Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Die Sitzung ist eröffnet. Ich begrüße Sie recht herzlich, liebe Kolleginnen und Kollegen. Nehmen Sie bitte
Platz.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 1 auf:
Befragung der Bundesregierung
Die Bundesregierung hat als Thema der heutigen Kabinettssitzung mitgeteilt: 13. Bericht zur Auswärtigen
Kulturpolitik.
Das Wort für den einleitenden fünfminütigen Bericht
hat der Staatsminister im Auswärtigen Amt, Herr
Dr. Werner Hoyer. Bitte, Herr Staatsminister.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Sie haben bereits darauf hingewiesen: Zum 13. Mal trägt die Bundesregierung dem Bundestag den Bericht über die Auswärtige
Kultur- und Bildungspolitik vor. Das Bundeskabinett hat
sich heute Morgen mit diesem Thema befasst. Bundesminister Westerwelle ist heute Nachmittag beim Menschenrechtsrat in Genf, und er bittet zu entschuldigen,
dass er diesem Termin den Vorrang geben muss. Deswegen habe ich die Ehre, zu dem Bericht vorzutragen.
Der Bericht bezieht sich auf den Zeitraum von Juli
2008 bis Juni 2009, also auf die Zeit der Vorgängerregierung. Das hält mich nicht davon ab, ausdrücklich festzuhalten, dass auch die neue Bundesregierung das enorme
Engagement, mit dem die AKBP, die Auswärtige Kulturund Bildungspolitik, in den letzten Jahren betrieben und
weiterentwickelt wurde, zu schätzen und zu würdigen
weiß. Wir wollen daran anknüpfen und bestimmte Bereiche weiter ausbauen.
In der Bundesregierung - ich denke, auch über alle
Parteigrenzen hinweg - gibt es Konsens darüber, dass
die Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik zu den Zukunftsinvestitionen gehört, auf die unser Land im Zeitalter der Globalisierung so dringend angewiesen ist. Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik ist mehr als eine
Visitenkarte für unser Land und mehr als ein Förderinstrument für bei uns beheimatete Künstler. In der Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik kommt jener Ansatz hervorragend zum Ausdruck, den wir für unsere
auswärtigen Beziehungen gerne als den Gleichklang von
Werten und Interessen beschreiben.
Dass heute mehr als 120 000 Kinder an deutschen
Schulen ausgebildet werden, ist nicht nur ein Indiz für
die hohe Qualität unserer Ausbildung. Vielmehr wachsen Multiplikatoren heran, die für unser Land von großer
Wichtigkeit sind. Das Gleiche gilt für die mehr als
14 Millionen Menschen, die heutzutage im Ausland
Deutsch als Fremdsprache lernen, für die 35 000 ausländischen Stipendiaten, die durch den DAAD gefördert
werden, das Alumni-Netzwerk der Humboldt-Stiftung
mit mehr als 23 000 Personen und die vielen anderen
Maßnahmen, die von Trägern der Auswärtigen Kulturund Bildungspolitik oder in Einzelförderung erreicht
werden.
Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik hilft uns somit in der langfristigen Perspektive, wichtige außenpolitische Ziele zu verwirklichen. Hierzu zählen Krisenprävention durch das Schlagen von Brücken zwischen
Kulturen und Zivilisationen, die Stärkung der Menschenrechte, die Förderung von Freiheit und Rechtsstaat sowie
eine erfolgreiche Außenwirtschaftspolitik. Dies verfolgen wir mit einem bescheidenen finanziellen Ansatz. Die
Ausgaben des federführenden Auswärtigen Amtes für
den Bereich der Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik
entsprechen einem Anteil von 0,24 Prozent des Bundeshaushalts.
Die Bundesregierung hat sich zum Ziel gesetzt, die
Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik in den kommenden Jahren auf drei Gebieten voranzutreiben: Bildung,
Dialog zwischen den Kulturen und Kommunikation.
Lassen Sie mich kurz Beispiele dazu geben. Zunächst
zum Bereich Bildung und Wissenschaft: Die Außenwissenschaftspolitik zielt darauf ab, Deutschland eine führende Rolle im globalen wissenschaftlichen Netzwerk zu
sichern. Wissenschaftshäuser in São Paulo, Tokio, New
Delhi und New York und Exzellenzzentren stärken die
Kooperation mit internationalen Partnern. Durch attrakRedetext
tive Stipendien gewinnen wir die besten Studierenden
und Wissenschaftler.
Bereits die letzte Bundesregierung hat sich mit ihrer
Partnerschulinitiative, kurz PASCH genannt, darum bemüht, das Interesse junger Menschen in der ganzen Welt
für Deutschland und die deutsche Sprache zu wecken.
Wir haben auf diesem Gebiet erste deutliche Erfolge zu
registrieren. Beides sind wichtige Schritte zur Sicherung
des Wirtschafts-, Wissenschafts- und Studienstandortes
Deutschland.
Das Gleiche gilt für das Thema „Deutsch als Fremdsprache“. Sie haben vor wenigen Tagen möglicherweise
die Eröffnung der Kampagne „Deutsch - Sprache der
Ideen“ durch Bundesminister Westerwelle im Radialsystem in Berlin miterlebt. In diesem Zusammenhang wollen wir uns übrigens auch für das Thema „Die Stellung
des Deutschen in der Europäischen Union“ bei dem sich
herausbildenden Europäischen Auswärtigen Dienst einsetzen. Außerdem ist es wichtig, dass die Europäische
Kommission rasch eine neue Übersetzungsstrategie vorlegt. Für die Arbeit der Bundesregierung, aber vor allem
für Ihre Arbeit im Deutschen Bundestag ist es, insbesondere wenn es um EU-Gesetzgebung oder den Nachvollzug von EU-Gesetzgebung geht, unverzichtbar, dass alle
Dokumente in deutscher Sprache vorliegen.
Zum Bereich Kulturdialog: Der Einsatz für Menschenrechte, für Krisenprävention sowie für die Förderung von Freiheit und Rechtsstaatlichkeit spielt natürlich
eine zentrale Rolle. Das Dialogangebot der Auswärtigen
Kultur- und Bildungspolitik trägt zur Stärkung von Zivilgesellschaften bei. Nehmen Sie nur dieses wirklich
bemerkenswerte Beispiel der Ausstellung „Die Kunst
der Aufklärung“, die bald in China gezeigt wird. Leider
gibt es eine kurze zeitliche Verzögerung; aber, immerhin, Anfang 2011 wird die Eröffnung möglich sein. Die
staatlichen Museen in Berlin, Dresden und München
werden diese Ausstellung ausrichten. Das Thema Aufklärung wird künftig einen thematischen Schwerpunkt
unserer Kulturarbeit in China ausmachen. Sie können
sich vorstellen, was das bedeutet.
Ich möchte nicht ausführlich auf die dialogfördernde
Wirkung des Sports eingehen. Wir werden unsere Aktivitäten im Bereich der Initiative „Sport und Außenpolitik“ konsequent fortsetzen.
Schließlich ein Wort zum Thema „DeutschlandJahre“ in Vietnam und Indien. Hier sind weitere gute
Beispiele vorzutragen. Veranstaltungszyklen dieser Art
umfassen Beiträge zu allen Aspekten der bilateralen Beziehungen und fördern damit die Herausbildung eines
aktuellen Deutschland-Bildes.
Um weltweit junge Menschen zu erreichen, muss man
auf moderne Medien setzen. So tragen wir zu einer aktiven Gestaltung der Globalisierung bei, insbesondere bei
Zukunftsthemen wie Klima, Umwelt und Entwicklung.
Im Stimmengewirr der Globalisierung sollte Deutschland
als Akteur deutlich wahrnehmbar sein. Deswegen wollen
wir die mediale Präsenz Deutschlands in der Welt verstärken. Dabei spielt die Deutsche Welle gewissermaßen als
mediale Visitenkarte der Bundesrepublik Deutschland
weiterhin eine zentrale Rolle.
Vielen Dank.
Danke, Herr Staatsminister.
Ich bitte, zunächst Fragen zu dem Themenbereich zu
stellen, über den soeben berichtet wurde. - Zur ersten
Frage hat die Kollegin Dr. Petra Sitte das Wort.
Danke, Herr Hoyer, danke, Frau Präsidentin. - Meine
Frage bezieht sich auf die Problematik der fünf Wissenschaftshäuser, deren Standorte Sie schon benannt haben.
Ich frage vor dem Hintergrund Ihrer Ausführungen zu
der strategischen Ausrichtung Ihrer Ziele, Wertevermittlung etc.
Wir haben für uns immer das kooperative Herangehen
ausdrücklich betont, das heißt auch die Leistung, die
Deutschland in diesen Ländern anbietet, beispielsweise
um Ungleichheiten zu reduzieren. Sie haben vor dem
Hintergrund der Zielstellung dieser Wissenschaftshäuser
jetzt gesagt, es gehe Ihnen um die Gewinnung der Besten und die Stärkung Deutschlands als Wirtschafts-, Wissenschafts- und Studienstandort. Insofern frage ich: Was
ist das kooperative Moment für die Länder, in denen
diese Häuser stehen? Vor dem Hintergrund der Auslandshochschulen frage ich: Welche Beziehungen bzw.
Ausrichtungen ergeben sich dort? Die Orte sind ja unterschiedlich. Wie hoch sind die eingesetzten Mittel, und
wer sind die Partner in Deutschland und vor Ort?
Frau Kollegin Sitte, das Konzept der Wissenschaftszentren hat natürlich etwas mit Netzwerkbildung zu tun.
Deswegen ist das auf jeden Fall - insofern haben Sie
völlig recht - eine Zweibahnstraße. Natürlich geht es darum, dass wir versuchen, besonders engagierte und interessierte junge Leute nach Deutschland zu holen. Es geht
aber umgekehrt auch darum, in die entsprechenden Länder auszustrahlen und Dinge von dort aufzunehmen. Insofern stellen wir uns das nicht als Einbahnstraße vor.
Wir sehen in der Frage der Wissenschaftshäuser erst
einen Beginn. Wir haben die Standorte, die ich eben genannt habe, festgelegt. Das heißt, sie waren bereits festgelegt, als wir das Projekt übernommen haben, aber wir
werden das fortführen. Wir hoffen auf Erfolg. Ich kann
mir vorstellen, dass in diesem Projekt in den nächsten
Jahren noch sehr viel mehr Musik sein wird.
Ehrlich gesagt, kann ich Ihnen jetzt die aktuellen Haushaltszahlen dazu nicht nennen - ich werde das schnellstens nachliefern -, weil ich den Haushaltsplan nicht mitgebracht habe. Aber das ist natürlich ein Schwerpunkt
unserer auswärtigen Wissenschaftspolitik. Deswegen werden wir diese Ansätze nicht in Zweifel ziehen.
({0})
Die nächste Frage stellt die Kollegin Krüger-Leißner.
Herr Staatsminister, ich habe mich gewundert: Sie
sprachen eben von Auswärtiger Kultur- und Bildungspolitik. Der Bericht, den ich gerade aus dem Internet heruntergeladen habe, enthielt nur den Begriff Kulturpolitik. Ich glaube, da ist etwas vergessen worden.
Ich löse das gleich auf.
In dem Bericht wird deutlich, wie erfolgreich diese
Arbeit ist. In den Jahren 2008 und 2009 hat der damalige
Außenminister Steinmeier die Offensive für die Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik energisch begonnen.
Die ersten Erfolge werden in dem Bericht ausgeführt.
Ich hoffe sehr stark, dass die Arbeit unter neuer Führung
in diesem Sinne fortgesetzt wird.
Sie haben von der Ausstellung „Kunst der Aufklärung“ in China berichtet, die verschoben wurde. Ist es
richtig, dass die Eröffnung der Ausstellung verschoben
wurde, weil dieses öffentlich-private Projekt wegen eines fehlenden Großsponsors noch nicht zustande kam?
Halten Sie daran fest, das Projekt in dieser Weise zu entwickeln, oder wie soll die Finanzierung dafür aufgebracht werden, wenn es denn 2011 zur Eröffnung der
Ausstellung kommt?
Vielen Dank. - Zunächst einmal zum ersten Punkt. Sie
haben genau aufgepasst: Wir haben in dem Bericht in der
Tat von „Auswärtiger Kulturpolitik“ gesprochen. Das ist
dem Respekt gegenüber dem Deutschen Bundestag geschuldet; denn dieser hat uns vor 13 Jahren beauftragt,
jedes Jahr einen Bericht zur Auswärtigen Kulturpolitik
vorzulegen. Wir selber haben aber mittlerweile das Gebiet ausgeweitet und gesagt: Wir dürfen nicht mehr nur
von Kulturpolitik in engerem Sinne sprechen - das
könnte falsch verstanden werden -, sondern wir wollen
ausdrücklich auch über Bildungspolitik und Wissenschaftspolitik reden. Deswegen haben wir uns erlaubt,
den Bericht etwas auszuweiten, sind dabei aber bei dem
uns vom Bundestag vorgegebenen Terminus geblieben.
Auch da sind wir in der Kontinuität der bisherigen Regierung.
Sie haben zu Recht die Initiativen des ehemaligen Bundesministers Steinmeier angesprochen und auf sein Engagement in dieser Frage in der letzten Legislaturperiode
hingewiesen. Ich glaube, Sie können zu jeder Haushaltsdebatte eine Rede von mir zu diesem Thema nachlesen,
die ich damals als Oppositionssprecher für Außenpolitik
gehalten habe. Bei allen Gefechten, die wir uns hier über
Fehler oder vermeintliche Fehler in der Außenpolitik geliefert haben: Bei dem Thema Auswärtige Kultur- und
Bildungspolitik haben wir die Initiativen der alten Bundesregierung und von Minister Steinmeier ausdrücklich
unterstützt und gelobt. Gerade die Ausweitung der auswärtigen Schulpolitik ist ein großes Erfolgsprojekt gewesen. Das wollen wir fortsetzen. Sie wissen, dass sich
meine Kollegin Cornelia Pieper gerade dieser Themen
mit enormem Engagement annimmt und sich insofern in
einer Kontinuität der letzten Jahre sieht.
Danke, Herr Staatsminister. Ich nehme an, das Parlament nimmt Ihre Anregungen zur Erweiterung der Berichtspflicht dankbar auf.
({0})
- Was fehlte?
({1})
Ach so, die Ausstellung. Da das mein Herzensanliegen ist, hätte ich das niemals vergessen dürfen. Diese
Ausstellung, die allein aufgrund des Inhaltes ein ganz
großes außenpolitisches Gewicht hat, wird leider nicht
rechtzeitig eröffnet werden können. Wir hatten uns vorgestellt, vielleicht im September eine große Eröffnung
auf dem Platz des Himmlischen Friedens in Peking vornehmen zu können. Aber das neue, große Nationalmuseum wird nicht fertig. Hier steht zunächst einmal eine
bauliche Frage im Vordergrund. Wir bedauern das sehr.
Aber das Projekt an sich und auch das Finanzierungskonzept bleiben bestehen. Das Finanzierungskonzept
wird auch umsetzbar sein, aber eben mit einer Verzögerung von, so schätze ich, vier oder fünf Monaten.
Die nächste Frage stellt die Kollegin Undine Kurth.
Herr Dr. Hoyer, wir alle hier im Hause sind uns sicher
einig, dass Auswärtige Kulturpolitik eine Visitenkarte für
das Land ist. Das sehen nicht nur wir in Deutschland so,
sondern auch andere Länder. Man hat zum Beispiel bei
Großbritannien oder Frankreich den Eindruck, dass sie
ihre Künstler und Kreativen im Ausland wesentlich intensiver unterstützen, etwa in der Filmbranche oder in
der Modebranche.
Von deutschen Kreativen oder Künstlern, die sich im
Ausland bewegen, ob bei der Oscar-Verleihung oder wo
auch immer, hört man oft, dass sie sich relativ allein gelassen fühlen und entweder auf die Aktivitäten der Botschaften vor Ort oder andere Aktivitäten vor Ort angewiesen sind. Gibt es - auch rückblickend auf das, was in
den letzten vier Jahren passiert ist - ein Konzept, um die
Kreativen und Künstler im Ausland, die quasi unsere Visitenkarte im Ausland mitzeichnen, deutlicher und besser zu unterstützen?
Zunächst einmal habe ich Ihnen das Konzept der
Bundesregierung, das heute auch rückblickend auf das
Jahr 2008/2009 im Bundeskabinett eine Rolle gespielt
hat, schriftlich vorgelegt und damit die konzeptionellen
Grundlagen dargelegt. Ich kann Ihnen versichern, dass
das, was Sie angesprochen haben, für uns ein ganz wichtiger Punkt ist. Wenn es Fälle gibt, wo sich jemand von
der Bundesregierung, egal ob von der alten oder neuen,
allein gelassen fühlt, dann sollten wir darüber reden und
versuchen, das zu korrigieren.
Wir können nicht bei jedem Event irgendwo in der
Welt, das kulturell bedeutsam ist, mit den Mitteln der Diplomatie und des Auswärtigen Amtes präsent sein. Dazu
ist, Gott sei Dank, zu viel Kreativität in der Welt zu beobachten, an der auch Deutsche beteiligt sind. Aber wir
bemühen uns nach Kräften darum. Es ist gut, wenn sich
die Generalkonsulate und Botschaften vor Ort darum
kümmern; dies geschieht häufig genug in Abstimmung
mit dem Mutterhaus. Wenn Sie konkrete Fälle kennen,
wo wir noch besser werden können oder sollen, dann
bitte ich Sie, uns diese zu zeigen. Wir werden Ihre Anregungen dann aufgreifen.
Ich glaube, dass wir das auch gar nicht auf die Präsenz im Ausland beschränken können. Die Auswärtige
Kulturpolitik muss auch im Inland einiges tun. Deswegen versuchen wir - auch wenn es mit geringen Mitteln
ist -, bei wichtigen Veranstaltungen wie dem Kurzfilmfestival in Oberhausen - das ist eine wichtige internationale Veranstaltung - präsent zu sein und unseren eigenen
Kreativen zur Seite zu stehen.
({0})
Ohne Mikro gibt es keine Chance, durchzudringen.
Ich kann Sie gern noch einmal auf die Liste für weitere
Nachfragen setzen.
Da dieses Mikro offensichtlich selbstständig darüber
entscheidet, ob es arbeiten will oder nicht, muss ich mich
erst mit dem Mikro einigen. Kann ich jetzt noch eine
Nachfrage stellen? - Ich kann Ihrer Antwort also entnehmen, dass Sie es als Aufgabe der Auswärtigen Kulturpolitik ansehen, unsere Künstler und Kreativen im
Ausland auch in Einzelprojekten, wo möglich, zu unterstützen?
Ja. Wir arbeiten natürlich sehr stark über Mittlerorganisationen; das ist klar. Wir brauchen jetzt nicht darüber
zu reden, ob es sich um das Goethe-Institut, den DAAD,
die AvH-Stiftung oder andere handelt. Es gibt auch immer wieder Einzelprojekte, die uns am Herzen liegen.
Wir müssen aufpassen, dass in Zeiten knapper Kassen
nicht ausgerechnet diese Einzelprojekte unter die Räder
kommen; denn diese verfolgen häufig äußerst wichtige
Anliegen.
Die nächste Frage stellt die Kollegin Ulla Schmidt.
Herr Staatsminister Hoyer, ich glaube, wir alle sind
uns einig - ich bin selten mit der FDP so einig wie in
diesem Punkt -, ({0})
Das sollten wir verstärken.
- dass die Auswärtige Kulturpolitik ein wichtiger Pfeiler
in der auf zivile Krisenprävention angelegten auswärtigen Politik ist und dass die Auswärtige Kulturpolitik vor
allen Dingen durch das Bemühen und den enormen Einsatz von Frank-Walter Steinmeier wieder einen sehr hohen Stellenwert erhalten hat.
Ich habe heute Morgen ein Interview mit Frau Staatsministerin Pieper gehört, in dem sie sagte, sie wolle natürlich auch eigene Schwerpunkte setzen und vor allen
Dingen im Bereich der Außenwissenschaftsförderung
weitere Akzente setzen. Wir haben in den Haushaltsberatungen darüber geredet, dass gerade in diesem Bereich
- dies betrifft auch die Ausgaben für Stipendien und anderes - eine Kürzung vorgesehen ist. Haben Sie heute
Morgen während der Beratungen im Kabinett darüber
beraten, wie die Finanzierung für einen Ausbau in diesem Bereich - so etwas hat ja auch immer finanzielle
Konsequenzen; Stipendien und Angebote müssen finanziert werden - gesichert werden kann oder wie hier überhaupt ein Ausbau stattfinden kann? Ist darüber geredet
worden, dass vielleicht aus dem Programm im Bildungsministerium, durch das Mittel für die Finanzierung von
Projekten in anderen Bereichen zur Verfügung gestellt
werden, Mittel gesondert bereitgestellt werden können
und wo dann an anderer Stelle gekürzt wird? Ich frage
das, weil Aussagen über den Ausbau gerade in diesem
Bereich immer durch Titel im Haushalt abgedeckt werden müssen; sonst bleiben sie Makulatur und werden im
Grunde genommen zurückgefahren.
Ich stehe bei der Beantwortung dieser Frage unter
größter Spannung, weil die Bereinigungssitzung hinsichtlich des Haushalts 2010 morgen stattfindet und ich
selber gerne wissen würde, was dabei herauskommt. Wir
hoffen natürlich in der Tat, dass wir im Rahmen des
Haushaltsverfahrens noch zu einer Umschichtung zugunsten von Mitteln, die im Einzelplan 05, also dem des
Auswärtigen Amtes, für diesen Zweck verbucht werden
können, kommen. Bezüglich der Mittel, die für das Bundesministerium für Bildung und Forschung insgesamt
zur Verfügung gestellt werden sollen, sehe ich hier in der
Tat noch eine Chance.
Da ich die Bundesregierung insgesamt vertrete, sage
ich: Ich anerkenne das Anliegen. Wir wollen diese Mittel
in der Tat weiter steigern und sind im Gespräch. Ich
hoffe, dass das auch bei den Haushältern auf fruchtbaren
Boden fällt. Bisher habe ich diesen Eindruck. Ich bin
aber ganz vorsichtig, weil der Haushalt jetzt in der Hand
des Parlaments liegt.
Dieser Haushaltsansatz ist für das Jahr 2010, wenn
ich mich recht erinnere, um 9 Millionen Euro höher als
der Haushaltsansatz, den die alte Bundesregierung für
das Jahr 2009 beantragt hatte. Das Parlament hat damals
im Haushaltsverfahren 10 Millionen Euro draufgelegt.
Wenn ich eine unbescheidene Bitte äußern darf: Es wäre
schön, wenn das Parlament dies wieder tun würde. Dann
müssten wir diese Mittel nicht um 1 Million Euro senken, sondern könnten sie deutlich erhöhen.
({0})
- Das tue ich bzw. das tut Frau Pieper. Ich muss insgesamt sagen, dass Frau Pieper hier außerordentlich aktiv
ist.
Die nächste Frage stellt der Kollege Manfred Grund.
In diesem Jahr findet in Kasachstan ein Deutsches
Jahr statt, in dessen Rahmen sich Deutschland mit
Kunst, Kultur, Wissenschaft und Sport präsentiert. In
Kasachstan lebt heute noch eine nennenswerte deutsche
Minderheit; es sind 250 000 bis 300 000 Deutsche. Wird
dieses Deutsche Jahr in Kasachstan mit Mitteln der Auswärtigen Kulturpolitik unterstützt, wenn ja, welche Projekte, und sind es auch Projekte, an denen die deutsche
Minderheit beteiligt wird?
Sie haben die Grundstruktur des Projektes selber benannt; das ist so zutreffend. Ich habe keine Kenntnis von
der Art und Weise der Einbindung. Ich finde allerdings, es
ist selbstverständlich, diesen Versuch zu unternehmen.
Insgesamt ist das Thema Kasachstan in diesem Jahr ganz
besonders wichtig, auch aufgrund der Verknüpfung von
allgemeiner Außenpolitik und Auswärtiger Kultur- und
Bildungspolitik.
Kasachstan übernimmt in diesem Jahr im Rahmen der
OSZE eine sehr bedeutende Rolle. Vor diesem Hintergrund ist es wichtig, dass Deutschland dort nicht nur mit
Interessen, sondern auch mit Werten präsent ist. Auch
die in Kasachstan befindlichen Deutschen zu motivieren,
sich bei der Vermittlung unserer Werte zu engagieren, ist
ausgesprochen sinnvoll.
Ich reiche Ihnen eine präzisere schriftliche Beantwortung dieser Frage nach, weil ich die genauen Details der
Einbindung der deutschen Minderheit nicht kenne.
Die nächste Frage stellt die Kollegin Dr. Petra Sitte.
Ich habe eine Frage zur strategischen Ausrichtung Ihrer Arbeit. Frau Pieper hat heute Morgen im Deutschlandfunk - das Interview wurde schon zitiert - von der
Stabilisierung der Situation in Krisenländern gesprochen
und als Beispiel die Bildungsleistung für Afghanistan in
Höhe von 10 Millionen Euro genannt. Die jüngsten Ereignisse, beispielsweise in Haiti, veranlassen mich, Sie
zu fragen, ob es heute Morgen schon erste Verständigungen darüber gegeben hat, wie man Haiti nach dem Erdbeben helfen kann.
Ich muss Ihnen gestehen, Frau Kollegin Sitte, dass
wir bei unserer in der Tat ernsthaften Beratung des Themas Haiti am heutigen Morgen nicht in allererster Linie
an die Kultur gedacht haben. Was Haiti betrifft, sind jetzt
ganz konkrete humanitäre Notaktionen fällig. Daran anschließend ist im internationalen Kontext eine gigantische Aufbauleistung zu erbringen.
Ich glaube, wenn wir sozusagen das erste Geröll abgeräumt haben, wieder einigermaßen frei im Kopf sind
und die Aufbauarbeit in Angriff nehmen können, ist es
richtig, auch die kulturelle Dimension zu thematisieren.
Gegenwärtig sind wir aber noch nicht so weit. Es wäre
unrealistisch, zu behaupten, wir würden im Zusammenhang mit Haiti jetzt schon über konkrete Kulturprojekte
sprechen. Ich bin mir aber ganz sicher, dass wir auch
dieses Thema ernst nehmen.
({0})
- Ja, okay. Auf diesem Gebiet passiert gegenwärtig
enorm viel. Wir befinden uns in der internationalen Abstimmung. Die Bundesrepublik Deutschland sollte aber
keine Einzelaktionen unternehmen. Das Vorgehen wird
im Rahmen der Vereinten Nationen abgestimmt. Es ist
natürlich ganz wichtig, dafür zu sorgen, dass den Kindern unabhängig von den drängenden Fragen der Infrastruktur so schnell wie möglich wieder ein breites Bildungsangebot gemacht werden kann. Das ist eines der
zentralen Themen, mit denen sich die Vereinten Nationen befassen; daran werden wir uns beteiligen. Aber an
dieser Stelle kann ich noch keine konkreten eigenen, nationalen Projekte beisteuern.
Das Wort zu einer weiteren Frage hat der Kollege
Dr. Hermann Ott.
Danke, Frau Präsidentin. - Herr Staatsminister, als
Wuppertaler Abgeordneter nutze ich ganz schamlos
meine Kenntnis der Tatsache, dass Sie gebürtig aus
Wuppertal sind, zu einer Frage aus, die das Globale mit
Wuppertal verbindet. Sie wissen, dass Pina Bausch, die
sicherlich als eine der Kulturbotschafterinnen Deutschlands bezeichnet werden kann, vor kurzem gestorben ist.
Sie wissen auch, dass es Bestrebungen gibt, eine Stiftung
zu Ehren von Pina Bausch einzurichten, vielleicht sogar
im Schauspielhaus, das akut von Schließung bedroht ist.
Könnte sich die Bundesregierung, konkret das Auswärtige Amt und Sie oder Ihre Kollegin Frau Pieper, dafür
einsetzen, dass eine solche Stiftung mit Mitteln des Bundes gefördert wird, um weiterhin in die Welt auszustrahlen?
Herr Kollege Ott, Sie wissen, dass ich jetzt hier in die
schwere Versuchung gerate, nicht nur als Wuppertaler,
sondern auch als Bewunderer des Lebenswerks von Pina
Bausch zu sagen: Ja, da steigen wir richtig ein. Haushälterisch wäre eine solche Aussage natürlich einigermaßen
unseriös. Ich kann Ihnen nur versichern, dass wir die
große Leistung dieser Künstlerin für unsere Nation zu
würdigen wissen und dass wir es begrüßen, wenn diese
Erinnerung in Wuppertal hochgehalten wird.
Eine konkrete Antwort und Zusage im Hinblick auf
das Thema Schauspielhaus in Wuppertal wäre angesichts der Tatsache, dass in Nordrhein-Westfalen gegenwärtig viele große Schauspielprojekte auf der Tagesordnung stehen, etwas Verwegenes. Aber dass ich große
Sympathie für dieses Projekt habe, können Sie sich vorstellen. Darüber sprachen wir ja bereits.
Die nächste Frage stellt die Kollegin Edelgard
Bulmahn.
Herr Staatsminister, es ist sicherlich für uns alle sehr
erfreulich, dass Sie in Ihrer Politik der Auswärtigen Kulturpolitik einen so hohen Stellenwert zumessen. Damit
stoßen Sie auf sehr große Zustimmung.
Meine Frage bezieht sich auf das Programm des
Deutschen Akademischen Austauschdienstes, ganz konkret auf die Studienangebote im Ausland. Sie werden
verstehen, dass ich mich selber sehr darüber gefreut
habe, dass das Auswärtige Amt seit Frank-Walter
Steinmeier gerade der wissenschaftlichen Zusammenarbeit einen größeren Stellenwert zumisst. Vor vielen
Jahren haben wir das Programm „Studienangebote deutscher Hochschulen im Ausland“ gestartet, das zu sehr erfolgreichen Gründungen von Hochschulen im Ausland
in Kooperation mit deutschen Hochschulen geführt hat.
Ich nenne nur die Hochschulen in Kairo und in Amman.
