Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Die Sitzung ist eröffnet. Nehmen Sie bitte Platz.
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich begrüße Sie zu
unserer vereinbarten Plenarsitzung und rufe gleich den
Tagesordnungspunkt 1 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des 2. Untersuchungsausschusses nach
Artikel 44 des Grundgesetzes
- Drucksache 17/14600 Berichterstattung:Abgeordnete Clemens BinningerDr. Eva HöglHartfrid Wolff ({0})Petra PauWolfgang Wieland
Zu diesem Tagesordnungspunkt begrüße ich auf der
Tribüne den Herrn Bundespräsidenten, den Botschafter
der Türkei und den Geschäftsträger Griechenlands, Vertreter der Türkischen Gemeinde in Deutschland und anderer gesellschaftlicher Organisationen und insbesondere zahlreiche Gäste aus den Familien, die einen
Angehörigen verloren haben oder selbst Opfer eines Anschlags wurden.
({1})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, eine erschreckende
Serie von Morden und Anschlägen einer nationalsozialistischen Terrorgruppe hat zahlreiche Opfer - Traumatisierte, Schwerverletzte - und zehn Tote hinterlassen.
Schmerz, Trauer, auch Wut begleiten die Angehörigen
seit vielen Jahren. Wir fühlen uns ihnen verbunden. Ich
danke den heute anwesenden Angehörigen und Opfern
von Anschlägen im Namen des ganzen Hauses, dass sie
unserer Einladung gefolgt sind, der Debatte zum Abschlussbericht des Untersuchungsausschusses persönlich
beizuwohnen.
({2})
Ich wünsche mir, dass die ernsthafte sachliche Aufklärungsarbeit dieses Ausschusses den Opfern und den
Angehörigen das Gefühl vermittelt, in ihrer Trauer und
ihrem Leid nicht alleinzusein.
Ich bedanke mich insbesondere bei unserem Bundespräsidenten, der durch seine Anwesenheit bei dieser Debatte die Bedeutung unterstreicht, die der Bundestag und
alle Verfassungsorgane dieser beispiellosen Herausforderung unseres demokratischen Rechtsstaates beimessen. Das Ausmaß der Verbrechen hat im ganzen Land
und weit darüber hinaus tiefe Trauer und Betroffenheit
ausgelöst. Dass die deutschen Sicherheitsbehörden die
über Jahre geplanten und ausgeführten Verbrechen weder rechtzeitig aufdecken noch verhindern konnten,
bedrückt und beschwert uns. Dass sich Opfer wie Angehörige im Zuge der Ermittlungen teilweise haltlosen Verdächtigungen und wissentlich falschen Anschuldigungen
ausgesetzt sahen, erfüllt uns noch heute mit Fassungslosigkeit und Scham. Dafür möchte ich mich im Namen
des Bundestages bei ihnen in aller Form entschuldigen.
({3})
Der Schutz von Leib und Leben und die von unserer
Verfassung garantierten Grundrechte haben in diesem
Land Geltung für jeden, der hier lebt, mit welcher Herkunft, mit welchem Glauben und mit welcher Orientierung auch immer. Dieser deutsche Staat - das ist die Botschaft dieses Untersuchungsausschusses, und es ist die
gemeinsame Position dieses Parlamentes - hält unverrückbar und unwiderruflich an diesen Prinzipien fest
({4})
und an der gelegentlich verdrängten Einsicht, dass auch
Minderheiten Rechtsansprüche haben, über die andere
- selbst Mehrheiten - nicht verfügen können.
({5})
Meine Damen und Herren, am 26. Januar des vergangenen Jahres hat der Deutsche Bundestag, getragen von
einer gemeinsamen Entscheidung aller Fraktionen des
Hauses, einen Untersuchungsausschuss eingesetzt. In
16 Monaten leisteten seine Mitglieder, unterstützt durch
die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Ausschusssekretariat und in den Abgeordnetenbüros, einen wichtigen
Beitrag zur Aufklärung und Aufarbeitung der schreckli32580
Präsident Dr. Norbert Lammert
chen Ereignisse. Der Ausschuss hat darüber hinaus gemeinsame Empfehlungen für die künftige Struktur, die
Zusammenarbeit, die Befugnisse und die Qualifizierung
der Sicherheits- und Ermittlungsbehörden sowie für eine
effektive Bekämpfung des Rechtsextremismus formuliert. Die gewonnenen Erkenntnisse und die daraus entwickelten Reform- und Verbesserungsvorschläge sind
nun Gegenstand der öffentlichen Auseinandersetzung
mit dem Ziel, jede Form von Extremismus oder Ausländerfeindlichkeit in unserem Lande entschlossen zu bekämpfen. Wir sind uns bewusst, dass die Arbeit damit
keineswegs erledigt ist, sondern auf einer neuen gemeinsamen Grundlage fortgesetzt und verstärkt werden muss.
Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und
Kollegen, die gründliche, sachorientierte und überparteiliche Arbeit des Untersuchungsausschusses ist in den
Medien zu Recht als ein Beispiel hoher politischer Kultur und parlamentarischer Kompetenz gewürdigt worden. Ich hätte mich deshalb gefreut, wenn dieses Thema,
dem der Deutsche Bundestag eine eigene Plenarsitzung
widmet und das Staatsoberhaupt seine Anwesenheit,
auch den öffentlich-rechtlichen Fernsehanstalten
({6})
eine Übertragung wert gewesen wäre - im Hauptprogramm, versteht sich, weil es sich nicht um eine Nebensache handelt.
({7})
Ich danke allen Kolleginnen und Kollegen für die geleistete Arbeit, für ihr großes persönliches Engagement.
Dass dieser Untersuchungsausschuss, der sich als gemeinsames Aufklärungsinstrument begriff, um verloren
gegangenes Vertrauen in den Rechtsstaat wiederherzustellen, in so ungewöhnlichem und beispielhaftem Maße
konsensorientiert gearbeitet hat, ist das Verdienst aller
seiner Mitglieder,
({8})
insbesondere seines Vorsitzenden, dem ich hiermit stellvertretend für alle anderen für seine Arbeit ausdrücklich
danken möchte.
({9})
Lieber Kollege Edathy, Sie haben das Wort.
Herr Bundestagspräsident! Sehr verehrter Herr Bundespräsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr
geehrte Damen und Herren! Das ist ein sehr außergewöhnlicher Untersuchungsausschuss gewesen, der heute
seinen Abschlussbericht zur Diskussion stellt. Es war
der 49. in der Geschichte des westdeutschen Parlamentarismus der Nachkriegszeit. Es war zugleich der erste, der
von allen Fraktionen gewollt worden ist, der erste, der
einstimmig eingesetzt worden ist - ein Prinzip übrigens,
an dem wir bis zum Abschluss unserer Beratungen festgehalten haben: Es gab keine einzige Abstimmung in
diesem Ausschuss, die nicht einstimmig erfolgt wäre.
Wir waren uns als Mitglieder dieses Ausschusses von
Beginn an darin einig, dass das Thema, mit dem wir es
zu tun haben würden, sich nicht für Streit zwischen den
Parteien eignet, sondern von allen Demokratinnen und
Demokraten für das gemeinsame Streiten für die Wiedergewinnung verloren gegangenen Vertrauens in die
Funktionsfähigkeit des demokratischen Rechtsstaates
genutzt werden muss. Das hat uns geeint.
({0})
Es hat diesen Ausschuss stark und effektiv gemacht.
Es gibt in jedem Rechtsstaat zwei Kernversprechen,
die, wenn die Menschen, die in seinen Grenzen leben,
Vertrauen in ihn haben sollen und wollen, unabdingbar
eingehalten werden müssen. Ein Versprechen ist: Egal
wer man ist - ob Bürger oder nicht, unabhängig von
Stand und Herkunft -, jeder, der hier in Deutschland
lebt, muss sich darauf verlassen können, dass die dafür
zuständigen staatlichen Institutionen alles Vertretbare
tun, um ihn vor Straftaten, insbesondere vor Kapitaldelikten, zu schützen.
({1})
Es gibt ein zweites Kernversprechen. Das zweite
Kernversprechen ist: Wenn es trotzdem zumal zu schweren Straftaten kommt, kann sich jedes Opfer, können
sich die Angehörigen darauf verlassen, dass die dafür
zuständigen Behörden unvoreingenommen, das heißt
objektiv und professionell, Aufklärungsarbeit leisten.
Gegenüber vielen der NSU-Opfer sind gleich beide
Versprechen gebrochen worden. Das ist ein trauriger, ein
beschämender Befund. Ich sage aber zugleich: Die
Stärke des Rechtsstaates ist nicht Fehlerfreiheit; die
Stärke des Rechtsstaates ist es, Fehler zu erkennen, zu
analysieren und dafür Sorge zu tragen, dass sie sich nicht
wiederholen können.
({2})
Das ist die Aufgabe, der wir uns von Januar 2012 an unterzogen haben. Wir haben in diesem Untersuchungsausschuss natürlich auch im Sinne der Opfer und der
Angehörigen der Mordopfer gearbeitet; aber die Einrichtung des Untersuchungsausschusses hatte im Kern den
folgenden Hintergrund: Es ist eine Frage der demokratischen Selbstachtung unserer ganzen Gesellschaft, dass
wir zwingend sicherstellen, dass sich ein derart massives
Behördenversagen, wie wir es feststellen mussten, nicht
wiederholen kann.
({3})
Es sind - man kann es in unserem Bericht nachlesen nach unserem Dafürhalten im Wesentlichen drei Faktoren, die wir gefunden haben und die jeder für sich und in
ihrem Ineinanderwirken am Ende dazu geführt haben,
dass wir es einem älteren Bürger aus Eisenach, der der
Polizei im November 2011 einen Tipp gegeben hat, und
nicht gelungener Ermittlungsarbeit der Sicherheitsbehörden verdanken, dass überhaupt erkannt werden konnte:
Es gibt diese rechtsterroristische Gruppierung.
Die auslösende Frage für uns war ja: Wie kann es eigentlich sein, dass da eine rechtsterroristische Zelle mordend und raubend über Jahre durch die Republik zieht
und ihre Existenz nicht erkannt wird, geschweige denn,
dass man ihrer Mitglieder durch Arbeit der Ermittlungsbehörden habhaft geworden wäre? Ich glaube, es gibt
dafür im Wesentlichen drei Ursachen.
Das eine ist: Wir müssen unsere Sicherheitsarchitektur so weiterentwickeln, dass zwischen den verschiedenen Behörden nicht Konkurrenzdenken, sondern Kooperationsbereitschaft vorhanden ist. Daran hat es an vielen
Stellen gemangelt.
Das Zweite ist: Ein zunehmend gewaltbereiter gewordener Rechtsextremismus darf nie wieder so massiv unterschätzt, teilweise sogar bagatellisiert werden, wie das
in der Vergangenheit der Fall gewesen ist.
({4})
Wer Menschen aus rassistischen Motiven heraus angreift, der greift uns alle an, weil er sich an den Fundamenten unserer Gesellschaftsordnung versündigt.
({5})
Der dritte Faktor - mit das traurigste Kapitel - ist,
dass wir bei neun von zehn Mordfällen, bei den neun
Morden an Bürgern mit einer ausländischen Familienbiografie, feststellen mussten, dass das von mir vorhin
als zweites Kernversprechen des Rechtsstaates postulierte Versprechen nicht eingehalten worden ist. Es ist
bei neun von zehn Morden nicht ergebnisoffen und vorurteilsfrei, sondern ressentimentgeleitet ermittelt worden. Dafür müssen wir politische Verantwortung tragen.
Wir müssen durch bessere Personalauswahl, Aus- und
Weiterbildung dafür Sorge tragen, dass das Denken in
Teilen unserer Sicherheitsbehörden sich verändert. Ich
glaube auch, dass unsere Sicherheitsbehörden künftig
stärker die Vielfalt dieser Gesellschaft insgesamt auch in
ihren Strukturen widerspiegeln werden.
({6})
Ich möchte mich herzlich bedanken für eine unglaublich gute Zusammenarbeit bei den Kolleginnen und Kollegen im Ausschuss, bei den Obmännern, bei den Obfrauen. Ich möchte mich herzlich bedanken beim
Sekretariat, bei den Fraktionsreferentinnen und -referenten, bei unseren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in
den Abgeordnetenbüros. Ich denke, wir können am Ende
vielleicht sagen: Wir haben nicht jede Frage auflösen
können. Aber ich glaube, wir können über unsere Arbeit
sagen: Das, was wir tun konnten, haben wir aufrichtig
getan.
Ich danke für die Aufmerksamkeit.
({7})
Vielen Dank, Herr Kollege Edathy. - Bevor ich dem
Kollegen Binninger als nächstem Redner das Wort erteile, möchte ich der guten Ordnung halber Ihre Zustimmung zu der interfraktionellen Vereinbarung herbeiführen, dass die Aussprache zu diesem Bericht insgesamt
eineinhalb Stunden betragen soll. - Diesbezüglich besteht offenkundig Einvernehmen. Das ist damit ordentlich im Protokoll festgehalten.
Herr Kollege Binninger, Sie haben das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen
und Kollegen! Meine Damen und Herren! Liebe Angehörige der Familien der Opfer auf der Tribüne! Als kurz
nach dem Auffliegen des Terrortrios am 4. November
2011 der damalige Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz gesagt hat: „Das ist eine Niederlage für
die Sicherheitsbehörden“, habe ich das etwas erweitert,
und ich sage es heute noch einmal: Es war mehr als eine
Niederlage für die Sicherheitsbehörden. Dass in unserem
Land Menschen Opfer von Verbrechen wurden aufgrund
ihrer ausländischen Herkunft oder weil sie als Polizistin
oder Polizist für diesen Staat gearbeitet haben, das war
eine Niederlage für unsere gesamte Gesellschaft und
darf sich nicht wiederholen.
({0})
In den ersten Tagen und Wochen herrschte Fassungslosigkeit. Man suchte nach Erklärungsansätzen: Wie
kann es sein, dass ein Trio 1998 abtaucht und zwei Jahre
lang trotz intensiver Suche nicht gefunden wird, obwohl
es das Land kaum verlassen hat? Es begeht zehn Morde,
drei Sprengstoffanschläge und 14 Banküberfälle, und
niemand entdeckt sie. Man kommt nicht einmal auf die
Idee, dass es Rechtsterroristen sein könnten. Wie kann
das sein?
Das Vertrauen in die Arbeit der Sicherheitsbehörden,
nicht nur bei den Angehörigen der Opfer und der Überlebenden, war tief erschüttert. Auch das Vertrauen in unseren Rechtsstaat war ein Stück weit erschüttert. Deshalb
war es damals eine gute Entscheidung aller Fraktionen
des Deutschen Bundestages, diesen Untersuchungsausschuss gemeinsam einzusetzen. Bei allem, was uns
sonst politisch trennt, von Linkspartei bis FDP, haben
wir uns damals in die Hand versprochen: Wir arbeiten an
der Sache orientiert, im Interesse der Aufklärung, damit
Vertrauen wieder entstehen kann, und lassen Parteipolitik komplett beiseite. Dass das bis zur Beratung des Berichts am heutigen Tag gehalten hat, dafür von mir einen
herzlichen Dank an die Kollegen aller Fraktionen.
({1})
Der Untersuchungsausschuss hat aber auch gezeigt,
dass das deutsche Parlament in der Lage ist, die Exekutive zu kontrollieren. Wir hatten im Bund und nahezu in
allen Ländern mit vielen Stellen zu tun. Es war nicht immer einfach, Akten zu bekommen. Wir hatten manchen
Disput zu führen. Wir haben manchmal auch heftige Kritik geübt, wenn Akten zu spät kamen. Es bestand immer
ein Stück weit ein Spannungsverhältnis zwischen dem
Geheimhaltungsbedürfnis aus Sicht der Exekutive und
unserem Aufklärungsbedürfnis. Aber am Ende haben
wir - das muss man festhalten - alles bekommen, was
wir für unsere Arbeit gebraucht haben. Deshalb will ich
an die Adresse des Bunderates - die Bundesratsbank ist
voll besetzt - und auch des Bundesinnenministeriums
Dank sagen für die Zusammenarbeit bei einem schwierigen Thema. Sie haben uns unsere Arbeit machen lassen
und uns auch unterstützt, so wie wir das wollten.
({2})
Das mag dem einen oder anderen immer noch zu wenig
oder zu viel oder was auch immer sein, aber im Kern ist
festzuhalten: Wir haben im Sinne unseres Aufklärungsauftrages etwas erreicht.
Nun zu den Ursachen. Wie konnte es geschehen? Es
gibt nicht die eine Ursache für diese schreckliche Mordserie und ihr Nichtentdecken. Das Geschehen hat in einem Zeitraum von 13 Jahren stattgefunden, die Hälfte
der Bundesländer sind betroffen. Die eine Ursache gibt
es nicht, aber eines wurde deutlich: Diese Verbrechensserie, die sich über Ländergrenzen hinweg ereignet hat,
hat unsere föderale Sicherheitsarchitektur sehr schnell
und sehr deutlich an ihre Grenzen gebracht. Daraus müssen wir die Lehren ziehen, die wir in unseren Empfehlungen gezogen haben. Darauf werde ich später noch
eingehen.
Wenn wir über Ursachen reden, ist klar: Die Hauptkritik geht an die Behörden, deren Aufgabe es ist, die
Menschen in unserem Land, egal welcher Herkunft, vor
Verbrechen zu schützen. Das ist die Polizei, das sind die
Nachrichtendienste, und das ist die Justiz. Das sind die
Hauptadressaten unserer Kritik. Aber seien wir ehrlich:
Wir müssen uns auch selber einen Spiegel vorhalten. Ich
mache in diesem Haus seit 2002 Innenpolitik. Wer von
uns Innenpolitikern oder wer von den Mitgliedern in den
Innenausschüssen hat jemals bei dieser damals noch so
genannten Ceska-Mordserie daran gedacht, es könnten
Rechtsterroristen sein? Wer hat in den Medien jemals
diesen Vorwurf oder Verdacht geäußert? Niemand. Wie
häufig sind wir an diesen Fahndungsplakaten vorbeigelaufen, zum Beispiel am Flughafen? Wir haben sie gesehen, haben sie nach zwei Minuten vergessen und nicht
weiter darüber nachgedacht. Ja, sogar noch schlimmer:
Nicht einmal nach dem 4. November 2011 - das Trio
war wieder präsent; Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe
standen im Verdacht, den Polizistenmord begangen zu
haben - kam man auf die Idee, zu fragen: Sind das auch
die Mörder unserer ausländischen Mitbürger? Selbst da
kam niemand auf die Idee, nicht am 5. November, nicht
am 6., nicht am 7. und auch nicht am 8. November. Erst
als im Schutt des abgebrannten Hauses in Zwickau die
Ceska, die Tatwaffe, und die Bekenner-DVD gefunden
wurden, erst da war klar: Wir haben es hier mit den Tätern einer schrecklichen Mordserie zu tun. Dass wir
nicht darauf gekommen sind, dass niemand diesen Gedanken hatte, muss uns alle selbstkritisch stimmen und
für uns Anlass sein, darüber nachzudenken, woran das
lag. Da sind auch wir nicht frei von Kritik, wir alle zusammen, die wir hier Verantwortung tragen.
({3})
Wenn man die Ursachen zusammen betrachtet, stellt
man fest, dass vielleicht vier oder fünf Ursachen maßgeblich dafür sind, dass hier so viel schieflief. Vorneweg: Sicher wurden die Gefahren des gewaltbereiten,
des bewaffneten Rechtsextremismus wirklich kolossal
unterschätzt; das ist tragisch. Es ist nicht so, dass in all
diesen Jahren - 1998, 2000, 2002 oder auch danach Rechtsextremismus nicht bekämpft wurde - es gab Vereinsverbote; Blood & Honour wurde verboten; es gab
umfangreiche Ermittlungsverfahren zum Thema rechtsextremistische Musik -; aber in dem entscheidenden
Feld - wo haben wir einen gewaltbereiten Kern? - hat
man immer zu früh aufgehört. Das war einer der großen
Fehler. Er zieht sich im Prinzip durch die ganze Zeit,
auch durch die Arbeit der Sicherheitsbehörden. Auch
diese Unterschätzung des gewaltbereiten Rechtsextremismus darf sich nicht wiederholen.
({4})
Auf die Grenzen des Föderalismus habe ich schon
hingewiesen. Wer ist zuständig bei einer Mordserie, die
sich auf mehrere Bundesländer erstreckt, wenn der Generalbundesanwalt nicht zuständig ist? Wir hatten mehrere zuständige Polizeien, mehrere zuständige Staatsanwaltschaften. Alle Versuche, das zu bündeln, sind
immer wieder gescheitert. Erst wollten die Länder abgeben, da wollte das BKA nicht. Dann wollte das BKA
übernehmen, da wollten die Länder nicht. Und dann
noch einmal umgekehrt. Deshalb empfehlen wir eine
Regelung - das ist eine unserer 47 Empfehlungen -, dass
es bei solchen länderübergreifenden Verbrechen bei
Polizei und Justiz eine Stelle geben muss, die zuständig
ist. Ansonsten werden wir dieses Wirrwarr beim nächsten Mal wieder erleben. Das aber können wir uns im Interesse unseres Rechtsstaates, im Interesse unserer Demokratie wirklich nicht leisten. Deshalb muss es auch
hier eine Veränderung geben.
({5})
Die Zusammenarbeit zwischen Verfassungsschutz
und Polizei ist nicht einfach. Wir alle wissen, dass es dafür hohe rechtliche Hürden gibt. Aber bei einer Mordserie ist Zusammenarbeit möglich. So wie sie sich hier
dargestellt hat, ist sie mit dem Wort „schlecht“ noch unzureichend beschrieben. Sie hat nicht funktioniert. Wissen über das Trio, das beim Verfassungsschutz vorhanden war, ist nur in Bruchstücken bei der Polizei gelandet
oder gar nicht, weil man das Wissen gleich für sich behalten hat. Auch hier muss sich einiges ändern.
