Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 9/3/2013

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Nehmen Sie bitte Platz. Die Sitzung ist eröffnet. Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich begrüße Sie herzlich zur voraussichtlich letzten Plenarsitzung der 17. Legislaturperiode. Während der parlamentarischen Sommerpause hat es eine Reihe von Geburtstagen gegeben, von denen ich nur einige wenige heute Vormittag noch würdigen möchte: Der Kollege Peter Danckert hat seinen 73., die Kollegin Uta Zapf ihren 72. und die Kollegin Erika Steinbach ihren 70. Geburtstag gefeiert. ({0}) Ihre 65. Geburtstage begingen die Kollegin Dorothea Steiner und der Kollege Jürgen Klimke, und ihre 60. Geburtstage feierten die Kollegin Krista Sager sowie die Kollegen Manfred Kolbe und Reiner Deutschmann. Ihnen allen im Namen des Hauses alles erdenklich Gute für die nächsten Jahre! ({1}) Ich nutze die Gelegenheit auch gerne, Sie darüber zu informieren, dass sich die Kollegin Alpers, von der viele wissen, dass sie in unserer letzten Plenarsitzung vor der Sommerpause unmittelbar nach einer Rede hier im Deutschen Bundestag zusammengebrochen ist, noch immer auf der Intensivstation befindet, aber nach Stand der Dinge heute nach Bremen, also in ihre Heimatstadt, verlegt werden kann. Wir wollen das für ein Indiz für einen Weg der Besserung und der Genesung halten, und ich möchte ihr gerne in Ihrer aller Namen unsere besten Genesungswünsche übermitteln. ({2}) Interfraktionell ist vereinbart worden, dass nach der Debatte zur Situation in Deutschland noch eine Reihe von Beschlussempfehlungen des Petitionsausschusses ohne Aussprache abgeschlossen werden sollen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann haben wir das so beschlossen. Bevor wir nun in unsere vereinbarte Tagesordnung eintreten, müssen wir drei Geschäftsordnungsanträge behandeln. Die Fraktionen der SPD, Die Linke und Bündnis 90/ Die Grünen haben jeweils fristgerecht beantragt, die Tagesordnung um die Beratung ihres jeweiligen Antrages zu erweitern. Dabei handelt es sich um den Antrag der SPD-Fraktion auf der Drucksache 17/14677 mit dem Titel „NSA-Affäre aufklären - Grundrechte schützen“, den Antrag der Fraktion Die Linke auf der Drucksache 17/14679 mit dem Titel „Beenden der nachrichtendienstlichen Kooperation mit den USA und Großbritannien, unabhängige Überprüfung der derzeitigen Praxis und der internationalen Verträge und Abkommen, die den Datenaustausch regeln“ und den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf der Drucksache 17/14676 mit dem Titel „PRISM, TEMPORA und die Schutzverantwortung der Bundesregierung“. Über diese drei parallelen Geschäftsordnungsanträge haben wir zu befinden. Das Wort zur Geschäftsordnung erteile ich zunächst dem Kollegen Volker Beck. ({3})

Volker Beck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002625, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe NSA! ({0}) Wir beantragen, dass der Bundestag heute über unseren Antrag „PRISM, TEMPORA und die Schutzverantwortung der Bundesregierung“ debattiert. ({1}) Die Sache können wir nicht dem PKGr, einem geheim tagenden Gremium, überlassen. Hier vor dem Bundestag und der deutschen Öffentlichkeit ist der Ort der Aufklärung. Volker Beck ({2}) ({3}) Sie haben ja die Affäre für beendet erklärt. Herr Friedrich sagte: Alle Verdächtigungen, die erhoben wurden, sind ausgeräumt. Herr Pofalla sagte: Der Vorwurf der vermeintlichen Totalausspähung in Deutschland ist nach den Angaben der NSA, des britischen Dienstes und unserer Nachrichtendienste vom Tisch. Es gibt in Deutschland keine millionenfache Grundrechtsverletzung … ({4}) Und Frau Merkel sagte am Sonntag: Ich habe keinen Anlass, der NSA nicht zu vertrauen. ({5}) Sagen Sie uns heute: Woher kommt Ihr Vertrauen? Sagen Sie heute dem Deutschen Bundestag, welche konkreten Erkenntnisse Sie haben, die die Materialien, die Snowden über die Medien veröffentlicht hat, widerlegen. ({6}) Auf welcher Grundlage hat das Bundeskanzleramt der NSA und den britischen Diensten diesen Persilschein ausgestellt? Stellen Sie sich hier und heute dieser Debatte im Deutschen Bundestag! ({7}) Ihre eigenen Leute glauben ja Ihren Beteuerungen nicht. Der CSU-Vorsitzende, Herr Seehofer, hat gesagt: ({8}) „Aus meiner Sicht ist da noch nichts ausreichend geklärt.“ Dieser Angelegenheit müsse sich die nächste Bundesregierung widmen - hoffentlich eine Regierung, die sich dieser Sache auch annehmen will. Die jetzige hält ja alles für erklärt. Diese Widersprüche müssen wir heute im Deutschen Bundestag diskutieren. Dem können wir nicht ausweichen. Deshalb stimmen Sie bitte unserem Antrag zu. ({9}) Die Bundesregierung hat bisher keine rechtlichen Schritte unternommen, den bisher größten Angriff in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland auf die Rechte unserer Bürgerinnen und Bürger abzuwehren. ({10}) Wir haben in unserem Antrag aufgeführt, was die Bundesregierung aufgrund internationaler Verträge, die wir mit Großbritannien und den Vereinigten Staaten von Amerika haben, ganz konkret tun kann, um unsere Bevölkerung vor dieser Ausspähung zu schützen. Darüber wollen wir heute beraten. Es ist nicht in Ordnung, wenn Sie diese Debatte mit Ihrer Mehrheit unterbinden. ({11}) Wenn alles geklärt ist, dann stellen Sie sich hier und heute unseren Fragen und unseren Argumenten. Wir wollen mit Ihnen hier im Bundestag auch über den Umgang mit dem Whistleblower Edward Snowden beraten. Snowden hat sich um die politischen Interessen unseres Landes verdient gemacht. ({12}) Ohne Snowden gäbe es keine Aufklärung. Ohne Snowden gäbe es auch keine Verhandlungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den Vereinigten Staaten über die Zukunft der Spionage zwischen diesen beiden Ländern. Also ist doch eindeutig klar, dass er etwas beigetragen hat, was zu politischem Handeln führt, und ich finde, es ist eine Schande, dass er nur Zuflucht finden kann bei dem Diktator Putin. ({13}) Wir wollen heute mit Ihnen beraten und beschließen, dass Edward Snowden Aufnahme in der Bundesrepublik Deutschland erhält. ({14}) Für Sie von der Koalition mag diese Debatte beendet sein. Für uns und die Menschen in diesem Land ist sie das nicht. Deshalb gibt es am Samstag die Demonstration „Freiheit statt Angst!“ auf dem Berliner Alexanderplatz. Wir kommen zahlreich - und du?

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Herr Kollege Beck, das hat nun fraglos mit dem Geschäftsordnungsantrag nichts mehr zu tun. ({0})

Volker Beck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002625, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich bin schon am Ende meiner Rede. ({0})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das Wort hat nun der Kollege Jörg van Essen. ({0})

Jörg Essen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000495, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich fürchte, der Kollege Beck wird es nie lernen, wie eine Geschäftsordnungsdebatte im Deutschen Bundestag auszusehen hat. ({0}) Ich bin trotzdem dankbar, dass wir sie heute führen. Denn es zeigt sich hier ganz klar, über was die Bürger zu entscheiden haben: Wir haben hier eine ganz klare rotrot-grüne Koalition. ({1}) Schöner hätten Sie das nicht vorführen können, und dafür bin ich Ihnen ganz außerordentlich dankbar. Mir war im Übrigen auch klar, dass wir heute Morgen eine solche Geschäftsordnungsdebatte führen werden. Denn es ärgert Sie natürlich, was wir gleich debattieren werden. Es ärgert Sie, dass diese Bundesregierung einen Haushalt vorlegt, der geringer verschuldet ist als der, der im ersten Jahr Ihrer Regierungszeit geplant war. ({2}) Es ärgert Sie natürlich, dass es ein strukturell ausgeglichener Haushalt ist. ({3})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Herr Kollege van Essen, das wird sicherlich alles nachher in der folgenden Debatte vorgetragen. ({0})

Jörg Essen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000495, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Vielen Dank, Herr Präsident. - Deshalb ist es umso besser, dass ich die Motive für diese Geschäftsordnungsdebatte vortrage. Es ärgert Sie natürlich auch, dass wir so hohe Ausgaben für Bildung in unserem Lande einstellen werden. ({0}) Deshalb wundert es mich überhaupt nicht, dass Sie diesen Geschäftsordnungsantrag heute Morgen stellen. Was Ihre wirklichen Beweggründe sind, kann man an Folgendem erkennen. Ich hatte eigentlich in der letzten Woche damit gerechnet, dass die Geschäftsführer der anderen Fraktionen anrufen und fragen, ob es möglicherweise eine NSA-Debatte gibt. ({1}) Nichts ist geschehen. ({2}) Ich habe damit gerechnet, dass vielleicht am Montagvormittag ein solcher Anruf kommen würde: Können wir nicht vielleicht eine vereinbarte Debatte ansetzen? Auch da ist nichts geschehen. Das zeigt: An einer Debatte war man überhaupt nicht interessiert. Woran man interessiert war, war eine Geschäftsordnungsdebatte am heutigen Vormittag. ({3}) Deshalb ist klar: Auf die Vorschläge der rot-rot-grünen Koalition werden wir als Koalition nicht eingehen. Wir wissen im Übrigen: Bürgerrechte sind bei uns besser aufgehoben. ({4}) Auch deshalb können wir diese Entscheidung so treffen, und deshalb gibt es bei uns eine klare Entscheidung. Herr Präsident, das ist meine letzte Wortmeldung von diesem Platz. Ich habe guten Grund, vielen Kolleginnen und Kollegen in allen Fraktionen des Deutschen Bundestages für viele Jahre guter Zusammenarbeit zu danken, und tue das gerne. Vielen Dank. ({5})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Herr Kollege van Essen, auch wenn dies ein ähnlich kunstvoller Geschäftsordnungsbeitrag war wie der des Vorredners, nutze ich die Gelegenheit gerne, um mich bei Ihnen für die langjährige Zusammenarbeit hier im Deutschen Bundestag zu bedanken. Insbesondere gilt das für Ihre langjährige Tätigkeit als inzwischen bei weitem dienstältester Parlamentarischer Geschäftsführer im Deutschen Bundestag und die gute Zusammenarbeit im Ältestenrat. Ihnen persönlich alles Gute! ({0}) Jan Korte hat nun das Wort zur Geschäftsordnung. ({1})

Jan Korte (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003790, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Kollege van Essen, in der Tat sind die ein klein wenig komplizierten Annäherungsversuche zwischen Rot-Rot-Grün nicht Thema einer Geschäftsordnungsde32618 batte; das ist schon so. Aber ich werde zur Geschäftsordnung sprechen und begründen, warum wir heute dringend über den Antrag meiner Fraktion diskutieren sollten. ({0}) Denn wenn die Bundesregierung behauptet, die NSA und andere hielten sich an Recht und Gesetz, lässt das nur zwei Schlüsse zu: Entweder sagen Sie nicht die Wahrheit, oder es gibt Abkommen, die so etwas zulassen. Beides gehört hier heute ins Plenum des Bundestages. ({1}) Ein weiterer Grund, warum wir heute darüber diskutieren sollten, ist ganz einfach: Es betrifft Millionen Bürgerinnen und Bürger sowie unsere Grundrechte, die übrigens unter großen Mühen erkämpft worden sind. Darüber kann man doch nicht einfach hinweggehen. Darüber muss hier diskutiert werden. ({2}) Es ist wirklich ein großer Zufall, dass die in dieser Frage zuständigen drei Mitglieder der Bundesregierung heute ausnahmsweise zusammen anwesend sind. Das ist zum einen Ronald Pofalla als zuständiger Kanzleramtsminister. Das sind zum anderen Hans-Peter Friedrich als für die Verfassung verantwortlicher Innenminister und Angela Merkel, die Bundeskanzlerin, die vor allem eigentlich nur noch als Angela Merkel unterwegs ist, aber sich nicht dieser Debatte stellt. Wir sollten also jetzt darüber diskutieren, weil heute alle drei anwesend sind. ({3}) Ein weiterer Grund, warum wir heute darüber diskutieren sollten, ist: Ronald Pofalla war ganz lange verschollen. Keiner wusste, wo er ist. ({4}) Dann tauchte er auf und verkündete, dass die Affäre beendet ist. Ich halte das für ein sehr interessantes Demokratieverständnis. Zum Glück ist es nicht so weit, dass Herr Pofalla hier entscheidet, wann eine Debatte beendet ist. Das macht der Bundestag. ({5}) Es wird immer besser: Hans-Peter Friedrich, amtierender Innenminister, erklärt zu der ganzen Debatte, dass Sicherheit ein Supergrundrecht ist, und offenbart damit im Übrigen auch noch ein sehr fragwürdiges Verhältnis zum Grundgesetz. Auch das ist inakzeptabel. ({6}) Was hören wir von der Bundeskanzlerin zu diesem Thema? Nicht viel, außer dass sie einen Fragebogen verschickt hat. Wir wissen nun nicht, was die Kolleginnen und Kollegen in den Vereinigten Staaten oder in Großbritannien darauf antworten. Aber ich finde, es ist zu wenig, einen Fragebogen zu verschicken und dem Bundestag nicht einmal zu sagen, wie er beantwortet wird. Auch das müssten Sie heute tun. ({7}) Ich glaube, dass wir über den massiven Angriff auf die freie Kommunikation diskutieren müssen, weil er Angst verursacht. Das führt dazu, dass Menschen nicht mehr frei, sondern angepasst kommunizieren, weil sie nicht genau wissen, was mitgelesen wird und - vor allem ob es irgendwann einmal gegen sie selber verwendet wird. Ich finde, dass es sich um eine sehr grundsätzliche demokratische Frage handelt, über die wir hier diskutieren sollten, wenn wir heute schon alle noch einmal zusammengekommen sind. ({8}) Zum Schluss. Meine Fraktion hat ebenfalls einen Antrag eingebracht. Dieser ist Ihnen übrigens, Herr Kollege van Essen, bereits am vergangenen Freitag zugegangen bzw. verschickt worden. ({9}) Sie wussten das also sehr genau, oder Sie haben diesen guten Antrag nicht gelesen. Beides ist nicht gut für einen Parlamentarischen Geschäftsführer. ({10}) Wir haben einen Antrag mit der Überschrift „Beenden der nachrichtendienstlichen Kooperation mit den USA und Großbritannien, unabhängige Überprüfung der derzeitigen Praxis und der internationalen Verträge und Abkommen, die den Datenaustausch regeln“ vorgelegt. Das ist doch das Mindeste. Wenn Ihnen Ihr treuer Weggefährte Horst Seehofer, der an Loyalität ja nun nicht zu übertreffen ist, schon sagt, dass hier nichts beendet ist, dann sollten Sie doch zumindest auf Ihren Kumpel Seehofer hören ({11}) und es zulassen, dass wir heute das diskutieren, was so viele Menschen bewegt, vor allem junge Menschen, die heute ja überwiegend online kommunizieren. Es ist doch das Mindeste, dass man sich hierfür eine Stunde Zeit nimmt. Schönen Dank. ({12})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Michael Grosse-Brömer ist der nächste Redner in der Geschäftsordnungsdebatte. ({0})

Michael Grosse-Brömer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003541, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir vereinbaren eine Debatte zur Situation in Deutschland, und die Opposition hält es geschlossen für erforderlich, einen zusätzlichen Punkt auf die Tagesordnung zu setzen. Da stellt man sich schon die Frage, warum sie das tut. ({0}) Die erste Schlussfolgerung ist: Sie halten Ihre Redner offensichtlich für nicht geeignet, dieses Thema hier umfassend zu erörtern; denn die hätten jederzeit die Möglichkeit dazu. ({1}) Was wir heute hier erleben, ist die Fortsetzung des rot-grünen Sommertheaters: Wie erkläre ich einen Skandal, der keiner ist? ({2}) Deswegen nutzt man heute die Chance, vor einer Debatte noch einmal ein Thema verkehrt herum aufzuzäumen - frei nach dem Motto: Kaum war Snowden da, fing der rote Don Quichotte Oppermann mit seinem grünen Knappen Sancho Pansa Ströbele an, loszureiten, um den Wahlsieg zu retten. ({3}) Sie ritten den ganzen Sommer und fanden keine Windmühle. Heute - das ist der wahre Grund - sitzen Sie auf einem totgerittenen Pferd und sind nicht bereit, abzusteigen. Das ist der einzige Grund für diese Debatte. ({4}) Was die Sache noch schlimmer macht: Sie haben nicht einen einzigen Beleg für das, was Sie permanent skandalisiert haben. Das ist der wahre Skandal - bei Ihrer Argumentation. Es gibt nicht einen Beleg für die massenhafte Ausspähung; es gibt nicht einen Beleg für millionenfache Grundrechtsverletzung; ({5}) es gibt nicht einen Beleg, den Sie vorlegen können; es gibt nur Ihren Wunsch, diesen Skandal am Leben zu erhalten und die Menschen zu verunsichern, und zwar aus wahltaktischen Gründen, und da machen wir nicht mit. ({6}) Wir werden es gleich wieder erleben: Weil es in Deutschland diese Ausspähung eben nicht gegeben hat, wird man sagen: Aber das kann es ja irgendwo in der Welt geben. ({7}) Das kann sein. Vielleicht machen das russische Geheimdienste, vielleicht machen das chinesische Geheimdienste. Das mag durchaus sein. Aber hören Sie auf, der Bundesregierung vorzuwerfen, sie sei nicht weltweit tätig, und ihr zu unterstellen, sie habe Einfluss auf sämtliche Geheimdienste dieser Welt. Das ist doch Unsinn. Das, was Sie vorbringen, ist nur dem Wahlkampf geschuldet und hat eine völlig unschlüssige Argumentation. ({8}) Ich will Ihnen noch eines sagen: Ich bin froh, dass diese Bundesregierung eben nicht am Thema vorbeiredet wie Sie; ich bin froh, dass es ein Acht-Punkte-Programm gibt; ich bin froh, dass man sich national, bilateral und international für einen verbesserten Datenschutz einsetzt. Das sind die richtigen politischen Schritte, aber nicht die Skandalisierung eines Themas, das keinen Skandal darstellt. Ich will Ihnen abschließend sagen: Hören Sie auf, permanent zu behaupten, dass es in irgendeiner Form einen millionenfachen Datenaustausch gegeben hätte, der deutsche Staatsbürger beeinträchtigt. Wir wissen - und jedes Mitglied des Parlamentarischen Kontrollgremiums weiß es -: Dieser Datenaustausch zwischen BND und NSA hat dazu geführt, dass Anschläge in Krisengebieten, insbesondere in Afghanistan, verhindert werden konnten und dass sie künftig verhindert werden können. Deutsche Staatsangehörige waren vom Datenaustausch nicht betroffen. Das sind die Fakten. Beachten Sie sie! Achten Sie darauf, was zum Beispiel der Generalbundesanwalt sagt! Er sagt, dass es noch nicht einmal einen Anhaltspunkt für irgendein Fehlverhalten gibt. Das sind die Fakten, die Sie aus wahltaktischen Gründen ignorieren. Ich halte das für nicht in Ordnung. Deswegen sage ich Ihnen zum Schluss: Wir werden diese Anträge ablehnen, weil sie in der Sache nicht begründet sind, weil sie die Menschen verunsichern und weil es letztlich darum geht, Geheimdienste effizient zu kontrollieren. Bei Letzterem sind wir dabei. Aber es kann nicht sein, dass man nicht behauptete Tatsachen permanent wiederholt, ({9}) wohl wissend, dass Sie überhaupt keinen Beleg haben für das, was Sie zu jeder Zeit sagen. ({10}) Das ist der Fakt, den wir hier feststellen. Sie skandalisieren ohne Argumentationsgrundlage; Sie haben keine Belege für das, was Sie behaupten. ({11}) Sie verunsichern die Menschen, und das ist der Sache abträglich. Auch der Wahlkampf rechtfertigt es nicht, uns an dem zu hindern, was wir machen, nämlich, den richtigen Weg zu finden zwischen notwendigem Datenschutz und der notwendigen Unterstützung der Dienste. Hören Sie auf die Stimmen der Vernunft in Ihrer Partei! Hören Sie auf, die falschen Dinge aus wahltaktischen Gründen zu skandalisieren! Kehren Sie zur Vernunft zurück! ({12})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Thomas Oppermann ist der letzte Redner in der Geschäftsordnungsdebatte. ({0})

Thomas Oppermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003820, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Worum geht es bei dieser Geschäftsordnungsdebatte? ({0}) Warum wollen wir hier im Parlament die NSA-Affäre debattieren? Die Bundesregierung verhandelt seit drei Wochen über ein Antispionageabkommen mit den USA. Vor vier Monaten hätte niemand geglaubt, dass so etwas nötig sein würde. Dass wir von Staaten, mit denen wir nicht befreundet sind, ausgespäht und ausgeforscht werden, damit müssen wir jederzeit rechnen. Aber dass wir von den Geheimdiensten von Großbritannien und den Vereinigten Staaten, von unseren engsten Bündnispartnern, ausgespäht werden, das ist ein so unerhörter Vorgang, dass darüber der Deutsche Bundestag debattieren muss. ({1}) Diese Debatte findet statt im britischen Unterhaus. Das wird mit Leidenschaft diskutiert im amerikanischen Kongress. Doch Sie mit Ihrer Geschäftsordnungsmehrheit wollen diese Debatte im Bundestag verhindern. Sie wollen die Affäre totschweigen. Das ist armselig. ({2}) Bis heute sind die wichtigsten Vorwürfe von Edward Snowden nicht aufgeklärt. ({3}) Es hat auch nicht geholfen, Frau Bundeskanzlerin, dass Sie einen Ihrer wichtigsten Minister nach Washington geschickt haben, ({4}) um dort aufzuklären. Herr Friedrich ist dort katzbucklig hingefahren, und er ist wie ein begossener Pudel zurückgekehrt. Das war kein Auftritt. ({5}) Wir wissen bis heute wenig. Die NSA hat allerdings eingeräumt, dass deutsche Kommunikation, Internet und Telekommunikation, im Bereich ihrer Überwachung liegt. Sie hat lediglich bestritten, dass wir flächendeckend ausgespäht werden. Aber was heißt schon „flächendeckend“? Wenn millionenfach E-Mail-Verkehr und Telefonate in Deutschland überwacht werden, ist das etwas, was die Grundrechte der Bürger in diesem Lande berührt. ({6}) Jetzt zu unserem Antrag. Er zielt darauf ab, dass dieses Antispionageabkommen erst dann abgeschlossen wird, wenn der Sachverhalt aufgeklärt ist. Wir können doch ohne klare Faktenbasis kein Antispionageabkommen verhandeln. Wir müssen doch wissen, was da überhaupt verhindert werden soll. Deshalb sagen wir ganz klar: Dieses Antispionageabkommen darf kein Stillhalteabkommen zwischen zwei Geheimdiensten sein, die sich wechselseitig verpflichten, die Regierungen, die Ministerien und die Botschaften der anderen Seite nicht mehr auszuspionieren. Das muss ein Abkommen zwischen zwei souveränen Regierungen werden, das auch den Schutz der Bürgerinnen und Bürger einbezieht. ({7}) Frau Bundeskanzlerin, wir wollen belastbare Vereinbarungen mit den Vereinigten Staaten über den Grundrechtsschutz unserer Bürger. Deshalb ganz klar an Sie die Aufforderung: Stellen Sie sich vor die Bürgerinnen und Bürger! Verteidigen Sie die Grundrechte, und lassen Sie heute die Debatte zu, meine Damen und Herren! ({8})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Wir kommen zur Abstimmung. Ich lasse zunächst über den Aufsetzungsantrag der SPD-Fraktion abstimmen. Wer stimmt für diesen Antrag? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Damit ist der Aufsetzungsantrag mit Mehrheit abgelehnt. Wer stimmt für den Aufsetzungsantrag der Fraktion Die Linke? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? Damit hat auch dieser Aufsetzungsantrag keine Mehrheit gefunden. Wer stimmt für den Aufsetzungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Keine. Damit ist auch dieser AufsetzungsPräsident Dr. Norbert Lammert antrag abgelehnt, und zwar mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Opposition. Wir kommen nun zum Tagesordnungspunkt 3: Vereinbarte Debatte Zur Situation in Deutschland Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache dreieinhalb Stunden vorgesehen. Darf ich dazu Ihr Einvernehmen feststellen? - Das ist offenkundig der Fall. Bevor ich der Bundeskanzlerin das Wort erteile, nutze ich die Gelegenheit, dem Kollegen Volker Kauder zu seinem heutigen Geburtstag die herzlichen Glückwünsche des Hauses zu übermitteln. Alle guten Wünsche! ({0}) Ich höre, auch Stefan Müller habe heute Geburtstag. Es können sich auch noch weitere Personen melden. Das alles wird dann nach Prüfung der Aktenlage brav vorgetragen. ({1}) Frau Bundeskanzlerin, Sie haben das Wort. ({2})

Dr. Angela Merkel (Kanzler:in)