Meine Frage geht dahin, ob die Finanzierung dieser
Hochschulen gesichert ist, und zwar nicht nur für dieses
Jahr, sondern auch für das nächste und übernächste Jahr;
denn der Erfolg dieser Ausgründungen, die wir getätigt
haben, hängt auch von der Verlässlichkeit und Stabilität
der Finanzierung für einen bestimmten Zeitraum ab. Es
ist völlig klar - das füge ich hinzu, um nicht missverstanden zu werden -, dass es nicht um eine Dauerfinanzierung geht; aber wir müssen die Finanzierungssicherheit für den Zeitraum haben, in dem sich die
Hochschulen noch im Aufbau befinden.
Deshalb wäre es sehr schön, wenn Sie meine Frage
positiv beantworten könnten. Wenn Sie es im Moment
nicht können, weil die Finanzierung über das BMBF erfolgt, dann bitte ich Sie, diese Frage schriftlich zu beantworten.
Letzteres werde ich in Zusammenwirken mit dem
BMBW sehr gerne tun.
({0})
- Heute BMBF. - Trotzdem ist es natürlich ein Thema,
das für uns enorm wichtig ist. Wir haben diese Projekte
auch als außenpolitische Projekte auf den Weg gebracht,
und für uns ist Nachhaltigkeit ein Grundprinzip. Wenn
man so etwas auf den Weg bringt, muss man das Kind so
lange begleiten, bis es selber laufen kann. Die Projekte,
die wir auf den Weg gebracht haben, sind meines Wissens in trockenen Tüchern; aber ich werde dies gemeinsam mit dem BMBF noch einmal mit Zahlen zu belegen
versuchen. Ich halte es für wichtiger, diese Dinge mit
Nachhaltigkeit auszustatten, als hektisch zu viele neue
Sachen anzufangen. Deswegen bin ich in diesem Punkt
sympathisierend auf Ihrer Seite.
Zu einer weiteren Nachfrage hat die Kollegin KrügerLeißner das Wort.
Herr Staatsminister, ich würde Sie gerne etwas zu unseren Auslandsschulen fragen. Mit der Entwicklung und
der PASCH-Initiative können wir alle ganz zufrieden
sein. Wir können stolz sein auf das, was sich da getan
hat.
Sie haben vorhin gesagt, dass der Haushaltsansatz für
die Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik erhöht worden ist. Das trifft auf den ersten Blick zwar auch auf den
Bereich der Auslandsschulen zu; aber es steigen lediglich die Aufwendungen für die Lehrkräfte. Die Zuwendungen an die Auslandsschulen selbst gehen zurück, und
das angesichts dessen, dass die Zahl der Auslandsschulen, die Zahl der Sprachdiplome und die Kosten für die
Lebensführung insgesamt gestiegen sind. Mir macht das
große Sorgen.
Gleichzeitig wollen Sie, dass die deutschen Auslandsschulen Qualitätsstandards einhalten bzw. erreichen.
Dazu haben Sie mit der ZfA bestimmte Qualitäts- und
Entwicklungsziele vereinbart. Sie wollen das auch messen: Alle drei bis fünf Jahre, habe ich nachgelesen, wollen Sie auswerten, ob die Instrumente geeignet sind. Gibt
es da konkrete Vorstellungen? Wann können wir mit der
ersten Auswertung der Daten hinsichtlich der Qualitätssteigerung in den deutschen Auslandsschulen rechnen?
Mit dieser Frage bin ich überfordert. Ich vermute,
dass wir 2011 so weit sein werden - das würde in der
Logik des Aufbaus der Schulen Sinn machen -, ich habe
mir den genauen Zeitplan der einzelnen Schritte allerdings nicht geben lassen.
Dass wir uns nicht missverstehen: Ich teile Ihre
Sorge. Im Etat sind 54,7 Millionen Euro vorgesehen; das
ist gleich viel wie für 2009. Angesichts der Gesamtentwicklung ist das natürlich nicht erfreulich. Das gilt allerdings für viele Bereiche dieses Bundeshaushalts.
Auswärtige Kulturpolitik ist - wie Kulturpolitik überhaupt - immer Kampf um die Mittel. Man hat es dabei
mit starken Gegnern zu tun. Damit meine ich nicht nur
den Finanzminister - das liegt in der Natur der Sache -,
sondern auch andere Bereiche der Auswärtigen Kulturund Bildungspolitik. Deswegen ist es, finde ich, ein Erfolg, dass es gelungen ist, den Etatansatz zu stabilisieren.
Angesichts der Tatsache, dass in der Aufbauphase für
viele neue Partnerschulen oder Schulen, die zu Partnerschulen gemacht worden sind, sozusagen die Grundinvestitionen getätigt sind, erscheint mir die Situation
vergleichbar. Ich gehe aber wie Sie davon aus, dass wir
für diesen Bereich in den nächsten Jahren mehr Geld
brauchen. An diesem Partnerschaftsprogramm nehmen
jetzt 1 400 Schulen teil. Wir können uns vorstellen - in
Linie mit dem, was die alte Bundesregierung und Herr
Steinmeier in diesem Punkt gemacht haben -, auf
1 500 Schulen zu kommen. Dazu braucht es aber ein
bisschen mehr Geld.
Weitere Fragen zu dem Bericht des Herrn Staatsministers? - Frau Kurth hat das Wort zu einer Nachfrage
zu dem Bericht des Herrn Staatsministers.
Noch eine Frage zu den Finanzen. Sie haben vorhin
erfreulicherweise gesagt, dass die Ausstellung „Kunst
der Aufklärung“ Ihnen ein Herzensanliegen sei. Auch
wir begrüßen außerordentlich, dass diese Ausstellung
zustande kommen wird.
Sie haben vorhin aber auch gesagt, dass es wichtig ist,
kleinere Vorhaben weiterhin finanziell zu unterstützen,
zum Beispiel zu helfen, dass finanzschwache Länder
ihre Filmemacher zu den Internationalen Kurzfilmtagen
Oberhausen schicken können. Auch die Berliner Literaturtage zählen zu den kleineren Vorhaben, die ausfinanziert werden müssen. Ich frage sie daher, ob es stimmt,
dass die Ausstellung in Peking nicht, wie das im Haushaltsansatz für 2010 ursprünglich vorgesehen war, zulasten anderer Kulturvorhaben in Ihrem Bereich gehen
wird. Das ist meines Wissens zurückgenommen worden.
Wird diese Ausstellung, die wir alle sehr begrüßen, auch
2011 auf keinen Fall zulasten anderer kultureller Vorhaben gehen?
Ich persönlich gehe davon aus - ich glaube, die Bundesregierung insgesamt geht davon aus -; denn durch die
in der Sache bedauerliche Verzögerung beim Bau des
Museums in Peking findet eine Entzerrung statt, sodass
sich die vorgesehenen Mittel auf die Haushaltsjahre
2010 und 2011 verteilen. Dadurch ist wieder ein bisschen Bewegungsspielraum entstanden. Die Weiterfinanzierung der Internationalen Kurzfilmtage Oberhausen
oder die Weiterfinanzierung der Literaturwerkstatt Berlin, des Deutschen Übersetzerfonds oder der Präsenz auf
der Leipziger Buchmesse, das war alles noch nicht in
trockenen Tüchern. Wir haben es mittlerweile in trockenen Tüchern, und darüber bin ich sehr glücklich.
({0})
Weitere Nachfragen zum Bericht des Herrn Staatsministers liegen mir nicht vor.
Gibt es Fragen zu anderen Themen der heutigen Kabinettssitzung? - Kollege Fell, bitte.
Frau Präsidentin, vielen Dank, dass Sie mir noch die
Gelegenheit dazu geben. - Meine Frage bezieht sich auf
den heutigen Beschluss des Bundeskabinetts zur Solarvergütung. Frau Staatssekretärin Reiche, ich nehme an,
dass Sie sie mir beantworten werden.
Ich frage die Bundesregierung: Was ist die wissenschaftliche Basis für die Absenkung der Vergütung um
16 Prozent ab Juli 2010, und was ist die wissenschaftliche Basis für den Ausschluss der Agrarflächen von der
EEG-Vergütung?
Bitte, Frau Staatssekretärin.
Frau Präsidentin! Herr Kollege Fell, Sie geben mir
mit Ihrer Frage die Gelegenheit, den Beschluss der Bundesregierung hinsichtlich einer Formulierungshilfe für
den Deutschen Bundestag zur Neuregelung der Fotovoltaik umfassend vorzustellen, weil ich der Auffassung
bin, dass Sie mit Ihren Fragen darauf zielen, dass die
Vermutung angestellt wird, wir könnten es mit dem Ausbau der erneuerbaren Energien oder gar der Fotovoltaik
nicht ernst meinen.
Die Geschichte der Fotovoltaik in Deutschland ist eine
Erfolgsgeschichte: Unsere Unternehmen und unsere Forschung sind weltweit technologisch führend, die Branche
hat einen hohen Exportanteil, und die Anzahl der in der
Solarbranche Beschäftigten einschließlich Handwerkern
beträgt mittlerweile über 60 000. Für uns ist die Solarenergie sehr wohl ein zentraler Zukunftsmarkt.
({0})
Herr Kollege Fell, allein im Jahre 2009 wurden allerdings neue Fotovoltaikanlagen mit einer Gesamtleistung
von 3 000 Megawatt installiert. Die Prognose lag bei
1 700 bis 1 800 Megawatt. Damit sind Anlagen mit einer
Gesamtleistung von mittlerweile rund 9 000 Megawatt
in Betrieb. Obwohl wir unsere Zubauprognose mit einer
Zielmarke von jährlich 3 500 Megawatt verdoppeln wollen, war und ist eine Korrektur der Vergütung zwingend
geboten.
Die Solarenergie hat im Vergleich zu anderen erneuerbaren Energien ohne Frage das größte Ausbaupotenzial, aber im vergangenen Jahr gab es an den Märkten einen Preisverfall von bis zu 30 Prozent. Auch in diesem
Jahr wird ein Preisverfall von bis zu 15 Prozent prognostiziert. Deshalb haben wir ein sehr differenziertes System der Korrektur vorgeschlagen, das die Elemente enthält, die Sie eben beschrieben haben, aber eben auch
noch sehr viel mehr.
Wir schlagen vor, die Subventionen für Dachanlagen
um 16 Prozent und für Anlagen auf Konversionsflächen
nur um 11 Prozent abzusenken. Die Förderung von Anlagen auf Freiflächen und auf sonstigen Flächen wird um
15 Prozent abgesenkt. Das heißt, das Thema Freifläche
ist und bleibt für uns wichtig. Die jährliche Absenkung
der Vergütung, das heißt, die Degression, wird stärker an
das Marktwachstum angepasst.
Das Wichtigste ist aber, dass wir die Zielmarke vergrößern. Sie lag bislang in den von den Experten schon
als sehr ambitioniert eingeschätzten Prognosen bei
1 700 Megawatt. Wir vergrößern diese auf 3 500 Megawatt und tun damit das, worum wir von den Unternehmen gebeten worden sind, nämlich dafür Sorge zu tragen, dass das Volumen in Deutschland erhöht werden
kann.
Die Absenkung soll zum 1. Juli 2010 erfolgen. Wir
sorgen damit für die notwendige Rechtssicherheit von
Planungen, sagen aber gleichzeitig, dass es in der Gesamtbetrachtung der Differenzkosten, bei der die Solarenergie schon heute den größten Anteil hat, nicht zu Unwuchten kommt.
Freiflächen werden nach wie vor genutzt, Herr Kollege Fell; das ist uns wichtig. In den Ackerflächen sehen
wir aber eben eine Konkurrenz, die auch für die Akzeptanz der Solarenergie nicht ganz ungefährlich ist; denn
wir können nicht ignorieren, dass es in Deutschland
Gebiete gibt, wie den Osten, die sich sehr um eine Ansiedlung auf Freiflächen bemühen und wo es ja auch
erfolgreiche Ansiedlungen gab. Der Widerstand - insbesondere in südlichen Teilen unseres Landes - gegen
einen großflächigen Zubau von Solaranlagen auf wertvollen Ackerflächen kann aber dazu führen, dass die Akzeptanz der von uns gewollten Solarförderung abnimmt.
Deswegen werden wir an dieser Stelle korrigieren.
Der Zubau auf Ackerflächen wird nicht mehr genehmigt und in Zukunft verboten werden. Ausgenommen
sind allerdings Flächen, auf denen schon jetzt Anlagen
geplant sind, um hier nicht in laufende Prozesse einzugreifen. Der Zubau auf Konversionsflächen oder beispielsweise auf Flächen entlang von Straßen wird aber
nach wie vor gefördert.
Nach unserer Geschäftsordnung ist es vorgesehen,
dass die Befragung der Bundesregierung bei Bedarf verlängert werden kann. Bisher hatten wir allerdings noch
nicht den Fall, dass wir gleich zwei gut vorbereitete Berichte der Bundesregierung gehört haben. Ich bitte die
zwei Nachfragenden, die ich deshalb jetzt noch zulasse,
um kurze und damit auch kurz zu beantwortende Fragen,
sodass wir dann in die Fragestunde übergehen können.
Kollege Fell, Sie können eine Nachfrage stellen; nach
der Beantwortung hat der Kollege Michael Roth das
Wort.
Frau Kollegin Reiche, vielen Dank für die Informationen, die uns bekannt sind. Da Sie auf meine Frage, welche wissenschaftliche Basis diese Beschlüsse haben,
nicht eingegangen sind, nehme ich nun zur Kenntnis,
dass es offensichtlich keine wissenschaftliche Basis gibt.
Ich möchte Ihnen dennoch Gelegenheit geben, eine
zweite Frage zu beantworten.
Sie wissen, dass ein Großteil der deutschen Solarproduzenten bereits im Jahr 2009 rote Zahlen geschrieben
hat. Ich würde gern wissen, welche Erwartung die Bundesregierung für die Ertragssituation der deutschen
Solarindustrie in den Jahren 2010 und 2011 - nach der
drastischen Vergütungssenkung - hat.
Kollege Fell, der Preisverfall im vergangenen Jahr hat
stattgefunden, obwohl es eine sehr auskömmliche Vergütung gab. Das EEG ist ausdrücklich nicht darauf angelegt, den Produzenten als solches zu fördern, sondern die
gesamte Wertschöpfungskette, die Installation von Leistung. Wir können mit dem EEG nicht regeln, wo Gewinne anfallen, wo die meisten Gewinne realisiert werden. In der Tat ist es so, dass es bei den Installateuren die
größte Gewinnschöpfungsspanne gab.
Bei der neuen EEG-Förderung achten wir darauf, dass
der Eigenverbrauch gestärkt wird, dass also diejenigen,
die eine Solaranlage auf dem Dach installieren und die
gewonnene Leistung für sich selbst verbrauchen, in Zukunft nicht mehr durchschnittlich 3 Cent, sondern 8 Cent
Förderung pro Kilowattstunde erhalten, und das nicht
nur bis zu einem Volumen von 30 Kilowatt, sondern bis
zu einem Volumen von 800 Kilowatt Leistung. Deshalb
gehen wir davon aus, dass wir den Anreiz auch für private Personen stärken, in die Solarförderung zu investieren. Damit geben wir unseren Unternehmen eine
Chance, sich weiter am Markt zu etablieren; das haben
sie bisher schon getan. Wir gehen davon aus, dass die
moderaten Korrekturen dazu führen, dass sich die Unternehmen in Deutschland weiter gut entwickeln können.
Zu einer letzten Nachfrage hat der Kollege Roth das
Wort.
Frau Präsidentin, vielen Dank. - Ich frage die Bundesregierung, ob es heute in der Kabinettssitzung schon
eine Diskussion über die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes zur Vorratsdatenspeicherung gab.
Wenn ja, gibt es hierzu schon einen Zeitplan für ein etwaiges Gesetzgebungsverfahren?
Herr Kollege Roth, die Entscheidung des Verfassungsgerichts ist selbstverständlich angesprochen worden; einen Zeitplan gibt es noch nicht.
Ich beende die Befragung.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 2 auf:
Fragestunde
- Drucksache 17/839 Ich rufe die Fragen auf Drucksache 17/839 in der üblichen Reihenfolge auf. Wir beginnen mit dem Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Ernährung,
Landwirtschaft und Verbraucherschutz. Zur Beantwortung der Fragen steht der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Gerd Müller zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 1 des Kollegen Friedrich Ostendorff
auf:
Warum hat die Bundesregierung den Weltagrarbericht des
IAASTD - International Assessment of Agricultural Knowledge, Science and Technology for Development - anders als
zum Beispiel Frankreich und Großbritannien bis heute nicht
unterzeichnet?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen!
In diesem sogenannten Weltagrarbericht sind überwiegend bekannte Fakten zusammengefasst. Wir schätzen
diese Arbeit. Die Kernbotschaft dieses Agrarberichts,
dass Armut und Hunger am effektivsten durch die Steigerung der Produktivität der kleinbäuerlichen Betriebe
im Rahmen einer multifunktionalen ländlichen Entwicklung bekämpft werden können, ist internationaler Konsens.
Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage.
Frau Präsidentin, schönen Dank. - Herr Staatssekretär, der Weltagrarbericht wurde von der Weltbank und
den Vereinten Nationen initiiert. Er wurde von 500 Wissenschaftlern und Vertretern der Zivilgesellschaft in einem vierjährigen Prozess erarbeitet. Es stellt sich die
Frage, welche wissenschaftlichen Erkenntnisse die Bundesregierung dazu veranlasst haben, den Bericht nicht zu
unterzeichnen, wie es mit Einschränkungen selbst die
USA, Kanada und Australien getan haben.
Bitte, Herr Staatssekretär.
Herr Kollege, ich habe Ihnen eben dargelegt, dass wir
den Bericht zur Kenntnis genommen haben und in wesentlichen Teilen die Botschaften mittragen. Dass es
auch Bereiche gibt, über die man diskutieren kann, ist
völlig klar. Aber im Wesentlichen sind darin Kernbotschaften zusammengefasst, die sich auch in vielen anderen internationalen Dokumenten wiederfinden.
Ihre zweite Nachfrage.
Herr Staatssekretär, hat die ablehnende Haltung der
Bundesregierung zum Weltagrarbericht mit den kritischen Aussagen dieses Berichtes - und wenn, mit welchen - zu tun? Ist die Bundesregierung deshalb nicht bereit, den Bericht zu unterzeichnen?
Nein, ich habe dargestellt, dass wir den Bericht zur
Kenntnis nehmen und auch damit arbeiten, aber nicht die
Notwendigkeit gegeben ist, dieses Dokument jetzt zu
unterzeichnen.
Wir kommen zur Frage 2 des Kollegen Ostendorff:
Sieht die Bundesregierung die Belastung durch Wirtschaftsdünger, insbesondere aus der nicht flächengebundenen
Tierhaltung und auf Standorten konzentrierter Tierhaltung wie
in Nordrhein-Westfalen, als Problem für Trinkwasser und
Umwelt an, und, wenn ja, welche Lösungen schlägt die Bundesregierung auch im Hinblick auf Gülle-Importe vor, nachdem sie mehr Transparenz durch die Verbringungsverordnung
für Wirtschaftsdünger ablehnt?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Bei der Frage 2 geht es um das Thema Düngeverordnung. Ich freue mich, dass wir heute die Agrarthemen
umfassend behandeln können.
Die Düngeverordnung vom Januar 2006 konkretisiert
die Regeln der guten fachlichen Praxis beim Düngen und
trägt dem Gewässerschutz in besonderer Weise Rechnung. Diese Verordnung dient auch der Umsetzung der
EG-Richtlinie zum Schutz der Gewässer vor Verunreinigung durch Nitrat aus landwirtschaftlichen Quellen. Die
Einhaltung dieser Regeln stellt auch in Gebieten mit
konzentrierter Tierhaltung, wie wir sie in NRW, wie in
Ihrer Frage angesprochen, und in Niedersachsen haben,
einen umfassenden Gewässer- und Umweltschutz sicher.
Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage.
Herr Staatssekretär, Sie haben mit Recht darauf hingewiesen, dass besonders in Niedersachsen, aber auch in
Nordrhein-Westfalen das Problem verschärft auftritt,
weil es hier auch um den Import von Gülle und Gärsubstraten aus den Niederlanden geht. Sie wissen auch,
dass der Steuerzahler den Export von Gülle subventioniert. Das muss man einmal nachvollziehen, wie weit
eine Zivilgesellschaft gekommen ist, wenn sie den Export von Gülle mit Steuermitteln finanziert. Aber gut,
das ist nicht meine Frage.
Dieser Zustand hat das Bundesland Nordrhein-Westfalen veranlasst, tätig zu werden. Sie haben das zu erklären versucht. Es bleibt aber die Frage, warum die Bundesregierung hier keinen Handlungsbedarf sieht.
Wir haben mindestens die Nachfrage, um welche
Mengen es sich Ihrer Kenntnis nach handelt, die hier importiert aus den Niederlanden in unsere Bundesländer
einsickern.
Herr Kollege Ostendorff, entscheidend ist sicherlich,
dass die Regelungen zum Gewässer- und Umweltschutz
eingehalten werden. Das möchte ich auch in Richtung
der angesprochenen Bundesländer sagen. Wir haben hier
keine Probleme. Der Anteil der Messstellen, bei denen
eine Nitratbelastung festzustellen ist, geht zurück.
Die von Ihnen angesprochene Problematik des Vollzugs der Düngeverordnung wird ebenso wie die Kontrolle der Verbringung auf Fachebene mit den Bundesländern diskutiert. Es wird ein Entwurf erstellt, der über
den Bundesrat eingebracht wird und den wir dann mit
den Bundesländern prüfen und diskutieren.
Eine weitere Nachfrage, bitte.
Das bringt uns sofort zu der nächsten Frage nach der
bisherigen Praxis. Sind Sie der Meinung, dass die Dokumentationspflichten, die heute beim Import von Gülle
und Gärsubstraten aus den Niederlanden gelten, ausreichend sind?
Nach der Düngeverordnung muss aufgezeichnet werden, wer Wirtschaftsdünger abgibt oder aufnimmt. Die
von Ihnen angesprochene Frage der grenzüberschreitenden Verbringung ist Gegenstand der Diskussion, die wir
mit den Bundesländern führen.
Wir kommen zur Frage 3 der Kollegin Waltraud
Wolff:
Welche neuen Erkenntnisse hat die Bundesregierung, die
zu der Neubewertung des Beitrages der Landwirtschaft an der
Emission von Treibhausgasen durch die Parlamentarischen
Staatssekretäre bei der Bundesministerin für Ernährung,
Landwirtschaft und Verbraucherschutz, Julia Klöckner und
Dr. Gerd Müller, in ihrer Pressemitteilung vom 24. Februar
2010 zu einer gemeinsamen Anhörung des Ausschusses für
Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz und des
Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
zu „Landwirtschaft und Klimaschutz“ im Vergleich zum Nationalen Strategieplan der Bundesrepublik Deutschland für
die Entwicklung ländlicher Räume 2007 bis 2013 des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz von 2006 geführt haben, in dem der Anteil der Landwirtschaft an den Treibhausgasemissionen mit insgesamt rund
128 Megatonnen jährlich bzw. 13 Prozent angegeben wird?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Das
wichtige Thema „Landwirtschaft, Forstwirtschaft und
Klimaschutz“ ist Gegenstand dieser umfassenden Frage
von Frau Wolff. Der in die Berichterstattung zur Klimakonvention eingehende Anteil der Landwirtschaft an den
gesamten deutschen Treibhausgasemissionen wurde von
meiner Kollegin Klöckner und mir im Nachgang zu
unserer Anhörung im Ausschuss dem Nationalen
Inventarbericht Zum Deutschen Treibhausgasinventar
1990-2008 des Umweltbundesamtes mit Stand
15. Januar 2010 entnommen, der gemäß den Verpflichtungen nach der Klimarahmenkonvention der Vereinten
Nationen jährlich erstellt wird. In diesem Bericht wird
der Anteil der Landwirtschaft an den gesamten deutschen Treibhausgasemissionen mit 6,9 Prozent angegeben.
Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage.
Sehr geehrter Herr Staatssekretär, vielen Dank für die
Beantwortung. - Sie werden aber verstehen, dass wir gerade vor dem Hintergrund, dass wir am Montag vergangener Woche eine Anhörung zu Klimaschutz und Landwirtschaft hatten und darüber ausführlich gesprochen
haben, schon sehr verwundert sind, dass Sie den Anteil
der Landwirtschaft an den gesamten deutschen Treibhausgasemissionen auf 6 oder 7 Prozent beziffern. Nach
dem aus Ihrem Hause kommenden Nationalen StrategieWaltraud Wolff ({0})
plan liegt der Anteil der Landwirtschaft an den gesamten
deutschen Treibhausgasemissionen bei 13 Prozent; dieser Bericht stammt von 2006. Nun frage ich, ob die Bundesregierung nicht mehr die Position bezieht, wie sie in
der vergangenen Legislaturperiode deutlich gemacht
wurde, und welche neuen Erkenntnisse Sie dazu bewogen haben, jetzt die Landwirtschaft von ihrer Beteiligung quasi freizusprechen.
Frau Kollegin Wolff, dies ist nicht erfolgt. Ich möchte
für mein Ministerium präzise bleiben und darf deshalb
wiederholen: Der Anteil von 6,9 Prozent der Landwirtschaft an den gesamten deutschen Treibhausgasemissionen ist nicht meine Aussage, sondern die Basis des
Nationalen Inventarberichts Zum Deutschen Treibhausgasinventar des Umweltbundesamtes. Entscheidend ist
immer die Frage - das ist auch in anderen Bereichen
nicht unüblich -, was zugrunde gelegt wird und wo die
Systemgrenze gezogen wird. Deshalb möchte ich gerne
auf das eingehen, was Sie angesprochen haben. Der Nationale Strategieplan der Bundesrepublik Deutschland
für die Entwicklung ländlicher Räume kommt in der Tat
zu einer anderen Prozentzahl, weil die Aktivitäten der
Landwirtschaft anders abgegrenzt werden. Dort wird
also eine andere Abgrenzung getroffen. Beim Nationalen
Strategieplan werden beispielsweise die Herstellung von
Mineralöldünger, der Kraftstoffverbrauch der landwirtschaftlichen Maschinen und die Emissionen aus landwirtschaftlichen Böden einbezogen, über die gemäß
internationaler Vorgaben im Sektor Landnutzung, Landnutzungsänderung und Forstwirtschaft berichtet wird,
die jedoch zur Erfüllung der Klimaschutzverpflichtungen nach dem Kioto-Protokoll in Deutschland im Zeitraum von 2008 bis 2012 nicht anzurechnen sind. Man
muss also, wenn man von Prozentzahlen spricht, immer
die Basis sehen und berücksichtigen, was einbezogen
wird und was nicht.
Die Landwirtschaft ist sich jedenfalls der Bedeutung
dieses Themas bewusst und geht verantwortlich damit
um. Die Klimabilanz der deutschen Landwirtschaft ist
positiv. Ich möchte dies wie folgt darstellen: Seit 1990
haben wir im Bereich der Methanemissionen einen
Rückgang um 22 Prozent und bei Lachgasemissionen
aus der Stickstoffdüngung einen Rückgang um 10 Prozent zu verzeichnen. Wir setzen aktuell und in Zukunft
auf Ökoeffizienz in der Landwirtschaft. Das heißt, Themen wie Kraftstoffeinsparung und Optimierung des
Stickstoffmanagements stehen auf der Tagesordnung.
Ich erlaube mir, an der Stelle darauf hinzuweisen,
dass wir ohne die agrarische Produktion bei der CO2Bilanz ganz anders dastehen würden; denn jede Kulturpflanze bindet CO2. Je nach Kulturpflanze sind es 14 bis
20 Tonnen CO2 pro Hektar, die aus der Atmosphäre
durch Pflanzen unserer Landwirtschaft gebunden werden. Nicht zu unterschätzen sind die deutschen Wälder,
die 1,2 Milliarden Tonnen Kohlenstoffdioxid speichern.
Allein der Holzzuwachs führt dazu, dass jedes Jahr
17 Millionen Tonnen CO2 mehr aus der Atmosphäre gebunden werden. Ebenso wäre der Bereich der Bioenergie
zu nennen. Sie sehen, wir sind uns der Bedeutung dieses
Themas bewusst. Die deutsche Landwirtschaft ist sehr
verantwortungsvoll auf diesem Sektor. Wir haben die
Forschung ausgeweitet. Ich kann mit Fug und Recht sagen: Deutschland ist hier in Europa führend.
Sie haben das Wort zu einer zweiten Nachfrage.
Herr Staatssekretär, dass Methan- und Lachgasemissionen in der Landwirtschaft nicht alles sind, wissen
auch die anderen, nicht nur die Fachpolitiker und Fachpolitikerinnen. Deshalb möchte ich Sie fragen, ob Sie
nach Ihren Äußerungen in der Presse und den Korrekturen aller von der Koalition für die Anhörung benannten
Experten, die Sie auch öffentlich in der Presse korrigiert
haben, den Experten recht geben, dass alle Emissionen,
die in der Landwirtschaft entstehen, einzubeziehen sind,
damit man eine objektive Bilanz wie in anderen Wirtschaftsbereichen auch erzielt. Ich denke, nur auf diese
Art und Weise bekommen wir die Landwirtschaft aus
der Kritik.
Ich habe auf die großen Anstrengungen der deutschen
Landwirtschaft zur Reduzierung der Treibhausgase hingewiesen. Es kommt uns sicherlich nicht darauf an, nun
eine Prozentdiskussion zu führen. Wir sehen den gesamten Bereich und nehmen nichts aus. Deshalb habe ich bewusst die Quellen genannt. Das ist wichtig. Bei einem
Blick auf den Nationalen Strategieplan sehen Sie, dass
wir keine enge Abgrenzung vornehmen, sondern das
weite Feld der agrarischen Produktion sehen. Dazu gehören für uns auch der Kraftstoffverbrauch landwirtschaftlicher Maschinen und andere Bereiche.
Eine weitere Nachfrage stellt der Kollege Dr. Ott.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Ich bin der Kollegin
Wolff sehr dankbar dafür, dass sie die Ergebnisse der gemeinsamen Anhörung der Ausschüsse für Landwirtschaft und Umwelt hier in die Fragestunde eingebracht
hat. Ich bin dem Staatssekretär sehr dankbar, dass er
richtiggestellt hat, was auch das Ergebnis der Anhörung
war, nämlich dass die Emissionen aus der Landwirtschaft eben nicht zu vernachlässigen sind, wie es die
Größe von 6 bis 7 Prozent nahelegt, sondern dass im Gegenteil 13 bis 15 Prozent der deutschen Emissionen der
Landwirtschaft zuzurechnen sind. Die Frage ist nun, was
das Ministerium und die Bundesregierung mit diesen Erkenntnissen machen.
