tochter schon in der zweiten und dritten Klasse ganz hervorragend verstanden. Mich würde, rekurrierend auf Ihre Antwort von vorhin, interessieren, ob die von Ihnen durchgeführte Verbraucherbefragung, die Sie gerade angesprochen haben, eine vergleichende Studie war, in der die Verbraucherinnen und Verbraucher verschiedene Modelle hinsichtlich ihrer Verständlichkeit und Nachvollziehbarkeit bewerten konnten, oder ob es sich um eine Studie gehandelt hat, in der Sie nur Ihr eigenes Modell haben bewerten lassen. Denn die Fragestellungen solcher Studien beeinflussen das Ergebnis immer wieder ganz maßgeblich.

Dr. Gerd Müller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002742

Ausgangspunkt war die Erkenntnis, dass die Verbraucherinnen und Verbraucher, wir alle, mit der derzeitigen Nährwertkennzeichnung häufig nicht zurechtkommen und überfordert sind; wenn Sie sich einzelne Produkte einmal bewusst ansehen, werden Sie das feststellen. Darauf muss man reagieren. Natürlich ist die Angabe von Inhaltsstoffen, von Zusatzstoffen usw. absolut notwendig. Hier wird es im Sinne der Betroffenen - es gibt viele Menschen, zum Beispiel Diabetiker und Allergiker, die ganz bewusst und gezielt bestimmte Produkte einkaufen müssen - noch zu Quantensprüngen kommen, auch aufgrund technischer Möglichkeiten, zum Beispiel durch den Einsatz von Scannern. Für die große Masse der Verbraucherinnen und Verbraucher ist das heutige System kaum verständlich und nachvollziehbar und zu kompliziert. Deshalb haben wir das „1 plus 4“-Modell entwickelt und es am Markt erprobt; das war die Grundlage. Das Ergebnis war, dass 80 Prozent der Befragten gesagt haben: Das ist für uns eine Basis. Das verstehen wir. Dieses Modell ist einfach. Damit könnten wir unser Einkaufsverhalten und unser Ernährungsverhalten korrigieren und neu ausrichten.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Wir kommen zu Frage 11 der Kollegin Petra Crone, der letzten Frage zu diesem Themenkomplex: Wie bewertet das Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz die Aufforderung eines breiten Bündnisses von Verbänden wie dem AOK-Bundesverband, der Bundesärztekammer, dem diabetesDE, dem Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte Deutschlands, der Deutschen Herzstiftung, dem GKV-Spitzenverband und dem Verbraucherzentrale Bundesverband, sich im Rahmen der Verhandlungen der EU-Lebensmittelinformationsverordnung für eine EU-weite Ampelkennzeichnung einzusetzen? Bitte, Herr Staatssekretär.

Dr. Gerd Müller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002742

Die Bundesregierung hält die Ampelkennzeichnung nicht für ein Darstellungssystem - ich sage es noch einmal -, mit dem Verbraucherinnen und Verbraucher angemessen über die Nährwerte von Lebensmitteln informiert werden. Ich verweise erneut auf die Deutsche Gesellschaft für Ernährung, die in einer entsprechenden Pressemeldung vom 25. September 2009 auf das Fehlen einer wissenschaftlichen Grundlage für die Farbkodierung hingewiesen hat.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage.

Petra Crone (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004026, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Danke schön, Frau Präsidentin. - Herr Staatssekretär, es hat im Juli 2009 eine Emnid-Umfrage gegeben, in der sich 69 Prozent der Verbraucher für eine Ampelkennzeichnung ausgesprochen haben. Wie steht die Bundesregierung dazu, dass die Menschen eine sehr einfache Kennzeichnung wünschen? Ich denke dabei auch an ältere Menschen, die vielleicht einmal ihre Brille vergessen haben, an kleine Kinder, die noch nicht so gut lesen können, und an Menschen, die es - vielleicht anders als Sie - beim Einkaufen eilig haben.

Dr. Gerd Müller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002742

Frau Kollegin, die Frage ist in der Tat, was man den Menschen vorlegt. Jetzt gehe ich ein bisschen ins Detail und erläutere, was hinter der Ampelkennzeichnung nach dem britischen Modell steckt. Nach dem britischen Ampelmodell wird nicht das Lebensmittel mit einer Ampelfarbe gekennzeichnet, sondern die vier Nährstoffe Zucker, Fett, gesättigte Fettsäuren und Salz. Wir geben sie nach unserem „1 plus 4“Modell in Zukunft mit einem Prozentsatz, bezogen auf den Tagesbedarf, an, wie ich es vorhin beschrieben habe. Es steht auf einer Flasche zum Beispiel bei „Zucker“: 25 Prozent. Dann weiß ein Jugendlicher nach dem Sport: Wenn ich zwei Flaschen dieses Getränks trinke, habe ich 50 Prozent meines täglichen Zuckerbedarfs gedeckt. Das ist sowohl für Junge als auch für Ältere nachvollziehbar. Die Briten machen das anders. Sie kennzeichnen die vier Nährstoffe Zucker, Fett, gesättigte Fettsäuren und Salz und verwenden die Farben Rot, Grün und Gelb mit verschiedenen Punkten. Der Energiegehalt hingegen wird nicht farbkodiert. Wenn ich beispielsweise ein Produkt wie Nüsse herausgreife: Die Ampelkennzeichnung - sie bezieht sich in Großbritannien auf 100 Gramm - führt in dem Fall dazu, dass diese 100 Gramm Nüsse mit Rot klassifiziert werden. Es ist aber unstrittig, dass Nüsse durchaus gesund sind; gleichwohl wäre nach dem britischen System ein roter Punkt auf der Verpackung. Daran sehen Sie: Wenn wir ins Detail gehen, wird alles schwierig, kompliziert und nicht so einfach durchschaubar. Man kann den Menschen mit Rot, Gelb, Grün nicht suggerieren, dass sie, wenn sie sich mit „grünen“ Lebensmitteln ernähren, gesund bleiben. Es wird ja mit Ihrem Ampelmodell suggeriert, dass sich das Problem damit schnell lösen lässt. Wenn es so einfach wäre, dass man nur noch „Grün“ zu essen brauchte und dann hundert Jahre alt würde, dann würde man das sofort machen.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sie haben das Wort zu einer zweiten Nachfrage. - Sie verzichten. Die Frage 12 der Kollegin Dr. Kirsten Tackmann wird schriftlich beantwortet. Wir kommen nun zur Frage 13 des Kollegen Dr. Wilhelm Priesmeier: Hält die Bundesregierung nach der letzten Ratssitzung - 22. Februar 2010 - weiterhin an ihrer Position fest, die das Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz in seinem Papier vom 22. Dezember 2009 verankert hat, und wie kann das Bestreben Frankreichs nach größerer Einflussnahme der Mitgliedstaaten auf die interne Mittelverteilung bei den Direktzahlungen mit dieser Position verbunden werden? Bitte, Herr Staatssekretär.

Dr. Gerd Müller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002742

Der Kollege Priesmeier spricht damit eine der zentralen Fragen der deutschen Europapolitik an. In den nächsten Monaten wird darüber verhandelt werden, wie sich der europäische Haushalt für die nächste Finanzperiode zusammensetzen wird. Vielen Dank, Herr Kollege, dass ich hier die Möglichkeit habe, einem Vorurteil entgegenzutreten. Die Diskussion hat gezeigt, dass die Agrarpolitik und die ländliche Entwicklung keine Politik von gestern sind, wie Außen- und Europapolitiker, Bildungspolitiker sowie Forschungs- und Innovationspolitiker häufig behaupten. Vielmehr ist dies eine Schlüsselbranche, eine Zukunftsbranche für die Menschheit. Deshalb sind die Gelder im europäischen Topf auch sinnvoll angesetzt. Die europäische Agrarpolitik und die ländliche Entwicklung sind darüber hinaus der einzige voll integrierte europäische Politikbereich. Deshalb ist sein Anteil am EU-Haushalt größer als der anderer Politikbereiche. Seit 1990 ist er allerdings von 48 Prozent auf 40 Prozent reduziert worden. Das müssen uns in Europa die Landwirtschaft, der Klimaschutz, die nachhaltige Entwicklung, der Natur-, Wasser- und Ressourcenschutz sowie gesunde Lebensmittel auch in Zukunft wert sein. Darum danke ich für diese Frage. Wir sind bei der Vorbereitung dieser Finanzbeschlüsse und bei der Umsetzung der Reformen, Herr Priesmeier. Wir haben uns für die Entkopplung eingesetzt, und wir in Deutschland sind bei dieser letzten Agrarreform in der Endphase der Umsetzung. Andere Länder sind noch nicht so weit. Es kommt darauf an, dass 2014 alle denselben Level haben und in Deutschland nicht schon weitere Schritte vorangegangen werden. Hier setzen wir auf den Erhalt der ersten und zweiten Säule. Wie wir die Ausgestaltung in Deutschland schwerpunktmäßig umsetzen werden, werden wir hier im Ausschuss, mit den Bundesländern und bei vielen sich bietenden Gelegenheiten diskutieren.

Petra Pau (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003206, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage.

Dr. Wilhelm Priesmeier (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003611, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, ich danke Ihnen für Ihren ersten Teil der Antwort. Wir hatten gestern ein Gespräch mit dem neuen Agrarkommissar Ciolos. Herr Ciolos hat darauf verwiesen, dass er eine breite öffentliche Diskussion für notwendig erachtet. In welcher Weise wird sich die Bundesregierung an dieser breiten öffentlichen Diskussion beteiligen, und inwieweit ist die Bundesregierung bereit, über die Struktur der ersten und der zweiten Säule in absehbarer Zeit oder kurzfristig Auskunft zu geben?

Dr. Gerd Müller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002742

Wir sind immer bereit, Auskunft zu geben. Ich habe damit im Ausschuss begonnen. Die Ministerin stellt sich jeder Diskussion in der Öffentlichkeit, im Parlament und in Brüssel. Die Diskussion über die zukünftige Gestaltung der Gemeinsamen Agrarpolitik ist transparent und vollkommen offen. Wir diskutieren dies mit den Bundesländern. Die Fachblätter sind voll davon. Unsere Konzepte liegen vor. Da gibt es überhaupt kein Geheimnis; denn wir brauchen die Zustimmung des deutschen Parlamentes. Wir werben, was die Zukunft der Gemeinsamen Agrarpolitik angeht, aber auch, was die deutsche Haltung zur zukünftigen Finanzierung der europäischen Politik angeht, für einen breiten Konsens im deutschen Parlament. Wir sollten mit einem Konsens unseres Parlamentes in die Verhandlungen in Brüssel gehen; nur dann können wir erreichen, was wir uns vorgenommen haben.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sie haben das Wort zu einer zweiten Nachfrage.

Dr. Wilhelm Priesmeier (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003611, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

In einem Papier zur Weiterentwicklung der Gemeinsamen Agrarpolitik nach 2013, Stand Dezember 2009, sprechen Sie von nationalen Plafonds. Inwieweit erachten Sie nationale Plafonds, die den einzelnen Mitgliedstaaten zugewiesen werden, als sinnvolles Instrumentarium zur Ausgestaltung der Gemeinsamen Agrarpolitik? Welche Vorteile hätten solche Plafonds? Wie groß müsste der nationale Plafond sein, der Deutschland zugewiesen wird?

Dr. Gerd Müller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002742

Das ist jetzt eine Spezialfrage. Ich könnte auf diese Frage antworten; nötig wäre aber eine differenzierte Diskussion. Die Frage ist: Wie teilen wir den europäischen Kuchen in Zukunft auf: mit einem neuen System oder aufbauend auf dem jetzigen System? Dafür sind derzeit viele Ansätze in der Diskussion. Die einen sagen mit Blick auf die erste Säule: Jedes Land soll dieselben Direktzahlungen, gewissermaßen eine Flatrate, bekommen. Die anderen sagen: Geben wir den einzelnen Mitgliedstaaten einen nationalen Plafond, lassen wir ihnen damit Spielraum, wie sie das Ganze machen. - Es gibt noch weitere interessante Vorschläge. Sie sehen: Das Feld ist offen. Wichtig ist nur, dass wir in Richtung der Produzenten - der Landwirtschaft, der Investoren - deutlich machen: Wir wollen das System nicht komplett auf den Kopf stellen. Wir brauchen keine neue Revolution der europäischen Agrarpolitik. Wir haben zwei grundlegende Reformen hinter uns. Deutschland hat die letzte Reform - Stichwort: Entkopplung - erfolgreich umgesetzt. Ich führe nachher ein Gespräch mit Bauern, die Stärkekartoffeln anbauen. Sie sind in Existenznöten, weil wir entkoppeln. Wie gesagt, wir sind noch dabei, die letzten Phasen der letzten Reform umzusetzen. Tragen wir also nicht zu einer Totalverunsicherung der deutschen Landwirtschaft bei! Wir wollen uns deshalb dafür einsetzen, dass, was den Haushaltsansatz betrifft, Verlässlichkeit für die Zukunft herrscht. Wir wollen den Rahmen erhalten, wir wollen Stabilität im System. Das heißt, wir wollen die erste und die zweite Säule als Grundlage erhalten. Wie wir in der Verteilung der Mittel feinjustieren - bei der zweiten Säule oder bei der ersten Säule -, darüber diskutieren wir miteinander, und da werden Sie umfassend beteiligt.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Wir sind damit am Ende der Fragen zu Ihrem Geschäftsbereich. Herzlichen Dank, Herr Staatssekretär. Die Frage 14 des Kollegen Peter Friedrich und die Frage 15 des Kollegen Tom Koenigs - beide beziehen sich auf den Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Verteidigung - werden schriftlich beantwortet. Zur Beantwortung der folgenden Fragen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Verteidigung steht der Parlamentarische Staatssekretär Christian Schmidt zur Verfügung. Ich rufe die Frage 16 der Kollegin Katja Keul auf: Warum hat die Bundesregierung die Ausbildung guineischer Soldaten durch die Bundeswehr in Deutschland nicht unverzüglich ausgesetzt, nachdem das von der Regierung Guineas verübte Massaker im September 2009 bekannt wurde? Bitte, Herr Staatssekretär.

Christian Schmidt (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002003

Frau Präsidentin! Frau Kollegin, ich beantworte Ihre Frage wie folgt: Militärische Ausbildungshilfe - um eine solche handelt es sich -, nicht nur spezifisch für Guinea, sondern für eine ganze Reihe von Ländern, denen man beim Aufbau stabiler demokratischer Strukturen helfen will, wirkt langfristig. Sie unterstützt die Entwicklung demokratisch orientierter Streitkräfte in Staaten und Regionen, deren Stabilität im deutschen Interesse liegt. Durch militärische Ausbildungshilfe können mittel- bis langfristig positive Multiplikatoren in den unterstützten Staaten gewonnen werden, über die demokratische Wertvorstellungen Eingang in die Kultur der jeweiligen Streitkräfte finden können. Das gilt insbesondere für die Erfahrungen, die im Ausbildungsgang in unserem Lande im Hinblick auf demokratische Wertvorstellungen mit vermittelt werden. Darüber hinaus wird durch die militärische Ausbildungshilfe ein Beitrag zur Förderung der regionalen Eigenständigkeit - so übersetze ich jetzt den gemeinhin genutzten Begriff „regional ownership“ - geleistet. Es geht also um die Befähigung zur Übernahme von Eigenverantwortung in den jeweiligen Regionen. Vor dem Hintergrund, dass am 28. September 2009 eine Großdemonstration von Sicherheitskräften blutig niedergeschlagen wurde und dass das Militärregime unter Dadis Camara vom international gegebenen Versprechen Abstand genommen hatte, demokratische Wahlen durchführen zu lassen, sich also selbst nicht zur Wahl stellen wollte, haben das Auswärtige Amt und das Bundesministerium der Verteidigung im Oktober 2009 zeitgleich mit der Einführung der von der Europäischen Union beschlossenen Sanktionen entschieden, die militärische Ausstattungshilfe für Guinea bis auf Weiteres auszusetzen, laufende Maßnahmen und in Guinea stattfindende Sprachausbildungen in Deutsch jedoch zu Ende zu führen. Dadis Camara hat Guinea im Dezember 2009 infolge eines auf ihn verübten Anschlags zur medizinischen Behandlung verlassen. Der seit 26. Januar 2010 fungierende Interimspräsident Sékouba Konaté hat als Ergebnis eines Vermittlungsprozesses im Januar 2010 den Oppositionspolitiker Jean-Marie Doré als Premierminister eingesetzt und am 15. Februar 2010 eine neue Übergangsregierung ernannt. Zudem hat er noch für 2010 die Durchführung von demokratischen Wahlen angekündigt. Die unabhängige Wahlkommission hat als Termin für die Präsidentschaftswahlen den 27. Juni 2010 vorgeschlagen. Das Auswärtige Amt und das Bundesministerium der Verteidigung beabsichtigen, zu gegebener Zeit zu prüfen, ob und in welcher Form die militärische Ausstattungshilfe nach der Durchführung demokratischer Wahlen wieder gewährt werden kann. Mit den jetzt stattfindenden Maßnahmen wird also nur das beendet, was bereits vorher vereinbart worden war.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ihre erste Nachfrage, bitte.

Katja Keul (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004067, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Herr Staatssekretär, verstehe ich Sie richtig, dass die militärische Ausbildung diesbezüglich vollständig beendet worden ist? Wenn dort noch Bundeswehrsoldaten involviert sind, dann würde mich auch interessieren, wie viele Bundeswehrsoldaten das sind und in welcher Funktion sie tätig sind.