Dann das Thema V-Leute. Bei diesem Punkt haben
wir in letzter Konsequenz, über die Empfehlungen hinausgehend, keinen Konsens, in den Empfehlungen aber
schon. V-Leute sind keine Mitarbeiter von Sicherheitsbehörden. Sie sind Angehörige einer extremistischen
Szene und bleiben das auch. Im konkreten Fall heißt das:
Es sind Neonazis, die bereit sind, gegen Geld mit Sicherheitsbehörden zusammenzuarbeiten. Das ist ein schmaler Grat für den Rechtsstaat, und er wurde hier an manchen Stellen verlassen. Dass eine Sicherheitsbehörde in
Brandenburg mit einem V-Mann zusammenarbeitet, der
wegen versuchten Mordes an einem ausländischen Mitbürger verurteilt wurde, ist undenkbar. Das darf sich
nicht wiederholen. Hier überschreitet der Rechtsstaat
eine rote Linie.
({6})
Ich will aber auch deutlich sagen: Wir können auf das
Instrument der V-Leute nicht ganz verzichten. Es gibt in
diesen Phänomenbereichen abgeschottete Zirkel, an die
die Sicherheitsbehörden überhaupt nicht herankommen,
wenn sie dieses Instrument nicht haben. Aber es bedarf
einer grundsätzlichen Reform, es bedarf einheitlicher
Standards in allen Sicherheitsbehörden, wenn es um das
Thema V-Leute geht, weil in den letzten 15 Jahren Aufwand und Risiko des Einsatzes von V-Leuten im Bereich
Rechtsextremismus in keinem Verhältnis zum Erkenntnisgewinn standen. Das muss Anlass sein für dringende
und notwendige Reformen in diesem Bereich.
({7})
Der letzte Punkt, der bedrückendste, ist das frühe
Festlegen auf eine Ermittlungsrichtung: „Es muss organisierte Kriminalität sein“ oder, wie beim Sprengstoffanschlag in Köln 2004: „Es muss um die Türsteherszene
gehen“. Ganz wenig nur wurde in Richtung Rechtsextremismus ermittelt. Die Bayern haben 2006 diesen Versuch unternommen, wurden aber von den anderen
Behörden heftig kritisiert. In Köln wurde einmal kurz in
Richtung Rechtsextremismus ermittelt; dann wurde
diese Spur wieder verworfen. Immer wieder ging es in
Richtung organisierte Kriminalität - als ob es möglich
wäre, die Täter im Umfeld der Opfer zu finden.
Dass man im Umfeld der Opfer ermittelt hat, wie man
es bei schweren Verbrechen immer macht, ist nicht zu
kritisieren. Aber man hat immer weiter ermittelt, auch
wenn es keine Anhaltspunkte mehr gab; man hat nicht
mehr aufgehört. Man hat mit hohem Aufwand in diesem
Bereich ermittelt, hat die Opfer damit nochmals zu Opfern gemacht. Auch das ist etwas, was sich nicht wiederholen darf. Opfer dürfen durch Ermittlungen nicht ein
zweites Mal zu Opfern werden.
({8})
Für diesen Bereich haben wir einen ganzen Katalog
von Empfehlungen formuliert. Die Empfehlungen reichen im Prinzip von einer anderen Erfassung rechtsextremistischer Gewaltkriminalität - damit wir nicht
über statistische Aussagen streiten müssen, was das Phänomen angeht - über ein besseres Lagebild und mehr interkulturelle Kompetenz in allen Sicherheitsbehörden bis
hin zu einer Empfehlung, die ich wirklich für sehr wichtig halte: Nachdem wir viele Zeugen aus Sicherheitsbehörden vernommen haben, viele Mitarbeiter, Polizisten
und Ermittler, von denen viele - die meisten, würde ich
sagen - sehr betroffen, sehr einsichtig waren und denen
es selber zu schaffen macht, dass sie ihrem gesetzlichen
Auftrag nicht nachkommen konnten, und diese sicher
ihre Lehren aus diesen Fällen gezogen haben, ist es jetzt
notwendig, dass die Lehren aus dem NSU-Desaster Teil
des Wissens der Organisationen werden, damit auch zukünftige Generationen von Ermittlern wissen, was damals schieflief, und so sichergestellt werden kann, dass
das nicht mehr vorkommt. Deshalb lautet eine unserer
47 Empfehlungen, dass der gesamte Fall NSU - mit all
seinen Fehlern - Teil der Aus- und Fortbildung bei Polizei, Nachrichtendiensten und Justiz werden muss. Das
sage ich auch an die Adresse der Länder; das können wir
nicht alleine machen. Ich halte das aber für eine wichtige, dringende Empfehlung, die dazu beitragen kann,
dass sich solche Pannen und ein solches Versagen nicht
wiederholen. Das geht nur, wenn das Wissen darüber in
der Organisation stetig verankert wird. Das ist, wie gesagt, eine unserer Empfehlungen.
({9})
1 300 Seiten hat unser Abschlussbericht. Die Quintessenz sind 47 Empfehlungen, auf die sich alle Fraktionen im Konsens geeinigt haben. Es gab zwar die Möglichkeit, Sondervoten abzugeben, wenn eine Fraktion der
Auffassung war, Formulierungen präzisieren oder weitere Vorschläge machen zu müssen. Die CDU/CSUFraktion hat sich allerdings entschieden, auf solch ein
Votum zu verzichten. Wir sehen die Stärke dieser
47 Empfehlungen gerade darin, dass über sie Konsens
besteht. Dadurch entfalten sie einen Reformdruck, dadurch sind sie wirkmächtig - und verpflichten uns alle.
Diese 47 Empfehlungen, getragen von allen Fraktionen,
verpflichten uns alle - die Regierungen in Bund und
Ländern, die Parlamente in Bund und Ländern, die Gesellschaft als Ganzes -, aus dem, was geschehen ist, die
Lehren zu ziehen, dafür zu sorgen, dass sich so etwas
nicht wiederholt, und zu gewährleisten, dass Menschen,
egal woher sie kommen, in unserem Land willkommen
sind und keine Angst haben müssen, aufgrund ihrer Herkunft oder ihrer Religion Opfer einer Straftat zu werden.
Das ist das Versprechen, das wir hier heute abgeben und
an dem wir uns messen lassen.
Herzlichen Dank.
({10})
Nächste Rednerin ist die Kollegin Petra Pau.
({0})
Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zehn Morde, mindestens zwei Anschläge und zahlreiche bewaffnete Überfälle gehen auf das Konto der Nazibande namens „Nationalsozialistischer Untergrund“, kurz: NSU.
Wie andere auch war ich an etlichen Tatorten, um mir
ein Bild zu machen. Wir wollten uns nicht allein auf die
Akten verlassen. So war ich auch in der Kölner
Keupstraße. 2004 hatten Böhnhardt und Mundlos dort
eine Nagelbombe gezündet. Zwei Dutzend Anwohnerinnen und Anwohner wurden zum Teil lebensgefährlich
verletzt.
Mein Begleiter öffnete mir etliche Türen. Ich sprach
mit einigen Betroffenen des NSU-Anschlages, zum Beispiel mit dem Inhaber des Geschäftes, vor dem die
Bombe explodierte. Er sagte mir, dass er noch im Herbst
2011, also sieben Jahre nach dem Anschlag, von der
Polizei bedrängt wurde, er solle endlich aussagen, was er
mit alledem zu tun habe. Schließlich brach es aus ihm
heraus: Ich weiß, Frau Pau, auch die Polizei kann irren.
Aber sie haben vergessen, dass wir Menschen sind. Und
das kann ich nicht verwinden. - Mein Begleiter lud mich
danach zu einem Glas Tee ein. Zum Abschied fragte er
mich dann fast verzweifelt: Ich lebe jetzt seit 40 Jahren
in Deutschland. Ich bin Deutscher, meine Kinder sind
Deutsche, meine Enkel auch. Wo sollen wir denn hin? Ich gestehe, ich konnte ihm nur die Hand drücken.
Diese Geschichte ging mir immer dann durch den
Kopf, wenn Zeugen im Ausschuss beteuerten, man habe
alles richtig gemacht und sei vollständig ohne Schuld.
Dann habe ich mich jeweils für sie geschämt.
Der Abschlussbericht des Untersuchungsausschusses
ist öffentlich. Er ist ein gemeinsames Dokument aller
Fraktionen - von der CDU/CSU-Fraktion bis zur Fraktion Die Linke. Viele Kommentatoren haben den Anspruch und die Kultur im Ausschuss gewürdigt. Einer
meinte dagegen, das sei kein Grund zum Lob, sondern
zeige doch nur, wie es ansonsten im Bundestag zugehe.
Ich finde, auch darüber sollten wir einmal nachdenken.
({0})
Gleichwohl danke ich allen Mitgliedern des Ausschusses und ebenso allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Die Zusammenarbeit war auch für mich eine
Mut machende Erfahrung. Und: Sie war bitter nötig. Wir
sahen uns in der Schuld der Opfer und ihrer Angehörigen, und wir konnten nichts wiedergutmachen. Umso
mehr aber galt unsere Botschaft Art. 1 des Grundgesetzes: Die Würde des Menschen ist unantastbar - aller
Menschen.
Der Abschlussbericht des Ausschusses enthält knapp
vier Dutzend Vorschläge, was als Konsequenz aus dem
NSU-Desaster dringend zu ändern sei. Der Kollege
Binninger hat sie hier umfassend vorgestellt; ich muss
das nicht wiederholen. Hinzu kommen Zusatzvoten der
Fraktionen. Sie markieren Differenzen, durchaus gravierende. Ich möchte drei für die Linke skizzieren:
Erstens. Das Staatsversagen im NSU-Komplex hatte
zwei wesentliche Ursachen - Zitat aus unserem Votum -: die Verharmlosung und Vertuschung der Gefahren des Rechtsextremismus durch staatliche Stellen einerseits und den institutionellen Rassismus andererseits.
Die rechtsextreme Gefahr wurde bis 2011 verlässlich
unterschätzt und auch verharmlost. Eine rechtsterroristische Gefahr gäbe es nicht, hieß es in nahezu allen Lageeinschätzungen der Sicherheitsbehörden. „Wir hätten
es besser wissen müssen …“, kommentierte der damalige Chef des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Heinz
Fromm, danach. Zu spät!
Das Wort „Rassismus“ wiederum wird offiziell weiterhin gemieden, noch mehr die Einschätzung, es gebe
so etwas wie institutionellen Rassismus. Ich bleibe dabei: Die NSU-Mordserie war rassistisch motiviert, und
die Ermittlungen trugen rassistische Züge. Damit sage
ich nicht, die Ermittler seien Rassisten, wohl aber, dass
in vielen Behörden ein Geist herrscht, der Rassismus bedient. Das hat Ursachen. Das beginnt bei Gesetzen, die
Asylsuchende und Zuwanderer menschlich degradieren.
Und das mündet in einen Generalverdacht gegen das
vermeintlich Undeutsche. Beispiele dafür finden wir in
den Untersuchungsakten en masse. Deshalb haben die
Türkische Gemeinde und der Zentralrat der Sinti und
Roma recht, wenn sie fordern: Wer das NSU-Desaster
ernst nimmt, muss endlich auch das Thema Rassismus
auf die Tagesordnung setzen!
({1})
Zweitens. Wir waren uns im Untersuchungsausschuss
einig, dass die Ämter für Verfassungsschutz im Zentrum
des Versagens agierten. Gleichwohl ziehen wir unterschiedliche Schlüsse. Im Votum der Linken heißt es:
Der nachrichtendienstlich arbeitende Verfassungsschutz war Herz und Motor des sicherheitspolitischen Debakels …
Verknappt gesagt: Der Verfassungsschutz hat die Ermittlungen gegen das NSU-Trio behindert, und er hat
zugleich durch seine V-Leute-Kumpanei mit Nazis Verfassungsfeinde gestärkt - beides systematisch. Deshalb
bleibt die Linke dabei: Die unsägliche V-Leute-Praxis
aller Sicherheitsbehörden ist sofort einzustellen. Und:
Die Ämter für Verfassungsschutz sind als Geheimdienste
aufzulösen.
({2})
Sie sind als solche weder kontrollierbar noch reformier-
bar.
Drittens. Auch die Prävention gegen Rechtsextremis-
mus und Rassismus war Thema im Ausschuss - insbe-
sondere bei Expertenanhörungen. Die Urteile über das
geltende System waren teilweise vernichtend. Gesell-
schaftliche Initiativen werden ungenügend gefördert,
stattdessen häufig kriminalisiert. Die Linke teilt diese
Kritik. Wir schlagen über die gemeinsamen Empfehlun-
gen hinaus ein neues Modell vor. Es korrespondiert mit
unserer zivilgesellschaftlichen Alternative zu den Äm-
tern für Verfassungsschutz als Geheimdienste.
Wir plädieren a) für eine „Koordinierungsstelle zur
Dokumentation gruppenbezogener Menschenfeindlich-
keit“ und b) für eine „Bundesstiftung zur Beobachtung,
Erforschung und Aufklärung gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit“. Beide sollen parteifern und wissenschaftsnah sein. Die Koordinierungsstelle soll für die
Analyse zuständig sein. Der Stiftung soll auch die Betreuung gesellschaftlicher Initiativen obliegen.
Wir sind der festen Überzeugung - ich denke, das eint
uns -: Dem Rechtsextremismus ist mit kurzem Atem
nicht beizukommen. Rassismus und gruppenbezogene
Menschenfeindlichkeit wiederum beschränken sich nicht
auf den rechten Rand. Die aktuelle Förderung für gesellschaftliche Initiativen dagegen ist kurzatmig und beschränkt. Wir brauchen hier also einen neuen Ansatz.
({3})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, gestatten Sie mir,
noch zwei Abschlussgedanken vorzutragen: Bundeskanzlerin Angela Merkel hat auf der Trauerfeier im Februar 2012 den Angehörigen und den überlebenden Opfern der NSU-Mord- und -Anschlagsserie vollständige
Aufklärung versprochen. Davon kann bis heute keine
Rede sein. Die Arbeit des Untersuchungsausschusses
wurde auch noch von Regierungen und Behörden auf
Bundes- und Landesebene behindert; übrigens - ich gestehe, auch das schmerzt mich persönlich - ganz egal
welche Parteiflaggen die jeweiligen Regierungen hissen.
Sie alle lassen mit diesen Behinderungen nicht nur die
Bundeskanzlerin mit ihrem Versprechen im Regen stehen, sondern - schlimmer noch - auch die Opfer und
Hinterbliebenen. So als sei nichts gewesen!
Damit zu meinem zweiten Schlussgedanken. Der Ausschuss hat wider alle Blockaden viel ermittelt. Wir haben
in staatliche Abgründe geschaut, politisches Versagen aufgedeckt, und wir haben - der Kollege Binninger hat es
schon für das gesamte Parlament gesagt - auch uns sehr
viele selbstkritische Fragen zu stellen. All das ist umfangreich dokumentiert, mit dringenden Empfehlungen.
Deshalb möchte ich mit einem Lessing-Zitat schließen:
Wer wird nicht einen Klopstock loben? Doch wird ihn jeder lesen? - Nein. Wir wollen weniger erhoben und fleißiger gelesen sein.
Ich danke Ihnen.
({4})
Das Wort erhält nun der Kollege Hartfrid Wolff.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die
Morde der Zwickauer Zelle sind die bislang schwerwiegendste Kette von rechtsextremistisch motivierten Gewaltverbrechen, die die Bundesrepublik Deutschland je
erlebt hat.
Die im Laufe der Zeit zutage getretenen Fehler der
Behörden sind erschütternd. Wir reden hier von einem
gravierenden Vertrauensverlust in die Fähigkeiten der
Sicherheitsbehörden. Wie konnte es möglich sein, dass
die rechtsextremen Terroristen 13 Jahre im Untergrund
unbehelligt leben und morden konnten? - Und: Wir reden von einem Vertrauensverlust in die rechtsstaatlichen
Abläufe in Behörden. Weshalb wurden warum welche
Akten gelöscht? Warum waren Beamte und V-Leute
beim Ku-Klux-Klan aktiv?
Wir haben von Anfang an auf eine lückenlose parlamentarische Aufklärung gedrängt. Ich bin froh, dass wir
im Januar 2012 einvernehmlich über alle Parteigrenzen
hinweg im Deutschen Bundestag diesen Untersuchungsausschuss einsetzen konnten. Die in dieser Form einmalige parteiübergreifende Zusammenarbeit eines Untersuchungsausschusses, noch dazu in Wahlkampfzeiten, hat
mich persönlich sehr beeindruckt. Der Untersuchungsausschuss hat die Aufklärungsarbeit erheblich vorangebracht: seriös und konsequent. Ich glaube, dass wir
durch das gemeinsame Vorgehen den Opfern und ihren
Angehörigen so eher gerecht werden konnten.
Jede Fraktion hat ihre eigenen Standpunkte gehabt.
Aber vieles haben wir auch gemeinsam einschätzen und
bewerten können: Die Sicherheitsbehörden müssen sich
dringenden Reformen unterziehen. Der Druck zur Neuaufstellung bei der Polizei, bei den Diensten und in der
Justiz steigt mit dem parteiübergreifenden Bericht des
Untersuchungsausschusses. Insbesondere die Einbeziehung der Opferangehörigen muss deutlich besser werden.
Auch der Bericht der Regierungskommission, der
vergangene Woche vorgestellt wurde, macht den Reformbedarf deutlich:
Wir brauchen bei polizeilichen Ermittlungen über
Ländergrenzen hinweg klarere Lösungen. Es darf wegen
fehlender Zusammenarbeit der Polizei nicht mehr zu diesen unglaublichen Sicherheitslücken kommen. Auch
deshalb braucht der Generalbundesanwalt frühere und
mehr eigene Prüfungs- und Ermittlungszuständigkeiten.
Wir fordern eine Reform der Geheimdienste an Haupt
und Gliedern. Das V-Mann-Wesen, die Ausbildung der
Verfassungsschützer und die Kontrolle der Dienste brauchen stabilere rechtsstaatliche Anker.
Wir brauchen einige Nachrichtendienste nicht mehr.
({0})
Die Bundesländer sind in der Pflicht. Es ist unglaublich, wie teilnahmslos einige agiert haben. Die Länder
müssen jetzt konkretere Vorschläge vorlegen. Kein weiteres Lavieren! Kein weiteres Taktieren! Ich wünsche
mir mehr Mut zum Wohle und zur Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger. Die parlamentarische Kontrolle der
Nachrichtendienste muss dringend verbessert werden.
Sowohl im Bund als auch in den Ländern bestehen hier
erhebliche Defizite. Unsere Vorschläge dazu liegen auf
dem Tisch.
Für die parlamentarische Kontrolle im Bundestag gilt:
Wir brauchen jederzeitigen Zugang zu allen Vorgängen,
eine vorige Kontrolle der internen Dienstanweisungen
und einen ständigen Sonderermittler des Kontrollgremiums quasi als verlängerten Arm der Parlamentarier.
Rechtliche Kontrollhindernisse - und davon gibt es einige - wie das Verbot für die Mitarbeiter der Dienste,
sich ohne Einbindung des Behördenleiters an das Kontrollgremium wenden zu können, müssen weg.
Meine Damen und Herren, auch wenn der Untersuchungsausschuss gemeinsam viel geleistet hat und verdienstvoll in die Aufklärung eingestiegen ist: Es sind
noch viele Fragen offen geblieben. Nur einige Beispiele:
Die Finanzquellen des Mördertrios sind nicht ausreichend geklärt. Über die bekannten Banküberfälle alleine
Hartfrid Wolff ({1})
konnte sich der NSU dieses Leben über 13 Jahre nicht finanziert haben. Die drei hatten nicht einmal 360 Euro im
Monat, weniger als Hartz IV. Wie aber haben sie sich
sonst finanziert?
Die erheblichen internationalen Implikationen, zum
Beispiel in die Schweiz, sind vom Ausschuss so gut wie
gar nicht behandelt worden - und das, obwohl wir sehen,
wie stark das internationale Netzwerk Blood & Honour
gerade im Umfeld des NSU aktiv war.
Wichtige Bundesländer wie zum Beispiel Berlin und
Baden-Württemberg haben noch nicht ausreichend Akten geliefert. Baden-Württemberg hat zudem erst im
März dieses Jahres eine eigene Ermittlungsgruppe „Umfeld“ eingerichtet, deren Endergebnisse wir nicht kennen
und damit nicht bewerten können. Die baden-württembergische Landesregierung hat den Untersuchungsausschuss deutlich verzögert. Der baden-württembergische
Ministerpräsident Kretschmann und Innenminister Gall
müssen ihr Versprechen einlösen und endlich aktiv zur
Aufklärung beitragen.
({2})
Schließlich ist damit zu rechnen, dass, wie es bereits
in den letzten Monaten der Fall war, bei dem Prozess am
Oberlandesgericht München, der noch bis 2014 läuft,
weitere Details bekannt werden. Der Generalbundesanwalt führt zwei weitere Ermittlungsverfahren. Hier
darf der Bundestag die Aufklärung nicht einfach einstellen.
Ich begrüße ausdrücklich, dass der Untersuchungsausschuss dem Antrag der FDP gefolgt ist, dass die Aufbewahrung der Akten im Deutschen Bundestag deutlich
verlängert wird.
({3})
Meine Damen und Herren, es wird wahrscheinlich
nicht mehr alles seit 1992 bis in letzte Details aufgeklärt
werden können. Doch schon an diesen wenigen noch offenen Themen sieht man: Man kann trotz aller Aufklärungsleistung nicht mit gutem Gewissen sagen, dass das
im Einsetzungsbeschluss, wie von allen Parteien festgehalten, angestrebte Gesamtbild vorliegt; diese Forderung
ist noch nicht ausreichend erfüllt. Überall geht die Aufklärung weiter; auch wir dürfen nicht anhalten. Deshalb
halte ich es für richtig, dass wir nach der Wahl weitermachen und den Untersuchungsausschuss in der kommenden Legislaturperiode, getragen von allen Fraktionen,
fortsetzen. Wir brauchen mehr Zeit, um besser aufklären
zu können: zur Bekämpfung des Rechtsextremismus in
Deutschland und international, für eine rechtsstaatliche
Grundierung und Stärkung unserer Sicherheitsbehörden
sowie dazu, um den Opferschutz und eine vertrauensgetragene Integration wieder und neu voranbringen zu können.
Wir alle haben die Verantwortung, die bestmöglichen
Lehren aus dieser grausamen Mordserie zu ziehen. Einiges haben wir im Untersuchungsausschuss gemeinsam
erreicht und dargelegt. In den Ländern und im Bund
müssen jetzt einschneidende Verbesserungen folgen. Die
FDP hat viele Vorschläge gemacht und wird sich weiterhin mit großem Engagement einbringen.
Wegducken hilft nicht. Dringende Reformen sind nötig.