Auch Ihnen ist bekannt, dass physikalisch bedingt die
Produktion von Fleisch zu den größten Emissionen
führt, weil das Sechs- bis Zehnfache der Energie, die
man aus dem Fleisch bekommt, durch pflanzliche Rohstoffe eingesetzt werden muss. Die Ministerin hat anlässlich der Grünen Woche darauf hingewiesen, dass
nicht geplant sei, den Fleischkonsum in Deutschland im
Zusammenhang mit der Klimadiskussion und den Emissionen in irgendeiner Weise zum Thema zu machen.
Meine Frage an Sie lautet: Hat in Bezug auf dieses
Thema ein Umdenkprozess innerhalb des Ministeriums
eingesetzt, um der Rolle des Fleischkonsums in der Klimadebatte endlich gerecht zu werden?
Herr Kollege, ich habe deutlich gemacht, dass es uns
um den umfassenden Ansatz der Diskussion geht, und
deshalb habe ich beispielsweise die Bedeutung des Forstes durch die Bindung von CO2 im Pflanzenbau und damit die herausragende Rolle der Landwirtschaft für den
Klimaschutz nicht nur in Deutschland, sondern weltweit
hervorgehoben.
Die Landwirtschaft kann aber nicht nur durch innovative Methoden zum Klimaschutz beitragen, sondern sie
ist natürlich auch Opfer des Klimawandels - dafür
herrscht ein ganz starkes Bewusstsein -, insbesondere in
anderen Regionen. Ich nenne nur die Stichworte Überschwemmungen, Versteppung, Dürre und Ausbreitung
der Wüsten.
Gehen Sie davon aus, dass wir einen Ansatz haben,
der weit darüber hinausgeht. Deshalb war dies auch ein
Schwerpunkthema der Ministerin auf unserem - in Anführungszeichen - Weltagrargipfel, also unserem Agrargipfel im Rahmen der Grünen Woche. Wir haben die
Problematik eines koordinierten Vorgehens mit Agrarministern aus über 50 Ländern besprochen.
Bei der Fleischproduktion - auch darauf habe ich
schon hingewiesen - geht es um das Methan. Wir können natürlich nicht die Kuh als Wiederkäuer abschaffen.
Aber Sie müssen auch zur Kenntnis nehmen, dass die
Methanreduzierung um 22 Prozent seit 1990 ein wesentlicher Beitrag und Erfolg ist.
Die letzte Nachfrage zur Frage 3 stellt der Kollege
Ostendorff.
Herr Staatssekretär, wir sind jetzt an einem entscheidenden Punkt der Diskussion. Die Ministerin hat auf der
Grünen Woche sehr deutlich gemacht, dass die Fleischexportstrategie, die Fleischproduktionsstrategie der Schwerpunkt ihrer Politik ist. Sie hat auch sehr deutlich gemacht,
dass der Klimaschutz jetzt hinten anstehen muss.
Sind Sie nach den Erfahrungen aus der Anhörung und
im Hinblick auf den heutigen Diskussionsstand mit uns
der Meinung, dass man diese Strategie korrigieren
muss?
Herr Ostendorff, Sie sind ein sehr geschätzter Kollege, der sich aber sehr stark durch eine selektive Wahrnehmung auszeichnet und nur das hört, was er hören
möchte. Aber selbst das habe ich nicht gehört.
Ich rufe die Frage 4 der Kollegin Waltraud Wolff auf:
Wie berücksichtigt die Bundesregierung in ihrer Politik
zur nachhaltigen Landbewirtschaftung alle mit der landwirtschaftlichen Produktion verbundenen klimarelevanten Emissionen, also auch die energiebedingten Emissionen der Landwirtschaft, die Kohlenstoffvorratsänderungen in der Biomasse
und in Böden unter landwirtschaftlicher Nutzung und durch
Landnutzungsänderung, und die Emissionen, die mit dem
Einsatz von Importfuttermitteln verbunden sind, auf die die
Experten des Johann Heinrich von Thünen-Instituts in ihrer
Stellungnahme zu dieser Anhörung hingewiesen haben und
die in der jährlichen nationalen Emissionsberichterstattung im
Kapitel Landwirtschaft fehlen, in der nur Emissionen von CH4
und N2O aus Tierhaltung, Stickstoffdüngung und atmosphärischem Stickstoffeintrag - vor allem von NH3 - berichtet werden?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Meine Antwort ist: In der Umwelt- und Agrarpolitik
der Bundesregierung und der EU werden die in der
Frage genannten Treibhausgasemissionen der Landwirtschaft berücksichtigt.
Ich möchte konkrete Beispiele nennen: die angestrebte Rückführung des Stickstoffüberschusses gemäß
der nationalen Nachhaltigkeitsstrategie, die Begrenzung
der Ammoniakemissionen auf 550 000 Tonnen pro Jahr
gemäß der Richtlinie über nationale Emissionshöchstmengen - dies geschieht beispielsweise in großen Stallungen, in modernen Betrieben durch den Einbau von
Ammoniakfiltern -, die Einschränkung des Grünlandumbruches, die Förderung des Klimaschutzes im Rahmen
der Gemeinschaftsaufgabe, die Einsparung von Energie
durch das Bundesprogramm, die Ausrichtung der Agrarforschung auf mehr Klimaschutz und die Einrichtung eines Instituts für Agrarrelevante Klimaforschung.
Wir kommen den Forderungen der Kollegin Wolff
und der Opposition schon weitgehend nach. Das ist auch
kein Wunder, denn wir haben vier Jahre sehr erfolgreich
miteinander regiert, und da haben auch Sie einiges mit
auf den Weg gebracht.
Kollegin Wolff hat das Wort zur ersten Nachfrage.
Ja, Herr Staatssekretär, wir haben zwar vier Jahre miteinander regiert, aber das reicht noch lange nicht aus. Ich
beziehe mich auch bei meiner zweiten Frage auf die Anhörung, die wir am vergangenen Montag hatten. Es geht
mir noch einmal um die Landnutzungsänderungen, sprich
Waltraud Wolff ({0})
den Grünlandumbruch. Sie haben gesagt, wir würden den
Grünlandumbruch schon sehr weitgehend verbieten.
Ganz so ist es aber nicht. Auch Sie wissen, dass wir in
vier Bundesländern über der 5-Prozent-Grenze liegen.
Das liegt auch daran, dass es kein generelles Verbot gibt,
sondern dass man die Flächen saldieren kann. Das heißt,
dass man gute Moorböden gegen schlechte Böden tauschen kann. All das wollen wir eigentlich nicht.
In der Anhörung ist ganz deutlich geworden, dass
30 Prozent der CO2-Emissionen in Mooren durch Grünlandumbruch erfolgen. Moore umfassen nur 8 Prozent
der gesamten landwirtschaftlichen Fläche in Deutschland. Hat sich die Bundesregierung angesichts dessen
eine Strategie zur Vermeidung von CO2-Emissionen
überlegt? Hat sich die Bundesregierung schon andere Erwerbsmöglichkeiten für die dortigen Bauern überlegt?
Sie haben zu Recht auf den ganz wichtigen Bereich
der Moore aufmerksam gemacht. Dieser Bereich steht
nicht so im Fokus der öffentlichen Diskussion. Er war
Teil der Anhörung. Natürlich haben wir das, wonach Sie
gefragt haben, in unsere aktuellen Überlegungen aufgenommen. Für unsere Experten auf dem Gebiet der
Agrarforschung waren dies natürlich keine neuen Erkenntnisse; an einer Lösung der Probleme wird seit Jahren gearbeitet.
Wir sehen den Grünlandumbruch genauso kritisch wie
Sie. In der Tat gibt es die eine oder andere Region, in der
dieses Thema vielleicht mit einem stärkeren Bewusstsein
behandelt werden muss. Das Grünland hat einen hohen
Stellenwert. Auch durch die Cross-Compliance-Regelungen wird dies deutlich gemacht. Wir versuchen, nicht zuletzt durch besondere Förderansätze, zum Erhalt des
Grünlandes, auch was seinen jetzigen prozentualen Anteil angeht, beizutragen.
Kollegin Wolff, Sie haben die Möglichkeit zu einer
zweiten Nachfrage.
Ist die Bundesregierung bereit, gerade beim Umbruch
von Mooren ein strengeres Regime anzulegen, sprich:
zieht sie ein generelles Grünlandumbruchverbot in Erwägung?
Den Umbruch von Mooren werden wir auf dem Hintergrund der Darlegungen der Anhörung im Ausschuss
einer gezielten Überprüfung unterziehen.
Ich bitte, Nachfragebedürfnisse in Zukunft etwas früher zu signalisieren. Ich lasse die beiden angemeldeten
Nachfragen noch zu, mit der Bitte, wirklich Fragen zu
stellen und darauf Rücksicht zu nehmen, dass auch die
nachfolgenden Kollegen Antworten auf ihre Fragen bekommen sollen.
Kollege Ott, Sie haben das Wort.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. Ich weiß das zu schätzen. - Herr Staatssekretär, Sie haben auf die Fragen der
Kollegin Wolff und übrigens auch auf meine, was Grünlandumbruch und Fleischkonsum betraf, sehr ausweichend geantwortet.
Für die Emissionen der Landwirtschaft gibt es einen
dritten zentralen Grund: den Einsatz von Düngemitteln.
Plant die Bundesregierung, planen Sie, plant Ihr Ministerium eine stärkere Einschränkung des Stickstoffgehalts
der Böden durch eine restriktivere Düngemittelverordnung?
Ihre Frage suggeriert, dass wir darauf in den letzten
Jahren nicht streng genug geachtet haben. Die von mir
genannten Zahlen bezüglich der Reduzierung von Lachgasemissionen beweisen das Gegenteil.
Die letzte Nachfrage stellt der Kollege Ostendorff.
Herr Staatssekretär, Sie haben ausgeführt, dass die
landwirtschaftlichen Tierhaltungsbetriebe mit Ammoniakfiltern ausgerüstet seien. Ist Ihnen bekannt, dass das bei
der großen Mehrheit der landwirtschaftlichen Bauvorhaben nicht zwingend vorgeschrieben ist? Der landwirtschaftliche Hähnchenmäster mit 39 900 Hähnchen macht,
wenn es gut geht, 8 Cent Gewinn pro Hähnchen. Eine Ammoniakfilteranlage kostet pro Hähnchen 10 Cent. Wo ist
dieser Ammoniakfilter Ihrer Erkenntnis nach eingebaut
worden?
Für Ammoniakemissionen gibt es eine Obergrenze
von 550 000 Tonnen pro Jahr - wie Sie wissen, gibt es
dazu eine neue Richtlinie -; die Höchstgrenze darf nicht
überschritten werden. Wir müssen jetzt eine neue Implementierung umsetzen. Positive Auswirkungen durch den
Einbau solcher Ammoniakfilter in größeren und modernen Ställen gibt es schon heute.
Ich rufe die Frage 5 des Kollegen Michael Roth auf:
Welchen Einfluss hat das Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz auf die High Level Group Milk, die den Ausstieg aus der Milchquote 2015
vorbereitet, und welche Überlegungen gibt es für mögliche
neue Marktinstrumente nach 2015?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Frau Präsidentin! Herr Roth, ich freue mich, dass ich
von Ihnen als Außenpolitiker eine umfassende Frage zur
Zukunft der EU-Milchpolitik bekomme. Ich würde dazu
gerne ein 30-minütiges Spontanreferat halten. Darf ich,
Frau Präsidentin?
Dürfen Sie nicht. Dazu müssten Sie sich mit dem Kollegen Roth und den anderen Fachpolitikern in einer anderen Veranstaltung verabreden.
Ich bitte dann aber den Fragesteller, auch mit kurzen
Hinweisen einverstanden zu sein. Es handelt sich nämlich wirklich bei der Frage zur High Level Group Milk
um eine globale Frage. Diese Gruppe berät ja derzeit in
Brüssel die gesamten mittel- und langfristigen Aspekte
einer zukünftigen EU-Milchpolitik. Die Bundesregierung wird nun gefragt, wie sie dazu stehe.
Meine Damen und Herren, die Milcherzeuger in Europa sind in einer Krise. Das wissen wir alle. Die High
Level Group hat vonseiten der Kommission den Auftrag,
für die Kommission und dann für den Rat Vorschläge zu
erarbeiten, wie wir nach dem Auslaufen der Milchquote
2014 weiter vorgehen können. Ich möchte es einmal folgendermaßen zusammenfassen:
Erstens. Es besteht ein breiter Konsens unter den Mitgliedstaaten hinsichtlich der Marktinstrumente. Wir brauchen auch zukünftig ein wirksames Sicherheitsnetz.
Zweitens. Eines der Hauptprobleme ist die Preisvolatilität. Die Ausschläge bei den Milchpreisen ähneln denen am Neuen Markt. Das gab es 40 Jahre lang nicht auf
dem Milchmarkt, dass erst wie im Jahr 2007 die von den
Erzeugern zu erlösenden Preise auf 40 Cent und darüber
steigen und dann innerhalb von einem Jahr auf 20 Cent
fallen. Wie reagiert man darauf? Ein Vorschlag der High
Level Group Milk lautet, auch für Milchprodukte einen
Warenterminmarkt einzuführen. Das ist in der Landwirtschaft, bei den Produzenten und bei den Verarbeitern,
umstritten. Wir müssen uns dazu zusammen mit der
Branche eine Meinung bilden.
Drittens. Grundkonsens mit der Branche und mit dem
Kartellamt besteht darin, dass es darum gehen muss, die
Verhandlungsmacht der Milcherzeuger zu stärken, nicht
nur national, sondern europaweit. Derzeit ist die Situation so, dass der Preis von oben gebildet wird. Das heißt,
die große Nachfragemacht der deutschen Discounter
setzt Preissignale bei den zu verarbeitenden Produkten
der weißen Linie, und diese werden über die Molkereien
an die Erzeuger weitergegeben. Derjenige, der dabei
ganz vorn im Boot sitzt, nämlich der Milcherzeuger,
muss mit Preisen zurechtkommen, die keine langfristige
Produktionsperspektive eröffnen. Deshalb steht im Mittelpunkt eine Stärkung der Verhandlungsmacht der Milcherzeuger.
Es gibt insgesamt drei bis vier Ansätze, bei denen
Übereinkommen in der High Level Group besteht. Die
Gruppe setzt ihre Arbeit fort. Wir werden dem Parlament
natürlich im Ausschuss und, wenn es gewünscht ist,
auch hier detailliert Auskunft darüber geben, wie wir uns
positionieren.
Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Mit Verlaub, Herr
Staatssekretär, ich habe Ihnen als Europapolitiker eine
ganz konkrete Frage gestellt. Sie haben sie mir aber
nicht so konkret beantwortet, wie ich es mir gewünscht
hätte. Insofern stelle ich gerne noch eine Nachfrage:
Spielt bei den Diskussionen in der High Level Group
Milk auch eine Regulierung der Milchmengen, wie sie
von einigen Beteiligten immer wieder gefordert wird,
eine entsprechende Rolle?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Lieber europapolitischer Kollege Michael Roth, was
heißt Regulierung? Wenn Sie damit eine Fortgeltung der
Quote meinen, dann kann ich diese Frage mit Nein beantworten.
({0})
Sie haben das Wort zur zweiten Nachfrage.
Sehen Sie denn neben einer Quotenregelung, die - das
ist ja allen bekannt - 2015 ausläuft, weitere Möglichkeiten einer Regulierung? Wenn ja, wie könnten diese aus
Sicht der Bundesregierung aussehen?
Wir gehen davon aus, dass die Quote ausläuft. Darauf
müssen sich die Betriebe in Deutschland einstellen, indem sie leistungsfähiger werden. Zugleich aber müssen
wir sie auf der Kostenseite entlasten. Das ist ein Punkt.
Wir müssen darüber hinaus dafür sorgen, dass die
Wertschätzung und die Wertschöpfung von Milch und
Milchprodukten insgesamt im Rahmen der agrarischen
Erzeugung gestärkt werden. Es kommt zu wenig beim
Landwirt an. Das betrifft die gesamte Wertschöpfungskette. Hier gibt es nur wenige Möglichkeiten, regulierend in die Märkte einzugreifen.
Wir kommen zur Frage 6 des Kollegen Michael Roth:
Wie ist der Stand der Simulation bezüglich der acht biophysikalischen Kriterien für die Neuabgrenzung der benachteiligten Gebiete, die von der Europäischen Kommission vorgeschlagen worden sind, und wann ist mit den Ergebnissen zu
rechnen?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Dies ist ein spannendes Thema für Insider der Agrarpolitik. Deutschlands gesamte Agrarfläche ist in nicht
benachteiligte und in benachteiligte Agrarzonen aufgeteilt. Daraus resultieren entsprechende Fördermöglichkeiten über Programme der Europäischen Union, aber
auch über nationale Programme.
Nunmehr soll es zu einer Neuabgrenzung der benachteiligten Agrarregionen kommen. Dazu hat die Kommission in einer Mitteilung das neue Konzept sogenannter
biophysikalischer Indikatoren vorgelegt. Wir haben
diese angewandt und simuliert, was dies für Deutschland
bedeuten würde. Die Anwendung dieser Indikatoren
würde vom Ergebnis her zu einer erheblichen Verschiebung der Gebietskulisse führen. Das heißt, 2,7 Millionen
Hektar bzw. fast ein Drittel der bisherigen Gebietskulisse von 8,9 Millionen Hektar fielen heraus und circa
1,8 Millionen Hektar kämen neu hinzu. Die neue Gebietskulisse würde circa 8 Millionen Hektar umfassen.
Nun müsste man für alle betroffenen Regionen überprüfen - ich lade Sie gerne dazu ein, dies im Fachausschuss ganz konkret darzustellen -, welche Flächen herausfallen. Es ist zum Beispiel zu fragen, ob die Schwäbische Alb oder Flächen in Mecklenburg-Vorpommern
darin noch enthalten sind und welche Konsequenzen
dies hätte.
Wir sehen sehr kritisch, was vonseiten der Kommission hier vorgeschlagen wurde. Ich kann zusammenfassen: Wir lehnen den Vorschlag der Kommission zur Neuabgrenzung ab und haben dies dem zuständigen
Kommissar in dieser Woche in einem persönlichen Gespräch auch dargelegt. Denn wir bezweifeln, dass wir
damit einen Zuwachs an Einheitlichkeit, Kohärenz oder
Transparenz bekämen.
Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Herr Staatssekretär,
habe ich Sie jetzt richtig verstanden, dass Sie vor dem
Hintergrund der Simulationsergebnisse der EU-Kommission vorschlagen werden, dass alles beim Alten
bleibt?
Nein. Die Bundesregierung lehnt die Neuabgrenzung
auf der Basis des Kommissionsmodells ab. Wir müssen
aber davon ausgehen, dass es eine modifizierte Fortführung gibt. Deshalb haben wir eigene weitere Vorschläge
eingebracht. Wir setzen uns für eine Modifizierung der
Gebietsabgrenzung auf Basis des deutschen Indexsystems, das von der Ertragsmesszahl ausgeht, ein. Sie wissen, da mit der ELER-Verordnung beschlossen wurde,
dass naturbedingte Nachteile maßgeblich sind, kann die
Abgrenzung auf Basis der landwirtschaftlichen Vergleichszahl nicht mehr fortgesetzt werden. Das ist das
Problem.
Auch mit der Anwendung der EMZ, der neuen Ertragsmesszahl, ist eine Neuabgrenzung verbunden, deren
Ergebnis aber näher am heutigen Status quo als an dem
Ergebnis, zu dem der Kommissionsvorschlag führen
würde, liegen dürfte. Wir halten das Bewertungssystem
auf Basis der EMZ generell für sachgerechter als das auf
biophysikalischen Indikatoren beruhende Konzept der
Kommission.
Ihre zweite Nachfrage, bitte.
Gerne, Frau Präsidentin. - Sehen Sie, Herr Staatssekretär, auf EU-Ebene Bündnispartner für die Position der
Bundesregierung?
Die Bundesregierung hat immer Bündnispartner.
({0})
Die Frage ist, ob wir die entscheidende Mehrheit haben.
Das Gespräch mit dem zuständigen Kommissar hat gezeigt, dass die Kommission unseren Positionen gegenüber aufgeschlossen und offen ist. Ich gehe davon aus,
dass sich unsere Ministerin wie in vielen anderen Punkten erfolgreich durchsetzen wird.
Ich rufe die Frage 7 der Kollegin Elvira DrobinskiWeiß auf:
Wann genau hat das Bundesamt für Verbraucherschutz
und Lebensmittelsicherheit, BVL, dem Ruhen des Verfahrens
zugestimmt, und wann genau wurde Bundesministerin Ilse
Aigner darüber informiert, dass das Verwaltungsgericht
Braunschweig das Ruhen des Verfahrens in Sachen Monsanto
gegen das BVL angeordnet hat?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die
Frage ist in Fortsetzung zur Fragestunde vom 24. Februar zu sehen. Ich möchte sie wie folgt beantworten: Das
beklagte BVL hat auf Anfrage des Verwaltungsgerichts
Braunschweig dem Begehren des Klägers, dem Biotechnologieunternehmen Monsanto, das Verfahren ruhen zu
lassen, mit Schreiben vom 5. Februar 2010 zugestimmt.
Die gerichtliche Ruhensanordnung ist dem BVL am
Dienstag, dem 16. Februar 2010, zugestellt worden. Frau
Bundesministerin Aigner wurde am Donnerstag, dem
18. Februar 2010, darüber informiert, dass das Verwaltungsgericht Braunschweig das Ruhen des Verfahrens in
Sachen Monsanto gegen BVL angeordnet hat.
Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Die Firma Monsanto
möchte ihre Neuzulassung irgendwann beschieden haben. Herr Staatssekretär, in diesem Zusammenhang interessiert mich, wie sich die Bundesregierung bei der Abstimmung zu der Neuzulassung von MON 810 in
Brüssel verhalten wird.
Wir warten den Antrag ab.
Ihre zweite Nachfrage?
Ich bin von Ihrer Antwort etwas überrascht. Im Koalitionsvertrag steht, dass Sie aufgrund der Entscheidung
des Gerichts Ihre Haltung dazu darlegen würden. Ich
wundere mich schon etwas, dass Sie ein Verfahren, das
Sie eindeutig gewinnen würden, nicht weiter verfolgen
und damit auch nicht zur Grundlage für eine Entscheidung in Brüssel machen.
Wie wir es mit Ihnen in der vormaligen Regierung getan haben, werden wir diese Frage, sobald sie zu beantworten ist, auf der Basis des Koalitionsvertrages mit unserem Koalitionspartner diskutieren und anschließend
entscheiden.
Die Fragen 8 bis 11 beschäftigen sich mit der Kennzeichnung von Lebensmittelnährwerten.
Ich rufe die Frage 8 der Kollegin Elvira DrobinskiWeiß auf:
Welche Schlüsse zieht die Bundesregierung aus den Ergebnissen der Studie der Food Standards Agency, FSA, über
die Verständlichkeit verschiedener Nährwertkennzeichnungssysteme, nach denen Nährwertinformationen, die mit den
Ampelfarben Rot, Gelb und Grün kombiniert sind, am besten
verstanden werden?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Ich antworte wie folgt: Wir kommen zu dem Schluss,
dass die Verbraucher in Großbritannien das Darstellungssystem zur Nährwertinformation verstehen. Uns
liegen Untersuchungen vor, dass die Verbraucherinnen
und Verbraucher in Deutschland unser vorgeschlagenes
System ebenfalls verstehen.
Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage.
Vielen Dank. - Ich wünschte, es wäre so, dass sie es
tatsächlich verstünden. Nur glaube ich, dass wir dann die
Kosten für medizinische Behandlungen, gerade für die
Folgen von Übergewicht, die sich im zweistelligen Milliardenbereich bewegen, nicht hätten.
Herr Staatssekretär, mich interessiert, wer nach Meinung der Bundesregierung mehr Fachwissen zum Thema
ernährungsbedingte Krankheiten hat: Ist es die Lebensmittelwirtschaft oder sind es die entsprechenden Verbände, wie der Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte, der Spitzenverband der gesetzlichen Krankenkassen
oder auch die Bundesärztekammer?
Frau Kollegin, die Themen Ernährung, Nährwertkennzeichnung, Verbraucherinformation, Ernährungsbildung und Aufklärung haben einen hohen Stellenwert bei
der Bundesregierung. Wir sollten diesen Themen auch in
der Gesellschaft eine viel größere Aufmerksamkeit beimessen.
Wir sehen mit großer Sorge die von Ihnen angesprochene Problematik. Wenn wir die Nationale Verzehrstudie und die Folgen einer falschen Ernährung für die Gesundheit von Kindern und Jugendlichen, eigentlich für
die Gesundheit von uns allen betrachten, dann stellen
wir fest, dass ganz entschieden gegengesteuert werden
muss. Es ist wichtig, Ernährungswissen und Ernährungsbewusstsein zu schaffen, und zwar in vielfältiger Weise.
Im Laufe eines Lebens nehmen wir circa 100 000 Mahlzeiten zu uns. Die Verbraucherinnen und Verbraucher
können aus circa 250 000 verschiedenen Produkten wählen, wenn sie einkaufen gehen. Die Frage ist nun: Welche Entscheidung, welche Wahl trifft der Einzelne für
sich? Daraus ergeben sich Folgen für Entwicklung und
Gesundheit.
Deshalb sind Information, Erziehung und Aufklärung
wichtig. Das beginnt bereits bei der Schwangeren, bei
Vater und Mutter, beim Baby, geht über das Kleinkind,
und endet im hohen Alter. Gesunde Ernährung und Bewegung sind die zwei Grundkomponenten für ein gesundes Leben und Altern. Dem messen wir einen sehr hohen
Stellenwert bei.
Nun wissen Sie, dass nach geltendem EU-Recht eine
Nährwertkennzeichnung grundsätzlich freiwillig ist. Die
Europäische Union berät derzeit über einen Verordnungsvorschlag, der in wenigen Wochen dem Europäischen Parlament zur ersten Lesung vorgelegt wird. Darin
geht es darum, wie dieses Nährwertkennzeichnungssystem europaweit verständlich, nachvollziehbar, nicht zu
kompliziert, aber doch ein Stück weit einheitlich gestaltet werden könnte. Das von uns vorgeschlagene und
bereits getestete System „1 plus 4“, ein Modell für erweiterte Nährwertinformationen auf Lebensmittelverpackungen, scheint sich - darüber sind wir sehr froh als Basis, als Modell durchzusetzen. Das ist doch ein
schöner Erfolg, an dem auch Sie, Frau Drobinski-Weiß,
einen Anteil haben. Wir haben daran etwa zwei Jahre gearbeitet.
Zu einer Nachfrage hat die Kollegin Kathrin Vogler
das Wort.
Vielen Dank, Herr Staatssekretär. - Mich würde interessieren, auf welchen wissenschaftlichen Erkenntnissen
oder Studien Ihre Einschätzung beruht, dass die Verbraucherinnen und Verbraucher in Deutschland das von Ihnen präferierte System der Lebensmittelkennzeichnung
ebenso gut verstehen - vielleicht sogar besser - wie die
Verbraucherinnen und Verbraucher in Großbritannien
das Ampelsystem.
Wir haben den Verbraucherinnen und Verbrauchern
unser „1 plus 4“-Modell vorgestellt und im März 2008
eine repräsentative Meinungsbefragung durchgeführt.
Das Ergebnis war, dass über 80 Prozent der Befragten
dieses Modell als informativ, verständlich und übersichtlich bewerteten. Das ist ein sehr gutes Ergebnis.
Wir kommen damit zur Frage 9 der Kollegin Kerstin
Tack:
Welche Schlussfolgerungen zieht die Bundesregierung für
die Kennzeichnung von Lebensmittelnährwerten mithilfe von
Ampelfarben aufgrund der Tatsache, dass bei der Kennzeichnung der Energieeffizienzstandards für Elektrogeräte eine
Ampelkennzeichnung - rot: hoch, gelb: mittel, grün: niedrig bereits eingeführt und akzeptiert ist?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Ich habe schon dargelegt, dass die Briten ihren Weg
gehen, ihr System anwenden. Sie haben getestet, ob die
Ampel dort verstanden wird. Dazu haben sie ihre Ergebnisse vorliegen. Wir gehen einen anderen Weg. Die Ampel verpflichtend vorzuschreiben, ist nicht das Modell,
das wir in Deutschland anwenden wollen. Im Übrigen
wird dieser Vorschlag auch in der Europäischen Union
von keinem Mitgliesstaat eingebracht.
Dann kommen wir zur Frage 10 der Kollegin Tack:
Wie bewertet die Bundesregierung den Umstand, dass in
Großbritannien eine Auswertung britischer Supermarktketten
ergab, dass der Absatz ausgewogener Produkte seit Einführung der Ampelkennzeichnung signifikant gestiegen ist im
Vergleich zu gehaltvolleren Produkten wie zum Beispiel
Sandwiches?
Sie fragen nach den Konsequenzen. Ihre Frage lautet:
Wie bewertet die Bundesregierung den Umstand,
dass in Großbritannien eine Auswertung britischer
Supermarktketten ergab, dass der Absatz ausgewogener Produkte seit Einführung der Ampelkennzeichnung signifikant gestiegen ist im Vergleich zu
gehaltvolleren Produkten …?
Ich habe die Frage bewusst vorgelesen, damit Sie verstehen, dass sich aus der Frage schon die Antwort ergibt.
Meine Damen und Herren, soll der Staat eine Vorgabe
machen, welche der 240 000 möglichen Produkte, aus
denen der Verbraucher oder die Verbraucherin auswählen kann, ausgewogene Produkte und welche gehaltvolle
Produkte sind? Das kann er sicher nicht.
({0})
Das werden wir auch nicht machen. Vielmehr werden
wir den Verbraucherinnen und Verbrauchern mit der
Nährwertkennzeichnung einen Schlüssel an die Hand
geben, der es ihnen ein Stück weit erleichtert, ihre Entscheidung eigenverantwortlich zu treffen.
Jetzt haben Sie, Frau Tack, das Recht, vier Nachfragen zu den Antworten zu stellen, die Sie eben bekommen haben. Dann kommen wir zu den Nachfragen weiterer Kolleginnen und Kollegen. Bitte, Kollegin Tack.
