Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Nehmen Sie bitte Platz. Die Sitzung ist eröffnet.
Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich
begrüße Sie herzlich zur voraussichtlich letzten Plenarsitzung der 17. Legislaturperiode.
Während der parlamentarischen Sommerpause hat es
eine Reihe von Geburtstagen gegeben, von denen ich nur
einige wenige heute Vormittag noch würdigen möchte:
Der Kollege Peter Danckert hat seinen 73., die Kollegin Uta Zapf ihren 72. und die Kollegin Erika
Steinbach ihren 70. Geburtstag gefeiert.
({0})
Ihre 65. Geburtstage begingen die Kollegin Dorothea
Steiner und der Kollege Jürgen Klimke, und ihre
60. Geburtstage feierten die Kollegin Krista Sager sowie die Kollegen Manfred Kolbe und Reiner
Deutschmann. Ihnen allen im Namen des Hauses alles
erdenklich Gute für die nächsten Jahre!
({1})
Ich nutze die Gelegenheit auch gerne, Sie darüber zu
informieren, dass sich die Kollegin Alpers, von der viele
wissen, dass sie in unserer letzten Plenarsitzung vor der
Sommerpause unmittelbar nach einer Rede hier im Deutschen Bundestag zusammengebrochen ist, noch immer
auf der Intensivstation befindet, aber nach Stand der
Dinge heute nach Bremen, also in ihre Heimatstadt, verlegt werden kann. Wir wollen das für ein Indiz für einen
Weg der Besserung und der Genesung halten, und ich
möchte ihr gerne in Ihrer aller Namen unsere besten Genesungswünsche übermitteln.
({2})
Interfraktionell ist vereinbart worden, dass nach der
Debatte zur Situation in Deutschland noch eine Reihe
von Beschlussempfehlungen des Petitionsausschusses
ohne Aussprache abgeschlossen werden sollen. Sind Sie
damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann haben wir
das so beschlossen.
Bevor wir nun in unsere vereinbarte Tagesordnung
eintreten, müssen wir drei Geschäftsordnungsanträge
behandeln.
Die Fraktionen der SPD, Die Linke und Bündnis 90/
Die Grünen haben jeweils fristgerecht beantragt, die Tagesordnung um die Beratung ihres jeweiligen Antrages
zu erweitern. Dabei handelt es sich um den Antrag der
SPD-Fraktion auf der Drucksache 17/14677 mit dem
Titel „NSA-Affäre aufklären - Grundrechte schützen“,
den Antrag der Fraktion Die Linke auf der Drucksache
17/14679 mit dem Titel „Beenden der nachrichtendienstlichen Kooperation mit den USA und Großbritannien,
unabhängige Überprüfung der derzeitigen Praxis und der
internationalen Verträge und Abkommen, die den Datenaustausch regeln“ und den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf der Drucksache 17/14676 mit
dem Titel „PRISM, TEMPORA und die Schutzverantwortung der Bundesregierung“. Über diese drei parallelen Geschäftsordnungsanträge haben wir zu befinden.
Das Wort zur Geschäftsordnung erteile ich zunächst
dem Kollegen Volker Beck.
({3})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe
NSA!
({0})
Wir beantragen, dass der Bundestag heute über unseren
Antrag „PRISM, TEMPORA und die Schutzverantwortung der Bundesregierung“ debattiert.
({1})
Die Sache können wir nicht dem PKGr, einem geheim
tagenden Gremium, überlassen. Hier vor dem Bundestag
und der deutschen Öffentlichkeit ist der Ort der Aufklärung.
Volker Beck ({2})
({3})
Sie haben ja die Affäre für beendet erklärt. Herr
Friedrich sagte:
Alle Verdächtigungen, die erhoben wurden, sind
ausgeräumt.
Herr Pofalla sagte:
Der Vorwurf der vermeintlichen Totalausspähung in
Deutschland ist nach den Angaben der NSA, des
britischen Dienstes und unserer Nachrichtendienste
vom Tisch. Es gibt in Deutschland keine millionenfache Grundrechtsverletzung …
({4})
Und Frau Merkel sagte am Sonntag: Ich habe keinen Anlass, der NSA nicht zu vertrauen.
({5})
Sagen Sie uns heute: Woher kommt Ihr Vertrauen?
Sagen Sie heute dem Deutschen Bundestag, welche konkreten Erkenntnisse Sie haben, die die Materialien, die
Snowden über die Medien veröffentlicht hat, widerlegen.
({6})
Auf welcher Grundlage hat das Bundeskanzleramt der
NSA und den britischen Diensten diesen Persilschein
ausgestellt? Stellen Sie sich hier und heute dieser Debatte im Deutschen Bundestag!
({7})
Ihre eigenen Leute glauben ja Ihren Beteuerungen
nicht. Der CSU-Vorsitzende, Herr Seehofer, hat gesagt:
({8})
„Aus meiner Sicht ist da noch nichts ausreichend geklärt.“ Dieser Angelegenheit müsse sich die nächste
Bundesregierung widmen - hoffentlich eine Regierung,
die sich dieser Sache auch annehmen will. Die jetzige
hält ja alles für erklärt. Diese Widersprüche müssen wir
heute im Deutschen Bundestag diskutieren. Dem können
wir nicht ausweichen. Deshalb stimmen Sie bitte unserem Antrag zu.
({9})
Die Bundesregierung hat bisher keine rechtlichen
Schritte unternommen, den bisher größten Angriff in der
Geschichte der Bundesrepublik Deutschland auf die
Rechte unserer Bürgerinnen und Bürger abzuwehren.
({10})
Wir haben in unserem Antrag aufgeführt, was die Bundesregierung aufgrund internationaler Verträge, die wir
mit Großbritannien und den Vereinigten Staaten von
Amerika haben, ganz konkret tun kann, um unsere Bevölkerung vor dieser Ausspähung zu schützen. Darüber
wollen wir heute beraten. Es ist nicht in Ordnung, wenn
Sie diese Debatte mit Ihrer Mehrheit unterbinden.
({11})
Wenn alles geklärt ist, dann stellen Sie sich hier und
heute unseren Fragen und unseren Argumenten.
Wir wollen mit Ihnen hier im Bundestag auch über
den Umgang mit dem Whistleblower Edward Snowden
beraten. Snowden hat sich um die politischen Interessen
unseres Landes verdient gemacht.
({12})
Ohne Snowden gäbe es keine Aufklärung. Ohne
Snowden gäbe es auch keine Verhandlungen zwischen
der Bundesrepublik Deutschland und den Vereinigten
Staaten über die Zukunft der Spionage zwischen diesen
beiden Ländern. Also ist doch eindeutig klar, dass er etwas beigetragen hat, was zu politischem Handeln führt,
und ich finde, es ist eine Schande, dass er nur Zuflucht
finden kann bei dem Diktator Putin.
({13})
Wir wollen heute mit Ihnen beraten und beschließen,
dass Edward Snowden Aufnahme in der Bundesrepublik
Deutschland erhält.
({14})
Für Sie von der Koalition mag diese Debatte beendet
sein. Für uns und die Menschen in diesem Land ist sie
das nicht. Deshalb gibt es am Samstag die Demonstration „Freiheit statt Angst!“ auf dem Berliner Alexanderplatz. Wir kommen zahlreich - und du?
Herr Kollege Beck, das hat nun fraglos mit dem Geschäftsordnungsantrag nichts mehr zu tun.
({0})
Ich bin schon am Ende meiner Rede.
({0})
Das Wort hat nun der Kollege Jörg van Essen.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich
fürchte, der Kollege Beck wird es nie lernen, wie eine
Geschäftsordnungsdebatte im Deutschen Bundestag auszusehen hat.
({0})
Ich bin trotzdem dankbar, dass wir sie heute führen.
Denn es zeigt sich hier ganz klar, über was die Bürger zu
entscheiden haben: Wir haben hier eine ganz klare rotrot-grüne Koalition.
({1})
Schöner hätten Sie das nicht vorführen können, und dafür bin ich Ihnen ganz außerordentlich dankbar.
Mir war im Übrigen auch klar, dass wir heute Morgen
eine solche Geschäftsordnungsdebatte führen werden.
Denn es ärgert Sie natürlich, was wir gleich debattieren
werden. Es ärgert Sie, dass diese Bundesregierung einen
Haushalt vorlegt, der geringer verschuldet ist als der, der
im ersten Jahr Ihrer Regierungszeit geplant war.
({2})
Es ärgert Sie natürlich, dass es ein strukturell ausgeglichener Haushalt ist.
({3})
Herr Kollege van Essen, das wird sicherlich alles
nachher in der folgenden Debatte vorgetragen.
({0})
Vielen Dank, Herr Präsident. - Deshalb ist es umso
besser, dass ich die Motive für diese Geschäftsordnungsdebatte vortrage.
Es ärgert Sie natürlich auch, dass wir so hohe Ausgaben für Bildung in unserem Lande einstellen werden.
({0})
Deshalb wundert es mich überhaupt nicht, dass Sie diesen Geschäftsordnungsantrag heute Morgen stellen.
Was Ihre wirklichen Beweggründe sind, kann man an
Folgendem erkennen. Ich hatte eigentlich in der letzten
Woche damit gerechnet, dass die Geschäftsführer der anderen Fraktionen anrufen und fragen, ob es möglicherweise eine NSA-Debatte gibt.
({1})
Nichts ist geschehen.
({2})
Ich habe damit gerechnet, dass vielleicht am Montagvormittag ein solcher Anruf kommen würde: Können
wir nicht vielleicht eine vereinbarte Debatte ansetzen? Auch da ist nichts geschehen. Das zeigt: An einer Debatte war man überhaupt nicht interessiert. Woran man
interessiert war, war eine Geschäftsordnungsdebatte am
heutigen Vormittag.
({3})
Deshalb ist klar: Auf die Vorschläge der rot-rot-grünen Koalition werden wir als Koalition nicht eingehen.
Wir wissen im Übrigen: Bürgerrechte sind bei uns besser
aufgehoben.
({4})
Auch deshalb können wir diese Entscheidung so treffen,
und deshalb gibt es bei uns eine klare Entscheidung.
Herr Präsident, das ist meine letzte Wortmeldung von
diesem Platz. Ich habe guten Grund, vielen Kolleginnen
und Kollegen in allen Fraktionen des Deutschen Bundestages für viele Jahre guter Zusammenarbeit zu danken,
und tue das gerne.
Vielen Dank.
({5})
Herr Kollege van Essen, auch wenn dies ein ähnlich
kunstvoller Geschäftsordnungsbeitrag war wie der des
Vorredners, nutze ich die Gelegenheit gerne, um mich
bei Ihnen für die langjährige Zusammenarbeit hier im
Deutschen Bundestag zu bedanken. Insbesondere gilt
das für Ihre langjährige Tätigkeit als inzwischen bei weitem dienstältester Parlamentarischer Geschäftsführer im
Deutschen Bundestag und die gute Zusammenarbeit im
Ältestenrat. Ihnen persönlich alles Gute!
({0})
Jan Korte hat nun das Wort zur Geschäftsordnung.
({1})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Lieber Kollege van Essen, in der Tat sind die ein klein
wenig komplizierten Annäherungsversuche zwischen
Rot-Rot-Grün nicht Thema einer Geschäftsordnungsde32618
batte; das ist schon so. Aber ich werde zur Geschäftsordnung sprechen und begründen, warum wir heute dringend über den Antrag meiner Fraktion diskutieren
sollten.
({0})
Denn wenn die Bundesregierung behauptet, die NSA
und andere hielten sich an Recht und Gesetz, lässt das
nur zwei Schlüsse zu: Entweder sagen Sie nicht die
Wahrheit, oder es gibt Abkommen, die so etwas zulassen. Beides gehört hier heute ins Plenum des Bundestages.
({1})
Ein weiterer Grund, warum wir heute darüber diskutieren sollten, ist ganz einfach: Es betrifft Millionen Bürgerinnen und Bürger sowie unsere Grundrechte, die übrigens unter großen Mühen erkämpft worden sind.
Darüber kann man doch nicht einfach hinweggehen. Darüber muss hier diskutiert werden.
({2})
Es ist wirklich ein großer Zufall, dass die in dieser
Frage zuständigen drei Mitglieder der Bundesregierung
heute ausnahmsweise zusammen anwesend sind. Das ist
zum einen Ronald Pofalla als zuständiger Kanzleramtsminister. Das sind zum anderen Hans-Peter Friedrich als
für die Verfassung verantwortlicher Innenminister und
Angela Merkel, die Bundeskanzlerin, die vor allem eigentlich nur noch als Angela Merkel unterwegs ist, aber
sich nicht dieser Debatte stellt. Wir sollten also jetzt darüber diskutieren, weil heute alle drei anwesend sind.
({3})
Ein weiterer Grund, warum wir heute darüber diskutieren sollten, ist: Ronald Pofalla war ganz lange verschollen. Keiner wusste, wo er ist.
({4})
Dann tauchte er auf und verkündete, dass die Affäre beendet ist. Ich halte das für ein sehr interessantes Demokratieverständnis. Zum Glück ist es nicht so weit, dass
Herr Pofalla hier entscheidet, wann eine Debatte beendet
ist. Das macht der Bundestag.
({5})
Es wird immer besser: Hans-Peter Friedrich, amtierender Innenminister, erklärt zu der ganzen Debatte, dass
Sicherheit ein Supergrundrecht ist, und offenbart damit
im Übrigen auch noch ein sehr fragwürdiges Verhältnis
zum Grundgesetz. Auch das ist inakzeptabel.
({6})
Was hören wir von der Bundeskanzlerin zu diesem
Thema? Nicht viel, außer dass sie einen Fragebogen verschickt hat. Wir wissen nun nicht, was die Kolleginnen
und Kollegen in den Vereinigten Staaten oder in Großbritannien darauf antworten. Aber ich finde, es ist zu wenig, einen Fragebogen zu verschicken und dem Bundestag nicht einmal zu sagen, wie er beantwortet wird. Auch
das müssten Sie heute tun.
({7})
Ich glaube, dass wir über den massiven Angriff auf
die freie Kommunikation diskutieren müssen, weil er
Angst verursacht. Das führt dazu, dass Menschen nicht
mehr frei, sondern angepasst kommunizieren, weil sie
nicht genau wissen, was mitgelesen wird und - vor allem ob es irgendwann einmal gegen sie selber verwendet
wird. Ich finde, dass es sich um eine sehr grundsätzliche
demokratische Frage handelt, über die wir hier diskutieren sollten, wenn wir heute schon alle noch einmal zusammengekommen sind.
({8})
Zum Schluss. Meine Fraktion hat ebenfalls einen Antrag eingebracht. Dieser ist Ihnen übrigens, Herr Kollege
van Essen, bereits am vergangenen Freitag zugegangen
bzw. verschickt worden.
({9})
Sie wussten das also sehr genau, oder Sie haben diesen
guten Antrag nicht gelesen. Beides ist nicht gut für einen
Parlamentarischen Geschäftsführer.
({10})
Wir haben einen Antrag mit der Überschrift „Beenden
der nachrichtendienstlichen Kooperation mit den USA
und Großbritannien, unabhängige Überprüfung der derzeitigen Praxis und der internationalen Verträge und Abkommen, die den Datenaustausch regeln“ vorgelegt. Das
ist doch das Mindeste.
Wenn Ihnen Ihr treuer Weggefährte Horst Seehofer,
der an Loyalität ja nun nicht zu übertreffen ist, schon
sagt, dass hier nichts beendet ist, dann sollten Sie doch
zumindest auf Ihren Kumpel Seehofer hören
({11})
und es zulassen, dass wir heute das diskutieren, was so
viele Menschen bewegt, vor allem junge Menschen, die
heute ja überwiegend online kommunizieren. Es ist doch
das Mindeste, dass man sich hierfür eine Stunde Zeit
nimmt.
Schönen Dank.
({12})
Michael Grosse-Brömer ist der nächste Redner in der
Geschäftsordnungsdebatte.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Wir vereinbaren eine Debatte zur Situation in
Deutschland, und die Opposition hält es geschlossen für
erforderlich, einen zusätzlichen Punkt auf die Tagesordnung zu setzen. Da stellt man sich schon die Frage, warum sie das tut.
({0})
Die erste Schlussfolgerung ist: Sie halten Ihre Redner
offensichtlich für nicht geeignet, dieses Thema hier umfassend zu erörtern; denn die hätten jederzeit die Möglichkeit dazu.
({1})
Was wir heute hier erleben, ist die Fortsetzung des
rot-grünen Sommertheaters: Wie erkläre ich einen Skandal, der keiner ist?
({2})
Deswegen nutzt man heute die Chance, vor einer Debatte noch einmal ein Thema verkehrt herum aufzuzäumen - frei nach dem Motto: Kaum war Snowden da, fing
der rote Don Quichotte Oppermann mit seinem grünen
Knappen Sancho Pansa Ströbele an, loszureiten, um den
Wahlsieg zu retten.
({3})
Sie ritten den ganzen Sommer und fanden keine Windmühle. Heute - das ist der wahre Grund - sitzen Sie auf
einem totgerittenen Pferd und sind nicht bereit, abzusteigen. Das ist der einzige Grund für diese Debatte.
({4})
Was die Sache noch schlimmer macht: Sie haben
nicht einen einzigen Beleg für das, was Sie permanent
skandalisiert haben. Das ist der wahre Skandal - bei Ihrer Argumentation. Es gibt nicht einen Beleg für die
massenhafte Ausspähung; es gibt nicht einen Beleg für
millionenfache Grundrechtsverletzung;
({5})
es gibt nicht einen Beleg, den Sie vorlegen können; es
gibt nur Ihren Wunsch, diesen Skandal am Leben zu erhalten und die Menschen zu verunsichern, und zwar aus
wahltaktischen Gründen, und da machen wir nicht mit.
({6})
Wir werden es gleich wieder erleben: Weil es in
Deutschland diese Ausspähung eben nicht gegeben hat,
wird man sagen: Aber das kann es ja irgendwo in der
Welt geben. ({7})
Das kann sein. Vielleicht machen das russische Geheimdienste, vielleicht machen das chinesische Geheimdienste. Das mag durchaus sein. Aber hören Sie auf, der
Bundesregierung vorzuwerfen, sie sei nicht weltweit tätig, und ihr zu unterstellen, sie habe Einfluss auf sämtliche Geheimdienste dieser Welt. Das ist doch Unsinn.
Das, was Sie vorbringen, ist nur dem Wahlkampf geschuldet und hat eine völlig unschlüssige Argumentation.
({8})
Ich will Ihnen noch eines sagen: Ich bin froh, dass
diese Bundesregierung eben nicht am Thema vorbeiredet
wie Sie; ich bin froh, dass es ein Acht-Punkte-Programm
gibt; ich bin froh, dass man sich national, bilateral und
international für einen verbesserten Datenschutz einsetzt. Das sind die richtigen politischen Schritte, aber
nicht die Skandalisierung eines Themas, das keinen
Skandal darstellt.
Ich will Ihnen abschließend sagen: Hören Sie auf,
permanent zu behaupten, dass es in irgendeiner Form einen millionenfachen Datenaustausch gegeben hätte, der
deutsche Staatsbürger beeinträchtigt. Wir wissen - und
jedes Mitglied des Parlamentarischen Kontrollgremiums
weiß es -: Dieser Datenaustausch zwischen BND und
NSA hat dazu geführt, dass Anschläge in Krisengebieten, insbesondere in Afghanistan, verhindert werden
konnten und dass sie künftig verhindert werden können.
Deutsche Staatsangehörige waren vom Datenaustausch
nicht betroffen.
Das sind die Fakten. Beachten Sie sie! Achten Sie darauf, was zum Beispiel der Generalbundesanwalt sagt!
Er sagt, dass es noch nicht einmal einen Anhaltspunkt
für irgendein Fehlverhalten gibt. Das sind die Fakten, die
Sie aus wahltaktischen Gründen ignorieren. Ich halte das
für nicht in Ordnung.
Deswegen sage ich Ihnen zum Schluss: Wir werden
diese Anträge ablehnen, weil sie in der Sache nicht begründet sind, weil sie die Menschen verunsichern und
weil es letztlich darum geht, Geheimdienste effizient zu
kontrollieren. Bei Letzterem sind wir dabei. Aber es
kann nicht sein, dass man nicht behauptete Tatsachen
permanent wiederholt,
({9})
wohl wissend, dass Sie überhaupt keinen Beleg haben
für das, was Sie zu jeder Zeit sagen.
({10})
Das ist der Fakt, den wir hier feststellen. Sie skandalisieren ohne Argumentationsgrundlage; Sie haben keine Belege für das, was Sie behaupten.
({11})
Sie verunsichern die Menschen, und das ist der Sache
abträglich. Auch der Wahlkampf rechtfertigt es nicht,
uns an dem zu hindern, was wir machen, nämlich, den
richtigen Weg zu finden zwischen notwendigem Datenschutz und der notwendigen Unterstützung der Dienste.
Hören Sie auf die Stimmen der Vernunft in Ihrer Partei! Hören Sie auf, die falschen Dinge aus wahltaktischen Gründen zu skandalisieren! Kehren Sie zur Vernunft zurück!
({12})
Thomas Oppermann ist der letzte Redner in der Geschäftsordnungsdebatte.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Worum
geht es bei dieser Geschäftsordnungsdebatte?
({0})
Warum wollen wir hier im Parlament die NSA-Affäre
debattieren? Die Bundesregierung verhandelt seit drei
Wochen über ein Antispionageabkommen mit den USA.
Vor vier Monaten hätte niemand geglaubt, dass so etwas
nötig sein würde. Dass wir von Staaten, mit denen wir
nicht befreundet sind, ausgespäht und ausgeforscht werden, damit müssen wir jederzeit rechnen. Aber dass wir
von den Geheimdiensten von Großbritannien und den
Vereinigten Staaten, von unseren engsten Bündnispartnern, ausgespäht werden, das ist ein so unerhörter Vorgang, dass darüber der Deutsche Bundestag debattieren
muss.
({1})
Diese Debatte findet statt im britischen Unterhaus.
Das wird mit Leidenschaft diskutiert im amerikanischen
Kongress. Doch Sie mit Ihrer Geschäftsordnungsmehrheit wollen diese Debatte im Bundestag verhindern. Sie
wollen die Affäre totschweigen. Das ist armselig.
({2})
Bis heute sind die wichtigsten Vorwürfe von Edward
Snowden nicht aufgeklärt.
({3})
Es hat auch nicht geholfen, Frau Bundeskanzlerin, dass
Sie einen Ihrer wichtigsten Minister nach Washington
geschickt haben,
({4})
um dort aufzuklären. Herr Friedrich ist dort katzbucklig
hingefahren, und er ist wie ein begossener Pudel zurückgekehrt. Das war kein Auftritt.
({5})
Wir wissen bis heute wenig. Die NSA hat allerdings
eingeräumt, dass deutsche Kommunikation, Internet und
Telekommunikation, im Bereich ihrer Überwachung
liegt. Sie hat lediglich bestritten, dass wir flächendeckend ausgespäht werden. Aber was heißt schon „flächendeckend“? Wenn millionenfach E-Mail-Verkehr
und Telefonate in Deutschland überwacht werden, ist
das etwas, was die Grundrechte der Bürger in diesem
Lande berührt.
({6})
Jetzt zu unserem Antrag. Er zielt darauf ab, dass dieses Antispionageabkommen erst dann abgeschlossen
wird, wenn der Sachverhalt aufgeklärt ist. Wir können
doch ohne klare Faktenbasis kein Antispionageabkommen verhandeln. Wir müssen doch wissen, was da überhaupt verhindert werden soll. Deshalb sagen wir ganz
klar: Dieses Antispionageabkommen darf kein Stillhalteabkommen zwischen zwei Geheimdiensten sein, die sich
wechselseitig verpflichten, die Regierungen, die Ministerien und die Botschaften der anderen Seite nicht mehr
auszuspionieren. Das muss ein Abkommen zwischen
zwei souveränen Regierungen werden, das auch den
Schutz der Bürgerinnen und Bürger einbezieht.
({7})
Frau Bundeskanzlerin, wir wollen belastbare Vereinbarungen mit den Vereinigten Staaten über den Grundrechtsschutz unserer Bürger. Deshalb ganz klar an Sie
die Aufforderung: Stellen Sie sich vor die Bürgerinnen
und Bürger! Verteidigen Sie die Grundrechte, und lassen
Sie heute die Debatte zu, meine Damen und Herren!
({8})
Wir kommen zur Abstimmung.
Ich lasse zunächst über den Aufsetzungsantrag der
SPD-Fraktion abstimmen. Wer stimmt für diesen Antrag? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Damit ist der Aufsetzungsantrag mit Mehrheit abgelehnt.
Wer stimmt für den Aufsetzungsantrag der Fraktion
Die Linke? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? Damit hat auch dieser Aufsetzungsantrag keine Mehrheit
gefunden.
Wer stimmt für den Aufsetzungsantrag der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Keine. Damit ist auch dieser AufsetzungsPräsident Dr. Norbert Lammert
antrag abgelehnt, und zwar mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Opposition.
Wir kommen nun zum Tagesordnungspunkt 3:
Vereinbarte Debatte
Zur Situation in Deutschland
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache dreieinhalb Stunden vorgesehen. Darf
ich dazu Ihr Einvernehmen feststellen? - Das ist offenkundig der Fall.
Bevor ich der Bundeskanzlerin das Wort erteile, nutze
ich die Gelegenheit, dem Kollegen Volker Kauder zu
seinem heutigen Geburtstag die herzlichen Glückwünsche des Hauses zu übermitteln. Alle guten Wünsche!
({0})
Ich höre, auch Stefan Müller habe heute Geburtstag.
Es können sich auch noch weitere Personen melden. Das
alles wird dann nach Prüfung der Aktenlage brav vorgetragen.
({1})
Frau Bundeskanzlerin, Sie haben das Wort.
({2})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Uns alle beschäftigt in diesen Tagen die außergewöhnlich schwierige Situation in Syrien. Die Lage der Menschen ist katastrophal. Bereits über 100 000 Menschen haben ihr
Leben verloren; 2 Millionen - so die Zahlen von heute
Morgen - sind auf der Flucht. Es kann keinen Zweifel
geben, dass es zu einem eklatanten Bruch des Völkerrechts durch den grausamen Einsatz von Chemiewaffen
gekommen ist. Wir haben Bilder gesehen von Kindern,
von Erwachsenen, die qualvoll gestorben sind. Ich
glaube, wir sind uns einig, dass dies eine klare Antwort
der internationalen Staatengemeinschaft erfordert.
({0})
Deutschland hat sich mit Nachdruck dafür eingesetzt,
dass der UN-Sicherheitsrat sich mit diesem Giftgaseinsatz befasst. Aber wir müssen feststellen, der Bundesaußenminister und ich gemeinsam, seitdem wir uns mit
dem Syrien-Konflikt beschäftigen, dass der UN-Sicherheitsrat immer wieder blockiert ist, blockiert insbesondere auch durch eine sehr harte Haltung von Russland
und China.
Ich glaube, es ist unbestritten, dass wir nach diesem
Tabubruch, der Verletzung der Chemiewaffenkonvention, nicht einfach zur Tagesordnung übergehen dürfen.
Wir haben uns dafür eingesetzt, dass die UN Inspekteure
an den Ort der Tat schicken kann; das ist auch gelungen.
Wir setzen uns jetzt dafür ein, dass logistisch alles getan
wird, was getan werden kann, um die Untersuchung der
Proben zu beschleunigen. Ich möchte dem Bundesaußenminister dafür auch ganz herzlich danken.
({1})
Die Frage, was es bedeutet, nicht zur Tagesordnung
übergehen zu dürfen, stellen sich natürlich alle. Es gibt
Erwägungen, eine militärische Antwort zu geben. Sie
haben dies von den Vereinigten Staaten von Amerika,
Sie haben dies von Frankreich gehört. Wir sagen:
Deutschland wird sich an einem militärischen Einsatz
nicht beteiligen. Aber wir fügen hinzu: Wir wollen alles
unternehmen, was uns in den verbleibenden Tagen möglich ist,
({2})
um eine gemeinsame Antwort der internationalen Staatengemeinschaft zu finden.
({3})
Es ist - ich muss das hier in diesem Hohen Hause so
sagen - nicht sehr wahrscheinlich, dass dies gelingt, aber
auch die kleinste Chance muss genutzt werden. Deshalb
sind wir in permanenten Gesprächen mit all unseren
Partnern, mit Russland. Deshalb werden wir auch das
G-20-Treffen nutzen und alles Erdenkliche tun, um doch
noch zu einer gemeinsamen Haltung der internationalen
Staatengemeinschaft zu kommen. Ich glaube, dies ist im
Interesse aller, die hier in diesem Hause arbeiten.
({4})
Glücklicherweise gibt es eine breite internationale
Übereinstimmung darüber, dass der Syrien-Konflikt als
Ganzes nur durch einen politischen Prozess gelöst werden kann. Deshalb haben wir bereits auf dem G-8-Treffen in Großbritannien, zu Beginn des Sommers, darüber
gesprochen, dass es einer zweiten Konferenz in Genf bedarf. Auch diese Bemühungen werden wir fortsetzen;
genauso setzt sich Deutschland natürlich gemeinsam mit
den Vereinten Nationen auch in der internationalen Kontaktgruppe Freunde Syriens und anderen Gruppen permanent dafür ein, dass die Dinge einer Lösung zugeführt
werden.
Meine Damen und Herren, Deutschland hat sich mit
über 340 Millionen Euro auch dafür eingesetzt, das Leid
der Flüchtlinge zu lindern. Wir haben als erster EU-Mitgliedstaat 5 000 syrischen Flüchtlingen Aufnahme angeboten.
({5})
- Entschuldigung, ich finde, das ist ein erster Schritt.
Vielleicht könnten wir uns gemeinsam dafür einsetzen,
dass auch andere europäische Länder diesem Beispiel
folgen.
({6})
Wir wissen um die Verfolgung der Christen. Wir wissen
um die Verfolgung anderer. Es täte uns allen gut.
Ich sage aus diesem Anlass hier auch sehr deutlich:
Es ist beschämend, dass Menschen, die sich traumatisiert
von Bürgerkriegen oder wegen politischer Verfolgung
hilfesuchend an Deutschland wenden, Anfeindungen
von Unbelehrbaren in unserem Land ausgesetzt sind. Ich
freue mich, dass es einen parteiübergreifenden Konsens
gibt, gerade auch zu den Vorkommnissen in Berlin. Das
ist wichtig und unabdingbar. Wir lehnen solche Anfeindungen ab, meine Damen und Herren.
({7})
Wir haben gestern die Debatte über den Bericht des
NSU-Untersuchungsausschusses verfolgt. Auch ich
möchte seitens der Bundesregierung allen Mitgliedern
dieses Ausschusses herzlich danken und sagen, dass wir
die Empfehlungen natürlich umsetzen werden. Ich will
hinzufügen: Gerade im Lichte dieser Debatte ist kein
Platz für Fremdenfeindlichkeit, Rassismus, Rechtsextremismus oder Antisemitismus. Das ist unsere gemeinsame Haltung. Ich bin allen Bürgerinnen und Bürgern
dankbar, die das zum Ausdruck bringen.
({8})
Meine Damen und Herren, wir debattieren heute, am
Ende einer Legislaturperiode, über die Situation in
Deutschland. Die heutige Debatte gibt Gelegenheit, die
vier Jahre dieser Legislaturperiode noch einmal Revue
passieren zu lassen und einen Ausblick zu geben auf das,
was notwendig ist. Ich glaube, wir alle können feststellen, dass es ungewöhnlich herausfordernde vier Jahre
waren, mit Aufgaben, die wir am Beginn der Legislaturperiode so nicht vor uns sehen konnten.
({9})
Wir hatten zu tun mit den Nachwirkungen der internationalen Finanz- und Wirtschaftskrise. Wir sind in eine
Euro-Schuldenkrise hineingeraten. Wir hatten die
schrecklichen Ereignisse in Fukushima. Wir haben erfreulicherweise den Prozess der Übergabe der Verantwortung in Afghanistan. Wir sind nicht vorangekommen
- so muss man es sagen - in dem Kampf gegen das iranische Nuklearprogramm. Wir haben mit Hoffnung und
Spannung den arabischen Frühling verfolgt und sehen
jetzt, wie schwierig der Prozess ist, der sich daran anschließt. Wir verfolgen die Lage in Ägypten. Wir beobachten die Dinge in Libyen. Wir sind in Mali dabei.