({4})
Wolfgang Wieland ist der nächste Redner.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Leitende Kriminaldirektor Wolfgang Geier, der Chef der
BAO „Bosporus“, sagte bei uns als Zeuge Folgendes:
Deshalb müssen Sie auch überlegen, was es ausgelöst hätte, wenn wir mit einer Theorie, mit einer
Hypothese an die Öffentlichkeit gehen und … sagen würden: Da gibt es Rechtsradikale, die fahren
durch Deutschland und knallen Ausländer ab.
Diese Hypothese wäre die Wahrheit gewesen, wie wir
heute wissen. Sie hätte zunächst einmal ausgelöst, dass
das Leid der Opferfamilien verkürzt wird, die immer
wieder hören mussten, dass ihre ermordeten Angehörigen Teil einer Drogenmafia seien. Diese Familien wären
dann endlich - auch öffentlich - als Opfer rechtsradikaler Taten gesehen worden. Es ist ein entsetzliches Versäumnis, im Rahmen einer bewusst verfolgten Medienstrategie hiermit hinter dem Berg gehalten zu haben.
({0})
Man hätte auch die Chance gehabt, nun endlich energisch und bundesweit nach möglichen Rechtsterroristen
zu fahnden und Mörder in Bayern nicht nur im Großraum Nürnberg und Bombenleger in Köln nicht nur im
Großraum Köln zu suchen, als lebten wir alle auf Inseln
und nicht in einem Gesamtstaat, als hätten wir den Blick
nicht wenigstens über den Tellerrand hinaus richten können. Dass Mörder das Risiko, entdeckt zu werden, minimieren, indem sie ihre Taten schlicht im benachbarten
Bundesland ausführen, kann schlechterdings nicht mit
Föderalismus erklärt werden. Hier gab es Blockaden.
({1})
Hier wurde die Zusammenarbeit geradezu verweigert,
insbesondere vom Bundesamt für Verfassungsschutz,
das auf einen Hilferuf aus Bayern nichts anderes mitzuteilen hatte als erstens: „Bei uns gibt es keine Ansprechpartner“, zweitens: „Wenn Sie etwas wollen, bitte
schriftlich und formentsprechend“, und drittens: „Es gibt
auch Landesämter“. Arbeitsverweigerung an höchster
Stelle! Deswegen gehen wir Grüne auch weiter, als wir
es gemeinsam formuliert haben. Wir meinen, es ist nötig,
dass dieses Bundesamt wegen unscharfer Analysen und
mangelhafter Informationen aufgelöst und dann personell und strukturell neu aufgestellt werden muss.
({2})
Noch etwas kommt hinzu. Die Einstellung, dass nicht
sein kann, was nicht sein darf, hat die gesamten Ermittlungen durchzogen. Es ist offenbar eine Art bundesrepublikanische Staatsdoktrin gewesen, dass rechtsextreme
Täter immer Einzeltäter sind, und zwar nicht nur beim
Oktoberfestattentat in München. Das ging bis hin zur
Begriffsbildung. Bei der Polizei galt immer die Organisationstheorie, in deren Mittelpunkt die kriminelle Organisation stand. Wenn es sich aber um rechtsradikale Täter handelte, galt die Einzeltätertheorie. Das, was wir
vorgefunden haben, nämlich eine rechtsterroristische Organisation, war begrifflich überhaupt nicht vorgesehen.
Hier muss analysiert werden. Hier muss sich etwas verändern.
Natürlich gab es auch gruppenbezogene Vorurteile
noch und nöcher. Wir haben an einzelnen Stellen auch
Rassisten erlebt, beispielsweise Ku-Klux-Klan-Mitglieder. Aber ich finde die Formulierung viel besser, die wir
in unserer gemeinsamen Bewertung gefunden haben, die
da lautet: „Auf dem rechten Auge betriebsblind“. So war
es. Das haben wir gesehen. Das ist schlimm genug, und
das muss sich verändern.
({3})
Wir haben des Weiteren festgestellt - das muss man
auch sagen -: In der Demokratie gibt es politisch Verantwortliche. Da kann man nicht beim Ersten Hauptkommissar der Kriminalpolizei stehen bleiben. Ich sage als
Kompliment an die Adresse der Kolleginnen und Kollegen von Union und SPD - wir hatten niemanden, den
wir schützen konnten -: Sie haben keine Rücksicht genommen. Die Innenminister waren leider Teil des Problems und nicht Teil der Lösung, und zwar ohne jede
Ausnahme. Sie waren teils inaktiv wie Wolfgang
Schäuble oder Fritz Behrens aus Nordrhein-Westfalen,
teils sogar blockierend wie Volker Bouffier oder sehr aktiv und Empathie zeigend wie Günther Beckstein, der
aber im Ergebnis zu sehr auf sein Bundesland und seine
Zuständigkeit konzentriert war.
Last, but not least ist Otto Schily zu erwähnen, der
mit einer falschen Ansage einen Tag nach dem Bombenanschlag in der Kölner Keupstraße die falsche Ermittlungstendenz in Richtung organisierte Kriminalität bestätigt hat, und zwar mit der nicht durch Fakten
gedeckten Aussage, es gebe Hinweise auf den Bereich
der organisierten Kriminalität. Wenn wir politische Verantwortung ernst nehmen, dann müssen wir auch hier
ansetzen und sagen: Erkannte und ausgesprochene Mängel - der Vizepräsident des BKA sprach von kriminalfachlich stümperhaft organisierten Ermittlungen - wurden nicht abgestellt.
({4})
Letzte Bemerkung dazu von mir: Die Justizministerkonferenz, deren Staatsanwaltschaften die Herrinnen der
Ermittlungsverfahren sind, hat sich gleich gar nicht damit beschäftigt. Wir müssen sagen, dass sich auch das
Verhältnis von Staat und Zivilgesellschaft bessern muss,
dass der Kampf gegen Rechtsextremismus kein Spezialgebiet nur von Justiz, Polizei und Nachrichtendiensten
ist, sondern dass er vor allen Dingen Teil der Zivilgesellschaft ist. Hier wollen wir Dialog, hier wollen wir Zusammenarbeit, aber kein Kujonieren haben. Das, was
hier vorgelegt wurde, ist ein Arbeitsprogramm für die
nächste Bundesregierung, wie auch immer sie aussehen
wird. Es wurde einheitlich, gemeinsam vorgelegt; daran
kommt man nicht so schnell vorbei. Das sehe ich wie der
Kollege Binninger. Es ist auch ein Arbeitsprogramm für
den nächsten Bundestag, dem ich nicht mehr angehören
werde.
Deswegen darf ich hier zum Schluss sagen: So konfliktfrei und unpolemisch, wie die Zusammenarbeit in
diesem Untersuchungsausschuss war, kann die politische
Arbeit nicht immer sein. Ich danke den Kolleginnen und
Kollegen dafür. Außerdem danke ich den vielen Kolleginnen und Kollegen in allen Fraktionen - das ist kein
Ritual, und das ist keine Floskel; es gab sie wirklich -,
mit denen ich sehr gut, sehr intensiv, teilweise auch sehr
streitig über die Jahre zusammengearbeitet habe. Ein
Parlament braucht sich für Streit nicht zu entschuldigen.
Dieser ist konstituierend;
({5})
allerdings sollte er mit Niveau, mit persönlichem Anstand und mit Glaubwürdigkeit geführt werden.
Vielen Dank.
({6})
Lieber Kollege Wieland, da Sie für den nächsten
Deutschen Bundestag nicht wieder kandidieren, ist dies
eine gute Gelegenheit, Ihnen für die Arbeit in diesem
Hause in den vergangenen beiden Legislaturperioden
herzlich zu danken, auch für die politische Arbeit zuvor
in anderen politischen Ämtern und Funktionen. Ich verbinde diesen Dank mit der Hoffnung und der sicheren
Erwartung, dass Sie gerade diesem Anliegen auch außerhalb des Parlaments verbunden bleiben.
Vielen Dank.
({0})
Das Wort erhält nun die Kollegin Eva Högl.
({1})
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Bundespräsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine
sehr geehrten Damen und Herren! Der rechtsextreme
Terror des NSU war ein Anschlag auf unsere Demokra32588
tie. Wir alle waren gemeint, unsere Demokratie und unser Rechtsstaat. Deswegen war es richtig und sehr wichtig, dass der Deutsche Bundestag sich dieser Frage
angenommen und einen Untersuchungsausschuss eingesetzt hat.
Dieser Untersuchungsausschuss - das ist schon gesagt worden - war ein ganz besonderer. Ich kann all
diejenigen verstehen, die damals skeptisch waren und
gesagt haben: Untersuchungsausschüsse sind Kampfinstrumente der Opposition; dieses Instrument eignet sich
nicht bei rechtsextremem Terror. - Für mich war dieser
Untersuchungsausschuss - anders als für den Kollegen
Wieland, der, glaube ich, vielen, wenn nicht allen Untersuchungsausschüssen, angehört hat - der erste Untersuchungsausschuss, und er hat für mich Maßstäbe gesetzt.
Wir haben diesen Untersuchungsausschuss zu einem
Kampfinstrument der Aufklärung gemacht.
({0})
Dass uns das gelungen ist, dafür möchte auch ich allen
Kolleginnen und Kollegen, allen unseren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ganz herzlich danken. Es war wirklich ein kollegiales Miteinander, das diese Aufklärung
möglich gemacht hat. Ich möchte einem Kollegen ganz
besonders danken: Lieber Clemens Binninger, ohne dich
- ich sage es ganz deutlich - wären manche Einigkeit,
mancher Konsens, mancher Kompromiss nicht möglich
gewesen. Ich danke dir für die gute Zusammenarbeit,
auch weil ich weiß, dass du, anders als wir anderen, ganz
besonders viel Gegenwind an der einen oder anderen
Stelle aushalten musstest. Auch das muss einmal gesagt
werden. Herzlichen Dank dafür!
({1})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir hatten durchaus
Hindernisse in diesem Untersuchungsausschuss, zum
Beispiel die Aktenvernichtung im Bundesamt für Verfassungsschutz am 11.11.2011 - ausgerechnet am
11.11.2011 - in Köln. Das hat nicht nur unsere Arbeit
behindert, sondern auch viel Vertrauen zerstört. So hatten wir viele Hindernisse. Aber über eines habe ich mich
ganz besonders geärgert: die fehlende Bereitschaft der
zahlreichen Zeugen, Fehler einzugestehen und Verantwortung zu übernehmen.
Wenn eine rechtsextreme Mörderbande 14 Jahre lang
untertaucht, zehn Morde begeht, zwei Sprengstoffanschläge und zahlreiche Banküberfälle verübt, dann müssen Fehler begangen worden sein. Dass niemand in der
Lage war, dafür die Verantwortung zu übernehmen, das
hat mich sehr enttäuscht.
({2})
Wir haben flächendeckendes Versagen gefunden: der
Polizei, des Verfassungsschutzes, der Justiz und auch der
politisch Verantwortlichen. Wir haben das aufgedeckt.
Es war nicht eine Aneinanderreihung von sogenannten
handwerklichen Fehlern oder, wie manchmal verniedlichend gesagt wird, von Pannen Einzelner. Das gab es
zwar auch, aber was wir gefunden haben, war ein Versagen der Sicherheitsbehörden mit strukturellen Ursachen.
Wir haben dieses Versagen an allen Tatorten gefunden,
von Hamburg über Köln, Dortmund, Kassel bis nach
München und Nürnberg, bis nach Rostock, in Thüringen
und in Sachsen. Insofern sind handwerkliche Fehler
keine Erklärung für dieses flächendeckende Versagen.
Ich möchte zwei der strukturellen Gründe nennen:
Erstens - das ist schon angesprochen worden; ich will
es noch einmal betonen -: Rechtsextremismus ist in unserem Land über Jahre, ja, Jahrzehnte verkannt und verharmlost worden. Rechtsextremismus ist nicht gesehen
worden als Gefahr für unsere Demokratie. Das darf nie
wieder geschehen.
({3})
Der Verfassungsschutz unterließ eine profunde Gefährdungsanalyse - er hat die Gefahr nicht gesehen -, und
der Polizei fehlte es an Kenntnis über das Verhalten
rechter Gewalttäter. Deswegen ist insbesondere die Reform des Verfassungsschutzes ein wichtiger Baustein unserer Empfehlung.
Zweitens - diese Erkenntnis hat mich zutiefst erschüttert und uns alle sprachlos gemacht -: Die Tatsache, dass
neun der zehn Mordopfer und alle Opfer der Sprengstoffanschläge einen Migrationshintergrund hatten, hat
die Polizei und die Ermittlungsbehörden zu der Annahme geführt, dass die Opfer selbst kriminell gewesen
seien. Das haben wir überall gefunden, und das hat uns
sehr erschüttert.
Was konkret haben wir gefunden? Wir haben bei den
Ermittlungsbehörden überall routinisierte Verdachtsund Vorurteilsstrukturen gefunden, die rassistisch basiert
waren. Meine Damen und Herren, das ist eine erschreckende Erkenntnis.
Um dies deutlich zu machen, will ich als Beispiel den
Mord an Enver Simsek anführen. Mich hat sehr erschüttert, was ich in den Akten gefunden habe: Es war Günther
Beckstein, der damalige Innenminister in Bayern, der
auf einen Zeitungsartikel, in dem vom Mord an Enver
Simsek berichtet wurde, schrieb: Könnte nicht „ausländerfeindlicher Hintergrund denkbar“ sein? - Günther
Beckstein kannte den Blumenstand, weil er selbst dort
Blumen kaufte. Für ihn war Enver Simsek kein Drogendealer, sondern der Blumenhändler.
Das zeigt, wie sehr es darauf ankommt, wie wir uns
wahrnehmen, wie wir miteinander umgehen, welche
Prägungen wir haben und welche Vorurteile. Deswegen
sage ich hier ganz deutlich: Wir sind es den Opfern und
den Angehörigen schuldig, dass wir dieses strukturelle
Problem in unseren Sicherheitsbehörden offen benennen.
({4})
Durch den verengten Blick der Ermittlungsbehörden
geriet auch das familiäre Umfeld in den Fokus der Ermittler. Wir werfen es der Polizei überhaupt nicht vor,
dass sie im Umfeld ermittelt - das ist normale PolizeiarDr. Eva Högl
beit -; aber wenn elf Jahre lang in die falsche Richtung
ermittelt wird und eine Ermittlungsrichtung systematisch
aus dem Blick genommen wird, dann müssen wir das
ganz deutlich kritisieren. Die Angehörigen hatten nicht
nur den Verlust eines lieben Menschen zu verkraften,
sondern auch Verdächtigungen vonseiten der Ermittlungsbehörden zu ertragen.
Deswegen haben wir zwei Forderungen, die ganz
wichtig sind. Die erste haben wir gemeinsam - das ist unsere Forderung Nr. 1, liebe Kolleginnen und Kollegen -,
und zwar, dass immer dann, wenn eine Person mit Migrationshintergrund Opfer eines Gewaltverbrechens wird,
die Polizei aufgefordert ist, nachzuprüfen, ob es sich um
einen rassistischen, rechtsextremen Hintergrund handelt.
Die zweite Forderung ist - das sagt die SPD in ihrem
Teil der Empfehlungen ganz deutlich -: Wir brauchen
eine unabhängige Beschwerdestelle bei der Polizei, an
die sich alle wenden können und bei der sie eine gute
Beratung bekommen können. Das halten wir für dringend erforderlich und für eine wichtige Konsequenz aus
dem, was wir gefunden haben.
({5})
Meine Damen und Herren, wir haben mit dem Bericht
des Untersuchungsausschusses ein breites Maßnahmenbündel vorgelegt; 47 Empfehlungen, die alle Fraktionen
tragen. Deswegen sage ich es ganz deutlich, liebe Kolleginnen und Kollegen: Ich erwarte von allen Mitgliedern
des nächsten Deutschen Bundestages, von allen, die hier
wieder sitzen werden, von allen Kolleginnen und Kollegen in den Bundesländern, von allen Regierungen, von
allen Behörden, dass diese Empfehlungen nicht in der
Schublade verschwinden, sondern wirksam umgesetzt
werden.
({6})
Ich selbst will gern dazu beitragen; ich denke, es ist unsere gemeinsame Verpflichtung, genau das in der nächsten Legislaturperiode zu tun.
Gleichzeitig bitte ich die Öffentlichkeit, alle zivilgesellschaftlichen Gruppen, alle Bürgerinnen und Bürger
und vor allen Dingen die Medien, die unsere Arbeit mit
viel Engagement begleitet haben, Sie alle, meine sehr
geehrten Damen und Herren, ausdrücklich darum, dass
Sie nicht lockerlassen, bis wir diese 47 Empfehlungen
und darüber hinaus alles, was wir noch für notwendig erachten, um die Missstände zu beseitigen, umgesetzt haben und wir tatsächlich wirksam reformiert haben. Lassen Sie uns alle gemeinsam alles dafür tun, dass wir
Rassismus und Rechtsextremismus wirklich wirksam
bekämpfen! Das ist unsere gemeinsame Aufgabe.
Herzlichen Dank.
({7})
Ich erteile das Wort dem Kollegen Stephan Stracke.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten
Damen und Herren! Über 13 Jahre hinweg ist es nicht
gelungen, die Straftaten, die der Terrorzelle NSU zur
Last gelegt werden, zu verhindern, aufzuklären und die
Täter dingfest zu machen. Das ist eine bedrückende Niederlage unserer Sicherheitsbehörden in Bund und Ländern; das ist eine Niederlage für ganz Deutschland. Der
allergrößte Teil der Zeugen, die wir im Ausschuss vernommen haben, stehen zu dieser Erfolglosigkeit. Es nagt
an ihnen, und es ist ihnen nicht gleichgültig; das war offenkundig. Nur der geringste Teil hat die Verbrechen ad
acta gelegt.
Es ist gut, dass den mutmaßlichen Tätern nun der Prozess gemacht wird. Es wird aufgeklärt, es wird aufgearbeitet, und die Schuldigen werden zur Rechenschaft gezogen. Das ist die Antwort des Rechtsstaates.
Es ist gut, dass sich nach dem Auffliegen des Terrortrios der Deutsche Bundestag - erfreulicherweise über
alle Fraktionsgrenzen hinweg - darin einig war, gründlich aufzuklären, die Arbeit der Sicherheits- und Ermittlungsbehörden schonungslos zu durchleuchten und daraus die notwendigen Schlüsse zu ziehen.
Der Untersuchungsausschuss war das richtige Instrument der Aufklärung.
Wir haben innerhalb von 16 Monaten das Unterste
nach oben gekehrt. Unsere Arbeit war von Konsens geprägt. Alle Beweisbeschlüsse, Zeugenbenennungen und
Verfahrensanträge haben wir einstimmig beschlossen.
Diese Einstimmigkeit hat ihre Wirkung entfaltet, auch
wenn es eine nicht immer einfache Gratwanderung war.
Die rechtlichen Spielräume, gerade was das Aktenmoratorium angeht, wurden bis an die äußersten Grenzen genutzt. Das war notwendig.
Bayern war der Eisbrecher bei der Vorlage von Akten.
Es war eine ganz gewaltige Leistung, die die Behörden
in Bund und Ländern, aber auch die Bundestagsverwaltung, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Bundestages und der Fraktionen geleistet haben, um uns schnell
und strukturiert zuzuarbeiten. Allen Mitarbeiterinnen
und Mitarbeitern sage ich als stellvertretender Ausschussvorsitzender hierfür ein herzliches „Vergelts Gott!“.
({0})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, als zentrale
Erkenntnis unserer Ausschussarbeit ist festzuhalten: Entgegen manch vorschneller Mutmaßung und Spekulation
zu Beginn unserer Arbeit gibt es keine Kumpanei irgendeiner Behörde mit dem NSU oder seinem Unterstützerumfeld. Es gibt keine augenzwinkernde oder gar offene Unterstützung durch irgendeine Behörde. Es gibt
keinen Beleg dafür, dass das Trio oder dessen mutmaßliches Unterstützerumfeld jemals V-Personen einer Sicherheitsbehörde waren. Diese Erkenntnis ist wichtig,
stellt sie doch einen Eckpfeiler dar, erschüttertes Ver32590
trauen in die Arbeit unserer Sicherheitsbehörden wieder
aufzubauen.
Das Bild von der Arbeit unserer Behörden in Bund
und Ländern ist facettenreich. Schwarz-Weiß-Malerei ist
sicherlich nicht angebracht. Wir sind allerdings auf eine
Fülle von zum Teil schweren behördlichen Versäumnissen, Fehlern und Verstößen gestoßen. Den einen kausalen Fehler, bei dessen Vermeidung das Trio hätte dingfest gemacht werden können, haben wir nicht gefunden.
Patentlösungen, wie die von uns festgestellten Fehler
und Versäumnisse in Zukunft abgestellt werden können,
haben wir nicht. Wir befinden uns auf der ersten Etappe
einer noch langen Wegstrecke. Diese Wegstrecke werden wir entschlossen gehen und meistern. Das sind wir
den Opfern, den Angehörigen der Opfer und uns selbst
schuldig.
({1})
Wir wollen, dass unsere Sicherheitsarchitektur besser
dasteht als zuvor. Daran arbeiten wir.
Einiges hat sich während der Untersuchungszeit bereits
verändert. Die ersten richtigen Schlüsse wurden gezogen,
notwendige Reformen begonnen und zum Teil schon umgesetzt. Es ist ermutigend, dass mit der Einrichtung des
Gemeinsamen Abwehrzentrums gegen Rechtsextremismus die 36 Sicherheitsbehörden von Bund und Ländern
nun an einem Tisch sitzen und sich fallbezogen austauschen. Es ist ermutigend, dass mit der Errichtung der
Rechtsextremismusdatei Polizei und Verfassungsschutz
jetzt besser in der Lage sind, ihre Erkenntnisse miteinander zu teilen und Zusammenhänge aus dem Dunkeln zu
holen. Und es ist ermutigend, dass sich das Bundesamt
für Verfassungsschutz an Haupt und Gliedern erneuert.
Manche Verkrustungen sind aufgebrochen, auch und gerade im Verfassungsschutzverbund. Das muss weiter vorangetrieben werden.