Politiker ID: 11001478

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Uns alle beschäftigt in diesen Tagen die außergewöhnlich schwierige Situation in Syrien. Die Lage der Menschen ist katastrophal. Bereits über 100 000 Menschen haben ihr Leben verloren; 2 Millionen - so die Zahlen von heute Morgen - sind auf der Flucht. Es kann keinen Zweifel geben, dass es zu einem eklatanten Bruch des Völkerrechts durch den grausamen Einsatz von Chemiewaffen gekommen ist. Wir haben Bilder gesehen von Kindern, von Erwachsenen, die qualvoll gestorben sind. Ich glaube, wir sind uns einig, dass dies eine klare Antwort der internationalen Staatengemeinschaft erfordert. ({0}) Deutschland hat sich mit Nachdruck dafür eingesetzt, dass der UN-Sicherheitsrat sich mit diesem Giftgaseinsatz befasst. Aber wir müssen feststellen, der Bundesaußenminister und ich gemeinsam, seitdem wir uns mit dem Syrien-Konflikt beschäftigen, dass der UN-Sicherheitsrat immer wieder blockiert ist, blockiert insbesondere auch durch eine sehr harte Haltung von Russland und China. Ich glaube, es ist unbestritten, dass wir nach diesem Tabubruch, der Verletzung der Chemiewaffenkonvention, nicht einfach zur Tagesordnung übergehen dürfen. Wir haben uns dafür eingesetzt, dass die UN Inspekteure an den Ort der Tat schicken kann; das ist auch gelungen. Wir setzen uns jetzt dafür ein, dass logistisch alles getan wird, was getan werden kann, um die Untersuchung der Proben zu beschleunigen. Ich möchte dem Bundesaußenminister dafür auch ganz herzlich danken. ({1}) Die Frage, was es bedeutet, nicht zur Tagesordnung übergehen zu dürfen, stellen sich natürlich alle. Es gibt Erwägungen, eine militärische Antwort zu geben. Sie haben dies von den Vereinigten Staaten von Amerika, Sie haben dies von Frankreich gehört. Wir sagen: Deutschland wird sich an einem militärischen Einsatz nicht beteiligen. Aber wir fügen hinzu: Wir wollen alles unternehmen, was uns in den verbleibenden Tagen möglich ist, ({2}) um eine gemeinsame Antwort der internationalen Staatengemeinschaft zu finden. ({3}) Es ist - ich muss das hier in diesem Hohen Hause so sagen - nicht sehr wahrscheinlich, dass dies gelingt, aber auch die kleinste Chance muss genutzt werden. Deshalb sind wir in permanenten Gesprächen mit all unseren Partnern, mit Russland. Deshalb werden wir auch das G-20-Treffen nutzen und alles Erdenkliche tun, um doch noch zu einer gemeinsamen Haltung der internationalen Staatengemeinschaft zu kommen. Ich glaube, dies ist im Interesse aller, die hier in diesem Hause arbeiten. ({4}) Glücklicherweise gibt es eine breite internationale Übereinstimmung darüber, dass der Syrien-Konflikt als Ganzes nur durch einen politischen Prozess gelöst werden kann. Deshalb haben wir bereits auf dem G-8-Treffen in Großbritannien, zu Beginn des Sommers, darüber gesprochen, dass es einer zweiten Konferenz in Genf bedarf. Auch diese Bemühungen werden wir fortsetzen; genauso setzt sich Deutschland natürlich gemeinsam mit den Vereinten Nationen auch in der internationalen Kontaktgruppe Freunde Syriens und anderen Gruppen permanent dafür ein, dass die Dinge einer Lösung zugeführt werden. Meine Damen und Herren, Deutschland hat sich mit über 340 Millionen Euro auch dafür eingesetzt, das Leid der Flüchtlinge zu lindern. Wir haben als erster EU-Mitgliedstaat 5 000 syrischen Flüchtlingen Aufnahme angeboten. ({5}) - Entschuldigung, ich finde, das ist ein erster Schritt. Vielleicht könnten wir uns gemeinsam dafür einsetzen, dass auch andere europäische Länder diesem Beispiel folgen. ({6}) Wir wissen um die Verfolgung der Christen. Wir wissen um die Verfolgung anderer. Es täte uns allen gut. Ich sage aus diesem Anlass hier auch sehr deutlich: Es ist beschämend, dass Menschen, die sich traumatisiert von Bürgerkriegen oder wegen politischer Verfolgung hilfesuchend an Deutschland wenden, Anfeindungen von Unbelehrbaren in unserem Land ausgesetzt sind. Ich freue mich, dass es einen parteiübergreifenden Konsens gibt, gerade auch zu den Vorkommnissen in Berlin. Das ist wichtig und unabdingbar. Wir lehnen solche Anfeindungen ab, meine Damen und Herren. ({7}) Wir haben gestern die Debatte über den Bericht des NSU-Untersuchungsausschusses verfolgt. Auch ich möchte seitens der Bundesregierung allen Mitgliedern dieses Ausschusses herzlich danken und sagen, dass wir die Empfehlungen natürlich umsetzen werden. Ich will hinzufügen: Gerade im Lichte dieser Debatte ist kein Platz für Fremdenfeindlichkeit, Rassismus, Rechtsextremismus oder Antisemitismus. Das ist unsere gemeinsame Haltung. Ich bin allen Bürgerinnen und Bürgern dankbar, die das zum Ausdruck bringen. ({8}) Meine Damen und Herren, wir debattieren heute, am Ende einer Legislaturperiode, über die Situation in Deutschland. Die heutige Debatte gibt Gelegenheit, die vier Jahre dieser Legislaturperiode noch einmal Revue passieren zu lassen und einen Ausblick zu geben auf das, was notwendig ist. Ich glaube, wir alle können feststellen, dass es ungewöhnlich herausfordernde vier Jahre waren, mit Aufgaben, die wir am Beginn der Legislaturperiode so nicht vor uns sehen konnten. ({9}) Wir hatten zu tun mit den Nachwirkungen der internationalen Finanz- und Wirtschaftskrise. Wir sind in eine Euro-Schuldenkrise hineingeraten. Wir hatten die schrecklichen Ereignisse in Fukushima. Wir haben erfreulicherweise den Prozess der Übergabe der Verantwortung in Afghanistan. Wir sind nicht vorangekommen - so muss man es sagen - in dem Kampf gegen das iranische Nuklearprogramm. Wir haben mit Hoffnung und Spannung den arabischen Frühling verfolgt und sehen jetzt, wie schwierig der Prozess ist, der sich daran anschließt. Wir verfolgen die Lage in Ägypten. Wir beobachten die Dinge in Libyen. Wir sind in Mali dabei. ({10}) Dies alles sind Herausforderungen, die sehr schwierig sind. Und: Vor wenigen Wochen hatten wir national eine Kraftprobe zu bestehen, nämlich die Bekämpfung einer Flut, wie wir sie eigentlich nur einmal im Jahrhundert erwarten. Jetzt mussten wir erleben, dass dieses zweimal in zehn Jahren passiert ist. Meine Damen und Herren, trotz all dieser Herausforderungen kann man sagen: Alles in allem waren es vier gute Jahre für Deutschland. ({11}) Es waren vier gute Jahre für Deutschland; denn heute geht es vielen Menschen in Deutschland besser, als es ihnen vor vier Jahren gegangen ist. ({12}) Die christlich-liberale Koalition möchte diese Arbeit fortsetzen, damit 2017 noch mehr Menschen sagen können: Uns geht es besser in unserem Land. - Das ist das Ziel unserer Arbeit. ({13}) Meine Damen und Herren, wir sind vor vier Jahren aus dem tiefsten Wirtschaftseinbruch, einem Einbruch von 5 Prozent, herausgekommen. Wir haben darauf im Rahmen der Großen Koalition mit einem klugen Konjunkturprogramm geantwortet. Natürlich hat das zu einem starken Defizit in unserem Haushalt und damit zu mehr Verschuldung geführt. Die mittelfristige Finanzplanung für diese Legislaturperiode sah vor, dass wir neue Schulden in Höhe von 262 Milliarden Euro aufnehmen müssen. Ich darf Ihnen heute berichten, dass es 100 Milliarden Euro sind. 100 Milliarden Euro bedeuten auch eine Zunahme der Verschuldung. Aber dass wir von 262 Milliarden Euro auf 100 Milliarden Euro gekommen sind, ist ein sensationeller Erfolg. ({14}) Wir werden 2014 einen strukturell ausgeglichenen Haushalt haben und ab 2015 beginnen können, Schulden zurückzuzahlen. Das ist ein Beitrag für unsere Kinder und Enkel. Darüber sind wir froh. ({15}) Wir halten die im Grundgesetz für den Bund vorgesehene Schuldenbremse bereits seit 2012 ein. Wir konnten verzeichnen, dass die Steuergelder, die wir als Bund in dieser Legislaturperiode einnehmen, um 30 Milliarden Euro gestiegen sind. All das sind herausragende Ergebnisse. Wie konnte das gelingen, und warum ist das gelungen? ({16}) Das ist das Werk vieler Menschen im Lande. Aber, meine Damen und Herren, es ist eben auch das Werk von kluger Politik, ({17}) einer Mischung aus Ausgabendisziplin - schauen Sie sich die Haushalte an; die Ausgaben steigen nicht -, aus Entlastungen - wo immer das im Blick auf Wachstum möglich ist - und aus Zukunftsinvestitionen. Dieser Dreiklang hat dazu geführt, dass wir am Ende dieser Legislaturperiode 1,9 Millionen mehr sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse haben als 2009, darunter 1,2 Millionen Vollzeitbeschäftigungsverhältnisse. Die Frauenerwerbstätigkeit hat ebenfalls zugeBundeskanzlerin Dr. Angela Merkel nommen. 700 000 mehr Menschen im Alter von 60 bis 65 sind noch in Arbeit. Die Zahl der befristeten Arbeitsverhältnisse ist trotz der gestiegenen Zahl der Arbeitsverhältnisse konstant geblieben. Darüber hinaus haben wir vom Statistischen Bundesamt gehört, dass im August die Zahl der atypischen Arbeitsverhältnisse zum ersten Mal zurückgegangen ist. ({18}) Ich sage ausdrücklich: Fast 3 Millionen Arbeitslose sind 3 Millionen zu viel. Dass wir aber diese Fortschritte erzielt haben und dass wir die höchste Beschäftigungsquote in Deutschland haben, die wir je hatten, ist ein Erfolg, meine Damen und Herren. Das macht Mut, weiterzumachen. Genau diesen Weg wollen wir weitergehen. ({19}) Natürlich gibt es Löhne, die nicht akzeptabel sind. Deshalb haben wir die Leiharbeit sozial gemacht. ({20}) Wir haben einen Mindestlohn vereinbart. Wir haben das, was bei den geltenden Rechtslagen früher möglich war, verhindert, nämlich dass Menschen aus einem unbefristeten Arbeitsverhältnis entlassen und dann im selben Betrieb als Leiharbeiter eingestellt und wieder eingesetzt wurden. Diesem Drehtüreffekt haben wir einen Riegel vorgeschoben. Das war eine wichtige und notwendige Maßnahme. ({21}) Wir haben heute für 13 Branchen und 4 Millionen Erwerbstätige branchenspezifische Mindestlöhne vereinbart. Es gehört einfach zur Wahrheit dazu: Mindestlöhne sind in Deutschland bis jetzt nur von CDU-Kanzlern für allgemeinverbindlich erklärt worden. Rot-Grün hat an dieser Stelle gar nichts gemacht. ({22}) In den nächsten Jahren liegt vor uns natürlich die Aufgabe, die Arbeitslosigkeit weiter zu senken. Ein großes Thema ist, dass es aus den Jahren, als wir keine ausreichende Zahl an Ausbildungsplätzen hatten, noch viele Jugendliche gibt, die keine Ausbildung haben. Deshalb werden wir forcieren, dass die 25- bis 35-Jährigen jetzt, wo der Ausbildungsmarkt sehr viel besser dasteht, eine zweite Chance bekommen und auch diese jungen Menschen eine Ausbildung bekommen. Denn wir wissen, dass das Risiko für Arbeitslosigkeit massiv sinkt, wenn eine Ausbildung absolviert wurde. ({23}) Wir werden auch daran arbeiten, die Beschäftigung Älterer weiter zu stärken. Wir haben alle miteinander jahrelang den Fehler gemacht, Anreize dafür zu setzen, Menschen zu früh aus dem Erwerbsleben herauszudrängen. Wir haben jetzt zum ersten Mal wieder mehr Menschen zwischen 60 und 65 Jahren in Arbeit als solche, die schon aus der Arbeitswelt ausgeschieden sind. Angesichts des Wandels des Altersaufbaus unserer Gesellschaft müssen wir Älteren Chancen bieten, sonst wird die Rente mit 67 keine Akzeptanz finden. Aber wir können sie bieten. Deshalb werden wir genau auf diesem Weg weitermachen. ({24}) Von 2002 bis 2008 gab es in Deutschland keinerlei Lohnsteigerungen. Seit 2009 haben wir die erfreuliche Entwicklung, dass die Menschen wieder höhere Bruttolöhne haben. Wir hätten es gern noch in diesem Jahr ermöglicht, dass die Menschen mehr Netto vom Brutto in der Tasche haben. Doch Sie haben verhindert, dass wir die kalte Progression bekämpfen, obwohl der Bund die meisten der Steuerausfälle übernommen hätte. ({25}) Das müssen Sie den Facharbeitern, Meistern und Ingenieuren in Deutschland einmal erklären. ({26}) Meine Damen und Herren, dies alles sind Erfolge der Bürgerinnen und Bürger, der Arbeitnehmer und der Unternehmer, aber es ist auch Folge kluger politischer Weichenstellungen. ({27}) Es geht am 22. September um nicht mehr und nicht weniger als um die Frage, ob wir diesen Weg des Erfolges weitergehen oder ob wir grobe Fehler sehen müssen, die diese erfolgreiche Entwicklung wieder zunichtemachen. Das ist die Frage, vor der die Bürgerinnen und Bürger stehen. ({28}) Der Staat nimmt so viele Steuern ein wie nie zuvor. Damit müssen wir auskommen. Ich sage auch: Damit können wir auskommen. ({29}) Wenn wir Steuern erhöhen - das ist zumindest unsere Überzeugung; vieles spricht dafür -, ({30}) dann gefährden wir Arbeitsplätze, weil wir genau die treffen, die Selbstständige sind, die Unternehmen führen, die Mittelständler sind. Sowohl die Erhöhung des Spitzensteuersatzes als auch die Einführung einer Vermögensteuer trifft das Rückgrat unserer Wirtschaft, den Mittelstand, demotiviert und motiviert nicht. Wir brauchen motivierte Unternehmerinnen und Unternehmer, damit mehr Arbeitsplätze entstehen. Das schafft nämlich nicht die Politik, sondern das schaffen sie. ({31}) Steuererhöhungen würden deshalb dazu führen, dass wir höhere Steuersätze haben, weniger Arbeitsplätze und zum Schluss niedrigere Steuereinnahmen. Diesen Weg gehen wir gerade nicht. ({32}) Wir konnten ja auch beobachten, welche Auswirkung die hohe Zahl der Beschäftigten auf die Situation der sozialen Sicherungssysteme hat. Bei der Rente werden wir den Weg der schrittweisen Einführung der Rente mit 67 weitergehen, weil es keine andere Antwort auf die veränderte Lage bezüglich des Altersaufbaus unserer Gesellschaft gibt. ({33}) Es ist falsch, den Kopf in den Sand zu stecken, jetzt wieder kleine Abweichungen vorzunehmen. Das alles wird die junge Generation doppelt und dreifach bezahlen. Deshalb machen wir das nicht. Verlässlichkeit ist das Markenzeichen unserer Politik. ({34}) Wir dürfen nie vergessen: Die Rente muss zweimal gerecht sein. Sie muss gerecht sein für die Älteren, aber sie muss auch gerecht sein für diejenigen, die sie heute mit ihren Leistungen erbringen müssen. Die Frage des Zusammenhalts der Generationen wird in den nächsten Jahren eine zunehmende Rolle spielen. Eine starke Gesellschaft ist nur eine Gesellschaft, in der die Generationen einander vertrauen und sich nicht überfordern. Natürlich sehen wir, dass angesichts der demografischen Entwicklung das Thema der Altersarmut eine wachsende Bedeutung haben wird. Deshalb haben wir genauso wie andere ein Konzept vorgelegt, in dem es heißt: Wer 40 Jahre gearbeitet hat, wer privat vorgesorgt hat, der soll Leistungen bekommen, eine Rente bekommen, die oberhalb der Grundsicherung liegt. Genau das werden wir umsetzen. ({35}) Die Union setzt sich auch dafür ein - darüber muss man dann gegebenenfalls noch in Koalitionsverhandlungen sprechen -, ({36}) die Anrechnung von Erziehungszeiten bei der Rente für Mütter, deren Kinder vor 1992 geboren wurden, zu verbessern. ({37}) Denn diese Frauen hatten keinen Rechtsanspruch auf einen Kitaplatz, keinen Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz, und die Gleichberechtigung in der Familie war auch noch nicht so entwickelt, meine Damen und Herren. ({38}) Dies nehmen wir uns für die nächsten Jahre vor. Warum? Das kann ich ganz klar begründen: ({39}) weil wir uns bis heute erst einmal ein Polster in der Rentenversicherung erarbeiten konnten. ({40}) Wir konnten gegen Ihren Willen hier in diesem Hause die Rentenbeiträge senken und haben trotzdem Rücklagen, und deshalb können wir diesen Beitrag zur Gerechtigkeit gegenüber Frauen, die Kinder erzogen haben, leisten, meine Damen und Herren. ({41}) Das geht aber nur, wenn die Beschäftigungssituation so gut bleibt, sonst können wir all das nicht schaffen. Jeder Mensch in unserer Gesellschaft hat ein Recht, in Würde zu altern. Deshalb ist die Pflege von zentraler Bedeutung. ({42}) Wir haben im Pflegebereich einen Mindestlohn eingeführt. Wir haben ein Pflege-Neuausrichtungs-Gesetz eingeführt, ({43}) nach dem die Demenzkranken zum ersten Mal Leistungen erhalten; 650 000 Menschen erhalten mehr Leistungen. Wir haben dafür auch die Pflegeversicherungsbeiträge erhöht. ({44}) - Ich trage hier nur Fakten vor, und da ist schon so ein Geschrei. Sie können es offensichtlich gar nicht aushalten, dass man Ihnen sagt, was alles beschlossen wurde. Das ist ja unglaublich! ({45}) 2,5 Millionen Menschen in Deutschland sind pflegebedürftig. Zwei Drittel von ihnen werden von Verwandten und Angehörigen gepflegt. ({46}) Das sind die stillen Helden unserer Gesellschaft, meine Damen und Herren, und ihnen gebührt ein großes Dankeschön. ({47}) Wir wissen, dass die Aufgaben damit nicht erledigt sind. Deshalb werden wir angesichts einer in den nächsten Jahren steigenden Zahl von Menschen, die pflegebedürftig sein werden, die Leistungen erweitern müssen. Wir können nicht versprechen, dass die Beiträge konstant bleiben. Wir müssen uns in der nächsten Legislaturperiode auch mit einem neuen Pflegebedürftigkeitsbegriff beschäftigen. ({48}) - Ja, selbstverständlich. - Meine Damen und Herren, ich habe mich sehr intensiv damit auseinandergesetzt. ({49}) Die Kommissionsarbeiten, die uns dazu vorgelegt wurden, hatten nicht den Reifegrad - darüber habe ich mit dem Gesundheitsminister ausführlich gesprochen -, ({50}) dass man es den Betroffenen hätte zumuten können, in neue Bewertungen hineingedrängt zu werden, weil nicht klar war, ob manche Menschen zum Schluss weniger Leistungen erhalten würden. Das gibt es mit uns nicht, meine Damen und Herren, und das ist ein Beitrag zu einer guten Pflegeversicherung gewesen. ({51}) Jeder Mensch in unserem Land hat ein Anrecht - darauf sind wir stolz -, die Gesundheitsversorgung zu bekommen, die er braucht. Wir haben deshalb an einigen Stellen nachsteuern müssen, was die Situation der Apotheken anbelangt, was die Versorgung der ländlichen Räume mit Ärzten anbelangt. Die Patientenrechte wurden gestärkt. Wir werden auch in den nächsten Jahren damit zu tun haben. Wir haben jetzt die Berichte über abgelehnte Leistungen und Ähnliches gehört. Wir gehen solchen Vorwürfen nach. Wir sorgen dafür, dass jeder die gleiche medizinische Behandlung bekommen kann. Das ist unser Anspruch. Insoweit wird uns das Gesundheitssystem weiter beschäftigen. Aber ich will auch sagen: Deutschland hat ein gutes Gesundheitssystem, und auch hier gilt allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die dort tätig sind, unser herzlicher Dank. ({52}) Ich glaube, wir sind uns einig, dass Familien der Kern unserer Gesellschaft sind. Wir vertreten die Politik, dass Familien selbst entscheiden sollen, wie sie leben wollen. Deshalb werden wir keine Kürzungen beim Ehegattensplitting vornehmen. Deshalb werden wir auch nicht zwischen Jüngeren und Älteren unterscheiden, sondern überlassen das den Familien. Das halten wir für eine Unterstützung der Familien. ({53}) Wir haben seit 2007 in Deutschland 820 000 neue Betreuungsplätze für Kinder unter drei Jahren geschaffen. Dies ist ein großes Gemeinschaftswerk von Kommunen, Ländern und Bund. ({54}) Der Bund hat sich hierfür eingesetzt, obwohl er nicht zuständig ist, weil wir dies für eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe halten. Wir werden uns auch dauerhaft an der Finanzierung der Betreuungskosten beteiligen. Dies halten wir für notwendig. Mit dem Rechtsanspruch auf einen Kitaplatz ist die Wahlfreiheit für Familien nämlich massiv gestärkt worden. In diesem Zusammenhang haben wir im Sinne der Wahlfreiheit auch das Betreuungsgeld eingeführt. ({55}) Wir werden übrigens weiterhin an der Versorgung mit Kitaplätzen arbeiten müssen, weil der Bedarf steigen wird und weil auch die Ansprüche an die Betreuungszeiten und Öffnungszeiten steigen werden. Das ist der gesellschaftlichen Entwicklung geschuldet. Deshalb werden wir diesen Prozess weiter begleiten. ({56}) Meine Damen und Herren, wir haben in Forschung und Bildung investiert - mehr als jede Bundesregierung zuvor, 13 Milliarden Euro mehr -, weil wir der tiefen Überzeugung sind, dass gute Bildung die Grundlage unseres Wohlstands ist. Wir werden in den nächsten Jahren die Dinge natürlich weiterentwickeln müssen. Ich nenne die Exzellenzinitiative, die Hightech-Strategie. Wir haben einen Qualitätspakt Lehre auf den Weg gebracht, damit die Ausbildung an den Hochschulen besser wird. Wir haben den Hochschulpakt umgesetzt. Der Bund unterstützt die Schaffung zusätzlicher Studienplätze. Heute gehen mehr als 50 Prozent eines Jahrgangs an Universitäten oder Fachhochschulen. Vor diesem Hintergrund sage ich: Wir werden in den nächsten vier Jahren eher wieder einen Blick auf die berufliche Ausbildung legen müssen. ({57}) Wir müssen diese zweite Säule stärken, weil sie Deutschland stark gemacht hat. Das wird eine der Aufgaben sein. Mein Ziel ist es auch, in der nächsten Legislaturperiode wieder einen Ausbildungspakt unter Einbeziehung der Gewerkschaften zu schließen. Ich glaube, sie gehören in einen solchen Ausbildungspakt hinein. ({58}) Meine Damen und Herren, wir haben in dieser Legislaturperiode aus gesamtgesellschaftlicher Überzeugung die Kommunen entlastet, und zwar um mehr als 20 Milliarden Euro, indem wir die Grundsicherung und das Bildungspaket für Hartz-IV-Empfänger übernommen haben. Dies ist ein Beitrag dazu, dass Kommunen handlungsfähiger werden. Ich glaube, dass jeder, der die Dinge beobachtet, weiß, dass der Bund damit etwas unglaublich Wichtiges gemacht hat und gerade die Kommunen entlastet hat, in denen sehr viele Menschen arbeitslos sind oder schwierige Erwerbsbiografien haben, sodass sich später ein Grundsicherungsanspruch ergeben würde. Wenn man mit Oberbürgermeistern spricht, so stellt man fest, dass sie dies sehr zu schätzen wissen. Auch dafür mein Dankeschön. ({59}) Wir werden uns in der nächsten Legislaturperiode auch mit der Eingliederungshilfe für Behinderte beschäftigen müssen. Hier braucht es ein einheitliches Bundesgesetz. Auch darüber gibt es Gespräche mit den Ländern und große Einigkeit. Meine Damen und Herren, wir haben zum ersten Mal seit langem einen breiten gesellschaftlichen Konsens über unsere Energiepolitik. Die Ereignisse von Fukushima haben dazu geführt, dass sich auch die christlichliberale Koalition dafür entschieden hat, die Laufzeit der Kernkraftwerke in Deutschland zu verkürzen und auf 2022 zu begrenzen. ({60}) Ich glaube, das war absolut korrekt. Ich sage noch einmal: Die Ereignisse in Fukushima haben uns dazu gebracht. Wir haben damals eigentlich in großer Übereinstimmung alle Gesetze verabschiedet bis hin zu einem Endlagersuchgesetz. Das ist ein großer Erfolg. Ich weiß gar nicht, warum Sie sich darüber nicht mit freuen können. ({61}) Das ist übrigens eines Ihrer Probleme, dass Sie sich nicht über die Entwicklungen in Deutschland freuen können; und das mögen die Menschen nicht. ({62}) Es ist unbestritten, dass wir damit vor einer großen Herausforderung stehen. Aber die Welt ist der Überzeugung: Wenn ein Land das schaffen kann, dann Deutschland. ({63}) Allerdings ist es notwendig, dass wir die Bezahlbarkeit des Stroms in das Zentrum unserer Bemühungen stellen. Das ist doch gar keine Frage. ({64}) Ich stehe auch nicht an, zu sagen: Ja, ich habe auf der Grundlage umfangreicher Prognos-Studien in diesem Hohen Hause gesagt, die EEG-Umlage wird in der Größenordnung nicht über 3,5 Cent steigen. Wir haben dann eine Entwicklung erlebt, im Übrigen auf der Grundlage eines Gesetzes zum Ausbau der Photovoltaik, das Herr Gabriel insbesondere noch gut kennen müsste, die eine ungeheure Dynamik des Ausbaus der erneuerbaren Energien mit sich gebracht hat. Das führt dazu, dass heute 25 Prozent des Stroms aus erneuerbaren Energien gewonnen werden. Das führt dazu, dass die erneuerbaren Energien keine Nische in der Stromerzeugung mehr sind, sondern Teil der Gesamterzeugung. Das führt dazu, dass wir vor völlig neuen Problemen stehen. Wir haben uns zwischen Ministerpräsidenten und Bundesregierung auf eine Arbeitsstruktur verständigt, die auch gut funktioniert, jedenfalls außerhalb der Wahlkämpfe. Aber wir konnten eine substanzielle EEG-Novelle nicht erreichen. Deshalb ist eine der ersten Aufgaben der nächsten Legislaturperiode, das ErneuerbareEnergien-Gesetz zu novellieren, damit die Dynamik der Kostenentwicklung gestoppt wird. ({65}) Wir wissen, dass es Deutschland auf Dauer nur gut gehen kann, wenn es Europa gut geht. Wir haben in diesen vier Jahren eine schwere Krise erlebt, eine Verschuldungskrise, auch eine nicht gute Bankensituation und eine Krise der mangelnden Wettbewerbsfähigkeit. Im Kern konnte diese Krise entstehen, weil in Europa über Jahre nicht die Verlässlichkeit geherrscht hat, die wir uns eigentlich versprochen hatten. Deshalb will ich hier noch einmal deutlich machen: Dazu konnte es nur kommen, weil immer wieder Absprachen gebrochen wurden, weil in den Euro-Raum - auch von meinem Vorgänger, dem Bundeskanzler Schröder - Länder wie Griechenland aufgenommen wurden und weil der Stabilitätspakt gebrochen wurde. So hat sich über Jahre eine Krise aufgebaut, die dann im Moment der internationalen Finanz- und Wirtschaftskrise voll ausgebrochen ist. Mit dieser Krise müssen wir jetzt umgehen. Wir betreiben eine Politik der Stabilisierung des Euro, die davon ausgeht: Der Euro ist gut für unser Land, für unsere Arbeitsplätze, für unseren Wohlstand. Deshalb unterstützen wir die Euro-Rettung. ({66}) Weil es immer an Verlässlichkeit gefehlt hat, ist es jetzt wichtig, dass wir klare Prinzipien haben. Das Prinzip unserer Euro-Hilfe für Länder, die in Schwierigkeiten sind, heißt: Solidarität und Eigenleistung sind zwei Seiten einer Medaille. Leistung und Gegenleistung, das ist das Prinzip, nach dem wir handeln. ({67}) - Das können wir gerne aufnehmen, weil Sie das immer so gerne zitieren. „Kein Cent für die Griechen“ - richtig. Kein Cent für die Griechen, solange die Griechen nicht bereit waren, Eigenleistungen und Reformen zu vollbringen; ({68}) weil das sonst keinen Sinn hat, weil die Solidarität sonst ins Leere läuft. Deshalb ist das Beharren auf diesem Prinzip richtig gewesen. ({69}) Meine Damen und Herren, es ist ja paradox: Sie haben nahezu allen Programmen in diesem Hause zugestimmt - bei Griechenland waren Sie noch nicht so weit -, die sich mit der Euro-Rettung befasst haben. ({70}) Wir haben gemeinsam einen Wachstumspakt verabschiedet. Wir haben für einen gemeinsamen Haushalt in Europa gearbeitet. ({71}) Wenn man allem zugestimmt hat, ist es doch eigentlich gar nicht sinnvoll, jetzt hier so ein Geschrei zu entfachen. ({72}) Ich kann nur sagen: Wir müssen diesen Weg weitergehen. Wir können aber nicht sicher sein, dass der Weg mit Ihnen so weitergegangen wird; ({73}) denn Sie sprechen von gemeinsamen Schuldentilgungsfonds und Euro-Bonds. Wir sagen: Es wird nicht gut werden, wenn nicht Haftung und Durchgriff und Entscheidung in einer Hand liegen. Deshalb wird es das mit uns nicht geben. ({74}) Wir werden jetzt auf dem G-20-Gipfel wieder einen Schritt auf dem Weg zur Regulierung der Finanzmärkte gehen. Wir sind in diese schwierige Lage gekommen, weil es Exzesse der Banken gab, ({75}) weil die Staaten nicht mehr die Hüter der Ordnung waren. Wir haben umfangreiche nationale und europäische Regelungen eingeführt. Wir wissen, dass vieles nur international entschieden werden kann. Das Treffen der 20 führenden Industrieländer am Donnerstag und Freitag in Russland wird einen weiteren Fortschritt mit sich bringen, was die Bekämpfung der Steuerhinterziehung anbelangt. Das Prinzip des automatischen Informationsaustauschs zwischen den verschiedenen Ländern wird von all diesen Ländern unterstützt werden. Wir werden uns mit Maßnahmen befassen, die von der OECD ausgearbeitet wurden, mit denen wir der Steuervermeidung begegnen wollen, das heißt der Tatsache, dass multilaterale Konzerne heute an vielen Stellen überhaupt keine Steuern mehr zahlen. Das muss in Zukunft unterbunden werden. Ich füge hinzu: Wir kommen leider zu langsam voran bei der Regulierung der Schattenbanken. Ich sage: Wenn wir hier keine entsprechenden Ergebnisse erzielen, dann machen sich die G 20 lächerlich. Wir alle haben uns vor Jahren versprochen, dass wir jeden Finanzplatz, jeden Finanzmarktakteur und jedes Finanzmarktprodukt regulieren. Uns ist das bei den Banken gelungen. Bei den Schattenbanken gibt es schon wieder Verschleppungstendenzen. Deutschland wird mit Entschiedenheit dagegen vorgehen, ({76}) genauso wie der Bundesfinanzminister mit Entschiedenheit für die Einführung einer Finanzmarkttransaktionsteuer kämpft, meine Damen und Herren. ({77}) Deutschland ist so stark, weil sich die Mehrzahl der Menschen, der Bürgerinnen und Bürger in Deutschland für dieses Land einsetzt. ({78}) Politik kann nur das gestalten, was von den Menschen erarbeitet wurde. Deshalb sagen wir: Wenn wir ein solidarisches Land bleiben wollen, dann müssen wir diejenigen, die jeden Tag zur Arbeit gehen, jeden Tag ihre Kinder erziehen, sich jeden Tag um ihre Verwandten kümmern, jeden Tag ehrenamtlich tätig sind, jeden Tag für unser Land Verantwortung wahrnehmen - ganz selbstverständlich -, mit unserer Politik stärken, statt sie zu schwächen. ({79}) Das ist das Prinzip der christlich-liberalen Koalition. Auf diesem Weg werden wir weitermachen, für mehr Arbeitsplätze und mehr Wohlstand. Herzlichen Dank. ({80})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das Wort erhält nun der Kollege Peer Steinbrück für die SPD-Fraktion. ({0})