({10})
Dies alles sind Herausforderungen, die sehr schwierig
sind. Und: Vor wenigen Wochen hatten wir national eine
Kraftprobe zu bestehen, nämlich die Bekämpfung einer
Flut, wie wir sie eigentlich nur einmal im Jahrhundert erwarten. Jetzt mussten wir erleben, dass dieses zweimal
in zehn Jahren passiert ist.
Meine Damen und Herren, trotz all dieser Herausforderungen kann man sagen: Alles in allem waren es vier
gute Jahre für Deutschland.
({11})
Es waren vier gute Jahre für Deutschland; denn heute
geht es vielen Menschen in Deutschland besser, als es ihnen vor vier Jahren gegangen ist.
({12})
Die christlich-liberale Koalition möchte diese Arbeit
fortsetzen, damit 2017 noch mehr Menschen sagen können: Uns geht es besser in unserem Land. - Das ist das
Ziel unserer Arbeit.
({13})
Meine Damen und Herren, wir sind vor vier Jahren
aus dem tiefsten Wirtschaftseinbruch, einem Einbruch
von 5 Prozent, herausgekommen. Wir haben darauf im
Rahmen der Großen Koalition mit einem klugen Konjunkturprogramm geantwortet. Natürlich hat das zu einem starken Defizit in unserem Haushalt und damit zu
mehr Verschuldung geführt. Die mittelfristige Finanzplanung für diese Legislaturperiode sah vor, dass wir
neue Schulden in Höhe von 262 Milliarden Euro aufnehmen müssen. Ich darf Ihnen heute berichten, dass es
100 Milliarden Euro sind. 100 Milliarden Euro bedeuten
auch eine Zunahme der Verschuldung. Aber dass wir
von 262 Milliarden Euro auf 100 Milliarden Euro gekommen sind, ist ein sensationeller Erfolg.
({14})
Wir werden 2014 einen strukturell ausgeglichenen
Haushalt haben und ab 2015 beginnen können, Schulden
zurückzuzahlen. Das ist ein Beitrag für unsere Kinder
und Enkel. Darüber sind wir froh.
({15})
Wir halten die im Grundgesetz für den Bund vorgesehene Schuldenbremse bereits seit 2012 ein.
Wir konnten verzeichnen, dass die Steuergelder, die
wir als Bund in dieser Legislaturperiode einnehmen, um
30 Milliarden Euro gestiegen sind.
All das sind herausragende Ergebnisse. Wie konnte
das gelingen, und warum ist das gelungen?
({16})
Das ist das Werk vieler Menschen im Lande. Aber,
meine Damen und Herren, es ist eben auch das Werk von
kluger Politik,
({17})
einer Mischung aus Ausgabendisziplin - schauen Sie
sich die Haushalte an; die Ausgaben steigen nicht -, aus
Entlastungen - wo immer das im Blick auf Wachstum
möglich ist - und aus Zukunftsinvestitionen.
Dieser Dreiklang hat dazu geführt, dass wir am Ende
dieser Legislaturperiode 1,9 Millionen mehr sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse haben als
2009, darunter 1,2 Millionen Vollzeitbeschäftigungsverhältnisse. Die Frauenerwerbstätigkeit hat ebenfalls zugeBundeskanzlerin Dr. Angela Merkel
nommen. 700 000 mehr Menschen im Alter von 60 bis
65 sind noch in Arbeit. Die Zahl der befristeten Arbeitsverhältnisse ist trotz der gestiegenen Zahl der Arbeitsverhältnisse konstant geblieben. Darüber hinaus haben
wir vom Statistischen Bundesamt gehört, dass im August die Zahl der atypischen Arbeitsverhältnisse zum
ersten Mal zurückgegangen ist.
({18})
Ich sage ausdrücklich: Fast 3 Millionen Arbeitslose
sind 3 Millionen zu viel. Dass wir aber diese Fortschritte
erzielt haben und dass wir die höchste Beschäftigungsquote in Deutschland haben, die wir je hatten, ist ein Erfolg, meine Damen und Herren. Das macht Mut, weiterzumachen. Genau diesen Weg wollen wir weitergehen.
({19})
Natürlich gibt es Löhne, die nicht akzeptabel sind.
Deshalb haben wir die Leiharbeit sozial gemacht.
({20})
Wir haben einen Mindestlohn vereinbart. Wir haben das,
was bei den geltenden Rechtslagen früher möglich war,
verhindert, nämlich dass Menschen aus einem unbefristeten Arbeitsverhältnis entlassen und dann im selben Betrieb als Leiharbeiter eingestellt und wieder eingesetzt
wurden. Diesem Drehtüreffekt haben wir einen Riegel
vorgeschoben. Das war eine wichtige und notwendige
Maßnahme.
({21})
Wir haben heute für 13 Branchen und 4 Millionen Erwerbstätige branchenspezifische Mindestlöhne vereinbart. Es gehört einfach zur Wahrheit dazu: Mindestlöhne
sind in Deutschland bis jetzt nur von CDU-Kanzlern für
allgemeinverbindlich erklärt worden. Rot-Grün hat an
dieser Stelle gar nichts gemacht.
({22})
In den nächsten Jahren liegt vor uns natürlich die
Aufgabe, die Arbeitslosigkeit weiter zu senken. Ein großes Thema ist, dass es aus den Jahren, als wir keine ausreichende Zahl an Ausbildungsplätzen hatten, noch viele
Jugendliche gibt, die keine Ausbildung haben. Deshalb
werden wir forcieren, dass die 25- bis 35-Jährigen jetzt,
wo der Ausbildungsmarkt sehr viel besser dasteht, eine
zweite Chance bekommen und auch diese jungen Menschen eine Ausbildung bekommen. Denn wir wissen,
dass das Risiko für Arbeitslosigkeit massiv sinkt, wenn
eine Ausbildung absolviert wurde.
({23})
Wir werden auch daran arbeiten, die Beschäftigung
Älterer weiter zu stärken. Wir haben alle miteinander
jahrelang den Fehler gemacht, Anreize dafür zu setzen,
Menschen zu früh aus dem Erwerbsleben herauszudrängen. Wir haben jetzt zum ersten Mal wieder mehr Menschen zwischen 60 und 65 Jahren in Arbeit als solche,
die schon aus der Arbeitswelt ausgeschieden sind. Angesichts des Wandels des Altersaufbaus unserer Gesellschaft müssen wir Älteren Chancen bieten, sonst wird
die Rente mit 67 keine Akzeptanz finden. Aber wir können sie bieten. Deshalb werden wir genau auf diesem
Weg weitermachen.
({24})
Von 2002 bis 2008 gab es in Deutschland keinerlei
Lohnsteigerungen. Seit 2009 haben wir die erfreuliche
Entwicklung, dass die Menschen wieder höhere Bruttolöhne haben. Wir hätten es gern noch in diesem Jahr ermöglicht, dass die Menschen mehr Netto vom Brutto in
der Tasche haben. Doch Sie haben verhindert, dass wir
die kalte Progression bekämpfen, obwohl der Bund die
meisten der Steuerausfälle übernommen hätte.
({25})
Das müssen Sie den Facharbeitern, Meistern und Ingenieuren in Deutschland einmal erklären.
({26})
Meine Damen und Herren, dies alles sind Erfolge der
Bürgerinnen und Bürger, der Arbeitnehmer und der Unternehmer, aber es ist auch Folge kluger politischer Weichenstellungen.
({27})
Es geht am 22. September um nicht mehr und nicht weniger als um die Frage, ob wir diesen Weg des Erfolges
weitergehen oder ob wir grobe Fehler sehen müssen, die
diese erfolgreiche Entwicklung wieder zunichtemachen.
Das ist die Frage, vor der die Bürgerinnen und Bürger
stehen.
({28})
Der Staat nimmt so viele Steuern ein wie nie zuvor.
Damit müssen wir auskommen. Ich sage auch: Damit
können wir auskommen.
({29})
Wenn wir Steuern erhöhen - das ist zumindest unsere
Überzeugung; vieles spricht dafür -,
({30})
dann gefährden wir Arbeitsplätze, weil wir genau die
treffen, die Selbstständige sind, die Unternehmen führen,
die Mittelständler sind. Sowohl die Erhöhung des Spitzensteuersatzes als auch die Einführung einer Vermögensteuer trifft das Rückgrat unserer Wirtschaft, den
Mittelstand, demotiviert und motiviert nicht. Wir brauchen motivierte Unternehmerinnen und Unternehmer,
damit mehr Arbeitsplätze entstehen. Das schafft nämlich
nicht die Politik, sondern das schaffen sie.
({31})
Steuererhöhungen würden deshalb dazu führen, dass wir
höhere Steuersätze haben, weniger Arbeitsplätze und
zum Schluss niedrigere Steuereinnahmen. Diesen Weg
gehen wir gerade nicht.
({32})
Wir konnten ja auch beobachten, welche Auswirkung
die hohe Zahl der Beschäftigten auf die Situation der sozialen Sicherungssysteme hat. Bei der Rente werden wir
den Weg der schrittweisen Einführung der Rente mit 67
weitergehen, weil es keine andere Antwort auf die veränderte Lage bezüglich des Altersaufbaus unserer Gesellschaft gibt.
({33})
Es ist falsch, den Kopf in den Sand zu stecken, jetzt wieder kleine Abweichungen vorzunehmen. Das alles wird
die junge Generation doppelt und dreifach bezahlen.
Deshalb machen wir das nicht. Verlässlichkeit ist das
Markenzeichen unserer Politik.
({34})
Wir dürfen nie vergessen: Die Rente muss zweimal
gerecht sein. Sie muss gerecht sein für die Älteren, aber
sie muss auch gerecht sein für diejenigen, die sie heute
mit ihren Leistungen erbringen müssen. Die Frage des
Zusammenhalts der Generationen wird in den nächsten
Jahren eine zunehmende Rolle spielen. Eine starke Gesellschaft ist nur eine Gesellschaft, in der die Generationen einander vertrauen und sich nicht überfordern. Natürlich sehen wir, dass angesichts der demografischen
Entwicklung das Thema der Altersarmut eine wachsende
Bedeutung haben wird. Deshalb haben wir genauso wie
andere ein Konzept vorgelegt, in dem es heißt: Wer
40 Jahre gearbeitet hat, wer privat vorgesorgt hat, der
soll Leistungen bekommen, eine Rente bekommen, die
oberhalb der Grundsicherung liegt. Genau das werden
wir umsetzen.
({35})
Die Union setzt sich auch dafür ein - darüber muss
man dann gegebenenfalls noch in Koalitionsverhandlungen sprechen -,
({36})
die Anrechnung von Erziehungszeiten bei der Rente für
Mütter, deren Kinder vor 1992 geboren wurden, zu verbessern.
({37})
Denn diese Frauen hatten keinen Rechtsanspruch auf einen Kitaplatz, keinen Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz, und die Gleichberechtigung in der Familie
war auch noch nicht so entwickelt, meine Damen und
Herren.
({38})
Dies nehmen wir uns für die nächsten Jahre vor. Warum? Das kann ich ganz klar begründen:
({39})
weil wir uns bis heute erst einmal ein Polster in der Rentenversicherung erarbeiten konnten.
({40})
Wir konnten gegen Ihren Willen hier in diesem Hause
die Rentenbeiträge senken und haben trotzdem Rücklagen, und deshalb können wir diesen Beitrag zur Gerechtigkeit gegenüber Frauen, die Kinder erzogen haben,
leisten, meine Damen und Herren.
({41})
Das geht aber nur, wenn die Beschäftigungssituation so
gut bleibt, sonst können wir all das nicht schaffen.
Jeder Mensch in unserer Gesellschaft hat ein Recht, in
Würde zu altern. Deshalb ist die Pflege von zentraler Bedeutung.
({42})
Wir haben im Pflegebereich einen Mindestlohn eingeführt. Wir haben ein Pflege-Neuausrichtungs-Gesetz eingeführt,
({43})
nach dem die Demenzkranken zum ersten Mal Leistungen erhalten; 650 000 Menschen erhalten mehr Leistungen. Wir haben dafür auch die Pflegeversicherungsbeiträge erhöht.
({44})
- Ich trage hier nur Fakten vor, und da ist schon so ein
Geschrei. Sie können es offensichtlich gar nicht aushalten, dass man Ihnen sagt, was alles beschlossen wurde.
Das ist ja unglaublich!
({45})
2,5 Millionen Menschen in Deutschland sind pflegebedürftig. Zwei Drittel von ihnen werden von Verwandten und Angehörigen gepflegt.
({46})
Das sind die stillen Helden unserer Gesellschaft, meine
Damen und Herren, und ihnen gebührt ein großes Dankeschön.
({47})
Wir wissen, dass die Aufgaben damit nicht erledigt
sind. Deshalb werden wir angesichts einer in den nächsten Jahren steigenden Zahl von Menschen, die pflegebedürftig sein werden, die Leistungen erweitern müssen.
Wir können nicht versprechen, dass die Beiträge konstant bleiben. Wir müssen uns in der nächsten Legislaturperiode auch mit einem neuen Pflegebedürftigkeitsbegriff beschäftigen.
({48})
- Ja, selbstverständlich. - Meine Damen und Herren, ich
habe mich sehr intensiv damit auseinandergesetzt.
({49})
Die Kommissionsarbeiten, die uns dazu vorgelegt wurden, hatten nicht den Reifegrad - darüber habe ich mit
dem Gesundheitsminister ausführlich gesprochen -,
({50})
dass man es den Betroffenen hätte zumuten können, in
neue Bewertungen hineingedrängt zu werden, weil nicht
klar war, ob manche Menschen zum Schluss weniger
Leistungen erhalten würden. Das gibt es mit uns nicht,
meine Damen und Herren, und das ist ein Beitrag zu einer guten Pflegeversicherung gewesen.
({51})
Jeder Mensch in unserem Land hat ein Anrecht - darauf sind wir stolz -, die Gesundheitsversorgung zu bekommen, die er braucht. Wir haben deshalb an einigen
Stellen nachsteuern müssen, was die Situation der Apotheken anbelangt, was die Versorgung der ländlichen
Räume mit Ärzten anbelangt. Die Patientenrechte wurden gestärkt. Wir werden auch in den nächsten Jahren
damit zu tun haben. Wir haben jetzt die Berichte über abgelehnte Leistungen und Ähnliches gehört. Wir gehen
solchen Vorwürfen nach. Wir sorgen dafür, dass jeder die
gleiche medizinische Behandlung bekommen kann. Das
ist unser Anspruch. Insoweit wird uns das Gesundheitssystem weiter beschäftigen. Aber ich will auch sagen:
Deutschland hat ein gutes Gesundheitssystem, und auch
hier gilt allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die
dort tätig sind, unser herzlicher Dank.
({52})
Ich glaube, wir sind uns einig, dass Familien der Kern
unserer Gesellschaft sind. Wir vertreten die Politik, dass
Familien selbst entscheiden sollen, wie sie leben wollen.
Deshalb werden wir keine Kürzungen beim Ehegattensplitting vornehmen. Deshalb werden wir auch nicht
zwischen Jüngeren und Älteren unterscheiden, sondern
überlassen das den Familien. Das halten wir für eine Unterstützung der Familien.
({53})
Wir haben seit 2007 in Deutschland 820 000 neue Betreuungsplätze für Kinder unter drei Jahren geschaffen.
Dies ist ein großes Gemeinschaftswerk von Kommunen,
Ländern und Bund.
({54})
Der Bund hat sich hierfür eingesetzt, obwohl er nicht zuständig ist, weil wir dies für eine gesamtgesellschaftliche
Aufgabe halten. Wir werden uns auch dauerhaft an der
Finanzierung der Betreuungskosten beteiligen. Dies halten wir für notwendig. Mit dem Rechtsanspruch auf einen Kitaplatz ist die Wahlfreiheit für Familien nämlich
massiv gestärkt worden. In diesem Zusammenhang haben wir im Sinne der Wahlfreiheit auch das Betreuungsgeld eingeführt.
({55})
Wir werden übrigens weiterhin an der Versorgung mit
Kitaplätzen arbeiten müssen, weil der Bedarf steigen
wird und weil auch die Ansprüche an die Betreuungszeiten und Öffnungszeiten steigen werden. Das ist der gesellschaftlichen Entwicklung geschuldet. Deshalb werden wir diesen Prozess weiter begleiten.
({56})
Meine Damen und Herren, wir haben in Forschung
und Bildung investiert - mehr als jede Bundesregierung
zuvor, 13 Milliarden Euro mehr -, weil wir der tiefen
Überzeugung sind, dass gute Bildung die Grundlage unseres Wohlstands ist. Wir werden in den nächsten Jahren
die Dinge natürlich weiterentwickeln müssen. Ich nenne
die Exzellenzinitiative, die Hightech-Strategie. Wir haben einen Qualitätspakt Lehre auf den Weg gebracht, damit die Ausbildung an den Hochschulen besser wird.
Wir haben den Hochschulpakt umgesetzt. Der Bund unterstützt die Schaffung zusätzlicher Studienplätze. Heute
gehen mehr als 50 Prozent eines Jahrgangs an Universitäten oder Fachhochschulen. Vor diesem Hintergrund
sage ich: Wir werden in den nächsten vier Jahren eher
wieder einen Blick auf die berufliche Ausbildung legen
müssen.
({57})
Wir müssen diese zweite Säule stärken, weil sie
Deutschland stark gemacht hat. Das wird eine der Aufgaben sein. Mein Ziel ist es auch, in der nächsten Legislaturperiode wieder einen Ausbildungspakt unter Einbeziehung der Gewerkschaften zu schließen. Ich glaube,
sie gehören in einen solchen Ausbildungspakt hinein.
({58})
Meine Damen und Herren, wir haben in dieser Legislaturperiode aus gesamtgesellschaftlicher Überzeugung
die Kommunen entlastet, und zwar um mehr als 20 Milliarden Euro, indem wir die Grundsicherung und das
Bildungspaket für Hartz-IV-Empfänger übernommen
haben. Dies ist ein Beitrag dazu, dass Kommunen handlungsfähiger werden. Ich glaube, dass jeder, der die
Dinge beobachtet, weiß, dass der Bund damit etwas unglaublich Wichtiges gemacht hat und gerade die Kommunen entlastet hat, in denen sehr viele Menschen arbeitslos sind oder schwierige Erwerbsbiografien haben,
sodass sich später ein Grundsicherungsanspruch ergeben
würde. Wenn man mit Oberbürgermeistern spricht, so
stellt man fest, dass sie dies sehr zu schätzen wissen.
Auch dafür mein Dankeschön.
({59})
Wir werden uns in der nächsten Legislaturperiode
auch mit der Eingliederungshilfe für Behinderte beschäftigen müssen. Hier braucht es ein einheitliches Bundesgesetz. Auch darüber gibt es Gespräche mit den Ländern
und große Einigkeit.
Meine Damen und Herren, wir haben zum ersten Mal
seit langem einen breiten gesellschaftlichen Konsens
über unsere Energiepolitik. Die Ereignisse von Fukushima haben dazu geführt, dass sich auch die christlichliberale Koalition dafür entschieden hat, die Laufzeit der
Kernkraftwerke in Deutschland zu verkürzen und auf
2022 zu begrenzen.
({60})
Ich glaube, das war absolut korrekt. Ich sage noch einmal: Die Ereignisse in Fukushima haben uns dazu gebracht. Wir haben damals eigentlich in großer Übereinstimmung alle Gesetze verabschiedet bis hin zu einem
Endlagersuchgesetz. Das ist ein großer Erfolg. Ich weiß
gar nicht, warum Sie sich darüber nicht mit freuen können.
({61})
Das ist übrigens eines Ihrer Probleme, dass Sie sich nicht
über die Entwicklungen in Deutschland freuen können;
und das mögen die Menschen nicht.
({62})
Es ist unbestritten, dass wir damit vor einer großen
Herausforderung stehen. Aber die Welt ist der Überzeugung: Wenn ein Land das schaffen kann, dann Deutschland.
({63})
Allerdings ist es notwendig, dass wir die Bezahlbarkeit
des Stroms in das Zentrum unserer Bemühungen stellen.
Das ist doch gar keine Frage.
({64})
Ich stehe auch nicht an, zu sagen: Ja, ich habe auf der
Grundlage umfangreicher Prognos-Studien in diesem
Hohen Hause gesagt, die EEG-Umlage wird in der Größenordnung nicht über 3,5 Cent steigen. Wir haben dann
eine Entwicklung erlebt, im Übrigen auf der Grundlage
eines Gesetzes zum Ausbau der Photovoltaik, das Herr
Gabriel insbesondere noch gut kennen müsste, die eine
ungeheure Dynamik des Ausbaus der erneuerbaren
Energien mit sich gebracht hat. Das führt dazu, dass
heute 25 Prozent des Stroms aus erneuerbaren Energien
gewonnen werden. Das führt dazu, dass die erneuerbaren
Energien keine Nische in der Stromerzeugung mehr
sind, sondern Teil der Gesamterzeugung. Das führt dazu,
dass wir vor völlig neuen Problemen stehen.
Wir haben uns zwischen Ministerpräsidenten und
Bundesregierung auf eine Arbeitsstruktur verständigt,
die auch gut funktioniert, jedenfalls außerhalb der Wahlkämpfe. Aber wir konnten eine substanzielle EEG-Novelle nicht erreichen. Deshalb ist eine der ersten Aufgaben der nächsten Legislaturperiode, das ErneuerbareEnergien-Gesetz zu novellieren, damit die Dynamik der
Kostenentwicklung gestoppt wird.
({65})
Wir wissen, dass es Deutschland auf Dauer nur gut
gehen kann, wenn es Europa gut geht. Wir haben in diesen vier Jahren eine schwere Krise erlebt, eine Verschuldungskrise, auch eine nicht gute Bankensituation und
eine Krise der mangelnden Wettbewerbsfähigkeit. Im
Kern konnte diese Krise entstehen, weil in Europa über
Jahre nicht die Verlässlichkeit geherrscht hat, die wir uns
eigentlich versprochen hatten. Deshalb will ich hier noch
einmal deutlich machen: Dazu konnte es nur kommen,
weil immer wieder Absprachen gebrochen wurden, weil
in den Euro-Raum - auch von meinem Vorgänger, dem
Bundeskanzler Schröder - Länder wie Griechenland aufgenommen wurden und weil der Stabilitätspakt gebrochen wurde. So hat sich über Jahre eine Krise aufgebaut,
die dann im Moment der internationalen Finanz- und
Wirtschaftskrise voll ausgebrochen ist. Mit dieser Krise
müssen wir jetzt umgehen. Wir betreiben eine Politik der
Stabilisierung des Euro, die davon ausgeht: Der Euro ist
gut für unser Land, für unsere Arbeitsplätze, für unseren
Wohlstand. Deshalb unterstützen wir die Euro-Rettung.
({66})
Weil es immer an Verlässlichkeit gefehlt hat, ist es
jetzt wichtig, dass wir klare Prinzipien haben. Das Prinzip unserer Euro-Hilfe für Länder, die in Schwierigkeiten sind, heißt: Solidarität und Eigenleistung sind zwei
Seiten einer Medaille. Leistung und Gegenleistung, das
ist das Prinzip, nach dem wir handeln.
({67})
- Das können wir gerne aufnehmen, weil Sie das immer
so gerne zitieren. „Kein Cent für die Griechen“ - richtig.
Kein Cent für die Griechen, solange die Griechen nicht
bereit waren, Eigenleistungen und Reformen zu vollbringen;
({68})
weil das sonst keinen Sinn hat, weil die Solidarität sonst
ins Leere läuft. Deshalb ist das Beharren auf diesem
Prinzip richtig gewesen.
({69})
Meine Damen und Herren, es ist ja paradox: Sie haben nahezu allen Programmen in diesem Hause zugestimmt - bei Griechenland waren Sie noch nicht so weit -,
die sich mit der Euro-Rettung befasst haben.
({70})
Wir haben gemeinsam einen Wachstumspakt verabschiedet. Wir haben für einen gemeinsamen Haushalt in
Europa gearbeitet.
({71})
Wenn man allem zugestimmt hat, ist es doch eigentlich
gar nicht sinnvoll, jetzt hier so ein Geschrei zu entfachen.
({72})
Ich kann nur sagen: Wir müssen diesen Weg weitergehen. Wir können aber nicht sicher sein, dass der Weg mit
Ihnen so weitergegangen wird;
({73})
denn Sie sprechen von gemeinsamen Schuldentilgungsfonds und Euro-Bonds. Wir sagen: Es wird nicht gut
werden, wenn nicht Haftung und Durchgriff und Entscheidung in einer Hand liegen. Deshalb wird es das mit
uns nicht geben.
({74})
Wir werden jetzt auf dem G-20-Gipfel wieder einen
Schritt auf dem Weg zur Regulierung der Finanzmärkte
gehen. Wir sind in diese schwierige Lage gekommen,
weil es Exzesse der Banken gab,
({75})
weil die Staaten nicht mehr die Hüter der Ordnung waren. Wir haben umfangreiche nationale und europäische
Regelungen eingeführt. Wir wissen, dass vieles nur international entschieden werden kann. Das Treffen der
20 führenden Industrieländer am Donnerstag und Freitag
in Russland wird einen weiteren Fortschritt mit sich
bringen, was die Bekämpfung der Steuerhinterziehung
anbelangt. Das Prinzip des automatischen Informationsaustauschs zwischen den verschiedenen Ländern wird
von all diesen Ländern unterstützt werden. Wir werden
uns mit Maßnahmen befassen, die von der OECD ausgearbeitet wurden, mit denen wir der Steuervermeidung
begegnen wollen, das heißt der Tatsache, dass multilaterale Konzerne heute an vielen Stellen überhaupt keine
Steuern mehr zahlen. Das muss in Zukunft unterbunden
werden.
Ich füge hinzu: Wir kommen leider zu langsam voran
bei der Regulierung der Schattenbanken. Ich sage: Wenn
wir hier keine entsprechenden Ergebnisse erzielen, dann
machen sich die G 20 lächerlich. Wir alle haben uns vor
Jahren versprochen, dass wir jeden Finanzplatz, jeden
Finanzmarktakteur und jedes Finanzmarktprodukt regulieren. Uns ist das bei den Banken gelungen. Bei den
Schattenbanken gibt es schon wieder Verschleppungstendenzen. Deutschland wird mit Entschiedenheit dagegen vorgehen,
({76})
genauso wie der Bundesfinanzminister mit Entschiedenheit für die Einführung einer Finanzmarkttransaktionsteuer kämpft, meine Damen und Herren.
({77})
Deutschland ist so stark, weil sich die Mehrzahl der
Menschen, der Bürgerinnen und Bürger in Deutschland
für dieses Land einsetzt.
({78})
Politik kann nur das gestalten, was von den Menschen
erarbeitet wurde. Deshalb sagen wir: Wenn wir ein solidarisches Land bleiben wollen, dann müssen wir diejenigen, die jeden Tag zur Arbeit gehen, jeden Tag ihre Kinder erziehen, sich jeden Tag um ihre Verwandten
kümmern, jeden Tag ehrenamtlich tätig sind, jeden Tag
für unser Land Verantwortung wahrnehmen - ganz
selbstverständlich -, mit unserer Politik stärken, statt sie
zu schwächen.
({79})
Das ist das Prinzip der christlich-liberalen Koalition.
Auf diesem Weg werden wir weitermachen, für mehr
Arbeitsplätze und mehr Wohlstand.
Herzlichen Dank.
({80})
Das Wort erhält nun der Kollege Peer Steinbrück für
die SPD-Fraktion.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten
Damen und Herren! Frau Merkel, die beiden wichtigsten
Wörter, die Sie in Ihrer Rede benutzt haben, waren „wir
werden“ - wir werden, wir werden.
({0})
Man fragt sich: Wer hat eigentlich in den letzten vier
Jahren in der Bundesrepublik Deutschland regiert?
({1})
Alles, was zu tun ist, was wichtig ist, was diesem Land
Richtung geben könnte, haben Sie in die Zukunft projiziert. Sie hätten das in diesen vier Jahren anpacken müssen. Das haben Sie nicht getan.
({2})
In der Präambel Ihres Koalitionsvertrages, Frau
Merkel, heißt es sehr vollmundig, Ihre Regierung wolle
dem Land eine neue Richtung geben. Sie, Herr
Westerwelle und Herr Seehofer wollten Deutschland zu
einem neuen Aufbruch in das neue Jahrzehnt führen
({3})
und die Zukunft mit neuem Denken gestalten.
({4})
- Sie sind ja sehr genügsam.
({5})
Herr Westerwelle sprach immerhin von einer geistigpolitischen Wende.
({6})
Das schrieben Sie vollmundig an den Anfang Ihres Koalitionsvertrages, bzw. das spiegelt Ihr Selbstverständnis
wider.
An diesen Ansprüchen sind Sie auf ganzer Linie gescheitert.
({7})
Statt Aufbruch gibt es Stillstand, statt Richtung gibt es
Kreisverkehr, und statt Tatkraft gibt es Abwarten und
Beobachten; dieses Wort spielte in Ihrer Rede auch immer eine Rolle: wir beobachten. - Nein, Sie haben die
Richtlinienkompetenz, um zu handeln für dieses Land,
die Bundesrepublik Deutschland.
({8})
Sie haben unser Land in diesen vier Jahren mit einer
Sprache des Ungefähren, der Unschärfe, überzogen.
Eine klare Haltung ist angesichts Ihrer diversen Wendemanöver nicht zu erkennen gewesen, nicht bei den Volten in der Europapolitik und auch nicht in der Energiepolitik: Erst haben Sie die Laufzeiten verlängert; dann
sind Sie dort angekommen, wo Rot-Grün schon zehn
Jahre zuvor gewesen ist.
({9})
Eine klare Haltung war nicht erkennbar bei der Wehrpflicht, nicht bei der zeitgemäßen und überfälligen
Gleichstellung von gleichgeschlechtlichen Partnerschaften und auch nicht in Ihrem Frauen- und Familienbild,
das mehr dem 20. Jahrhundert zugehörig ist als dem
21. Jahrhundert.
({10})
Eine klare Haltung ist auch nicht erkennbar gewesen angesichts der Spaltung des Arbeitsmarktes mit der Folge
einer Spaltung unserer Gesellschaft und dem Ergebnis,
dass das Normalarbeitsverhältnis in Deutschland nicht
mehr der Normalfall ist.
Jürgen Habermas hat in einem Spiegel-Essay geschrieben - ich zitiere ihn -: „Ihrer öffentlichen Person
scheint jeder normative Kern zu fehlen.“ Sie haben dem
Land eine rhetorische Beruhigungstablette verpasst.
({11})
Unser Land leidet an politischer Unterzuckerung, Sie
unterfordern die Wählerinnen und Wähler mit Blick auf
die Zukunft dieses Landes.
({12})
Wir mussten in der NSA-Affäre erleben, dass Sie besonderen Wert darauf legen, genau zu wissen, was Sie
nicht wussten - ebenso Herr de Maizière in der Drohnenaffäre. Sie sind aber hier auskunftspflichtig zu dem,
was dort passiert ist.
({13})
Deutschland ist in den letzten vier Jahren unter Wert
regiert worden. Das entlastet von Anstrengungen, und es
führt nicht zu Beschwerden; denn nirgendwo wird angeeckt. Aber viele Bürgerinnen und Bürger wissen, dass
damit Zukunft nicht gesichert wird. Sie sind die Architektin der Macht; aber Sie sind nicht die Architektin des
Landes.
({14})
Eine Ihrer ersten Entscheidungen in dieser schwarzgelben Bundesregierung war die Einführung eines Mehrwertsteuerprivilegs für die Hoteliers, und eine Ihrer
letzten Entscheidungen war das frauenpolitisch, arbeitsmarktpolitisch und integrationspolitisch falsche Betreuungsgeld.
({15})
In beiden Fällen - vermute ich - haben Sie Ihre eigene
Überzeugung geopfert, im ersten Fall gegenüber der
FDP und im zweiten Fall gegenüber der CSU. Zwischen
diesen beiden Entscheidungen liegen 50 Gipfel, an dePeer Steinbrück
nen Sie maßgeblich teilgenommen haben - 50 Gipfel,
fast in jedem Monat ein Gipfel -, und über allen Gipfeln
ist Ruh.
({16})
In den Koalitionsverhandlungen ging es 2009 im Wesentlichen um die Frage, ob die Steuerentlastung vielleicht 20, 25 oder 30 Milliarden Euro umfassen soll. Das
war schon damals ein grandioser Anfall von Wirklichkeitsverleugnung; aber es war Ihr Wahlversprechen. Was
ist eigentlich daraus geworden? Sie wollten eine Überarbeitung des Regimes der reduzierten Mehrwertsteuersätze. Was ist aus dieser Steuerpolitik geworden? Das
Einzige, was Sie hier mit Herrn Schäuble zum dritten
oder vierten Mal aufgießen, ist erneut eine Abschaffung
der Gewerbesteuer. Gute Reise zu den Kommunen,
wenn Sie das machen!