Hieran, an diesen richtigen und wichtigen Schritten
von Bundestag und Bundesregierung, knüpfen wir mit
unseren Empfehlungen an. Wir machen 47 Vorschläge
zu weiteren Verbesserungen in den Bereichen Polizei,
Justiz und Verfassungsschutz. Sie werden von allen
Fraktionen mitgetragen und unterstützt. Diese Vorschläge sind konkret, gut und wertig. Deswegen haben
wir als Bundestagsfraktion der CDU/CSU auch ganz bewusst auf parteipolitische Ergänzungen verzichtet. Der
gemeinsame Schlussfolgerungsteil steht für sich.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Regeln
der Zusammenarbeit im Föderalismus, zwischen Bund
und Ländern, und die Möglichkeiten zum Informationsaustausch müssen klarer und einfacher werden. Die Behörden müssen rechtssicher und rechtsklar das tun können, was wir von ihnen erwarten. Das ist und bleibt
zentral, wenn es um eine effektive Verbesserung der tagtäglichen Arbeit unserer Sicherheitsbehörden geht.
Meine Erwartungshaltung ist, dass dieser Ansatz, wenn
er zur konkreten Umsetzung ansteht, nicht dogmatischen
Überlegungen geopfert wird.
Dieser Untersuchungsausschuss war das richtige Instrument der Aufklärung. Er hat sich dadurch ausgezeichnet, dass über alle Parteigrenzen hinweg entschlossen aufgeklärt und gemeinsame Schlussfolgerungen
gezogen wurden. Das macht diesen Ausschuss einzigartig. Ich verbinde damit die Erwartung, dass daraus
tatsächlich die gemeinsame Kraft zur Veränderung erwächst.
Unsere Empfehlungen legen wir Ihnen, meine werten
Kolleginnen und Kollegen, und dem neu zu wählenden
Bundestag in die Hände. Der Beginn ist gemacht. Jetzt
heißt es: Umsetzen.
Herzlichen Dank.
({2})
Das Wort erhält nun der Kollege Hans-Christian
Ströbele.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Verehrte Angehörige der Ermordeten und selbst Geschädigte! Naziterror gab es im vereinigten Deutschland
nicht erst ab dem Jahr 2000. Naziterror gab es bereits
Anfang der 90er-Jahre. Ich habe in dem Prozess gegen
die Mörder von Menschen türkischer Herkunft, die in
Mölln in ihrem Haus grausam verbrannt sind, die Nebenklage vertreten. Von daher habe ich eine Ahnung davon, was Sie durchgemacht haben und wahrscheinlich
immer noch durchmachen. Deshalb fühle ich mich gerade Ihnen und allen, die sich gefährdet sehen, heute und
in den letzten über anderthalb Jahren, seit die Mordserie
des Nazitrios bekannt geworden ist, besonders verpflichtet.
({0})
Seinerzeit wurden die Mordtaten relativ schnell aufgeklärt, vor Gericht verhandelt, und es kam vor dem
Oberlandesgericht in Schleswig zu einer Verurteilung. In
diesem Falle war die Situation völlig anders. Wir standen immer wieder vor einem Abgrund von Unfähigkeit,
Inkompetenz, Konkurrenzdenken, bürokratischer Ignoranz, Uneinsichtigkeit, aber auch rassistischer Vorurteile,
rassistischen Denkens.
Ich will Ihnen dazu ein Beispiel nennen, das mich bis
heute umtreibt: Im April 2006 gab es eine Analyse der
Polizei in Bayern, in der zum ersten Mal wohlbegründet
dargelegt wurde, dass es sich um Einzeltäter handeln
müsse, und zwar aus der rechtsextremistischen Szene.
Das gefiel vielen anderen Polizeien nicht. Hamburg hat
sich dagegen gewehrt, das BKA wollte das nicht hören,
aber auch Polizeien der anderen Länder - gerade auch
der Länder, in denen Morde passiert waren - wollten das
nicht hören. Deshalb wurde die Polizei in Baden-Württemberg beauftragt, eine zweite sogenannte OFA, also
eine Operative Fallanalyse, zu erstellen. Diese lag dann
im Januar 2007 vor.
Jetzt komme ich auf diese Analyse zu sprechen. Die
Theorie der bayerischen Kollegen, dass es sich um Einzeltäter aus der rechtsextremen Szene handele, wurde
darin kategorisch abgelehnt. Es wurde eine „Gruppierung … mit kriminellen Aktivitäten“ und einem „rigiden
Ehrenkodex“ bzw. einem „rigiden inneren Gesetz“ erfunden, zu der alle neun Opfer Kontakt gehabt haben
sollen. Diese Gruppierung habe wegen Verletzung eines
Ehrenkodex jeweils Todesurteile verhängt und dann
vollstreckt, so die Analyse.
Aber diese Gruppierung gab es überhaupt nicht. Der
Ermittlungsstand damals war, dass es eben keine Gruppierung gab, zu der alle neun Kontakte gehabt haben.
Weiter heißt es in der Analyse - es wird noch schlimmer -:
Dabei
- bei dieser Gruppierung ging es vermutlich … um die Sicherung … einer in
der Gruppe ideell verankerten Wirklichkeit, z. B.
Status, Prestige, Ehre … ({1}).
Die Gemeinsamkeit, die Verbindung wurde in der türkischen Sprache gesehen. Dann heißt es abschließend:
Auch spricht der die Gruppe prägende rigide Ehrenkodex eher für eine Gruppierung im ost- bzw. südosteuropäischen Raum ({2}).
Ist das kein Rassismus?
Danach schließe ich mich der Forderung an, die
heute, als wir uns vorhin getroffen haben, auch in Ihrem
Kreise geäußert worden ist, und sage: Konsequenz muss
nicht nur sein, die 47 Punkte umzusetzen, die der Untersuchungsausschuss beschlossen und in seinen Bericht
aufgenommen hat und die ich mittrage, sondern Konsequenz muss auch sein - neben diesen vielen anderen
Konsequenzen -, dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die so versagt haben - beim Verfassungsschutz,
bei den Polizeien -, ausgetauscht werden, damit sie nicht
da weiterarbeiten können, wo sie dieses Versagen gezeigt haben. Es ist doch absurd, etwa den Kriminalhauptkommissar, der maßgeblich an dieser Analyse mitgewirkt hat, oder die Leute, die ihm geholfen haben, an
derselben Stelle weiterzubeschäftigen.
({3})
Herr Kollege.
Es kann nicht sein, dass diese Versager einfach weitermachen. So können wir den Menschen in Deutschland, auch Ihnen, nicht mehr Sicherheit vor rechtsextremistischem Terror versprechen.
({0})
Patrick Kurth ist der nächste Redner.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Bundespräsident! Sehr geehrte Angehörige der Opfer! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Der Abschlussbericht des
2. Untersuchungsausschusses liegt vor. Ich schließe
mich dem, was hier von allen Fraktionen gesagt worden
ist, umfänglich an. Dieser Untersuchungsausschuss war
ein besonderer. Alle Beweisanträge wurden einstimmig
beschlossen. Wir haben 47 Beschlusspunkte vorgelegt.
Es ging nicht um Wahlkampf, sondern um Aufklärung.
Ich möchte aber auf ein paar Punkte hinweisen, die
nach dem 4. November 2011 bei der Arbeit des Untersuchungsausschusses und in dessen Umfeld eine Rolle
gespielt haben. Nach dem 4. November ging in ganz
Deutschland zu Recht das Entsetzen um: Man war erschrocken, entsetzt, man empfand Scham, und zwar
- das will ich hier deutlich sagen - auch in Mitteldeutschland, auch in Ostdeutschland. Wir hatten danach
eine kurze Zeit, in der bezüglich einiger Regionen in
Deutschland eine - vielleicht nachvollziehbare - Skepsis
herrschte, die - vielleicht im Affekt - Forderungen bezüglich der Frage nach sich zog, wie man mit diesen Regionen umgehen sollte. Städte wie Jena, Chemnitz oder
Zwickau haben aus eigener Kraft gezeigt: Sie sind nicht
der Herd des Rechtsextremismus; Rechtsextremismus ist
ein gesamtdeutsches Problem. Er ist in diesen Städten
nicht besonders stark ausgeprägt; das will ich deutlich
sagen. Nach der Brandrede des ehemaligen Oberbürgermeisters von Jena, unseres Kollegen Dr. Peter Röhlinger,
ist auch vielen hier im Saal deutlich geworden, vor welcher Herausforderung diese Länder, diese Regionen
stehen. Ich bedanke mich auch dafür, dass die entsprechenden Vorurteile hier im Haus sehr schnell wieder abgebaut worden sind.
({0})
Ich möchte mich sehr herzlich auch beim Innenministerium des Landes Thüringen bedanken. Sie erinnern
sich an diese Posse: Wie geht man damit um, dass Akten
aus Thüringen nach Berlin geliefert werden sollen? Das
ging so weit, dass man sich Tatort-Szenen ausgemalt hat:
Diese Fahrzeuge könnten auf der Autobahn angehalten
werden, weil es um nationale Sicherheitsinteressen
gehe. - Also herzlichen Dank nach Thüringen.
Aber natürlich bleibt weiterhin die Frage bestehen:
Warum wurden die Akten, die hierher transportiert worden sind, eigentlich neu sortiert? Wer hat denn veranlasst, dass diese Akten neu sortiert worden sind, sodass
wir im Untersuchungsausschuss des Bundestages nicht
über die gleiche Sortierung der Aktenlage verfügten wie
Patrick Kurth ({1})
beispielsweise unsere Kollegen in Thüringen? Ich bleibe
dabei: Diese Neusortierung war nicht gerechtfertigt. Sie
hat Arbeit gemacht und Zeit gekostet. Wir konnten nicht
genau wissen, ob wir die gleichen Akten wie unsere
Thüringer Kollegen in den Händen hielten.
Stichpunkt: Zeugeneinvernahmen. Ich fand es hervorragend, dass der Ausschuss auch bereit war, manche
Hinhaltetaktik einfach nicht hinzunehmen. Die Vernehmungen waren professionell; sie waren angemessen. Wir
bleiben auch hier bei unserer Kritik an einem Lavieren
mancher Geheimdienste. Das ging bis zum Gedächtnisschwund, was manchmal schon sehr eindrucksvoll war,
sodass man sich bei manchen Verfassungsschützern oder
auch Geheimdienstlern fragte, ob denn überhaupt die
Dienstfähigkeit gegeben ist. Das unterschied sich - das
möchte ich deutlich sagen - von manchen Kriminalisten,
die plötzlich im Ausschuss darüber redeten, was sehr erfolgreich war. Diese Zeugen aus dem Kriminalbereich
machten Aussagen, die aus unserer Sicht sehr weitgehend waren.
Am Ende möchte ich sagen: Es gibt viele übrig gebliebene Themen. Es gibt viele offene Probleme. Der
4. November wurde im Ausschuss gar nicht behandelt.
Der Weg der Waffe wurde nur unzureichend behandelt.
Die V-Mann-Problematik in Oberfranken ist gar nicht
behandelt worden. Wir stehen dafür ein, dass wir in der
nächsten Legislaturperiode an der Stelle weitermachen,
an der wir jetzt aufgehört haben. Es ist ein umfangreiches Kompendium - darauf kann dieses Haus stolz sein -,
das wir mit dem Abschlussbericht vorgelegt haben. Wir
sagen aber, es kann ein Zwischenbericht sein. Der Abschlussbericht folgt dann, wenn die Fragen geklärt sind,
die jetzt noch offen sind. Davon gibt es einige.
Herzlichen Dank.
({2})
Sönke Rix ist der nächste Redner.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos, Beate Zschäpe diese Namen kannten wir erst, als das NSU-Trio aufgeflogen und als Mordbande enttarnt worden ist. Aber es
gab natürlich auch eine Zeit davor, also bevor sie in den
Untergrund gingen. Auch da waren sie schon als Nazis
aktiv. Ich glaube, meine sehr geehrten Damen und Herren, es lohnt sich, noch einmal genauer hinzugucken,
wie es bei ihnen angefangen hat.
Erstens. Sie waren als Nazis aktiv. Schon zu der Zeit,
als sie mit Sprengstoff gehandelt haben oder mit Sprengstoff umgegangen sind, sind die Behörden auf sie aufmerksam geworden und waren hinter ihnen her. Was haben die Behörden getan? Sie haben sie leichtfertig als
„Jenaer Bombenbastler“ bezeichnet. Aber der Zusammenhang zwischen der Tatsache, dass sie Nazis mit einer
menschenverachtenden Ideologie waren, und ihren Plänen, mit dem Sprengstoff nicht irgendwo im Wald irgendwelche Bäume hochzujagen, sondern wahrscheinlich menschenverachtende Taten zu begehen, ist damals
von den Sicherheitsbehörden leider nicht gesehen worden. Deshalb ist es richtig, wenn wir erkennen, dass es
bei den Sicherheitsbehörden wahrscheinlich eine Unterschätzung des Rassismusproblems in unserer Gesellschaft gegeben hat.
({0})
Zweitens. Sie waren Besucher von Jugendklubs; sie
waren als Jugendliche auf der Straße unterwegs. Wenn
sie gerade nicht bei einer Nazidemo auf der Straße standen, vielleicht das Hakenkreuz an ihrem Revers trugen
oder die Naziflagge hochgehalten haben, dann waren sie
in Jugendklubs und sind dort auf sogenannte anerkennende oder akzeptierende Jugendarbeit gestoßen. Ich
glaube, auch da lohnt es sich, genauer hinzugucken.
Denn was ist dort passiert? Man hat sie gewähren lassen.
Man hat sie nicht abgeholt. Man hat sie nicht angenommen. Man ist nicht mit ihnen umgegangen, weil man sie
nicht verschrecken wollte.
Wären sie vorher auf demokratische Initiativen gestoßen, die sich für eine Stärkung von Toleranz und Demokratie einsetzen, wären sie vielleicht von ihrem Weg abgekommen. Vielleicht hätte man sie auffangen können.
Was bedeutet das aber für die Zukunft? Das bedeutet,
dass genau diese Initiativen zur Stärkung von Zivilgesellschaft, zur Stärkung von Demokratie und Toleranz
von uns unterstützt werden müssen. Sie brauchen unsere
Unterstützung, und das dauerhaft.
({1})
Deshalb freue ich mich sehr, dass alle Fraktionen im
Untersuchungsausschuss gemeinsam beschlossen haben,
dem Parlament zu empfehlen, die Finanzierung der zivilgesellschaftlichen Organisationen, die sich für eine Stärkung von Demokratie und Toleranz einsetzen, auf eine
gesetzliche Grundlage zu stellen und wegzukommen von
Modellförderung und Projektförderung.
({2})
- Da dürfen Sie ruhig mitklatschen, liebe Kolleginnen
und Kollegen von der CDU/CSU und von der FDP; denn
das haben Sie mitbeschlossen.
Das haben wir übrigens schon einmal beschlossen, als
wir über das Thema Antisemitismus beraten haben.
({3})
Auch für diesen Bereich haben wir beschlossen, eine
dauerhafte Finanzierung der Initiativen vorzunehmen.
Leider haben wir uns bis heute damit Zeit gelassen. Ich
hoffe, wir lassen uns beim jetzt vorliegenden Beschluss
nicht so viel Zeit wie beim Beschluss zur Bekämpfung
des Antisemitismus.
({4})
Abschließend will ich noch auf die Debatte über Rassismus eingehen. Ich glaube, es ist wichtig, dass wir über
Rassismus sprechen; denn Rassismus findet tatsächlich
nicht nur am rechten Rand unserer Gesellschaft statt.
Rassismus ist nicht ein Problem, dass es irgendwo in irgendwelchen Ecken gibt, sondern Rassismus gibt es in
der Mitte unserer Gesellschaft. Deshalb bedarf es sehr
dringend einer Debatte über Rassismus und einer Auseinandersetzung mit rassistischen Vorurteilen. Wir können die Sicherheitsbehörden und auch die Justiz nicht
davon ausnehmen; denn auch dort gibt es rassistisches
Gedankengut und entsprechende Strukturen. Deshalb
rufe ich die Sicherheitsbehörden auf, sich mit diesem
Problem intensiv auseinanderzusetzen. Es bedarf dieser
Auseinandersetzung.
({5})
Zum Schluss möchte ich sagen: Wir haben gemeinsam viele Punkte beschlossen, und es ist in einer Demokratie gut, dass es Unterschiede bei der Frage gibt, wie
unser gemeinsames Ziel, nämlich Demokratie und Toleranz zu stärken, erreicht werden kann. Gerade auf diesem Feld darf man über die richtigen Wege streiten.
Wir haben gemeinsam 47 Punkte beschlossen. Es darf
nicht länger als ein Jahr dauern, bis wir diese angehen.
Wir dürfen es nicht zulassen, dass wir diese Debatte am
Ende der nächsten Wahlperiode erneut führen. Deshalb
rufe ich uns alle auf, diesen Auftrag wirklich ernst zu
nehmen und dieses Thema gleich in der nächsten Wahlperiode ganz oben auf die Tagesordnung zu setzen.
Herzlichen Dank.
({6})
Nächster Redner ist der Kollege Tankred Schipanski.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine Damen und Herren! Der am 26. Januar 2012 eingesetzte Untersuchungsausschuss zeichnet sich dadurch
aus, dass wir bis zur heutigen Debatte gemeinsam, ohne
Blick auf Parteizugehörigkeit oder landsmannschaftliche
Verbundenheit, aufgeklärt und nun sogar konsensual
Schlussempfehlungen erarbeitet haben.
Lassen Sie mich auf Grundlage des vorliegenden Berichtes Folgendes ausdrücklich festhalten: Der Bericht
führt uns vor Augen, dass es verheerende Defizite bei
den Ermittlungen gab. Der Bericht stellt aber auch klar,
dass es nicht den einen großer Fehler bei den Ermittlungen gab, sondern sich verschiedene Fehler summiert haben. Der Bericht stellt fest, dass es nicht den einen Verantwortlichen, den einen Schuldigen gab, sondern dass
viele Verantwortungsträger ihrer Verantwortung nicht
gerecht wurden.
Der Bericht zeigt nicht mit dem Finger auf ein Bundesland oder eine Behörde, er nimmt vielmehr drei Sicherheitsbehörden, nämlich den Verfassungsschutz, die
Polizei und die Justiz, genau unter die Lupe. Es sind alle
Bundesländer, mit deren Arbeit wir uns kritisch auseinandergesetzt haben, wenn auch einige von ihnen in einem besonderen Fokus standen.
Bevor wir in die Beweisaufnahme eingetreten sind,
haben wir eine Sachverständigenanhörung durchgeführt,
die ganz klar eines belegt hat: Rechtsextremismus ist
kein ostdeutsches Phänomen, sondern ein in ganz
Deutschland bestehendes Problem. Aber speziell mit
Blick auf die neuen Länder, insbesondere Thüringen, haben wir sehr deutlich herausgearbeitet - ich darf aus unserem Bericht zitieren -:
… dass schleppend verlaufende polizeiliche Ermittlungen gegen Neonaziaktivisten mit darauffolgenden Verfahrenseinstellungen durch Staatsanwaltschaften oder Gerichte in den 1990er-Jahren in
Thüringen zum Alltag gehörten. Damit vermittelten
sowohl Polizei als auch Staatsanwaltschaft und Gerichte den Eindruck, dass rechtsextrem motivierte
Straftaten nur halbherzig verfolgt würden und die
Täter letztendlich kaum mit schwerwiegenden Konsequenzen zu rechnen hätten.
Genau das hat zur Radikalisierung dieses Trios beigetragen.
Wir haben festgestellt, dass den Ermittlungsbehörden
eine bewusste Unterstützung der Terrorgruppe oder Untätigkeit nicht vorzuwerfen ist, aber wir haben von ihnen
mehr Einsatz in der Sache, mehr Engagement, ein stärkeres vernetztes Handeln und ein gemeinsames Miteinander erwartet. Insbesondere gelten diese Worte für die
Institution des GBA, also des Generalbundesanwalts.
Der Bericht setzt sich notwendigerweise im Besonderen
mit der Rolle des GBA auseinander. Wir empfehlen,
Qualitätsstandards für die Prüfvorgänge seiner Zuständigkeit in Staatsschutzsachen einzuführen.
In Übereinstimmung mit den verschiedenen Aufklärungsgremien der Exekutive stellen wir in unserem Bericht des Weiteren fest, dass es sowohl personenbezogene Mängel wie auch organisatorische Mängel in den
Sicherheitsbehörden gab. Wir mussten erkennen, dass
die Informationskultur oder -unkultur von einem Risiko-,
Geheimnis- und Abschottungsdenken der Sicherheitsbehörden untereinander geprägt war, und wir mussten
erkennen, dass unser Sicherheitsföderalismus zu Mehrfachzuständigkeiten sowie zu einer zunehmenden Aufgaben- und Befugnisüberschneidung zwischen verschiedenen Behörden führt.
Des Weiteren haben wir in der Ausschussarbeit erlebt,
dass die Zusammenarbeit und die Informationspolitik
der Bundesländer sehr unterschiedlich ausgeprägt waren. An dieser Stelle ein herzliches Dankeschön an Thüringen für seine weitreichende Transparenz, welche die
Arbeit des Ausschusses beförderte.
({0})
Wir haben aber auch erleben müssen, dass die Fähigkeit, einen Fehler einzugestehen und Konsequenzen daraus zu ziehen, leider nicht bei jedem vorhanden ist. Ein
trauriges Beispiel dafür war der ehemalige Präsident des
Landesamtes für Verfassungsschutz Thüringen, Roewer.
Ein trauriges Beispiel war aber auch - Clemens
Binninger hat vorhin darauf hingewiesen - der Einsatz
des V-Mannes „Piato“ durch das Landesamt für Verfassungsschutz in Brandenburg. Ein wegen versuchten
Mordes Inhaftierter wurde dort als V-Mann auserkoren.
Es ist erschreckend und beschämend, dass das Landesamt den Einsatz eines solchen V-Mannes bis heute rechtfertigt.
Der Bericht gibt nicht auf jede Frage eine Antwort.
Deswegen muss man aber nicht erneut einen Untersuchungsausschuss einberufen. Der Bericht geht auch
nicht jeder Verschwörungstheorie nach. Antworten erwarten wir aber insbesondere mit Blick auf den 4. November 2011, also auf die Ereignisse in Eisenach. Das ist
eine Aufgabe, der sich jetzt der Untersuchungsausschuss
in Thüringen annimmt. Auch nicht beantworten konnten
wir die Frage, ob es sich bei der Polizistin Michèle
Kiesewetter - der Mord in Heilbronn - um ein Zufallsopfer handelte. Hier ermittelt eine Arbeitsgruppe des
Landes Baden-Württemberg.