Christian Schmidt (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002003

Frau Kollegin, im Rahmen der Ausbildungshilfe befinden sich noch sieben guineische Soldaten zur Ausbildung in unserem Land. Voraussichtlich Ende März 2010 werden vier ihre Ausbildung beenden. Ein weiterer schließt die Ausbildung Ende Juni 2010 ab. Die letzten beiden beenden sie im Herbst 2010. Hinsichtlich Ihrer Frage, wie viele und welche Ausbildungsmaßnahmen im Lande stattfinden, bitte ich darum, dass ich Ihnen die Zahlen und die Daten schriftlich nachreichen kann. Sie sind noch zu recherchieren.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sie haben die Möglichkeit zu einer zweiten Nachfrage.

Katja Keul (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004067, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich wüsste dann noch gerne, ob dieser Vorfall im September 2009 für die Bundesregierung Anlass war, auch hinsichtlich weiterer Länder zu prüfen, ob die militärische Ausrüstungsbeihilfe wirklich demokratischen Strukturen zugutekommt.

Christian Schmidt (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002003

Was sich am Beispiel Guineas zeigt, ist natürlich eine immanente Problematik. Wir haben das Vertrauen und wollen darauf hinwirken, dass demokratische Strukturen, so sie vorhanden sind, stabilisiert und gefestigt werden und dass sie sich in die richtige Richtung entwickeln. Dieser Prozess ist aber immer wieder von Rückschlägen geprägt. Aufgrund der unterschiedlichen örtlichen, regionalen und staatlichen Verhältnisse lässt sich nur sehr schwer eine Messlatte, die allgemein gelten kann, finden. Die Bundesregierung überprüft laufend Entwicklungen in den Ländern, mit denen militärische Ausstattungshilfe stattfindet. In diesem Bereich ist das Auswärtige Amt federführend. Es stimmt sich nach einer Reflexion darüber ab, wie man im Bereich der militärischen Ausstattungshilfe kontraproduktiven Entwicklungen - so verstehe ich nichtdemokratische Entwicklungen - Rechnung tragen kann.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Zu einer Nachfrage hat der Kollege Hans-Christian Ströbele das Wort.

Hans Christian Ströbele (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002273, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Staatssekretär, Sie haben gesagt, die Ausbildung der Bundeswehr wirke langfristig. Nun wissen wir, dass Herr Camara, der dort geputscht hat und dann Militärdiktator in Guinea geworden ist - möglicherweise ist er derzeit im Krankenhaus -, nicht nur lange in Deutschland gelebt hat, sondern auch lange Zeit von der Bundeswehr ausgebildet worden ist. Wie erklären Sie sich angesichts der langen Ausbildung, dass sich Herr Camara, nachdem er nach Guinea zurückgekehrt ist, an die Spitze eines Militärputsches gestellt hat und er, wie anhand des Massakers deutlich geworden ist, offenbar keinerlei menschenrechtliche Überlegungen anstellt, sondern das Gegenteil praktiziert?

Christian Schmidt (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002003

Herr Kollege, dieser Herr hat das Klassenziel offensichtlich verfehlt. ({0}) Das kann nur Anlass sein, die einzelnen Persönlichkeiten mit einem entsprechend kritischen Auge zu betrachten; dies findet auch statt. Allerdings ist es ein außerordentlich schwieriges Unterfangen, verlässliche Prognosen über die zukünftige mentale Entwicklung der Einzelnen zu machen. Insofern müssen wir darauf setzen, dass unsere Hoffnungen und Erwartungen erfüllt werden und wir - wenn Sie das Wort gestatten - eine Trefferquote von 100 Prozent erreichen. Allerdings werden wir immer wieder damit konfrontiert, dass sich die Dinge anders entwickeln. Es verbietet sich die Frage, was wäre, wenn Staaten wie Deutschland ihre Bemühungen einstellen würden. Die Bundesrepublik Deutschland ist nicht der einzige demokratische Staat, der sich bemüht, in diesen Ländern Menschen zu finden und sie dabei zu unterstützen - auch über solche Programme wie die militärische Ausstattungshilfe -, die Gedanken der Demokratie und Toleranz stärker zu verankern. Das ist nicht immer von Erfolg geprägt. Allerdings würde eine prozentuale Gegenüberstellung der Erfolge und Misserfolge - ich möchte sie nicht anstellen - sicherlich belegen: Wir sammeln in vielen Fällen positive Erfahrungen.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Wir kommen damit zur Frage 17 der Kollegin Katja Keul: Wie bewertet die Bundesregierung den Vorschlag des Oberkommandierenden der EU-Operation Atalanta, Konteradmiral Peter Hudson, AWACS-Aufklärungsflugzeuge zum Erkennen von Mutterschiffen einzusetzen? Bitte, Herr Staatssekretär.

Christian Schmidt (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002003

Frau Kollegin, das vom Kommandeur der Operation „EU NAVFOR Atalanta“ aufgestellte Streitkräftedispositiv sieht den Bedarf zur Seeraumüberwachung aus der Luft mit bis zu sechs Luftfahrzeugen vor. Um diesen Bedarf zu decken, wurden in der Vergangenheit verschiedene Luftfahrzeugtypen eingesetzt, wobei neben klassischen Seeraumüberwachungsflugzeugen in einem Fall ein französisches AWACS-Aufklärungsflugzeug zum Einsatz gekommen ist. Die Europäische Union, die Trägerin der Mission „Atalanta“ ist, verfügt selbst über keine AWACS-Aufklärungsflugzeuge. Deswegen kann ein solcher Einsatz nur durch Truppensteller mit entsprechenden Fähigkeiten erfolgen. Im Rahmen der Europäischen Union sind dies Frankreich und Großbritannien. Wie Sie wissen, ist der deutsche Anteil an Überwachungskapazitäten im NATO-Verbund mit eingebunden und somit nicht national verfügbar. Obwohl sich dieser Luftfahrzeugtyp insbesondere in Zusammenarbeit mit anderen Luftfahrzeugen in der Seeraumüberwachung sehr großer Gebiete bewährt hat, beabsichtigt nach Kenntnis der Bundesregierung gegenwärtig keine Teilnehmernation, „EU NAVFOR Atalanta“ AWACS-Aufklärungsflugzeuge zur Verfügung zu stellen. Eine Anregung des Operationskommandeurs an die Nationen, zur Vermeidung einer möglichen Fähigkeitslücke bei der Seeraumüberwachung auch AWACS-Aufklärungsflugzeuge in Betracht zu ziehen, erfolgte lediglich im Hinblick auf die positiven Erfahrungen mit dem französischen Beitrag in dieser Funktion und beinhaltet keine Änderung der bisherigen Vorgehensweise. Nachrichtlich darf ich darauf hinweisen, dass sich die Fähigkeiten überwiegend auf Seeraumüberwachungsflugzeuge kleineren Typs beziehen. So hat die Bundesregierung in einer benachbarten Mission das Flugzeug vom Typ PC-3 Orion für einige Zeit zur Verfügung gestellt und zum Einsatz gebracht.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage.

Katja Keul (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004067, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank. - Ich hätte noch eine Nachfrage. Wenn dies nicht in Bezug auf „Atalanta“ geplant ist: Gibt es auch keine weiteren Pläne, beispielsweise in Bezug auf den NATO-Einsatz „Ocean Shield“?

Christian Schmidt (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002003

Ich will die Frage wie folgt beantworten: Die NATO untersucht gegenwärtig den Einsatz von AWACS-Aufklärungsflugzeugen zur Unterstützung der Operation ISAF über Afghanistan. Dieses Haus hat sich schon mit dieser Fragestellung beschäftigt. Die Bundesregierung wird dies aber erst dann national erwägen und gegebenenfalls zur Beschlussfassung vorlegen, wenn es sich konkretisiert. Dies ist allein aus der Tatsache heraus, dass wir solche Schritte noch nicht unternommen haben, erkennbar nicht der Fall. Es wird eine Stationierung von NATO-AWACS-Flugzeugen im Bereich der arabischen Halbinsel in Betracht gezogen. Eine Diskussion, ob die dort stationierten Luftfahrzeuge gelegentlich zur Unterstützung der von Ihnen genannten Operation „Ocean Shield“ - das ist die NATO-Mission, die am Horn von Afrika in der Pirateriebekämpfung mit tätig ist - herangezogen werden können, würde vom NATO-Oberbefehlshaber in Europa, dem SACEUR, im Rahmen einer Debatte um die Zukunft von OOS, also Operation „Ocean Shield“, angestoßen. Eine Empfehlung des Militärausschusses der NATO liegt jedoch noch nicht vor. Die Seeraumüberwachung durch NATO-AWACSFlugzeuge wurde durch technische Anpassungen bzw. die Einrüstung eines neuen Systems zur Erfassung automatisch erzeugter Schiffsdaten von Handelsschiffen möglich und konnte entsprechend zertifiziert werden. Im Rahmen der Operation Active Endeavour im Mittelmeer konnte diese Fähigkeit auch unter Einsatzbedingungen nachgewiesen werden. Ob und inwieweit allerdings die Beobachtung kleiner und nicht an diesem System beteiligter Piratenschiffe - einschließlich des Begriffs der Mutterschiffe, den wir in diesem Zusammenhang verwenden - möglich ist, ist sehr offen.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sie haben das Wort zu einer zweiten Nachfrage.

Katja Keul (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004067, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Wenn das sehr offen ist, frage ich an dieser Stelle nach, wann Sie damit rechnen, dass eine entsprechende Empfehlung oder Nichtempfehlung vorliegen wird.

Christian Schmidt (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002003

Der Militärausschuss hat noch nicht darüber entschieden. Der Fokus für den Einsatz von AWACS-Flugzeugen auf NATO-Ebene liegt bei ISAF. Es gäbe allenfalls die Möglichkeit einer Verknüpfung, wenn dieser Einsatz möglich wäre. Das wäre sozusagen ein Nebenprodukt. Zu der Operation „Atalanta“ selbst, der europäischen Mission, gilt das, was ich auf Ihre Ausgangsfrage erwidert habe.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Der Kollege Hans-Christian Ströbele hat die Möglichkeit zu einer weiteren Nachfrage.

Hans Christian Ströbele (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002273, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Staatssekretär, Sie haben geschildert, welche Luftraumüberwachung dort stattfindet und mit welchem Ziel. Ich frage Sie: Findet auch vor der Küste Somalias, die sehr lang ist, eine Luftraumüberwachung hinsichtlich in somalische Gewässer eindringender Fischereifabriken statt, also großer Schiffe, die dort die Fischgründe leerfischen und damit der fischenden einheimischen Bevölkerung die Grundlage entziehen?

Christian Schmidt (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002003

Kollege Ströbele, die Europäische Union ist noch dabei, sich mit der weiteren Entwicklung der Antipirateriemission, das heißt mit der Frage, wie es um die Piraterie und deren Ursachen bestellt ist, intensiv zu befassen. Wir hatten in der Sitzung des Verteidigungsministerrats der Europäischen Union in der letzten Woche einen Bericht von Admiral Hudson vorliegen, der die Operation „Atalanta“ kommandiert. Ich erlaube mir, darauf hinzuweisen, dass eine Sachverständigengruppe der Europäischen Union, die sich seit einiger Zeit mit den Ursachen und dem Begegnen der Piraterie befasst und der von deutscher Seite Vizeadmiral a. D. Feldt angehört, einen Bericht vorlegen wird. Soweit wir gehört haben - das ist ein Zwischenstand -, wird sich allerdings eine monokausale Begründung für Piraterie nicht finden lassen. Ich erlaube mir aber auch, zu sagen, dass es überraschend bzw. beeindruckend ist, wie viele verschiedene Nationen, die sich dem Fischfang widmen, sich in diesem Gebiet aufhalten. Ich denke, die Antwort besteht auch in der notwendigen Unterstützung der Ausbildung der Küstenwache sowie dem Aufbau somalischer Staatlichkeit und Autorität, um solchen Dingen begegnen zu können.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Die Fragen 18 und 19 des Kollegen Nouripour werden schriftlich beantwortet. Ich rufe die Frage 20 des Kollegen Hans-Christian Ströbele auf: Ist die Bundesregierung bereit, angesichts des Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts vom 1. Juli 2009 ({0}), wonach angesichts des „Frage- und Informationsrechts des … einzelnen Abgeordneten … grundsätzlich eine Antwortpflicht der Bundesregierung“ besteht, nun - entgegen ihrem bisherigen Verweis auf ersatzweise vertrauliche Unterrichtung nur von Fraktionsvorsitzenden etc. - meine Frage 90 vom 11. Februar 2010 auf Bundestagsdrucksache 17/702 sowie Frage 54 vom 18. Februar 2010 ({1}) nach Einsätzen der Bundes-„Task Force 47“ in Afghanistan sowie deren Folgen zu beantworten, und inwieweit wirkte diese Einheit mit an der Benennung verdächtiger Personen zur Tötung oder Festnahme ({2})? Bitte, Herr Staatssekretär.

Christian Schmidt (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002003

Ich erlaube mir, folgendermaßen zu antworten: Die Bundesregierung folgt ihrer Pflicht und beantwortet in der Regel alle Fragen von Abgeordneten offen, um sie in die Lage zu versetzen, ihre Aufgabe der parlamentarischen Kontrolle des Regierungshandelns effektiv wahrzunehmen. Die Antwortpflicht ist nur dann ausnahmsweise begrenzt, wenn dies aus verfassungsrechtlichen Gründen geboten ist. Sie haben in Ihrer Frage auf einen Beschluss des Bundesverfassungsgerichts, dessen Genese Ihnen, Herr Kollege, nicht unbekannt ist, hingewiesen. In diesen Ausnahmefällen, in denen die Bundesregierung entscheidet, eine Frage nicht zu beantworten oder in vertraulicher Form Informationen weiterzugeben, wird dies, außer in offenkundig - das Bundesverfassungsgericht spricht von „evident“ - geheimhaltungsbedürftigen Fällen, nachvollziehbar und plausibel begründet. Darüber hinaus wird auch im Einzelfall geprüft, ob Formen der vertraulichen Beantwortung möglich sind, die dem Informationsanspruch des Parlaments und einem berechtigten Diskretionsinteresse der Regierung oder Dritter gleichermaßen Rechnung tragen. Den Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts in beiden Beschlüssen, zum BND-Untersuchungsausschuss und zu den Kleinen Anfragen, wird damit Rechnung getragen. Soweit Sie im Zusammenhang mit der Beantwortung von Fragen über den Einsatz von Spezialkräften der Bundeswehr auf das mit den Vorsitzenden der im Deutschen Bundestag vertretenen Fraktionen im Jahr 2008 abgestimmte Verfahren hinweisen, das Sie als nicht ausreichend betrachten, will ich auf Folgendes aufmerksam machen: Der Deutsche Bundestag hat mit einem Beschluss vom 3. Dezember 2008 im Hinblick auf Sensibilitäten und schutzwürdige Kernbereiche ein Verfahren zur Unterrichtung über den Einsatz aufgestellt und der Bundesregierung gegenüber die Bitte geäußert, man möge sich dieser Verfahrensweise entsprechend verhalten. Wichtig für uns ist im Zusammenhang mit dem Beschluss des Deutschen Bundestages das Verständnis der Konkretisierung der Informationen, die geliefert werden müssen. Dementsprechend werden über den Einsatz von Spezialkräften der Bundeswehr die Vorsitzenden, die stellvertretenden Vorsitzenden sowie die Obleute des Verteidigungsausschusses und des Auswärtigen Ausschusses unverändert regelmäßig auf vertraulicher Basis informiert. Sie wissen, dass ein halbjährlicher Turnus vereinbart ist, der auch eingehalten wird. Darüber hinaus wird nicht nur über abgeschlossene, sondern auch über bevorstehende Operationen informiert. Die parlamentsfreundliche Information ist aus den guten Gründen, die im Entschließungsantrag auf Drucksache 16/11230 vom 3. Dezember 2008 seitens des Deutschen Bundestages festgehalten worden sind, und wegen der Schutzbedürftigkeit in Form einer Unterrichtung in geschlossenen Ausschüssen des Deutschen Bundestags erfolgt. Das war zum letzten Mal der Fall in der 16. Sitzung des Verteidigungsausschusses des Deutschen Bundestages am 24. Februar dieses Jahres durch meinen Kollegen, den Parlamentarischen Staatssekretär Kossendey.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sie haben das Wort zu einer ersten Nachfrage.

Hans Christian Ströbele (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002273, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Staatssekretär, in der Antwort der Bundesregierung steht auch, dass die Vorsitzenden und die stellvertretenden Vorsitzenden der Fraktionen unterrichtet werden können. Können Sie sagen, wann eine solche Unterrichtung über die Tätigkeit der Task Force 47 stattgefunden hat?

Christian Schmidt (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002003

Zur Konkretisierung darf ich auf Ihren Hinweis Abschnitt II. Nr. 1 des Entschließungsantrags zitieren: Die Obleute sind ermächtigt, diese Informationen vertraulich an die Fraktionsvorsitzenden weiterzugeben. Es gibt also eine Informationskette bis hin zu Fraktionsvorsitzenden. Die Unterrichtung über die Maßnahmen von Spezialkräften, die sich in Einsatzländern befinden, ist nach meiner Kenntnis nicht sehr lange vor dem 24. Februar erfolgt. Ich bitte aber darum, dass ich Ihnen das genaue Datum und die Bestätigung über das, was der Kollege Kossendey im Verteidigungsausschuss vorgetragen hat - er hat über die Tätigkeit einzelner Task Forces, auch der Task Force 47, berichtet -, nachliefern kann.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sie haben das Wort zu einer zweiten Nachfrage.