Schönen Dank, Frau Präsidentin. - Herr Staatssekretär, ich nehme zur Kenntnis, dass Sie meine erste Frage
nicht beantwortet haben, obwohl Sie das eben fälschlicherweise behauptet haben. Aber ich fange mit den
Nachfragen zu der Antwort auf meine zweite Frage an.
Dabei geht es um die Untersuchung in Großbritannien.
Nicht etwa die Politik, sondern die Supermärkte selber haben festgestellt, dass sich die sehr gute Transparenz und Offenlegung ausgezahlt haben. Das ist auch im
Sinne der Supermärkte gewesen, die gesagt haben, sie
wollen eine verständliche und transparente Kennzeichnung. Es scheint - das ergibt zumindest die Untersuchung in Großbritannien - für die Verbraucherinnen und
Verbraucher sehr einfach gewesen zu sein, durch die
Ampelkennzeichnung herauszubekommen, welches Pro2272
dukt oder Präparat unbedenklich ist. Das Beispiel mit
dem Sandwich ist deswegen nur eine mögliche Form der
Ernährung.
Die Frage war, welche Erkenntnisse Sie daraus gewinnen, dass es so zu sein scheint, dass die Verbraucherinnen und Verbraucher in Großbritannien aufgrund dieser Ampelkennzeichnung ihr Kaufverhalten geändert
haben. Hat das einen Einfluss auf die Meinung der Bundesregierung zur Frage der Ampelkennzeichnung?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Es hat aus der Sicht der Bundesregierung keinen Einfluss auf die Beurteilung der Ampelkennzeichnung. Wir
werden die Ampelkennzeichnung in Deutschland nicht
verpflichtend zur Grundlage machen. Wir sehen darin
nach den Ergebnissen der britischen Studie und nach
dem Marktverhalten keinen für uns nachvollziehbaren
Weg.
Sie haben das Wort zu einer zweiten Nachfrage.
Meine zweite Nachfrage. Die EU - das hatten Sie gerade angesprochen - beschäftigt sich derzeit mit der
Frage, wie man EU-weit die Rechte von Verbraucherinnen und Verbrauchern schützen und Produkte transparent machen kann. Meine Frage ist, inwieweit das System der Ampel in Großbritannien und die Erfahrungen
damit auch bei den Verhandlungen in der EU eine Rolle
gespielt haben oder ob sie noch eine Rolle spielen werden.
Nach derzeitigem Stand, soweit ich informiert bin,
wurde das britische Modell von keinem der 27 EU-Mitgliedstaaten als Grundlage für die Beratung des EU-Verordnungsentwurfs in Brüssel eingebracht.
Sie haben das Wort zu einer dritten Nachfrage.
Meine dritte Nachfrage bezieht sich auf die Frage, die
noch nicht angesprochen wurde. Das ist der Umstand,
dass wir in Deutschland schon eine Ampelkennzeichnung haben, nämlich im Bereich der Elektrogeräte. Dort
ist es heute schon so, dass die Verbraucherinnen und
Verbraucher beim Kauf einer neuen Waschmaschine, eines Kühlschrankes - oder was auch immer - an den Geräten eine Ampelkennzeichnung mit Grün, Gelb oder
Rot vorfinden, die ihnen einen Anhaltspunkt über den
Verbrauch gibt.
Deswegen war meine Frage, welche Schlussfolgerungen die Bundesregierung daraus zieht, dass wir in Teilbereichen unserer Wirtschaft schon eine Ampelkennzeichnung haben, die bei den Verbraucherinnen und
Verbrauchern große Akzeptanz findet.
Ich glaube, Waschmaschinen und Lebensmittel sind
zwei Paar Stiefel. Es ist ein Unterschied, ob wir die Ampelkennzeichnung bei einer Waschmaschine oder einer
Weißwurst anwenden; das kann man sicher nicht als Basis nehmen.
Ich möchte Ihnen noch Folgendes konkret sagen: Kein
Mitgliedstaat der EU - wenn dieses System in Großbritannien so erfolgreich wäre, würden auch andere Staaten
es zur Grundlage machen - hat das britische Modell als
Vorschlag in Brüssel eingebracht. Wir sind vielmehr der
Meinung - ich möchte das noch einmal sagen -, dass es
wichtig ist, den Verbraucherinnen und Verbrauchern die
grundlegenden Informationen über eine nachvollziehbare, simple Kennzeichnung auf jedem Produkt zu geben.
Wenn Sie einen Mars-Riegel kaufen - jetzt mache ich
vielleicht Werbung; ich nehme dieses Beispiel, weil auf
der Besuchertribüne auch junge Menschen sitzen -, dann
muss der Kalorienwert erkennbar sein; denn der Brennwert ist ein ganz entscheidender Punkt bei einem Produkt.
Den Gehalt an Fett, gesättigten Fettsäuren, Kohlenhydraten, Zucker und Salz werden wir auch angeben. Dies ist
das „1 plus 4“-Modell.
Entscheidend ist, ob die Grundbotschaften nachvollziehbar sind. Ein Jugendlicher soll wissen: Wenn ich am
Tag beispielsweise eine Flasche Apfelsaft trinke, dann
nehme ich 25 Prozent meines Tagesbedarfs an Zucker
auf. Dies kann er in Zukunft durch eine kurze, klare
Kennzeichnung erkennen. Er kann auch erkennen, dass
beispielsweise eine Flasche Cola ein Drittel des Zuckerbedarfes abdeckt
({0})
und welchen Prozentsatz des Kalorienbedarfes fünf Flaschen Cola abdecken.
Ich glaube, dieses Modell, das es bereits gibt - die Ernährungswirtschaft hat es schon zum Teil aufgegriffen -,
ist für den Verbraucher nachvollziehbar. Das hat die repräsentative Umfrage ergeben. Deshalb ist es auch Basis
der Diskussionen über den Vorschlag für eine neue Verordnung der EU mit dem Ziel, dies für alle 27 Mitgliedstaaten der EU - selbstverständlich mit Modifikationen zur Grundlage zu machen.
Sie haben die Möglichkeit zu einer vierten Nachfrage.
Ja, gerne. - Nun liegen uns diverse Studien und auch
Empfehlungen sämtlicher Verbraucherzentralen, einschließlich der Bundeszentrale, und sämtlicher mediziniKerstin Tack
scher Organisationen vor, die sich sehr stark für eine
klare und transparente Kennzeichnung aussprechen und
die Politik auffordern, die Ampelkennzeichnung, da sie
das beste Instrument für Transparenz und niedrigschwellige Information ist, einzuführen. Deshalb ist es noch
weniger verständlich, warum wir bei Elektrogeräten die
Ampelkennzeichnung in Ordnung finden, in anderen Bereichen aber nicht.
Meine Frage ist, wie Sie auf all diese Empfehlungen
und Wünsche, insbesondere der Verbraucherzentralen
und der Medizin, reagieren, die vorschlagen, auch im
Bereich der Lebensmittel die Ampelkennzeichnung einzuführen.
Das alles wird selbstverständlich ernst genommen.
Ich kann Ihnen aber genauso die Gegenpositionen darstellen. Das Schöne an der Wissenschaft ist ja, dass man
immer die gesamte Breite des Meinungsspektrums dokumentiert bekommt. Das setzt sich dann auch in den Verbänden fort. Das darf hier keine ideologische Entscheidung sein. Ich sehe, dass beispielsweise die Deutsche
Gesellschaft für Ernährung das Fehlen einer wissenschaftlichen Grundlage für die Ampelkennzeichnung beklagt.
Wir bauen bei unserer Politik stark auf die Aussagen
eigener unabhängiger Institute. Wir haben in Karlsruhe
eine Bundesanstalt, die sich mit den zentralen Fragen der
Ernährung beschäftigt. Wir wollen ein System, das für
Verbraucherinnen und Verbraucher nachvollziehbar, das
einfach und verständlich ist, so wie das „1 plus 4“-Modell; das findet Akzeptanz.
Ich möchte sagen: Mit der Kennzeichnung allein ist
es nicht getan. Wir müssen hier einen viel umfassenderen Ansatz wählen. Dazu zählt ganz bewusst das Thema
Bildung in der gesamten Breite. Die Bundesländer sind
in der Schul- und Bildungspolitik gefordert. Sie sollten
die Ernährungsbildung in den Schulplänen verankern.
Schule ist für das Leben, und Ernährung ist die Grundfrage des Lebens. Deshalb gehört diese Grundfrage in
alle unsere Schulen, aber auch weit darüber hinaus. Jedem von uns tut es gut, wenn er sich mit diesem Thema
stärker beschäftigt.
Zu einer Nachfrage hat die Kollegin Vogler das Wort.
Vielen Dank. - Herr Staatssekretär, ich finde es ganz
interessant, dass Sie die Bildung erwähnt haben. Meine
Tochter ist vor zwei Jahren aus der Grundschule mit Materialien nach Hause gekommen, in denen die Lebensmittelpyramide dargestellt wurde: Was man viel essen
soll, was man wenig essen soll und was man nach Möglichkeit meiden soll. Das war ganz interessant: Unten
war diese Pyramide grün, in der Mitte gelb und oben
- dort, wo aufgeführt war, was man nur ganz wenig essen sollte, zum Beispiel Süßigkeiten - rot. Das hat meine
Tochter schon in der zweiten und dritten Klasse ganz
hervorragend verstanden.
Mich würde, rekurrierend auf Ihre Antwort von vorhin, interessieren, ob die von Ihnen durchgeführte Verbraucherbefragung, die Sie gerade angesprochen haben,
eine vergleichende Studie war, in der die Verbraucherinnen und Verbraucher verschiedene Modelle hinsichtlich
ihrer Verständlichkeit und Nachvollziehbarkeit bewerten
konnten, oder ob es sich um eine Studie gehandelt hat, in
der Sie nur Ihr eigenes Modell haben bewerten lassen.
Denn die Fragestellungen solcher Studien beeinflussen
das Ergebnis immer wieder ganz maßgeblich.
Ausgangspunkt war die Erkenntnis, dass die Verbraucherinnen und Verbraucher, wir alle, mit der derzeitigen
Nährwertkennzeichnung häufig nicht zurechtkommen
und überfordert sind; wenn Sie sich einzelne Produkte
einmal bewusst ansehen, werden Sie das feststellen. Darauf muss man reagieren. Natürlich ist die Angabe von
Inhaltsstoffen, von Zusatzstoffen usw. absolut notwendig. Hier wird es im Sinne der Betroffenen - es gibt viele
Menschen, zum Beispiel Diabetiker und Allergiker, die
ganz bewusst und gezielt bestimmte Produkte einkaufen
müssen - noch zu Quantensprüngen kommen, auch aufgrund technischer Möglichkeiten, zum Beispiel durch
den Einsatz von Scannern.
Für die große Masse der Verbraucherinnen und Verbraucher ist das heutige System kaum verständlich und
nachvollziehbar und zu kompliziert. Deshalb haben wir
das „1 plus 4“-Modell entwickelt und es am Markt erprobt; das war die Grundlage. Das Ergebnis war, dass
80 Prozent der Befragten gesagt haben: Das ist für uns
eine Basis. Das verstehen wir. Dieses Modell ist einfach.
Damit könnten wir unser Einkaufsverhalten und unser
Ernährungsverhalten korrigieren und neu ausrichten.
Wir kommen zu Frage 11 der Kollegin Petra Crone,
der letzten Frage zu diesem Themenkomplex:
Wie bewertet das Bundesministerium für Ernährung,
Landwirtschaft und Verbraucherschutz die Aufforderung eines breiten Bündnisses von Verbänden wie dem AOK-Bundesverband, der Bundesärztekammer, dem diabetesDE, dem
Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte Deutschlands, der
Deutschen Herzstiftung, dem GKV-Spitzenverband und dem
Verbraucherzentrale Bundesverband, sich im Rahmen der
Verhandlungen der EU-Lebensmittelinformationsverordnung
für eine EU-weite Ampelkennzeichnung einzusetzen?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Die Bundesregierung hält die Ampelkennzeichnung
nicht für ein Darstellungssystem - ich sage es noch einmal -, mit dem Verbraucherinnen und Verbraucher angemessen über die Nährwerte von Lebensmitteln informiert werden. Ich verweise erneut auf die Deutsche
Gesellschaft für Ernährung, die in einer entsprechenden
Pressemeldung vom 25. September 2009 auf das Fehlen
einer wissenschaftlichen Grundlage für die Farbkodierung hingewiesen hat.
Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage.
Danke schön, Frau Präsidentin. - Herr Staatssekretär,
es hat im Juli 2009 eine Emnid-Umfrage gegeben, in der
sich 69 Prozent der Verbraucher für eine Ampelkennzeichnung ausgesprochen haben. Wie steht die Bundesregierung dazu, dass die Menschen eine sehr einfache
Kennzeichnung wünschen? Ich denke dabei auch an ältere Menschen, die vielleicht einmal ihre Brille vergessen haben, an kleine Kinder, die noch nicht so gut lesen
können, und an Menschen, die es - vielleicht anders als
Sie - beim Einkaufen eilig haben.
Frau Kollegin, die Frage ist in der Tat, was man den
Menschen vorlegt. Jetzt gehe ich ein bisschen ins Detail
und erläutere, was hinter der Ampelkennzeichnung nach
dem britischen Modell steckt.
Nach dem britischen Ampelmodell wird nicht das Lebensmittel mit einer Ampelfarbe gekennzeichnet, sondern die vier Nährstoffe Zucker, Fett, gesättigte Fettsäuren und Salz. Wir geben sie nach unserem „1 plus 4“Modell in Zukunft mit einem Prozentsatz, bezogen auf
den Tagesbedarf, an, wie ich es vorhin beschrieben habe.
Es steht auf einer Flasche zum Beispiel bei „Zucker“:
25 Prozent. Dann weiß ein Jugendlicher nach dem Sport:
Wenn ich zwei Flaschen dieses Getränks trinke, habe ich
50 Prozent meines täglichen Zuckerbedarfs gedeckt. Das ist sowohl für Junge als auch für Ältere nachvollziehbar.
Die Briten machen das anders. Sie kennzeichnen die
vier Nährstoffe Zucker, Fett, gesättigte Fettsäuren und
Salz und verwenden die Farben Rot, Grün und Gelb mit
verschiedenen Punkten. Der Energiegehalt hingegen wird
nicht farbkodiert.
Wenn ich beispielsweise ein Produkt wie Nüsse herausgreife: Die Ampelkennzeichnung - sie bezieht sich
in Großbritannien auf 100 Gramm - führt in dem Fall
dazu, dass diese 100 Gramm Nüsse mit Rot klassifiziert
werden. Es ist aber unstrittig, dass Nüsse durchaus gesund sind; gleichwohl wäre nach dem britischen System
ein roter Punkt auf der Verpackung.
Daran sehen Sie: Wenn wir ins Detail gehen, wird alles schwierig, kompliziert und nicht so einfach durchschaubar. Man kann den Menschen mit Rot, Gelb, Grün
nicht suggerieren, dass sie, wenn sie sich mit „grünen“
Lebensmitteln ernähren, gesund bleiben. Es wird ja mit
Ihrem Ampelmodell suggeriert, dass sich das Problem
damit schnell lösen lässt. Wenn es so einfach wäre, dass
man nur noch „Grün“ zu essen brauchte und dann hundert Jahre alt würde, dann würde man das sofort machen.
Sie haben das Wort zu einer zweiten Nachfrage. - Sie
verzichten.
Die Frage 12 der Kollegin Dr. Kirsten Tackmann wird
schriftlich beantwortet.
Wir kommen nun zur Frage 13 des Kollegen
Dr. Wilhelm Priesmeier:
Hält die Bundesregierung nach der letzten Ratssitzung
- 22. Februar 2010 - weiterhin an ihrer Position fest, die das
Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz in seinem Papier vom 22. Dezember 2009 verankert hat, und wie kann das Bestreben Frankreichs nach größerer Einflussnahme der Mitgliedstaaten auf die interne
Mittelverteilung bei den Direktzahlungen mit dieser Position
verbunden werden?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Der Kollege Priesmeier spricht damit eine der zentralen Fragen der deutschen Europapolitik an. In den nächsten Monaten wird darüber verhandelt werden, wie sich
der europäische Haushalt für die nächste Finanzperiode
zusammensetzen wird. Vielen Dank, Herr Kollege, dass
ich hier die Möglichkeit habe, einem Vorurteil entgegenzutreten. Die Diskussion hat gezeigt, dass die Agrarpolitik und die ländliche Entwicklung keine Politik von
gestern sind, wie Außen- und Europapolitiker, Bildungspolitiker sowie Forschungs- und Innovationspolitiker
häufig behaupten. Vielmehr ist dies eine Schlüsselbranche, eine Zukunftsbranche für die Menschheit. Deshalb
sind die Gelder im europäischen Topf auch sinnvoll angesetzt.
Die europäische Agrarpolitik und die ländliche Entwicklung sind darüber hinaus der einzige voll integrierte
europäische Politikbereich. Deshalb ist sein Anteil am
EU-Haushalt größer als der anderer Politikbereiche. Seit
1990 ist er allerdings von 48 Prozent auf 40 Prozent reduziert worden. Das müssen uns in Europa die Landwirtschaft, der Klimaschutz, die nachhaltige Entwicklung,
der Natur-, Wasser- und Ressourcenschutz sowie gesunde
Lebensmittel auch in Zukunft wert sein. Darum danke ich
für diese Frage.
Wir sind bei der Vorbereitung dieser Finanzbeschlüsse und bei der Umsetzung der Reformen, Herr
Priesmeier. Wir haben uns für die Entkopplung eingesetzt, und wir in Deutschland sind bei dieser letzten
Agrarreform in der Endphase der Umsetzung. Andere
Länder sind noch nicht so weit. Es kommt darauf an,
dass 2014 alle denselben Level haben und in Deutschland nicht schon weitere Schritte vorangegangen werden. Hier setzen wir auf den Erhalt der ersten und zweiten Säule. Wie wir die Ausgestaltung in Deutschland
schwerpunktmäßig umsetzen werden, werden wir hier
im Ausschuss, mit den Bundesländern und bei vielen
sich bietenden Gelegenheiten diskutieren.
Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage.
Herr Staatssekretär, ich danke Ihnen für Ihren ersten
Teil der Antwort. Wir hatten gestern ein Gespräch mit
dem neuen Agrarkommissar Ciolos. Herr Ciolos hat darauf verwiesen, dass er eine breite öffentliche Diskussion für notwendig erachtet. In welcher Weise wird sich
die Bundesregierung an dieser breiten öffentlichen Diskussion beteiligen, und inwieweit ist die Bundesregierung bereit, über die Struktur der ersten und der zweiten
Säule in absehbarer Zeit oder kurzfristig Auskunft zu geben?
Wir sind immer bereit, Auskunft zu geben. Ich habe
damit im Ausschuss begonnen. Die Ministerin stellt sich
jeder Diskussion in der Öffentlichkeit, im Parlament und
in Brüssel.
Die Diskussion über die zukünftige Gestaltung der
Gemeinsamen Agrarpolitik ist transparent und vollkommen offen. Wir diskutieren dies mit den Bundesländern.
Die Fachblätter sind voll davon. Unsere Konzepte liegen
vor. Da gibt es überhaupt kein Geheimnis; denn wir
brauchen die Zustimmung des deutschen Parlamentes.
Wir werben, was die Zukunft der Gemeinsamen Agrarpolitik angeht, aber auch, was die deutsche Haltung zur
zukünftigen Finanzierung der europäischen Politik angeht, für einen breiten Konsens im deutschen Parlament.
Wir sollten mit einem Konsens unseres Parlamentes in
die Verhandlungen in Brüssel gehen; nur dann können wir
erreichen, was wir uns vorgenommen haben.
Sie haben das Wort zu einer zweiten Nachfrage.
In einem Papier zur Weiterentwicklung der Gemeinsamen Agrarpolitik nach 2013, Stand Dezember 2009,
sprechen Sie von nationalen Plafonds. Inwieweit erachten Sie nationale Plafonds, die den einzelnen Mitgliedstaaten zugewiesen werden, als sinnvolles Instrumentarium zur Ausgestaltung der Gemeinsamen Agrarpolitik?
Welche Vorteile hätten solche Plafonds? Wie groß
müsste der nationale Plafond sein, der Deutschland zugewiesen wird?
Das ist jetzt eine Spezialfrage. Ich könnte auf diese
Frage antworten; nötig wäre aber eine differenzierte Diskussion. Die Frage ist: Wie teilen wir den europäischen
Kuchen in Zukunft auf: mit einem neuen System oder
aufbauend auf dem jetzigen System?
Dafür sind derzeit viele Ansätze in der Diskussion.
Die einen sagen mit Blick auf die erste Säule: Jedes
Land soll dieselben Direktzahlungen, gewissermaßen
eine Flatrate, bekommen. Die anderen sagen: Geben wir
den einzelnen Mitgliedstaaten einen nationalen Plafond,
lassen wir ihnen damit Spielraum, wie sie das Ganze machen. - Es gibt noch weitere interessante Vorschläge. Sie
sehen: Das Feld ist offen.
Wichtig ist nur, dass wir in Richtung der Produzenten
- der Landwirtschaft, der Investoren - deutlich machen:
Wir wollen das System nicht komplett auf den Kopf
stellen. Wir brauchen keine neue Revolution der europäischen Agrarpolitik. Wir haben zwei grundlegende
Reformen hinter uns. Deutschland hat die letzte Reform
- Stichwort: Entkopplung - erfolgreich umgesetzt.
Ich führe nachher ein Gespräch mit Bauern, die Stärkekartoffeln anbauen. Sie sind in Existenznöten, weil
wir entkoppeln. Wie gesagt, wir sind noch dabei, die
letzten Phasen der letzten Reform umzusetzen. Tragen
wir also nicht zu einer Totalverunsicherung der deutschen Landwirtschaft bei! Wir wollen uns deshalb dafür
einsetzen, dass, was den Haushaltsansatz betrifft, Verlässlichkeit für die Zukunft herrscht. Wir wollen den
Rahmen erhalten, wir wollen Stabilität im System. Das
heißt, wir wollen die erste und die zweite Säule als
Grundlage erhalten. Wie wir in der Verteilung der Mittel
feinjustieren - bei der zweiten Säule oder bei der ersten
Säule -, darüber diskutieren wir miteinander, und da
werden Sie umfassend beteiligt.
Wir sind damit am Ende der Fragen zu Ihrem Geschäftsbereich. Herzlichen Dank, Herr Staatssekretär.
Die Frage 14 des Kollegen Peter Friedrich und die
Frage 15 des Kollegen Tom Koenigs - beide beziehen
sich auf den Geschäftsbereich des Bundesministeriums
der Verteidigung - werden schriftlich beantwortet. Zur
Beantwortung der folgenden Fragen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Verteidigung steht der
Parlamentarische Staatssekretär Christian Schmidt zur
Verfügung.
Ich rufe die Frage 16 der Kollegin Katja Keul auf:
Warum hat die Bundesregierung die Ausbildung guineischer Soldaten durch die Bundeswehr in Deutschland nicht
unverzüglich ausgesetzt, nachdem das von der Regierung
Guineas verübte Massaker im September 2009 bekannt
wurde?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Frau Präsidentin! Frau Kollegin, ich beantworte Ihre
Frage wie folgt: Militärische Ausbildungshilfe - um eine
solche handelt es sich -, nicht nur spezifisch für Guinea,
sondern für eine ganze Reihe von Ländern, denen man
beim Aufbau stabiler demokratischer Strukturen helfen
will, wirkt langfristig. Sie unterstützt die Entwicklung
demokratisch orientierter Streitkräfte in Staaten und Regionen, deren Stabilität im deutschen Interesse liegt.
Durch militärische Ausbildungshilfe können mittel- bis
langfristig positive Multiplikatoren in den unterstützten
Staaten gewonnen werden, über die demokratische Wertvorstellungen Eingang in die Kultur der jeweiligen
Streitkräfte finden können. Das gilt insbesondere für die
Erfahrungen, die im Ausbildungsgang in unserem Lande
im Hinblick auf demokratische Wertvorstellungen mit
vermittelt werden.
Darüber hinaus wird durch die militärische Ausbildungshilfe ein Beitrag zur Förderung der regionalen Eigenständigkeit - so übersetze ich jetzt den gemeinhin genutzten Begriff „regional ownership“ - geleistet. Es geht
also um die Befähigung zur Übernahme von Eigenverantwortung in den jeweiligen Regionen.
Vor dem Hintergrund, dass am 28. September 2009
eine Großdemonstration von Sicherheitskräften blutig
niedergeschlagen wurde und dass das Militärregime unter Dadis Camara vom international gegebenen Versprechen Abstand genommen hatte, demokratische Wahlen
durchführen zu lassen, sich also selbst nicht zur Wahl
stellen wollte, haben das Auswärtige Amt und das Bundesministerium der Verteidigung im Oktober 2009 zeitgleich mit der Einführung der von der Europäischen
Union beschlossenen Sanktionen entschieden, die militärische Ausstattungshilfe für Guinea bis auf Weiteres
auszusetzen, laufende Maßnahmen und in Guinea stattfindende Sprachausbildungen in Deutsch jedoch zu Ende
zu führen.
Dadis Camara hat Guinea im Dezember 2009 infolge
eines auf ihn verübten Anschlags zur medizinischen Behandlung verlassen. Der seit 26. Januar 2010 fungierende Interimspräsident Sékouba Konaté hat als Ergebnis eines Vermittlungsprozesses im Januar 2010 den
Oppositionspolitiker Jean-Marie Doré als Premierminister eingesetzt und am 15. Februar 2010 eine neue Übergangsregierung ernannt. Zudem hat er noch für 2010 die
Durchführung von demokratischen Wahlen angekündigt.
Die unabhängige Wahlkommission hat als Termin für
die Präsidentschaftswahlen den 27. Juni 2010 vorgeschlagen.
Das Auswärtige Amt und das Bundesministerium der
Verteidigung beabsichtigen, zu gegebener Zeit zu prüfen,
ob und in welcher Form die militärische Ausstattungshilfe nach der Durchführung demokratischer Wahlen wieder gewährt werden kann. Mit den jetzt stattfindenden
Maßnahmen wird also nur das beendet, was bereits vorher vereinbart worden war.
Ihre erste Nachfrage, bitte.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Herr Staatssekretär,
verstehe ich Sie richtig, dass die militärische Ausbildung
diesbezüglich vollständig beendet worden ist? Wenn
dort noch Bundeswehrsoldaten involviert sind, dann
würde mich auch interessieren, wie viele Bundeswehrsoldaten das sind und in welcher Funktion sie tätig sind.
Frau Kollegin, im Rahmen der Ausbildungshilfe befinden sich noch sieben guineische Soldaten zur Ausbildung in unserem Land. Voraussichtlich Ende März 2010
werden vier ihre Ausbildung beenden. Ein weiterer
schließt die Ausbildung Ende Juni 2010 ab. Die letzten
beiden beenden sie im Herbst 2010.
Hinsichtlich Ihrer Frage, wie viele und welche Ausbildungsmaßnahmen im Lande stattfinden, bitte ich darum, dass ich Ihnen die Zahlen und die Daten schriftlich
nachreichen kann. Sie sind noch zu recherchieren.
Sie haben die Möglichkeit zu einer zweiten Nachfrage.
Ich wüsste dann noch gerne, ob dieser Vorfall im September 2009 für die Bundesregierung Anlass war, auch
hinsichtlich weiterer Länder zu prüfen, ob die militärische Ausrüstungsbeihilfe wirklich demokratischen Strukturen zugutekommt.
Was sich am Beispiel Guineas zeigt, ist natürlich eine
immanente Problematik. Wir haben das Vertrauen und
wollen darauf hinwirken, dass demokratische Strukturen,
so sie vorhanden sind, stabilisiert und gefestigt werden
und dass sie sich in die richtige Richtung entwickeln. Dieser Prozess ist aber immer wieder von Rückschlägen geprägt. Aufgrund der unterschiedlichen örtlichen, regionalen und staatlichen Verhältnisse lässt sich nur sehr schwer
eine Messlatte, die allgemein gelten kann, finden.
Die Bundesregierung überprüft laufend Entwicklungen in den Ländern, mit denen militärische Ausstattungshilfe stattfindet. In diesem Bereich ist das Auswärtige
Amt federführend. Es stimmt sich nach einer Reflexion
darüber ab, wie man im Bereich der militärischen Ausstattungshilfe kontraproduktiven Entwicklungen - so verstehe ich nichtdemokratische Entwicklungen - Rechnung
tragen kann.
Zu einer Nachfrage hat der Kollege Hans-Christian
Ströbele das Wort.
Herr Staatssekretär, Sie haben gesagt, die Ausbildung
der Bundeswehr wirke langfristig. Nun wissen wir, dass
Herr Camara, der dort geputscht hat und dann Militärdiktator in Guinea geworden ist - möglicherweise ist er
derzeit im Krankenhaus -, nicht nur lange in Deutschland gelebt hat, sondern auch lange Zeit von der Bundeswehr ausgebildet worden ist. Wie erklären Sie sich angesichts der langen Ausbildung, dass sich Herr Camara,
nachdem er nach Guinea zurückgekehrt ist, an die Spitze
eines Militärputsches gestellt hat und er, wie anhand des
Massakers deutlich geworden ist, offenbar keinerlei
menschenrechtliche Überlegungen anstellt, sondern das
Gegenteil praktiziert?
Herr Kollege, dieser Herr hat das Klassenziel offensichtlich verfehlt.
({0})
Das kann nur Anlass sein, die einzelnen Persönlichkeiten
mit einem entsprechend kritischen Auge zu betrachten;
dies findet auch statt. Allerdings ist es ein außerordentlich schwieriges Unterfangen, verlässliche Prognosen
über die zukünftige mentale Entwicklung der Einzelnen
zu machen. Insofern müssen wir darauf setzen, dass unsere Hoffnungen und Erwartungen erfüllt werden und
wir - wenn Sie das Wort gestatten - eine Trefferquote
von 100 Prozent erreichen. Allerdings werden wir immer wieder damit konfrontiert, dass sich die Dinge anders entwickeln.
Es verbietet sich die Frage, was wäre, wenn Staaten
wie Deutschland ihre Bemühungen einstellen würden.