Meine Damen und Herren, verstehen Sie unseren Bericht nicht nur als Kritik. Sehen Sie diesen Bericht auch
als Ermutigung. Gerade durch unsere Schlussfolgerungen wollen wir die Leistungen der deutschen Sicherheitsbehörden verbessern. Die gemeinsam, fraktionsübergreifend formulierten Schlussfolgerungen sind
Ratschläge, nicht nur an den Deutschen Bundestag und
die Bundesregierung, sondern insbesondere auch an die
Innen- und Justizministerkonferenz. Leider wissen wir,
dass die föderalen Gremien die Ratschläge dieses Hohen
Hauses ungern beachten, auch wenn sie sehr gut passen.
In diesem Sinne soll uns dieser Abschlussbericht nicht
nur beschweren, sondern uns vor allen Dingen auch Impulse geben. Aus dem Erlebten wollen wir letztlich Lehren für die Zukunft ziehen.
Das vertrauliche Gespräch, das wir vor dieser Debatte
mit den Angehörigen der Opfer geführt haben, hat uns
nochmals die Notwendigkeit vor Augen geführt, das verloren gegangene Vertrauen in die Sicherheitsbehörden
wiederherzustellen. Stephan Stracke hat auf verschiedene Maßnahmen, die die Bundesregierung bereits ergriffen hat, hingewiesen. Ich darf an die Stärkung der gesellschaftlichen Prävention erinnern. Wir haben die
Mittel für die politische Bildung aufgestockt, das Programm „Zusammenhalt durch Teilhabe“ ausgeweitet
und das Aussteigerprogramm „Exit“ fortgesetzt.
Aber nicht nur die Bundesregierung und der Bundestag haben gehandelt. Auch die Bundesländer unternehmen erste Schritte. In Thüringen wurde im Jahr 2012 das
Landesverfassungsschutzgesetz geändert, um den Informationsaustausch zwischen Polizei und Verfassungsschutz zu verbessern und die parlamentarische Kontrolle
zu stärken. Das sind erste richtige Schritte. Sie waren
wichtig. Weitere Arbeit muss aber folgen, um Vertrauen
zurückzugewinnen.
Obwohl die Arbeit des Untersuchungsausschusses
mit dem heutigen Tag beendet ist, beginnt die eigentliche Arbeit erst jetzt. Parlamente und Regierungen werden ihre Arbeit mit Blick auf unsere Schlussfolgerungen
fortsetzen müssen. Das zeigt die heutige Debatte sehr
ausdrücklich. Darüber werden wir gemeinsam in diesem
Hohen Hause aufmerksam wachen. Ich denke, das sind
wir den Opfern und den Angehörigen in höchstem Maße
schuldig; denn nur so kann neues Vertrauen entstehen.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({1})
Vielen Dank, Herr Kollege Schipanski. - Nächster
Redner für die Fraktion der FDP ist unser Kollege
Serkan Tören. Bitte schön, Kollege Serkan Tören.
({0})
Herr Präsident! Herr Bundespräsident! Meine sehr
verehrten Damen und Herren! Vorab zwei kurze Bemerkungen:
Erstens. Ich bin zwar erst seit vier Jahren Mitglied
dieses Hauses. Aber das, was ich heute bei dieser Debatte über dieses wichtige Thema erleben durfte, würde
ich - vielleicht greife ich damit zu hoch - als eine Sternstunde des Parlaments bezeichnen. Ich möchte mich dafür bei allen Fraktionen bedanken. Vielen Dank!
({0})
Zweitens. Heute sind Angehörige der Opfer anwesend; sie verfolgen diese Debatte. Es ist nicht selbstverständlich, dass diese Angehörigen unsere Einladung
angenommen haben. Sie sind seinerzeit bei den Ermittlungen von Opfern zu Tätern gemacht worden. Dass sie
hierherkommen, zeigt: Das Vertrauen mag erschüttert
sein, aber es ist noch vorhanden. Unsere Aufgabe besteht
nun darin, das Vertrauen vollständig wiederherzustellen,
meine Damen und Herren.
({1})
Die Worte, die Sie, Frau Bundeskanzlerin, in der Gedenkstunde gefunden haben, waren sehr hilfreich. Sie
waren ein Signal, ein Zeichen, dass die Angehörigen
nicht alleine dastehen und wir alles Mögliche tun werden, um den Sachverhalt aufzuklären. So verstehe ich
auch die Aufgabe dieses Untersuchungsausschusses und
dieses Berichts.
Vieles haben wir, die Mitglieder des Untersuchungsausschusses, in den vergangenen 16 Monaten zutage gefördert. Da war zunächst einmal die katastrophale Zusammenarbeit der Sicherheitsbehörden in der gesamten
Bundesrepublik, die mehr von Egoismus und persönlichen Eitelkeiten der handelnden Personen geprägt war
als von guter und zielgerichteter Zusammenarbeit.
Neben diesem behördeninternen Desaster muss aber
auch der Umgang mit den Opferfamilien angesprochen
werden. Die Ermittlungsarbeit im Zusammenhang mit
den Morden im gesamten Bundesgebiet und den zwei
Anschlägen in Köln war in weiten Teilen von erschreckender Einseitigkeit geprägt. Sicherlich: Statistisch gesehen gibt es bei den meisten Kapitalverbrechen in der
Bundesrepublik einen Bezug zum privaten Umfeld. Dies
kann und darf aber nicht dazu führen, dass andere Motive bei den Ermittlungsarbeiten völlig vernachlässigt
werden.
Die einseitige Ermittlungsarbeit ist vor allem bei den
Ermittlungen im Zusammenhang mit dem Anschlag in
der Kölner Keupstraße zutage getreten. So gab es Videos
von den vermeintlichen Tätern, die eindeutig zeigten,
dass die Täter keinen Migrationshintergrund hatten.
Aber diese Erkenntnis hatte für die Ermittlungsarbeit
keinerlei Konsequenzen. Es wurde weiter im Bereich der
Migranten ermittelt. Man konnte fast den Eindruck gewinnen, dass für die Behörden alles schön einfach
zusammenpasste. Türsteherszene, Mafia, Ausländerkriminalität - das passte zusammen. Das waren die Stereotype, die es in den Behörden gab.
Drei Handlungsempfehlungen, die ich für besonders
wichtig halte, möchte ich hervorheben. Was gilt es nun
zu tun? Deutschland ist ein Einwanderungsland; das
dürfte mittlerweile jeder akzeptiert haben. Dies muss
aber auch Auswirkungen auf die Sicherheitsbehörden
haben. Wir brauchen also erstens mehr Migranten in den
Sicherheitsbehörden. Das gilt nicht nur für die untere
Ebene, sondern auch für die Entscheiderebene. Daran
mangelt es sehr.
({2})
Zweitens - das ist schon genannt worden - soll in Zukunft in jedem Fall von Gewaltkriminalität gegenüber
Migranten verpflichtend überprüft werden, ob es einen
extremistischen bzw. rechtsextremistischen Hintergrund
gibt. Auch das ist richtig. Drittens müssen wir die interkulturelle Kompetenz stärken, auch im Rahmen der Ausbildung bei der Polizei.
Noch eine kurze Bemerkung zum institutionellen
Rassismus - dieses Thema ist hier oft angesprochen
worden -: Institutionellen Rassismus haben wir - das ist
auch unserem Bericht zu entnehmen - wirklich nicht
feststellen können. Wer behauptet, dass es ihn gibt, der
sorgt für Verunsicherung, auch bei den Opferfamilien.
Ich denke, damit tut man der Sache keinen guten Dienst.
({3})
Wer so etwas behauptet, muss seine Behauptung auch
ein bisschen konkretisieren. Denjenigen, die so etwas
behaupten, gelingt das aber nicht.
({4})
Abschließend noch zwei kurze Sätze - sie sind mir
wichtig, auch angesichts der Tatsache, dass Angehörige
der Opfer hier sind -: Değerli mağdurları aileleri ve
vatandaslar, siz bu toplumun bir parcassiniz. Bizim icin
önemlisiniz.
Vielen Dank.
({5})
Vielen Dank, Kollege Serkan Tören. - Nächster und
letzter Redner in unserer Aussprache ist unser Kollege
Armin Schuster für die Fraktion von CDU und CSU.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen
und Herren! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen!
Wir haben bei den Opfern des NSU-Trios und ihren Angehörigen einiges gutzumachen. Wie sehr uns das am
Herzen liegt, haben, glaube ich, die letzten 90 Minuten
eindrucksvoll gezeigt. Lassen Sie mich zusammenfassend ein Schlaglicht auf diese Debatte werfen.
Der NSU-Untersuchungsausschuss wurde medial
- Herr Bundestagspräsident, vielleicht bis auf heute - in
den letzten 18 Monaten sehr gut begleitet. Die Öffentlichkeit hat großen Anteil daran genommen. Und doch
habe ich ein wenig die Sorge, dass unsere Ergebnisse zu
sehr nur auf die Sicherheitsbehörden projiziert werden.
„Desaströses, historisches Versagen der Sicherheitsbehörden“, das waren die Überschriften der vergangenen
zwei Wochen. Die Bürger verstehen darunter logischerweise vorwiegend Polizei und Verfassungsschutz. Das
ist natürlich nicht falsch; aber die Schuld so eng zu begrenzen oder zu verorten, das wäre mir politisch zu kurz
gesprungen. Es entspricht nicht den Erkenntnissen des
Ausschusses, und es würde den berechtigten Erwartungen der Familien der Opfer auch nur eingeschränkt
Rechnung tragen.
Sie werden jetzt sagen: Klar, da redet ein Polizist. Weit gefehlt, meine Damen und Herren, ich will das Bild
der Polizei oder des Verfassungsschutzes nicht weichzeichnen. Angesichts der Fehler waren die letzten
16 Monate gerade für mich als ehemaligen Polizeibeamten schmerzvoll; das gebe ich gerne zu. Aber die Sicherheitsbehörden sind in Deutschland nicht frei schwebend,
sondern Bestandteil des demokratischen Systems - zusammen in einem Netzwerk mit Staatsanwaltschaften,
Gerichten, Regierungen, Parlamenten, den Medien und
der Gesellschaft.
Armin Schuster ({0})
({1})
Ein Beispiel: Wir bezeichnen die Staatsanwaltschaft
gegenüber der Polizei als sogenannte Herrin des Ermittlungsverfahrens. Bis 2004 hießen die Polizeibeamten
Hilfsbeamte der Staatsanwaltschaft; heute heißen sie Ermittlungspersonen der Staatsanwaltschaft. Bei allen gravierenden Fehlern der Polizei muss ich sagen: Von dieser
sachleitenden Funktion der Staatsanwaltschaften habe
ich wenig bis gar nichts erlebt. Dass in diesen Jahren die
deutschen Gerichte die bemerkenswerte Praxis gepflegt
haben, in nennenswertem Umfang Verfahren wegen
rechtsgerichteter Straftaten einzustellen, kommt noch
dazu.
Das Versagen, von dem wir sprechen, bezieht sich
also mindestens auf die in einem Verbund arbeitenden
Verfassungsschutz- und Polizeibehörden, Staatsanwaltschaften und Gerichte. Nur, meine Damen und Herren,
dann müssen wir von einem gravierenden Systemausfall
sprechen.
({2})
Wenn es um einen Systemausfall geht, muss man auch
betrachten, was Regierungen, Regierungsbehörden und
Parlamente in dieser Zeit gemacht haben.
Vor dem 4. November 2011 wurde der Fall - außer
vom damaligen bayerischen Ministerpräsidenten
Beckstein - nie zur Chefsache gemacht. Er erreichte nie
die Innenministerkonferenz; aber genau das wäre nötig
gewesen. Wir waren durch die Art, wie diese Tatserie begangen wurde, im Grenzbereich dessen, was unsere föderale Sicherheitsstruktur leisten kann, und dafür ist die
IMK zuständig.
Was der Bundesinnenminister nach dem 4. November
umgesetzt hat, war sehr gutes und schnelles Krisenmanagement. Das Gemeinsame Abwehrzentrum zum
Beispiel ist ein folgerichtiger erster Schritt. In Zukunft
wird aber mehr notwendig sein.
({3})
Ich hoffe sehr - ich versuche es einmal vorsichtig
auszudrücken, sozusagen parteiübergreifend -, dass die
sperrige Haltung einiger Länder sich im Lichte unseres
Abschlussberichts noch ändern wird. Das Führungsdilemma in der BAO „Bosporus“ ist Grund genug, die
Leistungsfähigkeit unserer föderalen Sicherheitsarchitektur nicht nur in der Praxis, sondern regelmäßig auch
in Laborsituationen zu testen. Deshalb fand ich die Idee,
eine Kommission zur deutschen Sicherheitsarchitektur
einzurichten, schon immer gut. Eine solche Kommission
gab es in dieser Periode schon einmal, und ich würde
mich sehr freuen, wenn sie wiederkäme. Vielleicht verlocken uns ja die Erkenntnisse unseres Berichts, erneut
eine solche Kommission einzusetzen.
Meine Damen und Herren, auch wir und die anderen
Parlamente dieses Landes müssen uns durchaus fragen
lassen, ob diese Gewaltserie angemessen Eingang in die
parlamentarischen Beratungen gefunden hat. Kein Verfassungsschützer wurde jemals von der BAO „Bosporus“
zurate gezogen. Die berühmte E-Mail an das BfV - die
meisten wissen, wovon ich spreche - ist vielleicht nur
die Spitze des Eisbergs bezogen auf die Frage, wie
scharf deutsche Sicherheitsbehörden das Trennungsgebot in der Praxis auslegen. Legen sie es zu scharf aus?
Das zu evaluieren, zu beurteilen und ernsthaft zu diskutieren, wäre Aufgabe unserer Parlamente, also auch des
Deutschen Bundestages. Haben wir das getan?
Wir brauchen auch eine intensivere Sicherheits- und
Polizeiforschung. Ich stimme Bernd Wagner von der Organisation „EXIT-Deutschland“ zu, der in einer Sitzung
für eine stärkere Verzahnung der Analytik der Sicherheitsbehörden, der Wissenschaft und der Zivilgesellschaft plädierte. Die notwendigen wissenschaftlichen
Analysefähigkeiten unserer Dienste sind nicht nur beim
Thema Rechtsextremismus zu gering. Das sind
Schwachstellen, die das Amt aber nicht alleine beseitigen kann. Dafür ist auch das Parlament gefordert. Hier
geht es um Personal und Ressourcen.
Und die Medien und die Gesellschaft? Seien wir ehrlich: Über die unglückseligen Begriffe „Döner-Morde“
und „BAO Bosporus“ echauffieren wir uns erst seit dem
4. November 2011. Ich habe im Ausschuss oft tief
durchgeatmet; denn wegen meines Berufsweges war ich
erleichtert, dass sich die deutschen Sicherheitsbehörden
eben nicht als auf dem rechten Auge blind erwiesen haben. Betriebsblind, Herr Wieland, waren sie, ja. Wären
sie aber blind gewesen, dann wäre das eine Katastrophe.
Hier darf man froh sein, dass es so weit nicht gekommen
ist. Wir fühlten uns anscheinend zu sicher, die Gefahr
vom rechten Rand im Griff zu haben. Wir haben die
Lage unterschätzt und sind sehr nachlässig geworden vielleicht auch in unserer Sprache. Das ist ein Hinweis
an die Gesellschaft.
Meine Damen und Herren, die Arbeit in diesem Ausschuss ging unter die Haut - jedenfalls mir. Unter diesem Eindruck haben wir unsere 47 Empfehlungen gemeinsam formuliert.
Wenn wir in den Sicherheitsbehörden und der Justiz
von Bund und Ländern eine ebenso nachhaltige Wirkung
erzielen wollen, dann können wir das dadurch erreichen,
dass wir die Führungskräfte dieser Behörden verpflichten, den NSU-Fall in einem intensiven Planspiel zu analysieren, zu beurteilen und nachzuempfinden. Ich bin ein
Polizeibeamter der Generation „Bad Kleinen“ und darf
einmal persönlich werden: Diesen Fall habe ich in vier
Tagen real nachgespielt; das ist 20 Jahre her. Ich könnte
jetzt spontan noch einen Vortrag darüber halten. So stark
beschäftigt mich das noch.
Genau das erwarte ich auch hier. Staatsanwälte, Richter und Polizeibeamte in diesem Land müssen das Gleiche mit dem NSU-Fall tun. Es hätte juristisch, technisch
und einsatztaktisch eine kolossale Wirkung. Ich würde
mich freuen, wenn das zum Thema würde.
Armin Schuster ({4})
({5})
In diesem Sinne brauchen wir einen gestärkten, weil
lernenden Verfassungsschutz und einen wesentlich effektiveren V-Leute-Einsatz. Diesen abzuschaffen, würde
bedeuten, das Kind mit dem Bade auszuschütten. Wir
brauchen eine entkrampftere Zusammenarbeit zwischen
der Polizei und den Diensten und zeitgerechte Formen
überregionaler polizeilicher Einsatzführung in Deutschland.
Die Bundesregierung hat mit den notwendigen Reformen längst begonnen. Der Deutsche Bundestag sendet
heute mit diesem Bericht und seinem Zustandekommen
ein sehr starkes Signal aus. Den Parlamenten kommt
jetzt die Aufgabe zu, die notwendigen Systemveränderungen bei den Sicherheitsbehörden, der Justiz und den
Regierungen im Bund und in den Ländern kritisch zu begleiten und keine notwendige Reform auszulassen. Das
Versprechen gilt!
Zehn Menschen haben auf tragische Weise ihr Leben
verloren. Die Erinnerung daran muss bei uns allen so
lange wie möglich wachgehalten werden.
Ich danke Ihnen.
({6})
Kollege Armin Schuster, Ihnen und allen Rednerinnen und Rednern des heutigen Nachmittags ein herzliches Dankeschön. Unseren Gästen mit dem Herrn Bundespräsidenten an der Spitze danke ich für das
Beiwohnen dieser Debatte.
({0})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung des 2. Untersuchungsausschusses auf Drucksache 17/14600. Der Ausschuss empfiehlt, den Bericht zur Kenntnis zu nehmen.
Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Das sind
alle Fraktionen dieses Hauses. Vorsichtshalber mache ich
die Gegenprobe. - Niemand. Enthaltungen? - Niemand.
Die Beschlussempfehlung ist vom Plenum des Deutschen
Bundestages einstimmig angenommen worden.
({1})
Wir kommen nun zum Tagesordnungspunkt 2:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Verteidigungsausschusses als 2. Untersuchungsausschuss gemäß Artikel 45 a Absatz 2 des Grundgesetzes
- Drucksache 17/14650 Berichterstattung:Abgeordnete Markus GrübelRainer ArnoldJoachim SpatzJan van AkenOmid Nouripour
Erster Redner in unserer Aussprache ist für die Fraktion von CDU und CSU unser Kollege Markus Grübel,
dem ich nun das Wort gebe. Bitte schön, Kollege Markus
Grübel.
({2})
- Augenblick, Herr Kollege. Ich darf alle herzlich bitten,
auch diesem Tagesordnungspunkt die notwendige Aufmerksamkeit zu schenken. - Bitte schön, Herr Kollege.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir
sprechen heute über die Ergebnisse von zwei Untersuchungsausschüssen, die unterschiedlicher nicht sein
könnten: zum einen über Tote und unsägliches Leid, das
die NSU-Terroristen über viele Familien gebracht haben;
zum anderen über ein Entwicklungsvorhaben einer Aufklärungsdrohne, das nicht das gewünschte Ergebnis gebracht hat.
Beim NSU-Untersuchungsausschuss waren alle Fraktionen bemüht, das unfassbare Versagen deutscher Sicherheitsbehörden aufzuklären und Vertrauen in den
deutschen Staat zurückzugewinnen. Beim Euro-HawkUntersuchungsausschuss haben SPD, Linke und Grüne
krampfhaft versucht, etwas zu skandalisieren und den
Untersuchungsausschuss zur Wahlkampfbühne zu machen.
({0})
Wir haben den Untersuchungsausschuss mitgetragen.
Wir haben uns nicht im Klein-Klein von Verfahrensfragen aufgehalten, zum Beispiel bei der Frage der Zulassung weitgehender Öffentlichkeit. Wir, die Koalition
und unsere Minister, hatten nichts zu verbergen.
({1})
Die Opposition wollte anfangs nur die letzten zwei
Jahre dieses Projekts untersuchen. Wir haben Wert darauf gelegt, dass das Entwicklungsvorhaben Euro Hawk
von Anfang an untersucht wird. Die Opposition wollte in
erster Linie dem Minister am Zeug flicken. Wir wollten
Erkenntnisse gewinnen, was wir in Zukunft bei Rüstungsvorhaben besser machen müssen.
Die Opposition hätte spätestens nach dem Bericht des
Bundesrechnungshofes erkennen können, dass sich das
Thema Euro Hawk für den Bundestagswahlkampf überhaupt nicht eignet. Der Bundesrechnungshof hat nämlich
zwei wesentliche Feststellungen getroffen - in den Worten unserer Zeugin -: Erstens. Blauäugig waren die vorvertraglichen Verhandlungen, also die Zeit bis 2006,
weil die Zulassungsrisiken nicht erkannt bzw. nicht richtig bewertet wurden. Zweitens. Die Leitung des Ministeriums hat gehandelt - Minister und Staatssekretäre -,
nachdem ihr die Probleme geschildert wurden.
Insbesondere der Opposition möchte ich sagen: Mit
dem ständigen Versuch, auf Kosten der Bundeswehr
Wahlkampf zu machen, trägt die Opposition nicht zu der
Ruhe bei, die unsere Truppe braucht.
({2})
In Ihrem Sondervotum fordern Sie ausdrücklich: Die
Bundeswehr braucht jetzt Ruhe. - Aber jede Woche wird
eine andere Sau durchs Dorf gejagt. Letzte Woche war es
der Marinehubschrauber, eine sehr alte Sau;
({3})
denn dieses Thema haben wir bereits im Juni im Ausschuss behandelt.
({4})
Zur Sache selbst. An was ist der Euro Hawk gescheitert? Der Euro Hawk ist an den Zulassungsproblemen
gescheitert. Das deutsche Aufklärungssystem funktioniert und kann in ein anderes Trägersystem eingebaut
werden. Mit der Zulassung von Flugzeugen ist es so ähnlich wie mit der Zulassung von Medikamenten: Ohne
Zulassung kann man sie nicht in den Verkehr bringen
und einsetzen, weil die Sicherheit nicht bewiesen ist.