Hans Christian Ströbele (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002273, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Staatssekretär, gibt die Bundesregierung mir darin recht, dass hier eine Lücke in der Kontrolle durch den Deutschen Bundestag entsteht, da es sich bei der Task Force 47 ganz offensichtlich um eine Einheit handelt, der sowohl Angehörige der Bundeswehr als auch Angehörige des Bundesnachrichtendienstes, also eines Geheimdienstes, angehören? Denn auf der einen Seite sagt man in dem Kontrollgremium für die Geheimdienste, es könne nicht über die Tätigkeit der Bundeswehr informiert werden. Auf der anderen Seite sagt man im Verteidigungsausschuss hinsichtlich der Bundeswehr, man könne nicht darüber informieren, was Mitarbeiter oder Zuarbeiter der Geheimdienste machen. Aufgrund der Zusammensetzung solcher Einheiten gibt es also kein Gremium, das sich mit beiden Teilen beschäftigen kann, und dadurch entsteht eine Informationslücke.

Christian Schmidt (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002003

Herr Kollege Ströbele, ich gebe Ihnen zwar grundsätzlich gerne recht, aber nicht immer. ({0}) Ich meine, dass für beide Elemente eine entsprechende Unterrichtung stattfindet, und zwar hinsichtlich der nachrichtendienstlichen Tätigkeit in dem Gremium, dem meiner Kenntnis nach auch Sie angehören. Hinsichtlich der Spezialkräfte der Bundeswehr sind, soweit es sich um Operationen handelt, die in den militärischen Bereich gehören, andere Wege zu gehen. Der Bundesregierung ist sehr an der Information des Parlaments gelegen. Das ist keine Nebensache, sondern eine zentrale Verpflichtung der Bundesregierung. Ich nehme an, dass die Initiative aus den Kreisen des Bundestages kommen wird; denn der Bundestag konkretisiert in wesentlichen Teilen - siehe die Beschlussfassung vom 3. Dezember 2008 -, wie er die Informationspflicht erledigt haben will; dies gilt auch im Hinblick auf das Parlamentsbeteiligungsgesetz. Sofern es eine Informationslücke, die dem Grundsatz der Informationsbereitschaft widerspricht, geben sollte, muss man über geeignete Wege der Abhilfe nachdenken.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Wir sind damit am Ende Ihres Geschäftsbereichs. Herzlichen Dank, Herr Staatssekretär. Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. Vizepräsidentin Petra Pau Zur Beantwortung der Fragen steht der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Hermann Kues zur Verfügung. Die Fragen 21 und 22 des Kollegen Steffen-Claudio Lemme werden schriftlich beantwortet. Ich rufe die Frage 23 der Kollegin Aydan Özoğuz auf: Wie ist der derzeitige Umsetzungsstand des Programms „Schulverweigerung - Die 2. Chance“, und inwieweit ist es bislang mit diesem Programm gelungen, schulverweigernde junge Menschen wieder in die Schule - bitte Zahlen und Fakten benennen - zu reintegrieren? Bitte, Herr Staatssekretär.

Dr. Hermann Kues (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002709

Frau Kollegin, das Schulprogramm „Schulverweigerung - Die 2. Chance“ ist Bestandteil der Initiative „Jugend stärken“, mit der wir in der vergangenen Legislaturperiode angefangen haben, die Programme für benachteiligte junge Menschen und Jugendliche mit Migrationshintergrund zu bündeln, sie stärker aufeinander abzustimmen und zum Teil auch erheblich auszubauen. Mittlerweile gibt es 194 Projektstandorte. Das Programm zielt darauf ab, Schülerinnen und Schülern vor allem von Hauptschulen, die ihren Schulabschluss über eine sogenannte harte Schulverweigerungshaltung gefährden, in den Regelschulbetrieb zu integrieren. Das Programm erhöht infolgedessen die Chancen der jungen Menschen auf einen Schulabschluss und ist auch ein zentraler Bestandteil der Maßnahmen des Bundes zur Halbierung der Zahl der Schulabbrecher bis zum Jahr 2013. Wir haben die Zahlen vorliegen: 2007 haben über 70 000 Jugendliche die Schule ohne Abschluss verlassen; das entspricht einem Anteil von 7,5 Prozent. Unter den ausländischen Jugendlichen waren es 16 Prozent, also etwa das Doppelte. Schätzungen gehen von 300 000 Schulschwänzern und von 10 000 Totalverweigerern aus. Das zeigt, wie groß das Problem ist und dass es notwendig ist, das Bemühen um diejenigen, die nicht klarkommen, über diese Projekte hinaus in den ganz normalen Schulablauf zu integrieren. Das Programm „Schulverweigerung“ wurde in der aktuellen ESF-Förderperiode bis zum Januar 2009 von 75 auf 194 Standorte aufgestockt. Neben der Einführung von Verfahren zum sogenannten Case-Management und der Bestimmung von Schulstandorten, an denen man tätig ist, wurden weitere Dinge entwickelt, die es möglich machen, die Entwicklungsverläufe der Jugendlichen zu erfassen und sie mit entsprechenden Schulungen für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu begleiten. Das Programm ist fachlich um die Aufnahme von Schülerinnen und Schülern, die ihren Schulabschluss durch eine stark passive Schulverweigerung gefährden, erweitert worden. Was die Gesamtzahlen angeht: Im letzten Förderjahr hatte das Programm rund 5 000 junge Menschen erfasst, davon circa 1 950 junge Migrantinnen und Migranten, also 39 Prozent. Man kann generell sagen: Bei allen Jugendprojekten geht es in der Regel um einen erheblichen Teil von Migrantinnen und Migranten. Von denen, die in diesem Zeitraum das Case-Management regulär beendet haben, konnte weit mehr als jeder zweite Schulverweigerer erfolgreich in die Schule reintegriert werden. Die anderen Jugendlichen konnten zwar nicht vollständig reintegriert werden, aber es gab auch dort Erfolge zu verzeichnen. Es ist so, dass ein Teil von ihnen zumindest wieder regelmäßig die Schule besucht oder in der Schule aktiver mitarbeitet. Andere sind in berufsvorbereitende Maßnahmen mit nachholendem Schulabschluss eingegliedert worden. Sie haben eine Ausbildung oder eine Arbeit aufgenommen. Ein Teil von ihnen ist durch Umzug usw., wie es bei solchen Programmen immer der Fall ist, ausgeschieden.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sie haben das Wort zu einer ersten Nachfrage.

Not found (Mitglied des Bundestages)

, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Vielen Dank, Herr Staatssekretär. - Sie haben auf 5 000 Jugendliche und besonders auf die Jugendlichen mit Migrationshintergrund hingewiesen. Ganz wesentlich in diesem Programm scheint zu sein, dass es Ansprechpartner für die Jugendlichen gibt, die mit ihnen arbeiten und dafür sorgen, dass sie den Weg in die Schule wiederfinden. In diesem Zusammenhang wird auch erwähnt, dass es wichtig ist, dass Eltern, Schülerinnen, Schüler und die Ansprechpartner zusammenarbeiten. Mich interessiert, nach welchen Kriterien diese Ansprechpartner ausgewählt werden und welche Erkenntnisse Sie im Hinblick auf die Elternarbeit haben.

Dr. Hermann Kues (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002709

Frau Kollegin, Sie haben sich sicherlich bereits einen Standort konkret angesehen. Diese Standorte zeichnen sich dadurch aus, dass dort die kommunale Ebene, die Landesebene, der Bereich der Sozialarbeit und das spezielle Angebot des Jugendministeriums zusammengeführt werden, weil das Ganze nur dadurch Sinn macht. Wir haben die Erfahrung gemacht, dass sich der Erfolg dann einstellt, wenn die verantwortlichen Projektmitarbeiter - sie sind häufig bei freien Trägern angestellt - auf die einzelnen Jugendlichen eingehen und auch die Eltern zu Hause aufsuchen.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sie haben das Wort zu einer zweiten Nachfrage.

Not found (Mitglied des Bundestages)

, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Damit haben Sie meine Frage nach den Kriterien noch nicht beantwortet. Mich interessiert aber noch Folgendes: Sie sagen, dass gut die Hälfte der Jugendlichen mit diesem Programm nicht erreicht wird. Wir haben insgesamt eine sehr hohe Zahl von jungen Menschen, die keinen Abschluss haben, älter als 22 sind und ihren bisherigen Weg bereuen. Sie suchen durchaus nach Möglichkeiten, einen Abschluss zu bekommen oder irgendwie reintegriert zu Aydan Özoðuz werden. Inwiefern plant die Bundesregierung ein ähnliches Programm oder eine Fortführung dieses Programms für die Älteren?

Dr. Hermann Kues (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002709

Die Bundesregierung plant dies nicht. Ich habe darauf hingewiesen, dass das, was wir hier mit Unterstützung des Europäischen Sozialfonds machen, im Grunde genommen Maßnahmen sind, bei denen es darum geht, die regulären Abläufe zu ergänzen, zu bereichern und auch zu verändern. Das muss im Endeffekt von der jeweiligen Landesebene geleistet werden. Vielleicht sollte ich noch etwas zu den Kriterien sagen. In der Praxis sieht das so aus, dass dann, wenn wahrgenommen wird, dass ein Jugendlicher den Schulunterricht verweigert, indem er gar nicht mehr kommt - passive Schulverweigerung dagegen wäre, dass er zur Schule geht, aber eigentlich nichts mehr macht -, die Schule tätig wird. Im engen Kontakt zwischen den Projektmitarbeitern und der Schule wird dann im Einzelfall entschieden, ob jemand für die Reintegration infrage kommt. Es gibt keine formalen Kriterien, die man benennen könnte. Man muss da vielmehr sehr stark auf den Einzelfall abheben, ob solch ein Versuch erfolgreich sein kann. Da spielen die Lehrer mit hinein, da spielt die Schulleitung mit hinein, und da spielen die Eltern mit hinein sowie die jeweiligen Spezialisten aus dem Projektmanagement.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Ich rufe nun die Frage 24 der Kollegin Özoğuz auf: Welche Überlegungen und Maßnahmen werden in der angekündigten Fortführung und Erweiterung des Projekts „Neue Wege für Jungs“ insbesondere für junge Migranten berücksichtigt?

Dr. Hermann Kues (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002709

Ich will darauf gerne antworten, Frau Kollegin. Dieses Netzwerkprojekt „Neue Wege für Jungs“ wendet sich an Jungen und hat damit zuallererst die Geschlechtszugehörigkeit im Blick und nicht die Frage, ob jemand Migrant ist oder nicht. Die zahlreichen Projekte - es gibt insgesamt 150 Netzwerkpartner - richten sich an Jungen mit und ohne Migrationshintergrund. Gleichzeitig werden Jungen aus allen Schulformen beteiligt. Der Schwerpunkt liegt allerdings auch hier auf Hauptund Realschulen, in denen der Anteil von Schülern mit Migrationshintergrund besonders groß ist. Die Initiative „Neue Wege für Jungs“ ist ja das Pendant zum sogenannten Girls’ Day und verfolgt das Ziel, das Berufswahlspektrum entsprechend zu erweitern. Ich möchte auch darauf hinweisen, dass vorgesehen ist, diese Initiative auszuweiten. So steht es im Koalitionsvertrag. Wir gehen davon aus, dass wir das in der nächsten Projektphase - dieses Projekt war ja auf drei Jahre begrenzt - durch entsprechend erhöhte Mittel auch wieder unter Einbeziehung von ESF-Mitteln schaffen.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Haben Sie eine Nachfrage?

Not found (Mitglied des Bundestages)

, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja. - Mich würde interessieren, wie sich die Zielgruppe zusammensetzt. Geht es nach Altersstufen, geht es nach Regionen, Ost bzw. West? Wonach wird da genau geschaut?

Dr. Hermann Kues (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002709

Das kann ich Ihnen so aus dem Stand nicht beantworten. Auf die Ausschreibung solcher Projekte bewerben sich unterschiedliche Träger, unterschiedliche Initiativen sowie außerschulische Bildungseinrichtungen. Bei diesen schauen wir ganz allgemein, inwieweit sie dazu beitragen können, dass Jugendliche in ihrer Lebensplanung begleitet werden und neue Anregungen bekommen. Daraus ergeben sich auch gewisse Kriterien. Ich kann Ihnen jetzt nicht genau die Kriterien nennen, die formal zugrunde gelegt werden. Ich will Ihnen das aber gerne einmal im Ausschuss beantworten.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Keine weitere Nachfrage? - Dann rufe ich die Frage 25 der Kollegin Marlene Rupprecht auf: Wie viele Familien und wie viele Kinder werden aktuell mit dem Kinderzuschlag - bitte Datenquelle nennen - erreicht?

Dr. Hermann Kues (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002709

Nach Schätzungen der Bundesregierung von Dezember 2009 gab es insgesamt 116 000 Berechtigte mit insgesamt rund 292 000 Kindern, an die bzw. für die Kinderzuschlag bezahlt wurde. Frau Kollegin Rupprecht, die zu diesem Thema auch eine schriftliche Anfrage gestellt hat, hat nach der Datenquelle gefragt. Wenn man sich mit dieser Frage beschäftigt, lässt sich erklären, weshalb es unterschiedliche Zahlen gibt. Die Bundesagentur für Arbeit ermittelt nämlich nur die Zahl derjenigen, die sogenannte laufende Zahlungen Monat für Monat erhalten, ermittelt aber nicht die Zahl derjenigen, die einmalig Zahlungen erhalten, oder derjenigen, die herausfallen oder neu aufgenommen werden, weil sich beispielsweise das Einkommen verändert hat. In diesen Fällen können wir nur Hochrechnungen anstellen, indem wir die Gesamtausgaben für den Kinderzuschlag in Beziehung setzen zu den Durchschnittsbeträgen für laufende Zahlungen. Nur so ist es möglich, zu einer Bewertung zu kommen und die zukünftige Höhe des Kinderzuschlags festzulegen. Das hatten wir in unserer Antwort auf die schriftliche Anfrage auch im Einzelnen beantwortet.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Ihre Nachfrage, bitte.

Marlene Rupprecht (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003000, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, mich interessiert, ob man etwas zur Zahl der gestellten Anträge, zur Zahl der abgelehnten Anträge und zu den Begründungen für die Ablehnungen sagen kann. In der letzten Wahlperiode hatten wir ja versucht, nachzusteuern, um zielgenau handeln zu können. Das war unsere Absicht. Dabei sollte auch geklärt werden, inwieweit es offensichtliche Gründe für Ablehnungen gibt. Wird das erfasst? Gibt es dazu Daten oder Fallzahlen? Das wäre meine erste Frage. Da Sie meine zweite schriftlich eingereichte Frage schon beantwortet haben, habe ich eine weitere Nachfrage. Heute hat im Ausschuss Ihr Kollege, Staatssekretär Hecken, dargelegt, dass seitens der Bundesregierung eventuell eine Differenzierung nach Altersstufen, um die Zielgenauigkeit zu erhöhen, beabsichtigt ist. Für mich wäre wichtig, zu erfahren, ob man Näheres über die Familienstrukturen der jetzt den Kinderzuschlag Beziehenden weiß. Weiß man, ob überwiegend Familien mit kleineren Kindern oder mit mehreren Kindern usw. den Kinderzuschlag erhalten? Vielleicht sollte es eine bessere Datenlage geben, um den Kinderzuschlag wirklich dort ankommen zu lassen, wo er ankommen soll, nämlich bei denen, die in „prekärem Wohlstand“ sind und immer knapp über der Grenze zur Armut liegen. Gibt es dazu Erkenntnisse?

Dr. Hermann Kues (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002709

Das Anliegen Ihrer Frage kann ich sehr gut nachvollziehen. Mir liegen diese Erkenntnisse nicht vor. Ich glaube, diese gibt es auch nicht. Ich will mich aber gerne noch einmal erkundigen. ({0}) Es wäre in der Tat wichtig, dass wir den Sachverhalt im Einzelnen kennen, bevor wir etwas ändern. Wir werden in Verbindung mit dem gesamten Niedriglohnbereich, mit dem sich das Parlament und die Bundesregierung zu beschäftigen haben, auch darüber nachdenken müssen, wo der spezielle Platz für den Kinderzuschlag sein kann, der, wie Sie richtig sagen, für diejenigen vorgesehen sein soll, die den Lebensunterhalt für sich durchaus verdienen können, aber aufgrund ihrer Kinder in eine SGB-II-Abhängigkeit geraten. Das ist der Personenkreis, den wir erfassen wollen. Immerhin gibt es ja Zahlen, wie sich das im Laufe der Jahre entwickelt hat. Die Zahl ist gewaltig gestiegen. Dem liegen Schätzungen zugrunde: Im September 2008 waren es 120 000. Ende 2009 waren es schon 300 000. Das heißt, die Zahl derjenigen, die den Kinderzuschlag in Anspruch genommen haben, ist gestiegen. Das zeigt ganz offenkundig, dass die Vereinfachung der Beantragung des Kinderzuschlages letztlich erfolgreich gewesen ist. Ich glaube auch, dass eine Rolle spielt, dass sich dieses Instrument langsam im Bewusstsein der Menschen verankert hat, dass sie nun wissen, dass es so etwas gibt, wie sie damit umgehen können und weshalb es ein sinnvoller Ansatz ist, zu sagen: Du kannst den Lebensunterhalt für dich selbst verdienen; aber wir helfen dir dabei, dass du aufgrund deiner Kinder nicht in Abhängigkeit gerätst. Ich sage aber ausdrücklich: Ich werde mich erkundigen, welche strukturellen Daten es bezüglich der Zusammensetzung des Personenkreises noch gibt - mir sind solche nicht geläufig -, damit wir eine gemeinsame Grundlage für künftige Entscheidungen haben.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Haben Sie eine Nachfrage dazu?