Peer Steinbrück (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004165, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Frau Merkel, die beiden wichtigsten Wörter, die Sie in Ihrer Rede benutzt haben, waren „wir werden“ - wir werden, wir werden. ({0}) Man fragt sich: Wer hat eigentlich in den letzten vier Jahren in der Bundesrepublik Deutschland regiert? ({1}) Alles, was zu tun ist, was wichtig ist, was diesem Land Richtung geben könnte, haben Sie in die Zukunft projiziert. Sie hätten das in diesen vier Jahren anpacken müssen. Das haben Sie nicht getan. ({2}) In der Präambel Ihres Koalitionsvertrages, Frau Merkel, heißt es sehr vollmundig, Ihre Regierung wolle dem Land eine neue Richtung geben. Sie, Herr Westerwelle und Herr Seehofer wollten Deutschland zu einem neuen Aufbruch in das neue Jahrzehnt führen ({3}) und die Zukunft mit neuem Denken gestalten. ({4}) - Sie sind ja sehr genügsam. ({5}) Herr Westerwelle sprach immerhin von einer geistigpolitischen Wende. ({6}) Das schrieben Sie vollmundig an den Anfang Ihres Koalitionsvertrages, bzw. das spiegelt Ihr Selbstverständnis wider. An diesen Ansprüchen sind Sie auf ganzer Linie gescheitert. ({7}) Statt Aufbruch gibt es Stillstand, statt Richtung gibt es Kreisverkehr, und statt Tatkraft gibt es Abwarten und Beobachten; dieses Wort spielte in Ihrer Rede auch immer eine Rolle: wir beobachten. - Nein, Sie haben die Richtlinienkompetenz, um zu handeln für dieses Land, die Bundesrepublik Deutschland. ({8}) Sie haben unser Land in diesen vier Jahren mit einer Sprache des Ungefähren, der Unschärfe, überzogen. Eine klare Haltung ist angesichts Ihrer diversen Wendemanöver nicht zu erkennen gewesen, nicht bei den Volten in der Europapolitik und auch nicht in der Energiepolitik: Erst haben Sie die Laufzeiten verlängert; dann sind Sie dort angekommen, wo Rot-Grün schon zehn Jahre zuvor gewesen ist. ({9}) Eine klare Haltung war nicht erkennbar bei der Wehrpflicht, nicht bei der zeitgemäßen und überfälligen Gleichstellung von gleichgeschlechtlichen Partnerschaften und auch nicht in Ihrem Frauen- und Familienbild, das mehr dem 20. Jahrhundert zugehörig ist als dem 21. Jahrhundert. ({10}) Eine klare Haltung ist auch nicht erkennbar gewesen angesichts der Spaltung des Arbeitsmarktes mit der Folge einer Spaltung unserer Gesellschaft und dem Ergebnis, dass das Normalarbeitsverhältnis in Deutschland nicht mehr der Normalfall ist. Jürgen Habermas hat in einem Spiegel-Essay geschrieben - ich zitiere ihn -: „Ihrer öffentlichen Person scheint jeder normative Kern zu fehlen.“ Sie haben dem Land eine rhetorische Beruhigungstablette verpasst. ({11}) Unser Land leidet an politischer Unterzuckerung, Sie unterfordern die Wählerinnen und Wähler mit Blick auf die Zukunft dieses Landes. ({12}) Wir mussten in der NSA-Affäre erleben, dass Sie besonderen Wert darauf legen, genau zu wissen, was Sie nicht wussten - ebenso Herr de Maizière in der Drohnenaffäre. Sie sind aber hier auskunftspflichtig zu dem, was dort passiert ist. ({13}) Deutschland ist in den letzten vier Jahren unter Wert regiert worden. Das entlastet von Anstrengungen, und es führt nicht zu Beschwerden; denn nirgendwo wird angeeckt. Aber viele Bürgerinnen und Bürger wissen, dass damit Zukunft nicht gesichert wird. Sie sind die Architektin der Macht; aber Sie sind nicht die Architektin des Landes. ({14}) Eine Ihrer ersten Entscheidungen in dieser schwarzgelben Bundesregierung war die Einführung eines Mehrwertsteuerprivilegs für die Hoteliers, und eine Ihrer letzten Entscheidungen war das frauenpolitisch, arbeitsmarktpolitisch und integrationspolitisch falsche Betreuungsgeld. ({15}) In beiden Fällen - vermute ich - haben Sie Ihre eigene Überzeugung geopfert, im ersten Fall gegenüber der FDP und im zweiten Fall gegenüber der CSU. Zwischen diesen beiden Entscheidungen liegen 50 Gipfel, an dePeer Steinbrück nen Sie maßgeblich teilgenommen haben - 50 Gipfel, fast in jedem Monat ein Gipfel -, und über allen Gipfeln ist Ruh. ({16}) In den Koalitionsverhandlungen ging es 2009 im Wesentlichen um die Frage, ob die Steuerentlastung vielleicht 20, 25 oder 30 Milliarden Euro umfassen soll. Das war schon damals ein grandioser Anfall von Wirklichkeitsverleugnung; aber es war Ihr Wahlversprechen. Was ist eigentlich daraus geworden? Sie wollten eine Überarbeitung des Regimes der reduzierten Mehrwertsteuersätze. Was ist aus dieser Steuerpolitik geworden? Das Einzige, was Sie hier mit Herrn Schäuble zum dritten oder vierten Mal aufgießen, ist erneut eine Abschaffung der Gewerbesteuer. Gute Reise zu den Kommunen, wenn Sie das machen! ({17}) Noch im Frühjahr dieses Jahres haben Sie beim DGB eine Rentenreform, ein Rentenkonzept der CDU/CSU angekündigt. Was ist daraus geworden? Nichts, gar nichts ist daraus geworden. Frau von der Leyen läuft mit einem Pappschild herum, auf dem „Lebensleistungsrente“ steht. Das ist aber nicht einmal Beschlusslage Ihrer Partei. ({18}) 2011 riefen Sie das Jahr der Pflege aus. Die letzte große Pflegereform stammt aus dem Jahre 2008, von Ulla Schmidt, aber nicht von Ihnen. ({19}) Was ist aus dem Breitbandausbau geworden, um auch Gebiete außerhalb von Großstädten mit schnellem Internet zu versorgen? Erkennbar nichts. Die Energiewende ist ein reines Desaster. Sie ist aus der Sicht von vielen die größte Investitionsbremse in Deutschland seit Jahrzehnten. ({20}) Sie wollten mit einem Stufenplan den Anteil der Frauen in Vorständen und Aufsichtsräten - ich zitiere „maßgeblich“ erhöhen. Was ist daraus geworden? Im TV-Duell mit Frank-Walter Steinmeier kündigten Sie damals eine Malusregelung für Managergehälter an. Was ist aus all dem geworden? Nichts. ({21}) Alles angekündigt, abgewartet, ausgesessen. Oder wie ein Journalist geschrieben hat: Alles vertagt, verpatzt und versenkt. Das gilt übrigens auch in Europa. Wo ist denn in den letzten Monaten spürbar gewesen, dass Sie den von uns mitgetragenen Wachstumspakt in Europa auch wirklich mit großem Ehrgeiz durchgesetzt haben? Was haben Sie nach der Verkündigung der sogenannten Jugendgarantie im Februar dieses Jahres getan? ({22}) Wo ist - ich bleibe dabei - die Realisierung der Finanzmarkttransaktionsteuer geblieben? ({23}) Stattdessen haben wir es mit sehr wohlklingenden Etiketten zu tun: Bildungsrepublik Deutschland; das Jahr der Entscheidung; der Herbst des Vertrauens - oder vielleicht auch umgekehrt -; das Jahr der Pflege; Lohnuntergrenze; Lebensleistungsrente; Flexiquote; Mietpreisbremse. Das Thema Mietpreisbremse haben Sie sich zu eigen gemacht, haben aber dann hier im Deutschen Bundestag gegen die Mietpreisbremse gestimmt. ({24}) Alles Etiketten auf leeren Flaschen. Wann und wo, Frau Merkel, gab es in dieser Legislaturperiode ein Projekt, eine wegweisende Vorstellung, von mir aus eine Vision, wo über diese Legislaturperiode hinaus diesem Land Zukunft und Richtung gegeben werden könnte? Wann haben Sie, wie alle Ihre Vorgänger, Ihr Amt in die Waagschale geworfen und Ihre Richtlinienkompetenz ausgeübt, um diesem Land eine Richtung zu geben? ({25}) Sie beanspruchen eine Richtlinienkompetenz, ohne Richtlinien geben zu wollen. Sie sind doch nicht die Präsidentin der Republik, sondern Sie sind als Kanzlerin für dieses Kabinett verantwortlich, das Kabinett, das das tatenloseste, zerstrittenste, rückwärtsgewandteste, aber vollmundigste Kabinett seit der deutschen Wiedervereinigung ist. ({26}) Sie malen unser Land in schönen Farben. Ja, ich habe damit keine Schwierigkeiten. Ich freue mich mit Ihnen darüber, dass es ein starkes Land ist, ein starkes Land mit starken Unternehmen, mit einem einmalig tüchtigen Mittelstand, mit vielen Familienunternehmen, ein Land mit einer sehr starken industriellen Basis und einer entsprechenden Facharbeiterschaft, ein Land mit einer intakten und wichtigen Sozialpartnerschaft, ein Land mit viel ehrenamtlichem Engagement, ein Land, in dem die letzte umfassende Reform von Ihrem Vorgänger Gerhard Schröder stammt. - Das ist unser Land. ({27}) Sie haben in dieser Legislaturperiode seit 2009 Ernten eingefahren, die Sie nicht gesät haben, und Sie haben in dieser Legislaturperiode nichts für zukünftige Ernten ge32630 tan. Gleichzeitig erleben wir allerdings in unserem Land - das kommt zu dem hinzu, was Sie sagen -, dass es 7 Millionen Menschen gibt, die unter 8,50 Euro verdienen, dass es 1,4 Millionen Menschen gibt, deren Verdienst trotz Vollzeittätigkeit aufgestockt werden muss, weil sie monatlich so wenig Geld haben, dass die Gemeinschaft der Steuerzahler die Dumpinglöhne aufstocken muss, die sie von ihren Arbeitgebern bekommen haben. Sie haben recht, wenn Sie sagen, dass die Arbeitslosigkeit gesunken ist; darüber freuen wir uns alle. Gleichzeitig weisen viele Beobachter aus, dass Deutschland das Land in Europa mit dem größten Niedriglohnsektor ist. Sie haben keineswegs, wie Sie eben behauptet haben, dem Missbrauch von Leiharbeit, Zeitarbeit und Werkverträgen einen Riegel vorgeschoben; dieser Missbrauch hat sich in diesen vier Jahren in unserem Land vielmehr ausgeweitet. ({28}) Wir haben es mit dem erschreckenden Zustand zu tun, dass 1,5 Millionen Menschen in den Zwanzigern keinen Schul- oder Bildungsabschluss haben. Gleichzeitig wissen wir um die Gefahr eines Facharbeitermangels. Wir haben es mit einem Land zu tun, das die historisch niedrigste Investitionsquote hat, und zwar sowohl öffentlich wie auch privat. Das heißt, unsere Investitionen in Deutschland liegen laut OECD-Zahlen 2 Prozent unter dem Durchschnitt der anderen OECD-Staaten; das sind 50 bis 52 Milliarden Euro. Fakt ist, dass viele Kommunen in einer Notlage sind, dass viele Kommunen ihre Aufgaben nicht mehr erfüllen können, weil ihre Finanzlage so marode ist, dass sie all die Aufgaben im nachbarschaftlichen Bereich der Bürgerinnen und Bürger nicht mehr erfüllen können. ({29}) 140 Milliarden Euro beträgt der Investitionsstau der Kommunen. Fakt ist, dass die Schere zwischen Arm und Reich in den letzten 15 Jahren weiter auseinandergegangen ist, was zu Spannungen in unserer Gesellschaft führt. Mit Blick auf die Steuerpolitik, die Sie vorhin noch einmal dargestellt haben: Sie wollen Steuerpolitik zulasten Dritter machen, nämlich zulasten der Kommunen, die infolge solcher Steuersenkungen, wie Sie sie hier als richtig dargestellt haben, ihre Gebühren, insbesondere auch für ihre Kindertagesstätten, erhöhen müssten. Viel wichtiger als solche Steuersenkungen wäre es, dafür Sorge zu tragen, dass die Eltern gar keine Gebühren mehr für die Kindergärten bezahlen müssen. ({30}) Wir wissen um den drohenden Pflegenotstand, der eintritt, wenn weiter so regiert wird wie bisher. All das gehört zu einer vollständigen Beschreibung unseres Landes. Man darf den Blick nicht nur auf das Gute, Schöne, Problemlose, Anstrengungslose werfen. Und kommen Sie mir nicht mit Schwarzmalerei! Das sind Fakten. Sie sind nicht gefällig und lassen sich auch durch ein Einlullen der Wählerinnen und Wähler nicht unsichtbar machen. Eine rot-grüne Bundesregierung mit mir als Bundeskanzler wird deshalb einen flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn einführen. ({31}) Wir werden den Missbrauch von Leiharbeit, Zeitarbeit und Werkverträgen bekämpfen. Wir werden deutlich mehr Geld in die Bildung investieren, weil sie in Deutschland unterfinanziert ist. ({32}) Wir werden die kommunale Finanzlage verbessern. Wir werden eine Pflege- und Rentenreform verabschieden, die diesen Namen verdient. Wir werden die Kinderbetreuung und die Ganztagsschulen in Deutschland ausbauen, und wir werden mehr denn je in die Infrastruktur in Deutschland investieren müssen, weil diese verfällt. ({33}) Dazu werden wir in der Tat einige Steuern für einige erhöhen - wir sind hier ehrlich und wahrhaftig -, weil diese Zukunftsinvestitionen anders nicht zu finanzieren sind. Da die Bezieher höherer Einkommen und die Besitzer hoher privater Vermögen die Gewinner der Einkommens- und Vermögensverteilung der letzten 15 Jahre sind, halten wir es verteilungspolitisch auch für richtig, sie stärker zur Finanzierung von vier zentralen öffentlichen Aufgaben heranzuziehen: für Bildung, für Infrastruktur, für Kommunen und zum Schuldenabbau. ({34}) Wenn Sie von Umverteilung reden, wollen Sie die Menschen immer in eine Geisterbahn hineinführen, nach dem Motto: Bei den Sozialdemokraten müsst ihr eure Handtaschen und Portemonnaies zunähen, weil sie euch das Geld herausziehen wollen. - Sie malen hier immer solche Horrorgemälde und nutzen sie als Pappkameraden, um Ihre Munition loszuwerden. Wenn Sie von Umverteilung reden, dann sage ich Ihnen: Ja, es gibt eine Umverteilung. Es gibt in Deutschland seit 10 bis 15 Jahren eine deutliche Umverteilung, ({35}) und zwar nicht von oben nach unten, sondern von unten nach oben. Das sagt Ihnen nicht die SPD, sondern das sagt Ihnen das Statistische Bundesamt. Deshalb lassen wir uns auf diese Debatte über Umverteilung und über eine stärkere Heranziehung der Bezieher oberer Einkommen und der Besitzer hoher privater Vermögen zur Finanzierung der genannten vier öffentlichen Aufgaben sehr gerne ein. ({36}) Ja, es ist in diesem Land etwas aus dem Lot geraten, und zwar nicht nur mit Blick auf die Einkommens- und Vermögensverteilung und auf die Spaltung des Arbeitsmarktes, die offensichtlich wird, wenn man sieht, dass fast 25 Prozent der Menschen - nicht ganz - inzwischen in sogenannten prekären Arbeitsverhältnissen sind, wenn man sieht, dass jeder zweite Arbeitsvertrag inzwischen befristet ist, und wenn man sieht, dass sich viele Jugendliche von einem Werkvertrag zum anderen hangeln und so unsicher sind, dass sie deswegen in der Tat keine Kinder in die Welt setzen. ({37}) Ich weiß, wie es mit einem Werkvertrag ist. Mein Berufsweg begann einmal mit einem Werkvertrag, wodurch die Perspektiven ziemlich unsicher waren. Nein, in diesem Land ist nicht nur mit Blick auf die Spaltung des Arbeitsmarktes und die prekären Beschäftigungsverhältnisse etwas aus dem Lot geraten, sondern insbesondere auch deshalb, weil sich viele Steuerzahler angesichts eines skandalösen Steuerbetruges inzwischen als die Dummen fühlen. ({38}) Es ist etwas aus dem Lot geraten, weil sich viele Steuerzahler als die Haftenden in letzter Instanz für die Zockereien und die Risikoignoranz von Banken sehen. ({39}) Ich werde unterwegs von vielen Bürgerinnen und Bürgern angesprochen und gefragt, ob der Ordnungsrahmen der sozialen Marktwirtschaft in Deutschland mit Maß, Mitte und Ausgleich eigentlich noch gilt oder ob nicht alle ihre Lebens- und Arbeitsverhältnisse zunehmend von enthemmten, entgrenzten Marktkräften bestimmt werden und in viele Lebens- und Versorgungsbereiche Marktkalküle Einzug halten sollen. Sie beschäftigen sich mit der Frage, ob diese Republik noch im Lot ist. Nun bin ich gespannt, ob Sie auch noch die Autofahrer mit einer Pkw-Maut überziehen und für dumm verkaufen wollen. Das wäre dann zusätzlich zu der Sache mit den Steuerzahlern eine weitere Steigerung. Diesen populistischen Klamauk von Herrn Seehofer mit einer Pkw-Maut für Ausländer müssten Sie doch eigentlich so schnell wie möglich stoppen. ({40}) Herr Seehofer verurteilt Sie ja schon auf die Oppositionsbänke, bevor die Wahllokale geschlossen haben, weil er mit Ihnen keinen Koalitionsvertrag ohne die Einführung einer Pkw-Maut für Ausländer abschließen will. ({41}) Gut: Dass er ein Quartalsirrläufer ist, das wussten wir schon ({42}) in dem Augenblick, in dem er zum Beispiel Herrn zu Guttenberg und Herrn Röttgen als „Glühwürmchen“ und Herrn Ramsauer als „Zar Peter“ bezeichnet hat. Herrn Söder hat er „Schmutzeleien“ vorgeworfen und von „charakterlichen Schwächen“ gesprochen - nach dem Motto: Das kann alles gesendet werden. - Aber damit gibt er nur Stoff für den Starkbieranstich am Nockherberg. Bei Einführung einer Pkw-Maut blickt er entweder europarechtlich nicht durch, dann ist er ein Risiko für den Freistaat Bayern; oder es ist ihm egal, dann ist er ein Sicherheitsrisiko für die Bundesrepublik Deutschland. ({43}) Wenn er sich europarechtlich auf der richtigen Seite wähnt, weil er sagt: „Ich muss dann auch eine Pkw-Maut für die Inländer einführen, aber diese kompensiere ich durch den Wegfall der Kfz-Steuer“, dann muss man wissen, dass die deutschen Klein- und Mittelklassefahrer für eine Vignette doppelt so viel bezahlen müssen wie im Augenblick für die Kfz-Steuer. ({44}) Dann muss man auch wissen, dass die Besitzer von Autos der Premium-Klasse gegenüber ihren jetzigen Verpflichtungen in Form der Kfz-Steuer doppelt so stark entlastet werden. ({45}) Ich will abschließend, Frau Merkel, noch einmal auf die Europapolitik eingehen und Ihnen mit sehr großem Ernst vorhalten, dass Ihre Einlassung in einem Interview, das in der Woche vor der Bundestagswahl gesendet wird, die SPD sei - ich zitiere - europarechtlich unzuverlässig, weit mehr ist als eine Verirrung in diesem Wahlkampf. Das haben Sie gesagt, und das wird gesendet. Noch einmal: Es geht um Ihren Vorwurf, die SPD sei europapolitisch unzuverlässig. Sie müssen genau wissen, dass Sie damit Brücken zerstören, dass Sie damit in der Zukunft Gemeinsamkeiten unmöglich machen, wo wir vielleicht auf diese Gemeinsamkeiten angewiesen sind; ({46}) denn wie Sie gerade selbst ausgeführt haben: An einer europapolitischen Verantwortung meiner Fraktion bei der Verabschiedung von Rettungsschirmen hat es in den letzten Jahren nicht gefehlt. In manchen Fällen mussten wir Ihnen die Kanzlermehrheit erst besorgen. ({47}) In einem Fall, Frau Merkel, hätten Sie ohne uns wohl keine Zweidrittelmehrheit für den ESM bekommen. Die SPD in der Europapolitik unzuverlässig? Das werden wir uns merken; denn meiner Partei fiel das nicht ganz leicht. Meiner Partei wurde von vielen ihr konstruktives Verhalten nach dem Motto vorgeworfen: Damit habt ihr zugegeben, dass ihr gegen das Krisenmanagement von Frau Merkel in Europa keine Einwände habt. - Keineswegs! Aber die SPD hat eben aus der Oppositionsrolle heraus gezielt keine Obstruktionspolitik gegen Europa betrieben. ({48}) - Nein, wir haben unsere Verantwortung wahrgenommen; eine Verantwortung, die wir vertreten können und zu der wir uns auch bekennen können, wenn wir diese Bundesregierung mit mir als Bundeskanzler stellen. ({49}) Was wir dagegen über dreieinhalb Jahre lang an Verschleierung von Ihnen in Bezug auf die Konsequenzen dieses Ihres Krisenmanagements erlebt haben, das entspricht nicht dem Wahrhaftigkeitsanspruch, der auch von diesem Pult aus gelten muss. Sie haben mit Blick auf die Konsequenzen dieses Krisenmanagements die Deutschen hinter die Fichte geführt. Dann lupft Herr Schäuble ganz leicht die Kleider, bis zu den Knöcheln. Da wird dann deutlich, dass Ihr Handeln so weitergeht. Das Eingeständnis eines dritten Griechenland-Paketes ist nichts anderes als der Hinweis darauf, dass das bisherige Krisenmanagement gescheitert ist. ({50}) Es zeigt, dass Ihre sehr einseitige Fokussierung auf eine Sparkeule, die Sie anderen Ländern überziehen, eben nicht dazu beiträgt, dass diese Länder wieder vom Krankenlager hochkommen, dass die Jugendarbeitslosigkeit verringert wird und dass Banken stärker reguliert werden. Das wäre ein Ansatz für ein Krisenmanagement in Europa. ({51}) Sie spielen auch hier auf Zeit. Sie sind auch hier schwammig, bleiben im Ungefähren und betreiben mit Blick auf die Konsequenzen ein Hütchenspiel mit der deutschen Öffentlichkeit. Werfen Sie der SPD nicht etwas vor, was Sie selber betrieben und gebilligt haben, nämlich eine Haftungsund damit eine Schuldenunion, die es gibt, seitdem Sie das erste Mal dem Aufkauf einer griechischen Staatsanleihe durch die EZB zugestimmt haben! ({52}) Seitdem haftet die Bundesrepublik Deutschland mit 27 Prozent. Schenken Sie den Bürgerinnen und Bürgern darüber endlich reinen Wein ein! Darüber hinaus haben Sie im Juni 2012 noch sehr viel mehr gemacht. ({53}) Sie haben in einer Sitzung des Europäischen Rates im Juni 2012 grundsätzlich zugestimmt, dass Banken direkt aus dem Europäischen Stabilitätsmechanismus finanziert werden können. ({54}) Ist das keine Haftungsunion? Und dann erzählen Sie den Steuerzahlerinnen und Steuerzahlern nicht, dass in letzter Konsequenz von Fehlentscheidungen und Risikoignoranz ausländischer Banken die deutschen Steuerzahler haften? Das ist schon ein Ding. ({55}) Sie haben das an eine auflösende Bedingung geknüpft, auch zur Beruhigung Ihrer Fraktion. Denn mir ist völlig klar: Das haben nicht nur wir gemerkt; auch Sie haben gemerkt, was da passiert ist. ({56}) - Nicht alle, aber einige schon. ({57}) Sie haben das an eine auflösende Bedingung geknüpft, nämlich an die Herstellung der Bankenunion. Seitdem sind Sie sehr darum bemüht, die Finalisierung dieser Bankenunion in Europa zu verschieben. ({58}) Aber Sie haben die Staats- und Regierungschefs von diesem Rat und von dem jüngsten Rat im Juni damit nach Hause geschickt, dass unter Berücksichtigung dieser auflösenden Bedingung die Direktkapitalisierung von Banken aus dem ESM möglich ist. Dann lassen Sie uns das vor der Bundestagswahl auch aussprechen. ({59}) Nun wissen wir, dass die Bundesregierung weitergehende Verhandlungen erst im Herbst, also nach der Bundestagswahl, führen will, um dann zu entsprechenden EU-Richtlinien zu kommen. Ich sage für meine Fraktion und meine Partei klipp und klar: Mit mir als Bundeskanzler wird es kein deutsches Steuergeld zur Rettung von ausländischen Banken geben. ({60}) Für Bankenverluste müssen vorrangig die Eigentümer, die Aktionäre, die Anleihenbesitzer und die Gläubiger dieser Banken haften. Das ist unsere Vorstellung. ({61}) Deshalb befürworten wir das, was Sie auf der europäischen Ebene verschieben, nämlich einen Rechtsrahmen zur Restrukturierung und Abwicklung von Banken und einen Bankenfonds, einen Fonds zur Abwicklung und Restrukturierung von Banken, der aber nicht von den Steuerzahlern finanziert wird, sondern von den Banken. Darin unterscheiden wir uns von Ihnen. ({62}) Meine Damen und Herren, wir haben unter dieser Bundesregierung von Frau Merkel vier verlorene Jahre erlebt. Wir haben vier Jahre lang von der Substanz gelebt. Deshalb braucht unser Land einen Neustart. Unser Land braucht eine Politik, die nicht nur ankündigt, nicht nur beobachtet, nicht nur abwartet und nicht nur aussitzt. Es bedarf Tatkraft, dass in die Zukunft unseres Landes investiert wird und dass das Land stärker wird, weil es in unserem Land sozial gerechter zugeht. Dafür möchte ich als Bundeskanzler arbeiten und wirken. Vielen Dank. ({63})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort als nächster Redner hat jetzt der Fraktionsvorsitzende der FDP, Rainer Brüderle. ({0})