Diese Zulassungsprobleme bestanden von Anfang an,
vom Jahr 1999 an, als die ersten Entscheidungen für den
Euro Hawk getroffen wurden. Das ist das, was wir als
Geburtsfehler bezeichnet haben.
Ich komme nun zur politischen Bewertung. Bundesminister de Maizière hat von Anfang an die Wahrheit gesagt. Es gibt keinen einzigen Beweis, der das Gegenteil
belegt.
({5})
Wer hier etwas anderes sagt, der ist entweder ahnungslos
oder bösartig - im Zweifel beides.
({6})
Durch die Entscheidung des Ministers, die Serie von vier
Euro Hawks nicht zu kaufen, ist nicht nur kein Schaden
entstanden, sondern gerade auch Schaden verhindert
worden.
({7})
Als Parlamentarier muss ich sagen: Endlich hat ein
Minister gehandelt
({8})
und ein Beschaffungsvorhaben nicht durchgeführt, dessen Kosten explodiert sind. Seit Jahrzehnten kennen wir
die Situation, dass bei solchen Projekten immer und immer wieder Geld nachgeschossen wird. Hier ist die Entscheidung getroffen worden: Wir kaufen den Euro Hawk
nicht.
Der Kaufpreis - 600 Millionen Euro für die Serie steht jetzt für eine Alternative zur Verfügung, und die
Zulassungskosten in Höhe von nochmals 600 Millionen
Euro haben wir wahrscheinlich gespart. Was wäre gewesen, wenn 1,2 Milliarden Euro ausgegeben worden wären und man dann zu dem Ergebnis gekommen wäre,
dass die Zulassung nicht erfolgen kann? Dann hätten wir
fünf Euro Hawks für fünf deutsche Technikmuseen. Wir
hätten dafür 1,2 Milliarden Euro plus das Geld für die
Entwicklung ausgegeben, und die Bundeswehr hätte
nichts.
({9})
Darum war die Entscheidung in der Sache richtig.
Dieses Geld, das nicht ausgegeben wurde, steht jetzt
für Alternativen zur Verfügung. Wie die Alternative aussieht, müssen wir sehen. Ob es ein bemanntes System
zum Beispiel in Form des A319 wird, eine Heron oder
vielleicht doch ein Global Hawk der neueren Version,
wie er im NATO-AGS eingesetzt wird, wenn Italien die
Zulassung erteilt, werden wir sehen, wenn wir Anfang
2014 das Thema wieder debattieren.
Die wahren Gründe für die Probleme beim Euro Hawk
liegen weit vor der Amtszeit von Minister de Maizière.
({10})
Ihm das heute in die Schuhe zu schieben, ist schlechterdings falsch.
({11})
Oft wurde ich von Journalisten gefragt: Wer ist
schuld? Ich selber bin der Meinung, der Begriff
„Schuld“ ist hier vielleicht sogar fehl am Platze. Richtiger ist die Frage: Wer trägt Verantwortung, und wer trägt
Verantwortung für was? Die Antwort auf diese Frage ist
komplex; denn die Verantwortung verteilt sich auf viele
Schultern. Die Verantwortung für die Entscheidung, das
amerikanische Trägersystem mit dem deutschen Aufklärungssystem zu verbinden und im Zusammenhang mit
dem amerikanischen Trägersystem Zulassungsprobleme
zu bekommen, liegt in der rot-grünen Regierungszeit bei
Minister Scharping.
({12})
Die Zulassungsprobleme wurden von den rot-grünen
Verantwortungsträgern sträflich unterschätzt.
({13})
- Herr Arnold, wenn Sie die Akten lesen ({14})
das war auch für mich interessant -, können Sie feststellen, welche Euphorie bei SPD und Grünen Anfang 2000
bestand, in diese neue Technologie der unbemannten
Luftfahrt einzutreten, Drohnen zu kaufen und bei dieser
Zukunftstechnologie mit am Anfang zu stehen. Es gab
eine wahre Drohneneuphorie bei SPD und Grünen. Darum hat man auch gesagt: Die Probleme der Zulassung
werden wir irgendwie lösen; wir setzen uns an die Spitze
der Bewegung. - Das heute zu leugnen, ist schlechterdings falsch. Etwas anderes ergibt sich nicht aus den Unterlagen.
({15})
Verantwortung liegt auch in der Amtszeit von Minister Struck. In seiner Amtszeit wurden die Anforderungen
definiert und die Verträge ausgehandelt.
Verantwortung fällt in die Amtszeit von Minister Jung,
als die Verträge unterschrieben wurden. Verantwortung
fällt in die Amtszeit von Minister zu Guttenberg, als die
Zulassungsprobleme beim Demonstrator aufgetreten
sind.
Beim Amtsantritt von Minister de Maizière aber war
die Masse des Geldes ausgegeben. In diesem Stadium
die Entwicklung ohne Ergebnis abzubrechen, wäre Unsinn gewesen. Kein Zeuge und schon gar nicht der Bundesrechnungshof haben das gefordert, obwohl sie im
Rückblick schlauer waren als zu der Zeit, als die Entscheidung zu treffen gewesen wäre. Es ist Unsinn, eine
Entwicklung kurz vor Abschluss abzubrechen, wenn das
Geld im Wesentlichen ausgegeben ist.
Manchmal muss man wie bei einer Bergtour über den
Gipfel absteigen, wenn sozusagen der Punkt der Umkehr
überschritten ist. In diesem Fall war es auch so: Man hat
die Entwicklung vollendet, obwohl man gesagt hat: Die
Beschaffung machen wir nicht.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von SPD und Grünen, viele problembehaftete Rüstungsvorhaben sind aus
Ihrer Amtszeit: das Transportflugzeug A400M, der Hubschrauber Tiger,
({16})
die Korvette K 130, der Transportpanzer Boxer, die Privatisierung, die GEBB und vieles andere mehr. Wollt ihr
auch für das alles noch einen Untersuchungsausschuss
einsetzen?
Ich muss deutlich sagen: Die Aussage des Zeugen
Scharping war aus meiner Sicht eine Frechheit. Diesem
Minister haben wir viele der Probleme zu verdanken,
und er ist aufgetreten, als ob er uns einen Ratschlag geben kann.
({17})
Sehr geehrte Damen und Herren, wir brauchen dringend die Fähigkeit zur weiträumigen Aufklärung. Wir
brauchen eigene Erkenntnisse, wenn wir Entscheidungen treffen, zum Beispiel bei der zivilen Krisenprävention und Krisenreaktion sowie zum Schutz unserer Soldatinnen und Soldaten im Einsatz. Darum wird uns das
Thema weiter beschäftigen, wenn wir eine alternative
Trägerplattform suchen.
Eine wichtige Fragestellung ist allerdings im Untersuchungsausschuss aus unserer Sicht zu kurz gekommen:
Wie können Entwicklungs- und Beschaffungsvorhaben
verbessert werden?
Bundesminister de Maizière hat hierzu schon wichtige Weichen gestellt. So soll das Beschaffungsverfahren
weiter optimiert werden. Es soll Frühwarnmechanismen
geben. Das Projektcontrolling wird verbessert und neben
der Projektleitung angesiedelt, sodass man einen objektiven Blick auf die Dinge bekommt. Der Minister hat auch
zugesagt, dass regelmäßig Bericht über den Status von
Rüstungsprojekten im Verteidigungs- und im Haushaltsausschuss erstattet werden soll. In welcher Form, das
muss das nächste Parlament entscheiden. Regelmäßige
Berichte an den Haushaltsausschuss gab es übrigens
schon einmal. Das wurde damals in rot-grüner Zeit abgeschafft.
Es muss auch daran gedacht werden, externen juristischen Sachverstand einzubinden, wenn Verträge mit
Auslandsbezug abgeschlossen werden, zum Beispiel
wenn es wie im aktuellen Fall um Zulassungsvoraussetzungen in Deutschland und den Vereinigten Staaten
geht. Ganz wichtig ist ebenfalls: Wir müssen die Zulassungsregeln auf europäischer Ebene harmonisieren. Der
Minister hat dazu schon Schritte unternommen.
Sehr geehrte Damen und Herren, ich fasse das Ergebnis des Untersuchungsausschusses zusammen: Die Verantwortung für die Probleme des Projekts ruht auf vielen
Schultern. Die Probleme beginnen in rot-grüner Zeit unter Minister Scharping. Minister de Maizière ist von den
Vorwürfen entlastet.
({18})
Die Entscheidung des Ministers, die Entwicklung abzuschließen, die Serie aber nicht zu beschaffen, ist richtig.
Wichtige Weichen, die dazu dienen, die Risiken von
Rüstungsprojekten zu verringern, sind benannt und auch
schon gestellt.
Der Untersuchungsausschuss hat zügig gearbeitet. Ich
danke allen Ausschussmitgliedern, dem Ausschusssekretariat und dessen Leitung sowie allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die trotz Sommerpause und Wahlkampf hart gearbeitet haben.
Herzlichen Dank.
({19})
Vielen Dank, Kollege Markus Grübel. - Bevor ich
unserem Kollegen Rainer Arnold das Wort gebe, darf ich
noch darauf hinweisen - das möchte ich nachholen -,
dass nach einer interfraktionellen Vereinbarung eine
Stunde für diese Debatte vorgesehen ist. Sind Sie damit
einverstanden? - Das scheint der Fall zu sein. Dann haben wir dies so beschlossen.
Jetzt hat das Wort unser Kollege Rainer Arnold für
die Fraktion der Sozialdemokraten. Bitte schön, Herr
Kollege Arnold.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Lassen Sie mich mit dem Positiven beginnen, Herr
Grübel: Ja, es ist wahr: Wir haben im Konsens die Verfahrensschritte zügig vollzogen, und alle haben auf die
üblichen Rituale verzichtet. Es ist ein gutes Zeichen,
dass der Bundestag auch in Wahlkampfzeiten in der
Lage ist, einen Untersuchungsauftrag mit großer Komplexität innerhalb von neun Wochen abzuarbeiten. Dafür
danke ich allen, die daran beteiligt waren.
Ob es angemessen ist, dass wir nach der ernsten Debatte, die wir zuvor geführt haben, heute dieses Thema
quasi als Anhängsel behandeln, ist eine ganz andere
Frage. Mir ist klar, warum das so ist, liebe Kolleginnen
und Kollegen von der Koalition: Sie sehen es natürlich
gern, wenn dieses für Sie sehr unangenehme Thema der
Versäumnisse Ihres Ministers nicht mehr zu einer Zeit
im Bundestag diskutiert wird, in der die Öffentlichkeit
den Fokus auf das Parlament richtet.
Herr Grübel, nach Ihrer heutigen Rede verstehe ich
natürlich noch besser, warum Sie diese Diskussion so
spät angesetzt haben. Denn diese Rede ist an Peinlichkeit und Wirklichkeitsverweigerung durch nichts mehr
zu überbieten.
({0})
Es mag sein, dass Sie heute das Thema medial wegdrücken können. Aber dass Sie die Wahrheit so verbiegen,
wie Sie es gerade gemacht haben, werden wir Ihnen nicht
durchgehen lassen. Es ist Ihnen in der Vergangenheit bei
der Zeugenbefragung und in der medialen Berichterstattung letztendlich auch in keiner Weise gelungen. Sie können den Minister nicht einfach mit Wirklichkeitsverweigerung reinwaschen; das geht nicht.
({1})
Wir sind wirklich nicht die Einzigen, die feststellen,
dass der Minister die Unwahrheit gesagt hat. Sie haben
uns der Ahnungslosigkeit und noch üblerer Dinge bezichtigt, Herr Grübel. Haben Sie die Akten wirklich gelesen?
Wenn der Minister - sinngemäß - wiederholt zu Protokoll
gibt, es habe keine Vorlagen gegeben und er habe nur einmal auf der Rüstungsklausur und dann kurz danach auf
der G-10-Konferenz etwas von Problemen gehört, wir
dann aber beim Studium der Akten feststellen, dass es
mindestens sechs Dokumente gibt, die belegen, dass sich
der Minister mit diesem Thema hätte befassen müssen:
Was ist das dann anderes als die Unwahrheit? Wie können
Sie dann versuchen, ihn so reinzuwaschen? Dieser Minister wollte die Öffentlichkeit hinter die Fichte führen. Das
ist das Ergebnis des Untersuchungsausschusses.
({2})
Weil er das dann gemerkt hat, hat er die Kurve gekratzt. Nach fünf Tagen hat er zum ersten Mal gesagt, er
habe schon etwas gehört, aber er habe keine Vorlagen
gehabt, also nichts, was in einen Aktendeckel passt.
({3})
Damit nicht genug. Plötzlich waren die sechs Vorlagen auch auf dem Tisch. Dann hat er gesagt, es habe
wohl Vorlagen gegeben, aber ihm seien die Probleme als
lösbar dargestellt worden. Da frage ich mich schon:
Wann kümmert sich ein verantwortungsvoller Minister
um seine Probleme?
({4})
Dann, wenn sie als lösbar dargestellt werden und er die
Chance hat, zu gestalten, indem er Vorgaben gibt, wie
sein Haus mit diesen Problemen umgeht, oder kümmert
sich ein Minister erst dann um Probleme, wenn sie ihm
als unlösbar dargestellt werden? Was soll dieser Unfug,
zwischen lösbaren und unlösbaren Problemen zu unterscheiden?
({5})
Für unlösbare Probleme braucht man ihn nicht mehr.
({6})
Dann gab es einen weiteren Versuch. Ich finde es
schlimm, dass Sie auf diese Unwahrheiten heute weitere
Unwahrheiten setzen. Was Sie schildern, stimmt einfach
nicht. Die Öffentlichkeit kann die Akten teilweise einsehen. Wer die Akten liest, stellt fest: Alle Ihre Zeugen, die
Sie einbestellt haben, weil Sie geglaubt haben, Sie könnten in der Geschichte des Projekts die Verursacher der
Fehlentwicklung finden, haben exakt das Gegenteil gesagt.
({7})
Ihr eigener Minister Jung hat deutlich gemacht: Dieser Vertrag war in Ordnung. - Er selbst hat noch dafür
gesorgt, dass er verbessert wurde. Der Vertrag, den Herr
Jung abgeschlossen hat, ist ohne Fehl und Tadel, weil er
die Probleme erkannt und benannt hat und weil er gesagt
hat: Es ist ein Entwicklungsvertrag. - Einen Entwicklungsvertrag, den man jederzeit kündigen kann, muss
jeder Minister in der Folge eng begleiten, er muss das
Parlament entsprechend informieren, und notfalls muss
jeder Minister rechtzeitig - möglicherweise im Jahr
2009 oder spätestens im Jahr 2011, wie der Rechnungshof gefordert hat - dieses Projekt neu überprüfen und
evaluieren. All dies wurde versäumt, und das Parlament
wurde nicht informiert. Das können Sie doch nicht einfach wegdiskutieren angesichts von 2 000 Akten, die wir
miteinander studiert haben, die das dokumentieren und
belegen.
({8})
Man hätte noch einen Funken Hoffnung, wenn man
wenigstens aus dieser Vorgehensweise für die Zukunft
ein bisschen lernen und die richtigen Konsequenzen
ziehen würde. Aber das ist nicht der Fall. Auch die
aktuellen Probleme werden von Ihnen und Minister
de Maizière schöngeredet. Es wird behauptet, das Sensoriksystem, das sogenannte ISIS, könne man einfach an anderer Stelle verwenden. Lesen Sie einmal das Schreiben
des Vorstandsvorsitzenden der Lieferfirma und das, was er
zu den Tests sagt. Die operationalen Tests sind nämlich
nicht erfolgt, und damit ist das Projekt im Grunde genommen wertlos. Das heißt, wir haben 600 Millionen Euro
ausgegeben und am Ende nichts dafür bekommen. Es
wäre richtig gewesen, entweder früh zu stoppen oder das
Projekt möglichst zum Erfolg zu bringen.
({9})
Dazu braucht man aber einen Minister, der das Projekt
begleitet und der zum Erfolg beiträgt.
({10})
Dann sagen Sie und der Minister: Jetzt untersuchen
wir Alternativen. Es sieht so aus, als ob wir es schaffen,
für das gleiche Geld eine Alternative zu bekommen. Das ist nicht korrekt, Herr Kollege. Das ist Märchenstunde. Das wird nicht stattfinden. Das alles wird Sie,
falls Sie an der Regierung bleiben, was ich nicht glaube,
einholen; denn Sie sind nicht bereit, dazuzulernen. Es ist
so, dass bei diesem Minister in der Vergangenheit sehr
viel zusammengekommen ist; das ist das eigentliche
Problem. Der Euro Hawk hat das Fass zum Überlaufen
gebracht.
Sie werfen uns vor, wir hätten diese Rhetorik, weil
Wahlkampf sei. Nein.
({11})
Sie müssen dankbar sein und Ihr Minister muss dankbar
sein, dass Wahlkampf ist;
({12})
denn zu normalen Zeiten hätte die Kanzlerin so einen
Minister nie und nimmer halten können. Das ist der
Punkt.
({13})
Natürlich muss man Lehren ziehen. Dazu gehört, dass
wir als Parlament in der nächsten Legislatur eine Wiedervorlage brauchen und für wirkliche Automatismen
sorgen, damit die Regierung gezwungen ist, bei Fehlentwicklungen das Parlament zu informieren. Aber das
Haus besser organisieren - Rüstungsprojekte müssen
besser kommuniziert werden; dieses große Bundesamt in
Koblenz darf keine Filter- und Richterfunktion haben können wir nicht. Das ist Aufgabe des Ministers, und er
hat es versäumt, dieser Aufgabe nachzukommen. Er hat
das Haus größer und mächtiger gemacht,
({14})
statt die Verantwortung aufzuteilen und Bypässe für die
Informationsflüsse zu schaffen, damit sie oben ankommen. Der Minister hat außerdem den Planungsstab als
Frühwarnsystem abgeschafft. Dieser Minister ist für die
Fehlentwicklungen in seinem Haus verantwortlich.
Es geht gar nicht so sehr um die Details. Wir können
noch viele Details benennen, die belegen, was alles
falsch gelaufen ist und welche Verantwortung der Minister trägt. Es geht in Wirklichkeit um die Bereitschaft eines Ressortchefs, die politische Verantwortung für Fehlentwicklungen in seinem Haus, für die er nichts kann,
({15})
und für Fehlentwicklungen, die er selbst zu verantworten
hat - er hat in diesem Fall die Wahrheit nicht gesagt; er
hat sich um dieses Projekt nie gekümmert; ihn hat Euro
Hawk nicht interessiert, bis er von Staatssekretär
Beemelmans schließlich eine Vorlage erhalten hat -, zu
übernehmen. Dies ist der eigentliche Punkt, den man
politisch bewerten muss.
Viele Verteidigungsminister sind zurückgetreten, weil
sie gesagt haben, sie übernähmen die Verantwortung.
Stoltenberg hat gesagt: Verantwortung ist nicht teilbar. Es wäre richtig, wenn Minister de Maizière, der ja relativ
vollmundig personelle Konsequenzen angekündigt hat,
({16})
diese Konsequenzen zieht und bei sich selbst anfängt.
Herr Minister, Sie haben allerdings den richtigen Zeitpunkt leider versäumt, um noch in Würde und Anstand
Verantwortung zu übernehmen
({17})
und zu sagen: Ja, ich stehe zu meiner Verantwortung.
Jetzt drohen Sie den Soldaten an, Verteidigungsminister bleiben zu wollen. Die Ergebnisse der Umfragen unter den Zivilbeschäftigten und den Soldaten der Bundeswehr dazu, wie sie die Arbeit des Verteidigungsministers
empfinden, sind kein Vertrauensbeweis für Sie; denn sie
empfinden Ihr Vorhaben als Drohung. Wir brauchen
wieder einen Verteidigungsminister, der für die Soldaten
da ist, der ihr Vertrauen hat und der ihr Vertrauen verdient. Ohne dieses Vertrauen kann keiner Inhaber der
Befehls- und Kommandogewalt sein.
Recht herzlichen Dank.
({18})
Vielen Dank, Kollege Rainer Arnold. - Nächster Redner für die Fraktion der FDP unser Kollege Joachim
Spatz. Bitte schön, Kollege Joachim Spatz.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Arnold, wenn ich es nicht besser wüsste, hätte ich
jetzt glauben können, Sie seien Historiker. Wissen Sie,
was ein Historiker ist? Das ist einer, der hinterher weiß,
dass es genau so hat kommen müssen. Ihre Ex-postWeisheiten haben Sie uns schon während der Ausschussberatungen präsentiert. Ich habe Ihnen schon einmal gesagt, Sie sollten aufpassen. Wenn Sie im Nachhinein das,
was man hätte machen sollen, zum Maßstab, zur allgemeinen Grundlage für die Führung eines Ministeriums
erklären, dann kann ich nur sagen: Gott sei vor, dass einer, der solche Maßstäbe anlegt, jemals dieses Haus
führt.
({0})
Ein paar Fakten. Bei Amtsantritt des jetzigen Ministers waren 85 Prozent der Kosten bereits ausgegeben
oder festgelegt.
({1})
Seit dem Bekanntwerden der Schwierigkeiten auf Leitungsebene waren bereits 93 Prozent der Kosten ausgegeben oder festgelegt. Das heißt, die Manövriermasse,
die dieser Minister überhaupt hatte, war marginal.
({2})
Im Übrigen sagen alle Beteiligten: Die Überwachungskomponente funktioniert. Um zu retten, was zu
retten war, war es notwendig, dieses Projekt nicht zu
früh zu stoppen, sondern es aufrechtzuerhalten, sodass
wenigstens die Testphase des Überwachungssystems
ISIS erfolgreich zu Ende geführt werden kann, wodurch
die Gesamtkosten eben nicht in den Sand gesetzt worden
sind.
Meine Damen und Herren, was die Rolle des Ministers dazu angeht, ob er die Wahrheit gesagt hat: Wenn
Sie das ernst nehmen, was vom Minister von Anfang an
gesagt worden ist - dass ihm die Probleme zwar dargelegt worden sind, sie von der zuarbeitenden Ebene aber
immer als lösbar bezeichnet worden sind -, dann werden
Sie in den vorliegenden Dokumenten - auch in den sechs
Dokumenten, aus denen Sie zitiert haben - eine Bestätigung und eben keine Widerlegung genau dessen finden.