Marlene Rupprecht (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003000, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja, ich habe noch eine Nachfrage dazu. Gestern gab es hinsichtlich der ALG-II-Aufstocker die Pressemeldung, dass Stundenlöhne unter 3 Euro als sittenwidrig gelten. Die Bundesagentur für Arbeit hat den Jobcentern auferlegt, zu überprüfen, dass von denen, die ALG-II-Aufstocker sind, keiner einen Stundenlohn von unter 3 Euro erhält. Für mich stellt sich nun die Frage: Wird bei den Personen, die den Kinderzuschlag beantragen, erfasst, in welcher Höhe sich ihr Stundenlohn bewegt? Denn ich könnte mir gut vorstellen, dass man, wenn es genauere Zahlen gäbe, darauf hinarbeitet, dass angemessene Löhne gezahlt werden, damit Eltern aus der staatlichen Hilfe herauskommen, auch wenn der Kinderzuschlag sicherlich ein gutes Instrument ist. Noch besser aber ist es, wenn die Eltern ihr Leben ohne Kinderzuschlag bewältigen können. Gibt es irgendwelche Erfassungen im Zusammenhang mit den Stundenlöhnen?

Dr. Hermann Kues (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002709

Meines Wissens nicht. Ich schließe es aus, dass bei der Prüfung auch erfasst wird, wie hoch der jeweilige Stundenlohn ist. Das wäre sicherlich interessant und informativ, weil das ein anderes Kriterium für die Genehmigung darstellen könnte. Das ist in der gesetzlichen Regelung nicht vorgesehen. ({0}) Darüber kann man sicherlich politisch diskutieren. Denn der Kinderzuschlag ist nicht dafür gedacht, dass niedrige Löhne gezahlt werden und man dann an staatliche Mittel herankommt, um auf diese Art und Weise zu einem angemessenen Einkommen zu kommen.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Zum selben Sachverhalt rufe ich die Frage 26 der Kollegin Marlene Rupprecht auf: Wie erklärt sich das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend die stark voneinander abweichenden Fallzahlen zum Kinderzuschlag der Bundesregierung - zum Beispiel April 2009: 259 150 erreichte Kinder - und der Familienkasse - zum Beispiel April 2009: 183 000 erreichte Kinder -, und welche Maßnahmen werden zur Präzisierung der statistischen Erhebung der Fallzahlen getroffen? Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt Diese Frage ist noch zu beantworten; es sei denn, der Staatssekretär ist schon bei der Beantwortung der Frage 25 darauf befriedigend eingegangen.

Dr. Hermann Kues (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002709

Letztlich müsste die Kollegin entscheiden, ob das befriedigend gewesen ist.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Frau Kollegin? - Es ist erledigt.

Dr. Hermann Kues (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002709

Ist in Ordnung?

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Ja.

Dr. Hermann Kues (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002709

Bei der ersten schriftlichen Frage wurde nach Quellen usw. gefragt. Da musste ich das, was in Frage 26 anstand, schon einmal erwähnen.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Der Kollege Sönke Rix, der die Frage 27 gestellt hat, ist nicht anwesend. Es wird verfahren, wie in der Geschäftsordnung vorgesehen. Damit rufe ich die Frage 28 der Kollegin Dagmar Ziegler auf: Welche konkreten Maßnahmen plant das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend für das Jahr 2010, um den zusätzlichen Bedarf von rund 35 000 bis 40 000 Vollzeitstellen in Tageseinrichtungen und von rund 25 000 Tagespflegepersonen bis 2013 ({0}) zu decken?

Dr. Hermann Kues (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002709

Frau Kollegin Ziegler, wir sind uns alle einig, dass wir qualifiziertes Personal brauchen, um den Ausbau der Kindertagesbetreuung nicht nur quantitativ vorzunehmen, sondern auch eine Betreuung in guter Qualität leisten zu können. Es geht um frühkindliche Bildung und nicht nur um Aufbewahrung. Deswegen ist es, glaube ich, nicht überraschend, dass gewaltige Zahlen im Raume stehen, die es zu bewältigen gilt, wenn es um das Thema Personalgewinn usw. geht. Ich habe in der Kleinen Anfrage, auf die Sie Bezug nehmen, Prognosen genannt, die im Oktober 2008 in einer Qualifizierungsinitiative für Deutschland festgelegt worden sind. Man hat sie dort gemeinsam vereinbart, weil man sie für realistisch gehalten hat. Damals haben wir über 50 000 Erzieherinnen und Erzieher und 30 000 Tagesmütter gesprochen. Insofern kann man die aktuellen Zahlen von 35 000 bis 40 000 Erzieherinnen und Erziehern, die jetzt genannt worden sind, als eine Bewegung nach vorne deuten. Offenkundig ist ein Teil der Probleme gelöst worden. Ich sage ausdrücklich: Einen Teil des zusätzlichen Bedarfs werden wir mit den bestehenden Ausbildungskapazitäten decken können. Aber es wird nicht ganz ausreichen. Wir wissen, dass dieses Problem vom Bund, der koordiniert, und von den Ländern, die für die Ausbildungskapazität zuständig sind, gelöst werden muss. Wir werden uns darum kümmern müssen, dass diese auch tatsächlich ausreichen. Es ist völlig klar, dass die Rahmenbedingungen des Berufs so gestaltet sein müssen, dass sich Absolventinnen und Absolventen entschließen, in der frühkindlichen Bildung tätig zu werden. Wir denken auch an die Aktivierung von derzeit beschäftigungslosen Fachkräften. Wir denken an bessere Fort- und Weiterbildungsmöglichkeiten und haben dazu auch Vorschläge gemacht. Ich gehe davon aus, dass letzten Endes Ausbildungskapazitäten gegebenenfalls erweitert werden müssen. Das muss jedes Bundesland für sich entscheiden bzw. die Bundesländer gemeinsam. Wir - Bund, Länder und Gemeinden - müssen dafür sorgen, dass ausreichend viele Fachkräfte zur Verfügung stehen. Das ist eine gemeinsame Anstrengung. Wir haben einiges dafür getan, damit wir vorankommen. Ich erinnere an das Aktionsprogramm „Kindertagespflege“. In diesem Segment haben wir Qualitätskriterien entwickelt, aber auch versucht, die Professionalisierung voranzubringen. Das ist ein mühsames Geschäft, weil es auch immer mit der steuerlichen Behandlung der Einkommen und der Rahmenbedingungen zu tun hat. Ich erinnere an die Eckpunkte der frühkindlichen Bildung, die uns der Koalitionsvertrag vorgibt. Letztlich geht es immer um das Ziel, zu einer verlässlichen Betreuungsqualität zu gelangen. Sie kennen das Forum „Frühkindliche Bildung“, bei dem es darum geht, diese verschiedenen Fakten und Kriterien aufzugreifen. Wir gehen davon aus, dass die Evaluation des Kinderförderungsgesetzes dazu beiträgt, dass wir solides Datenmaterial bekommen. Es gibt viele andere Punkte, die in Verbindung mit der Qualitätsinitiative von Bund und Ländern zu sehen sind. Ein Qualifizierungspaket für Erzieherinnen und Erzieher ist aufgelegt worden. Wir haben beispielsweise auch das Zweite Gesetz zur Änderung der Aufstiegsfortbildungsförderung, das sogenannte Meister-BAföG, auf den Weg gebracht, durch das seit Juli 2009 bundesweit die Aufstiegsfortbildung zum Erzieher oder zur Erzieherin staatlich gefördert wird. Ich könnte Ihnen weitere Bereiche nennen, beispielsweise das Programm „Perspektive Wiedereinstieg“, weil wir glauben, dass es viele Männer und Frauen gibt, die gerade in der Familienphase Qualifikationen entwickelt bzw. sich angeeignet haben und die dadurch im Prinzip infrage kommen, in diesem Bereich tätig zu werden.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Ihre Nachfrage, Frau Kollegin Ziegler.

Dagmar Ziegler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004191, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Vielen Dank, Herr Staatssekretär. - Über das Ziel sind wir uns, glaube ich, alle einig. Mir ging es bei der Fragestellung darum, welche Strategien des Bundesministeriums für 2010 konkret vorliegen, um das, was Sie benannt haben, umsetzen zu können. Welche Initiativen sieht das Haus konkret vor? Mit den Kommunen und den Ländern muss debattiert werden, damit die „Jahresscheibe“ 2010 erreicht werden kann; denn drei Jahre sind nicht sehr viel Zeit.

Dr. Hermann Kues (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002709

Ich habe Ihnen die verschiedenen Bereiche genannt, bei denen wir mit den Ländern zusammensitzen, etwa das Forum „Frühkindliche Bildung“. Sie kennen sich aufgrund Ihres politischen Hintergrundes sehr gut damit aus und wissen, dass der Bund hier nur eine koordinierende Funktion wahrnimmt. Da sitzen Bund und Länder an einem Tisch. Ziel ist es, etwa beim Forum „Frühkindliche Bildung“, Kriterien zu entwickeln. Bezüglich der anderen Bereiche, die ich genannt habe, bei denen es um personelle Fragestellungen geht, wird jedes einzelne Bundesland überprüfen müssen, was es an Fachkräften benötigt. Das wird ganz unterschiedlich entschieden. Wenn ein Bundesland zum Beispiel stärker auf Tagespflege setzt, werden die Konsequenzen entsprechend aussehen müssen. In diesem Fall müssen wir auch die Ausbildungskapazitäten in den Blick nehmen. Das ist je nach Bundesland unterschiedlich. Hier kann es nur um eine gemeinsame Anstrengung gehen. Ganz konkret: Die Strukturen und die Foren, die wir geschaffen haben, aber auch die Abstimmungsrunden, die kontinuierlich tagen, werden wir dazu nutzen, diese Punkte Schritt für Schritt anzugehen. Die Länder werden dabei selbstverständlich einbezogen, auch das Land Brandenburg.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Haben Sie eine weitere Nachfrage? - Nein? - Dann stelle ich fest, dass wir den zeitlichen Rahmen für die Fragestunde voll ausgeschöpft haben. Die restlichen Fragen werden schriftlich beantwortet. Ich rufe den Zusatzpunkt 1 auf: Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion der SPD Notwendigkeit einer einheitlichen Praxis beim Kauf von Steuer-CDs Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner das Wort dem Kollegen Joachim Poß für die SPDFraktion. ({0})

Joachim Poß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001740, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das beständige Hin und Her in der baden-württembergischen Landesregierung und das Hin und Her zwischen Stuttgart und dem Bundesfinanzministerium zu den Steuer-CDs müssen endlich aufhören. Das alles dauert jetzt schon zu lange. Nach neuesten Meldungen sei der Bund jetzt doch bereit, den Kauf der CD für Baden-Württemberg zu organisieren. Wenn das stimmt, Herr Koschyk - ich warte erst einmal ab -, dann ist es aber auch allerhöchste Zeit, dass Klarheit in dieser Frage geschaffen wird. ({0}) Alle Beteiligten müssen sich jetzt nämlich auf das besinnen, was ihre Aufgabe ist. Das ist die gleichmäßige Durchsetzung der Steuerpflicht hier in Deutschland. ({1}) Schwarz-Gelb in Stuttgart und Schwarz-Gelb im Bund sorgen so, wie sie agieren, im Ergebnis dafür, dass dieser Verfassungsauftrag nicht realisiert werden kann. Solange nicht allen klar ist, wie es mit den Steuer-CDs weitergeht und dass gekauft werden kann, haben wir einen Fall von krassem Staatsversagen. ({2}) Dieses Versagen untergräbt das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in Rechtsstaat und Demokratie. Dafür sind Sie verantwortlich. Schwarz-Gelb ist dafür verantwortlich, dass dieses Vertrauen weiter untergraben wird. ({3}) Das ist auch ein zusätzlicher Beleg für die Richtigkeit des Vorwurfs der Klientelpolitik. Durch Ihr Verhalten können die Steuerhinterzieher in Deutschland wieder Hoffnung schöpfen, davonzukommen. ({4}) Den vielen ehrlichen Steuerzahlern in Deutschland wird wieder einmal vorgeführt, dass sie weiterhin zu den Dummen gehören sollen. Es zeigt sich an diesen Vorgängen erneut: SchwarzGelb scheitert an der Praxis. Schwarz-Gelb kann es nicht, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({5}) Die Wunschkombination Merkel-Westerwelle-Seehofer ist nicht realitäts- und nicht regierungstauglich. Das ist die Bilanz, die wir am heutigen Tag ziehen können. ({6}) Der neue baden-württembergische Ministerpräsident Mappus entpuppt sich schon in seinen ersten Amtstagen als politisches Leichtgewicht. Wir brauchen dringend und möglichst sofort ein klares und einheitliches Verfahren, wie die Länder mit den angebotenen Steuer-CDs umzugehen haben, jetzt und in allen zukünftigen Fällen. ({7}) Das kann nur der Bundesfinanzminister koordinieren, niemand sonst. Doch der hält sich, wie auch in anderen Fragen, vornehm zurück. Das kann man bei der Finanzmarktregulierung feststellen. Das kann man auch bei der Frage der Haushaltskonsolidierung - wie geht es mit den Schulden in Deutschland weiter? - feststellen. ({8}) Überall hält sich der vielfach gerühmte Herr Schäuble zurück. Es erfolgt faktisch kein Handeln im Interesse unseres Landes. Auch das müssen wir hier einmal klar feststellen. ({9}) Wir fordern den Bundesfinanzminister auf: Zeigen Sie Führung! Sorgen Sie dafür, dass das Chaos um die Steuer-CDs beendet wird! Geben Sie Ihre bemerkenswerte Zurückhaltung endlich auf! Auch in dieser Frage geht es im Kern darum, wer in den schwarz-gelben Regierungen den Takt vorgibt. Offensichtlich lässt Herr Mappus zu, dass ihm die FDP auf der Nase herumtanzt. ({10}) Was ist mit Frau Merkel? Was ist mit Herrn Schäuble? Frau Homburger hat heute ihre badenwürttembergischen Parteifreunde in deren Ablehnung des CD-Kaufs noch einmal vehement verteidigt. Wo ist Frau Homburger eigentlich? Das ist der ewige Konflikt zwischen der schwäbischen Hausfrau Merkel auf der einen Seite und der badischen Drossel Homburger auf der anderen Seite, den wir heute hier erleben können. ({11}) Wenn Frau Merkel und Herr Schäuble wirklich wollen, dass die Steuer-CDs angekauft werden, dann müssen sie auch dafür sorgen, dass das geschieht. ({12}) Zu Zeiten der Großen Koalition hat die SPD durch ihren Einsatz und ihre Initiative die Handlungsschwäche der Union und die auch bei der Union vorliegende Klientelorientierung übertüncht. Jetzt ist das anders. Jetzt werden die Entscheidungs- und Durchsetzungsdefizite von Frau Merkel für alle spürbar, und zwar in einer Situation, in der unser Land noch immer viele Probleme hat. Wir haben eigentlich keine richtige Regierung; da hat Sigmar Gabriel schon recht. Wir haben eine nicht funktionierende Koalition. Sorgen Sie dafür, dass aus dem, was wir hier erleben, einer permanenten Koalitionskrise, nicht ein Staatsversagen resultiert, wie das jedenfalls bis jetzt so war. ({13})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Nächster Redner ist der Kollege Leo Dautzenberg für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Leo Dautzenberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003067, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Poß, wenn Sie heute etwas früher in der Sitzung des Finanzausschusses gewesen wären, in der Sie nachher waren, und die Ausführungen des Staatssekretärs Koschyk zu diesem Thema gehört hätten oder sich von Ihren Kollegen hätten informieren lassen, dann hätten wir uns heute diese Aktuelle Stunde und vor allen Dingen Ihren Beitrag, der in keiner Weise sachgerecht war, sondern nur Szenarien in einem klassenkämpferischen Stil an die Wand gemalt hat, die jeder Grundlage entbehren, sparen können. ({0}) Sie haben schon darauf hingewiesen, dass wir das Thema Steuerbetrugsbekämpfung gemeinsam in der Großen Koalition auf den Weg gebracht haben. All diese Instrumentarien haben zum Erfolg geführt. ({1}) Lassen Sie uns das doch weiter ausbauen. ({2}) Das, was jetzt im Zusammenhang mit den Steuer-CDs zu sagen ist, ist heute Morgen wirklich ausführlich dargelegt worden. ({3}) Da gibt es keinen Dissens. Einen Teil Ihres Beitrages hätten Sie vielleicht Ihrem Oppositionsführer in BadenWürttemberg überlassen können, aber nicht hier im Bundestag zum Gegenstand der Diskussion machen sollen. ({4}) Wir haben einiges erreicht. Schauen Sie sich doch einmal die Situation in Nordrhein-Westfalen an, wie diese Sache gemeinsam mit dem Bund bisher abgearbeitet worden ist. Es gibt eine Vereinbarung der Steuerabteilungsleiter der Länder mit dem Bund, wie man mit solchen Vorgängen, Angebote zum Kauf von DatenCDs, umgeht. Es ist doch in jedem Einzelfall zu prüfen - auch das wurde heute deutlich -, wie man im Grunde verfährt. Wir wissen auch um das Dilemma, das nach wie vor besteht, dass in der Föderalismusreform II Regelungen zu eindeutigen Zuständigkeiten, die der Bund in diesem Bereich haben wollte, nicht gegen die Länder durchgesetzt werden konnten. ({5}) Hier geht es um die Zuordnung der Zuständigkeiten. Daran waren Sie doch beteiligt, als das beschlossen worden ist. Deshalb ist jeder Sachverhalt in diesem Zusammenhang immer auf den einzelnen, speziellen Fall anzuwenden. So ist es auch in Nordrhein-Westfalen passiert, wo diese Entscheidung im Endeffekt in der Zuständigkeit der Landesfinanzverwaltung liegt. Sie können doch nicht bei jedem Angebot sofort Ja sagen, ohne vorher die Stichhaltigkeit der Daten zu prüfen: ({6}) Sind das neue Tatbestände? Sind das vielleicht Tatbestände, die schon von der Finanzverwaltung begleitet werden? Zunächst einmal müssen die Fakten erhoben und der Sachverhalt aufgeklärt werden, ehe sie den Schritt vollziehen können. ({7}) - Verehrte Frau Kressl, Sie als Parlamentarische Staatssekretärin müssten eigentlich aufgrund Ihrer Sachkenntnis wissen ({8}) - ja, als ehemalige Staatssekretärin -, wie kompliziert manche Steuersachverhalte in den Beziehungen sind; dann können Ermittlungen manchmal ein Jahr lang dauern. Aber man sollte hier nicht das Gespenst an die Wand malen, damit sei der Rechtsstaat gefährdet. Wir als Politiker müssen unter rechtsstaatlichen Gesichtspunkten ehrlich zugeben, dass wir bei der Frage des Ankaufs in dem rechtlichen Dilemma sind, nach wie vor die Geltung des Rechtsstaats zu gewährleisten, aber auch der Durchsetzung des Steueranspruchs gerecht zu werden. Da kann man doch nicht sagen: Das wischen wir einfach weg. Vielmehr muss man das immer wieder neu erörtern. ({9}) Da ist die alte Regierung in der Großen Koalition zu einem Ergebnis gekommen. ({10}) - Was heißt „schneller gewesen“? Da waren die Fakten dann vielleicht eindeutig zuzuordnen. ({11}) Nehmen wir das Beispiel Nordrhein-Westfalen. Nordrhein-Westfalen hat jetzt berichtet - Herr Staatssekretär, ich glaube, der 26. Februar 2010 war das Datum -, die Landessteuerverwaltung NRW habe die CD gegen Entgelt erworben. Jetzt geht es darum, das umzusetzen. ({12}) Was haben wir bisher alles erreicht? Wir haben durch diese Maßnahmen des Staates, der Landesfinanzbehörden in Abstimmung mit dem Bund, mehr Selbstanzeigen bekommen; darüber werden die Bürger in die Steuerehrlichkeit geführt. ({13}) Damit ist auch erreicht worden, dass die Schweiz eher bereit ist, das Doppelbesteuerungsabkommen zum Abschluss zu bringen, wodurch wir vielleicht auch mit diesem Land zum gegenseitigen Informationsaustausch kommen. Also, dramatisieren Sie das nicht alles, ({14}) sondern lassen Sie den jeweiligen Stellen den zeitlichen Rahmen, der angemessen ist, richtungsweisende und sachlich richtige Entscheidungen zu treffen. Vielen Dank. ({15})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Für die Fraktion Die Linke hat das Wort die Kollegin Dr. Barbara Höll. ({0})

