Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Die Sitzung ist eröffnet. Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ich begrüße Sie alle herzlich zu unserer 251. Sitzung
in der allmählich zu Ende gehenden Legislaturperiode.
Ich begrüße all diejenigen, die schon wieder da sind
({0})
- und ganz besonders diejenigen, die immer noch da
sind, die die gestrige Jubiläumssitzung, die 250. Sitzung,
in vollen Zügen genossen haben.
Ich habe für die heutige Sitzung keine Änderungen
der Tagesordnung vorzuschlagen, was Sie hoffentlich
mit Beruhigung zur Kenntnis nehmen. Wir sollten uns
aber vielleicht, weil wir auch für den heutigen Tag noch
ein vergleichsweise strammes Programm haben, darum
bemühen, es heute ähnlich zu handhaben wie gestern
und Zwischenfragen und Kurzinterventionen auf das unabweisbar Dringliche reduzieren.
({1})
- Ja, ich weiß schon, dass das gefühlt der ständigen Pra-
xis des Hauses entspricht. Aber ich glaube, das müssen
wir jetzt nicht vertiefen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 69 a und 69 b so-
wie den Zusatzpunkt 21 auf:
69 a) - Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen CDU/CSU, SPD, FDP und BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Errichtung eines Sondervermögens
„Aufbauhilfe“ und zur Änderung weiterer Gesetze ({2})
- Drucksache 17/14078 - Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Errichtung eines Sondervermögens „Aufbauhilfe“ und zur Änderung weiterer Gesetze
({3})
- Drucksache 17/14176 Beschlussempfehlung und Bericht des Haushaltsausschusses ({4})
- Drucksache 17/14264 Berichterstattung:Abgeordnete Norbert BarthleCarsten Schneider ({5})Otto FrickeDr. Gesine LötzschPriska Hinz ({6})
69 b) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
über die Feststellung eines Nachtrags zum
Bundeshaushaltsplan für das Haushaltsjahr
2013 ({7})
- Drucksachen 17/14000, 17/14020 Beschlussempfehlung und Bericht des Haushaltsausschusses ({8})
- Drucksachen 17/14080, 17/14081 Berichterstattung:Abgeordnete Norbert BarthleCarsten Schneider ({9})Otto FrickeDr. Gesine LötzschPriska Hinz ({10})
ZP 21 Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Haushaltsausschusses ({11})
- zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Gregor
Gysi, Jan van Aken, Agnes Alpers, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE
Flutopfern helfen - Hochwasserfonds einrichten
- zu dem Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Flutopfern solidarisch helfen - Hochwasserschutz ökologisch modernisieren
- Drucksachen 17/13896, 17/14079, 17/14264 32462
Abgeordnete Norbert BarthleCarsten Schneider ({0})Otto FrickeDr. Gesine LötzschPriska Hinz ({1})
Zu dem Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU,
SPD, FDP und des Bündnisses 90/Die Grünen liegt ein
Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU und
der FDP vor.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen
Widerspruch. Also können wir so verfahren.
Ich erteile das Wort dem Ministerpräsidenten von
Sachsen-Anhalt, Herrn Reiner Haseloff.
({2})
Dr. Reiner Haseloff, Ministerpräsident ({3}):
Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren!
Schon wieder halten uns Meldungen über steigende Pegel aufgrund starker Regenfälle in Atem. Nach dem, was
wir aktuell wissen und abschätzen können, wird es zwar
Gott sei Dank nicht zu einer quasi zweiten Welle der
Flutkatastrophe kommen. Dennoch zeigt uns dies, dass
wir immer wachsam sein müssen, dass wir die „Jahrhundertflut“ zwar möglicherweise so nennen dürfen, aber so
handeln müssen, als ob sie uns schon im nächsten Jahr
wieder ereilen könnte. Deshalb ist es nicht nur wichtig,
dass der Bundestag heute das Gesetz zum Aufbauhilfefonds verabschiedet, sodass wir im Anschluss an die Soforthilfe mit dem Wiederaufbau beginnen können. Mindestens ebenso wichtig ist, dass wir die richtigen
Konsequenzen aus den Ereignissen der letzten Wochen
ziehen; denn angesichts des Klimawandels und sich häufender Extremwetterlagen ist der Satz „Nach der Flut ist
vor der Flut“ so banal wie richtig.
Sie, meine Damen und Herren Abgeordnete, haben
am vergangenen Dienstag hier im Bundestag mit der
Diskussion darüber begonnen. Wer die Regierungserklärung der Bundeskanzlerin und die Debatte darüber nachliest, der wird an vielen Stellen Einigkeit in der vorläufigen Analyse und den notwendigen Schlussfolgerungen
feststellen. Der Bundesrat hat dazu vorgestern in ähnlicher Weise Stellung bezogen.
Die eine Botschaft heute lautet also: Wir brauchen eine
gründliche, aber auch zügige Diskussion über die Verbesserung des präventiven Hochwasserschutzes. Als Ministerpräsident eines Bundeslandes mit rund 300 Elbe-Kilometern und insgesamt 1 200 Kilometern Deichlänge will
ich hier die Initiative ergreifen und über das Thema auch
im europäischen Kontext reden. Der Kollege Tillich hat
hier im Bundestag am Dienstag über den Nutzen der bereits bestehenden intensiven Zusammenarbeit mit Tschechien gesprochen. Diese müssen wir verstärken. Für die
weitere Diskussion möchte ich noch den Gedanken einspeisen, ob wir den Aufbauhilfefonds nicht, mit klaren
Kriterien versehen, zu einer dauerhaften, institutionalisierten Einrichtung der Katastrophenbewältigung machen können, die uns im Bedarfsfall schnelles Handeln
ermöglicht und politische Kraftanstrengungen wie in den
letzten Tagen ein Stück weit erspart.
Die zweite Botschaft habe ich wie auch alle anderen
Kolleginnen und Kollegen im Bundesrat geäußert. Sie
lautet schlicht: Danke, Deutschland. Danke vor allem
den vielen Helferinnen und Helfern. - Es liegen wohl
noch keine abschließenden Zahlen über die enormen
Leistungen von Bundeswehr, Feuerwehren, Polizei,
THW, Mitarbeitern der Krisenstäbe und den vielen privaten Helfern vor, die sich in beeindruckender Weise
auch über soziale Netzwerke organisiert haben.
({4})
200 000 Einsatztage von Bundeswehr, THW und Bundespolizei, bis zu 75 000 Feuerwehrleute im Einsatz,
Rund-um-die-Uhr-Tätigkeit in den Krisenstäben, Dauereinsatz von Jugendlichen an den Brennpunkten - viele
Menschen aus allen Bundesländern und sogar darüber
hinaus haben Beeindruckendes geleistet. Dafür danke
ich ganz ausdrücklich!
({5})
Danken möchte ich aber auch Ihnen. Dass der Bundestag heute ein 8-Milliarden-Euro-Programm zur Bewältigung der Flutkatastrophe beschließen wird, ist nicht
selbstverständlich. Ich denke, dass wir, natürlich insbesondere die von der Flut besonders betroffenen Länder,
der Bundesregierung und dem Bundestag deshalb zu
großem Dank verpflichtet sind. Wir haben uns aufeinander zubewegt und sind jetzt so aufgestellt, dass wir den
Betroffenen der Flutkatastrophe ruhigen Gewissens sagen können: Wir lassen euch nicht allein.
({6})
Der Wiederaufbau nach der Zerstörung ist eine gewaltige Herausforderung und ganz sicher nicht eine Angelegenheit von Wochen oder Monaten, sondern von
Jahren. Die Schäden sind gewaltig. Sachsen-Anhalt hat
allein aus dem Aufbauhilfefonds 2002 eine Dreiviertelmilliarde Euro bekommen und für den Wiederaufbau
eingesetzt. Heute rechnen wir nach vorläufigen Schadenserhebungen mit einem deutlich höheren Bedarf;
denn wir hatten ja nicht nur unter dem Hochwasser der
Elbe zu leiden, sondern auch unter dem der Mulde und
der Saale, und in die Saale floss vorher noch die Weiße
Elster. Vor allem die Schäden in der Landwirtschaft sind
bedeutend höher als vermutet. Jeden Tag müssen neue
Hektarflächen hinzugerechnet werden. Derzeit sind circa
110 000 Hektar Nutzfläche betroffen, die in diesem Jahr
keine Erträge bringen werden. Bundes-, Landes- und
kommunale Straßen sind in weit stärkerem Maße geschädigt als 2002. Ähnliches lässt sich auch für privates
Wohneigentum sagen. Mehrere Zehntausend Menschen
mussten ihre Häuser verlassen, die teils für Tage oder
gar Wochen, zum Teil immer noch komplett im Wasser
standen bzw. stehen. Darüber hinaus sind Tausende von
Gewerbebetrieben betroffen. Nicht zuletzt sind auch
enorme Schäden an den Hochwasserschutzanlagen entstanden. Die Zerstörung der ICE-Strecke DüsseldorfMinisterpräsident Dr. Reiner Haseloff ({7})
Berlin im Landkreis Stendal haben viele hier im Hohen
Hause bereits schmerzlich verspürt.
Der Wiederaufbau wird somit auf breiter Front erfolgen müssen. Vorher gilt es noch, Detailfragen und -probleme, die sich bei der Umsetzung des Aufbauhilfefonds
zwangsläufig ergeben, zu klären. Dabei geht es um den
Kreis der potenziell Anspruchsberechtigten, den wir angesichts der enormen Breite der Schäden weit gefasst haben möchten. Es geht darum, dass die Hilfen schnell anlaufen und dass wir die Verfahren nicht durch zu viel
Bürokratie überfrachten. Die Fachleute aus Bund und
Ländern beraten über diese Fragen noch heute im Bundesfinanzministerium.
Ich bin optimistisch, meine Damen und Herren Bundestagsabgeordnete, dass wir zu guten Lösungen kommen, und denke deshalb, dass Sie heute dem Aufbauhilfegesetz aus Überzeugung zustimmen können. Dafür
danke ich Ihnen ganz ausdrücklich.
({8})
Das Wort erhält nun der Kollege Gerold Reichenbach
für die SPD-Fraktion.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen
und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Bilder gleichen sich: Deiche, die dabei sind, zu brechen,
Menschen, die um ihr Hab und Gut sowie um ihre Existenz fürchten, und am Ende Häuser, die teilweise bis in
die ersten Stockwerke unter Wasser stehen. Dies ist nicht
das erste Mal, dass solche Bilder unser Land erschüttern:
1997 an der Oder, 1998/99 an Rhein, Mosel und Donau,
2002 an der Elbe, 2005 in Bayern und heute wieder an
Elbe und Donau. Die Jahrhundertfluten sind keine mehr.
Sie kommen häufiger. Ob dies Ergebnis des Klimawandels ist oder nicht, darüber streiten die Experten. Aber
dass es so ist, ist eine Tatsache.
Ich selbst war 1997 in der Ziltendorfer Niederung und
2002 in Magdeburg als Fluthelfer eingesetzt. Ich kann
ein Stück weit aus eigenem Erleben nachvollziehen, was
die Betroffenen jetzt bewegt, wie der Verlust sie trifft
und wie hoffnungslos die Zukunft für manche aussieht.
Ich weiß aber auch, wie der gemeinsame Wille zum Wiederaufbau, zum Anpacken und zur Hilfe entsteht. Ich
kann nachvollziehen, was die Helferinnen und Helfer
von Feuerwehren, THW, DRK, DLRG, all den anderen
Hilfsorganisationen sowie Polizeien und Bundeswehr,
unterstützt von vielen freiwilligen Helfern, an den Deichen, beim Retten von Hab und Gut, von Menschen und
Tieren und nun auch beim Aufräumen und Beseitigen
der schlimmsten Schäden leisten. Ihnen allen gilt unser
Dank. Den möchte ich ausdrücklich für meine Fraktion,
die Sozialdemokraten im Deutschen Bundestag, aussprechen. Auch den Mitarbeitern vom BBK, in den Krisenstäben, in den Wasserbehörden und in anderen Ämtern,
die oft vergessen werden, gilt unser Dank.
Solidarität, das Zusammenstehen, nicht das Schauen
auf den eigenen Vorteil, sondern die uneigennützige
Hilfe für den Nächsten, das ist es, was uns zusammenhält. Das sind übrigens die gleichen Werte, die meine
Partei 150 Jahre geprägt haben. Wenn uns wieder einmal
etwas deutlich gemacht hat, wie wichtig das Wir für unser Land ist, dann ist es diese Flutkatastrophe. Die Betroffenen brauchen unsere Solidarität bei der Beseitigung der Schäden und beim Wiederaufbau. Deshalb
haben wir den Entwurf eines Gesetzes zur Errichtung eines Hilfsfonds mit eingebracht. Wir werden ihm zustimmen.
Was allerdings auf unsere Kritik stößt, ist die Art und
Weise, wie die Bundesregierung den Hilfsfonds finanzieren will. Sie finanziert ihn mit neuen Schulden, also
auf Pump. Wenn wir 2002 genauso gehandelt hätten
- Sie haben damals übrigens gefordert: „Macht es doch
auf Pump!“ -, dann müssten wir heute noch die Schulden des damaligen Hilfsfonds abbezahlen, und das zu einem Zeitpunkt, wo wir erneut einen brauchen.
({0})
Meine Damen und Herren von der FDP, Sie haben damals übrigens Ihre Zustimmung den Opfern an der Elbe
verweigert. Das ist vielen in Erinnerung geblieben.
({1})
Mit Ihrem schuldenfinanzierten Hilfsfonds bürden
Sie zukünftigen Generationen, die ohnehin die Kosten
der Folgen des Klimawandels zu tragen haben, zusätzliche Lasten auf. Das ist nicht nachhaltig.
({2})
Wir werden den Betroffenen trotzdem die Solidarität
nicht versagen.
({3})
- Können Sie vielleicht, Herr Generalsekretär, während
wir über so ernste Themen reden, Ihr Wahlkampfgetöse
sein lassen, auch wenn das Ihr Geschäft ist? Diejenigen,
die draußen noch im Wasser stehen, haben das nicht verdient. Nehmen Sie sich doch einmal ein Stück zurück,
und gehen Sie in sich!
({4})
Wir werden den Betroffenen die Solidarität trotzdem
nicht versagen; denn die Betroffenen können nichts für
Ihr Finanzgebaren.
Es geht aber nicht nur um die Finanzierung des Wiederaufbaus, sondern auch darum, wie wir diesen Wiederaufbau gestalten. Wir müssen den Bürgern deutlich machen: Wer in der Nähe von Flüssen wohnt, hat keine
absolute Sicherheit. Auch wenn wir die Deiche zügig
ertüchtigen und den technischen und ökologischen
Hochwasserschutz ausbauen, wird es immer Pegel geben
können, die höher sind als die menschlichen Schutzmaßnahmen. Deshalb ist es wichtig, dass wir den Wiederaufbau so gestalten, dass er auch hochwasserverträglich ist,
dass Schäden minimiert werden. Da muss die Frage erlaubt sein: Müssen im Rahmen des Wiederaufbaus auch
Ölheizungen finanziert werden? Wir alle kennen die Bilder von ölverschmierten Feldern, Gebäuden und Einrichtungen.
Wir müssen den Flüssen wieder mehr Raum geben.
Wir müssen das tatsächlich tun und dürfen nicht nur darüber reden. Von den 2 700 Quadratkilometern an zusätzlicher Fläche als Hochwasserschutzmaßnahme, wie
nach der letzten Elbeflut vorgeschlagen, wurden gerade
einmal 700 Quadratkilometer realisiert. Wir brauchen
auch ein besser integriertes Programm für den Hochwasserschutz; das ist angesprochen worden. Hochwassermanagement darf sich nicht nach Ländergrenzen richten,
sondern muss den Gesetzmäßigkeiten der Flüsse entsprechen. Deshalb brauchen wir mehr Zusammenarbeit.
Wir brauchen auch einen gemeinsamen Fonds. Wie
zügig der Hochwasserschutz ausgebaut werden kann,
darf nicht davon abhängen, wie finanzkräftig ein Bundesland ist.
({5})
Wir brauchen Solidarität in der Risikovorsorge; denn auf
Dauer wird der Steuerzahler die Folgen des Klimawandels und immer stärkerer Extremwetterereignisse nicht
tragen können. Wir sollten nicht dem schlechten Beispiel
der Deutschen Bahn folgen, die nach dem Hochwasser
2002 ihre Hochwasserversicherung gekündigt hat mit
der Begründung: Der Staat zahlt ja sowieso. Dann können wir uns die Prämie sparen. - Wenn wir wollen, dass
die Menschen Risikovorsorge betreiben, dann müssen
wir sie aber auch in die Lage versetzen, dies zu tun.
Viele in den betroffenen Gebieten, auch hinter den Deichen bekommen keine Hochwasserversicherung mehr.
Deswegen müssen wir darüber nachdenken, wie wir hier
Solidarität erreichen, etwa über eine Elementarschadenversicherung mit staatlichen Garantien.
Unsere Aufgabe ist es, auch dann, wenn die Flut nicht
am Deich steht, dafür zu sorgen, dass Hochwasserschutz
und der Schutz der Bevölkerung gegenüber extremen
Naturereignissen ein Dauerthema in der Politik bleiben.
Das sind wir den Menschen, die zum Teil zum wiederholten Male die schwere Bürde einer Hochwasserkatastrophe zu tragen haben, schuldig.
({6})
Stephan Thomae ist der nächste Redner für die FDPFraktion.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen
und Kollegen! Eine gute Gesellschaft kann auf Dauer
nur gedeihen, wenn jeder ein bisschen mehr tut, als er
vielleicht müsste, und ein bisschen weniger verlangt, als
er eigentlich könnte. Wenn sich Menschen so verhalten,
können im Zusammenwirken große Dinge geschehen.
Herr Kollege Reichenbach, ich bedauere ein bisschen,
dass Sie eine in meinen Augen unnötige Schärfe in die
Diskussion gebracht haben; denn in diesen Notzeiten beweist sich der Zusammenhalt in unserer Gesellschaft.
Deswegen will ich wiederholt Dank sagen. Das schulden
wir den vielen ehrenamtlichen Helferinnen und Helfern
wie zum Beispiel von THW, Feuerwehr und der Bundeswehr, die in diesen Tagen von überall her zu Hilfe geeilt
sind, um den Menschen in der Flut zu helfen.
Weil Sie es angesprochen haben, will ich als Haushälter doch noch zwei Kritikpunkte anmerken, die ich eigentlich nicht ansprechen wollte, weil ich heute aus
einem Anlass, auf den ich zum Schluss noch kommen
werde, milde gestimmt bin. Der erste Punkt ist: Mit
Blick auf die Länder will ich darauf hinweisen, dass der
Bund die 8 Milliarden Euro vorfinanziert. Das ist so vereinbart. Die Länder werden ihren Anteil von 3,5 Milliarden Euro über einen Zeitraum von 20 Jahren in jährlichen Tranchen zurückzahlen. Das ist auch in Ordnung
so. Ich hoffe aber sehr, dass die Länder dies später nicht
dazu nutzen werden, dem Bundestag ihren Anteil für ein
Ja im Bundesrat abzukaufen. Das wäre ein schlechtes
Signal. Meine Hoffnung ist, dass die Länder davon absehen werden.
({0})
Für den zweiten Punkt, den ich eigentlich nicht ansprechen wollte, haben Sie, Kollege Reichenbach, die
Vorlage geliefert. Ich will einmal so einleiten: Ich freue
mich, dass Sie sich heute dem Vernehmen nach im Plenum bereit erklären, der Fluthilfe und dem Nachtragshaushalt, mit dem die Fluthilfe finanziert wird, zuzustimmen. Aber ich fand es irritierend, dass sich Teile
Ihrer Fraktion im Haushaltsausschuss dazu nicht bereitgefunden und dem Nachtragshaushalt nicht zugestimmt
haben. Das ist deswegen irritierend, weil das unser Weg
ist, die Fluthilfe zu finanzieren. Ich weiß, dass Sie ein
anderes Finanzierungsmodell vorgeschlagen haben, und
zwar, wenn ich das richtig sehe, über Steuererhöhungen.
({1})
Das ist nicht unser Weg. Das ist auch nicht notwendig,
weil wir - im Unterschied zu 2002 - einen soliden Haushalt vorlegen und wir angesichts dessen genug Luft haben, die Finanzierung über die Nettokreditaufnahme zu
leisten. Ich meine, dass wir das Wahlkampfthema Steuern und das Nichtwahlkampfthema Fluthilfe getrennt betrachten sollten. Ich finde es unnötig, diese Dinge zu verknüpfen.
({2})
Gleichwohl gilt mein Dank allen Fraktionen dieses
Hauses. Dass wir heute einvernehmlich die Fluthilfe im
Nachtragshaushalt beschließen, ist das Signal, das die
Menschen von uns erwarten. Ich will meinen Dank an
alle ausdehnen, mit denen ich in den letzten vier Jahren
im Deutschen Bundestag zusammenwirken konnte: im
Plenum, im Petitionsausschuss, im Rechtsausschuss und
im Haushaltsausschuss; denn ich werde den Bundestag
mit Ablauf dieser Wahlperiode verlassen. Ich bemühe
mich um ein Mandat im Bayerischen Landtag. Dafür
habe ich drei Gründe: Sie sind elf, acht und vier Jahre
alt. Ich hoffe, dass ich aufgrund der Nähe des Landtages
das Heranwachsen meiner Kinder etwas besser miterleben kann. Der Bundestag hat seinen Preis. Diesen Preis
zahlen leider sehr oft die Kinder.
Es waren vier spannende Jahre. Es waren vier gute
Jahre. Ich bleibe diesem Haus gedanklich verbunden. Ich
habe meine Arbeit mit Ernst und Freude gemacht, auch
wenn der Bundestag nicht vollkommen ist. Er ist aber
ein Glücksfall in der deutschen Geschichte. Wir Parlamentarier sind auch Botschafter. Wir sollten die Botschaften in gutem Stil und in gutem Umgang nach außen
tragen. Es ist ein gutes Parlament. Ich verabschiede mich
von Ihnen. Das war’s! Behalten Sie mich in guter Erinnerung, so wie ich Sie auch.
({3})
Vielen Dank, Herr Kollege Thomae. Letzteres können
wir ganz gewiss vereinbaren. Ich denke, unter den zahlreichen nicht vollkommenen Einrichtungen dieser Welt
gehört der Deutsche Bundestag zu den etwas besseren.
({0})
Nun erteile ich das Wort dem stellvertretenden Ministerpräsidenten des Landes Brandenburg, Herrn
Dr. Markov.
({1})
Dr. Helmuth Markov, Minister ({2}):
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Auch die Brandenburgerinnen und Brandenburger möchten sich ganz herzlich bedanken. In einer Zeit,
in der der Begriff Solidarität nicht mehr gesellschaftsbestimmt ist, weil sehr viel den privaten Interessen oder
der Gewinnoptimierung unterworfen wird, hat sich gezeigt, dass alle zusammenstehen können, wenn es notwendig ist: Technisches Hilfswerk, die Nachbarn, die
sonst sehr häufig und viel gescholtenen Jugendlichen,
die an den Sandplätzen einfach mitgeschippt haben, die
Soldatinnen und Soldaten, alle, die ihren Beitrag dazu
geleistet haben, dass die Flut für Brandenburg glimpflich
ausgegangen ist. Außerdem bedanke ich mich ganz herzlich bei Ihnen, dass Sie heute diesem Gesetzentwurf zustimmen werden, wovon ich ausgehe.
({3})
Ein altes chinesisches Sprichwort besagt: Du musst
den Brunnen graben, bevor du Durst hast. - Genau das
hat die rot-rote Landesregierung in Brandenburg in den
letzten Jahren gemacht. Wir haben dank der finanziellen
Unterstützung der Europäischen Union, des Bundes und
unserer eigenen Landesmittel 400 Millionen Euro in den
Hochwasserschutz gesteckt. Wir haben 200 Kilometer
Deiche modernisiert bzw. neu gebaut, wir haben 90 Prozent der gesamten Deichanlagen an der Oder instand gesetzt, bei der Elbe sind es 70 Prozent - und das, obwohl
wir permanent von sogenannten Jahrhunderthochwassern betroffen waren: 1997, 2002, 2006, 2010 mehrfach,
2011. Es war eine enorme Anstrengung, und trotzdem
hat es nicht gereicht. Wir bauen die Deiche aus, wir
bauen sie immer höher; aber wir lösen damit das Problem mitnichten. Der Rekordpegel an der Elbe im Norden unseres Landes Brandenburg war 50 Zentimeter höher als beim letzten Hochwasser. Zum Glück war der
Deich 70 Zentimeter höher gebaut. Aber das ist nicht die
Lösung des Problems.
({4})
Das Land Brandenburg hat unverzüglich Soforthilfeprogramme aufgelegt. Es ist vielleicht ungewöhnlich,
dass ein Dunkelroter das sagt; aber ich bin der Bundesregierung sehr dankbar dafür, dass wir die Verwaltungsvereinbarung sofort schließen konnten. Wir haben drei
Sofortprogramme aufgelegt. Das erste Programm richtet
sich an die privat Betroffenen. Jeder Erwachsene bekommt 400 Euro sowie zusätzlich 250 Euro für jedes
minderjährige Kind, maximal 2 000 Euro pro Haushalt.
Ein zweites Programm haben wir speziell für die Wirtschaftsunternehmen und ein drittes Programm für die
landwirtschaftlichen Unternehmen aufgelegt. Diese Programme wirken.
Die voraussichtlichen Schäden in den überfluteten
Polderflächen werden sich auf etwa 40 bis 45 Millionen
Euro belaufen; das betrifft gerade einmal die landwirtschaftlichen Flächen. Wir waren in der Lage, sehr
schnell zu reagieren. Wir haben eine Hotline eingerichtet, die sehr gut angenommen worden ist. Wir haben außerdem steuerliche Erleichterungen beschlossen, die all
denen zugutekommen, die betroffen sind. Die Landesregierung hat die Solidarität auf allen Ebenen unterstützt, befördert und auch dokumentiert.
({5})
Der Gesetzentwurf, der jetzt zur Debatte steht, sieht
8 Milliarden Euro an Hilfe vor. Das ist viel Geld. Natürlich könnte man jetzt trefflich darüber streiten: Reicht
das, oder reicht das nicht? Ist die Deckelung richtig, oder
ist sie nicht richtig? - Ich glaube, wichtig ist, dass gezeigt wird, dass schnell und unbürokratisch geholfen
wird. Im Land Brandenburg haben wir das Geld für die
Soforthilfeprogramme direkt den Landkreisen zur Verfügung gestellt; denn die Landkreise können unmittelbar
einwirken. Sie wissen, wo etwas passiert ist, und reichen
das Geld sofort weiter. Die Bürger sind dankbar dafür;
sie haben sich darüber gefreut.
Es gibt trotzdem eine Menge zu tun; das ist schon angesprochen worden. Was wir brauchen, ist ein Versiche32466
Minister Dr. Helmuth Markov ({6})
rungsschutz, bei dem die Versicherungen nicht außen
vor gelassen werden.
({7})
Es gab bereits Gespräche dazu. Man muss sie nur fortführen und zu Ende bringen. Das Verrückte ist doch: Wie
soll der Bürger uns Politikern vertrauen, wenn wir versichern, dass wir ihnen helfen, die Versicherungen aber sagen: „Wir versichern euch nicht, weil wir nicht glauben,
dass die ergriffenen Maßnahmen ausreichend sind, um
euch vor erneuten Hochwasserschäden zu schützen“?
Das ist ein Unding. Ich finde, so weit darf die Freiheit
von Versicherungsunternehmen nicht gehen; das sage
ich klar und deutlich.
({8})
Ich habe gesagt: Wir müssen den Flüssen mehr Raum
geben. Das hat das Land Brandenburg gemacht. Vielleicht kennen einige von Ihnen den Ausdruck „Böser
Ort“. Dieser liegt in Lenzen, wo die Elbe knickt. Noch
beim letzten Hochwasser waren dort Tausende von Menschen im Einsatz und haben die Deiche stabilisiert. Wir
haben diesen Deich rückverlegt und dadurch zusätzliche
Flutungsflächen, insgesamt 420 Hektar, geschaffen. Aus
dem „Bösen Ort“ ist ein guter Ort geworden. Das Wasser
konnte aufgrund unserer Maßnahmen abfließen. Das hat
sich bei diesem Hochwasser gezeigt.
({9})
Herr Tillich hat hier in der ersten Lesung des Gesetzentwurfes über die besonderen Maßnahmen, die in
Tschechien getroffen worden sind, gesprochen. Ich
möchte mich in meiner Rede auch an unsere polnischen
Nachbarn wenden. Das Land Brandenburg hat eine sehr
lange gemeinsame Grenze mit Polen. Die Oder und die
Neiße kommen ursprünglich aus Polen und Tschechien.
Die Republik Polen hat in der Zwischenzeit, seit dem
letzten Hochwasser, enorme Polderflächen am Oberlauf
geschaffen. Wir haben im Naturpark Unteres Odertal zusätzliche Retentionsflächen im Umfang von 4 400 Hektar geschaffen. Die polnischen Nachbarn helfen uns also
am Oberlauf, und wir helfen unseren polnischen Nachbarn am Unterlauf. So muss es sein.
({10})
Die Solidarität muss länderübergreifend sein. Dass
dies geht, wenn man den politischen Willen hat, trotz der
unterschiedlichsten Farbenlehren, zeigt die Tatsache,
dass das Land Brandenburg Abkommen mit SachsenAnhalt, Niedersachsen und Schleswig-Holstein geschlossen hat. Auch das hat uns bei diesem Hochwasser
genutzt. Dadurch, dass wir die Polderflächen bei Havelberg bzw. bei uns bei Rathenow geflutet haben, hatten
wir die Chance, den Pegel um etwa 40 Zentimeter zu
senken. Das war natürlich nicht die Welt. Es war aber
trotzdem eine Menge. Es ist ganz wichtig, dass wir weiter darüber nachdenken.
Wir dürfen uns unsere Zukunftschancen nicht verbauen. Das heißt: Wenn wir jetzt über die Aufbauhilfe
reden, müssen wir gleichzeitig darüber reden, wie wir
gesellschaftspolitisch zukünftig anders agieren. Wir
brauchen mehr Flächen. Wir müssen den Flüssen ihren
Lauf zurückgeben.
({11})
Dazu bräuchten wir eigentlich wieder ein gemeinsames
Programm von Bund und Ländern, von mir aus auch jeweils hälftig finanziert.
Natürlich kann man auch wieder kräftig darüber streiten - das verstehe ich -, wie das Geld aufgebracht wird.
Dass ich da als Roter eine andere Überzeugung habe,
dass ich meine, dass man, statt Schulden dafür aufzunehmen, das auch mit Steuererhöhungen machen könnte, ja,
das bekenne ich freimütig. Aber das ist nicht die Grunddebatte. Das Geld muss zur Verfügung gestellt werden;
das ist wichtig.
({12})
Deswegen brauchen wir, wie ich glaube, eine gesamtdeutsche, eine bundesrepublikweite Hochwasserkonferenz, damit die Probleme, die wir haben, langfristig gelöst werden und wir uns alle gemeinsam nicht alle zwei
Jahre wieder darüber unterhalten müssen, wie wir Soforthilfe organisieren. Die beste Soforthilfe ist die langfristige Hilfe.
Recht vielen Dank.
({13})
Bärbel Höhn ist die nächste Rednerin für die Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zunächst ist es sehr wichtig, dass wir alle gemeinsam, dass
alle Fraktionen heute diesen Unterstützungsfonds beschließen und damit den Betroffenen unbürokratisch helfen.
({0})
Genauso wichtig ist es, dass wir gemeinsam im Bundestag die Leistungen der Menschen anerkennen, die in die
Katastrophengebiete gegangen sind - zum Teil von Berufs wegen, zum Teil haben sie aber auch ganz spontan
Hilfe geleistet -; denn durch diese Soforthilfe konnte höherer Schaden abgewendet werden. Deshalb ein dickes
Dankeschön an diejenigen, die in den Hochwassergebieten in der Not geholfen haben.
({1})
Herr Haseloff hat eben gesagt: Das Wasser kommt
schon wieder, die Pegel steigen schon wieder. - Auf jeden Fall sind die großen Flutmassen aber jetzt erst einBärbel Höhn
mal vorbei, sodass jetzt stärker an den Wiederaufbau gedacht werden kann. Gerade dann, wenn diese Phase
erreicht ist, muss man Lehren aus der Flut ziehen. Wir
müssen Konsequenzen für einen besseren Hochwasserschutz ziehen, und wir müssen Konsequenzen ziehen,
damit die Schäden bei dem nächsten Hochwasser gemindert werden. Denn das nächste Jahrhunderthochwasser
kommt bestimmt, und es kommt nicht erst in 100 Jahren.
Deshalb müssen wir jetzt handeln und ein Konzept erstellen.
({2})
Wir haben 1993 und 1995 Extremhochwasser am
Rhein gehabt - damals war die Kölner Innenstadt überflutet -, 1997 an der Oder; 2002 war das Elbe-Hochwasser. 2005 gab es Hochwasser im Alpenraum, 2011 wieder an der Elbe und 2013 an der Elbe und an der Donau.
Mehrere andere Hochwasser habe ich hier noch gar nicht
erwähnt. Wir haben also immer öfter Hochwasser. Aus
diesen Hochwassern muss etwas gefolgert werden.
Ich bin 1995 Umweltministerin in Nordrhein-Westfalen geworden; das war mehrere Monate nach den beiden
genannten Hochwassern in Köln. Ich habe damals genau
die Arbeit gemacht, die eigentlich unattraktiv ist. Ich bin
nach den Hochwassern in die betroffenen Gebiete gegangen und habe dafür gesorgt, dass dort Polder eingerichtet und Maßnahmen ergriffen werden, die die Leute
dort gar nicht haben wollten, weil sie an die Flut gar
nicht mehr dachten. Ich habe auch Spundwände aufbauen lassen, gegen den Willen der Leute dort, die sagten, sie wollten lieber ihren freien Blick auf den Rhein
haben. Genau diese Arbeiten aber sind absolut notwendig, um beim nächsten Hochwasser vor die Menschen
treten und ihnen sagen zu können: Wir haben auch den
zweiten Schritt gemacht. Wir haben euch auch in der
Zeit geholfen, in der die Flut nicht da war, um vorzubeugen und damit dafür zu sorgen, dass Schäden beim
nächsten Mal vermieden werden.
({3})
Insoweit können wir von einem Land in Europa lernen - ich jedenfalls habe viel von diesem Land gelernt -,
den Niederlanden. Die Niederländer sind diejenigen, die,
was Wasser und Überflutungen angeht, die größte Erfahrung in ganz Europa haben, weil die Niederlande unter
dem Meeresspiegel liegen und deshalb besonders betroffen sind. Die Niederländer haben mir sehr deutlich gesagt: Es reicht nicht, Deiche aufzubauen und zu verstärken, das wird beim nächsten Hochwasser nicht reichen,
sondern ihr müsst dem Fluss mehr Raum geben.
({4})
Deshalb ist es ganz wichtig, drei Punkte umzusetzen:
Erstens. Wir brauchen mehr ökologischen Hochwasserschutz. Mit höheren Deichen allein kriegen wir das
Problem nicht in den Griff.
({5})
Zweitens. Wir müssen mehr für den Klimaschutz tun.
Klimaschutz ist Hochwasserschutz, meine Damen und
Herren! Bei den Maßnahmen, die wir jetzt ergreifen
müssen, handelt es sich um Anpassungsmaßnahmen, die
auch erheblich etwas mit dem Klimawandel zu tun haben. Wenn wir Hochwasserschutz und Klimaschutz nicht
gemeinsam denken, werden wir das Problem auf Dauer
nicht lösen.
({6})
Drittens. Wir brauchen ein ganzheitliches Konzept für
den gesamten Fluss, nicht nur für einzelne Flussabschnitte. Ich kann das sagen, weil ich aus einem Bundesland komme, das zu den Unterliegern gehört und damit
auf die Solidarität der Oberlieger angewiesen ist.
Zum ersten Thema: ökologischer Hochwasserschutz.
Wir müssen hier ganz nüchtern feststellen: An der Elbe
ist zwar viel für den technischen Hochwasserschutz,
aber aus meiner Sicht zu wenig zur Schaffung von Rückhalteräumen getan worden. Denn jeder neue Deich verschärft das Problem für die Unterlieger, weil er dem
Fluss Raum nimmt. Man braucht dann wiederum mehr
Platz, um die Unterlieger zu schützen. Das heißt: Wenn
der Fluss nicht genug Raum hat, dann nimmt er sich die
Innenstadt von Köln oder Wohnungen in Magdeburg.
Dass das passiert, müssen wir in Zukunft vermeiden;
denn das ist teuer.
({7})
Das bedeutet auch, dass wir zum Beispiel mehr für
Auen und Auenwälder tun müssen. Denn es gibt einen
einfachen Spruch, und er heißt: In den Auen nicht mehr
bauen! - Wir dürfen nicht die Auen immer mehr bebauen und damit höhere Schäden in der Zukunft provozieren. Also in den Auen nicht mehr bauen! Da gehören
Wälder hin; der Fluss muss zurückgehalten werden.
({8})
Zum Thema „ökologischer Hochwasserschutz“ gehört auch, meine Damen und Herren, dass wir an das
Problem der Flächenversiegelung herangehen. Jeden Tag
werden in Deutschland mehr als 80 Hektar verbaut und
versiegelt. Das führt dazu, dass das Wasser über die betonierten Flächen herüberschießt, nicht mehr versickert
und am Ende in den Flüssen landet. Das heißt: Je mehr
wir versiegeln, desto mehr verschärfen wir das Problem
des Hochwassers. Wir müssen mehr entsiegeln; wir dürfen die Versiegelungspolitik in dieser Form nicht weiterführen.
({9})
Das bedeutet auch: Wir müssen in der Landwirtschaft
etwas ändern. Es kann nicht sein, dass die Böden immer
mehr verdichtet werden, dass immer mehr Drainagen gelegt werden, Wasser immer mehr aus den Flächen heraus- und in die Flüsse hineinfließt. Das heißt: Wir brauchen eine andere Landwirtschaftspolitik, damit das
Wasser besser zurückgehalten wird.
({10})
- Reden Sie einfach mal mit den Experten und sagen Sie
nicht immer: „Blödsinn!“ - Wenn wir meinen, das wäre
nur „Blödsinn“, werden wir beim nächsten Mal mehr bezahlen müssen.
({11})
Das, was Sie hier machen, ist keine vorsorgende Politik,
sondern eine rückwärtsgerichtete, sehr kurzfristig angelegte Politik.
Außerdem gilt - mein zweiter Punkt -: Wir müssen
mehr für den Klimaschutz tun. Deshalb muss ich auch
sagen: Ich halte es für einen Widerspruch, dass die Bundesregierung hier auf der einen Seite über die Flutschäden redet - zu Recht -, aber auf der anderen Seite gestern die CO2-Grenzwerte für Autos verwässert hat. Wer
keinen ehrgeizigen Klimaschutz betreibt, der tut nichts
zur Vorsorge gegen das nächste Hochwasser. Dieser Zusammenhang muss endlich einmal hergestellt werden.
({12})
Es kann auch nicht sein, dass wir in Deutschland auf
der einen Seite über höhere Deiche reden und auf der anderen Seite immer mehr Strom in klimaschädlichen
Kohlekraftwerken erzeugen und damit weniger für den
Klimaschutz tun. Insofern zahlen die Flutopfer am Ende
den Preis dafür, dass man vorher nichts für den Klimaschutz getan hat.
Ich komme noch ganz kurz zu meinem letzten Punkt,
dem Gesamtkonzept. Wir brauchen ein Konzept für den
gesamten Fluss, und es muss international aufgestellt
sein. Da gibt es zwei wesentliche Punkte:
Erstens. Wir müssen dem Fluss mehr Raum geben.
Zweitens. Wir müssen die Geschwindigkeit des Wassers verringern. Es ist doch logisch: Wenn richtig viel
Flusswasser mit einer Riesengeschwindigkeit kommt,
dann ist das viel gefährlicher, als wenn das Wasser langsam fließt. Das bedeutet, dass wir zum Beispiel die
Rückhalteräume, die Auenbereiche, wieder aufbauen
müssen, um die Geschwindigkeit zu verringern.
Meine Damen und Herren, wir haben die Flut an Donau und Elbe erlebt, und wir wissen: Wir müssen jetzt
handeln. Wir müssen nicht nur unbürokratisch Hilfe leisten, sondern müssen auch dafür sorgen, dass zukünftig
die Schäden minimiert werden. Das heißt, es geht um
mehr ökologischen Hochwasserschutz, um konsequenten Klimaschutz und um eine stimmige Gesamtkonzeption für den Fluss. Das sind die Aufgaben, die wir zu erledigen haben.
Danke.
({13})
Herr Kollege Lindemann, ich nehme mit Interesse zur
Kenntnis, dass sich das Bedürfnis nach mehr Beinfreiheit zum Ende der Legislaturperiode offenkundig nicht
nur bei Kanzlerkandidaten entwickelt,
({0})
bitte aber dennoch, das Mobiliar pfleglich zu behandeln,
weil wir es in der nächsten Legislaturperiode wieder
brauchen.
({1})
Nun hat der Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble
das Wort.
({2})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Flut
war eine schlimme Katastrophe. Aber es hat sich auch
gezeigt, dass unser Land in schwierigen Zeiten zusammensteht und große Herausforderungen bewältigen
kann.
({0})
Ich will an dieser Stelle noch einmal allen danken, die
in der Stunde der Herausforderung in unglaublich eindrucksvoller Weise zusammengestanden sind und nicht
lange gefragt haben: der Bundeswehr, dem Technischen
Hilfswerk, der Bundespolizei, den Länderpolizeien, den
Freiwilligen Feuerwehren und den unglaublich vielen
ehrenamtlichen Helfern. Auch die Bevölkerung insgesamt hat viel geleistet. Wir haben eine große Naturkatastrophe besser bewältigt, als wir das, wenn wir uns vorher Gedanken darüber gemacht hätten, zu hoffen gewagt
hätten. Darauf können wir ein Stück stolz sein, dafür
können wir dankbar sein. Die freiheitliche Gesellschaft
hat sich als leistungsfähig erwiesen.
({1})
Das Bund-Länder-Verhältnis hat sich als handlungsfähig erwiesen. Es war zwischendurch wie immer ein bisschen herausfordernd - das ist in Ordnung -, aber es zeigt
sich: Wenn wir gesamtstaatliche Verantwortung anstreben, dann können wir im Bundestag schnell zu Entscheidungen kommen. Auch dafür möchte ich mich ausdrückBundesminister Dr. Wolfgang Schäuble
lich bedanken. Es ist keine Kleinigkeit, in einer Woche
ein Gesetz in erster, zweiter und dritter Lesung zu beschließen.
Verehrte Kolleginnen und Kollegen von der SPD, der
Nachtragshaushalt gehört dazu. Deswegen ist es gut,
wenn Sie ihm heute zustimmen, auch wenn Sie gestern
im Haushaltsausschuss in dieser Frage noch etwas verwirrt gewesen sind.
({2})
Frau Kollegin Höhn, Sie haben Ihre Rede ein bisschen genutzt, um uns die grüne Grundsatzprogrammatik
im Allgemeinen darzustellen.
({3})
Das war sehr eindrucksvoll, aber ich will Ihnen doch sagen: Auch die Leistungsfähigkeit unserer Wirtschaft gehört dazu. Sonst wären wir nämlich nicht in der Lage, so
schnell so umfassende Hilfe auf die Beine zu stellen.
({4})
Als Finanzminister sage ich Ihnen: Wenn es eine Situation rechtfertigt, dass man kurzfristig die Verschuldung erhöhen muss, dann eine solche Notsituation. Hier
greifen die automatischen Stabilisatoren, über die wir
uns im Grundsatz alle einig sind. Deshalb habe ich wirklich nicht verstanden, warum Ihre erste Reaktion auf die
Katastrophe gewesen ist: Jetzt müssen wir die Steuern
erhöhen. - Nichts wäre unklüger. Wir brauchen nämlich
nicht nur hohe Steuersätze, die Sie befriedigen, sondern
wir brauchen vor allem Steuereinnahmen. Die bekommen wir nur, wenn wir eine leistungsfähige Wirtschaft
haben. Die dürfen wir nicht kaputtmachen.
({5})
Mit diesem Nachtragshaushalt können wir die entstandenen Kosten finanzieren. Das fällt dem Finanzminister nicht leicht, aber es ist die richtige Entscheidung. Wir bleiben trotzdem in großem Abstand zur
Schuldenbremse, was wir uns am Anfang der Legislaturperiode gar nicht vorstellen konnten.
Eines muss ich nun doch einmal sagen: Der Kollege
Steinbrück ist mein Vorgänger gewesen, und als mein
Vorgänger war er wesentlich besser als als Kanzlerkandidat; aber das ist eine andere Geschichte.
({6})
- Nein, Frau Kollegin Künast, ich zeige Ihnen, was ich
meine.
({7})
- Ja, ja, das weiß ich schon.
({8})
Sie haben doch gestern dagegen gestimmt, weil Sie
der Meinung waren, dass die Aufnahme neuer Schulden
nicht zu verantworten ist.
({9})
Und Herr Kollege Steinbrück hat gestern gesagt, wir hätten in den vier Jahren dieser Legislaturperiode die Schulden des Bundes um insgesamt 100 Milliarden Euro
erhöht. Das trifft zu; so hoch ist die addierte Neuverschuldung.
({10})
- Herr Kollege Oppermann, es hilft nichts, es wird nicht
besser, durch jeden Zwischenruf wird es nicht besser. Ich
sage es Ihnen.
({11})
Der Finanzplan des Bundes für die Jahre 2009 bis
2013 vom 7. August 2009 - Finanzminister Peer
Steinbrück, Innenminister Wolfgang Schäuble
({12})
- ich kritisiere es doch gar nicht; ich sage es Ihnen nur -,
der sah 86,1 Milliarden Euro Neuverschuldung für den
Haushalt 2010, 71,7 Milliarden Euro für 2011, 58,7 Milliarden Euro für 2012 und 45,9 Milliarden Euro für 2013
vor. Das macht zusammen 262,4 Milliarden Euro. Das
ist die Bundestagsdrucksache 16/13601. An diesen Daten können Sie übrigens erkennen, wie erfolgreich wir in
dieser Legislaturperiode gewesen sind.
({13})
Daraus folgt: Wir haben rechtzeitig gehandelt, um in
der Stunde der Not handlungsfähig zu sein.
({14})
In dieser Stunde der Not hat sich unser Land bewährt:
Aufgrund einer vorsorgenden Politik, einer leistungsfähigen Wirtschaft und zunehmend solider werdenden
Staatsfinanzen sind wir handlungsfähig gewesen. Darum
und dank der gesamtgesellschaftlichen Solidarität konnten wir den von der Katastrophe Betroffenen schnell und
unbürokratisch helfen. Dafür haben wir alle zusammengewirkt.
Herzlichen Dank.
({15})
Ich erteile das Wort dem Kollegen Johannes Kahrs für
die SPD-Fraktion.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Herr Schäuble, ich glaube, wir sollten an dieser Stelle auch noch einmal kurz auf das Thema zurückkommen.
({0})
Als Landesvorsitzender der THW-Helfervereinigung
Hamburg danke ich auch von dieser Stelle allen Helfern,
insbesondere den Helfern von der Bundeswehr, den Freiwilligen Feuerwehren, den Polizeien und dem THW.
Wenn man sich die Organisation des THW anschaut,
stellt man fest, dass es einen kleinen hauptamtlichen
Kern gibt und in der Masse aus Freiwilligen besteht. Das
heißt, wenn Tausende kommen, dann sind das Freiwillige, die ihren Arbeitsplatz verlassen, um zu helfen.
Am 3. Juni 2013 gab das THW eine Pressemeldung
heraus: „Flutkatastrophe: Keine Entspannung in Sicht“.
Da ist von 2 000 THW-Einsatzkräften die Rede. Diese
2 000 Leute wurden nach und nach ausgewechselt und
durch andere Freiwillige ersetzt. Am 4. Juni hat das
THW dann gemeldet: „Flutkatastrophe: Im Osten verschärft sich die Lage“. Da war wieder von 2 000 THWKräften sowie weiteren 450 Einsatzkräften plus 270 Helferinnen und Helfern die Rede. Am 6. Juni waren es
dann 3 500 THW-Kräfte. In der THW-Pressemeldung
stand: „Flutkatastrophe: Kein Ende in Sicht“. Am 7. Juni
schrieb das THW: „Flutkatastrophe: Arbeiten dauern
an“. Man kann das weiter durchdeklinieren. Am 9. Juni
meldete das THW: „Weitere 2.000 THW-Kräfte eingetroffen“. So geht es in den folgenden Tagen weiter.
Das große ehrenamtliche Engagement zeigt sich also
eben auch in diesen Organisationsformen, die es so in
kaum einem anderen Land gibt. Der Einsatz dieser Menschen, die Sandsäcke gestapelt haben, hat es am Ende
gebracht. Diesen Einsatz muss man unterstützen.
({1})
Das ist das, was der Bundestag, die Abgeordneten des
Bundestages und die Bundesregierung unterstützen müssen.
({2})
Ich meine, das haben wir überparteilich vernünftig hinbekommen. Das muss man an dieser Stelle betonen.
({3})
Ganz besonders möchte ich mich bei der Kollegin
Höhn bedanken, die in ihrer Rede aufgezeigt hat, was
man strukturell tun muss, damit es nicht wieder zu einer
Katastrophe kommt. Als Hamburger kann ich sagen:
Wer nicht will deichen, muss weichen. Das ist ein alter
Spruch. Das reicht heute aber nicht mehr.
({4})
Deswegen muss man das weiterdenken und entsprechend durchdeklinieren. Das hat sie in ihrer Rede gemacht. Das sollte die Grundlage sein. Zusammen mit
den Kollegen aus den Ländern, die ihre Kommentare
dazu abgegeben haben, sollte man auf nationaler Ebene
etwas Entsprechendes aufbauen. Das wird viele Jahre
dauern, und es wird viele Widerstände vor Ort geben.
Aber anders geht es nicht. Ansonsten werden wir hier
häufiger über diese Fragen diskutieren müssen.
({5})
- Das merkt man aber nicht so häufig.
({6})
In diesem Zusammenhang muss ich auch auf die
Rede von Herrn Schäuble eingehen, die bemerkenswert
wenig mit der Flut, aber sehr viel mehr mit der Rede von
Herrn Steinbrück gestern zu tun hatte. Vielleicht haben
Sie ja selber gemerkt, dass das gestern kein guter Tag für
Sie und Ihre Bundeskanzlerin war.
({7})
Vielleicht haben Sie ja auch gemerkt, dass es gestern
nicht gelaufen ist, und wollten heute noch einmal nachbessern, um das, was Sie da Schlechtes geleistet haben,
hier noch einmal zu erklären.
({8})
Aber vielleicht kann man Ihnen das auch einmal nahebringen.
({9})
Wir alle wollen helfen. Wenn man sich den Gesetzentwurf anschaut, sieht man, dass der Gesetzentwurf mit
dem Titel „Entwurf eines Gesetzes zur Errichtung eines
Sondervermögens ‚Aufbauhilfe‘ und zur Änderung weiterer Gesetze“ ein Gesetzentwurf von CDU/CSU, SPD,
FDP und Bündnis 90/Die Grünen ist.
({10})
Da sind wir alle beieinander. Gestern im Haushaltsausschuss haben wir nicht über die 8 Milliarden Euro abgestimmt, sondern über einen Gesetzentwurf, der heute
auch vorliegt, mit dem Titel „Entwurf eines Gesetzes
über die Feststellung eines Nachtrags zum Bundeshaushaltsplan für das Haushaltsjahr 2013“. Dieser Entwurf
umfasst übrigens auch das Betreuungsgeld und viele andere Dinge. Wir werden dem hier im Bundestag zustimmen; das ist nicht strittig. Wir haben im Haushaltsausschuss aber nicht zugestimmt, um Ihnen einfach einmal
zu sagen, Herr Schäuble, dass das, was Sie hier abliefern, unsolide, in der Sache falsch und nicht gegenfinanziert ist.
({11})
Mein Kollege hat hier an dieser Stelle schon einmal
gesagt: Das, was wir hier machen, machen wir auf
Pump. Bundeskanzler Schröder hat es damals unter RotGrün sauber gegenfinanziert.
({12})
Das ist etwas, was man als Haushälter ab und zu einfach
einmal zur Kenntnis nehmen muss.