Wenn Sie trotzdem wahrheitswidrig sagen, der Minister
habe gelogen, dann müsste man Sie zum Rücktritt auffordern; nur leider geht das bei der Opposition nicht.
({3})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wie ist das
Projekt wirklich verlaufen? Es ist so verlaufen, dass man
mit großer Anfangseuphorie in das Projekt gestartet ist
und dass man die Bedenken, die auch damals schon, im
Jahr 2000 und bis zum Jahr 2002, formuliert worden
sind, schlicht nicht wahrhaben wollte. Ich zitiere ein paar
davon.
Zum Beispiel hat der Herr Generalinspekteur Kujat
gesagt:
Für unbemannte Trägerplattformen sind wesentliche Flugsicherheitsfragen zu klären.
Nichts wurde geklärt!
Ich zitiere nochmals Kujat, 2001: US-Position zur
Technologiefreigabe im Rahmen einer möglichen
Kooperation ist von Bedeutung. - Nichts ist geklärt worden!
Ich zitiere noch einmal Kujat, 2001:
Bezüglich der Zulassung zum Fliegen im kontrollierten Luftraum besteht vor einer Realisierung unbemannter fliegender Plattformen unabhängig vom
angestrebten Trägersystem umfangreicher Handlungsbedarf.
Was ist geschehen? Nichts ist geschehen, meine Damen
und Herren! Alles noch voll in rot-grüner Regierungszeit!
Last, but not least: Führungsstab der Luftwaffe, 2002
- ich zitiere -:
Es ist alles daranzusetzen, um einer nicht auszuschließenden einseitigen Vorgehensweise der USSeite entgegenzuwirken und einen Rückschlag für
das Vorhaben zu verhindern, um die ohnehin vorhandenen Zweifel an der Möglichkeit transatlantischer Rüstungskooperation in diesem Bereich abzubauen.
Was ist zu Ihrer Zeit geschehen? Nichts ist geschehen!
Im Gegenteil: Die Zeugen, zum Beispiel der Projektleiter, sagten: Diese Art Fragestellungen liefen im Hintergrund mit.
Der Direktor von WTD 61 sagte: Diese Fragestellungen wurden auf kleiner Flamme gekocht.
({4})
Meine Damen und Herren, wenn Sie Ihren eigenen
Beschaffungsprozess, den CPM aus 2000, ernst genommen hätten, hätten Sie beim Prüfen des Prototypen nicht
nur die technische Realisierung beachten müssen, sondern auch die rechtlichen und die rüstungskooperativen
Fragestellungen, wie das die Experten Ihnen zu Ihrer Regierungszeit bereits ins Stammbuch geschrieben haben.
Aber all dies wollte man nicht. Man ist voller Euphorie
gestartet, und Bedenkenträger waren nicht erwünscht.
Dann kann es natürlich sein - es muss nicht sein -,
dass man ein funktionierendes Fluggerät hat, dass man
in diesem funktionierenden Fluggerät funktionierende
Technik hat, das Ding aber in die Garage gestellt werden
muss, weil diese Fragen nicht rechtzeitig behandelt worden sind. Deshalb kann man mit Fug und Recht von Anfangsfehlern dieses Projekts sprechen.
Jetzt kann man noch sagen: Okay, wir brechen nicht
den Stab über der Vorgängerregierung. - Nur, eines geht
dann nicht: dass ausgerechnet Sie dem heutigen Minister
vorwerfen, er habe falsch gehandelt. Das geht nun wirklich nicht.
({5})
Wenn Sie mit dem Finger auf Herrn de Maizière zeigen,
zeigen mindestens drei Finger auf Sie selber zurück, und
daran kommt man nicht vorbei.
Im Übrigen: Wenn Sie, was die Bewertung angeht,
uns schon nicht glauben, dann glauben Sie doch einer
unabhängigen Wochenzeitung, die in ihrem Onlineportal
aufgrund geleakter Informationen - bedauerlich genug! ihre Bewertung vorgenommen hat, und prüfen Sie einmal, ob diese Bewertung näher an der der Koalition oder
näher an der von Rot-Grün ist. Sie ist wesentlich näher
an der Bewertung, die die Koalition hier abgegeben hat,
wenn nicht sogar deckungsgleich damit. - Das für den
Fall, dass Sie uns nicht trauen!
Last, but not least müssen natürlich noch ein paar
Worte auf das Thema „Lessons learned“ verwandt werden. Dieselbe Wochenzeitung hat in ihrer Onlineausgabe
getitelt „Ministerium fliegt auf Autopilot“. Ich denke,
auch hier gibt es Indizien dafür, dass wir die Reformen,
die Herr de Maizière eingeleitet hat, dringend weiterführen müssen. So muss dem Eindruck, der entstanden sein
könnte - übrigens nicht nur in diesem Untersuchungsausschuss, sondern auch im Kunduz-Untersuchungsausschuss -, dass nämlich gewisse Strukturen dieses
Ministerium führen, egal wer Bundesminister ist, entgegengewirkt werden. Wir hoffen, dass genau dieser
Minister in genau dieser Koalition dieses Reformwerk,
was jetzt begonnen worden ist, in der nächsten Legislaturperiode zu Ende führen kann:
({6})
optimierte Prozesse in der Beschaffung, bessere Kommunikation der beteiligten Einheiten, verbesserte Projektaufsicht mit Frühwarnfunktionen und eine andere
Kultur, die zulässt, dass nicht nur positive Meldungen,
sondern auch Meldungen über Probleme, wenn sie hinreichend früh erkannt werden, nach oben weitergegeben
werden.
({7})
Diese Kultur muss erreicht werden. Hier gibt es noch
großen Nachholbedarf, wie wir nicht nur an diesem Beispiel gesehen haben.
Last but not least: Dazu gehört auch die Kommunikation in Richtung Deutscher Bundestag. Wir müssen mindestens dahin kommen, wo wir vor Rot-Grün 1998 gewesen sind, nämlich dass anlasslos, ohne dass bereits
Probleme aufgetaucht sind, also schon im Vorfeld regelmäßig an den Haushaltsausschuss und den Verteidigungsausschuss berichtet wird, damit auch die Parlamentarier ihrer Frühwarnfunktion nachkommen und
entsprechende Entscheidungen treffen können. Ich freue
mich auf die nächste Legislaturperiode, um dies in der
jetzigen Konstellation entsprechend gestalten zu können.
Ich bedanke mich.
({8})
Vielen Dank, Kollege Joachim Spatz. - Nächster
Redner für die Fraktion Die Linke ist unser Kollege Jan
van Aken. Bitte schön, Kollege Jan van Aken.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zunächst
einmal möchte ich dem Sekretariat meinen Dank aussprechen. Es war eine ganz harte Aufgabe, mitten in der
Sommerpause von null auf hundert einen solchen Untersuchungsausschuss zu organisieren. Das haben sie ganz
hervorragend gemacht. Ich möchte nicht wissen, wie
viele Nächte und Wochenenden sie durchgearbeitet haben. Vielen Dank dafür.
({0})
Ich möchte gerne drei Punkte ansprechen: erstens, die
Rolle von Herrn de Maizière, zweitens, warum wir als
Linke den Euro Hawk von Anfang an falsch fanden und
drittens: Wie kann man künftig solche Debakel verhindern?
Zu Herrn de Maizière. Hier sind die Fakten ganz simpel. Herr de Maizière hat vor drei Monaten gesagt, ihm
sei nie ein Papier in Zusammenhang mit dem Problem
des Euro Hawk vorgelegt worden. Es gibt dieses Papier
aber.
({1})
Es ist ihm schon ein halbes Jahr vorher vorgelegt worden. In diesem sind die Probleme drastisch geschildert
worden. Er ist der Lüge überführt. Ich frage mich, warum er eigentlich immer noch Minister ist.
({2})
Herr Grübel, Sie werfen mir Bösartigkeit vor.
({3})
Ich möchte deswegen die Fakten, die diese Lüge von
Herrn de Maizière belegen, noch einmal ganz langsam
der Reihe nach durchgehen, um zu sehen, an welchem
Punkt Sie mir widersprechen.
Erstens. Am 5. Juni dieses Jahres hat Herr de
Maizière vor dem Verteidigungsausschuss wörtlich gesagt, vor dem 13. Mai sei ihm „keine Vorlage … mit einer Beschreibung der Zulassungsprobleme“ vorgelegt
worden.
({4})
Das ist aber falsch. In den Akten finden wir plötzlich einen ganz dicken Bericht - fast 50 Seiten - für Herrn
de Maizière für seinen Besuch bei Cassidian. Cassidian
ist eine Firma aus Bayern, die am Euro Hawk beteiligt
war. Das ist ihm vorgelegt worden. Dann fragen wir
Herrn de Maizière, als er als Zeuge dort sitzt: Kennen
Sie diese Vorlage? Er weiß natürlich ganz genau, dass in
diesen Akten auf vier langen Seiten alle Probleme des
Euro Hawk geschildert werden. Dort steht: Es gibt hohe
finanzielle Risiken. Es wird von Zulassungsproblemen
geredet. Dort steht, dass die Serienbeschaffung des Euro
Hawk infrage gestellt ist. Und dort steht - das ist die
größte anzunehmende Klatsche für ein Projekt -: Wir suchen bereits nach Alternativen. Das steht dort alles, und
das weiß Herr de Maizière.
Und - Herr Grübel, Sie waren dabei und haben es gesehen - was versucht dieser Minister dann? Plötzlich
versucht er, zu definieren: Na ja, diese Informationsmappe war keine Vorlage. Nur das Deckblatt war eine
Vorlage. Der Rest war eine Informationsmappe. Deswegen hat er nicht gelogen. Diesen himmelschreienden
Versuch, sich mit Worten herauszuwinden, hat er selber
aufgegeben. Er hat später zugegeben: Die ganze Mappe
mit allen Problembeschreibungen war eine Vorlage.
({5})
Also hat er gelogen. Das ist zweifelsfrei belegt, Herr
Grübel. Das können Sie auch nicht leugnen.
({6})
Zweite Frage: Warum überhaupt diesen Euro Hawk?
Ich stehe jetzt hier und höre mir Ihre Reden an. Herr
Grübel von der CDU, Sie werfen Herrn Scharping und
Rot-Grün vor, dass sie das Projekt versemmelt haben.
({7})
Herr Arnold von der SPD, Sie werfen Herrn de Maizière
von der CDU vor, dass er es versemmelt hat. Das
Schlimme ist: Sie haben beide recht.
({8})
Sie alle gemeinsam - von Rot-Grün über die Große
Koalition bis zu Schwarz-Gelb - haben das Projekt in
den Sand gesetzt. Wir haben dieses Problem nicht. Wir
haben nämlich von Anfang an immer Nein zum Euro
Hawk gesagt, aus einem ganz einfachen Grund:
({9})
Die Bundeswehr brauchte diesen Euro Hawk aus ihrer
Sicht für ihre Auslandseinsätze. Sie brauchte die Spionagedrohne, um Kriegseinsätze in Afghanistan zu unterstützen. Wir finden die Kriegseinsätze falsch. Deswegen
fanden wir die Drohne falsch. Das finden wir heute immer noch.
({10})
Was aber dann im Laufe des Untersuchungsausschusses noch herausgekommen ist, das war uns vorher nicht
klar, und das finde ich genauso bedenklich: Bei diesem
Euro Hawk handelt es sich technisch um einen riesigen
Datenstaubsauger. Wir haben das von Fachleuten analysieren lassen. Er kann tatsächlich, wenn er in 15 Kilometer Höhe über Deutschland kreist, alle Mobilfunkverbindungen aufzeichnen und heruntersenden. Das ist ein
Datenstaubsauger. Wenn der hier eingesetzt wird, dann
finde ich das sehr bedenklich.
Dann stellt sich doch tatsächlich im Laufe des Untersuchungsausschusses heraus: Das war auch geplant. Der
sollte auch von der Bundeswehr im Rahmen der sogenannten Amtshilfe ausgeliehen werden. Das haben wir
schriftlich in den Dokumenten. Das hat auch ein Zeuge
ausgesagt. Das Innenministerium und der Bundesnachrichtendienst waren zum Beispiel vorgesehen, diesen
Euro Hawk zu nutzen. Die Vorstellung, dass es wie im
Jahre 2007 wieder einmal eine große Demonstration in
Deutschland gibt und die Bundeswehr herangerufen
wird, Amtshilfe zu leisten, und dann ein Euro Hawk
diese Demonstration mit seinem Datenstaubsaugermechanismus von oben überwacht, finde ich wirklich erschreckend. Das ist ein zweiter, guter Grund, diesen
Euro Hawk abzulehnen.
({11})
Jetzt stellt sich die große Frage: Wie können wir eigentlich in Zukunft ein solches Debakel verhindern?
Das, was mich in diesem Untersuchungsausschuss am
meisten schockiert hat, war, wie eng eigentlich die Verflechtung zwischen dem Bundesverteidigungsministerium und der deutschen Rüstungsindustrie ist. Man
glaubt gar nicht, welche personellen Verknüpfungen es
da gibt. Da gibt es Mitarbeiter, die direkt von der Spitze
des Ministeriums in eine Rüstungsfirma wechseln. Da
gibt es Vorlagen, die teilweise von der Industrie geschrieben werden. Das geht so weit, dass jetzt bei der
Suche nach einem Nachfolgeprojekt für den Euro Hawk
eine Firma beauftragt wird, ihr eigenes Produkt zu prüfen. Das kann doch wohl nicht wahr sein, dass das
Ministerium Firmen damit beauftragt, sich selbst zu
überprüfen. Dass am Ende Murks dabei herauskommt,
muss Ihnen allen klar sein. Mit dieser Verflechtung und
diesem Filz muss endlich aufgeräumt werden.
({12})
Was wir brauchen, ist endlich eine unabhängige Kontrolle des Verteidigungsministeriums. Der Euro Hawk ist
ja nicht das einzige Projekt, das völlig gegen die Wand
gefahren wurde. Es gibt viele andere. Ich muss sagen:
Das, was die Zeugin vom Bundesrechnungshof im Untersuchungsausschuss gesagt hat, war für mich wirklich
sehr ernüchternd. Sie hat gesagt: Das Ministerium war
blauäugig. Sie hat gesagt: Das Controlling hat versagt. Sie
hat gesagt: Es hat keine fachliche Kontrolle gegeben. Das muss man sich einmal vorstellen: Bei einem Hunderte Millionen Euro schweren Projekt kein Controlling,
keine Kontrolle, ein blauäugiges Ministerium.
Wir brauchen offensichtlich eine unabhängige Kontrolle von außen. Deshalb schlagen wir eine Stärkung
des Bundesrechnungshofes vor, weil dort die Expertinnen und Experten vorhanden sind. Es hat sich im Laufe
des Untersuchungsausschusses gezeigt, dass die etwas
davon verstehen. Sie müssen nur direkt in das MinisteJan van Aken
rium durchgreifen können. Das würde diesen Filz mit
der gegenseitigen Selbstbedienung vielleicht beenden.
Zusammenfassend muss man sagen: Das Euro-HawkProjekt war von Anfang an falsch. Es ist ganz schlecht
umgesetzt und am Ende gegen die Wand gefahren worden. Schuld waren immer die anderen. Das Wort
„Selbstkritik“ kommt bei Herrn de Maizière überhaupt
nicht vor. Schuld haben immer die anderen. Verantwortung übernimmt er nur für die Rüstungsindustrie und für
niemand sonst. Das finde ich eines Ministers unwürdig.
({13})
Im Übrigen bin ich der Meinung, dass Deutschland
keine Waffen mehr exportieren sollte, auch keine Drohnen. Vielleicht wissen Sie es, vielleicht wissen Sie es
nicht: Deutschland verkauft gerade nicht nur Panzer
nach Saudi-Arabien, sondern auch Drohnen. Aber das ist
ein Thema für die nächste Saison.
Ich bedanke mich bei Ihnen. Tschüss.
({14})
Vielen Dank, Kollege Jan van Aken. - Nächster Redner für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen ist unser
Kollege Omid Nouripour. Bitte schön, Kollege Omid
Nouripour.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben
den kürzesten Untersuchungsausschuss in der Geschichte des Bundestages hinbekommen, weil es in der
Verwaltung und auch in den Fraktionen unglaublich
viele Leute gegeben hat, die Tag und Nacht gearbeitet
haben. Herzlichen Dank dafür.
({0})
Dieser Untersuchungsausschuss war ein großer Erfolg. Sie wissen, dass wir Grüne vor drei Monaten die
Einzigen waren, die ihn wollten; am Ende haben wir ihn
Gott sei Dank gemeinsam beschlossen. Dieser Untersuchungsausschuss war ein Riesenerfolg, weil erstens endlich auch in der breiten Öffentlichkeit darüber diskutiert
wird, dass das Beschaffungswesen bei der Bundeswehr
schlicht nicht funktioniert. Dass es zu solchen Desastern
wie beim Hubschrauberdeal kommt, ist schon länger bekannt. Dass dieses Thema jetzt endlich große Teile der
Öffentlichkeit erreicht und hoffentlich eines Tages Bewegung in das Beschaffungswesen kommt, wäre aber
ohne diesen Untersuchungsausschuss nicht möglich gewesen. Der zweite Erfolg ist, dass für alle relativ deutlich sichtbar ist, dass dieses Haus alles andere als gut geführt wird.
Wenn ich mir jetzt ein paar Reden von der Mehrheit
anhöre, dann frage ich mich, warum Sie eigentlich so
nervös sind; ich verstehe das nicht so ganz.
({1})
Ich meine: Sie geben nicht einmal die Fehler zu, die der
Minister selbst bei seiner Befragung im Untersuchungsausschuss eingeräumt hat, und ich frage mich, woran das
eigentlich liegt.
({2})
Wenn Sie von „Geburtsfehlern“ sprechen und dann sagen, dass es downgegradet worden sei und keine Zulassung für den allgemeinen Luftverkehr angestrebt werden
sollte, dann ist das einfach schon denklogisch falsch. Sie
müssen sich vorstellen: Je niedriger die Anforderungen
an eine Teilnahme gestellt werden, umso leichter lässt
sich die Musterzulassung auch erreichen. Aber auch die
leichter zu erreichende Version ist doch gar nicht erreicht
worden, und deshalb ist das schlicht nicht redlich.
({3})
Es hat nur noch gefehlt, Herr Kollege Spatz, dass Sie
sich am Ende hier hinstellen und einen Rücktritt beim
Rechnungshof fordern, weil der Rechnungshof nun einmal etwas gesagt hat, das Ihnen nicht passt: Spätestens
2011 hätte man dieses Projekt stoppen müssen. ({4})
Das haben Sie schlicht nicht getan.
({5})
Meine Damen und Herren, er war einmal ein Reservekanzler, er war einmal ein Mister Gründlich. Er war in
den Umfragen teilweise der beliebteste Politiker. Er kokettierte damit, dass er Mister Büroklammer ist, weil er
so unglaublich gründlich ist und das alles gut macht und
verwaltungserfahren ist. Heute wissen wir: Er kann mit
Geld nicht umgehen.
({6})
Wenn es zum Beispiel um die Regressfrage geht, wenn
es darum geht, wie man Gelder für die Steuerzahlerinnen
und Steuerzahler zurückbekommt, dann sagt er: Meine
Rechtsabteilung kann es nicht; ich beauftrage eine externe Rechtsanwaltskanzlei, und die prüfen irgendwie. Vielleicht Mitte August, vielleicht nach der Wahl gibt es
dann Ergebnisse. Durch die Rechtsanwaltsshow wird es
am Ende nur noch teurer.
Die Neuordnung des Beschaffungswesens sollte das
ultimative Kernstück der Bundeswehrreform sein. Der
Minister wollte alle Beschaffungsvorhaben tatsächlich
überprüfen. Das Ergebnis ist: Er hat von nichts gewusst.
Und da kann ich nur sagen: Das, was er bei seiner Bundeswehrreform nicht angepackt hat, fällt ihm nun auf die
Füße; was er gesät hat, erntet er nun. Das ist zwar gerecht, aber wahnsinnig teuer für die Steuerzahlerinnen
und Steuerzahler.
({7})
Wir alle gemeinsam haben ja die Vorlagen gesehen.
Ich weiß nicht, was Sie zwischen den Sitzungen und vor
den Sitzungen gemacht haben, aber fest steht: Der
Minister hatte all diese Vorlagen. Wie gesagt: Er wollte
doch einmal Mister Gründlich sein.
Ich lese Ihnen mal ein paar Zitate von Herrn de
Maizière aus seiner Befragung im Untersuchungsausschuss vor:
({8})
Ich kann ja nicht mehr sagen, wie gründlich ich
eine Vorlage im Dezember 2012 gelesen habe.
Auf Nachfrage sagte er zur Gründlichkeit:
Das ist, ehrlich gesagt, abhängig vom Zeitvorgang …
Oder:
Manchmal kommt die Unterlage Tage vorher. Dann
nutze ich die Gelegenheit, wenn ich sowieso Akten
mache, das durchzugucken, und je nachdem, wie
viel Zeit dann dafür ist, gründlich oder weniger
gründlich.
Oder:
Natürlich kann ich im Nachhinein nicht mehr sagen, ob und in welcher Gründlichkeit ich jede dieser 60 Seiten gelesen habe.
Wenn Sie nicht gelogen haben, sondern dies das Problem ist, dann macht mir das bei einem Verteidigungsminister einfach nur Angst, und deshalb sind Sie an dieser Stelle schlicht der Falsche.
({9})
Die Frage der Verantwortung ist eine, die Sie von Anfang Ihrer Amtszeit an immer sehr groß im Munde geführt haben - und ja, das ist eine wichtige Frage, gerade
für einen Verteidigungsminister, der vor die Soldatinnen
und Soldaten tritt, der ihnen Befehle gibt, der sie in Einsätze schickt, die unglaublich risikoreich sind. Aber der
Eiertanz der letzten Monate um Verantwortung und darum, wer sie trägt, Ihre erste Reaktion, bei der es eigentlich nur um andere ging, Ihre Aussage im Untersuchungsausschuss - sinngemäß: ich kann ja nicht alles
lesen; ich sage immer meinen Leuten: gebt mir weniger
Papier! -, all das hat mit Verantwortung überhaupt nichts
mehr zu tun.