({17})
Noch im Frühjahr dieses Jahres haben Sie beim DGB
eine Rentenreform, ein Rentenkonzept der CDU/CSU
angekündigt. Was ist daraus geworden? Nichts, gar
nichts ist daraus geworden. Frau von der Leyen läuft mit
einem Pappschild herum, auf dem „Lebensleistungsrente“ steht. Das ist aber nicht einmal Beschlusslage Ihrer Partei.
({18})
2011 riefen Sie das Jahr der Pflege aus. Die letzte
große Pflegereform stammt aus dem Jahre 2008, von
Ulla Schmidt, aber nicht von Ihnen.
({19})
Was ist aus dem Breitbandausbau geworden, um auch
Gebiete außerhalb von Großstädten mit schnellem Internet zu versorgen? Erkennbar nichts.
Die Energiewende ist ein reines Desaster. Sie ist aus
der Sicht von vielen die größte Investitionsbremse in
Deutschland seit Jahrzehnten.
({20})
Sie wollten mit einem Stufenplan den Anteil der
Frauen in Vorständen und Aufsichtsräten - ich zitiere „maßgeblich“ erhöhen. Was ist daraus geworden? Im
TV-Duell mit Frank-Walter Steinmeier kündigten Sie damals eine Malusregelung für Managergehälter an. Was
ist aus all dem geworden? Nichts.
({21})
Alles angekündigt, abgewartet, ausgesessen. Oder wie
ein Journalist geschrieben hat: Alles vertagt, verpatzt
und versenkt.
Das gilt übrigens auch in Europa. Wo ist denn in den
letzten Monaten spürbar gewesen, dass Sie den von uns
mitgetragenen Wachstumspakt in Europa auch wirklich
mit großem Ehrgeiz durchgesetzt haben? Was haben Sie
nach der Verkündigung der sogenannten Jugendgarantie
im Februar dieses Jahres getan?
({22})
Wo ist - ich bleibe dabei - die Realisierung der Finanzmarkttransaktionsteuer geblieben?
({23})
Stattdessen haben wir es mit sehr wohlklingenden Etiketten zu tun: Bildungsrepublik Deutschland; das Jahr
der Entscheidung; der Herbst des Vertrauens - oder vielleicht auch umgekehrt -; das Jahr der Pflege; Lohnuntergrenze; Lebensleistungsrente; Flexiquote; Mietpreisbremse. Das Thema Mietpreisbremse haben Sie sich zu
eigen gemacht, haben aber dann hier im Deutschen Bundestag gegen die Mietpreisbremse gestimmt.
({24})
Alles Etiketten auf leeren Flaschen. Wann und wo, Frau
Merkel, gab es in dieser Legislaturperiode ein Projekt,
eine wegweisende Vorstellung, von mir aus eine Vision,
wo über diese Legislaturperiode hinaus diesem Land Zukunft und Richtung gegeben werden könnte? Wann haben Sie, wie alle Ihre Vorgänger, Ihr Amt in die Waagschale geworfen und Ihre Richtlinienkompetenz
ausgeübt, um diesem Land eine Richtung zu geben?
({25})
Sie beanspruchen eine Richtlinienkompetenz, ohne
Richtlinien geben zu wollen. Sie sind doch nicht die Präsidentin der Republik, sondern Sie sind als Kanzlerin für
dieses Kabinett verantwortlich, das Kabinett, das das tatenloseste, zerstrittenste, rückwärtsgewandteste, aber
vollmundigste Kabinett seit der deutschen Wiedervereinigung ist.
({26})
Sie malen unser Land in schönen Farben. Ja, ich habe
damit keine Schwierigkeiten. Ich freue mich mit Ihnen
darüber, dass es ein starkes Land ist, ein starkes Land
mit starken Unternehmen, mit einem einmalig tüchtigen
Mittelstand, mit vielen Familienunternehmen, ein Land
mit einer sehr starken industriellen Basis und einer entsprechenden Facharbeiterschaft, ein Land mit einer intakten und wichtigen Sozialpartnerschaft, ein Land mit
viel ehrenamtlichem Engagement, ein Land, in dem die
letzte umfassende Reform von Ihrem Vorgänger Gerhard
Schröder stammt. - Das ist unser Land.
({27})
Sie haben in dieser Legislaturperiode seit 2009 Ernten
eingefahren, die Sie nicht gesät haben, und Sie haben in
dieser Legislaturperiode nichts für zukünftige Ernten ge32630
tan. Gleichzeitig erleben wir allerdings in unserem Land
- das kommt zu dem hinzu, was Sie sagen -, dass es
7 Millionen Menschen gibt, die unter 8,50 Euro verdienen, dass es 1,4 Millionen Menschen gibt, deren Verdienst trotz Vollzeittätigkeit aufgestockt werden muss,
weil sie monatlich so wenig Geld haben, dass die Gemeinschaft der Steuerzahler die Dumpinglöhne aufstocken muss, die sie von ihren Arbeitgebern bekommen
haben. Sie haben recht, wenn Sie sagen, dass die Arbeitslosigkeit gesunken ist; darüber freuen wir uns alle.
Gleichzeitig weisen viele Beobachter aus, dass Deutschland das Land in Europa mit dem größten Niedriglohnsektor ist. Sie haben keineswegs, wie Sie eben behauptet
haben, dem Missbrauch von Leiharbeit, Zeitarbeit und
Werkverträgen einen Riegel vorgeschoben; dieser Missbrauch hat sich in diesen vier Jahren in unserem Land
vielmehr ausgeweitet.
({28})
Wir haben es mit dem erschreckenden Zustand zu tun,
dass 1,5 Millionen Menschen in den Zwanzigern keinen
Schul- oder Bildungsabschluss haben. Gleichzeitig wissen wir um die Gefahr eines Facharbeitermangels.
Wir haben es mit einem Land zu tun, das die historisch niedrigste Investitionsquote hat, und zwar sowohl
öffentlich wie auch privat. Das heißt, unsere Investitionen in Deutschland liegen laut OECD-Zahlen 2 Prozent
unter dem Durchschnitt der anderen OECD-Staaten; das
sind 50 bis 52 Milliarden Euro.
Fakt ist, dass viele Kommunen in einer Notlage sind,
dass viele Kommunen ihre Aufgaben nicht mehr erfüllen
können, weil ihre Finanzlage so marode ist, dass sie all
die Aufgaben im nachbarschaftlichen Bereich der Bürgerinnen und Bürger nicht mehr erfüllen können.
({29})
140 Milliarden Euro beträgt der Investitionsstau der
Kommunen.
Fakt ist, dass die Schere zwischen Arm und Reich in
den letzten 15 Jahren weiter auseinandergegangen ist,
was zu Spannungen in unserer Gesellschaft führt.
Mit Blick auf die Steuerpolitik, die Sie vorhin noch
einmal dargestellt haben: Sie wollen Steuerpolitik zulasten Dritter machen, nämlich zulasten der Kommunen,
die infolge solcher Steuersenkungen, wie Sie sie hier als
richtig dargestellt haben, ihre Gebühren, insbesondere
auch für ihre Kindertagesstätten, erhöhen müssten. Viel
wichtiger als solche Steuersenkungen wäre es, dafür
Sorge zu tragen, dass die Eltern gar keine Gebühren
mehr für die Kindergärten bezahlen müssen.
({30})
Wir wissen um den drohenden Pflegenotstand, der
eintritt, wenn weiter so regiert wird wie bisher.
All das gehört zu einer vollständigen Beschreibung
unseres Landes. Man darf den Blick nicht nur auf das
Gute, Schöne, Problemlose, Anstrengungslose werfen.
Und kommen Sie mir nicht mit Schwarzmalerei! Das
sind Fakten. Sie sind nicht gefällig und lassen sich auch
durch ein Einlullen der Wählerinnen und Wähler nicht
unsichtbar machen.
Eine rot-grüne Bundesregierung mit mir als Bundeskanzler wird deshalb einen flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn einführen.
({31})
Wir werden den Missbrauch von Leiharbeit, Zeitarbeit
und Werkverträgen bekämpfen. Wir werden deutlich
mehr Geld in die Bildung investieren, weil sie in
Deutschland unterfinanziert ist.
({32})
Wir werden die kommunale Finanzlage verbessern. Wir
werden eine Pflege- und Rentenreform verabschieden,
die diesen Namen verdient. Wir werden die Kinderbetreuung und die Ganztagsschulen in Deutschland ausbauen, und wir werden mehr denn je in die Infrastruktur
in Deutschland investieren müssen, weil diese verfällt.
({33})
Dazu werden wir in der Tat einige Steuern für einige
erhöhen - wir sind hier ehrlich und wahrhaftig -, weil
diese Zukunftsinvestitionen anders nicht zu finanzieren
sind. Da die Bezieher höherer Einkommen und die Besitzer hoher privater Vermögen die Gewinner der Einkommens- und Vermögensverteilung der letzten
15 Jahre sind, halten wir es verteilungspolitisch auch für
richtig, sie stärker zur Finanzierung von vier zentralen
öffentlichen Aufgaben heranzuziehen: für Bildung, für
Infrastruktur, für Kommunen und zum Schuldenabbau.
({34})
Wenn Sie von Umverteilung reden, wollen Sie die
Menschen immer in eine Geisterbahn hineinführen, nach
dem Motto: Bei den Sozialdemokraten müsst ihr eure
Handtaschen und Portemonnaies zunähen, weil sie euch
das Geld herausziehen wollen. - Sie malen hier immer
solche Horrorgemälde und nutzen sie als Pappkameraden, um Ihre Munition loszuwerden.
Wenn Sie von Umverteilung reden, dann sage ich Ihnen: Ja, es gibt eine Umverteilung. Es gibt in Deutschland seit 10 bis 15 Jahren eine deutliche Umverteilung,
({35})
und zwar nicht von oben nach unten, sondern von unten
nach oben. Das sagt Ihnen nicht die SPD, sondern das
sagt Ihnen das Statistische Bundesamt.
Deshalb lassen wir uns auf diese Debatte über Umverteilung und über eine stärkere Heranziehung der Bezieher oberer Einkommen und der Besitzer hoher privater Vermögen zur Finanzierung der genannten vier
öffentlichen Aufgaben sehr gerne ein.
({36})
Ja, es ist in diesem Land etwas aus dem Lot geraten,
und zwar nicht nur mit Blick auf die Einkommens- und
Vermögensverteilung und auf die Spaltung des Arbeitsmarktes, die offensichtlich wird, wenn man sieht, dass
fast 25 Prozent der Menschen - nicht ganz - inzwischen
in sogenannten prekären Arbeitsverhältnissen sind,
wenn man sieht, dass jeder zweite Arbeitsvertrag inzwischen befristet ist, und wenn man sieht, dass sich viele
Jugendliche von einem Werkvertrag zum anderen hangeln und so unsicher sind, dass sie deswegen in der Tat
keine Kinder in die Welt setzen.
({37})
Ich weiß, wie es mit einem Werkvertrag ist. Mein Berufsweg begann einmal mit einem Werkvertrag, wodurch
die Perspektiven ziemlich unsicher waren.
Nein, in diesem Land ist nicht nur mit Blick auf die
Spaltung des Arbeitsmarktes und die prekären Beschäftigungsverhältnisse etwas aus dem Lot geraten, sondern
insbesondere auch deshalb, weil sich viele Steuerzahler
angesichts eines skandalösen Steuerbetruges inzwischen
als die Dummen fühlen.
({38})
Es ist etwas aus dem Lot geraten, weil sich viele Steuerzahler als die Haftenden in letzter Instanz für die Zockereien und die Risikoignoranz von Banken sehen.
({39})
Ich werde unterwegs von vielen Bürgerinnen und
Bürgern angesprochen und gefragt, ob der Ordnungsrahmen der sozialen Marktwirtschaft in Deutschland mit
Maß, Mitte und Ausgleich eigentlich noch gilt oder ob
nicht alle ihre Lebens- und Arbeitsverhältnisse zunehmend von enthemmten, entgrenzten Marktkräften bestimmt werden und in viele Lebens- und Versorgungsbereiche Marktkalküle Einzug halten sollen. Sie
beschäftigen sich mit der Frage, ob diese Republik noch
im Lot ist.
Nun bin ich gespannt, ob Sie auch noch die Autofahrer mit einer Pkw-Maut überziehen und für dumm verkaufen wollen. Das wäre dann zusätzlich zu der Sache
mit den Steuerzahlern eine weitere Steigerung. Diesen
populistischen Klamauk von Herrn Seehofer mit einer
Pkw-Maut für Ausländer müssten Sie doch eigentlich so
schnell wie möglich stoppen.
({40})
Herr Seehofer verurteilt Sie ja schon auf die Oppositionsbänke, bevor die Wahllokale geschlossen haben,
weil er mit Ihnen keinen Koalitionsvertrag ohne die Einführung einer Pkw-Maut für Ausländer abschließen will.
({41})
Gut: Dass er ein Quartalsirrläufer ist, das wussten wir
schon
({42})
in dem Augenblick, in dem er zum Beispiel Herrn zu
Guttenberg und Herrn Röttgen als „Glühwürmchen“ und
Herrn Ramsauer als „Zar Peter“ bezeichnet hat. Herrn
Söder hat er „Schmutzeleien“ vorgeworfen und von
„charakterlichen Schwächen“ gesprochen - nach dem
Motto: Das kann alles gesendet werden. - Aber damit
gibt er nur Stoff für den Starkbieranstich am Nockherberg. Bei Einführung einer Pkw-Maut blickt er entweder
europarechtlich nicht durch, dann ist er ein Risiko für
den Freistaat Bayern; oder es ist ihm egal, dann ist er ein
Sicherheitsrisiko für die Bundesrepublik Deutschland.
({43})
Wenn er sich europarechtlich auf der richtigen Seite
wähnt, weil er sagt: „Ich muss dann auch eine Pkw-Maut
für die Inländer einführen, aber diese kompensiere ich
durch den Wegfall der Kfz-Steuer“, dann muss man wissen, dass die deutschen Klein- und Mittelklassefahrer für
eine Vignette doppelt so viel bezahlen müssen wie im
Augenblick für die Kfz-Steuer.
({44})
Dann muss man auch wissen, dass die Besitzer von Autos der Premium-Klasse gegenüber ihren jetzigen Verpflichtungen in Form der Kfz-Steuer doppelt so stark
entlastet werden.
({45})
Ich will abschließend, Frau Merkel, noch einmal auf
die Europapolitik eingehen und Ihnen mit sehr großem
Ernst vorhalten, dass Ihre Einlassung in einem Interview,
das in der Woche vor der Bundestagswahl gesendet wird,
die SPD sei - ich zitiere - europarechtlich unzuverlässig,
weit mehr ist als eine Verirrung in diesem Wahlkampf.
Das haben Sie gesagt, und das wird gesendet. Noch einmal: Es geht um Ihren Vorwurf, die SPD sei europapolitisch unzuverlässig.
Sie müssen genau wissen, dass Sie damit Brücken
zerstören, dass Sie damit in der Zukunft Gemeinsamkeiten unmöglich machen, wo wir vielleicht auf diese Gemeinsamkeiten angewiesen sind;
({46})
denn wie Sie gerade selbst ausgeführt haben: An einer
europapolitischen Verantwortung meiner Fraktion bei
der Verabschiedung von Rettungsschirmen hat es in den
letzten Jahren nicht gefehlt. In manchen Fällen mussten
wir Ihnen die Kanzlermehrheit erst besorgen.
({47})
In einem Fall, Frau Merkel, hätten Sie ohne uns wohl
keine Zweidrittelmehrheit für den ESM bekommen. Die
SPD in der Europapolitik unzuverlässig? Das werden
wir uns merken; denn meiner Partei fiel das nicht ganz
leicht. Meiner Partei wurde von vielen ihr konstruktives
Verhalten nach dem Motto vorgeworfen: Damit habt ihr
zugegeben, dass ihr gegen das Krisenmanagement von
Frau Merkel in Europa keine Einwände habt. - Keineswegs! Aber die SPD hat eben aus der Oppositionsrolle
heraus gezielt keine Obstruktionspolitik gegen Europa
betrieben.
({48})
- Nein, wir haben unsere Verantwortung wahrgenommen; eine Verantwortung, die wir vertreten können und
zu der wir uns auch bekennen können, wenn wir diese
Bundesregierung mit mir als Bundeskanzler stellen.
({49})
Was wir dagegen über dreieinhalb Jahre lang an Verschleierung von Ihnen in Bezug auf die Konsequenzen
dieses Ihres Krisenmanagements erlebt haben, das entspricht nicht dem Wahrhaftigkeitsanspruch, der auch von
diesem Pult aus gelten muss. Sie haben mit Blick auf die
Konsequenzen dieses Krisenmanagements die Deutschen hinter die Fichte geführt. Dann lupft Herr
Schäuble ganz leicht die Kleider, bis zu den Knöcheln.
Da wird dann deutlich, dass Ihr Handeln so weitergeht.
Das Eingeständnis eines dritten Griechenland-Paketes
ist nichts anderes als der Hinweis darauf, dass das bisherige Krisenmanagement gescheitert ist.
({50})
Es zeigt, dass Ihre sehr einseitige Fokussierung auf eine
Sparkeule, die Sie anderen Ländern überziehen, eben
nicht dazu beiträgt, dass diese Länder wieder vom Krankenlager hochkommen, dass die Jugendarbeitslosigkeit
verringert wird und dass Banken stärker reguliert werden. Das wäre ein Ansatz für ein Krisenmanagement in
Europa.
({51})
Sie spielen auch hier auf Zeit. Sie sind auch hier
schwammig, bleiben im Ungefähren und betreiben mit
Blick auf die Konsequenzen ein Hütchenspiel mit der
deutschen Öffentlichkeit.
Werfen Sie der SPD nicht etwas vor, was Sie selber
betrieben und gebilligt haben, nämlich eine Haftungsund damit eine Schuldenunion, die es gibt, seitdem Sie
das erste Mal dem Aufkauf einer griechischen Staatsanleihe durch die EZB zugestimmt haben!
({52})
Seitdem haftet die Bundesrepublik Deutschland mit
27 Prozent. Schenken Sie den Bürgerinnen und Bürgern
darüber endlich reinen Wein ein!
Darüber hinaus haben Sie im Juni 2012 noch sehr viel
mehr gemacht.
({53})
Sie haben in einer Sitzung des Europäischen Rates im
Juni 2012 grundsätzlich zugestimmt, dass Banken direkt
aus dem Europäischen Stabilitätsmechanismus finanziert
werden können.
({54})
Ist das keine Haftungsunion? Und dann erzählen Sie den
Steuerzahlerinnen und Steuerzahlern nicht, dass in letzter Konsequenz von Fehlentscheidungen und Risikoignoranz ausländischer Banken die deutschen Steuerzahler haften? Das ist schon ein Ding.
({55})
Sie haben das an eine auflösende Bedingung geknüpft, auch zur Beruhigung Ihrer Fraktion. Denn mir ist
völlig klar: Das haben nicht nur wir gemerkt; auch Sie
haben gemerkt, was da passiert ist.
({56})
- Nicht alle, aber einige schon.
({57})
Sie haben das an eine auflösende Bedingung geknüpft, nämlich an die Herstellung der Bankenunion.
Seitdem sind Sie sehr darum bemüht, die Finalisierung
dieser Bankenunion in Europa zu verschieben.
({58})
Aber Sie haben die Staats- und Regierungschefs von diesem Rat und von dem jüngsten Rat im Juni damit nach
Hause geschickt, dass unter Berücksichtigung dieser
auflösenden Bedingung die Direktkapitalisierung von
Banken aus dem ESM möglich ist. Dann lassen Sie uns
das vor der Bundestagswahl auch aussprechen.
({59})
Nun wissen wir, dass die Bundesregierung weitergehende Verhandlungen erst im Herbst, also nach der Bundestagswahl, führen will, um dann zu entsprechenden
EU-Richtlinien zu kommen. Ich sage für meine Fraktion
und meine Partei klipp und klar: Mit mir als Bundeskanzler wird es kein deutsches Steuergeld zur Rettung
von ausländischen Banken geben.
({60})
Für Bankenverluste müssen vorrangig die Eigentümer, die Aktionäre, die Anleihenbesitzer und die Gläubiger dieser Banken haften. Das ist unsere Vorstellung.
({61})
Deshalb befürworten wir das, was Sie auf der europäischen Ebene verschieben, nämlich einen Rechtsrahmen
zur Restrukturierung und Abwicklung von Banken und
einen Bankenfonds, einen Fonds zur Abwicklung und
Restrukturierung von Banken, der aber nicht von den
Steuerzahlern finanziert wird, sondern von den Banken.
Darin unterscheiden wir uns von Ihnen.
({62})
Meine Damen und Herren, wir haben unter dieser
Bundesregierung von Frau Merkel vier verlorene Jahre
erlebt. Wir haben vier Jahre lang von der Substanz gelebt. Deshalb braucht unser Land einen Neustart. Unser
Land braucht eine Politik, die nicht nur ankündigt, nicht
nur beobachtet, nicht nur abwartet und nicht nur aussitzt.
Es bedarf Tatkraft, dass in die Zukunft unseres Landes
investiert wird und dass das Land stärker wird, weil es in
unserem Land sozial gerechter zugeht. Dafür möchte ich
als Bundeskanzler arbeiten und wirken.
Vielen Dank.
({63})
Das Wort als nächster Redner hat jetzt der Fraktionsvorsitzende der FDP, Rainer Brüderle.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Steinbrück, ich habe Ihnen eine halbe Stunde aufmerksam zugehört.
({0})
Ihre Rede hat mich an den alten Glaubenssatz erinnert:
Gott weiß alles, Peer Steinbrück weiß alles besser.
({1})
Das Hauptproblem Ihrer Kandidatur ist, die Welt von
oben herab zu erklären. Ich frage mich manchmal, woher
Sie Ihr überbordendes Selbstbewusstsein nehmen. Sie
haben eine Pannenstatistik wie ein Fiat Punto, führen
sich aber auf, als ob Sie ein Spitzen-BMW wären.
({2})
Ich erinnere mich noch gut, dass Herr Steinbrück vor
einigen Jahren gefordert bzw. ernsthaft erwogen hat, die
Autobahnen zu verkaufen. Das ist nichts anderes als eine
Pkw-Maut. Ich halte nichts von einer Pkw-Maut. Aber
dazu, dass er sich nun bei diesem Thema so aufbläst, obwohl er selbst zuvor öffentlich darüber nachgedacht hat,
kann ich nur sagen: sehr glaubwürdig, sehr glaubwürdig!
({3})
Ich habe die Worte Ihres engsten Vertrauten, Sigmar
Gabriel,
({4})
noch gut im Ohr. Ihr Parteivorsitzender hat am Anfang
der Legislaturperiode erklärt, es gebe bald eine Abwärtsspirale, die zu Massenarbeitslosigkeit in Deutschland
führe.
({5})
- Ja, das haben Sie gesagt. Sie schämen sich zu Recht.
({6})
Ihr bester Freund in der SPD hat also eine Abwärtsspirale vorausgesagt. Genau das Gegenteil ist eingetreten. Es waren wirklich vier gute Jahre.
({7})
Wir haben Rekordwerte bei der Beschäftigung. 42 Millionen Menschen sind in Arbeit oder selbstständig tätig.
Das gab es noch nie. Die Arbeitslosigkeit sinkt in allen
Regionen. In Bayern etwa herrscht Vollbeschäftigung.
Dort steht eine Eins oder eine Zwei vor dem Komma in
der Arbeitslosenstatistik. Die Reallöhne steigen seit Jahren wieder. Das ist der Erfolg fleißiger Menschen, der
Unternehmen und insbesondere des Mittelstands, aber
auch der Erfolg der christlich-liberalen Koalition.
({8})
Wir haben es trotz eines schwierigen Umfeldes geschafft, die Menschen um insgesamt 22 Milliarden Euro
zu entlasten: Wachstumsbeschleunigungsgesetz, Kindergelderhöhung, Abschaffung der Praxisgebühr und Senkung des Rentenbeitragssatzes. Wir haben den Bundeshaushalt konsolidiert. Wir haben eine strukturell
schwarze Null. Die Sozialkassen weisen Überschüsse
auf. Davon hat Ulla Schmidt zehn Jahre lang geträumt.
Wir machen es.
({9})
Wenn der Bundeshaushalt ausgeglichen ist, werden
wir auch wieder eine Entlastungsperspektive eröffnen.
Ich freue mich auf die Diskussion über den Soli. Für uns
Liberale hat er keine Ewigkeitsgarantie. Für uns gilt das
Wort von Helmut Kohl: Der Solidaritätszuschlag ist dafür da, den Aufbau in den neuen Bundesländern zu finanzieren. - Der Solidarpakt läuft 2019 aus. Spätestens
dann soll nach unserer Vorstellung auch das Ende des
Solidaritätszuschlags erreicht sein.
({10})
Wir haben fast 700 Milliarden Euro Steuereinnahmen.
So viel gab es noch nie. Deshalb wird es auch Zeit, dass
die Menschen an der Konsolidierungsdividende teilhaben.
Es waren vier gute Jahre trotz schwierigster weltwirtschaftlicher Rahmenbedingungen. Dass Sie uns kritisie32634
ren, verüble ich Ihnen nicht. Aufgabe der Opposition ist
es, Kritik zu üben. Aber dass Sie das Land schlechtreden, dass Sie ein Bild von Deutschland zeichnen, das der
Realität nicht entspricht, ist eine Ohrfeige für die fleißigen Menschen in Deutschland. Das haben sie nicht verdient.
({11})
Das ist nicht anständig.
({12})
Lassen Sie mich zum Wort „Anstand“ einige Worte
sagen. Sie haben einen Fairnesspakt angeboten. Wenn
man sich die letzten Wochen vor Augen führt, dann stellt
man fest, dass Sie der Einzige sind, der sich nicht im
Griff hat:
Erstens. Sie haben die unsäglich geschmacklose Postkartenaktion der Jusos unterstützt.
({13})
Als Sie gemerkt haben, dass diese Aktion ein Rohrkrepierer ist, haben Sie sie zur politischen Satire erklärt.
Okay. Manche Beobachter halten Ihre ganze Kandidatur
für eine politische Satire.
({14})
Zweitens. Kürzlich haben Sie der Bundeskanzlerin
ihre ostdeutsche Herkunft vorgehalten.
({15})
Damit haben Sie die Grenze des guten Geschmacks
überschritten.
({16})
Wir können stolz sein, dass 20 Jahre nach der Wiedervereinigung Menschen aus dem Osten der Republik in
höchsten Staatsämtern sind. Das ist ein Erfolg, den wir
vorweisen können.
({17})
Wir können stolz sein, dass jemand Vizekanzler werden
kann, der in einem anderen Land geboren wurde.
({18})
Wir alle können stolz sein, dass ein Außenminister, anders als in den 50er-Jahren, seinen Partner nicht mehr
verstecken muss, sondern dass das Normalität in
Deutschland ist.
({19})
Die christlich-liberale Koalition trägt ihre Weltoffenheit
nicht wie eine Monstranz vor sich her. Das überlassen
wir Ihnen. Wir leben sie einfach. Das ist der Unterschied.
({20})
Einen dritten Punkt möchte ich noch ansprechen. Sie
haben in der Prism-Sache der Bundeskanzlerin quasi einen Meineid vorgeworfen. So etwas tut man nicht, schon
gar nicht, wenn die Vorwürfe offensichtlich aus oberflächlicher Zeitungslektüre stammen.
({21})
Mittlerweile wiederholen Sie die massiven Vorwürfe
nicht mehr.
Ich fand es auch peinlich, wie sich Rot-Grün als Bürgerrechtler aufspielen wollte. Die härtesten Überwachungsgesetze hat Rot-Grün gemacht, die massivsten
Eingriffe in die Bürgerrechte in Deutschland hat RotGrün zu verantworten.
({22})
Es waren die berühmten „Otto-Kataloge“ von Herrn
Schily. Die Grünen haben alles mitgemacht. Einiges
wurde vom Verfassungsgericht gestoppt, wie zum Beispiel das Abschießen von Flugzeugen. Alles das war
Politik von Rot-Grün. Das haben wir nicht vergessen.
({23})
Einiges ist auch dank der Justizministerin von der
FDP offen geblieben, etwa die anlasslose Vorratsdatenspeicherung. Es ist sehr interessant: Die grün-rote Landesregierung von Baden-Württemberg bringt im
Bundesrat Überlegungen ein, die anlasslose Vorratsdatenspeicherung für sechs Monate einzuführen. Das ist
Ihre Vorstellung von Bürgerrechten. Das ist die Realität,
wenn es konkret wird.
({24})
Nicht alles, was technisch möglich ist, darf auch erlaubt
werden. Meine Daten gehören mir, nicht dem Staat,
nicht Facebook und Google. Meine Damen und Herren,
wenn Sie sich in diese Richtung bewegen, freut uns das
sehr.
Wenn man in andere Regionen der Welt schaut, sieht
man, welches Glück wir eigentlich in Deutschland und
in Europa haben. Die Lage im Nahen Osten ist mehr als
bedrückend; das zeigen die Bilder, die veröffentlicht
wurden. Andere Bilder von dem, was in Syrien geschehen ist, werden aus guten Gründen nicht veröffentlicht.
Diese Bilder sind mehr als bedrückend: Sie sind beklemmend, sie nehmen einem die Luft weg.
Wir sollten uns aber vor voreiligen Forderungen hüten. Deshalb ist es richtig, dass der Bundesaußenminister
darauf verwiesen hat, dass eine Beteiligung an einem
Militäreinsatz weder nachgefragt ist noch von der Bundesregierung in Betracht gezogen wird. Dieses Thema
eignet sich nicht für den Wahlkampf. Hier sollten wir
alle bei der wohlüberlegten sachlichen Linie der Bundesregierung bleiben.
({25})
Die SPD spricht gern vom Aufstieg durch Bildung;
das ist richtig. In der sozial-liberalen Zeit haben wir auch
einiges bewegt. Ich kenne das auch persönlich: Ich war
der Erste in der Familie, der Abitur gemacht hat. Ich
habe mich auf den Hosenboden gesetzt und übrigens,
Herr Gabriel, Hausaufgaben gemacht.
({26})
So hat es das Arbeiterkind Gerhard Schröder gemacht.
Aber was machen die Sozialdemokraten heute? Sie
lassen sich von den Grünen die Abschaffung des Sitzenbleibens aufschwätzen. Das hilft keinem Arbeiterkind.
Das hilft keinem Migrantenkind. Vielleicht werden Sie
demnächst zur Verwaltungsvereinfachung einführen,
gleich mit der Geburtsurkunde das Abiturzeugnis auszuhändigen. Das wäre das Gegenteil vom Leistungsprinzip, das wäre das Gegenteil von einem wirksamen Bildungskonzept, wie wir es in Deutschland brauchen.
({27})
Das sind die falschen Signale. Sie dienen der Infragestellung des Gymnasiums.
Ich habe mir einmal die Zahlen heraussuchen lassen:
Bei Rot-Grün lag der Bildungs- und Forschungsetat im
Schnitt bei 8 Milliarden Euro. Bei der christlich-liberalen Koalition lag dieser Etat im Schnitt bei über 12 Milliarden Euro. Auch bei der Bildung gilt also die rotgrüne Regel: Man redet viel, getan wird wenig.
({28})
Das war übrigens auch bei der Familienpolitik so. Wir
haben das Kindergeld und den Kinderfreibetrag erhöht.
Wir haben dafür gesorgt, dass Kinder aus Hartz-IV-Familien ihre Jobverdienste behalten dürfen. Wir haben ein
Bildungspaket für Kinder aus benachteiligten Familien
auf den Weg gebracht.
({29})
Auch beim Rechtsanspruch auf einen Kitaplatz für unter
Dreijährige ist es besser gelaufen, als die Opposition uns
immer vorgehalten hat. Wir Liberale haben das Betreuungsgeld mitgetragen, weil wir vertragstreu sind; Verträge, die wir unterschreiben, setzen wir auch um.
Wir haben das Ehegattensplitting auf gleichgeschlechtliche Partnerschaften ausgeweitet. Grüne und
Rote haben das gefeiert. Das ist mir völlig schleierhaft.
Sie wollen doch das Splitting für alle Paare, egal ob hetero- oder homosexuell, abschaffen. Die SPD will einen
Partnerschaftstarif mit Unterhaltsausgleich. Sie behandeln Ehepartner, als ob sie schon geschieden wären.