Rainer Brüderle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003059, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Steinbrück, ich habe Ihnen eine halbe Stunde aufmerksam zugehört. ({0}) Ihre Rede hat mich an den alten Glaubenssatz erinnert: Gott weiß alles, Peer Steinbrück weiß alles besser. ({1}) Das Hauptproblem Ihrer Kandidatur ist, die Welt von oben herab zu erklären. Ich frage mich manchmal, woher Sie Ihr überbordendes Selbstbewusstsein nehmen. Sie haben eine Pannenstatistik wie ein Fiat Punto, führen sich aber auf, als ob Sie ein Spitzen-BMW wären. ({2}) Ich erinnere mich noch gut, dass Herr Steinbrück vor einigen Jahren gefordert bzw. ernsthaft erwogen hat, die Autobahnen zu verkaufen. Das ist nichts anderes als eine Pkw-Maut. Ich halte nichts von einer Pkw-Maut. Aber dazu, dass er sich nun bei diesem Thema so aufbläst, obwohl er selbst zuvor öffentlich darüber nachgedacht hat, kann ich nur sagen: sehr glaubwürdig, sehr glaubwürdig! ({3}) Ich habe die Worte Ihres engsten Vertrauten, Sigmar Gabriel, ({4}) noch gut im Ohr. Ihr Parteivorsitzender hat am Anfang der Legislaturperiode erklärt, es gebe bald eine Abwärtsspirale, die zu Massenarbeitslosigkeit in Deutschland führe. ({5}) - Ja, das haben Sie gesagt. Sie schämen sich zu Recht. ({6}) Ihr bester Freund in der SPD hat also eine Abwärtsspirale vorausgesagt. Genau das Gegenteil ist eingetreten. Es waren wirklich vier gute Jahre. ({7}) Wir haben Rekordwerte bei der Beschäftigung. 42 Millionen Menschen sind in Arbeit oder selbstständig tätig. Das gab es noch nie. Die Arbeitslosigkeit sinkt in allen Regionen. In Bayern etwa herrscht Vollbeschäftigung. Dort steht eine Eins oder eine Zwei vor dem Komma in der Arbeitslosenstatistik. Die Reallöhne steigen seit Jahren wieder. Das ist der Erfolg fleißiger Menschen, der Unternehmen und insbesondere des Mittelstands, aber auch der Erfolg der christlich-liberalen Koalition. ({8}) Wir haben es trotz eines schwierigen Umfeldes geschafft, die Menschen um insgesamt 22 Milliarden Euro zu entlasten: Wachstumsbeschleunigungsgesetz, Kindergelderhöhung, Abschaffung der Praxisgebühr und Senkung des Rentenbeitragssatzes. Wir haben den Bundeshaushalt konsolidiert. Wir haben eine strukturell schwarze Null. Die Sozialkassen weisen Überschüsse auf. Davon hat Ulla Schmidt zehn Jahre lang geträumt. Wir machen es. ({9}) Wenn der Bundeshaushalt ausgeglichen ist, werden wir auch wieder eine Entlastungsperspektive eröffnen. Ich freue mich auf die Diskussion über den Soli. Für uns Liberale hat er keine Ewigkeitsgarantie. Für uns gilt das Wort von Helmut Kohl: Der Solidaritätszuschlag ist dafür da, den Aufbau in den neuen Bundesländern zu finanzieren. - Der Solidarpakt läuft 2019 aus. Spätestens dann soll nach unserer Vorstellung auch das Ende des Solidaritätszuschlags erreicht sein. ({10}) Wir haben fast 700 Milliarden Euro Steuereinnahmen. So viel gab es noch nie. Deshalb wird es auch Zeit, dass die Menschen an der Konsolidierungsdividende teilhaben. Es waren vier gute Jahre trotz schwierigster weltwirtschaftlicher Rahmenbedingungen. Dass Sie uns kritisie32634 ren, verüble ich Ihnen nicht. Aufgabe der Opposition ist es, Kritik zu üben. Aber dass Sie das Land schlechtreden, dass Sie ein Bild von Deutschland zeichnen, das der Realität nicht entspricht, ist eine Ohrfeige für die fleißigen Menschen in Deutschland. Das haben sie nicht verdient. ({11}) Das ist nicht anständig. ({12}) Lassen Sie mich zum Wort „Anstand“ einige Worte sagen. Sie haben einen Fairnesspakt angeboten. Wenn man sich die letzten Wochen vor Augen führt, dann stellt man fest, dass Sie der Einzige sind, der sich nicht im Griff hat: Erstens. Sie haben die unsäglich geschmacklose Postkartenaktion der Jusos unterstützt. ({13}) Als Sie gemerkt haben, dass diese Aktion ein Rohrkrepierer ist, haben Sie sie zur politischen Satire erklärt. Okay. Manche Beobachter halten Ihre ganze Kandidatur für eine politische Satire. ({14}) Zweitens. Kürzlich haben Sie der Bundeskanzlerin ihre ostdeutsche Herkunft vorgehalten. ({15}) Damit haben Sie die Grenze des guten Geschmacks überschritten. ({16}) Wir können stolz sein, dass 20 Jahre nach der Wiedervereinigung Menschen aus dem Osten der Republik in höchsten Staatsämtern sind. Das ist ein Erfolg, den wir vorweisen können. ({17}) Wir können stolz sein, dass jemand Vizekanzler werden kann, der in einem anderen Land geboren wurde. ({18}) Wir alle können stolz sein, dass ein Außenminister, anders als in den 50er-Jahren, seinen Partner nicht mehr verstecken muss, sondern dass das Normalität in Deutschland ist. ({19}) Die christlich-liberale Koalition trägt ihre Weltoffenheit nicht wie eine Monstranz vor sich her. Das überlassen wir Ihnen. Wir leben sie einfach. Das ist der Unterschied. ({20}) Einen dritten Punkt möchte ich noch ansprechen. Sie haben in der Prism-Sache der Bundeskanzlerin quasi einen Meineid vorgeworfen. So etwas tut man nicht, schon gar nicht, wenn die Vorwürfe offensichtlich aus oberflächlicher Zeitungslektüre stammen. ({21}) Mittlerweile wiederholen Sie die massiven Vorwürfe nicht mehr. Ich fand es auch peinlich, wie sich Rot-Grün als Bürgerrechtler aufspielen wollte. Die härtesten Überwachungsgesetze hat Rot-Grün gemacht, die massivsten Eingriffe in die Bürgerrechte in Deutschland hat RotGrün zu verantworten. ({22}) Es waren die berühmten „Otto-Kataloge“ von Herrn Schily. Die Grünen haben alles mitgemacht. Einiges wurde vom Verfassungsgericht gestoppt, wie zum Beispiel das Abschießen von Flugzeugen. Alles das war Politik von Rot-Grün. Das haben wir nicht vergessen. ({23}) Einiges ist auch dank der Justizministerin von der FDP offen geblieben, etwa die anlasslose Vorratsdatenspeicherung. Es ist sehr interessant: Die grün-rote Landesregierung von Baden-Württemberg bringt im Bundesrat Überlegungen ein, die anlasslose Vorratsdatenspeicherung für sechs Monate einzuführen. Das ist Ihre Vorstellung von Bürgerrechten. Das ist die Realität, wenn es konkret wird. ({24}) Nicht alles, was technisch möglich ist, darf auch erlaubt werden. Meine Daten gehören mir, nicht dem Staat, nicht Facebook und Google. Meine Damen und Herren, wenn Sie sich in diese Richtung bewegen, freut uns das sehr. Wenn man in andere Regionen der Welt schaut, sieht man, welches Glück wir eigentlich in Deutschland und in Europa haben. Die Lage im Nahen Osten ist mehr als bedrückend; das zeigen die Bilder, die veröffentlicht wurden. Andere Bilder von dem, was in Syrien geschehen ist, werden aus guten Gründen nicht veröffentlicht. Diese Bilder sind mehr als bedrückend: Sie sind beklemmend, sie nehmen einem die Luft weg. Wir sollten uns aber vor voreiligen Forderungen hüten. Deshalb ist es richtig, dass der Bundesaußenminister darauf verwiesen hat, dass eine Beteiligung an einem Militäreinsatz weder nachgefragt ist noch von der Bundesregierung in Betracht gezogen wird. Dieses Thema eignet sich nicht für den Wahlkampf. Hier sollten wir alle bei der wohlüberlegten sachlichen Linie der Bundesregierung bleiben. ({25}) Die SPD spricht gern vom Aufstieg durch Bildung; das ist richtig. In der sozial-liberalen Zeit haben wir auch einiges bewegt. Ich kenne das auch persönlich: Ich war der Erste in der Familie, der Abitur gemacht hat. Ich habe mich auf den Hosenboden gesetzt und übrigens, Herr Gabriel, Hausaufgaben gemacht. ({26}) So hat es das Arbeiterkind Gerhard Schröder gemacht. Aber was machen die Sozialdemokraten heute? Sie lassen sich von den Grünen die Abschaffung des Sitzenbleibens aufschwätzen. Das hilft keinem Arbeiterkind. Das hilft keinem Migrantenkind. Vielleicht werden Sie demnächst zur Verwaltungsvereinfachung einführen, gleich mit der Geburtsurkunde das Abiturzeugnis auszuhändigen. Das wäre das Gegenteil vom Leistungsprinzip, das wäre das Gegenteil von einem wirksamen Bildungskonzept, wie wir es in Deutschland brauchen. ({27}) Das sind die falschen Signale. Sie dienen der Infragestellung des Gymnasiums. Ich habe mir einmal die Zahlen heraussuchen lassen: Bei Rot-Grün lag der Bildungs- und Forschungsetat im Schnitt bei 8 Milliarden Euro. Bei der christlich-liberalen Koalition lag dieser Etat im Schnitt bei über 12 Milliarden Euro. Auch bei der Bildung gilt also die rotgrüne Regel: Man redet viel, getan wird wenig. ({28}) Das war übrigens auch bei der Familienpolitik so. Wir haben das Kindergeld und den Kinderfreibetrag erhöht. Wir haben dafür gesorgt, dass Kinder aus Hartz-IV-Familien ihre Jobverdienste behalten dürfen. Wir haben ein Bildungspaket für Kinder aus benachteiligten Familien auf den Weg gebracht. ({29}) Auch beim Rechtsanspruch auf einen Kitaplatz für unter Dreijährige ist es besser gelaufen, als die Opposition uns immer vorgehalten hat. Wir Liberale haben das Betreuungsgeld mitgetragen, weil wir vertragstreu sind; Verträge, die wir unterschreiben, setzen wir auch um. Wir haben das Ehegattensplitting auf gleichgeschlechtliche Partnerschaften ausgeweitet. Grüne und Rote haben das gefeiert. Das ist mir völlig schleierhaft. Sie wollen doch das Splitting für alle Paare, egal ob hetero- oder homosexuell, abschaffen. Die SPD will einen Partnerschaftstarif mit Unterhaltsausgleich. Sie behandeln Ehepartner, als ob sie schon geschieden wären. ({30}) Die Grünen wollen die sogenannte Individualbesteuerung. Sie behandeln Ehepartner, als ob sie Fremde wären. Das ist nicht mein Familienbild; das ist nicht mein Gesellschaftsbild. Ehe oder Partnerschaft ist eine Verantwortungsbeziehung. Das muss sich auch im Steuerrecht widerspiegeln. Sie bejubeln diese Vorstellung, fordern in Ihren Programmen aber das Gegenteil. ({31}) Die Grünen haben ein Wahlprogramm in Romanlänge vorgelegt. Buddenbrooks ist es nicht, eher Brave New World. Das ganze grüne Wahlprogramm ist eine Anleitung zum Unglücklichsein. ({32}) Dort wimmelt es nur so von Verboten, Geboten, Lenkungsmaßnahmen. Ich verweise auf das Obstverbot, das Fleischverbot, die Fettsteuer. Sie wollen eine Art Zwangserziehung. Aber, meine Damen und Herren, Deutschland ist keine Zwangserziehungsanstalt für nicht grüne Wähler. Das, was die Grünen wollen, wird in diesem Land nicht stattfinden. ({33}) Wir wollen keine Verbotspolitik. Mir ist völlig wurscht, ob Frau Künast jeden Donnerstag Gemüse isst. ({34}) Sie nennt den Veggie-Day-Zwang ein Angebot, das man nicht ablehnen kann. So etwas kannte ich bisher nur aus Mafiafilmen. Der Pate grüßt! ({35}) Das will niemand in Deutschland. Die Menschen schreien zu Recht auf wegen dieses Unsinns, Frau Künast. Jetzt komme ich dazu, wie die Opposition das Thema Griechenland hochzieht. Auch das ist ein Rohrkrepierer. Sigmar Gabriel hat da Gerhard Schröder voll in die Pfanne gehauen. Ich zitiere ihn wörtlich: Griechenland in die EU aufzunehmen war sicher richtig, es in die Währungsunion aufzunehmen aber war sicher falsch. Das hat Sigmar Gabriel wörtlich gesagt. ({36}) Wer war das damals? Gerhard Schröder war Kanzler, Joschka Fischer war mit dabei. In Athen haben sie jubelnd vorgetragen, vor der sozialistischen Regierung von der PASOK, was sie alles Tolles gemacht haben. Es war falsch! Sie haben recht, Herr Gabriel. Aber sie haben es gemacht, und sie tragen die Verantwortung dafür. Sie haben damals regiert. ({37}) Wir müssen seit vier Jahren den Mist, den Sie uns hinterlassen haben, aufräumen. Es waren Sie von RotGrün, die in sieben Regierungsjahren fünfmal hintereinander den Stabilitätspakt gebrochen haben. Deutschland war das erste Land, das die Leitplanken für einen stabilen Euro durchbrochen hat. Dann haben andere nachgezogen. Wer war dafür verantwortlich? Die Roten und die Grünen! Die haben es gemacht! ({38}) Da kann man sich nicht so einfach vom Acker machen. Herr Gabriel, Sie haben wochenlang, monatelang von den Euro-Bonds geschwärmt; das sei die große Lösung. „Euro-Bonds“, das heißt nichts anderes als: Alle zahlen den gleichen Zinssatz. Man nennt das im Klartext Zinssozialismus. Sozialismus ist immer Mist. Zinssozialismus ist Mist hoch drei. Völlig falsch! ({39}) Dann kam der Möchtegernfinanzminister Trittin: Altschuldentilgungsfonds. Sie wollen, dass die Deutschen die alten Schulden in Europa zahlen. ({40}) Sie wollten gemeinsam mit der SPD sogar noch eine Banklizenz für den ESM, also eine weitere Gelddruckmaschine. Sie wollen überall Geld drucken, aber die Probleme nicht lösen. Sie können Strukturprobleme nicht lösen, indem Sie alles mit Geld zuschütten. Da müssen Sie den Hintern hochkriegen, konkret was machen, nicht nur herumschwätzen. ({41}) Altschuldentilgungsfonds ist Schuldensozialismus. Wir sollen haften für das, was Europa alles verschuldet hat. Ich kann deutschen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern nicht sagen: Ihr müsst drei Stunden mehr arbeiten ohne Entgelt, damit wir die Schulden von Griechenland und Spanien bezahlen. ({42}) Das ist nicht meine Vorstellung. ({43}) - Hören Sie zu! Sonst verstehen Sie es nicht. Sie haben es sowieso schwer, etwas zu verstehen. ({44}) Dann kritisiert Rot-Grün die exportorientierte Wirtschaft und will die starke Exportorientierung in Deutschland reduzieren. Einige meinen ja auch, die richtige Strategie wäre: erst die Löhne rauf, dann die Arbeitszeit runter. - Sie können im sozialistischen Frankreich die fatalen Auswirkungen einer sozialistischen Politik beobachten: mehr Arbeitslose, höhere Steuern, mehr Schulden, Herabstufung der Kreditwürdigkeit, schrumpfende Wettbewerbsfähigkeit. Es ist ein völlig falscher Ansatz, die Exportüberschüsse zu reduzieren. Steinbrück und Trittin unterstützen das. Wie wollen Sie das machen? Wollen Sie den Facharbeitern bei VW sagen, dass sie schlechtere Autos bauen sollen? Sollen die bei Daimler eine Schramme in jede Achse machen, damit sie nicht richtig läuft? Das ist doch absurd! Soll die BASF ihre Produktion drosseln? Sollen erfolgreiche Mittelständler, die in der Welt oft führend sind und Hidden Champions sind, schlechter werden? Nein, das ist ein absoluter Denkfehler! Sie übersehen, dass 50 Prozent der deutschen Exporte in die Zulieferung gehen, in Kooperationen mit den europäischen Nachbarn gehen. Wenn wir nicht so exportstark wären, würde es Europa deutlich schlechter gehen. ({45}) Wir sind der Wachstumsmotor der ganzen europäischen Entwicklung. Den wollen Sie drosseln, nur weil Sie die Wirtschaft nicht verstehen. ({46}) Damit da kein falscher Eindruck entsteht: Die Ausländer kaufen freiwillig unsere Produkte. Das ist keine Zwangsabnahme. Sie kaufen sie, weil sie gut sind. Das verstehen Sie alles nicht. Das tut Ihnen weh; aber es ist halt so. ({47}) - Die Realität tut immer weh, Frau Künast, und es ist schön, dass Sie durch Schreien kundtun, dass Sie es wirklich nicht verstehen. Ich komme zum Stromsektor. Die Grünen präsentieren jährlich eine von ihnen in Auftrag gegebene Studie über die Strompreisentwicklung. Ich will auf die methodischen Schwächen dieser Studie nicht eingehen, aber ich gehe auf den Strompreispopulismus der Grünen ein. Sie sagen: Die Konzerne sind schuld. - Ich frage Sie: Warum machen Sie nichts dagegen? Die grün-rote Landesregierung in Baden-Württemberg ist der Großaktionär bei EnBW. Sie können doch die Preise senken. Sie haben doch das Sagen in diesem zum größten Teil staatlichen Unternehmen. Dort sind Ihre Aufsichtsräte. Dort ist Frau Röstel, die frühere Parteivorsitzende. Aufsichtsratsmitglied sein heißt nicht nur, Lachsschnittchen essen. Es bedeutet: Mitdenken und Mitverantwortung übernehmen. ({48}) Wo ist denn der Anstand bei dieser Strompolitik? Frau Göring-Eckardt propagiert immer den Anstand. Wo ist er bei dem dreisten Solarlobbyismus, den Sie betreiben? Herr Trittin hat bei der Einführung des EEG gesagt: Das kostet so viel wie eine Kugel Eis im Monat. - Heute kostet das so viel, dass Sie beim Italiener die Eiskarte sozusagen rauf und runter essen könnten. Das ist die Realität. ({49}) Die Ausnahmeregeln sind damals auf den Weg gebracht worden. Die Bundesregierung hatte beschlossen, diese zu überprüfen. Die Bundesbahn profitiert davon mit 500 Millionen Euro. Wenn Sie die Ausnahme streichen, können Sie den Bürgern gleich erklären, warum sich die Preise für die Fahrkarten erhöhen. ({50}) Nehmen Sie die Stadtwerke in Schwerin. Wenn Sie die Ausnahme streichen, können Sie gleich erklären, warum die Preise für den Nahverkehr steigen. ({51}) Das sagen Sie nicht. Sie jubeln irgendeinen Punkt hoch und vernebeln das, was Sie gemacht haben. Sie haben genau diese Politik eingeleitet, wobei ich folgenden Aspekt für richtig halte: Wenn wir moderne Motoren herstellen wollen, dann brauchen wir Gießereien in Deutschland. ({52}) Wenn Sie die alle vertreiben, werden wir nicht mehr an der Spitze der Entwicklung sein. Deshalb muss man vernünftig agieren. Sie haben es falsch gemacht, indem Sie eine Übersubventionierung betrieben haben. ({53}) Sie haben neue Sofamelker etabliert. Das gab es früher bei den Bauern. Einige hatten zwar keine Kühe, haben aber die Milchquote genutzt. Heute haben wir das bei den Solarstromerzeugern: 43 Cent auf 20 Jahre garantiert, Einspeisevorrang. Die Oma mit der Leselampe zahlt das in Form der Umlage. ({54}) Ihre Freunde, die sich das Schloss vom Gottschalk kaufen können, profitieren davon, weil sie eine Preisgarantie von 20 Jahren haben, also eine Garantie dafür, dass sie den Strom zu diesem hohen Preis ins Netz geben können. Das ist doch keine vernünftige Politik. ({55}) Die Umlage ist deshalb so stark nach oben geschossen, weil Sie sie falsch konzipiert haben. ({56}) Ich komme noch zu einem anderen Thema. Die SPD probiert es neuerdings mit Steuersenkungen. Aus Pannen-Peer wurde offenbar ein Panik-Peer. Ich bin erstaunt, was Sie alles plötzlich senken wollen: Stromsteuer. Beim Spitzensteuersatz haben Sie Jo-Jo gespielt: erst rauf, dann wieder runter. Sie sprechen plötzlich vom Abbau der kalten Progression. Sie haben den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern in Deutschland aber bisher verwehrt, dass sie von den verdienten neuen Tarifabschlüssen mehr in der Tasche behalten können. Sie haben es über den Bundesrat blockiert, weil Sie es den Leuten nicht gönnen. Das ist wahr. ({57}) Wie wollen Sie die Wertschöpfung erhöhen? Die SPD will ungefähr 38 Milliarden Euro mehr Steuern einnehmen. Die Grünen wollen etwas mehr einnehmen. Trittin spricht - das ist wohl eine Art Mao-Zuschlag - von über 40 Milliarden Euro, und das bei Einnahmen von etwa 700 Milliarden Euro. Es trifft genau die Mitte. Es ist eben nicht wahr, dass es nur wenige Milliardäre zahlen. Die Erhöhung der Beitragsbemessungsgrenze für die Versicherten in der gesetzlichen Krankenkasse betrifft die kleinen und mittleren Einkommen. ({58}) Wenn Sie den Handwerksbetrieb mit einer Vermögensabgabe bzw. einer Vermögensteuer zusätzlich belasten, dann treffen Sie die Mittelständler. Das sind die Jobmotoren der Gesellschaft, die uns voranbringen. Genau das wollen Sie machen. Herr Trittin will das sogar rückwirkend machen. Wenn Sie rückwirkend Steuern erheben - vielleicht noch bis in die 20er-Jahre zurück -, ist das ein Verfassungsbruch. Das ist doch alles absurd, was Sie beabsichtigen. ({59}) Wenn Sie mir nicht glauben: Frau Scheel, Herr Kretschmann und Herr Palmer, der grüne Oberbürgermeister, warnen vor Ihrer Politik, weil Sie damit den Mittelstand beschädigen. Sie sagen, dass das nicht sein darf. Die Wirtschaftsforscher berechnen, dass bei einer rot-grünen Regierung 400 000 Jobs verloren gehen. Wenn die Linke drankommt, sind es 900 000 Jobs. Wenn Sie Rot-Rot-Grün hinkriegen, dann ist der maximale Unsinn in Deutschland erreicht. Das gilt es zu verhindern; wir dürfen das nicht zulassen. ({60}) Deshalb bleibt es dabei - diese Wahrheit muss man den Deutschen sagen -: Man kann eine gute Zukunft wählen, indem man diese Regierung ({61}) erneut wählt. ({62}) Wir haben den Praxistest geliefert. Es geht. Sie kommen mit Rezepten von vorgestern, die x-mal gescheitert sind. Sie sollten Karl Marx in seinem Museum in Trier stehen lassen. Holen Sie die alten Klamotten nicht raus; kein Mensch will das mehr haben. Denken Sie nach vorn; machen Sie einen Modernisierungskurs. Wir helfen Ihnen gern. ({63})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt der Fraktionsvorsitzende der Linken, Dr. Gregor Gysi. ({0})