({13})
Sie können das nicht. Gegenfinanzierung scheint nicht
Ihr Ding zu sein. Sie, Herr Schäuble, machen das, was
Sie am besten können: Sie arbeiten auf Pump.
({14})
Das ist das Kennzeichen Ihrer Politik, das Kennzeichen
Ihrer Haushaltspolitik. Wir haben uns im Haushaltsausschuss so verhalten, um einfach einmal darauf hinzuweisen. Im Nachtragshaushalt wird nämlich der gesamte
Schuldenberg aufgeführt: 17,1 Milliarden Euro plus die
8 Milliarden Euro, das sind 25,1 Milliarden Euro. Das
muss man zur Kenntnis nehmen. Deswegen haben wir
Ihnen im Haushaltsausschuss gesagt, dass das so nicht
geht.
Schauen wir uns den entsprechenden Entwurf einmal
genauer an.
({15})
- Wer viel brüllt, hat nicht immer recht, also halten Sie
sich entsprechend zurück.
({16})
- Das muss ja gestern gesessen haben, Herr Kauder.
({17})
- Ja, natürlich. Aber da haben wir über die Fehlleistungen Ihrer Bundeskanzlerin gesprochen, über die Art und
Weise, wie sie Politik macht. Das scheint ja auch getroffen zu haben. Es scheint ja zu sitzen. Ich sehe, wir verstehen uns.
Wenn Sie sich den Entwurf eines Gesetzes zur Errichtung eines Sondervermögens anschauen, dann finden Sie
ganz hinten Art. 4 „Änderung des Entflechtungsgesetzes“. Dort steht: „Das Entflechtungsgesetz vom 5. September 2006 … wird wie folgt geändert“. Die entsprechenden Zahlungen des Bundes werden demnach bis
2019 fortgeführt. Das muss einen hier nicht wirklich
groß interessieren. Für die Haushälter unter uns sage ich:
Da haben die Länder unter Führung von Olaf Scholz den
Bundesfinanzminister ziemlich über den Tisch gezogen.
Als Hamburger kann ich das erst einmal nicht schlecht
finden. Als Bundespolitiker muss ich sagen: Das wäre in
keiner anderen Konstellation so möglich gewesen.
({18})
Wenn wir uns das anschauen, dann stellen wir fest,
dass Ihr Versuch, Herr Schäuble, die peinliche Leistung
von gestern glattzuwaschen, nicht funktioniert hat. Wir
reden hier über Aufbauhilfe. Wir reden hier darüber, was
man tun muss, um solche Fluten künftig zu vermeiden.
Wir wären auch dafür, eine vernünftige strukturelle Lösung zu finden. Diese sollte aber solide finanziert sein,
nicht über Schulden, nicht auf Pump, wie Sie es in der
Regel am besten können.
Vielen Dank.
({19})
Der Parlamentarische Staatssekretär Jan Mücke hat
nun als Nächster das Wort.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege
Kahrs, Sie sind ja schon lange im Haushaltsausschuss.
Als langjähriger Haushälter müsste Ihnen bekannt sein,
dass es ohne einen Nachtragshaushalt keinen Fluthilfefonds geben kann. Wer also gegen einen Nachtragshaushalt stimmt, stimmt gegen die Errichtung eines Fluthilfefonds. Die SPD hat gestern die Flutopfer im Regen
stehen lassen.
({0})
Nächster Punkt: Im Zuge von Deichrückverlegungen
hat der Freistaat Sachsen in den letzten Jahren mehr als
100 Hektar zusätzlichen Raum für die Flüsse geschaffen.
({1})
Alles, was hier angemahnt wurde, ist in den letzten Jahren angegangen worden. Nach 2002 hat der Freistaat
Sachsen, mein Heimatland, 120 Kilometer Deiche saniert und 23 Kilometer neu gebaut. Aber für 297 Kilometer, meine Damen und Herren, laufen noch die Planungs- und Genehmigungsverfahren. Damit sind wir am
Punkt. Wir haben kein Erkenntnisdefizit und auch kein
Regelungsdefizit, was das Thema Hochwasservorsorge
und Hochwasserschutzmaßnahmen angeht. Wir haben
ein gutes Raumordnungsgesetz, das die Grundsätze der
Raumordnung festlegt. Es legt auch fest, wie beim
Hochwasserschutz zu verfahren ist, und stellt klar, dass
den Flüssen mehr Raum gegeben werden muss. Wir haben ein gutes Wasserhaushaltsgesetz, das genau dies regelt. Defizite haben wir aber bei der Umsetzung der Planungsverfahren, beim Erlangen von Baurecht; überall
dort haben wir Schwierigkeiten.
({2})
Meine Damen und Herren, wenn es um Menschenleben geht, wenn es um Hab und Gut geht, dann müssen
die Interessen von Käfern und Fledermäusen zumindest
nach elf Jahren Planungszeit irgendwann einmal zurückstehen.
({3})
Dann muss es darum gehen, dass wir Hochwasserschutzmaßnamen schnell umsetzen.
({4})
Deshalb schlagen wir vor, die bewährten Planungsbeschleunigungsgesetze aus den 90er-Jahren und aus dem
letzten Jahrzehnt auch für Hochwasserschutzmaßnahmen zu öffnen. Denn das, was für die Durchführung
wichtiger Infrastrukturmaßnahmen richtig gewesen ist
- Planungsbeschleunigung, schnelles Baurecht, keine
langen Einspruchsfristen, keine Klagen -, das ist, glaube
ich, das, was wir jetzt auch für den Hochwasserschutz
anwendbar machen müssen. Wir müssen schnell handeln. Geredet worden ist lange genug.
({5})
Letzter Punkt. Meine Damen und Herren, bitte kommen Sie nach Sachsen-Anhalt, nach Sachsen, nach Niedersachsen, in alle Bundesländer, die vom Hochwasser
betroffen sind!
({6})
- Bayern, selbstverständlich. - Bitte machen Sie Urlaub
in Deutschland! Wir müssen jetzt dafür sorgen, dass der
Flutwelle nicht die Pleitewelle folgt. Bitte machen Sie
Urlaub in Deutschland! Es ist schön hier.
({7})
Nächster Redner ist der Bundesminister des Innern,
Hans-Peter Friedrich.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Die Wassermassen bei der Flut 2013 waren größer als die bei der Flut 2002. Aber wir waren diesmal
besser aufgestellt, wir waren besser ausgestattet, und die
Organisation hat besser geklappt. Dennoch: Es war
schon ein herzzerreißendes Bild, wenn man mit den Bewohnern dort stand und gesehen hat, wie, nachdem das
Wasser, das bis zum ersten Stock stand, zurückgegangen
war, die Einrichtungsgegenstände - das, was vorher
Schlafzimmer, Wohnzimmer, Kinderzimmer war - auf
die Straße getragen werden mussten, weil sie Müll waren, und in Container kamen. Wenn die Menschen zurückkamen, haben sie ganz unterschiedlich reagiert: die
einen ganz still, die anderen weinend, die anderen verzweifelt. Überall herrschte Fassungslosigkeit.
Da war es sehr wichtig, dass Bürgermeister, Landräte,
Abgeordnete, Minister den Menschen sagen konnten: Ihr
seid nicht allein; euch wird geholfen. - Das war eine
wichtige Botschaft. Dass sie abgegeben werden konnte,
verdanken wir den vielen, vielen Tausend Helfern der
Freiwilligen Feuerwehren, des THW, der Katastrophenschutzorganisationen, die nicht nur in diesem Einsatz tätig sind, sondern sich auch über viele Jahre ständig auf
solche Einsatzfälle vorbereiten, die viel von ihrer Freizeit, von ihrer Kraft, von ihrer Energie hingeben, um
sich ausbilden zu lassen. Ihnen gehört unser Dank für
ihre Leidenschaft und für ihren Idealismus.
({0})
Wie gut das klappt, konnten wir, Andi Scheuer und
ich, übrigens in Passau erleben, wo Bundespolizei,
THW, Freiwillige Feuerwehr, Bundeswehr nebeneinander ihre Boote und Einsatzzüge hatten und wo Hand in
Hand gearbeitet wurde. Mit Wasserwerfern hat die Bundespolizei die Bevölkerung mit Trinkwasser versorgt.
({1})
Das war eine wirklich große, auch organisatorische Leistung. Aus Bundessicht kann man sagen: Die Investitionen in unser THW haben sich gelohnt und lohnen sich.
({2})
Ich möchte an dieser Stelle ganz klar sagen, dass die
Einsatzkosten, die in diesem Zusammenhang angefallen
sind, der Bund selbst trägt. Weil es da irgendwelche komischen Gerüchte gibt, wiederhole ich: Der Bund trägt
die Einsatzkosten des THW im Zuge der Fluthilfe selbst;
das möchte ich nur zur Klarstellung sagen, entgegen all
den Gerüchten, die es da geben mag.
Ich möchte mich auch bei den Arbeitgebern bedanken, die die Helfer des THW und der Feuerwehr freigestellt haben. Das haben sie nicht nur in Anbetracht der
jetzigen Flut, in der akuten Situation getan, sondern sie
stellen sie vielfach auch zu Ausbildungszwecken und für
Einsätze, die in der Zwischenzeit stattfinden, frei. Meine
sehr verehrten Damen und Herren, gerade die Mittelständler und die Handwerksbetriebe vermissen diese
Leute schmerzlich. Auf der anderen Seite muss man ihnen natürlich sagen: Ihr habt mit diesen Idealisten, mit
diesen gut ausgebildeten Leuten auch wertvolle Mitarbeiter in euren Betrieben.
Ich bedanke mich bei den Arbeitgebern ganz herzlich
für ihre Kooperationsbereitschaft. Ich selber habe als
Dienstherr des THW zusammen mit den Arbeitgebern
schon Veranstaltungen organisiert, um einerseits diesen
Dank auszudrücken und andererseits die Bereitschaft der
Arbeitgeber zu wecken.
Die Profis von THW, Bundespolizei und Bundeswehr
haben - ob das in Rosenheim war, ob das in Deggendorf
war, ob das in Pirna war - weit über das hinaus gearbeitet, was sie leisten müssen. Die Bundespolizei war über
die Dienstzeiten hinaus Tag und Nacht im Einsatz. Auch
das ist ein wunderbares Beispiel für den Einsatzwillen in
unserem Land.
Wir werden - das wird gerade auf den Weg gebracht für die Fluthelfer eine Fluthelfermedaille stiften. Wir
werden hoffentlich schon in den nächsten Wochen die
ersten dieser Medaillen und Urkunden vergeben können;
sie sind ein kleines Zeichen unseres Dankes. Die Länder
haben signalisiert, dass sie das in ihrem Bereich auch
machen wollen.
Bewährt hat sich auch die Arbeit des Bundesamts für
Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe. Das Lagezentrum dort hat hervorragend gearbeitet.
Was die 1,7 Millionen Helfer bewerkstelligt haben, ist
beeindruckend. Bartholomäus Kalb und ich standen am
Ortseingang in Fischerdorf. Dort konnten wir zuschauen,
wie sich die freiwilligen Helfer, die aus allen Teilen
Deutschlands kamen, bei den Studentinnen und Studenten der FH Deggendorf registrieren lassen konnten.
({3})
Sie wurden dann Häusern, wo sie helfen konnten, zugeteilt. Das war wirklich eine wunderbare Erfahrung.
In Döbeln hat ein älterer Herr zu mir gesagt: „Ich
hätte nicht geglaubt, dass es noch eine solche Solidarität
in unserem Land gibt. Nachdem ich das alles gesehen
habe, bin ich optimistisch für die Zukunft Deutschlands.“ Meine Damen und Herren, ich glaube, das ist
eine wichtige Botschaft. Entgegen allen Behauptungen,
dass in diesem Land nur Egoisten und Ichlinge leben
würden, gibt es hier eine große Solidarität. Darüber können wir uns freuen, und darauf sollten wir auch stolz
sein.
({4})
Lassen Sie mich zum Abschluss noch sagen, dass der
Stab „Fluthilfe“ im Bundesministerium des Innern ein
Internetportal eingerichtet hat - es ist über die Internetseite des BMI erreichbar -, wo jeder, der Schäden erlitten hat, sich informieren kann. Dort erfährt man, wo man
Hilfe bekommt und wo man Anträge stellen muss. Wichtig ist jetzt die Botschaft an die Menschen, dass sie nicht
alleingelassen werden, dass ihnen geholfen wird. Allen,
die das möglich machen - auch Ihnen in diesem Haus -,
ganz herzlichen Dank dafür!
({5})
Das Wort erhält nun der Kollege Horst Meierhofer für
die FDP-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Natürlich schließe ich mich dem Dank des Innenministers
an. Die Erfahrung, die ich gemacht habe, war: Wenn es
überhaupt Engpässe gab, dann bei den Gerätschaften.
Wie viele Menschen bereit waren, mitzuhelfen, war
wirklich beeindruckend. Das war - da schließe ich mich
dem Innenminister sehr gerne an - wirklich ein tolles
Beispiel für die Solidarität, die es in Deutschland gibt.
Bund und Länder haben sich jetzt - das hat gut funktioniert - gemeinsam darauf verständigt, wie es finanziell weitergehen soll, damit den Menschen jetzt unbürokratisch, schnell und unkompliziert geholfen wird.
Die Frage ist jetzt: Wie geht es weiter? Zusätzlich zu
den Gesetzentwürfen bezüglich der Hilfeleistungen haben wir einen Entschließungsantrag vorbereitet, in dem
wir aufzeigen, was jetzt die nächsten Schritte sein sollten. Ich glaube, da haben wir alle ein bisschen Nachbesserungsbedarf, und darauf würde ich gerne eingehen. Es
ist uns auch 2002 gelungen, auf die Flut zu reagieren. Es
ist aber weniger gut gelungen, danach die notwendigen
Maßnahmen einzuleiten. 2005 hatten wir ebenfalls
Hochwasser. Die in der Folge geplanten Hilfen gegen
Hochwasser konnten nicht schnell umgesetzt werden,
weil es zu Streitereien zwischen Bund und Ländern kam.
Wir müssen diese Streitereien jetzt beenden. Es ist völlig
egal, wer auf Bundes- oder Landesebene die Verantwortung trägt, es muss eine Selbstverständlichkeit sein, dass
wir jetzt endlich zu einem Ergebnis kommen müssen,
bei dem uns weder der Föderalismus noch ein Wettbewerb der Länder untereinander bremst. Man muss
merken, dass der Hochwasserschutz eine mindestens nationale Aufgabe ist, die es in allen Bereichen voranzutreiben gilt.
({0})
Frau Höhn, das, was Sie gesagt haben, ist zu einem
großen Teil richtig. Eine ganze Menge dieser Punkte haben wir in unserem Entschließungsantrag aufgelistet.
Bei den Flussgebietsgemeinschaften dürfen nicht
mehr nur einzelne Abschnitte betrachtet werden. Das gilt
sowohl für die Elbe als auch für die Donau. Daneben
stellt sich die Frage, wie man es schafft, dass weniger
Wasser in die großen Hochwassergebiete fließt, sodass
die Schutzmauern nicht mehr so hoch gebaut werden
müssen. Das ist sicher auch ein wichtiger Punkt. Hier
müssen wir mehr tun. Eine gemeinsame Aufgabe ist
auch, die Altarme wieder anzubinden und dafür zu sorgen, den Flüssen wieder mehr Raum zu geben.
Das Problem dabei ist die Zuständigkeitenverteilung
zwischen dem Bund und den Ländern. Es gibt unterschiedliche Zuständigkeiten für das Planungsrecht beim
Hochwasserschutz auf der einen Seite und bei Renaturierungsmaßnahmen auf der anderen Seite. Einmal sind
dies die Wasserwirtschaftsämter, und einmal ist dies die
Wasser- und Schifffahrtsverwaltung, die relativ unabhängig voneinander tätig sind.
Ich habe vor einem Jahr eine Anfrage an den Bundesund die Landesminister gerichtet. Man sollte hier zumindest einen Runden Tisch einführen und sich fragen: Was
ist unser gemeinsames Ziel? Ist diese ökologische Maßnahme nicht auch für den Hochwasserschutz wichtig?
Wäre es deswegen nicht vernünftig, das aus einer Hand
zu machen? Hier erwarte ich ein bisschen Entgegenkommen von den Ländern. Ich glaube, wenn das gelänge,
dann würden wir auch wieder einen großen Schritt weiter sein.
({1})
Auch zwischen den Ländern, also nicht nur zwischen
dem Bund und den Ländern, gibt es unterschiedliche
Ansichten. An der Elbe beispielsweise wurden unterschiedlich hohe Deiche gebaut, je nachdem, zu welchem
Bundesland die jeweilige Seite gehört. Auch das kann
nicht der Weisheit letzter Schluss sein. Hier müssen wir
endlich zu einer vernünftigen Abstimmung kommen. Ich
habe die große Hoffnung, dass es auch hier vorwärtsgeht.
Hinsichtlich des technischen Hochwasserschutzes bin
ich allerdings anderer Meinung. Beim ökologischen
Hochwasserschutz liegen unsere Ansichten nah beieinander, aber es funktioniert eben nicht nur das eine
oder das andere.
Wir haben es in Regensburg mit technischen Hochwasserschutzmaßnahmen geschafft, dass die in diesem
Jahr sehr viel höhere Flut als 2002 sehr viel niedrigere
Auswirkungen für die Menschen hatte, indem wir beispielsweise mobile Elemente eingesetzt haben. Wir
brauchen eine Beschleunigung der Planungsverfahren
für den technischen Hochwasserschutz.
({2})
Es wird nicht funktionieren, wenn wir beispielsweise
ausschließlich sagen: Wir müssen die Bauern enteignen. - Nein, wir müssen ihnen Angebote unterbreiten,
beispielsweise Auenprämien,
({3})
und sagen: Wir brauchen eure Flächen auch als Retentionsräume. Ihr dürft nicht wirtschaftlich darunter zu leiden haben. - Wenn wir das nicht tun, werden wir diesen
Kampf weiterführen und verlieren.
Deswegen müssen wir jetzt bitte zusammenstehen.
Die Solidarität, die es jetzt zwischen den Ländern gab,
brauchen wir jetzt auch zwischen dem Bund und den
Ländern. Ich glaube, hier können wir auf dem Gebiet des
Föderalismus noch einiges tun.
Herzlichen Dank.
({4})
Das Wort erhält der Kollege Norbert Brackmann für
die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten
Damen und Herren! Jeder von uns weiß, dass wir in einer Mediendemokratie leben und uns natürlich von den
Bildern leiten lassen, die wir in den Medien sehen - auch
bei dem, was wir hier im Bundestag debattieren.
Wie der eine oder andere von Ihnen weiß, bin ich
selbst bei der Hochwasserkatastrophe als Einsatzabschnittsleiter tätig gewesen, weswegen ich den heutigen
Morgen dafür nutzen möchte, eingangs einmal auf diejenigen hinzuweisen, die Großes vollbracht haben, ohne
ständig in den Medien zu stehen:
Ich danke der älteren Dame mit einer größeren Wohnung, die ohne sich anzuschauen, wer von den Evakuierten zu ihr kommen wird, also ohne sich den Untermieter
auszusuchen, gesagt hat: Ich nehme sie auf. - Auch sie
gehört in das Licht der Öffentlichkeit.
({0})
Ich denke an die Unternehmen, die alleine in meinem
Einsatzabschnitt Waren im Wert von über 150 000 Euro
zur Verfügung gestellt haben, um gerade auch in der Anfangsphase den Menschen, die in Not geraten sind, und
den Helfern, die diesen Menschen zur Seite gestanden
haben, unbürokratisch und schnell zu helfen.
Ich denke an die Helfer des Deutschen Roten Kreuzes
- in meinem Einsatzabschnitt waren es 1 200 Helfer -,
die rund um die Uhr viermal am Tag die Verpflegung bereitet haben.
Ich denke nicht zuletzt auch an die Kameradinnen
und Kameraden der Deutschen Lebensrettungsgesellschaft, die, obwohl ihre eigene Unterkunft abgesoffen
ist, draußen auf der Elbe waren, um die Deiche und die
Häuser derjenigen, die aus ihren Häusern fliehen mussten, vor dem Hochwasser zu schützen.
Dies sind wenig in den Medien genannte, aber genauso wertvolle Taten, derer wir heute Morgen auch gedenken sollten.
({1})
Jetzt sind die Medien weg. Aber die Menschen kommen zurück in ihre Wohnungen, wo die Holzfußböden
aufgequollen sind, wo sie im Erdgeschoss nicht mehr leben können. In alten, denkmalgeschützten Gebäuden
müssen sie den Lehm von den Wänden klopfen, womöglich dringt aus dem Obergeschoss ständig Modergeruch
heraus. Es sind keine Medien mehr da. Niemand hilft
dort konkret, und wir fangen an - gestern im Haushaltsausschuss und heute hier -, zu diskutieren, was wir künftig tun können. Wir sollten uns erst einmal darauf konzentrieren, wie wir diesen Menschen heute mit dem
helfen, was unser Staat zu leisten in der Lage ist.
({2})
- Den Menschen mit dem Modder in der Wohnung hilft
es nicht, liebe Frau Höhn, wenn Sie ihnen sagen, dass
wir in 20 Jahren vielleicht auf ökologische Art und
Weise die Elbe renaturiert haben.
({3})
Wir haben heute diese Notlage. Insofern ist es bemerkenswert, in welch großer Solidarität - wir sollten versuchen, sie nicht heute schon aufzugeben - Politiker aus
Ländern und Bund über die Parteigrenzen hinweg sich
zusammengefunden haben, um innerhalb einer Woche
dieses 8-Milliarden-Euro-Programm zu stemmen. Diesen Gesetzentwurf sollten wir heute beschließen.
Mit Verlaub und der gebotenen Zurückhaltung: Ich
finde es schon ein starkes Stück, Herr Kahrs, was Sie uns
heute Morgen hier geboten haben. Sie begründen Ihre
Ablehnung dieses Programms unter Verweis auf das Betreuungsgeld und Ähnliches.
({4})
- Den Menschen, das sei Ihnen deutlich gesagt, hilft es
gar nicht, wenn Sie im nächsten Jahr die Steuern erhöhen wollen. Die Menschen wollen heute das Geld haben.
Sie brauchen es heute, und wir als Bund sind in der
Lage, es heute zur Verfügung zu stellen.
({5})
Wenn das deutsche Parlament auf Menschen wie Sie
gehört hätte, dann hätte es die Politik von Peer
Steinbrück fortgesetzt, der von 2005 bis 2009 Mehrausgaben von 16 Prozent produziert hat.
({6})
Diese Regierung wird von 2009 bis 2013 3 Prozent weniger Ausgaben produziert haben. Spare in der guten
Zeit, dann hast du in der Not! Von dieser Weisheit machen wir Gebrauch. Das sollte das Signal an die Bevölkerung sein.
({7})
Da hilft keine billige Polemik. Vielmehr sollten wir
diese Solidarität, die wir bisher aufgebracht haben, über
den Tag hinaus retten; denn die schweren Aufgaben liegen jetzt unmittelbar vor uns. An diese Aufgaben sollten
wir uns wagen. Die Menschen werden uns an dem messen, was wir tun, und nicht an dem, was wir für die Zukunft versprechen.
Danke schön.
({8})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den von den
Fraktionen der CDU/CSU, SPD, FDP und Bündnis 90/
Die Grünen eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur
Errichtung eines Sondervermögens „Aufbauhilfe“ und
zur Änderung weiterer Gesetze. Der Haushaltsausschuss
empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf der Drucksache 17/14264, den Gesetzentwurf der
gerade genannten Fraktionen auf der Drucksache 17/14078
in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in dieser Ausschussfassung
zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer ist dagegen oder möchte sich der Stimme enthalten? - Damit ist
der Gesetzentwurf in zweiter Beratung einstimmig angenommen.
Ich bitte zur
dritten Beratung
und Schlussabstimmung diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich von den Plätzen zu erheben. - Das sieht nach einem sehr ähnlichen Abstimmungsergebnis wie zuvor aus. Wer möchte gegen diesen
Gesetzentwurf stimmen? - Das ist niemand. Möchte sich
jemand der Stimme enthalten? - Auch hier sehe ich niemanden. Damit ist der Gesetzentwurf vom Haus einstimmig angenommen.
Wir kommen nun zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU und der
FDP auf der Drucksache 17/14265. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Wer stimmt dagegen? Wer enthält sich? - Damit ist der Entschließungsantrag
mit den Stimmen der Koalition angenommen.
Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Haushaltsausschusses zu dem Entwurf eines Gesetzes zur Errichtung eines Sondermögens „Aufbauhilfe“ und zur Änderung weiterer Gesetze. Unter Buchstabe b seiner
Beschlussempfehlung empfiehlt der Ausschuss, den
Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 17/14176 für erledigt zu erklären. Wer stimmt dieser
Beschlussempfehlung zu? - Wer stimmt dagegen? - Wer
enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist angenommen.
Unter dem Zusatzpunkt 21 setzen wir die Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Haushaltsausschusses auf Drucksache 17/14264 fort. Der Ausschuss
empfiehlt unter Buchstabe c seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion Die Linke
mit dem Titel „Flutopfern helfen - Hochwasserfonds
einrichten“. Wer stimmt dieser Beschlussempfehlung
zu? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Damit
ist die Beschlussempfehlung gegen die Stimmen der
Fraktion Die Linke mit den übrigen Stimmen des Hauses
angenommen.
Unter Buchstabe d empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrages der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/14079 mit dem Titel „Flutopfern
Präsident Dr. Norbert Lammert
solidarisch helfen - Hochwasserschutz ökologisch modernisieren“. Wer stimmt dieser Beschlussempfehlung
zu? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Damit
ist auch diese Beschlussempfehlung mehrheitlich angenommen.
Unter dem Tagesordnungspunkt 69 b geht es um die
Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes über die Feststellung
eines Nachtrags zum Bundeshaushaltsplan für das Haushaltsjahr 2013. Der Haushaltsausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf den Drucksachen 17/14080
und 17/14081, den Gesetzentwurf der Bundesregierung
auf den Drucksachen 17/14000 und 17/14020 anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Niemand. Damit ist der
Gesetzentwurf in zweiter Beratung einstimmig angenommen.
({0})
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, bitte ich, sich von den Plätzen zu erheben.
({1})
- Die Aussprache war geschlossen. Wir befinden uns
jetzt im Abstimmungsvorgang. - Auch wenn ich dafür
keine wirkliche Erfolgsaussicht sehe, frage ich, ob jemand gegen diesen Gesetzentwurf stimmen möchte. Das ist nicht der Fall. Enthält sich jemand der Stimme? Auch das ist nicht der Fall. Damit ist auch der Nachtrag
zum Bundeshaushaltsplan für das Haushaltsjahr 2013
einstimmig angenommen.
({2})
Ich bedanke mich dafür, dass dies trotz der aus ver-
ständlichen Gründen unterschiedlichen Akzente am
Ende einmütig so verabschiedet werden konnte.
Ich rufe nun unsere Tagesordnungspunkte 70 a bis
70 f auf:
a) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Martina Bunge, Matthias W. Birkwald, Diana
Golze, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
DIE LINKE
Vertrauensschutz bei Rentenleistungen für
alle aus der DDR Geflüchteten, Abgeschobe-
nen und Ausgereisten gewähren
- Drucksache 17/13453 -
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Arbeit und Soziales
({3})
- zu dem Antrag der Abgeordneten Matthias W.
Birkwald, Diana Golze, Dr. Martina Bunge,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE
LINKE
Angleichung der Renten in Ostdeutschland
auf das Westniveau bis 2016 umsetzen
- zu dem Antrag der Abgeordneten
Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn, Kerstin
Andreae, Monika Lazar, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Gleiches Rentenrecht in Ost und West, Rentenüberleitung zum Abschluss bringen
- Drucksachen 17/10996, 17/12507, 17/13971 Berichterstattung:Abgeordnete Silvia Schmidt ({4})
c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Arbeit und Soziales
({5}) zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Martina Bunge, Matthias W. Birkwald,
Dr. Gregor Gysi, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion DIE LINKE
Bund-Länder-Arbeitsgruppe zur Korrektur
der Überleitung von DDR-Alterssicherungen
in bundesdeutsches Recht
- Drucksachen 17/7034, 17/13865 Berichterstattung:Abgeordneter Peter Weiß ({6})
d) Beratung des Antrags der Abgeordneten Silvia
Schmidt ({7}), Anton Schaaf, Gabriele
Hiller-Ohm, weiterer Abgeordneter und der Frak-
tion der SPD
Stufenplan zur Angleichung des Rentensys-
tems in Ost und West jetzt auf den Weg brin-
gen
- Drucksache 17/13963 -
e) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Arbeit und Soziales
({8})
- zu dem Antrag der Abgeordneten Iris Gleicke,
Anette Kramme, Silvia Schmidt ({9}),
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der
SPD
Einsetzung einer Bund-Länder-Arbeitsgruppe zur Vorbereitung eines „Rentenüberleitungsabschlussgesetzes“ und zur
Einrichtung eines „Härtefallfonds“
Präsident Dr. Norbert Lammert
- zu dem Antrag der Abgeordneten Iris Gleicke,
Anette Kramme, Silvia Schmidt ({10}),
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der
SPD
Sofortige Ost-West-Angleichung von pau-
schal bewerteten Versicherungszeiten beim
Erwerb von Entgeltpunkten für die Renten-
versicherung vornehmen
- Drucksachen 17/6486, 17/6487, 17/8956 -
Berichterstattung:-
Abgeordneter Frank Heinrich
f) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Arbeit und Soziales
({11}) zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn, Kerstin
Andreae, Birgitt Bender, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Altersarmut bekämpfen - Mit der Garantierente
- Drucksachen 17/13493, 17/14084 Berichterstattung:Abgeordneter Dr. Heinrich L. Kolb
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 90 Minuten vorgesehen. - Dagegen sehe
ich keinen Widerspruch. Also können wir so verfahren.
Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Kollegen
Gregor Gysi für die Fraktion Die Linke das Wort.
({12})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir meinen, dass die Menschen in Ost und West einen Anspruch
darauf haben, für die gleiche Lebensleistung endlich
auch eine gleiche Rente zu beziehen.
({0})
Jetzt werden wir zum 1. Juli im Osten einen stärkeren
Anstieg der Renten als im Westen erleben. Nun gibt es
viele im Westen, die sich darüber ärgern. Ich sage nur:
Hätten wir endlich eine Angleichung der Rentenwerte,
dann gäbe es nur noch eine gleiche Steigerung in Ost
und West. Auch deshalb scheint mir die Angleichung
notwendig zu sein.
({1})
In den alten Bundesländern unterliegen leider viele
Menschen einem Irrtum: Mir wird immer erklärt, die
heutigen Rentnerinnen und Rentner im Osten hätten
doch zu DDR-Zeiten gar nicht in das Rentensystem der
Bundesrepublik eingezahlt. Der Irrtum besteht darin,
dass viele denken, die Rentenbeiträge würden angesammelt. Aber alle Versicherungsbeiträge, die im Mai gezahlt
werden, werden spätestens im Juli ausgegeben. Deshalb
muss ich sagen: Als die Ostrentnerinnen und -rentner
ihre Renten bezogen haben, haben natürlich auch die Beschäftigten im Osten in die gesetzliche Rentenversicherung eingezahlt. Insofern ist das ein Irrtum.
Dann gibt es einen unglücklichen Vergleich durch die
Bild-Zeitung und die Grünen. Die meinen nämlich, dass
die Ostrenten zu hoch seien. Die Bild-Zeitung und die
Grünen vergleichen den Durchschnitt der Ostrenten mit
dem Durchschnitt der gesetzlichen Westrenten. Warum
ist das falsch? Erstens berücksichtigen sie nicht, dass die
Frauen im Osten viel stärker erwerbstätig waren als
Frauen im Westen, die selbstverständlich auch gearbeitet
haben, aber eben nicht in der Erwerbstätigkeit. Zweitens
bedenken sie nicht, dass im Osten 1990 sämtliche Betriebsrenten gestrichen worden sind, die im Westen
selbstverständlich geblieben sind. Drittens bedenken sie
nicht, dass im Westen viele eine Lebensversicherung abgeschlossen hatten. So etwas gab es im Osten vor dem
Beitritt gar nicht.
({2})
Dadurch müssen Ostrentnerinnen und Ostrentner ausschließlich von ihrer gesetzlichen Rente leben. Das müssen natürlich auch viele im Westen, aber viele im Westen
haben auch drei oder wenigstens zwei Säulen.
Dann kommt der größte Irrtum: Es gibt im Osten
keine Pensionen. Das heißt, der Institutsdirektor für Gerichtsmedizin bezieht eine hohe gesetzliche Rente. Im
Westen bezieht er aber eine Pension. Wenn Sie einen
Durchschnitt ermitteln, dann müssen Sie alle Pensionen
mit einbeziehen und dann den Durchschnitt berechnen.
Dann sieht die Welt ganz anders aus.
({3})
Am 8. Juni 2009 hat Bundeskanzlerin Merkel auf
dem Deutschen Seniorentag in Leipzig Folgendes erklärt
- ich zitiere -:
Ich stehe dazu, dass wir eine solche Angleichung
von Ost und West brauchen. Ich würde, wenn Sie
mich nach dem Zeitrahmen fragen, sagen, dass das
Thema in den ersten beiden Jahren der nächsten Legislaturperiode erledigt sein wird.
Die Linke war tatsächlich so stark, dass CSU, CDU und
FDP miteinander vereinbart haben, diese Angleichung
bis 2011 vorzunehmen. Aber wir waren noch nicht stark
genug, zu verhindern, dass das Wahlversprechen gebrochen und der Koalitionsvertrag an der Stelle aufgekündigt wurde, was wirklich ein Skandal ist.
({4})
Aber wiederum haben wir dank unserer Stärke eines
geschafft, nämlich dass jetzt alle Parteien in ihrem Wahlprogramm etwas dazu sagen müssen. Auch das ist neu.
Was sagt die Union? Die Union sagt, sie wird gar
nichts tun. Sie überlässt es einfach der Lohnentwicklung.
Ob das dann 2050 oder 2080 ist, ist ihr völlig wurscht.
Das ist indiskutabel. Es ist eine Beerdigung erster
Klasse.
({5})
Die FDP macht zwei unterschiedliche Aussagen. Die
FDP sagt: Auf unabsehbare Zeit wird es in Ost und West
unterschiedliche Rentensysteme geben. - Das steht in
Ihrem Wahlprogramm.
({6})
Dann schreiben Sie, die Vereinheitlichung sei ein Gebot
der Fairness.
Deshalb frage ich: Was denn nun? Wenn wir eine Vereinheitlichung vornehmen, dann gibt es nicht mehr auf
unabsehbare Zeit unterschiedliche Rentensysteme in Ost
und West.
({7})
Warum haben Sie im Übrigen in der Regierung diesbezüglich nie etwas getan? Auch diese Frage müssen Sie
beantworten.
({8})
Dann komme ich zu den Grünen. Die Grünen wollen
eine Angleichung der Rentenwerte in Ost und West. Die
Ostrenten dürfen sich aber nicht erhöhen. Im Antrag
heißt es, sie sollen „konstant“ bleiben. Auf eine Höherwertung der niedrigen Einkommen Ost soll verzichtet
werden.
Es gibt aber die Kluft bei den Löhnen. Ich nenne Ihnen nur ein Beispiel. Gerade ist für die Gebäudereiniger
ein Tarifabschluss gemacht worden: Mindestlohn West
9,31 Euro, Mindestlohn Ost 7,96 Euro. Ich sage auch
Arbeitgebern und Gewerkschaften: Ich finde, das ist ein
Skandal. Die Zeit ist vorbei.
({9})
Das heißt, die Grünen haben das Prinzip der gleichen
Rente für die gleiche Lebensleistung aufgegeben.
Nun zur SPD. Die SPD hat fast alles von uns übernommen
({10})
- das ist positiv -, mit zwei Unterschieden: Wir wollen
die Angleichung schon 2016, Sie erst 2020.
({11})
Und Sie wollen die Höherbewertung der Einkommen
nur bis 2020. Wir wollen sie, solange man für die gleiche
Arbeit im Osten eine niedrigere Entlohnung bezieht. Das
ist der Unterschied. Aber immerhin.
({12})
Aber Sie müssen uns schon erklären, warum Sie in Ihrer Regierungszeit nie etwas getan haben - darauf
erwarte ich eine Antwort -, und weshalb Sie alle diesbezüglichen Anträge unserer Fraktion im Bundestag abgelehnt haben, egal ob es um die Angleichung der Rentenwerte ging oder darum, endlich die Lücken und
Diskriminierungen bei der Rentenüberleitung zu beseitigen. Denn das wollen Sie jetzt auch, was ich ebenfalls
positiv bewerte. Aber früher haben Sie es abgelehnt.
Was die Lücken und Diskriminierungen betrifft, kennen Sie unsere 19 Anträge. Es wird Zeit, dass die Zusatzversorgungssysteme zum Beispiel für Akademikerinnen und Akademiker, für Beschäftigte bei Bahn und
Post und für übernommene und nichtübernommene Polizistinnen und Polizisten endlich berücksichtigt werden,
dass die geschiedenen Ehefrauen aus der DDR, die keinen Versorgungsausgleich erhielten, endlich bedacht
werden
({13})
und dass die mithelfenden Familienangehörigen in privaten Handwerksbetrieben das ihnen zustehende Recht,
das sie schon erworben hatten, endlich wieder bekommen. Warum die FDP sich nicht einmal darum kümmert,
das müssen Sie mir erklären. Aber keine Chance.
({14})
Dann gibt es noch eine Gruppe. Dazu haben wir auch
einen Antrag verfasst. Darin geht es um die Wiederherstellung des Vertrauensschutzes bei Rentenleistungen für
alle aus der DDR Geflüchteten, Abgeschobenen und
Ausgereisten.
({15})
Liebe Union, es ist nicht zu fassen, dass Sie die deutsche
Einheit benutzt haben, um diese Personengruppe
schlechterzustellen,
({16})
sie vom Fremdrentengesetz auszuschließen und wieder
zu DDR-Bürgern zu machen. Das ist grotesk. Darüber,
dass wir uns an Ihrer Stelle darum kümmern müssen,
sollten Sie einmal nachdenken.
({17})
Für die nach 1937 Geborenen mit diesem Schicksal gibt
es ja richtige Rentenkürzungen - beschlossen von der
Union. Also wirklich!
({18})
Ich will dazu gar nicht mehr sagen als das, was ich schon
gesagt habe, aber das war auch dringend nötig.
({19})
- Hören Sie zu!
Ich habe eben über die Angleichung zwischen Ost
und West gesprochen. Es geht aber um noch etwas: Wir
müssen natürlich das Rentenproblem insgesamt lösen.
Ich weiß, das ist heute nicht das Thema, aber ich will es
ganz kurz ansprechen. Wir können uns Altersarmut nicht
leisten. Wir müssen es schaffen, dass es wieder eine
Rente ab 65 Jahren gibt. Wir müssen auch dafür sorgen,
dass die Kürzungen, die im Bereich der Erwerbsminderungsrenten vorgenommen wurden, wieder zurückgenommen werden.
({20})
Wie kann man das schaffen? Erstens, indem wir die
alte Rentenformel wieder einführen: zur Steigerung des
Rentenniveaus, zur besseren Anrechnung von Ausbildungs-, Kinderbetreuungs- und Pflegezeiten und zur
deutlicheren Anbindung an die Lohnentwicklung. Zweitens, indem wir der nächsten Generation sagen: Alle mit
Erwerbseinkommen müssen in die gesetzliche Rentenversicherung einzahlen, alle - auch Bundestagsabgeordnete, auch Rechtsanwälte, auch Beamtinnen und Beamte, die aber nicht schlechtergestellt werden sollen.
({21})
Dann müssen wir die Beitragsbemessungsgrenze
streichen. Der nächste Ackermann muss dann halt einen
Beitrag aus seinen Millionen bezahlen. „Na und?“, kann
ich nur sagen. Weiter müssen wir für die Spitzenverdiener den Rentenanstieg abflachen. Dann sind alle Probleme gelöst.
({22})
- Meine Damen und Herren von der SPD, dass die auf
der rechten Seite des Hauses das alles nicht wollen, kann
ich ja noch nachvollziehen, aber dass Sie mit dem blöden Argument der Demografie kommen, anstatt die Produktivität im Auge zu haben, nicht.
({23})
Früher hat eine Bäuerin acht Personen versorgt, heute
versorgt sie 80! Wir können uns doch eine Rente ab 65
leisten, wenn wir das gerecht gestalten.
({24})
Außerdem brauchen wir eine Mindestrente von
1 050 Euro, die zum Teil steuerfinanziert ist.
Herr Gysi!
Herr Präsident, ich sage einen letzten Satz.
Ich überlege, ob ich Ihnen drohe
({0})
- passen Sie auf! -, indem ich sage, dass ich vielleicht
doch versuchen werde, so lange im Bundestag zu bleiben,
({1})
bis Frauen und Männer in Ost und West bei gleicher Arbeitszeit für gleiche bzw. gleichwertige Arbeit endlich
auch den gleichen Lohn und für die gleiche Lebensleistung die gleiche Rente erhalten. Wenn ich das androhte,
sollte das doch wenigstens ein gewisser Ansporn für Sie
sein, das möglichst schnell zu erledigen.
({2})
Und manches, Herr Kollege Gysi, das im ersten Leben nicht so richtig geklappt hat, klappt dann hoffentlich
im zweiten.
({0})
Nun hat als nächste Rednerin die Kollegin Maria
Michalk für die CDU/CSU-Fraktion das Wort.
({1})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir
haben es gerade wieder erlebt: Herrn Gysi ist jedes Mittel recht, um hier seine demagogischen, pauschalen Ansätze anzubringen, die zulasten der Betroffenen neue
Ungerechtigkeiten schaffen.
({0})
Das war keine Drohung, Herr Gysi. Man sagt ja auch:
Die Wiederholung ist die Mutter des Erfolgs. - Aber Sie
können Adam Riese nicht politisch außer Kraft setzen.
Wir bleiben deshalb bei unserer Lösung der systematischen Angleichung der Renten in den alten und in den
neuen Bundesländern.
({1})
Und dass das funktioniert, werde ich Ihnen gleich noch
einmal erklären. Ich denke, wir haben im Laufe der Debatte noch genügend Zeit, um das nachzuweisen.
Zu diesem Debattenthema werden ja immer wieder
Anträge von Parteien unterschiedlichster Couleur vorgelegt.
({2})
Deshalb ist es wichtig, noch einmal zu sagen, wo wir eigentlich herkommen, was eigentlich der Ausgangspunkt
ist. 1983 - ich habe extra dieses Jahr gewählt, weil es genau 30 Jahre her ist - betrug die Mindestrente in der
DDR sage und schreibe 270 DDR-Mark. Rechnen Sie
das mal um!
({3})
- Ja, ja, die Wahrheit tut weh.
Ein Jahr später wurde dieser Betrag auf 300 Mark erhöht, und das wurde als sozialistischer, sozialer Erfolg
gewürdigt. Schämen Sie sich, kann ich nur sagen!
({4})
Wer 45 Arbeitsjahre nachweisen konnte, der erhielt
370 Mark. Und es waren nicht so viele, die nach 45 Arbeitsjahren 1 000 Mark im Monat verdienten. Die Rente
betrug also ein Drittel des Bruttodurchschnittslohns.
Vergleichen Sie das mal! Das erklärt, warum die verfügbare Nettostandardrente Ost 1990, also nach der Wiedervereinigung, bei rund 40 Prozent der vergleichbaren
Westrente lag. Da kommen wir her.
({5})
Dieses Verhältnis hat sich erheblich verbessert. Durch
die anstehende Rentenanpassung - das kann niemand
leugnen - kommen wir zum 1. Juli dieses Jahres auf
91,5 Prozent.
Ich will einfach noch einmal festhalten: Die politische
Grundsatzentscheidung, die wir für das wiedervereinte
Deutschland getroffen haben, nämlich dass wir von der
gemeinsamen lohn- und beitragsbezogenen Rentenberechnung ausgehen, war, ist und bleibt richtig. Die
Gesetze von Adam Riese kann man nicht außer Kraft
setzen. Noch einmal: Die Rentengeschichte in den letzten zwei Jahrzehnten war mehr als eine Erfolgsgeschichte. Über die Bestandsrentner kann man sagen, dass
sie die Gewinner der deutschen Einheit sind.
({6})
Aus meiner Sicht haben wir allerdings viel zu wenig
kommuniziert, wie sich die Rentenberechnung zusammensetzt und dass die ostdeutschen Löhne auf den
Durchschnittslohn West hochgerechnet werden, und
zwar nicht nur, Herr Gysi, wie Sie in Diskussionsrunden
immer behaupten, die Löhne, die bis 1991 verdient wurden. Nein, das gilt bis zum heutigen Tag.
({7})
Wir haben 1990 mit dem Faktor 3 begonnen. Sie wissen, dieser Faktor liegt heute bei knapp 1. Das zeigt, dass
die Angleichung funktioniert. Gleichwohl wissen wir
auch, dass die Wachstumsraten in den ersten Jahren nach
der Wiedervereinigung erheblich waren. Es folgte eine
Phase der Stagnation. Aber jetzt, wie Sie wissen, funktioniert die Angleichung wieder. Wenn die Löhne steigen, steigen auch die Renten. So sind wir auf das heutige
Rentenniveau gekommen.
({8})
Man muss Ihnen sagen, Herr Gysi: Ihre Behauptung,
dass das, was durch die Rentenversicherungsbeiträge
eingenommen wird, am Monatsende wieder ausgegeben
wird, mag gegolten haben, als Sie versucht haben, irgendetwas daran zu drehen. Fakt ist, dass wir heute mehr
zurücklegen als wir ausgeben. Dadurch ist die Rentenrücklage auf das 1,5-fache einer Monatsausgabe und
darüber gestiegen. Deshalb konnten wir auch die Rentenversicherungsbeiträge senken. Auch das kommt den
Menschen in den neuen Bundesländern zugute.
({9})
Unberücksichtigt bleibt - auch das muss man einmal
ganz ehrlich sagen -, dass manche Tarifparteien Abschlüsse zu 100 Prozent, also einheitliche Löhne in Ost
und West, erzielen, andere aber nicht. Die Hochwertung
ist bei allen gleich.
({10})
Ich weiß aus Diskussionsrunden in den alten Bundesländern, dass das Ihren Freunden nicht gefällt. Wir aber
bleiben dabei.
Wir haben im Rahmen eines Rentendialogs in Erfüllung des Koalitionsvertrages darüber diskutiert: Wie
könnte denn die Angleichungslösung aussehen? Dabei
wollten wir kein Ergebnis vorwegnehmen oder präjudizieren; denn alleine die Diskussion darüber war wichtig.
Am Ende der Diskussion haben wir nach vielfältigen Berechnungsmethoden festgestellt, dass das 1990 und 1992
eingeführte Rentenangleichungssystem - Sie kennen die
Stichdaten und das Gesetz - so genial ist, dass wir daran
nichts zu ändern brauchen. Auch das ist ein Ergebnis der
Diskussion. Damit haben wir den Auftrag aus dem Koalitionsvertrag erfüllt und meinen, dass wir auf diesem
Weg weitergehen sollten.
({11})
Ich möchte unbedingt noch einmal sagen, dass die beschlossenen Angleichungsprozesse eine Meisterleistung
sind, die in der Geschichte Deutschlands nirgendwo anders zu finden sind.
({12})
Deshalb sollten wir hier nicht ohne Not etwas verändern
und dadurch neue Ungerechtigkeiten schaffen. Ich hoffe,
dass sich in unserem Land die Erkenntnis durchsetzt:
Die Union steht für die Angleichung. Es wird den Tag
geben, an dem auch die Rentenwerte gleich sind. Aber
hierfür sind viele gefragt. Wenn die wirtschaftliche
Entwicklung so weiterläuft wie derzeit, wird der Angleichungsprozess zu einem absehbaren Zeitpunkt abgeschlossen sein. Das ist wichtig für unser Land.
Danke schön.
({13})
Iris Gleicke ist die nächste Rednerin für die SPDFraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich
freue mich, dass wir heute Morgen die Gelegenheit haben, zu dringenden und drängenden Rentenfragen im
Zusammenhang mit der deutschen Einheit miteinander
zu debattieren. Vielleicht gelingt es mir, die Diskussion
zu dem einen oder anderen Punkt, der hier angesprochen
wurde, wieder vom Kopf auf die Füße zu stellen.
({0})
Aber beginnen will ich mit dem Antrag der Linken
zum Vertrauensschutz bei Rentenleistungen für aus der
DDR geflohene oder ausgebürgerte Personen. Diese
Menschen mussten nicht nur ihre Vermögenswerte in der
DDR zurücklassen, sondern auch ihre Rentenansprüche.
Viele von ihnen waren Oppositionelle und wurden von
den DDR-Machthabern zu Staatsfeinden stilisiert. In der
alten Bundesrepublik haben sie nach dem Fremdrentengesetz ihre Rente bekommen. Nun werden klammheimlich ihre Anwartschaften umgerechnet, und die Betroffenen verlieren bis zu 500 Euro. Das merken sie aber erst,
wenn sie in Rente gehen. Das ist eine Schande.
({1})
Deshalb haben wir Sozialdemokraten schon im Mai
2011 einen Antrag dazu eingebracht. Die Grünen haben
einen Monat später textgleich nachgezogen. Wir wollten
schon damals den Vertrauensschutz für Menschen, die
vor dem Mauerfall in die Bundesrepublik übergesiedelt
sind; denn wir sind der Meinung, dass man mit den betroffenen Menschen so nicht umgehen darf. Beide Anträge wurden von der sogenannten christlich-liberalen
Koalition aus CDU/CSU und FDP abgelehnt.
({2})
Nun freue ich mich, dass die Linke, die uns schon damals zugestimmt hat, das Thema auf der Grundlage der
rot-grünen Anträge aufgegriffen hat. Ich bin sehr dankbar, dass wir das heute zur Abstimmung stellen können.
Deshalb verwundert es wahrscheinlich niemanden, dass
wir dem Antrag der Linken zustimmen werden.
({3})
Außerdem geht es um die vorliegenden Konzepte
zum Umgang mit dem geteilten Rentenrecht Ost/West.
Wir Sozialdemokraten wollen einen Härtefallfonds mit
einem Volumen von mindestens 500 Millionen Euro einrichten, um Rentnerinnen und Rentnern zu helfen, bei
denen Probleme aus der Rentenüberleitung zu geringen
Renten führen. Das sind verschiedene Betroffenengruppen. Zum Beispiel gehören die DDR-Geschiedenen oder
das mittlere medizinische Personal dazu, um nur zwei
herauszugreifen.
({4})
Wie wir wissen, ist den Betroffenen über das Rentenrecht nicht zu helfen. Deshalb muss eine sozialpolitische
Lösung her. Eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe soll Vorschläge erarbeiten, aus denen hervorgeht, wie die konkreten Hilfen aus dem Härtefallfonds aussehen sollen.
Das ist eine saubere und sachgerechte Lösung.
({5})
Einen Härtefallfonds will die Linke zwar noch nicht. Sie
übernimmt aber in ihrem Antrag wenigstens die Forderung nach Einrichtung einer Bund-Länder-Arbeitsgruppe. Trotzdem fehlt dann natürlich der entscheidende
Punkt, die Einrichtung eines Härtefallfonds, aus dem die
Hilfen gezahlt werden können. Sie bleiben leider auf der
Hälfte der Strecke stehen.
Aber an einer Stelle können wir aber gemeinsam sofort für Gerechtigkeit sorgen. Wir wollen, dass alle pauschal bewerteten Versicherungszeiten auch für Ostdeutsche mit dem höheren Westrentenwert berechnet
werden. Es geht dabei um Zeiten der Pflege von Angehörigen, um Wehr- und Zivildienstzeiten, um Zeiten der
Kindererziehung oder Zeiten der Beschäftigung in einer
Werkstatt für Behinderte. Diese Leistungen werden auch
für Westdeutsche aus dem allgemeinen Steueraufkommen finanziert, zu dem wir alle, auch wir Ostdeutschen,
beitragen. Es ist überhaupt nicht einzusehen, dass dem
Staat diese gesellschaftlichen Leistungen im Osten bis
heute weniger wert sind als im Westen.
({6})
Sie von Regierung und Koalition haben auch das abgelehnt. Was bedeutet das? Junge Menschen, die nach
der Wiedervereinigung geboren wurden und in diesem
einen Deutschland leben, arbeiten und Steuern zahlen,
die hier ihre Kinder großziehen, werden von der sogenannten christlich-liberalen Koalition 23 Jahre nach der
Einheit rentenrechtlich hinter den Eisernen Vorhang verbannt. Das ist wirklich unsäglich.