({30})
Die Grünen wollen die sogenannte Individualbesteuerung. Sie behandeln Ehepartner, als ob sie Fremde wären. Das ist nicht mein Familienbild; das ist nicht mein
Gesellschaftsbild. Ehe oder Partnerschaft ist eine Verantwortungsbeziehung. Das muss sich auch im Steuerrecht
widerspiegeln. Sie bejubeln diese Vorstellung, fordern in
Ihren Programmen aber das Gegenteil.
({31})
Die Grünen haben ein Wahlprogramm in Romanlänge
vorgelegt. Buddenbrooks ist es nicht, eher Brave New
World. Das ganze grüne Wahlprogramm ist eine Anleitung zum Unglücklichsein.
({32})
Dort wimmelt es nur so von Verboten, Geboten, Lenkungsmaßnahmen. Ich verweise auf das Obstverbot, das
Fleischverbot, die Fettsteuer. Sie wollen eine Art Zwangserziehung. Aber, meine Damen und Herren, Deutschland
ist keine Zwangserziehungsanstalt für nicht grüne Wähler. Das, was die Grünen wollen, wird in diesem Land
nicht stattfinden.
({33})
Wir wollen keine Verbotspolitik. Mir ist völlig
wurscht, ob Frau Künast jeden Donnerstag Gemüse isst.
({34})
Sie nennt den Veggie-Day-Zwang ein Angebot, das man
nicht ablehnen kann. So etwas kannte ich bisher nur aus
Mafiafilmen. Der Pate grüßt!
({35})
Das will niemand in Deutschland. Die Menschen
schreien zu Recht auf wegen dieses Unsinns, Frau
Künast.
Jetzt komme ich dazu, wie die Opposition das Thema
Griechenland hochzieht. Auch das ist ein Rohrkrepierer.
Sigmar Gabriel hat da Gerhard Schröder voll in die
Pfanne gehauen. Ich zitiere ihn wörtlich:
Griechenland in die EU aufzunehmen war sicher
richtig, es in die Währungsunion aufzunehmen aber
war sicher falsch.
Das hat Sigmar Gabriel wörtlich gesagt.
({36})
Wer war das damals? Gerhard Schröder war Kanzler,
Joschka Fischer war mit dabei. In Athen haben sie jubelnd vorgetragen, vor der sozialistischen Regierung von
der PASOK, was sie alles Tolles gemacht haben. Es war
falsch! Sie haben recht, Herr Gabriel. Aber sie haben es
gemacht, und sie tragen die Verantwortung dafür. Sie haben damals regiert.
({37})
Wir müssen seit vier Jahren den Mist, den Sie uns
hinterlassen haben, aufräumen. Es waren Sie von RotGrün, die in sieben Regierungsjahren fünfmal hintereinander den Stabilitätspakt gebrochen haben. Deutschland war das erste Land, das die Leitplanken für einen
stabilen Euro durchbrochen hat. Dann haben andere
nachgezogen. Wer war dafür verantwortlich? Die Roten
und die Grünen! Die haben es gemacht!
({38})
Da kann man sich nicht so einfach vom Acker machen.
Herr Gabriel, Sie haben wochenlang, monatelang von
den Euro-Bonds geschwärmt; das sei die große Lösung.
„Euro-Bonds“, das heißt nichts anderes als: Alle zahlen
den gleichen Zinssatz. Man nennt das im Klartext Zinssozialismus. Sozialismus ist immer Mist. Zinssozialismus ist Mist hoch drei. Völlig falsch!
({39})
Dann kam der Möchtegernfinanzminister Trittin: Altschuldentilgungsfonds. Sie wollen, dass die Deutschen
die alten Schulden in Europa zahlen.
({40})
Sie wollten gemeinsam mit der SPD sogar noch eine
Banklizenz für den ESM, also eine weitere Gelddruckmaschine. Sie wollen überall Geld drucken, aber die Probleme nicht lösen. Sie können Strukturprobleme nicht
lösen, indem Sie alles mit Geld zuschütten. Da müssen
Sie den Hintern hochkriegen, konkret was machen, nicht
nur herumschwätzen.
({41})
Altschuldentilgungsfonds ist Schuldensozialismus.
Wir sollen haften für das, was Europa alles verschuldet
hat. Ich kann deutschen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern nicht sagen: Ihr müsst drei Stunden mehr arbeiten ohne Entgelt, damit wir die Schulden von Griechenland und Spanien bezahlen.
({42})
Das ist nicht meine Vorstellung.
({43})
- Hören Sie zu! Sonst verstehen Sie es nicht. Sie haben
es sowieso schwer, etwas zu verstehen.
({44})
Dann kritisiert Rot-Grün die exportorientierte Wirtschaft und will die starke Exportorientierung in Deutschland reduzieren. Einige meinen ja auch, die richtige Strategie wäre: erst die Löhne rauf, dann die Arbeitszeit
runter. - Sie können im sozialistischen Frankreich die
fatalen Auswirkungen einer sozialistischen Politik
beobachten: mehr Arbeitslose, höhere Steuern, mehr
Schulden, Herabstufung der Kreditwürdigkeit, schrumpfende Wettbewerbsfähigkeit.
Es ist ein völlig falscher Ansatz, die Exportüberschüsse zu reduzieren. Steinbrück und Trittin unterstützen das. Wie wollen Sie das machen? Wollen Sie den
Facharbeitern bei VW sagen, dass sie schlechtere Autos
bauen sollen? Sollen die bei Daimler eine Schramme in
jede Achse machen, damit sie nicht richtig läuft? Das ist
doch absurd! Soll die BASF ihre Produktion drosseln?
Sollen erfolgreiche Mittelständler, die in der Welt oft
führend sind und Hidden Champions sind, schlechter
werden? Nein, das ist ein absoluter Denkfehler! Sie
übersehen, dass 50 Prozent der deutschen Exporte in die
Zulieferung gehen, in Kooperationen mit den europäischen Nachbarn gehen. Wenn wir nicht so exportstark
wären, würde es Europa deutlich schlechter gehen.
({45})
Wir sind der Wachstumsmotor der ganzen europäischen
Entwicklung. Den wollen Sie drosseln, nur weil Sie die
Wirtschaft nicht verstehen.
({46})
Damit da kein falscher Eindruck entsteht: Die Ausländer kaufen freiwillig unsere Produkte. Das ist keine
Zwangsabnahme. Sie kaufen sie, weil sie gut sind. Das
verstehen Sie alles nicht. Das tut Ihnen weh; aber es ist
halt so.
({47})
- Die Realität tut immer weh, Frau Künast, und es ist
schön, dass Sie durch Schreien kundtun, dass Sie es
wirklich nicht verstehen.
Ich komme zum Stromsektor. Die Grünen präsentieren jährlich eine von ihnen in Auftrag gegebene Studie
über die Strompreisentwicklung. Ich will auf die methodischen Schwächen dieser Studie nicht eingehen, aber
ich gehe auf den Strompreispopulismus der Grünen ein.
Sie sagen: Die Konzerne sind schuld. - Ich frage Sie:
Warum machen Sie nichts dagegen? Die grün-rote Landesregierung in Baden-Württemberg ist der Großaktionär bei EnBW. Sie können doch die Preise senken. Sie
haben doch das Sagen in diesem zum größten Teil staatlichen Unternehmen. Dort sind Ihre Aufsichtsräte. Dort
ist Frau Röstel, die frühere Parteivorsitzende. Aufsichtsratsmitglied sein heißt nicht nur, Lachsschnittchen essen.
Es bedeutet: Mitdenken und Mitverantwortung übernehmen.
({48})
Wo ist denn der Anstand bei dieser Strompolitik?
Frau Göring-Eckardt propagiert immer den Anstand. Wo
ist er bei dem dreisten Solarlobbyismus, den Sie betreiben? Herr Trittin hat bei der Einführung des EEG gesagt:
Das kostet so viel wie eine Kugel Eis im Monat. - Heute
kostet das so viel, dass Sie beim Italiener die Eiskarte sozusagen rauf und runter essen könnten. Das ist die Realität.
({49})
Die Ausnahmeregeln sind damals auf den Weg gebracht worden. Die Bundesregierung hatte beschlossen,
diese zu überprüfen. Die Bundesbahn profitiert davon
mit 500 Millionen Euro. Wenn Sie die Ausnahme streichen, können Sie den Bürgern gleich erklären, warum
sich die Preise für die Fahrkarten erhöhen.
({50})
Nehmen Sie die Stadtwerke in Schwerin. Wenn Sie die
Ausnahme streichen, können Sie gleich erklären, warum
die Preise für den Nahverkehr steigen.
({51})
Das sagen Sie nicht. Sie jubeln irgendeinen Punkt
hoch und vernebeln das, was Sie gemacht haben. Sie haben genau diese Politik eingeleitet, wobei ich folgenden
Aspekt für richtig halte: Wenn wir moderne Motoren
herstellen wollen, dann brauchen wir Gießereien in
Deutschland.
({52})
Wenn Sie die alle vertreiben, werden wir nicht mehr an
der Spitze der Entwicklung sein. Deshalb muss man vernünftig agieren. Sie haben es falsch gemacht, indem Sie
eine Übersubventionierung betrieben haben.
({53})
Sie haben neue Sofamelker etabliert. Das gab es früher
bei den Bauern. Einige hatten zwar keine Kühe, haben
aber die Milchquote genutzt. Heute haben wir das bei
den Solarstromerzeugern: 43 Cent auf 20 Jahre garantiert, Einspeisevorrang. Die Oma mit der Leselampe
zahlt das in Form der Umlage.
({54})
Ihre Freunde, die sich das Schloss vom Gottschalk kaufen können, profitieren davon, weil sie eine Preisgarantie
von 20 Jahren haben, also eine Garantie dafür, dass sie
den Strom zu diesem hohen Preis ins Netz geben können. Das ist doch keine vernünftige Politik.
({55})
Die Umlage ist deshalb so stark nach oben geschossen,
weil Sie sie falsch konzipiert haben.
({56})
Ich komme noch zu einem anderen Thema. Die SPD
probiert es neuerdings mit Steuersenkungen. Aus Pannen-Peer wurde offenbar ein Panik-Peer. Ich bin erstaunt, was Sie alles plötzlich senken wollen: Stromsteuer. Beim Spitzensteuersatz haben Sie Jo-Jo gespielt:
erst rauf, dann wieder runter. Sie sprechen plötzlich vom
Abbau der kalten Progression. Sie haben den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern in Deutschland aber bisher
verwehrt, dass sie von den verdienten neuen Tarifabschlüssen mehr in der Tasche behalten können. Sie haben es über den Bundesrat blockiert, weil Sie es den
Leuten nicht gönnen. Das ist wahr.
({57})
Wie wollen Sie die Wertschöpfung erhöhen? Die SPD
will ungefähr 38 Milliarden Euro mehr Steuern einnehmen. Die Grünen wollen etwas mehr einnehmen. Trittin
spricht - das ist wohl eine Art Mao-Zuschlag - von über
40 Milliarden Euro, und das bei Einnahmen von etwa
700 Milliarden Euro. Es trifft genau die Mitte. Es ist
eben nicht wahr, dass es nur wenige Milliardäre zahlen.
Die Erhöhung der Beitragsbemessungsgrenze für die
Versicherten in der gesetzlichen Krankenkasse betrifft
die kleinen und mittleren Einkommen.
({58})
Wenn Sie den Handwerksbetrieb mit einer Vermögensabgabe bzw. einer Vermögensteuer zusätzlich belasten, dann treffen Sie die Mittelständler. Das sind die Jobmotoren der Gesellschaft, die uns voranbringen. Genau
das wollen Sie machen. Herr Trittin will das sogar rückwirkend machen. Wenn Sie rückwirkend Steuern erheben - vielleicht noch bis in die 20er-Jahre zurück -, ist
das ein Verfassungsbruch. Das ist doch alles absurd, was
Sie beabsichtigen.
({59})
Wenn Sie mir nicht glauben: Frau Scheel, Herr
Kretschmann und Herr Palmer, der grüne Oberbürgermeister, warnen vor Ihrer Politik, weil Sie damit den
Mittelstand beschädigen. Sie sagen, dass das nicht sein
darf. Die Wirtschaftsforscher berechnen, dass bei einer
rot-grünen Regierung 400 000 Jobs verloren gehen.
Wenn die Linke drankommt, sind es 900 000 Jobs. Wenn
Sie Rot-Rot-Grün hinkriegen, dann ist der maximale Unsinn in Deutschland erreicht. Das gilt es zu verhindern;
wir dürfen das nicht zulassen.
({60})
Deshalb bleibt es dabei - diese Wahrheit muss man
den Deutschen sagen -: Man kann eine gute Zukunft
wählen, indem man diese Regierung
({61})
erneut wählt.
({62})
Wir haben den Praxistest geliefert. Es geht. Sie kommen
mit Rezepten von vorgestern, die x-mal gescheitert sind.
Sie sollten Karl Marx in seinem Museum in Trier stehen
lassen. Holen Sie die alten Klamotten nicht raus; kein
Mensch will das mehr haben. Denken Sie nach vorn;
machen Sie einen Modernisierungskurs. Wir helfen Ihnen gern.
({63})
Das Wort hat jetzt der Fraktionsvorsitzende der Linken, Dr. Gregor Gysi.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich finde
diese Debatte schön. Wir sollten es zur ständigen Einrichtung machen, immer etwa drei Wochen vor der Bundestagswahl eine richtige Wahlkampfdebatte zu führen.
Wenn wir das so nennen, dann muss man sich auch nicht
davor drücken, Wahlkampfreden zu halten.
Ich habe Ihnen allen zugehört und habe festgestellt,
dass die Kanzlerin und Herr Brüderle mit sich selbst sehr
zufrieden sind. Ob das ausreicht, ist allerdings eine andere Frage.
({0})
Bei Ihnen, Herr Steinbrück, habe ich festgestellt, dass
Sie - zum Teil zumindest - eine Umverteilung der Argumente von den Linken zur SPD organisieren - sehr spät,
ehrlich gesagt, aber immerhin.
Herr Brüderle, Sie haben etwas sehr Bemerkenswertes gesagt. Sie haben gesagt, dass Sie seit vier Jahren den
Mist aufräumen müssen, der bis dahin entstanden war.
Damit sagen Sie natürlich der Kanzlerin - sie ist ja
schon seit acht Jahren Kanzlerin -, dass sie vier Jahre
lang nur Mist gemacht hat. Darauf will ich nur hinweisen; das müssen Sie miteinander klären.
({1})
Kommen wir zum Ernst der Angelegenheit. Es gab
- zumindest höchstwahrscheinlich - einen Giftgasanschlag in Syrien mit über 1 400 Toten. Das kann man gar
nicht scharf genug verurteilen. Das Völkerrecht sieht dafür Entsprechendes vor: dass die Verantwortlichen exakt
zu ermitteln und dem Internationalen Strafgerichtshof in
Den Haag zu übergeben sind. Das wird auch eines Tages
passieren.
({2})
Aber das Völkerrecht sieht eines nicht vor: dass die
Antwort Krieg sein soll. Das steht nirgendwo.
({3})
Ich sage Ihnen: Ich halte die USA für nicht besonders
glaubwürdig. Es gab nämlich schon einmal einen Giftgasanschlag, und zwar im Irak durch Hussein. Dabei
sind über 5 000 Kurdinnen und Kurden ermordet worden. Damals haben die USA mit der Androhung des Gebrauchs ihres Vetorechts eine scharfe Resolution des Sicherheitsrates verhindert. Danach kam nur der Appell an
den Irak, das künftig zu lassen, was nicht besonders viel
wert war.
Wenn man jetzt einen Kriegsschlag gegen Syrien
durchführt, kann die Situation völlig unbeherrschbar
werden. Wer weiß denn, was Assad dann macht? Der
kann den Konflikt noch in den Libanon und nach Jordanien tragen. Wer weiß, was der Iran macht? Wer weiß,
was die Türkei macht, die unbedingt so schnell wie möglich in Syrien einmarschieren will? Wer weiß, was Russland macht? Wer weiß, was Israel macht? Die USA erzählen etwas von einem Einsatz von 24 oder 48 Stunden.
In Wirklichkeit kann dadurch ein Flächenbrand entstehen, der völlig unbeherrschbar ist.
({4})
Da bin ich froh - ich muss es sagen -, einer Partei anzugehören, die von Anfang an klar Nein gesagt hat, während Sie alle herumgeeiert haben. Auch Sie, Herr
Steinbrück, haben unsere Argumente erst nach der Sitzung des britischen Unterhauses übernommen. Das
heißt, Sie haben taktisch reagiert und nicht aus Überzeugung, und das nervt mich.
({5})
Natürlich brauchen wir eine Verständigung zwischen
Russland und den USA. Die erste Verständigung müsste
lauten, keine Waffen mehr an Syrien zu liefern.
({6})
Wären keine Waffen an Syrien verkauft worden, weder
an die eine noch an die andere Seite, wäre der Krieg
längst beendet. Außerdem brauchen wir natürlich auch
eine Friedenskonferenz. Warum werden denn so viele
Waffen verkauft? Weil so viel daran verdient wird. Auch
das müssen wir ändern. Sie wissen, wie umfangreich die
Waffenexporte aus Deutschland sind.
Ich sage Ihnen: Es wird wirklich höchste Zeit, dass
wir ganz anders an dieses Thema herangehen. Mittels
Kriegen werden wir die Probleme der Menschheit niemals lösen. Deshalb bin ich froh, dass es eine Partei gibt,
die sich immer dagegenstellt.
({7})
Aber es gibt noch etwas, was Sie ein bisschen vergessen haben: Wir haben Patriot-Raketen und Soldaten in
der Türkei an der Grenze zu Syrien. Jetzt stellen Sie sich
einmal vor, die Türkei greift Syrien militärisch an. Dann
darf Syrien sich militärisch wehren. Dann müssten doch
unsere Soldaten höchstwahrscheinlich die Raketen losschicken. Ich bitte Sie! Dann helfen wir nicht einem Angegriffenen, sondern einem Angreifer, einem Aggressor.
Aber das ist nur das eine. Das Zweite ist: Deutschland
wird dann Kriegspartei im Nahen Osten. Ich bitte Sie!
Das ist das Letzte, was sich Deutschland historisch, moralisch und politisch leisten kann. Deshalb müssen die
Soldaten und Raketen unverzüglich abgezogen werden.
({8})
Auch deshalb, weil wir noch nicht genau wissen, was
passiert.
Am 9. September tagt der amerikanische Kongress.
Ich sage Ihnen: Wir werden danach eine Sondersitzung
einberufen müssen, um über die Frage zu entscheiden:
Wollen Sie wirklich, dass Deutschland Kriegspartei im
Nahen Osten wird, oder nicht? Dazu müssen Sie sich
dann hier bekennen. Deshalb werden wir eine solche SitDr. Gregor Gysi
zung beantragen, und ich hoffe auf die Zustimmung der
anderen Fraktionsvorsitzenden.
({9})
Es gibt natürlich noch andere Gründe, uns zu wählen.
Es gibt ja in diesem Bundestag, wie ich immer sage, eine
Konsenssoße zwischen FDP, Union, Grünen und SPD.
Es sind sechs Gebiete, auf denen Sie sich einig sind und
bei denen nur wir widersprechen. Jetzt sage ich Ihnen etwas: Ja, die Linke ist ein ungeheurer demokratischer Gewinn für den Bundestag.
({10})
Ich werde Ihnen das begründen.
Erstens. Noch kein einziger Kriegseinsatz der Bundeswehr ist gegen eine Ihrer Fraktionen entschieden
worden. Immer haben alle vier Fraktionen zugestimmt.
Nur die Linke hat immer konsequent dagegen gestimmt.
Das geschah in Übereinstimmung mit der Mehrheit der
Bevölkerung.
({11})
Zweitens. Die Waffenexporte haben alle Regierungen
genehmigt: Kohl, Schröder, Merkel. Ihre vier Fraktionen
stehen für die Erlaubnis von Waffenexporten. Wir stellen
uns dagegen. Wir meinen, wir müssen nicht der drittgrößte Waffenexporteur der Welt sein. Nach 1945 hätten
wir auch sagen können: Wir wollen nie wieder an Kriegen verdienen. Wer Waffen verkauft, muss wissen: Jede
Waffe findet ihren Krieg.
({12})
Drittens. Die völlig falschen Wege zur Überwindung
der Euro-Krise sind Sie immer zu viert gegangen:
Union, FDP, SPD und Grüne. Alle sogenannten Rettungsschirme haben Sie immer gemeinsam beschlossen.
Dann sagt doch Herr Steinbrück in dem Duell mit Ihnen, Frau Bundeskanzlerin, auf die Frage einer Journalistin, warum er denn immer zugestimmt habe, wenn er
alles kritisiert, was in Griechenland, in Spanien und in
Portugal passiert, das sei Ausdruck der Europaverantwortlichkeit der SPD. Ich finde, das ist eine Frechheit;
das muss ich Ihnen sagen.
({13})
Was ist denn daran europaverantwortlich, wenn man den
Süden Europas ruiniert?
({14})
Was ist denn daran europaverantwortlich, wenn man dafür sorgt, dass der Süden die Darlehen nie zurückzahlen
kann, und zustimmt, dass die Deutschen für 27 Prozent
all dieser Darlehen haften?
Wenn ich die Bundesregierung frage, wovon sie das
bezahlen will, wenn es denn fällig wird, dann sagen die
mir: Es wird schon nicht so kommen. - Das ist alles. Das
hat aber mit perspektivischer Politik gar nichts zu tun.
({15})
Um das ganz klar bei Griechenland zu beweisen: Infolge der Auflagen, gerade auch vonseiten der deutschen
Regierung, sind die Schulden von 120 Prozent auf
175 Prozent des Bruttoinlandsprodukts gestiegen. Die
Jugendarbeitslosigkeit liegt jetzt bei 64 Prozent. Insgesamt ist die Arbeitslosigkeit um 193 Prozent gestiegen,
die Wirtschaft geht um 24 Prozent zurück und die Steuereinnahmen auch. Wovon sollen die denn etwas zurückbezahlen? Deshalb sage ich Ihnen, Herr Schäuble: Mit
neuen Krediten, wie Sie es angekündigt haben, wird das
nichts werden; denn das würde ja die Verschuldung erhöhen. Deshalb wird es einen Schuldenschnitt geben,
ganz egal, wie wir dazu stehen. Das kostet uns dann
wirklich Geld. Ich finde, das müssten Sie den Leuten vor
der Wahl ehrlich sagen, was Sie aber nicht machen.
({16})
Übrigens ist das nicht nur sozial grob ungerecht, sondern wir schneiden uns auch noch ins eigene Fleisch,
weil die Kaufkraft sinkt und unsere Exporte zurückgehen. Aber all dem haben immer alle vier Fraktionen zugestimmt. Weder die Grünen noch die SPD können sagen: Wir haben ja nicht gewusst, dass das dabei
herauskommt. - Sie haben es ganz genau gewusst und
trotzdem mit Ja gestimmt.
({17})
Was brauchen wir wirklich? Wir brauchen eine Finanzmarktregulierung. Wir brauchen eine Verkleinerung
der Banken; wir sollten sie organisieren wie Sparkassen.
Ich bin es auch leid, dass jede Bank gerettet wird. Die
können sich so viel verspekulieren, wie sie wollen. Die
Aktienbesitzer haben ja nichts zu befürchten, weil die
Steuerzahlerinnen und Steuerzahler das übernehmen.
Kein Mensch hilft einem Bäckermeister, der vor der Insolvenz steht. Bei den Banken wird aber immer alles bezahlt. Auch ich will die Rettung der Guthaben der Bürgerinnen und Bürger und der Unternehmen, aber ich will
nicht die Aktienbesitzer und Anteilseigner retten. Das
muss endlich aufhören. Auch eine Bank hat pleitezugehen, wenn sie denn pleite ist.
({18})
Wir wollen natürlich Steuergerechtigkeit. Darüber
regt sich ja Herr Brüderle immer so auf. Aber jetzt sage
ich Ihnen mal eines: Zu unserem Verständnis von Steuergerechtigkeit gehören auch Entlastungen - Entlastungen,
die Sie gar nicht wagen. Sie wollen die berühmte „kalte
Progression“ - Sie übersetzen das ja nicht - abschaffen.
Das ist zwar nicht falsch, aber es reicht nicht. Wir müssen den Mittelstandsbauch beseitigen. Die Mitte der Gesellschaft zahlt hier alles; der finanziell untere Teil kann
es nicht, und an den oberen trauen Sie sich nicht heran,
und Sie wollen auch nicht an ihn heran. Deshalb müssen
die Lehrerin, der Polizist, die Facharbeiterin, der Meister
und die kleinen Selbstständigen in der Bundesrepublik
Deutschland alles bezahlen. Schaffen Sie doch mit uns
zusammen den Mittelstandsbauch bei der Steuer ab.
Dann ginge es denen viel besser.
({19})
Allerdings müssen wir das an eine Bedingung knüpfen, nämlich an die Bedingung, den Spitzensteuersatz zu
erhöhen, weil die Einnahmen aus der Lohn- und Einkommensteuer nicht sinken dürfen. Davon leben auch
die Kommunen, und die sind schon heute pleite, die können nicht noch mehr pleite gemacht werden. Deshalb
sage ich Ihnen: Wir brauchen diese Schritte - Freibetrag
auf 9 300 Euro erhöhen, Mittelstandsbauch beseitigen
und den Spitzensteuersatz erhöhen -, und dann wird die
Gesellschaft gerechter, dann müssen wir über diese
Dinge nicht mehr diskutieren.
({20})
Ich habe übrigens auch eine Frage an Bundesinnenminister Friedrich, der leider nicht mehr da ist. Er hat
sein Veto eingelegt und gesagt: Die armen Bulgaren und
die armen Rumänen dürfen nicht entscheiden, wo sie
arm leben; deshalb dürfen sie nicht nach Deutschland
reisen. - Das ist seine Logik, nicht meine Logik. Aber
wenn es seine Logik ist, dann frage ich Sie: Warum gilt
das nur für die Armen? Warum gilt das nicht für die Reichen? Warum gilt das nicht für die Konzerne? Warum
dürfen die sich immer aussuchen, wo sie am wenigsten
Steuern zahlen? Nein, wenn diese Logik für die Armen
gilt, dann muss sie endlich auch für die Reichen und für
die Konzerne gelten.
({21})
Ich sage Ihnen noch etwas zu den Konzernen. Da sagen Sie immer: Die nutzen alle Steuerschlupflöcher. Der Gesetzgeber schafft die Steuerschlupflöcher. Dann
lassen Sie uns sie doch schließen. Ich möchte, dass die
Konzerne dort Steuern zahlen, wo die Wertschöpfung
stattfindet, wo die Produktion stattfindet, und nicht dort,
wo sie fiktiv irgendeinen halben Präsidenten mit einem
viertel Büro hinsetzen - und dann bezahlen sie dort, in
Liechtenstein oder was weiß ich wo, die Steuern.
Schluss damit! Wo etwas hergestellt wird, wo eine
Dienstleistung erbracht wird, da müssen auch die Steuern gezahlt werden. Dafür müssen wir in Deutschland
sorgen.
({22})
Neben der Schaffung von Steuergerechtigkeit, die wir
auch in Griechenland dringend benötigen würden, ist es
wichtig, dass wir endlich die Steuerpflicht an die Staatsbürgerschaft binden. Dann wäre nämlich ein Problem
gelöst. Dann können die Reichen hinziehen, wohin sie
wollen; aber sie bleiben, wenn sie Deutsche sind, in
Deutschland steuerpflichtig, und wenn sie Griechen
sind, in Griechenland steuerpflichtig. Warum setzen Sie
das nicht durch? Das wäre doch ein ganz wichtiger
Schritt. Das gilt übrigens in den USA - beim besten Willen, Herr Brüderle, wirklich kein sozialistisches Land.
Sie können diese Regelung also einführen. Damit könnten wir die eine oder andere Katastrophe verhindern.
({23})
Wir brauchen Aufbaukredite für Griechenland. Wenn
wir dort den Tourismusbereich, die Solarenergiebranche
und die Schiffsindustrie aufbauten, dann hätten die Griechen auch Einnahmen. Wenn sie Einnahmen hätten,
dann könnten sie auch alles zurückzahlen. Sie organisieren, dass sie gar nicht zahlungsfähig sind, sodass letztlich die deutschen Steuerzahlerinnen und Steuerzahler
die Darlehen zu 27 Prozent zu bezahlen haben werden.
Ein viertes gemeinsames Thema aller vier Fraktionen
ist die Senkung des Rentenniveaus, die Teilprivatisierung der Rente über die Riester-Rente und die Rentenkürzung durch die Anhebung des Renteneintrittsalters
um zwei Jahre durch die Rente ab 67. Sie bringen da etwas durcheinander. Wissen Sie, man kann ja mit 90 noch
im Bundestag herumdödeln, ohne das es einer merkt,
aber ein Dach kann man nicht mehr decken - das ist der
Unterschied. Sie stellen hier also Anforderungen, die mit
den Realitäten im Leben nichts zu tun haben. Außerdem
leben wir doch in einer altersrassistischen Gesellschaft.
Bewerben Sie sich doch mal irgendwo mit über 50!
({24})
Da haben Sie gar keine Chance.
Und Sie sagen: Die Leute müssen die Rente immer
später bekommen. - Das ist der falsche Weg. Die Produktivität steigt. Wenn wir endlich mal wirkliche Reformschritte gehen würden und in der nächsten Generation alle mit einem Erwerbseinkommen in die
Rentenkasse einzahlen müssten, ohne Beitragsbemessungsgrenze und bei Abflachung des Rentenanstiegs für
die Bestverdienenden, dann wäre alles bezahlbar, selbstverständlich auch eine Rente ab 65 Jahren ohne Senkung
des Rentenniveaus bei enger Ankopplung an die Lohnentwicklung. Das wäre möglich.
({25})
Dass Sie von der FDP das nicht wollen, verstehe ich ja
noch. Aber warum die SPD das nicht will und auch nur
den Weg der Rentenkürzung geht, ist mir völlig unverständlich.
({26})
Es ist doch gut, dass es die Linke gibt, die dagegen argumentiert. Sonst wären die Rentnerinnen und Rentner
hier diesbezüglich gar nicht vertreten. Das wäre vielleicht ein trauriger Zustand!
({27})
Das fünfte Thema ist die prekäre Beschäftigung.
25 Prozent der Beschäftigten sind prekär beschäftigt: in
erzwungener Teilzeit, in Minijobs, in Leiharbeit, als
Aufstocker. Zu den Aufstockern haben Sie, Frau Bundeskanzlerin, einmal gesagt, Sie seien stolz darauf, dass
der Staat denen zusätzlich etwas zahlt. Wir subventionieren die Löhne mit 9 Milliarden Euro jährlich, und ich
sage Ihnen: Ich halte das für einen einzigartigen Skandal. Wer in Deutschland einen Vollzeitjob hat, muss Anspruch auf einen Lohn haben, von dem er in Würde leben kann, und darf nicht noch zum Jobcenter geschickt
werden. Das ist doch völlig abstrus.
({28})
Leiharbeit muss verboten werden, weil damit eine
Entsolidarisierung organisiert wird. Leiharbeiter verdienen nur die Hälfte bis zwei Drittel. Dann sagt man der
Stammbelegschaft auch noch: Wenn ihr nicht auf Weihnachtsgeld und Urlaubsgeld verzichtet, dann werden wir
noch mehr auf Leiharbeit setzen. Auch diese Entsolidarisierung muss endlich aufhören.
Wir haben den größten Niedriglohnsektor in Europa.
Herr Kauder, er ist größer als der in Griechenland und in
Zypern. Sie sollten sich dafür schämen.
({29})
Wir haben 9 Millionen Menschen, die trotz Arbeitsverhältnis zu wenig verdienen, und dann haben wir noch
einmal 7,5 Millionen Menschen in Minijobs. Und Sie sagen, es geht allen gut? Reden Sie doch einmal mit diesen
Leuten, die 4 Euro in der Stunde verdienen oder die einen Minijob haben. Denen geht es nicht gut, ganz im
Gegenteil.
({30})
Es gibt den Missbrauch bei Werkverträgen. Außerdem gibt es viele befristete Verträge. Von den Beschäftigten bis zum Alter von 35 Jahren haben 52 Prozent,
mehr als die Hälfte, befristete Verträge, und dann beschwert sich die Union immer und heult mir die Backen
voll, dass die Deutschen aussterben, weil jedes Jahr
mehr Deutsche sterben als geboren werden. Wie soll
man denn verantwortungsbewusst Kinder in die Welt
setzen, wenn man gerade mal einen Vertrag für ein halbes Jahr hat? Das ist doch abstrus. Außerdem gibt es
16 verschiedene Schulsysteme, weil wir 16 Bundesländer haben. Auch das gehört ins 19. und nicht ins
21. Jahrhundert.
({31})
Sie müssen also die Bedingungen verändern, dann wird
es auch wieder mehr Kinder geben.