Dr. Gregor Gysi (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000756, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich finde diese Debatte schön. Wir sollten es zur ständigen Einrichtung machen, immer etwa drei Wochen vor der Bundestagswahl eine richtige Wahlkampfdebatte zu führen. Wenn wir das so nennen, dann muss man sich auch nicht davor drücken, Wahlkampfreden zu halten. Ich habe Ihnen allen zugehört und habe festgestellt, dass die Kanzlerin und Herr Brüderle mit sich selbst sehr zufrieden sind. Ob das ausreicht, ist allerdings eine andere Frage. ({0}) Bei Ihnen, Herr Steinbrück, habe ich festgestellt, dass Sie - zum Teil zumindest - eine Umverteilung der Argumente von den Linken zur SPD organisieren - sehr spät, ehrlich gesagt, aber immerhin. Herr Brüderle, Sie haben etwas sehr Bemerkenswertes gesagt. Sie haben gesagt, dass Sie seit vier Jahren den Mist aufräumen müssen, der bis dahin entstanden war. Damit sagen Sie natürlich der Kanzlerin - sie ist ja schon seit acht Jahren Kanzlerin -, dass sie vier Jahre lang nur Mist gemacht hat. Darauf will ich nur hinweisen; das müssen Sie miteinander klären. ({1}) Kommen wir zum Ernst der Angelegenheit. Es gab - zumindest höchstwahrscheinlich - einen Giftgasanschlag in Syrien mit über 1 400 Toten. Das kann man gar nicht scharf genug verurteilen. Das Völkerrecht sieht dafür Entsprechendes vor: dass die Verantwortlichen exakt zu ermitteln und dem Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag zu übergeben sind. Das wird auch eines Tages passieren. ({2}) Aber das Völkerrecht sieht eines nicht vor: dass die Antwort Krieg sein soll. Das steht nirgendwo. ({3}) Ich sage Ihnen: Ich halte die USA für nicht besonders glaubwürdig. Es gab nämlich schon einmal einen Giftgasanschlag, und zwar im Irak durch Hussein. Dabei sind über 5 000 Kurdinnen und Kurden ermordet worden. Damals haben die USA mit der Androhung des Gebrauchs ihres Vetorechts eine scharfe Resolution des Sicherheitsrates verhindert. Danach kam nur der Appell an den Irak, das künftig zu lassen, was nicht besonders viel wert war. Wenn man jetzt einen Kriegsschlag gegen Syrien durchführt, kann die Situation völlig unbeherrschbar werden. Wer weiß denn, was Assad dann macht? Der kann den Konflikt noch in den Libanon und nach Jordanien tragen. Wer weiß, was der Iran macht? Wer weiß, was die Türkei macht, die unbedingt so schnell wie möglich in Syrien einmarschieren will? Wer weiß, was Russland macht? Wer weiß, was Israel macht? Die USA erzählen etwas von einem Einsatz von 24 oder 48 Stunden. In Wirklichkeit kann dadurch ein Flächenbrand entstehen, der völlig unbeherrschbar ist. ({4}) Da bin ich froh - ich muss es sagen -, einer Partei anzugehören, die von Anfang an klar Nein gesagt hat, während Sie alle herumgeeiert haben. Auch Sie, Herr Steinbrück, haben unsere Argumente erst nach der Sitzung des britischen Unterhauses übernommen. Das heißt, Sie haben taktisch reagiert und nicht aus Überzeugung, und das nervt mich. ({5}) Natürlich brauchen wir eine Verständigung zwischen Russland und den USA. Die erste Verständigung müsste lauten, keine Waffen mehr an Syrien zu liefern. ({6}) Wären keine Waffen an Syrien verkauft worden, weder an die eine noch an die andere Seite, wäre der Krieg längst beendet. Außerdem brauchen wir natürlich auch eine Friedenskonferenz. Warum werden denn so viele Waffen verkauft? Weil so viel daran verdient wird. Auch das müssen wir ändern. Sie wissen, wie umfangreich die Waffenexporte aus Deutschland sind. Ich sage Ihnen: Es wird wirklich höchste Zeit, dass wir ganz anders an dieses Thema herangehen. Mittels Kriegen werden wir die Probleme der Menschheit niemals lösen. Deshalb bin ich froh, dass es eine Partei gibt, die sich immer dagegenstellt. ({7}) Aber es gibt noch etwas, was Sie ein bisschen vergessen haben: Wir haben Patriot-Raketen und Soldaten in der Türkei an der Grenze zu Syrien. Jetzt stellen Sie sich einmal vor, die Türkei greift Syrien militärisch an. Dann darf Syrien sich militärisch wehren. Dann müssten doch unsere Soldaten höchstwahrscheinlich die Raketen losschicken. Ich bitte Sie! Dann helfen wir nicht einem Angegriffenen, sondern einem Angreifer, einem Aggressor. Aber das ist nur das eine. Das Zweite ist: Deutschland wird dann Kriegspartei im Nahen Osten. Ich bitte Sie! Das ist das Letzte, was sich Deutschland historisch, moralisch und politisch leisten kann. Deshalb müssen die Soldaten und Raketen unverzüglich abgezogen werden. ({8}) Auch deshalb, weil wir noch nicht genau wissen, was passiert. Am 9. September tagt der amerikanische Kongress. Ich sage Ihnen: Wir werden danach eine Sondersitzung einberufen müssen, um über die Frage zu entscheiden: Wollen Sie wirklich, dass Deutschland Kriegspartei im Nahen Osten wird, oder nicht? Dazu müssen Sie sich dann hier bekennen. Deshalb werden wir eine solche SitDr. Gregor Gysi zung beantragen, und ich hoffe auf die Zustimmung der anderen Fraktionsvorsitzenden. ({9}) Es gibt natürlich noch andere Gründe, uns zu wählen. Es gibt ja in diesem Bundestag, wie ich immer sage, eine Konsenssoße zwischen FDP, Union, Grünen und SPD. Es sind sechs Gebiete, auf denen Sie sich einig sind und bei denen nur wir widersprechen. Jetzt sage ich Ihnen etwas: Ja, die Linke ist ein ungeheurer demokratischer Gewinn für den Bundestag. ({10}) Ich werde Ihnen das begründen. Erstens. Noch kein einziger Kriegseinsatz der Bundeswehr ist gegen eine Ihrer Fraktionen entschieden worden. Immer haben alle vier Fraktionen zugestimmt. Nur die Linke hat immer konsequent dagegen gestimmt. Das geschah in Übereinstimmung mit der Mehrheit der Bevölkerung. ({11}) Zweitens. Die Waffenexporte haben alle Regierungen genehmigt: Kohl, Schröder, Merkel. Ihre vier Fraktionen stehen für die Erlaubnis von Waffenexporten. Wir stellen uns dagegen. Wir meinen, wir müssen nicht der drittgrößte Waffenexporteur der Welt sein. Nach 1945 hätten wir auch sagen können: Wir wollen nie wieder an Kriegen verdienen. Wer Waffen verkauft, muss wissen: Jede Waffe findet ihren Krieg. ({12}) Drittens. Die völlig falschen Wege zur Überwindung der Euro-Krise sind Sie immer zu viert gegangen: Union, FDP, SPD und Grüne. Alle sogenannten Rettungsschirme haben Sie immer gemeinsam beschlossen. Dann sagt doch Herr Steinbrück in dem Duell mit Ihnen, Frau Bundeskanzlerin, auf die Frage einer Journalistin, warum er denn immer zugestimmt habe, wenn er alles kritisiert, was in Griechenland, in Spanien und in Portugal passiert, das sei Ausdruck der Europaverantwortlichkeit der SPD. Ich finde, das ist eine Frechheit; das muss ich Ihnen sagen. ({13}) Was ist denn daran europaverantwortlich, wenn man den Süden Europas ruiniert? ({14}) Was ist denn daran europaverantwortlich, wenn man dafür sorgt, dass der Süden die Darlehen nie zurückzahlen kann, und zustimmt, dass die Deutschen für 27 Prozent all dieser Darlehen haften? Wenn ich die Bundesregierung frage, wovon sie das bezahlen will, wenn es denn fällig wird, dann sagen die mir: Es wird schon nicht so kommen. - Das ist alles. Das hat aber mit perspektivischer Politik gar nichts zu tun. ({15}) Um das ganz klar bei Griechenland zu beweisen: Infolge der Auflagen, gerade auch vonseiten der deutschen Regierung, sind die Schulden von 120 Prozent auf 175 Prozent des Bruttoinlandsprodukts gestiegen. Die Jugendarbeitslosigkeit liegt jetzt bei 64 Prozent. Insgesamt ist die Arbeitslosigkeit um 193 Prozent gestiegen, die Wirtschaft geht um 24 Prozent zurück und die Steuereinnahmen auch. Wovon sollen die denn etwas zurückbezahlen? Deshalb sage ich Ihnen, Herr Schäuble: Mit neuen Krediten, wie Sie es angekündigt haben, wird das nichts werden; denn das würde ja die Verschuldung erhöhen. Deshalb wird es einen Schuldenschnitt geben, ganz egal, wie wir dazu stehen. Das kostet uns dann wirklich Geld. Ich finde, das müssten Sie den Leuten vor der Wahl ehrlich sagen, was Sie aber nicht machen. ({16}) Übrigens ist das nicht nur sozial grob ungerecht, sondern wir schneiden uns auch noch ins eigene Fleisch, weil die Kaufkraft sinkt und unsere Exporte zurückgehen. Aber all dem haben immer alle vier Fraktionen zugestimmt. Weder die Grünen noch die SPD können sagen: Wir haben ja nicht gewusst, dass das dabei herauskommt. - Sie haben es ganz genau gewusst und trotzdem mit Ja gestimmt. ({17}) Was brauchen wir wirklich? Wir brauchen eine Finanzmarktregulierung. Wir brauchen eine Verkleinerung der Banken; wir sollten sie organisieren wie Sparkassen. Ich bin es auch leid, dass jede Bank gerettet wird. Die können sich so viel verspekulieren, wie sie wollen. Die Aktienbesitzer haben ja nichts zu befürchten, weil die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler das übernehmen. Kein Mensch hilft einem Bäckermeister, der vor der Insolvenz steht. Bei den Banken wird aber immer alles bezahlt. Auch ich will die Rettung der Guthaben der Bürgerinnen und Bürger und der Unternehmen, aber ich will nicht die Aktienbesitzer und Anteilseigner retten. Das muss endlich aufhören. Auch eine Bank hat pleitezugehen, wenn sie denn pleite ist. ({18}) Wir wollen natürlich Steuergerechtigkeit. Darüber regt sich ja Herr Brüderle immer so auf. Aber jetzt sage ich Ihnen mal eines: Zu unserem Verständnis von Steuergerechtigkeit gehören auch Entlastungen - Entlastungen, die Sie gar nicht wagen. Sie wollen die berühmte „kalte Progression“ - Sie übersetzen das ja nicht - abschaffen. Das ist zwar nicht falsch, aber es reicht nicht. Wir müssen den Mittelstandsbauch beseitigen. Die Mitte der Gesellschaft zahlt hier alles; der finanziell untere Teil kann es nicht, und an den oberen trauen Sie sich nicht heran, und Sie wollen auch nicht an ihn heran. Deshalb müssen die Lehrerin, der Polizist, die Facharbeiterin, der Meister und die kleinen Selbstständigen in der Bundesrepublik Deutschland alles bezahlen. Schaffen Sie doch mit uns zusammen den Mittelstandsbauch bei der Steuer ab. Dann ginge es denen viel besser. ({19}) Allerdings müssen wir das an eine Bedingung knüpfen, nämlich an die Bedingung, den Spitzensteuersatz zu erhöhen, weil die Einnahmen aus der Lohn- und Einkommensteuer nicht sinken dürfen. Davon leben auch die Kommunen, und die sind schon heute pleite, die können nicht noch mehr pleite gemacht werden. Deshalb sage ich Ihnen: Wir brauchen diese Schritte - Freibetrag auf 9 300 Euro erhöhen, Mittelstandsbauch beseitigen und den Spitzensteuersatz erhöhen -, und dann wird die Gesellschaft gerechter, dann müssen wir über diese Dinge nicht mehr diskutieren. ({20}) Ich habe übrigens auch eine Frage an Bundesinnenminister Friedrich, der leider nicht mehr da ist. Er hat sein Veto eingelegt und gesagt: Die armen Bulgaren und die armen Rumänen dürfen nicht entscheiden, wo sie arm leben; deshalb dürfen sie nicht nach Deutschland reisen. - Das ist seine Logik, nicht meine Logik. Aber wenn es seine Logik ist, dann frage ich Sie: Warum gilt das nur für die Armen? Warum gilt das nicht für die Reichen? Warum gilt das nicht für die Konzerne? Warum dürfen die sich immer aussuchen, wo sie am wenigsten Steuern zahlen? Nein, wenn diese Logik für die Armen gilt, dann muss sie endlich auch für die Reichen und für die Konzerne gelten. ({21}) Ich sage Ihnen noch etwas zu den Konzernen. Da sagen Sie immer: Die nutzen alle Steuerschlupflöcher. Der Gesetzgeber schafft die Steuerschlupflöcher. Dann lassen Sie uns sie doch schließen. Ich möchte, dass die Konzerne dort Steuern zahlen, wo die Wertschöpfung stattfindet, wo die Produktion stattfindet, und nicht dort, wo sie fiktiv irgendeinen halben Präsidenten mit einem viertel Büro hinsetzen - und dann bezahlen sie dort, in Liechtenstein oder was weiß ich wo, die Steuern. Schluss damit! Wo etwas hergestellt wird, wo eine Dienstleistung erbracht wird, da müssen auch die Steuern gezahlt werden. Dafür müssen wir in Deutschland sorgen. ({22}) Neben der Schaffung von Steuergerechtigkeit, die wir auch in Griechenland dringend benötigen würden, ist es wichtig, dass wir endlich die Steuerpflicht an die Staatsbürgerschaft binden. Dann wäre nämlich ein Problem gelöst. Dann können die Reichen hinziehen, wohin sie wollen; aber sie bleiben, wenn sie Deutsche sind, in Deutschland steuerpflichtig, und wenn sie Griechen sind, in Griechenland steuerpflichtig. Warum setzen Sie das nicht durch? Das wäre doch ein ganz wichtiger Schritt. Das gilt übrigens in den USA - beim besten Willen, Herr Brüderle, wirklich kein sozialistisches Land. Sie können diese Regelung also einführen. Damit könnten wir die eine oder andere Katastrophe verhindern. ({23}) Wir brauchen Aufbaukredite für Griechenland. Wenn wir dort den Tourismusbereich, die Solarenergiebranche und die Schiffsindustrie aufbauten, dann hätten die Griechen auch Einnahmen. Wenn sie Einnahmen hätten, dann könnten sie auch alles zurückzahlen. Sie organisieren, dass sie gar nicht zahlungsfähig sind, sodass letztlich die deutschen Steuerzahlerinnen und Steuerzahler die Darlehen zu 27 Prozent zu bezahlen haben werden. Ein viertes gemeinsames Thema aller vier Fraktionen ist die Senkung des Rentenniveaus, die Teilprivatisierung der Rente über die Riester-Rente und die Rentenkürzung durch die Anhebung des Renteneintrittsalters um zwei Jahre durch die Rente ab 67. Sie bringen da etwas durcheinander. Wissen Sie, man kann ja mit 90 noch im Bundestag herumdödeln, ohne das es einer merkt, aber ein Dach kann man nicht mehr decken - das ist der Unterschied. Sie stellen hier also Anforderungen, die mit den Realitäten im Leben nichts zu tun haben. Außerdem leben wir doch in einer altersrassistischen Gesellschaft. Bewerben Sie sich doch mal irgendwo mit über 50! ({24}) Da haben Sie gar keine Chance. Und Sie sagen: Die Leute müssen die Rente immer später bekommen. - Das ist der falsche Weg. Die Produktivität steigt. Wenn wir endlich mal wirkliche Reformschritte gehen würden und in der nächsten Generation alle mit einem Erwerbseinkommen in die Rentenkasse einzahlen müssten, ohne Beitragsbemessungsgrenze und bei Abflachung des Rentenanstiegs für die Bestverdienenden, dann wäre alles bezahlbar, selbstverständlich auch eine Rente ab 65 Jahren ohne Senkung des Rentenniveaus bei enger Ankopplung an die Lohnentwicklung. Das wäre möglich. ({25}) Dass Sie von der FDP das nicht wollen, verstehe ich ja noch. Aber warum die SPD das nicht will und auch nur den Weg der Rentenkürzung geht, ist mir völlig unverständlich. ({26}) Es ist doch gut, dass es die Linke gibt, die dagegen argumentiert. Sonst wären die Rentnerinnen und Rentner hier diesbezüglich gar nicht vertreten. Das wäre vielleicht ein trauriger Zustand! ({27}) Das fünfte Thema ist die prekäre Beschäftigung. 25 Prozent der Beschäftigten sind prekär beschäftigt: in erzwungener Teilzeit, in Minijobs, in Leiharbeit, als Aufstocker. Zu den Aufstockern haben Sie, Frau Bundeskanzlerin, einmal gesagt, Sie seien stolz darauf, dass der Staat denen zusätzlich etwas zahlt. Wir subventionieren die Löhne mit 9 Milliarden Euro jährlich, und ich sage Ihnen: Ich halte das für einen einzigartigen Skandal. Wer in Deutschland einen Vollzeitjob hat, muss Anspruch auf einen Lohn haben, von dem er in Würde leben kann, und darf nicht noch zum Jobcenter geschickt werden. Das ist doch völlig abstrus. ({28}) Leiharbeit muss verboten werden, weil damit eine Entsolidarisierung organisiert wird. Leiharbeiter verdienen nur die Hälfte bis zwei Drittel. Dann sagt man der Stammbelegschaft auch noch: Wenn ihr nicht auf Weihnachtsgeld und Urlaubsgeld verzichtet, dann werden wir noch mehr auf Leiharbeit setzen. Auch diese Entsolidarisierung muss endlich aufhören. Wir haben den größten Niedriglohnsektor in Europa. Herr Kauder, er ist größer als der in Griechenland und in Zypern. Sie sollten sich dafür schämen. ({29}) Wir haben 9 Millionen Menschen, die trotz Arbeitsverhältnis zu wenig verdienen, und dann haben wir noch einmal 7,5 Millionen Menschen in Minijobs. Und Sie sagen, es geht allen gut? Reden Sie doch einmal mit diesen Leuten, die 4 Euro in der Stunde verdienen oder die einen Minijob haben. Denen geht es nicht gut, ganz im Gegenteil. ({30}) Es gibt den Missbrauch bei Werkverträgen. Außerdem gibt es viele befristete Verträge. Von den Beschäftigten bis zum Alter von 35 Jahren haben 52 Prozent, mehr als die Hälfte, befristete Verträge, und dann beschwert sich die Union immer und heult mir die Backen voll, dass die Deutschen aussterben, weil jedes Jahr mehr Deutsche sterben als geboren werden. Wie soll man denn verantwortungsbewusst Kinder in die Welt setzen, wenn man gerade mal einen Vertrag für ein halbes Jahr hat? Das ist doch abstrus. Außerdem gibt es 16 verschiedene Schulsysteme, weil wir 16 Bundesländer haben. Auch das gehört ins 19. und nicht ins 21. Jahrhundert. ({31}) Sie müssen also die Bedingungen verändern, dann wird es auch wieder mehr Kinder geben. Bei diesen Themen sind Sie sich alle einig. Es tut mir leid, Herr Steinbrück, Sie wollen nur eine kleine Korrektur, die Grünen wollen eine kleine Korrektur, die Koalition will bei der prekären Beschäftigung nichts korrigieren. Die einzige Partei, die prekäre Beschäftigung überwinden will, ist die Linke. Es tut mir leid, auch hier sind wir die Einzigen. ({32}) Das sechste Thema ist Hartz IV. Alle vier Fraktionen finden Hartz IV richtig und sagen: Vom Grundsatz her muss man das aufrechterhalten und nur hier und da eine kleine Korrektur anbringen. Nein, das Ganze ist demütigend und verletzend organisiert, ({33}) und wenn es um das Existenzminimum geht, dann darf man das nicht noch mit Sanktionen unterschreiten. Das verletzt Art. 1 des Grundgesetzes. Deshalb wollen wir eine sanktionsfreie Mindestsicherung, und es wird höchste Zeit, dass wir sie in Deutschland einführen. ({34}) Auch das ist eine interessante Zahl: Die durchschnittliche Verweildauer in der früheren Arbeitslosenhilfe lag 2004 bei knapp einem Jahr. Die durchschnittliche Verweildauer bei Hartz IV liegt bei 2,5 Jahren. Die Zeit hat sich mehr als verdoppelt. Das ist die Realität. Ich sage noch einmal: Ohne die Linke wären diese Themen im Bundestag nie so kontrovers diskutiert worden. Die Linke ist - ich sage es noch einmal - ein Gewinn für die Demokratie, weil wir in diesen Fragen die Mehrheit der Bevölkerung vertreten. Ohne uns wäre sie hier nicht einmal mit einem Argument vertreten. Dass wir nur eine Minderheit sind, weiß ich; aber insofern bereichern wir dieses Land. Ich finde, dass man schon allein deshalb - Sie haben mehrmals gesagt, wen man wählen muss; jetzt muss ich das auch einmal sagen - die Linke wählen muss. ({35}) Aber es geht weiter. Ich komme zur Regierung. Ich habe es schon gesagt: Von der Chancengleichheit in der Bildung sind wir meilenweit entfernt. Ihr Betreuungsgeld ist eine solche Fehlkonstruktion - wirklich, darüber muss man gar nicht diskutieren. Die Norweger haben es eingeführt und wieder abgeschafft. Wissen Sie, Herr Brüderle, arme Familien haben keine Wahlfreiheit. Die sind so dringend auf das Geld angewiesen, dass sie es auch annehmen. Damit organisieren Sie, dass deren Kinder nicht in Kindertagesstätten gehen. Damit fehlt ihnen soziale Bildung und dadurch haben sie schlechtere Voraussetzungen für Erfolg in der Schule. Was soll denn dieser Wahnsinn? Lassen Sie uns endlich Chancengleichheit für Kinder gerade in der Bildung herstellen. Es wird höchste Zeit. ({36}) Die Strompreise steigen. Sie haben nichts dagegen getan. Die Mieten steigen. Sie quatschen nur rum. Sie in der Regierung machen nichts dagegen. Das geht doch nicht! Erklären Sie mir doch einmal: Wenn Frau A auszieht und Frau B einzieht und der Vermieter in der Wohnung nichts verändert, warum darf er die Wohnung teurer machen? Wieso? Er hat doch den Wert der Wohnung gar nicht gesteigert. Was haben wir hier eigentlich für komische Regeln? Das kann man ändern, wenn man will, dass es für die Menschen erträglich wird. Natürlich brauchen wir auch mehr sozialen Wohnungsbau. Das ist doch völlig klar. ({37}) Sie können eines doch nicht leugnen: Die Entwicklung geht immer weiter auseinander. Früher gab es ein privates Nettovermögen von etwa 4,5 Billionen Euro, im Jahre 2012 waren es 10 Billionen Euro. 0,6 Prozent der Haushalte gehörte davon ein Anteil von 2 Billionen, das heißt von 20 Prozent. 50 Prozent der Haushalte - das sind in finanzieller Hinsicht die unteren Haushalte - besitzen davon 1 Prozent. 1 Prozent! 1998 besaßen diese 50 Prozent noch 4 Prozent. Die Schere geht immer weiter auseinander. Deshalb sage ich Ihnen: Wir haben eine Umverteilung von unten nach oben. Es stimmt - da hat Herr Brüderle recht -: Die hatten wir auch bei Schröder. Die haben wir aber auch bei Merkel, die haben wir bei Ihnen allen. Ich sage Ihnen: Diese Umverteilung von unten nach oben muss gestoppt werden. Wir brauchen für mehr Gerechtigkeit endlich eine Umverteilung von oben nach unten. Es wird höchste Zeit, dass wir das auch durchsetzen. ({38}) Auch in den Bereichen Gesundheit und Pflege haben Sie nichts getan. Wir haben immer noch eine Zweiklassenmedizin. Auch das ist unerträglich. Wir schlagen überall Alternativen vor. ({39}) - Das kann ich Ihnen alles erzählen, aber ich habe ja leider bloß begrenzt Zeit. Zum Beispiel: Wir brauchen keine Privatkassen. Wir müssen dafür sorgen, dass drei bis vier gesetzliche Krankenkassen das Ganze regulieren, ({40}) die Gesundheit organisieren, und zwar nach der Art der Erkrankung und nicht nach der sozialen Stellung des Patienten. Das ist das Entscheidende. ({41}) Jetzt sage ich Ihnen etwas, was die Union sehr erregen wird, aber es stimmt: Wir sind inzwischen die einzige Partei der deutschen Einheit. ({42}) - Wir. Inzwischen. ({43}) Ich will es Ihnen auch begründen. Ich sage „inzwischen“, ich sage nicht „von Anfang an“. ({44}) - Hören Sie doch einmal zu. - Ich sage „inzwischen“. Ich will Ihnen auch sagen, warum. Weil wir die Einzigen sind, die dafür kämpfen, dass man in Ost und West endlich für die gleiche Arbeit in der gleichen Arbeitszeit den gleichen Lohn erhält und für die gleiche Lebensleistung die gleiche Rente. Das machen Sie nicht. Das torpedieren Sie seit Jahren, und damit spalten Sie die Gesellschaft. ({45}) Wir waren 2009 bei der Wahl so stark, dass die Bundeskanzlerin sogar angekündigt hat, die Rentenwerte in Ost und West würden angeglichen. ({46}) Wir haben ein so gutes Ergebnis erzielt, dass CSU, CDU und FDP das sogar in ihren Koalitionsvertrag aufgenommen haben. Aber wir waren noch nicht so stark, dass Sie das auch gemacht haben. Sie haben es dann wieder gestrichen. Und jetzt sagen Sie: Es wird nie stattfinden. Die Grünen sagen: Angleichung der Rentenwerte sofort, aber ohne jede Steigerung der Ostrente. Das ist natürlich abenteuerlich, kann ich nur sagen. Ich will gar nicht weiter darauf eingehen. ({47}) Ich will aber sagen: Wir brauchen endlich die gleiche Rente für die gleiche Lebensleistung. Und wer das nicht will, der spaltet die Gesellschaft, der sorgt nicht für Einheit. ({48}) Ich komme zum Schluss und stelle Folgendes fest: Ohne die Linke herrschte in diesem Bundestag gähnende Langeweile. ({49}) - Das stimmt. Die FDP hat dem zugestimmt; darauf will ich nur hinweisen. - Das ist schon mal ein Grund, uns zu wählen und uns im Bundestag noch stärker zu machen. ({50}) Zweitens. Ohne die Linke gäbe es keinen Widerspruch einer Fraktion gegen Kriege, ({51}) Waffenexporte, falsche Euro-Rettungsschirme, gegen die Senkung des Rentenniveaus und die Rentenkürzung - die Anhebung des Renteneintrittsalters um zwei Jahre ist im Grunde eine Rentenkürzung; es sind zunächst zwei Jahre; das soll ja noch weitergehen -, gegen prekäre Beschäftigung und gegen Hartz IV. Das wäre eine Verarmung der Demokratie. ({52}) Auch deshalb ist es wichtig, diesen Widerspruch zu wählen. ({53}) Dann gibt es noch einen Punkt. Weil Sie sich bei diesen sechs Punkten in einer Konsenssoße befinden, reagieren Sie nie aufeinander. Die Grünen ändern doch nicht ihre Politik, bloß weil die FDP zulegt oder verliert. Die FDP ändert nicht ihre Politik, weil die Union zulegt. Die SPD ändert auch nicht ihre Politik. Die einzige Partei, auf die Sie alle reagieren, ist die Linke. ({54}) Deshalb ist es für die Leute so attraktiv, uns zu wählen. Sehen Sie mal: Man wählt uns, und noch bevor wir einen dummen Antrag gestellt haben, ändern Sie schon Ihre Politik. So schnell geht das. Das schafft man nur mit der Wahl der Linken. ({55}) - Doch. Ich kann Ihnen das sagen. Immer dann, wenn wir stärker werden, werden die Grünen friedlicher, und immer dann, wenn wir stärker werden, wird die SPD ({56}) sozialer. Selbst die Union bekommt dann einen kleinen sozialen Tick. Ich gebe zu: Die FDP ist dagegen gefeit. ({57}) Aber die anderen drei Parteien, die richten sich schon nach unseren Wahlergebnissen. Das ist auch ein Vorteil von uns. ({58}) Weil so viel über Koalition und Ähnliches gesprochen wird, sage ich: Liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, ich weiß, Ihre Leidensfähigkeit ist fast unbegrenzt; aber ich gebe die Hoffnung nicht auf, dass es doch irgendwo eine Grenze gibt. ({59}) Was wir wollen, ist ganz einfach, lieber Herr Gabriel: Wir wollen nicht, dass Sie links von der SPD stehen; da stehen wir doch, das ist gar nicht nötig. Aber wenigstens sozialdemokratisch könnten Sie endlich werden. ({60}) Zur Sozialdemokratie gehören keine Kriege, keine Rentenkürzungen und kein Hartz IV. Das müssen Sie endlich verstehen. Dann können wir nicht nur einen Personalwechsel anstreben, sondern endlich auch einen Politikwechsel und eine deutlich gerechtere Gesellschaft. Danke schön. ({61})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Für die Fraktion der Grünen spricht jetzt die Kollegin Katrin Göring-Eckardt.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003132, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Gysi, wissen Sie was: Angesichts dessen, was Sie hier abgeliefert haben, und angesichts dessen, wie oft Sie gesagt haben, was alles nicht ohne die Linke geht, muss man schon denken: Sie haben Sorge, nicht im nächsten Bundestag vertreten zu sein. ({0}) Das wundert mich auch nicht, wenn ich mir vor Augen führe, dass sich Ihre Umfragewerte inzwischen nicht nur in Sachsen und Thüringen halbiert haben. ({1}) Aber ich sage Ihnen eines: Mit dieser Art von Selbstgerechtigkeit helfen Sie keinem Arbeitslosen, keinem, der in Armut lebt, und noch nicht einmal den Ossis. Es braucht eine andere Politik, aber keine Schnöselsprüche von Ihnen, Herr Gysi! ({2}) Ich will auf das eingehen, was die Bundeskanzlerin immer wieder sagt: dass wir gut dastehen. 70 Prozent der Arbeitnehmer bekommen heute niedrigere Löhne als vor zehn Jahren. ({3}) Die Produktivität hat sich seit 1999 immer weiter verschlechtert. ({4}) Die Investitionsquote ist in 2012 von über 20 auf 17 Prozent gesunken. Jetzt werden Sie wieder sagen, das sei Schwarzmalerei. ({5}) Das ist aber nicht meine Erfindung. Das sagt einer der renommiertesten Wirtschaftsexperten in Deutschland, nämlich Marcel Fratzscher, der Chef des DIW. Das ist die Realität. Allerdings habe ich gelernt, Ihre Behauptung, Deutschland stehe gut da, ist nichts anderes als eine Illusion. Sie haben aber keine Lust mehr, sich bei Ihren Illusionen unterbrechen zu lassen. Sie haben auch keine Lust mehr, sich die Realität anzuschauen. Das haben wir auch am Sonntag im Fernsehduell gesehen, als jemand versucht hat, Ihnen eine Zwischenfrage zu stellen, Frau Merkel. ({6}) Tatsache ist: Ja, wir leben in einem der reichsten Länder der Erde. Aber Millionen von Menschen haben nichts von diesem Reichtum. Die Bildungs- und Aufstiegschancen sind verdammt ungleich verteilt. Der Zugang zu dieser Gesellschaft ist reglementiert. Sie ist an vielen Stellen eine blockierte und an vielen Stellen eine geschlossene Gesellschaft. Akademikerkinder haben eine sechsmal höhere Chance, ein Studium aufzunehmen, als Kinder von Eltern ohne Studium. Dem reichsten 1 Prozent der Bevölkerung gehören 35 Prozent des gesamten Vermögens, den reichsten 10 Prozent sogar zwei Drittel. Nein, Deutschland geht es nicht gut. In Deutschland geht es nur einigen gut. ({7}) Wenn Sie sagen: „Deutschland steht gut da“, dann meinen Sie mit Deutschland nicht die Deutschen, sondern die Privilegierten. ({8}) Das ist der Unterschied zwischen Ihnen und uns, Frau Merkel. ({9}) Wir brauchen keine Politik für wenige, für diejenigen, die die Handynummer der Kanzlerin oder wenigstens die des Kanzleramtsministers haben. Wir brauchen eine Politik für alle Menschen, egal ob gut verdienend oder Hartz-IV-Bezieher, egal ob sie alleinstehend sind oder in einer Familie leben, egal ob reiche oder arme Eltern, egal ob in Deutschland geboren oder anderswo. Eine bessere Zukunft muss für alle möglich sein, eine Zukunft mit intakter Infrastruktur, mit einem guten und bezahlbaren System sozialer Sicherheit, selbstverständlich mit funktionierenden öffentlichen Institutionen und einem Bildungssystem, in dem die Chancen gleich verteilt sind. Um all das zu schaffen, fehlen aber entscheidende Voraussetzungen, nämlich ein handlungsfähiger Staat und eine handlungsfähige Regierung. Ja, es fehlt auch eine handlungswillige Kanzlerin in diesem Land, um die Situation zu verbessern. Diese Kanzlerin handelt jedoch nicht, meine Damen und Herren. ({10}) Das liegt nicht daran, dass sie Ossi ist. Das liegt auch nicht daran, dass sie Frau ist. Das liegt noch nicht einmal daran, dass sie Tag und Nacht per Babyfon Herrn Seehofer betreuen muss, weil der permanent herumschreit, und deswegen nicht zum Regieren kommt. ({11}) Frau Merkel handelt deswegen nicht, weil sie keine Ideen für die Zukunft hat; weil sie auf Sicht fährt; weil sie am Gängelband der FDP hängt; weil sie sich von der Krise das Programm hat schreiben lassen, anstatt Ideen zu entwickeln. Ihnen macht Regieren Spaß, haben Sie gesagt, Frau Merkel, weil es an jedem Morgen neue Probleme gibt. - Wir hätten am Abend gern mal wenigstens für eines der Probleme eine Lösung gesehen. ({12}) Frau Bundeskanzlerin, jetzt ist eine neue Phase angebrochen, eine, in der ohne Ideen nichts mehr geht, eine, in der es ohne Ideen zu immer neuen Krisen kommt, nicht nur im Inland, sondern auch im Ausland. Es reicht nicht mehr, herumzulavieren, es reicht nicht mehr, abzuwarten - nicht in Europa, nicht gegenüber Russlands homophobem Diktator und erst recht nicht in der Energiepolitik. Sie sind dabei, das Land müde zu lächeln. Wir brauchen aber dringend einen Aufbruch, Frau Merkel; deswegen braucht es den Wechsel. ({13}) Bisher haben Sie in Europa ein Krisenmanagement gemacht. Jetzt müssten Sie eigentlich einmal sagen, wohin Sie mit Europa wollen. Wir sind doch ein Europa der Menschen und nicht ein Europa der Banken. Und, ja, wir brauchen Leidenschaft für ein Europa, in dem junge Leute Hoffnung haben, egal ob ihre Muttersprache Griechisch ist oder Deutsch, ein Europa, das endlich vorangeht mit der Energierevolution. Dank Ihrer Politik schaffen wir das noch nicht einmal in Deutschland, Frau Merkel. ({14}) Sie stellen sich hierhin und sagen: Keinen Cent für die Griechen ohne Gegenleistung! ({15}) Kurz vor der Wahl, Frau Merkel, fangen Sie wieder an mit einem „faule Griechen“-Revival. ({16}) Ich finde das beschämend: die Beschimpfung eines Landes, das extrem viel geleistet hat und auf das Sie ohne Ende Druck ausgeübt haben, Frau Merkel. Man kann es vielleicht so zusammenfassen: Mit der schwarz-gelben Regierung regiert die Ideenlosigkeit, es regiert das Motto „Gemeinsam gleichgültig“. Die Verschuldung der öffentlichen Hand ist unter Kanzlerin Merkel so stark gestiegen wie unter keinem Bundeskanzler zuvor. Diese schwarz-gelbe Regierung hat über 100 Milliarden Euro neue Schulden aufgenommen. Frau Merkel, das ist eine sensationelle Katastrophe und kein sensationeller Erfolg, wie Sie es hier behauptet haben. ({17}) Insgesamt sind das 500 Milliarden Euro mehr. Sagen wir es einfach einmal so: Diese Regierung steckt knietief im Dispo; die Zinsen und Zinseszinsen müssen unsere Kinder und Kindeskinder zahlen. Generationengerechtigkeit geht anders, meine Damen und Herren. ({18}) Auch was die öffentliche Infrastruktur angeht, muss man feststellen: Sie haben keine Ideen. Wir leben in Deutschland längst von der Substanz. Seinen wirtschaftlichen Erfolg hatte dieses Land einstmals der guten Infrastruktur zu verdanken. ({19}) Die geht jetzt den Bach herunter: Der Bahnhof einer Landeshauptstadt ist tagelang außer Betrieb. ({20}) Sagen Sie jetzt bloß nicht: „Schuld sind die anderen“, Frau Merkel! An vielen Orten sind die Straßen kaputt, sind Brücken baufällig. In öffentlichen Gebäuden fällt der Putz von der Decke. ({21}) Städten und Kommunen fehlen insgesamt 128 Milliarden Euro. ({22}) Es fehlen die Steuereinnahmen, um die Mängel endlich zu beseitigen und diesen Investitionsstau zu beheben. ({23}) Ich weiß, Herr Brüderle, dass Sie da nie hingehen, dass Sie sich woanders herumtreiben - mit Ihren Lobbyisten Kaffee trinken gehen -, statt einmal zu schauen, wie es in den Schulen dieses Landes aussieht. ({24}) Man muss sich einmal mit dem tatsächlichen Leben beschäftigen, anstatt nur auf BIP-Zahlen zu schauen. Wo bleiben Ihre Ideen für gute Kinderbetreuung, für Kinderbetreuung, die gut ist für Kinder und nicht für die Statistik von Frau Schröder? Ist es das Beste für das Kind, wenn man, um einen Kinderbetreuungsplatz zu bekommen, 20 Bewerbungen abschicken muss? Nein, da geht es um Milliarden, die fehlen. Frau Merkel, Sie haben eben gesagt, dass wir mehr Geld für Kinderbetreuung brauchen. Aber was machen Sie stattdessen? Sie schmeißen für das Betreuungsgeld jedes Jahr 1 Milliarde Euro zum Fenster hinaus. Das Betreuungsgeld gehört abgeschafft. Dann können wir endlich in Kitas investieren. ({25}) Ich vermisse eine Idee für den Bereich Bildung. Kooperationsverbot - das haben Sie eingeführt - und eine Lücke von 20 Milliarden Euro bei den Bildungsinvestitionen, das ist Ihre Bilanz. Wir waren einmal Bildungsnation, und wir waren stolz darauf. ({26}) Heute bleiben so viele Kinder wie nie unter ihren Möglichkeiten, nur weil sie im falschen Stadtteil wohnen, den falschen Vornamen haben oder weil ihre Großmutter nicht in Deutschland geboren wurde. Das ist Ihre Verantwortung. Das muss sich ändern mit Investitionen in Bildung und mit mehr Bildungsgerechtigkeit in einem Land, das es sich definitiv leisten kann. ({27}) Ich will wissen, wen Sie eigentlich meinen, wenn Sie sagen: Uns geht es gut. - Meinen Sie die 7 Millionen Menschen, die in Deutschland für weniger als 8,50 Euro pro Stunde arbeiten? Meinen Sie die 2,5 Millionen Menschen, die inzwischen mehrere Jobs haben? Früher hielten wir das für amerikanische Verhältnisse, heute ist das in Deutschland selbstverständlich. Meinen Sie die 3 Millionen Frauen, die ohne eigenständige Altersabsicherung in Minijobs arbeiten, die Angst vor Armut haben? ({28}) Frau Merkel, meinen Sie mit „Deutschland steht gut da“ die Menschen, die in Schlachthöfen für 4 Euro pro Stunde arbeiten, und zwar unter katastrophalen Bedingungen, die mit Arbeitsschutz nichts zu tun haben? 8,50 Euro Mindestlohn, Leiharbeit, die gleich bezahlt wird, und endlich kleine Jobs, die man sich auch leisten kann und bei denen nicht Altersarmut vorprogrammiert ist - das ist die Alternative zu Ihrer Politik, Frau Merkel. ({29}) Man kann nicht bei denjenigen kürzen, die es am nötigsten haben. Wenn man in den Bundeshaushalt schaut, dann sieht man: Sie haben bei den Langzeitarbeitslosen, bei den Alleinerziehenden und bei den Berufsrückkehrern gekürzt. Frau Merkel, Sie haben gemeinsam mit Frau von der Leyen am Anfang der Legislaturperiode die Republik darauf hingewiesen, dass es eine Armutsgefährdung in Teilen der Bevölkerung gebe, gerade im Alter. ({30}) - Ja, das stimmt. Und was haben Sie gemacht? Der Entwurf der Rentenreform ist im täglichen Gezänk mit der FDP immer kleiner und kleiner geworden, und am Schluss hat er sich komplett in Luft aufgelöst. Wir brauchen endlich die Bekämpfung der Altersarmut mit einer Garantierente gerade für die Frauen in dieser Republik, die es durch Arbeit nicht mehr schaffen können, für eine entsprechende Rente zu sorgen. Wir müssen dafür sorgen, dass sie mit einer Garantierente im Alter abgesichert sind und nicht in Armut fallen. ({31}) Ideen bei der Gesundheitsversorgung? Fehlanzeige! Wer gesetzlich krankenversichert ist, wartet nicht nur doppelt so lange auf den Termin beim Hausarzt, er wartet dann auch noch doppelt so lange, bis der Facharzt Zeit hat. Fragen Sie mal Alte, chronisch Kranke oder Menschen mit Behinderung, dann hören Sie, dass ihnen mehr und mehr Leistungen vorenthalten werden. Fragen Sie einmal die Ärzteschaft und nicht die Lobbyisten: Diese sagt Ihnen längst mehrheitlich, sie wolle eine Bürgerversicherung. ({32}) Ich will, dass wir endlich wieder dahin kommen, dass man, wenn man beim Arzt anruft, gefragt wird, was einem fehlt, und nicht, welche Versicherungskarte man hat. Das ist der Unterschied zwischen Ihnen und uns, Frau Merkel. ({33}) „Deutschland steht gut da.“ - Fragen Sie einmal die Flüchtlinge, die hierherkommen und die hoffen, dass sie endlich in Sicherheit sind. Diese müssen hören, dass wir eine Krise hätten oder überfordert seien. Anstatt mit dem Blick auf die furchtbare Situation in Syrien die Türen zu öffnen und mehr Flüchtlinge aufzunehmen und zu sagen: „Natürlich können wir sie hier in Deutschland sicher unterbringen“, ({34}) machen Sie die Tür wieder zu und reden von Überforderung in unserem Land mit Herrn Friedrich an der Spitze. ({35}) Fragen Sie einmal die jungen Leute, ob es ihnen gut geht, die Sie zwingen, sich entweder gegen das Land zu entscheiden, in dem sie aufgewachsen sind, oder gegen das Land, in dem ihre Großeltern geboren wurden. Wo ist Ihre Idee von einem Land, in dem man gut leben kann, gerade wenn man unterschiedlich ist? Jeder weiß doch, dass nur solche Gesellschaften erfolgreich sind, Frau Merkel. Nein, Ihr „Deutschland geht es gut“ hat nichts mit der Lebensrealität der Menschen hier zu tun. ({36}) Meine Damen und Herren, für diese schwarz-gelbe Bundesregierung ist Deutschland kein Gemeinwesen, sondern eine einzige Lobbyrepublik. Diese Kanzlerin und ihre Regierung haben keine Idee von sozialer Gerechtigkeit. Man braucht sich nur den Bundeshaushalt anzuschauen: Sie kürzen bei den Kindern, bei den Arbeitslosen, bei den Kranken, bei der Entwicklungszusammenarbeit mit den armen Ländern und zeigen den Mietern die kalte Schulter. Anderswo haben Sie aber mächtig draufgelegt. Ihre Hotelsteuer hat uns inzwischen 4 Milliarden Euro gekostet, und wir geben permanent 1,8 Milliarden Euro für ein Dienstwagenprivileg aus, mit dem wir Geländewagen fördern. ({37}) Einen solchen Dienstwagen braucht vielleicht ein Förster oder ein Bauer, aber niemand, der normal zur Arbeit und wieder zurück fährt. Hier könnten Sie eine riesige Einsparmöglichkeit nutzen. Dann bräuchten Sie nicht bei den Armen und Arbeitslosen zu sparen, Frau Merkel. ({38}) Man kann das alles zusammenfassen, wie Herr Laumann das gemacht hat. ({39}) Ihr CDU-Freund aus Nordrhein-Westfalen hat wörtlich gesagt: Sozialpolitisch waren die schwarz-gelben Regierungsjahre verlorene Jahre. - Ich finde, er hat recht. Leider! ({40}) Deutschland könnte bei der großen Aufgabe unserer Zeit, der Energiewende, so gut dastehen, aber bei Ihnen, bei Schwarz-Gelb, herrschen Ideenflaute und handwerkliche Inkompetenz. Sie wollen die Dynamik bremsen, haben Sie hier gesagt. Sie haben hier wieder die Ausbaubremse für erneuerbare Energien angekündigt, Frau Merkel. ({41}) Ehrlich gesagt glaube ich, Schwarz-Gelb die Energiewende machen zu lassen, ist ungefähr so schlau, wie wenn man Lehman Brothers beauftragen würde, die Euro-Krise zu managen. Das wirklich Tragische daran ist: Die schlechte Umsetzung ist von Ihnen auch politisch gewollt. Sie fahren die Energiewende sehenden Auges an die Wand, und die Energiekonzerne lachen sich mit ihren Kohlekraftwerken und Renditen am Ende noch ins Fäustchen. ({42}) Wir produzieren so viel Kohlestrom wie Anfang der 90er-Jahre. Das hat nichts mehr mit Energiewende zu tun, sondern das ist eine Konterrevolution in der Energiepolitik. ({43}) Dafür, dass der CO2-Aussstoß steigt, tragen Sie Verantwortung, Frau Merkel. Das hat große Folgen für den Klimawandel und unsere Umwelt, weswegen Sie sich mehr mit der Frage beschäftigen sollten, wie es mit den erneuerbaren Energien weitergeht. Es mag Ihnen ja pathetisch vorkommen, aber ich bleibe dabei: Ich will, dass auch noch unsere Enkel Zitronenfalter nicht nur aus dem Lehrbuch kennen. ({44}) - Ja, ich weiß, dass Ihnen so etwas völlig egal ist. - Ich bleibe dabei, dass ich will, dass auch noch die, die nach uns kommen, saubere Luft atmen können, und ich bleibe auch dabei, dass ich will, dass wir unseren Lebensstil nicht auf Kosten der ärmsten Weltregionen leben. Deswegen brauchen wir die Energiewende. ({45}) Ich bleibe auch dabei, dass wir, statt jedes Jahr 1 Milliarde Euro in die Massentierhaltung zu stecken, endlich dafür sorgen sollten, dass gesundes Essen und Tierschutz zusammenkommen und dass nicht inzwischen die Tiere so viele Antibiotika bekommen, dass die Weißwurst eines Tages wahrscheinlich rezeptpflichtig wird, Frau Aigner. ({46}) Sie lassen die Menschen ganz nebenbei auch noch bei der Stromrechnung im Regen stehen. Es gibt in Deutschland millionenfach Stromarmut, und es hat nichts mit Marktwirtschaft zu tun, dass die Verbraucher immer mehr bezahlen müssen, obwohl der Börsenstrompreis durch die erneuerbaren Energien sinkt. Herr Brüderle, als Sie als Wirtschaftsminister angefangen haben, betrug die EEG-Umlage 1,5 Cent. Jetzt sind es 5,5 Cent. Das ist Ihre Verantwortung! Das ist Ihre Energiepolitik und das Ende einer Strompreisverantwortung für die Verbraucherinnen und Verbraucher. ({47}) Die Zeche Ihrer Politik zahlen die Mittelständler, der Student und die Oma von nebenan. ({48}) Die Zeche zahlen diejenigen, die es sich nicht leisten können. Deswegen sagen wir ganz klar: Mit einer anderen Politik könnten wir sofort 4 Milliarden Euro einsparen und den Strompreis senken. Man kann erreichen, dass der Strom und die Energie bezahlbar bleiben, weil uns Sonne und Wind keine Rechnungen schicken und indem wir dafür sorgen, dass es keine sinnlosen Ausnahmen - nicht beim Fracking, nicht bei der Kohle - und auch kein Ausweichen derjenigen mehr gibt, die heimlich schon wieder über neue Laufzeitverlängerungen für Atomkraftwerke nachdenken. ({49}) Sie haben keine Ideen, und damit werden natürlich die Spielräume der kommenden Generationen eingeengt. Ausgerechnet Sie, Herr Brüderle, an der Spitze werfen uns vor, wir wären eine Verbotspartei. ({50}) Da kann ich nur sagen, lieber Herr Brüderle: Lieber einmal in der Woche freiwillig Spinat mit Ei als jahrelang unfreiwillige Überwachung durch die NSA. ({51}) Da wir schon dabei sind, will ich Ihnen ein paar Verbote nennen, die wir gern abschaffen wollen: das Adoptionsverbot für Lebenspartnerschaften, ({52}) das Verbot einer Arbeitsaufnahme für Asylbewerber, ({53}) das Verbot der doppelten Staatsbürgerschaft - abschaffen! -, ({54}) Wettbewerbshürden im Energiemarkt - abschaffen! -, gerne auch das Verbot, Fahrräder im ICE mitzunehmen. ({55}) Einführen wollen wir auch etwas. Wir wollen zum Beispiel das Verbot einführen, Rüstungsgüter an Diktatoren zu liefern. Ja, hier verbieten wir gerne etwas. ({56}) „Deutschland steht gut da“, sagen Sie. Ja, Deutschland steht. Obwohl viele etwas tun, bewegt sich unter Ihrer Regierung nichts mehr. Deutschland wird sich aber anstrengen müssen: ökologisch, ökonomisch und eben auch sozial. Aber dafür braucht es Leidenschaft. Dafür braucht es eine Regierung, die etwas bewegen will, und keine, die sich selbst verwaltet. Dafür braucht es eine Regierung, die einen Plan hat und eine Vision, eine Idee davon, wohin es gehen soll. Ihre Regierung, die nur an BIP und Bonus denkt, Frau Merkel, und Ihre Art, das Land stillzulächeln, haben ausgedient. Es braucht eine neue Regierung. Es braucht Bewegung - jetzt! ({57})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt der Bundesfinanzminister Dr. Wolfgang Schäuble. ({0})