({7})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ja, das RentenÜberleitungsgesetz war gut. Ja, es hatte eine positive
Wirkung. Keine Rentnerin und kein Rentner musste
nach der Einheit von einer DDR-Rente leben. Ich sage es
noch einmal: Das war eine große Leistung der Solidarge32482
meinschaft in Ost und West. Ich werde auch nicht müde,
das immer wieder ganz klar zu sagen.
({8})
Es war richtig, die geringeren ostdeutschen Löhne um
die Differenz zu den Westlöhnen aufzuwerten, damit die
Ostdeutschen trotz geringerer Löhne überhaupt einen
Rentenentgeltpunkt erhalten. Wir alle, auch die Gewerkschaften, haben geglaubt, dass die Angleichung der
Löhne in Ostdeutschland an das Westniveau schneller
geht. Davon sollten auch die Rentnerinnen und Rentner
profitieren. Deshalb gibt es das getrennte Rentenrecht.
Frau Michalk, Sie haben hier gerade die Rentensteigerung des letzten Jahres auf die Lohnsteigerungen „umgerubelt“. Gucken Sie sich einmal an, was wirklich passiert ist. Die Löhne stagnieren. Die Differenz wird eher
wieder größer. Das ist die Wahrheit.
({9})
Die höheren Rentenansprüche für die Ostdeutschen haben etwas mit der Garantiezusage von 2009 zu tun nichts anderes.
({10})
Man muss ganz klar sagen: Heute bildet der Aufwertungsfaktor die Lohndifferenz nicht mehr wirklich ab.
({11})
Wir haben je nach Branche Lohnunterschiede zwischen
15 und 45 Prozent. Das bedeutet, dass sich der damals
gewollte Ausgleich in einen Nachteil verkehrt. Diejenigen, die heute viel weniger verdienen, dürfen nicht auch
bei der Rente abgehängt werden. Deshalb muss jetzt gehandelt werden.
({12})
Wir haben einen Vorschlag erarbeitet, der vorsieht,
dass die Rentnerinnen und Rentner in Ostdeutschland
zusätzlich zu der jährlichen Rentenerhöhung einen Zuschlag erhalten, damit bis zum Ende 2019 der Ostrentenpunkt genauso viel wert ist wie der Westrentenpunkt. So
lange muss der Aufwertungsfaktor für die Beschäftigten
in Ostdeutschland erhalten bleiben. Die ostdeutschen
Rentner profitieren von den Lohnsteigerungen in Ostdeutschland. Das ist ein ganz wichtiger Zusammenhang.
Denn wir wollen auf der einen Seite, dass die Rentnerinnen und Rentner nicht bis zum Sankt Nimmerleinstag
auf die Rentenanpassung warten müssen. Auf der anderen Seite wollen wir denjenigen helfen, die in Ostdeutschland zu niedrigsten Löhnen arbeiten, damit sie
im Alter nicht noch einmal draufzahlen.
({13})
Allein durch die Einführung eines flächendeckenden,
in Ost und West gleichen gesetzlichen Mindestlohns von
8,50 Euro - den wollen Sie ja auch nicht - würden die
Rentner in Ostdeutschland besonders profitieren.
1,2 Millionen Menschen arbeiten unterhalb dieser
Grenze, 800 000 in Ostdeutschland. Wenn wir diesen
Mindestlohn einführten, schlüge das im Jahr danach sofort bei den Rentnerinnen und Rentner in Ostdeutschland
zu Buche. Das ist die Solidarität der Älteren mit den Jüngeren. Wir brauchen diesen Zeitraum im Interesse beider
Seiten in Ostdeutschland.
Die Linke fordert die Rentenanpassung schneller.
Herr Gysi, Sie kannten wahrscheinlich Ihren eigenen
Antrag nicht.
({14})
Sie haben sich nämlich auch vom Aufwertungsfaktor
verabschiedet. Insofern haben wir uns entschlossen, uns
bei der Abstimmung zu enthalten.
({15})
- Er steht nicht mehr drin. Ich habe gedacht, Sie sind
lernfähig. Aber gut!
Den Vorschlag der Grünen, der nur die Umrechnung
der Anwartschaften vorsieht und zu keinerlei Verbesserungen bei den Ostrenten führt, weder im Bestand noch
in der Zukunft, lehnen wir ab.
Meine Damen und Herren, die Angleichung der Rechenwerte Ost an West ist 23 Jahre nach der deutschen
Einheit eine, vielleicht die entscheidende Gerechtigkeitsfrage bei der Vollendung der inneren Einheit unseres Landes. Dem geneigten Zuhörer sollte aufgefallen
sein, dass ich hier nur über Anträge der drei Oppositionsfraktionen rede. Bei einem solchen Thema fragt
man sich doch: Was will denn die Regierung? Ich sage
es Ihnen: nichts!
({16})
Sie haben in Ihrem Koalitionsvertrag geschrieben, dass
die Angleichung des Rentenrechts in dieser Legislaturperiode geschafft werden sollte. Nichts haben Sie gemacht. Keine Initiative! Kein Gesetzentwurf! Nur faule
Ausreden Ihres Ostbeauftragten, es sei alles ein bisschen
kompliziert. Das ist ganz klarer Wahlbetrug.
({17})
Aber auch die Abgeordneten der sogenannten christlich-liberalen Koalition haben nichts gemacht. Sie haben
die Trägheit ihrer Regierung nicht nur durchgehen lassen - Sie haben die anhaltende Untätigkeit auch noch
verteidigt. Die CDU-Ministerpräsidentin aus Thüringen,
Christine Lieberknecht, hat gesagt: Das ist ein „Fall von
Arbeitsverweigerung“. Recht hat sie.
({18})
An Ihrer Stelle hätte ich heute auf die Redezeit verzichtet, so geschämt hätte ich mich.
Nun haben Sie, meine Damen und Herren Koalitionäre, sich vom Ziel der Angleichung der Lebensverhältnisse bei den Renten gleich ganz verabschiedet. In Ihrem
Regierungsprogramm steht zu lesen: Daher halten wir an
der Rentenberechnung nach geteiltem Recht fest.
Von Ihnen haben die Ostdeutschen nichts zu erwarten,
gar nichts. Jede Wählerstimme für CDU/CSU und FDP
ist verschenkt, wenn es um die innere Einheit unseres
Landes geht.
({19})
Frau Kollegin Gleicke, denken Sie bitte an die Redezeit.
Das waren vier verlorene Jahre für das Zusammenwachsen unseres Landes. Auch deshalb werden Sie am
22. September abgewählt werden.
Schönen Dank.
({0})
Für die FDP-Fraktion hat jetzt der Kollege
Dr. Heinrich Kolb das Wort.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Wieder einmal ist Rentendebatte. Wieder einmal liegt
uns ein ganzes Bündel von Anträgen aus diesem Themenbereich vor. Der Unterschied ist allein, dass die Opposition anscheinend mittlerweile in den Wahlkampfmodus geschaltet hat.
({0})
Jedenfalls sind bisher, entgegen der sonstigen Übung,
dass die rentenpolitischen Experten der Fraktionen antreten, die Demagogen und Einheizer am Pult gewesen.
Das halte ich für falsch und gefährlich. Rente ist ein
Konsensthema und setzt auf langen Atem. Man sollte es
eine Nummer tiefer hängen als Sie, Herr Gysi, es getan
haben.
({1})
Dies vorausgeschickt will ich zu einigen Punkten Anmerkungen machen. Das Erste ist: Beim Thema Rentenangleichung haben Sie uns falsch zitiert, Herr Kollege
Gysi, wenn Sie mir Ihre Aufmerksamkeit schenken würden. In unserem Antrag 16/9482 aus der letzten Legislaturperiode
({2})
- ja, das baut darauf auf; wir sind konsequent und führen
es fort - heißt es:
Der Aufholprozess der Lohnstrukturen in den
neuen Ländern und damit die Angleichung der
Rechnungswerte in der Rentenversicherung werden
- jetzt wichtig im gegenwärtigen System noch unabsehbare Zeit
andauern.
Das ist für uns aber die Begründung dafür, dass wir
sagen: Die Angleichung ist überfällig. Wir haben einen
klaren Vorschlag gemacht, wie sie erfolgen soll, nämlich
stichtagbezogen, besitzstandwahrend und mit einer Abfindung der nach dem Stichtag bestehenden Erwartungen an künftige Angleichungen. Das ist ein konsistenter
Vorschlag, der weitgehend auch vom Sachverständigenrat übernommen wurde
({3})
und der von den Grünen, wenn ich es richtig sehe, ähnlich formuliert wird. Das ist der Weg, den man gehen
kann und der aus der Rentenversicherung finanzierbar
ist.
({4})
Alles andere, was aus Gründen des Wahlkampfes auf
den Tisch gelegt wird, halte ich für unverantwortbar und
unfinanzierbar. Das muss man einmal deutlich sagen.
({5})
Der zweite Punkt sind die speziellen Überleitungsfragen. Das haben wir wieder und wieder diskutiert.
({6})
- Nein, wir haben auch hier einen Lösungsvorschlag auf
den Tisch gelegt.
Nachversicherungsangebote halte ich für das fairste
Konzept. Es eröffnet Chancen, ohne neue Ungerechtigkeiten zu schaffen. Das ist nämlich die Schwierigkeit. Es
hilft allen Betroffenen, ihre Situation zu verbessern.
Die DDR-Übersiedler und ihre rentenrechtliche Behandlung sind mir ein besonderes Anliegen. Ich glaube,
das ist auch bekannt. Der Petitionsausschuss hat dazu
eine Empfehlung ausgesprochen und der Bundesregierung zur Erwägung vorgelegt. Das ist eine vergleichsweise hohe Stufe der kritischen Stellungnahme des Petitionsausschusses. Paul Lehrieder stimmt mir zu. Vor
einigen Wochen hatten wir noch einmal ein Berichterstattergespräch. Es gab erneut den einheitlichen Willen
aller Fraktionen, bei diesem Thema etwas zu tun und die
Aufforderung an das BMAS, noch einmal Recherchen
vorzunehmen und dann einen verfassungsgemäßen
Handlungsvorschlag vorzulegen. Wir verstecken uns
überhaupt nicht hinter der Ministerialbürokratie. Vor diesem Hintergrund halte ich es für kontraproduktiv, heute
einen im Mai eingebrachten Querschuss - den Antrag zu beschließen. Ich setze weiter auf die im gemeinsamen
Bestreben aller Fraktionen zu erreichende Lösung für die
Betroffenen, liebe Kolleginnen und Kollegen.
({7})
Weil ich noch eine Minute und 40 Sekunden Redezeit
habe und keine Zwischenfragen gestellt wurden,
({8})
möchte ich noch auf die Frage eingehen, wie wir es mit
den Rentenversicherungsbeiträgen halten wollen. Es gibt
im Moment dazu wieder eine Diskussion. Ich will auf einige Dinge hinweisen. Zum einen wird ein Zusammenhang konstruiert zwischen der Rentenhöhe und dem Beitragssatz zur Rentenversicherung nach dem Motto:
Wenn wir das Geld in der Kasse lassen, gibt es eine höhere Rente. Liebe Kolleginnen und Kollegen, meine Damen und Herren auf der Tribüne und an den Bildschirmen, das krasse Gegenteil ist der Fall. Die Senkung der
Rentenversicherungsbeiträge um 0,3 Prozentpunkte im
vorletzten Jahr hat ausweislich des Berichtes von
Annelie Buntenbach bei der Jahresversammlung der
Deutschen Rentenversicherung zu einer um 0,39 Prozent
höheren Rentenanpassung geführt. Also die Rentner profitieren wie auch die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die Beitragszahler, von einer Absenkung des Beitrags in die Rentenversicherung. Das ist ein Argument.
Das Zweite ist. Es wird gesagt: Wir müssen die Nachhaltigkeitsrücklage, die die Liquiditätsreserve der Rentenversicherung ist, in eine Demografiereserve umwandeln. Ich sage Ihnen: Das ist absolut unglaubwürdig.
Alle, die das Wort „Demografiereserve“ im Munde führen, haben gleichzeitig ganz konkrete Vorschläge für
umfangreiche Leistungsverbesserungen, die in der Rentenversicherung durchgeführt werden sollen. Alles liegt
in der Schublade. Das heißt: Diejenigen, die sagen:
„Lasst das Geld in der Kasse“, wollen es nicht für bessere Zeiten oder für schlechtere Zeiten - so muss man
wohl eher sagen - zurücklegen. Sie wollen es vielmehr
für Wahlkampfversprechen ausgeben. Auch das halte ich
für unverantwortlich.
({9})
Um es einmal bildlich zu machen: Wenn einem die
Oma 10 Euro zum Geburtstag schenkt, dann kann man
keinen Handyvertrag für 360 Euro abschließen, auch
wenn das Geld vielleicht für die erste Rate reicht.
({10})
Das ist etwas, was wir alle in diesem Haus uns immer
wieder vor Augen führen sollten: Wir müssen langfristig
und nachhaltig eine sichere Finanzierung der Rentenleistungen sicherstellen. Da muss man zurückhaltend sein
und darf nicht dem Reiz unterliegen, in Wahlkampfzeiten das eine oder andere Werbegeschenk zu verteilen.
Das ist eine unverantwortliche Rentenpolitik. Das ist mit
uns nicht zu machen.
({11})
Wir wollen die Rentenpolitik im Interesse der Rentnerinnen und Rentner in Deutschland mit langem Atem und
mit fairen Konzepten gestalten.
({12})
Das werden wir auch in der nächsten Legislaturperiode
tun. Es waren vier gute Jahre, auch für die Rentner in
Deutschland. Deswegen freuen wir uns darauf, diese Arbeit gemeinsam mit den Kollegen der Union fortzusetzen.
({13})
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({14})
Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Wolfgang
Strengmann-Kuhn vom Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Herr Kolb, Sie haben gerade richtigerweise gesagt: Dauerhafte Ausgaben kann man nicht aus der Rücklage finanzieren. Das sollten Sie einmal Ihrem Koalitionspartner und der Bundeskanzlerin sagen.
({0})
Denn diese behaupten, die Mütterrenten, die mindestens
6,5 Milliarden Euro umfassen, könnte man aus der
Rücklage finanzieren.
({1})
Herr Kolb, Sie nicken, wie ich sehe. Sie kennen sich
wahrscheinlich damit ein bisschen aus. Dass das nicht
aus der Rücklage zu finanzieren ist, ist offensichtlich bei
der CDU noch nicht so wirklich angekommen. Die
Rücklage reicht vier Jahre, und dann ist das Geld futsch.
({2})
So kann man damit nicht umgehen. Das ist ein leeres
Versprechen. Die Erhöhung der Mütterrente funktioniert
nicht ohne zusätzliche Steuermittel und ohne zusätzliche
Beitragszahlungen. Das ist Voodoo-Ökonomie. Das geht
nicht.
({3})
Das heutige Thema ist ein anderes. Der letzte Tag in
der letzten regulären Sitzungswoche gibt noch einmal
Gelegenheit, vier Jahre zu überblicken und zu schauen,
was denn tatsächlich passiert ist. Der Anfang mit dem
Koalitionsvertrag war gar nicht so schlecht; das ist schon
ein paarmal erwähnt worden. Ich will einmal aus dem
Koalitionsvertrag zitieren. Darin steht: „Wir führen in
dieser Legislaturperiode ein einheitliches Rentensystem
in Ost und West ein.“
({4})
Frau Michalk, da steht nicht „Wir diskutieren darüber,
wir prüfen, wir wollen“, sondern da steht: Wir führen
ein.
({5})
Das heißt, der Koalitionsvertrag ist an der Stelle nicht
umgesetzt worden. Sie haben nicht geliefert. Sie haben
an der Stelle nichts gemacht.
An anderen Stellen ist das anders. Im Koalitionsvertrag steht: Wir wollen die Kindererziehungszeiten
- diese habe ich eben bereits erwähnt - prüfen. Wir wollen bei der Altersarmut etwas machen. Da sollte eine Regierungskommission einen Vorschlag erarbeiten. Diese
gab es aber nicht. Es gab dann trotzdem einen Vorschlag,
der im Regierungsdialog vorgestellt worden ist.
({6})
Manche nannten das auch „Regierungsmonolog“, weil
es nur darum ging, das Lieblingsbaby der Frau von der
Leyen, nämlich die Zuschussrente, zu verkaufen. Das ist
allerdings nicht gelungen. Im Verkaufen ist sie ja sonst
prima, aber im Regierungsdialog saßen eben die Expertinnen und Experten. Die Zuschussrente ist von allen zu
Recht auseinandergenommen und abgelehnt worden. Sie
ist nun vom Tisch. Die Bundesregierung hat also auch an
der Stelle nichts getan und nicht geliefert.
({7})
Es gab noch weitere Themen: Selbstständige, Erwerbsminderungsrente,
({8})
Reha-Deckel und - das ist ein Projekt, das der FDP am
Herzen lag -, die Kombirente und bessere Hinzuverdienstmöglichkeiten. Auch an dieser Stelle ist nicht geliefert worden. Der Kollege Schaaf sagt immer: Diese
Regierung ist im Bereich der Rente eine Nichtregierungsorganisation. Recht hat er.
({9})
Es ist in der Tat nichts passiert. Frau von der Leyen
wird ja gleich reden, und ich bin gespannt, wie man mit
nichts blenden und sagen kann, was alles Tolles passiert
ist. Aber in der Tat ist nichts geliefert worden.
Nun zu dem Thema Ost-West-Rentenangleichung,
das Gegenstand der Debatte ist. Wie gesagt: Es gibt
keine aktuellen Vorschläge der Koalition. Es gibt lediglich einen Antrag der FDP aus der letzten Legislaturperiode. Sie haben jetzt erneut die Möglichkeit, eine
Entscheidung zu treffen. Dazu geben wir eine Entscheidungshilfe; denn jetzt liegen drei verschiedene Anträge,
drei verschiedene Konzepte zur Rentenangleichung vor.
Für eines können Sie sich nun entscheiden.
Aber auch das ist etwas, was bei dieser Regierungskoalition immer recht schwierig ist. Das haben wir bei den
Selbstständigen erlebt, das haben wir jetzt auch bei den
Ost-West-Renten erlebt. In den Debatten hieß es immer:
„Das ist alles so fürchterlich kompliziert, diese Rente!“
Das ging sogar so weit, dass die Bundesregierung
McKinsey beauftragt hat, eine Machbarkeitsstudie zu erstellen. Da wird eine Unternehmensberatung bemüht,
um eine sozialpolitische Aufgabe zu lösen! Das ist wirklich ein Offenbarungseid dieser Bundesregierung.
({10})
Herausgekommen ist dabei nichts; davon hat man nie
wieder etwas gehört.
Auch bei der Ost-West-Rentenangleichung heißt es
immer, das sei alles so kompliziert, und es gebe überhaupt keine Lösung, die alle toll fänden. Ja, es ist so: Jeder der drei Vorschläge, die uns hierzu vorliegen, hat
seine Vorteile, und jeder dieser drei Vorschläge hat seine
Nachteile. Und es gibt immer Leute, die damit nicht zufrieden sein werden. Aber es ist das Wesen von Politik,
dass man Vorteile und Nachteile abwägt und letztlich
entscheidet. Ich kann nur sagen: Sie können es nicht. Sie
können einfach keine echte Rentenpolitik machen. Sie
haben an der Stelle völlig versagt.
({11})
Das geschieht auf dem Rücken der Menschen in Ostdeutschland, die einfach nicht mehr verstehen, warum
sie bei der Rente als Menschen zweiter Klasse behandelt
werden. Deswegen ist in unserem Vorschlag der zentrale
Punkt: Der Rentenwert Ost muss endlich auf den Rentenwert West angehoben werden, und zwar so schnell
wie möglich, nicht in Stufen, sondern in einem Schritt.
Der zweite Punkt ist aber: Wir wollen, dass das auch
wirklich passiert. Insoweit sind die Stufenpläne problematisch; denn diese kosten sehr viel Geld. Die Berechnungen liegen zwischen 4 und 6 Milliarden Euro. Ich
wage die Prognose, dass das an dem nächsten Finanzminister oder an der nächsten Finanzministerin sicher
scheitern wird. Wenn Herr Steinbrück verspricht, dass an
der Stelle 4 bis 6 Milliarden Euro ausgegeben werden,
dann ist das ein Versprechen, das wir wahrscheinlich
nicht einhalten können. Wir verfolgen in unserem Wahlkampf die Linie, dass wir nur das versprechen, was wir
tatsächlich auch halten und umsetzen können.
({12})
Der Kollege Gregor Gysi sagte, im Osten seien die
Löhne doch viel geringer als im Westen, und man dürfe
doch dann nicht auf die Hochwertung verzichten. Wenn
man gleichzeitig den Rentenwert anhebt - das sind die
8,5 Prozent; Frau Michalk hat die Zahl vorhin genannt -,
dann ist der Unterschied gar nicht mehr so groß, wenn
man gleichzeitig die Hochwertung abschafft. Auch die
SPD will das ja dann ab dem Jahr 2020 so halten, wenn
der Rentenwert Ost auf dem Niveau des Rentenwertes
West liegt. Das ist aus unserer Sicht für diejenigen, die
viel verdienen, durchaus akzeptabel. In dem Bereich ist
es definitiv so, dass jemand, der 4 000 oder 5 000 Euro
im Osten verdient, nicht sagen kann: „Ich bin im Osten
benachteiligt, und deswegen brauche ich eine Hochwer32486
tung um 17 Prozent.“ Das würden auch wir nicht einsehen. Wir sagen: „Wir wollen gleichen Rentenanspruch
bei gleichem Einkommen.“
({13})
Bei den Geringverdienern kommt es tatsächlich noch
vor. Sie haben einen Tarifvertrag angesprochen. Mittlerweile sind aber deutlich mehr als 90 Prozent der Tarifverträge bei 100 Prozent angelangt. Das können Sie im
Tarifbuch des WSI nachschauen. Das heißt, bei den Tarifverträgen besteht zu einem großen Teil Einheit. Das
Problem sind allerdings die wenigen Tarifverträge, ist
die geringe Tarifbindung im Osten. An der Stelle muss
man ansetzen.
Außerdem brauchen wir endlich einen einheitlichen
gesetzlichen Mindestlohn in Ost und West. Dazu gab es
neulich eine Berechnung des Prognos-Instituts, das gesagt hat, dass der Unterschied zwischen Ost und West erheblich reduziert werden würde, wenn man einen Mindestlohn in Ost und West einführen würde. Deswegen
brauchen wir einen einheitlichen gesetzlichen Mindestlohn.
({14})
Statt der Hochwertung für alle wollen wir eine grüne
Garantierente, von der diejenigen profitieren, die ein geringes Einkommen haben, im Westen wie im Osten.
({15})
Das ist wichtig; denn ein Verdienst von 1 000 Euro ist
für jemanden im Osten wenig, für jemanden im Westen
aber auch. Die Rente nur im Osten anzuheben, macht
also keinen Sinn. Wir brauchen einen einheitlichen
Schutz vor Altersarmut.
({16})
Das ist für den Osten in der Tat besonders wichtig;
das zeigen Prognosen zur Rentenentwicklung. In der Tat
geht es den Rentnerinnen und Rentnern im Osten noch
vergleichsweise gut; die Altersarmutsquoten sind im Osten geringer, Herr Gysi, als im Westen.
({17})
Das wird sich aber in den nächsten Jahren deutlich ändern. Deswegen ist die Garantierente besonders für den
Osten wichtig, als Schutz vor Altersarmut.
({18})
Ich komme zum Schluss. Wie gesagt: Wir machen nur
Versprechen, die wir tatsächlich halten können. Wir wollen eine armutsfeste Garantierente. Sie schützt vor Armut, sie ist durchgerechnet, sie ist solide, sie ist umsetzbar. Wir werden uns daranmachen, den Schutz vor
Altersarmut damit tatsächlich zu verbessern. Wir wollen
weitere Schritte in Richtung einer Bürgerversicherung
gehen und die Selbstständigen in der Rentenversicherung endlich besser absichern. Wir werden die Einheit
bei den Renten in Ost und West tatsächlich herstellen,
zusammen mit den Sozialdemokraten. Wir haben da
noch einiges zu besprechen - wir stimmen nicht in allen
Punkten überein -, aber eine Nullnummer in der Rentenpolitik, wie sie Schwarz-Gelb in den letzten vier Jahren
abgeliefert hat, können wir uns nicht mehr leisten. Deswegen braucht es am 22. September, in 86 Tagen, einen
Politikwechsel.
({19})
Jetzt hat die Bundesministerin Dr. Ursula von der
Leyen das Wort.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bin
froh, dass die Vorredner in dieser Debatte deutlich gemacht haben - das konnte man im Eingangsstatement
nicht so ganz heraushören -, dass die niedrigeren Einkommen im Osten auf das Niveau der Westeinkommen
angehoben werden. Damit wird in dieser Debatte deutlich, dass die Rente - das ist eine Plattitüde; das weiß jeder - vor allem das Ergebnis von guter Arbeit ist.
Wir haben zurzeit eine Rekordbeschäftigung; wir haben die niedrigste Arbeitslosigkeit seit der Wiedervereinigung.
({0})
Wir haben gezeigt, dass wir konsolidieren und Wachstumsimpulse setzen können. Das Ergebnis dessen ist:
Wir hatten nach der Wiedervereinigung Ostrenten mit einem Niveau von 51 Prozent im Vergleich zu dem, was
im Westen gezahlt wurde; inzwischen haben wir dank
unseres guten wirtschaftspolitischen Kurses erreicht,
dass die Ostrenten ab 1. Juli ein Niveau von rund 92 Prozent im Vergleich zu den Westrenten erreichen. Das ist
das Ergebnis guter Politik und guter Arbeit.
({1})
Insofern ist es richtig - danke, Herr StrengmannKuhn, dass Sie darauf hingewiesen haben -, dass es
97,4 Prozent der heutigen Rentnerinnen und Rentner so
gut geht, dass sie aus eigener Kraft von ihren Alterseinkommen existenzgesichert leben können.
({2})
Das ist heute Tatsache. Wenn man Ihnen zugehört hat,
kann man daran zweifeln. Aber die Lebenswirklichkeit
ist, dass 97,4 Prozent der Rentnerinnen und Rentner
heute auskömmliche Alterseinkünfte haben.
({3})
Die Rentenfinanzen sind stabil, meine Damen und
Herren.
({4})
Wir haben in den letzten vier Jahren sogar so gut gewirtschaftet, dass die Rentengarantie eingehalten wurde - ({5})
- auch wenn Sie schreien. Die Rentengarantie sorgt dafür, dass die Renten nicht sinken dürfen, selbst wenn die
Löhne sinken.
({6})
Wir haben der jungen Generation aber auch versprochen,
dass dieser Vorschuss, der gegeben wird, ausgeglichen
wird. Das haben wir in diesem Jahr geschafft, meine Damen und Herren. Auch das ist das Ergebnis guter Arbeit.
({7})
In der Zukunft wird es Probleme geben; Sie haben das
angesprochen, Herr Strengmann-Kuhn. Wir müssen aber
auch einmal darüber reden, woran das liegt.
Vor zehn Jahren hat Rot-Grün die Rente reformiert.
Sie haben damals gewusst, dass weniger junge Menschen nachkommen und dass zugleich die Zahl der Älteren zunehmen wird. Sie haben gewusst - und das einbezogen -, dass wir neben der gesetzlichen Rente als
zusätzliche Altersvorsorge eine private Säule aufbauen
müssen. Sie haben auch gewusst, dass das gesetzliche
Rentenniveau sinken wird. All das war klar, als die Reform vor zehn Jahren verabschiedet wurde.
Umso erstaunlicher ist es, dass Rot-Grün jetzt fast alles zurückdrehen will. Plötzlich gelten die drei Säulen
nicht mehr als Renteneinheit. Die SPD will die Rente
mit 67 abschaffen,
({8})
die sie selber in der Großen Koalition durch Franz
Müntefering eingeführt hat. Er war der letzte Sozialdemokrat, der noch wusste, was Generationengerechtigkeit
ist.
({9})
Sie haben den Menschen vor zehn Jahren allerdings
nicht gesagt, dass Ihre Rentenreform unweigerlich so angelegt ist, dass sich dann, wenn das Rentenniveau sinkt
und der Niedriglohnsektor durch die Agenda 2010 ausgeweitet wird, eine riesige Gerechtigkeitslücke für die
Geringverdiener auftut. Das muss man den Menschen
aber sagen. Vor zehn Jahren haben Sie das verschwiegen. Auch am Anfang dieser Legislaturperiode haben
Sie noch versucht, das zu vertuschen. Aber inzwischen
ist klar, dass wir heute die Weichen anders stellen müssen, damit Geringverdiener in Zukunft aus ihrer Arbeit,
wenn sie jahrzehntelang eingezahlt haben, eine Rente
aus der Rentenkasse beziehen können und nicht zum Sozialamt müssen.
({10})
Wir haben die Lebensleistungsrente vorgeschlagen.
Das heißt, dass die Renten derjenigen, die jahrzehntelang eingezahlt haben, bis zu 850 Euro aufgewertet werden können, und auch die Kindererziehungszeiten und
Pflegezeiten werden besonders berücksichtigt.
({11})
Damit erhält jeder, der alles richtig gemacht hat, seine
Rente aus der Rentenkasse und nicht vom Sozialamt.
Das ist unser Konzept.
({12})
- Es ist interessant, dass Sie jetzt so schreien.
({13})
Offensichtlich ist das Konzept der Lebensleistungsrente so überzeugend,
({14})
dass die Grünen ihr Konzept einer Zuschussrente Wort
für Wort davon abgeschrieben haben.
({15})
Sie haben lediglich ein paar Schleifen darum gemacht
und dem Konzept einen neuen Namen gegeben; Sie nennen es jetzt Garantierente.
({16})
Die Rente wird auf 850 Euro aufgewertet. Das haben Sie
bei uns abgeschrieben.
({17})
Ich finde es spannend, dass sich die Grünen etwas
verschämt winden. Sie merken an dem Geschrei: Der getroffene Hund bellt. Offensichtlich sitzt das, was ich
sage.
({18})
- Ja, wir sind Ihnen auf die Schliche gekommen. Sie haben nicht nur abgeschrieben. Das nennt man Plagiat,
wenn man einfach einen neuen Titel darübersetzt.
Die Grünen haben zudem gehofft, dass keiner merkt,
dass sie das Wort „Beitragsjahre“ durch das Wort „Versicherungsjahre“ ersetzen. Bei den Grünen bekommt man
nach 30 Versicherungsjahren eine Garantierente. Was
hat das zur Folge? Wenn jemand ein paar Jahre im Job
war, zum Beispiel ein Langzeitstudent, der nebenher einen kleinen sozialversicherungspflichtigen Job hatte, bekommt er nach dem Konzept der Grünen am Ende die
gleiche lebenslange Garantierente wie eine Floristin, die
40 Jahre lang in die Rentenkasse eingezahlt hat. Das entwertet Arbeit.
Im Übrigen verteilen Sie das Geld mit einer großen
Gießkanne.
({19})
Frau Kollegin von der Leyen, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Nein, ich mache jetzt weiter.
({0})
- Das wollen Sie nämlich nicht hören. - Weil Sie das
Geld mit einer großen Gießkanne verteilen, kostet Ihr
Konzept 15 Milliarden Euro. Sie haben vorhin gesagt:
Wir werden nichts versprechen, was wir nicht halten und
bezahlen können. Die 15 Milliarden Euro sind Sie uns in
Ihrer Rechnung schuldig geblieben.
({1})
Die SPD ist mit ihrem Konzept der Solidarrente vernünftiger. Es ist unserem Konzept ähnlich: Mindestentgeltpunkte und dann obendrauf abgestimmt etwas von
der Zuschussrente. Sie nennen das jetzt Solidarrente.
({2})
- Okay, dann haben sie es bei den Linken abgeschrieben
und dann die Zuschussrente obendrauf gepackt.
({3})
Was ich bei der SPD nicht verstehe, ist, dass sie das
Geld mit der Gießkanne verteilt. Durch Ihr Konzept wird
jeder auf 850 Euro aufgewertet, egal wie hoch das Alterseinkommen ist. Das heißt, Sie geben einem Vermögenden,
({4})
der ganz elegant von den Zinsen seines Vermögens leben
kann, genau die gleiche Solidarrente wie dem Facharbeiter, der sich diese erst mühsam erarbeiten musste. Wir
wissen, dass die SPD sehr gerne umverteilt, aber dieses
Mal haben Sie sich offenbar in der Richtung geirrt: Das
ist eine Umverteilung von unten nach oben. Das machen
wir nicht mit.
({5})
Deshalb ist unser Konzept richtig. Wir sagen: Lebensleistungsrente ja, aber mit Maß. Nur bei denjenigen, die
nach jahrzehntelanger Einzahlung wirklich ein nichtausreichendes Alterseinkommen haben, wollen wir die
Rente aufwerten.
({6})
Wir haben insbesondere die Frauen im Blick. Wir wollen
Kindererziehungs- und Pflegeleistungen aufwerten. Deshalb lauten unsere Ziele - das ist der Dreiklang -: Wir
wollen die lebenslange Leistung würdigen,
({7})
wir wollen mehr Rentengerechtigkeit für Frauen schaffen, und wir halten den Grundsatz der Generationengerechtigkeit hoch.
({8})
Vielen Dank.
({9})
Ich bitte um etwas Mäßigung.
({0})
Es hat immer der jeweilige Redner das Wort. Frau
Gleicke, Sie hatten schon das Wort.
({1})
- Ja, das sagen andere auch.
({2})
Das ist immer eine Sache des individuellen Eindrucks.
Mir liegen zwei Bitten um Genehmigung einer Kurzintervention vor, und zwar des Kollegen Anton Schaaf
und des Kollegen Strengmann-Kuhn.
({3})
Ich schlage vor, dass Sie Ihre Kurzinterventionen nacheinander abgeben und dann die Ministerin die Chance
hat, zu antworten. - Bitte schön, Herr Schaaf.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Ich wollte mich ursprünglich nicht mehr zu Wort melden, aber dieser Wortbeitrag der Ministerin lässt mir letzten Endes keine
Wahl.
Frau Ministerin, Sie haben es in Ihrer achtminütigen
Rede vermieden, auch nur einmal über die vorliegenden
Anträge zu reden.
({0})
Ich finde es ja bemerkenswert, dass Sie sich mit den
Rentenkonzepten der Oppositionsfraktionen auseinandersetzen; aber das liegt wahrscheinlich daran, dass Sie
überhaupt keins haben, Frau Ministerin.
({1})
Ich hätte gerne von Ihnen eine konkrete Antwort zum
Thema Ost-West-Angleichung gehabt. Sie haben vor
vier Jahren mit Ihrem damaligen Versprechen Stimmen
in Ostdeutschland gewonnen. Sagen Sie den Menschen
jetzt: Wir werden es nicht machen. Dann können die
Menschen das am 22. September bei ihrer Entscheidung
berücksichtigen. Sie haben zu diesem Thema kein Wort
gesagt, Frau Ministerin.
({2})
Herr Strengmann-Kuhn, bitte.
Frau Ministerin, das eine ist, dass Sie nichts über Ihre
Konzepte, die nach wie vor nicht vorliegen, gesagt haben. Ihr Wahlprogramm enthält nur ein paar Wunschadressen; ansonsten ist da nichts. Die Angleichung wird
wieder nicht stattfinden. Das andere ist, dass Sie sich
hierhinstellen und falsche Behauptungen machen.
({0})
Das geht überhaupt nicht. Das ist eine Unverschämtheit.
({1})
Wir haben unser Konzept der Garantierente im Rahmen eines wissenschaftlichen Gutachtens durchrechnen
lassen. Der Steuerzuschuss zur Finanzierung der Garantierente, die wir als Schutz der Neurentnerinnen und
Neurentner vor Altersarmut vorsehen, beträgt im ersten
Jahr 270 Millionen Euro. Die Summe wächst dann langsam auf. Nach drei Jahren beträgt der Steuerzuschuss
800 Millionen Euro. Wir haben das bis zum Jahr 2030
durchrechnen lassen. Für das Jahr 2030 kämen wir,
wenn wir sonst keine Gegenmaßnahmen ergreifen würden, auf 5 Milliarden Euro und nicht auf 15 Milliarden Euro.
Natürlich müssen wir präventiv diverse Maßnahmen
gegen Altersarmut ergreifen. Auch diesbezüglich haben
Sie nichts gemacht. Es geht um den Mindestlohn, um
bessere Erwerbsbeteiligungsmöglichkeiten, um Equal
Pay bei der Leiharbeit und vieles andere mehr im Bereich des Arbeitsmarktes. Die Zeit reicht nicht, jetzt alle
Punkte anzusprechen. Das heißt, wir werden im Jahr
2030 bei deutlich weniger als 5 Milliarden Euro landen.
Wichtig ist, dass man jetzt schnell etwas unternimmt,
weil es zunehmend mehr Altersarmut gibt. Schauen Sie
in Ihren eigenen Armuts- und Reichtumsbericht. Wir haben ein Konzept, das finanzierbar ist, mit entsprechenden Vorschlägen zur Gegenfinanzierung unterbreitet.
Auch diesbezüglich haben Sie nichts vorzuweisen.
Bitte vermeiden Sie in Zukunft, irgendwelche Unwahrheiten über unser Konzept zu erzählen. Legen Sie
selber einmal etwas vor.
({2})
Frau Kollegin von der Leyen, bitte.
Vielen Dank. - Zunächst einmal zu Herrn Schaaf. Interessant ist, sich einmal Folgendes anzuschauen: Bereits 2005 stand ebenso wie 2009 eine Passage zur OstWest-Angleichung im Koalitionsvertrag.
({0})
Schauen wir einmal, was unterm Strich herausgekommen ist; denn das ist entscheidend für die Menschen:
Wir haben es bei der Ost-West-Angleichung geschafft,
dass die Renten im Osten inzwischen bei 92 Prozent des
Westniveaus liegen.
({1})
Es ist für die Menschen entscheidend, dass wir durch
gute Arbeit und gute Wirtschaft die Ost-West-Angleichung tatsächlich hinbekommen. Sie reden in der Theorie. Keiner von Ihnen hat gesagt, ob Sie die Höherwertung der Osteinkommen wieder abschaffen wollen, also
die Menschen im Osten wieder schlechterstellen wollen.
Für uns ist entscheidend, dass die Menschen im Osten
Arbeit haben, gute Arbeit haben und dass sie dann auch
eine gute Rente haben. Das haben wir mit den 92 Prozent bewiesen.
({2})
Das Zweite. Herr Strengmann-Kuhn, Ihre Falle ist,
dass Sie bei Ihrem Konzept - wie gesagt: bei der Zuschussrente abgeschrieben und dann mit einem anderen
Namen versehen ({3})
„Beitragsjahre“ durch „Versicherungsjahre“ ersetzt haben. Vielleicht wissen die meisten Menschen nicht, was
das bedeutet. Versicherungsjahre heißt: Es reicht, dass
man in der Rentenkasse ist, auch ohne einen einzigen
Cent einzuzahlen. Wenn man 30 Jahre in der Rentenkasse war, zum Beispiel weil man während des Studiums
einen sozialversicherungspflichtigen kleinen Job hatte
({4})
und danach einige Jahre gearbeitet hat,
({5})
wird man nach Ihrem Konzept zum Schluss auf die Garantierente von 850 Euro aufgewertet. Das macht es so
irrsinnig teuer. Deshalb ist die Rechnung, dass es 2030
nur 5 Milliarden Euro kostet, nicht richtig; es würde
deutlich mehr kosten.
({6})
Das Wort hat jetzt die Kollegin Sonja Steffen von der
SPD-Fraktion.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Zurück zum
Thema.
({0})
Tatsächlich findet sich der Vorsatz, ein einheitliches
Rentenrecht für Ost und West hinzubekommen, bereits
schwarz auf weiß in Ihrem Koalitionsvertrag, meine Kolleginnen und Kollegen von der Regierungskoalition, und
zwar nicht für irgendwann, sondern für diese nun zu
Ende gehende Wahlperiode. Frau Michalk, ich glaube,
Sie haben den Koalitionsvertrag nicht gelesen. Ich muss
ihn deshalb noch einmal zitieren; Herr Strengmann-Kuhn
hat es ja schon getan. Dort steht wörtlich auf Seite 84:
Wir führen in dieser Legislaturperiode ein einheitliches Rentensystem in Ost und West ein.
({1})
Nicht Prüfungsauftrag, sondern Einführung.
({2})
Auf dieses Versprechen haben sich die Menschen im Osten tatsächlich verlassen. Heute sind sie ernüchtert und
werden daher auch Ihre jetzigen Wahlversprechen als
das einordnen, was sie sind: Wahlbetrug mit Ansage.
({3})
Auch ich bin sicher: Die Quittung für diesen Wahlbetrug
werden Sie durch die Wahlentscheidung am 22. September erhalten.
Übrigens, Herr Kolb, ich habe gelesen, dass Sie kürzlich gesagt haben, es sei „wirklich ärgerlich“, dass die
Ost-West-Angleichung nicht umgesetzt worden sei.
({4})
Ich habe mich gefragt: Warum sagt ausgerechnet der
rentenpolitische Sprecher der FDP das?
({5})
Die Erklärung ist eigentlich ganz einfach: In einem einheitlichen Rentenrecht würde die Anpassung in Ost- und
Westdeutschland im Juli 2013 gleich ausfallen.
({6})
Der zu erwartende Unmut darüber, dass die 4 Millionen
Ostrentner im Juli eine Rentenerhöhung von 3,29 Prozent erhalten werden und damit über 3 Prozent mehr als
ihre 16,6 Millionen Altersgenossen im Westen, wäre Ihnen, den schwarz-gelben Wahlkämpfern, dann erspart
geblieben.
Die unterschiedliche Erhöhung der Anpassungssätze
in Ost und West ist einem Normalsterblichen tatsächlich
nicht zu erklären. Ich habe viel Verwandtschaft im Westen, die überwiegend inzwischen Rentner sind. Ich habe
sie Ostern besucht. Thema Nummer eins war immer,
wenn ich bei ihnen war: Wie kann es sein, dass wir weniger Rentenerhöhung bekommen als ihr im Osten? Ich
habe dann immer geduldig erklärt, dass das alles den gesetzlichen Vorgaben entspricht und schlicht die Formeln
für die Berechnung angewandt werden, und zwar richtig.
Es blieben dennoch erhebliche Fragen.
Frau Ministerin von der Leyen, Sie haben sich heute
zu dem Thema der Renten in Ost und West wirklich gar
nicht geäußert.
({7})
Sie haben vorhin erklärt, dass durch die unterschiedlichen Erhöhungen der Abstand zwischen den Renten in
Ost und West verringert wird und dass dies Ihr Verdienst
ist. Das ist schlichtweg falsch. Denn es ist ganz einfach
das Ergebnis einer mathematischen Berechnung und der
Lohnentwicklung geschuldet.
({8})
Ihr Abtauchen in der Rentenpolitik führt dazu, dass
die Menschen in Ost und West sich weiterhin voneinander abgrenzen. So wächst nicht zusammen, was zusammengehört.
({9})
Damit schüren Sie nur Unmut und Ungerechtigkeitsempfinden in Ost und West. Zwei Jahrzehnte nach der
Einheit ist es längst überfällig, dass in ganz Deutschland
endlich gleiche Renten gezahlt werden.
({10})
Eine Bundesregierung mit uns an der Spitze wird die
Angleichung der Renten herbeiführen und sich nicht
wegducken.
({11})
Wir haben in den letzten vier Jahren bei dieser Frage
nicht geschlafen.
({12})
Ich freue mich, dass wir in der SPD-Landesgruppe Ost
in Zusammenarbeit mit der stellvertretenden Parteivorsitzenden Manuela Schwesig - auch Iris Gleicke haben
wir da sehr viel zu verdanken - die Angleichung in unserem Regierungsprogramm verankert haben. Ein ähnliches Engagement hätte ich mir übrigens auch von den
CDU-Abgeordneten aus dem Osten gewünscht. Kein
Wunder, dass heute nicht einmal jemand von Ihnen zu
diesem Thema spricht.
({13})
Unser Konzept - Frau Gleicke hat es vorhin schon
wunderbar erklärt - wird damit einhergehen, dass wir so
schnell wie möglich Ordnung auf dem Arbeitsmarkt
schaffen werden, und zwar so, dass die Menschen von
ihrer Arbeit leben und ordentliche Rentenbeiträge zahlen
können.
Frau Kollegin Steffen, erlauben Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Michalk?
Nein. Sie hatten vier Jahre Zeit, uns Fragen zu stellen.
Wenn Sie welche hatten, dann hätten Sie das machen
können.
({0})
Kurz zum Antrag der Linken. In der Zielsetzung sind
wir uns einig. Allerdings werden wir für die vollständige
Angleichung nach unserer Berechnung circa 4,5 Milliarden Euro in die Hand nehmen müssen. Damit stellen
sich Fragen der Finanzierbarkeit und Fragen im Zusammenhang mit dem Höherwertungsfaktor, die nur in
Stufen solide beantwortet werden können. Deshalb werden wir uns bei der Abstimmung über Ihren Antrag enthalten.
({1})
Meine Damen und Herren, solide Rentenpolitik geht
nicht ohne vernünftige Arbeitsmarktpolitik. In meinem
Wahlkreis, der übrigens auch der Wahlkreis der Abgeordneten Angela Merkel ist, verdient eine Verkäuferin in
Vollzeit - hören Sie gut zu - durchschnittlich 1 300 Euro
brutto; das Gleiche verdient auch ein Kellner. In meinem
Wahlkreis haben wir eine Arbeitslosenquote von
14,4 Prozent und eine Aufstockerquote von 15 Prozent.
Ich erinnere an dieser Stelle daran, dass es auch der
Wahlkreis der Abgeordneten Angela Merkel ist.
({2})
Weder aus solch niedrigen Gehältern noch aus Arbeitslosigkeit erwachsen vernünftige Rentenansprüche. Durch
Ihre verfehlte Arbeitsmarktpolitik, gerade und insbesondere im Osten der Republik, und durch Ihre Verweigerung eines gesetzlichen Mindestlohnes werden die Menschen im Osten in doppelter Hinsicht bestraft: Sie sind
einkommensarm und werden deshalb später altersarm.
({3})
Wir von der SPD denken Rentenpolitik immer auch
im Zusammenhang mit Arbeitsmarktpolitik. Vernünftige
Rentenpolitik heißt für uns Sozialdemokraten: 850 Euro
Solidarrente für Menschen, die 30 Jahre gearbeitet haben
und ein zu geringes Einkommen hatten.
({4})
Vernünftige Rentenpolitik heißt für uns Sozialdemokraten: Diejenigen, die nicht mehr arbeiten können, müssen
durch eine Erwerbsminderungsrente gut abgesichert
werden. Vernünftige Rentenpolitik heißt für uns Sozialdemokraten: Wer 45 Jahre versichert war, kann mit
63 Jahren abschlagsfrei in Rente gehen. Und: Vernünftige Rentenpolitik heißt für uns Sozialdemokraten, dass
wir in der nächsten Legislaturperiode unser Versprechen
der Ost-West-Angleichung halten werden.
({5})
Im Gegensatz zu Ihnen von der Regierungskoalition
werden wir die Menschen nicht enttäuschen.
({6})
Sie haben versprochen und gebrochen, auch die Abgeordnete Angela Merkel.
({7})
Für die FDP-Fraktion hat jetzt der Kollege Johannes
Vogel das Wort.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Nachdem der Abgeordnete Kolb eben insbesondere auf
den Antrag der Linken eingegangen ist, möchte ich mich
vor allem auf den Beitrag des Kollegen StrengmannKuhn beziehen, der das wahrgemacht hat, was er vorhin
auf Twitter angekündigt hat - als ich auf dem Weg hierher war und meinen Twitter-Account checkte, konnte ich
das dort schon lesen -, dass er nämlich eine allgemeine
Bilanz der Rentenpolitik der letzten vier Jahre ziehen
und nicht nur zum eigenen Antrag sprechen wolle.
({0})
Ich finde, das ist interessant. Über diese Bilanz können
wir gerne reden.
({1})
Zunächst muss man festhalten - das hat die Ministerin eben schon völlig zu Recht gesagt -, dass Altersarmut in Deutschland für 98 Prozent der Menschen im
Rentenalter derzeit glücklicherweise keine Realität ist,
weil sie Gott sei Dank nicht auf die Grundsicherung angewiesen sind. Das ist erst einmal eine gute Nachricht.
({2})
Die Frage ist doch - das sage insbesondere ich als
Jüngerer -: Wie sorgen wir dafür, dass das in Zukunft so
bleibt, dass die Altersarmut also auch in Zukunft nicht
oder möglichst wenig steigt? Ich fand es interessant,
dass sowohl die Kollegin Steffen als auch Sie, lieber
Herr Strengmann-Kuhn, eben gesagt haben: Da geht es
nicht nur um die Rentenpolitik an sich, sondern vor allem auch um den Arbeitsmarkt. - Ich finde es bemerkenswert, dass Sie das sagen. Wenn ich mir die Lage am
Arbeitsmarkt anschaue, kann ich nur sagen: Dann ist es
doch eine gute Nachricht, dass wir in Deutschland Rekordbeschäftigung haben.
({3})
Es ist doch eine gute Nachricht, dass wir in Deutschland
die niedrigste Jugendarbeitslosigkeit in Europa haben.
Bei jedem jungen Menschen, der jetzt einen Job findet
- was er früher, als Sie regiert haben, nicht konnte -,
({4})
sinkt das Risiko, im Alter auf Unterstützung angewiesen
zu sein. Daher ist die Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik
dieser Koalition die beste Grundlage zur Vermeidung
von zukünftiger Altersarmut.
({5})
Lieber Herr Strengmann-Kuhn, es ist nicht korrekt,
wenn Sie in Ihrem Antrag ständig - kontrafaktisch; ich
weiß nicht, ob wider besseres Wissen oder einfach weil
Sie mit Copy and Paste arbeiten - wiederholen, dass die
Schere immer weiter auseinandergehe.
({6})
Auch die Qualität der Arbeit entwickelt sich positiv, und
das nicht nur weil wir in Weiterbildung und Aufstiegsperspektiven investieren. Ausweislich der Zahlen nimmt
die Einkommensungleichheit seit 2006 nicht weiter zu.
In den letzten Jahren, unter dieser Koalition, ist der Niedriglohnsektor geschrumpft. Das sind doch gute Nachrichten.
({7})
Sie sollten die Fakten akzeptieren und nicht das Gegenteil behaupten, liebe Kolleginnen und Kollegen. Die
Fakten sind nämlich wichtig für die Rentenpolitik.
Kommen wir zu einem zweiten Punkt, der auch eine
Rolle spielt: Wie verhindern wir, dass sich die Demografie in Zukunft negativ auswirkt? Da kann ich nur sagen:
Diese Koalition gibt für den Ausbau von Betreuungseinrichtungen gutes Bundesgeld.
({8})
Die Koalition hat aber auch wegweisende Reformen auf
den Weg gebracht, zum Beispiel eine Reform der Bluecard für eine moderne Einwanderungspolitik. Das ist
eine Investition in eine Abmilderung der demografischen Probleme. Auch das ist gute Rentenpolitik, Herr
Strengmann-Kuhn - allemal besser als das, was Sie zustande gebracht haben.
({9})
Aber kommen wir konkret zur Rente. Es ist in der Tat
bemerkenswert, wie sich die Kollegen von den Sozialdemokraten von den eigenen Reformen verabschieden.
Ich nenne da insbesondere die Anhebung des Renteneintrittsalters. Selbstverständlich ist diese Anhebung notwendig; denn wenn wir alle älter werden und länger fit
bleiben, dann ist es auch richtig, etwas länger zu arbeiten. Wer hatte das unter anderem erkannt? Ihr Kollege
Franz Müntefering. Was macht die SPD jetzt? Sie wollen
sich von dieser Reform verabschieden.
({10})
Derselbe Franz Müntefering - ehemaliger Vizekanzler
und Sozialminister - hat dazu klare Worte gefunden. Er
hat mit Blick auf das so hochgelobte Rentenkonzept der
SPD - seiner eigenen Partei - vor einigen Monaten gesagt:
Das kann überhaupt nicht funktionieren. Da muss
man nicht Mathematik studiert haben, da reicht
Grundschule Sauerland.
({11})
Ein klareres Zeugnis können wir Ihrem Konzept auch
nicht ausstellen, liebe Kolleginnen und Kollegen; damit
ist alles gesagt.