Dr. Barbara Höll (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000921, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Dautzenberg, hier dramatisiert niemand. ({0}) Die Situation ist dramatisch. ({1}) Wenn der Staat auf Machenschaften von Dieben zurückgreifen muss, wenn wir darauf angewiesen sind, dass uns Diebesgut angeboten wird, was Herr Koschyk als Ultima Ratio, als letzte Möglichkeit, darstellt, um einen gerechDr. Barbara Höll ten Steuervollzug zu realisieren, so sage ich Ihnen: Es ist inzwischen die einzige Möglichkeit, hier überhaupt gerechten Steuervollzug durchzusetzen. ({2}) Recht wird zunehmend ökonomisiert. Die Durchsetzung von Recht hängt von Kosten und Nutzen ab: Wie viel kostet die angebotene CD? Was bringt sie ein? Wie viel kostet die Bundesländer ein ordentlicher Steuervollzug? Was nimmt man dadurch ein? Das ist doch keine Rechtsstaatlichkeit mehr, sondern eine Verhöhnung des Rechtsstaates. ({3}) Steuerhinterziehung ist kein Kavaliersdelikt, sondern kriminell und bringt einen immensen Schaden für die Gesellschaft. ({4}) Steuerhinterziehung zerstört den Gerechtigkeitsgrundsatz der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit. Steuerhinterziehung ist sozial ungerecht und verschärft die Kluft zwischen Arm und Reich. Steuerhinterziehung lohnt sich nur für die, die eh schon haben. Jeder Hartz-IV-Empfänger und jede Hartz-IVEmpfängerin soll sich gläsern machen. Reiche und Vermögende dagegen werden mit Samthandschuhen angefasst und können daher in großem Stil Steuern hinterziehen. Selbst wenn sie nachweislich kriminell gehandelt haben, bleiben sie bei rechtzeitiger Selbstanzeige straffrei. Das ist ein zum Himmel schreiender Skandal. ({5}) Die Umgehung der Steuergesetze über Anlagen in Steuerparadiesen ist uns allen seit Jahren bekannt. Außer hilflosen Versuchen haben die verschiedenen Bundesregierungen in den letzten Jahren nichts gemacht. ({6}) Ich erinnere an das Fiasko von Finanzminister Eichel mit seiner Steueramnestie. Ich erinnere auch an den legendären Satz von Finanzminister Steinbrück, der die Abgeltungsteuer verteidigte, indem er sagte: Lieber 25 Prozent von x als 45 von nix. Das ist die Akzeptanz des faktischen Zustandes, dass diejenigen, die den Höchststeuersatz zahlen müssten, diesen gar nicht mehr zahlen, weil sie Steuern hinterziehen. Das ist einfach ein Skandal. ({7}) Wie haben Sie darauf reagiert? Mit Steuersenkungen! Sie haben die Abgeltungsteuer in Höhe von 25 Prozent eingeführt. Das, was ich zusätzlich einnehme, weil ich so viel Geld übrig habe, dass ich es anlegen kann und Zinsen bekomme, wird jetzt nicht mehr nach meinem persönlichen Steuersatz besteuert - hier findet das Gerechtigkeitsprinzip keine Anwendung mehr -, sondern es wird allgemein nur noch mit 25 Prozent besteuert. ({8}) Im Gegensatz zur vergangenen Woche - das ist wichtig -, als Herr Koschyk im Finanzausschuss sagte, die Entscheidung über den Ankauf der CDs sei allein die Entscheidung der Bundesländer, ({9}) sagte er in der heutigen Sitzung des Finanzausschusses, auf die Herr Dautzenberg schon hingewiesen hat: ({10}) Der Bund prüft, ob die CD, gegebenenfalls unter Mitwirkung einiger Länder bzw. der Länder, gekauft werden kann. Das hat er wirklich sehr kryptisch ausgedrückt. ({11}) Ich frage mich: Was prüft der Bund hier? Der Bund hat die Verantwortung für den bundeseinheitlichen Steuervollzug; ({12}) das ist eine ganz wesentliche Angelegenheit. Dieser Verantwortung werden Sie nicht gerecht. Herr Dautzenberg, Sie haben auf das Steuerhinterziehungsbekämpfungsgesetz der Großen Koalition verwiesen. Toll! Im Januar haben Sie selber ausgeführt: Nach den Kriterien dieses Gesetzes gibt es derzeit gar keine Steueroasen und Steuerparadiese. Es befindet sich kein Land mehr auf den sogenannten Schwarzen Listen. In Frankreich sieht man das anders. Frankreich hat jetzt festgestellt, dass 18 Länder sehr wohl als Steuerparadiese fungieren, und hat deshalb mit sofortiger Wirkung die Quellensteuer von 15 auf 50 Prozent erhöht. ({13}) Hinzu kommt: Selbst wenn wir schon ein Doppelbesteuerungsabkommen mit der Schweiz hätten, sodass die Auskunft geregelt wäre, wäre auch dieses Abkommen nach dem OECD-Maßstab wirkungslos, weil es keinen automatischen Auskunftsmechanismus gibt. Nehmen Sie das Beispiel der aktuellen Steuer-CDs. Nur weil auf der CD Namen genannt sind, haben die deutschen Steuerbehörden überhaupt eine Chance, zielgerichtet nachzuprüfen und nachzufragen. ({14}) Aber was, wenn man keine Namen kennt? Bei Grenzkontrollen gilt die Regelung: Wenn jemand mehr als 10 000 Euro mit über die Grenze nimmt, ist das anzeigepflichtig. Natürlich könnte man parallel dazu sagen: Kapitalbewegungen ins Ausland in Höhe von mehr als 100 000 Euro pro Jahr sind automatisch anzeigepflichtig. Warum machen wir nicht endlich wirkungsvolle Gesetze? Warum sorgen Sie nicht endlich auf internationaler Ebene für eine Verbesserung des OECD-Musterabkommens, sodass es dann tatsächlich Wirkung entfalten kann? ({15}) Hier haben Sie über Jahre nichts getan. An dieser Stelle muss ich leider auch die grüne Fraktion und auch die SPD in die Pflicht nehmen. ({16}) Dieses Trauerspiel, das Sie jetzt aufführen - wenn Ihnen schon keine andere Möglichkeit bleibt -, signalisiert den Steuerhinterzieherinnen und -hinterziehern doch nur, dass sie ruhig weitermachen können. Die „schönste“ Meldung, die wir heute im Finanzausschuss erhalten haben, war, dass von den 800 Fällen, die auf der aus Liechtenstein stammenden Steuer-CD enthalten waren, die ja nicht erst gestern gekauft wurde, mehrere 100 Fälle - wie viele 100 Fälle, wurde uns nicht gesagt - bis heute nicht abschließend bearbeitet sind. ({17})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Frau Kollegin, denken Sie an die Redezeit?

Dr. Barbara Höll (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000921, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Steuersünder und Steuersünderinnen können sich in Deutschland also weiter wohlfühlen. Ich danke Ihnen. ({0})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Nächster Redner ist der Kollege Dr. Volker Wissing für die FDP-Fraktion. ({0})

Dr. Volker Wissing (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003702, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herzlichen Dank, Frau Präsidentin. - Das Thema, über das wir in der heutigen Aktuellen Stunde diskutieren, sollte nach der ausführlichen Diskussion im Finanzausschuss am heutigen Morgen eigentlich erledigt sein. ({0}) Aber offensichtlich hat die SPD es noch nicht verstanden. Reden wir also ruhig darüber. Das Problem fängt schon mit dem Titel der Aktuellen Stunde an; ich weiß nicht, wer von Ihnen ihn sich ausgedacht hat. Sie wollen, dass wir über Steuer-CDs und deren Ankauf reden. Für mich war eine Steuer-CD bisher immer eine CD, auf der ein Programm ist, mit dem man eine Steuererklärung abgeben kann. ({1}) Sie verstehen darunter offensichtlich etwas anderes. Jedenfalls wirft dieser Begriff mehr Fragen auf, als er beantwortet. Reden wir nur über Steuer-CDs oder auch über Steuer-DVDs, USB-Sticks oder Speicherkarten, vielleicht auch über ausgedruckte Geschäftsunterlagen? ({2}) Sei es drum, der Kern des Problems ist nicht die sprachliche Nachlässigkeit der SPD. ({3}) Der Kern des Problems ist, dass Sie eine einheitliche Praxis für Dinge fordern, die nicht einheitlich sind. Es ist ein Unterschied, ob man dem Finanzamt Daten anbietet, die einen kriminellen Hintergrund haben, oder ob überwiegend persönliche Angaben von Bürgerinnen und Bürgern enthalten sind. ({4}) Nicht alles, was gleich erscheint, ist auch gleich. Ich finde es gut, dass sich der Staat ein angemessenes Mindestmaß an Differenzierung erlaubt. ({5}) Die Bekämpfung von Steuerhinterziehung ist zweifellos ein wichtiges Anliegen, und dass die Bundesregierung hier sehr entschlossen vorgeht, hat sie unter Beweis gestellt. Aber ebenso wichtig ist es, dass der Staat dabei rechtsstaatlich einwandfrei handelt. In einem Rechtsstaat heiligt der Zweck nicht die Mittel. ({6}) Deshalb kommt es immer auf den Einzelfall an, und deshalb darf man, ja, muss man jeden Einzelfall gesondert bewerten. Was Sie fordern, ist doch nichts anderes, als dass der Staat in einem verfassungsrechtlich und rechtsstaatlich relevanten Bereich die Fälle holzschnittartig abarbeitet. Genau dies machen wir nicht mit. ({7}) Wenn man Ihnen zuhört, meint man, sämtliche Datenträger, über die wir diskutieren, seien der SPD in Kopie angeboten worden. Die SPD weiß alles darüber. Sie reden, als hätten Sie alle Informationen persönlich vorliegen. Sie wissen genau, dass es sich hier nur um Daten von Steuerhinterziehern und nicht etwa auch um persönliche, schützenswerte Daten von Unternehmen oder Privatpersonen handelt. All dies wissen Sie. Wenn Sie diese Aktuelle Stunde nicht aus reinem Populismus beantragt haben, gibt es im Grunde nur zwei Möglichkeiten: Entweder reden Sie von Dingen, von denen Sie im Detail keine Ahnung haben, oder Sie sind mit der internationalen Datenhehlerszene besser vernetzt als jeder andere hier im Raum. ({8}) Sie verlangen von der Bundesregierung, dass sie erklärt, grundsätzlich alle Daten über Steuerhinterziehung ohne genaue Prüfung des Einzelfalls anzukaufen. Haben Sie das einmal zu Ende gedacht, Herr Kollege Poß? ({9}) Nehmen wir einmal an, eine Terrororganisation - sagen wir, al-Qaida - verkauft eine Daten-CD. Dürfen wir dann die SPD mit den Worten „Kaufen um jeden Preis“ zitieren? ({10}) Sie können doch genauso wenig wissen, wer im Einzelfall welche Daten anbietet und woher sie stammen. Trotzdem fordern Sie hier ernsthaft Blankoschecks. ({11}) Sie lehnen sich ganz schön weit aus dem Fenster. ({12}) Deswegen werden wir hier mit den Stimmen der FDP auch nicht beschließen, dass der Staat jeden Datenträger ankauft, der ihm von wem und woher auch immer angeboten wird. Das machen wir nicht mit. ({13}) Der Staat muss Steuerhinterziehung konsequent bekämpfen. Es ist auch überhaupt nichts Verwunderliches oder Problematisches dabei, dass zwischen einzelnen Bundesländern unterschiedliche Datenkäufe unterschiedlich beurteilt werden. Ich verstehe nicht, wo Sie ein Problem haben. ({14}) In der Föderalismuskommission haben wir über zwei Jahre lang darüber diskutiert, ob wir eine stärkere Vereinheitlichung der Steuerverwaltung wollen. ({15}) In dieser Kommission gab es dafür erkennbar keine Mehrheit. Sie kennen die Rechtslage ganz genau. Wir haben einen kooperativen Föderalismus. Trotzdem stellen Sie sich hier hin und tun gegenüber der Öffentlichkeit so, als wären unterschiedliche Meinungen zwischen einzelnen Ländern und dem Bund in Steuerfragen ein aktuelles Problem dieser Bundesregierung. ({16}) Herr Poß, das ist absurder Unsinn und sonst gar nichts. ({17}) Was werfen Sie denn dieser Bundesregierung eigentlich vor? ({18}) Dass sie Steuerhinterziehung konsequent verfolgt und dabei unsere Verfassung fest im Blick hat? Stört Sie das wirklich? Uns stört es nicht. ({19}) Ginge es Ihnen wirklich um den engagierten Kampf gegen Steuerhinterziehung, hätten Sie uns an Ihrer Seite. ({20}) Was Sie machen, ist blanker Populismus. Um es noch einmal klar zu sagen: Unterschiedliche Entscheidungen in verschiedenen Bundesländern sind kein Problem, sondern Ausdruck eines funktionierenden Rechtsstaates, ({21}) eines Staates, der sorgfältig prüft, wo es etwas zu prüfen gibt, und der sich auch traut, Nein zu sagen, wenn es rechtsstaatlich nicht anders vertretbar ist. ({22}) Ihnen mag ein solcher Rechtsstaat eine Last sein. Für Sie mag es eine Freude sein, die eigentlichen Stärken unseres Staates als vermeintliche Schwächen darzustellen. ({23}) Für uns bleibt ein Staat trotzdem stärker, wenn er den Aufwand auf sich nimmt, jeden problematischen Fall einzeln präzise zu bewerten. Dafür stellen wir uns auch ausgesprochen gerne der öffentlichen Diskussion mit Ihnen. ({24}) Vielleicht stellen am Ende dann auch Sie fest, dass Ihre Forderung nach einer standardisierten Praxis beim Kauf von Steuer-CDs ({25}) keine wirklich durchdachte Idee ist. Zumindest dann hätte sich diese Aktuelle Stunde irgendwie gelohnt. Danke schön. ({26})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Das Wort hat nun der Kollege Dr. Gerhard Schick für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Dr. Gerhard Schick (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003837, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Interessant ist, was die Redner der Koalition alles nicht gesagt haben. ({0}) Sie haben nicht erwähnt, dass es bei Ihnen eine heftige Diskussion darüber gibt, ob der Rechtsstaat solche Daten ankaufen soll oder nicht. ({1}) Da gab es durchaus ein paar gute, nachdenkliche Beiträge. An einer Stelle - dazu gab es auch Beiträge aus Ihren Reihen - wird die Sache aber verlogen: Beim SWIFT-Abkommen, bei der Kronzeugenregelung, bei der Vorratsdatenspeicherung geht man über Datenschutzbedenken locker hinweg. Wenn es aber um den weißen Kragen bei der Kriminalität geht, kommen plötzlich Rechtsstaatsbedenken. Das machen wir nicht mit. ({2}) Interessant war auch, was wir heute im Finanzausschuss gehört haben. Herr Koschyk hat gesagt: Im Ergebnis wird es auch bei der CD, um die es in BadenWürttemberg geht, so ausgehen wie bei der CD, um die es in Nordrhein-Westfalen ging. Das heißt, die Position des neuen Ministerpräsidenten von Baden-Württemberg ist irrelevant. Herr Mappus hat laut gekläfft, aber nichts erreicht. ({3}) Das ist umso bemerkenswerter, wenn man weiß, dass Herr Mappus wegen seiner häufig bissigen Art - er hat seine machtpolitischen Interessen in seiner Partei durchaus mit Verve vorangetrieben - von vielen in BadenWürttemberg „Mappi-Schnappi, das Krokodil“ genannt wird. Ich würde mir wünschen, dass er diese Bissigkeit nicht nur dann zeigt, wenn es um seine Machtinteressen geht, sondern auch dann, wenn es um die Bekämpfung von Steuerkriminalität in Baden-Württemberg und im Bund geht. ({4}) - Herr Dautzenberg, ich komme sehr gerne auf den Bund zu sprechen. Ich finde, das Wichtigste ist, dass wir jetzt nicht allein über die 10 Prozent zusätzlicher Steuererträge, die wir aus der Schweiz bekommen, reden, sondern über die 90 Prozent nichterklärter Steuererträge, die wir nicht bekommen. Da muss die Bundesregierung handeln. ({5}) Angesichts der immensen Summe Schwarzgeld, die in der Schweiz liegt - Schätzungen gehen von 131 Milliarden Euro aus -, frage ich: Wie kann es sein, dass die Bundesregierung zum 1. Januar 2010 erklärt hat: „Es gibt keine Steueroase, auf die wir das Steuerhinterziehungsbekämpfungsgesetz anwenden sollten“? Das finde ich skandalös. ({6}) Natürlich gibt es nach wie vor Steueroasen; ich könnte reihenweise Länder aufzählen. Unser Nachbarland Frankreich hat 18 Länder als Steueroasen deklariert und ist dabei, Maßnahmen zu ergreifen. Hier ist in den letzten Monaten etwas kaputtgegangen. Bislang waren Deutschland und Frankreich bei dem Thema „Kampf gegen Steuerflucht und Steuerhinterziehung“ immer gemeinsam unterwegs. ({7}) Das war wichtig für das gemeinsame Vorankommen in Europa. Jetzt verlassen Union und FDP diesen Weg. Sie tun jetzt so, als würden Sie die Steuerflucht bekämpfen, wenn Sie Daten, die Ihnen angeboten werden, kaufen. Dass Sie passiv warten, bis Ihnen Daten angeboten werden, ist nicht das, was wir von Ihnen erwarten. Wir erwarten, dass Sie aktiv gegen Steuerhinterziehung vorgehen, unter Nutzung der gesetzlichen und rechtlichen Möglichkeiten. ({8}) Ich fordere Schwarz-Gelb auf, in Baden-Württemberg wie im Bund, von der Bremse zu gehen und aktiv zu werden im Kampf für Steuergerechtigkeit in Deutschland. ({9}) Es kamen einige hochnäsige Bemerkungen über Griechenland, darüber, wie die Steuergerechtigkeit in Griechenland durchgesetzt wird und wie die Steuerverwaltung dort aufgesetzt wird. Aus diesem Grunde möchte ich in Erinnerung rufen, was der Bundesrechnungshof geschrieben hat: Die Gleichmäßigkeit der Besteuerung in Deutschland ist nicht gewährleistet. ({10}) Ich finde, das zeigt, dass wir auch in unserem Land etwas tun müssen. Nichts tun, passiv zuschauen, so sollten Sie nicht weitermachen! Gehen Sie runter von der Bremse! Tun Sie endlich aktiv etwas gegen Steuerflucht! ({11})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Nächster Redner ist der Kollege Dr. Hans Michelbach für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Hans Michelbach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002738, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Die CDU/CSU-Fraktion ist den Zielen verpflichtet, Steuergerechtigkeit zu erreichen, Steuerhinterziehung zu bekämpfen, die Gleichmäßigkeit der Besteuerung bundesweit herzustellen, die Einheitlichkeit des Verwaltungshandelns zu prüfen und die Zusammenarbeit der Steuerverwaltungen der Länder im föderalen System zu garantieren. Diese Grundsätze wurden durch den Bundesfinanzminister auch beim Kauf von Steuer-CDs aus der Schweiz in der aktuellen Praxis beachtet; das ist Fakt. ({0}) Dass wir heute hier in dieser Aktuellen Stunde geradezu einen Popanz an die Wand gemalt bekommen, es gäbe ein Staatsversagen, ist der durchsichtige Versuch, mit der Steuerhinterziehung ein politisches Geschäft zu machen. Das ist unanständig, ({1}) weil wir die Steuerhinterziehung aktiv bekämpfen. Da dies ausgerechnet von der SPD getan wird - hier muss man der Frau Dr. Höll von den Linken ausnahmsweise einmal recht geben -, frage ich: Was haben Sie eigentlich in den letzten elf Jahren gemacht, in denen Sie den Bundesfinanzminister gestellt haben? ({2}) Sie haben über die Schweiz debattiert und ihr angedroht, die Kavallerie dorthin zu schicken. Getan und erreicht haben Sie aber nichts; das ist eine Tatsache. ({3}) Es bleibt festzuhalten: Die Bundesländer entscheiden in Verbindung mit dem Bundesfinanzministerium über den Kauf. So hat Nordrhein-Westfalen am 26. Februar 2010 im Einvernehmen geprüft und gekauft. Im sogenannten Fall Baden-Württemberg ist das Ankaufsangebot zunächst - das muss man festhalten - beim Bundeszentralamt, also beim Bund, angekommen, und das Bundesfinanzministerium hat die Steuerverwaltung des Landes Baden-Württemberg daraufhin um Prüfung gebeten; denn nur so funktioniert natürlich die Aufklärung unbekannter Steuerfälle. Baden-Württemberg hat geliefert. Sie können sich jetzt doch nicht hier hinstellen und sagen, es gebe eine Strafvereitelung im Amt, wie Sie das dem Herrn Mappus vorwerfen. Das, was Sie hier machen, ist unanständig. ({4}) Deswegen ist ganz klar: Der Ankauf durch den Bundesfinanzminister in Verbindung mit einem betroffenen Bundesland ist jederzeit gesichert. Damit gibt es eine Bekämpfung der Steuerhinterziehung in diesem Land. Das führt zum gleichen Ergebnis wie in dem Fall, als das Bundesland Nordrhein-Westfalen diese Dinge gekauft hat. Wir haben das gleiche Ergebnis erzielt. Der Vorwurf der SPD, Baden-Württemberg würde sich zu einer Steueroase entwickeln, ist geradezu absurd; denn die Informationen wurden ja von der Steuerverwaltung des Landes Baden-Württemberg geliefert. Fakt ist: Es gibt keine Pflichtverletzung in Deutschland. ({5}) Es gibt natürlich einen Handlungsbedarf in der Schweiz; das muss man hier klar feststellen. Die Schweiz darf kein Schwarzgeld mehr ins Land lassen. Die Schweiz muss auch ausländische Steuerbehörden zu ihrem Recht kommen lassen. Die Schweiz sollte die internationalen OECD-Regeln umsetzen. Die Schweiz sollte jetzt die Steuerhinterziehung mit einem Doppelbesteuerungsabkommen austrocknen. Damit wäre jeder Kauf einer Schweizer CD mit Steuerdaten natürlich ohnehin obsolet. Es kommt natürlich immer wieder zu sehr zweifelhaften Trittbrettfahrten. Deswegen muss insgesamt auch geprüft werden, ob hier inhaltlich wirklich etwas vorhanden ist. Man kann hier nicht von vornherein pauschal von einer Steuerhinterziehung ausgehen, ({6}) sondern man muss das im Detail sehr intensiv prüfen, und das geschieht. ({7}) Die Schweiz und der Schweizer Finanzminister Merz haben signalisiert, dass sich etwas bewegt. Es geht letzten Endes darum, legale Verhältnisse zu schaffen und einen Steuerfrieden in Europa zu erreichen. Lassen Sie uns gemeinsam dafür arbeiten, anstatt in einer solchen Aktuellen Stunde durch Krakeelerei letzten Endes nur Politikverdrossenheit herstellen. ({8}) Ich kann Ihnen nur sagen: Hier ist fachliche, sachliche Arbeit gefragt. Das, was Sie hier veranstalten, dient nicht diesem Ziel. ({9}) Lassen Sie uns konkret daran arbeiten! Der Versuch, mit Steuerhinterziehung ein politisches Geschäft zu machen, ist völlig absurd. Deswegen lassen wir uns dies nicht gefallen. Auch wenn Sie jeden Tag sagen, hier werde Klientelpolitik betrieben, ({10}) ist das nur Ihre politische Agitation. Vielen Dank. ({11})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Nächster Redner ist der Kollege Christian Lange für die SPD-Fraktion. ({0})