Bei diesen Themen sind Sie sich alle einig. Es tut mir
leid, Herr Steinbrück, Sie wollen nur eine kleine Korrektur, die Grünen wollen eine kleine Korrektur, die Koalition will bei der prekären Beschäftigung nichts korrigieren. Die einzige Partei, die prekäre Beschäftigung
überwinden will, ist die Linke. Es tut mir leid, auch hier
sind wir die Einzigen.
({32})
Das sechste Thema ist Hartz IV. Alle vier Fraktionen
finden Hartz IV richtig und sagen: Vom Grundsatz her
muss man das aufrechterhalten und nur hier und da eine
kleine Korrektur anbringen. Nein, das Ganze ist demütigend und verletzend organisiert,
({33})
und wenn es um das Existenzminimum geht, dann darf
man das nicht noch mit Sanktionen unterschreiten. Das
verletzt Art. 1 des Grundgesetzes. Deshalb wollen wir
eine sanktionsfreie Mindestsicherung, und es wird
höchste Zeit, dass wir sie in Deutschland einführen.
({34})
Auch das ist eine interessante Zahl: Die durchschnittliche Verweildauer in der früheren Arbeitslosenhilfe lag
2004 bei knapp einem Jahr. Die durchschnittliche Verweildauer bei Hartz IV liegt bei 2,5 Jahren. Die Zeit hat
sich mehr als verdoppelt. Das ist die Realität.
Ich sage noch einmal: Ohne die Linke wären diese
Themen im Bundestag nie so kontrovers diskutiert worden. Die Linke ist - ich sage es noch einmal - ein Gewinn für die Demokratie, weil wir in diesen Fragen die
Mehrheit der Bevölkerung vertreten. Ohne uns wäre sie
hier nicht einmal mit einem Argument vertreten. Dass
wir nur eine Minderheit sind, weiß ich; aber insofern bereichern wir dieses Land. Ich finde, dass man schon allein deshalb - Sie haben mehrmals gesagt, wen man
wählen muss; jetzt muss ich das auch einmal sagen - die
Linke wählen muss.
({35})
Aber es geht weiter. Ich komme zur Regierung. Ich
habe es schon gesagt: Von der Chancengleichheit in der
Bildung sind wir meilenweit entfernt. Ihr Betreuungsgeld ist eine solche Fehlkonstruktion - wirklich, darüber
muss man gar nicht diskutieren. Die Norweger haben es
eingeführt und wieder abgeschafft. Wissen Sie, Herr
Brüderle, arme Familien haben keine Wahlfreiheit. Die
sind so dringend auf das Geld angewiesen, dass sie es
auch annehmen. Damit organisieren Sie, dass deren Kinder nicht in Kindertagesstätten gehen. Damit fehlt ihnen
soziale Bildung und dadurch haben sie schlechtere Voraussetzungen für Erfolg in der Schule. Was soll denn
dieser Wahnsinn? Lassen Sie uns endlich Chancengleichheit für Kinder gerade in der Bildung herstellen.
Es wird höchste Zeit.
({36})
Die Strompreise steigen. Sie haben nichts dagegen
getan. Die Mieten steigen. Sie quatschen nur rum. Sie in
der Regierung machen nichts dagegen. Das geht doch
nicht! Erklären Sie mir doch einmal: Wenn Frau A auszieht und Frau B einzieht und der Vermieter in der Wohnung nichts verändert, warum darf er die Wohnung teurer machen? Wieso? Er hat doch den Wert der Wohnung
gar nicht gesteigert. Was haben wir hier eigentlich für
komische Regeln? Das kann man ändern, wenn man
will, dass es für die Menschen erträglich wird. Natürlich
brauchen wir auch mehr sozialen Wohnungsbau. Das ist
doch völlig klar.
({37})
Sie können eines doch nicht leugnen: Die Entwicklung geht immer weiter auseinander. Früher gab es ein
privates Nettovermögen von etwa 4,5 Billionen Euro, im
Jahre 2012 waren es 10 Billionen Euro. 0,6 Prozent der
Haushalte gehörte davon ein Anteil von 2 Billionen, das
heißt von 20 Prozent. 50 Prozent der Haushalte - das
sind in finanzieller Hinsicht die unteren Haushalte - besitzen davon 1 Prozent. 1 Prozent! 1998 besaßen diese
50 Prozent noch 4 Prozent. Die Schere geht immer weiter auseinander.
Deshalb sage ich Ihnen: Wir haben eine Umverteilung
von unten nach oben. Es stimmt - da hat Herr Brüderle
recht -: Die hatten wir auch bei Schröder. Die haben wir
aber auch bei Merkel, die haben wir bei Ihnen allen. Ich
sage Ihnen: Diese Umverteilung von unten nach oben
muss gestoppt werden. Wir brauchen für mehr Gerechtigkeit endlich eine Umverteilung von oben nach unten.
Es wird höchste Zeit, dass wir das auch durchsetzen.
({38})
Auch in den Bereichen Gesundheit und Pflege haben
Sie nichts getan. Wir haben immer noch eine Zweiklassenmedizin. Auch das ist unerträglich. Wir schlagen
überall Alternativen vor.
({39})
- Das kann ich Ihnen alles erzählen, aber ich habe ja leider bloß begrenzt Zeit. Zum Beispiel: Wir brauchen
keine Privatkassen. Wir müssen dafür sorgen, dass drei
bis vier gesetzliche Krankenkassen das Ganze regulieren,
({40})
die Gesundheit organisieren, und zwar nach der Art der
Erkrankung und nicht nach der sozialen Stellung des Patienten. Das ist das Entscheidende.
({41})
Jetzt sage ich Ihnen etwas, was die Union sehr erregen wird, aber es stimmt: Wir sind inzwischen die einzige Partei der deutschen Einheit.
({42})
- Wir. Inzwischen.
({43})
Ich will es Ihnen auch begründen. Ich sage „inzwischen“, ich sage nicht „von Anfang an“.
({44})
- Hören Sie doch einmal zu. - Ich sage „inzwischen“.
Ich will Ihnen auch sagen, warum. Weil wir die Einzigen
sind, die dafür kämpfen, dass man in Ost und West endlich für die gleiche Arbeit in der gleichen Arbeitszeit den
gleichen Lohn erhält und für die gleiche Lebensleistung
die gleiche Rente. Das machen Sie nicht. Das torpedieren Sie seit Jahren, und damit spalten Sie die Gesellschaft.
({45})
Wir waren 2009 bei der Wahl so stark, dass die Bundeskanzlerin sogar angekündigt hat, die Rentenwerte in
Ost und West würden angeglichen.
({46})
Wir haben ein so gutes Ergebnis erzielt, dass CSU, CDU
und FDP das sogar in ihren Koalitionsvertrag aufgenommen haben. Aber wir waren noch nicht so stark, dass Sie
das auch gemacht haben. Sie haben es dann wieder gestrichen. Und jetzt sagen Sie: Es wird nie stattfinden. Die
Grünen sagen: Angleichung der Rentenwerte sofort,
aber ohne jede Steigerung der Ostrente. Das ist natürlich
abenteuerlich, kann ich nur sagen. Ich will gar nicht weiter darauf eingehen.
({47})
Ich will aber sagen: Wir brauchen endlich die gleiche
Rente für die gleiche Lebensleistung. Und wer das nicht
will, der spaltet die Gesellschaft, der sorgt nicht für Einheit.
({48})
Ich komme zum Schluss und stelle Folgendes fest:
Ohne die Linke herrschte in diesem Bundestag gähnende
Langeweile.
({49})
- Das stimmt. Die FDP hat dem zugestimmt; darauf will
ich nur hinweisen. - Das ist schon mal ein Grund, uns zu
wählen und uns im Bundestag noch stärker zu machen.
({50})
Zweitens. Ohne die Linke gäbe es keinen Widerspruch einer Fraktion gegen Kriege,
({51})
Waffenexporte, falsche Euro-Rettungsschirme, gegen
die Senkung des Rentenniveaus und die Rentenkürzung
- die Anhebung des Renteneintrittsalters um zwei Jahre
ist im Grunde eine Rentenkürzung; es sind zunächst
zwei Jahre; das soll ja noch weitergehen -, gegen prekäre Beschäftigung und gegen Hartz IV. Das wäre eine
Verarmung der Demokratie.
({52})
Auch deshalb ist es wichtig, diesen Widerspruch zu wählen.
({53})
Dann gibt es noch einen Punkt. Weil Sie sich bei diesen sechs Punkten in einer Konsenssoße befinden, reagieren Sie nie aufeinander. Die Grünen ändern doch
nicht ihre Politik, bloß weil die FDP zulegt oder verliert.
Die FDP ändert nicht ihre Politik, weil die Union zulegt.
Die SPD ändert auch nicht ihre Politik. Die einzige Partei, auf die Sie alle reagieren, ist die Linke.
({54})
Deshalb ist es für die Leute so attraktiv, uns zu wählen.
Sehen Sie mal: Man wählt uns, und noch bevor wir einen
dummen Antrag gestellt haben, ändern Sie schon Ihre
Politik. So schnell geht das. Das schafft man nur mit der
Wahl der Linken.
({55})
- Doch. Ich kann Ihnen das sagen. Immer dann, wenn
wir stärker werden, werden die Grünen friedlicher, und
immer dann, wenn wir stärker werden, wird die SPD
({56})
sozialer. Selbst die Union bekommt dann einen kleinen
sozialen Tick. Ich gebe zu: Die FDP ist dagegen gefeit.
({57})
Aber die anderen drei Parteien, die richten sich schon
nach unseren Wahlergebnissen. Das ist auch ein Vorteil
von uns.
({58})
Weil so viel über Koalition und Ähnliches gesprochen
wird, sage ich: Liebe Kolleginnen und Kollegen von der
SPD, ich weiß, Ihre Leidensfähigkeit ist fast unbegrenzt;
aber ich gebe die Hoffnung nicht auf, dass es doch irgendwo eine Grenze gibt.
({59})
Was wir wollen, ist ganz einfach, lieber Herr Gabriel:
Wir wollen nicht, dass Sie links von der SPD stehen; da
stehen wir doch, das ist gar nicht nötig. Aber wenigstens
sozialdemokratisch könnten Sie endlich werden.
({60})
Zur Sozialdemokratie gehören keine Kriege, keine Rentenkürzungen und kein Hartz IV. Das müssen Sie endlich
verstehen. Dann können wir nicht nur einen Personalwechsel anstreben, sondern endlich auch einen Politikwechsel und eine deutlich gerechtere Gesellschaft.
Danke schön.
({61})
Für die Fraktion der Grünen spricht jetzt die Kollegin
Katrin Göring-Eckardt.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Herr Gysi, wissen Sie was: Angesichts dessen, was Sie
hier abgeliefert haben, und angesichts dessen, wie oft Sie
gesagt haben, was alles nicht ohne die Linke geht, muss
man schon denken: Sie haben Sorge, nicht im nächsten
Bundestag vertreten zu sein.
({0})
Das wundert mich auch nicht, wenn ich mir vor Augen
führe, dass sich Ihre Umfragewerte inzwischen nicht nur
in Sachsen und Thüringen halbiert haben.
({1})
Aber ich sage Ihnen eines: Mit dieser Art von Selbstgerechtigkeit helfen Sie keinem Arbeitslosen, keinem, der
in Armut lebt, und noch nicht einmal den Ossis. Es
braucht eine andere Politik, aber keine Schnöselsprüche
von Ihnen, Herr Gysi!
({2})
Ich will auf das eingehen, was die Bundeskanzlerin
immer wieder sagt: dass wir gut dastehen. 70 Prozent der
Arbeitnehmer bekommen heute niedrigere Löhne als vor
zehn Jahren.
({3})
Die Produktivität hat sich seit 1999 immer weiter verschlechtert.
({4})
Die Investitionsquote ist in 2012 von über 20 auf 17 Prozent gesunken.
Jetzt werden Sie wieder sagen, das sei Schwarzmalerei.
({5})
Das ist aber nicht meine Erfindung. Das sagt einer der
renommiertesten Wirtschaftsexperten in Deutschland,
nämlich Marcel Fratzscher, der Chef des DIW. Das ist
die Realität. Allerdings habe ich gelernt, Ihre Behauptung, Deutschland stehe gut da, ist nichts anderes als
eine Illusion. Sie haben aber keine Lust mehr, sich bei
Ihren Illusionen unterbrechen zu lassen. Sie haben auch
keine Lust mehr, sich die Realität anzuschauen. Das haben wir auch am Sonntag im Fernsehduell gesehen, als
jemand versucht hat, Ihnen eine Zwischenfrage zu stellen, Frau Merkel.
({6})
Tatsache ist: Ja, wir leben in einem der reichsten Länder der Erde. Aber Millionen von Menschen haben
nichts von diesem Reichtum. Die Bildungs- und Aufstiegschancen sind verdammt ungleich verteilt. Der Zugang zu dieser Gesellschaft ist reglementiert. Sie ist an
vielen Stellen eine blockierte und an vielen Stellen eine
geschlossene Gesellschaft. Akademikerkinder haben
eine sechsmal höhere Chance, ein Studium aufzunehmen, als Kinder von Eltern ohne Studium. Dem reichsten 1 Prozent der Bevölkerung gehören 35 Prozent des
gesamten Vermögens, den reichsten 10 Prozent sogar
zwei Drittel. Nein, Deutschland geht es nicht gut. In
Deutschland geht es nur einigen gut.
({7})
Wenn Sie sagen: „Deutschland steht gut da“, dann meinen Sie mit Deutschland nicht die Deutschen, sondern
die Privilegierten.
({8})
Das ist der Unterschied zwischen Ihnen und uns, Frau
Merkel.
({9})
Wir brauchen keine Politik für wenige, für diejenigen,
die die Handynummer der Kanzlerin oder wenigstens die
des Kanzleramtsministers haben. Wir brauchen eine
Politik für alle Menschen, egal ob gut verdienend oder
Hartz-IV-Bezieher, egal ob sie alleinstehend sind oder in
einer Familie leben, egal ob reiche oder arme Eltern,
egal ob in Deutschland geboren oder anderswo. Eine
bessere Zukunft muss für alle möglich sein, eine Zukunft
mit intakter Infrastruktur, mit einem guten und bezahlbaren System sozialer Sicherheit, selbstverständlich mit
funktionierenden öffentlichen Institutionen und einem
Bildungssystem, in dem die Chancen gleich verteilt sind.
Um all das zu schaffen, fehlen aber entscheidende Voraussetzungen, nämlich ein handlungsfähiger Staat und
eine handlungsfähige Regierung. Ja, es fehlt auch eine
handlungswillige Kanzlerin in diesem Land, um die Situation zu verbessern. Diese Kanzlerin handelt jedoch
nicht, meine Damen und Herren.
({10})
Das liegt nicht daran, dass sie Ossi ist. Das liegt auch
nicht daran, dass sie Frau ist. Das liegt noch nicht einmal
daran, dass sie Tag und Nacht per Babyfon Herrn
Seehofer betreuen muss, weil der permanent herumschreit, und deswegen nicht zum Regieren kommt.
({11})
Frau Merkel handelt deswegen nicht, weil sie keine
Ideen für die Zukunft hat; weil sie auf Sicht fährt; weil
sie am Gängelband der FDP hängt; weil sie sich von der
Krise das Programm hat schreiben lassen, anstatt Ideen
zu entwickeln. Ihnen macht Regieren Spaß, haben Sie
gesagt, Frau Merkel, weil es an jedem Morgen neue Probleme gibt. - Wir hätten am Abend gern mal wenigstens
für eines der Probleme eine Lösung gesehen.
({12})
Frau Bundeskanzlerin, jetzt ist eine neue Phase angebrochen, eine, in der ohne Ideen nichts mehr geht, eine,
in der es ohne Ideen zu immer neuen Krisen kommt,
nicht nur im Inland, sondern auch im Ausland. Es reicht
nicht mehr, herumzulavieren, es reicht nicht mehr, abzuwarten - nicht in Europa, nicht gegenüber Russlands homophobem Diktator und erst recht nicht in der Energiepolitik. Sie sind dabei, das Land müde zu lächeln. Wir
brauchen aber dringend einen Aufbruch, Frau Merkel;
deswegen braucht es den Wechsel.
({13})
Bisher haben Sie in Europa ein Krisenmanagement
gemacht. Jetzt müssten Sie eigentlich einmal sagen, wohin Sie mit Europa wollen. Wir sind doch ein Europa der
Menschen und nicht ein Europa der Banken. Und, ja, wir
brauchen Leidenschaft für ein Europa, in dem junge
Leute Hoffnung haben, egal ob ihre Muttersprache Griechisch ist oder Deutsch, ein Europa, das endlich vorangeht mit der Energierevolution. Dank Ihrer Politik schaffen wir das noch nicht einmal in Deutschland, Frau
Merkel.
({14})
Sie stellen sich hierhin und sagen: Keinen Cent für
die Griechen ohne Gegenleistung!
({15})
Kurz vor der Wahl, Frau Merkel, fangen Sie wieder an
mit einem „faule Griechen“-Revival.
({16})
Ich finde das beschämend: die Beschimpfung eines Landes, das extrem viel geleistet hat und auf das Sie ohne
Ende Druck ausgeübt haben, Frau Merkel.
Man kann es vielleicht so zusammenfassen: Mit der
schwarz-gelben Regierung regiert die Ideenlosigkeit, es
regiert das Motto „Gemeinsam gleichgültig“.
Die Verschuldung der öffentlichen Hand ist unter
Kanzlerin Merkel so stark gestiegen wie unter keinem
Bundeskanzler zuvor. Diese schwarz-gelbe Regierung
hat über 100 Milliarden Euro neue Schulden aufgenommen. Frau Merkel, das ist eine sensationelle Katastrophe
und kein sensationeller Erfolg, wie Sie es hier behauptet
haben.
({17})
Insgesamt sind das 500 Milliarden Euro mehr. Sagen wir
es einfach einmal so: Diese Regierung steckt knietief im
Dispo; die Zinsen und Zinseszinsen müssen unsere Kinder und Kindeskinder zahlen. Generationengerechtigkeit
geht anders, meine Damen und Herren.
({18})
Auch was die öffentliche Infrastruktur angeht, muss
man feststellen: Sie haben keine Ideen. Wir leben in
Deutschland längst von der Substanz. Seinen wirtschaftlichen Erfolg hatte dieses Land einstmals der guten Infrastruktur zu verdanken.
({19})
Die geht jetzt den Bach herunter: Der Bahnhof einer
Landeshauptstadt ist tagelang außer Betrieb.
({20})
Sagen Sie jetzt bloß nicht: „Schuld sind die anderen“,
Frau Merkel! An vielen Orten sind die Straßen kaputt,
sind Brücken baufällig. In öffentlichen Gebäuden fällt
der Putz von der Decke.
({21})
Städten und Kommunen fehlen insgesamt 128 Milliarden Euro.
({22})
Es fehlen die Steuereinnahmen, um die Mängel endlich
zu beseitigen und diesen Investitionsstau zu beheben.
({23})
Ich weiß, Herr Brüderle, dass Sie da nie hingehen,
dass Sie sich woanders herumtreiben - mit Ihren Lobbyisten Kaffee trinken gehen -, statt einmal zu schauen,
wie es in den Schulen dieses Landes aussieht.
({24})
Man muss sich einmal mit dem tatsächlichen Leben beschäftigen, anstatt nur auf BIP-Zahlen zu schauen. Wo
bleiben Ihre Ideen für gute Kinderbetreuung, für Kinderbetreuung, die gut ist für Kinder und nicht für die Statistik von Frau Schröder? Ist es das Beste für das Kind,
wenn man, um einen Kinderbetreuungsplatz zu bekommen, 20 Bewerbungen abschicken muss? Nein, da geht
es um Milliarden, die fehlen. Frau Merkel, Sie haben
eben gesagt, dass wir mehr Geld für Kinderbetreuung
brauchen. Aber was machen Sie stattdessen? Sie schmeißen für das Betreuungsgeld jedes Jahr 1 Milliarde Euro
zum Fenster hinaus. Das Betreuungsgeld gehört abgeschafft. Dann können wir endlich in Kitas investieren.
({25})
Ich vermisse eine Idee für den Bereich Bildung. Kooperationsverbot - das haben Sie eingeführt - und eine
Lücke von 20 Milliarden Euro bei den Bildungsinvestitionen, das ist Ihre Bilanz. Wir waren einmal Bildungsnation, und wir waren stolz darauf.
({26})
Heute bleiben so viele Kinder wie nie unter ihren Möglichkeiten, nur weil sie im falschen Stadtteil wohnen,
den falschen Vornamen haben oder weil ihre Großmutter
nicht in Deutschland geboren wurde. Das ist Ihre Verantwortung. Das muss sich ändern mit Investitionen in Bildung und mit mehr Bildungsgerechtigkeit in einem
Land, das es sich definitiv leisten kann.
({27})
Ich will wissen, wen Sie eigentlich meinen, wenn Sie
sagen: Uns geht es gut. - Meinen Sie die 7 Millionen
Menschen, die in Deutschland für weniger als 8,50 Euro
pro Stunde arbeiten? Meinen Sie die 2,5 Millionen Menschen, die inzwischen mehrere Jobs haben? Früher hielten wir das für amerikanische Verhältnisse, heute ist das
in Deutschland selbstverständlich. Meinen Sie die 3 Millionen Frauen, die ohne eigenständige Altersabsicherung
in Minijobs arbeiten, die Angst vor Armut haben?
({28})
Frau Merkel, meinen Sie mit „Deutschland steht gut da“
die Menschen, die in Schlachthöfen für 4 Euro pro
Stunde arbeiten, und zwar unter katastrophalen Bedingungen, die mit Arbeitsschutz nichts zu tun haben?
8,50 Euro Mindestlohn, Leiharbeit, die gleich bezahlt
wird, und endlich kleine Jobs, die man sich auch leisten
kann und bei denen nicht Altersarmut vorprogrammiert
ist - das ist die Alternative zu Ihrer Politik, Frau Merkel.
({29})
Man kann nicht bei denjenigen kürzen, die es am nötigsten haben. Wenn man in den Bundeshaushalt schaut,
dann sieht man: Sie haben bei den Langzeitarbeitslosen,
bei den Alleinerziehenden und bei den Berufsrückkehrern gekürzt. Frau Merkel, Sie haben gemeinsam mit
Frau von der Leyen am Anfang der Legislaturperiode die
Republik darauf hingewiesen, dass es eine Armutsgefährdung in Teilen der Bevölkerung gebe, gerade im Alter.
({30})
- Ja, das stimmt. Und was haben Sie gemacht? Der Entwurf der Rentenreform ist im täglichen Gezänk mit der
FDP immer kleiner und kleiner geworden, und am
Schluss hat er sich komplett in Luft aufgelöst. Wir brauchen endlich die Bekämpfung der Altersarmut mit einer
Garantierente gerade für die Frauen in dieser Republik,
die es durch Arbeit nicht mehr schaffen können, für eine
entsprechende Rente zu sorgen. Wir müssen dafür sorgen, dass sie mit einer Garantierente im Alter abgesichert sind und nicht in Armut fallen.
({31})
Ideen bei der Gesundheitsversorgung? Fehlanzeige!
Wer gesetzlich krankenversichert ist, wartet nicht nur
doppelt so lange auf den Termin beim Hausarzt, er wartet dann auch noch doppelt so lange, bis der Facharzt
Zeit hat. Fragen Sie mal Alte, chronisch Kranke oder
Menschen mit Behinderung, dann hören Sie, dass ihnen
mehr und mehr Leistungen vorenthalten werden. Fragen
Sie einmal die Ärzteschaft und nicht die Lobbyisten:
Diese sagt Ihnen längst mehrheitlich, sie wolle eine Bürgerversicherung.
({32})
Ich will, dass wir endlich wieder dahin kommen, dass
man, wenn man beim Arzt anruft, gefragt wird, was einem fehlt, und nicht, welche Versicherungskarte man
hat. Das ist der Unterschied zwischen Ihnen und uns,
Frau Merkel.
({33})
„Deutschland steht gut da.“ - Fragen Sie einmal die
Flüchtlinge, die hierherkommen und die hoffen, dass sie
endlich in Sicherheit sind. Diese müssen hören, dass wir
eine Krise hätten oder überfordert seien. Anstatt mit dem
Blick auf die furchtbare Situation in Syrien die Türen zu
öffnen und mehr Flüchtlinge aufzunehmen und zu sagen:
„Natürlich können wir sie hier in Deutschland sicher unterbringen“,
({34})
machen Sie die Tür wieder zu und reden von Überforderung in unserem Land mit Herrn Friedrich an der Spitze.
({35})
Fragen Sie einmal die jungen Leute, ob es ihnen gut
geht, die Sie zwingen, sich entweder gegen das Land zu
entscheiden, in dem sie aufgewachsen sind, oder gegen
das Land, in dem ihre Großeltern geboren wurden. Wo
ist Ihre Idee von einem Land, in dem man gut leben
kann, gerade wenn man unterschiedlich ist? Jeder weiß
doch, dass nur solche Gesellschaften erfolgreich sind,
Frau Merkel. Nein, Ihr „Deutschland geht es gut“ hat
nichts mit der Lebensrealität der Menschen hier zu tun.
({36})
Meine Damen und Herren, für diese schwarz-gelbe
Bundesregierung ist Deutschland kein Gemeinwesen,
sondern eine einzige Lobbyrepublik. Diese Kanzlerin
und ihre Regierung haben keine Idee von sozialer Gerechtigkeit. Man braucht sich nur den Bundeshaushalt
anzuschauen: Sie kürzen bei den Kindern, bei den Arbeitslosen, bei den Kranken, bei der Entwicklungszusammenarbeit mit den armen Ländern und zeigen den
Mietern die kalte Schulter.
Anderswo haben Sie aber mächtig draufgelegt. Ihre
Hotelsteuer hat uns inzwischen 4 Milliarden Euro gekostet, und wir geben permanent 1,8 Milliarden Euro für ein
Dienstwagenprivileg aus, mit dem wir Geländewagen
fördern.
({37})
Einen solchen Dienstwagen braucht vielleicht ein Förster oder ein Bauer, aber niemand, der normal zur Arbeit
und wieder zurück fährt. Hier könnten Sie eine riesige
Einsparmöglichkeit nutzen. Dann bräuchten Sie nicht
bei den Armen und Arbeitslosen zu sparen, Frau Merkel.
({38})
Man kann das alles zusammenfassen, wie Herr
Laumann das gemacht hat.
({39})
Ihr CDU-Freund aus Nordrhein-Westfalen hat wörtlich
gesagt: Sozialpolitisch waren die schwarz-gelben Regierungsjahre verlorene Jahre. - Ich finde, er hat recht. Leider!
({40})
Deutschland könnte bei der großen Aufgabe unserer
Zeit, der Energiewende, so gut dastehen, aber bei Ihnen,
bei Schwarz-Gelb, herrschen Ideenflaute und handwerkliche Inkompetenz. Sie wollen die Dynamik bremsen,
haben Sie hier gesagt. Sie haben hier wieder die Ausbaubremse für erneuerbare Energien angekündigt, Frau
Merkel.
({41})
Ehrlich gesagt glaube ich, Schwarz-Gelb die Energiewende machen zu lassen, ist ungefähr so schlau, wie
wenn man Lehman Brothers beauftragen würde, die
Euro-Krise zu managen. Das wirklich Tragische daran
ist: Die schlechte Umsetzung ist von Ihnen auch politisch gewollt. Sie fahren die Energiewende sehenden
Auges an die Wand, und die Energiekonzerne lachen
sich mit ihren Kohlekraftwerken und Renditen am Ende
noch ins Fäustchen.
({42})
Wir produzieren so viel Kohlestrom wie Anfang der
90er-Jahre. Das hat nichts mehr mit Energiewende zu
tun, sondern das ist eine Konterrevolution in der Energiepolitik.
({43})
Dafür, dass der CO2-Aussstoß steigt, tragen Sie Verantwortung, Frau Merkel. Das hat große Folgen für den Klimawandel und unsere Umwelt, weswegen Sie sich mehr
mit der Frage beschäftigen sollten, wie es mit den erneuerbaren Energien weitergeht.
Es mag Ihnen ja pathetisch vorkommen, aber ich
bleibe dabei: Ich will, dass auch noch unsere Enkel
Zitronenfalter nicht nur aus dem Lehrbuch kennen.
({44})
- Ja, ich weiß, dass Ihnen so etwas völlig egal ist. - Ich
bleibe dabei, dass ich will, dass auch noch die, die nach
uns kommen, saubere Luft atmen können, und ich bleibe
auch dabei, dass ich will, dass wir unseren Lebensstil
nicht auf Kosten der ärmsten Weltregionen leben. Deswegen brauchen wir die Energiewende.
({45})
Ich bleibe auch dabei, dass wir, statt jedes Jahr 1 Milliarde Euro in die Massentierhaltung zu stecken, endlich
dafür sorgen sollten, dass gesundes Essen und Tierschutz
zusammenkommen und dass nicht inzwischen die Tiere
so viele Antibiotika bekommen, dass die Weißwurst eines Tages wahrscheinlich rezeptpflichtig wird, Frau
Aigner.
({46})
Sie lassen die Menschen ganz nebenbei auch noch bei
der Stromrechnung im Regen stehen. Es gibt in Deutschland millionenfach Stromarmut, und es hat nichts mit
Marktwirtschaft zu tun, dass die Verbraucher immer
mehr bezahlen müssen, obwohl der Börsenstrompreis
durch die erneuerbaren Energien sinkt.
Herr Brüderle, als Sie als Wirtschaftsminister angefangen haben, betrug die EEG-Umlage 1,5 Cent. Jetzt
sind es 5,5 Cent. Das ist Ihre Verantwortung! Das ist Ihre
Energiepolitik und das Ende einer Strompreisverantwortung für die Verbraucherinnen und Verbraucher.
({47})
Die Zeche Ihrer Politik zahlen die Mittelständler, der
Student und die Oma von nebenan.
({48})
Die Zeche zahlen diejenigen, die es sich nicht leisten
können.
Deswegen sagen wir ganz klar: Mit einer anderen
Politik könnten wir sofort 4 Milliarden Euro einsparen
und den Strompreis senken. Man kann erreichen, dass
der Strom und die Energie bezahlbar bleiben, weil uns
Sonne und Wind keine Rechnungen schicken und indem
wir dafür sorgen, dass es keine sinnlosen Ausnahmen
- nicht beim Fracking, nicht bei der Kohle - und auch
kein Ausweichen derjenigen mehr gibt, die heimlich
schon wieder über neue Laufzeitverlängerungen für
Atomkraftwerke nachdenken.
({49})
Sie haben keine Ideen, und damit werden natürlich die
Spielräume der kommenden Generationen eingeengt.
Ausgerechnet Sie, Herr Brüderle, an der Spitze werfen uns vor, wir wären eine Verbotspartei.
({50})
Da kann ich nur sagen, lieber Herr Brüderle: Lieber einmal in der Woche freiwillig Spinat mit Ei als jahrelang
unfreiwillige Überwachung durch die NSA.
({51})
Da wir schon dabei sind, will ich Ihnen ein paar Verbote nennen, die wir gern abschaffen wollen: das Adoptionsverbot für Lebenspartnerschaften,
({52})
das Verbot einer Arbeitsaufnahme für Asylbewerber,
({53})
das Verbot der doppelten Staatsbürgerschaft - abschaffen! -,
({54})
Wettbewerbshürden im Energiemarkt - abschaffen! -,
gerne auch das Verbot, Fahrräder im ICE mitzunehmen.
({55})
Einführen wollen wir auch etwas. Wir wollen zum
Beispiel das Verbot einführen, Rüstungsgüter an Diktatoren zu liefern. Ja, hier verbieten wir gerne etwas.
({56})
„Deutschland steht gut da“, sagen Sie. Ja, Deutschland steht. Obwohl viele etwas tun, bewegt sich unter Ihrer Regierung nichts mehr. Deutschland wird sich aber
anstrengen müssen: ökologisch, ökonomisch und eben
auch sozial. Aber dafür braucht es Leidenschaft. Dafür
braucht es eine Regierung, die etwas bewegen will, und
keine, die sich selbst verwaltet. Dafür braucht es eine
Regierung, die einen Plan hat und eine Vision, eine Idee
davon, wohin es gehen soll. Ihre Regierung, die nur an
BIP und Bonus denkt, Frau Merkel, und Ihre Art, das
Land stillzulächeln, haben ausgedient. Es braucht eine
neue Regierung. Es braucht Bewegung - jetzt!