({12})
Es ist notwendig, dass wir das höhere Renteneintrittsalter durch flexiblere Übergänge flankieren, lieber
Kollege Toni Schaaf. Deswegen werden wir, wenn diese
Koalition von den Wählerinnen und Wählern im Herbst
hoffentlich bestätigt worden ist, als ersten Schritt die Zuverdienstgrenzen abschaffen oder sie zumindest senken.
Das ist richtig und notwendig.
({13})
Die Rente steht auf zwei Säulen. Wegen der Demografie muss in Zukunft neben der Einzahlung in das Rentensystem immer auch private Vorsorge stehen. Daher
müssen und werden wir dafür sorgen, dass klar ist: Wer
sich anstrengt und vorsorgt, der wird mehr haben als die
Grundsicherung und mehr als der, der das nicht getan
hat. - Dafür werden wir sorgen.
({14})
Das Konzept der SPD hält schon einer Überprüfung
durch Kollegen von der eigenen Partei, wie Franz
Müntefering, nicht stand. Ihnen, liebe Kolleginnen und
Kollegen von den Grünen, ist vorzuwerfen, dass Sie sich
über die Finanzierung Ihres Konzepts völlig ausschweigen.
({15})
Da steht sinngemäß nur: Das wird dann irgendwie aus
Steuermitteln finanziert. - In Zeiten der Euro-Schuldenkrise ist das eine bemerkenswerte Aussage. Da braucht
man doch eine nachhaltige Gegenfinanzierung. Damit
tun Sie den Rentnerinnen und Rentnern keinen Gefallen.
Das Rentensystem braucht Verlässlichkeit. Wir werden
das mit den beschriebenen Schritten fortsetzen.
({16})
Die letzten vier Jahre waren schon allein wegen der
Situation am Arbeitsmarkt vier gute Jahre für die Rentnerinnen und Rentner in Deutschland. Deshalb ist die
Johannes Vogel ({17})
Rentenpolitik auch in Zukunft bei dieser Koalition in
den richtigen Händen.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({18})
Für die Fraktion Die Linke hat jetzt die Kollegin
Dr. Martina Bunge das Wort.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die
Differenziertheit der Debatte zeigt meines Erachtens eines: dass die Koalition es hervorragend versteht, um das,
was sie nicht erledigt hat, herumzureden. Andererseits
zeigt die Debatte aber auch, welches Riesenspektrum an
Aufgaben, die im Zusammenhang mit der deutschen
Einheit stehen und seit 23 Jahren nicht erledigt sind,
noch vor uns liegt.
({0})
Die Anträge der Linken verleihen denen eine Stimme,
die hier sonst nie gehört werden. Ich denke beispielsweise an die Beschäftigten im Gesundheitssystem, die
darauf vertraut haben, dass sie im Alter eine Würdigung
für ihre schwere und verantwortungsvolle Arbeit erfahren.
({1})
Ich habe die Kumpel der Braunkohleveredelung Borna/
Espenhain vor Augen. Sie haben diese harte Arbeit in
der Braunkohleveredelung auf sich genommen,
({2})
weil die DDR kaum Steinkohle hatte, aber die Öle, Paraffine und das, was dort sonst noch hergestellt wurde, in
der Wirtschaft und für den Alltag gebraucht wurden. Sie
sind heute krank; viele sind bereits verstorben. Ich finde
es eine Schande, dass die Bundesregierung diesen Menschen keine angemessene Sicherung für das Alter garantiert. 400 bis 500 leben noch.
({3})
Ich denke aber auch an die Balletttänzerinnen und
Balletttänzer. Überall in der Welt gehen sie in etwa im
vierten Lebensjahrzehnt von der Bühne und sind abgesichert. Die „berufsbezogene Zuwendung“ in der DDR
wurde dagegen durch den Einigungsvertrag zum 31. Dezember 1991 beendet, aber nicht, um ersatzlos gestrichen zu werden. Das hat erst jüngst der damalige und
letzte Ministerpräsident der DDR, Lothar de Maizière,
noch einmal bestätigt. Ich finde es eine Schande, dass
diese Bundesregierung so über den Willen der letzten
Volkskammer „hinwegwischt“.
({4})
Unerträglich finde ich es auch, dass die Bundesregierung nichts für diejenigen tut, die geflüchtet sind oder
ausgewiesen wurden - darüber wurde bereits gesprochen -, und hier untätig bleibt, obwohl wir heute vor genau einem Jahr eine entsprechende Petition angenommen haben, nach der die Regierung diese Situation
verändern soll. Heute könnten wir diesen Auftrag mit einer Sofortabstimmung bekräftigen.
({5})
Ich bin froh, dass inzwischen alle Oppositionsfraktionen hier in diesem Hause aktiv geworden sind. Leider
hat das Tätigwerden in den elf Jahren Regierungszeit der
SPD nicht geklappt. Ich sehe das auch bei Ihnen, Herr
Kolb. In der letzten Legislaturperiode, als Sie noch in
der Opposition waren, haben Sie einen Antrag eingebracht, der fast alle Probleme beschrieb, die die Linke
hier immer vorträgt. Sie hatten eine tolle Lösung: Es
muss nachversichert werden. - Das geht zwar nicht,
({6})
aber Sie hatten immerhin die Probleme eingestanden.
Jetzt sagen Sie nichts mehr dazu.
Das Einbringen der Anträge zeigt, dass hier ein gemeinsamer Wille besteht. Ich bin allerdings skeptisch,
ob das wohlklingende Rentenüberleitungsabschlussgesetz, das die SPD fordert, wirklich sozialen Frieden bringen wird. Sie wollen mit dem Härtefallfonds vermeiden,
dass die Betroffenen in die Grundsicherung „rutschen“.
Damit wird aber kein sozialer Friede
({7})
zwischen den Ingenieuren, den Professorinnen und Professoren und den Eisenbahnern in Ost und West hergestellt. Hier geht es nämlich nicht nur um die Vermeidung
des Abrutschens in die Grundsicherung.
Sie sprechen von sozialen Härten und davon, dass in
der Vermeidung der Schlüssel liege.
({8})
Ich denke, das wird nicht reichen. Auch der Missbrauch
des Rentenrechts als politisches Strafrecht wird damit
nicht abgeschafft. Das alles sind Aufgaben, die meines
Erachtens zur Erledigung anstehen.
Wir sehen, ein riesiger Berg von Aufgaben, die in der
nächsten Legislaturperiode zu erledigen sind, liegt vor
uns. Dazwischen erfolgen am 22. September 2013 die
Wahlen. Wir alle wissen nicht genau, wie es ausgehen
wird, und so weiß auch ich nicht genau, ob ich hier noch
einmal sprechen kann. Ich möchte Ihnen und vor allen
Dingen auch allen, die zuhören, deshalb sagen: Solange
ich denken kann, solange mein Herz schlägt, werde ich
für Gerechtigkeit in Sachen Rentenüberleitung kämpfen.
Die Lebensleistung Ost muss anerkannt werden!
({9})
Für die CDU/CSU-Fraktion hat jetzt der Kollege
Peter Weiß das Wort.
({0})
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!
Es ist verständlich, dass sich vor allen Dingen die Opposition in der letzten Rentendebatte des Deutschen Bundestages vor einer Bundestagswahl noch einmal gut aufstellen will.
({0})
Aber, verehrte Kolleginnen und Kollegen, alle Probleme
aus der Rentenüberleitung aus dem Jahr 1990, die uns
beschäftigen, und auch die Frage „Wie behandeln wir
diejenigen, die von der DDR auf schändliche Art und
Weise ausgebürgert wurden und in den Westen kamen?“,
liegen seit 1990 auf dem Tisch. Diese Menschen haben
wir nach der Wiedervereinigung in das gesamtdeutsche
Rentenrecht aufgenommen; zuvor wurden sie nach
Fremdrentenrecht behandelt, weil die Bundesrepublik
Deutschland aus der Rentenkasse der DDR nichts bekommen hat.
Das gilt auch für die Frage: Wie schafft man die Rentenangleichung Ost-West? Acht Jahre nach der Wiedervereinigung, im Jahr 1998, hat Rot-Grün im Bund Regierungsverantwortung übernommen. Seit dieser Zeit
hat elf Jahre lang ein Sozialdemokrat oder eine Sozialdemokratin die Regierungsverantwortung für die Rentenpolitik in Deutschland getragen. In diesen elf Jahren ist
kein einziges der Probleme, die wir heute auflisten, von
Ihnen gelöst worden.
({1})
Es ist wirklich unehrlich, wenn diejenigen, die elf Jahre
Zeit gehabt hätten, ebendiese Probleme zu lösen, jetzt,
wo sie in der Opposition sind, vor einer Bundestagswahl
plötzlich erzählen: Wir hätten es gemacht. - Nein, Sie
hätten es nicht gemacht. Sie hätten elf Jahre Zeit dafür
gehabt. Es ist also unehrlich, was Sie hier heute vortragen.
({2})
Übrigens, was die Rentenangleichung Ost-West anbelangt: Rot-Grün hat in den sieben Jahren seiner Regierungszeit zweimal per Gesetz den Rentnerinnen und
Rentnern in Ost und West eine Nullrunde verordnet,
({3})
sprich: die Rentenangleichung Ost-West zum Stillstand
gebracht. Wir haben die Rentenangleichung Ost-West
wieder vorwärtsgebracht; das ist der Unterschied.
({4})
Zu Recht ist darauf hingewiesen worden: Bei der
Wiedervereinigung 1990 betrug der Rentenwert Ost gerade 40 Prozent des Rentenwerts West. Vollkommen
richtig: Die Rentenformel ist von zentraler Bedeutung.
Aber was ist die Grundlage der Rentenformel? Die Lohnentwicklung! Durch die gute Lohnentwicklung haben
wir es geschafft, dass ab Montag, 1. Juli dieses Jahres,
der Rentenwert Ost endlich auf 92 Prozent des Rentenwerts West ansteigt. Das ist ein großer Erfolg für die
Rentnerinnen und Rentner im Osten.
({5})
Zu Recht sagen die Rentnerinnen und Rentner im Osten: Aber da fehlen ja noch 8 Prozent. - Dies veranlasst
mich, hier auf etwas hinzuweisen, was hier noch niemand in Zahlen vorgetragen hat, nämlich die Höherwertung der Gehälter im Osten auf dem Rentenkonto, nicht
auf dem Girokonto. Diese Höherwertung liegt bei
17 Prozent. Wenn jemand im Osten in diesem Monat ein
Gehalt von 1 000 Euro bekommt, dann wird sein Rentenkonto so gestellt, als hätte er in Wahrheit
1 176,70 Euro verdient. Das ist die Höherwertung.
({6})
Meine sehr geehrten Damen und Herren, wenn man
ein einheitliches Rentenrecht in Ost und West will - wir
als Union wollen das; die FDP genauso -,
({7})
dann muss man in dem Moment, in dem in Ost und West
das Rentenniveau gleich ist, wenn es also im Osten anstatt bei 92 Prozent bei 100 Prozent liegt, diese Höherwertung abschaffen; denn der Grund für ihre Einführung
war ja das uneinheitliche Lohnniveau.
Das zeigt: Man kann eine Rentenangleichung OstWest nur durchführen, wenn man die Ostrenten den
Westrenten schrittweise angleicht und die Höherwertung
beendet. Wenn man das mit einem Schlag, jetzt sofort,
macht, bedeutet das aber, dass man viele Rentnerinnen
und Rentner im Osten schlechterstellt. Das wollen wir
nicht. Wir wollen die Rentner im Osten nicht schlechterstellen, wir wollen sie besserstellen. Das ist der Unterschied.
({8})
Herr Kollege Weiß, erlauben Sie eine Zwischenfrage
des Kollegen Birkwald?
Okay.
Bitte schön, Herr Birkwald.
Vielen Dank, Herr Präsident. Vielen Dank, Herr
Weiß, dass Sie die Frage zulassen. - Herr Weiß, Sie haben gerade gesagt. Wenn einer im Osten und einer im
Westen 1 000 Euro verdienen würde, dann würde derjenige im Osten eine höhere Rente erhalten. Das ist nur die
halbe Wahrheit.
({0})
Wahr ist, dass die Einkommen im Osten im Durchschnitt immer noch 20 Prozent unter denen im Westen
liegen. Wenn Sie jetzt die Hochwertung abschaffen,
dann hat das zum Ergebnis - auch wenn Sie den Rentenwert angleichen -, dass diejenigen im Osten, die dieselben Jobs wie diejenigen im Westen machen, am Ende
eine geringere Rente als die im Westen haben.
({1})
Ein Beispiel: Nehmen Sie zwei Floristinnen, die in
Teilzeit arbeiten, damit wir auf 1 000 Euro Verdienst im
Westen kommen. Die Floristin im Osten bekommt keine
1 000 Euro, sondern 750 oder 800 Euro.
({2})
Die Hochwertung dient dazu, dass auf dem Rentenkonto
beide Floristinnen denselben Wert vorfinden.
({3})
Aber nur wenn bei der Auszahlung der gleiche Rentenwert steht, dann haben die beiden auch hinterher dieselbe Rente.
({4})
Fakt ist doch derzeit noch: Wenn jemand im Osten
45 Jahre gearbeitet und immer den Durchschnittslohn
verdient hat und wenn jemand im Westen 45 Jahre gearbeitet und immer den Durchschnittslohn verdient hat und
diese beiden am selben Tag in Rente gehen, dann hat der
Mann oder die Frau aus dem Osten immer noch
108 Euro weniger Rente als der Mann oder die Frau aus
dem Westen. Diese Ungerechtigkeit muss beseitigt werden. Deshalb haben wir einen entsprechenden Vorschlag
gemacht. Was sagen Sie dazu?
Herzlichen Dank.
({5})
Herr Kollege Birkwald, ich komme aus Baden-Württemberg.
({0})
Hier im Bundestag sitzen Kolleginnen und Kollegen aus
Schleswig-Holstein. Die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Schleswig-Holstein, die auch fleißig sind, haben einen Durchschnittsverdienst in Höhe von nur
75 Prozent der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in
Baden-Württemberg.
({1})
Aber es gibt im westdeutschen Rentenrecht keine Methode, um diesen Unterschied bei der Rente auszugleichen. Wenn wir Ihrem Beispiel folgen würden, müssten
wir für alle Bundesländer ein solches System einführen.
Ich spreche mich nicht gegen eine Höherwertung aus.
Sie ist wegen des unterschiedlichen Lohnniveaus in Ost
und West gerechtfertigt. Aber das, was Sie vorschlagen,
führt in Wahrheit gar nicht zu einem einheitlichen Rentenwert in West und Ost. Das, was Sie vortragen, ist Lug
und Trug. Sie wollen die Spaltung Deutschlands in der
Rente beibehalten, indem Sie den Rentenwert in Ost und
West auf das gleiche Niveau heben, aber gleichzeitig im
Osten eine Höherwertung der Gehälter auf dem Rentenkonto beibehalten.
({2})
Das bedeutet doch, dass sich die Lage umkehrt. Plötzlich
sollen die Rentnerinnen und Rentner im Westen weniger
bekommen als die im Osten.
({3})
Diese neue Spaltung, die die Linke will, machen wir auf
keinen Fall mit. Das hat mit Gerechtigkeit nichts zu tun.
({4})
So ist es.
({5})
- Ich will niemanden gegeneinander ausspielen. Ich sage
nur, wie die Fakten sind.
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie sich
von den merkwürdigen Berechnungsmethoden, die einige vortragen, nicht täuschen.
({6})
Wir wollen ein einheitliches Rentenrecht. Wir wollen die
Rentnerinnen und Rentner im Osten nicht benachteiligen, wir wollen aber auch keine Benachteiligung der
Rentnerinnen und Rentner im Westen. Alle Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Deutschland haben eine
gute Rente verdient.
Peter Weiß ({7})
({8})
Wir haben heute leider Menschen mit geringen Einkommen im Osten wie im Westen. Deswegen ist die eigentliche Frage nicht nur eine des gleichen Rentenwerts,
sondern die, ob wir eine Methodik entwickeln, die dazu
führt, dass Menschen mit geringem Einkommen, die ein
Leben lang gearbeitet haben, im Alter eine Rente beziehen, die so hoch ist, dass sie nicht um staatliche Unterstützung bitten müssen. Das wollen wir für die Rentnerinnen und Rentner und für die Arbeitnehmerinnen und
Arbeitnehmer, die im Osten wie im Westen wenig verdient haben, verwirklichen. Deswegen wollen wir - das
ist ein zentraler Punkt unseres Wahlprogramms - eine
Aufstockung von Niedrigrenten vornehmen, mit denen
wir den Rentnerinnen und Rentnern signalisieren: Wer
ein Leben lang gearbeitet hat, der muss auch von seiner
Rente leben können. - Das ist unsere Zusage.
({9})
Nun wird nicht nur heute, sondern sicherlich auch in
den nächsten Wochen im Wahlkampf vieles versprochen
und vieles gesagt. Wenn man eine rentenpolitische Bilanz der acht Jahre Regierungszeit von Angela Merkel
ziehen will,
({10})
dann fällt vor allen Dingen eines auf:
({11})
Im September 2005 - auch damals war Bundestagswahl;
es war das Ende von Rot-Grün - haben die Rentnerinnen
und Rentner in Deutschland zum ersten Mal eine Rente
auf Pump bekommen. Die Rentenkasse war leer.
({12})
Die Rentenversicherung musste beim Finanzminister zusätzliches Geld besorgen, um die Rente ausbezahlen zu
können.
Was ist heute, nach acht Jahren Angela Merkel, der
Fall? Die Rentenkasse ist voll. Sie hat eine Rücklage von
29 Milliarden Euro gebildet. Wir sind in der Lage, die
Rente auszubezahlen, ohne beim Finanzminister anzuklopfen. Wir haben auch Geld, um Leistungsverbesserungen durchzuführen.
({13})
Liebe Rentnerinnen und Rentner, liebe Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Deutschland, es gibt einen Gesichtspunkt, nach dem Sie Ihre Wahlentscheidung
treffen sollten: Wer hat die Rente wieder auf eine solide
Basis gestellt? Wer kann wieder mit einer Rücklage in
der Rentenkasse operieren, statt die Rente auf Pump auszahlen zu müssen?
({14})
Das ist die eigentliche große Leistung der Regierung von
Angela Merkel. Vertrauen Sie Angela Merkel! Das bedeutet auch eine sichere Rente.
({15})
Vielen Dank.
({16})
Das Wort hat jetzt die Kollegin Silvia Schmidt für die
SPD-Fraktion.
({0})
Sehr verehrter Herr Weiß, ich bin leicht irritiert, da
ich eigentlich der Meinung bin, Sie sind ein kluger und
intelligenter Mensch. Daher weiß ich nicht, wie ich Ihre
Rede interpretieren soll.
Ich möchte Ihnen eines sagen: Die Ostdeutschen
wussten ganz genau, dass die Rentenkasse leer ist. Die
Ostdeutschen haben in einer friedlichen Revolution gekämpft, und wir konnten uns wiedervereinigen. Die Ostdeutschen sind dankbar für die Wiedererlangung der
Einheit.
Es sind nicht die Menschen, sondern es war der Staat,
der nichts in den Kassen gelassen hat.
({0})
- In den Rentenkassen. Das Geld wurde woanders ausgegeben, und die Kassen waren leer. Das wissen wir
doch. Lesen Sie das im Geschichtsbuch nach!
Es ist bezeichnend, wie lange wir schon über die Angleichung der Ost- und Westrenten diskutieren. Es ist
nicht richtig, was Sie gesagt haben, Herr Weiß: Wir haben uns sehr wohl in unserer Regierungszeit mit den Eisenbahnern und Postlern beschäftigt. Wir haben gerade
für diejenigen, die in der Diktatur der DDR verfolgt wurden, Verbesserungen herbeigeführt. Es gab auch für sie
eine angemessene Rente. Außerdem haben wir ein Renten-Überleitungsgesetz und ein Anwartschaftsüberführungsgesetz mit verfasst.
Es ist also nicht wahr, was Sie gesagt haben. Wir sind
genau wie die Väter der Einheit davon ausgegangen,
dass die Lohnanpassung stattfinden muss, um zu einer
Rentenangleichung zu kommen. Aber - das ist schon
von jedem Redner hier deutlich gemacht worden - im
Osten verdient man 20 Prozent weniger. Ich kann es
nicht mehr hören, wenn in diesem Zusammenhang auf
das kleine Saarland oder auf Niedersachsen verwiesen
wird.
Silvia Schmidt ({1})
Ich nenne Ihnen einige Zahlen, die Sie auch nachlesen
können: 40 Prozent der Vollzeitstellen im Osten liegen
unterhalb der Niedriglohnschwelle. Im Westen sind es
nur 18,7 Prozent. Wir haben die meisten Aufstocker, und
die Langzeitarbeitslosigkeit ist bei uns gefestigt. Wir haben mit prekären Beschäftigungsverhältnissen zu tun.
Das sollte man nicht vergessen. Insofern bringt es nichts,
über den Lohn der Menschen in Schleswig-Holstein zu
diskutieren. Ich gönne jedem seinen Lohn. Die Gewerkschaften müssen überall für entsprechende Tarifabschlüsse kämpfen; das ist für mich überhaupt kein
Thema. Aber es kann nicht sein, dass in der Diskussion
die Situation falsch dargestellt wird.
({2})
Ich weise ausdrücklich darauf hin: Im Osten verdient
man, wie gesagt, generell weniger. Wir brauchen die Höherwertung. Ich glaube, ich habe den Antrag der Linken
richtig verstanden, dass sie genau wie wir der Meinung
sind: Wenn die Angleichung erfolgt, dann muss auf die
Höherwertung verzichtet werden; es sei denn, wir machen es in der Weise, dass wir uns für alle Betroffenen in
allen Bundesländern etwas Neues einfallen lassen. So
habe ich das verstanden, und ich denke, dieser Punkt
sollte aufgenommen werden.
Aber wir brauchen doch diese Höherwertungen über
einen längeren Zeitraum, bis tatsächlich eine Lohnangleichung von Ost an West erreicht ist. Ein anderer
Punkt ist: Im Bereich des öffentlichen Dienstes und auch
in anderen Bereichen ist die Angleichung ja schon - darauf weise ich jedes Mal hin; und ich bitte auch darum,
dass noch einmal darüber nachgedacht wird - zu
100 Prozent vollzogen.
({3})
In dem Bereich kann man die Höherwertung durchaus
weglassen; aber darauf gehen Sie gar nicht ein. Ich habe
das hier in den Diskussionen immer wieder gesagt; lesen
Sie das in meinen Reden nach!
Nun zu Herrn Bergner, dem Ostbeauftragten.
({4})
Ich kann es gar nicht fassen: Sie lächeln das Thema einfach weg.
({5})
Ich fasse es einfach nicht! Sie kommen aus Halle, Sachsen-Anhalt. Sie wissen doch ganz genau, wie wenig
diese Menschen dort verdienen. Sie wissen, wie schwierig die Situation für die Ostrentner ist.
({6})
Vielleicht denken Sie auch immer an die relativ hohen
Renten für die, die im Bergbau gearbeitet haben.
Als ich angefangen habe, im Bundestag über die
Rentner im Osten zu sprechen, gab es noch 5 Millionen
Ostrentner. Jetzt sind es noch knapp 4 Millionen. Die
Kosten können also gar nicht so hoch sein. Und wenn
Sie glauben, dass die Ostrentner besser dastehen als alle
anderen, und wenn Sie deshalb nichts tun, dann kann ich
mich nur an den Kopf fassen und sagen: Gute Nacht,
Herr Bergner!
({7})
Sie haben die Situation in den neuen Bundesländern wie
Sachsen-Anhalt einfach nicht verstanden. Da geht einem
wirklich die Hutschnur hoch! Es reicht wirklich!
({8})
Es gibt so viele Problemsituationen in den einzelnen
Bereichen; das ist von den Kollegen meiner Fraktion
schon angesprochen worden. Wenn die Kollegen aus den
anderen Fraktionen darüber reden, wie die Rente generell in Zukunft aussehen soll, dann kann ich nur sagen:
Das ist nett gemeint, aber jetzt geht es ganz speziell um
unsere Anträge zu den Renten in Ostdeutschland, in denen wir Verbesserungen fordern. Das müssen wir auch
im Wahlkampf einfach deutlich machen.
Man kann nicht auf der einen Seite in den Koalitionsvertrag schreiben, das etwas eingeführt wird, und dann
auf der anderen Seite nichts tun und sich zurücknehmen.
Es gibt keine Berechnungen oder Vorschläge von Ihnen
- noch nicht einmal in Ihrem Wahlprogramm -, die zeigen, dass Sie in den nächsten Jahren etwas tun wollen.
Dann frage ich mich mit Blick auf die Kollegen von
der FDP, ob die Einführung der Mütterrente - Herr
Rische spricht von Kosten in Höhe von 19 Milliarden
Euro; ich weiß nicht, wie das finanziert werden soll auch in Ihrem Interesse liegt. Ich denke, wir sollten erst
einmal eine einheitliche Lösung anstreben, wozu wir in
unserem Regierungsprogramm konkrete Vorschläge gemacht haben. Das hat Frau Gleicke vorhin auch dargestellt.
Ich bin auch etwas enttäuscht - leider ist Frau von der
Leyen schon weg -, dass die Ministerin dieses Thema
einfach nicht erwähnt bzw. weggeredet hat und jetzt gegangen ist.
({9})
- Das ist wirklich sehr bezeichnend. - Wahrscheinlich
muss man feststellen: Der Osten findet bei der CDU/
CSU überhaupt nicht statt.
Aber bald fängt ja der Wahlkampf an. Die Bürgerinnen und Bürger werden ganz genau hinhören und nachfragen, wer was machen will. Wir tun etwas. Ich freue
mich darauf. Und beim nächsten Mal: Rot-Grün!
({10})
Für die FDP-Fraktion hat jetzt der Kollege Pascal
Kober das Wort.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Lieber Kollege Gysi, wenn Sie ankündigen, dass Sie beabsichtigen, noch häufiger für den Deutschen Bundestag
zu kandidieren, dann empfinde ich das nicht als Drohung, sondern ich verbinde damit die Hoffnung, dass Sie
vielleicht in einer der nächsten Legislaturperioden - so
Sie denn gewählt werden - doch einige Grundsätze der
sozialen Marktwirtschaft verstehen lernen.
({0})
Ein Grundsatz ist, dass auch erwirtschaftet werden
muss, was nachher verteilt werden soll. Ihr Modell der
Aufwertung der Ostrenten, das Sie vorschlagen, kostet
zunächst einmal unmittelbar 5 bis 6 Milliarden Euro.
({1})
Der Kollege Heinrich Kolb hat ja schon darauf hingewiesen: Es gibt den erklärten Willen - und dazu gibt es
auch Konzepte -, ein einheitliches Rentensystem Ost
und West zu schaffen. Das kann man für die FDP eindeutig festhalten. Was Sie aber vorschlagen, kostet so
viel Geld, dass man das den künftigen Generationen
nicht ohne Weiteres aufbürden kann, ohne gleichzeitig
zu sagen, woher das Geld kommen soll.
In Ihrer Rede haben Sie einen Vorschlag gemacht. Ich
erinnere mich: Sie haben den Produktivitätszuwachs angesprochen und dafür das Beispiel aus der Landwirtschaft genommen, wonach heute wesentlich weniger
Landwirte mehr Menschen mit Lebensmitteln versorgen
können. Was Sie aber verschweigen - auch das gehört
mit Blick auf die soziale Marktwirtschaft zur Wahrheit
dazu -, ist, dass Sie in Ihrem gesamtpolitischen Konzept
noch sehr viel mehr Belastungen für die Wirtschaft vorsehen:
({2})
höhere Steuern, höhere Löhne, mehr Leistungen im Gesundheitssystem. Die Unternehmer sollen auch noch Investitionen tätigen, damit sie überhaupt am Markt bestehen können. All das soll aus dem Produktivitätszuwachs
finanziert werden.
Diese Rechnung wird am Ende nicht aufgehen. Das
wird Arbeitsplätze kosten. Wenn aber Arbeitsplätze verloren gehen, dann schaffen Sie genau das, was Sie angeblich verhindern wollen, nämlich neue Armut und Altersarmut in der Zukunft. Lieber Herr Gysi, das sollten
Sie einmal begreifen. Wir werden nicht nachlassen, Ihnen das, wenn Sie dem nächsten Bundestag wieder angehören, zu erklären.
({3})
Lieber Herr Kollege Strengmann-Kuhn, Sie haben
sich an einer Stelle ein Stück weit verraten. Sie haben
gesagt: Jetzt muss man schnell handeln. - Nein, im Rentenrecht darf man nicht schnell handeln, sondern man
muss überlegt handeln.
({4})
Auch Sie haben ein Modell vorgelegt und versuchen
nun, die Wählerinnen und Wähler zu umgarnen, indem
Sie ihnen vorrechnen: Im ersten Jahr kosten die Maßnahmen, die die Grünen vorschlagen, nur 270 Millionen
Euro. Sie haben weiterhin vorgerechnet, dass diese
Summe in drei Jahren 800 Millionen Euro betragen
wird. Dann aber wird es nebulös. Da heißt es: Im Jahr
2030 wird die Summe vielleicht bei 5 Milliarden Euro
liegen, wenn bestimmte Maßnahmen - zu diesen Maßnahmen sagen Sie im Detail nichts - flankierend hinzukommen.
Das ist genau die Politik, die wir im Interesse der jüngeren Generation beenden müssen.
({5})
Wir dürfen heute nicht einfach Lasten beschließen, von
denen wir nicht wissen, wie sie sich auf die Zukunft auswirken.
({6})
Das ist keine seriöse Politik. Wir werden nicht zulassen,
dass Sie diese Politik in der nächsten Legislaturperiode
umsetzen.
Wir von der christlich-liberalen Koalition werden in
der nächsten Legislaturperiode weiter regieren. Die vergangenen vier Jahre waren gute Jahre für Deutschland.
Die kommenden vier Jahre werden es auch sein.
({7})
Für die CDU/CSU-Fraktion hat jetzt der Kollege Max
Straubinger das Wort.
({0})
Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Die
Debatte dreht sich wieder einmal um die Rente, in diesem Fall um die Angleichung des Rentenniveaus in Ost
und West. Aber es liegen auch Anträge zu anderen Punkten auf dem Tisch, die die Linksfraktion mit dem Ziel
eingebracht hat, die Situation derjenigen, die treu für das
DDR-Regime gearbeitet haben, zu verbessern. Das ist
Ihr besonderes Anliegen, Herr Kollege Gysi.
Wir können in dieser Debatte feststellen: Die großen
Gewinner dieser Rentenüberleitung im Rahmen der
Wiedervereinigung sind die Rentnerinnen und Rentner
im Osten Deutschlands.
({0})
Dieser Punkt ist immer voranzustellen. Das wird auch
nicht bestritten; denn die Renten, die ein Honecker
- auch Sie waren daran beteiligt ({1})
den Menschen in diesem System geboten hat, haben garantiert nicht glücklich gemacht. Es ist wichtig, herauszustellen, dass es die Leistung von Kanzler Helmut Kohl
war, der hier zielbewusst eine Verbesserung herbeigeführt hat. Dafür sind ihm die Menschen dankbar.
({2})
Der zweite Punkt ist, dass man meines Erachtens in
der Rentenpolitik insgesamt gesehen sehr zielorientiert
und gemeinsam handeln muss. Da stimme ich ausdrücklich dem Kollegen Kolb zu, der hierzu schon einiges
ausgeführt hat. Verlässlichkeit war in der westdeutschen
Rentenpolitik immer eine entscheidende Größe. Dieser
Grundsatz wurde aber von der SPD aufgekündigt. 1997/
1998 gab es nämlich Streit um den demografischen Faktor, der seinerzeit von dem damaligen Bundesarbeitsminister Norbert Blüm richtigerweise eingeführt wurde.
({3})
Die SPD und die Grünen haben dann im Bundeswahlkampf 1998 versprochen, diesen Faktor zurückzunehmen, was sie dann tatsächlich getan haben. Später hat
dann Kanzler Schröder erkannt, dass dies sein größter
politischer Fehler war. Deswegen hat er den sogenannten
Abschlagsfaktor eingeführt. Das ist die Politik von SPD
und Grünen, die in keiner Weise für ein gutes Rentensystem im Interesse der Rentnerinnen und Rentner in unserem Land steht.
({4})
In der Rentenversicherung geht es immer auch um die
Finanzen. Alles muss von den Beitragszahlerinnen und
Beitragszahlern bezahlt werden. Die von SPD und Grünen im Jahr 1998 durchgeführte Rentenreform war nicht
gut für die Menschen. Ergebnis dieser Reform war - der
Kollege Weiß hat bereits darauf hingewiesen -, dass im
Dezember 2005 die Renten nur noch mithilfe vorgezogener Steuerzuschüsse ausgezahlt werden konnten ({5})
- Natürlich war es so, Herr Kollege Strengmann-Kuhn. Zusätzlich mussten Beitragszahlungen vorgezogen werden. Es war notwendig, in einem Jahr 13 Beiträge zu erheben, um die Rentenkasse und die Sozialkassen auf ein
solides finanzielles Fundament zu stellen.
({6})
Das war das Ergebnis rot-grüner Sozial- und Rentenpolitik. Man muss den Menschen immer wieder vor Augen
führen, dass es unter Angela Merkel und unserer Bundesarbeitsministerin gelungen ist, die Nachhaltigkeitsrücklage in der gesetzlichen Rentenversicherung auf das
1,7-Fache der Monatsausgaben steigen zu lassen. Damit
sind die Renten der Rentnerinnen und Rentner in
Deutschland sicher geworden.
({7})
Das ist das Ergebnis der erfolgreichen Politik, die wir als
Union - zuerst vier Jahre gemeinsam mit der SPD und
nun in besonderer Weise mit der FDP - für die Sicherheit der Menschen in unserem Land betreiben.
({8})
Es gibt nun verschiedenste Vorschläge. Genauso wie
Linke, SPD und Grüne um das beste Konzept zum Mindestlohn wetteifern, gibt es mittlerweile auch einen
Wettbewerb um das beste Rentenkonzept. Der Kollege
Gysi hat verdeutlicht, was ihm letztendlich vorschwebt:
eine Einheitsrente.
({9})
- Doch. - Der Kollege Gysi hat dargelegt, dass er praktisch alle in die Rentenversicherung, also in die Einheitsversicherung, einbeziehen will, unabhängig davon, ob es
sich um Beamte, Selbstständige oder Freiberufler handelt. Er will dann alle kräftig einzahlen lassen, aber
gleichzeitig das Äquivalenzprinzip aufgeben.
({10})
- Herr Kollege Gysi, Sie haben gesagt, derjenige, der
mehr eingezahlt hat, dürfe ruhig ein bisschen weniger
Rente bekommen. Das ist Ihr System. Das hätte eine
Einheitsrente in Höhe von rund 1 050 Euro zur Folge,
und sonst gar nichts.
({11})
Das sind Ihre Vorstellungen, die Sie aus der untergegangenen DDR in das wiedervereinigte Deutschland quasi
überführen wollen. So ist es.
({12})
Das zeigt sehr deutlich: Sie sind rentenpolitische Geisterfahrer in diesem Land.
({13})
Ihr Konzept ist garantiert keine gute Grundlage für die
Zukunft.
Wir alle sind uns sicherlich darin einig: Von der gesetzlichen Rente muss man leben können. Die Rente soll
Leistung für Lebensleistung sein. Aber ich sage auch
ganz bewusst: Leistung für Lebensleistung bedeutet die
Beibehaltung des Äquivalenzprinzips. Dieses Prinzip
wird in eklatanter Weise durch die Vorschläge der Grünen verletzt, wonach jemand nach geringster Beitragszahlung - möglicherweise 35 Jahre Hartz-IV-Bezug später eine Rente in Höhe von 850 Euro bekommen soll.
({14})
Sie setzen Märchen in die Welt. Das ist in keiner Weise
erfüllbar.
({15})
Das richtet sich vor allen Dingen gegen die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die tagtäglich in der
Früh aufstehen und hart arbeiten, genauso wie es Toni
Schaaf früher als Maurer gemacht hat. Diese werden
später die Gelackmeierten sein; denn sie müssen bei
Aufgabe des Äquivalenzprinzips dieses System quasi alleine finanzieren. Deshalb lehnen wir die von Ihnen konzipierten und in den Deutschen Bundestag eingebrachten
Pläne ab. Jede Arbeitnehmerin und jeder Arbeitnehmer
in Deutschland merkt, dass sie die Gelackmeierten in unserer Gesellschaft sein werden, wenn Ihre Pläne Wirklichkeit werden.
Unter diesem Gesichtspunkt bin ich sehr optimistisch,
dass uns die Bürgerinnen und Bürger am 22. September
wieder das entsprechende Vertrauen aussprechen, denn
sie wissen: Mit der Union und mit der FDP gemeinsam
ist die Rentenpolitik in Deutschland in guten und sicheren Händen.
({16})
Als letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt hat
jetzt das Wort der Kollege Arnold Vaatz von der CDU/
CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Frau Steffen war eben erstaunt darüber, dass
kein ostdeutscher Redner aus der CDU/CSU-Fraktion an
dieser Debatte teilnimmt. Ich weiß gar nicht, ob sie noch
da ist. - Ach ja, da ist sie ja.
({0})
Frau Steffen, da Sie in der Eifel geboren sind und die
Geografie Ihrer neuen Heimat vielleicht noch nicht so
richtig kennen, muss ich Ihnen sagen: Frau Kollegin
Michalk und meine Wenigkeit sind beide stolze ostdeutsche Volksvertreter; um das einmal klar zu sagen.
({1})
Da wir gerade bei Stolz und Dankbarkeit sind, möchte
ich sagen: Ich bin stolz und dankbar, dass wir zugunsten
der ostdeutschen Rentner von den Buchstaben unseres
Koalitionsvertrages abgewichen sind und eine bessere
Lösung zustande gekommen ist als die, an die wir geglaubt haben, als wir diesen Vertrag geschlossen haben.
Das ist eine gute Botschaft für die ostdeutschen Rentner.
({2})
Wir haben heute schon eine Reihe von Beiträgen gehört. Einen möchte ich ins Gedächtnis zurückrufen. Frau
Kollegin Michalk hat kurz erwähnt, wie die Mindestrenten in der DDR gewesen sind.
({3})
Sie hat den Betrag 370 Mark - damals Deutsche Notenbank - genannt. Genau so war es. Dann kam von Ihnen
der Zwischenruf, dass die Lebenshaltungskosten viel geringer gewesen seien.
({4})
Jetzt sage ich Ihnen einmal etwas zu den Lebenshaltungskosten: Ein Liter Benzin kostete 1,35 Mark. Rechnen Sie das einmal prozentual auf den heutigen Preis
um.
({5})
Ein Viertel Kaffee der Marke Mona kostete 10 Mark.
Eine Damenstrumpfhose kostete 18 Mark. Meine
Damen und Herren, das war das Preisgefüge. Selbstverständlich haben Sie recht, wenn Sie sagen, die Mieten
seien erheblich niedriger gewesen. Auch die Brötchen
haben weniger gekostet.
({6})
Im Allgemeinen musste man stundenlang anstehen, um
bestimmte Artikel zu kriegen. Sie haben während der
ganzen Arbeitszeit Schlange gestanden und am Ende
doch nichts gekriegt. Das war die Realität.
({7})
Mich verblüfft immer wieder die Chuzpe, mit der diejenigen, deren Altvorderen diese Katastrophe angerichtet und hinterlassen haben, jetzt von anderen fordern,
dass sie für die Schäden, die daraus erwachsen sind, aufkommen.
({8})
Das ist menschlicher Abgrund. Das ist nicht einmal politisches Fehlverhalten.
Kommen wir zu den heutigen Anträgen. Es liegt eine
ganze Menge an Anträgen vor. Sie haben fast alle eines
gemeinsam: Die Angelegenheit wird fast ausschließlich
aus der Sicht der Anspruchsberechtigten betrachtet. Allerdings haben bei diesen Rentenfragen wohl auch die
Beitragszahler, die die materielle Grundlage schaffen,
noch ein Wort mitzureden.
({9})
Meine Damen und Herren, demzufolge ist es absolut
korrekt, wenn auch Kollegen aus den alten Bundesländern hierzu ihre Meinung sagen. Denn wir dürfen nicht
vergessen, dass die Rentenbeiträge seit der deutschen
Wiedervereinigung überproportional aus dem Bereich
der alten Bundesländer erbracht worden sind.
({10})
Dafür sind wir sehr dankbar. Das ist eine sehr große Solidaritätsleistung.
({11})
Das nächte Thema: Fremdrenten. Auch dazu will ich
Stellung nehmen. Ich verstehe, dass es für die bisherigen
Fremdrentenbezieher keine gute Nachricht ist, wenn sie
jetzt in das Rentensystem Ost eingegliedert werden; das
ist richtig. Ich bin mir aber nicht sicher, ob der Fortbestand der dauerhaften Besserstellung derjenigen, die in
die damalige Bundesrepublik Deutschland ausgereist
sind - auf welchem Weg auch immer -, von jedem unbedingt als gerecht empfunden wird. Ich kenne Familien,
bei denen der ältere Bruder in den Westen gegangen und
der jüngere zu Hause geblieben ist. Der ältere Bruder
sagt mir heute, er wolle überhaupt nicht besser gestellt
werden als sein in der DDR verbliebener Bruder. Dieser
hat nämlich ein ganz anderes Schicksal hinter sich. Das
sollte man gegenseitig akzeptieren.
Aus diesem Grunde halte ich es für richtig, dass wir
darauf warten, was das Bundesverfassungsgericht dazu
sagt. Eine entsprechende Klage ist dort anhängig. Dann
werden wir sehen, wie die Dinge ausgehen.
({12})
Herr Birkwald, Sie haben vorhin eine meines Erachtens relativ bemerkenswerte Zwischenfrage gestellt. Sie
haben im Grunde genommen das Zustandekommen und
die Wirkungsweise des Rentensystems erläutert. Dazu
möchte ich Folgendes sagen: Sie haben dabei eine klitzekleine Sache vergessen; das versuche ich zu ergänzen.
Die ursprüngliche Situation war, dass man die ostdeutschen Rentner nach 1990 niemals einfach nach dem
westlichen System hätte bezahlen können; denn dann
hätte man die wesentlich niedrigeren Gehälter, nämlich
die Gehälter, die in Ostdeutschland gezahlt worden sind
- das waren im Vergleich zum Westen 30 Prozent nominal -, zur Grundlage des Rentenanspruchs machen müssen. Aus diesem Grunde hat man sich entschieden, eine
Höherwertung anzusetzen und die ostdeutschen Anwartschaften so zu gestalten, als hätten die Betreffenden in
Westdeutschland gearbeitet und die dadurch entstandenen Rentenansprüche erworben. Dadurch ist eine enorme
Hochwertung entstanden. Das ist auch vernünftig.
({13})
Wissen Sie, was in Ostdeutschland passiert wäre,
wenn man diese Werte mit dem westdeutschen Rentenwert multipliziert hätte? Dann wäre Folgendes passiert
- ich kann Ihnen die Rechenbeispiele zeigen -: Es hätte
Fälle gegeben, wo derjenige, der in Rente geht, mehr
Geld bekommen hätte als derjenige, der im aktiven Berufsleben steht. Meine Damen und Herren, das geht
nicht.
({14})
Wir hatten in der DDR bei den Gehältern ein Verhältnis von 30 zu 100 Prozent. Vergegenwärtigen Sie sich
das einmal. Wir können doch nicht den aktiv Arbeitenden zumuten, dass sie weniger verdienen als diejenigen,
die in Rente gehen.
({15})
Aus diesem Grunde war es völlig richtig, dass wir getrennte Rentenwerte eingeführt haben.
Wir haben dann gesagt: Konvergenz im Lohnbereich
zieht Konvergenz im Rentenbereich nach sich. In diesem
Jahr ist der Beweis erbracht, dass diese Tendenz anhält.
({16})
In diesem Jahr haben wir eine Steigerung der Rente im
Westen um 0,25 Prozent und eine Steigerung im Osten
um 3,29 Prozent. Das ist der Faktor 13. Mehr kann man
nicht erwarten. Wir sind dankbar für diese hervorragende Entwicklung und hoffen, dass sie anhält.
({17})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der
Fraktion Die Linke auf Drucksache 17/13453 mit dem
Titel „Vertrauensschutz bei Rentenleistungen für alle aus
der DDR Geflüchteten, Abgeschobenen und Ausgereisten gewähren“. Wer stimmt für diesen Antrag? - Wer
stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Antrag ist mit
den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Oppositionsfraktionen abgelehnt.
Abstimmung über die Beschlussempfehlung des
Ausschusses für Arbeit und Soziales auf Drucksache 17/13971. Der Ausschuss empfiehlt unter
Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion Die Linke auf Drucksache 17/10996 mit dem Titel „Angleichung der Renten in Ostdeutschland auf das Westniveau bis 2016
umsetzen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist angenommen mit den Stimmen
der Koalitionsfraktionen und der Fraktion Bündnis 90/
Die Grünen gegen die Stimmen der Linken bei Enthaltung der SPD-Fraktion.
Unter Buchstabe b empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/12507 mit dem Titel „Gleiches
Rentenrecht in Ost und West, Rentenüberleitung zum
Abschluss bringen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die
Beschlussempfehlung ist angenommen mit den Stimmen
der Koalitionsfraktionen und der SPD-Fraktion bei Gegenstimmen der Fraktion Die Grünen und Enthaltung
der Fraktion Die Linke.
Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Arbeit und Soziales zu dem Antrag der
Fraktion Die Linke mit dem Titel „Bund-Länder-Arbeitsgruppe zur Korrektur der Überleitung von DDR-Alterssicherungen in bundesdeutsches Recht“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 17/13865, den Antrag der Fraktion Die
Linke auf Drucksache 17/7034 abzulehnen. Wer stimmt
dafür? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Diese Beschlussempfehlung ist angenommen mit den Stimmen
der Fraktionen der CDU/CSU, der SPD, der FDP und
der Grünen gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke.
Abstimmung über den Antrag der Fraktion der SPD
auf Drucksache 17/13963 mit dem Titel „Stufenplan zur
Angleichung des Rentensystems in Ost und West jetzt
auf den Weg bringen“. Wer stimmt für diesen Antrag? Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Antrag ist abgelehnt mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der
Grünen gegen die Stimmen der SPD und bei Enthaltung
der Fraktion Die Linke.
Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Arbeit und Soziales auf Drucksache 17/8956.
Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion der SPD auf Drucksache 17/6486 mit dem Titel
„Einsetzung einer Bund-Länder-Arbeitsgruppe zur Vorbereitung eines ‚Rentenüberleitungsabschlussgesetzes‘
und zur Einrichtung eines ‚Härtefallfonds‘“. Wer stimmt
für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist
angenommen mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen
gegen die Stimmen der SPD bei Enthaltung von Linken
und Grünen.
Unter Buchstabe b empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion der SPD auf Drucksache 17/6487 mit dem Titel „Sofortige Ost-West-Angleichung von pauschal bewerteten Versicherungszeiten
beim Erwerb von Entgeltpunkten für die Rentenversicherung vornehmen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? Die Beschlussempfehlung ist angenommen mit den
Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen
der Oppositionsfraktionen.
Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Arbeit und Soziales zu dem Antrag der
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit dem Titel „Altersarmut bekämpfen - Mit der Garantierente“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 17/14084, den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/13493 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist angenommen mit den Stimmen der Fraktionen der CDU/CSU, der SPD, der FDP und der Linken
bei Gegenstimmen der Grünen.
Ich rufe den Zusatzpunkt 22 sowie den Tagesordnungspunkt 72 auf:
ZP 22 - Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten
Entwurfs eines Gesetzes zur Ergänzung des
Betreuungsgeldgesetzes ({0})
- Drucksache 17/11315 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ({1})
- Drucksache 17/14198 Berichterstattung:Abgeordnete Dorothee BärChristel HummeMiriam GrußDiana GolzeKatja Dörner
- Bericht des Haushaltsausschusses ({2}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung
- Drucksache 17/14208 Berichterstattung:Abgeordnete Andreas MattfeldtRolf SchwanitzDr. Florian ToncarSteffen BockhahnSven-Christian Kindler
72 Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten
Entwurfs eines Gesetzes zur Aufhebung des Betreuungsgeldgesetzes
- Drucksache 17/13112 Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ({3})Rechtsausschuss Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung Haushaltsausschuss
Zum Gesetzentwurf zur Ergänzung des Betreuungsgeldgesetzes liegt ein Änderungsantrag der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen vor, über den wir später namentlich abstimmen.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. Gibt es
Widerspruch dagegen? - Das scheint nicht der Fall zu
sein. Dann ist das so beschlossen.
({4})
Bevor ich die Aussprache eröffne, bitte ich die Kolleginnen und Kollegen, die an dieser Debatte nicht teilneh32504
men wollen, den Saal zu verlassen, damit die anderen
den Rednerinnen und Rednern zuhören können.
Ich eröffne die Aussprache und erteile als erster Rednerin das Wort der Kollegin Dorothee Bär von der CDU/
CSU-Fraktion.
({5})
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Der 9. November
2012 war ein großartiger Tag für die Familien in unserem Lande,
({0})
weil wir am 9. November des letzten Jahres in zweiter
und dritter Lesung über das Betreuungsgeld abgestimmt
haben.
({1})
Das Gesetz ist vom Deutschen Bundestag und vom
Bundesrat beschlossen worden, es steht im Bundesgesetzblatt und wird am 1. August 2013 in Kraft treten.
Und deshalb werden am 1. August 2013 die ersten Familien in Deutschland in den Genuss des Betreuungsgeldes
kommen.
({2})
Es erfüllt mich mit großem Stolz, dass wir als CDU/
CSU-FDP-Regierung in dieser Legislaturperiode ein so
großartiges Gesetz abschließen konnten.
({3})
Das ist ein Gesetz, das sich weit mehr als zwei Drittel
der jungen Männer und Frauen wünschen. Deswegen
mutet es schon etwas seltsam an, sehr geehrte Damen
und Herren von der Opposition, wenn Sie jetzt Ihr Wahlkampfgetöse auf dem Rücken der Familien austragen
wollen.
({4})
Ich finde es ganz beeindruckend, wenn Sie ständig so
große Aussagen treffen wie diese: Der muss verteidigt
werden, die muss verteidigt werden, diese und jene
Randgruppe muss unter dem ganz besonderen Schutz
der Opposition stehen. Aber die Mehrheit der Menschen
in Deutschland, die Familien, die Mütter, die Väter, wird
von Ihnen immer unter Generalverdacht gestellt und mit
Schmutz beworfen.
({5})
Jetzt im Wahlkampf geschieht dies erneut.
({6})
Ich muss Ihnen ganz ehrlich sagen: Das tut weh. Es ist
für mich ganz erschreckend, wenn ich sehe, dass die einzige Lobby, die die Familien in diesem Lande haben, auf
der rechten Seite des Parlaments sitzt.
({7})
Diese Legislaturperiode wird als die Legislaturperiode in die Geschichte eingehen,
({8})
in der die Familien am meisten profitiert haben.
({9})
Das ist erst der Anfang; denn wir werden diese Koalition
auch in der nächsten Legislaturperiode fortführen und
noch draufsatteln für die Familien in diesem Lande.
({10})
Bemerkenswert ist: Heute geht es um einen Gesetzentwurf, der die Abschaffung des Betreuungsgeldes beinhaltet. Sie wissen doch ganz genau - vielleicht wissen
Sie es nicht, weil Sie sich von der veröffentlichten Meinung auf Ihrer Seite des Hauses falsch instrumentalisieren lassen -, dass Sie es nicht schaffen werden, das Betreuungsgeld abzuschaffen. Und trotzdem wollen Sie
wider besseres Wissen und mit dieser bewussten Täuschung in den Wahlkampf ziehen und den Menschen
vorgaukeln, dass hier etwas beschlossen worden sei, das
die Bevölkerung nicht möchte.
({11})
Das Schöne dabei sind - ich habe so etwas in den vielen Jahren, in denen ich Politik für die Bevölkerung machen darf, noch nie erlebt - die unendlich vielen Dankesbriefe, die wir bekommen haben
({12})
und in denen es heißt, dass wir die Einzigen seien, die
für eine echte Wahlfreiheit eintreten. Denn wir schreiben
niemandem vor, wie er zu leben hat. Wir akzeptieren die
verschiedenen Lebensmodelle. Wir akzeptieren es, wenn
eine Frau oder ein Mann kurz nach der Geburt des Kindes wieder arbeiten gehen möchte. Niemand vor uns hat
den Kitaausbau so vorangetrieben wie wir.