Dr. Wolfgang Schäuble (Minister:in)

Politiker ID: 11001938

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte gerne, bei allem Respekt, Frau Göring-Eckart, vor Spinat mit Ei, wieder zur Lage unseres Landes zurückkehren. ({0}) - Liebe Kolleginnen und Kollegen, Wahlkampf ist eine wichtige Veranstaltung. Aber wir sollten auch im Wahlkampf unsere Mitbürgerinnen und Mitbürger ernst nehmen. Deswegen sollten wir auch im Wahlkampf die Debatte über die Lage unseres Landes mit Argumenten, mit Fakten und mit Programmen führen. Wir sollten hier weiterkommen. ({1}) Herr Kollege Steinbrück, ich möchte mich gerne mit Ihnen auseinandersetzen. Sie haben gefragt, wohin unser Land in den letzten Jahren gegangen ist. Die Antwort lautet: Aufwärts! Die Bundeskanzlerin hat in einer sehr eindrucksvollen Rede ({2}) beschrieben, wie die Lage gewesen ist, in die wir als Folge der Finanz- und Wirtschaftskrise geraten sind. Wir hatten im Jahre 2009 einen Rückgang unseres Bruttoinlandsprodukts um über 5 Prozent zu verzeichnen; eine Erfahrung, die wir seit der Währungsreform nicht kannten. Als Folge dessen hatten wir für das Jahr 2010 einen Haushaltsentwurf mit einer hohen Neuverschuldung erstellt. Das haben wir in der Großen Koalition gemeinsam gemacht. Heute sind wir in derselben Situation. Der Haushalt, den die Regierung im Juni aufgestellt hat, wird das Gerüst für die nächste Legislaturperiode sein, auch nach den nächsten Wahlen. Wir haben nämlich diesen Haushalt im Gerippe mit den Rahmendaten übernommen, und dann musste für 2010 eine Neuverschuldung von 86 Milliarden Euro eingeplant werden. Die Bundeskanzlerin hat schon daran erinnert, dass in der mittelfristigen Finanzplanung für diese vier Jahre - das vergessen Sie in Ihren Reden gelegentlich, Herr Steinbrück - 262 Milliarden Euro vorgesehen waren bzw. vorgesehen sein mussten. Das war die Ausgangslage. Daraus sind nun knapp 100 Milliarden Euro geworden. Das sind knapp 40 Prozent dessen, was vorgesehen war. Dazu kann man nur sagen: Es ist wohl ein bisschen aufwärtsgegangen in den Jahren seit 2010. ({3}) Natürlich gibt es eine Menge von Problemen. Die wird es übrigens immer geben, und die globalisierte Welt sorgt dafür, dass der Druck der Wettbewerbsfähigkeit immer stärker wird. Das wird auf unseren Arbeitsmarkt und auf vieles andere Auswirkungen haben. Ich habe übrigens, Herr Kollege Steinbrück, als zweimaliger Innenminister manche Tarifverhandlungen geführt. Einstmals waren sie ganz schwierig, weil wir noch eine Arbeitgebergemeinschaft von Bund, Ländern und Kommunen waren. Deswegen verstehe ich ein bisschen was von Tarifautonomie. Auch war eine Erfahrung aus der Überwindung der Finanz- und Wirtschaftskrise, dass unsere soziale Partnerschaft in Deutschland wesentlich dazu beigetragen hat, dass wir die Krise besser überstanden haben als andere. Ein wesentliches Element unserer sozialen Partnerschaft ist die Tarifautonomie. In allem Ernst, Herr Kollege Steinbrück: Wenn Sie sich mit Freunden in der Gewerkschaft verständigen oder sich informieren lassen, wie die Tariflandschaft aussieht, wird deutlich: Es gibt Zehntausende von Tarifverträgen, die sehr individuell angepasst sind, sei es regional oder strukturspezifisch für die einzelnen Betriebe. ({4}) Das ist ein unendlich enges Geflecht. Es ist das Ergebnis von Tarifautonomie: ein Qualitätssiegel unseres Standorts Deutschland. Reden Sie nicht von einem Flickenteppich, wenn wir sagen: Wir wollen auch den Mindestlohn durch die Tarifpartner regeln lassen statt von einem Gesetzgeber, der nicht so viel weiß! Mit Einheitsregeln geht es doch schief. ({5}) In allem Ernst: ({6}) Die Einkommen sind in den letzten drei Jahren durchschnittlich um 3 Prozent jährlich gewachsen. Wir haben im Augenblick so viele Menschen in Arbeit wie nie zuvor. Die Arbeitslosenquote ist die niedrigste seit der Wiedervereinigung. - Herr Gysi ist leider nicht mehr anwesend; deswegen will ich nicht näher darauf eingehen. Ich fand es aber schon irgendwie süß, dass ausgerechnet Herr Gysi mir erklärt, wie es mit der deutschen Einheit ist. ({7}) An diese Geschichte habe ich noch zu starke Erinnerungen. Aber ich mache es mit ihm persönlich aus. Herr Gysi ist ja immerhin amüsant. ({8}) - Ich komme gleich darauf zurück. Hören Sie sich einfach ein paar Fakten an! ({9}) Wir haben die niedrigste Arbeitslosenquote seit der Wiedervereinigung. Die Langzeitarbeitslosigkeit ist am stärksten gesunken. Die Zahl der Hartz-IV-Empfänger sinkt am stärksten. Das sind Realitäten. Die OECD hat im Mai einen Bericht vorgelegt. Ich habe ihn dabei und könnte lange daraus zitieren. Darin heißt es: Im Gegensatz zu fast allen anderen OECD-Ländern ist in Deutschland die Kluft zwischen den höheren Einkommen und den geringen Einkommen nicht gewachsen, sondern gesunken. ({10}) - Entschuldigung, Herr Steinbrück: laut OECD-Bericht vom Mai 2013 in den vergangenen Jahren. ({11}) Jetzt kommt der nächste Punkt: Die Korrektur der Bruttoeinkommen gegenüber den Nettoeinkommen durch Steuern und Beiträge ist in Deutschland stärker als in fast allen anderen OECD-Staaten. Sie reden wirklich gegen jede Realität. Deswegen haben Sie nichts mit der Wirklichkeit in diesem Lande zu tun. ({12}) Dies alles haben wir im Übrigen erreicht, indem wir ein stabiles Wachstum haben. Die deutsche Wirtschaft ist seit 2009 real um 8 Prozent gewachsen. In der ersten Haushaltsdebatte haben Sie damals die Bundeskanzlerin gefragt: Wo wollen Sie eigentlich hin? Wo wollen Sie Ende 2013 sein? - Sie hat dann gesagt: Wenn wir im September 2013 da wären, wo wir vor dieser schlimmen Krise waren, wäre es schön. Ich ziehe Bilanz: Der Einbruch betrug 5,1 Prozent. Wir haben 8 Prozent reales Wachstum. Frau Bundeskanzlerin, wir haben Ihr Ziel etwas übererreicht. Genauso haben wir auch die Schuldenbremse eingehalten. Die Neuverschuldung beträgt nicht 86 Milliarden Euro. Der Haushalt für das kommende Jahr sieht noch eine Neuverschuldung von 6 Milliarden Euro - ohne strukturelles Defizit - vor. Bevor Sie weiterhin die unsinnige Behauptung verbreiten, das habe nur mit den niedrigen Zinsausgaben zu tun, will ich Ihnen einfach sagen: Die Zinsausgaben im Haushalt 2014 belaufen sich zwar auf 4 Milliarden Euro weniger als im Haushalt 2010. Aber mit 4 Milliarden Euro weniger Zinsausgaben ist es schwierig, zu erklären, dass wir in der Zwischenzeit ein strukturelles Defizit von 46 Milliarden Euro völlig beseitigt haben. Das ist der Erfolg der Politik dieser Regierung. ({13}) Zur Situation unseres Landes gehört, dass das wirtschaftliche Umfeld auch heute schwierig ist. Die für manche fast schon zur Sicherheit gewordene Erkenntnis, dass das Wachstum aus einer Reihe von Schwellenländern kommt - das wird uns, Frau Bundeskanzlerin, beim G-20-Gipfel neben den drängenden weltpolitischen Themen vielleicht sehr beschäftigen -, ist nicht mehr so sicher. Deswegen ist es gut, dass wenigstens Deutschland - inzwischen auch wieder die Euro-Zone - ein reales Wachstum erzielt. Das alles ist in einem schwierigen Umfeld mühsam. Wir haben im Übrigen dieses Wachstum - auch das gehört zur Lage unseres Landes - durch die Steigerung der Inlandsnachfrage erreicht. Die Gesellschaft für Konsumforschung hat ermittelt: Das Konsumklima ist seit 2007 niemals so gut gewesen wie heutzutage. Das Zerrbild, das Sie von der Wirklichkeit der Menschen malen, steht im diametralen Gegensatz zu den statistischen bzw. tatsächlichen Daten. Sie haben daher auch kein Rezept für die kommenden Jahre; denn wenn Sie sich der Wirklichkeit verweigern, können Sie die Zukunft nicht gestalten. Das ist eine ganz einfache Sache. ({14}) Herr Kollege Steinbrück, Sie haben über die Lage der Kommunen geredet. Dazu will ich Ihnen nur einmal ein paar Fakten - es gibt den sogenannten Faktencheck zur Sendung - nennen. Jeder Kommunalpolitiker wird, wenn er nicht gerade an einer Parteiveranstaltung von Rot oder Grün teilnimmt, zugeben: Diese Legislaturperiode mit unserer Bundespolitik war die kommunalfreundlichste Legislaturperiode in der Geschichte der Bundesrepublik. ({15}) - Nein, nicht dank des Bundesrates, sondern dank der Tatsache, dass diese Bundesregierung Wort gehalten und die Kosten der Grundsicherung im Alter in voller Höhe übernommen hat. Sie von Rot-Grün haben diese Kosten zur Hälfte auf die Kommunen übertragen. Wir haben diese Kosten in voller Höhe übernommen und entsprechende Mittel in den Bundeshaushalt eingestellt. Das sind im Haushalt 2014 rund 4,5 Milliarden Euro, um die wir die Kommunen entlasten. ({16}) - Nicht ausweichen! - Wir haben die Kommunen bei der Erfüllung des Rechtsanspruchs auf einen Kinderkrippenplatz nicht alleingelassen. Wir haben über 5 Milliarden Euro aus Bundesmitteln in Kinderkrippen investiert. Wir werden des Weiteren in den kommenden Jahren Zuschüsse in Höhe von 850 Millionen Euro jährlich leisten. Wir haben die Kommunen auf diesem Weg nicht alleingelassen. ({17}) Im Übrigen will ich noch sagen: Die Ausgaben beliefen sich im Bundeshaushalt 2010 auf 303 Milliarden Euro. Ohne Berücksichtigung der Mittel für den Fluthilfeopferfonds, die in diesem Jahr hinzukommen - diese kleine Ausnahme haben wir noch nicht eingeplant -, haben wir die Höhe der Ausgaben von 2010 in keinem Jahr überschritten. Wir sind bei 303 Milliarden Euro geblieben. Der Haushalt, den wir im Juli im Kabinett eingebracht haben, sieht ein Ausgabenniveau von 295 Milliarden Euro vor. Das ist das Ergebnis unserer konsequenten Politik der Rückführung der Neuverschuldung. Damit machen wir unsere Finanzpolitik sowie die öffentlichen Haushalte und die sozialen Sicherungssysteme tragbar. ({18}) Da Sie wieder eine Debatte über Griechenland angefangen haben, die so überflüssig ist wie ein Kropf: Griechenland ist - ({19}) - Ganz langsam! - Mit Genehmigung des Präsidenten möchte ich gerne den Wortlaut meiner Regierungserklärung vom 30. November 2012 zitieren. ({20}) Als wir das zweite Griechenland-Paket dem Bundestag zur vorherigen Zustimmung vorgelegt haben, habe ich das erläutert und wörtlich gesagt: … wenn danach ein weiterer Finanzbedarf bestehen sollte, dann werden wir Griechenland … zur Wiedererlangung des Marktzugangs weiter Hilfestellung geben, unter der Voraussetzung, dass Griechenland die Programmauflagen uneingeschränkt erfüllt. Dieses Programm hat eine Laufzeit bis Ende 2014. Die Schuldentragfähigkeitsanalyse unterstellt, dass Griechenland erst nach 2020 unter die Grenze von 120 Prozent Gesamtverschuldung im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt kommen kann. Deswegen war immer klar: Es kann einen begrenzten weiteren Finanzierungsbedarf geben. Den werden wir aber Mitte 2014 feststellen - nicht mehr und nicht weniger. Ich füge hinzu: Griechenland ist in einer schwierigen Lage. Das habe ich oft genug gesagt. Deswegen müssen wir auch Respekt vor den Menschen in Griechenland haben. Aber Griechenland erfüllt seit der Aufstellung dieses zweiten Programms das, was in dem Programm vereinbart worden ist. Griechenland liegt bei der Defizitreduzierung im Plan, sie erfolgt sogar etwas schneller. Die Wirtschaft entwickelt sich etwas weniger schlecht als befürchtet. Der Tourismus in Griechenland zieht wieder an. Griechenland hat seine Arbeitskosten um 13 Prozent gesenkt, es gibt wieder Exporte, auch in Drittländer. Griechenland ist noch lange nicht über den Berg, aber die Entwicklung zeigt: Unsere Politik zur Verteidigung der gemeinsamen europäischen Währung, ohne die wir den wirtschaftlichen und sozialen Stand in unserem Lande nicht hätten, ist richtig, sie zeitigt Erfolge, und der Euro bleibt stabil. ({21}) Deswegen sind wir auf einem guten Weg. Das hat mit dem Wahltermin nichts zu tun. ({22}) - Entschuldigung. - Die Troika überprüft vierteljährlich vor der Auszahlung der nächsten Tranche und fährt dazu nach Athen. Ich sage Ihnen jetzt schon: Ende September fährt die Troika wieder nach Athen. Damit Sie nicht auf die Idee kommen, der Zeitpunkt sei mit Absicht so gewählt, dass er nach der Wahl liegt: Er liegt in der Tat nach der Wahl, aber das dritte Quartal endet nun einmal am 30. September. Das ist meistens so, auch in diesem Jahr. ({23}) Die Troika fährt übrigens Ende Dezember wieder dorthin. Also reden Sie nicht einen solchen Unsinn. Wir sagen das, was wir wissen, und über das, was wir erst nächstes Jahr wissen können, entscheiden wir im nächsten Jahr. Dann ziehen wir die Konsequenzen. Wir sind auf dem richtigen Weg. Herr Steinbrück, Sie haben noch etwas gesagt. Ich wundere mich sowieso über Sie. Manchmal denke ich, man sollte nicht Finanzminister gewesen sein, wenn man als Kanzlerkandidat der SPD auftritt. Dann muss man offenbar Dinge erzählen, die furchtbar sind. ({24}) Sie haben es doch schon einmal besser gewusst. Ich spreche von der Bankenunion. ({25}) Sie haben eine Bemerkung zur Bankenrekapitalisierung gemacht, die unsäglich für einen von mir geschätzten Amtsvorgänger war. ({26}) Wir müssen es nicht schlimmer machen, als es ist. Es ist doch klar: Eines der zentralen Probleme bei der Stabilisierung unserer gemeinsamen europäischen Währung ist, dass es uns besser gelingen muss, die Risiken aus dem Finanzsektor von den Risiken der Staatsverschuldung zu trennen. Das ist die Aufgabe einer Bankenunion. Dazu brauchen wir die notwendigen rechtlichen Grundlagen. Deswegen brauchen wir auch eine begrenzte Vertragsänderung, die wir über Nacht nicht bekommen. Deswegen hat die Bundeskanzlerin mit dem französischen Präsidenten Hollande schon im Sommer gesagt, dass wir gemeinsam mit Frankreich einen Zweistufenplan vorschlagen und jetzt das machen, was nach den geltenden Verträgen zweifelsfrei und auf einwandfreier Grundlage möglich ist, und danach den zweiten Schritt machen. Das alles muss erst gemacht und eine klare Haftungskaskade eingeführt werden. ({27}) Die Eigentümer, also die Aktionäre - das muss man Herrn Gysi einmal erklären -, verlieren ihr Geld immer; aber wenn die Bank pleitegeht, dann sind die Einlagen futsch, und das ist ein Problem für die Einleger und im Übrigen natürlich vor allen Dingen für die Stabilität des Finanzsystems als Ganzem. Deswegen haben wir in jener schrecklichen Krise 2008 und 2009 das zu Recht verhindert. Wenn wir aber die Haftungskaskade haben - Eigentümer, Anleihegläubiger, dann erst die Mitgliedstaaten und am Schluss die Gemeinschaft des ESM -, dann brauchen wir eine stärkere europäische Bankenaufsicht; denn Sie können Banken - auch das ist eine Lehre von 2008/2009 - nicht mehr nur durch nationale Institutionen beaufsichtigen, weil die alle grenzüberschreitend tätig sind. Weil alle diese Probleme nur auf europäischer Ebene gelöst werden können, beschreiten wir diesen Weg. In dieser Reihenfolge geht es voran. Im ersten Teil Ihrer Rede sagten Sie, wir trieben die Länder an den Rand der Armut, weil wir so streng seien, und im zweiten Teil Ihrer Rede sagten Sie, wir seien Luftikusse, die nicht darauf achteten, dass die Regeln eingehalten würden. Ich sage Ihnen: Es gab eine Debatte, wenn auch nicht in unserem Land, sondern außerhalb, ob Europa immer deutscher wird, weil wir in der Tat Wachstumslokomotive und Stabilitätsanker derzeit sind und sein müssen. Aber wir wollen kein deutsches Europa, wenn ich Sie, Frau Bundeskanzlerin, zitieren darf. Aber ein starkes Europa muss es sein; denn in dieser globalisierten Welt kann Europa seine Aufgabe, dazu beizutragen, dass die Welt nicht aus den Fugen gerät, nur erfüllen, wenn es handlungsfähiger wird, wenn es einiger wird. Dazu muss es vor allen Dingen wirtschaftlich leistungsfähig sein. Wir haben in diesen vier Jahren in dieser Hinsicht viel erreicht. Wir sind nicht über den Berg. Genau deswegen muss Deutschland ein verlässlicher Partner in Europa und für die Welt bleiben. Wenn es noch einen Zweifel gab, ist spätestens nach dieser Debatte ganz klar: Das geht nur mit der Fortsetzung dieser Koalition unter der Führung von Angela Merkel. ({28})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun Frank-Walter Steinmeier für die SPD-Fraktion.

Dr. Frank Walter Steinmeier (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004167, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich habe damit gerechnet, dass Sie hier heute Morgen das ganz große Weihrauchfass schwingen werden. Aber, ehrlich gesagt, lieber Herr Schäuble, mit so viel Selbstgerechtigkeit hätte ich gerade bei Ihnen nicht gerechnet. An die anderen Mitglieder der Bundesregierung, die hier geredet haben, gerichtet, sage ich: Mit welcher Chuzpe Sie hier politische Erfolge für sich und die Bundesregierung reklamieren - Erfolge, zu denen Sie, diese Bundesregierung, jedenfalls nichts, aber auch gar nichts beigetragen haben -, das ist doch atemberaubend. ({0}) Als wäre der schwere Weg - das war ein verdammt schwerer Weg -, den Deutschland vom „kranken Mann Europas“ in den späten 1990er-Jahren an die Spitze der europäischen Wachstumstabelle gegangen ist, ausgerechnet die Folge der guten Arbeit dieser Bundesregierung! Das ist doch lachhaft! ({1}) Daran waren Unternehmen beteiligt, daran waren Gewerkschaften beteiligt, vielleicht auch frühere Regierungen. Herr Brüderle, gerade wenn ich Sie von der FDP höre, muss ich sagen: Sie haben doch damals alle Reformen, deren Ergebnisse Sie jetzt einfach einsacken, bekämpft. Das ist doch die ganze Wahrheit. ({2}) Herr Schäuble hat eben von der tiefsten Wirtschaftskrise der Nachkriegszeit geredet: minus 5 Prozent Wachstum. Herr Brüderle, wie haben Sie sich verhalten, als wir hier gemeinsam beschlossen haben, dass wir uns dieser größten europäischen Krise nach dem Zusammenbruch von Lehman Brothers entgegenstemmen müssen? ({3}) Wie haben Sie sich verhalten? Sie haben das kommunale Investitionsprogramm abgelehnt. Sie haben Konjunkturhilfen abgelehnt. Sie haben sogar die verbesserte Kurzarbeit abgelehnt. Das ist die Leistung, auf die Sie verweisen können. ({4}) Ich hatte nicht gedacht, dass man das hier heute Morgen noch einmal sagen muss. Aber weil Sie so geredet haben, Herr Brüderle, sage ich genauso schonungslos: Von Ihnen gab es keinen anderen Beitrag. Sie haben sich hier gemeinsam mit Schwarz und Gelb in das gemachte Nest gesetzt, nachdem andere Regierungen vor Ihnen wirtschaftspolitisch die Kohlen aus dem Feuer geholt haben. Schlimmer noch: Sie schmücken sich mit fremden Federn, rühmen den Wettbewerbsvorteil deutscher Unternehmen gegenüber den Unternehmen der europäischen Nachbarschaft, und gleichzeitig sind Sie dabei, diesen Wettbewerbsvorteil, den wir uns über Jahre mühsam erarbeitet haben, durch eine verantwortungslose Achterbahnfahrt in der Energiepolitik - die Energiepreise bringen die Unternehmen in den Keller - zu ruinieren. ({5}) Das ist doch die Wahrheit. Sie rühmen sich selbst für eine Politik der kleinen Schritte. Die kleinen Schritte gestehe ich Ihnen zu; aber Politik ist doch dabei nie herausgekommen. Sie schauen auf die Schlagzeilen des nächsten Morgens, Frau Merkel. Sie leuchten aus, wie viel Spielraum Sie haben, um nicht anzuecken. Ich sage: Auch das ist zu wenig. Jedenfalls aus meiner Sicht ist das kein Ausdruck von Verantwortung in der Politik. Verantwortung in der Politik, das heißt, über den Tag, über das Jahr, über die Legislaturperiode hinauszudenken, Weichen zu stellen, damit es auch der nächsten Generation in diesem Lande mindestens so gut geht wie uns, damit auch sie ihre Lebenschancen hat. ({6}) Wenn das so ist, liebe Frau Merkel, dann sagen Sie mir doch eine einzige Weichenstellung von Bedeutung, die Sie in dieser Legislaturperiode vorgenommen haben. Was ist geschehen im Bereich Rente? Was ist geschehen im Bereich Pflege? Was ist geschehen beim Arbeitsmarkt? Was ist geschehen im Gesundheitswesen? Weit und breit nichts, nichts an Vorbereitungen für eine schwieriger werdende Zukunft, meine Damen und Herren! ({7}) Beim Rausgehen aus dieser Legislaturperiode brechen Sie mit einem Vorschlag Ihres Gesundheitsministers noch mal eben den gesetzlichen Krankenkassen das Genick, und mit dem Vorschlag von Herrn Schäuble zur Abschaffung der Gewerbesteuer, den er in der Rheinischen Post erneuert hat, werden Sie die Kommunen in den Ruin treiben. ({8}) Sie haben nichts getan für die Kommunen, sondern, ganz im Gegenteil, mit der Mehrwertsteuersenkung für die Hoteliers haben Sie ihnen Geld genommen. Wir haben fünf Sitzungen im Vermittlungsausschuss gebraucht, um Sie zu zwingen, die Kosten der Grundsicherung durch den Bund zu übernehmen. Das war nicht Ihre Entscheidung, meine Damen und Herren. ({9}) Wenn man nicht ganz verblendet ist und wenn man aus diesen letzten Jahren nicht alles vergessen hat, dann muss man sagen: Es ist eine ziemlich bittere Bilanz, mit der Sie heute vor dieses Parlament treten. Sie haben jetzt vier Jahre lang geerntet, aber Sie haben nichts gesät für die Zukunft, für die nächsten Jahre und Jahrzehnte. Sie sind in dieser Legislaturperiode bei 3,6 Prozent Wachstum gestartet, sind im Augenblick bei 0,3 Prozent. Alles, was nötig war bei Rente und Pflege, zur Bekämpfung des Facharbeitermangels, bei der Demografie haben Sie nicht angepackt. Sie sind an der Aufgabe, Zukunft für die nächste Generation zu gestalten, gescheitert. Das wird die bittere Erinnerung an diese vier Jahre sein. Aber gerade deshalb werden wir nicht zulassen, dass Sie in der nächsten Legislaturperiode auch noch Kommunen und Krankenkassen massakrieren. Das werden wir nicht zulassen! ({10}) Nach alledem erstaunt mich nicht, dass Sie jetzt den Strohhalm bei Europa gesucht haben. Aber wie sieht es denn in Wirklichkeit aus, jenseits der schönen Bilder, die Herr Schäuble eben noch einmal gemalt hat? Im fünften Jahr der europäischen Krise doktern Sie an den Symptomen herum. Sie reden, wie im Duell am Sonntag, von beginnender Konsolidierung. Und was ist die Wahrheit? Die Schuldenlast ist höher als vor viereinhalb Jahren! Ich bin mit Ihnen durchaus der Meinung, dass entgegen manchem Zynismus, wie wir ihn von der Linkspartei vorhin gehört haben, Hilfen, auch konditionierte Kredite an die Notlagenländer richtig sind, aber der Rest der Veranstaltung, den Sie zu verantworten haben, Frau Merkel, ist doch Voodoo. ({11}) Da ist doch nichts mit wirtschaftspolitischem Denken. Ihr Rezept für Europa ist: ohne Wachstum aus der Krise. Das hat nur noch nirgendwo auf der Welt funktioniert. Es funktioniert auch in Europa nicht. Deshalb können Sie da auf keine Leistung verweisen, meine Damen und Herren. ({12}) Aber das ist nicht einmal der entscheidende Punkt. Ich finde, Sie müssen auch Verantwortung dafür tragen, dass nicht nur Ihre, sondern am Ende auch die Glaubwürdigkeit von europäischer Politik überhaupt in den letzten Jahren gelitten hat. Es ist nicht ein einzelner Punkt, ein einzelner Beschluss über ein Rettungspaket, über den ich rede; nein, der Grund für den Verlust von Glaubwürdigkeit ist Ihre Angst vor Wahrheit. Ich sage es noch einmal - ich habe das Bild in der Bild-Zeitung mit Frau Merkel auf dem Bismarck-Sockel gut in Erinnerung -: „Kein Cent für Griechenland“, mit dieser Beteuerung begann es. Dann ging es Schlag auf Schlag: kein Rettungspaket. Dann hieß es: „jedenfalls kein zweites Rettungspaket“, dann hieß es: „kein Rettungsschirm“, dann hieß es: „jedenfalls kein dauerhafter Rettungsschirm“, dann hieß es: „kein Anleihekauf“ usw., usw. Sie haben jede rote Linie überschritten, die Sie vorher selbst gezogen haben, und das ist der Verlust von Glaubwürdigkeit, weil Sie Angst vor der Wahrheit haben, meine Damen und Herren. ({13}) Herr Schäuble, auch ich kann es Ihnen nicht ersparen, Ihre Ankündigung der letzten Woche aufzugreifen. Ich sage noch einmal: Nicht wir haben eine GriechenlandDebatte begonnen, sondern es war Ihre öffentliche Äußerung bezüglich Griechenland. Die können Sie jetzt nicht durch den Verweis auf frühere Reden aus der Welt schaffen. Sie kündigen vorsichtig ein drittes GriechenDr. Frank-Walter Steinmeier land-Paket an. Frau Merkel wiegelt ab. Ich finde, so kann man mit den Menschen nicht umgehen. Ich hätte auch darauf verzichtet, dazu weitere Äußerungen zu machen. Nach den ehrabschneidenden Äußerungen zu unserer Europapolitik will ich aber deutlich sagen: Ich glaube, in Wahrheit bereiten Sie nicht einfach nur ein drittes Griechenland-Paket vor. Ich glaube nicht, dass dies ein normales Rettungspaket sein wird wie das erste und zweite Griechenland-Paket. Sie bereiten in Wahrheit einen Schuldenschnitt vor, auch wenn Sie es heute bestreiten. Sie werden Folgendes machen: Sie werden die Zahlungsfristen verlängern und die Zinsen für die Rückzahlung senken. Das ist bei genauerer Betrachtung nichts anderes als ein Schuldenschnitt, den Sie als bevorstehende Maßnahme öffentlich leugnen. ({14}) Deshalb sage ich: So kann man mit der Öffentlichkeit und insbesondere mit uns nicht umgehen. Deshalb ein abschließendes Wort zu dem Vorwurf der europapolitischen Unzuverlässigkeit: Frau Merkel, es mag Ihr Stil sein, uns gegenüber ist es eine Sauerei. ({15}) Das ist eine Sauerei gegenüber einer Partei, ohne die Sie bei der Abstimmung über den Fiskalpakt hier gesessen hätten wie das Kind beim Dreck. So ist es. ({16}) Statt dankbar zu sein, dass Ihnen dieses Schicksal erspart geblieben ist, schmeißen Sie mit Dreck nach denen, die zu Europa gestanden haben, als Ihre Leute schon fluchtartig den Platz verlassen hatten. Das ist die Wahrheit. ({17}) Wenn das die einzige Lüge gewesen wäre, mit der Sie durch diese Debatte reiten, dann würde ich sie noch ertragen. Mindestens die eine andere Lüge will ich aufgreifen. Das ist die Geschichte über die Aufnahme Griechenlands in die Währungsunion. Auch hier, meine Damen und Herren, wie bei NSA und anderen Themen, die wir heute gehört haben, fällt Ihnen nichts anderes ein als eine möglichst schnelle Flucht aus der Verantwortung, bevor jemand merkt, welche Spuren Sie dabei hinterlassen haben. Ich will doch gar nicht an das Wort von Helmut Kohl im Mai 1998 erinnern. Was hat er gesagt? Er sagte: Wir bereiten uns darauf vor, dass wir Griechenland in die Währungsunion aufnehmen. ({18}) Während der Regierungszeit von Rot-Grün wurde die Aufnahme damals vollzogen - gegen Ihren erbitterten Widerstand, wie ich Sie heute verstanden habe. Die ganze Wahrheit ist: Konservative und Liberale haben im Europäischen Parlament zugestimmt. Die CSU hat sich mutig enthalten. Das ist die historische Wahrheit über den Kampf von Konservativen und Liberalen gegen die Aufnahme von Griechenland in die Währungsunion. ({19}) Ich finde, alle haben recht, die sagen: Man kann eine solche Debatte heute nicht miteinander führen, ohne ein paar Worte zum Thema Syrien zu sagen. Ich denke, wir alle sind in gleicher Weise durch die Bilder, die uns erreicht haben, beeindruckt und erschüttert. Der Giftgasangriff, den es gegeben hat, ist der grausame Tiefpunkt einer syrischen Tragödie. Das ist wahr. Es sind Angriffe, die nicht nur verbrecherisch sind, sondern eine Verletzung des Völkerrechts bedeuten. Eine solche Verletzung kann nicht ohne Antwort bleiben. Ich glaube, so weit sind wir uns einig. Ich rate uns nur sehr dazu, sich die Antwort nicht allzu einfach zu machen. Es haben alle recht - das gestehe ich zu -, die sagen, dass eine politische Lösung bislang nicht gelungen ist. Richtig ist auch: Wenn man jetzt eine politische Lösung angeht, dann gibt es überhaupt keine Garantie dafür, dass dies Erfolg haben wird. Ich frage aber: Ist die Alternative etwa, die Suche nach einer politischen Lösung zu unterlassen und damit einer militärischen Option den Weg zu öffnen? Ich will die Gelegenheit heute nutzen, um vor leichtfertigen Entscheidungen zu warnen, weil für viele die Notwendigkeit eines Militärschlags in den letzten Tagen auf der Hand lag. Ich glaube - ich habe da ein bisschen Erfahrung -: Eine Einmündung in die militärische Logik bedeutet immer, dass wir einen Automatismus auslösen, den wir nur schwer unterbrechen oder rückgängig machen können. ({20}) Ich glaube, wir sind in der Vergangenheit gelegentlich einem fatalen Irrtum unterlegen: Es wurde zu oft gedacht, dass da, wo eine politische Lösung schwer zu erreichen ist, eine militärische Lösung einfacher ist. Diese Logik gilt, glaube ich, grundsätzlich nicht, und sie gilt erst recht nicht im Nahen Osten, wo es passieren kann - dieses Risiko müssen wir Deutsche viel stärker im Auge behalten als viele andere auf der Welt -, dass ein unbedachter Militärschlag eine labile Ordnung vollständig kollabieren lassen kann, und zwar so, dass kein Stein mehr auf dem anderen bleibt. Damit beziehe ich mich nicht allein auf Syrien, sondern auf den gesamten Nahen Osten. Es ist daher die Pflicht der Politik, alle Möglichkeiten, auch alle letzten Möglichkeiten, auszuschöpfen und jegliche Risiken abzuwägen. Meine Damen und Herren, wenn ich mich frage, wie man den Druck auf Assad erhöhen kann, dann komme ich zu folgendem Ergebnis: Nicht eine zweitägige Bombardierung ist gefährlich für Assad. Wirklich gefährlich für Assad ist die Beendigung der Spaltung im Weltsicherheitsrat über Syrien. ({21}) Wenn man das genau betrachtet, dann stellt man fest, dass Assad von dieser Spaltung profitiert. Die Einigkeit zwischen den beiden Großmächten Russland und USA ist das, was er wirklich fürchten muss. Deshalb muss das Schwergewicht der Außenpolitik auf dieser Einigkeit liegen. Peer Steinbrück hat dazu in der vergangenen Woche einen Vorschlag gemacht. Ich gebe zu, dass er vielen in der vergangenen Woche noch unrealistisch und manchen sogar fantastisch erschien. Wir sind belehrt worden, dass der G-20-Gipfel nicht für die Lösung von außenpolitischen Krisen vorgesehen ist. Lassen Sie uns aber einmal einen Strich darunter ziehen: Ein paar Tage später sind wir mit der Kernforderung, den G-20-Gipfel in Sankt Petersburg zu einem Syrien-Gipfel zu machen - zeitweise jedenfalls -, ein Stück weitergekommen. Ich kann nur hoffen, dass uns das, was Peer Steinbrück beschrieben hat, gelingt: dass wir durch gemeinsame Anstrengungen wenigstens für eine kleine humanitäre Atempause sorgen können, in der die Versorgung von einigen Flüchtlingen möglich ist. Ich will es nicht zu optimistisch sehen und bin in der Hinsicht auch nicht zuversichtlich, aber es gibt eine kleine Chance, die Spaltung zwischen Washington und Moskau zu überwinden. Deutschland spielt - darum spreche ich es an -, was das Verhältnis zwischen Moskau und Washington angeht, aus historischen Gründen eine besondere Rolle und trägt eine besondere Verantwortung. Genau diese Verantwortung ist in den letzten Jahren vernachlässigt worden. Ich finde, sie ist manchmal sogar verweigert worden. Auf Regierungsseite herrscht derzeit etwas Rat- und Sprachlosigkeit, vielleicht sogar Verzweiflung. Denn seit die Briten in eine neue Nachdenklichkeit über die Sinnhaftigkeit von militärischen Einsätzen verfallen sind und Obama von seinen Ankündigungen schneller Militärschläge abgerückt ist, weiß man nicht, an welchen der großen Partner man sich anlehnen soll. Ich stelle fest: Sie haben sich noch vor fünf Tagen forsch und schneidig all denjenigen angeschlossen, die eine entschiedene, auch militärische Reaktion gefordert haben. Sie haben sie unter der Voraussetzung, dass der Einsatz von anderen verantwortet wird, unterstützt. Jetzt, nach der Entscheidung im britischen Unterhaus, suchen Sie Anlehnung an andere Richtungen in der internationalen Politik und sind selbst ohne Position. ({22}) Meine Damen und Herren, das ist Lavieren. ({23}) - Ja, das können Sie gleich von hier aus sagen; Sie sind ja gleich dran. - Das ist auch Wegducken. Aber ich glaube, das ist nicht die Außenpolitik, die von einem großen Land, dem größten Land in Europa, erwartet wird. ({24}) Mein Schlusssatz: Frau Merkel, wir haben zur Kenntnis genommen: Sie sind zufrieden, Sie sind mit sich zufrieden. Das haben wir gehört. Aber das reicht nicht für dieses Land. ({25}) Das Land braucht eine Regierung, die Mut und Initiative zeigt, die bereit ist, für die Zukunft im eigenen Land und international Verantwortung zu übernehmen. Deshalb brauchen wir am 22. September einen Regierungswechsel. Herzlichen Dank. ({26})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun Otto Fricke für die FDP-Fraktion. ({0})