({57})
Das Wort hat jetzt der Bundesfinanzminister
Dr. Wolfgang Schäuble.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Ich möchte gerne, bei allem Respekt, Frau
Göring-Eckart, vor Spinat mit Ei, wieder zur Lage unseres Landes zurückkehren.
({0})
- Liebe Kolleginnen und Kollegen, Wahlkampf ist eine
wichtige Veranstaltung. Aber wir sollten auch im Wahlkampf unsere Mitbürgerinnen und Mitbürger ernst nehmen. Deswegen sollten wir auch im Wahlkampf die Debatte über die Lage unseres Landes mit Argumenten, mit
Fakten und mit Programmen führen. Wir sollten hier
weiterkommen.
({1})
Herr Kollege Steinbrück, ich möchte mich gerne mit
Ihnen auseinandersetzen. Sie haben gefragt, wohin unser
Land in den letzten Jahren gegangen ist. Die Antwort
lautet: Aufwärts! Die Bundeskanzlerin hat in einer sehr
eindrucksvollen Rede
({2})
beschrieben, wie die Lage gewesen ist, in die wir als
Folge der Finanz- und Wirtschaftskrise geraten sind. Wir
hatten im Jahre 2009 einen Rückgang unseres Bruttoinlandsprodukts um über 5 Prozent zu verzeichnen; eine
Erfahrung, die wir seit der Währungsreform nicht kannten. Als Folge dessen hatten wir für das Jahr 2010 einen
Haushaltsentwurf mit einer hohen Neuverschuldung erstellt. Das haben wir in der Großen Koalition gemeinsam
gemacht. Heute sind wir in derselben Situation. Der
Haushalt, den die Regierung im Juni aufgestellt hat, wird
das Gerüst für die nächste Legislaturperiode sein, auch
nach den nächsten Wahlen.
Wir haben nämlich diesen Haushalt im Gerippe mit
den Rahmendaten übernommen, und dann musste für
2010 eine Neuverschuldung von 86 Milliarden Euro eingeplant werden. Die Bundeskanzlerin hat schon daran
erinnert, dass in der mittelfristigen Finanzplanung für
diese vier Jahre - das vergessen Sie in Ihren Reden gelegentlich, Herr Steinbrück - 262 Milliarden Euro vorgesehen waren bzw. vorgesehen sein mussten. Das war die
Ausgangslage. Daraus sind nun knapp 100 Milliarden
Euro geworden. Das sind knapp 40 Prozent dessen, was
vorgesehen war. Dazu kann man nur sagen: Es ist wohl
ein bisschen aufwärtsgegangen in den Jahren seit 2010.
({3})
Natürlich gibt es eine Menge von Problemen. Die
wird es übrigens immer geben, und die globalisierte Welt
sorgt dafür, dass der Druck der Wettbewerbsfähigkeit
immer stärker wird. Das wird auf unseren Arbeitsmarkt
und auf vieles andere Auswirkungen haben.
Ich habe übrigens, Herr Kollege Steinbrück, als zweimaliger Innenminister manche Tarifverhandlungen geführt. Einstmals waren sie ganz schwierig, weil wir noch
eine Arbeitgebergemeinschaft von Bund, Ländern und
Kommunen waren. Deswegen verstehe ich ein bisschen
was von Tarifautonomie. Auch war eine Erfahrung aus
der Überwindung der Finanz- und Wirtschaftskrise, dass
unsere soziale Partnerschaft in Deutschland wesentlich
dazu beigetragen hat, dass wir die Krise besser überstanden haben als andere. Ein wesentliches Element unserer
sozialen Partnerschaft ist die Tarifautonomie.
In allem Ernst, Herr Kollege Steinbrück: Wenn Sie
sich mit Freunden in der Gewerkschaft verständigen
oder sich informieren lassen, wie die Tariflandschaft
aussieht, wird deutlich: Es gibt Zehntausende von Tarifverträgen, die sehr individuell angepasst sind, sei es regional oder strukturspezifisch für die einzelnen Betriebe.
({4})
Das ist ein unendlich enges Geflecht. Es ist das Ergebnis
von Tarifautonomie: ein Qualitätssiegel unseres Standorts Deutschland.
Reden Sie nicht von einem Flickenteppich, wenn wir
sagen: Wir wollen auch den Mindestlohn durch die Tarifpartner regeln lassen statt von einem Gesetzgeber, der
nicht so viel weiß! Mit Einheitsregeln geht es doch
schief.
({5})
In allem Ernst:
({6})
Die Einkommen sind in den letzten drei Jahren durchschnittlich um 3 Prozent jährlich gewachsen. Wir haben
im Augenblick so viele Menschen in Arbeit wie nie zuvor. Die Arbeitslosenquote ist die niedrigste seit der
Wiedervereinigung. - Herr Gysi ist leider nicht mehr anwesend; deswegen will ich nicht näher darauf eingehen.
Ich fand es aber schon irgendwie süß, dass ausgerechnet
Herr Gysi mir erklärt, wie es mit der deutschen Einheit
ist.
({7})
An diese Geschichte habe ich noch zu starke Erinnerungen. Aber ich mache es mit ihm persönlich aus. Herr
Gysi ist ja immerhin amüsant.
({8})
- Ich komme gleich darauf zurück. Hören Sie sich einfach ein paar Fakten an!
({9})
Wir haben die niedrigste Arbeitslosenquote seit der
Wiedervereinigung. Die Langzeitarbeitslosigkeit ist am
stärksten gesunken. Die Zahl der Hartz-IV-Empfänger
sinkt am stärksten. Das sind Realitäten. Die OECD hat
im Mai einen Bericht vorgelegt. Ich habe ihn dabei und
könnte lange daraus zitieren. Darin heißt es: Im Gegensatz zu fast allen anderen OECD-Ländern ist in Deutschland die Kluft zwischen den höheren Einkommen und
den geringen Einkommen nicht gewachsen, sondern gesunken.
({10})
- Entschuldigung, Herr Steinbrück: laut OECD-Bericht
vom Mai 2013 in den vergangenen Jahren.
({11})
Jetzt kommt der nächste Punkt: Die Korrektur der Bruttoeinkommen gegenüber den Nettoeinkommen durch
Steuern und Beiträge ist in Deutschland stärker als in
fast allen anderen OECD-Staaten. Sie reden wirklich gegen jede Realität. Deswegen haben Sie nichts mit der
Wirklichkeit in diesem Lande zu tun.
({12})
Dies alles haben wir im Übrigen erreicht, indem wir
ein stabiles Wachstum haben. Die deutsche Wirtschaft
ist seit 2009 real um 8 Prozent gewachsen. In der ersten
Haushaltsdebatte haben Sie damals die Bundeskanzlerin
gefragt: Wo wollen Sie eigentlich hin? Wo wollen Sie
Ende 2013 sein? - Sie hat dann gesagt: Wenn wir im
September 2013 da wären, wo wir vor dieser schlimmen
Krise waren, wäre es schön.
Ich ziehe Bilanz: Der Einbruch betrug 5,1 Prozent.
Wir haben 8 Prozent reales Wachstum. Frau Bundeskanzlerin, wir haben Ihr Ziel etwas übererreicht. Genauso haben wir auch die Schuldenbremse eingehalten.
Die Neuverschuldung beträgt nicht 86 Milliarden Euro.
Der Haushalt für das kommende Jahr sieht noch eine
Neuverschuldung von 6 Milliarden Euro - ohne strukturelles Defizit - vor. Bevor Sie weiterhin die unsinnige
Behauptung verbreiten, das habe nur mit den niedrigen
Zinsausgaben zu tun, will ich Ihnen einfach sagen: Die
Zinsausgaben im Haushalt 2014 belaufen sich zwar auf
4 Milliarden Euro weniger als im Haushalt 2010. Aber
mit 4 Milliarden Euro weniger Zinsausgaben ist es
schwierig, zu erklären, dass wir in der Zwischenzeit ein
strukturelles Defizit von 46 Milliarden Euro völlig beseitigt haben. Das ist der Erfolg der Politik dieser Regierung.
({13})
Zur Situation unseres Landes gehört, dass das wirtschaftliche Umfeld auch heute schwierig ist. Die für
manche fast schon zur Sicherheit gewordene Erkenntnis,
dass das Wachstum aus einer Reihe von Schwellenländern kommt - das wird uns, Frau Bundeskanzlerin, beim
G-20-Gipfel neben den drängenden weltpolitischen Themen vielleicht sehr beschäftigen -, ist nicht mehr so sicher. Deswegen ist es gut, dass wenigstens Deutschland
- inzwischen auch wieder die Euro-Zone - ein reales
Wachstum erzielt. Das alles ist in einem schwierigen
Umfeld mühsam. Wir haben im Übrigen dieses Wachstum - auch das gehört zur Lage unseres Landes - durch
die Steigerung der Inlandsnachfrage erreicht. Die Gesellschaft für Konsumforschung hat ermittelt: Das Konsumklima ist seit 2007 niemals so gut gewesen wie heutzutage. Das Zerrbild, das Sie von der Wirklichkeit der
Menschen malen, steht im diametralen Gegensatz zu den
statistischen bzw. tatsächlichen Daten. Sie haben daher
auch kein Rezept für die kommenden Jahre; denn wenn
Sie sich der Wirklichkeit verweigern, können Sie die Zukunft nicht gestalten. Das ist eine ganz einfache Sache.
({14})
Herr Kollege Steinbrück, Sie haben über die Lage der
Kommunen geredet. Dazu will ich Ihnen nur einmal ein
paar Fakten - es gibt den sogenannten Faktencheck zur
Sendung - nennen. Jeder Kommunalpolitiker wird, wenn
er nicht gerade an einer Parteiveranstaltung von Rot oder
Grün teilnimmt, zugeben: Diese Legislaturperiode mit
unserer Bundespolitik war die kommunalfreundlichste
Legislaturperiode in der Geschichte der Bundesrepublik.
({15})
- Nein, nicht dank des Bundesrates, sondern dank der
Tatsache, dass diese Bundesregierung Wort gehalten und
die Kosten der Grundsicherung im Alter in voller Höhe
übernommen hat. Sie von Rot-Grün haben diese Kosten
zur Hälfte auf die Kommunen übertragen. Wir haben
diese Kosten in voller Höhe übernommen und entsprechende Mittel in den Bundeshaushalt eingestellt. Das
sind im Haushalt 2014 rund 4,5 Milliarden Euro, um die
wir die Kommunen entlasten.
({16})
- Nicht ausweichen! - Wir haben die Kommunen bei der
Erfüllung des Rechtsanspruchs auf einen Kinderkrippenplatz nicht alleingelassen. Wir haben über 5 Milliarden
Euro aus Bundesmitteln in Kinderkrippen investiert. Wir
werden des Weiteren in den kommenden Jahren Zuschüsse in Höhe von 850 Millionen Euro jährlich leisten.
Wir haben die Kommunen auf diesem Weg nicht alleingelassen.
({17})
Im Übrigen will ich noch sagen: Die Ausgaben beliefen sich im Bundeshaushalt 2010 auf 303 Milliarden
Euro. Ohne Berücksichtigung der Mittel für den Fluthilfeopferfonds, die in diesem Jahr hinzukommen - diese
kleine Ausnahme haben wir noch nicht eingeplant -, haben wir die Höhe der Ausgaben von 2010 in keinem Jahr
überschritten. Wir sind bei 303 Milliarden Euro geblieben. Der Haushalt, den wir im Juli im Kabinett eingebracht haben, sieht ein Ausgabenniveau von 295 Milliarden Euro vor. Das ist das Ergebnis unserer konsequenten
Politik der Rückführung der Neuverschuldung. Damit
machen wir unsere Finanzpolitik sowie die öffentlichen
Haushalte und die sozialen Sicherungssysteme tragbar.
({18})
Da Sie wieder eine Debatte über Griechenland angefangen haben, die so überflüssig ist wie ein Kropf: Griechenland ist - ({19})
- Ganz langsam! - Mit Genehmigung des Präsidenten
möchte ich gerne den Wortlaut meiner Regierungserklärung vom 30. November 2012 zitieren.
({20})
Als wir das zweite Griechenland-Paket dem Bundestag
zur vorherigen Zustimmung vorgelegt haben, habe ich
das erläutert und wörtlich gesagt:
… wenn danach ein weiterer Finanzbedarf bestehen
sollte, dann werden wir Griechenland … zur Wiedererlangung des Marktzugangs weiter Hilfestellung geben, unter der Voraussetzung, dass Griechenland die Programmauflagen uneingeschränkt
erfüllt.
Dieses Programm hat eine Laufzeit bis Ende 2014.
Die Schuldentragfähigkeitsanalyse unterstellt, dass Griechenland erst nach 2020 unter die Grenze von 120 Prozent Gesamtverschuldung im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt kommen kann. Deswegen war immer
klar: Es kann einen begrenzten weiteren Finanzierungsbedarf geben. Den werden wir aber Mitte 2014 feststellen - nicht mehr und nicht weniger.
Ich füge hinzu: Griechenland ist in einer schwierigen
Lage. Das habe ich oft genug gesagt. Deswegen müssen
wir auch Respekt vor den Menschen in Griechenland haben. Aber Griechenland erfüllt seit der Aufstellung dieses zweiten Programms das, was in dem Programm vereinbart worden ist. Griechenland liegt bei der
Defizitreduzierung im Plan, sie erfolgt sogar etwas
schneller. Die Wirtschaft entwickelt sich etwas weniger
schlecht als befürchtet. Der Tourismus in Griechenland
zieht wieder an. Griechenland hat seine Arbeitskosten
um 13 Prozent gesenkt, es gibt wieder Exporte, auch in
Drittländer.
Griechenland ist noch lange nicht über den Berg, aber
die Entwicklung zeigt: Unsere Politik zur Verteidigung
der gemeinsamen europäischen Währung, ohne die wir
den wirtschaftlichen und sozialen Stand in unserem
Lande nicht hätten, ist richtig, sie zeitigt Erfolge, und der
Euro bleibt stabil.
({21})
Deswegen sind wir auf einem guten Weg. Das hat mit
dem Wahltermin nichts zu tun.
({22})
- Entschuldigung. - Die Troika überprüft vierteljährlich
vor der Auszahlung der nächsten Tranche und fährt dazu
nach Athen. Ich sage Ihnen jetzt schon: Ende September
fährt die Troika wieder nach Athen. Damit Sie nicht auf
die Idee kommen, der Zeitpunkt sei mit Absicht so gewählt, dass er nach der Wahl liegt: Er liegt in der Tat
nach der Wahl, aber das dritte Quartal endet nun einmal
am 30. September. Das ist meistens so, auch in diesem
Jahr.
({23})
Die Troika fährt übrigens Ende Dezember wieder dorthin. Also reden Sie nicht einen solchen Unsinn. Wir sagen das, was wir wissen, und über das, was wir erst
nächstes Jahr wissen können, entscheiden wir im nächsten Jahr. Dann ziehen wir die Konsequenzen. Wir sind
auf dem richtigen Weg.
Herr Steinbrück, Sie haben noch etwas gesagt. Ich
wundere mich sowieso über Sie. Manchmal denke ich,
man sollte nicht Finanzminister gewesen sein, wenn man
als Kanzlerkandidat der SPD auftritt. Dann muss man
offenbar Dinge erzählen, die furchtbar sind.
({24})
Sie haben es doch schon einmal besser gewusst. Ich
spreche von der Bankenunion.
({25})
Sie haben eine Bemerkung zur Bankenrekapitalisierung
gemacht, die unsäglich für einen von mir geschätzten
Amtsvorgänger war.
({26})
Wir müssen es nicht schlimmer machen, als es ist.
Es ist doch klar: Eines der zentralen Probleme bei der
Stabilisierung unserer gemeinsamen europäischen Währung ist, dass es uns besser gelingen muss, die Risiken
aus dem Finanzsektor von den Risiken der Staatsverschuldung zu trennen. Das ist die Aufgabe einer Bankenunion. Dazu brauchen wir die notwendigen rechtlichen
Grundlagen. Deswegen brauchen wir auch eine begrenzte Vertragsänderung, die wir über Nacht nicht bekommen. Deswegen hat die Bundeskanzlerin mit dem
französischen Präsidenten Hollande schon im Sommer
gesagt, dass wir gemeinsam mit Frankreich einen Zweistufenplan vorschlagen und jetzt das machen, was nach
den geltenden Verträgen zweifelsfrei und auf einwandfreier Grundlage möglich ist, und danach den zweiten
Schritt machen.
Das alles muss erst gemacht und eine klare Haftungskaskade eingeführt werden.
({27})
Die Eigentümer, also die Aktionäre - das muss man
Herrn Gysi einmal erklären -, verlieren ihr Geld immer;
aber wenn die Bank pleitegeht, dann sind die Einlagen
futsch, und das ist ein Problem für die Einleger und im
Übrigen natürlich vor allen Dingen für die Stabilität des
Finanzsystems als Ganzem. Deswegen haben wir in
jener schrecklichen Krise 2008 und 2009 das zu Recht
verhindert. Wenn wir aber die Haftungskaskade haben
- Eigentümer, Anleihegläubiger, dann erst die Mitgliedstaaten und am Schluss die Gemeinschaft des ESM -,
dann brauchen wir eine stärkere europäische Bankenaufsicht; denn Sie können Banken - auch das ist eine Lehre
von 2008/2009 - nicht mehr nur durch nationale Institutionen beaufsichtigen, weil die alle grenzüberschreitend
tätig sind. Weil alle diese Probleme nur auf europäischer
Ebene gelöst werden können, beschreiten wir diesen
Weg. In dieser Reihenfolge geht es voran.
Im ersten Teil Ihrer Rede sagten Sie, wir trieben die
Länder an den Rand der Armut, weil wir so streng seien,
und im zweiten Teil Ihrer Rede sagten Sie, wir seien
Luftikusse, die nicht darauf achteten, dass die Regeln
eingehalten würden. Ich sage Ihnen: Es gab eine Debatte, wenn auch nicht in unserem Land, sondern außerhalb, ob Europa immer deutscher wird, weil wir in der
Tat Wachstumslokomotive und Stabilitätsanker derzeit
sind und sein müssen. Aber wir wollen kein deutsches
Europa, wenn ich Sie, Frau Bundeskanzlerin, zitieren
darf. Aber ein starkes Europa muss es sein; denn in dieser globalisierten Welt kann Europa seine Aufgabe, dazu
beizutragen, dass die Welt nicht aus den Fugen gerät, nur
erfüllen, wenn es handlungsfähiger wird, wenn es einiger wird. Dazu muss es vor allen Dingen wirtschaftlich
leistungsfähig sein.
Wir haben in diesen vier Jahren in dieser Hinsicht viel
erreicht. Wir sind nicht über den Berg. Genau deswegen
muss Deutschland ein verlässlicher Partner in Europa
und für die Welt bleiben. Wenn es noch einen Zweifel
gab, ist spätestens nach dieser Debatte ganz klar: Das
geht nur mit der Fortsetzung dieser Koalition unter der
Führung von Angela Merkel.
({28})
Das Wort hat nun Frank-Walter Steinmeier für die
SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich
habe damit gerechnet, dass Sie hier heute Morgen das
ganz große Weihrauchfass schwingen werden. Aber, ehrlich gesagt, lieber Herr Schäuble, mit so viel Selbstgerechtigkeit hätte ich gerade bei Ihnen nicht gerechnet.
An die anderen Mitglieder der Bundesregierung, die hier
geredet haben, gerichtet, sage ich: Mit welcher Chuzpe
Sie hier politische Erfolge für sich und die Bundesregierung reklamieren - Erfolge, zu denen Sie, diese Bundesregierung, jedenfalls nichts, aber auch gar nichts beigetragen haben -, das ist doch atemberaubend.
({0})
Als wäre der schwere Weg - das war ein verdammt
schwerer Weg -, den Deutschland vom „kranken Mann
Europas“ in den späten 1990er-Jahren an die Spitze der
europäischen Wachstumstabelle gegangen ist, ausgerechnet die Folge der guten Arbeit dieser Bundesregierung! Das ist doch lachhaft!
({1})
Daran waren Unternehmen beteiligt, daran waren Gewerkschaften beteiligt, vielleicht auch frühere Regierungen. Herr Brüderle, gerade wenn ich Sie von der FDP
höre, muss ich sagen: Sie haben doch damals alle Reformen, deren Ergebnisse Sie jetzt einfach einsacken, bekämpft. Das ist doch die ganze Wahrheit.
({2})
Herr Schäuble hat eben von der tiefsten Wirtschaftskrise der Nachkriegszeit geredet: minus 5 Prozent
Wachstum. Herr Brüderle, wie haben Sie sich verhalten,
als wir hier gemeinsam beschlossen haben, dass wir uns
dieser größten europäischen Krise nach dem Zusammenbruch von Lehman Brothers entgegenstemmen müssen?
({3})
Wie haben Sie sich verhalten? Sie haben das kommunale
Investitionsprogramm abgelehnt. Sie haben Konjunkturhilfen abgelehnt. Sie haben sogar die verbesserte Kurzarbeit abgelehnt. Das ist die Leistung, auf die Sie verweisen können.
({4})
Ich hatte nicht gedacht, dass man das hier heute Morgen noch einmal sagen muss. Aber weil Sie so geredet
haben, Herr Brüderle, sage ich genauso schonungslos:
Von Ihnen gab es keinen anderen Beitrag. Sie haben sich
hier gemeinsam mit Schwarz und Gelb in das gemachte
Nest gesetzt, nachdem andere Regierungen vor Ihnen
wirtschaftspolitisch die Kohlen aus dem Feuer geholt haben. Schlimmer noch: Sie schmücken sich mit fremden
Federn, rühmen den Wettbewerbsvorteil deutscher Unternehmen gegenüber den Unternehmen der europäischen Nachbarschaft, und gleichzeitig sind Sie dabei,
diesen Wettbewerbsvorteil, den wir uns über Jahre mühsam erarbeitet haben, durch eine verantwortungslose
Achterbahnfahrt in der Energiepolitik - die Energiepreise bringen die Unternehmen in den Keller - zu ruinieren.
({5})
Das ist doch die Wahrheit.
Sie rühmen sich selbst für eine Politik der kleinen
Schritte. Die kleinen Schritte gestehe ich Ihnen zu; aber
Politik ist doch dabei nie herausgekommen. Sie schauen
auf die Schlagzeilen des nächsten Morgens, Frau
Merkel. Sie leuchten aus, wie viel Spielraum Sie haben,
um nicht anzuecken. Ich sage: Auch das ist zu wenig. Jedenfalls aus meiner Sicht ist das kein Ausdruck von Verantwortung in der Politik.
Verantwortung in der Politik, das heißt, über den Tag,
über das Jahr, über die Legislaturperiode hinauszudenken, Weichen zu stellen, damit es auch der nächsten Generation in diesem Lande mindestens so gut geht wie
uns, damit auch sie ihre Lebenschancen hat.
({6})
Wenn das so ist, liebe Frau Merkel, dann sagen Sie mir
doch eine einzige Weichenstellung von Bedeutung, die
Sie in dieser Legislaturperiode vorgenommen haben.
Was ist geschehen im Bereich Rente? Was ist geschehen
im Bereich Pflege? Was ist geschehen beim Arbeitsmarkt? Was ist geschehen im Gesundheitswesen? Weit
und breit nichts, nichts an Vorbereitungen für eine
schwieriger werdende Zukunft, meine Damen und Herren!
({7})
Beim Rausgehen aus dieser Legislaturperiode brechen Sie mit einem Vorschlag Ihres Gesundheitsministers noch mal eben den gesetzlichen Krankenkassen das
Genick, und mit dem Vorschlag von Herrn Schäuble zur
Abschaffung der Gewerbesteuer, den er in der Rheinischen Post erneuert hat, werden Sie die Kommunen in
den Ruin treiben.
({8})
Sie haben nichts getan für die Kommunen, sondern, ganz
im Gegenteil, mit der Mehrwertsteuersenkung für die
Hoteliers haben Sie ihnen Geld genommen. Wir haben
fünf Sitzungen im Vermittlungsausschuss gebraucht, um
Sie zu zwingen, die Kosten der Grundsicherung durch
den Bund zu übernehmen. Das war nicht Ihre Entscheidung, meine Damen und Herren.
({9})
Wenn man nicht ganz verblendet ist und wenn man
aus diesen letzten Jahren nicht alles vergessen hat, dann
muss man sagen: Es ist eine ziemlich bittere Bilanz, mit
der Sie heute vor dieses Parlament treten. Sie haben jetzt
vier Jahre lang geerntet, aber Sie haben nichts gesät für
die Zukunft, für die nächsten Jahre und Jahrzehnte. Sie
sind in dieser Legislaturperiode bei 3,6 Prozent Wachstum gestartet, sind im Augenblick bei 0,3 Prozent. Alles,
was nötig war bei Rente und Pflege, zur Bekämpfung
des Facharbeitermangels, bei der Demografie haben Sie
nicht angepackt. Sie sind an der Aufgabe, Zukunft für
die nächste Generation zu gestalten, gescheitert. Das
wird die bittere Erinnerung an diese vier Jahre sein. Aber
gerade deshalb werden wir nicht zulassen, dass Sie in
der nächsten Legislaturperiode auch noch Kommunen
und Krankenkassen massakrieren. Das werden wir nicht
zulassen!
({10})
Nach alledem erstaunt mich nicht, dass Sie jetzt den
Strohhalm bei Europa gesucht haben. Aber wie sieht es
denn in Wirklichkeit aus, jenseits der schönen Bilder, die
Herr Schäuble eben noch einmal gemalt hat? Im fünften
Jahr der europäischen Krise doktern Sie an den Symptomen herum. Sie reden, wie im Duell am Sonntag, von
beginnender Konsolidierung. Und was ist die Wahrheit?
Die Schuldenlast ist höher als vor viereinhalb Jahren!
Ich bin mit Ihnen durchaus der Meinung, dass entgegen manchem Zynismus, wie wir ihn von der Linkspartei vorhin gehört haben, Hilfen, auch konditionierte Kredite an die Notlagenländer richtig sind, aber der Rest der
Veranstaltung, den Sie zu verantworten haben, Frau
Merkel, ist doch Voodoo.
({11})
Da ist doch nichts mit wirtschaftspolitischem Denken.
Ihr Rezept für Europa ist: ohne Wachstum aus der Krise.
Das hat nur noch nirgendwo auf der Welt funktioniert.
Es funktioniert auch in Europa nicht. Deshalb können
Sie da auf keine Leistung verweisen, meine Damen und
Herren.
({12})
Aber das ist nicht einmal der entscheidende Punkt.
Ich finde, Sie müssen auch Verantwortung dafür tragen,
dass nicht nur Ihre, sondern am Ende auch die Glaubwürdigkeit von europäischer Politik überhaupt in den
letzten Jahren gelitten hat. Es ist nicht ein einzelner
Punkt, ein einzelner Beschluss über ein Rettungspaket,
über den ich rede; nein, der Grund für den Verlust von
Glaubwürdigkeit ist Ihre Angst vor Wahrheit.
Ich sage es noch einmal - ich habe das Bild in der
Bild-Zeitung mit Frau Merkel auf dem Bismarck-Sockel
gut in Erinnerung -: „Kein Cent für Griechenland“, mit
dieser Beteuerung begann es. Dann ging es Schlag auf
Schlag: kein Rettungspaket. Dann hieß es: „jedenfalls
kein zweites Rettungspaket“, dann hieß es: „kein Rettungsschirm“, dann hieß es: „jedenfalls kein dauerhafter
Rettungsschirm“, dann hieß es: „kein Anleihekauf“
usw., usw. Sie haben jede rote Linie überschritten, die
Sie vorher selbst gezogen haben, und das ist der Verlust
von Glaubwürdigkeit, weil Sie Angst vor der Wahrheit
haben, meine Damen und Herren.
({13})
Herr Schäuble, auch ich kann es Ihnen nicht ersparen,
Ihre Ankündigung der letzten Woche aufzugreifen. Ich
sage noch einmal: Nicht wir haben eine GriechenlandDebatte begonnen, sondern es war Ihre öffentliche Äußerung bezüglich Griechenland. Die können Sie jetzt
nicht durch den Verweis auf frühere Reden aus der Welt
schaffen. Sie kündigen vorsichtig ein drittes GriechenDr. Frank-Walter Steinmeier
land-Paket an. Frau Merkel wiegelt ab. Ich finde, so
kann man mit den Menschen nicht umgehen. Ich hätte
auch darauf verzichtet, dazu weitere Äußerungen zu machen. Nach den ehrabschneidenden Äußerungen zu unserer Europapolitik will ich aber deutlich sagen: Ich
glaube, in Wahrheit bereiten Sie nicht einfach nur ein
drittes Griechenland-Paket vor. Ich glaube nicht, dass
dies ein normales Rettungspaket sein wird wie das erste
und zweite Griechenland-Paket. Sie bereiten in Wahrheit
einen Schuldenschnitt vor, auch wenn Sie es heute bestreiten. Sie werden Folgendes machen: Sie werden die
Zahlungsfristen verlängern und die Zinsen für die Rückzahlung senken. Das ist bei genauerer Betrachtung
nichts anderes als ein Schuldenschnitt, den Sie als bevorstehende Maßnahme öffentlich leugnen.
({14})
Deshalb sage ich: So kann man mit der Öffentlichkeit
und insbesondere mit uns nicht umgehen. Deshalb ein
abschließendes Wort zu dem Vorwurf der europapolitischen Unzuverlässigkeit: Frau Merkel, es mag Ihr Stil
sein, uns gegenüber ist es eine Sauerei.
({15})
Das ist eine Sauerei gegenüber einer Partei, ohne die Sie
bei der Abstimmung über den Fiskalpakt hier gesessen
hätten wie das Kind beim Dreck. So ist es.
({16})
Statt dankbar zu sein, dass Ihnen dieses Schicksal erspart
geblieben ist, schmeißen Sie mit Dreck nach denen, die
zu Europa gestanden haben, als Ihre Leute schon fluchtartig den Platz verlassen hatten. Das ist die Wahrheit.
({17})
Wenn das die einzige Lüge gewesen wäre, mit der Sie
durch diese Debatte reiten, dann würde ich sie noch ertragen. Mindestens die eine andere Lüge will ich aufgreifen. Das ist die Geschichte über die Aufnahme Griechenlands in die Währungsunion. Auch hier, meine
Damen und Herren, wie bei NSA und anderen Themen,
die wir heute gehört haben, fällt Ihnen nichts anderes ein
als eine möglichst schnelle Flucht aus der Verantwortung, bevor jemand merkt, welche Spuren Sie dabei hinterlassen haben. Ich will doch gar nicht an das Wort von
Helmut Kohl im Mai 1998 erinnern. Was hat er gesagt?
Er sagte: Wir bereiten uns darauf vor, dass wir Griechenland in die Währungsunion aufnehmen.
({18})
Während der Regierungszeit von Rot-Grün wurde die
Aufnahme damals vollzogen - gegen Ihren erbitterten
Widerstand, wie ich Sie heute verstanden habe. Die
ganze Wahrheit ist: Konservative und Liberale haben im
Europäischen Parlament zugestimmt. Die CSU hat sich
mutig enthalten. Das ist die historische Wahrheit über
den Kampf von Konservativen und Liberalen gegen die
Aufnahme von Griechenland in die Währungsunion.
({19})
Ich finde, alle haben recht, die sagen: Man kann eine
solche Debatte heute nicht miteinander führen, ohne ein
paar Worte zum Thema Syrien zu sagen. Ich denke, wir
alle sind in gleicher Weise durch die Bilder, die uns erreicht haben, beeindruckt und erschüttert. Der Giftgasangriff, den es gegeben hat, ist der grausame Tiefpunkt einer syrischen Tragödie. Das ist wahr. Es sind Angriffe,
die nicht nur verbrecherisch sind, sondern eine Verletzung des Völkerrechts bedeuten. Eine solche Verletzung
kann nicht ohne Antwort bleiben. Ich glaube, so weit
sind wir uns einig. Ich rate uns nur sehr dazu, sich die
Antwort nicht allzu einfach zu machen. Es haben alle
recht - das gestehe ich zu -, die sagen, dass eine politische Lösung bislang nicht gelungen ist. Richtig ist auch:
Wenn man jetzt eine politische Lösung angeht, dann gibt
es überhaupt keine Garantie dafür, dass dies Erfolg haben wird. Ich frage aber: Ist die Alternative etwa, die Suche nach einer politischen Lösung zu unterlassen und damit einer militärischen Option den Weg zu öffnen?