({13})
Wir akzeptieren es aber auch, wenn man sich für ein
anderes Modell entscheidet. Warum gönnen Sie den Familien nicht ihre eigene Entscheidung, und warum gönnen Sie es den Familien nicht, selber zu entscheiden, was
gut für ihre Kinder ist? Wenn für den kleinen Paul etwas
gut ist, muss es für die kleine Anna nicht gut sein; denn
die Menschen müssen unterschiedlich bewertet werden.
Wir bewerten auch die Kinder unterschiedlich. Wir sind
die Einzigen, die sagen: Wir denken vom Individuum
aus. Wir wollen keine kollektive Gleichmacherei. Es ist
infam, was Sie sich hier leisten.
({14})
Ich bin sehr froh darüber, dass ich heute noch einmal
die Gelegenheit habe, zum Betreuungsgeld zu sprechen.
Zum Abschluss einer Legislaturperiode ist nichts schöDorothee Bär
ner, als ein Gesetz zum Ende zu bringen, bei dem einem
das Herz aufgeht. Dies erfüllt mich mit ganz großer
Freude.
Ich möchte mich an dieser Stelle ganz besonders bei
zwei Männern bedanken, die in dieser Sache ganz große
Mitstreiter waren, die aber leider Gottes beide das Parlament verlassen werden. Ich darf mich zunächst ganz
herzlich bei unserem Staatssekretär bedanken.
({15})
Lieber Hermann Kues, es war nicht nur mir, sondern der
ganzen Arbeitsgruppe eine Riesenfreude, mit dir zusammenarbeiten zu dürfen. Du bist ein Staatssekretär, der
- im Gegensatz zu anderen Ministerien - für jedes einzelne Thema alleine verantwortlich ist. Du bist bei jedem Thema sprechfähig. Du warst einer der ganz großen
Mitkämpfer für die Wahlfreiheit, für das Betreuungsgeld. Lieber Hermann, wir werden dich in der nächsten
Legislaturperiode vermissen.
({16})
Ich darf mich auch ganz herzlich bei meinem Kollegen Norbert Geis bedanken.
({17})
Lieber Norbert, auch du wirst nicht mehr für den Deutschen Bundestag kandidieren. Ich möchte mich auch bei
dir ganz herzlich für dein Engagement bedanken, für
deine absolute Überzeugungstäterschaft, wenn es darum
geht, für das Wohl der Familien in diesem Lande zu
kämpfen. Wir werden auch dir hier im Parlament ein ehrendes Andenken bewahren und werden weiterhin sehr
gern außerparlamentarisch mit dir zusammenarbeiten.
Auch an dich ein ganz herzliches Dankeschön!
({18})
Herr Präsident, ich möchte jetzt eine Minute früher
aufhören, weil ich Norbert Geis für seine Rede eine Minute Redezeit schenken möchte.
Herzlichen Dank.
({19})
Für die SPD-Fraktion hat jetzt das Wort die Kollegin
Caren Marks.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen
und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Bär,
Ihre Rede bedarf wirklich keiner Kommentierung; das
bezieht sich sowohl auf den Inhalt als auch auf den Stil.
Ernsthafte Familienpolitik geht wirklich anders.
({0})
„Kaputtgespart“ titelt Der Spiegel diese Woche und
bezieht sich damit auf eine aktuelle Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung. Die Studie
macht sehr deutlich, dass die öffentliche Infrastruktur,
also Schulen, Kitas, Straßen, zu einem beträchtlichen
Teil in einem wirklich schlechten Zustand ist und dass
damit die Zukunftschancen unseres Landes aufs Spiel
gesetzt werden.
In einem entsprechenden Artikel mit der Überschrift
„Deutschland muss mehr in seine Zukunft investieren“
appellieren Forscherinnen und Forscher an die Politik
- ich zitiere -:
Es ist dringend an der Zeit, dass Deutschland die
Investitionsschwäche angeht und den Investitionsrückstand aufholt. Und es ist wichtig, dass Deutschland jetzt die Weichen dafür stellt.
Die Wissenschaftler weisen nach, dass unser Land bei
der Bildungsinfrastruktur ganz erheblich hinterherhinkt.
Deutschland investiert nur 0,1 Prozent des Bruttoinlandsproduktes in die frühkindliche Bildung und Betreuung von Kindern unter drei Jahren und liegt damit im
europäischen Vergleich auf einem der hinteren Plätze. In
den skandinavischen Ländern ist der entsprechende Wert
bis zu achtmal so hoch. Würde der Staat mehr in die öffentliche Infrastruktur, insbesondere in die frühkindliche
Bildung, investieren, würde dies nicht nur für eine bessere Förderung unserer Kinder sorgen; alle könnten davon profitieren. Denn das Wirtschaftswachstum würde
steigen, ebenso Steuereinnahmen und Einnahmen aus
Sozialversicherungsbeiträgen.
Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, ja, der Bund
hat in den letzten Jahren - vor allem auf Initiative der
SPD - Milliarden in die Kinderbetreuung investiert und
Länder und Kommunen bei der Wahrnehmung dieser
wirklich wichtigen gesamtgesellschaftlichen Aufgabe
unterstützt.
({1})
Der U3-Ausbau war ein Kraftakt; aber wir wissen, dass
noch mehr in frühkindliche Bildung investiert werden
muss. Ein Betreuungsgeld läuft dem definitiv zuwider.
({2})
Es geht jetzt um die richtige Weichenstellung für die
Zukunft, meine Damen und Herren von der Bundesregierung. Es liegt auf der Hand, dass die Einführung des
Betreuungsgelds die falsche Weichenstellung ist. Sie
können nicht ernsthaft die Appelle zahlreicher Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler und im Übrigen von
vier ehemaligen Bundesfamilienministerinnen, davon
zwei von der CDU/CSU, ignorieren, die das Betreuungsgeld als falsch und im Hinblick auf den notwendigen
Ausbau der frühkindlichen Bildung als kontraproduktiv
bezeichnet haben.
Das Betreuungsgeld ist und bleibt eine teure Fehlinvestition, die Deutschland weiter zurückwirft.
({3})
Das gilt auch für ein Betreuungsgeld in Form einer Leistung für die private Altersvorsorge oder für ein privates
Bildungssparen. Meine Damen und Herren von der FDP,
Ihr Ansatz macht das Betreuungsgeld leider nicht besser.
Schwarz-Gelb ist auch mit diesem Ansatz definitiv auf
dem Holzweg.
({4})
Denn auch das sogenannte Betreuungsgeldergänzungsgesetz beseitigt nicht das grundsätzliche Problem,
dass das Betreuungsgeld bildungs-, integrations- und
gleichstellungspolitisch negative Effekte haben wird und
vor allem zu einer Ungleichbehandlung der Familien in
unserem Land führt.
Es wird Kinder von Kitas fernhalten. Es wird insbesondere Frauen den Anreiz bieten, länger vom Arbeitsmarkt fernzubleiben und auf eine eigenständige Existenzsicherung zu verzichten. Hochproblematisch ist
auch, dass das Betreuungsgeld mit unqualifizierten,
nicht staatlich geförderten Betreuungsformen kombinierbar sein soll.
({5})
Das konterkariert alle bisherigen Anstrengungen für
mehr Qualität.
Nicht unerwähnt lassen möchte ich den zusätzlichen
Verwaltungsaufwand - Schwarz-Gelb ruft ja immer: Bürokratieabbau! -, den das Betreuungsgeldgesetz und das
heute zu debattierende Betreuungsgeldergänzungsgesetz auslösen werden.
({6})
Wir von der Opposition stehen mit unserer Kritik in
diesem Land nicht alleine da. Ganz im Gegenteil: Die
überwiegende Mehrheit der Bevölkerung teilt unsere
Kritik an diesem unsinnigen Betreuungsgeld.
({7})
Auch die Europäische Union ermahnt Deutschland immer wieder, auf das Betreuungsgeld zu verzichten. Noch
am 29. Mai hat die EU-Kommission in ihren länderspezifischen Empfehlungen den Ausbau der frühkindlichen
Bildung und insbesondere der Ganztagsangebote angemahnt, weil Deutschland hier nach wie vor rückständig
ist, meine Damen und Herren von der Regierungskoalition.
({8})
Die Bundesregierung sollte diese Warnungen ernst
nehmen und andere Prioritäten setzen. Sie müssen den
Investitionsbedarf im Bereich der frühkindlichen Bildung endlich anpacken, wie der Gesetzentwurf des Bundesrates zur Aufhebung des Betreuungsgeldgesetzes völlig zu Recht betont.
Es geht - ich sage es erneut - um die richtige Weichenstellung. Selbst in den Reihen der Regierungskoalition gab es lange Murren und eine Ablehnung des Betreuungsgeldes. Es war vor allem die Kanzlerin, die vor
der CSU eingeknickt ist und das Betreuungsgeld durchgewinkt hat. Das war ein Riesenfehler, und es wird ein
Riesenfehler bleiben.
({9})
Nach vier verlorenen Jahren unter Schwarz-Gelb
braucht es endlich eine Familienpolitik, die diesen Namen auch verdient. Ein Comeback einer modernen und
sozial gerechten Familienpolitik wird es nur mit RotGrün nach dem 22. September geben;
({10})
denn das heißt: Ja zu mehr frühkindlicher Bildung und
nein zu einem unsinnigen Projekt wie dem Betreuungsgeld.
Herzlichen Dank.
({11})
Für die FDP-Fraktion spricht jetzt die Kollegin
Miriam Gruß.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Kolleginnen und
Kollegen! Ich kann mich noch ganz genau an das Ende
der letzten Legislaturperiode vor vier Jahren erinnern.
Daher kann ich feststellen: Wir, diese Koalition, sind imstande, bis zum letzten Tag Gutes zu leisten. Nach vier
guten Jahren können wir auch am letzten Tag mit dem
Betreuungsgeldergänzungsgesetz noch eins draufsetzen.
({0})
Die letzte Koalition, insbesondere die SPD, hatte damals mit abwegigen Diskussionen über das Kinderschutzgesetz geglänzt. Das konnte damals nicht erfolgreich zu Ende geführt werden.
({1})
Das war die Debatte der letzten Legislaturperiode. Wir
hingegen arbeiten gemeinsam, und zwar erfolgreich, für
die Familien in Deutschland.
({2})
Ich will konkret auf das Betreuungsgeldergänzungsgesetz eingehen. Ja, wir hatten eine Anhörung zu diesem
Thema - auch wenn im Ausschuss anderes behauptet
wurde -,
({3})
und da ist ganz klar gesagt worden: Es gibt einen Bedarf
für öffentliche Förderung von Bildungsleistungen. Diese
Koalition muss sich in Bezug auf die Förderung von Bildung nichts vorwerfen lassen, aber auch gar nichts.
Nicht nur, dass die schwarz-gelb regierten Länder besser
dastehen als alle anderen:
({4})
Diese Koalition hat 12 Milliarden Euro in Bildung investiert. Da brauchen Sie mir nicht mit irgendwelchen
Zahlen von der OECD zu kommen. Wir haben gehandelt, und wir reden nicht nur.
({5})
Mit dem Betreuungsgeldergänzungsgesetz geben wir
den Familien genau das, was wir ihnen versprochen haben, wofür wir stehen, nämlich Wahlfreiheit. Sie können
selbst entscheiden, wofür sie das Geld ausgeben wollen.
Wollen sie es konkret für die Kinder ausgeben, wollen
sie es zur Altersvorsorge in einem Riester-Vertrag anlegen, oder wollen sie in Bildungssparen investieren und
somit etwas für die Zukunft der Kinder aufbauen? Klar,
wenn man nur die Bezugszeit von 22 Monaten zugrunde
legt, dann scheint das nicht die Riesensumme zu sein.
Aber wir setzen auf mündige Eltern. Wir setzen darauf,
dass die Eltern weiter investieren werden. Wenn die Eltern nur 50 Euro monatlich drauflegen, dann kommt eine
Summe von rund 16 000 Euro zum 18. Geburtstag des
Kindes zusammen. Ich habe zu Beginn meines Studiums
von meinen Großeltern eine Summe von 15 000 D-Mark
erhalten. Damit bin ich durchs Studium gekommen. So
wollen wir das auch. Wir haben Vertrauen in die Familien. Wir vertrauen darauf, dass sie auch in die Bildungszukunft ihrer Kinder investieren.
({6})
Es gibt viele Möglichkeiten, das Geld anzulegen.
Man kann in bestehende Sparverträge investieren,
({7})
oder man kann in die Ausbildung investieren. Wir reden
nicht über bestimmte Zwecke. Wir wollen auch hier
Wahlfreiheit ermöglichen.
({8})
Wenn Sie sich hier so aufregen, will ich rückblickend,
auch an die Adresse derjenigen, die diese wahrscheinlich
letzte Debatte zu diesem Thema in dieser Legislaturperiode verfolgen, etwas über die Erfolge von SchwarzGelb sagen:
({9})
Das Bundeskinderschutzgesetz habe ich schon angesprochen. Dazu Fehlanzeige bei SPD oder bei den Grünen.
UN-Kinderrechtskonvention: Wer hat die Rechte von
Kindern gestärkt? Wer hat das geschafft? Wir haben das
geschafft und nicht diejenigen, die in diesem Plenum immer laut schreien. Wir haben die Vorbehalte zurückgenommen. Wir haben das Individualbeschwerdeverfahren
eingeführt. Frau Ministerin Schröder hat ein Programm
zur Sprachförderung aufgelegt. 65 000 Kinder in
Deutschland profitieren von dieser Sprachförderung.
Wir haben die Familien entlastet. Wir haben das Kindergeld erhöht. Wir haben den Bundesfreiwilligendienst
eingeführt. Da ich gerade den Kollegen Bernschneider
sehe: Was hat er sich und was haben wir uns anhören
müssen: „Der Bundesfreiwilligendienst wird kein Erfolg
werden, er kann den Zivildienst nicht ersetzen“, wurde
gesagt. Doch, alle Erwartungen wurden bei weitem übertroffen. Wer hat es gemacht? Wir haben es gemacht.
({10})
Wir haben auch für das Ehrenamt erfolgreich gearbeitet.
Wir haben in allen zivilgesellschaftlichen Bereichen unsere Hausaufgaben gemacht.
Von daher ist mir nicht bange, zurückzublicken.
({11})
Liebe Kollegin Bär, ich möchte aber auch nach vorne
schauen. Ich möchte mich bedanken für die hervorragende Zusammenarbeit, insbesondere bei Ingrid
Fischbach und Dorothee Bär, aber auch bei der Ministerin und den Kolleginnen und Kollegen von der FDPFraktion. Das waren vier gute Jahre. Ich werde die Arbeit gerne mit Ihnen gemeinsam fortsetzen.
({12})
Ich kann mir vorstellen, dass das heute zu beschließende
Betreuungsgeldergänzungsgesetz der Einstieg in ein
breites Bildungssparen ist. Genau das ist es. Wir wollen
heute nicht aufhören, sondern wir werden weitermachen.
({13})
Wir werden weiter erfolgreich arbeiten, und zwar ideologiefrei, weltoffen und tolerant für die Familien in
Deutschland.
({14})
Das zeichnet diese Koalition im Gegensatz zu Ihnen aus.
Sie wollen nach Gießkannenprinzip fördern und nicht individuell wie wir. Sie sind ideologisch voreingenommen
und sehen alles nur schwarz-weiß. Wir sind für die
Wahlfreiheit. Wir sind für die Freiheit der Familien. Das
geht nur mit uns.
({15})
Für die Fraktion Die Linke hat jetzt das Wort die Kollegin Diana Golze.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Um es gleich vorweg zu sagen: Meine fünf Minuten
Redezeit reichen gar nicht aus, um mich genügend über
dieses Gesetz aufzuregen.
({0})
Wer dachte, dass es nach dem Betreuungsgeld nicht
mehr schlimmer kommen kann, hat sich getäuscht. Jetzt
sollen nämlich auch noch Banken und Versicherungen
ihr Stück vom Kuchen abbekommen:
({1})
120 Millionen Euro zusätzlich zu den Milliarden des Betreuungsgeldes sollen in den nächsten vier Jahren in Bildungssparen und die private Altersvorsorge fließen,
({2})
120 Millionen Euro zusätzlich, die für Kitas und gute
Bildung fehlen.
({3})
Frau Gruß, damit haben Sie wirklich noch eins draufgesetzt. Was hier unter dem Label „Wahlfreiheit“ verkauft werden soll, ist nichts anderes als ein billiger, nein,
ein teurer Kuhhandel auf dem Rücken von Kindern und
Familien.
({4})
Heute soll ein Gesetzentwurf dieses Haus passieren,
der vorsieht, dass Eltern entweder mit einem Zuschuss
für ihre eigene private Altersvorsorge belohnt werden,
wenn sie auf eine öffentliche Kindertagesbetreuung für
ihr Kind verzichten, oder Geld für ein Bildungssparen
bekommen. Es geht dabei um ein Sparen für den zukünftigen Bildungsweg des Kindes. Dafür sollen sie aber auf
ein Bildungsangebot am Anfang der Bildungskarriere
des Kindes verzichten. Ja, hallo, geht’s noch?
({5})
Das ist so unsinnig. Was hat der Verzicht auf einen öffentlichen Kitaplatz mit der Altersvorsorge der Eltern zu
tun? Was kann sinnvoll daran sein, Kindern ein frühkindliches Bildungsangebot vorzuenthalten, um private
Vorsorge für den späteren Bildungsweg zu treiben? Das
geht mir nicht in den Kopf. Ich verstehe es nicht.
({6})
Dieser Gesetzentwurf ist ein weiterer Beweis dafür,
dass es Ihnen von Union und FDP nie um die Kinder, nie
um die Familien und erst recht nicht um die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ging. Ihnen geht es um die
Privatisierung der Altersvorsorge, um die Privatisierung
der Bildung und um den Ausschluss von ganzen Generationen von Kindern aus der Bildung.
({7})
Deshalb hat der Bundesrat recht mit dem Gesetzentwurf, der uns ebenfalls heute hier vorliegt, in dem ein
Ausstieg aus dem Betreuungsgeldgesetz gefordert wird;
das gilt natürlich auch für den Antrag der Grünen, der
genau dies fordert. Deshalb werden wir zustimmen.
Ob sich die Eltern, ob sich die Familien diese Bevormundung tatsächlich gefallen lassen, bleibt fraglich.
Klar ist aber in jedem Fall: Eltern mit geringem oder
ohne Erwerbseinkommen, die auf Transferleistungen angewiesen sind, werden ein weiteres Mal entmündigt und
gedemütigt. Denn, liebe Frau Bär, liebe Frau Gruß, sparen kann nur, wer etwas zum Sparen hat. Diesen Familien nützen diese zwei Jahre nichts. Sie haben nichts, um
weiter einzuzahlen. Sie haben nichts von dem Geld, das
sie in diesen zwei Jahren ansparen können. Sie können
nicht weiter einzahlen. Selbst die Sachverständigen der
Union haben in der Anhörung gesagt: Wenn nach diesen
zwei Jahren nicht weiter mindestens 50 bis 100 Euro im
Monat eingezahlt werden, dann nützen diese Gelder
nichts.
({8})
Es ist einfach ungeheuerlich, wie Sie diese Bevölkerungsgruppen von Bildung und der Verhinderung von
Altersarmut ausschließen.
({9})
Mit diesem Betreuungsgeldergänzungsgesetz wird
weder die Altersarmut von Frauen bekämpft noch wird
Bildung für alle ermöglicht. Deshalb sagen wir Nein zu
dem Betreuungsgeld, egal in welcher Form. Wir sagen
Nein zu diesem Ergänzungsgesetz, weil es privatisiert,
Armut privatisiert, Bildung privatisiert, und kein Ausweg für die Betroffenen ist.
Um es an dieser Stelle noch einmal zu sagen: Ich
hätte mir sehr gewünscht, liebe Kolleginnen und Kollegen von SPD und Grünen, dass wir nach der Beschlussfassung zum Betreuungsgeld im letzten Jahr gemeinsam
den Gang nach Karlsruhe angetreten hätten, um gegen
dieses Gesetz zu klagen. Wir haben von Ihnen die Antwort bekommen, dass Sie diesen Weg nicht gehen wollen. Das finde ich sehr schade. Ich sage ganz deutlich:
Jede Bundesregierung, die gegen dieses Gesetz vorgehen
wird, die dieses Gesetz zurücknehmen wird, wird die
Unterstützung der Linken haben.
({10})
Das ist zum Wohle der Kinder und Familien in unserem
Land.
Vielen Dank.
({11})
Das Wort hat jetzt die Kollegin Katja Dörner von
Bündnis 90/Die Grünen.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen!
Liebe Kollegen! Mit unserem Änderungsantrag halten
wir den Notausgang sperrangelweit offen. Wir können
heute gemeinsam diesem Spuk Betreuungsgeld ein Ende
machen, und zwar noch bevor das erste Kind aus der
Kita gefallen und die erste Mutter aus dem Job gefallen
ist. Sie sollten diese Chance unbedingt ergreifen.
({0})
Das Betreuungsgeld ist unverantwortlich. Es ist eine
reine Kitafernhalteprämie, und es wird dazu führen, dass
gerade die Kinder, die es am dringendsten brauchen,
weil sie in ihren eigenen Familien wenig mitbekommen,
von frühkindlicher Bildung ausgeschlossen werden.
Jeder, der hier heute am Betreuungsgeld festhält, muss
sehenden Auges die Verantwortung für verpasste Lebenschancen von Kindern übernehmen. Er muss auch
die Verantwortung dafür übernehmen, dass es Eltern
noch schwerer gemacht wird, ihr Familienleben so zu
gestalten, wie es die große Mehrheit von Eltern wünscht:
Eltern wollen Erwerbsarbeit und Familienarbeit partnerschaftlich aufteilen. Alle Studien belegen das. Aber das
Betreuungsgeld wird faktisch dazu führen, dass die Mütter zu Hause bleiben. Das ist eine komplett falsche Weichenstellung.
({1})
Liebe Frau Bär, Ihre Aufregung hier ist ja doch ein
bisschen durchsichtig.
({2})
Es ist doch wunderbar belegt, dass Sie selber eindringlich vor dem Betreuungsgeld gewarnt haben.
({3})
Ich habe im Zeitungsarchiv nachgeguckt. Sie haben gesagt, das Betreuungsgeld würde „dem Missbrauch Tür
und Tor öffnen“.
({4})
Kinder würden - Zitat - „die hochwertige Erziehung in
den Krippen“ verpassen.
({5})
Und: Das Betreuungsgeld diene nur dazu - man höre
und staune -, „konservative Wählerschichten ruhig zu
stellen“. Das alles hat in der Zeitung gestanden.
({6})
Das haben Sie damals zu Recht gesagt. Mir drängt sich
der Eindruck auf, dass man all diese klugen Erkenntnisse
abgeben muss, wenn man vor der Tür der CSU-Parteizentrale steht und Vize-Generalsekretärin werden
möchte.
({7})
Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, klar ist: Die Milliarden für das Betreuungsgeld sind unsinnig verausgabtes
Geld.
({8})
Ich möchte auch einmal auf den Verwaltungsaufwand
zu sprechen kommen. Alleine in Bonn, wo ich herkomme, mussten im Jugendamt 4,5 Stellen umgewidmet
werden, damit die unsinnigen Betreuungsgeldanträge
bearbeitet werden können. In Nordrhein-Westfalen sind
es knapp 100 Stellen, in Berlin sind es rund 20. Diese
Menschen fehlen jetzt an anderer Stelle. Auch hier sieht
man die ganz klare Fehlleitung dringend benötigter Ressourcen. Bürokratiewahn ist das sowieso.
({9})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, um Herrn Seehofer
und die CSU zu pampern, ist das Betreuungsgeld einfach
zu teuer. Wir brauchen diese Milliarden dringend für den
Kitaausbau, insbesondere für eine Qualitätsoffensive.
Das ist übrigens auch die einzige vernünftige Schlussfolgerung aus den Ergebnissen der Evaluation der familienbezogenen Leistungen, die die Ministerin letzte
Woche vorgestellt hat. Warum gibt diese Regierung aufwendige Studien in Auftrag, wenn von den Ergebnissen
dann überhaupt nichts umgesetzt wird?
({10})
Es ist sogar noch schlimmer: Neue Maßnahmen wie das
Betreuungsgeld werden die in der Evaluation kritisierten
Fehlanreize noch weiter verstärken. Das ist doch wirklich absurd.
({11})
Wirklich absurd ist auch der Entwurf eines Betreuungsgeldergänzungsgesetzes, der uns heute vorliegt. Mit
dem Betreuungsgeld wird eine neue Barleistung geschaffen, und mit dem Betreuungsgeldergänzungsgesetz
wird noch mal Geld obendrauf gelegt, damit diese
Barleistung bitte schön nicht in Anspruch genommen
wird. Das ist an Absurdität doch wirklich nicht mehr zu
überbieten.
({12})
Wenn man sich die Ergänzungen genauer anschaut,
dann sieht man, um was es sich dabei handelt. Es handelt
sich um schwarz-gelbe Klientelgeschenke an die Versicherungswirtschaft,
({13})
wie wir sie in den letzten vier Jahren schon gehäuft erleben durften.
({14})
Hinzu kommt ein Pseudo-Bildungssparen. Ich finde,
Frau Gruß hat das eben selber ganz wunderbar auf den
Punkt gebracht: Es handelt sich um ein PseudoBildungssparen, das sich eben nur Familien leisten
können,
({15})
die auch ohne staatliche Subventionen
({16})
gute Bildung für ihre Kinder problemlos finanzieren und
gewährleisten können. Das ist doppelt absurd: SchwarzGelb investiert ins Betreuungsgeld, statt dieses Geld in
Kitas zu investieren, damit Eltern für eine Bildung sparen, die ihren Kindern durch gute frühkindliche Bildung
in den Kitas besser und unmittelbar zuteilwerden könnte.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, das Betreuungsgeldgesetz muss nicht ergänzt werden. Es muss umgehend abgeschafft werden. Ich drücke Ihnen die Daumen,
dass Sie, indem Sie unserem Änderungsantrag zustimmen, heute noch den Notausgang finden.
Vielen Dank.
({17})
Für die CDU/CSU-Fraktion hat jetzt der Kollege
Markus Grübel das Wort.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ab
dem 1. August dieses Jahres können Eltern in Deutschland das Betreuungsgeld erhalten. Um was geht es beim
Betreuungsgeld? Es geht erstens um Wahlfreiheit, es
geht zweitens um Wahlfreiheit, es geht drittens um
Wahlfreiheit.
({0})
Es geht also darum, Eltern nicht zu bevormunden.
({1})
Aber ich verstehe die Aufregung bei SPD, Linken und
Grünen: Freiheit gehört nun einmal nicht zu eurem Markenkern.
({2})
Wer sich zum Beispiel das Wahlprogramm der Grünen
anschaut, der sieht, dass es da von Bürgerbevormundungsplänen nur so wimmelt. Das widerspricht dem,
was wir wollen, nämlich: Wahlfreiheit.
Es geht uns um Elterngeld und Betreuungsgeld auf
der einen Seite,
({3})
aber auch um den Ausbau der Kinderbetreuung für unter
Dreijährige; erst dann haben die Eltern echte Wahlfreiheit.
({4})
Wir haben das Elterngeld beschlossen,
({5})
wir haben das Betreuungsgeld beschlossen. Wir haben
aber auch die Zahl der Kitaplätze massiv ausgebaut:
Rund 300 000 zusätzliche Kitaplätze. Das heißt: Weitere
300 000 Eltern bekommen Wahlfreiheit.
({6})
Das ist eine sehr gute Bilanz. Wir haben dafür, obwohl
der Bund an sich gar nicht zuständig ist, 5,4 Milliarden
Euro zur Verfügung gestellt.
({7})
Rechnen wir das Ganze jetzt einmal herunter auf einen
Platz und einen Monat: Die öffentlichen Hände fördern einen U3-Kinderbetreuungsplatz mit 900 bis 1 200 Euro
pro Monat. Wir wollen den Eltern, die keinen öffentlich
geförderten Betreuungsplatz in Anspruch nehmen, den
Eltern, die die Betreuung selber organisieren oder nicht
geförderte Betreuungsplätze in Anspruch nehmen,
100 Euro - später 150 Euro - im Monat geben. Das ist
nicht sehr viel Geld; aber selbst dieses wenige wollen
Sie den Eltern wieder nehmen.
({8})
Darum werden wir den Gesetzentwurf des Bundesrates
ablehnen.
Sie haben immer angekündigt: Nach der gewonnenen
Wahl wollen wir den Gesetzentwurf aufheben. - Aber
euer Steinbrück ist nix, euer Wahlprogramm ist nix, eure
Wahlumfragen sind nix, und euer Gesetzentwurf - der
Gesetzentwurf des Bundesrates - ist auch nix. Darum
wird daraus auch nichts werden.
({9})
Wir schaffen jetzt zusätzliche Altersvorsorge für Eltern, insbesondere werden dadurch Mütter begünstigt.
({10})
Das ist eine Anerkennung der Leistungen von Eltern.
Wir schaffen die Möglichkeit des Bildungssparens.
Diese neue Unterstützungsleistung sollten Sie nicht verteufeln.
({11})
Ich habe aber den Verdacht, es geht hier gar nicht um
das Betreuungsgeld. Es geht vielmehr um Wahlkampf,
es geht um Diffamierung, und es geht darum, die gute
Arbeit der Koalition in der Familienpolitik in den letzten
vier Jahren schlechtzureden.
({12})
Dann lohnt sich durchaus einmal ein Blick in eure Wahlprogramme.
({13})
Was wollt ihr machen? Ihr wollt das Ehegattensplitting
abschaffen,
({14})
teilweise sogar für die bestehenden Ehen. 3,5 Milliarden
Euro wollt ihr den Familien nehmen. Wir hingegen entlasten und unterstützen die Familien, und ihr wollt sie
belasten.
({15})
Jetzt behauptet ihr, das Ehegattensplitting hätte nichts
mit Familie zu tun. Es hat sogar sehr viel damit zu tun:
90 Prozent derer, die vom Ehegattensplitting profitieren,
haben Kinder erzogen oder erziehen Kinder. Auch die,
die aktuell keine kleinen Kinder mehr haben, leisten
vielfältige Unterstützung und Dienste für ihre Kinder
und Enkelkinder.
({16})
Was wollt ihr sonst noch machen? Ihr wollt den Steuerfreibetrag für Betreuung streichen, die Freibeträge für
Erziehung streichen, die Freibeträge für Ausbildung
streichen. Wir geben - ihr nehmt. Wir unterstützen die
Familien, und ihr belastet die Familien.
({17})
- Bei aller Freundschaft: Das war vielleicht eine Spur zu
viel!
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
({18})
zum Schluss trotz dieses üblen Zwischenrufs noch ein
paar versöhnliche Worte. Wenn wir einmal den Schaum
vom Mund wischen,
({19})
dann sieht man vielleicht doch bei dem ein oder anderen
ein Lachen. Ich glaube, wir können gemeinsam stolz
sein auf das, was wir in der letzten Wahlperiode erreicht
haben - wir als Koalition mit unserer Familienministerin
und dem Familienministerium, aber auch alle Fraktionen; denn einen Teil haben wir ja auch gemeinsam gemacht. Wir können stolz sein: auf den massiven Ausbau
der Kleinkindbetreuung, auf den massiven Ausbau der
Freiwilligendienste, auf den Ausbau des Kinderschutzes
und der Frühen Hilfen, auf den Ausbau der Unterstützung für Conterganopfer, auf den Ausbau der Unterstützung für Ehrenamtliche und das bürgerschaftliche Engagement. Ich könnte meine Aufzählung fortsetzen.
Ich möchte an dieser Stelle allen, die aus dem Bundestag scheiden, Danke sagen. Ich empfehle denen, die
altershalber ausscheiden, den fünften Altenbericht
„Potenziale des Alters in Wirtschaft und Gesellschaft“
zu lesen. Der neue Lebensabschnitt bringt neue Chancen
und neue Herausforderungen und wird mit Sicherheit interessant. Vielen Dank ganz persönlich dir, Hermann
Kues: Du hast unsere Arbeit im familienpolitischen Bereich jahrelang väterlich begleitet.
Ich darf aber auch Frau Rupprecht Danke sagen. Wir
werden uns in den nächsten Jahren ja weiterhin sehen,
wenn es um Hospiz- und Palliativmedizin geht.
Ich danke auch Frau Humme, Frau Laurischk und
Ewa Klamt.
Zum Schluss sage ich ganz besonders Norbert Geis
herzlichen Dank. Norbert, du bist katholisch, du bist
konservativ, du bist gut drauf. Dir alles Gute!
Herzlichen Dank.
({20})
Herr Kollege Schulz von der SPD, Sie haben den
Redner als „Armleuchter“ bezeichnet. Das ist unzulässig. Die Kolleginnen und Kollegen sollen nicht persönlich diffamiert oder angegriffen werden. Ich rüge das
ausdrücklich.
({0})
Als nächste Rednerin hat das Wort die Kollegin Ulla
Burchardt.
({1})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Ich will mich auch gerne an die Regeln des Hauses halten und deswegen sagen: Inhalt und Stil der Rede,
die wir gerade gehört haben, sind nicht kommentierbar.
({0})
Worum geht es heute in der Debatte eigentlich? Es
geht um die Operation „Bildungsblockade durch die
Koalitionsfraktionen“ und um nichts anderes.
Diese Blockade ist überflüssig und schädlich. Das Betreuungsgeld wird auch durch das sogenannte Betreuungsgeldergänzungsgesetz nicht besser, das ausschließlich dem Ruhigstellen der FDP geschuldet ist; denn wir
alle wissen doch, dass nicht nur ein Großteil der CDU,
sondern auch der FDP das Betreuungsgeld für blanken
Unsinn und für unvertretbar hält.
Ganz zum Schluss, am allerletzten Tag, haben Sie
jetzt ein kleines Placebo gekriegt und dürfen noch einen
Entwurf für das sogenannte Bildungssparen einbringen
- die Kollegen lächeln und nicken mir freundlich zu; sie
wissen, wovon ich rede -, wissend, dass er vermutlich
sowieso keine Chance mehr auf Realisierung hat. Das,
was Sie hier als Bildungssparen verkaufen, ist in Wahrheit doch Etikettenschwindel. Das muss man einmal
ganz deutlich sagen.
Alle, die in den Gesetzentwurf blicken - und ich empfehle das -, können feststellen: Die Eltern, die darauf
verzichten, ihr Kind in eine Kita zu schicken, erhalten einen Bonus von 15 Euro pro Monat, wenn sie das Betreuungsgeld anlegen, und das auch nur für zwei Jahre. Dabei muss es nicht unbedingt ums Bildungssparen gehen,
sondern es kann sich um irgendeine Form der Geldanlage handeln - sei es für die private Altersvorsorge oder
was auch immer. Mit anderen Worten: Die beste Bildung
bei der FDP ist die Vermögensbildung. Sie bleiben sich
wirklich treu.
({1})
Das Entscheidende ist: Sie kriegen den Bonus nur für
zwei Jahre, wenn sie Versicherungsverträge abschließen.
Ich sage am letzten Tag, an dem wir interessanterweise
und pikanterweise diesen Gesetzentwurf von Ihnen auf
den Tisch bekommen: Sie haben die Legislaturperiode
mit Geschenken an die Hoteliers begonnen, und Sie beenden sie mit Gaben und Gesten gegenüber der Versicherungswirtschaft. Das ist doch mal eine klare Linie!
Auf Sie kann man sich nun wirklich verlassen!
({2})
Das ist Klientelpolitik pur. Hier wirken Union und
FDP wunderbar zusammen. Nur, eines ist auch klar: Ihr
Vorhaben konterkariert das Ziel einer qualitativ hochwertigen Bildung von Anfang an, die dieses Land
braucht.
({3})
Das Problem ist, dass Ihre Politik schädlich für unser
Land und für die Zukunft unserer Kinder ist. Das sagt
nicht nur die Opposition, die nicht nur für benachteiligte
Randgruppen, sondern für die große Mehrheit der Menschen spricht. Schauen Sie doch in den „Chancenspiegel“, den Ihnen die Bertelsmann-Stiftung, die Sie ja nun
wirklich nicht als eine von der Opposition angefixte,
indoktrinierte Gruppe bezeichnen können, am Montag
dieser Woche vorgelegt hat. Dort wird Ihnen noch einmal vorgeführt, wie tragisch es ist, dass in Deutschland
Bildungserfolg nach wie vor von sozialer Herkunft abhängt und dass es nach wie vor mehr Bildungsabsteiger
als Bildungsaufsteiger gibt.
Aber Sie ignorieren vier Jahre lang konsequent all
das, was Ihnen wissenschaftliche Experten vorlegen.
Das macht atemlos. Insofern versteht man auch die
Sprechgeschwindigkeit der Kolleginnen, die hier aufgetreten sind.
({4})
Der Kommentar der Experten in der Anhörung zu Ihrem Versicherungsmodell: „Das können sich nur Familien mit mittlerem und höherem Einkommen leisten“. Im
Klartext: Zuerst fixen Sie Familien mit Betreuungsgeld
und Sparzulage an, teure, langfristige Verträge abzuschließen. Wenn der Bezug der Herdprämie endet, dann
müssen die Familien sehen, wo sie bleiben und das Geld
aus eigener Tasche aufbringen, was sie vermutlich überhaupt nicht können. - Sparzulage und Herdprämie, beides ist herausgeworfenes Geld, das im Aufbau der Bildungsinfrastruktur deutlich besser angelegt wäre. Das ist
die Zukunftsaufgabe, auf die es ankommt und bei der gemeinsame Kraftanstrengungen von Bund, Ländern und
Kommunen nötig wären.
({5})
Wir wollen tatsächliche Wahlfreiheit für Familien und
die beste Bildung für alle Kinder durch den Ausbau von
Kitas und Ganztagsschulen. Wir haben das Programm
und das Finanzierungskonzept für eine bessere Infrastruktur, für mehr Personal, für eine hervorragende Qualität. Wir haben das Programm für Chancengleichheit.
Bildungsaufstieg ist wählbar. Die Menschen werden dies
in den nächsten Wochen erkennen und feststellen: Rot
und Grün sind diejenigen Parteien in diesem Land, die
den Menschen Lebenschancen ermöglichen und ihren
Bildungsaufstieg organisieren.
({6})
Zum Schluss komme ich zum harmonischen Teil meiner Rede, die meine letzte an dieser Stelle ist. Ich kann
Ihnen sagen: Ich empfinde es als Glück und als Ehre,
dass ich dem Deutschen Bundestag seit 1990 angehören
durfte. Deshalb danke ich zuallererst den Dortmunderinnen und Dortmundern, die mich sechsmal direkt gewählt
und hierher entsandt haben.
({7})
In aller Offenheit, die Sie von mir kennen, sage ich: Die
Zeit hier war nicht immer nur eine Freude; denn man hat
oft das Gefühl - ich habe das erlebt; und ich weiß, es
geht den meisten von Ihnen genauso -, dass die Jahre
hier doppelt zählen. Hier wird so viel, so hart, so engagiert gearbeitet, oft bis an die Grenze dessen, was
Menschen überhaupt nur leisten können, wie es sich die
meisten Kommentatoren kaum vorstellen oder gar für
sich selbst akzeptieren würden. Der Bundestag ist tatsächlich - viele, die ausscheiden, haben es an dieser
Stelle schon gesagt - besser als sein Ruf.
Unterm Strich, liebe Kolleginnen und Kollegen: Es
war eine gute Zeit. Dafür danke ich allen, die mich innerhalb und außerhalb des Bundestages fachlich und
menschlich begleitet haben. Nicht zuletzt danke ich allen
Kolleginnen und Kollegen, besonders den Mitgliedern
des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung für kollegiale, faire, gute Zusammenarbeit, auch für die Geduld, die sie mit mir als Ausschussvorsitzende hatten. Ich freue mich auf neue
Aufgaben. Ich hoffe, Sie bei der einen oder anderen Gelegenheit wiederzutreffen. Machen Sie es gut!
({8})
Wir wünschen Ihnen alles Gute auf Ihren weiteren
Wegen.
Das Wort hat nun der Kollege Norbert Geis für die
Unionsfraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Wir haben über das Betreuungsgeld viel gestritten; es ging oft hart zur Sache. Wir sind eigentlich noch
immer nicht auf einen gemeinsamen Nenner gekommen.
Die Positionen sind nach wie vor unterschiedlich. Deswegen darf man sich nicht wundern, dass da und dort
klar Position bezogen wird, damit draußen deutlich wird,
was man jeweils darunter versteht.
Ich will noch etwas sagen. Es geht hier nicht um die
Kinder im ersten Lebensjahr. Für sie nehmen die Eltern
meist das Elterngeld in Anspruch. Es geht auch nicht um
die Kinder nach dem dritten Lebensjahr, weil dann der
Kindergarten zur Verfügung steht. In der Hinsicht haben
wir keine Differenzen untereinander. Es geht nur um die
Kinder im zweiten und dritten Lebensjahr. Für diese
Kinder sehen wir Kitas und andere Instrumente vor.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Ehe von
Mann und Frau ist darauf ausgerichtet, Leben weiterzugeben. Gleichzeitig muss man bedenken, dass die Säuglinge - das neue Leben - am meisten auf ihre Eltern angewiesen sind. Sie entwickeln zu ihren Eltern das
intensivste Gefühl, das Menschen überhaupt zueinander
entwickeln können. Das muss man bedenken, wenn man
überlegt, wie es ab dem zweiten Lebensjahr weitergeht.
Im ersten Lebensjahr - das ist klar - bleiben die Kinder
meistens daheim. Aber auch im zweiten und dritten Lebensjahr wollen die Kinder noch enge Bindungen an die
Eltern haben, damit sie das Urvertrauen lernen; denn das
Urvertrauen ist wichtig, um überhaupt später lernen und
die Grundkompetenzen für das Leben erwerben zu können.
({0})
Dieses Urvertrauen müssen die Eltern erzeugen, weil es
die Eltern sind, die die engsten Beziehungen zu ihren
Kindern haben. Das gilt auch für die Adoptiveltern,
selbstverständlich.
Sie dürfen auch nicht die Tatsache unberücksichtigt
lassen, dass zunächst einmal die Eltern das alleinige Erziehungsrecht haben. Der Staat hat nicht das Recht, die
Kinder zu erziehen, sondern dieses Recht ist ausdrücklich - auch in der Verfassung - den Eltern vorbehalten.
Deswegen können auch nur die Eltern bestimmen, wie
sie ihre Kinder erziehen. Der Staat hat ihnen nicht hineinzureden. Auch das müssen Sie beachten.
({1})
Der Staat hat aber die Pflicht, die Eltern bei der Erziehung ihrer Kinder zu unterstützen. Das betrifft auch die
Kita. Das wissen wir. Wir haben viel Geld für die Kitas
ausgegeben. Wenn Eltern ihr Kind in die Kita geben
wollen, dann ist das ihre freie Entscheidung. Die haben
wir zu achten, und wir haben die Eltern von Staats wegen zu unterstützen. Das ist auch geschehen. Wir haben
über 5,5 Milliarden Euro - das ist schon gesagt worden allein für den Bau der Kitas ausgegeben, obwohl das
nicht Aufgabe des Bundes ist. Wir geben weiterhin
1 000 Euro pro Monat und Kind für einen Kitaplatz aus.
Das ist gut und richtig.
Aber dabei kann es nicht bleiben. Der Staat ist verpflichtet, die Eltern auch bei anderen Entscheidungen
zur Erziehungsleistung zu unterstützen. Das ist seine
Aufgabe. Er kann sich nicht allein auf die Kita konzentrieren. Dann würde er Unrecht tun.
({2})
Er hat die Pflicht, gleichzubehandeln. Das wollen wir
durch das Betreuungsgeld erreichen. Was ist daran so
verkehrt?
({3})
Die Entscheidung der Eltern, die nicht bereit sind, ihr
Kind in die Kita zu geben, müssen wir doch respektieren. Wir müssen auch diese Eltern unterstützen; das ist
die Pflicht des Staates. Alles andere ist eine falsche
Denke.
({4})
Der Staat hat nicht das Recht - das will ich noch einmal betonen -, in die Entscheidungen der Eltern einzugreifen. Deswegen darf er auch nicht eine Erziehungsleistung, nämlich die in Form der Kita, präferieren; er
muss vielmehr alle Erziehungsleistungen unterstützen.
Die Frage ist natürlich, ob die 150 Euro in einem angemessenen Verhältnis zu den 1 000 Euro stehen, die wir
pro Monat und Kind für die Kitas ausgeben. Darüber
muss man nachdenken, auch in der nächsten Legislaturperiode.
Denken Sie immer daran: In anderen Ländern wie
beispielsweise Frankreich nehmen nur 13 bis 15 Prozent
der Eltern eine Kita in Anspruch. Entweder erziehen sie
ihr Kind selbst und bleiben daheim, oder sie geben es an
eine Tagesmutter. Diese darf selber, ihre eigenen Kinder
eingeschlossen, nicht mehr als vier Kinder betreuen.
Oder sie geben ihre Kinder zu den Großeltern oder anderen Verwandten. Das ist die andere Seite. Das ist eine
Möglichkeit der Eltern, ihre Erziehungsleistung zu erbringen. Diese Erziehungsleistung wird in Frankreich
beispielsweise durch ein Betreuungsgeld in Höhe von
300 bis 700 Euro unterstützt. Auch in Skandinavien wird
das Betreuungsgeld viel höher angesetzt als bei uns. Warum machen wir hier einen solchen Unterschied?
({5})
Ich verstehe den Aufwand, den Sie betreiben, und auch
die Ideologie, die dahintersteht, überhaupt nicht. Das
kann ich nicht nachvollziehen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, alles in allem sollten wir, was die Unterstützung der Erziehungsleistung der Eltern angeht, vielleicht doch in der nächsten Legislaturperiode, der ich nicht mehr angehören
werde, zu einem vernünftigen Ergebnis kommen. Für
mich war es immer eine Auszeichnung, diesem Haus anzugehören. Ich habe hier gerne gestritten; das gestehe
ich ohne Weiteres zu. Ich habe auch leidenschaftlich gestritten und bin dabei vielleicht manchem auf die Füße
getreten. Dafür entschuldige ich mich. Ich wünsche Ihnen für die Zukunft alles Gute, und ich wünsche auch
unserem Land alles Gute. Gottes Segen!
Danke schön.
({6})
Kollege Geis, darf ich kurz um Ihre Aufmerksamkeit
bitten? - Wir wünschen in dieser Woche vielen Kolleginnen und Kollegen alles Gute für ihren neuen Lebensabschnitt. Aber ich gestehe: Seit ich gesehen habe, dass
Sie ausgerechnet in der Zeit Ihre letzte Rede in diesem
Hohen Hause halten, in der ich den Vorsitz habe, denke
ich darüber nach, was das für ein Zeichen ist. Denn Sie
waren der erste Abgeordnete, der mir 1998 in meiner
ersten Innenausschusssitzung des Deutschen Bundestages begegnete und zeigte, wo es langgeht,
({0})
nicht inhaltlich, sondern im Sinne von: Wo finden wir
alle unseren Platz? - Ich wünsche Ihnen alles Gute.
({1})
Sie waren der Zweite, Herr Außenminister, wenn Sie
sich erinnern.
Ich schließe die Aussprache.
Trotz aller notwendigen Zeremonien hier vorne kom-
men wir jetzt zur Abstimmung über den von den Fraktio-
nen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Entwurf
eines Gesetzes zur Ergänzung des Betreuungsgeldgeset-
zes. Der Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und
Jugend empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 17/14198, den Gesetzentwurf der Fraktio-
nen der CDU/CSU und FDP auf Drucksache 17/11315
in der Ausschussfassung anzunehmen. Hierzu liegt ein
Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
auf Drucksache 17/14211 vor, über den wir zuerst ab-
stimmen.
Es ist namentliche Abstimmung verlangt. Ich bitte die
Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehenen
Plätze einzunehmen. - Das ist der Fall. Ich eröffne die
Abstimmung.
Während einige Kolleginnen und Kollegen noch ab-
stimmen, gebe ich Ihnen zur Kenntnis, dass mir mehrere
Erklärungen nach § 31 unserer Geschäftsordnung vorlie-
gen, die wir, wie immer, zu Protokoll nehmen.1)
Gibt es ein Mitglied des Hauses, das seine Stimme
noch nicht abgegeben hat? - Das ist nicht der Fall. Dann
schließe ich die Abstimmung. Bis zum Vorliegen des Ergebnisses der namentlichen Abstimmung unterbreche
ich die Sitzung.
({2})
Die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet.
Ich gebe Ihnen das von den Schriftführerinnen und
Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen
Abstimmung bekannt: abgegebene Stimmen 545. Mit
Ja haben gestimmt 234, mit Nein 308 Kolleginnen und
Kollegen, und es gab 3 Enthaltungen.