Christian Lange (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003168, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Verehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Mein Gott, was für ein Durcheinander bei mir zu Hause in Baden-Württemberg! Unser neuer Ministerpräsident hat bei seiner ersten Entscheidung von Gewicht - vorgeführt von der FDP - eine Fehlentscheidung getroffen. ({0}) Überlegen Sie sich einmal: Was bedeutet das wohl für die Steuermoral derjenigen, die hart arbeiten und jeden Monat ihre Steuern zahlen? Was denken die wohl von einer solchen Haltung? ({1}) Hinzu kommt der Vorschlag des stellvertretenden Ministerpräsidenten, Herrn Goll, die Hartz-IV-Sätze zu kürzen, während man die Steuerbetrüger laufen lässt. Was ist das eigentlich für eine Politik? ({2}) Sie ist weder christlich noch liberal. Herr Mappus lässt sich nicht nur vorführen; er handelt auch nicht selbst: Er versteckt sich. Wer hätte das gedacht? ({3}) Er versteckt sich vor dem Bund und vor den Bundesländern, die gegebenenfalls einspringen. Lieber Herr Kollege Koschyk, ich frage Sie: Was haben Sie eigentlich mit dem Ministerpräsidenten von Baden-Württemberg gemacht? Da lese ich in der FTD: Ich bin seit meiner Bundeswehrzeit noch nie so arrogant behandelt worden wie von den Vertretern des Bundesfinanzministeriums … ({4}) Ja, meine Güte, was haben Sie mit ihm gemacht? Zahlt Baden-Württemberg jetzt wenigstens seinen Anteil? Ich möchte gleich die Antwort auf diese Frage von Ihnen hören: ({5}) Stellt sich das Land seiner Verantwortung? Ja oder nein? Herr Koschyk, wenn wir schon bei Ihnen sind: Die meisten von uns waren auch letzte Woche hier. Es ging um dasselbe Thema, allerdings nicht in einer Aktuellen Stunde, sondern in der Fragestunde. Es ist schon interessant, wie Sie sich gewendet haben. Am Mittwoch, dem 24. Februar, haben Sie doch gesagt: Unabhängig hiervon hat aber das Bundesministerium der Finanzen dem Finanzministerium des Landes Baden-Württemberg bereits mitgeteilt, dass es den Datenankauf in dem vorgetragenen Fall für rechtlich zulässig hält. Die Entscheidung über den Datenankauf liegt aber letztendlich beim Land Baden-Württemberg. Am Nachmittag des 24. Februar hörte man, dass der Ministerpräsident mit dem Herrn Bundesfinanzminister telefoniert habe. Da sei verabredet worden, dass der Bund kaufen wird. Laut Stuttgarter Zeitung vom 1. März dementiert das Bundesfinanzministerium am 26. Februar diese Vereinbarung. Am Sonntag, dem 28. Februar, erklärt Schäubles Sprecher Michael Offer, der Bund sei Christian Lange ({6}) bereit, die dem Land angebotenen Daten „zum Ankauf entgegenzunehmen“. Zwar sei die Steuerverwaltung nach dem Grundgesetz grundsätzlich Sache der Länder; bei den Gemeinschaftssteuern würden die Länder jedoch im Auftrag des Bundes handeln. Schließlich haben wir eben die allerletzte Wendung aus dem Ausschuss für Finanzen gehört: Unter bestimmten Umständen kauft der Bund vielleicht doch noch. Ich freue mich, wenn es am Ende zum Ankauf kommt; das ist das Ziel der ganzen Aktion. Es kann aber von einer Stringenz dieser Bundesregierung überhaupt keine Rede sein. ({7}) Nur wenn der öffentliche Druck gerade groß ist, handeln Sie, und zwar nur wegen dieses Drucks. Ich möchte schon von Ihnen wissen - auch danach hatten wir gefragt -: Was ist eigentlich mit den Beamten, die das durchsetzen müssen, auch in Baden-Württemberg? Dazu haben Sie vor einer Woche hier erklärt, dass sich diese Beamten nicht strafbar machen; das war die Position des Landes Baden-Württemberg. Das BMJ antwortet auf diese Frage allerdings etwas kryptischer. Da heißt es nämlich in der Antwort des BMJ auf Frage 77: Das Bundesministerium der Finanzen ist für den Vorgang zuständig. Ihm liegen daher die erforderlichen Informationen vor. Letztlich überprüfen und entscheiden diese Frage die Staatsanwaltschaften und Gerichte. Das entspricht nicht Ihrer Rechtsauffassung, dass sich diese Beamten nicht strafbar machen würden, die Sie letzte Woche noch vertreten haben. Ich frage mich, wie sie das eigentlich umsetzen sollen. ({8}) Das ist doch keine Politik, was Sie hier machen; es ist ein einziges Durcheinander. Zu Nordrhein-Westfalen, Baden-Württemberg, Hessen und Bayern sage ich Ihnen: Bringen Sie die FDP auf Kurs! Der liebe Kollege Stadler lächelt wieder zu allem. ({9}) In einem Interview hat er gesagt, das sei alles rechtlich bedenklich. Das war’s dann. Bringen Sie die FDP auf Kurs! Handeln Sie einheitlich als Bundesregierung, verehrter Herr Koschyk, und zwar FDP und CDU/CSU gemeinsam! Überprüfen Sie, von mir aus auch ein Jahr! Aber wenn Sie geprüft haben und der Auffassung sind, dass das Angebotene valide ist, dann kaufen Sie auch! Kaufen Sie bei uns in BadenWürttemberg, in Nordrhein-Westfalen, Hessen und Bayern! Kaufen Sie im gesamten Bundesgebiet! Herzlichen Dank. ({10})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Nächster Redner ist der Kollege Stephan Thomae für die FDP-Fraktion. ({0})

Stephan Thomae (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004175, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Staat ist in einem klassischen Zielkonflikt: Einerseits ist es Aufgabe des Staates, die Steuern einzufordern, die ihm zustehen, und Steuerstraftäter zu verfolgen. Andererseits ist auch der Verrat von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen eine Straftat. Ich empfehle allen, die hier so laut tönen, einen Blick in § 17 Abs. 2 UWG zu werfen. Darin ist es geregelt. Es gibt im Übrigen auch eine Entscheidung des Landgerichts Bochum vom 22. April 2008, in der ausdrücklich offengelassen worden ist, ob beim Ankauf der Steuerdaten aus Liechtenstein durch den BND die Strafbarkeit nach § 17 Abs. 2 UWG gegeben ist. Es ist auch eine Verfassungsbeschwerde anhängig, die abzuwarten ist. Wir sollten uns nicht unbedingt in Eile bringen lassen und in schwebende Verfahren eingreifen. ({0}) Die vorliegenden Fälle werfen viele Fragezeichen auf. Über die Herkunft der Daten ist uns wenig bis fast nichts bekannt. Eine sorgfältige Prüfung in allen Einzelfällen ist dringend anzuraten und notwendig. ({1}) Eine solche Prüfung kann in einem Fall so und im anderen Fall anders ausgehen. Deswegen ist eine einheitliche Praxis, wie sie heute von Ihnen verlangt wird, nicht nötig und nicht einmal möglich. Nicht alle Fälle lassen sich über einen Kamm scheren. Wir müssen abwägen. Einerseits geht es um die Erhaltung des Grundsatzes der einheitlichen Besteuerung und um das staatliche Strafverfolgungsinteresse bei Steuerstraftaten. Andererseits bleibt aber ein rechtsstaatliches Unbehagen. Wir können die Strafbarkeit, um die es hier geht, nicht völlig ausschließen. Der Rechtsstaat sollte uns viel wert sein. ({2}) Wir können doch Straftaten nicht durch neue Straftaten bekämpfen. Der Staat darf nicht den Datendieb ermuntern, indem er ihn straffrei stellt oder sogar eine Belohnung verspricht, wenn er ihn nur an der Beute beteiligt. Der Rechtsstaat darf Straftätern nicht Absolution erteilen, nur weil der Dieb den Staat zum Nutznießer und somit am Ende gar zum Komplizen seiner Tat macht. ({3}) Niemand, der fair diskutiert und rechtsstaatliche Grundsätze ernst nimmt - Herr Poß ist leider schon weg2294 gegangen -, wird uns vorwerfen wollen, wir wollten Steuerstraftäter schützen. Der Unterschied ist nicht etwa, dass Sie Straftäter bestrafen wollen und wir nicht. Der Unterschied ist, dass wir es mit rechtsstaatlichen Grundsätzen etwas genauer nehmen als manch anderer, der schnell aus der Hüfte schießt und gleich die Kavallerie schicken will. ({4}) Die Rechtslage bleibt schwierig. Deswegen sollten wir unser Augenmerk auf zwei Dinge richten. Das eine ist, dass wir deutlich machen sollten, dass wir es als Staat nicht als freundschaftliche Geste empfinden können, wenn Nachbarländer durch eine Unterscheidung zwischen Steuerhinterziehung und Steuerbetrug denen, die unserem Staat Geld schuldig bleiben, Schutz und Deckung bieten. ({5}) Hier ist der Bundesfinanzminister gefordert. Jetzt geht es darum, die im März weiterlaufende Runde zur Aushandlung eines Doppelbesteuerungsabkommens mit der Schweiz zügig fortzusetzen und einen vernünftigen Datenaustausch mit hineinzuverhandeln, damit wir in Zukunft nicht mehr darauf angewiesen sind, auf dubiosen Wegen zu unseren Steuern zu kommen. Das sind Dinge, die in der Vergangenheit hätten längst geschehen können. Aber Sie haben das versäumt. Das werfen Sie uns nun vor. ({6}) Das Zweite ist, dass wir eine höhere Akzeptanz für unser Steuersystem brauchen. Es geht nicht nur um Steuerflucht ins Ausland, sondern auch um Steuerhinterziehung zum Beispiel durch Schwarzarbeit. Das wird es auch immer geben. Aber wir müssen die Anreizschwelle für Steuerstraftatbestände senken. Hier haben wir großes Vertrauen in Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von unserem Koalitionspartner, und in das Bundesfinanzministerium. Wir wissen sehr wohl um die Bedenken, Einwände und Vorbehalte. Aber wir vertrauen sehr darauf, dass das gemeinsam Beschlossene weiterhin das gemeinsam von uns allen Gewollte ist. Es bedarf sicherlich großer Kraftanstrengungen. Aber wir wollen diese ehrgeizige Aufgabe schultern, und zwar mit Ihnen gemeinsam. Vielen Dank. ({7})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Herr Kollege Thomae, das war Ihre erste Rede im Deutschen Bundestag. Ich gratuliere Ihnen sehr herzlich dazu und wünsche Ihnen für die weitere Arbeit alles Gute. ({0}) Nun hat die Kollegin Nicolette Kressl das Wort für die SPD-Fraktion. ({1})