Ich will die Gelegenheit heute nutzen, um vor leichtfertigen Entscheidungen zu warnen, weil für viele die
Notwendigkeit eines Militärschlags in den letzten Tagen
auf der Hand lag. Ich glaube - ich habe da ein bisschen
Erfahrung -: Eine Einmündung in die militärische Logik
bedeutet immer, dass wir einen Automatismus auslösen,
den wir nur schwer unterbrechen oder rückgängig machen können.
({20})
Ich glaube, wir sind in der Vergangenheit gelegentlich
einem fatalen Irrtum unterlegen: Es wurde zu oft gedacht, dass da, wo eine politische Lösung schwer zu erreichen ist, eine militärische Lösung einfacher ist. Diese
Logik gilt, glaube ich, grundsätzlich nicht, und sie gilt
erst recht nicht im Nahen Osten, wo es passieren kann
- dieses Risiko müssen wir Deutsche viel stärker im
Auge behalten als viele andere auf der Welt -, dass ein
unbedachter Militärschlag eine labile Ordnung vollständig kollabieren lassen kann, und zwar so, dass kein Stein
mehr auf dem anderen bleibt. Damit beziehe ich mich
nicht allein auf Syrien, sondern auf den gesamten Nahen
Osten. Es ist daher die Pflicht der Politik, alle Möglichkeiten, auch alle letzten Möglichkeiten, auszuschöpfen
und jegliche Risiken abzuwägen.
Meine Damen und Herren, wenn ich mich frage, wie
man den Druck auf Assad erhöhen kann, dann komme
ich zu folgendem Ergebnis: Nicht eine zweitägige Bombardierung ist gefährlich für Assad. Wirklich gefährlich
für Assad ist die Beendigung der Spaltung im Weltsicherheitsrat über Syrien.
({21})
Wenn man das genau betrachtet, dann stellt man fest,
dass Assad von dieser Spaltung profitiert. Die Einigkeit
zwischen den beiden Großmächten Russland und USA
ist das, was er wirklich fürchten muss. Deshalb muss das
Schwergewicht der Außenpolitik auf dieser Einigkeit
liegen.
Peer Steinbrück hat dazu in der vergangenen Woche
einen Vorschlag gemacht. Ich gebe zu, dass er vielen in
der vergangenen Woche noch unrealistisch und manchen
sogar fantastisch erschien. Wir sind belehrt worden, dass
der G-20-Gipfel nicht für die Lösung von außenpolitischen Krisen vorgesehen ist. Lassen Sie uns aber einmal
einen Strich darunter ziehen: Ein paar Tage später sind
wir mit der Kernforderung, den G-20-Gipfel in Sankt
Petersburg zu einem Syrien-Gipfel zu machen - zeitweise jedenfalls -, ein Stück weitergekommen. Ich kann
nur hoffen, dass uns das, was Peer Steinbrück beschrieben hat, gelingt: dass wir durch gemeinsame Anstrengungen wenigstens für eine kleine humanitäre Atempause sorgen können, in der die Versorgung von einigen
Flüchtlingen möglich ist.
Ich will es nicht zu optimistisch sehen und bin in der
Hinsicht auch nicht zuversichtlich, aber es gibt eine
kleine Chance, die Spaltung zwischen Washington und
Moskau zu überwinden. Deutschland spielt - darum
spreche ich es an -, was das Verhältnis zwischen Moskau und Washington angeht, aus historischen Gründen
eine besondere Rolle und trägt eine besondere Verantwortung. Genau diese Verantwortung ist in den letzten
Jahren vernachlässigt worden. Ich finde, sie ist manchmal sogar verweigert worden.
Auf Regierungsseite herrscht derzeit etwas Rat- und
Sprachlosigkeit, vielleicht sogar Verzweiflung. Denn seit
die Briten in eine neue Nachdenklichkeit über die Sinnhaftigkeit von militärischen Einsätzen verfallen sind und
Obama von seinen Ankündigungen schneller Militärschläge abgerückt ist, weiß man nicht, an welchen der
großen Partner man sich anlehnen soll. Ich stelle fest:
Sie haben sich noch vor fünf Tagen forsch und schneidig
all denjenigen angeschlossen, die eine entschiedene,
auch militärische Reaktion gefordert haben. Sie haben
sie unter der Voraussetzung, dass der Einsatz von anderen verantwortet wird, unterstützt. Jetzt, nach der Entscheidung im britischen Unterhaus, suchen Sie Anlehnung an andere Richtungen in der internationalen Politik
und sind selbst ohne Position.
({22})
Meine Damen und Herren, das ist Lavieren.
({23})
- Ja, das können Sie gleich von hier aus sagen; Sie sind
ja gleich dran. - Das ist auch Wegducken. Aber ich
glaube, das ist nicht die Außenpolitik, die von einem
großen Land, dem größten Land in Europa, erwartet
wird.
({24})
Mein Schlusssatz: Frau Merkel, wir haben zur Kenntnis genommen: Sie sind zufrieden, Sie sind mit sich zufrieden. Das haben wir gehört. Aber das reicht nicht für
dieses Land.
({25})
Das Land braucht eine Regierung, die Mut und Initiative
zeigt, die bereit ist, für die Zukunft im eigenen Land und
international Verantwortung zu übernehmen. Deshalb
brauchen wir am 22. September einen Regierungswechsel.
Herzlichen Dank.
({26})
Das Wort hat nun Otto Fricke für die FDP-Fraktion.
({0})
Herr Präsident, auch auf die Gefahr hin, dass Sie es
mir auf die Redezeit anrechnen, möchte ich mich bei jemandem bedanken, der sich geweigert hat, eine Abschlussrede zu halten. Ich darf das, glaube ich, nicht nur
im Namen meiner Fraktion tun.
Lieber Kollege Solms, ich danke für viele Jahre und
für sehr vieles, was ich und auch manch anderer von Ihnen lernen konnte. So stelle ich mir einen Liberalen vor.
Herzlichen Dank für all das, was Sie getan haben.
({0})
Meine Damen und Herren, es geht am Ende - das
habe ich auch von Herrn Solms gelernt - immer um die
Realität. Herr Kollege Steinmeier, darauf, wie Sie im
Bereich der Außenpolitik auf primitive Art und Weise
versucht haben, das Thema Krieg doch wieder zu einem
Wahlkampfthema zu machen, will ich gar nicht weiter
eingehen. So von mangelnder Verantwortungsübernahme dieser Koalition, dieses Außenministers und dieser Bundeskanzlerin zu reden und zu versuchen, irgendeine Anlehnung an irgendwen zu konstruieren, wie Sie
es getan haben, ist schäbig. So geht man mit einem so
sensiblen und schwierigen Thema auf gar keinen Fall
um, schon gar nicht hier in diesem Hause.
({1})
Aber so ist das, glaube ich, mit der Realitätsverweigerung seitens der Opposition. Man muss eigentlich nur
einmal schauen, was hier dazu gesagt wird, wie es in
Deutschland aussieht. Wenn man mit Menschen aus dem
Ausland redet, was viele Deutsche im Urlaub getan haben, und fragt: „Wie sieht es eigentlich bei uns in
Deutschland aus?“, dann erhält man die Antwort: „Eure
Verhältnisse in Deutschland, die hätte ich gerne. Eure
Sozialsysteme, die hätte ich gerne. Eure Sozialquote in
Deutschland“ - die übrigens unter dieser Koalition nicht
niedriger ist als unter Rot-Grün -, „die hätte ich gerne.
Eure Milliardenpuffer in den Sozialsystemen, die hätte
ich gerne. Eure Arbeitslosenzahlen, die hätte ich gerne.“
Dieses Land hat gezeigt, dass es mit der richtigen Regierung das kann, was es mit Rot-Grün nie konnte, nämOtto Fricke
lich eine Führungsrolle einzunehmen und gleichzeitig
Verantwortung zu übernehmen. Das ist das, was wir können und was Sie nie können werden.
({2})
Ich glaube, dass man noch einmal etwas bezüglich
des Themas „Wie sieht das eigentlich mit der Umverteilung von oben nach unten aus?“ hervorheben muss. Die
haben wir nämlich, und die ist auch in einer sozialen
Marktwirtschaft richtig. Denn das heißt: Der Stärkere
übernimmt mehr Verantwortung als der Schwächere.
Wie sieht das denn eigentlich bei der Lohn- und Einkommensteuer aus? Die oberen 5 Prozent der Steuerpflichtigen zahlen 42 Prozent des Steueraufkommens,
und die unteren 50 Prozent zahlen 6 Prozent.
({3})
- Ja, Herr Steinbrück, das ist so. Ich weiß, das wollen
Sie nicht gerne hören. - Wenn es einen täglichen, jährlichen, immer wiederkehrenden Beweis dafür gibt, wie
viel mehr von oben gezahlt wird, dann sind es doch diese
Zahlen.
Was machen Sie? Sie sagen: 50 Prozent des Steueraufkommens. Ach, eigentlich sagen Sie: Lasst uns doch
die oberen 5 Prozent, die uns mit ihren Familien und mit
den Arbeitnehmern, die sie in den Betrieben beschäftigen, völlig egal sind, noch einmal ein bisschen ausquetschen. - Das ist die Realitätsverweigerung, in der Sie
sich befinden.
Ich glaube, wenn es nach der Bundestagswahl ein
Lieblingsbuch für Rot-Grün geben wird, dann ist das
Don Quichote. Schauen wir es uns an: Da gibt es den
Don Quichote Peer Steinbrück. Bei Sancho Pansa wissen Sie auch, an wen ich bei der SPD denke.
({4})
Anhand der Beschreibung können Sie es sehr schön sehen: Don Quichote ist lang, dürr - gut, darüber man
kann streiten -, in idealistischem Träumen versponnen
und nur vermeintlich furchtlos. Und Sancho Pansa hat
- na ja! - ein etwas anderes Aussehen, leistet aber seinem Herrn Dienste, weil er alles gut durchschaut und darauf hofft, dass er mal eine eigene kleine Statthalterschaft bekommt. So sieht es doch bei Ihnen aus. Und
dann machen Sie aus Windmühlen auf einmal große
Krieger. Aus Weinschläuchen - da kennen Sie sich ja
auch aus - machen Sie dann auf einmal Ungerechtigkeiten in der Welt.
Beschäftigen Sie sich doch einmal mit der Realität in
diesem Lande! Beschäftigen Sie sich doch einmal mit
den Zahlen in diesem Lande! Sie tun das noch nicht einmal beim Haushalt. Was war das denn, was der Kollege
Schneider als haushaltspolitischer Sprecher der SPD jedes Mal erzählt hat? „Oh Gott, das ist auf Kante genäht!
Oh Gott, das wird nicht funktionieren! Das ist alles ganz
schlimm!“ - Und was machen wir? Das Erste ist: Wir
gehen von 86 Milliarden Euro Neuverschuldung auf
6 Milliarden herunter - etwas, das Sie niemals erreicht
haben. Wir schaffen es zum ersten Mal in der Geschichte
der Bundesrepublik Deutschland, dass die Ausgaben am
Ende einer Legislatur geringer sind als am Anfang. All
das sind Dinge, die Sie nicht geschafft haben.
Wenn es einen Realitätscheck gibt, Herr Finanzminister, dann ist es der folgende: Die Bürger sollten einfach
mal schauen, wie es denn Rot-Grün macht, wenn sie an
der Macht sind. Und dann schaut man nach NordrheinWestfalen und stellt fest: Dreimal sagte das Verfassungsgericht: Der Haushalt ist verfassungswidrig. - Dann
schaut man nach Baden-Württemberg und stellt fest:
Aus einem Geberland wird ein Schuldnerland. Und dann
sage ich nur, Frau Göring-Eckardt: Wegen der Frage,
wie die Realität bei der Umwelt und beim Autofahren
aussieht, sollten Sie mal nach Niedersachsen schauen.
Dann werden Sie feststellen, wie Grüne das mit dem Autofahren sehen. Das ist die Realität, der Sie nicht standhalten können. Und deswegen gehören Sie weiter in die
Opposition.
Herzlichen Dank.
({5})
Das Wort hat nun Priska Hinz für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nachdem
hier Fakten eingefordert wurden, kann ich Ihnen gern ein
paar Fakten nennen.
({0})
Fakt ist, dass diese Bundesregierung trotz guter Konjunktur und damit hoher Steuereinnahmen 100 Milliarden Euro neue Schulden macht. Frau Merkel, miserabel
ist nicht gut, nur weil es eigentlich noch viel schlechter
geplant war. Das kann ja wohl keine gute Bilanz sein.
({1})
Fakt ist, dass die schwarz-gelbe Steuergesetzgebung
Bund, Ländern und Kommunen 35 Milliarden Euro entzogen hat. Damit lassen Sie die Kommunen richtig im
Regen stehen, die nicht mehr für die Instandhaltung von
Straßen sorgen können, die Probleme haben, Schulen zu
sanieren, die Schwimmbäder und Bibliotheken schließen
müssen.
Und Fakt ist, dass es der einzig wichtige Baustein der
Politik der FDP war, ihre Klientel zu befriedigen, dass
die FDP hier die Hotelsteuer, die Mövenpick-Steuer,
durchgesetzt hat und damit eine neue Subvention in die
Priska Hinz ({2})
Top Ten aller Subventionen in Deutschland katapultiert
hat.
({3})
- Ja, da können Sie noch so laut schreien. Das ist Ihr
Verdienst. Aber das ist fast Ihr einziges Verdienst in einer ganzen Legislaturperiode.
({4})
Und dann geben Sie das Geld, das Sie haben, auch
noch schlecht aus. Das Betreuungsgeld wurde heute
schon viel beschrien. Frau Wanka erzählt jetzt, dass man
von Bundesseite eigentlich auch noch Geld dafür ausgeben muss, dass Kinder nach der Schule betreut werden.
Ja, bitte schön, Sie können nicht alles haben, und deswegen muss das Betreuungsgeld ersatzlos gestrichen und
die freiwerdenden Mittel müssen für andere Betreuungsangebote eingesetzt werden.
({5})
Das Geld für den Straßenbau darf nicht für Spatenstiche in Bayern ausgegeben werden, weil Landtagswahl
ist; wir brauchen es für die Instandhaltung von Brücken
an Bundesautobahnen, weil das im Hinblick auf die ökonomische Situation hier in Deutschland notwendig ist.
({6})
Sonst tun Sie doch immer so, als seien Sie wirtschaftsfreundlich. Nein, wir sind die Partei, die sich um diese
Themen kümmert.
({7})
Meine Damen und Herren, fahrlässig sind Sie insbesondere bei der Energiewende. Was der Wirtschaftsminister Rösler in Brüssel erreicht hat, ist, dass der
Emissionshandel nicht neu geordnet wurde. Das führt
dazu, dass die Mittel für den Energie- und Klimafonds
im Bundeshaushalt halbiert wurden. Damit wird die
Energiewende gegen die Wand gefahren. Zusätzlich sorgen Sie auch noch dafür, dass alle möglichen Unternehmen von der EEG-Umlage und den Netzentgelten ausgenommen werden. Dann stellt sich die Bundeskanzlerin
auch noch hin und sagt: Es ist ja so schrecklich, dass die
Strompreise steigen. - Ja, aber das ist doch die Folge Ihrer Politik, die Sie in den letzten vier Jahren gemacht haben, und das muss ein Ende haben.
({8})
Wir haben dieser miserablen Bilanz von SchwarzGelb gute grüne Ideen entgegengesetzt. Wir wollen einsparen, wir wollen ökologisch schädliche Subventionen
kürzen, wir wollen Steuergerechtigkeit einführen, und
wir wollen in Zukunftsbereiche investieren: in Bildung,
in Betreuung und in Qualifizierung, um dem Fachkräftemangel zu begegnen. Wir wollen die Energiewende ausfinanzieren, und wir wollen auch den Strompreis senken.
Das ist nicht nur sozial, sondern das erhält und schafft
Arbeitsplätze in diesem Land.
({9})
Frau Kollegin, Sie müssen bitte zum Schluss kommen.
Deswegen sind die Grünen die Partei, die ökologische
und ökonomische Vernunft zusammenbringt, die für soziale Gerechtigkeit und auch noch für nachhaltige Finanzen steht. Für diesen Wechsel streiten wir bis zum
22. September.
({0})
Das Wort hat nun Volker Kauder für die CDU/CSUFraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen!
Lassen Sie mich zunächst etwas zu den Fakten sagen. Es
ist hier gesagt worden - in einem Zwischenruf, auch
Frank-Walter Steinmeier hat es angesprochen -, es habe
über die Frage, ob Griechenland in die Euro-Zone aufgenommen werden solle, im Deutschen Bundestag nie eine
Abstimmung gegeben.
({0})
Fakt ist: Am 28. November 2000 hat die Regierungskoalition von Rot und Grün einen Antrag zur Abstimmung gestellt, in dem unter anderem gefordert wurde,
die Ergebnisse des Konvergenzkurses anzuerkennen,
und die Aufnahme Griechenlands in die Euro-Zone empfohlen wurde. Er wurde mit den Stimmen der Koalition
verabschiedet, gegen die Stimmen der CDU/CSU-Bundestagsfraktion. Das ist Fakt.
({1})
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Steinbrück?
Zu diesem Punkt ausnahmsweise ja.
Herr Kauder, es werden gelegentlich Pappkameraden
präsentiert und Legenden gebildet, auf die ordentlich
Munition geschossen werden soll.
({0})
- Mein Gott, haben wir es nicht ein bisschen niveauvoller?
({1})
Würden Sie mir zubilligen, dass die nationalen Parlamente über die Frage eines Beitritts eines Landes zur
Euro-Zone formal nicht beteiligt werden? Nach den
europäischen Verträgen wird jedes EU-Land Mitglied in
der Europäischen Währungsunion, wenn es die Kriterien
erfüllt. Darüber entscheiden abschließend allein der
Europäische Rat und das Europäische Parlament.
Es hat hier im Deutschen Bundestag über die spezifische Frage des Beitritts von Griechenland keine Abstimmung gegeben, sondern Sie als Opposition haben einen
Antrag der SPD abgelehnt, der sich breit mit diesem
Thema beschäftigte und in dem Griechenland erwähnt
worden ist. In Ihrem eigenen Antrag, dem Sie damals natürlich zugestimmt haben, kam dieses Thema überhaupt
nicht vor.
Die Rechtslage, die europäischen Verträge, sieht
keine Extrabehandlung der nationalen Parlamente beim
Beitritt eines Landes zur Europäischen Währungsunion
vor. Es gibt nämlich einen Automatismus. Dieser Automatismus ist für zwei Länder ausgesetzt worden, die
eine Opt-out-Möglichkeit haben; das sind Großbritannien und Dänemark. Diesen Sachverhalt ignorieren Sie
fast in jeder Debatte, und deshalb fühle ich mich heute
aufgerufen, diesen Sachverhalt einmal klarzustellen.
Vielen Dank.
({2})
Ich bin sehr froh, dass ich die Frage zugelassen habe;
denn durch Ihre Einlassung wurde deutlich, dass Rainer
Brüderle recht hat. Sie meinen immer, Sie wüssten alles
besser und müssten die Menschen belehren. Das ist eben
sehr deutlich geworden, Herr Kollege Steinbrück.
({0})
Zur Sache. Es ist von Ihnen gesagt worden, über die
Frage sei nicht abgestimmt worden. Was Sie inhaltlich
sagen, ist zwar richtig, aber darauf kommt es doch gar
nicht an.
({1})
Sie haben einen Antrag eingebracht, in dem Sie die Bundesregierung unter Gerhard Schröder aufgefordert haben, Griechenland in die Euro-Zone aufzunehmen. Wir
haben das abgelehnt. Das war am 28. November 2000 Punkt.
({2})
Das ist die Antwort. Sie liegen in der Sache eben nicht
richtig, wenn Sie ständig behaupten, das sei nicht Gegenstand in diesem Parlament gewesen.
({3})
Jetzt zur Sache. Da ich mir die heutige Debatte, beginnend mit der Rede der Bundeskanzlerin, in aller Ruhe
angehört habe, muss ich sagen: Diese Debatte hat auch
den Menschen, die an den Fernsehschirmen zuschauen,
gezeigt, wie richtig und notwendig es ist, dass diese Regierungskoalition fortgesetzt wird.
({4})
Es geht hier um die Frage, wie Europa in den nächsten
Jahren gestaltet wird. In den Beiträgen vorhin hörte ich
als Antwort darauf: Spinat und Ei. - Dazu kann ich nur
sagen: So kann es in diesem Land nun wirklich nicht zugehen.
({5})
Die Frage ist doch: Was sind die Herausforderungen
in den nächsten Jahren, und wer hat die richtigen Antworten? Darauf, wie es in unserem Land aussieht, haben
die Bundeskanzlerin, Wolfgang Schäuble und andere
Redner hingewiesen. Dass es in diesem Land unbestritten gut aussieht, kann man an einer Zahl festmachen, die
mir so imponiert wie keine andere. Schauen Sie sich in
ganz Europa um, und dann schauen Sie sich Deutschland
an. Man muss sich doch nur eine einzige Frage vorlegen:
Wo haben junge Menschen wirklich Chancen auf eine
gute Zukunft? Wo haben junge Menschen Chancen,
Ausbildung und Beruf zu finden? Für welches Land sind
junge Menschen deshalb zu begeistern? Das ist die Bundesrepublik Deutschland.
({6})
Man könnte noch manch andere Zahl nennen. Das will
ich aber gar nicht machen, sondern ich will eine Antwort
auf die folgende Frage geben: Wer macht die Dinge besser? Ich will zumindest zum Nachdenken anregen. Natürlich wird uns das Thema Europa in den nächsten vier Jahren ebenso beschäftigen wie in den vergangenen Jahren.
Es wird ganz entscheidend darauf ankommen, dass wir
die Fehler beseitigen und bekämpfen, die zu dem Ergebnis, das wir haben, geführt haben. In diesem Zusammenhang müssen zwei Dinge erreicht werden: Zum einen
muss die Staatsschuldenkrise durch die Konsolidierung
der Haushalte bekämpft werden, und zum anderen muss
Europa wettbewerbsfähig werden. In vielen Bereichen
sind Reformen notwendig.
Herr Kollege Steinbrück, ich kann nur sagen: Wir haben doch gar nicht bestritten, dass auch unter der Führung von Ihnen, von Frank-Walter Steinmeier, von Franz
Müntefering und anderen notwendige Reformen durchgeführt wurden. Wir haben unseren Beitrag geleistet, indem wir im Bundesrat - ganz im Gegensatz zu Ihnen
heute - nicht blockiert haben, indem wir der Versuchung
widerstanden haben, Nein zu sagen. Wir haben diese Reformen mitgetragen. Das ist ein Grund unter vielen, warum es gut voranging. Aber jetzt setzen Sie sich von diesen Punkten ab. Anstatt in Europa zu sagen: „Schaut,
was wir gemacht haben; das müsst ihr auch machen“,
wollen Sie sich vom Acker machen und die Dinge nicht
mehr mittragen. Das ist schäbig, meine sehr verehrten
Damen und Herren! Das ist nicht in Ordnung.
({7})
Es ist notwendig, dass wir in den nächsten Jahren sagen: Jawohl, die Wettbewerbsfähigkeit muss verbessert
werden, und dafür sind Maßnahmen notwendig. Wir sagen klipp und klar: Wir sind solidarisch. Wir wollen helfen und machen das auch. Aber es gibt keine Leistung
ohne Gegenleistung, weil wir sonst nicht vorankommen.
Das wird notwendig sein in den nächsten vier Jahren.
Dann kommen Sie und sagen: Wir müssen Wachstum erreichen, indem wir mehr Geld in die Länder pumpen. Es ist ganz außergewöhnlich, dass Sie diesen Satz überhaupt sagen. Über Jahre hinweg, auch in dieser Legislaturperiode, haben Sie Wachstum bekämpft und gesagt,
Wachstum sei von Übel. Wir haben immer gesagt:
Wachstum ist notwendig, um die Probleme zu lösen.
({8})
Jetzt sagt Trittin: „Wir wollen eine Schuldenunion“, und
Sie wollen Euro-Bonds. Ich muss doch sagen: Herr
Steinbrück, als Sie noch Steinbrück sein durften, haben
Sie solche Sätze nicht gesagt.
({9})
Ich glaube, dies sind nicht die richtigen Konzepte. Wer
Euro-Bonds und eine Schuldenunion will, der wird dafür
sorgen, dass die Reformkräfte nachlassen und wir das
Ziel, Europa insgesamt wettbewerbsfähig zu machen,
nicht erreichen, meine sehr verehrten Damen und Herren.
({10})
Deshalb: Wir dürfen von diesem richtigen Weg nicht abrücken.
Wir wollen, dass die gute Situation, die wir in unserem Land haben, in Zukunft fortgeführt wird. Dies - das
hat die Bundeskanzlerin ausdrücklich gesagt - war eine
Gemeinschaftsleistung von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, von Unternehmen, vor allem Mittelständlern, und einer guten und klugen Politik. Wir wollen,
dass diese Situation fortgeführt werden kann. Jetzt sagt
uns die mittelständische Wirtschaft - ich habe von der
Wettbewerbsfähigkeit gesprochen -, dass, um die Wettbewerbsfähigkeit aufrechterhalten zu können, in den
nächsten Jahren unglaubliche Investitionen notwendig
sein werden, um noch mehr Präzision, um noch mehr
Schnelligkeit zu erreichen. Diese Investitionen können
nur getätigt werden, wenn das Geld, das beim Mittelstand vorhanden ist, dafür eingesetzt werden kann. Deswegen kann ich nur sagen - Sie können es noch so oft
wiederholen; es stimmt trotzdem nicht -: Wer die Erbschaftsteuer verdoppeln will, wer eine Vermögensteuer
einführen will, wer in die Substanz unserer mittelständischen Wirtschaft eingreift, schadet nicht nur der Wirtschaft, sondern auch allen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern in diesem Land.
({11})
Deswegen: Sie geben auf die Herausforderungen der
Zeit die falschen Antworten. Jeder muss sich selbst in
den nächsten Wochen genau prüfen, ob er findet, dass
dies richtig ist oder nicht.
({12})
Natürlich werden wir dafür sorgen müssen - auch das
ist schon angesprochen worden -, dass die Energiewende klappt.
({13})
Denn Energiewende und Energiekosten sind zentrale
Punkte, auch im Hinblick auf die Wettbewerbsfähigkeit.
({14})
Ich würde sagen: Herr Pronold, Sie sollten erst einmal
schauen, was Sie in Bayern für ein Wahlergebnis bekommen; darüber reden wir dann in 14 Tagen.
({15})
Aber lassen wir doch all das Kampfgeschrei, und
schauen wir uns die Dinge erst einmal an.
({16})
Die Energiewende muss gelingen, und sie wird gelingen.
({17})
Aber völlig klar ist, dass Korrekturen notwendig sind.
Deswegen sagen wir: Eine der ersten Maßnahmen wird
sein, dass wir uns das EEG anschauen und uns fragen:
Was kann hier getan werden?
({18})
Sigmar Gabriel, der nicht mehr hier ist, hat ja den Satz
gesagt, das EEG müsse an den Markt herangeführt werden. Schauen wir uns das alles doch erst einmal an.
({19})
Vielleicht habe ich heute ja einen Wunsch bei Ihnen frei.
({20})
Wenn ja, dann hätte ich den Wunsch, dass Sie im Bundesrat, wenn die Reform des EEG ansteht, nicht immer
nur Nein schreien und falsche Interessen schützen, sondern endlich auch einmal mitmachen, damit wir auf dem
Weg, das EEG zu modernisieren, vorankommen.
({21})
Ich will Ihnen gar keine Vorhaltungen machen. Aber
auf der einen Seite vor der deutschen Öffentlichkeit zu
sagen: „Der Strompreis steigt immer weiter“ und mit
dem Finger auf andere zu zeigen, auf der anderen Seite
aber zur gleichen Zeit notwendige Maßnahmen wie die
Strompreisbremse und andere Vorhaben, die wir auf den
Weg bringen müssen, im Bundesrat zu verhindern, ist
nicht in Ordnung, meine sehr verehrten Damen und Herren. So kann man das nicht machen.
({22})
Lassen Sie mich jetzt noch einen Punkt ansprechen,
({23})
in dem wir - ich finde, das sollte man auch so sagen durchaus Gemeinsamkeiten haben.
({24})
Ich denke an die Situation in Syrien. Es ist unbestritten
- das ist auch am Sonntag so formuliert worden -, dass
wir ganz klar und eindeutig gesagt haben: Eine Beteiligung Deutschlands an Kampfeinsätzen, an militärischen
Aktionen in Syrien wird es nicht geben. - Lieber Kollege Frank-Walter Steinmeier, das habe ich in vielen Interviews in den letzten Tagen regelmäßig so gesagt - da
war nie auch nur ein Punkt des Vertuns -, und ähnlich ist
es vom Bundesaußenminister formuliert worden. Deswegen sollten wir jetzt einmal klar sagen: Da sind wir
uns einig. - Es ist doch schön, dass wir in einer so wichtigen außenpolitischen Frage einig sind.
Ich wäre froh und dankbar, wenn der Satz „Mehr Europa!“ - der richtig ist - auch für die Außen- und Sicherheitspolitik gelten würde. Es ist kein besonders glückliches Zeichen, dass wir in Europa in dieser Frage
überhaupt nicht vorankommen. Umso mehr müssen wir
unseren Beitrag leisten.
Ein zweiter Punkt, wo wir uns doch auch einig sind:
Es darf nicht ohne Konsequenzen bleiben, wenn einer
der zentralsten Grundsätze des humanitären Völkerrechts, nämlich dass kein Giftgas eingesetzt werden darf,
verletzt wird. Wenn wir nicht zum Gegenstand machen,
dass dies nicht sein kann, brauchen wir uns nicht zu
wundern, wenn kein Diktator sich mehr an so etwas hält.
Die Frage ist nun: Was ist die richtige und angemessene Antwort? Die Bundeskanzlerin und Guido
Westerwelle haben mehrfach darauf hingewiesen, dass
wir eine politische Lösung suchen und anstreben; aber
dann muss sich vor allem Russland einmal bewegen und
darf nicht ständig im UNO-Sicherheitsrat blockieren.
Anstatt Herrn Schröder nur zum Wahlkampf einzuladen,
könnten Sie ihn einmal bitten, dafür zu sorgen, dass
Russland sich an dieser Stelle bewegt.
({25})
Das wäre einmal eine Option.
({26})
Herr Kollege Frank-Walter Steinmeier, ich teile die
von Ihnen hier geäußerte kritische Beurteilung, was militärische Einsätze anbelangt. Seien Sie doch einmal
froh, dass man mal zu einer Gemeinsamkeit kommt!
Auch ich sehe die Situation sehr kritisch. Christen, mit
denen ich in Syrien gesprochen habe, haben die Frage,
welche Konsequenzen das haben soll, sehr unterschiedlich gesehen. Das ist mit vielen Sorgen behaftet. Deswegen glaube ich, dass der Weg, den die Bundesregierung,
auch die Bundeskanzlerin, beschritten hat, beim G-20Gipfel noch einmal den Versuch zu unternehmen, dafür
zu sorgen, dass die Weltgemeinschaft in die Lage versetzt wird, ihre Vorschriften und Regeln auch umzusetzen, richtig ist. Ich würde mir wünschen, dass die G 20
zu einer entsprechenden Position kommen.
Ich will auch sagen: Ich bin außerordentlich dankbar,
dass die Bundesregierung erklärt hat, dass 5 000 weitere
syrische Flüchtlinge in Deutschland aufgenommen werden können.
({27})
- Die kommen schon noch; das geht alles nicht von einer
Minute auf die andere. - Die Bundesregierung hat darüber hinaus gesagt - und jetzt sind alle aufgefordert,
alle -: Wenn die Bundesländer bereit sind, weitere
Flüchtlinge aufzunehmen, dann können sie dies tun.
Also muss doch die Botschaft heißen, dass wir alle unsere Landesregierungen auffordern, es der Bundesregierung nachzumachen und über die 5 000 hinaus weitere
syrische Flüchtlinge aufzunehmen. Das könnte doch
Thema sein.
({28})
Ich sage zur gleichen Zeit: Ja, wir müssen diese Menschen, die zu uns kommen - sie sind oft traumatisiert,
und es sind viele Christen darunter -, in diesem Land
auch entsprechend aufnehmen.
({29})
Wir müssen, wie die Bundeskanzlerin gesagt hat, alles
dazu beitragen, dass sie sich in diesem Land sicher fühlen; dem ist nichts hinzuzufügen, meine sehr verehrten
Damen und Herren.
Aber ich mache mir auch große Sorgen über die Situation der Christen in Syrien, in Ägypten.