1) Anlage 4
Vizepräsidentin Petra Pau
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 545;
davon
ja: 234
nein: 308
enthalten: 3
Ja
SPD
Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Heinz-Joachim Barchmann
Dr. Hans-Peter Bartels
Klaus Barthel
Bärbel Bas
Dirk Becker
Uwe Beckmeyer
Lothar Binding ({0})
Gerd Bollmann
Klaus Brandner
Edelgard Bulmahn
Marco Bülow
Petra Crone
Dr. Peter Danckert
Martin Dörmann
Elvira Drobinski-Weiß
Sebastian Edathy
Ingo Egloff
Siegmund Ehrmann
Dr. h. c. Gernot Erler
Petra Ernstberger
Elke Ferner
Gabriele Fograscher
Sigmar Gabriel
Michael Gerdes
Günter Gloser
Ulrike Gottschalck
Angelika Graf ({1})
Kerstin Griese
Gabriele Groneberg
Michael Groß
Hans-Joachim Hacker
Bettina Hagedorn
Klaus Hagemann
Michael Hartmann
({2})
Hubertus Heil ({3})
Gustav Herzog
Petra Hinz ({4})
Dr. Eva Högl
Christel Humme
Oliver Kaczmarek
Dr. h. c. Susanne Kastner
Ulrich Kelber
Lars Klingbeil
Hans-Ulrich Klose
Dr. Bärbel Kofler
Daniela Kolbe ({5})
Anette Kramme
Ute Kumpf
Christine Lambrecht
Christian Lange ({6})
Dr. Karl Lauterbach
Burkhard Lischka
Gabriele Lösekrug-Möller
Kirsten Lühmann
Hilde Mattheis
Petra Merkel ({7})
Franz Müntefering
Dr. Rolf Mützenich
Andrea Nahles
Dietmar Nietan
Thomas Oppermann
Aydan Özoğuz
Heinz Paula
Johannes Pflug
Joachim Poß
Dr. Wilhelm Priesmeier
Florian Pronold
Dr. Sascha Raabe
Mechthild Rawert
Stefan Rebmann
Dr. Carola Reimann
René Röspel
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Karin Roth ({8})
Michael Roth ({9})
Marlene Rupprecht
({10})
Annette Sawade
Bernd Scheelen
Marianne Schieder
({11})
Werner Schieder ({12})
Ulla Schmidt ({13})
Carsten Schneider ({14})
Swen Schulz ({15})
Ewald Schurer
Frank Schwabe
Dr. Martin Schwanholz
Rolf Schwanitz
Stefan Schwartze
Rita Schwarzelühr-Sutter
Dr. Carsten Sieling
Peer Steinbrück
Dr. Frank-Walter Steinmeier
Christoph Strässer
Franz Thönnes
Wolfgang Tiefensee
Rüdiger Veit
Dr. Marlies Volkmer
Andrea Wicklein
Heidemarie Wieczorek-Zeul
Dr. Dieter Wiefelspütz
Waltraud Wolff
({16})
Dagmar Ziegler
Manfred Zöllmer
Brigitte Zypries
FDP
Sylvia Canel
DIE LINKE
Jan van Aken
Dr. Dietmar Bartsch
Heidrun Bluhm
Steffen Bockhahn
Eva Bulling-Schröter
Roland Claus
Heidrun Dittrich
Werner Dreibus
Klaus Ernst
Nicole Gohlke
Annette Groth
Dr. Rosemarie Hein
Andrej Hunko
Ulla Jelpke
Dr. Lukrezia Jochimsen
Katja Kipping
Harald Koch
Jan Korte
Jutta Krellmann
Katrin Kunert
Sabine Leidig
Ralph Lenkert
Stefan Liebich
Ulla Lötzer
Dr. Gesine Lötzsch
Ulrich Maurer
Cornelia Möhring
Thomas Nord
Jens Petermann
Richard Pitterle
Yvonne Ploetz
Paul Schäfer ({17})
Dr. Ilja Seifert
Raju Sharma
Dr. Petra Sitte
Sabine Stüber
Alexander Süßmair
Dr. Kirsten Tackmann
Frank Tempel
Alexander Ulrich
Kathrin Vogler
Johanna Voß
Halina Wawzyniak
Harald Weinberg
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Kerstin Andreae
Marieluise Beck ({18})
Volker Beck ({19})
Cornelia Behm
Birgitt Bender
Agnes Brugger
Viola von Cramon-Taubadel
Ekin Deligöz
Harald Ebner
Hans-Josef Fell
Dr. Thomas Gambke
Katrin Göring-Eckardt
Britta Haßelmann
Priska Hinz ({20})
Dr. Anton Hofreiter
Ingrid Hönlinger
Thilo Hoppe
Uwe Kekeritz
Katja Keul
Susanne Kieckbusch
Memet Kilic
Sven-Christian Kindler
Maria Klein-Schmeink
Ute Koczy
Tom Koenigs
Oliver Krischer
Agnes Krumwiede
Stephan Kühn
Renate Künast
Markus Kurth
Undine Kurth ({21})
Monika Lazar
Dr. Tobias Lindner
Nicole Maisch
Jerzy Montag
Kerstin Müller ({22})
Beate Müller-Gemmeke
Dr. Konstantin von Notz
Omid Nouripour
Friedrich Ostendorff
Dr. Hermann E. Ott
Lisa Paus
Brigitte Pothmer
Tabea Rößner
Krista Sager
Manuel Sarrazin
Elisabeth Scharfenberg
Dr. Gerhard Schick
Dr. Frithjof Schmidt
Ulrich Schneider
Dr. Wolfgang StrengmannKuhn
Hans-Christian Ströbele
Markus Tressel
Jürgen Trittin
Daniela Wagner
Beate Walter-Rosenheimer
Arfst Wagner ({23})
Wolfgang Wieland
Dr. Valerie Wilms
Josef Philip Winkler
fraktionsloserAbgeordneter
Wolfgang Nešković
Nein
CDU/CSU
Ilse Aigner
Peter Aumer
Thomas Bareiß
Norbert Barthle
Vizepräsidentin Petra Pau
Günter Baumann
Ernst-Reinhard Beck
({24})
Manfred Behrens ({25})
Veronika Bellmann
Dr. Christoph Bergner
Peter Beyer
Steffen Bilger
Clemens Binninger
Peter Bleser
Dr. Maria Böhmer
Wolfgang Bosbach
Klaus Brähmig
Michael Brand
Dr. Reinhard Brandl
Helmut Brandt
Dr. Ralf Brauksiepe
Dr. Helge Braun
Heike Brehmer
Ralph Brinkhaus
Cajus Caesar
Gitta Connemann
Alexander Dobrindt
Thomas Dörflinger
Marie-Luise Dött
Dr. Thomas Feist
Enak Ferlemann
Ingrid Fischbach
Dirk Fischer ({26})
Klaus-Peter Flosbach
Herbert Frankenhauser
({27})
Michael Frieser
Dr. Michael Fuchs
Hans-Joachim Fuchtel
Alexander Funk
Ingo Gädechens
Dr. Thomas Gebhart
Alois Gerig
Eberhard Gienger
Michael Glos
Peter Götz
Dr. Wolfgang Götzer
Ute Granold
Reinhard Grindel
Hermann Gröhe
Michael Grosse-Brömer
Manfred Grund
Monika Grütters
Olav Gutting
Florian Hahn
Dr. Stephan Harbarth
Jürgen Hardt
Gerda Hasselfeldt
Dr. Matthias Heider
Helmut Heiderich
Mechthild Heil
Ursula Heinen-Esser
Frank Heinrich
Rudolf Henke
Michael Hennrich
Ansgar Heveling
Christian Hirte
Robert Hochbaum
Karl Holmeier
Franz-Josef Holzenkamp
Joachim Hörster
Anette Hübinger
Hubert Hüppe
Thomas Jarzombek
Dieter Jasper
Dr. Franz Josef Jung
Andreas Jung ({28})
Dr. Egon Jüttner
Bartholomäus Kalb
Hans-Werner Kammer
Steffen Kampeter
Alois Karl
Bernhard Kaster
Siegfried Kauder ({29})
Volker Kauder
Dr. Stefan Kaufmann
Roderich Kiesewetter
Eckart von Klaeden
Ewa Klamt
Volkmar Klein
Axel Knoerig
Jens Koeppen
Manfred Kolbe
Dr. Rolf Koschorrek
Hartmut Koschyk
Thomas Kossendey
Michael Kretschmer
Gunther Krichbaum
Dr. Günter Krings
Rüdiger Kruse
Bettina Kudla
Dr. Hermann Kues
Günter Lach
Dr. Karl A. Lamers
({30})
Andreas G. Lämmel
Katharina Landgraf
Ulrich Lange
Dr. Max Lehmer
Paul Lehrieder
Ingbert Liebing
Matthias Lietz
Dr. Carsten Linnemann
Patricia Lips
Dr. Jan-Marco Luczak
Daniela Ludwig
Dr. Michael Luther
Karin Maag
Dr. Thomas de Maizière
Hans-Georg von der Marwitz
Andreas Mattfeldt
Stephan Mayer ({31})
Dr. Michael Meister
Dr. h. c. Hans Michelbach
Dr. Mathias Middelberg
Philipp Mißfelder
Dietrich Monstadt
Marlene Mortler
Dr. Gerd Müller
Stefan Müller ({32})
Dr. Philipp Murmann
Franz Obermeier
Eduard Oswald
Henning Otte
Dr. Michael Paul
Rita Pawelski
Ulrich Petzold
Dr. Joachim Pfeiffer
Sibylle Pfeiffer
Beatrix Philipp
Ronald Pofalla
Christoph Poland
Ruprecht Polenz
Eckhard Pols
Thomas Rachel
Dr. Peter Ramsauer
Eckhardt Rehberg
Katherina Reiche ({33})
Lothar Riebsamen
Josef Rief
Klaus Riegert
Dr. Heinz Riesenhuber
Johannes Röring
Dr. Norbert Röttgen
Dr. Christian Ruck
Erwin Rüddel
Albert Rupprecht ({34})
Anita Schäfer ({35})
Dr. Annette Schavan
Dr. Andreas Scheuer
Karl Schiewerling
Norbert Schindler
Tankred Schipanski
Georg Schirmbeck
Christian Schmidt ({36})
Patrick Schnieder
Dr. Andreas Schockenhoff
Nadine Schön ({37})
Dr. Kristina Schröder
({38})
Dr. Ole Schröder
Bernhard Schulte-Drüggelte
Uwe Schummer
Armin Schuster ({39})
Detlef Seif
Johannes Selle
Reinhold Sendker
Dr. Patrick Sensburg
Bernd Siebert
Thomas Silberhorn
Johannes Singhammer
Jens Spahn
Carola Stauche
Dr. Frank Steffel
Erika Steinbach
Christian Freiherr von Stetten
Dieter Stier
Gero Storjohann
Stephan Stracke
Karin Strenz
Thomas Strobl ({40})
Lena Strothmann
Michael Stübgen
Dr. Peter Tauber
Antje Tillmann
Dr. Hans-Peter Uhl
Volkmar Vogel ({41})
Stefanie Vogelsang
Andrea Astrid Voßhoff
Dr. Johann Wadephul
Marco Wanderwitz
Kai Wegner
Marcus Weinberg ({42})
Peter Weiß ({43})
Sabine Weiss ({44})
Ingo Wellenreuther
Karl-Georg Wellmann
Peter Wichtel
Annette Widmann-Mauz
Klaus-Peter Willsch
Elisabeth WinkelmeierBecker
Dagmar G. Wöhrl
Dr. Matthias Zimmer
Wolfgang Zöller
Willi Zylajew
FDP
Jens Ackermann
Christine AschenbergDugnus
Daniel Bahr ({45})
Florian Bernschneider
Sebastian Blumenthal
Claudia Bögel
Klaus Breil
Ernst Burgbacher
Marco Buschmann
Helga Daub
Bijan Djir-Sarai
Patrick Döring
Gerhard Drexler
Mechthild Dyckmans
Hans-Werner Ehrenberg
Rainer Erdel
Jörg van Essen
Ulrike Flach
Otto Fricke
Dr. Edmund Peter Geisen
Dr. Wolfgang Gerhardt
Hans-Michael Goldmann
Heinz Golombeck
Joachim Günther ({46})
Dr. Christel Happach-Kasan
Manuel Höferlin
Birgit Homburger
Michael Kauch
Dr. Lutz Knopek
Dr. Heinrich L. Kolb
Gudrun Kopp
Dr. h. c. Jürgen Koppelin
Holger Krestel
Patrick Kurth ({47})
Heinz Lanfermann
Sibylle Laurischk
Harald Leibrecht
Vizepräsidentin Petra Pau
Sabine LeutheusserSchnarrenberger
Lars Lindemann
Dr. Martin Lindner ({48})
Michael Link ({49})
Dr. Erwin Lotter
Oliver Luksic
Patrick Meinhardt
Gabriele Molitor
Petra Müller ({50})
Dr. Martin Neumann
({51})
Dirk Niebel
Hans-Joachim Otto
({52})
Gisela Piltz
Jörg von Polheim
Dr. Birgit Reinemund
Hagen Reinhold
Dr. Peter Röhlinger
Dr. Stefan Ruppert
Björn Sänger
Frank Schäffler
Christoph Schnurr
Jimmy Schulz
Marina Schuster
Dr. Erik Schweickert
Werner Simmling
Judith Skudelny
Joachim Spatz
Dr. Rainer Stinner
Manfred Todtenhausen
Dr. Florian Toncar
Serkan Tören
({53})
Dr. Daniel Volk
Dr. Guido Westerwelle
Dr. Claudia Winterstein
Dr. Volker Wissing
Hartfrid Wolff ({54})
Enthalten
FDP
Sebastian Körber
Burkhardt Müller-Sönksen
Ich bitte nun diejenigen, die dem Gesetzentwurf in
der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den
Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen
der Oppositionsfraktionen angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist mit den Stimmen der Unionsfraktion und der
FDP-Fraktion gegen die Stimmen der SPD-Fraktion, der
Fraktion Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen angenommen.
Tagesordnungspunkt 72. Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 17/13112 an
die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? - Das
ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Ich rufe die Zusatzpunkte 23 und 24 auf:
ZP 23 Beratung des Antrags der Abgeordneten Katja
Dörner, Ekin Deligöz, Sven-Christian Kindler,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Rechtsanspruch auf Bildung, Erziehung und
Betreuung zügig realisieren - Qualitätsoffensive in Kitas und Tagespflege in Angriff nehmen
- Drucksache 17/14135 ZP 24 Beratung des Antrags der Abgeordneten Caren
Marks, Petra Crone, Kerstin Griese, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
U3-Rechtsanspruch sichern - Qualität verbessern und auf Betreuungsgeld verzichten
- Drucksache 17/14138 Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kollegin Katja Dörner für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen!
Liebe Kollegen! In einem Monat tritt der Rechtsanspruch auf einen Kitaplatz auch für die unter Dreijährigen in Kraft. Damit kommen wir endlich familienpolitisch dem näher, was ausweislich aller Studien und
Umfragen Eltern besonders wichtig ist, nämlich Familie
und Beruf besser miteinander vereinbaren zu können.
Das ist - ohne Frage - längst überfällig. Wir werden hier
in der Debatte wahrscheinlich seitens der Koalitionsfraktionen das übliche Schwarze-Peter-Spiel erleben:
Schimpfen auf rot-grün geführte Bundesländer und Verdrehung der Tatsachen, was das Engagement der Kommunen in dieser Angelegenheit angeht.
({0})
Dieses Schwarze-Peter-Spiel nervt einfach, und es geht
insbesondere den Eltern auf den Zeiger. Eltern wollen
keine Wartelisten in den Kitas. Sie wollen keine Bewerbungsverfahren um Kitaplätze durchlaufen. Was sie wollen, sind flexible Öffnungszeiten und vor allem eine gute
Qualität in den Einrichtungen, kleine Gruppen, konstante Bezugspersonen sowie gut ausgebildete und auch
besser bezahlte Erzieherinnen und Erzieher.
({1})
Was hat die schwarz-gelbe Bundesregierung getan,
um diesen berechtigten Interessen der Eltern nachzukommen? Fakt ist: Die Bilanz der Bundesregierung beim
Kitaausbau ist mehr als mickrig. Fakt ist: Es war jahrelang bekannt, dass der Bedarf an U3-Plätzen deutlich höher sein wird, als 2007 angenommen. Damit war auch
lange klar, dass die damals getroffene Finanzierungsvereinbarung zwischen Bund, Ländern und Kommunen
nicht funktionieren kann. Und was hat Ministerin
Schröder getan? Sie hat jahrelang den Kopf in den Sand
gesteckt und in Kauf genommen, dass die Kommunen
auf den Kosten des Kitaausbaus sitzen bleiben. Sie hat
dem Finanzminister keinen einzigen müden Cent zusätzlich aus den Rippen geleiert. Das ist eine unverantwortliche Vogel-Strauß-Politik.
({2})
Als die Bundesländer in den Fiskalpaktverhandlungen zusätzlich 580 Millionen Euro für die Kitas erstritten haben, hatte Frau Schröder nichts Besseres zu tun,
als die Länder mit kleinteiligen Vorschriften zu schikanieren und die Auszahlung der Gelder zu verzögern. Das
ist eine Politik gegen die Wünsche der Eltern und gegen
die Kitas. Diese Politik muss ein Ende haben. Wir brauchen endlich eine Bundesregierung, die mit der Priorität
für den Kitaausbau Ernst macht.
({3})
Für uns Grüne ist klar, dass sich der Bund weiterhin
für die Kitas engagieren muss, auch über 2013 hinaus.
Wir brauchen ein Sofortprogramm für die Kommunen,
die zwar in den Kitaausbau investiert haben, aber einen
Bedarf an U3-Plätzen haben, der weit über den damals
als Durchschnitt angenommenen 37 Prozent liegt. Das
muss der erste Schritt sein.
Wir Grüne sind aber auch der Meinung, dass der
Bund Verantwortung für die Qualität der Angebote übernehmen muss, damit die Kitas überhaupt die Chance haben, die in sie zu Recht gesetzten hohen Erwartungen
und Ansprüche erfüllen zu können. Wir machen hierfür
ganz konkrete Vorschläge. Ich nenne nur zwei: Wir wollen im Bundesgesetz konkretisieren, dass es sich bei dem
Rechtsanspruch auf einen Kitaplatz um einen Anspruch
auf einen Ganztagsplatz handelt, und wir wollen Qualitätsstandards insbesondere zum Personalschlüssel im
Bundesgesetz festschreiben. Selbstverständlich ist der
Bund dann auch bei der Finanzierung mit in der Pflicht.
Das soll auch so sein.
Wir Grüne machen keine Wahlversprechen auf
Pump - im Gegensatz zu CDU/CSU und FDP. Wir sagen
in unserem Antrag ganz konkret, wo das Geld für den
weiteren Kitaausbau herkommen soll. Deshalb ist die
Wahl am 22. September auch eine Entscheidung darüber, wer es ernst meint mit mehr Investitionen in gute
Kitas. Ich bin mir sicher: Da kann Schwarz-Gelb nur den
Kürzeren ziehen.
Vielen Dank.
({4})
Das Wort hat die Kollegin Dorothee Bär für die
Unionsfraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Heute ist für
Frau Dörner ihr Pippi-Langstrumpf-Tag. Dieses „Ich
mach mir die Welt, wiede, wiede wie sie mir gefällt“ ist
wirklich unsäglich, Frau Kollegin.
({0})
Man hat in Ihrer letzten Rede schon gemerkt: Sie nehmen aus dem Zusammenhang herausgerissene alte Zitate, die auf einer völlig anderen Grundlage basieren.
Ganz bewusste Täuschung! Das Gleiche machen Sie
auch bei diesem Antrag.
Meine Damen und Herren, Sie haben jetzt die große
Chance, sich von mir erklären zu lassen, was die Grünen
hier wieder planen. Ich bin der Kollegin Dörner dankbar,
dass sie gesagt hat: Sie haben am 22. September die
Wahl. Angesichts ihres Täuschungsversuchs heute bin
ich sicher, dass von der Mehrheit der Bürgerinnen und
Bürger am 22. September die richtige Wahl getroffen
wird. Uns geht es nämlich nicht um ein Schwarzer-PeterSpiel. Das ist genau das Spiel, das Sie hier betreiben.
Wir haben in dieser Woche wieder etwas Bemerkenswertes erleben können: Der Deutsche Landkreistag und
die Familienministerkonferenz der Länder haben festgestellt, dass der 2007 vereinbarte Rechtsanspruch auf einen Betreuungsplatz für Kinder unter drei Jahren eingelöst werden wird und dass alle Länder davon überzeugt
sind, dass sie die Versprechen, die sie gegeben haben,
auch einhalten können. Damit wurde Ihnen, meine lieben Kolleginnen und Kollegen von der Opposition, natürlich Ihr seit Jahren genutztes Totschlagargument weggenommen. Sie haben immer versucht, zu sagen: Das
kann eh nicht eingehalten werden. Das Spannende ist,
dass sich sogar SPD-Oberbürgermeister bedanken und
sagen: Wir werden es hinbekommen. Wir danken euch,
dass ihr die Grundlagen dafür geschaffen habt. Wir versprechen, dass die Hausaufgaben in unseren Kommunen
erledigt werden. - Es ist spannend, dass die Kommunalpolitiker wesentlich weiter sind.
({1})
- Zum Beispiel der Nürnberger. Herr Maly bedankt sich
({2})
und sagt: Jawohl, wir haben es geschafft, dass wir es
auch in Nürnberg hinbekommen werden.
({3})
- Sie vertragen die Wahrheit nicht. Das ist spannend.
({4})
- Okay, der Parlamentarische Geschäftsführer Stefan
Müller stellt Ihnen den Brief zur Verfügung; dann werden wir sehen, wer am Ende recht behalten wird.
Man sieht, Ihre Forderung nach einem Rechtsanspruch auf einen Ganztagsplatz ist entlarvend. Sie versuchen erst, Zweifel zu säen, ob der bedarfsabhängige
Rechtsanspruch überhaupt erfüllt werden kann. Weil Sie
nun aber wissen, dass es klappen wird, den ab dem
1. August bestehenden Rechtsanspruch zu erfüllen, versuchen Sie jetzt, alle Eltern in diesem Land zu verunsichern. Es ist schäbig, dass Sie im Wahlkampf auf Kosten
der Eltern versuchen, Zwietracht zu säen, Unsicherheit
zu verbreiten, und damit den Eltern einfach Angst machen. Wir wollen den Eltern keine Angst machen; wir
wollen ihnen die Sicherheit geben, die wir ihnen versprochen haben. Wenn sich irgendein unbeteiligter Leser
Ihre Anträge anschaut, bekommt er den Eindruck, dass
zwar ab dem 1. August eine Betreuung da ist, sie aber
qualitativ minderwertig ist. Das ist ein ganz starkes
Stück. Sie beleidigen damit alle, die sich voller Engagement für frühkindliche Bildung, Erziehung und Betreuung engagieren.
Vor diesem Hintergrund möchte ich an dieser Stelle
ein ganz herzliches Dankeschön an unsere Erzieherinnen
und unsere Erzieher sagen. Ihr Antrag ist ein Schlag ins
Gesicht unserer Erzieherinnen und Erzieher. Deswegen
vonseiten der CDU/CSU und FDP ein ganz herzliches
Dankeschön an alle Erzieherinnen und Erzieher, die sich
jeden Tag in diesem Land für die Kleinen und Kleinsten
aufopfern!
({5})
Ich zitiere aus dem Beschlussvorschlag der Familienministerkonferenz vom 6. und 7. Juni 2013; dort heißt
es:
Die JFMK kann vor allem feststellen, dass Befürchtungen, der Platzausbau würde zu Lasten der Qualität der Kindertagesbetreuung gehen, unberechtigt
waren. Trotz der erheblichen Anstrengungen für
den Ausbau konnten die Personalausstattung und
die Gruppengrößen nicht nur gehalten, sondern in
fast allen Ländern sogar verbessert werden. In diesem Zusammenhang ist es gelungen, die Ausbildungskapazitäten zu erhöhen, Fachkräfte zu qualifizieren und zu gewinnen. Auch die räumlichen
Standards konnten durch den massiven Ausbau gehalten und in vielen Einrichtungen verbessert werden.
Wie diese Aussagen unserer Fachministerinnen und
Fachminister zu den Unkenrufen in Ihrem Antrag passen, kann jeder selber entscheiden.
Natürlich wissen wir, dass wir noch einen weiteren
Ausbau brauchen, aber einen bedarfsgerechten. Das
Gießkannenprinzip, mit dem Sie immer durch die Lande
ziehen - das hat die Kollegin Gruß vorhin zu Recht angesprochen -, verfängt nicht. Ich habe vorhin erwähnt,
dass nicht alle Eltern, alle Kinder und natürlich auch
nicht alle Bedarfe gleich sind. Sie denken ja oft, wir
müssten noch wesentlich mehr machen, auch über Bedarf. Dabei gibt es Regionen, die über Bedarf Plätze haben, Regionen, in denen noch Plätze frei sind. Wir haben
selbstverständlich andere Regionen, in denen der eine
oder andere Platz noch zusätzlich geschaffen werden
muss. Deswegen sagen wir: bedarfsgerecht und nicht
nach dem Gießkannenprinzip.
Alle Forderungen an die Bundesregierung - so viel
zum Thema Schwarzer Peter, Frau Kollegin Dörner beginnen Sie übrigens immer damit: „Wir müssen bei
den Ländern darauf hinwirken …“, „Wir müssen zusammen mit den Ländern …“, „Wir müssen die Länder dabei unterstützen …“.
({6})
Sie sind also diejenigen, die dauernd an die Länder appellieren. Wir sind dagegen diejenigen - das haben Sie
völlig vergessen zu erwähnen -, die etwas tun. Wir sind
nämlich bereits tätig geworden: Ich nenne die Etablierung der Arbeitsgruppe Fachkräftegewinnung, das Aktionsprogramm Kindertagespflege, die „Offensive Frühe
Chancen“, Lohnkostenzuschüsse für die Festanstellung
von Tagesmüttern und Tagesvätern, das Serviceprogramm „Anschwung für Frühe Chancen“, „Lernort Praxis“, „Mehr Männer in Kitas“ usw. So könnte ich noch
eine Vielzahl von Maßnahmen nennen, die wir in den
letzten Jahren geleistet haben und noch leisten werden.
Mit dieser Vielzahl an Maßnahmen schmücken Sie
sich übrigens auch und ziehen damit durch die Lande. Es
ist spannend, zu sehen, dass Sie auch in die Einrichtungen gehen und sich dafür loben lassen. Das sei Ihnen gegönnt. Dazu kann ich nur sagen: All das belegt ganz eindrucksvoll, welches Engagement der Bund an den Tag
legt. Wenn Sie Rat benötigen, wie die Länder ihr Geld
effektiv einsetzen können, kann ich Ihnen gerne helfen.
Natürlich wäre Beitragsfreiheit an sich wünschenswert, aber sie sollte erst dann eingeführt werden, wenn
Qualität und Quantität ausreichend gesichert sind.
Also: mehr Hausaufgaben machen, weniger Geschenke verteilen, die man sich nicht leisten kann.
({7})
Ich wünsche mir insgesamt: mehr Bayern, weniger Berlin. Diejenigen, die am lautesten schreien, sollten einmal
mit ihren Ministerpräsidenten reden, ob es wirklich gerecht ist - angeblich sind Sie ja immer für Gerechtigkeit -, dass die reichen Länder wie Bayern für die armen
SPD-Länder zahlen müssen.
({8})
Das Wort hat der Kollege Sönke Rix für die SPDFraktion.
({0})
Vielen Dank. - Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Liebe Kollegin Bär, wenn man sieht, dass
Sie vor einem auf der Rednerliste stehen, dann weiß
man, dass sich daraus eine Debatte entwickeln kann, um
es einmal positiv zu formulieren.
({0})
- Genau, und weil Sie so scharfzüngig sind. Dafür sind
Sie ja bekannt.
Zuerst einmal fange ich mit dem Versöhnlichen an.
Das ist die Tatsache, dass wir es gemeinsam in Zeiten
der Großen Koalition mit einer großen Kraftanstrengung
geschafft haben, den Krippenplatzausbau voranzubrin-
gen und dass es den Rechtsanspruch auf einen Platz gibt.
Das ist eine große gemeinsame Leistung a) derjenigen,
die es beschlossen haben, b) aber auch derjenigen, die es
vor Ort umsetzen müssen. Dazu gehören die Kommunen, dazu gehören die Kindertagesstätten, und dazu gehören die Erzieherinnen und Erzieher, die hier einen großen Aufwand betreiben und viele Neuerungen umsetzen
mussten. Natürlich gebührt ihnen dafür der Dank des
ganzen Hauses.
({1})
Frau Kollegin Bär, nachdem Sie aber nun sagten, die
Anträge und das, was Frau Kollegin Dörner vorgetragen
hat, seien ein großer Täuschungsversuch, möchte ich Sie
einmal daran erinnern, dass Sie in Ihrem Wahlprogramm, das Sie übrigens nicht einmal durch einen Parteitag haben beschließen lassen - wahrscheinlich weil
Sie Angst davor hatten, dass dort auch Kolleginnen und
Kollegen aus den Kommunen sind, die fragen, wie das
eigentlich bezahlt werden soll -,
({2})
Familien mit Kindern Milliarden versprechen, aber dafür
keine Gegenfinanzierung aufgezeigt haben. Das ist Heuchelei, das ist Täuschung, das ist Wählerbetrug, Frau
Bär, und nicht die hier vorliegenden Anträge.
({3})
Sie appellieren, hier kein Schwarzer-Peter-Spiel zu
spielen und uns uns lieber die Frage zu stellen: Was können wir im Deutschen Bundestag leisten, damit wir den
Rechtsanspruch umsetzen können und vor Ort genügend
Krippenplätze zur Verfügung stehen? - Doch Sie fangen
gleich wieder mit dem Schwarzer-Peter-Spiel an. Sie geben nämlich keine Antwort auf die Frage, was Sie hier
als verantwortliche Regierungskoalition machen wollen. Sie sagen zwar: Natürlich sind wir beim Krippenplatzausbau noch nicht am Ende. Wo sind aber die Antworten? Wo sind Ihre Anträge? Wo sind Ihre Vorschläge,
über die wir heute sprechen könnten? Es liegt nichts vor.
Sie meinten dann, wir würden Zwietracht säen; das
haben Sie vorhin vorgetragen. Das ist in Ihren Reden immer eine beliebte Aussage. Sie wollen uns immer unterstellen, dass wir diejenigen sind, die von staatlicher Seite
vorschreiben wollen, welch ein Familienbild in diesem
Land vorherrschen soll. Sie sagen auch, dass wir angeblich diejenigen seien, die nicht für die Wahlfreiheit sind.
({4})
Nein, genau das Gegenteil ist der Fall, liebe Kolleginnen
und Kollegen der Koalitionsfraktionen. Wir sagen: Es
muss eine Wahlfreiheit für diejenigen geben, die ihre
Kinder in Krippen und in Kindertagesstätten geben wollen. Diese Wahlfreiheit gibt es nun einmal noch nicht.
({5})
Daran arbeiten Sie auch nicht. Das ist Ihr Fehler, liebe
Kolleginnen und Kollegen.
({6})
Sind 300 Millionen Euro zusätzlich für den Ausbau
der Krippenplätze Ihre Antwort auf den um 300 000 Betreuungsplätze erhöhten Bedarf durch den Rechtsanspruch? Ist das schon das Ende? Fragen Sie einmal vor
Ort nach, wie die Situation ist. Fragen Sie einmal, ob es
tatsächlich auch bedarfsorientiert Kitaplätze gibt, ob es
tatsächlich zeitlich flexible Plätze gibt und ob es auch
qualitativ hochwertige Krippenplätze gibt.
({7})
Die gibt es vor Ort leider nicht.
({8})
Es fehlt die Qualitätsoffensive, die wir an dieser Stelle
einfordern.
({9})
Zum Schluss möchte ich zumindest ganz kurz auf das
Betreuungsgeld eingehen. Die Frage ist, ob wir das Geld
nicht vielleicht auch sinnvoller ausgeben können. 2 Milliarden Euro sind eine Menge Geld. Es fließt allerdings
nur ansatzweise in den qualitativen und quantitativen
Ausbau von Plätzen im Hinblick auf den Rechtsanspruch, den wir einhalten wollen. Würde mehr Geld von
dieser großen Summe in den Ausbau investiert werden,
würde das für wahre Wahlfreiheit sorgen. Ich appelliere
an die Menschen, die am 22. September 2013 die Wahl
und die Wahlfreiheit haben: Setzen Sie sich gegen das
Betreuungsgeld und für den Krippenplatzausbau ein!
Herzlichen Dank.
({10})
Das Wort hat die Kollegin Nicole Bracht-Bendt für
die FDP-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Für mich als
frauenpolitische Sprecherin der FDP-Fraktion hat eine
familienfreundliche Infrastruktur höchste Priorität. Auch
in der Kinderkommission ging es oft um die BetreuungsNicole Bracht-Bendt
landschaft. Ich bin übrigens froh, dass wir in der KiKo
so konstruktiv - das muss ich einmal erwähnen, weil es
hier nicht so läuft - zusammengearbeitet haben. Über
Fraktionsgrenzen hinweg haben wir das Interesse des
Kindes und des Jugendlichen in den Mittelpunkt gestellt
und am Ende immer einstimmige Beschlüsse gefasst.
Auch die heute vorliegenden Anträge der Opposition
beinhalten Punkte, denen ich zustimme. Auch wir Liberalen wollen selbstverständlich die „bestmögliche Bildung aller Kinder von Anfang an“
({0})
und eine bessere „Vereinbarkeit von Familie und Beruf“.
Als Frauenpolitikerin kann ich Ihnen nur zustimmen,
dass wir „Brüche im Lebensverlauf vor allem von
Frauen“ vermeiden müssen. Dennoch zeigen mir Ihre
Anträge, wie viel uns in der Umsetzung und in der Beurteilung der Lage trennt.
Zum Beispiel: Am 1. August kommt der Anspruch
auf einen Betreuungsplatz für Kinder ab dem ersten Lebensjahr. Mit Sicherheit wird es in manchen Regionen
zu Engpässen kommen. Der Deutsche Landkreistag hat
zugesagt, alle 295 Landkreise seien vorbereitet. Auch
die Städte und Ballungsgebiete haben Enormes auf den
Weg gebracht. Die Betreuungsquote hat sich im Vergleich zu 2006 verdoppelt. Damals waren 13,5 Prozent
der unter Dreijährigen in Betreuung. Im März 2012 dagegen waren es schon 27,6 Prozent, also fast jedes dritte
Kind. Noch nie wurden in so kurzer Zeit so viele Betreuungsplätze geschaffen. In der Kommune, aus der ich
komme, Buchholz in der Nordheide, hatten wir 2007
sechs Krippenplätze. Mittlerweile haben wir eine Quote
von mehr als 60 Prozent.
Das alles liegt vor allem an der massiven Förderung
durch den Bund. Verfassungsrechtlich sind zwar Länder
und Kommunen für die Kinderbetreuung zuständig, aber
wir als Bund haben entschieden, hier kräftig mitzuhelfen. Bis zum Jahre 2014 fließen insgesamt fast 5,4 Milliarden Euro in zusätzliche Plätze in Kitas und der Kindertagespflege. Danach werden die Länder bei den
Kitabetriebskosten jährlich mit 845 Millionen Euro unterstützt. Einige Länder haben anfangs die Investitionsmittel nur schleppend abgerufen, und es gab massive
Probleme, an verlässliche Zahlen zu kommen. Mittlerweile - auch auf unseren Druck hin - läuft es aber gut.
Auch deshalb blickt der Landkreistag relativ entspannt
auf den 1. August; anders als Sie es hier darstellen.
Aber Sie, Kolleginnen und Kollegen der Opposition,
verteufeln das Ganze, bevor es den Rechtsanspruch
überhaupt gibt. Ohne zu wissen, wie groß der Bedarf ist,
fordern die Grünen gleich den Rechtsanspruch auf einen
Ganztagsplatz. Das geht mir zu schnell. Im Übrigen wollen wir Liberale ohnehin nicht alles per Gesetz regeln,
wie bekannt ist. Jedes Gesetz bedeutet für alle Beteiligten einen bürokratischen Mehraufwand.
({1})
Noch eines: Grüne und SPD wollen mal wieder den
Bund in die finanzielle Pflicht nehmen. Sie fordern, den
stark belasteten Kommunen weitere Kosten für den Ausbau abzunehmen. Wir als Bund haben aber, wie gesagt,
bereits 5,4 Milliarden Euro investiert, und das freiwillig.
Jetzt sind die Länder gefragt, ihren klammen Kommunen beizustehen. Liebe Kollegen von der SPD, sprechen
Sie doch erst einmal mit Ihren Ländern, statt hier überzogene Forderungen zu stellen. Fragen Sie dort nach, wo
die SPD regiert. Wenn wir einen ausgeglichenen Haushalt haben wollen, können wir als Bund nicht nach Belieben nachlegen.
({2})
Genauso unseriös ist Ihr Vorschlag, die Elternbeiträge
abzuschaffen. Hier haben wir bereits eine sozialverträgliche Lösung. Alles andere schadet der Qualität der Betreuung, die gerade von Ihnen hier angesprochen wurde.
Eine hohe Qualität in der Kinderbetreuung - da sind wir
uns doch einig - wollen wir ja alle.
Es gibt aber noch einen Grund, warum ich Ihre Anträge ablehne: Vieles haben wir längst umgesetzt. Kollegin Bär hat schon einiges gesagt, aber damit es bei Ihnen
besser ankommt, werde ich es wiederholen.
Nehmen wir bei den Grünen die Imagekampagne für
die erzieherischen Berufe. Auf unseren Wunsch hin gab
es im letzten Jahr bereits eine entsprechende Kampagne
für Tagesmütter und Tagesväter.
Oder nehmen Sie unser Programm „Mehr Männer in
Kitas“. Damit stärken wir die Männer in den erzieherischen Berufen. Noch sind es erst knapp 5 Prozent; aber
der Anteil steigt stetig.
Oder nehmen wir die von den Grünen geforderte „alltagsintegrierte Sprachbildung“. Auch das hat SchwarzGelb schon längst umgesetzt mit der „Offensive Frühe
Chancen“. Wir sind die erste Koalition, die gezielt den
Spracherwerb von Kleinkindern fördert. Mit 400 Millionen Euro werden Kitas in sozialen Brennpunkten unterstützt. Konkret heißt das: Jede Einrichtung kann eine
Fachkraft zusätzlich für den Spracherwerb einstellen.
Frühe Bildung ist die beste Bildung.
Apropos: Die SPD fordert eine Fachkräfteoffensive.
Ja, wir haben noch eine Fachkräftelücke. Aber man muss
auch sehen: In den letzten sechs Jahren ist die Zahl der
Fachkräfte um ein Drittel gestiegen.
Sie sehen, wir sind auf vielen Gebieten, die Sie hier
ansprechen, schon lange aktiv.
Zwei Punkte möchte ich noch betonen. Wir Liberale
wollen nicht nur eine hochwertige, sondern auch eine
vielfältige Kinderbetreuungslandschaft, also nicht nur
staatliche, sondern auch private Betreuungsmöglichkeiten. Dazu zählen die Betriebskitas. Wenn Kind und Eltern gemeinsam zur Arbeit gehen können, lassen sich
Beruf und Familie gut vereinbaren. Deshalb habe ich
mich auch persönlich für die Verlängerung der Förderung eingesetzt. Arbeitgeber bekommen zwei Jahre lang
eine Anschubfinanzierung. Das sind bis zu 400 Euro, die
monatlich pro neu geschaffenem Ganztagsplatz zu den
Betriebskosten gezahlt werden.
({3})
Als wir in der letzten Sitzungswoche in der Kinderkommission erneut über die Betreuung sprachen, wurde
wieder deutlich, dass die Investitionen in den Ausbau
der Betreuung der Kleinsten richtig waren. Wichtig ist
aber auch eine gute Infrastruktur für die etwas Älteren.
Das heißt, die nachschulische Betreuung muss fortgesetzt werden. Denn der Bedarf an Bildung und Betreuung endet nicht mit der Kita.
({4})
Grundschüler und Jugendliche brauchen ebenfalls gezielte Angebote.
Eine familienfreundliche Infrastruktur heißt, die Eltern vom 1. bis zum 18. Lebensjahr des Kindes zu unterstützen. Daran wollen wir in der nächsten Legislaturperiode weiter arbeiten. Ich freue mich darauf. Dies
waren vier gute Jahre mit schwarz-gelber Politik.
Danke schön.
({5})
Das Wort hat die Kollegin Diana Golze für die Fraktion Die Linke.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Auch in der letzten Sitzungswoche
dieser Wahlperiode wird dank eines Antrags der Grünen
noch einmal deutlich, welch ein politisches Trauerspiel
wir in den letzten Jahren bei der Frage des Kitaausbaus
erlebt haben. Es war auch deswegen ein Trauerspiel,
weil es die Oppositionsfraktionen mit ihren Anträgen
waren, die immer wieder die Bundesregierung an ihren
Handlungsauftrag erinnern mussten.
Zugleich haben wir eine Ministerin erlebt, die sich auf
einem Sondervermögen für den Kitaausbau ausruhte,
das nachweislich falsche Bemessungsgrößen zur Grundlage hatte, sowohl was den Bedarf als auch die Ausbaukosten anging. Wir haben eine Ministerin erlebt, die die
Verantwortung für den schleppenden Ausbau der Kinderbetreuungsplätze auf andere abgewälzt hat, indem sie
Länder und Kommunen in gute und schlechte, in fleißige
und faule eingeteilt hat, und dies alles in dem Wissen,
dass es in den einzelnen Ländern und Kommunen von
Beginn an unterschiedliche Ausgangslagen gegeben hat.
Wir haben eine Ministerin erlebt, die die Erfüllung eines
vom Bund geschaffenen Rechtsanspruches davon abhängig gemacht hat, wie voll oder wie leer die Kasse der jeweiligen Kommune ist. Damit steht und fällt aber sowohl der qualitative als auch der quantitative Ausbau der
Kinderbetreuung.
({0})
Noch immer fehlt eine fundierte Bedarfsplanung.
Deshalb wird an den daraus resultierenden falschen,
nicht ausreichenden Ausbauzielen festgehalten. Wir haben Sie hier schon mehrfach darauf hingewiesen, dass es
Erhebungen gibt, die darauf hinweisen, dass weitaus
mehr als 38 Prozent der Eltern ab dem 1. August an die
Rathaustüren klopfen werden, um ihren Rechtsanspruch
durchzusetzen. Deshalb empfehle ich Ihnen, Frau Ministerin Schröder, endlich Ihren Blick auf die Realitäten zu
richten.
Ein Sondervermögen, das auf dem Reißbrett entstanden ist und an der Realität scheitert, gehört überarbeitet.
Was wir aber dank Ihrer Untätigkeit haben, sind Krisenszenarien und Debatten fernab von dem, über das eigentlich geredet werden müsste, nämlich über den bevorstehenden Fachkräftemangel, über die schwierigen
Arbeitsbedingungen in der Kindertagespflege, über die
Verstärkung des Betreuungsplatzausbaus, über Fachkräfteausbildung, über die Verbesserung des Betreuungsschlüssels.
Stattdessen werden Rufe nach „Kitaplatzsharing“ laut
- ein ganz toller Begriff -: Bring du dein Kind vormittags; ich bring mein Kind nachmittags, und alle sind
glücklich.
({1})
Was ist das für eine abstruse Vorstellung vom Betreuungsanspruch der Kinder und ihrer Eltern?
({2})
Auch von „Erzieheraustausch“ ist die Rede, nach dem
Motto: Wandere mal durch die Einrichtungen, weil es
nicht genügend Erzieherinnen und Erzieher gibt, die
man einstellen kann, bzw. sich die Kommune nicht genügend leisten kann.
Wir Linke bleiben deshalb nach wie vor bei unserer
Forderung nach einem Spitzentreffen zwischen den verantwortlichen Akteuren von Bund, Ländern und Kommunen und unter Beteiligung der wissenschaftlichen
Fachwelt. Ein solcher Krippengipfel wird auch nach
dem Inkrafttreten des Rechtsanspruchs im August dieses
Jahres notwendig sein. Dann wird es nicht mehr nur um
die Frage gehen, wie viele Plätze denn noch fehlen, sondern auch um die Frage, was getan werden muss, um den
Kommunen dabei zu helfen, die vielen Klagen abzuwehren, die sich aufgrund des Platzmangels ergeben werden.
Hier ist der Bund längst noch nicht aus seiner Pflicht
entlassen; hier gilt es, Lösungen für das Problem zu finden, um die Kommunen nicht im Regen stehen zu lassen.
({3})
Zwei Punkte aus dem Antrag der Grünen, die wir ein
Stück weit kritisieren, wenngleich wir das GrundanlieDiana Golze
gen teilen: Wir wollen, wie gesagt, nicht vom Bund aus
beurteilen, wer genügend Kraft in den Ausbau investiert
hat, ohne uns vorher die Grundvoraussetzungen vor Ort
angeschaut zu haben. Wir wollen auch keine sogenannten kreativen Zwischenlösungen, weil wir befürchten,
dass aus Provisorien schnell dauerhafte Lösungen werden. Wir müssen grundsätzlich an dieses Problem herangehen.
Meine Damen und Herren, wir bleiben dabei: Wer in
Sonntagsreden von der gesamtgesellschaftlichen Aufgabe des Ausbaus der Kindertagesbetreuung spricht, der
muss auch im Alltagsgeschäft die notwendigen Maßnahmen ergreifen. Die Bundesregierung hat in den vergangenen Jahren gezeigt, dass sie in diesen wichtigen Zukunftsfragen versagt hat. Deshalb gehört sie abgewählt.
Vielen Dank.
({4})
Das Wort hat der Kollege Marcus Weinberg für die
Unionsfraktion.
({0})
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Es stellt sich die Frage, ob wir wie Herr
Rix versöhnlich die letzten Jahre Revue passieren lassen,
oder ob wir wie Frau Golze polemisch die Ereignisse der
letzten Jahre bewerten. Sie, Frau Golze, brachten ja Begriffe wie Trauerspiel, Verschleppung und Ähnliches.
Lassen Sie uns also Bilanz ziehen und uns fragen:
Was ist wahr? Was ist unwahr? Was war Sein und was
war Schein in dieser ganzen Debatte? - Ich möchte das
aufgreifen, was Frau Dörner am Anfang gesagt hat. Es
ist tatsächlich so, dass wir am 1. August eine erste Epoche des Krippenausbaus abschließen. Wir sorgen für
mehr Quantität. Es gibt jetzt einen Rechtsanspruch. Wir
werden diese Epoche erfolgreich abschließen. In der
nächsten Epoche wird es dann um die Fragen gehen, was
noch an der Qualität verbessert werden kann, was wir im
Hinblick auf die Ausbildung von Fachkräften tun müssen und welche anderen Aufgaben auf uns zukommen.
Kollegin Bär hat ja eben die Familienministerkonferenz vom 6. bis 7. Juni angesprochen. Die Verantwortlichen aus den Ländern haben da gesagt: Die ganze Aufregung der letzten Jahre war unnötig, weil die
vorhergesagten Katastrophenszenarien nicht eingetreten
sind. Die Süddeutsche beschrieb es so: Die Krippendebatte ist ein gutes Beispiel für eine gefühlte Statistik.
Natürlich wird es am 1. August Eltern geben, die für Ihre
Kinder nicht den Krippenplatz ihrer Wahl bekommen.
Aber wenn man Bilanz zieht, dann muss man schon genauer hinschauen.
Es wurde schon darauf hingewiesen, dass der Bund
4 Milliarden Euro plus 580 Millionen Euro zum Erreichen einer Bedarfsdeckung von 39 Prozent für den Ausbau der Krippenplätze zur Verfügung gestellt hat. Damit
sorgen wir dafür, dass die Regelung zum 1. August ein
Erfolg wird. Insgesamt haben wir in den Jahren 2008 bis
2011 eine Steigerungsrate von 63 Prozent erreicht. Das
ist ein Erfolg der intensiven Bemühungen, die die Bundesregierung an den Tag gelegt hat.
({0})
Lassen Sie mich als Fußnote Folgendes anmerken,
weil es mich schon ärgert - Kollege Rix sagte ja vorhin
versöhnlich, dass wir das gemeinsam auf den Weg gebracht haben -, wenn ich sehe, dass einige Verantwortliche hier in Berlin groß auftreten und von Gerechtigkeit
sprechen und gleichzeitig der Bundesregierung den Vorwurf machen, dass sie ihren Aufgaben nicht gerecht
wird. Betrachtet man die tatsächliche Entwicklung in
den Ländern, dann kommt man zu interessanten Ergebnissen, zum Beispiel, wenn es um die Differenz zwischen Angebot und Nachfrage geht, um die Frage, wie
weit man vorangekommen ist. Erstaunlicherweise stellt
man da fest: Das erfolgreichste Land im Bereich Ausbau
der Krippenbetreuung ist Bayern, das am wenigsten erfolgreiche Land ist Mecklenburg-Vorpommern.
({1})
Das heißt, jene Ministerin, die von uns etwas einfordert,
hat im Hinblick auf ihre eigene Bilanz versagt,
({2})
während diejenigen, die sich permanent Vorwürfe anhören müssen, nämlich die Bayern, erfolgreich sind. Es
gibt also einen Riesenunterschied zwischen Sein und
Schein.
({3})
Da viele für Bildung zuständige Kollegen anwesend
sind, möchte ich auf den Bereich Bildung zu sprechen
kommen. Dabei geht nicht nur um den Ausbau der Kindertagesbetreuung. Da kommt Frau Schwesig und fordert Ganztagsbetreuung. Auch ich bin Anhänger der
Ganztagsbetreuung, viele von uns hier sind der Meinung, dass man sie ausbauen solle, und zwar qualitativ
hochwertig, das sei der richtige Weg. Dann schaue ich
mir wiederum die Situation in Mecklenburg-Vorpommern an
({4})
- Sie müssen erst zuhören, bevor Sie schimpfen - und
vergleiche sie mit der in Sachsen. In Sachsen regiert seit
1990 bekanntermaßen die CDU. Der Ausbau der Ganztagsbetreuung hat einen Wert von 96,7 Prozent erreicht.
In dem Bundesland, in dem Ihre Ministerin, die ständig
Gerechtigkeit zelebriert, zuständig ist, Herr Rix, liegt der
Wert bei 42 Prozent.
({5})
Marcus Weinberg ({6})
Ihre Ministerin, die im Kompetenzteam Ihres Kanzlerkandidaten für diesen Bereich verantwortlich ist,
({7})
sollte erst einmal darstellen, wie sie sich im eigenen
Bundesland durchsetzt - anscheinend wohl gar nicht. Insofern auch hier Versagen.
({8})
Als Hamburger verteidige ich eigentlich nicht permanent die Kollegen aus Bayern. Ich finde, man muss der
Realität ihren Lauf lassen und überprüfen, was eigentlich passiert.
({9})
- Herr Rix, dazu komme ich gleich. - Sie erheben permanent den Vorwurf, dass die Politik der CSU in Bayern
Frauen von der Erwerbstätigkeit abhalte; dabei hat Bayern die höchste Erwerbstätigkeitsquote bei Frauen. Auch
was die Quote der Väter betrifft, die Erziehungszeit in
Anspruch nehmen, ist Bayern ganz vorn. Auf diesem
Gebiet ist Bayern erfolgreich.
({10})
Herr Rix, Sie haben Hamburg angesprochen. Gerne
teile ich Ihnen mit: Die große Welle hinsichtlich der Inanspruchnahme von Kindertagesbetreuung - aber nicht
nur im Betreuungsbereich, sondern auch im Bildungsbereich - gab es zu Zeiten der CDU-Senate. Damals wurde
der Etat um über 50 Prozent erhöht.
Die Kolleginnen und Kollegen haben die Aufgaben,
die jetzt auf uns zukommen, bereits angesprochen: mehr
Männer in Kitas, Ausbau der Kindertagespflege, mehr
Fachkräfte. Die Zahl der Fachkräfte ist in den letzten
Jahren gestiegen. Wir müssen aber dafür sorgen, dass sie
in den nächsten Jahren noch stärker steigt. Es kommt in
den nächsten Jahren darauf an, dass wir die Qualität verbessern, dass wir mehr Freiheiten schaffen, aber auch
darauf, dass wir den Unternehmen deutlich machen, dass
die Frage der Kindertagesbetreuung eine Standortfrage
ist und dieser Bereich deshalb weiter ausgebaut werden
muss. Die Bundesregierung hat in den letzten Jahren viel
Geld ausgegeben und viele Programme entwickelt, gerade zur Verbesserung der Qualität.
Zum Schluss will ich auf unsere eigentliche Aufgabe
zu sprechen kommen. Wir unterbreiten Angebote hinsichtlich der Krippenplätze. Frau Ziegler, eine Kollegin
von der SPD, hat in der gestrigen Debatte zum Betreuungsgeld Folgendes gesagt: Das Betreuungsgeld werden
wir abschaffen, damit alle Kinder die gleichen Chancen
haben.
({11})
Man muss zwei Dinge feststellen, Herr Kollege Rix: Es
wird kein Krippenplatz weniger gebaut, weil es das Betreuungsgeld gibt.
({12})
- Entschuldigen Sie, Kollege Rix, ab dem 1. August
2013 gibt es einen Rechtsanspruch auf einen Betreuungsplatz. Dieser Anspruch muss erfüllt werden. Die
Frage ist nicht, ob Sie mehr oder weniger bauen wollen.
Sie müssen den Rechtsanspruch erfüllen.
Ich möchte einen zweiten Punkt ansprechen, der ganz
interessant ist. Was signalisieren Sie den Eltern, die die
Erziehung und Betreuung ihres Kindes in den ersten drei
Jahren - wir reden hier ja über Ein- bis Dreijährige - in
der Hand behalten wollen, mit einer solchen Aussage?
Sie signalisieren ihnen, dass sie ihren Kindern nicht die
gleichen Bildungschancen geben. Das ist eine Diffamierung der Arbeit der Eltern, die sagen: Wir wollen uns zu
Hause um unser Kind kümmern.
({13})
Das ist Ausdruck Ihres ideologisierten Ansatzes, der
bei Ihnen in der Debatte vorherrscht. Ihnen geht es nicht
darum, Wahlfreiheit zu schaffen. Sie sagen nicht: Wir
schaffen Angebote, aber die Eltern, die Familien sollen
je nach Situation entscheiden. Ich bin sehr dafür, auch
aus eigener Erfahrung, dass Eltern die Kindertagesbetreuung in Anspruch nehmen. Ich kann mir aber auch
vorstellen, dass Eltern sagen: Nein, die Erziehung, die
Betreuung ist uns so wichtig, dass wir uns zu Hause darum kümmern.
({14})
Deswegen ist es richtig, dass wir hier für einen Ausgleich sorgen und signalisieren: Der Staat soll sich nicht
einmischen, sondern unterstützende Angebote unterbreiten.
({15})
Ich komme zum Schluss, Frau Präsidentin. - Mein
Fazit: Noch nie wurde so viel ausgebaut wie in den letzten Jahren.
({16})
Noch nie gab es eine so gute Entwicklung in diesem Bereich. Noch nie war man so nah an den Eltern. Das war
der richtige Weg in den letzten vier Jahren. Ich freue
mich auf die nächsten vier Jahre. Dann kommt der Krippenausbau 2.0, sprich: die Steigerung der Qualität. Wir
freuen uns darauf, mit dieser Koalition den nächsten
Schritt gehen zu können.
Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
({17})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/14135
mit dem Titel „Rechtsanspruch auf Bildung, Erziehung
und Betreuung zügig realisieren - Qualitätsoffensive in
Kitas und Tagespflege in Angriff nehmen“. Wer stimmt
für diesen Antrag? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält
sich? - Der Antrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Fraktion Bündnis 90/
Die Grünen bei Enthaltung der SPD-Fraktion und der
Fraktion Die Linke abgelehnt.