Die Bundesrepublik Deutschland ist nicht der einzige
demokratische Staat, der sich bemüht, in diesen Ländern
Menschen zu finden und sie dabei zu unterstützen - auch
über solche Programme wie die militärische Ausstattungshilfe -, die Gedanken der Demokratie und Toleranz
stärker zu verankern. Das ist nicht immer von Erfolg geprägt. Allerdings würde eine prozentuale Gegenüberstellung der Erfolge und Misserfolge - ich möchte sie nicht
anstellen - sicherlich belegen: Wir sammeln in vielen
Fällen positive Erfahrungen.
Wir kommen damit zur Frage 17 der Kollegin Katja
Keul:
Wie bewertet die Bundesregierung den Vorschlag des
Oberkommandierenden der EU-Operation Atalanta, Konteradmiral Peter Hudson, AWACS-Aufklärungsflugzeuge zum
Erkennen von Mutterschiffen einzusetzen?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Frau Kollegin, das vom Kommandeur der Operation
„EU NAVFOR Atalanta“ aufgestellte Streitkräftedispositiv sieht den Bedarf zur Seeraumüberwachung aus
der Luft mit bis zu sechs Luftfahrzeugen vor. Um diesen
Bedarf zu decken, wurden in der Vergangenheit verschiedene Luftfahrzeugtypen eingesetzt, wobei neben
klassischen Seeraumüberwachungsflugzeugen in einem
Fall ein französisches AWACS-Aufklärungsflugzeug
zum Einsatz gekommen ist.
Die Europäische Union, die Trägerin der Mission
„Atalanta“ ist, verfügt selbst über keine AWACS-Aufklärungsflugzeuge. Deswegen kann ein solcher Einsatz
nur durch Truppensteller mit entsprechenden Fähigkeiten erfolgen. Im Rahmen der Europäischen Union sind
dies Frankreich und Großbritannien. Wie Sie wissen, ist
der deutsche Anteil an Überwachungskapazitäten im
NATO-Verbund mit eingebunden und somit nicht national verfügbar.
Obwohl sich dieser Luftfahrzeugtyp insbesondere in
Zusammenarbeit mit anderen Luftfahrzeugen in der Seeraumüberwachung sehr großer Gebiete bewährt hat,
beabsichtigt nach Kenntnis der Bundesregierung gegenwärtig keine Teilnehmernation, „EU NAVFOR Atalanta“
AWACS-Aufklärungsflugzeuge zur Verfügung zu stellen. Eine Anregung des Operationskommandeurs an die
Nationen, zur Vermeidung einer möglichen Fähigkeitslücke bei der Seeraumüberwachung auch AWACS-Aufklärungsflugzeuge in Betracht zu ziehen, erfolgte lediglich im Hinblick auf die positiven Erfahrungen mit dem
französischen Beitrag in dieser Funktion und beinhaltet
keine Änderung der bisherigen Vorgehensweise.
Nachrichtlich darf ich darauf hinweisen, dass sich die
Fähigkeiten überwiegend auf Seeraumüberwachungsflugzeuge kleineren Typs beziehen. So hat die Bundesregierung in einer benachbarten Mission das Flugzeug
vom Typ PC-3 Orion für einige Zeit zur Verfügung gestellt und zum Einsatz gebracht.
Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage.
Vielen Dank. - Ich hätte noch eine Nachfrage. Wenn
dies nicht in Bezug auf „Atalanta“ geplant ist: Gibt es
auch keine weiteren Pläne, beispielsweise in Bezug auf
den NATO-Einsatz „Ocean Shield“?
Ich will die Frage wie folgt beantworten: Die NATO
untersucht gegenwärtig den Einsatz von AWACS-Aufklärungsflugzeugen zur Unterstützung der Operation
ISAF über Afghanistan. Dieses Haus hat sich schon mit
dieser Fragestellung beschäftigt. Die Bundesregierung
wird dies aber erst dann national erwägen und gegebenenfalls zur Beschlussfassung vorlegen, wenn es sich
konkretisiert. Dies ist allein aus der Tatsache heraus,
dass wir solche Schritte noch nicht unternommen haben,
erkennbar nicht der Fall.
Es wird eine Stationierung von NATO-AWACS-Flugzeugen im Bereich der arabischen Halbinsel in Betracht
gezogen. Eine Diskussion, ob die dort stationierten Luftfahrzeuge gelegentlich zur Unterstützung der von Ihnen
genannten Operation „Ocean Shield“ - das ist die
NATO-Mission, die am Horn von Afrika in der Pirateriebekämpfung mit tätig ist - herangezogen werden können, würde vom NATO-Oberbefehlshaber in Europa,
dem SACEUR, im Rahmen einer Debatte um die Zukunft von OOS, also Operation „Ocean Shield“, angestoßen. Eine Empfehlung des Militärausschusses der NATO
liegt jedoch noch nicht vor.
Die Seeraumüberwachung durch NATO-AWACSFlugzeuge wurde durch technische Anpassungen bzw.
die Einrüstung eines neuen Systems zur Erfassung automatisch erzeugter Schiffsdaten von Handelsschiffen
möglich und konnte entsprechend zertifiziert werden. Im
Rahmen der Operation Active Endeavour im Mittelmeer
konnte diese Fähigkeit auch unter Einsatzbedingungen
nachgewiesen werden. Ob und inwieweit allerdings die
Beobachtung kleiner und nicht an diesem System beteiligter Piratenschiffe - einschließlich des Begriffs der
Mutterschiffe, den wir in diesem Zusammenhang verwenden - möglich ist, ist sehr offen.
Sie haben das Wort zu einer zweiten Nachfrage.
Wenn das sehr offen ist, frage ich an dieser Stelle
nach, wann Sie damit rechnen, dass eine entsprechende
Empfehlung oder Nichtempfehlung vorliegen wird.
Der Militärausschuss hat noch nicht darüber entschieden. Der Fokus für den Einsatz von AWACS-Flugzeugen
auf NATO-Ebene liegt bei ISAF. Es gäbe allenfalls die
Möglichkeit einer Verknüpfung, wenn dieser Einsatz
möglich wäre. Das wäre sozusagen ein Nebenprodukt.
Zu der Operation „Atalanta“ selbst, der europäischen
Mission, gilt das, was ich auf Ihre Ausgangsfrage erwidert habe.
Der Kollege Hans-Christian Ströbele hat die Möglichkeit zu einer weiteren Nachfrage.
Herr Staatssekretär, Sie haben geschildert, welche
Luftraumüberwachung dort stattfindet und mit welchem
Ziel. Ich frage Sie: Findet auch vor der Küste Somalias,
die sehr lang ist, eine Luftraumüberwachung hinsichtlich
in somalische Gewässer eindringender Fischereifabriken
statt, also großer Schiffe, die dort die Fischgründe leerfischen und damit der fischenden einheimischen Bevölkerung die Grundlage entziehen?
Kollege Ströbele, die Europäische Union ist noch dabei, sich mit der weiteren Entwicklung der Antipirateriemission, das heißt mit der Frage, wie es um die Piraterie
und deren Ursachen bestellt ist, intensiv zu befassen.
Wir hatten in der Sitzung des Verteidigungsministerrats
der Europäischen Union in der letzten Woche einen Bericht von Admiral Hudson vorliegen, der die Operation
„Atalanta“ kommandiert. Ich erlaube mir, darauf hinzuweisen, dass eine Sachverständigengruppe der Europäischen Union, die sich seit einiger Zeit mit den Ursachen
und dem Begegnen der Piraterie befasst und der von
deutscher Seite Vizeadmiral a. D. Feldt angehört, einen
Bericht vorlegen wird. Soweit wir gehört haben - das ist
ein Zwischenstand -, wird sich allerdings eine monokausale Begründung für Piraterie nicht finden lassen.
Ich erlaube mir aber auch, zu sagen, dass es überraschend bzw. beeindruckend ist, wie viele verschiedene
Nationen, die sich dem Fischfang widmen, sich in diesem Gebiet aufhalten. Ich denke, die Antwort besteht
auch in der notwendigen Unterstützung der Ausbildung
der Küstenwache sowie dem Aufbau somalischer Staatlichkeit und Autorität, um solchen Dingen begegnen zu
können.
Die Fragen 18 und 19 des Kollegen Nouripour werden schriftlich beantwortet.
Ich rufe die Frage 20 des Kollegen Hans-Christian
Ströbele auf:
Ist die Bundesregierung bereit, angesichts des Beschlusses
des Bundesverfassungsgerichts vom 1. Juli 2009 ({0}), wonach angesichts des „Frage- und Informationsrechts
des … einzelnen Abgeordneten … grundsätzlich eine Antwortpflicht der Bundesregierung“ besteht, nun - entgegen ihrem bisherigen Verweis auf ersatzweise vertrauliche Unterrichtung nur von Fraktionsvorsitzenden etc. - meine Frage 90
vom 11. Februar 2010 auf Bundestagsdrucksache 17/702 sowie Frage 54 vom 18. Februar 2010 ({1}) nach Einsätzen
der Bundes-„Task Force 47“ in Afghanistan sowie deren Folgen zu beantworten, und inwieweit wirkte diese Einheit mit
an der Benennung verdächtiger Personen zur Tötung oder
Festnahme ({2})?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Ich erlaube mir, folgendermaßen zu antworten: Die
Bundesregierung folgt ihrer Pflicht und beantwortet in
der Regel alle Fragen von Abgeordneten offen, um sie in
die Lage zu versetzen, ihre Aufgabe der parlamentarischen Kontrolle des Regierungshandelns effektiv wahrzunehmen. Die Antwortpflicht ist nur dann ausnahmsweise begrenzt, wenn dies aus verfassungsrechtlichen
Gründen geboten ist. Sie haben in Ihrer Frage auf einen
Beschluss des Bundesverfassungsgerichts, dessen Genese Ihnen, Herr Kollege, nicht unbekannt ist, hingewiesen.
In diesen Ausnahmefällen, in denen die Bundesregierung entscheidet, eine Frage nicht zu beantworten oder
in vertraulicher Form Informationen weiterzugeben,
wird dies, außer in offenkundig - das Bundesverfassungsgericht spricht von „evident“ - geheimhaltungsbedürftigen Fällen, nachvollziehbar und plausibel begründet.
Darüber hinaus wird auch im Einzelfall geprüft, ob
Formen der vertraulichen Beantwortung möglich sind,
die dem Informationsanspruch des Parlaments und einem berechtigten Diskretionsinteresse der Regierung
oder Dritter gleichermaßen Rechnung tragen. Den Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts in beiden
Beschlüssen, zum BND-Untersuchungsausschuss und zu
den Kleinen Anfragen, wird damit Rechnung getragen.
Soweit Sie im Zusammenhang mit der Beantwortung
von Fragen über den Einsatz von Spezialkräften der
Bundeswehr auf das mit den Vorsitzenden der im Deutschen Bundestag vertretenen Fraktionen im Jahr 2008
abgestimmte Verfahren hinweisen, das Sie als nicht ausreichend betrachten, will ich auf Folgendes aufmerksam
machen: Der Deutsche Bundestag hat mit einem Beschluss vom 3. Dezember 2008 im Hinblick auf Sensibilitäten und schutzwürdige Kernbereiche ein Verfahren
zur Unterrichtung über den Einsatz aufgestellt und der
Bundesregierung gegenüber die Bitte geäußert, man
möge sich dieser Verfahrensweise entsprechend verhalten. Wichtig für uns ist im Zusammenhang mit dem Beschluss des Deutschen Bundestages das Verständnis der
Konkretisierung der Informationen, die geliefert werden
müssen. Dementsprechend werden über den Einsatz von
Spezialkräften der Bundeswehr die Vorsitzenden, die
stellvertretenden Vorsitzenden sowie die Obleute des
Verteidigungsausschusses und des Auswärtigen Ausschusses unverändert regelmäßig auf vertraulicher Basis
informiert. Sie wissen, dass ein halbjährlicher Turnus
vereinbart ist, der auch eingehalten wird. Darüber hinaus
wird nicht nur über abgeschlossene, sondern auch über
bevorstehende Operationen informiert.
Die parlamentsfreundliche Information ist aus den guten Gründen, die im Entschließungsantrag auf Drucksache 16/11230 vom 3. Dezember 2008 seitens des Deutschen Bundestages festgehalten worden sind, und wegen
der Schutzbedürftigkeit in Form einer Unterrichtung in
geschlossenen Ausschüssen des Deutschen Bundestags
erfolgt. Das war zum letzten Mal der Fall in der
16. Sitzung des Verteidigungsausschusses des Deutschen
Bundestages am 24. Februar dieses Jahres durch meinen
Kollegen, den Parlamentarischen Staatssekretär Kossendey.
Sie haben das Wort zu einer ersten Nachfrage.
Herr Staatssekretär, in der Antwort der Bundesregierung steht auch, dass die Vorsitzenden und die stellvertretenden Vorsitzenden der Fraktionen unterrichtet werden
können. Können Sie sagen, wann eine solche Unterrichtung über die Tätigkeit der Task Force 47 stattgefunden
hat?
Zur Konkretisierung darf ich auf Ihren Hinweis Abschnitt II. Nr. 1 des Entschließungsantrags zitieren:
Die Obleute sind ermächtigt, diese Informationen
vertraulich an die Fraktionsvorsitzenden weiterzugeben.
Es gibt also eine Informationskette bis hin zu Fraktionsvorsitzenden.
Die Unterrichtung über die Maßnahmen von Spezialkräften, die sich in Einsatzländern befinden, ist nach
meiner Kenntnis nicht sehr lange vor dem 24. Februar
erfolgt. Ich bitte aber darum, dass ich Ihnen das genaue
Datum und die Bestätigung über das, was der Kollege
Kossendey im Verteidigungsausschuss vorgetragen hat
- er hat über die Tätigkeit einzelner Task Forces, auch
der Task Force 47, berichtet -, nachliefern kann.
Sie haben das Wort zu einer zweiten Nachfrage.
Herr Staatssekretär, gibt die Bundesregierung mir darin recht, dass hier eine Lücke in der Kontrolle durch den
Deutschen Bundestag entsteht, da es sich bei der Task
Force 47 ganz offensichtlich um eine Einheit handelt,
der sowohl Angehörige der Bundeswehr als auch Angehörige des Bundesnachrichtendienstes, also eines Geheimdienstes, angehören? Denn auf der einen Seite sagt
man in dem Kontrollgremium für die Geheimdienste, es
könne nicht über die Tätigkeit der Bundeswehr informiert werden. Auf der anderen Seite sagt man im Verteidigungsausschuss hinsichtlich der Bundeswehr, man
könne nicht darüber informieren, was Mitarbeiter oder
Zuarbeiter der Geheimdienste machen. Aufgrund der
Zusammensetzung solcher Einheiten gibt es also kein
Gremium, das sich mit beiden Teilen beschäftigen kann,
und dadurch entsteht eine Informationslücke.
Herr Kollege Ströbele, ich gebe Ihnen zwar grundsätzlich gerne recht, aber nicht immer.
({0})
Ich meine, dass für beide Elemente eine entsprechende
Unterrichtung stattfindet, und zwar hinsichtlich der
nachrichtendienstlichen Tätigkeit in dem Gremium, dem
meiner Kenntnis nach auch Sie angehören. Hinsichtlich
der Spezialkräfte der Bundeswehr sind, soweit es sich
um Operationen handelt, die in den militärischen Bereich gehören, andere Wege zu gehen.
Der Bundesregierung ist sehr an der Information des
Parlaments gelegen. Das ist keine Nebensache, sondern
eine zentrale Verpflichtung der Bundesregierung. Ich
nehme an, dass die Initiative aus den Kreisen des Bundestages kommen wird; denn der Bundestag konkretisiert in wesentlichen Teilen - siehe die Beschlussfassung
vom 3. Dezember 2008 -, wie er die Informationspflicht
erledigt haben will; dies gilt auch im Hinblick auf das
Parlamentsbeteiligungsgesetz. Sofern es eine Informationslücke, die dem Grundsatz der Informationsbereitschaft widerspricht, geben sollte, muss man über geeignete Wege der Abhilfe nachdenken.
Wir sind damit am Ende Ihres Geschäftsbereichs.
Herzlichen Dank, Herr Staatssekretär.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend.
Vizepräsidentin Petra Pau
Zur Beantwortung der Fragen steht der Parlamentarische
Staatssekretär Dr. Hermann Kues zur Verfügung.
Die Fragen 21 und 22 des Kollegen Steffen-Claudio
Lemme werden schriftlich beantwortet.
Ich rufe die Frage 23 der Kollegin Aydan Özoğuz auf:
Wie ist der derzeitige Umsetzungsstand des Programms
„Schulverweigerung - Die 2. Chance“, und inwieweit ist es
bislang mit diesem Programm gelungen, schulverweigernde
junge Menschen wieder in die Schule - bitte Zahlen und Fakten benennen - zu reintegrieren?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Frau Kollegin, das Schulprogramm „Schulverweigerung - Die 2. Chance“ ist Bestandteil der Initiative „Jugend stärken“, mit der wir in der vergangenen Legislaturperiode angefangen haben, die Programme für
benachteiligte junge Menschen und Jugendliche mit Migrationshintergrund zu bündeln, sie stärker aufeinander
abzustimmen und zum Teil auch erheblich auszubauen.
Mittlerweile gibt es 194 Projektstandorte. Das Programm zielt darauf ab, Schülerinnen und Schülern vor
allem von Hauptschulen, die ihren Schulabschluss über
eine sogenannte harte Schulverweigerungshaltung gefährden, in den Regelschulbetrieb zu integrieren.
Das Programm erhöht infolgedessen die Chancen der
jungen Menschen auf einen Schulabschluss und ist auch
ein zentraler Bestandteil der Maßnahmen des Bundes zur
Halbierung der Zahl der Schulabbrecher bis zum
Jahr 2013.
Wir haben die Zahlen vorliegen: 2007 haben über
70 000 Jugendliche die Schule ohne Abschluss verlassen; das entspricht einem Anteil von 7,5 Prozent. Unter
den ausländischen Jugendlichen waren es 16 Prozent,
also etwa das Doppelte. Schätzungen gehen von 300 000
Schulschwänzern und von 10 000 Totalverweigerern
aus. Das zeigt, wie groß das Problem ist und dass es notwendig ist, das Bemühen um diejenigen, die nicht klarkommen, über diese Projekte hinaus in den ganz normalen Schulablauf zu integrieren.
Das Programm „Schulverweigerung“ wurde in der
aktuellen ESF-Förderperiode bis zum Januar 2009 von
75 auf 194 Standorte aufgestockt. Neben der Einführung
von Verfahren zum sogenannten Case-Management und
der Bestimmung von Schulstandorten, an denen man tätig ist, wurden weitere Dinge entwickelt, die es möglich
machen, die Entwicklungsverläufe der Jugendlichen zu
erfassen und sie mit entsprechenden Schulungen für die
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu begleiten. Das Programm ist fachlich um die Aufnahme von Schülerinnen
und Schülern, die ihren Schulabschluss durch eine stark
passive Schulverweigerung gefährden, erweitert worden.
Was die Gesamtzahlen angeht: Im letzten Förderjahr
hatte das Programm rund 5 000 junge Menschen erfasst,
davon circa 1 950 junge Migrantinnen und Migranten,
also 39 Prozent. Man kann generell sagen: Bei allen Jugendprojekten geht es in der Regel um einen erheblichen
Teil von Migrantinnen und Migranten. Von denen, die in
diesem Zeitraum das Case-Management regulär beendet
haben, konnte weit mehr als jeder zweite Schulverweigerer erfolgreich in die Schule reintegriert werden. Die
anderen Jugendlichen konnten zwar nicht vollständig reintegriert werden, aber es gab auch dort Erfolge zu verzeichnen. Es ist so, dass ein Teil von ihnen zumindest
wieder regelmäßig die Schule besucht oder in der Schule
aktiver mitarbeitet. Andere sind in berufsvorbereitende
Maßnahmen mit nachholendem Schulabschluss eingegliedert worden. Sie haben eine Ausbildung oder eine
Arbeit aufgenommen. Ein Teil von ihnen ist durch Umzug usw., wie es bei solchen Programmen immer der Fall
ist, ausgeschieden.
Sie haben das Wort zu einer ersten Nachfrage.
Vielen Dank, Herr Staatssekretär. - Sie haben auf
5 000 Jugendliche und besonders auf die Jugendlichen
mit Migrationshintergrund hingewiesen. Ganz wesentlich in diesem Programm scheint zu sein, dass es Ansprechpartner für die Jugendlichen gibt, die mit ihnen arbeiten und dafür sorgen, dass sie den Weg in die Schule
wiederfinden. In diesem Zusammenhang wird auch erwähnt, dass es wichtig ist, dass Eltern, Schülerinnen,
Schüler und die Ansprechpartner zusammenarbeiten.
Mich interessiert, nach welchen Kriterien diese Ansprechpartner ausgewählt werden und welche Erkenntnisse Sie im Hinblick auf die Elternarbeit haben.
Frau Kollegin, Sie haben sich sicherlich bereits einen
Standort konkret angesehen. Diese Standorte zeichnen
sich dadurch aus, dass dort die kommunale Ebene, die
Landesebene, der Bereich der Sozialarbeit und das spezielle Angebot des Jugendministeriums zusammengeführt werden, weil das Ganze nur dadurch Sinn macht.
Wir haben die Erfahrung gemacht, dass sich der Erfolg
dann einstellt, wenn die verantwortlichen Projektmitarbeiter - sie sind häufig bei freien Trägern angestellt - auf
die einzelnen Jugendlichen eingehen und auch die Eltern
zu Hause aufsuchen.
Sie haben das Wort zu einer zweiten Nachfrage.
Damit haben Sie meine Frage nach den Kriterien
noch nicht beantwortet.
Mich interessiert aber noch Folgendes: Sie sagen,
dass gut die Hälfte der Jugendlichen mit diesem Programm nicht erreicht wird. Wir haben insgesamt eine
sehr hohe Zahl von jungen Menschen, die keinen Abschluss haben, älter als 22 sind und ihren bisherigen Weg
bereuen. Sie suchen durchaus nach Möglichkeiten, einen
Abschluss zu bekommen oder irgendwie reintegriert zu
Aydan Özoðuz
werden. Inwiefern plant die Bundesregierung ein ähnliches Programm oder eine Fortführung dieses Programms
für die Älteren?
Die Bundesregierung plant dies nicht. Ich habe darauf
hingewiesen, dass das, was wir hier mit Unterstützung
des Europäischen Sozialfonds machen, im Grunde genommen Maßnahmen sind, bei denen es darum geht, die
regulären Abläufe zu ergänzen, zu bereichern und auch
zu verändern. Das muss im Endeffekt von der jeweiligen
Landesebene geleistet werden.
Vielleicht sollte ich noch etwas zu den Kriterien sagen. In der Praxis sieht das so aus, dass dann, wenn
wahrgenommen wird, dass ein Jugendlicher den Schulunterricht verweigert, indem er gar nicht mehr kommt
- passive Schulverweigerung dagegen wäre, dass er zur
Schule geht, aber eigentlich nichts mehr macht -, die
Schule tätig wird. Im engen Kontakt zwischen den Projektmitarbeitern und der Schule wird dann im Einzelfall
entschieden, ob jemand für die Reintegration infrage
kommt. Es gibt keine formalen Kriterien, die man benennen könnte. Man muss da vielmehr sehr stark auf den
Einzelfall abheben, ob solch ein Versuch erfolgreich sein
kann. Da spielen die Lehrer mit hinein, da spielt die
Schulleitung mit hinein, und da spielen die Eltern mit hinein sowie die jeweiligen Spezialisten aus dem Projektmanagement.
Ich rufe nun die Frage 24 der Kollegin Özoğuz auf:
Welche Überlegungen und Maßnahmen werden in der angekündigten Fortführung und Erweiterung des Projekts „Neue
Wege für Jungs“ insbesondere für junge Migranten berücksichtigt?
Ich will darauf gerne antworten, Frau Kollegin. Dieses Netzwerkprojekt „Neue Wege für Jungs“ wendet
sich an Jungen und hat damit zuallererst die Geschlechtszugehörigkeit im Blick und nicht die Frage, ob
jemand Migrant ist oder nicht. Die zahlreichen Projekte
- es gibt insgesamt 150 Netzwerkpartner - richten sich
an Jungen mit und ohne Migrationshintergrund. Gleichzeitig werden Jungen aus allen Schulformen beteiligt.
Der Schwerpunkt liegt allerdings auch hier auf Hauptund Realschulen, in denen der Anteil von Schülern mit
Migrationshintergrund besonders groß ist.
Die Initiative „Neue Wege für Jungs“ ist ja das Pendant zum sogenannten Girls’ Day und verfolgt das Ziel,
das Berufswahlspektrum entsprechend zu erweitern.
Ich möchte auch darauf hinweisen, dass vorgesehen
ist, diese Initiative auszuweiten. So steht es im Koalitionsvertrag. Wir gehen davon aus, dass wir das in der
nächsten Projektphase - dieses Projekt war ja auf drei
Jahre begrenzt - durch entsprechend erhöhte Mittel auch
wieder unter Einbeziehung von ESF-Mitteln schaffen.
Haben Sie eine Nachfrage?
Ja. - Mich würde interessieren, wie sich die Zielgruppe zusammensetzt. Geht es nach Altersstufen, geht
es nach Regionen, Ost bzw. West? Wonach wird da genau geschaut?
Das kann ich Ihnen so aus dem Stand nicht beantworten. Auf die Ausschreibung solcher Projekte bewerben
sich unterschiedliche Träger, unterschiedliche Initiativen
sowie außerschulische Bildungseinrichtungen. Bei diesen schauen wir ganz allgemein, inwieweit sie dazu beitragen können, dass Jugendliche in ihrer Lebensplanung
begleitet werden und neue Anregungen bekommen. Daraus ergeben sich auch gewisse Kriterien. Ich kann Ihnen
jetzt nicht genau die Kriterien nennen, die formal zugrunde gelegt werden. Ich will Ihnen das aber gerne einmal im Ausschuss beantworten.
Keine weitere Nachfrage? - Dann rufe ich die Frage
25 der Kollegin Marlene Rupprecht auf:
Wie viele Familien und wie viele Kinder werden aktuell
mit dem Kinderzuschlag - bitte Datenquelle nennen - erreicht?
Nach Schätzungen der Bundesregierung von Dezember 2009 gab es insgesamt 116 000 Berechtigte mit insgesamt rund 292 000 Kindern, an die bzw. für die Kinderzuschlag bezahlt wurde.
Frau Kollegin Rupprecht, die zu diesem Thema auch
eine schriftliche Anfrage gestellt hat, hat nach der Datenquelle gefragt. Wenn man sich mit dieser Frage beschäftigt, lässt sich erklären, weshalb es unterschiedliche
Zahlen gibt. Die Bundesagentur für Arbeit ermittelt
nämlich nur die Zahl derjenigen, die sogenannte laufende Zahlungen Monat für Monat erhalten, ermittelt
aber nicht die Zahl derjenigen, die einmalig Zahlungen
erhalten, oder derjenigen, die herausfallen oder neu aufgenommen werden, weil sich beispielsweise das Einkommen verändert hat. In diesen Fällen können wir nur
Hochrechnungen anstellen, indem wir die Gesamtausgaben für den Kinderzuschlag in Beziehung setzen zu den
Durchschnittsbeträgen für laufende Zahlungen. Nur so
ist es möglich, zu einer Bewertung zu kommen und die
zukünftige Höhe des Kinderzuschlags festzulegen. Das
hatten wir in unserer Antwort auf die schriftliche Anfrage auch im Einzelnen beantwortet.
Ihre Nachfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, mich interessiert, ob man etwas
zur Zahl der gestellten Anträge, zur Zahl der abgelehnten Anträge und zu den Begründungen für die Ablehnungen sagen kann. In der letzten Wahlperiode hatten wir ja
versucht, nachzusteuern, um zielgenau handeln zu können. Das war unsere Absicht. Dabei sollte auch geklärt
werden, inwieweit es offensichtliche Gründe für Ablehnungen gibt. Wird das erfasst? Gibt es dazu Daten oder
Fallzahlen? Das wäre meine erste Frage.
Da Sie meine zweite schriftlich eingereichte Frage
schon beantwortet haben, habe ich eine weitere Nachfrage. Heute hat im Ausschuss Ihr Kollege, Staatssekretär Hecken, dargelegt, dass seitens der Bundesregierung
eventuell eine Differenzierung nach Altersstufen, um die
Zielgenauigkeit zu erhöhen, beabsichtigt ist. Für mich
wäre wichtig, zu erfahren, ob man Näheres über die Familienstrukturen der jetzt den Kinderzuschlag Beziehenden weiß. Weiß man, ob überwiegend Familien mit kleineren Kindern oder mit mehreren Kindern usw. den
Kinderzuschlag erhalten? Vielleicht sollte es eine bessere Datenlage geben, um den Kinderzuschlag wirklich
dort ankommen zu lassen, wo er ankommen soll, nämlich bei denen, die in „prekärem Wohlstand“ sind und
immer knapp über der Grenze zur Armut liegen. Gibt es
dazu Erkenntnisse?
Das Anliegen Ihrer Frage kann ich sehr gut nachvollziehen. Mir liegen diese Erkenntnisse nicht vor. Ich
glaube, diese gibt es auch nicht. Ich will mich aber gerne
noch einmal erkundigen.
({0})
Es wäre in der Tat wichtig, dass wir den Sachverhalt
im Einzelnen kennen, bevor wir etwas ändern. Wir werden in Verbindung mit dem gesamten Niedriglohnbereich, mit dem sich das Parlament und die Bundesregierung zu beschäftigen haben, auch darüber nachdenken
müssen, wo der spezielle Platz für den Kinderzuschlag
sein kann, der, wie Sie richtig sagen, für diejenigen vorgesehen sein soll, die den Lebensunterhalt für sich
durchaus verdienen können, aber aufgrund ihrer Kinder
in eine SGB-II-Abhängigkeit geraten. Das ist der Personenkreis, den wir erfassen wollen. Immerhin gibt es ja
Zahlen, wie sich das im Laufe der Jahre entwickelt hat.
Die Zahl ist gewaltig gestiegen. Dem liegen Schätzungen zugrunde: Im September 2008 waren es 120 000.
Ende 2009 waren es schon 300 000. Das heißt, die Zahl
derjenigen, die den Kinderzuschlag in Anspruch genommen haben, ist gestiegen.