Nicolette Kressl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002706, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich will mit einer hoffentlich - davon gehe ich aus - gemeinsamen Überzeugung beginnen: Steuerhinterziehung ist keine lässliche Sünde. Steuerhinterziehung ist eine Straftat und muss entsprechend hart und deutlich verfolgt werden. ({0}) - Herr Michelbach sagt, das sei nichts Neues. - Ja, das kann hier sicherlich jeder unterschreiben. Aber es nutzt den Bürgerinnen und Bürgern nichts, wenn das nur in Worten formuliert wird. Es müssen immer konkrete Taten folgen. Daran werden wir alle gemessen, übrigens in ganz Deutschland; das ist doch der entscheidende Punkt. In jedem Bundesland müssen den Worten auch entsprechende Taten folgen. ({1}) Denn wer als Bundesland sagt, man wolle die Verantwortung für den Steuervollzug übernehmen, muss diese Verantwortung dann auch wahrnehmen. Genau dies erleben wir zum Beispiel in Baden-Württemberg gerade nicht. Ich will Ihnen deutlich machen, warum es so wichtig ist, dass der Steuervollzug überall gleich ist. Der Bund hat nicht nur formal die Verpflichtung, überall für einen gleichmäßigen Steuervollzug zu sorgen. Es geht auch darum, dass die Menschen den Eindruck haben müssen: Überall in Deutschland wird mit der gleichen Vehemenz dafür gesorgt, dass hinterzogene Steuern eingetrieben werden. Wenn dies nicht der Fall ist, dann müssen die Steuerehrlichen wegen der Steuerunehrlichen höhere Lasten tragen. Was ist in den letzten Tagen passiert? Es gab ein kleines Wechselspiel - oder sollen wir es „Wechselkampf“ oder „Ringkampf“ nennen? - zwischen Baden-Württemberg und dem Bund. ({2}) Es hilft ein Blick in die Zeitungen; der Kollege Lange hat gerade etwas vorgelesen. Zuerst hat Baden-Württemberg gesagt: Wir bieten es dem Bund an, weil wir nicht kaufen. - Dann hat Baden-Württemberg - noch gestern gesagt: Es gibt für uns überhaupt keinen Grund, dem Bund die Daten zu übermitteln. - Nun hören wir heute, dass der Bund die Daten prüft. Also müssen die Daten doch übermittelt worden sein. Jetzt soll einer noch sagen, hier handele es sich um eine ernst zu nehmende, klare Linie. Das ist genau das Hickhack, das schon mehrfach beschrieben wurde. Daran gibt es nichts zu deuteln. ({3}) Der entscheidende Punkt ist: Bei diesem Hickhack geht unter, dass es eine gemeinsame Verantwortung geben muss. Ich erlebe als Baden-Württembergerin, dass die FDP in Baden-Württemberg plötzlich einen großen Schutzschirm über die Steuerhinterzieher ausklappt. ({4}) - So ist es. - Wenn ich höre und lese, was Frau Homburger dazu sagt, dann muss ich fest davon ausgehen, dass dieser Schutzschirm noch erweitert wird. Offensichtlich gibt es auch immer noch keine Klarheit in der Bundesregierung, was die rechtliche Bewertung angeht. Das alles sind Punkte, die die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler verunsichern und ihnen nicht das Gefühl geben, dass hier eine klare Kante entwickelt wird. ({5}) Wir haben also gehört: Offensichtlich hat BadenWürttemberg Daten übermittelt, offensichtlich wird jetzt gekauft, wenn die Daten stichhaltig sind. Ich sage dazu: Es ist völlig abstrus, zu glauben, die stichprobenhafte Überprüfung der Daten könnte ein Jahr dauern und das sei keine politische Verzögerung, sondern der Komplexität geschuldet. ({6}) Das ist vorne und hinten nicht realistisch. Es ist, wie gesagt, die Verpflichtung des Bundes, für einen einheitlichen Steuervollzug zu sorgen. Offenbar wurde es dem BMF zu bunt mit Baden-Württemberg. Ich habe eine Vermutung bezüglich der Daten, die nun plötzlich übermittelt worden sind. Man weiß es nicht, aber sollte es eine Einzelweisung geben, da Herr Mappus jetzt plötzlich doch Daten schickt? Ich persönlich habe damit kein Problem. Ich halte das für eine Verpflichtung. Aber dieses Spiel kann man den Menschen doch nicht zumuten. ({7}) Deshalb sagen wir - Herr Wissing, Ihre Rede war eine einzige Ablenkung -: Selbstverständlich muss es einen einheitlichen Rahmen der Kriterien für derartige Abläufe geben. Es geht doch nicht darum, dass alles über einen Kamm geschoren wird. ({8}) Aber wenn in Zukunft ein solch unwürdiges Hickhack vermieden werden soll, dann ist völlig klar, dass der Bund die Initiative ergreifen und deutlich machen muss, dass es gleiche Regeln für die Prüfung gibt. Diese können eine Einzelfallprüfung beinhalten, aber ich will nicht dieses Theater mit dem ständigen Hin und Her. ({9}) Ich will, dass sich alle Länder an bestimmte Regeln halten. Dann braucht Herr Mappus auch keine Kehrtwendungen zu machen, sondern kann sich an Regeln und Kriterien halten. ({10}) Das ist der Weg, den wir einschlagen sollten. Sollte es eine erkennbare Initiative des Bundes geben, solche Regeln aufzustellen, dann können Sie, wenn die Initiative in Ordnung ist, mit unserer Unterstützung rechnen. Vielen Dank. ({11})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Nächster Redner ist der Kollege Olav Gutting für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Olav Gutting (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003544, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Die Steuerverwaltungshoheit wird in Bezug auf die Gemeinschaftssteuern im Auftrag des Bundes von den Länderfinanzbehörden wahrgenommen. Der Ankauf der Steuerdaten ist somit ebenso wie die Strafverfolgung von Steuersündern eigentlich Sache der Länder, und damit könnten wir die Diskussion heute beenden. Aber es wäre schwerlich nachzuvollziehen, wenn angebotene Daten in einem Bundesland zur Strafverfolgung führten, in anderen Ländern aber nicht. ({0}) Deshalb muss der Bund mit dem Bundeszentralamt im Rahmen der Möglichkeiten darauf hinwirken, dass es hier zu einem einheitlichen Vorgehen kommt. ({1}) Das ist zweckmäßig, es ist aus Gerechtigkeitsgründen geboten, und deswegen wird es auch so gemacht. ({2}) Deswegen ist die Aktuelle Stunde heute schlicht unnötig; das ist Kasperletheater der Opposition. ({3}) Im Prinzip gibt es zwei grundsätzliche Fragen zu klären, zum einen die ethisch-moralische Frage und zum anderen die rechtliche Frage. Ethisch-moralisch halte ich den Ankauf der angebotenen Steuerdaten und die Vermittlung dieser Daten an verwertungswillige Landesbehörden für richtig. Eine effiziente Strafverfolgung von Steuersündern ist im Interesse des Staates und damit der Allgemeinheit. Dieser Anspruch ist jedenfalls höher zu bewerten als ein zweifelhaftes Interesse von einzelnen Steuersündern am Datenschutz. ({4}) Wir als gesetzestreue Steuerzahler haben alle einen Anspruch darauf, dass der Staat Steuersünder zur Kasse bittet. ({5}) Geschätzte 30 Milliarden Euro werden jedes Jahr am Finanzamt vorbeigeschleust. Nicht alles davon geht in die Schweiz, und beileibe ist nicht alles davon von den Großverdienern. Auch die Kleinen tragen ihren Teil zur Steuerhinterziehung bei, auch wenn es nur im Zusammenhang mit der Pendlerpauschale die Kilometerangabe in der Steuererklärung ist, wenn einige Kilometer mehr angesetzt werden. Dazu gehört auch die Erschleichung von Sozialleistungen. Dieses Geld fehlt uns allen für die Bildung, für die Infrastruktur, für den Verkehr und für die innere Sicherheit. Deswegen können wir bei solchen Straftaten nicht tatenlos zusehen. ({6}) Das Zweite ist die rechtliche Seite. Es ist festzuhalten, dass die angekauften Informationen keine Hehlerware sind. ({7}) Daten kann man im Gegensatz zu Sachen nach dem deutschen Strafgesetzbuch nicht stehlen. Damit gibt es auch den Tatbestand der Datenhehlerei schlicht nicht. ({8}) Eine Beteiligung des Staates in Form einer Beihilfe oder Anstiftung ist ebenfalls ausgeschlossen. Wenn man sieht, dass die im Ausland möglicherweise begangenen Taten in Form eines Geheimnisverrats oder eines Ausspähens von Daten schon abgeschlossen sind, dann ist klar, dass es keine Beihilfe oder Anstiftung von deutscher Seite geben kann. Auch was die Datenverwertung anbelangt, ist nach dem Ankauf der Liechtensteiner Daten im Jahr 2007 im Prinzip schon einiges geklärt. ({9}) Ein Beweisverwertungsverbot ist jedenfalls regelmäßig nicht zu erkennen. Allerdings bleibt beim Ankauf dieser Steuerdaten ein fader Geschmack zurück. Trotzdem ist der Ankauf richtig. Aber wir müssen uns auch die Frage stellen, wie man Steuerhinterziehung und Steuerverkürzung zurückdrängen und überhaupt vermeiden kann. Das ist doch der Königsweg: Wir brauchen ein einfacheres und gerechteres Steuersystem sowie eine transparentere Haushaltsund Ausgabenpolitik, damit die Menschen in diesem Land wissen, warum und wofür sie ihre Steuern bezahlen. ({10}) Darüber hinaus müssen wir unser Bestreben fortsetzen, mit den betreffenden Steueroasen Abkommen zu schließen, damit wir Amtshilfe in Steuersachen von ihnen bekommen. Da sind wir auf einem guten Weg; da haben wir gemeinsam gerade in den letzten zwei Jahren vieles erreicht. Ich will aber auch sagen, dass der Kampf gegen die Steueroasen noch lange nicht abgeschlossen ist. ({11}) Aber wir sind in diesem Bereich vorangekommen und sind auf dem richtigen Weg. ({12})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Für die Bundesregierung spricht nun der Parlamentarische Staatssekretär Hartmut Koschyk. ({0})

Hartmut Koschyk (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001186

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Für die Bundesregierung besteht kein Zweifel daran, dass Bund und Länder alles tun müssen, um Steuerhinterziehern das Handwerk zu legen. Damit sichern wir die Gleichmäßigkeit der Besteuerung und dienen der Steuergerechtigkeit in Deutschland. ({0}) Dies gilt auch und besonders bei Auslandssachverhalten. Deshalb muss alles rechtlich Zulässige getan werden, um an steuererhebliche Informationen zu gelangen. Auch der Ankauf von Daten wird davon umfasst. Das schulden wir den ehrlichen Steuerzahlern in unserem Land. ({1}) Aktuell - die Debatte hat es deutlich gemacht - stehen zwei Ankaufsfälle im Licht der öffentlichen Diskussion, einmal aus Nordrhein-Westfalen und einmal aus Baden-Württemberg. In beiden Fällen hat der Bundesfinanzminister deutlich gemacht, dass wir auf der Grundlage der konkreten und uns vorgetragenen Sachverhalte den Ankauf der Daten für rechtlich zulässig erachten und zur Sicherstellung einer gleichmäßigen Besteuerung auch für geboten halten. Diese Einschätzung ist das Ergebnis einer eingehenden Prüfung der Sachund Rechtslage in den konkreten Fällen. Denn bei Sachverhalten im Ausland stoßen die Ermittlungsbehörden an Grenzen. ({2}) Wenn kein automatischer Informationsaustausch zwischen beiden Staaten erfolgt und die ausländischen Finanzbehörden der deutschen Finanzverwaltung auch anderweitig keine Auskünfte über steuererhebliche Sachverhalte erteilen, können unvollständige oder falsche Angaben des deutschen Kapitalanlegers nicht aufgedeckt werden. Der Ankauf von Daten ist in diesen Fällen das einzige Mittel, um Steuerhinterziehung durch Kapitalanlagen in nicht auskunftsbereiten Ländern aufdecken zu können. Aber - auch davon ist in dieser Debatte gesprochen worden - wir müssen bei den Ursachen ansetzen. Wir müssen die internationale Zusammenarbeit bei der Bekämpfung von Steuerhinterziehung verstärken. Deshalb ist es aus unserer Sicht notwendig, die Finanzbehörden in die Lage zu versetzen, Steuern auch bei Auslandssachverhalten richtig festsetzen zu können. Der beste Weg dahin ist es, die internationale Zusammenarbeit so zu gestalten, dass die Verhandlungen über Doppelbesteuerungsabkommen, beispielsweise mit der Schweiz und anderen Staaten, zu einem erfolgreichen Ergebnis gebracht werden. ({3}) Auch die Schweizer Regierung scheint diese Notwendigkeit zu erkennen. Deshalb setzen wir im Kampf gegen Steuerflucht auf eine rasche Einigung mit der Schweiz. ({4}) Dies hat die Bundeskanzlerin, dies hat unser Bundesfinanzminister in seinen Gesprächen mit der Schweizer Regierung deutlich gemacht. Es ist auch im Schweizer Interesse, dass wir bald zu einem positiven Ergebnis über ein Doppelbesteuerungsabkommen, verbunden mit dem notwendigen Datenaustausch, kommen. Dann ist nämlich der Ankauf solcher Daten nicht mehr erforderlich. ({5}) Es darf aber kein Zweifel daran bestehen: Solange wir diese Abkommen nicht haben, muss die Finanzverwaltung im Rahmen des rechtlich Zulässigen alle Möglichkeiten ausschöpfen, auch Auslandssachverhalte auf ihre Steuererheblichkeit hin zu überprüfen. ({6}) Die bisherige Bewertung des Handelns der Finanzverwaltung durch Staatsanwaltschaften und Gerichte zeigt, dass dabei die Grenzen des Zulässigen nicht überschritten, sondern eingehalten worden sind. So hat zum Beispiel die Staatsanwaltschaft Berlin Verfahren gegen handelnde Amtsträger eingestellt, ohne überhaupt in Ermittlungen einzutreten. Bemerkenswert sind in diesem Zusammenhang auch zwei rechtskräftige Beschlüsse des Landgerichts Bochum, die in Bezug auf die sogenannten Liechtenstein-Fälle ebenfalls zu dem Ergebnis gelangen, dass die Daten verwertbar sind. Gegen eine Entscheidung - auch davon ist gesprochen worden - ist Verfassungsbeschwerde eingelegt worden, über deren Behandlung das Bundesverfassungsgericht aber noch nicht entschieden hat. Der Umstand einer Verfassungsbeschwerde ändert aber nichts an der Beurteilung der Rechtmäßigkeit des Datenankaufs in den genannten Fällen. Die Verfassungsbeschwerde zeigt vielmehr, dass die bisher ergangenen Gerichtsentscheidungen Zweifel an der Verwertungsbefugnis der im Liechtenstein-Fall angekauften Daten nicht bestätigt haben. ({7}) Bei diesem Fall handelt es sich um den einzigen mit Verfassungsbeschwerde angegriffenen Durchsuchungsbeschluss in einer Reihe von 100, die nicht angegriffen wurden. Sowohl die Staatsanwaltschaften wie auch die entscheidenden Gerichte haben bislang in keinem Fall ein Verwertungsverbot gesehen. Selbstverständlich ist eine Klärung der Rechtslage in derartigen Fällen durch das Bundesverfassungsgericht zu begrüßen. Aufgabe der Finanzverwaltung ist es aber, die Steuer gleichmäßig festzusetzen und zu erheben. Diese Aufgabe hat nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts einen hohen Stellenwert. Dies hat das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung über den steuerlichen Kontenabruf, der politisch ebenfalls höchst umstritten war, eindrucksvoll unterstrichen. Ich finde, Roman Herzog, der frühere Präsident des Bundesverfassungsgerichts und Bundespräsident, hat es in einem Interview mit dem Südwestrundfunk auf einen guten Nenner gebracht - ich zitiere -: Ich würde mich mit dem Kauf schwer tun, aber würde es im Endeffekt tun. … Steuergerechtigkeit [ist mir] wichtiger als ein Bankgeheimnis, das in keiner Verfassung und auch sonst nirgends steht. ({8}) Steht eine abschließende rechtliche Bewertung der Sachverhalte durch die Rechtsprechung aus, darf dies für die dem Legalitätsprinzip unterliegende Finanzverwaltung kein Grund sein, notwendige Entscheidungen nicht zu treffen. Dieser Entscheidung kann in dieser Situation nur die eigene juristische Bewertung der handelnden Behörden zugrunde gelegt werden. Der Umgang mit Informanten, die Informationen gegen Geld anbieten, die auf Steuerhinterziehung im großen Ausmaß hindeuten, stellt deshalb die Finanzverwaltung des Bundes und der Länder vor neue Aufgaben. Aufgabe des Bundesministeriums der Finanzen ist es dabei, auf eine einheitliche Rechtsanwendungspraxis bei der Auftragsverwaltung zu achten. Die Komplexität der Sachverhalte und der sich stellenden Rechtsfragen muss aufgearbeitet werden, bevor Entscheidungen getroffen werden können. Deswegen gab es und wird es unterschiedliche Entscheidungen darüber geben, wie im Einzelfall mit einem konkreten Angebot umgegangen wird. Daraus kann keinesfalls auf eine unterschiedliche Verwaltungspraxis geschlossen werden. Mir ist jedenfalls kein Bundesland bekannt, in dem Hinweisen auf Steuerhinterziehung, auch wenn sie von einem Informanten stammen, der Geld verlangt, nicht nachgegangen worden ist. Der Bund hat bei der Behandlung dieser Fälle mitgewirkt; und dem Bundeszentralamt für Steuern wurde im Rahmen der ersten Föderalismuskommission sogar ausdrücklich eine unterstützende Aufgabe bei der Verhütung und Verfolgung von Steuerstraftaten mit länderübergreifender, internationaler und erheblicher Bedeutung zugewiesen. Wir haben inzwischen mit den Ländern ein gut funktionierendes Verfahren vereinbart. Dadurch wurde sichergestellt, dass in den größten Fällen, mit denen bislang die Finanzverwaltung konfrontiert war, im Liechtenstein-Fall und im aktuellen nordrhein-westfälischen Fall, die Zusammenarbeit gut funktioniert hat. Das Land Nordrhein-Westfalen hat uns inzwischen mitgeteilt, dass die Daten angekauft und der Justiz übergeben wurden. Mit der Generalstaatsanwaltschaft Düsseldorf ist das weitere Vorgehen in Bezug auf die anstehenden Ermittlungen abgestimmt worden. Mit dem Land Baden-Württemberg haben wir ebenfalls eine gemeinsame Verfahrensweise abgesprochen. Auch mit dem Baden-Württemberg vorliegenden Angebot wird im Ergebnis so verfahren wie mit anderen Angeboten, die belastbare Hinweise auf Steuerhinterziehung im großen Ausmaß enthalten. Der Bundesminister der Finanzen hat sich mit Baden-Württemberg auf eine Behandlung des Falles geeinigt, die zu keinem anderen Ergebnis führen wird als zu dem, das auch bei Behandlung anderer gleichgelagerter Fälle herauskäme. ({9}) Gemäß dieser Einigung wird der Bund die Steuer-CD ankaufen, gegebenenfalls auch unter Mitwirkung eines betroffenen Landes. Dabei wird sich der Bund selbstverständlich an das geltende Recht halten. ({10}) Damit der Bund entsprechend verfahren kann, wird das Land Baden-Württemberg dem Bund die im Land vorhandenen Informationen zu dem Fall umfassend zur Verfügung stellen. ({11}) Ich bin sehr davon überzeugt, dass sich auch im Fall Baden-Württemberg ({12}) die erfolgreiche Zusammenarbeit zwischen dem Bundesfinanzministerium und den Steuerverwaltungen der Länder bewähren wird. Herzlichen Dank. ({13})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Nächster Redner ist der Kollege Peter Friedrich für die SPD-Fraktion. ({0})