Otto Fricke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003530, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident, auch auf die Gefahr hin, dass Sie es mir auf die Redezeit anrechnen, möchte ich mich bei jemandem bedanken, der sich geweigert hat, eine Abschlussrede zu halten. Ich darf das, glaube ich, nicht nur im Namen meiner Fraktion tun. Lieber Kollege Solms, ich danke für viele Jahre und für sehr vieles, was ich und auch manch anderer von Ihnen lernen konnte. So stelle ich mir einen Liberalen vor. Herzlichen Dank für all das, was Sie getan haben. ({0}) Meine Damen und Herren, es geht am Ende - das habe ich auch von Herrn Solms gelernt - immer um die Realität. Herr Kollege Steinmeier, darauf, wie Sie im Bereich der Außenpolitik auf primitive Art und Weise versucht haben, das Thema Krieg doch wieder zu einem Wahlkampfthema zu machen, will ich gar nicht weiter eingehen. So von mangelnder Verantwortungsübernahme dieser Koalition, dieses Außenministers und dieser Bundeskanzlerin zu reden und zu versuchen, irgendeine Anlehnung an irgendwen zu konstruieren, wie Sie es getan haben, ist schäbig. So geht man mit einem so sensiblen und schwierigen Thema auf gar keinen Fall um, schon gar nicht hier in diesem Hause. ({1}) Aber so ist das, glaube ich, mit der Realitätsverweigerung seitens der Opposition. Man muss eigentlich nur einmal schauen, was hier dazu gesagt wird, wie es in Deutschland aussieht. Wenn man mit Menschen aus dem Ausland redet, was viele Deutsche im Urlaub getan haben, und fragt: „Wie sieht es eigentlich bei uns in Deutschland aus?“, dann erhält man die Antwort: „Eure Verhältnisse in Deutschland, die hätte ich gerne. Eure Sozialsysteme, die hätte ich gerne. Eure Sozialquote in Deutschland“ - die übrigens unter dieser Koalition nicht niedriger ist als unter Rot-Grün -, „die hätte ich gerne. Eure Milliardenpuffer in den Sozialsystemen, die hätte ich gerne. Eure Arbeitslosenzahlen, die hätte ich gerne.“ Dieses Land hat gezeigt, dass es mit der richtigen Regierung das kann, was es mit Rot-Grün nie konnte, nämOtto Fricke lich eine Führungsrolle einzunehmen und gleichzeitig Verantwortung zu übernehmen. Das ist das, was wir können und was Sie nie können werden. ({2}) Ich glaube, dass man noch einmal etwas bezüglich des Themas „Wie sieht das eigentlich mit der Umverteilung von oben nach unten aus?“ hervorheben muss. Die haben wir nämlich, und die ist auch in einer sozialen Marktwirtschaft richtig. Denn das heißt: Der Stärkere übernimmt mehr Verantwortung als der Schwächere. Wie sieht das denn eigentlich bei der Lohn- und Einkommensteuer aus? Die oberen 5 Prozent der Steuerpflichtigen zahlen 42 Prozent des Steueraufkommens, und die unteren 50 Prozent zahlen 6 Prozent. ({3}) - Ja, Herr Steinbrück, das ist so. Ich weiß, das wollen Sie nicht gerne hören. - Wenn es einen täglichen, jährlichen, immer wiederkehrenden Beweis dafür gibt, wie viel mehr von oben gezahlt wird, dann sind es doch diese Zahlen. Was machen Sie? Sie sagen: 50 Prozent des Steueraufkommens. Ach, eigentlich sagen Sie: Lasst uns doch die oberen 5 Prozent, die uns mit ihren Familien und mit den Arbeitnehmern, die sie in den Betrieben beschäftigen, völlig egal sind, noch einmal ein bisschen ausquetschen. - Das ist die Realitätsverweigerung, in der Sie sich befinden. Ich glaube, wenn es nach der Bundestagswahl ein Lieblingsbuch für Rot-Grün geben wird, dann ist das Don Quichote. Schauen wir es uns an: Da gibt es den Don Quichote Peer Steinbrück. Bei Sancho Pansa wissen Sie auch, an wen ich bei der SPD denke. ({4}) Anhand der Beschreibung können Sie es sehr schön sehen: Don Quichote ist lang, dürr - gut, darüber man kann streiten -, in idealistischem Träumen versponnen und nur vermeintlich furchtlos. Und Sancho Pansa hat - na ja! - ein etwas anderes Aussehen, leistet aber seinem Herrn Dienste, weil er alles gut durchschaut und darauf hofft, dass er mal eine eigene kleine Statthalterschaft bekommt. So sieht es doch bei Ihnen aus. Und dann machen Sie aus Windmühlen auf einmal große Krieger. Aus Weinschläuchen - da kennen Sie sich ja auch aus - machen Sie dann auf einmal Ungerechtigkeiten in der Welt. Beschäftigen Sie sich doch einmal mit der Realität in diesem Lande! Beschäftigen Sie sich doch einmal mit den Zahlen in diesem Lande! Sie tun das noch nicht einmal beim Haushalt. Was war das denn, was der Kollege Schneider als haushaltspolitischer Sprecher der SPD jedes Mal erzählt hat? „Oh Gott, das ist auf Kante genäht! Oh Gott, das wird nicht funktionieren! Das ist alles ganz schlimm!“ - Und was machen wir? Das Erste ist: Wir gehen von 86 Milliarden Euro Neuverschuldung auf 6 Milliarden herunter - etwas, das Sie niemals erreicht haben. Wir schaffen es zum ersten Mal in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland, dass die Ausgaben am Ende einer Legislatur geringer sind als am Anfang. All das sind Dinge, die Sie nicht geschafft haben. Wenn es einen Realitätscheck gibt, Herr Finanzminister, dann ist es der folgende: Die Bürger sollten einfach mal schauen, wie es denn Rot-Grün macht, wenn sie an der Macht sind. Und dann schaut man nach NordrheinWestfalen und stellt fest: Dreimal sagte das Verfassungsgericht: Der Haushalt ist verfassungswidrig. - Dann schaut man nach Baden-Württemberg und stellt fest: Aus einem Geberland wird ein Schuldnerland. Und dann sage ich nur, Frau Göring-Eckardt: Wegen der Frage, wie die Realität bei der Umwelt und beim Autofahren aussieht, sollten Sie mal nach Niedersachsen schauen. Dann werden Sie feststellen, wie Grüne das mit dem Autofahren sehen. Das ist die Realität, der Sie nicht standhalten können. Und deswegen gehören Sie weiter in die Opposition. Herzlichen Dank. ({5})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun Priska Hinz für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Priska Hinz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003769, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nachdem hier Fakten eingefordert wurden, kann ich Ihnen gern ein paar Fakten nennen. ({0}) Fakt ist, dass diese Bundesregierung trotz guter Konjunktur und damit hoher Steuereinnahmen 100 Milliarden Euro neue Schulden macht. Frau Merkel, miserabel ist nicht gut, nur weil es eigentlich noch viel schlechter geplant war. Das kann ja wohl keine gute Bilanz sein. ({1}) Fakt ist, dass die schwarz-gelbe Steuergesetzgebung Bund, Ländern und Kommunen 35 Milliarden Euro entzogen hat. Damit lassen Sie die Kommunen richtig im Regen stehen, die nicht mehr für die Instandhaltung von Straßen sorgen können, die Probleme haben, Schulen zu sanieren, die Schwimmbäder und Bibliotheken schließen müssen. Und Fakt ist, dass es der einzig wichtige Baustein der Politik der FDP war, ihre Klientel zu befriedigen, dass die FDP hier die Hotelsteuer, die Mövenpick-Steuer, durchgesetzt hat und damit eine neue Subvention in die Priska Hinz ({2}) Top Ten aller Subventionen in Deutschland katapultiert hat. ({3}) - Ja, da können Sie noch so laut schreien. Das ist Ihr Verdienst. Aber das ist fast Ihr einziges Verdienst in einer ganzen Legislaturperiode. ({4}) Und dann geben Sie das Geld, das Sie haben, auch noch schlecht aus. Das Betreuungsgeld wurde heute schon viel beschrien. Frau Wanka erzählt jetzt, dass man von Bundesseite eigentlich auch noch Geld dafür ausgeben muss, dass Kinder nach der Schule betreut werden. Ja, bitte schön, Sie können nicht alles haben, und deswegen muss das Betreuungsgeld ersatzlos gestrichen und die freiwerdenden Mittel müssen für andere Betreuungsangebote eingesetzt werden. ({5}) Das Geld für den Straßenbau darf nicht für Spatenstiche in Bayern ausgegeben werden, weil Landtagswahl ist; wir brauchen es für die Instandhaltung von Brücken an Bundesautobahnen, weil das im Hinblick auf die ökonomische Situation hier in Deutschland notwendig ist. ({6}) Sonst tun Sie doch immer so, als seien Sie wirtschaftsfreundlich. Nein, wir sind die Partei, die sich um diese Themen kümmert. ({7}) Meine Damen und Herren, fahrlässig sind Sie insbesondere bei der Energiewende. Was der Wirtschaftsminister Rösler in Brüssel erreicht hat, ist, dass der Emissionshandel nicht neu geordnet wurde. Das führt dazu, dass die Mittel für den Energie- und Klimafonds im Bundeshaushalt halbiert wurden. Damit wird die Energiewende gegen die Wand gefahren. Zusätzlich sorgen Sie auch noch dafür, dass alle möglichen Unternehmen von der EEG-Umlage und den Netzentgelten ausgenommen werden. Dann stellt sich die Bundeskanzlerin auch noch hin und sagt: Es ist ja so schrecklich, dass die Strompreise steigen. - Ja, aber das ist doch die Folge Ihrer Politik, die Sie in den letzten vier Jahren gemacht haben, und das muss ein Ende haben. ({8}) Wir haben dieser miserablen Bilanz von SchwarzGelb gute grüne Ideen entgegengesetzt. Wir wollen einsparen, wir wollen ökologisch schädliche Subventionen kürzen, wir wollen Steuergerechtigkeit einführen, und wir wollen in Zukunftsbereiche investieren: in Bildung, in Betreuung und in Qualifizierung, um dem Fachkräftemangel zu begegnen. Wir wollen die Energiewende ausfinanzieren, und wir wollen auch den Strompreis senken. Das ist nicht nur sozial, sondern das erhält und schafft Arbeitsplätze in diesem Land. ({9})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Frau Kollegin, Sie müssen bitte zum Schluss kommen.

Priska Hinz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003769, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Deswegen sind die Grünen die Partei, die ökologische und ökonomische Vernunft zusammenbringt, die für soziale Gerechtigkeit und auch noch für nachhaltige Finanzen steht. Für diesen Wechsel streiten wir bis zum 22. September. ({0})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun Volker Kauder für die CDU/CSUFraktion. ({0})

Volker Kauder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001074, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Lassen Sie mich zunächst etwas zu den Fakten sagen. Es ist hier gesagt worden - in einem Zwischenruf, auch Frank-Walter Steinmeier hat es angesprochen -, es habe über die Frage, ob Griechenland in die Euro-Zone aufgenommen werden solle, im Deutschen Bundestag nie eine Abstimmung gegeben. ({0}) Fakt ist: Am 28. November 2000 hat die Regierungskoalition von Rot und Grün einen Antrag zur Abstimmung gestellt, in dem unter anderem gefordert wurde, die Ergebnisse des Konvergenzkurses anzuerkennen, und die Aufnahme Griechenlands in die Euro-Zone empfohlen wurde. Er wurde mit den Stimmen der Koalition verabschiedet, gegen die Stimmen der CDU/CSU-Bundestagsfraktion. Das ist Fakt. ({1})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Steinbrück?

Volker Kauder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001074, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Zu diesem Punkt ausnahmsweise ja.

Peer Steinbrück (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004165, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kauder, es werden gelegentlich Pappkameraden präsentiert und Legenden gebildet, auf die ordentlich Munition geschossen werden soll. ({0}) - Mein Gott, haben wir es nicht ein bisschen niveauvoller? ({1}) Würden Sie mir zubilligen, dass die nationalen Parlamente über die Frage eines Beitritts eines Landes zur Euro-Zone formal nicht beteiligt werden? Nach den europäischen Verträgen wird jedes EU-Land Mitglied in der Europäischen Währungsunion, wenn es die Kriterien erfüllt. Darüber entscheiden abschließend allein der Europäische Rat und das Europäische Parlament. Es hat hier im Deutschen Bundestag über die spezifische Frage des Beitritts von Griechenland keine Abstimmung gegeben, sondern Sie als Opposition haben einen Antrag der SPD abgelehnt, der sich breit mit diesem Thema beschäftigte und in dem Griechenland erwähnt worden ist. In Ihrem eigenen Antrag, dem Sie damals natürlich zugestimmt haben, kam dieses Thema überhaupt nicht vor. Die Rechtslage, die europäischen Verträge, sieht keine Extrabehandlung der nationalen Parlamente beim Beitritt eines Landes zur Europäischen Währungsunion vor. Es gibt nämlich einen Automatismus. Dieser Automatismus ist für zwei Länder ausgesetzt worden, die eine Opt-out-Möglichkeit haben; das sind Großbritannien und Dänemark. Diesen Sachverhalt ignorieren Sie fast in jeder Debatte, und deshalb fühle ich mich heute aufgerufen, diesen Sachverhalt einmal klarzustellen. Vielen Dank. ({2})

Volker Kauder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001074, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich bin sehr froh, dass ich die Frage zugelassen habe; denn durch Ihre Einlassung wurde deutlich, dass Rainer Brüderle recht hat. Sie meinen immer, Sie wüssten alles besser und müssten die Menschen belehren. Das ist eben sehr deutlich geworden, Herr Kollege Steinbrück. ({0}) Zur Sache. Es ist von Ihnen gesagt worden, über die Frage sei nicht abgestimmt worden. Was Sie inhaltlich sagen, ist zwar richtig, aber darauf kommt es doch gar nicht an. ({1}) Sie haben einen Antrag eingebracht, in dem Sie die Bundesregierung unter Gerhard Schröder aufgefordert haben, Griechenland in die Euro-Zone aufzunehmen. Wir haben das abgelehnt. Das war am 28. November 2000 Punkt. ({2}) Das ist die Antwort. Sie liegen in der Sache eben nicht richtig, wenn Sie ständig behaupten, das sei nicht Gegenstand in diesem Parlament gewesen. ({3}) Jetzt zur Sache. Da ich mir die heutige Debatte, beginnend mit der Rede der Bundeskanzlerin, in aller Ruhe angehört habe, muss ich sagen: Diese Debatte hat auch den Menschen, die an den Fernsehschirmen zuschauen, gezeigt, wie richtig und notwendig es ist, dass diese Regierungskoalition fortgesetzt wird. ({4}) Es geht hier um die Frage, wie Europa in den nächsten Jahren gestaltet wird. In den Beiträgen vorhin hörte ich als Antwort darauf: Spinat und Ei. - Dazu kann ich nur sagen: So kann es in diesem Land nun wirklich nicht zugehen. ({5}) Die Frage ist doch: Was sind die Herausforderungen in den nächsten Jahren, und wer hat die richtigen Antworten? Darauf, wie es in unserem Land aussieht, haben die Bundeskanzlerin, Wolfgang Schäuble und andere Redner hingewiesen. Dass es in diesem Land unbestritten gut aussieht, kann man an einer Zahl festmachen, die mir so imponiert wie keine andere. Schauen Sie sich in ganz Europa um, und dann schauen Sie sich Deutschland an. Man muss sich doch nur eine einzige Frage vorlegen: Wo haben junge Menschen wirklich Chancen auf eine gute Zukunft? Wo haben junge Menschen Chancen, Ausbildung und Beruf zu finden? Für welches Land sind junge Menschen deshalb zu begeistern? Das ist die Bundesrepublik Deutschland. ({6}) Man könnte noch manch andere Zahl nennen. Das will ich aber gar nicht machen, sondern ich will eine Antwort auf die folgende Frage geben: Wer macht die Dinge besser? Ich will zumindest zum Nachdenken anregen. Natürlich wird uns das Thema Europa in den nächsten vier Jahren ebenso beschäftigen wie in den vergangenen Jahren. Es wird ganz entscheidend darauf ankommen, dass wir die Fehler beseitigen und bekämpfen, die zu dem Ergebnis, das wir haben, geführt haben. In diesem Zusammenhang müssen zwei Dinge erreicht werden: Zum einen muss die Staatsschuldenkrise durch die Konsolidierung der Haushalte bekämpft werden, und zum anderen muss Europa wettbewerbsfähig werden. In vielen Bereichen sind Reformen notwendig. Herr Kollege Steinbrück, ich kann nur sagen: Wir haben doch gar nicht bestritten, dass auch unter der Führung von Ihnen, von Frank-Walter Steinmeier, von Franz Müntefering und anderen notwendige Reformen durchgeführt wurden. Wir haben unseren Beitrag geleistet, indem wir im Bundesrat - ganz im Gegensatz zu Ihnen heute - nicht blockiert haben, indem wir der Versuchung widerstanden haben, Nein zu sagen. Wir haben diese Reformen mitgetragen. Das ist ein Grund unter vielen, warum es gut voranging. Aber jetzt setzen Sie sich von diesen Punkten ab. Anstatt in Europa zu sagen: „Schaut, was wir gemacht haben; das müsst ihr auch machen“, wollen Sie sich vom Acker machen und die Dinge nicht mehr mittragen. Das ist schäbig, meine sehr verehrten Damen und Herren! Das ist nicht in Ordnung. ({7}) Es ist notwendig, dass wir in den nächsten Jahren sagen: Jawohl, die Wettbewerbsfähigkeit muss verbessert werden, und dafür sind Maßnahmen notwendig. Wir sagen klipp und klar: Wir sind solidarisch. Wir wollen helfen und machen das auch. Aber es gibt keine Leistung ohne Gegenleistung, weil wir sonst nicht vorankommen. Das wird notwendig sein in den nächsten vier Jahren. Dann kommen Sie und sagen: Wir müssen Wachstum erreichen, indem wir mehr Geld in die Länder pumpen. Es ist ganz außergewöhnlich, dass Sie diesen Satz überhaupt sagen. Über Jahre hinweg, auch in dieser Legislaturperiode, haben Sie Wachstum bekämpft und gesagt, Wachstum sei von Übel. Wir haben immer gesagt: Wachstum ist notwendig, um die Probleme zu lösen. ({8}) Jetzt sagt Trittin: „Wir wollen eine Schuldenunion“, und Sie wollen Euro-Bonds. Ich muss doch sagen: Herr Steinbrück, als Sie noch Steinbrück sein durften, haben Sie solche Sätze nicht gesagt. ({9}) Ich glaube, dies sind nicht die richtigen Konzepte. Wer Euro-Bonds und eine Schuldenunion will, der wird dafür sorgen, dass die Reformkräfte nachlassen und wir das Ziel, Europa insgesamt wettbewerbsfähig zu machen, nicht erreichen, meine sehr verehrten Damen und Herren. ({10}) Deshalb: Wir dürfen von diesem richtigen Weg nicht abrücken. Wir wollen, dass die gute Situation, die wir in unserem Land haben, in Zukunft fortgeführt wird. Dies - das hat die Bundeskanzlerin ausdrücklich gesagt - war eine Gemeinschaftsleistung von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, von Unternehmen, vor allem Mittelständlern, und einer guten und klugen Politik. Wir wollen, dass diese Situation fortgeführt werden kann. Jetzt sagt uns die mittelständische Wirtschaft - ich habe von der Wettbewerbsfähigkeit gesprochen -, dass, um die Wettbewerbsfähigkeit aufrechterhalten zu können, in den nächsten Jahren unglaubliche Investitionen notwendig sein werden, um noch mehr Präzision, um noch mehr Schnelligkeit zu erreichen. Diese Investitionen können nur getätigt werden, wenn das Geld, das beim Mittelstand vorhanden ist, dafür eingesetzt werden kann. Deswegen kann ich nur sagen - Sie können es noch so oft wiederholen; es stimmt trotzdem nicht -: Wer die Erbschaftsteuer verdoppeln will, wer eine Vermögensteuer einführen will, wer in die Substanz unserer mittelständischen Wirtschaft eingreift, schadet nicht nur der Wirtschaft, sondern auch allen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern in diesem Land. ({11}) Deswegen: Sie geben auf die Herausforderungen der Zeit die falschen Antworten. Jeder muss sich selbst in den nächsten Wochen genau prüfen, ob er findet, dass dies richtig ist oder nicht. ({12}) Natürlich werden wir dafür sorgen müssen - auch das ist schon angesprochen worden -, dass die Energiewende klappt. ({13}) Denn Energiewende und Energiekosten sind zentrale Punkte, auch im Hinblick auf die Wettbewerbsfähigkeit. ({14}) Ich würde sagen: Herr Pronold, Sie sollten erst einmal schauen, was Sie in Bayern für ein Wahlergebnis bekommen; darüber reden wir dann in 14 Tagen. ({15}) Aber lassen wir doch all das Kampfgeschrei, und schauen wir uns die Dinge erst einmal an. ({16}) Die Energiewende muss gelingen, und sie wird gelingen. ({17}) Aber völlig klar ist, dass Korrekturen notwendig sind. Deswegen sagen wir: Eine der ersten Maßnahmen wird sein, dass wir uns das EEG anschauen und uns fragen: Was kann hier getan werden? ({18}) Sigmar Gabriel, der nicht mehr hier ist, hat ja den Satz gesagt, das EEG müsse an den Markt herangeführt werden. Schauen wir uns das alles doch erst einmal an. ({19}) Vielleicht habe ich heute ja einen Wunsch bei Ihnen frei. ({20}) Wenn ja, dann hätte ich den Wunsch, dass Sie im Bundesrat, wenn die Reform des EEG ansteht, nicht immer nur Nein schreien und falsche Interessen schützen, sondern endlich auch einmal mitmachen, damit wir auf dem Weg, das EEG zu modernisieren, vorankommen. ({21}) Ich will Ihnen gar keine Vorhaltungen machen. Aber auf der einen Seite vor der deutschen Öffentlichkeit zu sagen: „Der Strompreis steigt immer weiter“ und mit dem Finger auf andere zu zeigen, auf der anderen Seite aber zur gleichen Zeit notwendige Maßnahmen wie die Strompreisbremse und andere Vorhaben, die wir auf den Weg bringen müssen, im Bundesrat zu verhindern, ist nicht in Ordnung, meine sehr verehrten Damen und Herren. So kann man das nicht machen. ({22}) Lassen Sie mich jetzt noch einen Punkt ansprechen, ({23}) in dem wir - ich finde, das sollte man auch so sagen durchaus Gemeinsamkeiten haben. ({24}) Ich denke an die Situation in Syrien. Es ist unbestritten - das ist auch am Sonntag so formuliert worden -, dass wir ganz klar und eindeutig gesagt haben: Eine Beteiligung Deutschlands an Kampfeinsätzen, an militärischen Aktionen in Syrien wird es nicht geben. - Lieber Kollege Frank-Walter Steinmeier, das habe ich in vielen Interviews in den letzten Tagen regelmäßig so gesagt - da war nie auch nur ein Punkt des Vertuns -, und ähnlich ist es vom Bundesaußenminister formuliert worden. Deswegen sollten wir jetzt einmal klar sagen: Da sind wir uns einig. - Es ist doch schön, dass wir in einer so wichtigen außenpolitischen Frage einig sind. Ich wäre froh und dankbar, wenn der Satz „Mehr Europa!“ - der richtig ist - auch für die Außen- und Sicherheitspolitik gelten würde. Es ist kein besonders glückliches Zeichen, dass wir in Europa in dieser Frage überhaupt nicht vorankommen. Umso mehr müssen wir unseren Beitrag leisten. Ein zweiter Punkt, wo wir uns doch auch einig sind: Es darf nicht ohne Konsequenzen bleiben, wenn einer der zentralsten Grundsätze des humanitären Völkerrechts, nämlich dass kein Giftgas eingesetzt werden darf, verletzt wird. Wenn wir nicht zum Gegenstand machen, dass dies nicht sein kann, brauchen wir uns nicht zu wundern, wenn kein Diktator sich mehr an so etwas hält. Die Frage ist nun: Was ist die richtige und angemessene Antwort? Die Bundeskanzlerin und Guido Westerwelle haben mehrfach darauf hingewiesen, dass wir eine politische Lösung suchen und anstreben; aber dann muss sich vor allem Russland einmal bewegen und darf nicht ständig im UNO-Sicherheitsrat blockieren. Anstatt Herrn Schröder nur zum Wahlkampf einzuladen, könnten Sie ihn einmal bitten, dafür zu sorgen, dass Russland sich an dieser Stelle bewegt. ({25}) Das wäre einmal eine Option. ({26}) Herr Kollege Frank-Walter Steinmeier, ich teile die von Ihnen hier geäußerte kritische Beurteilung, was militärische Einsätze anbelangt. Seien Sie doch einmal froh, dass man mal zu einer Gemeinsamkeit kommt! Auch ich sehe die Situation sehr kritisch. Christen, mit denen ich in Syrien gesprochen habe, haben die Frage, welche Konsequenzen das haben soll, sehr unterschiedlich gesehen. Das ist mit vielen Sorgen behaftet. Deswegen glaube ich, dass der Weg, den die Bundesregierung, auch die Bundeskanzlerin, beschritten hat, beim G-20Gipfel noch einmal den Versuch zu unternehmen, dafür zu sorgen, dass die Weltgemeinschaft in die Lage versetzt wird, ihre Vorschriften und Regeln auch umzusetzen, richtig ist. Ich würde mir wünschen, dass die G 20 zu einer entsprechenden Position kommen. Ich will auch sagen: Ich bin außerordentlich dankbar, dass die Bundesregierung erklärt hat, dass 5 000 weitere syrische Flüchtlinge in Deutschland aufgenommen werden können. ({27}) - Die kommen schon noch; das geht alles nicht von einer Minute auf die andere. - Die Bundesregierung hat darüber hinaus gesagt - und jetzt sind alle aufgefordert, alle -: Wenn die Bundesländer bereit sind, weitere Flüchtlinge aufzunehmen, dann können sie dies tun. Also muss doch die Botschaft heißen, dass wir alle unsere Landesregierungen auffordern, es der Bundesregierung nachzumachen und über die 5 000 hinaus weitere syrische Flüchtlinge aufzunehmen. Das könnte doch Thema sein. ({28}) Ich sage zur gleichen Zeit: Ja, wir müssen diese Menschen, die zu uns kommen - sie sind oft traumatisiert, und es sind viele Christen darunter -, in diesem Land auch entsprechend aufnehmen. ({29}) Wir müssen, wie die Bundeskanzlerin gesagt hat, alles dazu beitragen, dass sie sich in diesem Land sicher fühlen; dem ist nichts hinzuzufügen, meine sehr verehrten Damen und Herren. Aber ich mache mir auch große Sorgen über die Situation der Christen in Syrien, in Ägypten. ({30}) Ich will zum Thema Syrien nur eines sagen: Wir haben allen Grund, politische Lösungen zu suchen - da gebe ich Ihnen völlig recht -; denn bei allen anderen Lösungen besteht die Gefahr, dass gerade die Christen unter die Räder kommen. ({31}) Deswegen muss bei allen politischen Lösungen das Thema „Religionsfreiheit und Schutz der Christen“ in besonderer Weise bedacht werden. Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich fasse zusammen: Diese Regierungskoalition hat nicht nur für hervorragende Ergebnisse im Land gesorgt - ich nenne nur das Beispiel der Jugendarbeitslosigkeit -, sondern sie hat mit ihren Aussagen sowohl zur Europapolitik als auch zur Steuer- und Finanzpolitik gezeigt, dass sie die richtigen Lösungen hat, ({32}) damit es in diesem Land auch in den nächsten vier Jahren erfolgreich weiter aufwärtsgeht. Sie sind diesen Beweis in Ihren krawalligen Reden schuldig geblieben. ({33})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun Andrea Nahles für die SPD-Fraktion. ({0})