Kollege Arnold zitiert immer wieder ehemalige Verteidigungsminister, die völlig zu Recht gesagt haben:
Verantwortung ist nicht teilbar. - Sie verstehen diesen
Grundsatz immer nur, wenn es um andere geht. Wenn es
um Sie selbst geht, geht es nur noch um Selbstverteidigung, und das werden wir nicht mehr hinnehmen. Aber
die gute Nachricht ist: In drei Wochen ist es sowieso damit vorbei,
({10})
und dann wird es hoffentlich eine andere Situation geben, dann werden wir einen anderen Verteidigungsminister oder, wenn es nach mir geht, eine andere Verteidigungsministerin haben,
({11})
die dieses Land voranbringt und sich ein bisschen mehr
um die Truppe kümmert,
({12})
anstatt alle vier Wochen die Soldaten zu mobben, nach
dem Motto: „Ihr habt Bore-out“, oder: „Ihr seid gierig
nach Anerkennung.“ Es ist wirklich höchste Zeit, dass
das endet. Es wird in drei Wochen enden.
Herzlichen Dank.
({13})
Vielen Dank, Kollege Omid Nouripour. - Nächster
Redner für die Fraktion von CDU/CSU ist unser Kollege
Thomas Silberhorn. Bitte schön, Kollege Thomas
Silberhorn.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das
aus meiner Sicht Wichtigste zuerst: Deutschland braucht
Drohnen. Die Bundeswehr braucht die Fähigkeit zur
Aufklärung und Überwachung: signalerfassend, luftgestützt und weiträumig. Unsere Soldatinnen und Soldaten,
die in unserem Auftrag im Auslandseinsatz unterwegs
sind und dabei Leib und Leben riskieren, brauchen den
bestmöglichen Schutz. Wir werden sie dabei nicht im
Stich lassen.
({0})
Die Breguet Atlantic ist außer Dienst gestellt. Damit
besteht die Fähigkeitslücke im Bereich der Überwachung und Aufklärung fort. Nach dem Ende des Projekts
Euro Hawk wird es noch dringlicher, diese Lücke zu
schließen. Im Moment ist es doch so, dass die Bundeswehr ohne die Unterstützung unserer Verbündeten buchstäblich im Dunkeln tappen würde. Strategische Nachrichtengewinnung durch elektronische Aufklärung ist für
die Bundeswehr im Einsatz schlichtweg unabdingbar.
Jedem Sicherheitspolitiker muss doch klar sein, welches
nun der Handlungsauftrag ist. Streitkräfte, Verwaltung
und Politik müssen konstruktiv darauf hinwirken, im Interesse unserer Soldatinnen und Soldaten diese Fähigkeitslücke zu schließen, und das so schnell wie möglich,
meine Damen und Herren.
({1})
Was macht die Opposition? Ich will Ihnen sagen:
Nach der Entscheidung, die Euro-Hawk-Serie nicht zu
beschaffen, wäre es Ihre Aufgabe gewesen, eine konThomas Silberhorn
struktive Lösung mit zu suchen, nachdem Rot-Grün ja
dieses Projekt in Auftrag gegeben hat. Stattdessen haben
Sie die vermeintliche Chance gesucht, den Verteidigungsminister zu belasten, ausgerechnet den Minister,
der Rüstungsprojekte nicht einfach hat weiterlaufen lassen, der Kostensteigerungen nicht einfach unbesehen in
Kauf genommen hat, sondern der hat prüfen lassen und
der bei ausufernden Kosten die Reißleine gezogen hat.
({2})
Meine Damen und Herren, wir hatten deshalb auch
gar nichts gegen die Einrichtung dieses Untersuchungsausschusses. Im Gegenteil. Er hat doch gezeigt, dass die
Vorwürfe der Opposition völlig haltlos gewesen sind,
und das kann vor den Augen der Öffentlichkeit hier auch
deutlich gemacht werden.
Die Entscheidung des Ministers, die Euro-HawkSerie nicht zu beschaffen, war richtig. Das ist überhaupt
nicht zu bestreiten. Das bestreitet - mit Ausnahme der
Linken - auch tatsächlich niemand. Der Opposition ging
es im Wesentlichen um die Formalie, was der Minister
wann gewusst hat. Das ist längst geklärt. Das eigentliche
Problem ist aber bei Ihnen doch völlig aus dem Blick geraten, nämlich diese Fähigkeitslücke bei der Signalaufklärung zu schließen und die grundsätzlichen
Schwierigkeiten im Beschaffungswesen und im Zulassungswesen abzustellen.
({3})
Das verlangt nach Konsequenzen, meine Damen und
Herren. Aber da haben Sie nichts zu bieten und auch
nichts dazu gesagt. Der Bundesminister der Verteidigung
hat zu Recht die nötigen Schritte eingeleitet. Deswegen
wäre eine sachliche, konstruktive Arbeit dem Thema angemessener gewesen als das Wahlkampfgetöse, das Sie
hier veranstalten.
({4})
Meine Damen und Herren, die Erwartungen der
Opposition an den Ausschuss haben sich nicht erfüllt.
Wir haben über 1 500 Akten mit weit über 100 000 Seiten vorgelegt bekommen. Sie haben keine einzige neue
Information daraus hervorgebracht, keine einzige. Keinen Ihrer Vorwürfe konnten Sie belegen.
({5})
Im Gegenteil: Bundesminister de Maizière ist klar
entlastet. Die Ausschussarbeit hat erwiesen, dass er die
Wahrheit gesagt hat und dass er richtig gehandelt hat.
Der Minister hat umfassend ausgesagt. Er hat vollständig widerspruchsfrei ausgesagt. Das hat auch die Anhörung der anderen Zeugen bestätigt. Deswegen ist der
Vorwurf der Irreführung der Öffentlichkeit und des Parlaments schlicht ausgeräumt.
({6})
Die wesentlichen Fehler - das ist schon angesprochen
worden - sind weit vor der Amtsübernahme durch
Minister de Maizière gemacht worden. Sämtliche Risiken waren von Beginn an bekannt und sind von Beginn
an, aber auch in der Folge durch Rot-Grün unterschätzt
worden.
({7})
Ich will noch einmal in Erinnerung rufen: Bei Amtsantritt von Minister de Maizière waren 85 Prozent der
zur Verfügung stehenden Haushaltsmittel bereits ausgegeben oder vertraglich gebunden.
({8})
Als die Leitung des Ministeriums über die Probleme unterrichtet worden ist, waren bereits 93 Prozent der Mittel
gebunden.
({9})
Im Ergebnis hat der Minister die richtige Entscheidung zum richtigen Zeitpunkt getroffen. Die Entscheidung, die Euro-Hawk-Serie nicht zu beschaffen, war
richtig.
({10})
Es bestand offenkundig keine Chance mehr, die Musterzulassung für die Serie zu vertretbaren finanziellen Bedingungen zu erreichen. Es wäre doch nicht zu verantworten gewesen, Mehrkosten von bis zu 600 Millionen
Euro in Kauf zu nehmen, ohne eine Gewähr dafür zu haben, dass die Musterzulassung gelingt.
Wir hatten für den Erwerb der vier Seriendrohnen
515 Millionen Euro geplant. Die Mehrkosten für die
Musterzulassung hätten sich auf bis zu 600 Millionen
Euro belaufen, wären also höher gewesen als die für die
Beschaffung der Fluggeräte selbst.
({11})
Daher ist die Konsequenz klar: Eine Beschaffung um jeden Preis darf es heute nicht mehr geben. Deswegen ist
Schaden vom Steuerzahler abgewendet worden, indem
die Serie nicht beschafft worden ist.
({12})
Das ist doch klar. Jetzt stehen 675 Millionen Euro zur
Verfügung, die für die vorgesehenen Zwecke nicht mehr
verausgabt werden.
Ebenso richtig war es, die Entwicklung des Prototypen zu Ende zu führen. Ihr zentraler Vorwurf - den Sie
inzwischen gar nicht mehr erheben - war doch: Man
hätte früher aussteigen müssen. - Die Anhörungen ha32608
ben ergeben, dass das Gegenteil der Fall ist: Es wäre ein
schwerer Fehler gewesen; denn dann wären alle Entwicklungskosten völlig vergebens gewesen. Deswegen
war es richtig, das Aufklärungssystem zu Ende zu erproben. Es kann jetzt auf einer alternativen Plattform eingesetzt werden.
Unsere zentrale Aufgabe muss sein, die Fähigkeitslücke bei der Signalaufklärung zu schließen. Die Auswahl
einer alternativen Trägerplattform hat jetzt absolute
Priorität. Dafür werden wir Sorge tragen zum Schutz unserer Soldatinnen und Soldaten, die wir von diesem
Hause aus in den Auslandseinsatz schicken.
Vielen Dank.
({13})
Vielen Dank, Kollege Thomas Silberhorn. - Nächster
Redner für die Fraktion der Sozialdemokraten ist unser
Kollege Dr. Hans-Peter Bartels. Bitte schön, Kollege
Dr. Bartels.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich war,
ehrlich gesagt, skeptisch, ob wir so spät in der Wahlperiode, nach Ende aller regulären Sitzungen, noch einen
Untersuchungsausschuss anfangen sollten, aber es hat
funktioniert. Dafür danke ich den Kolleginnen und Kollegen, auch der Koalitionsfraktionen, die ja selbst kritische Fragen hatten, jedenfalls wenn es nicht um den gegenwärtigen Minister ging.
({0})
Drei Ergebnisse will ich hier festhalten, weil sie für
Parlament und Öffentlichkeit zentral sind:
Erstens. Was das Projekt Euro Hawk angeht, stelle ich
fest: Ein totes Pferd wurde viel zu lange geritten. Sie sagen: Scharping ist schuld!
({1})
Aber es ist doch so: Als das Pferd gesattelt wurde, waren
CDU, CSU und FDP so was von dabei. Sie haben dem
Entwicklungsvertrag doch zugestimmt. Was kritisieren
Sie denn da?
({2})
Das tote Pferd hat Zeit gekostet; Zeit, in der man Alternativen hätte entwickeln können und müssen, und das
hat Geld gekostet; Geld, mit dem man die Entwicklung
von Alternativen hätte vorantreiben müssen.
({3})
Drei Jahre nach dem letzten Flug einer Breguet Atlantic SIGINT besteht die Fähigkeitslücke, die die SIGINT
hinterlassen hat, fort und wird nun noch Jahre fortbestehen. Das ist bitter für die Bundeswehr und bitter für unsere Rolle im Bündnis. Durch diese Aufklärungslücke
sind zum Beispiel unsere ECR-Tornados jetzt schon nahezu blind. Sie könnten ihre Hauptaufgabe nicht mehr
uneingeschränkt erfüllen.
Zweitens. Der Ausschuss hat gezeigt, dass es im Beschaffungswesen der Bundeswehr gravierendes Missmanagement und auf der politischen Leitungsebene Führungsversagen gab. Es ist nicht gut, wenn der Inhaber
der Befehls- und Kommandogewalt den Eindruck erweckt, nicht er steuere den Apparat, sondern der Apparat
steuere ihn.
({4})
Sie, Herr Minister de Maizière, haben in Ihrer bemerkenswerten Reformrede am 16. Mai 2011 gesagt - ich
zitiere -:
Die Bundeswehr ist gegenwärtig nicht zu führen,
auch nicht von mir.
({5})
Das mag damals richtig gewesen sein. Aber erschreckend ist, dass es heute immer noch stimmt.
({6})
Die Bundeswehr wird von Ihnen nicht geführt, und
ein noch viel größeres Problemfeld als Ihr Drohnendesaster ist dabei die Umsetzung der Bundeswehrreform.
({7})
Nie war die Stimmung unter Soldaten und Zivilbeschäftigten so schlecht wie heute. Sie haben kein Reformmanagement. Sie lassen Frust und Verunsicherung und Organisationschaos zu und merken nicht einmal, dass da
etwas gewaltig schiefläuft. Ihr Spruch „Der Sack ist zu“
ist von oben herab geredet und die falsche Antwort auf
die Sorgen Ihrer Untergebenen.
Drittens hat der Ausschuss ergeben, dass Sie nach Ihrer selbst auferlegten dreiwöchigen Schweigephase mit
Ihren Aussagen vom 5. Juni 2013 missverstanden worden sind; so sagen Sie selbst. Inzwischen ist belegt, dass
Sie, früher als Sie behauptet haben, mehrfach schriftlich
über die Euro-Hawk-Probleme unterrichtet wurden. Es
ist wahr: Sie können nicht alles lesen. Aber Sie könnten
mit Ihren Mitarbeitern sprechen, fragen, sich interessieren. Sie haben allein in diesem Jahr im Bundestag dreimal zum Thema Drohnen, Kampfdrohnen, gesprochen.
({8})
Warum machen Sie sich vorher nicht schlau? Mit dem
Wissen Ihres Apparats hätte klar sein müssen: Das
Thema steht überhaupt nicht an, keine Realisierungschance.
Was ist nun zu tun? Klar ist: Wir brauchen eine fliegende Lösung als Ersatz für die SIGINT-Version, und
zwar möglichst schnell.
({9})
Es kann gern wieder ein bemanntes Aufklärungsflugzeug sein. Dabei müssen wir allerdings aufpassen, Herr
Minister, dass wir uns nicht von den Vertretern ganz bestimmter Industrieinteressen über den Tisch ziehen lassen.
({10})
Wer in Zukunft die Bundeswehr führt, ist drei Wochen vor der Wahl keine Frage der Kabinettsumbildung
mehr, sondern eine Frage der nächsten Bundesregierung.
({11})
Weiter: Das Beschaffungswesen der Bundeswehr
braucht ganz andere Weichenstellungen als die, die in Ihrer Reform vorgesehen sind. Die größte Einzelbehörde
der Bundesrepublik Deutschland noch größer zu machen, kann nicht die Lösung sein. Nicht eine Superbehörde noch zentralistischer aufstellen, sondern den Sachverstand und die Verantwortung in den technischen
Dienststellen stärken, das ist das Gebot der Stunde. Und
man sollte noch einmal nachschauen, was die WeiseKommission vorgeschlagen hat.
Übrigens: Nicht alles an der laufenden Reform ist
schlecht. Die neue Planungsabteilung war wahrscheinlich eine gute Idee. Planung ist das Zauberwort; denn
was wir so schnell nicht wieder erleben wollen, ist noch
ein völlig aus dem Plan laufendes Rüstungsprojekt. Dafür war dieser Ausschuss allemal alle Mühe wert.
Vielen Dank.
({12})
Vielen Dank, Kollege Dr. Hans-Peter Bartels. Nächster Redner für die Fraktion von CDU und CSU,
unser Kollege Henning Otte. Bitte schön, Kollege
Henning Otte.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Über 1 300 Ordner sind durchgearbeitet. 18 Zeugen
sind angehört worden. Der Untersuchungsausschuss war
vergleichsweise kurz, aber er hat äußerst sorgfältig gearbeitet und mit großer Gründlichkeit die Vorwürfe der
Opposition ausgeräumt.
({0})
Fünf Punkte sind wichtig:
Erstens. Die Ursächlichkeit der Probleme liegt im Anfangsstadium. Herr Nouripour, Sie wissen ganz genau:
Wenn das Hemd unten falsch geknöpft ist, wird es oben
schwierig.
({1})
Zweitens. Minister und Ministerien haben nach Recht
und Gesetz gehandelt.
({2})
Drittens. Der Herr Minister de Maizière hat zu jeder
Zeit die Wahrheit gesagt.
({3})
Viertens. Der Minister hat zum richtigen Zeitpunkt
gehandelt. Der Bundesrechnungshof hat dies bestätigt.
({4})
Fünftens. Es ist mehr als deutlich geworden: Die Entscheidung von Minister de Maizière, die Neuausrichtung
und die Reform des Beschaffungsprozesses durchzuführen, war richtig. Das hat der Untersuchungsausschuss
festgestellt, und das war gut.
({5})
Die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses ist
ein wesentliches und vornehmes Recht im Parlamentarismus. Im Grunde genommen stand das Ergebnis aber
schon vorher fest. Im Verteidigungsausschuss, der nichtöffentlich tagt, gab es keine wesentlichen Fragen mehr.
({6})
Vor der Kamera allerdings wurde Ungeheuerliches hervorgeholt und vorgeworfen. Es war richtig, dass der Untersuchungsausschuss öffentlich getagt hat. So wurde
nämlich deutlich, dass ein Herr van Aken, ein Herr
Arnold und ein Herr Nouripour ausschließlich skandalisieren wollten. Sie wollten Spektakel. Im Verteidigungsausschuss waren sie lammfromm, vor der Kamera
zeigten sie sich aber im Wolfspelz. Das war Wahlkampfpopulismus, und das ist deutlich geworden.
({7})
Sie sprechen mit gespaltener Zunge, Kollege Arnold.
Oder soll ich sagen: „Die Doppelstrategie ist aufgeflogen“? Rote, Grüne und Linke haben diesen Untersu32610
chungsausschuss - ich glaube, das ist historisch einmalig ausschließlich als Wahlkampfinstrument missbraucht.
Sie unterstellen den Beteiligten im Nachhinein, sie hätten nicht wahrhaftig agiert und seien nicht gewissenhaft
gewesen.
({8})
Dass Sie, meine Damen und Herren, den Menschen nicht
trauen, erfährt man in Ihrem Wahlprogramm.
({9})
- Dass Sie über Ihr eigenes Wahlprogramm lachen, zeigt
das. - Es ist deutlich geworden: Sie misstrauen den
Menschen im Allgemeinen und - das ist schlimm - den
Soldaten im Besonderen. Das werfe ich Ihnen vor.
({10})
Die Bundeswehr ist bei ihren Auslandseinsätzen stark
gefordert. Den Soldatinnen und Soldaten und den zivilen
Mitarbeitern wird viel abverlangt. Trotzdem: Die Neuausrichtung der Bundeswehr ist richtig, und sie bleibt
weiterhin notwendig.
({11})
Sie aber belasten in dieser Zeit durch viele Anfragen und
Anträge auf Akteneinsicht den gesamten Apparat.
({12})
Ich kann Ihnen nur sagen: Ihr Misstrauen gegenüber den
Menschen - das ist hier wieder einmal deutlich geworden; Herr Arnold, ich höre Ihre Worte - ist nicht nur unfreundlich und unkollegial, sondern - ich sage es einmal
so - in Teilen auch schon unverschämt.
({13})
Meine Damen und Herren, die Opposition muss und
soll die Regierung kontrollieren. Aber das muss sie verantwortungsvoll tun. Ich habe den Eindruck - davon bin
ich sogar fest überzeugt -, dass Sie dieser Aufgabe nicht
nachgekommen sind.
Jetzt, Herr Nouripour, zu gestern Abend.
({14})
Seit gestern Abend bin ich stark irritiert.
({15})
Ich hörte nämlich, was der Spitzenkandidat der unheilvollen Dreierverbindung, die Sie offensichtlich eingehen
wollen, sagte.
({16})
Sie waren diejenigen, die unsere Soldatinnen und Soldaten im Jahr 2001 in den Einsatz entsandt haben.
({17})
Den Menschen, die sich damals verdient gemacht haben,
im Nachhinein die Pension kürzen zu wollen, ist meines
Erachtens unverschämt, meine Damen und Herren.
({18})
Ein weiterer Punkt. Es gab in diesem Land leider Anschläge auf Einrichtungen der Bundeswehr, die von
Linksextremisten verübt worden sind.
({19})
Ich hätte mir gewünscht, dass Sie sich von diesen Anschlägen aus dem linksextremistischen Bereich klar distanziert hätten. Noch mehr hätte ich mir gewünscht, dass
Sie eine Koalition mit Personen, die so etwas unterstützen, ganz klar ausschließen. Das haben wir auch gestern
Abend eindeutig vermisst.
({20})
Was bleibt von diesem Untersuchungsausschuss? Die
Neuausrichtung der Bundeswehr ist richtig. Der Beschaffungsprozess - das ist von Herrn de Maizière festgestellt und entschieden worden - ist zu reformieren.
Die integrierten Projektteams haben ihre Arbeit aufgenommen.
({21})
Die Fähigkeitslücke, lieber Herr Arnold, muss geschlossen werden. Dieses Thema muss auch der Verteidigungsausschuss sofort aufgreifen. Unsere Soldatinnen und
Soldaten brauchen diese Aufklärungsmittel, um eine
klare Informationslage und eine klare Lagebeurteilung
zu bekommen. Das ist Teil einer Lebensversicherung.
({22})
Ich mache Ihnen den Vorwurf: Diese wollen Sie unseren
Soldaten vorenthalten. Das ist schäbig.
({23})
Meine Damen und Herren, die Sicherheit unseres
Landes ist gewährleistet, weil wir verdiente Soldatinnen
und Soldaten und verdiente zivile Mitarbeiter haben, die
für unser Land einstehen. Auch wir, die Union, stehen
für die Sicherheit unseres Landes ein. Wir haben das
Wohl der Menschen im Blick, und wir vertrauen den
Menschen. Ja, wir trauen ihnen auch etwas zu. Sie allerdings haben offensichtlich ein gespaltenes Verhältnis zur
Sicherheit.
({24})
Wer Jugendoffiziere nicht mehr in die Schulen lassen
will, der will die Sicherheit in unserem Land reduzieren.
({25})
Deswegen ist es gut, dass CDU, CSU und FDP regieren. Wir stehen für die Bundeswehr ein, wir lassen sie
nicht zum Spielball von Wahlkämpfen werden. Für uns
steht die Bundeswehr, stehen die Streitkräfte im Mittelpunkt des Geschehens. Wir, meine Damen und Herren,
sind die Partei der Bundeswehr; auch das ist im Untersuchungsausschuss deutlich geworden. Vor allem werden
wir, was notwendig ist, die erfolgreiche Arbeit weiterführen - und das mit unserem Minister Dr. Thomas
de Maizière; darauf freuen wir uns.
Herzlichen Dank.
({26})
Kollege Henning Otte war der letzte Redner in unserer Debatte, die ich damit auch schließe.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Verteidigungsausschusses als 2. Untersuchungsausschuss auf
Drucksache 17/14650. Der Ausschuss empfiehlt in seiner
Beschlussempfehlung, den Bericht des Verteidigungsausschusses als 2. Untersuchungsausschuss zur Kenntnis
zu nehmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? Das sind alle Fraktionen dieses Hauses. Vorsichtshalber
die Gegenprobe! - Keine. Enthaltungen? - Keine. Die
Beschlussempfehlung ist angenommen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind am Schluss
unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Dienstag, den 3. September 2013,
9 Uhr, ein.
Die Sitzung ist geschlossen.