Das zeigt ganz offenkundig, dass die Vereinfachung
der Beantragung des Kinderzuschlages letztlich erfolgreich gewesen ist. Ich glaube auch, dass eine Rolle
spielt, dass sich dieses Instrument langsam im Bewusstsein der Menschen verankert hat, dass sie nun wissen,
dass es so etwas gibt, wie sie damit umgehen können
und weshalb es ein sinnvoller Ansatz ist, zu sagen: Du
kannst den Lebensunterhalt für dich selbst verdienen;
aber wir helfen dir dabei, dass du aufgrund deiner Kinder nicht in Abhängigkeit gerätst.
Ich sage aber ausdrücklich: Ich werde mich erkundigen, welche strukturellen Daten es bezüglich der Zusammensetzung des Personenkreises noch gibt - mir sind
solche nicht geläufig -, damit wir eine gemeinsame
Grundlage für künftige Entscheidungen haben.
Haben Sie eine Nachfrage dazu?
Ja, ich habe noch eine Nachfrage dazu. Gestern gab es
hinsichtlich der ALG-II-Aufstocker die Pressemeldung,
dass Stundenlöhne unter 3 Euro als sittenwidrig gelten.
Die Bundesagentur für Arbeit hat den Jobcentern auferlegt, zu überprüfen, dass von denen, die ALG-II-Aufstocker sind, keiner einen Stundenlohn von unter 3 Euro
erhält.
Für mich stellt sich nun die Frage: Wird bei den Personen, die den Kinderzuschlag beantragen, erfasst, in
welcher Höhe sich ihr Stundenlohn bewegt? Denn ich
könnte mir gut vorstellen, dass man, wenn es genauere
Zahlen gäbe, darauf hinarbeitet, dass angemessene
Löhne gezahlt werden, damit Eltern aus der staatlichen
Hilfe herauskommen, auch wenn der Kinderzuschlag sicherlich ein gutes Instrument ist. Noch besser aber ist es,
wenn die Eltern ihr Leben ohne Kinderzuschlag bewältigen können. Gibt es irgendwelche Erfassungen im Zusammenhang mit den Stundenlöhnen?
Meines Wissens nicht. Ich schließe es aus, dass bei
der Prüfung auch erfasst wird, wie hoch der jeweilige
Stundenlohn ist. Das wäre sicherlich interessant und informativ, weil das ein anderes Kriterium für die Genehmigung darstellen könnte. Das ist in der gesetzlichen Regelung nicht vorgesehen.
({0})
Darüber kann man sicherlich politisch diskutieren. Denn
der Kinderzuschlag ist nicht dafür gedacht, dass niedrige
Löhne gezahlt werden und man dann an staatliche Mittel
herankommt, um auf diese Art und Weise zu einem angemessenen Einkommen zu kommen.
Zum selben Sachverhalt rufe ich die Frage 26 der
Kollegin Marlene Rupprecht auf:
Wie erklärt sich das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend die stark voneinander abweichenden Fallzahlen zum Kinderzuschlag der Bundesregierung
- zum Beispiel April 2009: 259 150 erreichte Kinder - und
der Familienkasse - zum Beispiel April 2009: 183 000 erreichte Kinder -, und welche Maßnahmen werden zur Präzisierung der statistischen Erhebung der Fallzahlen getroffen?
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt
Diese Frage ist noch zu beantworten; es sei denn, der
Staatssekretär ist schon bei der Beantwortung der
Frage 25 darauf befriedigend eingegangen.
Letztlich müsste die Kollegin entscheiden, ob das befriedigend gewesen ist.
Frau Kollegin? - Es ist erledigt.
Ist in Ordnung?
Ja.
Bei der ersten schriftlichen Frage wurde nach Quellen
usw. gefragt. Da musste ich das, was in Frage 26 anstand, schon einmal erwähnen.
Der Kollege Sönke Rix, der die Frage 27 gestellt hat,
ist nicht anwesend. Es wird verfahren, wie in der Geschäftsordnung vorgesehen.
Damit rufe ich die Frage 28 der Kollegin Dagmar
Ziegler auf:
Welche konkreten Maßnahmen plant das Bundesministerium
für Familie, Senioren, Frauen und Jugend für das Jahr 2010,
um den zusätzlichen Bedarf von rund 35 000 bis 40 000 Vollzeitstellen in Tageseinrichtungen und von rund 25 000 Tagespflegepersonen bis 2013 ({0}) zu decken?
Frau Kollegin Ziegler, wir sind uns alle einig, dass
wir qualifiziertes Personal brauchen, um den Ausbau der
Kindertagesbetreuung nicht nur quantitativ vorzunehmen, sondern auch eine Betreuung in guter Qualität leisten zu können. Es geht um frühkindliche Bildung und
nicht nur um Aufbewahrung. Deswegen ist es, glaube
ich, nicht überraschend, dass gewaltige Zahlen im
Raume stehen, die es zu bewältigen gilt, wenn es um das
Thema Personalgewinn usw. geht.
Ich habe in der Kleinen Anfrage, auf die Sie Bezug
nehmen, Prognosen genannt, die im Oktober 2008 in einer Qualifizierungsinitiative für Deutschland festgelegt
worden sind. Man hat sie dort gemeinsam vereinbart, weil
man sie für realistisch gehalten hat. Damals haben wir
über 50 000 Erzieherinnen und Erzieher und 30 000 Tagesmütter gesprochen. Insofern kann man die aktuellen Zahlen von 35 000 bis 40 000 Erzieherinnen und Erziehern,
die jetzt genannt worden sind, als eine Bewegung nach
vorne deuten. Offenkundig ist ein Teil der Probleme gelöst worden.
Ich sage ausdrücklich: Einen Teil des zusätzlichen
Bedarfs werden wir mit den bestehenden Ausbildungskapazitäten decken können. Aber es wird nicht ganz
ausreichen. Wir wissen, dass dieses Problem vom Bund,
der koordiniert, und von den Ländern, die für die Ausbildungskapazität zuständig sind, gelöst werden muss. Wir
werden uns darum kümmern müssen, dass diese auch
tatsächlich ausreichen. Es ist völlig klar, dass die Rahmenbedingungen des Berufs so gestaltet sein müssen,
dass sich Absolventinnen und Absolventen entschließen,
in der frühkindlichen Bildung tätig zu werden.
Wir denken auch an die Aktivierung von derzeit beschäftigungslosen Fachkräften. Wir denken an bessere
Fort- und Weiterbildungsmöglichkeiten und haben dazu
auch Vorschläge gemacht. Ich gehe davon aus, dass letzten Endes Ausbildungskapazitäten gegebenenfalls erweitert werden müssen. Das muss jedes Bundesland für
sich entscheiden bzw. die Bundesländer gemeinsam. Wir
- Bund, Länder und Gemeinden - müssen dafür sorgen,
dass ausreichend viele Fachkräfte zur Verfügung stehen.
Das ist eine gemeinsame Anstrengung.
Wir haben einiges dafür getan, damit wir vorankommen.
Ich erinnere an das Aktionsprogramm „Kindertagespflege“. In diesem Segment haben wir Qualitätskriterien
entwickelt, aber auch versucht, die Professionalisierung
voranzubringen. Das ist ein mühsames Geschäft, weil es
auch immer mit der steuerlichen Behandlung der Einkommen und der Rahmenbedingungen zu tun hat. Ich erinnere an die Eckpunkte der frühkindlichen Bildung, die
uns der Koalitionsvertrag vorgibt. Letztlich geht es immer um das Ziel, zu einer verlässlichen Betreuungsqualität zu gelangen. Sie kennen das Forum „Frühkindliche
Bildung“, bei dem es darum geht, diese verschiedenen
Fakten und Kriterien aufzugreifen. Wir gehen davon aus,
dass die Evaluation des Kinderförderungsgesetzes dazu
beiträgt, dass wir solides Datenmaterial bekommen.
Es gibt viele andere Punkte, die in Verbindung mit der
Qualitätsinitiative von Bund und Ländern zu sehen sind.
Ein Qualifizierungspaket für Erzieherinnen und Erzieher
ist aufgelegt worden. Wir haben beispielsweise auch das
Zweite Gesetz zur Änderung der Aufstiegsfortbildungsförderung, das sogenannte Meister-BAföG, auf den Weg
gebracht, durch das seit Juli 2009 bundesweit die Aufstiegsfortbildung zum Erzieher oder zur Erzieherin staatlich gefördert wird. Ich könnte Ihnen weitere Bereiche
nennen, beispielsweise das Programm „Perspektive Wiedereinstieg“, weil wir glauben, dass es viele Männer und
Frauen gibt, die gerade in der Familienphase Qualifikationen entwickelt bzw. sich angeeignet haben und die
dadurch im Prinzip infrage kommen, in diesem Bereich
tätig zu werden.
Ihre Nachfrage, Frau Kollegin Ziegler.
Vielen Dank, Herr Staatssekretär. - Über das Ziel sind
wir uns, glaube ich, alle einig. Mir ging es bei der Fragestellung darum, welche Strategien des Bundesministeriums für 2010 konkret vorliegen, um das, was Sie benannt haben, umsetzen zu können. Welche Initiativen
sieht das Haus konkret vor? Mit den Kommunen und den
Ländern muss debattiert werden, damit die „Jahresscheibe“ 2010 erreicht werden kann; denn drei Jahre
sind nicht sehr viel Zeit.
Ich habe Ihnen die verschiedenen Bereiche genannt,
bei denen wir mit den Ländern zusammensitzen, etwa
das Forum „Frühkindliche Bildung“. Sie kennen sich
aufgrund Ihres politischen Hintergrundes sehr gut damit
aus und wissen, dass der Bund hier nur eine koordinierende Funktion wahrnimmt. Da sitzen Bund und Länder
an einem Tisch. Ziel ist es, etwa beim Forum „Frühkindliche Bildung“, Kriterien zu entwickeln.
Bezüglich der anderen Bereiche, die ich genannt
habe, bei denen es um personelle Fragestellungen geht,
wird jedes einzelne Bundesland überprüfen müssen, was
es an Fachkräften benötigt. Das wird ganz unterschiedlich entschieden. Wenn ein Bundesland zum Beispiel
stärker auf Tagespflege setzt, werden die Konsequenzen
entsprechend aussehen müssen. In diesem Fall müssen
wir auch die Ausbildungskapazitäten in den Blick nehmen. Das ist je nach Bundesland unterschiedlich. Hier
kann es nur um eine gemeinsame Anstrengung gehen.
Ganz konkret: Die Strukturen und die Foren, die wir
geschaffen haben, aber auch die Abstimmungsrunden,
die kontinuierlich tagen, werden wir dazu nutzen, diese
Punkte Schritt für Schritt anzugehen. Die Länder werden
dabei selbstverständlich einbezogen, auch das Land
Brandenburg.
Haben Sie eine weitere Nachfrage? - Nein? - Dann
stelle ich fest, dass wir den zeitlichen Rahmen für die
Fragestunde voll ausgeschöpft haben. Die restlichen Fragen werden schriftlich beantwortet.
Ich rufe den Zusatzpunkt 1 auf:
Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktion der SPD
Notwendigkeit einer einheitlichen Praxis beim
Kauf von Steuer-CDs
Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner das Wort dem Kollegen Joachim Poß für die SPDFraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Das beständige Hin und Her in der baden-württembergischen Landesregierung und das Hin und Her zwischen
Stuttgart und dem Bundesfinanzministerium zu den
Steuer-CDs müssen endlich aufhören. Das alles dauert
jetzt schon zu lange.
Nach neuesten Meldungen sei der Bund jetzt doch bereit, den Kauf der CD für Baden-Württemberg zu organisieren. Wenn das stimmt, Herr Koschyk - ich warte erst
einmal ab -, dann ist es aber auch allerhöchste Zeit, dass
Klarheit in dieser Frage geschaffen wird.
({0})
Alle Beteiligten müssen sich jetzt nämlich auf das besinnen, was ihre Aufgabe ist. Das ist die gleichmäßige
Durchsetzung der Steuerpflicht hier in Deutschland.
({1})
Schwarz-Gelb in Stuttgart und Schwarz-Gelb im
Bund sorgen so, wie sie agieren, im Ergebnis dafür, dass
dieser Verfassungsauftrag nicht realisiert werden kann.
Solange nicht allen klar ist, wie es mit den Steuer-CDs
weitergeht und dass gekauft werden kann, haben wir einen Fall von krassem Staatsversagen.
({2})
Dieses Versagen untergräbt das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in Rechtsstaat und Demokratie. Dafür
sind Sie verantwortlich. Schwarz-Gelb ist dafür verantwortlich, dass dieses Vertrauen weiter untergraben wird.
({3})
Das ist auch ein zusätzlicher Beleg für die Richtigkeit
des Vorwurfs der Klientelpolitik. Durch Ihr Verhalten
können die Steuerhinterzieher in Deutschland wieder
Hoffnung schöpfen, davonzukommen.
({4})
Den vielen ehrlichen Steuerzahlern in Deutschland wird
wieder einmal vorgeführt, dass sie weiterhin zu den
Dummen gehören sollen.
Es zeigt sich an diesen Vorgängen erneut: SchwarzGelb scheitert an der Praxis. Schwarz-Gelb kann es
nicht, liebe Kolleginnen und Kollegen.
({5})
Die Wunschkombination Merkel-Westerwelle-Seehofer
ist nicht realitäts- und nicht regierungstauglich. Das ist
die Bilanz, die wir am heutigen Tag ziehen können.
({6})
Der neue baden-württembergische Ministerpräsident
Mappus entpuppt sich schon in seinen ersten Amtstagen
als politisches Leichtgewicht.
Wir brauchen dringend und möglichst sofort ein klares und einheitliches Verfahren, wie die Länder mit den
angebotenen Steuer-CDs umzugehen haben, jetzt und in
allen zukünftigen Fällen.
({7})
Das kann nur der Bundesfinanzminister koordinieren,
niemand sonst. Doch der hält sich, wie auch in anderen
Fragen, vornehm zurück. Das kann man bei der Finanzmarktregulierung feststellen. Das kann man auch bei der
Frage der Haushaltskonsolidierung - wie geht es mit den
Schulden in Deutschland weiter? - feststellen.
({8})
Überall hält sich der vielfach gerühmte Herr Schäuble
zurück. Es erfolgt faktisch kein Handeln im Interesse unseres Landes. Auch das müssen wir hier einmal klar feststellen.
({9})
Wir fordern den Bundesfinanzminister auf: Zeigen
Sie Führung! Sorgen Sie dafür, dass das Chaos um die
Steuer-CDs beendet wird! Geben Sie Ihre bemerkenswerte Zurückhaltung endlich auf!
Auch in dieser Frage geht es im Kern darum, wer in
den schwarz-gelben Regierungen den Takt vorgibt. Offensichtlich lässt Herr Mappus zu, dass ihm die FDP auf
der Nase herumtanzt.
({10})
Was ist mit Frau Merkel? Was ist mit Herrn
Schäuble? Frau Homburger hat heute ihre badenwürttembergischen Parteifreunde in deren Ablehnung
des CD-Kaufs noch einmal vehement verteidigt. Wo ist
Frau Homburger eigentlich? Das ist der ewige Konflikt
zwischen der schwäbischen Hausfrau Merkel auf der einen Seite und der badischen Drossel Homburger auf der
anderen Seite, den wir heute hier erleben können.
({11})
Wenn Frau Merkel und Herr Schäuble wirklich wollen,
dass die Steuer-CDs angekauft werden, dann müssen sie
auch dafür sorgen, dass das geschieht.
({12})
Zu Zeiten der Großen Koalition hat die SPD durch ihren Einsatz und ihre Initiative die Handlungsschwäche
der Union und die auch bei der Union vorliegende Klientelorientierung übertüncht. Jetzt ist das anders. Jetzt werden die Entscheidungs- und Durchsetzungsdefizite von
Frau Merkel für alle spürbar, und zwar in einer Situation,
in der unser Land noch immer viele Probleme hat. Wir
haben eigentlich keine richtige Regierung; da hat Sigmar
Gabriel schon recht. Wir haben eine nicht funktionierende Koalition. Sorgen Sie dafür, dass aus dem, was wir
hier erleben, einer permanenten Koalitionskrise, nicht
ein Staatsversagen resultiert, wie das jedenfalls bis jetzt
so war.
({13})
Nächster Redner ist der Kollege Leo Dautzenberg für
die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Poß, wenn Sie
heute etwas früher in der Sitzung des Finanzausschusses
gewesen wären, in der Sie nachher waren, und die Ausführungen des Staatssekretärs Koschyk zu diesem
Thema gehört hätten oder sich von Ihren Kollegen hätten
informieren lassen, dann hätten wir uns heute diese Aktuelle Stunde und vor allen Dingen Ihren Beitrag, der in
keiner Weise sachgerecht war, sondern nur Szenarien in
einem klassenkämpferischen Stil an die Wand gemalt
hat, die jeder Grundlage entbehren, sparen können.
({0})
Sie haben schon darauf hingewiesen, dass wir das
Thema Steuerbetrugsbekämpfung gemeinsam in der
Großen Koalition auf den Weg gebracht haben. All diese
Instrumentarien haben zum Erfolg geführt.
({1})
Lassen Sie uns das doch weiter ausbauen.
({2})
Das, was jetzt im Zusammenhang mit den Steuer-CDs zu
sagen ist, ist heute Morgen wirklich ausführlich dargelegt worden.
({3})
Da gibt es keinen Dissens. Einen Teil Ihres Beitrages
hätten Sie vielleicht Ihrem Oppositionsführer in BadenWürttemberg überlassen können, aber nicht hier im Bundestag zum Gegenstand der Diskussion machen sollen.
({4})
Wir haben einiges erreicht. Schauen Sie sich doch
einmal die Situation in Nordrhein-Westfalen an, wie
diese Sache gemeinsam mit dem Bund bisher abgearbeitet worden ist. Es gibt eine Vereinbarung der Steuerabteilungsleiter der Länder mit dem Bund, wie man mit
solchen Vorgängen, Angebote zum Kauf von DatenCDs, umgeht. Es ist doch in jedem Einzelfall zu prüfen
- auch das wurde heute deutlich -, wie man im Grunde
verfährt.
Wir wissen auch um das Dilemma, das nach wie vor
besteht, dass in der Föderalismusreform II Regelungen
zu eindeutigen Zuständigkeiten, die der Bund in diesem
Bereich haben wollte, nicht gegen die Länder durchgesetzt werden konnten.
({5})
Hier geht es um die Zuordnung der Zuständigkeiten. Daran waren Sie doch beteiligt, als das beschlossen worden
ist. Deshalb ist jeder Sachverhalt in diesem Zusammenhang immer auf den einzelnen, speziellen Fall anzuwenden.
So ist es auch in Nordrhein-Westfalen passiert, wo
diese Entscheidung im Endeffekt in der Zuständigkeit
der Landesfinanzverwaltung liegt. Sie können doch
nicht bei jedem Angebot sofort Ja sagen, ohne vorher die
Stichhaltigkeit der Daten zu prüfen:
({6})
Sind das neue Tatbestände? Sind das vielleicht Tatbestände, die schon von der Finanzverwaltung begleitet
werden? Zunächst einmal müssen die Fakten erhoben
und der Sachverhalt aufgeklärt werden, ehe sie den
Schritt vollziehen können.
({7})
- Verehrte Frau Kressl, Sie als Parlamentarische Staatssekretärin müssten eigentlich aufgrund Ihrer Sachkenntnis wissen
({8})
- ja, als ehemalige Staatssekretärin -, wie kompliziert
manche Steuersachverhalte in den Beziehungen sind;
dann können Ermittlungen manchmal ein Jahr lang dauern.
Aber man sollte hier nicht das Gespenst an die Wand
malen, damit sei der Rechtsstaat gefährdet. Wir als Politiker müssen unter rechtsstaatlichen Gesichtspunkten
ehrlich zugeben, dass wir bei der Frage des Ankaufs in
dem rechtlichen Dilemma sind, nach wie vor die Geltung des Rechtsstaats zu gewährleisten, aber auch der
Durchsetzung des Steueranspruchs gerecht zu werden.
Da kann man doch nicht sagen: Das wischen wir einfach
weg. Vielmehr muss man das immer wieder neu erörtern.
({9})
Da ist die alte Regierung in der Großen Koalition zu einem Ergebnis gekommen.
({10})
- Was heißt „schneller gewesen“? Da waren die Fakten
dann vielleicht eindeutig zuzuordnen.
({11})
Nehmen wir das Beispiel Nordrhein-Westfalen. Nordrhein-Westfalen hat jetzt berichtet - Herr Staatssekretär,
ich glaube, der 26. Februar 2010 war das Datum -, die
Landessteuerverwaltung NRW habe die CD gegen Entgelt erworben. Jetzt geht es darum, das umzusetzen.
({12})
Was haben wir bisher alles erreicht? Wir haben durch
diese Maßnahmen des Staates, der Landesfinanzbehörden in Abstimmung mit dem Bund, mehr Selbstanzeigen
bekommen; darüber werden die Bürger in die Steuerehrlichkeit geführt.
({13})
Damit ist auch erreicht worden, dass die Schweiz eher
bereit ist, das Doppelbesteuerungsabkommen zum Abschluss zu bringen, wodurch wir vielleicht auch mit diesem Land zum gegenseitigen Informationsaustausch
kommen. Also, dramatisieren Sie das nicht alles,
({14})
sondern lassen Sie den jeweiligen Stellen den zeitlichen
Rahmen, der angemessen ist, richtungsweisende und
sachlich richtige Entscheidungen zu treffen.
Vielen Dank.
({15})
Für die Fraktion Die Linke hat das Wort die Kollegin
Dr. Barbara Höll.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Herr Dautzenberg, hier dramatisiert niemand.
({0})
Die Situation ist dramatisch.
({1})
Wenn der Staat auf Machenschaften von Dieben zurückgreifen muss, wenn wir darauf angewiesen sind, dass uns
Diebesgut angeboten wird, was Herr Koschyk als Ultima
Ratio, als letzte Möglichkeit, darstellt, um einen gerechDr. Barbara Höll
ten Steuervollzug zu realisieren, so sage ich Ihnen: Es ist
inzwischen die einzige Möglichkeit, hier überhaupt gerechten Steuervollzug durchzusetzen.
({2})
Recht wird zunehmend ökonomisiert. Die Durchsetzung von Recht hängt von Kosten und Nutzen ab: Wie
viel kostet die angebotene CD? Was bringt sie ein? Wie
viel kostet die Bundesländer ein ordentlicher Steuervollzug? Was nimmt man dadurch ein? Das ist doch keine
Rechtsstaatlichkeit mehr, sondern eine Verhöhnung des
Rechtsstaates.
({3})
Steuerhinterziehung ist kein Kavaliersdelikt, sondern
kriminell und bringt einen immensen Schaden für die
Gesellschaft.
({4})
Steuerhinterziehung zerstört den Gerechtigkeitsgrundsatz der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit. Steuerhinterziehung ist sozial ungerecht
und verschärft die Kluft zwischen Arm und Reich. Steuerhinterziehung lohnt sich nur für die, die eh schon
haben. Jeder Hartz-IV-Empfänger und jede Hartz-IVEmpfängerin soll sich gläsern machen. Reiche und Vermögende dagegen werden mit Samthandschuhen angefasst und können daher in großem Stil Steuern hinterziehen. Selbst wenn sie nachweislich kriminell gehandelt
haben, bleiben sie bei rechtzeitiger Selbstanzeige straffrei. Das ist ein zum Himmel schreiender Skandal.
({5})
Die Umgehung der Steuergesetze über Anlagen in
Steuerparadiesen ist uns allen seit Jahren bekannt. Außer
hilflosen Versuchen haben die verschiedenen Bundesregierungen in den letzten Jahren nichts gemacht.
({6})
Ich erinnere an das Fiasko von Finanzminister Eichel mit
seiner Steueramnestie. Ich erinnere auch an den legendären Satz von Finanzminister Steinbrück, der die Abgeltungsteuer verteidigte, indem er sagte: Lieber 25 Prozent
von x als 45 von nix. Das ist die Akzeptanz des faktischen Zustandes, dass diejenigen, die den Höchststeuersatz zahlen müssten, diesen gar nicht mehr zahlen, weil
sie Steuern hinterziehen. Das ist einfach ein Skandal.
({7})
Wie haben Sie darauf reagiert? Mit Steuersenkungen!
Sie haben die Abgeltungsteuer in Höhe von 25 Prozent
eingeführt. Das, was ich zusätzlich einnehme, weil ich
so viel Geld übrig habe, dass ich es anlegen kann und
Zinsen bekomme, wird jetzt nicht mehr nach meinem
persönlichen Steuersatz besteuert - hier findet das Gerechtigkeitsprinzip keine Anwendung mehr -, sondern
es wird allgemein nur noch mit 25 Prozent besteuert.
({8})
Im Gegensatz zur vergangenen Woche - das ist wichtig -, als Herr Koschyk im Finanzausschuss sagte, die
Entscheidung über den Ankauf der CDs sei allein die
Entscheidung der Bundesländer,
({9})
sagte er in der heutigen Sitzung des Finanzausschusses,
auf die Herr Dautzenberg schon hingewiesen hat:
({10})
Der Bund prüft, ob die CD, gegebenenfalls unter Mitwirkung einiger Länder bzw. der Länder, gekauft werden
kann. Das hat er wirklich sehr kryptisch ausgedrückt.
({11})
Ich frage mich: Was prüft der Bund hier? Der Bund hat
die Verantwortung für den bundeseinheitlichen Steuervollzug;
({12})
das ist eine ganz wesentliche Angelegenheit. Dieser Verantwortung werden Sie nicht gerecht.
Herr Dautzenberg, Sie haben auf das Steuerhinterziehungsbekämpfungsgesetz der Großen Koalition verwiesen. Toll! Im Januar haben Sie selber ausgeführt: Nach
den Kriterien dieses Gesetzes gibt es derzeit gar keine
Steueroasen und Steuerparadiese. Es befindet sich kein
Land mehr auf den sogenannten Schwarzen Listen. In
Frankreich sieht man das anders. Frankreich hat jetzt
festgestellt, dass 18 Länder sehr wohl als Steuerparadiese fungieren, und hat deshalb mit sofortiger Wirkung
die Quellensteuer von 15 auf 50 Prozent erhöht.
({13})
Hinzu kommt: Selbst wenn wir schon ein Doppelbesteuerungsabkommen mit der Schweiz hätten, sodass die
Auskunft geregelt wäre, wäre auch dieses Abkommen
nach dem OECD-Maßstab wirkungslos, weil es keinen
automatischen Auskunftsmechanismus gibt.
Nehmen Sie das Beispiel der aktuellen Steuer-CDs.
Nur weil auf der CD Namen genannt sind, haben die
deutschen Steuerbehörden überhaupt eine Chance, zielgerichtet nachzuprüfen und nachzufragen.
({14})
Aber was, wenn man keine Namen kennt? Bei Grenzkontrollen gilt die Regelung: Wenn jemand mehr als
10 000 Euro mit über die Grenze nimmt, ist das anzeigepflichtig. Natürlich könnte man parallel dazu sagen: Kapitalbewegungen ins Ausland in Höhe von mehr als
100 000 Euro pro Jahr sind automatisch anzeigepflichtig.
Warum machen wir nicht endlich wirkungsvolle Gesetze?
Warum sorgen Sie nicht endlich auf internationaler Ebene
für eine Verbesserung des OECD-Musterabkommens, sodass es dann tatsächlich Wirkung entfalten kann?
({15})
Hier haben Sie über Jahre nichts getan.
An dieser Stelle muss ich leider auch die grüne Fraktion und auch die SPD in die Pflicht nehmen.
({16})
Dieses Trauerspiel, das Sie jetzt aufführen - wenn Ihnen schon keine andere Möglichkeit bleibt -, signalisiert
den Steuerhinterzieherinnen und -hinterziehern doch nur,
dass sie ruhig weitermachen können. Die „schönste“
Meldung, die wir heute im Finanzausschuss erhalten haben, war, dass von den 800 Fällen, die auf der aus Liechtenstein stammenden Steuer-CD enthalten waren, die ja
nicht erst gestern gekauft wurde, mehrere 100 Fälle - wie
viele 100 Fälle, wurde uns nicht gesagt - bis heute nicht
abschließend bearbeitet sind.
({17})
Frau Kollegin, denken Sie an die Redezeit?
Steuersünder und Steuersünderinnen können sich in
Deutschland also weiter wohlfühlen.
Ich danke Ihnen.
({0})
Nächster Redner ist der Kollege Dr. Volker Wissing
für die FDP-Fraktion.
({0})
Herzlichen Dank, Frau Präsidentin. - Das Thema,
über das wir in der heutigen Aktuellen Stunde diskutieren, sollte nach der ausführlichen Diskussion im Finanzausschuss am heutigen Morgen eigentlich erledigt sein.
({0})
Aber offensichtlich hat die SPD es noch nicht verstanden. Reden wir also ruhig darüber.
Das Problem fängt schon mit dem Titel der Aktuellen
Stunde an; ich weiß nicht, wer von Ihnen ihn sich ausgedacht hat. Sie wollen, dass wir über Steuer-CDs und deren Ankauf reden. Für mich war eine Steuer-CD bisher
immer eine CD, auf der ein Programm ist, mit dem man
eine Steuererklärung abgeben kann.
({1})
Sie verstehen darunter offensichtlich etwas anderes. Jedenfalls wirft dieser Begriff mehr Fragen auf, als er beantwortet. Reden wir nur über Steuer-CDs oder auch
über Steuer-DVDs, USB-Sticks oder Speicherkarten,
vielleicht auch über ausgedruckte Geschäftsunterlagen?
({2})
Sei es drum, der Kern des Problems ist nicht die sprachliche Nachlässigkeit der SPD.
({3})
Der Kern des Problems ist, dass Sie eine einheitliche
Praxis für Dinge fordern, die nicht einheitlich sind. Es ist
ein Unterschied, ob man dem Finanzamt Daten anbietet,
die einen kriminellen Hintergrund haben, oder ob überwiegend persönliche Angaben von Bürgerinnen und
Bürgern enthalten sind.
({4})
Nicht alles, was gleich erscheint, ist auch gleich. Ich
finde es gut, dass sich der Staat ein angemessenes Mindestmaß an Differenzierung erlaubt.
({5})
Die Bekämpfung von Steuerhinterziehung ist zweifellos ein wichtiges Anliegen, und dass die Bundesregierung hier sehr entschlossen vorgeht, hat sie unter Beweis
gestellt. Aber ebenso wichtig ist es, dass der Staat dabei
rechtsstaatlich einwandfrei handelt. In einem Rechtsstaat
heiligt der Zweck nicht die Mittel.