Andrea Nahles (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003196, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte auf eine interessante Frage zurückkommen, die Bundeskanzlerin Angela Merkel heute Morgen hier gestellt hat. Sie hat in einer längeren Passage des Selbstlobes folgende Frage gestellt: Es geht am 22. September um nicht mehr und nicht weniger als um die Frage, ob wir diesen Weg des Erfolges weitergehen oder ob wir grobe Fehler sehen müssen, die diese erfolgreiche Entwicklung - darüber hatte sie geredet wieder zunichtemachen. Nun hat Frau Merkel bei der Antwort auf diese Frage eine günstige Position: Bitte sehen Sie sich doch einfach mal auf dieser Regierungsbank um! Da sehe ich einige dieser groben Fehler sitzen - mit Verlaub -: ({0}) Da sehe ich eine Arbeitsministerin, die in Deutschland eine Riesendebatte über Armut im Alter angefangen hat, in ihrer eigenen Regierung aber nicht einmal 15 Euro mehr an Grundsicherungsrente durchgesetzt hat. ({1}) Da sehe ich einen Minister der Verteidigung, der froh ist, dass Wahlkampf ist, weil er sonst seinen Hut hätte nehmen müssen. Ich sehe dort Herrn Rösler, der die ganze Zeit damit befasst war, sich in seinen eigenen Reihen abzusichern, anstatt sich endlich um die Energiewende zu kümmern. ({2}) Und da sehe ich eine Frauenministerin, die in dieser Legislaturperiode kein einziges Gesetz für Frauen gemacht hat, dafür aber das Betreuungsgeld auf den Weg gebracht hat. ({3}) Also, wenn Sie nach groben Fehlern suchen: Auf der Regierungsbank können Sie sie finden. Das ist ein Grund, einen Regierungswechsel herbeizuführen. Die Gurkentruppe muss weg! ({4}) Ich bin heute durch die Beiträge der Kollegen von den Regierungsfraktionen an das Gutenachtlied erinnert worden, das ich meiner Tochter in den letzten Wochen häufig gesungen habe: Ich mach’ mir die Welt, widde widde wie sie mir gefällt. ({5}) So ist das doch: Alles soll so bleiben, wie es ist; alles ist wunderbar und gut. Sie sprechen offensichtlich über ein anderes Land. Herr Kauder, Sie haben eben gesagt, dass es unbestritten ist, dass es in diesem Land gut aussieht, und haben über die Chancen von jungen Menschen gesprochen. Ich frage Sie: Was ist denn mit den jungen Menschen, wenn 50 Prozent der Neueinstellungen nur noch befristet sind? Wir müssen endlich Schluss machen mit der sachgrundlosen Befristung in diesem Land, damit junge Leute wieder mehr Chancen bekommen. ({6}) Ich habe heute Morgen hier von der Kanzlerin gehört, was sie alles sieht. Sie sieht alles in der nächsten Legislaturperiode. Doch sie ist eine Kanzlerin, die mit diesem Land nichts mehr vorhat, die müde wirkt. Mit Verlaub, Frau Kanzlerin, Sie entwickeln sich zum absoluten politischen Couchpotato der Bundesrepublik Deutschland. Sie sollten dafür sorgen, dass in diesem Land angepackt wird. Ich glaube, dass Sie das nicht mehr können, weil Sie keine Mehrheiten haben und es keine Einigkeit in Ihrem eigenen Laden gibt. ({7}) Heute haben wir eine große Debatte über die Situation in Deutschland geführt und haben viele Wahlversprechen dieser Regierung gehört. Aber haben wir an irgendeiner Stelle gehört, wie Sie das finanzieren wollen? ({8}) Nein! Wir haben an keiner einzigen Stelle eine Aussage darüber gehört, wie zum Beispiel die Mütterrente finanziert werden soll; es gab nur allgemeine Hinweise auf Steuermehreinnahmen. Da war der von Ihnen so freundlich unterstützte Horst Seehofer ein bisschen ehrlicher. Der hat nämlich gestern Folgendes gesagt: Wer keine Steuererhöhungen will, wer keine neuen Schulden will, der muss mal sagen, woher er das Geld für die Investitionen nehmen will. ({9}) Recht hat er, der Herr Seehofer. Das müssten aber eigentlich Sie sagen, Sie von der Bundesregierung. Ich behaupte, dass es drei Möglichkeiten gibt: Entweder Sie lügen die Leute an und es gibt doch Steuererhöhungen, oder Sie lügen die Leute an und es gibt doch mehr Schulden nach der Wahl, oder - das wäre mein heißer Tipp - Sie greifen in die Sozialkassen. Ich glaube, dass Sie das machen werden. ({10}) Das ist nämlich das Muster, das wir in den letzten Monaten von Ihnen schon gesehen haben. ({11}) Sie haben in den Gesundheitsfonds gegriffen, Sie haben durch die verrückte Absenkung des Rentenbeitrages die Renten ausgetrocknet, und Sie haben in den Ertragstopf der Bahn gegriffen und damit die Deckung der Betriebskosten nicht mehr ausreichend gesichert. ({12}) Die Folgen davon konnten wir in den letzten Wochen sehen. Im letzten Dezember hat Herr Schäuble laut Spiegel auch schon Pläne gemacht, wie es weitergehen soll, nämlich beispielsweise mit einer Entziehung der Steuerzuschüsse an den Gesundheitsfonds. ({13}) Frau Merkel hat in einem bemerkenswerten Sommerinterview auf Sat.1 erklärt, dass sie auch eine weitere Steigerung des Rentenalters nicht ausschließt. ({14}) Die Formel war: Wenn das Lebensalter steigt, müssen wir auch über eine längere Lebensarbeitszeit reden. ({15}) Ich verspreche Ihnen: Die deutsche Bevölkerung wird älter werden. Eine längere Lebensarbeitszeit können wir aber nicht wollen. Wir müssen stattdessen den Menschen helfen, die ausgepowert sind und mit Burn-out kämpfen. Deswegen sagen wir: Nach 45 Jahren muss man abschlagsfrei in Rente gehen können. Das ist die Position der SPD. ({16}) In diesem Sinne kann ich Ihnen nur sagen, dass das, was Sie hier machen, eine ganz einfache Sache ist: Nach dem Wahltag ist Zahltag. - Stellen Sie sich darauf ein, liebe Bürgerinnen und Bürger. Gucken Sie sich die Konzepte an. Die ehrlichere Alternative sind die SPD und Peer Steinbrück als zukünftiger Kanzler. Vielen Dank. ({17})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun Patrick Döring für die FDP-Fraktion. ({0})

Patrick Döring (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003748, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! 50 Prozent der Ausgaben des Bundeshaushalts, den diese Bundesregierung vorlegt, erfolgen für soziale Zwecke. 50 Prozent der Gesamtausgaben dieses Staates für die Menschen, die diesen Staat nötig haben! ({0}) Das alles kommt von den 43 Millionen Männern und Frauen, die morgens aufstehen und arbeiten gehen, und den 4 Millionen Männern und Frauen, die mit Haus und Hof haften und Arbeitsplätze schaffen. Über die hat die versammelte Opposition kein Wort verloren. ({1}) Wir vergessen nicht, dass die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer diese Last tragen. Meine sehr verehrten Damen und Herren von der Opposition, die Kollegin Nahles hat hier gesagt: „Wahltag ist Zahltag“. Das stimmt, wenn man die Falschen wählt; denn Sie wollen ja die Einkommensteuer für alle erhöhen, die Pendlerpauschale abschaffen, das Ehegattensplitting abschaffen. ({2}) Sie wollen die Steuern erhöhen und von den Bürgern nur eines, nämlich mehr Geld, und das werden wir verhindern. ({3}) Daneben kommen Sie noch mit der ominösen Vermögensteuer und der Vermögensabgabe. Den Menschen, die etwas auf die Seite gelegt haben, die ihr Erspartes in vermieteten Wohnraum investiert haben oder die Handwerksbetriebe führen und Arbeits- und Ausbildungsplätze anbieten, sollen jetzt aus ihrem Ersparten und bereits versteuerten Vermögen zusätzliche Abgaben zahlen. Sie fassen den Fleißigen in die Tasche; nichts anderes verstehen Sie. Mit Leistung hat das nichts zu tun. ({4}) Unterschwellig wird dann immer gesagt: Na ja, wir wollen ja von den Bürgern nur das Beste, nämlich mehr Geld - das ist ja die einzige Antwort auf die Probleme dieser Zeit, die Sie geben -, damit wir mehr für Bildung und Infrastruktur tun können. Schauen wir einmal in die Länder, in denen Rot und Grün regieren. In Baden-Württemberg: weniger Lehrer, weniger Ausgaben für Straßen. In Nordrhein-Westfalen: weniger Lehrer, weniger Ausgaben für Straßen. In Niedersachsen: weniger Lehrer, weniger Ausgaben für Straßen. Sie haben mehr Steuereinnahmen und machen höhere Schulden, aber investieren da, wo Sie regieren, nicht in Bildung und Infrastruktur. ({5}) Schwarz-Gelb steht für Leistungsgerechtigkeit statt Umverteilung. Wir wollen, dass es den Menschen weiter gut geht. Ja, das Soziale in der sozialen Marktwirtschaft definiert sich nicht durch die Höhe von Hartz IV, sondern durch die Chance auf einen Arbeitsplatz. Wir trauen uns, das noch zu sagen, meine sehr verehrten Damen und Herren. ({6}) Dann hat Frau Göring-Eckart sich hier furchtbar angestrengt, deutlich zu machen, dass die Grünen nicht die Verbotspartei der Republik sind. Vielleicht findet sich auf einer Autofahrt die Zeit, das noch einmal nachzulesen. Autofahren am Sonntag: verboten! ({7}) Erste Klasse im ICE: verboten! Heizpilze: verboten! Rauchen in der Öffentlichkeit: verboten! Fleisch am Donnerstag: verboten! Ölheizung: So etwas von verboten! ({8}) Verboten, verboten, verboten! Das ist der grüne Sound. Die Spießigkeit des Jahres 2013 ist grün. ({9}) All das taugt vielleicht für die Hausordnung eines grünen Landschulheims; für unser freies schönes Deutschland taugt es nicht. Deshalb setzen wir auf die Kraft der Bürger und sind ganz sicher: Die Menschen können mit ihrem hart verdienten Geld viel besser umgehen als die Politik. Wir haben Rekordsteuereinnahmen und Steuern gesenkt. Diesen Weg gehen wir weiter. Solide Haushalte und Entlastung derjenigen, die morgens aufstehen und zur Arbeit gehen, das widerspricht sich nicht. Wir denken an die Fleißigen, an diejenigen, die dieses Land gemeinsam mit uns voranbringen. Sie wollen immer nur eins: mehr Geld von denen, die morgens aufstehen und arbeiten. Das unterscheidet uns. Der Wähler wird entscheiden: am 22. September für die Fortsetzung von Schwarz-Gelb. Herzlichen Dank. ({10})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun Gerda Hasselfeldt für die CDU/ CSU-Fraktion. ({0})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000825, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn wir uns so manche Rede der Opposition, die heute Vormittag gehalten wurde, noch einmal vor Augen führen, dann fragt man sich: Über welches Land wurde geredet? ({0}) Haben Sie, die Oppositionsredner, wirklich über unser Land geredet? Diese Schwarzmalerei, ({1}) diese Darstellung unseres Landes in dunklen Farben, das wird der Realität in Deutschland, das wird den Menschen in Deutschland nicht gerecht. ({2}) Deutschland geht es gut, hat Frau Göring-Eckardt gesagt. Sie hat gleich hinzugefügt: Das ist eine Illusion. Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, ist es eine Illusion, wenn heute mehr Menschen als je zuvor in unserem Land Arbeit und Beschäftigung haben, ihre Familie ernähren können? Ist es eine Illusion, wenn heute viel mehr Jugendliche einen Ausbildungsplatz, einen Arbeitsplatz bekommen, als das früher der Fall war? Meine Damen und Herren, das ist keine Illusion, das ist blanke Realität in Deutschland. Darauf können wir stolz sein. ({3}) Diese vier Jahre waren erfolgreiche Jahre; denn der hohe Beschäftigungsstand, die niedrige Arbeitslosigkeit hängen natürlich zusammen mit dem Fleiß der Bürger, mit verantwortungsvollen Tarifparteien. Das hängt mit tüchtigen Unternehmern zusammen, insbesondere mit einem gesunden, tatkräftigen Mittelstand. Das alles hatten wir aber auch in der Zeit, als Angela Merkel die Regierung übernahm. Trotzdem hatten wir damals, unmittelbar nach der rot-grünen Regierungszeit, 5 Millionen Arbeitslose und das, obwohl es keine Krise zu bewältigen gab, weder eine nationale noch eine internationale Finanzkrise. ({4}) An diesem Beispiel wird deutlich: Es ist nicht egal, wer regiert. Es ist nicht egal, wer die politischen Weichen stellt. ({5}) Diese vier Jahre waren erfolgreiche Jahre in der Beschäftigungspolitik. Das spüren die Menschen. Diese vier Jahre waren aber auch erfolgreiche Jahre, was den Abbau der Verschuldung der öffentlichen Haushalte angeht. Übrigens ist Bayern nicht nur, aber auch in dieser Hinsicht das Vorzeigeland. Das gilt aber auch im Bund; das ist angesprochen worden. Wir werden im Laufe der nächsten Legislaturperiode, voraussichtlich 2015, nicht nur die Neuverschuldung abgebaut haben, sondern auch schon mit der Tilgung der Altschulden beginnen können. Meine Damen und Herren, das ist nicht deshalb wichtig, weil es auf dem Papier steht, sondern es ist deshalb wichtig, weil wir unseren Kindern und Jugendlichen - denen, die nach uns kommen - nicht Schulden hinterlassen dürfen, sondern Chancen hinterlassen wollen. Wir wollen ihnen Spielräume hinterlassen, mit denen sie dann in der Zukunft ihre eigenen aktuellen Herausforderungen bewältigen können. Das ist unsere Aufgabe: nicht nur für heute zu sorgen, sondern auch für diejenigen, die nach uns kommen. ({6}) Es waren aber auch erfolgreiche Jahre für die Sozialversicherungen. Ich kann mich gar nicht erinnern, dass wir einmal vor einer Bundestagswahl über gefüllte Sozialkassen diskutiert haben. Wir haben immer über Leistungskürzungen, Zuzahlungen und Ähnliches diskutiert. Dass es uns zum Beispiel gelungen ist, für die Krankenhausversorgung insbesondere in den ländlichen Regionen in diesem Jahr zusätzliche Mittel zur Verfügung zu stellen, ({7}) ist nicht selbstverständlich. Das ist auf die gute wirtschaftliche Entwicklung und die richtige Politik zurückzuführen. ({8}) Dass es gelungen ist, in die Pflegeversicherung auch erstmals die Demenzkranken mit einzubinden, ({9}) ist auch nicht selbstverständlich gewesen. Darum haben wir lange gerungen, und wir wissen alle, dass wir mit der Neuordnung des Pflegebedürftigkeitsbegriffs noch einiges vor uns haben. Aber alles der Reihe nach! ({10}) - Sie müssen nicht noch lauter schreien, Frau Ferner. Ich höre Sie auch so. Wir haben heute schon so viele laute Reden gehört, ({11}) dass ich nicht der Versuchung erliegen möchte, das genauso zu tun. ({12}) Auch dass es gelungen ist, in der Rentenversicherung die Beitragssätze zu senken und damit den Arbeitnehmern und den Arbeitgebern wieder mehr Spielräume zu geben, war nicht selbstverständlich, meine Damen und Herren. Auch das gehört zur sozialpolitischen Bilanz dieser Regierung. ({13}) Es ist vorhin in der Debatte von der gesamten Oppositionsseite mehrfach gesagt worden: Wir werden etwas für die Entlastung der Kommunen tun. - Meine Damen und Herren, das fällt Ihnen früh ein. Das hätten Sie während der rot-grünen Regierungszeit tun können. Damals haben Sie aber das Gegenteil gemacht: Sie haben die Leistungen der Grundsicherung den Kommunen aufgebürdet. Sie haben ihnen zusätzliche Ausgaben aufgebürdet. Wir haben das jetzt in dieser Legislaturperiode zurückgenommen. ({14}) Tatsache ist, dass wir in dieser Regierungszeit fast 5 Milliarden Euro allein für die Grundsicherung übernommen und die Kommunen dadurch entlastet haben. Tatsache ist, dass wir bei der Kinderbetreuung die Kommunen nicht alleine gelassen haben und dass wir sie auch beim Bildungs- und Teilhabepaket für Kinder von Hartz-IV-Empfängern nicht alleine gelassen haben. Das ist faktische Entlastung der Kommunen, weil wir wissen, dass unsere Städte und Gemeinden ihre Einnahmen brauchen, um die eigentlichen kommunalpolitischen Aufgaben zu erfüllen. Wir haben sie dabei nicht alleine gelassen, sondern sogar noch unterstützt. Das erkennen auch die Kommunalpolitiker vor Ort an. ({15}) Vier erfolgreiche Jahre! Und da sagt der Kanzlerkandidat Steinbrück, er müsse das Ruder herumreißen. ({16}) Er will jetzt das Ruder herumreißen. Das Herumreißen des Ruders in einer Zeit, in der es erfolgreich läuft, kann nur bedeuten: Wir fahren das ganze Land an die Wand. Das können und werden wir nicht zulassen. ({17}) Das Ruder herumreißen heißt Abkassieren mit Steuererhöhungen und Abkassieren auf breiter Front. Abkassieren wird dann von manchen Sozialdemokraten so interpretiert: Wir erhöhen ja nur für einige wenige die Steuern. ({18}) Wissen Sie, was Sie vorhaben? Für alle, die künftig eine Ehe schließen, wollen Sie das Ehegattensplitting abschaffen. Für alle, die Kapitaleinkünfte haben, wollen Sie die Abgeltungsteuer erhöhen. ({19}) Für alle, die mehr als 64 000 Euro Einkommen haben, wollen Sie die Einkommensteuersätze erhöhen. Für alle mittelständischen Unternehmen, ({20}) die zum Beispiel aufgrund ihres Maschinenparks Substanzvermögen haben, wollen Sie eine Vermögensteuer einführen. ({21}) - Sie wissen genau, dass eine Abgrenzung des privaten Vermögens vom Betriebsvermögen nicht so einfach ist, vor allem verfassungsrechtlich nicht möglich ist. Und für alle, die ein Grundstück, ein Haus oder einen Betrieb erben, wollen Sie die Erbschaftsteuer verdoppeln. Was das mit Ihrer Aussage zu tun haben soll, dass davon nur 5 Prozent oder nur einige wenige betroffen seien, erklären Sie den Menschen vor Ort. Ich kann es jedenfalls nicht. ({22}) Sie lügen damit die Leute an. Sagen Sie ihnen die Wahrheit darüber, was Sie tun wollen! ({23}) Unser Kurs ist ein anderer. Die Jahre dieser Legislaturperiode waren erfolgreich. ({24}) Das bestreitet niemand, der die Fakten objektiv und die Situation der Menschen realistisch betrachtet. Das bestreiten übrigens auch die meisten Menschen nicht; das zeigen die Umfrageergebnisse ganz deutlich. Deshalb kann die Antwort nur lauten, diesen erfolgreichen Kurs fortzusetzen, ({25}) auf diesem Weg die Schwerpunkte wie bisher zu setzen. Diesen erfolgreichen Weg fortzusetzen, bedeutet, ({26}) die solide Haushaltsführung fortzusetzen, mit den Steuergeldern weiterhin sparsam umzugehen ({27}) und den Euro-Kurs fortzusetzen, ({28}) und zwar unter der Devise: Solidarität ja, aber nur unter der Bedingung, dass auch die einzelnen Krisenländer Eigenverantwortung wahrnehmen. - Das Ziel kann schließlich nicht eine gemeinsame Schuldenunion mit einheitlichen Zinssätzen sein. Vielmehr muss das Ziel sein, dass jedes Euro-Land selbst wettbewerbsfähig wird. ({29}) Den dafür notwendigen Druck dürfen wir nicht verringern, sondern müssen ihn aufrechterhalten. Wir werden die betreffenden Länder unterstützen, allerdings unter den genannten Bedingungen. ({30}) Den eingeschlagenen Kurs fortsetzen bedeutet aber auch, weiterhin einen Schwerpunkt bei den Familien zu setzen. ({31}) Es ist mir ein wichtiges Anliegen, dies hier noch einmal deutlich zu sagen. Wenn wir über Investitionen reden, geht es nicht nur um bauliche Investitionen, sondern immer auch um Investitionen in die Zukunft unserer Kinder. Wir dürfen deshalb das, was wir in Erziehung, Bildung und Innovation stecken, nicht beiseiteschieben und gering bewerten; denn hier geht es um ein ganz wichtiges Anliegen. Wir haben den Rechtsanspruch auf einen Kinderkrippenplatz geschaffen. Der Ausbau der Kinderbetreuung für die unter Dreijährigen ist zumindest in meinem HeiGerda Hasselfeldt matland Bayern großartig gelungen. Wir haben die stärkste Dynamik im Ausbau der Kinderbetreuung gerade für die unter Dreijährigen zu verzeichnen. ({32}) Parallel dazu haben wir das Betreuungsgeld eingeführt. Das wollen Sie wieder abschaffen, meine Damen und Herren von der Opposition. Sie wollen die Familien auch da wieder schröpfen und ihnen etwas wegnehmen. Ich sage Ihnen aus voller Überzeugung: Das Betreuungsgeld ist ({33}) ein Zeichen dafür, dass der Staat eben nicht einseitig eine Betreuungsform für unter Dreijährige fördert, ({34}) sondern auch andere Betreuungsformen anerkennt und finanziell unterstützt, ({35}) egal wie sich die Eltern entscheiden. ({36}) Wir werden bei der Anerkennung von Erziehungszeiten in der Rentenversicherung einen weiteren Schwerpunkt setzen. Es ist uns ein besonderes Anliegen, dass die Erziehungszeiten der Mütter, die vor 1992 Kinder geboren haben und damals kaum Kinderbetreuungsmöglichkeiten in Anspruch nehmen konnten und die in aller Regel mehr als nur ein Kind erzogen haben, in der Rentenversicherung besser anerkannt werden. Das werden wir auch durchsetzen. ({37}) Meine Damen und Herren, wenn Sie sich den Erfolgskurs dieser Regierung ganz besonders nah anschauen wollen, wenn Sie sich über die Erfolge bei der Beschäftigung, der Haushaltskonsolidierung, der Kinderbetreuung und bei den Bildungseinrichtungen, über den Zustand der Schulen und den Zustand der Kommunen ein Bild machen wollen, dann kann ich Sie nur einladen, nach Bayern zu kommen. Da finden Sie das in besonderer Art und Weise. ({38}) Weil ich am Schluss bei Bayern bin, möchte ich Ihnen mit auf den Weg geben: Ilse Aigner wird ihre Arbeit hier in Berlin zunächst einmal - ({39}) Sie wird ihre Arbeit in einer anderen Verantwortung in Bayern fortsetzen. Liebe Ilse, ich möchte dir ganz herzlich für deine Arbeit für uns alle hier im Deutschen Bundestag und in der Regierung danken. Ich wünsche dir von Herzen viel Erfolg, viel Freude bei allem, was du künftig in Bayern an Verantwortung übernimmst. ({40}) Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist in dieser Debatte deutlich geworden: Wir sind auf einem Erfolgskurs. ({41}) Wir dürfen diesen Erfolgskurs nicht aufs Spiel setzen. Diesen Erfolgskurs fortführen können wir nur bei Fortsetzung dieser Koalition unter Führung von Angela Merkel. ({42})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich schließe die Aussprache. Bevor wir zum Schluss unserer letzten Sitzung kommen und ich noch einige Abschiedsworte an Sie richten darf, bitte ich um Ihre Aufmerksamkeit für die Zusatzpunkte 1 a bis 1 j. Es handelt sich um Beschlussempfehlungen des Petitionsausschusses, zu denen keine Aussprache vorgesehen ist. Zusatzpunkt 1 a: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({0}) Sammelübersicht 624 zu Petitionen - Drucksache 17/14681 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht 624 ist einstimmig angenommen. Zusatzpunkt 1 b: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({1}) Sammelübersicht 625 zu Petitionen - Drucksache 17/14682 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Auch die Sammelübersicht 625 ist einstimmig angenommen. Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse Zusatzpunkt 1 c: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({2}) Sammelübersicht 626 zu Petitionen - Drucksache 17/14683 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Auch die Sammelübersicht 626 ist einstimmig angenommen. Zusatzpunkt 1 d: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({3}) Sammelübersicht 627 zu Petitionen - Drucksache 17/14684 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht 627 ist mit den Stimmen der CDU/CSU, SPD und FDP gegen die Stimmen der Linken bei Enthaltung der Grünen angenommen. Zusatzpunkt 1 e: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({4}) Sammelübersicht 628 zu Petitionen - Drucksache 17/14685 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht 628 ist einstimmig angenommen. Zusatzpunkt 1 f: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({5}) Sammelübersicht 629 zu Petitionen - Drucksache 17/14686 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht 629 ist gegen die Stimmen der Linken mit den Stimmen des übrigen Hauses angenommen. Zusatzpunkt 1 g: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({6}) Sammelübersicht 630 zu Petitionen - Drucksache 17/14687 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht 630 ist mit den Stimmen der CDU/CSU, SPD und FDP gegen die Stimmen der Linken und Grünen angenommen. Zusatzpunkt 1 h: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({7}) Sammelübersicht 631 zu Petitionen - Drucksache 17/14688 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht 631 ist mit den Stimmen der CDU/CSU, FDP und Linken gegen die Stimmen von SPD und Grünen angenommen. Zusatzpunkt 1 i: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({8}) Sammelübersicht 632 zu Petitionen - Drucksache 17/14689 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht 632 ist mit den Stimmen der beiden Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen von SPD und Linken bei Enthaltung der Grünen angenommen. Zusatzpunkt 1 j: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({9}) Sammelübersicht 633 zu Petitionen - Drucksache 17/14690 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht 633 ist mit den Stimmen der beiden Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der drei Oppositionsfraktionen angenommen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung und damit am Ende der voraussichtlich letzten Sitzung der 17. Wahlperiode des Deutschen Bundestages. Es liegen vier arbeitsreiche Jahre hinter uns. Ich möchte mich im Namen des Präsidiums bei Ihnen allen für Ihr Engagement, für Ihren Einsatz bedanken, insbesondere bei denen, die schon jetzt wissen, dass sie dem nächsten Bundestag nicht mehr angehören werden. Mein Dank gilt auch denjenigen, die ihm überraschenderweise nicht mehr angehören werden. Mein Dank gilt darüber hinaus den Schriftführerinnen und Schriftführern und nicht zuletzt den vielen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die uns vor und hinter den Kulissen fleißig unterstützen. ({10}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, dies war auch meine letzte Parlamentssitzung. Ich höre auf nach 24 Jahren parlamentarischer Arbeit, davon 15 Jahre im Präsidium des Deutschen Bundestages. Ich glaube, es gibt nicht so viele Kolleginnen und Kollegen vor mir, die so lange Zeit hier oben verbracht haben. Ich habe diese 15 Jahre übrigens zusammen mit dem Kollegen Solms im Präsidium verbracht. An die Zusammenarbeit mit ihm werde ich mich immer besonders gerne erinnern. ({11}) Erlauben Sie mir ein paar kleine persönliche Bemerkungen. Von diesen 24 Jahren war gewiss das erste Jahr, die Zeit in der Volkskammer 1990, die aufregendste Zeit. Wer dabei war - einige sitzen hier ja noch -, wird das gut verstehen. Ich erinnere mich an meine erste freie Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse Wahl am 18. März 1990, und ich erinnere mich ebenso an meinen Vater, von dem ich vermutlich die politische Leidenschaft geerbt habe. Er hat nie wirklich frei wählen können. Volljährig, also wahlberechtigt, wurde er am 31. Januar 1933. Gestorben ist er Anfang März 1990. Sein Beispiel erinnert mich immer wieder an die Kostbarkeit freier Wahlen. Es macht mich traurig und wütend, wie viele auf ihr Wahlrecht verzichten. Denn aus unserer Geschichte wissen wir doch: Es wird gefährlich für die Demokratie, wenn Desinteresse, Unzufriedenheit, Verdruss der vielen mit Demokratieverachtung von Eliten zusammentrifft. 1990, das war für mich und andere auch, die wir gemeinsam in den Bundestag in Bonn eingezogen sind, ein Jahr des euphorischen Aufbruchs in die parlamentarische Demokratie. Übrigens will ich als Berliner ausdrücklich auch jetzt eine Verbeugung vor Bonn als dem langjährigen Standort der parlamentarischen Demokratie in der Bundesrepublik Deutschland machen. Es war zwar ein euphorischer Aufbruch, aber wir wissen auch: Euphorie lässt sich nicht auf Dauer stellen - selbstverständlich. Ich lobe aber den parlamentarischen Alltag. Demokratie ist friedlicher Streit nach Regeln der Fairness. Ziel ist nicht Harmonie, sondern entweder der gute Kompromiss oder die vernünftige Mehrheitsentscheidung. Wir Parlamentarier sollten den Streit mit Selbstbewusstsein verteidigen, auch durch die Art, wie wir ihn führen. Darin hat der Bundestag nach meiner 24-jährigen Erfahrung gute Noten verdient. Ich hatte selten Anlass, dazwischenzugehen oder gar diese Glocke zu bedienen. Das freut mich noch heute. Das sage ich mit Respekt vor Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen. Ich lobe auch die Langsamkeit der Demokratie. Sie verlangt Geduld, manchmal allzu viel, auch von uns. Aber sie ist die Bedingung dafür, dass sich an ihren Meinungsbildungs- und Entscheidungsprozessen möglichst viele beteiligen können, dass Sachverstand und Interessenausgleich eine Chance haben. Ich wünsche dem Deutschen Bundestag, dass er sich mehr und energischer, als es in den vergangenen Jahren verschiedentlich der Fall war, dem Beschleunigungsdruck von Märkten und Medien widersetzt. Selbstbewusste Entschleunigung ist Teil eines guten Parlamentarismus. ({12}) Es geht dabei nämlich um etwas Fundamentales: um den Primat, um die Gestaltungskraft demokratischer Politik. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich hoffe, ich habe dem Parlament in den 24 Jahren meines Mittuns keine Schande gemacht. ({13}) Wem gegenüber ich ungerecht war, den bitte ich um Entschuldigung. Bei vielen Kollegen bedanke ich mich für erfahrene Kollegialität. Ich werde die Arbeit des Bundestages gewiss weiter mit freundlich-kritischer Aufmerksamkeit verfolgen - und mit großer, großer Empathie und Sympathie. Ich wünsche Ihnen alles Gute und, wenn Sie es vertragen, Gottes Segen. ({14}) Die Sitzung ist geschlossen.