Peter Friedrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003754, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Staatssekretär Koschyk, ich habe eine herzliche Bitte: Ich bitte Sie, Ihre Rede komplett dem badenwürttembergischen Ministerpräsidenten und dem badenwürttembergischen Justizminister zu schicken und beide zu bitten, sie zu lesen. Denn was Sie gerade eben gesagt haben, ist eine schallende Ohrfeige für das Land BadenWürttemberg. ({0}) Was Sie eben gesagt haben, heißt doch in der Konsequenz nichts anderes: Weil Baden-Württemberg sich selbst blockiert hat, weil Baden-Württemberg vor der Verantwortung geflohen ist, müssen Sie jetzt über den Bund die Steuer-CD an ein anderes Land weitervermitteln, damit dieses für Baden-Württemberg jene kauft. Damit ist klar, dass Baden-Württemberg versagt hat. ({1}) Das belegt den Vorwurf von uns, dass in BadenWürttemberg offensichtlich mit Steuerhinterziehern anders umgegangen werden soll als in anderen Bundesländern, ({2}) dass Baden-Württemberg geradezu zu einem Eldorado für diejenigen gemacht werden soll, die den Fiskus fliehen. Dafür trägt Schwarz-Gelb in Baden-Württemberg die Verantwortung. Dass Sie eine Notoperation durchführen müssen, tut mir für Sie persönlich leid. Es ist aber eine Schande für die Praxis der Einheitlichkeit der Steuerverwaltung in Deutschland. ({3}) Ich fand es - wir hatten letzte Woche schon kurz davon gehört - schon skandalös, dass Baden-Württemberg über ein Jahr lang herumgeprüft hat, ob es diese CD kauft. Man kann sich ja schon unter diesem Gesichtspunkt einmal die Frage stellen, wie es hier mit der Einheitlichkeit des Umgangs bestellt ist. Baden-Württemberg hat ein Jahr lang geprüft. Ich weiß gar nicht, ob, wenn nicht der nordrhein-westfälische Fall hochgekommen wäre, wir heute immer noch nichts davon wüssten und Baden-Württemberg noch weiter prüfen würde. ({4}) Das ist nur hochgekommen, weil das Thema in Nordrhein-Westfalen aufgekommen ist. Es handelte sich nicht um eine Initiative aus Baden-Württemberg. Im Gegenteil, man hat dem Landtag dort ja noch in einer Debatte verschwiegen, dass eine Steuer-CD vorliegt. ({5}) Man hat es erst im Nachhinein eingeräumt. Deswegen ist es sehr wohl ein Bundesthema, wenn offensichtlich so unterschiedlich vorgegangen wird. ({6}) Die Kollegen von FDP und CDU haben hier immer von der Notwendigkeit einer Einzelfallprüfung gesprochen. Dazu sage ich: Es war nicht das Ergebnis einer Einzelfallprüfung, die zu dem Entschluss in BadenWürttemberg geführt hat. Man ist bei der Prüfung nicht zu dem Ergebnis gekommen, dass es unzulässig wäre, diese CD zu kaufen. Baden-Württemberg hat nur beschlossen, es nicht zu tun, weil der FDP-Justizminister sein Veto eingelegt hat. Das war der einzige wirkliche Grund. ({7}) Das beruhte, mit Verlaub, auf vorgeschobenen Argumenten. Das Argument war nämlich: Vielleicht könnten unsere Mitarbeiter - in diesem Fall die der Verwaltung - anschließend strafrechtlich belangt werden. - Das gleiche Land sagt aber: Lieber Bund, kauf doch du. - Also, entweder macht man sich strafbar, wenn man die CD kauft - das wäre dann das Ergebnis dieser Prüfung gewesen -, oder nicht. Wenn dies aber der Fall ist, dann kann man nicht sagen: „Lieber Bund, kauf doch du“, sondern man muss sagen: Man kann sie prinzipiell nicht kaufen. - Man hat sich schlicht und ergreifend vor der Verantwortung weggeduckt. Das ist das Ergebnis der Einzelfallprüfung. ({8}) Herr Staatssekretär Stadler, ich fände es interessant - Kollege Lange hat schon darauf hingewiesen -, einmal zu erfahren, was eigentlich das Bundesjustizministerium dazu meint. ({9}) Machen Sie sich denn eigentlich die Bedenken des badenwürttembergischen Justizministers zu eigen? Offenkundig bis jetzt nicht. Ich finde es, ehrlich gesagt, ziemlich peinlich für eine Partei, die für sich in Anspruch nimmt - wir haben es heute wieder gehört -, eine Rechtsstaatspartei zu sein, ({10}) Gründe vorzuschieben, die dazu führen, dass man im Bereich der Steuergerechtigkeit ganz bewusst darauf verzichtet, das Rechtsstaatsprinzip durchzusetzen. ({11}) Es hat übrigens ein kleines Geschmäckle - darauf will ich der Vollständigkeit halber hinweisen -, dass der Landesjustizminister am gleichen Tag ankündigt: Wir praktizieren Datenschutz für Steuerhinterzieher, weiten aber die Videoüberwachung bei Bagatelldelikten aus. - Das hat die FDP in Baden-Württemberg gemacht. Das hat mehr als nur ein Geschmäckle; denn wer Steuern hinterzieht, der begeht Diebstahl an uns allen: Der klaut Bücher aus unseren Bibliotheken, der reißt Löcher in unsere Straßen, der begeht Vandalismus an öffentlichem Eigentum. Auch darum geht es bei Steuerhinterziehung. Deswegen muss sie mit dem gleichen und, da es sich meistens um größere Straftatbestände handelt, mit noch härterem Interesse durch den Staat verfolgt werden. Man kann nicht sagen: Die Kleinen packe ich an, aber die Großen lasse ich laufen. - Das aber ist das Ergebnis der Prüfung in Baden-Württemberg. ({12}) Videoüberwachung für das Volk und Datenschutz für Steuerdiebe, das ist wohl die Position von Ihnen. ({13}) Es zeigt sich hier eine durchgängige Linie. Es fängt bei der verbalen Rechtfertigung von Steuerflucht aufgrund eines angeblich zu gierigen Staates an, wie dies Frau Homburger oder auch Herr Westerwelle offensichtlich in den Honorarvorträgen bei der LGT dargestellt haben. ({14}) Es geht weiter über die hessischen Vorgänge, bei denen zu erfolgreiche Steuerprüfer erst gemobbt, dann zwangsversetzt und zwangspensioniert und im Nachhinein wahrscheinlich rehabilitiert werden, zumindest im Rahmen des Whistleblower-Preises. Es zeigt sich weiter bei dem negativen Wettlauf der Bundesländer um möglichst wenige Betriebsprüfungen, und es erreicht seinen vorläufigen Höhepunkt bei den Umtrieben in Baden-Württemberg mit den genannten Ergebnissen. Es gibt keine einheitliche Linie bei CDU/CSU und FDP, bei Schwarz-Gelb. Es gibt kein gemeinsames hartes Vorgehen gegen Steuersünder. Insofern: Baden-Württemberg wird jetzt zum Schlupfloch gemacht. Sorgen Sie dafür, dass es bundesweit eine einheitliche Linie gibt, damit dies nicht passiert. Diese Form von Steuerhinterziehungswettbewerb ist schädlich für das Gemeinwohl, und deswegen müssen Sie sie unterbinden. Dies ist Aufgabe der Bundesregierung und der sie tragenden Parteien, übrigens auch Ihres Fraktionsvorsitzenden Volker Kauder, der offensichtlich nach wie vor das ablehnt, was Sie hier eben verkündet haben. ({15})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege Manfred Kolbe für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Manfred Kolbe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001172, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich wiederhole das, was viele Vorredner gesagt haben: Steuerhinterziehung ist kein Kavaliersdelikt. Meine Fraktion, die CDU/CSU, aber auch die Koalition insgesamt bekämpfen die Steuerhinterziehung, nicht nur mit Worten, sondern auch mit Taten. ({0}) Zunächst darf ich an das erinnern, was seit 2005 in der Bundesregierung unter

Not found (Kanzler:in)

Wir haben den verfassungsrechtlich problematischen § 370 a Abgabenordnung gestrichen und ihn durch einen neuen verfassungsfesten § 370 Abs. 3 Satz 2 Nr. 5 AO ersetzt und können jetzt die bandenmäßige Hinterziehung von Umsatz- und Verbrauchsteuern wieder wirksam bekämpfen. Wir haben mit dem Gesetz zur Neuregelung der Telekommunikationsüberwachung vom 21. Dezember 2007 erstmals diesen qualifizierten Steuerhinterziehungstatbestand in den Katalog des § 100 a StPO aufgenommen, ermöglichen hier also erstmals im Strafprozessrecht eine Telekommunikationsüberwachung bei Steuerhinterziehungsdelikten. Das hat es vorher nicht gegeben. Auch unter Rot-Grün hat es dies nicht gegeben, Herr Schick und Herr Wieland. ({0}) Das ist eine wirksame Bekämpfung der Steuerhinterziehung und beruht auf einer sachgemäßen Abwägung. ({1}) Wir haben mit dem Jahressteuergesetz 2009 vom 19. Dezember 2008 die Verjährungsfrist für besonders schwere Fälle der Steuerhinterziehung auf zehn Jahre erhöht. Schließlich haben wir mit dem Koalitionsantrag „Steuerhinterziehung bekämpfen“ beschlossen, eine Reihe von internationalen Maßnahmen einzuleiten. Wir wollen die europäische Zinsrichtlinie verbessern, um gewisse Schlupflöcher zu beseitigen. Wir wollen vor allen Dingen den Informationsaustausch nach Art. 26 des OECD-Musterabkommens in Europa durchsetzen. In den letzten zwei Jahren ist so viel erreicht worden wie nie zuvor. Die CDU/CSU-geführte Bundesregierung - auch teilweise die Große Koalition, Herr Poß, das haben wir gemeinsam erreicht; aber es war eine CDU/CSU-geführte Bundesregierung - hat das alles erreicht. ({2}) Wenn nun manches nicht umgesetzt wird - etwa das EUAbkommen mit Liechtenstein kann auf europäischer Ebene nicht ratifiziert werden, Herr Poß -, dann liegt das daran, dass das sozialdemokratisch geführte Österreich die Umsetzung blockiert. Vielleicht telefonieren Sie einmal über die Sozialistische Internationale. Es ist uns unverständlich, warum das blockiert wird. ({3}) - Der Bundeskanzler hat in Österreich nichts zu sagen? ({4}) Ich sage Ihnen auch, was wir als Union nicht machen: Wir bekämpfen die Steuerhinterziehung nicht mit verbaler Kraftmeierei. ({5}) - Auch nicht mit der Kavallerie. Wir beleidigen nicht die völlig unschuldigen Indianer. Wir beleidigen auch nicht das völlig unschuldige Burkina Faso mit der Hauptstadt Ouagadougou. ({6}) Das tun wir in der Tat nicht, und das werden wir auch in Zukunft nicht tun. ({7}) Wir werden auch kein rot-grünes Steueramnestiegesetz auflegen wie Bundesfinanzminister Eichel 2001. ({8}) Wir bekämpfen die Steuerhinterziehung. Das haben wir auch in jüngster Zeit getan. ({9}) Gerade die Bundeskanzlerin und der Bundesfinanzminister haben sofort energisch gehandelt und entschieden. Die Bundeskanzlerin Angela Merkel hat gleich zu Beginn, ({10}) am Montag, dem 1. Februar, gesagt - ich zitiere sie -: Vom Ziel her sollten wir, wenn diese Daten relevant sind, auch in ihren Besitz kommen. Jeder vernünftige Mensch weiß, dass Steuerhinterziehung geahndet werden muss. So Angela Merkel am Montag, als manches noch durchaus in der Diskussion war. ({11}) - Sind Sie etwa anderer Meinung als die Bundeskanzlerin, Herr Poß? Nein. Deshalb vielen Dank für die Aktuelle Stunde und dafür, dass wir dies noch einmal herausstellen können. Die Bundeskanzlerin hat übrigens schnell entschieden. ({12}) Mancher wirft ihr vor, sie moderiere nur, sie warte nur ab usw. Hier hat sie entschieden und Führungsstärke bewiesen. Aber ich sage auch: Die Frage, ob fehlerhaft gewonnene Beweise verwertet werden dürfen, ist durchaus ein rechtlich schwieriges Gebiet. Die sich ergebenden Fragen gehören mit zu den schwierigsten des Strafrechts und des Strafprozessrechts und bedeuten eine Gratwanderung zwischen einerseits formeller Rechtmäßigkeit und andererseits materieller Wahrheit. ({13}) Dieser Konflikt durchzieht seit Jahrtausenden das gesamte Strafrecht. ({14}) - Herr Wieland, damals wurde es teilweise brutal gelöst. So würden wir das heute nicht mehr lösen wollen. Den Konflikt gab es aber schon damals. - Eine der zentralen Fragen des Strafprozessrechts ist: Inwieweit sind Beweise, die fehlerhaft oder rechtswidrig beispielsweise durch Diebstahl erhoben worden sind, verwertbar? Unsere Strafprozessordnung regelt diesen Fall nicht ausdrücklich. Hier gibt es, obwohl wir manchmal eine Überregulierung beklagen, kaum Regulierung. Wir haben nur den § 136 a Abs. 3 Satz 2 Strafprozessordnung, der besagt, dass unzulässige Vernehmungsmethoden ({15}) zu einem Beweisverwertungsverbot führen. Alles andere unterliegt der Abwägung. ({16}) Wir müssen zwischen der Straftat einerseits und der Erlangung der Beweise andererseits abwägen. ({17}) Je schwerer die Straftat ist, desto eher kann ein Fehler bei der Beweiserhebung geduldet werden. Das ist der Abwägungsprozess, der stattfinden muss, und dieser hat in der Bundesregierung stattgefunden. ({18}) Sie können deshalb der Bundesregierung nicht vorwerfen, dass sie rechtsstaatliche Grundsätze wahrt.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Herr Kollege, denken Sie bitte an die Redezeit.

Manfred Kolbe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001172, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich sage deshalb zum Schluss: Wir sind die Koalition, die die Steuerhinterziehung energisch verfolgt. Wir sind aber auch die Koalition, die den Rechtsstaat wahrt. Danke. ({0})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Die Aktuelle Stunde ist beendet. Damit sind wir am Schluss der heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Donnerstag, 4. März 2010, 9 Uhr, ein. Ich wünsche Ihnen noch einen schönen Abend und schließe die Sitzung.