({6})
Deshalb kommt es immer auf den Einzelfall an, und deshalb darf man, ja, muss man jeden Einzelfall gesondert
bewerten. Was Sie fordern, ist doch nichts anderes, als
dass der Staat in einem verfassungsrechtlich und rechtsstaatlich relevanten Bereich die Fälle holzschnittartig abarbeitet. Genau dies machen wir nicht mit.
({7})
Wenn man Ihnen zuhört, meint man, sämtliche Datenträger, über die wir diskutieren, seien der SPD in Kopie
angeboten worden. Die SPD weiß alles darüber. Sie reden, als hätten Sie alle Informationen persönlich vorliegen. Sie wissen genau, dass es sich hier nur um Daten
von Steuerhinterziehern und nicht etwa auch um persönliche, schützenswerte Daten von Unternehmen oder Privatpersonen handelt. All dies wissen Sie. Wenn Sie diese
Aktuelle Stunde nicht aus reinem Populismus beantragt
haben, gibt es im Grunde nur zwei Möglichkeiten: Entweder reden Sie von Dingen, von denen Sie im Detail
keine Ahnung haben, oder Sie sind mit der internationalen Datenhehlerszene besser vernetzt als jeder andere
hier im Raum.
({8})
Sie verlangen von der Bundesregierung, dass sie erklärt, grundsätzlich alle Daten über Steuerhinterziehung
ohne genaue Prüfung des Einzelfalls anzukaufen. Haben
Sie das einmal zu Ende gedacht, Herr Kollege Poß?
({9})
Nehmen wir einmal an, eine Terrororganisation - sagen
wir, al-Qaida - verkauft eine Daten-CD. Dürfen wir
dann die SPD mit den Worten „Kaufen um jeden Preis“
zitieren?
({10})
Sie können doch genauso wenig wissen, wer im Einzelfall welche Daten anbietet und woher sie stammen.
Trotzdem fordern Sie hier ernsthaft Blankoschecks.
({11})
Sie lehnen sich ganz schön weit aus dem Fenster.
({12})
Deswegen werden wir hier mit den Stimmen der FDP
auch nicht beschließen, dass der Staat jeden Datenträger
ankauft, der ihm von wem und woher auch immer angeboten wird. Das machen wir nicht mit.
({13})
Der Staat muss Steuerhinterziehung konsequent bekämpfen. Es ist auch überhaupt nichts Verwunderliches
oder Problematisches dabei, dass zwischen einzelnen
Bundesländern unterschiedliche Datenkäufe unterschiedlich beurteilt werden. Ich verstehe nicht, wo Sie ein Problem haben.
({14})
In der Föderalismuskommission haben wir über zwei
Jahre lang darüber diskutiert, ob wir eine stärkere Vereinheitlichung der Steuerverwaltung wollen.
({15})
In dieser Kommission gab es dafür erkennbar keine
Mehrheit. Sie kennen die Rechtslage ganz genau. Wir
haben einen kooperativen Föderalismus. Trotzdem stellen Sie sich hier hin und tun gegenüber der Öffentlichkeit so, als wären unterschiedliche Meinungen zwischen
einzelnen Ländern und dem Bund in Steuerfragen ein
aktuelles Problem dieser Bundesregierung.
({16})
Herr Poß, das ist absurder Unsinn und sonst gar nichts.
({17})
Was werfen Sie denn dieser Bundesregierung eigentlich vor?
({18})
Dass sie Steuerhinterziehung konsequent verfolgt und
dabei unsere Verfassung fest im Blick hat? Stört Sie das
wirklich? Uns stört es nicht.
({19})
Ginge es Ihnen wirklich um den engagierten Kampf gegen Steuerhinterziehung, hätten Sie uns an Ihrer Seite.
({20})
Was Sie machen, ist blanker Populismus. Um es noch
einmal klar zu sagen: Unterschiedliche Entscheidungen
in verschiedenen Bundesländern sind kein Problem, sondern Ausdruck eines funktionierenden Rechtsstaates,
({21})
eines Staates, der sorgfältig prüft, wo es etwas zu prüfen
gibt, und der sich auch traut, Nein zu sagen, wenn es
rechtsstaatlich nicht anders vertretbar ist.
({22})
Ihnen mag ein solcher Rechtsstaat eine Last sein. Für Sie
mag es eine Freude sein, die eigentlichen Stärken unseres Staates als vermeintliche Schwächen darzustellen.
({23})
Für uns bleibt ein Staat trotzdem stärker, wenn er den
Aufwand auf sich nimmt, jeden problematischen Fall
einzeln präzise zu bewerten. Dafür stellen wir uns auch
ausgesprochen gerne der öffentlichen Diskussion mit Ihnen.
({24})
Vielleicht stellen am Ende dann auch Sie fest, dass Ihre
Forderung nach einer standardisierten Praxis beim Kauf
von Steuer-CDs
({25})
keine wirklich durchdachte Idee ist. Zumindest dann
hätte sich diese Aktuelle Stunde irgendwie gelohnt.
Danke schön.
({26})
Das Wort hat nun der Kollege Dr. Gerhard Schick für
die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Interessant ist, was die Redner der Koalition alles nicht
gesagt haben.
({0})
Sie haben nicht erwähnt, dass es bei Ihnen eine heftige
Diskussion darüber gibt, ob der Rechtsstaat solche Daten
ankaufen soll oder nicht.
({1})
Da gab es durchaus ein paar gute, nachdenkliche Beiträge. An einer Stelle - dazu gab es auch Beiträge aus
Ihren Reihen - wird die Sache aber verlogen: Beim
SWIFT-Abkommen, bei der Kronzeugenregelung, bei
der Vorratsdatenspeicherung geht man über Datenschutzbedenken locker hinweg. Wenn es aber um den
weißen Kragen bei der Kriminalität geht, kommen plötzlich Rechtsstaatsbedenken. Das machen wir nicht mit.
({2})
Interessant war auch, was wir heute im Finanzausschuss gehört haben. Herr Koschyk hat gesagt: Im Ergebnis wird es auch bei der CD, um die es in BadenWürttemberg geht, so ausgehen wie bei der CD, um die
es in Nordrhein-Westfalen ging.
Das heißt, die Position des neuen Ministerpräsidenten
von Baden-Württemberg ist irrelevant. Herr Mappus hat
laut gekläfft, aber nichts erreicht.
({3})
Das ist umso bemerkenswerter, wenn man weiß, dass
Herr Mappus wegen seiner häufig bissigen Art - er hat
seine machtpolitischen Interessen in seiner Partei durchaus mit Verve vorangetrieben - von vielen in BadenWürttemberg „Mappi-Schnappi, das Krokodil“ genannt
wird. Ich würde mir wünschen, dass er diese Bissigkeit
nicht nur dann zeigt, wenn es um seine Machtinteressen
geht, sondern auch dann, wenn es um die Bekämpfung
von Steuerkriminalität in Baden-Württemberg und im
Bund geht.
({4})
- Herr Dautzenberg, ich komme sehr gerne auf den
Bund zu sprechen. Ich finde, das Wichtigste ist, dass wir
jetzt nicht allein über die 10 Prozent zusätzlicher Steuererträge, die wir aus der Schweiz bekommen, reden, sondern über die 90 Prozent nichterklärter Steuererträge, die
wir nicht bekommen. Da muss die Bundesregierung handeln.
({5})
Angesichts der immensen Summe Schwarzgeld, die
in der Schweiz liegt - Schätzungen gehen von 131 Milliarden Euro aus -, frage ich: Wie kann es sein, dass die
Bundesregierung zum 1. Januar 2010 erklärt hat: „Es
gibt keine Steueroase, auf die wir das Steuerhinterziehungsbekämpfungsgesetz anwenden sollten“? Das finde
ich skandalös.
({6})
Natürlich gibt es nach wie vor Steueroasen; ich könnte reihenweise Länder aufzählen. Unser Nachbarland Frankreich hat 18 Länder als Steueroasen deklariert und ist dabei, Maßnahmen zu ergreifen. Hier ist in den letzten
Monaten etwas kaputtgegangen. Bislang waren Deutschland und Frankreich bei dem Thema „Kampf gegen Steuerflucht und Steuerhinterziehung“ immer gemeinsam unterwegs.
({7})
Das war wichtig für das gemeinsame Vorankommen in
Europa.
Jetzt verlassen Union und FDP diesen Weg. Sie tun
jetzt so, als würden Sie die Steuerflucht bekämpfen,
wenn Sie Daten, die Ihnen angeboten werden, kaufen.
Dass Sie passiv warten, bis Ihnen Daten angeboten werden, ist nicht das, was wir von Ihnen erwarten. Wir erwarten, dass Sie aktiv gegen Steuerhinterziehung vorgehen, unter Nutzung der gesetzlichen und rechtlichen
Möglichkeiten.
({8})
Ich fordere Schwarz-Gelb auf, in Baden-Württemberg
wie im Bund, von der Bremse zu gehen und aktiv zu
werden im Kampf für Steuergerechtigkeit in Deutschland.
({9})
Es kamen einige hochnäsige Bemerkungen über Griechenland, darüber, wie die Steuergerechtigkeit in Griechenland durchgesetzt wird und wie die Steuerverwaltung dort aufgesetzt wird. Aus diesem Grunde möchte
ich in Erinnerung rufen, was der Bundesrechnungshof
geschrieben hat: Die Gleichmäßigkeit der Besteuerung
in Deutschland ist nicht gewährleistet.
({10})
Ich finde, das zeigt, dass wir auch in unserem Land etwas tun müssen. Nichts tun, passiv zuschauen, so sollten
Sie nicht weitermachen! Gehen Sie runter von der
Bremse! Tun Sie endlich aktiv etwas gegen Steuerflucht!
({11})
Nächster Redner ist der Kollege Dr. Hans Michelbach
für die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und
Kollegen! Die CDU/CSU-Fraktion ist den Zielen verpflichtet, Steuergerechtigkeit zu erreichen, Steuerhinterziehung zu bekämpfen, die Gleichmäßigkeit der Besteuerung bundesweit herzustellen, die Einheitlichkeit des
Verwaltungshandelns zu prüfen und die Zusammenarbeit
der Steuerverwaltungen der Länder im föderalen System
zu garantieren. Diese Grundsätze wurden durch den
Bundesfinanzminister auch beim Kauf von Steuer-CDs
aus der Schweiz in der aktuellen Praxis beachtet; das ist
Fakt.
({0})
Dass wir heute hier in dieser Aktuellen Stunde geradezu einen Popanz an die Wand gemalt bekommen, es
gäbe ein Staatsversagen, ist der durchsichtige Versuch,
mit der Steuerhinterziehung ein politisches Geschäft zu
machen. Das ist unanständig,
({1})
weil wir die Steuerhinterziehung aktiv bekämpfen. Da
dies ausgerechnet von der SPD getan wird - hier muss
man der Frau Dr. Höll von den Linken ausnahmsweise
einmal recht geben -, frage ich: Was haben Sie eigentlich in den letzten elf Jahren gemacht, in denen Sie den
Bundesfinanzminister gestellt haben?
({2})
Sie haben über die Schweiz debattiert und ihr angedroht,
die Kavallerie dorthin zu schicken. Getan und erreicht
haben Sie aber nichts; das ist eine Tatsache.
({3})
Es bleibt festzuhalten: Die Bundesländer entscheiden
in Verbindung mit dem Bundesfinanzministerium über
den Kauf. So hat Nordrhein-Westfalen am 26. Februar
2010 im Einvernehmen geprüft und gekauft. Im sogenannten Fall Baden-Württemberg ist das Ankaufsangebot zunächst - das muss man festhalten - beim Bundeszentralamt, also beim Bund, angekommen, und das
Bundesfinanzministerium hat die Steuerverwaltung des
Landes Baden-Württemberg daraufhin um Prüfung gebeten; denn nur so funktioniert natürlich die Aufklärung
unbekannter Steuerfälle. Baden-Württemberg hat geliefert.
Sie können sich jetzt doch nicht hier hinstellen und
sagen, es gebe eine Strafvereitelung im Amt, wie Sie das
dem Herrn Mappus vorwerfen. Das, was Sie hier machen, ist unanständig.
({4})
Deswegen ist ganz klar: Der Ankauf durch den Bundesfinanzminister in Verbindung mit einem betroffenen
Bundesland ist jederzeit gesichert. Damit gibt es eine
Bekämpfung der Steuerhinterziehung in diesem Land.
Das führt zum gleichen Ergebnis wie in dem Fall, als das
Bundesland Nordrhein-Westfalen diese Dinge gekauft
hat. Wir haben das gleiche Ergebnis erzielt. Der Vorwurf
der SPD, Baden-Württemberg würde sich zu einer
Steueroase entwickeln, ist geradezu absurd; denn die Informationen wurden ja von der Steuerverwaltung des
Landes Baden-Württemberg geliefert. Fakt ist: Es gibt
keine Pflichtverletzung in Deutschland.
({5})
Es gibt natürlich einen Handlungsbedarf in der
Schweiz; das muss man hier klar feststellen. Die Schweiz
darf kein Schwarzgeld mehr ins Land lassen. Die
Schweiz muss auch ausländische Steuerbehörden zu ihrem Recht kommen lassen. Die Schweiz sollte die internationalen OECD-Regeln umsetzen. Die Schweiz sollte
jetzt die Steuerhinterziehung mit einem Doppelbesteuerungsabkommen austrocknen. Damit wäre jeder Kauf
einer Schweizer CD mit Steuerdaten natürlich ohnehin
obsolet.
Es kommt natürlich immer wieder zu sehr zweifelhaften Trittbrettfahrten. Deswegen muss insgesamt auch geprüft werden, ob hier inhaltlich wirklich etwas vorhanden ist. Man kann hier nicht von vornherein pauschal
von einer Steuerhinterziehung ausgehen,
({6})
sondern man muss das im Detail sehr intensiv prüfen,
und das geschieht.
({7})
Die Schweiz und der Schweizer Finanzminister Merz
haben signalisiert, dass sich etwas bewegt. Es geht letzten Endes darum, legale Verhältnisse zu schaffen und einen Steuerfrieden in Europa zu erreichen. Lassen Sie uns
gemeinsam dafür arbeiten, anstatt in einer solchen Aktuellen Stunde durch Krakeelerei letzten Endes nur Politikverdrossenheit herstellen.
({8})
Ich kann Ihnen nur sagen: Hier ist fachliche, sachliche
Arbeit gefragt. Das, was Sie hier veranstalten, dient
nicht diesem Ziel.
({9})
Lassen Sie uns konkret daran arbeiten! Der Versuch, mit
Steuerhinterziehung ein politisches Geschäft zu machen,
ist völlig absurd. Deswegen lassen wir uns dies nicht gefallen. Auch wenn Sie jeden Tag sagen, hier werde
Klientelpolitik betrieben,
({10})
ist das nur Ihre politische Agitation.
Vielen Dank.
({11})
Nächster Redner ist der Kollege Christian Lange für
die SPD-Fraktion.
({0})
Verehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Mein Gott, was für ein Durcheinander
bei mir zu Hause in Baden-Württemberg! Unser neuer
Ministerpräsident hat bei seiner ersten Entscheidung von
Gewicht - vorgeführt von der FDP - eine Fehlentscheidung getroffen.
({0})
Überlegen Sie sich einmal: Was bedeutet das wohl für
die Steuermoral derjenigen, die hart arbeiten und jeden
Monat ihre Steuern zahlen? Was denken die wohl von einer solchen Haltung?
({1})
Hinzu kommt der Vorschlag des stellvertretenden Ministerpräsidenten, Herrn Goll, die Hartz-IV-Sätze zu kürzen, während man die Steuerbetrüger laufen lässt. Was
ist das eigentlich für eine Politik?
({2})
Sie ist weder christlich noch liberal. Herr Mappus lässt
sich nicht nur vorführen; er handelt auch nicht selbst: Er
versteckt sich. Wer hätte das gedacht?
({3})
Er versteckt sich vor dem Bund und vor den Bundesländern, die gegebenenfalls einspringen.
Lieber Herr Kollege Koschyk, ich frage Sie: Was haben Sie eigentlich mit dem Ministerpräsidenten von Baden-Württemberg gemacht? Da lese ich in der FTD:
Ich bin seit meiner Bundeswehrzeit noch nie so arrogant behandelt worden wie von den Vertretern
des Bundesfinanzministeriums …
({4})
Ja, meine Güte, was haben Sie mit ihm gemacht?
Zahlt Baden-Württemberg jetzt wenigstens seinen Anteil? Ich möchte gleich die Antwort auf diese Frage von
Ihnen hören:
({5})
Stellt sich das Land seiner Verantwortung? Ja oder nein?
Herr Koschyk, wenn wir schon bei Ihnen sind: Die
meisten von uns waren auch letzte Woche hier. Es ging
um dasselbe Thema, allerdings nicht in einer Aktuellen
Stunde, sondern in der Fragestunde. Es ist schon interessant, wie Sie sich gewendet haben. Am Mittwoch, dem
24. Februar, haben Sie doch gesagt:
Unabhängig hiervon hat aber das Bundesministerium der Finanzen dem Finanzministerium des Landes Baden-Württemberg bereits mitgeteilt, dass es
den Datenankauf in dem vorgetragenen Fall für
rechtlich zulässig hält. Die Entscheidung über den
Datenankauf liegt aber letztendlich beim Land Baden-Württemberg.
Am Nachmittag des 24. Februar hörte man, dass der
Ministerpräsident mit dem Herrn Bundesfinanzminister
telefoniert habe. Da sei verabredet worden, dass der
Bund kaufen wird. Laut Stuttgarter Zeitung vom 1. März
dementiert das Bundesfinanzministerium am 26. Februar
diese Vereinbarung. Am Sonntag, dem 28. Februar, erklärt Schäubles Sprecher Michael Offer, der Bund sei
Christian Lange ({6})
bereit, die dem Land angebotenen Daten „zum Ankauf
entgegenzunehmen“. Zwar sei die Steuerverwaltung
nach dem Grundgesetz grundsätzlich Sache der Länder;
bei den Gemeinschaftssteuern würden die Länder jedoch
im Auftrag des Bundes handeln. Schließlich haben wir
eben die allerletzte Wendung aus dem Ausschuss für Finanzen gehört: Unter bestimmten Umständen kauft der
Bund vielleicht doch noch.
Ich freue mich, wenn es am Ende zum Ankauf
kommt; das ist das Ziel der ganzen Aktion. Es kann aber
von einer Stringenz dieser Bundesregierung überhaupt
keine Rede sein.
({7})
Nur wenn der öffentliche Druck gerade groß ist, handeln
Sie, und zwar nur wegen dieses Drucks.
Ich möchte schon von Ihnen wissen - auch danach
hatten wir gefragt -: Was ist eigentlich mit den Beamten,
die das durchsetzen müssen, auch in Baden-Württemberg? Dazu haben Sie vor einer Woche hier erklärt, dass
sich diese Beamten nicht strafbar machen; das war die
Position des Landes Baden-Württemberg. Das BMJ antwortet auf diese Frage allerdings etwas kryptischer. Da
heißt es nämlich in der Antwort des BMJ auf Frage 77:
Das Bundesministerium der Finanzen ist für den
Vorgang zuständig. Ihm liegen daher die erforderlichen Informationen vor. Letztlich überprüfen und
entscheiden diese Frage die Staatsanwaltschaften
und Gerichte.
Das entspricht nicht Ihrer Rechtsauffassung, dass sich
diese Beamten nicht strafbar machen würden, die Sie
letzte Woche noch vertreten haben. Ich frage mich, wie
sie das eigentlich umsetzen sollen.
({8})
Das ist doch keine Politik, was Sie hier machen; es ist
ein einziges Durcheinander.
Zu Nordrhein-Westfalen, Baden-Württemberg, Hessen und Bayern sage ich Ihnen: Bringen Sie die FDP auf
Kurs! Der liebe Kollege Stadler lächelt wieder zu allem.
({9})
In einem Interview hat er gesagt, das sei alles rechtlich
bedenklich. Das war’s dann.
Bringen Sie die FDP auf Kurs! Handeln Sie einheitlich als Bundesregierung, verehrter Herr Koschyk, und
zwar FDP und CDU/CSU gemeinsam! Überprüfen Sie,
von mir aus auch ein Jahr! Aber wenn Sie geprüft haben
und der Auffassung sind, dass das Angebotene valide ist,
dann kaufen Sie auch! Kaufen Sie bei uns in BadenWürttemberg, in Nordrhein-Westfalen, Hessen und Bayern! Kaufen Sie im gesamten Bundesgebiet!
Herzlichen Dank.
({10})
Nächster Redner ist der Kollege Stephan Thomae für
die FDP-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der
Staat ist in einem klassischen Zielkonflikt: Einerseits ist
es Aufgabe des Staates, die Steuern einzufordern, die
ihm zustehen, und Steuerstraftäter zu verfolgen. Andererseits ist auch der Verrat von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen eine Straftat. Ich empfehle allen, die hier
so laut tönen, einen Blick in § 17 Abs. 2 UWG zu werfen. Darin ist es geregelt.
Es gibt im Übrigen auch eine Entscheidung des Landgerichts Bochum vom 22. April 2008, in der ausdrücklich offengelassen worden ist, ob beim Ankauf der
Steuerdaten aus Liechtenstein durch den BND die Strafbarkeit nach § 17 Abs. 2 UWG gegeben ist. Es ist auch
eine Verfassungsbeschwerde anhängig, die abzuwarten
ist. Wir sollten uns nicht unbedingt in Eile bringen lassen
und in schwebende Verfahren eingreifen.
({0})
Die vorliegenden Fälle werfen viele Fragezeichen
auf. Über die Herkunft der Daten ist uns wenig bis fast
nichts bekannt. Eine sorgfältige Prüfung in allen Einzelfällen ist dringend anzuraten und notwendig.
({1})
Eine solche Prüfung kann in einem Fall so und im anderen Fall anders ausgehen. Deswegen ist eine einheitliche
Praxis, wie sie heute von Ihnen verlangt wird, nicht nötig
und nicht einmal möglich.
Nicht alle Fälle lassen sich über einen Kamm scheren.
Wir müssen abwägen. Einerseits geht es um die Erhaltung des Grundsatzes der einheitlichen Besteuerung und
um das staatliche Strafverfolgungsinteresse bei Steuerstraftaten. Andererseits bleibt aber ein rechtsstaatliches
Unbehagen. Wir können die Strafbarkeit, um die es hier
geht, nicht völlig ausschließen. Der Rechtsstaat sollte
uns viel wert sein.
({2})
Wir können doch Straftaten nicht durch neue Straftaten bekämpfen. Der Staat darf nicht den Datendieb ermuntern, indem er ihn straffrei stellt oder sogar eine Belohnung verspricht, wenn er ihn nur an der Beute
beteiligt. Der Rechtsstaat darf Straftätern nicht Absolution erteilen, nur weil der Dieb den Staat zum Nutznießer und somit am Ende gar zum Komplizen seiner Tat
macht.
({3})
Niemand, der fair diskutiert und rechtsstaatliche
Grundsätze ernst nimmt - Herr Poß ist leider schon weg2294
gegangen -, wird uns vorwerfen wollen, wir wollten
Steuerstraftäter schützen. Der Unterschied ist nicht etwa,
dass Sie Straftäter bestrafen wollen und wir nicht. Der
Unterschied ist, dass wir es mit rechtsstaatlichen Grundsätzen etwas genauer nehmen als manch anderer, der
schnell aus der Hüfte schießt und gleich die Kavallerie
schicken will.
({4})
Die Rechtslage bleibt schwierig. Deswegen sollten
wir unser Augenmerk auf zwei Dinge richten. Das eine
ist, dass wir deutlich machen sollten, dass wir es als
Staat nicht als freundschaftliche Geste empfinden können, wenn Nachbarländer durch eine Unterscheidung
zwischen Steuerhinterziehung und Steuerbetrug denen,
die unserem Staat Geld schuldig bleiben, Schutz und
Deckung bieten.
({5})
Hier ist der Bundesfinanzminister gefordert. Jetzt
geht es darum, die im März weiterlaufende Runde zur
Aushandlung eines Doppelbesteuerungsabkommens mit
der Schweiz zügig fortzusetzen und einen vernünftigen
Datenaustausch mit hineinzuverhandeln, damit wir in
Zukunft nicht mehr darauf angewiesen sind, auf dubiosen Wegen zu unseren Steuern zu kommen. Das sind
Dinge, die in der Vergangenheit hätten längst geschehen
können. Aber Sie haben das versäumt. Das werfen Sie
uns nun vor.
({6})
Das Zweite ist, dass wir eine höhere Akzeptanz für
unser Steuersystem brauchen. Es geht nicht nur um Steuerflucht ins Ausland, sondern auch um Steuerhinterziehung zum Beispiel durch Schwarzarbeit. Das wird es
auch immer geben. Aber wir müssen die Anreizschwelle
für Steuerstraftatbestände senken. Hier haben wir großes
Vertrauen in Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von
unserem Koalitionspartner, und in das Bundesfinanzministerium. Wir wissen sehr wohl um die Bedenken,
Einwände und Vorbehalte. Aber wir vertrauen sehr darauf, dass das gemeinsam Beschlossene weiterhin das
gemeinsam von uns allen Gewollte ist. Es bedarf sicherlich großer Kraftanstrengungen. Aber wir wollen diese
ehrgeizige Aufgabe schultern, und zwar mit Ihnen gemeinsam.
Vielen Dank.
({7})
Herr Kollege Thomae, das war Ihre erste Rede im
Deutschen Bundestag. Ich gratuliere Ihnen sehr herzlich
dazu und wünsche Ihnen für die weitere Arbeit alles
Gute.
({0})
Nun hat die Kollegin Nicolette Kressl das Wort für
die SPD-Fraktion.
({1})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ich will mit einer hoffentlich - davon gehe ich aus - gemeinsamen Überzeugung beginnen: Steuerhinterziehung
ist keine lässliche Sünde. Steuerhinterziehung ist eine
Straftat und muss entsprechend hart und deutlich verfolgt werden.
({0})
- Herr Michelbach sagt, das sei nichts Neues. - Ja, das
kann hier sicherlich jeder unterschreiben. Aber es nutzt
den Bürgerinnen und Bürgern nichts, wenn das nur in
Worten formuliert wird. Es müssen immer konkrete Taten folgen. Daran werden wir alle gemessen, übrigens in
ganz Deutschland; das ist doch der entscheidende Punkt.
In jedem Bundesland müssen den Worten auch entsprechende Taten folgen.
({1})
Denn wer als Bundesland sagt, man wolle die Verantwortung für den Steuervollzug übernehmen, muss diese
Verantwortung dann auch wahrnehmen. Genau dies erleben wir zum Beispiel in Baden-Württemberg gerade
nicht.
Ich will Ihnen deutlich machen, warum es so wichtig
ist, dass der Steuervollzug überall gleich ist. Der Bund
hat nicht nur formal die Verpflichtung, überall für einen
gleichmäßigen Steuervollzug zu sorgen. Es geht auch
darum, dass die Menschen den Eindruck haben müssen:
Überall in Deutschland wird mit der gleichen Vehemenz
dafür gesorgt, dass hinterzogene Steuern eingetrieben
werden. Wenn dies nicht der Fall ist, dann müssen die
Steuerehrlichen wegen der Steuerunehrlichen höhere
Lasten tragen.
Was ist in den letzten Tagen passiert? Es gab ein kleines Wechselspiel - oder sollen wir es „Wechselkampf“
oder „Ringkampf“ nennen? - zwischen Baden-Württemberg und dem Bund.
({2})
Es hilft ein Blick in die Zeitungen; der Kollege Lange
hat gerade etwas vorgelesen. Zuerst hat Baden-Württemberg gesagt: Wir bieten es dem Bund an, weil wir nicht
kaufen. - Dann hat Baden-Württemberg - noch gestern gesagt: Es gibt für uns überhaupt keinen Grund, dem
Bund die Daten zu übermitteln. - Nun hören wir heute,
dass der Bund die Daten prüft. Also müssen die Daten
doch übermittelt worden sein. Jetzt soll einer noch sagen,
hier handele es sich um eine ernst zu nehmende, klare
Linie. Das ist genau das Hickhack, das schon mehrfach
beschrieben wurde. Daran gibt es nichts zu deuteln.
({3})
Der entscheidende Punkt ist: Bei diesem Hickhack
geht unter, dass es eine gemeinsame Verantwortung geben muss. Ich erlebe als Baden-Württembergerin, dass
die FDP in Baden-Württemberg plötzlich einen großen
Schutzschirm über die Steuerhinterzieher ausklappt.
({4})
- So ist es. - Wenn ich höre und lese, was Frau
Homburger dazu sagt, dann muss ich fest davon ausgehen, dass dieser Schutzschirm noch erweitert wird. Offensichtlich gibt es auch immer noch keine Klarheit in
der Bundesregierung, was die rechtliche Bewertung angeht. Das alles sind Punkte, die die Steuerzahlerinnen
und Steuerzahler verunsichern und ihnen nicht das Gefühl geben, dass hier eine klare Kante entwickelt wird.
({5})
Wir haben also gehört: Offensichtlich hat BadenWürttemberg Daten übermittelt, offensichtlich wird jetzt
gekauft, wenn die Daten stichhaltig sind. Ich sage dazu:
Es ist völlig abstrus, zu glauben, die stichprobenhafte
Überprüfung der Daten könnte ein Jahr dauern und das
sei keine politische Verzögerung, sondern der Komplexität geschuldet.
({6})
Das ist vorne und hinten nicht realistisch.
Es ist, wie gesagt, die Verpflichtung des Bundes, für
einen einheitlichen Steuervollzug zu sorgen. Offenbar
wurde es dem BMF zu bunt mit Baden-Württemberg.
Ich habe eine Vermutung bezüglich der Daten, die nun
plötzlich übermittelt worden sind. Man weiß es nicht,
aber sollte es eine Einzelweisung geben, da Herr
Mappus jetzt plötzlich doch Daten schickt? Ich persönlich habe damit kein Problem. Ich halte das für eine Verpflichtung. Aber dieses Spiel kann man den Menschen
doch nicht zumuten.