Zusatzpunkt 24. Abstimmung über den Antrag der
Fraktion der SPD auf Drucksache 17/14138 mit dem Titel „U3-Rechtsanspruch sichern - Qualität verbessern
und auf Betreuungsgeld verzichten“. Wer stimmt für diesen Antrag? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält
sich? - Der Antrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der SPD-Fraktion und der
Fraktion Die Linke bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen abgelehnt.
Ich rufe die Zusatzpunkte 25 bis 27 auf:
ZP 25 - Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen CDU/CSU, SPD, FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Suche und
Auswahl eines Standortes für ein Endlager
für Wärme entwickelnde radioaktive Abfälle und zur Änderung anderer Gesetze
({0})
- Drucksache 17/13471 - Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines
Gesetzes zur Suche und Auswahl eines
Standortes für ein Endlager für Wärme entwickelnde radioaktive Abfälle und zur Änderung anderer Gesetze ({1})
- Drucksachen 17/13833, 17/13926 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({2})
- Drucksache 17/14181 Berichterstattung:Abgeordnete Dr. Maria FlachsbarthUte VogtAngelika BrunkhorstRalph LenkertSylvia Kotting-Uhl
- Bericht des Haushaltsausschusses ({3}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung
- Drucksache 17/14209 Berichterstattung:Abgeordnete Bernhard Schulte-DrüggelteUwe BeckmeyerStephan ThomaeRoland ClausSven-Christian Kindler
ZP 26 Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz
und Reaktorsicherheit ({4}) zu dem
Antrag der Abgeordneten Sylvia Kotting-Uhl,
Hans-Josef Fell, Bärbel Höhn, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Zwei Jahre Fukushima - Ohne ehrlichen
Atomausstieg keine erfolgreiche Energiewende
- Drucksachen 17/12509, 17/14179 Berichterstattung:Abgeordnete Dr. Georg NüßleinMarco BülowAngelika BrunkhorstRalph LenkertSylvia Kotting-Uhl
ZP 27 Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz
und Reaktorsicherheit ({5})
- zu dem Antrag der Abgeordneten Edelgard
Bulmahn, Dr. Matthias Miersch, Marco
Bülow, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Transparenz bei Rückstellungen im Kernenergiebereich schaffen
- zu dem Antrag der Abgeordneten Dorothée
Menzner, Eva Bulling-Schröter, Ralph
Lenkert, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE
Überführung der Rückstellungen der
AKW-Betreiber in einen öffentlich-rechtlichen Fonds
- zu dem Antrag der Abgeordneten Sylvia
Kotting-Uhl, Hans-Josef Fell, Bärbel Höhn,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Rückstellungen der Atomwirtschaft in Ökowandel-Fonds überführen - Sicherheit,
Transparenz und ökologischen Nutzen
schaffen, statt an Wettbewerbsverzerrung
und Ausfallrisiko festhalten
- Drucksachen 17/5901, 17/5480, 17/6119, 17/
14187 Berichterstattung:Abgeordnete Dr. Georg NüßleinMarco BülowMichael KauchRalph LenkertSylvia Kotting-Uhl
Zu dem Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU,
SPD, FDP und Bündnis 90/Die Grünen liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke vor.
Vizepräsidentin Petra Pau
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. - Ich
höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Bundesminister Peter Altmaier.
({6})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich gebe zu,
es war nicht geplant, aber am Ende ist es eine gute Fügung, dass wir das letzte große Gesetz dieser Wahlperiode mit einer überwältigenden Mehrheit, die vier Fraktionen umfasst, in diesem Bundestag verabschieden und
damit eine der letzten großen innenpolitischen Streitfragen der letzten 30 Jahre einer guten Lösung näherbringen. Heute ist ein guter Tag für das Parlament. Es hat
sich gezeigt, dass unsere parlamentarische Demokratie
dort, wo es notwendig ist, Kraft hat, auch Kraft zum
Konsens hat.
Auf die Frage, warum wir es denn in den letzten
30 Jahren nicht geschafft haben, ein Endlager zu bauen,
kann die Antwort nicht nur lauten, dass es sehr schwierig
ist und dass die Arbeiten dafür sehr umfangreich sind,
sondern die Antwort muss auch lauten, dass wir es nicht
geschafft haben, den Prozess so zu organisieren, dass
Misstrauen ausgeschlossen wird und dass die Bereitschaft, den anderen ernst zu nehmen und auf seine Argumente einzugehen, so gewachsen ist, wie es notwendig
gewesen wäre, um dieses Ziel zu erreichen. Wir sind
dem mit dem Gesetz, das wir heute verabschieden, einen
großen Schritt näher gekommen.
Ich habe in der ersten Lesung schon sehr vielen unter
Ihnen gedankt, eigentlich reihum und über alle Fraktionen verteilt. Ich will heute nur noch einmal sagen: Das,
was zwischen der ersten Lesung und der zweiten und
dritten Lesung vereinbart und verändert worden ist, ist
ein Beispiel für unsere politische Kultur. Alle haben
mitgemacht: die umweltpolitischen Sprecher, die Fraktionsvorsitzenden und die stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden. Aber es waren insbesondere die Berichterstatterinnen, die sich zusammengesetzt und ihren
Führungsleuten immer wieder gesagt haben, dass wir zusammenkommen müssen. Deshalb möchte ich mich
auch bei Sylvia Kotting-Uhl, bei Angelika Brunkhorst,
bei Ute Vogt und bei Maria Flachsbarth ganz herzlich für
ihre Arbeit bedanken.
({0})
Ich möchte mich ganz herzlich bei meiner Staatssekretärin Ulla Heinen-Esser bedanken; sie kann gerade
aus unaufschiebbaren Gründen nicht hier sein. Dieses
Gesetzesvorhaben war ihre letzte große Aufgabe, die sie
als Parlamentarische Staatssekretärin im Bundesumweltministerium übernommen hat. Sowohl beim Asse-Gesetz wie auch bei diesem Gesetz hat sie mit dazu beigetragen, dass gegenseitiges Vertrauen aufgebaut werden
konnte und so die Zusammenarbeit möglich geworden
ist. Sie scheidet aus dem Bundestag aus. Sie hat in meinem Ministerium und, ich denke, auch weit darüber hinaus eine exzellente Arbeit geleistet.
({1})
Wir haben in den letzten vier Wochen viel erreicht.
Das Gesetz, das an und für sich schon nicht schlecht war,
ist noch einmal ein Stück weit besser geworden, weil wir
die Kraft gefunden haben, auf den jeweils anderen zuzugehen. Wir haben das alte Struck’sche Gesetz, dass kein
Gesetz den Bundestag so verlässt, wie es hineinkommt,
bestätigt. Das, was wir geändert haben, ist ein Schritt in
die richtige Richtung.
Wir haben dafür gesorgt, dass die Ergebnisse des Bürgerforums aufgegriffen worden sind. Viele Verbände
hatten darauf hingewiesen, das Bürgerforum sei aus ihrer Sicht nicht glaubwürdig, alles stehe fest, alles sei geregelt. Nach dem Bürgerforum haben wir den individuellen Rechtsschutz in diesem Gesetz noch einmal
deutlich ausgeweitet. Wir haben die Rolle der Wissenschaft in der gemeinsamen Kommission noch einmal gestärkt. Das, was dort mit den Kolleginnen und Kollegen
aus dem Deutschen Bundestag diskutiert worden ist, hat
seinen Eingang in dieses Gesetz gefunden.
Wir haben uns beim Verfahren der Standortauswahl
auf ein Umlagefinanzierungsmodell verständigt. Auch
das ist ein wichtiges Signal, das über die Verabschiedung
des Gesetzes hinaus Klarheit schafft. Das neue Bundesamt wird erst im Jahre 2014 eingerichtet. Wir werden bis
zum Ende dieses Jahres eine Lösung erarbeiten, wo die
26 Castoren zwischengelagert werden, die nicht am
Standort Gorleben zwischengelagert werden, damit auch
dort Vertrauen entsteht. Wir haben es mit einem schwierigen Umfeld zu tun. Was Brunsbüttel angeht - hier ist
die grundsätzliche Bereitschaft der Landesregierung und
des Landesparlamentes vorhanden -, gibt es seit zwei
Wochen ein Gerichtsurteil, das wir im Hinblick auf seine
Auswirkungen genau prüfen werden und das wir ernst
nehmen. Aber nach den letzten Wochen habe ich keinen
Zweifel, dass es uns gelingen wird, bis Ende des Jahres
drei Standorte zu identifizieren, an denen wir die wenigen noch verbleibenden Castoren sicher verwahren können. Wir sind auch dem Wunsch Schleswig-Holsteins
nachgekommen, in den Gesetzentwurf den Passus aufzunehmen, dass die Zwischenlagergenehmigungen nicht
ohne Bundestags- bzw. Parlamentsbeteiligung verlängert
werden können.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir haben
eine Lösung gefunden, wie die Abgeordneten des Deutschen Bundestages so mit Wissenschaftlern und Zivilgesellschaft zusammenarbeiten können, dass am Ende ein
Bericht zustande kommt, der die eigentliche Endlagersuche voranbringt und begleiten kann.
Jetzt haben wir - daran weiterzuarbeiten, ist die Aufgabe der nächsten Jahre, nicht der nächsten Monate einen klaren und verlässlichen Rahmen, der sicherstellt,
dass sachliche Argumente entscheiden, dass wir das
beste Endlager suchen und nicht eines, das aus politischen Gründen favorisiert wird, der sicherstellt, dass wir
alle wesentlichen Entscheidungen mit einer breiten
Mehrheit, in einem breiten Konsens im Deutschen Bundestag und im Bundesrat politisch treffen und sie nicht
hinter verschlossenen Türen vorbereiten und fällen.
Wenn wir diesen Gesetzentwurf heute verabschieden,
dann geben wir ein starkes Signal der Handlungsfähigkeit des Deutschen Bundestages und zeigen unsere Entschlossenheit, mit den Hinterlassenschaften des Atomzeitalters in Deutschland sicher und verantwortlich
umzugehen.
Zu Beginn der Endlagersuche gab es viele Demonstrationen und viele Proteste und Kampagnen im Internet. Heute habe ich vor dem Deutschen Bundestag keine
Demonstrationen und im Internet keine Kampagnen gesehen. Das zeigt, dass die Gemeinsamkeit, die wir seit
einigen Wochen an den Tag legen, inzwischen auch von
der Zivilgesellschaft anerkannt wird. Das ist die wichtigste Voraussetzung dafür, dass es gelingen kann, in
Deutschland ein sicheres Endlager zu bauen. In diesem
Sinne möchte ich Sie alle ganz herzlich bitten, dieses
Gesetz mit Ihrer Stimme in Kraft zu setzen.
({2})
Das Wort hat der Kollege Dr. Matthias Miersch für
die SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Heute ist ein Tag, zuversichtlich zu sein, aber kein Tag,
euphorisch zu sein. Warum Zuversicht? Wenn man diese
Wahlperiode Revue passieren lässt und die Reden, die
hier noch vor zweieinhalb, drei Jahren gehalten wurden,
als es beispielsweise um unsere Forderung nach Weitergeltung des Moratoriums ging, mit den Reden von heute
vergleicht, dann merkt man: Dieses Parlament ist bei einer entscheidenden Zukunftsfrage übereingekommen,
und das ist gut so.
({0})
Aber es gibt weiter Grund zum Misstrauen, Herr Bundesumweltminister; ich finde, in einer solchen Debatte
darf und muss man das erwähnen. Es ist mehr als bedauerlich, dass das, was Sie in der ersten Lesung kundgetan
haben, nicht eingetreten ist: Es gibt kein schwarz regiertes Land, das sich bereit erklärt hat, Ihnen und uns bei
der Suche nach einer Zwischenlagerlösung behilflich zu
sein. Das ist ein schlechtes Zeichen, liebe Kolleginnen
und Kollegen.
({1})
Ich glaube, man muss auch zur Kenntnis nehmen,
dass die Unterschiede hinter den Kulissen noch sehr
groß sind. Ein Zeichen dafür ist, dass es uns nicht gelungen ist, eine gemeinsame Empfehlung des GorlebenUntersuchungsausschusses vorzulegen. Da hätten wir
uns ein gemeinsames Zeichen gewünscht. So ist es ein
Zeichen des Vorbehalts. Ich habe noch sehr genau in den
Ohren, wie unsere Kanzlerin vor wenigen Monaten im
Untersuchungsausschuss gesagt hat, sie könne eigentlich
bis heute nicht verstehen, warum Gorleben nicht zu
Ende erkundet wird. - All diese Punkte belasten dieses
Verfahren.
Dennoch enthält dieser Gesetzentwurf auch vertrauensbildende Signale und vertrauensbildende Maßnahmen. Entscheidend ist das, was nach der NiedersachsenWahl gerade von der dortigen rot-grünen Landesregierung und von Ministerpräsident Stephan Weil in den Gesetzgebungsprozess eingebracht worden ist.
Es ist wichtig, dass wir heute gesetzlich festlegen,
dass es zukünftig keine Zwischenlagerung in Gorleben
mehr gibt. Das ist ein ganz wichtiges Signal, liebe Kolleginnen und Kollegen.
({2})
Es ist wichtig, dass dieser Diskurs erstmalig in die
Zivilgesellschaft und in die Wissenschaft getragen wird
und dass wir diesen Diskurs über eine Bund-LänderKommission an dieses Parlament andocken. Als
Rebecca Harms - die Fraktionsvorsitzende der Grünen
im Europäischen Parlament - und ich diesen Vorschlag
machten, wurden wir teilweise belächelt, nach dem
Motto: Wer nicht weiterweiß, der gründet einen Arbeitskreis. Ich glaube aber, dass man in dieser großen Frage
nur dann zu einer Lösung kommen kann, wenn man
transparent und unter Beteiligung der Öffentlichkeit alles auf den Tisch legt und alles bewertet. Wir werden
diese große Frage nur mit einem größtmöglichen
Diskurs lösen können, liebe Kolleginnen und Kollegen.
Dafür ist die Kommission ganz wichtig.
Es gibt nach wie vor Leute - auch Verbände -, die
diesem Prozess kritisch gegenüberstehen. Ich sage hier
und heute - ich richte das an alle -: Beteiligt euch an
diesem Verfahren, das in den nächsten zwei Jahren beginnen soll! Beteiligt euch an diesem Diskurs! Nehmt
die Möglichkeiten, euch einzubringen, wahr! Wir sind
auf euch angewiesen.
({3})
Diese Debatte heute wird von einem Team von
ZDFneo begleitet. Vorgestern habe ich dazu ein Gespräch geführt. In diesem Gespräch wurde vorgeschlagen, dass sich das Parlament kontinuierlich mit den
großen Menschheitsfragen beschäftigt, nach dem Motto
„Save the world“. Wir haben darüber diskutiert, ob es
möglich ist, die großen Nachhaltigkeitsfragen in der Demokratie zu lösen. Wir gehen heute ein paar Schritte
- nicht mehr, aber auch nicht weniger - auf dem Weg zur
Lösung einer zentralen, ganz schwierigen Frage. Das ist,
auch wenn noch ein langer Weg vor uns liegt, ein positives Signal in einem Streit, der die letzten Jahrzehnte
nicht zu lösen gewesen ist. Ich freue mich, auch in
Zukunft mit allen an der Lösung dieser großen Aufgabe
zusammenarbeiten zu können.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({4})
Die Kollegin Angelika Brunkhorst hat nun für die
FDP-Fraktion das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es ist
ein Erfolg, dass wir heute fraktionsübergreifend dieses
Standortauswahlgesetz einbringen und es beschließen
werden.
Ich bedanke mich bei meinen Berichterstatterkolleginnen. Ich bedanke mich ganz besonders bei der Parlamentarischen Staatssekretärin Ursula Heinen-Esser und
darüber hinaus bei den engagierten Mitarbeiterinnen und
Mitarbeitern des BMU für die geleistete Arbeit.
({0})
Dieser Konsens wurde möglich, weil sowohl die Koalitionsfraktionen als auch die Oppositionsfraktionen
festen Willens waren, ein Gesetz auf den Weg zu bringen, das so ausgestaltet ist, dass - das ist in diesem Fall
wichtig - es Legislaturperioden überdauern kann. Auch
die Bundesländer wollten letztendlich den Erfolg dieses
Standortauswahlgesetzes. In den schwierigen Verhandlungen hat sich gezeigt, dass Bundesumweltminister
Altmaier die hohen Verhandlungshürden, die es teilweise gab, auf ein lösbares Maß senken konnte. Auch
die Länder haben sich dort bewegt. Auch dafür möchte
ich an dieser Stelle danken.
({1})
Alle gesellschaftlichen Gruppen sollen in den Standortauswahlprozess eingebunden werden, damit am Ende
ein echter, belastbarer Konsens steht. Darum wird dem
eigentlichen Standortauswahlverfahren eine BundLänder-Kommission vorgeschaltet. Aufgabe dieser
Kommission ist die Vorbereitung des eigentlichen Standortauswahlverfahrens. Sie soll wissenschaftliche Entscheidungsgrundlagen erarbeiten.
Da wir auf den wissenschaftsbasierten Ansatz Wert
legen, soll in diese Kommission eine große Zahl Experten aus der Wissenschaft entsandt werden, insgesamt
acht Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen. Hinzu
kommen acht Mitglieder aus vier gesellschaftlich relevanten Gruppen: aus Unternehmen, aus Naturschutzverbänden, aus Religionsgemeinschaften, aus Gewerkschaften. Es gab bereits Kritik und Nachfragen, ob all diese
Gruppen wirklich in der Kommission vertreten sein
müssen. Ich sage: Ja, all diese Gruppen müssen mitwirken, weil nur so ein breiter, von der Zivilgesellschaft getragener Diskurs stattfinden kann und diese auch als
Multiplikatoren dienen sollen. Ich denke, wir haben in
dem Gespräch mit den Ministerpräsidenten sowie den
Vertretern der Parteien und Fraktionen am 9. April dieses Jahres klargemacht, dass wir natürlich nur fachlich
kundige Mitglieder in diese Kommission schicken wollen. Alle diese 16 Mitglieder dieser Kommission, die ich
gerade genannt habe, werden stimmberechtigt sein.
Hinzu kommt die Seite der Politik: jeweils acht demokratisch legitimierte Vertreter aus dem Bundestag und
aus dem Bundesrat. Diese werden nur eine beratende
Funktion, aber kein Stimmrecht haben. Wir werden damit die Bedenken ausräumen können, dass die Politik in
dieser Diskussion ein zu starkes Gewicht hat und dass
wir unter Umständen parteipolitisch hineinwirken wollen. Diese Gefahr - in Anführungsstrichen - besteht dadurch nicht.
Auf der anderen Seite sind wir als entsandte Politiker
dann faktisch auch nicht gebunden und können hinterher, wenn der Prozess zu Ende ist, im Bundestag und im
Bundesrat frei entscheiden.
Die bzw. der Vorsitzende der Kommission sollte eine
anerkannte, unabhängige Persönlichkeit sein, die sich in
diesem Themenbereich bereits profiliert hat. Das ist unser Wunsch.
({2})
- Vielleicht auch eine Frau, Frau Vogt.
Selbstverständlich muss die Kommission nicht bei
null anfangen. Zu Beginn wird es auch darum gehen, die
wissenschaftlichen Erkenntnisse aus der deutschen Endlagerforschung zu analysieren. Ich denke, wir sollten uns
auch auf die Expertise unserer Ressortforschungseinrichtungen verlassen.
Die heute relevanten Fragen müssen klar und prägnant formuliert werden, und vor allem müssen die wissenschaftlichen Streitfragen klar benannt werden. Der
Diskussionsprozess soll offen und ohne ideologische
Voreinstellungen geführt werden.
Die Öffentlichkeit wird intensiv in den Auswahlprozess eingebunden: Sie wird zur Erarbeitung der Entscheidungsgrundlagen gehört werden, sie wird im Hinblick auf die Auswahl von Standortregionen gehört
werden, und sie wird zu den Vorschlägen für die standortbezogenen Erkundungsprogramme gehört werden.
Dies gilt schließlich auch für den endgültigen Standortvorschlag.
Hinzu kommt, dass vor Beginn der untertägigen Erkundung eine verwaltungsgerichtliche Überprüfung
möglich ist, ob die Auswahl der zu erkundenden Standorte nach den Anforderungen und Kriterien dieses Gesetzentwurfes erfolgt ist. Auch den Gemeinden, in deren
Gemeindegebiet ein zur untertägigen Erkundung vorgeschlagener Standort liegt, und deren Einwohnerinnen
und Einwohnern räumt man hiermit das Klagerecht ein.
Es ist von Minister Altmaier vorhin schon gesagt
worden, dass die Finanzierung des neuen Standortauswahlverfahrens nicht über eine Ergänzung des Beitragsrechts erfolgen soll. Dafür haben sich insbesondere die
Grünen eingesetzt. Sie haben sich damit durchgesetzt,
dass die Kosten des neuen Standortauswahlverfahrens
durch die Umstellung auf ein Umlagesystem finanziert
werden. Auch das war ein Kompromiss, den wir hier
eingegangen sind.
({3})
So ist das eben: Kompromisse waren an allen Ecken und
Enden immer wieder notwendig.
Ich muss aber dazu sagen, dass das jetzige Beitragsrecht für das Endlagerprojekt Schacht Konrad und letztendlich auch für die Errichtung des zukünftigen Endlagers natürlich weiter gilt. Auch das Verursacherprinzip
gilt weiterhin.
Die Koalition ist große Schritte auf die Opposition
zugegangen. Das betrifft zum Beispiel auch die Errichtung des Bundesamtes für Entsorgung erst im Jahre
2014. Die Errichtung des BfE ist aufgrund der EU-Entsorgungsrichtlinie erforderlich. Bei der Endlagersuche
muss organisatorisch eine saubere Trennung von Betreiber und Kontrolleur gewährleistet sein. Es müssen verschiedene Ämter sein.
Bei den Verhandlungen über den Gesetzentwurf gab
es ein Nehmen und Geben von allen Beteiligten. Das ist
das Wesen eines Kompromisses. Ich denke, es ist uns gelungen, viele unterschiedliche Interessen und Wünsche
in diesen Konsens einzuarbeiten, und ich gehe davon
aus, dass auch der Bundesrat am 5. Juli 2013 seine Zustimmung dazu geben wird.
Ich möchte noch ein paar persönliche Gedanken weiterführen: Ich habe die Bitte, dass man die Sommerpause
dazu nutzt, sich bereits über eine mögliche Besetzung
klar zu werden. Es wäre einfach optimal, wenn es gelänge, die Einsetzung dieser Kommission in der Sitzungswoche Anfang September 2013 im Bundestag,
also noch in dieser Legislaturperiode, zu beschließen.
Selbst der Bundesrat könnte am 20. September 2013
seine Zustimmung geben. Ich weiß, dass wir alle im
Wahlkampf viel zu tun haben; aber vielleicht kann man
das Nötige organisieren. Mit festem Willen könnte man
auch das noch schaffen. Wenn uns das wirklich gelingt,
dann sind wir in der Bewältigung der Endlagerthematik
wirklich ein Stück vorangekommen.
Ich danke für die Aufmerksamkeit.
({4})
Für die Fraktion Die Linke hat nun die Kollegin
Dorothée Menzner das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen!
Sehr geehrte Damen und Herren! Nach 35 Jahren fehlgeleiteter Endlagersuche ist es durchaus löblich, nun zu
versuchen, mit einem vergleichenden Verfahren einen
gesellschaftlichen Konsens zu finden. Es verdient Anerkennung, dass die Berichterstatterinnen mit ihrer Initiative dieses Thema einer parlamentarischen Beratung zugeführt haben. Ab diesem Zeitpunkt war auch die Linke
mit einbezogen, und das Thema Endlagerung wurde aus
den Hinterzimmern und männlichen Kungelrunden
zurück ins Parlament geholt. Es ist kein Thema für
Küchentische.
An dieser Stelle möchte ich Frau Flachsbarth und
auch Frau Heinen-Esser für ihr Engagement sehr
danken. Es verdient Anerkennung; denn sie taten das,
obwohl großen Teilen der Koalition bis heute die Einsicht fehlt, dass in der Vergangenheit einiges grundlegend falsch gelaufen ist,
({0})
wie wir zum Beispiel im Untersuchungsausschuss Gorleben immer wieder erlebt haben. Von daher meinen
Dank an die Berichterstatterinnen sowie an die Staatssekretärin für die streitbare, oft auch kontroverse, aber immer faire Zusammenarbeit.
({1})
Dennoch, die Linke sagt Nein zu diesem Endlagersuchgesetz. Ich möchte das mit fünf Punkten kurz begründen - es gäbe mehr Punkte, aber dafür fehlt leider
die Zeit -:
Erstens. Leider kein gesellschaftlicher Konsens ist,
was hier heute verabschiedet wird. Wir haben hier heute
maximal einen Konsens von vier Fraktionen. Aber wesentliche Teile der Antiatombewegung tragen ihn nicht
mit. Herr Altmaier, „ausgestrahlt“ stand heute durchaus
vor dem Reichstag und hat demonstriert.
Eine wirkliche Meinungsbildung, eine wirklich breite
gesellschaftliche Debatte, ein Abwägen von Alternativen und die Bestimmung von Verfahrensschritten sind
nicht erfolgt und konnten bei einem solchen Hauruckverfahren auch gar nicht erfolgen. Große Konfliktfelder,
wie etwa die Frage „Wohin mit den 26 Castoren?“, wurden ausgeklammert, genauso wie die Zwischenlagerfrage. Ausgeklammert wurde auch die Frage „Wohin mit
schwach- und mittelradioaktivem Atommüll?“. Zum
Beispiel ist das Endlager in meinem Wahlkreis, Schacht
Konrad, in die Überlegungen überhaupt nicht mit einbezogen worden. Das ist ein großes Manko.
({2})
Auf wie tönernen Füßen die Zwischenlagerfrage
steht, wissen wir spätestens seit letzter Woche, seit dem
Brunsbüttel-Urteil. Von daher wird sich dieser Konsens
an seiner Haltbarkeit messen lassen müssen.
Zweitens. Es erfolgt nur ein begrenztes Lernen aus
der Vergangenheit. Eine bindende breite Beteiligung der
Bürger findet nicht statt. Die parlamentarische Aufarbeitung etwa der Ergebnisse des Untersuchungsausschusses
Gorleben wurde nicht abgewartet und mit einbezogen.
Auch ein wissenschaftliches Aufarbeiten der Fehler in
Bezug auf Gorleben und Asse - ich erinnere an das, was
da in den letzten Jahren offenbar wurde - findet kaum
statt. Nein, vielmehr werden in Teilen heute wieder die
gleichen Wissenschaftler und Sachverständigen bemüht,
die uns das Desaster in der Asse und auch in Gorleben
eingebrockt haben.
Drittens: die Kommission. Wir Linke begrüßen ausdrücklich die Einsetzung einer unabhängigen Kommis32530
sion zur Lösung der Endlagerfrage. Allerdings wäre eine
solche Kommission im Vorfeld einer Gesetzesverabschiedung notwendig gewesen und nicht, um ein Gesetz
zu evaluieren. Wissenschaftlicher Sachverstand, auch
aus dem gesellschaftswissenschaftlichen und philosophischen Bereich, um Empfehlungen auszuarbeiten, ist
zwar dringend notwendig, aber nicht erst, wenn es um
die Evaluierung eines bereits sehr detaillierten Gesetzes
geht. An dieser Stelle sind wir sehr skeptisch, ob die
Kommission das unter diesen Voraussetzungen in zwei
Jahren leisten kann oder ob sich die Befürchtungen bewahrheiten, die da lauten: Diese Kommission ist nur
eine Alibiveranstaltung.
({3})
Viertens: Bundesamt für kerntechnische Entsorgung.
Dieses Amt birgt aus unserer Sicht mehrere Gefahren:
Erstens. Wie in der Vergangenheit bestimmen die Interessen von Politik das Handeln, und somit hat nicht
höchstmögliche Sicherheit die durchgängig oberste Priorität.
Zweitens. Wir haben gelernt, dass solche Behörden
gerade auch mittels Personalentscheidungen fragwürdige Wege einschlagen können. Ich erinnere nur an das
Bundesamt für Strahlenforschung und seine Positionierung in den Jahren 1997/98 in der Gorleben-Frage.
Drittens. Es wird sich zeigen müssen, ob alle Bundesländer den Konsens auch noch mittragen, wenn sie feststellen, dass sie als akut Betroffene an dieses Bundesamt
Länderkompetenzen abgetreten haben.
Als letzten Kritikpunkt möchte ich Gorleben anführen. Die schwarze und die gelbe Fraktion haben jahrzehntelang gesagt, eine alternative Standortsuche sei
nicht machbar, weil kein Standort mit Gorleben mithalten könne; denn dort gebe es einen uneinholbaren Wissensvorsprung. Noch vor einem Dreivierteljahr hat die
Bundeskanzlerin, Frau Merkel, im Gorleben-Untersuchungsausschuss ausgeführt - ich zitiere -:
Also, ich sage noch mal: Dass die
- gemeint sind Gorleben und andere mögliche Standorte nicht vergleichbar sind, bezieht sich auf die Tiefe
der Erkundung und die Tiefe der Kenntnis.
Nun sagen Sie, die Erkundungsergebnisse von Gorleben
sollen bei der Standortauswahl genutzt werden, aber keinesfalls präjudizierend wirken. Ich frage Sie: Wie soll
das gehen? Sie haben uns doch immer erzählt, das gehe
nicht. Was hat Ihren Meinungswandel bewirkt? Oder ist
das vielleicht doch nur vorgeschoben?
Die Linke sagt: Gorleben muss heraus aus dem Verfahren. Ein juristisches Gutachten im Auftrag von
Greenpeace, das uns allen vorliegt, sagt auch, wie das juristisch sicher ginge. Gorleben ist geologisch ungeeignet. Das wissen wir seit rund 20 Jahren. Der Wissensvorsprung zu Gorleben und die Fülle der Erkundungsdaten
sind so groß, dass die Gefahr einer Vorfestlegung einfach riesig ist. Es besteht die Gefahr, alleine aus Kostengründen weiter auf diesem Standort zu beharren.
Kollegin Menzner, ich weiß, es gibt noch viel zu sagen. Versuchen Sie bitte trotzdem, es auf den Punkt zu
bringen.
Ein letzter Satz noch. - Ich sage Ihnen: Ohne dass
Gorleben aus dem Verfahren genommen wird, werden
wir nicht das Vertrauen in großen Teilen der Bevölkerung schaffen, das wir brauchen, um dieses Problem einer Lösung zuzuführen. Ein Zweites: Solange wir weiter
Müll produzieren und nicht wissen, wo wir ihn lagern
sollen, werden wir das Problem nicht dauerhaft lösen.
Ich danke Ihnen.
({0})
Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat die Kollegin Sylvia Kotting-Uhl das Wort.
Verehrte Frau Präsidentin! Verehrter Herr Minister
Altmaier! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Begonnen
hat diese Legislatur mit den Laufzeitverlängerungen und
mit der Einsetzung des Untersuchungsausschusses Gorleben. Jetzt, am Ende der Legislatur, haben wir einen
fraktionsübergreifenden Konsens zum Atomausstieg,
wir haben die Lex Asse, die die Rückholung der Abfälle
als Ziel festgeschrieben hat, und wir beschließen heute
ein Gesetz zu einer vergleichenden, ergebnisoffenen
Endlagersuche. Wer hätte das gedacht?
({0})
Vom Beginn - der Koalitionsvertrag in Baden-Württemberg, in den wir die Bereitschaft zur Standortsuche
auch in Baden-Württemberg geschrieben haben, steht
am Anfang - bis heute hat es zwei Jahre gedauert. Das
war also nicht wirklich ein Hauruckverfahren, liebe
Dorothée Menzner. Dazwischen gab es viele Etappen,
bei denen das Gesetz wieder auf der Kippe stand. Aber
immer wieder ging es weiter, immer wieder gab es gute
neue Initiativen. Nach der Bildung der neuen niedersächsischen Landesregierung kam die Kommission
dazu, und Schleswig-Holstein hat dann Bewegung in die
Frage, wohin man die Castoren bringen solle, gebracht.
Diese Frage ist allerdings jetzt etwas verschoben; denn
wir wollen erst zu Beginn des nächsten Jahres die drei
Länder benennen, in die die Castoren kommen sollen.
Ich vermute, dass auch der Bundesumweltminister wie
wir auf einen Regierungswechsel in Hessen hofft, um
das Problem zu lösen.
({1})
Wir sind uns auch ansonsten oft einig, Herr Altmaier.
Wir haben dieses Gesetz in einem breiten Konsens
beschlossen. Alle Bundesländer und vier Fraktionen hier
im Deutschen Bundestag waren dabei. Aber selbstverständlich ist ein Konsens kein Freifahrtschein. Nicht alles ist geregelt. Viele mussten Zugeständnisse machen,
und es werden noch viele Hürden zu überwinden sein,
bis dieses Gesetz tatsächlich wirken kann und es irgendwann einmal vollzogen ist.
Eine Fraktion fehlt bei diesem Konsens. Ich glaube
- diese Kritik möchte ich schon anbringen -, wenn in gewissen Teilen der Führung der Unionsfraktion nicht immer so ein Widerstand dagegen bestünde, die Linke in
das Rubrum aufzunehmen, hätten wir sie sowohl bei der
Entscheidung zur Asse als auch in diesem Falle mit dabeigehabt und hätten einen ganz breiten Konsens im
Bundestag herstellen können.
Bei allem Verständnis muss ich aber sagen: Das, was
Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Linken,
heute mit Ihrem Antrag vorgelegt haben, ist so weit jenseits aller Realität und verkennt alles, was in den letzten
Monaten passiert ist, dass ich nicht verstehe, wie man
hier zu einer solchen Aussage kommen kann.
({2})
Es geht nicht um irgendwelche Alibiveranstaltungen.
Es geht darum, neue Formen von Bürgerbeteiligung und
Partizipation zu entwickeln.
({3})
Dabei stehen wir am Anfang, weil wir das bisher nicht
gemacht haben. Wir stolpern sozusagen los, aber es gibt
einen breiten Willen, das zu tun.
Wir haben das Forum durchgeführt, und dieses Forum
hat seine Auswirkungen gehabt. Das hat nichts mit einem Alibi zu tun.
Nicht nur wir, die Verantwortlichen im Bundestag,
müssen lernen, wie neue Bürgerbeteiligung aussehen
muss, sondern auch die Gesellschaft muss das offensichtlich lernen. Denn man kann Partizipation nur anbieten; man kann sie nicht verordnen. Ob sie angenommen
wird oder nicht, entscheiden diejenigen, denen sie angeboten wird. Das können nicht wir entscheiden.
({4})
Was Gorleben angeht, ist die große Botschaft des
Endlagersuchgesetzes bzw. Standortauswahlgesetzes:
Die 30 Jahre dauernde verheerende Fixierung auf einen
umstrittenen Standort und ein falsches Verfahren ist zu
Ende. Das ist die wunderbare Botschaft dieses Gesetzentwurfs.
Aber selbstverständlich wird Gorleben nie ein Standort wie jeder andere sein können. Darüber brauchen wir
uns nichts vorzumachen, und ich glaube, das tut auch
niemand hier. Selbstverständlich ist der Erkenntnisvorsprung bei Gorleben eine Belastung. Wir müssen uns bemühen, und das tun wir mit dem Gesetzentwurf, diese
Nachteile so gering wie möglich zu halten und Gorleben
so weit wie möglich zu einem Standort wie jeden anderen zu machen.
Deswegen haben wir auch die letzten Änderungsanträge eingebracht. Deswegen wird die vorläufige Sicherheitsanalyse nicht ausgewertet, und die Daten werden
nicht gesichert. Alle Aussagen dazu im Gesetzentwurf
sind gestrichen. Deswegen kommen keine Castortransporte mehr. Deswegen gibt es dort keinen Forschungsstandort.
Das sind alles Zugeständnisse auch von anderen Seiten, die nicht leichtgefallen sind, aber erleichtern, dass
Gorleben tatsächlich auf ein gerechtes und faires Verfahren vertrauen kann, genauso wie alle anderen Standorte,
die das tun müssen und auch wollen, dies aber nur dann
können, wenn Gorleben nicht vorab politisch ausgeschlossen wird. Nur dann können auch die anderen
Standorte auf ein faires und gerechtes Verfahren vertrauen.
({5})
Die Kommission wird in den nächsten zwei Jahren
jegliche Arbeit machen; ansonsten ruht das Gesetz. Ein
Wermutstropfen ist, dass es uns nicht gelungen ist, im
Vorfeld zu der heutigen Debatte die Einrichtung des
neuen Bundesamtes noch aufzuschieben, bis die Kommission ihre Arbeit beendet hat. Es wird im Laufe des
nächsten Jahres eingerichtet. Aber es ermöglicht immerhin, dass die Kommission eigenständig arbeiten und ihre
Arbeit auch ein gutes Stück vor der Einrichtung der Bundesbehörde aufnehmen kann.
Alles in allem ist es ein guter Gesetzentwurf. Für
mich als grüne atompolitische Sprecherin ist es das
Beste, was in dieser Legislaturperiode auf den Weg gebracht wurde. Ich möchte allen, die daran mitgearbeitet
haben - das waren nicht wenige -, von Herzen danken.
({6})
Das Wort hat die Kollegin Dr. Maria Flachsbarth für
die Unionsfraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Herr Minister, wir sind in dieser Legislaturperiode tatsächlich einen langen Weg gegangen: von totaler Konfrontation bis hin zu einem gemeinsamen Grundverständnis darüber, die real existierenden Probleme
gemeinsam lösen zu wollen. Ich erinnere mich an eine
Sitzung des Umweltausschusses mit tumultartigen Zügen, als die Laufzeitverlängerung der Kernkraftwerke
beschlossen wurde.
Ich erinnere mich an die quälend langen Sitzungen
des Gorleben-Untersuchungsausschusses, der trotz der
Vernehmung von 50 Zeugen und Sichtung von über
2 500 Akten noch nicht einmal über die gemeinsame
Faktenerhebung eine gemeinsame Position zustande ge32532
bracht hat, weil offensichtlich die Wahrnehmungen so
unterschiedlich sind, dass man ein und dieselbe Person
bzw. ein und dieselbe Akte nicht in derselben Weise verstanden hat.
Ich erinnere mich aber auch an die große, fraktionsübergreifende Mehrheit in diesem Haus, als wir nach
den schrecklichen Ereignissen in Fukushima den endgültigen Ausstieg aus der Kernenergie beschlossen haben.
Ich erinnere mich auch sehr gut an die Initiative des
damaligen Bundesministers Röttgen, des ehemaligen
Ministerpräsidenten McAllister und des Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann, die im November 2011
zum ersten Bund-Länder-Gespräch zur Entsorgung eingeladen haben. Seit dem, Frau Kollegin Kotting-Uhl
- Sie haben völlig recht -, arbeiten wir an diesem Gesetzgebungsverfahren, und nicht etwa erst seit den letzten drei Monaten.
Deshalb ist es richtig und wichtig, dass wir jetzt nicht
die tatsächlich historische Chance vertun, sondern einen
Neuanfang in der Endlagersuche wagen. Denn wir sind
uns doch einig: Die Frage der Entsorgung liegt in nationaler Verantwortung, und sie muss durch die jetzige
Generation beantwortet werden. Die Lösung dieses Problems darf nicht in die Zukunft verschoben werden. Wir
sind uns doch auch einig, dass wir zu unserer völkerrechtlichen Verpflichtung stehen, radioaktive Abfälle
aus Deutschland nach der Wiederaufarbeitung im Ausland zeitnah zurückzunehmen.
Auch das Urteil des Oberverwaltungsgerichts in
Schleswig hat uns daran erinnert, dass wir dringend ein
Endlager finden müssen; denn Zwischenlager müssen
Zwischenlager bleiben und dürfen nicht etwa verkappte
Endlager werden.
({0})
Endlich haben wir die Kraft gefunden, diese Probleme tatsächlich anzugehen und ein Standortauswahlgesetz für ein Endlager für hoch radioaktive Abfälle auf
den Weg zu bringen. Aufbauend auf den Ergebnissen des
AkEnd stehen dabei drei zentrale Aspekte im Vordergrund: zum Ersten der Vorrang der Sicherheit in wissenschaftsbasierten Verfahren, zum Zweiten das Verursacherprinzip und zum Dritten der Grundsatz eines
transparenten und fairen Verfahrens.
Unser Suchverfahren soll nun seine Legitimation
durch Entscheidungen des Bundestages beziehen. Es soll
ergebnisoffen, vergleichend und in verschiedene aufeinanderfolgende Phasen gegliedert sein. Grundlegendes
charakteristisches Element des neuen Suchverfahrens ist
dabei die umfangreiche Öffentlichkeitsbeteiligung. Das
haben wir im Rahmen der Beratungen zu diesem Gesetz
schon einmal ausprobiert, und zwar in Form eines mehrtägigen Bürgerforums Ende Mai/Anfang Juni, an dem
sich jeder und jede beteiligen konnte.
Dort haben sich Änderungswünsche herauskristallisiert, die wir in unser parlamentarisches Verfahren eingebracht haben, unter anderem für die Bund-LänderKommission, die bis Ende 2015 arbeiten und grundlegende Handlungsempfehlungen zu herausragenden Fragestellungen und Anforderungen bzw. Kriterien erarbeiten soll, die letztlich im Deutschen Bundestag beraten
werden sollen.
Bemängelt wurde, dass es in dieser Kommission eine
Dominanz der Politik gäbe. Es wurde angemahnt, dass
es viel mehr Beteiligung aus Zivilgesellschaft und Wissenschaft geben müsste. Die neue Zusammensetzung
dieser Kommission, in der die Politik jetzt nur noch eine
beratende Funktion hat, ist Ausdruck dieser Anregungen.
Übrigens sind in diesem Zusammenhang auch die Bedenken des Bundestagspräsidenten eingeflossen, der die
Freiheit der Entscheidung des Parlamentes ganz deutlich
angemahnt hatte.
Auch die Notwendigkeit der Einrichtung eines neuen
Bundesamtes für kerntechnische Entsorgung wurde vom
Forum hinterfragt. Aber wir brauchen es, um eine vernünftige Umsetzung der EU-Richtlinie zur Trennung
von Aufsicht und Betrieb von kerntechnischen Anlagen
zu gewährleisten. Wir brauchen es übrigens auch, um die
Arbeit der Kommission organisatorisch zu unterstützen.
Und wir brauchen es, um die durch das neue Verfahren
entstehenden Kosten auf die Verursacher - nämlich die
Kraftwerksbetreiber - umzulegen.
Den politischen Streit haben wir entschärft, indem wir
die Entscheidung über die Stellenbesetzung auf die Zeit
nach der Wahl verschoben haben. Ich glaube, das war
sehr, sehr klug.
Wenn wir nun an die Arbeit gehen und dieses neue
Gesetz tatsächlich realisieren und umsetzen, dann bitte
ich die Regierungen von Bund und Ländern, in diesem
Zusammenhang eine Lösung für die Weiterbeschäftigung der Bergleute aus dem Erkundungsbergwerk Gorleben nicht aus dem Auge zu verlieren.
Ich möchte mich meinerseits, liebe Kolleginnen und
Kollegen, bei allen Beteiligten bedanken. Ich bedanke
mich beim Bundestagspräsidenten, der uns mit Anregungen und Zuarbeit unterstützt hat. Ich bedanke mich sehr
herzlich bei den Mitberichterstatterinnen für die konstruktive Zusammenarbeit. Ich bedanke mich beim Bundesumweltministerium, beim Herrn Minister, aber auch
besonders bei seiner Staatssekretärin, unserer Kollegin
Ulla Heinen-Esser. Und ich bedanke mich - das mag ungewöhnlich sein, aber er hat wirklich unglaublich viel
für uns getan - bei dem Unterabteilungsleiter Peter Hart,
der uns sehr, sehr konstruktiv durch Dick und Dünn begleitet hat.
Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, machen wir
uns nun wieder auf den Weg - dieses Mal gemeinsam,
angespornt von dem ernsthaften Willen, ein Endlager für
hochradioaktive Abfälle in unserem Land zu finden.
Herzlichen Dank.
({1})
Die Kollegin Ute Vogt hat nun für die SPD-Fraktion
das Wort.
({0})
Vielen Dank. - Frau Präsidentin! Ich kann mich dem
Dank der Kollegin Flachsbarth vollumfänglich anschließen und schließe in diesen Dank ausdrücklich auch die
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Ministeriums ein.
Ich habe mich gefreut, dass der Herr Minister am Beginn seiner Rede das erste Struck’sche Gesetz zitiert hat,
das da heißt: Kein Gesetz kommt aus dem Parlament so
heraus, wie es eingebracht worden ist. Ich habe mich
deshalb besonders darüber gefreut, weil dieses Gesetz
die Stärke des Parlaments deutlich macht und zeigt, dass
die Vorschläge aus den Ministerien von den Parlamentariern nicht immer übernommen werden müssen.
Wenn wir es als Parlamentarier geschafft haben, in
diesem Prozess der Gesetzgebung viele eigene Akzente
zu setzen, statt einfach nur die Vereinbarungen zwischen
Bund und Ländern, die außerhalb des Parlaments getroffen wurden, zu übernehmen, dann ist das auch für uns
ein guter Tag, weil es zeigt, dass wir Parlamentarier,
wenn wir konstruktiv zusammenarbeiten und uns aufeinander zubewegen, unglaublich viel erreichen können
und eben nicht immer nur dem folgen müssen, was uns
die Regierungen vorgeben.
({0})
Das ist besonders erfreulich in Bezug auf das, was wir
im Vorfeld erprobt haben. Ich meine das dreitätige Bürgerforum. Viele Verbände haben vorhergesagt, dieses
Forum sei nur eine Farce. Das Forum simuliere nur Beteiligung, aber schaffe keine echte Beteiligung, so war
zu lesen. - Mich haben diese Reaktionen damals sehr
enttäuscht. Ich konnte aber aufgrund der Vorgeschichte
das Misstrauen und die Skepsis verstehen, weil sich alle
noch daran erinnern, wie es zu Gorleben gekommen ist.
Diese Geschichte rund um Gorleben ist aus unserer
Sicht nicht richtig aufgearbeitet worden. Auch den
Schlussfolgerungen der Koalitionsfraktionen im Untersuchungsausschuss konnte ich keinesfalls zustimmen.
Vielmehr waren Teile der CDU in Bezug auf die Fehler,
die im Zusammenhang mit Gorleben passiert sind, sehr
uneinsichtig. Umso höher ist es zu bewerten, dass wir
mit diesem Forum echte Bürgerbeteiligung schaffen
konnten.
Ich will Folgendes in Erinnerung rufen: Es war die
Rede davon, dass in der Kommission der Einfluss der
Mitglieder aus der Wissenschaft gegenüber denen aus
der Politik gestärkt werden sollte. Die Kommission solle
eigenständiger arbeiten können, so war zu hören. Das
Bundesamt für Strahlenschutz solle ja nicht zu früh eingerichtet werden, um keine Ergebnisse der Kommission
zu präjudizieren. Es solle verbindlich festgelegt werden,
keine Castoren mehr nach Gorleben zu transportieren.
Es wurde unter anderem auch bemängelt, es gebe einen
zu geringen Rechtsschutz und keine Festlegung, den
Export von Atommüll künftig auszuschließen.
Zu all diesen Punkten ist es gelungen, zwischen der
ersten Lesung und der heutigen zweiten und dritten
Lesung und Schlussberatung tatsächliche Änderungen in
den Entwurf des Gesetzes einzufügen. Wir haben einen
höheren Rechtsschutz erreicht. Betroffene, Anwohnerinnen und Anwohner und auch Kommunen haben inzwischen die Möglichkeit, bezüglich der unterirdischen
Erkundung tatsächlich zu klagen.
Es gibt eine verbindliche Regelung dahin gehend,
dass Castortransporte nur noch standortnah erfolgen sollen. Wenn also in einem Atomkraftwerk Müll produziert
wird, dann muss man auch die Belastungen für eine Zwischenlagerung in Kauf nehmen. Das Bundesamt soll im
Laufe des Jahres 2014 ins Leben gerufen werden. Ich bin
mir mit der Kollegin Kotting-Uhl darüber einig, dass
dies auch noch später möglich gewesen wäre. Aber es ist
zumindest ein wichtiges Zeichen, dass die Kommission,
die jetzt dem Gedanken der Bürgerbeteiligung Rechnung
tragen und auch die Kriterien für die Suche festlegen
soll, von Anfang an eigenständig arbeiten wird. Im Gesetz wird festgeschrieben, dass es eine eigene Geschäftsstelle der Kommission geben wird, die mit dem Bundesamt gerade nicht in Verbindung steht.
({1})
Wir sind in der Lage, die vielen Anregungen von Vertretern von Verbänden und Initiativen, die vielleicht
nicht alle persönlich anwesend waren, aber ihre
Wünsche über andere Personen im Forum einspeisen
konnten, aufzunehmen. Dabei haben wir uns sehr aufeinander zubewegt. Die einzige Forderung, die im Grunde
nicht aufgenommen wurde, ist, gar kein Gesetz zu erarbeiten. Natürlich wäre es auch vorstellbar gewesen, zuerst die Kommission zwei Jahre arbeiten zu lassen und
dann ein Gesetz zu erarbeiten. Das wäre jedenfalls formal möglich gewesen. Dann hätte aber das große Risiko
bestanden, dass die politisch Verantwortlichen diesem
schwierigen und unbequemen Thema erneut aus dem
Weg gehen. Wir haben stattdessen die historische
Chance ergriffen, dafür zu sorgen, dass Bund und Länder
an einem Strang ziehen. Möglicherweise wäre das in einigen Monaten gar nicht mehr der Fall.
Die schwierige Aufgabe kommt auf uns erst noch zu.
Rufen wir uns die Vergangenheit in Erinnerung. Im September 1979 haben die Regierungschefs von Bund und
Ländern beschlossen, wie mit den Abfällen aus Atomkraftwerken umgegangen werden soll. Sie haben damals
vorausgesagt, dass bis Mitte der 80er-Jahre das Problem
gelöst sei. Das ist nun wahrlich nicht gelungen. Wenn
man sieht, wie viel Zeit seitdem verstrichen ist, kann
man sich ungefähr das Ausmaß der Aufgabe vorstellen,
die nun nach der Verabschiedung des Gesetzentwurfs auf
uns zukommt. Es wird neue Formen der Bürgerbeteiligung geben. Wir werden Maßstäbe entwickeln, die dann
für viele andere Projekte gelten können. Das wird unsere
Demokratie beleben.
Die Lösung der Aufgabe wird sich über viele Legislaturperioden erstrecken. Ich habe die Hoffnung, dass das,
was wir heute auf der Grundlage eines parteiübergreifenden Konsens auf den Weg bringen, in den nächsten Jahren und Jahrzehnten hält und getragen wird; denn es
wird in Zukunft eher schwieriger denn leichter. Je mehr
Standorte wir konkret ins Auge fassen, desto stärker
wird naturgemäß der Widerstand sein. Insofern ist es gut,
dass am Anfang des Prozesses ein starkes Votum und ein
starkes Bekenntnis des Parlaments zur Verantwortlichkeit stehen.
In diesem Sinne danke ich allen herzlich und freue
mich auf die weitere Zusammenarbeit.
({2})
Der letzte Redner in dieser Debatte ist der Kollege
Dr. Georg Nüßlein für die Koalitionsfraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen! Meine Herren!
Diese nun schon einige Zeit währende abschließende
Debatte wird aus meiner Sicht durch vier zentrale Begriffe bestimmt: Konsens, Akzeptanz, Legitimation und
vor allem Verantwortung. Konsens ist ein großes Wort.
Auf Konsens ist unsere Parteiendemokratie auch nicht in
erster Linie ausgelegt. Deshalb ist es natürlich etwas
ganz Besonderes, wenn sich ein Konsens gerade in
Wahlkampfzeiten anbahnt. Am fraktionsübergreifenden
Applaus - dieser wurde in den letzten Tagen sonst nur
denjenigen zuteil, die ihre letzte Rede gehalten haben erkennt man, dass diese Entscheidung von einem
Konsens getragen wird. Dass vier Parteien an diesem
Konsens beteiligt sind, stimmt mich optimistisch; denn
eine dieser vier Parteien wird immer an einer Regierung
beteiligt sein. Ich wünsche mir, dass die Betreffenden
dann, wenn sie an der Regierung beteiligt sind, nicht vergessen, dass sie heute zugestimmt haben.
Die Tatsache, dass die Linke nicht dabei ist, ist für
mich - ich sage sicherlich nichts, was Sie erschreckt nicht weiter schlimm. Diese Partei ist für mich ausgesprochen entbehrlich. Eine Regierungsbeteiligung dieser
Partei ist alles andere als wünschenswert.