({30})
Ich will zum Thema Syrien nur eines sagen: Wir haben
allen Grund, politische Lösungen zu suchen - da gebe
ich Ihnen völlig recht -; denn bei allen anderen Lösungen besteht die Gefahr, dass gerade die Christen unter
die Räder kommen.
({31})
Deswegen muss bei allen politischen Lösungen das
Thema „Religionsfreiheit und Schutz der Christen“ in
besonderer Weise bedacht werden.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich fasse
zusammen: Diese Regierungskoalition hat nicht nur für
hervorragende Ergebnisse im Land gesorgt - ich nenne
nur das Beispiel der Jugendarbeitslosigkeit -, sondern
sie hat mit ihren Aussagen sowohl zur Europapolitik als
auch zur Steuer- und Finanzpolitik gezeigt, dass sie die
richtigen Lösungen hat,
({32})
damit es in diesem Land auch in den nächsten vier Jahren erfolgreich weiter aufwärtsgeht. Sie sind diesen Beweis in Ihren krawalligen Reden schuldig geblieben.
({33})
Das Wort hat nun Andrea Nahles für die SPD-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte auf eine interessante Frage zurückkommen, die Bundeskanzlerin Angela Merkel heute Morgen
hier gestellt hat. Sie hat in einer längeren Passage des
Selbstlobes folgende Frage gestellt:
Es geht am 22. September um nicht mehr und nicht
weniger als um die Frage, ob wir diesen Weg des
Erfolges weitergehen oder ob wir grobe Fehler sehen müssen, die diese erfolgreiche Entwicklung
- darüber hatte sie geredet wieder zunichtemachen.
Nun hat Frau Merkel bei der Antwort auf diese Frage
eine günstige Position: Bitte sehen Sie sich doch einfach
mal auf dieser Regierungsbank um! Da sehe ich einige
dieser groben Fehler sitzen - mit Verlaub -:
({0})
Da sehe ich eine Arbeitsministerin, die in Deutschland
eine Riesendebatte über Armut im Alter angefangen hat,
in ihrer eigenen Regierung aber nicht einmal 15 Euro
mehr an Grundsicherungsrente durchgesetzt hat.
({1})
Da sehe ich einen Minister der Verteidigung, der froh ist,
dass Wahlkampf ist, weil er sonst seinen Hut hätte nehmen müssen. Ich sehe dort Herrn Rösler, der die ganze
Zeit damit befasst war, sich in seinen eigenen Reihen abzusichern, anstatt sich endlich um die Energiewende zu
kümmern.
({2})
Und da sehe ich eine Frauenministerin, die in dieser Legislaturperiode kein einziges Gesetz für Frauen gemacht
hat, dafür aber das Betreuungsgeld auf den Weg gebracht
hat.
({3})
Also, wenn Sie nach groben Fehlern suchen: Auf der Regierungsbank können Sie sie finden. Das ist ein Grund,
einen Regierungswechsel herbeizuführen. Die Gurkentruppe muss weg!
({4})
Ich bin heute durch die Beiträge der Kollegen von den
Regierungsfraktionen an das Gutenachtlied erinnert worden, das ich meiner Tochter in den letzten Wochen häufig gesungen habe: Ich mach’ mir die Welt, widde widde
wie sie mir gefällt.
({5})
So ist das doch: Alles soll so bleiben, wie es ist; alles ist
wunderbar und gut. Sie sprechen offensichtlich über ein
anderes Land. Herr Kauder, Sie haben eben gesagt, dass
es unbestritten ist, dass es in diesem Land gut aussieht,
und haben über die Chancen von jungen Menschen gesprochen. Ich frage Sie: Was ist denn mit den jungen
Menschen, wenn 50 Prozent der Neueinstellungen nur
noch befristet sind? Wir müssen endlich Schluss machen
mit der sachgrundlosen Befristung in diesem Land, damit junge Leute wieder mehr Chancen bekommen.
({6})
Ich habe heute Morgen hier von der Kanzlerin gehört,
was sie alles sieht. Sie sieht alles in der nächsten Legislaturperiode. Doch sie ist eine Kanzlerin, die mit diesem
Land nichts mehr vorhat, die müde wirkt. Mit Verlaub,
Frau Kanzlerin, Sie entwickeln sich zum absoluten politischen Couchpotato der Bundesrepublik Deutschland.
Sie sollten dafür sorgen, dass in diesem Land angepackt
wird. Ich glaube, dass Sie das nicht mehr können, weil
Sie keine Mehrheiten haben und es keine Einigkeit in Ihrem eigenen Laden gibt.
({7})
Heute haben wir eine große Debatte über die Situation in Deutschland geführt und haben viele Wahlversprechen dieser Regierung gehört. Aber haben wir an irgendeiner Stelle gehört, wie Sie das finanzieren wollen?
({8})
Nein! Wir haben an keiner einzigen Stelle eine Aussage
darüber gehört, wie zum Beispiel die Mütterrente finanziert werden soll; es gab nur allgemeine Hinweise auf
Steuermehreinnahmen. Da war der von Ihnen so freundlich unterstützte Horst Seehofer ein bisschen ehrlicher.
Der hat nämlich gestern Folgendes gesagt: Wer keine
Steuererhöhungen will, wer keine neuen Schulden will,
der muss mal sagen, woher er das Geld für die Investitionen nehmen will.
({9})
Recht hat er, der Herr Seehofer. Das müssten aber eigentlich Sie sagen, Sie von der Bundesregierung.
Ich behaupte, dass es drei Möglichkeiten gibt: Entweder Sie lügen die Leute an und es gibt doch Steuererhöhungen, oder Sie lügen die Leute an und es gibt doch
mehr Schulden nach der Wahl, oder - das wäre mein heißer Tipp - Sie greifen in die Sozialkassen. Ich glaube,
dass Sie das machen werden.
({10})
Das ist nämlich das Muster, das wir in den letzten Monaten von Ihnen schon gesehen haben.
({11})
Sie haben in den Gesundheitsfonds gegriffen, Sie haben durch die verrückte Absenkung des Rentenbeitrages
die Renten ausgetrocknet, und Sie haben in den Ertragstopf der Bahn gegriffen und damit die Deckung der Betriebskosten nicht mehr ausreichend gesichert.
({12})
Die Folgen davon konnten wir in den letzten Wochen sehen.
Im letzten Dezember hat Herr Schäuble laut Spiegel
auch schon Pläne gemacht, wie es weitergehen soll,
nämlich beispielsweise mit einer Entziehung der Steuerzuschüsse an den Gesundheitsfonds.
({13})
Frau Merkel hat in einem bemerkenswerten Sommerinterview auf Sat.1 erklärt, dass sie auch eine weitere
Steigerung des Rentenalters nicht ausschließt.
({14})
Die Formel war: Wenn das Lebensalter steigt, müssen
wir auch über eine längere Lebensarbeitszeit reden.
({15})
Ich verspreche Ihnen: Die deutsche Bevölkerung wird
älter werden. Eine längere Lebensarbeitszeit können wir
aber nicht wollen. Wir müssen stattdessen den Menschen
helfen, die ausgepowert sind und mit Burn-out kämpfen.
Deswegen sagen wir: Nach 45 Jahren muss man abschlagsfrei in Rente gehen können. Das ist die Position
der SPD.
({16})
In diesem Sinne kann ich Ihnen nur sagen, dass das,
was Sie hier machen, eine ganz einfache Sache ist: Nach
dem Wahltag ist Zahltag. - Stellen Sie sich darauf ein,
liebe Bürgerinnen und Bürger. Gucken Sie sich die Konzepte an. Die ehrlichere Alternative sind die SPD und
Peer Steinbrück als zukünftiger Kanzler.
Vielen Dank.
({17})
Das Wort hat nun Patrick Döring für die FDP-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
50 Prozent der Ausgaben des Bundeshaushalts, den
diese Bundesregierung vorlegt, erfolgen für soziale
Zwecke. 50 Prozent der Gesamtausgaben dieses Staates
für die Menschen, die diesen Staat nötig haben!
({0})
Das alles kommt von den 43 Millionen Männern und
Frauen, die morgens aufstehen und arbeiten gehen, und
den 4 Millionen Männern und Frauen, die mit Haus und
Hof haften und Arbeitsplätze schaffen. Über die hat die
versammelte Opposition kein Wort verloren.
({1})
Wir vergessen nicht, dass die Arbeitnehmerinnen und
Arbeitnehmer diese Last tragen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren von der Opposition, die Kollegin Nahles hat hier gesagt: „Wahltag
ist Zahltag“. Das stimmt, wenn man die Falschen wählt;
denn Sie wollen ja die Einkommensteuer für alle erhöhen, die Pendlerpauschale abschaffen, das Ehegattensplitting abschaffen.
({2})
Sie wollen die Steuern erhöhen und von den Bürgern nur
eines, nämlich mehr Geld, und das werden wir verhindern.
({3})
Daneben kommen Sie noch mit der ominösen Vermögensteuer und der Vermögensabgabe. Den Menschen, die
etwas auf die Seite gelegt haben, die ihr Erspartes in vermieteten Wohnraum investiert haben oder die Handwerksbetriebe führen und Arbeits- und Ausbildungsplätze anbieten, sollen jetzt aus ihrem Ersparten und
bereits versteuerten Vermögen zusätzliche Abgaben zahlen. Sie fassen den Fleißigen in die Tasche; nichts anderes
verstehen Sie. Mit Leistung hat das nichts zu tun.
({4})
Unterschwellig wird dann immer gesagt: Na ja, wir
wollen ja von den Bürgern nur das Beste, nämlich mehr
Geld - das ist ja die einzige Antwort auf die Probleme
dieser Zeit, die Sie geben -, damit wir mehr für Bildung
und Infrastruktur tun können. Schauen wir einmal in die
Länder, in denen Rot und Grün regieren. In Baden-Württemberg: weniger Lehrer, weniger Ausgaben für Straßen.
In Nordrhein-Westfalen: weniger Lehrer, weniger Ausgaben für Straßen. In Niedersachsen: weniger Lehrer,
weniger Ausgaben für Straßen. Sie haben mehr Steuereinnahmen und machen höhere Schulden, aber investieren da, wo Sie regieren, nicht in Bildung und Infrastruktur.
({5})
Schwarz-Gelb steht für Leistungsgerechtigkeit statt
Umverteilung. Wir wollen, dass es den Menschen weiter
gut geht. Ja, das Soziale in der sozialen Marktwirtschaft
definiert sich nicht durch die Höhe von Hartz IV, sondern durch die Chance auf einen Arbeitsplatz. Wir trauen
uns, das noch zu sagen, meine sehr verehrten Damen und
Herren.
({6})
Dann hat Frau Göring-Eckart sich hier furchtbar angestrengt, deutlich zu machen, dass die Grünen nicht die
Verbotspartei der Republik sind. Vielleicht findet sich
auf einer Autofahrt die Zeit, das noch einmal nachzulesen. Autofahren am Sonntag: verboten!
({7})
Erste Klasse im ICE: verboten! Heizpilze: verboten!
Rauchen in der Öffentlichkeit: verboten! Fleisch am
Donnerstag: verboten! Ölheizung: So etwas von verboten!
({8})
Verboten, verboten, verboten! Das ist der grüne Sound.
Die Spießigkeit des Jahres 2013 ist grün.
({9})
All das taugt vielleicht für die Hausordnung eines
grünen Landschulheims; für unser freies schönes
Deutschland taugt es nicht. Deshalb setzen wir auf die
Kraft der Bürger und sind ganz sicher: Die Menschen
können mit ihrem hart verdienten Geld viel besser umgehen als die Politik.
Wir haben Rekordsteuereinnahmen und Steuern gesenkt. Diesen Weg gehen wir weiter. Solide Haushalte
und Entlastung derjenigen, die morgens aufstehen und
zur Arbeit gehen, das widerspricht sich nicht. Wir denken an die Fleißigen, an diejenigen, die dieses Land gemeinsam mit uns voranbringen. Sie wollen immer nur
eins: mehr Geld von denen, die morgens aufstehen und
arbeiten. Das unterscheidet uns. Der Wähler wird entscheiden: am 22. September für die Fortsetzung von
Schwarz-Gelb.
Herzlichen Dank.
({10})
Das Wort hat nun Gerda Hasselfeldt für die CDU/
CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn wir uns so
manche Rede der Opposition, die heute Vormittag gehalten wurde, noch einmal vor Augen führen, dann fragt
man sich: Über welches Land wurde geredet?
({0})
Haben Sie, die Oppositionsredner, wirklich über unser
Land geredet? Diese Schwarzmalerei,
({1})
diese Darstellung unseres Landes in dunklen Farben, das
wird der Realität in Deutschland, das wird den Menschen in Deutschland nicht gerecht.
({2})
Deutschland geht es gut, hat Frau Göring-Eckardt gesagt. Sie hat gleich hinzugefügt: Das ist eine Illusion. Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, ist es eine Illusion, wenn heute mehr Menschen als je zuvor in unserem
Land Arbeit und Beschäftigung haben, ihre Familie ernähren können? Ist es eine Illusion, wenn heute viel mehr
Jugendliche einen Ausbildungsplatz, einen Arbeitsplatz
bekommen, als das früher der Fall war? Meine Damen
und Herren, das ist keine Illusion, das ist blanke Realität
in Deutschland. Darauf können wir stolz sein.
({3})
Diese vier Jahre waren erfolgreiche Jahre; denn der
hohe Beschäftigungsstand, die niedrige Arbeitslosigkeit
hängen natürlich zusammen mit dem Fleiß der Bürger,
mit verantwortungsvollen Tarifparteien. Das hängt mit
tüchtigen Unternehmern zusammen, insbesondere mit
einem gesunden, tatkräftigen Mittelstand. Das alles hatten wir aber auch in der Zeit, als Angela Merkel die Regierung übernahm. Trotzdem hatten wir damals, unmittelbar nach der rot-grünen Regierungszeit, 5 Millionen
Arbeitslose und das, obwohl es keine Krise zu bewältigen gab, weder eine nationale noch eine internationale
Finanzkrise.
({4})
An diesem Beispiel wird deutlich: Es ist nicht egal, wer
regiert. Es ist nicht egal, wer die politischen Weichen
stellt.
({5})
Diese vier Jahre waren erfolgreiche Jahre in der Beschäftigungspolitik. Das spüren die Menschen. Diese
vier Jahre waren aber auch erfolgreiche Jahre, was den
Abbau der Verschuldung der öffentlichen Haushalte angeht. Übrigens ist Bayern nicht nur, aber auch in dieser
Hinsicht das Vorzeigeland. Das gilt aber auch im Bund;
das ist angesprochen worden. Wir werden im Laufe der
nächsten Legislaturperiode, voraussichtlich 2015, nicht
nur die Neuverschuldung abgebaut haben, sondern auch
schon mit der Tilgung der Altschulden beginnen können.
Meine Damen und Herren, das ist nicht deshalb wichtig, weil es auf dem Papier steht, sondern es ist deshalb
wichtig, weil wir unseren Kindern und Jugendlichen - denen, die nach uns kommen - nicht Schulden hinterlassen
dürfen, sondern Chancen hinterlassen wollen. Wir wollen
ihnen Spielräume hinterlassen, mit denen sie dann in der
Zukunft ihre eigenen aktuellen Herausforderungen bewältigen können. Das ist unsere Aufgabe: nicht nur für
heute zu sorgen, sondern auch für diejenigen, die nach
uns kommen.
({6})
Es waren aber auch erfolgreiche Jahre für die Sozialversicherungen. Ich kann mich gar nicht erinnern, dass
wir einmal vor einer Bundestagswahl über gefüllte Sozialkassen diskutiert haben. Wir haben immer über Leistungskürzungen, Zuzahlungen und Ähnliches diskutiert.
Dass es uns zum Beispiel gelungen ist, für die Krankenhausversorgung insbesondere in den ländlichen Regionen in diesem Jahr zusätzliche Mittel zur Verfügung zu
stellen,
({7})
ist nicht selbstverständlich. Das ist auf die gute wirtschaftliche Entwicklung und die richtige Politik zurückzuführen.
({8})
Dass es gelungen ist, in die Pflegeversicherung auch
erstmals die Demenzkranken mit einzubinden,
({9})
ist auch nicht selbstverständlich gewesen. Darum haben
wir lange gerungen, und wir wissen alle, dass wir mit der
Neuordnung des Pflegebedürftigkeitsbegriffs noch einiges vor uns haben. Aber alles der Reihe nach!
({10})
- Sie müssen nicht noch lauter schreien, Frau Ferner. Ich
höre Sie auch so. Wir haben heute schon so viele laute
Reden gehört,
({11})
dass ich nicht der Versuchung erliegen möchte, das genauso zu tun.
({12})
Auch dass es gelungen ist, in der Rentenversicherung
die Beitragssätze zu senken und damit den Arbeitnehmern und den Arbeitgebern wieder mehr Spielräume zu
geben, war nicht selbstverständlich, meine Damen und
Herren. Auch das gehört zur sozialpolitischen Bilanz
dieser Regierung.
({13})
Es ist vorhin in der Debatte von der gesamten Oppositionsseite mehrfach gesagt worden: Wir werden etwas
für die Entlastung der Kommunen tun. - Meine Damen
und Herren, das fällt Ihnen früh ein. Das hätten Sie während der rot-grünen Regierungszeit tun können. Damals
haben Sie aber das Gegenteil gemacht: Sie haben die
Leistungen der Grundsicherung den Kommunen aufgebürdet. Sie haben ihnen zusätzliche Ausgaben aufgebürdet. Wir haben das jetzt in dieser Legislaturperiode zurückgenommen.
({14})
Tatsache ist, dass wir in dieser Regierungszeit fast
5 Milliarden Euro allein für die Grundsicherung übernommen und die Kommunen dadurch entlastet haben.
Tatsache ist, dass wir bei der Kinderbetreuung die Kommunen nicht alleine gelassen haben und dass wir sie
auch beim Bildungs- und Teilhabepaket für Kinder von
Hartz-IV-Empfängern nicht alleine gelassen haben. Das
ist faktische Entlastung der Kommunen, weil wir wissen,
dass unsere Städte und Gemeinden ihre Einnahmen
brauchen, um die eigentlichen kommunalpolitischen
Aufgaben zu erfüllen. Wir haben sie dabei nicht alleine
gelassen, sondern sogar noch unterstützt. Das erkennen
auch die Kommunalpolitiker vor Ort an.
({15})
Vier erfolgreiche Jahre! Und da sagt der Kanzlerkandidat Steinbrück, er müsse das Ruder herumreißen.
({16})
Er will jetzt das Ruder herumreißen. Das Herumreißen
des Ruders in einer Zeit, in der es erfolgreich läuft, kann
nur bedeuten: Wir fahren das ganze Land an die Wand.
Das können und werden wir nicht zulassen.
({17})
Das Ruder herumreißen heißt Abkassieren mit Steuererhöhungen und Abkassieren auf breiter Front. Abkassieren wird dann von manchen Sozialdemokraten so interpretiert: Wir erhöhen ja nur für einige wenige die
Steuern.
({18})
Wissen Sie, was Sie vorhaben? Für alle, die künftig eine
Ehe schließen, wollen Sie das Ehegattensplitting abschaffen. Für alle, die Kapitaleinkünfte haben, wollen
Sie die Abgeltungsteuer erhöhen.
({19})
Für alle, die mehr als 64 000 Euro Einkommen haben,
wollen Sie die Einkommensteuersätze erhöhen. Für alle
mittelständischen Unternehmen,
({20})
die zum Beispiel aufgrund ihres Maschinenparks Substanzvermögen haben, wollen Sie eine Vermögensteuer
einführen.
({21})
- Sie wissen genau, dass eine Abgrenzung des privaten
Vermögens vom Betriebsvermögen nicht so einfach ist,
vor allem verfassungsrechtlich nicht möglich ist.
Und für alle, die ein Grundstück, ein Haus oder einen
Betrieb erben, wollen Sie die Erbschaftsteuer verdoppeln. Was das mit Ihrer Aussage zu tun haben soll, dass
davon nur 5 Prozent oder nur einige wenige betroffen
seien, erklären Sie den Menschen vor Ort. Ich kann es jedenfalls nicht.
({22})
Sie lügen damit die Leute an. Sagen Sie ihnen die Wahrheit darüber, was Sie tun wollen!
({23})
Unser Kurs ist ein anderer. Die Jahre dieser Legislaturperiode waren erfolgreich.
({24})
Das bestreitet niemand, der die Fakten objektiv und die
Situation der Menschen realistisch betrachtet. Das bestreiten übrigens auch die meisten Menschen nicht; das
zeigen die Umfrageergebnisse ganz deutlich. Deshalb
kann die Antwort nur lauten, diesen erfolgreichen Kurs
fortzusetzen,
({25})
auf diesem Weg die Schwerpunkte wie bisher zu setzen.
Diesen erfolgreichen Weg fortzusetzen, bedeutet,
({26})
die solide Haushaltsführung fortzusetzen, mit den Steuergeldern weiterhin sparsam umzugehen
({27})
und den Euro-Kurs fortzusetzen,
({28})
und zwar unter der Devise: Solidarität ja, aber nur unter
der Bedingung, dass auch die einzelnen Krisenländer Eigenverantwortung wahrnehmen. - Das Ziel kann
schließlich nicht eine gemeinsame Schuldenunion mit
einheitlichen Zinssätzen sein. Vielmehr muss das Ziel
sein, dass jedes Euro-Land selbst wettbewerbsfähig
wird.
({29})
Den dafür notwendigen Druck dürfen wir nicht verringern, sondern müssen ihn aufrechterhalten. Wir werden
die betreffenden Länder unterstützen, allerdings unter
den genannten Bedingungen.
({30})
Den eingeschlagenen Kurs fortsetzen bedeutet aber
auch, weiterhin einen Schwerpunkt bei den Familien zu
setzen.
({31})
Es ist mir ein wichtiges Anliegen, dies hier noch einmal
deutlich zu sagen. Wenn wir über Investitionen reden,
geht es nicht nur um bauliche Investitionen, sondern immer auch um Investitionen in die Zukunft unserer Kinder. Wir dürfen deshalb das, was wir in Erziehung, Bildung und Innovation stecken, nicht beiseiteschieben und
gering bewerten; denn hier geht es um ein ganz wichtiges Anliegen.
Wir haben den Rechtsanspruch auf einen Kinderkrippenplatz geschaffen. Der Ausbau der Kinderbetreuung
für die unter Dreijährigen ist zumindest in meinem HeiGerda Hasselfeldt
matland Bayern großartig gelungen. Wir haben die
stärkste Dynamik im Ausbau der Kinderbetreuung gerade für die unter Dreijährigen zu verzeichnen.
({32})
Parallel dazu haben wir das Betreuungsgeld eingeführt.
Das wollen Sie wieder abschaffen, meine Damen und
Herren von der Opposition. Sie wollen die Familien
auch da wieder schröpfen und ihnen etwas wegnehmen.
Ich sage Ihnen aus voller Überzeugung: Das Betreuungsgeld ist
({33})
ein Zeichen dafür, dass der Staat eben nicht einseitig
eine Betreuungsform für unter Dreijährige fördert,
({34})
sondern auch andere Betreuungsformen anerkennt und
finanziell unterstützt,
({35})
egal wie sich die Eltern entscheiden.
({36})
Wir werden bei der Anerkennung von Erziehungszeiten in der Rentenversicherung einen weiteren Schwerpunkt setzen. Es ist uns ein besonderes Anliegen, dass
die Erziehungszeiten der Mütter, die vor 1992 Kinder
geboren haben und damals kaum Kinderbetreuungsmöglichkeiten in Anspruch nehmen konnten und die in aller
Regel mehr als nur ein Kind erzogen haben, in der Rentenversicherung besser anerkannt werden. Das werden
wir auch durchsetzen.
({37})
Meine Damen und Herren, wenn Sie sich den Erfolgskurs dieser Regierung ganz besonders nah anschauen
wollen, wenn Sie sich über die Erfolge bei der Beschäftigung, der Haushaltskonsolidierung, der Kinderbetreuung
und bei den Bildungseinrichtungen, über den Zustand
der Schulen und den Zustand der Kommunen ein Bild
machen wollen, dann kann ich Sie nur einladen, nach
Bayern zu kommen. Da finden Sie das in besonderer Art
und Weise.
({38})
Weil ich am Schluss bei Bayern bin, möchte ich Ihnen
mit auf den Weg geben: Ilse Aigner wird ihre Arbeit hier
in Berlin zunächst einmal - ({39})
Sie wird ihre Arbeit in einer anderen Verantwortung in
Bayern fortsetzen. Liebe Ilse, ich möchte dir ganz herzlich für deine Arbeit für uns alle hier im Deutschen Bundestag und in der Regierung danken. Ich wünsche dir
von Herzen viel Erfolg, viel Freude bei allem, was du
künftig in Bayern an Verantwortung übernimmst.
({40})
Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und
Kollegen, es ist in dieser Debatte deutlich geworden:
Wir sind auf einem Erfolgskurs.
({41})
Wir dürfen diesen Erfolgskurs nicht aufs Spiel setzen.
Diesen Erfolgskurs fortführen können wir nur bei Fortsetzung dieser Koalition unter Führung von Angela
Merkel.
({42})
Ich schließe die Aussprache.
Bevor wir zum Schluss unserer letzten Sitzung kommen und ich noch einige Abschiedsworte an Sie richten
darf, bitte ich um Ihre Aufmerksamkeit für die Zusatzpunkte 1 a bis 1 j. Es handelt sich um Beschlussempfehlungen des Petitionsausschusses, zu denen keine Aussprache vorgesehen ist.
Zusatzpunkt 1 a:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({0})
Sammelübersicht 624 zu Petitionen
- Drucksache 17/14681 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht 624 ist einstimmig angenommen.
Zusatzpunkt 1 b:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({1})
Sammelübersicht 625 zu Petitionen
- Drucksache 17/14682 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Auch die Sammelübersicht 625 ist einstimmig
angenommen.
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse
Zusatzpunkt 1 c:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({2})
Sammelübersicht 626 zu Petitionen
- Drucksache 17/14683 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Auch die Sammelübersicht 626 ist einstimmig
angenommen.
Zusatzpunkt 1 d:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({3})
Sammelübersicht 627 zu Petitionen
- Drucksache 17/14684 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht 627 ist mit den Stimmen
der CDU/CSU, SPD und FDP gegen die Stimmen der
Linken bei Enthaltung der Grünen angenommen.
Zusatzpunkt 1 e:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({4})
Sammelübersicht 628 zu Petitionen
- Drucksache 17/14685 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht 628 ist einstimmig angenommen.
Zusatzpunkt 1 f:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({5})
Sammelübersicht 629 zu Petitionen
- Drucksache 17/14686 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht 629 ist gegen die Stimmen der Linken mit den Stimmen des übrigen Hauses
angenommen.
Zusatzpunkt 1 g:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({6})
Sammelübersicht 630 zu Petitionen
- Drucksache 17/14687 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht 630 ist mit den Stimmen
der CDU/CSU, SPD und FDP gegen die Stimmen der
Linken und Grünen angenommen.
Zusatzpunkt 1 h:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({7})
Sammelübersicht 631 zu Petitionen
- Drucksache 17/14688 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht 631 ist mit den Stimmen
der CDU/CSU, FDP und Linken gegen die Stimmen von
SPD und Grünen angenommen.
Zusatzpunkt 1 i:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({8})
Sammelübersicht 632 zu Petitionen
- Drucksache 17/14689 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht 632 ist mit den Stimmen
der beiden Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen von
SPD und Linken bei Enthaltung der Grünen angenommen.
Zusatzpunkt 1 j:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({9})
Sammelübersicht 633 zu Petitionen
- Drucksache 17/14690 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht 633 ist mit den Stimmen
der beiden Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der
drei Oppositionsfraktionen angenommen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind damit am
Schluss unserer heutigen Tagesordnung und damit am
Ende der voraussichtlich letzten Sitzung der 17. Wahlperiode des Deutschen Bundestages.
Es liegen vier arbeitsreiche Jahre hinter uns. Ich
möchte mich im Namen des Präsidiums bei Ihnen allen
für Ihr Engagement, für Ihren Einsatz bedanken, insbesondere bei denen, die schon jetzt wissen, dass sie dem
nächsten Bundestag nicht mehr angehören werden. Mein
Dank gilt auch denjenigen, die ihm überraschenderweise
nicht mehr angehören werden. Mein Dank gilt darüber
hinaus den Schriftführerinnen und Schriftführern und
nicht zuletzt den vielen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die uns vor und hinter den Kulissen fleißig unterstützen.
({10})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, dies war auch
meine letzte Parlamentssitzung. Ich höre auf nach
24 Jahren parlamentarischer Arbeit, davon 15 Jahre im
Präsidium des Deutschen Bundestages. Ich glaube, es
gibt nicht so viele Kolleginnen und Kollegen vor mir, die
so lange Zeit hier oben verbracht haben. Ich habe diese
15 Jahre übrigens zusammen mit dem Kollegen Solms
im Präsidium verbracht. An die Zusammenarbeit mit
ihm werde ich mich immer besonders gerne erinnern.
({11})
Erlauben Sie mir ein paar kleine persönliche Bemerkungen. Von diesen 24 Jahren war gewiss das erste Jahr,
die Zeit in der Volkskammer 1990, die aufregendste Zeit.
Wer dabei war - einige sitzen hier ja noch -, wird das
gut verstehen. Ich erinnere mich an meine erste freie
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse
Wahl am 18. März 1990, und ich erinnere mich ebenso
an meinen Vater, von dem ich vermutlich die politische
Leidenschaft geerbt habe. Er hat nie wirklich frei wählen
können. Volljährig, also wahlberechtigt, wurde er am
31. Januar 1933. Gestorben ist er Anfang März 1990.
Sein Beispiel erinnert mich immer wieder an die Kostbarkeit freier Wahlen. Es macht mich traurig und wütend, wie viele auf ihr Wahlrecht verzichten. Denn aus
unserer Geschichte wissen wir doch: Es wird gefährlich
für die Demokratie, wenn Desinteresse, Unzufriedenheit, Verdruss der vielen mit Demokratieverachtung von
Eliten zusammentrifft.
1990, das war für mich und andere auch, die wir gemeinsam in den Bundestag in Bonn eingezogen sind, ein
Jahr des euphorischen Aufbruchs in die parlamentarische Demokratie. Übrigens will ich als Berliner ausdrücklich auch jetzt eine Verbeugung vor Bonn als dem
langjährigen Standort der parlamentarischen Demokratie
in der Bundesrepublik Deutschland machen. Es war
zwar ein euphorischer Aufbruch, aber wir wissen auch:
Euphorie lässt sich nicht auf Dauer stellen - selbstverständlich.
Ich lobe aber den parlamentarischen Alltag. Demokratie ist friedlicher Streit nach Regeln der Fairness. Ziel
ist nicht Harmonie, sondern entweder der gute Kompromiss oder die vernünftige Mehrheitsentscheidung. Wir
Parlamentarier sollten den Streit mit Selbstbewusstsein
verteidigen, auch durch die Art, wie wir ihn führen. Darin hat der Bundestag nach meiner 24-jährigen Erfahrung gute Noten verdient. Ich hatte selten Anlass, dazwischenzugehen oder gar diese Glocke zu bedienen. Das
freut mich noch heute. Das sage ich mit Respekt vor Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen.
Ich lobe auch die Langsamkeit der Demokratie. Sie
verlangt Geduld, manchmal allzu viel, auch von uns.
Aber sie ist die Bedingung dafür, dass sich an ihren Meinungsbildungs- und Entscheidungsprozessen möglichst
viele beteiligen können, dass Sachverstand und Interessenausgleich eine Chance haben. Ich wünsche dem
Deutschen Bundestag, dass er sich mehr und energischer, als es in den vergangenen Jahren verschiedentlich
der Fall war, dem Beschleunigungsdruck von Märkten
und Medien widersetzt. Selbstbewusste Entschleunigung
ist Teil eines guten Parlamentarismus.
({12})
Es geht dabei nämlich um etwas Fundamentales: um den
Primat, um die Gestaltungskraft demokratischer Politik.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich hoffe, ich habe
dem Parlament in den 24 Jahren meines Mittuns keine
Schande gemacht.
({13})
Wem gegenüber ich ungerecht war, den bitte ich um Entschuldigung. Bei vielen Kollegen bedanke ich mich für
erfahrene Kollegialität. Ich werde die Arbeit des Bundestages gewiss weiter mit freundlich-kritischer Aufmerksamkeit verfolgen - und mit großer, großer Empathie und Sympathie.
Ich wünsche Ihnen alles Gute und, wenn Sie es vertragen, Gottes Segen.
({14})
Die Sitzung ist geschlossen.