({7})
Deshalb sagen wir - Herr Wissing, Ihre Rede war eine
einzige Ablenkung -: Selbstverständlich muss es einen
einheitlichen Rahmen der Kriterien für derartige Abläufe
geben. Es geht doch nicht darum, dass alles über einen
Kamm geschoren wird.
({8})
Aber wenn in Zukunft ein solch unwürdiges Hickhack
vermieden werden soll, dann ist völlig klar, dass der
Bund die Initiative ergreifen und deutlich machen muss,
dass es gleiche Regeln für die Prüfung gibt. Diese können eine Einzelfallprüfung beinhalten, aber ich will nicht
dieses Theater mit dem ständigen Hin und Her.
({9})
Ich will, dass sich alle Länder an bestimmte Regeln halten. Dann braucht Herr Mappus auch keine Kehrtwendungen zu machen, sondern kann sich an Regeln und
Kriterien halten.
({10})
Das ist der Weg, den wir einschlagen sollten. Sollte es
eine erkennbare Initiative des Bundes geben, solche Regeln aufzustellen, dann können Sie, wenn die Initiative
in Ordnung ist, mit unserer Unterstützung rechnen.
Vielen Dank.
({11})
Nächster Redner ist der Kollege Olav Gutting für die
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Die Steuerverwaltungshoheit wird in Bezug auf die
Gemeinschaftssteuern im Auftrag des Bundes von den
Länderfinanzbehörden wahrgenommen. Der Ankauf der
Steuerdaten ist somit ebenso wie die Strafverfolgung
von Steuersündern eigentlich Sache der Länder, und damit könnten wir die Diskussion heute beenden.
Aber es wäre schwerlich nachzuvollziehen, wenn angebotene Daten in einem Bundesland zur Strafverfolgung führten, in anderen Ländern aber nicht.
({0})
Deshalb muss der Bund mit dem Bundeszentralamt im
Rahmen der Möglichkeiten darauf hinwirken, dass es
hier zu einem einheitlichen Vorgehen kommt.
({1})
Das ist zweckmäßig, es ist aus Gerechtigkeitsgründen
geboten, und deswegen wird es auch so gemacht.
({2})
Deswegen ist die Aktuelle Stunde heute schlicht unnötig; das ist Kasperletheater der Opposition.
({3})
Im Prinzip gibt es zwei grundsätzliche Fragen zu klären, zum einen die ethisch-moralische Frage und zum
anderen die rechtliche Frage. Ethisch-moralisch halte ich
den Ankauf der angebotenen Steuerdaten und die Vermittlung dieser Daten an verwertungswillige Landesbehörden für richtig. Eine effiziente Strafverfolgung von
Steuersündern ist im Interesse des Staates und damit der
Allgemeinheit. Dieser Anspruch ist jedenfalls höher zu
bewerten als ein zweifelhaftes Interesse von einzelnen
Steuersündern am Datenschutz.
({4})
Wir als gesetzestreue Steuerzahler haben alle einen
Anspruch darauf, dass der Staat Steuersünder zur Kasse
bittet.
({5})
Geschätzte 30 Milliarden Euro werden jedes Jahr am
Finanzamt vorbeigeschleust. Nicht alles davon geht in
die Schweiz, und beileibe ist nicht alles davon von den
Großverdienern. Auch die Kleinen tragen ihren Teil zur
Steuerhinterziehung bei, auch wenn es nur im Zusammenhang mit der Pendlerpauschale die Kilometerangabe
in der Steuererklärung ist, wenn einige Kilometer mehr
angesetzt werden. Dazu gehört auch die Erschleichung
von Sozialleistungen. Dieses Geld fehlt uns allen für die
Bildung, für die Infrastruktur, für den Verkehr und für
die innere Sicherheit. Deswegen können wir bei solchen
Straftaten nicht tatenlos zusehen.
({6})
Das Zweite ist die rechtliche Seite. Es ist festzuhalten,
dass die angekauften Informationen keine Hehlerware
sind.
({7})
Daten kann man im Gegensatz zu Sachen nach dem
deutschen Strafgesetzbuch nicht stehlen. Damit gibt es
auch den Tatbestand der Datenhehlerei schlicht nicht.
({8})
Eine Beteiligung des Staates in Form einer Beihilfe
oder Anstiftung ist ebenfalls ausgeschlossen. Wenn man
sieht, dass die im Ausland möglicherweise begangenen
Taten in Form eines Geheimnisverrats oder eines Ausspähens von Daten schon abgeschlossen sind, dann ist
klar, dass es keine Beihilfe oder Anstiftung von deutscher Seite geben kann.
Auch was die Datenverwertung anbelangt, ist nach
dem Ankauf der Liechtensteiner Daten im Jahr 2007 im
Prinzip schon einiges geklärt.
({9})
Ein Beweisverwertungsverbot ist jedenfalls regelmäßig
nicht zu erkennen.
Allerdings bleibt beim Ankauf dieser Steuerdaten ein
fader Geschmack zurück. Trotzdem ist der Ankauf richtig. Aber wir müssen uns auch die Frage stellen, wie
man Steuerhinterziehung und Steuerverkürzung zurückdrängen und überhaupt vermeiden kann. Das ist doch der
Königsweg: Wir brauchen ein einfacheres und gerechteres Steuersystem sowie eine transparentere Haushaltsund Ausgabenpolitik, damit die Menschen in diesem
Land wissen, warum und wofür sie ihre Steuern bezahlen.
({10})
Darüber hinaus müssen wir unser Bestreben fortsetzen, mit den betreffenden Steueroasen Abkommen zu
schließen, damit wir Amtshilfe in Steuersachen von ihnen bekommen. Da sind wir auf einem guten Weg; da
haben wir gemeinsam gerade in den letzten zwei Jahren
vieles erreicht. Ich will aber auch sagen, dass der Kampf
gegen die Steueroasen noch lange nicht abgeschlossen
ist.
({11})
Aber wir sind in diesem Bereich vorangekommen und
sind auf dem richtigen Weg.
({12})
Für die Bundesregierung spricht nun der Parlamentarische Staatssekretär Hartmut Koschyk.
({0})
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Für die Bundesregierung besteht kein Zweifel daran, dass Bund und Länder alles tun müssen, um Steuerhinterziehern das Handwerk zu legen. Damit sichern wir
die Gleichmäßigkeit der Besteuerung und dienen der
Steuergerechtigkeit in Deutschland.
({0})
Dies gilt auch und besonders bei Auslandssachverhalten. Deshalb muss alles rechtlich Zulässige getan werden, um an steuererhebliche Informationen zu gelangen.
Auch der Ankauf von Daten wird davon umfasst. Das
schulden wir den ehrlichen Steuerzahlern in unserem
Land.
({1})
Aktuell - die Debatte hat es deutlich gemacht - stehen zwei Ankaufsfälle im Licht der öffentlichen Diskussion, einmal aus Nordrhein-Westfalen und einmal aus
Baden-Württemberg. In beiden Fällen hat der Bundesfinanzminister deutlich gemacht, dass wir auf der
Grundlage der konkreten und uns vorgetragenen Sachverhalte den Ankauf der Daten für rechtlich zulässig erachten und zur Sicherstellung einer gleichmäßigen Besteuerung auch für geboten halten. Diese Einschätzung
ist das Ergebnis einer eingehenden Prüfung der Sachund Rechtslage in den konkreten Fällen.
Denn bei Sachverhalten im Ausland stoßen die Ermittlungsbehörden an Grenzen.
({2})
Wenn kein automatischer Informationsaustausch zwischen beiden Staaten erfolgt und die ausländischen
Finanzbehörden der deutschen Finanzverwaltung auch
anderweitig keine Auskünfte über steuererhebliche
Sachverhalte erteilen, können unvollständige oder falsche Angaben des deutschen Kapitalanlegers nicht aufgedeckt werden. Der Ankauf von Daten ist in diesen Fällen das einzige Mittel, um Steuerhinterziehung durch
Kapitalanlagen in nicht auskunftsbereiten Ländern aufdecken zu können.
Aber - auch davon ist in dieser Debatte gesprochen
worden - wir müssen bei den Ursachen ansetzen. Wir
müssen die internationale Zusammenarbeit bei der Bekämpfung von Steuerhinterziehung verstärken. Deshalb
ist es aus unserer Sicht notwendig, die Finanzbehörden
in die Lage zu versetzen, Steuern auch bei Auslandssachverhalten richtig festsetzen zu können.
Der beste Weg dahin ist es, die internationale Zusammenarbeit so zu gestalten, dass die Verhandlungen über
Doppelbesteuerungsabkommen, beispielsweise mit der
Schweiz und anderen Staaten, zu einem erfolgreichen
Ergebnis gebracht werden.
({3})
Auch die Schweizer Regierung scheint diese Notwendigkeit zu erkennen. Deshalb setzen wir im Kampf gegen Steuerflucht auf eine rasche Einigung mit der
Schweiz.
({4})
Dies hat die Bundeskanzlerin, dies hat unser Bundesfinanzminister in seinen Gesprächen mit der Schweizer
Regierung deutlich gemacht. Es ist auch im Schweizer
Interesse, dass wir bald zu einem positiven Ergebnis
über ein Doppelbesteuerungsabkommen, verbunden mit
dem notwendigen Datenaustausch, kommen. Dann ist
nämlich der Ankauf solcher Daten nicht mehr erforderlich.
({5})
Es darf aber kein Zweifel daran bestehen: Solange wir
diese Abkommen nicht haben, muss die Finanzverwaltung im Rahmen des rechtlich Zulässigen alle Möglichkeiten ausschöpfen, auch Auslandssachverhalte auf ihre
Steuererheblichkeit hin zu überprüfen.
({6})
Die bisherige Bewertung des Handelns der Finanzverwaltung durch Staatsanwaltschaften und Gerichte
zeigt, dass dabei die Grenzen des Zulässigen nicht überschritten, sondern eingehalten worden sind. So hat zum
Beispiel die Staatsanwaltschaft Berlin Verfahren gegen
handelnde Amtsträger eingestellt, ohne überhaupt in Ermittlungen einzutreten. Bemerkenswert sind in diesem
Zusammenhang auch zwei rechtskräftige Beschlüsse des
Landgerichts Bochum, die in Bezug auf die sogenannten
Liechtenstein-Fälle ebenfalls zu dem Ergebnis gelangen,
dass die Daten verwertbar sind. Gegen eine Entscheidung - auch davon ist gesprochen worden - ist Verfassungsbeschwerde eingelegt worden, über deren Behandlung das Bundesverfassungsgericht aber noch nicht
entschieden hat.
Der Umstand einer Verfassungsbeschwerde ändert
aber nichts an der Beurteilung der Rechtmäßigkeit des
Datenankaufs in den genannten Fällen. Die Verfassungsbeschwerde zeigt vielmehr, dass die bisher ergangenen
Gerichtsentscheidungen Zweifel an der Verwertungsbefugnis der im Liechtenstein-Fall angekauften Daten nicht
bestätigt haben.
({7})
Bei diesem Fall handelt es sich um den einzigen mit Verfassungsbeschwerde angegriffenen Durchsuchungsbeschluss in einer Reihe von 100, die nicht angegriffen
wurden. Sowohl die Staatsanwaltschaften wie auch die
entscheidenden Gerichte haben bislang in keinem Fall
ein Verwertungsverbot gesehen. Selbstverständlich ist
eine Klärung der Rechtslage in derartigen Fällen durch
das Bundesverfassungsgericht zu begrüßen.
Aufgabe der Finanzverwaltung ist es aber, die Steuer
gleichmäßig festzusetzen und zu erheben. Diese Aufgabe hat nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts einen hohen Stellenwert. Dies hat das
Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung über
den steuerlichen Kontenabruf, der politisch ebenfalls
höchst umstritten war, eindrucksvoll unterstrichen. Ich
finde, Roman Herzog, der frühere Präsident des Bundesverfassungsgerichts und Bundespräsident, hat es in einem Interview mit dem Südwestrundfunk auf einen guten Nenner gebracht - ich zitiere -:
Ich würde mich mit dem Kauf schwer tun, aber
würde es im Endeffekt tun. … Steuergerechtigkeit
[ist mir] wichtiger als ein Bankgeheimnis, das in
keiner Verfassung und auch sonst nirgends steht.
({8})
Steht eine abschließende rechtliche Bewertung der
Sachverhalte durch die Rechtsprechung aus, darf dies für
die dem Legalitätsprinzip unterliegende Finanzverwaltung kein Grund sein, notwendige Entscheidungen nicht
zu treffen. Dieser Entscheidung kann in dieser Situation
nur die eigene juristische Bewertung der handelnden Behörden zugrunde gelegt werden. Der Umgang mit Informanten, die Informationen gegen Geld anbieten, die auf
Steuerhinterziehung im großen Ausmaß hindeuten, stellt
deshalb die Finanzverwaltung des Bundes und der Länder
vor neue Aufgaben. Aufgabe des Bundesministeriums
der Finanzen ist es dabei, auf eine einheitliche Rechtsanwendungspraxis bei der Auftragsverwaltung zu achten.
Die Komplexität der Sachverhalte und der sich stellenden Rechtsfragen muss aufgearbeitet werden, bevor
Entscheidungen getroffen werden können. Deswegen
gab es und wird es unterschiedliche Entscheidungen darüber geben, wie im Einzelfall mit einem konkreten Angebot umgegangen wird. Daraus kann keinesfalls auf
eine unterschiedliche Verwaltungspraxis geschlossen
werden. Mir ist jedenfalls kein Bundesland bekannt, in
dem Hinweisen auf Steuerhinterziehung, auch wenn sie
von einem Informanten stammen, der Geld verlangt,
nicht nachgegangen worden ist.
Der Bund hat bei der Behandlung dieser Fälle mitgewirkt; und dem Bundeszentralamt für Steuern wurde im
Rahmen der ersten Föderalismuskommission sogar ausdrücklich eine unterstützende Aufgabe bei der Verhütung und Verfolgung von Steuerstraftaten mit länderübergreifender, internationaler und erheblicher Bedeutung
zugewiesen. Wir haben inzwischen mit den Ländern ein
gut funktionierendes Verfahren vereinbart. Dadurch
wurde sichergestellt, dass in den größten Fällen, mit denen bislang die Finanzverwaltung konfrontiert war, im
Liechtenstein-Fall und im aktuellen nordrhein-westfälischen Fall, die Zusammenarbeit gut funktioniert hat.
Das Land Nordrhein-Westfalen hat uns inzwischen
mitgeteilt, dass die Daten angekauft und der Justiz übergeben wurden. Mit der Generalstaatsanwaltschaft Düsseldorf ist das weitere Vorgehen in Bezug auf die anstehenden Ermittlungen abgestimmt worden.
Mit dem Land Baden-Württemberg haben wir ebenfalls eine gemeinsame Verfahrensweise abgesprochen.
Auch mit dem Baden-Württemberg vorliegenden Angebot wird im Ergebnis so verfahren wie mit anderen Angeboten, die belastbare Hinweise auf Steuerhinterziehung im großen Ausmaß enthalten. Der Bundesminister
der Finanzen hat sich mit Baden-Württemberg auf eine
Behandlung des Falles geeinigt, die zu keinem anderen
Ergebnis führen wird als zu dem, das auch bei Behandlung anderer gleichgelagerter Fälle herauskäme.
({9})
Gemäß dieser Einigung wird der Bund die Steuer-CD
ankaufen, gegebenenfalls auch unter Mitwirkung eines
betroffenen Landes. Dabei wird sich der Bund selbstverständlich an das geltende Recht halten.
({10})
Damit der Bund entsprechend verfahren kann, wird das
Land Baden-Württemberg dem Bund die im Land vorhandenen Informationen zu dem Fall umfassend zur Verfügung stellen.
({11})
Ich bin sehr davon überzeugt, dass sich auch im Fall
Baden-Württemberg
({12})
die erfolgreiche Zusammenarbeit zwischen dem Bundesfinanzministerium und den Steuerverwaltungen der Länder bewähren wird.
Herzlichen Dank.
({13})
Nächster Redner ist der Kollege Peter Friedrich für
die SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Herr Staatssekretär Koschyk, ich habe eine herzliche
Bitte: Ich bitte Sie, Ihre Rede komplett dem badenwürttembergischen Ministerpräsidenten und dem badenwürttembergischen Justizminister zu schicken und beide
zu bitten, sie zu lesen. Denn was Sie gerade eben gesagt
haben, ist eine schallende Ohrfeige für das Land BadenWürttemberg.
({0})
Was Sie eben gesagt haben, heißt doch in der Konsequenz nichts anderes: Weil Baden-Württemberg sich
selbst blockiert hat, weil Baden-Württemberg vor der
Verantwortung geflohen ist, müssen Sie jetzt über den
Bund die Steuer-CD an ein anderes Land weitervermitteln, damit dieses für Baden-Württemberg jene kauft.
Damit ist klar, dass Baden-Württemberg versagt hat.
({1})
Das belegt den Vorwurf von uns, dass in BadenWürttemberg offensichtlich mit Steuerhinterziehern anders umgegangen werden soll als in anderen Bundesländern,
({2})
dass Baden-Württemberg geradezu zu einem Eldorado
für diejenigen gemacht werden soll, die den Fiskus fliehen. Dafür trägt Schwarz-Gelb in Baden-Württemberg
die Verantwortung. Dass Sie eine Notoperation durchführen müssen, tut mir für Sie persönlich leid. Es ist aber
eine Schande für die Praxis der Einheitlichkeit der Steuerverwaltung in Deutschland.
({3})
Ich fand es - wir hatten letzte Woche schon kurz davon gehört - schon skandalös, dass Baden-Württemberg
über ein Jahr lang herumgeprüft hat, ob es diese CD
kauft. Man kann sich ja schon unter diesem Gesichtspunkt einmal die Frage stellen, wie es hier mit der Einheitlichkeit des Umgangs bestellt ist. Baden-Württemberg hat ein Jahr lang geprüft. Ich weiß gar nicht, ob,
wenn nicht der nordrhein-westfälische Fall hochgekommen wäre, wir heute immer noch nichts davon wüssten
und Baden-Württemberg noch weiter prüfen würde.
({4})
Das ist nur hochgekommen, weil das Thema in Nordrhein-Westfalen aufgekommen ist. Es handelte sich nicht
um eine Initiative aus Baden-Württemberg. Im Gegenteil, man hat dem Landtag dort ja noch in einer Debatte
verschwiegen, dass eine Steuer-CD vorliegt.
({5})
Man hat es erst im Nachhinein eingeräumt. Deswegen ist
es sehr wohl ein Bundesthema, wenn offensichtlich so
unterschiedlich vorgegangen wird.
({6})
Die Kollegen von FDP und CDU haben hier immer
von der Notwendigkeit einer Einzelfallprüfung gesprochen. Dazu sage ich: Es war nicht das Ergebnis einer
Einzelfallprüfung, die zu dem Entschluss in BadenWürttemberg geführt hat. Man ist bei der Prüfung nicht
zu dem Ergebnis gekommen, dass es unzulässig wäre,
diese CD zu kaufen. Baden-Württemberg hat nur beschlossen, es nicht zu tun, weil der FDP-Justizminister
sein Veto eingelegt hat. Das war der einzige wirkliche
Grund.
({7})
Das beruhte, mit Verlaub, auf vorgeschobenen Argumenten. Das Argument war nämlich: Vielleicht könnten unsere Mitarbeiter - in diesem Fall die der Verwaltung - anschließend strafrechtlich belangt werden. - Das gleiche
Land sagt aber: Lieber Bund, kauf doch du. - Also, entweder macht man sich strafbar, wenn man die CD kauft
- das wäre dann das Ergebnis dieser Prüfung gewesen -,
oder nicht. Wenn dies aber der Fall ist, dann kann man
nicht sagen: „Lieber Bund, kauf doch du“, sondern man
muss sagen: Man kann sie prinzipiell nicht kaufen. - Man
hat sich schlicht und ergreifend vor der Verantwortung
weggeduckt. Das ist das Ergebnis der Einzelfallprüfung.
({8})
Herr Staatssekretär Stadler, ich fände es interessant
- Kollege Lange hat schon darauf hingewiesen -, einmal
zu erfahren, was eigentlich das Bundesjustizministerium
dazu meint.
({9})
Machen Sie sich denn eigentlich die Bedenken des badenwürttembergischen Justizministers zu eigen? Offenkundig bis jetzt nicht. Ich finde es, ehrlich gesagt, ziemlich
peinlich für eine Partei, die für sich in Anspruch nimmt
- wir haben es heute wieder gehört -, eine Rechtsstaatspartei zu sein,
({10})
Gründe vorzuschieben, die dazu führen, dass man im
Bereich der Steuergerechtigkeit ganz bewusst darauf
verzichtet, das Rechtsstaatsprinzip durchzusetzen.
({11})
Es hat übrigens ein kleines Geschmäckle - darauf will
ich der Vollständigkeit halber hinweisen -, dass der Landesjustizminister am gleichen Tag ankündigt: Wir praktizieren Datenschutz für Steuerhinterzieher, weiten aber
die Videoüberwachung bei Bagatelldelikten aus. - Das
hat die FDP in Baden-Württemberg gemacht. Das hat
mehr als nur ein Geschmäckle; denn wer Steuern hinterzieht, der begeht Diebstahl an uns allen: Der klaut Bücher aus unseren Bibliotheken, der reißt Löcher in unsere Straßen, der begeht Vandalismus an öffentlichem
Eigentum. Auch darum geht es bei Steuerhinterziehung.
Deswegen muss sie mit dem gleichen und, da es sich
meistens um größere Straftatbestände handelt, mit noch
härterem Interesse durch den Staat verfolgt werden. Man
kann nicht sagen: Die Kleinen packe ich an, aber die
Großen lasse ich laufen. - Das aber ist das Ergebnis der
Prüfung in Baden-Württemberg.
({12})
Videoüberwachung für das Volk und Datenschutz für
Steuerdiebe, das ist wohl die Position von Ihnen.
({13})
Es zeigt sich hier eine durchgängige Linie. Es fängt
bei der verbalen Rechtfertigung von Steuerflucht aufgrund eines angeblich zu gierigen Staates an, wie dies
Frau Homburger oder auch Herr Westerwelle offensichtlich in den Honorarvorträgen bei der LGT dargestellt haben.
({14})
Es geht weiter über die hessischen Vorgänge, bei denen zu
erfolgreiche Steuerprüfer erst gemobbt, dann zwangsversetzt und zwangspensioniert und im Nachhinein wahrscheinlich rehabilitiert werden, zumindest im Rahmen
des Whistleblower-Preises. Es zeigt sich weiter bei dem
negativen Wettlauf der Bundesländer um möglichst wenige Betriebsprüfungen, und es erreicht seinen vorläufigen Höhepunkt bei den Umtrieben in Baden-Württemberg mit den genannten Ergebnissen.
Es gibt keine einheitliche Linie bei CDU/CSU und
FDP, bei Schwarz-Gelb. Es gibt kein gemeinsames hartes
Vorgehen gegen Steuersünder. Insofern: Baden-Württemberg wird jetzt zum Schlupfloch gemacht. Sorgen Sie dafür, dass es bundesweit eine einheitliche Linie gibt, damit
dies nicht passiert. Diese Form von Steuerhinterziehungswettbewerb ist schädlich für das Gemeinwohl, und deswegen müssen Sie sie unterbinden. Dies ist Aufgabe der
Bundesregierung und der sie tragenden Parteien, übrigens
auch Ihres Fraktionsvorsitzenden Volker Kauder, der offensichtlich nach wie vor das ablehnt, was Sie hier eben
verkündet haben.
({15})
Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege
Manfred Kolbe für die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ich wiederhole das, was viele Vorredner gesagt haben:
Steuerhinterziehung ist kein Kavaliersdelikt. Meine
Fraktion, die CDU/CSU, aber auch die Koalition insgesamt bekämpfen die Steuerhinterziehung, nicht nur mit
Worten, sondern auch mit Taten.
({0})
Zunächst darf ich an das erinnern, was seit 2005 in
der Bundesregierung unter
Wir haben den verfassungsrechtlich problematischen
§ 370 a Abgabenordnung gestrichen und ihn durch einen
neuen verfassungsfesten § 370 Abs. 3 Satz 2 Nr. 5 AO
ersetzt und können jetzt die bandenmäßige Hinterziehung von Umsatz- und Verbrauchsteuern wieder wirksam bekämpfen.
Wir haben mit dem Gesetz zur Neuregelung der Telekommunikationsüberwachung vom 21. Dezember 2007
erstmals diesen qualifizierten Steuerhinterziehungstatbestand in den Katalog des § 100 a StPO aufgenommen,
ermöglichen hier also erstmals im Strafprozessrecht eine
Telekommunikationsüberwachung bei Steuerhinterziehungsdelikten. Das hat es vorher nicht gegeben. Auch
unter Rot-Grün hat es dies nicht gegeben, Herr Schick
und Herr Wieland.
({0})
Das ist eine wirksame Bekämpfung der Steuerhinterziehung und beruht auf einer sachgemäßen Abwägung.
({1})
Wir haben mit dem Jahressteuergesetz 2009 vom
19. Dezember 2008 die Verjährungsfrist für besonders
schwere Fälle der Steuerhinterziehung auf zehn Jahre erhöht.
Schließlich haben wir mit dem Koalitionsantrag „Steuerhinterziehung bekämpfen“ beschlossen, eine Reihe von
internationalen Maßnahmen einzuleiten. Wir wollen die
europäische Zinsrichtlinie verbessern, um gewisse Schlupflöcher zu beseitigen. Wir wollen vor allen Dingen den Informationsaustausch nach Art. 26 des OECD-Musterabkommens in Europa durchsetzen. In den letzten zwei
Jahren ist so viel erreicht worden wie nie zuvor.
Die CDU/CSU-geführte Bundesregierung - auch teilweise die Große Koalition, Herr Poß, das haben wir gemeinsam erreicht; aber es war eine CDU/CSU-geführte
Bundesregierung - hat das alles erreicht.
({2})
Wenn nun manches nicht umgesetzt wird - etwa das EUAbkommen mit Liechtenstein kann auf europäischer
Ebene nicht ratifiziert werden, Herr Poß -, dann liegt das
daran, dass das sozialdemokratisch geführte Österreich
die Umsetzung blockiert. Vielleicht telefonieren Sie einmal über die Sozialistische Internationale. Es ist uns unverständlich, warum das blockiert wird.
({3})
- Der Bundeskanzler hat in Österreich nichts zu sagen?
({4})
Ich sage Ihnen auch, was wir als Union nicht machen:
Wir bekämpfen die Steuerhinterziehung nicht mit verbaler Kraftmeierei.
({5})
- Auch nicht mit der Kavallerie. Wir beleidigen nicht die
völlig unschuldigen Indianer. Wir beleidigen auch nicht
das völlig unschuldige Burkina Faso mit der Hauptstadt
Ouagadougou.
({6})
Das tun wir in der Tat nicht, und das werden wir auch in
Zukunft nicht tun.
({7})
Wir werden auch kein rot-grünes Steueramnestiegesetz
auflegen wie Bundesfinanzminister Eichel 2001.
({8})
Wir bekämpfen die Steuerhinterziehung. Das haben
wir auch in jüngster Zeit getan.
({9})
Gerade die Bundeskanzlerin und der Bundesfinanzminister haben sofort energisch gehandelt und entschieden.
Die Bundeskanzlerin Angela Merkel hat gleich zu Beginn,
({10})
am Montag, dem 1. Februar, gesagt - ich zitiere sie -:
Vom Ziel her sollten wir, wenn diese Daten relevant
sind, auch in ihren Besitz kommen. Jeder vernünftige Mensch weiß, dass Steuerhinterziehung geahndet werden muss.
So Angela Merkel am Montag, als manches noch durchaus in der Diskussion war.
({11})
- Sind Sie etwa anderer Meinung als die Bundeskanzlerin, Herr Poß? Nein. Deshalb vielen Dank für die Aktuelle Stunde und dafür, dass wir dies noch einmal herausstellen können.
Die Bundeskanzlerin hat übrigens schnell entschieden.
({12})
Mancher wirft ihr vor, sie moderiere nur, sie warte nur
ab usw. Hier hat sie entschieden und Führungsstärke bewiesen.
Aber ich sage auch: Die Frage, ob fehlerhaft gewonnene Beweise verwertet werden dürfen, ist durchaus ein
rechtlich schwieriges Gebiet. Die sich ergebenden Fragen gehören mit zu den schwierigsten des Strafrechts
und des Strafprozessrechts und bedeuten eine Gratwanderung zwischen einerseits formeller Rechtmäßigkeit
und andererseits materieller Wahrheit.
({13})
Dieser Konflikt durchzieht seit Jahrtausenden das gesamte Strafrecht.
({14})
- Herr Wieland, damals wurde es teilweise brutal gelöst.
So würden wir das heute nicht mehr lösen wollen. Den
Konflikt gab es aber schon damals. - Eine der zentralen
Fragen des Strafprozessrechts ist: Inwieweit sind Beweise, die fehlerhaft oder rechtswidrig beispielsweise
durch Diebstahl erhoben worden sind, verwertbar? Unsere Strafprozessordnung regelt diesen Fall nicht ausdrücklich. Hier gibt es, obwohl wir manchmal eine
Überregulierung beklagen, kaum Regulierung. Wir haben nur den § 136 a Abs. 3 Satz 2 Strafprozessordnung,
der besagt, dass unzulässige Vernehmungsmethoden
({15})
zu einem Beweisverwertungsverbot führen. Alles andere
unterliegt der Abwägung.
({16})
Wir müssen zwischen der Straftat einerseits und der Erlangung der Beweise andererseits abwägen.
({17})
Je schwerer die Straftat ist, desto eher kann ein Fehler
bei der Beweiserhebung geduldet werden. Das ist der
Abwägungsprozess, der stattfinden muss, und dieser hat
in der Bundesregierung stattgefunden.
({18})
Sie können deshalb der Bundesregierung nicht vorwerfen, dass sie rechtsstaatliche Grundsätze wahrt.
Herr Kollege, denken Sie bitte an die Redezeit.
Ich sage deshalb zum Schluss: Wir sind die Koalition,
die die Steuerhinterziehung energisch verfolgt. Wir sind
aber auch die Koalition, die den Rechtsstaat wahrt.
Danke.
({0})
Die Aktuelle Stunde ist beendet.
Damit sind wir am Schluss der heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Donnerstag, 4. März 2010, 9 Uhr,
ein.
Ich wünsche Ihnen noch einen schönen Abend und
schließe die Sitzung.