({0})
Frau Kotting-Uhl, es hat mich im Übrigen sehr erfreut,
dass Sie auf die Realitätsferne dessen hingewiesen haben, was die Linke beantragt. Sie können das natürlich
viel glaubhafter darlegen als ich. Wenn ich das getan
hätte, hätte es nur geheißen: Es ist ja klar, dass ein CSUMann gegen die Linksradikalen ist.
({1})
Ich bin der festen Überzeugung, dass der nun erzielte
Konsens Ausdruck eines gemeinsamen Verantwortungsbewusstseins ist. Dass der Einstieg in den Ausstieg aus
der Kernenergie politisch konsensual erfolgt ist, erwähne
ich an dieser Stelle ausdrücklich. Ich unterstreiche, dass
wir alle - ob gern oder ungern, ob politisch dafür oder
dagegen - Nutznießer der Kernenergie waren und sich
der Wohlstand in Deutschland in weiten Teilen auf die
Kernenergie begründet hat.
Daraus erwächst eine besondere Verantwortung. Verantwortung ist in diesem Zusammenhang ein großes
Wort. Das kann man in der Kürze der Zeit hier nicht ausführen. Mit Blick auf die Laufzeiten, mit Blick auf das,
was wir hier entscheiden
({2})
- Sie wissen gar nicht, was ich sagen will -, mit Blick
auf den Planungshorizont ist das Wort Verantwortung
ein großes.
({3})
- Sie sind in Ihren Reaktionen so reflexartig, dass Sie
mir gar nicht mehr zuhören, liebe Freunde von den Grünen.
({4})
Ich rede darüber, dass wir hier eine Entscheidung mit einer langen Reichweite vorbereiten. Deshalb ist Verantwortung etwas Besonderes, etwas Großes. Man kann zu
Recht Wissenschaft und Technik auf der einen Seite und
Gesellschaft auf der anderen Seite beteiligen. Ich bin geneigt, hinzuzufügen, dass auch die Politik beteiligt werden sollte. Ich persönlich tue mich üblicherweise etwas
schwer mit angeblich überparteilichen, angeblich unpolitischen, angeblich unabhängigen Gremien. Ich verstehe
aber, dass es Sinn macht, ein vorbereitendes Gremium
so, ohne Parteipolitik, zu besetzen, um es unangreifbar
zu machen. Leider ist das Mode, und leider verteidigen
wir selber die politische Klasse zu wenig. Das so vorzubereiten, halte ich für ausgesprochen richtig. Ich unterstreiche aber, dass wir uns am Schluss nicht aus der Verantwortung ziehen können, sondern dass die Politik die
letzte Entscheidung treffen muss.
Zu den Stichwörtern Legitimation und Akzeptanz:
Bei Akzeptanz sollte man nicht immer nur auf die Bürgerinnen und Bürger abstellen, sondern auch auf das,
was wir miteinander vereinbaren und in weiteren Schritten beschließen. Diese Entscheidungen müssen wir gegenseitig akzeptieren und dürfen sie nicht von Legislaturperiode zu Legislaturperiode infrage stellen.
Akzeptanz bei den Bürgerinnen und Bürgern - das hat
die Vorrednerin richtig gesagt - nimmt in dem Maße ab,
in dem es konkreter wird. Niemand will das im Vorgarten. Kein Heiliger in Deutschland wird konfessionsübergreifend so verehrt wie Sankt Florian. Damit werden wir
letztlich nicht punkten können. Es geht jetzt darum, ein
sauberes Verfahren zu machen, das zunächst einmal akDr. Georg Nüßlein
zeptiert ist, legitim ist, und dass wir eine weiße Landkarte schaffen. Abschließend unterstreiche ich, dass eine
weiße Landkarte ganz klar bedeutet, dass Gorleben drinbleibt. Denn es ist keine weiße Landkarte, wenn man an
einer Stelle einen schwarzen Fleck hat.
Uns muss auch Folgendes klar sein: Mit dem, was wir
heute beschließen, gehen wir zunächst einmal zurück auf
Start, auf Null. Bei Null zu beginnen, ist keine Leistung.
Das Entscheidende ist, von Null voranzukommen. Ich
wünsche, dass uns das allen miteinander gelingt.
Vielen Dank.
({5})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den von den
Fraktionen der CDU/CSU, SPD, FDP und Bündnis 90/
Die Grünen eingebrachten Gesetzentwurf zur Suche und
Auswahl eines Standortes für ein Endlager für Wärme
entwickelnde radioaktive Abfälle und zur Änderung an-
derer Gesetze.
Hierzu liegt mir eine Erklärung nach § 31 der Ge-
schäftsordnung vom Kollegen Michael Paul vor. Wir
nehmen sie entsprechend unseren Regeln zu Protokoll.1)
Der Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/14181, den Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU, der SPD, der FDP
und Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/13471
in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist
damit in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen, der SPD-Fraktion, der Fraktion Bündnis
90/Die Grünen gegen die Stimmen der Fraktion Die
Linke angenommen.
({0})
- Bei Enthaltung des Kollegen Koppelin. - Ich bedanke
mich für die Unterstützung.
({1})
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen,
wobei sich der Kollege Koppelin aus der FDP-Fraktion
enthalten hat, mit den Stimmen der SPD-Fraktion und
der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen
der Fraktion Die Linke angenommen.
({2})
1) Anlage 5
Wir kommen nun zur Abstimmung über den Ent-
schließungsantrag der Fraktion Die Linke auf Drucksa-
che 17/14213. Wer stimmt für diesen Entschließungsan-
trag? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der
Entschließungsantrag ist mit den Stimmen der Koali-
tionsfraktionen, der SPD-Fraktion und der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der Fraktion
Die Linke abgelehnt.
Wir sind noch beim Zusatzpunkt 25. Abstimmung
über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Um-
welt, Naturschutz und Reaktorsicherheit zu dem Gesetz-
entwurf der Bundesregierung zur Suche und Auswahl ei-
nes Standortes für ein Endlager für Wärme entwickelnde
radioaktive Abfälle und zur Änderung anderer Gesetze.
Unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 17/14181 empfiehlt der Ausschuss, den Ge-
setzentwurf der Bundesregierung auf den Drucksa-
chen 17/13833 und 17/13926 für erledigt zu erklären.
Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer
stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die Beschluss-
empfehlung ist einstimmig angenommen.
Zusatzpunkt 26. Abstimmung über die Beschluss-
empfehlung des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz
und Reaktorsicherheit zu dem Antrag der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen mit dem Titel „Zwei Jahre
Fukushima - Ohne ehrlichen Atomausstieg keine erfolg-
reiche Energiewende“. Der Ausschuss empfiehlt in sei-
ner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/14179, den
Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Druck-
sache 17/12509 abzulehnen. Wer stimmt für diese Be-
schlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer ent-
hält sich? - Die Beschlussempfehlung ist mit den
Stimmen der Koalitionsfraktionen angenommen.
Zusatzpunkt 27. Wir kommen zur Abstimmung über die
Beschlussempfehlung des Ausschusses für Umwelt, Na-
turschutz und Reaktorsicherheit auf Drucksache 17/14187.
Unter Buchstabe a empfiehlt der Ausschuss die Ableh-
nung des Antrags der Fraktion der SPD auf Drucksa-
che 17/5901 mit dem Titel „Transparenz bei Rückstel-
lungen im Kernenergiebereich schaffen“. Wer stimmt für
diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? -
Wer enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist ange-
nommen.
Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe b seiner
Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der
Fraktion Die Linke auf Drucksache 17/5480 mit dem Ti-
tel „Überführung der Rückstellungen der AKW-Betrei-
ber in einen öffentlich-rechtlichen Fonds“. Wer stimmt
für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dage-
gen? - Wer enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist
angenommen.
Schließlich empfiehlt der Ausschuss unter Buch-
stabe c seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des
Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Druck-
sache 17/6119 mit dem Titel „Rückstellungen der Atom-
wirtschaft in Ökowandel-Fonds überführen - Sicherheit,
Transparenz und ökologischen Nutzen schaffen, statt an
Wettbewerbsverzerrung und Auswahlrisiko festzuhal-
ten“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer
stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die Beschluss-
empfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktio-
nen angenommen.
Vizepräsidentin Petra Pau
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 71 a bis 71 e sowie
den Zusatzpunkt 28 auf:
71 a) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Berufsbildungsbericht 2013
- Drucksache 17/13650 Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung ({3})-
Ausschuss für Arbeit und Soziales-
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend-
Ausschuss für Tourismus-
Haushaltsausschuss
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Uwe
Schummer, Dr. Thomas Feist, Albert Rupprecht
({4}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten
Heiner Kamp, Dr. Martin Neumann ({5}),
Sylvia Canel, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der FDP
Duale Ausbildung exportieren - Jugendar-
beitslosigkeit in der Europäischen Union be-
kämpfen, kooperative Berufsbildung weltweit
steigern
- Drucksache 17/13484 -
c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Kai
Gehring, Brigitte Pothmer, Britta Haßelmann,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN
Bildungschancen im Lebensverlauf verbes-
sern - Berufliche Ausbildung stärken
- Drucksache 17/13554 -
d) Beratung des Antrags der Abgeordneten Agnes
Alpers, Nicole Gohlke, Dr. Rosemarie Hein, wei-
terer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE
Das Recht auf Ausbildung umsetzen - Berufli-
che Perspektiven für alle garantieren
- Drucksache 17/14119 -
e) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Bildung, Forschung
und Technikfolgenabschätzung ({6})
zu dem Antrag der Abgeordneten Priska Hinz
({7}), Brigitte Pothmer, Krista Sager, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Aus- und Weiterbildung stärken, Abbrüche
verringern, Erfolgsquoten erhöhen
- Drucksachen 17/5489, 17/14085 Berichterstattung:Abgeordnete Uwe SchummerWilli BraseHeiner KampAgnes AlpersKai Gehring
ZP 28 Beratung des Antrags der Abgeordneten Willi
Brase, Dr. Ernst Dieter Rossmann, Dr. HansPeter Bartels, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der SPD
Betriebliche Ausbildung weiter denken - Qualität erhöhen, Gleichwertigkeit durch einen attraktiven Dualen Bildungsweg herstellen
- Drucksache 17/14134 Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. - Ich
höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Der Kollege Hinsken hat
das Wort für die Unionsfraktion.
({8})
Verehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Vor Ihnen steht ein Dualer, einer, der es
über das duale System zur Meisterprüfung gebracht hat,
einer, der sich damals ausbildete, um das notwendige
Rüstzeug für das spätere Leben zu bekommen. Das ist
geglückt.
({0})
Heute darf ich feststellen - das wird allgemein geteilt -: Das duale Berufsausbildungssystem ist ein Erfolgsfaktor, und zwar nicht nur in der Bundesrepublik
Deutschland, sondern überall dort, wo es das gibt.
({1})
Wir werden von vielen Ländern um dieses System beneidet. Denn es beinhaltet zwei Komponenten: Zum einen bringt es den Jugendlichen von der Straße weg und
rüstet ihn für das spätere Leben; zum anderen schafft es
die Grundlage dafür, dass wir zu einem späteren Zeitpunkt auf tüchtige Fachkräfte zurückgreifen können, die
wir brauchen, damit die Bundesrepublik Deutschland
auf wirtschaftlichem Gebiet weiterhin so bestehen kann,
wie das momentan der Fall ist.
({2})
Meine Damen und Herren, hierfür gibt es Kronzeugen. Vonseiten des amerikanischen Präsidenten Obama
und der EU-Kommission ist zu hören, es wäre wünschenswert, dass das deutsche Berufsbildungssystem
überall Platz greift. Denn in unserem System besteht die
Möglichkeit, sich von klein auf auszubilden und weiterzubilden und dann in den Arbeitsmarkt einzusteigen.
Wir bringen den Beweis dafür, dass das das Richtige und
das Beste ist und dass es sich lohnt, einen solchen Weg
zu gehen.
Ich möchte bei der Gelegenheit darauf verweisen,
dass wir besonders stolz darauf sein können, dass es bei
uns in der Bundesrepublik Deutschland in Sachen Jugendarbeitslosigkeit so gut läuft. Jeder vierte Jugendliche in der gesamten EU ist momentan arbeitslos. In
Griechenland und in Spanien sind es über 50 Prozent.
Bei uns in der Bundesrepublik Deutschland sind es Gott
sei Dank - das sage ich in Anführungszeichen - „nur“
5,6 Prozent. Ich bin besonders stolz, Frau Minister Professor Wanka, dass wir in Bayern sagen können: Wir
sind mit 2,7 Prozent absolute Spitze auf diesem Gebiet.
({3})
Gerade in diesem Sektor hat sich sehr vieles bewährt.
Es würde deshalb den Rahmen sprengen, all das zu sagen, was mich in dieser Stunde bewegt, dies umso mehr,
als es meine letzte Rede im Deutschen Bundestag ist,
dem ich seit 33 Jahren angehören darf.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich habe
vieles erlebt. Ich habe vieles mitgestalten dürfen. Ich
habe mich oftmals eingebracht. Ich habe den Konsens
gesucht, habe aber auch den Streit gesucht, wenn er fundiert war. Aber zu guter Letzt sind wir doch immer auf
einen Nenner gekommen. Ich habe viele nette Kolleginnen und Kollegen kennengelernt, die bereit waren, in die
gleiche Richtung zu marschieren, gemeinsam an einem
Strang zu ziehen.
Nachdem ich jahrelang Vorsitzender verschiedener
Ausschüsse war, kann ich feststellen, dass es auch über
parteipolitische Grenzen hinweg immer einen Konsens
gab, um den wir von anderen Ausschüssen zum Teil beneidet worden sind. Auch das spricht für die Kolleginnen und Kollegen.
Ich bin auch Ihnen, verehrte Kolleginnen und Kollegen, insbesondere dem Kollegen Rupprecht, dankbar,
dass ich heute zum dualen Berufsausbildungssystem
noch das Wort ergreifen darf, vor allem weil diese Thematik nur ein Teilaspekt der Wirtschaft ist, aber einer der
wichtigsten.
Nochmals zurück zu meinem Ausscheiden. Meine
Damen und Herren, wenn man dem Bundestag so lange
angehört hat, dann fragt man sich, was es an herausragenden Ereignissen gegeben hat. Ich meine, dazu gehören der NATO-Doppelbeschluss, aber zum Beispiel auch
die EU-Erweiterungen, die wir beschlossen haben. Wir
haben aber auch viele andere wichtige Beschlüsse gefasst. Dass wir jetzt, wirtschaftlich gesehen, so blendend
dastehen, das haben wir im Deutschen Bundestag mit
beeinflusst. Davon möchte ich keine Fraktion ausnehmen.
Weil ich die Redezeit nicht überschreiten soll - das
wurde mir ausdrücklich gesagt -,
({4})
habe ich nur noch das Bedürfnis, mich bei Ihnen allen
herzlich für die freundschaftliche und gute Zusammenarbeit zu bedanken. Ich möchte denjenigen, die ausscheiden, aber auch denjenigen, die sich momentan anschicken, in den Wahlkampf zu ziehen, um Stimmen zu
werben und die Voraussetzung zu schaffen, auch beim
nächsten Mal wieder dabei sein zu können, um die Bundespolitik an vorderster Front mitgestalten zu dürfen, alles erdenklich Gute auf ihrem weiteren Weg wünschen.
Herzlichen Dank und alles Gute! Ich denke in gewisser
Hinsicht doch mit einem kleinen bisschen Wehmut an
diese meine lange Zeit im Deutschen Bundestag zurück.
Herzlichen Dank.
({5})
Lieber Kollege Hinsken, auch ich sage Ihnen im Namen des ganzen Hauses herzlichen Dank für Ihre langjährige Arbeit. Alles Gute und Gottes Segen für Ihr weiteres Leben.
({0})
Das Wort hat nun Willi Brase für die SPD-Fraktion.
({1})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Lieber Kollege Hinsken!
({0})
- Wenn er jetzt den Kopf wenden würde, wäre das nicht
schlecht.
({1})
Kollege Hinsken, Sie werden gerade angesprochen.
Bitte ein bisschen Andacht!
Ich möchte Ihnen, auch im Namen meiner Fraktion,
für Ihre langjährige Mitarbeit danken, vor allem in der
Frage der Weiterentwicklung der beruflichen Bildung.
Sie haben recht: Auch mein Eindruck, zumindest seit
1998, ist, dass die Frage der beruflichen Bildung durchaus immer wieder einen großen Konsens in diesem
Hause gefunden hat. Ich glaube, das war für die Entwicklung in Deutschland und für die Entwicklung der
jungen Leute von großer Bedeutung. Daran haben Sie
mitgewirkt. Dafür herzlichen Dank und für die Zukunft
alles Gute!
({0})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich möchte einige
Dinge ansprechen. Wir haben sowohl einen guten Bericht als auch gute - aus meiner Sicht zum Teil auch kritische - Anträge vorliegen, und wir führen derzeit eine
Debatte über die Jugendarbeitslosigkeit in Europa.
Wenn man sich die Zahlen und das, was beschlossen
wurde, genau anschaut, dann kann einem schon ein bisschen bange werden, dass die Perspektiven für 5,7 Millionen junge Leute - manche sprechen von 7,5 Millionen
jungen Leuten - nicht gerade sehr rosig aussehen. Zumindest die SPD-Fraktion hat mehrfach darauf hingewiesen und gesagt, zur Bekämpfung der Euro-Krise bedürfe es auch einer Begleitung der jungen Menschen in
Europa, die wichtig ist, weil ihnen eine Perspektive gegeben werden muss. Sie haben aber derzeitig keine Per32538
spektive. Das ist sehr schlecht; das ist für die europäische Entwicklung nicht gut.
({1})
Wir haben erlebt, dass gesagt wurde: Wir wollen, dass
die EU-Mitgliedstaaten in den nächsten sechs Jahren
6 Milliarden Euro für den Kampf gegen die Jugendarbeitslosigkeit ausgeben. Das sind 1 Milliarde Euro pro
Jahr für etwa 5,7 Millionen arbeitslose Jugendliche.
Wenn man es umrechnet, ergeben sich gerade einmal
rund 175 Euro pro Jahr und Person. Damit kann man
nicht viel machen.
Heute Morgen habe ich gehört, dass die Kanzlerin erklärt hat, sie wolle, dass die 6 Milliarden Euro ganz
schnell, in den nächsten ein bis zwei Jahren, ausgegeben
werden. Dann sind es immerhin etwas mehr als
1 000 Euro pro Person, die in dem Zeitraum für die Jugendlichen in Europa ausgeben werden sollen. Auch das
ist nicht sehr viel. Wir können sehr gut verstehen, dass
die jungen Leute in Griechenland, Spanien, Portugal und
Frankreich auf die Straße gehen und sagen: Für die Banken habt ihr 1,2 Billionen Euro, aber für uns nur Almosen. - Da besteht großer Handlungsdruck.
({2})
Das Zweite, das ich Ihnen sagen möchte: Unser duales Ausbildungssystem hat sich gut entwickelt. Wir
Sozialdemokraten sind stolz darauf, das duale Ausbildungssystem 2005 reformiert zu haben, mit Unterstützung anderer Fraktionen hier im Hohen Haus. Aber wir
stellen heute fest, dass das duale System ein, zwei
Schwächen hat. Eine Schwäche liegt beim nach wie vor
ungelösten Problem im sogenannten Übergangsbereich.
Wir können zwar ein Stück weit stolz darauf sein, dass
die Zahl der Jugendlichen im Übergangsbereich von
zeitweise 480 000 im Laufe der Jahre auf aktuell
260 000 bis 270 000 gesunken ist; aber obwohl über
80 Prozent dieser jungen Leute einen Schulabschluss haben, verweilen sie teilweise zwei oder drei Jahre im
Übergangsbereich. Das ist falsch; das muss dringend
verbessert und verändert werden. Sie von der Regierungskoalition wollten das zu Beginn der Legislaturperiode angehen, aber Sie haben es nicht geleistet.
({3})
Im Zusammenhang mit dem Pakt für Ausbildung haben Sie gesagt: Wir wollen die Vielfalt der Maßnahmen
reduzieren. - Die Staatssekretärsrunde hat auch nach
Rückfrage von Parlamentsfraktionen mitgeteilt: Sie haben es nicht geschafft und wollen versuchen, es in Zukunft zu berücksichtigen. - Das ist zu wenig. Wir wollen, dass die Jugendlichen wissen, dass sie, wenn sie
einen Schulabschluss machen, danach einen guten Anschluss bekommen. Dieser gute Anschluss sollte in den
allermeisten Fällen eine vernünftige duale Ausbildung
sein, sehr geehrte Damen und Herren, liebe Kolleginnen
und Kollegen.
({4})
Deshalb sagen wir: Wir wollen den jungen Leuten so
etwas wie eine praktizierte Ausbildungsgarantie geben.
Wir führen eine Debatte über die demografische Entwicklung. Wenn es richtig ist, dass wir angesichts der
demografischen Entwicklung immer weniger junge
Leute haben werden, dann ist es ein Gebot der Zeit,
jeden Jugendlichen mitzunehmen und nach Möglichkeit
direkt eine vernünftige Ausbildung zu ermöglichen.
Dazu wollen wir die Betriebsbeteiligungsquote erhöhen.
Denn das ist kein positives Zeichen: Noch nie haben so
wenige Betriebe, die ausbildungsfähig sind, ausgebildet.
Das ist ein schlechtes Zeichen; denn die beste Ausbildung erfolgt überwiegend in den Betrieben. Es müssen
mehr Betriebe zur Ausbildung herangezogen werden.
({5})
Ich will noch einen Punkt ansprechen: den Reformbedarf. Ja, die Gleichwertigkeit zwischen dualer und allgemeiner Ausbildung oder zwischen beruflicher und allgemeiner Ausbildung ist noch nicht hergestellt. Wir haben
die Möglichkeiten des Übergangs aus dem dualen System heraus zusammen mit den Ländern, mit der Kultusministerkonferenz verbessert; aber eine tatsächliche
Gleichwertigkeit ist nicht gegeben. Wenn wir wollen,
dass sich die jungen Leute nicht nur darauf konzentrieren, den schulischen Weg bis zum Abitur zu wählen
- das ist vielfach der Fall -, sondern ebenso den Weg
über das duale System wählen sollen, müssen wir überlegen - dazu fordern wir auf -: Wie können wir dafür
sorgen, dass sich die jungen Leute für einen dualen, berufsständischen Weg entscheiden, angefangen mit der
dualen Ausbildung bis nach ganz oben? Ich glaube, in
der nächsten Legislaturperiode müssen und werden wir
dieses Problem angehen. Denn eines darf nicht passieren: dass zu viele junge Leute, aus welchen Gründen
auch immer, den schulischen Weg wählen, ein Hochschulstudium aufnehmen, einen Bachelor machen, aber
keinen Job in der Tasche haben, während uns im betrieblichen, industriellen Bereich die für die notwendige Modernisierung unserer Volkswirtschaft benötigten jungen
Leute fehlen, die auf Grundlage einer dualen Ausbildung
gewonnen werden. Wir können den Weg nicht vorschreiben; da müssen wir Gleichwertigkeit herstellen.
({6})
Ich komme zum Schluss. Wir haben im Ausschuss,
was die berufliche Bildung angeht, eigentlich ganz gut
zusammengearbeitet. Lassen Sie uns dafür sorgen, dass
die jungen Menschen im Übergangsbereich schnell vernünftige Chancen bekommen. Lassen Sie uns dafür sorgen, dass die Jugendlichen in Europa eine Perspektive
bekommen. Dafür müssen wir mehr Geld in die Hand
nehmen für kurzfristige Maßnahmen und mittelfristig für
den Ausbau der dualen Ausbildung. Diesen Weg müssen
wir mit den Ländern gemeinsam gehen.
Ich wünsche Ihnen alles Gute. Gute Sommerpause!
({7})
Das Wort hat nun Heiner Kamp für die FDP-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine Damen und Herren! Lieber Herr Brase, es ist immer das gleiche Schema: Sie schimpfen, Sie verkennen
die guten Zahlen, Sie fordern Staatsdirigismus. Das unterscheidet Sie von uns. Sie - die vereinigten Linksparteien, und zwar alle drei - wollen immer alles vorschreiben, wir hingegen setzen auf die Freiheit der
unternehmerischen Entscheidung und auf die Verantwortung, die daraus resultiert.
({0})
Am letzten Sitzungstag vor der parlamentarischen
Sommerpause beraten wir auch den Berufsbildungsbericht 2013. Helmut Schlesinger, der frühere Präsident
der Deutschen Bundesbank, hat einmal gesagt: Die
schlechten Nachrichten werden überbewertet und die guten unterbewertet. Angesichts der Kommentare aus den
Oppositionsfraktionen hinsichtlich der Veröffentlichung
des Berufsbildungsberichtes 2013 kann ich nur festhalten: Mit Blick auf den Berufsbildungsbericht 2013
könnte der Satz von Schlesinger nicht treffender sein.
({1})
Was sind denn die guten Nachrichten des aktuellen
Berichts? Ich nenne Ihnen drei Punkte; hören Sie genau
zu.
Erstens. Zum fünften Mal in Folge gab es mehr als
doppelt so viele unbesetzte Ausbildungsplätze wie unversorgte Bewerber. Das heißt konkret: Für junge Menschen in Deutschland ist die Situation auf dem Ausbildungsmarkt ausgezeichnet. Die Chancen auf einen
Ausbildungsplatz sind so gut wie nie. Diese für die Jugendlichen positive Entwicklung wird sich nach Einschätzung aller Experten auch weiter fortsetzen.
Herr Brase, erlauben Sie mir einen Hinweis auf das
DIHK-Treffen, das kürzlich stattgefunden hat. Sie und
auch die Kollegin Alpers haben immer wieder auf bestimmte Branchen geschimpft, insbesondere auf die
Fleischwarenbranche.
({2})
- Hotels und Gaststätten. - Darauf würde ich gerne Bezug nehmen.
Wissen Sie: Ich habe in der Fleischwarenbranche gelernt, in einem Betrieb bei uns im Kreis Gütersloh. Das
Engagement, das von den Auszubildenden und insbesondere von den Ausbildern an den Tag gelegt wird,
gerade bei bildungsbenachteiligten Jugendlichen, die
Mühe hatten, überhaupt eine Stelle zu bekommen, ist
enorm. Die Jugendlichen, denen das Aufstehen schwerer
fällt, werden morgens aus dem Bett geholt. Nach Feierabend werden mit den Jugendlichen Mathe und andere
Fächer gepaukt, damit die Jugendlichen durch ihre Ausbildung kommen. Bitte verkennen Sie diese Leistung
nicht.
Wenn Sie so etwas immer schlechtreden, stellen Sie
damit keinen zusätzlichen Ausbildungsplatz zur Verfügung. Im Gegenteil: Damit vergraulen Sie die Fleischwarenbetriebe, die dann nämlich keine Ausbildungsplätze mehr zur Verfügung stellen wollen. Und auch die
Jugendlichen haben, wenn immer alles schlechtgeredet
wird, keine Lust, sich in der Branche zu bewerben. Lassen Sie das also! Mehr Anerkennung täte uns allen viel
besser.
({3})
Mit dem erfolgreichen Ausbildungspakt leisten Regierung und Wirtschaft einen Beitrag dazu, dass weiterhin jedem Jugendlichen ein Ausbildungsplatz angeboten
wird.
Zweitens. Die Zahl der Altbewerber ist im Vergleich
zum vorhergehenden Berichtsjahr weiter gesunken.
Auch das ist eine gute Nachricht aus dem Berufsbildungsbericht 2013.
({4})
Drittens. Im Übergangsbereich haben wir einen Rückgang - Herr Brase, Sie hatten das erwähnt; schönen
Dank dafür - auf weniger als 300 000 Jugendliche zu
verzeichnen. Das ist eine weitere gute Nachricht. Diese
positiven Entwicklungen werden wir durch unsere zielgerichteten Maßnahmen unterstützen und weiter verstetigen. Sie sehen: Unter Schwarz-Gelb sind alle negativen
Trends rückläufig. Was wollen wir mehr?
({5})
Ein Blick zurück: Vergleicht man die Zahlen im aktuellen Bericht mit denen aus dem letzten Regierungsjahr
von Rot-Grün, stellt man nüchtern fest, dass wir einen
Rückgang im Übergangssystem von mehr als
150 000 Personen verzeichnen können. SPD und Grüne
waren und bleiben Meister des beruflichen Verschiebebahnhofs und der Maßnahmekarrieren. Man hat sich
gerne an Frankreich angeschmiegt - jetzt hören Sie genau zu - und Skandinavien als bildungspolitisches Vorbild gepriesen. SPD und Grüne orientieren sich tatsächlich an Ländern, die eine Jugendarbeitslosigkeit
aufweisen, die doppelt bis dreimal so hoch ist wie die
unsere. Sagt das nicht schon alles?
({6})
Für Deutschland ist es ein großes Glück, dass unsere
erfolgreiche und international hochgeachtete berufliche
Aus- und Weiterbildung von den rot-grünen Experimenten und Umbauversuchen verschont geblieben sind. Die
berufliche Dualausbildung ist ein Flaggschiff unseres
Bildungssystems und leistet einen zentralen Beitrag zu
unserer wirtschaftlichen Stärke.
({7})
Gut, dass FDP und Union wissen, dass man keine Experimente auf dem Rücken von Kindern und Jugendlichen durchführt. Gut, dass unsere Koalition weiß, was
wir an unserem dualen Berufsbildungssystem haben.
Gut, dass wir auch in Zukunft diese Form der bildungspolitischen Quacksalberei zu verhindern wissen.
({8})
Wir werden unseren Erfolgskurs in der kommenden Legislaturperiode natürlich fortsetzen.
Die letzte Plenarwoche vor Beginn der parlamentarischen Sommerpause gibt Gelegenheit für ein kurzes persönliches Resümee. Die vergangenen vier Jahre waren
vier gute Jahre für unsere Bildungsrepublik Deutschland. Lassen Sie mich dies an einigen wenigen ausgewählten Beispielen festmachen, die mir besonders wichtig sind:
Mit dem Deutschen Qualifikationsrahmen, der am
1. Mai 2013 beschlossen wurde, werden unsere deutschen Berufsqualifikationen europaweit vergleichbarer.
Mit dem Anerkennungsgesetz haben wir erstmalig einen allgemeinen Rechtsanspruch auf Überprüfung der
Gleichwertigkeit eines ausländischen Berufsabschlusses
mit dem deutschen Referenzberuf geschaffen. Die Erfahrungen nach einem Jahr zeigen, dass das Gesetz ein Erfolg ist.
Mit dem Deutschlandstipendium - hören Sie gut zu,
Herr Gehring -, haben wir eine neue Stipendienkultur
angestoßen. Begabten und leistungsstarken Studierenden
in Deutschland hat diese Koalition den Rücken gestärkt.
({9})
Das können Sie ruhig vom Verfassungsgericht überprüfen lassen. Sie haben das angekündigt. Ich bin auf Ihre
Klage gespannt und noch mehr auf das Ergebnis.
({10})
Auch für Sie gilt: Reden Sie nicht alles schlecht.
({11})
Versuchen Sie nicht, alles schlechtzumachen. Die Realität wird Sie einholen.
Mit dem Wissenschaftsfreiheitsgesetz haben wir den
außeruniversitären Wissenschaftseinrichtungen endlich
größere Handlungsspielräume für einen wirksameren,
effizienteren und zielorientierten Mitteleinsatz gegeben.
Der Forschungsstandort Deutschland ist gestärkt. Schönen Dank, Peter, für deinen Einsatz.
({12})
Mit dem Auslandsschulgesetz haben wir erstmals
eine eigene gesetzliche Grundlage für die Förderung der
Auslandsschulen geschaffen. Die Schulen haben nun
Planungssicherheit für ihre wichtige Arbeit, und sie erhalten Gott sei Dank mehr Eigenständigkeit.
Last, but not least: Das BAföG und die Freibeträge
haben wir - wer sonst? - natürlich erhöht.
({13})
- Hören Sie gut zu, Herr Röspel. Ja, das tut weh. Das
weiß ich. Aber da müssen Sie jetzt durch.
Das im Koalitionsvertrag vereinbarte Ziel, 12 Milliarden Euro zusätzlich für den Bereich Bildung und Forschung zur Verfügung zu stellen, haben wir mehr als
übererfüllt. Tatsächlich haben wir mehr als 13 Milliarden Euro zusätzlich für Zukunftsinvestitionen bereitgestellt.
({14})
- Genau, Herr Brase. - Das ist so viel, wie keine andere
Bundesregierung jemals zuvor bereitgestellt hat, auch
keine, an der Sie beteiligt waren.
Diese wenigen Beispiele zeigen sehr deutlich: Die
vergangenen vier Jahre waren vier gute Jahre für
Deutschland und für den Bereich Bildung und Forschung. Das zentrale Zukunftsfeld ist nach vier Jahren
christlich-liberaler Koalition hervorragend aufgestellt.
Die vergangenen vier Jahre waren nicht nur für den Bereich Bildung und Forschung vier gute Jahre. Auch für
mich persönlich waren es vier gute, vier erfüllte Jahre.
Theodor Storm wird der folgende Satz zugeschrieben:
„Eine Arbeit, die uns Befriedigung gewährt, ist gewiss
das beste und solideste Glück.“ Diese Beobachtung teile
ich nach den vergangenen vier Jahren mit Ihnen, liebe
Kolleginnen und Kollegen, hier im Hohen Hause noch
mehr als zuvor.
Mit Ablauf der Wahlperiode scheide auch ich aus dem
Deutschen Bundestag aus. Ich danke meinen Kolleginnen und Kollegen in der FDP-Fraktion für die ausgezeichnete Zusammenarbeit, ganz besonders meinen Mitstreitern in der AG Bildung und Forschung. Der
Zusammenhalt und die große Solidarität in der Fraktion
haben mich immer wieder bestärkt, mit großem Mut
weiterzumachen. Den Kolleginnen und Kollegen im
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung danke ich für die gute und über die Fraktionsgrenzen hinweg kollegiale und an der Sache orientierte Zusammenarbeit.
Vielen Dank, alles Gute und stets beste Gesundheit.
Auf Wiedersehen!
({15})
Herr Kollege, ich danke Ihnen für vier Jahre gute Arbeit in diesem Hause und wünsche Ihnen alles Gute für
Ihr weiteres Leben.
({0})
Das Wort hat nun Agnes Alpers für die Fraktion Die
Linke.
({1})
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Herr
Hinsken, auch von unserer Seite vielen Dank, dass Sie
noch einmal die Bedeutung der beruflichen Bildung und
der Ausbildung insgesamt hervorgehoben haben. Wir
wünschen Ihnen alles Gute. Wir sind uns darüber einig,
dass das duale System ausgebaut werden muss. Vielen
Dank!
({0})
Herr Kamp, auch Ihnen wünsche ich alles Gute. Nur
leider ist es mit der Berufsbildungspolitik nicht so wie
mit dem Leben: Das Leben ist schön. Ihre politische Arbeit in der Berufsbildungspolitik ist aber leider überhaupt nicht schön.
({1})
Ich muss Ihnen heute ganz ehrlich sagen: Ich habe es
wirklich satt, mir jedes Jahr in der Debatte über den Berufsbildungsbericht - das war auch bei der Rede von
Herrn Kamp so - Ihre Zahlentricksereien anzuhören.
({2})
Der bildungspolitische Sprecher der CDU/CSU, Herr
Rupprecht, wollte uns weismachen, dass 2012 auf jeden
Bewerber zwei freie Ausbildungsstellen kamen. Fakt ist
aber doch, Herr Rupprecht, dass von den 560 000 Bewerbern auf Ausbildungsplätze, die bei der BA und
den Jobcentern gemeldet waren, nur 287 000 tatsächlich einen Ausbildungsplatz bekommen haben. Herr
Rupprecht, mein Nachbar würde zu der Rechnung sagen,
dass zwei Leute auf eine Stelle kommen. Wann endlich
hören Sie damit auf, die ganze Republik mit Ihren Geschichten für dumm zu verkaufen?
({3})
Fakt ist doch auch weiterhin, dass im letzten Jahr immer noch 260 000 junge Menschen im Übergangssystem
landeten. Bei 90 000 jungen Menschen wissen wir überhaupt gar nicht mehr, wo sie verblieben sind. Immer
noch haben wir in unserer Republik 2,2 Millionen Menschen bis 34 Jahre ohne Berufsabschluss. Diese Ausbildungsmisere muss doch endlich einmal ein Ende finden.
({4})
Aber diese Regierung rechnet nur auf Teufel komm raus
ihre Bilanz schön.
({5})
Insgesamt haben Sie in der beruflichen Bildung versagt:
({6})
Erstens. 2008 wurde beim Dresdener Bildungsgipfel
noch propagiert, dass Sie die Zahl der Menschen bis
29 Jahre ohne Berufsausbildung halbieren wollen. Das
bedeutet, meine sehr geehrten Damen und Herren von
der Koalition: Bis 2015 müssten wir zusätzlich
700 000 Ausbildungsstellen schaffen.
({7})
Das ist doch wirklich nur wieder ein frommer Wunsch.
Luftschlösser, nichts als Luftschlösser, und wieder keine
Taten!
({8})
Zweitens. Auch wollen uns die Arbeitgeber und die
Bundesregierung wieder weismachen, dass die Zusagen
vom Ausbildungspakt auch im letzten Jahr die Erwartungen übertroffen hätten. Sie behaupten, dass Sie im letzten Jahr 60 000 zusätzliche Ausbildungsplätze und
30 000 zusätzliche Ausbildungsbetriebe gewonnen haben. Die Statistik besagt aber etwas anderes. Die Ausbildungsstatistik sagt aus - das ist die Realität -, dass das
Ausbildungsangebot zurückgegangen ist und einen
neuen Tiefstand erreicht hat. Insgesamt bilden heute nur
noch 21,7 Prozent der Betriebe aus. Ihre wunderbare
Selbstverpflichtung verpufft wieder einmal. Der Ausbildungspakt hat grandios versagt. Deshalb sagen wir: Führen Sie endlich die gesetzliche Umlage ein.
({9})
- Ja, meine Damen und Herren von den Regierungsfraktionen, nur so kommen wir dazu, dass wir tatsächlich
umfänglich ausbilden können.
({10})
Wir selber schlagen in unseren Anträgen nicht nur die
gesetzliche Umlage vor, sondern auch ein 1,5-Milliarden-Euro-Programm.
({11})
Wir stehen dafür, kleine Betriebe zu unterstützen und
Menschen über Weiterbildung einen Berufsabschluss zu
ermöglichen.
({12})
Sie alle wollen diese Dinge aber überhaupt nicht angehen. So sieht es doch aus. Der demografische Wandel
wird es schon richten - das ist Ihre erste These. Dann behaupten Sie auch noch, die Arbeitslosigkeit hätte insgesamt derart abgenommen, dass Sie sich nicht mehr darum zu kümmern bräuchten. Dazu sage ich Ihnen heute:
Dann erzählen Sie den Menschen bitte die ganze Wahrheit. Die Arbeitslosigkeit bei den Menschen ohne Berufsabschluss hat sich in den letzten zehn Jahren um
10 Prozent erhöht. Das ist ein Armutszeugnis.
({13})
Immer öfter - das haben wir auch in der Rede von
Herrn Kamp gehört - können wir diese Ausbildungsstellen nicht besetzen. Fragen Sie sich doch bitte einmal,
warum die jungen Menschen heute nicht mehr Restaurantfachfrau, Köchin oder Fleischer werden wollen. Es
geht um Überstunden, um regelmäßiges Arbeiten nach
der Berufsschule. Es geht um die körperlichen Belastungen.
({14})
Es geht um die geringe Vergütung, Herr Kollege. Nach
der Ausbildung gibt es kaum Aussichten auf eine Übernahme und schon gar keine Aussichten auf gute Bezahlung. Herr Kamp, eines sage ich Ihnen: Um die Bezahlung in der Fleischereibranche ist es heute schlecht
bestellt. Die dort Tätigen sind zu 80 Prozent Leiharbeiter. Das sind nicht mehr die Perspektiven, die es gab, als
das Fleischereihandwerk noch einen anderen Stellenwert
hatte.
({15})
Aus diesen Gründen sagt die Linke hier klipp und
klar: Erstens. Die Ausbildungsvergütung muss so hoch
sein, dass man davon leben kann.
Frau Kollegin, Sie müssen zum Schluss kommen.
Ja, ich komme sofort zum Schluss. - Zweitens. Die
Qualität der Ausbildung muss so gut sein, dass man als
Fachkraft nahtlos eine Anschlussbeschäftigung findet.
Drittens. Die Bezahlung nach der Ausbildung muss so
hoch sein, dass man davon gut leben und sich eine Zukunft aufbauen kann. Mit diesen drei Fundamenten
schafft Ausbildung Zukunft. Dafür steht die Linke.
Vielen Dank.
({0})
Das Wort hat nun Kai Gehring für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Wer will, kann OECD-Studien so lesen: Dank des dualen
Ausbildungssystems hat Deutschland eine vergleichsweise geringe Jugendarbeitslosigkeit.
({0})
Das wäre aber eine äußerst unterkomplexe und oberflächliche Betrachtung.
Richtig ist: Vor allem dank guter Konjunktur und
wirtschaftlicher Stabilität funktioniert das duale System
in Deutschland. Wer das erkennt, sieht: Der in dem Antrag der Koalition enthaltene Ansatz wird nicht funktionieren. Arbeitslosen Jugendlichen in südeuropäischen
Krisenländern hilft es heute nicht, wenn wir die duale
Ausbildung exportieren. Denn ein duales Berufsausbildungssystem setzt florierende Betriebe voraus, die ausbilden können und wollen, die Ausbildungsverträge
schließen und eine Vergütung zahlen können. Es braucht
also eine prosperierende statt einer kollabierenden Wirtschaft. Genau das fehlt europäischen Krisenländern.
Deswegen macht es wenig Sinn, den zweiten Schritt vor
dem ersten zu machen - ({1})
Ich unterbreche die Sitzung.
({0})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir alle sind betroffen und wünschen der Kollegin Alpers, dass alles wieder
gut wird.
({0})
Wir haben vereinbart, dass die Debatte nicht fortge-
setzt wird und alle Reden zu Protokoll gegeben werden
können; ich schlage vor, bis Montagnachmittag, damit
diejenigen, die ihre Reden noch nicht ausgearbeitet ha-
ben, dazu Zeit haben. - Damit sind Sie einverstanden.1)
Da wir in der Sondersituation sind, dass das Ende der
Legislaturperiode naht, haben wir uns darauf geeinigt,
dass die Abstimmungen ohne Debatte stattfinden, sodass
wir jetzt in aller Ruhe die Tagesordnung abwickeln und
dann die Sitzung beenden werden.
Wir kommen zum Tagesordnungspunkt 71 a. Inter-
fraktionell wird Überweisung der Vorlage, die wir ge-
rade diskutiert haben, an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sie sind damit
gewiss einverstanden. - Dann ist die Überweisung so be-
schlossen.
1) Anlage 6
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse
Tagesordnungspunkt 71 b. Abstimmung über den An-
trag der Fraktionen der CDU/CSU und FDP auf Druck-
sache 17/13484 mit dem Titel „Duale Ausbildung expor-
tieren - Jugendarbeitslosigkeit in der Europäischen
Union bekämpfen, kooperative Berufsbildung weltweit
steigern“. Wer stimmt für diesen Antrag? - Wer stimmt
dagegen? - Enthaltungen? - Der Antrag ist mit den
Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen
der Oppositionsfraktionen angenommen.
Abstimmung über den Antrag der Fraktion Bünd-
nis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/13554 mit dem
Titel „Bildungschancen im Lebenslauf verbessern - Be-
rufliche Ausbildung stärken“. Wer stimmt für diesen An-
trag? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der An-
trag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen
die Stimmen der Grünen bei Enthaltung von SPD und
Linken abgelehnt.
Tagesordnungspunkt 71 d. Abstimmung über den An-
trag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 17/14119
mit dem Titel „Das Recht auf Ausbildung umsetzen -
Berufliche Perspektiven für alle garantieren“. Wer
stimmt für diesen Antrag? - Wer stimmt dagegen? - Ent-
haltungen? - Der Antrag ist gegen die Stimmen der
Fraktion Die Linke mit den Stimmen des übrigen Hauses
abgelehnt.
Tagesordnungspunkt 71 e. Abstimmung über die Be-
schlussempfehlung des Ausschusses für Bildung, For-
schung und Technikfolgenabschätzung zu dem Antrag
der Fraktion der Grünen „Aus- und Weiterbildung stär-
ken, Abbrüche verringern, Erfolgsquoten erhöhen“. Der
Ausschuss empfiehlt auf Drucksache 17/14085, den An-
trag der Fraktion der Grünen auf Drucksache 17/5489
abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfeh-
lung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Be-
schlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitions-
fraktionen gegen die Stimmen der Grünen und der
Linken bei Enthaltung der SPD angenommen.
Zusatzpunkt 28. Abstimmung über den Antrag der
Fraktion der SPD auf Drucksache 17/14134 mit dem
Titel „Betriebliche Ausbildung weiter denken - Qualität
erhöhen, Gleichwertigkeit durch einen attraktiven Dua-
len Bildungsweg herstellen“. Wer stimmt für diesen An-
trag? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der An-
trag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen
die Stimmen der SPD bei Enthaltung der Linken und
Grünen abgelehnt.
Tagesordnungspunkte 73 a bis 73 c:
a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Menschenrechte und
Humanitäre Hilfe ({1})
zu dem EU-Jahresbericht 2010
- Menschenrechte und Demokratie in der Welt
Ratsdok. 11501/2/11 REV 2
- Drucksachen 17/7423 Nr. A.37, 17/10899 Berichterstattung:Abgeordnete Dr. Egon JüttnerChristoph SträsserMarina SchusterAnnette GrothVolker Beck ({2})
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Menschenrechte und
Humanitäre Hilfe ({3})
- zu der Unterrichtung
Menschenrechte in der Welt und Politik der
Europäischen Union in diesem Bereich
Entschließung des Europäischen Parlaments vom 18. April 2012 zu dem Jahresbericht zur Lage der Menschenrechte in der
Welt und über die Politik der EU zu diesem
Thema, einschließlich der Auswirkungen
für die strategische Menschenrechtspolitik
der EU ({4})
EP P7_TA-PROV({5})0126
- zu der Unterrichtung
Menschenrechte und Demokratie in der
Welt: Bericht über das Handeln der EU im
Jahr 2011 Ratsdok. 9238/12
- zu der Unterrichtung
Menschenrechte und Demokratie: Strategischer Rahmen und Aktionsplan der EU Ratsdok. 11417/12
- Drucksachen 17/9797 Nr. A.9, 17/10710
Nr. A.65, 17/10710 Nr. A.66, 17/12922 Berichterstattung:Abgeordnete Erika SteinbachChristoph SträsserMarina SchusterAnnette GrothVolker Beck ({6})
c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Menschenrechte und
Humanitäre Hilfe ({7}) zu der Unter-
richtung durch die Bundesregierung
Zehnter Bericht der Bundesregierung über
ihre Menschenrechtspolitik
- Drucksachen 17/11250, 17/11614 Nr. 1.1,
17/13848 -
Berichterstattung:-
Abgeordnete Erika Steinbach-
Christoph Strässer-
Marina Schuster-
Annette Groth-
Tom Koenigs
Zu dem Zehnten Bericht der Bundesregierung über
ihre Menschenrechtspolitik liegt ein Entschließungsan-
trag der Fraktion Die Linke vor.
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse
Die Reden werden, wie vereinbart, zu Protokoll ge-
geben.1)
Wir kommen zur Abstimmung zunächst über die Be-
schlussempfehlung des Ausschusses für Menschenrechte
und Humanitäre Hilfe zu dem EU-Jahresbericht 2010
mit dem Titel „Menschenrechte und Demokratie in der
Welt“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussemp-
fehlung auf Drucksache 17/10899, in Kenntnis des EU-
Jahresberichts 2010 eine Entschließung anzunehmen.
Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer
stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussemp-
fehlung ist mit den Stimmen der Koalition gegen die
Stimmen der Linken bei Enthaltung von SPD und Grü-
nen angenommen.
Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Aus-
schusses für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe zu
drei EU-Unterrichtungen zu Menschenrechten und De-
mokratie in der Welt. Der Ausschuss empfiehlt auf
Drucksache 17/12922, in Kenntnis der Unterrichtung
eine Entschließung anzunehmen. Wer stimmt dafür? -
Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschluss-
empfehlung ist mit den Stimmen der Koalition gegen die
Stimmen der Linken und Grünen bei Enthaltung der
SPD angenommen.
Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Aus-
schusses für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe zu
dem Zehnten Bericht der Bundesregierung über ihre
Menschenrechtspolitik. Der Ausschuss empfiehlt auf
Drucksache 17/13848, in Kenntnis des Berichts auf
Drucksache 17/11250 eine Entschließung anzunehmen.
Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer
stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussemp-
fehlung ist mit den Stimmen der Koalition gegen die
Stimmen der Opposition angenommen.
Abstimmung über den Entschließungsantrag der
Fraktion Die Linke auf Drucksache 17/14212. Wer
stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Wer stimmt
dagegen? - Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag
ist gegen die Stimmen der Linksfraktion mit den Stim-
men des übrigen Hauses abgelehnt.
Tagesordnungspunkt 75:
Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/
CSU und FDP
50 Jahre Kennedy-Rede vor dem Rathaus
Schöneberg in Berlin - Die transatlantischen
Beziehungen fortentwickeln
- Drucksache 17/14137 -
Auch hier werden die Reden, wie vereinbart, zu Pro-
tokoll genommen.2)
Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der Frak-
tionen von CDU/CSU und FDP auf Drucksache 17/14137
mit dem Titel „50 Jahre Kennedy-Rede vor dem Rathaus
Schöneberg in Berlin - Die transatlantischen Beziehun-
gen fortentwickeln“. Wer stimmt für diesen Antrag? -
1) Anlage 7
2) Anlage 8
Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Antrag ist
mit den Stimmen der Koalition und der SPD gegen die
Stimmen der Linken bei Enthaltung der Grünen ange-
nommen.
Tagesordnungspunkte 77 a bis 77 c:
a) Beratung des Antrags der Fraktionen CDU/CSU,
SPD, FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Syrische Flüchtlinge schützen
- Drucksache 17/14136 -
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulla
Jelpke, Jan Korte, Agnes Alpers, weiterer Abge-
ordneter und der Fraktion DIE LINKE
Syrische Flüchtlinge schützen
- Drucksache 17/13933 -
c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses ({8}) zu dem Antrag der Abgeordneten
Wolfgang Gehrcke, Jan van Aken, Christine
Buchholz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE
Keine Waffenlieferungen nach Syrien
- Drucksachen 17/12824, 17/13243 Berichterstattung:Abgeordnete Karl-Georg WellmannGünter GloserBijan Djir-SaraiWolfgang GehrckeKerstin Müller ({9})
Auch hier werden, wie vereinbart, die Reden zu Pro-
tokoll genommen.3)
Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der
Fraktionen von CDU/CSU, SPD, FDP und Bündnis 90/
Die Grünen auf Drucksache 17/14136 mit dem Titel
„Syrische Flüchtlinge schützen“. Wer stimmt für diesen
Antrag? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der
Antrag ist einstimmig angenommen.
Abstimmung über den Antrag der Fraktion Die Linke
auf Drucksache 17/13933 mit dem Titel „Syrische
Flüchtlinge schützen“. Wer stimmt für diesen Antrag? -
Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Antrag ist
mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der
Opposition abgelehnt.
Abstimmung über die Beschlussempfehlung des
Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Fraktion
Die Linke mit dem Titel „Keine Waffenlieferungen
nach Syrien“. Der Ausschuss empfiehlt auf Drucksache
17/13243, den Antrag der Fraktion Die Linke auf
Drucksache 17/12824 abzulehnen. Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Ent-
haltungen? - Der Antrag ist mit den Stimmen der Koali-
tionsfraktionen und des Kollegen Klose gegen die Stim-
3) Anlage 9
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse
men der Linken bei Enthaltung von SPD und Grünen
angenommen.
Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Montag, den 2. September 2013, ein. Der
Beginn der Sitzung wird Ihnen rechtzeitig bekannt gegeben.
Die Sitzung ist geschlossen. Ich wünsche Ihnen allen
einen ruhigen und gesunden Sommer. Ich wünsche besonders unserer Kollegin Alpers, dass sie schnell wieder
gesund wird.
({10})
Kommen Sie gut nach Hause.